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Einleitung Zur Sitten - und Stats - Lehre /
Oder Kurtze Vorſtellung der Schuldigen Gebuͤhr aller Menſchen / und inſonderheit der Buͤrgerlichen Stats-Verwandten / nach Anleitung Derer Natuͤrlichen Rechte;
aus dem Lateiniſchen uͤberſetzet Durch Jmmanuel Webern.
VerlegtsJohann Friedrich Gleditſch/ Jm Jahr1691.

Denen Hoch-gebohrnen Graffen und Herren / Herrn Auguſt Willhelm / Herrn Buͤnther / und Herrn Heinrich / Gebruͤderen / Allerſeits derer vier Graffen des Reichs / Graffen zu Schwartz - burg und Hohnſtein / Herren zu Arnſtadt / Sondershauſen / Leu - tenberg / Lohra und Kletten - berg / Meinen gnaͤdigen Graf - fen und Herren.

) (2Hoch -
Hochgebohrne Graffen / Gnaͤdige Herren /

JNdem ich / zu fol - ge der allgemeinen Gewonheit / im Wercke begriffen bin / dieſer uͤberſetzten Schrifft durch Beyfuͤgung hoher Nah - men noch einigen Glantz zu er - wecken / ſo habe ich ſolches vor dißmahl um ſo viel weniger durch eine weitlaͤufftige Wahl in Bedencken zu nehmen / je mehrere Urſachen ſich von Sei - ten E. E. Hoch Gr. Hoch -Gr. Zuſchrifft. Gr. Gn. Gn. hervorthun / um derer willen ſie hiebey nicht uͤbergangen ſeyn wollen. Deñ gleichwie bey Aufferziehung ſolcher Perſonen / die dermahl - einſt Land und Leute regieren ſollen / ohne Zweiffel der vor - nehmeſte Zweck dieſer ſeyn muß / daß man ſie / benebenſt rechtſchaffener Anfuͤhrung zu dem Chriſtenthum / beyzeiten auf die Noꝛm und Richtſchnuꝛ / wornach nicht allein alle Tu - gendhafften insgemein / ſon - dern auch abſonderlich loͤbliche Regenten ihre Actiones zu re - guliren haben / verweiſe: alſo wil / ſonder Anmaſſung einiges Eigen-Ruhms / ich verhoffen /) (3daß /Zuſchrifft. daß / ſeither dem ich das Gluͤcke gehabt / E. E. Hoch-Gr. Hoch-Gr. Gn. Gn. Auff - erziehung und Information mich nunmehro in die 7. Jah - re anzunehmen / ſo wohl am er - ſten nichts verſaumet / als auch voꝛ allen uͤbrigen Wiſſenſchaff - ten / die Dero gegenwaͤrtiges Alter zu faſſen faͤhig geweſen / das andere mit genugſamen Fleiſſe und Eyffer getrieben worden. Und weil man hiezu keine beſſere Anleitung finden koͤnnen / als die jenige / ſo der Welt-beruͤhmte Herꝛ Sam. von Pufendorff in ſeinem ſo wol der reinen Schreib-ArtundZuſchrifft. und wohlgefaſſeten Ordnung / als gruͤndlichen Principiorum halber hochzuſchaͤtzenden Mo - ral - und Politiſchen Hand - Buche de officio hominis & ci - vis vorgiebet / und aber bey Anfange Eu. Eu. Hoch - Gr. Hoch-Gr. Gn. Gn. der Roͤmiſch. Sprache ſo weit noch nicht gewachſen waren / daß ſie alles ohne Verdolmet - ſchung verſtehen koͤñen; als ha - be bloß Jhnen zu Liebe ich mir damahls die Muͤhe genom̃en / ſolches / ſo gut es jedesmahl die Zeit / und offtmahls ſchier all - zu kurtze Verſchraͤnckung derer wichtigſten Materien leiden) (4wol -Zuſchrifft. wollen / von Stuͤck zu Stuͤcke in unſere Mutter-Sprache zu uͤberſetzen. Nunmehro ſtelle ich es Jhnen vollſtaͤndig / und zwar im Drucke / und mit der Vorſchrifft Derer hohen Nahmen unter die Augen / welches Sie Sich um ſo viel mehr und gnaͤdiger werden ge - fallen laſſen / indem (zu ge - ſchweigen des wohlverdienten Ruhms / den die Welt durch ſo - thane Veranlaſſung Dero Preiß-wuͤrdigen Studien bey - legen wird) es nicht minder zu E. E. Hoch - Gr. Hoch - Gr. Gn. Gn. fernern eige - nen Nutzen / als zu Jhres Naͤ -heſten /Zuſchrifft. heſten / und inſonderheit der Jugend von Jhres gleichen Stande zum Beſten abgezielet iſt / als welche durch Dero vor - leuchtendes ungemeine Bey - ſpiel / und durch die in der Mutter-Sprache verſchaffete Erleichterung ſich hinfuͤhro deꝛ ſo hohen Perſonen unumgaͤng - lich benoͤthigten Moral - Philo - ſophie / etwas mehr duͤrfften annehmen. Zwar habe ich vor andere keinen Special Beruff; allein / ſo gewiß es gleichwohl iſt / daß Fuͤrſten und hohe Lan - des-Haͤupter / wofern ſie nicht mit einem ſonderlichen guten Naturel begnadiget ſind / ohne die Morale ohnmoͤglich eine) (5loͤb -Zuſchrifft. loͤbliche Regierung fuͤhren koͤn - nen; ſo hoͤchſt noͤthig wil es ſeyn / die Fuͤrſtliche und andere Standes-Jugend / nebſt Got - tes Worte / hierinne vor allen andern zeitig und gruͤndlich zu unterweiſen. Denn ſo einem jedweden Privat-Menſchen nichts naͤher iſt / als ſeine eige - nen Actiones und Gemuͤths - Begierden / er ſich auch nichts eyffriger / als deroſelben Cul - tivir - und Erbauung angele - gen ſeyn laſſen ſoll / wann er anders in der Welt vor einen ehrlichen Mann oder Virtuo - ſen paßiren / und hiedurch den Grund zu aller irrdiſchen Gluͤckſeeligkeit legen wil: ſohatZuſchrifft. hat ſich in Warheit ein junger Printz / von deſſen Actionen mit der Zeit nicht allein ſein ei - genes / ſondern auch eines o - der mehrer Laͤnder / und alſo vieler tauſend Menſchen Weh und Wohl / Gluͤck und Ungluͤck zu gewarten ſtehet / um ſo viel genauer und gefliſ - ſendlicher dahin anzulegen / daß er ſo wohl von der menſch - lichen Gemuͤths-Art richtige Erkaͤntniß einziehen / als auch dieſelbige ſeinem End-Zwecke gemaͤß / nach der zugleich in der Natur befindlichen Richt - ſchnur gebuͤhrend tempenren lerne / worinnen denn die Mo - ral-Philoſophie (ſonder der) (6H.Zuſchrifft. H. Bibel / die ihr Abſehen weit auff was hoͤhers richtet / hie - durch zum Præjuditz zu reden) und zumahl nach denen jeni - gen Principiis, worinnen Hoch - gedachter Herr von Pu - fendorff ſolche vortraͤget / ei - nig und allein zur Lehr-Mei - ſterin zu gebrauchen. Zwar / Gnaͤdigſte Herren / fin - den Sie in gegenwaͤrtiger Schrifft nur einen kurtzen Entwurff der vollkommenen Sitten - und Staats-Lehre; nichts deſto weniger koͤnnen Sie verſichert ſeyn / daß Sie allbereit hierinnen nicht nur einen ziemlichen VorſchmackvonZuſchrifft. von dem bey aller Welt gnug - ſam renommirten Sitten - und Staats-Lehrer / Hugone Gro - tio, ſondern auch zugleich ein helles Licht / oder Ariadniſchen Faden bekommen / vermittelſt deſſen Sie durch die gefaͤhrli - chen Jrr-Gaͤnge des Machia - velli, Hobbeſii, und anderer verkehrten Anfuͤhrer ſonder Anſtoß hinfahren / und ſich gleichwohl das beſte daraus zu Nutze machen koͤnnen. Da - fern Sie nun meiner ſchlech - ten Uberſetzung auch einigen Theil der hohen Hulde und Fleiſſes goͤnnen ſollten / womit Sie bißanhero dem Lateini - ſchen Original hoͤchſt-ruͤhmlich) (7zu -Zuſchrifft. zugethan geweſen / immaſſen / daß nachſt denen Sacris dieſes Jhre angenehmſte und erbau - lichſte Lection ſey / Sie zum oͤfftern ſelbſt gemeldet. Jn - zwiſchen gebe nur der Grund - guͤtige GOtt / daß ſo wohl die bey Jhrer gantzen Hoch - Graͤfflichen Aufferziehung / als auch inſonderheit die hier - unter gefuͤhrte gute Intention ihren Zweck vollkoͤmmentlich erreichen / alle Widerwaͤrtig - keit und Hinderniſſe / ſonder - lich die bißanhero Eu. Eu. beyderſeits aͤlterer Her - ren Hoch-Gr. Hoch - Gr. Gn. Gn. zugeſtoſſenenhoch -Zuſchrifft. hoch - gefaͤhrlichen Leibes - Schwachheiten / woran Sie / mein Gnaͤdigſter Herr Graff / Auguſt Willhelm / ley - der! noch dieſe Stunde in groͤſſeſten Schmertzen und Aengſten das Bette halten muͤſſen / voͤllig zuruͤcke getrie - ben / und Sie Dero hohen Eltern / und dem gantzen Lande zu ſonderm Troſt und Vergnuͤgen in ſo gedeylichem Wachsthume ferner fortfah - ren / dermahleinſt aber / als Chriſt - loͤbliche Regenten / GOtt und der Republique ge - faͤllig werden moͤgen. Ob auch ſchon / Gnaͤdigſter HerrGraffZuſchrifft. Graff Heinrich / die vor - erwehnten Urſachen dieſer un - terthaͤnigen Zuſchrifft / Sie wegen Dero annoch zarten Kindheit weder verſtehen / noch auff Sich appliciren koͤn - nen; ſo habe dennoch der Na - tur ich hierinne Folge leiſten / und unſer ſo gluͤcklich vereinig - tes Schwartzburgiſches Bruder-Kleeblat nicht von einander trennen / ſondern vielmehr / wie Blut und Muth zwiſchen allerſeits eine voll - kommene Harmonie machet / alſo ich ſaͤmtlichen zugleich auch meine unterthaͤnige Auff - wartung hiemit erweiſen wol -len.Zuſchrifft. len. Lebe demnach des zuver - ſichtlichen Vertrauens / Sie werden Sich dereinſt bey er - langten mehrern Jahren ſo - thanes bey Dero Wiegen nie - dergelegtes Denck-Mahl un - terthaͤniger Zuneigung von Dero Diener nicht mißfallen laſſen. Und wie gantz kein Zweiffel iſt / daß Eu. Hoch - Gr. Gn. hinkuͤnfftig bey hoͤchſt-ſorgfaͤltiger Aufferzie - hung ſo wohl in Studiis, als an - dern Dero hohen Stande ge - ziemenden Sitten und Tugen - den die Fußtapffen Dero beyden aͤlteren Herren Bruͤder finden werden; al -ſoZuſchrifft. ſo wolle der guͤtige Himmel auch uͤber Sie ſein Goͤttliches Gedeyen reichlich ausgieſ - ſen / und / damit ichs kurtz faſ - ſe / durch gnaͤdige Erfuͤllung des von Jhres Herrn Va - ters Hoch-Graͤfflicher Gnaden bey Dero Tauff - Nahmen intendirten Ominis, Sie gleich Dero mehreſten ebenmaͤßig benahmten Vor - fahrendereinſt zu dem Ruhme eines gelehrten / tapffern / gluͤcklichen / und loͤblichen HEINRICI gelangen laſſen.

E. E. E. Hochgr. Hochgr. Hochgr. Gn. Gn. Gn.

unterthaͤnig-gehorſamſter Diener Jmmanuel Weber.

Des Uberſetzers Anſprache an Den Geehrten Leſer.

HJebey liefere ich dir des Herrn Sam. von Pufen - dorff uͤberſetzte Officia ho - minis & civis. Wie ich an dieſe Arbeit gekom̃en / wird dir die unter - thaͤnige Zuſchrifft Nachricht ertheilen. Den Titul habe ich um deßwillen etwas geaͤndert / weil er ſich im Teutſchen von Wort zu Wort ſo wohl nicht interpreti - ren laͤſſet. Denn ob ich wohl etwas naͤher kommen koͤnnen / als etwan hie - bevor Johann Neuber / Caplan zu Schwartzenberg / ſo die Officia Cicero - nis A. 1531. zu Augſpurg im Teutſchen unter dem Titul von den tugend - ſamen Aemtern herausgegeben; ſo hat mir doch gegenwaͤrtiger / um der gleichfalls in der Dedication beruͤhrten Urſache willen / beſſer gefallen / zumahl er auch den Jnhalt des Wercks ſatt - ſam erſchoͤpfſet. Wegen der Uberſe - tzung an ihr ſelbſt iſt kuͤrtzlich zu erin - nern / daß ich dem Lateiniſchen meh -ren -An den Leſer. rentheils von Fuſſe zu Fuſſe gefolget / auſſer im V. Capitel des I. Buchs / all - wo / auff Begehren des Herrn von Pu - fendorff / etliche §phi aus ſeinem Syſte - mate Jur. Nat. & Gentium eingeruͤcket / und an theils Orten / da es im Teutſchen gar zu verzwickt lauten wollen / dem Ver - ſtande durch eine kurtze Periphraſin ge - holffen worden. Ob ſonſt alles eigent - lich getroffen ſey / wil ich zwar verhoffen / jedoch von dem geneigten Leſer einer guͤ - tigen Entſchuldigung gewaͤrtig ſeyn / da - ferne in der Uberſetzung wegen Dunckel - heit und Wichtigkeit derer Materien ihm einige Expresſiones zu uneigentlich / oder einige verteutſchten Termini fremde vor - kommen ſollten. Von dem Nutzen dieſer Arbeit habe vor mich niemanden Re - chenſchafft zu geben / ſintemahl ſolche mein Amt erfordert; und wenn ſie auch ſchon niemand mehr dienlich waͤre / als denen jenigen / welchen zu Gefallen ſie verfertiget worden / ſo haͤtte ſie doch ſchon Nutzen gnug verſchaffet; gleichwohl wil ich hoffen / daß mir noch einige davor dan - cken werden. Wer etwas wichtigers ma -chenAn den Leſer. chen kan / oder ſeine Zeit beſſer anzulegen weiß / dem goͤnne ichs gern / und ſoll er wiſſen / daß dergleichen vor ihn nicht ge - ſchrieben worden. Mich gereuet zur Zeit noch keine Stunde / die ich auff die vor - trefflichen Schrifften des mehr Hoch - ermeldeten Herrn von Pufendorffs gewendet / und wollte wuͤndſchen / daß die jenigen / ſo mich oder andere deßwegen verdencken / ſonder vorgefaßte ſiniſtre Meinung / ſich auch etwas genauer dar - innen umſaͤhen / ſo wuͤrden ſie ſonder Zweiffel den Ungrund ihrer bißherigen widrigen Urtheile finden. Moralia und Moraliſten haben freylich durch die un - nuͤtzen Scholaſticos einen ziemlichen Schand-Flecken und uͤbeln Nahmen be - kommen / weil ihr meiſtes Thun in leeren Grillen und einem aus der Philoſophie / Jurisprudentz und Theologie zuſammen geſchmiereten Miſch-Maſche beſtehet. Allein / wer weiß / was Grotius, und her - nach zufoͤrderſt der Herr von Pufen - dorff bey dieſem edlen Studio gethan / wie ſie ſolches von der alten Schulfuͤchſi - ſchen Barbarey geſaubert / und nach dendeut -An den Leſer. deutlichſten und eigentlichen Principiis derer allgemeinen Natur - und Voͤlcker - Rechte eingerichtet / der wird die Judicia, wonach manche die Moral-Lehrer auf ei - nen Hauffen zu verdammen pflegen / oh - ne Entſetzen nicht anhoͤren koͤnnen. Jch laſſe den Nutzen und die Unſchuld der Morale zu einer beſondern Apologie aus - geſetzet / kan aber diß gleichwohl ſonder Schmeicheley / welche mir ohne dem nichts helffen wuͤrde / aus danckbarem Gemuͤthe von mir ſchreiben / daß ich mich dem Herrn Thomaſio mehr deßwegen / als unſerer nahen Anverwandſchafft und anderer von ihm genoſſener Wohlthaten halber verbunden befinde / weil Er mich erſtlich zum Studio Morali, und ſonderlich zu des Hꝛn. v. Pufendorff Schrifften angefuͤhrt / deßhalben ich auch den Tag / da ich ſelbige erſtmahls in die Haͤnde ge - nommen / mit beſſerm Grunde vor gluͤck - lich ruͤhmen kan / als jener denſelbigen / da er erſtmahls des Ariſtotelis Organon zu Geſichte bekommen. Geehrter Leſer / urtheile vernuͤnfftig / und lebe wohl!

Vor -

Vorrede des Herꝛn von Pufendorff.

WOfern aus der durchgaͤngi - chen Gewonheit der Ge - laͤhrten nunmehro nicht faſt ein Geſetz entſtanden waͤre / ſo duͤrffte man mir es wohl vor ein uͤberflüſſiges / und unnoͤ - thiges Werck ausdeuten / daß ich mich wegen der Beſchaffenheit und den Ab - ſehen dieſer Schrifft in einer beſondern Vorrede herauſſer gelaſſen / indem es die Sache vor ſich ſelbſt genugſam auswei - ſet / daß ich keinen andern Vorſatz ge - habt habe / als nur denen jungen Leuten die vornehmſten Hauptſtuͤcke der Natuͤr - lichen Rechte auf eine kurtze / und verhof - fendlich deutliche Manier beyzubringen / damit ſie nicht gleich im Anfange ſtutzig gemachet wuͤrden / weñ man ſie ohne der - gleichen kurtzen Vorbericht in den weit -(1)laͤuff -Vorrede. laͤufftigen bezirck dieſer Wiſſenſchafft ein - fuͤhren wolte. Hiebenebenſt habe auch vor gut angeſehen / die Moral - oder Sit - ten-Lehre nicht nach der bißherigen alten Leyer / ſondern auf eine ſolche Art einzu - richten / damit die Jugend hernach in buͤrgerlichen Leben und Wandel einen rechtſchaffenen Nutzen davon ſpuͤren koͤn - te. Und ob ich wohl ſonſt iederzeit der Meinung geweſen / daß es eine ſchlechte Ehre ſey / wenn man anderer / oder wohl gar ſeine eigene zuerſt weitlaͤufftig abge - faßte Schrifften wieder ins Enge brin - get; So hoffe ich doch / es werden ver - ſtaͤndige Leute mirs nicht veruͤbeln / daß / (zumaln hierunter auch dem Befehle / und wohl-gemeinten Anſinnen meiner hohen Obern ein Genuͤgen geleiſtet wer - den müſſen) ich vor dismal / einig und al - lein der lieben Jugend zum Beſten / der - gleichen Arbeit auf mich genommen / um derer willen man ſich keines Dinges ſchaͤmen ſoll / wenn es auch an ſich ſelbſt noch ſo ſchlecht / und einiger Ruhm dabey nicht zu erjagen. Jn uͤbrigen wird kein vernünfftiger Menſch in Abrede ſeynkoͤn -Vorrede. koͤnnen / daß dergleichen Principia zur Erlernung der geſamten Jurisprudens diel beqvemer ſeyn / als alle die andern / dahin man gemeiniglich unſere Jugend / wenn ſie den Anfang zur Rechts-Ge - lehrſamkeit machen wil / zu verweiſen pfleget. Und ſo viel ſolte vor dismal an ſtatt der Vorrede genung ſeyn / wofern nicht / auf guter Freunde Zurathen / vor nuͤtzlich waͤre befunden worden / zuvor - hero / ehe ich zum Zweck ſchreite / noch ein und anders anzufuͤhren / welches uͤberhaupt zu deſto genauerer Erkaͤntniß der Natuͤrlichen Rechte / und zu eigent - licher Abſteckung derer Graͤntzen / wo - mit ſie etwan an andere Diſciplinen an - ſtoſſen / dienlich ſeyn kan. Welches ich denn um deſto ſo viel williger uͤber mich genommen habe / weil ich hiedurch Gelegenheit bekommen / denen jenigen Sraͤnckern das Handwerck zu legen / welche unter den nichtigen Vorwandt / als ob dieſe Diſciplin mit in ihre Profeſ - ſion lieffe / ſich allerhand ungeſchickter Cenſuren unterfangen / da ſich doch zwi - ſchen beyderſeits in wahrheit eine ſehe(2)groſſeVorrede. groſſe Klufft befindet. Demnach ſo ſind gleichſam drey unterſchiedene Qvel - len / daraus die Menſchen die Erkaͤnt - niß ihrer Schuldigkeit / und alles deß - jenigen / ſo ſie in dieſem Leben entwe - der / als was loͤbliches zu thun / oder / als was ſchaͤndliches zu unterlaſſen ha - ben / ſchoͤpffen muͤſſen; Nemlich ihr natuͤrlicher Verſtand / die buͤrger - lichen Geſetze / und endlich das geoffenbarte Wort GOttes. Aus den erſten fluͤſſet die allgemeine Schul - digkeit der Menſchen herfür / dadurch ſie ſich in der menſchlichen Geſellſchafft gegen einander wohl zu verhalten lernen; Aus der andern die jenige Gebuͤhr / die ein iedweder / als ein Buͤrger und Glied - maß einer gewiſſen Republiqve zu beob - achten hat; Aus den dritten aber / das Amt und Pflicht wahꝛer und rechtſchaffe - ner Chriſten. Daher entſtehē auch drey unterſchiedene Diſcipli deren die erſte handelt von dem natuͤrlichen Rechte / und gehet alle Menſchen und Voͤlcker an; Die andere von den buͤr - gerlichen Geſetzen einer ieden Re -pu -Vorrede. publiqve, und die kan ſo mancherley ſeyn / als viel man Republiqven an - trifft / darein ſich das menſchliche Ge - ſchlechte vertheilet hat. Die dritte wird genennet die Theologia moralis, oder die von GOtt geoffenbarete Sit - ten-Lehre / welche von den andern Theile der heiligen Theologie, worinnen die Glaubens-Articul enthalten ſind / wohl zu unterſcheiden iſt. Jedwede von dieſen dreyen Diſciplinen braucht eine beſonderne / und zwar ſolche Art / ihre Lehr-Setze zu behaupten / die ihrem Principio gemaͤß iſt. Jn den natuͤrli - chen Rechten werden wir etwas zu thun / oder zu unterlaſſen angewieſen / weil man aus der geſunden Ver - nunfft abnehmen kan / daß es zu Nutz und Aufnehmen der menſchlichen Ge - ſellſchafft gereiche. Fraget man in buͤr - gerlichen Geſetzen / warum dis oder jenes alſo verordnet worden? So laͤufft es endlich alles darauf naus: Es habe den Geſetz-Geber ſo / und nicht anders gefallen. Jn der Theologia morali kan man weiter nicht kommen /(3)alsVorrede. als daß man es gleichfalls bey den goͤtt - lichen Willen und Verordnung be - wenden laͤſſet. Gleich wie aber die buͤr - gerlichen Geſetze das Natuͤrliche Recht / als eine allgemeine und viel weitlaͤuffti - gere Diſciplin præſupponiren / alſo muß man nicht flugs gedencken / daß / wenn etwas in denen buͤrgerlichen Geſetzen ent - halten iſt / davon die Natürlichen Rechte nichts melden / dieſe deßwegen wider je - ne lauffen muͤſten. Gleicher geſtalt / weñ in der Theologiâ morali ein und anders aus goͤttlicher Offenbarung kund gethan wird / darauf ſich unſere Vernunfft von ſich ſelbſt nicht finden kan / und alſo auch das Jus Naturæ, als eine Philoſophi - ſche Diſciplin, nichts davon weiß; So waͤre es ſehr ungeraͤumt / wenn man die - ſe beyden Diſciplinen deßwegen zuſam - men hetzen / und eine Streitigkeit unter ihnen geſtatten wolte. Hinwiederum / wenn man in der Lehre von natuͤrlichen Rechten / nach Gutbefindung unſerer Vernunfft / ie zuweilen etwas præſup - poniret / ſo muß es demjenigen / was etwa die heilige Schrifft disfalls deutli -cherVorrede. cher und klaͤrer berichtet / keinesweges / als etwas ſtreitiges / entgegen geſetzet / ſondern / ſo lange man dieſe Diſciplin auf Philoſophiſche Art tractiret / und der bloſſen Vernunfft folget / von der heiligen Schrifft abſtrahiret werden. Zum Exempel / man bildet ſich in der Lehre der natuͤrlichen Rechte den Zu - ſtand des jenigen Menſchen / der etwa zu erſt auf der Welt geweſen / (er ſey nun / wer er wolle;) auf ſolche maſſe ein / wie wir / unſerer bloſſen Vernunfft nach / ermeſſen moͤgen / daß er muͤſſe ſeyn be - ſchaffen geweſen / und koͤnnen uns ſol - chen in Wahrheit anders nicht / als elen - de und duͤrfftig vorſtellen / indem er in die wuͤſte Welt ausgeſetzet worden / und in derſelben das geringſte Vergnuͤ - gen und Beqvemligkeit / ſo einig und al - leine von der menſchlichen Geſellſchafft herruͤhret / nicht empfinden koͤnnen. Da - fern nun iemand dieſe Philoſophiſche Speculation derjenigen Nachricht / ſo das Wort GOttes von der Gluͤckſelig - keit des im Paradies erſchaffenen erſten Menſchen / des Adams / weit anders(4)geof -Vorrede. geoffenbaret / entgegen ſetzen / und vor - geben wuͤrde / man haͤtte dis durch jenes aufheben wollen / ſo muͤſte man es ge - wißlich vor eine Beſchuldigung boshaff - tiger / oder unverſtaͤndiger Leute halten. Was nun die buͤrgerlichen Geſetze anbe - langet / ſo ſcheinets / daß dieſe ſich wohl leichte mit denen Natuͤrlichen Rechten vertragen ſollen; Allein das wil was muͤhſamer ſeyn / daß man zwiſchen dem Jure Naturæ, und der Theologiâ mo - rali die Grentzen richtig abzeichne / und den genauen Unterſcheid dieſer beyden recht eigendlich ausmache. Jch wil mei - ne Gedancken hieruͤber kuͤrtzlich eroͤff - nen / iedoch ſonder Anmaſſung einer Di - ctatoriſchen Gewalt / oder Paͤbſtiſchen Infallibilität; denn ich eben ſo wenig / als andere Leute / vor allen J〈…〉〈…〉 ꝛthuͤmern geſichert bin / habe mich auch keiner Weisheit aus Goͤttlicher Offenbarung / oder vielmehr unvernuͤnfftigen und phantaſtiſchen Antrieb einer ſonderbaren Erleuchtung zu ruͤhmen; ſondern was ich disfalls thue / geſchicht bloß / meinen Amte und Pflicht / nach Vermoͤgen / ei -ni -Vorrede. niges Genügen zu leiſten. Und wie ich nun rechtſchaffener / gelaͤhrter Leute Er - innerungen hieruͤber gern anzuhoͤren / auch meine Meinung / dafern es iemand beſſer weiß / ſonder einigen Verdruß zu aͤndern gantz willig und bereit bin / als werde ich hingegen derer jenigen neidiſche und vorwitzige Urtheile wenig achten / die ſich in Sachen / ſo ſie gantz nichts an - gehen / und davon ſie eben ſo wenig Ver - ſtand haben / als der Blinde von der Farbe / zu unerbetenen Richtern auf - werffen moͤchten. Es entſtehet demnach der erſte Unterſcheid dieſer beyden Diſciplinen / nemlich der Moral - Theologie, und der natuͤrlichen Rechte daher / daß ſie ihre Lehr Saͤtze nicht von einerley Principio, ſondern / wie bereits erwehnet / gleichſam aus un - terſchiedenen Qvellen herleiten / jene nemlich aus der Offenbarung / dieſe aber aus der Vernunfft. Daraus denn noth - wendig folget / daß / wenn uns die heili - ge Schrifft etwas zu thun / oder zu unter - laſſen anbefiehlet / darauf ſich unſere Vernunfft von ſich ſelbſt nicht finden(5)kan /Vorrede. kan / ſelbiges auch nicht dem Juri Natu - , ſondern der Theologiæ morali zu - ſtehe. Weiter / ſo muß man die in GOttes Wort geoffenbarten Geſetze auf ſolche Weiſe betrachten / alsfern ih - nen eine Goͤttliche Verheiſſung mit an - gehaͤnget iſt / und ſie alſo zwiſchen GOtt und Menſchen / auf gewiſſe maſſe / einen Bund machen. Dieſer Betrachtung enthaͤlt ſich das Jus Naturæ, ſintemal ſie blos aus GOttes ſonderbaren Offen - barung her entſtehet / welche die Ver - nunfft aus eignen Kraͤfften nicht ergrün - den kan. Ferner / ſo machet auch dieſes noch einen hauptſaͤchlichen Unterſcheid / daß die Diſciplin der natuͤrlichen Rechte ihr Abſehen blos auf die - ſes zeitliche Leben / und deſſen Wohlſtand richtet / und einen Men - ſchen nur ſo weit unterweiſet / daß er ſich / als ein loͤbliches und nuͤtzliches Gliedmaß der menſchlichen Geſellſchafft bezeugen koͤnnen. Hingegen iſt die Theologia moralis, oder die Gebote GOttes da - mit nicht zu frieden / ſondern dieſe wei - ſen einen Menſchen zufoͤrderſt dahin an /wieVorrede. wie er einen rechten / GOtt wohlgefaͤlli - gen Chriſten-Wandel fuͤhren ſolle; Da er den nicht allein darauf zu dencken hat / wie er in der Welt ehrlich und tugend - hafft leben / ſondern zufoͤrderſt / wie er auch dermaleinſt in der Ewigkeit die Fruͤchte ſeiner Gottſeligkeit genieſſen wolle / daß er alſo ſeinen Wandel und Buͤrgerrecht ſchon in Himmel hat / in der Welt aber nur / als ein Pilgram / noch herumer walle. Deñ obgleich derer Men - ſchen Gemuͤther auch von Natur nach der Unſterbligkeit ſehr begierig ſeyn / und ſich vor ihrer Vernichtung hefftig ent - ſetzen / weßwegen auch die meiſten Hey - den der Meinung geweſen / daß die See - le / nach dem ſie von dem Leibe abgetren - net / irgendswo verbleiben muͤſſe / allda es denen Frommen wohl / denen Gottlo - ſen aber uͤbel ergienge; So muß doch die wahre und unfehlbare Verſicherung deſ - ſen einig und allein aus den geoffenba - reten Worte GOttes geſchoͤpffer wer - den. Dieſer Urſachen halber muß die Di - ſciplin der natuͤrlichen Rechte auch nur nach den menſchlichen Foro eingerichtet(6)wer -Vorrede. werden / welches ſich denn nicht welter / als auf dieſes zeitliche Leben erſtrecket; Und thun die jenigen gar unrecht / wel - che ſie in vielen Stuͤcken nach dem Goͤtt - lichen Gerichte accommodiren wollen / da doch dieſes eigendlich der Theologiæ morali, und ihren Geſetzen zukoͤmmet, Hieraus folget nun / daß / weil die menſchlichen Gerichte nur mit den aͤuſ - ſerlichen Wercken zu thun haben / oder die Menſchen nur Richter der aͤuſſerli - chen Wercke ſeyn / was aber innerlich / und im Hertzen verborgen bleibet / nicht erforſchen koͤnnen / es muͤſte ſich denn etwan durch einige Wuͤrckung / oder aͤuſ - ſerliche Anzeigung verrathen; So ſie - het das Jus Naturæ zu foͤrderſt auch nur darauf / wie es die aͤuſſerlichen Actio - nen der Menſchen wohl einrichten moͤge. Allein daran hat die Theologia moralis noch lange nicht genung / ſondern ſie wil vornemlich / daß auch das Gemuͤthe / und deſſen innerliche Regungen nach den Willen und Wohlgefallen des groſſen GOttes recht beſchaffen ſeyn / und ver - wirfft demnach alle dasjenige / ſo zwaraͤuſ -Vorrede. aͤuſſerlich den Schein eines tugendhaff - ten Wandels hat / innerlich aber von einen unreinen und unheiligen Urſprun - ge herruͤhret. Und dis ſcheinet / ſey auch die Urſache / warum in der Heil. Schrifft nicht ſo offt von denenjenigen Verbre - chen und Laſtern gehandelt wird / welche die Menſchen in ihren Gerichten ab - ſtraffen / und daruͤber ſie ſelbſt Urtheil und Recht ſprechen koͤnnen / als von de - nenjenigen / welche (wie der weiſe Se - neca an einem Orte redet /) extra tabu - las publicas, und auſſer denen oͤffentli - chen Geſetz-Buͤchern zu befinden ſeynd / wie denn ein ieder leicht ermeſſen kan / welcher die daſelbſt enthaltenen Gebote und Tugenden genau betrachtet. Wie - wohl keinesweges zuleugnen iſt / daß die Moral-Theologie hie benebenſt auch das buͤrgerliche Tugend-Leben treflich be - foͤrdere / indem die wahren Chriſten - Tugenden der Menſchen Gemuͤther zu Unterhaltung der menſchlichen Geſell - ſchafft ſehr geſchickt machen / wie wir an - derswo weiter erweiſen. Und ingegen - theil / wenn man einen ſiehet / der ſich /(7)alsVorrede. als ein unruhiges Glied / in den Coͤrper der buͤrgerlichen Geſellſchafft bezeuget / ſo kan man ſicherlich darvon urtheilen / daß er auch die Religion nur in Munde fuͤhre / das Hertz aber gantz nichts dar - von wiſſe. Hieraus wird nun verhoffend - lich nicht allein der eigendliche Unter - ſchied zwiſchen der Theologia morali, und dem Juræ Naturæ, nach der Art / als wir uns ſolches recht univerſal, nach dem Captu aller Menſchen / und aus bloſſen Philoſophiſchen Principiis ab - zuhandeln vorgenommen haben / genung - ſam zu erſehen ſeyn; ſondern auch / wie daß die Natuͤrlichen Rechte denen Lehr - Saͤtzen der geoffenbarten Theologie im geringſten nicht widerſtreben / ſondern ſich nur allein etzlicher / der Offenbarung und denen Chriſten zuſtehenden / Wiſ - ſenſchafften enthalten / weil dieſelbigen durch die bloſſe Vernunfft nicht koͤnnen ausgegruͤbelt werden. So iſt nunmehro aus angefuͤhrten ferner auch leichte ab - zunehmen / wie nothwendig es ſey / daß der Menſch in dieſer unſerer Di - ſciplin der natuͤrlichen RechtenichtVorrede. nicht nach dem laͤngſt verſchwun - denen / und blos uns Chriſten be - kañten Stande der Unſchuld / ſon - dern ſeinen itzigen Zuſtande / und der verderbten Natur nach be - trachtet werden muͤſſe / nemlich ſo fern / als er von boͤſen Begier den eingenommen / und gleichſam an - gefuͤllet iſt. Denn es wird zwar nie - mand / auch der aller-blindeſte Heyde / ſo tum und ſo albern nicht ſeyn / daß er die ungeziemenden und boͤſen Reitzungen nicht bey ſich verſpuͤren ſolte; Allein / wer wolte doch wohl wiſſen / daß eben der erſte Menſch an ſolchem Aufſtande der Affecten Schuld hat / wenn es uns Chriſten die heilige Schrifft nicht inſon - derheit geoffenbaret haͤtte? Weil man denn nun in der Diſciplin der natuͤrli - chen Rechte nicht weiter gehen ſoll / als unſere Vernunfft von ſich ſelbſt kommen kan / ſo iſt leicht zu ermeſſen / daß man auch den Stand der Unſchuld zu deroſel - ben Erklaͤrung nicht mit zuziehen dürffe; Zumaln da gewiß iſt / daß auch der Al - lerweiſeſte GOtt ſelbſt / indem Er denDe -Vorrede. Decalogum meiſtentheils in Præceptis negativis, oder in Verboten abgefaſ - ſet / den Statum corruptum, oder die verderbte Natur der Menſchen vor Au - gen gehabt habe. Zum Exempel das erſte Geſetz / darinnen die Abgoͤtterey verboten iſt / præſupponiret einen ſol - chen Zuſtand / darinnen die Menſchen zu dergleichen Suͤnde geneiget geweſen. Jm Stande der Unſchuld / da ſie / mit der voͤlligen GOttes Erkaͤntniß erleuch - ter / ſich mit GOTT allezeit unterreden konten / ſehe ich nicht / wie es moͤglich ge - weſen waͤre / daß ſie ſich / an ſtatt des wah - ren GOttes / etwas anders / und falſches haͤtten erdichten koͤnnen / um ſolches hernach entweder vor dem wahren GOtt ſelbſt / oder doch nur nebenſt demſelben anzubeten / oder zu glauben / daß ſolch erdichtetes Ding Goͤttliche Macht und Gewalt habe. Und alſo waͤre es nicht vonnoͤthen geweſen / denen Menſchen / nach damaliger Beſchaffenheit / ein ſolch Verbot vorzuſchreiben: Du ſolt nicht andere Goͤtter haben; ſondern es haͤtte ihnen nur ſchlechter Dinges Præ -ceptôVorrede. ceptô affirmativô dürffen anbefohlen werden / daß ſie GOtt / ihren und der gantzen Welt wohlerkañten Schoͤpffer lieben / ehren / und anbeten ſolten. Eben - falls iſt es auch mit dem andern Ge - ſetze bewandt. Denn warum haͤtte de - nenjenigen im Stande der Vollkom - menheit durch ein Verbot ſollen unter - ſaget werden / GOtt zu laͤſtern / die doch ſeine heilige Majeſtaͤt und groſſe Wohlthaten erkanten / die keine boͤſe Be - gierden anreitzeten / und deren Gemuͤ - ther in den von GOtt ihnen angewieſe - nen Zuſtande geruhig verharreten? Wie haͤtten dieſe auf eine ſolche Unſinnigkeit gerathen koͤnnen? Alſo haͤtte man ſie nur durch ein bloſſes Gebot erinnern duͤrffen / daß ſie den Nahmen GOt - tes ehren moͤgten. Allein mit den dritten und vierdten hat es eine an - dere Bewandniß. Denn weil dieſelbi - gen Gebots-weiſe abgefaſſet ſeynd / und die verderbte Natur nicht eben nothwen - dig præſupponiren / ſo koͤnnen ſie ſo wohl vor / als nach den Falle / ſtatt finden. Was aber die uͤbrigen DecalogiſchenGe -Vorrede. Geſetze anbelanget / die nicht GOTT / ſondern unſern Nechſten betreffen / ſo iſt die Sache gleichfalls klar. Denn da dürffte GOTT dem Menſchen zu der Zeit / als er noch in der anerſchaffenen Vollkommenheit lebete / nur ſchlechter Dinges befohlen haben / daß er ſeinen Nechſten lieben ſolte / worzu er oh - ne dem von Natur inclinirete. Allein / wie haͤtte ihm damals koͤnnen verboten werden / nicht zu toͤdten / zu der Zeit / da der Tod noch keinen Menſchen uͤber - fiele / ſindemal derſelbe allererſt durch die Suͤnde in die Welt gekommen iſt? Nun - mehro aber / und nach dem klaͤglichen Suͤnden-Falle / brauchet es des Verbo - tes mehr als zu ſehr / da / an ſtatt der Lie - be / ein ſolcher Haß und Feindſeligkeit un - ter denen Menſchen eiugeriſſen iſt / daß auch ihrer viel nicht allein Unſchuldige / ſondern auch ihre beſten Freunde und Gutthaͤter / aus bloſſen Neid / um ihre Wohlfahrt zu bringen / und ihr vergaͤl - letes und unruhiges Beginnen noch wol mit dem Deck-Mantel eines guten Ge - wiſſens zuverſtellen / kein Bedenckentra -Vorrede. tragen. Ferner / was waͤre es noͤthig gewe - ſen / den Ehebruch unter ſolchē Ehleu - ten zu verbieten / die einander mit ſo gar bruͤnſtiger und unverfaͤlſchter Liebe waͤ - ren zugethan geweſen? Oder / warum haͤtte man den Diebſtahl unterſagen ſollen / da doch kein Geitz und kein Man - gel zu ſpuͤren geweſen / und da niemand das jenige vor ſein Eigenthum wuͤrde ge - halten haben / womit er den andern haͤt - te dienen koͤnnen? Weßwegen ſolte der groſſe GOTT zu der Zeit ein Verbot auf die falſchen Zeugniſſe geleget haben / da noch niemand (wie heutiges Tages) in Schaͤnden und Schmaͤhen eine Ehre wuͤrde geſuchet haben? Schicken ſich al - ſo die Worte des klugen Taciti wohl hie - her: Es hingen die Leute vor Al - ters (im Stande der Unſchuld) ihren boͤſen Begierden nicht ſo nach / wie heutiges Tages / ſondern ſie lebten ehrlich und aufrichtig / und brauchte es dannenhero bey ihnen keiner Straffe. Denn weil ſie nichts Unrechtes verlangten / ſo durften ſie ſich auch keiner har -tenVorrede. ten Verbote oder Geſetze befuͤrch - ten. Wenn man dieſes nun recht ver - ſtehet / ſo werden wir leicht einen groſſen Zweifel abhelffen koͤnnen / nemlich / ob denn ein Unterſcheid ſey zwiſchen dem natuͤrlichen Geſetze vor / und nach dem Suͤnden-Falle / oder / ob es in beyden Zeiten mit denſelben einerley Beſchaffenheit wuͤrde ge - habt haben? Darauf mit wenigem zu antworten iſt / daß die vornehm - ſten Hauptſtuͤcke dieſes Geſetzes al - lendhalben einerley ſeyn / hingegen er - eignet ſich wegen des veraͤnderlichen Zu - ſtandes der Menſchen vor / und nach dem Falle in vielen Particulier-Geſetzen ein mercklicher Unterſcheid. Oder / daß ich was eigendlicher rede: Es muß ei - nerley Jnhalt des natuͤrlichen Geſetzes durch unterſchiedliche (iedoch nicht con - traire, oder wider einander-lauffende) Special-Geſetze erklaͤret werden / nach - dem der Menſch / dem ſolche angehen / bald ſo / bald wiederum anders beſchaf - fen geweſen. Den Jnhalt des gan - tzen natuͤrlichen Geſetzes ſchluͤſſetun -Vorrede. unſer Heiland in dieſe zwey Stuͤcke ein: Liebe GOtt / und liebe den Nech - ſten. Darinnen iſt das gantze Jus Na - turæ enthalten / ſo wohl im Stande der Vollkommenheit / als auch der Un - vollkommenheit / ohne nur / daß in je - nen entweder gar keiner / oder doch nur ein ſehr geringer Unterſcheid war unter dem Jure Naturæ, und der Theologiâ morali. Denn auch die Liebe gegen dem Nechſten kan gar fuͤglich durch die Socia - lität, oder Zuneigung zur menſch - lichen Geſellſchaffs / welche wir zum Fundament der Natuͤrlichen Rechte brauchen / verſtanden werden. Allein / wenn man die particulier und einze - len Geſetze nach einander anſiehet / ſo findet ſich ein groſſer Unterſchied / ſo wohl in denen Geboten / als auch Verbo - ten. Und zwar / was anbelanget die Gebote / ſo gibts deren viel in dem itzi - gen Suͤnden-Stande / die im Stande der Unſchuld gar nicht haͤtten ſeyn koͤn - nen / theils / weil ſie eine ſolche Verrich - tung oder Handlung præſupponiren / welche in jenem gluͤcklichen ZuſtandenichtVorrede. nicht wuͤrde ſeyn zu finden geweſen; theils auch / weil vor etzlichen Jammer und Kummer / Noth und Tod vorher ge - hen muß / ehe ſie koͤnnen erfuͤllet werden / wovon man denn zur ſelbigen Zeit eben - falls nichts gewuſt haͤtte. Zum Exem - pel / es befiehlet itzo das Recht der Na - tur mit iederman im Handel und Wan - del ehrlich zu verfahren / rechte Elle / Maß und Gewichte zu gebrauchen / Schulden zu rechter Zeit zu bezahlen /〈…〉〈…〉. Alleine das iſt noch nicht ausgemachet / ob man im Stande der Unſchuld derglei - chen Handel und Wandel / wie heutiges Tages / wuͤrde getrieben / oder Geld ge - brauchet haben. Gleichergeſtalt / wenn im Stande der Unſchuld keine Republi - qven und weltlich Regiment aufkom - men waͤre / ſo haͤtte man auch der Geſe - tze / ſo hierzu erfordert werden / nicht be - durfft. Heute wil das Recht der Natur haben / daß man den Nothduͤrfftigen und Elenden zu Huͤlffe komme / und die Witt - ben und Waiſen in Schutz nehme. So - fern nun gar kein Menſch weder Un - gluͤck / noch Armuth / noch den Tod zube -Vorrede. befahren gehabt haͤtte / ſo waͤre es ja ver - gebens geweſen / deßhalben einige Ge - ſetze zu geben. Wir ſollen / nach Erhei - ſchung der Natuͤrlichen Rechte / zur Ver - ſoͤhnligkeit und zum Frieden / wie auch unſern Beleidigern das zugefuͤgte Un - recht zu vergeben und zu vergeſſen / wil - lig und geneigt ſeyn. Was haͤtte es aber deſſen bey denenjenigen bedurfft / die von ſelbſt auf die liebreiche Erhaltung des Bandes menſchlicher Geſellſchafft einig und allein befliſſen waren? Und eben ſol - che Bewandniß hat es auch mit denen Verboten / welche eigendlich unter die Natuͤrlichen / und nicht etwa zu denen Poſitiv-Geſetzen gehoͤren. Denn ob - gleich ein jedweders Gebot folglich / und ſeiner Wuͤrckung nach / auch das Gegentheil verbietet / (als weñ GOtt befiehlet den Nechſten zu lieben / ſo verbeut ER eben dadurch im Gegen - theil alle das jenige / was ſolcher Liebe zu wider iſt) ſo waͤre es doch uͤberfluͤſſig und vergebens geweſen / in dem Stande der Unſchuld ein dergleichen Verbot mit ausdruͤcklichen Worten zu dictiren / all -woVorrede. wo gantz keine Luſt und Begierde nach ſolchen boͤſen und feindſeligen Dingen zu vermuthen war. Es kan auch zu deſſen Erlaͤuterung dienen / daß der weiſe Ge - ſetz-Geber Solon in ſeinen Geſetzen keine Straffe vor die Vater-Moͤrder verordnen wollen / weil er ſich nicht einbilden koͤnnen / daß ein Kind an ſei - nen Eltern eine ſolche abſcheuliche That veruͤben würde. Dieſen iſt nicht ungleich / was Franc. Lopez. de Gomora, Hiſt. Gent. Ind. Occident. cap. 207. von gewiſſen Voͤlckern in Nicaragua erzeh - let / daß bey ihnen keine Straffe darauf geſetzet worden / wenn einer ihren Caci - qve, oder Koͤnig umbringen wuͤrde / weil ſie davor gehalten / es wuͤrde niemals kein Unterthan an eine ſo grauſame That gedencken / geſchweige denn dieſelbe voll - bringen. Die Sache iſt nunmehro ver - hoffendlich ſo klar / daß ich mich ſelbſt ſchaͤme / ſie weiter auszufuͤhren. Doch wil ich zum Uberfluß / und junger Leute wegen / nur noch dieſes hinzufuͤgen. Jch ſetze den Fall / daß einen zwey Knaben zur Information waͤren anvertrauetwor -Vorrede. worden / iedoch beyde von gantz unglei - cher Art; Deren einer ſittſam / hoͤflich / und ſehr begierig zum Studiren; Der andere hingegen liederlich und muthwil - lig / der mehr von galaniſiren / als von Buͤchern hielte. Beyde haben ſie einer - ley Pflicht auf ſich / nemlich / daß ſie fleiſſig ſtudiren ſollen. Allein ſie brau - chen zweyerley Zucht und Geſetze. Den erſten darff man nur ſchlechter Din - ges ſagen / was er thun / wenn und wie er ſeine Studia angreiffen ſoll. Den andern aber muß man unter ernſt - licher Bedrohung verbieten / daß er nicht herum lauffe / daß er nicht ſpie - le / daß er die Buͤcher nicht verkauffe / daß er ſich in ſeinen Exercitiis keinen an - dern helffen laſſe / daß er nicht den Frau - enzimmer und Sauffen nach gehe. Weñ man nun dis den erſten und wohlgezoge - nen Knaben vorſagen / und immer ein - blaͤuen wolte / ſo wuͤrde er wohl bitten / daß man ihm doch darmit verſchonen / und es vielmehr denenjenigen vorhalten moͤgte / die der gleichen beduͤrffen. Hier - aus kan man nun Handgreiflich abneh -(11)men /Vorrede. men / daß das Jus Naturæ gar eine andere Geſtalt und Form wuͤrde haben muͤſſen / wenn man ſich ſol - ches nach dem Stande der Un - ſchuld einbilden wolte. Und / nach - dem alſo der Unterſcheid zwiſchen dieſer Diſciplin, und der morali Theologiâ ge - nau angemercket wordẽ / ſo wird man ihr verhoffendlich eben dasjenige Recht auch goͤnnen / welches ſonſt die buͤrgerliche Jurisprudens, die Medicin, die Phy - ſic, die Matheſis, und andere derglei - chen Wiſſenſchafften haben. Denn / wenn irgend ein Pfuſcher nach ſeinen eig - nen Vorwitz und Gutduͤncken darinnen ſtoͤhren / oder allzu-naſenweiſe davon ju - diciren wil / ſo wird er auf die Finger geklopffet / und mit derjenigen Antwort abgefertiget / die jener / ſeines unzeitigen Urtheils halben / von den Apelle anhoͤ - ren muſte / nemlich / er ſolte doch ſtilleſchweigen / und von einem Dinge nicht reden / wenn er es nicht verſtuͤnde / damit ihn ſeine Lehr-Jungen nicht auslachten. Mit ehrlichen und verſtaͤndigen LeutenhoffeVorrede. hoffe ich wohl auszukommen; Was aber ungelaͤhrte Neidhaͤmmel und Miſ - goͤnner ſind / die moͤgen ſich meinet - halben / uͤber ihrer Thorheit und Opi - niaſtreté wohl gar die Koͤpffe einſtoſſen / ſintemal es doch nimmermehr zu hoffen ſtehet / daß der Wolff ſeine Duͤcke / und der Mohr ſeinen ſchwartzen Balg veraͤn - dere.

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(2)Ver -

Verzeugniß derer Capitel.

  • Des erſten Buchs Erſtes Capitel / Von denen Actionen der Menſchen.
  • II. Von denen Geſetzen / als der Richtſchnur menſchlicher Actionen ins gemein.
  • III. Von denen Natuͤrlichen Ge - ſetzen inſonderheit.
  • IV. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Menſchen gegen GOtt; oder / von der Na - tuͤrlichen Religion.
  • V. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Menſchen gegen ſich ſelbſt.
  • VI. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Menſchen gegen ein - ander / und zwar nach der erſten Regul: Daß keiner den andern verletzen ſolle.
  • VII. Nach der andern: Daß ein jeder den andern vor ſeines gleichen hal - ten ſolle.
  • VIII. Nach der dritten: Daß einer den andern al - les Liebes und Gutes erweiſen ſolle.
  • IX. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Menſchen bey Auf - richtung ihrer Vergleiche / insgemein.
  • X. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Menſchen in Reden.
  • XI. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Menſchen im Schweren.
  • XII. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Menſchen bey erlan - gender Herꝛſchafft oder Eigenthuͤmligkeit ihrer Sachen.
  • XIII. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Menſchen / ſo aus der Beherꝛſchung derer Sachen vor ſich ſelbſt her - fluͤſſet.
  • XIV. Von dem Werth derer Sa - chen.
  • XV. Von denen Contracten / welche einen gewiſſen Werth der Sachen præ - ſupponiren / und der da - her entſtehenden ſchuldi - gen Gebuͤhr der Men - ſchen.
  • XVI. Welcher Geſtalt die Obli - gationes, ſo aus denen Pactis herruͤhren / wieder - aufgehoben werden?
  • XVII. Von der Auslegung / oder Erklaͤrung derer Geſe - tze.
  • Des andern Buchs I. Capitel. Von dem Natuͤrlichen Zu - ſtande derer Menſchen.
  • II. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Ehe-Leute.
  • III. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Eltern und Kinder.
  • IV. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Herrẽ und Knechte.
  • V. Von denen Urſachen / ſo die Menſchen zu Einfuͤhrung des buͤrgerlichen Staats / oder Republiqven be - wogen.
  • VI. Von der innern Zuſammen - fuͤgung derer Republi - qven.
  • VII. Von denen unterſchiedenen Theilen der hoͤchſten Staats-Gewalt / oder de - ro hohen Berechtigungẽ.
  • VIII. Von denen mancherley For - men und Arten derer Re - publiqven.
  • IX. Von denen vornehmſten Eigenſchafften der buͤr - gerlichen hohen Staats - Gewalt.
  • X. Von denen Mitteln zu der buͤrgerlichen hohen / und ſonderlich Monarchiſchen Staats-Gewalt zu ge - langen.
  • XI. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer hohen Staats - Haͤupter.
  • XII. Von denen buͤrgerlichen Ge - ſetzen inſonderheit.
  • XIII. Von dem Rechte uͤber Leben und Tod.
  • XIV. Von den unterſchiedenen Anſehen und Achtung ei - nes ieden Menſchen in der Republiqve.
  • XV. Von der hohen Obrigkeit Berechtigung uͤber der Republiqve, und Unter - thanen Guͤther.
  • XVI. Vom Kriege und Friede.
  • XVII. Von Buͤndniſſen.
  • XVIII. Von der ſchuldigen Gebuͤhr derer Unterthanen.
Des1

Des Herꝛn von Pufendorff Erſtes Buch / Von der ſchuldigen Gebuͤhr aller Menſchen.

Das erſte Capitel. Von denen Actionen der Menſchen.

§. 1.

DJe ſchuldige Gebuͤhr derer Menſchen nen - wir allhier eine iede Verrichtung deroſel - ben / alsferne ſie derer obliegenden Pflicht gemaͤß / und nach der Vor -Aſchrifft2Des erſten Buchsſchrift derer Geſetze rechtſchaffen ein - gerichtet iſt. Dieſes nun deſto beſſer zu verſtehen / ſo iſt noͤthig / zu vor - aus ſo wohl von der Eigenſchafft derer menſchlichen Actionen / als auch von den Geſetzen / uͤberhaupt etwas abzuhandeln.

§. 2.

Durch die menſchlichen Actiones verſtehen wir demnach dismal nicht eine jedwede von denen Natuͤrlichen Kraͤfften und Vermoͤ - gen eines Menſchen herruͤhrende Leibes-Bewegung / ſondern nur die - jenige / die von denen beſonderen / dem menſchlichen Geſchlechte von GOtt dem Allmaͤchtigen Schoͤpf - fer / zu einem Vorzuge vor denen Be - ſtien / verliehenen Gemuͤchs-Kraͤfften her entſtehen / und dirigiret wer - den / nemlich diejenige / (damit wirs kurtz machen /) welche der Menſch auf vorhergehende Erkaͤntniß ſeines Verſtandes / und Entſchluͤſſung des Willens unternimmet.

§. 3.3erſtes Capitel.

§. 3.

Denn es iſt den Menſchen gegeben / nicht allein allerley in der Welt vorkommende Sachen zu er - kennen / ſie gegen einander zu halten / und durch deroſelben Veranlaſſung ſich mancherley neue Vorſtellung zu machen; ſondern / daß er auch koͤn - ne wohl zuvor abſehen / was er thun wolle / und ſich zu deſſen Vollbrin - gung gebuͤhrend anſchicken / daſſelbe nach einer gewiſſen Norm und Zwe - cke einrichten / und was daraus er - folgen moͤgte / durch einen gefaßten Schluß erkennen / nichtsweniger auch dasjenige / ſo bereits vollbracht / ob es mit der Richtſchnur uͤberein - ſtimme / oder nicht / aufs allerge - naueſte beurtheilen. Allein es ſeynd dieſe Gemuͤths-Kraͤffte des Men - ſchen nicht alle / auch nicht allezeit in einer gleichmaͤſſigen Bewegung; ſondern theils deroſelben werden durch einen innerlichen Antrieb desA 2Men -4Des erſten BuchsMenſchen rege gemachet / und dann / nach ſolcher entſtandenen Regung / wieder gemaͤſſiget / und in Ziegel und Schrancken gehalten. Endlich / ſo iſt den Menſchen auch nicht alles gleiche viel / ſondern er pfleget / nach dem Unterſcheide derer ihm aufſtoſ - ſenden Sachen / etzliches zu verlan - gen / vor etzlichen aber einen Abſcheu zu haben / offt ſtehet er auch an / et - was vorzunehmen / ob ihm gleich die Sache und Gelegenheit zuhanden koͤmmet; ja / er laͤſſet ſich unter vie - len vorhandenen Objectis wohl nur eines gefallen / und die andern alle fahren.

§. 4.

Anlangende demnach das Vermoͤgen / etwas zu begreiffen / und zu beurtheilen / oder zu un - terſcheiden / mit einem Worte / den Verſtand / ſo muß man ein - fuͤr allemal feſte ſtellen / daß einen jeden erwachſenen / und ſeine ge -ſun -5erſtes Capitel. ſunde Vernunfft habenden Men - ſchen noch ſo viel von der Natuͤrlichen Erleuchtung uͤbrig verblieben ſey / daß er vermittelſt angewandten ge - ziemenden Fleiſſes und Nachſinnen zum wenigſten nur diejenigen allge - meinen Gebote und Principia, welche zur Fuͤhrung eines tugend - hafften und geruhigen Wandels in dieſem Leben befoͤrderlich ſeyn / rich - tig begreiffen / und / daß ſolche mit der Menſchen Gemuͤths - und Ge - ſchlechts-Art / gar genau uͤberein - kommen / zugleich ermeſſen koͤnne. Dann wofern man dieſes / zum we - nigſten binnen den Umkreiſſe derer irꝛdiſchen Gerichte / nicht zulaͤſſet / ſo wuͤrden die Menſchen ihre Verbre - chen allezeit mit dem Vorwandte ei - ner unuͤberwindlichen Unwiſſenheit entſchuldigen koͤnnen / ſintemal in denenſelben niemand der Ubertre - tung eines Geſetzes kan bezuͤchtigetA 3wer -6Des erſten Buchswerden / welches zu verſtehen ſeine Kraͤffte und Vermoͤgligkeit nicht zu - reichen.

§. 5.

Jſt nun der Verſtand in de - nenjenigen Dingen / die der Men - ſche thun / oder unterlaſſen ſoll / wohl unterrichtet / und zwar ſolcher geſtalt / daß er ſeine Meinung mit ge - wiſſen / und unzweifelhafften Gruͤn - den behaupten kan / ſo entſtehet bey ihm daraus ein richtiges / oder gu - tes Gewiſſen. Allein / wann einer zwar die rechte Meinung von den Thun und Laſſen hat / dieſelbe aber ſelbſt durch gewiſſe Gruͤnde nicht zu erweiſen weiß / ſondern nur aus dem Lauffe des gemeinen buͤr - gerlichen Lebens / der Gewohnheit / oder der Obrigkeit Verordnung und Befehlen alſo ſeinen Gemuͤthe ein - gedruͤcket hat / und doch auch keine Urſache findet / welche ihm mehr zu den Gegentheil uͤberreden ſolte / ſopfle -7erſtes Capitel. pfleget dieſes / zum Unterſcheid des vorigen / nur ein probabel, oder glaublich-gutes Gewiſſen genen - net zu werden; Welches bey den mehrern Theile derer Menſchen an - zutreffen iſt / indeme die wenigſten ſo gluͤcklich ſeyn / daß ſie die eigend - lichen Urſachen aller Dinge erken - nen moͤgen.

§. 6.

Doch pfleget es manchen ie - zuweilen zu begegnen / daß ſich / zu - mal bey ſonderbaren Faͤllen / von beyden Seiten / des Thuns und Laſ - ſens wegen / wichtige Urſachen ange - ben / ſie aber vor ſich ſelbſt nicht ver - moͤgend genung ſeynd / die uͤberwie - genden recht eigendlich zu erkennen / welches man daher von dem hierob entſtehenden Gemuͤths-Zweifel ein zweifelhafftiges Gewiſſen zu nen - nen pfleget. Und iſt deſſentwegen dieſe Regul zu mercken: Daß / ſo lange der Verſtand den richti -A 4gen8Des erſten Buchsgen Ausſchlag nicht geben kan / ob eine Sache gut / oder nicht gut ſey / man ſie allerdinges an - ſtehen laſſen ſolle. Denn ſo etwas vorzunehmen / ohnerachtet der Zwei - fel noch nicht eroͤrtert worden / iſt ein gewiſſes Anzeichen / daß man entwe - der mit Vorſatz zu ſuͤndigen / oder die Geſetze liederlich hindanzuſetzen / kein Bedencken trage.

§. 7.

Oeffters ergreiffet des Men - ſchen Verſtand auch wohl was Fal - ſches vor das Wahre / und dann ſa - get man / daß er in Jrꝛthum ſtecke; welcher denn entweder uͤberwind - lich iſt / ſo fern / als der Menſch / mit Anwendung gebuͤhrender Vor - ſichtigkeit und Fleiſſes ſich davor haͤt - te huͤten koͤnnen; oder unuͤber - windlich / wann es auch / vermit - telſt aller menſch - und moͤglichen Gefliſſenheit (als man in gemeinen Leben ſonſt anzuwenden pfleget /) nicht9erſtes Capitel. nicht waͤre dahin zu bringen gewe - ſen / daß man denſelben vermieden haͤtte. Dergleichen Jrꝛthum ſich denn zum wenigſten diejenigen / de - nen es mit dem Gebrauch ihrer ge - ſunden Vernunfft / und einen tu - gendhafften oder ehrlichen Wandel ein rechter Ernſt iſt / uͤber denen ge - meinen Lebens-Reguln nicht zuſtoſ - ſen laſſen / ob ſie ihm wohl in einigen ſonderbaren Begebenheiten allemal nicht umgang nehmen koͤnnen. Deñ es ſeynd nicht allein die allgemeinen Natuͤrlichen Rechte gantz klar und eben; ſondern es pflegen doch auch die uͤbrigen Geſetz-Geber zufoͤrderſt dahin zuſehen / damit denen Unter - thanen ihre Poſitiv - Geſetze kund - bar werden moͤgten. Und kan dan - nenhero ohne groſſe Nachlaͤſſigkeit disfalls einiger Jrꝛthum keinen Platz finden; Wie es gegentheils in ſonderbaren Geſchaͤfften gar leichteA 5ge -10Des erſten Buchsgeſchen iſt / daß ſich bey einen der glei - chen / auch wider ſeinen Willen und Verſchuldung / uͤber der Haupt-Sa - che ſelbſt / oder uͤber denen Umſtaͤn - den einer Action unvermuthet ein - ſchleichet.

§. 8.

Wo aber gantz und gar kei - ne Erkaͤntniß oder Wiſſenſchaft von etwas verhanden iſt / da heiſſet es ei - ne Unwiſſenheit. Welche wieder - um auf zweyerley Weiſe kan be - trachtet werden / einmal ſo fern / als ſie zu einer That etwas beytraͤ - get; Und zum andern / als fern ſie einen Menſchen nicht ohne ſeine Schuld / oder Widerwillen uͤberfaͤl - let. Der erſten Betrachtung nach wird ſie eingetheilet in eine wuͤrcken - de / und beylaͤufftige. Jene wuͤr - cket ſolcher geſtalt / indem / da ſie ge - than haͤtte / man die That nicht wuͤr - de unternommen haben; Dieſe iſt nur ein gefehrte der That / welcheauch11erſtes Capitel. auch ohne ſie / oder / da man gleich den Ausgang der Sachen zuvor gewußt / wuͤrde ſein vollfuͤhret worden. Nach der andern Betrachtung iſt die Un - wiſſenheit entweder eine willkuͤhr - liche oder widerwillige. Zu jener koͤmmet ein Menſch daher / wenn er ſie entweder freywillig / und mit vor - ſetzlicher Verwerffung derer zur Er - kaͤntniß der Wahrheit behoͤrigen Mittel / affectiret / oder ſich durch Verſaͤumung des gebuͤhrendẽ Fleiſ - ſes darvon uͤbereilen laͤſſet; Dieſe beſtehet darinnen / wenn man nicht weiß / was man weder wiſſen kan / noch zu wiſſen vonnoͤthen hat. Und iſt wiederum zweyerley. Denn entweder kan man ſich der Unwiſ - ſenheit nur in Gegenwart nicht ent - brechen / man iſt aber doch ſchuld dran / daß man ehemals darein ge - rathen; Oder man kan ſich nicht al - lein der Unwiſſenheit in GegenwartA 6nicht12Des erſten Buchsnicht entſchuͤtten / ſondern hat auch keine Schuld daran / daß man in derſelben ſtecket.

§. 9.

Das andere Vermoͤgen / ſo bey denen Menſchen aus einer be - ſondern Begnadigung vor denen Beſtien anzutreffen iſt / wird der Wille genennet / vermittelſt deſſen ſich der Menſch / als durch einen in - nerlichen Antrieb etwas zu thun be - weget / und dasjenige / ſo ihm vor - nemlich behaget / zu erwehlen / was ihm aber nicht anſtehet / zu vermei - den pfleget. So hat demnach der Menſch von dem Willen ſo wohl / daß er alles ungezwungen thun kan / daß iſt / daß er nicht durch ei - nen innerlichen Zwang zu ſeinen Verrichtungen genoͤthiget / ſondern in allewege vor den ſelbſteigenen Ur - heber deroſelben muß geachtet wer - den; Als auch / daß er freywillig / nicht allein bey Aufſtoſſung einerleyOb -13erſtes Capitel. Objects, damit etwas vornehmen / oder unterlaſſen / und daſſelbe entwe - der erwehlen / oder verwerffen; ſon - dern auch bey Darſtellung vielerley Sachen nur eines daraus erkieſen / die andern aber alle mit einander nach ſeinen Belieben zuruͤcke ſetzen darff. Ferner / ſo werden etliche derer menſchlichen Actionen ihrer ſelbſt wegen vorgenommen / theils aber in ſo fern / als ſie zur Erlangung et - was anders dienen; Das iſt: Etzli - che ſeind alſo beſchaffen / daß ſie einen zum Zwecke / andere / daß ſie einen zum Mittel gereichen muͤſſen. Den Zweck anbelangende / ſo pfleget ſich der Menſch hiebey alſo zu verhalten / daß er demſelben / als wohl erkañt / erſtlich billiget / hernach ſich nach der Erlangung deſſelben thaͤtlich ſtre - cket / und zwar / nach Gelegenheit / bald etwas eyfriger / bald wiederum kaltſinniger; Nach deſſen Erhal -Btung14Des erſten Buchstung aber dabey beruhet / und ſei - ner vergnuͤglich genieſſet. Die Mit - tel pfleget er anfaͤnglich zu probi - ren / hernach die beſten und geſchick - teſten auszuleſen / und ſie endlich wuͤrcklich vor die Hand zu nehmen / und zum Gebrauch anzuwenden.

§. 10.

Gleich wie aber der Men - ſche ſonderlich um deß willen vor dem Urheber ſeiner Actionen gehalten wird / weil er ſie aus eigenen und freyen Willen unternommen hat; Alſo muß man zufoͤrderſt hiebey an - mercken / daß man ihm dieſe Frey - heit und Eigenwilligkeit zum wenig - ſten in denenjenigen Handlungen zu ſtehen muͤſſe / daruͤber er in denen menſchlichen Gerichten pfleget in Anſpruch genommen zu werden. Dafern ihm aber von derſelben gar nichts uͤbrig bleibet; So iſt auch der Menſch nicht ſelbſt / ſondern derje - nige / der ihm zu einer Action ge -noͤ -15erſtes Capitel. noͤthiget / vor den Urheber derſelben zu achten / ſintemal er ſolchen Falls mehr nicht / als ſeine Gliedmaſſen und Kraͤffte wider ſeinen Willen darzu hergeliehen.

§. 11.

Ferner / ob gleich der Wil - le des Menſchen insgemein allezeit nach den Guten ſtrebet / und das Boͤſe verabſcheuet / ſo findet man doch nichts deſto weniger unter allen und jeden Menſchen einen merckli - chen Unterſcheid / ſo wohl in Anſe - hung dero Begierden / als auch Actionen. Und das koͤmmet nun daher / daß ſich Gutes und Boͤſes nicht ſo beſonders / ſondern allezeit beyderley mit einander vermenget præſentiren. Jngleichen weil ſie gleichſam unterſchiedne Theile in den Menſchen beſonders afficiren / zum Exempel / etzliches diejenige Hoch - Achtung / ſo der Menſch von ſich ſelbſt machet / etzliches ſeine aͤuſſer -B 2liche16Des erſten Buchsliche Sinnen / etzliches die Liebe zu ſich ſelbſt / als durch deren Antrieb er zufoͤrderſt ſich zu erhalten gefliſſen iſt. Dannenhero geſchiehets / daß er de - nen erſten / als tugendhafft - und wohlanſtaͤndigen / jenen / als an - muth - und ergoͤtzlichen / dieſen aber / als zutraͤg - und nuͤtzlichen Dingen nachhaͤnget. Und / nachdem ihm ei - nes unter denenſelben eine beſonders ſtarcke Regung eindruͤcket / nachdem wird es ſich auch / vor andern / einer hefftigen Zuneigung gegẽ ihm zu ver - ſehen haben. Hierzu kommet / daß man bey denen meiſten Menſchen noch eine beſonderne Inclination, oder beſondernen Haß gegen einige gewiſſe Sachen verſpuͤhret. Dan - nenhero es denn zugeſchehen pfleget / daß faſt bey einer iedweden Action, ſo wohl von den Guten / als Boͤſen / ſo wohl von den wahrhafftigen / als ſcheinbaren allerhand Arten vor -kom -17erſtes Capitel. kommen / welche vollkommendlich zu entſcheiden immer ein Menſch mehr Verſtand und Vorſichtigkeit hat / als der andere. Und iſt dem - nach auch kein Wunder / wenn einer etwa zu demjenigen Luſt hat / wovor der andere den groͤſſeſten Eckel und Abſcheu traͤget.

§. 12.

Es ſtehet aber auch des Menſchen Gemuͤthe bey einen jeden Vorhaben nicht allemal in gleicher Wage / dergeſtalt / daß / nachdem er vorher alles reiflich erwogen / blos der innerliche Antrieb den Ausſchlag auf dieſe oder jene Seite geben ſolte; ſondern er muß ſich vielmals durch aͤuſſerliche Gewichte mehr auf die ei - ne / als andere Part lencken / oder nie - derziehen laſſen. Denn zugeſchwei - gen der allgemeinen Geneigtheit de - rer ſterblichen zum Boͤſen / von deſ - ſen Urſprunge und Beſchaffenheit zu handeln anderswohin gehoͤret; SoB 3weiß18Des erſten Buchsweiß man / daß die ſonderbare Ge - muͤths-Art / vermoͤge deren etzliche Leute gewiſſen Actionen uͤberaus nachhaͤngen / die Krafft hat / dero Willen nicht wenig zu denſelben an - zuziehen / dergleichen ſich denn nicht etwa nur bey einzelnen Perſonen / ſondern / wie bekañt / auch ſo gar bey gantzen Nationen findet. Es ſchei - net aber / daß daran wohl die Be - ſchaffenheit der Luft / und des Landes die meiſte Urſache ſey / ingleichen das Temperament derer menſchlichen Leiber / welches von den Empfaͤng - niß-Saamen / von Unterſcheid des Alters / der Nahrung / Geſund - oder Ungeſundheit / Handthierung / und andern dergleichen Dingen her - ruͤhret; Wie nicht weniger eine gu - te oder uͤbele Conſtitution derer Gliedmaſſen / durch welche die See - le ihre Geſchaͤffte verrichten muß. Wobey gleichwohl zu gedencken /daß /19erſtes Capitel. daß / auſſer dem / da der Menſch ſolch ſein boͤſes Temperament, durch Anwendung eines rechten Ernſtes / nicht wenig aͤndeꝛn und nie - derſchlagen kan / es von ſich ſelbſt / ſo maͤchtig es auch gemachet wird / den - noch das Vermoͤgen nicht habe / einen Menſchen zu ſo groͤblicher Ubertre - tung derer Natuͤrlichen Rechte an - zutreiben / welche in irꝛdiſchen Ge - richten verdiente abgeſtraffet zu wer - den; als vor welche man / bekañter maſſen / die boͤſen / und in aͤuſſerli - che Thaten nicht ausbrechende Be - gierden keinesweges zu ziehen pfle - get. Und ob ſich die laſterhaffte Na - tur / nach offtmaliger Austreibung / gleich immerzu wieder anmeldet; ſo kan man doch zum wenigſten ver - wehren / daß ſie aͤuſſerlich nichts ſchaͤndliches vornehmen duͤrffe. Und ie mehr einen die Baͤndigung dieſer ungezaͤumten Inclination zu thunB 4vor -20Des erſten Buchsvorgiebet / ie groͤſſern Ruhm hat man von dero gluͤcklichen Uberwuͤn - dung zu gewarten. Jm Fall ſie aber eines Menſchen Gemuͤhte ſo gar hefftig zuſetzen ſolte / daß es auch un - moͤglich waͤre / dieſelbe ſchlechter Dinges zuruͤck zu halten / ſo ſeynd dennoch Mittel und Wege vorhan - den / dadurch man ihrer ohne Suͤn - de loß werden koͤnne.

§. 13.

Die offtmalige Wieder - hohlung einerley Actionen machet den Willen eines Menſchen auch ſehr darzu geneiget / und wird die da - her entſtandene Proclivität eine Gewonheit genennet. Denn die - ſelbe verurſachet / daß man dergeſtalt zu einer That willig und hurtig wird / daß / wenn es nur Gelegenheit darzu giebet / das Gemuͤthe gleichſam einen ſonderbaren Zug darzu empfindet / und bey dero Ermangelung ſich den - noch hefftig darnach ſehnet. Es iſtaber21erſtes Capitel. aber auch dieſer wegen zu beobachten; daß / wie keine Gewonheit ſo tieff einwurtzeln wird / die mit Anwen - dung eines eyfrigen Fleiſſes nicht wieder zu vertilgen ſtuͤnde; Alſo ſie auch die Gemuͤther der Menſchen dermaſſen in keine Wege verkehren und verderben moͤge / daß man zum wenigſten nicht denen aͤuſſerlichen Ubelthaten / dazu ſie einen ſonſt brin - gen kan / dann und wann zu ſteuren vermoͤgend bliebe. Und weil es in des Menſchen Willkuͤhr geſtanden hat / ſich von dergleichen Gewon - heiten anfaͤnglich einnehmen zu laſ - ſen / ſo kan doch deſſentwegen / ob ſie gleich einige Actiones erleuchtern / weder denen loͤblichen Thaten an ih - rem Werthe / noch denen Laſtern an ihrer Heßligkeit ichtwas abgehen; ſondern / wie loͤblichen Gewonhei - ten zu eines Menſchen Rhum und Ehre gereichen / alſo pflegen ihm dieB 5boͤ -22Des erſten Buchsboͤſen um deſto ſo viel abſcheulicher zu verſtellen.

§. 14.

Es iſt auch viel dran gele - gen / ob eines Menſchen Gemuͤthe in geruhiger Beſaͤnftigung ſtehe / oder ob es von gewiſſen Bewegun - gen / die man Affecten nennet / gleichſam erſchittert werde. Wobey denn dieſes zu behalten / daß ohner - achtet dieſelbigen noch ſo hefftig auf - ſteigen / dennoch die Vernunfft / wenn ſie der Menſch recht zu gebrauchen weiß / dero Meiſter werden / und zum wenigſten in ſo viel verhuͤten koͤnnne / daß ſie in die aͤuſſerſten und ſtraffbaren Thaten nicht duͤrffen her - vor brechen. Jndem aber theils de - rerſelben / unter der Vorſtellung ei - niges Guten / theils uͤber etwas Boͤ - ſen erreget werden / und einen Men - ſchen entweder zur Erlangung et - was / ſo ihm angenehm / oder zur Vermeidung deßjenigen / ſo ihm ver -druͤß -23erſtes Capitel. druͤßlich iſt / anreitzen; So iſt es der menſchlichen Natur gemaͤß / daß man dieſen mehr Gunſt und Ver - gebung erweiſe / als jenen / und zwar ſolches um deſto ſo viel williger und uͤberfluͤſſiger / ie beſchwerlicher und unertraͤglicher das Ubel geweſen / daruͤber ſie entſtanden ſeynd. Denn man haͤlt es vor viel leydlicher / eini - ges Guten / das zur Erhaltung der Natur ſo gar noͤthig eben nicht iſt / zu entbehren / als etwas Boͤſes / das der Natur ihren Untergang und Verderben androhet / zu ertragen.

§. 15.

Endlich / wie es gewiſſe Kranckheiten giebet / welche den Menſchen ſeiner Vernunfft entwe - der beſtaͤndig / oder nur auf eine ge - wiſſe Zeit berauben; Alſo iſts bey vielen Voͤlckern gebraͤuchlich / daß ſie ſich mit Vorſatz eine gewiſſe Art der Kranckheiten uͤber den Hals zie - hen / die zwar bald wieder uͤberhin ge -B 6hen /24Des erſten Buchshen / unterdeſſen aber doch den Ge - brauch der Vernunfft nicht wenig perturbiren. Wir verſtehẽ hiedurch die Trunckenheit / ſo von gewiſ - ſen Saͤften und Rauche herkoͤmmet / und / indeme ſie das Gebluͤte und die Lebens-Geiſter durch eine gewaltfa - me Bewegung antreibet / und in Unordnung bringet / die Leute ſon - derlich zur Geilheit / Zorn / Verwe - genheit / und zur einer ungemaͤſſeten Luſt geneiget machet / dergeſtalt / daß ihrer viele durch die Trunckenheit gleichſam auſſer ſich ſelbſt / und gantz einer andern Gemuͤths-Art zu ſeyn ſcheinen / als ſie ſich ſonſt bey nichter - nen Muthe anzuſtellen gewohnet geweſen. Gleichwie aber dieſe nicht allezeit ſo ſtarck iſt / daß ſie die Ver - nunfft eben gantz und gar hinweg treiben ſolte; alſo pfleget ſie (in ſo - fern ſich ein Menſch derſelben zumal vorſetzlich ergeben /) denen hieruͤbervor -25erſtes Capitel. vorgenommenen Actionibus mehr Gram und Haß / als Gunſt und Vergebung zuwege zu bringen.

§. 16.

Ferner / gleichwie die Actiones derer Menſchen frey - willige heiſſen / ſoferne / als ſie von einen freyen Willen herflieſſen / und dirigiret werden; Alſo werden dieje - nigen / die man zwar wiſſendlich / aber doch wider ſeinen Willen vor - nehmen muß / widerwillige / und zwar in einem engern Verſtan - de / genennet. Denn ſonſt / und in der weitlaͤufftigern Bedeutung / rechnet man auch diejenigen hierun - ter / welche aus Unwiſſenheit[b]egan - gen werden. Demnach heiſſe: wi - derwillig ſo viel / als gezwungen / wenn einer nemlich durch aͤuſſerli - chen weit-ſtaͤrckern Zwang genoͤthi - get wird / ſeine Gliedmaſſen an et - was zu legen / alſo / daß man ſeinen Abſcheu und Unwillen durch aͤuſſer -B 7liche26Des erſten Buchsliche Zeichen / und ſonderlich moͤg - lichſte Widerſetzligkeit des Leibes zu erkennen giebet. Gantz uneigendlich werden aber diejenigen Actiones vor widerwillige angegeben / wenn man bey zuſtoſſender groſſen Gefahr etwas / als ein kleiners Ubel erweh - let / worzu man ſich ſonſt / auſſer der - gleichen Bedraͤngniß durchaus nicht wuͤrde verſtanden haben. Jnsge - mein werden dieſes vermiſchete Actiones genennet. Denn ſie ha - ben mit denen freywilligen dieſes ge - mein / daß der Wille eines Men - ſchen dieſelbigen / nach Beſchaffen - heit des gegenwaͤrtigen Zuſtandes / als ein geringeres Ungluͤck / erkiefet. Hinwieder kommen ſie mit denen widerwilligen etzlicher maſſen dem Effecte nach uͤberein / indem ſie ei - nem endweder gantz nicht / oder doch nicht ſo ſehr / als die freywilligen pfle - gen beygemeſſen zu werden.

§. 17.27erſtes Capitel.

§. 17.

Jm uͤbrigen / ſo iſt dieſes derer menſchlichen Actionen / ſo auf vorhergehende Erkaͤntniß des Ver - ſtandes / und Entſchluͤſſung des Wil - lens vorgenommen werden / vor - nehmſte Eigenſchafft / daß man ſie dem Menſchen / als ſein Werck bey - meſſen / oder ihm voꝛ dem eigenlichen Uhrheber derſelben halten / auch dar - uͤber zur Rede ſetzen / und ihm endlich alle daraus entſtehende Wuͤrckun - gen zuſchreiben kan. Denn es iſt kei - ne naͤhere Urſache / warum man ei - nen eine That imputiren koͤnne / als eben daher / weil er ſie wiſſendlich / und mit Willen / mittel - oder unmit - telbar vollbracht / oder weil es bey ihm geſtanden hat / daß ſie vollzogen / oder nicht vollzogen worden. Dan - nenhero iſt dieſes in denen Moral - Diſciplinen / ſofern als ſelbige ihr Abſehen auf die menſchlichen Ge - richte haben / zum Haupt-Sa -tze28Des erſten Buchstze zu mercken; Daß man einen Menſchen uͤber alle denenjenigen Actionen Rechenſchafft abfor - dern koͤnne welche zu vollbrin - gen / oder zu unterlaſſen in ſei - nen freyen Willen geſtanden hat; oder welches eben ſo viel iſt; daß ei - nen ieden diejenige That / die er anſtellen koͤnnen / wie er Gewolt hat / und deſſen Urheber er gut - willig worden iſt / koͤnne beyge - meſſen werden. Wie man denn auch in Gegentheil niemanden das - jenige / als ſein Thun / bey meſſen kan / welches zu vollbringen / oder zu un - terlaſſen / zu befoͤrdern / oder zu verhindern in ſeiner Willkuͤhr und Vermoͤgen niemals geſtanden hat.

§. 18.

Aus dieſen Vorſaͤtzen wol - len wir nunmehro noch etzliche ein - zelne Propoſitiones ziehen / daher man abſehen koͤnne / was einen jeden beyzumeſſen / und welcher geſtalt ervor29erſtes Capitel. vor den Urheber einer That / oder Ausganges derer Sachen zu halten ſey. So iſt demnach erſtlich zu wiſ - ſen; daß alles / was einer thut / oder was ſonſt geſchiehet / es mag ablauffen / wie es wil / oder dar - aus entſtehen / was da wil / einen andern nicht koͤnne beygemeſſen werden / es waͤre denn / daß ers durch ſeinen Fleiß und Aufſicht haͤtte vermeiden / oder aͤndern ſol - len / und koͤnnen. Allermaſſen denn nichts gemeiners unter denen Menſchen iſt / als daß einen die Auf - ſicht und Direction uͤber des andern ſeine Actiones aufgetragen wird. Derohalben / wenn einer durch des andern Verwarloſung oder Nach - laͤſſigkeit etwas verſiehet / ſo wird die That nicht alleine dem / ſo ſie unmit - telbar begangen / ſondern auch jenen beygemeſſen / der gebuͤhrende und moͤglichſte Aufſicht anzuwenden un -ter -30Des erſten Buchsterlaſſen hat. Jedoch hat dieſes auch ſeine gewiſſe Maſe und Schran - cken / und muß alſo die Moͤgligkeit nicht allzuhoch geſpannet / ſondern nach dem in der Welt uͤblichen / und einen freyen Menſchen anſtaͤndigen Temperamente verſtanden wer - den. Denn weil durch eine iedwede Untergebung / welcherley ſie auch ſeyn mag / des Untergebenen Frey - heit gleichwol in ſo gar nicht veꝛſchnit - ten wird / daß er des andern Dire - ction mit Gewalt oder Liſt nicht ſol - te widerſtreben / und ſich auf die ſchlimme Seite legen koͤnnen; Zu dem es auch die Art des menſchlichen Lebens nicht leidet / daß man ſich al - lezeit nur an einen gleichſam anfeſ - ſeln laſſe / und auf alle ſeine Schrit - te und Tritte Achtung gebe; So kan man denjenigen / der die Aufſicht gebuͤhret / wenn er ſonſten alles thut / was ſein Amt erfordert / auch dar -uͤber31erſtes Capitel. uͤber nicht zur Rede ſetzen / wenn der andere gleichwol etwas ungeziemen - des begienge / ſondern muß es dieſen alleine verantworten und verbuͤſſen laſſen. Ebener maſſen wird nun - mehro / nachdem die Menſchen Ge - walt und Herꝛſchafft uͤber die Be - ſtien bekommen / es denen Eigen - thums-Herꝛn beygemeſſen / wenn dieſelbigen jemanden durch dero Verwarloſung und Nachlaͤſſigkeit einen Schaden zufuͤgen; Auf gleiche Weiſe / wie man ſonſt denjenigen alles Ungluͤck und Schaden zuſchrei - bet / der die Urſache und Gelegenheit zu demſelben nicht vermieden / da ers doch haͤtte thun ſollen / oder koͤnnen. Weiln auch ein Menſch die Wuͤr - ckungen vieler Natuͤrlichen Din - ge befoͤrdern / oder aufhalten kan; ſo imputiret man ihm den daher entſtehenden Nutzen und Schaden nicht mehr / als billig / ſo viel nehm -lich32Des erſten Buchslich deſſen Bemuͤhung / oder Nach - laͤſſigkeit zu demſelbigen beygetragen hat. Zuweilen geſchichts auch wohl gar / daß man einen die ſo genañten Gluͤcks - oder Ungluͤcks-Faͤlle auſ - ſer der Ordnung zurechnet / da doch dieſelbigen weit von einer andern / als menſchlichen Direction herruͤh - ren / ſofern nemlich der groſſe GOtt / in Anſehung einer oder andern ge - wiſſen Perſon / hiezu etwa ſonderlich bewogen worden. Auſſer dieſen / und dergleichen Faͤllen iſts genung / wenn man nur von ſeinen eigenen Actio - nibus Rede und Antwort geben kan.

