Jch wage es endlich, den vierten und zu - gleich den letzten Theil meiner ſatiri - ſchen Schriften herauszugeben. Eine fuͤr mich wichtige Veraͤnderung in mei - nem Amte, nnd die dadurch verdop - pelte Arbeit, ſind zum Theil Urſache geweſen, daß ich mich ſeit drey Jahren eines Verſprechens nicht habe entledigen koͤnnen, an welches mich, wo nicht das Publicum, doch wenigſtens mein Ver - leger fleißig genug erinnert hat. Aber in der That iſt mein Amt nur zum Theil Urſache an die - ſem Aufſchube geweſen; ich habe noch weit wich - tigere Verhinderungen gehabt. Fuͤr die meiſten Autoren iſt der Beyfall der Leſer die ſtaͤrkſte Rei - zung, daß ſie muthig, und viel ſchreiben. Darf ich es wohl geſtehen, daß eben dieſer Beyfall die wichtigſte Urſache iſt, warum ich ſeit drey Jah - ren mich nicht habe entſchließen koͤnnen, den vierten Theil meiner Schriften zu liefern? Die erſten drey Theile haben das Gluͤck gehabt, in Deutſchland ihre Freunde, und auch bey Aus - laͤndern Leſer zu ſinden. Man iſt endlich, auf* 2meineVorbericht. meine ungeheuchelten Vorſtellungen, ſo billig geweſen, an mehrern Orten zu glauben, daß wirklich ein unendlicher Unterſchied zwiſchen ei - ner Satire und einem Pasqville ſey; daß man die Fehler der Menſchen laͤcherlich machen koͤnne, ohne einen Menſchen ſelbſt laͤcherlich zu machen; daß man als Satirenſchreiber ſpotten, und doch mit redlichem Herzen ein Menſchenfreund ſeyn koͤnne. Ja, die Guͤtigkeit meiner Leſer iſt noch weiter gegangen: Man hat die Fehler in verſchie - denen Ausarbeitungen uͤberſehen, welche vor den Augen der Kritik nicht verborgen bleiben konn - ten. Maͤnner von Einſicht haben mir dieſe Feh - ler verziehn, und nur diejenigen Stellen ange - zeigt, welche ihren Beyfall erlangten: Wie viel Urſache hatte ich, daruͤber vergnuͤgt zu ſeyn! Andre Maͤnner, die zwar auch Einſicht genug be - ſaßen, aber nur meine Freunde nicht ſeyn wollten, haben ganz davon geſchwiegen: Konnte ich mir wohl etwas mehr wuͤnſchen! Und dennoch ſind al - le dieſe vortheilhaften Umſtaͤnde die wahre Urſa - che, daß ich itzo, ſo ein alter Autor ich auch bin, mich dennoch ganz ſchuͤchtern unter das Publicum wage. Wie viel Achtung bin ich der Nachſicht meiner Leſer ſchuldig! Wie viel Urſache habe ich, alles zu vermeiden, was ihnen anſtoͤßig ſeyn kann, um dieſe verzeihende Nachſicht nicht zu verlieren! Wie ſorgfaͤltig muß ich alle meine Charaktere zeichnen, um keine Originale zu malen, und um mich wider einen Vorwurf ſicher zu ſtellen, der mir, bey meinen menſchenfreundlichen Geſin - nungen, gewiß der empfindlichſte ſeyn wuͤrde! BisherVorbericht. Bisher hat die Kritik mir meine Fehler uͤber - ſehen; vielleicht in der Hoffnung, ich wuͤrde mich beſſern: Und habe ich mich nicht gebeſſert, wer wird mich wider dieſe ſtrenge Richterinn vertheidigen, welche die Nachwelt auf ihrer Seite hat? Geſchaͤffte und Jahre machen einen Sa - tirenſchreiber ernſthafter, und eben dadurch bit - terer, als es vielleicht der groͤßte Theil ſeiner Leſer wuͤnſchet: Jſt nicht ſchon das Urſache ge - nug, einen Beyfall zu verlieren, der mir ſo unendlich ſchaͤtzbar iſt? Jch lebe hier ganz ver - waiſt von meinen kritiſchen Freunden, ohne deren Rath und Gutachten ich ſonſt nicht eine Zeile wagte. Sie ſind zerſtreut, ſie ſind weit von mir weg zerſtreut; dieſe Freunde, deren ehrli - ches Herz, und deren reifer Witz mir unver - geßlich ſeyn werden. Nur einer noch von mei - nen redlichen Ariſtarchen iſt in Leipzig; und auch dieſer Eine iſt ſchon zu weit von mir ent - fernt. Und wie ſoll ich mir die freundſchaftli - chen Lehren derer zu Nutze machen, die itzt in Kopenhagen, in Hamburg, in Zerbſt, in Braun - ſchweig, in Qvedlinburg, ſeit einigen Jahren von mir, und vielleicht auf ewig von mir ge - trennt ſind? die in Zuͤrch und Bern entfernt leben? ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Und was ſage ich von unſerm Vater Hagedorn, der mich ſo oft geleitet hat, und deſſen Andenken auch dieſe Thraͤne noch heilig ſey! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Waͤre nicht dieſer Mangel meiner Freunde und meiner Fuͤhrer Urſache genug, ein Vorhaben zu unterlaſſen, welches mir ſchon damals ſchwer* 3genugVorbericht. genug ward, da ich es unter ihrem Beyſtande wagte, und welches ich itzo wagen ſoll, da ich von ihrem Beyſtande ganz entbloͤßt bin?
Und doch muß ich es wagen! Aber ich wage es unter einer Geluͤbde, die ich hier vor den Augen meines Vaterlandes, und, wenn ich ſo praͤchtig reden darf, vor den Augen der ganzen witzigen Welt thue. Dieſes iſt der vierte, aber gewiß auch der letzte Theil meiner ſa - tiriſchen Schriften. Jch thue hier einen heiligen Schwur, einen Schwur, der mir hei - liger iſt, als er ſonſt den meiſten Schrift - ſtellern zu ſeyn pflegt: daß ich dergleichen ſatiri - ſche Schriften, weder unter meinem, noch un - ter einem verſtellten Namen, weder in monat - lichen, noch in fliegenden Blaͤttern weiter be - kannt machen werde.
Dieſen Vorſatz rechtfertigen, wenn anders meine Leſer verlangen ſollten, daß ich ihn recht - fertige; dieſen Vorſatz, ſage ich, rechtfertigen ſchon die Urſachen genug, die ich oben angefuͤhrt habe. Ein ernſthafteres Alter; Geſchaͤffte, die taͤglich gehaͤuft werden; der Verluſt der beſten Freunde; eine argwoͤhniſche Vorſicht, die mei - nem itzigen Stande vielleicht noch unentbehrli - cher iſt, als ſie mir vor drey Jahren war; Le - ſer, die noch immer gewohnt ſind zu lachen, ſo lange ſie uͤber andere lachen, und welche unver - ſoͤhnlich wuͤten, ſo bald ſie glauben, ihr eignes Geſicht im Spiegel zu ſehen; der geſchwaͤtzige Vorwitz der Ausleger, welche immer boshaftgenugVorbericht. genug ſind, Schluͤſſel zu machen, wo keine Schluſſel noͤthig ſind; die tuͤckiſche Bosheit de - rerjenigen, welche ſich getroffen finden, und ſchweigen, und welche doch haͤmiſch im Namen dererjenigen ſeufzen, die gewiß nicht gemeynt, und gewiß nicht getroffen ſind; die beleidigende Unbilligkeit des witzigen Poͤbels, welcher im - mer an dem Orte, wo der Verfaſſer ſchreibt, die Originale zuerſt ſucht, eine Unbilligkeit, die mir bey meinem gegenwaͤrtigen Amte doppelt empfindlich ſeyn muß: Alles dieſes ſind Urſa - chen, welche mir meinen Vorſatz ernſtlich machen.
Ueberhaupt iſt wohl Deutſchland das Land nicht, in welchem eine billige und beſſernde Sa - tire es wagen darf, ihr Haupt mit der Frey - muͤthigkeit empor zu heben, mit welcher ſie ge - wohnt iſt, die Laſter, oder die Thorheiten der Menſchen zu ſtrafen. Es giebt Staͤdte in Deutſchland, in denen man nur beſchaͤfftigt iſt, Reichthuͤmer zu ſammeln, und in denen man kein Laſter weiter kennt, als die Armuth. Wer wird es wagen duͤrfen, ihren feiſten Buͤrgern zu ſagen, daß ſie laſterhaft ſind, weil ſie nur mit Ungerechtigkeit wuchern; daß ſie Thoren ſind, weil ſie auf ihren erwucherten Reichthum ſtolz ſeyn koͤnnen? Es giebt maͤchtige Staͤdte in Deutſchland, wo man unter dem praͤchtig - ſten Aufwande ſeine Armuth, unter den laͤr - menden Vergnuͤgungen ſeine innerliche Unruhe zu verbergen ſucht, wo man ſeinen Freund kuͤßt, und umarmt, um ihn niederzuwerfen, wo man* 4uͤberVorbericht. uͤber alle Sachen mit einem entſcheidenden Tone urtheilet, um ſeine Unwiſſenheit nicht zu ver - rathen, wo man ein poͤbelhaftes Pasqvill mit lautem Beyfalle annimmt, und ausbreitet, weil man den Einzigen Ungluͤcklichen kennt, den es trifft, und wo man im Gegentheile eine lehrende Satire fuͤr ein gefaͤhrliches Pasqvill haͤlt, weil ſie auf hundert Perſonen paſſen kann, und weil dieſe hundert Perſonen vielleicht noch fuͤhlen, daß ſie Thoren ſind, aber zugleich auch denjeni - gen verabſcheuen, der ſie an ihre Thorheit er - innert. Und was ſoll ich von denen Staͤd - ten ſagen, welche ein Sitz der ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften ſind, und wo es ein oͤffentlicher Beruf iſt, Weisheit und Sitten zu predigen? Viel - leicht iſt hier die Satire an der Hand ihrer Schweſter, der Moral, beliebt und ſicher? Nichts weniger! Nur gar zu oft haben die Ge - lehrten viel Urſache, ſich vor der Satire zu fuͤrch - ten. Gemeiniglich ſind ſie die erſten, die ſie ver - dammen; es muͤßte denn eine Satire aus dem Horaz ſeyn, welcher ſie unmoͤglich gemeynt ha - ben kann.
