PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Regeln und Maximen der edlen Reimſchmiede-Kunſt, auch kriechender Poeſie;
ſamt buͤndigem Erweis des hohen Vorzugs derſelben vor der, heut zu Tage geruͤhmten, natuͤrlichen, maͤnnlichen und erhabenen Dichterey: ans Licht geſtellet
Altenburg,Auf Unkoſten des Autoris. 1743.
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Der preiswuͤrdigen privilegirten Freymaͤurer-Geſellſchaft in Berlin. Etiam in hoste laudanda virtus!

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Hochzuehrende Herren!

An wen ſoll ich beykommende geringe Blaͤt - ter, die unſere armſelige Froſchmaͤus - ler-Geſellſchaft Dero preiswuͤrdigen gewid - met hat, uͤberſenden, da Jhre Namen vor der Welt verborgen ſind? Jch vertraue ſie alſo denen vier Winden des Himmels an, und ſchmeichele mir, das Gluͤck zu erhalten, daß wenigſtens ein einziges von unſern flad - dernden Papieren in Dero Haͤnde fallen werde. Es heiſſet bey uns: Der Perſon Freund, und der Sache Feind! Wir wiſſen, und ſehen vor - aus, daß Sie unſerer Bemuͤhung, der krie - chenden Poeſie aufzuhelfen, Feind ſeyn muͤſſen. Aber dem ohngeachtet tragen wir fuͤr Dero Geſellſchaft eine geheime Hoch - achtung. Jch habe die Ehre, im Namen meiner Mitgenoſſen, mich zu nennen

Meiner hochzuehrenden Herren

gehorſamſt ergebenſten Diener Philippi, Secretair bey der Froſchmaͤusler - Geſellſchaft.

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Jnhalt nachſtehender Schriften.

Das Vorſpiel macht eine erbauliche Antritts - Rede Herrn Toffel Reimfixens in die Froſchmaͤuſeler - und Hans-Sachſen-Geſellſchaft, nach den Regeln des homiletiſchen Schlendri - ans eingerichtet.

Hierauf folgen ſieben Probeſtuͤcken, ſo ein jeder Candidat, vor ſeiner Aufnahme in ſolche Geſellſchaft, erſt ablegen muß, als:

I. Die Reimſchmiede-Kunſt und kriechen - de Poeſie, in Form einer Wiſſenſchaft nach mathematiſcher Lehr-Art vorgetragen.

II. Paralele, oder Vergleichung zwoͤlf krie - chender Thiere mit zwoͤlf Claſſen kriechender Poeten; wie auch ſechs Gattungen von Schmie - den mit ſechs Sorten Reim-Schmiede, in Form einer Jnaugural-Disputation abgefaßt.

III. Funfzig Maximen, darinnen alle Kunſt - griffe und Cautelen der kriechenden Poeſie in allen Haupt-Arten von Gedichten, wie auch der ganzen Reimſchmiede-Kunſt enthalten ſind.

IV. Dreyßig Frageſtuͤcke, ſo jedem Candi - daten, der in die Froſchmaͤuſeler-Geſellſchaft ein - treten will, zu richtiger Beantwortung vorgelegt werden.

A 3V. Er -6Jnhalt nachſtehender Schriften.

V. Erweis des hohen Vorzugs einer krie - chenden Poeſie vor der ſogenannten natuͤrlichen, maͤnnlichen und erhabenen Dichterey.

VI. Unumſtoͤßliche Widerlegung des Hora - zens Buches de arte poëtica, oder der Dicht - Kunſt.

VII. Etliche Knittel-Gedichte, von großen Dichtern aufgeſetzet, auch ein Lob-Gedichte des Knoblochs, ſamt einer Hans-Sachſiſchen poeti - ſchen Zuſchrift an den Tit. Hn. Krieges-Rath, D. Knobloch.

Das Nachſpiel enthaͤlt eine Beſchreibung der Formalitaͤten, bey wirklicher Aufnahme maͤnn - licher und weiblicher Perſonen unter die Mit - glieder der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, nebſt dem auf deren Oberhaͤupter gemachten Ehren - Liedlein.

Antritts -[7]

Antritts-Rede in der Hans-Sachſen - und Froſchmaͤusler - Geſellſchaft, handelnd von dem klaͤglichen Verfall und hoͤchnoͤthigen Wiederaufhelfung der Reimſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie.

Meine Herren!

Endlich habe den gluͤcklichen Zeit-Punct er - lebet, in ihre, vor den Augen der Stolzen verborgene, aber an ſich hoͤchſtwichtige, Geſellſchaft aufgenommen zu werden! Wir wollen durchaus allen Vernuͤnftlern, Freyden - kern und ſtarken Geiſtern Trotz bieten. Wir ſind ſo ehrſuͤchtig nicht, uns praͤchtige Namen von Geſellſchaften beyzulegen. Wir bleiben bey der lieben Einfalt. Damit es keinen Rang - Streit abgebe, ſoll der vormals beruͤhmte deut - ſche Poete, Hans Sachſe, unſer Obermeiſter, und der ehrliche Froſchmaͤuſeler unſer Anfuͤhrer ſeyn. Was aus dieſer Helden Schriften kann buchſtaͤblich dargethan werden, ſoll unſere Re - gel und Richtſchnur verbleiben.

A 4Gewiß,8Antritts-Rede

Gewiß, wir haͤtten zu den Abſichten unſerer Geſellſchaft keine geſchicktere Oberhaͤupter erweh - len koͤnnen, als eben dieſe. Denn die Reim - ſchmiede-Kunſt iſt der groͤßte Endzweck unſerer Hans-Sachſen-Geſellſchaft, und die kriechen - de Poeſie iſt das vornehmſte Abſehen des unter uns aufgerichteten Froſchmaͤusler-Ordens. Wir reimen, ehe wir denken. Daher muß die Reimkunſt der Dichterey vorangehen. Wir bleiben gern bey der Erde; eben darum wollen wir unſre Poeſie nicht hochtrabend, ſondern lieber kriechend nennen. Zwar hat der bekannte D. Schwift eine eigene Kunſt zu kriechen ans Licht geſtellet; aber weil ers damit nicht ernſt - lich meynet, ſondern allzumerklich ſpaßet, ge - hoͤrt er auch unter die Bande der großen Dich - ter, deuen wir in der Taſche Schnipgen ſchla - gen. Wir meynens in voͤlligem Ernſte, daß die Reimſchmiederey eine beſondere Geſchick - lichkeit erfordere, und es eine wahrhafte Kunſt ſey, in der Poeſie zu kriechen.

Wir koͤnnen aufgepauſte Gedanken und ble - hende Worte gar wol leiden. Aber der dahin - ter verſteckte Gedanke muß niedrig, niedertraͤch - tig und kriechend ſeyn. Ein Lahmer kriechet wol ehe auf allen Vieren, in Ermangelung ei - ner Kruͤcke. Wir aber geſtatten auch keine Kruͤk - ken; ſondern, wenn unſere Gedichte erſt lahm und hinkend ſind, muͤſſen ſie ſich ganz in den Staub legen, und anfangen zu kriechen. Die Schwulſt in unſern Ausdruͤckungen muß ſichin9in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. in eine duͤnne Luft verwandeln, die glatt uͤber der Erde hinwegſtreichet.

Wann unſere Gedanken Luͤcken haben, wenn ſie nicht recht klappen und an einander haͤngen: So thut uns die Reimſchmiede-Kunſt treffliche Dienſte, ſolche Luͤcken durch gute Flick-Woͤr - ter auszuſtopfen. Fallen wir von der Hoͤhe unſrer Gedanken in einen tiefen Graben: So fuͤllen wir ſolchen ſtracks durch gewiſſe Fuͤll - Woͤrter aus. Damit es der Taͤndeley mit Vernunft-Schluͤſſen nicht beduͤrfe; geſtatten wir allen falſchen Gedanken und unrecht ange - brachten Touren eine Stelle. Wir geben un - ſern Einfaͤllen einen ſolchen Schwang, daß dar - aus Schwaͤnke und Schnaken erfolgen moͤgen.

Eben daher ſind wir keine Sclaven, alle Ge - danken mit einander richtig zu verbinden. Wenn wir beym Wetzſteine zu reimen angefangen: So iſt es genug, daß wir die herrliche Wahr - heit dran haͤngen, ein darauf geſchliffenes Meſſer ſchneide. Aber wir tragen kein Bedenken, die Gedanken durch Wortſpiele zu verdrehen, und ei - nen ungeſchliffenen Menſchen den zu nennen, der noch auf keinen Wetzſtein gekommen. Das duͤnket uns aber erſt ein herrlicher Einfall zu ſeyn, wenn wir hinzufuͤgen: Jeder von unſern Fein - den ſey ein Wetzſtein unſerer Tugend, weil er ſich an uns zu reiben ſuchet.

Wir dehnen auch gern etwas uͤber das Gleich - niß hinaus. Ein ſcharfer Gedanke wird bey uns ein ſcharf gewetzter Gedanke genennet; undA 5wenn10Antritts-Redewenn wir geſaget: Eine Satyre ſchneide durch Mark und Bein: So thun wir einen Luft - Sprung, um deſto tiefer zu fallen, und ſagen: Eine Satyre ſey das allerſchaͤrfſte Scheermeſ - ſer. Ja wir wiſſen den Wetzſtein und unſer Schneidemeſſer bey Dingen anzubringen, die weder gewetzet noch geſchnitten werden. Wir haben hierin einen beruͤhmten Vorgaͤnger, der zwar ſonſt unſer Feind iſt. Aber deſto hoͤher iſt das Zeugniß eines Feindes zu achten, wenn er uns ſelber worinn beypflichtet. Jch habe nicht noͤthig, die Stelle erſt herzuſetzen, weil unſere Abſicht iſt, niemanden leicht zu nennen, und doch viele zu treffen.

Meine Herren gelieben nicht daruͤber boͤſe zu werden, daß ich ein langes und breites vom Wetz - ſteine geſchwatzet, da ich doch vom Verfall und Wiederaufhelfung der kriechenden Poeſie reden wollen. Auch das gehoͤrt unter die Grund-Ge - ſetze unſerer Geſellſchaft: Wenn es uns an Ge - danken fehlet, ſtehet uns frey, ſo lange fortzu - kriechen, bis uns wieder ein friſcher Gedanke einfaͤllet. Folglich machen wir viel Ausſchwei - fungen, und bleiben doch immer auf einem Fleck. Wir tummeln uns im Kreiſe, reden einerley vielmal, und ſehen am Ende, daß wir wieder zu unſerm Anfange gekommen. Wir ſuchen der lieben Einfalt nachzuhelfen, die unſere Ge - danken ſonſt vergeſſen moͤgte. Jedoch, ich eile zum Vortrag, da ich ohne ferneren Eingangeuren11in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. euren Liebden in aller moͤglichſten Kuͤrze und Einfalt vorſtellen will:

  • Den klaͤglichen Verfall und die hoͤchſt - noͤthige Wiederauf helfung der Reimſchmiede-Kunſt und kriechen - den Poeſie.

Da mir denn Jm erſten Theile zu erweiſen oblieget, daß es wirklich einen ſo klaͤglichen Verfall gebe. Aber was beduͤrfen wir großes Beweiſes? Drehen ſie die Raͤder ihres hiſtoriſchen Gedaͤchtniſſes zuruͤck, und denken an die Zeiten, da der beruͤhmte deutſche Poete Hans Sachſe lebte, wie auch der Ver - faſſer des Froſchmaͤuſelers. Jn welchem Anſe - hen ſtunden nicht dieſe damalige poetiſche Hel - den? Sahe man ſie nicht fuͤr Erzdichter und gekroͤnte Dichter-Haͤupter an? Laſe man nicht ihre vollkommene Muſter der Reimſchmie - derey und kriechenden Poeſie mit groͤßtem Ver - gnuͤgen? Wurden nicht Hans Sachſens Ge - dichte auf oͤffentlichen Maͤrkten abgeſungen? War wol ein Gelehrter zu finden, der nicht ge - wußt, daß ein Hans Sachſe in der Welt ſey?

Dagegen iſt jetzo ſein Andenken in Sand; ja was ſage ich in Sand? gar in Staub; und was ſage ich in Staub? endlich ſogar in Waſ - ſer geſchrieben, daß er ſo wenig kenntliche Fuß - tapfen hinterlaſſen, als ein Schiff vom erſten Range, das auf der See einen Strich zuruͤckgelegt,12Antritts-Redegelegt, und man deſſen Spur nirgends ſiehet. O Jammer! o Elend! daß ſo große Maͤnner, als Hans Sachſe und der Froſchmaͤuſeler, in ſolche Vergeſſenheit gekommen! O ekele Welt! daß, durch die neuerlichen abentheuerliche Na - men: Opiz, Lohenſtein, Simon Dach, Flem - ming, Amaranthes, Menantes, Hofmans - waldau, Beſſer, Canitz; ja wenns noch bey dieſen geblieben waͤre! durch noch viel neuere Namen ihre Ohren ſo verwoͤhnt worden, daß ſie, leider! von ihrem Ahnherrn in der deutſchen Dichtkunſt, dem unſterblichen Hans Sachſen und Froſchmaͤuſeler, nichts mehr hoͤren moͤgen. Moͤgte man hier nicht ausrufen, und ſagen: O tempora, o mores!

Nicht nur ganze Orden, als die fruchtbrin - gende Geſellſchaft, der Pregnitzer-Orden, der Palmbaum-Orden, ſondern auch ganze Ge - ſellſchaften ſind entſtanden, die ſich bald Red - ner-Geſellſchaften, bald geheime, bald deut - ſche, bald critiſche, und warum nicht gar na - ſutiſche und dolhoruckiſche, genennet haben. Aber das iſt vollends bejammernswuͤrdig, daß ſonderlich folgende Namen unſerm erkieſten Ober - haupte in der Reimſchmiede-Kunſt und kriechen - den Poeſie den letzten Druck gegeben; dagegen aber die uns fatale natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Poeſie in Schwang gebracht haben. Halten ſie mich, meine Herren, daß ich nicht einen Schwindel im Haupte bekomme, und rei - chen ſie mir ſchleunig den diſtillirten Froſch -maͤusler -13in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. maͤusler-Spiritus, der ſo gut fuͤr alle Schlag - fluͤſſe iſt, her, weil alles mit mir herumgehet, wenn ich nur unſerer Haupt-Gegner Namen nennen hoͤre. Es gehet mir bald, wie jener Dame in der kurzweiligen Schrift: Die Pieti - ſterey unterm Reifrocke, welche in Ohnmacht verſank, wenn ſie ohngefehr die Namen: D. Fecht, Neumeiſter, D. Mayer ꝛc. nennen hoͤ - ren. Jch aber wollte lieber wuͤnſchen, daß die geſchwornen Feinde unſerer kriechenden Poeſie gar nicht geboren waͤren. Welch ein Heer der - ſelben ſtellet ſich nicht durch das ganze A, B, C uns entgegen. Das A ſcheint uns eben nicht ſonderlich fatal; aber deſto gefaͤhrlicher iſt uns das B, darunter der gewaltige Gegner, Brocks in Hamburg, vorkoͤmmt. Jch komme aus den Schranken meiner Gedanken, daß ich nicht in der Reihe fortbuchſtabiren kann. Wir erzittern vor denen in niederſaͤchſiſchen Landen beruͤhm - ten Namen: Neukirch, Richey, Mosheim, Pietſch, Weichmann, und dergleichen. Wir beben vor den, unſerer kriechenden Poeſie ſo gar ſehr ſich widerſetzenden, oberſaͤchſiſchen Namen: Guͤnther, Koͤnig, Graf Zinzendorf, Rambach, Gottſched, Piccander, Briontes der Juͤngere, ſamt andern fameuſen Namen mehr. Ja ſogar vor weiblicher Erzdichterinnen und Feindinnen unſerer kriechenden Poeſie lieb - lichſten Namen, als: Zieglerin, Gersdorfin, Gottſchedin, Brayne, Zaͤunemannin, ꝛc. ꝛc. erſtarret das Gebluͤte in unſern Adern!

Sollte14Antritts-Rede

Sollte ich nun wol noch mehrere ausſprechen und namhaft machen? Vielleicht koͤnnte ich endlich gar Freund und Feind verwechſeln, oder jemand fuͤr unſern Gegner halten, der doch wol gute froſchmaͤusleriſche Dicht-Gedanken bis - her gehabt, ob er gleich noch kein Mitglied un - ſerer Geſellſchaft geweſen. Denen Regeln der - ſelben nach ſoll ich zur Probe drey Namen vor - ſchlagen, dadurch Dero edle Zunftgenoſſenſchaft einen neuen Zuwachs bekomme; aber ich kann in Wahrheit nicht gut dafuͤr ſeyn, ob ich mit meinem Vorſchlage Freunde oder Feinde unſerer Geſellſchaft treffen werde. Jndeß will ich lieber unrichtig im Vorſchlagen, als ungehorſam in meiner Probeleiſtung ſeyn. Daher ich den Hn. D. Knobloch aus Zittau, Hn. D. R .. und Hn. D. Pl .. drey Doctores Iuris und Poe - ten, zu Candidaten vorſchlage, ſolche einzuladen, in Dero loͤbl. Geſellſchaft mit einzutreten. Ue - brigens verhoffe ich, meine Herren, den klaͤgli - chen Verfall der Reimſchmiederey und kriechen - den Poeſie dargethan zu haben. Die Sache iſt aus zwey angebrachten Haupt-Beweiſen klar: Einestheils aus dem erloſchenen Ruhm und mit Graſe bewachſenen Andenken unſerer erkor - nen Oberhaͤupter, Hans Sachſens und des Froſchmaͤuslers, deren Andenken bey uns im Segen iſt; und ſodann hauptſaͤchlich auch durch die ſeit etwa zwanzig Jahren aufgekommene neuerliche, mithin ſchon in ſich verdaͤchtige und nach poetiſcher Ketzerey, ja Dichter-Gifte,ſchmeckende,15in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. ſchmeckende, oder auch riechende, ſogenannte natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Dichtkunſt, welche, wie die Folge zeigen wird, ſchnurgerade den Regeln unſerer Reimſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie entgegen ſtehet. Es ſind al - ſo zwey feindſelige Heere gegen einander; aber wir haben leider den Kuͤrzern gezogen! Unſere haͤufigen Zunftgenoſſen werden verachtet und verſpottet. Unſere poetiſchen Werke werden nicht gut genug geachtet, fuͤr Makeltur gebraucht zu werden. Man beſchimpft ſie noch viel empfind - licher; welches ich mit wichtigen Zeugniſſen darthun koͤnnte, wenn nicht das mir vor die Au - gen geſetzte Stunden-Glas, ſamt einer auch vor die Ohren dienlichen Erinnerungs-Uhr, naͤmlich einem guten Wecker, mich bewegte, nunmehro auch zum andern Theile unſerer Betrachtung zu ſchreiten, und eurer Liebe, wegen meiſt verfloſſener Zeit, nur noch mit wenigen, da - mit ſie nicht etwa einſchlafen, oder verdrießlich werden, vorzuſtellen:

  • Die hohe Nothwendigkeit, dieſem klaͤgli - chen Verfalle der Reimſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie wieder aufzu - helfen.

Waͤre ich den tauſenden Theil ſo geſchickt und ſinnreich, als der Verfaſſer der uͤberaus luſtigen und artigen Schrift: Die Nothwendigkeit der elenden Scribenten; ſo wuͤrde ſelbſt die Son - ne, wenn ſie reden koͤnnte, meine Gruͤnde fuͤr uͤberzeugend ausſprechen: ja ich wuͤrde Himmelund16Antritts-Redeund Erden, wenn ſie nur reden gelernt, zu Zeu - gen auffuͤhren koͤnnen. So aber will ich bloß punktweiſe die Sache beruͤhren.

Es iſt nothwendig, erſtlich, weil durch ſol - chen neuen poetiſchen Geſchmack ſelbſt der Re - ligion ein großer Schade und Eintrag geſchie - het. Denn da muͤſſen nothwendig viele alte Kern-Lieder, als zum Exempel das ſchoͤne: Ein Kindelein ſo loͤbelich; item: Amen, nun will ich ſchlieſſen dies ſchlechte Liedelein; desglei - chen das geiſtreiche Lied: Hilf Gott, daß mirs gelinge, daß ich die Sylben zwinge; ſamt de - nen darinn mehrmals vorkommenden herrlichen Fuͤllwoͤrtern: Vernimms, ja wohl vernimms und merks, mein Kind, vernimms; denen neuen poetiſchen Luͤſtlingen einen Ekel verurſa - chen, wo nicht gar ihnen zum Geſpoͤtte dienen, welches nicht genug mit Thraͤnen kann bedau - ret werden!

So daß demnach, wenn ich Landes-Herr, oder der naͤchſte nach ihm waͤre, ein Gebot wollte ausgehen laſſen, daß die altdeutſche und des Hans Sachſens Poeſie nahekommende Dichterey an allen Orten, wo ſie in Kirchen und Schulen Herkommens, der neuen ausge - kuͤnſtelten und ausgekernten, auch ſogenannten reinen Poeſie, (wer will aber einen reinen Poe - ten finden, da wol keiner ganz rein iſt?) weit vorgezogen; die ekelen neuen Poeten durch ge - buͤhrende Zwangs-Mittel zur Hochachtung der Hans-Sachſen-Poeſie angehalten, die Stu -denten17in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. denten vor Beſuchung ſolcher hohen Schulen, wo dergleichen poetiſches Gift und Ketzerey ausgeſtreuet wird, fleißig verwarnet, und die zarte Jugend in den Froſchmaͤusler - und Hans - Sachſens-Gedichten treulich unterwieſen, ſie aber vor allen irrigen und verdaͤchtigen prin - cipiis einer ſogenannten natuͤrlichen, maͤnnli - chen und erhabenen, ja wol gar vollkommnen Poeſie, da doch nichts vollkommnes auf der Welt zu finden, alles Fleiſſes verwahret werden.

Die hohe Nothwendigkeit, der Reimſchmie - derey wieder aufzuhelfen, erhellet ferner daraus unter uns zur Gnuͤge: Weil wir einmal uns veſt vorgenommen, in die Fußtapfen unſerer Groß-Eltern und altdeutſchen poeſtiſchen Ahn - Herren, Hans Sachſens und des Froſchmaͤu - ſelers, zu treten; dagegen die neue Poeſie von ſolcher Bahn abweichet, und einer noch un - mannbaren Jungfer gleichet, von der es kein Wunder, daß ſie ihre Keuſchheit unbeflecket er - haͤlt, weil ſie noch keinen Verſuchungen aus - geſetzet worden.

Ferner wuͤrde ja die Ehrfurcht, die wir fuͤr unſere, aus freyer Wahl und mit einmuͤthiger Einfalt erkieſte, Ober-Meiſter, Hans Sachſen und den Froſchmaͤusler, tragen, merklich leiden, und ihre Aſche uns ſo zu ſagen ins Geſichte vor - werfen, wenn wir nicht eifrigſten Fleiſſes be - dacht waͤren, ihren vormaligen Ruhm wieder herzuſtellen.

BWo18Antritts-Rede in der ꝛc.

Wo ſollten wol viertens alle Gratulanten, Hochzeit-Reimer, Leichen-Reimer, Geburts - und Namenstags-Reimer, nebſt Kindtaufs - und Abendmahls-Reimern, bleiben, oder ihr ehrliches Auskommen finden, wenn es nicht die oͤberſte allgemeine Regel der Reimſchmiede - Kunſt waͤre, und ſolche in ſteifer Obſervanz erhalten werden muͤßte: Daß, wie ein Ora - tor ſix calax von ſchwarz und weiß, rechts und links, Himmel und Hoͤlle ohne groß Beſinnen muß aus dem Stegereif reden koͤnnen: Alſo auch einem Poeten unſerer Geſellſchaft er - laubt ſey, auf alles, ſollte es auch der Muffel, oder gar ein Floh, oder der Nachtwaͤchter ſeyn, Reime zu ſchmieden, die geſchmiedeten zu drucken, die gedruckten zu uͤberreichen, fuͤr die uͤberreichten Geld oder Geldes Werth, auch anſehnliche Ehren-Titel, anzunehmen, und kurzum dieſe unſere in Abnahme bishero gekom - mene brodloſe Kunſt und verſchlagene Waare, ja nicht einmal mehr auf den Jahr-Maͤrkten ge - hende Meiſter-Geſaͤnge, wieder in Schwang gebracht, und in eintraͤgliche Brod-Kuͤnſte, oder doch wenigſtens in Credit, daß man was darauf geborget kriege, geſetzet werden moͤgen; dazu denn vielleicht beykommende ſieben Probe - Stuͤcke, die ich Jhnen, meine Herren, hiedurch zu uͤberreichen die Gnade habe, nach Dero vorhergaͤngigen hocherleuchteten Cenſur, etwas beytragen werden. Dixi.

Erſtes19

Erſtes Probeſtuͤck. Die edle Reimſchmiede-Kunſt und kriechen - de Poeſie, in Form einer Wiſſenſchaft, nach mathematiſcher Lehr-Art abgefaſſet.

Erſte Erklaͤrung.

§ 1. Die Reimſchmiede-Kunſt iſt eine Kunſt, auf alles und jedes, worauf nur ein Reim zu erfinden moͤglich iſt, Reime zu machen, ſie moͤgen auch beſchaffen ſeyn, wie ſie wollen.

2. Erklaͤrung.

§ 2. Die kriechende Poeſie iſt eine Kunſt, ſo niedertraͤchtig und verwirrt zu denken und zu dichten, daß man kaum tiefer kommen kann, ſamt Verachtung alles deſſen, was nicht mit ihren Regeln uͤbereinſtimmet.

1. Grundſatz.

§ 3. Sowol die Reimſchmiederey, als kriechende Poeſie, iſt eine Kunſt.

1. Zuſatz.

§ 4. Da nun aber eine Kunſt ſo viel iſt, als eine Fertigkeit des Gemuͤthes, die, nebſt ge - wiſſen Regeln, hauptſaͤchlich durch beſondere Handgriffe, Gebrauch und Uebung erlernet wird: So finden ſich demnach auch bey der Reimſchmie - derey und kriechenden Poeſie einige Grund-Re - geln, gewiſſe Handgriffe und fleißige Uebung, ehe man zu einer Fertigkeit darinn gelanget.

B 22. Zu -20Die Reimſchmiede-Kunſt

2. Zuſatz.

§ 5. Alldieweil nun der Haupt-Begriff, darinn die Reimſchmiederey und kriechende Poe - ſie mit einander uͤbereinkommen, dieſer iſt, daß beyde eine Kunſt ſind: So darf man wahrlich weder einen Reimſchmied noch kriechenden Poe - ten fuͤr einen ungeſchickten Menſchen halten.

2. Grundſatz.

§ 6. Die Reimſchmiederey hat mit Wor - ten, Sylben und Reimen, die kriechende Poeſie aber mit Gedanken und Begriffen zu thun.

1. Zuſatz.

§ 7. Die gemeine Vernunft-Lehre be - hauptet zwar, daß man, wenn man redet, vor - her erſt richtig denken muͤſſe; aber bey der Reim - ſchmiederey kann man reimen, wenn auch gleich gar kein Gedanke dahinter ſtecket.

Anmerkung.

§ 8. Ein Reim ohne Jdee klinget uns ſo lieblich, als ein muſicaliſcher Ton einer Sack - pfeife. Es iſt eine Miſchung des Rauhen und Sanften. Daß der Gedanke fehlt, klingt et - was rauh; aber die Zierlichkeit des Reims er - ſetzt dieſen Mangel.

2. Zuſatz.

§ 9. Wenn der niedrige Gedanke ſich bald in einen Reim zwingen laͤſſet, entſtehet daraus eine liebliche vorherbeſtimmte Harmonie zwi - ſchen der Reimſchmiederey und kriechenden Poeſie.

3. Zu -21nach mathematiſcher Lehr-Art.

3. Zuſatz.

§ 10. Wenn aber entweder der Reim ſchon vorhanden iſt, ehe noch der Gedanke veſtgeſetzet worden; oder aber der Begriff im Kopfe zwar ausgehecket, aber ſich nicht recht in Reime will ausdruͤcken laſſen: heißt ſolches das Schwere in der Reimſchmiederey und kriechenden Poeſie; das Leichte aber, wenn beydes, ohne groß Nach - ſinnen, einem flugs einfaͤllt.

3. Grundſatz.

§ 11. Bey der Reimſchmiederey hat man vollkommene Freyheit, ſo gut zu reimen, als der poetiſche Amboß und Schmiede-Hammer den Reim heraustreiben kann.

1. Anmerkung.

§ 12. Die gekuͤnſtelte Poeſie will alle Rei - me nach genauem Sylben-Maaſſe, Abſchnitt, Ceſur, Scanſion, Fuͤßen und Conſtruction, oder richtiger Wortfuͤgung, abgemeſſen haben; aber die Reimſchmiede-Kunſt nimmt ſich mehr Freyheit heraus. Man darf ganze Sylben ver - ſchlucken; braucht die pedes nicht zu zehlen; die Ceſur mag fallen, wie ſie will: der Reim - ſchmied faͤllt nie aus dem Gleiſe; die Conſtru - ction mag verworfen werden, wie ſie will: es ſchadet nichts. Die Hans-Sachſen-Poeſie iſt alſo der menſchlichen Natur conformer, wel - che die Freyheit und Ungebundenheit mehr lie - bet, als ſo genaue Einſchraͤnkungen.

B 32. An -22Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.

2. Anmerkung.

§ 13. Die die Poeſie in Zwangs-Regeln eingefaßt, haben dadurch ihren Hochmuth ver - rathen, indem ſie andern Geſetze vorgeſchrieben. Ein Reimſchmied aber ſiehet nur auf ſeinen ei - genen poetiſchen Amboß und Schmiede-Ham - mer, dabey er andern die Freyheit laͤßt, ſich ſelber Reime zu ſchmieden, ſo gut ſie koͤnnen.

3. Anmerkung.

§ 14. Damit ich keinen Begriff unbeſtim - met laſſe: So verſtehe ich durch den poetiſchen Amboß die Reim-Woͤrter-Buͤcher. Denn aus ſolchen ſucht man ſich erſt ein paar huͤbſche Reime zuſammen, die einige Aehnlichkeit in dem Laute haben; nachher bemuͤht man ſich, ſolche Reime durch den poetiſchen Schmiede-Ham - mer, oder einen gluͤcklichen Einfall, zuſammen zu ſchmieden, daß ſie auf einander paſſen.

Erſte Aufgabe.

§ 15. Wie man ſich helfen ſoll, wenn ein Wort vorkoͤmmt, darauf entweder gar kein Reim, oder doch ein ſehr ſchwerer und un - bekannter iſt?

Aufloͤſung.

Wenn ein Wort ohne ein anders iſt, das ſich drauf reimt: hat man Freyheit, entweder ein anders zu erwehlen, oder aber einen Flick - Reim anzubringen. Z. E. Auf das Wort Menſch will mir kein Reim einfallen: So rei - me ich alſo: Nun ſagt, was reimet ſich auf enſch:So23nach mathematiſcher Lehr-Art. So habe ich wirklich auf Menſch gereimt, oh - ne es ſelber zu denken.

Jſt aber ein Reim vorhanden, der gleichwol vielen unbekannt: So muß man ihm mit ein paar drein gegebenen Reimen nachhelfen, bis ſich die Leſer und Zuhoͤrer dran gewoͤhnen. Z. E.

  • Wenn der geſchwaͤrzte Flohr der Einbil - dung zerreißt,

klinget etwas hart und undeutlich: So hilft ihm der Reimſchmied ohngefehr alſo nach:

  • Denn wie ein ſchwarzer Flohr uns das Ge - ſicht bedecket,
  • Jſt ein Hochmuͤthiger auch in ſich ſelbſt verſtecket.

Da ſiehet man hernach leicht, warum die Ein - bildung mit einem ſchwarzen Flohre verglichen worden.

Anmerkung.

§ 16. Die Fuͤll-Woͤrtergen, z. E. lobeſan, vernimms, ganz recht, und tauſend andre, hel - fen einem Reimſchmiede oft geſchwinde aus der Noth, daß er ein paar Reime zuſammen loͤten kann, die ſonſt gar nicht ſchienen mit einander verknuͤpft werden zu koͤnnen. Weil ſie auch in viel alten Kirchen-Geſaͤngen vorkommen, hat man ſie billig in allen Gedichten fuͤr eine beſon - dere Zierde zu ſchaͤtzen.

1. Lehrſatz.

§ 17. Ein Reim, den noch kein Dichter vorher gebraucht, iſt eine entdeckte neueB 4Wahr -24Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc. Wahrheit in der Reimſchmiede-Kunſt, und billig hochzuhalten.

Erweis.

Die Reimſchmiede-Kunſt geſtattet, auf alles und jedes, darauf nur ein Reim moͤglich iſt, ſolchen anzubringen (§ 1). Da nun die Erfin - dung eines noch nie zuvor vorgekommenen Rei - mes eine Entdeckung neuer Moͤglichkeiten iſt: So wird dadurch der Reim-Woͤrter-Schatz vermehret, mithin eine neue Wahrheit ans Licht gebracht; welches das erſte war.

Da aber eine erfundene neue Wahrheit billig dem Erfinder zu Ehren gereichet und ſeinen Ruhm vergroͤßert: So hat man alſo ganz neue und zu - vor nie erhoͤrte Reime allerdings hochzuſchaͤtzen; welches das andere war. Q. E. D.

Zuſatz.

§ 18. Da nun aber die Reimſchmiede-Kunſt eine große Verwandtſchaft mit der kriechenden Poeſie hat (§ 5, 9): So folget, daß auch ein ſolcher angebrachter neuer niedriger Gedanke, dergleichen noch niemand vorher gehabt, un - ter die neue kriechende Wahrheiten zu ſetzen und hochzuhalten ſey.

Anmerkung.

§ 19. Als eine gute Cautel, dahinter zu kom - men, muß man in Leſung der Poeten geuͤbt ſeyn, damit man nicht etwas fuͤr einen neuen Reim oder friſchen Einfall halte, den doch ſchon an - dere vorher gehabt. Gewiß der Kuͤtzel und dieFreude25nach mathematiſcher Lehr-Art. Freude verringert ſich da um ein merkliches, wenn man dieſes gewahr wird. Beſſer waͤre es, andere unterlieſſen die fleißige Leſung poeti - ſcher Schriften: So koͤnnte man oft trotzen und braviren, als wenn man etwas aus eigenem Kopfe erfunden, da mans doch andern abge - borget hat.

Anderer Lehrſatz.

§ 20. Es gehoͤrt, bey Leſung der Poeten, ein geſundes Nachdenken, damit man nicht die edle Reimſchmiede-Kunſt mit der gezwun - genen neuen Dichter-Kunſt vermenge.

Erweis.

Die edle Reimſchmiede-Kunſt iſt frey und ungebunden (§ 11); die neue Poeſie aber bin - det ſich genau an die Conſtruction, pedes, Ce - ſur und Scanſion. Wenn demnach ein Reim - ſchmied ſich zu ſehr an die pedes, Ceſur, Con - ſtruction und Scanſion baͤnde: So ſchluͤge er auf die Seite der neuen Poeten. Da nun aber die neue Poeſie und Reimſchmiede-Kunſt einan - der ſchnurſtracks entgegen (per experient. ): So hat man die Poeten genau zu examiniren, auf welche Seite ſie geneigt, um zu erforſchen, ob es neue Poeten oder edle Reim-Schmiede ſind; welches das erſte war.

Da nun aber, bey Unterlaſſung ſolches Nach - denkens, einer endlich ſelber nicht wiſſen wuͤrde, ob er ein Reimſchmied oder neuer Poete waͤre: So iſt die Ungebundenheit in Reimen das Au -B 5genmerk,26Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc. genmerk, damit nicht die edle Reimſchmiede - Kunſt mit der gezwungenen neuen Poeſie ver - menget werde; welches das andere war. Q. E. D.

Andere Aufgabe.

§ 21. Wie man eine vorkommende poeti - ſche Paſſage genau beurtheilen koͤnne, ob ſie unter den Schatz der Reimſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie, oder aber unter die neue Poeſie gehoͤre?

Aufloͤſung.

Wenn ein Gedanke oder ganzer Reim aus einem ſolchen Autore entlehnt iſt, der ſchon uͤber - all als ein neuer Poete beruͤhmt iſt, auch von uns ſelbſt dafuͤr erkannt wird: So iſt die hoͤch - ſte Vermuthung, daß er zur neuen Poeſie, und nicht zur Reimſchmiede-Kunſt, gehoͤre. Z. E. wenn er aus der Poeſie der Nieder - und O - ber-Sachſen, aus einem Brocks, Richey, Koͤ - nig, Guͤnther, Canitz u. d. m. entlehnet iſt.

Jſt es aber ein eigener Einfall des Verfaſſers: So loͤſe man erſtlich den angebrachten Gedan - ken in eine einzele Propoſition von ſubiecto und praedicato auf. Steckt darinn was na - tuͤrliches, maͤnnliches, erhabenes: So iſt das Gift der neuen ketzeriſchen Poeſie dahin - ter. Steht er aber, in ſeiner Entkleidung, mit dem Geſichte zur Erden, oder iſt fein nieder - traͤchtig: So gehoͤrt ſolche Stelle, wenn auch der Dichter ſonſt unter die neuen Poeten gehoͤrt,in27nach mathematiſcher Lehr-Art. in Abſicht auf dieſe Paſſage, mit zu den Lieb - habern einer kriechenden Poeſie.

Die neuen Poeten kuͤnſteln alles zu ſehr nach der Vernunft und dem ſcharfen Witz aus. Sie leiden keinen falſchen Gedanken, weder der in ſich irrig, noch, in der angebrachten Tour, un - recht geſetzet iſt. Sie reden von einem poeti - ſchen Geſchmack, dadurch ſie gleich alles koſten, riechen, ſchmecken und fuͤhlen koͤnnen, was ih - rem ſogenannten bon ſens und bon goût ent - gegen. Erraͤth man nun nur erſt ihre Maxi - men: So halte man die zweifelhafte Paſſage damit zuſammen. Trifft ſolche mit ihren Ma - ximen uͤberein: So muͤſſen wir es fuͤr eine poe - tiſche Ketzerey halten, ihnen nachzuahmen. Denn je weiter unſere Gedanken von der ſo be - titelten geſunden Vernunft abweichen; je naͤ - her kommen ſie der kriechenden Poeſie und Reim - ſchmiede-Kunſt.

Man muß endlich bey den Reimen und Ein - faͤllen einen Unterſchied unter der ernſthaften und ſcherzhaften oder burlesquen Poeſie machen. Die neuen Poeten, wenn ſie badiniren, ſchei - nen uns nachzuahmen; aber es iſt doch ein merk - licher Unterſchied zwiſchen uns und ihnen. Denn unſere Poeſie iſt ſchaͤkernd, kollernd, raſend; auch wol plump, geil und leichtfertig. Wir aber heiſſen es eine ſcherzende Poeſie, da ſie doch nie ſo weit im Scherz gehen, als wir.

4. Grund -28Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.

4. Grundſatz.

§ 22. Der Reim mag ſo ſchlecht beſchaffen ſeyn wie er will: So thut er doch manch - mal bey der Reimſchmiede-Kunſt gute Dienſte.

Anmerkung.

§ 23. Es wuͤrden manche von unſerer Zunft abgeſchroͤcket werden, wenn wir ihnen nicht ſol - che Freyheit verſtatteten. Daher duͤrfen wir

  • 1) die Woͤrter theilen. Zum Exempel auf das Wort Jungfer iſt ſchwerlich ein Reim zu finden: So kann ich den Reim theilen; als:
    Meine liebe Jungfer,
    Will ſie mir einen Trunk ver -
    ſchaffen, den Durſt zu ſtillen, ꝛc.
  • 2) Wir duͤrfen die Woͤrter verſetzen, um deſto eher einen Reim heraus zu ſchmieden. Z. E. Trompeten und Krombhoͤrner reimen ſich nicht: So verſetzt man ſie etwa alſo:
    So blaſt auf Peten Tromp,
    (anſtatt Trompeten,)
    Und ſpielt auf Hoͤrnern-Kromb.
    Da reimt ſichs.
  • 3) Wir moͤgen nicht ſo genaue Horcher und leiſe Hoͤrer ſeyn, daß eben einerley Buchſtaben ſich reimen muͤßten; ſondern laſſen als gute Rei - me paßiren: Z. E. Creuz, reiz; Leid, Freud; Todes, Brodtes, ꝛc.
  • 4) Hilft dis noch nicht zur Zuſammenloͤtung zweyer Reim-Zeilen: So verſtatten wir, ganz andre Sylben als Reime anzuſehen, wenn ſienur29nach mathematiſcher Lehr-Art. nur eine kleine Aehnlichkeit im Laute haben, als z. E. die Milz, das Wild; ein Menſch, ein Hengſt; bringt, vermengt; Hoſen, Zoten, ꝛc.
  • 5) Aus beſonderer Freygebigkeit erlauben wir auch, neue Reime zu machen, die fein trolligt herauskommen, als:
    Der goͤttingiſche Sammler
    Heißt wol mit Recht ein Stammler.
    Hans iſt ein guter Rammler. ꝛc.
  • 6) Die Conſtruction darf nach Gutduͤnken verſetzet und verworfen werden, wenn gleich die deutſche Sprache dabey genothzuͤchtiget wird. Z. E.
    Das hat alſo gefallen dir,
    Die Wahrheit anzuzeigen mir. ꝛc.

5. Grundſatz.

§ 23. Die kriechende Poeſie haͤlt mehr von niedertraͤchtigen, als hochtrabenden, Ge - danken.

1. Anmerkung.

§ 24. Das Wort und der Reim mag im - mer hochtrabend und ſchwuͤlſtig ſeyn; aber der darunter verſteckte Gedanke muß, nach beſche - hener Aufloͤſung, oder Verwandlung in einen einzigen Satz, ſich in eine duͤnne Luft veraͤn - dern, die, wie ein Nebel, auf die Erde faͤllet. Der Haupt-Begriff (ſubiectum) muß entwe - der mit dem Neben-Begriffe (praedicato) gar einen Widerſpruch haben; oder doch, nach der ſogenannten Vernunft-Lehre, ſich nicht rechtzuſam -30Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc. zuſammen ſchicken; und wenn alſo gleich die Woͤrter ſich reimen, mag doch wol ein unge - reimter Gedanke dahinter verborgen liegen.

2. Anmerkung.

§ 25. Ehe wir ſollten einen guten Reim fah - ren laſſen, ehe muß ſich der Gedanke nach dem Reime dehnen und zerren laſſen, ſollte auch ein falſcher Gedanke herauskommen. Jch ver - ſtehe hier durch falſche Gedanken nicht ſowol die logice irrig ſind, ſondern unrecht ange - bracht ſind. Z. E. eine Schleif-Muͤhle wetzet; aber eine Floͤte auf die Schleif-Muͤhle zu brin - gen, und ſolche drauf zu wetzen, wird von den neuen Poeten fuͤr einen falſchen Gedanken ge - halten. Wir aber duͤrfen ſicher alſo reimen:

Jch darf vor dir gar nicht erroͤthen,
Du biſt ein Wetzſtein meiner Floͤten.

3. Anmerkung.

§ 26. Wenn der Reim hochtrabend klingt, der Gedanke aber abgeſchmackt iſt: So iſt ſolches recht froſchmaͤusleriſch gereimt. Die neuen Poeten nennen es: Phoͤbus und Gali - mathias; welche Woͤrter uns als kauderwelſch vorkommen. Aber wie der Froſch einen Satz, und die Maus einen Sprung thut: Alſo thut ein poetiſcher Froſch gewaltige Saͤtze. Er huͤpft vom Berge Libanon bis ins Thal Achor. Eine poetiſche Maus aber macht treffliche Spruͤnge, und faͤngt bey der Archa Noaͤh an; ehe man ſichs aber verſieht, iſt ſie ſchon beydem31nach mathematiſcher Lehr-Art. dem vornehmen Patron, deſſen Zimmer ſie be - ſchreibet.

4. Anmerkung.

§ 27. Der Unterſchied zwiſchen einem poeti - ſchen Froſch und Maus iſt dieſer. Der Froſch quaͤcket, und thut Satz vor Satz. Die Maus aber ſpringt die Kreuz und die Quehre. Sie quaͤcket auch nicht, ſondern fiſpelt. Ein quaͤc - kender Poete bleibt bey ſeiner alten Leyer; er bringt einerley immer wieder vor. Eine poeti - ſche Maus aber erſchnappt bald hie bald da ei - nen andern Speck, und in Satyren bringt ſie beiſſende Stiche an; jener aber plumpt von der Erde in den Teich, oder mit der Thuͤre ins Haus.

5. Anmerkung.

§ 28. Was die neuen Poeten einen Phoͤbus und Galimathias nennen, gehoͤret unter die groͤßten Zierlichkeiten der kriechenden Poeſie und Reimſchmiede-Kunſt. Denn damit der niedrige Gedanke verſtecket werde, blaͤſet man die Worte auf, daß er fein groß und erhaben ausſiehet. Jch geſtehe es, wir ſind hier Nach - aͤffer der neuen Poeten. Wir wollen gern ſo hoch dichten, als wie ſie. Weil uns aber die Adlers-Fluͤgel mangeln: So borgen wir dem Jcarus ſeine waͤchſerne ab, und denken bis an die Sonne zu ſteigen. Rings um uns iſt lau - ter Dunſt, und der verſteckte Gedanke gleicht einem geſchwollnen Coͤrper, der oft fuͤr einenatuͤr -32Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc. natuͤrliche Fettigkeit gehalten wird. Die Ga - limathias ſind ſolche verdeckte Reime, daraus der Teufel ſelbſt nicht klug werden kan, was fuͤr ein Gedanke dahinter ſtecke. Bey der Phoͤ - bus-Poeſie erraͤth man wol den angebrachten Gedanken; aber wenn man ihm das umgewor - fene hochtrabende Reim-Kleid abgenommen: So ſteht er ganz nackigt da, wie ein Satyr, und ſtreckt ſich auf der Erde die Laͤnge lang aus. Wenn hingegen ſolche Begriffe in denen Reimen zuſammen geloͤtet werden, da ohn - moͤglich eine Paralele oder Aehnlichkeit heraus - kommt: So iſt es ein Galimathias oder ver - wirrter Gedanke. Ein Verruͤckter redt manch - mal was, das wir trefflich hernach anbringen koͤnnen. Ein Beſoffener labbert ſeltſam Zeug unter einander; wir aber koͤnnens in Reime zwingen. Ein unlogiſcher Kopf, der zu con - fuſen Begriffen gewoͤhnt, taugt gut zu unſerer Zunft. Denn ſo wird er manch Galimathias vorbringen. Ein aufgeblaſener Kopf, der aber nicht viel nachdenken kann, ſchickt ſich beſſer zum Phoͤbus oder Froſch-Poeten. Denn, wenn der Froſch unter der Luft-Pumpe ſitzt, iſt er nicht ſo dumm, den Athem von ſich zu laſſen, ſondern behaͤlt ihn ſo lange in ſich, bis ihm die Backen zerplatzen. Als der Froſch in der Fabel gern ſo dick ſich ausdehnen wollte, wie der Ele - phante: So zerborſte er. Und wenn der Froſch - Poete ſeine dunſtige Einfaͤlle auslaͤſſet, mag man nur die Ohren zuhalten. Denn wenn derDunſt33nach mathematiſcher Lehr-Art. Dunſt herausfaͤhrt, giebt es einen gewaltigen Knall, und der herausgeſprungene Gedanke krie - chet auf der Erde.

Erſte Erfahrung.

§ 29. Ein gewiſſer Poete, der ſich einen neu - en großen Poeten zu ſeyn duͤnkte, hielt ſich von einem andern angeſtochen. Darauf ſpannte er die Segel ſeiner Dichterey ſo weit auf, daß alle vier Winde des Himmels hineinſtrichen. Sei - ne Schutzſchrift war voller Phoͤbus und Gali - mathias (§ 28, 27). Er that ſo aufgeblaſen, wie der Froſch in der Fabel. Endlich erkannte er, daß er ein wahrhaftes wuͤrdiges Mitglied der Hans-Sachſen - und Froſchmaͤusler-Geſell - ſchaft ſey. Seit der Zeit haben wir Friede vor ihm in gebundener und ungebundener Rede ge - habt.

6. Grundſatz.

§ 30. Die kriechende Poeſie iſt mit Ver - achtung und Verlachung derer neuen Poeten beſchaͤfftiget (§ 2).

Dritter Lehrſatz.

§ 31. Ein ſolcher ſatyriſcher Poete, der durch ſeine Stachel-Verſe eines guten Lei - mund und ehrlichen Namen zu kraͤnken, ja ihn durch falſche Auflagen um ſein zeitlich Gluͤck zu bringen, und vor der Welt zu pro - ſtituiren ſuchet, gehoͤrt bey aller ſeiner Raffi - neſſe mit unter die kriechende Poeten.

CErweis.34Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
Erweis.

Wenn die Satyre eines wahrhafte Fehler ſinnreich aufdecket, daß, wo er vernuͤnftig iſt, er daruͤber ſchaamroth wird: So gehoͤrt ſolche unter die Beſſerungs-Mittel und vernuͤnftige Kunſtgriffe der neuen Poeten. Da nun aber ein kriechender Poete nur andre aus Hochmuth verachtet (§ 30, 2), mithin ſich allein groß duͤn - ket, folglich aber es ihm um anderer Beſſerung gar nicht, ſondern nur um ihre Beſchimpfung, zu thun iſt: So handelt er dadurch ſeinem Cha - racter gemaͤß; welches das erſte war.

Da nun aber ferner die falſchen Auflagen oͤfters leichtglaͤubige Ohren finden, mithin durch ſpoͤttiſche Satyren, darinn unerweisliche Be - ſchuldigungen ſtehen, einer vor der Welt pro - ſtituiret werden, und an ſeiner Wohlfahrt Scha - den leiden kann: So gleichet er hierinn einer ſtechenden Otter und tuͤckiſchen Schlange, wenn man ihr gleich nichts zu Leide gethan. Alldieweil nun aber dis kriechende Thiere ſind, mithin eine gewiſſe Aehnlichkeit mit kriechenden Poeten haben: So folget, daß ſolche heimliche Anſtecher, Pasquillanten und Verleumder auch unter kriechende Poeten zu rechnen. Q. E. D.

Vierter Lehrſatz.

§ 32. Ein ſchmeichelnder poetiſcher Fuchs - ſchwaͤnzer verwandelt ſich oͤfters in einen kriechenden Wurm.

Erweis.35nach mathematiſcher Lehr-Art.
Erweis.

Ein kriechender Poete iſt zwar in ihm ſelber ſtolz und ein Großduͤnkel (§ 30, 29); gleich - wol wenn er hoͤhern Reſpect erzeigen muß, darf er ſich ſolches nicht merken laſſen, er moͤgte ſonſt verſpottet, oder auf die Finger geklopfet werden. Dieſemnach nimmt er eine Schein-Demuth an, und erniedriget ſich oͤfters wie ein Wuͤrm - lein unter den Fuͤßen. Weil er aber doch in - nerlich ein Veraͤchter anderer iſt (§ 2): So kuͤtzelt er ſich heimlich, daß der Patron, gegen den er ſich ſo erniedriget, ſo einfaͤltig iſt, und ſei - ne Fuchsſchwaͤnzerey nicht merket. Da nun ein kriechender Poete die Leute entweder oͤffent - lich oder heimlich verlachet, und aber dis ein Fuchsſchwaͤnzer thut, indem er entweder offen - bar ironiſch lobet, oder heimlich ſpottet: So gehoͤrt ein fuchsſchwaͤnzender Dichter unter die kriechende Poeten, W. Z. E.

Dritte Aufgabe.

§ 33. Einen wahrhaften aufrichtigen poe - tiſchen Lob-Redner von einem verſtellten Fuchsſchwaͤnzer zu unterſcheiden, mithin ab - zunehmen, ob er zur Froſchmaͤusler-Geſell - ſchaft von Rechtswegen gehoͤre, oder nicht?

Aufloͤſung.

Wenn ihr an einem aus langem Umgange ſeine Gemuͤthsfaſſung abnehmen lernet, daß er von andern hoͤher, als von ſich, haͤlt, wahrhaf - tig demuͤthig und beſcheiden, auch ein Feind ei -C 2gener36Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc. gener Lobſpruͤche iſt: So koͤnnet ihr auch ſeine auf andre verfertigte Lob-Gedichte fuͤr aufrichtig, mithin ihn fuͤr einen Froſchmaͤusler-Feind hal - ten. Laͤßt er aber ſonſt ſich deutlich blicken, daß er viel von ſich haͤlt, von ſich ſelber gern redet und hoͤret, auch andere verachtet: So koͤnnet ihr bald auch auf ſeine poetiſche Lobes-Erhebun - gen anderer Leute ſchlieſſen, daß ſie ihm nicht von Herzen gehen, mithin er gut froſchmaͤus - leriſch oder antifreymaͤuriſch iſt. Denn die Freymaͤurer erkennen wir fuͤr lauter heimliche Feinde unſerer Geſellſchaft, weil wir ſie noch auf keiner Tuͤcke haben antreffen koͤnnen.

Vierte Aufgabe.

§ 34. Ob es nicht moͤglich ſey, in der Reim - ſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie den hoͤchſten Gipfel der Vollkommenheit zu er - reichen?

Aufloͤſung.

Wenn ihr, durch vieljaͤhrige Uebung, des Hans Sachſens Reim-Arten und gewiſſer bit - terer Poeten Stachel-Schriften euch genau ins Gedaͤchtniß druͤcket, und moͤglichſt nachahmet: So werdet ihr dem verlangten Gipfel ſehr nahe kommen. Es wird, ſo zu ſagen, nur ein Stein - Wurf und eine einzige Bruſt-Wehr dazwiſchen ſeyn, daß ihr den verlangten Berg und Veſtung erſteiget; hingegen aber ſo vollkommen zu wer - den, daß euch kein Reim-Schmied herunter certirte, oder kein kriechender Poete an ernie -drigten37nach mathematiſcher Lehr-Art. drigten Gedanken euch mit der Zeit noch uͤber - traͤfe, kann ich zum voraus nicht wiſſen: es muͤß - te denn ein neuer großer Poete kommen, der ſo geſchickt Contre-Dame als rechte Dame in Verſen zu ſpielen wuͤßte, ſo daß er die Regeln der neuen Poeſie zum Spaße glatt umkehrte, und ſich ſelbſt in einen Pantomimen verlarvte.

Andere Erfahrung.

§ 35. Eine gewiſſe beruͤhmte Comoͤdianten - Bande ſtellte einsmal ein luſtiges Nachſpiel vor, dadurch ſich ein anweſender Zuſchauer, ein großer Dichter von der neueſten Façon, ſehr touchirt befand. Er proteſtirte und appellirte gegen die weitere Fortſpielung dergleichen Nach - ſpiels, welches er auf ſich gemuͤnzet, und ſich, ſelbſt darinn agirt zu ſeyn, einbildete. Seine Appellationen aber wurden verworfen, und es kam darauf ein Gedichte von ſechs Bogen von Berlin, unterm Titel eines Vorſpieles, darinn er gewaltig herumgenommen iſt. Da man nun aus dem, was andern begegnet, billig Regeln der Witzigung ſich zu nehmen pfleget: So will ich hiedurch alle loͤblichen Zunftgenoſſen der edlen Hans-Sachſen - und Froſchmaͤusler-Ge - ſellſchaft verwarnet haben, es nicht mit den Co - moͤdianten zu verderben, weil es nuͤtzliche Werk - zeuge ſind, durch ſolche unſern Gegnern, den neuen Poeten, eins anhaͤngen, und, wenn ſie ſich daruͤber beleidigt befinden, durch Achtgro - ſchen-Pasquille noch beſſer abtrumpfen zu koͤn -C 3nen.38Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc. nen. Dergleichen Kunſtgriffe ſind denen krie - chenden Poeten unentbehrlich; weil ſie ſonſt zu ohnmaͤchtig ſind, ſich an den großen Geiſtern und Haupt-Dichtern zu reiben.

Zuſatz.

§ 40. Es wolle aber niemand hieraus ſchlieſ - ſen, als wenn die Froſchmaͤusler-Geſellſchaft ei - niges Antheil an dem herausgekommenen Vor - ſpiel, vielweniger dem Neuberiſchen Nachſpiel habe. Sie iſt zu aufrichtig, als es wie gewiſſe Perſonen zu machen, die ihre, gegen ihre Wi - derſacher herausgegebene, Schriften unter dem glorieuſen Namen der kleinen Geiſter verſtecket haben, da doch dieſe vnanimi conſenſu bezei - get, daß ſie daran nicht Theil haͤtten, ſondern eine Bande großer Geiſter dahinter ſtecken muͤſſe. Wir aber wollen nicht mit fremden Federn prangen, ob wir wol nicht abgeneigt ſind, allen denen mit Haͤndeklatſchen zu applau - diren, die unſere Gegner, die erhabenen Poe - ten, wacker abtrumpfen; maßen wir ſodann die Unkoſten erſparen, unſere unſatyriſche Satyren der Druck-Preſſe anzuvertrauen.

Heiſchſatz.

§ 41. Jch hoffe nunmehr, die ganze Reim - ſchmiede-Kunſt und kriechende Poeſie nicht nur in Form einer Wiſſenſchaft, ſondern auch, mit Beybehaltung aller Grund-Begriffe, die die ſtrengſte mathematiſche Lehr-Art von Er - klaͤrungen, Grundſaͤtzen, Lehrſaͤtzen, Erfah -rungen,39nach mathematiſcher Lehr-Art. rungen, Heiſchſaͤtzen, Anmerkungen, Zuſaͤz - zen, Aufgaben und Aufloͤſungen angiebet, vorgetragen zu haben. Da mir nun nicht be - kannt iſt, daß ſeit dem Urſprunge der Reimſchmie - de-Kunſt und kriechenden Poeſie ſich jemand bis Dato gefunden, der ſolche als eine gelehrte Diſciplin tractirt, und noch dazu in die Schran - ken des ſchweren methodi mathematicae ein - geſchraͤnket haͤtte: So verhoffe, es werde eine loͤbliche Hans-Sachſen - und Froſchmaͤusler - Geſellſchaft mit dem Verſuche meines mathe - matiſchen Beweiſes, in Betracht, daß ich der erſte bin, der dieſe Bahn gebrochen, vorlieb nehmen, auch das Publicum, wenn dieſer Ver - ſuch im Druck erſcheinen ſollte, mir einigen Dank wiſſen. Wo aber nicht, iſt es mir genug, daß mich mein gethaner Verſuch nicht reuet.

1. Anmerkung.

§ 42. Es duͤrfte manche große Poeten, die unſere kriechende Poeſie und Reimſchmiede-Kunſt fuͤr fantaſtiſch und unrichtig halten werden, Wunder nehmen, wie wir uns erkuͤhnen moͤ - gen, die mathematiſche Lehr-Art, ihrem Er - achten nach, ſo zu misbrauchen. Gleichwol ſte - he ich dafuͤr, daß ich keinen Fehl-Schluß in der vorſtehenden Abhandlung begangen. Jch habe alles aus zwo Erklaͤrungen hergeleitet. Es folgt nur ſo viel, daß nach der mathematiſchen Lehr-Art alle Saͤtze mit der Definition zuſam - men haͤngen, und bloß in der Definition das πρῶτον ψεῦδος ſtecken koͤnne.

C 42. An -40Vergleichung kriechender Thiere

2. Anmerkung.

§ 43. Die großen Poeten wuͤrden wohl thun, wenn ſie ihre ſogenannte natuͤrliche, maͤnn - liche und erhabene Poeſie auch nach mathema - tiſcher Lehr-Art vortruͤgen, ſonſt behalten wir den Vorzug.

Anderes Probeſtuͤck fuͤr einen Candidaten der Froſchmaͤus - ler-Geſellſchaft. Vorſtellend eine Paralele, oder Vergleichung unterſchiedener kriechenden Thiere mit der kriechenden Poeſie, wie auch derer Reim - ſchmiede mit verſchiedenen Arten von Schmieden.

§ 1. Unter dem Speiſe-Ceremoniel der Juͤden alten Teſtaments ſtand auch dieſe Regel: Alles, was auf Erden kreucht, ſoll euch ein Greuel und Scheuſal ſeyn. Jch bin zu wenig, es leidet es auch mein Vorhaben nicht, in die Ab - ſichten einzudringen, die den allerhoͤchſten Ge - ſetzgeber bewogen, denen Juͤden das Eſſen al - ler kriechenden Thiere zu verbieten. Vor ei - nigen hat man gleichſam von Natur Abſcheu; aber etliche, als z. E. Froſch-Kaͤulen, werden heut zu Tage fuͤr ein delicates Gerichte gehal - ten. Es iſt auch nunmehr dieſes ehemalige Ge - ſetz dergeſtalt aufgehoben, daß, wenn einer Luſt haͤtte, Schlangen und Ottern zu eſſen, er nichtſowol41mit der kriechenden Poeſie. ſowol eine Gefahr ſeiner Seele, als vielmehr des Leibes, bedenken muͤßte. Koͤnnte aber ſein Magen, wie jene Graͤfin, Spinnen und Ot - tern vertragen, wuͤrde er keine Suͤnde begehen, ſich damit, zumal in theurer Zeit, zu ſaͤttigen.

§ 2. Jch nehme aber aus dieſen Worten: Alles, was auf Erden kreucht, ſoll euch ein Greuel ſeyn; Gelegenheit, einem Haupt-Ein - wurfe vorzukommen, und ſolchen in dieſer Ab - handlung abzulehnen, daß die kriechende Poe - ſie, wenn ſie zumal eine Verwandtſchaft mit kriechenden Thieren hat, in ihr ſelbſt was greu - liches ſey: alſo die edle Froſchmaͤusler-Geſell - ſchaft nicht wohl zu thun ſcheine, daß ſie jedem Mitgliede eine beſondere Gattung eines kriechen - den Thieres zum Ordens-Zeichen und Merk - mahl der beſchehenen Aufnahme in dem daruͤber ausgeſtellten Signete zutheilet. Ein beruͤhm - ter Naturkuͤndiger in Holland hat allein etliche tauſend Arten kriechender Gewuͤrme durch ſei - nen großen Fleiß ausfuͤndig gemacht; daß alſo viele Jahre hingehen, ja die Sinnbilder wol bis ans Ende der Welt reichen werden, ehe die loͤb - liche Froſchmaͤusler-Geſellſchaft ſich erſchoͤpfen wird, jedem Mitgliede ein beſonderes kriechen - des Thier in ſeine Ordens-Kette anzuvertrau - en und ihn darnach in vertrauten Briefen zu benennen.

§ 3. So viel ich aber bereits das Gluͤck ha - be, in die Geheimniſſe der edlen Froſchmaͤus - ler-Geſellſchaft zu dringen, befinde ich, daß ſieC 5ſonder -42Vergleichung kriechender Thiereſonderlich fuͤr ein Gedrittes von kriechenden Thieren ſtark portirt iſt, als den Froſch, die Maus und die Schlange. Daß die Schlan - ge ein kriechend Thier ſey, iſt wol auſſer Zwei - fel; von dem Froſch und der Maus aber koͤnn - te noch ein Bedenken uͤbrig ſeyn, wenn nicht der große Naturkuͤndiger Moſes ſolche mit unter die auf Erden kriechende Thiere, meines Be - halts, geſetzet haͤtte. Denn obgleich der Froſch auch im Waſſer, ja meiſtens darinn iſt: So wagt er ſich doch auch oͤfters aufs flache Land; und weil er mit ſeinen Hinter-Pfoͤtgen ordent - lich auf der Erde kauert, kann er ſchon fuͤr ein kriechendes Thier paßiren. Jch bin dem Froſch, ſowol wegen ſeines artlichen Quaͤkens, als der Art ſich fortzupflanzen, ungemein gut. Jch ha - be mir fuͤr gewiß ſagen laſſen, daß, wenn er auf des Weibleins Ruͤcken ſitzet, er die Vor - der-Pfoͤtgen um ſie herum ſchlage, und den Saa - men durch ſolche in deren Bruſt gehen laſſe. Waͤre es an dem, moͤgte man den Froſch faſt beneiden, daß die Art, ſein Geſchlechte fortzu - fuͤhren, ſo zuͤchtig und galant iſt, ſo daß die weiſe Natur uns faſt herunter geſetzt.