§. 19.

II. Wenn ein Menſch etwas an ſich hat / oder ihm et - was mangelt / daß er ſich doch ſelbſt weder abnehmen / noch ge - ben koͤnnen; ſo darff man ihm ſolches auch nicht zurechnen / oh - ne nur in ſofern / als er den Man -gel33erſtes Capitel. gel durch gebuͤhrenden Fleiß ab - zuhelffen / und denen Natuͤrli - chen Kraͤfften zuſtatten zu kom - men verabſaͤumet hat. Alſo / weil ſich niemand einen durchdringenden Verſtand / und ſtarcken Leib ſelbſt geben kan / ſo hat man auch dieſer - wegen niemanden etwas beyzumeſ - ſen / auſſer / was er etwa durch gute Cultivirung ſelbſt beygetragen / oder gegentheils durch eigene Faulheit daran verlaͤſſet hat. Gleichfalls ſo darff man auch einen Bauer ſeine grobe Sitten ſo nicht voruͤbel halten / als wenn ein Buͤrger / oder Hof - Mañ darmit aufgezogen kaͤme. Der - halben waͤre es ſehr abgeſchmackt / wenn man einen / zum Exempel / ſeine kleine Statur / heßliche Leibes - Geſtalt / und andere dergleichen Maͤngel vorwerffen wolte / derer Urſache / oder aͤnderung doch bey ih - me in geringſten nicht geſtanden.

§. 20.34Des erſten Buchs

§. 20.

III. Wann einer etwas aus einer unuͤberwindlichen Un - wiſſenheit begehet / ſo kan ihm daſſelbige auch nicht beygemeſſen werden. Denn wenn der Verſtand mit ſeinen Lichte gantz nicht vorleuch - tet / ſo kan man eine Action auch nicht dirigiren / oder gebuͤhrend an - ſtellen. Es wird aber hierbey præ - ſupponiret / daß der Menſch ſich ſothanige Erkaͤntniß nicht zuwege bringen koͤnnen / noch ſelbſt an de - rerſelben Ermangelung Urſache ge - weſen. Auch iſt das koͤnnen in dem gemeinen Leben und Wandel nur moraliter anzunehmen / vor ein ſol - ches Vermoͤgen / Vorſorge und Be - hutſamkeit / als man gemeiniglich vor zulaͤnglich erachtet / und welches ſich auf probabele Urſachen oder Gruͤnde ſteiffet.

§. 21.

IV. Wenn einer ſeiner Geſetze / oder Amts wegen / dar -zu35erſtes Capitel. zu er verpflichtet iſt / eine Unwiſ - ſenheit / oder Jrꝛthum vorſchuͤ - tzen wolte / ſo wird ihm ſolches von der Beſchuldigung nicht be - freyen. Denn wer einen mit Ge - ſetzen und Pflicht verbindet / der pfle - get auch / und iſt ſchuldig / zufoͤrderſt dahin zu ſehen / daß der verpflichtete deſſen / woran er ſich zu halten hat / kuͤndig werde. Deßwegen werden auch die Geſetze / und Amts-Reguln nach des Unterthanẽ Capacität ein - gerichtet; gleich wie dieſes allezeit hoͤchſt-vonnoͤthen iſt; alſo muß ein jeder Unterthan / oder Pflicht-Ver - wandter hinwiederum auch ſeines Orts dran ſeyn / daß er dieſelbigen wohl faſſe / und behalte. Wer nun dißfalls ſelbſt an ſeiner Unwiſſenheit Urſache iſt / der muß auch billig von alle denjenigen Rechenſchafft geben / das aus ſothaniger Unwiſſenheit ent - ſtehet.

§. 22.36Des erſten Buchs

§. 22.

V. Wem es ohne ſeine Schuld an Gelegenheit etwas zu thun fehlet / dem kan man auch ſolcher wegen keine Schuld bey - meſſen. Es ſcheinen aber zu einer rechten Gelegenheit dieſe vier Stuͤ - cke zu gehoͤren; Erſtlich / daß das Object der Handlung vorhanden ſey; hernach / daß man einen beqve - men Ort darzu habe / da man von andern nicht koͤnne gehindert wer - den; Ferner / daß es rechte Zeit ſey / da man was anders / und noͤthigers nicht zu thun hat / und es auch an - dern / die etwa darbey ſeyn muͤſſen / gelegen iſt; Und endlich / daß das natuͤrliche Vermoͤgen / ſo zur Action erfordert wird / nicht ermangele. Denn weil ſonder dieſen nichts ge - ſchehen kan / ſo wuͤrde es ſehr unge - raͤumt heraus kommen / wenn man einen dißfalls etwas beymeſſen wol - te / da er doch die geringſte Gelegen -heit37erſtes Capitel. heit darzu nicht haben koͤnnen. Alſo kan man einen Medicum keiner Faulheit beſchuldigen / wenn nie - mand kranck werden wil. So kan ei - ner vor keinen kargen Knicker ge - ſcholten werden / wenn er ſelbſt nichts zum Beſten hat. Alſo kan man auch von einem / der ſich rechtmaͤſſiger weiſe um Dienſte beworben / aber nichts erhalten kan / nicht ſagen / daß er ſein Pfund vergrabe. Wer viel kan / und zu vielen Gelegenheit hat / von dem wird man viel fordern. Nie - mand kan aber zugleich ſchlucken / und blaſen.

§. 23.

VI. Es iſt wider die Ver - nunfft / daß man einen Menſchen deßwegen etwas zurechne / weil er nicht gethan hat / was doch uͤber ſein Vermoͤgen iſt / und er weder ver - wehren / noch befoͤrdern koͤnnen. Dannenhero iſt die gemeine Regul: Unmōgliche Dinge leiden keineCVer -38Des erſten BuchsVerbindligkeit; Doch iſt darzu zu zu ſetzen: Wenn ſich einer nur nicht ſelbſt um die Kraͤffte des Vermoͤgens gebracht / oder die - ſelben geſchwaͤchet hat. Denn ein ſolcher verdienet eben auf die Art tractiret zu werden / als ob er das voͤllige Vermoͤgen noch haͤtte; Weil ſich ſonſt ein ieder auf dieſe Weiſe / und durch muthwillige Entkraͤff - tung / ſeiner verdrießlichen Obliga - tionen gar leicht entziehen koͤnte.

§. 24.

VII. Was einer durch Zwang leidet / oder thut / das kan ihm auch nicht beygemeſſen werden. Denn ſolcher geſtalt ſte - hets ja bey ihm nicht / dergleichen zu unterlaſſen / oder abzuwenden. Man wird aber auf zweyerley Weiſe ge - zwungen / einmal / wenn einen ein Staͤrckerer die Gliedmaſſen / etwas zu thun / oder zu unterlaſſen / mit Gewalt anſtrenget; Zum andern /wenn39erſtes Capitel. wenn einen ein weit-Gewaltigerer ein groſſes Ungluͤck nicht allein an - drohet / ſondern es auch augenblick - lich werckſtellig machen kan / dafern man[ſich] nicht gutwillig / was er ver - langet / zu thun / oder zu unterlaſſen beqvemen wolte. Denn in ſolchem Falle / und / da man nicht ausdruͤck - lich verbunden iſt / dasjenige Ubel / das durch ſothanigem Zwang einen andern wiederfaͤhret / mit ſeinem ſelbſt eigenen Schaden abzulehnen / kan / deſſen ohnerachtet / die That doch nur denjenigen / ſo den Zwang angeleget / Uns aber ein mehres nicht beygemeſſen werden / als etwa einen Schwerdte / Axt / oder andern Ge - wehre / damit eine Mordthat ver - uͤbet worden.

§. 25.

IIX Denenjenigen / die ihren Verſtand nicht haben / kan man auch nichts imputiren; weil ſie nicht recht wiſſen / was ſie thun /C 2und40Des erſten Buchsund ſolches gegen die Richtſchnur der Geſetze nicht halten koͤnnen. Da - her gehoͤren nun die Actiones de - rer Kinder / ehe ſich der Verſtand ziemlicher Maſſen bey ihnen findet. Denn ob ſie wohl ihrer Untugenden wegen geſcholten und geſtraffet wer - den / ſo geſchiehet dieſes doch nicht deßwegen / als ob ſie / nach menſchli - cher Gerichts-Schaͤrffe / eigendlich eine Straffe verdienet haͤttẽ / ſondern nur durch Art eines zur Verbeſſe - rung angeſehenen Verweiſes / und Zucht / damit ſie andern Leuten da - durch nicht fernere Ungelegenheit machen / oder eine boͤſe Gewohnheit an ſich nehmen. Gleicher geſtalt kan man auch derer Raſenden / Un - und Wahnſinnigen Actiones vor menſchliche weder halten noch be - ſtraffen / zumal wofern ſie ohne ihre Schuld zu dergleichen Ungluͤcke ge - kommen ſeynd.

§. 26.41erſtes Capitel.

§. 26.

IX. Endlich kan einen dasjenige nicht zugerechnet wer - den / was er im Schlaffe thut / oder ihm beduͤncket / als ob er es thaͤte; Es waͤre denn / daß er ſich des Tages uͤber in Gedancken ſo ſehr damit beluſtiget / und ſo ſtarcke Im - preſſiones darvon gemachet haͤtte; Wiewohl dergleichen Dinge auch ſelten vor die menſchlichen Richter - Stuͤhle pflegen gezogen zu werden. Denn es laͤſſet ſich die Phantaſie ei - nes ſchlaffenden Menſchen gar wohl mit einem Schiffe vergleichen / wel - ches ohne Ruder und Steuer-Mann auf denen wilden Wellen herum ſchweiffet / und kan der Menſch das - jenige doch nicht gleich ins Werck richten / und zum Stande bringen / was ihm dieſe in ihren Traum-Bil - dern vorgeſtellet.

§. 27.

Von wegen deſſen / da man offt einen des andern ActionC 3hal -42Des erſten Buchshalber etwas beymiſſet / iſt mit ge - nauern Unterſcheid annoch noth - wendig anzumercken / daß es zuwei - wohl geſchehen koͤnne / daß eine That denjenigen / ſo ſie unmittelbar voll - bracht / gantz und gar nicht / ſondern vielmehr dem andern / ſo dieſen / als ein Werckzeug / gebrauchet / impu - tiret werde. Jedoch iſt das gewoͤhn - licher / daß man es allen beyden / nemlich / ſo wohl den Haupt-Thaͤ - ter / als denjenigen / der nur etwas mit Thun / oder laſſen beygetragen hat / zugleich beymeſſe. Und das beſchiehet ſonderlich auf dreyerley Weiſe; entweder wird der andere vor den Haupt-Urſaͤcher der That / der Thaͤter aber dennoch nur vor den Neben-Urſacher oder Gehuͤlfſen derſelben gehalten; Oder ſie ſeynd beyde in gleicher Schuld und Ver - dam̃niß; Oder es wird der andere vor einen Gehuͤlffen und Neben -Ur -43erſtes Capitel. Urſacher / hingegen der Thaͤter vor die Haupt-Urſache geachtet. Zu der erſten Claſſe gehoͤren diejenigen / die einen andern durch ihre Authorität und Anſtifften zu etwas beredet; Die auf beſchenes Anſuchen ihren Con - ſens ertheilet / ſonder welchen der Thaͤter nichts haͤtte ausrichten koͤn - nen; Welche / da ſie etwas haͤtten verhuͤthen koͤnnen / und ſollen / es doch nicht gethan haben. Zu der an - dern die jenigen / welche eine That befehlen / oder andere zur Ausuͤbung derſelben miethen und bedingen / wel - che den Thaͤtern Unterſchleiff und Schutz leiſten; Welche / da ſie denen Nothleidenden Huͤlffe reichen koͤn - ten und ſolten / es dennoch zu thun anſtehen. Zur letzteren und dritten aber diejenigen / welche einen ge - nauen Rath und Einſchlag zu einer That geben / dieſelbe / bevor ſie ge - ſchehen / loben / und ihr beyfallen /C 4oder44Des erſten Buchsoder auch einen durch ihr boͤſes Ex - empel zur Suͤnde verleuten / u. ſ. w.

Das andere Capitel. Von denen Geſetzen / als der Richtſchnur menſch - licher Actionen ins gemein.

§. 1.

WEil die menſchlichen Actio - nes von deroſelben Willen herruͤhren / der Wille aber bey allen und jeden nicht allezeit gleich iſt / ſon - dern der eine faſt da / der andere dort hinaus wil / derohalben war es zur Erhaltung einer geziemenden Ord - nung und Wohlſtandes in der menſchlichen Geſellſchafft hoͤchſt - vonnoͤthen / daß ſie allerſeits eine ge - wiſſe Richtſchnur haͤtten / nach wel - cher deroſelben Wille eingerichtet /und45anderes Capitel. und gelencket werden moͤgte. Denn ſonſten / und dafern ein jeder bey ſo - thaniger Freyheit des Willens / und Mannigfaltigkeit derer Zuneigun - gen und Begierden / ohne die ge - ringſte Reflexion auf eine gewiſſe Norm / haͤtte thun duͤrffen / was ihn nur in Sinn gekommen / ſo wuͤrde daraus in den menſchlichen Ge - ſchlechte nothwendig die aller groͤſſe - ſte Confuſion entſtanden ſeyn.

§. 2.

Dieſe Richtſchnur heiſſet man nun ein Geſetze / und iſt nichts anders ein Befehl oder Entſchluß / dadurch ein Oberer ſeinen Unter - than verbindet / daß er alle ſein Thun und Laſſen nach deſſelben Vorſchrifft anſtellen muͤſſe.

§. 3.

Dieſe Beſchreibung deſto deutlicher zu faſſen / ſo mun man er - klaͤren / was denn eigendlich Pflicht und Verbindligkeit ſey? Woher ſie bey einen Menſchen entſtehe /C 5und46Des erſten Buchsund er ſich derſelben zu unter - werffen faͤhig ſey? Und endlich / wer einen andern damit belegen koͤnne? Pflicht oder Verbindlig - keit heiſſet demnach in gemein ein Band derer Rechte / vermittelſt deſſen man ſich genoͤthigt befindet / etwas zu thun / oder zu unterlaſſen. Denn es wird unſerer Freyheit dadurch gleich - ſam ein Zaum angeleget / daß / da der Wille ſchon de Facto einen andern Weg gehen koͤnnen / er ſich dennoch hiedurch / als durch eine innerliche Fihlung dermaſſen geruͤhret befin - det / daß er ſelbſt erkennen muß / er habe unrecht gethan / weil er ſeine Actiones der vorgeſchriebenen N[o]rm nicht gemaͤß angeſtellet / und geſchehe ihm dannenhero eben recht / dafern ihm deßwegen etwas Boͤſes widerfuͤhre; ſintemal er ſolches / weñ er der Richtſchnur Folge geleiſtet / leichtlich Umgang nehmen koͤnnen.

§. 4.47anderes Capitel.

§. 4.

Daß aber der Menſch faͤ - hig iſt / einige Verbindligkeit uͤber ſich zu nehmen / deſſen kan man zufoͤrderſt zweyerley Urſachen angeben; Die eine iſt / weil er einen freyen Willen hat / der ſich unter - ſchiedlich lencken / und gleichſam bie - gen / und alſo nach der Richtſchnur einrichten laͤſſet; Die andere aber / weil ein jeder Menſch wuͤrcklich un - ter eines Obern Gewalt ſtehet. Deñ wo ſeine Kraͤffte von der Natur nur zu einerley / und immer auf gleich - maͤſſige Art beſchaffener Wuͤrckung gezwungen waͤren / ſo wuͤrde man ſich vergeblich Hoffnung zu einer freyen Action machen; Geſtalt es dann auch gantz umſonſt iſt / denenje - nigen eine Richtſchnur vorzuſchrei - ben / die ſie doch weder verſtehen / noch ſich nach derſelben richten koͤn - nen. Hat einer aber keinen Ober - Herrn / ſo iſt auch eben hiedurch nie -C 6mand48Des erſten Buchsmand vorhanden / der ihm mit Fug und Recht zu etwas noͤthigen duͤrffte. Denn ob ein ſolcher in ſeinen Thun gleich einer gewiſſen Maſſe folgen / und ſich beſtaͤndig etzlicher Dinge ent - halten wolte / ſo wuͤrde dieſes doch nicht ſo wohl aus einer Obligation, als vielmehr nur bloß nach ſeinem guten Gefallen geſcheben. Und dan - nenhero iſt der Schluß leichte zu ma - chen / daß nur derjenige einer Ver - bindligkeit faͤhig ſey; Welcher wuͤrck - lich einen Ober-Herꝛn hat / die vor - ge chriebene Norm begreiffen kan / und deſſen Wille ſich auf unterſchie - dene Seiten lencken und bewegen laͤſſet; Dabey aber doch auch erken - net / daß / nach dem ihm dieſelbe von ſemen Obern einmal vorgeſchrieben / er ohne Suͤnde davon nicht abwei - chen koͤnne; mit welcher Natur denn der Menſch von GOtt vor andern begabet worden.

§. 5.49anderes Capitel.

§. 5.

Endlich ſo wird die Ver - bindligkeit dem Gemuͤthe eines Menſchen eigendlich nur allein von ſeinen Ober-Herꝛn / das iſt / von einem ſolchen / beygebracht / welcher nicht alleine vermoͤgend iſt / denen Widerſpaͤnſtigen die Schaͤrffe fuͤhlen zu laſſen; ſondern der auch rechtmaͤßige Urſachen hat / einen anzufordern / daß er ſich / ihm zu ge - fallen / und zu folge / die Freyheit ſei - nes Willens umſchraͤncken laſſe. Denn wo ſich dieſes beydes beyſam - men findet / ſo kan es nicht wohl an - ders ſeyn / als daß auf Seiten des Untergebenen gegen die angeſonne - nen Befehle und Meinung des Obern eine mit Furcht vermiſchte Ehr-Erbietigkeit entſtehe; Jene zwar aus Betrachtung der Gewalt; Dieſe aber aus Erwegung derer Urſachen / die einen / auch ohne ſo - thanige Furcht / blos vor ſich ſelbſtC 7zum50Des erſten Buchszumgebuͤhrenden Gehorſam anrei - tzen ſolten. Denn wenn einer ſonſt nichts anzufuͤhren weiß / warum er mich ihm unterthan und verbindlich haben wolle / auſſer ſeine bloſſe Ge - walt und Staͤrcke / der kan mich zwar wohl in ſo weit zu fuͤrch - ten machen / daß ich ihm eine Zeit - lang / und etwa die gegenwaͤrtige groͤſſere Gefahr zu vermeiden / Pa - rition leiſte; allein ſo bald die Furcht vorbey iſt / ſo werde ich mich gewiß nichts hindern laſſen / vielmehr wie - der nach meinen / als nach ſeinen Gefallen zu leben. Hingegentheils / wenn einer zwar befugt waͤre / mir den Gehorſam anzuſinnen / haͤtte aber das Vermoͤgen nicht / mir in Verweigerungs-Falle was anders ſehen zu laſſen; ſo wuͤrde ich mich ſei - ner Befehle vielleicht ohne Straffe entbrechen / wofeꝛn ihm nicht etwa ein Maͤchtigerer bey ſeinen Reſpecteſchuͤ -51anderes Capitel. ſchuͤtzen hilffe. Die wahren Urſachen aber / warum einer den Gehorſam von dem andern begehren koͤnne / ſeynd vornehmlich dieſe; Wenn er ihn ſonderbare Gutthaten erwieſen / oder / wenn der Unterthan weiß / daß es der Obere gut mit ihm meinet / und ihm beſſer rathen / und helffen kan / als er ſelbſt / ja / wenn er ſich ſeiner zu ſeinem Beſten wuͤrcklich annim - met; Und denn / wenn ſich iemand den andern freywillig unterworffen / und eingewilliget hat / daß er die Di - rection uͤber ihm haben ſolle.

§. 6.

Damit nun ein Geſetze in denen Gemuͤthern dererjenigen / de - nen es gegeben wird / ſeine Krafft er - reichen moͤge / ſo iſt noͤthig nicht allein den Geſetz-Geber / ſondern auch das Geſetze ſelbſt zu erkennen. Deñ wie kan einer gehorſam ſeyn / wenn er nicht weiß / wem er pariren oder worinnen er Folge leiſten ſolle? Nuniſt52Des erſten Buchsiſt zwar die Erkaͤntniß des Geſetz - Gebers ſehr leichte; Denn was die Natuͤrlichen Rechte anbelanget / ſo weiß man aus dem Lichte der Natur mehr / als zu wohl / daß GOtt der Schoͤpffer aller Dinge / auch dero - ſelben Urheber ſey. So kan einen jeden Buͤrger ebenfalls nicht unbe - kañt ſeyn / wer uͤber ihm in der Re - publiqve zu gebieten habe. Wel - cher geſtalt man ferners binter die Erkaͤñtniß derer Natuͤrlichen Rech - te komme / ſoll hiernechſt mit meh - rern erwehnet werden. Die buͤrger - lichen aber werden denen Untertha - nen durch eine oͤffentliche und deutli - che Ankuͤndigung oder Verruf - fung zu wiſſen gemachet. Wobey denn zweyerley kundbar ſeyn muß / erſtlich / daß das Geſetze von der Re - publiqve hoͤchſten Ober-Haupte herkomme; Zum andern / was deſ - ſelben eigendlicher Jnhalt ſey? Je -nes53anderes Capitel. nes kan man dahero wiſſen / wenn der Regente es denen Unterthanen entweder ſelbſt / ſo wohl muͤndlich / als vermittelſt ſeiner Hand und Sie - gels andeutet / oder ſelbiges durch ſei - ne hiezu verordnete Bedienten ver - richten laͤſſet. Derer Autorität man denn nicht Urſache hat in Zweifel zu ziehen / wenn man verſichert iſt / daß ihr Amt / ſo ſie in dem Lande verwal - ten / dergleichen mit ſich bringet / und ſie ſonſt ordentlicher Weiſe darzu pflegen gebrauchet zu werden; Jn - gleichen / wenn dieſe Geſetze / und deren Obſervanz wuͤrcklich in die Gerichte einfuͤhret wird / und dann / wenn ſie nichts der hohen Obrigkeit / oder gemeinen Beſten Nachtheiliges in ſich enthalten. Damit aber ein Geſetze recht eigendlich moͤge ver - ſtanden werden / ſo wil alle denenje - nigen / die ſolches promulgiren / hoͤchſten Fleiſſes obliegen / daß ſie dieal -54Des erſten Buchsallermoͤglichſte Klaͤrligkeit dabey an - wenden. Und wann ja uͤber denen - ſelbigen einige Dunckelheit verblie - be / oder entſtuͤnde / ſo muß ſolchen Falls die Erleuterung entweder von den Geſetz-Geber ſelbſt / oder von denenjenigen / ſo er hiezu oͤffentlich verordnet / eingezogen werden.

§. 7.

Ein jedes vollkommenes Geſetze hat dieſe zwey Theile / eines / darinnen enthalten iſt / was man / vermoͤge deſſelben / thun / oder laſſen ſolle; Das andere / dadurch an - gezeiget wird / was vor Straffe der - jenige zugewarten habe / der es un - terlaͤſſet / oder das Verbotene thut. Deñ gleichwie / von wegen der Bos - heit der menſchlichen / und allezeit zur Ubertretung geneigten Ge - muͤths-Art / es gantz vergeblich ſeyn wuͤrde / wenn man einen tauſendmal dis / oder jenes zu thun vorſagete / und nicht zugleich eine Straffe mit dar -auf55anderes Capitel. auf ſetzete; Alſo waͤre es nicht weni - ger auch eine groſſe Abſurdität, wenn man einen ohne vorhergehen - des ſtraffwuͤrdige Verbrechen der - gleichen ankuͤndigen wolte. Und alſo beſtehet alle Krafft ſich einen zu ver - binden / das iſt / ihm eine innerliche Nothwendigkeit / und Zwang anzu - bringen / oder durch Straffe zur Beobachtung derer Geſetze anzu - ſtrengen / eigendlich bey dem Geſetz - Geber / und denenjenigen / welchen die Aufſicht / und Exſeqvution de - rer Geſetze oblieget.

§. 8.

Dasjenige / ſo einen durch Geſetze aufgebunden wird / ſoll nicht allein in deſſen Vermoͤgen ſtehen / dem die Geſetze gegeben werden / ſon - dern auch entweder ihm ſelbſt / oder andern einen Nutzen ſchaffen. Deñ gleichwie es ein grauſames / und ab - geſchmacktes Anſinnen waͤre / einen unter Androhung gewiſſer Straffeſo56Des erſten Buchsſo etwas abzufordern / das doch we - der itzo / noch vormals zuthun ſeine Kraͤffte zugelaſſen; Alſo wuͤrde es wahrhafftig auch ein Vergebenes Werck ſeyn / wenn man eines Men - ſchen freyen Willen / um gantz un - nuͤtzer Dinge willen / in Feſſeln legen wolte.

§. 9.

Wiewohl nun ein Geſetz - Geber regulariter alle ſeine Unter - thanen / auf welche ſich die Materie eines Geſetzes ſchicket / und die er ſelbſt im Anfange nicht ausgenom - men / an dieſelbe wil verbunden ha - ben; So geſchiehets doch iezuweilen / daß er einen und andern aus beſon - dern Bewegniſſen von deroſelben Verbindligkeit loszehlet / oder Di - ſpenſation ertheilet; Welches / gleich wie es derjenige allein thun kan / dem die Gewalt Geſetze zu geben / und ſie gar wieder aufzuhe - ben zuſtehet; Alſo hat man ſichhie -57Anderes Capitel. hiebey auch wohl in acht zu nehmen / daß durch ſo gar oͤffteres / und ohn allen Unterſcheid oder erhebliche Ur - ſachen erſtattetes Diſpenſiren die Achtung derer Geſetze ſelbſt nicht umgeſtoſſen / und denen Untertha - nen zum Neid und Widerſpaͤnſtig - keit Anlaß gegeben werde.

§. 10.

Doch iſt von der Diſpen - ſation noch weit unterſchieden die Billigkeit / als welche beſtehet in der Verbeſſerung eines Geſetzes / wo - fern ſelbiges wegen ſeines allzuweit - laͤufftigen / oder allzuenge gefaßten Wort-Verſtandes einen Mangel zu haben ſcheinet; oder / es iſt eine richtige Erklaͤrung eines Geſetzes / vermittelſt deren aus natuͤr - und vernunfft-maͤſſigen Urſachen gewie - ſen wird / daß / wenn das Geſetze entweder gar zu univerſal lautet / ein und ander ſonderbarer Caſus unter demſelben nicht mit begriffen /oder /58Des erſten Buchsoder / da es / den Worten nach / gar zu enge abgefaſſet / es noch auf meh - rere und ſonderbare Faͤlle extendi - ret werden muͤſſe / weil ſonſten gar was ungeraͤumtes daraus erfolgen wuͤrde. Denn nachdemmal es nicht moͤglich iſt / alle Begebenheiten zu - vorher zu ſehen / und zu exprimi - ren; So muͤſſen die Richter / denen die allgemeinen Geſetze auf alle vor - fallende Caſus zu fuͤgen und einzu - richten geziemet / dergleichen Faͤlle von deroſelben ſtrengen Verbindlig - keit ausnehmen / welche der Geſetz - Geber / dafern er zugegen geweſen / oder ſie zuvoraus geſehen / ſelbſt wuͤr - de ausgenommen haben.

§. 11.

Ferner / ſo bekommen die menſchlichen Actiones von ihrer Ubereinſtimmung mit der morali - ſchen Richtſchnure gewiſſe Eigen - ſchafften und Benennungen. Und zwar / ſo heiſſen diejenigen / von wel -chen59anderes Capitel. chen die Geſetze zu beyden Theilen ausdruͤcklich nichts diſponiret / er - laubte / oder zugelaſſene; Wie - wohl zuweilen in gemeinen Leben / da man nicht eben alles ſo genau zu nehmen pfleget / auch dasjenige vor zugelaſſen geachtet wird / worauf die weltlichen Geſetze keine Straffe ge - leget haben / ob es gleich der Natuͤr - lichen Erbarkeit an und vor ſich ſelbſt widerſtreitet. Ferner / welche Actio - nes mit dem Geſetze uͤbereinſtim - men / die werden gute / diejenigen aber / ſo darvon abweichen / boͤſe genennet. Daß aber eine Action gut ſey / darzu iſt vonnoͤthen / daß ſie durchgehends mit dem Geſetze uͤbereinkomme / dahingegen zu ei - ner boͤſen ſchon genung iſt / wenn ſie nur in einigen Stuͤcke davon abwei - chet.

§. 12.

Die Gerechtigkeit wird aber bißweilen einer beſondernAction60Des erſten BuchsAction der Menſchen / bißweilen ihrer gantzen Perſon zugeeignet. Letzten Falls wird ſie beſchrieben / daß ſie ſey ein beſtaͤndiger Wille und Meinung / einen jeden allezeit recht und gebuͤhrlich zu begegnen. Denn ein ſolcher gerechter und redlicher Mann heiſſet derjenige / der ſeine Freude hat / an recht und redlich han - deln / der ſich die Redligkeit rechtſchaf - fen angelegen ſeyn laͤſſet / oder in alle Wege nichts anders ſuchet / als was Recht und Redligkeit erfordert. Hin - gegen iſt das ein Ungerechter / der ſich kein Bedencken nimmet / iederman zu betruͤgen / oder doch niemanden zu demjenigen / ſo ihm aus Schuldigkeit gebuͤhret / zu verhelffen / er koͤnne denn einigen Vortheil und Gewinn davon tragen. Und alſo koͤnnen ei - nem gerechten oder redlichen Man - ne / wenn er noch ſo redlich zu han - deln gedencket / dennoch aus Verſe -hen /61anderes Capitel. hen / auch wohl einige unrechtmaͤſſi - ge Actiones entfallen; Gleich wie im Gegentheil ein Ungerechter / wenns Gluͤcke gut iſt / zuweiln auch noch wohl ein und anderesmal red - lich handelt; Allein der Gerechte thut allezeit redlich aus Liebe zu den Geſetzen; Unrecht hingegen niemals / als nur aus menſchlicher Schwach - heit; Wenn aber der Ungerechte zu weilen was redliches beginnet / ſo ge - ſchiehets entweder aus Eigen-Nutz / oder aus Furcht der dem Geſetze an - hangenden Straffe; Das Unrechte aber thut er allemal aus Leichtfer - tigkeit und Bosheit ſeines Gemuͤ - thes.

§. 13.

Wenn aber die Gerech - tigkeit nur gewiſſen Actionen beygeleget wird / ſo iſt ſie nichts an - ders / als dererſelben gebuͤbrende Applieation auf die rechten Perſo - nen; und heiſſet eine ſolche gerechte /Doder62Des erſten Buchsoder rechtmaͤſſige Action / wenn man ſich mit ſelbiger aus guten Be - dacht / mit Wiſſen und Willen / ge - gen diejenige Perſon herauſſer laͤſſet / deren man es zuthun verbunden iſt. Bleibet alſo zwiſchen einer guten / und gerechten Action dieſer merck - liche Unterſcheid / daß jene ſchlech - ter Dinges in der Ubereinſtimmung mit denen Geſetzen beruhet; Dieſe aber uͤber dis ihr Abſehen zugleich mit auf die Perſonen richtet / gegen welche ſie der Menſch ausuͤben wil; Und wird deßhalben dieſe Gerech - tigkeit auch eine gegen andere Leu - te ſich erſtreckende Tugend genen - net.

§. 14.

Die Eintheilung der Gerechtigkeit pflegen nicht alle auf einerley Art zu machen; der gemei - neſten Mode nach wird ſie in die all - gemeine / und ſonderliche unter - ſchieden. Unter jener ſeynd allerleyGe -63anderes Capitel. Gebuͤhr und Dienſtfertigkeit gegen andere / die man auch ſonſt weder durch Gewalt / noch rechtliche An - klage erzwingen koͤnnte / begriffen; Dieſe aber iſt / wornach man einen zufoͤrderſt dasjenige abſtattet / was er von Rechtswegen fordern koͤnnen; und pflegt wiederum in die austhei - lende / und verwechſelnde / oder Handels-Gerechtigkeit abgethei - let zu werden. Jene hat zum Grun - de dergleichen Pacta, da ſich eine Geſellſchafft / und deroſelben Glied - maſſen eines gewiſſen Gewinſts / und Verluſts halber / nach Proportion ihres Beytrages / mit einander ver - gleichen; Dieſe aber die zweyſeiti - gen Contracte, die man ſonderlich uͤber denen zum gemeinen Handel und Wandel dienlichen Geſchaͤfften / und Dingen aufrichtet.

§. 15.

Nachdem nun bekannt iſt / was die Gerechtigkeit ſey / ſo wirdD 2man64Des erſten Buchsman hieraus im Gegentheil auch die Beſchaffenheit der Ungerechtigkeit unſchwer abnehmen koͤnnen. Wo - bey denn zufoͤrderſt zu mercken / daß eigendlich Unrecht heiſſe / wenn man etwas aus Vorſatz / und mit Willen vornimmet / dadurch ein anderer in denenjenigen Dingen hintergangen / und beſchaͤdiget wird / die ihm aus einem vollkommenen Rechte gebuͤh - ret / oder er / vermittelſt dergleichen Gerechtſame / allbereit wuͤrcklich in Beſitze hatte. Welches denn auf dreyerley Weiſe geſchiehet / entwe - der / wenn man einen verweigert / was er von Rechtswegen fodern koͤn - nen / (nicht / was man ihm etwa nur als einen bloſſen Liebes-Dienſt / und aus Leutſeligkeit erweiſen ſollen;) Oder / wenn man einen desjenigen beraubet / das er durch ein wohlher - gebrachtes / und wider den unbe - fugten Anſpruch ſattſam zulaͤnglich -und65anderes Capitel. und giltiges Recht beſitzet; Oder end - lich / wenn man einen etwas Leydes zufuͤget / welches zu thun man doch nicht berechtiget geweſen. Ferner wird zu einer eigendlichen Injurie, oder ungerechten beleydigung erfor - dert / daß es derjenige / von dem ſie herruͤhret / aus einen boshafftigen Vorſatze thue. Denn / wo dieſes er - mangelt / ſo darff man eine ſotha - nige Verletzung vielmehr nur eine Schuld / oder Ungluͤck nennen / welche denn bald geringer / bald groͤ - ber ſeynd / nachdem die Nachlaͤſſig - keit und das Verſehen entweder groß oder klein iſt / daruͤber einer wider den andern gleichſam anlaͤuffet.

§. 16.

Die Geſetze werden / in Anſehung ihrer Stiffter / in Gōtt - liche und menſchliche eingetheilet; Jene / we[i]ln ſie von GOTT / dieſe aber / weil ſie von Menſchen gegeben worden. Allein / wenn man ſie be -D 3trach -66Des erſten Buchstrachtet in ſo fern / als ſie entwe - der eine nothwendige und allgemeine Anſchickung zu allen Menſchen / oder in Gegentheil nur zu etzlichen / und gewiſſen Geſellſchafften haben / ſo muß man ſie in die Natuͤrlichen / und Poſitiv-Geſetze unterſcheiden / derẽ jene ſeynd / welche ſich zu der ver - nuͤnfftigen und Geſellſchafft lieben - den Natur derer Menſchen dermaſ - ſen fuͤglich ſchicken / daß ſonder de - nenſelben das menſchliche Geſchlecht in einer ſo tugendhafften und geruh - lichen Vereinigung nicht beſtehen koͤnte; Dannenhero ſie auch bloß aus dem Lichte der angebohrnen menſchlichen Vernunfft / und uͤber - haupt / aus der Betrachtung ihrer Natur / erkennet und erforſchet wer - den: Dieſe aber keinesweges aus fo - thaniger gemeinen Beſchaffenheit der menſchlichen Natur / ſondern bloſſer Dinges aus des Geſetz-Ge -bers67drittes Capitel. bers Willen und Gutbefinden her - flieſſen. Wiewohl ſie auch ſo gar oh - ne beſondern / auf gewiſſe Leute und Geſellſchafften abgezieleten Zweck / oder Urſache / und Nutzen keineswe - ges ſeyn duͤrffen. Ubrigens / ſo ſeynd die Goͤttlichen entweder Natuͤrli - che / oder Poſitiv-Geſetze; Allein derer Menſchen ihre ſeynd eigend - lich lauter Poſitiv-Geſetze.

Das dritte Capitel / Von denen natuͤrlichen Geſetzen.

§. 1.

WAs es fuͤr eine eigentliche Beſchaffenheit um die Na - tuͤrlichen Geſetze habe / wie noth - wendig dieſelben ſeyn / und in was fuͤr Geboten ſie bey itziger Bewand - niß des menſchlichen Zuſtandes beru - hen / das kan man am allerdeutligſtenD 4er -68Des erſten Buchserfahren / wenn man zufoͤrderſt die Natur und Gemuͤths-Art derer Menſchen genau durchforſchet. Deñ gleichwie es zur rechtſchaffenen Er - kaͤntniß derer buͤrgerlichen Rechte ſehr viel thut / wenn man ſich des Zu - ſtandes einer Republiqve, nebſt de - nen Sitten und Befliſſenheiten ih - rer Buͤrger wohl erkundiget; Alſo kan man auch auf zuvor eingezogene richtige Kundſchafft von der gemei - nen Gemuͤths-Art / und Zuſtande der Sterblichẽ ohnſchwer eꝛmeſſen / durch was vor Geſetze die Wohlfahrt dero - ſelben unterſtuͤtzet / und beyſammen gehalten werden muͤſſe.

§. 2.

Nun hat der Menſch die - ſes mit allen empfindlichen Geſchoͤp - fen gemein / daß er nichts hoͤhers liebet / als ſich ſelbſt / und ſich auf alle Art und Weiſe zu conſerviren trachtet / dannenhero er auch die ihm wohl-anſcheinende Dinge zu erlan -gen /69drittes Capitel. gen / und hingegen das ihn ſchaͤdlich zu ſeyn beduͤnckende zu hintertreiben ſuchet. Welche Zuneigung denn re - gulariter ſo ſtarck iſt / daß ihr alle die andern weichen muͤſſen. Und dan - nenhero kan es nicht anders ſeyn / als daß der Menſch / wenn er verſpuͤh - ret / daß ihm iemand nach ſeinem Gluͤcke oder Wohlfahrt ſtehet / auf demſelben dermaſſen erbittert wird / daß / ob gleich das zugedachte Ubel gluͤcklich hintertrieben worden / er dennoch den Haß / und Rachgier ſo leichte nicht fallen laͤſſet.

§. 3.

Aber darinne ſcheinets ein Menſch weit ſchlechter zu haben / als die unvernuͤnſſtigen Thiere / weil de - ren faſt kein einiges / ſeiner Geburt nach / ſo elend und duͤrfftig / als jener / auf die Welt koͤmmet; So gar / daß man es gewiß vor ein rech - tes Wunder halten muͤſte / wenn ein Kind / ohne anderer Leute Verpfte -D 5gung /70Des erſten Buchsgung / in die Hoͤhe wachſen ſolte. Weil es demnach / bey ſo viel ausgefũ - denen Noth - und Huͤlffs-Mitteln / ei - ner ſorgfaͤltigen / und langwierigen Unterweiſung bedarff / ehe ſich einer ſelbſt ſeinen Unterhalt an Koſt und Kleidung zu verdienen geſchickt wird; So wollen wir uns einen ſolchen Menſchen in unſern Gedancken vorſtellen / der / ohne alle Wart - und Verpflegung anderer Leute / zu ſeinen mannbaren Jahren kommen / der alſo nichts weiß / als was er von ſich ſelbſt hat / und von aller anderer Menſchen Huͤlffe und Geſellſchafft entfernet / etwan in einer Einoͤde auf - gewachſen. Wahr hafftig / man wuͤr - de wohl kaum ein elenders Thier auf dem gantzen Erdboden finden; das ſonder Sprache / und nackend / ſich mit Kraͤutern und Wurtzeln behelf - fen / oder die ſelbſtwachſenden Fruͤch - te aufſuchen / den Durſt mit Brun -nen -71drittes Capitel. nen-Fluß / oder aus der nechſten Grube geſchoͤpfften Waſſer leſchen / vor Kaͤlte und Wetter in eine Hoͤhle kriechen / oder den Leib / ſo viel moͤ - glich / mit Moß und Gras bedecken / die hoͤchſt-verdruͤßliche Zeit mit Muͤſſiggange vertreiben / ſich vor jeden aufſtoſſenden Thiere / und Ge - raͤuſche entſetzen / und endlich doch noch wohl vor Hunger / Kaͤlte / oder von den wilden Thieren jaͤmmerlich umkommen muͤſte. Was nun in Gegentheil das menſchliche Leben anitzo vor Beqvemligkeiten be - gleiten / das hat man alles mit ein - ander der mutuellen Behuͤlflig - keit der Menſchen zu dancken / ſo / daß nunmehro / nechſt GOtt / nichts mehr in der Welt iſt / daraus die Menſchen einen groͤſſeren Nutzen ſchoͤpffen koͤnten / als aus ihnen ſelbſt / und aus denen unter ſich geſtiffteten Geſellſchafften.

D 6§. 4.72Des erſten Buchs

§. 4.

Alleine / ſo nuͤtzlich die men - ſchen ein ander ſeyn koͤnnen / ſo feh - let es ihnen doch auch hinwiederum nicht an groſſer Bosheit / und an ſattſamen Vermōgen / einander zu beſchaͤdigen / welches beydes denn verurſachet / daß man ſich oh - ne Gefahr nicht mit ihnen einlaſſen kan / und ſich demnach ſehr wohl vorzuſehen hat / damit einen / an ſtatt des verhoffeten Guten / nicht was Boͤſes von ihnen zugefuͤget werde. Denn anfaͤnglich ſo findet man bey den Menſchen eine weit groͤſſere Ge - neigtheit zur Beſchaͤdigung / als bey einigem andern Thiere; Jndem die unvernuͤnfftigen Beſtien meh - rentheils nur etwa aus Hunger / oder Brunſt / und Geiheit zu toben begin - nen / in welchen beyden ſie ſich doch ſelbſt bald wieder helffen koͤnnen; und wenn denn dieſe Begierden bey ihnen gedaͤmpffet / ſo werden ſie nichtleicht73drittes Capitel. leicht boͤſe ſeyn / oder niemand be - ſchaͤdigen / es waͤre denn / daß man ſie mit Fleiß darzu anreitzete. Allein der Menſch iſt allezeit zur Geilheit geneiget / wird auch durch deren Trieb viel oͤffters angeſpornet / als es die Erhaltung ſeines Geſchlechtes zu erfordern ſcheinet. Der Bauch nicht allein geſaͤttiget ſeyn / ſondern auch was delicates und niedliches haben / und ſchlucket offt mehr in ſich / als die Natur vertragen kan. Die unvernuͤnfftigen Thiere ſeynd von Natur ſo verſehen / daß ſie keiner Kleider beduͤrffen; Allein der Menſch wil nicht nur zur Noth / ſondern auch zum Pracht / und Uberfluſſe gekleidet ſeyn. Uber dis / ſo findet man nun bey den Menſchen noch viele Affe - cten / und Begierden / davon die un - vernuͤnfftigen Thiere gantz und gar nichts wiſſen / als das Verlangẽ nach groſſer Ubermaſſe / den Geitz / Ehr -D 7ſucht /74Des erſten Buchsſucht / Neid / unzeitige Nach-Eyfe - rung / und Wett-Streit unter de - nen vortreflichſten Koͤpffen / ꝛc. Weñ man nun bedencket / woher die mei - ſten Kriege / daruͤber das menſchliche Geſchlecht offt ſo grauſam zerrittet wird / entſtehen / ſo muß man beken - nen / daß es meiſtentheils dergleichen Urſachen ſeyn / womit die Beſtien gar nichts zu ſchaffen haben. Und dieſes alles pfleget / und kan nun die Menſchen ſo weit antreiben / daß ſie den wuͤrcklichen Vorſatz faſſen / einander Leydes zuzufuͤgen. Hierzu koͤmmet / daß bey manchen noch ein beſonderer Frevel iſt / andern einen Poſſen und Verdruß zu erweiſen / woruͤber auch diejenigen / die ſonſt ei - ner ſittſamen Gemuͤths-Art ſeyn / ſich dennoch / um das Jhrige / und ihre Freyheit zu beſchuͤtzen / in den Harniſch / und zur Gegenwehre muͤſſen aufbringen laſſen. Zu Zeitentrei -75drittes Capitel. treibet auch die Noth und Armuth einen Menſchen zu allerhand unge - rechten Beleidigungen / meiſts um deßwillen / weil er etwa mit ſeinem wenigen Vorrathe / zu Saͤttigung ſeiner Begierden / und Nothdurfft nicht kan zukommen.

§. 5.

Nicht weniger haben die Menſchen auch ein ſattſames Ver - mōgen / einander in Schaden und Ungluͤck zu ſtuͤrtzen. Denn ob ſie ſich gleich weder mit Zaͤhnen / noch mit Klauen / und Hoͤrnern ſo formida - bel machen koͤnnen / als etwa viele von denen unvernuͤnfftigen Thieren; So ſeynd ihre Haͤnde doch mehr als zufertig / die aller-ſchadhafftigſten Werckzeuge abzugeben / und ihr Verſtand zeiget ihnen genugſame Wege und Vorſchlaͤge / es vermit - telſt allerhand verſchlagener Raͤncke dahin zu bringen / wozu ſie ſonſt durch oͤffentliche Gewalt nicht gelangenkoͤn -76Des erſten Buchskoͤnten. Dannenhero denn nichts leichters iſt / als daß ein Menſch dem andern das groͤſſeſte unter allen na - tuͤrlichen Ubeln / nemlich den Tod ſelbſt / uͤber den Hals bringe.

§. 6.

Endlich / ſo muß man auch die ſonderbare Mannigfaltigkeit derer menſchlichen Gemuͤther oder Sinnen erwegen / dergleichen ebenfalls bey einer jeden Art derer unvernuͤnfftigen Thiere nicht anzu - treffen iſt; Als welche faſt alle einer - ley Zuneigungen haben / und von ei - nen gleichmaͤſſigen Appetit angetrie - ben werden. Aber bey denen Men - ſchen ſeynd ſo viel Koͤpffe / ſo viel Sinne / und einen jeden gefaͤllt ſei - ne eigene Weiſe. Auch finden ſich bey allen nicht nur einerley / oder gleich - maͤſſige Begierden / ſondern ſie lauf - fen vielfaͤltig / und wunderlich un - tereinander; Ja / ein Menſch iſt ſich offt ſelbſt ungleich / und was er eineStun -77drittes Capitel. Stunde begehret / davor laͤſſet er ſich in der andern hefftig wieder grauen. Nicht weniger findet man in ihren Ha[n]dthierungen / Vornehmen / und andern Zuneig[u] ngen / darinnen ſie ſich hervor zuthun pflegen / einen mercklichen Unterſcheid / wie man ſolches nunmehro bey ſo faſt unzehl - bar eingefuͤhrten Lebens-Arten gar leichte erkennen kan. Damit ſie nun aber hiedurch nicht in einander gera - then / nnd ſich durch eine hoͤchſt - ſchaͤdliche Zerrittung ſelbſt in den aͤuſſerſten Ruin ſtuͤrtzen moͤgten / ſo war allerdinges einer ſorgfaͤltigen Moderation, und geziemendẽ Maſ - ſe vonnoͤthen.

§. 7.

Bißheriger Betrachtung nach iſt der Menſch auf die Sein - ſelbſt - Erhaltung hoͤchſt - gefliſſen / vor ſich elend und duͤrfftig / ohne an - derer Leute Huͤlffe ſich zu erhalten / gantz unvermoͤgend / und ſonſt ſehrge -78Des erſten Buchsgeſchickt / eines andern Nutzen zu be - foͤrdern; Hingegentheils iſt er aber doch auch ſehr boshafftig / frevelnd / leicht aufzubringen / und nicht we - niger geneigt / als auch vermoͤgend / einen andern Schaden zuzufuͤgen. Woraus man denn den Schluß zu faſſen hat / daß / wenn es wohl um ihm ſtehen ſolle / er ſociabel, oder geſellig ſeyn / das iſt mit ſeines glei - chen in Geſellſchafft treten / und ſich dergeſtalt gegen dieſelben verhalten muͤſſe / damit ſie keine probable Ur - ſache bekommen / ihm etwas Leides zu thun / ſondern vielmehr jederzeit ſein Beſtes ſuchen / und befoͤrdern moͤ - gen.

§. 8.

Nun die Geſetze / ſo zu die - ſer Geſelligkeit gehoͤren / oder welche den Menſchen anweiſen / wie er ſich zu verhalten habe / daß er ein nuͤtzli - ches Gliedmaß der menſchlichen Geſellſchafft ſey / heiſſen die Na -tuͤr -79drittes Capitel. tuͤrlichen Geſetze / oder Rech - te.

§. 9.

Und erſcheinet aus denen vorigen Saͤtzen ſo viel / daß der Grund allem Natuͤrlichen Rech - te dieſer ſey; daß ein jeder Menſch / ſo viel an ihn iſt / ſich dasjenige / ſo zu geruhiger Erhaltung / und Aufnahme der menſchlichen Ge - ſellſchafft gereichet / angelegen ſeyn laſſen ſolle. Woraus denn fer - ner folget / daß / weil man zur Er - langung eines Zwecks billig auch alle dazu behoͤrige Mittel anzuwenden hat / alle dasjenige / das zu ſotha - niger Socialität uͤberhaupt und nothwendig nuͤtz - und erſprieß - lich ſeyn kan / von denen Rechten der Natur geboten; Hingegen aber / was dieſelbige beunruhi - gen / oder gar zerſtoͤren moͤgte / von eben denenſelbigen verboten ſey. Die uͤbrigen Gebote ſeyndgleich -80Des erſten Buchsgleichſam nur gewiſſe unter dieſem allgemeinen Geſetze enthaltene Sub - ſumtiones, deren Deutligkeit das allen Menſchen angebohrne natuͤr - liche Licht ihnen helle genug vor Au - gen ſtellet.

§. 10.

Ferner / ob wohl dieſe Ge - bote ihre Augen - ſcheinliche Nutz - barkeit haben; ſo iſt dennoch / und damit ſie zur voͤlligen Geſetz-Krafft gedeyen koͤnnen / nothwendig zu præſupponiren / daß ein GOtt ſey / welcher durch ſeine Goͤttliche Verſehung alles regire / und denen Sterblichen eingepreget habe / daß ſie dieſe Vernunfft-Lehren / als von ihm / vermittelſt des anerſchaffenen Lichtes / promulgirte Geſetze / beob - achten ſollen. Denn ſonſt koͤnte man ſich vielleicht wohl auch / in Anſe - hung einiger daher gewaͤrtigen Nutz - barkeit / nach denenſelbigen richten / etwan auf die Art / als wie einKran -81drittes Capitel. Krancker / ſeiner wieder-erlangenden Geneſung halber / denen Verord - nungen des Artztes folget; Allein / ſolcher geſtalt wuͤrden ſie nicht vor Geſetze reſpectiret / als welche noth - wendig einen Obern erfordern / und zwar einen ſolchen / der ſich des an - dern Leut - und Regierung wuͤrcklich unternimmet.

§. 11.

Daß aber GOtt der Ur - heber derer Natuͤrlichen Geſetze ſey / das kan man aus der Vernunfft alſo erweiſen / wenn man / auch nur genau bey dem gegenwaͤrtigen Zu - ſtande der Menſchen verbleibende / ſich nicht einmal darum bekuͤmmert / ob ſie urſpruͤnglich etwa anders be - ſchaffen geweſen / und woher dieſe Veraͤnderung entſtanden? Weil es nun mit des Menſchen Natur alſo bewand iſt / daß deroſelben Ge - ſchlecht ohne ein geſelliges Leben nicht beſtehen koͤnte / des MenſchenGe -82Des erſten BuchsGemuͤthe auch derer hiezu dienlichen Notionen und Erkaͤntniſſe faͤhig er - funden wird; Und hienechſt am Ta - ge lieget / daß nicht allein das menſch - liche Geſchlechte / wie alle andere Creaturen / ſeinen Urſprung GOtt zu dancken habe; ſondern auch / nach dem es nun allbereit geſtifftet / den - noch von dem Regiemente ſeiner ho - hen Providens herruͤhre / und um - ſchloſſen werde; Als folget dannenhe - ro unwiderſprechlich / daß der Goͤttl. Wille den Menſchen dahin anhalte / die ihm vor allẽ wildẽ Thieren beſon - ders verliehenẽ Kraͤfte auf den Wohl - ſtand ſeiner Natur zu verwendẽ / und damit ſolcher geſtalt das menſchliche Leben von der unvernuͤnfftigen Thie - re ihren / als die von keinen Geſetze und Ordnung ichtwas wiſſen / un - terſchieden merden moͤgte. Welches / weil es denn anderer geſtalt / als durch die Beobachtung derer Na -tuͤr -83drittes Capitel. tuͤrlichen Geſetze / durchaus nicht geſchehen kan; ſo verſtehets ſichs von ſelbſt / daß der Menſch zu deroſelben Obſervans, als einen ſolchen Mit - tel / das von ſeiner wilkuͤhrlichen Er - findung keinesweges herruͤhret / und dannenhero auch nach ſeinen Gefal - len nicht zu endern ſtehet / ſondern von GOTT / zu Behauptung dieſes Zwecks / ausdruͤcklich verordnet wor - den / ſteiff und feſte verbunden ſey. Denn wer einen zu einem gewiſſen Zwecke obligiret / von dem kan man auch nicht anders gedencken / als daß er ihm gleichfalls zum Gebrauch derer hiezu benoͤthigten Mittel wolle angehalten wiſſen. Naͤchſt dem / ſo iſt auch dis ein gewiſſes Anzeichen / daß GOtt denen Menſchen / ein ge - ſelliges Leben zu fuͤhren / auferleget und anbefohlen habe / weil man ſonſt bey keinem Thiere die Empfindlig - keit einiger Religion / oder FurchtGOt -84Des erſten BuchsGOttes verſpuͤret / welches wahr - hafftig auch nicht ſeyn koͤnte / wo - fern ſie ſich durch einige Geſetze nicht eingeſchrencket befenden. Denn hier - aus entſtehet in den Gemuͤthern de - rerjenigen / ſo nicht eben gantz grund - boͤſe ſeyn eine zaͤrtliche Regung / krafft deren ſie uͤberwieſen werden / daß man demjenigen durch die wider das Natuͤrliche Geſetz lauffenden Ver - brechen erzuͤrne / welchen die Herꝛ - ſchafft uͤber der Menſchen Hertzen gebuͤhret / und fuͤr welchen man ſich auch zu der Zeit ſcheuen muͤſſe / da man ſich von Menſchen des gering - ſten nicht zu befahren hat.

§. 12.

Daß man insgemein ſaget / es ſey denen Menſchen dieſes Ge - ſetze von Natur bekañt / das iſt nicht alſo auszudeuten / als ob in de - ro Gemuͤthern / ſo bald ſie zur Welt kommen / von ihren Thun und Laſ - ſen deutliche und wuͤrckliche Propo -ſitio -85drittes Capitel. ſitiones vorhanden waͤren; ſondern es hat vielmehr damit dieſe Mei - nung / theils / daß vielgedachtes Ge - ſetze durch das Licht der Vernunfft aufgeſuchet werden koͤnnen; theils auch / daß zum wenigſten die allge - meinen und vornehmſten Haupt - Stuͤcke derer Natuͤrlichen Rechte ſo helle und klar ſeyn / daß man denen - ſelben allſogleich beyfallen muß / und ſie ſich in unſern Gemuͤthe dermaſ - ſen feſte einſetzen / daß es ohnmoͤglich iſt / ſie gantz wieder daraus zu ver - tilgen / ob auch ſchon ein gottloſer Menſch die Fuͤhlung deroſelben / zu Beſaͤnfftigung ſeines ſonſt nagenden Gewiſſens / mit allem Fleiß zu ertoͤd - ten trachtet. Und in dieſem Verſtan - de ſaget die heilige Schrifft / daß ſie in des Menſchen Hertzen be - ſchrieben ſtuͤnden. Daher koͤmmts auch / daß / in dem wir ſie ſtracks von unſerer Kindheit an / durch diejenigeEZucht /86Des erſten BuchsZucht / wozu man in gemeinen buͤr - gerlichen Leben angewieſen wird / gleichſam unvermerckt mit Einſau - gen / und uns hernach der Zeit der anfaͤnglichen Unterweiſung ſo genau nicht entſinnen koͤnnen / wir uns von ſolcher Erkaͤñtniß nicht anders ein - bilden / als daß wir ſie mit aus Mut - ter-Leibe gebracht haͤtten; Derglei - chen ſich / wie bekañt / ein jeder auch wegen ſeiner Mutter-Sprache be - duͤncken laͤſſet.

§. 13.

Die Eintheilung der ſchuldigen Gebuͤhr / ſo ein Menſch nach dem Natuͤrlichen Geſetze zu be - obachten hat / kan am fuͤglichſten nach denenjenigen Objectis, ge - gen welche ſie abzuſtatten iſt / gema - chet werden. Denen zu folge ſie in drey hauptſaͤchliche Theile zu un - terſcheiden iſt / deren erſter zeiget / wie man ſich / nach den Ausſpru - che der geſunden Vernunfft / gegenGOtt /87drittes Capitel. GOtt / der andere / wie man ſich gegen ſich ſelbſt / und der dritte / wie man ſich gegen andere Menſchen be - zeugen / und erweiſen ſolle. Denn ob wohl aus der Socialität, die wir ſchon vorher zum Grunde geleget haben / vornemlich / und gerade vor ſich nur diejenigen Natuͤrlichen Rechts-Geſetze herfluͤſſen / welche die menſchliche Geſellſchafft / und alſo andere Leute angehen; So kan man doch auch per indirectum die Gebuͤhr des Menſchen gegen GOtt / als ſeinen Schoͤpffer / daher ableuten / ſo fern nemlich / als die Schuldigkeit gegen die menſchliche Geſellſchafft ihre aͤuſſerſte und maͤch - tigſte Befeſtigung von der Religion und Furcht GOttes erlanget / ſo gar / daß der Menſch / wofern er kei - ne Religion haͤtte / ſich auch in gering - ſten zu Unterhaltung der Geſell - ſchafft nicht ſchicken wuͤrde. GeſtaltE 2denn88Des erſten Buchsdenn die bloſſe Vernunfft in der Re - ligion weiter auch nicht gehet / als ſo - fern ſie hiedurch die Ruhe und Wohl - ſtand der menſchlichen Geſellſchafft in dieſem Leben zu befoͤrdern ſuchet. Denn wie man durch den Glauben / und wahren GOttes-Dienſt das Heil der Seelen / und ſeine Seligkeit erlangen ſolle / das muß man aus beſonderer Goͤttlichen Offenbarung erlernen. Anlangende aber endlich die ſchuldige Gebuͤhr eines Men - ſchen gegen ſich ſelbſt / ſo entſtehet dieſelbe zugleich aus der Religion / und aus der Geſelligkeit. Denn eben deßwegen kan ein Menſch nicht alle - zeit mit ſich ſelbſt verfahren / wie er gern wolte / weil er zu bedencken hat / daß er ſich theils als einen rechtſchaf - fenen Diener GOttes / und theils als ein nuͤtzliches Gliedmaß der menſchlichen Geſellſchafft verhalten muͤſſe.

Das89vierdtes Capitel.

Das vierdte Capitel. Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Menſchen gegen GOtt / oder / von der Natuͤrlichen Re - ligion.

§. 1.

DJe ſchuldige Gebuͤhr eines Menſchen gegen GOtt / ſo viel man dieſelbige aus der bloſſen Ver - nunfft und Natur erkennen mag / be - ſtehet in zweyen Stuͤcken / als erſt - lich darinne / daß man von GOTT und Goͤttlichen Dingen eine rechte Meinung habe; Zum andern / daß man alle ſein Thun und Laſſen nach GOttes Willen anſtelle. Dannen - hero haben wir in der natuͤrlichen Religion auf unterſchiedene ſo wohl auf Theoretiſche / als practiſche Propoſitiones Achtung zu geben /E 3de -90Des erſten Buchsderen uns jene die Erkaͤñtniß von GOTT / dieſe aber das wuͤrcklicke bezeugen gegen GOtt vorhalten.

§. 2.

Unter denjenigen / ſo ein je - der Menſch in der Natuͤrlichen Re - ligion von GOTT wiſſen muß / iſt das erſte / und vornehmſte / daß man feſtiglich davor halte / es ſey ein GOtt / oder ein ſo hohes und ewiges Weſen / von welchen alle andere Dinge in der Welt herruͤhren / wel - ches denn die Weiſen aus der Subor - dinatione cauſarum, oder aus Erwegung derer von einander ent - ſtehenden Geſchoͤpffe / und wie dieſe doch allerſeits endlich eine gemeine Haupt-Urſache haben / oder ſich an einen gewiſſen Urſprunge ſtemmen muͤſſen / ingleichen aus der wunder - ſamen Bewegung / und Betrachtung dieſes gantzen Welt-Gebaͤudes / auch andern dergleichen Beweiß gruͤnden auf das aller-deutlichſte darzuſtellenwiſ -91vierdtes Capitel. wiſſen. Und da gleich jemand vor - geben wolte / er koͤnne dieſe Demon - ſtrationes nicht begreiffen / ſo wuͤr - de man ihm doch deßwegen von dem Laſter der Atheiſterey nicht entſchul - digen. Denn weil das gantze menſch - liche Geſchlechte gleichſam in der ſtetswehrenden Poſſeſſion dieſer Meinung geweſen; ſo wuͤrde von - noͤthen ſeyn / daß / ſo jemand dieſel - bige anfeinden wolte / er nicht allein alle Beweißthuͤmer der Goͤttlichen Exiſtens gruͤndlich darnieder ſchlie - ge / ſondern auch / zu Behauptung ſeiner Lehre / noch weit plauſiblere am Tag braͤchte; Und weil ſich das menſchliche Geſchlechte bey der biß - herigen Meinung allezeit wohl be - funden zu haben glaubet / als muͤſte ein Atheiſt uͤber dis noch darthun / daß es unter ſothaniger Verleug - nung der Gottheit um daſſelbe weit beſſer ſtehen wuͤrde / als ſeither demE 4es92Des erſten Buchses ſich des rechten Dienſtes und An - betung GOttes befliſſen. Welches / weil es denn ohnmoͤglich geſchehen kan / ſo iſt freylig alle dererjenigen Gottloſigkeit / die etwa die Erkaͤñt - niß GOttes einigerley Weiſe zu zer - nichten bemuͤhet ſeyn / als hoͤchſt-ab - ſcheulig zu verdammen / und mit der haͤrteſten Straffe zu belegen.

§. 3.

Das andere iſt / daß man glaube / GOtt ſey der Schoͤpffer aller Dinge. Denn weil einen die Vernunfft ſagen kan / daß dieſes al - les nicht von ſich ſelbſt ſeyn koͤnne / ſo muß es nothwendig einen allgemei - nen / und hoͤheſten Urſacher haben / welcher kein anderer iſt / als Derſel - bige / den wir einen GOtt zu nennen pflegen. Woraus denn folget / daß ſich diejenigen gar weit vergehen / welche die Natur / als vornehmſte Zeuge-Mutter aller Dinge / und Wuͤrckungen ſtets im Munde fuͤh -ren.93vierdtes Capitel. ren. Denn wenn ſie hiedurch die in denen Dingen befindliche Wuͤr - ckungs-Krafft verſtehen / ſo iſt es ſo ferne / daß dieſe zur Verleugnung des Goͤttlichen Weſens etwas ver - moͤgen ſolte / indem ſie vielmehr klaͤr - lich von ihren Urheber / und reichen Macht-Qvelle / nemlich dem groſſen GOTTE zeuget. Wollen ſie aber durch das Wort Natur die wuͤr - ckende Haupt-Urſache aller Dinge verſtanden haben / ſo ſcheinets / als ob ſie ſich der deutlichen und uͤblichen Nennung des Nahmens GOttes / aus einen gottloſen Eckel / entbrechen wolten. Gleicher geſtalt irren auch diejenigen ſehr groͤblich / welche den hoͤchſten GOtt vor ſo etwas halten / das man mit menſchlichen Sinnen begreiffen kan / als ſonderlich etwa vor ein Geſtirne / und dergleichen. Denn dieſer ihr Weſen weiſet ja gnungſam aus / daß ſie nicht von ſichE 5ſelbſt /94Des erſten Buchsſelbſt / und unendlich ſeyn / ſondern von einẽ gewiſſen Urſprunge herruͤh - ren. Nicht weniger ſeynd auch die - jenigen von GOtt uͤbel unterrichtet / die Jhm einen Geiſt / oder Seele der Welt nennen. Denn man mag ſich hierunter einbilden / was man wil / ſo muß man es doch vor ein Stuͤck / und Zugehoͤhrung der Welt halten. Wie kan aber dasjenige / ſo ein Stuͤcke der Welt iſt / zugleich ei - ne wuͤrckende Urſache deroſelben / und alſo eher / als ſie ſelbſt geweſen ſeyn? Dafern man aber durch die Seele der Welt das allererſte und unſicht - bare Weſen / wovon alles ſeine Krafft und Bewegung entlehnet / wil ver - ſtanden haben / ſo wird abermals vor den eigendlichen und deutlichen Nahmen GOttes eine dunckele und figuͤrliche Redens - Art gebrauchet. Hieraus folget nun von ſich ſelbſten / daß die Welt nicht ewig / undſon -95vierdtes Capitel. ſonder Anfang ſey. Denn was von einen andern ſeinen Anfang nim - met / dem kan dergleichen Eigen - ſchafft nicht beygemeſſen werden. Wer aber vorgiebet / daß die Welt von Ewigkeit ſey / der muß noth - wendig ihre wuͤrckende Urſache / und alſo GOtt ſelbſt verleugnen.

§. 4.

Das dritte iſt / daß ſich die Goͤttliche Regierung / ſo wol uͤber die gantze Welt / als inſon - derheit auch uͤber das menſchli - che Geſchlecht erſtrecke. Und das kan man augenſcheinlich aus der wundern-wuͤrdigen und beſtaͤndigen Ordnung derer erſchaffenen Dinge abnehmen. Hingegen waͤre es / dem Moral-effectu nach / einerley / ſo einer gar keinen GOtt glaubete / oder aber die Goͤttliche Regierung und Vorſorge vor die menſchlichen Dinge verleugnete / ſintemal durch beyderley aller GOttes-Dienſt auf -E 6ge -96Des erſten Buchsgehoben wird. Denn einen ſolchen / der ſich unſerer gantz und gar nicht annimmet / und uns weder Gutes noch Boͤſes thun kan / und wil / zu fuͤrchten / oder anzubeten / wuͤrde vergebens ſeyn / wenn er auch an und vor ſich ſelbſt noch ſo vortreflich waͤre.

§. 5.

Das vierdte iſt / das GOtt nichts zugeſchrieben werden koͤn - ne / ſo einige Unvollkommenheit mit ſich fuͤhret. Denn weil er eine Haupt-Urſache und Urſprung aller Dinge iſt / ſo wuͤrde es ungeraͤumt ſeyn / wofern ſich die Creaturen eini - ge Vollkommenkeit einbilden koͤn - ten / deren der groſſe GOtt erman - gelte. Ja / weil ſeine Vollkommen - heit den Verſtand ſo eines geringen Geſchoͤpffes gantz unendlicher maſ - ſen uͤbertrifft / ſo laͤſſet ſichs von der - ſelbigen vielmehr auch nur mit ne - gativ -, als poſitiv-Woͤrtern re -den.97vierdtes Capitel. den. Dannenhero kan man GOtt GOtt keinesweges ſo etwas zueig - nen / das eine Endligkeit / oder ge - wiſſe Umſchrenckung bedeutet / weil man denen endlichen Dingen allezeit noch was groͤſſers zulegen kan. Und jede Umſchrenckung oder Figur hat ihre gewiſſe Maſſe und Graͤntzen. Ja / man darff auch nicht ſagen / daß man ihm genau und voll - kommendlich erkennen / oder mit ſei - ner Einbildung / und einiger anderen Seelen Krafft begreiffen koͤnne / all - dieweiln alle dasjenige / ſo man in ſei - nem Gemuͤthe ordentlich und voll - kommen concipiren kan / anders nicht / als endlich iſt. Wenn wir nun auch GOTT gleich einen Unendli - chen nennen / ſo darff man doch deß - wegen nicht glauben / daß man hier - inne einen vollkommenen Concept von Jhm habe / weil das Wort un - endlich nicht ſo wohl eine weſendlicheE 7Ei -98Des erſten BuchsEigenſchafft der Sache / als das Un - vermoͤgen unſers Verſtandes anzeu - get / und eben ſo viel geſaget iſt / als wenn wir ſprechen / daß wir die Groͤſ - ſe ſeines Weſens nicht erreichen koͤn - ten. Dannenhero iſts auch unrecht / wenn man Jhm gewiſſe Theile zu - leget / oder / als etwas Gantzes be - trachtet / denn alles dieſes ſeynd Ei - genſchafften derer endlichen Dinge. So kan man eigendlich auch nicht ſa - gen / daß er irgend an einem Orte ſey / weil dieſes Ziel und Maſſe von einer gewiſſen Groͤſſe auf ſich hat. Auch nicht / daß Er ſich bewege / oder Ruhe / denn beydes erfordert / daß man an einem gewiſſen Orte ſey. Ebenfalls kan auch GOtt eigendlich nicht zugeſchrieben werden / was ei - nen Schmertz und Leidenſchafft bedeutet / als da ſeynd Zorn / Reue / Mitleiden / Erbarmniß / und ſ. w. Eigendlich ſage ich: denn wo man jader -99vierdtes Capitel. dergleichen von GOtt irgendwo an - trifft / ſo muſt es nur αν̕ϑρωποπαϑῶς, und nach einer von den Menſchen hergenommenen Zueigungs - Art / oder von der Wuͤrckung / nicht aber einen ſolchen eigendlichen Affect ausgeleget werden: Jngleichen auch nicht / was einen Mangel / oder Ab - weſenheit einiges Guten andeu - tet; Als da ſeynd Begierden / Hoff - nung / Verlangen / oder Liebe zu ei - niger Begierde. Denn alles dieſes iſt mit einer Duͤrfftigkeit oder Erman - gelung / und alſo folglich mit einer Unvollkommenheit bewickelt / in - maſſen man nicht verſtehen kan / wie einer etwas begehren / hoffen / oder verlangen ſolte / ohne nur dasjenige / deſſen er bedarff / oder ermangelt. Alſo wenn GOTT ein Verſtand / Wille / Wiſſenſchafft / und Wuͤr - ckungen derer aͤuſſerlichen Sin - ne / als Sehen / Hoͤren / und der -glei -100Des erſten Buchsgleichen beygeleget werden / ſo muß man dieſes alles in einer weit hoͤhern Vortrefligkeit annehmen / als es ſich bey uns ſterblichen Menſchen befin - det. Denn der Wille beſtehet in ei - nen vernuͤnfftigen Begehren; Das Begehren aber præſupponiret ei - ne Abweſenheit / und Beduͤrffniß ei - ner uns anſtaͤndigen Sache. Den Verſtand und die Sinne des Men - ſchen anlangende / ſo ſeynd ſie einer Leydenſchafft unterworffen / welche die vorkommende Dinge ſei - nen Gemuͤths-Kraͤfften / und den Werckzeugen des Leibes eindruͤcken / Und gleich wie nun dieſes eine An - zeugung iſt eines erſt von anderern herruͤhrenden Vermoͤgens; Alſo kan man es auch durchaus nicht vor was recht vollkommenes angeben. End - lich ſo ſtimmet auch dis mit der Goͤt - lichen Vollkommenheit nicht uͤber - ein / wenn man ſaget / daß mehr /als101vierdtes Capitel. als ein einiger GOtt ſey. Denn zugeſchweigen / daß die wunderſchoͤ - ne Harmonie des groſſen Welt - Gebaͤudes nicht zulaͤſſet / ſich mehr / als einen Werck-Meiſter und hoͤch - ſten Regenten deſſelben einzubilden; So wuͤrde GOtt ſo dann ein endli - ches Weſen ſeyn muͤſſen / wenn es mehrere ſeines gleichen von eben - maͤſſiger Macht und Gewalt gebe / und die von ihm nicht dependire - ten. Denn daß mehr / als ein Un - endlicher ſeyn ſolte / das hebet ſich untereinander ſelbſt auf / und kan auf keinerley Weiſe moͤglich gema - chet werden. Weil es nun mit den Goͤttlichen Weſen dieſe Bewandt - niß hat / ſo iſt es der Vernunfft am allergemaͤſſeſten / daß man ſich zu beſt - moͤglichſter Expreſſion deſſen Ei - genſchafften / entweder derer Ver - neinungs-Woͤrter / als unend - lich / unbegreiflich / unermeßlich / dasiſt102Des erſten Buchsiſt ohne Anfang und Ende; oder der Superlativ - und Vergroͤſſerungs - Woͤrter / als / der beſte / der groͤßſte / der maͤchtigſte / der weiſeſte / u. ſ. w. gebrauche / oder ihm nur indefini - Gut / Gerecht / einen Schoͤpf - fer / Koͤnig / HErrn / und dergleichen nenne / nicht in der Meinung / als ob wir hiedurch ſo genau und end - ſcheidentlich ſein Weſen ausſprechen / ſondern nur / daß wir unſere darob habende Verwunderung / und Ge - horſam durch einigerley Ausdruͤ - ckung an Tag geben wollen / wel - ches denn ein Zeichen von einem frommen Gemuͤthe iſt / das ſeinen Schoͤpffer nach aͤuſſerſten Vermoͤ - gen zu ehren / und ſich vor Jhn zu demuͤthigen trachtet.

§. 6.

Die practiſchen Propoſi - tiones der Natuͤrlichen Religion ſeynd theils mit den innerlichen / theils aber mit den aͤuſſerlichen Got -tes -103vierdtes Capitel. tes-Dienſte beſchaͤfftiget. Der in - nerliche beſtehet in deſſelben Vereh - rung. Nun iſt aber die Ehre eine Einbildung / ſo bey einen Menſchen uͤber des andern Macht und Guͤte entſpringet. Und alſo ſoll und muß es ſeyn / daß der Menſch / uͤber der Erwegung der Goͤttlichen Gewalt und Guͤtigkeit / bey ſich die allergroͤſ - ſeſte Hoch-Achtung gegen demſelben aufſteigen laſſe. Ja / es folget daraus ferner / daß er Jhm / als den Ur - ſprung und Geber alles Guten lie - ben / auf Jhm / als in deſſen Haͤn - den auch alle unſer zukuͤnfftiges Gluͤ - cke ſtehet / hoffen / bey ſeinen Wil - len / der da / nach ſeiner Goͤttlichen Guͤte / alles wohl machen / und uns geben werde / was uns nuͤtzlich iſt / beruhen / Jhm / als einen allge - waltigen HErrn / und deſſen Zorn uns in das groͤſſeſte Elend ſtuͤrtzen koͤnne / fuͤrchten / und Jhm endlich /als104Des erſten Buchsals ſeinem Grund-guͤtigen und all - gewaltigen Schoͤpffer / HErrn und Regenten allen demuͤthigſten Ge - horſam erweiſen ſolle.

§. 7.

Der aͤuſſerliche GOT - TES - Dienſt beſtehet ſonderlich darinne / daß der Menſch GOTT vor ſo viele empfangene Wohlthaten Danck ſage: daß Er ſeinen heili - gen Willen durch ſeine Thaten / ſo viel / als moͤglich / nachkomme / oder Jhm gehorche; daß er ſich uͤber ſei - ner Groͤſſe verwundere / und ſie preiſe; daß er Jhm wegen Zuwen - dung des Guten / und Abwendung des Boͤſen anruffe. Denn des Ge - bet iſt ein Zeichen der Hoffnung / die Hoffnung aber eine Erkaͤntniß der Goͤttlichen Guͤte / und Gewalt. Fer - ner / daß / wenn die Noth einen Eyd - ſchwur erfordert / er allein bey GOtt ſchwere / und den Eyd unverbruͤch - lich halte. Denn dieſes erfordert dieAll -105vierdtes Capitel. Allwiſſenheit und Macht GOttes. Ja / daß er allezeit bedachtſam von GOtt rede / (deñ das iſt ein Zeichen der Furcht / die Furcht aber eine Be - kaͤũtniß der Goͤttlichen Allmacht.) Hieraus folget nun / daß man den Nahmen GOttes nicht ſo leicht und vergeblich im Munde fuͤhren / (denn beydes iſt eine groſſe Unbeſonnenheit /) ingleichen ohne Noth nicht ſchweren / (denn es iſt vergebens /) noch von dem Goͤtt - lichen Weſen und Regierung ſo gar vorwitzig und vermeſſendlich diſputiren ſolle; Denn hieraus erſcheinet nichts anders / als daß man dieſe unbegreifliche Geheimniſ - ſe nach ſeiner elenden Vernunft aus - meſſen wolle. Ferner / daß alle das - jenige / ſo man GOtt abſtatten wil / in ſeiner Art vortreflich / und zu ſothaniger Ehre geſchickt ſeyn / wie auch / daß der Menſchden106Des erſten Buchsden groſſen GOTT nicht nur in geheim / ſondern auch oͤffentlich / und im Angeſichte anderer Leute dienen muͤſſe. Denn wenn man et - was nur heimlich thut / ſo laͤſſets eben / als wenn man Scheu truͤge / ſolches oͤffentlich vorzunehmen. Hin - gegen bezeuget der oͤffentliche GOt - tes - Dienſt nicht allein von unſerer Andacht / ſondern pfleget auch an - dere durch unſer Exempel anzurei - tzen. Letztens / daß man ſich die Beobachtung derer Natuͤrlichen Geſetze hoͤchſten Fleiſſes angele - gen ſeyn laſſe. Denn gleich wie die Verachtung des Goͤttlichen Regi - ments / und Herrſchafft alle andere Beleidigung uͤbertrifft; Alſo iſt dem groſſen GOTT im Gegentheil der Gehorſam weit angenehmer / als al - le Opffer.

§. 8.

Sonſt iſt gewiß / daß ſich die Wuͤrckung dieſer Natuͤrli -chen107vierdtes Capitel. chen Religion eigendlich / und ſo fern man ſie nach dem itzigen Zuſtan - de der Menſchen betrachtet / nur auf das gegenwaͤrtige Leben er - ſtrecke; Keinesweges aber die Er - langung der ewigen Seligkeit zu we - ge bringen koͤnne; Denn die ihr ſelbſt gelaſſene menſchliche Vernunft weiß nicht / daß die Verderbung unſerer Natur / und die ſuͤndlichen Begierden von der Menſchen eige - nen Schuld herruͤhren / oder / daß ſie GOttes Zorn / und ewige Verdam̃ - niß nach ſich ziehen: Dannenhero weiß ſie auch eben ſo wenig von der Nothwendigkeit eines Erloͤſers / von ſeinem Amte / und Verdienſte / wie auch von denen Goͤttlichen / den menſchlichen Geſchlechte beſchehe - nen Verheiſſungen / und andern da - herruͤhrenden Dingen / durch welche wir / nach Anweiſſung der heiligenSchrifft /108Des erſten BuchsSchrifft / die ewige Seligkeit einig und allein zu gewarten haben.

§. 8.

Gleichwohl wird ſichs vor die Muͤhe lohnen / wenn wir itzo nur denjenigen Nutzen / den die Na - tuͤrliche Religion in gemeinen Leben ſchaffet / etwas genauer er - wegen / und darthun / daß ſie ohn - fehlbar das vornehmſte und ſtaͤr - ckeſte Band der menſchlichen Ge - ſellſchafft ſey. Denn wenn man in der Natuͤrlichen Freyheit keine Scheu und Furcht vor GOtt haben duͤrffte / ſo wuͤrde ein jeder / nach dem er ſich auf ſeine Kraͤffte zu verlaſſen hat / mit dem Schwaͤchern nach ei - genen Gefallen verfahren / und die Tugend / Scham / Treue / und Redligkeit nur vor ein leeres Ge - ſchwaͤtze achten / auch nicht eher was Gutes ſtifften / als biß er ſich / aus Empfindung ſeines Unvermoͤgens /da -109vierdtes Capitel. dazu genoͤthiget befende. Ebenfals wuͤrde auch die innere Befeſtigung derer Republiqven / da man ſon - der Religion waͤre / allezeit auf ſchlip - ferichten Grunde ſtehen / und weder die Furcht der zeitlichen Straffe / noch Eyd und Pflicht / und der Rhum / ſolche unverletzt zu halten / noch auch die der hohen Obrig - keit; vor ihre Schutz-Leiſtung / und Abwendung aller den Natuͤrlichen Statu ſonſt anhaͤngigen Beſchwer - den / gebuͤhrende Erkaͤñtligkeit ſo ver - moͤgend ſeyn / die Unterthanen im Zaume zu halten. Alsdann wuͤrde es wohl recht heiſſen: Wer ſein Le - ben feil traͤget / dem iſt nichts zu viel. Denn die fuͤr GOTT keine Scheu haben / die duͤrffen ſich ſonſt fuͤr nichts / als fuͤr dem Tode fuͤrch - ten / wer nun aber auch dieſen ver - achten kan / den wird nichts hindern / ſeiner Obrigkeit allen nur erſinnli -Fchen110Des erſten Buchschen Dampff und Tort zuzufuͤgen. Und hiezu wuͤrde es ihn ſodann an Urſache / und Vorwand nicht erman - geln / wenn er ſich entweder der aus Erdultung eines frembden Joches viel zu verdruͤßlich ſcheinen den Unge - legenheiten zu entſchitten / oder dieje - nigen Vortheile / ſo der Obrigkeit zuſtaͤndig ſeyn / ſelbſt theilhafftig zu machen ſolte geluͤſten laſſen. Zumal / da er auch wohl leicht auf die Gedan - cken gerathen koͤnte / er habe deſſen guten Fug / und Macht / indem ihm etwa die gegenwaͤrtige Obrigkeit der Regierung nicht wohl vorzuſtehen / oder / daß er dieſelbe ſelbſt mit weit - beſſern Nutzen verwalten wolte / be - duͤncken moͤgte. Gelegenheit zu ſolchem Aufſtande wuͤrde ſich leichte darbieten / wenn etwa der Landes - Herꝛ / zu Beſchuͤtzung ſeines Lebens / nicht allezeit Leute genug um ſich haͤt - te / (und wer wolte in ſolchen Zu -ſtan -111vierdtes Capitel. ſtande vor die Waͤchter ſelbſt gut ſeyn?) oder / wenn ſich ihrer viele zuſammen rotteten / oder / die Un - terthanen ſich bey Entſpinnung ei - nes auswaͤrtigen Krieges zu denen Feinden ſchliegen. Uberdis / ſo wuͤr - den die Buͤrger ſelbſt geneigt ſeyn / einander alles Hertzeleid und Un - recht anzuthun. Denn weil die Rich - ter ſecundum acta & probata ſprechen muͤſſen / ſo wuͤrde man alle Laſter / und Buben-Stuͤcke / davon einiger Vortheil zugewarten / wenn ſie nur heimlich practiciret werden koͤnten / vor eine ſonderbare Ge - ſchicklichkeit achten / und derjenige ſich vor den kluͤgſten duͤncken / der am beſten darauf ausgelernet. Wer wuͤrde wol an ein Werck der Barm - hertzigkeit / oder Freundſchafft geden - cken / auſſer / wo er etwa wiederum einen Rhum und Vortheil davon zu erheben getrauete? Daraus dennF 2auch112Des erſten Buchsauch dieſes erfolgen wuͤrde / daß / in dem / bey Entſtehung Goͤttlicher Straffe / ſich niemand ſicherlich auf des andern Redligkeit verlaſſen koͤn - te / ein jeder in der ſteten Furcht und Kuͤmmerniß leben muͤſte / von den andern hintergangen / oder beſchaͤ - diget zu werden. So duͤrfften auch weder die Obrigkeit / noch Unter - thanen ſonderliche Luſt haben / et - was loͤbliches oder vortrefliches vor - zunehmen. Denn jene / weil ſie in ihren Gewiſſen zu nichts verbun - den / wuͤrden alle Aemter / ja die Ge - rechtigkeit ſelbſt ums Geld verkauf - fen / und in allewege mit Unter - druckung der Unterthanen nur ih - ren eigenen Nutzen ſuchen / und ſol - ches auch zum Theil hoͤchſt vonnoͤ - then haben / indem / da ſie ſich ſteti - ger Rebellionen von ihnen zu be - fahren / ſie dieſes vor das einzige Mittel ihrer Erhaltung gebrauchen /und113vierdtes Capitel. und ihnen die Federn bis aufs aͤuſſer - ſte beſchneiden muͤſten. Dieſe hinge - gegen wuͤrden / wegen der von ihrer Obrigkeit zu befuͤrchtenden Unter - druckung / allezeit Gelegenheit zu re - voltiren ſuchen / jedoch einander auch ſelbſt nicht trauen / und ſich einer vor den andern fuͤrchten. Ja / die Ehe-Leute muͤſten / bey Ereignung der geringſten Klage / und Mißver - ſtandes / gegen einander in ſtetem Argwohne ſtehen / daß eines das an - dere mit Gifft / oder ſonſt heimtuͤcki - ſcher Weiſe hinrichten moͤgte. Glei - cher Gefahr wuͤrden alle Familien unterworffen ſeyn. Denn weil ſich die Leute / wegen ermangelnder Re - ligion / uͤber nichts ein Gewiſſen ma - chen doͤrfften / ſo wuͤrden die heimli - chen Verbrechen auch ſo leichte nicht an Tag kommen / inmaſſen ſich die - ſelben meiſtentheils durch die Unru - he des Gewiſſens / und daher aͤuſſer -F 3lich114Des erſten Buchslich ausbrechenden Schrecken zu ver - rathen pflegen. Dannenhero denn mehr als zu viel erhellet / wie viel den menſchlichen Geſchlechte dran gelegen ſey / daß man der Atheiſte - rey / ſofern ſelbige einreiſſen wolte / den Weg mit eyfrigſter Sorgfalt verhaue; Und wie ſo garthoͤrig doch diejenigen geſinnet ſeyn muͤſſen / wel - che ſich / duꝛch die Geneigtheit zu alleꝛ - hand gottloſen und liederlichen Din - gen / den Wahn einer ſonderbaren Statiſtiſchen Geſchickligkeit / oder Politiſchen Klugheit zuwege bringen wollen.

