Denen Hoch-gebohrnen Graffen und Herren / Herrn Auguſt Willhelm / Herrn Buͤnther / und Herrn Heinrich / Gebruͤderen / Allerſeits derer vier Graffen des Reichs / Graffen zu Schwartz - burg und Hohnſtein / Herren zu Arnſtadt / Sondershauſen / Leu - tenberg / Lohra und Kletten - berg / Meinen gnaͤdigen Graf - fen und Herren.
JNdem ich / zu fol - ge der allgemeinen Gewonheit / im Wercke begriffen bin / dieſer uͤberſetzten Schrifft durch Beyfuͤgung hoher Nah - men noch einigen Glantz zu er - wecken / ſo habe ich ſolches vor dißmahl um ſo viel weniger durch eine weitlaͤufftige Wahl in Bedencken zu nehmen / je mehrere Urſachen ſich von Sei - ten E. E. Hoch Gr. Hoch -Gr. Zuſchrifft. Gr. Gn. Gn. hervorthun / um derer willen ſie hiebey nicht uͤbergangen ſeyn wollen. Deñ gleichwie bey Aufferziehung ſolcher Perſonen / die dermahl - einſt Land und Leute regieren ſollen / ohne Zweiffel der vor - nehmeſte Zweck dieſer ſeyn muß / daß man ſie / benebenſt rechtſchaffener Anfuͤhrung zu dem Chriſtenthum / beyzeiten auf die Noꝛm und Richtſchnuꝛ / wornach nicht allein alle Tu - gendhafften insgemein / ſon - dern auch abſonderlich loͤbliche Regenten ihre Actiones zu re - guliren haben / verweiſe: alſo wil / ſonder Anmaſſung einiges Eigen-Ruhms / ich verhoffen /) (3daß /Zuſchrifft. daß / ſeither dem ich das Gluͤcke gehabt / E. E. Hoch-Gr. Hoch-Gr. Gn. Gn. Auff - erziehung und Information mich nunmehro in die 7. Jah - re anzunehmen / ſo wohl am er - ſten nichts verſaumet / als auch voꝛ allen uͤbrigen Wiſſenſchaff - ten / die Dero gegenwaͤrtiges Alter zu faſſen faͤhig geweſen / das andere mit genugſamen Fleiſſe und Eyffer getrieben worden. Und weil man hiezu keine beſſere Anleitung finden koͤnnen / als die jenige / ſo der Welt-beruͤhmte Herꝛ Sam. von Pufendorff in ſeinem ſo wol der reinen Schreib-ArtundZuſchrifft. und wohlgefaſſeten Ordnung / als gruͤndlichen Principiorum halber hochzuſchaͤtzenden Mo - ral - und Politiſchen Hand - Buche de officio hominis & ci - vis vorgiebet / und aber bey Anfange Eu. Eu. Hoch - Gr. Hoch-Gr. Gn. Gn. der Roͤmiſch. Sprache ſo weit noch nicht gewachſen waren / daß ſie alles ohne Verdolmet - ſchung verſtehen koͤñen; als ha - be bloß Jhnen zu Liebe ich mir damahls die Muͤhe genom̃en / ſolches / ſo gut es jedesmahl die Zeit / und offtmahls ſchier all - zu kurtze Verſchraͤnckung derer wichtigſten Materien leiden) (4wol -Zuſchrifft. wollen / von Stuͤck zu Stuͤcke in unſere Mutter-Sprache zu uͤberſetzen. Nunmehro ſtelle ich es Jhnen vollſtaͤndig / und zwar im Drucke / und mit der Vorſchrifft Derer hohen Nahmen unter die Augen / welches Sie Sich um ſo viel mehr und gnaͤdiger werden ge - fallen laſſen / indem (zu ge - ſchweigen des wohlverdienten Ruhms / den die Welt durch ſo - thane Veranlaſſung Dero Preiß-wuͤrdigen Studien bey - legen wird) es nicht minder zu E. E. Hoch - Gr. Hoch - Gr. Gn. Gn. fernern eige - nen Nutzen / als zu Jhres Naͤ -heſten /Zuſchrifft. heſten / und inſonderheit der Jugend von Jhres gleichen Stande zum Beſten abgezielet iſt / als welche durch Dero vor - leuchtendes ungemeine Bey - ſpiel / und durch die in der Mutter-Sprache verſchaffete Erleichterung ſich hinfuͤhro deꝛ ſo hohen Perſonen unumgaͤng - lich benoͤthigten Moral - Philo - ſophie / etwas mehr duͤrfften annehmen. Zwar habe ich vor andere keinen Special Beruff; allein / ſo gewiß es gleichwohl iſt / daß Fuͤrſten und hohe Lan - des-Haͤupter / wofern ſie nicht mit einem ſonderlichen guten Naturel begnadiget ſind / ohne die Morale ohnmoͤglich eine) (5loͤb -Zuſchrifft. loͤbliche Regierung fuͤhren koͤn - nen; ſo hoͤchſt noͤthig wil es ſeyn / die Fuͤrſtliche und andere Standes-Jugend / nebſt Got - tes Worte / hierinne vor allen andern zeitig und gruͤndlich zu unterweiſen. Denn ſo einem jedweden Privat-Menſchen nichts naͤher iſt / als ſeine eige - nen Actiones und Gemuͤths - Begierden / er ſich auch nichts eyffriger / als deroſelben Cul - tivir - und Erbauung angele - gen ſeyn laſſen ſoll / wann er anders in der Welt vor einen ehrlichen Mann oder Virtuo - ſen paßiren / und hiedurch den Grund zu aller irrdiſchen Gluͤckſeeligkeit legen wil: ſohatZuſchrifft. hat ſich in Warheit ein junger Printz / von deſſen Actionen mit der Zeit nicht allein ſein ei - genes / ſondern auch eines o - der mehrer Laͤnder / und alſo vieler tauſend Menſchen Weh und Wohl / Gluͤck und Ungluͤck zu gewarten ſtehet / um ſo viel genauer und gefliſ - ſendlicher dahin anzulegen / daß er ſo wohl von der menſch - lichen Gemuͤths-Art richtige Erkaͤntniß einziehen / als auch dieſelbige ſeinem End-Zwecke gemaͤß / nach der zugleich in der Natur befindlichen Richt - ſchnur gebuͤhrend tempenren lerne / worinnen denn die Mo - ral-Philoſophie (ſonder der) (6H.Zuſchrifft. H. Bibel / die ihr Abſehen weit auff was hoͤhers richtet / hie - durch zum Præjuditz zu reden) und zumahl nach denen jeni - gen Principiis, worinnen Hoch - gedachter Herr von Pu - fendorff ſolche vortraͤget / ei - nig und allein zur Lehr-Mei - ſterin zu gebrauchen. Zwar / Gnaͤdigſte Herren / fin - den Sie in gegenwaͤrtiger Schrifft nur einen kurtzen Entwurff der vollkommenen Sitten - und Staats-Lehre; nichts deſto weniger koͤnnen Sie verſichert ſeyn / daß Sie allbereit hierinnen nicht nur einen ziemlichen VorſchmackvonZuſchrifft. von dem bey aller Welt gnug - ſam renommirten Sitten - und Staats-Lehrer / Hugone Gro - tio, ſondern auch zugleich ein helles Licht / oder Ariadniſchen Faden bekommen / vermittelſt deſſen Sie durch die gefaͤhrli - chen Jrr-Gaͤnge des Machia - velli, Hobbeſii, und anderer verkehrten Anfuͤhrer ſonder Anſtoß hinfahren / und ſich gleichwohl das beſte daraus zu Nutze machen koͤnnen. Da - fern Sie nun meiner ſchlech - ten Uberſetzung auch einigen Theil der hohen Hulde und Fleiſſes goͤnnen ſollten / womit Sie bißanhero dem Lateini - ſchen Original hoͤchſt-ruͤhmlich) (7zu -Zuſchrifft. zugethan geweſen / immaſſen / daß nachſt denen Sacris dieſes Jhre angenehmſte und erbau - lichſte Lection ſey / Sie zum oͤfftern ſelbſt gemeldet. Jn - zwiſchen gebe nur der Grund - guͤtige GOtt / daß ſo wohl die bey Jhrer gantzen Hoch - Graͤfflichen Aufferziehung / als auch inſonderheit die hier - unter gefuͤhrte gute Intention ihren Zweck vollkoͤmmentlich erreichen / alle Widerwaͤrtig - keit und Hinderniſſe / ſonder - lich die bißanhero Eu. Eu. beyderſeits aͤlterer Her - ren Hoch-Gr. Hoch - Gr. Gn. Gn. zugeſtoſſenenhoch -Zuſchrifft. hoch - gefaͤhrlichen Leibes - Schwachheiten / woran Sie / mein Gnaͤdigſter Herr Graff / Auguſt Willhelm / ley - der! noch dieſe Stunde in groͤſſeſten Schmertzen und Aengſten das Bette halten muͤſſen / voͤllig zuruͤcke getrie - ben / und Sie Dero hohen Eltern / und dem gantzen Lande zu ſonderm Troſt und Vergnuͤgen in ſo gedeylichem Wachsthume ferner fortfah - ren / dermahleinſt aber / als Chriſt - loͤbliche Regenten / GOtt und der Republique ge - faͤllig werden moͤgen. Ob auch ſchon / Gnaͤdigſter HerrGraffZuſchrifft. Graff Heinrich / die vor - erwehnten Urſachen dieſer un - terthaͤnigen Zuſchrifft / Sie wegen Dero annoch zarten Kindheit weder verſtehen / noch auff Sich appliciren koͤn - nen; ſo habe dennoch der Na - tur ich hierinne Folge leiſten / und unſer ſo gluͤcklich vereinig - tes Schwartzburgiſches Bruder-Kleeblat nicht von einander trennen / ſondern vielmehr / wie Blut und Muth zwiſchen allerſeits eine voll - kommene Harmonie machet / alſo ich ſaͤmtlichen zugleich auch meine unterthaͤnige Auff - wartung hiemit erweiſen wol -len.Zuſchrifft. len. Lebe demnach des zuver - ſichtlichen Vertrauens / Sie werden Sich dereinſt bey er - langten mehrern Jahren ſo - thanes bey Dero Wiegen nie - dergelegtes Denck-Mahl un - terthaͤniger Zuneigung von Dero Diener nicht mißfallen laſſen. Und wie gantz kein Zweiffel iſt / daß Eu. Hoch - Gr. Gn. hinkuͤnfftig bey hoͤchſt-ſorgfaͤltiger Aufferzie - hung ſo wohl in Studiis, als an - dern Dero hohen Stande ge - ziemenden Sitten und Tugen - den die Fußtapffen Dero beyden aͤlteren Herren Bruͤder finden werden; al -ſoZuſchrifft. ſo wolle der guͤtige Himmel auch uͤber Sie ſein Goͤttliches Gedeyen reichlich ausgieſ - ſen / und / damit ichs kurtz faſ - ſe / durch gnaͤdige Erfuͤllung des von Jhres Herrn Va - ters Hoch-Graͤfflicher Gnaden bey Dero Tauff - Nahmen intendirten Ominis, Sie gleich Dero mehreſten ebenmaͤßig benahmten Vor - fahrendereinſt zu dem Ruhme eines gelehrten / tapffern / gluͤcklichen / und loͤblichen HEINRICI gelangen laſſen.
E. E. E. Hochgr. Hochgr. Hochgr. Gn. Gn. Gn.
unterthaͤnig-gehorſamſter Diener Jmmanuel Weber.
HJebey liefere ich dir des Herrn Sam. von Pufen - dorff uͤberſetzte Officia ho - minis & civis. Wie ich an dieſe Arbeit gekom̃en / wird dir die unter - thaͤnige Zuſchrifft Nachricht ertheilen. Den Titul habe ich um deßwillen etwas geaͤndert / weil er ſich im Teutſchen von Wort zu Wort ſo wohl nicht interpreti - ren laͤſſet. Denn ob ich wohl etwas naͤher kommen koͤnnen / als etwan hie - bevor Johann Neuber / Caplan zu Schwartzenberg / ſo die Officia Cicero - nis A. 1531. zu Augſpurg im Teutſchen unter dem Titul von den tugend - ſamen Aemtern herausgegeben; ſo hat mir doch gegenwaͤrtiger / um der gleichfalls in der Dedication beruͤhrten Urſache willen / beſſer gefallen / zumahl er auch den Jnhalt des Wercks ſatt - ſam erſchoͤpfſet. Wegen der Uberſe - tzung an ihr ſelbſt iſt kuͤrtzlich zu erin - nern / daß ich dem Lateiniſchen meh -ren -An den Leſer. rentheils von Fuſſe zu Fuſſe gefolget / auſſer im V. Capitel des I. Buchs / all - wo / auff Begehren des Herrn von Pu - fendorff / etliche §phi aus ſeinem Syſte - mate Jur. Nat. & Gentium eingeruͤcket / und an theils Orten / da es im Teutſchen gar zu verzwickt lauten wollen / dem Ver - ſtande durch eine kurtze Periphraſin ge - holffen worden. Ob ſonſt alles eigent - lich getroffen ſey / wil ich zwar verhoffen / jedoch von dem geneigten Leſer einer guͤ - tigen Entſchuldigung gewaͤrtig ſeyn / da - ferne in der Uberſetzung wegen Dunckel - heit und Wichtigkeit derer Materien ihm einige Expresſiones zu uneigentlich / oder einige verteutſchten Termini fremde vor - kommen ſollten. Von dem Nutzen dieſer Arbeit habe vor mich niemanden Re - chenſchafft zu geben / ſintemahl ſolche mein Amt erfordert; und wenn ſie auch ſchon niemand mehr dienlich waͤre / als denen jenigen / welchen zu Gefallen ſie verfertiget worden / ſo haͤtte ſie doch ſchon Nutzen gnug verſchaffet; gleichwohl wil ich hoffen / daß mir noch einige davor dan - cken werden. Wer etwas wichtigers ma -chenAn den Leſer. chen kan / oder ſeine Zeit beſſer anzulegen weiß / dem goͤnne ichs gern / und ſoll er wiſſen / daß dergleichen vor ihn nicht ge - ſchrieben worden. Mich gereuet zur Zeit noch keine Stunde / die ich auff die vor - trefflichen Schrifften des mehr Hoch - ermeldeten Herrn von Pufendorffs gewendet / und wollte wuͤndſchen / daß die jenigen / ſo mich oder andere deßwegen verdencken / ſonder vorgefaßte ſiniſtre Meinung / ſich auch etwas genauer dar - innen umſaͤhen / ſo wuͤrden ſie ſonder Zweiffel den Ungrund ihrer bißherigen widrigen Urtheile finden. Moralia und Moraliſten haben freylich durch die un - nuͤtzen Scholaſticos einen ziemlichen Schand-Flecken und uͤbeln Nahmen be - kommen / weil ihr meiſtes Thun in leeren Grillen und einem aus der Philoſophie / Jurisprudentz und Theologie zuſammen geſchmiereten Miſch-Maſche beſtehet. Allein / wer weiß / was Grotius, und her - nach zufoͤrderſt der Herr von Pufen - dorff bey dieſem edlen Studio gethan / wie ſie ſolches von der alten Schulfuͤchſi - ſchen Barbarey geſaubert / und nach dendeut -An den Leſer. deutlichſten und eigentlichen Principiis derer allgemeinen Natur - und Voͤlcker - Rechte eingerichtet / der wird die Judicia, wonach manche die Moral-Lehrer auf ei - nen Hauffen zu verdammen pflegen / oh - ne Entſetzen nicht anhoͤren koͤnnen. Jch laſſe den Nutzen und die Unſchuld der Morale zu einer beſondern Apologie aus - geſetzet / kan aber diß gleichwohl ſonder Schmeicheley / welche mir ohne dem nichts helffen wuͤrde / aus danckbarem Gemuͤthe von mir ſchreiben / daß ich mich dem Herrn Thomaſio mehr deßwegen / als unſerer nahen Anverwandſchafft und anderer von ihm genoſſener Wohlthaten halber verbunden befinde / weil Er mich erſtlich zum Studio Morali, und ſonderlich zu des Hꝛn. v. Pufendorff Schrifften angefuͤhrt / deßhalben ich auch den Tag / da ich ſelbige erſtmahls in die Haͤnde ge - nommen / mit beſſerm Grunde vor gluͤck - lich ruͤhmen kan / als jener denſelbigen / da er erſtmahls des Ariſtotelis Organon zu Geſichte bekommen. Geehrter Leſer / urtheile vernuͤnfftig / und lebe wohl!