§ 4. Die Maus iſt gewiß auch ein poßir - lich Geſchoͤpf, in deſſen Bildung der hoͤchſte Schoͤpfer viel Weisheit blicken laſſen, jedem Geſchoͤpfe ſo viel zu geben, als ſein Character erfordert hat. Die Maus iſt eben das unter kriechenden Thieren, was der Fuchs unter den vierfuͤßigen iſt. Es iſt ein naͤſchigtes, verſchla -genes,43mit der kriechenden Poeſie. genes, gewandtes, beiſſendes Thierlein. Die Geſchwindigkeit ſeiner Fuͤßlein ſchuͤtzet es vor manchem Angriff, obwol die weiſe Natur ihm zwey Haupt-Feinde geſetzet, den Menſchen und die Katze. Die Katze ſpielt eine Weile mit der Maus, als einem gegen ſie ohnmaͤchtigen Fein - de, ſchlenkert ſolche in die Hoͤhe, tappet mit der Pfote ſaͤuberlich nach ihr, um ſie zur Flucht zu reizen. Wenn das Maͤusgen aber Reißaus nehmen will, giebt ihr die Katze einen Trebs, und wenn ſie des Spielens uͤberdruͤßig, zieht ſie ihr die Haut uͤber die Ohren, und verſchluckt ſie vom Haupte bis auf den Fuß, ausgenommen das Schwaͤnzgen, welches ſie ſelten mitfrißt. Die Menſchen ſtellen allerhand Fallen, die Maus durch den Speck anzulocken, und das einfaͤltige Thierlein, das ſich keines Betruges verſiehet, ſondern ſeiner Nahrung bey Nachts-Zeit begie - rig nachgehet, wird in der Falle lebendig oder todt gefangen, auch wol noch dazu eines mar - ternden Todes, durch Erſaͤufen, Spieſſen, Ver - brennen, von Ergrimmten beleget!

§ 5. Die kriechende Poeſie hat gewißlich mit der Schlange, dem Froſch und der Maus eine große Aehnlichkeit. Die Schlange wird fuͤr ein heimtuͤckiſches, giftiges und den Men - ſchen feindſeliges Thier gehalten. Sie ſtehet bey den Gottesgelehrten in uͤblem Ruf, und heiſ - ſet die verfluchte Schlange, die unſere erſte all - gemeine Mutter verfuͤhret habe. Derjenige, ſo der Groͤßte unter denen heiſſet, die von Wei -bern44Vergleichung kriechender Thierebern geboren worden, nennet die Phariſaͤer Schlangen - und Otter-Gezuͤchte, ſo ohnſtrei - tig den ſchlechten Credit anzeiget, darinn ſie bey ihm geſtanden. Dieſemnach ſcheinet es einem unſerer Mitglieder Haß und Verfolgung zu erwecken, daß ihm das Bildniß einer Schlange zum Wahrzeichen ſeines nun fuͤhrenden Senio - rats bey dieſer edlen Froſchmaͤusler-Geſellſchaft zuerkannt worden. Wir heiſſen ihn den Schlan - gen-Kopf, den kleinen boͤſen Drachen, das loſe Otter-Gezuͤchte, und was wir ihm nach unſe - rer Froſchmaͤusler-Sprache fuͤr kurzweilige Beynamen geben. Aber wir verſtehen uns ein - ander ſchon; und ich hoffe klaͤrlich darzuthun, daß die kriechende Poeſie, wenn ſie gleich mit der Schlangen-Brut verglichen wird, in ſich gar nichts ſchaͤdliches noch boͤſes ſey.

§ 6. Jſt nicht die Schlange, nach dem Zeug - niſſe des alleraͤlteſten und allerehrwuͤrdigſten Bu - ches, liſtiger, als alle Thiere auf dem Felde? Folglich muß ſie auch, ihrem Range und ihrer Liſt nach, allen kriechenden Thieren vorgehen, mithin, wenn die kriechende Poeſie einer Schlan - ge verglichen wird, iſt ſolches kein Schimpf - Wort, ſondern zeiget diejenige Art der Dicht - kunſt an, da man dem andern durch ſtechende Verſe ſolche Wunden verſetzet, daß er daruͤber ſeinen ohnmaͤchtigen Geiſt aufgeben moͤgte. Wie hat ſich nicht ein gewiſſes nunmehriges Mit - glied dieſer edlen Geſellſchaft ehedem gewunden! wie hat er nicht uͤber Ohnmachten, heftigeKopf -45mit der kriechenden Poeſie. Kopf-Schmerzen und Todes-Angſt geklaget, als er einen Verſen-Stich von einer unſerer Schlangen, ich will ſagen, im Finſtern ſchlei - chenden Poeten, uͤberkommen. Was wird das herausgekommene Vorſpiel, welches auch von einer liſtigen Schlangen-Brut ausgehecket worden, nicht in der Bruſt des darinn Ange - ſtochenen fuͤr Bauchgrimmen und Magendruͤk - ken erwecken? Wuͤrde dieſer beruͤhmte Mann nicht am rathſamſten thun, wenn er ſich in un - ſere Froſchmaͤusler-Geſellſchaft begaͤbe, weil wir in ſolcher mit denen giftigſten Schlangen ſcherzen und badiniren, ja ihnen alles Gift mit ſo guter Manier benehmen, daß unter uns keine Schlange die andere geſtochen hat?

§ 7. Der Froſch iſt von ſolchem Anſehen, daß er auch, bey Stiftung der edlen Froſch - maͤusler-Geſellſchaft, namentlich ausgedrucket iſt. Wenn die Schlange ihren Gift verſchoſ - ſen: So haben wir unſere poetiſchen Froͤſche zum Hinterhalt. Die fangen an zu quaͤken, daß einem die Ohren gellen moͤgten. Jn denen nach Froſch-Art ausgefertigten Gedichten thun unſere kriechende Froſch-Poeten ſo gewaltige Saͤtze, daß ſie ein Roß im Galop uͤbertreffen. Denn unſre Froſch-Poeten koͤnnen in einer einzigen Strophe einen Satz vom Hercules bis auf Carln den Zwoͤlften, und vom Alexander dem Großen bis auf Ludewig den Vierzehn - ten thun. Laßt mich aber den Reuter ſehen, der uͤber einen ſo weiten Graben, als zwiſchendieſen46Vergleichung kriechender Thieredieſen vier Helden iſt, mit ſeinem Springer uͤber - ſetzen koͤnnte? Unſere Froſch-Poeten wiſſen, nach Art des beruͤhmten Zittauiſchen Erz-Dich - ters, Herrn D. Knoblochs, denen Großen bey Namens - und Geburts-Taͤgen ſo was an - genehmes vorzuquaͤken, daß die Buchdrucke - reyen von ſolchem Schalle erbeben! Wenn ſie auch verliebte Verſe ſchreiben: So iſt es ſo natuͤrlich, als wenn man den Froſch ſein Weib - lein careßiren ſaͤhe!

§ 8. Die Mauſe-Poeten ſind bey uns in beſonderem Werthe. Denn wie die Maus ſo arg ſtiehlt, als ein Rabe: Alſo ſtehlen unſere Mauſe-Poeten manchen Einfall aus andern Buͤ - chern, und zwar ſo verdeckt, daß kein Teufel dahinter koͤmmt. Jſt es nun nicht was geſchick - tes, wenn man mit ſo guter Manier mauſen kann, ohne daruͤber ertappet zu werden? Dem, der alſo bemauſet wird, entgehet auch nichts. Wir reiſſen nicht Blaͤtter aus ſeinen Buͤchern, wie Schurzfleiſch im Vatican zu Rom gethan. Wir mauſen niemanden ſeine Manuſcripte weg, um ſie zu ſeinem Schaden zu verfaͤlſchen, oder ſonſt zu mißbrauchen. Nein! wir warten ab, bis er ſich zu ſeinen Vaͤtern verſammlet hat. Alsdenn bemauſen wir ſeine hinterlaſſene Vor - raͤthe. Wir fuͤttern uns damit aus, und den Reſt laſſen wir denen Jungen. Lebt er aber noch, und wir bemauſen ſeine herausgegebene Schriften: So weiß er ſich oft ſo wenig zu beſin - nen, daß wirs aus ihm genommen, als jenerhalb -47mit der kriechenden Poeſie. halbtrunkene Kanzler auf einer gewiſſen Uni - verſitaͤt, der da meynte, er laͤſe uͤber einen an - dern Autor, da es doch ſein eigenes Buch war, daruͤber er las, und nach einer vorgeleſenen Paſ - ſage ſagte: Hier raiſonnirt der Autor wie ein Ochſe!

§ 9. Weil ich aber, vermoͤge der Verfaſ - ſung der edlen Geſellſchaft, deren Mitglied ich heute zu werden die Ehre haben ſoll, uͤber die drey Haupt-Sinnbilder derſelben, der Schlan - ge, des Froſches und der Maus, annoch we - nigſtens ſieben Arten kriechender Thiere ange - ben, und ſolche mit denen kriechenden Poeten in Vergleich ſtellen muß: So duͤnke mich keine Katze zu ſeyn, wenn ich ihnen zuerſt eine Art kriechender Thiere namhaft mache, die ſie wol ſchwerlich darunter bisher werden gerechnet ha - ben. Was meynen ſie, meine Herren, ſollte ein Hund wol ein kriechendes Thier ſeyn? Sie werden ſagen: Das ſey der geſunden Ver - nunft und Erfahrung entgegen; denn er laufe uͤber der Erde auf vier Beinen. Jch ſage da - gegen mit Gunſt: Es laͤufet der Holz-Wurm, die Spinne, der Keller-Wurm und viel andere Gewuͤrme mit wol mehr als vier Fuͤßen uͤber der Erde, und gehoͤren doch unter das kriechen - de Gewuͤrme. Alſo ſcheint mir die Folge unſe - rer Gegner, die ſo mit der geſunden Vernunft, ihren fuͤnf Sinnen und der Erfahrung pralen, ſo lahm zu ſeyn, als ein angeſchoſſenes Wild. Zudem nehme ich nur zwey Faͤlle an, worinnich48Vergleichung kriechender Thiereich die Hunde als kriechende Thiere anſehen, mithin die kriechende Poeten mit Hunden ver - gleichen werde; man laſſe mich nur ausreden!

§ 10. Als wir neulich auf der Haſen-Jagd ohnweit Leipzig waren, hatten wir einige Wind - ſpiele bey uns, die ſo abgerichtet waren, daß ſie auf dem Bauche hinkrochen, bis ſie den Haſen, der ſie nicht gewahr wurde, ſondern fuͤr ſeines gleichen hielte, in der Grube erwiſchten. Alſo giebt es auch unter den kriechenden Poeten ſol - che Windſpiele und Haſen-Faͤnger, die mit ihrer kriechenden Poeſie bey guten treuherzigen Gemuͤthern oft mehr ausrichten, als unſere poe - tiſche Schlangen, Froͤſche und Maͤuſe. Ferner iſt es nichts ungewoͤhnliches, wenn ein Hund etwa was verſehen, und der Herr ſpricht: Cou - chi! So ſtreckt ſich der Hund auf allen Vie - ren dahin, und kreucht auf dem Bauche zu ihm. Dies thun auch unſere muckeriſche Poeten. Denn wie dort, bey den Plagen Egypti, in den Grenzen Jſraels kein Hund muckte, oder ſich regte: Alſo laſſen auch unſere muckeriſche Poeten ihre Seelen-Kraͤfte ruhen, und ſingen nur ihren Vorfahren oder Oberaͤlteſten die alten Geſaͤnge, nach der einmal beliebten Leyer, nach. Sie haben aber auch ihre Mucken, wie manche muckiſche Hunde, die zwar vor ihrem Herrn kriechend auf der Erde liegen; aber wenn ſie ein anderer angreift, flugs auf ihn losfahren. Und gewiß, man darf keinen von unſern muckiſchen poetiſchen Bullenbeiſſern ſauer anſehen; erwird49mit der kriechenden Poeſie. wird bald einen Satz in die Hoͤhe thun, und ohne Discretion den andern anpacken, wo er kann. Endlich hat man auf der Jagd wol eher geſehen, daß, wenn ein Jagd-Hund an einen wilden Eber gekommen, und ſich nicht inacht genommen, dieſer ihm die Pfoten vorm Bauche weggehauen, daß er hernach nolens volens auf der Erde kriechen muͤſſen. Dies nennen wir die verhauene und verſchoſſene Poeten. Denn mancher kriechende Poete verliert ſo bald ſeine Kraft, daß er nachher zu keiner Hetze wei - ter taugt. Er hat ſich mit einmal verſchoſſen; ſeine Kraft iſt weg. Oder es hat ihn ein ande - rer Fleiſcher-Hund ſo herumgezauſet, daß er ſei - nen poetiſchen Schwanz, ich will ſagen, ſeinen Dichter-Kiel, zwiſchen die Beine nimmt und Verſen-Geld giebet. Zur Zeit der Anfechtung fallen ſie abe!

§ 11. Ein poetiſcher Jgel iſt gewiß auch eine artliche Gattung kriechender Poeten. Der Jgel iſt um und um mit Stacheln umgeben; das ſind ſeine natuͤrliche Waffen. Er druckt ſich auf die Erde, und wenn er ſich einmal her - umdrehet, verwundet er den, ſo ihm zu nahe kommt. Die Jgel-Poeten ſtechen aͤrger um ſich herum, als die Stachel-Schweine. Sie wagen ſich nicht unter die großen Bullenbeiſſer, und halten nichts von ganzen Gedichten. Aber in Geſellſchaften, wenn etwa, bey Auftragung eines Hechtes Leber-Reime in der Reihe her - umgehen, oder bey Ausbringung der Geſund -Dheiten;50Vergleichung kriechender Thiereheiten; nicht minder bey Hochzeiten, Kindtau - fen, Ausſchieſſen und andern Aſſembleen wiſſen ſie ihre Nachbarn, ja auch, wenn ſie etliche Ta - feln weit von ihnen ſaͤßen, ſo wacker anzuſtechen, daß das Blut darnach laufen moͤgte. Solche poetiſche Jgel ziehe ich dem Confect einer Ta - fel weit vor. Sie machen der Geſellſchaft eine ſolche Luſt, daß man auf deren Unkoſten, die alſo angeſtochen werden, ſich einen Puckel la - chen koͤnnte, da dieſe, wegen der blutigen Sti - che, oft uͤberlaut ſchreyen moͤgten. Sie ſind auch beynahe ſo befreybriefet, als die Hof-Ta - ſchenſpieler, Harlequins in der Comoͤdie, und Scaramuzen in der Oper. Wer mit ihnen Haͤn - del uͤber einem beiſſenden Scherz und ſtachlich - ten bon-mot anfangen will, dem widerſetzt ſich die ganze Geſellſchaft. Man ſpricht, er ſolle ihnen wieder einen Trumpf verſetzen, oder den artigen Stich bis auf einen Tag der Rache verſchmerzen.

§ 12. Wenn ich verzaͤrtelten Ohren von Leſern oder Zuhoͤrern dieſe Diſſertation uͤber - reichte, wuͤrde ich Bedenken tragen, zweyer krie - chenden Thiere allhier zu gedenken, die gleich - wol einen beſondern Character gewiſſer krie - chenden Poeten abbilden. Jch meyne die Floh - und Lauſe-Poeten. Ein Floh thut gewaltige Spruͤnge; er hintergeht das ſchoͤne Geſchlechte, zu dem er ſich am liebſten haͤlt, gar ofte. Jetzt, denken ſie, haben ſie ihn ſchon zwiſchen den Fin - gern, und wollen ihn auf die Folterbank legen,oder51mit der kriechenden Poeſie. oder wirgeln; aber, ehe ſie ſichs verſehen, ent - wiſcht er ihnen. Sie ſind daher genoͤthiget worden, ſelbſt zwiſchen dem Altar, auf welchem ihre Marmor-Kugeln als Goͤtzen-Bilder ru - hen, Flohfallen anzulegen, ohne daß dadurch ihr Heiligthum entweihet wuͤrde. Ein Floh - Poete alſo, oder poetiſcher Floh, iſt bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft ein gewandter Kopf, der ſich mit ſeinen niedertraͤchtigen Einfaͤllen, ſonderlich bey dem Frauenzimmer, einzuniſten weiß, und ihnen nachher aus dem Garne ent - gehet. Wie manche Jungfer hat den Verluſt ihres Kraͤnzleins einem bloßen Gedichte oder Nacht-Staͤndgen zuzuſchreiben, weil ſie ein poetiſcher Floh uͤberliſtet hat!

§ 13. Ein Lauſe-Poete und poetiſche Laus, mit Gunſt zu ſagen, iſt nicht etwa ein verlauſter Kerl. Denn es folgt nicht, daß ſolcher eben ein kriechender Poete ſeyn muͤſſe, ſondern es ſteckt mancher unſerer groͤßten Feinde hinter ei - nem ſchaͤbichten Kleide. Wie gieng es unſerm ehemaligen großen Antagoniſten, dem Guͤnther, deſſen vier Theile ſeiner Gedichte von denen Neu - lingen fuͤr Meiſterſtuͤcke einer flieſſenden Poeſie ausgegeben werden? Starb er nicht fuͤr Hun - ger und Kummer zu Jena? War er nicht ganz verarmet und verlauſet? Aber das verſte - he ich nicht unter denen Lauſe-Poeten. Sie koͤnnen unter einer ſchamerirten und mit golde - nen Franzen bordirten Weſte ſtecken. Eine poetiſche Laus iſt einer der allerniedrigſtenD 2Poeten,52Vergleichung kriechender ThierePoeten, folglich bey der edlen Froſchmaͤusler - Geſellſchaft in gar beſonderm Werthe. Denn je tiefer einer ſich daſelbſt herunter ſetzet, und ſich, ſo zu ſagen, an Nichtigkeit der Gedanken ſelber uͤbertrifft, je naͤher koͤmmt er den beyden Ober-Meiſtern, Hans Sachſen und dem Froſch - maͤuſeler. Eine ſolche poetiſche Laus war Are - tinus in ſeinen Zoddel-Gedichten. Denn wenn er anfing Zoten zu reiſſen, konnte er ſo wenig ſich wieder heraus finden, als eine Laus, die ſich einmal in den Grind eingefreſſen.

§ 14. Beynahe in gleichem Range ſtehen mit vorhergehenden die poetiſchen Miſt-Kaͤfer, welche auch ſonſt, nach Art der Voͤgel, Miſt - Finken und Finken-Ritter genennet werden. Sie wuͤhlen mit ihrer Poeſie in dem Schlam - me; ſie nehmen das Maul fein voll, und reden platt weg vom Hintertheil, vom Priapo, von der weiblichen Schaam ꝛc. ſo deutſch, als ichs nicht nachſagen darf, weil ich ſonſt aus der mir zugedachten Stellage von kriechenden Thierlein ſchreiten und in ein fremd Gehege gehen wuͤrde. Sie ſteigen bis in die heimlichſten Gemaͤcher, ja bis in die Schorſteine derer Frauenzimmer, und bringen lauter ruſtige Faͤuſte mit zuruͤck. Wie nun ein Feuereſſekehrer in die Eſſe kriechen muß; alſo kriechen auch die poetiſchen Miſt - Kaͤfer an ſolche Oerter, wovon man ſonſt gerne das Auge abwendet. Wagen ſich dieſe krie - chende Poeten mit ihren dreiſten Einfaͤllen bis in die Liebes-Cabinetter großer Herren: Solegen53mit der kriechenden Poeſie. legen ſie ihnen ſo ſaftige Reime in den Mund, daß man glauben ſollte, ſie haͤtten ein Stuͤck aus der Aloyſia Sigea uͤberſetzet, oder die Eco - le de filles. Ovidius, Catullus, Tibullus und andere haben in vielen Gedichten gezeiget, daß ſie ſich auch manchmal in poetiſche Miſt-Kaͤ - for verwandeln koͤnnten.

§ 15. Der Schmetterling oder Butter - Vogel iſt bekanntermaßen erſt eine Art Raupen geweſen, und verwandelt ſich auch wieder in ein kriechendes Gewuͤrm. Hiermit vergleiche ich unſere Phoͤbus-Poeten, wie ſie von unſern Feinden, den neuen Dichtern, genennet werden. Es ſind aber poetiſche Schmetterlinge. Sie ſteigen in die Hoͤhe, und verwandeln ſich doch bald wieder in kriechende Thiere. Sie ſind ſo dreiſt, uͤber die Welt, uͤber alle Religion, ja uͤber den Urſprung aller Dinge hinweg zu flad - dern. Sie erkuͤhnen ſich, Himmel und Erde mit ihren Fluͤgeln zu zerſchmettern; aber es iſt ein Ungluͤck, daß ſie ſich meiſt die Fluͤgel ver - brennen, oder ihnen ſolche zeitig beſchnitten wer - den. Jch weiß nicht, ob der Erfinder des Leib - Liedgens, das nunmehr alle Candidaten in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft abſingen muͤſſen, ein ſolcher poetiſcher Schmetterling geweſen? Wenigſtens duͤrften manche muthmaßen, und ſich ereifern, als habe er durch das Liedlein: Hans Sachs ſo loͤblich ꝛc. einen gewiſſen alten Kirchen-Geſang hoͤhniſch durchziehen wollen. Weil aber die jetzige Herren Geſellſchafter michD 3ver -54Vergleichung kriechender Thiereverſichert, daß ſolches nur eine Parodie und ein Modell der edlen Hans-Sachſen-Poeſie ſey, hingegen es in der Religion weder auf einen gu - ten noch ſchlechten Poeten ankomme, alſo einer in der, bey verwoͤhnten Ohren faſt laͤcherlich klingenden, Hans-Sachſiſchen Poeſie das hoͤch - ſte Weſen vielleicht mit mehrerer Demuth und Aufrichtigkeit anreden koͤnne, als mit hochtra - benden phariſaͤiſchen Geſaͤngen; folglich die Abſicht nicht ſey, andaͤchtige Seelen zu ſpotten, wenn ſie gleich alle Tage ſuͤngen: Ein Kinde - lein ſo loͤbelich iſt uns gebohren heute, ꝛc. : So laſſe ichs hiebey bewenden, und werde in dem Nachſpiele denen gegen uns Eingenomme - nen alle weitere Scrupel benehmen, daß ſie eine unſchuldige Parodie eines andern ehrwuͤrdigen alten Liedes nicht fuͤr ein Geſpoͤtte deſſelben an - ſehen werden. Wir muͤßten uns ja ſonſt ſelbſt widerſprechen. Denn wir eifern ja in rechtem Ernſte fuͤr die Beybehaltung der altdeutſchen Poeſie. Alſo muͤßten eher unſere Gegner, die neuen Poeten, ein Geſpoͤtte mit dieſem Geſan - ge treiben, wenn ihnen unſer Gedaͤchtniß-Lied - gen auf Hans Sachſen und den Froſchmaͤusler, das doch in denen vornehmſten Touren jenem nachgeahmet iſt, laͤcherlich vorkommen ſollte: Weil aber das mir zugedachte Wahrzeichen kein Schmetterling iſt: So laſſe ich auch die poetiſchen Schmetterlinge, wo ſie weiter we - gen dieſes Luſt-Geſanges angefochten wuͤrden, ſolches ſelbſt verantworten.

§ 16.55mit der kriechenden Poeſie.

§ 16. Die Schnecke gehoͤret wol auſſer Streit mit unter die kriechende Thiere. Eine poetiſche Schnecke iſt alſo ein ſolcher Poete, der uͤber ſeinen Einfaͤllen, ehe er ſie aushecken kann, lange dichtet und nachſinnet, ſo daß ihn ein gewandter Kopf im Vorrennen weit uͤber - trifft. Jndeſſen traͤgt die Schnecke immer ihr Haus bey ſich, und holet wol den Elephanten endlich ein, wenn ſolcher zu lange ſich an einen Baum lehnet, allda auszuſchnarchen. Die poetiſche Schnecken ſind alſo unter denen krie - chenden Poeten die bedachtſamſten. Sie plaz - zen nicht flugs mit ihren Gedanken heraus, und gehn mit den Reimen ſparſam um, ſolche auf ein andermal anzuwenden, und nicht mit ein - mal zu verſchwenden. Bey Ueberſetzungen laſ - ſen ſie manchmal gar die reimende Verſe weg, da denn ihre Poeſie wie ein Zwitter zwiſchen Proſe und Dichtkunſt ausſiehet, oder einem Caſtraten gleichet, der gern wollte und nicht kann. Das macht ihre Commoditaͤt, die ſie lieben. Daher der Ueberſetzer des verlohrnen Paradieſes vom Milton in dieſem Stuͤcke, und weil das Original ſowol, als die deutſche Ueber - ſetzung, nicht reimende Verſe hatte, unter die poetiſche Schnecken zu rechnen, wenn ſie gleich, in Anſehung der Erfindung und des Ausdrucks der Gedanken, zu der uns fatalen Claſſe erha - bener Poeten gehoͤren.

§ 17. Jch ſchlieſſe meine Abhandlung, und beſchreibe nur noch dasjenige Wuͤrmlein, dasD 4die56Vergleichung kriechender Thieredie preiswuͤrdige Froſchmaͤusler-Geſellſchaft mir ſelbſt zugedacht. Jch bin damit voͤllig zufrie - den, und werde ſuchen, deſſen Character kuͤnftig abzudruͤcken. Es haͤlt ſich meiſt auf Spergel - Stengeln auf, hat ein roth Schildgen mit ſchwar - zen Puͤnktgen, und wird bey uns ein Gottes - kuͤbgen oder Goldammergen genennet. Wenn man es bey dem kleinen Sperr-Maule erwi - ſchet, ſummet es, und liſpelt gleichſam, wie ein Heemgen oder kleines Heuſchreckgen. Jch weiß nicht Urſach zu geben, warum man es im Deutſchen ein Gotteskuͤbgen heiſſet. Jndeß ſoll der darinn voranſtehende große Name mir ein Denkzettel ſeyn, mit meiner wenigen Poeſie bey Gelegenheit auch in der Religion fortzu - kriechen, ob ich etwa durch mein gelindes Sum - men, wenn ich angepacket wuͤrde, manche uͤber - reden koͤnne, entweder Anti-Miltonianer oder Froſchmaͤusler zu werden.

§ 18. Jch war ſchon im Begriffe, dieſe Abhandlung zu ſchlieſſen. Aber ich darf dieje - nige Art kriechender Poeten nicht zuruͤck laſſen, die gewiß auch eine beſondere Aufmerkſamkeit verdienen. Jch meyne die poetiſche Maulwuͤrfe. Denn wie ein Maulwurf ſich tief in der Erde vergraͤbet, und uͤber ſich große Berglein in die Hoͤhe wirft: Alſo verſtecken die poetiſche Maul - wuͤrfe ihre Gedanken ſo tief, daß niemand da - hinter kommen kann. Von auſſen aber ſind ſolche mit Verſchanzungen umgeben, daß man drauf ſchwoͤre, es waͤren Erfindungen der groͤß -ten57mit der kriechenden Poeſie. ten Poeten von der neuen Sorte. Die Ga - limathias-Poeten und unſere poetiſche Maul - wuͤrfe ſind gerade einerley. Der Unterſchied zwiſchen ihnen und den Phoͤbus-Poeten, oder, wie wirs nennen, poetiſchen Schmetterlingen, iſt klar. Denn ein Phoͤbus-Poete kleidet einen einzigen kahlen Gedanken in ſchwuͤlſtige Wor - te ein; ein Galimathias-Poete, oder poetiſcher Maulwurf, aber verſtecket viel verwirrte Ge - danken unter einander, und miſchet ſie wie Kar - tenblaͤtter, daß man nicht weiß, ob ein Wenzel oder Tauß darunter ſtecke. Ein poetiſcher Schmetterling oder Phoͤbus-Poete kleidet gleichſam einen Bauch-Wind in einen ſpani - ſchen Talar ein; nimmt man den Talar weg, ſo zerfladdert der leichte Gedanke, wie eine duͤnne Luft. Einen poetiſchen Maulwurf hin - gegen, oder Galimathias-Poeten, vergleiche mit vier zuſammengewachſenen Zwergen, dar - unter man nicht unterſcheiden kann, welches ein Buͤbgen oder Maͤdgen iſt. Da auch ſonſt ein Spruͤchwort iſt: Talpa eſt coecior, er iſt blinder, als ein Maulwurf: So werden die neuen Poeten unſern poetiſchen Maulwuͤrfen zum Schimpf nachſagen wollen, ſie geſtuͤnden ſelber, daß ſie blinder waͤren, als ein Maulwurf. Es gewinnet auch das Anſehen, als ob ſie wirk - lich ſehr bloͤden Geſichts waͤren, weil ſie die Verwirrung ihrer zuſammengeloͤteten Begriffe nicht einſehen koͤnnten. Aber ſie ſind nicht zu verdenken. Denn ſie handeln nach dem Cha -D 5racter,58Vergleichung der Schmiederacter, den ihnen die loͤbliche Froſchmaͤusler - Geſellſchaft gegeben.

§ 19. Die Reimſchmiede-Kunſt, welche von der kriechenden Poeſie, wie das Kleid von der Perſon, die es anziehet, oder wie der Leib von der Seele, unterſchieden iſt, hat ihren be - ſondern Character, der ſich beſſer aus der Aehn - lichkeit mit denen Schmieden, als aus dem Reiche der kriechenden Thiere, erlaͤutern laͤſſet. Nun giebt es gar viele Arten von Schmieden, naͤmlich Meſſer-Schmiede, Grob-Schmiede, Klein-Schmiede, Gold-Schmiede, Kupfer - Schmiede und Nagel-Schmiede. Es koͤnnen vielleicht noch mehr Arten von Schmieden ſeyn; es mag aber bey den angefuͤhrten ſechs Gattun - gen ſein Bewenden haben. Dieſe insgeſamt werden ſich kaum bereden laſſen, daß die Reim - Schmiede ſo nahe Verwandtſchaft, ja faſt ei - nerley Zunft-Regeln und Jnnungs-Gebraͤuche mit ihnen haben ſollten. Jch hoffe aber, klar zu erweiſen, daß die Reim-Schmiede mit allen dieſen Sorten in eine Paralele koͤnnen geſtellet werden; und daß es alſo poetiſche Meſſer - Schmiede, poetiſche Grob-Schmiede und der - gleichen mehr gebe.

§ 20. Was ein poetiſcher Grob-Schmied ſey, faͤllt einem leicht in die Augen. Das Wort grob giebt ſchon die Bedeutung an die Hand. Wer weiß nicht, was ein grober Menſch ſey? Die Grob-Schmieds-Poeſie iſt alſo eine Art der Reimſchmiederey, da man fein maßiv undplump,59mit den Reim-Schmieden. plump, oder, gelinder zu ſagen, derb weg einem in Reimen ſein beſcheiden Theil, ja wol ein voll gedruͤckt und uͤberfluͤßig Maaß in ſeinen Schooß giebt. Sonderlich wenn ſich einer mit luſtigen Narren-Koͤpfen, die Profeßion von der Schaͤ - kerey machen, auflehnet, und ſolche an Witz zu uͤbertreffen ſuchet, verfallen dieſelbe leicht auf grobe anzuͤgliche Reden, wie in gebundener, alſo auch ungebundener Ausſprache. Ein poetiſcher Grob-Schmied iſt auch derjenige, der alles Nackete in Reimen deutſchweg bey Namen nennet. Z. E. wenn er auf Klotz reimen ſoll: So reimt er V ..; auf kurz reimt er F ..; auf Zweck reimt er D ..; auf einen Parſch, eine Art Fiſche, reimt er: Leck mich im A ..; auf much - ſen reimt er f ..; welches alles ich nicht ausſpre - chen darf, weil ſonſt unſere poetiſche Grobſchmie - de bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft ſich uͤber mich beſchweren koͤnnten, daß ich ihnen Eingriff thaͤte; weil ſie allein das Privilegium haben, der - gleichen Woͤrter ſo gerade zu, und ohne Punkte, auszuſprechen.

§ 21. Die poetiſchen Klein-Schmiede hin - gegen ſind die ſonderlich, welche in Epigramma - tibus, oder kurzen Denk-Schriften, einem ein Eiſen an den Hals zu ſchmieden pflegen. Die Epigrammata ſtehen an ſich auch bey den neuern Poeten in großem Anſehen, wenn man in we - nig Zeilen artige bon-mots und ſcharfe Gedan - ken anbringen kann. Aber unſere Klein-Schmie - de fragen nichts nach dem bon-mot und ſchar -fen60Vergleichung der Schmiedefen Witz, ſondern lieber, ob ſie einem eins ans Bein, oder auf die Bruſt, verſetzen koͤnnen. Z. E. die ekele Flavia wollte ihrem ſich angeben - den Amanten Hirſuto nicht flugs die hoͤchſte Gunſt erzeigen: So machte einer unſerer poeti - ſchen Klein-Schmiede ſogleich das Epigramma aus einer tuͤckiſchen Leichtfertigkeit auf ſie:

Es haͤtte Flavia die Beingen ausgeſtrecket,
Wenn nicht ein anderer ſie kurz vorher
belecket.

Die poetiſchen Grob-Schmiede unſerer Geſell - ſchaft haben lange Zeit einen Proceß unter ſich gehabt, ob dergleichen Reime, bloß der Kuͤrze wegen, fuͤr die Klein-Schmiede, und nicht auch, wegen des derben Jnhalts, fuͤr die Grob - Schmiede gehoͤrten. Endlich hat die ehrbare Geſellſchaft es alſo entſchieden: Sie ſollten ſich gerade drein theilen. Die eine Haͤlfte des Epi - grammatis ſolle denen Grob-Schmieden, die andere denen Klein-Schmieden zuſtehen. Da - her, bey obſtehendem Epigrammate, unſere poe - tiſchen Grob-Schmiede den erſten Vers zu ihrer Zunft gezogen; den andern aber, weil das Be - lecken auch von Kuͤſſen und Herzen genommen wird, denen Klein-Schmieden zuſtehen, ihn in ihrer Lade verwahrlich aufzuheben.

§ 22. Ein Gold-Schmied ſuchet vornem - lich von Gold und Silber die Schlacken abzu - ſondern, und wenn etwa rein Silber in das Gretz faͤllt, weiß ers ſchon wieder heraus zu ſchmelzen. Unſere poetiſchen Gold-Schmiedebrau -61mit den Reim-Schmieden. brauchen nicht nur ihren poetiſchen Schmelz - Tiegel, um anderer Poeten Schlacken zu un - terſuchen, ſondern beſitzen auch die Kunſt, das gediegenſte poetiſche Gold mit Zuſatz zu verfaͤl - ſchen, und es fuͤr markloͤthigt Gold auszugeben. Auch wiſſen ſie ſo viele gluͤckliche Einfaͤlle ande - rer Poeten ins Gretz zu werfen, daß ſolche als unnuͤtz angeſehen werden. Aber unſere poeti - ſchen Markſcheider gehen dies Gretz genau durch, werfen es nochmals in den Schmelz-Tie - gel, daß durch dieſe Veraͤnderung ſie die Geſtalt des reinſten Silbers gewinnen, dafuͤr es auch auf den Meſſen in denen Buchlaͤden oͤffentlich verkauft wird, und merkt niemand, daß eben die guten Einfaͤlle, die ſie bey andern niedergeſchla - gen, ihnen erſt auf die Spruͤnge geholfen haben.

§ 23. Ein Nagel - oder Hufen-Schmied iſt bey der Reimſchmiederey eine unentbehrliche Zunft. Denn unſere poetiſchen Huf-Schmie - de ſchlagen nicht nur manchem ein Huf-Eiſen auf den Fuß, daß er Verſen-Geld geben und zum Thore wandern muß; ſondern wiſſen auch ſogar anderer Leute Naſen ein Huf-Eiſen kuͤnſtlich aufzuſetzen. So ſaget man, wenn einer ſich hat ein Maͤhrgen weißmachen laſſen: Dem iſt ein rechter Huf aufgeſetzet. Die poetiſchen Na - gel-Schmiede koͤnnen ihren Gegnern ſolche Naͤ - gel in die Lenden anbringen, daß ſie daruͤber ohnmaͤchtig werden moͤgten. Ja manchem ſchlagen ſie einen Nagel vor den Kopf, daß man auch im Spruͤchwort ſaget: Der ſiehet aus,als62Vergleichung der Schmiedeals wenn er im Kopfe vernagelt waͤre. Das thun ſonderlich unſere ſatyriſche Poeten (Erſt. Probeſtuͤck, § 31).

§ 24. Es iſt ganz eine bekannte Redens - Art, wenn einer von ſich oder andern großſpre - cheriſche Worte fuͤhret, daß man alsdann ſaget: Der kann recht aufſchneiden! Das war ein großer Schnitt! Der fuͤhrt ein langes Meſſer! So giebt es demnach auch poetiſche Meſſer - Schmiede, welche von unſern Gegnern Thra - ſones, Großprahler, poetiſche Windbeutel und Großſprecher genennet werden. Es iſt Schade, daß Cicero kein Poete geweſen, und ſeine Re - den nicht in Reime geſetzet hat; ſonſt wuͤrde er einer unſerer vornehmſten Meſſer-Schmiede zu nennen ſeyn! Denn er thut manchmal von ſich ſo gewaltige Schnitte, daß die Balken des roͤmiſchen Rath-Hauſes haͤtten dadurch geſpal - tet werden koͤnnen. Unſere kriechende Poeten laſſen ebenfalls nicht leicht eine Gelegenheit vor - beygehen, zu ihrem Eigenlobe das poetiſche Meſſer zu gebrauchen.

§ 25. Ein Kupfer-Schmied gehet haupt - ſaͤchlich mit Zubereitung des Kupfers um; aber auch oͤfters muß er einen Zuſatz von Erz und Meſ - ſing nehmen. Unſere poetiſchen Kupfer - Schmiede ahmen ihnen in ſo weit nach, daß ſie in ihren Gedichten, wenn das Haupt-Thema nicht zureicht, vielen fremden Zuſatz anbringen. So machte jener, ſonſt große Poete, einem Miniſter einen Gluͤckwunſch auf ſeine Wieder -geneſung.63mit den Reim-Schmieden. geneſung. Wer haͤtte nun wol in ſolchem Ge - dichte ſuchen ſollen, daß er ſich mit den Tyran - nen herumkeifen, und dem Miniſter anmuthen wuͤrde, da er ordentlich anhebet: Sagt, ihr Tyrannen, ꝛc. daß er ſeinem poetiſchen unzeiti - gen Eifer und Geſchwaͤtze eine halbe Stunde zu - hoͤren ſolle? Jn Proſe iſt Cicero, wegen ſei - ner allotriſchen Ausſchweifung, einer der groͤß - ten Kupfer-Schmiede in der Redner-Kunſt ge - weſen. Denn wer ſollte wol in deſſen Rede vor dem Poeten Archius, da er zeigen will, er ſey ein roͤmiſcher Buͤrger, eine ausfuͤhrliche Be - ſchreibung der litterarum humaniarum, und in der Rede pro Milone, daß ſolcher den Clo - dium nicht heimlich maſſacrirt, einen Beweis der Exiſtenz Gottes ſuchen? Doch genug hievon, ein andermal ein mehrers! Tranſeant haec, cum caeteris erroribus!

Drittes Probeſtuͤck. Funfzig Maximen und Cautelen, enthaltend alle Haupt-Kunſt-Griffe und Geheimniſſe der kriechenden Poeſie auch Reimſchmiede - Kunſt.

Erſte Maxime.

Sonſt heißt das Spruͤchwort: Poëta na - ſcitur, non fit. Ein Poete wird gebohren, nicht durch die Kunſt gemacht. Wir kehrens um. Ein kriechender Poete und Reim-Schmied aber wird in unſerer Geſellſchaft nicht gebohren: dennwir64Funfzig Maximenwir zeugen keine poetiſche Kinder; ſondern er wird bey uns durch die Kunſt dreßiret.

2. Maxime.

Wir nehmen witzige und ſtupide Koͤpfe in unſere Geſellſchaft. Jene ſind lernbegierig, und faſſen alles leicht. Dieſen helfen wir durch fleiſ - ſigen Unterricht nach, und ſtutzen ſie zu.

3. Maxime.

Auch die vom ſchoͤnen Geſchlechte werden nicht ſchlechterdings von der Froſchmaͤusler-Ge - ſellſchaft ausgeſchloſſen, ſie moͤgen Fraͤuleins, Jungfern, Weiber, Witwen und noch ſonſt was ſeyn. Sie duͤrfen aber nur fuͤnf Probe - ſtuͤcke ablegen, ehe ſie in das Froſchmaͤusler - Buch eingetragen werden.

4. Maxime.

Man verſperret auch unſern Gegnern, denen großen Poeten von der neuen Sorte, nicht den Zutritt zu der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft; vielmehr ſiehet man ſie darinn hoͤchſt gerne. Denn ſie ſind geſchickt, uns alle unſere Kuͤnſte bald abzulernen, wenn ſie nur die Regeln ihrer poetiſchen Wiſſenſchaft gerade umkehren; im - maßen alsdenn die Regeln einer umgekehrten Poeſie, davon die Froſchmaͤusler-Geſellſchaft Profeßion macht, als wie aufgedecket liegen.

5. Maxime.

Denen zur Froſchmaͤusler-Geſellſchaft Ueber - tretenden, wenn ſie einmal im Ruf ſind, daß ſie natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Poe -ten65bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. ten, welches ſie durch ſieben Zeugen darthun muͤſſen, muthet die Froſchmaͤusler-Geſellſchaft kein Probeſtuͤck an, ſondern erſucht ſie nur, die Regeln ihrer natuͤrlichen, maͤnnlichen und erha - benen Poeſie in Gedanken gerade umzukehren, und nach ſolchem Muſter, es ſey im Scherz oder Ernſt, jaͤhrlich ein einzig Gedichte nach froſchmaͤusleriſchem Geſchmacke zu uͤberliefern. Sie haben auch Freyheit, ſich ſelbſt ein Sinn - bild zu wehlen, welches ſie wollen, es ſey aus dem Reiche der Voͤgel oder vierfuͤßigen Thie - re. Daher hat die E. Froſchmaͤusler-Ge - ſellſchaft gewiſſe Mitglieder, die da freywillig zum Signet einen Strauß, Kuckuk, Wiede - hopf, Loͤwen, Baͤren, Elephanten, ja ſogar Eſel und Affen, ſich erwehlet haben. Wer ſeinem angenommenen Character, z. E. eines poetiſchen Strauſſes, am beſten ein Gnuͤge thut, der wird am meiſten aͤſtimirt; keiner aber aus der Geſellſchaft verachtet, weil die ſtar - ken Mitglieder die ſchwachen tragen und auf - richten.

6. Maxime.

Denen in der Hans-Sachſen-Poeſie und poe - tiſchen Kriech-Kunſt annoch Ungeuͤbten recom - mandiren wir die fleißige Leſung der Schriften unſerer beyden Ober-Meiſter, Hans Sachſens und des Froſchmaͤuslers, wie auch im Gegen - Satze die haͤufigen Gedichte etlicher hochſteigen - der Poeten, als des Hn. D. R ... aus Er -Efurt,66Funfzig Maximenfurt, der das Rothe und Schwarze, ſamt art - lichen Figuren, ſo geſchickt in Reime zu brin - gen weiß, z. E. poetiſche Trinkglaͤſer, Kannen, Becher, Saͤulen, ꝛc. desgleichen Hn. D. Kno - blochs aus Zittau Gedichte. Denn wenn ſie gleich oft mehr als zu erhaben, mithin der krie - chenden Poeſie entgegen ſind; darf man doch nur jede Strophe in einzele Saͤtze, und dieſe wieder in poetiſche Maximen aufloͤſen. Sind ſolche denn unſern Maximen entgegen: So keh - ren wir ſelbige nur gerade um, ſo verwandeln ſich ſolche in gleichfoͤrmige Kunſt-Regeln mit de - nen unſrigen.

7. Maxime.

Was ſehr witzige und lernbegierige Koͤpfe ſind, denen geben wir die groͤßten Meiſter-Stuͤcke un - ſerer Gegner, der poetiſchen Helden, in die Haͤnde, rathen ihnen, auf die Spur zu kom - men, dieſen und jenen Einfall anzubringen; und wenn wir erſt hinter ihre Dicht-Maximen ge - kommen, kehren wir ſolche nur um: So muͤſ - ſen nothwendig Modelle einer Hans-Sachſi - ſchen und kriechenden Poeſie herauskommen.

8. Maxime.

Eben dieſer Methode werde ich mich alhier bedienen, und entweder das, wo unſere Gegner ſelbſt manchmal auf unſere Seite unvermerkt getreten ſind, hier zum Grunde legen, weil die Beypflichtung eines Feindes von großem Ge - wichte iſt; oder aber ich werde die Gedichte ei -nes67bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. nes Brocks und anderer uns fatalen erhabenen Poeten anatomiren, ihre darinn verſteckte Kunſt - Regeln herausdiſtilliren; und wenn ich ſolche gerade umgekehret, werden nothwendig gar ſichere Cautelen einer kriechenden Poeſie her - auskommen.

9. Maxime.

Das erſte, woruͤber ein Hans-Sachſen - und kriechender Poete ſich die Naͤgel oͤfters zu zer - beiſſen pfleget, iſt die Erfindung des Thematis oder auszufuͤhrenden Satzes. Die Froſchmaͤus - ler-Geſellſchaft aber geſtattet bey denen ihr uͤber - reichten Gedichten alle nur erſinnliche Thema - ta auf alle und jede Faͤlle zu appliciren.

10. Maxime.

Folglich kan einerley Thema ſowol bey einer froͤhlichen als traurigen Begebenheit durchfuͤhren. Der Held, der in einem Gedichte an einen groſ - ſen Herrn aufgefuͤhrt wird, kann auch in einem Gratulanten-Vers an einen Kaufmann oder Buͤrgermeiſter kommen; man giebt ihm nur eine kleine andere Tour, z. E. a contrario, a ſimili, a diſſimili, etc.

11. Maxime.

Man darf aus allen Diſciplinen in der Welt einen Satz herausnehmen, er ſey wahr oder falſch, und ihn in allen Gedichten anbringen, ſollte man auch einen Sprung von der Suͤnd - fluth bis auf einen maͤßigen Platz-Regen thun, den man poetiſch beſchreiben wollte.

E 212. Ma -68Funfzig Maximen

12. Maxime.

Wer in der Phoͤbus-Poeſie Meiſter-Stuͤcke bey uns verfertigen will, der darf nur die Goͤt - ter aus des Heſiodi Goͤtter-Zeugung, und die abentheuerlichen Verwandelungen aus dem O - vidio, desgleichen viele Helden-Namen aus dem Homero, und Virgils Libris Aeneidis, nicht weniger aus des Horaz Epiſchen Oden heraus - nehmen.

13. Maxime.

Will einer Galimathias-Poeſien bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft uͤberreichen: So nehme er nur die Touren aus den meiſten Ro - mainen und Ritter-Buͤchern, wo die Helden ſo gewaltige Saͤtze thun, auch oft ſo verwirrt reden, daß kein Teufel daraus klug werden kann. Die gemeinen Opern, Comoͤdien und Trauer - Spiele werden ihm auch genug Materie an die Hand geben, kauderwelſche Touren anzubrin - gen, daruͤber doch der Poͤbel ganz erſtaunen wird.

13. Maxime.

Die Phoͤbus - und Galimathias-Poeſie ſind zwey ſolche Klippen, daran ſelbſt unſere aͤrgſten Gegner, die erhabenen Poeten, manchmal ge - ſtrandet, wenn ſie ſich in Gedanken zu hoch verſtiegen, und von einem Sturm-Winde an dieſe Klippen verſchlagen worden. Das findet man ſonderlich in manchen Lohenſteiniſchen und Corviniſchen Gedichten.

14. Ma -69bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.

14. Maxime.

Wer einen poetiſchen Miſt-Kaͤfer in einem Gedichte gern characteriſiren moͤgte, darf nur alles ſo plattzu nennen, wie es die Staupen - Bruͤder und Hallorum zu Halle thun. Er ziehe den Vorhang weg, den die Schamhaftig - keit vor die Zeugungs-Glieder und andere ver - deckte Theile vorgezogen, und nenne jedes ſo, wie es der Anatomicus, wenn ers mit Namen benennete, thun wuͤrde.

15. Maxime.

Jn verliebten Gedichten muͤſſen entweder ſo natuͤrliche Schwaͤnke vorkommen, als in de - nen gemeinen Schauſpielen und Romainen, z. E. daß der Amant vor ſeiner Schoͤne flugs auf die Knie faͤllt, vor ihren Augen ſich ums Leben bringen, oder den naͤchſten den beſten, der ihm aufſtoͤßt, ihr zu Ehren maſſacriren will; oder ſo ausſtudirt, daß man eigen merke, der Amant habe den Talander, Menantes und andere vorher bemauſet, um ſeine Paßion nach ihrer Vorſchrift einzurichten.

16. Maxime.

Jn Epiſchen Gedichten, oder da lauter Hel - den und Heldinnen vorkommen, vergeſſe man ja nicht, Deum ex machina herbey zu hohlen, oder man bringe aus der tauſend und einen Nacht abentheuerliche Begebenheiten und ver - wuͤnſchte Schloͤſſer vor; oder in Stein verwan - delte ganze Staͤdte; oder Rieſen, die bis anE 3den70Funfzig Maximenden Himmel gereicht; Helden, deren einer Zehn - tauſend in die Flucht geſchlagen; richtig abge - paßte Nothhelfer, da der entfernte Held, in Zeit von wenig Tagen oder Stunden, einen Luft-Sprung von etlichen hundert Meilen her gethan, und gerade die rechte Zeit getroffen, ſei - ner nothleidenden Schoͤne, vorhin abgeredter - maßen, annoch zu Huͤlfe zu kommen, ꝛc. Je unmoͤglicher und unnatuͤrlicher die Begeben - heit ſcheinet, deſto mehr frappirt ſie die Einfaͤl - tigen, und der kriechende Poete wird fuͤr einen poetiſchen Hercules gehalten werden.

17. Maxime.

Jn Dramatiſchen Gedichten, da entweder ganze Schauſpiele vorkommen, oder doch ge - wiſſe Sinnbilder, z. E. eines Adlers, Loͤwen ꝛc. auf hohe Haͤupter gedeutet werden, mag man, nach denen Grund-Regeln der kriechenden Poeſie, jeder Perſon, die zur Schau vorkoͤmmt, einen ganz andern Character geben, als er ſonſt in der Welt hat. Z. E. der aufgefuͤhrte Sclave darf von Staats-Sachen ſeines Herrn raiſonniren; der Harlequin giebt einen gehei - men Rath des Prinzen ab; der Fuͤrſt raiſon - nirt, was das Korn auf dem Markte gelte. Die Prinzeßinn zankt ſich mit einem Paar Hu - ren herum; der Amant greift der Prinzeßin untern Rock, daruͤber ſie laͤchelt. Der Beicht - Vater ſagt dem Feld-Herrn ins Ohr, wie er die Armee en ordre de bataille ſtellen ſolle; und hundert andere poßirliche Touren mehr!

18. Ma -71bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.

18. Maxime.

Jn Trauer-Spielen ſtelle man jeden Affect ſo gekuͤnſtelt vor, daß man offenbar merke, der duellirende Rival habe z. E. den andern nur in eine mit Blut gefuͤllte Rinds-Blaſe geſtochen; die uͤberwaͤltigte Schoͤne habe nicht mehr Ler - men gemacht, als wenn ſie ſich an einer Nadel geritzt haͤtte; der ſterbende Cato habe, mitten in der Todes-Angſt, noch politiſche Staats - Diſcurſe von Wiederaufhelfung des verfallnen Roms vorgebracht; der toͤdtlich erſtochene A - mant habe nach vier und zwanzig Stunden ſei - ne Schoͤne wieder bedienet; nebſt tauſend an - dern abentheuerlichen Abbildungen mehr.

19. Maxime.

Jn luſtigen Schau-Spielen pflegen die krie - chende Poeten den Harlequin und Scharamuz die Haupt-Perſon ſeyn zu laſſen; der aber nicht eben ſonderlich die Leſer und Zuſchauer mit ſcharfſinnigen Spaß-Reden, ſondern haupt - ſaͤchlich mit Zoten, abgeſchmackten Fratzen, poͤ - belhaften Ausdruͤcken und ungeſchliffenen Re - den ergoͤtzen muß. Doch giebt es auch Sauer - toͤpfe unter denen kriechenden Poeten, die in keiner Oper einen Harlequin, ja ſogar die Mu - ſic nicht, leiden wollen, weil es nicht natuͤrlich ſey, nach der Muſic mit einem zu reden. Da - fuͤr bringen ſie lieber weitgeholte und grillen - faͤngeriſche Reflexionen aufs Tapet, daruͤber die Zuſchauer einſchlafen, und da ſie verhofft, dieE 4Lebens -72Funfzig MaximenLebens-Geiſter durch eine angenehme Muſic und aufgeweckte Luſt-Spiele zu erfriſchen, muͤſſen ſie auf den Knoten der Oper genau Acht haben, wie ſolcher endlich werde aufgeloͤſet werden; ſonſt, wo ſie dieſes verſaͤumen, duͤnket ihnen alles, was vorher aufgefuͤhret worden, als ein dunkles Raͤ - zel und ein verwirrter Handel.

20. Maxime.

Hiſtoriſche Poeſien muͤſſen, nach dem Cha - racter der kriechenden Poeſie, entweder fein fa - belhaft, oder ſchwuͤlſtig, oder ſo matt und trocken, als wenn die Markt-Saͤnger ihre traurige Mord-Geſchichten versweiſe abſin - gen, eingerichtet werden. Es ſchadet auch nicht, wenn ein kriechender Poete vorgefallene Schlachten beſchreibet, daß er denen Pulver und Bley, Canonen und Feuer-Moͤrſer beyle - get, die zu ſo einer Zeit gelebet, da man noch vom Pulver und Schieß-Gewehr gar nichts ge - wußt. Beſchreibt er die alten Belagerungen: So giebt er ſolche Modelle von Veſtungen an, als Vauban erfunden. Hat ſeinem Helden, fuͤr großem Angſt-Schweiſſe, etwa die Naſe geblutet: So ſpricht der poetiſche Fuchsſchwaͤn - zer, er habe ſich im Blute ſeiner Feinde gebadet. Er muß große Thaten koͤnnen klein, und kleine groß machen, u. ſ. w.

21. Maxime.

Es iſt denen Hohen in der Welt wol eher be - gegnet, daß uͤber ihr geſalbtes Haupt ein Unge -ziefer73bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. ziefer hinweggekrochen. So darf denn auch ein kriechender Poete, wenn er Religions-Ge - dichte ſchreibet, ſelbſt uͤber das allerhoͤchſte We - ſen, uͤber die natuͤrliche und geoffenbarte Reli - gion, auch ſonderlich uͤber die heilige Schrift, hinwegkriechen. Er laͤßt, nach dem Rechte der Schmeiß-Fliegen, ſeinen ausgelaſſenen Unrath uͤberall kleben. Er treibt mit den Spruͤchen der heiligen Schrift ſein Geſpoͤtte. Er ſpricht von denen darinn vorkommenden Begebenheiten ſo kurzweilig, daß man daruͤber lachen muß. Er macht es eben ſo in Verſen, als z. E. die an - ſehnlichen kleinen Geiſter es in der Satyre Briontes gemacht, da ſie unter andern ſagen: Paulus habe ſeine weite Reiſe bis in den drit - ten Himmel ſparen koͤnnen; er ſey ſo klug wieder zuruͤck gekommen, als er hingereiſet. Allen ſogenannten heiligen Wahrheiten weiß er ein laͤcherlich Kleidgen umzuhaͤngen; gerade als ob der, dem man mit Gewalt ein Narren - Kleid anleget, auch nothwendig ein Narr in der Haut wirklich ſeyn muͤſſe!

22. Maxime.

Die Affen ſind gewiß poßirliche Geſchoͤpfe, die denen Menſchen manche Kurzweil machen, daß man ſich oft daruͤber ſcheckigt lachen moͤgte. Die kriechende Poeten wiſſen ſich auch oͤfters in die poßirlichſten Affen zu verwandeln. Sie affen andern Poeten nach, und wollen bald die - ſem bald jenem poetiſchen Helden nachahmen,E 5oder74Funfzig Maximenoder ihn gar uͤbertreffen. Wenn ſie nun auf hohe Haͤupter Lob-Gedichte machen, ſchuͤtten ſie den ganzen Krahm ihrer Gelehrſamkeit aus. Sie laſſen es nicht genug ſeyn, große Herren bey aller Gelegenheit mit Gedichten zu bombar - diren, ſondern ſtopfen auch noch ganze Bogen, nach Art des beruͤhmten Zittauiſchen Erz-Dich - ters, Hrn. D. Knoblochs, mit haͤufigen An - merkungen aus; ſo daß es noth thaͤte, der groſ - ſe Herr beriefe einen Land-Tag, ſich die darinn vorkommende tiefſinnige Wahrheiten vortragen zu laſſen; oder aber er lieſſe die poetiſche Anmer - kungen ſeinen Cabinets-Miniſtern vorlegen, ihm daraus, wenn ſie nichts wichtigers zu thun haͤtten, die Einfaͤlle eines poetiſchen Affen-Ge - ſichts zu referiren.

23. Maxime.

Die Gluͤckwuͤnſchungs-Gedichte an Stan - des-Perſonen, Patrone und Goͤnner muͤſſen mit lauter Mecaͤnaten und unerwarteten Anreden ausſtaffiret ſeyn. Scheuß, großer Patron, ſcheuß, ſcheuß deine holde Stralen, fing jener ſich keine Laus duͤnkender Poete an, dem ſein Patron, der eben vom Abtritte kam, antwor - tete: Mein Herr, ich wollte wuͤnſchen, vor der Minute ſein Gedichte gehabt zu haben, vielleicht haͤtte es meinem verſtopften Leibe Erleichterung geſchaffet. Ein kriechender Poet weiß an ſei - nem Patrone nichtswuͤrdige Dinge hoch zu loben, oder ihm Wiſſenſchaften beyzulegen, de -ren75bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. ren Namen ihm wie Boͤhmiſche Doͤrfer vor - kommen. Zuweilen geht er auch mitten im Gedichte von ſeinem Patron ab, und thut eine Streiferey nach Oſten und Weſten; da denn der Patron ſo lange paſſen muß, bis es dem Poeten, nach einem langen Umſchweife, gefaͤllt, ſeinen Patron zu Ende des Gedichtes wieder anzuſprechen, auch ſich wol gar auszubitten, daß er ihn, als ein geringes Wuͤrmlein, nicht zertre - ten ſolle.

24. Maxime.

Jn Condolenz-Gedichten weiß ein kriechen - der Poete die Affecten der Traurigkeit alſo zu unterdruͤcken und bey ſeinem Patron niederzu - ſchlagen, daß er ſich in die Zunge beiſſen muß, um nicht uͤberlaut zu lachen. Die Schlendri - ans-Poeten gehen von ihrer alten Leyer ſo we - nig ab, als die, Jahr aus Jahr ein, hinter ein - ander Lehre, Ermahnung, Strafe und Troſt in unverruͤckter Ordnung der Gemeine vorpre - digen. Der verſtorbene Anverwandte des Pa - trons wird himmelhoch erhoben, wenn er gleich kaum ein Fuͤllſteingen in der Republic geweſen. Neugebackene Edelleute werden als Helden be - ſchrieben, in denen das hochadliche Blut ihrer Urahnen walle. Alte abgelebte Matronen wer - den mit der Venus; abgefeimte Coquetten mit der Lucretia; ſchwarzbraune Geſichter mit der Morgenroͤthe; rothharigte Koͤpfe der Frauen - zimmer mit der Abendroͤthe ſehr artlich vergli - chen, ꝛc.

25. Ma -76Funfzig Maximen

25. Maxime.

Bey Hochzeit-Gedichten iſt ein weites Feld, wo ſich die kriechende Poeten tapfer luſtig ma - chen koͤnnen, zumal, wenn ſie Hoffnung haben, auch ein fettes Maul mit von der Hochzeit zu nehmen. Der arme Cupido muß ſich in tau - ſend Geſtalten da verwandeln laſſen; die Berg - werke geben die artigſten Einfaͤlle ab, daß der Braͤutigam werde bey ſeiner Braut in den Schacht ſteigen, und darinn ein - und ausfah - ren. Die vier Jahres-Zeiten geben einen ar - tigen Schwank ab. Der Winter iſt gut zum Heyrathen, damit die Braut einen Bettwaͤrmer habe; der Sommer aber, daß ihr der Braͤuti - gam in den Hundstagen das heiſſe Ober-Bette abnehme, und ſich in ſolches verwandle. Die Namen des Braͤutigams, oder der Braut, ge - ben die poßirlichſten Wort-Spiele ab; nicht minder die Profeßion, die der Braͤutigam, oder der Braut Vater, treibet. Jſt der Braͤutigam ein Schneider: So ſpricht der Poet: Er werde mit ſeiner Nadel der Braut ſchon tuͤchtige Knopf - Loͤcher zu machen wiſſen. Jſt er ein Glaſer: So werde er ihr am rechten Oertgen Scheiben einſetzen, ꝛc.

26. Maxime.

Bey Namens-Tagen weiß der kriechende Poete hundert, und zur Noth mehr oder weni - ger, Perſonen anzufuͤhren, die eben den Vor - namen gehabt, mit denen ſein Patron, dem er gern den Beutel mit Manier fegen moͤgte, ver -glichen77bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. glichen wird. Wollen ſolche nicht zureichen, muß der Name: Auguſtus, Titus, Trajanus, Carl der Große, oder ein großer Heiliger, oder eine große Schoͤne, herhalten, und ſich wider Willen dahin zerren laſſen, wohin der Poete will. Auch verſchlaͤgt es nichts, wenn gleich verfaͤngliche Gedanken einem dabey ein - kommen koͤnnen. Der Poet ſetzet voraus, daß man darauf nicht falle. So redete jener eine große Dichterinn alſo an: Du Sappho unſrer Zeit! ohne zu bedenken, daß die Sappho ſich in der tribadiſchen Luſt-Seuche ſo hervorge - than, daß auch ſolches in alten griechiſchen Muͤn - zen noch deutlich abgeſchildert zu finden. Will der Bogen nicht voll werden: So hat der krie - chende Poete ſchon andere Beyhuͤlfen, die Stro - phen-Luͤcken vollends auszufuͤllen.

27. Maxime.

Jn Geburts-Tags-Gedichten, wenn etwa auf vornehmer Herren Kinder gluͤckliche Geburt eine Poeſie geſchmiedet wird, weiß ein Froſch - maͤusler-Poet aus denen Windeln zu weiſſagen, was fuͤr ein großer Held, Koͤnig, Prinz, Staats - Miniſter, großer Kirchen-Lehrer ꝛc. dereinſt aus ihm werden werde; das arme Kind aber, das wenig Tage darauf verſtirbt, jagt dem Poeten keine Schaamroͤthe ab: denn es war nur ein Gedichte, und keine Prophezeyung. Keinem Poeten kann angemuthet werden, fuͤr die Er - fuͤllung ſeiner poetiſchen Weiſſagungen zu ſte - hen. Betrifft es aber den Geburts-Tag einesPatrons,78Funfzig MaximenPatrons, oder Patroninn: So iſt kein merk - wuͤrdigerer Tag im ganzen Calender, als eben dieſer, da ſein Principal, oder Gebieterinn, zur Welt gebohren wurde; ob ſie gleich niemand wuͤrde ſonderlich vermiſſet haben, wenn ſie ſchon gar nicht das Licht der Welt erblicket haͤtten. Es muͤſſen auch wol noch die erſten Windeln und die Boye, darinn der jetzige Held ehedem gelegen, hervorgeſucht und herausgeſtrichen wer - den, ꝛc.

28. Maxime.

Ein kriechender Poete wird ſich nicht leicht ſo hoch verſteigen, die himmliſchen Coͤrper poe - tiſch zu beſchreiben, er muͤßte denn durch ſein poetiſches Fern-Glas etwa Einwohner im Monden, oder denen Fix-Sternen, oder neue Sonnen-Flecken, oder bedrohliche Cometen, und andere auſſerordentliche Luft-Zeichen, be - merket haben. Daß er auch, nach Art eines Brockes in Hamburg, oder Weichmanns im Patrioten, die Geſchoͤpfe Gottes auf der Erde an Bluhmen, Baͤumen, Metallen, Stroͤhmen ꝛc. poetiſch abſchildern ſollte, iſt dem Geſchmacke eines kriechenden Poeten ganz zuwider. Auch die Kunſt-Stuͤcke beruͤhmter Kuͤnſtler wird er ungern in Reime bringen, weil es zuviel Kopf - brechens machen wuͤrde. Doch eine Statue oder ein Gemaͤhlde zu beſchreiben, darinn alles an Menſchen und Thieren nackend vorgeſtellet iſt, wird ihm eben nicht ſauer ankommen, wenner79bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. er nur jedes Ding bey ſeinem rechten Namen frey nennen darf.

29. Maxime.

Moraliſche Gedichte, ſonderlich die Beſchrei - bung der Tugenden und Laſter, oder eine leb - hafte Abſchilderung derer Genies, Gemuͤths - Neigungen, Affecten und Temperamente ſind auch nicht nach dem Geſchmacke derer kriechen - den Poeten. Sie koͤnnen ſich nicht in ſo ſub - tile Wuͤrmergen verwandeln, die denen Leuten bis ins Gehirn kriechen koͤnnten. Wagt er ſich aber ja, dieſes oder jenes Gemuͤths-Character abzuſchildern: So wird er entweder, wie die Katze uͤber die heiſſe Kohlen, fluͤchtig hinweg ei - len, oder ganz widerwaͤrtige Begriffe, die nicht bey ſolcher Gemuͤthsfaſſung zugleich beſte - hen koͤnnen, zuſammen reimen; ſo daß er z. E. eben dem, den er als großmuͤthig beſchreiben wollen, die niedertraͤchtigſten Handlungen bey - leget; einen Geizigen anders wo zum Verſchwen - der macht, oder gar die Namen umtaufet, und die Laſter als Tugenden, die Tugenden aber als Fehler und Laſter beſchreibet.