Das fuͤnfte Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Menſchen ge - gen ſich ſelbſt.

§. 1.

OB es gleich ſcheinet / daß die den Menſchen von Natur einge -pflantz -115fuͤnftes Capitel. pflantzte Eigen-Liebe ſchon vermoͤ - gend genung ſey / einen jeden dahin anzuhalten / daß er vor ſich / und ſein Beſtes uͤber alle maſſen ſorge / und man alſo gantz nicht vonnoͤthen habe disfalls eine beſondere Obligation auszudencken; So iſt der Menſch dennoch / in einen andern Abſehen / ſein ſelbſt wegen etzliche gewiſſe Din - ge in acht zu nehmen hoͤchlich ver - bunden. Denn weil er ihm alleine nicht gebohren / ſondern um deßwil - len von dem allmaͤchtigen Schoͤpffer mit ſo herꝛlichen Gaben ausgeruͤſtet iſt / damit er beydes ſeine Ehre prei - ſen / und zugleich auch ein taugliches Gliedmaß der menſchlichen Geſell - ſchafft ſeyn moͤge; Als iſt er ſchuldig / ſich alſo anzuſtellen / damit er die Ga - ben GOttes nicht verlaͤſſe / und oͤde liegen laſſe / ſondern / nach ſeinen Vermoͤgen / auch etwas zum Nutzen der menſchlichen Geſellſchafft bey -F 4tra -116Des erſten Buchstrage. Und ob alſo gleich ein jeder von ſeiner Ungeſchickligkeit und Un - taugligkeit ſelbſt den groͤßten Scha - den empfindet; So wird doch deß - wegen ein fauler Schuͤler von ſeinen Lehr-Meiſter nicht unbillig noch dar - zu geſtraffet / wenn er dasjenige / wo - zu er ſonſt faͤhig geweſen / aus bloſſer Faulheit zu begreiffen unterlaͤſſet.

§. 2.

Ferner / weil der Menſch aus zweyen Haupt-Theilen / nem - lich aus der Seelen / und dem Leibe beſtehet / worunter jene vor den Herꝛn / dieſer aber vor den Diener zu achten / und wir alſo der Seelen um des Befehls / des Leibes aber um des Dienſtes willen gebrauchen; So muß man zwar vor beyde / jedoch aber vor jene die allermeiſte Sorge tragen. Und zwar / was anfaͤnglich die Seele / oder das Gemuͤthe an - belanget / ſo iſt daſſelbe uͤberhaupt dahin anzuweiſen / damit der Menſchvon117fuͤnftes Capitel. von allen ſeine Pflicht und Amt be - treffenden Dingen eine rechtſchaf - fene Meinung faſſen / was tugend - hafft und erbar iſt / wohl begreiffen / die Reitzungen derer Begierden ge - nau unterſcheiden / und vernuͤnfftig maͤſſigen / auch ſonſt guten Kuͤnſten und Wiſſenſchaften nachſtreben / und / mit einem Worte / ſich zu einen tauglichen Gliedmaß der menſchli - chen Geſellſchafft qvalificiren moͤ - ge.

§. 3.

Unter denenjenigen Mei - nungen nun die ſich ein jeder Menſch wohl zu imprimiren hat / iſt das / ſo er von GOtt den Schoͤpffer / und Erhalter dieſes gantz Welt-Run - des vorhin angezeugter maſſen wiſ - ſen und glaͤuben muß / ohnſtreitig das vornehmſte. Denn es heiſſet ihm nicht allein ſeine ſchuldige Gebuͤhr zu foͤrderſt dahin dencken / ſondern es gibt auch dieſer Wahn den ſtaͤrckſtenF 5Ein -118Des erſten BuchsEinfluß zu geziemender Abſtattung derer uͤbrigen Obliegenheiten / und befeſtiget die gantze menſchliche Ge - fellſchafft; ja / er iſt der einzige / dar - aus die innerliche Gemuͤths-Beru - higung eines Menſchen entſtehet. Und wie nun kein vernuͤnfftiger die - ſes in Abrede ſeyn wird; Alſo hat man ſich hingegen vor alle denenje - nigen Lehren / ſo dieſe Meinung auf - zuheben erſonnen ſeynd / als vor ei - nen hoͤchſt-ſchaͤdlichen Giffte zu huͤ - ten. Wir verſtehen aber hierunter nicht allein die Atheiſterey / und den Epicuriſchen Schwarm / ſondern auch alle andere den menſchlichen Geſchlechte zu Schaden gereichen - de / oder die Eigenſchaft derer menſch - lichen Actionen umſtuͤrtzende un - ſinnige Meinungẽ / dergleichen ſeynd etwa die von der Stoicker unum - gaͤnglichen Schickſaale / und den nothwendigen Einfluſſe des Him -mels /119fuͤnftes Capitel. mels / nach welchen die Freyheit des menſchlichen Thuns gantz niederge - ſchlagen / und ſie nur zu bloſſen Werckzeugen aͤuſſerlich wuͤrckender Urſachen gemachet werden. Daher gehoͤren auch diejenigen / ſo den groſ - ſen GOtt ſelbſt ſo gar auch in parti - culier-Sachen alle Freyheit neh - men / und vorgeben wollen / als ob er ſich in alle Wege nur an die einmal geſetzte Ordnung / und Wuͤrckung der Natur binden muͤſſe; Jngleichen / welche GOtt den hoͤchſten zu einen Suͤnden-Kraͤhmer machen / hoͤchſt - verdam̃licher Weiſe lehrende / als ob man Jhm / auch ohne rechtſchaffene Reu und Buſſe / bloß mit Gelde / Gaben / leeren Geplaͤrre / und an - deren Alphanzereyen wieder ausſuͤh - nen koͤnne / oder / als ob Er einen Gefallen habe an ſolchen Ordnun - gen / und Geſtifften / die doch ſo wohl den Natuͤrlichen Geſetzen / und derF 6ge -120Des erſten Buchsgeſunden Vernunfft / als auch den gemeinen menſchlichen / und buͤrger - liche Leben zu wider ſeynd. Zu ge - ſchweigen deſſen / daß etzliche vermei - nen / es ſey ſchon genug / wenn man nur vor ſich fromm / und tugendhafft lebete / ob man ſich gleich um die menſchliche Geſellſchafft / und dero - ſelben Beſtes nicht bekuͤmmere; oder / man koͤnne noch ein uͤbriges thun / und andern Leuten mit ſeinen Tugenden aushelffen; Jngleichen / es beluſtige ſich der heilige GOTT wohl gar an etzlichen Suͤnden / und zumal etwa an den artig ausgeſonne - nen Stuͤckgen boͤſer Buben / und un - ter halte ſie darinnen; oder / er ſtraffe jemanden um des andern Nutzen willen / wenn Er darum angeruffen wuͤrde / u. dergl. a.

§. 4.

Hiernechſt muß der Menſch / zur Erbauung ſeiner Seelen / ſich aͤuſſerſt angelegen ſeyn laſſen / daß erſich /121fuͤnftes Capitel. ſich / und ſeine Natur genau er - kennen lerne. Denn ſo fern er dieſes recht anſtellet / ſo wird er dadurch al - lererſt zu der wahren Kundſchafft ſei - nes Zuſtandes / und der ihm in die - ſer Welt obliegenden Pflicht gelan - gen / indem er eigendlich wahrneh - men kan / daß er anfaͤnglich nicht von ſich ſelbſt / ſondern von einen hoͤ - hern Urſprunge herruͤhre; Weit ein edlers Vermoͤgen habe / als alle Be - ſtien; Ja / daß er endlich nicht ſich al - leine / ſondern der menſchlichen Ge - ſellſchafft zum beſten erſchaffen wor - den. Welcher Erkaͤnntniß zufolge er denn befindet / daß er der Goͤtt - lichen Regierung unterworffen ſey / und ſeine herꝛlichen Gaben GOtt zu Ehren / und der Geſellſchafft zum Beſten anzuwenden habe; Jnſon - derheit / daß er den Verſtand recht recht brauchen / ſich allezeit einen ge - wiſſen / moͤglichen / und zulaͤßlichenF 7Zweck122Des erſten BuchsZweck vorſtecken / und dann die ge - buͤhrenden Mittel darzu anwenden / auch von gleichmaͤſſigen Dingen al - lezeit ein gleiches und beſtaͤndiges Urtheil faͤllen / wie nicht weniger ſeinen Willen und Begierden / dergeſtalt ſteuern ſolle / damit ſie der recht-urtheilenden Vernunfft nicht vorlauffen / oder ihren Ausſpruͤchen widerſtreben. Ferner / lernet er da - durch die Schwaͤche / und Staͤrcke ſeines Vermoͤgens / ſo wohl in ſei - nen eigenen / als einen fremden Thun pruͤfen; dabey er denn leicht erken - net / wie daß ſeine Kraͤffte nicht un - endlich / ſondern mit gewiſſer Maſſe umfaſſet ſeyn / und dannenhero viel Dinge menſchlicher Direction, oder Verhuͤtung gantz und gar uͤber - legen / theils nicht zwar vor ſich ſelbſt / ſondern / der darzwiſchẽ kommenden unvermeidlichen Hinterniſſe wegen / nicht moͤglich zu machen / theils abernur123fuͤnftes Capitel. nur durch Klugheit und Vorſichtig - keit gar wohl zu Wercke gerichtet werden koͤnnen. Und weil denn ſonſt nichts iſt / daruͤber er ſo abſolute Macht haͤtte / als uͤber ſeinen eige - nen Willen / und die Freyheit ſein Thun und Laſſen nach denſelben anzuſtellen / ſo muß er um deſto fleiſ - ſiger achtung geben / daß er denſel - ben wohl anlege / immaſſen man daraus vornehmlich von der innern Guͤte / und Trefligkeit eines Men - ſchen zu urtheilen pfleget. Endlich begreiffet er hierbey die Wuͤrckung derer menſchlichen Actionen / zu - ſamt den auf die Menſchen gerichte - ten Abſehen derer auſſer ihrer Ge - walt befindlichen Dinge / und deren Gebrauche / und lernet ſich dieſer - wegen alſo verhalten / daß / ſo fern ſie zu erlangen moͤglich / ihme nuͤtz - lich / und der Bemuͤhung wuͤrdig ſeyn / er ſich nach denſelben umchue /und124Des erſten Buchsund bey ſeinen wohl-bedaͤchtigen Vorſatze / ſo lange er kan / bleibe; Gleichwohl aber auch nicht widern Strohm ſchwimme / ſondern ſich auf den Fall eines widrigen Aus - ganges zeitig gefaſſet hatte. Und weil ein Menſch / ſo fern er der bloſſen geſunden Vernunfft nachgehet / in der Welt nach keiner andern Gluͤck - ſeligkeit zu trachten hat / als die er durch kluͤgliche Anwendung ſeiner Natur-Kraͤffte / und durch darzu von GOtt verordnete Mittel erlan - gen kan / ſo folget hieraus / daß er nichts aufs blinde Gluͤcke wagen / oder ſeiner Wohlfahrt Befoͤrderung durch uͤbernatuͤrliche Vorſchlaͤge ſu - chen ſolle. Nachdem auch der Aus - gang aller Dinge mehrentheils un - gewiß iſt / ſo hat er ſich auf das ge - genwaͤrtige niemals allzuſehr zu ver - laſſen / noch wegen des zukuͤnfftigen ſich allzuaͤngſtiglich zu bekuͤmmern;Ja /125fuͤnftes Capitel. Ja / er darff ſich weder bey gutem Gluͤcke erheben / noch beym Ungluͤ - cke den Muth ſtracks ſincken laſſen.

§. 5.

Es ſeynd noch viel Dinge / die des Menſchen Begierde ſonder - lich an ſich zu ziehen pflegen / dan - nenhero muß er auch unterrichtet ſeyn / wie viel er von denenſelbigen halten / und wie weit er ihnen nach - haͤngen ſolle. Und wie nun unter die - ſen die gute Enbildung oder der Wahn / ſo andere Leute von uns haben / das vornehmſte iſt / deme zumal die munteren Gemuͤther ey - ferig nachſtreben / indem ihnen daraus ein ſonderbarer Ruhm und Ehre zuwaͤchſet; So muß man das Gemuͤthe bald dahin ange - woͤhnen / das es ſich vor allen Din - gen erſt nur desjenigen befleiſſige / wodurch man ſich bey andern einen guten Ruff / oder ehrlichen Nah - men zuwege bringen kan; Dem mußman126Des erſten Buchsman auch zu erhalten / und wider boshafftige Verlaͤumdung moͤglich - ſter maſſen zu beſchuͤtzen gefliſſen ſeyn. Wil man ſich aber uͤber dis noch in Ruhm und Ehre ſetzen / ſo muß man ſolches nicht anders / als durch vortrefliche / loͤbliche / und dem menſchlichen Geſchlechte erſprießli - che Thaten ſuchen / daruͤber ſich aber nicht zum Hochmuth / und Stoltz verleuten laſſen. Fehlet es einen rechtſchaffenen Manne an Gelegen - heit / ſo muß er Gedult haben / und / weil es ſich nicht zwingen laͤſſet / des beſſern Gluͤcks erwarten; Jmmit - telſt kan ihm doch niemand deswe - gen verdencken. Hingegen iſts nichts naͤrriſcher / und ſchaͤndlicher / als wenn einer / ohne allen Grund und Recht / oder auch nur laͤppiſcher Ur - ſachen wegen geehret ſeyn wil / oder etwa durch boͤſe Kuͤnſte aufzukom - men trachtet. Reichthum undVor -127fuͤnftes Capitel. Vorrath von allerhand aͤuſſerli - chen Guͤtern pfleget des Menſchen Gemuͤthe gemeiniglich auch lieb zu gewinnen. Nun iſt er dererſelben freylich nicht nur vor ſich / ſondern auch vor andere / zum taͤglichen Un - terhalt benoͤthiget / auch ſeynd ſie des - wegen theils von GOtt ſelbſt erſchaf - fen / theils von den Menſchen erfun - den worden; Allein weil doch unſe - re Duͤrfftigkeit gleichwohl nicht un - endlich iſt / die Natur auch nicht ver - drocknet / und wir von der Welt nichts mit nehmen koͤnnen; So hat man ſo wohl bey der Erwerbung / als den Gebrauche deroſelben gebuͤhren - de Maſſe zu halten / und zuzuſehen / daß man weder mit Verletzung der Tugend etwas an ſich bringe / noch den Geitze / und der unnuͤtzen Ver - ſchwendung nachhenge / noch ſich ſol - ches zu einer laſterhafften Anreitzung dienen laſſe. Weil man auch durchaller -128Des erſten Buchsallerhand Zufaͤlle wieder um das rechtmaͤſſig erworbene kommen kan; So muß man ſein Gemuͤthe dahin diſponiren / daß es ſich nicht gar zu ſehr daruͤber bekuͤmmere.

§. 6.

Noch eine gantz magneti - ſche Kraft / die menſchliche Gemuͤther zu bewegen / hat die Beluftigung und Ergetzligkeit / welche / ſo fern man ſie recht zugebrauchen weiß / kei - nesweges zuverwerffen. Denn gleich wie aller Schmertz und Verdruͤß - ligkeit den Leben ſchadet / und man ſich deſſen ſo viel / als moͤglich / zu ent - ſchlagen hat; Alſo erqvicket eine ge - maͤſſigte Luſt / und Recreation ſo wohl den Leib / als das Gemuͤthe / und iſt dannenhero einen Menſchen unverwehret / ſich dieſelbe zu Nutze zu machen / wenn es nur mit der Mo - deration geſchiehet / daß er das Ge - muͤthe daruͤber nicht verwehnet / den Leib entkraͤfftet / ſeine Haabe undGuͤ -129fuͤnftes Capitel. Guͤther ſchwaͤchet / ſein Amt ver - ſaͤumet / oder ſich ſonſt zu ungezie - menden Dingen verleuten laͤſſet. Endlich ſo ſeynd noch die Affecten / deren Meiſter zu ſeyn eines Men - ſchen Gemuͤthe ſonderlich muß an - gewoͤhnet werden; Weil deren groͤſ - ſeſter Theil nicht allein den Leib / ſon - dern auch die Seele ſelbſt hefftig ab - matten / und den Verſtand oͤffters dergeſtalt verdüſtern / daß er ſich nicht begreiffen kan. Dannenhero man die Kaltſinnigkeit derer Affecten nicht unfuͤglich vor einen Natuͤrlichen Anfang der Klugheit / und des Wohl - verhaltens bey einen Menſchen / der es dahin gebracht hat / ausgeben koͤn - te. Freude iſt der Natur zwar ange - nehm / aber ſie muß zu rechter Zeit / und über einen rechten Object ent - ſtehen. Traurigkeit mergelt Leib und Seele ab / drum hat man ſich allezeit vor ihr zu hüten / auſſer / wennei -130Des erſten Buchseinen etwa ein naher Todes-Fall / oder billiges Mitleiden über des an - dern Unglück / oder Reu / und Leid uͤber begangene Verbrechen dieſelbi - ge auspreſſet. Zuweilen entſtehet ſie wohl aus Furcht eines bevorſtehen - den Ubels / allein / weil man ſolches durch eine behertzte Reſolution offt hintertreiben kan / ſo muß man die Zaghafftigkeit aus den Gemüthe / ſo viel moͤglich vertilgẽ / und ſich wider alle dergleichen Schrecken und Ent - ſetzung befeſtigen. Liebe behaget der Natur vor allen / allein es muß Ver - nunfft dabey ſeyn / und auf ein wür - diges / und zulaͤſſiges Object fallen. Haß hingegen iſt deſto ſchlimmer / ſo wohl von den Haſſenden / als Ge - haßten; Drum muß man dieſen am allerhefftigſten widerſtehen; Und ſo man iemand ja nicht gut ſeyn kan / ſeiner doch ſelbſt dabey ſchonen. Neid und Mißgunſt / iſt der Heßligſte /und131fuͤnftes Capitel. und ſchadet ſich ſelbſt am meiſten / in - dem ſich ein Neider das Hertze abzeh - ret / gleich als der Roſt das Eyſen. Hoffnung iſt zwar ein ziemlich ge - linder Affect, doch kan man ſich auch wehe daruͤber thun / dannenhe - ro muß man ſich / zumal uͤber ver - geblich / und unmoͤglichen Dingen nicht zuviel Hoffnung machen. Zorn iſt der gewaltſamſte / und der gefaͤhr - lichſte / wovor man ſich am fleiſſig - ſten zu huͤten / denn er verblendet auch die Tapfferſten und Großmuͤ - thigſten. Jhm iſt verwandt die Rach - gier / welche / ſofern ſie in der Be - ſchuͤtzung nicht gebuͤhrende Maſſe haͤlt / zu einen hoͤchſt-ſchaͤndlichen La - ſter ausſchlaͤget.

§. 7.

Uber dasjenige / ſo bisher angefuͤhret / kan eines Menſchen Gemuͤthe auch nicht wenig durch das Studiren / wie auch andere gute Kuͤnſte / und Wiſſenſchafften er -bauet132Des erſten Buchsbauet werden. Denn ob ſie wohl allen und jeden eben deßwegen ſo noͤthig nicht ſeyn / daß ſie ſonder dergleichen zu Abſtattung ihrer Natuͤrlichen Schuldigkeit gantz untauglich / und ungeſchickt waͤren / ſo kan man doch nicht leugnen / daß es hoͤchſt-vonnoͤ - then ſey / dieſelbigen von wegen der den menſchlichen Geſchlechte daher zuwachſenden Beqvemligkeit / und groſſen Vortheile zu excoliren. Dannenhero ſo muß ein jeder etwas / das ſeiner Faͤhigkeit / und Stande gemaͤß iſt / erlernen / damit er nicht / als ein fauler Erd-Klum - pen / ſich ſelbſt unnuͤtze / und der Ge - ſellſchafft verdrüßlich fallen moͤge. Auch hat man ſich bey zeiten eine ehrliche Lebens-Art zu erwehlen / und zwar nach dem es etwan eines jeden ſeine Zuneigung / Leibes - und Gemüths-Geſchickligkeit / Stand / und Vermoͤgen / ja die Noth / undGe -133fuͤnftes Capitel. Gelegenheit leydet / oder auch / nach dem es die Eltern / und iezuweilen die hohe Obrigkeit ſelbſt befehlen / und ge - halten haben wollen.

§. 8.

So viel von der Seele / und deren nothwendiger Erbauung. Weil nun aber dieſe von dem Leibe gleichſam unterſtuͤtzet wird / und der Menſch ſo wohl zu ſeiner Lebhafftig - keit / als auch zu der Seelen-Dienſte des Leibes benoͤthiget iſt; So muß man dieſen zufoͤrderſt mit dienlichen Speiſen / und Arbeit fleiſſig ſtaͤrcken / und unterhalten / und mit unmaͤſſi - gen Freſſen / und Sauffen / oder all - zuſchwerer und unnoͤthiger Arbeit / oder auf andere Art / nicht entkraͤff - ten. Dannenhero hat man ſich ſon - derlich fuͤr Schwelgen / allzuoͤffterer Liebes-Pflegung / und dergleichen zu huͤten. Und weil auch / vorerwehn - ter maſſen / die Affecten oder heff - tigen Gemuͤths-Begierden einenGMen -134Des erſten BuchsMenſchen nicht allein zu Anrichtung allerhand Ungelegenheit in der Ge - ſellſchafft anreitzen / ſondern ihm auch ſelbſt an ſeiner Geſundheit groſſen Schaden thun / ſo hat er deſto mehr Urſache / ſich mit moͤgligſter Bezaͤu - mung gegen dieſelbe zu verwahren.

§. 6.

Niemand kan ſich das Le - ben ſelbſt geben / ſondern es iſt ſol - ches vor eine ſonderbare Wohlthat GOttes zu achten; Woraus dann folget / daß der Menſch auch nicht ſo viel Gewalt uͤber daſſelbige habe / daß er es ſich nach ſeinen Gefallen nehmen duͤrffte / ſondern vielmehr gedultig erwarten muͤſſe / biß ihm derjenige von der Poſt wieder abruf - fet / der ihm auf dieſelbe ausgeſtellet. Zwar dis ſcheinet wohl zugelaſſen zu ſeyn / daß ein Menſch / weil er doch andern Leuten dienen kan / und ſoll / und manche Arbeit ohne Entkraͤff - tung der Geſundheit / und Zuziehungei -135fuͤnftes Capitel. eines zeitigern Todes / als wohl bey geruhigen Tagen erfolget waͤre / nicht geſchehen kan / um hiedurch der Ge - ſellſchafft mit ſeinem Pfunde deſto reichlicher zu dienen / ſich zu einer ge - faͤhrlichen Gelegenheit reſolvire / wenn er auch ſchon / allen vermu - then nach / ſein Leben daruͤber ver - kuͤrtzen / oder gar aufſetzen muͤßte. Und nachdem offtmals vieler Leben nicht anders gerettet werden kan / als wenn ſich ihrer etzliche vor ſie in eine probable Todes-Gefahr begeben / ſo iſt kein Zweifel / daß ein rechtmaͤſ - ſiger Regente ſeinen Unterthanen / auch unter Androhung einer ſchwe - ren Straffe / auferlegen koͤnne / ſich ſothaniger Gefahr nicht zu entzie - hen; Ja / es iſt niemanden verweh - ret / dergleichen von freyen Stuͤcken anzutreten / wann ihm nur nicht et - wa wichtigere Urſachen davon ab - halten / und er Hoffnung hat / daßG 2an -136Des erſten Buchsandern dadurch koͤnne gehoffen wer - den; Oder / wenn es diejenigen auch nur werth ſeyn / um derer Willen man ſich alſo aufopffern laͤſſet. Denn gleich wie es thoͤricht gehandelt waͤ - re / wenn mann ſich einen andern zu - gefallen / der doch nothwendig ſter - ben muß / den Hals vor die lange Weile wolte brechen laſſen; Alſo wuͤrde es nicht weniger ungeraͤumt ſeyn / wenn ſich ein treflicher Mann vor einen jeden unnuͤtzen Lumpen - hund in Lebens-Gefahr ſtuͤrtzen wol - te. Jm uͤbrigen / ſo ſcheinet es das Natuͤrliche Recht keinesweges zu verlangen / daß ein jedweder / ohne Unterſcheid / eines andern Leben den Seinigen vorziehe; ſondern es blei - bet / jedoch cæteris paribus, darbey / daß ſich ein jeder ſelbſt der naͤchſte ſey. Allein diejenigen / die ſich entweder aus Uberdruß derer Beſchwerten / ſo dieſes Leben gemeiniglich zu beglei -ten137fuͤnftes Capitel. ten pflegen / oder aus Vermeidung eines Ungluͤcks / welches ihm doch in wahrheit vor der menſchlichen Ge - ſellſchafft nicht geſchaͤndet haͤtte / oder aus Furcht der Schmertzen / durch deren ſtandhafften Erdultung er an - dern noch wohl ein gutes Exempel geben koͤnnen / oder aus frevelnder Vermeſſenheit des Glaubens / der Tapfferkeit / und dergl. ſelbſt um ihr Leben bringen / die handeln allerdin - ges wider die Natuͤrlichen Geſetze.

§. 10.

Weil ſich aber die Selbſt - Erhaltung / darauf die zaͤhrtlichſte Eigen-Liebe / und Vernunfft einen Menſchen gefliſſen zu ſeyn heiſſen / zum oͤfftern an die Gebote der menſchlichen Geſellſchafft zu ſtoſſen ſcheinet / indem / da unſere Wohl - fahrt von andern Leuten gefaͤhrlicher Weiſe angefochten wird / entweder wir umkommen / wenigſtens doch eine groſſe Ungelegenheit ausſtehen /G 3oder138Des erſten Buchsoder einẽ andern uͤber der Abhaltung verletzen muͤſſen; So wird nunmehr vonnoͤthen ſeyn / anzuzeigẽ / mit was vor einer Maſſe man ſich gegen andere Leute wieder zugefuͤgte Gewalt beſchuͤtzen koͤnne. Es be - ſchiehet demnach die Defenſion entweder ohne / oder mit Verle - tzung des jenigen / der uns Leydes zugefuͤget / und zwar jenes auf ſol - che Art / wenn man ſich in Zeiten formidabel, oder gefaͤhrlich machet / und den Feinde das Hertze nimmet / uns recht anzugreiffen; Von wel - chen / daß es zulaͤßlich / und ohne Suͤnde ſey / niemand zweifeln wird. Wegen des andern aber koͤnte noch wohl ein Serupel entſtehen / weil das menſchliche Geſchlecht auf dieſe Maſſe dennoch einen einbuͤſſen / und alſo von meines Feindes Hinrich - tung einen ebenmaͤſſigen Verluſt leyden muͤſte; Zugeſchweigen / daßman139fuͤnftes Capitel. man hiedurch ſeines gleichen um - bringet / mit welchen man ein geſel - liges Leben zu fuͤhren verbunden iſt; Ja / daß eine gewaltſame Verthei - digung eine weit groͤſſere Unruhe anrichtet / als wenn man die Flucht ergriffe / oder dem Feinde ſeinen Leib gedultig darſtreckete. Allein alle die - ſes iſt ſo vermoͤgend nicht / daß es eine gewaltſame Beſchuͤtzng unzulaͤſ - ſig machen ſolte. Denn zu einen friedſamen und geruhigen Verhal - ten gegen andere wird erfordert / daß ſie ſich auch ihrer Orts dergleichen von uns zu erlangen wuͤrdig und faͤhig machen; Und weil die Geſetze der Geſelligkeit die Wohlfahrt aller Menſchen angehen / ſo muß derer - ſelben Erklaͤrung auch alſo gemachet werden / daß ſie dieſes / oder jenes Wohlſtand abſonderlich nicht zu Grunde richten. Wenn nun ieman - den mein Verderbẽ zu ſuchen geluͤſtenG 4ſol -140Des erſten Buchsſolte / ſo iſt kein Geſetze vorhandẽ / wel - ches mich darum meine Wolfahrt in die Schantze ſchlagẽ heiſſet / damit der andere ſeine boͤſe Luſt daran ongean - thet buͤſſen moͤge. Bekoͤmmet er aber in ſolchen Frevel eins darvon / oder geraͤth gar in Gefahr des Le - bens / ſo hat er es nichts anders / als ſeiner eigenen Leichtfertigkeit zuzu - ſchreiben / welche mich einig und al - leine darzu genoͤthiget. Denn wo - fern man dasjenige / ſo man ent - weder von Natur / oder durch ſeinen Fleiß erlanget hat / wider Gewalt - ſamen Anfall mit Gewalt nicht be - ſchuͤtzen duͤrffte; ſo wuͤrde einen daſ - ſelbige nur / als vor die lange Weile gegeben / und zu nichts nuͤtze ſeyn / ja die froͤm̃ſten wuͤrden denen boßhaf - tigſten Buben allezeit zur Beute her - halten muͤſſen. Woraus denn leicht - lich zu erhaͤrten / daß die Verbie - tung einer gewaltſamen Nothwehredem141fuͤnftes Capitel. dem menſchlichen Geſchlechte gewiß zum augenſcheinlichen Untergange gereichen wuͤrde.

§. 11.

Jedoch muß man es nicht alſo gleich bey Zufuͤgung einer jeden Injurie zum aͤuſſerſten kommen laſ - ſen / ſondern zuvor die moͤglichſte Behutſamkeit / und ſicherſten Mittel anwenden / nemlich / daß man dem Feinde den Weg und Zu - gang verſperre / ſich an ſichere Oer - ter begebe / und ihm ermahne / von ſeinen unſinnigen vorhaben abzulaſ - ſen. Gleich wie dieſes auch einen vernuͤnfftigen Menſchen zuſtehet / daß er eine kleine Beleidigung / wenn es anders ſeyn kan / mit Ge - dult ertrage / und ſich lieber an ſei - neu Rechten etwas begebe / als durch allzugewaltſame Gegenwehre in ei - ne groͤſſere Gefahr ſtuͤrtze; Zumal / wenn einer etwan um ſo was ange - fochten wird / das ſich leichte wiederG 5bey -142Des erſten Buchsbeybringen oder erſetzen laͤſſet. Al - lein / wo man auch auf dieſe und dergleichen Art dennoch keinen Frie - den haben kan / ſo muß man endlich / um denſelben nur zu gewinnen / das aͤuſſerſte wagen.

§. 12.

Damit man aber deſto deut - licher erkoͤnnen moͤge / ob einer in den Schrancken einer zulaͤßlichen Nothwehre geblieben / ſo hat man vor erſt wohl Achtung zu geben; Ob er in der Natuͤrlichen Freyheit / da er gar keinen Menſchen unter - than / oder / ob er unter buͤrgerlichen Regierung lebe? Erſtern Falls / ſo kan man demjenigen / der einen un - ablaͤßlich mit Beleidigung zuſetzet / wo er ſich ſeinen boͤſen Vorſatz durch - aus nicht reuen laſſen / noch Friede machen wil / ohne Bedencken / auch mit Verluſt ſeines Lebens / von ſich abtreiben. Und zwar dieſes nicht al - lein wenn er einen nach den Lebenſte -143fuͤnftes Capitel. ſtehet / ſondern / wenn er einen auch nur zu verwunden / oder anderer ge - ſtalt am Leibe zu verletzen / oder auch / ſonder Beſchaͤdigung des Leibes / wohl nur ſonſt von ſeinen Haab und Guͤtern etwas abzunehmen trach - tet. Denn man hat ja keinen Buͤr - gen / daß er von einer ſothanigen Beleidigung nicht zu noch groͤſſern ſchreiten werde; Und wer ſich einmal feindlich erklaͤret / der hat kein Recht mehr vor ſich / vermoͤge deſſen man ihn nicht auf alle Art und Weiſe von ſich abſtoſſen duͤrffte. Und gewiß / wann das nicht zugelaſſen waͤre / daß man auch gegen demjenigen / der ei - nen nur immer mit kleinen Injurien zu beaͤngſtigen fortfaͤhret / endlich nach der aͤuſſerſten Schaͤrffe verfah - ren duͤrffte / ſo wuͤrde in den menſch - lichen Leben nimmermehr eine recht - ſchaffene Geſelligkeit zu hoffen ſeyn. Denn auf ſolche maſſe muͤſten die al -G 6ler -144Des erſten Buchsler-ſitſamſten allezeit nur denen aͤrg - ſten und unruhigſten Koͤpffen zu ei - ner Kurtzweile herhalten. Uber dis / ſo kan man in dieſem Zuſtande nicht nur eine gegenwaͤrtig zugemuthete Gefahr mit Gewalt abtreiben / ſon - dern auch den Feind in ſo weit verfol - gen / biß man aufs zukuͤnfftige ſeinet - wegen genungſam geſichert worden. Mit welcher Verſicherung es denn folgender geſtalt zu halten. Reuet ei - nen das zugefuͤgte Unrecht von ſelbſt / und er bittet um Vergebung / erbeut ſich auch zur Erſetzung des Scha - dens / ſo iſt man verbunden / ſich auf beſchehene Angelobung / mit ihm wieder aus zuſoͤhnen. Denn wenn einer ſelbſt zum Creutze kriechet / und um Verzeihung bittet / ſo hat man es vor ein beſtaͤndiges Zeichen der Beſſerung zu achten. Bittet einer aber alsdann erſt um gut Wetter / wenn er ſiehet / daß er ſich nicht mehrwi -145fuͤnftes Capitel. widerſetzen kan / ſo iſts ſehr gefaͤhr - lich / auf ſein bloſſes Verſprechen zu trauen / und muß man einen ſolchen entweder die Beleidigungs-Mittel entziehen / oder ihm anderer Geſtalt einen Zaum anlegen / damit man ſich hernach ferner vor ihm zu fuͤrchten keine Urſache habe.

§. 13.

Diejenigen / ſo buͤrgerli - chen Regiment unterworffen ſeyn / koͤnnen ſich alsdann erſt mit Gewalt defendiren / wenn es der Zeit / und des Ortes Gelegenheit nicht lei - det / die Obrigkeit um Abwendung einer inſtaͤndigſt andringenden Le - bens / und dero gleich-zuſchaͤtzenden Gefahr / oder ſonſt unerſetzlichen Schadens anzuruffen. Und zwar duͤrffen ſie mehr nicht thun / als nur der gegenwaͤrtigen Gefahr abhelf - fen; Die Rache aber / und die Ver - ſicherung wegen kuͤnfftig zu unterlaſ -G 7ſen -146Des erſten Buchsſender fernerer Beleidigung wird der Obrigkeit anheim gegeben.

§. 14.

Es iſt aber zugelaſſen / ſich ſo wohl gegen dem / der einen frevel - haffter Weiſe / als der einen aus Jrꝛthum / oder Unwiſſenheit zu Lei - be wil mit der gewaltſamen Noth - Wehre zu beſchuͤtzen / als / wenn einer einen aus Unſinnigkeit uͤberfie - le / oder vor einen andern anſehe / mit dem er etwa ſonſt in Feindſchafft le - bet. Denn es iſt genung / daß / ſo we - nig ein anderer befugt iſt / mich anzu - fallen / oder ums Leben zu bringen / ſo wenig ich hinwiederum Verbind - ligkeit habe / mir vor die lange Weile den Hals brechen zu laſſen.

§. 15.

Was die Zeit anbelanget / binnen welcher eine zulaͤſſige Noth - Wehre geſchehen kan / davon hat man dieſes zu beobachten. Diejeni - gen / ſo in Natuͤrlichen Freyheit le -ben /147fuͤnftes Capitel. ben / die ſolten / und koͤnten zwar alle - mal die gute Vermuthung unter ſich haben / daß einer ſich gegen den an - dern der Natuͤrlichen Pflicht gemaͤß bezeugen wuͤrde; Allein wegen der allzubekañten Bosheit der menſchli - chen Gemuͤths-Art iſts doch nicht rathſam / jemals ſo gar ſicher zu ſeyn / daß ſie ſich nicht vielmehr in Zeiten wegen zulaͤßlicher Verwahrung umſehen / das iſt / denen / ſo etwa was feindſeliges wider ſie vor haben / den Paß verlegen / Volck und Ruͤ - ſtung herbey ſchaffen / ſich in Buͤnd - niſſe begebẽ / und auf der andeꝛn Thun ein wachendes Auge haben ſolten / und dergl. m. Jedoch iſt dieſer aus der gemeinen menſchlichen Schalck - heit geſchoͤpffte Argwohn ſo bloſſer Dinges nicht genung / einen andern / unter den Vorwand ſeiner Defen - ſion, mit Waffen uͤber den Hauffen zu werffen / auch alsdann noch nichtein -148Des erſten Buchseimal / wenn man ſchon ſeine Macht ie mehr und mehr anwachſen ſehe / zu foͤrderſt / wenn er dieſelbe vermit - telſt emſiger / und niemand zu Scha - den gereichender Sorgfalt / oder / ſonder iemandes Unterdruckung / durch des Gluͤckes Gunſt zuwege gebracht; Ja wann einer auch auſ - ſer dem / daß er das Vermoͤgen hat / ſich in den Willen und Vorſatz iemand zu beſchaͤdigen blos gebe / ſol - ches aber nicht auf uns / ſondern ei - nen andern gemeinet waͤre; So duͤrffte man ihn doch deßwegen ſo ſchlechter Dinges / und ſonder gege - bene Urſache / nicht angreiffen / es waͤre denn / daß man den andern / auf den die Verfaſſung abgeſehen / Krafft eines geſchloſſenen Bindniſſes wider ſo unbefugte Gewalt beyzu - ſpringen verpflichtet worden. Wor - bey man ſich denn deſto weniger zu verweilen hat / wenn man ver -mu -149fuͤnftes Capitel. muthend iſt / daß der maͤchtige Feind / wenn er erſt mit dieſen fertig / her - nach auch zu uns kommen / und die erſte Victorie zu einen Werckzeuge der folgenden brauchen werde. Al - lein / wo ſchon offenbare Anzeugun - gen einer gegen uns vorhabenden Uberwaͤltigung vorhanden ſeyn / ſo darff man nicht warten / biß er ſein Unterfangen voͤllig ins Werck ſtel - let / oder uns auf den Hals koͤmmet / ſondern man kan ſich alſo gleich auch in eine violente Defenſion ſetzen / und den Feind in der gewaltſamen Zuruͤſtung angreiffen; Zumal wenn man keine Hoffnung hat / daß er das feindſelige Gemuͤthe durch guͤtliches Zureden werde fallen laſſen / oder / da dergleichen Erinnerung uns nach - theilig ſeyn wuͤrde. Und dieſen nach iſt derjenige vor den Anfaͤnger zu achten / der zuerſt den Vorſatz nim - met / den andern zu ſchaden / ſich auchzu150Des erſten Buchszu deſſen Ausfuͤhrung am erſten fertig machet. Derjenige aber hat die Ge - wogenheit einer rechten Defenſion vor ſich / der / ſolches vermerckende / je - nen mit Geſchwindigkeit uͤbereilet / und mit ihm fertig wird / ehe er ſich in rechte Poſitur geſetzet. Denn das iſt eben nicht noͤthig / daß man ſich nicht eher wehre / als biß man die Stoͤſſe weg hat / oder / daß man die - ſelben anfaͤnglich nur ausnehme / und dann erſt dem Feinde zu Leibe gehe.

§. 16.

So viel Zeit haben nun diejenigen zu ihrer Nothwehre nicht / die unter den buͤrgerlichen Gehor - ſam leben. Denn ob ſie ſchon wiſſen / daß ihnen ein ander Buͤrger Ge - walt anzuthun nachtrachtet / oder ſich auch bereits mit Drohworten gegen ſie vernehmen laͤſſet; So duͤrffen ſie ihm doch keinesweges ſelbſt anfallen / ſondern muͤſſen ihn bey ihrer beyder -ſeits151fuͤnftes Capitel. ſeits Obrigkeit angeben / und ſich von dar dagegen verſichern laſſen; wuͤrde einer aber von ſeinem Feinde wuͤrcklich uͤberlauffen / und koͤnte von dem Magiſtrat, oder andern Leu - ten ſo geſchwind keine Huͤlffe haben / alsdann mag er Gewalt auch mit der aͤuſſerſten Gegen-Gewalt ver - treiben / nicht zwar eben mit der In - tention, den andern / als zu ſeiner verdienten Straffe / und etwan aus Rachgier / das Leben zu nehmen / ſon - dern nur in ſo fern / als er ſein eigen Leben anderer Geſtalt der gegen - waͤrtigen Gefahr nicht entzihen koͤn - nen. Solche unſtraffbare Noth - Wehre nimmet nun ihren Anfang von dar an / wenn einen der Feind / ſeinen Mord-begierigen Willen zu erkennen gebende / und mit gnugſa - men Vermoͤgen / und hiezu dienli - chen Werckzeugen ausgeruͤſtet / an ei - nem ſolchẽ Orte begegnet / da er einenwuͤrck -152Des erſten Buchswuͤrcklich ſchaden thun kan / auch die - jenige Zeit mit darzu gerechnet / die man nothwendig brauchet / ihm eher ſelbſt vorzukommen / als ſich vor - kommen zu laſſen. Hingegen wehret ſie nicht laͤnger / als biß der Feind entweder zuruͤcke getrieben iſt / oder von ſich ſelbſt weichet / wie auch / wenn es ihm in dem Augenblicke / da er die That vor hat / ſelbſt wieder gereuet / oder ihm dieſelbige ſonſt durch einen widrigen Ausgang dergeſtalt miß - linget / daß er einen vor dismal nicht ſchaden / und man ſich in ſichere Oer - ter begeben koͤnnen. Denn daß ſol - cher Unfug gerochen / und man aufs zukuͤnfftige geſichert ſeyn moͤge / das muß man von der Vorſorge und Gewalt der weltlichen Obrigkeit er - langen.

§. 17.

Wiewohl nun in vorigen geſaget worden / daß man es zur Schaͤrffe / und einer Mordthat nichtkom -153fuͤnftes Capitel. kommen laſſen ſolle / wenn man die Gefahr auf andere Weiſe umgehen kan; So pfleget doch / wie bey Ab - meſſung der Zeit / alſo auch ſonſt bey andern Umſtaͤnden einer Nothweh - re / in Anſehung der groſſen Ge - muͤths-Beſtuͤrtzung / darein ein Menſch bey ſo andringender Ge - fahr geraͤth / nicht alles ſo genau genommen zu werden / weil es un - moͤglich iſt / daß ein Menſch in ſotha - niger Angſt / alles ſo accurat uͤber - legen / und ſich ſo eben auf die Mittel und Wege / der Gefahr zu entgehen / bedencken koͤnne / als etwa ein ander / der die Sache mit ruhigem Gemuͤ - the uͤberleget. Und wie es dannen - hero eine Verwegenheit waͤre / ſich auf beſchehene Aufforderung aus der Sicherheit muthwillig zu den Fein - de zu begeben; Alſo hat man hinge - gegen auch nicht noͤthig / alſobalden darvon zu lauffen / wenn einen je -mand154Des erſten Buchsmand auf oͤffentlicher Straſſe an - greiffet / es ſey denn / daß man alſo - bald in der Naͤhe an einen ſichern Ort ſpringen koͤnte; Ja / man iſt nicht eben allezeit ſchuldig aus dem Wege zu weichen. Deñ dortbey muß man den Ruͤcken bloß geben / und beydes mal in Gefahr ſtehen / daß man wohl gar fallen moͤgte / zugeſchweigen / daß da man ſich einmal aus dem Lager / oder Vortheil treiben laſſen / man ſich vielleicht ſo bald nicht wieder darein duͤrffte ſtellen koͤnnen. Gleich wie aber demjenigen / der ſeinen Verrich - tung nachgehet / deßwegen die Gunſt der Nothwehre nicht verweigert wird / weil / da er zu Hauſe geblie - ben / er die Gefahr vermeiden koͤn - nen; Alſo hat ſich deroſelben derje - nige durchaus nicht zu getroͤſten / der verbotener Ausforderung zu folge in einen Duell erſcheinet / und da - ſelbſt ſein Leben durch die Hinrich -tung155fuͤnftes Capitel. tung des andern zu retten genoͤthiget wird. Denn weil die Geſetze eine ſolche mutwillige Gefahr gaͤntzlich unterſagen / ſo kan ſie auch zur Ent - ſchuldigung des daraus entſtehenden Todſchlags das geringſte nicht bey - tragen.

§. 18.

Was bisanhero von der Beſchuͤtzung des Lebens iſt vor - bracht worden / das iſt ebenfalls auch in Anſehung derer Gliedmaſſen des Leibes zugelaſſen; Alſo / daß derjenige vor unſchuldig geachtet wird / der einen gewaltig-anfallenden Feind / ſo er ihm ein Glied zu laͤh - men / oder hart zu verwunden Wil - lens geweſen / mit Verluſt des Le - bens zuruͤcke treibet. Denn man entſetzet ſich beydes von Natur vor einer ſolchen Zerſtimmlung / oder ſchweren Verletzung / und zuweilen iſt die Verderbung eines / zumal de - rer Edlern Gliedmaſſen / den Lebenbey156Des erſten Buchsbeynahe gleich zu ſchaͤtzen. Ja man weiß auch nicht zuvor / ob aus ſotha - niger Verletzung / oder Wunden der Tod nicht erfolgen werde / ohne / daß dergleichen Gedult / als hiezu erfor - dert wird / die gemeine Standhaff - tigkeit der Menſchen uͤbertrifft / wo - zu einen die Gefahr / und zumal um ſo boshafftiger Leute willen / regu - lariter nicht zu verbinden pfleget. Ein gleiches Urtheil iſt auch von der Beſchuͤtzung der Keuſchheit zu faͤllen; Allermaſſen einen ehrlichen Frauen-Zimmer kein groͤſſerer Schimpff widerfahren kan / als wenn ihr dasjenige wider ihren Wil - len geraubet / auf deſſen Erhaltung die Zierde ihres Geſchlechts einig und allein beſtehet / und ſie gezwungen werden ſolte / ihrem aͤrgſten Feinde / aus dero eigenen Gebluͤte / zu Kin - dern zu verhelffen.

§. 19.157fuͤnftes Capitel.

§. 19.

Haab und Gut kan man in der Natuͤrlichen Freyheit gar wohl mit Vergieſſung des feindli - chen Blutes vertheidigen / wann es nur nicht von ſo wenigen Werthe iſt / daß man es leichte entbehren oder vergeſſen koͤnnen. Denn ohne zeitli - che Guͤther kan man das Leben nicht erhalten / und derjenige / der einen unbefugter Weiſe darum zu bringen ſuchet / erklaͤret ſich eben ſo wohl feind - ſelig / als wenn er das Leben ſelbſt meinete. Allein in den Republi - qven / allwo man dem Geſtohlnen / durch Huͤlffe der Obrigkeit / wieder beykommen kan / iſt dieſes regula - riter nicht zugelaſſen; auſſer nur in den Faͤllen / da man denjenigen / der uns um das Unſrige bringen wil / nicht vor Gerichte ziehen moͤgte; welchen nach es denn unverwehret iſt / Raͤuber / naͤchtliche Diebe / und dergl. auf der Stelle zu ermorden.

H§. 20.158Des erſten Buchs

§. 20.

Und ſo viel von der Noth - Wehre dererjenigen / die unrecht - maͤſſiger Weiſe / und muthwillig von andern angeſprenget werden. Wenn aber einer einen andern zu erſt verletzet / und alſo angefangen haͤt - te / ſo kan er die Noth-Wehre nicht eher gegen jenen brauchen / und ihm darunter einigen Schaden zufuͤgen / als wenn er ſich zuvor die That ge - reuen laſſen / auch zur Erſetzung des Schadens / und Verſicherung zu - kuͤnfftiger Unſchaͤdligkeit anerboten / der andere aber aus allzugroſſer Erbitterung dennoch nicht nachlaſ - ſen / ſondern die Rache ſchlechter Dinges mit der Fauſt abdringen wolte.

§. 21.

Endlich ſo wird auch die Er - haltung ſeiner ſelbſt ſo hoch geachtet / daß ein Menſch blos in deren Anſe - hũg / und alsfern dieſelbe andrer Ge - ſtalt nicht zugewinnen geweſen / beyun -159fuͤnftes Capitel. unterſchiedenen Begebenheiten von der Verbindligkeit derer gemeinen Geſetze losgezehlt wird. Jn welchem Verſtande es denn auch insgemein heiſſet / daß die Noth kein Geſetz habe. Nemlich / weil der Menſch auf nichts ſo ſehr erſteuret iſt / als auf ſeine eigene Wohlfahrt und Erhal - tung / ſo iſt auch nicht leichte zu ver - muthen / daß ihm etwas auferleget worden / deme dieſe Eigen-Liebe Platz geben / oder weichen ſolte. Denn ob uns wohl nicht allein der groſſe GOTT / ſondern auch / da es der Sachen Wichtigkeit erfordert / die weltliche Obrigkeit zu ſo einer harten Obligation anſtrengen kan / viel eher in den Tod gehen / als ſich einen Nagel breit davon zu entfernen: So iſt doch eine ſolche Strengigkeit derer Geſetze nicht allemal / auch nicht al - lenthalben / zu vermuthen. Deñ weil diejenigen / ſo dieſelben gegeben / oderH 2ein160Des erſten Buchsein und anders in der menſchlichen Geſellſchafft eingefuͤhret / eben hie - durch die Wohlfahrt oder Beqvem - ligkeit derer Menſchen befoͤrdern wollen / ſo ſcheinets / daß ſie regu - lariter auch die Beſchaffenheit der menſchlichen Natur / und den Ab - ſcheu / ſo ſie vor denen zu ihrer Nie - derrichtung gereichenden Dingen traͤget / vor Augen gehabt haben. Dannenhero denn leichte zu ſchlieſ - ſen / daß ſie / ſonderlich bey denen Poſitiv-Geſetzen / und allen menſch - lichen Geſtifften / wo ein und ande - rer Caſus nicht ausdruͤcklich / oder wegen der Eigenſchafft der Sache mit darunter begriffen / die Noth - Faͤlle ſonſt allemal ausgenommen / oder gar keine Verbuͤndligkeit ge - ſtatten wollen / wofern aus dero - ſelben Beobachtung / einiges die menſchliche Natur verderbendes / oder gemeine Standhafftigkeit uͤber -wie -161fuͤnftes Capitel. wiegendes Ubel entſtehen ſolte. Und alſo kan die Noth zwar ſo viel nicht zuwege bringen / daß man ihrentwe - gen einem Geſetze ſchnur-ſtracks zu wider handeln / und eine Miſſethat veruͤben duͤrffte: ſondern es laͤſſet ſich aus der vermuthlichen gelindern Meinung derer Geſetz-Geber / und vor Augen gehabten Betrachtung der menſchlichen Schwachheit nur urtheilen / daß der gegenwaͤrtige Nothfall unter den allzugemein ab - gefaßten Geſetze nicht mit enthalten ſey. Es laͤſſet ſich dis am fuͤglichſten mit ein und andern Exempel erlaͤu - tern. Ob gleich der Menſch ſonſt ſo viel recht uͤber ſeine Gliedmaſſen nicht hat / daß er ſie nach eigenen Ge - fallen verſtimmlen / oder verderben duͤrffe; So mag er doch ein ſchad - hafftes / und ſonſt unheilbares gar wohl abſchneiden / damit der gantze Leib hiedurch nicht in Gefahr gera -H 3the /162Des erſten Buchsthe / oder die noch geſunden auch an - geſtecket / oder durch das unnuͤtze der Gebrauch derer uͤbrigen gehemmet werde. Alſo / wenn bey ereignenden Schiff-Bruche ihrer mehr zu - ſammen auf einen Nachen kaͤ - men / als derſelbe ertragen koͤnte / und er einen alleine nicht zuſtaͤndig waͤre / ſo ſcheinets / daß ſie unter ſich um diejenigen / ſo nauß muͤſſen / lo - ſen / und dem / ſo ſich hierauf der Ge - fahr weigert / als einen ſolchen / der ihrer allerſeits Untergang ſuchet / oh - ne Erwartung des Loſes hinabſtuͤr - tzen duͤrffen. Gleichfalls / wann ih - rer zwey in augenſcheinliche Le - bens-Gefahr geriethen / darinnen ſie ſonſt beyderſeits umkommen muͤ - ſten; ſo darff der eine / zu Rettung ſeines Lebens / etwas thun / woraus des andern / der doch ohne dis nicht davon kommen kan / Tod augenblick - lich beſchleiniget wird. Zum Exemp. wenn163fuͤnſtes Capitel. wenn ich / als ein guter Schwimmer / mit einem andern / der das nicht kan / in ein gefaͤhrliches Waſſer gerathen waͤre / und jener umfaſſete mich / ich haͤtte aber die Kraͤffte nicht / ihm mit mir aus dem Waſſer zu ziehen / ſo doͤrf[f]te ich ihm / um nicht zugleich mit ihm zu erſauffen / mit gutem Gewiſſẽ gewaltig von mir ſtoſſen / ob ich ihm gleich ſonſt noch eine wenige Zeit er - halten koͤnte. Alſo auch / wenn ich bey erlittenen Schif-Bruche ein Stuͤcke Holtz / daß vor ihrer zwey zu ſchwach iſt / ergriffen haͤtte / und ein anderer auf mich zuſchwimmende / ſich auch darauf erhalten wolte / hiedurch aber mich zugleich mit ſich ins Verderben reiſſen würde; ſo kan ich ihm / ohne einiges Bedencken / mit aller vio - lens zuruͤcke treiben. Oder / wenn ihrer zwey von einen den Tod an - drohenden Feinde verfolget wuͤrden / ſo kan der eine den andern / mit Ver -H 4ſchlieſ -164Des erſten Buchsſchlieſſung der Thuͤre / oder Aufzie - hung und Abwerfſung der Brücke in der Gefahr laſſen / wenn es nicht moͤglich iſt / daß ſie alle beyde darvon kommen.

§. 22.

Aufn Nothfall darf man auch den andern indirectè, das iſt / ſolcher geſtalt in eine Todes - oder ſonſt groſſe Gefahr ſetzen / daß man die Meinung nicht hat / ihm zu ſcha - den / ſondern nur zu ſeiner ſelbſt-Er - haltung etwas zubeginnen / man vermuthet aber doch / daß ihm / ein Ungluͤck daher zuwachſen duͤrffte / und wuͤnſchet / ſeiner Noth anderer geſtalt abkommen / ſuchet auch / wie die Verletzung / oder Beſchaͤdigung aufs allerleidlichſte geſchehen moͤge. Alſo / wenn einen ein Staͤrckerer mit moͤrderiſchen Gemuͤthe nachſetz - te / und / Zeit wehrender Flucht / ohn - gefehr iemand in einen engen Wege begegnete; Dem kan man / wo erſich /165fuͤnftes Capitel. ſich / auf beſchehenes Zuruffen / nicht ſchleunigſt zuruͤck ziehen / oder des Orts und der Zeit Gelegenheit es nicht leiden wolte / uͤbern Hauffen ſtoſſen / und druͤber hin fliehen / ob er gleich / allen Vermuthen nach / ei - nen ſehr unſanfften Fall thun ſolte; Es waͤre denn / daß man dieſen aus einer beſondern Urſache obligiret geweſen / auch ſich vor ihm ſelbſt einer freywilligẽ Todes-Gefahr darzubie - ten. Waͤre aber die darzwiſchen kom - mende Perſon eine ſolche / die / ohn - erachtet des Ermahnens / nicht aus dem Wege gehen koͤnte / als etwan ein Kind / oder Krippel / u. ſ. w. / ſo wuͤrde man zum wenigſten doch ent - ſchuldiget ſeyn / wenn man ſuchte / druͤber hinzuſpringen / ehe man ſich / durch ein langweiliges Zaudern / den Verfolger auf den Leib kommen lieſ - ſe. Allein / wo ſich einer einen ſolchen betrengten Menſchen aus bloſſenH 5Muth -166Des erſten BuchsMuthwillen / oder Unbehuͤlfligkeit widerſetzen / und den Weg zur Flucht nicht geſtatten wolte / den wuͤrde er auch vorſetzlicher Weiſe fortſtoſſen / und niederſchlagen duͤrffen. Jm uͤbri - gen / wer bey ſolchen Begebenheiten etwas darvon bekoͤmmet / der muß es / als ein zufaͤlliges Ungluͤck / mit Gedult verſchmertzen.

§. 23.

Wenn iemand / ohne ſeine Schuld / in der aͤuſſerſten Hun - gers Noth ſtecket / oder keine Klei - dung hat / ſeinen nackenden Leib wi - der die Kaͤlte zu verwahren / noch auch von andern reichen und wohl - habenden Leuten mit Bitte / ums Geld / oder vor Darbietung ſeiner Dienſte etwas erlangen kan; Der darff ihnen ſelbiges / ohne ſich hie - durch einiger Rauberey / oder Die - berey ſchuldig zu machen / entweder mit Gewalt / oder heimlich entwen - den / zumal wenn er den guten Vor -ſatz167fuͤnftes Capitel. ſatz hat / bey fuͤgender Gelegenheit ihnen den Werth deroſelben wieder zu erſtatten. Denn ein Reicher iſt / Krafft derer Natuͤrlichen Liebes-Ge - ſetze verbunden / ſolchen nothleiden - den beyzuſpringen. Ob nun wohl die daher ruͤhrende Schuldigkeiten regulariter ſonſt niemanden abge - zwungen werden koͤnnen / ſo machet doch disfalls die andringende aͤuſſer - ſte Noth / daß man mit dieſen eben ſo ſcharff / als mit denjenigen / die einen etwas aus vollkommenen Rechte ſchuldig ſeyn / verfahren moͤge. Je - doch iſt vonnoͤthen / daß der Arme zuvor alle Mittel und Wege verſu - che / den andern mit guten Willen zur Erleuchterung ſeiner Duͤrfftig - keit zu bringen; Es muß auch der Eigenthums-Herꝛ nicht etwa in gleicher Noth ſtecken / oder in dem Stande ſeyn / daß er bald ſelbſt dar - ein gerathen koͤnne. So muß auchH 6die168Des erſten Buchsdie Erſetzung nicht vergeſſen werden / zumal / wenn es des andern Vermoͤ - gen nicht litte / ſo etwas umſonſt weg - zugeben.

§. 24.

Endlich / ſo ſcheinets zu - gelaſſen zu ſeyn / daß man aus Noth / und um das Seinige zu erhalten / andern an ihren Sachen einen Schaden zufuͤge; Jedoch ſolcher geſtalt / wenn die Noth oder Gefahr den Unſerigen / ohne unſere Schuld / zugeſtoſſen / und man ſie auf andere Art nicht abwenden koͤnnen / wie auch / daß wir / vor unſer geringes / andern Leuten nicht was koſtbares verderben / daß wir den Schaden wieder gut thun / wann ihre Sachen ſonſt nicht verdorben waͤꝛen / oder doch denſelben uͤbertragen helffen / wenn das Unſrige / durch eines anderen Verluſt / erhalten worden / ob ſchon ſonſten beydes drauf gegangen waͤ - re. Und auf dieſe Billigkeit gruͤn -den169ſechſtes Capitel. den ſich die Schiff-Geſetze. Alſo mag man auch bey entſtehender Feu - ers-Brunſt / in dem einen dieſelbe zu nahe kommen wil / des Nachtbars Haus wohl niederreiſſen / doch muß ihm einjeder dererjenigen / denen das Jhrige hiedurch gerettet worden / die erlittene Einbuſſe / nach ſeinem ge - buͤhrenden Antheile / wieder erſtatten helffen.

Das ſechſte Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Menſchen gegen einander / und zwar nach der erſten Regul: Daß keiner den andern verletzen ſolle.

§. 1.

YUnmehro folgen diejenigen Ar - ten der ſchuldigen Gebuͤhr / ſoH 7ein170Des erſten Buchsein Menſch gegen den andern zu beobachten hat. Und zwar ſo ruͤhren etzliche deroſelben aus der allge - meinen Verbuͤndungs-Krafft her / vermittelſt deren der allmaͤchti - ge Schoͤpffer alle Menſchen / als Menſchen / unter ſich / und mit ein - ander verknuͤpffet; Theils aber ent - weder aus einen gewiſſen von Men - ſchen eingefuͤhrten oder ange - nommenen Geſtiffte / und Hand - lung; oder auch aus einem beſon - dern Stande / darinnen ſie ſich nun - mehro befinden. Jene muß ein jeder ſchlechter Dinges gegen den andern ausuͤben; Dieſe aber nur mit Be - dingung / und in ſo fern / als er ſich mit einem ſolchen Geſchaͤffte / und Handlung bewickelt befindet / oder er ſelbſt in einem dergleichen Stande lebet. Dannenhero koͤnte man die erſten ſchlechtliche oder gemeine / die andern aber bedingliche oder ſonderliche nennen.

§. 2.171ſechſtes Capitel.

§. 2.

Unter denen gemeinen Schuldigkeiten / und die ein ieder ſchlechter Dinges gegen den andern zu beobachten hat / iſt dieſes die erſte: daß keiner den andern verletze. Denn dieſe hat wohl den groͤſſeſten Umfang / und erſtrecket ſich auf alle Menſchen / alsfern ſie einerley menſchliche Natur mit einander ge - mein haben. So iſt ſie auch die leich - teſte / indem ſie nur auf einer bloſſen Unterlaſſung beruhet / auſſer / ſo fern man zu weilen die der Vernunfft wi - derſtrebenden Luͤſte daꝛbey zu daͤmpf - fen hat. Ja / ſie iſt auch die allernoth - wendigſte / weil ohne dieſer die Geſel - ligkeit des menſchlichen Lebens durch - aus nicht koͤnte erhalten werden. Denn wenn uns einer ſchon gar nichts zu gute thut / wenn er uns auch nicht einmal die gemeinen und gerin - gen Freundſchaffts-Dienſte leiſtet / ſo kan man doch wohl ſchiedlich undfried -172Des erſten Buchsfriedlich mit ihm leben / wenn er uns nur in Gegentheil auch nichts Ley - des zufüget; Ja / von dem meiſten - theile derer Menſchen verlanget man nicht einmal ein mehres; Jn dem man doch nur mit denen wenig - ſten in einer ſolchen Freundſchafft und Zuſtande lebet / da man Liebes und Gutes gegen einander zu ver - wechſeln pfleget. Allein mit denje - nigen kan man ſich ohnmoͤglich wohl vertragen / der einen alles Hertzeleid anthut; Allermaſſen die Natur ei - nen jeden Menſchen eine ſo empfind - liche Zuneigung zu ſich ſelbſt / und zu den Seinigen eingepflantzet / vermoͤ - ge deren er nicht umhin kan / denje - nigen / ſo ihm disfalls Schaden zu thun geluͤſtet / mit aller Macht zu - ruͤcke zu treiben.

§. 3.

Es wird aber durch ſothani - ge Schuldigkeit und Gebuͤhr nicht nur dasjenige / ſo wir von Naturha -173ſechſtes Capitel. haben / als Leib / und Leben / die Gliedmaſſen / Keuſchheit und Frey - heit; ſondern auch alles und jedes / ſo man durch menſchliche Anſtalt / Handel und Vergleiche erworben / in Sicherheit geſtellet / dermaſſen / daß / was man redlicher Weiſe an ſich gebracht / in Krafft dieſes Ver - botes einen weder genommen / noch verderbet / oder beſchaͤdiget / noch ſei - nen Nutzen einigerley Weiſe weder gantz und gar / noch zum Theile duͤrf - fe entzogen werden. Dannenhero ſeynd eben hiedurch alle Ubelthaten verboten / wodurch jemanden Scha - den zugefuͤget werden kan / als da ſeynd Mord / Verwundung / Schlaͤ - ge / Raub / Deuben / Betrug / Ge - walt / u. dergl. / es mag nun ſolches durch gerade / oder krum-Wege / mittel - oder unmittelbarer Weiſe ge - ſchehen.

§. 4.174Des erſten Buchs

§. 4.

Hieraus laͤſſet ſichs ferner folgern; daß / wenn einer dem andern Schaden gethan / oder auf einige Art verletzet / und ihm ſolches mit Recht zugemeſ - ſen werden kan / er daſſelbe / ſo viel als moͤglich / wieder erſetzen muͤſſe. Denn ſonſt wuͤrde das Ver - bot / wegen zuunterlaſſender Belei - digung / und Beſchaͤdigung / gantz ver - geblich ſeyn / wenn man allen thaͤt - lich zugefuͤgten Unfug vor die lange Weile einfreſſen müßte / und derje - nige / der den Schaden angerichtet / die Fruͤchte ſeines Unrechts in guter Ruhe / und ohne einzige Wider-Er - ſtattung genieſſen duͤrffte. Zuge - ſchweigen / daß auſſer dem / und da die frevelhafften Beſchaͤdiger nichts wider erſetzen müßten / weder die Bosheit derer Menſchen ſich iemals unbefugter Beleidigung enthalten / noch auch diejenigen / ſo dergleichener -175ſechſtes Capitel. erlitten / ſich mit den andern zum Friede beqvemen wuͤrden / bevor ſie deßwegen eine zulaͤngliche Vergnuͤ - gung erhalten.

§. 5.

Ob nun wohl ein Scha - de eigendlich derjenige iſt / den man an ſeinen Sachen erleidet; So neh - men wir doch dieſes Wort anietzo in einen ſo weitlaͤufftigen Verſtande / daß es ſo wohl eine jedwede Verle - tzung / Verderbung / Verringer - oder Entwendung deſſen / ſo man be - reits habhafft iſt / als auch eine Vor - enthalt - und Schmaͤhlerung alle desjenigen / ſo einem aus einen voll - kommenen Rechte / entweder von Natur / oder durch ſeinen eigenen Fleiß / oder auch wohl aus Krafft der Geſetze gebuͤhret haͤtte / in ſich be - greiffet / wie ingleichen auch endlich die Unterlaſſ - oder Verweigerung alle desjenigen / was einen ein ande - rer aus vollkoͤmmlicher Verbindlig -keit176Des erſten Buchskeit haͤtte leiſten / und erweiſen ſollen. Allein / wenn einen nur dasjenige vorenthalten wird / was man etwa aus einer bloß-unvollkommenen Obligation fordern moͤgen / ſo iſt es vor einen ſolchen Schaden nicht zu achten / deſſentwegen man ſich an den andern von rechtswegen wieder er - hohlen koͤnte. Denn es würde un - geraͤumet ſeyn / wenn man ſich hie - durch vor beſchaͤdiget achten / und deswegen Erſetzung fordern wolte / weil man dasjenige nicht empfan - gen / welches man doch von den an - dern anderer Geſtalt nicht / als in Form einer bloſſen Wohlthat ge - waͤrtig ſeyn / und vor der eigenwilli - gen Anbietung gantz nicht vor dasje - nige rechnen duͤrffen.

§. 6.

Ferner / ſo verſtehen wir unter dem Worte Schaden nicht allein dasjenige / ſo uns an denen uns wuͤrcklich zuſtehenden / oder dochrecht -177ſechſtes Capitel. rechtlich gebuͤhrenden Hab und Guͤ - thern Leydes zugefuͤget / verderbet / oder vorenthalten wird; ſondern auch / ſo uns dergleichen an den da - her erwachſenen Nutzungen geſchie - het / ſie moͤgen nun entweder ſchon genoſſen / und einbracht / oder noch einzubringen ſeyn / wann man ſie nur gewiß wuͤrde genoſſen haben; jedoch iſt dieſes / nach dem Abzuge de - rer Unkoſten / zu verſtehen / welche zur Einbringung ſothaniger Fruͤch - te angewendet werden muͤſſen. Es iſt aber der Anſchlag noch zugewarten - der Nutzung bißweilen groͤſſer / biß - weilen geringer / nachdem ſie von dem Ziele einer ungewiſſen Einkunfft ent - weder wenig / oder mehr entfernet / das iſt: noch weniger / oder vieler Gefahr unterworffen / und entwe - der zeithig / oder ſpaͤte zu gute zu ma - chen. Endlich / ſo wird auch dieſes alles nur vor einen Schaden geach -tet /178Des erſten Buchstet / was gleichſam durch eine Natuͤr - liche Nothwendigkeit aus einer ein - mal beſchehenen Verletzung entſte - het.

§. 7.

Es kan aber einer den an - dern Schaden thun / nicht allein unmittelbar / und vor ſich ſelbſt / ſondern auch durch andere. Auch kan ein unmittelbar von iemand angerichteter Schaden einen an - dern zugerechnet werden / wenn er zu ſolchen unbefugten Beginnen ent - weder thaͤtlich etwas mit beygetra - gen / oder / wenn er unterlaſſen / was er allerdinges thun ſollen. Zuweilen wird unter ihrer vielen / die ein Un - gluͤck zuſammen angeſtifftet / einer vor den Principal, der andere nur vor den Gehuͤlffen geachtet; biß - weilen iſt einer ſo gut / als der an - dere. Wobey denn dieſes anzumer - cken / daß diejenigen / die wuͤrcklich Urſache an einen Schaden worden /und179ſechſtes Capitel. und entweder zu deſſen gaͤntzlichen Veruͤbung / oder nur zum Theil et - was beygetragen / allerdinges auch ſchuldig ſeynd / demſelben wider zu erſetzen. Wofern aber einer zu einer Handlung / daraus der Schaden ent - ſprungen / wuͤrcklich nicht geholffen / auch nicht vorher zu deren vorneh - mung und Erfolg Urſache gegeben / noch einigen Genies davon gehabt / ſo wird er auch zu des Schadens Er - ſetzung nicht koͤnnen angehalten wer - den / ob er ſich gleich etwa / durch Ver - anlaſſung ſolches Handels / ſonſt ei - nes Laſters / oder Verbrechens ſchul - dig gemachet; Als wie diejenigen thun / die ſich uͤber anderer Leute Ungluͤck freyen / eine ſchaͤdliche That loben / und entſchuldigen; oder auch wohl / ehe ſie geſchicht / es jemanden goͤnnen / und indem ſie in Wercke iſt / ihr gewogen ſind / und beyfal - len.

§. 8.180Des erſten Buchs

§. 8.

Wann ihrer unterſchiede - ne zu einer That helffen / daraus je - manden ein Ungluͤck erwaͤchſet / ſo gehet man zu foͤrderſt demjenigen zu Leibe / der die andern durch ſeinen Befehl / oder ſonſt durch einige Zwang-Anlegung / zu der That ange - trieben. Der Thaͤter / ſo ſich des Dienſtes nicht entbrechen koͤnnen / iſt nur vor ein Werckzeug zu achten. Wer aber ohne dergleichen Noth ein Ungluͤck anrichtet / an den muß man ſich zum erſten halten / und dann an die andern / die etwas darbey geholf - fen haben; Doch ſolcher geſtalt / daß / wenn die erſten den Schaden erſetzet / die uͤbrigen frey ausgehen. (Welches zwar in denen Straffen eine weit an - dere Bewandtniß hat.) Wenn ihrer etzliche / einer ſolchen boͤſen That hal - ber / ein Complot zuſammen ma - chen / ſo muͤſſen ſie alle vor einen / und einer vor alle haften / alſo / daß / woman181ſechſtes Capitel. man ſie alle bekaͤme / ein jeder ſeinen gebührenden Antheil zur Ergaͤn - tzung des Schadens erlegen / hinge - gen / da die andern durchgiengen / und man nur einen ergriffe / dieſer eintzi - ge vor die uͤbrige gantze Rotte zah - len muͤſte. Haͤtten auch einige aus ihren Mittel nicht das Vermoͤgen / ſo waͤren die andern Wohlhaben - dern ſchuldig / ſie in Entrichtung des voͤlligen Verluſts zu uͤbertragen. Dafern aber ihrer viel / ohne derglei - chen Rott-bande / uͤber einer That an - getroffen wuͤrden / und man koͤnte ei - gendlich nicht wiſſen / wieviel ein je - der beſonders Schaden gethan / ſo darff auch ein jedweder nur ſeinen Antheil gut machen; Und ſo einer vor die andern alle zahlen wolte / ſo muͤſte man die uͤbrigen von der Er - ſtattung frey ausgehen laſſen.

§. 9.

Fuͤr Schaden muß nicht allein derjenige ſtehen / der dem an -Jdern182Des erſten Buchsdern betruͤglich - und boshafftiger Weiſe etwas Leides zuziehet; ſon - dern der ihm auch nur etwa durch ſeine Schuld oder Verſehen / ohne habenden Vorſatz / in Unge - legenheit bringet / da er es doch leicht - lich aͤndern koͤnnen. Denn dieſes iſt nicht der mindeſte Theil der menſch - lichen Geſelligkeit / daß man in allen Sachen ſo behutſam verfahre / damit andern Leuten unſere Converſa - tion nicht fuͤrchtlich / oder unertraͤg - lich fallen moͤge. Uber dis / ſo iſt mancher aus einer ſonderbaren Pflicht zu Anwendung alles aͤuſſer - ſten Fleiſſes und Vorſichtigkeit ver - bunden. Dannenhero kan es wohl kommen / daß einen auch vor das al - lergeringſte verſehen Satisfaction angefordert wird / wann nemlich das Geſchaͤffte den genaueſten Fleiß und Achtſamkeit erfordert / und nicht et - wa derjenige / der den Schaden ley -det /183ſechſtes Capitel. det / ſelbſt mehr Schuld dran hat / als derjenige / der ihn verurſachet / oder einen eine groſſe Gemuͤths - Beſtuͤrtzung / und anderer bedenck - licher Umſtand an ſorgfaͤltiger Vor - ſichtigkeit verhindert; Als wie es wohl zugeſchehen pfleget / daß einer / der in einen hitzigen Gefechte begrif - fen iſt / einen zunaͤchſt Beyſtehenden ohnverſehens eines mit verſetzet / und ſ. f.

§. 10.

Allein / wer einen durch Ungluͤcks - und Zufaͤlle / ohne ſeine Schuld / was Leydes zufuͤget / der kan zur wieder-Erſtattung des Schadens nicht angehalten werden. Denn weil er nichts gethan hat / das man ihm beymeſſen koͤnte / ſo wird man auch keine Urſache finden / war - um der Unfall vielmehr uͤber denje - nigen ausgehen ſolle / der ihm wider ſeinen Willen angerichtet / als uͤber den andern / der ihm erlitten hat.

J 2§. 11.184Des erſten Buchs

§. 11.

Dis iſt auch der Natuͤrli - chen Billigkeit gemaͤß / daß / wenn unſer Geſinde / ſonder unſerer Ver - ſchuldung / einen andern Schaden thut / wir es ihm entweder ſelbſt gut machen / oder dem Verderber ihm uͤbergeben. Denn ein Knecht iſt ja von Natur ſchuldig / Unfug und Schaden wieder zu erſtatten; da er nun aber nichts eigenthuͤmliches hat / daran man ſich erholen koͤnne / und ſo gar auch ſein Leib und Leben ſeinen Herꝛn gehoͤret / ſo iſt es billig / daß der Herꝛ entweder den Schaden ſelbſt buͤſſe / oder den Knecht hingebe. Denn ſonſt wuͤrde ſo ein boshafftiger Menſch Freyheit be - kommen / einen jeden nach ſeinen Ge - fallen zu kraͤncken / wann man ſich weder an ihm / der nichts / auch ſich ſelbſt nicht mehr hat / noch an ſeinen Herꝛn erhohlen koͤnte. Denn wenn ihm der Herre gleich mit Schlaͤgenund185ſechſtes Capitel. und Gefaͤngniß noch ſo harte ab - ſtraffte / ſo wuͤrde doch den Beſchaͤ - digten hiemit weniger / als nichts / geholffen werden.

§. 12.

Ebenfalls iſt es unſerer Thiere und Viehes wegen billig / daß / wenn dieſelben / auch ſonder unſere Schuld / und wieder ihres Geſchlechtes Art / von ſich ſelbſt ie - mand Schaden thun / der Herꝛ den - ſelben entweder erſetze / oder das Vieh darvor hingebe. Denn wenn man von einen ſolchen in ſeiner Natuͤrli - chen Freyheit lebenden Thiere waͤre beſchaͤdiget worden / ſo haͤtte man ſich des Schadens an denſelben etzli - cher maſſen / durch die Einfahung / oder Toͤdtung erhohlen koͤnnen; wel - ches Recht gleichwohl durch eines an - dern Beherꝛſchung noch unentnom - men zu ſeyn ſcheinet. Und weil der Herꝛ Nutzen von ihm hat / ein ande - rer aber daruͤber in Schaden ge -J 3raͤth /186Des erſten Buchsraͤth / und doch die Erſtattung einer unbefugten Beſchaͤdigung allemal favorabler iſt / als der Gewinn ei - nes Nutzens; ſo erhaͤllet klaͤrlich / daß man den Herꝛn eines ſolchen Vie - hes gantz recht anſinnen koͤnne / ent - weder den Schaden zu bezahlen / oder das Thier / wenn er es zumal ſo ſonderlich nicht achtet / davor aus - zuantworten.

§. 13.

Gleich wie nun derjeni - ge / ſo einen andern ohne boͤslichen Vorſatz beſchaͤdiget / ihm freywillig Vergnuͤgung anzubieten / und daß es aus keiner Bosheit geſchehen ſey / zu bezeugen ſchuldig iſt / damit ihm der Beleydigte nicht vor einen Feind anſehen / und wiederum was feind - ſeliges beweiſen moͤge; Hingegen aber derjenige / der den andern aus Frevel verletzet / ihm nicht allein freywillig Satisfaction anzutragen / ſondern auch ſeine darob empfunde -ne187ſechſtes Capitel. ne Reue erkeñtlich zu machen / und um Vergebung zu bitten Urſache hat; Alſo ſoll ſich in Gegentheil der Beſchaͤdigte auf den erſten Fall / nach erhaltener Erklaͤrung / und Ab - trag des Schadens / zu frieden ſtellen / und da bey den andern uͤber dis noch Reue und Abbitte erfolget / ihm vergeben / und ſich wieder verſoͤh - nen laſſen. Denn wer hiebey nicht beruhen / ſondern die Rache mit ge - waltſamer Hand ſuchen wil / der thut nichts anders / als daß er der Ver - bitterung ſeines Gemuͤths nachhaͤn - get / und alſo die Ruhe der menſchli - chen Geſellſchafft / um nichtiger Ur - ſachen willen / zerſtoͤhret. Deßwegen wird die Rache auch von den Na - tuͤrlichen Geſetze ſo nachdruͤcklich verboten / als welche keinen andern Zweck hat / denn daß ſie denenjeni - gen / die uns etwa beleidiget / Wehe anthue / und daß ein RachgierigerJ 4ſein188Des erſten Buchsſein Gemuͤthe an ſothanigen Wehen kuͤhle. Es ſoll ſich aber ein Menſch nur um deßwillen zur Vergebung der ihm zugefuͤgten Beleydigung de - ſto geneigter finden laſſen / weil wir alle die Gebote des groſſen GOttes ſo gar offte uͤbertreten / und dannen - hero der Vergebung auch taͤglich von ihme vonnoͤthen haben.

Das ſiebende Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Menſchen ge - gen einander / nach der andern Regul: Daß ein jeder den andern vor ſeines gleichen halten ſolle.

§. 1.

ES iſt der Menſch nicht allein auf die Selbſt-Erhaltunghoͤchſt -189ſiebendes Capitel. hoͤchſt-befliſſen / ſondern ihm auch eine dermaſſen zaͤhrtliche Hochach - tung ſeiner ſelbſt von Natur ange - bohren / daß / wo ihn dieſelbe in et - was wil geſchmaͤhlert werden / er ſich daruͤber zum oͤfftern nicht we - niger / als uͤber einen andern / den Leibe / oder ſeinen Haab und Guͤ - tern zugefuͤgten Schaden / zubewe - gen pfleget. Ja / es beduͤncket uns das Wort Menſch ſelbſt von einer beſondern Wuͤrde zu ſeyn / indem man dieſes gegen anderer hochtra - benden Verachtung gemeiniglich zur aͤuſſerſten und nachdruͤcklichſten Verantwortung gebrauchet: Bin ich doch kein Hund / ſondern eben ſo wohl ein Menſch / als du. Weil wir denn die menſchliche Natur alle mit einander unter uns gemein ha - ben / und niemand mit denjenigen gern wil / oder kan in Geſellſchafft leben / von welchen er nicht zum we -J 5nig -190Des erſten Buchsnigſten ebenfalls ſo gut / als ein Menſch / und der gleicher Natur mit ihm theilhafftig iſt / geachtet wird; als muß man dieſes zum andern bey der ſchuldigen Gebuͤhr derer Men - ſchen gegen einander in acht nehmen: Daß nemlich ein jeder den andern vor einen Menſchen halte / und ihm alſo begegne / als einen / der ihm von Natur gleich / oder der eben ſo wohl ein Menſch iſt / als er.

§. 2.

Es beſtehet aber dieſe Gleichheit derer Menſchen nicht al - lein darinnen / daß die Erwachſenen einander an Kraͤfften und Staͤrcke in ſofern faſt alle gleich ſeyn / daß auch der Schwaͤchere dem Staͤrckern den Tod / entweder durch Hinterliſt / oder Geſchickligkeit / oder auch wohl durch Behuf derer Waffen zuwege bringen koͤnne; ſondern auch in dem / daß / obgleich einer vor den andernin191ſiebendes Capitel. in Leibes und Gemuͤths-Gaben ei - nen Vorzug hat / er doch nichts deſto weniger die Gebote des Natuͤrlichen Rechtes gegen die andern eben ſo wohl ausuͤben muͤſſe / als er derglei - chen etwa hinwiederum von ihnen verlanget; und wird ihm deßwegen in geringſten keine Freyheit verſtat - tet / andere / um der Erlangeten Vor - theile wegen / unrechtmaͤſſiger Weiſe zu beleidigen. Gleichwie im Gegen - theil auch / da die Natur gegen ieman - den was ſparſamer / und das Gluͤ - cke zu neidiſch geweſen / ſie ihm doch darzu vor ſich ſelbſt keinesweges ver - dammen / daß er in der Genieſſung derer Gemeinen Rechte geringer ſeyn ſolte / als andere; ſondern was einer von dem andern fordern / oder gewaͤrtig ſeyn kan / das muß er ihnen / (jedoch / daß ſolches allen Umſtaͤn - ſtaͤnden gemaͤß geſchehe /) hinwie - derum abſtatten und erweiſen; undJ 6was192Des erſten Buchswas einen gegen andere recht iſt / nach demſelben muß er ſich auch ſelbſt richten laſſen. Denn die Verbuͤnd - ligkeit / mit andern ein geſelliges Leben zufuͤhren / gehet alle Men - ſchen gleich durch an / und iſt dis - falls keinen eingeraͤumet / daß er die Natuͤrlichen Rechte an jemanden vor andern brechen duͤrffe. Wiewohl es uͤber dis auch nicht an gemeinen Beweiß-Gruͤnden fehlet / welche die Natuͤrliche Gleichheit nicht we - nig erleutern; als da ſeynd / daß wir alle von einem Stamme abſproſſen / alle auf einerley Art gebohren und ernehret werden / ja auch ſterben muͤſſen / und daß GOtt niemanden eines beſtaͤndigen und immerbluͤhen - den Gluͤcks wegen einen Buͤrgen geſtellet / v. ſ. w. Gleichwie auch die Lehre der Chriſtlichen Religion zur Erlangung der Goͤttlichen Gnade keinesweges den Adel / Gewalt / oderReich -193ſiebendes Capitel. Reichthum / ſondern einig und allein die GOttes-Furcht vorſchlaͤget / als welche eben ſo wohl bey einer niedri - gen / als hohen Standes-Perſon kan angetroffen werden.

§. 3.