WOfern aus der durchgaͤngi - chen Gewonheit der Ge - laͤhrten nunmehro nicht faſt ein Geſetz entſtanden waͤre / ſo duͤrffte man mir es wohl vor ein uͤberflüſſiges / und unnoͤ - thiges Werck ausdeuten / daß ich mich wegen der Beſchaffenheit und den Ab - ſehen dieſer Schrifft in einer beſondern Vorrede herauſſer gelaſſen / indem es die Sache vor ſich ſelbſt genugſam auswei - ſet / daß ich keinen andern Vorſatz ge - habt habe / als nur denen jungen Leuten die vornehmſten Hauptſtuͤcke der Natuͤr - lichen Rechte auf eine kurtze / und verhof - fendlich deutliche Manier beyzubringen / damit ſie nicht gleich im Anfange ſtutzig gemachet wuͤrden / weñ man ſie ohne der - gleichen kurtzen Vorbericht in den weit -(1)laͤuff -Vorrede. laͤufftigen bezirck dieſer Wiſſenſchafft ein - fuͤhren wolte. Hiebenebenſt habe auch vor gut angeſehen / die Moral - oder Sit - ten-Lehre nicht nach der bißherigen alten Leyer / ſondern auf eine ſolche Art einzu - richten / damit die Jugend hernach in buͤrgerlichen Leben und Wandel einen rechtſchaffenen Nutzen davon ſpuͤren koͤn - te. Und ob ich wohl ſonſt iederzeit der Meinung geweſen / daß es eine ſchlechte Ehre ſey / wenn man anderer / oder wohl gar ſeine eigene zuerſt weitlaͤufftig abge - faßte Schrifften wieder ins Enge brin - get; So hoffe ich doch / es werden ver - ſtaͤndige Leute mirs nicht veruͤbeln / daß / (zumaln hierunter auch dem Befehle / und wohl-gemeinten Anſinnen meiner hohen Obern ein Genuͤgen geleiſtet wer - den müſſen) ich vor dismal / einig und al - lein der lieben Jugend zum Beſten / der - gleichen Arbeit auf mich genommen / um derer willen man ſich keines Dinges ſchaͤmen ſoll / wenn es auch an ſich ſelbſt noch ſo ſchlecht / und einiger Ruhm dabey nicht zu erjagen. Jn uͤbrigen wird kein vernünfftiger Menſch in Abrede ſeynkoͤn -Vorrede. koͤnnen / daß dergleichen Principia zur Erlernung der geſamten Jurisprudens diel beqvemer ſeyn / als alle die andern / dahin man gemeiniglich unſere Jugend / wenn ſie den Anfang zur Rechts-Ge - lehrſamkeit machen wil / zu verweiſen pfleget. Und ſo viel ſolte vor dismal an ſtatt der Vorrede genung ſeyn / wofern nicht / auf guter Freunde Zurathen / vor nuͤtzlich waͤre befunden worden / zuvor - hero / ehe ich zum Zweck ſchreite / noch ein und anders anzufuͤhren / welches uͤberhaupt zu deſto genauerer Erkaͤntniß der Natuͤrlichen Rechte / und zu eigent - licher Abſteckung derer Graͤntzen / wo - mit ſie etwan an andere Diſciplinen an - ſtoſſen / dienlich ſeyn kan. Welches ich denn um deſto ſo viel williger uͤber mich genommen habe / weil ich hiedurch Gelegenheit bekommen / denen jenigen Sraͤnckern das Handwerck zu legen / welche unter den nichtigen Vorwandt / als ob dieſe Diſciplin mit in ihre Profeſ - ſion lieffe / ſich allerhand ungeſchickter Cenſuren unterfangen / da ſich doch zwi - ſchen beyderſeits in wahrheit eine ſehe(2)groſſeVorrede. groſſe Klufft befindet. Demnach ſo ſind gleichſam drey unterſchiedene Qvel - len / daraus die Menſchen die Erkaͤnt - niß ihrer Schuldigkeit / und alles deß - jenigen / ſo ſie in dieſem Leben entwe - der / als was loͤbliches zu thun / oder / als was ſchaͤndliches zu unterlaſſen ha - ben / ſchoͤpffen muͤſſen; Nemlich ihr natuͤrlicher Verſtand / die buͤrger - lichen Geſetze / und endlich das geoffenbarte Wort GOttes. Aus den erſten fluͤſſet die allgemeine Schul - digkeit der Menſchen herfür / dadurch ſie ſich in der menſchlichen Geſellſchafft gegen einander wohl zu verhalten lernen; Aus der andern die jenige Gebuͤhr / die ein iedweder / als ein Buͤrger und Glied - maß einer gewiſſen Republiqve zu beob - achten hat; Aus den dritten aber / das Amt und Pflicht wahꝛer und rechtſchaffe - ner Chriſten. Daher entſtehē auch drey unterſchiedene Diſciplinē deren die erſte handelt von dem natuͤrlichen Rechte / und gehet alle Menſchen und Voͤlcker an; Die andere von den buͤr - gerlichen Geſetzen einer ieden Re -pu -Vorrede. publiqve, und die kan ſo mancherley ſeyn / als viel man Republiqven an - trifft / darein ſich das menſchliche Ge - ſchlechte vertheilet hat. Die dritte wird genennet die Theologia moralis, oder die von GOtt geoffenbarete Sit - ten-Lehre / welche von den andern Theile der heiligen Theologie, worinnen die Glaubens-Articul enthalten ſind / wohl zu unterſcheiden iſt. Jedwede von dieſen dreyen Diſciplinen braucht eine beſonderne / und zwar ſolche Art / ihre Lehr-Setze zu behaupten / die ihrem Principio gemaͤß iſt. Jn den natuͤrli - chen Rechten werden wir etwas zu thun / oder zu unterlaſſen angewieſen / weil man aus der geſunden Ver - nunfft abnehmen kan / daß es zu Nutz und Aufnehmen der menſchlichen Ge - ſellſchafft gereiche. Fraget man in buͤr - gerlichen Geſetzen / warum dis oder jenes alſo verordnet worden? So laͤufft es endlich alles darauf naus: Es habe den Geſetz-Geber ſo / und nicht anders gefallen. Jn der Theologia morali kan man weiter nicht kommen /(3)alsVorrede. als daß man es gleichfalls bey den goͤtt - lichen Willen und Verordnung be - wenden laͤſſet. Gleich wie aber die buͤr - gerlichen Geſetze das Natuͤrliche Recht / als eine allgemeine und viel weitlaͤuffti - gere Diſciplin præſupponiren / alſo muß man nicht flugs gedencken / daß / wenn etwas in denen buͤrgerlichen Geſetzen ent - halten iſt / davon die Natürlichen Rechte nichts melden / dieſe deßwegen wider je - ne lauffen muͤſten. Gleicher geſtalt / weñ in der Theologiâ morali ein und anders aus goͤttlicher Offenbarung kund gethan wird / darauf ſich unſere Vernunfft von ſich ſelbſt nicht finden kan / und alſo auch das Jus Naturæ, als eine Philoſophi - ſche Diſciplin, nichts davon weiß; So waͤre es ſehr ungeraͤumt / wenn man die - ſe beyden Diſciplinen deßwegen zuſam - men hetzen / und eine Streitigkeit unter ihnen geſtatten wolte. Hinwiederum / wenn man in der Lehre von natuͤrlichen Rechten / nach Gutbefindung unſerer Vernunfft / ie zuweilen etwas præſup - poniret / ſo muß es demjenigen / was etwa die heilige Schrifft disfalls deutli -cherVorrede. cher und klaͤrer berichtet / keinesweges / als etwas ſtreitiges / entgegen geſetzet / ſondern / ſo lange man dieſe Diſciplin auf Philoſophiſche Art tractiret / und der bloſſen Vernunfft folget / von der heiligen Schrifft abſtrahiret werden. Zum Exempel / man bildet ſich in der Lehre der natuͤrlichen Rechte den Zu - ſtand des jenigen Menſchen / der etwa zu erſt auf der Welt geweſen / (er ſey nun / wer er wolle;) auf ſolche maſſe ein / wie wir / unſerer bloſſen Vernunfft nach / ermeſſen moͤgen / daß er muͤſſe ſeyn be - ſchaffen geweſen / und koͤnnen uns ſol - chen in Wahrheit anders nicht / als elen - de und duͤrfftig vorſtellen / indem er in die wuͤſte Welt ausgeſetzet worden / und in derſelben das geringſte Vergnuͤ - gen und Beqvemligkeit / ſo einig und al - leine von der menſchlichen Geſellſchafft herruͤhret / nicht empfinden koͤnnen. Da - fern nun iemand dieſe Philoſophiſche Speculation derjenigen Nachricht / ſo das Wort GOttes von der Gluͤckſelig - keit des im Paradies erſchaffenen erſten Menſchen / des Adams / weit anders(4)geof -Vorrede. geoffenbaret / entgegen ſetzen / und vor - geben wuͤrde / man haͤtte dis durch jenes aufheben wollen / ſo muͤſte man es ge - wißlich vor eine Beſchuldigung boshaff - tiger / oder unverſtaͤndiger Leute halten. Was nun die buͤrgerlichen Geſetze anbe - langet / ſo ſcheinets / daß dieſe ſich wohl leichte mit denen Natuͤrlichen Rechten vertragen ſollen; Allein das wil was muͤhſamer ſeyn / daß man zwiſchen dem Jure Naturæ, und der Theologiâ mo - rali die Grentzen richtig abzeichne / und den genauen Unterſcheid dieſer beyden recht eigendlich ausmache. Jch wil mei - ne Gedancken hieruͤber kuͤrtzlich eroͤff - nen / iedoch ſonder Anmaſſung einer Di - ctatoriſchen Gewalt / oder Paͤbſtiſchen Infallibilität; denn ich eben ſo wenig / als andere Leute / vor allen J〈…〉〈…〉 ꝛthuͤmern geſichert bin / habe mich auch keiner Weisheit aus Goͤttlicher Offenbarung / oder vielmehr unvernuͤnfftigen und phantaſtiſchen Antrieb einer ſonderbaren Erleuchtung zu ruͤhmen; ſondern was ich disfalls thue / geſchicht bloß / meinen Amte und Pflicht / nach Vermoͤgen / ei -ni -Vorrede. niges Genügen zu leiſten. Und wie ich nun rechtſchaffener / gelaͤhrter Leute Er - innerungen hieruͤber gern anzuhoͤren / auch meine Meinung / dafern es iemand beſſer weiß / ſonder einigen Verdruß zu aͤndern gantz willig und bereit bin / als werde ich hingegen derer jenigen neidiſche und vorwitzige Urtheile wenig achten / die ſich in Sachen / ſo ſie gantz nichts an - gehen / und davon ſie eben ſo wenig Ver - ſtand haben / als der Blinde von der Farbe / zu unerbetenen Richtern auf - werffen moͤchten. Es entſtehet demnach der erſte Unterſcheid dieſer beyden Diſciplinen / nemlich der Moral - Theologie, und der natuͤrlichen Rechte daher / daß ſie ihre Lehr Saͤtze nicht von einerley Principio, ſondern / wie bereits erwehnet / gleichſam aus un - terſchiedenen Qvellen herleiten / jene nemlich aus der Offenbarung / dieſe aber aus der Vernunfft. Daraus denn noth - wendig folget / daß / wenn uns die heili - ge Schrifft etwas zu thun / oder zu unter - laſſen anbefiehlet / darauf ſich unſere Vernunfft von ſich ſelbſt nicht finden(5)kan /Vorrede. kan / ſelbiges auch nicht dem Juri Natu - ræ, ſondern der Theologiæ morali zu - ſtehe. Weiter / ſo muß man die in GOttes Wort geoffenbarten Geſetze auf ſolche Weiſe betrachten / alsfern ih - nen eine Goͤttliche Verheiſſung mit an - gehaͤnget iſt / und ſie alſo zwiſchen GOtt und Menſchen / auf gewiſſe maſſe / einen Bund machen. Dieſer Betrachtung enthaͤlt ſich das Jus Naturæ, ſintemal ſie blos aus GOttes ſonderbaren Offen - barung her entſtehet / welche die Ver - nunfft aus eignen Kraͤfften nicht ergrün - den kan. Ferner / ſo machet auch dieſes noch einen hauptſaͤchlichen Unterſcheid / daß die Diſciplin der natuͤrlichen Rechte ihr Abſehen blos auf die - ſes zeitliche Leben / und deſſen Wohlſtand richtet / und einen Men - ſchen nur ſo weit unterweiſet / daß er ſich / als ein loͤbliches und nuͤtzliches Gliedmaß der menſchlichen Geſellſchafft bezeugen koͤnnen. Hingegen iſt die Theologia moralis, oder die Gebote GOttes da - mit nicht zu frieden / ſondern dieſe wei - ſen einen Menſchen zufoͤrderſt dahin an /wieVorrede. wie er einen rechten / GOtt wohlgefaͤlli - gen Chriſten-Wandel fuͤhren ſolle; Da er den nicht allein darauf zu dencken hat / wie er in der Welt ehrlich und tugend - hafft leben / ſondern zufoͤrderſt / wie er auch dermaleinſt in der Ewigkeit die Fruͤchte ſeiner Gottſeligkeit genieſſen wolle / daß er alſo ſeinen Wandel und Buͤrgerrecht ſchon in Himmel hat / in der Welt aber nur / als ein Pilgram / noch herumer walle. Deñ obgleich derer Men - ſchen Gemuͤther auch von Natur nach der Unſterbligkeit ſehr begierig ſeyn / und ſich vor ihrer Vernichtung hefftig ent - ſetzen / weßwegen auch die meiſten Hey - den der Meinung geweſen / daß die See - le / nach dem ſie von dem Leibe abgetren - net / irgendswo