Vielleicht iſt ein Patriot mit dem ſehr un - zufrieden, was ich hier von den meiſten Staͤd - ten meines Vaterlandes ſage. Er wird glau - ben, daß man eben dieſes von den Staͤdten aller Laͤnder ſagen koͤnne. Es kann ſeyn: Aber deſto ſchlimmer fuͤr die Satire; deſto allgemeiner iſt die Wahrheit des Satzes, den ich oben behaup - tet habe. Und was will mir dieſer Patriot ant - worten, wenn ich ihm Paris nenne, wo einBoile -Vorbericht. Boileau und Moliere waren, deren Satire ihr Koͤnig liebte und ſchuͤtzte? Es iſt nur ein London, wo auch nicht einmal der groͤßte Mis - brauch die Billigkeit der Satire verdaͤchtig macht, wo kein Laſter zu vornehm iſt, daß es ſich nicht vor ihrer Geißel ſcheuen muͤſſe. Nur ein London iſt, wo ein lehrender Zuſchauer taͤglich unter einer Menge von zwanzig tauſend Leſern unerkannt herum gehen, und unbemerkt den Beyfall einſammeln kann, den ſeine Satire verdient. Jn Deutſchland mag ich es nicht wagen, einem Dorfſchulmeiſter diejenigen Wahrheiten zu ſagen, die in London ein Lord - Erzbiſchof anhoͤren, und ſchweigen, oder ſich beſſern muß.
Je mehr ich allen dieſen Urſachen nachden - ke; je ernſtlicher wird mein Vorſatz, niemals dergleichen Schriften wieder zu wagen. Aber dagegen verſpreche ich mir auch von der Billig - keit meiner Leſer dieſes, daß ſie mich kuͤnftig mit etwas weniger Zuverſicht, als wohl bisher bey einigen Gelegenheiten geſchehen, fuͤr einen Mitarbeiter an witzigen Monatſchriften, oder fuͤr den verborgenen Verfaſſer fliegender Blaͤt - ter ausgeben.
Jch muß befuͤrchten, daß dieſes Geluͤbde vielen von meinen Leſern verdaͤchtig ſeyn werde. Man weis aus der Erfahrung, daß beynahe kein Geſchoͤpf ſo meineidig iſt, als ein Poet, welcher die Verſe verſchwoͤrt: Sollte ein Sati - renſchreiber mehr Gewiſſen haben? Jch will* 5michVorbericht. mich in dieſe Vergleichung nicht einlaſſen. Da - mit man aber gar keinen Vorwand behalte, an meinem Vorſatze zu zweifeln: ſo will ich eine wohlbedaͤchtige Einſchraͤnkung beyſetzen, unter welcher ich mein Geluͤbde gethan habe. Jch werde gewiß niemals weiter dergleichen ſatiriſche Schriften, weder unter meinem, noch frem - den Namen bekannt machen: Aber ich werde vielleicht noch verſchiedne Abhandlungen von dieſer Art ſchreiben. Jch werde ſie der Kritik einiger von meinen Freunden, und meinem verſchwiegnen Pulte anvertrauen, und nicht eher, als nach meinem Tode, ſoll das unpar - theyiſche Publicum zum Richter daruͤber ge - ſetzt werden.
Jch finde bey dieſem Entſchluſſe hundert Vortheile, und viele Annehmlichkeiten, die ein Satirenſchreiber unmoͤglich haben kann, wel - cher von der Aufnahme ſeiner Werke Zeuge iſt. Da ich mir, vom Anfange an, das Geſetz ge - geben, keinen Menſchen durch meine Satiren zu beleidigen, ſondern ſie ſo allgemein zu ma - chen, daß es einem billigen Leſer unmoͤglich fallen ſollte, einen zu finden, der das Original zum Gemaͤlde ſeyn koͤnnte: ſo hatte ich mir ein Geſetz gegeben, welches mir unendliche Schwie - rigkeiten verurſachte. So bald ich mit einer Abſchilderung fertig war, war dieſes meine er - ſte Sorge, daß ich ſie gegen diejenigen Geſich - ter hielt, die ich kannte, um zu verſuchen, ob vielleicht zu viel Aehnlichkeit von ihnen in mei - nein Gemaͤlde waͤre. Das Gemaͤlde ſelbſt zuentwer -Vorbericht. entwerfen, koſtete mich immer weniger Muͤhe, als mich es koſtete, ſolches durch neue Zuͤge, durch mehr Licht, oder mehr Schatten unkennt - lich zu machen. Und wenn ich alles gethan hat - te; und wenn ich nunmehr glaubte, daß es mit keinem Menſchen eine Aehnlichkeit habe, daß es nur das allgemeine Bild eines Thoren ſey: So rief doch wohl einer meiner Leſer mit bittrer Freude aus: Das iſt mein Nachbar! Kuͤnf - tig werde ich eine ſo aͤngſtliche Vorſicht, weiter nicht noͤthig haben. Nun kann ich mir die Ori - ginale waͤhlen, wo ich will, ohne einen von ih - nen zu beleidigen. Denn erſt nach meinem Tode ſollen dieſe Schildereyen bekannt werden. Und da ich Hoffnung habe, noch etliche und zwanzig Jahre zu leben, ſo zweifle ich, ob ſich alsdann noch jemand die Muͤhe geben wird, den Thoren zu entdecken, den ich vor zwanzig Jahren gemalt habe; denn in zwanzig Jahren iſt ein Thor ge - wiß vergeſſen, und wenn er auch ein Durch - lauchtigſter Thor geweſen waͤre. Nunmehr kann ich mich viel freyer unter meinen Mitbuͤrgern umſehen, und Zuͤge zu einem Gemaͤlde ſammeln, welches ich vielleicht außerdem, zu ſchildern noch nicht wagen duͤrfte, wie ich es nunmehr wagen darf, da dieſe Schildereyen erſt nach meinem Tode ausgeſtellt werden ſollen. Finde ich kuͤnf - tig einen Menſchen, deſſen Thorheiten verdie - nen, fuͤr die Nachwelt gezeichnet zu werden: ſo ſehe ich dieſen Menſchen, als meinen Poſthu - mum, an. Die nach mir leben, ſollen nichteinenVorbericht. einen Zug von ſeinem Geſichte verlieren; aber bis dahin will ich ihn allein kennen, und nur allein uͤber ihn lachen.
Man hat mir wider dieſen Plan den Ein - wurf gemacht, daß vielleicht in zwanzig Jahren, hundert kleine Umſtaͤnde in den Sitten und Ge - braͤuchen meiner heutigen Landsleute geaͤndert, oder gar verloren gegangen ſeyn koͤnnten, die doch oftmals ſchlechterdings zu wiſſen noͤthig ſind, wenn man das Feine und das Reizende der Satire ſo empfinden ſoll, wie ein jeder Ver - faſſer wuͤnſcht, daß es ſeine Leſer empfinden moͤ - gen. Dieſer Einwurf iſt gegruͤndet genug: Aber eben dadurch werde ich deſto aufmerkſamer gemacht werden, in meinen Satiren auch das zu vermeiden, was das Perſoͤnliche der Sitten und Gebraͤuche genannt werden kann; ſo wie ich das Perſoͤnliche der Charaktere bisher ver - mieden habe. Jch erlange dadurch den großen Vortheil, daß meine Satire auch von dieſer Seite allgemein wird. Und kann ich auch die - jenigen Umſtaͤnde nicht ganz vermeiden, welche ſo fluͤchtig und veraͤnderlich ſind; wer wird mir es verdenken, wenn ich mein eigner Scholiaſt werde? Jn dieſem Falle, werden ſelbſt meine Anmerkungen Satiren auf meine Mitbuͤrger, wenn ich genoͤthiget bin, der Vergeſſenheit durch Noten eine Tracht, ein Spiel, ein Ceremoniell, eine Mode, und andere ſolche Kleinigkeiten zu entreiſſen, worauf ſie doch itzt ſo ſtolz ſind, und worinnen vielmals heuer ihr ganzer Werth beſteht.
EinVorbericht.Ein andrer Einwurf ſollte vielleicht fuͤr mich noch wichtiger ſeyn: Nach meinem Tode werde ich den Beyfall der Leſer nicht hoͤren! Es iſt wahr; aber auch ihren Tadel nicht! Meine Schriften ſind durch die guͤtige Aufnahme der Kenner, und andrer ſo gluͤcklich geweſen, daß ich mich, wenn ich mich ſo ſtolz ausdruͤcken darf, an dem Lobe meiner Leſer gewiſſer maßen ſchon geſaͤttigt habe. Dieſer Beyfall verdient von mir die erkenntlichſte Achtung fuͤr den Ge - ſchmack, und das Vergnuͤgen meiner kuͤnftigen Leſer. Jch beſitze gewiß Eigenliebe genug, die - ſes Lob auch nach meinem Tode verdienen zu wollen, je vortheilhafter alsdann fuͤr mein An - denken ein ſo unpartheyiſches Lob iſt, und je weniger ich hernach im Stande bin, meine Feh - ler zu entſchuldigen, oder wider ſcheinbare Vor - wuͤrfe mich zu verantworten.