Aus dieſer Gleichheit folget ferner / daß derjenige / welcher an - derer Leute Huͤlffe / zu Befoͤrderung ſeines Nutzens / gebrauchen wil / ſich hinwiederum auch zu ihren Dienſte anſchicken ſolle. Denn wer nur im - mer verlanget / daß ihm zwar andere aufwarten ſollen / vor ſich ſelbſt aber allezeit leer ausgehen wil / der muß andere nothwendig nicht vor ſeines gleichen halten. Dannenhero wie diejenigen ſonderlich zur Geſellſchafft geſchickt und tauglich ſeyn / welche andern gern und willig alles dasje - nige / was ihnen ſelbſt gut deucht / geſtatten; alſo ſeynd dieſes hingegen - theils gar unleidliche / und in der Ge - ſellſchafft unertraͤgliche Gemuͤther /J 7wel -194Des erſten Buchswelche ſich mehr / als andere beduͤn - ckende / alles allein Macht haben / und vor andern geehret ſeyn / auch von allen das Beſte zu ſich reiſſen wollen / da ſie doch vor andern ein beſonderes Recht niemals erlanget. Dannenhero iſt auch dieſes in die Reihe derer gemeinen Natuͤrlichen Obliegenheiten zu bringen: daß ſich niemand / der deſſen nicht abſon - derlich befugt iſt / mehr als an - dere anmaſſe / ſondern die andern gleiches Recht neben ſich genieſ - ſen laſſe.

§. 4.

Eben dieſe Gleichheit wei - ſet auch / wie ſich einer zu verhalten habe / wenn er andern Recht ſoll wieder fahren laſſen / nemlich / daß er ſie als gleiche tractiren / und kei - nen / uͤber der Sachen Verdienſt / vor den andern etwas nachhaͤngen muͤſ - ſe. Denn widriges-Falls ſo wird derjenige / dem er hindanſetzet / nichtal -195ſiebendes Capitel. allein benachtheiliget / ſondern auch beſchimpffet / und ihm die von Na - tur gebuͤhrende Wuͤrdigkeit entzo - gen. Daraus folget / daß man von rechtswegen diejenigen Sachen / die allen gleich gemein ſeynd / unter glei - che auch nach gleichen Stuͤcken aus - theilen ſolle. Wo ſich eine Sache aber nicht zertheilen laͤſſet / ſo muͤſſen ſich diejenigen / ſo gleiches Recht darzu haben / deroſelben in Gemeinſchafft bedienen / und zwar / ſo fern es de - ren Wichtigkeit / oder Groͤſſe geſtat - tet / ſo viel einen jeden davon beliebet; da ſie es aber nicht litte / ſo muß ein jeder derſelben nach der verordneten Maſſe / und nach Proportion, der dazu-gehoͤrigen Anzahl gebrau - chen. Denn eine andere Art / die Gleichheit zu erhalten / kan nicht ausfindig gemachet werden. Wenn aber eine Sache weder die Theilung / noch gemeinſchafftlichen Gebrauchzu -196Des erſten Buchszulaͤſſet / ſo muß man ſie entweder Wechſel-weiſe nutzen / oder / wann auch dieſes nicht angienge / denen uͤbrigen vor den Abtrit anderwaͤrti - ge und gleichgiltige Vergnuͤgung ſchaffen / oder ſie einen durch das Loß alleine zukommen laſſen. Denn in ſolchen Faͤllen iſt das Loß das fuͤg - ligſte Mittel / als wodurch der Wahn aller Verachtung und Vervorthei - lung gaͤntzlich hinfaͤllet / und hat der - jenige / dem das Gluͤcke nicht wohl wil / deßwegen hernach nicht Urſa - che zu klagen.

§. 5.

Gegen dieſe Natuͤrliche Ge - buͤhr und Schuldigkeit wird nun ge - handelt durch Hoffart / da ſich je - mand einer nichts-wuͤrdigen / oder nicht genung erheblichen Urſache we - gen uͤber andere heraus-bruͤſtet / und ſie / als ihm gantz nicht gleichende / neben ſich verachtet. Einer nichts - wuͤrdigen Urſache wegen ſage ich. Denn197ſiebendes Capitel. Denn wo einer einig Recht oder Be - fuͤgniß vor ſich hat / vermoͤge deſſen ihm ein Vorzug gebuͤhret / ſo kan er daſſelbe gar wohl ausuͤben / und be - haupten / jedoch ſonder eiteln Hoch - muth / und anderer Leute Verach - tung. Gleich wie auch in Gegentheil ein jeder denjenigen den Vorzug und Ehre / die er von Rechtswegen ab - heiſchen kan / nicht mehr als billig einraͤumet. Jm uͤbrigen / ſo hat die Groß-Muͤthigkeit dennoch allezeit eine geziemende Demuth und Leid - ſeligkeit zur Gefaͤhrtin / welche dar - innen beſtehet / daß man ſich / auch bey ſeinen hoͤchſten Ehren-Stande / dennoch der Schwachheit ſeiner Na - tur / und derer Jrꝛthuͤmer / darein man eben ſo wohl / als andere Men - ſchen / theils hiebevor gerathen / theils auch noch verfallen koͤnne / ver - nuͤnftig beſcheide / wodurch man ſich denn dahin angewoͤhnet / daß manſich198Des erſten Buchsſich leichte niemanden ſelbſt vorzie - het / in wohlbedaͤchtiger Ermeſſung / daß andere Leute vielleicht ihren frey - en Willen eben ſo wohl zu brauchen wiſſen / als wir; deſſen rechte und geziemende Anwendung das eintzige iſt / ſo der Menſch vor das Seinige zu achten / und daruͤber er ſich entwe - der was einbilden / oder ſich ſelbſt gram ſeyn / und verachten koͤnne. Sich aber um einer nichts-wuͤrdi - gen Urſache willen etwas heraus nehmen / iſt wahrhafftig ein recht - laͤcherliches Laſter / einmal / weil es an und vor ſich ſelbſt thoͤricht iſt / ſich uͤber nichts zu erheben / oder groß zu machen; und dann / weil ein ſolcher alle Leute vor ſo naͤrriſch haͤlt / ob wuͤrden / oder müſten ſie ihn / ſonder der geringſten Urſache / bewundern und hochachten.

§. 6.

Noch eine groͤſſere Suͤnde iſts / wenn iemand andere Leute garmit199ſiebendes Capitel. mit aͤuſſerlichen Zeichen / Worten / Wercken / Gebehrden / Gelaͤchter / oder andrer Beſchimpffung veraͤcht - lich haͤlt / indem derer beleidigten Gemuͤther hiedurch allzuhefftig zum Zorn und Rachgierigkeit angereitzet werden; So gar / daß man derer viele findet / welche ſich lieber ſtracks in die aͤuſſerſte Lebens-Gefahr ſtuͤr - tzen / (warum denn nicht vielmehr den Friede mit dem Veraͤchter bre - chen?) als dergleichen Beſchimpf - fung ungerochen laſſen ſolten; Im - maſſen hiedurch ihre Ehre und gute Achtung gekraͤncket wird / auf deren Erhaltung doch die Vergnuͤglichkeit und Beluſtigung eines rechtſchaf - fenen Gemuͤthes zufoͤr - derſt beruhet.

Das200Des erſten Buchs

Das achte Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Menſchen gegen einander / nach der drit - ten Regul: Daß einer den andern al - les Liebes und Gutes erweiſen ſolle.

§. 1.

VOn wegen derer ſchuldigen Ge - buͤhren / die ein jeder Menſch gegen den andern zu erweiſen / und / der gemeinen Geſelligkeit zum Be - ſten / auszuuͤben hat / iſt dieſes zum dritten zu mercken: Daß ein jeder des andern Nutzen / ſo viel / als moͤglich iſt / und fuͤglicher maſ - ſen geſchehen kan / befoͤrdern ſol - le. Denn weil die Natur zwiſchen allen Menſchen eine durchgaͤngigeVer -201achtes Capitel. Verwandſchafft geſtifftet hat / ſo wird es darmit nicht gethan ſeyn / daß man einander etwa nur nicht verletzet / oder verachtet; ſondern es muß ein jeder dem andern alſo begeg - nen / und ſolche Dienſte oder Will - faͤhrigkeit erweiſen / daß daraus eine allſeithige Gewogenheit / Freund - ſchafft unter denen Menſchen geſtiff - tet / und beybehalten werden moͤge. Nun kan man einen andern dienen / und nuͤtze werden / entweder auf eine ungewiſſe / oder gewiſſe Art / und beydes zwar wiederum ſolcher Ge - ſtalt / daß einen dabey entweder gar nichts / oder doch wohl etwas ab - gehet.

§. 2.

Ungewiß kan man anderer Leute / und der menſchlichen Geſell - ſchafft Beſtes befoͤrdern / wenn man ſein Gemuͤthe / und Leib dermaſſen wohl ausruͤſtet / daß andere dereinſter -202Des erſten Buchserſprießliche Thaten und Dienſte da - von gewarten koͤnnen; oder wenn man durch die Hurtigkeit ſeines Ver - ſtandes dergleichen Dinge erfindet / welche den menſchlichen Leben zu mehrern Aufnehmen und Vortheil gedeyen. Dannenhero ſeynd dieje - nigen vor Veraͤchter dieſer Gebuͤhr zu halten / die nichts redliches ler - nen / und denen ihr Leben bey ſtetiger Faullentzerey nur gleichſam zu einer Wuͤrtze dienen muß / damit ſie nicht gar anbruͤchig und ſtinckend werden / die nur den Hauffen groͤſſer machen / und das Brodt aufzehren; Die / ſich mit ihrer Vorfahren Erworbenen begnuͤgende / vermeinen / daß ſie gar wohl auf der Baͤren-Haut liegen duͤrffen / weil ihnen andere ſchon ſo viel vorgearbeitet / davon ſie ſich er - halten koͤnnen; Die / wie der Poete ſaget:

Das203achtes Capitel.
Das anererbte Gut mit Muͤſ -
ſiggehn verzehren /
Und es durch eignen Fleiß nicht
ſuchen zu vermehren;

Ja / die endlich / gleich denen Maſt - Schweinen / niemanden eher eine Freude machen / als wenn ſie ſter - ben; Und was dergleichen unnuͤtze und muͤſſige Erden-Laſten mehr ſeynd.

§. 3.

Hingegen ſeynd die uͤbrigen denenjenigen / ſo ſich um das menſch - liche Geſchlechte wohl verdienet zu machen angelegen ſeyn laſſen / dieſes davor ſchuldig / daß ſie ſie deßwegen nicht beneiden / noch ſich ihren trefli - chen Unterfahen und Vornehmen widerſetzen / oder demſelben einige Hinterniß in Weg ſtreuen; Auch / da ſie es ihnen etwa nicht gleich thun koͤnten / zum wenigſten doch den Preiß ihres Andenckens / und dero guten Ruff / welches die beſte Fruchtal -204Des erſten Buchsaller Arbeit iſt / vermehren und aus - breiten helffen.

§. 4.

Auf gewiſſere Art kan man andern dienen / wenn man ge - wiſſen Perſonen etwas erweiſet / wo von ſie einigen Nutzen nehmen / und welches man ohne ſeinen Schaden / und Beſchwerung geſchehen laſſen kan / dannenhero es auch eine ab - ſcheuliche Bosheit / oder Unmenſch - ligkeit ſeyn wuͤrde / wenn man ihnen dergleichen verweigern / oder ungern geſtatten wolte. Es heiſſen ſolches Dinge einer unſchaͤdlichen / oder uns unnachtheiligen Nutzbar - keit / das iſt / welche demjenigen / ſo ſie erlanget und genieſſet / Nutzen ſchaffen / dem aber / der ſie zulaͤſſet / keine Beſchwerung machen; als da ſeynd / wenn man einen den Ge - brauch des vorbey fluͤſſenden Waſ - ſers vergoͤnnet / Licht und Feuer von den Seinigen anbrennen laͤſſet / ei -nen205achtes Capitel. nen guten Rath mittheilet / Jrrende auf den rechten Weg bringet / u. ſ. w. Alſo / wenn einer eines Dinges zu viel haͤtte / und nicht alles behalten wolte / oder koͤnte / oder es fiehle ihn deſſen Beſitzung ſonſt beſchwerlich / warum wolte er es dem nicht lieber gantz laſſen / daß es andere / die ſei - ne Feinde nicht ſeyn / noch brauchen koͤnnen / als daſſelbe vorſetzlich ver - derben? Alſo iſts nicht recht / daß / wenn man ſich geſaͤttiget / man das uͤbrige verwuͤſte; noch auch / daß man andern zu Schaden einen Brunnen und Qvelle verſtopffe oder verberge / wenn man ſich erſt ſatt gedruncken; ingleichen / daß man die Zeichen an den Wege / und zur See / wenn man ſich dererſelben erſt bedienet / weg - reiſſe / oder uͤbern Hauffen ſchmeiſſe. Hieher gehoͤren die maͤſſigen Allmo - ſen / ſo reiche Leute denen Armen ge - ben ſollen / ingleichen die BehuͤlflicheKund206Des erſten Buchsund Leutſeligkeit / ſo man Frembden / oder Reiſenden aus billigen Urſachen erweiſet / zumal / wann ſie etwa in Noth und Ungluͤck gerathen / u. d. a.

§. 5.

Ein hoͤherer Grad der Willfaͤhrigkeit iſt es / wenn man ge - gen iemanden aus beſonderer Wohl - gewogenheit etwas umſonſt bewei - ſet / das einen groſſe Muͤhe / oder Ko - ſten machet / um hiedurch ſeiner Noth - durfft zuſtatten zu kommen / oder ihm ſonſt einen anſehnlichen Nutzen zuwege zu bringen; Welches man denn in der vortreflichern Bedeu - tung Wohlthaten nennet / und ſeynd dieſelbigen die allerbeqvemſte Materie / ſich vor der Welt ein groſ - ſes Lob zu erwerben / wenn man ſie ſonderlich mit Großmuͤthigkeit / und Klugheit rechtſchaffen zu temperi - ren weiß. Es lehret aber ſo wohl des Gebers / als des Nehmers Zuſtand die Art und Maſſe an allerbeſten /wor -207achtes Capitel. wornach man ſich bey dererſelben Austheilung zu verhalten hat; Und iſt dabey zufoͤrderſt in acht zu neh - men / daß man unter ſothaniger Freygebigkeit nicht etwa denenjeni - gen / denen man guͤtlich zuthun geden - cket / oder iemanden anders Scha - den zufuͤge; Hernach / daß man nicht mehr gebe / als eines jeden ſein Ver - moͤgen zulaͤſſet; und denn / daß man einen jeden / ſeiner Wuͤrde gemaͤß / guͤtlich thue / und zwar zufoͤrderſt de - nenjenigen / die es wohl verdienet / oder die unſerer Huͤlffe am meiſten beduͤrffen / dabey man denn unter andern auch die Naͤhe oder Ferne der Anverwandſchafft nicht aus den Au - gen zu ſetzen. Ferner muß man zu - ſehen / was ein jeder am meiſten noͤ - thig habe / und was er etwa bloß durch uns / oder auch wohl ohne uns erlangen koͤnne / oder nicht. Die Art des Gebens kan die AnnehmligkeitK 2de -208Des erſten Buchsderer Wohlthaten nicht wenig ver - mehren / wenn man nemlich ſelbige mit freidigen Muthe / willigen Her - tzen / und mit Bezeugung einer be - ſondern Wohlgewogenheit darrei - chet.

§. 6.

Gegentheils wird auf Sei - ten desjenigen / der eine Wohlthat empfaͤnget / ein danckbares Ge - muͤthe erfordert / als wodurch er zuerkennen giebet / daß es ihm ange - nehm geweſen / deſſentwegen er den Wohlthaͤter auch gewogen bleibet / und alle Gelegenheit ſuchet / ſo viel / als moͤglich / es zuerwiedern / oder noch wohl ein mehrers dargegen zu - thun. Denn das iſt eben nicht noͤ - thig / daß man nur ſo viel wiedergebe / als man empfangen hat; ſondern offt kan man ſeiner Pflicht auch wohl durch moͤglichſte Bemuͤhung / und einen guten Willen Genuͤge leiſten. Nur iſt noch zu mercken / daß nichtet -209achtes Capitel. etwa ſo was im Wege ſtehen muͤſſe / welches man demjenigen / der uns eine Wohlthat erwieſen haben wil / mit gutem Fug an ſtatt des Dancks entgegen halten koͤnne. Denn wenn mich einer / z. exemp. aus dem Waſ - ſer gezogen haͤtte / da er mich zuvor ſelbſt hineingeſtoſſen / dem wuͤrde ich es Danck zu wiſſen nicht ſchuldig ſeyn.

§. 7.

Je geſchiekter nun die Wohl - thaten ſeynd / um hiedurch derer Menſchen Gemuͤther verbuͤndlich zu machen / ie eyfriger hat ſich derje - nige / ſo ſie empfangen / auf Danck und Vergeltung zu befleiſſigen; zum wenigſten muß er demjenigen / der ihn aus einer zu ihm tragenden Zu - verſicht zu erſt Gutes gethan / hier - unter ſich nicht verſchlimmern / oder Noth leyden laſſen; Auch ſoll man nichts nehmen / ohne mit den Vor - ſatze und Meinung / ſich aͤuſſerſt zuK 3be -210Des erſten Buchsbemuͤhen / damit der andere nicht Urſache finden moͤge / ſich ſeiner Wohlthat reuen zu laſſen. Denn wenn man iemanden aus gewiſſen Urſachen beſonders nicht wil ver - pflichtet werden / ſo kan man die an - getragenen Gutthaten ſtracks an - faͤnglich mit guter Manier ausſchla - gen. Und wahrhafftig / wenn es gantz nicht vonnoͤthen waͤre / erkaͤntlich zu ſeyn / ſo handelte derjenige wider alle Vernunfft / der das Seinige vor die lange Weile wegwerffen / und / was er vor ſichtlichen Augen verlohren ſehe / an iemanden anwenden wolte. Auf ſolche Art duͤrffte unter denen Menſchen alles Vertrauen und Gutthaͤtigkeit / ja hiebenebenſt auch alle Wohlgewogenheit / aufhoͤren / und wuͤrde keiner den andern um - ſonſt ichtwas zugefallen ſeyn / auch kein Menſche ſich mehr um des an - dern Gunſt bewerben.

§. 8.211achtes Capitel.

§. 8.

Ob einen wohl von einen undanckbaren Gemuͤthe an und vor ſich ſelbſt durch die bloſſe Un - erkaͤntligkeit keine ungerechte Be - leidigung zugefuͤget wird / ſo iſt doch der Nahme eines Undanckbaren viel verhaßter und abfcheulicher / als ei - nes Ungerechten. Denn man haͤlt eines ſolchen Menſchen Gemüthe vor ſehr niedertraͤchtig / und unar - thig / der ſich derjenigen Einbildung / ſo ſein Wohlthaͤter von ſeiner Red - ligkeit und Danckbarkeit gemachet / ſelbſt unwerth bezeuget / und durch keine Wohlthat / die doch ſo gar auch die wilden Thiere anzulocken pfle - gen / zur Empfindung einiger Leut - ſeligkeit kan angereitzet werden. Jn buͤrgerlichen Gerichten wird zwar wieder eine ſchlechte Undanckbarkeit / (oder / da einer der Guthaten / und des Dancks / bey ereignender Gele - genheit ſchlechter Dinges vergiſſet /) K 4kei -212Des erſten Buchskeine Klage / und Proceſs verſtattet; Denn der edelſte Theil einer Gut - that fiele dahin / wenn man einen Un - danckbaren eben ſo wohl / als etwa einen Schuldner um ein gewiſſes Darlehn / belangen koͤnte; Ja / ſie würde ſolcher Geſtalt eben die Ei - genſchafft einer Schuld-Forderung bekommen; Und weil die Erkaͤnt - ligkeit bißher unter die loͤblichſten und großmuͤthigſten Verrichtungen eines Menſchen gerechnet werden; ſo wuͤrde ihr ſolche Trefligkeit nun - mehr gaͤntzlich abgehen / wenn man ſie mit gerichtlichen Noth-Zwang belegen ſolte. Zugeſchweigen / daß alle Rath-Haͤuſer und Richter - Stuben kaum mit dieſem eini - gen Geſetze / und der Entſchei - dung uͤber daher entſtehender Streit - Haͤndel fertig werden duͤrfften / ſon - derlich wegen der ſehr ſchweren und bedencklichen Ermeſſung aller hie -bey213achtes Capitel. bey vorfallenden Umſtaͤnde / welche eine Wohlthat bald groͤſſer / bald ge - ringer machen koͤnnen. Zudem / ſo erweiſet man einen ja deßwegen eine Wohlthat / das iſt / man bedinget ſich die Wieder-Erſtattung desjenigen / ſo man weggegeben hat / darum nicht von ihm aus / damit er an ſeinem Or - te Gelegenheit haben moͤgte / zuer - weiſen / wie er nicht etwa aus Furcht Richtlicher Straffen / oder Zwan - ges / ſondern aus Liebe zur Tugend / und einen willkuͤhrlichen loͤblichen Antriebe ſo erkaͤntlich ſeyn wolle; Unſers Theils aber / daß man davor gehalten ſeyn wolle / ob habe man es nicht um Gewinnes willen / ſondern aus bloſſer Leutſeligkeit gethan / deſ - ſentwegen man ſich denn auch einiges Gegen-Genuſſes wegen in gering - ſten nicht verſichern laſſen. Allein / wenn einer eine Wohlthat nicht nur in keine Wege vergilt / ſondern denK 5Wohl -214Des erſten BuchsWohlthaͤter auch noch darzu Boͤ - ſes beweiſet / der iſt ſothaniger Ubel - that wegen deſto haͤrter zu ſtraffen / ie ſchaͤndlicher und boshafftiger ſeine Gemuͤths-Art iſt / die er hierunter zu erkennen giebet.

Das neunte Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Menſchen bey Aufrichtung ihrer Ver - gleiche / insge - mein.

§. 1.

VOn denen ſchlechtlichen und ge - meinen Schuldigkeiten kom - men wir nunmehro / und zwar / ver - mittelſt einer vorgaͤngigen Betrach - tung derer Vergleiche insgemein / auf die bedinglichen und ſonderba - ren; allermaſſen alle die uͤbrigen Ge -buͤh -215neuntes Capitel. buͤhren / die ein Menſch den andern uͤber die bereits-erwehnten abzuſtat - ten hat / ein beſonders entweder heim - liches / oder ausdrückliches Pact und Vergleich præſupponiren. Dan - nenhero wird nunmehro von der Eigenſchafft ſothaniger Verglei - che / und dererjenigen / ſo damit zu - thun bekommen / Schuldigkeit zu handeln ſeyn.

§. 2.

Daß ſich aber die Men - ſchen nothwendig in gewiſſe Ver - traͤge miteinander einlaſſen muͤſ - ſen / iſt gar leichte ausfuͤndig zu ma - chen. Denn ob ſich wohl die Leutſelig - keit / oder Liebesdienſte weit und breit uͤber das menſchliche Leben erſtre - cken; ſo kan dennoch aus dieſer Qvel - le bloſſer Dinges nicht alles herge - leutet werden / womit die Menſchen einander behuͤlflich und Nuͤtze ſeyn koͤnnen. Denn vors erſte / ſo ſeynd nicht ſaͤmtliche von ſo guter Ge -K 6muͤths -216Des erſten Buchsmuͤths-Art / daß ſie alle dasjenige / womit ſie andern willfahren koͤnnen / bloß aus Leutſeligkeit / und ohne ge - ficherte Hoffnung / ein gleiches wie - der zu empfangen / abſtatten ſolten. So iſt auch vielmals dasjenige / wo - mit uns andere etwa dienen koͤnten / ſo beſchaffen / daß man ſolches / ſon - der Verletzung der Scham / von ih - nen umſonſt nicht begehren darff. Ja / es wil es oͤffters unſere Ehre und Stand nicht zulaſſen / ſich iemanden / durch ſothanige Wohlthat / zu ver - pflichten. Und alſo laͤufft es mehren - theils darauf hinaus / daß entweder der andere etwas nicht geben kan / oder wir es nicht annehmen wollen / ohne ihm ein gleichmaͤſſiges zu erwei - ſen. Zudem / ſo weiß mancher offte nicht / worinnen er uns mit ſeiner Willfaͤhrigkeit fuͤglich zur Hand ge - hen ſolle. Dannenhero damit die all - ſeithigen Dienſtleiſtungen / welchesdie217neuntes Capitel. die Fruͤchte der menſchlichen Geſell - ſchafft ſeyn / unter denenſelbẽ deſto beſ - ſer in Schwung gebracht / und gleich - ſam nach gewiſſen Regeln erwieſen werden moͤgten; ſo war es hoͤchſt - noͤthig / daß ſie ſich uͤber der Abſtat - tung dererjenigen Dinge / die ſich ei - ner von den andern aus bloſſer Leut - ſeligkeit nicht verſprechen konte / ab - ſonderlich mit einander vertriegen / oder vergleichen; und dieſer wegen war nicht minder vonnoͤthen / es zuvorhero eigendlich auszumachen / was einer den andern leiſten / und was er hinwieder um von ihm davor zu gewarten / und von rechtswegen zu fordern haben ſolte. Dieſes ge - ſchiehet nun durch Verſprechen und Vergleiche.

§. 3.

Hiebey iſt anfaͤnglich aus denen Natuͤrlichen Rechten / als eine allgemeine Schuldigkeit anzumer - cken / daß ein jeder verſprocheneK 7Treu218Des erſten BuchsTreu und Glauben unverbruͤch - lich halten / das iſt / ſeinen Ver - ſprechen / und Vergleiche feſtiglich nachkommen ſolle. Denn wann die - ſes nicht waͤre / ſo duͤrffte der groͤſſeſte Theil des hohen Rutzens / ſo dem menſchlichen Geſchlechte aus will - faͤhriger Mittheilung derer Dienſte und Sachen ſonſt zuwachſen kan / verlohren gehen. Und wenn nie - mand gezwungen waͤre / ſein Ver - ſprechen zu halten / ſo wuͤrde man ſich niemals einige gewiſſe Rech - nung auf des andern Huͤlffe und Beyſtand machen duͤrffen; Zuge - ſchweigen / daß dergleichen ſchaͤnd - liche Treu - und Glaubens-Brüche rechtmaͤſſige Urſachen zu Zanck und Kriegen geben koͤnnen. Denn wenn der eine gethan / was er vermoͤge des Vergleichs ſchuldig geweſen / der andere aber treuloß und zum Luͤgner worden / ſo hat jener ſeine Koſten /oder219neuntes Capitel. oder Muͤhe vergeblich angewendet; hat er aber auch den Vergleich zufol - ge noch nichts ins Werck gerichtet / ſo iſt es doch verdruͤßlich / daß einen ſeine Rechnung und Anſchlaͤge hie - durch zu Waſſer werden; Zufoͤr - derſt / da man ſich ſonſt wohl anderer geſtalt helffen koͤnnen / wenn ſich je - ner nicht zu den Vergleiche verſtan - den haͤtte. Auſſer dem allen / ſo iſts nicht recht / daß man ſich daruͤber / weil man den andern vor einen ehrli - chen und aufrichtigen Mann gehal - ten / ſoll laſſen bey der Naſe rumfuͤh - ren.

§. 4.

Es iſt aber zuwiſſen / daß die von bloſſer Leutſeligkeit entſtehen - de Schuldigkeit von der aus einen vollkommenen Verſprechen oder Pact herruͤhrenden Pflicht ſonder - lich darinne unterſchieden ſey / daß man einen jene zwar mit Recht an - fordern koͤnne / und der andere auchſehr220Des erſten Buchsſehr loͤblich handele / wann er ſolche gutwillig abſtattet; Allein / wofern er ſolches zuthun unterlaͤſſet / ſo kan man ſich nur uͤber ſeine Grauſam - keit / Haͤrte / und Unbarmhertzigkeit beklagen / ſonſt ihm aber weder durch eigenen / noch eines hoͤhern Zwang zu deſſen Abtrag anſtrengen. Wel - ches doch wohl vergoͤnnet iſt / wenn einer denjenigen / wozu er ſich durch ein vollkoͤmmlich Verſprechen / oder Pact verbuͤndlich gemachet / nachzu - kommen verabſaͤumen ſolte. Dan - nenhero heiſſet es auch / daß man zu jenen nur ein unvollkommenes / zu dieſen aber ein vollkommenes Recht habe / wie ſich im Gegentheil jener unvollkommen / dieſer aber vollkommen verpflichtet und ver - bunden machet.

§. 5.

Man verſichert einander ſeiner Treue / entweder durch eine einſeitige Handlung / oder durchei -221neuntes Capitel. eine beyderſeitige / indem ſich zu - weilen nur der eine / zuweilen aber ihrer zwey / oder mehrere gegen ein - ander zu etwas verbinden. Das erſte heiſſet ein einſeitiges freyes Verſprechen / das andere aber ein Vergleich oder Pact. Die Pacte werden wiederum entweder inſon - derheit / und bloß ihrer Natuͤrlichen eigenſchafft nach / betrachtet / und heiſſen ſchlechter Dinges Pacte; oder alsfern ſie von denen buͤrgerli - chen Geſetzen eine beſondere Form und Nahmen bekommen / und heiſ - ſen zum Unterſcheid Contracte, welche / weil ſie ihr Abſehen etwas genauer auf die eigenthuͤmliche Be - herꝛſchung / und den Werth derer Sachen richten / als wollen wir de - roſelben Betrachtung / und derer Natuͤrlichen Rechte hiebey habende Verordnung / bis dorthin verſpa - ren.

§. 6.222Des erſten Buchs

§. 6.

Das einſeitige Verſpre - chen kan abgetheilet werden in ein Unvoll - und Vollkommenes. Je - nes iſt / wenn derjenige / der etwas verſpricht / zwar ſeines Orts zu deſ - ſen Erfuͤllung gehalten ſeyn / jedoch aber dem andern kein Recht einraͤu - men wil / ſolches mit Gewalt von ihm zufodern. Als wenn er es etwan ſolcher Geſtalt einrichtete: Er ha - be ſich feſte vorgeſetzet / dem an - dern dis oder das zu erweiſen / und bete / daß er es ihn doch glauben moͤgte / denn auf dieſe Weiſe wuͤrde er mehr aus dem Ge - ſetze der Wahrhafftigkeit / als einer ſtrengen Rechts-Verbuͤndligkeit ge - halten ſeyn / und vor einen ſolchen angeſehen ſeyn wollen / der ſich zum Abtrag ſeiner Schuldigkeit viel lie - ber aus Antrieb eigener Beſtaͤndig - keit und Ehre / als durch des andern rechtliche Abnoͤthigung aufbringenlieſ -223neuntes Capitel. lieſſe. Hieher gehoͤren die Zuſagen groſſer Herren / und Patronen / wenn ſie einen ihrer Empfehlung / Vorbitte / Befoͤrderung / Wortes / und dergleichen / nicht etwa aus ei - ner gewoͤhnlichen Hoͤfligkeit / ſondern in Ernſte verſichern; allermaſſen ſie ſich ſolches / als eine Schuldigkeit / durchaus nicht abtrotzen / ſondern es blos ihrer Leutſeligkeit / und den gu - ten Vertrauen auf ihre unbetruͤg - liche Parole wollen überlaſſen ha - ben. Damit ſolcher Geſtalt / und ie weniger man ſie darzu zwingen koͤn - nen / die Begnadigung ein deſto groͤſ - ſeres Anſehen gewinnen moͤge.

§. 7.

Ein vollkommenes Ver - ſprechen iſt / wenn nicht allein derje - nige / der es thut / wil verbunden ſeyn / ſondern auch den andern / dem es geſchiehet / zugleich ein Recht ein - raͤumet / daß er ihm die verſprochene Sache / als eine Schuldigkeit / anfor - dern koͤnne.

§. 8.224Des erſten Buchs

§. 8.

Ferner / daß einen ſo wohl die Zuſagen / als Vergleiche kraͤf - tig verbinden koͤnnen / etwas zu geben / oder zu thun / welches man zuvor nicht ſchuldig geweſen / oder etwas zu unterlaſſen / welches man vorher mit gutem Fug thun koͤnnen / darzu wird zufoͤrderſt Unſer frey - williger Beyfall / und Zufrieden - heit erfordert. Denn weil eines je - den Verſprechens oder Pacts Er - fuͤllung mit einiger Beſchwerde ver - knuͤpffet iſt / ſo ſcheinet keine naͤhere Urſache zu ſeyn / warum man ſich daruͤber von Rechtswegen nicht be - ſchweren koͤnne / als weil man von freyen Stuͤcken darein gewilliget / welches man doch ſonſt wohl haͤtte Umgang nehmen moͤgen.

§. 9.

Ob nun wohl ſolcher Bey - fall ordentlicher Weiſe durch ge - wiſſe Zeichen / als Worte / Schrifft / oder Geberden pfleget ausgedruͤcketzu225neuntes Capitel. zu werden; ſo geſchiehets doch bis - weilen / daß ſich derſelbe aus der Be - ſchaffenheit eines Geſchaͤfftes / und aus andern Umſtaͤnden / ohne der - gleichen Zeichen / klaͤrlich abnehmen und erkennen laͤſſet; Gleich wie zu - weilen das bloſſe Stillſchweigen / mit gewiſſen Umſtaͤnden betrachtet / vor eine Auzeuge des Beyfalls zu - gelten pfleget. Dannenhero ſo gibt es nicht allein ausdruͤckliche / ſon - dern auch heimliche Vergleiche / wenn man nemlich / wie ſchon ge - meldtet / ſeinen Willen nicht durch dergleichen Zeichen / als ſonſt ordent - licher Weiſe bey Handel und Wan - del uͤblich ſeyn / eroͤffnet / ſondern ſolcher aus des Geſchaͤfftes Natur / und andern Umſtaͤnden deutlich kan geſchloſſen werden. Ebener maſſen / ſo haͤnget dem Haupt-Vergleiche oͤffters noch ein geheimes Pact an / welches gleichfalls aus der Eigen -ſchafft226Des erſten Buchsſchafft deſſelben Geſchaͤfftes herfluͤſ - ſet. Gleich wie es auch nichts unge - woͤhnliches iſt / daß die getroffenen Vergleiche heimliche Abfaͤlle / und Bedingung in ſich enthalten / wel - che nothwendig darunter verſtanden werden muͤſſen.

§. 10.

Daß ein Menſch aber deut - lich und verſtaͤndlich einwilligen koͤn - ne / darzu wird bey ihm der Ge - brauch der geſunden Vernunfft erfordert / in ſo fern / daß er das ge - genwaͤrtige Geſchaͤffte verſtehe / ob es nehmlich vor ihm ſey / und er es zu Wercke richten koͤnne / wie auch / daß er nach reiflicher Uberlegung ſeinen Beyfall mit gnungſamen Zeichen an Tag geben koͤnne. Daraus folget / daß die Zuſage und Pacte derer Kinder und Unſinnigen / oder Ra - ſenden (ohne nur / wo die Tollheit bey manchen eine geraume Zeit nach - laͤſſet /) nichtig ſeyn; welches maneben -227neuntes Capitel. ebenfalls auch von denen Verheiſ - ſungen derer trunckenen Leute zu urtheilen hat / wenn es nemlich mit der Trunckenheit ſo weit bey ihnen gekommen / daß die Vernunfft gantz uͤberſchuͤttet / und eingeſchlaͤffert iſt. Denn das kan vor einen wahren und wohlbedaͤchtigen Beyfall nicht paſſi - ren / wenn einer auch ſchon etwa au - genblicklich / und durch einen ohnbe - dachtſamen Einfallzu etwas geneiget wird / oder etzliche Zeichen / ſo ſonſt einen Conſens beweiſen / von ſich blicken laͤſſet / zumal zu der Zeit / wenn der Verſtand / gleich als durch eine Verzauberung / bey einen Men - ſchen verruͤcket worden. So wuͤrde es auch ſehr unverſchaͤmt ſeyn / wo - fern der andere auf ein ſothaniges Verſprechen dringen wolte / und ſonderlich / wenn es etwa mit einer mercklichen Beſchwerde behafftet. Ja / wenn einer mit Fleiß auf eineſol -228Des erſten Buchsſolche Trunckenheit gelauret / und et - was bey verſpuͤhrter daherruͤhrender Leicht-Willigkeit mit Liſt heraus gelocket / der wuͤrde ſich in Wahrheit von der wohlverdienten Anſchuldi - gung eines boshafften Betrugs nicht loswuͤrcken koͤnnen. Allein / wenn einer nach verdaueten Rauſche das in Drunckenheit beſchehene vor ge - nehm haͤlt / ſo iſt er allerdinges auch darzu verbunden / nicht ſo wohl von wegen deſſen / das er ſich trunckener / ſondern / was er ſich nichterner Wei - ſe gefallen laſſen.

§. 11.

Wie lange ſonſt bey Kin - dern die Schwaͤche des Verſtan - des waͤre / welche der Vollziehung einer zurecht giltigen Verbindligkeit in Weg ſteht / das kan man uͤbeꝛhaupt ſo eigendlich nicht ausmachen; in - dem das Judicium bey manchen zei - tiger / bey manchen hingegen langſa - mer zu reiffen beginnet; ſondernman229neuntes Capitel. man muß es aus eines jedweden taͤg - lichen Vornehmen und Verhalten urtheilen; Wiewohl die buͤrgerli - chen Geſetze in denen meiſten Re - publiqven dieſerwegen eine gewiſſe Zeit beſtimmet haben / gleich wie es auch an etzlichen Orten gantz heilſam verſeben iſt / daß ſie ſo lange / biß et - wa die unbedachtſame Jugend-Hitze verbrauſet haben moͤgte / bey Voll - ziehung einer kraͤfftigen Obligation andere verſtaͤndigere Leute zu Huͤlffe nehmen muͤſſen. Denn es wird die - ſes Alter auch ſo dann / da es eine vor - habende Sache ſchon verſtehet / den - noch gemeiniglich durch einen ſehr hefftigen und unbehutſamen Trieb geleutet / und iſt leichte zu einem Ver - ſprechen zu bereden / es laͤſſet ſich bald eine Hoffnung zu etwas machen / wil gern vor freygebig angeſehn ſeyn / ſu - chet in vieler Freundſchafft eine Eh - re / und iſt auf ein kluͤgliches Miß -Ltrauen230Des erſten Buchstrauen noch nicht abgerichtet. Dan - nenhero iſts vor nicht viel beſſer / als einen rechten Betrug zu halten / wenn einer der Guthwilligkeit jun - ger Leute nachſtellet / und ſich mit dererjenigen Schaden bereichern wil / die ſich / wegen Schwachheit ih - res Verſtandes / nicht wohl vorzuſe - hen / noch eine Sache recht zu achten wiſſen.

§. 12.

Es hindert den kraͤfftigen Beyfall auch / wenn bey Vergleich und Pacten ein Jrꝛthum vorge - het. Wovon nachfolgende Reguln zu mercken. Erſtlich / wenn man bey einen Verſprechen etwas / als eine gewiſſe Bedingung / ſupponiret / ohne deren Anſehung man ſich in das Verſprechen nicht wuͤrde eingelaſ - ſen haben / ſo hat das Verſprechen / dem Natuͤrlichen Rechte nach / keinen Beſtand. Denn man hat nicht ſchlechter Dinges / ſondern mit gewiſ -ſer231neuntes Capitel. ſer Bedingung eingewilliget; und iſt demnach / da die Bedingung erman - gelt / das Verſprechen auch vor nich - tig zu halten. Zum andern / wenn einen ein Jrꝛthum zum Verſpre - chen / oder Pacte verleutet / und man ſelbigen bey annoch ungeſchehener Sache / und bevor etwas werckſtellig gemachet werden / vermercket / ſo iſts nicht mehr / als billig / daß man einen wieder umzukehren / und zu - ruck zu treten vergoͤnne; zumal / wenn er es ſtracks im Anfange des Pacts an ſich mercken laſſen / was vor eine Urſache ihn darzu bewogen; und der andere aus ſolcher Zuruͤck - Tretung keinen ſonderlichen Scha - den empfindet / oder dieſer zu deſſel - ben Vergnuͤgung erboͤthig wird. Al - lein / wo der Handel nicht mehr unge - ſchehen waͤre / und der Jrꝛthum als - dann erſtlich ausbraͤche / da das Pact entweder ſchon voͤllig / oder auch nurL 2zum232Des erſten Buchszum Theil erfuͤllet; ſo wuͤrde derjeni - ge / der in den Jrꝛthume ſtecket / von denſelben nicht wieder abſpringen duͤrffen / auſſer / ſo fern es der andere aus Leutſeligkeit zu frieden ſeyn wol - te. Drittens / wenn ſich uͤber der Sache ſelbſt / darum man Verſpre - chen / und Vergleich aufrichtet / ein Jrꝛthum ereignet / ſo wird das Pact zu nichte / und zwar nicht ſo wohl von wegen des Jrꝛthums / als weil denen Geſetzen des Vergleichs kein Genuͤ - gen geſchehen. Denn es muß bey de - nenſelbigen die Haupt-Sache / und zum wenigſten ihre vornehmſten Ei - genſchafften bekannt ſeyn / ſonder welche Kundſchafft man ſich einen richtigen Beyfall nimmermehr wird einbilden koͤnnen. Dannenhero darff derjenige der hierunter Schaden lei - den wuͤrde / nach den entdeckten Jrꝛ - thume / entweder von dem Verglei - che abtreten / oder dem andern zurEr -233neuntes Capitel. Erſetzung des Mangels anſtrengen / oder auch wohl auf die Erſtattung des Intereſſe und Schadens dringen / wenn von jenes Seiten einiger Be - trug / oder Schuld und Verſehen dabey vorgelauffen.

§. 13.

Wann einer durch eines andern Betrug und Argeliſt zu einen Verſprechen / oder Pacte be - wogen worden / ſo hat man dieſes darbey zu beobachten. Erſtlich / iſt es ein Dritter / der den Betrug an - gerichtet / und derjenige / mit den man im Handel ſtehet / hat ſolches nicht mit ihm abgeredet / ſo bleibet der Handel nichts deſto weniger be - ſtaͤndig: Doch kan man ſich an den Betruͤger ſeines Intereſſe wegen / und was man hiedurch eingebuͤſſet / erhohlen. Zum andern / giebet aber derjenige / mit dem man ſich in Verſprechen und Pacte eingelaſſen / durch ſeinen eigenen Betrug und LiſtL 3hie -234Des erſten Buchshiezu Urſache / ſo iſt man ihm deßwe - gen auch gantz und gar zu nichts ver - bunden. Drittens / da einer hin - gegen von ſich ſelbſt freywillig / und mit wohl-bedaͤchtlichen Vorſatze zu einen Pacte ſchreitet / und ſich aller - erſt hernach in den Handel etwa uͤber den Object, oder deſſen Eigenſchaff - ten und Werthe ein Betrug er - eignet / ſo iſt der Vergleich in ſo weit unkraͤfftig / daß es den betroge - nen Theile frey ſtehet / ſelbiges ent - weder gaͤntzlich aufzuheben / oder ſei - nes Schadens Ergaͤntzung zu for - dern. Zum vierdten / was nicht zum Weſen der Sache noͤthig iſt / noch ausdruͤcklich mit bedungen / oder nahmhafftig gemachet worden / das kan eine ſonſt richtig-beſchaffene Handlung nicht unguͤltig machen / ob gleich der andere unter waͤhren - dem Vergleiche dran gedacht / und es ſich ſo eingebildet / oder man ihmauch235neuntes Capitel. auch mit Liſt in ſeiner Meinung un - terhalten / ſo lange bis der Handel richtig und voͤllig geſchloſſen wor - den.

§. 14.

Furcht / ſo bey Verſpre - chen und Pacten vorkommet / kan auf zweyerley Weiſe verſtanden werden / entweder nur vor einen ſcheinbar - und glaublichen Arg - wohn / ob moͤgte man von den an - dern hintergangen werden / weiln er etwa ſonſt einer ſolchen ſchlimmen Gemuͤths-Art iſt / oder weil er ſei - nen boͤſen Willen allbereit genung - ſam bloß gegeben: Oder auch vor ein hefftiges Gemuͤths-Schrecken / welches aus einen angetroheten ſchweren Ungluͤcke entſtehet / wofern man das Verſprechen / oder Pact nicht einwilligen wolle. Bey der erſten Art der Furcht iſt dieſes in acht zu nehmen / erſtlich / wer auf ei - nes ſolchen Menſchen VerſprechenL 4und236Des erſten Buchsund Pact trauet / bey dem Treue und Glauben doch durchgehends nur vor ein Kinder-Spiel gehalten wird / der handelt zwar wohl unvorſichtig und unweißlich / allein bloß um deß - willen kan er den einmal geſchloſſe - nen Handel nicht umſtoſſen. Zum andern / iſt das Pact ſchon gerichtet / und man findet keine neue Anzeu - gung / daß der andere auf Betrug umgehe / ſo darff man aus den bloſſen Vorwand und Furcht derer vor den getroffenen Pact von ihm bekanten Laſter nicht auf die Hinter-Fuͤſſe tre - ten. Denn wovor man ſich zuerſt / und da man ſich eingelaſſen / nicht ge - fuͤrchtet / das ſoll einen von rechts - wegen auch nicht hindern / den Pac - te hernach ein Genuͤgen zu leiſten. Drittens / ſolten aber nach den abge - handelten Vergleiche gewiſſe Indi - cia davon ausbrechen / daß der an - dere / wenn man erſt ſeines Orts ge -than /237neuntes Capitel. than / wozu man ſich verbunden / ei - nen hintergehen wolle / ſo kan man zu Abſtattung ſeiner Gebuͤhr nicht eher angehalten werden / als biß der ande - re gegen den Betrug und vorhaben - de Liſt genugſame Verſicherung be - ſtellet.

§. 15.

Bey der andern Art der Furcht hat man dieſe Reguln zu be - dencken. Erſtlich / diejenigen Pacte / ſo man aus Antrieh einer von einem dritten zugefuͤgten Furcht / mit ie - manden aufrichtet / muͤſſen feſte ge - halten werden. Denn hierinnen iſt kein ſolcher Mangel zu befinden / welcher dem andern hinderlich ſeyn koͤnte / ſich aus dem geſchloſſenen Pacte ein Recht zu erwerben; viel - mehr verdienet es eine reichliche Ver - geltung / wenn man iemanden die aͤuſſerliche angedrohete Furcht hin - tertreiben huͤlffet. Zum andern / die - jenigen Vergleiche / ſo aus Furcht /L 5oder238Des erſten Buchsoder Ehr-Erbietigkeit gegen ſeine rechtmaͤſſige Herꝛſchafft / oder ſonſt in Anſehung und Reſpect dererjeni - gen / denen man hoͤchlich verpflichtet iſt / getroffen werden / ſeynd zurecht beſtaͤndig. Zum dritten ſeynd hin - gegen alle dieſe Pacte unguͤltig / zu welchen man von eben denenjenigen / mit denen man in Vergleich und Verſprechen ſtehet / durch unbefug - te Gewalt gezwungen worden. Deñ eben das Unrecht / welches einen der - ſelbige durch die unbillig eingejagte Furcht zufuͤget / machet ihm unfaͤ - hig / einiges Recht aus ſelbiger Hand - lung an uns zu gewinnen. Und da einer ſonſt ſchuldig iſt / alle verurſa - chete Schaͤden wieder gut zu machen / ſo iſt es in dieſem Falle ſo viel / als haͤtte man der Verbuͤndligkeit durch eine Compenſation oder Aufhe - bung zu gleichen Theilen abgeholf - fen / indem man nicht abgeſtattet /was239neuntes Capitel. was einen doch alſobald wieder erſe - tzet werden muͤſſen.

§. 16.

Uberdis / ſo muß der Bey - fall nicht nur in Verſprechen / ſon - dern auch in Pacten beyderſeittig ſeyn / alſo / daß nicht alle in derjenige / ſo da verſpricht / ſondern auch / deme das Verſchrechen geſchiehet / darein willige. Denn wenn des letztern ſein Conſens fehlet / oder wann er das angebotene Verſprechen nicht an - nehmen wil / ſo bleibt die verſproche - ne Sache des Verſprechers eigen. Denn wer den andern das Seinige anbietet / der kan es ihm zwar nicht mit Gewalt aufdringen / iedoch wil er es auch nicht auf die Gaſſe werffen laſſen / und wenn es demnach der an - dere nicht annimmt / ſo mag hie - durch des darbietenden Rechte an der Sache nichts abgehen. Hat iemand zuvor um etwas angeſuchet / ſo wird davor gehalten / als ob ſolche BitteL 6noch240Des erſten Buchsnoch im̃er wehre / ſo lãge ſie nicht aus - druͤcklich wiederruffen wird; und in dem Falle iſt es auch ſo viel / als wenn die Annehmung ſchon voraus geſche - hen waͤre; Doch dergeſtalt / daß das dargebotene auch mit der Bitte uͤber - einſtimme. Deñ wenn es damit nicht uͤbereinkoͤmmet / ſo brauchet es einer ausdruͤcklich / und abſonderlichen Annehmung / alldieweil einen offt - mals anders nicht geholfſen iſt / als wenn man empfaͤhet / ſo viel man ge - beten / und erlanget hat.

§. 17.

Bey der Materie derer Verſprechen / und Pacte wird er - fordert / daß / was man verſpricht / oder worüber man ſich vergleichet / nicht uͤber ſein Vermoͤgen ſey / und man an deſſen Vollziehung nicht durch die Geſetze abgehalten werde; Denn ſonſt wuͤrde ſolch Verſpre - chen oder Pact vor naͤrriſch und leichtfertig zu achten ſeyn. Hierausfol -241neuntes Capitel. folget / daß ſich niemand zu ſo etwas verbinden koͤnne / das ihm ohnmoͤg - lich iſt zu Wercke zu richten. Wofern aber eine Sache / ſo man zur Zeit des geſchloſſenen Pacts vor moͤglich ge - halten / hernach allererſt / iedoch durch einen Zufall / und ohne deß paciſci - renden Schuld / unmoͤglich worden / ſo iſt das Pact / bey noch ungeſchehe - nen Dingen / auch gantz von keinen Kraͤfften; Waͤre bereits von den an - dern etwas darauf geleiſtet, ſo muͤſte es ihm wieder erſetzet / oder ein gleich - geltendes dargegen erwieſen werden; koͤnte aber auch dieſes nicht ſeyn / ſo muͤſte man wenigſtens doch ſein aͤuſ - ſerſtes thun / um des andern Scha - den zu verhuͤten. Denn in ſolchen Handlungen ſiehet man zu foͤrderſt auf dasjenige / woruͤber der Ver - gleich ausdruͤcklich getroffen worden; Und da man dieſes nicht erreichen kan / ſo muß man ſich an einen Æqvi -L 7pol -242Des erſten Buchspollent vergnuͤgen laſſen / und ſich ſonderlich auf alle Art und Weiſe vorſehen / daß man keinen Schaden leide. Wann ſich aber einer die zu des Pacts Erfuͤllung benoͤthigten Kraͤffte und Vermoͤgen durch Liſt / oder groͤbliche Schuld und Verſehen ſelbſt entzogen / ſo iſt er nicht allein zu den aͤuſſerſten Fleiſſe und Bemuͤ - hung verbunden / ſondern auch gleich als zur Erfuͤllung / noch mit einigem Ubel / oder Straffe zu belegen.

§. 18.

Es erhellet hieraus / daß man ſich zu einer unzulaͤßlichen Sache nicht verbinden koͤnne. Denn es mag ſich rechts-beſtaͤndiger maſſen niemand zu einem mehrern obligi - ren / als ihm vergoͤnnet / und zuge - laſſen iſt. Wer nun eine Action durch die Geſetze verbietet / der nim - met zugleich auch die Gewalt und Freyheit hinweg / ſolche ins Werck zu richten / oder ſich dieſer Wegenin243neuntes Capitel. in eine Verbuͤndlichkeit einzulaſſen. Denn es widerſpricht / und hebet ſich ſelbſt mit einander auf / daß man et - was durch eine Rechts kraͤfftige Ob - ligation nothwendig thun ſolle / wel - ches doch hinwiederum durch eben dieſelbigen Geſetze muß unterlaſſen werden. Dannenhero thut derjeni - ge zwar unrecht / der etwas unzulaͤß - liches verſpricht; allein derjenige thut doppelt uͤbel / der das Verſprechen Werckſtellig machet. Ja / es laͤſſet ſich hieraus noch weiter folgern / daß man ein ſolch Verſprechen / woraus denen / darauf es gerichtet / einiger Schaden erwachſen wuͤrde / nicht halten duͤrffe; ſintemal es in Na - tuͤrlichen Rechten verboten iſt / daß einer den andern / auch wenn er ſo naͤrriſch waͤre / und es ſelbſt verlang - te / Schaden zufuͤge. Jſt nun ein Pact uͤber einer ſchaͤndlichen Sache getroffen / ſo wird keiner zu deſſen Er -fuͤl -244Des erſten Buchsfuͤllung gehalten; ja / wenn auch der eine ſchon was ſchaͤndliches verrich - tet / ſo iſt der andere den bedungenen Lohn zu reichen nicht ſchuldig. Je - doch kan auch dasjenige / ſo etwa be - bereits darauf gegeben worden / nicht wieder zuruͤck gefodert werden / es waͤre denn / daß etwa ein groſſer Be - trug / oder Verletzung dabey vorge - gangen.

§. 19.

Endlich / ſo iſt noch dieſes klar / daß man uͤber frembden Sachen / weder Verſprechen noch Vergleich machen koͤnne / in ſo fern dieſelbigen nicht unſerer / ſondern eines andern Direction Willkuͤhr unterworf - fen ſeyn. Wenn man aber etwa ſol - cher Geſtaltverſprochen; man wolle Fleiß anwenden / daß der andere (dem man nichts zu befehlen hat /) dis / oder jenes zu Wercke richte; ſo iſt man auch ſchuldig / ſich aͤuſſerſt-moͤg - lichſter maſſen (das iſt / ſo ſehr / alsie -245neuntes Capitel. iemand ſolches ohne Verletzung der Scham von uns begehren kan / und ſo viel es die buͤrgerliche Lebens-Art mit ſich bringet / oder die Hoͤfligkeit zulaͤſſet /) dahin zu bearbeiten / da - mit der andere zu deſſen Leiſtung be - wogen werden moͤge. Sonſt kan man auch einen Dritten wegen ſei - ner Actionen / oder Sachen / dar - auf iemand bereits einen rechtlichen Anſpruch hat / nichts beſtaͤndiges verſprechen / ohne nur auf den Fall / da erſt jenes ſein Recht und daꝛauf ha - bender Anſpruch verloͤſchen moͤgte. Denn wer ſeine Gerechtſame ſchon durch ein Verſprechen oder Pact an iemanden uͤbergeben / der kan ja ſol - ches nicht mehr und anderwaͤrtig an einen Dritten veraͤuſſern. Und auf die Maſſe wuͤrden leicht alle Pacte und Verſprechen Krebs-gaͤngig wer - den / wenn man immer wieder was neues machen duͤrffte / worinne dener -246Des erſten Buchserſten zugegen gehandelt wird / und da beyde zugleich ohnmoͤglich Be - ftand haben / oder zugleich erfuͤllet werden koͤnten. Hierauf gruͤndet ſich das bekante Sprichwort: Wer eher koͤmmet / der maͤhlet eher.

§. 20.

Uber dis iſt bey denen Ver - ſprechen zu foͤrderſt in acht zu neh - men / daß man ſie entweder ſchlech - ter Dinges / oder unter einer ge - wiſſen Bedingung abzufaſſen pfle - ge / da nemlich die Krafft und Giltig - keit dererſelben auf einen / von Zu - faͤlligkeit / oder menſchlicher Will - kuͤhr herruͤhrenden Ausgang ausge - ſetzet wird. Es ſeynd aber ſothanige Bedingungen entweder moͤgliche / oder unmoͤgliche. Jene werden wie - der eingetheilet in zufaͤllige / oder aufn Gluͤck-beruhende / deren Seyn und Nicht-Seyn in unſerer Gewalt nicht ſtehet: in wilkuͤhrliche / oder in das Menſchen freyen Willen be -ſte -247neuntes Capitel. ſtehende / derer Seyn / und Nicht - Seyn in deſſen Gewalt ſtehet / dem das Verſprechen geleiſtet worden; und endlich in Vermiſchte / deren Erfuͤllung theils in deßjenigen / auf dem ſie geſtellet / ſreyen Willen / theils in den Gluͤcke und Zufaͤllen beruhet. Die Unmoͤglichen aber ſeynd entweder ſolche von wegen der Natur / oder wegen der Geſetze; das iſt / theils koͤnnen natuͤrlicher Weiſe nicht werckſtellig gemachet werden / theils aber ſeynd durch die Geſetze und Erbarkeit nicht zugelaſ - ſen. Wenn man nun der von der Na - tur vorgegebenen reinen und ſchlech - ten Ausdeutung folget / ſo iſt der Verſtand derer mit ohnmoͤglichen Bedingungen verhengeten Reden verneinend. Jedoch kan es durch die buͤrgerlichen Verordnungen wohl geſchehen / daß / wann ſie einen ernſt - hafften und ſonſt zulaͤßlichen Ge -ſchaͤff -248Des erſten Buchsſchaͤffte angefuͤget ſeyn / man ſolche / als gar nicht Anweſende / betrachte / damit die Menſchen durch derglei - chen vergebliche / und ſonſt keine Wuͤrckung erreichende Handlungen nicht zum oͤfftern verſpottet / und hin - ters Licht gefuͤhret werden.

§. 21.

Endlich / ſo verſpricht / und vergleichet man ſich um etwas nicht allein vor ſich ſelbſt und unmittel - bar / ſondern auch wohl durch an - dere Leute / die man zu Unterhaͤnd - lern und Dolmetſchern brauchet / welche / wenn ſie dasjenige / wozu man ſie bevollmaͤchtiget / redlich und mit guter Treue verrichten / ſo wird man hiedurch denenſelbigen / mit de - nen ſie an unſere Statt gehandelt / recht buͤndlich und beſtaͤndig obligi - ret.

§. 22.

Und dis waͤren alſo die ſchlechtlichen / oder gemeinen Ge - buͤhren derer Menſchen / wie auchdie249neuntes Capitel. die Pacte / vermittelſt denen wir zu de - nen uͤbrigen hienaͤchſt abzuhandeln - den gelangen. Dieſe alle præſup - poniren nun eine menſchliche Er - findung oder Geſtiffte / welches ſich auf einen allgemeinen Pact gruͤn - det / und nach und nach in die menſch - liche Geſellſchafft eingefuͤhret wor - den; Oder auch einen und mehrere abſonderliche Staͤnde / wovon gleich - falls ins kuͤnfftige Meldung geſche - hen wird. Anlangende demnach erſt - lich die erwehnten Geſtiffte / oder Er - findungen / ſo giebet es dererſelben ſonderlich Dreye / nemlich die Re - de / die Eigenthuͤmliche Beherꝛ - ſchung derer Dinge / und die Buͤrgerliche Regierung. Von al - len und ieden / und denen daher ent - ſpringenden Schuldigkeiten der Menſchen / wollen wir hie - naͤchſt handeln.

Das250Des erſten Buchs

Das zehende Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Menſchen in Reden.

§. 1.

WJe ſo gar ein noͤthiges und nuͤtzliches Werckzeng bey der menſchlichen Geſellſchafft die Rede ſey / iſt wohl niemanden verborgen / allermaſſen ihrer viele bloß aus dieſer Vermoͤgenheit geurtheilet haben / daß der Menſch von Natur zur Un - terhaltung eines geſelligen Lebens beordret worden. Dannenhero leget das Natuͤrliche Geſetze einen ieden bey deren rechtmaͤſſigen und der menſchlichen Geſellſchafft zutraͤgli - chen Geſellſchafft zutraͤglichen Ge - brauche dieſes zu einer Schuldigkeit auf: Daß niemand den andern durch die Rede / oder andere der - gleichen zu Ausdruͤckung der Ge -muͤths -251zehendes Capitel. muͤths-Meinung Erfundene Zeichen hintergehen ſolle.

§. 2.

Damit man aber die Ei - genſchafft der Rede deſto genauer er - kennen moͤge / ſo iſt noͤthig zu wiſſen / daß bey derſelben / ſie mag entweder mit Worten / oder Schrifft an Tag gegeben werden / zweyerley Obli - gation vorfalle. Die eine iſt / nach welcher diejenigen / die einerley Sprache haben / einer ieden Sa - che ein Gewiſſes Wort / wie es die Sprache mit ſich bringet / beylegen muͤſſen. Denn weil weder die muͤnd - lich ausgeſprochenen / noch auch die geſchriebenen Worte von Natur et - was gewiſſes bedeuten; (Dann ſonſt muͤſten alle Sprachen / und Schreib - Arten einerley ſeyn /) dannenhero / und damit der Gebrauch / oder die von GOtt verliehene ſo ſchoͤne Gabe der Sprache nicht vergeblich ſey / wenn ein ieder eine Sache nach eige -nen252Des erſten Buchsnen Gefallen bedeuten und benen - nen wolte / ſo war noͤthig / daß alle diejenigen / ſo ſich einerley Sprache bedienen / ſich auch vermittelſt eines geheimen Vergleichs dahin vereinig - ten / allemal eine gewiſſe Sache mit einerley und uͤblichen Worten anzu - deuten. Denn wenn man ſich nicht uͤber einer ſolchen einfoͤrmigen An - wendung der Woͤrter verglichen haͤt - te / ſo wuͤrde es gantz ohnmoͤglich ge - weſen ſeyn / daß einer des andern Sinn und Meinung aus ſeiner Re - de abnehmen koͤnnen. Dannenhero iſt / Vermoͤge ſothanen Pacts / ein - jeder verflichtet / die uͤblichen Wor - te in ſeiner Rede alſo anzuwenden / wie es der eingefuͤhrte Gebrauch der - ſelben Sprache erfordert. Woraus denn auch dieſes erfolget / daß / ob - gleich eines Menſchen ſeine wahre Gemuͤths-Neigung von der Rede entfernet ſeyn kan / dennoch in denmenſch -253zehendes Capitel. menſchlichen Leben ein ieder desjeni - ge gemeinet zu haben erachtet wird / was ſeine Worte aͤuſſerlich mit ſich bringen / ob ſchon etwa der innerli - che Vorſatz ſeines Gemuͤthes weit davon entfernet geweſen. Denn weil man anders / als durch Zeichen / kei - ne Nachricht haben kan / ſo wuͤrde aller Gebrauch der Rede dahin fal - len / wenn die verborgenen Hertzens - Gedancken / die ſich ein ieder nach ſeinen eigenen Gefallen fingiren kan / in gemeinen menſchlichen Le - ben das Vorgeben derer aͤuſſerlichen Zeichen uͤbern Hauffen ſtoſſen duͤrff - ten.

§. 3.

Die andere Obligation, ſo bey der Rede vorfaͤllet / beſtehet darinne / daß einer den andern ſeine Gemuͤths-Meinung / vermittelſt der Rede / alſo eroͤffnen ſolle / damit der andere dieſelbige daraus deutlich abnehmen koͤnne. Denn weil derMMenſch254Des erſten BuchsMenſch nicht nur reden / ſondern eben ſo wohl auch ſchweigen kan / und weil er nicht ſchuldig iſt / allezeit das - jenige / was er im Sinne hatt / ei - nen ieden wiſſen zu laſſen; Dannen - hero muß allerdings eine beſondere Verbindligkeit vorhanden ſeyn / welche einen ſo wohl zum Reden / als auch dermaſſen zu reden noͤthiget / da - mit der andere unſere eigendliche und wahrhaffte Gemuͤths-Meinung daraus verſtehen koͤnne. Nun ent - ſtehet dieſelbe entweder aus einem be - ſondernen Pacte / oder aus dem ge - meinen Geſetze derer Natuͤrlichen Rechte / oder aus der eigendlichen Art eines ieden vorhabenden Ge - ſchaͤſſtes / bey welchen man ſich der Reden bedienet. Denn offt verglei - chet man ſich ausdruͤcklich mit einen dahin / daß er ſeine Gedancken uͤber einem Dinge entdecken ſolle; als wenn man ſich von iemand in gewiſ -ſen255zehendes Capitel. ſen Diſciplinen unterrichten laͤſſet. Oftmals wird einen auch von Na - tuͤrlichem Rechte anbefohlen / dem andern ſeine Wiſſenſchafft mitzuthei - len / damit man ihm hierunter einen Nutzen erweiſen / Schaden von ihm abwenden / oder zu demſelbigen keine Urſache und Anlaß geben moͤge. Endlich / ſo kan oͤfters ein unter Haͤn - den habendes Geſchaͤffte anderer Geſtalt nicht abgethan werden / als wenn man ſeine Meinung daruͤber eroͤffnet / gleichwie bey Schlieſſung derer Contracte / u. ſ. f. zugeſchehen pfleget.

§. 4.

Weil es ſich aber nicht alle - mal ſo fuͤget / daß man aus einen de - rer ietz-erwehnten Bewegniſſe einen iedweden ſeine Gedancken darff auf die Naſe binden; ſo iſts offenbar / daß man einen durch ſeine Rede ſonſt icht - was kund zu machen nicht eben noͤ - thig habe / auſſer zu deſſen Vermel -M 2dung256Des erſten Buchsdung er ſich entweder ein voll - oder wenigſtens unvollkommenes Recht an uns erlanget / und daß man alſo / auch auf beſchehene Nachfrage / das - jenige durch ein weisliches Still - ſchweigen gar wohl diſſimuliren koͤnne / welches von uns zuerfahren / oder zuerforſchen der andere kein Recht hat / und zu deſſen Entdeckung man ſeines Orts ſich nicht verpflich - tet befindet.

§. 5.

Ja weil die Rede nicht al - lein anderer / ſondern auch un - ſerer ſelbſt wegen erfunden iſt; ſo kan man / wo es einen zu ſeinen Nu - tzen / und den andern nicht zu Scha - den gereichet / oder ſein Recht hierun - ter nicht verletzet wird / die Rede der - geſtalt einrichten / daß man etwas anders / als man im Sinne hat / vor - gebe / oder mit einem Worte ſimu - lire.

§. 6.257zehendes Capitel.

§. 6.

Endlich / weil es offt mit de - nenjenigen / gegen welche man redet / eine ſolche Bewandtniß hat / daß / wenn ſie die anzutragende Sache ſo plat und deutlich erfuͤhren / dieſes ihr groͤſſeſter Schade ſeyn / auch wir den guten Zweck / den wir uns vorgeſe - tzet / hiedurch nicht erreichen wuͤr - den; Dannenhero kan man in ſol - chen Faͤllen eine verſtellete und er - dichtete Rede brauchen / wodurch diejenigen / ſo ſie anhoͤren / unſere ei - gendliche Meinung und Intention ſo gerade nicht verſtehen koͤnnen. Denn wer einen andern nuͤtze ſeyn wil / und ſoll / der muß es nicht auf ei - ne ſolche Art anfangen / wodurch er ſeinen Zweck und Vorſatz nicht er - reichen wuͤrde.

§. 7.

Hieraus laͤſſet ſichs nun ſchlieſſen / worinnen die Wahrheit beſtehe / von deren Gefliſſenheit die redlichen Leute ſo hoch geprieſen wer -M 3den /258Des erſten Buchsden / nemlich darinne / daß man ſei - ne rechte Gemuͤths-Meinung dem - jenigen / der ſolche zu verſtehen Recht hat / und dem man ſie aus einer voll - oder unvollkommenen Obligation zu eroͤffnen ſchuldig iſt / fuͤglich vor - ſtelle / und zwar zu dem Ende / daß er aus deren richtigem Verſtande entweder einen gebuͤhrenden Nutzen erlange / oder damit er nicht / durch ein wiedriges und unrechtes Vor - geben / ohnverdienter Weiſe in Scha - den geſtuͤrtzet werde. Wobey kuͤrtz - lich und ohngefehr auch dieſes anzu - mercken / daß nicht allezeit ſtracks ei - ne Luͤgen begangen werde / wenn man auch mit Fleiß nicht von ſich ſaget / was entweder mit der Sach[e]ſelbſt / oder mit unſern Gedancken uͤbereinſtimmet; und daß alſo die ſo genannte Logicaliſche Wahrheit / welche in der Ubereinſtimmung der Rede mit den Sachen beſtehet / mitder259zehendes Capitel. der Moraliſchen nicht allemal einer - ley Art habe.

§. 8.

Hingegen iſt eine Luͤgen eigendlich / wenn man in ſeiner Rede mit Fleiß eine andere Gemuͤths - Meinung von ſich giebet / als man wahrhafftig hat / da doch derjenige / gegen dem man die Rede brauchet / berechtiget iſt / die Wahrheit zu wiſ - ſen / und uns oblieget / dieſelbe ſo an - zuſtellen / damit der andere unſere ei - gendliche Meinung erfahren moͤge.

§. 9.

Aus dem bisher erwehnten iſt nunmehr nicht ſchwer zu begrei - fen / daß diejenigen ſich keiner Luͤ - gen theilhafftig machen / welche Kindern und dergleichen Leuten / die der platten und derben Wahrheit nicht ſo faͤhig ſeynd / erdichtete Re - den / und Fabeln vorſagen; Wie auch ferner diejenigen nicht / welche ſich gegen andere derergleichen Ge - dichte zu einem guten Ende / und Ab -M 4ſe -260Des erſten Buchsſehen / welches ſonſt nicht zu erhalten geweſen / gebrauchen; Als wenn et - wan ein Unſchuldiger zu beſchuͤtzen / ein Zorniger zu beſaͤnfftigen / ein Be - truͤbter zu troͤſten / ein Furchtſamer behertzt zu machen / ein Eckelnder zum Gebrauch der Artzney zu uͤber - reden / ein Halsſtarriger zu bezaͤu - men / ein Boshafftiger von ſeinem boͤſen Vorſatze abzufuͤhren / oder wenn Stats-Geheimniſſe / und An - ſchlaͤge / an deren Verhelungen der Republicqve viel gelegen / mit er - tichteten Zeitungen verdecket / und dererjenigen / denen die Sache nichts angehet / ungeſtuͤme Curioſität ge - ſtillet werden muͤſſen; Wie auch / wenn man dem Feind / dem man ſo offenbarlich nicht beykommen koͤn - nen / mit faͤlſchlichem ausgeſpreng - ten Geruͤchte / als einer wohlzuge - laſſenen Krieges-Liſt / hinters Licht fuͤhret.

§. 10.261zehend - und eilftes Capitel.

§. 10.

Hingegen / wenn einer al - ler Dinges ſchuldig war / dem an - dern ſeine Gemuͤths-Meinung deut - lich zuerkennen zu geben / ſo entge - het er hiedurch der Bezuͤchtigung ei - ner Lügen nicht / wenn er gleich et - wan ein Stuͤcke von der Wahrheit angezeuget / oder den andern mit zweifelhafftigen und zweydeutigen Reden verführet / oder wohl gar eine heimliche / und von dem gemeinen Brauch abweichende Zuruckhaltung in der Rede gebrauchet.

Das eilffte Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Menſchen im Schwehren.

§. 1.

YAn iſt billig beglaubt / daß durch einen Eyd derer Men - ſchen Rede und allen Handlungen /M 5da -262Des erſten Buchsdabey ſie ſich der Rede gebrauchen / eine vortrefliche Befeſtigung zu - wachſe. Denn er iſt nichts anders / als eine religiöſe Auſſage / da - durch man ſich der Goͤttlichen Barmhertzigkeit begiebet / oder GOttes Straffe auf ſich ladet / wofern dasjenige / ſo man be - ſchwehret / nicht die rechte / reine Wahrheit ſeyn wuͤrde. Es wird aber eben hiedurch / da man den all - wiſſenden und allmaͤchtigen GOtt ſo wohl zum Zeugen / als auch Raͤ - cher uͤber ſich anruffet / deßwegen die Vermuthung der Wahrheit erwe - cket / weil man nicht glaubet / daß jemand ſo gottloſe ſeyn / und ſich ſo freveihafftiger Weiſe den Zorn des groſſen GOttes auf den Hals laden ſolle. Dannenhero verſtehet ſichs von ſelbſt / daß derer Schwehrenden ſchuldige Gebuͤhre dieſe ſey / beydes mit guten Bedacht und Ehrer -bie -263eilftes Capitel. bietigkeit zum Eyd-Schwur zu - treten / und das Beſchworne un - verbruͤchlich zu halten.

§. 2.

Der Zweck und Nutzen ei - nes Eydes beſtehet ſonderlich hierin - ne / daß die Menſchen zur Auſſage der Wahrheit / oder Haltung ihrer Pacte und Verſprechen durch die Furcht und Scheu vor den allwiſ - ſenden und allgewaltigen GOtt de - ſto mehr und beſtaͤndiger angeſtren - get werden / indem ſie auf dem Er - folg eines wiſſendlichen Betruges durch den Eyd deſſen erſchreckliche Rache und Straffe uͤber ſich anruf - fen / da ſonſt etwa andere von Menſchen zubefahrende Furcht bey ihnen nicht ſo maͤchtig durchſchlagen moͤgte / als deren Gewalt ſie zu ver - achten / oder ihr zu entkommen / oder auch wohl ſie mit der Unwahrheit zu hintergehen getrauen koͤnten.

M 6§. 3.264Des erſten Buchs

§. 3.

Weil man nun auſſer GOtt nichts allwiſſendes oder allgewalti - ges weiß / ſo iſt es ſehr abgeſchmackt / wenn die Eyd-Schwuͤhre bey einer Sache / davon doch niemand die Einbildung der Gottheit hat / in dem Verſtande abgeleget werden / daß dieſelbe ein Zeuge / und Beſtraf - fer des erfolgenden Mein-Eydes ſeyn ſolle. Wiewohl dieſes oͤffters geſchiehet / daß in Eydſchwuͤhren ein gewiſſes Ding genennet wird / bey den man ſchweret / allein in dem Verſtande und Meinung / daß / wenn der Schwerende untreu und mein-eydig werden ſolte / GOtt ſei - ne Rache zufoͤrderſt uͤber daſſelbige / als welches den Eyd-leiſtenden am allerliebſten / und wertheſten iſt / ver - haͤngen moͤgte.

§. 4.

Jn denen Eydes Formu - len muß die Beſchreibung GOT - TES / dem man zum Zeugen undRaͤ -265eilftes Capitel. Raͤcher anruffet / nach desjenigen Religion / oder Einbildung / ſo er von GOtt hat / eingerichtet wer - den / der den Eyd abſchweret. Denn es iſt umſonſt / daß man ei - nen bey ſo etwas ſchweren laſſe / wel - ches er vor den wahren GOtt nicht haͤlt / und ſich alſo auch nicht darvor fuͤrchtet. Es glaubet auch niemand / daß er unter einer andern Formul / oder unter einen andern Nahmen bey GOtt / und alſo beſtaͤndig und ernſtlich ſchwere / als wenn ſelbiges ſeiner / das iſt / ſeinen Gedancken nach / der wahren Religion gemaͤß eingerichtet / und abgefaſſet iſt. Da - her koͤmmet es nun / daß auch dieje - nigen / die bey den falſchen Goͤt - tern ſchweren / dennoch feſte obligi - ret werden / weil ſie ſie vor den rech - ten GOtt halten / und alſo eben ſo wohl einen Mein-Eyd begeben / als andere / wenn ſie ihren EydſchwureM 7nicht266Des erſten Buchsnicht nachkommen. Denn man mag ſich die gemeine Bemerckung der Gottheit vorſtellen unter was vor einen Special-Concepte man wil; ſo wird durch einen wiſſenlichen Mein-Eyd auf Seiten deſſen / der ihm begehet / und ſo viel an ihm iſt / dennoch die ſchuldige Hochachtung der Goͤttlichen Majeſtaͤt geſchaͤndet und gelaͤſtert.

§. 5.

Zur Verbindligkeit eines Eydes wird erfordert / daß er mit gutem Bedacht und Vorſatz ge - ſchehe. Dannenhero wird derjenige nicht daran verbunden / der eine Eydes-Formul nur etwa ſchlechter Dinges herſaget / oder ſie in der er - ſten Perſon / ich N. ſchwere / ꝛc. ei - nen andern vorlieſet; Allein derje - nige / der ſich in Eruſte davor an - giebet / daß er ſchweren wolle / der machet ſich allerdinges verbindlich / wenn er auch gleich unten wehrenderEy -167eilftes Capitel. Eydes-Leiſtung heimlich etwas an - ders im Sinn genommen haͤtte. Denn fonſt wuͤrde aller Nutzen derer Eydſchwüre / ja alle die eingefuͤhrten Arten ſich durch gewiſſe Zeichen zu etwas zu verbinden / aus dem menſch - lichen Leben hinweg fallen / wofern einer durch eine heimliche Intention verhindern koͤnte / daß eine Hand - lung ihre Wuͤrckung / um derent - willen man ſie doch vorgenommen hat / nicht erreiche.

§. 6.

Die Eydſchwuͤre machen an und vor ſich ſelbſt keine neue und beſonderne Obligation, ſondern ſie helffen nur die vorigen und ohne dis ſchon giltigen und beſtaͤndigen / als ein darzu kommendes Band / de - ſto mehr beſtaͤrcken. Denn wenn man ſchweret / ſo ſupponiret man allezeit etwas / durch deſſen Nicht - Leiſtung man den Goͤttlichen Zorn uͤber ſich laden werde; Welches inwahr -268Des erſten Buchswahrheit ungeraͤumet und thoͤricht gehandelt waͤre / wofern die Unter - laſſung desjenigen / ſo man ſuppo - niret / ohne Suͤnde abgehen koͤnte / oder wofern man nicht ſchon zuvor - her darzu verbunden waͤre. Hier - aus folget / daß man zu denenjenigen Handlungen und Geſchaͤfften / die an ſich ſelbſt unzulaͤßlich / und eine Verbindligkeit zu wege zu bringen untauglich ſeyn / vermi[t]telſt eines Eydſchwurs durchaus nicht verbun - den werden koͤnne / gleichwie man in Gegentheil auch eine ſonſt beſtaͤn - dige und noͤthige Obligation durch einen erfolgenden Eyd nicht aufhe - ben / noch einen andern durch eine boshafte Verſchwerung ſeiner Rech - te und Forderung berauben kan. Und iſt demnach gantz vergeblich / wenn einer z. e. ſchwuͤre / er wolle den andern die Schuld nicht bezah - len / u. ſ. w. So erreichet ein Jura -ment269eilftes Capitel. ment auch ſeine verbindliche Krafft in keine Wege / wenn man verſichert iſt / daß derjenige / ſo das Eyd abge - leget / etwas ſupponiret / welches ſieh doch hernach in der That ſo nicht befindet / und ſonder deſſen Beglau - bung er nicht wuͤrde geſchworen ha - ben / zumal / wenn ihm etwa derje - nige / dem zu gefallen er das Eyd ge - than / mit Liſt und Betrug in ſotha - nen Jrꝛthum gebracht hat. Es be - koͤm̄t auch derjenige / der einen durch unrechtmaͤſſige Furcht und Bedro - hung einen Eyd abtrotzet / hiedurch das mindeſte Recht nicht / einen et - was abzufordern. Ebener maſſen / ſo hat ein Eyd / wodurch man ſich zur Vollziehung einer boͤſen und la - ſterhafftigen That / oder zur Unter - laſſung einiges Guten / und von Goͤtt - und menſchlichen Geſetze ge - botenen Dinges verbindet / keine Rechts-Kraͤffte. Und letztens / ſomag270Des erſten Buchsmag ein Eydſchwur die Ratur und das Weſen desjenigen Verſpre - chens / oder Pacts / dem es angehen - get wird / nicht veraͤndern. Dannen - hero iſts vergebens / daß man ſich uͤber unmoͤglichen Dingen verſchwe - ret; Auch wird ein bedingetes ver - ſprechen durch den Eyd nicht in ein ſchlechtes verwandelt; Ja / wann ei - ner gleich etwas eydlich verſpricht / ſo muß doch der andere in ſolch Ver - ſprechen erſt willigen / und es acce - ptiren.

§. 7.

Es haben aber alle Eyd - ſchwüre ihren Nachdruck und Wuͤr - ckung einig und allein von der dabey gebrauchten Anruſſung des allmaͤch - tigen GOttes / welcher ſich weder mit Liſt betruͤgen / noch ohne geſtrafſt und ohne gerochen verſpotten laͤſſet / und dannenhero glaubet man / daß / weil diejenigen eine weit haͤrtere Straffe zugewarten haben / die Be -ſchwor -271eilftes Capitel. ſchworne / als andere / die nur etwa ſchlechte und unbeſchworne Treue brechen / man hiedurch in denenjeni - gen Geſchaͤfften und Handlungen / wobey man Eydſchwuͤre brauchet / vor Hinterliſt / und faͤlſchlicher Ver - drehung der Worte deſto geſicherter ſeyn koͤnne.

§. 8.

Jedoch ſeynd die Juramen - te nicht allezeit nach einem gar zu - weitlaͤufftigen / ſondern zuweilen auch wohl nach einen engen Ver - ſtande auszudeuten / wann die ge - genwaͤrtige Sache und Geſchaͤffte es alſo zuerfordern ſcheinen / als wenn man etwa was beſchworen / dadurch einen andern wehe geſchiehet / oder wenn man nicht ſo wohl eine guͤt - liche Verheiſſung / als etwa eine ſcharffe Bedrohung und dergleichen mit einem Eyde beſtaͤrcket. Ja / es kan ein Eyd auch wohl heimliche Bedingungen und Abfaͤlle oder Um -ſchraͤn -272Des erſten Buchsſchraͤnckungen leiden / wofern ſelbi - ge aus der Natur der Sachen und des Handels herfluͤſſen; Als wenn einer iemanden eydlich verſprochen / ihn zu wilfahren / was er nur verlan - gen wuͤrde / und dieſer wolte hoͤchſt unbillige / und ungerechte Dinge for - dern / ſo wuͤrde man ihm / krafft deſ - ſen / darzu nicht gehalten ſeyn. Denn wer iemanden auf ſeine Bitte oh - ne Bedinge / ohne Benennung ei - ner gewiſſen Sache / und ehe er weiß / was jener verlangen werde / insge - mein ein Verſprechen thut / der ver - muthet / daß er auch was erbares / denen Geſetzen nach moͤgliches / und nicht was ungeraͤumtes / oder ihm und andern ſchaͤdliches und nachthei - liges begehren werde.

§. 9.

So iſt auch dieſes noch zu mercken / daß in Eydſchwuͤren die gantze Meinung der Rede alſo anzunehmen ſey / wie ſie derjeni -ge /273eilftes Capitel. ge / der das Jurament abſchwe - ren laͤſſet / wil verſtanden haben. Denn um dieſes / und nicht um des Schwerenden willen wird der Eyd zufoͤrderſt abgeleget. Dannenhero mag er auch die Eydes-Notul ſelbſt abfaſſen / und zwar ſo deutlich / als es nur immer ſeyn kan; ſo / daß er ſelbſt anzeuge / wie er ſie wolle ver - ſtanden haben / und den Schweren - den ſo lange bedeute / biß er bekennet / daß er ihm recht eigendlich verſtan - den; worauf dieſer denn die Worte klaͤrlich und deutlich ausſprechen / und alſo die geringſte Urſache / oder Gelegenheit nicht uͤbrig bleiben muß / die Meinung des Eydes zu - verkehren / oder zu verdrehen.

§. 10.

Die Abtheilung derer Eydſchwuͤre laͤſſet ſich an fuͤglichſten nach dem Nutzen und mannigfalti - gen Gebrauche dererſelben machen. Denn etliche werden dem Verſpre -chen274Des erſten Buchschen und Pacten angefuͤget / damit dieſelben deſto beſtaͤndiger ſeyn moͤg - ten. Andere werden zum Beweiß eines Vorgebens / oder Auſſage in einer unerwieſenen und zweifelhaff - tigen Sache / und da man anderer Geſtalt hinter die Wahrheit nicht kommen kan / gebrauchet / derglei - chen den die Zeugen / oder diejenigen / ſo von frembder That Wiſſenſchafft baben / ablegen muͤſſen. Bisweilen geſchiehets auch wohl / daß ſtreitige Partheyen entweder auf des Rich - ters bloſſe Erkaͤntniß / oder des ei - nen Theils Verlangen den Proceſ - ſe / vermittelſt des Eydes / ein Loch ma - chen.

Das275zwoͤlftes Capitel.

Das zwoͤlfte Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Menſchen / bey er - langender Herꝛſchafft oder Eigenthuͤmligkeit ih - rer Sachen.

§. 1.

WEil es mit dem menſchlichen Leibe dieſe Bewantniß hat / daß er aͤuſſerlich vieler Dinge be - darff / vermittelſt deren er ſich er - naͤhren / und wieder alle dasjenige / ſo etwa zur Niederrichtung ſeiner Subſtans gereichet / beſchuͤtzen moͤ - ge; Es auch nicht wenige Sachen in der Welt giebet / die dem menſch - lichen Leben eine beſondere Com - modität und Gemaͤhligkeit zuwege bringen koͤnnen; Als laͤſſet es ſich gantz ſicher ſchluͤſſen / daß der Menſchdie276Des erſten Buchsdie andern Creaturen / vermoͤge Goͤtt - lichen Willens und Wohlgefallens / zu ſeinen Nutzen anwenden / ja auch viele dererſelben gantz zernichten und umbringen duͤrffe. Und dieſe Ver - guͤnſtigung erſtrecket ſich nicht allein uͤber die Pflantzen und dergleichen unempfindliche Gewaͤchſe; ſon - dern auch uͤber die ſonſt unſchuldigen Thiere / welche / ob ſie ſchon von ih - rer Hinrichtung einige Schmertzen empfinden / dennoch von den Men - ſchen ohne Suͤnde getoͤdtet / und zur Leibes Nahrung und Nothdurfft verbrauchet werden koͤnnen.

§. 2.