verbleiben muͤſſe / allda es denen Frommen wohl / denen Gottlo - ſen aber uͤbel ergienge; So muß doch die wahre und unfehlbare Verſicherung deſ - ſen einig und allein aus den geoffenba - reten Worte GOttes geſchoͤpffer wer - den. Dieſer Urſachen halber muß die Di - ſciplin der natuͤrlichen Rechte auch nur nach den menſchlichen Foro eingerichtet(6)wer -Vorrede. werden / welches ſich denn nicht welter / als auf dieſes zeitliche Leben erſtrecket; Und thun die jenigen gar unrecht / wel - che ſie in vielen Stuͤcken nach dem Goͤtt - lichen Gerichte accommodiren wollen / da doch dieſes eigendlich der Theologiæ morali, und ihren Geſetzen zukoͤmmet, Hieraus folget nun / daß / weil die menſchlichen Gerichte nur mit den aͤuſ - ſerlichen Wercken zu thun haben / oder die Menſchen nur Richter der aͤuſſerli - chen Wercke ſeyn / was aber innerlich / und im Hertzen verborgen bleibet / nicht erforſchen koͤnnen / es muͤſte ſich denn etwan durch einige Wuͤrckung / oder aͤuſ - ſerliche Anzeigung verrathen; So ſie - het das Jus Naturæ zu foͤrderſt auch nur darauf / wie es die aͤuſſerlichen Actio - nen der Menſchen wohl einrichten moͤge. Allein daran hat die Theologia moralis noch lange nicht genung / ſondern ſie wil vornemlich / daß auch das Gemuͤthe / und deſſen innerliche Regungen nach den Willen und Wohlgefallen des groſſen GOttes recht beſchaffen ſeyn / und ver - wirfft demnach alle dasjenige / ſo zwaraͤuſ -Vorrede. aͤuſſerlich den Schein eines tugendhaff - ten Wandels hat / innerlich aber von einen unreinen und unheiligen Urſprun - ge herruͤhret. Und dis ſcheinet / ſey auch die Urſache / warum in der Heil. Schrifft nicht ſo offt von denenjenigen Verbre - chen und Laſtern gehandelt wird / welche die Menſchen in ihren Gerichten ab - ſtraffen / und daruͤber ſie ſelbſt Urtheil und Recht ſprechen koͤnnen / als von de - nenjenigen / welche (wie der weiſe Se - neca an einem Orte redet /) extra tabu - las publicas, und auſſer denen oͤffentli - chen Geſetz-Buͤchern zu befinden ſeynd / wie denn ein ieder leicht ermeſſen kan / welcher die daſelbſt enthaltenen Gebote und Tugenden genau betrachtet. Wie - wohl keinesweges zuleugnen iſt / daß die Moral-Theologie hie benebenſt auch das buͤrgerliche Tugend-Leben treflich be - foͤrdere / indem die wahren Chriſten - Tugenden der Menſchen Gemuͤther zu Unterhaltung der menſchlichen Geſell - ſchafft ſehr geſchickt machen / wie wir an - derswo weiter erweiſen. Und ingegen - theil / wenn man einen ſiehet / der ſich /(7)alsVorrede. als ein unruhiges Glied / in den Coͤrper der buͤrgerlichen Geſellſchafft bezeuget / ſo kan man ſicherlich darvon urtheilen / daß er auch die Religion nur in Munde fuͤhre / das Hertz aber gantz nichts dar - von wiſſe. Hieraus wird nun verhoffend - lich nicht allein der eigendliche Unter - ſchied zwiſchen der Theologia morali, und dem Juræ Naturæ, nach der Art / als wir uns ſolches recht univerſal, nach dem Captu aller Menſchen / und aus bloſſen Philoſophiſchen Principiis ab - zuhandeln vorgenommen haben / genung - ſam zu erſehen ſeyn; ſondern auch / wie daß die Natuͤrlichen Rechte denen Lehr - Saͤtzen der geoffenbarten Theologie im geringſten nicht widerſtreben / ſondern ſich nur allein etzlicher / der Offenbarung und denen Chriſten zuſtehenden / Wiſ - ſenſchafften enthalten / weil dieſelbigen durch die bloſſe Vernunfft nicht koͤnnen ausgegruͤbelt werden. So iſt nunmehro aus angefuͤhrten ferner auch leichte ab - zunehmen / wie nothwendig es ſey / daß der Menſch in dieſer unſerer Di - ſciplin der natuͤrlichen RechtenichtVorrede. nicht nach dem laͤngſt verſchwun - denen / und blos uns Chriſten be - kañten Stande der Unſchuld / ſon - dern ſeinen itzigen Zuſtande / und der verderbten Natur nach be - trachtet werden muͤſſe / nemlich ſo fern / als er von boͤſen Begier den eingenommen / und gleichſam an - gefuͤllet iſt. Denn es wird zwar nie - mand / auch der aller-blindeſte Heyde / ſo tum und ſo albern nicht ſeyn / daß er die ungeziemenden und boͤſen Reitzungen nicht bey ſich verſpuͤren ſolte; Allein / wer wolte doch wohl wiſſen / daß eben der erſte Menſch an ſolchem Aufſtande der Affecten Schuld hat / wenn es uns Chriſten die heilige Schrifft nicht inſon - derheit geoffenbaret haͤtte? Weil man denn nun in der Diſciplin der natuͤrli - chen Rechte nicht weiter gehen ſoll / als unſere Vernunfft von ſich ſelbſt kommen kan / ſo iſt leicht zu ermeſſen / daß man auch den Stand der Unſchuld zu deroſel - ben Erklaͤrung nicht mit zuziehen dürffe; Zumaln da gewiß iſt / daß auch der Al - lerweiſeſte GOtt ſelbſt / indem Er denDe -Vorrede. Decalogum meiſtentheils in Præceptis negativis, oder in Verboten abgefaſ - ſet / den Statum corruptum, oder die verderbte Natur der Menſchen vor Au - gen gehabt habe. Zum Exempel das erſte Geſetz / darinnen die Abgoͤtterey verboten iſt / præſupponiret einen ſol - chen Zuſtand / darinnen die Menſchen zu dergleichen Suͤnde geneiget geweſen. Jm Stande der Unſchuld / da ſie / mit der voͤlligen GOttes Erkaͤntniß erleuch - ter / ſich mit GOTT allezeit unterreden konten / ſehe ich nicht / wie es moͤglich ge - weſen waͤre / daß ſie ſich / an ſtatt des wah - ren GOttes / etwas anders / und falſches haͤtten erdichten koͤnnen / um ſolches hernach entweder vor dem wahren GOtt ſelbſt / oder doch nur nebenſt demſelben anzubeten / oder zu glauben / daß ſolch erdichtetes Ding Goͤttliche Macht und Gewalt habe. Und alſo waͤre es nicht vonnoͤthen geweſen / denen Menſchen / nach damaliger Beſchaffenheit / ein ſolch Verbot vorzuſchreiben: Du ſolt nicht andere Goͤtter haben; ſondern es haͤtte ihnen nur ſchlechter Dinges Præ -ceptôVorrede. ceptô affirmativô dürffen anbefohlen werden / daß ſie GOtt / ihren und der gantzen Welt wohlerkañten Schoͤpffer lieben / ehren / und anbeten ſolten. Eben - falls iſt es auch mit dem andern Ge - ſetze bewandt. Denn warum haͤtte de - nenjenigen im Stande der Vollkom - menheit durch ein Verbot ſollen unter - ſaget werden / GOtt zu laͤſtern / die doch ſeine heilige Majeſtaͤt und groſſe Wohlthaten erkanten / die keine boͤſe Be - gierden anreitzeten / und deren Gemuͤ - ther in den von GOtt ihnen angewieſe - nen Zuſtande geruhig verharreten? Wie haͤtten dieſe auf eine ſolche Unſinnigkeit gerathen koͤnnen? Alſo haͤtte man ſie nur durch ein bloſſes Gebot erinnern duͤrffen / daß ſie den Nahmen GOt - tes ehren moͤgten. Allein mit den dritten und vierdten hat es eine an - dere Bewandniß. Denn weil dieſelbi - gen Gebots-weiſe abgefaſſet ſeynd / und die verderbte Natur nicht eben nothwen - dig præſupponiren / ſo koͤnnen ſie ſo wohl vor / als nach den Falle / ſtatt finden. Was aber die uͤbrigen DecalogiſchenGe -Vorrede. Geſetze anbelanget / die nicht GOTT / ſondern unſern Nechſten betreffen / ſo iſt die Sache gleichfalls klar. Denn da dürffte GOTT dem Menſchen zu der Zeit / als er noch in der anerſchaffenen Vollkommenheit lebete / nur ſchlechter Dinges befohlen haben / daß er ſeinen Nechſten lieben ſolte / worzu er oh - ne dem von Natur inclinirete. Allein / wie haͤtte ihm damals koͤnnen verboten werden / nicht zu toͤdten / zu der Zeit / da der Tod noch keinen Menſchen uͤber - fiele / ſindemal derſelbe allererſt durch die Suͤnde in die Welt gekommen iſt? Nun - mehro aber / und nach dem klaͤglichen Suͤnden-Falle / brauchet es des Verbo - tes mehr als zu ſehr / da / an ſtatt der Lie - be / ein ſolcher Haß und Feindſeligkeit un - ter denen Menſchen eiugeriſſen iſt / daß auch ihrer viel nicht allein Unſchuldige / ſondern auch ihre beſten Freunde und Gutthaͤter / aus bloſſen Neid / um ihre Wohlfahrt zu bringen / und ihr vergaͤl - letes und unruhiges Beginnen noch wol mit dem Deck-Mantel eines guten Ge - wiſſens zuverſtellen / kein Bedenckentra -Vorrede. tragen. Ferner / was waͤre es noͤthig gewe - ſen / den Ehebruch unter ſolchē Ehleu - ten zu verbieten / die einander mit ſo gar bruͤnſtiger und unverfaͤlſchter Liebe waͤ - ren zugethan geweſen? Oder / warum haͤtte man den Diebſtahl unterſagen ſollen / da doch kein Geitz und kein Man - gel zu ſpuͤren geweſen / und da niemand das jenige vor ſein Eigenthum wuͤrde ge - halten haben / womit er den andern haͤt - te dienen koͤnnen? Weßwegen ſolte der groſſe GOTT zu der Zeit ein Verbot auf die falſchen Zeugniſſe geleget haben / da noch niemand (wie heutiges Tages) in Schaͤnden und Schmaͤhen eine Ehre wuͤrde geſuchet haben? Schicken ſich al - ſo die Worte des klugen Taciti wohl hie - her: Es hingen die Leute vor Al - ters (im Stande der Unſchuld) ihren boͤſen Begierden nicht ſo nach / wie heutiges Tages / ſondern ſie lebten ehrlich und aufrichtig / und brauchte es dannenhero bey ihnen keiner Straffe. Denn weil ſie nichts Unrechtes verlangten / ſo durften ſie ſich auch keiner har -tenVorrede. ten Verbote oder Geſetze befuͤrch - ten. Wenn man dieſes nun recht ver - ſtehet / ſo werden wir leicht einen groſſen Zweifel abhelffen koͤnnen / nemlich / ob denn ein Unterſcheid ſey zwiſchen dem natuͤrlichen Geſetze vor / und nach dem Suͤnden-Falle / oder / ob es in beyden Zeiten mit denſelben einerley Beſchaffenheit wuͤrde ge - habt haben? Darauf mit wenigem zu antworten iſt / daß die vornehm - ſten Hauptſtuͤcke dieſes Geſetzes al - lendhalben einerley ſeyn / hingegen er - eignet ſich wegen des veraͤnderlichen Zu - ſtandes der Menſchen vor / und nach dem Falle in vielen Particulier-Geſetzen ein mercklicher Unterſcheid. Oder / daß ich was eigendlicher rede: Es muß ei - nerley Jnhalt des natuͤrlichen Geſetzes durch unterſchiedliche (iedoch nicht con - traire, oder wider einander-lauffende) Special-Geſetze erklaͤret werden / nach - dem der Menſch / dem ſolche angehen / bald ſo / bald wiederum anders beſchaf - fen geweſen. Den Jnhalt des gan - tzen natuͤrlichen Geſetzes ſchluͤſſetun -Vorrede. unſer Heiland in dieſe zwey Stuͤcke ein: Liebe GOtt / und liebe den Nech - ſten. Darinnen iſt das gantze Jus Na - turæ enthalten / ſo wohl im Stande der Vollkommenheit / als auch der Un - vollkommenheit / ohne nur / daß in je - nen entweder gar keiner / oder doch nur ein ſehr geringer Unterſcheid war unter dem Jure Naturæ, und der Theologiâ morali. Denn auch die Liebe gegen dem Nechſten kan gar fuͤglich durch die Socia - lität, oder Zuneigung zur menſch - lichen Geſellſchaffs / welche wir zum Fundament der Natuͤrlichen Rechte brauchen / verſtanden werden. Allein / wenn man die particulier und einze - len Geſetze nach einander anſiehet / ſo findet ſich ein groſſer Unterſchied / ſo wohl in denen Geboten / als auch Verbo - ten. Und zwar / was anbelanget die Gebote / ſo gibts deren viel in dem itzi - gen Suͤnden-Stande / die im Stande der Unſchuld gar nicht haͤtten ſeyn koͤn - nen / theils / weil ſie eine ſolche Verrich - tung oder Handlung præſupponiren / welche in jenem gluͤcklichen ZuſtandenichtVorrede. nicht wuͤrde ſeyn zu finden geweſen; theils auch / weil vor etzlichen Jammer und Kummer / Noth und Tod vorher ge - hen muß / ehe ſie koͤnnen erfuͤllet werden / wovon man denn zur ſelbigen Zeit eben - falls nichts gewuſt haͤtte. Zum Exem - pel / es befiehlet itzo das Recht der Na - tur mit iederman im Handel und Wan - del ehrlich zu verfahren / rechte Elle / Maß und Gewichte zu gebrauchen / Schulden zu rechter Zeit zu bezahlen /〈…〉〈…〉. Alleine das iſt noch nicht ausgemachet / ob man im Stande der Unſchuld derglei - chen Handel und Wandel / wie heutiges Tages / wuͤrde getrieben / oder Geld ge - brauchet haben. Gleichergeſtalt / wenn im Stande der Unſchuld keine Republi - qven und weltlich Regiment aufkom - men waͤre / ſo haͤtte man auch der Geſe - tze / ſo hierzu erfordert werden / nicht be - durfft. Heute wil das Recht der Natur haben / daß man den Nothduͤrfftigen und Elenden zu Huͤlffe komme / und die Witt - ben und Waiſen in Schutz nehme. So - fern nun gar kein Menſch weder Un - gluͤck / noch Armuth / noch den Tod zube -Vorrede. befahren gehabt haͤtte / ſo waͤre es ja ver - gebens geweſen / deßhalben einige Ge - ſetze zu geben. Wir ſollen / nach Erhei - ſchung der Natuͤrlichen Rechte / zur Ver - ſoͤhnligkeit und zum Frieden / wie auch unſern Beleidigern das zugefuͤgte Un - recht zu vergeben und zu vergeſſen / wil - lig und geneigt ſeyn. Was haͤtte es aber deſſen bey denenjenigen bedurfft / die von ſelbſt auf die liebreiche Erhaltung des Bandes menſchlicher Geſellſchafft einig und allein befliſſen waren? Und eben ſol - che Bewandniß hat es auch mit denen Verboten / welche eigendlich unter die Natuͤrlichen / und nicht etwa zu denen Poſitiv-Geſetzen gehoͤren. Denn ob - gleich ein jedweders Gebot folglich / und ſeiner Wuͤrckung nach / auch das Gegentheil verbietet / (als weñ GOtt befiehlet den Nechſten zu lieben / ſo verbeut ER eben dadurch im Gegen - theil alle das jenige / was ſolcher Liebe zu wider iſt) ſo waͤre es doch uͤberfluͤſſig und vergebens geweſen / in dem Stande der Unſchuld ein dergleichen Verbot mit ausdruͤcklichen Worten zu dictiren / all -woVorrede. wo gantz keine Luſt und Begierde nach ſolchen boͤſen und feindſeligen Dingen zu vermuthen war. Es kan auch zu deſſen Erlaͤuterung dienen / daß der weiſe Ge - ſetz-Geber Solon in ſeinen Geſetzen keine Straffe vor die Vater-Moͤrder verordnen wollen / weil er ſich nicht einbilden koͤnnen / daß ein Kind an ſei - nen Eltern eine ſolche abſcheuliche That veruͤben würde. Dieſen iſt nicht ungleich / was Franc. Lopez. de Gomora, Hiſt. Gent. Ind. Occident. cap. 207. von gewiſſen Voͤlckern in Nicaragua erzeh - let / daß bey ihnen keine Straffe darauf geſetzet worden / wenn einer ihren Caci - qve, oder Koͤnig umbringen wuͤrde / weil ſie davor gehalten / es wuͤrde niemals kein Unterthan an eine ſo grauſame That gedencken / geſchweige denn dieſelbe voll - bringen. Die Sache iſt nunmehro ver - hoffendlich ſo klar / daß ich mich ſelbſt ſchaͤme / ſie weiter auszufuͤhren. Doch wil ich zum Uberfluß / und junger Leute wegen / nur noch dieſes hinzufuͤgen. Jch ſetze den Fall / daß einen zwey Knaben zur Information waͤren anvertrauetwor -Vorrede. worden / iedoch beyde von gantz unglei - cher Art; Deren einer ſittſam / hoͤflich / und ſehr begierig zum Studiren; Der andere hingegen liederlich und muthwil - lig / der mehr von galaniſiren / als von Buͤchern hielte. Beyde haben ſie einer - ley Pflicht auf ſich / nemlich / daß ſie fleiſſig ſtudiren ſollen. Allein ſie brau - chen zweyerley Zucht und Geſetze. Den erſten darff man nur ſchlechter Din - ges ſagen / was er thun / wenn und wie er ſeine Studia angreiffen ſoll. Den andern aber muß man unter ernſt - licher Bedrohung verbieten / daß er nicht herum lauffe / daß er nicht ſpie - le / daß er die Buͤcher nicht verkauffe / daß er ſich in ſeinen Exercitiis keinen an - dern helffen laſſe / daß er nicht den Frau - enzimmer und Sauffen nach gehe. Weñ man nun dis den erſten und wohlgezoge - nen Knaben vorſagen / und immer ein - blaͤuen wolte / ſo wuͤrde er wohl bitten / daß man ihm doch darmit verſchonen / und es vielmehr denenjenigen vorhalten moͤgte / die der gleichen beduͤrffen. Hier - aus kan man nun Handgreiflich abneh -(11)men /Vorrede. men / daß das Jus Naturæ gar eine andere Geſtalt und Form wuͤrde haben muͤſſen / wenn man ſich ſol - ches nach dem Stande der Un - ſchuld einbilden wolte. Und / nach - dem alſo der Unterſcheid zwiſchen dieſer Diſciplin, und der morali Theologiâ ge - nau angemercket wordẽ / ſo wird man ihr verhoffendlich eben dasjenige Recht auch goͤnnen / welches ſonſt die buͤrgerliche Jurisprudens, die Medicin, die Phy - ſic, die Matheſis, und andere derglei - chen Wiſſenſchafften haben. Denn / wenn irgend ein Pfuſcher nach ſeinen eig - nen Vorwitz und Gutduͤncken darinnen ſtoͤhren / oder allzu-naſenweiſe davon ju - diciren wil / ſo wird er auf die Finger geklopffet / und mit derjenigen Antwort abgefertiget / die jener / ſeines unzeitigen Urtheils halben / von den Apelle anhoͤ - ren muſte / nemlich / er ſolte doch ſtilleſchweigen / und von einem Dinge nicht reden / wenn er es nicht verſtuͤnde / damit ihn ſeine Lehr-Jungen nicht auslachten. Mit ehrlichen und verſtaͤndigen LeutenhoffeVorrede. hoffe ich wohl auszukommen; Was aber ungelaͤhrte Neidhaͤmmel und Miſ - goͤnner ſind / die moͤgen ſich meinet - halben / uͤber ihrer Thorheit und Opi - niaſtreté wohl gar die Koͤpffe einſtoſſen / ſintemal es doch nimmermehr zu hoffen ſtehet / daß der Wolff ſeine Duͤcke / und der Mohr ſeinen ſchwartzen Balg veraͤn - dere.
DJe ſchuldige Gebuͤhr derer Menſchen nen - nē wir allhier eine iede Verrichtung deroſel - ben / alsferne ſie derer obliegenden Pflicht gemaͤß / und nach der Vor -Aſchrifft2Des erſten Buchsſchrift derer Geſetze rechtſchaffen ein - gerichtet iſt. Dieſes nun deſto beſſer zu verſtehen / ſo iſt noͤthig / zu vor - aus ſo wohl von der Eigenſchafft derer menſchlichen Actionen / als auch von den Geſetzen / uͤberhaupt etwas abzuhandeln.
Durch die menſchlichen Actiones verſtehen wir demnach dismal nicht eine jedwede von denen Natuͤrlichen Kraͤfften und Vermoͤ - gen eines Menſchen herruͤhrende Leibes-Bewegung / ſondern nur die - jenige / die von denen beſonderen / dem menſchlichen Geſchlechte von GOtt dem Allmaͤchtigen Schoͤpf - fer / zu einem Vorzuge vor denen Be - ſtien / verliehenen Gemuͤchs-Kraͤfften her entſtehen / und dirigiret wer - den / nemlich diejenige / (damit wirs kurtz machen /) welche der Menſch auf vorhergehende Erkaͤntniß ſeines Verſtandes / und Entſchluͤſſung des Willens unternimmet.
Denn es iſt den Menſchen gegeben / nicht allein allerley in der Welt vorkommende Sachen zu er - kennen / ſie gegen einander zu halten / und durch deroſelben Veranlaſſung ſich mancherley neue Vorſtellung zu machen; ſondern / daß er auch koͤn - ne wohl zuvor abſehen / was er thun wolle / und ſich zu deſſen Vollbrin - gung gebuͤhrend anſchicken / daſſelbe nach einer gewiſſen Norm und Zwe - cke einrichten / und was daraus er - folgen moͤgte / durch einen gefaßten Schluß erkennen / nichtsweniger auch dasjenige / ſo bereits vollbracht / ob es mit der Richtſchnur uͤberein - ſtimme / oder nicht / aufs allerge - naueſte beurtheilen. Allein es ſeynd dieſe Gemuͤths-Kraͤffte des Men - ſchen nicht alle / auch nicht allezeit in einer gleichmaͤſſigen Bewegung; ſondern theils deroſelben werden durch einen innerlichen Antrieb desA 2Men -4Des erſten BuchsMenſchen rege gemachet / und dann / nach ſolcher entſtandenen Regung / wieder gemaͤſſiget / und in Ziegel und Schrancken gehalten. Endlich / ſo iſt den Menſchen auch nicht alles gleiche viel / ſondern er pfleget / nach dem Unterſcheide derer ihm aufſtoſ - ſenden Sachen / etzliches zu verlan - gen / vor etzlichen aber einen Abſcheu zu haben / offt ſtehet er auch an / et - was vorzunehmen / ob ihm gleich die Sache und Gelegenheit zuhanden koͤmmet; ja / er laͤſſet ſich unter vie - len vorhandenen Objectis wohl nur eines gefallen / und die andern alle fahren.
Anlangende demnach das Vermoͤgen / etwas zu begreiffen / und zu beurtheilen / oder zu un - terſcheiden / mit einem Worte / den Verſtand / ſo muß man ein - fuͤr allemal feſte ſtellen / daß einen jeden erwachſenen / und ſeine ge -ſun -5erſtes Capitel. ſunde Vernunfft habenden Men - ſchen noch ſo viel von der Natuͤrlichen Erleuchtung uͤbrig verblieben ſey / daß er vermittelſt angewandten ge - ziemenden Fleiſſes und Nachſinnen zum wenigſten nur diejenigen allge - meinen Gebote und Principia, welche zur Fuͤhrung eines tugend - hafften und geruhigen Wandels in dieſem Leben befoͤrderlich ſeyn / rich - tig begreiffen / und / daß ſolche mit der Menſchen Gemuͤths - und Ge - ſchlechts-Art / gar genau uͤberein - kommen / zugleich ermeſſen koͤnne. Dann wofern man dieſes / zum we - nigſten binnen den Umkreiſſe derer irꝛdiſchen Gerichte / nicht zulaͤſſet / ſo wuͤrden die Menſchen ihre Verbre - chen allezeit mit dem Vorwandte ei - ner unuͤberwindlichen Unwiſſenheit entſchuldigen koͤnnen / ſintemal in denenſelben niemand der Ubertre - tung eines Geſetzes kan bezuͤchtigetA 3wer -6Des erſten Buchswerden / welches zu verſtehen ſeine Kraͤffte und Vermoͤgligkeit nicht zu - reichen.
Jſt nun der Verſtand in de - nenjenigen Dingen / die der Men - ſche thun / oder unterlaſſen ſoll / wohl unterrichtet / und zwar ſolcher geſtalt / daß er ſeine Meinung mit ge - wiſſen / und unzweifelhafften Gruͤn - den behaupten kan / ſo entſtehet bey ihm daraus ein richtiges / oder gu - tes Gewiſſen. Allein / wann einer zwar die rechte Meinung von den Thun und Laſſen hat / dieſelbe aber ſelbſt durch gewiſſe Gruͤnde nicht zu erweiſen weiß / ſondern nur aus dem Lauffe des gemeinen buͤr - gerlichen Lebens / der Gewohnheit / oder der Obrigkeit Verordnung und Befehlen alſo ſeinen Gemuͤthe ein - gedruͤcket hat / und doch auch keine Urſache findet / welche ihm mehr zu den Gegentheil uͤberreden ſolte / ſopfle -7erſtes Capitel. pfleget dieſes / zum Unterſcheid des vorigen / nur ein probabel, oder glaublich-gutes Gewiſſen genen - net zu werden; Welches bey den mehrern Theile derer Menſchen an - zutreffen iſt / indeme die wenigſten ſo gluͤcklich ſeyn / daß ſie die eigend - lichen Urſachen aller Dinge erken - nen moͤgen.
Doch pfleget es manchen ie - zuweilen zu begegnen / daß ſich / zu - mal bey ſonderbaren Faͤllen / von beyden Seiten / des Thuns und Laſ - ſens wegen / wichtige Urſachen ange - ben / ſie aber vor ſich ſelbſt nicht ver - moͤgend genung ſeynd / die uͤberwie - genden recht eigendlich zu erkennen / welches man daher von dem hierob entſtehenden Gemuͤths-Zweifel ein zweifelhafftiges Gewiſſen zu nen - nen pfleget. Und iſt deſſentwegen dieſe Regul zu mercken: Daß / ſo lange der Verſtand den richti -A 4gen8Des erſten Buchsgen Ausſchlag nicht geben kan / ob eine Sache gut / oder nicht gut ſey / man ſie allerdinges an - ſtehen laſſen ſolle. Denn ſo etwas vorzunehmen / ohnerachtet der Zwei - fel noch nicht eroͤrtert worden / iſt ein gewiſſes Anzeichen / daß man entwe - der mit Vorſatz zu ſuͤndigen / oder die Geſetze liederlich hindanzuſetzen / kein Bedencken trage.