Jch habe bey meinen Satiren ein zu freudi - ges Gewiſſen, und zu der fortdauernden Bil - ligkeit meiner Leſer ein zu großes Vertrauen, als daß ich hiebey einen Vorwurf befuͤrchten ſollte, der mir bey einer Stelle des Seneca ein - gefallen iſt. Labienus, ein Mann, der ſeinen republikaniſchen Haß, und die bitterſten Leiden - ſchaften unter dem praͤchtigen Namen eines Pa - trioten verbergen wollte, welcher ſeine Schmaͤ - hungen wider die Großen in Rom ſatiriſchen Witz, und perſoͤnliche Beleidigungen hiſtoriſche Wahrheiten nannte, welcher den Rath zu einem vorher unerhoͤrten Befehle zwang, den in fol -gendenVorbericht. genden Zeiten, die Unwiſſenheit, der Aberglau - be, und die dumme Bosheit ſo ungluͤcklich ge - misbraucht haben;*Seine Schriften wurden auf Befehl des Raths verbrannt. Seneca iſt in ſeiner Praefatione L. V. Controverſiarum ſehr bitter, da er auf dieſe Stelle koͤmmt. Er haͤlt es fuͤr das erſte Exempel, wo verdaͤchtige Schriften auf Befehl des Raths verbrannt worden waͤren, und vermuthlich mag er ſich auf die Verbrennung der Schriften des Numa Pompi - lius nicht beſonnen haben, die Livius im neun und zwan - zigſten Capitel des vierzigſten Buchs anfuͤhrt. Seneca freut ſich, daß dieſe Grauſamkeit erſt zu der Zeit erfunden wor - den, da es ſchon weniger große Geiſter gegeben habe. Jch will ſeine eignen Worte hier anfuͤhren; ſie ſind ſehr prophe - tiſch: In hunc (Labienum) primum excogitata eſt noua poena: effectum eſt enim per inimicos, vt omnes ejus libri incenderentur. Res noua et inſueta, ſupplicia de ſtudiis ſumi. Bono hercle publico iſta in poenas ingenioſa crudelitas poſt Ciceronem inuenta eſt. Quid enim futurum fuit, ſi ingeni - um Ciceronis triumuiris libuiſſet proſcribere. etc. etc. Facem ſtudiis ſubdere et in monumenta diſciplinarum animaduer - tere, quanta, et quam non contenta certa materia ſaeuitia eſt! Dii melius, quod eo ſeculo iſta ingeniorum ſupplicia coeperunt, quo et ingenia deſierunt etc. Dieſer Labienus las ein - mal eine von ihm gefertigte Geſchichte oͤffentlich vor, uͤberſchlug aber einen großen Theil davon, und ſagte: Das, was ich hier uͤberſchlage, ſoll man erſt nach meinem Tode leſen! Seneca kann ſich nicht enthalten, hiebey aus - zurufen: „ Wie verwegen muß der Jnnhalt die - „ ſer Stelle geweſen ſeyn, daß auch ſo gar La - „ bienus ſich geſcheut hat, ſie bekannt zu„ machen!Vorbericht. „ machen! „ *Memini aliquando, cum recitaret hiſtoriam, magnam par - tem conuoluiſſe et dixiſſe: Haec, quae tranſeo, poſt mor - tem meam legentur. Quanta in illis libertas fuit, quam etiam Labienus extimuit? M. Annaeus Seneca Lib. V. Con - troverſiarum in Praefatione. Meine Leſer werden ſich des ungeheuchelten Bekenntniſſes noch erinnern, welches ich in einer weitlaͤuftigen Abhandlung vom Misbrauche der Satire ablegte, da ich den erſten Schritt that, mit ihnen bekannt zu werden. **S. den Vorbericht zum erſten Theile dieſer ſatiriſchen Schriften.Jch zeigte damals, daß die vor - nehmſte Pflicht eines Satirenſchreibers ſey, von der Religion und den Obern niemals anders, als mit der anſtaͤndigſten Ehrfurcht zu reden, daß er alles ſorgfaͤltig vermeiden muͤſſe, was ſeine Mitbuͤrger, oder den Wohlſtand nur auf einige Art beleidigen koͤnne, mit einem Worte, daß er ein rechtſchaffner Mann ſeyn muͤſſe. Jch habe mir Muͤhe gegeben, bey allen meinen Sa - tiren nach dieſen Grundſaͤtzen zu handeln, und meine Leſer ſind, ſo viel ich weis, allemal ſo gerecht geweſen, zu geſtehen, daß ich dieſe hei - ligen Pflichten erfuͤllt habe. Jch werde ſie weiter erfuͤllen. Jch werde mich unermuͤdet bearbeiten, der Satire dasjenige ehrwuͤrdige Anſehen zu erwerben, welches ihr als einer Verehrerinn der Religion, als einer Freun - dinn der Tugend, als einer unverſoͤhnlichen Feindinn der ungeſitteten Thoren gebuͤhrt, undwelchesVorbericht. welches ihr freylich ſo lange Zeit ſtreitig ge - macht worden iſt, ſo lange ein jeder boshafter Pasqvillant behauptete, er ſchreibe Satiren. Durch dieſe Bemuͤhung hoffe ich den guͤtigen Beyfall meiner Leſer, auch fuͤr dieſen vierten Theil; ja, ich hoffe ſo gar auch den Beyfall ih - rer Kinder fuͤr diejenigen Theile meiner Sati - ren zu erlangen, die ich erſt nach meinem Tode, ihrer billigen Beurtheilung zu uͤberlaſſen mich entſchloſſen habe.
Gottlieb Wilhelm Rabener.
Deine eignen Verdienſte, und das ver - ehrungswuͤrdige Andenken meines Uraͤltervaters, Sancho Panßa, erfo - dern es von mir als einen wichtigen Theil meiner Schuldigkeit, daß ich dieſen Abhandlungen von Spruͤchwoͤrtern Deinen Namen vorſetze. Jch nahe mich alſo Dir mit der ehrfurchtsvollen Ver - beugung, mit welcher ſich ein verlaſſener Autor ſeinem Maͤcenaten naht, und lege dieſe Schrift zu Deinem Hufe nieder. Das Anſehen, in wel - chem Dein Name bey allen geſitteten Voͤlkern iſt, wird dieſen Abhandlungen der ſicherſte Schutz ſeyn, und durch Deinen Namen, unſterblicher Eſel,A 3wird,6Zueignungsſchriftwird, wie ich, als Autor, zuverſichtlich hoffe, auch auf gegenwaͤrtige Schrift ein Theil der Unſterb - lichkeit zuruͤck fallen.
Dieſes wuͤrde genug ſeyn, gegen Dich mein Vorhaben zu rechtfertigen. Jch glaube, daß ich alles geſagt habe, was ein Client in einer Zueig - nungsſchrift ſeinem Goͤnner von Empfehlung, von Verdienſten, von Demuth, und von ſeinem Mangel zu ſagen hat. Aber Du wirſt mir hoch - geneigt erlauben, mein Eſel, daß ich dieſe Zu - eignungsſchrift gegen diejenigen vertheidige, wel - che ſo viel Einſicht, wie Du, nicht haben, und doch Kunſtrichter ſeyn wollen. Gluͤcklicher, ja dreymal gluͤcklicher Eſel, der Du in den Tagen des weiſen Sancho grau worden biſt, wo man Verdienſte auch an Eſeln verehrte! Wie ſehr ha - ben ſich die Zeiten zu unſrer Schande veraͤndert! Man verehrt ‒ ‒ ‒ aber nicht Verdienſte, man verehrt Rang und Pracht; und ein Eſel mit einer reichen Decke, wenn er ſchon die geringſten Verdienſte nicht hat, iſt uns oftmals verehrungs - wuͤrdiger, als ſieben Weiſe. Jch finde alſo noͤ - thig, einige Einwuͤrfe zu beantworten, welche mir wider meine Zueignungsſchrift gemacht werden koͤnnen. Dieſes wird mich ganz natuͤrlich auf Deine eignen Verdienſte fuͤhren. Jch will zeigen, wie groß Du geweſen biſt; und wenn ich dieſes zeigen will, ſo darf ich die Welt nur an Deine Thaten erinnern. Wie leicht iſt es, Verdienſte zu loben, wenn man ſie ſchon findet, und nicht erſt erdichten darf! Ein Vorzug, den Du vor vielen Menſchen haſt, welche Dich nur als Eſel kennen.
Was7Zueignungsſchrift.Was ich hier im voraus angefuͤhrt habe, iſt die gruͤndlichſte Vertheidigung wider einen Ein - wurf, welchen viele machen werden, ſo bald ſie dieſe Zueignungsſchrift erblicken. Einen Eſel zum Maͤcenat! werden ſie ausrufen. Und warum nicht, meine Herren? Bin ich etwan der erſte, der dieſes thut? Oder vermißt ihr nur an meinem Maͤcenat die menſchliche Pracht der Eu - rigen? Seyd nicht ſo ungerecht, zu glauben, daß mein Eſel dieſer Zueignungsſchrift unwuͤrdig ſey, weil ihr ihn fuͤr dumm haltet: Jhr werdet ſelbſt euern Zueignungsſchriften ein trauriges Urtheil ſprechen. Wie viele von euern Maͤcenaten wer - det ihr abſetzen muͤſſen, wenn die Dummheit hin - dert, der Maͤcenat eines Autors zu ſeyn!
Aber wird der Eſel die Zueignungsſchrift leſen? und noch mehr, wird er das Buch verſtehn, das du ihm zueigneſt? Aber, meine Herren, iſt denn das noͤthig? Er wuͤrde es viel - leicht nicht thun, wenn er auch lebte, zumal da er ein ſpaniſcher Eſel iſt, und ich freylich nur ein deutſcher Autor bin. Allein iſt es denn ſo ſchlech - terdings noͤthig, daß ein Maͤcenat die Schriften lieſt, die ihm gewidmet werden? Wie viel Maͤ - cenaten leſen eure Schriften, und noch mehr, wie viel ſind im Stande, ſie zu verſtehn? Jhr macht euch kein Bedenken, denen Goͤnnern, welche viel - mals kaum ihre Mutterſprache gelernt haben, eure Werke, die ihr in auslaͤndiſchen oder wohl gar in todten Sprachen abgefaßt habt, zu uͤber - reichen, von denen ſie doch vielleicht nicht einmalA 4die8Zueignungsſchrift. die Buchſtaben kennen. Genug; ſie ſehen ihr Bildniß, oder ihr Wapen, ſie ſehen den praͤch - tigen Band des Buchs, ſie ſehen ein gekruͤmm - tes Geſchoͤpf murmelnd zu ihren Fuͤßen kriechen, und hieraus ſchließen ſie, daß dieſes Geſchoͤpf ein Autor iſt, daß unter ihrem Bildniſſe, oder Wa - pen, eine Zueignungsſchrift ſtehen wird, und daß ſie ein Maͤcenat ſind. Sehen ſie alſo nicht alles, was der Autor will, daß ſie ſehen ſollen, und iſt es erſt noͤthig, daß ſie die Zueignungsſchrift leſen, und die Abhandlung verſtehn muͤſſen?
Jch erwarte noch einen Einwurf, der bey vielen meiner Tadler der wichtigſte iſt, und den ſie zu ſagen, nur das Herz nicht haben. Wirſt du von deinem Eſel fuͤr die Zueignungsſchrift nur einen Gulden, oder die geringſte Beloh - nung erwarten koͤnnen? Nein, ihr habt recht, nicht einen Gulden, nicht die geringſte Befoͤrde - rung. Aber deſto uneigennuͤtziger iſt mein Vor - haben; deſto weniger iſt das Lob verdaͤchtig, das ich meinem Eſel gebe. Jhr martert euch, und eure Leſer, um Tugenden und Verdienſte zuſam - men zu ſtoppeln, welche ihr euern Maͤcenaten an - paßt: Allein bey Vernuͤnftigen macht ihr dadurch euch und euern Held laͤcherlich, und die Zueig - nungsſchriften uͤberhaupt veraͤchtlich. Jhr wißt es, und thut es doch, um mit hungrigen Haͤnden eine kleine Belohnung zu erhaſchen, welche gemei - niglich gar außen bleibt, oder welche doch euer Maͤcenat ſo ſpaͤrlich zumißt, weil er, wie Auguſt, noch mehr dergleichen unnuͤtze Schwaͤtzer zu er -naͤhren9Zueignungsſchrift. naͤhren hat, die ihm den gelernten Gruß, aus Be - gierde zum Futter, zurufen. Eben ſo wenig kann ich auf eine Befoͤrderung mir Rechnung ma - chen: Aber wie viele von euch erlangen derglei - chen durch ihre Zueignungsſchriften? Vielleicht nicht einmal die Hoffnung dazu. Eine vorneh - me Neigung des Haupts iſt wohl alles, was ihr durch eure Demuͤthigung von euerm Maͤcenat er - preſſen koͤnnet. Wiederholt ihr muͤndlich eure Bitte, ſo werdet ihr machen, daß er mit einem trotzigen: Vôtre Serviteur! ſich von euch wendet, und die geweihte Schrift dem Kammerdiener hin - wirft, der ſie beſſer zu brauchen weis. Aber ich will auch einraͤumen, daß euer Maͤcenat einer von den Großmuͤthigen iſt, welche alle Menſchen gluͤcklich zu machen wuͤnſchen; wird er deßwegen auch im Stande ſeyn, es zu thun, oder wenig - ſtens es ſo zu thun, wie ihr es hofft? Und iſt er auch ſo gefaͤllig, daß er ſich bey ſeinem Range neue Verdienſte und Hochachtung durch ſeine Freundlichkeit zu erwerben ſucht; ſo wird er euch zwar in den gnaͤdigſten Ausdruͤcken das Vergnuͤ - gen verſichern, das er hat, euch zu dienen; allein ſeine Geſchaͤffte, und der Anlauf ſo vieler eurer Collegen, wird machen, daß er euch vergißt, da ihr keine Verdienſte weiter habt, als den Mangel. Gewinne ich alſo durch meine Zueignungsſchrift wohl weniger, als ihr gemeiniglich durch die eu - rigen erlangt?