Man muß ſich aber einbil - den / als ob im Anfange alle dieſe Dinge von dem guͤtigen GOTT in die Welt zum gemeinen Ge - brauche gleichſam frey ausgeſe - tzet geweſen / dergeſtalt / daß ſie weder dieſem / noch jenem beſonders zugehoͤren / und die Menſchen den -noch277zwoͤlftes Capitel. noch die Freyheit haben ſolten / es damit alſo anzuſtellen und einzurich - ten / wie es der Zuſtand des menſch - lichen Geſchlechtes / und die Erhal - tung der Ruhe / des Friedens und ei - ner guten Ordnung an die Hand ge - ben wuͤrden. Wannenhero man es ſich auch ſo lange / als das menſch - liche Geſchlechte noch in einer wenigen Anzahl beſtunde / gefal - len laſſen / daß ein jeder dasjenige / was er mit dem Gemuͤthe und Meinung / es ſich zu Nutze zu machen / ergriffen und wuͤrck - lich eingebracht / eigenthuͤmlich behalten duͤrffen / die Coͤrper aber / woraus ſolche Sachen gewon - nen worden / in Gemeinſchafft verblieben / ohne jemanden hie von ein beſonders Recht einzuraͤumen. Hernach / da ſich die Menſchen vermehret / und angefangen / die Sachen / wovon ſie ihren UnterhaltNund278Des erſten Buchsund Kleidung nehmen wollen / mit groͤſſerer Muͤhe und Sorgfalt zu bauen und zu pflantzen; So erfor - derte es die Nothdurfft / daß man den ſonſt beſorglichen Hader vorzu - beigen / und eine gute Richtigkeit zu machen / auch die Coͤrper der Sa - chen ſelbſt unter die Menſchen austheilete / und einen jeden ſeine eigene Portion anwieſe / mit dieſem hinzugefuͤgten Vergleiche / daß / was in ſothaniger erſten Vertheilung uͤbrig blieben / fuͤrderhin desjenigen eigen ſeyn ſolte / der ſich deſſelben zu erſt anmaſſen würde. Und auf ſol - che Weiſe iſt / Krafft Goͤttlicher Genehmhaltung / auf vorher - gehende Einwilligung / und we - nigſtens heimliches Pact derer Menſchen / die Beherꝛſchung oder Eigenthuͤmligkeit in die Welt eingefuͤhret werden.

§. 3.279zwoͤlftes Capitel.

§. 3.

Dieſe Beherꝛſchung uͤber die Sachen iſt nun nichts anders / als ein Recht / vermoͤge deſſen die Subſtantz eines Dinges alſo und dergeſtalt jemanden eigenthuͤm - lich zugehoͤret / daß ein anderer ſich ſolcher vollkommendlich an - zumaſſen nicht befuget iſt. Wor - aus denn folget / daß man uͤber dieje - nigen Dinge / die einen eigenthuͤm - lich zuſtehen / nach ſeinen Gefallen diſponiren, und alle andere von de - roſelben Gebrauche abtreiben koͤnne; es waͤre denn / daß ſie ſich etwa durch beſondere Vertraͤge einige Befuͤgniß darzu erworben haͤtten. Wie es denn in denen Republiqven ſehr gemeine iſt / daß nicht ein jeder die freye Herꝛſchafft ſeiner Dinge un - geſchmaͤhlert behaͤlt / ſondern dieſel - be entweder von der hohen Obrig - keit / oder durch derer Menſchen ei - gene Anſtalt und gewiſſe VertraͤgeN 2in280Des erſten Buchsin Schrancken eingeſchloſſen wird. Wann eine Sache ihrer etzlichen un - zertheilet und in gleicher Berechti - gung zuſtehet / ſo iſt ſie unter ihnen vor gemeinſchafftlich zu achten.

§. 4.

Gleich wie nun / bisheriger Anzeige nach / nicht alle und iede Sachen zugleich oder auf einmal / ſondern nach und nach / wie es etwa der Nutzen des menſchlichen Ge - ſchlechtes erfordert / unter die eigen - thuͤmliche Beherrſchung gebracht worden; Alſo war es auch nicht ein - mal vonnoͤthen / daß alles und jedes ſolcher Geſtalt in den Stand der Ei - genthuͤmlikeit geriethe / ſondern es konte / ja es muſte etzliches gleichſam in der uhrſpruͤngli - chen Gemeinſchafft verbleiben. Denn diejenigen Dinge / derer ſonſt nuͤtzliche Gebrauch gantz unerſchoͤpf - lich iſt / dermaſſen / daß ſie vor ſaͤmt - liche zureichen koͤnnen / ohne jeman -den281zwoͤlftes Capitel. den eine beſondere Beſchwerde oder Nachtheiligkeit daruͤber zuzuziehen / diejenigen / ſage ich / vertheilen wol - len / wuͤrde ſo vergeblich / als unge - raͤumt heraus kommen. Dergleichen ſeind nun das Sonnen-Licht / und de - ren Waͤrme / das vorbey fluͤſſende Waſſer / und was von ſolcher Art mehr iſt. Auch wird die offenbare See / ſo zwiſchen denen groſſen Welt - Theilen inne ſtehet / ihren von Ufer entlegenſten Coͤrper nach / hierunter gerechnet / indem derſelbe nicht allein zu maͤnnliches Gebrauche zulanget / ſondern auch deſſen Beſchuͤtz - und Bewohnung einem einzigen Volcke gantz ohnmoͤglich faͤllet. Welche Sache nun aber alſo beſchaffen iſt / daß man andere von deren Gebrau - che auf keinerley Weiſe abhalten kan / derſelben Vertheilung / oder eigenthuͤmliche Anmaſſung wuͤrde nicht allein gantz vergeblich ſeyn / ſon -N 3dern282Des erſten Buchsdern auch vielmehr zu ſtetigen Zancke und Unruhe Anlaß geben.

§. 5.

Die Arten / die Herꝛſchaft uͤber eine Sache zu erlangen / ſeynd entweder uhrſpruͤngliche / oder fortſetzliche. Durch jene wird die Herrſchafft und Eigenthuͤmlig - keit einer Sachen zuerſt angebracht; Durch dieſe aber die bereits ange - brachte Herrſchafft nur von einen auf den andern fortgeſetzet. Die er - ſten Arten ſeynd wiederum entwe - der ſchlechter Dinges ſolche zu nennen / wenn nemlich die Herr - ſchafft zuerſt den gantzen Coͤrper ei - ner Sache beygebracht wird; oder ſie ſeynd nur auf gewiſſe Maſſe vor dergleichen zu achten; Wenn nemlich eine von uns bereits beherr - ſchete Sache einen neuen Zuwachs bekoͤmmet.

§. 6.

Nachdem es unter denen Menſchen aufgekommen iſt / die Sa -chen283zwoͤlftes Capitel. chen nicht mehr in Gemeinſchafft / ſondern durch Vertheilung beſon - ders zu beherrſchen / ſo haben ſie ſich dermaſſen unter einander vergli - chen / daß / wo etwas in die uhr - ſpruͤngliche Vertheilung nicht mit eingekommen waͤre / daſſelbige dem zuerſt occupiren den / das iſt denenje - nigen / ſo es ſich erſtmals mit dem Gemuͤthe und Meinung / es vor ſich zubehalten / anmaſſen wuͤrde / zu theile werden ſolle. Wannenhero heutiges Tages die Occupirung / oder Einnehm - und Gewinnung eines Herrn-loſen Dinges die eintzi - ge Art iſt / die Herrſchafft und Ei - genthuͤmligkeit den Coͤrpern einer Sachen anzubringen. Und werden auf ſolche Weiſe erworben anfaͤng - lich wuͤſte und ohnbewohnte Laͤn - der / die niemals einigen Menſchen unterthan geweſen / indem ſie deſſen eigen und zuſtaͤndig werden / der ſieN 4zu -284Des erſten Buchszuerſt mit dem Gemuͤthe und Vor - ſatz dieſelbe vor ſich zu haben / betre - ten / dergeſtalt / daß er ſie angebauet / und gewiſſe Graͤntzen geſetzet hat / wieweit er derſelben / als ſeines Ei - genthums / verſichert ſeyn wolle. Wenn aber zuweilen ein gantzes Volck ingeſamt auf dergleichen Art ein lediges Stuͤcke Landes einbekom - met / ſo iſt es am uͤblichſten / daß einen jeden unter denſelben ſein gewiſſes Antheil angewieſen / und / was her - nach von ſolcher Vertheilung uͤbrig bleibet / dem geſamten Hauffen oder Volcke vorbehalten werde. Hernach ſo werden durch dieſe Art / oder Occu - pir ung auch die wilden Thiere / Voͤgel / Fiſche / ſo wohl im Meere / als in Fluͤſſen und Seen / ingleichen alle diejenigen Sachen / ſo das Meer ans Ufer auszuwerffen pfleget / der Eigenthuͤmligkeit untergeben / wo anders ſolche freye Einfahung undGe -285zwoͤlftes Capitel. Gewerbe nicht etwa ſchon durch buͤr - gerliche Gewalt verboten / oder je - mand gewiſſes daran verwieſen wor - den. Wil man aber Eigenthums - Herr von ſolchen Sachen ſeyn / ſo muß man ſie coͤrperlich ergreiffen / und wuͤrcklich in ſeine Gewalt brin - gen. Auf gleiche Weiſe der Occupa - tion wird endlich auch dasjenige wie - derum der Beherrſchung unterwuͤrf - fig / in welchen die vormahlige Herꝛſchafft gaͤntzlich er loſchen ge - weſen / als da ſeynd ſolche Dinge / die ein anderer mit dem Vorſatze / ihrer verluſtig zu ſeyn / von ſich geworffen / oder die im Anfange zwar ungern verlohren / endlich aber doch vor ver - lohrē und verlaſſen geachtet worden. Woꝛunteꝛ deñ auch die gefundenen Schaͤtze oder dasjenige Gelt und dergleichen gehoͤret / deſſen Eigen - thums-Herrn man nicht weiß / wel - ches ſo fern / als die buͤrgerlichen Ge -N 5ſetze286Des erſten Buchsſetze nicht ein anders verordnen / na - tuͤrliche Weiſe den Erfinder deſſel - ben zukoͤmmet.

§. 7.

Sonſt iſt es an dem / daß nicht alle mit einiger Herrſchafft be - reits beſtrickte Dinge ſiets in einerley Zuſtande bleiben / ſondern ihre Sub - ſtantz offt mit mancherley Zu - gaͤngen erweitern; Etzliche be - kommen einen aͤuſſerlichen Zu - wachs und Vermehrung; Theils bringen ihre Natuͤrlichen Fruͤch - te; theils moͤgen durch eine von menſchlichen Fleiß und Kunnſt her - ruͤhrende neue Form zu einen hoͤ - hern Werth und Wichtigkeit gelan - gen. Dieſes alles koͤnte unter dem Worte derer Acceſſionen oder Zu - gaͤnge und Zuwachſes begriffen / und in zwey Claſſen unterſchieden werden. Denn theils dererſelben ruͤhret / ohne menſchliche Zuthuung / bloß von der Natur ſothaner Dingeher;287zwoͤlftes Capitel. her; theils aber entſiehen entweder bloſſer Dinges und gaͤntzlich / oder nur zum Theil aus menſchlichem Fleiſſe und Erfindung. Wobey itzo kuͤrtzlich dieſe Regel zu beobachten / daß / wer Herꝛ von der Haupt - Sachen iſt / deme auch die Zu - gaͤnge gehoͤren; Und wer aus ſei - ner Materie oder Zeuge eine neue Art verfertiget / derſelbe auch fuͤr den Herꝛn ſothaniger Art muͤſſe erkennet werden.

§. 8.

Jedoch geſchiehet es offt - mals / daß ſich iemand entweder durch einen disfalls geſchloſſenen Contract oder anderer Geſtalt ein Recht erwirbet / um aus unſerm Ei - genthume einen gewiſſen Nutzen zu ziehen / oder auch wohl zu verhin - dern / daß wir deſſen nicht in alle wege frey und nach unſern Belie - ben genieſſen duͤrfften. Welcherley Berechtigungen man gemeiniglichN 6Dienſt -288Des erſten BuchsDienſtbarkeiten zu nennen pfleget; und werden eingetheilet in perſoͤn - liche / wann nemlich der Nutzen aus einer frembden Sache einer Perſon unmittelbar zu Gute koͤm - met / als da ſeynd die voͤlliche Frucht und Nutz-Genieſſung ei - ner frembden Sache / da man ſolches ſo wohl vor ſich ſelbſt / als durch an - dere mag thun laſſen; Der noth - duͤfftige Gebrauch einer fremb - den Sache vor ſich; Der Woh - nungs-Nutzen / und endlich die Befugniß / frembde Geſinde zu gebrauchen. Ferner in real - oder dingliche / wenn nemlich der Nutz aus einer frembden Sachen ieman - den allererſt mittelbar / und vermit - telſt der Seinigen zu gute koͤmmet; Dieſe werden wiederum im Gebaͤu - de / und im Feld-Dienſtbarkeiten unterſchieden / weil jene bey den Ge - baͤuden in Staͤdten und Doͤrffern /die -289zwoͤlftes Capitel. dieſe aber bey dem Feld-Guͤthern ſtatt finden. Exempel derer erſten ſeyn die Tragungs - und Licht-Ge - rechtigkeit / da ein anderer uns das Licht unverbauet / und den freyen Proſpect laſſen muß / wie auch das Trauff-Recht / und dergleichen; De - rer andern aber das Recht eines Fuß - Steiges und Fahrweges / des Waſ - ſer-Schoͤpffens / der Vieh-Traͤncke / der Trifft und Huth-Weide auf ei - nes andern Grund und Boden / u. w. d. m. gl. welche Dienſtbarkeiten ihren Urſprung mehrentheils durch Veranlaſſung der Nachtbarſchafft genommen haben.

§. 9.

Unter denen fortſetzlichen Arten der Herꝛſchaffts-Erlan - gung ſeynd etliche / da die Sachen durch Verordnung derer Geſetze von einem auf den andern kommen; und wieder andere / da ſolches durch die bloſſe That des erſten Eigen -N 7thums -290Des erſten Buchsthums-Herꝛn geſchiehet; Und zwar werden ſodann entweder die ſaͤmt - lichen Hab und Guͤther / oder nur ein gewiſſes Antheil davon an den andern verwendet.

§. 10.

Die ſaͤmtlichen Habe und Guͤther kommen durch Ver - ordnung derer Geſetze von einen auf den andern in der Erb-Folge / ſo der Eigenthums-Herr ohne ein Teſta - ment verſtirbet. Denn weil beydes der gemeinen Zuneigung entgegen / als auch zur Erhaltung guter Ruhe in den menſchlichen Geſchechte gantz nicht zutraͤglich iſt / wenn dasjenige / ſo einer bey Lebezeiten mit groſſer Muͤhe und Sorgfalt zuſammen ge - bracht hat / nach des Eigeners To - de gleichſam vor Herrn-loſe geachtet ſeyn / und einen jeden / der es nur etwa zuerſt anpacken kan / offen ſte - hen ſolte; So iſt es / auf Einrathung der geſunden Vernunfft / bey allenVoͤl -291zwoͤlftes Capitel. Voͤlckern alſo eingefuͤhret worden / daß / wenn jemand ſeiner Verlaſſen - ſchafft wegen ſelbſt keine Anſtalt ge - machet / ſelbige auf diejenigen / ſo er / der gemeinen menſchlichen Neigung nach / an liebſten gehabt / verfallen ſolten. Das ſeynd nun ordentlicher Weiſe die Kinder und Verwandten in abſteigender Linie / und nechſt die - ſen die andern Bluts-Freunde / ein - jeder nach der Raͤhe des Grades / und der Verwandſchafft. Und ob es wohl deren etliche giebet / die ent - weder wegen empfangener Guttha - ten / oder eines ſonderlichen Affects halber frembde Leute mehr lieben / als ihre eigenen Bluts-Freunde; So wolte dennoch / um den Frieden und Ruhe in der menſchlichen Ge - ſellſchaft zu erhaltē / vonnoͤthen ſeyn / hierinne vielmehr der allgemeinen menſchlichen Inclination, als etlicher wenigen Neigung Folge zu leiſten /und292Des erſten Buchsund dieſe Art der Erb-Nahme / als die deutlichſte und allerfuͤglichſte / auch ſo vielen verwirreten Streit - Haͤndeln an ſich ſelbſt nicht Unter - worffene zuheobachten / dergleichen ſich gewißlich genug hervor gethan haben wuͤrden / wofern Wohlthäter und gute Freunde mit denen Bluts - Verwandten hierinne ein gleiches oder vorzuͤgliches Recht haͤtten ge - nieſſen ſollen. Da einer aber ja itzt - beſagten ſeinen Freunden und Gut - thaͤtern einen Vorzug goͤnnen wil / ſo ſtehet es ihm gleichwohl frey / deß - wegen bey ſeinen Leben eine aus - druͤckliche Diſpoſition und Anſtalt zu machen.

§. 11.

Hieraus erhellet nun / daß die Kinder eines jeden ſeine naͤch - ſten Erbfolger ſeyn / als deren Er - naͤhr - und Aufziehung die Ratur de - nen Eltern fleiſſig anbefiehlet / und vor welche die Vermuthung iſt / daßſie293zwoͤlftes Capitel. ſie die Eletrn gern am reichlichſten verſorget / und was ſie uͤbrig laſſen / dieſen zu foͤrderſt zugewandt wiſſen wolten. Es werden aber durch die Kinder ſonderlich diejenigen ver - ſtanden / die aus einer rechtmaͤſſi - gen Ehe erzeuget ſeyn. Denn die - ſen ſeynd nicht allein die geſunde Vernunfft / und die Sauberkeit des buͤrgerlichen Wandels / ſondern auch die Rechte aller ſittſamen Voͤlcker mehr / als denen Natuͤrlichen zu - gethan und gewogen. Jedoch iſt die - ſes alles mit den Bedinge zu verſte - hen / da nemlich ein Vater nicht er - hebliche Urſachen hat / das Kind vor das Seinige nicht anzunehmen / oder dafern es ſich nicht etwa der Kind - ſchafft durch eine grobe Miſſethat ſelbſt verluſtig gemachet. Es wer - den unter die Kinder auch noch dieje - nigen gerechnet / die in denen fer - nern Graden der abſteigendenLi -294Des erſten BuchsLinie ſtehen / welche / gleichwie ſie die Groß-Eltern nach dem Tode derer Leiblichen zu ernehren ſchuldig ſeyn / alſo iſts auch nicht mehr / als billig / daß ſie mit ihres Vaters und Mutter Geſchwiſtern zu den Groß - vaͤterlichen Erbe gelaſſen werden; Dann ſie ſonſt in doppelten Scha - den kaͤmen / wenn ſie uͤber den durch Abſterben ihren Eltern zugeſtoſſe - nen Ungluͤcke zugleich auch der Gros-vaͤterlichen Verlaſſenſchafft entbehren muͤſten. Wo nun keine Erben von abſteigender Linie vor - handen ſeynd / ſo iſts billig / daß de - rer Kinder hinterlaſſenes Guth zu - ruͤck auf die Eltern falle, Die aber weder Kinder noch Eltern laſſen / die erbet das Geſchwiſter / und ſeitwaͤr - tigen; Und ſo fern auch dieſe erman - gelten / ſo gebuͤhret die Erb-Folge jedesmal denenjenigen / die den Ver - ſtorbenen mit Sipſchafft am naͤch -ſten295zwoͤlftes Capitel. ſten verwandt ſeyn. Wiewohl es in denen meiſten Republiqven zu Verhuͤtung vielen daher entſtehen - den Streits und Ungelegenheit / nach eines jeden Orts Gelegenheit / gar heilſamlich verſehen iſt / wie es mit der Erb-Folge ſolle gehalten wer - den; Und iſt am ſicherſten / daß die privat-Leute ſich an dieſe Ordnung binden / wenn ſie nicht etwa wichti - ge Urſachen zu einer ſonderlichen Di - ſpoſition antreiben.

§. 12.

Durch die That des er - ſien Eigenthums-Herrn pflegen ge - ſamte Hab und Guͤther auf erfol - genden Todes-Fall durch ein Te - ſtament verwendet zu werden. Deñ bey denen meiſten Voͤlckern iſt dieſes gleichſam zu einiger Ergetzligkeit vor den Tod und die Sterbligkeit aufge - bracht worden / daß einer noch bey ſeinen Leben ſeine Guͤther denjeni - gen zuwenden kan / dem er am aller -mei -296Des erſten Buchsmeiſten liebet. Nun ſcheinet vor ur - alten Zeiten uͤblich geweſen zu ſeyn / daß ein Sterbender bey Heranna - hung der Todes-Stunde ſeine Er - ben oͤffentlich ernennet / und ihnen die Verlaſſenſchafft ſelbſt in die Haͤn - de gegeben; Allein nachmals haben ſich viele Voͤlcker / um wichtiger Ur - ſachen willen / die andere Art der Te - ſtamente beſſer gefallen laſſen / da man nemlich / zu welcher Zeit es ei - nen beliebet / ſeinen Willen dieſer wegen entweder muͤndlich und oͤf - fentlich anzeugen / oder ingeheim und in Schrifften verfaſſen mag / ſolchen auch nach ſeinen guten Gefallen wie - derum aͤndern kan / ſintemal denen ernenneten oder geſchriebenen Er - ben hieraus eher kein Recht zuwaͤch - ſet / als biß der Teſtirer Todes ver - blichen. Und ob nun wohl derglei - chen Teſtamente hillig eine groſſe Gunſt haben; So ſeynd ſie doch aufdie297zwoͤlftes Capitel. die Art und Weiſe einzurichten / wie es etwa die Beſchaffenheit der An - verwandtſchafft / und das gemeine Beſte erfordert. Wannenhero denn die Republiqven gewiſſe Maß und Ziel gegeben haben / wie ſich ein je - der in ſolchen Teſtamenten verhal - ten / und welcher Geſtalt er ſie ab - faſſen ſolle. Wer nun von dieſer Ordnung abſchreitet / der hat ſich nicht zu beſchweren / wenn ſein letzter Wille den vorhabenden Zweck und Wuͤrckung nicht erreichet.

§. 13.

Unter denen Lebendigen wird die Beherꝛſchung derer Dinge / und zwar durch eine ausdruͤckliche und beſonderne Handlung oder That des erſten Herꝛn / fortgeſetze[t]entweder umſonſt / derergleichen Fortſetzungs Art man Schenckun - gen nennet; oder vermittelſt aufge - richteter Contracte, von welchenhie -298Des erſten Buchshienaͤchſt mit mehrern ſoll gehandelt werden.

§. 14.

Bisweilen wird auch die Eigenthumligkeit einer Sache wi - der des erſten Beſitzers Willen entwendet / und zwar in denen Re - publiqven mehrentheils durch Art einer Straffe / indem man denenje - nigen ſo gewiſſer Verbrechen halber verurtheilet worden / zuweilen alle ihre Hab und Guͤther / zuweilen nur einen Theil dererſelben nimmet / und es entweder dem Fiſco, oder dem Be - leidigten vor den erlittenen Schimpf und Schaden zuerkennet. Eben - falls pfleget auch der Feind im Krie - ge an Macht uͤberlegene wider des andern willen etwas an ſich zu reiſ - ſen / und es vor ſich zu acqviriren, jedoch verlihret der erſte Eigen - thums-Herr ſein Recht / das Ver - lohrne wieder heyzubringen / ehernicht /299zwoͤlftes Capitel. nicht / als bis er ſich durch erfolgete Friedens-Handlungen allen An - ſpruches darauf begeben.

§. 15.

Letzlich / ſo iſt noch eine be - ſonderne Art der Herrſchaffts-Er - langung uͤbrig / nemlich durch die Verjaͤhrung / Krafft deren ein ſol - cher / der den Beſitz einer Sachen redlicher Weiſe / und durch einen rechtmaͤſſigen Titul erhalten / auch lange Zeit geruhig und ohngehin - dert dabey verblieben iſt / endlich vor deroſelben rechtmaͤſſigen und Voll - kommenen Eigenthums-Herrn ge - achtet wird / ſo gar / daß er auch den alten Beſitzer / wofern er ſothaniges Guth und Sache wieder an ſich zu bringen begehret / davon abhalten duͤrffte. Die Urſache / ſolches Recht einzufuͤhren / war theils dieſe / dieweil man denjenigen / der ſeiner Sache ſich anzunehmen ſo lange Zeit ange - ſtanden / dafuͤr achtete / als ob er ſiegaͤntz -300Des erſten Buchsgaͤntzlich verlaſſen / und verliehren wollen / ſintemal nicht glaͤublich / daß es ihm binnen ſolcher Friſt allezeit an Gelegenheit ermangelt haben ſol - te; Theils auch / weil die Ruhe und Sicherheit der menſchlichen Geſell - ſchafft dadurch mercklich befoͤrdert wuͤrde / wenn man durch ein ſolches Mittel die Beſitzung derer Sachen auſſer ſonſt jederzeit zu beſorgendem Streite ſetzete; zumal / da es viel un - ertraͤglicher zu ſeyn ſcheinet / eines vorlaͤngſt mit gutem Titul und Ge - wiſſen erworbenen Dinges beraubet zu werden / als desjenigen / ſo man ſchon lange Zeit verlohren / und zu deſſen wieder Erlangung man ſich die Hoffnung allbereit vergehen laſ - ſen / vollends zu ermangeln. Doch iſt den gemeinen Beſten ſonderlich dran gelegen / daß man in denen Re - publiqven, und zwar nach einer je - den Gelegenheit und Nothdurfft /ge -301dreyzehendes Capitel. gewiſſe Ziel und Maſſe gebe / bin - nen welcher das Verjaͤhrungs-Recht ſeine Zeithigkeit erreichen ſolle.

Das dreyzehende Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Menſchen / ſo aus der Beherꝛſchung derer Sachen vor ſich ſelbſt herfluͤſſet.

§. 1.

NAchdem nun die Beherrſchung und Eigenthuͤmligkeit derer zu dieſes Lebens Nothdurfft und Beqvemligkeit dienenden Sachen einmal würcklich eingefuͤhret wor - den / ſo ſeynd daher unter denen Menſchen nachfolgende Schuldig - keiten entſtanden / [I.] daß ein jeder den andern (weñ er nur ſein Feind nicht iſt /) bey den Seinigen ge -Oru -302Des erſten Buchsruhig laſſen / und ihm daſſelbe weder mit Gewalt / noch mit Liſt verderben / zernichten / oder an ſich reiſſen ſolle. Wodurch denn Diebſtahl / Raub / und dergleichen andere frembden Guthe zu Schaden gereichende Mißhandlungen unter - ſaget werden.

§. 2.

[II.] Wenn man ohne ſei - ne Schuld / und redlicher Weiſe an ein frembdes Gut oder Recht gekommen iſt / und man es noch in ſeiner Gewalt hat / ſo iſt man ſchuldig / ſo viel / als moͤglich / dahin gefliſſen zu ſeyn / damit es ſeinen rechtmaͤſſigen Herꝛn wie - der zugeſtellet werden moͤge. Je - doch iſt man nicht verbunden / ſolches auf ſeine Koſten zu thun / vielmehr kan man / dafern deren etliche aufge - wendet worden / ſie wieder fordern / oder die Sache / biß zu ſelbiger Erſe - tzung / bey ſich behalten. Auch iſtman303dreyzehendes Capitel. man zu der wuͤrcklichen Ausliefe - rung nicht ehe verbunden / als bis man / daß die Sache einen andern zugehoͤre / gewiſſe und ſichere Nach - richt erhalten. Denn alsdann ge - buͤhret ſichs freylich / anzuzeigen / daß man die Sache habe / und es an uns nicht liege / daß der rechte Eigen - thums-Herr des Seinigen bisher entbehren muͤſſen. Gleichwol iſt eben nicht noͤthig / ſich uͤbeꝛ denjenigen / was man rechtmaͤſſiger Weiſe erworben hat / ſelbſt einen Zweifel zu machen / und gleichſam oͤffentlich ausruffen zu laſſen / ob es iemand vindiciren wol - le. Ubrigens / ſo uͤberwieget dieſe Schuldigkeit die particular - Ver - gleiche / und haͤnget ihnen allezeit ei - ne heimliche Exception an. Dan - nenhero wenn z. e. ein Dieb etwas geſtohlenes / ſo man vor dergleichen nicht gehalten / bey uns niederleget / und hernach deſſen rechter Herꝛ offen -O 2bar304Des erſten Buchsbar wird / ſo muß die Sache dieſẽ / und nicht dem Diebe / wieder geben.

§. 3.

Dafern man aber [III. ] eine ſolche frembde Sache / die man ſonſt redlicher Weiſe an ſich gebracht / ſchon verthan und ver - zehret haͤtte / ſo erfordert den - noch die Schuldigkeit / dem Ei - genthums-Herꝛn ſo viel wieder zuerſetzen / als man ſich aus de - ren Genuſſe bereichert oder ver - beſſert hat; Denn es ſonſt eine Un - billigkeit waͤre / ſich ſolcher geſtalt aus fremoͤden Guthe / ohne des andern Verſchuldung / einen Nutzen und Vortheil zu ſchaffen.

§. 4.

Hieraus laſſen ſich ferner nachfolgende Schluͤſſe ziehen. Erſt - lich / wer eine frembde Sache redlicher Weiſe beſeſſen hat / und die - ſelbige nicht mehr verhanden / ſon - dern er wieder drum gekommen iſt / der darff gantz nichts erſtatten / weilwe -305dreyzehendes Capitel. weder die Sache / noch einiger Nutzen aus derſelben bey ihm vorhanden iſt.

§. 5.

Zum andern / wer eine frem - de Sache redlicher Weiſe beſitzet / der muß nicht allein dieſe ſelbſt / ſon - dern auch die noch uͤbrigen Fruͤch - te und Nutzung derſelben erſetzen. Denn nach dem Natuͤrlichen Rechte gehoͤren demjenigen auch die Fruͤch - te / dem die Sache zuſtehet. Jedoch mag der Beſitzer alle Koſten / ſo er auf die Sache und Fruͤchte oder derſelben Erzihlung verwandt hat / abkuͤrtzen.

§. 6.

Drittens / wer eine fremh - de Sache redlicher Weiſe beſeſſen hatt / der muß ſo wohl die verthane oder verzehrte Sache / als die Fruͤchte erſtatten / wann er an - ders ſonſt von den Seinigen ſo viel verthan haben wuͤrde / und von ſei - nem Wehrmanne der Schadloshal - tung verſichert ſeyn kan. Denn eben hiedurch iſt er reicher worden / indemO 3er306Des erſten Buchser durch Conſumir ung einer fremb - den Sache das Seinige ſchonen koͤn - nen.

§. 7.

Viertens / wer eine fremb - de Sache redlicher Weiſe beſitzet / iſt nicht ſchuldig / die Fruͤchte / die er verlaͤſſet hat / zuerſetzen; weil er weder die Sache hat / noch was an deroſelben Stelle erfolget iſt.

§. 8.

Zum fuͤnfften / wenn ei - ner / der eine frembde Sache redli - cher Weiſe geſchencket bekommen / dieſelbe fernerweit verſchencket / ſo iſt er zur Wieder-Erſtattung nicht verbunden / es waͤre denn / daß er dergleichen Geſchencke aus einer Schuld - und Nothwendigkeit thun muͤſſen / in welchem Fall er den Nu - tzen von der frembden Sache hat / daß er der Seinigen dadurch ſchonet.

§. 9.

Zum ſechſten / wenn einer / der eine Frembde Sache redlicher Weiſe / und zwar mit einen beſchwer -lichen\307dreyzehendes Capitel. lichen Titul erlanget / dieſelbe wie - der veraͤuſert / es mag geſchehen / auf waſſerley Art es wolle / ſo iſt er nichts ſchuldig zu erſetzen / auſſer nur / wofern er ſich einen Vortheil und Gewinn daraus zuwege gebracht haͤtte.

§. 10.

Siebendens / wenn einer redlicher Weiſe eine frembde Sache auch gleich mit einen beſchwerli - chen Titul beſitzet / ſo iſt er dennoch ſchuldig / dieſelbe zu erſetzen / und kan dasjenige / was er drauf gewendet / nicht von den rechten Eigenthums - Herrn / ſondern nur von demjeni - gen / von dem er ſie empfangen hat / wiedern fordern. Es waͤre denn / daß der rechte Herr / allen Anſehen nach / ohne dem zu den Beſitz ſothanen Dinges ſonder einige Unkoſten nicht wider gelangen koͤnnen / oder frey - willig fuͤr die Anzeige eine Ergetzlig - keit verſprochen hätte.

O 4§. 11.308Des erſten Buchs

§. 11.

Wer eine frembde Sache findet / von welcher die Vermu - thung iſt / daß ſie ihr Eigenthums - Herr ungern verlohren / der kan ſel - bige mit dem Vorſatze / ſie auf be - ſchehene Nachfrage unterzuſchla - gen / nicht zu ſich nehmen. Wann aber deroſeben Herr nicht kundig wird / ſo mag er ſie mit guten Gewiſ - ſen behalten.

Das vierzehende Capitel / Von dem Werth der Sachen.

§. 1.

YAchdem die eigenthuͤmliche Be - herrſchung in der Welt einge - fuͤhret worden / und doch alle Dinge nicht einerley Art waren / ſich auch zu gleichmaͤſſigen Gebrauche nicht ſchicketen / und die wenigſten Men - ſchen von einen jeden ſo viel ſelbſt be -ſaſſen /309vierzehendes Capitel. ſaſſen / als ſie zu ihrer Nothdurfft von - noͤthen hatten; So iſt es gar zeitig in der menſchlichen Geſellſchafft dahin gekommen / daß man eines gegen das andere vertauſchet hat. Alldieweil es ſich aber auch oͤffters fuͤgete / daß man auf ſolche Weiſe Sachen von ungleicher Natur und Gebrauch ge - gen einander umſetzen muͤſſen / ſo war nicht minder hoͤchſt-noͤthig / um zu - verhuͤten / daß unter ſothaner Ver - tauſchung zu beyden Seiten keiner in Schaden kaͤme / denen Dingen durch ausdruͤckliche Vergleiche ei - nen gewiſſen Halt oder Wichtigkeit beyzulegen / nach welchen ſie gegen einander angeſchlagen / und eines den andern gleich geachtet werden koͤnte. Auf eben ſolche Weiſe hat man es auch mit denen menſchli - chen Verrichtungen und der Ar - beit gehalten / welche einer zu des andern Nutzen / aber nicht umſonſt /O 5oder310Des erſten Buchsoder aus Freundſchafft abſtatten / und anwenden wollen. Und dieſes heiſſet mit einem Worte der Werth / oder Anſchlag derer Sachen.

§. 2.

Dieſer Werth wird nun eingetheilet in den den gemeinen / und eminenten oder ausgeſetzten. Jener iſt zu befinden in allen Sa - chen / wie auch in denen Verrichtun - gen und Geſchaͤfften / die im Han - del und Wandel vorkommen / ſo fern denen Menſchen hieraus einiger Nutzen oder Ergetzligkeit zuwaͤchſet. Dieſer aber wird in der Muͤntze oder Gelde angetroffen / welches darzu beſonders ausgeſetzet iſt / daß es / ſeiner Wuͤrckung nach / aller Sa - chen und Geſchaͤffte Werth in ſich enthalten / und man dieſelbigen her - nach ermeſſen / oder anſchlagen ſolle.

§. 3.

Der Grund des gemei - nen Preiſes iſt an und vor ſich ſelbſt die Taugligkeit einer Sache / oderGe -311vierzehendes Capitel. Geſchäfftes / deren nach ſelbige zur Nothdurfft / oder Beqvem - und Er - getzligkeit des menſchlichen Lebens etwas mittel - oder unmittelbar bey - tragen; Dannenhero man auch was gantz und gar untauglich iſt / Sachen von keinem Werthe zunennen pfle - get. Jedoch giebet es etliche Dinge / die den Menſchen zwar uͤberaus nuͤ - tze ſeyn / dennoch aber keinen gewiſ - ſen Preis oder Anſchlag haben / ent - weder weil ſie gaͤntzlich von aller Ei - genthuͤmligkeit befreyet ſeyn und bleiben ſollen / oder weil ſie ſich zum Tauſche nicht ſchicken / und dannen - hero im Handel und Wandel nicht gebrauchet werden koͤnnen / oder da dieſes allenfalls angehet / ſie anders doch nicht / als ein Anhang oder Zu - gabe einer andern Sache betrachtet werden muͤſſen. Weil auch uͤber dis die Goͤtt - und menſchlichen Geſetze gewiſſe Geſchaͤffte und Verrichtun -O 6gen312Des erſten Buchsgen auſſer Handel und Wandel ſe - tzen / oder ſie ums Lohn abzuſtatten unterſagen / ſo hat es eben die Bedeu - tung / daß ſie ihnen hiemit allen Preis und Anſchlag entziehen wollen. Die Exempel werden es deutlich machen. Die obere Gegend der Lufft und des Himmels / ſamt denẽ him̃liſchen Coͤr - pern / wie auch die offene See ſeynd von aller menſchlichen Herrſchafft befreyet / dannenhero hat ihnen auch kein gewiſſer Preis beygeleget wer - den koͤnnen. Ein freyer Menſch lei - det keinen Tax / weil man keine Handlung mit ihm treibet. Das Sonnen-Licht / reine und geſunde Lufft / eine ſchoͤne Landes-Gegend / alsfern man die Augen nur daran weidet / der Wind / Schatten / und dergleichen Dinge / haben ebenfalls / wann man ſie ſo blos an ſich ſelbſt be - trachtet / keinen Preis / indem ſich die Menſchen dererſelben ohneGrund313vierzehendes Capitel. Grund und Boden nicht gebrauchen koͤnnen; und gleichwohl wo ſie in ei - nem Lande / Hauſe / oder Guthe zu finden ſeyn / oder ermangeln / ſo pfle - gen ſie deſſen Werth nicht wenig ent - weder zu erhoͤhen oder zu vermin - dern. Gleicher geſtalt iſt es unrecht / wenn man diejenigen geiſtlichen Verrichtungen / welchen aus Goͤttli - cher Einſetzung eine uͤbernatuͤrliche Wuͤrckung beygeleget iſt / um einen gewiſſen Preis anſchlaͤget / welches Laſter ſonſt eine Simonie genennet wird. So handeln auch die Richter leichtfertig / welche mit der Gerech - tigkeit einen ungerechten Wucher treiben.

§. 4.

Zuweilen wird der Preis einer Sachen vermehret / zuweiln vermindert / und alſo eines den an - dern vorgezogen / obgleich das her - unter geſetzete der menſchlichen Ge - ſellſchafft einen eben ſo groſſen / oderO 7noch -314Des erſten Buchsnoch wohl groͤſſern Nutzen einbrin - get. Deſſen laſſen ſich nun verſchie - dene Urſachen angeben. Denn in dieſem Stuͤcke iſt es ſo fern / daß ent - weder die Nothdurfft einer Sachen / oder die Treflichkeit des Nutzens und Gebrauchs allemal die vornehmſte Schuld daran habe / daß man auch vielmehr in Gegentheil ſiehet / wie oͤffters dasjenige / ſo man am aller - wenigſten im menſchlichen Leben ent - behren kan / an wohlfeileſten zuſte - hen koͤmmet / und zwar darum / weil GOttes gnaͤdige Vorſorge die Na - tur mit einen reichen Uberfluſſe ſo - thaner Dinge verſehen hat. Dan - nenhero iſt die Steigerung des Preiſes vielmehr der Seitenheit eineꝛ Sache beyzumeſſen / welche daher noch um ein ziemliches vermehret wird / wann dieſelbige aus weit ent - legenen Orten muß hergebracht wer - den. Und deßwegen hat die verthu -liche315vierzehendes Capitel. liche Liſternheit und Hoffart derer Menſchen viele Dinge / deren man ſonſt gar wohl entuͤbriget ſeyn koͤn - nen / auf einen uͤbermaͤſſigen Preis geſteigert / als ſonderlich die Perlen und Edelgeſteine. Was aber die zum taͤglichen Gebrauch benoͤ - thigten Sachen anbelanget / ſo pfleget dererſelben Werth vornehm - lich daher aufzuſchlagen / wann ſie zur Zeit der Noth abzunehmen und rar zu werden beginnen. Kuͤnſtli - cher Dinge werth ſteiget / wenn ſie auſſer der Rarität auch etwa ſehr ſubtil und kuͤnſtlich laſſen; unterwei - len huͤlffet des Kuͤnſtlers Rhum / des Werckes Schwerigkeit / derer Mei - ſter Wenigkeit / und dergleichen et - was darzu. Arbeit und Verrich - tungen werden um deßwillen theu - rer bezahlet / wenn ſie ſonderlich muͤhſam / nuͤtzlich und nothwendig / oder die Leute / ſo man darzu brau -chet /316Des erſten Buchschet / fuͤr andern geſchickt / ſelten zu bekommen / und etwa vornehm ſeyn / oder dergleichen ſonſt vorzunehmen nicht vonnoͤthen haͤtten. So iſt auch darauf zuſehen / ob die Kunſt oder Arbeit edel und hochangeſehen / oder unedel und veraͤchtlich ſeyn / und nach dieſen iſt gleichfalls der Anſchlag derſelben zu machen. Was nun die - ſen entgegen ſtehet / das pfleget den Werth itzt-erwehnter Dinge und Verrichtungen wieder herunter zuſetzen und niederzuſchlagen. End - lich ſo geſchiehets zuzeiten / daß eine gewiſſe Sache nicht durchgaͤngig an ihrem Werthe ſteiget / ſondern nur von ein oder andern aus einer beſon - dern Zuneigung / hoͤher geſchaͤtzet wird / etwa weil man denjenigen / von welchen man ſelbige bekommen / hochachtet / und ſie uns von ihm zu Bezeugung ſeiner Gewogenheit ge - geben worden: Oder auch wohl dar -um /317vierzehendes Capitel. um / weil man einer Sachen ſonder - lich gewohnet iſt / oder weil ſie etwa ein Denckmal eines ſonderbaren Zu - falles giebet / oder man durch ſie ei - nen groſſen Ungluͤcke entkommen iſt / oder weil man ſie ſelbſt verfertiget hat / u. dergl. m. welches man einen Affections-Werth zu nennen pfle - get.

§. 5.

Man hat aber bey jedesma - liger Beſtimmung des Werths - einer Sachen noch auf ein und an - ders mehr zu ſehen. Und zwar was Leute / die in ihrer Natuͤrlichen Freyheit leben / anbelanget / ſo kan unter denenſelbigen der Werth derer Sachen anders nicht / als durch de - ren eigene Vergleiche ausgemachet werden; Weil es ihnen frey ſtehet / zu veraͤuſern / und hingegen auch wie - der an zuſchaffen / was ſie wollen / und ſie alſo keinen gemeinen Ober - Herrn haben / der ihrer HandlungZiel318Des erſten BuchsZiel und Maſſe geben koͤnte. Allein in denen Republiqven wird der Preis derer Sachen auf zweyerley Weiſe feſte geſtellet / eimal durch den Befehl derer Obern / oder durch die Geſetze; und zum andern durch den gemeinen Anſchlag und Urtheil de - rer Leute / oder des Marcktes Her - kommen und Gewonheit / wiewohl auch allerdinges dererjenigen / ſo et - was mit einander handeln / Zufrie - denheit und Einwilligung darzu er - fordert wird. Der erſte Werth heiſſet bey etlichen ein gemeſſener / der an - dere ein Land - oder Marck-uͤblicheꝛ. Wo nun / den Kaͤuffern zum Beſten / ein gemeſſener Werth vorhanden iſt / desgleichen denn bey vielen Waaren zu geſchehen pfleget / ſo duͤrffen die Verkaͤuffer auch ein mehrers nicht fordern / ob ihnen gleich unverweh - ret iſt / etwas wenigers zu nehmen. Alſo / wo der arbeitſamen Leute / de -rer319vierzehendes Capitel. rer Hanckwercker und Kuͤnſtler Verdienſt und Lohn denenjenigen / ſo ihrer beduͤrfftig ſeynd / zum Vor - theile einen gewiſſen Tax haben; ſo duͤrffen ſie nichts daruͤber fordern / ob ihnen gleich im Gegentheil wie - derum nicht verboten iſt / ein geringe - res zu nehmen.

§. 6.

Hingegen berubet der Land - oder Marck-uͤbliche Werth / und welcher durch obrigkeitliche Ver - ordnung nicht angeſchlagen iſt / kei - nesweges in ſo engen Schrancken / daß man nicht etwas daruͤber oder darunter geben und nehmen koͤnte / nachdem ſich etwa die handelnden Perſonen mit einander verglichen haben. Jedoch richtet man ſich dis - falls mehrentheils nach Gelegenheit des Marcktes / und was ſelbiger an Hand giebet / dabey man denn ſon - derlich Achtung zu geben hat auf die Muͤhe und Koſten / ſo die Kauffleutege -320Des erſten Buchsgemeiniglich bey Zufuͤhrung und Handthierung derer Waaren an - wenden müſſen / ingleichen ob ſie in groſſer Menge / oder einzeln einge - kauffet / und wieder verkauffet wer - den. Zuweilen ſteiget oder faͤllet auch dieſer Preis / nachdem derer Kaͤuffer / des Geldes / oder derer Waaren viel oder wenige ſeyn. Denn der Mangel an Kaͤuffern und Gelde / (welcher itzzuweiln aus beſondern Urſachen entſtehen kan /) und an - dern Theils der Uberfluß an Waa - ren ſeynd Urſache / daß der Werth abſchlaͤget; Da hingegen / wann de - rer Kaͤuffer und des Geldes viel / de - rer Waaren aber wenige ſeynd / der Preis aufzuſchlagen pfleget. Glei - cher Geſtalt hilffet es viel zur Ver - minderung des Werthes / wenn der Verkaͤuffer ſeine Waaren ausbieten muß / und alſo nicht der Mann das Guth / ſondern das Guth den Mannſu321vierzehendes Capitel. ſuchet. Hingegentheils waͤchſet der - ſelbe / wenn man einen um den Ver - kauff eines Dinges anſprechen muß / welches er ſonſt nicht von ſich wuͤrde gelaſſen haben. Und endlich wird gar viel darauf geſehen / ob ein Kauff - mann ſtracks paar Geld bietet / oder ob er auf credit und kuͤnfftige Ve - zahlung handeln wil / ſintemal auch die Zahlungs Zeit dem Preiſe und der Kauff-Summe etwas zuſetzet / oder abnimmet.

§. 7.

Jm uͤbrigen / ſo hat man befunden / daß / nachdem die Men - ſchen von der urſpruͤnglichen ſimpli - cität abgeſchritten ſeynd / und aus Gewinſucht ein und anders einge - fuͤhret haben / der gemeine Werth bey ſo vielen Geſchaͤfften und ſteigen - der Handlung nicht mehr zureichen wollen. Denn anfaͤnglich heſtanden alle Commercien in einem bloſſen Tauſche / und wenn einer des andernDien -322Des erſten BuchsDienſte beduͤrfftig war / ſo konte er ſolches nicht anders / als durch ge - gen-Dienſte / oder ſonſt eine gewiſ - ſe Sache vergelten. Nachdem aber hienaͤchſt der Menſchen Begierden / ſo hoch zu ſteigen begunten / daß ſie nicht etwa nur dasjenige / was zur taͤglichen Nothdurfft / ſondern auch was zur Beqvemligkeit und Wol - luſt dienete / verlangeten / ſo war es ohnmoͤglich / daß ein jeder allezeit dergleichen in Vorrath haben ſolte / wogegen ein anderer das Seinige verſtechen / oder welches des andern ſeinen gleich kommen koͤnnen. Zuge - ſchweigen / daß in wohl-angelegten Republiqven, und da es Buͤrger von unterſchiedenen Staͤnden giebet / nothwendig vielerley Leute ſein muͤſ - ſen / welche / wofern dieſe Vertau - ſchung derer Waaren und Geſchaͤff - te gegẽ einander annoch im Schwan - ge waͤre / ihr Leben entweder garnicht /323vierzehendes Capitel. nicht / oder doch ſehr ſchwerlich wuͤr - den erhalten koͤnnen. Dannenhero iſt es von denen meiſten Voͤlckern / welchen eine zierlichere und beqve - mere Lebens-Art gefallen hat / vor gut angeſehen worden / gewiſſen Dingen durch einhelligen Vergleich einen eminenten oder ausgeſetz - ten Werth zuzueignē / nach welchen man aller derer uͤbrigen Sachen ge - meinen Preis und Giltigkeit an - ſchlagen / und ihm der Wuͤrckung nach in denſelben antreffen ſolle / der - geſtalt / daß vermittelſt deſſen ſich ein jeder alles andere anſchaffen / auch Commercien treiben / und ſonſten al - lerley Gewercke und Vergleiche ein - gehen moͤchte.

§. 8.

Zu Erhebung dieſes Zwecks haben ſich nun die meiſten Voͤlcker die edelſten und rareſten Metalle belieben laſſen. Denn dieſelbigen ſeynd nicht allein eines ſo ſehr tichtenund324Des erſten Buchsund derben Weſens / daß man ſie durch den taͤglichen Gebrauch nicht leichte aufreiben und zernichten kan; ſondern ſie laſſen ſich auch gar fuͤglich in allerhand kleine Sorten zerthei - len. Zudem ſeynd ſie zur Verwah - rung und Handthierung nicht min - der geſchickt / und koͤnnen ihrer Ra - ritaͤt wegen den Werth vieler an - dern Dinge erſchoͤpffen. Wiewohl man auch weiß / daß zuweilen bey gewiſſen Voͤlckern aus Noth und Ermangelung derer Metallen an - dere Dinge an ſtatt des Geldes ſeynd gebrauchet worden.

§. 9.

Dem Werth des Geldes zu ſetzen gehoͤret in denen Republi - qven niemanden zu / als der hohen Obrigkeit / und dannenhero pfleget ſie ihm auch oͤffentliche Zeichen aufzu - pregen. Doch muß ſie ſich wegen der Ausmuͤntzung nach denen Benach - barten / oder denenjenigen Voͤlckernrich -325vierzehendes Capitel. richten / mit welchen ſie Handlung treibet. Denn ſonſt / wenn ſie ihrem Gelde einen gar zu hohen Preis auf - leget / oder es nicht von tauglichen Schrot und Korne machen laͤſſet / ſo erfolget dieſes Unheil daraus / daß ſie ihre mit den Auslaͤndern habende Commercien, welche durch bloſſes Umſetzen einer Waare gegen die andere nicht beſtehen kan / ins Ste - cken und Abnehmen bringet. Und eben deswegen ſoll man in Muͤntz - Weſen nicht leicht eine Neuerung vornehmen / es waͤre denn / daß ſol - ches die hoͤchſte Nothdurfft einer Re - publiqve erforderte. Es geſchiehet doch wohl / daß / wenn des Geldes in einem Lande mehr wird / und man dasjenige / ſo man hiebevor wohlfeil kauffen koͤnnen / nunmehr theurer bezahlen muß / einfolglich der Werth des Geldes / in Anſehung derer auf - ſchlagenden Aecker / oder liegendenPGruͤn -326Des erſten BuchsGruͤnde / und daherruͤhrenden Nu - tzungen und Fruͤchte / von ſelbſt gleichſam allmaͤhlig zuruͤcke ſetzet.

Das funfzehende Capitel / Von denen Contra - cten, welche einen gewiſſen Werth der Sachen præ - ſupponiren, und der da - her entſtehenden ſchul - digen Gebuͤhr der Menſchen.

§. 1.

EJn Pact ins gemein iſt nichts anders / als ein Vergleich / den ihre zweye oder mehrere uͤber einer gewiſſen Sache bewilligen und be - lieben. Weil aber dergleichen bloſſe Pacte / oder Gedinge denen durch buͤrgerliche Geſetze mit gewiſſen For -ma -327funfzehendes Capitel. malitäten umſchrencketen Contra - cten, oder verbindlichen Hand - lungen mehrentheils contradiſtin - gviret werden / ſo ſcheinet beyder - ſeits Unterſcheid vornemlich hier - auf zu beruhen / daß die Contracte, ob ſie ſchon allerdinges auch unter die Pacte gehoͤren / dennoch nur uͤber dergleichen Sachen und Geſchaͤff - ten / die in gemeinen Handel und Wandel vorkommen / und alſo un - ter gewiſſe Eigenthuͤmligkeit oder Anſchlag zu bringen ſeyn / getroffen werden; Dahingegen alle andere Vergleiche und Einigungen / ſie moͤ - gen ſonſt geſtifftet ſeyn / woruͤber ſie wollen / den gemeinen Nahmen de - rer Pacte fuͤhren. Jedoch ſeynd un - ter dieſen auch etliche / die ohne Un - terſcheid bald Pacte / bald Contracte genennet werden.

§. 2.

Anlangende nun die Contra - cte inſonderheit / ſo kan man dieſelbenP 2haupt -328Des erſten Buchshauptſaͤchlich in vortheilhafftige und beſchwerliche eintheilen; Je - ne ſeynd / welche dem einen handeln - den Theile ohne ſeine Beſchwerung / und umſonſt einen Vortheil zuwege bringen / als etwa bey uͤbernomme - nen Vollmachten oder Mandaten, beyn Verborgen / und Verwahrung niedergelegter Sachen geſchiehet. Dieſe aber / welche beyde Theile zu einer gleichmaͤſſigen Beſchwerung verbinden / dabey nemlich von den einem etwas zu dem Ende gegeben oder geleiſtet wird / damit er von dem andern eben ſo viel wieder empfahen moͤge.

§. 3.

Und dennoch ſo iſt dieſes derer beſchwerlichen Contracte vor - nehmſte Eigenſchafft / daß ſie Gleich - heit halten / das iſt von beyderſeits Contrabenten einer ſo viel als der an - dere bekommen / oder / ſo ja einige Ungleichheit dabey vorgelauffen /den -329funfzehendes Capitel. dennoch der hierunter vervortheilete Fug und Macht haben muͤſſe / ent - weder die Erſetzung desjenigen / wor - innen er zu kurtz gekommen / zu ſu - chen und zu verlangen / oder den Con - tract gantz und gar aufzuheben. Wel - ches denn zufoͤrderſt nur bey denenje - nigen angehet / die in denen Republi - qven und buͤrgerlichen Geſellſchaff - ten leben / allwo alle Dinge entwe - der durch die Policey-Ordnungen / oder durch des Marcktes herkom - men ihren gewiſſen Preiß haben. Sothane Gleichheit aber ausfindig zu machen / und feſte zu ſtellen wird erfordert / daß beyde contrabiren de Partheyen von der Haupt-Sache / woruͤber ſie ſchluͤſſen / zuſamt allen denenjenigen Eigenſchafften / die hie - bey in Obacht zu nehmen noͤthig und von einer Wichtigkeit ſeynd / richti - ge Erkaͤntniß haben. Wannen - hero derjenige / der einen andern /P 3ver -330Des erſten Buchsvermittelſt Contracts, etwas zuwen - den wil / ſchuldig iſt / ihm nicht al - lein der Sachen Preiß-wuͤrdige Ei - genſchafften / ſondern eben ſo wohl auch deroſelben wichtige Maͤngel und Fehler anzuzeigen. Denn auſ - ſer dem kan man keinen gewiſſen Werth ausmachen. Andere Um - ſtaͤnde / welche die Sache an ſich ſelbſt nicht betreffen / und vor keine Haupt-Maͤngel zu achten ſeynd / hat man nicht noͤthig anzugeben; inglei - chen auch diejenigen nicht / die bey - den Theilen ſchon wiſſend ſeyn. Denn wer wiſſendlich etwas man - gelhafftes kauffet / der hat die Schuld niemanden / als ſich ſelbſt / beyzu - meſſen.

§. 4.

Es iſt aber die Gleichheit in ſolchen Handlungen dermaſſen ge - nau zu beobachten / daß / ob gleich im Anfange nichts mit Willen hinter - halten worden / man dennoch / wennnach331funfzehendes Capitel. nach der Zeit eine ſonder derer Con - trabenten Schuld entſtehende und etwa aus derer Maͤngel Heimlig - keit / oder Jrꝛthume des Werths herruͤhrende Ineqvalität zu Tage koͤmmet / dieſelbige verbeſſern / und denenjenigen / der zu viel hat / etwas abnehmen / dem andern hingegen / der den Schaden leidet / ſolches zu - legen muͤſſe. Wiewohl die buͤrgerli - chen Geſetze zu Vermeidung des gar zu vielen Klagens dißfalls faſt nur denen allzuunmaͤſſigen Verle - tzungen abhelffen / im uͤbrigen aber einen jedweden ſeiner Sachen beſt - moͤglichſt wahrzunehmen anbefeh - len.

§. 5.

Derer vortheilhaffti - gen Contracte giebet es ſonderlich dreye / nemlich das Mandat oder Ge - walt / das Verborgen / und Nie - derlage vertraueten Guthes. Ein Mandat iſt / wenn einer des andernP 4ſei -332Des erſten Buchsſeine Geſchaͤffte auf ſein Anſuchen und Erforderung aus guten Willen und ohne Engeld uͤber ſich nimmet. Und dis geſchiehet auf zweyerley Weiſe / entweder da man den andern die Maſſe der Verrichtung ausdꝛuͤck - lich vorſchreibet; oder daß man die - ſelbe eines Verſtande und Geſchick - ligkeit blos anheim giebet. Und wie man nun in dieſem Contracte nach al - ler Treue und aͤuſſerſter Gefliſſenheit zu handeln hat / immaſſen niemand einen andern leicht eine Vollmacht auftraͤget / wo er ihn nicht vor ſei - nen guten Freund geachtet / und ſich dieſer wegen auf ihn verlaſſen haͤt - te; Alſo muß hingegentheils der Gewalt-Jnhaber aller beydem Ge - ſchaͤffte aufgewandten Unkoſten we - gen Schaadloß gehalten / und ihm alle uͤber der Vollmacht erlittene / und aus derſelben eigendlich herfluͤſ -ſen -333funfzehendes Capitel. ſende Schaͤden und Koſten erſetzet werden.

§. 6.

Verborgen iſt / wenn man einen den Gebrauch ſeiner Sachen ohne Entgeld verſtattet. Wobey denn zu beobachten / daß das Er - borgete ſorgfaͤltig und mit hoͤchſtem Fleiſſe bewahret / und gehandhabet / auch zu einem andern und fernerm Gebrauche / als es der Verborgende zugelaſſen / nicht angewendet / und dañ ohnbeſchaͤdiget / in der Guͤte / wie man es empfangen / auſſer was etwa durch ordentlichen und gebuͤhrenden Gebrauch daran abgegangẽ / reſtitui - ret werden muͤſſe. Jſt iemanden ei - ne Sache auf eine gewiſſe Zeit ge - borget worden / und es ſtoͤſſet den Eigenthums-Herrn immittelſt eine unverſehene Noth an / daß er dero - ſelben ſelbſt beduͤrfftig wird / ſo iſt je - ner ſchuldig / ſie dieſen / auf ſein Ver - langen / auch vor der Zeit wieder zuzu -P 5ſtel -334Des erſten Buchsſtellen. Geſchehe es aber / daß ein ſolch verborgetes Guth durch Un - gluͤck / und ohne des Borgenden Schuld verlohren gienge / ſo iſt er den Werth deſſelben zu erſetzen nicht ſchuldig / wofern daſſelbige bey dem Eigenthums-Herrn ebenfalls alſo haͤtte aufgehen muͤſſen. Auſſer dem ſcheinet es billig / daß es der Bor - gende bezahle / ſintemal der Eigener nicht darum gekommen waͤre / wenn er ſich gegen jenen nicht ſo guͤtig und willfaͤhrig erwieſen hätte. Jn Ge - gentheil / ſo auch der Abborgende et - was an Beſſerung und andern noͤ - thigen Koſten auf das Guth verwen - den muͤſſen / auſſer denenjenigen / die etwa ſonſt bey dem Gebrauche deſſel - ben ordentlicher Weiſe aufzugehen pflegen / ſo iſts nicht mehr als billich / daß der Eigenthums-Herr dieſelbi - gen wieder erſtatte.

§. 7.335funfzehendes Capitel.

§. 7.

Die Niederlage eines vertrauten Guthes iſt / wenn ei - ner ſeine eigene / oder auf gewiſſe Maſſe ihm ſonſt nur angehende Sa - che einen andern anvertrauet / damit er ihm ſolche umſonſt und ohne Ent - geld verwahre. Wobey denn erfor - dert wird / daß die vertrauete Habe ſorgfaltig aufgehoben / und allemal auf des Niederlegenden Begehren / wieder ausgefolget werde; Es waͤre denn / daß entweder er ſelbſt / oder an - dere Leute uͤber der Aushaͤndigung in Gefahr geriethen / bey welchem Falle, man ſie billig aufzuſchieben hat. So darff man auch das nieder - legte Guth / ohne des Eigeners Wil - len / nicht nutzen / zumahl wenn ſol - ches hiedurch einiger maſſen verrin - gert werden dürffte / oder den Herrn etwa dran gelegen waͤre / daß es nie - mand zu ſehen bekommen ſolte. Da ſich aber ein Aufnehmer dergleichenP 6zu336Des erſten Buchszu thun unterſtuͤnde / ſo iſt er auch ſchuldig / fuͤr alle aus ſothanen Ge - brauche erfolgende Gefaͤhrden zu hafften. Auch darf man ein niederge - legtes Guth nicht aus denjenigen Verwahrſam oder Behaͤltniſſe / wor - ein es der Niederlegende beſchloſſen oder verfaſſet hat / herauſſer nehmen. Und gleichwie es ſehr ſchaͤndlich / auch noch heßlicher / als ein Diebſtahl ſelbſt iſt / wenn einer den Eigener vor ſein ihm anvertrauetes Guth nein ſagen wolte; Alſo iſt es eine noch weit greulichere Bosheit / wenn einer die bey ihm aus Furcht einer Feuers - Brunſt / gefaͤhrlichen Falls / oder be - vorſtehenden Tumults und derglei - chen deponirte armſelige Habe wie - derzugeben verweigert. Gegentheils iſt der Hinterleger ſchuldig dem Auf - nehmer alle auf die vertraueten Sa - chen verwandte Unkoſten wieder zu erſetzen.

§. 8.337funfzehendes Capitel.

§. 8.

Unter denen beſchwerli - chen Contracten iſt der aͤlteſte / und vermittelſt deſſen man vor Erfin - dung der Muͤntze einig und allein Handelung getrieben / der Tauſch / da man eine Sache gegen andere / die von gleichen Werthe und Wuͤrde ſeynd / umſetzet. Wiewohl auch noch heutiges Tages / nach dem der Ge - brauch des Geldes eingefuͤhret wor - den / ſonderlich unter denen Han - dels-Leuten / eine gewiſſe Art des Tauſchens im Schwange iſt / wann ſie nemlich die Guͤther nicht ſchlech - ter Dinges gegen einander umſetzen / ſondern ſie erſt an ein gewiſſes Geld anſchlagen / und hernach an Geldes ſtatt gegen einander liefern und ver - ſtechen. Eine von dem Tauſch-Han - del unterſchiedene Art ſeynd die Wechſel-Geſchencke guter Freun - de / ſintemal hierinne nicht vonnoͤ -P 7then338Des erſten Buchsthen iſt eine ſo genaue Gleichheit zu halten.

§. 9.

Kauff und Verkauff heiſ - ſet / wenn man ſich vor ein gewiſſes Stuͤcke Geldes die Herrſchafft / oder ein deroſelben gleichgeltendes Recht an einer Sachen zuwege bringet. Deren uͤblichſte und richtigſte Art iſt / wenn der Kaͤuffer / nach dem man des Werths halber einig worden / das Geld darbiethet / und der Ver - kaͤuffer die Waare aushaͤndiget. Je - doch wird man des Handels halben auch oͤffters alſo ſchluͤſſig / daß die Waare zwar ſtracks geliefert / das Geld aber erſt nach einiger Friſt ge - zehlet werde. Jezuweilen verglei - chet man ſich zwar wohl auch des Kauff-Schillings wegen / aber die Lieferung der Sachen oder Waaren wird auf eine gewiſſe Zeit verſcho - ben. Wobey denn dieſes der Billig -keit339funfzehendes Capitel. keit gemaͤß zu ſeyn ſcheinet / daß / vor Verflieſſung des geſetzten Termins / die Sachen oder Waaren auf des Verkaͤuffers Gafahr ſtehen; Solte aber der Kauffer nach deſſen Ablauffe ſaͤumig ſeyn / und ſich dieſelbigen nicht uͤbergeben laſſen / ſo gehet der Scha - de uͤber ihm / wenn die Sache ver - dirbet oder verungluͤcket wird. Sonſt pflegen den Kauff - und Verkauffs - Handel auch wohl zuweilen unter - ſchiedene Pacte angehangen zu wer - den / als da iſt die Zuſchlagung ei - ner Sache mit Vorbehalt meh - rern Kauff-Geldes auf eine be - nante Zeit / da etwas nehmlich ent - weder alſogleich wuͤrcklich verkauffet wird / iedoch mit dem Gedinge / daß wenn binnen gewiſſer Zeit iemand mehr bieten ſolte / der Verkauffer alsdenn den Kauff wieder aufheben koͤnne; oder da ein Verkauff zwarab -340Des erſten Buchsabgeredet / aber nicht eher vor wuͤrck - lich geſchloſſen geachtet wird / als mit dem Bedinge / da binnen geſetzter Zeit niemand ein mehrers bieten wuͤrde. Ferner / wenn man ſich da - hin vergleichet / daß / wofern der Kauff-Schilling auf ernennete Zeit nicht entrichtet wuͤrde / der Kauff wieder zuruͤcke gehen ſolle. Drit - tens der Wiederkauff / welches Pact alſo eingerichtet wird / daß / im Fall der Verkauffer das Kauff - Geld entweder binnen einer gewiſſen Zeit / oder wann es ihn beliebet / wie - der darbieten wuͤrde / der Kauffer je - nen das Guth einraͤumen / oder / wenn der Kaͤuffer ſelbiges dem Ver - kaͤuffer anbietet / dieſer das Kauff - Geld wieder auszahlen / oder auch / da es der Kauffer freywillig loßſchla - gen wuͤrde / der erſte Verkauffer vor andern zugelaſſen werden ſolle / wel -ches341funfzehendes Capitel. ches letzte denn inſonderheit der Naͤ - her - oder Vorkauff pfleget genen - net zu werden. Alſo iſt es auch gar gebraͤuchlich / daß ſich ein Verkauffer aus dem verkaufften Guthe ein ge - wiſſes Stuͤcke oder Nutzung vorbe - halte / und ſich nach der gemeinen Redens-Art / mit einkauffe. Noch iſt eine gewiſſe Art des Kauffens / da man uͤberhaupt oder durch den Bogen viel Dinge von ungleichem Werthe nicht nach einzelnen / ſon - dern allgemeinen Anſchlage oder Taxerhandelt. Jn den Auctions - oder offentlichen Verruffs-Han - del wird eine Sache demjenigen zu - geſchlagen / der unter vielen Feil - ſchenden das meiſte bietet. Und letz - tens / ſo giebet es auch eine beſondere Art zu kauffen / da man nicht um ei - ne gewiſſe Sache / ſondern nur auf eine ſcheinbarliche Hoffnung han -delt /342Des erſten Buchsdelt / bey welchen Handel es denn zu beyden Theilen dermaſſen aufs Gluͤcke bingewaget ſeyn wil / daß / weder der Kauffer / wenn ihm ſeine Hoffnung fehlſchlaͤget / noch auch der Verkauffer / wenn das Guth die Einbildung weit uͤberſteiget / ſich daruͤber beſchweren duͤrffe.

§. 10.

Pacht oder Miethe iſt / wenn man iemanden ſein Guth oder Arbeit um einen gewiſſen Zins oder Lohn verdinget. Und ob wohl we - gen des Pacht-Geldes oder Mieth - Lohns ordentlicher Weiſe vorher Abrede genommen wird; ſo iſt den - noch / wenn ſich beyde Theile gleich anfaͤnglich daruͤber ja nicht vergli - chen haͤtten / leichte zu erachten / daß ſich der Vermiether oder Pacht - Herr / auf ſo viel Rechnung mache / als Land-uͤblich iſt / und der Pachter oder Miethmann ſelbſt vor billig er -ken -343funfzehendes Capitel. kennen muß. Sonſt iſt bey dieſem Contracte zu mercken / daß / wenn ein verpachtetes Guth gantz zu Grunde gegangen / von derſelben Zeit an der Pachter zur Entrichtung des Pacht-Zin es nicht gehalten ſey. Jſt einen eine Sache zu gewiſſer und gemeſſener Nutzung eingethan; ſo wird an Seiten des Eigenthums - Herrn erfordert / daß er ſie auch dem Pacht-Manne in einem ſolchen Stande liefere und erhalte / worin - nen er ſie fuͤglich nutzen koͤnne; und dafern ſie in Schaden und Abnahme geraͤth / ſo mag er an dem Zinſe ſo viel abziehen / als er dadurch an den Nutzen entbehren muͤſſen. Waͤren aber die Einkuͤnffte einer Sachen ungewiß / dergeſtalt daß ſie theils mit auf dem bloſſen Gluͤcke beru - heten / ſodann muß der Pacht-Mañ / gleich wie er den Uberſchuß zu ſeinemVor -344Des erſten BuchsVortheile hat / alſo auch den Man - gel vor ſeinen Schaden rechnen und behalten; und kan er / wegen entſte - henden Mißwachs oder Unfrucht - barkeit von Rechtswegen keinen Re - miß an dem Pacht-G[el]de verlan - gen / allermaſſen was er etwa in ei - nem Miß-Jahre einbuͤſſet / ihm im andern deſto haͤuffiger und reichlicher wieder erſetzet wird. Es muͤſten denn etwa diejenigen Faͤlle / ſo die Einkuͤnf - te hintertrieben / gantz ungewoͤhnlich ſeyn / deren glück - oder ungluͤckliche Fuͤgung uͤber ſich zu nehmen einen Pachter vermuthlich nicht in den Sinn kommen kan / wannenhero ſie auch billich zur Verminder - oder Nachlaſſung der Penſion eine zulaͤng - liche Wuͤrckung haben muͤſſen. Jm uͤbrigen / gleich wie ein Pacht-Herr oder Vermiether allerdinges ſchul - dig iſt / darauf zu ſehen / und Anſtaltzu345funfzehendes Capitel. zu machen / damit der Pacht und Zins-Mann die beſtandene Sache rechtſchaffen gebrauchen koͤnne / und demnach die dazu benoͤthigten Unko - ſten uͤber ſich nehmen muß; Alſo ge - buͤhret es im Gegentheil den Pach - ter / daß er die Guͤther / als einem guten Haus - Wirthe gehoͤhret / pfleglich halte / und was durch ſeine Schuld verwahrloſet worden / wie - der gutthue. Gleicher geſtalt muß auch ein jedweder / da er etwas ums Lohn zu arbeiten annimmet / vor das - jenige ſtehen / ſo durch ſeine Schuld verderbet und beſchaͤdiget worden. Wer ſich auf eine ſehr kurtze Zeit zu etwas verdinget / der kan keinen Lohn fordern / wenn er auch gleich durch einen Zufall an der Arbeit verhin - dert worden. Dahingegen / wenn ſich einer beſtaͤndig und auf anhal - tende Zeiten zu einem Dienſte ver -ſpro -346Des erſten Buchsſprochen / und er durch Kranckheit oder andere Zufaͤlle in etwas daran verhindert und zur Arbeit untauglich wuͤrde / ſo koͤnte der Herr ihm / oh - ne Begehung einiger Grauſamkeit / deswegen weder aus dem Dienſte ſtoſſen / noch ihm etwas an ſeinem Solde abkuͤrtzen.

§. 11.

Jn dem Anlehns-Handel ſtrecket einer dem andern zur Ver - wechſelung taugliche Sachen auf ſol - che Maſſe vor / daß er ihm nicht eben dieſelbigen / ſondern andere / jedoch von gleicher Art / Gewichte und Guͤ - te / nach Verfluͤſſung einiger Zeit / wieder erſtatte. Es heiſſen aber der - gleichen Sachen zu Latein Fungibi - les, und zwar deswegen / weil ſie in ihrer Art gleichſam eine Function oder Verwaltung uͤber ſich nehmen / indem eines des andern Stelle alſo verwalten / und an dieſelbige tretenkan /347funfzehendes Capitel. kan / daß / wenn einer / wie gedacht / nur von eben ſolcher Art / an glei - chen Gewichte und Guͤte wieder be - koͤmmet / was er ausgeliehen / er da - vor geachtet wird / als wenn er eben das Ausgeliehene wieder bekommen haͤtte. So werden ſie auch nach den Gewichte / Zahl und Maſſe gerech - net und angegeben / welchen nach man ſie von ſothaner Groͤſſe oder Gehalt zu benennen und zu verleh - nen / und denenjenigen / ſo Stuͤck - weiſe betrachtet werden / entgegen zuſetzen pfleget. Jm uͤbrigen / ſo ver - lehnet man etwas entweder umſonſt / und alſo / daß man nicht mehr wie - derbekoͤmmet / als man weggegeben hat / oder man thuts mit einigem Vortheile / welcher gemeiniglich zinſen heiſſet. Und dieſe ſeynd an ihnen ſelbſt / dem natuͤrlichen Rech - te nicht zuwider / wofern ſie nur dieMaſ -348Des erſten BuchsMaſſe nicht uͤberſchreiten / und mit denjenigen Nutzen / den der andere aus unſern Gelde / oder andern Dar - lehn nehmen kan / oder auch mit dem Verluſte / den wir uͤber der Entbeh - rung des Unſrigen leiden / und dem uns hiedurch entgehenden Gewinn einige Proportion haben; und end - lich / wenn man ſolche nicht von noth - dürfftigen armen Leuten nimmet / bey welchen wir das Darleihen vor ein Allmoſen rechnen ſollen.

§. 12.

Jn der Geſellſchaffts - Handlung ſetzen ihrer zwey oder mehrere mit ihren Geld und Waa - ren / oder auch mit ihrer Muͤhe und Arbeit zu dem Ende zuſammen / da - mit / was ſie hiedurch gewinnen und verliehren / ein jedweder nach den Maß ſeiner Anlage zum Theil neh - me / oder auch uͤbertragen helffe. Wie nun in dieſer Handlung einesjedem349funfzehendes Capitel. jedem Mit-Gliedes Schuldigkeit er - fordert / daß es allen aͤuſſerſten Fleiß und Treue anwende; Alſo darff auch keiner zur Unzeit / und ſeinen Geſell - ſchaffter zu Schaden / aus der Compa - gnie treten. Nachdem ſich aber eine ſolche Geſellſchafft zerſchlagen / ſo mag ein jedweder / nach Abzug des Gewinns und Verluſts / ſo viel zu - ruͤcke nehmen / als er an Capitalien hinein verwendet. Offt geſchiehets / daß einer Geld oder Waaren zur Handlung bringet / der andere aber die Arbeit thut / und alsdann muß man zuſehen / wie die Art und Weiſe der Zuſammen-Setzung beſchaffen geweſen. Denn wenn der eine ſei - ne Muͤhe und Arbeit nur blos zur Handthier - und Vertreibung derer Waaren oder des Geldes / ſo der andere geleget / anwendet / alsdann kan die Eintheilung des Proſits am allerfuͤglichſten dergeſtalt gemachetQwer -350Des erſten Buchswerden / daß ein jeder die Helffte des von dem Gelde oder Waaren abfal - lenden Intereſſe bekomme / das Capi - tal aber demjenigen bleibe / oder auch / wenn es verungluͤcket wird / entgehe / der es eingeleget hat. Wofern einer aber ſeine Arbeit auf die Mcliora - tion derer Waaren oder Sachen / ſo der andere in die Geſellſchafft ein - bracht hat / verwendet / ſo iſt er da - vor zu achten / als ob er in deſſen An - ſehung an den Capital und denen Sa - chen ſelbſt einen Antheil habe. Es gibt auch ſolchen Compagnien, da die Geſellſchaffter alle ihre Habe und Guͤther zuſammen ſchieſſen. Und wie nun bey ſolchen ein jeder / was er er - wirbet / getreulich einzubringen hat; Alſo muͤſſen ſie hinwiederum ſamt und ſonders / ein jeder nach Gelegen - heit ſeines Standes und Familien, aus der gemeinen Caſſe unterhalten werden. Da ſich auch dergleichenHand351fuufzehendes Capitel. Handlung zeꝛſchliege / ſo muͤſſen ſie die Guͤther untereinander / und zwar nach Proportion desjenigen An - theils / ſo ein jeder anfaͤnglich einge - leget hat / theilen / ohne darauf eini - ge Reflexion zu machen / ob die Hand - lung aus eines dererſelben Geld oder Guͤther etwa beſonders bereichert worden. Und dieſes hat alſo allezeit ſeinen Beſtand / es waͤre denn einan - ders verglichen worden.

§. 13.

Auſſer dem giebet es noch unterſchiedene Contracte, welche auf dem Gluͤcke beruhen / worunter man rechnen koͤnte erſtlich die Wet - ten / wenn nemlich einer den Aus - gang eines zu beyden Theilen noch nicht bekanten Falles mit Aufſe - tzung eines gewiſſen Preiſes bejahet / der andere aber verneinet / welchen derjenige haben ſoll / mit deſſen Mei - nung die Warheit uͤberreinſtimmet. Daher gehoͤren auch alle Arten derQ 2Spie -352Des erſten BuchsSpiele / da bey um einẽ gewiſſen Preis kaͤmpffet. Je mehres Nach - ſinnen / Geſchickligkeit / Fleiß oder Staͤrcke dieſelbigen nun erfordern / ie weniger beruhen ſie auf dem Gluͤ - cke; Jn etlichen hat das Nachſinnen und Gluͤcke gleiches Recht und glei - che Wuͤrckung / in etlichen aber fuͤh - ret das letzte die Ober-Hand. Wie - wohl es denen Regenten einer jeden Republiqve zuſtehet / ein gebuͤhren - des Einſetzen zu haben / wie fern es den gemeinen Weſen und ihren Buͤrgern zutraͤglich ſey / dergleichen Contracte zugeſtatten. Hieher ge - hoͤret auch / wenn ihrer viele um eine Sache / ſo ſie erſtlich durch ein zuſam - men gelegtes Geld erhandelt haben / loſen / welcher ſie unter ihnen allein haben ſolle. Jngleichen der ſo ge - nante Gluͤcks-Topf / da man durch Erlegung eines Stuͤck Geldes eine gewiſſe Anzahl derer in einem Topfelie -353funfzehendes Capitel. liegenden theils bezeichneten / theils unbezeichneten Steinlein oder Zet - telchen an ſich loͤſet / zu dem Ende / daß man dasjenige / worauf die Zahl oder Uberſchrifft weiſet / vor ſich be - halten moͤge. Dieſen Handlungen iſt noch verwandt die Aſſecurir - oder Verſicherung / da einer gegen ein gewiſſes Geld alle diejenige Ge - fahr / ſo etwa den verhandelten Wag - ren unterwegens zuſtoſſen moͤchte / zu verhuͤten / oder davor zu hafften uͤber ſich nimmet / dergeſtalt / daß / wofern ſolche verungluͤcket werden ſolten / der Aſſecurante oder Buͤrge dem Ei - genthums-Herrn den Werth derer - ſelben wieder erſetzen wolle.

§. 14.

Zu deſto mehrer Befeſti - gung und Sicherheit pflegen den Contracten offtmals Buͤrgſchaff - ten und Pfaͤnder angefuͤger zu wer - den. Da denn in der Buͤrgſchafft ein anderer / dem der Creditor fuͤrQ 3taug -354Des erſten Buchstauglich erkennet / des principal - Schuldeners Obligation, zu deſto mehrer Beſtaͤrckung / uͤber ſich nim - met / damit auf dem Fall nicht erfol - gender Zahlung man ſich an ihm hal - ten und erholen moͤge / jedoch derge - ſtalt / daß ihm der principal - Schul - dener das Ausgelegete wieder erſtat - ten muͤſſe. Ob nun wol der Buͤrge zu Zahlung eines mehrẽ / als der Haupt - Schuldner ſelbſt / nicht kan angehal - ten werden / ſo iſts doch nicht unbil - lig / daß man jenem mehr zu Leibe gehe / als dieſem / weil auf ihm mehr / als auf jenem geſehen worden. Gleichwohl aber muß man dem principal - Schuldener / Natuͤrlichen Rechten nach / eher als dem Buͤrgen in Anſpruch nehmen / es waͤre denn / daß dieſer ſich zum Selbſt-Schulde - ner erklaͤret / und des andern Ver - bindung voͤllig uͤber ſich genommen haͤtte. Wann ihrer mehrere ſind /die355funfzehendes Capitel. die Buͤrgſchafft fuͤr einem geſtellet / ſo hat man einen jeden nur auf ſeinen gebührenden Antheil zu belangen / es ſey denn / daß etwan einer mit der Zahlung nicht fortkommen / oder man ihm nicht in Anſpruch nehmen koͤnte; Als dann muͤſſen die andern ſeine Portion uͤbertragen helffen.

§. 15.

Offtmals wird auch dem Glaͤubiger von dem Schuldener zu deſto mehrer Verſicherung wegen der Schuld ſo lange eine gewiſſe Sache zum Unterpfande oder Hy - pothec eingeraͤumet / bis daß er die Schuld wieder abgetragen. Die Ur - ſache deſſen iſt nicht allein dieſe / da - mit der Schuldner deſto mehr zur Wieder-Einloͤſung des Seinigen angeſtrenget / und der Glaubige et - was haben moͤge / woran er ſich er - hohlen koͤnne. Dannenhero die Pfaͤnder ordentlicher Weiſe eben ſo wichtig / oder noch austraͤglicher / alsQ 4die356Des erſten Buchsdie Schuld zu ſeyn pflegen. Jm uͤbri - gen / ſo ſeynd die Pfaͤnder ſo beſchaf - fen / daß ſie entweder ſelbſt einige Frucht und Nutzung abwerffen / oder nicht. Bey denen eꝛſten wiꝛd oͤf - ters der Nutzung-Pact mit abge - handelt / oder / daß der Glaͤubige des Unterpfandes Fruͤchte an ſtatt der Zinſen genieſſen ſolle; bey den an - dern aber die Pfands-Verſte - hung / daß nemlich das Pfand / wenn die Zahlung auf beſtimmte Zeit nicht erfolget / dem Glaͤubiger als eigen anheim fallen ſolle. Welches denn denen Natuͤrlichen Rechten nicht un - gemaͤß iſt / wenn zumal das Unter - pfand ein mehrers nicht / als die Schuld austraͤget / und die immit - telſt genoſſenen Zinſen / oder auch dasjenige / was die Schuld uͤberſtei - get / wieder zuruͤck gegeben wird. Gleichwie nun der Gläubiger / nach geſchehener Zahlung / ſchuldig iſt /das357funfzehendes Capitel. das Pfand wieder zuruͤcke zugeben; Alſo muß er inzwiſchen daſſelbe ſo gut / als ſein Eigenthum / verwah - ren; Und wo das Genieß-Pact dar - bey nicht verglichen worden / oder die Sache an ſich ſelbſt alſo beſchaffen iſt / daß ſie durch den Gebrauch auf - gerieben werden kan / oder auch dem Schuldener disfalls ſonſt einiger maſſen etwas dran gelegen iſt / ſo kan er daſſelbige wider ſeinen Willen nicht gebꝛauchẽ. Endlich machet man noch einen Unterſcheid unter einem Pfande und der Hypotbec, weil je - nes durch eine ausdruͤckliche Uberge - bung und Aushaͤndigung / dieſe aber nur durch eine bloſſe Anweiſung oh - ne beſondere Tradition, zufoͤrderſt in unbeweglichen Dingen beſtellet wird / daß ſich der Glaubiger / auf den Fall nicht erfolgender Bezahlung / ſeiner Forderung wegen daran erho - len koͤnne.

Q 5§. 16.358Des erſten Buchs

§. 16.

Was letztens derer Contra - benten Pflicht und Schuldigkeit bey jeder Handlung ſey / das kan man am allerbeſten aus dererſelben Zweck und Eigenſchafft abnehmen.

Das ſechzehende Capitel. Welcher geſtalt die Obliga - tiones, ſo aus denen Pa - cten herruͤhren / wieder aufgehoben wer - den.

§. 1.

UNter denen Arten / die aus de - nen getroffenen Vergleiche oder Pact herruͤhrenden Obligatio - nes wieder aufzuheben / und ſich von der dadurch zugezogenẽ Schuldigkeit los zu wuͤrcken iſt die allernatuͤrlich - ſie die Erfuͤllung und zu Wer - cke Richtung desjenigen / wor -uͤber359ſechzehendes Capitel. uͤber man ſich verglichen hat. Wobey denn zu mercken / daß / ob - gleich ordentlicher Weiſe derjenige zu zahlen ſchuldig iſt / der eine Schuld gemachet hat / dennoch dieſelbige auch dadurch aufgehoben werde / wenn ein anderer in jenes Nahmen die Zah - lung leiſtet / zumal wenn ſonſt nicht etwa was beſonders dran gelegen iſt / von und durch wen disfalls die Ver - gnuͤgung geſchehe. Jedoch verſtehet ſichs von ſelbſt / daß derjenige / ſo vor den andern / nicht mit dem Gemuͤ - the und Meinung / es ihn zuſchen - cken / etwas entrichtet / Fug und Recht haben muͤſſe / ſich an ihm der Auslage wegen wieder zu erhohlen. Die Zahlung muß aber niemanden anders / als demjenigen / dem man verpflichtet iſt / oder welchen dieſer Vollmacht giebet / die Schuld in empfang zu nehmen / entrichtet wer - den. Und endlich / ſo muß man ebenQ 6das -360Des erſten Buchsdasjenige leiſten / oder zahlen / wor - über man ſich verglichen hat / nicht etwas anders an ſeine ſtatt / auch das gantze / nicht zerſtimmelt / noch ein Stuͤcke davon / noch daſſelbe zerthei - let; ingleichen muß es in beſtimm - ter Zeit und Orte geſchehen. Wie - wohl zuweilen aus Guͤtigkeit eines Gläubigers / oder eines Schuldners Unvermoͤgen die Zahlungs-Zeit in etwas verſchoben / die Summa ge - ſpalten / oder auch eines vor das an - dere angenommen wird.