Oeffters ergreiffet des Men - ſchen Verſtand auch wohl was Fal - ſches vor das Wahre / und dann ſa - get man / daß er in Jrꝛthum ſtecke; welcher denn entweder uͤberwind - lich iſt / ſo fern / als der Menſch / mit Anwendung gebuͤhrender Vor - ſichtigkeit und Fleiſſes ſich davor haͤt - te huͤten koͤnnen; oder unuͤber - windlich / wann es auch / vermit - telſt aller menſch - und moͤglichen Gefliſſenheit (als man in gemeinen Leben ſonſt anzuwenden pfleget /) nicht9erſtes Capitel. nicht waͤre dahin zu bringen gewe - ſen / daß man denſelben vermieden haͤtte. Dergleichen Jrꝛthum ſich denn zum wenigſten diejenigen / de - nen es mit dem Gebrauch ihrer ge - ſunden Vernunfft / und einen tu - gendhafften oder ehrlichen Wandel ein rechter Ernſt iſt / uͤber denen ge - meinen Lebens-Reguln nicht zuſtoſ - ſen laſſen / ob ſie ihm wohl in einigen ſonderbaren Begebenheiten allemal nicht umgang nehmen koͤnnen. Deñ es ſeynd nicht allein die allgemeinen Natuͤrlichen Rechte gantz klar und eben; ſondern es pflegen doch auch die uͤbrigen Geſetz-Geber zufoͤrderſt dahin zuſehen / damit denen Unter - thanen ihre Poſitiv - Geſetze kund - bar werden moͤgten. Und kan dan - nenhero ohne groſſe Nachlaͤſſigkeit disfalls einiger Jrꝛthum keinen Platz finden; Wie es gegentheils in ſonderbaren Geſchaͤfften gar leichteA 5ge -10Des erſten Buchsgeſchen iſt / daß ſich bey einen der glei - chen / auch wider ſeinen Willen und Verſchuldung / uͤber der Haupt-Sa - che ſelbſt / oder uͤber denen Umſtaͤn - den einer Action unvermuthet ein - ſchleichet.
Wo aber gantz und gar kei - ne Erkaͤntniß oder Wiſſenſchaft von etwas verhanden iſt / da heiſſet es ei - ne Unwiſſenheit. Welche wieder - um auf zweyerley Weiſe kan be - trachtet werden / einmal ſo fern / als ſie zu einer That etwas beytraͤ - get; Und zum andern / als fern ſie einen Menſchen nicht ohne ſeine Schuld / oder Widerwillen uͤberfaͤl - let. Der erſten Betrachtung nach wird ſie eingetheilet in eine wuͤrcken - de / und beylaͤufftige. Jene wuͤr - cket ſolcher geſtalt / indem / da ſie ge - than haͤtte / man die That nicht wuͤr - de unternommen haben; Dieſe iſt nur ein gefehrte der That / welcheauch11erſtes Capitel. auch ohne ſie / oder / da man gleich den Ausgang der Sachen zuvor gewußt / wuͤrde ſein vollfuͤhret worden. Nach der andern Betrachtung iſt die Un - wiſſenheit entweder eine willkuͤhr - liche oder widerwillige. Zu jener koͤmmet ein Menſch daher / wenn er ſie entweder freywillig / und mit vor - ſetzlicher Verwerffung derer zur Er - kaͤntniß der Wahrheit behoͤrigen Mittel / affectiret / oder ſich durch Verſaͤumung des gebuͤhrendẽ Fleiſ - ſes darvon uͤbereilen laͤſſet; Dieſe beſtehet darinnen / wenn man nicht weiß / was man weder wiſſen kan / noch zu wiſſen vonnoͤthen hat. Und iſt wiederum zweyerley. Denn entweder kan man ſich der Unwiſ - ſenheit nur in Gegenwart nicht ent - brechen / man iſt aber doch ſchuld dran / daß man ehemals darein ge - rathen; Oder man kan ſich nicht al - lein der Unwiſſenheit in GegenwartA 6nicht12Des erſten Buchsnicht entſchuͤtten / ſondern hat auch keine Schuld daran / daß man in derſelben ſtecket.
Das andere Vermoͤgen / ſo bey denen Menſchen aus einer be - ſondern Begnadigung vor denen Beſtien anzutreffen iſt / wird der Wille genennet / vermittelſt deſſen ſich der Menſch / als durch einen in - nerlichen Antrieb etwas zu thun be - weget / und dasjenige / ſo ihm vor - nemlich behaget / zu erwehlen / was ihm aber nicht anſtehet / zu vermei - den pfleget. So hat demnach der Menſch von dem Willen ſo wohl / daß er alles ungezwungen thun kan / daß iſt / daß er nicht durch ei - nen innerlichen Zwang zu ſeinen Verrichtungen genoͤthiget / ſondern in allewege vor den ſelbſteigenen Ur - heber deroſelben muß geachtet wer - den; Als auch / daß er freywillig / nicht allein bey Aufſtoſſung einerleyOb -13erſtes Capitel. Objects, damit etwas vornehmen / oder unterlaſſen / und daſſelbe entwe - der erwehlen / oder verwerffen; ſon - dern auch bey Darſtellung vielerley Sachen nur eines daraus erkieſen / die andern aber alle mit einander nach ſeinen Belieben zuruͤcke ſetzen darff. Ferner / ſo werden etliche derer menſchlichen Actionen ihrer ſelbſt wegen vorgenommen / theils aber in ſo fern / als ſie zur Erlangung et - was anders dienen; Das iſt: Etzli - che ſeind alſo beſchaffen / daß ſie einen zum Zwecke / andere / daß ſie einen zum Mittel gereichen muͤſſen. Den Zweck anbelangende / ſo pfleget ſich der Menſch hiebey alſo zu verhalten / daß er demſelben / als wohl erkañt / erſtlich billiget / hernach ſich nach der Erlangung deſſelben thaͤtlich ſtre - cket / und zwar / nach Gelegenheit / bald etwas eyfriger / bald wiederum kaltſinniger; Nach deſſen Erhal -Btung14Des erſten Buchstung aber dabey beruhet / und ſei - ner vergnuͤglich genieſſet. Die Mit - tel pfleget er anfaͤnglich zu probi - ren / hernach die beſten und geſchick - teſten auszuleſen / und ſie endlich wuͤrcklich vor die Hand zu nehmen / und zum Gebrauch anzuwenden.
Gleich wie aber der Men - ſche ſonderlich um deß willen vor dem Urheber ſeiner Actionen gehalten wird / weil er ſie aus eigenen und freyen Willen unternommen hat; Alſo muß man zufoͤrderſt hiebey an - mercken / daß man ihm dieſe Frey - heit und Eigenwilligkeit zum wenig - ſten in denenjenigen Handlungen zu ſtehen muͤſſe / daruͤber er in denen menſchlichen Gerichten pfleget in Anſpruch genommen zu werden. Dafern ihm aber von derſelben gar nichts uͤbrig bleibet; So iſt auch der Menſch nicht ſelbſt / ſondern derje - nige / der ihm zu einer Action ge -noͤ -15erſtes Capitel. noͤthiget / vor den Urheber derſelben zu achten / ſintemal er ſolchen Falls mehr nicht / als ſeine Gliedmaſſen und Kraͤffte wider ſeinen Willen darzu hergeliehen.
Ferner / ob gleich der Wil - le des Menſchen insgemein allezeit nach den Guten ſtrebet / und das Boͤſe verabſcheuet / ſo findet man doch nichts deſto weniger unter allen und jeden Menſchen einen merckli - chen Unterſcheid / ſo wohl in Anſe - hung dero Begierden / als auch Actionen. Und das koͤmmet nun daher / daß ſich Gutes und Boͤſes nicht ſo beſonders / ſondern allezeit beyderley mit einander vermenget præſentiren. Jngleichen weil ſie gleichſam unterſchiedne Theile in den Menſchen beſonders afficiren / zum Exempel / etzliches diejenige Hoch - Achtung / ſo der Menſch von ſich ſelbſt machet / etzliches ſeine aͤuſſer -B 2liche16Des erſten Buchsliche Sinnen / etzliches die Liebe zu ſich ſelbſt / als durch deren Antrieb er zufoͤrderſt ſich zu erhalten gefliſſen iſt. Dannenhero geſchiehets / daß er de - nen erſten / als tugendhafft - und wohlanſtaͤndigen / jenen / als an - muth - und ergoͤtzlichen / dieſen aber / als zutraͤg - und nuͤtzlichen Dingen nachhaͤnget. Und / nachdem ihm ei - nes unter denenſelben eine beſonders ſtarcke Regung eindruͤcket / nachdem wird es ſich auch / vor andern / einer hefftigen Zuneigung gegẽ ihm zu ver - ſehen haben. Hierzu kommet / daß man bey denen meiſten Menſchen noch eine beſonderne Inclination, oder beſondernen Haß gegen einige gewiſſe Sachen verſpuͤhret. Dan - nenhero es denn zugeſchehen pfleget / daß faſt bey einer iedweden Action, ſo wohl von den Guten / als Boͤſen / ſo wohl von den wahrhafftigen / als ſcheinbaren allerhand Arten vor -kom -17erſtes Capitel. kommen / welche vollkommendlich zu entſcheiden immer ein Menſch mehr Verſtand und Vorſichtigkeit hat / als der andere. Und iſt dem - nach auch kein Wunder / wenn einer etwa zu demjenigen Luſt hat / wovor der andere den groͤſſeſten Eckel und Abſcheu traͤget.
Es ſtehet aber auch des Menſchen Gemuͤthe bey einen jeden Vorhaben nicht allemal in gleicher Wage / dergeſtalt / daß / nachdem er vorher alles reiflich erwogen / blos der innerliche Antrieb den Ausſchlag auf dieſe oder jene Seite geben ſolte; ſondern er muß ſich vielmals durch aͤuſſerliche Gewichte mehr auf die ei - ne / als andere Part lencken / oder nie - derziehen laſſen. Denn zugeſchwei - gen der allgemeinen Geneigtheit de - rer ſterblichen zum Boͤſen / von deſ - ſen Urſprunge und Beſchaffenheit zu handeln anderswohin gehoͤret; SoB 3weiß18Des erſten Buchsweiß man / daß die ſonderbare Ge - muͤths-Art / vermoͤge deren etzliche Leute gewiſſen Actionen uͤberaus nachhaͤngen / die Krafft hat / dero Willen nicht wenig zu denſelben an - zuziehen / dergleichen ſich denn nicht etwa nur bey einzelnen Perſonen / ſondern / wie bekañt / auch ſo gar bey gantzen Nationen findet. Es ſchei - net aber / daß daran wohl die Be - ſchaffenheit der Luft / und des Landes die meiſte Urſache ſey / ingleichen das Temperament derer menſchlichen Leiber / welches von den Empfaͤng - niß-Saamen / von Unterſcheid des Alters / der Nahrung / Geſund - oder Ungeſundheit / Handthierung / und andern dergleichen Dingen her - ruͤhret; Wie nicht weniger eine gu - te oder uͤbele Conſtitution derer Gliedmaſſen / durch welche die See - le ihre Geſchaͤffte verrichten muß. Wobey gleichwohl zu gedencken /daß /19erſtes Capitel. daß / auſſer dem / da der Menſch ſolch ſein boͤſes Temperament, durch Anwendung eines rechten Ernſtes / nicht wenig aͤndeꝛn und nie - derſchlagen kan / es von ſich ſelbſt / ſo maͤchtig es auch gemachet wird / den - noch das Vermoͤgen nicht habe / einen Menſchen zu ſo groͤblicher Ubertre - tung derer Natuͤrlichen Rechte an - zutreiben / welche in irꝛdiſchen Ge - richten verdiente abgeſtraffet zu wer - den; als vor welche man / bekañter maſſen / die boͤſen / und in aͤuſſerli - che Thaten nicht ausbrechende Be - gierden keinesweges zu ziehen pfle - get. Und ob ſich die laſterhaffte Na - tur / nach offtmaliger Austreibung / gleich immerzu wieder anmeldet; ſo kan man doch zum wenigſten ver - wehren / daß ſie aͤuſſerlich nichts ſchaͤndliches vornehmen duͤrffe. Und ie mehr einen die Baͤndigung dieſer ungezaͤumten Inclination zu thunB 4vor -20Des erſten Buchsvorgiebet / ie groͤſſern Ruhm hat man von dero gluͤcklichen Uberwuͤn - dung zu gewarten. Jm Fall ſie aber eines Menſchen Gemuͤhte ſo gar hefftig zuſetzen ſolte / daß es auch un - moͤglich waͤre / dieſelbe ſchlechter Dinges zuruͤck zu halten / ſo ſeynd dennoch Mittel und Wege vorhan - den / dadurch man ihrer ohne Suͤn - de loß werden koͤnne.
Die offtmalige Wieder - hohlung einerley Actionen machet den Willen eines Menſchen auch ſehr darzu geneiget / und wird die da - her entſtandene Proclivität eine Gewonheit genennet. Denn die - ſelbe verurſachet / daß man dergeſtalt zu einer That willig und hurtig wird / daß / wenn es nur Gelegenheit darzu giebet / das Gemuͤthe gleichſam einen ſonderbaren Zug darzu empfindet / und bey dero Ermangelung ſich den - noch hefftig darnach ſehnet. Es iſtaber21erſtes Capitel. aber auch dieſer wegen zu beobachten; daß / wie keine Gewonheit ſo tieff einwurtzeln wird / die mit Anwen - dung eines eyfrigen Fleiſſes nicht wieder zu vertilgen ſtuͤnde; Alſo ſie auch die Gemuͤther der Menſchen dermaſſen in keine Wege verkehren und verderben moͤge / daß man zum wenigſten nicht denen aͤuſſerlichen Ubelthaten / dazu ſie einen ſonſt brin - gen kan / dann und wann zu ſteuren vermoͤgend bliebe. Und weil es in des Menſchen Willkuͤhr geſtanden hat / ſich von dergleichen Gewon - heiten anfaͤnglich einnehmen zu laſ - ſen / ſo kan doch deſſentwegen / ob ſie gleich einige Actiones erleuchtern / weder denen loͤblichen Thaten an ih - rem Werthe / noch denen Laſtern an ihrer Heßligkeit ichtwas abgehen; ſondern / wie loͤblichen Gewonhei - ten zu eines Menſchen Rhum und Ehre gereichen / alſo pflegen ihm dieB 5boͤ -22Des erſten Buchsboͤſen um deſto ſo viel abſcheulicher zu verſtellen.