Dieſes ſind, beruͤhmter Eſel, einige von den Einwuͤrfen, die man mir machen wird; aberA 5das10Zueignungsſchrift. das iſt auch die Vertheidigung, die ich dergleichen ungegruͤndeten Einwuͤrfen entgegen ſetzen werde.
So wichtig auch meine Gruͤnde ſind; ſo werden ſie noch mehr Nachdruck erhalten, wenn ich die Welt an einige Deiner beſondern Verdien - ſte erinnere, die Dich, großer Eſel, uͤber viele er - heben, welche der Witz und der Hunger ihrer Cli - enten zu verewigen ſucht.
Deine genaue Verbindung mit meiner Fa - milie giebt mir ein Recht, den Ruhm Deiner ſel - tenen Verdienſte zu widerholen, welche ſeit mehr als einem Jahrhunderte die billige Bewunderung der halben Welt geweſen ſind. Liebſter Freund und treuer Gefaͤhrte meines Vaters Sancho! Jch neige mich vor Deinem ehrwuͤrdigen Schat - ten, mit eben dem frommen Schauer, mit wel - chem der glaͤubige Muſelmann ſich vor dem gehei - ligten Kameele niederwirft, das vor tauſend Ka - meelen zu dem ſtolzen Gluͤcke erwaͤhlt worden iſt, den Alkoran auf ſeinem Ruͤcken zu tragen.
Wie gluͤcklich bin ich vor vielen Lobrednern, da ich die Ueberzeugung der Welt, und die Wahr - heit auf meiner Seite habe! Die Haͤlfte unſrer Zueignungsſchriften ſind Satiren auf die Maͤce - naten unſrer Zeit. Die Verfaſſer quaͤlen ſich, die Welt zu betaͤuben und zu uͤberreden, daß ihr nie - dertraͤchtiger Wucherer ein großmuͤthiger Verſor - ger der Verlaſſenen, ihr erlauchter Jgnorant ein Kenner und Beſchuͤtzer der Muſen, daß er gerecht ſey, da doch das halbe Land unter ſeinen Raͤube - reyen entkraͤftet ſeufzet. Aber Du, gluͤcklicherGrau -11Zueignungsſchrift. Grauſchimmel, Du biſt von allen dieſen Vor - wuͤrfen frey, und eben dadurch befreyeſt Du auch mich von den Vorwuͤrfen der Schmeicheley. So bald ich des großen Sancho Panßa großen Eſel nenne, ſo bald verſteht mich die ganze Welt, und weis es, daß ich den ehrwuͤrdigen Eſel meyne, welcher ſo viele Tugenden der Menſchen, und keines von ihren Laſtern gehabt.
Es iſt bekannt, und ſelbſt der beruͤhmte Cid Hamet Benengely laͤugnet es nicht, ob er gleich ein beſchnittner Mohr, und Du ein chriſtlicher Eſel warſt, daß die weiſen Spruͤche des erleuchteten Sancho mit ſo viel Kraft auf Deine Ohren her - abgewirkt, daß Du der tiefſinnigſte Eſel deiner Zeit geweſen. Ein großer Beweis Deiner Faͤ - higkeit war es, da Du in einer Zeit von etlichen Monaten, und unter tauſend ungluͤcklichen Be - ſchaͤfftigungen, dennoch mehr gelernt, als hun - dert Soͤhne der Großen in Spanien kaum lernen, welche drey Jahr und laͤnger in Oſſuna zu den Fuͤßen ihrer Lehrer ſitzen. Mehr als ein Bacca - laureus in Salamanca war eiferſuͤchtig auf Dich: Aber Deine Beſcheidenheit gewann das Herz der Neider. Das Wiſſen, welches ſo viele junge Gelehrte unertraͤglich macht, war fuͤr Dich ein neuer Trieb zur Demuth. Unwiſſende Pedanten richten ſich trotzig auf: aber Du, der Du ſie am Verſtande und Witze unendlich uͤbertrifft, hiengſt Deine Ohren immer demuͤthig; denn die Voll - kommenheiten Deines Lehrers erinnerten Dich be - ſtaͤndig an Deine Unvollkommenheiten: Eine Tu -gend,12Zueignungsſchrift. gend, die unter unſern Schuͤlern nicht allgemein iſt! Jch kenne Deutſche, welche an Deiner Weis - heit und Gelehrſamkeit zweifeln werden, da man nicht ein Blatt, geſchweige einen Folianten, von Deinen Schriften aufzuweiſen hat. Deſto ſchlimmer fuͤr uns! Der Schade iſt unſrer Nach - welt unerſetzlich. Mit wie viel Vergnuͤgen und Erbauung wuͤrden wir Deine Schriften leſen, und ihre Schriften aus den Haͤnden werfen! Es war ein Fehler Deiner Zeit, wo man noch wenig ſchrieb, und deſto mehr dachte. Bey unſern Zeiten iſt dieſes der Fehler, daß viele ohne Ueber - legung ſchreiben, was Du, weiſer Eſel, nur zu denken, Dich wuͤrdeſt geſchaͤmt haben. Haͤtte Dir die Natur die Vorzuͤge gegoͤnnt, ein Autor wer - den zu koͤnnen, wie hoch wuͤrde Dein Ruhm ge - ſtiegen ſeyn! Und dennoch biſt Du ſchon unſterb - lich, da Myriaden von Schriftſtellern ſeit Deiner Zeit in die ewige Nacht der Vergeſſenheit geſtuͤrzt worden ſind.
Die Maͤßigkeit iſt eine Tugend, welche unſern meiſten Sittenpredigern nicht allemal eigen iſt. Wenigſtens habe ich in meiner Jugend zu Leyden einen Mann gekannt, der ein Meiſter der Weis - heit hieß, der ſein Brodt durch das Lehren der Moral verdiente, und der alles, was er verdiente, durch die niedertraͤchtigſten Ausſchweifungen ver - that. Unendlich tief haͤtte er, ungeachtet ſeines Lorbers, unter Dir, geſittetem Eſel, ſtehen ſollen. Die ganze Geſchichte des Heldes von Mancha zeigt uns nicht eine einzige Spur, daß Du iemalsin13Zueignungsſchrift. in einen Fehler gefallen waͤreſt, welcher ſo ſehr menſchlich iſt. Vermuthlich trug die Uebereilung des alten Roßinante, und ſeine demuͤthigende Strafe viel zu Deiner Maͤßigung bey. Die Welt weis die traurige Geſchichte von den Stutten aus Gallicien*Don Qvixots Geſchichte B. 3. C. 15.. Roßinante war ein lehrender Be - weis, daß Alter nicht vor Thorheit hilft. Er ſah die Stutten, und vergaß ſich. Benengely macht zu ſeiner, und vielleicht auch zu vieler Men - ſchen Entſchuldigung, die lehrreiche Anmerkung, daß kein Hengſt ſo alt ſey, der nicht noch einmal im May wiehere. Allein die Eſeltreiber von Jan - gois dachten nicht ſo billig. Die Strafe folgte der Wolluſt auf dem Fuße nach. Roßinante empfand es, und als eine neue Zuͤchtigung ſeiner alten Jugendſuͤnden, mußte er die Demuͤthigung ausſtehen, daß der tapfre Qvixot ſich auf Dich, tugendhaften Eſel, ſetzte, und der ſtolze Roßi - nante an deinen Schwanz angebunden ward.
Ein Freund in der Noth iſt dasjenige Kleinod, welches auch die fuͤr das koſtbarſte halten, die niemals großmuͤthig genug ſind, andern in der Noth beyzuſpringen. Wie ſehr beſchaͤmeſt Du, freundſchaftlicher Eſel, alle dieſe unempfind - lichen Seelen! So gar Roßinanten, der deines Mitleidens damals kaum wuͤrdig war, bedauer - teſt Du. Deine Schritte waren noch langſa - mer, als die Schritte eines gelaſſenen Eſels von Natur ſind; Du wollteſt dem Ungluͤcklichen Zeit laſſen, nachzukommen. Ein Menſch wuͤrde ſich dieſe Demuͤthigung ſeines Naͤchſten zu Nutze ge -macht,14Zueignungsſchrift. macht, und mit einer ſtolzen Grauſamkeit noch mehr zu ſeiner Kraͤnkung beygetragen haben: Aber ſo ungerecht dachteſt Du nicht; denn Du wa - reſt des weiſen Sancho liebreicher Eſel. Wie troſtlos hiengeſt Du die Ohren, als Dein Herr, Sancho, durch Zulaſſung des Himmels und Don Quixots geprellt ward*B. 3. C. 17.? Er ſah flehentlich auf Dich herab, und wenn er am hoͤchſten flog, ſo war Deine freundſchaftliche Traurigkeit fuͤr ihn die kraͤftigſte Staͤrkung.
Die Gelaſſenheit iſt uͤberhaupt eine Fami - lientugend der Eſel: Bey Dir aber hatte ſie einen weit ruͤhmlichern Urſprung; denn Du wareſt mit Ueberlegung gelaſſen. Jn dem ungluͤcklichen Treffen mit den befreyten Galerenſclaven**B. 3. C. 22. hielteſt Du ſtandhaft die Steine der Undankbaren aus. Quixot, Sancho, und Roßinante lagen um Dich herum. Nur dich konnten die unzaͤhligen Wuͤr - fe der Verraͤther nicht ſtuͤrzen, noch zur Ungeduld bewegen. Quixot ſeufzete nach ſeiner Dulcinee, Sancho nach ſeinem Mantel, Roßinante hieb voll Ungeduld in die Erde; aber von Dir ſagt der Geſchichtſchreiber, daß Du gelaſſen unter Deinen Freunden geſtanden, und mitleidig die Ohren ge - ſchuͤttelt habeſt.