30. Maxime.

Wenn ein kriechender Poete ſich mit ſeines gleichen, oder niedrigern, in poetiſchen Brief - Wechſel einlaͤſſet, bleiben es meiſtens Anecdo - ten, die kein Buchhaͤndler des Papiers und Druckes werth achten will. Aber die loͤbliche Froſchmaͤusler-Geſellſchaft beſitzt eine Samm - lung von etlichen tauſend poetiſchen Briefen, dievon80Funfzig Maximenvon lauter kriechenden Poeten geſchrieben wor - den. Sie haͤlt ſolche als einen geheimen Schatz unerkannter Wahrheiten, und iſt zu neidiſch, ſolche public zu machen. Es iſt genug, daß ſol - che nach denen, in dem erſten Probeſtuͤck auf mathematiſche Art veſtgeſtellten, Grund-Re - geln, desgleichen dem Character derer im an - dern Probeſtuͤck angegebenen zwoͤlf Arten krie - chender Thiere und ſechs Sorten von Schmie - den vollkommen gemaͤß ſind; und werde ich in denen folgenden zwanzig Maximen die Sache, wo nicht in voͤlliges Licht, doch wenigſtens in Licht und Schatten, zu ſetzen, mir angelegen ſeyn laſſen.

31. Maxime.

Ein poetiſcher Froſch quaͤket alle Voruͤber - gehende, und wer ihm am erſten in den Wurf koͤmmt, mit ſeinen Reim-Gedichten an; es mag nun dem andern gefallen oder verdrieſſen. So wenig der Froſch ſich daran kehrt, ob es dem Vorbeygehenden gelegen ſey, ſeinem Gequaͤke zuzuhoͤren: So wenig fragt auch ein poetiſcher Froſch darnach.

32. Maxime.

Eine poetiſche Maus ſtenkert am liebſten die Anecdoten oder unherausgegebene Poeſien an - derer durch, oder auch ſolche Poeten, die durch die Laͤnge der Zeit ſchon wieder in Vergeſſenheit gekommen. Solche bemauſet er, wo er kann, und giebt es fuͤr ſeine eigenen Einfaͤlle aus. Ver -ſtehet81bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. ſtehet er Sprachen: So machet er die Unwiſ - ſenden weiß, was er z. E. aus einem Moliere, Taſſo, ſonderlich aus den engliſchen und grie - chiſchen Poeten uͤberſetzet, als waͤre es auf ſei - nem eigenen Bete gewachſen. Wer ihn ver - raͤth, an deſſen Ehren-Ruhm ſucht er was ab - zunagen, wie die Maus am Brodte.

33. Maxime.

Eine poetiſche Schlange verſetzet entweder dem, der ſie reizet, oder auch, wie es ihr ein - koͤmmt, giftige Stiche. Sein Wahlſpruch iſt: Calumniare audacter, ſemper aliquid haeret.

Bezuͤchtge einen hart, und red ihm Boͤſes
nach;
Der angehaͤngte Fleck iſt ihm ſchon eine
Schmach.

34. Maxime.

Ein poetiſcher Jgel paſſet die Gelegenheit fleißig ab, durch kurze Stachel-Reime dem, dem er uͤbel will, einen Trebs zu verſetzen. Weiß er etliche laͤcherliche Hiſtoͤrgen von ihm, wenn es auch noch Fehler einer laͤngſt verſtri - chenen Jugend waͤren, er wird ſie ihm im ho - hen Alter, da er ſie vorlaͤngſt abgelegt, noch vorruͤcken. Weiß er keine: So richtet er an - dere nach ſich, und denkt, ſie ſtehen hinter der Thuͤre, wohinter man ihn ſelber oͤfters noch ſtehen ſiehet.

35. Maxime.

Ein poetiſcher Hund iſt entweder ein grim -Fmiger82Funfzig Maximenmiger Bullenbeiſſer, oder heimtuͤckiſcher Dachs - Hund, oder ein kurzweiliges Moͤppelgen. Die letztere Art koͤnnen unſere Gegner noch am erſten vertragen; denn ſie haben keine Zaͤhne zu beiſſen.

35. Maxime.

Ein poetiſcher Floh uͤberraſchelt einen mit ſeinen angebrachten Stichen oft, ehe man ſichs verſiehet; und wenn man im Begriff iſt, ihn zu erhaſchen, huͤpft er davon, und laͤßt ſich nicht in die geſtellte Floh-Falle locken.

36. Maxime.

Eine poetiſche Laus ſuchet ſich gern bey an - geſehenen Familien, oder dem Poͤbel, einzuni - ſten; und wenn ſie ſich einmal in den Grind eingefreſſen, wird man ſie ſchwerlich wieder her - ausbringen: man muͤßte ſich denn ſelber die Haa - re knapp verſchneiden laſſen.

37. Maxime.

Ein poetiſcher Miſtkaͤfer kriechet, euch zu gefallen, wenn ihr ihm die Muͤhe bezahlet, in ein heimliches Gemach, oder wird ein Wahrſa - ger aus dem Urin-Glaſe, oder verſinkt ſelber ſo tief in den Schlamm, daß er ſich nicht wieder heraushelfen kann.

38. Maxime.

Ein poetiſcher Schmetterling fleucht um ein brennend Licht, gleich einer Muͤcke, ſo lange her - um, bis er ſich die Fluͤgel verbrennet, oder ihm ſolche in den Tollhaͤuſern beſchnitten werden.

39. Ma -83bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.

39. Maxime.

Eine poetiſche Schnecke laͤſſet ſich gern ſeine Gedichte voraus bezahlen, nimmt ſich aber ge - nug Zeit, ſolche auszuhecken. Setzet ihr von ihm ab: So nimmt er ſein poetiſch Geraͤthe auf den Ruͤcken, und kriecht zu eurem Feinde hin - uͤber. Daher mancher Poete derjenigen Co - moͤdianten-Bande, welcher er noch etliche Jah - re zuvor Schau-Spiele fuͤr ſchweres Geld ver - fertiget, nach der Zeit heftig feind wird, und, gleich der Schnecke, die Spuren ſeines verſchuͤt - teten Schaums, ich meyne verſpruͤtzter Dinte und Galle, zuruͤck laͤſſet.

40. Maxime.

Ein poetiſches Heuſchreckgen huͤpfet bald da bald dorthin; und wenn es gleich keine Zaͤhne hat, ſcharf zu beiſſen: So gibt es doch gewands - weiſe, und an ſolchen Orten, wo mans gar nicht vermuthen ſollte, ſeine Fußtapfen zu er - kennen. Es ſchonet auch weder Freund noch Feind, ſondern huͤpft auf des Nachbars Feld, wie die Heuſchrecke.

41. Maxime.

Ein poetiſcher Maulwurf weiß ſich in ſeinen eigenen Gedanken ſo tief zu vergraben und zu verſchanzen, daß ihr ihm ſchwerlich dahinter kom - men koͤnnet.

42. Maxime.

Huͤtet euch, daß ihr nicht in die Haͤnde eines poetiſchen Grob-Schmiedes verfallet; er wuͤr -F 2de84Funfzig Maximende euch ſonſt unter ſeinem harten Amboß, ver - mittelſt ſeines eiſernen Schmiede-Hammers, ſo breit ſchlagen, daß ihr wuͤnſchen wuͤrdet, euch nie mit ihm aufgenommen zu haben.

43. Maxime.

Ein poetiſcher Klein-Schmied und poeti - ſcher Jgel ſind ſolche zwey gewaltige Hudler und loſe Schaͤlke, daß ihrs ſelber drauf wagen koͤn - net, welcher unter beyden der gewandteſte und durchdringenſte ſey.

44. Maxime.

Wenn jemand, der in der Welt keine ſon - derliche Figur gemacht, gern ſeinen Namen bey der ſpaͤten Nachwelt in ruhmvollem Andenken erhalten wiſſen wollte: So darf er nur denen poetiſchen Meſſer-Schmieden (2. Probeſtuͤck, § 24,) etwas vermachen, die werden ihn ſchon nach ſeinem Tode in einem Leichen-Gedichte ſo herausſtreichen, daß die Nachkommen das Wah - re und Falſche nicht werden unterſcheiden koͤnnen.

45. Maxime.

Kehret euch nicht daran, wenn unſere poeti - ſche Gold-Schmiede gleich anderer Gedichte ins Kretz ſchlagen. Suchet das darunter ſteckende Silber durch anderweitige Umſchmelzung heraus: So werdet ihr noch damit prangen, und es auf den Meſſen in den Buchlaͤden gut anwenden koͤnnen.

46. Maxime.

Wenn ihr Luſt habt, jemanden ein Huf auf -ſetzen85bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. ſetzen zu laſſen: So gebt nur unſern poetiſchen Huf-Schmieden ein gut Wort, und bezahlet ihnen ihre Reimſchmiede-Arbeit, ſie werden euch ein ſo gutes Huf-Eiſen ſchmieden, daß es auf den andern genau paſſen wird.

47. Maxime.

Moͤgte jemand gern eines andern Arbeit ver - faͤlſchen laſſen, wie dem Briontes mit ſeinem Schaͤfer-Gedichte in denen Sottiſes champê - tres begegnet iſt, dagegen er das richtige Ori - ginal in die Sottiſes galantes, nach der Edition des Ciceronianiſchen Windbeutels zu rechnen, ſetzen laſſen: So begruͤße er nur unſere poeti - ſchen Kupfer-Schmiede, die werden ihm ſo viel unaͤchten Zuſatz dazu thun, daß es fuͤr die Ar - beit eines ganz andern Autoris durchgaͤngig paſ - ſiren wird.

48. Maxime.

Jn der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft wird der gewaltige Zwiſchenraum applaniret, den die neuern Poeten zwiſchen dem Hypſos und Ba - thos, oder der Hoͤhe und Tiefe der Gedanken, machen. Denn wir geſtatten, von der Hoͤhe einen Sprung auf geraden Reim-Fuͤßen in die Tiefe, und einen Voltigir-Sprung aus der Tiefe wieder in die Hoͤhe zu thun. Damit auch die poetiſchen Gedanken nicht daruͤber den Hals brechen; haben wir eigne Strick-Leitern, und andere Maſchinen, einem, der zum Schwei - mel geneigt iſt, aus der Hoͤhe in die Tiefe ſtuf -F 3fenweiſe86Dreyßig Frageſtuͤckefenweiſe herabſteigen zu helfen. Aber die Luft - Springer haben doch bey uns den Vorzug.

49. Maxime.

Damit der poetiſche Woͤrter-Schatz reichlich vermehret werde, nehmen wir in unſere Reim - ſchmiede-Kunſt franzoͤſiſche, lateiniſche und ita - liaͤniſche Reim-Endigungen auf, ertheilen ih - nen das Buͤrger-Recht, und achten ſie fuͤr eine Zierlichkeit, z. E. incommodiren, accommodiren, recommendiren, abouchiren, accompagniren, ꝛc.

50. Maxime.

Die Zunft-Meiſter der Froſchmaͤusler-Ge - ſellſchaft werden nicht eiferſuͤchtig daruͤber, wenn ſie von ihren Lehrlingen in der kriechenden Poe - ſie uͤbertroffen werden.

Viertes Probeſtuͤck. Beantwortung derjenigen dreyßig Frageſtuͤk - ke, welche jedem Candidaten, vor ſeinem Eintritt in die Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, vorgeleget werden.

1. Frage.

Was verlanget der Herr Candidat?

Antwort.

Ein Froſchmaͤusler zu werden.

2. Frage.

Was heißt ein Froſchmaͤusler?

Antwort.

Ein Poete, der ſich alle Bemuͤhung giebet,der87fuͤr einen Froſchmaͤusler. der kriechenden Poeſie und Reimſchmiederey auf - zuhelfen.

3. Frage.

  • Weiß der Herr Candidat, was ein Jambi - ſcher Vers heiſſet?

Antwort.

Wenn unter zwey Sylben der Accent auf die andere Sylbe faͤllt, als z. E.

Es iſt - mein Herz - in dich, - o ſchoͤ-nes Kind,
verliebt.

4. Frage.

  • Binden ſich denn unſere Reimſchmiede dar - an, daß in Jambiſchen Verſen eben der Accent auf die andere Sylbe fallen muͤſſe?

Antwort.

Nein; es klingen die holpernde und ſtol - pernde Verſe manchmal recht artlich, ſonder - lich, wenn man beſchreiben will, wie einer vom Parnaſſo herunter gekollert, oder uͤber einen Stein des Anſtoßes geſtolpert. Z. E.

Wenn Herr-Doctor-Knobloch-gleich hart -
gar oft-mals reimt:
So iſt - dennoch - ſein Vers - ganz veſt - zu -
ſammn-geleimt.

5. Frage.

  • Weiß der Herr Candidat, was ein Trochaͤi - ſcher Fuß in Verſen iſt?

Antwort.

Wenn unter zwey Sylben auf der erſten der Accent liegt, und ſolche ſchwer, die andere leicht und gleichſam nachgebend, ausgeſprochen wird, als:

F 4Ach88Dreyßig Frageſtuͤcke
Ach Cu-pido, - ach der - Loſe, - hat mich - jaͤm -
mer-lich ge-peitſcht.

6. Frage.

  • Sollten aber die Froſchmaͤusler nicht das Recht haben, auch in trochaͤiſchen Verſen den Accent, wie bey den jambiſchen, zu ver - ſetzen?

Antwort.

Ja, das ſtehet ihnen frey. So wuͤrde es bey E. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft hoffentlich fuͤr ei - nen guten trochaͤiſchen Vers paßiren:

Herr Gott-ſched, du-Erz-Po-ete!
Wetze-deine-muntre-Floͤte!
Mach dem-Pasquill-des Vor-ſpiels doch
Durch dein-Meſſer-ein groſ-ſes Loch!

7. Frage.

  • So wird dem Herrn Candidaten ohne Zwei - fel auch bewußt ſeyn, was dactyliſche oder ſpringende Verſe heiſſen?

Antwort.

Ja, ich weiß gar wohl, was ein Dactylus ſey, naͤmlich, wo der Accent auf die erſte Sylbe faͤllt, worauf zwey leichte Sylben angehaͤnget werden, z. E.

Liebliche-freundliche-reizende-Augen,
Duͤrfte ich-Flammen aus-ſelbigen-ſaugen.

8. Frage.

  • Duͤrfen die dactyliſchen Verſe bey der Froſch - maͤusler-Geſellſchaft nicht manchmal ſtol - pern, als wenn ſie uͤberruͤcklings ſchluͤgen und die Treppe herunter purzelten?
Ant -89fuͤr einen Froſchmaͤusler.

Antwort.

Warum das nicht? Es gibt was zu lachen, wenn der Vers manchmal ſtolpert, ſonderlich, wenn man aus dem Hypſos einen Sprung ins Bathos thun will, als:

Herrſcher drey-Reiche, Be-ſieger der - Feinde!
Lege dich-ſanfte zur-Maitreſſe-heinte!

9. Frage.

  • Die Poeten ſchwatzen vieles von langen und kurzen, naͤmlich Vers-Arten; macht man nicht das Frauenzimmer roth, wenn man ihnen ſo vieles vom langen und kurzen vor - ſaget?

Antwort.

Sind es Weiber, oder Witwen, denen man poetiſche Lectiones giebt: werden ſich ſolche an den langen und kurzen Vers-Arten nicht ſtoßen; die Jungfern aber verſtehen freylich nicht, was das fuͤr Dinger ſind: Ein langes Vers-Genus, ein kurzes Vers-Genus.

10. Frage.

  • Wie koͤnnte man es nun dem Frauenzimmer leicht machen, daß ſie bald verſtuͤnden, was ein langer, und hingegen ein kurzer Vers ſey?

Antwort.

Sie muß lernen genau zaͤhlen. Wenn viel Sylben auf einander folgen, wird es ein lan - ger Vers; ſind es aber weniger Sylben, heißt es ein kurzer. Z. E.

F 51) Ein90Dreyßig Frageſtuͤcke
  • 1) Ein langer jambiſcher, oder alexandri - niſcher, Vers iſt dieſer:
    Ach du - Cupi-do du - ſchaff mir - doch ei-nen
    Frey-er,
    Denn mei-ne Jung-ferſchaft - ſperrt ſich - in
    mei-nem Schley-er.
    Ein kurzer jambiſcher Vers iſt z. E.
    Liſett-gen, haſt - du bra-ves Geld;
    Nehm ich - als Frau - dich mit - ins Feld.

Aus Gegeneinanderhaltung dieſer beyderley Arten Reime wird ja ein Frauenzimmer, ohne großes Nachgruͤbeln, wol ſehen, welches ein langer, und welches ein kurzer Reim ſey.

  • 2) Ein langer trochaͤiſcher Vers iſt dieſer:
    Ach Frau-Mutter-auf dem-Balle-hat ein - Frey -
    er - mich er-tappt,
    Und mir - mein jung-fraͤulich-Kraͤnzgen, - eh ichs -
    dachte, - wegge-ſchnappt.

Ein kurzer trochaͤiſcher Vers aber iſt:

Sproͤde - Schoͤne, - meine - Klagen
Werden, - wenn ich - ſterbe, - ſagen:
Dieſer - hat mich - treu ge-liebt.

Hier wird ein Frauenzimmer und Einfaͤltiger ebenfalls ohne groß Kopfbrechen leicht begreifen, daß die erſten beyden Verſe lang, die drey an - dern kurze trochaͤiſche Verſe ſind.

  • 3) Ein langer dactyliſcher Vers iſt z. E. Engliſche-Stimme, du - laͤſſeſt dich - hoͤren; Willſt du, Si-rene, mein-Herze be-thoͤren:
    • Ein kurzer dactyliſcher Vers aber iſt dieſer:
      Niedliche - Kuͤſſe
      Schmecken gar - ſuͤße.
      Drucket auf - marmorne-Huͤgel,
      Weil ſie noch - veſte, das - Siegel.
      Sucht91fuͤr einen Froſchmaͤusler.
      Sucht die Milch-Jnſel,
      Sonſt ſeyd - ihr ein Pin-ſel.

Hier giebt es abermals der Augenſchein und die Sylben-Zahl, welches lange Dactyli, und welches hingegen kurze heiſſen.

11. Frage.

  • Haͤlt es die Froſchmaͤusler-Geſellſchaft fuͤr ei - ne Schuldigkeit, ſich an die drey Vers - Arten, die jambiſche, trochaͤiſche und da - ctyliſche, zu binden, oder ſuchet ſie auch andere Arten in Schwang zu bringen?

Antwort.

Es laͤſſet ſich ſonderlich die ſapphiſche und he - roiſche Vers-Art der Lateiner gar wol bey der deutſchen Poeſie anbringen, als z. E.

  • 1) Probe von ſapphiſchen Reimen:
    Willſt du - mich lie-ben, - ſage mirs - geſchwin-de,
    Oder - ich ge-he - heute zur - Selin-de,
    Dem ſo - galan-ten - angeneh-men Kin-de,
    Wo ich ſie - finde.
  • 2) Eine Probe nach Art lateiniſcher heroi - ſcher Verſe:
    Der Ja-cob ſcher-zet mit - ſeinem - Weibe Re -
    becke;
    Liebliche - Phillis - komm und - gehe mit - mir in
    die - Hecke,
    Oder auch - tritt mit - mir dort - an die - finſtere -
    Ecke.

Jch ſehe nicht, warum dergleichen Arten Ver - ſe nicht zum Scherz und Zeitvertreibe angehen ſollten. Die E. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft wird wohl thun, wenn ſie, trotz denen neuen Poeten, viel neue Vers-Arten bekannt machen,und92Dreyßig Frageſtuͤckeund den Geſchmack der Leſer luͤſtern machen wird.

12. Frage.

  • Jſt dem Herrn Candidaten bewußt, was ein Oden-Genus ſey; und wie will er ſolches unſern Froſchmaͤuslerinnen beybringen?

Antwort.

Jch will zu ihnen ſagen: Es ſey eine Abwech - ſelung von acht bis zehn Zeilen einſylbigter und zweyſylbigter Reime, die man nach eigenem Gut - duͤnken verſetzen kann, als:

So iſt - dein Her-ze fel-ſenhart,
Du Aus-bund al-ler un-ſrer Schoͤ-nen!
Willſt du - denn mei-ne Lie-be hoͤh-nen:
Jch hat-te dir - mein Herz - geſpart.
Doch iſts - dein Ernſt - es zu - verſchmaͤ-hen:
So ſa-ge mirs - nur rund - heraus:
So will - ich zu - der Nach-barn ge-hen,
Und nen-ne dich - ein Schel-len-Tauß.

13. Frage.

  • Die andern Poeten aber reden nur von maͤnn - lichen und weiblichen Reimen; iſt das nicht abgeſchmackt geredet?

Antwort.

Was wir einen einſylbigten Reim nennen, heiſſen ſie einen maͤnnlichen; vermuthlich da - her, weil eine Mannsperſonen nur ein einziges Appetits-Jnſtrument bey ſich fuͤhrt; die zwey - ſylbigten Reime aber heiſſen ſie gewiß darum weibliche Reime, weil das Frauenzimmer ſon - derlich zwey reizende Waffen beſitzet: Die Bruͤſte, und den Jrrgarten der Liebe. Manmuß93fuͤr einen Froſchmaͤusler. muß es ihnen durch Exempel erlaͤutern, was maͤnnliche und weibliche Reime ſind: So ver - ſtehen ſie es deſto leichter.

  • 1) Z. E. lauter maͤnnliche Reime, oder, da der End-Reim einſylbigt iſt:
    Du biſt - ein rech-ter Gro-bian,
    Sprach juͤngſt - ein Weib - zu ih-rem Mann,
    Jch ſeh, - du kannſt - die Kunſt - nicht recht,
    Du triffſt - das rech-te Fleck-gen ſchlecht.
    Jch geh - zum Nach-bar Ce-ridon,
    Der pfeift - aus ei-nem beſ-ſern Ton.
  • 2) Lauter weibliche Reime, oder, da der End-Reim allezeit zwey Sylben hat, als:
    Was re-deſt du, - du lo-ſe Vet-tel,
    Was ma-che ich - mit dei-nem Bet-tel:
    Es iſt - ein aus-gepauck-te Drum-mel,
    Meynſt du, - als wuͤßt - ich nicht - den Rum-mel:
    Du magſt - zum Co-ridon - nur ſchlen-dern,
    Jch wer-de mich - darum - nicht aͤn-dern.

Jn der erſten Probe ſind lauter einfache End - Sylben, als: an, Mann; recht, ſchlecht; don, Ton. Jn der andern Probe lauter dop - pelte oder zweyſylbige End-Reime, als: Vettel, Bettel; Drummel, Rummel; ſchlendern, aͤn - dern. Jenes heiſſen maͤnnliche, dies weibliche Reime.

14. Frage.

  • Schicken ſich die trochaͤiſchen oder jambiſchen Verſe beſſer zu Oden; oder gilt es gleich viel, man nehme, welche man wolle?

Antwort.

Man haͤlt dafuͤr, zu Trauer-Orden ſchickten ſich die trochaͤiſchen Verſe beſſer; zu Freuden -Oden94Dreyßig FrageſtuͤckeOden aber die jambiſchen. Aber es trifft nicht zu; man kann freudige trochaͤiſche Oden und traurige jambiſche Oden machen, nachdem die Umſtaͤnde vorfallen.

  • 1) Probe einer traurigen jambiſchen Ode:
    Jch armer Hahnrey ſitze nun!
    O haͤtte ich niemals gefreyet!
    Was ſoll ich nun im Alter thun,
    Weil man mir in die Ohren ſchreyet:
    Jch ſolle doch die Hoͤrner decken,
    Man koͤnne ſie am Haupte ſehn!
    Ach! wuͤßt ich ſolche zu verſtecken!
    Jch muß zu einem Doctor gehn.

Mich deucht, dieſer Anfang einer Ode klingt traurig genug, und ſollte ganz beweglich klin - gen, wenn Traverſen dazu geſpielt wuͤrden.

  • 2) Probe einer freudigen, luſtigen und aufgeweckten trochaͤiſchen Ode:
    O ihr alten ſchoͤnen Thaler,
    Seyd willkommen, ſeyd gekuͤßt!
    Mein alt Weibgen iſt der Zahler.
    Ja, wenn die Runkunkel wuͤßt,
    Wie ich ſie nur bloß gefreyet,
    Daß ich ihre Thaler haͤtt;
    Glaub ich, daß ſie mich anſpeyet,
    Und ſcheidt ſich vom Tiſch und Bett.

Jch glaube nicht, daß etwas trauriges in die - ſer Ode ſey, es muͤßte ſie denn des Poeten al - tes Weib ohngefehr zu Geſichte kriegen, oder abſingen hoͤren; ich glaube aber, ſie wuͤrde eher daruͤber raſend, als traurig, werden.

15. Frage.

  • Schicken ſich dactyliſche Verſe nicht zu Oden; oder darf man nicht wenigſtens in einerOde95fuͤr einen Froſchmaͤusler. Ode mit jambiſchen und trochaͤiſchen Ver - ſen abwechſeln?

Antwort.

Es koͤmmt auf den Liebhaber an, und iſt an ſich unverwehret. Denn wer hat die neuern Poeten geheiſſen, ſo ſtrenge Reim-Geſetze vor - zuſchreiben. Man kann alſo per licentiam poëticam nicht nur die Vers-Arten unter ein - ander verſetzen, ſondern auch lange Fuͤße zu kur - zen, und kurze zu langen machen; der Abſchnitt des Verſes kann auch wegbleiben, wie es die Lateiner bey elegiſchen Verſen oft thun; als:

  • 1) Probe einer dactyliſchen Ode:
    Jhr ſcheinet, ihr lieblichen Sterne,
    Zwar jetzo im Dunkeln von ferne:
    Doch gebt ihr genugſames Licht,
    Mein Liebgen am Fenſter zu ſehen,
    Jch ſeh ſie im Hemdgen da ſtehen,
    Und denket das Naͤrrgen, ich ſaͤhe ſie nicht.
  • 2) Probe verſetzter jambiſcher und trochaͤi - ſcher Verſe:
    Jamb. Jch ſterbe, wo du mich nicht liebeſt,
    Troch. Schaue doch mein banges Herz!
    Lindre, Schoͤne, meinen Schmerz.
    Jamb. Wenn du mich gleich in Stuͤcken hiebeſt,
    Wuͤnſch ich, daß ich dein Herz erweich.
    Troch. Doch nein, nein, der ſtirbt nicht gleich,
    Jamb. Den Liebes-Kuͤtzel plagt.
    Mein Leid hab ich dir gnug geklagt,
    Willſt du mich nicht anhoͤren?
    Troch. Nun ſo will ich auch verſchwoͤren,
    Daß mich je Cupidens Reich
    Jamb. Beſtricken ſoll,
    Drum lebe wohl!
    Trennt96Dreyßig Frageſtuͤcke
    Trennt uns ein himmliſches Geſchick:
    So wuͤnſch ich beyden Gluͤck!
    Troch. Fahre hin, mit deiner Tuͤck!
  • 3) Probe, da lange Fuͤße kurz, und kurze lang gemacht, auch die Abſchnitte, oder Ce - ſur uͤbergangen wird.
    Die Pudel-Koͤpfe finden manchen Freyer,
    Denn man gedenkt, Pommade iſt ja ziemlich
    theuer,
    Und Puder auf jeden Tag koſtet leicht vier Dreyer,
    Das macht woͤchentlich einen halben Gulden,
    Entweder macht die Jungfer Schulden,
    Oder es macht jaͤhrlich ein Capital,
    Nach 6 pro Cent aufs wenigſte nach unſrer Zahl,
    Als drey hundert Thaler, die Schuhe nicht drein
    gezaͤhlt,
    Noch Struͤmpf, Contuſchen, Roͤcke, Wam -
    ſter, Hauben,
    Lebt ſie von Jntereſſen, kann man glauben,
    Daß ihr an zehn tauſend kaum hundert Thaler
    fehlt.

Bey dergleichen Art Verſen muß man gar nicht ſcandiren, ſondern, wie die Franzoſen in ihren Gedichten, ſich nicht ſo genau ans Syl - ben-Maaß binden, alſo da wir ſonſt ſo gern alle franzoͤſiſche Moden nachahmen, warum ſollten wir nicht auch unſere deutſche Verſe ſo fluͤchtig weg leſen, als wir bey franzoͤſiſchen Reimen thun.

16. Frage.

  • Was haͤlt der Herr Candidat von der poeti - ſchen Regel, daß man weder in einen Vers lauter einſylbigte Woͤrter, noch allzuſtar -ke97fuͤr einen Froſchmaͤusler. ke Eliſiones, oder verſchluckte Sylben hin - einbringen ſolle?

Antwort.

Wenn man ſelbſt derer, die unſre Gegner ſind, poetiſche Schriften genau durchgehet, wird man oft ganze Zeilen einſylbigter Woͤrter darinn finden, auch daß ihnen manche Sylben in der Kehle ſtecken bleiben. Es macht beydes oft ei - nen Spaß. Z. E.

Den Mann, die Frau, den Knecht, die Magd,
den Sohn, die Schnur,
Die bitt ich heut zum Schmauß auf Bier,
Brodt und Kaͤs nur.

Desgleichen:

Jch, du, er, wir, ihr, ſie, wir gehn all in
den Vers.
Glaubt er das Ding noch nicht: Nun, nun,
mein Herr, laß ers!

17. Frage.

  • Was haͤlt der Herr Candidat von den Bout - rimes, oder End-Reimen; machen nicht ſolche einen rechten Spaß, und zeigen an, wer ein fixer Reim-Schmied ſey, oder nicht?

Antwort.

Jch habe manchen tauſend Spaß, ſonderlich mit witzigen Frauenzimmern, gehabt, wenn wir uns einander ſo naͤckiſche End-Reime auf - gegeben, als wir nur gekonnt, und hernach drauf geſonnen, ſolche alle unter einen Huth zu brin - gen. Z. E. ich gab einsmal folgende Reime aus: Wurſt, Durſt; Kranz, Schwanz; Muͤtze,GPfuͤtze;98Dreyßig FrageſtuͤckePfuͤtze; Haus, Maus; Sieb, Dieb: So fuͤllte ich ſolche folgendergeſtalt aus:

Liſettgen iſſet gerne Wurſt;
Mit Brandtwein ſtillt ſie bloß den Durſt;
Sie weiß nichts mehr vom Jungfer-Kranz;
Sie lobet den Paruken-Schwanz;
Sie liebet eine rauche Muͤtze;
Ohnlaͤngſt trat ſie in eine Pfuͤtze;
Jhr Maͤulgen iſt als wie ein Sieb;
Die Liebe iſt ihr aͤrgſter Dieb.

Eine aus der Geſellſchaft aber reimte, großen - theils auf gut grobſchmiediſch, alſo auf eben ſolche vorſtehende Reime:

Mein Herr! ihr ſeyd als wie Hans Wurſt,
Jhr ſauft, und ſtillt nicht meinen Durſt;
Euch ſteht nicht der Magiſter-Kranz;
Jhr ſeyd ein Huͤndgen ohne Schwanz;
Jm Bett ſeyd ihr wie ein Schlaf-Muͤtze;
Jhr tretet gern in fremde Pfuͤtze;
Der Beutel iſt bey euch ein Sieb;
Jhr ſtehlt die Herzen, wie ein Dieb.

Das Thema war gluͤcklich durchgefuͤhrt; nur etwas zu plump und zweydeutig, weil es der Perſon, die es anging, ins Geſichte vorgeleſen wurde.

18. Frage.

  • Was faͤllet der Herr Candidat fuͤr ein Ur - theil von quodlibetiſchen Gedichten; und wo ſind ſolche am beſten anzubringen?

Antwort.

Ein Quodlibet iſt entweder eine Miſchung vieler Hiſtoriettgen, da alſo niemand das Ge - dichte recht verſtehet, als wem die Geſchichtenbekannt99fuͤr einen Froſchmaͤusler. bekannt ſind; oder es iſt ein Miſchmaſch aben - theuerlicher verſtaͤndlicher Begebenheiten, wenn man z. E. beſchreiben will, wie toll es in der Welt zugehe; oder endlich ein Miſchmaſch verwirrter Phoͤbus-Ausdruͤcke und Galima - thias. Die erſte Art wird fuͤr ſatyriſch, die andere fuͤr zeitvertreibend, die letzte Art fuͤr naͤrriſch gehalten. Jn allen Arten brauchet man gemeiniglich das Hans-Sachſen-Genus, oder da lauter weibliche Reime ſind, da ſich immer zwey und zwey unmittelbar auf einan - der reimen, als:

  • 1) Probe eines verdeckten Quodlibets, da - zu der Schluͤſſel derer angebrachten Hiſtoriet - ten fehlt:
    Ja freylich! wenns nur ein Paar Schuh, und nicht
    ein mehrers, koſtet:
    So waͤr bey Jungfer Marcipill mein Eiſen nicht ver -
    roſtet.
    Du guter Stax! betreug dich nicht! du wollteſt Pfirs -
    ken langen.
    Hans findet eine taube Nuß, der Kern iſt ihr entgan -
    gen.
    Du alter Beſen fegſt nicht mehr, geh, geh nur, du
    Runkunkel;
    Still, ſtill; die Mutter ſieht es nicht; der Mond
    ſcheint, es iſt dunkel.
    Ey ſeht mir doch die Großmuth an, der ſchenket mir
    ſechs Dreyer!
    Nun ja, wo nicht gar den Hans Wurſt, der waͤr ein
    beſſrer Freyer.
  • 2) Probe eines zeitvertreibenden Quodli - bets, das jeder verſtehen kann:G 2Jhr100Dreyßig Frageſtuͤcke
    Jhr Junggeſellen, hoͤrt mich an: Greift nicht nach
    tauben Nuͤſſen!
    Die Dorgen laͤßt ſich vom Galan bereits auf Abſchlag
    kuͤſſen.
    Die Fieckgen thut ſo zipperlich, als haͤtt ſie nie gena -
    ſchet;
    Ey, ey, die Jungfer Fiedlemich hab ich beym Knecht
    erhaſchet.
    Geh weg, du alter Ehe-Geck, ich mag nicht deine
    Poſſen!
    Mein alter Graubart iſt gewiß mit Haſen-Schrot ge -
    ſchoſſen.
    Jch bin ein junges muntres Weib, und habe keine
    Kinder,
    Macht mir doch einen Zeitvertreib. Pack dich, du ar -
    mer Suͤnder!
  • 3) Probe eines verwirrten Quodlibets, daraus kein Teufel den Zuſammenhang der Gedanken errathen kann:
    Potz Pliederwitz! Du Geckelmann! Ey Jungfer
    Marcipille!
    Wie theuer koſtet euer Latz? Was macht die mit der
    Spille?
    Geh, Gretſchelfuß! Mein Herr, mit Gunſt! ey ſchaut
    mir doch den Affen!
    Hans Wurſt, vergreif dich nicht an mir; ich weiſe
    dich zum Pfaffen.
    Du, altes Leder! taugſt nicht mehr zu Schuhen oder
    Struͤmpfen.
    Der Wenzel ſticht; mein kleiner ſchlaͤft; leiht mir von
    euren Truͤmpfen.
    Da ſtehet nun der alte Gaul! Frau, dein Mann iſt
    marode.
    Vor Liebe ſtirbt ein Jungfer-Ding. Sing, Liesgen,
    eine Ode.
19. Fra -101fuͤr einen Froſchmaͤusler.

19. Frage.

  • Was ſind des Herrn Candidatens Gedanken von Teller-Reimen, oder da man einen Reim unter einen Teller ſchreibet, und alle die Reihe herum ſo lange fortreimen, bis kein Reim mehr darauf zu erfinden iſt?

Antwort.

Jch ziehe ſolche Luſt weit allen Helden-Liedern vor. Denn es kommt Zeug zuſammen, da alle Schmiede-Hammer E. loͤblichen Froſchmaͤus - ler-Geſellſchaft nicht zureichen wuͤrden, ſolche Gedanken alle zuſammen zu loͤten. Es muß aber jedem ein eigner Reim aufgegeben, und ſolche hernach zuſammen abgeleſen werden: So kommen oft recht poßirliche Einfaͤlle zuſammen. Z. E. der Teller-Reim ſey: Freyer.

  • Ausfuͤhrung durch alle erfindliche Reime:
    Jch glaub es ſelbſt, die Dorilis haͤtt gerne einen
    Freyer.
    Der guten Fieckgen ihr Galan hat mehr nicht, als zwey
    Eyer.
    Ey! hoͤrt mir doch den Pfaffen an, das iſt ein rechter
    Schreyer!
    Fuͤr Liesgens ganze Jungferſchaft gaͤb ich nicht einen
    Dreyer.
    Die Weiber werden itzt wohlfeil, die Jungfern aber
    theuer.
    Charmirt denn unſer Witwigen ſogar auch unterm
    Schleyer:
    Jch geh, mein Braͤutel, auf dich los, als wie ein Falk
    und Reiher.
    Steht euch, mein Herr, das Weib nicht an, geht, ap -
    pellirt nach Speyer.
    G 3Da102Dreyßig Frageſtuͤcke
    Da geht ein alter Hahnrey hin; ſo hole mich der Geyer.
    Braucht ihr etwa ein friſches Pferd: So geht zum
    Pferde-Leiher.
    Es war ein großer Doctor einſt, der hieſſe Doctor
    Meyer.
    Ein Geizhals denkt nur an das Geld und ſein Korn in
    der Scheuer.
    Heut aͤß ich gerne einen Hecht, holt ihn aus jenem
    Weyher.
    Mein Herr! nur noch acht Groſchen her, ſonſt thu ichs
    nicht, verzeih er.
    Es ſchmeckt ein alter rheinſcher Wein wol beſſer, als
    ein neuer.
    Jch kenn ein artlich Dingelgen, ihr Vater hieſſe
    Beyer.
    Du biſt mir auch der rechte Kauz, Damon bleibt mir
    getreuer.
    Vorm Jahre golt die Jungferſchaft, wie viel gilt ſie
    denn hener:
    Mein altes garſtig runzlich Weib ſpielt ihre alte Leyer.
    Der geht im Degen recht galant, und iſt doch nur ein
    Braͤuer.
    Gewiß, ich haͤtt es nicht gedacht, Claringen hat viel
    Feuer.
    Was wett ich, Jungfer Liebeskind thut mirs fuͤr einen
    Zweyer!
    Jhr ſchicket euch auf jedes Pferd, mir aber wirds viel
    ſaͤuer.

20. Frage.

  • Geben nicht auch die Loſungs-Reime eine beſondere Kurzweil ab; und verſtehet der Herr Candidat, was wir dadurch meynen?

Antwort.

Meines Behalts nimmt man ein poetiſches Spruch-Kaͤſtgen, in deſſen erſten Fache dieManns -103fuͤr einen Froſchmaͤusler. Mannsperſon oder das Frauenzimmer einen Vers herausziehet, darauf ſtehet, von was Stan - de die Liebſte oder der Liebſte ſeyn werde, ob von adlichem, buͤrgerlichem oder Bauern-Stande? Aus dem andern Fache: Wie alt? Ob er ein Junggeſell oder Witwer, und ob man eine Jung - fer, Witwe oder Hure bekommen werde. Jm dritten Fache ſtehen Reime: Ob die Liebſte oder der Liebſte werde ſchoͤn oder garſtig ausſehen? Jm vierten: Ob das Geliebte werde reich oder arm feyn? Jm fuͤnften: Ob es geſchlanken Leibes, oder puckligt, mit einer Kruͤcke, mit ei - nem abgeſchoſſenen Beine, ohne Naſe, und oh - ne ſonſt was ſeyn? Jm ſechſten Fache: Von was Gemuͤths-Eigenſchaft? Ob das Geliebte ehrgeizig, geldgeizig, oder wolluͤſtig ſeyn werde? Ob es werde extra gehen? Ob es ſich im Ehe - ſtande tapfer halten werde, oder nicht? Ob Kinder werden kommen, oder einer ein Hahnrey werden? Jm ſiebenten Fache: Wie das Ge - liebte mit dem Vornamen heiſſen werde? Jm achten Fache: Mit welchem Buchſtaben ſich der Geliebten Geſchlechts-Name anheben wer - de? Wenn nun viele in der Geſellſchaft ſind, und einer aufſchreibt, was in jedem Fache ein jedes gezogen, koͤmmt oft ein poßirlich Progno - ſticon heraus. Z. E. einer zog durch alle acht Faͤcher folgende Reime:

  • 1
    Bey einem Jaͤger werd ich einſt mein Lieb ausſpuͤ -
    ren;
    Nur gut, ich bins gewohnt, in Wald und Thal
    zu gehn;
    G 4Auch104Dreyßig Frageſtuͤcke
    Auch werd ich ihre Hand zu meiner Buͤchſe fuͤhren,
    Und ſagen: Liebes Kind, dir ſoll kein Leid geſchehn,
    Die Kugeln ſollen bloß vorm Loche liegen bleiben,
    Jch will in deiner Fluhr mir ſchon die Zeit ver -
    treiben.
  • 2
    Auf eine Jungfer hatt ich mich zwar ſehr geſpitzt,
    Doch ihre Jungferſchaft iſt ziemlich abgenuͤtzt;
    Das Schickſal winket mir, ich ſolle mich nicht graͤ -
    men,
    Und lieber eine Hur, als Mode-Jungfer, nehmen.
  • 3
    Ein haͤßlich Raben-Aas ſoll ich ins Ehbett fuͤhren,
    Und mir, man denke nur, noch disfalls gratuliren.
  • 4
    Mein Weib wird einſt nicht reich, vielmehr ſo blut -
    arm ſeyn,
    Daß ich mich faſt beſinn, ob ich ſie wolle freyn.
  • 5
    Ey was? ein puckligt Weib? Doch, hat ſie ſo viel
    Thaler,
    Als wie ihr Puckel wiegt: So mache ich ſie kahler.
  • 6
    Ein Brandtwein-Bluͤhmgen iſt mir einſt zur Eh
    beſtimmt,
    Wofern ich dieſes weiß, ein Schelm, der ſolche
    nimmt.
  • 7
    Ein Urſelgen ſoll mich einſt Schatz und Liebſten
    nennen,
    Komm, liebes Urſelgen, ich wuͤnſche dich zu kennen.
  • 8
    Vom X nennt ſich mein Weib: So heißt ſie wol
    Xantippe;
    Wenn ſie nun nach mir ſchmeißt, kriech ich in eine
    Klippe.

Jch halte dafuͤr, daß die meiſten von dieſen Rei - men nach froſchmaͤusleriſchem Geſchmacke, das iſt, fein ſaftig und zweydeutig eingerichtet, mithin ſehr wohl geſetzet ſind.

21. Frage.

  • Wie ſind die Leber-Reime am beſten einzu - richten, weil zumal mancher druͤber langeſchwitzt,105fuͤr einen Froſchmaͤusler. ſchwitzt, ehe er deren etliche zu Markte bringen kann?

Antwort.

Der gewoͤhnliche Schlendrian von Leber-Rei - men iſt dieſer, daß man den erſten Vers alſo anfaͤngt: Die Leber iſt vom Hecht; hierauf macht man einen Gegenſatz von andrer Thiere Lebern, es ſey nun vierfuͤßiger oder kriechender Thiere, oder Gevoͤgel. Alsdenn reimt man was drauf, ſo iſt der Leber-Reim fix. Zur Probe will ich etliche Dutzend Leber-Reime fuͤr die Ungeuͤbten herſetzen, daß ſie einige Modelle haben, als:

  • 1
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Kater:
    Sagt mir, Herr Nachbar, doch, ſeyd ihr zum Kinde
    Vater:
  • 2
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Hum -
    mer:
    Der Erden Phoͤbus wacht, der meine liegt im
    Schlummer.
    Oder auch:
  • 3
    Es macht der Liebes-Gott manchem ſehr vielen
    Kummer.
  • 4
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einer Otter:
    Ein Leipzger Maͤdgen iſt das Gelbe in dem Dotter.
  • 5
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Geyer:
    Mein liebes Dorigen, nehm ſie mich doch zum Freyer.
  • 6
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einer Katze:
    Jch ſtehle keinen Kuß, daß Fieckgen mich nicht kratze.
    Oder auch:
  • 7
    Herr Nachbar! ſeine Fauſt gleicht einer Baͤren -
    Tatze.
    Oder:
  • 8
    Ein Maͤulgen gebe ich itzt meinem Ehe-Schatze.
    G 5Oder:106Dreyßig Frageſtuͤcke
    Oder:
  • 9
    Jm Sommer brauch ich gern ein Maͤdgen zur Ma -
    dratze.
  • 10
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Finken:
    Herr Nachbar, bring ers zu, ich moͤgte gerne trin -
    ken.
    Oder:
  • 11
    Ein Pfal im Fleiſche haͤlt gar oftermals vier
    Schinken.
  • 12
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Heng -
    ſte:
    Es prahlet mancher gern, ſein Degen ſey der laͤngſte.
  • 13
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einer Gans:
    Wie manche kaufte ſich gern einen Jungfer-Kranz.
    Oder:
  • 14
    Stax ſchlendert wie ein Hund mit einem kurzen
    Schwanz.
  • 15
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem
    Schwein:
    Die Maͤdgen halten ſich am Obertheile rein.
    Oder:
  • 16
    Mein angenehmes Kind! ich bin nunmehro dein.
    Oder:
  • 17
    Ach! duͤrft ich, Dorilis, dein Oberbette ſeyn!
  • 18
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Staar:
    Viel Jungfern ſind verliebt, das iſt gewißlich wahr.
    Oder:
  • 19
    Die Jungferſchaft iſt itzt bey pfluͤcken Maͤdgen rar.
    Oder:
  • 20
    Nicht wahr, ich werde noch mit dir, mein Kind, ein
    Paar.
    Oder:
  • 21
    An alten Weibern iſt wol ſchwerlich ein gut Haar.
  • 22
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einer Katz:
    Mit Gunſt, ich gebe ihr, Frau Nachbarn, einen
    Schmatz.
  • 23
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht vom Wiedehopf:
    Jch denke, wie ich itzt mir meinen Magen ſtopf.
24107fuͤr einen Froſchmaͤusler.
  • 24
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einer
    Schmerl:
    Ein ſchoͤnes Weib gilt mehr, als wie die ſchoͤnſte
    Perl.

22. Frage.

  • Es giebet auch Raͤthſel-Reime, wie ſind ſol - che auf gut froſchmaͤusleriſch einzurichten?

Antwort.

Sie muͤſſen fein zweydeutig geſetzet werden, daß man ſie allemal auch aufs Liebes-Spiel, und die dazu gehoͤrige Haupt-Theile, deuten kann. Z. E. ein halb Dutzend Raͤthſel zur Probe:

  • 1
    Unten rund, und oben ſpitz,
    Jn der Mitte hat es einen Ritz.
    Jſt ein Kirch-Thurm, der in der Mitte
    ein Kaploch, oder Fenſtergen, hat.
  • 2
    Rath, rath: Es ſiehet ringsrum rauch,
    Und hat ein Loch, das ſehr im Brauch.
    Jſt eine Parucke.
  • 3
    Oben rauch, und unten rauch,
    Jn der Mitte laͤuft der Saft heraus.
    Jſt ein ſolches Auge, das ſtarke Haar -
    Wimpern hat.
  • 4
    Von Bergen ſteigt man in das Thal,
    Der Weg zum Pfoͤrtgen iſt gar ſchmal.
    Jſt eine Veſtung mit einem Einlaß -
    Pfoͤrtgen.
  • 5
    Vier Schinken an einem Stiel
    Machen das beſte Spiel.
    Jſt Spadille und noch vier Matadors,
    als Manille, Paſta, Ponto, Roy.
  • 6
    Es will gar oft gedrucket ſeyn,
    Sonſt dringt der Stempel nicht hinein.
    Jſt eine Preſſe, Formen abzudrucken.
23. Frage.108Dreyßig Frageſtuͤcke

23. Frage.

  • Wie ſind die heute zu Tage uͤblichen Deviſen nach den Regeln der Hans-Sachſen - und kriechenden Poeſie am fuͤglichſten einzu - richten?

Antwort.

Es wird ein Zettelgen mit einem Paar deut - ſchen oder franzoͤſiſchen Reimen in ein Gebacke - nes von Kraft-Mehl verſtecket, das unterſchie - dene Figuren vorſtellet, z. E. einer Thee-Taſſe, Pflaume, Pfirſchken-Kerns, Stiefels, Schu - hes, Birn, Apfels, Kirſche, und was die De - viſen-Becker alles angeben. Damit es nun was zu lachen gebe, muͤſſen die Deviſen fein leichtfertig, zweydeutig, oder auch ſtachlicht eingerichtet ſeyn: So heiſſen es froſchmaͤusle - riſche Deviſen. Sind ſie aber ſo trocken weg, daß kein Witz dahinter ſteckt: So heiſſen es Hans-Sachſen-Deviſen. Z. E.

  • I. Probe von froſchmaͤusleriſchen, zwey - deutigen und ſtachlichten Deviſen, als:
    • 1
      Jch ſpitze mich auf einen Mann,
      Weil ich es nicht erwarten kann.
    • 2
      Jch freye bloß des Geldes wegen,
      Jch weiß das Geld ſchon anzulegen.
    • 3
      Jch halte, glaubt mirs, viel von Voͤgeln,
      Von Reiten, Fechten, Schacht und Segeln.
    • 4
      Von Huͤgeln ſteig ich gern ins Thal,
      Wenn gleich der Fußſteg ziemlich ſchmal.
    • 5
      Jch liebe mehr nicht, als nur eine,
      Doch frag ich, hat ſie eine reine,
      Jch meyne Liebe, gegen mich:
    • 109
    • 6
      Jch treffe in das Schwarze gern,
      Jch ſchieß vorm Dorf, und in die Fern.
  • II. Probe von einem halben Dutzend Hans - Sachſen-Deviſen, als:
    • 1
      Erkenne doch die Liebe mein,
      Und raͤume mir dein Herzgen ein.
    • 2
      Mein herzallerliebſtes Maͤdgen,
      Frage nicht, ob ich was kann:
      Ach! bey deinen weiſſen Waͤdgen
      Koͤmmt mir flugs ein Luͤſtgen an.
    • 3
      Grieta, allerliebſtes Schaͤtzle,
      Du laͤßt mir gar keine Ruh,
      Hat dein Herze nicht ein Plaͤtzle
      Jrgend als wie zwey Paar Schuh:
      Je, ſo laß mich auf der Spitze
      Nur ein wing darnieder ſitze.
    • 4
      Liſettgen, nimm doch mich,
      Denn einzig lieb ich dich.
      Jch ſchwoͤr bey meiner Meeſen-Pfeife
      Jch will an keiner mich vergreife.
    • 5
      Ein Gruͤbgen im Backen,
      Ein Schelmgen im Nacken,
      Von Herzen getren,
      Es bleibe dabey.
    • 6
      Gib, Kind, mir entweder deine,
      Deine Liebe, die ich meyne,
      Oder ich mag ſonſten keine.

24. Frage.

  • Was haͤlt der Herr Candidat von Geſund - heits - oder Trink-Reimen, wie ſind ſolche auf gut froſchmaͤusleriſch abzufaſſen?

Antwort.

Wenn einem ein Glas Wein zugebracht wird, daß, indem der andre einem den Pocal-Deckel uͤberreichet, und den Pocal indeß austrinkt, manſich110Dreyßig Frageſtuͤckeſich auf einen Vers gefaßt halten muß; iſt es gut, daß man zum voraus auf einige Reime ſtu - dire, weil ſie einem ſonſt nicht flugs einfallen moͤgten. Die neuen Poeten aber verlangen, daß man aus dem Stegereif reimen, und wol noch dazu in der Jnwention, darinn der Nach - bar angefangen, die Geſundheit weiter fortbrin - gen ſolle. Aber da moͤgte es bey manchem ha - pern, daß er ſich lange beſinnen muͤßte. Dar - um reime er, ſo gut er kann, als:

  • 1
    Jch darfs nicht vor den andern wagen,
    Sonſt wollt ich dir, mein Kind, was ſagen.
  • 2
    Jch liebe eine Brunette,
    Ausgenommen eine Coquette.
  • 3
    Wofern der Tod mein Weib hinrafft,
    Kauf ich mir eine Jungferſchaft.
  • 4
    Von Kuͤſſen eil ich gern aufs Kiſſen,
    Jch halte nichts von tauben Nuͤſſen.
  • 5
    Ein jung Weib und ein treuer Freund,
    Nebſt Geld und Gut, mir lieblich ſcheint.
  • 6
    Es lebe der Wirth mit ſeinem Gemahl,
    Jch ſchmauſe drauf los, weil ich nichts bezahl.

25. Frage.

  • Koͤnnen nicht auch die Studenten - und an - dere Chemper-Liedgen auf gut froſchmaͤus - leriſch eingerichtet werden?

Antwort.

Ach ja! die meiſten Chemper-Lieder ſind mit Hans-Sachſen-Reimen und kriechenden Ein - faͤllen ausgeſpickt, z. E. das Studenten-Liedgen:

Das iſt ein brav Student,
Der alles recht erkennt,
Was eitel, was eitel;
Hat er kein Geld im Beutel:
So111fuͤr einen Froſchmaͤusler.
So hat er doch ein Herz,
Das achtet allen Schmerz
Fuͤr eitel, fuͤr eitel.

Unter andern kommt folgende vollkommen froſch - maͤusleriſche oder ſchlammigte Paſſage in ſol - chem Liedgen vor:

Denn bringt er auf die Bahn
Den großen Dulcian,
Und ſpielet, und ſpielet,
Bis ſie den Kuͤtzel fuͤhlet;
Er ſitzt im Sattel veſt,
Und ſtoͤhret in das Neſt,
Er zielet, er zielet.

Die E. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft beſitzet eine wichtige Sammlung von aufgekauften Chem - per-Liedern, die auf oͤffentlichen Maͤrkten und in Winkel-Laͤden bey kleinen Buͤcher-Kraͤmern verkauft werden, welche als nuͤtzliche Modelle, die Reimſchmiede-Kunſt und kriechende Poeſie mehr zu perfectioniren, koͤnnen gebrauchet werden.

26. Frage.

  • Was verſtehet der Herr Candidat durch die Kyauiſche, oder lorkende, und Borkes - Poeſie?

Antwort.

Es wird erzehlet, daß der aufgeweckte ehe - malige Graf Kyau einsmals in Vorſchlag ge - bracht, eine Praͤmie darauf zu ſetzen, wer den allerzotigſten Vers herausbringen koͤnne; da er denn alle andre herunter certiret, und den Preis bekommen, weil er alſo gereimet:

Zwiſchen dem A .. und der V .. iſt ein
Damm,
Jn112Dreyßig Frageſtuͤcke
Jn beyden ſtecket vieler Schlamm:
Sollte nun dieſer Damm zerreiſſen,
Wie wuͤrde der A .. die V .. beſch ...[:]

Ein andermal hat eben dieſer Herr von Kyau alſo den hoͤchſtſeligen Koͤnig bey einer gewiſſen Tour angeredet:

Gegruͤßet ſeyſt du, Landes-Gott,
Jetzt treten herein mit Schimpf und Spott
Ein Narr, eine Hure und ein Hundsfot.

Eine dergleiche Art zu reimen aber, ſonderlich die erſte ſaftige, iſt die hoͤchſte Stuffe der Grob - ſchmieds - und Miſtkaͤferiſchen Poeſie. (S. anderes Probeſtuͤck, § 14.) Sie heiſſet auch die lorkende Poeſie; denn, wenn einer mit der ſogenannten Sau-Glocke laͤutet: So ſagt man: Der kann recht lorken! Wie man auch ein Maſt-Schweingen maͤnnlichen Geſchlechts pfle - get einen Bork zu nennen: Alſo iſt die Borkes - Poeſie ſo viel als ein Miſchmaſch lauter Zo - ten, die denen zuͤchtigen Ohren als unflaͤtig vor - kommen, jedoch genug Liebhaber bey gewiſſen Perſonen vom Stande und dem Poͤbel finden. Weil auch einer unſerer ſtaͤrkſten Gegner der Brockes in Hamburg iſt: So iſt, mit einer kleinen Verſetzung der Buchſtaben, die Bor - kes-Poeſie der Poeſie eines Brockes gerade ent - gegen geſetzet; indem dieſe zwar auch in viel Ge - heimniſſe der Natur dringet; aber die Bor - kes-Poeſie wuͤhlet im Schlamme und heimli - chen Gemaͤchern. Man pfleget auch endlich zu ſagen: Das war eine rechte Grumpe! das war eine derbe Broke! alſo koͤnnte man hier -nach113fuͤr einen Froſchmaͤusler. nach der lorkenden Poeſie auch andre Beyna - men geben. Doch heiſſet ſie, zur Ehre des Erfinders, die Kyauiſche, ſonderlich, weil er den Preis ehedem davon getragen, daß er in hoc genere carminum die andern Reim - Schmiede und Poeten uͤbertroffen habe. Wir uͤberlaſſen aber unſern poetiſchen Miſt-Kaͤfern und Grob-Schmieden, ſich in der Kuͤhſaui - ſchen oder Kyauiſchen Borkes-Poeſie hervor - zuthun.

27. Frage.

  • Was verſtehet der Herr Candidat wol durch den poetiſchen Koller?

Antwort.

Es iſt eine Spruͤchworts-Rede, wenn man ſaget: Der hat den Koller! Man ſagt es ei - gentlich von Pferden. Ein kollrigt Pferd iſt entweder ſonnenſtutzig, daß es toll wird, wenn es ſtark von der Sonnen-Hitze, oder in heiſſen Tagen von den Stech-Fliegen geſtochen wird; oder es iſt ſtoͤckiſch, und bleibt eine Weile auf einem Flecke ſtehen, man mag es ſpornen wie man will, ehe man ſichs aber verſiehet, reißt es mit einem aus, und hebt einen aus dem Sattel; oder endlich iſt es ſcheu, daß es ſich vor jedem rauſchenden Blatte und am Wege liegenden Steinhaufen ꝛc. entſetzet, da ihm der Koller ankoͤmmt, daß es entweder einen weiten Satz auf die Seite thut, oder ſich mit einem im Kreiſe herum tummelt, daß man ſchwindlich werden moͤgte. Nach dieſen drey Arten des Pferde -HKollers114Dreyßig FrageſtuͤckeKollers kann man auch den poetiſchen Koller in drey Haupt-Claſſen eintheilen. Es giebt 1) ſonnenſtutzige Poeten, die in denen Hunds - tagen zu reimen am aufgelegteſten ſind; 2) ſtoͤk - kiſche, oder tuckmaͤuſeriſche, die ſich mit ihrer Poeſie eher nicht herauswagen, bis ſie den rech - ten Mann, der ſie reizet, vor ſich ſehen. Zu andrer Zeit wuͤrden ſie ſich poetiſche Schnipgen ſchlagen laſſen. Aber, wenn man ihr empfind - lich Puͤnktgen trifft, kriegen ſie den Koller. 3) Die lichtſcheuen Poeten heiſſen bey unſern Gegnern Pasquillanten, weil ſie mit ihren maſ - ſiven Auflagen ſo in den Tag hinein kollern, daß, wenn es nach der Zeit herausgekommen, mancher ſolcher kollernden Poeten auf den Ve - ſtungs-Bau, oder in ein Tollhaus, gebracht worden. Jch kenne einen guten Freund, der das Malheur hatte, faͤlſchlich fuͤr einen melan - choliſchen Kopf ausgeſchryen, und ohne die geringſte Unterſuchung in ein dergleichen Haus gebracht zu werden. Es diente ihm aber dazu, daß er alldort viele kollernde Poeten kennen lernte, uͤber deren kollrigte Einfaͤlle er manch - mal herzlich lachen muͤſſen. Unſere Gegner, die großen Dichter, gerathen manchmal in ein ſol - ches poetiſches Feuer, das vom poetiſchen Kol - ler nur ein Haar breit entfernet iſt. Jch be - halte mir vor, mit der Zeit den andern Theil dieſes ganzen Werkes herauszugeben, deſſen Ti - tel ſeyn duͤrfte: Aehnlichkeit vieler Stellen in den groͤßten Poeten voriger und jetzigerZeit115fuͤr einen Froſchmaͤusler. Zeit, mit den Regeln der Reimſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie. Voritzo aber will nur ſoviel ſagen: Exempla ſunt odioſa!

28. Frage.

  • Gerathen nicht auch die Froſchmaͤusler-Poe - ten zuweilen ſo gut in eine Ecſtaſin poëticam und Enthuſiaſmum poëticum, oder poeti - ſche Entzuͤckung, als wie ihre Gegner; und wie differirt die poetiſche Enthuſiaſte - rey vom poetiſchen Koller?

Antwort.

Die poetiſchen Traͤumer, wenn ſie wachend ſolche Dinge dichten, die einem kaum im Trau - me einkommen, oder wenn ſie ſolche Traͤume in Reime zwingen, davon man ganz deutlich mer - ken kann, daß es ihnen nur ſo getraͤumet, ſchrei - ben ordentlich in Ecſtaſi poëtica. Sie ſind auf den Helicon und Parnaß entzuͤckt geweſen, wo ihnen der Hypocrenen-Saft in den Kopf geſtiegen, und der Goͤtter-Trank des Apollo mit ſeinen neun Muſen ſie trunken gemacht. Jn der poetiſchen Entzuͤckung pflegt man auch wol, weil ein anderer Affect, z. E. der Traurig - keit, praͤdominiret, die liebſten Schooß-Kinder uͤbel anzulaſſen. So iſt ja die Poeſie ein Mi - gnon der Poeten; und doch ſchrieb jene poeti - ſche Feder in einem gewiſſen Trauer-Gedichte:

Verwuͤnſchte Dichter-Kunſt! Verhaßte
Poeſie!

Das arme Schooß-Kind, die Poeſie, ſahe ihre Mutter mit Beſtuͤrzung uͤber dieſen AusdruckH 2an;116Dreyßig Frageſtuͤckean; befand aber, daß ſolche in einer poetiſchen Entzuͤckung lag, und eben in ſolcher ihres lie - ben Schooß-Kindes vergeſſen, ja ſolches ver - wuͤnſchet hatte. Wenn man die ehemalige Promotions-Gedichte des Leipziger Profeſſors Erneſti aus dem Lateiniſchen in deutſche Verſe uͤberſetzte, wo er eines jeden Lebenslauf zugleich in die Ausfuͤhrung eines moraliſchen Thematis mit hineinbrachte, wuͤrde man ſehen, daß ſolche groͤßtentheils in einem Enthuſiaſmo poëtico geſchrieben worden. Z. E. er gratulirte einem neugebackenen Magiſter, und wollte mit beruͤh - ren, daß er bey dem ſel. D. Pfeiffer Collegia gehoͤrt; ſein Haupt-Thema aber war, die vie - lerley Arten des Kreuzes in der Welt zu be - ſchreiben: So ſchmiedete er beydes alſo zuſam - men:

Pfeiffero magno dorſi incuruatio crux eſt.
Dem großen Pfeiffer iſt ſein Puckel auch ein
Kreuz.

Haͤtte es ein anderer geſchrieben, wuͤrde man es fuͤr eine Raillerie, daß der ehrliche Mann ſehr klein und ſtark ausgewachſen geweſen, ange - nommen haben; aber von dem Profeſſore poë - ſeos wußte man ſchon, daß es ihm nur zu thun war, es mit hinein zu bringen, daß der Candi - dat bey D. Pfeiffern hauptſaͤchlich Collegia ge - hoͤrt habe.

Die poetiſche Enthuſiaſterey iſt von dem poetiſchen Koller eben ſo unterſchieden, als zwey widerwaͤrtige Affecten. Laͤuft es auf hoͤchſt -getrie -117fuͤr einen Froſchmaͤusler. getriebene anmuthige Fantaſeyen hinaus: So hat der Poete in ecſtaſi oder Entzuͤckung gele - gen. Faͤngt er aber an zu ſtrampeln, zu ſchnau - ben, zu toben, und treibet die Ausdruͤckungen unangenehmer Empfindungen aufs hoͤchſte: So ſaget man, er habe den poetiſchen Koller gehabt.

29. Frage.

  • Sind nicht die froſchmaͤusleriſchen Abend - Staͤndgen eine Miſchung der poetiſchen Entzuͤckung und des poetiſchen Kollers?

Antwort.