Es iſt auch viel dran gele - gen / ob eines Menſchen Gemuͤthe in geruhiger Beſaͤnftigung ſtehe / oder ob es von gewiſſen Bewegun - gen / die man Affecten nennet / gleichſam erſchittert werde. Wobey denn dieſes zu behalten / daß ohner - achtet dieſelbigen noch ſo hefftig auf - ſteigen / dennoch die Vernunfft / wenn ſie der Menſch recht zu gebrauchen weiß / dero Meiſter werden / und zum wenigſten in ſo viel verhuͤten koͤnnne / daß ſie in die aͤuſſerſten und ſtraffbaren Thaten nicht duͤrffen her - vor brechen. Jndem aber theils de - rerſelben / unter der Vorſtellung ei - niges Guten / theils uͤber etwas Boͤ - ſen erreget werden / und einen Men - ſchen entweder zur Erlangung et - was / ſo ihm angenehm / oder zur Vermeidung deßjenigen / ſo ihm ver -druͤß -23erſtes Capitel. druͤßlich iſt / anreitzen; So iſt es der menſchlichen Natur gemaͤß / daß man dieſen mehr Gunſt und Ver - gebung erweiſe / als jenen / und zwar ſolches um deſto ſo viel williger und uͤberfluͤſſiger / ie beſchwerlicher und unertraͤglicher das Ubel geweſen / daruͤber ſie entſtanden ſeynd. Denn man haͤlt es vor viel leydlicher / eini - ges Guten / das zur Erhaltung der Natur ſo gar noͤthig eben nicht iſt / zu entbehren / als etwas Boͤſes / das der Natur ihren Untergang und Verderben androhet / zu ertragen.
Endlich / wie es gewiſſe Kranckheiten giebet / welche den Menſchen ſeiner Vernunfft entwe - der beſtaͤndig / oder nur auf eine ge - wiſſe Zeit berauben; Alſo iſts bey vielen Voͤlckern gebraͤuchlich / daß ſie ſich mit Vorſatz eine gewiſſe Art der Kranckheiten uͤber den Hals zie - hen / die zwar bald wieder uͤberhin ge -B 6hen /24Des erſten Buchshen / unterdeſſen aber doch den Ge - brauch der Vernunfft nicht wenig perturbiren. Wir verſtehẽ hiedurch die Trunckenheit / ſo von gewiſ - ſen Saͤften und Rauche herkoͤmmet / und / indeme ſie das Gebluͤte und die Lebens-Geiſter durch eine gewaltfa - me Bewegung antreibet / und in Unordnung bringet / die Leute ſon - derlich zur Geilheit / Zorn / Verwe - genheit / und zur einer ungemaͤſſeten Luſt geneiget machet / dergeſtalt / daß ihrer viele durch die Trunckenheit gleichſam auſſer ſich ſelbſt / und gantz einer andern Gemuͤths-Art zu ſeyn ſcheinen / als ſie ſich ſonſt bey nichter - nen Muthe anzuſtellen gewohnet geweſen. Gleichwie aber dieſe nicht allezeit ſo ſtarck iſt / daß ſie die Ver - nunfft eben gantz und gar hinweg treiben ſolte; alſo pfleget ſie (in ſo - fern ſich ein Menſch derſelben zumal vorſetzlich ergeben /) denen hieruͤbervor -25erſtes Capitel. vorgenommenen Actionibus mehr Gram und Haß / als Gunſt und Vergebung zuwege zu bringen.
Ferner / gleichwie die Actiones derer Menſchen frey - willige heiſſen / ſoferne / als ſie von einen freyen Willen herflieſſen / und dirigiret werden; Alſo werden dieje - nigen / die man zwar wiſſendlich / aber doch wider ſeinen Willen vor - nehmen muß / widerwillige / und zwar in einem engern Verſtan - de / genennet. Denn ſonſt / und in der weitlaͤufftigern Bedeutung / rechnet man auch diejenigen hierun - ter / welche aus Unwiſſenheit[b]egan - gen werden. Demnach heiſſe: wi - derwillig ſo viel / als gezwungen / wenn einer nemlich durch aͤuſſerli - chen weit-ſtaͤrckern Zwang genoͤthi - get wird / ſeine Gliedmaſſen an et - was zu legen / alſo / daß man ſeinen Abſcheu und Unwillen durch aͤuſſer -B 7liche26Des erſten Buchsliche Zeichen / und ſonderlich moͤg - lichſte Widerſetzligkeit des Leibes zu erkennen giebet. Gantz uneigendlich werden aber diejenigen Actiones vor widerwillige angegeben / wenn man bey zuſtoſſender groſſen Gefahr etwas / als ein kleiners Ubel erweh - let / worzu man ſich ſonſt / auſſer der - gleichen Bedraͤngniß durchaus nicht wuͤrde verſtanden haben. Jnsge - mein werden dieſes vermiſchete Actiones genennet. Denn ſie ha - ben mit denen freywilligen dieſes ge - mein / daß der Wille eines Men - ſchen dieſelbigen / nach Beſchaffen - heit des gegenwaͤrtigen Zuſtandes / als ein geringeres Ungluͤck / erkiefet. Hinwieder kommen ſie mit denen widerwilligen etzlicher maſſen dem Effecte nach uͤberein / indem ſie ei - nem endweder gantz nicht / oder doch nicht ſo ſehr / als die freywilligen pfle - gen beygemeſſen zu werden.
Jm uͤbrigen / ſo iſt dieſes derer menſchlichen Actionen / ſo auf vorhergehende Erkaͤntniß des Ver - ſtandes / und Entſchluͤſſung des Wil - lens vorgenommen werden / vor - nehmſte Eigenſchafft / daß man ſie dem Menſchen / als ſein Werck bey - meſſen / oder ihm voꝛ dem eigenlichen Uhrheber derſelben halten / auch dar - uͤber zur Rede ſetzen / und ihm endlich alle daraus entſtehende Wuͤrckun - gen zuſchreiben kan. Denn es iſt kei - ne naͤhere Urſache / warum man ei - nen eine That imputiren koͤnne / als eben daher / weil er ſie wiſſendlich / und mit Willen / mittel - oder unmit - telbar vollbracht / oder weil es bey ihm geſtanden hat / daß ſie vollzogen / oder nicht vollzogen worden. Dan - nenhero iſt dieſes in denen Moral - Diſciplinen / ſofern als ſelbige ihr Abſehen auf die menſchlichen Ge - richte haben / zum Haupt-Sa -tze28Des erſten Buchstze zu mercken; Daß man einen Menſchen uͤber alle denenjenigen Actionen Rechenſchafft abfor - dern koͤnne welche zu vollbrin - gen / oder zu unterlaſſen in ſei - nen freyen Willen geſtanden hat; oder welches eben ſo viel iſt; daß ei - nen ieden diejenige That / die er anſtellen koͤnnen / wie er Gewolt hat / und deſſen Urheber er gut - willig worden iſt / koͤnne beyge - meſſen werden. Wie man denn auch in Gegentheil niemanden das - jenige / als ſein Thun / bey meſſen kan / welches zu vollbringen / oder zu un - terlaſſen / zu befoͤrdern / oder zu verhindern in ſeiner Willkuͤhr und Vermoͤgen niemals geſtanden hat.
Aus dieſen Vorſaͤtzen wol - len wir nunmehro noch etzliche ein - zelne Propoſitiones ziehen / daher man abſehen koͤnne / was einen jeden beyzumeſſen / und welcher geſtalt ervor29erſtes Capitel. vor den Urheber einer That / oder Ausganges derer Sachen zu halten ſey. So iſt demnach erſtlich zu wiſ - ſen; daß alles / was einer thut / oder was ſonſt geſchiehet / es mag ablauffen / wie es wil / oder dar - aus entſtehen / was da wil / einen andern nicht koͤnne beygemeſſen werden / es waͤre denn / daß ers durch ſeinen Fleiß und Aufſicht haͤtte vermeiden / oder aͤndern ſol - len / und koͤnnen. Allermaſſen denn nichts gemeiners unter denen Menſchen iſt / als daß einen die Auf - ſicht und Direction uͤber des andern ſeine Actiones aufgetragen wird. Derohalben / wenn einer durch des andern Verwarloſung oder Nach - laͤſſigkeit etwas verſiehet / ſo wird die That nicht alleine dem / ſo ſie unmit - telbar begangen / ſondern auch jenen beygemeſſen / der gebuͤhrende und moͤglichſte Aufſicht anzuwenden un -ter -30Des erſten Buchsterlaſſen hat. Jedoch hat dieſes auch ſeine gewiſſe Maſe und Schran - cken / und muß alſo die Moͤgligkeit nicht allzuhoch geſpannet / ſondern nach dem in der Welt uͤblichen / und einen freyen Menſchen anſtaͤndigen Temperamente verſtanden wer - den. Denn weil durch eine iedwede Untergebung / welcherley ſie auch ſeyn mag / des Untergebenen Frey - heit gleichwol in ſo gar nicht veꝛſchnit - ten wird / daß er des andern Dire - ction mit Gewalt oder Liſt nicht ſol - te widerſtreben / und ſich auf die ſchlimme Seite legen koͤnnen; Zu dem es auch die Art des menſchlichen Lebens nicht leidet / daß man ſich al - lezeit nur an einen gleichſam anfeſ - ſeln laſſe / und auf alle ſeine Schrit - te und Tritte Achtung gebe; So kan man denjenigen / der die Aufſicht gebuͤhret / wenn er ſonſten alles thut / was ſein Amt erfordert / auch dar -uͤber31erſtes Capitel. uͤber nicht zur Rede ſetzen / wenn der andere gleichwol etwas ungeziemen - des begienge / ſondern muß es dieſen alleine verantworten und verbuͤſſen laſſen. Ebener maſſen wird nun - mehro / nachdem die Menſchen Ge - walt und Herꝛſchafft uͤber die Be - ſtien bekommen / es denen Eigen - thums-Herꝛn beygemeſſen / wenn dieſelbigen jemanden durch dero Verwarloſung und Nachlaͤſſigkeit einen Schaden zufuͤgen; Auf gleiche Weiſe / wie man ſonſt denjenigen alles Ungluͤck und Schaden zuſchrei - bet / der die Urſache und Gelegenheit zu demſelben nicht vermieden / da ers doch haͤtte thun ſollen / oder koͤnnen. Weiln auch ein Menſch die Wuͤr - ckungen vieler Natuͤrlichen Din - ge befoͤrdern / oder aufhalten kan; ſo imputiret man ihm den daher entſtehenden Nutzen und Schaden nicht mehr / als billig / ſo viel nehm -lich32Des erſten Buchslich deſſen Bemuͤhung / oder Nach - laͤſſigkeit zu demſelbigen beygetragen hat. Zuweilen geſchichts auch wohl gar / daß man einen die ſo genañten Gluͤcks - oder Ungluͤcks-Faͤlle auſ - ſer der Ordnung zurechnet / da doch dieſelbigen weit von einer andern / als menſchlichen Direction herruͤh - ren / ſofern nemlich der groſſe GOtt / in Anſehung einer oder andern ge - wiſſen Perſon / hiezu etwa ſonderlich bewogen worden. Auſſer dieſen / und dergleichen Faͤllen iſts genung / wenn man nur von ſeinen eigenen Actio - nibus Rede und Antwort geben kan.
II. Wenn ein Menſch etwas an ſich hat / oder ihm et - was mangelt / daß er ſich doch ſelbſt weder abnehmen / noch ge - ben koͤnnen; ſo darff man ihm ſolches auch nicht zurechnen / oh - ne nur in ſofern / als er den Man -gel33erſtes Capitel. gel durch gebuͤhrenden Fleiß ab - zuhelffen / und denen Natuͤrli - chen Kraͤfften zuſtatten zu kom - men verabſaͤumet hat. Alſo / weil ſich niemand einen durchdringenden Verſtand / und ſtarcken Leib ſelbſt geben kan / ſo hat man auch dieſer - wegen niemanden etwas beyzumeſ - ſen / auſſer / was er etwa durch gute Cultivirung ſelbſt beygetragen / oder gegentheils durch eigene Faulheit daran verlaͤſſet hat. Gleichfalls ſo darff man auch einen Bauer ſeine grobe Sitten ſo nicht voruͤbel halten / als wenn ein Buͤrger / oder Hof - Mañ darmit aufgezogen kaͤme. Der - halben waͤre es ſehr abgeſchmackt / wenn man einen / zum Exempel / ſeine kleine Statur / heßliche Leibes - Geſtalt / und andere dergleichen Maͤngel vorwerffen wolte / derer Urſache / oder aͤnderung doch bey ih - me in geringſten nicht geſtanden.
III. Wann einer etwas aus einer unuͤberwindlichen Un - wiſſenheit begehet / ſo kan ihm daſſelbige auch nicht beygemeſſen werden. Denn wenn der Verſtand mit ſeinen Lichte gantz nicht vorleuch - tet / ſo kan man eine Action auch nicht dirigiren / oder gebuͤhrend an - ſtellen. Es wird aber hierbey præ - ſupponiret / daß der Menſch ſich ſothanige Erkaͤntniß nicht zuwege bringen koͤnnen / noch ſelbſt an de - rerſelben Ermangelung Urſache ge - weſen. Auch iſt das koͤnnen in dem gemeinen Leben und Wandel nur moraliter anzunehmen / vor ein ſol - ches Vermoͤgen / Vorſorge und Be - hutſamkeit / als man gemeiniglich vor zulaͤnglich erachtet / und welches ſich auf probabele Urſachen oder Gruͤnde ſteiffet.