Bey dieſer Deiner Maͤßigkeit, Deiner geſelli - gen Freundſchaft, Deiner Gelaſſenheit; konnteſt Du wohl bey allen dieſen Tugenden des geringſten Neides faͤhig ſeyn? Nichts weniger! Dein Be - zeigen gegen die Eſel der Domherren von Toledoiſt15Zueignungsſchrift. iſt hievon der ſtaͤrkſte Beweis*B. 4. C. 43.. Dieſe Eſel, welche ſo fett und ſtark waren, wie die Eſel der Domherren natuͤrlicher weiſe ſeyn muͤſſen; wel - che ihr Futter bey der Faulheit ihrer hochwuͤrdi - gen Herren muͤßig verzehrten, da Du bey den muͤh - ſamſten Abentheuern immer Hunger leiden muß - teſt; dieſe Eſel, welche zur Ehre der Kirche praͤch - tig aufgeputzt waren, da Deine ganze Decke in einem ſchlechten Reutkuͤſſen beſtand; welche muthwillig um Dich herum ſcherzten, wie Eſel von Stande zu ſcherzen pflegen; welche Dich, als einen duͤrftigen Layeneſel, mit Verachtung anſa - hen; mit einem Worte, dieſe Eſel der Dom - herren waren mit aller ihrer Gluͤckſeligkeit doch nicht im Stande, nur einen Augenblick Tadel oder Neid bey Dir zu erregen. Wie viel Men - ſchen beſchaͤmeſt Du, genuͤgſamer Eſel, welche das Gluͤck der Großen und Reichen beneiden, und, da ſie zu ohnmaͤchtig ſind, es ihnen zu nehmen, ſich doch wenigſtens Muͤhe geben, die Welt durch Spoͤttereyen, oder durch Beſchul - digungen zu bereden, daß ſelbige dieſes Gluͤckes ganz unwuͤrdig waͤren.
Bey keinem von allen Abentheuern hat San - cho Panßa ſo unverwerfliche Proben ſeines groſ - ſen Geiſtes abgeleget, als bey Regierung der Jn - ſel Barataria**B. 7. C. 45.; aber eben dieſer Zeitpunkt iſt derjenige, welcher auch zugleich Deine tugendhaf - ten Vorzuͤge am meiſten in ein Licht geſetzet hat, das eine Reihe von ſpaͤten Jahrhunderten nichtverdun -16Zueignungsſchrift. verdunkeln kann. Du warſt der Bruder und vertrauteſte Freund des gluͤcklichen Sancho. Er wagte es nicht, ohne Dich zu regieren; man mußte Dich, mit koſtbarem Zeuge geſchmuͤckt, hin - ter ihm herfuͤhren, als er ſeinen praͤchtigen Ein - zug hielt*B. 7. C. 47.. Cid Hamet weis von Dir und dem Sancho bey dieſer Gelegenheit nichts ſchmeichel - hafters zu ſagen, als daß Sancho, welcher ein praͤchtig aufgezaͤumtes Maulthier ritt, ſich oft - mals umgeſehen, Dich, ſein getreues Thier, zu betrachten, und ſich vom Herzen uͤber den gluͤckli - chen Zuſtand zu freuen, in welchem er Dich er - blickte. Auch alsdenn warſt Du noch ſein liebſter, ſein vertrauter Eſel, da ihn die ganze Jnſel als ihren Statthalter anbetete. Waͤre Dir damals wohl etwas leichter geweſen, als das Vertrauen Deines Herrn zu Deinem und der Deinigen Vortheile, und zum Schaden Deiner Feinde zu misbrauchen? Beides haſt Du nicht gethan. Jn der ganzen Geſchichte finde ich dieſen Umſtand am merkwuͤrdigſten, daß waͤhrend der Statthal - terſchaft des Sancho Deiner nicht mit einem Worte gedacht wird. Der Leſer ſieht Dich bey dem praͤchtigen Einzuge zum letzten male, und bekoͤmmt Dich eher nicht wieder zu Geſichte, als in dem traurigen Augenblicke, da der weiſe San - cho von der Laſt der ungewohnten Herrſchaft er - muͤdet, den großmuͤthigen Schluß faßte, auf Dir, getreuem Eſel, der muͤhſeligen Pracht eines Regenten zu entfliehen. Jn ſeinem Gluͤcke gelaſſen zu ſeyn; ſich der Gewalt ſeiner maͤchtigenFreun -17Zueignungsſchrift. Freunde nicht zu misbrauchen; an ſeinen Fein - den ſich nicht zu raͤchen, wenn man Gelegenheit hat, es zu thun; fuͤr ſeine Vortheile am wenig - ſten zu ſorgen; eine ſo ſchnelle Veraͤnderung des Gluͤcks gelaſſen zu ertragen, ja ſo gar von dem wolluͤſtigen Ueberfluſſe des Hofs mit geſchwindern Schritten ſich zu entfernen, als man ſich demſel - ben genaht; das ſind Tugenden, welche Dioge - nes unter den Menſchen ſeiner Zeit vergebens ſuchte, und welche Cid Hamet bey dem Eſel des erleuchteten Panßa gefunden hat.
Vielleicht hatteſt Du dieſen jaͤhlingen Umſturz der Hoheit Deines Sancho voraus geſehen? Be - nengely geſteht Dir die Gabe, kuͤnftige Dinge vorher zu wiſſen, ausdruͤcklich zu*B. 5. C. 8.. Jch glaube, er hatte nicht noͤthig, Dir Wunder anzudichten. Deine Erfahrung, Deine Einſicht, und der taͤg - liche Umgang mit dem Sancho machten Dich vor - ſichtig, ohne Wahrſagerkunſt, und tugendhaft, ohne außerordentliche Wunder. Wie viele glei - ten bey dieſem wichtigen Schritte, welche vorſich - tig und erfahren genug zu ſeyn glauben! Aber ihr Herz iſt ſo tugendhaft nicht, als das Deine war: Und eben darum kann ſie weder Vorſicht noch Erfahrung ſchuͤtzen. Ohne dieſes tugend - hafte Herz muͤſſen ſie bey ihrem hohen Gluͤcke ſchwindlicht werden und niederſtuͤrzen, wenn ſie gleich, wie Du, die Gabe gehabt haͤtten, zukuͤnf - tige Dinge vorher zu ſehen.
BDa18Zueignungsſchrift.Da Adler wieder Adler zeugen; iſt es wohl Wunder, daß ein Theil Deiner guten Eigenſchaf - ten auch bis auf Deine ſpaͤten Nachkommen fort - gepflanzt worden iſt? Jch verſtehe darunter die Maͤßigkeit, die Gelaſſenheit, den Fleiß, und die natuͤrliche Abneigung von allem Hochmuthe. Lau - ter Tugenden, die man noch bis auf dieſe Stunde allen denen Eſeln in Mancha vorzuͤglich zugeſteht, welche die Ehre haben, in gerader Linie von Dir abzuſtammen. Ungeachtet ſie Dich zu ihrem An - herrn haben; ſo iſt doch nicht ein einziger unter ihnen, welcher zur Ungebuͤhr darauf ſtolz waͤre, oder durch Deine Verdienſte den Mangel eigner Verdienſte zu verbergen ſuchte, oder andere Eſel in dem Flecken verachtete, welche eben ſo lange Ohren, eben ſo breite Ruͤcken, und eben ſo ar - beitſame Knochen haben, aber freylich nicht von ſo gutem Hauſe, und nicht von ſo edler Geburt ſind, als ſie. Jm uͤbrigen wiſſen die Einwoh - ner zu Mancha dieſen Vorzug an ihnen billig zu ſchaͤtzen. Sie verehren den Namen des Sancho, und zugleich verehren ſie das Andenken ſeines Grauſchimmels noch bis auf dieſe Stunde ſo un - verbruͤchlich, daß ſie ſein Geſchlechtsregiſter mit eben der Sorgfalt fortfuͤhren, mit welcher die Roßtaͤuſcher von Gallicien die Stammbaͤume ih - rer edelſten Pferde glaubwuͤrdig erhalten.
Dieſes wird genug ſeyn koͤnnen, die Gruͤnde zu rechtfertigen, welche mich bewogen haben, Dir, theuerſter Eſel, gegenwaͤrtige Abhand - lungen von Spruͤchwoͤrtern zuzueignen. Jchhabe19Zueignungsſchrift. habe die Urſache angegeben, woher ich Dir ſo viel Verbindlichkeit ſchuldig bin; da Du in den Tagen des Don Qvixots einen ſo wichtigen Theil unſrer Familie ausgemacht, da Du als des Sancho Freund und treueſter Gefaͤhrte Gluͤck und Ungluͤck mit ihm ausgeſtanden haſt. Die wenigen Proben, die ich aus der Geſchichte von Deinen großen Eigenſchaften und bewaͤhrten Tugenden angefuͤhret habe, ſind, wo ich mich nicht ganz irre, unwider ſprechliche Beweiſe, daß Du wohl verdienſt, mein Maͤcenat zu ſeyn. O du Spiegel und Blume der vortrefflichſten Eſel! Wie ruͤhmlich iſt fuͤr mich, dieſe meine Wahl! Deine tiefe Weisheit, welche Du den lehrreichen Spruͤchwoͤrtern des Sancho zu danken haſt; Deine tugendhafte Maͤßigung und exem - plariſche Sittſamkeit, welche Dir ſo eigen, und bey uns Menſchen nicht allemal eine Folge der tiefen Weisheit iſt; Deine unverbruͤchliche Red - lichkeit gegen Deinen Herrn, und Deine Freunde uͤberhaupt; Deine ſtoiſche Gelaſſenheit bey allen Ungluͤcksfaͤllen, welche Dich und Deinen Herrn trafen; die ſeltne Tugend der Zufriedenheit, und die ſchwere Kunſt, das glaͤnzende Gluͤck andrer, die es weniger verdienen, und weniger anzuwen - den wiſſen, mit gelaßnen Augen, ohne misguͤnſtige Empfindungen, anzuſehen; die politiſche Vorſicht, ſich mit dem ungewiſſen Gluͤcke ſeines maͤchtigen Freundes nicht allzugenau zu verbinden, und die praktiſche Klugheit, ohne Eigennutz und ohne Haß des Volks der Vertraute eines gewaltigen Statthalters ſeyn zu koͤnnen; Alles dieſes ſindB 2Vor -20Zueignungsſchrift. Vorzuͤge, welche Du, tugendbelobter Eſel, vor allen Eſeln und vor vielen Maͤcenaten haſt!