Es ſcheinet beym erſten Anblicke ſehr ſchwer, ja ohnmoͤglich zu ſeyn, daß zwey ſo widerwaͤrti - ge Affecten, als die Entzuͤckung und der Kol - ler, ſollten zugleich Statt finden. Aber weil in ſolchen Faͤllen eine Miſchung des Angenehmen und Unangenehmen oͤfters bey dem iſt, der das Staͤndgen bringet; indem es ihm angenehm, wenn er ſeine Schoͤne am Fenſter ſiehet; unan - genehm, daß er nicht in ihrer Schlaf-Kammer iſt: So laſſen ſich alſo in ſolchen Faͤllen die poe - tiſche Entzuͤckung und der poetiſche Koller ganz wohl zuſammen reimen. Ja eines bietet dem andern die Hand. Denn wenn dem Amanten der Koller einkoͤmmt, daß er nicht bey ſeiner Schoͤne im Bette ſeyn kann: So macht er ſich, wenn ſolches geſchaͤhe, zum voraus die ſuͤßeſten Vorſtellungen, und geraͤth alſo in eine poetiſche Entzuͤckung. Erholt er ſich aber daraus, und uͤberlegt, daß die kleine Gefaͤlligkeit, da ſeineH 3Schoͤne118Dreyßig FrageſtuͤckeSchoͤne ſich aus dem Bette bemuͤhet, und an das Fenſter getreten, nicht ſo viel Thaler werth ſey, als das Staͤndgen gekoſtet; oder aber er wird gar gewahr, daß ſie entweder ſein Staͤnd - gen im Schlafe nicht hoͤret, alſo er es ihr ver - gebens wuͤrde gebracht haben; oder wo ſie es auch hoͤret, dennoch es ihm verdrießlich faͤllt, wenn ſie ſo commode iſt, im Bette liegen zu bleiben, und ihn vorm Fenſter paſſen zu laſſen: So kann ſich natuͤrlicher Weiſe ſeine vorherige Entzuͤckung in einen Koller verwandeln, daß er mit den Jnſtrumenten zu raſen anfaͤngt, um ſie aus dem Schlafe zu erwecken, oder ihr durch den Jnſtrumenten-Laut zu verſtehen zu geben, ſie ſolle ſich am Fenſter praͤſentiren.

30. Frage.

  • Was heiſſet wol endlich die poetiſche Schlaf - ſucht und Ohnmacht?

Antwort.

Wenn der Poete von gar vielen Reimen ſo matt und entkraͤftet iſt, daß man aus ſeinen Ver - ſen errathen kann, er ſey daruͤber eingeſchlafen, oder habe andre mit ſeiner Poeſie eingeſchlaͤfert: So ruͤhret ſolches von einer poetiſchen Schlaf - ſucht her. Wenn aber der kriechende Poete alle ſeine Pfeile gegen ſeinen Gegner verſchoſſen, und dennoch ſolcher ihm das Feld noch nicht raͤumen will, ſondern ſo trotzig iſt, ihm ſeinen poetiſchen Helm, darauf er ſich verließ, zu neh - men, und ganz darnieder zu legen, oder in die Flucht zu ſchlagen, daß er aus dem Athem koͤmmt,wenn119fuͤr einen Froſchmaͤusler. wenn er weiter in Reimen mit ſeinem zu ſtarken Gegner anbinden wollte: So verſinket er ganz natuͤrlicher Weiſe in eine Ohnmacht, und man ſagt: Er habe ſich nun ganz verſchoſſen!

Fuͤnftes Probeſtuͤck eines Candidaten der Froſchmaͤusler - Geſellſchaft.

  • Beſtehend in einem buͤndigen Erweiſe des hohen Vorzugs der Reimſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie vor der ſogenann - ten natuͤrlichen, maͤnnlichen und erhabe - nen Dichterey.

§ 1. Auf einen unbekannten Feind loszuge - hen, moͤgte unhoͤflich und gefaͤhrlich ſeyn. Man muß billig erſt ſeinen Gegner kennen, ehe man ihn anpacket. Wollte man blindlings drauf los ſtechen, ohne zu unterſuchen, ob derjenige, den man vor ſich habe, Freund oder Feind ſey: So koͤnnte es einem gehen, wie jenem unvor - ſichtigen Liebhaber. Der wollte ſeine Schoͤne, von Halle aus, zu Merſeburg beſuchen. Die - ſe war indeſſen, nebſt ihrem Bruder und Vet - ter, auf eine Kirmiß gefahren. Da hatte ſich ihr Bruder einen Rauſch getrunken, und der Kutſcher war auch beſoffen, daß er ohnweit Skopa nahe am Waſſer umwirft, daruͤber der Schoͤnen Bruder ſo en rage koͤmmt, daß er den Kutſcher toͤdtlich verwundet. Die Schoͤne eiletH 4in120Vorzug der kriechenden Poeſiein fliegenden Haaren bey dunklem Mondſcheine zu Fuße nach Hauſe. Jhr Amant weiß nicht, daß ſie es iſt; ſondern, weil ihm der Trunk und der Mond die Augen blenden, ſiehet ers fuͤr ein ſpuͤckend Geſpenſt an, und loͤſet, ohnweit dem Gelender, wo es ſo abſchuͤfrig hinunter gehet, eine Piſtol auf ſie. Zu gutem Gluͤcke ſtreift ihr die Kugel beym Kopfe vorbey, und er erkennt ſie an der Stimme. So koͤnnte mirs auch gehen, wenn ich meine poetiſche Gegner in der Furie flugs angreifen, und nicht erſt die Streit-Punk - te, nebſt den Kampf-Geſetzen des vorhabenden Turniers mit meinen Gegnern ohne Bitterkeit abreden wollte. Es ſoll auch hier heiſſen: Der Perſon Freund, und der Sache Feind. Jch nehme auf mich, die Reimſchmiede und kriechen - de Poeten zu vertheidigen. Wer hierinn nicht mit mir iſt, der iſt wider mich.

§ 2. Was iſt denn nun wol die neue ſo be - rufene natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Dichtkunſt? Es gehet mir beynahe ſo, wie vor zehn Jahren dem Wittenbergiſchen Profeſſori eloquentiae, Rath Kromeyer. Der hatte des damaligen Haͤlliſchen Profeſſors der deut - ſchen Redner-Kunſt, D. Johann Ernſt Phi - lippi, Jnaugural-Programma von der heroi - ſchen Beredſamkeit zu Geſichte bekommen, und ſchrieb nach der Zeit an dieſen Haͤlliſchen Red - ner: Er moͤgte ihm doch ſagen, was die heroi - ſche Beredſamkeit fuͤr Regeln habe; er ſey nun wol dreyßig Jahre Profeſſor eloquentiae, undhabe121vor der erhabenen Dichterey. habe noch nie hinter die eloquentiam heroicam, ſo ſich an keine Regeln binde, kommen koͤnnen. Dieſer verwieſe ihn auf die Aufloͤſung der Ge - danken in denjenigen Reden, die fuͤr Meiſter - ſtuͤcke einer heroiſchen Beredſamkeit paßirten. Er gab ſelbſt nach der Zeit ſechs deutſche Reden heraus, und ſetzte auf das Titel-Blatt: Nach den Regeln einer natuͤrlichen, maͤnnlichen und heroiſchen Beredſamkeit ausgearbeitet. Das war Waſſer auf die Muͤhle der Geſellſchaft der kleinen Geiſter, die dieſen Haͤlliſchen Redner in der Lob-Rede: Briontes der Juͤngere, ar - tig herum nahmen. Als dieſer hernach ſeinen Cicero Windbeutel, ſamt einem Anhange von acht Vertheidigungs-Schriften gegen ſo viel Scarteken herausgab, erklaͤrte er ſich wol etwas in der Schutz-Schrift: Gleiche Bruͤder, gleiche Kappen, was er durch die natuͤrliche, maͤnnliche und heroiſche Beredſamkeit ver - ſtuͤnde; er behielt ſich aber vor, mit der Zeit ſei - ne eigene Grund-Saͤtze davon ans Licht zu ſtellen, welches aber zur Zeit nicht geſchehen. Vielmehr iſt die ehemals angelegte neue Pro - feſſur in der deutſchen Beredſamkeit mit ihm gleichſam gebohren und geſtorben. Auch hat dieſer ehemalige Halliſche Redner ſo auſſeror - dentliche Stuͤrme eines widrigen Gluͤcks nach der Zeit ausgeſtanden, daß er nicht Zeit gehabt, an die Edirung ſeiner verſprochenen Grund-Saͤtze einer natuͤrlichen, maͤnnlichen und heroiſchen Beredſamkeit zu gedenken. Ja, ohnerachtetH 5derſelbe122Vorzug der kriechenden Poeſiederſelbe nunmehro ſeinem Advocaten-Metier wieder nachgehet, und anbey Secretair E. Loͤbl. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft iſt, mithin ich, als ein Candidate derſelben, nichts zu ſeiner Verun - glimpfung beytragen werde, wird er doch ſelbſt nicht in Abrede ſeyn, daß, wer den Zuſammen - hang ſeiner erlebten Fatalitaͤten nicht weiß, ſich von ihm ein ſeltſam Portrait mache, wo nicht gar ſein Name manchem verhaßt vorkoͤmmt. Da nun aber obgenannter Haͤlliſche Redner den Ausdruck von einer natuͤrlichen, maͤnnli - chen und heroiſchen Beredſamkeit am meiſten, wo nicht am erſten, gebraucht hat; dieſer aber noch unter die neuen Redner gehoͤrt, die denen alten den Rang nicht ſtreitig machen koͤnnen: So erhellet ſchon hieraus der Vorzug der alten Reimſchmiede-Kunſt und uralten kriechenden Poeſie vor denen ſo neuen Woͤrtern einer na - tuͤrlichen, maͤnnlichen und erhabenen Dich - terey.

§ 3. Ja, wenn es nicht ungewoͤhnlich, daß man eine an ſich gute Diſtinction alsdenn ver - wirft, wenn der Name deſſen, der ſie aufs Ta - pet gebracht, oder ſich deren am meiſten bedie - net, verhaßt wird: So darf ich nicht mich weiter erſt herauslaſſen, warum, bey angefuͤhr - ten Umſtaͤnden, die Diſtinction unter einer na - tuͤrlichen, maͤnnlichen und heroiſchen Poeſie eine Sache ſey, die ſich kurzum fuͤr unſere Geg - ner nicht ſchicke, ſich deren zu gebrauchen. Denn der Hr. D. Philippi, der ſolche am meiſten ehe -mals123vor der erhabenen Dichterey. mals als ein Haͤlliſcher Redner im Munde ge - habt, iſt nun auf unſere Seite getreten, und hat ſolche Diſtinction an unſre Froſchmaͤusler - Geſellſchaft freywillig abgetreten; folglich koͤnn - ten eher wir uns derſelben bedienen. Weil wir ſie aber als eine Novitaͤt in das Archiv unſe - rer Geſellſchaft geleget, bis mit der Zeit eine Antiquitaͤt und edle Reliquie daraus werde: So gehen alſo unſere Gegner in unſer Gehege, wenn ſie ſich dieſer Benennung bedienen, und ihre Dichtkunſt eine natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene benamſen.

§ 4. Jch will einen Verſuch thun, ob ich hinter die Geheimniſſe kommen koͤnne, was die neuern Poeten durch eine natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Poeſie verſtehen. So viel die er - habene Dichterey betrifft, iſt es ſchon aus den Worten klar, daß ſolche unſerer kriechenden Poeſie ſchnurgerade entgegen geſetzet ſey. Denn kriechen ſchickt ſich nicht zu dem, was erhaben iſt; und dasjenige, was wirklich in die Hoͤhe ſteiget, das ſtehet nicht in der Tiefe. Alſo ſind hier zwey Extremitaͤten, die einander aufheben. Ein erhabener Poete kann kein kriechender Dichter, und ein kriechender Dichter kann kein erhabener Poete ſeyn. Es ſind incompatibilia, oder Dinge, die ſich mit einander nicht vertra - gen, noch zuſammen verbinden laſſen. Noch mehr, es iſt eine ſolche natuͤrliche Antipathie und Feindſchaft zwiſchen erhabenen und krie - chenden Poeten, daß der kriechende ſich inachtnehmen124Vorzug der kriechenden Poeſienehmen muß, damit er nicht dem erhabenen un - ter den Abſatz kommt, und ſolcher ihn, gleich ei - nem kriechenden Wuͤrmlein, wo nicht vorſetz - lich, doch wenigſtens ohngefehr, zertritt. Hin - gegen iſt auch der erhabene Poet nicht geſichert, daß nicht der kriechende uͤber ſein Haupt hinweg, gleich gewiſſen Arten von Ungeziefer, kriechet. Ja, die erhabenen und kriechenden Poeten ſtehen gegen einander in terminis contradictoriis, oder daß einer dem andern ins Geſicht wider - ſpricht. Sie haben alſo jeder ſolche Grund - Begriffe, die dem andern als verkehrt und falſch vorkommen. Der erhabene Poete verwirft die Maximen eines kriechenden Poeten eben daher, weil ſie aufs Niedertraͤchtige abzielen; und hin - gegen der kriechende Poet haͤlt die Regeln eines erhabenen Poeten fuͤr eine poetiſche Ketzerey, weil er glaubt, er muͤſſe fein auf der Erde blei - ben, ſo koͤnne er nicht tief fallen; wer aber ſo hoch klettre, ſtehe alle Augenblicke in Gefahr, aus der Hoͤhe herab und in einen Abgrund zu fallen. Denn zwiſchen der Hoͤhe und aͤuſſer - ſten Niedrigkeit eines Gedanken iſt eine ſolche Kluft, die ſich nimmer ausfuͤllen laͤſſet. Ein niedertraͤchtiger Gedanke kann nimmermehr zu einem erhabenen werden; er faͤllt allezeit, wenn man ihn auch wie einen Stein in die Luft treibet, wieder nach dem Mittel-Punkte ſeiner Schwere zu. Der erhabene Gedanke kann nie zu einem kriechenden werden; denn durch ſeine Adlers-Natur ſchwingt er ſich allezeit wie -der125vor der erhabenen Dichterey. der in die Hoͤhe, wie das gedaͤmpfte Feuer, wenn es Luft bekoͤmmt.

§ 5. Aus dem angefuͤhrten erhellet nun ſo viel bereits zur Gnuͤge, daß die erhabenen und kriechenden Poeten gegen einander zwey Schlacht-Heere formiren, die ſtets mit einan - der zu Felde liegen, einander ſcharmuziren, at - taquiren und zu uͤberwaͤltigen ſuchen. Der er - habene Poet, wenn er ja den Kuͤrzern zoͤge, hat die freye Luft vor ſich, ſich immer hoͤher zu ſchwingen, daß ihm der kriechende poetiſche Wurm nicht nachkommen koͤnne. Der krie - chende Poete aber hat auch von der vorſichtigen Natur ſeine Frey-Staͤdte und Retirade-Oerter erhalten, naͤmlich die Fels-Loͤcher und Kluͤfte der Erden, ſich dahinein, gleich einer verſcheuch - ten Maus, zu verbergen. Es iſt alſo auch an keine Union oder Frieden zwiſchen erhabenen und kriechenden Poeten zu gedenken. Denn bey andern Friedens-Geſchaͤften geben beyde Theile nach, und laſſen etwas von ihren An - ſpruͤchen gegen einander ſchwinden; oder auch, ſie verwechſeln die Gebiete, und tritt einer dem andern was von ſeinem ab, dagegen er ſich in ein ihm gelegeneres Stuͤck Land des andern ſetzet. Aber der erhabene Poete kann ſo wenig von ſei - nen Anſpruͤchen gegen den kriechenden was fal - len laſſen, als ihm auch nichts von ſeinem Re - vier abtreten. Es wuͤrde ſonſt eben ſo heraus kommen, als wenn die Maus mit dem Fiſche accordiren wollte, der Fiſch ſolle auf der Erde,und126Vorzug der kriechenden Poeſieund die Maus wolle im Waſſer leben. Beyder Natur leidets nicht. Wollte der kriechende Poete ſich hoch verſteigen: So wuͤrde er in der Luft nicht Athem holen koͤnnen, auch bald den Schwindel bekommen. Wollte hingegen der erhabene Poete anfangen zu kriechen: So wuͤr - de ihn ſeine Leichtigkeit bald heben, und er der dicken ausduͤnſtenden Erden-Luft nicht gewohnt werden koͤnnen. Dieſemnach wird jeder Leſer erkennen, daß, weil ich die Partie der kriechen - den Poeten, als ihr Sachwalter und Geſchaͤfts - fuͤhrer, auf mich genommen, wenn die Sache vor dem Berg-Gerichte des Apollo zum Pro - ceß kommen ſollte, wir nicht alle beyde den Pro - ceß gewinnen, ſondern eine Part ſolchen noth - wendig verſpielen muͤſſe.

§ 6. Weil ich aber noch zur Zeit meinen eigenen Mann nicht habe, wie jener Schwabe im Treffen ſagte, der das Gewehr niederſtreckte, und meynte: Man ſolle ihm ſeinen Mann wei - ſen, mit dem er anbilden ſolle, da er denn ſich vielleicht in Guͤte mit ihm wuͤrde ſetzen koͤnnen, daß es des Schieſſens, Hauens und Stechens nicht beduͤrfe: So gleiche ich alſo einem Par - theygaͤnger oder Huſaren, der da eine Streife - rey in des Feindes Avant-Garde, oder auch ei - nen Satz in die Arriere-Garde thut, und, was er geſchwinde niederſchlagen oder erbeuten kann, fuͤr ſich ſelbſt behaͤlt. Sollte ich aber von vie - len dieſerhalb angefochten werden: So iſt es denen Kampf-Regeln gemaͤß, daß hoͤchſtens nurein127vor der erhabenen Dichterey. ein poetiſcher Goliath oder Rieſe gegen uns auftrete, und einen von uns heraus fordere; da ich denn vielleicht Herz genug habe, auf etliche Schleuder-Steine, weil ich ihm ſonſt nicht an den Kopf wuͤrde kommen koͤnnen, es mit ihm anzunehmen. So wird auch wol nach mir ein anderer kommen, der groͤßer iſt, als ich, und deſſen Schuh-Riemen ich aufzuloͤſen nicht wuͤr - dig bin. Denn unſere Froſchmaͤusler-Geſell - ſchaft gehet ſtark darauf um, etliche wichtige Deſerteurs von der Gegen-Partie aufzufan - gen, oder auch einige poetiſche Helden, als Hn. Pr. G .. und Hn. D. Kn .. moͤglich - ſten Fleiſſes zu perſuadiren, in unſere Geſellſchaft uͤberzutreten. Daher will ich zwar nicht victo - riam ante triumphum ſingen; aber doch auch nicht, vor Anfang der Schlacht, die Fahnen weggeben, als ob ich mich beſorgte, daß mir ſolche moͤgten genommen werden.

§ 7. Doch da ich hin und her geſonnen, ob denn gar kein Mittel ſey, mit denen erhabenen Poeten, wo nicht in ein gutes Vernehmen und voͤlliges Verſtaͤndniß zu kommen, doch wenig - ſtens einen Waffen-Stillſtand zu treffen, und dadurch zu verhuͤten, daß ſie nicht etwa, da un - ſere Schlacht-Ordnung noch nicht recht regulirt iſt, uns uͤberfallen, und unter die Fuͤße bringen: So ſind mir drey Mittel eingefallen, damit wir als ehrliche Buͤrger neben einander wohnen, und unſere Sache ohne Schwerdtſtreich aus - fuͤhren, mithin jeder in ſeinem Gebiete ruhig undſicher128Vorzug der kriechenden Poeſieſicher wohnen koͤnne. Es trifft ſich ja oft zu, daß ein Paar Feinde in einerley Hauſe wohnen. Sie ſtellen ſich aber, als wuͤßten ſie nicht von einander. Der eine wohnet im oͤberſten, der andere im unterſten Stockwerke. Sie vermei - den ſorgfaͤltig, daß ſie einander nicht in den Wurf kommen. Gehet der oͤberſte bey des an - dern Thuͤre vorbey: So ſtellt ſich ſolcher, als ſey er nicht zu Hauſe, und hoͤre ihn nicht. Der unten wohnt, hat nicht leicht etwas im oͤberſten Stockwerke zu verrichten, alſo treibt ihn kein Fuͤrwitz hinauf. Auf ſolche Art toleriren ſie einander unter einerley Dach, ohne ſich an ein - ander feindſelig zu vergreifen. Gießt aber ja der von oben etwas herunter, das dem, der un - ten wohnet, moleſtirt: So ruft der wol in die Hoͤhe ein Paar derbe Worte, er ſolle es kuͤnftig bleiben laſſen; aber die Nachbarn im mittlern Stockwerke laſſen die beyden erhitzten Zins - Haͤhne nicht zuſammen: So bleibet Friede im Hauſe. Auf dieſen Schlag bin ich geſonnen, die erhabenen Poeten nicht in ihrem oͤberſten Stockwerke anzugreifen. Wenn ich aber zei - gen werde, es ſey beſſer, auf der Erde zu woh - nen, weil man da nicht ſo viel Treppen ſteigen duͤrfe: So hat der, der hoch wohnet, dagegen den Vortheil, daß er freyere Luft genieſſet, und die Erden-Duͤnſte ihm nicht ſo in die Naſe ſteigen, als dem andern.

§ 8. Der andere Weg, wie ſogar erhabe - ne und kriechende Poeten mit einander friedlichumgehen129vor der erhabenen Dichterey. umgehen koͤnnen, ob ſie gleich beyderſeits ganz contraire Meynungen haben, iſt dieſer: Es nimmt der erhabene Poete den kriechenden auf ſeinen Ruͤcken, ſackt ihn da auf, und faͤhret mit ihm in die Hoͤhe, nachher bringt er ihn durch einen geſchwinden Flug wieder in die Tie - fe, und ſetzet ihn ſanft auf die Erde. Wollte der erhabene Poete gern wiſſen, wie es im Ab - grunde ausſehe: So klettert der kriechende Poe - te ſo weit bergan, als er Luft holen kann; als - dann leihet er dem erhabenen Poeten ſeinen Ruͤk - ken zum Sattel, laͤßt ihn auf ſolchen veſt an - ſchnuͤren, daß er nicht von der Luft, wegen ſei - ner Leichte, herausgehoben werde, und alsdann bringt ihn der kriechende Poete in die Tiefe. Er zeiget ihm alle Gemaͤcher des Bathos. Er fuͤhret ihn in die finſteren Keller derer Grob - und Klein-Schmiede. Endlich kriecht er mit ihm, wenn ers ausdauren kann, in die Abgruͤn - de der verſinkenden Dichter, ſie moͤgen nun in einen Schlamm, oder in einen leeren Raum verſinken. Wird dem erhabenen Poeten uͤbel: So loͤſet der kriechende geſchwinde den Sattel - gurt auf, und der erhabene Poete hebet ſich au - genblicks aus der Tiefe in die Hoͤhe. Dieſes iſt die Urſache, warum die kriechenden Poeten manchmal einen hohen Gedanken einſtreuen, der doch nicht auf ihrem Miſtbeete gewachſen, ſondern ſie ihn bey obbeſchriebener Luftfahrt, als einen erwiſchten Raub, mit herunter gebracht; desgleichen, warum manchem erhabenen Poe -Jten130Vorzug der kriechenden Poeſieten zuweilen etwas vom Bathos anklebet, wel - ches nirgends anders als daher koͤmmt, wenn ſie zur Luſt in die Abgruͤnde geſtiegen, und all - da ſich etwas angeleget, das ſie unvermerkt mit in ihr erhabnes Revier gebracht, und es ver - kannt oder verwechſelt haben. Ja in der Bur - lesquen-Poeſie erniedriget ſich ein erhabener Poete auf eben die Art ſo freywillig, als dort der große Koͤnig Darius geſchehen ließ, daß ſeine Maitreſſe ihm die Krone vom Haupte nahm, ſich ſolche aufſetzte, und der Koͤnig ſie noch dazu mit lachenden Augen, daß es ihr ſo wohl lieſſe, oͤffentlich angaffte. Oder aber es kann auch von einem, der menſchlichen Natur leicht anwan - delnden, Schwindel herruͤhren, wenn denen erhabenen Poeten etwas ſchweimlich wird, auch ſelbige wol gar, wenn ſie manchmal ſich gar zu hoch verſtiegen, endlich eccentriſch werden, oder aus ihrem Gleichgewichte in einige Tiefe ver - fallen, bis ſie ſich nach und nach wieder heben, und in ihrem erhabenen Thier-Kreiſe in gera - der Bewegung fortruͤcken.

§ 9. Die dritte Moͤglichkeit, eine Tole - ranz unter erhabenen und kriechenden Poeten einzufuͤhren, und den Ausbruch in oͤffentliche Feindſeligkeiten dadurch zu verhindern, iſt, wenn jede Part ihre eigene Waare lobet, ohne des andern namentlich herunter zu machen. Wie es im Handel und Wandel taͤglich geſchiehet, daß jeder Kramer ſeine Waare herausſtreichet, dadurch er eben nicht ſaget, des andern ſey nichtsnuͤtze:131vor der erhabenen Dichterey. nuͤtze: Eben ſo kann ein kriechender Poete und Reim-Schmied ſeine Kunſt erheben, und ihr ein Faͤrbgen anzuſtreichen ſuchen, ohne dadurch den erhabenen Poeten zu affrontiren. Wahr iſt es, je tiefer unſere Poeten kriechen, je mehr entfernen ſie ſich von der Hoͤhe, und ſehens alſo leicht fuͤr einen Affront an, wenn einer die Hoͤ - he der Gedanken lobet; aber die erhabenen Poeten ſind hierinn etwas großmuͤthiger, daß, wenn auch wir ſie wegen ihres hohen Fluges beneiden ſollten, ſie uns doch wegen unſers Ba - thos nicht beneiden, ſondern goͤnnen, alle Kluͤfte und Abgruͤnde zu unſerer Behauſung einzuneh - men, wenn wir uns nur nicht erkuͤhnen, in ihr Revier zu kriechen, und allda einzuniſten, oder, gleich einer Schlange, unſere Eyer auf einem hohen Felſen auszubruͤten, oder an die Sonne auf erhabenen Gebirgen zu legen, um von ſolcher ausgebruͤtet zu werden. Denn ſie wollen gern reine Luft behalten. Wuͤrden aber unſere Eyer in der Hoͤhe ausgebruͤtet: So kaͤme doch nur lauter Geſchmeiß von Butter-Voͤgeln und Muͤcken heraus, das den freyen Durchſtrich der Luft hemmte, alſo die erhabenen Poeten incom - modirte, ſonſt ſie uns einen Theil Luft, den ſie entbehren koͤnnten, wol allenfalls gutwillig ab - treten wuͤrden, obzwar die ihnen aufſteigende poetiſche Blaͤhungen die beſondere Eigenſchaft haben, daß ſie nicht aufwaͤrts ſteigen, ſondern, weil ſie ſchwerer ſind, als ihre andere fluͤchtige und feurige Gedanken, ſich nach dem BathosJ 2herab132Vorzug der kriechenden Poeſieherab ſenken, mithin zu unſerer Atmoſphere, oder dicken Luft-Kreiſe, herab ſteigen, folglich von uns aufgefangen, und in unſeren Flaſchen auf - gehobener poetiſcher Blaͤhungen verwahrlich beybehalten werden koͤnnen.

§ 10. Endlich habe ich vorlaͤufig mit eini - gen unſerer muckiſchen Poeten conferirt, die mir einen Anſchlag entdecket, der auf eine Hiuterliſt und Conſpiration hinauslaͤuft. Nun bin ich zu aufrichtig, ſolchen ſogleich anzubringen. Aber es iſt großmuͤthig genug, wenn ein Feind ſeinen Gegner verwarnen laͤſſet, ſich vor dieſen und jenen Embuscaden inacht zu nehmen. Kehrt ſich nun jener nicht dran, ſondern verachtet die Warnung: So kann er ſich hernach nicht be - ſchweren, wenn man ihn uͤberrumpelt. Der mir untern Fuß gegebene Anſchlag iſt dieſer: Man ſolle ſuchen, einem erhabenen Poeten ei - nen Schlaf-Trunk beyzubringen, alsdann auf ſein Revier kriechen, und ihn an die Spitze eines Felſen waͤlzen. Geſchaͤhe es nun, daß er in ſol - cher Schlaf-Trunkenheit zu uns herab in unſer Bathos-Revier kollere, ſolle man ihn ſogleich mit ſchweren Feſſeln belegen, damit er nicht wie - der ſich in die Hoͤhe ſchwinge. Wuͤrde er nun bey den Seinen vermiſſet: So wuͤrden ſie ſich nicht ſo tief erniedrigen koͤnnen, ihn mit Gewalt unſern Haͤnden zu entreiſſen, auch eher glauben, daß er hoͤher geſtiegen, als ſo tief zu uns herab geſunken. Lieſſe er ſich nun bereden, auf unſere Seite zu treten: So waͤre er ſo gut, wie einJanit -133vor der erhabenen Dichterey. Janitſcharen-Aga gegen die Chriſten, anzu - ſehen. Verlange er aber ſeine Freyheit: So muͤſſe er ſich entweder mit großen Koſten ran - zioniren, oder aber wir behielten ihn in Ketten, und entzoͤgen alſo den erhabenen Poeten einen wichtigen Officier zu Fuß, oder zu Roß. Jch habe ſie nun verwarnet! Sie nehmen ſich inacht!

§ 11. Nachdem ich mich nun ſolchergeſtalt gegen die liſtigen Anlaͤufe der erhabenen Poeten, als unſere ſtaͤrkſten und formidabelſten Wider - ſacher, verwahret habe, um deſto ſicherer unſere unterirdiſche Bollwerke durch Miniren bedecken, und die ſich dran wagende in die Luft ſprengen zu koͤnnen, weil ſie ohnedem gern in der Hoͤhe ſeyn wollen, alſo nichts auf unſerm Sprenkel zu thun, noch, ohne unſere Bewilligung, das Recht haben, in die Tiefe zu fahren, immaßen! wir, ſeit den Zeiten des Hans Sachſens und Froſch - maͤuslers, im Poſſeß ſind, daß das Bathos uns zuſtehe, und wir befugt ſind, ſo tief unter uns zu graben, als die Bergleute in dem Schacht: So hoffe, mit wenigem die Vorzuͤge unſerer Tiefen vor den Hoͤhen der poetiſchen Highfliers, oder Hochſteiger, zu zeigen. Alles hohe We - ſen und Erhebung der Gedanken und Sinne des Herzens iſt ſchon etwas, das der Religion zu widerſtreiten ſcheinet. Wie ſehr ſind nicht aber die erhabenen Poeten groͤßtentheils in ſich ſelbſt verliebt, wenn ſie mit ihren Gedanken ſo hoch fahren koͤnnen. Sie ſetzen ſich gleichſam in ihnen ſelber auf den Gipfel eines erhabenenJ 3Berges,134Vorzug der kriechenden PoeſieBerges, oder Thrones, und wenn ſie von da in die tiefen Thaͤler herab ſchauen, koͤmmt ihnen alles, was darinn iſt, wie kleines Gewuͤrme vor. Die hohen Begriffe, die ſie ſich von den Sachen machen, verleiten ſie leicht, auch von ſich ſelbſt und ihrer ausnehmenden Geſchicklich - keit ſehr hohe Gedanken zu faſſen. Was wiſ - ſen ſie ſich nicht gemeiniglich, wenn ſie zumal eine große Leibes-Laͤnge, wie der erhabene Poete zu Leipzig, haben, fuͤr ein grand air zu geben, wenn ſie auf der Straße gehen, daß man auch ſie fuͤr wuͤrdige Modelle angeſehen, ſie auf oͤffentlicher Schaubuͤhne, zur Nachahmung eines großmuͤthigen Ganges und hochinto - nirter Geberden, aufzufuͤhren. Es ſind die erhabenen Poeten großentheils ſtolze Geiſter, und wenn ein Stein waͤre, der ihnen im Wurf laͤge, ſie machten eher eine Capriole druͤber hin - weg, als aus dem Tummelplatze ihrer hohen Gedanken zu ſchreiten.

§ 12. Von dieſen gefaͤhrlichen Verſuchun - gen nun, ſich in der Hoͤhe ſeiner Gedanken zu uͤberſteigen, und von derſelben, als auf der Spitze eines jaͤhen Felſen, auf die niedrigen mit Ver - achtung herab zu ſchauen, ſind die kriechenden Poeten ſehr geſichert, mithin haben ſie vor den erhabenen einen beſondern Vorzug. Denn wie ſollte ſich einer, der auf der Erde kriechet, einbilden, er ſchwebe hoch in der Luft? Er muͤßte ſeines Verſtandes beraubet ſeyn, wenn er die Tiefe fuͤr eine Hoͤhe, und den Abgrundſeines135vor der erhabenen Dichterey. ſeines Bathos fuͤr einen Longiniſchen Berg - Pallaſt anſehen wollte. Er kann wol eine in - nige Zufriedenheit mit ſeinem niedrigen Stande haben; er kann ſich ſelber gefallen, daß er ſo poßirlich kriechet; aber er kann ſich doch und wird ſich nicht einbilden, er ſtehe auf dem Gipfel des Helicons, und rufe von da herunter: Nun ſehet alle auf mich! Ein kriechender Poete hat hiernaͤchſt dieſen Vortheil, daß er bey Gott und Menſchen nicht leicht ſo verhaßt werden kann, als ein erhabener, der ſich in ſeiner Groͤße, ſo zu ſagen, nicht ſelber faſſen noch uͤberſchauen kann. Die Religion iſt ihnen feind. Der Schoͤpfer hat einen Graͤuel an ſolchen Ueber - muͤthigen und Aufgeblaſenen. Er laͤßt ſie an - laufen, daß ſie von ihrer eingebildeten Hoͤhe in eine wahrhafte Tiefe des Elendes verfallen. Er uͤberlaͤſſet ſie manchmal dem Schwindel ih - rer Gedanken, bis ſie ruͤcklings einen jaͤhlingen Sturz in den Abgrund thun. Er laͤſſet geſche - hen, daß ſie ſo offenbare Sottiſen manchmal begehen, daß ſelbſt die kriechende Poeten ſie her - nach nicht einmal unter ſich leiden wollen, weil ſie vorher von dieſen Stolzen uͤber die Achſel an - geſehen und fuͤr nichts gehalten worden. Ein hochmuͤthiger Poete kann auch einen andern hochmuͤthigen nicht einmal neben ſich, geſchwei - ge uͤber ſich, vertragen. Daher iſt unter zwey erhabenen Poeten ordentlich heimliche Piquan - terie. Einer macht den andern herunter, und ſetzt ſich, wenigſtens in Gedanken, weit uͤberJ 4ihn.136Vorzug der kriechenden Poeſieihn. Sie koͤnnen nicht wahre Freunde ſeyn, ſondern einer wird den andern bey Gelegenheit einhauen und verfuchsſchwaͤnzen. Keine Lobes - Erhebung des andern wird ihm von Herzen ge - hen; ſondern wo der andere hoͤher am Stande, flattirt er ihm wol mit Worten, aber im Herzen hat er das Lob-Gedichte auf ſich ſelbſt gemacht; er hat ſich ſelber abgeſchildert, und kuͤtzelt ſich heimlich, daß der andere, auf den die poetiſchen Schmeicheleyen aͤuſſerlich gemuͤnzet ſind, ſolche auf ſich deutet. Doch manchmal lobt ein Ehr - geiziger den andern, damit er von jenem deſto mehr wieder herausgeſtrichen werde.

§ 13. Ein kriechender Poete iſt dem Haß und Neide anderer nimmer ſo ausgeſetzet, als ein erhabener. Denn eben das aͤrgert einen Ehrgeizigen, wenn ſich ein anderer uͤber ihn er - hebet, da er doch meynet, das Recht zu haben, weit uͤber ihn zu ſitzen. Der Eigenduͤnkel al - ſo, da jeder ſeine eigene Groͤße nach dem ver - groͤßerten Maaß-Stabe, des andern aber nach dem verjuͤngten ausmiſſet, beweget ihn, daß er gleichſam bey ſich ſpricht: Was willſt du, Kerl, dich doch mit mir in Vergleichung ſtel - len? Jch bin ja ein weit groͤßerer Poete, und in allem weit qualificirter, als du! Her - unter mit dir, laß mir die Oberſtelle; denn ſolche gehoͤret mir von Rechtswegen. Sei - ne eigene Vollkommenheiten kommen ihm alſo unter dem Vergroͤßerungs-Glaſe der Eigen - liebe, womit er ſolche betrachtet, nothwendiggroͤßer137vor der erhabenen Dichterey. groͤßer vor, als des andern, die er noch dazu mit dem Fernglaſe der Verkleinerung uͤber - ſchauet. Wie auch ein engliſch Microſcopium die kleinſten Puͤnktgen groß vorſtellet: Alſo wird ein Erforſcher ſeiner eigenen Groͤße nicht leicht ein Puͤnktgen von ſich ſelber uͤbergehen, das er nicht ſorgfaͤltig betrachtet, es hernach durch einen optiſchen Reflexions-Spiegel nochmals beſchauet, und, ſo zu reden, ſich ſelber in einem Spiegel ſtehen ſiehet, ſich vom Haupte bis auf den Fuß ausmiſſet, und das Urtheil faͤllet, er ſey um viel Zolle groͤßer, als der andere. Gleich - wie aber ein Fernglas auch die merklichen Groͤſ - ſen wegen der Entfernung unkenntlich macht: Alſo wird ein ehrgeiziger und ſich ſelbſt groß duͤnkender Poete uͤber des andern Geſchicklich - keiten, die er nur als von weitem und mit einem Ruck anſiehet, geſchwind hinweg eilen, auch ſich nicht die Muͤhe geben, jenen, wie ſich, punkts - weiſe und nach ſeiner wahren Groͤße auszu - meſſen; daher er ſich nothwendig aͤrgern muß, daß, da ihm der andere, den er ſo in der Ferne und nur ganz legérement beſehen, ſo gar klein gegen ſich vorkoͤmmt, jener dennoch vorgeben will, er ſey groͤßer. Da aber ein kriechender Poet ſeine eigene Niedrigkeit geſtehet, und ſich ſo tief herunter ſetzet, daß er ſich auch nur mit kriechenden Thieren und Gewuͤrme vergleichet: So ladet er nimmer ſo viel Haß auf ſich, als jener. Man beneidet ihn auch nicht ſo, als die erhabenen Poeten. Denn wenn deren Fuͤrtreff -J 5lichkeiten138Vorzug der kriechenden Poeſielichkeiten ſo hell in die Augen ſtrahlen, daß einer ſolche an ſich nicht befindet, und er iſt gleichwol hohen Muthes: So muß er ſich uͤber den an - dern aͤrgern. Denn er ſchaͤmt ſich, daß der - ſelbe ſolche Vorzuͤge beſitzet, die er ihm nicht disputirlich machen kann. Dieſe Schaam ſez - zet ihn in einen Eifer, es jenem nach oder zuvor zu thun. Siehet er aber, daß ſeine Bemuͤhung vergebens iſt: So verwandelt ſich der Gemuͤths - Affect in eine Wut, und dieſe in einen giftigen Neid. Hingegen aber, wer wird wol einen daruͤber beneiden, daß er auf der Erde kriechet? Kein kriechender Poete wird auch den andern beneiden. Denn ſie ſind auf gleicher Ebene. Ein Gewuͤrm weichet dem andern aus, das ihm begegnet; ſo auch ein kriechender Poete dem an - dern. Sie beneiden auch nicht leicht die erha - benen Poeten. Denn weil ſie ſich gluͤckſeliger duͤnken, wenn ſie auf der Erde bleiben, als wenn ſie hoch in die Luft ſteigen: So haben die erhabenen Poeten vor ihnen wol Friede. Doch wenn ſie ihnen nicht einmal das Bißgen Erde laſſen wollen, da ſie, die erhabenen Poe - ten, die ganze Luft fuͤr ſich frey haben, ſich ſo hoch zu ſchwingen, als ſie nur ſelbſt wollen: So koͤnnen ſich die kriechenden Poeten doch nicht gar ins vacuum verweiſen laſſen, weil ſie doch wiſ - ſen, daß ſie ein Etwas ſind, das in einem ge - wiſſen ποῦ ſich aufhalten muͤſſe.

§ 14. Ein beſonderer Vorzug, den die krie - chende Poeten vor den erhabenen haben, iſt auchdieſer:139vor der erhabenen Dichterey. dieſer: Daß die Reimſchmiede-Kunſt und krie - chende Poeſie in ſich ganz leicht, wenigſtens lange nicht ſo ſchwer iſt, als die erhabene Dicht - Kunſt. Sie duͤrfen ſich nicht die Naͤgel zer - kauen, den Angſtſchweiß zum Kopfe ausbrechen laſſen, noch des Nachts ſtark lucubriren, um einen hohen Gedanken heraus zu bringen, wie jene thun muͤſſen. Denn weil das Niedrige viel gemeiner, als das Hohe, und das Hohe ſehr ſeltſam iſt, ſo daß man in allen Staͤnden viel Kriechendes, und ſelbſt in den Pallaͤſten oft praͤchtige Niedertraͤchtigkeiten antrifft: So wird es einem nicht zu ſauer, dasjenige in Reime zu bringen, was einer immer vor Augen hat, als ſich mit ſeinen Gedanken uͤber alles hinweg zu ſchwingen, und auch den Hazard zu ſtehen, aus unſerer Atmoſphere in eine utopi - ſche Welt-Kugel zu verfallen. Man uͤberlege nur, wenn ein erhabener Poet ſeinen Helden herausſtreichet, was er ihm oft fuͤr Dinge bey - leget, die jenem nie in den Sinn gekommen, und er die Namen ſolcher ausnehmenden Hel - den-Tugenden nicht einmal nennen hoͤren. So iſt es auch in ſich muͤhſamer, viele Gedanken unter einen einzigen ſcharfen Gedanken zu faſſen, als einen magern Gedanken ſo auszuſtaffiren, daß er wenigſtens wie ein ausgeſtopfter Mas - darm ausſiehet, da das Fuͤllſel oft eine andere Art Fleiſches iſt, als die von einerley Daͤrmen gemachte unterſchiedliche Wuͤrſte. Die krie - chenden Poeten halten alſo viel von Ausdeh -nung140Vorzug der kriechenden Poeſienung der Gedanken; die erhabenen aber von deren Zuſammenfaſſung. Jene ſind handveſte Platten-Hauer; dieſe kuͤnſtliche Pitſchier-Ste - cher. Jene ſind Kurken-Maler und Waͤnde - Anſtreicher; dieſe Portraits-Maler und Migna - tuͤrer. So muͤhſamer es nun iſt, etwas en mi - gnature zu zeichnen, und hingegen etwa eine Kirch-Mauer zu illuminiren: So viel Vor - theile haben die kriechenden Poeten vor den er - habenen voraus. Wahr iſt es, ein kriechender Poete ſtutzet, wenn er ſiehet, daß ein erhabener Poete in einer Zeile mehr ſaget, als er, der kriechende, in einem ganzen Bogen; aber ein ganzer Bogen wird ihm doch, nach der heuti - gen herunter geſetzten und ſtark moderirten Vers-Taxe, wol theurer bezahlt, als jenem ſein einziger ſcharfer Gedanke, daraus man viel Bogen Verſe machen koͤnnte, wenn man ihn in ſeiner wahren étenduë ausdehnen wollte.

§ 15. Zur Erlaͤuterung des vorigen gebe ein Exempel. Es ſchreibet ein gewiſſer großer Dichter, dem wir mit aller Hochachtung zuge - than ſind, weil er auch manchmal artige Knit - tel-Verſe gemacht, mithin dadurch bezeiget hat, daß er unſerer Hans-Sachſen-Poeſie nicht ganz abgeneigt ſey; wie denn oben (im dritten Pro - beſtuͤck, § 5,) ausdruͤcklich erinnert worden, daß wir großen und erhabenen Dichtern alsdann nicht feind ſind, wenn ſie nur, im Jahre wenig - ſtens einmal, ein Knittel-Gedichte aufſetzen. Dieſer erhabene Dichter nun, den ich in pettohabe,141vor der erhabenen Dichterey. habe, ſetzet in ſeinem fuͤrtrefflichen Anno 1726 bey Einweihung der Koͤnigl. Pohln. und Chur - ſaͤchſ. Ritter-Academie zu Dresden abgeleſenen Gedichte, unter andern magnifiquen Ausdruͤk - kungen, ſonderlich der ſo lieblich dahin rau - ſchenden unaffectirten Lobes-Erhebung des unſterblichen Friederich Auguſts des Großen, glorwuͤrdigſter Gedaͤchtniß, von dem damaligen Graf Wackerbarth, als dirigenden Miniſter ſolcher neuangelegten Ritter-Academie, unter andern ſchoͤnen Ausdruͤckungen, ihm zum Lobe:

Von dem es in der That, und ohne ſchmei -
cheln heißt:
Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath lau -
ter Geiſt!

Es ſind nur zwey Zeilen, die aber eine ſolche Menge von Gedanken in ſich faſſen, wenn man genau evolviret, was da ſagen wolle, im Felde lauter Herz, und im Staats-Rath lau - ter Geiſt zu ſeyn, daß z. E. das Thema: Ein Held, der im Felde lauter Herz iſt; wenigſtens einen ganzen compreſſen Bogen erfordern wuͤr - de, ſolches recht auszudruͤcken; und das andere Thema: Ein Miniſter, der im Staats-Rath lauter Geiſt iſt; abermals von ſo weitem Um - fange iſt, daß ich wuͤnſchen moͤgte, es machte ſich ein großer Dichter daran, und fuͤhrte es aus. Denn wir kriechende Poeten koͤnnten wol dieſe zwey ſchoͤnen Themata dem Erfinder ab - ſtehlen, und ſie zur Ueberſchrift von ein paar Bogen Gedichte machen; aber der Titel wuͤrdealsdann142Vorzug der kriechenden Poeſiealsdann nur geleſen und gelobet, die Ausfuͤhrung aber fuͤr hoͤchſt mager gehalten werden.

§ 16. Doch, damit ich eine Probe gebe, wie die kriechende Poeten meines gleichen es ma - chen, wenn wir eine ſchoͤne verdeckte Quelle entdecken, und daraus verſtohlen ſchoͤpfen, her - nach es fuͤr eine Ausgeburt unſers eigenen Kop - fes ausgeben: So koͤnnte man, in einem Lob - Liede auf den ehemaligen großen Feld-Herrn Eu - genium, eine gluͤckliche Parodie in zwey Zeilen machen, und dem ſinnreichen obigen Verfaſ - ſer alſo nachreimen:

Von dem es in der That auch nach dem
Tode heißt:
Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath
lauter Geiſt.

Denn mancher Feld-Herr und Staats-Rath wuͤrde nicht wohl zurechte kommen, wenn er nicht aus denen Lebens-Beſchreibungen dieſes unvergeßlichen Helden und großen Staats-Man - nes annoch erſehen koͤnnte, wie Eugenius im Felde lauter Herz, und im Staats-Rath lau - ter Geiſt geweſen. Wollte man aber dieſe ſchoͤ - ne Paſſage auf eine Perſon, die noch lebte, deu - ten, und von der man ſagen koͤnne, daß ſie ein Heros in ſago et toga, ein großer General und zugleich großer Staats-Miniſter ſey: So wuͤrde ich nicht weit im A B C buchſtabiren duͤr - fen, um auf denjenigen hohen Namen zu kom - men, da ſich obige Reime ſehr natuͤrlich alſo parodiren lieſſen:

Von143vor der erhabenen Dichterey.
Von dem es in der That und ohne Schmei -
cheln heißt:
Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath
lauter Geiſt.

Aber die niedrigen Poeten duͤrfen ſich nicht er - kuͤhnen, ſo große Namen im Munde zu fuͤhren; noch vielweniger aber wuͤrde es ihnen ungenoſſen ausgehen, wenn ſie dergleichen unverbeſſerliche Gedanken denen erhabenen Dichtern abborgen und mit fremden Federn, gleich dem Vogel in der Fabel, prangen wollten. Wollen wir krie - chende Poeten aber aufrichtig ſeyn: So wuͤr - de es uns ohnmoͤglich fallen, in einem geſtopf - ten Bogen Verſe ſo viel zu ſagen, als in der einen Zeile enthalten iſt:

Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath
lauter Geiſt!

Folglich iſt es ja fuͤr die kriechende Poeten ein ausnehmender Vortheil, wenn ſie die Kunſt, in wenig Worten ſehr viel zu ſagen, als eine in ſich hoͤchſt muͤhſame und beſchwerliche vorſtel - len. Denn es ſtudire mancher Tag und Nacht, ob er einen ſo gluͤcklichen Einfall herausbrin - gen werde. Dagegen aber muͤſſen die kriechen - de Poeten es als leicht vorſtellen und herausſtrei - chen: Mit viel Worten wenig zu ſagen; wo - durch ſie ſich von erhabenen Dichtern eben di - ſtinguiren.

§ 17. Ein Großes voraus haben ferner die kriechende Poeten vor den erhabenen in Erfin - dung und Ausfuͤhrung eines Thema. Eswuͤrde144Vorzug der kriechenden Poeſiewuͤrde laͤcherlich klingen, und hoͤchſtens nur fuͤr eine Burlesque paßiren, wenn man auf niedrige Vorwuͤrfe ein erhaben Gedichte ma - chen wollte. Die Sache muß in ſich hoch und erhaben ſeyn, ſonſt laͤſſet es, als wenn man ei - nem Bauer wollte ein Staats-Kleid anlegen. Da nun aber die Zahl der erhabenen Vorwuͤr - fe gegen die Anzahl der gemeinen ſehr geringe iſt: So kann alſo ein erhabener Poete ſich mit ſeiner Poeſie kaum den tauſenden Theil ſo weit heraus wagen, als ein kriechender. Wie laͤ - cherlich wuͤrde es klingen, wenn einer auf einen Floh ein erhabenes Gedichte aufſetzte? Aber ein kriechender Poete darf auf Ratten und Maͤuſe Gedichte machen, wenn er was davon hat. Ein erhabener Poete kann ſich nicht an einen tyranniſchen Fuͤrſten, unerfahrnen Staats-Rath, unvorſichtigen Feld-Herrn, pedantiſchen Gelehrten, ſchlechten Kraͤmer noch weiter herunter wagen. Denn alles dieſes faͤllt, ſeiner Natur nach, ins Niedrige. Denn ein Tyranne iſt die niedrigſte Claſſe der Regen - ten, und ſo weiter. Wenn nun der erhabene Poete arm iſt, wird er eine brodloſe Kunſt be - ſitzen, und mit ſolcher betteln gehen muͤſſen. Aber ein kriechender Poete und Reim-Schmied hat das Recht, ſo weit in die Tiefe herabzuſtei - gen, als er kann, und auf alles zu reimen, wor - auf nur ein Reim erfindlich iſt (Erſtes Probe - ſtuͤck, § 1, 2, 3, 6). Daher kann ſich dieſer, wo nicht manchen Ducaten, doch wenigſtensmanchen145vor der erhabenen Dichterey. manchen Groſchen, eher verdienen, als jener.

§ 19. Ein erhabener Poete wird ſich ſchaͤ - men, fuͤr ſeine Gedichte Geld zu nehmen, oder in den Verdacht der Betteley zu verfallen. Er macht auch ſeine Poeſie nicht ſo gemein, ſon - dern hebt ſie nur fuͤr große Kenner und Lieb - haber auf. Ein Reim-Schmied aber macht es, wie Hr. D. Knobloch in Zittau, und reimt auf alles, was ihm in den Wurf koͤmmt. Hat er nicht noͤthig, ums Geld Verſe zu machen: So wird er, der Reim-Schmied, deſto frey - gebiger ſeyn, ſeinen poetiſchen Queerſack aus - zuleeren. Er ſtopft ihn aus anderer Gedichten ſchon wieder voll, und wird des Reimens we - der ſatt noch muͤde. Er fragt auch, wo er ein Bißgen ruhmſuͤchtig iſt, nichts darnach, ob er dem Patron oder Fuͤrſten, auf den er Reime ſchmiedet, gelegen komme, oder nicht? Denn er reimt nicht des Patrons oder Fuͤrſtens wegen, ſondern ſein ſelbſt wegen, weil er mit der Reim - ſucht beſeſſen iſt. Er verlacht die undankbare Welt, die an der Menge ſeiner Gedichte, wo - mit man die Elbe endlich bedecken koͤnnte, einen Ekel und Ueberdruß bekoͤmmt. Er flattirt ſich, wenn ſeine itzige Patrone ſagen: Der Herr haͤt - te mit ſeiner Poeſie zu Hauſe bleiben koͤnnen; es werde die Nachkommenſchaft hierinn er - kenntlicher ſeyn, und ſeiner Aſche annoch den Tribut der Hochachtung abtragen, den ſie ihm in ſeinem Leben verweigert. Wenigſtens wird mancher Ballen Makeltur fuͤr die NachweltKauf -146Vorzug der kriechenden Poeſieaufgehoben, und dadurch ſein Name immer mit fortgewelzet.

§ 20. Weiter iſt es kein Geringes voraus, das der Reim-Schmied vor den erhabenen Poeten in Abſicht auf die Amplification oder Erweiterung eines Thematis hat. Die erha - benen Poeten haben ſich ſelber durch ihre ver - drießlichen Einſchraͤnkungs-Regeln die Fluͤgel um ein gut Theil beſchnitten. Sie verwerfen manche Arten von Amplificationen ſchlechthin; bey andern wollen ſie praeciſe dieſe Tour der Gedanken, und keine andere, angebracht wiſſen. So verwerfen ſie durchaus die Amplificatio - nem a contrario in terminis terminantibus, daß ich ſo rede. Sie ſagen, es wuͤrde uͤbel ſte - hen, und einen auf falſche Neben-Gedanken verleiten, wenn man z. E. einen Buͤrgermeiſter in Verſen loben, und den Anfang ab antitheſi machen wolle, was ein boͤſer, fauler, tuͤcki - ſcher, mit Gelde beſtochener Buͤrgermeiſter ſey; darauf in applicatione a contrario mit dem Aber hinten nach kommen, und ſagen wolle: Das biſt du aber nicht. Sie meynen, es klin - ge eben ſo, als wenn einer in proſa ſpraͤche: Es giebt manchen Schlingel, Baͤrenheuter und ꝛc. ; aber das iſt der Herr nicht! Wuͤrde das, ſagen ſie, wol eine ſonderliche Careſſe ſeyn? Hingegen die Reim-Schmiede nehmen alles bey der Erde und vorm Maule weg. Nichts iſt ſo weit hergeholt, es kann durch den poetiſchen Schmiede-Hammer zuſammengeſchlagen wer -den,147vor der erhabenen Dichterey. den, daß es ſich auf einander reimt. Sollte der Hammer nicht zureichen: So nehmen ſie die Vortheile der Zuſammenloͤtung von Stahl und Eiſen, Kupfer und Meßing, Zinn und Bley dazu. Ja, wenn dis noch nicht zureichet, ei - nen Gedanken recht abzudreſchen: So iſt ein poetiſcher Dreſchflegel zur Reſerve; daher in den Buchlaͤden ſo viel abgedroſchen Zeug zu finden, das iſt, das ſchon unzehligmal durch alle praedicamenta durchgereimt worden, und dennoch ſich wieder ein neuer Reim-Dreſcher findet, der es nochmals nachdriſchet. Spricht man zu ihnen: Das ſey ein laͤngſt ausgepeitſch - tes Thema; eine ausgepeitſchte Amplification: So kehren ſie ſich daran ſo wenig, als Ovidius in ſeiner Jugend, da ihn ſein Lehrmeiſter daruͤ - ber peitſchte, daß er, wo er ſtand und gieng, poetiſirte, auch mitten unter den Schlaͤgen den Vers ſagte:

Deſine, praeceptor, poſt haec non car -
mina dicam!
Lehrmeiſter, hoͤrt nur auf, ich will nicht
weiter reimen!

§ 21. Die Poeten von der hohen Claſſe ſagen: Es kaͤme oͤfters viel auf den rechten Ort an, wo der poetiſche Gedanke zu ſtehen komme. Er verliere alle grace und Gewicht, wenn er an einer unrechten Stelle angebracht worden. Auch muͤſſe der Einfall ſeine rechte Tour, Schwang oder Wendung haben, ſonſt entſtehe eine Misdeutung oder falſcher Ge -K 2danke. 148Vorzug der kriechenden Poeſiedanke. Der Reim-Schmied aber bekuͤmmert ſich um ſolche Subtilitaͤt nicht. Er meynt, es gelte gleichviel, ob ein gebratener Haſe in einer thoͤnern oder zinnern Schuͤſſel liege. Das Bier ſchmecke eben ſo gut, man moͤge es gleich vor dem Zapfen wegtrinken, oder erſt in einen be - ſchlagenen Krug gieſſen. Wenn man nur zur Schuͤſſel kommen koͤnne: So moͤge ſie nahe oder weit ab ſtehen, das verſchlage nichts. Dage - gen behaupten die erhabenen Dichter, es ſey z. E. ein Fehler, ſeinen Patron im Gedichte eine Weile paſſen zu laſſen, und eine Streiferey da und dorthin zu thun; vielmehr muͤſſe man ihn immer im Augenmerke haben, und kaum ſchrittsbreit von ihm weichen, ſo lange man mit ihm redet. Jn einem Epiſchen Gedichte, wenn man Helden auffuͤhret, ſey es unrecht angebracht, wenn der Bauer oder Gaͤrtner ein langes und breites daher ſchwatze, wie er ſein Feld beſtelle, oder Baum-Schulen anlege. Wenn es ſchoͤn Wetter ſey, muͤſſe man nicht Donner und Blitz, Platzregen und Sturmwin - de ins Gedichte bringen, und dadurch den Pa - tron, der gern ausfahren wollte, nicht zu lan - ge aufhalten, daß ihn etwa der Platzregen noch uͤbereile; da ſonſt, wenn das Gedichte ſolche Ausſchweifungen weggelaſſen, der Patron noch trocknes Fußes haͤtte bis zum Rath-Hauſe kom - men koͤnnen! Der erhabene Poete ſaget: Es ſey eine falſche Tour, wenn einer im Gedichte ſich ſtelle, als marſchire er ſchon ab; nachherthue,149vor der erhabenen Dichterey. thue, als habe er noch was vergeſſen, das ihm nun wieder erſt beyfalle, wie jenem Geſandten, der den Kayſer ſo lange aufhielte, daß, als der Redner eine neue Tour vom Alexander dem Großen vorbrachte, der Kayſer ſagte: Er glau - be, Alexander werde unterdeß wol geſpeiſet haben, ehe er was weiters vorgenommen. Aber kein Reim-Schmied bindet ſich an ſo enge Schranken. Er reimt, wies ihm ins Maul faͤllt. Er fragt nicht: Obs klappt? ob ſichs ſchickt? ob der Gedanke nicht verfaͤnglich? Es iſt genug, wenn ſichs nur reimt, der Leſer moͤge ſich das beſte herausnehmen, wie es jener Pfar - rer thun ſollte, der eine Leichen-Predigt im Kopfe hatte, und des Bauren Sohn fragte: Was ſeines Vaters letzte Worte geweſen? Worauf dieſer lange herum ſanne, endlich her - ausplatzte, und ſagte: Je, Herr Magiſter, mein Vater ſprach: Hans, gib mir den Nachtſchir - bel her! Kann ſich nun der Herr Magiſter, fuhr Hans fort, was draus nehmen, ſo thue ers! So wenig ich nun darnach frage, weil ich mich in die Stelle und den Character krie - chender Poeten einmal geſetzet, ob dieſes Hi - ſtoͤrgen allhier ſeine rechte Stelle habe, und ſich zu meiner vorhabenden Abhandlung ſchicke: So deutlich werden daraus meine Leſer abnehmen, wie ich durch die wirkliche That meinen uͤber - nommenen Character auszudruͤcken ſuche, naͤm - lich ſo kauderwelſch unter einander allhier zu ſchreiben, als es die Reim-Schmiede in ihrenK 3Gedich -150Vorzug der kriechenden PoeſieGedichten zu machen pflegen. Jch glaube, ich wuͤrde ſehr unnatuͤrlich handeln, wenn ich ei - nen kriechenden Poeten beſchreiben, und nicht ſelber par compagnie mitkriechen, oder ihm nachkriechen wollte; ſo wie ich oben, da ich die ſchlammigten Poeten beſchrieben, ſelbſt in ihre Pfuͤtzen habe treten, und es nicht achten muͤſ - ſen, von dem aufſpruͤtzenden Unflathe mit be - ſpruͤtzet zu werden. (S. viertes Probeſtuͤck, 23, 25 und 26 Frage.)

§ 22. Die kriechenden Poeten haben auch ein Großes vor den erhabenen voraus, daß ſie ruͤckwaͤrts und vorwaͤrts kriechen duͤrfen, wie die Krebſe; bald traben, bald galoppiren, wie die Pferde; bald Luft-Spruͤnge, bald ſeitwaͤrts einen Satz thun, wie die kollernde Schimmel. Dagegen ſoll, nach der erhabenen Poeten Re - gel, der Dichter allezeit in gradem Gleiſe blei - ben; nicht eher ſeinen poetiſchen Gaul anſpor - nen, als wenn er allzuſchlaͤfrig trabet; nicht ei - nem Reuter gleichen, der uͤber die Graben ſetzet, oder mit einem Sprunge vom Felſen ins Thal ſtuͤrzet. Er ſolle vielmehr ſtuffenweiſe auf - und niederſteigen, damit eine Gleichheit in ſeinem Gedichte ſey, und man nicht denke: Jtzt habe der Poete geraſet; nun ſey er ſchlaftrunken worden; itzt habe er eine Bouteille Wein beym Verſemachen geſoffen, bald darauf den Durſt mit duͤnnem Biere geloͤſchet; itzt ſey er im Thal Joſaphat geweſen; bald habe ihn der Teufel, oder ſonſt ein poetiſcher Geiſt, durch die Luftauf151vor der erhabenen Dichterey. auf die Zinne des Tempels geſtellet, ohne erſt die Treppe hinaufgeſtiegen zu ſeyn. Aber ein kriechender Poete verſtellt ſich in einen Sprin - ger, damit man nicht merken ſolle, daß er krie - che. Er affectirt einen wachſamen Hund, der aber traͤumet, und im Schlafe aufbelfert. Jtzt flieget er aus der Tiefe in die Hoͤhe, damit jeder Leſer ſehe, der hohe Einfall ſey nicht aus ſeinem Kopfe entſprungen, ſondern anderswo entlehnet. Folglich ſey er aufrichtiger, als mancher erha - bener Poet, den man nicht auf ſeinem poeti - ſchen Diebſtahle wegen Gleichheit des Styls ertappen koͤnne, ob er gleich ſich vieler Gedanken von ſeines gleichen erhabenen Dichtern zu nutze gemacht. Mithin ſtecke eine Argliſt dahinter, wenn die erhabenen Poeten ſo einen gleichen Styl fuͤhrten; damit man naͤmlich nicht merken ſolle, wo ſie aus fremden Brunnen geſchoͤpfet und in andern Teichen gekrebſet. Zudem erfor - dere es oft die Natur der Sache, ſtehenden Fuſ - ſes einen ſchnellen Affect anzunehmen. Z. E. wenn einer in ſeiner Gelaſſenheit Abends ſtella - tim gegangen, und er purzelte daruͤber in ein Schlamm-Loch: So werde er ſich bald alteri - ren; mithin muͤſſe auch der Poete geſchwinde den Affect veraͤndern, und augenblicks von ei - nem raſenden Zorne ſich in die ſanfte Stille eines der Allerſanftmuͤthigſten verſetzen koͤnnen.

§ 23. Die erhabenen Poeten ſteigen von der natuͤrlichen zur maͤnnlichen, und von dieſer erſt zur erhabenen Beredſamkeit. Jch aberK 4komme152Vorzug der kriechenden Poeſiekomme hier ruͤckwaͤrts, von der Beſchreibung der Vortheile eines kriechenden Poeten vor einem erhabenen, nunmehro erſt auf die Vortheile vor einem maͤnnlichen Dichter. Jch kann hier vom Groͤßern aufs Kleinere ſchlieſſen. Hat der kriechende Poet und Reim-Schmied ſo gar ein vieles vor den erhabenen Poeten voraus, viel - mehr vor den maͤnnlichen, die dem Bathos um eine Stuffe ſchon naͤher ſind, als jene. Aber in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, wo das Frauenzimmer gleiches Recht des Beytritts hat, wird dieſe Diſtinction unter einer maͤnnli - chen und weiblichen Poeſie ganz verworfen; zumal wir z. E. an der ehemaligen Erfurtiſchen großen Dichterinn, der Jungfer Zaͤuneman - nin, eine recht maͤnnliche Poetinn gehabt, als die ſich manchmal in Manns-Kleider verkleidet, ein Rappier einem praͤſentiret, zu Pferde mit Sporen geſeſſen, und einen ſtarken Fußgaͤnger abgegeben, daß ſie auch bey ſolcher Marſch - Route fuͤr etlichen Jahren das Ungluͤck gehabt, zu ertrinken. Lebte ſie noch, wir wuͤrden ſie, in unſere Geſellſchaft einzutreten, allen Fleiſſes einladen. Denn man hat ihren Gedichten nach - geſaget, an vielen Orten gucke ein masquirter Mann, er heiſſe nun Guͤnther, oder Kunad, oder Ruhekopf, oder Langenau, oder Boͤrner, oder Briontes der Juͤngere, oder ſonſt wer hervor. Sie dichte an vielen Orten zaͤrtlich; aber nicht maͤnnlich und geſetzt. Ein Frauen - zimmer moͤge auch ſo eine große Dichterinn ſeyn,als153vor der erhabenen Dichterey. als ſie wolle, brauche ſie doch nicht ihren Na - men darunter zu ſetzen, daß ſie ein Frauenzim - mer ſey, es verrathe ſich uͤberall aus dem Styl. Sie ſey nicht geſchickt, einen Mann vorzuſtel - len; der Reifenrock gucke unter allen Gedichten hervor. Sie dichteten manchmal erhaben; aber die Frauenzimmer-Pantoffeln koͤnne man auch ſehen. Dagegen koͤnne auch ein maͤnnlicher Dichter nicht ſo zaͤrtliche und tendre Ausdruͤk - kungen aufs Tapet bringen, als ein poetiſches Frauenzimmer. Guͤnther habe ein großes Kunſt - Stuͤck in tendrer Beſchreibung des ehelichen Beyſchlafes abgeleget; aber wenn eine Mada - me von Steinwehr, die den Eheſtand dreymal probirt, es poetiſch beſchreiben ſollte, wuͤrde es noch dreymal tendrer geklungen haben.