§. 2.

So werden die Verbuͤnd - ligkeiten auch aufgehoben durch die Compenſirung / oder das Be - zahlen durch eine Gegen-Forde - rung / wann nemlich eine Schuld gegen die andere aufgehoben / und der Schuldner deswegen befreyet wird / weil ihm der Glaͤubiger et - was von gleicher Art und Werthe ſchuldig und daſſelbige geſtaͤndig iſt. Denn361ſechzehendes Capitel. Denn weil es / zumahl in Sachen / die in der Zahl / Maſſe und Gewich - te beſtehen / gleich viel iſt / wenn man nur eben ſo viel an Zvantität und Guͤte wieder bekoͤmmet / als man ausgegeben hat und in ſolchem zwey - ſeitigen Schulden man doch alſobald eben ſo viel wieder hingeben muͤſte / als man empfangen hat; So iſt / zu Verhu[ͤ]tung des vergeblichen Zah - lens dis vor das fuͤglichſte angeſehen worden / daß / indem ein jeder das Sei - nige behaͤlt / hiedurch beyden Thei - le der Zahlung los kommen. Es iſt aber leichte zuermeſſen / daß die Auf - hebung in itzt-gemeldeten fungiblen Sachen eigendlich nur angehe / wenn ſie von einerley Art ſeynd / und die Zahlungs-Zeit entweder gegenwaͤr - tig / oder bereits verfloſſen iſt. Ande - re und ungleiche Dinge laſſen ſich ge - gen einander nicht wohl compenſiren, es waͤre denn / daß man ſie an einenQ 7ge -362Des erſten Buchsgewiſſen Preis oder Geld anſchlie - ge.

§. 3.

Ferner hoͤren die Obligatio - nes auf durch Schenckung oder Nachlaſſung / ſo von denjenigen be - ſchehen / der eine Schuld zu fordern hatte / und dem an derer Verbuͤn - dungs-Erfuͤllung zufoͤrderſt gelegen war. Dis geſchiehet nun ausdruͤck - lich durch ſolche Zeichen / die den Beyfall und Willen ausdruͤcken; als durch die Schein-Zahlung / durch Wieder-Gebung oder Caſſirung de - rer Handſchrifften; Oder heimlich / wenn einer ſelbſt hinderlich iſt / daß der andere ihm die Schuld nicht zah - len koͤnne.

§. 4.

Noch pflegen die Obligatio - nes, welche in einer beyderſeitigen Erfüllung beruhen / durch beyder Theile Misfaͤlligkeit und Reue vernichtet zu werden / wenn in der Sache noch nichts geſchehen iſt / unddie363ſechzehendes Capitel. die Poſitiv - Geſetze ſolches nicht etwa verhindern und verwehren. Wofern aber der eine Theil ſchon etwas dar - auf gethan hat / ſo muß er ſelbiges entweder ſo gut ſeyn laſſen und uͤber - ſehen / oder es muß ihn anderer Ge - ſtalt genuͤgung davor geſchehen.

§. 5.

Uber dis / ſo wird die Ver - buͤndung nicht ſo wohl aufgehoben / als unterbrochen und zerriſſen durch des andern Theils Untreue. Denn wenn einer nicht leiſtet / was ver accordiret worden; ſo iſt auch der andere zu nichts verbunden / was er ſonſt / in Anſehung ſolches Accords, über ſich genommen. Denn die er - ſten Puncte / ſo man im Vergleichen zu halten oder zu leiſten verſpricht / hangen dem andern / gleichſam als eine Bedingung / an / und hat damit dieſe Meinung: ich wils thun / wenn du erſt das Deinige wirſt gethan ha - ben.

§. 6.364Des erſten Buchs

§. 6.

Es verloͤſchen die Obligatio - nes auch / wenn entweder derjenige / der etwas zu thun verſprochen / oder denn es zu leiſten verſprochen wor - den / den Zuſtand / worauf die Ver - buͤndung einig gegruͤndet geweſen / veraͤndert.

§. 7.

Durch die Zeit verſchwin - den die Verbuͤndungen / wenn die Tauer-oder Wehrung auf einen ge - wiſſen Zeit-Punct geſetzet worden / es waͤre denn dieſelbige durch derer Partheyen entweder ausdꝛuͤcklichen / oder geheimen Vergleich verlaͤngert worden. Jedoch iſt es noͤthig / daß man binnen ſolcher Zeit das Ver - moͤgen gehabt habe / die Obligation einzutreiben.

§. 8.

Endlich werden die Obliga - tionen, ſo ſich bloß auf eine Perſon gruͤnden / durch den Tod aufgeho - ben. Denn wenn die Perſon oder das Subject nicht mehr vorhanden iſt /ſo365ſechzehendes Capitel. ſo muͤſſen nothwendig auch die Acci - dentia oder Zufaͤlle verloͤſchen. Je - doch wird offtmals eine von Verſtor - benen hinterlaſſene Obligation von denen Uberbliebenden fortgeſetzet. Und dieſes zwar entweder / weil ſie ſolches aus einem Liebes-Dienſte / oder anderer Urſachen halber auf ſich nehmen; oder weil es als eine Laſt mit der Erbſchafft an ſie gekommen / daß ſie eine ſolche Verbuͤndung von des Verſtorbenen Verlaſſenſchafft entrichten muͤſſen.

§. 9.

Durch Anweiſung ſubſti - tuiret einer ſeinen Glaͤubiger mit deſſen Willen ſeinen Schuldener / um daß er ihm an ſeine Stadt eine Schuld bezahle. Wobey denn / als geſaget / allerdinges des Glaͤubigers / keineswegs aber des dritten Schuld - ners Zufriedenheit erfordert wird / an welchen man auch iemand / der Luſt dazu hat / wider ſein Wiſſen undWil -366Des erſten BuchsWillen anweiſen kan. Denn es iſt nichts dran gelegen / wem einer be - zahle / ſehr viel aber daran / von wem man eine Schuld abfordern ſolle.

Das ſiebenzehende Capitel / Von der Auslegung / oder Erklaͤrung der Geſetze.

§. 1.

ES iſt zwar an dem / daß man einen weder in denenjenigen Dingen / die ihm Befehls weiſe auf - erleget werden / zu einen mehrern / als er ſelbſt eingewilliget hat / obligi - ren, noch auch in Sachen / wozu er ſich freymuͤthig verpflichtet / uͤber ſeinen Willen zu den Geringſten an - halten koͤnne. Weil aber gleichwohl ein Menſche von des andern ſeinen Willen nicht urtheilen kan / ohne ausde -367ſiebenzehendes Capitel. denen Geſchaͤfften und Zeichen / ſo in die aͤuſſerlichen Sinne fallen: Als muß man davor halten / daß ein je - der in menſchlichen Gerichten und Geſellſchafft nur allein zu denjenigen verbunden werde / was die richtige Auslegung de - rer aͤuſſerlichen Zeichen an Hand giebet. Dannenhero dienet zu ge - buͤhrender Erkaͤntniß ſo wohl derer Geſetze / als Pacten / und derer da - her entſtehenden Schuldigkeiten ſehr viel / daß man die Reguln einer richtigen Auslegung / ſonderlich derer Worte / als derer gemeine - ſten Zeichen / wohl faſſe.

§. 2.

Wegen der gemeinen Re - den iſt dieſe Regul zu beobachten / daß die Worte ordentlicher Weiſe in ih - ren bekanten Verſtande / den ſie nicht ſo wohl von einer den bloſſen Syl - laben / oder der Grammaticali ſchen Aenligkeit / und der Derivation oderAb -368Des erſten BuchsAbſtammung gemeſſen Bedeutung entlehnen / ſondeꝛn meiſtentheils nach den ſonſt uͤblichen Gebrauche muͤſ - ſen angenommen werden / als in deſ - Willkuͤhre es ſtehet / denen Redens - Arten gleichſam Geſetze und Norme fuͤrzuſchreiben.

§. 3.

Die Kunſt-Worte muͤſſen nach dem Ausſpruche und Satzung derer Verſtaͤndigen von jeder Kunſt erklaͤret werden. Und wann ſie von unterſchiedenen auf mancherley Art angenommen werden / ſo iſt zur Ver - huͤtung alles beſorglichen Streits und Mißverſtandes am beſten / wenn man die Bedeutung dererſelben durch andere gemeine Redens-Arten ausdruͤcket.

§. 4.

Muthmaſſungen hat man zur Erforſchung des eigentlichen Verſtandes alsdann erſt vonnoͤthen / wann entweder die einzelnen Worte / oder dererſelben Begriff zwey-deu -tig369ſiebenzehendes Capitel. tig und dunckel lauten / oder wann etliche Stuͤcke der Rede ſich ſelbſt zu wider zu ſeyn ſcheinen / damit man ſolche vermittelſt einer geſchickten Erklaͤrung gleichwohl mit einander vergleichen koͤnne. Denn wo eine of - fenbare und gewiſſe Repugnans iſt / da wird das erſte durch das letztere auf - gehaben.

§. 5.

Es werden aber die Muth - maſſungen von eines ſeinen Willen in einer zweifelhafften oder verwor - renen Rede ſonderlich hergenommen aus der vorhabenden Materie / aus der Wuͤrckung derer Worte / und aus der Zuſammenhangung / oder Haltung dererſelben gegen an - dere Orte der Rede. Wegen der vor - habenden Materie iſt dieſe Regel zu mercken / daß die Worte ordent - licher Weiſe derſelben gemaͤß muͤſſen verſtanden und erklaͤret werden. Denn man vermuchet /daß370Des erſten Buchsdaß derjenige / der etwas redet / al - lezeit die Materie / wovon er den Diſcours anſtellet / vor Augen habe / weſſendwegen auch die Meinung und der Verſtand ſeiner Worte alle - zeit darauf eingerichtet ſeyn muß.

§. 6.

Wegen der Wuͤrckung und Folge der Worte hat man nachfolgende Regul: Wo die Wor - te ſo rohe und bloß hin ange - nommen / entweder gar keine / oder eine abgeſchmackte Wuͤr - ckung nach ſich ziehen wuͤrden / ſo muß man von dem gewoͤhnli - chen oder gemeinen Verſtande in etwas abweichen / ſo lange als / zu Verhuͤtung ſothaner Nichtig - keit oder Abſurdität, die Noth - durfft es erfordert.

§. 7.

Aus der Zuſammenfuͤ - gung / oder Haltung der zweifel - hafftigen Worte gegen andere Oer - ter der Rede werden die allerkraͤfftig -ſten371ſiebenzehendes Capitel. ſten Muthmaſſungen genommen / weil man davor haͤlt / daß ordentli - cher Weiſe ein jeder Menſch beſtaͤn - dig bey ſeiner ehemahligen Mei - nung verbleibe. Solche Zuſam - menfuͤgung derer Worte geſchie - het nun / wenn man entweder ei - nen gewiſſen Ort gegen den an - dern / oder nur eine Meinung gegen den Urſprung derſelben anſiehet. Wegen des erſten iſt dieſe Regel: Wenn der Wort-Ver - ſtand an einen Orte in eben ſelbi - ger Rede klar und deutlich aus - gedrucket iſt / ſo muͤſſen die dun - ckelern Redens-Arten aus dem - ſelbigen erklaͤret werden. Welcher dieſe andere verwandt iſt: Man muß bey der Auslegung einer je - den Rede genau auf das vorher - gehende und nachfolgende Ach - tung geben / nach welchen die darzwiſchen ſtehenden Worte at -tem -372Des erſten Buchstemperiret, und als mit denſel - ben uͤbereinſtimmende geachtet werden muͤſſen. Wegen des an - dern lautet die Regel alſo: Eines Menſchen dunckele Rede muß man aus eben deſſelben deutli - chern und verſtaͤndlichern Aus - druckungen interpretiren, wie ſie zu anderer Zeit und an einem andern Orte vorgebracht wor - den; Es waͤre denn augenſchein - lich zu befinden / daß er ſeine Mei - nung geaͤndert.

§. 8.

Es hilffet auch ſehr viel zur Ausforſchung des eigendlichen Ver - ſtandes / wenn man / ſonderlich in Geſetzen / die Urſache dererſelben / oder die Bewegniß / ſo dem Geſetz - Geber darzu angetrieben hat / be - trachtet / ſonderlich / wenn es am Tage iſt / daß ſelbige deren einige und ware Urſache geweſen. Und iſt hiebey folgende Regel anzunehmen:Man373ſiebenzehendes Capitel. Man muß derjenigen Ausle - gung des Geſetzes folgen / welche mit der Urſache und Bewegniß deſſelben uͤbereinkoͤmmet; Und hingegen diejenige / ſo von ihr abweichet / verwerffen. Jnglei - chen / wenn die einige und Haupt - Urſache des Geſetzes aufhoͤret / ſo muß auch das Geſetze ſelbſt hinweg fallen. Allein wo mehr / als eine Urſache eines Geſetzes vorhan - den iſt / ſo faͤllet das gantze Geſetze drum nicht alſobald hinweg / wenn etwan eine Urſache abgehet / ſinte - mal die uͤbrigen noch ſtarck und ver - moͤgend genung ſeyn koͤnnen / daſſel - be in Kraͤfften zu erhalten. Offtmals iſt auch der bloſſe Wille eines Geſetz - Gebers genung / ob man gleich von der Urſache des Geſetzes keine Nach - richt erlanget.

§. 9.

Uber dis muß man in acht nehmen / daß viel Woͤrter mehr /Rals374Des erſten Buchsals eine Bedeutung / nemlich ei - ne weitlaͤufftige / und eine enge haben. Auch iſt eine Materie favo - rabel oder beſonderer Gewogenheit und Zuneigung wuͤrdig / die andere verhaſſet / und wieder eine andere von vermiſcheter Art. Favora - bel iſt / was beyder Theile Zuſtand gleich machet / was das gemeine Be - ſte anbetrifft / was zur Erhaltung aller Geſchaͤffte / und Beforderung des Friedens dienet / u. dergl. Verhaſſet iſt / welches nur einen Theil / oder den einen mehr / als den andern graviret, was auf eine Straffe angeſehen iſt / was ein Ge - ſchaͤffte zu nichte machet / oder das erſte umkehret / was zum Kriege foͤr - derlichſt iſt / u. ſ. w. Eine vermi - ſchete Art iſt / was z. e. das erſte zwar umkehret / aber doch um Frie - de und Ruhe willen. Hievon iſt dieſe Regel zu mercken: Daß man infa -375ſiebenzehendes Capitel. favorablen Dingen einer weit - laͤufftigern / in verhaſſeten einer engern Auslegung ſtatt geben muͤſſe.

§. 10.

Man kan aber Muthmaſ - ſungen auch anderswo / als aus de - nen Worten hernehmen / welche ver - urſachen / daß die Auslegung zu - weilen erweitert / bißweilen ein - gehalten werden muͤſſe. Wiewohl ſich eher Urſachen angeben / welche zu dieſen / als zu jenen rathen. Dan - nenhero kan z. e. ein Geſetze auch wohl auf einen Caſum, der in denſel - ben ausdruͤcklich nicht enthalten iſt / extendiret werden / wenn man nem - lich befindet / daß die Urſache / ſo ſich auf ſelbigen Fall ſchicket / dem Geſetz-Geber einzig und allein be - wogen / und er ſie in eine dermaſſen weitlaͤufftige Betrachtung gezogen hat / daß auch andere gleichmaͤſſige Casuús darunter begriffen werdenR 2koͤn -376Des erſten Buchskoͤnnen. Zudem ſo ſoll ein Geſetze ſeine Gewalt auch auf diejenigen Faͤlle erſtrecken / wenn argliſtige Leute etwas erfinden / wodurch ſie ſich denenſelben betruͤglicher Weiſe zu entziehen gedencken.

§. 11.

Daß aber in Gegentheil ie - zuweilen allzugemein-lautende Worte eingehalten werden muͤſ - ſen / das geſchiehet daher / weil ent - weder dererſelben Urheber anfaͤng - lich dieſe Meinung gantz und gar nicht gehabt / oder der vorkommende Caſus ſeinen Willen und Meinung gantz zu wider iſt. Daß einer / allem Vermuthen nach / vom Anfange eine Meinung nicht gehabt haben muͤſſe / kan man abnehmen erſtlich aus der ungeraͤumten Folge / und weil etwas daraus entſtehet / welches ſonſt kein vernuͤnfftiger Menſch ver - langen wuͤrde. Dannenhero ſeynd die allzugemein abgefaſſeten Wortein377ſiebenzehendes Capitel. in ſo fern einzuhalten / als ſonſt eini - ge Abſurdität daraus erfolgen wuͤr - de. Zum andern aus Unzulaͤnglig - keit der Urſache / welche den Urhe - ber doch einig und allein zu ſothanen Worten bewogen hat. Dannenhero werden unter einer allzugemeinen Rede diejenigen Faͤlle nicht mit be - griffen / worauf ſich die einzige und fuͤrnehmſte Urſache des Geſetzes nicht reimet. Drittens aus Er - mangelung der Materie / als wor - auf derjenige / ſo die Worte abgefaſ - ſet / noth wendig geſehen haben muß; Wannenhero man auch die zu gene - ral lautenden Worte allezeit nur nach demſelben zurichten und zu er - klaͤren hat.

§. 12.

Daß aber ein Fall / der ſich hernach erſt ereignet / mit desjenigen Willen / der etwas geſetzet hat / ſtreite und ihn wi - derſtrebe / das kan man ſo wohlR 3aus378Des erſten Buchsaus einer Natuͤrlichen Urſache / als auch aus einem Zeichen des Willens abnehmen. Das erſte ge - ſchiehet / wenn man von der Billig - keit abſchreiten muͤſte / wofern ge - wiſſe Faͤlle von dem allgemeinen Geſetze nicht ausgenommen waͤren. Denn es iſt die Billigkeit / wie ſchon oberwehnet / nichts anders / als eine Verbeſſerung desjenigen / worinne ein Geſetze wegen ſeiner Allgemein - heit gleichſam uͤber die Schnure hauen wuͤrde. Weil nun alle Faͤlle nicht vorausgeſehen / noch auch / ih - rer unzaͤhlbaren Vielheit wegen / ausgedrucket werden koͤnnen; So muͤſſen in der Application derer ge - meinen Worte auf ſothane einzelne und ſondere Faͤlle diejenigen / ſo der Geſetz-Geber / da man ihn um ſel - bige befraget haͤtte / ohnfehlbar ſelbſt ausgenommen haben wuͤrde / aller - dinges eximiret, und von der Geſe -tzes379ſiebenzehendes Capitel. tzes Krafft befreyet gelaſſen werden. Jedoch darff man zu dieſer Billig - keit nicht eher ſchreiten / als bis ſelbi - ges genugſame Anzeugungen erfor - dern; Worunter wohl dieſes das ge - wiſſeſte iſt / wenn es ſich aͤuſſert / daß durch genaue und buchſtaͤbliche Ve - obachtung des buͤrgerlichen Geſetzes die Natuͤrlichen Rechte wuͤrden verle - tzet werden. Naͤchſt dem aber / wenn es zwar nicht ſchlechter Dinges un - billig waͤre / denen Worten eines Geſetzes genau nachzufolgen; gleich - wohl aber / und da man die Sache der Guͤte und Gelindigkeit nach be - hertziget / ſothane ſcharffe Obacht entweder allen Menſchen insge - mein / oder nur gewiſſen Perſonen ziemlich harte und unertraͤglich fal - len wuͤrde. Und endlich / wenn es ſich mit dem Haupt-Abſehen / oder zwecke der muͤhſamen und genaue - ſten Beobachtung nicht verlohnen /R 4duͤrff -380Des erſten Buchsduͤrffte / ſich daruͤber ſo groſſe Ungele - genheit zu machen.

§. 13.

Zum andern / ſo bekom - men allzugemein-gefaſſete Reden auch ihre Abfaͤlle / wann etwa an an - dern Orten gewiſſe Worte zu befin - den ſind / welche zwar dem gegenwaͤr - tigen Geſetze oder Pacte nicht ſchnur - ſtracks entgegen ſtehen / gleich wohl aber wegen eines gewiſſen Umſtan - des der Zeit dann und wann zugleich nicht beobachtet werden koͤnnen. Deshalben muß man hiebey nach - folgende Regulen in acht nehmen / damit man verſtehen koͤnne / welches Geſetze auf den Fall / da man bey - den zugleich nicht Genuͤge leiſten kan / den andern vorgezogen werden muͤſſe. (I.) Was nur bloß zugelaſſen iſt / das muß denjenigen / ſo ausdruͤcklich anbefohlen wird wei - chen und nachgeben. (II. ) Was man zu einer gewiſſen Zeit thun ſoll /iſt381ſiebenzehendes Capitel. iſt demjenigen vorzuziehen / das man allemal thun kan. (III. ) Die ge - bietenden Geſetze muͤſſen denen ver - bietenden nachgeben. Das iſt: wenn man einem Gebote / ohne Verle - tzung eines Verbots / nicht Genuͤge thun kan / ſo muß man des erſtern Erfuͤllung bis zu beſſerer Zeit und Gelegenheit aufſchieben. (IV. ) Un - ter denen ſonſt gleichen Vertraͤgen und Geſetzen iſt ein beſondernes alle - mal den gemeinen vorzuziehen. (V.) Wenn einen auf eine Zeit zweyerley zu leiſten oder abzuſtatten vorfaͤllet / darunter das eine anſtändiger oder austraͤglicher iſt / als das andere / ſo muß dieſes jenen billig Platz machen. (VI. ) Ein unbeſchwornes Pact wei - het den beſchwornen / wenn man beyden zugleich nicht nachkommen kan. Alſo muß auch (VII. ) eine vollkommene Obligation der unvoll -R 5kom -382Des I. Buchs XVII. Capitel. kommenen vorgehen: Und letztens (VIII. ) muß / jedoch auf gewiſſe Maſſe / das Geſetze der Gutthaͤttig - keit dem Gebote der Danck - barkeit nachſte - hen.

ENDE des erſten Buchs.

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Des383

Des Herꝛn von Pufendorff Anderes Buch / Von der ſchuldigen Gebuͤhr aller Menſchen.

Das erſte Capitel / Von dem Natuͤrlichen Zuſtande derer Men - ſchen.

§. 1.

ES erfordert nunmehro die Ordnung / daß wir uns hienaͤchſt um dieje - nigen Schuldigkeiten bekuͤmmern / die einenR 6Men -384Des andern BuchsMenſchen in Anſehung derer un - terſchiedenen Staͤnde / darinnen er ſich im gemeinen Leben befindet / obliegen. Wir verſtehen aber unter denen Staͤnden insgemein denje - nigen Zuſtand / darein die Menſchen zu gewiſſen Geſchaͤfften geſetzet und verordnet ſeyn / und welchen nach ihnen mancherley beſonderne Rechte zuſtehen.

§. 2.

Solcher Stand iſt nun entweder ein Natuͤrlicher / oder ein Beykommender. Der Natuͤrli - che kan / der Vernunfft nach / auf dreyerley Weiſe betrachtet werden / entweder in Anſehung GOttes des himmliſchen Schoͤpffers / oder aller und jeder Menſchen be - ſonders gegen ſich ſelbſt / oder end - lich gegen andere Menſchen.

§. 3.

Der Natuͤrliche Stand eines Menſchen nach der erſten Betrachtung iſt nichts anders / alsdie385erſtes Capitel. die jenige Beſchaffenheit / darein er von GOtt ſeinem Schoͤpffer geſetzet / und vor allen andern Thieren mit einer ſonderbaren Vortrefligkeit iſt begabet worden. Aus welchem Stande denn dieſes erfolget / daß er GOtt vor ſeinen Urheber erkennen / ihn ehren / ſeine Wercke bewundern / und ſein Leben auf eine von der un - vernuͤnfftigen Thiere ihrer gantz un - terſchiedene Weiſe anſtellen ſolle. Dannenhero auch dieſem Stande das wuͤſte Leben und Zuſtand de - rer Beſtien entgegen geſetzet wird.

§. 4.

Nach der andern Art kan man den Natuͤrlichen Stand ei - nes Menſchen alſo betrachten / daß man ſich in ſeinem Gemuͤthe fuͤrſtel - lig mache / was es doch vor eine Be - wandniß mit ihm haben würde / wenn ein jeder ſich ſelbſt gelaſſen / ſich ohne einiges andern Menſchen zu - thun bey demjenigen Zuſtande derR 7menſch -386Des andern Buchsmenſchlichen Natur / als er itzo ver - handen iſt / behelffen muͤſte. Wel - chem Zuſtande nach er wahrhafftig viel elender / als einige Beſtie / ſeyn wuͤrde / wenn man nur bedencket / mit was vor einer Armſel - und Ge - brechligkeit der Menſch in die Welt koͤmmet / und wie er alſo gleich ver - derben muͤſte / wann ihn andere Leu - te nicht zu Huͤlffe kaͤmen; Ja wie ein wuͤſtes und ungeſchicktes Leben er verfūhren Wuͤrde / wenn er ſonſt gar nichts haͤtte / auſſer dem / ſo er etwa aus eigenen Kraͤfften und Witz erfin - den koͤnte. Daß er nun aber bey ſo vieler Gebrechligkeit gleichwohl groß gewachſen / daß er nunmehro ſo unzehlige Beqvemligkeiten vor ſich findet / daß er ſeinen Leib und Seele zu ſeinen eigenen und der Ge - ſellſchafft Beſten ſo herrlich erbauen kan / dis alles hat er derer andern Leute Huͤlffe und Willfaͤhrigkeit zudan -387erſtes Capitel. dancken. Und in ſolcher Meinung wird der Natuͤrliche Stand den durch menſchlichen Fleiß erbaue - ten zierlichen Leben entgegen ge - ſetzet.

§. 5.

Nach der dritten Art be - trachtet man den Natuͤrlichen Stand derer Menſchen / alsfern ſie ſich bloß aus der gemeinen und von Gleich - heit der Natur herruͤhrenden / auch ohne einigen dergleichen Pact oder Eigenthaͤtigkeit / dadurch einer den andern ſich ſonſt abſonderlich ver - bunden machet / beſtehenden Ver - wandtſchafft gegen einander verhal - ten. Und in dieſer Meinung ſaget man / daß diejenigen mit einander in Natuͤrlichen Stande Leben / die we - der einen gemeinen Herrn haben / noch ihrer einer den andern unter - worffen iſt / und die einander weder durch Fre[u]ndſchafft noch Feindſchafft bekant ſeynd / welchen Falls dannder388Des andern Buchsder Natuͤrliche Stand den Buͤr - gerlichen entgegen geſetzet wird.

§. 6.

Ferner ſo kan die Eigen - ſchafft dieſes Natuͤrlichen Standes entweder durch eine erdichtete Fuͤrſtellung / oder alſo / wie er in der That beſchaffen iſt / erwogen werden. Das erſte geſchiehet / wenn man ſich entweder einbildet / als ob die Welt ſtracks im Anfange auf ein - mal mit einer groſſen Menge von Leuten beſetzet geweſen / deren keiner von den andern dependiret, wie et - wa die Fabeln von den Cadmiſchen Bruͤdern vorgeben; oder wenn man ſich uͤberredet / als ob das gan - tze menſchliche Geſchlechte anitzo dermaſſen untereinander zertrennet waͤre / daß ſich ein jeder abſonderlich regiere / und niemand gegen den an - dern in geringſten durch etwas / als blos durch die Gleichheit der Natur / verbunden befende. Allein der wahr -haff -389erſtes Capitel. hafftige Natur-Stand hat dieſe Ei - genſchafft / daß einer mit gewiſſen Leuten in eine beſonderne Geſell - ſchafft eintrit; Mit denen uͤbrigen aber nichts gemein behaͤlt / auſſer die Menſchheit / deſſendwegen er auch ihnen anderer Geſtalt zu nichts be - ſonders verbunden iſt. Und in ſol - chem Stande befinden ſich unter - ſchiedene Republiqven, wie auch Buͤrger von denenſelben gegen ein - ander. Jn dergleichen Stande haben auch die Haus-Vaͤter und Haͤupter derer Familien vor Alters / als ſie noch von einander abgeſondert woh - neten / gelebet.

§. 7.

Denn es iſt offenbar / daß das gantze menſchliche Geſchlechte niemals zugleich und auf einmal im Natuͤrlichen Stande geweſen / ſinte - mal die Kinder derer erſten Eltern / wovon wir Sterblichen alle nnſern Urſprung nehmen / nach den Zeug -niß390Des andern Buchsniſſe der heiligen Schrifft / gleich an - faͤnglich der vaͤterlichen Gewalt un - terworffen geweſen. Und nichts deſtoweniger iſt dieſer Natuͤrliche Stand hermachmals unter theils Leuten aufgekommen. Denn es ſeynd die Erſten / um die weite und wuͤſte Welt zu beſetzen / und ſo wohl ſich / als ihren Viehe einen mehrern Raum zu verſchaffen / mit Verlaſ - ſung derer vaͤterlichen Wohnungen an unterſchiedene Oerter ausgewi - chen / und hat / was maͤnnlich war / faſt ein jedes ſeine eigene Familie auf - gerichtet. Unter deren Nachkom - menſchafft / die ſich ebenfalls weiter zerſtreuet / iſt endlich das genaue Band der Verwandſchafft / und die daher ruͤhrende Affection allgemaͤh - lich verloſchen / und nichts mehr uͤbrig verblieben / als der Reſt der allgemeinen und aus der Natur - Gleichheit herfluͤſſ〈…〉〈…〉[n]den Neigung;ſo391erſtes Capitel. ſo lange / bis endlich bey den ſo tref - lichen Anwachs und Vermehrun - gen des menſchlichen Geſchlechtes / und als man die Maͤngel dieſer zer - ſtreueten Lebens-Art empfunden / die zunaͤchſt-aneinander wohnenden auf den Sinn gekommen ſeynd / in buͤrgerliche Geſellſchafften mit ein - ander zu treten / welche denn An - fangs ziemlich klein geweſen / her - nach aber durch freywillige und ge - waltſame Vereinigung unterſchiede - ner kleinen zu groſſen und maͤchtigen Staats-Coͤrpern ausgeſchlagen. Und dieſe ſeynd es nun / welche / in dem ſie von keinem andern / als den gemeinen Natuͤrlichen Freund - ſchaffts-Bande wiſſen / ſich heutiges Tages in dem Natuͤrlichen Stande befinden.

§. 8.

Jhr vornehmſtes Recht iſt / daß ſie niemanden / auſſer GOTT / unterthan und gehorſam ſeyn duͤrf -fen.392Des andern Buchsfen. Jn welchen Abſehen ihr Stand auch den Nahmen der Natuͤrli - chen Freyheit verdienet / Krafft de - ren ein jeder ohne eigenwillige Un - terwerffung / ſein eigener Herr und keines einigen Menſchen Bothmaͤſ - ſigkeit unterthan iſt. Vermoͤge deren auch ein jeder den andern gleich ge - ſchaͤtzet wird / indem keiner uͤber den andern ichtwas zu befehlen hat. Und weil ferner ein jedweder Menſch von ſein〈…〉〈…〉 r Natur ſo viel Erleuchtung hat / daß er hiedurch ſeine Sachen und Verrichtungen ſelbſt vernuͤnfftig anſtellen koͤnne; So folget hieraus / daß die in Natuͤrlicher Freyheit Le - benden bey Regierung ihrer Actio - nen von niemand dependiren, ſon - dern alles / was der geſunden Ver - nunfft gemeß iſt / nach ihren freyen Willen und eigenen Gutbefinden vornehmen und zu Wercke richten duͤrffen. Weil auch ein Menſch vonwe -393erſtes Capitel. wegen gemeiner und allen Thieren eingepflantzter Zuneigung nothwen - dig auf die Erhaltung ſeines Leibes und Lebens / und auf die hintertrei - bung alle desjenigen / ſo ihm daran einigen Schaden zu thun trachtet / aͤuſſerſt gefliſſen iſt / auch alle zu die - ſen Zweck dienende Mittel hervor kehret; Und aber im Natuͤrlichen Stande niemand einen Ober-Herrn erkennet / dem er ſeinen freyen Wil - len und Meinung untergeben haͤtte; Als faſſet in ſelbige ein jeder den Rath wegen ſothaner Mittel nach ſeinen eigenen Kopffe und Gutduͤncken / ob ſie nemlich zu ſeiner Erhaltung zu - laͤnglich ſeyn moͤchten / oder nicht. Und wann er auch ſchon eines an - dern Rath mit anhoͤret / ſo ſtehet es doch bey ihm / ob er ſolchen folgen oder verwerffen wolle. Damit er ſich aber in Anſtellung ſeines Thuns und Laſſens rechtſchaffen verhaltenmoͤ -394Des andern Buchsmoͤge / darzu wird erfordert / daß ſolches alles nach dem Ausſpruche der geſunden Vernunfft und derer Natuͤrlichen Geſetze geſchehe.

§. 9.

Ob nun wohl dieſer Natur - Stand unter dem Vorwande der Freyheit und Verſchonung von al - ler Unterthaͤnigkeit ein vortrefliches Anſehen bekoͤmmet; So iſt doch der - ſelbige / bevor ſich die Menſchen in buͤrgerliche Geſellſchafften begeben / nicht ſonder groſſen Beſchwerden und Ungelegenheit geweſen / man mag ſich einbilden / daß ſie entweder alle und jede in denſelben gelebet / oder nur den Zuſtand derer beſon - ders wohnenden Haus-Vaͤter be - dencken. Denn wenn man ſich in ſeinen Gedancken einen auch ſchon erwachſenen Menſchen vorſtellet / wie er ſich in der Welt allein aufhal - te / und von allen Mitteln und Vor - theilen / ſo dieſes Leben durch ange -wand -395erſtes Capitel. wandten Fleis in gegenwaͤrtigen be - qvemen und ſaubern Stand ge - bracht haben / entbloͤſſet ſey; So wird man ſich ihn nicht anders / denn nackend / ſtum / duͤrfftig / den Hun - ger etwa mit Wurtzeln und Kraͤu - tern / den Durſt mit einem jeden naͤhſt-aufſtoſſenden Waſſer / die Un - gelegenheit des Wetters und der Lufft aber mit einer duͤſtern Hoͤhle vertreibende / vor denen wilden Thie - ren in ſtetiger Gefahr ſchwebende / und ſich vor eines jeden / ſo ihm etwa ohnvermuthet begegnet / aͤngſtiglich entſetzende einbilden koͤnnen. Hin - gegen ſtunde es zwar um die Haus - Vaͤter / die ſich mit ihren Familien beſonders wo aufhielten / ſchon etwas beſſer und gemaͤchliger / jedennoch aber konte ſolches mit dem buͤrgerli - chen Stande noch keinesweges in Vergleich kommen / nicht ſo wohl von wegen der Duͤrfftigkeit / welcherend -396Des andern Buchsendlich ſchon bey denen einzelnen Fa - milien durch Umſchrenckung derer unmaͤſſigen Begierden / ziemlich vor - gebeiget werden kan / als weil man der Sicherheit wegen dabey nicht ſo voͤllig auſſer Sorgen ſtehen duͤrffte. Und damit wir alles kurtz faſſen / ſo muß im Natuͤrlichen Stande ein je - der ſich durch ſeine eigene Kraͤffte be - ſchuͤtzen / in der Republiqve aber ſetzen alle zuſammen; Dort iſt nie - mand des Genuſſes ſeiner Arbeit verſichert / hier alle; Dort haben die Begierden Krieg / Furcht / Ar - muth / Unſauberkeit / Einſamkeit / Barbarey / Unwiſſenheit / viehiſche Tollheit / und dergleichen die Ober - hand; Hier aber ſiehet man Ver - nunfft / Friede / Sicherheit / Reich - thum / Sauberkeit / Geſelligkeit / Reinligkeit / Wiſſenſchaft und Wohl - gewogenheit regieren.

§. 10.397erſtes Capitel.

§. 10.

Wenn einer den andern im Natuͤrlichen Stande nicht abſtattet / und entrichtet / was er ihn Vermoͤge eines Pacts ſchuldig iſt / oder ihn ein Unrecht zufuͤget / oder oder ſonſt zwiſchen ſolchen Leuten ei - ne Controvers entſtehet / ſo iſt nie - mand / der ſie aus einer Obern Ge - walt zu Entrichtung der Schuld / Vergnuͤgung der Beleidigung / oder Aufhebung des Streits anſtr en - gen duͤrffe / gleich wie etwan in de - nen Republiqven, allwo man des ge - meinen Richters Amt und Huͤlffe anruffen kan. Weil aber auch die Natuͤrlichen Rechte nicht verſtatten / um jeden Dinges willen alſo gleich einen Krieg anzufangen / wenn einer ſeiner Gerechtſame ſchon mehr als andere verſichert waͤre; Als muß man billich zuvor verſuchen / ob die Sache nicht durch einen gelindern Weg / nehmlich durch guͤtliche Hand -Slung398Des andern Buchslung derer Partheyen / oder durch ein unbedingtes Compromiſs auf Austrag unpartheyiſcher Schieds-Richter koͤnne ausgema - chet werden / welche ſich gegen bey - de Partheyen gleich bezeugen / und in dem Ausſpruche nichts aus Haß oder Gunſt thun / ſondern einig und allein den Verdienſt oder Gerechtig - keit der Sachen anſehen ſollen. Dan - nenhero man auch keinen zu einen Schieds-Manne in ſolchen Dingen zunehmen pfleget / der aus der Uber - wuͤndung von einem Theile einen mehrern Vortheil / oder Ehre / als von den andern zugewarten hat / und ihn alſo was dran gelegen iſt / daß dieſer die Sache vor jenen gewiñe / es geſchehe auch / auf was Art oder Wei - ſe es wolle. Um deßwillen ſoll auch zwiſchen den Schieds-Richter und denen Partheyen kein Pact oder Zu - ſage geſchehen / Vermoͤge deſſen erin -399erſtes Capitel. inſonderheit vor den einen zuſpre - chen genoͤthiget werden moͤchte. Solte nun dieſer weder aus derer Partheyn Geſtaͤndniſſe / noch aus gewiſſen Urkunden / oder ohnzwei - felhafften Gruͤnden und Zeichen / was an der That iſt / abnehmen koͤn - nen / ſo muß er es auf der Zeugen Auſſage ankommen laſſen. Welche / ob ſie gleich das Natuͤrliche Geſetze / und mehrentheils die angefuͤgten Eyd-Schwuͤre zur Wahrheit an - halten; So iſt es doch am ſicherſten / dergleichen Leute hierzu nicht zulaſ - ſen / welche dem einen Theile dermaſ - ſen geneigt und zugethan ſeynd / daß ſie ſich in ihrem Gewiſſen erſt mit Gunſt / Haß / Rachgier / oder einer andern gewaltſamen Regung / oder auch mit naher Anverwandtſchafft gleichſam in einem Kampff einlaſſen muͤſſen / ſintemal nicht jederman von ſolcher Standhafftigkeit iſt / daß erS 2die -400Des andern Buchsdieſelben erlegen / und ihr Meiſter werden koͤnne. Zuweilen werden die Zwiſtigkeiten auch wohl durch Un - terhandlung guter Freunde ge - hoben / welches billich unter die aller - wertheſten und groͤſſeſten Liebes-Be - zeugungen mag gerechnet werden. Jm uͤbrigen / ſo muß in dieſem Stan - de ein jeder der von ſeinem Gegener in Guͤte keine Satisfaction haben kan / die Exſeqvution vor ſich ſelbſt verrichten.

§. 11.

Wiewohl aber die Natur ſelbſt unter denen Menſchen eine all - gemeine Verwandtſchafft ſtifften wollen / in Krafft deren / ſonder offen - barer Verletzung ihrer Geſetze / kei - ner den andern einiges Leid und Un - gemach zufuͤgen / vielmehr aber ſie einander alles Liebes und Gutes er - weiſen ſollen; ſo ſeynd doch die Kraͤf - te dieſer Verwandtſchafft unter Leu - ten / die in Natuͤrlicher Freyheit le -ben /401erſtes Capitel. ben / dermaſſen ſchwach / daß man billich Urſache hat / demjenigen / der von einer auswaͤrtigen Republiqve iſt / oder mit uns in Natuͤrlicher Freyheit ſtehet / nicht zwar vor einen Feind / dennoch aber fuͤr einen nicht gar zu ſichern Freund zu halten. Urſache deſſen iſt dieſe / weil die Men - ſchen einander nicht allein viel Scha - den zuſuͤgẽ koͤnnẽ / ſondern ſolches aus vielerley Urſachen oͤffters auch thun wollen. Denn einige pfleget die Bos - heit ihrer Gemuͤths-Art / andere die unbaͤndige Herrſch-Sucht und der Geitz zu anderer Leute Verletzung anzuregen; Andere / ob ſie ſchon von ſanfftmuͤthigem Geiſte ſeyn / muͤſſen dennoch nur / um ſich zuerhalten / und andern ſich nicht vorkommen zu laſ - ſen / zur Wehre greiffen. Noch an - dere hetzet die Begierde nach einerley Dingen / und die Eyfer-Sucht de - rer Gemuͤther zuſammen / u. ſ. m. S 3Dan -402Des andern BuchsDannenhero mangelt es in dieſem Stande faſt niemals an Argwohne / Mißtrauen / Begierde andere Leu - te um ihr Vermoͤgen zu bringen / und zu uͤbereilen / oder zu vervortheilen / oder aus ihrem Ungluͤcke ſich zu be - reichern. Wie es nun einen ehrlichen Manne zuſtehet / mit demjenigen / was ihn Gott gegeben hat / vergnuͤget zu ſeyn / ſich an andern nicht zu ver - greiffen / und frembdes Guth unan - getaſtet zu laſſen; Alſo iſt es auch ei - nen vorſichtigen und auf ſeine Wohl - fahrt befliſſenen Menſchen nicht zu verargen / weñ er zwar alle Leute vor Freunde haͤlt / doch aber ſolcher ge - ſtalt / und mit der Behutſamkeit / als ob ſie ebenfalls wiederum ſeine Fein - de werden koͤnten; ja wenn er mit je - derman im Fride lebet / doch anders nicht / als ob ſelbiger leicht in einen Krieg verwandelt werden koͤnne. Um des Willen haͤlt man diejenigeRe -403anderes Capitel. Republiqve vor gluͤcklich / welche auch mitten in dem Friede zugleich mit an den Krieg gedencket.

Das andere Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Eheleute.

§. 1.

UNter denen beykommenden Staͤnden / das iſt / ſolchen / worein der Menſch vermittelſt eini - ges menſchlichen Facti oder Thaͤtlig - keit geſetzet wird / gebuͤhret der er - ſie Platz dem Ehe-Stande / als welcher auch gleichſam die erſte Pro - be eines geſelligen Lebens / und ein Pflantz-Garten des menſchlichen Geſchlechtes iſt.

§. 2.

Hiebey muß man nun an - faͤnglich wiſſen / daß die hitzige Zu - neigung beyderley Geſchlechte / nemlich des maͤñlichen und des weib -S 4lichen404Des andern Buchslichen gegen einander von dem aller - weiſeſten Schoͤpffer nicht etwa zur bloſſen Saͤttigung derer geilen Be - gierden geſtifftet ſey / allermaſſen / wenn man allein darauf ſehen wol - te / den menſchlichen Geſchlechte ge - wißlich hieraus die allerſchaͤndlichſte Unreinigkeit und Verwirrung zu - wachſen wuͤrde; Sondern es iſt ſol - ches geſchehen theils darum / damit die eheliche Beywohnung mit einer deſto empfindlichern Vergnuͤgung vergeſellet / theils auch / damit ſich die Menſchen die Fortpflantzung ih - res Geſchlechtes deſto mehr angele - gen ſeyn laſſen / und die Ungelegen - heit / ſo bey der Kinder Geburt und Auferziehung vorfaͤllet / um ſo viel lieber ertragen moͤchten. Woraus denn dieſes erfolget / daß aller Ge - brauch derer Geburts-Glieder / wel - cher nicht auf dieſem Zweck gerichtet iſt / denen Natuͤrlichen Rechten zuwi -405anderes Capitel. wider lauffe. Und ſind demnach hie - durch alle mit einer andern Art / oder mit gleichen Geſchlechte getriebene Unzucht / ingleichen ſonſt alle ſchaͤnd - liche Verunreinigungen / und endlich alle auſſer der Ehe vorgenommene Vermiſchungen / ſie moͤgen mit des Weibes Willen / oder durch Zwang geſchehen / gaͤntzlich verboten.

§. 3.

Die Verbindung zur Ehe kan entweder in Anſehung des gantzen menſchlichen Geſchlech - tes / oder aber in Anſehen jeder Menſchen beſonders betrachtet werden. Jene Obligation beſtehet ins gemein darinne / daß die Fort - pflantzung des menſchlichen Ge - ſchlechtes keinesweges durch unbe - ſtaͤndigen und ledigen Beyſchlaf / ſondern durch gewiſſe Umſchraͤn - ckung derer Ehe-Ordnungen / und alſo bloß durch den richtig vollzoge - nen Eheſtand geſchehen ſolle. DennS 5auſ -406Des andern Buchsauſſer dem kan man nicht abſehen / wie Zucht / Erbarkeit und gute Ord - nung in der menſchlichen Geſell - ſchafft beſtehen koͤnne. Was aber jede Menſchen beſonders anbe - langet / ſo ſeynd dieſelben ſchuldig in den Eheſtand zu treten / ſo bald ſich eine fuͤgliche Gelegenheit darzu er - eignet; Welche denn nicht allein in dem alter und Geſchicke Kinder zu zeugen / ſondern guten Theils auch darinne beſtehet / daß einer einen an - ſtaͤndigen Dienſt / oder ſonſt das Ver - moͤgen habe / eine Frau zu ernehren / und den Kindern Unterhalt zu ſchaf - fen / und daß der Mann auch faͤhig ſey / einen Haus-Vater abzugeben. Und von dieſer Pflicht iſt keiner aus - genommen / es waͤre denn / daß er ſich aus gaͤntzlicher Unempfindligkeit zu den unehelichen Leben ſonderlich capabel befinde / und den gemeinen Weſen in ledigen Stande weit mehrNu -407anderes Capitel. Nutzen zu ſchaffen gedaͤchte / als in den ehelichen / zufoͤrderſt / wann ſo leicht kein Mangel an Kindern zu be - fuͤrchten iſt.

§. 4.

Unter denenjenigen / die ſich mit einander in Eheſtand begeben wollen / pfleget und ſoll eine Ehe - ſtifftung aufgerichtet werden / wel - che / wann ſie richtig und voll[k]om - men iſt / auf dieſen Puncten beru - het. Erſtlich / weil des Mannes / (als von dem ſich ſothane beyderley Geſchlechtes-Handlung von wegen des Geſchlechtes Vorzug billiger Maſſen anhebet /) Meinung und Abſehen iſt / aus der zukuͤnfftigen Ehe ſeine eigene / und nicht etwa fremb - de oder eingeſchobene Kinder zuerhe - ben; So muß Jhm die Frau ge - treulich verſprechen / daß ſie ihres Leibes Gebrauch niemanden / auſſer ihm alleine / verſtatten wolle. Wel - ches ſich denn die Frau Gegen -S 6theils408Des andern Buchstheils von dem Manne wieder - um angeloben laͤſſet. Hernach / weil der Eigenſchafft eines geſelligen und buͤrgerlichen Lebens nichts mehr zuwider iſt / als ein wuͤſtes und un - beſtaͤndiges Herummerſchweiffen / und da man ſein Gluͤcke an keinem Orte feſtiglich ſuchet; Weil auch die gemeine Kinder-Zucht am beſten von ſtatten gehet / wenn beyderſeits El - tern ihre Hand daran legen / und ei - ne ſtetige Beywohnung unter Ehe - leuten / die ſich wohl miteinander begehen / viele Vergnuͤgung / und unter andern auch dieſen Vortheil ſchaffet / daß der Maũ ſeiner Frauen Keuſchheit deſto verſicherter ſeyn kan; Als muß eine Frau ihrem Manne auch noch dieſes zu ſagen / daß ſie ihn allezeit beywohnen / und ſich alſo mit ihn in die allergenaueſte Le - bens-Geſellſchafft / wie auch in eine Familie mit ihm einlaſſen wolle. Wel -409anderes Capitel. Welchen denn zu beyden Seiten dieſes Verſprechen nothwendig an - gefuͤget wird / daß man alſo mit ein - ander umgehen wolle / als es die Ei - genſchafft dieſer Geſellſchafft und Vereinigung erfordert. Weil es aber nicht allein den Natuͤrlichen Zuſtan - de dieſer beyden Geſchlechte uͤberaus gemaͤß iſt / daß der Mann in dem Eheſtande den Vorzug habe / ſondern dieſer auch ohnſtreitig der von ihm geſtifften Familie einiges Oberhaupt iſt; So wil daraus folgen / daß ſich eine Frau in Sachen / die den Ehe - ſtand und die Familie betreffen / des Mannes Regierung unterwerffe; Dannenhero muß der Mann vor die Wohnung und Aufenthalt ſor - gen; und kan die Frau wider ſeinen Willen weder anders wohin ziehen / noch ihm bey ſich ſchlaffen zu laſſen verwehren. Jedoch ſcheinet zum Eheſtande ein ſo ſcharffes RegimentS 7oder410Des andern Buchsoder Gewalt eben nicht noͤthig zu ſeyn / daß ein Mann auch uͤber das Leben und Tod ſeiner Frauen zu ge - bieten / oder ſie ſonſt mit harter Straf - fe zu belegen / und die voͤllige Macht uͤber alle dero Guͤther und Vermoͤ - gen haben muͤſte; ſondern es wird ſolches zum Theil durch gewiſſe zwi - ſchen Eheleuten aufgerichte Pacte / theils aber durch die bürgerlichen Geſetze verglichen und ausgemachet.

§. 5.

Ferner / gleichwie dieſes dem Natuͤrlichen Geſetze offenbaͤrlich zu - wider iſt / daß eine Frau zugleich mehr / als einen Mann habe; Al - ſo iſts bey vielen Voͤlckern annoch im Gebrauche / auch vorzeiten bey denen Juͤden uͤblich geweſen / daß ein Mañ auf einmal zwey und mehr Weiber habe. Nichts deſto weni - ger / ſo iſt es (wenn man auch ſchon nicht einmal an die erſte Stifftung des Eheſtandes / wie ſolche im Heil. Schrifft411anderes Capitel. Schrifft beſchrieben ſtehet / geden - cken wolte /) aus der geſunden Ver - nunfft abzunehmen / daß es viel ge - ziemender und nuͤtzlicher ſeye / wenn ſich ein Mañ an einer Frau vergnuͤ - gen laͤſſet. Wobey es auch / unſers Wiſſens / die Gewonheit aller Chriſt - lichen Voͤlcker von ſo viel hundert Jahren her hat bewenden laſſen.

§. 6.

So bezeuget es auch die Natur einer ſo genauen Verbuͤn - dung / daß die Ehe beſtaͤndig und unzeꝛtrennlich ſeyn / und nicht eher / als durch des einen Ehegatten Tod / aufgehoben werden ſolle; Es waͤren denn etwa die Haupt-Stuͤcke des Ehe-Pacts durch Ehebruch oder boͤsliche Verlaſſung uͤbertreteten worden. Denn boͤſe Sitten und an - deres uͤbele Verhalten / ſo mit der boͤslichen Verlaſſung nicht gleiche Wuͤrckung hat / machet unter denen Chriſten nur eine Abſonderung vomTi -412Des andern BuchsTiſche und Bette / ohne daß denen auf ſolche Maſſe Geſonderten erlau - bet werde / ſich anderwaͤrtig wieder zu verheyrathen; Welches denn um dieſer Urſache willen geſchiehet / damit die aus einer gaͤntzlichen Trennung zuverhoffende Freyheit zu einẽ boͤſen Leben und Sitten nicht Anlaß gebe; ſondern vielmehr die entzogene Hoff - nũg eines vergnuͤlichern oder andern Zuſtandes die boshafftigen Ehegat - ten zu einen beſſern Wandel und mehrer Vertraͤgligkeit antreibe. Jm uͤbrigen / ſo wird nur der durch Ver - letzung der ehelichen Pflicht beleidigte Theil ſeiner Verbindung entlaſſen / welche auf Seiten des andern fortge - ſetzet wird / ſo fern es jener verlanget / und ſich etwa mit dem Bund-bruͤchi - chen wieder auszuſohnen gefallen laſ - ſen ſolte.

§. 7.

Wo es die buͤrgerlichen Ge - ſetze nicht verhindern / ſo koͤnnen allePer -413anderes Capitel. Perſonen zuſammen heyrathen / welche einander nur verlangen / weñ ſie nemlich ſonſt Alters und der Lei - bes-Conſtitution halber geſchickt dar - zu ſeynd / und ihnen nicht etwan ei - nige Ohnmoͤgligkeit von denen Geſetzen in Weg geſtreuet wird / als da ſeynd / daß z. e. einer oder eine / die ſchon in Ebeſtande leben / ſich an andere nicht wieder verhey - rathen koͤnnen.

§. 8.

Vor ein dergleichen morali - ſches Hinderniß iſt auch zu achten / wenn zwey Perſonen einander mit Blut-Freundſchafft / oder Schwaͤgerſchafft ſo nahe zuge - than ſeynd. Dannenhero wer - den in denen Natuͤrlichen Rechten die Heyrathen zwiſchen Perſonen von auf und niederſteigender Linie ohne Aufhoͤren vor ſchaͤndlich und unzulaͤßlich gehalten / auch ſeynd die uͤbrigen Ehen in der ſeitwertigen Li -nie /414Des andern Buchsnie / nemlich mit des Vaters - und Mutter-Schweſter / ingleichen mit der Schweſter; Alſo auch in der Schwaͤgerſchafft mit der Stief - und Schwieger-Mutter / und Stief - Tochter nicht allein durch Goͤttliche / ſondern auch anderer klugen Voͤl - cker Rechte / und aller Chriſten ein - helligen Conſens jederzeit vor abſcheu - lich gehalten worden. Ja es ver - bieten vieler Voͤlcker Reichs-Ge - ſetze die noch fernern Grade / um dadurch die vorgemeldten unver - bruͤchlich zuhaltenden gleichſam zu umzaͤunen / und deſto ſicherer zu ver - wahren / damit ſich der Menſchen Bosheit ſo leichte daran nicht ver - greiffen moͤge.

§. 9.

Gleich wie aber die buͤrger - lichen Geſetze andern Contracten und Geſchaͤfften etliche gewiſſe Ei - genſchafften zugeſetzet haben wollen /ſon -415anderes Capitel. ſonder deren Beobachtung ſie nicht vor guͤltig geachtet werden: Alſo iſt es auch mit der Ehe beſchaffen / indem die buͤrgerlichen Geſetze zur Erhal - tung guter Zucht und Ordnung hin und wieder gewiſſe Solennitäten darbey erfordern / welche / ob ſie wohl von Natuͤlichen Geſetze nicht her - kommen / ſo koͤnnen doch diejenigen / ſo buͤrgerlichen Rechten unterworf - fen ſeynd / ohne dieſelben eine recht - maͤſſige Ehe nicht vollziehen; oder zum wenigſten wird dergleichen Verbuͤndung in buͤrgerlicher Ge - ſellſchafft die Wuͤrckung einer recht - ſchaffenen Ehe nicht haben.

§. 10

Die Schuldigkeit eines Ehemannes beſtehet zufoͤrderſt dar - inne / daß er ſeine Frau liebe / er - nehre / regiere und beſchuͤtze; Der Frauen aber / daß ſie den Ehemann gleichfalls liebe / ehre / und ihn nicht allein in Erziehlung und Auferzie -hung416Des II. Buchs II. Capitel. hung derer Kinder / ſondern auch in denen andern haͤuslichen Sorgen treuen Beyſtand und Huͤlffe leiſte. Bey beyderſeits aber erfordert die Natur der ſo genauen Vereinigung / daß die Ehegatten ſo wohl in Gluͤck / als Ungluͤcke mit einander aushal - ten / und wenn dem einen ein Unfall widerfaͤhret / das andere ſolchen zu - erleuchtern ſuche; Nicht minder / daß zur Ehehaltung Friedens und Ein - tracht eines ſich fein vernuͤnfftig in des andern Humeur zu ſchicken be - fleiſſige / welchen Falls doch der Frau mehr zuſtehet / etwas nach zugeben / als dem Manne.

Das417Des II. Buchs III. Capitel.

Das dritte Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Eltern und Kinder.

§. 1.

AUs der Ehe werden Kinder er - zielet / woruͤber die vaͤterliche Gewalt / als die aͤlteſte / aller ver - bindlichſte und hoͤchſt-zuachtende Art der Regierung angeordnet iſt / Krafft deren die Kinder ihrer Eltern Be - fehle in Ehren halten / und deroſel - ben uͤber ſie fuͤhrende Hoheit und Vorzug erkennen müſſen.

§. 2.

Es entſtehet aber ſothane Gewalt derer Eltern vornemlich aus zweyen Urſachen; Erſtlich / weil ſelbſten das Natur-Geſetze / in dem es denen Menſchen die Geſel - ligkeit anbefohlen / auch denen El - tern die Sorge vor ihre Kinderauf -418Des andern Buchsauferleget / und damit ſolche deſto weniger verlaͤſſet werden moͤchte / ih - nen zugleich eine ſo zaͤrtliche Zunei - gung und Liebe gegen die Jhrigen eingepflantzet hat. Soll nun dieſe Sorgfalt gebuͤhrend angeleget wer - den / ſo iſt noͤthig / daß Eltern die Macht haben / ihrer Kinder Thun zu ihren Beſten einzurichten / wel - ches ſie wegen Schwachheit des Verſtandes ſelbſt noch nicht vermoͤ - gen. Nechſt dem gruͤndet ſich ſolche Gewalt auch auf die heimliche Ein - willigung derer Kinder. Denn es iſt gantz wohl zuvermuthen / daß wenn ein Kind zur Geburts-Zeit ſei - ne voͤllige Vernunfft haben / und ab - ſehen koͤnte / wie es ihn ohnmoͤglich ſey / ohne der Eltern Sorgfalt / und deren anhaͤngige Bothmaͤſſigkeit das Leben zu erhalten / ſelbiges mit allen Willen hierein conſentiren, und ſich davor eine gute und heilſame Aufer -zie -419drittes Capitel. ziehung bedingen wuͤrde. Jn der That aber bekommen Eltern die Herꝛſchafft uͤber ihre Kinder / wenn ſie dieſelbe nach der Geburt dafuͤr an - nehmen / ernehren / und ſie zu einen nuͤtzlichen Gliedmaß der menſchli - chen Geſellſchafft zu erziehen ſich moͤglichſt angelegen ſeyn laſſen.

§. 3.

Weil aber zur Erzielung lung eines Kindes die Mutter nicht minder / als der Vater beytrit / und alſo daſſelbe / der Natur nach / beyden gemein iſt / als fraget ſichs billich / welches von beyden ein Mehrers Recht und Gewalt uͤber das Kind habe? Und darauf muß man mit Unterſcheid antwor - ten. Denn wenn ein Kind auſſer ordentlicher Ehe gezeuget worden / ſo ſtehet daſſelbige freylich der Mut - ter am erſten zu / weil man den Va - ter / ohne der Mutter Anzeuge / nicht wiſſen kan. So mag es auch unterde -420Des andern Buchsdenen jenigen / die in Natuͤrlicher Freyheit / und von buͤrgerl. Ge - ſetzen entfernet leben / durch gewiſ - ſe Vergleiche ausgemachet werden / daß das Vorrecht nicht den Vater / ſondern der Mutter zugehoͤren ſolle. Allein weil in denen Republi - qven, welche allerdinges durch Maͤnner geſtifftet ſeyn / der Ehe - Contract ordentlicher Weiſe von dem Manne anfaͤnget / und er das Haupt der Familie bleibet / ſo iſt er auch zu ſeinen Kindern eines Meh - ren berechtiget / dermaſſen / daß / ob dieſelbigen gleich der Mutter al - le Ehr-Erbietigkeit und Danck ab - zuſtatten ſchuldig ſeynd / ſie ſich den - noch deroſelben Befehlen entziehen koͤnnen / wofern ſie etwa des Va - ters nicht ungebuͤhrlicher Ordre ent - gegen ſtehen moͤchten. Nachdem aber der Vater verſtorben / ſo ſcheinets / als ob deſſen Recht zum wenigſtenuͤber421drittes Capitel. über die noch nicht erwachſenen Kin - der der Mutter / und da ſie ſich wie - der verheyrathet / dem Stief-Va - ter zufalle / wann nemlich dieſer mit Treue / Liebe und Sorgfalt in des Natuͤrlichen Vaters Fuß-Stapffen eintrit. Wann auch ſonſt iemand ein verlaſſenes / oder Eltern-loſes Kind ehrlich auferziehet / ſo kan er darge - gen von Rechtswegen kindlichen Ge - horſam und Reſpect von ihm verlan - gen.

§. 4.

Damit man aber deſto ge - nauer verſtehen moͤge / wie weit ſich die Gewalt derer Eltern uͤber die Kinder erſtrecket / ſo muß man ei - nen Unterſcheid halten ſo wohl un - ter denen Vaͤtern / ob ſie mit ih - ren Familien beſonders / oder aber in einer Republiqve leben; als auch unter der Gewalt / wel - che ein Vater hat / als Vater / oder in Anſehung der Erzieh -Tlung;422Des andern Buchslung; und die ihn zuſtehet / als einen Ober-Haupte ſeiner Fami - lie. Einen Vater / alsfern er Vater iſt / hat die Natur auferle - get / daß er die Kinder wohl erziehen / und der menſchlichen Geſellſchafft zum Beſten ſo lange verſorgen ſolle / bis ſie ſich ſelber helffen und ernehren koͤnnen. Dannenhero verſtehet ſichs / daß ihm ſo viel Gewalt uͤber die Kin - der eingeraͤumet worden / als zu die - ſen Zwecke vonnoͤthen und zulaͤng - lich iſt. Und erſtrecket ſich dieſelbige demnach nicht ſo weit / daß die Eltern ihre annoch im Mutter-Leibe liegen - de Fruͤchte zernichten / oder nach der Geburt wegſetzen / vielweniger gar toͤdten koͤnten. Denn ob ſie wohl aus derer Eltern Subſtantz erzeuget werden / ſo ſeynd ſie doch eben ſo wohl Menſchen / und werden gleich an - dern Menſchen aller ungerechten Beleidigung faͤhig / auch dererjeni -gen /423drittes Capitel. gen / die ihnen von denen Eltern ſelbſt zugefuͤget werden. Ja es wil ſich nicht einmal thun laſſen / daß man ihnen durch dieſe Gewalt das Recht uͤber derer Kinder Leben und Tod auch nur auf die Begebenheit groͤblicher Verbrechen einraͤume; ſondern es beſtehet dieſelbe vielmehr blos in einer maͤſſigen Züchtigung / indem ſie ſolche nur gegen das zarte Alter der Kinder auszuuͤben und zu - gebrauchen haben / in welchen der - gleichen ſchaͤndliche Laſter / welche mit dem Tode verbuͤſſet werden muͤ - ſten / kaum iemals vorzukommen pflegen. Allenfalls aber ein Kind ja die geringſte Hoffnung zur Beſſe - rung nicht von ſich geben / ſondern der angewandten Zucht immerzu Hals - ſtarrig widerſtreben ſolte / ſo haben Eltern die Freyheit / daſſelbe aus ihrem Hauſe zuſtoſſen / und vor dero Kind nicht mehr zu achten.

T 2§. 5.424Des andern Buchs

§. 5.

Zudem ſo kan dieſe Gewalt / wenn man genau darvon reden wil / nach Unterſchied des Alters bey denen Kindern unterſchiedlich be - trachtet werden. Denn in der Kind - heit / und ſo lange der Verſtand an - noch zu keiner Reiffung gediehen / ſo muͤſſen billig alle deroſelben Actiones unter derer Eltern Regierung und Anſtalt ſtehen. Wann nun binnen ſolcher Zeit denen minderjaͤhrigen etwas an Guͤthern zufaͤllet / ſo muß der Vater ſelbiges an ihre Stelle acceptiren, und verwalten / jedoch ſolcher geſtalt / daß die Eigenthuͤm - ligkeit und Herrſchafft denen Kin - dern verbleibe / wiewohl es hoͤchſt billig iſt / daß disfalls der Genieß - Brauch dem Vater bis zun voͤlligen Erwachs eines Kindes uͤberlaſſen werde. Gleichergeſtalt eignet ſich ein Vater von Rechtswegen alle die - jenigen Nutzungen und Vortheilezu /425drittes Capitel. zu / welche die Kinder durch ihren Fleiß und Arbeit ſchaffen moͤgen / wo - gegen den Vater der Unterhalt und Auferziehung derer Kinder auf dem Halſe lieget.

§. 6.

Jn den anwachſenden Al - ter / da die Kinder zwar ihren voͤlli - gen Verſtand haben / dennoch aber ein Glied der vaͤterlichen Familie bleiben / muß man den vaͤterlichen Gewalt nach dem Unterſcheide / da er ihnen theils als Vaͤtern / theils als Haͤuptern ihrer Fa - milie gebuͤhret / betrachten. Jener / weil er jederzeit eine nutzbare und er - bauliche Einrichtung der Kinder - Zucht zum Zwecke hat / ſo iſts am Tage / daß auch die erwachſenen ih - ren Vaͤtern / als die weit verſtändi - ger und vorſichtiger / denn ſie ſelbſt ſeynd / Folge leiſten ſollen. So iſts auch gewiß / daß derjenige / ſo von den vaͤterlichen Vermoͤgen ernehretT 3ſeyn /426Des andern Buchsſeyn / und hernach in der Erb-Folge Theil nehmen wil / ſich nothwen - dig nach dem Zuſtande der Fami - lie richten / und disfalls dem Vater / der dieſelbige unterhaͤlt / nachſehen muͤſſe.

§. 7.

Jm uͤbrigen kan man nicht in Abrede ſeyn / daß hiebevor dieje - nigen Haus-Vaͤter / die ſich zur Zeit in keine Republiqven noch nicht eingelaſſen hatten / ſich in ihren Haͤu - ſern auf gewiſſe Maſſe denen ſouve - rainen Herrn oder Fuͤrſten gieich be - zeuget. Wannenhero auch die Kin - der / ſo lange ſie in ihrer Familie ver - blieben / dero Regierung vor die ober - ſte und hoͤheſte ehren und annehmen muͤſſen. Allein nach der Hand iſt die - ſes Haus-Regiment (gleich andern Rechten /) allgemaͤhlich noch ver - zwicket / und nach den Nutzen und Wohlſtand einer jeden Republiqve eingerichtet worden / da denn denenVaͤ -427drittes Capitel. Vaͤtern an theils Orten eine meh - rere / anderswo aber eine wenigere Gewalt uͤbrig verblieben. Und da - her ruͤhret es / daß die Vaͤter bey et - lichen Voͤlckern das Recht zum Le - ben und Tode uͤber ihre verbrechende Kinder noch lange Zeit ausgeuͤbet; bey denen meiſten es ihnen aber / und zufoͤrderſt aus dieſen Urſachen ge - nommen worden / damit ſie daſſelbige nicht etwa zum Nachtheile des ge - meinen Weſens / oder zu unbillicher Unterdruckung derer armen Kinder mißbrauchen; oder auch wohl die zu des Landes-Verderben hernach aus - ſchlagende Laſter aus vaͤterlicher Ge - lindigkeit und Verzaͤhrtelung ver - ſchweigen; und endlich den Vaͤtern die ſchier unertraͤgliche Laſt / ſelbſt in ihrer Kinder Verbrechen Urtheile zu faͤllen / nicht auferleget werden moͤchte.

T 4§. 8.428Des andern Buchs

§. 8.

Allein wo ein Kind ſeines Vateꝛs Familie gantz voͤllig veꝛlaͤſſet / und entweder eine eigene anleget / oder ſich in eine andere begiebet; ſo hoͤret zwar die vaͤterliche Gewalt uͤber daſſelbe auf / doch mit der Maſ - ſe / daß nichts deſtoweniger die Pflicht der kindlichen Liebe und Ehr-Furcht in ihrem Beſtande bleibe; als welche ſich auf die Verdienſte derer Eltern gruͤndet / und weil man billig be - glaubet iſt / daß ihnen die Kinder ih - re Wohlthaten niemals / oder doch ſehr ſelten nach der Gebuͤhr vergel - ten koͤnnen. Denn es beſtehen die - ſelbigen nicht nur darinne / daß ſie ih - nen das Leben / als die Veranlaſ - ſung aller andern Guͤther / zu dan - cken haben; ſondern auch / daß ſie ſich dererſelben muͤhſamen und koſt - baren Auferziehung unterziehen / und ſie dadurch zu tauglichen Gliedern der menſchlichen Geſellſchafft ma -chen /429drittes Capitel. chen / ja wohl oͤffters zu einer behaͤg - lichen und reichlichen Lebens-Art ih - nen alle nur erſinnliche Mittel zu - wege ſchaffen.

§. 9.

Ob nun wohl denen Eltern / als bißher erwieſen / die Kinder-Zucht von Natur oblieget / ſo hindert dieſes dennoch im geringſten nicht / daß / wofern es der Kinder Beſtes / oder die Noth erforderte / auch wohl einen andern ſothane Verwaltung an - vertrauet werden koͤnne / wobey ſich die Eltern gleichwohl die Ober - Auſſicht vorbehalten. Dannenhero thut ein Vater wohl / nicht allein / wenn er ſein Kind tichtigen Præcepto - ribus anvertrauet / ſondern auch / wenn er ſolches jemanden anders an Kindes ſtatt hingiebet / ſofern er ver - ſichert iſt / daß dem Kinde hievon ei - niger Vortheil zuwachſen werde. Ja / wenn ein Vater keine andere Mittel weiß / ein Kind zu ernehren /T 5ſo430Des andern Buchsſo kan er ſolches / ehe ers vor Hun - ger ſterben lieſſe / entweder jeman - den verpfaͤnden / oder es in eine leid - liche Dienſtbarkeit veraͤuſſern / zum wenigſten auf wiederkaͤuflich / wenn nemlich der Vater zu beſſern Gluͤck und Mitteln kommen / oder einer von den Verwandten daſſelbe wie - der an ſich loͤſen moͤchte. Wofern aber die Eltern ein Kind aus unmenſchli - cher Leichtfertigkeit ausſetzen und von ſich werffen / ſo trit derjenige / ſo ſel - biges aufnimmet und erziehet / auch in das väterliche Recht / und hingegen iſt ihm ſolch Pflege-Kind zu allen kindlichen Reſpect und Liebe verbun - den.

§. 10.

So wenig nun einen Vater gebuͤhret ſeine Kinder aus der Familie zu verſtoſſen / und ſich ohne ſehr erhebliche Urſachen deren Auferziehung und Huͤlffe / ſo lange ſie derſelben beduͤrfftig ſeynd / zu ent -bre -431drittes Capitel. brechen; Eben ſo wenig ſoll Gegen - theils ein Kind ſonder Urlaub und Verwilligung des Vaters aus der Familie treten. Weil aber ſolches ſonſt mehrentheils nur bey Schluͤſ - ſung einer Heyrath zu geſchehen pfle - get / und denen Eltern gleichwohl nicht wenig dran gelegen iſt / wem ihre Kinder beygeleget / und von wan - nen ihnen Stammes Erben und Enckel erziehlet werden; Als wil de - nen Kindern freylich obliegen / daß ſie ſich disfalls nach des Vaters Conſens richten / und ſich wider deſſen Willen kein Gemahl erkieſen. Falls die Kinder aber dergleichen dennoch ohne derer Eltern Einwil - ligung vornehmen / und gaͤntzlich vollzoͤgen / ſo ſcheinen zum wenigſten die Natuͤrlichen Rechte ſothane Ehe - Geloͤbniß nicht umzuſtoſſen / oder aufzuheben; Zumal / wann die ver - ehlichten der vaͤterlichen Familie da -T 6durch432Des andern Buchsdurch keine Beſchwerung zuziehen / noch die Gelegenheit ihr ſonſt un - anſtaͤndig ſeyn wuͤrde. Und wenn demnach an manchen Orten derglei - chen Ehen vor nichtig oder unguͤltig gehalten werden / ſo iſt ſolches blos denen buͤrgerlichen oder Landes-Ge - ſetzen zuzuſchreiben.

§. 11.

Kurtz: derer Eltern Pflicht beruhet zufoͤrderſt hierinne / daß ſie die Kinder pfleglich unterhal - ten / auch ihren Leib und Gemuͤthe durch eine geſchickte und ehrliche Auf - erziehung alſo abrichten / damit ſie dereinſt nuͤtzliche Gliedmaſſen der menſchlichen und buͤrgerlichen Ge - ſellſchafft abgeben / das iſt / fromm / redlich und wohl gezogen ſeyn moͤ - gen. Wie auch / daß ſie ſie zu einer tauglichen und ehrlichen Lebens-Art anhalten / und zu deren zeitlichen Gluͤcke / ſo viel es ihre Gelegenheit und Vermoͤgen leidet / guten Grundle -433drittes Capitel. legen / und allen Vorſchub thun moͤgen.

§. 12.

Hingegen gebuͤhret denen Kindern / daß ſie die Eltern ehren / das iſt / nicht nur mit aͤuſſerlichen Zeichen / ſondern vielmehr durch ei - ne innerliche Hochachtung gegen dieſelbigen / als die Urheber ihres Le - bens / und ſo vieler anderer Wohl - thaten eine gebuͤhrende Ehr-Furcht erweiſen / ihnen gehorchen / nach Kraͤfften dienen / und ſonderlich im hohen Alter / oder Armuth unter die Arme greiffen / ohne deren Rath und Gutbefinden nicht wichtiges vor - nehmen / und endlich deroſelben Ver - druͤßligkeit / oder andere Fehler / ſo ſie deren welche an ſich haͤtten / mit aller kindlichen Gedult und Sanfftmuth uͤber - tragen.

Das434Des andern Buchs

Das vierdte Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhr derer Herren und Knechte.

§. 1.

NAchdem ſich das menſchliche Geſchlechte zu vermehren be - gunt / und man befunden hat / wie füglich ſich die haͤuslichen Geſchaͤffte auch durch andere verwalten lieſſen / als iſt es gar zeitig eingefuͤhret wor - den / daß man hiezu Kuechte uud Dienſtbothen in die Familien eingenommen. Es iſt aber zu ver - muthen / daß ſich dergleichen Leute vom Anfange nur aus Noth und Armuth / oder aus vermerckter Bloͤ - digkeit ihres Verſtandes und Unge - ſchickligkeit vor ſich und ohne eines andern Direction etwas vorzuneh - men / freywillig darzu angetra -gen /435vierdtes Capitel. gen / und gegen Darreichung ſteti - gen Unterhaltes / und anderer Noth - durfft einen Herrn ihre Dienſte auf Lebens-Zeit verſprochen haben. Her - nacher / als ſich unter den Menſchen hin und wieder Krieg und Unruhe angeſponnen / ſo iſt es bey denen mei - ſten Voͤlckern in Gebrauch kommen / daß man diejenigen / denen / als Kriegs-Gefangenen / das Leben geſchencket worden / zuſamt ihren Kindern und Nachkommen / in die Dienſtbarkeit oder Knechtſchafft ge - ſtecket; wiewohl es auch dererjenigen Nationen nicht wenige giebet / bey denen dergleichen Knechtſchafft nicht im Gebrauche iſt / ſondern alle haͤus - liche Verꝛichtungen duꝛch gewiſſe hie - zu auf eine Zeitlang bedungene oder gemietete Lohn-Leute expediret wer - den.

§. 2.

Nachdem es aber / ſo zu ſa - gen / unterſchiedene Grade derDienſt -436Des andern BuchsDienſtbarkeit giebet; nachdem iſt es auch auf Seiten derer Herren und Knechte bald ſo / bald anders be - ſchaffen. Einen auf gewiſſe Zeit bedungenen Miethlinge iſt ſein Herr den verſprochenen Lohn / jener hinwiederum dieſem die Arbeit ver - glichener Maſſe nach zu liefern ſchul - dig. Und weil in dergleichen Con - tracte der Herr freylich mehr iſt / als der Diener / alſo wil dieſen obliegen / daß er jenen nach Gelegenheit ſeiner Wuͤrden und Standes Ehr-Erbie - tigkeit erzeuge / und dafern er ſich in Verwaltung ſeines Amts boshafftig oder laͤſſig erweiſet / ſich ſeiner Zucht unterwerffe / welche doch auch ihre gebührende Maſſe hat / und ſich kei - nesweges auf eine gar ſo harte Lei - bes - viel weniger Lebens-Straffe / ſo fern ſich nemlich ein Herr derſelben aus eigener Gewalt unterfahen ſol - te / erſtrecket.

§. 3.437vierdtes Capitel.

§. 3.

Hinwiederum einem ſol - chen Knechte / der ſich zu jeman - den freywillig / und auf Lebens - lang in Dienſtbarkeit begiebet / dem iſt ſeine Herrſchafft eben ſo lan - ge zu unterhalten / und andere Noth - durfft zu verſchaffen verbunden; Ge - gentheils muß er ihr wiederum alle Dienſte / ſo ſie ihm Zeit ſeines Lebens vorgiebet / treulich abſtatten / und uͤber das uͤbrige / ſo deroſelben dar - aus zu nutze gedeyhen kan / richtige Rechnung ablegen. Jedoch wird ſich ein vernuͤnfftiger Herr disfalls auch des Vermoͤgens und Geſchickligkeit eines jeden Dieners zu beſcheiden / und ſich ſo weit zu begreiffen wiſſen / daß er mit allzugroſſer Haͤrtigkeit mehr von ihm nicht fordere / als in ſeinen Kraͤfften ſtehet. So iſt auch ein Knecht ſeinen Herrn zur maͤßi - gen Zuͤchtigung untergeben / nicht allein ſo fern dieſelbe zu Abwendungder338Des andern Buchsder erwieſenen Fahrlaͤßigkeit an Amts-Geſchaͤfften / ſondern auch zur Beſſerung ſeiner uͤbeln Sitten und Beruhigung der Familie gereichet. Jedoch kan man einen ſolchen wider ſeinen Willen nicht an jemand an - ders verkauffen / indem er ſich aus guten Willen dieſen inſonderheit und nicht einen andern Herrn erkie - ſen wollen / und ihme vornehmlich dran Gelegen iſt / bey wem er ſich im Dienſte einlaſſe. Wenn nun ein ſol - cher Menſch ſich durch ein grobes Verbrechen an jemanden auſſer der Familie vergreiffet; ſo ſtehet im buͤr - gerlichen Stande und Republiqven es der Obrigkeit zu / ſolches gebuͤh - rend zu anthen; lebet er aber in ei - ner einzelen und von Polieey abge - ſonderten Familie, ſo iſt das fuͤglichſte Stꝛaff-mittel / daß man ihn aus der - ſelbenveꝛſtoſſe. Lieffe abeꝛ das Veꝛbꝛe - chen wider fothane beſondere Familieſelbſt /439vierdtes Capitel. ſelbſt / ſo mag der Herr und Haupt derſelben auch wohl die aͤuſſerſte Schaͤrffe mit ihm vornehmen.

§. 4.

Anlangende diejenigen / ſo als Kriegs - Gefangene / in die Knechtſchafft verſtoſſen werden / ſo iſts an dem / daß man mehrentheils mit ſolchen Leuten etwas ſchaͤrffer verfahren / weil ſich die Feindſelig - keit ſo voͤllig und geſchwinde nicht verliehren kann / und ſie gleichfalls vorher uns zu verderben und zu ver - ungluͤcken alle Moͤgligkeit angewen - det. So bald ſich aber der ſiegende Theil mit denen Uberwundenen ver - gleichet / ihm in ſeine Familie auf und anzunehmen / ſo hat eben dieſes die Meinung und Wuͤrckung / daß alle vorher gegangene Feindſeligkeit hie - durch aufgehaben ſeyn ſolle. Und alsdann thut der Herr einen auf ſol - che Maſſe an ſich gebrachten Knech - te allerdinges unrecht / wenn er ihment -440Des andern Buchsentweder den noͤthigen Unterhalt verweigert / oder ſich ohne Urſache grauſam wider ihn bezeiget / ja noch weit mehr / wann er ihm ohne ein tod-verdienendes Verbrechen und Miſſethat ums Leben bringet.

§. 5.

Sonſt hat es mit denenjeni - gen Knechten / welche itzt-beſagter Maſſen durch Kriegs-Gewalt in die Dienſtbarkeit gerathen / wie nicht weniger auch mit denen von uns er - kauffeten eben die Bewandtniß / als etwa mit andern Sachen / die man ſich vor ſein eigen Geld anſchaffet / in - dem man ſie nemlich nach ſeinen Be - lieben / gleich als andere Waaren / wiederum anderwaͤrtig verhandeln und verkauffen kan / und es alſo da - vor zuachten iſt / als weñ des Knech - tes Leib dem Herꝛn eigenthuͤm - lich zugehoͤrete. Jedoch heiſchet in dem Falle die Natuͤrliche Liebe zu bedencken / wie daß ein Knecht gleich -wohl441vierdtes Capitel. wohl auch ein Menſch ſey / und man ihm dannenhero keinesweges denen - jenigen Dingen in alle Wege gleich halten duͤrffe / welche wir nach un - ſern Gefallen mißbrauchen und gaͤntzlich hinrichten moͤgen. Ja / wenn man einen ſolchen Knecht ver - aͤuſſern wil / daß man ihn mit Fleiß / und ohne ſeine Verſchuldung / nicht an einen ſolchen Herrn bringe / all - wo er nichts anders / als ein un - menſchliches Tractament zu gewar - ten hat.

§. 6.

Endlich ſo iſt auch dieſes an vielen Orten gebraͤuchlich / daß die von Knechten erzeugete Kinder ſelbſt wieder in die Knechtſchafft ver - fallen / und als Leibeigene / ihrer Muͤt - ter Herren zugehoͤren. Und ſolches zwar aus dieſer Urſachen / weil / weſ - ſen der Leibeigene iſt / demjenigen von Rechtswegen auch die daher entfal - lende Fruͤchte und Nutzungen zuſte -hen;442Des andern Buchsben; Und wenn der Herr nach den Kriegs-Rechte und Schaͤrffe mit de - nen Eltern verfahren wollen / ſie nie - mals zu Kindern wuͤrden kommen ſeyn / imgleichen weil die Eltern nichts eigenthuͤmliches beſitzen / und deme nach die Kinder anderer Ge - ſtalt nicht / als von ihres Guͤthern / erhalten werden koͤnnen. Da ihnen aber nun dieſer lange Zeit zuvor Koſt und Unterhalt darreichet / ehe er ih - rer Huͤlffe und Dienſte wieder ge - nieſſen kan / und die folgende Arbeit gemeiniglich nicht viel mehr werth iſt / als die Koſt und Unterhaltung austraͤget / ſo koͤnnen ſie ſich freylich der Knechtſchafft ohne des Herrn Willen nicht entbrechen. Gleich - wohl und weil dergleichen arme Leib - eigene ſonder ihre Schuld in die Dienſtbarkeit gerathen / ſo wird ein Herr keinen Vorwand oder Urſa - che finden / wodurch ihm geſtattetwer -443fuͤnftes Capitel. werden moͤchte / gegen dieſelben haͤr - ter und Schaͤrffer / als etwan gegen andere ordentliche Lohn-Leute oder beſtaͤndige Miethlinge zu verfahren.

Das fuͤnfte Capitel. Von denen Urſachen / ſo die Menſchen zu Einfuͤh - rung des buͤrgerlichen Stats oder Republiqven bewogen.

§. 1.

OBwohl kaum einige Ergoͤtzung und Beqvemligkeit mag erſon - nen werden / welche man durch die bisanhero angefuͤhreten Schuldig - keiten und Staͤnde zu erlangen nicht getrauen ſolte / ſo iſt doch noch uͤbrig / daß wir fernerweit nun nachfor - ſchen / warum ſich denn die Men - ſchen an denen kleinen und urſpruͤng -li -444Des andern Buchslichen Geſellſchafften nicht vergnuͤ - get / ſondern die weitlaͤufftigen und groͤſſern / ſo man Republiqven, oder buͤrgerliche Societäten nen - net / aufgerichtet haben.

§. 2.

Nun wird dieſe Sache hie - mit nicht gehoben / wenn man etwa ſagen wolte: Es empfinde der Menſch ſelbſt von der Natur ei - nen ſonderlichen Trieb zu der - gleichen buͤrgerlicher Zuſam - mentretung / ſo gar / daß er ohne dieſelbigen weder leben koͤnne / noch wolle. Denn / weil es kundbar iſt / daß der Menſch zufoͤrderſt ſich ſelbſt und ſein eigen Beſtes liebet; ſo folget nothwendig / daß indem er von freyen Stuͤcken alſo nach der buͤrgerlichen Geſellſchafft ſtrebet / er hiebey ſein Abſehen auf einigen ſonderbaren Nutzen gerichtet haben muͤſſe. Ob es auch wohl an dem iſt / daß der Menſche auſſeꝛ aller Geſellſchafft mitſei -445fuͤnfftes Capitel. ſeines gleichen das elendeſte Thier von der Welt geweſen ſeyn wuͤrde / ſo laͤſſet ſichs doch noch keines Weges daraus folgern / daß ihn ſeine Nei - gung inſonderheit eben zu der buͤr - gerlichen haͤtte verleiten und noͤthi - gen muͤſſen / ſintemahl ſeinem natuͤr - lichen Verlangen und Beduͤrfftniſ - ſen auch nur durch die erſten Geſell - ſchafften / und vermittelſt derer jeni - gen Leiſtungen / ſo aus bloſſer natuͤr - lichen Freundſchafft und Liebe / oder auch aus geſchloſſenen Pacten erfol - get waͤren / ein voͤlliges Genuͤgen haͤtte geſchehen koͤnnen.