Mit einem Worte: Der Fleiß iſt des Gluͤcks Vater; das Gluͤck dreht ſich geſchwinder herum, als ein Muͤhlrad; wer immer hart ſchlaͤft, liegt auch auf Steinen weich; ehrlich waͤhrt am laͤngſten; hoch macht ſchwindlicht; wer aufs Gold ſieht, dem vergeht das Geſichte; was hilft das Laufen, wenn man nicht auf dem Wege iſt; ſuͤße getrunken, wird oft ſauer bezahlt; auch aus einem kleinen Loche ſieht man den Himmel; wer ſich an einen guten Baum lehnt, hat guten Schatten; wer das Spiel nicht verſteht, ſoll die Karten nicht mengen; wer ſich ſelbſt zum Schafe macht, den freſſen zuletzt die Woͤlfe; wer die Augen bey ſich hat, ſtolpert nicht; der Teufel ſteht oft hinter dem Kreuze; guter Weg um, iſt keine Kruͤmme; eine goldne Decke macht den Eſel nicht zum Pferde; wer auf dem Eiſe tanzt, der ſtrauchelt; wer zu nahe an das Feuer tritt, verſaͤngt ſich den Rock; mancher traͤgt einen Sack, und heißt ſeinen Nach - bar einen Eſel ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Aber Gott verſteht mich! ſagte Vater Panßa.
Jch kuͤſſe Ew. Eſeley den Huf.
Anton Panßa von Mancha.
Es iſt vor einigen Wochen eine Schrift an un - ſern Verleger geſendet worden, welche den Titel fuͤhrt: Antons Panßa von Man - cha Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern, wie ſolche zu verſtehn und zu gebrauchen ſind; dem Verfaſſer zum Beſten, und dem Leſer zur Erbauung, ans Licht geſtellt.
Jn einem weitlaͤuftigen Schreiben erklaͤrt der Verfaſſer ſeine Abſichten und die Einrichtung des Werks ſelbſt. Es iſt dieſes Schreiben voͤllig in der Sprache abgefaßt, welche den Stolz eines ver - armten Spaniers, und die Demuth eines ver - laſſenen Autors verraͤth. Der letzte Umſtand geht unſern Verleger an, und wir uͤberlaſſen es ihm, wie er ſich mit ihm vereinigen will. Die Erzaͤhlun - gen, die er von ſeinen Voraͤltern und von ſeinen eig - nen Umſtaͤnden einſtreut, verdienen angemerkt zuB 4wer -24Antons Panßa von Manchawerden. Es ſind nuͤtzliche Anecdoten zur Lebensbe - ſchreibung des unſterblichen Don Qvixots, die wir noch zur Zeit in keiner von allen Auflagen gefun - den haben. Der Verfaſſer erzaͤhlt uns, daß der beruͤhmte Stallmeiſter Sancho Panßa von Man - cha ſein Uraͤltervater geweſen ſey. Da er nach dem Tode ſeines Ritters der witzigſte und weiſeſte Kopf in ganz Mancha geweſen: ſo habe er ſich durch eben dieſen Witz und ſeine weiſen Spruͤch - woͤrter viel Feinde gemacht. Er habe geglaubt, den Barbier, und den Geiſtlichen des Orts uͤber - ſehn zu koͤnnen, und deßwegen habe er ſich lieber in der Geſellſchaft ſeines Eſels und ſeiner uͤbrigen Familie eingeſchloſſen, als daß er mit jenen die alte Freundſchaft haͤtte fortſetzen ſollen. Dieſes ſey der Grund zu ſeinem Ungluͤcke geweſen. Der Geiſtliche habe unter die Leute gebracht, daß Herr Sancho kein alter Chriſt ſey, und kein Schwein - fleiſch eſſe. Die Jnquiſition ſey aufmerkſam ge - macht worden, und habe ihn zum Feuer verdammt, weil ſie gefunden, daß er vernuͤnftiger gedacht und weiſer geſprochen, als die alten Chriſten ihres Landes damals zu denken und zu reden gewohnt geweſen. Der rechtſchaffene Sancho ſey alſo wirklich verbrannt, und der erſte Maͤrtyrer der Spruͤchwoͤrter geworden. Dieſes Ungluͤck habe ſeine ganze Familie zerſtreut. Des Herrn Ver - faſſers Aeltervater, welcher ſich durch ſeine hohen Gemuͤthsgaben, ſchon bis zur Wuͤrde des unter - ſten Schulzens im Flecken Mancha empor ge - ſchwungen gehabt, habe ſich entſchloſſen, lieber ſei -nem25Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. nem Vaterlande, als ſeinem angebornen Verſtan - de zu entſagen. Er ſey mit ſeinem reichen Vor - rathe von Spruͤchwoͤrtern nach Liſſabon gefluͤchtet. Aber auch bis dahin habe ihn der heilige Haß des Geiſtlichen von Mancha verfolgt; und nur durch ein Wunder ſey er den Haͤnden der Jnquiſition entronnen und in die Niederlande gekommen, wo er ſein Leben witzig und kuͤmmerlich zugebracht, und eine zahlreiche Familie hinterlaſſen. Hier giebt der Herr Verfaſſer noch viele Nachrichten von ſeiner Familie an, die aber vielleicht nur ihm wichtig ſind. Wir koͤnnen mit ſeiner Erlaubniß nicht unerinnert laſſen, daß er bey dieſer Gelegen - heit den Stolz ſeines Vaterlandes ein wenig zu ſehr verraͤth. Er will behaupten, daß die Nie - derlaͤnder ihren meiſten Witz ſeiner Familie zu danken haͤtten. Ja er treibt dieſe laͤcherliche Ein - bildung ſo hoch, daß er glaubt, verſchiedene ihrer groͤßten Kunſtrichter haͤtten die Geſchicklichkeit, andere mit ihren lateiniſchen Wahrheiten zu betaͤu - ben, bloß der Erfindung ſeines Uraͤltervaters zu danken; als dieſer, wiewohl mit ungluͤcklichem Er - folge, die Kunſt gelehrt, zu ſchreyen, wie ein Eſel*S. Don Quixote 6 Buch 25 Cap..
Die Umſtaͤnde, welche der Herr Verfaſſer end - lich von ſeinem eignen Leben beygefuͤgt, koͤnnen uns auch gleichguͤltig ſeyn. Nur dieſes verdient angemerkt zu werden, daß er ſich zu J ... einem Staͤdtchen in Weſtphalen, aufhaͤlt, und bey einer maͤßigen Einnahme ſo lange ruhig leben und Buͤcher ſchreiben will, bis er ſeine Verbeſſerung findet.
B 5Die26Antons Panßa von ManchaDie drey letzten Seiten ſeines Schreibens be - ſtehn in den gewoͤhnlichen Autorcomplimenten, wo man durch eine edle Gleichguͤltigkeit und Verach - tung aller gewinnſuͤchtigen Vortheile, die Groß - muth des Verlegers zu reizen ſucht. Das ganze Werk moͤchte ungefaͤhr ein halbes Alphabet aus - machen. Die Spruͤchwoͤrter, die der Herr Ver - faſſer ausgefuͤhrt hat, ſind dieſe: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand. Jung gewohnt, alt gethan. Gut macht Muth. Ehrlich waͤhrt am laͤngſten. Kleider machen Leute. Gedanken ſind zollfrey. Die Ehen werden im Himmel geſchloſſen. Alte Liebe roſtet nicht. Ein Quentchen Mutterwitz iſt beſſer, als ein Centner Schulwitz. Friſch ge - wagt, iſt halb gewonnen; und andre mehr.
Der Verleger zweifelt, daß dieſes Buch Bey - fall finden werde, da man es außerhalb Weſtpha - len ſchwerlich verſtehen, am wenigſten aber das Feine davon einſehen koͤnne. Er will daher nur eine Probe davon liefern, und die beiden Artikel: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand; und Kleider machen Leute, als einen Verſuch abdrucken laſſen. Von der Auf - nahme dieſes Auszugs wird das Schickſal des gan - zen Werks abhaͤngen. Sollte dieſer, wider Ver - muthen Beyfall finden: ſo iſt er entſchloſſen, dieſe Abhandlung einer Sammlung andrer ſolcher Schriften vordrucken zu laſſen.
Wenn irgends ein Spruͤchwort iſt, deſſen Wahrheit durch die taͤgliche Erfahrung be - ſtaͤtigt wird: ſo iſt es dieſes, wenn man ſagt: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand. Da ich Gelegenheit gehabt habe, die Verfaſſung meines Vaterlandes ſehr genau kennen zu lernen: ſo getraue ich mir ſehr wohl zu behaupten, daß wenigſtens zwey Drittheile meiner Mitbuͤrger ihren Verſtand nicht eher erlangt ha - ben, als bis ſie das Amt bekommen; und kaum ein Drittheil iſt, ich weis nicht durch was fuͤr einen Zufall, vor der Erlangung des Amts mit Ver - ſtande begabt geweſen. Jch ſage mit gutem Vor - bedachte: Kaum ein Drittheil. Denn ich muß noch fuͤr diejenigen ein wenig Platz laſſen, welche die Ausnahme von dem Spruͤchworte machen, und das Amt zwar ſeit langer Zeit, noch bis dieſe Stun - de aber nicht den geringſten Verſtand haben.
Jch finde von unſerm Spruͤchworte verſchie - dene Lesarten. Ein ſehr altes Manuſcript, wel - ches, wie ich aus verſchiedenen Umſtaͤnden vermu - the, zu Heinrich des Voglers Zeiten geſchrieben worden, lieſt ausdruͤcklich: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er Verſtand; und dieſer Les - art habe ich mich bedienet. Die meiſten der neuernSchrift -28Antons Panßa von ManchaSchriftſteller ſagen hingegen nur: Wem er ein Amt giebt ꝛc. Beide Lesarten haben ihren gu - ten Grund, und beide ſind in ihrer Art merkwuͤr - dig. Jn den damaligen rohen und unaufgeklaͤr - ten Zeiten war es noch hier und da Mode, daß Gott die Aemter gab, und daher laͤßt ſich die Art zu reden, wem Gott ein Amt giebt, noch wohl entſchuldigen. Jtzt braucht man dieſe Weitlaͤuf - tigkeit nicht mehr; und man hat Mittel gefun - den, die Aemter zu erlangen, ohne daß man noͤ - thig hat, Gott mit der Austheilung derſelben be - ſchwerlich zu fallen. Dieſes mag auch Gelegen - heit gegeben haben, das alte Spruͤchwort einiger maßen zu aͤndern. Jnzwiſchen muß ich doch zum Ruhme unſerer Zeiten erinnern, daß man wieder anfaͤngt, die alte Lesart hervor zu ſuchen, und aus einer andaͤchtigen Hoͤflichkeit ſo zu thun, als habe man das Amt von Gott, ob man ſich gleich in Acht nimmt, derer uͤber rechtsverwaͤhrte Zeit wohl - erlangten Gerechtſamen ſich zu begeben, und das Amt von Gott zu erwarten, da man es naͤher ha - ben kann. Jch freue mich, ſo oft ich iemanden alſo reden hoͤre, von dem ich ſonſt ſehr wohl weis, daß ihn die goͤttliche Fuͤgung am wenigſten beun - ruhiget. Es iſt dieſes ein Zeugniß, daß die Reli - gion bey uns noch nicht ganz abgekommen iſt. Man darf mir nicht einwenden, daß dieſe Art von Gott zu reden nur ein Ehrenwort ſey. Jch glaube es ſelbſt; aber das thut nichts. Es iſt dieſes im - mer noch eben ſo ruͤhmlich, als es einem gebornen Roͤmer iſt, der ſich vor dem Segen des heiligenVa -29Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. Vaters niederwirft, und in ſeinem Herzen uͤber ihn lacht.