§ 24. Durch obige Diſtinction alſo, die ich hier widerlege, und andere critiſche Gloſſen, wird demnach der Saame der Zwietracht zwi - ſchen dem maͤnnlichen und weiblichen Geſchlech - te nur mehr ausgeſtreuet. Daher hat E. Loͤbl. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, en faveur des ſchoͤnen Geſchlechts, die Diſtinction unter der maͤnnlichen und weiblichen Poeſie ganz unter ihren Gliedern annulliret und aufgehaben. Es mag dem Frauenzimmer eine Mannsperſon ein - helfen oder nicht, es heiſſet ein ſchoͤnes Gedichte. Wir ſagen auch von der Frauenzimmer Gedich - ten, daß ſie wohl geſetzet, daß ein geſetztes We - ſen darinn ſo gut ſtecke, als bey Gedichten von Mannsperſonen. Denn ſie haben ſich wenig -K 5ſtens154Vorzug der kriechenden Poeſieſtens ſo gut, als die Maͤnner, nieder geſetzet, wenn ſie ſolche gefertigt. Und was will das ſagen: Die maͤnnliche Poeſie habe ein mehr geſetztes Weſen? Soll es ſo viel heiſſen, als daß den Frauenzimmern das Kalb-Fleiſch le - benslang anhange? daß ſie zum ſchaͤkern gebo - ren? daß ihre Gedanken nie zu ſolcher Reife kaͤ - men, als der maͤnnlichen Dichter? daß ſie das Erhabene und Galante nie in rechter Doſi und Proportion zu miſchen wuͤßten? ſondern ent - weder in die Schmetterlings - oder Phoͤbus - Poeſie verfielen, oder ſich als eine auf dem Can - nabee ſchmachtende Schoͤne abſchilderten, die gern einen Zeitvertreib haben wolle? Sollte es wahr ſeyn, daß, wenn ſie den Affect der Liebe abſchilderten, ſich ſelber dabey ſo ſehr lebhaft beſchrieben, daß man aus dem Gedichte deutlich ſaͤhe, ſie muͤßten ſelbſt in einer verliebten Ohn - macht kurz zuvor gelegen haben, da ſie ſolches aufgeſetzet? Jſt es nicht was ſchoͤnes, daß ſie uns in die Geheimniſſe ihres Herzens ſo merk - lich ſehen laſſen, wenn ſie mit ſolcher Aufrich - tigkeit ſich ganz ausleeren. Welche Schreib - Art wuͤrde wol den Vorzug haben, etwa die, da der Herr Profeſſor Gottſched ſeiner Liebſten die vernuͤnftigen Tadlerinnen dediciret, und ſo vornehm mit ihr thut, daß, wenn ſie im Ehebette auch ſo fremd gegen einander thun, ohnmoͤglich daraus Kinder kommen koͤnnen? Oder aber, wenn dieſe große Dichterinn, zur Erkenntlich - keit, ihrem Liebſten auch ein Buch dediciren ſollte? Wuͤrde155vor der erhabenen Dichterey. Wuͤrde nicht darinn Zaͤrtlichkeit, Feuer, Aech - zen, Umarmung, Ermattung und der ſuͤße Tod deutlich abgeſchildert ſeyn? Wuͤrde nicht ſolches weit natuͤrlicher klingen, als wenn ſie ihm eine große Lob-Rede halten, und ſo un - bekannt ſich gegen ihn ſtellen wollte, als ob ſie noch nie erfahren, was ehliche Careſſen waͤren? Alſo darf kein Dichter auf ſeine maͤnnliche Be - redſamkeit trotzen, und ſolche der weiblichen vorziehen wollen.

§ 25. Die großen Dichter unſerer Zeit ge - ben unſerer Froſchmaͤusler-Geſellſchaft ein Schwert in die Hand, das wir ſtark gegen ſie brauchen, und weil es bereits gewetzet, treff - liche Kreuzhiebe damit gegen ſie, bey beſorgli - chem Angriffe, thun koͤnnen. Setzen ſie nicht die burlesque Poeſie der maͤnnlichen entgegen? Nun aber gehoͤrt ſolche weder zur erhabenen, noch natuͤrlichen. Nicht zu jener, es waͤre denn ſelber zur Badinerie, z. E. wenn ich an ei - ne Schoͤne, mit der ich mich ſchon verſtuͤnde, ſchriebe: Der Liebe Angel-Stern, Compaß zu meiner Magnet-Nadel, und dergleichen hohe Gedanken. Zur natuͤrlichen Poeſie aber ge - hoͤrt die Burlesque auch nicht. Denn ob ſie wol nicht unnatuͤrlich iſt, ſondern es bey jedem Einfalle ganz natuͤrlich hergehet, wie man von einem aufs andre koͤmmt: So nimmt man doch in ſcherzhaften Gedichten vieles ganz anders, als was die Worte ſagen. Man bringet bons - mots hinein, dahinter logice oft falſche Schluͤſ -ſe156Vorzug der kriechenden Poeſieſe und erſchlichene Wahrheiten ſtecken. Z. E. wenn ich alſo reimte:

Es iſt ein neu Patent, die Jungfern ſollen
freyn:
So wird denn Fieckgen auch dahin bemuͤ -
het ſeyn,
Sich, dem Edict gemaͤß, zur Heyrath zu
bequemen,
Es duͤrfte das Patent ſie ſonſt in Strafe
nehmen.

Wenn einer nun dieſe Einfaͤlle auf eine frey - ſuͤchtige Jungfer machte, waͤren die in dieſen vier Zeilen angebrachte Touren alle burleskiſch, aber zugleich falſche Gedanken. Denn wo iſt denn ſo ein Patent heraus? Und wenn ſie gern heyrathen moͤgte, bedarf ſie nicht erſt eines En - couragir-Patents, ſondern ſie wuͤrde ſelber je eher je lieber freyen, wenn ſich nur eine anſtaͤn - dige Perſon faͤnde. Auch waͤre es logice falſch, daß ſie in ſolchen Umſtaͤnden aus Furcht der Strafe, wenn ſie nicht heyrathen wuͤrde, ſich dazu entſchloͤſſe. Jndeß koͤnnte Fieckgen nicht uͤber ſo ein Scherz-Gedichte boͤſe werden. Denn waͤre ſie witzig, wuͤrde ſie wol die darunter ver - ſteckte Pillen merken. Waͤre ſie aber nicht frey - ſuͤchtig, wuͤrde dieſe Tour nur ſo viel ſagen, als wenn man in proſa zu einer im Scherze ſpraͤche: Mademoiſelle, ſie werden nun bald zum Eheſtande ſchreiten muͤſſen. Wenn ſie nun fruͤge: Warum? und man verſetzte: Darum, weil ein Patent heraus iſt, daß alle ſchoͤne Maͤd -gen157vor der erhabenen Dichterey. gen binnen Jahres Friſt heyrathen, oder in Strafe fallen ſollen: So waͤre es ein aufge - weckter Spaß, der zu vielem weitern Scherz Anlaß geben koͤnnte.

§ 26. Da nun alſo die burlesque Poeſie nicht zur natuͤrlichen, wo lauter Beſchreibun - gen nach dem Leben, und keine Fictiones, ſind, vielweniger zur erhabenen Poeſie gehoͤret: So muͤſſen die neuen Poeten entweder ſolche zur maͤnnlichen rechnen, der ſie doch ſolche entgegen ſetzen, mithin ſich ſelber widerſprechen, oder aber die Diſtinction unter einer maͤnnlichen und un - maͤnnlichen Poeſie, damit nicht etwa gar ein Zwitter herauskomme, fahren laſſen. Sie wollen ſich zwar helfen, und ſagen, die ſcher - zende kriechende Poeſie verfalle ins Schaͤkern, Haſeliren und Narrentheiding. Jhre bur - lesque Poeſie aber ſchreite nie aus den Schran - ken der Beſcheidenheit. Es ſey bloß eine Art ingenieuſer Einfaͤlle, da die maͤnnliche Poeſie mehr judicieuſe Gedanken habe. Allein es ge - hoͤrt oft mehr iudicium diſcretiuum zu einem rechten Scherz, daß er nicht ins Plumpe oder Niedertraͤchtige falle, als wenn man eine Sa - che plattweg fein ernſthaft oder maͤnnlich be - ſchreibet. Daher koͤmmt ein Reim-Schmied beſſer weg, wenn er bald ernſthaft thut, bald ſchaͤkert, bald kollert; bald trotzet, bald ra - ſet, bald zu Kreuze kriechet; bald labbert, bald zweyzuͤnglet, bald zuplumpet. Denn wie es die Menſchen wirklich machen, daß der eine erſtlange,158Vorzug der kriechenden Poeſielange, wie die Katze um den heiſſen Brey, ge - het, ein anderer aber dreiſter iſt, und geſchwin - de zutebſet: Alſo muß ein Reim-Schmied es auch in Reimen abſchildern, ſonſt komme ein un - geſalzener und trockener Scherz heraus. Die - ſemnach wird ein Reim-Schmied lieber alle Dicht-Kunſt eintheilen in eine ernſthafte und kurzweilige. Die ernſthafte iſt entweder auf der Erde hinkriechend, oder fallend, wenn man aus der Hoͤhe ins Bathos faͤllt, und aus der Tiefe in die Hoͤhe geſchleudert wird. Die kurz - weilige Poeſie aber iſt entweder ſchaͤkernd oder kollernd. Jenes bey angenehmen, dieſes bey piquirenden Begebenheiten.

§ 27. Jch eile zum Ende, und braucht es alſo keiner großen Widerlegung, daß die Reim - ſchmiede-Kunſt und kriechende Poeſie ein Groſ - ſes auch vor der ſogenannten natuͤrlichen Poeſie habe. Die neuen Dichter ſagen: Es koͤnne ein poetiſcher Gedanke natuͤrlich ſeyn, ob er gleich noch nicht zur Stuffe eines maͤnnlichen und er - habenen geſtiegen ſey. Jeder erhabener Ge - danke ſey zugleich natuͤrlich und maͤnnlich; aber umgekehrt folge es nicht. Da aber die Reim - ſchmiede-Kunſt ihr poetiſches Reich zu erweitern ſucht: So nimmt ſie auch das unnatuͤrliche, unwahrſcheinliche, unmoͤgliche, abgeſchmack - te und ſchamrothmachende mit in ihren Be - zirk. Bey der letzten Sorte beſchreibt ein Reim - Schmied jedes Ding mehr als zu natuͤrlich; dagegen ein Poet von der neuen Facon einenVorhang159vor der erhabenen Dichterey. Vorhang oder Flohr davor ziehet. Jch frage aber: Ob das natuͤrlich ſey, wenn ich ein Ding ſo beſchreiben ſoll, wie es vor mir lieget, und es hat keinen Flohr, der gewiſſe Theile verdek - ket, ich wollte aber ſprechen: Es ſey ein Flohr davor? Daher unſere Grobſchmieds-Poeten ihre derben Einfaͤlle ſo lange auf den Amboß bringen, bis die Ohren der Zuhoͤrer angewoͤhnet werden, den rauhen Schall zu hoͤren. Die phantaſtiſchen Reim-Schmiede aber folgen ei - ner ungemeſſenen ausſchweifenden Einbildungs - Kraft. Es ſchicken ſich in die Gedichte der krie - chenden Poeten ſolche abentheuerliche Erdich - tungen, die alle Contes de Fées und tauſend Viertelſtunden weit uͤbertreffen. Muß man die Reime zwingen, daß es oft heiſſet: Reim dich, oder ich freß dich: Warum ſollte man nicht auch die Einfaͤlle zwingen, einem zu Ge - bote zu ſtehen? Die Gedanken duͤrfen ſich nicht zuſammen reimen, ſondern nur die Syl - ben. Daher hat keine Wiſſenſchaft ein ſo wei - tes unumſchraͤnktes Gebiete, als ein Reim - Schmied und kriechender Poete.

Sechſtes Probeſtuͤck. Eine unumſtoͤßliche Widerlegung von des Horaz Buche de arte poëtica.

Es gehet mir, meine Herren, hart an, daß ich mich mit dem laͤngſt vermoderten Horaz nun noch erſt herum tummeln, und ſeine Urne, alsden160Widerlegung des Horazden Aufbehalt ſeiner Aſche, ruͤhren ſoll. Doch ich halte mich nicht an ſeinen Coͤrper, vielweni - niger ſeine Seele, von der ich nicht weiß, wo ich ſie ſuchen oder ausgattern ſoll, ſondern bloß an ſein Buch de arte poëtica.

Jch habe vor ein zehn Jahren, oder wie lan - ge es iſt, bey dem damals lebenden Aſſeſſore des Schoͤppenſtuhls, D. Reichhelm, eine erſtaun - liche Collection von allen nur zu habenden Edi - tionen des Horaz geſehen; und iſt es Schade, daß ſolche, nach erfolgter Verauctionirung ſei - ner Bibliothec, ſo ſehr zerſtreuet worden, da ſchwerlich ein anderer Gelehrter ſich die Muͤhe genommen haben wird, alle nur moͤgliche E - ditionen und Handſchriften von des Horaz Schriften, ſo viel deren zu haben, aufzutreiben. Meine Erſtaunung aber wuchs um ein merkli - ches, da mir der ſelige Mann ein mit großem Fleiße mundirtes Manuſcript wies. Es war ſolches eine in den zierlichſten deutſchen Verſen beſchehene Ueberſetzung der zwoͤlf Buͤcher Ae - neidos des Virgils, und auch aller Gedichte des Horaz. Er hat wol dreyßig und mehr Jah - re daran gearbeitet, ehe er es in ſo vollkomme - nen Stand geſetzet. Er hat nie den Ruhm ei - nes großen Dichters geſucht; aber er verdient den Ruhm eines der groͤßten Dichter. Weil wir die Verſtorbenen nach ihrem wahren Wer - the ſchaͤtzen: So iſt alles, was ich hier anfuͤh - re, mein purer Ernſt. Zudem hat er alles auf Conto ſeines Originals uͤberſetzt. Er gehetden161de arte poëtica. den Gedanken des Horaz genau nach, und iſt ein getreuer Dollmetſcher. Folglich muß mans ihm noch Dank wiſſen, daß er viel ſchwe - re Stellen in ſolch Licht geſetzet, daß man den Horaz verſtehet, wo er vorher unverſtaͤndlich war. Weil alſo ſeine Ueberſetzung accurat und in zier - lichen deutſchen Verſen geſetzet iſt, koͤnnen wir dem D. Reichhelm ohnmoͤglich im Grabe feind ſeyn, noch ihn widerlegen wollen; ſondern es iſt bloß der Horaz ſelbſt, mit dem wirs zu thun haben, und man kann ihn um deſto eher in ſeiner Bloͤße attaquiren, da er ſo deutlich uͤber - ſetzet iſt. Meines Wiſſens hat der Herr Am - broſius Haude in Berlin den Reichhelmiſchen Erben 80 Rthlr. fuͤr das Manuſcript geboten, die es aber, ſo viel ich vernommen, fuͤr 150 Rthlr. nach Hamburg verkaufet, oder vielleicht noch das Original-Concept beſitzen.

Sie muthen mir, meine Herren, nicht an, daß ich des Horaz Buch de arte poëtica, bey der vorhabenden unumſtoͤßlichen Widerlegung deſſelben, von Stuͤck zu Stuͤck durchgehen und refutiren ſolle. Muß man denn einen Gegner eben wie eine Veſtung tractiren, da man erſt weitlaͤuftige Circumwallations-Linien macht, hernach approſchiret, darauf die Trenſcheen er - oͤffnet, Batterien aufwirft, Stuͤcke pflanzet, und Fuß vor Fuß avanciret? Nein, ich werde es hier mit dem Horaz machen, wie es bey der erſten Belagerung der Stadt Praag ergangen. Sie ward mit ſtuͤrmender Hand erobert. JchLwerde162Widerlegung des Horazwerde mir des Horaz Buch wie einen Gewap - neten vorſtellen, dem man mit einer einzigen Kugel vor den Kopf das Lebens-Licht ausbla - ſen kann.

Jch mache einen Syllogiſmum in forma probante, welcher ein rechter Treffer auf den Scheitel des Horaz waͤre, falls er noch lebte. Jch ſchlieſſe alſo: Was der Horaz ſelber hoͤchſt tadelt, das muß man, nach aller Horazianer Ausſpruch, auch tadeln. Nun aber ſchreibet er ſelbſt: O imitatorum ſeruum pecus; und tadelt alſo die Nachahmer, ſo daß er ſie auch mit ſclaviſchem Vieh vergleichet; folglich wuͤr - de er uns neue Poeten, wo er noch lebte, fuͤr ſclaviſche Beſtien halten, wenn wir ſeine Imi - tatores ſeyn, mithin auch, wenn wir aus ſeinem Buche de arte poëtica uns Regeln der Nach - ahmung in der Dichterey ziehen wollen.

Waͤren wir nun ein ſeruum pecus, wenn wir ſeine Imitatores wuͤrden: So ſoll er vor uns wol Friede haben, daß wir nicht ſuchen wer - den, ihn zu imitiren. Er mag ſeine poetiſche Weisheit immer fuͤr ſich behalten. Was nuz - zet aber ſein Buch de arte poëtica, wenn man die Dicht-Kunſt nicht draus lernen ſoll? Zu nichts; man muͤßte denn ihm nachahmen duͤr - fen. Denn er hat nicht eines andern Dicht - Kunſt beſchrieben, ſondern was ihm ſelbſt als dichtermaͤßig vorgekommen. Setzet er nun einen ſo ſtarken Trumpf darauf, daß er die imi - tatores ſchlechtweg ein ſeruum pecus heiſſet:So163de arte poëtica. So gilt es auch auf die imitatores ſeiner artis poëticae.

Wollte man ſagen, er rede nicht von den imi - tatoribus uͤberhaupt, daß dieſe alle ein ſeruum pecus waͤren; ſondern dieſer Ausdruck ſeruum pecus ſey eine idea acceſſoria ſubiecti, oder daß er nur von ſclaviſchen Nachaͤffern rede: So iſt dis eben, was ich ſage, daß wir es fuͤr eine ſclaviſche Nachaͤffung halten, uns an ſeine re - gulas artis poëticae zu binden.

Jch trete nunmehro, meine Herren, ab, und hoffe, meinen Gegner Horaz mit ſeinem eignen Schwerdte erleget zu haben. Doch ſie lachen, meine Herren, und weiſen mich mit ihren Au - gen, auf den Tiſch zu ſehen, wo lauter mathe - matiſche Thier-Kreiſe abgezeichnet zu finden. Jch merke, dis wolle ſo viel ſagen, als: Jch haͤtte mich bloß in einem Kreiſe herum gedre - het, und, wie es die Lateiner nennen, ſo ich aber nicht deutſch zu geben weiß, eine petitionem principii begangen.

Da ich alſo ſchon im Begriffe war, abzutre - ten, ſehe mich genoͤthiget, noch ein wenig Stand zu halten, und mit ein paar Worten darzu - thun, daß ich entweder keine petitionem prin - cipii begangen, oder aber es erlaubt ſey, ſolche zu machen. Jch beſinne mich nun, es ſiehet faſt ſo aus, als habe ich eins durch das andre be - wieſen. Denn ich habe hinter der Hand, oder per obliquum, behauptet, Horaz ſey zu ver - werfen: ratio, weil er ſelbſt es verwirft, einenL 2zu164Widerlegung des Horazzu imitiren. Nun koͤnnte man mir einwerfen: Er tadle nicht jede Jmitation, ſondern nur die ſeruilem. Die imitationem maſculam aber nehme er tacite aus. Jch verſetze dawider: Es gebe keine imitationem maſculam. Denn ent - weder bemauſe man ihn, wenn man ganze Stel - len ausſchreibt, oder es klappt nicht recht, wenn man parodiret; folglich iſt alle imitatio ſerui - lis, oder eine ſclaviſche Nachaͤffung.

Jch ſehe eine neue Einwendung voraus. Man wird mir ein in meinen Schluͤſſen begangenes noch anderes Sophiſma beymeſſen, naͤmlich ei - ne fallaciam a dicto ſecundum quid ad dictum ſimpliciter. Horaz rede nur von ſclaviſchen Nachaͤffern; ich aber mache alle Nachahmer zu einem ſclaviſchen Vieh. Jch behaupte dage - gen: Horaz rede gar zu uneingeſchraͤnkt: O imi - tatorum ſeruum pecus! welches man ja nicht ſuͤglicher uͤberſetzen kann, als entweder nach den Worten: O du knechtiſches Vieh derer Nach - ahmer! oder aber nach den Gedanken: O ihr ſclaviſchen Nachaͤffer anderer! Er will alſo, ſo viel ich einſehe, es nicht untaxirt laſſen, wenn man ſich einen andern, wer es auch ſey, zum Muſter genauer Nachahmung vorſetzet. Es ſey entweder affectirt, wenn man einen andern imitire; oder dem andern ungelegen, wenn er ehrgeizig ſey: Alſo praͤtendire er, daß man ihn wol bewundern, aber nicht nachahmen ſolle. Nun fragen wir Reim-Schmiede und kriechende Poeten nichts darnach, ob unſere Nachahmunganderer165de arte poëtica. anderer affectirt herauskomme, oder die Origi - nale, denen wir nachahmen, ſichs fuͤr einen Schimpf achten, daß, anſtatt ihnen nachzuflic - gen, wir ihnen nachkriechen, mithin von der Nachahmung derſelben weit ab ſind; aber die erhabenen Poeten bekommen doch dadurch ihre Lection, daß, wenn ſie ſich zu genau an irgend eines Poeten Muſter baͤnden, ſollte es auch ſelbſt Horaz ſeyn, ſie ein ſeruum pecus imitatorum ſeyn wuͤrden.

Noch ein Sophiſma ſcheinet hinter meiner Dollmetſchung von den angefuͤhrten Worten des Horaz zu ſtecken. Man nennet das ein Sophiſina in diuiſione, wenn man diejenige Idee zum praedicato einer Propoſition referiret, die zum ſubiecto haͤtte geſchlagen werden ſollen. Alſo ſey hier der Satz eigentlich dieſer nicht: Imitatores ſunt ſeruum pecus. Denn ſo waͤ - re die Idée eines ſerui pecoris das praedica - tum von dem ſubiecto, oder imitatoribus; ſon - dern eben dieſe idea: pecus ſeruum, gehoͤre, als eine Neben-Jdee, ja als eine idea limitans, zum ſubiecto, naͤmlich imitatorum, ſo daß Ho - raz ſo viel ſagen wollen, als: Illi imitatores, qui ſunt ſeruum pecus, ſunt reprehendendi. Aber auf dieſe Art haͤtte Horaz das ganze prae - dicatum verſchlucket. Denn wenn ich nun ſpraͤche: O ihr ſclaviſchen Nachaͤffer anderer! O ihr plumpes Vieh bey Nachahmung anderer! So waͤre es doch keine vollſtaͤndige Propoſi - tion, wo man nicht zu dieſem ſubiecto wenig -L 3ſtens166Widerlegung des Horaz. ſtens in mente ein ſubiectum ſupplirte. Wer kann uns aber dafuͤr gut ſeyn, ob Horaz die J - dee ſeruum pecus habe als eine acceſſoriam et reſtringentem ſubiecti, naͤmlich imitatorum, angeſehen wiſſen wollen; oder ob er nicht viel - mehr den Satz im Kopfe gehabt: Vos imita - tores eſtis ſeruum pecus. Jhr Nachahmer ſeyd ein ſclaviſches Vieh. Haͤtte er dieſes ſa - gen wollen: So iſt mein Schluß richtig: Sind alle Nachahmer ein ſclaviſch Vieh, alſo auch die Nachahmer des Horaz poetiſcher Dicht - Kunſt. Und gewiß, es laͤßt ſich kaum einer imitiren, wo man ſich nicht in Gedanken an ſeine Stelle ſetzet, ihm auf dem Fuße nachgehet, und ſeinen Character auszudruͤcken ſuchet. Die - ſes habe ich mir nun, in Anſehung ihrer poeti - ſchen Meiſterſtuͤcke, meine Herren, zu thun vor - genommen, wenn gleich Horaz mich hundert - mal ein ſeruum pecus hieſſe!

Siebentes Probeſtuͤck. Etliche, nach den Regeln der Reimſchmiede - Kunſt und kriechenden Poeſie gefliſſentlich eingerichtete, poetiſche Meiſterſtuͤcke.

Vorerinnerung.

Jch haͤtte von Rechts wegen bey E. loͤblichen Froſchmaͤusler-Geſellſchaft annoch zwey poeti - ſche Proben uͤberreichen ſollen, darunter die ei - ne ein Knittel-Gedichte, oder Hans-Sachſen - Poeſie, die andere ein ſpecimen von kriechen -der167Poetiſche Meiſterſtuͤcke. der Poeſie geweſen waͤre. Weil ich aber, bey den ſechs vorhergehenden Probeſtuͤcken, ſchon ſo viel Arbeit und Zeit-Aufwand gehabt: So iſt der Secretair obiger Geſellſchaft fuͤr mich por - tirt geweſen, und hat in Vortrag gebracht: Daß die beyden poetiſchen Meiſterſtuͤcke, die ich hierdurch uͤberliefere, per imputationem mora - lem dafuͤr angenommen werden moͤgten, als wenn ich ſie ſelber aufgeſetzt.

Das erſte iſt ein Knittel-Gedicht, welches gewiß einer muß gemacht haben, der kein ge - meiner Reim-Schmied geweſen. Es ſind faſt alle Regeln der Reimſchmiede-Kunſt und krie - chenden Poeſie mit Fleiß darinn angebracht, und lautet, wie folget:

Wenn mich etwan Unmuth und Grillen
Daheime wollen plag’n und trillen:
So pfleg ich dann ganz ſaͤuberlich
Auf das Land zu erheben mich,
Vergeß daſelbſt das widrig Gluͤck
Und mein leidiges Geſchick,
Welche ſind Geſchwiſter Hur-Kinder,
Martern mich alle beyd nicht minder,
Laſſen mich ſtehn, woll’n mich nicht dingen,
Laſſen mirs in keinem Stuͤck gelingen;
Sondern plagen und nagen mich baß,
Als wenn ich waͤr ein Raben-Aas.
Wenn ich nun ſo daran gedenk,
Fehlt wenig, daß mich nicht erhenk;
Jedoch, weil es verbothen iſt,
Auch nicht fein ſtehet, wenn ein Chriſt
Jſt aufgeknuͤpft mit einem Strang,
Und haͤngt ſo da die Laͤnge lang:
So bleibe ich denn immer leben,
Thu mich zu gut’n Freund’n begeben,
L 4Sowol168Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Sowol in als auſſer der Stadt,
Wie ſich noch neulich begeben hat,
Daß ich drauß’n in Loſchowitz
Hielt ein Paar Tage meinen Sitz,
Und fuhr darnach wieder zuruͤck
Mit einer Schiffs-Frau kurz und dick,
Jſt vielen Leuten wohl bekannt,
Wohnt drauſſen an der Elben Strand.
Sie erzehlet mir manch alte Maͤhr,
Als wenn es geſtern geſchehen waͤr,
Sprach unter andern auch zu mir:
Jch ſollt anitzt zuſehen hier,
Wie der Elb-Fluß da waͤr ſo klein,
Als er wol moͤgt geweſen ſeyn,
Da wir gehabt die blaue Noth,
Zu viel Fleiſch und zu wenig Brod:
Meynt, da die Schweden hier geweſen.
Thaͤt ferner den Planeten leſen,
Sagt: Es waͤr ein ſo truckner Sommer,
Macht Schiff - und Muͤllern großen Kommer,
Auch andern ehrlichen Leut’n mehr.
Ein boͤs Zeichen muͤßt regieren ſehr,
Etwan Saturn, od’r Scorpion,
Daß der Gift fiel herab davon.
Der Mond haͤtt auch viel ſchlimm Ausfluͤß,
Wie ihr Calender gaͤb Zeugniß,
Verkuͤndigte viel Wunder-Dinge,
Daß der Himmel voll Jammer hienge.
Von Krieg, Peſt, theurer Zeit und Tod
Waͤr duͤrrer Somm’r gewiß ein Bot,
So auch kleine Waſſer prophezey,
Welches ſie oft erfahren frey;
Und macht davon ſo viel Gerede,
Daß ich dacht: Haͤtte dich der Schwede!
Sie iſt gleich alſo vielen Leuten,
Die meynen, gleich muß was bedeuten,
Wenn Hunde heulen, Katzen mauen,
Oder dicke Nebel zu ſchauen,
Wenn169Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Wenn Winde wehn und regnet viel,
Wenns Waſſer waͤchſt, ſteigt uͤbers Ziel,
Wenn Sonn und Monden etwan roth,
Legen ſie’s aus von Krieg und Tod;
Wenn Wolken wunderlich gethuͤrmt,
Alsdenn viel Ungeluͤck herſtuͤrmt;
Wenn etwan auftrit ein Comet,
Mit ſeinem Schweif gar praͤchtig geht:
So ſchreyen ſie gleich aus Mirakel,
Guck’n in Gottes Tabernakel,
Halten alles fuͤr Wunder-Zeich’n,
Denk’n die Deutung zu erreich’n.
Da ſolche Thoren beſſer thaͤten,
Laͤſen Moſen und die Propheten,
Auch der Evangeliſten Schaar,
Die koͤnnen beſſer ſagen wahr,
Die ſprechen: Wenn herrſcht Suͤnd und Schand:
So ſtrafe Gott ein ſolches Land.
Wo man ab’r leb in Ehrbarkeit:
So ſchon uns Gott mit Plag und Leid.
Das iſt die rechte Prophezey;
Das andre iſt nur Phantaſey,
Das alte Weib’r, Kinder und Gecken
Jn ihrem Kalbs-Gehirne hecken,
Und plagen damit ehrlich Leut,
Wie mir geſchehn zu dieſer Zeit:
Denn ich mußt ſolches mehr anhoͤren,
Bis wir thaͤten zu Lande kehren,
Da mußt ſie ſchweigen wider Will.
Wie es denn giebt der Weiber viel,
Die immer in das Gelag nein waſchen,
Und brauch’n alſo ihre Maul-Taſchen,
Daß man davon wird als wie taub,
Jn die Haͤnd mir kommen iſt der Glaub.
Darum ſpricht jener weiſe Mann:
Daß der ſtark ſey, ſo ſchweigen kann.
Auch Syrach und Fuͤrſt Salomon
Schreiben mit Fug und Recht davon:
L 5Daß170Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Daß die Zung zwar ein kleines Ding,
Daran doch’s Menſchen Wohlfahrt hieng.
Mancher hat erobert Thurm und Mauren,
Muß letzt um ſeine Zunge trauren.
Drum Schwatzen und Plaudern bringt Elend;
Schweigen hat niemals einen geſchaͤndt.
Sonderlich das lieb und ſchoͤne Geſchlecht
Weiß ihre Zung zu brauchen nicht recht:
Plappern, plerren, waſchen und reden,
Wenn ſie mit Schweigen beſſer thaͤten.
Doch giebt es auch gar viele Maͤnner,
Die von ihrer Zung nicht ſeyn Herr,
Machen viel Wort, und ſagen nicht viel,
Die taug’n nicht ein’n Birnen-Stiel.
Als ich nun ſo erloͤſet war
Von dieſer augenſcheinlich Gefahr,
Zu verlieren auf eines mein Gehoͤr,
Wenn die Fahrt haͤtt gedauret mehr:
So gieng ich heim in meine Stube,
Da kam zu mir mein Knecht und Bube,
Sprach: Es ſtuͤnd dort an meiner Thuͤr
Ein Mann, der kaͤm ihm ehrlich fuͤr,
Saͤh ehrbar aus, waͤr ſchwarz bekleidt,
Haͤtt eine Krauſe lang und breit,
Mit Seif und Laugen weiß gewaſchen,
Und einen Brief in ſeiner Taſchen.
Jch ließ ihn bald zu mir rein kommen,
Damit ſein Antrag werd vernommen.
Bin nicht, wie viel hochmuͤthig Leut,
Die thun, als haͤtten’s nicht der Zeit,
Thun als was rechts, verſtecken ſich,
Mit ihn’n zu ſprechen iſt ſchwerlich;
Machen ſich gar groß und viel zu ſchaffen,
Und ſind der Vornehmen ihre Affen;
Wollen, als wie die großen Herrn,
Mit jedermann nicht ſprechen gern;
Meynen, es ſey verkleinerlich,
Wenn ſie ſo viel erniedern ſich;
Blaſen171Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Blaſen die Backen; ſtrotzen den Ranz;
Denk’n, ſinds ſelber gar und ganz.
Hochmuth und Geiz ſind von den Dingen,
Die jedermann in Abſcheu bringen.
Ein jeder des Hoffaͤrt’gen lacht,
Ob er gleich wird von ihm veracht.
Drum Demuth iſt ein zierlich Tugend,
Schmuͤckt Mann und Weib, Alt’r und Jugend,
Jch mich derſelben auch befleiß,
Verdien damit auch Ehr und Preis.
Obwoln Kayſerlich Majeſtaͤt
Mir unverdient die Gnade thaͤt,
Macht mich durch ein Palatinus
Zus Roͤmiſchen Reichs Notarius.
Bin auch ein kuͤnſtlich Advocat,
Dien meinem Naͤchſten fruͤh und ſpat,
Darf frey bey hieſiger Canzeley
Rechts-Sachen fuͤhren ohne Scheu,
Jſt manchem Kautzen nicht vergoͤnnt,
Ob er ſich gleich die Schuh abrennt.
Doch dieſe Ehren mannigfalt
Verhindern mich in keiner Geſtalt,
Daß ich nicht Demuth lieben ſollt.
Denn was bey Erzen iſt das Gold,
Das iſt die Tugend der Demuth,
Schad niemand, iſt zu vielen gut.
Deswegen, wie ich hab verſtahn,
Daß an der Thuͤre waͤr ein Mann,
Ließ ich ihn alſobald hertreten.
Er kam mit zierlichen Geberden,
Sah aus, als wie ein geiſtlich Ritter,
Es war der Grab - und Hochzeit-Bitter,
Sprach zu mir mit maͤnnlicher Stimm:
Mein Herr Notarius, vernimm,
Wie ich anitzt bin hergeſandt
Von Braut und Braͤut’gam, wohlbekannt,
Bitten ſich aus ſeine Beywohnung,
Wenn man ſie fuͤhret zur Trauung;
Darnach172Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Darnach ſoll er nebſt andern Gaͤſten
Mit Speis und Trank ſich weidlich maͤſten:
Denn in des Rathes Breyhan-Haus
Wird zugericht ein Hochzeit-Schmaus;
Kann dabey luſtig lachen und ſcherzen,
Die Jungfern, wenn ſie wollen, herzen;
Machen auch ſonſten gute Schwier,
Trink’n guten Wein und friſches Bier,
Das man herbringt von Gavernitz,
Loͤſcht aus den Durſt, vertreibt die Hitz,
Und was er ſagte noch vielmehr,
Der Ehre mich bedankte ſehr,
Ließ machen ein ſchoͤn Compliment,
Wie Braut und Braͤut’gam wohl bekennt.
Darauf ſo fiel mir jaͤhling ein,
Wie ich der Braut, ſo ſchoͤn und fein,
Unlaͤngſt mit Hand und Mund verſprochen:
Daß, wenn ihr Kraͤnzlein werd zerbrochen,
Wollt ich mit Vers und Dichterey
Auch ſchmuͤcken ihre Hochzeit frey.
Nun weiß ich wol zu dieſer Friſt,
Was ehedem geſchehen iſt:
Wie ich mir vormals eingebildt,
Als koͤnnte ich gar huͤbſch und mild
Die Wort in Vers und Reime zwingen,
Und ſchoͤn Poeterey vollbringen;
Wie ich denn in mein juͤngern Jahren,
Ob ich der Sach gleich unerfahren,
Reimte die Laͤnge und die Queer,
Meynt was fuͤr ein Poet ich waͤr,
Hielt mich fuͤr Phoͤbus Spieß-Geſellen,
Dacht, ich koͤnnt fein Gedichte ſtellen.
Wie denn inſonderheit die Jugend
Hat dieſes Laſter und Untugend,
Vermeynen, alles zu verſtehn,
Und habn die Sache kaum geſehn,
Bildn ſich gar groß Dinge ein,
Wollen gelehrt und altklug ſeyn,
Protzen,173Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Protzen, prangn und bruͤſten ſich,
Denken, alle Leut itzt ſehn auf dich.
Und ſo gehts zu in allen Staͤnden,
Wo wir uns in der Welt hinwenden,
Jeder denkt, er habs erwiſcht,
Da man ihn heimlich doch ausziſcht;
Man lacht geheim ins Faͤuſtgen nein,
Daß Thoren meynen klug zu ſeyn:
Denn Weisheit wird bey ihn’n geacht,
Als kaͤm ſie ohnvermerkt die Nacht,
Wenn ſie dort ſchnarchen, ſchlafn und raſtn,
Und kroͤch in ihrn Narren-Kaſtn,
Als wie eine Maus in eine Fall,
Mach ſie verſtaͤndig uͤberall.
Und dieſes iſt die wahr Urſach,
Warum ich keinen Vers mehr mach:
Denn ich trag daran keinen Zweifel,
Was ich dicht, taugt nichts, wie der Teufel.
Bin nicht, wie manche junge Laffen,
Die, gleich als die poßirlich Affen,
Halten ihr Kind fuͤr huͤbſch und fein,
Da es doch nur Meer-Katzen ſeyn.
Jedoch, weil Wort und Zuſag halten
Gar wohl anſtehet Jung und Alten:
So hab ich dieſes ausgedacht,
Und einen Bogen voll gemacht.
Schickt ſichs nicht gut: So reimt ſichs doch.
Jch hab viel mehr geſehen noch,
Das ſich noch wenger reimt und ſchickt,
Und wird doch immer hingedruͤckt.
Jch meyn, ſoll gut genug noch ſeyn,
Den Bratn huͤbſch zu wickeln drein,
Auch Kuchn und Aepfel einzupacken,
Und das Confect hinein zu ſacken;
Weil doch von meiſtn wird gedacht,
Daß man darzu die Reime macht.
Das macht, ihr Haupt iſt wuͤſt und leer,
Wie es bey der Erſchaffung waͤr;
Daher174Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Daher haben ſie nur Spott daran
Mit Sachen, die ſie nicht verſtahn.
Doch, wenn ich laͤnger ſchreib Moral,
Schreib ich von hier bis Portugal,
Und auch noch wol eine Ecke druͤber,
Weil mir darob kommt an das Fieber,
Und werde ich gar ſehr erboſt,
Wenn mir ſo ein Laßduͤnkl aufſtoßt,
Meynt, er hab all Weisheit gefreſſen,
Da andre Leut doch mehr vergeſſen,
Als er, ſein Vatr und ganz Geſchlecht
Habn ihr Tage gelernet recht.
Doch hier will ich nunmehr abbrechn,
Und letzlich ein fein Wuͤnſchlein ſprechn,
Thu mich daher gar zierlich wenden
Mit Hofmaͤnniſch gefaltnen Haͤnden
Zur lieben Braut und Braͤutigam,
Die heut beginn’n einen neuen Stamm,
Und fangen an nun Haushaltung,
Sind zufrieden mit Gottes Schickung,
Der ſie zuſammen hat gebracht,
Wie ers mit Ev und Adam macht.
Jch hoff, ſie ſollens auch ſo machn,
Und nicht vergeſſen Scherzn und Lachn,
Wie Jſaac thaͤt mit Rebecca,
Als man von ferne ihm zuſah.
Jch wuͤnſch daher an dieſem Tag:
Daß ganz abweich all Noth und Plag;
Hingegen moͤge Gottes Segen
Auf ihr Haus und die Jhr’gen regen,
Und zwar ſo haͤufig und Brets-dick,
Daß alles Boͤs davon erſtick;
Der Neid mit ſeinen gift’gen Laffen,
Der mache ihnen nichts zu ſchaffen;
Der Himmel laß ihr Thun gelingen,
Daß ſie Frucht hundertfaͤltig bringen;
Und obſchon um ein großes minder,
Schadt nicht, weil nicht gut ſeyn viel Kinder,
Sie175Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Sie plappern, ſchreyn, kluchzen und ſchnarr’n,
Daß man moͤgt werden faſt zum Narr’n,
Sie machen den Kopf wuͤſt und toll,
Wenn davon das Haus gar zu voll.
Drum wen’g und gut iſt ein Sprichwort,
So itzo auch anher gehort.
Daher an dieſen Hochzeit-Tagen
Wuͤnſch ich es auch mit Herz und Magen
Und meinem ganzen Eingeweid:
Der liebe Gott geb ſtete Freud!

Gewiß, es kommen in vorſtehendem Hans - Sachſen-Gedichte artige Treffer vor, und laͤßt ſich mit Luſt leſen. Uebrigens habe nachgedacht, warum man wol dergleichen Gedichte Knittel - Verſe nenne? Kaͤme die Bedeutung vom Wor - te Knittel: So hat man zwey Spruͤch-Woͤr - ter in der deutſchen Sprache, die ſich darauf in etwas appliciren laſſen. Das eine lautet: Wenn man mit Knitteln unter die Hunde wirft, weldet ſich der getroffene. Das heißt in hypotheſi: Man kann in Knittel-Reimen einen ſo gut railliren, als in einer foͤrmlichen Satyre. Hiernaͤchſt iſt ein ander Spruͤch - Wort: Der Knittel iſt nicht weit vom Hun - de. Denn man laͤßt ſie oft mit einem Knittel am Halſe laufen. So hat denn auch ein ſcher - zender Poete ſeinen Knittel am Halſe, das iſt, er muß nicht aus den Schranken eines Dich - ters gehen, damit er nicht auf die Finger geklop - fet werde.

Nun fuͤge ich noch das andere Meiſter-Stuͤck hinzu, welches ein, à deſſein, nach den Regelnder176Poetiſche Meiſterſtuͤcke. der kriechenden Poeſie, von einem unſerer Mit - glieder, dem kleinen Schlangen-Kopfe, auf - geſetztes Lob-Gedichte auf den Knobloch iſt, ſamt einer, in Hans-Sachſen-Reimen verfer - tigten, Zueignungs-Schrift ſothanen Lob-Ge - dichtes an Tit. Hn. D. Knobloch, vornehmen Rechts-Conſulenten und beruͤhmten Dichter in Zittau, auch, dem Vernehmen nach, ernannten Krieges-Rath, ſed neſcio vbi? Jch habe nicht die Ehre, ihn von Perſon, ſondern nur aus ſeinen haͤufigen Gedichten zu kennen. Er wird es nicht uͤbel nehmen, daß, da wir dis ganze Werkgen der preiswuͤrdigen Freymaͤurer-Geſellſchaft in Ber - lin dediciret, wir dis letzte Gedichte ſeinem poeti - ſchen Namen beſonders weihen. Nach der ſehr guten Meynung, die ich inſonderheit von ihm ha - be, und nach dem eingefuͤhrten Gebrauch E. Loͤbl. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, habe ich, in meiner Eintritts-Rede, ihn, nebſt noch zweien andern wuͤrdigen Poeten, vorgeſchlagen, alle drey zu erſu - chen, in unſere kurzweilige Geſellſchaft zu treten. Sollte ich nun mit meinem wohlgemeynten Vor - ſchlage, wie man ſpruͤchwortsweiſe redet, den bloſ - ſen ſchlagen: So wuͤrde ich daruͤber ſehr erroͤthen. Wir hoffen daher, er werde Scherz und Ernſt zu diſcerniren wiſſen, und uns auf dieſe oͤffentliche Einladung einer Antwort wuͤrdigen, oder ſolche an den, bey der erſten Dedication ſich nennenden, Secretair unſerer Geſellſchaft uͤberſenden. Jch rede ihn, im Namen eines meiner getreuen Mitge - huͤlfen, alſo an:

Kunſt -177

Kunſtbewaͤhrtes Quodlibetiſches Lob-Gedichte auf den Knobloch, ein, ſonderlich bey Juden, hochgehaltenes Kraͤutrig. Samt einer Zuſchrift an (S.T.) Herrn D. Knobloch, weltberuͤhmten Poeten und hoch - beſtallten Krieges-Rath, aufgeſetzt in kunſtreichen Hans-Sachſen-Reimen von Hans Reimſchmidten, Baccalaureus in der Dicht-Kunſt. Freyberg, 1742.

M178

Ganz gehorſamſte Zuſchrift an den weltberuͤhmten Poeten und hoͤchſt gluͤcklichen Reim-Erfinder, auch hochbeſtallten Krieges-Rath, (S. T.) Herrn Doctor Knobloch, aus Zittau; in vormals beliebten, nunmehro aber altfraͤnkiſchen, Hans-Sachſen-Reimen, demuͤthigſt abgefaßt von Hans Reimſchmidt, aus Sachſen, gekroͤnten Baccalaureus in der Dicht-Kunſt.

Du in der Reim-Kunſt großer Mann!
Du Erz-Poete unſrer Zeiten!
Haupt-Dichter! welchem ich nicht kann,
Noch will, den Ehren-Ruhm abſtreiten;
Jch, ja ich armer Coridon,
Such einen großmaͤchtgen Patron;
Lies hier mein Knoblochs-Lob-Gedicht,
Jch habe es an Dich gericht,
An Sie, Herr Kriegs-Rath, wollt ich ſaan.
Nun geht mein rechtes Reimen an,
Nach des Hans Sachſens guter Art,
Die ſonſten hochgehalten ward.
Es179Zuſchrift.
Es fließt mir da beſſer mein Vers,
Als hochtrabend, mir glaube Ers.
Herr Doctor, ich gaͤb alles weg,
Wenn jemand mir zeigte den Steg,
So ſchoͤn zu reimen, als mein Herr:
Denn ich trage laͤngſtens groß Ver -
langen, als Baccalaureus
Der Dicht-Kunſt, die ich ruͤhmen muß,
Daß ich etwas von Seiner Kunſt
Nachmachen koͤnnte, ohne Dunſt.
Herr Doctor, Kriegs-Rath, ich es wag,
Weil man mir oftermals geſagt,
Man ſoll ein Muſter nehmen vor
Von Jhm, ich ſag es Jhm ins Ohr.
Jch hab mir Seine Vers gekauft,
Und manches alhier umgetauft,
Das iſt, ich bringe vieles an,
Davon ich nicht verſchweigen kann,
Jch habe es von Jhm geborgt;
Nun habe ich dabey beſorgt,
Jch, Dichts-Kunſt-Baccalaurcus,
Moͤgt heiſſen Plagiarius,
Das heißt, der aus den Schriften ſtiehlt,
Unds fuͤr ſeine Arbeit ausgiebt;
Damit mirs nun nicht auch ſo geh:
So ſag ich Jhme, ſonder Weh,
Was guts an meinm Gedichte iſt,
Das dank ich Jhm zu jeder Friſt.
Nur hab ich auch aus meinem Kopf,
Um nicht zu ſeyn ein armer Tropf,
Etwas eigenes zugethan,
Er ſeh es nur, Herr Doctor, an.
Jch bin auch ſchluͤßlich im Gemuͤth
Sein willger Diener

Hans Reimſchmied.

M 2Quod -180
Quodlibetiſches Lob-Gedichte auf den Knobloch, ein Kraͤutrig, das ſonderlich die Juden ſehr gernè eſſen.
1.
Knobloch ſchmeckt gut, bey meiner Seel:
So ſprach juͤngſt Mauſchel Jſmael;
Er ſtank nach Knobloch, wie ein Bock,
Jn ſeinem abgeſchabten Rock.
Er kam aus dem entlegnen Polen,
Sich bey uns; nein, aus Halberſtadt,
Recht guten Knobloch abzuholen,
Weil man da ſolchen oͤfters hat.
2.
Knobloch ſchmeckt kauſch, ich bleib dabey:
So machte Eſther ein Geſchrey,
Des Rabbi Großbarts Eheweib;
Ja, ſie ſchrieb den hochſchwangern Leib
Der Kraft des edlen Knoblochs-Krautes
Jm Ernſte zu, und ſprach: Da kaut es,
Es ſchmeckt wie ſuͤße Marcipan,
Mir iſts ſo lieb, als wie mein Mann.
3.
Hier that nun zweyer Zeugen Mund
Des Knoblochs Lob mir erſtlich kund.
Jch haͤtte ſonſt nicht dran gedacht;
So aber hatt ich darauf Acht.
Jch konnt ein Thema nicht erfinden,
Denn alles war ſchon durchgereimt;
Jch ſaß gleich unter Leipzigs Linden,
Man hatte Verſe angeleimt:
4. Zu181Lob des Knoblochs.
4.
Zu wiſſen, (ſo war es geſetzt)
Daß, welcher ſeinen Witz gewetzt,
Und auf den Knobloch ein Gedicht
Aufſetzet, das gut eingericht,
Dem geb ich dafuͤr zwey Ducaten,
Nebſt einem fetten Schweine-Braten,
Den habe ich ſchon zugeſchickt,
Und iſt mit Knobloch wohl durchſpickt.
5.
Halt! zwey Ducaten, dachte ich,
Sind ſchon der Muͤh werth, ſicherlich,
Daß man dafuͤr den Knobloch lobt,
Wenn gleich der Neid dawider tobt.
Man giebet heut fuͤr ein Gedicht
So leichte zwey Ducaten nicht.
Ein Braten geht noch oben drein,
Gewiß, der ſchmecket auch ganz fein!
6.
So thu ich denn dagegen kund,
Und ſchwoͤre hier mit Herz und Mund:
Woferne niemand mich abſticht:
So geb ich dies mein Lob-Gedicht
Vom Knobloch fuͤr zwoͤlf ganze Batzen;
Denn zwey Ducaten iſts nicht werth,
Nur wird der aus der Schul nicht ſchwatzen,
Der mir ſo weniges verehrt.
7.
Nun geht das Lob vom Knobloch an:
Der Knobloch ſtaͤrket Frau und Mann;
Der Knobloch iſt dem Magen gut;
Der Knobloch machet friſchen Muth;
Der Knobloch taugt bey jedem Eſſen;
Den Knobloch ſoll man nicht vergeſſen;
Der Knobloch ſtinkt, und nutzt doch ſehr,
Der Knobloch iſt in großer Ehr.
M 38. Er -182Nachſpiel.
8.
Erregt euch ein Proceß die Gall,
Der Knobloch hilft euch uͤberall.
Haͤtt ein jung Weibgen gern ein Kind,
Der Knobloch hilft dazu geſchwind.
Hat einer Grimmen in dem Bauch,
Der Knobloch hilft dawider auch.
Der Knobloch hilft zu allen Sachen,
Und auch ſogar zum Verſemachen.

Nachſpiel, oder Kurze Nachricht von den Ceremonien bey Aufnahme eines neuen Candidaten oder Candidatin in die Hans-Sachſen - und Froſchmaͤusler - Geſellſchaft allhier.

Nachdem ich vorſtehende ſieben Probeſtuͤcke uͤberreichet, und E. Loͤbl. Froſchmaͤusler - Geſellſchaft ſolche ein acht Tage in Deliberation gezogen: So wurde mir, zur wirklichen Auf - nahme, gerade der Tag angeſetzt, den die Geſell - ſchaft hochfeyerlich begehet, weil ihr erkohrnes Oberhaupt, der weyland beruͤhmte deutſche Poe - te, Hans Sachſe, an ſolchem Tage ehedem gebo - ren worden, deſſen Ehren-Gedaͤchtniß, unter ei - ner eigenen Compoſition, ſowol beym Anfange als Schluß der Aſſemblée, vornemlich durch ge - meinſame Abſingung des folgenden, ihm zu Ehren gefertigten, Liedleins, bey uns celebrirt wird. Wir183Nachſpiel. Wir haben einen eigenen Marſch darauf com - poniren laſſen; es kann aber auch nach der Me - lodie des erbaulichen Morgenliedes: Wie ſchoͤn leuchtet der Morgenſtern am Firmament des Himmels fern, ꝛc. geſungen werden, und lautet alſo:

Hans Sachs! Hans Sachs ſo loͤbelich,
Jſt uns geboren ſaͤuberlich
Von ſeiner Mutter heute.
Unſer lieber Froſchmaͤuſeler
War ein Poet, fuͤrtrefflicher,
Als wir verdorbne Leute.
Zucket, ducket!
Jhm zu Ehren laßt uns hoͤren;
Holt die Leyer,
Auch die Sackpfeif zu der Feyer!

Nach beſchehener Abſingung wurden mir Hans Sachſens Buͤcher, nebſt dem Froſchmaͤuſeler, in Schweins-Leder eingebunden, vorgeleget. Jch mußte von der einen Ecke des Bandes uͤber die an - dere mit dem Daumen und kleinen Finger hinweg ſpannen, ob ichs uͤberſpannen koͤnnte. Weil aber niemand die Hand ſo weit ausdehnen kann: So muß jedes Mitglied bey der Aufnahme angelo - ben, daß, ſo wenig er dieſe Buͤcher uͤberſpannen koͤnne, ſo wenig wolle er aus den Schranken der Reimſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie weichen.

Darauf wieſe man mir die Froſchmaͤuſeler - Bibliothec, darinn lauter Scribenten in proſa und ligata vorkommen, die etwas kriechendes,M 4oder184Nachſpiel. oder auch Hans-Sachſiſches, an ſich gehabt; da denn manche große Namen, wegen gewiſſer Froſchmaͤusleriſcher Stellen, ſo in ihren Schrif - ten ſtehen, mit in ſolcher Bibliothec, jedoch in einem beſondern Repoſitorio, zum Zeichen, daß ſie in den uͤbrigen Chapitren ganz von uns abgingen, zu finden waren. Weil mir nun Vorhaltung geſchahe, daß ich, durch Ausſprechung des Na - mens: Briontes der Juͤngere, wie auch durch etliche Paſſagen, zu Anfange des fuͤnften Pro - beſtuͤckes, ein jetzig Mitglied dieſer Geſell - ſchaft zu merklich verrathen, jedoch wegen des re - cipirten Wahlſpruchs: Honny ſoit, qui ſe chan - ge! die Sache nicht mehr zu aͤndern und zu cor - rigiren ſtehe: So verſtand ich mich zu einem ſelbſt - beliebigen Beytrage, zu Augmentirung ſothaner Bibliothec.

Nach dieſem ward, aus der Naturalien-Kam - mer, ein mit einer Maus zuſammengewachſener Froſch gebracht, als ein recht natuͤrlich Ebenbild der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. Jch mußte ſolche in die rechte und linke Hand nehmen, zum Zeichen, daß ich angelobte, lebenslang gut froſch - maͤusleriſch geſinnet ſeyn zu wollen. Denen ein - tretenden Frauenzimmern wird noch eine andere Curioſitaͤt zur Beruͤhrung vorgelegt, davon ein mehrers, wenn unſere Amarinthe de Feaux - Eſprit ihre Probeſtuͤcken in Druck geben wird. Jch weiß alſo nichts mehr hinzu zu fuͤgen, als mei - nen Leſern noch zu ſagen: Si vales, bene eſt, ego valeo!

[185]

D. P. Zwey hundert Waximen von dem geſunden Witz und guten Geſchmacke in allen Theilen der Gelehrſamkeit, wie auch D. I. E. P. Vier und zwanzig Louverts, als ein Gratial fuͤr den Herrn Baumeiſter des Tempels vom guten Geſchmacke. Egregiam vero laudem, et ſpolia ampla refertis Tu, templumque tuum, magnum et memorabile no - men! (virgil. 4. Aeneid. )Freyſtadt, 1743.

[186][187]

Dem Wohl-Edlen und Kunſt - erfahrnen Herrn, Herrn Critico Incognito, weitberuͤhmten Baumeiſter des Tempels vom guten Geſchmack, widmen nachſtehende zwey hundert Maximen und vier und zwanzig Couverts, als ein beſcheiden Eſſen,

Deſſen gute Freunde, Cordatus Pallatin, und Hans Carl Gutſchmecker.

[188]

Zwey hundert Regeln und Maximen vom geſunden Witze, dem Wohlklange und guten Geſchmacke.

Erſtes Hundert.