§. 3.

Dieſes wird um ſo viel ei - gentlicher erhellen / wenn man den Zuſtand / darein die Menſchen durch Stifftung derer Republi - quen gerathen / wie auch die Eigen - ſchafft eines recht ſchaffenen Glie - des von dieſer politiſchen Geſell - ſchafft / oder eines redlichen undUgu -446Des andern Buchsguten Buͤrgers / und denn letzlich das jenige / ſo bey einem Menſchen von Natur der buͤrgerlichen Staats-Verfaſſung zuwider iſt / in etwas genauere Erwegung zie - het.

§. 4.

Wer ein Buͤrger oder Unterthan wird / der muß ſeine na - tuͤrliche Freyheit quittiren / und ſich eines andern Regierung unterwerf - fen / welche unter andern auch das Recht uͤber Leben und Tod in ſich be - greiffet; er muß nach ſeinem Befehl viel Dinges thun / welches er ſonſt wohl bleiben lieſſe / und hingegen viel unterlaſſen / wornach ihm ſonſt geluͤ - ſtete. Denn es muͤſſen die meiſten Geſchaͤffte nach dem gemeinen Be - ſten der Geſellſchafft eingerichtet ſeyn / welches offtmahls dem Inter - eſſe eines Privat Buͤrgers entgegen zu ſtehen ſcheinet. Nun aber weiß man wohl / daß der Menſch / ſeinerange -447fuͤnfftes Capitel. angebohrnen Zuneigung nach / nie - manden gern unterthaͤnig ſeyn wil / und alles nach ſeinem Gefallen zu thun / auch allerwegens nur ſeinen eigenen Vortheil zu ſuchen gefliſſen iſt.

§. 5.

Ein rechtſchaffenes Glied dieſer politiſchen Geſellſchafft / o - der ein redlicher und guter Buͤr - ger iſt der jenige / der ſeiner Obrigkeit gehorſame Folge leiſtet / der das ge - meine Beſte nach allen Kraͤfften zu befoͤrdern trachtet / und ſolches ſeinem Privat-Nutzen nachzuſetzen alle - mahl bereit iſt; ja der ihm ſelbſt nichts zutraͤglich zu ſeyn erachtet / als was den gemeinen Staats-Nutzen befoͤr - dert / und ſich endlich gegen ſeine Mit-Buͤrger dienſtfertig / willfaͤhrig und huͤlffreich bezeuget. Jm Ge - gentheil weiſet ſichs aus / daß die we - nigſten zu dieſem Zweck ſich anzule - gen von Natur geneiget ſeyn / derU 2meh -448Des andern Buchsmehreſte Theil laͤſſet ſich noch etlicher maſſen durch Furcht der Straffen baͤndigen / und viele ſiehet man / als unpolitiſche Thiere und unbaͤndige Beſtien die gantze Zeit ihres Lebens hindurch in Ungehorſam und Halß - ſtarrigkeit gegen die buͤrgerliche Re - gierung beharren.

§. 6.

Endlich ſo iſt in der Welt kein trotzigeꝛs und ungezaͤhmters Thier / und das zu mehrern Laſtern / auch zu Beunruhigung der menſchli - chen Geſellſchafft mehr geſchickt und geneigt waͤre / als eben der Menſch. Denn nicht zu gedencken der groſſen Begierde nach Nahrung und Geil - heit / wozu die Beſtien gleichfalls an - gereitzet werden; ſo iſt der Menſch noch vielen Laſtern ergeben / davon die unvernuͤnfftigen Thiere nichts wiſſen. Als da ſind das unerſaͤttliche Verlangen nach uͤberfluͤßigen Din - gen / und der Ehr-Geitz / das grau -ſamſte449fuͤnfftes Capitel. ſamſte von allen Ubeln; ingleichen das immer-waͤhrende Andencken er - littenen Unrechts / und die Rachgier / die ſich auch durch die lange Zeit ſo leichte nicht daͤmpffen laͤſſet. Die unendliche Ungleichheit derer Zunei - gungen und Begierden / und endlich der Eyffer / womit ein jeder ſeine Handthierung und Profeſſion vor andern groß zu machen ſuchet. Wo - zu denn noch dieſes koͤmmet / daß die Menſchen mehrentheils mit einem ſolchen Ungeſtuͤm in ihr Geſchlechte hinein ſtuͤrmen / und man dannenhe - ro mit Beſtand der Warheit ſagen kan / daß das groͤſſeſte Theil derer je - nigen Ubel / denen die Menſchen un - terworffen ſind / von ihnen ſelbſten herruͤhre.

§. 7.

Demnach ſo iſt die eigentli - che und vornehmſte Urſache / warum ſich die Hauß-Vaͤter und Haͤupter beſonderer Familien mit VerlaſſungU 3der450Des andern Buchsder natuͤrlichen Freyheit zu Stiff - tung derer Republiquen entſchloſſen haben / vornehmlich dieſe / damit ſie ſich vermittelſt dererſelben wider alle von denen Menſchen zube - fahrende Gewaltthaͤtigkeit und Boßheit befeſtigen und beſchuͤtzen moͤchten. Denn gleichwie / naͤchſt GOtt / ein Menſch dem andern viel Nutzen ſchaffen kan; alſo fehlet es ihm / wie ſchon offt erwehnet / nicht weniger am Vorſatze und Vermoͤ - gen / ihm eben ſo groſſen Schaden zu zufuͤgen. Wannenhero die jenigen gantz recht und wohl von der menſch - lichen Boßheit und denen hiewider verordneten Mitteln urtheilen / wel - che Sprichworts-weiſe zu ſagen pfle - gen / daß / wenn die weltlichen Ge - richte thaͤten / einer den andern wohl gar aufffraͤſſe. Nachdem nun aber die Menſchen durch auffge - richtete Policeyen erſtlich in einenſol -451fuͤnfftes Capitel. ſolchen Stand und Ordnung gera - then ſind / daß ſie ſich wegen ſothaner gewaltigen und unrechten Beleidi - gung vor einander nicht mehr fuͤrch - ten duͤrffen; ſo iſt alßdann hieraus von ſich ſelbſt weiter erfolget / daß ſie die jenigen Vortheile und Gemaͤch - ligkeiten / die etwan ein Menſch dem andern zu wege bringen kan / deſto haͤuffiger und uͤberfluͤßiger genoſſen haben / indem man nemlich die Kin - der von Jugend auff zu beſſern Sit - ten angewoͤhnet / als etwan vorher ge - ſchehen / auch vielerley Kuͤnſte und gu - te Wiſſenſchafften erfunden / vermit - telſt deren dem menſchlichen Ge - ſchlechte zu mehrer Nahrung und Commoditaͤten iſt verholffen wor - den.

§. 8.

Und daß dieſes die wahre Ur - ſache derer angelegten Republiquen ſey / wird deſto deutlicher hervor ſchei - nen / wenn man noch fernerweit zuU 4beden -452Des andern Buchsbedencken giebet / daß kein ander Mittel / als eben dieſes / zur Beu - gung der menſchlichen Boßheit zulaͤnglich geweſen. Denn ob - gleich das Natur-Geſetz anbefiehlet / daß ſich die Menſchen aller ungerech - ten Beleidigungen gegen einander enthalten ſollen / ſo kan dennoch der ſothanem Geſetze gebuͤhrende Re - ſpect und Hochachtung es ſo bloß nicht zu wege bringen / daß ſie in der natuͤrlichen Freyheit genugſam vor einander geſichert ſeyn ſollten. Denn geſetzt / es waͤren etliche von ſo ſittſa - mer Gemuͤths-Art / daß ſie auch bey verſicherter Unſtraͤffligkeit jemanden zu beleidigen ſich nicht in Sinn kom - men lieſſen: geſetzt auch / es koͤnten ihrer etliche die boͤſen Begierden aus Furcht eines daher zugewartenden Ungluͤcks einiger maſſen im Zaume halten; ſo iſt doch im Gegentheil der Hauffen derer jenigen viel ſtaͤrcker /die453fuͤnfftes Capitel. die alle Rechte vor nichts achten / ſo offt ſich nur die Hoffnung einiges Nutzens blicken laͤſſet / und ſolche ſich etwa zutrauen duͤrffen / daß ſie den be - leidigten Theil durch ihre Macht o - der Liſt zuruͤcke treiben und von ſich abhalten koͤnnen. Und wie ſich nun ein jedweder vor dergleichen Leuten moͤglichſter maſſen zu huͤten und zu verwahren ſuchet; alſo hat man ſo - thane Sicherung fuͤglicher nicht / als durch Einfuͤhrung der buͤrgerlichen Regierung erlangen koͤnnen. Denn ob ſich auch ſchon ihrer etliche auſſer dem verglichen haͤtten / einander wi - der aͤuſſerlich andringende Gefahr mit zuſammen geſetzter Macht bey - zuſpringen / ſo waͤre dennoch auff eine gewiſſe Huͤlffe keines Weges ſo ſiche - re Hoffnung zu machen geweſen / in - dem man bey ſolcher Bewandniß kein zulaͤngliches Mittel gehabt haͤtte / wodurch man ihre Meinungen recht -U 5ſchaf -454Des andern Buchsſchaffen unter einen Hut bringen / und ſie zur Erfuͤllung des Vergleichs nachdruͤcklich anhalten koͤnnen.

§. 9.

Endlich ſo ſtellet es zwar das natuͤrliche Recht denen Menſchen genugſam unter Augen / daß es kei - nem / der andere unrechtmaͤßiger Weiſe beleidiget / vor ungenoſſen hin - aus gehe; und dennoch iſt weder die Scheu vor GOttes Gerichte / noch das beiſſende Gewiſſen bey boͤſen Leuten ſo vermoͤgend / daß es ſie von ihrer Leichtfertigkeit zuruͤcke hal - ten koͤnte. Denn es muß aus Schuld einer uͤbeln Zucht und Ge - wohnheit bey vielen die Vernunfft gleichſam ſtumm und taub werden; wannenhero denn erfolget / daß ſie nur auff das gegenwaͤrtige fallen / um das zukuͤnfftige ſich aber wenig be - kuͤm̃ern / und von nichts mehr zu be - wegen ſind / als was etwan in die aͤuſ - ſerlichen Sinnen faͤllet. Weil auchdie455fuͤnfftes Capitel. die Goͤttliche Rache mehrentheils et - was langſam zu erfolgen pfleget / ſo laſſen ſich verſtockte Gemuͤther dieſes dahin verleiten / daß ſie die Straffe und Zuͤchtigung derer Gottloſen an - dern Urſachen beymeſſen / zumahl da ſie oͤffters ſehen / daß ſolche Leute an Dingen / wornach der Poͤbel die Gluͤckſeeligkeit ermiſſet / vollauff und Genuͤge haben. Hiezu koͤmmet noch / daß die Gewiſſens-Stacheln / ſo vor einer jeden boͤſen That vorher gehen / nicht ſo ſcharff und empfindlich zu ſeyn ſcheinen / als die jenigen / ſo dar - auff erfolgen / welches aber alßdann in ſo fern zu ſpaͤte iſt / indem ſich eine einmahl geſchehene Sache nicht wie - der aͤndern und in den vorigen Stand richten laͤſſet. Allein in denen buͤr - gerlichen Regierungen iſt zu Stil - lung ſothaner hefftigen Begierden ein bewaͤhrtes und der menſchl. Na - tur gantz gemaͤſſes Mittel vorhan - den.

U 6Das456Des andern Buchs

Das ſechſte Capitel / Von der innern Zuſam - menfuͤgung / oder Verfaſſung der Republiquen.

§. 1.

NUnmehr wird wohl das naͤchſte ſeyn / daß wir uns um die Art und Weiſe / nach welcher das Gebaͤu - de derer buͤrgerlichen Staats-Coͤrper gleichſam auffgefuͤhret iſt / und um de - roſelben innere Zuſammenfuͤg - o - der Befeſtigung bekuͤmmern. Wo - bey denn dieſes anfaͤnglich offenbahr iſt / daß einzelne Perſonen wider die andringende Gefahr frevelhaffter und unruhiger Koͤpffe weder an de - nen maͤchtigſten Feſtungen / noch an den gefaͤhrlichſten Waffen / noch auch an allen wilden Thieren eine ſo be - queme und nachdruͤckliche Schutz - Wehre / als zufoͤrderſt nur an ihresglei -457ſechſtes Capitel. gleichen haben koͤnnen. Weil ſich aber ſothane Macht derer Men - ſchen / wenn ſie zumahl vereinzelet iſt / in die Ferne nicht erſtrecket; als war hoͤchſt noͤthig / daß ſie ſich durch eine gemeine Zuſammentretung und Vereinigung ihrer Kraͤffte zu dieſem Zwecke legeten.

§. 2.

Nun iſt aber fernerweit leich - te zu ermeſſen / daß ihrer hier zu meh - re / als etwa zwey oder dreye ſeyn muͤſſen / ſintemahl ſich ſonſt zu derer ſo wenigen Unterdruͤckung gar bald wieder ſo viele zuſammen rotten koͤn - nen / als etwa zu erlangendem Siege gegen dieſelbigen genug ſeyn moͤgen / welche ſich zumahl durch die Hoff - nung eines gluͤcklichen Succeſſes und wegen nicht zubefahrender Straffe deſto mehr zu dem Angriffe anfriſchen laſſen. Und dannenhero wollte zu Behauptung dieſes Zwecks hoͤchſt vonnoͤthen ſeyn / daß nicht et -U 7wan458Des andern Buchswan ihrer wenige / ſondern vielmehr eine groſſe Anzahl von Leuten zu - ſammen treten / um dadurch ihren Feinden die Stange zu halten / wel - che ſonſt auch wohl durch eine geringe Verſtaͤrckung einen mercklichen Vortheil zur Victorie gewinnen moͤ - gen.

§. 3.

Dieſe zuſammen tretende Menſchen muſten zufoͤrderſt einig und des Sinnes ſeyn / alle zu ſol - chem Zweck / und zum Beſtande dieſer Geſellſchafft gereichende Mittel eyfferigſt mit einander anzuwenden / und ſich denenſelben zu unterwerffen. Denn wenn ſonſt der Hauffen noch ſo groß waͤre / und aber einer da / der andere dort hinaus wollte / ſo wuͤrden ſie dennoch nim - mermehr was heylſames außrichten. Wenn ſie auch ſchon / aus Antrieb ei - nes ſonderbahren Affects, oder Ge - muͤths-Regung / auff eine Zeitlangeinig459ſechſtes Capitel. einig blieben / ſo wuͤrden ſie ſich / be - kanter menſchlichen Unbeſtaͤndigkeit nach / bey veraͤnderter Zuneigung doch eben ſo leichte wieder trennen / und auff andere Wege finden. Ja geſetzt / daß ſie ſich gar durch gewiſſe Pacte verglichen / ihre Kraͤffte zu ge - meinſamer Beſchuͤtzung gegen auß - waͤrtige Gewalt beyſammen zu hal - ten / ſo wuͤrden ſie dennoch auch hie - durch bloſſer Dinges ihrer Tauer - hafftigkeit nicht genugſam verſichert ſeyn. Und demnach / ſo brauchete es bey denen jenigen / die ſich einmahl um des gemeinen Beſtens willen zum Friede und gemeinſamer Be - huͤlffligkeit erklaͤret haͤtten / noch et - was mehres; wodurch ihnen nach - druͤcklich verwehret wuͤrde / hernach nicht wieder auff die Hinter-Fuͤſſe zu treten / wenn ſie gleich ihren Privat - Nutzen von dem gemeinen Beſten hiebey jezuweilen entfernet ſehen moͤchten.

§. 4.460Des andern Buchs

§. 4.

Nun ſticken denen Men - ſchen ſonderlich zwey Maͤngel in den Koͤpffen / welche die meiſte Hinderniß machen / daß ihrer viele / die ſonſt ihre eigene Herren ſind / und von einander nicht dependiren / lange auff einen Zweck zuſammen nicht einſtimmen koͤnnen. Der eine iſt die Mannig - faltigkeit derer Zuneigungen und des Urtheils in Entſcheidung des jenigen / ſo zum Zwecke dienſam iſt; wozu bey vielen noch koͤmmet eine Bloͤdigkeit des Verſtandes in Ab - ſeh - und Erwehlung der beſten Mei - nung unter vielen; ingleichen eine Hartnaͤckigkeit / das jenige / ſo man einmahl / ob wohl oͤffters nicht recht gruͤndlich / gefaſſet hat / zu behaupten. Der andere iſt eine Laͤßigkeit und Eckel / das jenige freywillig zu voll - bringen / was einen Nutzen mit ſich fuͤhret / wofern kein Zwang-Mittel vorhanden iſt / dadurch man die Wi -der -461ſechſtes Capitel. derſpenſtigen oder Saumſeeligen auch wider dero Willen zu Beobach - tung ihrer Schuldigkeit anhalten koͤnne. Dem erſten Mangel kan nun in gegenwaͤꝛtigem Falle dadurch abgeholffen werden / wenn des geſam̃ - ten Volcks Wille und Meinung auff eine beſtaͤndige immer-waͤhren - de Form vereiniget wird. Dem an - dern aber durch Anordnung einer bo - hen Gewalt / welche denen Halßſtar - rigen und gemeiner Wohlfarth ſich Widerſetzenden alſo gleich mit em - pfindlicher und in die aͤuſſerlichen Sinne fallender Straffe begegnen koͤnne.

§. 5.

Vieler Leute Sinne und Meinungen laſſen ſich auff keine Art beſſer vereinigen / als wenn ein jeder ſeinen Willen dem Willen oder Gut - duͤncken einer einigen Perſon / oder einer gewiſſen Verſamlung unter - wirfft / mit dem Bedinge / daß / wasdieſel462Des andern Buchsdieſelben in Sachen / die gemeine Si - cherheit betreffende / noͤthig und nuͤtze zu ſeyn befinden / ſolches hernach vor ihrer aller Willen und Meinung ſol - le geachtet werden.

§. 6.

Eine ſolche hohe Gewalt / dafuͤr jederman Scheu tragen muͤſſe / kan gleichfalls unter vielen Leuten auff andere Weiſe nicht ange - ordnet werden / als wenn ſie ſich ſam̃t und ſonders dahin verbinden / daß ſie ihre Kraͤffte und Vermoͤgen nur al - lein nach des jenigen Verlangen an - wenden wollen / dem ſie die Directi - on dererſelben antragen werden. Und wenn nun auff ſolche Maſſe die Vereinig - und Zuſammenſetzung ſo wohl derer Willen / als der Macht und des Vermoͤgens geſchehen iſt / ſo dann kan erſt eine groſſe Menge Volcks die Geſtalt eines maͤchtigen Staats-Coͤrpers / oder einer Repu - blique gewinnen.

§. 7.463ſechſtes Capitel.

§. 7.

Hiervon aber noch etwas ge - nauer zu handeln / ſo werden ordent - licher Weiſe zur Verfaſſung einer Republique zwey Pacte / und ein gemeinſamer Schluß erfordert. Denn vors allererſte muß man ſich einbilden / daß / wenn eine Menge Volcks / ſo bißanhero in ihrer natuͤr - lichen Freyheit gelebet / in buͤrgerli - chen Staat zuſammen treten wil / ſie ſich alle mit einander durch ein be - ſonderes Pact einzeln dahin ver - einigen / daß ſie insgeſam̃t eine be - ſtaͤndige Geſellſchafft unter ſich auff - richten / und was zu dero Beſten und gemeiner Sicherheit gereichen kan / mit zuſammen geſetztem Rath und Leutung außrichten / oder / mit einem Worte / Buͤrger einer Republique werden wollen. Jn dieſes Pact muͤſ - ſen ſie nun alleſam̃t einwilligen / und ſo fern ſich jemand deſſen weigert / der bleibet auch von ſothanerbuͤrgerlichen Vereinigung außgeſchloſſen.

§. 8.464Des andern Buchs

§. 8.

Hienaͤchſt brauchet es eines gemeinſamen Schluſſes / was vor eine Form der Regierung man einfuͤhren wolle. Denn bevor dieſe feſte geſtellet und eingefuͤhret iſt / kan man nichts beſtaͤndiges und dem ge - meinen Weſen zutraͤg - oder erſprieß - liches außrichten.

§. 9.

Nach dieſem muß man den andern Vergleich treffen / wenn nemlich nunmehro inſonderheit zu deſſen / oder derer jenigen Wahl ge - ſchritten wird / denen man die Regie - rung des neu-aufgerichteten Staats - Weſens antragen wil. Krafft ſotha - nen Pacts verbinden ſich dieſe zur Sorgfalt fuͤr die gemeine Sicherheit und Wohlfarth / die uͤbrigen aber / daß ſie ihnen unterthan und gehorſam ſeyn wollen / wodurch ſie auch ſich / und ihren Willen / ihnen ſaͤm̃tlich unterwerffen / und den Gebrauch ih - rer Macht und Vermoͤgens zur Be -ſchuͤ -465ſechſtes Capitel. ſchuͤtzung des gemeinen Weſens an - tragen. Wenn nun dieſer Vergleich rechtſchaffen zur Exſequution ge - bracht wird / ſodann muß daraus eine vollkommene und regulare Repu - blique entſtehen.

§. 10.

Die nunmehr eingerichtete Republique hat man ſich als eine einige Perſon einzubilden / wie ſie denn auch unter einem Nahmen von allen Particular-Leuten unter - ſchieden / und ihnen entgegen geſetzet wird. So hat ſie auch ihre eigene Rechte und Guͤter / welche ſich we - der ein jeder Buͤrger beſonders / noch ihrer viele / noch auch alle ingeſam̃t ſonder dem obriſten Staats-Regen - ten anmaſſen koͤnnen. Und wird dannenhero die Republique am fuͤg - lichſten beſchrieben / daß ſie ſey ei - ne aus vielen natuͤrlichen zuſam - men geſetzte Moral-Perſon / de - ren Wille / wie er aus derer ſaͤm̃t -lichen466Des andern Buchslichen Unterthanen einhelligem Vergleichen vereinbahret iſt / alſo auch vor ihrer allerſeits gemein - ſamen Schluß und Meinung ge - achtet wird / damit ſie vermittelſt deſſen aller und jeder dererſelben Macht und Vermoͤgen zu Beru - higung und Sicherheit des ge - meinen Weſens gebrauchen koͤn - ne.

§. 11.

Es aͤuſſert ſich aber ſothaner einer Republique Wille / als der Ur - ſprung und Brunn-Quell aller ihrer Staats-Handlungen / entweder durch eine einzige Perſon / oder durch eine beſondere Verſam - lung / nachdem die hoͤchſte Gewalt entweder auff dieſe / oder auff jenen verleget worden. Wenn ſie auff ei - nem einzigen Menſchen ruhet / ſo hat man das jenige / was dieſem (der jedoch eine geſunde Vernunfft haben muß) gut zu ſeyn beduͤncket / undzwar467ſechſtes Capitel. zwar in Sachen / den Zweck und Ab - ſehen des Staats betreffende / vor den Willen der geſam̃ten Republique zu halten.

§. 12.

Wo aber eben dieſe Ober - Gewalt bey einer beſondern Ver - ſamlung vieler Perſonen beſtehet / deren eine jede ihren natuͤrlichen frey - en Willen behaͤlt / ſo iſt ordentlicher Weiſe das jenige vor den Willen der Republique zu halten / was der mehreſte Theil der Verſamlung beſchluͤſſet / es waͤre denn durch eine außdruͤckliche Verordnung ſchon außgedinget / der wie vieleſte Theil unter ihnen den Willen der gantzen Verſamlung / und ſo folglich der Re - publique fuͤrſtellig machen ſolle. Hinwiederum wo zwey widerwaͤrti - ge Theile an der Zahl gleiche Stim - men haben / ſo wird darmit nichts außgerichtet / ſondern es bleibet die Sache im erſten S tande. Und endlich -468Des andern Buchslich wann ihrer viele widrige Mei - nungen haben / ſo gebuͤhret der jeni - gen der Vorzug / welcher unter denen einzelnen ab - und beſonders Stim - menden die meiſten beyfallen; jedoch muͤſſen derer auch ſo viel ſeyn / als ſonſt durch die Staats-Geſetze / den Schluß und Meinung der geſam̃ten Raths-Verſamlung zu repræſenti - ren / erfordert werden.

§. 13.

Wenn nun eine Republi - que bißher angezeigter maſſen in Stand gebracht worden / ſo pfleget man den oder die jenigen / welche die obere und hoͤheſte Staats-Gewalt vertreten / nachdem es entweder eine einzelne Perſon / oder eine aus weni - gen / oder auch wohl aus dem gantzen Volcke beſtehende Verſamlung iſt / einen Monarchen / oder Staats - Rath / oder freyes Volck zu nen - nen; die uͤbrigen aber heiſſen Unter - thanen oder Buͤrger / und zwar ineiner469ſechſtes Capitel. einer weitlaͤufftigen Bedeutung. Denn in engerm Verſtande nennen etliche nur die jenigen Buͤrger / durch deren Zuſammentretung und Con - ſens eine Republique erſtmahls ent - ſtanden / oder die / ſo an dererſelben Stelle kommen / nemlich die Hauß - Vaͤter und Haͤupter derer Familien. Dieſe ſind nun theils urſpruͤngli - che / die ſtracks im Anfange und bey der Stifftung einer Republique zugegen geweſen / oder hernach von dieſen gebohren worden / dahero man dieſe auch Buͤrgers - oder Landes - Kinder zu nennen pfleget; theils Einſetzlinge / welche nach der Zeit der auffgerichteten Republique von auſ - ſen hinein kommen / und ihr Gluͤcke darinne feſte ſetzen. Denn die jeni - gen / ſo ſich nur eine Zeitlang in einem Lande auffhalten / ſind deßwegen ei - gentlich keine Buͤrger / ſondern Fremdlinge / oder fremde Einwoh -Xner /470Des andern Buchsner / ob ſie ſich gleich ſothane Zeit - ber der buͤrgerlichen Regierung eines Staats unterwerffen muͤſſen.

§. 14.

Alles dieſes nun / was biß - anhero von dem Urſprunge derer Republiquen angefuͤhret worden / hindert uns deßwegen gar nicht / die buͤrgerliche Regierung auch von GOtt dem allerhoͤheſten herzulei - ten. Denn weil er das natuͤrliche Geſetze von allen Menſchen wil be - obachtet wiſſen; und aber nach der Vermehrung des menſchlichen Ge - ſchlechtes in denſelben eine ſo rauhe und ungeſchlachtete Lebens-Art ein - reiſſen wollen / wobey man das na - tuͤrliche Geſetz faſt gantz auſſer Augen geſetzet / deſſen Ubung durch Einfuͤh - rung des buͤrgerlichen Regiments trefflich wieder in Gang gebracht und befoͤrdert werden koͤnnen; dem - nach und weil der jenige / ſo den End - Zweck eines Dinges verlanget / auchver -471ſechſtes Capitel. vermuthlich die hiezu dienſame Mit - tel verordnet / und anzuwenden be - fiehlet / ſo verſtehet ſichs / daß der groſ - ſe GOtt dem nunmehro anwachſen - den menſchlichen Geſchlechte vermit - telſt der geſunden Vernunfft ſchon zuvoraus befohlen habe / die buͤrgerl. Geſellſchafften / welche / ſo zu ſagen / ihre Seele und Leben von der hohen Staats-Gewalt haben / in die Welt einzufuͤhren. Dannenhero er auch dieſen Stand in der heiligen Schrifft außdruͤcklich approbiret / deſſelben Hochachtung durch ſonderbahre Ge - ſetze anbefiehlet / und / wie hoch er ſich denſelben angelegen ſeyn laſſe / hin und wiedtr bezeu - get.

X 2Das472Des andern Buchs

Das ſiebende Capitel / Von denen unterſchie - denen Theilen der hoͤchſten Staats-Gewalt / oder dero hohen Berechtigun - gen.

§. 1.

AUs was fuͤr Theilen die hohe Staats-Gewalt beſtehe / und auff wie vielerley Art ſie ihre Macht in einer Republique erweiſe / das kan man gar deutlich aus dero Natur und End-Zwecke abnehmen.

§. 2.

Es iſt bekant / daß in einer je - den Republique die Unterthanen / in Sachen / die Wohlfarth des gemei - nen Staats-Weſens betreffende / ih - ren Willen dem Willen ihrer Ober - Regenten unterwerffen / und / ihren Befehlen gehorſame Folge zu leiſten / ſich willigſt erklaͤren. Damit nundie -473ſiebendes Capitel. dieſes geſchehen koͤnne / ſo iſt vonnoͤ - then / daß die Regenten / was diß - falls ihr Wille und Meinung ſey / denen Unterthanen andeuten; und das geſchiehet nicht allein durch beſondere Befehle / welche ſie zuwei - len in gewiſſen Geſchaͤfften an einzel - ne Perſonen abeghenlaſſen; ſondern auch durch allgemeine Geſetze und Verordnungen / darnach ſich ſam̃t und ſonders in allem Thun und Laſ - ſen beſtaͤndig zu achten haben; da - durch auch erklaͤret wird / was ein je - der vor das Seinige / oder vor ein fremdes Gut halten / was in der Re - publique als zulaͤßig oder unzulaͤſ - ſig / ehrlich oder unehrlich gelten ſolle / was ein jeder von der natuͤrlichen Freyheit noch uͤbrig habe / auch wie er ſich in dem Gebrauche ſeiner Rechte zu Beruhigung der Republique maͤſ - ſigen ſolle / und endlich wie viel / oder auff was maſſe einer dem andern vonX 3rechts -474Des andern Buchsrechtswegen etwas anfordern koͤnne. Denn daß dieſes alles recht genau und deutlich außgemachet und vorge - ſchrieben werde / daran iſt einer Re - publique / ihres eigenen Wohlſtan - des und Beruhigung halber / nicht wenig gelegen.

§. 3.

Ferner ſo iſt dieſes derer Re - publiquen vornehmſtes Abſehen / daß die Menſchen vermittelſt einer gemeinſamen Vereinigung und Be - huͤlffligkeit wider alle Gefaͤhrden und ungerechte Beleidigungen / die ſie einander ſonſt zu zufuͤgen gewoh - net und vermoͤgend ſeyn / geſichert le - ben moͤgen. Dieſes nun von denen jenigen / mit welchen man ſich in eine Geſellſchafft begiebet / zu erlangen / ſo iſt nicht genug / wenn man ſich we - gen enthaltender Beleidigung noch ſo genau vergleichet / ja es wil auch der bloſſe Wille und das Verbot der weltlichen Obrigkeit hiezu nicht wohlhin -475ſiebendes Capitel. hinlangen; ſondern es brauchet zu - foͤrderſt einer ernſten Straff - Furcht / und des Vermoͤgens / ſo - thane Haͤrtigkeit alſogleich fuͤh - len zu laſſen. Soll nun jetzt beſag - ter Zweck durch dieſes Mittel errei - chet werden / ſo muß die Straffe der - maſſen beſchaffen und empfindlich ſeyn / daß ein jeder in deren Anſehung die Ubertretung derer Geſetze alſo - gleich vor ein groͤſſeres Ubel / als die Beobachtung dererſelben halten / und alſo die Bitterkeit der Straffen die von ungerechter Beleidigung bereits empfundene oder noch zuhoffende Luſt und Vortheil um ein merckliches uͤbertreffen moͤge. Denn ſolcher ge - ſtalt kan es nicht anders ſeyn / als daß die Menſchen aus zweyen Ubeln das kleineſte erwehlen werden / und da ſich etliche auch durch ſothane ſcha[r]ffe Drohung von frevelhaffter Beſchaͤ - digung nicht abſchrecken lieſſen / ſo hatX 4man476Des andern Buchsman ſolches unter die jenigen Dinge zu rechnen / die ſo gar offte eben nicht vorkommen / und derer gaͤntzliche Un - terbleibung bey ſothaner boͤſen Ge - muͤths-Art derer Menſchen freylich nicht zu hoffen ſtehet.

§. 4.

Alldieweil ſich auch uͤber der rechten Application derer Geſetze auff die beſondern Geſchaͤffte offt - mahls einige Scrupel zu ereignen pflegen / und aber viel Dinge wohl und genau uͤberleget ſeyn wollen / ehe man etwas vor eine Mißhandlung und wider die Geſetze lauffende Ubel - that erklaͤret; dannenhero ſo wil / um Friede und Einigkeit unter denen Buͤrgern zu erhalten / der hohen O - brigkeit allerdings gebuͤhren / daß ſie uͤber derer Unterthanen Mißhel - ligkeiten richtige Erkaͤntniß ſtelle / und ſie entſcheide / die Handlungen / ſo denen Geſetzen zuwider zu ſeyn an - geſchuldet werden / unterſuche / denenVer -477ſiebendes Capitel. Verbrechern eine Geſetz-maͤßige Straffe dictire / und dieſelbe an ih - nen zur Exſequution bringe.

§. 5.

Damit aber die jenigen / die ſich in eine buͤrgerliche Geſellſchafft zuſammen geſchlagen haben / auch voꝛ Außwaͤrtigen ſicher ſeyn moͤgen / ſo gebuͤhret dero hohem Ober-Haupte / daß es ſo viele / als etwa der ungewiſ - ſen Anzahl und Macht ihrer Feinde zu gemeinſamer Beſchuͤtzung ge - wachſen ſeyn moͤchten / von den Un - terthanen zuſammen bringe / eine Armee davon richte / und ſie be - wehret mache / oder ſonſt eine zu - laͤngliche Werbung anſtelle / auch hinwiederum / wenn es ihm gut und Zeit zu ſeyn beduͤncket / Frieden ma - che. Und weil ſo wohl zu Krieges - / als Friedens-Zeiten die Buͤndniſſe darzu dienlich ſeyn / daß die Vortheile und Einkuͤnffte derer Republiquen deſto fuͤglicher gegen einander umge -X 5ſetzet /478Des andern Buchsſetzet / und ein einbrechender allzuſtar - cker Feind mit geſchloſſener Macht und verdoppelten Kraͤfften deſto eher abgetrieben / oder baͤndig gemachet werden koͤnne; ſo ſtehet es der hohen Obrigkeit gleichfalls zu / bey zeiten auff dienſame Alliantzen zu geden - cken / alle Unterthanen zu deroſelben Feſthaltung anzuſtrengen / und die daher flieſſende Vortheile dem Staat genieſſen zu laſſen.

§. 6.

Weil auch die ſo wohl zur Friedens - / als Krieges-Zeit bey ei - ner ſo groſſen Regierung vorfallende Angelegenheiten von einem einigen Menſchen / ſonder Bedienten und Unter-Obrigkeiten / ohnmoͤglich zu Wercke gerichtet werden konnen; ſo iſts noͤthig / daß die obriſten Staats - Fuͤrſteher ſolche Leute einſetzen / wel - che an ihrer Stelle die Zwiſtigkeiten derer Unterthanen examiniren / auff derer Benachbarten Anſchlaͤge einwach -479ſiebendes Capitel. wachſames Auge haben / das Solda - ten-Weſen beſtellen / des Staats Ein - kuͤnffte einbringen und richtig ver - walten / und endlich in alle Wege vor das gemeine Beſte Sorge tragen. Alle dieſe nun kan und ſoll die hohe Obrigkeit zu Beobachtung ihrer Pflicht fleißig antreiben / auch von ih - ren Am̃ts-Verrichtungen genaue Rechenſchafft fordern.

§. 7.

Ferner / weil des Staats Geſchaͤffte weder zu Friedens noch Krieges-Zeiten ohne groſſe Koſten koͤnnen gehaben werden; ſo darff die hohe Obrigkeit ihre Unterthanen zu dererſelben Entrichtung anhalten. Welches denn auff vielerley Arten geſchehen kan / als wenn die Jnwoh - ner einen gewiſſen Antheil von ihren Guͤtern und andern Einkuͤnfften / ſo ſie aus dem Lande ziehen / hiezu con - tribuiren / oder ſonſt ſam̃t und ſonders von ihrer Haabe und Guͤtern etwasX 6bey -480Des andern Buchsbeytragen / und zugleich / wo es die Noth erfordert / ihre Dienſte darſtre - cken. Jngleichen kan es auch auff die Weiſe geſchehen / wenn man auff die ein-und außgehenden Waa - ren einen gewiſſen Maut oder Zoll ſchlaͤget (doch daß durch jenen die Un - terthanen / durch dieſen aber die Fremden mehr beſchweret werden) oder wenn man durch Anlegung der Acciſe von dem Preiſſe derer taͤglich auff gehenden Sachen einen maͤßigen Theil vor die Fuͤrſtliche Cammer ab - ziehet.

§. 8.

Endlich / weil ein jeder ſeine Actiones nach ſeinem eigenen Gut - duͤncken anſtellet / die meiſten aber ge - meiniglich alſo zu urtheilen pflegen / wie ſie es etwa von Jugend an ge - wohnet ſind / oder wie die Urtheile in gemein gefaͤllet werden / die allerwe - nigſten aber den rechten Grund der Warheit und Tugend aus ihren eige -nen481ſiebendes Capitel. nen Koͤpffen und Verſtande ermeſſen koͤnnen; dannenhero / und weil es einer Republique ſehr zutraͤglich iſt / wenn man in derſelben oͤffentlich ſol - che Lehren treibet / welche deren ei - gentlichem Abſehen und dem Staats - Nutzen gemaͤße ſind / und alſo die Ge - muͤther derer Unterthanen von Ju - gend auff zu denenſelben angewoͤh - net; ſo iſt es ein Werck der hoͤheſten Obrigkeit / daß ſie das Land mit ſol - chen Leuten beſetze / welche dergleichen Lehr-Saͤtze oͤffentlich darinne vor - tragen muͤſſen.

§. 9.

Alle die bißanhero erzehlten Stuͤcke oder Rechte der hohen Staats-Gewalt ſind ihrer Natur nach dermaſſen mit einander verglie - dert und verknuͤpffet / daß / wenn anders eine Republique ihre richtige Form haben ſoll / ſie ſam̃t und ſonders von einer einigen Perſon / oder Ver - ſamlung / als von einer gemeinenX 7Wur -482Des andern BuchsWurtzel / herſtammen muͤſſen. Denn wenn eines oder das andere gaͤntzlich fehlet / ſo iſt die Staats Gewalt man - gelhafftig / und nicht geſchickt / den End-Zweck einer Republique zu er - langen. Seynd ſie aber zertheilet / und hafften deren etliche gruͤndlich und urſpruͤnglich bey einem / die uͤbri - gen aber bey denen andern / ſo muß daraus nothwendig ein unfoͤrmlicher und uͤbel an einander gefuͤgter Staats-Coͤrper erwachſen.

Das achte Capitel / Von den mancherley Formen und Arten derer Republiquen.

§. 1.

NAchdem die hoͤchſte Staats - Gewalt entweder bey einer einzeln Perſon / odeꝛ bey einer gan - tzen / und zwar wiederum entwederaus483achtes Capitel. aus ihrer wenigen / oder aber aus dem geſam̃ten Volck beſtehenden Verſamlung beruhet / nachdem giebet es auch unterſchiedene Formen und Arten derer Republiquen.

§. 2.

Es ſind aber die Formen de - rer Republiquen entweder Regula - re oder Jrregulare. Durch die erſten verſtehen wir die jenigen / da die hohe Staats-Gewalt dermaſſen in einem Subject beyſammen ſtehet / daß ſich dieſelbige von dar aus ohne einige Zertheilung und Einhalt / als von einem Willen und Seele herruͤh - rende / durch alle Theile und Ge - ſchoͤpffe einer Republique erſtrecket. Wo dieſes nun nicht iſt / da iſt gewiß eine irregulare Staats-Forme vor - handen.

§. 3.

Derer Regularen giebet es wiederum dreyerley / darunter die erſte iſt / wenn die hohe Staats-Ge - walt auff einer einigen Perſon lieget /und484Des andern Buchsund heiſſet eine Monarchie; die an - dere / wenn ſie bey einer aus denen vornehmeſten Buͤrgern beſtehenden Verſamlung beruhet / und heiſſet ei - ne Ariſtocratie; die dritte / wenn ſie bey der geſam̃ten Hauß-Vaͤter einer Republique / und alſo des Volcks Verſamlung ſtehet / wannenhero ſie auch eine Democratie heiſſet. Jn der erſten regieret ein Monarche / in der andern die Vornehmſten / und in der dritten das Volck.

§. 4.

Nun iſt die Macht und Ge - walt zwar bey allen dieſen Staats - Formen gleich und einerley; nichts deſto weniger aber hat die Monar - chie vor denen andern dieſe treffliche Bequemligkeit / daß man zur Be - rathſchlagung und Schlußfaſſung / das iſt / zu wuͤrcklicher Außuͤbung die - ſer hohen Gewalt nicht erſt gewiſſe Zeit und Oerter beſtimmen darff / ſon - dern ſolches allemahl und allerwegennach485achtes Capitel. nach guter Gelegenheit anſtellen kan / und es alſo jederzeit in eines Monar - chen Hand ſtehet / wenn und wo ihm die Reichs-Handlungen vorzuneh - men gefaͤllet. Hingegen wenn die Staͤnde oder das Volck etwas ſchluͤſ - ſen wollen / ſo muͤſſen ſie erſt zu ihren Zuſammenkuͤnfften eine gewiſſe Zeit und Ort ausſetzen / alsdann von den Reichs-Geſchaͤfften deliberiren / und einen Schluß daruͤber faſſen / ſinte - mahl es nicht moͤglich iſt / den Schluß eines Staats-Raths / oder geſam̃ten Volckes / welcher aus den meiſten Stimmen muß gezogen werden / auff andere Art zu erkennen.

§. 5.

Gleichwie es aber ſonſt bey Verwaltung anderer Rechte zu zuge - hen pfleget / eben ſo iſt es auch mit der hohen Staats-Gewalt beſchaffen / indem dieſelbige an theils Orten wohl / anderswo aber uͤbel und unvor - ſichtig adminiſtriret wird. Dan -nen -486Des andern Buchsnenhero geſchiehet es / daß man ſo wohl geſunde oder wohl beſchaffe - ne / als kraͤnckliche und gebrechliche Regierungen und Staaten findet / wiewohl nicht vonnoͤthen iſt / um der - gleichen Gebrechen willen noch mehꝛ beſondere Formen oder Arten derer Republiquen außzudichten. Diß iſt noch zu mercken / daß derer Gebre - chen / wodurch eine Republique beun - ruhiget wird / theils denen Regen - ten und Unterthanen / theils aber dem Staate ſelbſt ankleben / und demnach die Maͤngel derer Leute von den Staats-Maͤngeln unter - ſchieden werden muͤſſen.

§. 6.

Maͤngel derer Regenten in der Monarchie ſind / wenn der je - nige / ſo den Thron beherrſchet / die Regierungs-Kuͤnſte nicht verſtehet / ſich um dieſelbe wenig oder gar nicht bekuͤmmert / ſondern ſie durch hoch - muͤthige und geitzige Diener zerruͤt -ten487achtes Capitel. ten laͤſſet / ſich durch Grauſamkeit und Ungeſtuͤm fuͤrchtlich machet / den Staat ohne Noth auff die Spitze ſe - tzet / und zu Falle zu bringen ſuchet / des Reichs Einkuͤnffte / ſo zu des Staats Erhaltung angewendet wer - den ſollen / durch allerhand Uppigkeit und unbeſonnene Geſchencke ver - ſchwendet / oder ſeine Schaͤtze durch groſſe Aufflagen und von den Buͤr - gern erpreſſete Geld-Summen ohne Urſache vermehret; wenn er nichts auff Ehre haͤlt / redliche Leute be - ſchimpffet / Ungerechtigkeit liebet / und was etwa dergleichen Laſter mehr ſeyn / die einem Fuͤrſten einen uͤbeln Nahmen geben koͤnnen.

§. 7.

Maͤngel der Regenten in der Ariſtocratie ſind / wenn boͤſe und untuͤchtige Leute mit Hindanſetzung derer tugendhafften und geſchicktern durch Beſtechung und allerhand loſe Kuͤnſte an die Regierung kommen / o -der488Des andern Buchsder wenn die Groſſen und regieren - den Herren einander in den Haaren liegen / dem gemeinen Manne / als ihren Leibeigenen / uͤbel mitfahren / und die gemeinen Staats-Guͤter durch Vermehrung ihres eigenen Vermoͤgens verringern und er - ſchoͤpffen.

§. 8.

Die Maͤngel in einer De - mocratie ſind / wenn unverſtaͤndige und unruhige Koͤpffe ihre Meinun - gen mit Ungeſtuͤm und Sturm be - haupten wollen. Weñ man treffl. die Republ. nicht beſchwerende Kuͤn - ſte und Tugenden unterdruͤcket; um liederlicher Urſachen willen und ohne Bedacht neue Ordnungen machet und wieder auff hebet / und was einem erſtlich gefallen / ſich alſobald / ohne Erhebligkeit / wieder mißfallen laͤſſet; und endlich / wenn untaugliche und veraͤchtliche Leute zur Verwaltung des Regiments und anderer hohen Aemter gezogen werden.

§. 9.489achtes Capitel.

§. 9.

So ſind auch noch etliche ge - meine Maͤngel / die bey allen Re - publique-Formen von ſeiten der Obrigkeit oder Unterthanen vorfal - len koͤnnen / wenn nemlich die jeni - gen / denen die Staats-Regierung auffgetragen iſt / ihrem Am̃te nachlaͤſ - ſig und ſonſt uͤbel vorſtehen / und die Buͤrger / an ſtat daß ſie gehorſam und unterthaͤnig ſeyn ſollten / ſich wider - ſpenſtig und auffruͤhꝛiſch erweiſen.

§. 10.

Hingegen ſind die Staats - Maͤngel / wenn die Reichs-Geſetze und Ordnungen ſich vor die Art eines Volcks und Landes nicht ſchicken / die Jnwohner zu einer innerlichen Un - ruhe bewegen / oder ihnen auch wohl derer Benachbarten gerechten Haß auff den Halß laden. Jngleichen / wenn ſie dieſelben zu denen jenigen Geſchaͤfften / die eine Republique doch nicht entbehren kan / untauglich machen; als wann ſie z. E. dadurchzur490Des andern Buchszur Weichligkeit und Kriegs-Uner - fahrenheit; oder gegentheils zur Un - ertraͤgligkeit des Friedens angewoͤh - net wuͤrden. Und endlich / wann die Fundamental-Geſetze alſo eingerich - tet ſind / daß dererwegen die Staats - Geſchaͤffte anders nicht / als nur ſehr langſam oder ſchwerlich expediret werden koͤnnen.

§. 11.

Dieſen gebrechlichen Repu - bliquen pflegen ihreꝛ viele noch beſon - dere Nahmen beyzufuͤgen / alſo daß man die mangelhaffte Monarchie eine Tyranney / die mangelhaffte Ariſtocratie eine Oligarchie / oder eigen-nuͤtziges Regiment etlicher we - niger / und die mangelhaffte De - mocratie eine Ochlocratie / oder Poͤbel-Regierung betitult. Wie - wohl es auch offtermahls geſchiehet / daß man durch dergleichen Benah - mung nicht ſo wohl die Gebrechen einer Republique / als ſeine Ge -muͤths -491achtes Capitel. muͤths-Neigung und Mißfallen uͤber den gegenwaͤrtigen Staat und Regenten zu verſtehen giebet. Denn wer keine Luſt zu einer Koͤniglichen oder Monarchiſchen Regierung hat / der pfleget auch oͤffters wohl einen frommen und rechtmaͤßigen Printzen einen Tyrannen zu nennen / zumahl wenn derſelbe etwan die Geſetze ernſt - lich und genau vollziehen laͤſſet. Gleichfalls wenn einer zu der Staats - oder Staͤnde Verſamlung nicht kommen kan / und ſich dennoch eben ſo gut / als andere dieſes hohen Raths Glieder beduͤnckt / ſo pfleget er ſolche Regierung wohl aus einem Verdruſſe und veraͤchtlicher Weiſe Oligarchen / das iſt / ſolche Leute zu nennen / welche / ob ſie ſchon in keinem Stuͤcke beſſer ſind / als andere / den - noch aus Hochmuth uͤber ihres glei - chen / oder auch wohl uͤber noch ge - ſchicktere herrſchen wollen. End -lich492Des andern Buchslich geſchiehets auch wohl / daß Leute von hoffaͤrtigem Geiſte / und denen die Gleichheit des Volcks nicht gelegen iſt / wann ſie ſehen / daß in einer De - mocratie jederman bey der Regie - rung gleich viel zu ſprechen hat / und doch des gemeinen Poͤbels hierunter allemahl des meiſten iſt / ſolches eine Ochlocratie / oder ſolchen Staat nen - nen / da der gemeine Poͤbel die Ober - Hand hat / rechtſchaffenen tapffern Leuten / wie ſie ſich etwa zu ſeyn ein - bilden / dißfalls kein Vorzug gelaſſen wird.

§. 12.

Allen dieſen ſind nun entge - gen die Jrregularen Republi - quen / als in welchen die jenige Ver - einigung der hohen Gewalt / darinne ſonſt das Weſen eines Staats beſte - het / nicht ſo gar vollkoͤmmlich in ei - nem Subject angetroffen wird; und zwar iſt ſolches nicht etwan vor einen Gebrechen oder Mangel / ſo in derVer -493achtes Capitel. Verwaltung der Republique ſtecke / anzuſehen / ſondern vielmehr davor zu halten / daß dergleichen Form durch oͤffentliche Geſetze und Gewonheiten wider die gemeinen Staats-Reguln vor rechtmaͤßig und richtig einge - fuͤhret worden. Weil man aber von einer gemeinen Regul auff unendli - che Weiſe abſchreiten kan / ſo laſſen ſich auch die unregulirten Republi - quen in gewiſſe und gemeſſene Sor - ten nicht abtheilen. Jedoch kan man dererſelben Beſchaffenheit aus einem und andern Exempel abneh - men. Wenn eine Republique ſo angeleget iſt / daß der obere Staats - Rath und das Volck die Reichs-Ge - ſchaͤffte beyderſeits mit gleich-hohem Rechte und Befugniß abhandeln / al - ſo / daß keines dem andern hierinne unterworffen ſeyn darff. Oder wenn derer Staͤnde Macht in einem Rei - che dergeſtalt angewachſen iſt / daß ſieYdem494Des andern Buchsdem Koͤnige hernach anders nicht / als ungleiche Bundes-Genoſſen unter - thaͤnig ſeyn wollen / ſo hat man der - gleichen Regiments-Verfaſſungen vor unregulare Staats-Gebaͤude zu halten.

§. 13.

Vereinigte Staate ſind / wenn etliche vollkommene Republi - quen durch ein beſonderes Band alſo und dergeſtalt mit einander ver - knuͤpffet ſeyn / daß man ihre gemein - ſame Macht wohl vor eines einigen Groſſen Staats-Vermoͤgenheit an - ſehen moͤchte. Sie entſtehen vor - nehmlich auff zweyerley Weiſe / ein - mahl wenn ſolche ein gemeinſames Staats-Haupt haben; zum andern wenn ſie bloß mit einander in Buͤnd - niſſe treten.

§. 14.

Vermittelſt eines gemein - ſamen Ober - Hauptes geſchiehet es / wenn unterſchiedene beſondere Reiche entweder durch einen Ver -gleich /495achtes Capitel. gleich / oder durch Anlaß einer Ver - maͤhlung / Erbſchafft / oder Victorie unter einen Koͤnig zu ſtehen kommen / jedoch dergeſtalt / daß ſie ſich um deß - willen in ein eintziges Reich nicht ein - ſchraͤncken laſſen / ſondern ein jedes von den gemeinen Regenten nach ſei - nen eigenen Grund-Geſetzen gu - berniret werde.

§. 15.

Die andere Art derer ver - einigten Staaten entſpringet auff dieſe Maſſe / da ſich unterſchiedene be - nachbarte Republiquen auff ſolche Bedingung mit einander in ein be - ſtaͤndiges Buͤndniß einlaſſen / daß ſie etliche Theile der hohen Gewalt und Befugniſſe / ſonderlich die etwa des Landes Beſchuͤtzung wider außwaͤr - tige Feinde betreffen / ohne gemeinſa - men Schluß und Einwilligung ſaͤm̃tlicheꝛ Confœderirten nicht auß - uͤben wollen / im uͤbrigen aber ſich ſaͤm̃tliche ihꝛe Freyheit und indepen - dentz vorbehalten.

Y 2Das496Des andern Buchs

Das neundte Capitel / Von den vornehmeſten Eigenſchafften der buͤrgerli - chen hohen Staats - Gewalt.

§. 1.

ALle Gewalt / oder Bothmaͤßig - keit / dadurch ein gantzes Staats - Weſen bezaͤumet wird / muß bey allen und jeden Formen dieſe Eigenſchafft behalten / daß ſie die hoͤchſte in den - ſelben ſey / das iſt / daß ſie in der Auß - uͤbung von niemanden / als Obern / dependiren / ſondern ſich in allewege nach ihrem eigenen Gutbefinden und Willkuͤhr aͤuſſern / und ihre Verrich - tungen von keinen Hoͤhern hinter - trieben werden duͤrffen.

§. 2.

Daher koͤmmet es / daß eben dieſe hohe Staats-Gewalt keinem Menſchen zur Rede und Rechen -ſchafft497neundtes Capitel. ſchafft verbunden iſt / und zwar mit der Wuͤrckung / daß / wenn ſchon je - manden ihr Thun nicht gefallen ſoll - te / ſie deßwegen dennoch keiner menſchlichen Straffe oder Zuͤchti - gung / ſo fern dieſelbe als von einem Obern herruͤhrend ſcheinen moͤchte / unterworffen ſeyn duͤrffe.

§. 3.

Dieſem iſt anhaͤngig / daß ſo - thane hohe Gewalt auch alle menſch - liche und buͤrgerliche Geſetze / als - fern ſie eigentlich ſolche ſeyn / uͤber - ſteige / und durch dieſelbigen directè nicht gebunden werden koͤnne. Denn dieſe ruͤhren ſo wohl ihrem Urſprun - ge / als ihrer Waͤhrung nach / von der hohen Obrigkeit her / und kan de - rohalben ihre Verbindungs-Krafft ſich uͤber ſie ſelbſt nicht erſtrecken / ſin - temahl ſonſt daꝛaus folgen wuͤrde / daß ſothane Staats-Macht ſich ſelbſt - ber ſich ſchwingen und erheben koͤn - ne. Wiewohl es nicht allein wohlY 3und498Des andern Buchsund loͤblich ſtehet / ſondern auch denen Geſetzen ein groͤſſeres Anſehen gie - bet / wenn ein Ober-Herr nach Gele - genheit der Materie / und / alsfern es ſich vor ihn ſchicket / ſich ſelbſt aus frey - em Willen nach dem jenigen richtet / was er ſeinen Unterthanen in den Geſetzen vorgeſchrieben.

§. 4.

Endlich ſo befindet ſich die hohe Staats-Gewalt noch mit dem Character eineꝛ ſonderbahren Hoch - achtung verſehen / dergeſtalt daß es nicht allein das groͤſſeſte Unrecht iſt / wenn man ſich ihren rechtmaͤßigen Befehlen widerſetzet / ſondern wenn auch die Unterchanen ihre Strengig - keit nicht eben mit ſolcher Gedult / als etwa gehorſame Kinder das muͤrriſche und wunderliche Verhalten ihrer El - tern vertragen. Und demnach wil ſich geziemen / daß / wenn ſie ihnen ſchon das allergroͤſſeſte Unrecht zufuͤ - get / ſie ſich doch lieber mit der Fluchtſalvi -499neundtes Capitel. ſalviren / oder das alleraͤuſſerſte Drangſal außſtehen / als ſich mit be - waffneter Aufflehnung an ihrem rechtmaͤßigen / obwohl grauſamen Landes-Vater vergreiffen.

§. 5.

Uber diß ſo wird man die hohe Staats-Gewalt / ſonderlich in der Monarchiſchen und Ariſtocra - tiſchen Regierung / an theils Orten gantz abſolut und frey / an theils a - her in etwas umſchraͤncket befinden. Eine abſolute Gewalt hat der jenige Monarche / der ſich nicht an gewiſſe Geſetze und Ordnungen binden darff / ſondern das Reich nach ſeinem eigenen Gutduͤncken / und nach Ver - anlaſſung des jedesmahligen der Sa - chen Zuſtandes regieren / und alſo des Staats Wohlfarth und Auffnehmen nach ſeiner eigenen Willkuͤhr / und nachdem es etwa der Zeiten Lauff er - fordert / einzurichten freye Hand hat.

Y 4§. 6.500Des andern Buchs

§. 6.

Alldieweil aber eines Men - ſchen Verſtand nicht allemahl vor Jrrthuͤmern ſicher iſt / und zumahl bey einer ſolchen Freyheit der Wille gar leichte zum Boͤſen verleitet wer - den kan; ſo haben etliche Voͤlcker vor gut angeſehen / die hohe Staats - Gewalt in gewiſſe Graͤntzen ein - zuſchlieſſen. Welches denn auff die Weiſe geſchiehet / daß man einem ho - hen Regenten ſtracks bey Antragung des Reichs gewiſſe Geſetze vorleget / nach welchen er kuͤnfftig einige Stuͤ - cke der hohen Gewalt außzuuͤben / und bey vorfallenden Reichs-Angele - genheiten und andern Dingen / die ſich in Vorrath ſo gleich nicht außma - chen laſſen / ohne des Volcks Vorbe - wuſt und Willen / oder Beſchreibung deſſen Deputirten auff gewiſſe Land - oder Reichs-Tage nichts vorzuneh - men verbunden ſeyn ſolle / um da - durch alle Gelegenheit / welche denKoͤ -501neundtes Capitel. Koͤnig ſonſt von Beobachtung des Reichs Wohlfarth abfuͤhren moͤchte / deſto ehender und ſicherer zu verhuͤ - ten.

§. 7.

Endlich ſo wird man auch wegen der Beſitzungs-Art in denen Republiquen und Reichen hin und wieder eine groſſe Ungleichheit an - treffen. Denn etliche beſitzen ſelbige als ihr Eigenthum / und koͤnnen ſie dannenhero nach ihrem guten Gefal - len vertheilen / veraͤuſern / und / wem ſie nur ſelbſt wollen / zuwenden. Wel - ches dann mehrentheils bey denen je - nigen angehet / die ihre Laͤnder mit ge - waffneter Hand erworben / und ſich alſo ſolche Voͤlcker eigenthuͤmlich un - terworffen haben. Dahingegen die andern / die von einem Volcke durch freye Wahl erhaben werden / ob ſie wohl die hoͤchſte Gewalt in ihren Haͤnden haben / dennoch das Reich nach ihrem Belieben weder theilen /Y 5noch502Des andern Buchsnoch veraͤuſern / noch jemanden zu - wenden duͤrffen; ſondern ſolches nach Erforderung der Fundamental-Ge - ſetze / oder des Volcks und Reichs Herkommen gemaͤß einem Nachfol - ger uͤberlaſſen / und ſich alſo / wie et - liche davon reden / auff gewiſſe Maſſe nur mit dem Genieß-Brauche be - gnuͤgen muͤſſen.

Das zehende Capitel / Von der Art und Weiſe zu der buͤrgerlichen hohen und ſonderlich Monarchiſchen Staats-Gewalt zu gelangen.

§. 1.

OB gleich zu Auffrichtung einer jeden rechtmaͤßigen Republique derer Unterthanen Wille und Con - ſens vonnoͤthen iſt / ſo giebet es dochmehr /503zehendes Capitel. mehr / als eine Art / wodurch ſich der - ſelbige zu Tage leget. Denn bißwei - len muͤſſen ſich etliche durch Krieges - Gewalt in des Uberwinders Willen und unter ſeine Bothmaͤßigkeit bege - ben; bißweilen aber geraͤth ein Volck von ſelbſt auff den Willen und End - ſchluß / einen Printzen durch freye Wahl uͤber ſich zu ſetzen.

§. 2.

Jene gewaltſame Art zur Herrſchafft zu gelangen heiſſet eine Occupir - oder Einnehmung / da einer nemlich durch rechtmaͤßige Ur - ſachen zur Ergreiffung der Waffen genoͤthiget das Gluͤcke hat / ein Volck ſo weit einzutreiben / daß es ſich ſei - nem Dominat forthin unterwerffen muͤſſe. Den rechtmaͤßigen Titul zu ſothaner Hoheit bekoͤmmet er nicht al - lein daher / daß er / als ein ſieghaffter Feind / wenn er mit der Schaͤrffe ver - fahren wollen / denen Uberwundenen das Leben gantz und gar nehmen koͤn -Y 6nen /504Des andern Buchsnen / und ihm alſo davor / daß er ſie nur mit einer ſo kleinen Ungelegen - heit belaſtet / noch darzu der Ruhm ei - nes gelinden und guͤtigen Herrn ge - buͤhret; ſondern auch / weil der jeni - ge / der mit einem andern ohne gegebe - ne Urſache anbindet / indem er ſich zu einer billichen Satisfaction nicht ver - ſtehen wil / alle ſein Gluͤcke auff die Spitze ſetzet / und ſich alſo gleichſam ſchon voraus zu dem jenigen Stande / worein er im Außgange des Krieges gerathen moͤchte / reſolviret.

§. 3.

Aus freyem Willen wird die hohe Staats-Gewalt vermit - telft der Wahl zuwege gebracht / wenn ein Volck / das entweder bereits in buͤrgerlicher Geſellſchafft vereini - get iſt / oder noch darein treten wil / ei - ne gewiſſe Perſon / ſo es zum Regi - mente tuͤchtig zu ſeyn erachtet / aus freyen Stuͤcken erkieſet / und deroſel - ben / wenn ſie nach beſchehener An -deu -505zehendes Capitel. deutung des gemeinſamen Schluſſes ſolches anzunehmen verwilliget / das Reich mit Verſicherung ihrer Unter - thaͤnigkeit und Gehorſams uͤber gie - bet.

§. 4.

Jn einer ſchon eingerichteten Republ pfleget nach Abſterben eines Ober Haupts ſo lange / biß ein ande - res erwehlet wird / eine Vacantz o - der Interregnum zu entſtehen. Ob nun gleich binnen ſolcher Zeit der Staat in eine ſehr unvollkommene Regierungs-Art zerfaͤllet / indem das Volck ſodann nur bloß durch Krafft des erſten Pacts beyſammen bleibet; ſo huͤlffet doch der Nahme und die Lie - be des gemeinen Vaterlandes viel zur Befeſtigung dieſes Bandes / wie denn auch dieſes hiebey nicht wenig thut / daß die meiſten im Lande mit Guͤtern angeſeſſen ſind / um deren willen ehr - liche Buͤrger auch von freyen Stuͤ - cken ſo lange gern friedſam leben / undY 7zu506Des andern Buchszu eheſter Erſetzung des Reichs allen moͤglichen Fleiß anwenden. Es kan aber vielem aus dergleichen Interre - gnis ſonſt beſorgendem Unheyl vor - gebauet werden / wenn man in Vor - rath feſte ſtellet / wer ſich zeit waͤhren - der Vacantz der Verwaltung des Re - giments annehmen ſolle.

§. 5.

An theils Orten ſtellet man allemahl nach Abſterben eines Re - genten eine neue Wahl an; anders - wo aber werden ſie ſtracks mit dieſer Bedingung eingeſetzet / daß das Reich durch das Recht der Nachfolge / ſonder einige neue Wahl / bey ihrer Familie verbleiben ſolle. Und dieſes einzu - fuͤhren ruͤhret entweder von des Koͤ - nigs / oder des Volcks Willkuͤhr her.

§. 6.

Koͤnige / denen ein Reich ei - genthuͤmlich und erblich zuſtehet / koͤn - nen nach ihrem Gefallen uͤber der Nachfolge diſponiren / und wirdihre507zehendes Capitel. ihre Verordnung eben ſo genau / als der letzte Wille bey Privat-Leuten be - obachtet / zumahl wenn ſie das Reich ſelbſt geſtifftet und erworben haben. Demnach ſo koͤnnen ſie ſelbiges / wann ſie wollen / unter viele Kinder vertheilen / auch die Toͤchter nicht ein - mahl davon außgeſchloſſen / ja es iſtih - nen unverwehret / einen Fremden an Kindes ſtatt an zunehmen / und zum Nachfolger zu machen / deßgleichen ſie auch einem natuͤrlichen Sohne / o - der andern ihnen ſonſt gantz nicht anverwandten thun koͤnnen.

§. 7.

Wo nun ein Koͤnig / oder ho - her Landes-Herr / der Nachfolge wegen gar keine beſondere Anſtalt machet / iſt von ihm ſo zu vermuthen anfaͤnglich / daß er gleichwohl ſeines Reichs in keinerley Weiſe verluſtig ſeyn wollen / ſondern vielmehr ge - meiner menſchlichen Zuneigung nach verlanget / daß es bey denen Seini -gen508Des andern Buchsgen verbleiben moͤchte. Zum andern / daß er die Monarchiſche Regierungs - Art zu continuiren begehret / als welche er durch ſein eigen Exempel die beſte zu ſeyn erwieſen. Drittens / daß er das Reich nicht zertheilet wiſſen wollen / immaſſen aus dergleichen Zerſtuͤmmelung ſo wohl des Reichs / als der koͤniglichen Familie Ruin er - folget. Ferner / daß er unter glei - chen Graden das maͤnnliche Ge - ſchlechte dem weiblichen / und den Erſtgebohrnen denen uͤbrigen vorzu - ziehen verlanget. Und endlich / daß bey ermangelnden Leibes-Erben er ſolches denen naͤheſten Bluts - Ver - wandten goͤnnen wollen.

§. 8.

Hingegen in denen Repu - bliquen / die ein Volck anfaͤnglich aus freyem Willen ſelbſt geſtifftet hat / ruͤhret die Ordnung der Nachfol - ge auch von deſſelben Willen her / wie ſolche erſtmahls von ihm be -liebet509zehendes Capitel. liebet und verglichen worden. Wofern es nun einem Koͤnige / oder andern hohen Regenten / zugleich mit der Regierung auch das Recht / Nach - folger einzuſetzen / uͤbergiebet / ſo wird es mit der Succeſſion gehalten / wie es dieſer anordnet. Da aber der - gleichen nicht geſchehen / ſo iſt zu ſchluͤſſen / daß ſich das Volck ſolches Recht ſelbſt vorbehalten habe. Und wenn es ſichs gefallen laͤſſet einem erwehlten Koͤnige hernachmahls erſt das Erb-Recht einzuraͤumen / ſo wird es mit der Ordnung der Reichs-Fol - ge / inſofern es nemlich deſſelben Wohlfarth zulaͤſſet / eben als wie mit denen gemeinen Erb-Folgen gehal - ten / oder aber es wird daſſelbe auff ei - ne beſondere Art in etwas temperi - ret.

§. 9.

Wo ein Volck ſeinem Koͤ - nige das Erb-Recht an dem Rei - che ſchlechter dinges einraͤumet /und510Des andern Buchsund nichts inſonderheit dabey auß - dinget / ſo wil es zwar / daß daſſelbige jedesmahl nach der Ordnung / wie die Privat-Erbſchafften / verfaͤllet wer - de / jedennoch aber auch nicht gaͤntzlich ſonder alle Maſſe. Denn einer je - den Republique Wohlſtand ſcheinet in nachfolgenden Puncten vor jenen einen Unterſcheid zu erfordern; erſt - lich / daß ein Reich nicht zertheilet werde; zum andern / daß die Suc - ceſſion nur bey des erſten Regenten Nachkommen von abſteigender Linie bleibe; drittens / daß keine andere / als die den Landes-Geſetzen gemaͤß gebohren ſind / und alſo weder Unech - te / noch an Kindes ſtat angenommene des Erb-Rechts genieſſen; vierd - tens / daß in gleichem Grade die Manns-Perſonen denen weibli - chen / obſchon der Geburt nach aͤlte - ren / vorgezogen werden; und zum fuͤnfften / daß ein jeder Nachfolgerdas511zehendes Capitel. das Reich vor eine Wohlthat des Volcks / und nicht ſeines Vorfahren / halte.

§. 10.

Weil ſich aber bey Abſter - ben eines Landes-Herrn uͤber der Naͤhe oder Ferne der Anverwand - ſchafft / zumahl wenn die Familie von dem erſten Stamm-Herrn ſchon et - was weit herab kommen iſt / leichtlich ſehr verworrne Streitigkeiten erhe - ben koͤnten; als iſt zu deſſen Verhuͤ - tung bey vielen Voͤlckern die Linial - Folge beliebet worden / welche darin - ne beſtehet / daß / nachdem ein jeder von dem Urheber der regierenden Familie abſtammet / alſo er gleichſam eine Perpendicular-Linie mache / und deren Ordnung nach ein jeder in der Regierung folge / nicht aber aus einer ein Sprung in die andere ge - ſchehe / ſo lange von der erſten noch je - mand vorhanden iſt / ohnerachtet auch welche ſeyn moͤchten / die dem Ver -ſtorbe -512Des andern Buchsſtorbenen in naͤherm Grade zugehoͤ - ren.

§. 11.

Die gewoͤhnlichſten Arten der Linial-Succeſſion ſind die maͤnnliche / und dann die maͤnn - und weibliche. Jn dieſer werden die Weiber nicht außgeſchloſſen / ſon - dern nur dem maͤnnlichen Geſchlech - te in ſelbiger Linie nachgeſetzet; alſo / daß man endlich auff ſie zuruͤcke koͤm - met / wenn man keine Manns-Per - ſonen in gleichem oder naͤherm Gra - de haben kan. Hingegen wird bey jener das weibliche Geſchlechte / ſam̃t alle deſſen Nachkommen / beſtaͤndig außgeſchloſſen.

§. 12.

Wenn wegen der Succeſſi - on in einem Erb-Koͤnigreiche ein Streit erwaͤchſet / ſo iſt es am beſten / daß ſelbiger durch Schieds-Leute aus der koͤniglichen Familie vertra - gen werde. Ereignet ſich aber der - gleichen in einer Republique / da dieSuc -513zehendes Capitel. Succeſſion bey dem Volcke ſtehet / ſo muß ſelbiges den Zweiffel durch eine einhellige Erklaͤrung heben.

Das eilffte Capitel / Von der Schuldigkeit derer hohen Staats - Haͤupter.

§. 1.

WOrinne die ſchuldige Gebuͤhr der hohen Obrigkeit beſtehe / kan man am gruͤndlichſten aus der Eigenſchafft und End-Zwecke derer Republiquen / wie auch aus der Be - trachtung derer hohen Staats-Rech - te und Angelegenheiten abnehmen.

§. 2.

Wobey denn vor allen Dingen erfordert wird / daß die Regenten ſelbſt fleißig erlernen / was zu voͤlliger Erkaͤntniß dieſes hohen Am̃ts ge - hoͤret; indem niemand das jenige loͤblich verwalten kan / was er nie -mahls514Des andern Buchsmahls rechtſchaffen gelernet hat. Und dannenhero muß ſich ein Fuͤrſt ſolcher Dinge enthalten / die zu dieſem Zwe - cke nichts dienen; ſich auch der eiteln Ergoͤtzungen und anderer laͤppiſcher und nichts wuͤrdiger Dinge und Verrichtungen entſchlagen / die ihm an der Erreichung ſeines Staats - Ziels nur hinderlich ſeyn; ſonſten a - ber allezeit redliche und verſuchte Leu - te um ſich haben / und hingegen Schmeichler / Waͤſcher / und derglei - chen unnuͤtzes Geſinde / das ſelbſt nichts rechtſchaffenes weiß und geler - net hat / aͤuſſerſt meiden. Damit er auch die allgemeinen Lehren der Re - gier-Kunſt recht appliciren koͤnne / ſo muß er von der Beſchaffenheit ſeines eigenen Staats und derer Untertha - nen Zuneigung genaue Erkaͤntniß haben; ſonderlich aber ſich auff die je - nigen Tugenden befleißigen / deren Nutzen und Gebrauch ſich in Ver -wal -515eilfftes Capitel. waltung einer ſo ſchweren Buͤrde hervorthut / und ſein gantzes Weſen nach der hohen Wuͤrde einer ſo vor - trefflichen Function wohl einzurich - ten wiſſen.

§. 3.

Diß ſoll aller hohen Regen - ten General-Regel ſeyn / daß ſie ſich des Volcks Wohlfarth vor allen Dingen angelegen ſeyn laſſen. Denn zu dem Ende iſt ihnen die Re - gierung anvertrauet / daß ſie dadurch den Zweck / deſſentwegen alle Repu - bliquen angeleget ſeyn / erhalten ſol - len. Und dannenhero muͤſſen ſie fe - ſte beglaubet ſeyn / daß ſie an keinem Dinge einigen Privat-Vortheil ha - ben koͤnnen oder duͤrffen / wenn ſolcheꝛ nicht zugleich den gemeinen Staats - Nutzen befoͤrdert.

§. 4.

Zur innerlichen Beruhigung einer Republique iſt vonnoͤthen / daß derer ſaͤm̃tlichen Unterthanen Wille und Begierden dermaſſen in einerich -516Des andern Buchsrichtige Harmonie gebracht / und in guter Leitung gehalten werden / als es etwa dem gemeinen Weſen am zu - traͤg - und erſprießlichſten zu ſeyn ſcheinet. Zu dem Ende hat die hohe Obrigkeit nicht allein zulaͤngliche Geſetze vorzuſchreiben / ſondern auch allenthalben uͤber gute Zucht und Sitten zu halten / damit ſich die Un - terthanen nicht ſo wohl aus Furcht vor der Straffe / als aus einer loͤb - lichen Gewonheit denen Geſetzen ge - maͤß bezeugen lernen. Und wird dieſer Zweck hiedurch nicht wenig be - foͤrdert / wenn ſich die hohen Regen - ten ernſtlich angelegen ſeyn laſſen / daß die Chriſtliche Religion in ihren Landen rein und lauter gelehret / und darbenebenſtin denen oͤffentlichen Schulen ſolche Lehr-Saͤtze getrieben werden / welche mit dem Haupt-Ab - ſehen der Republique uͤbereinſtim - men / und demſelben nicht zum Nach - theil gereichen.

§. 5.517eilfftes Capitel.

§. 5.

Es hilffet auch zu eben dieſem Zwecke noch ferner / wann die jenigen Rechte und Ordnungen / ſo die Un - terthanen bey ihren taͤglich fuͤrfallen - den Geſchaͤfften zu beobachten haben / recht deutlich und klar vorgetragen werden. Jedoch ſollen ſothaner buͤr - gerlichen Geſetze auch mehr nicht ſeyn / als des Staats und der Buͤr - gerſchafft Beſtes erfordert. Denn es pfleget ein Menſch in ſeinem Thun und Laſſen viel eher ſeine ge - ſunde Vernunfft / als dieſe Geſetze zu rathe zu ziehen; wenn derer nun mehr ſind / als man faſt in dem Gedaͤchtniß behalten kan / und in denſelben etwas verboten wird / das ein Menſch von Natur und aus ſeiner bloſſen Ver - nunfft nicht wiſſen kan / ſo folget noth - wendig / daß die Unterthanen oͤffters bloß wegen dieſer Unwiſſenheit ohne einige boͤſe Intention wider die Ge - ſetze anlauffen muͤſſen. Wodurch ih -Znen518Des andern Buchsnen die hohe Obrigkeit eine vergebli - che Beſchwerung uͤbeꝛ die Haͤlſe zieht / welches gleichwohl dem Zweck und Abſchen derer Republiquen gerade entgegen ſtehet.

§. 6.

Alldieweil es aber mit allen Geſetzen umſonſt iſt / wann die hohe Obrigkeit deroſelben Ubertretung ungeſtrafft hingehen laͤſſet; als muß ſie ſelbige gebuͤhrend zur Exſequuti - on bringen / einem jeden ohne lan - ges Verzoͤgern / vergebliches Vertroͤ - ſten und Herummerfuͤhren zu ſeinen Rechten verhelffen / auch nach Be - ſchaffenheit eines jeden Verbrechens / und des Miſſethaͤters Vorſatze und Boßheit Straffe aufferlegen / und ohne erhebliche Urſache nicht leichtlich durch die Finger ſehen / immaſſen es nicht allein die groͤſſeſte Unbilligkeit / ſondern auch ein kraͤfftiges Mittel iſt / derer Unterthanen Gemuͤther ſchwuͤ - rig zu machen / wofern die jenigen / dieglei -519eilfftes Capitel. gleiches verdienet haben / (jedoch nach Gelegenheit derer andern Umſtaͤn - de) nicht auch gleichen Lohn empfan - gen.

§. 7.

Gleichwie man aber nicht ſo leichte auff etwas eine Straffe legen ſoll / wofern der Republique davon nicht ein mercklicher Nutzen zuge - warten ſtehet; alſo muͤſſen dieſelbigen auch dergeſtalt gemaͤßiget ſeyn / daß ſie gegen ſelbigen Zweck eine Proporti - on behalten / und die Unterthanen davon nicht mehr Beſchwerung / als die Republique Nutzen / empfinden moͤgen. Sollen ſie aber ihren Zweck erreichen / ſo iſt leichte zu ermeſſen / daß ſie gleichwohl auch dermaſſen ge - ſchaͤrffet ſeyn muͤſſen / damit deroſel - ben Empfindligkeit den Gewinn und Beluſtigung / ſo ein Ubelthaͤter aus der Mißhandlung und Ubertre - tung derer Geſetze zu haben ſich ein - bildet / uͤbertreffen / und ihm alſo hie -Z 2durch520Des andern Buchsdurch der Appetit zu jenem vertrie - ben werden moͤge.

§. 8.

Ferner / weil die Menſchen um gemeiner Sicherheit willen ge - gen anderwaͤrtig zubefuͤrchtende Be - leidigung in die Republiquen zuſam - men getreten ſind; ſo wil denen ho - hen Regenten in alle wege obliegen / um ſo viel nachdruͤcklicher aller Un - gerechtigkeit zwiſchen ihren Unter - thanen zu ſteuren / und dieſelbe abzu - wehren / je mehrern Anlaß ihnen die ſtetige Beyſammenwohnung zu al - lerley unbefugten Verletzungen gie - bet. So ſoll auch der Unterſcheid derer Staͤnde und Wuͤrden bey der hohen Obrigkeit ſo viel nicht gelten / daß um deſſentwillen die Geringern von denen Maͤchtigern unterdruͤcket werden duͤrfften. Und endlich / ſo iſt es dem End-Zwecke eines jeden Staats zuwider / wenn ſich die Unter - thanen wegen erlittener unbillicherBe -521eilfftes Capitel. Beleidigungen durch eine Privat - Rache ſelbſt Recht zu verſchaffen un - terfangen ſollten.

§. 9.

Uber diß / ob wohl ein Fuͤrſte nicht vermoͤgend genug iſt ohnmittel - bahr alle wichtigen Geſchaͤffte eines / zumahl weitlaͤufftigen / Staats uͤber ſich zu nehmen / und alſo nothwendig die hohen Sorgen mit gewiſſen Die - nern und Beamten theilen muß; alſo geſchiehet es dennoch / daß / gleich - wie dieſe alle ihre Gewalt von dem Fuͤrſten entlehnen / alſo auch alle das jenige / das dieſe entweder gutes oder boͤſes ſtifften / dem Fuͤrſten leediglich beygemeſſen werde. Dannenhero und weil nach Beſchaffenheit derer Bedienten die Geſchaͤffte auch wohl oder uͤbel lauffen / ſo iſt hohe Obrigkeit verbunden / die Aemter in einer Re - publ. mit redlichen und geſchickten Leuten zu beſetzen / auch hernach in de - ro Thun zum oͤfftern ein ſorgfaͤltigesZ 3Ein -522Des andern BuchsEinſehen zu haben / und nachdem ſie dieſelbe in ihren Verrichtungen an - trifft / ihnen entweder mit reicher Be - lohnung / oder ernſten Straffe zu be - gegnen / damit ſich andere daran ſpie - geln / und dabey lernen / wie man dem gemeinen Weſen ſo wohl / als ſeinem eigenen / mit aller moͤglichſten Treue und Sorgfalt vorſtehen muͤſſe. Und weil auch boßhafftige Leute unter der Hoffnung nicht erfolgender Straffe noch viel mehr zum Boͤſen angefri - ſchet werden / welche ſie denn leichtlich ſchoͤpffen koͤnnen / wann ſich die Richter die Haͤnde verſilbern zu laſſen gewohnet ſind; als muß ho - he Obrigkeit mit der Schaͤrffe hinter ſolchen Geſchenck-ſuͤchtigen Leuten drein fahren / als durch deren Vor - ſchub die zu der Unterthanen Beun - ruhigung und Verderb gereichende Laſter geheget und vermehret wer - den. Und ob auch gleich die ordent -liche523eilfftes Capitel. liche Verwaltung einiger Aemter an die Bedienten uͤberlaſſen werden muß / ſo ſoll ſich doch die hohe Obrig - keit niemahls entbrechen / derer Un - terthanen Klagen und Verlangen mit geduldigen Ohren anzuhoͤren.

§. 10.

Steuern und andere Be - ſchwerungen ſind die Unterthanen aus keiner andern Urſache zu entrich - ten ſchuldig / als ſofern dieſelbe zu noͤ - thiger Unterhaltung des Staats ſo wohl zu Friedens - als Krieges-Zeiten erfordert werden; und demnach kan die hohe〈…〉〈…〉[/ wenn]ſie ihrer Pflicht gemaͤß handeln wil / mehr von ihnen nicht erpreſſen / als die Noth und ſonders hoher Nutzen einer Re - publique es jedesmahl heiſchen; auch ſoll ſie in Anlagen und andern Be - ſchwerden eine ſolche Maſſe gebrau - chen / damit ſie denen Unterthanen / ſo viel es nur ſeyn wil / leichte und ertraͤ - glich fallen. Ferner hat ſie noch dar -Z 4auff524Des andern Buchsauff zu ſehen / daß die Anlagen nach Proportion eines jeden Vermoͤgens außgeſchrieben werden / und nicht et - wan einige zu derer uͤbrigen Nach - theil und Unterdruͤckung frey auß - gehen moͤgen; ingleichen / daß ſelbi - ge zu des Landes Beſten angewendet / und nicht durch unnoͤthigen Pracht und Uppigkeit / allzu groſſe Geſchen - cke / oder ſonſt liederlicher und unnuͤz - zeꝛ Weiſe verſchwendet werden. End - lich muͤſſen die Außgaben die Ein - kuͤnffte nicht uͤberſteigen / und wo dieſe[nicht zulaͤnglich ſeyn / dem]Mangel durch ein ſparſames Haußhalten und Beſchneidung des uͤberfluͤßigen Prachts oder Staats abgeholffen werden.

§. 11.

Es darff zwar ein Landes - Herr die Unterthanen von dem Sei - nigen nicht ernehren; (auſſer wenn die natuͤrliche Liebe befiehlet / ſich de - ter jenigen / die ſich wegen eines un -ver -525eilfftes Capitel. verſchuldeten Ungluͤcks ſich ſelbſt nicht erhalten koͤnnen / beſonders anzuneh - men) jedennoch aber / und weil nicht allein die zur Erhaltung des Staats gewiedmete Koſten mehrentheils aus derer Unterthanen Mitteln gezogen werden / ſondern auch die Macht ei - ner jeden Republique auff derer Un - terthanen Reichthum / ſo wohl als de - rerſelben Tapfferkeit beſtehet; ſo hat ein Landes-Fuͤrſt moͤglichſter maſſen dahin zu trachten / daß ſeiner Unter - thanen Nahrung und Vermoͤ - gen je mehr und mehr zunehmen moͤ - ge. Das geſchiehet nun / wenn ſie unter denenſelben allenthalben gute Verfaſſung machet / daß die Jnwoh - ner ſo wohl die Landes - als Waſſer - Einkuͤnffte in moͤglichſte Beſſerung bringen / die Materialien / ſo im Lan - de gezeuget werden / fleißig zu gute machen / und / was ſie ſelbſt verarbei - ten koͤnnen / an Außwaͤrtige nicht ver -Z 5kauf -526Des andern Buchskauffen; welches denn geſchiehet / wenn ſie die Mechaniſchen Kuͤnſte emſig treiben. Auch dienets zu eines Staats ſonderlichem Auffnehmen / wenn die Commercien / und an den See-Orten die Schiffahrt fleißig in Schwang gebracht werden. Dem - nach muß hohe Obrigkeit nicht allein die Faulheit und Muͤßiggang fleißig außtreiben / ſondern die Unteꝛthanen auch durch Kleider - und andere gute Policey-Ordnungen / dadurch aller Uppig - und Verthuligkeit / und ſon - derlich der jenigen / daruͤber einer Re - publique Reichthum auſſer Landes gehet / gewiſſe Maſſe geſetzet wird / zur Sparſamkeit angewoͤhnen; wie - wohl eines hohen Regenten Exempel hiebey weit mehr fruchten kan / als die allergenaueſten Geſetze und Ordnun - gen.

§. 12.