IV. Wenn einer ſeiner Geſetze / oder Amts wegen / dar -zu35erſtes Capitel. zu er verpflichtet iſt / eine Unwiſ - ſenheit / oder Jrꝛthum vorſchuͤ - tzen wolte / ſo wird ihm ſolches von der Beſchuldigung nicht be - freyen. Denn wer einen mit Ge - ſetzen und Pflicht verbindet / der pfle - get auch / und iſt ſchuldig / zufoͤrderſt dahin zu ſehen / daß der verpflichtete deſſen / woran er ſich zu halten hat / kuͤndig werde. Deßwegen werden auch die Geſetze / und Amts-Reguln nach des Unterthanẽ Capacität ein - gerichtet; Uñ gleich wie dieſes allezeit hoͤchſt-vonnoͤthen iſt; alſo muß ein jeder Unterthan / oder Pflicht-Ver - wandter hinwiederum auch ſeines Orts dran ſeyn / daß er dieſelbigen wohl faſſe / und behalte. Wer nun dißfalls ſelbſt an ſeiner Unwiſſenheit Urſache iſt / der muß auch billig von alle denjenigen Rechenſchafft geben / das aus ſothaniger Unwiſſenheit ent - ſtehet.
V. Wem es ohne ſeine Schuld an Gelegenheit etwas zu thun fehlet / dem kan man auch ſolcher wegen keine Schuld bey - meſſen. Es ſcheinen aber zu einer rechten Gelegenheit dieſe vier Stuͤ - cke zu gehoͤren; Erſtlich / daß das Object der Handlung vorhanden ſey; hernach / daß man einen beqve - men Ort darzu habe / da man von andern nicht koͤnne gehindert wer - den; Ferner / daß es rechte Zeit ſey / da man was anders / und noͤthigers nicht zu thun hat / und es auch an - dern / die etwa darbey ſeyn muͤſſen / gelegen iſt; Und endlich / daß das natuͤrliche Vermoͤgen / ſo zur Action erfordert wird / nicht ermangele. Denn weil ſonder dieſen nichts ge - ſchehen kan / ſo wuͤrde es ſehr unge - raͤumt heraus kommen / wenn man einen dißfalls etwas beymeſſen wol - te / da er doch die geringſte Gelegen -heit37erſtes Capitel. heit darzu nicht haben koͤnnen. Alſo kan man einen Medicum keiner Faulheit beſchuldigen / wenn nie - mand kranck werden wil. So kan ei - ner vor keinen kargen Knicker ge - ſcholten werden / wenn er ſelbſt nichts zum Beſten hat. Alſo kan man auch von einem / der ſich rechtmaͤſſiger weiſe um Dienſte beworben / aber nichts erhalten kan / nicht ſagen / daß er ſein Pfund vergrabe. Wer viel kan / und zu vielen Gelegenheit hat / von dem wird man viel fordern. Nie - mand kan aber zugleich ſchlucken / und blaſen.
VI. Es iſt wider die Ver - nunfft / daß man einen Menſchen deßwegen etwas zurechne / weil er nicht gethan hat / was doch uͤber ſein Vermoͤgen iſt / und er weder ver - wehren / noch befoͤrdern koͤnnen. Dannenhero iſt die gemeine Regul: Unmōgliche Dinge leiden keineCVer -38Des erſten BuchsVerbindligkeit; Doch iſt darzu zu zu ſetzen: Wenn ſich einer nur nicht ſelbſt um die Kraͤffte des Vermoͤgens gebracht / oder die - ſelben geſchwaͤchet hat. Denn ein ſolcher verdienet eben auf die Art tractiret zu werden / als ob er das voͤllige Vermoͤgen noch haͤtte; Weil ſich ſonſt ein ieder auf dieſe Weiſe / und durch muthwillige Entkraͤff - tung / ſeiner verdrießlichen Obliga - tionen gar leicht entziehen koͤnte.
VII. Was einer durch Zwang leidet / oder thut / das kan ihm auch nicht beygemeſſen werden. Denn ſolcher geſtalt ſte - hets ja bey ihm nicht / dergleichen zu unterlaſſen / oder abzuwenden. Man wird aber auf zweyerley Weiſe ge - zwungen / einmal / wenn einen ein Staͤrckerer die Gliedmaſſen / etwas zu thun / oder zu unterlaſſen / mit Gewalt anſtrenget; Zum andern /wenn39erſtes Capitel. wenn einen ein weit-Gewaltigerer ein groſſes Ungluͤck nicht allein an - drohet / ſondern es auch augenblick - lich werckſtellig machen kan / dafern man[ſich] nicht gutwillig / was er ver - langet / zu thun / oder zu unterlaſſen beqvemen wolte. Denn in ſolchem Falle / und / da man nicht ausdruͤck - lich verbunden iſt / dasjenige Ubel / das durch ſothanigem Zwang einen andern wiederfaͤhret / mit ſeinem ſelbſt eigenen Schaden abzulehnen / kan / deſſen ohnerachtet / die That doch nur denjenigen / ſo den Zwang angeleget / Uns aber ein mehres nicht beygemeſſen werden / als etwa einen Schwerdte / Axt / oder andern Ge - wehre / damit eine Mordthat ver - uͤbet worden.
IIX Denenjenigen / die ihren Verſtand nicht haben / kan man auch nichts imputiren; weil ſie nicht recht wiſſen / was ſie thun /C 2und40Des erſten Buchsund ſolches gegen die Richtſchnur der Geſetze nicht halten koͤnnen. Da - her gehoͤren nun die Actiones de - rer Kinder / ehe ſich der Verſtand ziemlicher Maſſen bey ihnen findet. Denn ob ſie wohl ihrer Untugenden wegen geſcholten und geſtraffet wer - den / ſo geſchiehet dieſes doch nicht deßwegen / als ob ſie / nach menſchli - cher Gerichts-Schaͤrffe / eigendlich eine Straffe verdienet haͤttẽ / ſondern nur durch Art eines zur Verbeſſe - rung angeſehenen Verweiſes / und Zucht / damit ſie andern Leuten da - durch nicht fernere Ungelegenheit machen / oder eine boͤſe Gewohnheit an ſich nehmen. Gleicher geſtalt kan man auch derer Raſenden / Un - und Wahnſinnigen Actiones vor menſchliche weder halten noch be - ſtraffen / zumal wofern ſie ohne ihre Schuld zu dergleichen Ungluͤcke ge - kommen ſeynd.
IX. Endlich kan einen dasjenige nicht zugerechnet wer - den / was er im Schlaffe thut / oder ihm beduͤncket / als ob er es thaͤte; Es waͤre denn / daß er ſich des Tages uͤber in Gedancken ſo ſehr damit beluſtiget / und ſo ſtarcke Im - preſſiones darvon gemachet haͤtte; Wiewohl dergleichen Dinge auch ſelten vor die menſchlichen Richter - Stuͤhle pflegen gezogen zu werden. Denn es laͤſſet ſich die Phantaſie ei - nes ſchlaffenden Menſchen gar wohl mit einem Schiffe vergleichen / wel - ches ohne Ruder und Steuer-Mann auf denen wilden Wellen herum ſchweiffet / und kan der Menſch das - jenige doch nicht gleich ins Werck richten / und zum Stande bringen / was ihm dieſe in ihren Traum-Bil - dern vorgeſtellet.
Von wegen deſſen / da man offt einen des andern ActionC 3hal -42Des erſten Buchshalber etwas beymiſſet / iſt mit ge - nauern Unterſcheid annoch noth - wendig anzumercken / daß es zuwei - wohl geſchehen koͤnne / daß eine That denjenigen / ſo ſie unmittelbar voll - bracht / gantz und gar nicht / ſondern vielmehr dem andern / ſo dieſen / als ein Werckzeug / gebrauchet / impu - tiret werde. Jedoch iſt das gewoͤhn - licher / daß man es allen beyden / nemlich / ſo wohl den Haupt-Thaͤ - ter / als denjenigen / der nur etwas mit Thun / oder laſſen beygetragen hat / zugleich beymeſſe. Und das beſchiehet ſonderlich auf dreyerley Weiſe; entweder wird der andere vor den Haupt-Urſaͤcher der That / der Thaͤter aber dennoch nur vor den Neben-Urſacher oder Gehuͤlfſen derſelben gehalten; Oder ſie ſeynd beyde in gleicher Schuld und Ver - dam̃niß; Oder es wird der andere vor einen Gehuͤlffen und Neben -Ur -43erſtes Capitel. Urſacher / hingegen der Thaͤter vor die Haupt-Urſache geachtet. Zu der erſten Claſſe gehoͤren diejenigen / die einen andern durch ihre Authorität und Anſtifften zu etwas beredet; Die auf beſchenes Anſuchen ihren Con - ſens ertheilet / ſonder welchen der Thaͤter nichts haͤtte ausrichten koͤn - nen; Welche / da ſie etwas haͤtten verhuͤthen koͤnnen / und ſollen / es doch nicht gethan haben. Zu der an - dern die jenigen / welche eine That befehlen / oder andere zur Ausuͤbung derſelben miethen und bedingen / wel - che den Thaͤtern Unterſchleiff und Schutz leiſten; Welche / da ſie denen Nothleidenden Huͤlffe reichen koͤn - ten und ſolten / es dennoch zu thun anſtehen. Zur letzteren und dritten aber diejenigen / welche einen ge - nauen Rath und Einſchlag zu einer That geben / dieſelbe / bevor ſie ge - ſchehen / loben / und ihr beyfallen /C 4oder44Des erſten Buchsoder auch einen durch ihr boͤſes Ex - empel zur Suͤnde verleuten / u. ſ. w.
WEil die menſchlichen Actio - nes von deroſelben Willen herruͤhren / der Wille aber bey allen und jeden nicht allezeit gleich iſt / ſon - dern der eine faſt da / der andere dort hinaus wil / derohalben war es zur Erhaltung einer geziemenden Ord - nung und Wohlſtandes in der menſchlichen Geſellſchafft hoͤchſt - vonnoͤthen / daß ſie allerſeits eine ge - wiſſe Richtſchnur haͤtten / nach wel - cher deroſelben Wille eingerichtet /und45anderes Capitel. und gelencket werden moͤgte. Denn ſonſten / und dafern ein jeder bey ſo - thaniger Freyheit des Willens / und Mannigfaltigkeit derer Zuneigun - gen und Begierden / ohne die ge - ringſte Reflexion auf eine gewiſſe Norm / haͤtte thun duͤrffen / was ihn nur in Sinn gekommen / ſo wuͤrde daraus in den menſchlichen Ge - ſchlechte nothwendig die aller groͤſſe - ſte Confuſion entſtanden ſeyn.
Dieſe Richtſchnur heiſſet man nun ein Geſetze / und iſt nichts anders ein Befehl oder Entſchluß / dadurch ein Oberer ſeinen Unter - than verbindet / daß er alle ſein Thun und Laſſen nach deſſelben Vorſchrifft anſtellen muͤſſe.
Dieſe Beſchreibung deſto deutlicher zu faſſen / ſo mun man er - klaͤren / was denn eigendlich Pflicht und Verbindligkeit ſey? Woher ſie bey einen Menſchen entſtehe /C 5und46Des erſten Buchsund er ſich derſelben zu unter - werffen faͤhig ſey? Und endlich / wer einen andern damit belegen koͤnne? Pflicht oder Verbindlig - keit heiſſet demnach in gemein ein Band derer Rechte / vermittelſt deſſen man ſich genoͤthigt befindet / etwas zu thun / oder zu unterlaſſen. Denn es wird unſerer Freyheit dadurch gleich - ſam ein Zaum angeleget / daß / da der Wille ſchon de Facto einen andern Weg gehen koͤnnen / er ſich dennoch hiedurch / als durch eine innerliche Fihlung dermaſſen geruͤhret befin - det / daß er ſelbſt erkennen muß / er habe unrecht gethan / weil er ſeine Actiones der vorgeſchriebenen N[o]rm nicht gemaͤß angeſtellet / und geſchehe ihm dannenhero eben recht / dafern ihm deßwegen etwas Boͤſes widerfuͤhre; ſintemal er ſolches / weñ er der Richtſchnur Folge geleiſtet / leichtlich Umgang nehmen koͤnnen.
Daß aber der Menſch faͤ - hig iſt / einige Verbindligkeit uͤber ſich zu nehmen / deſſen kan man zufoͤrderſt zweyerley Urſachen angeben; Die eine iſt / weil er einen freyen Willen hat / der ſich unter - ſchiedlich lencken / und gleichſam bie - gen / und alſo nach der Richtſchnur einrichten laͤſſet; Die andere aber / weil ein jeder Menſch wuͤrcklich un - ter eines Obern Gewalt ſtehet. Deñ wo ſeine Kraͤffte von der Natur nur zu einerley / und immer auf gleich - maͤſſige Art beſchaffener Wuͤrckung gezwungen waͤren / ſo wuͤrde man ſich vergeblich Hoffnung zu einer freyen Action machen; Geſtalt es dann auch gantz umſonſt iſt / denenje - nigen eine Richtſchnur vorzuſchrei - ben / die ſie doch weder verſtehen / noch ſich nach derſelben richten koͤn - nen. Hat einer aber keinen Ober - Herrn / ſo iſt auch eben hiedurch nie -C 6mand48Des erſten Buchsmand vorhanden / der ihm mit Fug und Recht zu etwas noͤthigen duͤrffte. Denn ob ein ſolcher in ſeinen Thun gleich einer gewiſſen Maſſe folgen / und ſich beſtaͤndig etzlicher Dinge ent - halten wolte / ſo wuͤrde dieſes doch nicht ſo wohl aus einer Obligation, als vielmehr nur bloß nach ſeinem guten Gefallen geſcheben. Und dan - nenhero iſt der Schluß leichte zu ma - chen / daß nur derjenige einer Ver - bindligkeit faͤhig ſey; Welcher wuͤrck - lich einen Ober-Herꝛn hat / die vor - ge chriebene Norm begreiffen kan / und deſſen Wille ſich auf unterſchie - dene Seiten lencken und bewegen laͤſſet; Dabey aber doch auch erken - net / daß / nach dem ihm dieſelbe von ſemen Obern einmal vorgeſchrieben / er ohne Suͤnde davon nicht abwei - chen koͤnne; mit welcher Natur denn der Menſch von GOtt vor andern begabet worden.