  • I.
  • Ein geſunder Witz, oder bon ſens, der Wohlklang und gute Geſchmack koͤnnen nie von einander getrennet werden; ſon - dern ſind drey Schweſtern, die ſich einander freundlich herzen.
  • II. Der bon ſens, oder geſunde Witz, be - urtheilet, was wohl klinge, und gut ſchmecke. Wenn nun etwas mit dem guten Geſchmacke und dem Wohlklange uͤbereinkoͤmmt: So kann man ſicher auf den vorhandenen geſunden Witz ſchlieſſen.
  • III. Wer eine Sprache aus dem Grunde ver - ſtehet, der hoͤret gleich, ob eine Redens-Art gut klinge; ſein zartes Gehoͤr beurtheilet alſofort, was falſch und unrein iſt. Eben ſo iſt der ge - ſunde Witz der genaue Aufmerker, ob etwas dem Wohlklange und guten Geſchmacke gemaͤß ſey, oder nicht.
  • IV. Der geſunde Witz iſt hauptſaͤchlich eine Gabe der guͤtigen Natur; doch kann er durch die Wiſſenſchaften und den Umgang mit beauxEſprits,189Zwey hundert Maximen ꝛc. Eſprits, oder ſcharfſinnigen Koͤpfen, und Leſung ihrer Schriften, mehr poliret werden.
  • V. Der geſunde Witz ſiehet auf die Rich - tigkeit der Gedanken; der Wohlklang auf deren netten Ausdruck; der gute Geſchmack auf die daher entſtehende Ruͤhrung des Her - zens.
  • VI. Die Wahrheit, und der Geſchmack der - ſelben, ſind zwey gar unterſchiedene Dinge. Jſt nun der Geſchmack verdorben: So wird einem das Wahre fuͤr falſch, und das Falſche als wahr vorkommen.
  • VII. Ein wirkliches Gut, und die Empfin - dung oder der Geſchmack eines wahrhaften Gu - res, iſt ebenfalls von einander oft weit unter - ſchieden. Die verkehrten Leidenſchaften des Herzens, und die vorgefaßten Meynungen eines unaufgeklaͤrten Verſtandes, machen, daß man - chem das wahre Gute gar nicht nach ſeinem Ge - ſchmacke iſt.
  • VIII. So weit die Menſchen in den Gemuͤths - Neigungen von einander unterſchieden ſind: So weit gehen ſie auch im Geſchmacke von einander ab. Was daher nach dem Geſchmacke eines Narren iſt, das wird einem weiſen Manne ei - nen Ekel verurſachen; und was dem Weiſen gut ſchmeckt, das wird einem Thoren uͤbel zu verdauen ſeyn.
  • IX. Die Liebe, der Haß und die Gleichguͤl - tigkeit haben einen großen Einfluß in den Ge - ſchmack. Eben der Einfall, der nach eines guſtoiſt,190Zwey hundert Maximeniſt, weil er von einem Freunde oder angeſehenen Manne, herruͤhret, wuͤrde ihm unſchmackhaft vorkommen, wenn ihn ſein Feind oder ein un - angeſehener Mann vorgebracht haͤtte.
  • X. Manche Schriften der Gelehrten, die das Ungluͤck haben, in uͤblem Rufe zu ſtehen, wuͤr - den fuͤr die herrlichſten Gedanken angeprieſen werden, wenn nur ein beruͤhmter Name davor ſtuͤnde; hingegen auch wuͤrden viele Schriften großer Maͤnner einem anſtinken, wenn ein verhaßter Name ſolchen vorangeſetzet waͤre. Der Credit, darinn ein Scribent ſtehet, giebt oft den ſchlechteſten Gedanken das trefflichſte Anſehen.
  • XI. Es iſt etwas ohnmoͤgliches, und eine Thorheit, zu verlangen, daß alle Menſchen ei - nerley Geſchmack haben ſollen. Wie die Na - tur einen Unterſchied unter denen Sachen und Perſonen gemacht: Alſo auch in dem Geſchmak - ke. Daher koͤnnen zwey einen ganz widrigen, und doch beyde einen guten Geſchmack haben.
  • XII. Wie derjenige, der gern Saures iſſet, darum nicht einen beſſern Geſchmack hat, als der gern Suͤßes koſtet, ſondern den einen das Suͤße ſo empfindlich ruͤhren kann, als den an - dern das Saure; eben ſo kann einer, der ernſt - haften Gemuͤthes iſt, mehr Geſchmack an ernſt - haften Sachen finden; dagegen dem, der eines luſtigen ſcherzhaften Gemuͤthes iſt, die aufge - weckten badinirenden Einfaͤlle mehr gefallen. Gleichwol kann man nicht ſagen, daß einer vonbeyden191vom geſunden Witze, ꝛc. beyden einen beſſern oder verdorbenern Geſchmack habe; ſondern man muß auch hier ſagen: Je - des Ding nach ſeiner Art.
  • XIII. Ein durchdringender Verſtand, der durch ſchnelle Einſicht das Verdeckte in den Ge - danken leicht aufdecken kann, wird an tiefſinni - gen bon-mots einen Geſchmack finden, da hin - gegen einer, der lange erſt nachdenken muß, bis er den rechten Sinn erraͤth, leicht einen Ekel daran bekommen wird.
  • XIV. Wo alſo die Natur ſelbſt die Gaben des Verſtandes verſchiedentlich ausgetheilt hat, muß kein Vernuͤnftiger einen andern in dem ta - deln, was ſeinem natuͤrlichen guſto gemaͤß, des andern Naturell aber entgegen iſt; vielmehr koͤn - nen beyde in ihrer Art einen guten Geſchmack haben.
  • XV. Wenn hingegen auf der einen Seite eine wirkliche Schwaͤche des Verſtandes iſt: So muß der Schwachkoͤpfige und im Denken Langſame den nicht tadeln, der mit ſeinem ſchnel - len Witze in die Tiefe eines Gedanken flugs dringet, die dem andern verborgen bleibt. Der Scharfſinnige hingegen muß auch den, der we - niger Witz und Geſchmack hat, nicht verachten. Denn beydes ſind Talente der weiſen und frey ausſpendenden Natur.
  • XVI. Wenn aber des einen Geſchmack aus einem Jrrthume oder Laſter herruͤhret, iſt er nothwendig verdorben, und alſo tadelnswerth. Alſo wenn ein keuſches Gemuͤth keinen Ge -ſchmack192Zwey hundert Maximenſchmack an Zoten, unzuͤchtigen Bildern und Stellungen findet, zeiget es einen richtigen gu - ten Geſchmack an; einen verdorbenen aber, wer ſich an ſolchen Dingen beluſtiget, und damit kuͤtzelt.
  • XVII. Es giebt Wahrheiten, die von keinem ſonderlichen Gewichte noch Nutzen ſind. Wer nun daran einen beſondern Geſchmack findet, und ſie denen noͤthigern und nuͤtzlichern Wahr - heiten vorziehet, der verraͤth damit ſeinen ver - dorbenen Geſchmack.
  • XVIII. Es giebt Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, die ſich fuͤr gewiſſe Staͤnde und Lebens-Arten ſchicken. Wer aber nicht in ſolchem Stande lebet, noch dergleichen Profeßion ſich fuͤr ihn ei - gentlich ſchicket, gleichwol ſie ſeinem eigenen Stande und Beruf vorziehet, der hat einen un - richtigen Geſchmack. Z. E. wenn ein Fuͤrſt wollte einen Schul-Gelehrten oder Handwerks - Mann abgeben; oder ein Gelehrter wollte Re - geln fuͤr Cabinets-Miniſter ſchreiben: So haͤt - ten beyde einen verkehrten guſto.
  • XIX. Wer eines andern Schriften unpar - teyiſch beurtheilen will, der komme ja nicht mit einem widrigen Affecte daruͤber, wenn der Au - tor etwa ſein Feind iſt, oder in keinem großen Anſehen ſtehet; ſonſt wird er wenig Geſchmack an deſſen beſten Gedanken finden; ſondern, wenn er ſeines Feindes Schriften lieſet, thue er, als wenn ſie ſein beſter Freund geſchrieben haͤtte. Hat ſie aber ſein Freund aufgeſetzt: So thueer193vom geſunden Witze, ꝛc. er im Gemuͤthe, als ob er den ſchaͤrfſten Gegner vor ſich habe.
  • XX. Wenn einer vor einer Schrift einen großen Namen ſiehet: So beſinne er ſich auf einen Scribenten, der einen verhaßten Namen hat, und thue, als ob ſolcher davor ſtuͤnde. Spricht nun ſein Verſtand dennoch das Urtheil, daß die Gedanken des Verfaſſers ſchoͤn ſind: So wird er ſchwerlich gegen den guten Geſchmack pecciren.
  • XXI. Hingegen auch, wenn vor einer Schrift ein verhaßter oder verdaͤchtiger Name ſtehet: So ſtelle er ſich einen angeſehenen Mann vor, als ob der ſolche Schrift gemacht. Giebt nun da ſein Verſtand gleichwol den Ausſchlag, daß die Gedanken des Verfaſſers mager, ſchluͤpfrig, leichtſinnig, unuͤberlegt und ohne bons ſens ſind: So wird er ſchwerlich einem unrichtigen Ge - ſchmacke folgen.
  • XXII. Einen richtigen Geſchmack zu erhalten, muß man zuvoͤrderſt die ſaͤmtlichen Kraͤfte des Verſtandes wohl uͤberlegen; denn jede beſondre Kraft hat auch einen beſondern Geſchmack.
  • XXIII. Wer von Natur ein Talent zu in - genieuſen Einfaͤllen hat, deſſen Geſchmack wird auch mehr darauf gehen, als auf tiefſinnige ju - dicieuſe Wahrheiten. Daher z. E. die Franzo - ſen, wegen ihres witzigen Naturels, zu denen bons-mots aufgelegter ſind, als die Spanier, oder Englaͤnder.
NXXIV. 194Zwey hundert Maximen
  • XXIV. Ein ſcharfes iudicium findet mehr Geſchmack an ſoliden, und durch ſtarke Be - weiſe oder Vernunfts-Gruͤnde veſtgeſtellten Wahrheiten, als an lebhaften Einfaͤllen eines aufgeweckten Kopfes.
  • XXV. Wer ſein Gedaͤchtniß gern mit Auf - hebung ſolcher Gedanken bemuͤhet, die andere gehabt, der wird mehr Geſchmack an Leſung fremder Schriften finden, als ſeinen eigenen Ge - danken nachzuſpuͤren.
  • XXVI. Einer, der von Natur eine ſtarke Jmagination hat, wird ſelten an ſolchen Wahr - heiten einen Geſchmack finden, die per intel - lectum purum und durch abſtracte Jdeen muͤſ - ſen begriffen werden. Er wird uͤberall Bilder, und was Sinnliches, ſuchen; wo er das nicht antrifft, iſt es ſeinem natuͤrlichen Geſchmacke entgegen.
  • XXVII. Solche gluͤckſeligen Koͤpfe, die einen ſehr lebhaften Witz, dabey aber auch durch - dringendes iudicium und ſtarke Jmagination haben, wie z. E. Leibnitz, Wolf, Lock, Neu - ton, Carteſius ꝛc. beſitzen einen hohen und ſich weit erſtreckenden Geſchmack.
  • XXVIII. Ein Gemuͤth, das uͤber alle ge - meine Vorurtheile erhaben iſt, und nichts fuͤr wahr oder gut annimt, als was es durch voͤlli - ge Ueberzeugung und uͤbereinſtimmende Erfah - rung dafuͤr erkannt hat, beſitzet einen hohen oder ungemeinen Geſchmack.
  • XXIX. Ein Gemuͤth, das ſeine eigene wah -re195vom geſunden Witze, ꝛc. re Groͤße ohne Zuſatz noch Mißtrauen abzumeſ - ſen, und ſeinen eigenen Geſchmack ſo richtig, als etwa eines andern, zu beurtheilen vermag, gehoͤrt zu den wahrhaften ſtarken Geiſtern und Leuten von dem feinſten Geſchmacke.
  • XXX. Ein Gemuͤth hingegen, das alle ſeine Kraͤfte fuͤr ſehr hoch und unvergleichlich an - ſiehet; des andern aber aus Hochmuth oder Neid geringe ſchaͤtzet, hat einen vollkommenen Ge - ſchmack der Eigenliebe und des Selbſtduͤnkels.
  • XXXI. Die den Spott-Geiſt haben, duͤn - ken ſich meiſtens große Geiſter und Leute von dem feineſten Geſchmacke zu ſeyn, da es doch oͤfters ſehr elende unbrauchbare Stuͤmper ſind.
  • XXXII. Welche vom Spott-Geiſte beſeſſen ſind, taugen zu keinen ernſthaften Verrichtun - gen, noch zu Saͤulen des gemeinen Weſens. Die Religion, Staats-Klugheit, buͤrgerliche Geſetze, ja alles wird ihnen laͤcherlich und kurz - weilig vorkommen; welches ihren hoͤchſtver - dorbenen Geſchmack anzeiget.
  • XXXIII. Wer die Geſchicklichkeit, einen an - dern ſcharfſinnig anzuſtechen, denen ſoliden Wiſſenſchaften der Gottes-Gelehrſamkeit, Rechts-Wiſſenſchaft, Arzeney-Kunſt und Welt - Weisheit vorziehet, der bezeiget ſelbſt damit ſei - nen verdorbenen Geſchmack.
  • XXXIV. Wer da meynet, es reichen alle Gruͤnde der Vernunft und Schrift nicht zu, einen von der Gewißheit der Religion zu uͤberzeu - gen, der verraͤth ſeinen verdorbenen Geſchmack.
N 2XXXV. 196Zwey hundert Maximen
  • XXXV. Ein epicuriſcher Menſch, der nicht uͤberlegt, ob er ſich zeitlich und ewig ungluͤckſelig mache, oder nicht, hat von ſeiner eigenen Wohl - fahrt den allerverdorbenſten Geſchmack.
  • XXXVI. Wer in Sachen, das ewige Wohl oder Uebel betreffend, nicht mit eigener Empfin - dung ſchmecken, ſondern nur andern nachko - ſten will, der hat einen ſehr unſichern und miß - lingenden Geſchmack.
  • XXXVII. Ein eigenſinniger verwoͤhnter Geſchmack iſt dieſer, wenn einer fordert, daß ſich alles nach ſeinem Kopfe richten, und gerade ſo denken ſoll, wie er.
  • XXXVIII. Ein verzaͤrtelter verwerflicher Geſchmack iſt der, welchem nur das gefaͤllt, was mit denen bey weichlicher Auferziehung und Ju - gend-Hitze eingeſogenen ſentimens uͤberein - koͤmmt; da ihm denn alles zuwider, was ſolchen entgegen iſt.
  • XXXIX. Wem in der Erziehung die ankle - benden Fehler des Verſtandes und der verkehrten Leidenſchaften nicht abgewoͤhnet werden, deſſen verdorbener Geſchmack thut dem gemeinen Weſen deſto mehr Schaden, je mehr er aͤuſſer - lichen hohen Stand, Rang und Anſehen hat.
  • XL. Daher ein Prinz, der von ruchloſen, ſchmeichleriſchen, laſterhaften Hofmeiſtern und Raͤthen umgeben iſt, einen ſo verdorbenen Ge - ſchmack bekommen kann, daß Land und Leute daruͤber ins Verderben gerathen.
  • XLI. Die genaue Ueberlegung und richtigeErfin -197vom geſunden Witze, ꝛc. Erfindung, was die Natur einem jeden Weſen, Stande und Sache fuͤr einen Character beyge - legt habe, kann einem in vielen Dingen, ſo weit die menſchliche Einſicht gehet, zu einem unbe - truͤglichen Geſchmacke verhelfen.
  • XLII. Alſo, wer uͤberzeuget iſt, daß Gott, nach ſeinem allerrichtigſten Verſtande, ohnmoͤg - lich irren, und, nach ſeiner vollkommenſten Treue, ohnmoͤglich etwas Falſches fuͤr wahr, und was Boͤſes fuͤr gut ausgeben, mithin uns ohnmoͤglich betruͤgen koͤnne, der wird einen in - nigſten Geſchmack an dem finden, was Gott entweder in die Natur eingepraͤget, oder beſon - ders geoffenbaret hat.
  • XLIII. So ſehr demnach die Geheimniſſe der Natur und goͤttlichen Offenbarung den na - tuͤrlichen Geſchmack weit uͤberſteigen: So ein ehrerbietiges Vergnuͤgen wird doch derjenige daran finden, der einen rechten Geſchmack von der Religion hat.
  • XLIV. Wer hingegen die Maxime im Kopfe hat, alles zu verwerfen, was er nicht deutlich einſiehet, der hat einen ſehr verderbten Ge - ſchmack, und iſt ein ohnfehlbarer Narr, wenn er in hohen Wuͤrden ſtehet, oder macht ſich ſelbſt ungluͤcklich, wenn er von Hoͤhern dependiren muß. Denn die werden oͤfters ſagen: Sic vo - lo, ſic iubeo. Jch will keinen Raiſonneur, ſondern bereitwilligen Gehorſam haben.
  • XLV. Doch verrathen auch die Hoͤhern ih - ren verderbten Geſchmack des Hochmuths,N 3wenn198Zwey hundert Maximenwenn ſie allenthalben blinden Gehorſam for - dern, oder Ausſpruͤche thun, ohne die geringſte Urſache anzugeben. Der allerhoͤchſte Gott, der doch am befugteſten waͤre, einen blinden Ge - horſam zu fordern, ſuchet gleichwol die Men - ſchen auch durch genugſame Gruͤnde zu uͤber - fuͤhren.
  • XLVI. Das aber weichet von dem guten Geſchmacke eines Geſetzgebers ab, wenn er, in denen Geſetzen ſelbſt, viel raiſonniret; denn das ſollte er denen Geſetz-Lehrern uͤberlaſſen. Sein Character aber iſt, zu gebieten, und nicht, zu disputiren.
  • XLVII. Wenn ſich ein Richter in der hoͤch - ſten Jnſtanz nicht recht ſicher weiß, daß ſeine Ausſpruchs-Motiven in ſich ſolide ſind: So thut er beſſer, bloß den Ausſpruch zu thun, als rationes decidendi anzugeben. Denn manch - mal iſt der Ausſpruch in ſich richtig, obwol nicht aus den angegebenen rationibus decidendi.
  • XLVIII. Nach dem Logiſchen Geſchmacke hat jeder Satz ſeine innerliche Wahrheit und Gewißheit. Daher faͤllt er nicht allezeit uͤber den Haufen, wenn gleich die Raiſon, daraus er hergeleitet worden, falſch iſt. Aber nach dem richterlichen und Advocaten-Geſchmacke darf man das in ſich richtigſte Urthel als verwerflich angeben, wenn es auf unrichtigen rationibus decidendi beruhet.
  • XLIX. Jede Wiſſenſchaft hat ihre eigene Art des Vortrages. Wer dieſen Characternicht199vom geſunden Witze, ꝛc. nicht genau beobachtet, der verfaͤllt in einen uͤb - len Geſchmack.
  • L. Alſo mag z. E. der Mathematicus ſeine Saͤtze durch Erklaͤrungen, Grundſaͤtze, Lehrſaͤtze, Aufgaben und dergleichen, durchfuͤhren. Wer aber ſich dieſes Vortrages bedienen wollte, wenn er eine Sache vor Gerichte vorzutragen haͤtte, von dem wuͤrde man ſagen, daß er einen laͤcherli - chen und ungereimten Geſchmack beſaͤße.
  • LI. Wer alſo der Schreib-Art nicht maͤchtig iſt, darinn jede Wiſſenſchaft am fuͤglichſten vor - getragen wird, der wage ſich nicht an deren Be - ſchreibung; ſonſt wird man ſeinen unrichtigen Geſchmack bald abmerken, z. E. wenn er in Rechts-Sachen nicht den ſtylum curiae ver - ſtehet.
  • LII. Alle Wiſſenſchaften, die aus untruͤgli - chen Anfangs-Gruͤnden (principiis) durch eine unumſtoͤßliche Folge koͤnnen hergeleitet werden, erfordern einen geſunden Geſchmack von der analytiſchen und ſynthetiſchen Methode.
  • LIII. Daher kann man die Haupt-Gruͤnde der Gottes-Gelehrſamkeit, Rechts-Wiſſenſchaft, Arzeney-Kunſt und Welt-Weisheit nach ma - thematiſcher Lehr-Art vortragen; und wenn es gleich neu waͤre, iſt es doch nicht gegen den bon ſens, oder guten Geſchmack.
  • LIV. Die Ausfuͤhrung einer Wiſſenſchaft durch die vier cauſſas, als efficientem, forma - lem, materialem und finalem, iſt ſo ſehr trok - ken und gezwungen, daher auſſer dem heutigen Guſto der gelehrten und galanten Welt.
LV. 200Zwey hundert Maximen
  • LV. Man muß auch den genium ſeculi wohl bedenken. Denn jetzo iſt manche Art des Vortrages ſchmackhaft, die vielleicht unſern Vorfahren abgeſchmackt geſchienen, und un - ſern Nachkommen ſehr verwoͤhnt vorkommen duͤrfte. Nach dieſem guſto des jetzigen Seculi luxuriantis pflegen ſich inſonderheit auch die Buchhaͤndler zu richten; daher manche Schar - teke itzt ſtark gehet, die zu einer andern Zeit wuͤrde des Verlags nicht werth geachtet wor - den ſeyn.
  • LVI. Wer ſich gegen die allgemeine Obſer - vanz und eingefuͤhrten Gebrauch, oder gar den durchgaͤngigen Wohlſtand und ſenſum com - munem polirter Nationen auflehnet, der muß entweder ſonſt ſchon ein Mann von ſehr hohem Anſehen ſeyn, um durch den Damm eingeriſſe - ner allgemeiner Vorurtheile und Foibleſſen hindurch zu brechen; oder man wird ſagen, daß er mit ſeinem ſingulairen Geſchmacke zu Hauſe bleiben, und ſich nicht ſelber proſtituiren ſolle.
  • LVII. Wer einer hohen Schreib-Art ſich bedienen will, da doch die Sache, die er abhan - delt, in ſich gemein und niedrig iſt, der wird fuͤr einen Menſchen von laͤcherlichem Geſchmacke gehalten werden.
  • LVIII. Aufgeblaſene Worte, dahinter kahle oder kriechende Gedanken ſtecken, verrathen einen naͤrriſchen Phoͤbus-Geſchmack.
  • LIX. Wer viel verwirrte Gedanken in unverſtaͤndliche Worte zuſammen raffet; derverraͤth201vom geſunden Witze, ꝛc. verraͤth ſeinen laͤcherlichen Galimathias-Ge - ſchmack.
  • LX. Jn Lobes-Erhebungen an einen Großen, oder Patron, deſſen Fehler oder gar Laſter zu loben, verraͤth einen ſehr niedertraͤchtigen Ge - ſchmack.
  • LXI. Ein anmuthiger Vortrag iſt der, wo das Tiefſinnige mit dem Lebhaften, das Ernſt - hafte mit dem Scherzhaften, das Ausſchweifen - de mit dem Kurzgefaßten, in einer guten Pro - portion abwechſelt; folglich iſt es dem guten Geſchmacke am naͤchſten.
  • LXII. Die Neugierde iſt den Menſchen an - geboren. Je mehr ſolche geſtaͤrket wird, oder einer an ihm ſelbſt wahrnimmt, daß er einen Zuwachs auserleſener Gedanken bekomme, und merklich profitire, oder in der Erkenntniß zunehme; je mehr wird es nach dem allgemei - nen guſto ſeyn.
  • LXIII. Daher ſind lebhafte Geſchicht-Buͤ - cher, kuͤnſtlich ausgeſonnene Romanen, wun - derbare Abentheuer, ſcharfgewuͤrzte Wochen - Schriften nach dem Geſchmacke der meiſten Ge - lehrten und Liebhaber der Wiſſenſchaften.
  • LXIV. Man hat ſich aber dabey inacht zu nehmen, daß ſich nicht die Neugierde in einen ſtraͤflichen Vorwitz verwandle. Alſo, wer gern großer Herren und Miniſter Handlungen durch - ziehet, und daruͤber critiſiret, der kann wol nach dem Geſchmacke der Vorwitzigen geſchrieben haben; aber ſich ſelbſt durch ſeinen unzeitigenN 5Kuͤtzel202Zwey hundert MaximenKuͤtzel und uͤberſteigenden Geſchmack viel Un - gelegenheit zuziehen.
  • LXV. Ein uͤbertriebener Geſchmack, der in die Pedanterey und Grillenfaͤngerey verfaͤllt, iſt derjenige, wenn einer die klaͤrſten Grund - Wahrheiten noch erſt durch ſpitzfindige Beweiſe weiter durchtreiben, oder durch viele Umſchweife und allotria ſich auf ſein Haupt-Thema ſpielen will. Dieſen Fehler trifft man in vielen Reden des Cicero, und vielen Stellen des Virgils, Horazens und anderer poetiſchen Helden an.
  • LXVI. Je mehr der Vortrag von dem Na - tuͤrlichen abweichet, je mehr entfernt er ſich vom guten Geſchmacke. Je tiefer auch einer in das Bathos, oder in niedertraͤchtige, vulgaire, poͤ - belhafte und nichts importirende Gedanken ver - ſinket, je mehr verletzet er den Wohlklang, mit - hin auch den guten Geſchmack.
  • LXVII. Ein Jedermanns-Tadler muß ent - weder ein ſehr großer bel Eſprit ſeyn; oder aber, wenn er ſelbſt ſo ofte ſchlaͤgelt, als der Verfaſ - ſer der Schrift vom Tempel des guten Ge - ſchmacks, wird man von ihm ſagen: Er ver - ſtehe ſelber noch nicht, was gut oder uͤbel ſchmecke.
  • LXVIII. Eine Wiſſenſchaft durch Maximen, ungezwungene Regeln und kurze deutliche Saͤtze vorzutragen, reizet den Geſchmack der Leſer und Zuhoͤrer.
  • LXIX. Sinnbilder, Deviſen, Ueberſchriften und Apophthegmata vergnuͤgen den Geſchmack;nur203vom geſunden Witze, ꝛc. nur muß man ſolche als eigene Gedanken vor - tragen, und nicht ſprechen: Jener malte das und das, und ſetzte die oder die Ueberſchrift dar - uͤber. Denn ſolches iſt dem guſto unſers itzi - gen ſeculi entgegen. Man ſchmelze vielmehr das Sinnbild und die Ueberſchrift in einen ein - zigen an einander haͤngenden Gedanken. Z. E. ein richtiger Verſtand gleichet einer accura - ten Minuten-Uhr, vermittelſt der man alle falſche Pulſe anderer Uhren beurtheilen, und allenthalben das rechte Gleichgewichte beob - achten kann. Dieſes wird ohnſtreitig beſſer klingen, als wenn mans ſo ausdruͤckte: Jener malte eine Uhr, und ſetzte daruͤber: Jn der Anzeige richtig, im Gewichte gleichhaltend.
  • LXX. Alles, was in der Ausſprache hart klinget, die Ohren verletzet, ſehr undeutlich iſt, oder allzuviel vorgekauet wird, daß dem Leſer nichts uͤbrig bleibet, ſelber dabey zu denken, iſt dem guten Geſchmacke entgegen.
  • LXXI. Doch muß man einen Unterſchied un - ter den Perſonen und Sachen machen. Schwe - re tiefſinnige Sachen erfordern oft, daß, da - mit ſie begriffen werden moͤgen, durch mehrma - lige Umſchreibung erſt verſtaͤndlich gemachet werden. Hat man mehr einfaͤltige, als wiz - zige, vor ſich: So weichet es vom guten Ge - ſchmacke nicht ab, einerley mehrmals zu wieder - holen, damit man ihrem ſchwachen Gedaͤcht - niſſe nachhelfe; dagegen einem witzigen Kopfe einen Ekel verurſachen wuͤrde, wenn ihm das,was204Zwey hundert Maximenwas er leicht begriffe, vielmals eingeblaͤuet wuͤrde.
  • LXXII. Sachen, die ihrer Natur nach ernſt - haft ſind, muͤſſen nicht ſcherzhaft, oder durch Spoͤttereyen vorgetragen werden; daher der gravitaͤtiſche Geſchmack den Vorzug behaͤlt.
  • LXXIII. Es bringet wenig Ehre, wenn ei - ner uͤberall ſich zu luſtigen Einfaͤllen dringet. Man urtheilt, es ſchicke ſich ein ſolcher beſſer auf die Schaubuͤhne, als in ein anſehnlich Amt. Es giebt Arten von Kuͤtzel, die ſelbſt dadurch ekelhaft werden, wenn man ſie in Uebermaaſſe brauchet. Wer immer railliret, bonmotiſiret und ſchaͤkert, den haͤlt man fuͤr einen Menſchen von leichtſinnigem Geſchmacke.
  • LXXIV. Wer an ſolchen Orten, wo er al - ler luͤſternen Ausſchweifungen ſeiner Fantaſie uͤberhaben ſeyn koͤnnte, und die Gedanken in Schranken halten ſollte, ſich dennoch zweyden - tiger Redens-Arten bedienet, da der verdeckte Verſtand zuͤchtige Ohren beleidiget, oder dem Geſichte eine Schaamroͤthe abjaget, der verraͤth ſeinen leichtfertigen und geilen Geſchmack. Es gehet einem da, wie mit allzuluͤſternen Spei - ſen, daran einer bald Ekel bekoͤmmt.
  • LXXV. Ein Lehrer der Religion ſoll billig den Character eines Geſandten Gottes aus - druͤcken; folglich handelt er gegen den bon ſens, wenn er auf dem Lehrſtuhle keifet, prahlet, Hi - ſtoͤrgen erzehlt, ſpottet, Maͤhrgen vorbringet, und ſich in Wort-Kriegen vertiefet.
  • LXXVI. Ein Geſandter, der fuͤr einen groſ -ſen205vom geſunden Witze, ꝛc. ſen Herrn redet, handelt gegen den guten Ge - ſchmack, wenn er ſchulfuͤchſiſche Chrien, und Realien des oratoriſchen Schlendrians, oder der Gymnaſiaſten Schwaͤtze-Kunſt einſtreuet. Sein Vortrag muß ſo abgefaßt ſeyn, wie ſein hoher Principal, ſeinem Character gemaͤß, ſelbſt reden wuͤrde. Daher beduͤrften die geſammle - ten Reden großer Herren und vornehmer Mi - niſter in ſehr vielen Stellen einer Verbeſſerung; dagegen in denen Mercurs, ſo in Holland ſonſt herausgekommen, viel Meiſterſtuͤcke eines bon ſens vorkommen, und werth waͤren, daß aus allen hundert Baͤnden eine deutſche Ueberſetzung derer darinn eingeruͤckten merkwuͤrdigſten Ha - ranguen von einem, der der franzoͤſiſchen und deutſchen Sprache gleichmaͤchtig waͤre, unter - nommen wuͤrde.
  • LXXVII. Das Ceremoniel und die behoͤri - gen Titulaturen muß ein Geſandter, ja ein je - der Redner und Scribent, wohl inacht nehmen, ſonſt man ihm einen unrichtigen Geſchmack beylegen wird.
  • LXXVIII. Die angebrachten verdeckten Schoͤnheiten, oder ſolche ſcharfſinnige wohlge - ſetzte Gedanken, dabey man dem Leſer oder Zu - hoͤrer zutrauet, ſolche durch eigenes Nachſinnen entdecken und aufloͤſen zu koͤnnen, gehoͤren zu dem reizenden Geſchmacke in allen Wiſſen - ſchaften. Daher werden rechte bons - mots hochgeachtet, weil der andere dadurch heimlich flattirt wird, daß er einen großen Witz beſitze, ſolche geſchwind und gluͤcklich zu errathen.
LXXIX. 206Zwey hundert Maximen
  • LXXIX. Scharfſinnige Jnſinuationen, und was man das Zaͤrtliche und Galante nennet, reizen den Geſchmack ungemein, ſonderlich in Briefen. Daher die Briefe eines Voltaire, Balzacs, Bourſeaults ꝛc. und anderer großen beaux Eſprits, alle Talanders, Menantes und dergleichen Briefſteller weit an gutem Geſchmak - ke uͤbertreffen.
  • LXXX. Wenn einer merket, daß man einem andern die feinen Gedanken abgeſtohlen, oder wenigſtens ohne einige Veraͤnderung abgeborget habe: So verlieren ſolche einen großen Theil der Annehmlichkeit, den ſie behalten wuͤrden, wenn man daͤchte, der Autor habe ſie aus dem eigenen Schatze guter Gedanken hervorgelanget.
  • LXXXI. Die meiſten Oratoriſchen Figu - ren haben ihren eigenen beſtimmten Sitz. Wenn man ſie aus ihrer Stelle verruͤcket, wie auf Schulen geſchiehet, da oͤfters Jmitationen auf ganz widrige obiecta aufgegeben werden, ver - liehren ſie allen bon ſens.
  • LXXXII. So laſſen ſich z. E. viel oratoriſche Figuren, welche bey traurigen Begebenheiten gluͤcklich angebracht werden, nicht ohne Gefahr, ins Laͤcherliche zu verfallen, bey froͤhlichen Be - gebenheiten anbringen. Die Spoͤtter aber verdrehens, und wenn ſie einen laͤcherlich machen wollen, parodiren ſie die traurigen Fi - guren auf Schnaken und Kurzweile; da denn das Laͤcherliche bloß in ihrer verkehrten Paro - dirung oder Nachahmung ſtecket.
LXXXIII. 207vom geſunden Witze, ꝛc.
  • LXXXIII. So viel es unterſchiedene Vor - wuͤrfe bey der Redner-Kunſt giebt, ſo viel giebt es auch beſondere Regeln des guten Ge - ſchmacks. Daher die Hof - die Canzel - und die Schul-Reden ihre eigene Geſetze des bon ſens haben.
  • LXXXIV. Nach den Regeln des guten Ge - ſchmacks muß man ſorgfaͤltig verhuͤten, daß man den Leſer oder Zuhoͤrer nicht auf falſche Gedan - ken, unrichtige Auslegung, und daß ers uͤbel empfinde, verleite.
  • LXXXV. Wer dem Affecte, den er bey dem andern erregen will, gerade entgegen handelt, oder ſeinen Gedanken eine unrechte Tour giebet, der aͤuſſert damit ſeinen verwechſelten Ge - ſchmack. Alſo, wenn der Redner Urſache haͤt - te, den, ſo er anredet, zu beſaͤnftigen, und er bringt ihn durch heftige Ausdruͤcke, polternde Worte und hitzige Geberden in Harniſch: So handelt er gegen ſeinen Character, mithin gegen den Wohllaut und guten Geſchmack.
  • LXXXVI. Dieſemnach iſt das Spruͤchwort ſo uneben nicht: Ein Loth Mutterwitz und practiſche Klugheit ſey beſſer, als ein Centner Gelehrſamkeit ohne Geſchick, ſolche recht an Mann zu bringen.
  • LXXXVII. Man muß auch die Verfaſſung der Republic anſehen, darinn einer ſtehet. Wer alſo z. E. heute zu Tage in unſern monarchiſchen Republiken mit ſolcher Dreiſtigkeit reden wollte, als ehedem Cicero in der roͤmiſchen, democrati -ſchen,208Zwey hundert Maximenſchen, der wuͤrde gegen den bon ſens handeln, und auf die Finger geklopfet werden.
  • LXXXVIII. Haͤmiſche Stiche, grobe an - zuͤgliche Reden, argwoͤhniſche Beſchuldigungen und luͤgenhafte Erdichtungen ſind dem Character eines honnêt - homme entgegen, mithin auch gegen den bon ſens, oder guten Geſchmack.
  • LXXXIX. Alle gefaͤhrliche Ausdruͤcke, da - durch ſich einer die Hohen in der Welt zu Fein - den machen, oder angeſehene Maͤnner reizen kann, an eines Ruin zu arbeiten, werden wider den bon ſens eingeſtreuet. Denn das iſt ein Narr, wer ſich muthwillig ungluͤcklich machet.
  • XC. Hingegen aber iſt es nicht dem guten Geſchmacke entgegen, uͤberwitzigen Großduͤnk - lern und fantaſtiſchen Spoͤttern nach Gelegen - heit die Kolbe zu lauſen, und ihnen ihre Schwaͤ - chen aufzudecken.
  • XCI. Wenn einer in einer Schrift ohne Namen mit Bedacht einen ganz andern Cha - racter annimmt, als er fuͤr ſich ſelbſt ſonſt hat: So muß man ihn billig nach dem angenomme - nen Character beurtheilen. Hat er ſolchem ein Gnuͤge gethan: So ſtimmt ſeine Schrift mit dem bon ſens uͤberein. Doch muß die Klug - heit den Ausſchlag geben, daß man nicht einen laͤcherlichen Character annehme, oder abbilde, damit nicht die Laͤſterer einen in die Pfanne druͤ - ber hauen.
  • XCII. Wer eine ſolche Profeßion hat, wie Moliere, oder andere beruͤhmte Comoͤdianten,der209vom geſunden Witze, ꝛc. der zeiget ſeinen guten Geſchmack an, wenn er einen Pantomimen natuͤrlich ausdruͤcken kann; aber z. E. einem Geiſtlichen wuͤrde nicht wohl anſtehen, Opern oder Comoͤdien zu ſchreiben.
  • XCIII. Der poetiſche gute Geſchmack dif - feriret ebenfalls nach den unterſchiedlichen Arten von Gedichten. Man muß einem Epiſchen Gedichte eine andere Tour geben, als z. E. ei - nem Schaͤfer-Gedichte, oder Hochzeit-Car - mini, oder Trauer-Ode. Weil aber bald eine Schrift im Druck erſcheinen duͤrfte, unter dem Titel: Regeln der Reimſchmiederey und krie - chenden Poeſie; da man nur per inuerſionem auf das Schoͤne und Wunderbare in der Poe - ſie ſchlieſſen kann: So werde mich bey dem poe - tiſchen Geſchmacke nicht weiter aufhalten. Die nachſtehenden vier und zwanzig Couverts wer - den auch einige Erlaͤuterung des poetiſchen bon ſens geben.
  • XCIV. Der gute Geſchmack in den Kuͤn - ſten der Malerey, Bildhauer-Kunſt und Kupfer - ſtechen beſtehet in der Gleichfoͤrmigkeit der Ab - druͤcke mit ihren Originalien, und in den Regeln des Ebenmaßes. Jſt nun das Urbild ſchoͤn und regelmaͤßig: So wird auch eine natuͤrliche Ab - ſchilderung deſſelben in die Augen fallen, und nach eines guſto ſeyn. Es haben aber alle dieſe Kuͤnſte ihre beſondere Regeln, die hieher nicht gehoͤren.
  • XCV. Die uͤbrigen Kuͤnſte, als geſchickte Maſchinen, Uhrwerke, Glockenſpiele, Auszie -Orun -210Zwey hundert Maximenrungen von Juwelen, und dergleichen, haben auch ihren eigenen guſto, der doch oft auf die Mode ankoͤmmt; und weil die Moden von An - beginn der Welt faſt unendlich differiren: So iſt auch der guſto hierinn faſt unzehligen Veraͤn - derungen unterworfen.
  • XCVI. Doch iſt es wol bey der Kleider - Tracht ein verderbter Geſchmack, wenn er nach großer Eitelkeit und zu Reizung der Geil - heit eingerichtet; der Buͤcher-Geſchmack iſt verderbt, wenn einer mehr auf atheiſtiſche, ſchwaͤrmeriſche, ketzeriſche und geile Schriften, als auf ſolide, haͤlt. Der Meublirungs-Ge - ſchmack iſt verderbt, wenn einer uͤber ſeinen Stand, oder in koſtbaren Baggatellen, groſ - ſen Aufwand machet.
  • XCVII. Der gute Geſchmack bey den Hand - werken iſt meiſtens zunftmaͤßig. Denn was als ein Meiſterſtuͤck von Kennern gelobet wird, darf niemand leicht tadeln.
  • XCVIII. Es giebt auch unter den Bauren Leute von Witz und gutem Geſchmacke, ſon - derlich in Haushaltungs-Sachen und Ackerbau.
  • XCIX. Fuͤr Ungluͤckſelige iſt der beſte Ge - ſchmack, wenn ſie in ihrem Elende, ſonderlich da ſie in unverſchuldete Fatalitaͤten gerathen, gelaſſen, geduldig und großmuͤthig ſind. Wer ſich aber durch ſein widrig Schickſal uͤberwaͤl - tigen laͤſſet, zeiget damit an, daß er von dem, denen Menſchen ſo heilſamen, Creuze noch we - nig Geſchmack bekommen habe.
C. Ein211vom geſunden Witze, ꝛc.
  • C. Ein redliches Gemuͤth, das allen Men - ſchen wohl will, und alle Foibleſſen, ſo der menſchlichen Natur anhangen, mitleidig an - ſiehet, beſitzet einen, heute zu Tage ſehr ra - ren, Geſchmack.

Das andere Hundert Practiſcher Maximen vom hohen und gemeinen Geſchmacke in allen Theilen der Weltweisheit.