Dieſes hat mich bewogen, das Spruͤchwort nach ſeiner alten Lesart beyzubehalten, und ich habe mich deutlich genug daruͤber erklaͤret, ohne zu beſorgen, daß mich diejenigen, welche ſtaͤrker denken, als der fromme Poͤbel, fuͤr einen Quaͤ - ker halten werden.
Jch nehme es alſo fuͤr bekannt an, daß Gott das Amt giebt. Es hebt dieſer Satz dasjenige gar nicht auf, was man aus der Erfahrung dar - wider einwenden moͤchte. Recht wahrſcheinlich iſt es freylich nicht; aber ein guter Ausleger weis alles zuſammen zu reimen.
Jch halte mich in einem ſehr kleinen Staͤdt - chen auf, und doch iſt es noch immer groß genug, meinen Satz zu behaupten. Außer dem Nacht - waͤchter weis ich niemanden, welcher auf eine er - laubte Weiſe zu ſeinem Amte gekommen waͤre. Er wuͤrde, als ein alter wohlverdienter und ab - gedankter Soldat haben verhungern muͤſſen: (denn dieſes iſt immer die gewiſſe Belohnung de - rer, welche ſich fuͤr das Vaterland verſtuͤmmeln laſſen:) wenn er nicht zu dieſem wichtigen Poſten zu eben der Zeit erhoben worden waͤre, als die Buͤrgerſchaft ſo weit gebracht war, daß ſie ihn als einen Hausarmen ernaͤhren ſollte. Man machte ihn ohne ſein Anſuchen zum Nachtwaͤchter, und ſein Beruf muß wohl rechtmaͤßig ſeyn, weil er den Amtmann nicht beſtochen hat, und von keinemRaths -30Antons Panßa von ManchaRathsherrn ein Vetter iſt. Dieſes iſt der einzige Mann in der Stadt, der ſein Amt auf eine billige Art erlangt hat, und im Vorbeygehen muß ich auch erinnern, daß er zugleich der einzige in un - ſerm Orte iſt, welcher den Verſtand eher hatte, als das Amt.
Mit den Uebrigen iſt es ganz anders beſchaffen. Der Stadtſchreiber hatte, als Advocat, das Un - gluͤck, daß er wegen ſeiner Geſchicklichkeit, die verſchiedene Obere aus Unverſtand Betruͤgerey nannten, in die Jnquiſition kommen ſollte. Sei - ne Sache war ſo beſchaffen, daß er nach dem Ei - genſinne altvaͤteriſcher Rechte gewiß den Staupbe - ſen wuͤrde bekommen haben; aber ein Edler Wohl - weiſer Rath ſahe die unvermeidliche Folge davon ein. Der groͤßte Theil von ihnen ſtund in einer ſo genauen Verbindung mit ihm, daß ſie gewiß an ſeinem Staupbeſen haͤtten Antheil nehmen, und des regierenden Herrn Buͤrgermeiſters Hochedlen am Galgen erſticken muͤſſen, wenn man dieſen wackern Mann nicht den Haͤnden der blinden Ge - rechtigkeit entriſſen haͤtte. Man uͤberlegte mit der Frau Amtmanninn die Sache genau, und eine Kleinigkeit von etlichen Ellen brabanter Spitzen legte ſeine Unſchuld dergeſtalt an den Tag, daß er ſich mit Ehren von ſeinem Handel befreyt ſah. Der Frau Buͤrgermeiſterinn war der Hals ihres theuren Gemahls ſo lieb, daß ſie vor Freuden nicht eher ruhte, bis dieſem angefochtnen Manne die Gerechtigkeit der Stadt, und das Wohl dergan -31Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ganzen Buͤrgerſchaft anvertraut, und er ungeſaͤumt zum Stadtſchreiber erwaͤhlt wurde. Ein jeder ſeiner Vorgeſetzten glaubte, er ſey dieſen Dienſt ſich ſelbſt ſchuldig, weil ein jeder wuͤnſchte, daß man ſich bey dergleichen beſorglichen Faͤllen auf gleiche Weiſe ſeiner annehmen moͤchte.
Wie der Amtmann zu ſeinem Dienſte gelangt iſt, das weis die ganze Stadt. Er hatte durch ſeine patriotiſchen Bemuͤhungen es ſo weit gebracht, daß ganze Doͤrfer wuͤſte, und eine anſehnliche Men - ge nichtswuͤrdiger Bauern mit Weib und Kind Bettler geworden waren. Die Beute, die er da - bey gemacht, ſetzte ihn in den Stand, unverſchaͤm - ter zu ſeyn, als ſein Vorfahr, welcher einfaͤltig genug war, ſich einzubilden, daß man es mit dem Landsherrn nicht redlich meynen koͤnne, wenn man es nicht zugleich mit den Unterthanen redlich meyne. Er ſtuͤrzte dieſen gewiſſenhaften Tropf, und be - maͤchtigte ſich ſeines Amts auf eine Art, welche zu gewoͤhnlich iſt, als daß man ſie tadeln ſollte.
Es ſind nicht mehr als zween Prieſter in un - ſrer Stadt. Der oberſte davon waͤre vielleicht noch itzt Candidat, wenn er nicht die Geſchicklich - keit beſeſſen haͤtte, alle diejenigen zu verkleinern, und ihre Lebensart verdaͤchtig zu machen, welche mit ihm um ein geiſtliches Amt anſuchten. Er meynte es aber mit ſeiner chriſtlichen Gemeine ſo gut, daß er ſich den Capellan zu ſeinem Collegen ſelbſt auserſah, und ihm dazu befoͤrderlich war, weil die natuͤrliche Dummheit dieſes lieben Man -nes32Antons Panßa von Manchanes ihm vortheilhaft zu ſeyn ſchien, und weil er das Herz hatte, des Herrn Paſtors Jungfer Muh - me zu heirathen, welcher ſehr viel daran lag, einen dummen Ehmann zu haben.
So gar bis auf den Kuͤſter erſtreckt ſich in meinem Staͤdtchen dieſe Art des Berufs. Denn weil er in der ganzen Gegend den beſten Brandt - wein brennt: ſo hat es der Kirchenvorſteher fuͤr billig gehalten, ihm das Kuͤſteramt, und die Un - terweiſung der Jugend anzuvertrauen.
Dieſe wenigen Exempel beweiſen ſchon genug, wie wunderbar oftmals die Wege ſind, zu einem Amte zu gelangen. Dieſe Ausſchweifung wuͤrde uͤberfluͤßig ſeyn, wofern ich nicht verſichern koͤnnte, daß der Stadtſchreiber, der Amtmann und die Geiſtlichen in Geſellſchaften niemals von ihrem Amte reden, ohne Gott mit darein zu mengen, der es ihnen gegeben haben ſoll.
Diejenigen, welche ſich dieſes Spruͤchworts: Wem Gott das Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand: auf eine ſo bequeme Art zu bedienen wiſſen, ſind als ein uͤberzeugender Beweis wider diejenigen Laͤſterer anzufuͤhren, welche uns vor - werfen, daß in unſern Zeiten das Zutrauen auf die goͤttliche Vorſorge nur gar zu matt geworden, und faſt gaͤnzlich abgekommen ſey. Jch freue mich, daß ich hier eine Gelegenheit finde, das Chriſten - thum meiner Landsleute zu vertheidigen, und ich erwarte dafuͤr alle Erkenntlichkeit. Denn ichnehme33Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. nehme eine Sache uͤber mich, bey der auch der beſte Advocat verzweifeln wuͤrde.
Jch finde beſonders dreyerley Gattungen Leute, welche dieſes ſagen. Es ſind entweder diejenigen, durch welche, nach ihrer Sprache zu reden, Gott die Aemter austheilt, oder es ſind die ſelbſt, wel - che die Aemter bekommen, oder es ſind endlich die, welche als Zuſchauer uͤber die wunderbare Fuͤh - rung und Beſetzung der Aemter erſtaunen. Die letzten fuͤhlen dabey in ihrem Herzen den freudigen Troſt, daß Gott, welcher nach ihrer Meynung ſo vielen Narren Aemter giebt, auch ſie nicht unver - ſorgt laſſen, und wenn ſie verſorgt ſind, auch ſie alsdann mit dem noͤthigen Verſtande ausruͤſten wird, den ſie nicht haben, und den ſie ohne ein Wunderwerk auch nicht zu erlangen hoffen.
Dieſe Betrachtungen zeugen von ihrer De - muth, und ſie beſchaͤmen dadurch eine unzaͤhlige Menge Leute, welche doppelt ungluͤcklich ſind, da ſie keinen Verſtand haben, und ihn doch nicht vermiſſen.
Noch weit ſtaͤrker aber iſt das Vertrauen zur goͤttlichen Vorſorge bey denenjenigen, welche die Pflicht auf ſich haben, die Aemter zu beſetzen. Bey verſchiednen von ihnen wuͤrde ihr Betragen unſinnig ſeyn; man wuͤrde ſie fuͤr Betruͤger, fuͤr heimliche Verraͤther ihres eigenen Vaterlandes, fuͤr die gefaͤhrlichſten Boͤſewichter halten, wenn man ſieht, wie unbedachtſam ſie bey der BeſetzungCder34Antons Panßa von Manchader Aemter verfahren. Aber man darf nur den - ken, daß ſie uͤberzeugt ſind: Wem Gott das Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand: ſo iſt die - ſer Widerſpruch gehoben. Sie koͤnnen dieſes mit einer deſto gewiſſern Zuverſicht hoffen, da ſie an ihren eigenen Perſonen ein ſo erſtaunendes Wun - der erfahren, und nach dem glaubwuͤrdigen Zeug - niſſe aller ihrer demuͤthigen Clienten gegenwaͤrtig die verſtaͤndigſten Maͤnner, die weiſeſten Vaͤter der Stadt ſind, ungeachtet ſie vor der Erlangung ihres Amts die unverſtaͤndigſten Narren waren. Dieſe wichtige Erfahrung wirket in ihnen eine wahre Freudigkeit, ſo oft ſie ein Amt beſetzen muͤſſen.
Jch weis nicht, ob irgend ein Amt wichtiger iſt, als das Amt eines Seelſorgers. Die uͤble Beſetzung eines ſolchen Amtes kann eine ganze Ge - meine ungluͤcklich machen, und das Verderben von mehr als einer Nachkommenſchaft nach ſich ziehen. Wenigſtens wuͤrde ich ſehr unruhig ſeyn, wenn ich fuͤr die Beſetzung eines ſolchen Amtes ſorgen ſollte. Aber wie gluͤcklich ſind nicht diejenigen, welche ſich darauf verlaſſen, daß der Verſtand ſich ſchon mit dem Amte finden werde!