Endlich ſo wird die Ver - bindligkeit dem Gemuͤthe eines Menſchen eigendlich nur allein von ſeinen Ober-Herꝛn / das iſt / von einem ſolchen / beygebracht / welcher nicht alleine vermoͤgend iſt / denen Widerſpaͤnſtigen die Schaͤrffe fuͤhlen zu laſſen; ſondern der auch rechtmaͤßige Urſachen hat / einen anzufordern / daß er ſich / ihm zu ge - fallen / und zu folge / die Freyheit ſei - nes Willens umſchraͤncken laſſe. Denn wo ſich dieſes beydes beyſam - men findet / ſo kan es nicht wohl an - ders ſeyn / als daß auf Seiten des Untergebenen gegen die angeſonne - nen Befehle und Meinung des Obern eine mit Furcht vermiſchte Ehr-Erbietigkeit entſtehe; Jene zwar aus Betrachtung der Gewalt; Dieſe aber aus Erwegung derer Urſachen / die einen / auch ohne ſo - thanige Furcht / blos vor ſich ſelbſtC 7zum50Des erſten Buchszumgebuͤhrenden Gehorſam anrei - tzen ſolten. Denn wenn einer ſonſt nichts anzufuͤhren weiß / warum er mich ihm unterthan und verbindlich haben wolle / auſſer ſeine bloſſe Ge - walt und Staͤrcke / der kan mich zwar wohl in ſo weit zu fuͤrch - ten machen / daß ich ihm eine Zeit - lang / und etwa die gegenwaͤrtige groͤſſere Gefahr zu vermeiden / Pa - rition leiſte; allein ſo bald die Furcht vorbey iſt / ſo werde ich mich gewiß nichts hindern laſſen / vielmehr wie - der nach meinen / als nach ſeinen Gefallen zu leben. Hingegentheils / wenn einer zwar befugt waͤre / mir den Gehorſam anzuſinnen / haͤtte aber das Vermoͤgen nicht / mir in Verweigerungs-Falle was anders ſehen zu laſſen; ſo wuͤrde ich mich ſei - ner Befehle vielleicht ohne Straffe entbrechen / wofeꝛn ihm nicht etwa ein Maͤchtigerer bey ſeinen Reſpecteſchuͤ -51anderes Capitel. ſchuͤtzen hilffe. Die wahren Urſachen aber / warum einer den Gehorſam von dem andern begehren koͤnne / ſeynd vornehmlich dieſe; Wenn er ihn ſonderbare Gutthaten erwieſen / oder / wenn der Unterthan weiß / daß es der Obere gut mit ihm meinet / und ihm beſſer rathen / und helffen kan / als er ſelbſt / ja / wenn er ſich ſeiner zu ſeinem Beſten wuͤrcklich annim - met; Und denn / wenn ſich iemand den andern freywillig unterworffen / und eingewilliget hat / daß er die Di - rection uͤber ihm haben ſolle.
Damit nun ein Geſetze in denen Gemuͤthern dererjenigen / de - nen es gegeben wird / ſeine Krafft er - reichen moͤge / ſo iſt noͤthig nicht allein den Geſetz-Geber / ſondern auch das Geſetze ſelbſt zu erkennen. Deñ wie kan einer gehorſam ſeyn / wenn er nicht weiß / wem er pariren oder worinnen er Folge leiſten ſolle? Nuniſt52Des erſten Buchsiſt zwar die Erkaͤntniß des Geſetz - Gebers ſehr leichte; Denn was die Natuͤrlichen Rechte anbelanget / ſo weiß man aus dem Lichte der Natur mehr / als zu wohl / daß GOtt der Schoͤpffer aller Dinge / auch dero - ſelben Urheber ſey. So kan einen jeden Buͤrger ebenfalls nicht unbe - kañt ſeyn / wer uͤber ihm in der Re - publiqve zu gebieten habe. Wel - cher geſtalt man ferners binter die Erkaͤñtniß derer Natuͤrlichen Rech - te komme / ſoll hiernechſt mit meh - rern erwehnet werden. Die buͤrger - lichen aber werden denen Untertha - nen durch eine oͤffentliche und deutli - che Ankuͤndigung oder Verruf - fung zu wiſſen gemachet. Wobey denn zweyerley kundbar ſeyn muß / erſtlich / daß das Geſetze von der Re - publiqve hoͤchſten Ober-Haupte herkomme; Zum andern / was deſ - ſelben eigendlicher Jnhalt ſey? Je -nes53anderes Capitel. nes kan man dahero wiſſen / wenn der Regente es denen Unterthanen entweder ſelbſt / ſo wohl muͤndlich / als vermittelſt ſeiner Hand und Sie - gels andeutet / oder ſelbiges durch ſei - ne hiezu verordnete Bedienten ver - richten laͤſſet. Derer Autorität man denn nicht Urſache hat in Zweifel zu ziehen / wenn man verſichert iſt / daß ihr Amt / ſo ſie in dem Lande verwal - ten / dergleichen mit ſich bringet / und ſie ſonſt ordentlicher Weiſe darzu pflegen gebrauchet zu werden; Jn - gleichen / wenn dieſe Geſetze / und deren Obſervanz wuͤrcklich in die Gerichte einfuͤhret wird / und dann / wenn ſie nichts der hohen Obrigkeit / oder gemeinen Beſten Nachtheiliges in ſich enthalten. Damit aber ein Geſetze recht eigendlich moͤge ver - ſtanden werden / ſo wil alle denenje - nigen / die ſolches promulgiren / hoͤchſten Fleiſſes obliegen / daß ſie dieal -54Des erſten Buchsallermoͤglichſte Klaͤrligkeit dabey an - wenden. Und wann ja uͤber denen - ſelbigen einige Dunckelheit verblie - be / oder entſtuͤnde / ſo muß ſolchen Falls die Erleuterung entweder von den Geſetz-Geber ſelbſt / oder von denenjenigen / ſo er hiezu oͤffentlich verordnet / eingezogen werden.
Ein jedes vollkommenes Geſetze hat dieſe zwey Theile / eines / darinnen enthalten iſt / was man / vermoͤge deſſelben / thun / oder laſſen ſolle; Das andere / dadurch an - gezeiget wird / was vor Straffe der - jenige zugewarten habe / der es un - terlaͤſſet / oder das Verbotene thut. Deñ gleichwie / von wegen der Bos - heit der menſchlichen / und allezeit zur Ubertretung geneigten Ge - muͤths-Art / es gantz vergeblich ſeyn wuͤrde / wenn man einen tauſendmal dis / oder jenes zu thun vorſagete / und nicht zugleich eine Straffe mit dar -auf55anderes Capitel. auf ſetzete; Alſo waͤre es nicht weni - ger auch eine groſſe Abſurdität, wenn man einen ohne vorhergehen - des ſtraffwuͤrdige Verbrechen der - gleichen ankuͤndigen wolte. Und alſo beſtehet alle Krafft ſich einen zu ver - binden / das iſt / ihm eine innerliche Nothwendigkeit / und Zwang anzu - bringen / oder durch Straffe zur Beobachtung derer Geſetze anzu - ſtrengen / eigendlich bey dem Geſetz - Geber / und denenjenigen / welchen die Aufſicht / und Exſeqvution de - rer Geſetze oblieget.
Dasjenige / ſo einen durch Geſetze aufgebunden wird / ſoll nicht allein in deſſen Vermoͤgen ſtehen / dem die Geſetze gegeben werden / ſon - dern auch entweder ihm ſelbſt / oder andern einen Nutzen ſchaffen. Deñ gleichwie es ein grauſames / und ab - geſchmacktes Anſinnen waͤre / einen unter Androhung gewiſſer Straffeſo56Des erſten Buchsſo etwas abzufordern / das doch we - der itzo / noch vormals zuthun ſeine Kraͤffte zugelaſſen; Alſo wuͤrde es wahrhafftig auch ein Vergebenes Werck ſeyn / wenn man eines Men - ſchen freyen Willen / um gantz un - nuͤtzer Dinge willen / in Feſſeln legen wolte.
Wiewohl nun ein Geſetz - Geber regulariter alle ſeine Unter - thanen / auf welche ſich die Materie eines Geſetzes ſchicket / und die er ſelbſt im Anfange nicht ausgenom - men / an dieſelbe wil verbunden ha - ben; So geſchiehets doch iezuweilen / daß er einen und andern aus beſon - dern Bewegniſſen von deroſelben Verbindligkeit loszehlet / oder Di - ſpenſation ertheilet; Welches / gleich wie es derjenige allein thun kan / dem die Gewalt Geſetze zu geben / und ſie gar wieder aufzuhe - ben zuſtehet; Alſo hat man ſichhie -57Anderes Capitel. hiebey auch wohl in acht zu nehmen / daß durch ſo gar oͤffteres / und ohn allen Unterſcheid oder erhebliche Ur - ſachen erſtattetes Diſpenſiren die Achtung derer Geſetze ſelbſt nicht umgeſtoſſen / und denen Untertha - nen zum Neid und Widerſpaͤnſtig - keit Anlaß gegeben werde.
Doch iſt von der Diſpen - ſation noch weit unterſchieden die Billigkeit / als welche beſtehet in der Verbeſſerung eines Geſetzes / wo - fern ſelbiges wegen ſeines allzuweit - laͤufftigen / oder allzuenge gefaßten Wort-Verſtandes einen Mangel zu haben ſcheinet; oder / es iſt eine richtige Erklaͤrung eines Geſetzes / vermittelſt deren aus natuͤr - und vernunfft-maͤſſigen Urſachen gewie - ſen wird / daß / wenn das Geſetze entweder gar zu univerſal lautet / ein und ander ſonderbarer Caſus unter demſelben nicht mit begriffen /oder /58Des erſten Buchsoder / da es / den Worten nach / gar zu enge abgefaſſet / es noch auf meh - rere und ſonderbare Faͤlle extendi - ret werden muͤſſe / weil ſonſten gar was ungeraͤumtes daraus erfolgen wuͤrde. Denn nachdemmal es nicht moͤglich iſt / alle Begebenheiten zu - vorher zu ſehen / und zu exprimi - ren; So muͤſſen die Richter / denen die allgemeinen Geſetze auf alle vor - fallende Caſus zu fuͤgen und einzu - richten geziemet / dergleichen Faͤlle von deroſelben ſtrengen Verbindlig - keit ausnehmen / welche der Geſetz - Geber / dafern er zugegen geweſen / oder ſie zuvoraus geſehen / ſelbſt wuͤr - de ausgenommen haben.
Ferner / ſo bekommen die menſchlichen Actiones von ihrer Ubereinſtimmung mit der morali - ſchen Richtſchnure gewiſſe Eigen - ſchafften und Benennungen. Und zwar / ſo heiſſen diejenigen / von wel -chen59anderes Capitel. chen die Geſetze zu beyden Theilen ausdruͤcklich nichts diſponiret / er - laubte / oder zugelaſſene; Wie - wohl zuweilen in gemeinen Leben / da man nicht eben alles ſo genau zu nehmen pfleget / auch dasjenige vor zugelaſſen geachtet wird / worauf die weltlichen Geſetze keine Straffe ge - leget haben / ob es gleich der Natuͤr - lichen Erbarkeit an und vor ſich ſelbſt widerſtreitet. Ferner / welche Actio - nes mit dem Geſetze uͤbereinſtim - men / die werden gute / diejenigen aber / ſo darvon abweichen / boͤſe genennet. Daß aber eine Action gut ſey / darzu iſt vonnoͤthen / daß ſie durchgehends mit dem Geſetze uͤbereinkomme / dahingegen zu ei - ner boͤſen ſchon genung iſt / wenn ſie nur in einigen Stuͤcke davon abwei - chet.
Die Gerechtigkeit wird aber bißweilen einer beſondernAction60Des erſten BuchsAction der Menſchen / bißweilen ihrer gantzen Perſon zugeeignet. Letzten Falls wird ſie beſchrieben / daß ſie ſey ein beſtaͤndiger Wille und Meinung / einen jeden allezeit recht und gebuͤhrlich zu begegnen. Denn ein ſolcher gerechter und redlicher Mann heiſſet derjenige / der ſeine Freude hat / an recht und redlich han - deln / der ſich die Redligkeit rechtſchaf - fen angelegen ſeyn laͤſſet / oder in alle Wege nichts anders ſuchet / als was Recht und Redligkeit erfordert. Hin - gegen iſt das ein Ungerechter / der ſich kein Bedencken nimmet / iederman zu betruͤgen / oder doch niemanden zu demjenigen / ſo ihm aus Schuldigkeit gebuͤhret / zu verhelffen / er koͤnne denn einigen Vortheil und Gewinn davon tragen. Und alſo koͤnnen ei - nem gerechten oder redlichen Man - ne / wenn er noch ſo redlich zu han - deln gedencket / dennoch aus Verſe -hen /61anderes Capitel. hen / auch wohl einige unrechtmaͤſſi - ge Actiones entfallen; Gleich wie im Gegentheil ein Ungerechter / wenns Gluͤcke gut iſt / zuweiln auch noch wohl ein und anderesmal red - lich handelt; Allein der Gerechte thut allezeit redlich aus Liebe zu den Geſetzen; Unrecht hingegen niemals / als nur aus menſchlicher Schwach - heit; Wenn aber der Ungerechte zu weilen was redliches beginnet / ſo ge - ſchiehets entweder aus Eigen-Nutz / oder aus Furcht der dem Geſetze an - hangenden Straffe; Das Unrechte aber thut er allemal aus Leichtfer - tigkeit und Bosheit ſeines Gemuͤ - thes.
Wenn aber die Gerech - tigkeit nur gewiſſen Actionen beygeleget wird / ſo iſt ſie nichts an - ders / als dererſelben gebuͤbrende Applieation auf die rechten Perſo - nen; und heiſſet eine ſolche gerechte /Doder62Des erſten Buchsoder rechtmaͤſſige Action / wenn man ſich mit ſelbiger aus guten Be - dacht / mit Wiſſen und Willen / ge - gen diejenige Perſon herauſſer laͤſſet / deren man es zuthun verbunden iſt. Bleibet alſo zwiſchen einer guten / und gerechten Action dieſer merck - liche Unterſcheid / daß jene ſchlech - ter Dinges in der Ubereinſtimmung mit denen Geſetzen beruhet; Dieſe aber uͤber dis ihr Abſehen zugleich mit auf die Perſonen richtet / gegen welche ſie der Menſch ausuͤben wil; Und wird deßhalben dieſe Gerech - tigkeit auch eine gegen andere Leu - te ſich erſtreckende Tugend genen - net.
Die Eintheilung der Gerechtigkeit pflegen nicht alle auf einerley Art zu machen; der gemei - neſten Mode nach wird ſie in die all - gemeine / und ſonderliche unter - ſchieden. Unter jener ſeynd allerleyGe -63anderes Capitel. Gebuͤhr und Dienſtfertigkeit gegen andere / die man auch ſonſt weder durch Gewalt / noch rechtliche An - klage erzwingen koͤnnte / begriffen;