  • CI.
  • So weit der erhabene Flug eines Adlers von dem niedertraͤchtigen Kriechen eines Ge - wuͤrmes entfernet iſt: So weit iſt auch der hohe Geſchmack von dem gemeinen, oder poͤbelhaf - ten, unterſchieden.
  • CII. Der hohe Geſchmack findet ſich nicht allezeit bey Leuten von hoher Geburt, Range und Anſehen; dagegen giebt es manche gemeine Leute, die, in ihrer Art und Metier, einen fuͤr - trefflichen und ungemeinen Geſchmack beſitzen.
  • CIII. Der Geſchmack derer Hof-Leute ſollte billig durchgaͤngig ein erhabener Geſchmack ſeyn, weil die wichtigſten und erhabenſten Din - ge bey Hoͤfen getrieben werden; aber es giebt genug Hof-Leute, die ſich in ihren Sentiments und Maximen wie Leute von der ſchlechteſten Sorte auffuͤhren.
O 2CIV. 212Zwey hundert Maximen
  • CIV. Der erhabene Geſchmack gehet mit lauter erhabenen Vorwuͤrfen um, und betrach - tet ſolche durch einen weitaufgeklaͤrten Verſtand. Der niedrige Geſchmack aber verwandelt ſogar die erhabenſten Sachen in unanſehnliche Bag - gatellen.
  • CV. Der wahrhaftig erhabene Geſchmack gleichet der Suͤßigkeit einer in ihr ſelbſt ſaftigen Melone oder Pfirſchke; der entlehnte Geſchmack aber, der Dinge ausputzet, und als erhaben aus - giebet, die doch in ſich gemein und niedrig ſind, gleichet den Kuͤnſten der Koͤche, die ein mageres Wildpret brav ausſpicken, damit es ein appe - titlich Anſehen bekommen moͤge.
  • CVI. So weit eine natuͤrliche Schoͤnheit von einer geſchminkten entfernet iſt, und jene vor dieſer einen Vorzug hat; eben ſo weit iſt der wahrhaftig hohe Geſchmack von dem hochge - triebenen unterſchieden.
  • CVII. Die wahre Hoͤhe der Gedanken glei - chet einer Schoͤnheit, die, wie eine ausgehauene Ceder, in ſchlanker Taille vor einem ſtehet; die falſche Hoͤhe des Witzes aber gleichet einem auf - gedunſteten Leibe, oder einer theatraliſchen Nymphe, die auf Stelzen gehet.
  • CVIII. Was nach den Regeln des erhabenen Geſchmackes abgefaſſet iſt, frappiret das Herz eines jeden, der es hoͤret, oder lieſet; hingegen verfaͤllt die uͤbertriebene Vorſtellung einer Sa - che gar oft ins Laͤcherliche und ins Erbarmens - wuͤrdige.
CIX213vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CIX. Wie es mehr Reizung erwecket, wenn eine wahrhafte Schoͤnheit nur ihr Angeſicht, Haͤnde und Buſen ſehen laͤſſet, die uͤbrigen Glied - maßen aber verdecket: Alſo iſt bey dem erhabe - nen Geſchmacke auch etwas verdecktes, das der andere durch ſcharfes Nachſinnen erſt heraus - bringet, und dieſe verſteckte Schoͤnheit machet den Vortrag deſto durchdringender und herz - ruͤhrender.
  • CX. So wenig eine zuͤchtige Schoͤne ſich vor jedermann ganz entbloͤßen, noch ſich voͤllig nackend zeigen wird: So wenig wird einer, der einen hohen Geſchmack beſitzet, ſolchen lieder - lich verſchwenden, und bey Dingen, die, ihrer Natur nach, niedrig ſind, ſich nicht die Muͤhe nehmen, erhabens Gedanken anzubringen.
  • CXI. Es iſt keine Nation, die den hohen Geſchmack fuͤr ſich allein gepachtet haͤtte; auch iſt kein Volk ſo barbariſch, daß es nicht unter ſolchem etliche geben ſollte, die einen fuͤrtrefflichen bon ſens beſitzen.
  • CXII. Doch pfleget man eine Nation dar - nach zu benennen, nachdem die meiſten Koͤpfe entweder munter, aufgeweckt, lebhaft, feurig, und von hohem Witze ſind; oder aber, wenn die meiſten traͤge, langſam, ſtumpf, matt, und nur von gemeinem Witze ſich befinden.
  • CXIII. So ſagt man daher, daß der Fran - zoſe einen lebhaftern Geſchmack habe, als ein Spanier. Der Englaͤnder hat eine natuͤrliche Neigung zum hohen Geſchmacke. Der Jta -O 3liaͤner214Zwey hundert Maximenliaͤner haͤlt viel auf verdeckte Schoͤnheit der Ge - danken. Der Deutſche hat den Geſchmack gleichſam in ſeiner Hand, nachdem er durch gu - ten Unterricht abgerichtet iſt, oder große Vor - gaͤnger findet, denen er gerne nachahmet.
  • CXIV. Man muß Deutſchland, ſonderlich in Ober - und Nieder-Sachſen, den Ruhm laſ - ſen, daß es, ſeit einer Zeit von etwa zwanzig Jahren, viel witzige Koͤpfe hervorgebracht, die einen ausnehmenden Geſchmack in allen ſchoͤnen Wiſſenſchaften, ſonderlich der Beredſamkeit und Poeſie, von ſich blicken laſſen.
  • CXV. Hamburg und Leipzig ſind zwey Werkſtaͤte in Deutſchland, da der reine Ge - ſchmack hoch gebracht, und von den ehemaligen Maͤngeln ſehr gereiniget worden. Die Poeſie und Redner-Kunſt ſcheinet an beyden Orten den Gipfel der Vollkommenheit erreicht zu haben.
  • CXVI. Feine Satyren haben einen großen Eingang, edle Gemuͤther vor ſolchen Foibleſſen des Gemuͤths zu verwahren, die an andern mit ſcharfſinnigem Nachdrucke geſtrafet worden; und ein edles Gemuͤthe, das ſich durch ſolche Sa - tyren getroffen findet, iſt ſo weit entfernet, ſich daruͤber zu entruͤſten, daß es vielmehr ſeinen Geg - nern verbunden iſt, die mit ihm ſo umgehen, als ein kluger Jngenieur, der dem Commendanten einer Veſtung anzeiget, wo ſie ihre Schwaͤche habe. Denn dadurch lernet er, ſie von dieſer Seite deſto beſſer zu verſchanzen, und gegen den feindlichen Angriff veſter zu verwahren.
CXVII. 215vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CXVII. Jch lobe demnach hier oͤffentlich den ſinnreichen Verfaſſer der Lob-Rede, Brion - tes der Juͤngere, und von der Nothwendig - keit der elenden Scribenten. Er hat in ſol - chen Schriften wie ein vorſichtiger Feind ge - handelt, der eine Veſtung nicht an der ſtaͤrk - ſten, ſondern ſchwaͤcheſten, Seite attaquiret; auch ſich zuweilen ſtellet, als achte er ſeinen Geg - ner geringe, vor dem er ſich doch heimlich ſcheuet.
  • CXVIII. Jſt es billig, auch ſelbſt an dem Feinde die Tapferkeit zu loben: So mag man dem Herrn Profeſſor Gottſched zu Leipzig es zum Ruhme nachſagen, daß er, durch ſeinen Eifer, dem guten Geſchmacke der Deutſchen aufzuhelfen, viele gereizet habe, ſich um einen beſſern Geſchmack zu bekuͤmmern, als vor zehn Jahren noch in Deutſchland geweſen.
  • CXIX. Es wuͤrden die Jenaiſchen, und an - derer Univerſitaͤten Gelehrten, ſonderlich auch zu Goͤttingen und Halle, wohl thun, wenn ſie ſich die Streitſchriften, die gegen den Herrn Pro - feſſor Gottſched und D. Philippi herausge - kommen ſind, beſſer, als bisher, zu Nutze mach - ten, um ihren halb guten und halb verdorbe - nen Geſchmack darnach zu verbeſſern; damit ganz Deutſchland eine Kennerinn des feinſten Geſchmackes heiſſen moͤge.
  • CXX. Dem alamodiſchen Geſchmacke iſt es zuzuſchreiben, daß man die ganze Gelehr - ſamkeit nach den vier Facultaͤten, der theolo - giſchen, juriſtiſchen, mediciniſchen und philoſophi - ſchen, eintheilet.
O 4CXXI. 216Zwey hundert Maximen
  • CXXI. Es giebt aber manche ſolche, von der Natur voraus begabte, Koͤpfe, die ſich nicht in die Schranken einer einzigen Facultaͤt ein - ſchlieſſen laſſen, ſondern mit ihrem weit ausſe - henden Witze durch die Schoͤnheiten aller Haupt - Wiſſenſchaften durchdringen, oder wenigſtens eine gluͤckliche Streiferey in eine andere Diſci - plin thun, davon ſie nicht hauptſaͤchlich fait machen.
  • CXXII. Es hat mancher, als von ohngefehr, einen ſo gluͤcklichen Einfall in einer Wiſſen - ſchaft, daß die, ſo davon hauptſaͤchlich Profeſ - ſion machen, wol nimmer darauf gefallen waͤren, wenn nicht ein ſolcher Univerſal-Kopf, der alle Wiſſenſchaften ins Große uͤberſchauet, ihnen erſt auf die Spruͤnge geholfen, und ſolche frucht - bare Wahrheiten angegeben haͤtte, daraus ſie hernach mit halb ſo leichter Muͤhe tauſend andere nuͤtzliche Wahrheiten haben erfinden und herlei - ten koͤnnen.
  • CXXIII. Es waͤre ein Uebermuth und Thor - heit, die Zahl beſtimmen zu wollen, welche Ge - lehrte in der Welt fuͤr wahrhafte Univerſal - Koͤpfe (§ 122) zu halten waͤren. Denn eben der, der ſich heraus naͤhme, ſolches zu beſtim - men, muͤßte noch hoͤher ſeyn, als die alle, die er dafuͤr angaͤbe; weil er, wenn ſein Urtheil zu - traͤfe, eine Fertigkeit beſitzen muͤßte, alle Uni - verſal-Koͤpfe en gros zu uͤberſchauen. Kein Weiſer aber wird von ſich ſagen, oder alſo urthei - len, daß andre von ihm denken muͤßten, er halte ſich fuͤr den allerweiſeſten.
CXXIV. 217vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CXXIV. Dieſemnach haben die allgemei - nen Buͤcher-Raiſonneurs, die ſich unterwin - den, alle herauskommende Schriften, in allen vier Facultaͤten, mit ihrer Critic anzutaſten, ſich wohl vorzuſehen, damit man nicht von ihnen billig denken muͤſſe, daß ſie entweder die groͤßten gelehrten Windbeutel und Marktſchreyer, oder die eingebildeſten Fantaſten in ihnen ſelber ſind. Denn wer vermag alle Maͤngel in allen Wiſſenſchaften anzuzeigen, wenn er nicht alle Diſciplinen aus dem Grunde verſtehet? Doch koͤnnen ſie ſich durch eine tuͤchtige Bruſtwehre bedecken, wenn ſie, bey ihrer Critic, nur das nicht vergeſſen zu ſagen: Uns duͤnket ſo; oder: Nach unſerm wenigen Urtheil, ꝛc.
  • CXXV. Jndeß muß man es denen Verfaſ - ſern gelehrter Journale, als: La Bibliotheque choiſie, Bibliotheque raiſonnée, Bibliotheque germanique, Journal des Savans, Acta Eru - ditorum, Goͤttinger gelehrter Zeitungen, und dergleichen critiſchen Schriften, zum Ruhme laſſen, daß ſie, durch ihre theils gruͤndliche, theils aufgeweckte, theils beiſſende Critic, vie - len Fehlern der Scribenten abgeholfen, manche gebeſſert, und manche in Harniſch gebracht ha - ben, die hernach durch ihre ausgelaſſene gelehrte Wuth manchem Leſer das Vergnuͤgen verſchaf - fet, auf beyder Unkoſten zu lachen.
  • CXXVI. Eine aufrichtige Critic kann in einer gemeinen Schreib-Art aufgeſetzet ſeyn, die ihr die Anmuth und Lebhaftigkeit benimmt; da -O 5gegen218Zwey hundert Maximengegen kann eine gehaͤßige Critic in reizender Schreib-Art abgefaſſet ſeyn, daß, wenn man nicht wohl Acht auf ſich hat, einer dadurch wie angeſtecket wird, auch wol einen Unſchuldigen anzufeinden.
  • CXXVII. Es giebt Schriften, die die Reli - gion durch eine ſolche Tour angreifen, die, in ihr ſelbſt betrachtet, admirable und unverbeſ - ſerlich iſt, obgleich die Abſicht des Schriftſtel - lers haͤmiſch und ruchlos geweſen. Da hat man ſich alſo vorzuſehen, daß man ſieh nicht durch den einnehmenden Geſchmack der ſchoͤnen Schreib-Art verleiten laſſe, die wahre Religion ſelbſt fuͤr verdaͤchtig oder niedertraͤchtig zu halten. Man bedaure alſo den Mißbrauch ſchoͤner Ge - danken, und lobe die angebrachte ſinnreiche Art zu denken.
  • CXXVIII. Gleichwie eine Schoͤnheit da - durch aufhoͤret, eine wahre Schoͤne zu ſeyn, wenn ſie ſich gleich von vielen debouchiren lieſſe: Alſo koͤnnen gottloſe und laſterhafte Gedanken doch in einer ſchoͤnen Schreib-Art eingekleidet ſeyn; da man alſo die genothzuͤchtigte Wahr - heit beklagen, das Sinnreiche aber in dem Aus - drucke ſolcher Gedanken dennoch loben muß. Doch iſt es beſſer, ein einfaͤltiger weiſer Mann, als ein ſcharfſinniger Thor, zu ſeyn. Unge - uͤbten aber werden dadurch Fallſtricke geleget, ſich durch die einnehmende Schreib-Art zu La - ſtern verleiten zu laſſen. Denn die Luͤſternheit des, zu Ausſchweifungen ohnedem geneigten,Herzens219vom geſunden Witze, ꝛc. Herzens wird dadurch ſonderlich geſtaͤrket, wenn lebhafte Abſchilderungen im Gemuͤthe entſte - hen, dahinter ſich die verbotene Reizungen, als hinter einer Scheide-Wand, verſtecken.
  • CXXIX. Ein geſunder Witz und guter Ge - ſchmack findet drey Haupt-Arten von Wahr - heiten. Etliche ſind, ihrer Natur nach, ſo hoͤchſt - noͤthig zu wiſſen, daß man ohne ſolche fuͤr keinen vernuͤnftigen Menſchen angeſehen werden kann. Dieſe heiſſen die Wahrheiten vom oberſten Range. Hierauf folgen, in natuͤrlicher Ord - nung, diejenigen, welche nach der jetzigen Be - ſchaffenheit der Menſchen unentbehrlich, oder doch ſehr nuͤtzlich ſind. Das heiſſen die Wahr - heiten vom andern Range. Endlich giebt es gewiſſe Huͤlfs-Wahrheiten, dadurch man zu einer oder der andern Haupt-Wahrheit deſto leichter gelanget, und dieſe heiſſen die Wahrhei - ten vom dritten oder unterſten Range.
  • CXXX. Dieſemnach koͤnnte man die ganze Gelehrſamkeit, wenn man den gewoͤhnlichen Schlendrian der vier Facultaͤten beyſeite ſetzte, eintheilen in die Wiſſenſchaften der Wahrheiten von der erſten, andern und dritten Claſſe; oder der oͤberſten, mittleren und unterſten Gattung. Wer nun eine Wahrheit, die, ihrer Natur nach, zur unterſten oder mittlern Claſſe gehoͤret, fuͤr eine Wahrheit vom oͤberſten Range haͤlt, der verraͤth ſeinen falſchen Geſchmack; eben ſo, wer eine Wahrheit vom oͤberſten Range nur fuͤr eine von der mittlern oder niedrigſten Sorte anſiehet.
CXXXI. 220Zwey hundert Maximen
  • CXXXI. Die Wiſſenſchaft, ſich zeitlich und ewig gluͤckſelig zu machen, begreifet Wahrhei - ten vom oͤberſten Range. Folglich iſt die Er - kenntniß des allerhoͤchſten Weſens und der wah - ren Religion eine Wiſſenſchaft der hoͤchſten Claſ - ſe; daher derjenige, der ſolche gering achtet, ſei - nen verdorbenen Geſchmack merklich veroffen - baret.
  • CXXXII. Wer nicht im Stande iſt, in de - nen noͤthigen Wahrheiten einzuſehen, was wirk - lich wahr, oder falſch ſey, der kann fuͤr keinen vernuͤnftigen Menſchen gehalten werden. Folg - lich gehoͤret die Aufklaͤrung des Verſtandes, da - durch man eine Fertigkeit erlanget, richtig zu denken, zu den Wahrheiten vom oͤberſten Ran - ge (§ 129). Wer demnach ſeinen Verſtand in Jrrthum und Ungewißheit ſtecken laͤſſet, und meynet, daß ſolches nichts auf ſich habe, der verraͤth dadurch ſeinen verkehrten Geſchmack.
  • CXXXIII. Wer ſich nicht in den Stand ſetzet, eines andern Vortrag auf uͤberzeugende Art in ihm ſelber zu unterſcheiden, was wahr oder falſch ſey, ſondern ſich die Maxime in den Kopf ſetzet, das fuͤr wahr oder falſch zu halten, was ihm der andre dafuͤr ausgiebt, der verleug - net den Adel ſeiner Seele, wird ein wahrhafter Mucker oder Kriecher mit ſeinem Verſtande, ſtehet in beſtaͤndiger Gefahr, durch Einfalt oder Betrug eines andern verfuͤhret zu werden, und hat einen ekelhaften Geſchmack, indem er das bloß nachkaͤuet, was ihm ein anderer vorgekaͤuet hat.
CXXXIV. 221vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CXXXIV. Die Wiſſenſchaft, aus uͤberzeu - genden Gruͤnden darzuthun, warum das recht ſey, was Gott und ein vernuͤnftiger Geiſt thut oder laͤſſet, iſt, ihrer Natur nach, hoͤchſt edel und wichtig. Daher die Wiſſenſchaft des all - gemeinen Rechtes in der ganzen Natur billig zu den Wahrheiten vom oͤberſten Range gehoͤret. Die Erkenntniß von dem unumſchraͤnkten Rechte Gottes iſt die Stuͤtze aller wahren Re - ligion, und der ſtaͤrkſte Bewegungs-Grund, das hoͤchſte Weſen zu ehren, zu lieben, und ihm zu gehorchen.
  • CXXXV. So lange hingegen der Menſch nicht wahrhaftig uͤberzeuget iſt, daß Gott nicht nur die hoͤchſte Macht, ſondern auch das hoͤch - ſte Recht beſitze, wird er entweder unwillig ſeyn, Gott zu gehorſamen, oder gar tuͤckiſch und re - belliſch. Beydes aber zeiget an, daß ein ſolcher Menſch noch keinen rechten Geſchmack von der wahren Religion habe.
  • CXXXVI. Die Erkenntniß von der Ein - richtung des Weltgebaͤudes, von den Geiſtern, von der Seele des Menſchen, und von den Kraͤf - ten der Natur, iſt zwar, in ihrer Natur, nicht ſo hoch, daß einer ohne ſolche nicht koͤnnte ein vernuͤnftiger Menſch ſeyn; aber ſie iſt doch an ihr ſelbſt edel und reizend. Daher die Coſmo - logie, Pnevmatic, Anthropologie und Phyſic zu den Wahrheiten vom andern Range billig ge - hoͤret. Wer ſich aber um dieſe Sachen mehr in der Abſicht bekuͤmmert, um ſeiner Neugierdedadurch222Zwey hundert Maximendadurch ein Gnuͤge zu thun, als hingegen, ſei - nen Schoͤpfer daraus deſto mehr ehren und lie - ben zu lernen, der bezeiget damit ſeinen unor - dentlichen Geſchmack. Doch geht es an ſich an, daß einer ein großer Naturforſcher und Weltweiſer ſeyn kann, der doch ein Atheiſte in der Haut iſt. Ein ſolcher gleichet derjenigen Art von Gemuͤths-Verruͤckten, die nur bey ei - nem gewiſſen Punkt eine verletzte Einbildungs - Kraft haben, in andern Dingen aber voͤllig richtig denken. Man nennet es einen Wahn - witz, oder Abweichung von dem allgemeinen bon ſens in gewiſſen Punkten.
  • CXXXVII. Wenn der Menſch ſich unpar - teyiſch erforſchet, findet er an ſich und andern eine Unvermoͤgenheit und Ohnmacht, das Wah - re und Falſche, Gute und Boͤſe durchgaͤngig zu treffen, nebſt einer Luͤſternheit, ſich gegen das Regiment der Vernunft zu empoͤren, und manch - mal etwas vorzunehmen, das er zu andrer Zeit anfeindet und verwirft. Daher iſt die Erkennt - niß der Tugend und Laſter, auch der natuͤrlichen Zuneigung zu Jrrthum und Untugend, eine, nach der jetzigen Beſchaffenheit des Menſchen hoͤchſt nuͤtzliche, ja unentbehrliche, Wiſſenſchaft; mithin gehoͤrt ſolche zu den Wahrheiten vom andern Range. Waͤren aber keine Laſter in der Welt, welches ſeyn wuͤrde, wenn man voll - kommen vernuͤnftig waͤre: So beduͤrfte man auch nicht dieſer Wiſſenſchaft; dagegen die Er - kenntniß Gottes, die Richtigkeit des Verſtan -des,223vom geſunden Witze, ꝛc. des, und die Beobachtung deſſen, was recht iſt, nicht bloß nach der jetzigen Beſchaffenheit der Menſchen, ſondern ewig und unveraͤnderlich zu dem Weſen eines vernuͤnftigen Menſchen ge - hoͤret.
  • CXXXVIII. Jrrthum und Untugend iſt was boͤſes, weil es der Wahrheit und Tugend wi - derſtreitet, und alſo nicht beydes zugleich kann gut ſeyn. Die Quelle hievon haben einige faͤlſchlich in Gott, andere in einem ewig boͤſen Weſen, das ſie Gott entgegen geſetzet, geſuchet. Beydes zeiget einen verkehrten Geſchmack von der Natur der Dinge an. Waͤre ein Weſen, das, vermoͤge ſeiner ewigen Natur, ſolche Wir - kungen hervorbraͤchte, die wir boͤſe Handlungen nennen: So thaͤte es dennoch recht. Denn nach ſeiner ewigen Natur konnte es nicht an - ders handeln; mithin waͤre es unrecht, ihm an - zumuthen, anders zu handeln, als es ſeine ewi - ge unveraͤnderliche Natur mit ſich braͤchte. Das andere Weſen aber, das, vermoͤge ſeiner ewigen Natur, gerade dem entgegen handelte, was jenes thaͤte, handelte ebenfalls recht. Da - her kann unter zweyen ewigen Weſen, die ein - ander entgegen handeln, keines boͤſe genannt werden, ſo wenig das Feuer darum boͤſe iſt, daß es den Kraͤften und Wirkungen des entge - genſtehenden Elements, des Waſſers, zuwider iſt.
  • CXXXIX. Es waͤre ein Ungluͤck in der Na - tur, wenn ein ewig guͤtiges Weſen durch die contrebalancirende Kraft eines ewigen feindſeli -gen224Zwey hundert Maximengen Weſens beſtaͤndig gehemmet, oder endlich gar uͤberwaͤltiget wuͤrde; doch koͤnnte man nicht ſagen, daß eines gegen das andere unrecht ver - fuͤhre. Denn beyde handelten nach ihrer ewi - gen unveraͤnderlichen Natur. Welches alſo dem andern an Kraͤften uͤberlegen waͤre, es zu uͤberwaͤltigen, das thaͤte es de iure. Aber es waͤre ein falſcher Geſchmack, wenn man ſich ſo fuͤrchterliche Vorſtellungen machen wollte, als wenn es einen ewigen Teufel wirklich gaͤbe.
  • CXL. Wenn ein ewiges Weſen vorhanden iſt, ehe noch Geſchoͤpfe da ſind: So zeiget es an, daß die Kraft, dadurch es von Ewigkeit ge - weſen, und ſich in ewiger Dauer erhaͤlt, eine hoͤhere ſey, als diejenige Kraft, dadurch es ſich gegen Geſchoͤpfe guͤtig erzeiget. Daher erken - net der menſchliche Verſtand nicht deutlich, ob die moraliſche Guͤtigkeit eines Weſens eben nothwendig zu der Kraft gehoͤre, dadurch es ewig da iſt; mithin ſcheinet es an ſich nicht unmoͤg - lich, daß ein Weſen koͤnnte durch eine ewige ei - gene Kraft exiſtiren, wenn es gleich gegen andere Weſen keine guͤtige Zuneigung haͤtte. Eben daher kann der bloße menſchliche Verſtand nicht entſcheiden, ob die in einem Weſen herrſchende Feindſeligkeit gegen andere Weſen ein Hinder - niß ſey, daß es nicht koͤnne ewig da ſeyn; da doch ein ewig Weſen vorhanden, das in ſich von Ewigkeit durch ſeine Dauers-Kraft gelebet, ehe noch Geſchoͤpfe vorhanden geweſen, denen es Guͤte erzeigen koͤnnen.
CXLI. 225vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CXLI. Die Kraft, dadurch ein ewiges We - ſen ewig da iſt, iſt eine andere, als die Schoͤp - fers-Kraft, ſo daß es nicht bloß dadurch ewig da iſt, weil es die Kraft hat, eine Welt zu ſchaf - fen. Vielmehr iſt die Kraft, dadurch es ewig vorhanden, ehe es noch eine Welt ſchaffet, in ihr hoͤher, als die ganze Fuͤlle der Schoͤpfers - Kraft. Denn dieſe bringet nur endliche Weſen hervor; dagegen zu einem ewigen Daſeyn eine unendliche und unermeßliche Kraft gehoͤret. Weil nun die Schoͤpfers-Kraft eine andere iſt, als die Kraft der ewigen Exiſtenz: So kann der menſchliche Verſtand aus ihm ſelber nicht ent - ſcheiden, ob zur Kraft der ewigen Exiſtenz auch eben erfordert werde, daß es eine Schoͤp - fers-Kraft zugleich beſitze. Vielmehr wuͤrde ein Weſen von unendlicher Kraft ſchon ſeyn, wenn es auch nur ihm ſelbſt zur ewigen Exiſtenz genug waͤre, wenn es gleich nicht eine Welt ſchaffen koͤnnte. Umgekehrt iſt es wol wahr, daß ein Weſen, das allen andern Dingen das Seyn giebt, auch zugleich ewig da ſeyn muͤſſe, weil es ſonſt, wenn es einmal waͤre ein Nichts geweſen, ſich nicht haͤtte ſelber zu einem Weſen machen koͤnnen; aber der Schluß folgt nicht: Welches Weſen durch ſeine eigene Kraft ewig da iſt, das muß nothwendig auch Geſchoͤpfe her - vorbringen, oder die Kraft dazu beſitzen.
  • CXLII. Ja, da der menſchliche Verſtand einen undeutlichen Begriff von derjenigen Kraft hat, dadurch ein Weſen von ihm ſelber ewig daPiſt:226Zwey hundert Maximeniſt: So kann man aus bloßer Vernunft nicht darthun, daß eben nur ein einziges ewiges We - ſen moͤglich oder vorhanden ſey, ſondern, wenn wirklich ein Weſen in ihm ſelber eine ewige Kraft haben koͤnnen, die zu ſeiner Exiſtenz hinlaͤnglich geweſen, koͤnnte ja wol an ſich auch ein ander Weſen eben ſo eine hohe Kraft beſitzen, durch ſich ſelber ewig da zu ſeyn. Ob alſo gleich, zu Erklaͤrung des ganzen Welt-Gebaͤudes, eine einzige Gottheit zureichend iſt: So wuͤrde man doch, nach bloßer Vernunft, fuͤr nicht unmoͤg - lich halten, daß noch andere ewige Weſen waͤ - ren, denen aber dieſe Welt nichts angienge. Gleichwol waͤre es ein uͤberſchreitender Ge - ſchmack, wenn einer, wie die Heiden, darum mehr Gottheiten glauben wollte, weil wir nicht begreifen koͤnnen, warum gerade nur ein einig Weſen von Ewigkeit ſolche Vorzuͤge habe, daß es ohne allen Anfang beſtaͤndig da geweſen? Jch fuͤhre aber ſolche hochgetriebene Maximen an, damit man deſto mehr die Nothwendig - keit der goͤttlichen Offenbarung erkenne, und der heiligen Schrift glaube.
  • CXLIII. Wenn wir nun aber aus Gottes Wort wiſſen, daß nur eine einzige Gottheit wirk - lich ſey, auch auſſer Gott kein ewig Weſen, Gott aber in ſeiner Natur kein grimmiges feind - ſeliges Weſen, ſondern, als Schoͤpfer der gan - zen Welt, alle ſeine Geſchoͤpfe in Verhaͤltniß gegen ſich betrachte, mithin ſie, als Meiſterſtuͤcke ſeiner Allmacht, auch liebe; das Boͤſe auch nichteinen227vom geſunden Witze, ꝛc. einen ewigen Urſprung habe, ſondern in der Zeit entſtanden ſey: So iſt doch bisher die Lehre vom wahren Urſprunge und eigentlicher Beſchaf - fenheit des Boͤſen den Weltweiſen ein Gordia - niſcher Knoten geweſen, den einige große Ge - lehrte, als Leibnitz, Bayle, Wolf, Haller, ſamt andern, aufzuloͤſen getrachtet, aber, ſo viel man aus ihren Schriften erſiehet, noch nicht das letzte Ziel erreichet, ſondern ein weiteres Nachſinnen uͤbrig gelaſſen haben.
  • CXLIV. Da der menſchliche Verſtand beſſer zurechte kommt, wenn er ſich Einheiten vor - ſtellet, als wenn er unzehlbare Vielheiten mit einmal zuſammen nimmt: So ſtelle man ſich Gott als die eine Einheit, und die Welt als die andere Einheit vor. Aus der ganzen Welt neh - me man nur einen einzigen vernuͤnftigen Geiſt, oder ſtelle ſich vor, als wenn nichts vorhanden waͤre, als nur Gott, und ein einziger erſchaffe - ner Geiſt. Dieſer erſchaffene Geiſt hat eben darum, weil er erſchaffen iſt, nichts mehr, als die Kraft, die ihm Gott gegeben. Der er - ſchaffene Geiſt hat alſo nichts eigenes, als was von Gott ihm zugetheilt worden. Er beſitzet, auſſer der anerſchaffenen Kraft, keine weitere, ſondern, wenn ich ihm alles das entnehme, was er von Gott hat, iſt er ein Unding, und ein Nichts. Es kommen demnach alle Veraͤnde - rungen, alle Gedanken und Neigungen, die der erſchaffene Geiſt von ſich auslaͤßt, aus der an - erſchaffenen Kraft her. Alle ſeine HandlungenP 2muͤſſen228Zwey hundert Maximenmuͤſſen aus dieſer Kraft aufgeloͤſet werden, und uͤber ſolche beſitzet er nichts m̃ehr. Wollte man nun ſagen, er mißbrauche ſich ſeiner Kraft: So hat der erſchaffene Geiſt keine aparte Kraft uͤber die anerſchaffene, dadurch er ſich eines Dinges mißbrauchen koͤnnte. Eigentlich alſo mißbraucht er ſeine Kraft niemals; aber es kann wol ſolche nicht hinreichend ſeyn, dasjenige zu praͤſtiren, was er praͤſtiren wuͤrde, wenn er mehr Kraft haͤtte.
  • CXLV. Spraͤche man alſo: Der erſchaffe - ne Geiſt hat in dem oder jenem unrecht gethan: So laͤßt ſich ſolches nur in Verhaͤltniß gegen andere Weſen ſagen, die naͤmlich, wenn ſie mehr Kraͤfte gehabt, auch anders wuͤrden gedacht und gethan haben. Wollte man aber ſagen, er ha - be ſich nicht durch die anerſchaffene Kraft die - ſer und jener Dinge unrecht gebraucht, ſondern durch ſeine eigene Schuld: So muͤßte man zu - voͤrderſt annehmen, daß der erſchaffene Geiſt annoch uͤber die anerſchaffene Kraft eine be - ſondere eigene habe, die ihm zur Schuld ange - rechnet werden koͤnne. Da aber dieſes ohn - moͤglich: So folget eben daraus, daß es lauter Reden ohne richtigen Begriff ſind, wenn man ein ſo langes und breites bisher von der Freyheit, und deren Mißbrauch, von Selbſtverſchuldung, von Selbſtverderbung, oder daß ein Geſchoͤpfe ſich ſelber habe frevelhaft verdorben, und andern ſolchen Alfanzereyen, geſchwaͤtzet. Wer aber der Wahrheit einen rechten Geſchmack ab -gewinnet,229vom geſunden Witze, ꝛc. gewinnet, der lernet aus dem angefuͤhrten hand - greiflich, daß, weil Gott kein wahres Boͤſe ſchaf - fen, kein Geſchoͤpf aber auch ſich ſelber boͤſe machen, ſondern bloß ſich der anerſchaffenen Kraft gebrauchen kann, alle unrechte Handlun - gen aus keiner boͤſen Quelle kommen, ſondern nur Abſchilderungen ſind, wie weit die einge - ſchraͤnkten Kraͤfte zureichen.
  • CXLVI. Die Ohnmoͤglichkeit nun, daß ein Geſchoͤpf uͤberall ſo vollſtaͤndige Einſicht haben koͤnne, als Gott, iſt die Quelle ſo vieler Be - vuën, die ein Erbtheil der menſchlichen Natur ſind. Je weniger Verſtands-Kraͤfte, je mehr Jrrthum; je weniger Triebe in der Natur, je matter die Neigungen. Daß aber auch der Menſch ſolche Dinge nicht einmal weiß, die er doch auf erhaltenen Unterricht faſſen lernet, zei - get an, daß der Menſch theils unter den Feſſeln der Allmacht liege, die ihm Zeit und Punkt be - ſtimmt, wenn ſich ſeine Seele regen ſoll; theils in den Banden der Ohnmacht, da Gott, nach ſeiner unumſchraͤnkten Gewalt, uns gewiſſen feindſeligen Kraͤften anderer Weſen uͤberlaͤßt, die unſern Verſtand gefangen nehmen, bis er ſich Gott ganz ergiebet.
  • CXLVII. Viele halten ſich fuͤr Leute von ei - nem gar hohen Geſchmacke, wenn ſie alle Teu - fel verlachen, und fuͤr Maͤhrgen halten koͤnnen. Aber ich halte den Teufel fuͤr das allerkunſt - reichſte Paradoxon in der ganzen Natur. Gott ſiehet in ihm einen Abdruck ſolcher Gedanken,P 3die230Zwey hundert Maximendie in Gott hoͤchſt gerecht, bey dem Teufel ein Wahnwitz ſind. Gott denkt von ſich ſelber: Jch bin der Weiſeſte, Maͤchtigſte, Souverain - ſte, Jndependenteſte, und der Unaufhoͤrliche. Dis denket der Satan von ſich auch. Alſo ſiehet Gott in ihm den Abdruck ſeiner Gedan - ken, welches Gott als ein Luſt-Spiel vorkoͤmmt. Gott ſtellet zugleich an dem Satan allen ver - nuͤnftigen Geſchoͤpfen ein lebendig Bild vor, daß ein Geſchoͤpf mit aller ſeiner Kraft gegen Gott ohnmaͤchtig ſey. Gott wird ihn auch nicht ei - gentlich ſtrafen, ſondern nur zeigen, wie tief er ihn erniedrigen koͤnne. Jch erſtaune uͤber die - ſem goͤttlichen Luſt - und Schatten-Spiele!
  • CXLVIII. Wenn man vorſtehende Grund - Saͤtze tief zu Herzen nimmt, bekoͤmmt man ei - nen deutlichen Begriff von Wahrheit und Jrr - thum, Tugend und Laſter, Gutem und Boͤſen. Alles, was Gott ſaget, gebietet und wirket, iſt in ſich gut. Alles, was die abtruͤnnigen Ge - ſchoͤpfe thun, iſt unrichtig, mangelhaft, verwerf - lich. Handlen gleich alle untere abtruͤnnige Geiſter nach den Geſetzen der Bewegung, die ihnen der oͤberſte abtruͤnnige Geiſt eingepflanzet: So ſetzet doch Gott ſein angenehmes Schatten - Spiel fort, daß er dem Satan manchen ent - reiſſet, die andern auf eine andere Oeconomie aufhebet. Der oͤberſte abtruͤnnige Geiſt aber handelt nach den Geſetzen der goͤttlichen Enan - tiometrie, oder des Gegen-Satzes, gleich als ſpraͤche Gott: Verſuche alle dein Heil, ich gebedir231vom geſunden Witze, ꝛc. dir ſo viel Kraft und Nachſicht, als ich einem Geſchoͤpfe, ohne mich der Gottheit zu begeben, irgend verſtatten kann; aber am Ende wirſt du und alle Welt erfahren, daß kein Geſchoͤpf es mit dem ewigen Gott aushalten koͤnne, ſondern entweder in ſein vorig Nichts zuruͤck fallen, oder ſich endlich vor ihm demuͤthigen muͤſſe. Die Quelle alſo aller Touren des oͤberſten abtruͤnni - gen Geiſtes iſt kein wirklich boͤſes principium, ſondern daß die Macht Gottes ihn in gewiſſen Grund-Begriffen mit einem Wahnwitze beleget hat. Gott verfaͤhret freylich mit denen abtruͤn - nigen Geiſtern ſo, als er verfahren wuͤrde, wenn ſie ſelbſtſtaͤndige Weſen waͤren, die ſich gegen Gott feindſelig auffuͤhreten. Dieſes kommt aus dem unumſchraͤnkten Rechte Gottes, mit ſei - nen Geſchoͤpfen frey umzugehen, um alle Arten ſeiner goͤttlichen Macht kund zu thun. Weil aber Gott die ewige Liebe iſt, wird er endlich allen Geſchoͤpfen, die er zur Luſt gedemuͤthiget hat, hinlaͤnglichen Erſatz thun. Wer es faſ - ſen kann, der faſſe es!
  • CXLIX. Es iſt eine recht wunderbare Ein - richtung in der menſchlichen Seele, daß ſie durch Furcht und Hoffnung, mithin durch Strafen und Belohnungen, von vielen Laſtern abgezo - gen und zur Tugend gewoͤhnet wird. Ob auch gleich in jedem Menſchen ein zureichender oder uͤberwichtiger Grund aller ſeiner Handlungen iſt, ſonſt keine zur Wirklichkeit kaͤme, wenn nicht ein Uebergewichte in der Seele waͤre, da esP 4denn232Zwey hundert Maximendenn in eben den Umſtaͤnden nicht moͤglich iſt, daß ſie anders agiren ſollte: So wird doch durch vorherſtehende Grund-Begriffe von der goͤttli - chen Enantiometrie, die in den Geſchoͤpfen zu erſehen, nichts an den eingefuͤhrten Begriffen von Verbrechen und Strafen benommen. Denn wenn gleich der, ſo etwas verbricht, in ſolchen Gemuͤths-Umſtaͤnden geſtanden, die das Ueber - gewichte gegeben haben: So dienet doch ſeine Abſtrafung entweder zu ſeiner eigenen Beſſerung, oder aber andern zur Nachhelfung, daß ſie einen deſto tiefern Eindruck bekommen, welcher ſonſt nachgeblieben waͤre, wenn nicht ſo ein Beyſpiel abgeſtrafter Verbrechen ihnen vorgekommen waͤre. Will man aber die Sache in einen ho - hen Begriff faſſen: So ſind alle am Leben ge - ſtrafte Verbrecher eigentlich Schlacht-Opfer der hoͤchſten Gewalt uͤber den lebendigen Odem; und eben der Menſch, der itzo als ein Uebelthaͤ - ter abgeſtrafet wird, wuͤrde ſolche That unter - laſſen haben, wenn ſeine Seele ſich in einem andern Coͤrper befunden haͤtte. Dieſe Vor - beſtimmung aber der Ordnung, darinn jeder Menſch auf die Schaubuͤhne der Welt kommt, oder wieder abtritt, dependirt lediglich von der freyen Vorſehung Gottes. Die Comoͤdien und Tragoͤdien, die Gott bey Regierung der Welt verhaͤnget, haben einen ſchwereren Auf - loͤſungs-Knoten, als unſere Schauſpiele; aber es haͤnget alles im Ganzen fuͤrtrefflich an ein - ander.
CL. 233vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CL. Dieſemnach gehoͤrt die Wiſſenſchaft, die Handlungen der Menſchen zu beſtimmen, da - mit ſie in der Republik einander nicht beeintraͤch - tigen, und, wo ſolches geſchehen, Erſatz geſche - he, auch wol die unrechte That nach Befinden beſtrafet werde, oder mit einem Worte, die Rechts-Gelehrſamkeit, zu denen Wahrheiten vom andern Range. Zur oͤberſten Claſſe kann man ſie nicht rechnen, weil ſie nur nach dem ſtatu hominum praeſenti eingerichtet ſind. Waͤren wir alle vollkommen vernuͤnftig, wuͤrde man nicht wiſſen, was laeſiones in lure waͤ - ren. Man wuͤrde keine Proceſſe haben; denn jeder wuͤrde gleich wiſſen, was recht waͤre, oder doch durch deutlichen Vortrag ſich flugs uͤber - zeuget finden. Es iſt aber die Rechts-Wiſſen - ſchaft nach der jetzigen Beſchaffenheit der Men - ſchen hoͤchſt nuͤtzlich, und einem Richter der Strei - tigkeiten unentbehrlich.
  • CLI. Der menſchliche Leib uͤbertrifft an kuͤnſt - licher Zuſammenſetzung alle Maſchinen in der Welt. Der Umlauf des Gebluͤtes iſt ſo ein Meiſterſtuͤck der Natur, daß die Bewegung un - aufhoͤrlich fortgehen koͤnnte, wenn nicht durch Speiſe und Trank, auch andre Zufaͤlle, ſolches kuͤnſtliche Triebwerk nach und nach zerſtoͤret wuͤrde. Die Unwiſſenheit nun in der zu hal - tenden Diaͤt, wie viel naͤmlich zum Erſatz der abgehenden Kraͤfte noͤthig ſey, desgleichen die Einfuͤhrung ſolcher Theilgen ins menſchliche Ge - bluͤte, die es inflammiren, oder aber ins Stok -P 5ken234Zwey hundert Maximenken bringen, iſt die Quelle aller Krankheiten. Auch kommen von auſſen manche gewaltſame Anfaͤlle durch Verletzung der Gliedmaßen. Da - her gehoͤren die Wiſſenſchaften der Medicin, oder innern Cur, und der Chirurgie, oder aͤuſſeren Heilungs-Mittel, zu den Wahrheiten vom an - dern Range, oder die nach jetziger Beſchaffen - heit der Menſchen noͤthig und nuͤtzlich ſind. Bey dem Stande vollkommener Vernunft aber wuͤr - de man weder Aerzte noch Barbierer beduͤrfen.
  • CLII. Der ſittliche Gebrauch ganzer Voͤlker, die Regeln der Humanitaͤt und der Betrug arg - liſtiger Menſchen haben die Politic erfunden. Weil nun ſolche ebenfalls nach dem itzigen Zu - ſtande der Menſchen, da man bald mit Klugen, bald Narren, bald Aufrichtigen, bald Falſchen, bald mit denen von dieſer Profeßion, bald einer andern, zu thun hat, noͤthig, ja unentbehrlich iſt: So gehoͤrt ſolche gleichergeſtalt zu den Wahr - heiten von der mittlern Gattung (§ 129). Sie iſt entweder die Staats-Politic, oder kluge Ein - richtung eines ganzen Staates, nach derjenigen Verbindung, darinn die hoͤchſte Gewalt des Landes, ſie ſey nun bey einem oder mehrern, mit denen ihr Untergebenen, wie auch aller Staͤnde des gemeinen Weſens, unter einander ſtehen; oder aber die Privat-Politic, welche anweiſet, wie man ſich gegen Hohe, ſeines Gleichen und Niedere, gegen Einheimiſche und Fremde, Fein - de und Freunde, ja gegen alle Menſchen, auf - fuͤhren muͤſſe.
CLIII. 235vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CLIII. Die Gemuͤther der Menſchen ſind ſo gar mannigfaltig, daß es in der Ausuͤbung ſchwer iſt, ſich in alle Leute zu ſchicken. Doch werden als Leute von gutem Geſchmacke und politer Converſation diejenigen gehalten, die leutſelig, beſcheiden, keine Großſprecher, demuͤthig, freund - lich, dienſtfertig, ſchlau, treuherzig, aufgeweckt, ſcharfſinnig und tugendhaft ſind. Es iſt ein ſo wunderbarer Gegenſatz unter den Menſchen, daß mancher das liebet, was der andere haſſet; dieſer etwas hochachtet, was dem andern als gering vorkoͤmmt; einer etwas billiget, das der andere tadelt. Hier iſt nun der Klugheit gemaͤß, wenn man bey Leuten iſt, vor denen man Re - ſpect brauchen muß, mit ſeinem Urtheile zuruͤck zu halten, bis man jene ausgeforſchet. Kom - men wir mit ihren Maximen uͤberein: So wer - den wir nach ihrem Geſchmacke ſeyn. Gehen ſie von uns ab, und wir wiſſen uns kluͤglich zu ver - ſtellen: So werden wir ſelten dabey uͤbel fahren.
  • CLIV. Mißtrauen, Argwohn, Eiferſucht, ſchicken ſich beſſer fuͤr Leute von niedertraͤchti - gem Geſchmacke, als edle Gemuͤther. Ein heimtuͤckiſch Gemuͤth iſt im Umgange unleidlich, und man trauet ihm niemals. Ein redlich Herz wird wol wegen ſeiner allzugroßen Aufrichtigkeit heimlich manchmal verlachet; aber man verſie - het ſich doch zu ihm kein Boͤſes. Die haͤmi - ſchen Gemuͤther denken zwar, ſie haben die Klugheit bey allen Zipfeln; aber ſie werden ſchwerlich einen einzigen guten Freund haben,und236Zwey hundert Maximenund ein Haͤmiſcher haſſet den andern, ob er ihm ſchon am Gemuͤthe gleich iſt, dennoch innerlich oͤfters aufs aͤuſſerſte.
  • CLV. Das weibliche Geſchlecht iſt groͤßten - theils zur Schwatzhaftigkeit, Eitelkeit, Fanta - ſie in Kleiderputz, Luͤſternheit und Wankelmuth geneigt. Doch giebt es auch manche von einem fuͤrtrefflichen Witze, guten Geſchmacke und maͤnnlicher Tapferkeit. Ueberhaupt aber wer - den Leute von feinem Geſchmacke mit dem ſchoͤ - nen Geſchlechte gern umgehen.
  • CLVI. Die Ausſuchung der Freunde erfor - dert einen gar vorſichtigen Geſchmack. Ein wohlgeſpickter Beutel kann dir viel Freunde er - wecken. Eine reichlich gedeckte Tafel noch meh - rere. Die aufſtoßende Noth aber wird man - chem weiſen, wie duͤnne wahre Freunde geſaͤet ſind. Ein Freund zeiget eben nicht dadurch ſei - nen guten Geſchmack der Freundſchaft, wenn er, unter dem Scheine der Aufrichtigkeit, ſei - nem Freunde grob begegnet, ihm ſolche empfind - liche Vorruͤckung thut, als kaum ein Feind thun wuͤrde, oder ihm kleine Fehler hoch aufmutzet. Wohl dem, der in ſolchen Vortheilen ſtehet, daß er ſich weder um viel Freunde bewerben, noch Feinde fuͤrchten darf. Ein ſtilles geruhiges Le - ben in einem mittelmaͤßigen Stande uͤbertrifft alle Fineſſen und Cabalen, darein ſich viele, die fuͤr Leute von auſſerordentlichem Diſcernement und ausnehmendem Geſchmacke angeſehen ſeyn wollen, einflechten, auch gar oft hinters Licht fuͤh - ren laſſen muͤſſen.
CLVII. 237vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CLVII. Der beſte Geſchmack im Eheſtan - de iſt, wenn gleiche Gemuͤther, und geſunde auch noch in der Bluͤte ſeyende Leiber ſich mit einander vereinigen. Wo aber Luͤſternheit und Eiferſucht einreiſſet, kann ein Ehegatte leicht ei - nen verwoͤhnten Geſchmack bekommen, und ſich nach fremder Speiſe umſehen. Es iſt ein Geſchmack des Eigenſinnes, mit ſeinem Weibe um die Herrſchaft ſtreiten; denn wahre Liebe weiß von keiner Herrſchaft, ſondern gemein - ſchaftlicher Gefaͤlligkeit, alles zu thun und zu laſſen, was es dem andern an den Augen anſe - hen kann. Die Brumm-Baͤre, Kalmaͤuſer und Buͤcher-Wuͤrmer, die ihre ſchoͤnen jungen Weiber Braach liegen laſſen, haben einen wunderlichen Geſchmack. Es hat alles ſeine Zeit; und wer immer uͤber den Buͤchern knau - ſtern will, ſollte lieber gar nicht heyrathen. Da - her that jene raſche Frau nicht unrecht, daß ſie, mit Aufhebung ihres Appetits-Roͤckgens, zu ihrem Mann ſagte: Mann, hier iſt das Cor - pus Iuris, da ſollteſt du fleißiger in leſen, als in deinen alten Staͤnkern!
  • CLVIII. Ein redlicher Buͤrger des gemeinen Weſens findet keinen Geſchmack an Aufwie - gelung, Ohrenblaͤſerey, Verunglimpfung der Obrigkeit, noch weniger an ſolchen Laſtern, da - durch die oͤffentliche Ruhe und Sicherheit des gemeinen Weſens geſtoͤret wird; am allerwe - nigſten aber an Aufruhr, Rebellion und Landes - Verraͤtherey. Die buͤrgerliche Honnettetaͤt er -ſtrecket238Zwey hundert Maximenſtrecket ſich auch ſo weit, daß man nach ſolcher keinen Geſchmack an liederlicher Geſellſchaft, Saufgelachen, Laͤrmen, Unzucht, Schwaͤchung der Jungfrauen und Ehebruch findet. Wer ſolche Dinge fuͤr Kurzweil oder Galanterie haͤlt, hat noch nicht einmal den Geſchmack von dem, was ein honnêt-homme ſey.
  • CLIX. Die Unempfindlichkeit der ſtoiſchen Weltweiſen, nach welcher man alle ſchmerzhaf - te Empfindungen nichts achten, und die Natur gegen alle widrige Zufaͤlle verhaͤrten ſoll, iſt eine Anzeige eines gar rauhen Geſchmacks. Wer von keinem Zufalle, der ihm ſelbſt begegnet, ge - ruͤhret wird, iſt nothwendig noch viel haͤrter und unempfindlicher, wenn andern dergleichen ſchmerzliches widerfaͤhret. Ein ſolcher Hartkopf aber ſchicket ſich beſſer in die Wuͤſten, daß er verſuche, ſich von wilden Thieren verletzen zu laſſen, und ſeinen Schmerz zu verbeiſſen, als daß er im gemeinen Weſen die Menſchen in un - empfindliche Steine verwandeln wollte. Es ſind auch ſolche ſtoiſche Weltweiſe ſchlechte Aus - uͤber ihrer auſtéren Moral. Man mache nur Mine, daß man ſich uͤber ſie aufhalte, ſie wer - den bald daruͤber empfindlich genug werden.
  • CLX. Weder die Tollkuͤhnen, noch die Ver - zagten, haben einen geſetzten Geſchmack. Der Gefahr, der man entgehen kann, ſich unbedacht - ſamer Weiſe ſelbſt in den Wurf zu geben, iſt keine Herzhaftigkeit, ſondern Verwegenheit. Die wahre Herzhaftigkeit beſtehet in dem uner -ſchrockenen239vom geſunden Witze, ꝛc. ſchrockenen Muthe, die Verhaͤngniſſe der alles lenkenden Vorſehung getroſt uͤber ſich ergehen zu laſſen. Ein Verzagter hingegen glaubt ent - weder keine goͤttliche Vorſehung, oder aber, weil er laſterhaft iſt, fuͤrchtet er ſich vor der Strafe der erzuͤrnten Gerechtigkeit. Jedoch ein Herz, das da weiß einen gnaͤdigen Gott zu ha - ben, wird in widrigen Zufaͤllen die Gemuͤths - Gegenwart nicht fallen laſſen, und alſo weder kleinmuͤthig ſeyn, um nicht das Regiment der Vorſehung zu tadeln, noch verwegen, um den Character der Gottesfuͤrchtigen nicht zu pro - ſtituiren.
  • CLXI. Die Gemuͤths-Gegenwart (Pré - ſence d’Eſprit) iſt eine Univerſal-Tugend, ohne welche man zu keinem erhabenen Geſchmacke in keiner Wiſſenſchaft gelangen kann. Sie begreifet eine ſchnelle Gemuͤths-Fertigkeit, uͤber ſich ſelbſt zu reflectiren. Man iſt alsdann gleich - ſam ein Aufmerker ſeiner ſelbſt, ein Zeuge von beſchehener genauer Unterſuchung der Wahrheit, und ein unpartheyiſcher Richter, daß man ſolche gefunden.
  • CLXII. Die Gemuͤths-Gegenwart ma - chet, daß man alle ſeine Gedanken, Reden und Thaten am Zuͤgel, auch gleichſam am Schnuͤr - gen hat, ſo daß man im Stande iſt, aus dem Stegereif einen ſchoͤnen Einfall, guten Rath und loͤbliches Unternehmen auszuſinnen. Man beherrſchet ſich durch die Gemuͤths-Gegenwart ſelber, und haͤlt vermittelſt derſelben alle aus -ſchwei -240Zwey hundert Maximenſchweifende Leidenſchaften in behoͤrigen Schran - ken.
  • CLXIII. Wie ein wachſamer Soldate, wenn er im Felde auf dem Poſten ſtehet, des Nachts alle Voruͤbergehende anſchreyet, und, wenn es ein Feind iſt, gleich Feuer giebet: Alſo examinirt einer, der die Gemuͤths-Gegenwart beſitzet, alle ſeine aus - und eingehende Gedanken. Will ſich nun eine Leidenſchaft gegen die Vernunft empoͤren: So giebt er gleich Feuer darauf. Er haͤlt die aufſteigende Wallung des Gemuͤthes in Schranken. Er beſitzet ſich ſelbſt, und laͤuft mit einem uͤberdenkenden Urtheile allen ſeinen aufſteigenden Affecten auf dem Fuße nach. Ue - bereilt ihn nun ja etwa der Zorn, oder eine an - dere Leidenſchaft: So recolligirt er ſich doch bald wieder. Er daͤmpfet die Gemuͤths-Entzuͤn - dung durch Vorſtellung, daß er Meiſter uͤber ſich ſelbſt ſeyn, auch andrer Schwachheiten nicht ſo hoch empfinden, noch ſich uͤber andrer Ver - gehungen zu ſehr entruͤſten muͤſſe.
  • CLXIV. Ohne die Gemuͤths-Gegenwart (Pré - ſence d’Eſprit) wird einer auch an denen ihm erzeigten Gutthaten keinen rechten Geſchmack finden. Ein leichtes Gemuͤth vergiſſet der Wohlthat bald, und achtet ſolche wenig. Ein erkenntliches Gemuͤth aber hat ſolche in ſtetem Andenken, und verbindet damit einen Trieb der Dankbarkeit. Die Wohlthaten, die einem dankbaren Gemuͤthe erzeiget werden, ſind bey ihm, als in einer Schatzkammer, verwahret. Nichts241vom geſunden Witze, ꝛc. Nichts iſt ihm ſo angelegen, als ſich inacht zu nehmen, damit er ſeinem Wohlthaͤter ja nichts zum Verdruß thue. Jrrt er nun manchmal gleich in ſeiner Einſicht: So iſt er doch nicht im Stande, den Wohlthaͤter vorſetzlich zu be - leidigen. Auch wenn er hoch ſteiget, wird er die im niedrigen Stande ihm erzeigte Gutthaten in deſto verpflichteterm Andenken behalten.
  • CLXV. Die Wiſſenſchaft, allgemeine Be - griffe anzugeben, deren man ſich in allen Thei - len der Gelehrſamkeit bedienen koͤnne, gehoͤrt unter die Huͤlfs-Wahrheiten, mithin zu der dritten Claſſe, oder den Wahrheiten vom un - terſten Range. Sie ſind nicht um ihrer ſelbſt willen, ſondern dadurch die Begriffe in den hoͤ - hern Wiſſenſchaften zu erleichtern. Alſo wenn einer z. E. gleich uͤberhaupt wuͤßte, was eine Subſtanz, ein Zufaͤlliges, eine Abſicht, ein Mittel, oder dergleichen, bedeute: So wuͤßte er doch aus ſolchen Huͤlfs-Woͤrtern nicht, was nun z. E. der finis der Theologie, Jurisprudenz, Medicin ꝛc. ſey; ſondern er muͤßte ſolches aus ſolchen Disciplinen ſelbſt erlernen. Jndeß aber, weil alle practiſche Wiſſenſchaften ihre fines oder Abſichten haben, iſt es gut, wenn man uͤber - haupt einen Begriff bekoͤmmt, was durch fines verſtanden werde.
  • CLXVI. So iſt demnach die ganze Meta - phyſic eine Huͤlfs-Disciplin, um mit denen darinn erlernten Grund-Begriffen in andern Haupt-Wiſſenſchaften deſto beſſer fortzukom -Qmen.242Zwey hundert Maximenmen. Wer aber in dieſen allgemeinen Begrif - fen beſtehen bleiben, und nicht die Wahrheiten vom oͤberſten und andern Range faſſen wollte, der waͤre wie einer, der ſich immer mit einer Meß-Schnure ſchleppte, ohne ſolche wirklich an - zulegen, noch etwas darnach auszumeſſen.
  • CLXVII. Die kuͤnſtliche Logic, in ſo fern ſie Vortheile anweiſet, ſich von den Sachen de - ſto leichtere Begriffe zu machen, Urtheile abzu - faſſen, und Schluͤſſe auszuſinnen, oder zu be - urtheilen, gehoͤrt auch zu den Wahrheiten vom unterſten Range. Jn ſo ferne aber darinn ſelbſt die weſentlichen Kraͤfte des menſchlichen Verſtandes und die Regeln der Rechtdenkung vorgetragen werden, gehoͤret ſie zu den Wahr - heiten vom oͤberſten Range. Es ſind aber vie - le tauſend Menſchen, die richtig denken und ur - theilen, wenn ſie gleich ihr Lebtage keine kuͤnſt - liche Logic erlernet haben.
  • CLXVIII. Wer in der kuͤnſtlichen Logic die abſtrahirten Begriffe uͤbertreibet, und, anſtatt einer vernuͤnftigen Anatomie des Verſtandes, ihn gleichſam zerſplittert und zerpitzelt, der hat einen ſo laͤcherlichen Geſchmack, als wenn ei - ner, bey Beſchreibung eines Pallaſtes, alle Qua - derſteine und Balken daran zehlen wollte. Sol - che Staͤubleins-Gruͤbler und Zerlaͤſterer des geſunden Witzes muß man fuͤr Wuͤrmer hal - ten, die in ihren eigenen Grillen ſich ſelber ver - graben, und in ihrem eigenen Spinnegewebe ſich verſitzen. Lernt er aber die Logic gar deswegen,um243vom geſunden Witze, ꝛc. um einen Sophiſten und ſpitzfindigen Verleum - der abzugeben: So iſt er wie eine Horniſſe, die ihren Stachel nicht zum Einſammlen des Honigs, ſondern zu heftigem Anſtechen derer gebrauchet, die ihr zu nahe kommen.
  • CLXIX. Die Wiſſenſchaft der Sprachen gehoͤret ebenfalls zu den Huͤlfs-Wahrheiten, mithin zu der dritten Claſſe. Eine Sprache an ſich iſt eine Miſchung unterſchiedener Laute, die eine gewiſſe eingefuͤhrte Bedeutung haben. Alſo liegt in der Sprache ſelbſt keine Realitaͤt. Aber weil keine Wahrheit vom erſten oder an - dern Range einem andern kann fuͤglich beyge - bracht werden, als vermittelſt der Sprache; hingegen einer dis, der andere jenes beſſer ver - ſtehet: So kann alſo einer, der mehrere Spra - chen weiß, ſich dadurch die Erkenntniß wichtiger Wahrheiten deſto mehr erleichtern.
  • CLXX. Die grammaticaliſchen, philolo - giſchen und critiſchen Sprach-Schriften ſind beſondere Huͤlfs-Mittel zu Erleichterung der Sprach-Wiſſenſchaft. Da nun aber alle Sprach-Wiſſenſchaft nur zu der unterſten Claſſe der Wahrheiten gehoͤret (§ 169): So verraͤth der ſeinen pedantiſchen Geſchmack, der ſich auf die Sprach-Critic mehr einbildet, und ſolche hoͤher ſchaͤtzet, als die reellen Wiſſenſchaften.
  • CLXXI. Das Leſen der Buͤcher iſt gut und heilſam, um ſich daraus einen Vorrath noͤ - thiger und nuͤtzlicher Wahrheiten einzuſammeln. Wer aber nichts thut, als auswendig lernen,Q 2ohne244Zwey hundert Maximenohne ſelber ein gruͤndlich Urtheil vom Wahren und Falſchen faͤllen zu koͤnnen, der iſt ein leben - dig Woͤrter-Buch und eine klingende Schelle, oder ein lebendiges Buͤcher-Repoſitorium, auf welchem ganz widerwaͤrtige Schriften neben einander ſtehen koͤnnen, dazu der Entſcheider fehlet.
  • CLXXII. Die Beredſamkeit iſt eine Fer - tigkeit, ſeine Gedanken in einer Sprache nicht nur rein, ſondern auch deutlich und ſchoͤn aus - zudruͤcken, daß man von der vorgetragenen Wahrheit lebendig geruͤhrt wird. Wer aber keine reelle Wahrheiten aus der erſten und an - dern Claſſe hat, wird ſich entweder mit andrer Gedanken behelfen muͤſſen, oder einen gelehr - ten Waͤſcher abgeben, der ſixcalax von allem plaudert, was ihm ins Maul koͤmmt. Der groͤßte Redner, in ſo fern er ein Redner iſt, ſte - het nur in der unterſten Claſſe der Gelehrten. Traͤget er aber Wahrheiten vom erſten Range oratoriſch vor: So gehoͤrt er unter die Gelehr - ten vom oͤberſten Range. Nicht der Rede - Vortrag, ſondern die Wichtigkeit der vorgetra - genen Sache macht den Unterſchied zwiſchen großen und kleinen Gelehrten.
  • CLXXIII. Die Poeſie iſt eine Huͤlfs-Wiſ - ſenſchaft, gruͤndliche Wahrheiten in wohlge - ſchloſſenen Reimen nachdruͤcklich und lebhaft vorzutragen. Sind nun die Sachen, ſo in Reimen vorgetragen werden, niedrig, gemein, laͤppiſch und leichtfertig: So iſt die ganze Poe -ſie245vom geſunden Witze, ꝛc. ſie eine Rhapſodie und Reimſchmiederey. Werden wichtige Wahrheiten nicht mit dem gehoͤrigen Feuer und Nachdrucke in Reime ge - faßt: So iſt es eine kriechende Poeſie. Wer - den aber entweder wichtige, oder ſchlechte Wahr - heiten in ſchwuͤlſtige Worte, oder ein kahler Ge - danke in poetiſche Luft-Blaſen eingewickelt: So heißt es eine Dunſt-Poeſie, und poetiſcher Phoͤ - bus, oder Galimathias. Dieſemnach gehoͤrt die Poeſie an ſich zu der unterſten Claſſe der Gelehrſamkeit, und bekoͤmmt einzig das Ge - wichte und den Adel von den Materien, die in wohlklingende Reime geſetzet werden.
  • CLXXIV. Wer die Poeſie dazu mißbrau - chet, um ſein haͤmiſch Gemuͤthe gegen andere auszulaſſen, mithin die Grenzen eines vernuͤnf - tigen Straf-Gedichtes uͤberſchreitet, der iſt ein gedoppelter Narr. Einmal, daß er die Poeſie nothzuͤchtiget, und ihren Abſichten zuwider handelt. Sodann, daß er die Galle ſeines Gemuͤths ſo boshaftig verſpruͤtzet. Er gleichet dem, der einen goldenen Pocal dazu mißbrau - chet, daß er einem andern darinn Gift praͤſen - tiret.
  • CLXXV. Wer zur Poeſie nicht von Na - tur aufgelegt iſt, und doch mit Macht ein Poete ſeyn will, der hat einen uͤberwitzigen Geſchmack. Er koͤmmt mir vor, als wenn ein Lahmer woll - te einen Tanzmeiſter, oder ein Pfarrer einen Scaramuz in der Comoͤdie abgeben. Es gehet einem wahren Gelehrten dadurch nichts ab, wennQ 3er246Zwey hundert Maximener gleich keinen einzigen Vers ſein Lebetage ge - macht haͤtte. So wenig einer mit verhauenen Fingern das Clavier oder die Theorbe ſpielen kann: So wenig ſoll ſich einer zur Poeſie drin - gen, wenn ihm die Natur das Talent verſagt hat, in Einfaͤllen gluͤcklich zu ſeyn, und auf un - gebundene Art die Reime zu verbinden.
  • CLXXVI. Der wahre poetiſche Geſchmack erfordert einen ſcharfſinnigen Kopf, geſchwinde Einfaͤlle, verdeckte Schoͤnheiten, lebhafte Vor - ſtellungen, paradoxe und unerwartete Gedan - ken, eine edle Dreiſtigkeit in Ausdruͤcken, und ein Feuer, das den Leſer und Zuhoͤrer in Be - wegung ſetze. Die Poeſien der Ober - und Nieder-Sachſen, die Gedichte eines Brocks, Richeys, Weichmanns, Koͤnigs, Canitzens, Beſſers, Pietſchens, Neukirchs, Opitzens, Hallers, Gottſcheds, Picanders, Guͤnthers, Madame von Steinwehr, oder vormaligen Madame von Ziegler, Loͤberinn, Zaͤuneman - ninn, ꝛc. enthalten einen fuͤrtrefflichen poeti - ſchen Geſchmack. Doch verlaſſen auch die groͤß - ten Poeten unterweilen ihre Staͤrke, und nei - gen ſich manchmal zum Bathos, oder auch Phoͤ - bus; welches ſie leicht verbeſſern wuͤrden, wenn ſie ihre Gedichte nochmals uͤberſehen ſollten.
  • CLXXVII. Der Verfaſſer des hamburgi - ſchen Patrioten hat die Eigenſchaften des wah - ren poetiſchen Geſchmacks auf ſinnreiche Art dadurch vorgeſtellet, daß er die reine Poeſie ei - ner hellen Quelle vergleichet, die ganz anmuthigdahin247vom geſunden Witze, ꝛc. dahin rauſchet, und liebliche Waſſer-Faͤlle hat. Sie iſt kein reiſſender Strohm, kein aus dem Uſer ſchreitendes Meer, kein truͤber Timpel, kei - ne Grube voll Schlamm-Waſſer; ſondern eine helle Cryſtall-Quelle, oder wie ein hellpolirter Brenn-Spiegel mit einem richtigen Brenn - Puncte.
  • CLXXVIII. Wer den Muſtern großer Poe - ten durchgaͤngig ohne Pruͤfung eines jeden Ge - danken folget, der thut es entweder aus blinder Nachahmung, oder aber er haͤlt die Sonnen - Makel fuͤr Zierathen. Wie man aber z. E. bey den Reden des Cicero die Nettigkeit ſeiner Worte von den Touren ſeiner Gedanken wohl unterſcheiden muß, weil er manchmal wie ein Sophiſt und Windbeutel raiſonniret: Alſo muß man auch die bey großen Dichtern einge - ſchlichene Fehler zwar uͤberſehen, und ſie wegen ſolcher kleinen Flecken nicht herunter machen, oder beiſſend anſtechen; aber doch auch nicht ſolche Fehler zu Muſtern der Nachahmung vorſtellen.
  • CLXXIX. Noch weniger aber darf man ſich an das Gewaͤſche eines Stuͤmpers kehren, der etliche ſchoͤne Gedanken andern abgeſtohlen, und die Quelle verſchweiget, daraus er Waſſer ge - ſchoͤpfet; was er aber aus ſeinem eigenen Ge - hirne dazu gethan, ganz mager und erbaͤrmlich ausſiehet, ſo daß die gebrauchte Schreib-Art einander ſo ungleich iſt, als wie z. E. in der Schrift: Tempel des guten Geſchmacks; daQ 4die248Zwey hundert Maximendie Gedanken ſehr ſchlecht an einander hangen, indem einige ſchoͤn und gruͤndlich, andre aber recht laͤppiſch und abgeſchmackt ſind. (S. die 24 beſcheidene Eſſen.)
  • CLXXX. Man muß auch vor den poetiſchen Hohn-Sprechern nicht erſchrecken, noch ſich durch ihre Spoͤttereyen irre machen laſſen. Sie tadeln manchmal eines andern unnachahmliche Kunſt-Stuͤcke, oder ſchmaͤhlen auf einen Scri - benten, den ſie heimlich beſtehlen, aber darum losziehen, daß man ihren gelehrten Diebſtahl nicht merken ſolle. Zuweilen iſt es auch aus Aergerniß, daß ſie unvermuthet bey andern ei - nen gluͤcklichen Einfall finden, der ihnen ohnge - fehr auch eingefallen, und ſich damit ſo viel ge - wußt, wie jene Amme des Dauphins, die den Preis behalten, daß ſie die milchreichſte Bruſt habe, und daruͤber fuͤr Freuden des Todes ge - blieben. Es kitzelt mancher ſich auſſerordentlich uͤber dieſen oder jenen habenden Einfall. Fin - det er aber, daß ſolchen laͤngſt vor ihm ſchon ein anderer gehabt: So geraͤth er uͤber die Frucht ſeines Leibes in Wuth, und zerſchmettert ſie an einem Steine. Er erſtickt alſo ſeinen eigenen Einfall lieber in der Geburt, als daß er ſolchen an andern loben ſollte. Manchmal aber duͤnkt er ſich auch ſchrecklich viel damit, wenn er etwa einmal plumperweiſe auch ſo einen Einfall be - koͤmmt, als er in großer Dichter Poeſien nach - her findet.
  • CLXXXI. Die Krieges-Kunſt iſt eineHuͤlfs -249vom geſunden Witze, ꝛc. Huͤlfs-Wiſſenſchaft bey der Staats-Klugheit. Denn da dieſe die Abſicht mit hat, den Staat vor feindlichem Angriff und innerlichem Aufruhr zu bedecken: So braucht man dazu Armeen, zu Waſſer und zu Lande, zu Roß und zu Fuß. Man braucht auch Gewehre und Geſchuͤtze; da - her die Canonir - und Artillerie-Wiſſenſchaft erfordert wird. Man braucht auch Veſtungen, oder greift feindliche an; wozu die Jngenieur - und Fortifications-Kunſt Anleitung giebt.
  • CLXXXII. Die Unkoſten des Staats zu be - ſtreiten gebrauchet man einer Wiſſenſchaft zu Einhebung und Vermehrung landesherrlicher Revenuͤen, welches die Cameral-Wiſſenſchaft heiſſet. Da ſchlagen nun viele beſondere Wiſ - ſenſchaften ein, als der Bergwerke und Salz - Quellen; der Muͤnze und des Gepraͤges; des Poſtweſens; der Forſte mit Jagd und Wal - dung; der Grund-Steuern, Contributionen und Acciſen; der verpachteten Aemter und Cammer-Guͤther; und der eigenen Menagerie des Fuͤrſten, wenn er Laͤndereyen, Vorwerke, Viehzucht, Aecker, Wieſen, Muͤhlen, eigene Fabriken und Manufacturen beſitzet, nebſt Zoͤllen, Geleiten, Schoß, und andern oͤffent - lichen Abgaben.
  • CLXXXIII. Die Haushaltungs-Kunſt iſt eine Huͤlfs-Wiſſenſchaft, ſich ehrlich fortzubrin - gen, gut Gewerbe zu haben, und etwas zu gewin - nen. Dahin gehoͤret Ackerbau, Gaͤrten, Vieh - zucht, Handel und Wandel, guter Ueberſchlag derQ 5Ein -250Zwey hundert MaximenEinnahme und Ausgabe, hauswirtliche Menage und eine ehrliche Profeßion.
  • CLXXXIV. Unter die Huͤlfs-Wiſſenſchaf - ten gehoͤret auch ſonderlich die Hiſtorie, oder An - merkung gegenwaͤrtiger und vergangener Ge - ſchichten. Solche theilt ſich wieder in drey beſon - dere Diſciplinen, als die Kirchen-Hiſtorie, die weltliche Hiſtorie und die gelehrte Hiſtorie. So giebt es auch eine Univerſal - und Special-Hiſto - rie. Die Lebens-Beſchreibungen großer Hel - den, Monarchen und beruͤhmter Gelehrten, wenn ſie in magnifiquer Schreib-Art und pragmatiſch abgefaſſet ſind, haben einen reizenden Geſchmack.
  • CLXXXV. Der reiche Vorrath an geſchrie - benen und gedruckten Buͤchern hat große Herren, Univerſitaͤten, Collegia, Miniſtros und anſehnli - che Gelehrte veranlaſſet, ganze Bibliotheken zu ſammlen. Die Wiſſenſchaft anſehnlicher Buͤ - cher-Saͤle iſt alſo auch eine beſondre Huͤlfs-Wiſ - ſenſchaft, und dienet dazu, wenn man eine Schrift recht vollkommen abfaſſen will, aus großen Bibli - otheken den benoͤthigten Stoff, ſonderlich wenn es hiſtoriſche, diplomatiſche und Rechts-Sachen be - trifft, zu ſammlen, und zu erkennen, was ſchon an - dere vorher in der abzuhandelnden Materie praͤſti - ret haben.
  • CLXXXVI. Die Mathematic beſtehet aus vermiſchten Wahrheiten, deren etliche zur ober - ſten Claſſe (§ 129), andere zur mittlern, die mei - ſten zu den Huͤlfs-Wahrheiten, oder der letzten Claſſe, gehoͤren. Alſo iſt die demonſtrative Lehr -Art251vom geſunden Witze, ꝛc. Art der Mathematicorum in dem Weſen der Vernunft gegruͤndet, und gehoͤret hiernach zu den Wahrheiten vom oͤberſten Range. Eben ſo, wenn man die Aſtronomie in der Abſicht erklaͤret, um aus dem ganzen Weltgebaͤude darzuthun, daß nothwendig ein Gott ſey.
  • CLXXXVII. Die Arithmetic iſt eine Huͤlfs - Wiſſenſchaft der Cameral-Wiſſenſchaft und Haushaltungs-Kunſt. Die Geometrie, oder Feldmeß-Kunſt, iſt der Grund bey Anlegung re - gulairer Gebaͤude und Veſtungen. Auch wer - den die Streitigkeiten unter Feld-Nachbarn dar - aus entſchieden, oder auch, wenn der Strohm ſei - nen Gang verlaͤſſet, und einen andern Alveum ſuchet.
  • CLXXXVIII. Die Optic, Catoptric, Di - optric und Perſpectiv, welche alle mit Licht und Schatten, auch Verfertigung kuͤnſtlicher Glaͤſer und Spiegel umgehet, thut der Mahler - und Zeichnungs-Kunſt beſondere Huͤlfe.
  • CLXXXIX. Die Mechanic lehret die Kraͤfte der Bewegung, des Steigens und Fallens, kuͤnſt - licher Maſchinen, die mit leichterer Muͤhe das ver - richten, wozu ſonſt viel Menſchen-Haͤnde wuͤrden erfordert werden. Applicirt man die Grund-Re - geln der Maſchinen auf das ganze Weltgebaͤude: So iſt ſolches eine große Maſchine; und ſelbſt in dem Weſen jeder Maſchine lieget der Begriff, daß ſie ſich nicht ſelber zuſammengeſetzet, noch von E - wigkeit da ſeyn kann; folglich kann man aus den Geſetzen der Mechanic darthun, daß nothwendigein252Zwey hundert Maximenein Gott ſey. Auch zeigt die Mechanic, in Vergleich mit der organiſchen Structur leben - diger Coͤrper, daß in allen lebenden Geſchoͤpfen et - was mehrers, als ein bloßer Mechaniſmus, ſey, obgleich vieles auf mechaniſche Weiſe zugehet.
  • CXC. Die Aerometrie erklaͤret die Kraͤfte der Luft, und ſonderlich die Wirkungen der Luft - Pumpe. Die Hydraulic zeiget die Kraͤfte des Waſſers an, und aller fluͤßigen Materie, auch was jeder Coͤrper an ſeiner Schwere verliere, wenn er in fluͤßiger Materie ſchwebet. Sie iſt der Grund aller kuͤnſtlichen Spring-Brunnen, Waſſer-Lei - tungen und Druck-Werke, das Waſſer mit Ge - walt in die Hoͤhe zu treiben. Sie erlaͤutert auch die Lehre vom Umlaufe des Gebluͤts in lebendigen Coͤrpern. Die Pyrotechnie gehet mit den Kraͤf - ten des Feuers um, und iſt eine beſondere Huͤlfs - Wiſſenſchaft der Krieges-Kunſt. Denn ſie leh - ret mit Geſchuͤtz umgehen, und das Schießpulver alſo zu gebrauchen, daß die groͤßten Veſtungen koͤnnen durch Feuer-Moͤrſer, Bomben, Feuer-Ku - geln und Canon-Kugeln ruiniret werden. Sie lehret auch kuͤnſtliche Luſt-Feuer, Jlluminationen und Entzuͤndungen durch Fermentation anzu - geben.
  • CXCI. Die Trigonometrie und Sphaͤric, oder Ausmeſſungs-Kunſt aller eckigten und run - den Flaͤchen, wie auch, wenn man die ganze Exten - ſion, den Umfang und Jnhalt eines angegebenen hohen oder auch ausgefuͤllten Coͤrpers wiſſen will, iſt eine Huͤlfs-Wiſſenſchaft bey der Geometrie,Aſtro -253vom geſunden Witze, ꝛc. Aſtronomie, Gnomonic, Geographie und ganzen Mathematic.
  • CXCII. Die Bau-Kunſt iſt im menſchlichen Leben zur Erhaltung bequemen Dachs und Fachs ſehr nuͤtzlich. Sie begreift drey beſondere Diſei - plinen, als die Architectur, welche ganze Pallaͤſte und Gebaͤude angiebet; die Krieges-Baukunſt, welche lehret Veſtungen zu machen und Lager zu verſchanzen; und denn die Schiffs-Baukunſt, ohne welcher kein Handel und Wandel zur See, dabey doch der groͤßte Profit iſt, koͤnnte getrieben werden.
  • CXCIII. Die Aſtronomie erklaͤret das an einander in ſchoͤnſter Ordnung haͤngende erſtaun - liche Weltgebaͤude; den richtigen Lauf der Ge - ſtirne, ſonderlich der Sonnen und des Monden, dadurch Zeiten, Jahre, Monate und Tage beſtim - met werden. Die Gnomonic iſt eine beſondere Diſciplin, welche lehret, kuͤnſtliche Sonnen-Uh - ren, und Abrichtung des Magneten, zu Anweiſung der Himmels-Gegenden zu machen. Die Geo - graphie bezeichnet den Umfang der Erd-Kugel, die Lage der Laͤnder, Staͤdte und Haupt-Fluͤſſe, mithin iſt ſie eine beſondere Huͤlfs-Wiſſenſchaft fuͤr Seefahrer und reiſende Paſſagiers.
  • CXCIV. Die Algebra iſt die Wiſſenſchaft aller Verhaͤltniſſe und Groͤßen gegen einander, bis ſie ins Unendliche laufen. Man giebt darinn den Alphabet-Buchſtaben eine gewiſſe Bedeutung von einer angenommenen Groͤße, und erfordert gar ſubtile Koͤpfe, die algebraiſchen Ausrechnungen zu verſtehen.
CXCV. 254Zwey hundert Maximen
  • CXCV. Nach den mathematiſchen Wiſſen - ſchaften iſt die Cryptographie, oder Chifrirungs - und Dechifrirungs-Kunſt auch heut zu Tage ei - ne bey hohen Standesperſonen ſonderlich im Schwange gehende Wiſſenſchaft, und lehret auf verdeckte Art zu ſchreiben, durch Verwandlung ei - ner Schrift in abgeredte Zahlen, oder verſetzte Buchſtaben, oder verworfene Leſe-Arten, daß man ſie ohne Schluͤſſel nicht fuͤglich leſen kann, wie auch, wenn ſolche Chifer-Schriften gefunden oder aufgefangen werden, wie man hinter ihren Jnhalt kommen koͤnne.
  • CXCVI. Die Zeichnungs - und Maler - Kunſt, desgleichen das Kupferſtechen, Bild - hauen, Bildgieſſen, Steinſchneiden, und im Feuer emailliren, ſind curieuſe Wiſſenſchaften, die anmuthig in die Augen fallen, und die Natur nachahmen. Die Meiſter in ſolchen Kuͤnſten werden oft hoͤher geſchaͤtzet, als Gelehrte vom oͤberſten Range.
  • CXCVII. Die Muſic, ſowol die Singekunſt, als auf Jnſtrumenten zu ſpielen, hat viel Reizen - des fuͤr die Ohren. Einige finden mehr Geſchmack am rauſchenden Getoͤne der Trompeten, Pauken, Waldhoͤrner, Orgeln und Poſaunen; andere an den ſanften Toͤnen einer Laute, Clavecimbels, Cy - ther, Traverſe, Floͤte und Violine. Die Vir - tuoſen in der Muſic bekommen oft ſtaͤrkere Penſio - nen, als die Gelehrten von der oberſten Claſſe.
  • CXCVIII. Alle Kuͤnſte und Handwerker ſind Hilfs-Wiſſenſchaften zur Bequemlichkeit desmenſch -255vom geſunden Witze, ꝛc. menſchlichen Lebens. Sie ſind faſt unzehlbar. Und weil die Gelehrten ſo zahlreich ſind, daß man - cher lange harren muß, ehe er ein Amt bekoͤmmt: So waͤre es nicht undienlich, wenn die Mode ein - gefuͤhrt wuͤrde, daß ein Gelehrter, wie ehedem bey den Juden die Rabbinen, auch eine Kunſt oder Handwerk mit lernte, um ſich deſſen bis auf erfol - gendes Amt zu gebrauchen.
  • CXCIX. Es giebt auch entbehrliche Kuͤnſte, die dennoch genug Liebhaber finden, weil der Ge - ſchmack vieler Menſchen auf Kurzweil, Gaukeley und Begierlichkeit erpicht iſt. Dahin gehoͤren die Luftſpringer und Seiltaͤnzer, Taſchenſpieler, Comoͤdianten, Gluͤcksbuͤdener, Lotterie - und A - ctienkraͤmer, nebſt Karten - und Wuͤrfelſpielern. Endlich giebt es fuͤrwitzige und unſichere Kuͤnſte, daran doch manche einen Geſchmack finden, als die Goldmacher-Kunſt; Aſtrologie, oder Wahr - ſagerey aus dem Geſtirne; die Chiromantie; Punctir-Kunſt; weiſſe Kunſt, oder Umgang mit guten Geiſtern; die ſchwarze Kunſt, oder Be - ſchwoͤrung boͤſer Geiſter; das Veſtemachen; Cry - ſtallgucken; die Befragung der Wuͤnſchel-Ru - the, und dergleichen falſchberuͤhmte Kuͤnſte, die oͤfters entweder eine Beruͤckung von boͤſen Gei - ſtern, oder eine Begierde, die Leute ums Geld zu ſchneiden, hinter ſich haben.
  • CC. Jch ſchlieſſe mit den Worten eines ehema - ligen großen Mathematici und Weltweiſen vom erſten Range, des Hn. von Tzſchirnhauſen, wel - cher in ſeiner Medicina mentis et corporis an einemOrte256Zwey hundert Maximen ꝛc. Orte alſo ſchreibet: Quicunque ſaltem termi norum et diſtinctionum occurrentium ſignifi - cationem cognitam habet, tantumque nouit, in quot diſciplinas diuidi ſoleat, quot ſectae in hac a principio vsque ad noſtra tempora floru - erint, et ſimilia; infimvm ſaltem philosophiae gradvm obtinuiſſe cenſendus, ac nullo modo realis philosophvs appellandus erit, ſed ver - balis potius; ſiquidem philosophi realis no - men illi ſaltem competit, qui ad tantum perue - nit cognitionis gradum, vt re ipſa obſeruet, in sva potestate eſſe, quidquid incognitum, ſed humano tamen intellectui peruium eſt, pro - prii ingenii svi viribvs in lucem producere. Das ſind eben ſolche Univerſal-Koͤpfe, die ihnen ſelbſt zu Erfindung der Wahrheit genug ſind, und die Haupt-Wiſſenſchaften en gros uͤberſchauen koͤnnen.
  • Jch muß hier abbrechen; denn mein naͤchſter Nachbar, Herr Hans Carl Gurſchmecker, win - ket mir, daß er im Begriffe ſey, die Tafel zu decken, und die 24 Couverts, die er dem neuen Hn. Bau - meiſter des Tempels vom guten Geſchmacke, als ein beſcheiden Eſſen, zugedacht hat, ohne An - ſtand aufzutragen. Er hat mir die 200 Maximen in die Feder dictiret, und ich ihm die Beſchreibung ſeiner 24 Schau-Eſſen; folglich werden wir uns beyde gerade drein theilen, wenn dem geneigten Leſer entweder die Maximen, oder die Schau - Eſſen, beſſer gefallen ſollten.
Scherz[257]

Scherz bey Ernſt. Oder: Hans Carl Gutſchmeckers, Mund-Kochs der Loͤbl. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, vier und zwanzig Couverts, oder verdeckte Gerichte, als ein beſcheiden Eſſen, zu einem Gratial fuͤr den ingenieuſen Herrn Baumeiſter des Tempels vom guten Geſchmacke, aufgetragen.

R[258] (Virgil. 5. Ecclog. )Cur non, mopse, boni quoniam conuenimus ambo, Tu calamos inflare leves, ego dicere versvs, Poſſemus?
TAVBMANNVS, Epigrammat. Lib. II. pag. 372. Nec plene me ſcire ſatis, nec ſcribere plane, marcvle, verſiculis ſpargis vbique tuis. marcvlvs eſt plagii convictvs nuper; an hoc eſt Sat plene et plane, Marcule, poſſe loqui?
259

Ganz kleine Vorrede.

Jhr Freunde vom guten Geſchmacke!

Eine Hoͤflichkeit iſt der andern werth. Der Herr Criticus Incognito hat, in ſeinem Tempel des guten Geſchmacks, einiger mei - ner Goͤnner und Freunde Erwehnung gethan. Zum ſchuldigen Gratial dafuͤr verehre ich ihm, als ein beſcheiden Eſſen, folgende vier und zwanzig Couverts, oder verdeckte Schau-Ge - richte. Er hat darunter das Ausleſen, wel - ches am beſten nach ſeinem Geſchmacke ſeyn moͤgte. Weil ich aber, meiner Profeßion nach, ein Koch bin: So iſt es wider meine Gewohn - heit, lange Vorreden zu machen; ſondern ich trage meine Tractamenten flugs auf. Wer Belieben hat, kann anbeiſſen; wer keinen Ap - petit hat, kann es ſtehen laſſen: es verdirbt nicht, und koͤmmt nicht um! Vom Hauſe, den 17ten Junius, 1743.

Hans Carl Gutſchmecker, Mund-Koch E. Loͤbl. Froſchmaͤus - ler-Geſellſchaft zu Liebenſeeburg.

R 2Erſtes260I. Eine zerfahrne Eyer-Suppe.

Erſtes Couvert. Eine zerfahrne Eyer-Suppe.

Da ich, bereits vor mehrern Jahren, bey ei - nem gewiſſen großen Koͤnige als Mund - Koch geſtanden: So hoffe, einigermaßen im Stande zu ſeyn, vom guten Geſchmacke ur - theilen zu koͤnnen. Jch habe drey Haupt-Oer - ter bemerket, wo ſich der gute Geſchmack aͤuſ - ſert. Bey den Tafeln großer Herren; denn da muͤſſen alle Geſpraͤche ſehr fein herauskom - men, damit nicht denen hohen Gaͤſten der Ap - petit verderbet werde. Ferner in den Cabinet - tern vornehmer Miniſter; denn wenn der hohe Miniſter auf der Serviette ſpeiſet, muß ſich der gemeine Geſchmack ganz entfernen. Endlich ſind die oͤffentlichen Speiſe-Haͤuſer, Coffee - Haͤuſer, Opern-Haͤuſer und große Joachims - Thaͤler der Sammel-Platz, wo Leute von gu - tem Geſchmacke zuſammen zu kommen pflegen.

Daß aber die Gelehrten, gleich uns, vom guten Geſchmacke auch reden wollen, haben ſie bloß uns Koͤchen abgeborget. Denn wir ſind ohnſtreitig Leute von dem allerfeinſten Ge - ſchmacke. Doch ſind wir nicht ſo albern, daß wir den guten Geſchmack, den wir in der Kuͤ - che lernen muͤſſen, ſollten in einem Tempel ſu - chen. Gleichwol iſt ein neuer gelehrter Mar - ketenter aufgeſtanden, der hat einen eigenen Tempel erfunden, wo man den guten Geſchmack lernen ſoll. Jch zweifle, daß ſich die Tempeldazu261I. Eine zerfahrne Eyer-Suppe. dazu ſchicken. So was iſt noch nicht erhoͤrt! Es iſt rar, merveilleux und erſtaunlich, daß ein Tempel die Stelle einer Garkuͤche vertreten ſoll! Nennet mit einen alten oder neuen Scri - benten, der von Geſchmacks-Tempeln geſpro - chen! Der Einfall hat nicht ſeines gleichen, und uͤberſteigt den gemeinen Horizont des menſchlichen Witzes!

Der gute Geſchmack und der Begriff eines Tempels iſt weiter von einander, als das Ey - weiß in einer zerfahrnen Suppe aus einander gedehnet und von dem Dotter abgeſondert iſt. Der Titel einer jeden Schrift iſt wie das erſte Gerichte, oder die Suppe. Wer nun die Suppe nicht einmal recht zurichten kann, oder ſo einen laͤcherlichen Titel ausſinnet, daß er von Geſchmacks-Tempeln redet, was ſoll der wol fuͤr einen Verſtand vom guten Geſchmacke haben? Cape tibi hoc, et arrige aures, Pamphile!

Anderes Couvert. Vorkoſt von Stockfiſch.

Es haltens manche Standes-Perſonen und Leute von gutem Geſchmacke alſo, daß ſie, nach der Suppe, erſt einen kleinen Grund durch eine Vorkoſt, die brav widerhaͤlt, legen, dazu ein gepfluͤckter Stockfiſch nicht undienlich iſt. Beynahe dachte ich, es ſtuͤnde dergleichen auch vor mir, da ich uͤber das neumodiſche Schild,R 3oder262II. Stockfiſch. oder Traiteur-Zeichen, das mir neulich in der W .... Buchhandlung aufſtieß, meine Verwunderung dem naͤchſten Nachbar zu er - kennen gab. Es will mir durchaus noch nicht in den Kopf, eine Marketender-Bude, ja wenn es auch die allerſauberſte und magnifiqueſte Kuͤ - che waͤre, einen Tempel des guten Geſchmacks zu nennen. Allein ich merke wol, das neuge - malte Schild, das der curieuſe Baumeiſter des Tempels vom guten Geſchmacke ſich ſelber er - dacht, ſoll ihm bey dem Poͤbel ein Anſehen ma - chen, oder die großen Geiſter ſollen denken: Hier iſt des Herrn Tempel, der Leute von gutem Ge - ſchmacke recht zu bewirthen weiß! Aber, meine Herren, die mir bisher die Ehre gethan, und meine aufgeſetzten Gerichte ſich wohl ſchmek - ken laſſen, kehren ſie ſich nicht an dieſen neuen Windbeutel. Sein vorgegebener Tempel des guten Geſchmacks iſt ein bloßes Karten-Haus, von ohngefehr vierzehn Blaͤttern zuſammenge - ſetzet; ich ſchwoͤre aber drauf, er wird kein Pri - vilegium auswirken koͤnnen, ſeinen zuſammen - geraffelten Kuͤchen-Kram und Melange-Bou - tique einen Tempel vom guten Geſchmacke nennen zu duͤrfen. Wer von fuͤrtrefflichem Geſchmacke iſt, der denke nicht, in einem Tem - pel einen beſſern Geſchmack bekommen zu wol - len; und wer noch gar nicht weiß, was gut ſchmecke, oder was dazu gehoͤre, ein Mann von gutem Geſchmacke genannt zu werden, der denke ja nicht, daß er in einen Tempel ge -hen263II. Stockfiſch. hen muͤſſe, um ſolches da erſt zu lernen! Will er aber einen rechten Geſchmack von der Leicht - glaͤubigkeit bekommen: So halte er ſich zu ſol - chen Geiſtlichen, die viel mit Glaubens-Sa - chen umgehen. Meines Ortes will ich nicht prahlen, daß ich vollkommen wiſſe, was gut ſchmecke, ohnerachtet ich ſchon vor zwoͤlf Jah - ren ein privilegirter koͤniglicher Leib-Koch ge - weſen, und aus langer Erfahrung weiß, daß ein Tempel des guten Geſchmacks eben ſo ein Miſchmaſch ungereimter Jdeen ſey, als wenn einer in meiner Garkuͤche zum andern Couver - te wollte Stockfiſch fordern, und ich wollte ihm einen Fiſch bringen, dabey aber auch einen Stock auf die Schuͤſſel legen. Man nennet das ſonſt ein Galimathias, wenn zwey Jdeen in der Ver - bindung abgeſchmackt werden. Dis trifft hier zu. Man weiß wol, was ein guter Geſchmack ſey; aber wenn das Wort Tempel dazu koͤmmt: So moͤgte man die Raths-Herren zu Nuͤrn - berg erſt fragen: Was denn ein Tempel des guten Geſchmacks fuͤr ein Ding, und ob der, ſo dieſen Namen erfunden, nicht ſelber ein Stock - fiſch ſey?

Drittes Couvert. Ein Ragout von Wildpret.

Unſere gemeinen Ragouts ſind rechte Miſch - maſche von Gerichten. Denn da liegt oft ein Stuͤckgen maͤnnliches Fleiſches vom Schoͤpſe, bald ein Stuͤckgen weibliches von einer HaͤſinnR 4in264III. Ein Ragout. in einer Schuͤſſel zuſammen. Gerade ſo ein appetitliches Haſen - und Schoͤps-Ragout traͤ - get der neue Speiſe-Wirth in ſeinem Tempel des guten Geſchmacks auf. Jch muß doch nun einmal mich angewoͤhnen, ſeine Garkuͤche einen Tempel zu nennen, ob mir gleich das Wort wol zehnmal im Halſe, wie ein Knoͤchel - gen, oder eine Graͤte, ſtecken geblieben. Aber weil er ſich recht viel damit weiß, und auf al - len Seiten ſeinen ſo betitelten guten Ge - ſchmacks-Tempel anpreiſet: So will ich hin - fort bey dieſer ſeiner Benennung bleiben, ohne ihm im geringſten dadurch einzugeſtehen, daß er einen guten Geſchmack gehabt, da er dieſen Titel ſeiner Schrift gegeben. Alle Jdeen, die einen wahrhaften bon goût haben, oder rich - tige ſchoͤne Gedanken ſind, laſſen ſich in allen politen Sprachen nach den Worten ausdruͤk - ken. Wenn aber ein Ausdruck in allen ga - lanten Sprachen nicht klappen will, und ei - nen undeutlichen Begriff wenigſtens enthaͤlt: So iſt ſolcher gewiß und ohnfehlbar unrichtig. Nun ſagt ſonſt kein Deutſcher: Das iſt ein Tempel von gutem Geſchmacke; auch kein Fran - zoſe: C eſt un Temple de bon goût; auch kein Lateiner: Templum ſenſus recti; ja man verſuche es in italiaͤniſcher, engliſcher, ſpani - ſcher und ſogar ulaniſcher Sprache; es wird mich keiner verſtehen, wenn ich vom Tempel des guten Geſchmacks rede; oder, wenn einer gern ſich ſpeiſen laſſen moͤgte, ich zu ihm ſagenwollte:265III. Ein Ragout. wollte: Der Herr gehe in den großen Jochims - Thal, da iſt ein Tempel des guten Geſchmacks; anſtatt zu ſagen: Da iſt ein guter Speiſe-Wirth, ein guter Traiteur, ein guter Gaſt-Hof, ein gut Speiſe-Haus; welches alles das kleinſte Kind verſtehen wuͤrde. Dieſemnach kann ich den Ausdruck: Tempel des guten Geſchmacks, mit nichts anders, als einem Ragout von Schoͤpſen - und Haſen-Fleiſch, vergleichen. Denn wie jedes, fuͤr ſich gekocht, ganz gut ſchmeckt, nachdem der Liebhaber iſt, hingegen zahm und Wildprets-Fleiſch ſich, nach den Regeln der Koch-Kunſt, nicht in eine Schuͤſſel ſchickt: Al - ſo iſt der Ausdruck vom guten Geſchmack ein ganz feiner Begriff; desgleichen das Wort Tempel, wenn es allein ſtehet, oder wenn der ehemalige Halliſche Redner D. P. ſagte: Der eroͤffnete Tempel der Ehren, der Tempel der Vorſehung, der Tempel der Venus, u. d. g. Denn ſolche Redens-Arten ſind durch den ein - gefuͤhrten Woͤrter-Brauch bereits voͤllig in Anfnahme. Aber ein guter Geſchmacks-Tem - pel ſteht in keinem Woͤrter-Buche, noch einem einzigen guten Scribenten. Daher iſt es ein vollkommenes deutſches Ragout von widrigen Speiſen, als ſuͤßen und ſauren, zahmem Fleiſch und Wildpret, gekochtem und gebratenem. Es iſt ſo viel, als wenn ich meinen Herren Gaͤ - ſten wollte Rebhuͤner auftragen, und ringsher - um gebratene Sperlinge, anſtatt der Lerchen oder Kramsvoͤgel, legen. Daher hoffe ichR 5nicht,266IV. Ein Gehacktes. nicht, daß man die Gerichte, die in dem ſo poſ - ſirlichen Tempel des guten Geſchmacks aufge - tragen, denen kochmaͤßigen vorziehen werde.