Weil auch der innere Wohl - ſtand und Befeſtigung einer Repu -blique527eilfftes Capitel. blique aus derer Unterthanen Ei - nigkeit herentſpringet / und je genau - er man dieſelbigen zuſammen faſſen kan / je kraͤfftiger ſich die hohe Staats - Gewalt durch den gantzen Coͤrper ei - ner Republique er gieſſet; dannenhe - ro ſo wil denen hohen Regenten oblie - gen / allen Empoͤrungen in dem Rei - che vorzubauen / und denen Untertha - nen / keine ſonderbahre Buͤndniſſe / noch auch ſonſt zu verſtatten / daß ſie entweder ingeſam̃t / noch einige unter ihnen / ſich an jemanden anders / er ſey in oder auſſer der Republique / es ge - ſchehe unter einem geiſt - oder weltli - chen / oder ſonſt anderm Prætexte / auſ - ſer an ihn / als ihren rechtmaͤßigen Fuͤrſten hengen / und davon depen - diren / noch auch ſonſt von jemanden eines mehrern Schutzes / als von ihm / gewaͤrtig ſeyn duͤrffen.

§. 13.

Endlich / weil ein Staat des Friedens von ſeiten ſeiner Benach -Z 6bar -528Des andern Buchsbarten niemahls ſo gar geſichert leben kan; als muͤſſen hohe Regenten je - derzeit dahin beſorget ſeyn / daß ſie ih - re Buͤrger bey der Tapfferkeit und Kriegs-Ubungen erhalten / und al - les / ſo zu der Abtreibung feindſeeliger Einbruͤche vonnoͤthen iſt / als gute Fe - ſtungen / Waffen / Volck / und Geld - Mittel / welche gleichſam die Spañ - Adern und Staͤrcke des gantzen Staats ſind / beyzeiten anſchaffen. Jedoch iſt nicht rathſam / daß / wann auch ſchon die gerechteſte Sache vor - handen iſt / ein Staat den andern zu erſt uͤberfalle / es waͤre denn / daß ſich die allerſicherſte Gelegenheit darzu ereignete / und es mit des Staats ſon - derbahrem Vortheile geſchehen koͤn - te. Nichts deſto weniger hat man allezeit auff derer Benachbarten An - ſchlaͤge und Verfaſſung genaue Kundſchafft zulegen / und iſt in War - heit nicht ein geringes Stuͤck derStaats -529eilfftes Capitel. Staats-Klugheit / daß ſich ein Re - gente nach Gelegenheit ſeiner Repu - blique beyzeiten mit Außwaͤrtigen in beſondere Freundſchafft und Buͤnd - niſſe einlaſſe.

Das zwoͤlffte Capitel / Von denen buͤrgerlichen Geſetzen inſonder - heit.

§. 1.

ES iſt an dem / daß wir nunmehro auch die vornehmſten Theile der hohen Staats-Gewalt beſonders nach einander anſehen / und / was bey einem jeden zu beobachten vorfaͤllet / etwas genauer erwegen. Der erſte Platz in dieſer Betrachtung gebuͤhret denen buͤrgerlichen Geſetzen / wel - che nichts anders ſind als die Befehle eines hohen Landes-Regenten / krafftZ 7deren530Des andern Buchsderen er ſeinen Buͤrgern und Unter - thanen aufferleget / was ſie im gemei - nen buͤrgerlichen Leben thun oder un - terlaſſen ſollen.

§. 2.

Zwar hat man ein doppeltes Abſehen / wornach man Geſetze buͤr - gerl. nennen kan / wenn man nemlich entweder auff die Autoritaͤt / die ſie in der Republique haben / oder auff den Urſprung und deren erſte und eigentliche Stiffter Reflexion ma - chet. Jn der erſten Bedeutung koͤn - nen alle die jenigen Geſetze buͤrgerli - che genennet werden / nach welchen man in weltlichen Gerichten Recht ſpricht / ſie moͤgen ihren Urſprung ha - ben / woher ſie wollen. Allein in dem andern Verſtande ſind nur dieſes buͤrgerliche Geſetze / welche erſtmahls von dem Willen und Befehle eines weltlichen Potentaten oder Regen - ten herruͤhren / und ſolche Dinge an - betreffen / davon Goͤtt - und Natuͤrli -che531zwoͤlfftes Capitel. che Rechte unmittelbahr nichts veror - dnen / ſondern die nur etwa zu einer jeden Republique Nutzen und Vor - theile gereichen.

§. 3.

Gleichwie nun in buͤrgerli - chen Geſetzen nichts angeordnet wer - den ſoll / was nicht zu eines Staats und gemeinem Beſten abgezielet iſt; und aber die genaue Beobachtung de - rer natuͤrlichen Rechte zum Wohl - ſtande und Auffnehmen des buͤrgerli - chen Lebens auch ein groſſes beytraͤgt; alſo iſt es nicht das geringſte Stuͤcke der Obrigkeitlichen hohen Vorſor - ge / daß ſie denen natuͤrlichen Rechten die Macht und Nachdruck derer buͤr - gerlichen zueigne. Denn es iſt die Boßheit bey vielen Menſchen ſo ſtarck / daß ſie ſich weder durch die bloſ - ſe / obwohl augenſcheinlichſte Nutz - barkeit jetzt beruͤhrter allgemeinen Geſetze / noch durch die Furcht der Goͤttlichen Straffe bezaͤumen laſſen;wenn532Des andern Buchswenn aber Obrigkeit uͤber dererſelben Verbindligkeit eben ſo ernſtlich / als uͤber dero eigenen halten wil / ſo kan ſie gleichwohl noch ſo viel zu wege brin - gen / daß ihre Unterthanen ein ziem - lich tugendhafftes und wohl geſittetes Leben fuͤhren muͤſſen.

§. 4.

Es beſtehet aber die Krafft derer buͤrgerlichen Geſetze vornehm - lich darinne / daß man dem jenigen / was einem jeden Unterthanen zu thun oder zu unterlaſſen anbefohlen wird / eine Straff-Clauſel anfuͤge / oder außdruͤcklich dabey vermelde / was der jenige in den weltlichen Ge - richten vor eine Pœn zu gewarten ha - ben ſolle / der das gebotene unterlaſ - ſen / und das verbotene thun wuͤrde. Weil nun dergleichen Straff-Be - deutung bey denen bloſſen Natur - Geſetzen nicht zu befinden iſt / als ge - het es denen jenigen / die ſich daran vergreiffen / in irrdiſchen Gerichtenvor533zwoͤlfftes Capitel. vor ungenoſſen hinaus / jedoch mit Vorbehalt der Goͤttlichen Rache / welche ſothane Verbrechen vor ihren Richter-Stul zu ziehen nicht vergiſ - ſet.

§. 5.

Weil es auch hienaͤchſt die Art des buͤrgerlichen Lebens nicht leidet / daß ein jeder ſein Recht durch eigene Gewaltſamkeit an dem andeꝛn ſuche / und eintreibe; ſo kommen die buͤr - gerlichen Geſetze denen natuͤrlichen zufoͤrderſt hierinne zu ſtatten / daß ſie zur Erlangung des jenigen / wozu man jener wegen befuget war / ge - richtliche Klagen und Proceße er - lauben / und alſo vermittelſt deren die weltlichen Richter jederman zu dem Seinigen verhelffen muͤſſen. Wo - fern nun in buͤrgerlichen Rechten vor einige Sachen oder Handlungen der - gleichen gewaltſames Huͤlffs-Mittel nicht verordnet iſt / und man einen Menſchen durch daſſelbige wider ſei -nen534Des andern Buchsnen Willen nicht noͤthigen kan / ſo iſt es ein Zeichen / daß ſie deren Entrich - tung eines jeden ſeinem eigenen Ge - wiſſen und Schamhafftigkeit anheim ſtellen wollen. Jedoch pflegen ſie mehrentheils denen jenigen Obliga - tionen Klage und Proceß zu verſtat - ten / die durch außdruͤckliche Pacte un - ter denen Menſchen ſind errichtet worden; was einer aber dem andern ſonſt ſo bloß aus einer ungemeſſenen Verpflichtung derer natuͤrlichen Rechte ſchuldig iſt / darzu haben ſie dergleichen nicht eingeraͤumet / um dadurch frommen und redlichen Ge - muͤthern auch eine Materie vorzube - halten / wobey ſie einige Proben ihrer Tugend ablegen / und durch ein frey - williges und ungezwungenes Wohl - verhalten dero Lob deſto mehr ver - groͤſſern moͤchten. Offters iſt eine Sache auch wohl ſo viel nicht werth / daß man dem Richter daruͤber Unge - legenheit mathen duͤrffe.

§. 6.535zwoͤlfftes Capitel.

§. 6.

Weil auch in denen natuͤrli - chen Rechten etliche Dinge nur ins gemein anbefohlen werden / und die Application in eines jeden freyen Willen geſtellet wird; als pflegen die buͤrgerlichen dergleichen Ge - ſchaͤfften und Handlungen her - nach erſt die Zeit / Art / Ort und Perſonen / und andere Umſtaͤnde zur Zierde und Beruhigung einer Repu - blique eigentlich anzuweiſen / unter - weilen die Leute auch wohl durch Auff - ſetzung gewiſſer Belohnung darzu anzureitzen. Und ſofern in denen natuͤrlichen etwas dunckel zu ſeyn ſcheinet / ſo muͤſſen die buͤrgerlichen ſolches erlaͤutern / welchen die Un - terthanen in ihrem Thun zu folgen ſchuldig ſeyn / ob ſie ſchon ihre Privat - Meinungen etwan zu andern Ge - dancken verleiten wollten.

§. 7.

Die Natur-Rechte uͤberlaſſen zwar die meiſten Actiones eines je -den536Des andern Buchsden ſelbſt-eigenem Gutbefinden und freyem Willen; weil es aber gleich - wohl zu guter Ordnung und zur Be - ruhigung einer Republique dienet / wenn dieſelben allemahl auff eine gleichmaͤßige Art temperiret und eingerichtet werden; ſo haben die buͤr - gerlichen Rechte denenſelben eine ge - wiſſe Form vorgeſchrieben / gleich - wie in Auffrichtung derer Teſtamen - te / Contracte / und viel andern der - gleichen Geſchaͤfften zu erſehen iſt. Ja eben um deßwillen haben ſie auch den Gebrauch derer jenigen Rechts - Befuͤgniſſe / die einem Menſchen ſonſt von Natur zuſtehen / mit gewiſſen Schrancken umzogen.

§. 8.

Es ſollen aber Unterthanen de - nen buͤrgerlichen Geſetzen / alsfern ſie denen Goͤttlichen offenbaͤhrlich nicht zuwider ſind / gehorchen / nicht aus bloſſer Furcht der aͤuſſerlichen Straf - fe / ſondern von wegen der innerlichenVer -537zwoͤlfftes Capitel. Verbindligkeit / als welche das Na - tur-Recht ſelbſt beſtaͤtiget und beſie - gelt / indem unter deſſelben Geboten auch dieſes enthalten iſt / daß man ſeinem rechtmaͤßigen Ober-Herꝛn gehorſam ſeyn ſolle.

§. 9.

Und zwar muͤſſen Untertha - nen nicht minder allen ihrer hohen Regenten Special-Befehlen und Verordnungen / als deren allge - meinen Geſetzen / unterthaͤnigen Re - ſpect und Gehorſam erweiſen. Wo - bey dennoch wohl in acht zu nehmen / ob das jenige / ſo der Fuͤrſt ſeinen Un - terthanen zu thun anbefiehlet / eine Action ſey / die einem Untertha - nen / als Unterthanen / zuſtehet / oder aber ob er ihn etwas / als des Fuͤrſten eigene That und in ſei - nem Nahmen exſequiren heiſſe. Letztern Falls kan er / als ein bloſſes Inſtrument, durch der hohen Obrig - keit Befehl angeſtrenget / auch wohletwas538Des andern Buchsetwas an ſich ſelbſt ungerechtes voll - bringen / dabey doch die Suͤnde und Verantwortung einig und allein auff dem Regenten hafftet; allein daß ein Unterthan / der Obrigkeit zu gefallen / vor ſich und unter ſeinem Nahmen ei - ne wider das Natur - und Goͤttliche Geſetz lauffende That veruͤbe / das kan durchaus nicht ohne Verletzung ſei - nes Gewiſſens geſchehen. Und da - her koͤmmet es / daß / wenn zum Ex. ein Unteꝛthan auff der Landes - Obrigkeit Befehl die Waffen auch in einem unrechtmaͤßigen Kriege er - greiffet / er ſich dennoch hieran nicht verſuͤndiget; wenn aber einer auff eben deroſelben Begehr einen Un - ſchuldigen verdammen / falſch Zeu - gniß ablegen und einem was boͤſes ſchuld geben wollte / ſo wuͤrde es kei - nes weges ohne Suͤnde abgehen koͤn - nen. Denn die Waffen fuͤhret er im Nahmen ſeines hohen Landes -Herrn /539zwoͤlfftes Capitel. Herrn / allein das falſche Urtheilen / Zeugniß-geben und Beſchuldigen geſchiehet in ſeinem eigenen Nah - men.

Das dreyzehende Capitel / Von dem Rechte uͤber Leben und Tod.

§. 1.

DJe hohe Obrigkeit iſt auff zwey - erley Weiſe zu dem Leben ih - rer Unterthanen berechtiget / ein - mahl ſofern ſie daſſelbige bey der Be - ſchirmung des Vaterlandes auff - zuſetzen ſchuldig ſind; und zum an - dern / wenn ſie ſelbiges durch ein Verbrechen verwuͤrcken.

§. 2.

Denn / weil offtmahls auß - waͤrtiger Voͤlcker feindſeelige Ein - bruͤche abgewehret / oder ihnen vor - enthaltene Gerechtſame abgedrun -gen540Des andern Buchsgen werden muͤſſen / ſo kan eine hohe Landes Obrigkeit ihre Unterthanen allerdings hiezu antreiben / wobey denn vorſetzlicher Weiſe eben dieſes nicht geſuchet wird / daß ſie nothwen - dig das Leben laſſen / ſondern nur / daß ſie ſelbiges allenfalls in eine Todes - Gefaͤhrligkeit ſetzen muͤſſen. Damit ſie ſich nun hierinne deſto tapfferer und geſchickter bezeigen koͤnnen / ſo gebuͤhret der hohen Landes-Obrig - keit / ſie in denen Kriegs-Wiſſen - ſchafften wohl exerciren / und alles hiezu Benoͤthigte in gute Bereit - ſchafft ſtellen zu laſſen. Demnach darff ſich kein Unterthan aus einiger Furcht oder Scheue zu den Kriegs - Dienſten ſelbſt unfaͤhig machen / noch auch der jenige / ſo ſich einmahl darein begeben / ſeine angewieſene Poſt und Charge verlaſſen / ſondern muß ſich vielmehr biß auff den letzten Bluts - Tropffen wehren / er haͤtte denn vonſei -541dreyzehendes Capitel. ſeinem obern Befehlshaber des Ge - gentheils genugſame Verſicherung / oder es waͤre der Republique mehr an derer Unterthanen Leben / als an eines Platzes Erhaltung gelegen.

§. 3.

Naͤchſt dem ſo kan die hohe Landes-Obrigkeit denen Untertha - nen das Leben auch durch Art einer Straffe nehmen / wenn ſie ſolches durch grobe Mißhandlungen ver - wuͤrcken; wie ſich denn ſothane Ge - walt gleichfalls auch uͤber andere de - rerſelben Haab und Guͤter erſtrecket. Und bekommen wir dannenhero An - laß / uͤberhaupt etwas von denen Straffen anzumercken.

§. 4.

Es ſind demnach die Straf - fen ein Ubel / ſo ein Verbrecher ſeiner Mißhandlung halben erleiden muß; oder eine harte Beſchwerung / ſo ei - nem in Anſehung ſeines vorher ge - henden Verbrechens von der weltli - chen Obrigkeit durch gerichtlichenA aZwang542Des andern BuchsZwang zu erdulden aufferleget wird. Denn ob einer gleich zur Straffe biß - weilen auch etwas thun muß / und al - ſo dieſelben nicht allemahl eine Lei - denſchafft zu ſeyn ſcheinen moͤchten; ſo hat man doch zufoͤrderſt daꝛauff zu ſehen / daß gleichwohl auch daſſelbige etwas muͤhſames und beſchwerli - ches iſt / und alſo der Thaͤer eben durch dieſes Thun mit einem Leiden belaſtet wird. Daß es aber durch Zwang / und wider des Verbrechers Willen geſchehen muͤſſe / erſcheinet daher / weil die Straffen ſonſt ihren Zweck / welcher iſt / die Leute durch ſo - thane Schaͤrffe von den Laſtern abzu - ſchrecken / nicht erreichen wuͤrden / in - dem ſolches von denen jenigen keines weges zu hoffen ſtehet / die die Straffe mehr vor eine Kurtzweile / als vor ei - nen Ernſt und Wehtage halten. Und iſt demnach diß vor keine Straf - fe zu achten / wenn einer im Kriege / o -der543dreyzehendes Capitel. der in einem Treffen / bey tapfferm Widerſtande und Gegen-Wehre / o - der durch eine unrechtmaͤßige Belei - digung etwas uͤbels widerfaͤhret / in - dem dieſer nicht auff Obrigkeitlichen Befehl und Erkaͤntniß / beyde es aber nicht vor begangene Ubelthaten er - dulden muͤſſen.

§. 5.

Gleichwie es aber mit der na - tuͤrlichen Freyheit dieſe Bewandniß hat / daß / wer in ſelbiger lebet / keinen Ober-Herrn / als GOtt alleine / fuͤrchten / und keines andern Straffe unterworffen ſeyn darff; alſo leget hingegen die Wohlfarth derer buͤr - gerlichen Societaͤten denen weltli - chen Regenten nebſt der hohen Ge - walt auch dieſes bey / daß ſie ihrer Un - terthanen Boßheit durch Darſtel - lung ſchleuniger Straffe im Zaume halten / und ſolcher geſtalt deſto mehr Leute ruhig und ſicher neben einan - der leben koͤnnen.

A a 2§. 6.544Des andern Buchs

§. 6.

Ob nun gleich hierinne kein Unrecht begangen wird / wenn der je - nige / der Boͤſes thut / auch Boͤſes lei - den muß; ſo hat man doch in der menſchlichen Geſellſchafft bey Anle - gung einer Straffe nicht ſo wohl ſchlechter dinges auff die Ubelthat zu ſehen / die einer begangen hat / als vielmehr auff den Nutzen / der aus der Straffe zu gewarten ſtehet; gleichwie auch niemahls einige Straffen um deßwillen aufferleget werden ſollen / damit der Beleidigte ſeinen Muth daran kuͤhlen / und ſeine Luſt an des Verbrechers Schmertz und Leibes-Straffe haben moͤge / ſin - temahl dergleichen Beluſtigung gantz unmenſchlich iſt / und der angebohr - nen Zuneigung zur Geſellſchafft ſchnurſtracks zuwider laͤuffet.

§. 7.

Das eigentliche und rech - te Abſehen derer Straffen iſt und bleibet dieſes / daß man dadurch unge -rechter545dreyzehendes Capitel. rechter Verletz[ - und] Beleidigung vor - bauen moͤge / welches denn auff dieſe Weiſe geſchiehet / wenn entweder der jenige / der geſuͤndiget hat / von ſeiner Boßheit ablaͤſſet / oder andere ſich an ſeinem Exempel ſpiegeln / um hinfuͤh - ro nichts Boͤſes zu thun; oder endlich / wenn der Ubelthaͤter alſo gezuͤchtiget wird / daß er ins kuͤnfftige das Suͤn - digen unterwegens laſſen muß. Man kan dieſes auch alſo exprimi - ren / daß in Straffen entweder auff des jenigen / der geſuͤndiget hat / oder deſſen / dem dran gelegen war / daß die Ubelthat nicht begangen worden / mit einem Worte / des Beſchaͤdigten / o - der endlich ohne Unterſcheid auff maͤnnigliches Nutzen geſehen werde.

§. 8.

Und demnach ſo wird anfaͤng - lich bey Aufflegung einer Straffe / jetzt beſagter maſſen / auff des jeni - gen Beſtes und Nutzen gezielet / der etwas verbrochen hat / indem manA a 3ſein546Des andern Buchsſein Gemuͤthe durch ſothane Schmer - tzen zu verbeſſern / und ihm die Luſt zu fernerer der gleichen Boßheit auszu - treiben ſuchet. Welche Art der Straf - fen auch die Hauß-Vaͤter in denen meiſten Republiquen gegen ihre Kinder und Geſinde außuͤben duͤrf - fen; jedoch ſiehet man gleich aus de - rerſelben End-Zwecke / daß ſie ſich biß ans Leben nicht erſtrecken duͤrffen / ſin - temahl von einem Todten keine Beſ - ſerung zu hoffen ſtehet.

§. 9.

Hernach gereichet die Straf - fe denen jenigen zum Beſten / die durch eine Ubelthat beleidiget und verletzet worden / alldieweil es zu dem Ende geſchiehet / damit ſie ins kuͤnfftige von dieſen und andern boͤſen Leuten dergleichen nicht wieder zu befuͤrchten haben. Das erſte wird nun erhalten / wenn man einen Ubel - thaͤter gar aus dem Wege raͤumet / o - der ihm ohne Lebens-Verluſt dasVer -547dreyzehendes Capitel. Vermoͤgen / fernerweit Schaden zu thun / beſchneidet / oder endlich die Boßheit ihm ſonſt durch angelegte Pein und Zuͤchtigung mit ſeinem Schaden abgewoͤhnet. Das andere aber / indem man die Straffen oͤffent - lich und vor jedermans Augen / und zwar mit einer ſolchen Anſtalt vollzie - hen laͤſſel / dadurch andern ein Schre - cken eingejaget werden koͤnne.

§. 10.

Endlich / ſo wird auch maͤn - nigliches Nutzen unter denen Straffen geſuchet / indem man dahin trachtet / damit die Republique derer bißanhero erlittenen Schaͤden ins kuͤnfftige entuͤbriget ſeyn / und andere durch ſothane Exempel geſchrecket / vom Boͤſen ablaſſen moͤchten / welches denn eben auff die Art / wie das erſte / zu erhalten ſtehet.

§. 11.

Wenn man nun ferner ſo wohl das Abſehen derer Straffen / als den Zuſtand des menſchlichen Ge -A a 4ſchlech -548Des andern Buchsſchlechtes betrachtet / ſo iſt leichte zu er - meſſen / daß nicht alle Verbrechen von der Art ſind / welche in denen weltlichen Gerichten abgeſtraffet werden koͤnten. Derowegen ſind hiervon außgenommen anfaͤnglich die Gedancken derer Menſchen / oder die ſuͤndliche Beluſtigung / Be - gierde / Verlangen und Vorſatz / als - fern ſie ohne aͤuſſerliche Wuͤrckung bleiben / ob ſie ſchon hernachmahls durch ſelbſt - eigene Geſtaͤndniß unter die Leute kommen ſollten. Denn weil durch dergleichen innerliche Bewe - gung keinem Menſchen einiger Schade geſchiehet / ſo iſt auch nieman - den etwas dran gelegen / daß um deſ - ſentwillen ein anderer geſtraffet wer - de.

§. 12.

Es waͤre auch viel zu ſtren - ge verfahren / wenn man alſogleich die geringſten Fehler / die ein Menſch / ohnerachtet aller aͤuſſerſtenBe -549dreyzehendes Capitel. Behutſamkeit / bey ſothaner Be - wandniß unſerer gebrechlichen Na - tur nicht vermeiden kan / mit richter - licher Straffe anſehen wollte.

§. 13.

Uber diß ſo pflegen die menſchlichen Geſetze zu deſto meh - rern Beruhigung derer Republi - quen / und aus andern Urſachen auch etliche Handlungen wohl gar zu uͤberſehen. Als / weil einige A - ctus deſto mehr Anſehens und Glan - tzes gewinnen / wann ſie aus Furcht der Straffe nicht vorgenommen zu ſeyn ſcheinen; oder weil es oͤffters nicht vor die Muͤhe lohnet / die Rich - ter uͤber einer Sache anzulauffen; o - der weil einiger Dinge Beweiß ſehr dunckel und ſchwer fallen moͤchten; oder endlich / weil etwa ein und anders Laſter ſchon ſo weit eingewurtzelt / daß man es ohne der Republique gefaͤhr - liche Zerruͤttung nicht aus dem Wege raͤumen koͤnte.

A a 5§. 14.550Des andern Buchs

§. 14.

Letzlich / ſo muͤſſen nothwen - dig auch die jenigen Gemuͤt[h]s-Feh - ler vor menſchlicher Straffe befreyet bleiben / welche aus der allgemei - nen Schwachheit unſerer ver - derbten Natur herruͤhren / alsfern dieſelbigen in ſchaͤndliche Ubelthaten und grobe Exceſſe nicht außbrechen; indem es dererſelben ſo ſehr viele gie - bet / daß es endlich wohl gar an Unter - thanen ermangeln duͤrffte / wenn man alles mit der genaueſten Schaͤrffe verfolgen wollte. Hieher gehoͤren nun Ehrſucht / Geitz / Unbarmher - tzigkeit / Undanckbarkeit / Heucheley / Neid / Hoffarth / Feindſeeligkeit / heimlicher Groll / und dergleichen.

§. 15.

Es iſt aber nicht vonnoͤthen / daß man bey allen Verbrechen / die ei - ner irrdiſchen Straffe ſonſt faͤhig waͤ - ren / dieſelbe wuͤrcklich vollziehe / ſon - dern es kan denen Verbrechern un - terweilen auch wohl Gnade undVer -551dreyzehendes Capitel. Vergebung wiederfahren / obſchon ſolches ohne erhebliche Urſache nicht geſchehen ſoll; unter welchen denn dieſes die geringſten nicht ſind / wenn es in gewiſſen Faͤllen des End - Zwecks derer Straffen nicht bedarff / oder derſelbe auff andere Weiſe beſſer erhalten werden kan; wenn die Be - gnadigung mehr nutzet / als die Straffe / oder wenn der Delinquen - te ſeine eigene / oder ſeiner Familien hohe / und einer beſondern Beloh - nung wuͤrdige Verdienſte gegen die Republique auffzuweiſen hat / oder wenn er ſich ſonſt durch eine treffliche Sache recommendiret / als wenn er etwan eine beſondere Wiſſenſchafft haͤtte / oder wenn zu hoffen ſtuͤnde / daß er den Schandfleck durch ruhmwuͤr - dige Thaten wieder außleſchen wer - de / zumahl wenn ihn zum Theil eini - ge / obwohl nicht gaͤntzlich zuentſchul - digende / Unwiſſenheit darzu verleitet /A a 6oder552Des andern Buchsoder wann die beſondere Urſache der Geſetz-Schaͤrffe bey einer gewiſſen Perſon von ſelbſt hinweg fiele. Off - ters muß hohe Obrigkeit auch wegen Vielheit der Verbrecher Gnade er - theilen / damit ſie die Republique durch allzuviele Lebens-Straffen nicht zu ſehr erſchoͤpffe.

§. 16.

Hingegen pfleget man die Groͤſſe eines jeden Verbrechens nach dem Object zu ermeſſen / woran ſich einer verſuͤndiget / und deſſelben Edel - und Koſtbarkeit; ingleichen aus der Wuͤrckung / ob nemlich die Republique dadurch vielen oder we - nigen Schaden erlitten; und endlich aus der Boßheit und Frevel des Vor - ſatzes / die ſich aus vielen Anzeigungen ſchluͤſſen laͤſſet / als wenn einer denen Dingen / ſo ihn zum Verbrechen ver - leitet / leicht widerſtehen koͤnnen; oder wenn er uͤber die gemeinen Urſachen / ſo ihn von denſelben abhalten ſollen /noch553dreyzehendes Capitel. noch eine gantz beſondere gehabt / und derſelben doch nicht geachtet / oder wenn ſonderliche Umſtaͤnde die That vergroͤſſern; oder wenn es einem an Muth und Vermoͤgen nicht gefeh - let / wodurch er denen ſuͤndlichen Rei - tzungen widerſtehen koͤnnen. So wird auch darauff geſehen / ob einer der erſte geweſen / oder ob er von an - dern verfuͤhret worden / ob er es ein - oder mehrmahl gethan / und ob er ſich durch oͤffters beſchehene Warnung nicht wollen abhalten laſſen.

§. 17.

Jedoch ſtehets bloß bey der hohen Obrigkeit / was fuͤr eine Art und Schaͤrffe der Straffe ſie einem jedweden Verbrechen aufflegen wol - le / wobey ſie einig und alleine der Re - publique Wohlfarth vor Augen ha - ben ſoll. Dannenhero kan und pfle - get es zu geſchehen / daß zuweilen zweyerley ungleiche Mißhandlun - gen auff einerley Art beſtraffet wer -A a 7den.554Des andern Buchsden. Denn wenn von denen Rich - tern Gleichheit gegen die Schuldige zu halten gefordert wird / ſo iſt es von ſolchen Schuldigen zu verſtehen / die einerley Thaten veruͤbet haben / inſo - fern / daß / was an dem einen geſtraffet wird / ſie bey dem andern nicht unter - drucken / oder ohne wichtige Urſache ungeanthet hingehen laſſen. Ob nun wohl ein Menſch gegen den an - dern / ſo viel immer moͤglich / gelinde ſeyn ſoll / ſo erfordert doch bißweilen das gemeine Beſte / und derer Unter - thanen Sicherheit / daß man die Straffen vergroͤſſere / wenn nem - lich die uͤberhand nehmenden Laſter einen mehrern Nachdruck gebrau - chen / oder ein Verbrechen zu der Re - publique groͤſſeſtem Unheyl außſchla - gen wollte. Gleichwohl iſt der Straf - fen wegen ein - fuͤr allemahl zu mer - cken / daß ſie jedesmahl ſo groß und ſcharff ſeyn muͤſſen / als zu Daͤmpf -fung555dreyzehendes Capitel. fung der jenigen ſuͤndhafften Luͤſte und Begierden / woraus hernach die Straff-faͤlligen Ubelthaten zu entſte - hen pflegen / genug und vonnoͤthen ſeyn wil; daher gegen hat man einem Delinquenten auch mit einem meh - rerm nicht zu zuſetzen / als in denen Geſetzen vorgeſchrieben iſt / es waͤre denn / daß einige Umſtaͤnde die That noch beſonders graviret〈…〉〈…〉 n.

§. 18.

Weil aber einerley Straffen bey allen nicht gleich durchſchlagen / und alſo in der Bewaͤltigung derer ſuͤndhafften Begierden nicht einerley Wuͤrckung haben; als muß man ſo wohl in der gemeinen Verordnung / als auch hernach in der jedermahli - gen Application des Verbrechers Perſon / und bey derſelben die jenigen Umſtaͤnde / ſo die Empfindligkeit der Straffen entwedeꝛ mehren oder min - dern koͤnnen / als da ſind das Alter / Geſchlechte / Stand / Guͤter / Kraͤffte u. d. in Obacht nehmen.

§. 19.556Des andern Buchs

§. 19.

Gleichwie auch ferner nie - mand in menſchlichen Gerichten ei - ner fremden Mißhandlung wegen beſtraffet werden kan; alſo ſind inſon - derheit in den Faͤllen / da eine gantze Gemeine oder Geſellſchafft etwas verwuͤrcket hat / die jenigen nicht vor Straff-faͤllig zu achten / die ihren Willen in eine That nicht gegeben haben. Und alſo kan man ihnen nichts nehmen / was ſie nicht im Nahmen und von wegen ihrer Gemeinde oder Societaͤt gehabt haben / ob ſie ſchon - ber der Straffe / die jenen aufferleget wird / auch einige Ungelegenheit mit empfinden muͤſſen. Endlich verle - ſchen ſolcher Gemeinden Verbrechen von ſelbſt / wenn von denen jenigen Perſonen niemand mehr vorhanden iſt / durch deren Einwilligung oder Vorſchub ein ſolches ins Werck ge - richtet worden.

§. 20.557deryzehendes Capitel.

§. 20.

Jedoch iſts nichts rares / daß eine fremde Schuld jemanden An - laß gebe / daruͤber er in Ungelegen - heit gerathen / oder eines ſonſt ge - waͤrtigen Gluͤckes verluſtig gehen muß. Als wenn z. Ex. unſchuldige Kinder zuweilen bey Confiſcirung ihres vaͤterlichen Vermoͤgens in Ar - muth gerathen; oder ein Buͤrge bey Außtretung des Selbſt-Schuldners die Geld-Buſſe erlegen muß / nicht / als ob er dergleichen vor ſeine Perſon verwuͤrcket / ſondern weil er ſich auff ſolchen Fall gutwillig darzu verbunden.

Das558Des andern Buchs

Das vierzehende Capitel / Von dem unterſchiede - nen Anſehen und Achtung der Menſchen / und inſonderheit derer Unterthanen einer je - den Republique.

§. 1.

DJe Achtung ins gemein iſt die Guͤltigkeit oder das Anſehen ei - ner jeden Perſon im gemeinen Leben / wornach dieſelbe geſchickt und faͤhig iſt / andern gleich geachtet / oder gegen ſie verglichen / und ihnen entweder voꝛgezogen / oder nachgeſetzet zu wer - den.

§. 2.

Sie wird eingetheilet in die gemeine oder einfache / und ſonder - bahre. Beyderley iſt ſo wohl an de - nen jenigen / die in der natuͤrlichen Freyheit / als die in buͤrgerlichem Stande mit einander leben / zu be - trachten.

§. 3.559vierzehendes Capitel.

§. 3.

Unter denen jenigen / die in natuͤrlicher Freyheit leben / beſte - het die gemeine Achtung (welche nichts anders iſt / als ein ehrlicher Nahme) zufoͤrderſt darinne / daß ſich einer alſo bezeuge / und vor einen ſol - chen gehalten werde / mit dem man / als mit einem ehrlichen Manne / um - gehen koͤnne / und der jederzeit nach der Vorſchrifft derer natuͤrlichen Rechte zu leben willig iſt.

§. 4.

Dieſe Achtung nun wird ſo lange fuͤr beſtaͤndig gehalten / als ei - ner ſich wider das Natur-Recht durch eine frevelhaffte oder grobe Miß - handlung mit Wiſſen und Willen an jemanden nicht vergreiffet. Und dannenhero laͤſſet man natuͤrlicher Weiſe einen jeden vor einen ehrlichen Mann paßiren / ſo lange das Gegen - theil nicht zu erweiſen ſtehet.

§. 5.

Hingegen wird dieſe Ach - tung vermindert / wenn einer durchboß -560Des andern Buchsboßhaffte und ſchaͤndliche Verbrechen wider die natuͤrlichen Rechte handelt / welche verurſachen / daß / wenn man etwas mit ihnen zuthun bekoͤmmet / man ſich deſto genaueꝛ vorzuſehen hat. Jedoch kan dergleichen Schand - Fleck wieder außgeleſchet werden / wenn ſich ein ſolcher von freyen Stuͤ - cken zur Erſetzung des Schadens an - erbiethet / und einen Beweiß ernſter Reue von ſich ſehen laͤſſet.

§. 6.

Gantz und gar aber gehet der ehrliche Nahme verlohren / wenn ſich einer zu einem ſolchen Le - ben oder Handthierung begiebet / wel - che gerades Weges zu maͤnnigliches Beſchaͤdigung / und nur ſich von an - derer Leute Schaden zu erhalten an - geſehen iſt. Und koͤnnen ſolche Leu - te / ſo lange ſie nicht wieder umkehren / von einem jeden / dem ſie nur einiger maſſen durch ihre Boßheit zunahe treten / feindſeelig tractiret werden. Je -561vierzehendes Capitel. Jedoch moͤgen ſie ihren ehrlichen Nahmen noch wieder bekommen / wenn ſie ſich nach Erſtattung des Schadens und darauff erhaltenem Perdon beſtaͤndig wiederum einer ehrlichen Lebens-Art befleißigen.

§. 7.

Bey denen jenigen / die in buͤrgerlichem Stande leben / iſt die gemeine oder einfache Achtung / wenn einer denen Geſetzen und Her - kommen einer Republique nach nie - mahls vor ein ſchaͤndliches Gliedmaß deroſelben erklaͤret worden / und alſo unter der Anzahl der erbahren und freyen Buͤrger paßiret.

§. 8.

Dieſe entfaͤllet nun in denen Republiquen entweder bloß wegen des Standes / oder wegen eines Verbrechens. Das erſte geſchie - het auff zweyerley Weiſe / wenn ei - ner nemlich in einen Stand geraͤth / der entweder keine natuͤrliche Schaͤndligkeit in ſich hat / oder aberder562Des andern Buchsder warhafftig / und zum wenigſten doch allgemeiner Einbildung nach mit einer Heßligkeit behafftet iſt. Je - nes findet man in denen Republi - quen / allwo die Knechte und Leibei - gene gantz keine Buͤrger - oder freyer Leute Rechte genieſſen. Dieſes wie - derfaͤhret zum Ex. denen Huren - Wirthen / oͤffentlichen Lohn-Huren / und dergleichen / welche zwar / ſo lan - ge ſie in einer Republique geduldet werden / ſich des gemeinen Schutzes zugetroͤſt〈…〉〈…〉 n haben / doch aber unter rechtſchaffene und ehrliche Leute nicht kommen duͤrffen. Faſt eben derglei - chen Bewandniß hat es mit denen je - nigen / die von ſchlechten und unflaͤti - gen Dingen Profeſſion machen / ob ſelbige ſchon keines weges wider die natuͤrlichen Rechte laͤuffet.

§. 9.

Allein uͤber groben Verbre - chen / da einer gewiſſer Mißhand - lung wegen nach einer Republi -que563vierzehendes Capitel. que Geſetzen vor unehrlich erklaͤret wird / gehet der gute Nahme gaͤntzlich verlohren. Und zwar auff die Weiſe / daß er entweder zugleich mit am Le - ben geſtraffet / und alſo auch ſein Ge - daͤchtniß mit dergleichen Schimpff beleget; oder daß er aus dem Lande getrieben / oder da er ja in demſelben verbleibet / anders doch nicht / als ein Ehren-verluſtiges faules Gliedmaß geachtet werde.

§. 10.

Und demnach iſts offenbahr / daß die einfache Achtung / oder na - tuͤrliche Ehre ohne Urſache / und nach dero bloſſem Belieben nieman - den von der hohen Obrigkeit koͤnne abgenommen werden; ſintemahl die - ſes einer Republique im geringſten nicht zu Nutze gereichet / und man al - ſo nicht ſehen kan / wie ihr dergleichen Macht jemahls eingeraͤumet wor - den. Gleichwie es im Gegentheil auch kein warhafftiger Schimpff o -der564Des andern Buchsder Unehre iſt / wenn einer der hohen Obrigkeit Befehle / als ein bloſſer Be - dienter deroſelben / außrichtet.

§. 11.

Eine ſonderbahre Ach - tung oder Anſehen iſt / nach welchem die jenigen Perſonen / die ſonſt der ge - meinen Achtung nach unter ſich gleich ſind / einander vorgezogen wer - den / nachdem einer vor dem andern etwas ſonderliches beſitzet / wodurch ſich die Gemuͤther derer Menſchen zur Ehrbezeugung auffbringen laſ - ſen; und iſt alſo die Ehre / ſo hieraus entſteht / nichts andeꝛs als ein Zeugniß deꝛ Hochachtung / die man von jeman - des ſeiner Fuͤrtreffligkeit machet.

§. 12.

Sothane ſonderbahre oder Ehren-Achtung kan aber gleichfalls ſo wohl an denen jenigen / die in na - tuͤrlicher Freyheit leben / als an Buͤrgern von einer Republique betrachtet werden Hernach muß man dererſelben Gruͤnde in Erwegungzie -565vierzehendes Capitel. ziehen / und zwar / alsfern ſie entweder nur die Faͤh - und Wuͤrdigkeit von andern eine Ehre zu empfangen / o - der auch wohl gar ein Recht / ſolche von ihnen / als eine Schuldigkeit / zu prætendiren / ertheilen und zule - gen.

§. 13.

Jnsgemein iſt alle das jeni - ge vor einen Grund zu einer ſon - derbahren Achtung / oder geehr - ten Anſehens zu halten / was einen trefflichen Vorzug oder Vollkom - menheit giebet / oder dieſelbige anzu - deuten geglaubet wird / und zwar eine ſolche / deren Wuͤrckung dem End - Zwecke des natuͤrlichen Geſetzes / oder derer Republiquen gemaͤß iſt; als da ſind ein kluger Geiſt / und die Ca - pacitaͤt viele Kuͤnſte und Wiſſen - ſchafften zu begreiffen / ein durchdrin - gender und hurtiger Verſtand in Außfuͤhrung wichtiger Geſchaͤffte / ein ſtandhafftes Gemuͤthe / das ſichB bdurch566Des andern Buchsdurch aͤuſſerliche Dinge nicht leicht eintreiben / noch durch Wolluͤſte und Schrecken bewaͤltigen laͤſſet / ein be - redter Mund / wohlgeſtalter und ge - ſchickter Leib / Gluͤcks-Guͤter / und zufoͤrderſt tapffere und Lob-wuͤrdige Thaten.

§. 14.

Jedoch koͤnnen alle dieſe Dinge mehr nicht / als ein unvoll - kommenes Recht / oder eine Faͤhig - keit / der Ehre von andern Leuten ge - waͤrtig zu ſeyn / zuwege bringen. Wenn nun jemand dieſelbige wohl - verdienten Leuten verweigert / der thut ihnen zwar eigentlich kein Un - recht / jedoch bekoͤmmet er ſothaner ſeiner Unbeſcheidenheit halber einen uͤbeln Nahmen. Hingegen das vollkommene Recht / von andern Leuten Ehre oder Ehren-Zeichen zu verlangen / ruͤhret her entweder von der Gewalt und Bothmaͤßigkeit / die man uͤber ſie hat / oder von gewiſſendiß -567vierzehendes Capitel. dißfalls errichteten Vergleichen / oder endlich von denen Geſetzen / die von gemeiner Obrigkeit dieſer wegen ge - geben und approbiret worden.

§. 15.

Was hohe Potentaten / und gantze Voͤlcker anbelanget / ſo wird die Præcedenz unter ihnen mehrentheils nach dem Alterthum ihrer Reiche und Familien / inglei - chen nach der Groͤſſe und Vermoͤ - genheit ihrer Laͤnder / oder nach ihrer Macht / wie auch nach der Art und Beſchaffenheit der Regierung / und nach der Hoheit derer Titulaturen außgemachet. Jedoch giebet auch dieſes alles an und vor ſich ſelbſt nie - manden ein vollkommenes Vorzugs - Recht uͤber andere Koͤnige und Voͤl - cker / wenn er ſich deſſentwegen nicht noch uͤber diß durch[Vergleiche und] Verwilligung gegen dieſelben verſi - chert.

B b 2§. 16.568Des andern Buchs

§. 16.

Allein unter Buͤrgern und Unterthanen von einer Re - publique gebuͤhret der hohen Obrig - keit die Staffeln der Ehren außzu - theilen / welche jedoch hiebey von rechtswegen auff jedes ſeine Trefflig - keit / und auff das Geſchicke / ſo er hat der Republique zu dienen / ſehen ſoll. Wenn nun ein Unterthan einmahl zu einer Ehren-Stelle oder Wuͤrde gelanget iſt / ſo hat er ſo viel Recht / dieſelbe gegen alle andere ſeine Mit - Buͤrger zu beſchuͤtzen und zu behau - pten / als er hingegen verbunden iſt / ſelbſt dabey zu beruhen / und ſich daran vergnuͤgen zu laſ - ſen.

Das569funffzehendes Capitel.

Das funffzehende Capitel / Von der hohen Obrig - keit Berechtigung uͤber der Republique und Untertha - nen Guͤter.

§. 1.

GLeichwie / wenn hohe Landes - Herrſchafft ihren Unterthanen zu Guͤtern hilffet / es auch in deroſel - ben Willkuͤhr ſtehet / wie viele Ge - walt ſie ihnen druͤber einraͤumen wol - le; alſo mag ihr nichts deſto weniger auch uͤber das jenige / ſo die Untertha - nen durch ihren eigenen Fleiß / oder ſonſt anderer geſtalt alleine vor ſich gebracht haben / zufoͤrderſt ein aus de - rer Republiquen Eigenſchafft her - ruͤhrendes / und zu deroſelben End - Zwecke benoͤthigtes dreyfaches Recht zuſtehen.

B b 3§. 2.570Des andern Buchs

§. 2.

Das erſte beruhet darauff / daß ſie denen Unterthanen Geſetze geben und vorſchreiben kan / ſo wohl wegen des Gebrauchs / oder welcher geſtalt ſie mit ihrer Haab und Guͤtern zu des Staats Nutzen gebahren ſol - len; als auch wegen der Art und Ei - genſchafft ſie zu beſitzen / ingleichen wegen dererſelben Verwendung an andere / und was dergleichen mehr ſeyn mag.

§. 3.

Das andere darauff / daß ſie einen Theil unter dem Nahmen einer Steuer / oder Zolles / davon nehmen kan. Denn weil ſie der Untertha - nen Leben und Guͤter im Schutze halten muß; ſo muͤſſen dieſe noth - wendig die zu ſothanem Zwecke ge - hoͤrigen Koſten beytragen; und wuͤr - de demnach der jenige ſehr unver - ſchaͤmt ſeyn / der zwar einer Republi - que Schutz und Vortheile genieſſen / hingegen aber zu deroſelben Erhal -tung571funffzehendes Capitel. tung weder eine Hand anlegen / noch auch etwas beyſteuern wollte. Wie - wohl es thut ein Regente ſehr weiß - lich / wenn er ſich in dieſem Stuͤcke in die Weiſe des lamentirenden Vol - ckes ſchicken lernet / und es mit ſolchen Anlagen in die Wege richtet / daß ſie dieſelbigen ſo wenig / als immer ſeyn kan / fuͤhlen und empfinden moͤgen; welches denn ſolcher geſtalt am fuͤ - glichſten geſchehen kan / wenn die ho - he Obrigkeit eine durchgehende rich - tige Gleichheit halten / und ſothane Anlagen vielmehr in einzelnen und geringen Terminen / wie auch unter mancherley Benennungen / als auff einmahl mit allzuſtarcken Poſten / und immerzu unter einerley Nahmen einbringen laͤſſet.

§. 4.

Das dritte Recht iſt die Ober-Herrligkeit / oder hohe Herrſchafft / welche darinne beſte - het / daß ein Fuͤrſte bey erheiſchenderB b 4Lan -572Des andern BuchsLandes-Nothdurfft eines Untertha - nen Haab und Guͤter / und zwar die jenigen / ſo der Zeit nach hiezu ſonder - lich vonnoͤthen ſind / des gemeinen Beſtens wegen angreiffen / und ſie darzu anwenden darff / ob dieſelbe ſchon ſeinen Antheil / den er ſonſt or - dentlicher Weiſe zu des Landes Er - haltung beyzutragen hat / weit uͤber - ſteigen. Jedoch muß einem ſolchen das jenige / ſo er hieran zu viel einbuͤſ - ſet / entweder aus der gemeinen Caſſe / oder aber von den andern Jnwoh - nern / ſo viel moͤglich / wieder erſtat - tet werden.

§. 5.

Uber dieſe drey Rechte giebet es in vielen Republiquen noch ab - ſonderliche gemeine Guͤter / welche der Republique Eigenthum / und Cron - oder Staats-Guͤter genennet / und anderswo wiederum in des Fuͤr - ſten und des Staats Eigenthum / oder in die Fuͤrſtlichen Cammer -Guͤ -573funffzehendes Capitel. Guͤter / und in die Land-Caſſe un - ter ſchieden werden / deren die erſten zum Unterhalt des Landes - Herrn und ſeiner Familie / die andern aber zu des Landes gemeinem Nutzen ge - wiedmet ſind. Von denen erſten hat der Landes - Herr den Genieß - Brauch / und kan mit denen daher erheblichen Nutzungen nach ſeinem Gefallen umgehen; uͤber die Caſſe aber hat er eigentlich nur die bloſſe Verwaltung / und muß ſie zu dem je - nigen Nutzen / wozu ſie geſtifftet iſt / anwenden. Keines aber von bey - den kan er ohne des Volcks Einwil - ligung veraͤuſern oder entwenden.

§. 6.

Noch viel weniger koͤnnen die jenigen / die an einem Reiche / o - der Lande gar nichts Eigenthuͤm - liches haben / daſſelbe entweder gantz und gar / oder einen Theil davon in fremde Haͤnde bringen / es geſchehe denn mit des gantzen Volcks / und /B b 5auff574Des andern Buchsauff den letzten Fall / noch beſonders mit des jenigen Theils Verwilli - gung / der veraͤuſert werden ſoll; gleichwie ſich auch hinwiederum kein Gliedmaß oder Stand einer Repu - blique / ohne deroſelben Willen / ent - ziehen darff / es waͤre denn / daß er durch andringende feindliche Gewalt in einen ſolchen Zuſtand gerathen / dabey er ſich anderer geſtalt nicht zu retten / noch zu helffen wuͤſte.

Das ſechzehende Capitel / Vom Kriege und Frie - de.

§. 1.

WJewohl es denen natuͤrlichen Rechten uͤberaus gemaͤß iſt / daß die Menſchen mit einander in Friede leben / und das jenige / wozu ſie ver - bunden ſind / einander freywillig ab -ſtatten;575ſechzehendes Capitel. ſtatten; ja obwohl der Friede ſelbſt ein ſolcher Stand iſt / der vor die Men - ſchen / alsfern ſie von denen wilden Thieren unter ſchieden ſind / eigentlich und gantz beſonders gehoͤret; ſo iſt der Krieg nichts deſto weniger biß - weilen zugelaſſen / und wohl gaꝛ hoͤchſt noͤthig / wenn man nemlich wegen anderer Leute Boßheit das Seinige nicht erhalten / oder ohne gebrauchte Gewalt zu ſeinen Gerechtſamen nicht gelangen kan. Jedoch wird ſich ein jeder ſchon ſelbſt ſo vorſichtig und beſcheiden zu verhalten wiſſen / daß er niemahls zun Waffen greiffe / wo - fern aus ſothaner Anthung des erlit - tenen Unrechts mehr Schaden / als Vortheil zugewarten ſtehet.

§. 2.

Die Gerechtigkeit der Ur - ſachen / woruͤber einem Krieg zu fuͤh - ren erlaubet iſt / ſind vornehmlich die - ſe / wenn man ſich und das Seinige zu erhalten / und wider anderer feind -B b 6ſeeli -576Des andern Buchsſeelige und unbefugte Anlaͤuffe zu be - ſchuͤtzen / oder das jenige / ſo uns ande - re zu leiſten ſchuldig ſind auff den Fall beſchehener Vorenthaltung und Verweigerung ihnen abzudrin - gen / oder auch Satisfaction vor das allbereit zugefuͤgte Unrecht / und Si - cherung wegen des zukuͤnfftigen zu erlangen trachtet. Der erſten Urſa - chen wegen pfleget man es einen De - fenſiv - oder Schutz - der andern aber einen Offenſiv - oder Angriffs - Krieg zu nennen.

§. 3.

Jedoch muß man nicht alſo - gleich / wenn man ſich in etwas belei - diget zu ſeyn erachtet / zu den Waffen eilen / zumahl wenn einiger That oder Rechte wegen / daruͤber ſich die Unei - nigkeit erhoben / noch nicht alles klar iſt; ſondern vielmehr hat man zu ver - ſuchen / ob ſich die Sache durch guͤtli - che Handlung abthun laſſe / nemlich durch fleißige Conferentz derer ſtreiti -gen577ſechzehendes Capitel. gen Partheyen / durch Schieds-Leu - te / oder durchs Looß / und der gleichen. Sonderlich aber gebuͤhret dem jeni - gen ſolche Mittel vor die Hand zu nehmen / der nur in petitorio verſi - ret / oder bloß einen Anſpruch auff et - was machet / immaſſen wer nebenſt ei - nigem Rechts-Titul ſchon in wuͤrckli - chem Beſitze iſt / derſelbe gemeiniglich eine beſſere Sache und mehrere Rechts-Gunſt vor ſich zu haben ſchei - net.

§. 4.

Hingegen ſind die unrecht - maͤßigen Urſachen eines Krieges ent - weder offenbahre / oder angefaͤrbe - te. Unter jenen moͤgen wohl der Geitz und Herrſch-Sucht / oder die unerſaͤttliche Laͤndeꝛ - und Regiments - Begierde obenan ſtehen. Derer an - dern aber giebet es vielerley / als die Furcht vor der Benachbarten anwe - ſenden Macht / ein ungegruͤndeter und ohnberechtigter Staats-Nutzen /B b 7die578Des andern Buchsdie Luſt nach beſſern Laͤndern / die be - ſchehene Verweigerung eines Din - ges / ſo man doch nur bloß aus unvoll - kommenem Rechte zu fordern hatte / die Einfalt des rechtmaͤßigen Beſi - tzers / die Begierde einem andern ſein wohl hergebrachtes Recht bloß darum abzudringen / weil uns etwan einige Ungelegenheit daꝛaus zuwaͤchſet / und der gleichen.

§. 5.

Des Krieges Eigenſchafft beſtehet zwar vornehmlich in offen - bahrer Gewalt und Schrecken; nichts deſto weniger aber mag man ſich gegen ſeinen Feind auch der Liſt und Krieges-Raͤncke bedienen / wenn man ſonſt nur in denen jenigen Paro - le haͤlt / weſſen man ſich beſonders mit ihm verglichen. Dannenhero iſts nicht unrecht / wenn man die Feinde durch ein verſtelletes Vorgeben und andere Erzehlungen oder Reden hin - ters Licht fuͤhret; allein in Zuſagenund579ſechzehendes Capitel. und Verſprechen muß dergleichen durchaus nicht geſchehen.

§. 6.

Anlangende die Gewalt / die man im Kriege gegen des Feindes Perſon und Guͤter brauchet / ſo iſt ein Unterſcheid zu machen unter dem je - nigen / was ein Feind rechtmaͤßi - ger Weiſe zu leiden ſich nicht ent - brechen kan / und was ihm ohne Begehung einer unmenſchlichen Grauſamkeit nicht kan bewieſen werden. Denn indem der jenige / der ſich feindſeelig gegen mich erklaͤ - ret / eben hiedurch zu verſtehen giebet / daß er mir alles aͤuſſerſte Ubel anthun wolle / ſo raͤumet er mir zwar hin - wiederum auch ſeines Orts ein / daß ich ihn ohne einige Maſſe und Auff - hoͤren verfolgen moͤge; gleichwohl aber ſo befiehlet die Menſchligkeit / daß man / ſo viel es zwar der gewaltſa - me Lauff derer Waffen geſtattet / dem Feinde mehr Ubels nicht zufuͤge / alsdie580Des andern Buchsdie Beſchuͤtzung / oder Anthung unſe - rer Rechte / und die Sicherheit vors kuͤnfftige erfordern.

§. 7.

Es pfleget der Krieg auch fer - ner in einen ordentlichen und unor - dentlichen unterſchieden zu werden. Zu jenem gehoͤret / daß er erſtlich von ſolchen / bey denen die Staats-Ober - Gewalt beruhet / gefuͤhret werde; andern Theils aber / daß vorher eine ordentliche Ankuͤndigung geſchehe. Unordentlich hingegen iſt der jenige / dabey keine Ankuͤndigung geſchiehet / oder wenn hohe Obrigkeit die Waf - fen wider Privat - Leute ergreiffet / und gehoͤren alſo hierunter auch die buͤrgerlichen Kriege.

§. 8.

Gleichwie nun / als gemel - det / das hohe Kriegs-Regal in ei - ner jeden Republique nur dem jeni - gen zukoͤmmet / der die oͤberſte Ge - walt und Bothmaͤßigkeit in derſelbi - gen hat; alſo kan ſich keine Unter -Obrig -581ſechzehendes Capitel. Obrigkeit derſelben / wofern es ihr nicht beſonders auffgetragen wird / ſonder ungebuͤhrlicher Uberſchrei - tung ihrer Schrancken / eigenthaͤtig anmaſſen / wann auch ſchon zu ver - muthen ſtuͤnde / daß ſolches der hohen Landes-Regierung / wenn ſie drum begruͤſſet wuͤrde / dann und wann ge - fallen moͤchte. Eine weit andere Be - wandniß hat es mit denen jenigen / die einer Landſchafft oder Feſtung mit ge - wiſſer Militz vor geſetzt werden; denn es laͤſſet ſich aus dem End-Zwecke ih - res anbefohlnen Am̃ts leichtlich ab - nehmen / daß ſie alle feindſeelige Ein - bruͤche von denen ihnen anvertraue - ten Oertern abtreiben ſollen; wie - wohl ſie ſich auch dabey vorzuſehn ha - ben / daß ſie ſothanen Krieg nicht ſo leichte und vermeſſentlich biß gar in die feindlichen Lande fortſtellen.

§. 9.

Eigentlich und von rechts - wegen kan in der natuͤrlichen Frey -heit582Des andern Buchsheit nuꝛ derſelbe mit Krieg uͤberzogen werden / der dem andern vor ſich An - laß und Urſache darzu gegeben hat; allein in Republiquen wird offt - mahls dererſelben Ober - Haupt / oder ſie ſelbſt darmit angefochten / ob ſie gleich an einer Beleidigung vor ſich keine Schuld haben. Und dem - nach iſt leicht abzuſehen / daß / wenn dieſes rechtlicheꝛ Weiſe geſchehen ſoll / die hohe Landes-Obrigkeit / oder der Staat einigen Theil an der Affront haben muͤſſe. Das geſchiehet nun / wenn ſie ihren alten Unterthanen / o - der denen jenigen / ſo ſich auffs neue zu ihnen ſchlagen / dergleichen zu ver - uͤben verſtattet / oder ihnen Schutz und Unterſchleiff giebet. Damit aber ſolche Verſtattung vor Straff - wuͤrdig geachtet werden koͤnne / ſo muß die hohe Obrigkeit / oder der Staat um der Buͤrger Frevel Wiſ - ſenſchafft / und darbenebenſt dieMacht583ſechzehendes Capitel. Macht gehabt haben / ihnen ſolches zu verwehren. Was die Wiſſen - ſchafft betrifft / ſo wird ſelbige von ei - nem Regenten allemahl vermuthet in Dingen / ſo ſeine Unterthanen oͤf - fentlich und vielfaͤltig beginnen / wie ingleichen auch / daß er Macht und Vermoͤgen gehabt habe / ihnen zu ſteuern / ſo lange er das Gegentheil nicht augenſcheinlich erweiſet. Wo - fern aber eine Republique einen auß - laͤndiſchen Ubelthaͤter / der nur bloß / um vor der Straffe geſichert zu ſeyn / bey ihr Zuflucht ſuchet / in Schutz an - genommen haͤtte / ſo muͤſte auch das Recht / ſie deßwegen mit Kriege zu - berziehen / mehr aus einigen dißfalls zwiſchen ihr und ihren Benachbarten errichteten Pactis und Buͤndniſſen / als aus der gemeinen Obliegenheit hervorgeſuchet werden; es waͤre denn / daß der Fluͤchtige bey der Schutz-leiſtenden Republique widerden -584Des andern Buchsden jenigen Staat / daraus er entwi - chen / ſich zu verſtaͤrcken / und einige Feindſeeligkeiten anzuſpinnen trach - tete.

§. 10.

So iſt auch dieſes bey denen Voͤlckern in Gebrauch kommen / daß wenn entweder eine Republique vor ſich ſelbſt jemanden etwas ſchuldig iſt / oder ſich durch Verweigerung der Juſtitz einer fremden Schuld theil - hafftig machet / alle deroſelben Un - terthanen Guͤter inſofern davor haff - ten / daß / wenn die außlaͤndiſchen Glaͤubiger deren welche bey ſich an - treffen / ſie dieſelbe anhalten laſſen / wogegen die jenigen / ſo die Schuld gemachet / denen dißfalls unſchuldig Beſchaͤdigten alles wieder erſetzen muͤſſen. Dergleichen gewaltige Ex - ſequutiones heiſſen Repreſſalien / und pflegen offtmahls ein Vor - Spiel darauff erfolgender blutigen Kriege zu werden.

§. 11.585ſechzehendes Capitel.

§. 11.

Krieg kan einer nicht vor ſich ſelbſt / ſondern auch fuͤr andere fuͤh - ren. Und damit es hiebey rechtſchaf - fen zugehen moͤge / ſo muß der jenige / von welchem der Krieg angefangen wird / ebenfalls rechtmaͤßige Urſache haben / dem Huͤlff-leiſtenden es aber auch an wahrſcheinlichen Beweiß - Gruͤnden nicht fehlen / um derent - willen er ſich gemuͤßiget befinde / vor einen andern loßzubrechen. Nun ſind unter denen jenigen / fuͤr welche ein Fuͤrſt im Noth-Fall die Waffen ergreiffen kan und ſoll / die erſten ſei - ne Unterthanen / ſo wohl ſaͤm̃tliche / als auch ein Theil dererſelben / wofern die Republique hiedurch nicht in Ge - fahr koͤmmet / angeſichts in ein groͤſ - ſers Unheyl verwickelt zu werden. Dieſen ſind die Bunds-Genoſſen am naͤheſten / wenn anders die Alliantz dergleichen vermag; jedoch muͤſſen ſie nicht allein denen Unterthanennach -586Des andern Buchsnachſtehen / wenn dieſelben eben zu der Zeit Huͤlffe beduͤrffen / ſondern man ſetzet auch allemahl zuvoraus / daß ſie rechtmaͤßige Urſache zum Krie - ge haben muͤſſen / und denſelben nicht ohne Vernunfft und genugſame Er - hebligkeit anfangen. Hierauff fol - gen andere Freunde / ob man ihnen ſchon ſolches abſonderlich niemahls verſprochen. Endlich / und wo kei - ne naͤhere Urſache vorhanden waͤre / ſo iſt doch die allgemeine Verwand - ſchafft ſchon zulaͤnglich / um einen Staat dahin zu vermoͤgen / daß eꝛ dem andern / der ihn aus Furcht unbilli - cher Drangſale und Unterdruͤckung um Huͤlffe anruffet / ſo viel / als er ohne ſeinen ſondern Schaden thun kan / beyſpringe und zu Huͤlffe komme.

§. 12.

Die Freyheit im Kriege iſt zwar ſo groß / daß wenn einer gleich durch Pluͤndern und Morden die Graͤntzen der Menſchligkeit noch ſoſehr587ſechzehendes Capitel. ſehr uͤberſchritte / er dennoch nach der gemeinen Voͤlcker Opinion deßwe - gen vor unehrlich / oder vor einen ſol - chen / mit dem redliche Leute nichts zu thun haben ſollten / keines weges darff geachtet werden. Nichts deſto we - niger / ſo halten wohlgeſittete Natio - nes etliche Arten / womit man einem Feinde Abbruch thun koͤnte / vor zu barbariſch / und unanſtaͤndig / als z. E. das Gewehr zu vergifften / oder des Feindes Unterthanen mit Gelde zu beſtechen / daß ſie ihren Herꝛn meu - chelmoͤrderiſcher Weiſe ums Leben bringen.

§. 13.

Anlangende die Beute / ſo ſind bewegliche Dinge alsdann vor erbeutet oder gefangen zu achten / wenn ſie in dem Stande ſind / da ſie ein anderer nicht mehr feindſeeliger Weiſe verfolgen kan; unbewegliche aber / wenn man ihrer dermaſſen ver - ſichert iſt / daß man auch genugſamesVer -588Des andern BuchsVermoͤgen hat / den Feind darvon abzutreiben. Wiewohl wann des erſten Eigenthums-Herrn Zuſpruͤche darauff gaͤntzlich verloͤſchen ſollen / ſo muß er ſich dererſelben nothwendig erſt durch erfolgende Pacte begeben. Denn was man einem bloß durch Gewalt abgewinnet / das mag er auch durch Gegen - Gewalt wiederneh - men. Ferner / gleichwie die Unter - thanen den Krieg im Nahmen ihrer Republique fuͤhren / alſo gebuͤhret auch dieſer / und nicht jenen / eigentlich alle das jenige / ſo ſie denen Feinden abnehmen / wiewohl es jetzo mehren - theils gebraͤuchlich iſt / daß die bewe - glichen Dinge / und zumahl die von keiner ſo ſonderbahren Wichtigkeit ſind / denenſelben durch eine Uberſe - hung / oder zur Belohnung / oder auch wohl zuweilen an Soldes ſtatt / ingleichen dadurch Leute / die es ſonſt eben nicht noͤthig haͤtten / deſto meh〈…〉〈…〉zum589ſechzehendes Capitel. zum Kriege und Auffſetzung ihres Bluts anzulocken / denen Soldaten gelaſſen werden. Wenn man hin - gegentheils einem Feinde dergleichen erbeutete Sachen wieder abjaget / ſo koͤmmet das Unbewegliche an ihre vo - rigen Herren; und ſo follte es zwar auch mit denen Beweglichen ſeyn / al - lein bey denen meiſten Voͤlckern wer - den ſie denen Soldaten zur Beute gegoͤnnet.

§. 14.

Endlich ſo pfleget man durch die Waffen auch die Both - maͤßigkeit ſo wohl uͤber einzelne Ge - fangene / als uͤber gantze Voͤlcker zu gewinnen. Damit aber dieſe ihren rechtmaͤßigen Beſtand habe / und die Bezwungenen deſto mehr in ihren Gewiſſen zur Unterthaͤnigkeit ver - bunden werden / ſo iſt vonnoͤthen / daß ſich der Uberwinder dieſelbigen hul - digen laſſe / und er hinwiederum alleCcferne -590Des andern Buchsfernere Feindſeeligkeit gegen ſie ab - ſtelle.

§. 15.

Die wuͤrcklichen Krieges - Operationes pflegen eine Zeitlang durch den Stilleſtand in Ruhe zu kommen / welcher nichts anders iſt / als ein Vergleich / vermoͤge deſſen man auff eine Zeitlang / hinnen wel - cher der Krieges-Stand / und die Urſache / daruͤber ſich ſelbiger ent - ſponnen / an ihnen ſelbſt nichts deſto weniger bey Kraͤfften bleiben / ſich aller feindſeeligen Handlungen ent - haͤlt; hingegen aber / und da inzwi - ſchen kein voͤlliger Friede getroffen wird / nach deſſelben Verflieſſung den Krieg / ſonder einer neuen An - kuͤndigung / fernerweit fortſetzet.

§. 16.

Man kan aber den Stil - leſtand unterſcheiden in den jeni - gen / der getroffen wird / wenn die feindlichen Armeen zubeyden Thei - len noch in Waffen bleiben / und ihrevoͤl -591ſechzehendes Capitel. voͤllige Ruͤſtung beyſam̃en behalten dergleichen denn gemeiniglich nur auff kurtze Zeit gerichtet wird; und ferner in einen ſolchen / dabey die Ar - meen beyderſeits zugleich auseinan - der gehen / welcher auff eine ziemli - che lange Zeit geſchloſſen werden kan / auch oͤffters alſo geſchloſſen wird / und das Anſehen eines voͤlligen Friedens gewinnet / geſtalt er denn zuweilen auch wohl den Titul eines Friedens / jedoch mit Beyfuͤgung einer gewiſſen Zeit / zu bekommen pfleget. Denn von rechtswegen ſollte ein Friede al - lemahl ewig ſeyn / und alle Streitig - keiten / daruͤber ſich der Krieg ent - ſponnen / auffbeſtaͤndige Weiſe bey - legen. Der ſo genañte heimliche Stilleſtand hat keine rechte Ver - bindligkeit / ſondern es koͤnnen die Partheyen zu beyden Seiten nach ei - genem Belieben inne halten / hinge - gen auch / wenn es ihnen gefaͤllet / al -Cc 2lemahl592Des andern Buchslemahl wiederum zu denen Hoſtili - taͤten ſchreiten.

§. 17.

Endlich wird der Krieg gaͤntzlich auffgehaben / wenn die feindſeeligen hohen Staats-Haͤu - pter zu beyden Theilen Friede ma - chen. Wie ſie ſich nun hierbey ge - wiſſer Articul und Puncte wegen mit einander vergleichen / und den - ſelbigen darauff einrichten; alſo muͤſſen ſolche hernach auch um ver - glichene Zeit treulich gehalten / und zur Exſequution gebracht werden. Zu deſto mehrer Feſt-Stellung wer - den dieſelben nicht allein beſchworen / und Geiſſeln daruͤber gegeben; ſon - dern es nehmen auch offtmahls ande - re / inſonderheit die Unterhaͤndler der Friedens - Tractaten die Verſiche - rung uͤber ſich / daß ſolche unver - bruͤchlich gehalten werden ſollen / mit dem Verſprechen / dem jenigen / ſo dieſem Vergleich zuwider von derandern593ſechzehendes Capitel. andern auffs neue feindſeelig ange - griffen werden moͤchte / mit nach - druͤcklicher Huͤlffe beyzuſpringen.

Das ſiebenzehende Capitel / Von Bündniſſen.

§. 1.

SOwohl in Kriegs - als Friedens - Zeiten koͤnnen die Buͤndniſſe zwiſchen hohen Potentaten und un - terſchiedenen Republiquen groſſen Nutzen ſchaffen. Sie laſſen ſich in Anſehung der Materie eintheilen in die jenigen / die nur bloß eine bey - derſeitige Abſtattung natuͤrlicher Schuldigkeit in ſich enthalten / und die ſothaner natuͤrlichen Schuldig - keit noch einigen Zuſatz geben / oder dieſelbige zum wenigſten / wo ſie noch allzugemein ſcheinet / zu etwas gewiſ - ſes determiniren.

C c 3§. 2.594Des andern Buchs

§. 2.

Zu der erſten Claſſe gehoͤren die jenigen / darinne man ſich wegen bloſſer Leutfeeligkeit und Liebes-Er - weiſungen / oder wegen unterbleiben - der Beſchaͤdigung mit einander ver - gleichet; ingleichen darinne man ſchlechter dinges nur Freundſchafft und gutes Vernehmen ſtifftet / ohne ſich darbenebenſt zu einer ſonderbah - ren Abſtattung einiges Dinges zu verbinden; wie auch die jenigen / darinnen das Herberge - oder Gaſt - Recht / und derer Commercien / als - fern ſolches die natuͤrlichen Rechte er - fordern / auff beſtaͤndigen Fuß geſetzet werden.

§. 3.

Die aber zur andern Claſſe gehoͤren / ſind entweder gleiche oder ungleiche. Jene haben auff beyden Seiten gleiche Beſchaffenheit / in - dem ſich beyde confœderirte Theile / und zwar entweder ſchlechter din - ges / oder nach Proportion ihresVer -595ſiebenzehendes Capitel. Vermoͤgens zu einem gleichmaͤßi - gen / und auff gleiche Art verbinden / alſo / daß kein Theil dißfalls geringer / als der andere / auch keiner dem andern unterthan / oder zu einem mehrern / als der andere / gehalten ſeyn ſolle.

§. 4.

Ungleiche Buͤndniſſe hinge - gen ſind / wenn von beyden Theilen nicht ein gleichmaͤßiges geleiſtet wird / oder des einen Theils Condi - tion deßfalls ſchlimmer iſt / als des andern. Und iſt demnach der / der ſich zum ungleichen verbindet / ent - weder hoͤher / oder niedriger / als ſein Bunds-Verwandter. Das erſte ge - ſchiehet / wenn ein Maͤchtigereꝛ einem andern Huͤlffe verſpricht / und ſich im Gegen-Theil nichts wieder ver - ſprechen laͤſſet; oder wenn er ſeines Orts etwas nach groͤſſerer Proporti - on zuſaget / als der andere. Das letzte aber / wenn der geringere Bun -C c 4des -596Des andern Buchsdes-Genoſſe ein mehreꝛs leiſten muß / als er von dem andern wieder empfaͤ - het.

§. 5.

Theils nun dieſer letztern Leiſtungen ſind mit Schmaͤlerung der hohen Staats-Gewalt ver - knuͤpffet / als wenn / zum Exempel / der Geringere oder Schwaͤchere ver - moͤge der Buͤndniſſe einen Theil ſei - ner Regalien ohne des Maͤchtigern Vorbewuſt und Einwilligung nicht brauchen darff: theils laſſen dieſel - be zwar ungeſchmaͤlert / ſind aber dennoch ſonſt mit einer / wiewohl auff einmahl abgehenden Laſt verbunden / als wenn bey Friedens-Schluͤſſen der eine des andern Soldaten bezah - len / die Krieges-Koſten erſtatten / ei - ne gewiſſe Geld-Summe erlegen / die Mauren niederreiſſen / Geiſſeln / Schiffe / Munition / und der gleichen hingeben muß. Ob auch ſchon zu - weilen in ſothanen Buͤndniſſen einebe -597ſiebenzehendes Capitel. beſtaͤndige Beſchwerung mit einver - leibet wird / ſo kan es dennoch ohne Verminderung der Souverainitaͤt geſchehen / als wenn zum Ex. nur der eine Theil des andern ſeine Freunde und Feinde auch vor die Seinigen halten muß / oder wenn er an gewiſſen Orten keine Feſtungen anlegen / nach denen und jenen Laͤndern keine Schiff-Farth anſtellen darff / u. ſ. w. Alſo auch wenn ſich der eine Bunds-Genoſſe krafft errichteter Verbuͤndniß dem andern aus gutem Willen gewiſſe Ehrerbietigkeit oder Reſpect zu erweiſen / und ſich gezie - mend nach denſelben zu richten an - heiſchig gemachet.

§. 6.

Jm uͤbrigen / ſo werden ſo wohl die ungleichen / als gleichen Buͤndniſſe um mancherley Urſachen willen getroffen / unter welchen dieſe die allergenaueſten und verbindlich - ſten ſeyn / welche ihr Abſehen auff eineC c 5be -598Des andern Buchsbeſtaͤndige Zuſammenſetz - und Ver - einigung vieler Republiquen rich - ten. Die gewoͤhnlichſten aber ſind die jenigen / die zur Huͤlff-Leiſtung und Beyſtande in Offenſiv - und Defenſiv-Kriegen / oder zu Ein - richtung derer Commercien geſtifftet werden.

§. 7.

Es iſt uͤber diß noch bekant die Eintheilung in die Real - und Perſonal-Alliantzen; deren dieſe ſind / welche mit einem Koͤnige oder abſoluten Regenten vor und auff dero Perſon geſchloſſen werden / und alſo zugleich mit ihrem Tode auffhoͤren. Jene aber werden nicht ſo wohl mit denenſelben vor ihre Perſon / als in Anſehen der Republique und des gantzen Volcks errichtet / und haben ihren Beſtand dennoch / obgleich ihre erſten Urheber vorlaͤngſt zu ſeyn auff - gehoͤret.

§. 8.599ſiebenzehendes Capitel.

§. 8.

Denen Buͤndniſſen ſind zu - naͤchſt verwand dieſelben unbekraͤff - tigten Schluß-Handlungen oder Tractaten / ſo ein Geſandter von einer ſouverainen Republique in oͤffentlichen Staats-Angelegenhei - ten ohne deroſelben Inſtruction und Vollmacht uͤber ſich nimmet. Wie nun aber ein hoher Principal an der - gleichen Geſchaͤffte ſeines Dieners nicht gebunden iſt / bevor er dieſelbi - gen vollzogen hat; alſo muß der Ge - ſandte / wenn er dieſelbe ſchlechter dinges auff und uͤber ſich genommen hat / und die Bekraͤfftigung nicht er - folgen wil / auch ſelbſten zuſehen / wie er denen jenigen / die auff ſein Wort getrauet / und durch ſolche vergebli - che Pacte geaͤffet worden / Satis - faction verſchaffe.

C c 6Das600Des andern Buchs

Das achzehende Capitel / Von der ſchuldigen Ge - buͤhrderer Unter - thanen.

§. 1.

DJe ſchuldige Gebuͤhr derer Un - terthanen iſt entweder eine ge - meine / oder beſondere. Jene hat ihren Grund in der gemeinen Oblie - genheit / vermoͤge deren ſie ihrer ho - hen Obrigkeit unterthan ſeyn muͤſ - ſen; dieſe aber ruͤhret von beſondern Aemtern her / darein ein jeder von den hohen Landes-Regenten geſetzet worden.

§. 2.

Die gemeine Schuldigkeit der Buͤrger erſtrecket ſich entweder gegen ihre hohe Regenten / oder gegen die geſam̃te Republique / oder gegen ihre Mit-Buͤrger.

§. 3.601achzehendes Capitel.

§. 3.

Dem hohen Regenten iſt ein Unterthan Ehr-Erbiethigkeit / Treue und Gehorſam ſchuldig / wor - zu noch dieſes koͤmmet / daß er mit der gegenwaͤrtigen Staats-Verfaſſung jedesmahl zufrieden ſeyn / und ſich die Luſt zur Neuerung nicht einnehmen laſſen / noch auch zu andern eine meh - rere Zuneigung bekommen / oder ſie hoͤchlich bewundern / und ihnen groͤſ - ſere Veneration, als ſeinen eigenen bezeugen; ſondern vielmehr von ſei - ner hohen Landes-Obrigkeit ruͤhm - lich reden / und allemahl das Beſte von ihr gedencken ſolle.

§. 4.

Gegen die gantze Republi - que hat ſich ein rechtſchaffener Unter - than ſo zu erweiſen / daß er nichts hoͤ - her ſchaͤtze / als deroſelben Flor und Beſtaͤndigkeit / daß er ſein Leben / Haab und Gut zu ihrer Erhaltung darſtrecke / um nur ihr einigen Glantz und Vortheil zuwege zu bringen / alleC c 7ſei -602Des andern Buchsſeinen Verſtand und aͤuſſerſten Fleiß anwende.

§. 5.

Ein jeder Unterthan oder Buͤrger gegen den andern hat ſich dahin zu befleißigen / daß ſie friedlich und ſchiedlich beyſammen leben / ſich gegen einander behuͤlfflich und will - faͤhrig erweiſen / durch Verdruß und Eigenſinnigkeit einander das Leben nicht ſauer machen / keiner dem an - dern ſein Gluͤcke mißgoͤnne / noch viel weniger gantz und gar um daſſelbe zu bringen trachte.

§. 6.

Die beſondernen Schul - digkeiten erſtrecken ſich entweder durch die gantze Republique / oder nur durch einen gewiſſen Theil der - ſelben. Wobey denn dieſe Haupt - Regul zu mercken / daß niemand ei - niges Am̃t in der Republique ver - langen und annehmen ſolle / welchem er ſich nicht gewachſen zu ſeyn ge - trauet.

§. 7.603achzehendes Capitel.

§. 7.

Wer den hohen Regenten mit Rath und Anſchlaͤgen beyſte - het / der muß ſehr weißlich und ſorg - faͤltig allenthalben in der Republi - que umher ſchauen / und / was er der - ſelben heylſam und dienlich zu ſeyn befindet / vernuͤnfftig und treulich / ſonder Affecten und einigen boß - hafften Reſpect vortragen / in alle Wege das gemeine Beſte / und nicht die Vermehrung ſeines eigenen Reichthums oder Hoheit zum Zwecke haben / durch Schmeicheley den Fuͤr - ſten in ſeinen boͤſen Neigungen nicht ſtaͤrcken / verbotener und zum Auff - ruhr oder Meuterey angeſehener Zu - ſammenkuͤnffte ſich entſchlagen / nichts / was heraus geſaget ſeyn muß / hinterhalten / und im Gegen-Theil / was verſchwiegen ſeyn ſoll / nicht auß - plaudern / gegen außwaͤrtige Beſte - chung ſich Eiſen-feſte machen / die Am̃ts - und Staats-Geſchaͤffte ſeinenPri -604Des andern BuchsPrivat-Verrichtungen oder Ergoͤtz - ligkeiten nicht nachſetzen / u. ſ. f.

§. 8.

Die jenigen / ſo von der hohen Obrigkeit zur Verrichtung des Gottes-dienſtes verordnet ſeyn / muͤſſen ſich darbey exemplariſch und treu-fleißig erweiſen / von Goͤttlichen Dingen die reine und lautere Lehre vortragen / was ſie lehren / auch in der That ſelbſt erweiſen / und ihrer Ge - meine mit einem erbahren Lebens - Wandel vorleuchten / nicht aber durch aͤrgerliche Sitten ihr Am̃t veraͤcht - lich / und ihre Lehre unkraͤfftig ma - chen.

§. 9.

Die oͤffentlich darzu beruffen ſind / daß ſie der Unterthanen Gemuͤ - ther ſonſt in allerhand Kuͤnſten und Wiſſenſchafften unterrichten ſol - len / duͤrffen nichts falſches / oder ir - riges vorbringen; auch ſollen ſie ihre Zuhoͤrer nicht alſo anfuͤhren / daß ſie etwas nur bloß darum wahr zu ſeynglau -605achzehendes Capitel. glauben / und ihm beyfallen / weil ſie es von ihnen alſo gehoͤret; ſondern ſie ſollen dieſelben vielmehr auff die gruͤndlichen Urſachen fuͤhren / und darnach zu forſchen anweiſen; aller zur Beunruhigung des Staats ge - reichender Lehren ſich enthalten / und alle die jenige menſchliche Wiſſen - ſchafft vor eitel achten / von welcher dem gemeinen Leben und der Repu - blique kein Nutzen zuflieſſet.

§. 10.

Die zum Juſtitz-Weſen beſtellet ſind / ſollen jederman gerne freyen Zutritt vergoͤnnen / dem ge - meinen Volcke wider derer Maͤchti - gern Unterdruͤckung Schutz leiſten / den Armen und Niedern ſo wohl / als den Reichen und Hohen Recht ver - ſchaffen / die Proceſſe ohne Noth nicht verſchleiffen / durch Geſchencke ſich nicht verblenden laſſen / in Erkaͤntniß derer Streit-Haͤndel Fleiß anwen - den / alle Affecten / die den Verſtandver -606Des andern Buchsverduͤſtern koͤnnen / beyſeite ſchaffen / und bey ihrem gerechten und redli - chen Wandel ſich fuͤr keinem Men - ſchen ſcheuen.

§. 11.

Wem die Militz anver - trauet iſt / die ſollen ihre unter gebene Mannſchafft fleißig und zu rechter Zeit exerciren / und ſie zur Erdul - dung des muͤhſeeligen Soldaten - Lebens angewoͤhnen / uͤber gute Krie - ges-Zucht halten / die Soldaten vor die lange Weile nicht auff die Schlacht-Banck liefern / Proviant und Geld / ſo viel an ihm / bey zeiten anſchaffen / und nichts darvon unter - ſchlagen / die Soldaten allezeit in Lie - be gegen den Staat erhalten / und ſie wider denſelben nicht auff ihre Seite zu bringen ſuchen.

§. 12.

Die Soldaten hingegen ſollen mit ihrem Solde zufrieden ſeyn / von Außpluͤnderung der Land - Leute und andern Plackereyen ſichent -607achzehendes Capitel. enthalten / alle Arbeit und Muͤhe vor die Beſchuͤtzung des Vaterlandes wil - lig und tapffer außſtehen / ſich aus Verwegenheit niemahls in Gefahr ſtuͤrtzen / hinwiederum auch aus Traͤg - und Verzagheit derſelben ſich nicht entziehen / die Tapfferkeit gegen den Feind / und nicht gegen ihre Cam - meraden erweiſen / die angewieſenen Poſten maͤnnlich defendiren / und allemahl einen ehrlichen Tod einer ſchaͤndlichen Flucht und Leben vor - ziehen.

§. 13.

Die der Staat außwaͤr - tig und an andere Republiquen verſchicket / die ſollen vorſichtig und behutſam ſeyn / das vergebliche von dem gruͤndlichen / das wahre von dem ertichteten kluͤglich zu unterſcheiden / Geheimniſſe zu verſchweigen / und ſich wider angebotene gefaͤhrliche Geſchencke und Reitzungen ihrerRe -608Des andern BuchsRepublique zum Beſten ſtandhafftig zu verwahren wiſſen.

§. 14.

Die des Staats Ein - kuͤnffte und Renthen einheben / und unter Haͤnden haben / muͤſſen ſich huͤten / daß ſie ſich gegen das Volck ohne Noth nicht zu harte er - weiſen / und ihnen weder ihres eige - nen Nutzens halber / noch aus Frevel und Boßheit eine neue Laſt auffbuͤr - den / in des Staats Jntraden keinen Unterſchleiff machen / und wenn je - manden etwas aus der Caſſe gezahlet werden muß / denſelben ſonder ohn - noͤthigen Verzug befriedigen.

§. 15.

Alle dieſe und dergleichen be - ſondere Schuldigkeiten derer Buͤr - ger und Unterthanen haben nun ih - ren Beſtand ſo lange / als ein jeder in dem Stande und Amte / davon die - ſelben herruͤhren / beharret; ſo bald ſie aber davon abkommen / ſo hat es auch mit dieſer Obligation ein Ende. Eben -609achzehendes Capitel. Ebenfalls tauret die gemeine Pflicht nicht laͤnger / als einer ein Buͤrger o - der Unterthan verbleibet. Es hoͤret aber das Buͤrger - oder Untertha - nen-Recht auff / wenn einer entwe - der mit außdruͤcklicher oder heimli - cher Einwilligung der Republique aus derſelben koͤmmet / und ſein Gluͤ - cke anderswo anbauet; oder wenn ei - ner eines Verbrechens halber daraus verjaget / und ihm das Buͤrger-Recht entzogen wird. Oder letzlich / wenn ſich Unterthanen aus Kriegs-Zwang an einen obſiegenden Feind er - geben muͤſſen.

ENDE.

GOtt allein die Ehre!

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About this transcription

TextEinleitung zur Sitten- und Stats-Lehre
Author Samuel von Pufendorf
Extent678 images; 73339 tokens; 10175 types; 542246 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationEinleitung zur Sitten- und Stats-Lehre Oder Kurtze Vorstellung der Schuldigen Gebühr aller Menschen/ und insonderheit der Bürgerlichen Stats-Verwandten/ nach Anleitung Derer Natürlichen Rechte Samuel von Pufendorf. Immanuel Weber (ed.) . [30] Bl., 609 S. GleditschLeipzig1691.

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Recht; Wissenschaft; Jura; core; ready; china

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