Viertes Couvert. Ein Gehacktes mit Roſinen und Kapern.

Wenn wir Koͤche ein Gerichte, das an ſich nicht gar zu appetitlich iſt, als z. E. Lunge, Kaldaunen, Flecke, Fuͤße und dergleichen, ſo zurichten wollen, daß es von gutem Geſchmak - ke werde: So machen wir draus ein Gehack - tes. Z. E. ein Lungenmus mit kleinen Roſi - nen, eine Gallert, Gaͤnſe-Klee, Schoͤpſen-But - ten mit Kraut, ꝛc. Ein ſolches Gehacktes hat der neue Traiteur im eroͤffneten Tempel des guten Geſchmacks, anſtatt gebratener Faſa - nen, oder anderer in ſich reizender Speiſen, aufgetragen. Er liefert uns ein Gedichte, das er in viel kleine Stuͤckgen zerhackt hat. Er hat ſich einer neuen Erfindung bedient, oder vielmehr um ein altes, kahles, und durch den gemeinſchaftlichen Demuͤthiger, wie ihn der Autor nennt, als unſchmackhaft erklaͤrtes Zu - gemuͤſe eine neue Bruͤhe gegoſſen. Was iſt naͤmlich bekannter und abgedroſchener, als daß man auf einer Seite eine Reihe Verſe hinſchrei - bet, darauf Sterngen bey etlichen Paſſagen macht, eine Linie unter den Text zieht, und die Sterngen-Paſſagen in gewiſſen Anmerkungen erlaͤutert? Bey dieſer Methode konnte man nun doch den Vortheil haben, daß, wenn dieNoten267IV. Ein Gehacktes. Noten geſcheidt, die Verſe aber ungereimt wa - ren, man den Text konnte fahren laſſen, und ſich an die Noten halten; waren aber die Ver - ſe gut, und die darunter ſtehende Anmerkung ſo, als des Verfaſſers der Noten uͤber die Zer - ſtoͤhrung Jeruſalems: So konnte man die andaͤchtige Geſchichte in einem Striche fortle - ſen, ohne ſich an die Noten zu kehren. Aber der neue Traiteur im Tempel des guten Ge - ſchmacks iſt liſtig. Damit man durchaus den Text ſeiner Verſe nebſt den Noten leſe, hat er die Sterngen, Zahlen und Buchſtaben, wo - durch man ſonſt die Noten oder Anmerkungen vom Texte unterſcheidet, meiſtens weggelaſſen; hingegen proſam und ligatam glatt an einander geſetzet, und ſein Gedichte alſo zerhackt, daß itzt ein Fleck Verſe, gleich darauf ein Fleckgen An - merkungen koͤmmt, jedoch ohne Kennzeichen, daß es Noten ſind, ſondern beydes wie Text ausſiehet, und noch dazu mit großen Lettern gedruckt iſt, damit der Autor es durchaus nicht verrathe, daß es Text-Noten ſind, als dazu man ſonſt kleinern Druck zu nehmen pfleget. Aufdaß ſich aber der Verleger nicht etwa be - ſchweren moͤgte, daß dieſer verkappte Noten - Druck zu viel Platz nehme: So iſt dafuͤr der Text, oder das ganze Gedichte, mit ſehr kleiner Corpus-Schrift gedruckt, zum Merkmahl, daß die Verſe doch das eigentliche Corpus, die dran geflickte proſaiſche Flecke aber ſo gut als An - merkungen ſind. Wenn alſo kuͤnftig ein Dich -ter,268IV. Ein Gehacktes. ter, der gerne gelehrte Anmerkungen unter ſei - nen Gedichten anbringet, wie z. E. der beruͤhm - te Herr Kriegs-Rath Knobloch zu thun ge - wohnt iſt, die Leſer uͤberliſten wollte, daß ſie Text und Noten leſen muͤßten, ſie moͤgten wol - len, oder nicht: So mache er nur auch ſo ein Zerhacktes, wie unſer neuer Speiſe-Kuͤnſtler im Tempel des guten Geſchmacks gethan, und ſetze itzt ein paar Strophen Verſe, gleich drauf in einem Striche die Anmerkungen, und loͤte ſie durch ein paar Flick-Formeln mit dem fol - genden neuen Stuͤcklein von ein paar Verſen zuſammen; dieſen fuͤge er, in gerader Reihe, und daß er ja die Sterngen, Zahlen und Buch - ſtaben, oder das verdammte Wort Anmerkung weglaſſe, ein Fleck Proſa wieder an: So wird ein voͤlliges Lungenmus herauskommen. Man koͤnnte es auch ein Zwitter-Gerichte nennen, welches bey uns Koͤchen das heißt, wenn in ei - ner Schuͤſſel Gekochtes und Geſottenes, oder Geſottenes und Gebratenes liegt. Denn wo zugleich proſaiſcher und metriſcher Text iſt, gereimt und ungereimt: So iſt es noch mehr, als ein gehackt Lungenmus. Es iſt ein Zwit - ter, weil es weder pure Proſe, noch pure Poe - ſie iſt.

Fuͤnftes Couvert. Eine Potage von Huͤhnern.

Ein Traiteur iſt oft uͤbel dran, wenn Leute von allzuverſchiedenem Geſchmacke in ſeinSpei -269V. Potage von Huͤhnern. Speiſe-Haus kommen. Was dem einen gut ſchmecket, das ſtehet dem andern gar nicht an. Einer will Saures, der andere Suͤßes haben. Einer harte, der andere weiche Speiſen. Einer verlangt Huͤhner mit Potage, dafuͤr der andere gerade einen Ekel hat. Einer will lieber das Hinterviertel einer Gans, der andre lieber den Fluͤgel, oder von der Bruſt. Gleichwol hoͤrt man unter vernuͤnftigen Gaͤſten nicht, daß einer den andern daruͤber hohnecke, oder auslache, wenn er ſich gerade was anders geben laͤſſet, als der andere. Darum traͤgt eben der Wirth vielerley auf, oder ſchreibt mancherley Gerichte an die Speiſe-Tafel, damit jeder eſſen koͤnne, was ihm beliebet. Dieſer univerſellen Koch - und Geſchmacks-Regel entgegen traͤgt der neue Traiteur in ſeinem ſogenannten Tempel des gu - ten Geſchmacks nur ein einzig Gerichte auf, naͤmlich Huͤhner mit Potage, und wer nicht dieſes einzige Gerichte eſſen will, oder andere Gerichte gegeſſen hat, den erklaͤrt ſein critiſcher Magen glatt weg fuͤr einen Menſchen von uͤb - lem Geſchmacke. Zwar er redet ja von Red - nern und Dichtern, Alten und Neuen, von Pro - feßions-Poeten und Paſſagieren in der Poeſie, von Gottesgelehrten, Weltweiſen und Juriſten, von Schweizern, Sachſen, Schleſiern, Ham - burgern und Preuſſen; aber ich bleibe dabey, er will durchaus haben, alle ſeine Gaͤſte ſollen Huͤhner mit Budaſche, wie jener Traiteur an - ſtatt Potage ſchrieb, eſſen. Denn alle dieſeeinge -270VI. Spiegel-Karpfen. eingeſtreute obige vielerley Namen ſind bloß wie das Mengſel der Potage, dazu man ja auch vielerley nimmt, als Morgeln, Caſtanien, Bien - gen, Bluhmen-Kohl, Krebſe, Wurzeln, Kloͤſ - ſergen, ja wol Roſinen und Mandeln. Gleich - wol bleibt es eine Huͤhner-Potage. So laͤßt ſich der gute Geſchmacks-Tempel-Herr auch allzudeutlich merken, daß er alle Arten von Schmecken auf eine einzige will reducirt wiſ - ſen, und ſein Apollo, der den Ausſpruch uͤber die Magens thut, die gern vielerley gegeſſen, muß entweder zu armſelig oder zu geizig gewe - ſen ſeyn, daß er allen auferleget, ſich an einem einzigen Gerichte ſatt zu eſſen.

Sechſtes Couvert. Spiegel-Karpfen.

Die Schmerlen ſind an ſich gute ſchmack - hafte Fiſche; aber ein rechter fetter Spiegel - Karpfen iſt doch mehr werth, als wol hundert Stuͤck Schmerlen. Der neue Garkoch ruͤh - met in ſeinem Tempel des guten Geſchmacks etliche Redner und Poeten, die zwar mit guten ſchmackhaften Schmerlen koͤnnen verglichen werden, aber doch nicht an die Groͤße der Spie - gel-Karpfen, die ich auftrage, gelangen. Un - ter denen Dichtern ruͤhmt er faſt am meiſten den Opitz und Haller in der Schweiz. Ob nun zwar beyde ganz gute Dichter ſind: So reichen ſie doch denen Dichtern vom oberſten Range kaum das Waſſer. Denn was iſt wol Opitzund271VII. Geraͤucherte Zungen. und Haller gegen einen Brockes, Richey, Weichmann, Johann Ulrich von Koͤnig, Pietſch, Neukirch? und noch etliche, die ich zur Reſerve habe, wenn etwa meine Herren Gaͤſte, anſtatt der Karpfen, lieber Forellen, oder Hechte, oder Lachſe, aufgetragen haben wollten. Jedoch es iſt mehr Ehre fuͤr die weg - gelaſſene große Dichter, daß ſie in ſolchem bau - faͤlligen Tempel gar nicht ſtehen.

Siebendes Couvert. Geraͤucherte Rinds-Zungen.

Wenn ich meinen Gaͤſten gute geraͤucherte Rinds - oder Schoͤpſen-Zungen vortrage, fin - den ſich dazu viel Kenner des guten Geſchmacks. Wollte ich ihnen aber Jgel-Zungen, oder von Stachel-Schweinen vorſetzen, wuͤrden ſie mich uͤbel anlaſſen. Der neue Tempel-Bauer hin - gegen, der ſich ſelbſt fuͤr einen Kenner des fein - ſten Geſchmacks ausgiebet, traͤget, in ſeinem Tempel, lauter Jgel - und Stachel-Schweins - Zungen auf. Man leſe nur alle ſeine ſtache - lichte Ausdruͤcke, inſonderheit da er Huͤbnern, D. P. und den ſel. D. Rodigaſten, (ſ. die neue Staats-Zeitungen zu Dreßden vom 16ten Jan. 1743,) durchnimmt. Sonderlich zieht er auf Huͤbnern los, und hat es Urſach. Denn wenn er gleich allen Buchhaͤndlern in Ober - und Nieder-Sachſen Geld zugaͤbe, ſeinen Tem - pel des guten Geſchmacks, oder andere Char - tequen, zu verlegen: So wuͤrden doch ſo vielExem -272VIII. Lenden-Braten. Exemplarien nicht vergriffen werden, als der einzige Gledirſch mit denen Huͤbneriſchen weltbekannten Schriften gethan hat.

Achtes Couvert. Lenden-Braten.

Lenden-Braten werden von manchen Ken - nern des guten Geſchmacks fuͤr eine Delica - teſſe gehalten. Daher ſetze ich ſie auch auf mei - ne offene Tafel von vier und zwanzig Couver - ten, oder verdeckten Gerichten. Hingegen aber Lenden-Hiebe zu geben, oder ſo ſehr ge - ſaͤuerte, uͤberſalzene und angebrannte Speiſen aufzutragen, daß einer Seitenſtechen, und Magendruͤcken, oder Sodbrennen, nothwen - dig davon bekommen muß, iſt nicht kochmaͤßig zugerichtet. Gleichwol hat der neue Koch, in ſeinem Tempel des guten Geſchmacks, die meiſten ſeiner Bruͤhen zu ſehr verſalzen, allzu ſcharf gewuͤrzet, und uͤberfluͤßig geſaͤuret. Dahin gehoͤrt ſonderlich die haͤmiſche Paſſage, als wenn D. P. und Rodigaſt ſeinen Weg nach Waldheim genommen; da doch erſterer unter die Moͤrder gefallen geweſen, die ihn mit Gewalt dahin geſchleppt; er aber, bereits vor einem halben Jahre, ihren Klauen gluͤck - lich entrunnen; D. Rodigaſt aber nie nach Waldheim gekommen, ſondern in Dreßden ehrlich geſtorben. (S. Dreßdner Zeitungen.) Nun heißt es zwar ſonſt: Liuor poſt fata quieſcit. Aber der neue Baumeiſter decket beyſeinem273IX. Paſtete mit Schnepfen. ſeinem neuen Tempelbau ſogar die Graͤber auf, und laͤßt die Todten nicht ruhen. Wie ſoll man ihn alſo nennen? Er kan ſich ſei - nen Namen ſelber auschifriren.

Neuntes Couvert. Paſtete mit Schnepfen.

Schnepfen gehoͤren ohnſtreitig unter die Leckerbiſſen, zumal wenn ſie in eine ſchmack - hafte Paſtete eingeſchlagen ſind. Jch behal - te mir vor, bey anderer Gelegenheit zu erklaͤ - ren, was, nach der geheimen Sprache E. Loͤbl. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, alle hier theils angefuͤhrte, theils noch zu benennende vier und zwanzig Couverts oder verdeckte Schau-Gerichte eigentlich ſagen wollen. Die meiſten Leſer werden es mit ſehenden Au - gen uͤberleſen, und doch nicht verſtehen, wo - hin ich hauptſaͤchlich ziele. Doch laſſe ich mir voritzo genuͤgen, eine Paralele mit denen Gerichten anzuſtellen, die der neue Baumei - ſter in ſeinem Tempel des guten Geſchmacks zur Schau aufſetzen laſſen, weil er ſelbſt die Kocherey nicht recht verſtanden. Denn Tem - pel aufbauen, und uͤber den Geſchmack rai - ſonniren, ſind zwey gar unterſchiedliche Din - ge. Anſtatt der Schnepfen nun traͤgt er Schnepfen-Koth auf, welcher auch von vie - len fuͤr eine groſſe Delicateſſe gehalten wird, weil er gut ſchmecket. Dahin gehoͤren die ſaftigen Stellen aus dem Guͤnther, RachelnSund274X. Gebratener Reh-Ruͤcken. und andern, welche anzufuͤhren er gar wohl haͤtte uͤberhoben ſeyn koͤnnen. Es laͤßt eben ſo, als wenn ich den Gaͤſten wollte ſtinkend Fleiſch aufſetzen, und ſagen: Dis ſchmeckt uͤbel; alſo werden die Herren aus dem Ge - genſatze abnehmen, was gut ſchmecke. Jch halte aber, meine Herren Gaͤſte wuͤrden als - denn zu mir ſagen: Narr, eben darum, weil es uͤbel ſchmeckt und anſtinkt, mußt du es nicht aufſetzen, und uns den guten Ge - ſchmack verderben!

Zehendes Couvert. Gebratener Reh-Ruͤcken.

Armſelige Koͤche, die ſich nicht ganze Stuͤcke von Wildpret zulegen koͤnnen, tragen doch zuweilen ein paar Portionen gut Wildpret auf, die ſie entweder von denen Silber-Waͤ - ſchern bey großer Herren Tafeln, weil es Auf hub oder Ueberbleibſel geweſen, erkaufet, oder zu einem andern anſehnlichen Traiteur erſt ſelber geſchickt, und etliche Portionen ho - len laſſen, damit ſie an ihre Speiſe-Tafeln ſetzen koͤnnen: Reh-Ruͤckeu, Faſanen, Schwein - Widpret ꝛc. Gerade eben ſo hat es der neu - aufgekommene Koch in dem Tempel des gu - ten Geſchmacks gemacht. Er hat etliche ſehr ſchoͤne Gedanken ſowol in ſeinem zerhackten Gedichte, als eingeflickten Proſa. Aber er hat portionenweiſe bey andern geholet, und ich will ihm keine Roͤthe abjagen, diejenigenzu275XI. Poͤckel-Fleiſch. XII. Friſche Auſtern. zu nennen, bey denen er ſich Raths erholet hat. Herr Profeſſor Gottſched hat ihm ohne Zweifel eingeholfen!

Eilftes Couvert. Poͤckel-Fleiſch.

Dem Magen eine Veraͤnderung zu machen, iſt gewiß das Poͤckel-Fleiſch ſehr gut. Es muß aber fein friſch ſeyn, und nicht etwa zu Ham - burg allzulang in Faͤſſern gelegen haben. Der neue Traiteur aber traͤgt in ſeinem Tempel des guten Geſchmackes viel alt verlegen Poͤk - kel-Fleiſch auf. Er critiſiret uͤber Maͤnner, deren Namen ſchon laͤngſt wieder vergeſſen ſind. Er moquirt ſich uͤber die Wort-For - ſcher, und iſt doch ſelber einer von den ſchaͤrf - ſten Wortfuchſern, weil er genau nachgruͤ - belt, was ein Pfuydichan und Schweizer - Woͤrter ſeyn. Er ſagt auch: Philippi habe den Weg ſeitwaͤrts nach Waldheim genom - men, da es doch ſchon uͤber drey Jahr iſt, daß er ſolche Fantaſten, wie der Autor im Spiegel, antreffen kan, alldort zur Luſt beob - achtet hat.

Zwoͤlftes Couvert. Friſche Auſtern.

Der neue Gaſt-Wirth im Tempel des gu - ten Geſchmacks mag mirs uͤbel nehmen oder nicht, ich muß dasmal ein Wortſpiel anbrin - gen, weil er in ſeinem zerhackten Gedichte ſoS 2ſehr276XIII. Gefuͤllte Tauben. ſehr mit den Gedanken ſpielet. Kenner des guten Geſchmacks wiſſen gar wohl, was Au - ſtern vor ein delicat Eſſen ſind. Aber von auſteren oder ſauertoͤpfiſchen Leuten wird man nicht viel bon mots herauslocken. Ein ſol - cher auſterer Kopf iſt auch unſer neuer Gaſt - Herr. Er hat ſich uͤber ſeinem Tempel-Bau des guten Geſchmacks ſo ſehr vertiefet und uͤberſon - nen, daß E. Loͤbl. Froſchmaͤuſeler-Geſellſchaft ihn eheſtens einladen wird, in ihre Geſellſchaft zu treten, um, nach beſchehenem Schnitte an den Ohren, ihm die auſteren Minen, wo - mit er ſeine Critik vorbringet, abzugewoͤhnen.

Dreyzehendes Couvert. Gefuͤllte Tauben.

Durch das Fuͤllſel bekommen die magern Tauben ein Anſehen, als wenn ſie ſehr fett waͤren. Dieſes Kunſtſtuͤckes hat ſich auch der neue Speiſemeiſter in dem Tempel des guten Geſchmacks bedienet. Er ſtreichet manche Scribenten von der mittlern Sorte als ſolche Helden heraus, vor denen alle Pro - feſſores der Poeſie und Beredſamkeit erbe - ben, und ſich in den Staub vor ſie legen muͤſ - ſen. Allein ſeine Worte ſind aufgepauſte Tauben. Nehmet das Fuͤllſel weg, ſie wer - den ganz mager erſcheinen. Wenn die obge - dachte Regeln der Reimſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie erſt ans Licht getreten ſeyn werden, wird der Autor finden, daß man ſei -ne277XIII. Gefuͤllte Tauben. ne meiſten Maximen allda in Regeln gebracht. Spraͤche ich gleich itzo, er raiſonnire manch - mal wie ein poetiſcher Schmetterling, er quaͤke wie ein poetiſcher Froſch, er paußte ſich auf, wie ein poetiſcher Maulwurf, er mache ſo ein Gepraſſel, wie ein poetiſcher Meſſer-Schmied: So wird doch weder er noch meine Leſer mich voͤllig verſtehen, bis E. Loͤbl. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft gedachtes Manuſcript als ein Woͤrterbuch ihrer gehei - men Sprache wird herausgegeben haben. Auch in der Republik der redenden Wuͤrmer von der vierten und ſiebenden Claſſe, die ein ander Mitglied gedachter Geſellſchaft aus dem Engliſchen uͤberſetzet hat, werden die Pfuſcher von Koͤchen, und die gemiſchten Pro - feßioner, auch Allermanns-Tadler, mit dem - jenigen Namen benennet, den ihnen die Na - tur an die Stirne gegraben. Bis dahin ſtehe der Geſchmacks-Tempel-Bauer in Geduld. Damit aber gleichwol geſcheidte Leſer erken - nen, daß mich kein Neid oder Bitterkeit an - treibe, dem neu-aufgeſtandenen Kuͤchenmei - ſter die ihm noch gar ſehr fehlende Wiſſen - ſchaft derer rechten Koch - und Geſchmacks - Regeln mit guter Manier vorzuhalten, oder, gleich dem Wurm-Saamen, in einem Saͤft - gen beyzubringen; will ich zur Probe ein paar Dutzend Redens-Arten, die in ſeinem zer - hackten Gedichte des ſogenannten Geſchmacks -S 3Tem -27824 unſchmackhafte RedenTempels vorkommen, alhier mit dem Kuͤchen - Meſſer anatomiren. Solche ſind:

  • 1. Die deutſche Leyer ruͤhren, p. 3. heißt ihm ſo viel, als ein beruͤhmter deutſcher Poe - te ſeyn. Poßirlich genung gegeben!
  • 2. Der Dichter entfuͤhrt ſein Feuer dem Himmel. Mein! was iſt das geredt? Die Poeten ſollen nun gar Diebe ſeyn, die dem Himmel das Feuer entwenden, das doch ſo ſehr hoch in den Blitzen verſteckt iſt, daß der ohnmaͤchtige Poete aus ſeinem Geſchmacks - Tempel nicht dahin ſteigen kan.
  • 3. Der Dichter entfuͤhrt ſein Feuer dem Himmel, wie Prometheus. Jſt ein durch - aus falſcher Gedanke. Denn verſteht ers vom poetiſchen Feuer; ſo iſt Prometheus nie als ein Poete, der Feuer gehabt, beſchrieben; dasjenige Feuer aber, welches Prometheus entwandt zu haben von den alten Poeten er - dichtet worden, ſchickt ſich ſchlecht zu dem poetiſchen Feuer; denn dis ſtiehlt man ja nicht dem Himmel ab, wie Prometheus dem Jupiter das Feuer ſoll geſtohlen haben, ſon - dern der Poete hat es ſchon in ſich, und laͤßt es ausbrechen; aber der Autor hat andre nach ſich gerichtet. Er will lieber den gelehrten Dieben oder Plagiariis das Wort reden, als ſich ſelber ſchelten.
  • 4. Dem Himmel das Feuer ſchlau, doch fromm, entfuͤhren. Der Verfaſſer hat wol gedacht, was vor Witz in dieſer Ver -glei -279in dem Tempel des guten Geſchmacks. gleichung ſtecke; aber es iſt ein Galimathias. Denn ein frommer Diebſtahl iſt ſo viel, als eine ſchlaue, doch fromme, Hure.
  • 5. Der Dichter durch der Muſen Lehre. Welch deutſch Mutter-Kind redet ſo kauder - welſch? Der Autor will ſo viel ſagen, als: derjenige, der durch den Unterricht der Mu - ſen ein Dichter geworden. Dieſer Gedanke iſt an ſich nichts apartes, auch dem Spruͤch - worte entgegen: Poëta naſcitur, non fit. Geſetzt aber, der Gedanke waͤre untadelhaft: So ſpricht man doch nicht im Deutſchen: Ein Dichter durch der Muſen Lehre. Da - her moͤgte man ſagen: Reim dich, oder ich ſtoß dich die Treppe hinunter, daß du mit dei - nen Einfaͤllen die Beine zerbrichſt!
  • 6. Nicht der, der was ſchwimmt und fliegt, was lauft und kriechet, was glaͤnzt und ſcheint, was ſchmeckt und riechet, in ei - nen ſtarren Vers gerafft. Wer des fuͤr - trefflichen Brockes irrdiſch Vergnuͤgen in Gott geleſen, wo er das Wunderbare der Geſchoͤpfe Gottes und der Sinne in patheti - ſche Verſe gebracht, der wird ſich ſchwerlich bereden, daß ein After-Poete, der jenem groſ - ſen Dichter die Schuh-Riemen aufzuloͤſen nicht wuͤrdig iſt, ſich erkuͤhnen duͤrfen, ihn heimlich anzuſtechen. Denn wer hat ſonſt die goͤttliche Weisheit an denen niedrigen Ge - ſchoͤpfen, als Voͤgeln, Fiſchen, Gewuͤrmen, ꝛc. desgleichen die Weisheit Gottes in Einrich -S 4tung28024 unſchmackhafte Redentung der fuͤnf Sinne poetiſch beſchrieben, als eben Brockes? Jſt es denn unrecht, das, was ſchwimmt, fleucht, kriechet, in Verſe zu bringen? Jſt es gegen den guten Ge - ſchmack, das, was glaͤnzt, ſcheinet, geſchmeckt und gerochen wird, poetiſch abzuſchildern? Fuͤhre dich ab, poetiſcher Marketender! die Bruͤhe treufelt dir am Barte herunter; wi - ſche das fette Maul erſt ab, ehe du es ſo voll nimmſt, beruͤhmte Dichter mit deinem Gei - fer zu beſpruͤtzen! Doch nein, ich eifere nicht fuͤr den groſſen Brockes, ſondern brachte nur eben eine oratoriſche Figur, die Apoſtro - phe, an.
  • 7. Nicht Hofmann und nicht Lohenſtein. Hier giebt der Kuͤchenmeiſter einen Fleiſcher und Scharfrichter ab, der dem Namen Hof - mannswaldau, den er in Gedanken hat, glatt den Rumpf beym Kopfe wegnimmt. Denn kein Hofmann iſt unter den Dichtern bekannt, auf den ſich des Autoris ganze Paſſage ſchick - te; alſo ſoll es Hofmannswaldau ſeyn. Aber packe ein, poetiſcher Criticus; Hofmanns - waldau, Lohenſtein, und der Reimſchmied im Tempel des Geſchmacks differiren toto coelo von einander! Du reicheſt jenen nicht das Waſſer!
  • 8. Kurz, eben dieſer Opitz ſagte einsmahls des Nachts im Traume zu mir, ich ſollte mit ihm den Tempel des guten Geſchmacks be - ſuchen. p. 4. Das iſt Opitzen nicht in denSinn281in dem Tempel des guten Geſchmacks. Sinn gekommen. Und geſetzt, daß er ihm den Einfall vom Geſchmacks-Tempel zu dan - ken haͤtte: So haͤtte Opitz eben ſo ſeltſam vorgeleyert, als der neumodiſche Poete ihm nachleyert. Denn ich bleibe dabey, ein Tem - pel ſchickt ſich gar nicht zu dem Begriff von gutem Geſchmacke. Er haͤtte eher ſagen moͤ - gen: Gaſthaus des guten Geſchmacks, oder des Apollo Garkuͤche, darinn der gute Ge - ſchmack gelernet wird; aber einen Tempel in der Abſicht zu bauen, um den guten Geſchmack darinn zu aͤuſſern, iſt noch keinem einzigen Baumeiſter, weder von der alten corinthi - ſchen, doriſchen, joniſchen und theſſaliſchen Baukunſt, noch neuen Tempelbauer, er baue nun moſaiſch, oder grotesco, oder italieniſch, oder hollaͤndiſch, oder deutſch, bis Dato ein - gekommen. Trolle dich alſo, du neumodi - ſcher Baumeiſter, mit deinen Bau-Riſſen zu denen Spittel-Weibern von achtzig Jahren, die nicht mehr ſchmecken koͤnnen, was gut oder ſchlimm ſey.
  • 9. Dis iſt ein Ort, wovon jedermann re - det, und darum ſich die Reiſenden nicht ſehr bekuͤmmern. Solch unſchmackhaft Zeug ſoll Opitz im Traune dem Verfaſſer vorgeſagt haben. Es iſt aber a) ein Widerſpruch in dieſen Worten. Denn wenn jedermann vom Geſchmacks-Tempel redet: So iſt es falſch, daß ſich die Reiſenden ſehr wenig dar - um bekuͤmmern. b) Jſt unverſtaͤndlich, daßS 5die28224 unſchmackhafte Redendie Reiſenden ſich um den guten Geſchmack nicht ſehr bekuͤmmerten. Auf dieſe Art, moͤgte man auch denken, habe der Autor in ſeinem Leben viel gereiſet.
  • 10. Es wird dienlich ſeyn, daß du in der Naͤhe einen Gott betrachteſt, dem du dienen willſt. Hier nennet er den einen Gott, den er gleich darauf einen Meiſter nennet, und man wird doch am Ende nicht klug, wer ſein Gott und Meiſter eigentlich ſey.
  • 11. Du willſt ihn deinen Meiſter nennen; er iſt es, oder ſolls doch ſeyn. Stell dich bey ſeinem Tempel ein; alsdenn wirſt du ihn beſſer kennen. Jch frage alle unparteyiſche Leſer, ob in dieſen vier Reimen ein ſonderli - cher Witz ſey? Es ſind bloſſe Reimſchmieds - Einfaͤlle, und kann es der Bauer nicht anders machen, als, wenn der Gott des guten Ge - ſchmacks in einem Tempel ſaͤſſe; ſo muͤſte er freylich hineingehen, um ihn kennen zu lernen! Heißt dis nun der bon ſens, wenn man ſo gemein redet, daß die vom Poͤbel eben ſo ſchwaͤtzen? Denn auch der Bauer, wenn man ihn fruͤge: Wo kann man euren Pfarr kennen lernen? wuͤrde antworten: Gieht in de Kerche oder Gottshus, da werdt ihr ihn kennen lernen. Heißt das nun ſcharfſinnig?
  • 12. Vater der deutſchen Muſen, ich bin etwas ſchwaͤtzhaft. Da hat der Herr wahr geredt; er geſteht ſeine eigene Schan - de. Er ſchwaͤtzt in den Tag hinein, wies ihmins283in dem Tempel des guten Geſchmacks. ins Maul koͤmmt. Notetur haec phraſis non ſemper occurrit!
  • 13. Ein andrer, der nichts glauben kann, wird meiner Reiserzehlung lachen. pag. 5. Der Herr hat ſich ſein richtig Prognoſticon ſelber geſtellet! Er hat Materie gnug an die Hand gegeben, auf ſeine Unkoſten zu lachen.
  • 14. Noch mehr, vielleicht will man gar wiſſen, wo des Geſchmackes Tempel ſteht. Das braucht keines Kopfbrechens, noch daß er den gleich darauf genannten goͤttlichen Poe - ten erſt bemuͤhe, ihm im Schlafe daruͤber ein Oracul auszuſtellen. Opitz wuͤrde, wenn er noch lebte, ſprechen: Ein Geſchmacks-Tem - pel iſt nirgends zu finden, als in deinem an - bruͤchigen Gehirne, du fantaſtiſcher Tempel - Bauer!
  • 15. Geſchaͤhe es auch, daß man ſich ein wenig deswegen uͤber mich aufhielte. Ey, Monſieur, nicht nur ein wenig, ſondern recht ſtark. Er legt einem ſo viel Quaderſtuͤcken ſeines nur erſt in Gedanken abgeriſſenen, aber noch nicht aufgefuͤhrten Tempels in den Weg, daß man ſich Tritt vor Tritt dabey aufhalten muß, weil man doch gern fuͤr die vier Groſchen, die ſein Tempel-Riß koſtet, was reelles haben moͤgte. Doch die Actien ſind ſeitdem gefallen. Jn denen dresdniſchen Staats-Zeitungen ſtehets, daß der Geſchmacks - Tempel nun fuͤr zwey Groſchen zu haben ſey.
16.28424 unſchmackhafte Reden
  • 16. Von dem ein Witzling jetzt mit Fleiſſe ſich entfernet. pag. 6: Was fantaſiret der Tempel-Bauer? Was iſt denn Witzling vor ein Ding? Jſt es etwa ein Witzher? wie jene Jungfer gerne wiſſen wolte, was ein Witzher ſey, weil ihr Schulmeiſter ihr geſagt: Penis heiſſe ein Witzher. Jſt es auch in rei - ner Poeſie vergoͤnnt, die Conſtruction zu ver - werfen, und, anſtatt zu ſagen: Von dem ſich ein Kluͤgling mit Fleiß entfernet, auch noch dazu mit Einflickung eines Fuͤllwoͤrt - gens jetzt, alſo die Worte zu verſetzen: Von dem ein Witzling jetzt mit Fleiſſe ſich entfer - net. Gewiß, wenn Opitz ſich keinen ge - ſcheidtern Lehrpurſchen, dem er ſeine Ge - ſchmacks-Tempel-Riſſe vorlegen koͤnnen, aus - zuſuchen gewußt, als den Verfaſſer, dem ers im Traume ſoll beygebracht haben, wird Opitz wenig Credit mehr behalten. Aber zu gutem Gluͤck hats ihm nur ſo getraͤumet; Opitz hin - gegen ſchlaͤft ſo ſanfte und[b]eſte, daß es ein Pſeudo - Opitz muß geweſen ſeyn, der dem Tempel-Baumeiſter erſchienen.
  • 17. Jch ſahe, die ein atque durch ein et, modo Minellii, zum Troſt der Chriſtenheit recht freudenreich erklaͤrten. Was ſind das nicht vor abgeſchmackte Scherz-Reden? Und wie jaͤmmerlich muß ſich der vorhergegangene Reim: Schweiß und Muͤh, durch den dar - auf folgenden: modo Minellii, verhunzen, ſtu - priren, und, nach den Regeln der Reim -ſchmie -285in dem Tempel des guten Geſchmacks. ſchmiederey, zuſammenloͤten laſſen? O du armſeliger Belehrer des guten Geſchmacks! lerne doch erſt ſelber ohne großen Schweiß und Muͤhe, ein paar Reime, die gut klap - pen, auf einander zu fuͤgen! Aber hier magſt du wol dich viel wiſſen, daß du den herrlichen Einfall: modo Minellii, haſt mit Schweiß und Muͤh zuſammen reimen koͤnnen! Jch ſchwoͤre darauf: Kein Buchhaͤndler haͤtte dei - ne Charteque verlegt, wenn du nicht Geld uͤber Geld zugegeben, damit nur der uͤbel - gerathene Witzling, wie du pag. 6. ſagteſt, zur Welt kaͤme!
  • 18. Wollt ihr nie zum Geſchmack und ſeinem Tempel gehn? Wir? ſchrien ſie, wahr - lich, nein, es iſt ein Hirngeſpinſte! Aber - mahls: Notetur haec phraſis, non ſemper occurrit! Der Autor geſtehet hier ſelber zu, daß ſein Geſchmacks-Tempel ein bloßes Hirn - geſpenſte ſey; folglich habe ich ihm vorhin ſub No. 14. nicht Unrecht gethan. Undeutſch aber ſind die Worte: Wollt ihr nie zum Geſchmacke gehn?
  • 19. Wir gruͤbeln, forſchen nach, und ſez - zen in ein Licht, was andre ſonſt gedacht; wir aber denken nicht. pag. 7. Das ſoll ein ſehr feiner Stich auf die Criticos ſeyn. Weil er aber ſelber durchgaͤngig einen Cri - ticum agirt: So muß er entweder zugeſtehen, daß er ſelbſt nicht Gedanken gehabt, da er andere beurtheilet, oder aber, daß einer gnungzu28624 unſchmackhafte Redenzu denken habe, um des andern Gedanken voͤllig zu treffen, ſonderlich wenn er ſo confus ſchreibt, als bisher vom Verfaſſer deducirt worden.
  • 20. Wir ſollten die beyden erhitzten Geg - ner (Gronowen und Fellern) entſcheiden. Gewiß, der Autor hat große Jdeen von ſich. Er ſagte kurz vorher: Die ſaͤmmtliche Her - ren Critici haͤtten ihn und ſeinen Reiſegefaͤhr - ten umringet, und gebeten, zween ihrer be - ruͤhmteſten Criticorum aus einander zu ſetzen. Aber mein! wie kan der Autor ſolch elend Zeug erdichten? Es iſt den Criticis nie in die Gedanken kommen, einen ſo erbaͤrmlichen Schiedsrichter zwiſchen Gronowen und Fel - lern zu erwehlen. Jedoch er kann ſich gut heraushelfen. Er ſagte oben pag. 4. es habe ihm nur ſo getraͤumet. Aber ich wollte ihm rathen, er lernte erſt beſſer traͤumen, oder belaͤſtigte die ſo ſchon mit Chartequen gnug uͤberhaͤufte Buchlaͤden nicht auch noch mit ſei - nen abgeſchmackten Traͤumen.
  • 21. Kaum waren wir hundert Schritte fortgegangen. Ein Scribent, der, wie der Autor, die kleinſten Fehlet anderer hoch auf - mutzet, und infallible Regeln eines vollkom - menen Geſchmacks geben will, muß billig auch von jedem ſeiner gethanen Schritte Re - chenſchaft und rationem ſufficientem angeben koͤnnen. Warum ſagt er alſo, daß er eben hundert Schritte von den Criticis ſich entfer -net287in dem Tempel des guten Geſchmacks. net gehabt, da ihm eine griechiſche Ueberſez - zung des Virgils angeboten worden? Ein Ueberſetzer gehoͤrt billig noch zu denen Criti - cis; wenigſtens iſt er nicht hundert Schritte von ihnen entfernt. Jedoch, er eilet zu ſei - nem Geſchmacks-Tempel. Daher nimmt er ein hundert oder tauſend geometriſche Schrit - te voraus, um einen guten Vorſprung zu ha - ben, daß ihm keiner im Laufen vorkomme.
  • 22. Wollte uns ein ander Gelehrter noͤ - thigen, in einer poͤbelhaften Anſprache ſeine Schrift zu leſen. Der Autor bezeigt hier ei - nen Verdruß gegen poͤbelhafte Ausdruͤcke, deren er ſich doch ſelber gnug in ſeiner Schrift bedienet hat. Auch iſt es wol dem gelehrten Verfaſſer, der die Wahrheit der chriſtlichen Religion zu der Zeit ſchon vertheidiget gehabt, ehe er gewußt, daß nach ihm ein ſo poßirli - cher Tempelbauer aufſtehen wuͤrde, nicht zu Gemuͤthe geſtiegen, ihn zu Leſung ſeiner Schrift noͤthigen zu wollen. Daß er ſich aber daruͤ - ber auf haͤlt, wenn man ex teſtimonio hoſtis contra hoſtem diſputirt, iſt er viel zu wenig, ſolche Methode zu tadeln. Wie viel große Gelehrte haben nicht die Wahrheit der chriſt - lichen Religion ſogar aus heydniſchen Schrif - ten zu beveſtigen ſich angelegen ſeyn laſſen, z. E. Humphrey, Prideaux, Grotius, Hue - tius ꝛc. Warum ſollte man alſo nicht auch viel richtige Auslegungen der Rabbinen ge - gen die anfuͤhren koͤnnen, die zwar das al -te28824 unſchmackhafte Redente Teſtament, aber nicht das neue, anneh - men?
  • 23. Da er wol eingeſehen, daß die Gruͤn - de aus der Vernunft und der goͤttlichen Of - fenbarung, deren man ſich bisher wider den philoſophiſchen Muthwillen der ſtarken Gei - ſter bedienet, nicht zureichend waͤren, ſelbi - gen zu zaͤhmen. Hier verraͤth der Schrift - ſteller, wes Geiſtes Kind er ſey. Denn er nennt die, ſo die chriſtliche Religion attaqui - ren, ſtarke Geiſter, da es doch ſehr ſchwache Koͤpfe ſind. Er treibt ſelber Muthwillen, da er ſeinen benannten ſtarken Geiſtern einen philoſophiſchen Muthwillen beyleget. Er raiſonnirt untheologiſch, und nach Art der Religions-Spoͤtter, daß er ſpricht: Alle Gruͤn - de der Vernunft und goͤttlichen Offenbarung waͤren nicht hinreichend, die ſtarken Geiſter oder Religions-Feinde zu zaͤhmen. Reichen nun alle Gruͤnde nicht bey Leuten ſeines Schlages zu: So iſt der beſte Rath, man ſchaffe ſie in ein Tollhaus, da ſie ungeſtoͤrt ihren Muth - willen auslaſſen duͤrfen. Jch habe derglei - chen Religions-Spoͤtter bey meiner Durch - reiſe durch Waldheim angetroffen. Sie la - gen an der Kette; da mogten ſie labbern, was ſie wollten. Sie ſagten z. E.: Die gan - ze Bibel ſey ein Maͤhrgen von der Tonne; Chriſtus ſey eine Fabel ꝛc. Aber man hielt es ihrem verruͤckten Gehirn zu gute, und ſtrafte ſie nicht darum, daß ſie ſo ſchwaͤtz -ten. 289in dem Tempel des guten Geſchmacks. ten. Das merke ſich der Autor zur Witzi - gung.
  • 24. Noch andre theilten allerley Wochen - ſchriften aus, ſie kehrten aber alle dem Tempel des guten Geſchmacks den Ruͤcken zu. Hier verraͤth der Autor entweder ſeine Unbeleſenheit, daß er von allen Wochen - ſchriften ſchwaͤtzet, als wenn ſie vom guten Geſchmack abwichen, da doch z. E. der Spe - ctateur, Guardian, Baggatelle, Patriot, Freydenker, und mehr andre Wochenſchrif - ten mehr bon ſens in einem Blate haben, als der Verfaſſer auf 40 Seiten gezeiget; folglich haͤtte er mit Ausnahme reden ſollen, wenn er ſie geleſen; oder aber er verraͤth ſeinen eignen uͤblen Geſchmack, daß ihm keine einzige Wo - chenſchrift gefallen. Es geht ihm, wie einem Febricitanten, der da meynt, weil er den Ge - ſchmack verlohren, und ihm alles widrig ſchmecket, als waͤren andre, die die Lecker - biſſen loben, von verdorbenem Geſchmacke. Nun ziehe einer eine Proportions-Regel, da ich in bloſſen acht Seiten ſchon vier und zwan - zig unſchmackhafte Redens-Arten gleich beym erſten Aufſtoß angetroffen, wie hoch die uͤbri - ge Anzahl erſt ſteigen wuͤrde, wenn ich alle vierzig Seiten ſo durchnehmen wollte. Doch es ſey zur Probe an 24 genung. Will er ſich daran nicht begnuͤgen laſſen, kann er kuͤnftig noch 24 neue Brocken bekommen, dieTich290XIV. Ein wilder Schweins-Kopf. ich vorjetzo noch zur Reſerve behalte! Ein gewiſſer großer Mann ſagte gar: Jch ſollte mich mit ſo einem dummen Kerl gar nicht einmahl einlaſſen.

Vierzehendes Couvert. Ein zugerichteter wilder Schweins - Kopf.

Kenner des guten Geſchmacks wiſſen, oh - ne meine weitlaͤuftige Anpreiſung, daß ein recht zugerichteter wilder Schweins-Kopf auch ein delicat Gerichte ſey. Aber wenn aus zahmer Schweine Daͤrmen, ohne ſie vorher recht ſauber zu waſchen, Bratwuͤrſte gemacht werden, vergehet einem wol der Ap - petit. Dergleichen Bratwuͤrſte traͤgt der neue Mundkoch an vielen Orten auf; unter andern auch kurz vorher, da er denen von ihm genannten ſtarken Geiſtern, oder Reli - gions-Spoͤttern p. 8. das Wort redet, und alle Wochen-Schriften fuͤr abgeſchmackt er - klaͤret. Jch werde mich nicht bemuͤhen, ſei - nen uͤbrigen Unflath aufzuruͤhren, damit ich nicht meinen Leſern einen Ekel verurſache, oder es mir nach dem Sprichworte ergehe: Quodſi cum ſtercore certo, vinco, ſeu vincor, ſem - per ego maculor! Jch habe noch andre Cou - verts uͤbrig, und will es, wie er p. 11. ſchreibt, kurz machen.

Funf -291XV. Fricaſſee von Kalbfleiſch.

Funfzehendes Couvert. Fricaſſee von Kalbfleiſch.

Wenn man die harlequiniſche Paſſage p. 10. von den Worten an: Zwoͤlf Affen von dem großen Haſſen, unpartheyiſch anatomirt, ſiehet man, daß der Autor ſich gleichſam ſelbſt in eine Fricaſſee von Kalbfleiſch verwandelt. Wenigſtens ſpringt er da herum, wie die jun - gen muthwilligen Kaͤlber, oder wie die muͤſ - ſigen Hengſte, die das Futter ſticht. Endlich, ſpricht er, ſey er zum Tempel des Geſchmacks gelanget. Weil er nun ſich elf Seiten herum getummelt, ehe er alda angelanget ſeyn will, muͤſſen wir ihm ſeine Spruͤnge und Fehltritte, die er unterwegens gethan, zu gute halten. Aber er faͤllt bald mit der Thuͤre ins Haus, da er kaum an die Schwelle ſeines geruͤhmten Tempels gekom - men. Denn da er hoch fliegen will, ſtol - pert er gewaltig. Er ſpricht p. 10: Den ve - ſten Grund zu dieſem Gottheits-Sitze hat Griechenland ſchon ehedem gelegt. Lieber Leſer, ſage mir aufrichtig, verſteheſt du dieſe Phoͤbus-Rede? Aber er verſinket noch tie - fer, da er fortfaͤhrt: Der die von Zeit zu Zeit erhoͤhte Spitze zuletzt bis an die dunkeln Wol - ken traͤgt. Ja wol muß ſein Einfall bis an die dunkeln Wolken getragen worden ſeyn, welche verhindern, daß man nicht ſehen kann,T 2was292XVI. Gedaͤmpft Rindfleich ꝛc. was er mit dieſem hochtrabenden Geſchrey ſagen wolle. Jſt etwa das ſeine Meynung: Der Tempel des guten Geſchmacks ſey nun zu ſeiner vollkommenen Groͤße gelanget: So haͤtte er dieſen natuͤrlichen Gedanken nicht durch ſolche Wort-Ballonen erſt bis in die dunkle Wolken ſchleudern ſollen. Je hoͤher der gute Geſchmack ſteiget, je lichter wird es, und die dunkeln Wolken werden zer - ſtreuet.

Sechszehendes Couvert. Gedaͤmpft Rindfleiſch mit Lorbeern und Wacholderbeern.

Wenn mir eine Stelle gefallen hat, wor - inn der Autor zeiget, daß er noch nicht alle geſunde Schmecke verlohren: So iſt es ſon - derlich die elfte und zwoͤlfte Seite; ausge - nommen die eingeflickte proſaiſche Stelle. Denn was iſt das vor Deutſch: eine weit - ſchweifige Beſchreibung? Man ſpricht wol: weit ausſchweifende, aber weitſchweifig ſchickt ſich beſſer fuͤr die Roßkaͤufer, wenn ſie die Pferde mit weiten Schweifen beſehen. Was ſoll ferner der Einfall ſagen: Er habe Gele - genheit, eine umſtaͤndliche Beſchreibung der Baukunſt bey dem Geſchmacks-Tempel an - zubringen, wenn er Luſt haͤtte, ungeleſen zu bleiben? Dieſer Anhang iſt vollkommen verwirrt. Denn eben das ſuchet und wuͤn -ſchet293XVII. Gebratener Haaſen. ſchet man in ſeiner Schrift, daß, da er einen ſo neumodiſchen Tempel angegeben, er einen vollſtaͤndigen Riß davon dem Leſer mitgetheilt haͤtte, zumal er hintenher eine von ihm in der Note p. 31. genannte Nebencapelle, nemlich den Tempel der Freunoſchaft, angeflicket; da man wahrlich nicht ſiehet, was der gute Geſchmack mit der Freundſchaft vor eine Con - nexion habe. Man ſiehets wol, der Autor iſt zum Scherzen nicht gebohren. Sein Ba - diniren hat weder Saft noch Geſchmack.

Siebenzehendes Couvert. Gebratener Haaſen.

Ein gebratener Haaſe in der Schuͤſſel iſt un - ſtreitig von beſſerm Geſchmack, als ein leben - diger Haaſe auf der Schaubuͤhne. Als ei - nen ſolchen fuͤhrt ſich beynahe der Autor auf der 13 und 14 Seite auf. Denn wie haſi - lirt er nicht da ungeſcheut, daß er alſo reimet: Das ſind, Gott gebs! die großen Geiſter, im Schreiben Flink, im Tadeln Meiſter. Wie ſchickt ſich doch immer hier die Brocke: Gott gebs? Er hat gewiß das andre Gebot ver - geſſen! Wer redet ferner alſo: Jm Schrei - ben flink ſeyn? Er hat vielleicht ſagen wol - len: Zum Schreiben leicht fertig ſeyn; ſo hat er ſich ja ſelber abgeſchildert. Die Worte aber: im Tadeln Meiſter, und ſelbſt zum Schreiben noch zu jung, mag er mit guͤldnenT 3Buch -294XVII. Gebratener Haaſen. Buchſtaben uͤber ſeinen Geſchmacks-Tempel ſetzen, oder denken, der Kuckuck rufe ſeinen eigenen Namen aus. Denn er tadelt ja alle, und ſchlaͤgelt doch ſelber ſo unzaͤhlige mal; daher gebe ihm ſeinen eigenen Einfall in opti - ma juris forma zuruͤck: Und ſelbſt zum Schrei - ben noch zu jung, und ſelbſt zum Tadel reif genung. Jn dem zweymaligen und ſelbſt liegt zwar ſo wenig Patheſis, als jener Pfarr in dem Woͤrtlein ιδου, ιδου, ecce, ecce, ſiehe, ſiehe, ſuchte; doch mag es cum caeteris er - roribus durchwiſchen. Auch ſagt man nicht in reinem Deutſch: Der iſt zum Tadel reif genug, wenn es ſo viel heiſſen ſoll, als: Der iſt ſelber tadelnswehrt. Jedoch auch dieſer Solœciſmus mag mit drein gehen, gleich dem naͤchſt drauf folgenden: Das ſind des Witzes Widerſacher. Mein! welcher Oberſachſe hat ſo geredt: Der iſt des Witzes Widerſacher? Jedoch propter rythmum ſequentem konnte der Widerſacher nicht wegbleiben. Denn der Schluß-Gedanke charmirte ihn gar zu ſehr, da er ſchreibet: Das ſind des Phoͤbus Luſtigmacher, und darauf reimt ſich Wider - ſacher. Nun frage ich alle Kenner der deut - ſchen Sprache, was ein Luſtigmacher des Phoͤbus vor ein Ding ſey? Soll es heiſ - ſen: die ſo ſchwuͤlſtig ſchreiben, und doch elende Gedanken dahinter verſtecken, wie die Phoͤbus-Redner thun: So hat er ſich zwarſelber295XVIII. Ein Kalbes-Kopf. ſelber verdeckt abgemahlt; gleichwol iſt es auch gar zu kauderwelſch geredt, ſich und ſei - nes gleichen des Phoͤbus Luſtigmacher zu nennen. Jch rathe ihm nochmals, er laſſe das Badiniren bleiben, damit es nicht haſe - lantiſch herauskomme.

Achtzehendes Couvert. Ein appetitlicher Kalbes-Kopf.

Jener Page hoͤrte bey der Tafel ſeines Herrn ſagen: Die Sternſeher haͤtten kein Gehirn im Kopf. Als er nun darauf einen Kalbs-Kopf auftragen ſollte, naſchte er unter - wegens das Gehirn heraus, und da ihn ſein Herr zur Rede ſetzte, wo denn das Gehirn hingekommen, antwortete der Page: Es war ein Sternſeher, woruͤber ſein Herr lachte. Jch weiß nicht, wo der Autor ſein critiſch Gehirn muß hingethan haben, da er die Paſ - ſage p. 13. von dem gemeinſchaftlichen Demuͤ - thiger L.. anfuͤhret. Er weiß gewiß noch nicht, daß ſolcher nun ein aufrichtiger Goͤn - ner des D. P. den er daſelbſt anſticht, ſey. Der Autor hat Urſache, den Scepter des ge - meinſchaftlichen Demuͤthigers in Zeiten zu kuͤſſen, damit er nicht etwa auch in deſſen Zucht-Ruthe falle. Es iſt aber auch ganz falſch, daß Philippi und Rodigaſt ſich ganz leiſe auf der Seite davon geſchlichen, und ſich ſelbſt auf den Weg gewandt, der nach Wald -T 4heim296XVIII. Ein Kalbes-Kopf. heim fuͤhrt. Es muß dis dem Autor nur ſo getraͤumt haben; ſonſt wuͤrde er einen Unter - ſcheid zwiſchen dem heimlichen davon ſchlei - chen und gewaltthaͤtigen Entfuͤhren machen. Gnade ihm der Himmel, daß er nicht ſo eine Fatalitaͤt erlebe; er wuͤrde gewiß ohne Schiff - bruch ſeines Verſtandes nicht acht Tage dort aushalten; da Philippi die waldheimiſchen Narren-Comoͤdien ganzer zwey Jahre gelaſ - ſen mit angeſehen, und die ſeinetwegen gehal - tene Acta gnuͤglich darlegen, daß auch große Leute ſich im Decretiren uͤbereilen, und ei - nen, der manchem was haͤtte von ſeinem Ver - ſtande abzugeben vermogt, auf boͤſer Leute Verleumdung und unterlaſſene Erkundigung der Sache, fuͤr hoͤchſtmelancholiſch halten koͤnnen, weil in dem Reſcript geſtanden: den D. P. genau zu verwahren, daß er ſich oder andern am Leben keinen Schaden thaͤte; welches aber die waldheimiſchen Offician - ten alſofort fuͤr ſo uͤberfluͤßig gehalten, daß ſie ihn gar nicht genau verwahrt, ſondern zu einem Magiſter und Obriſt-Lieutenant flugs auf die Stube gethan, auch der Medi - cus atteſtirt hat, daß dem D. P. die ganze Zeit ſeines Daſeyns nichts am Verſtande gefehlet, auſſer, daß er einsmals eine große Ohnmacht gehabt. Bey welchem Zufall ſeine damalige Cameraden in der Angſt ihm ein ganz Glas opiſche Tropfen eingefuͤllet, davon er etlicheTage297XIX. Ein Spanferkel. Tage ſchlaftrunken geworden, und, wie der traͤumende Tempelbauer, eine Weile getraͤu - met hat.

Neunzehendes Couvert. Ein wohlzugerichtetes Spanferkel.

Mir iſt, als wenn ſolches von dem neuen Mundkoch in einer Schuͤſſel aufgetragen und vor mir ſtehen ſaͤhe, wenn ich die Paſſage des Autoris pag. 13. vom kleinen dicken Franzo - ſen leſe. Er grunzet daſelbſt und pag. 14. wie ein ſpaniſch Ferklein, dem das Meſſer an die Kehle geſetzt wird. Der von ihm beſchrie - bene Cerberus hat ihm die Zaͤhne gewieſen; aber wie er geſehen, daß er nicht einmal recht Deutſch reden koͤnne, alſo ihn das nicht an - gehe, was er, der Cerberus, mit den Deut - ſchen auszumachen gehabt, hat er ihn, wegen ſeines anmuthigen Grunzens, mit durchpaſ - ſiren laſſen. Er will auch in der Stern-No - te pag. 14. dem Voltaire eins an die Waden verſetzen, daß er ihm den Tempel des guten Geſchmacks vor der Naſe zugeſchloſſen habe. Vielleicht hat Voltaire gedacht, es moͤgten die deutſchen Oui-oui - Rufer mit in den Tem - pel wiſchen, und in dem Kehrig wuͤhlen, deſ - ſen der Autor pag. 27. gedenket, daher er die Thuͤre mit Bedacht verſchloſſen, um ihnen das Einlaufen zu verwehren.

T 5Zwan -298XX. Eine Carbonade.

Zwanzigſtes Couvert. Eine Carbonade oder Grilliade.

Wenn die weichen Schoͤps-Ribben erſt gekochet, hernach uͤber den Roſt gebraten werden, pflegt mans, nach der Koͤche Mund - art, eine Carbonade oder Grilliade zu nennen. Dergleichen hat ſich der Autor in der Stelle pag. 15. ſelber zugerichtet, und mag ganz ſich er - lich auf ſich ſelbſt deuten, da er ſpricht: Der Hochmuth und der Neid hat dieſe Brut ge - zeuget, die Unverſtand verwoͤhnt, und Bos - heit unterſtuͤtzt; die nun auf das Verdienſt mit Haß und Grobheit blitzt, (ſiehe das acht - zehende Couvert) darob der dumme (hier wol - le Autor cum actu reflexo ſich und ſeinen Tem - pel im Spiegel beſchauen) raaſt; dazu der Kluge ſchweigt. (Man kan klug ſeyn, und muß nicht eben zu allen Narrheiten der Eigen - duͤnkler ſchweigen.) Weil doch den ſtarren Stolz, gebt auf die Beyſpiel (des Baumei - ſters von dem Geſchmacks-Tempel) acht! der ſtrafende Satyr (dieſe Ehre will ich mei - nem Gegner laſſen, ein ſtrafender Satyr oder heßlicher Wald-Faune zu ſeyn) zuletzt geſchmei - dig macht. Das hoͤffe ich an dem Autor noch zu erleben, ſo bald er dieſe Couverts wird gekoſtet haben. Er hat das Ausleſen und Wechſel!

Ein299XXI. Gebratene Lerchen.

Ein und zwanzigſtes Couvert. Am Spieß gebratene Lerchen.

Die luſtigen Stellen p. 16. 17. ſind ſo ſchmackhaft, als bey uns zu Michael im groſ - ſen Jochims-Thale zu Leipzig eine Schuͤſſel mit Spieß-Lerchen. Er hat ſogar die Platz - Majors und Saͤnftentraͤger mit in ſeinen Geſchmacks-Tempel gebracht, als welche das Leibwort haben: Platz! Platz! oder: vorge - ſehn! vorgeſehn! Und es haͤtte ihm ſelber billig einer vorrufen moͤgen: Platz, Platz vor den Wohledlen und Kunſterfahrnen Bau - meiſter des Geſchmacks-Tempels. Denn ſonſt hat ihm Huͤbner und Neukirch, die er pag. 16. 17. anſticht, den Platz ſo verrennt, daß jener Schriften in allen Buchlaͤden noch werden aufgeſucht werden, wenn ſein Tem - pel-Riß das Schickſal erleben duͤrfte, endlich in den Kram-Laͤden als ein tuͤchtiger Um - ſchlag der abgewogenen Pfeffer-Waaren ge - braucht zu werden; wiewol ich glaube, wenn man ſeine Schrift pulveriſirte, werde ſolche, weil ſie ſehr gepfeffert iſt, indem man, nach beſchehener Durchleſung, ſich die dafuͤr ge - zahlte vier Groſchen faſt reuen laͤſſet, mit der Zeit vor ſpaniſchen Pfeffer paßiren. Hat nun Neukirch zu viel Ambra in ſeinen Ge - dichten, wie der Autor pag. 18. vorgiebt: So iſt doch ſolcher, wegen ſeines lieblichen Ge -ruchs,300XXII. Ein weſtphaͤliſcher Schinken. ruchs, des Aufhebens weit wuͤrdiger, als da der Autor ſeine Schrift mit allzu vielem Pfeffer uͤberſtreuet hat.

Zwey und zwanzigſtes Couvert. Ein guter weſtphaͤliſcher Schinken

ſchmeckt mir beſſer, als alle die Einfaͤlle des neuen Kuͤchenmeiſters pag. 18. 19. 20. 21. Er ſaͤuget Muͤcken, die man, wenn der Schin - ken nach dem Aufſchnitte noch inwendig gut iſt, nicht aͤſtimirt, wenn ſie ſich gleich auf die aͤuſſerſte Haut anſetzen, und ſolche beſchmeiſ - ſen. Er verſteht ſich auch treflich auf die phi - loſophiſche Rang-Ordnung, daß er pag. 22. ſeinem geruͤhmten poetiſchen Helden eine Stel - le zwiſchen Lucrez und Leibnitzen anweiſet. Wenn er noch ſpraͤche: zwiſchen Baylen und Leibnitzen, oder Wolfen und Buͤlfingern: So daͤchte man, ſein Held habe dieſe beyde Erforſcher des Uebels, das in der Natur ſeyn ſoll, an Tiefſinnigkeit uͤbertroffen. Was aber Lucrez bey Leibnitzen ſolle, weiß ich nicht. Er ſchickt ſich zu ihm, wie Schinken zur But - termilch.

Drey und zwanzigſtes Couvert. Ein Aufſatz mit Confect.

Die Madame Neuberinn wird dem Herrn Speiſe-Wirth im Tempel des Geſchmacks viel Obligation wiſſen, daß er ihr pag. 23. Con -301XXIII. Confect. Confect vorſetzet. Vielleicht erlangt er die Ehre, wenn er ſich nennet, zum Gratial, eben ein ſolch Vorſpiel zu erhalten, als ohnlaͤngſt auf den großen Poeten P. G. deſſen Namen er, aus Beſcheidenheit und Demuth, ganz verſchwiegen, weil er ihm mit Blutfreund - ſchaft vielleicht verwandt iſt, auf der Schau - buͤhne und im Druck herausgekommen. Die Stellen pag. 24. 25. ſind auch Confect, das meiſt ſo wieder von der Tafel koͤmmt, wie es hinaufgeſetzt worden; das heißt, man laͤßt es in ſeinem Werthe, und begnuͤget ſich an ſolidern Speiſen. Denn ein Bildgen mah - len, ſtechen oder hauen zu koͤnnen, erfordert wol Geſchicklichkeit; aber wenn man den gu - ten Geſchmack bis dahin ausdehnen will: So haͤtte der Autor noch gar viel Claſſen des guten Geſchmacks machen ſollen; z. E. der mathematiſche Geſchmack, der wolfiſche Ge - ſchmack, in puncto des artlichen Gedichts der Harmoniae præſtabilitae; der Hof-Gout; der richterliche Geſchmack; der mediciniſche Guſto, wenn z. E. eine Jungfer ſich will aus dem Harn-Glaſe wahrſagen laſſen, ob ſie ſchwanger ſey; der philoſophiſche Geſchmack in der Methaphyſic, Jure naturæ, Logic, Phy - ſic ꝛc. der theologiſche Geſchmack, da die Frage auszu machen: Ob nicht die Herren Geiſtlichen, weil ſie immer mit Glaubens - Sachen umgehen, vor allen andern zum leich -ten302XXIV. Obſt. ten Glauben geneigt ſind? ꝛc. Sed manum de tabula, ich eile zum Beſchluſſe.

Vier und zwanzigſtes Couvert. Eine Schuͤſſel mit Obſt.

Wenn man mitten im Winter noch friſch Obſt, als Weintrauben, Aepfel, Pergamot - ten ꝛc. auftragen kann, reizet es faſt mehr den Geſchmack, als wenn es im Sommer und Herbſt in aller Haͤnden iſt. Dieſe Cautel recommendire dem Traiteur im Tempel des Geſchmacks. Er traͤgt von pag. 25. bis 40. noch viel Gerichte auf; aber ſie kommen mir vor, wie gedoͤrrete Pflaumen und gebackne Hutzeln. Ehe ſeine Schrift unter die Preſſe kommmen koͤnnen, iſt mancher Einfall in - deſſen eingeſchrumpfet. Er lege ſich alſo fein kuͤnftig lauter friſch Obſt zu, oder das doch wenigſtens ſo inacht genommen worden, daß es der Froſt nicht unſchmackhaft machen moͤ - ge. Sed ſat prata biberunt! Es iſt Zeit, von der Tafel aufzuſtehen, und Billiard zu ſpielen.

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About this transcription

TextRegeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie
Author Johann Ernst Philippi
Extent315 images; 56396 tokens; 11495 types; 401044 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationRegeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie samt bündigem Erweis des hohen Vorzugs derselben vor der, heut zu Tage gerühmten, natürlichen, männlichen und erhabenen Dichterey Johann Ernst Philippi. . [1] Bl., 302 S. : Frontisp. (Portr.) SelbstverlagAltenburg1743.

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SUB Göttingen SUB Göttingen, 8 P GERM I, 145

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Poetik; Gebrauchsliteratur; Poetik; core; ready; china

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ShelfmarkSUB Göttingen, 8 P GERM I, 145
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