Jch habe vor wenigen Tagen das Schickſal gehabt, einer Prieſterwahl auf dem Lande beyzu - wohnen. Der Kirchenpatron hatte in kurzer Zeit das Ungluͤck erfahren, daß ihm ſein Pfarrer, und bald darauf, welches noch weit wichtiger war, ſein Schaͤfer geſtorben war. Einen guten Schaͤferzu35Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. zu finden, welcher das Vieh ſorgfaͤltig wartete, die Kunſt verſtuͤnde, die Krankheiten zu heilen, und welcher bey ſeinem Amte ehrlich waͤre; dieſen ausfindig zu machen, war freylich eine ſchwere Sache, die alle moͤgliche Behutſamkeit erfoderte. Denn, wenn eine Schaͤferey durch Verwahrloſung ausſtirbt: ſo iſt dieſes manchem Gerichtsherrn weit empfindlicher, als wenn durch ein unexem - plariſches Leben, oder durch Unachtſamkeit des Pfarrherrns die Haͤlfte der Bauern zum Teufel faͤhrt. Und, oͤkonomiſch davon zu urtheilen, hat der Gerichtsherr Recht.
Jch kam eben zu der Zeit an, als mein Land - edelmann einen geſchickten Schaͤfer ausfindig ge - macht, und in ſeine Dienſte genommen hatte. Er erzaͤhlte mir dieſes mit Freuden, und that dabey viel gute Wuͤnſche fuͤr ſeine Schaͤferey. Morgen, fuhr er fort, morgen muͤſſen ſie noch bey mir blei - ben, mein neuer Pfarrer thut die Anzugspredigt, und wir wollen tauſend Spaß mit ihm haben. Da ich ein Buͤrger bin, der die Art zu leben noch nicht recht weis, und da mir die Einfalt meines Uraͤltervaters immer noch anhaͤngt: ſo kann ich nicht laͤugnen, ich erſchrak ungemein uͤber die edle Gleichguͤltigkeit meines Wirths. Jch erwartete den folgenden Tag mit Ungeduld; ich kam in die Kirche, und erſtaunte, als ich einen großen ſchwarz - gekleideten Koͤrper auf die Kanzel ſteigen ſah. Sein Gang, ſeine Mine, ſeine Bewegung mit den Haͤnden, ſeine Sprache ſelbſt war ſo poͤbel -C 2maͤßig,36Antons Panßa von Manchamaͤßig, daß ich den Kirchenpatron im Verdacht hielt, er habe aus einem leichtſinnigen Scherze ſei - nen Reitknecht verkleidet, und der Gemeine vor - geſtellt. Jch ſagte ihm meinen Zweifel. Allein er lachte mit ſolcher Heftigkeit uͤber mich, daß ihm der Bauch ſchuͤtterte. Mein Reitknecht? ſagte er endlich. Zerreiß mich der Teufel, wenn es nicht mein Jnformator iſt! Er iſt Magiſter und nicht ungeſchickt. Er will noch heuer ein Geſangbuch fuͤr mein Dorf zuſammen drucken laſſen, und es mei - ner Gemahlinn zueignen. Es iſt ein guter Narr; ich wollte Holz auf ihm hacken. Ein vortreffli - cher Charakter, dachte ich bey mir ſelbſt, und ſchwieg ganz beſchaͤmt ſtill. Jch hoͤrte ihm zu, weil ich ſonſt nichts zu hoͤren hatte, und hielt bey ſeinem albernen Gewaͤſche eine Stunde lang ge - duldig aus. Jch getraue mir indeſſen ohne Ei - genruhm zu behaupten, daß dasjenige, was mein lieber Uraͤltervater, Sancho Panßa, mit ſeinem Eſel geredet hat, weit vernuͤnftiger geweſen iſt, als dieſes neuen Seelſorgers heilige Rede an ſeine Gemeine war. Wir eilten aus der Kirche aufs Schloß. So gleich ſtellte ſich unſer Seelenhirt auch ein, und das erſte Compliment, das ihm der gnaͤdige Herr zum Gluͤckwunſche bey dem Ein - tritte in die Stube machte, war, daß er ſagte: Komm er, komm er, Herr Magiſter, trink er das Glas Brandtwein, es iſt ihm ſauer gewor - den; aber er hat auch, der Teufel hole mich! ge - predigt wie ein Superintendent. Nur das ver - fluchte Schmaͤlen gewoͤhne er ſich ab, das leideich37Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ich mein Seele nicht; und wenn er einmal auf mich ſchmaͤlt: ſo ſoll mich der Donner erſchlagen, wenn ich ihn nicht uͤber die Kanzel herunter wer - fen laſſe, daß er die Beine in die Hoͤhe kehrt. Da! trink er! Und darauf trank der theure Kir - chenvater laͤchelnd auf einen Zug ein großes Glas aus. Wir ſetzten uns zu Tiſche; ich war dem ungeachtet ganz kleinmuͤthig, und ſahe die armen Bauern als eine verrathene Heerde an. Jch aß wenig. Weis er denn, Herr Magiſter, ſagte der Edelmann, wofuͤr ihn Herr Panßa angeſehen hat? Fuͤr meinen Reitknecht! Das wundert mich nicht, rief der ſchon halb trunkne Pfarrer aus. Die Diener des Herrn ſind den rohen Weltkindern im - mer ein Anſtoß, und Herr Panßa hat noch ketze - riſch Blut in ſeinen Adern. Waͤre er, wie ſeine Aeltern, verbrannt worden: ſo haͤtte unſere Reli - gion auch einen Veraͤchter weniger. Jch ent - faͤrbte mich uͤber dieſen Unſinn, und war eben im Begriffe, ihm nach ſeiner Narrheit zu ant - worten, als unſer Wirth merkte, daß ſich dieſer Auftritt mit Verdruß endigen wuͤrde. Er unter - brach mich mit einem Deckelglaſe, und brachte es ſeinem Pfarrer auf die Geſundheit aller huͤbſchen Maͤdchen zu, welcher redlich Beſcheid that; und auf dieſe Weiſe ward bis gegen den Abend fortge - fahren. Jhro Wohlehrwuͤrden hatten das Ver - gnuͤgen, zu ſehen, daß Jhro Gnaden nebſt dem Gerichtsverwalter trunken unter den Tiſch ſan - ken, ohne daß er ſelbſt auf eine merkliche Art un - vernuͤnftiger geworden waͤre, als er ſchon vorC 3Tiſche38Antons Panßa von ManchaTiſche war. Jch ſchlich mich fort, weil ich merkte, daß er einen Religionsſtreit mit mir anfangen wollte. Am folgenden Morgen fragte mich der Gerichtsherr, was ich nun eigentlich von ſeinem Pfarrer hielte? Jch halte ihn, ſagte ich, fuͤr einen Mann ohne Verſtand, ohne ‒ ‒ ‒ Ach, ſagte er, was Verſtand! Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verſtand! Er iſt mein Jnformator geweſen, ich habe ihm die Pfarre ſchon lange ver - ſprochen, und um deßwillen hat er meine Kinder fuͤr ein Spottgeld unterrichtet. Was ich ver - ſpreche, das halte ich als ein Cavalier. Der Kerl wird ſchon werden. Saufen kann er, wie ein Teufel! Hier verſtummte ich auf einmal. Jch ſahe, daß der Herr das Wohl und die Unterwei - ſung ſeiner Kinder nicht fuͤr ſo wichtig gehalten; als die Erſparung einiger Thaler Geld; ich ſchloß, daß er es mit ſeinen Bauern nicht ſo boshaft, als ich anfangs geglaubt, meynen muͤßte, weil er ih - nen einen Mann zum Lehrer gab, dem er ſeine eigenen Kinder anvertraut hatte; daß er noch im - mer glaubte, Gott habe dieſes Amt ſeinem Pfar - rer gegeben; und daß er gewiß hoffte, er werde den Verſtand, der ihm fehlte, ſchon zu rechter Zeit aus der Hand des Herrn empfangen.
Jch habe mich bey der Erzaͤhlung dieſes Aben - theuers laͤnger aufgehalten, als ich Willens ge - weſen, und als es vielleicht einigen meiner Leſer lieb ſeyn wird, welche von der Ehrwuͤrdigkeit des geiſtlichen Standes eben ſo orthodoxe Begriffe haben, als der neue Pfarrer. Aber es ſchien mirum39Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. um deſto noͤthiger, hievon etwas umſtaͤndlicher zu reden, je leichter es nunmehr zu begreifen ſeyn wird, wie es komme, daß man bey der Beſetzung andrer Aemter, welche nicht die Seele, ſondern nur den Leib, oder den Beutel der Unterthanen betreffen, ſo ſorglos ſeyn, und nach allen eher, als nach dem Verſtande und der Geſchicklichkeit des Candidaten, fragen kann. Alle Staͤnde ſind voll von Beweiſen meines Satzes. Jch habe nicht den Vorſatz, mein itztlebendes Vaterland zu ſchreiben, ſonſt wuͤrde ich mit leichter Muͤhe noch hundert Exempel anfuͤhren koͤnnen.
Es iſt noch uͤbrig, daß ich von der zwoten Gattung der Menſchen ein paar Worte ſage, de - nen unſer Spruͤchwort bey allen moͤglichen Faͤllen zum kraͤftigen Troſte gereichet. Es ſind dieſes diejenigen, welche Aemter ſuchen. Sie ſind ſo vorſichtig, daß ſie keine muͤhſame Unterſuchung an - ſtellen, ob ſie auch den noͤthigen Verſtand haben, der zu den Aemtern erfodert wird. Eine ſolche Unterſuchung verriethe ein Mistrauen, welches ih - rer maͤnnlichen und geſetzten Religion zuwider, dem geliebten Vaterlande aber ſehr ſchaͤdlich waͤre. Denn dem Vaterlande liegt ſehr viel daran, daß dieſe Herren Aemter kriegen; und wenn ſie ſich nicht eher darum bewerben ſollten, als bis ſie von ihrem Verſtande und ihrer Faͤhigkeit innerlich uͤberzeugt waͤren, ſo wuͤrde, ungeachtet unſers ſehr bevoͤlkerten Landes, eine große Menge Aem - ter unbeſetzt bleiben muͤſſen. Und was waͤre dem Vaterlande wohl nachtheiliger, als dieſes? SieC 4aͤngſti -40Antons Panßa von Manchaaͤngſtigen ſich daher gar nicht mit dergleichen kin - diſchen und unpatriotiſchen Fragen: Wo werden wir den Verſtand hernehmen? Der dem Vieh ſein Futter giebt, der wird auch fuͤr ihren Ver - ſtand ſorgen; und ſie genießen bey dieſer nahrhaf - ten Gemuͤthsruhe eben diejenige wahre Gluͤckſe - ligkeit, die ein Maſtſchwein hat, welches um Weih - nachten feiſt iſt, ohne daß es den Sommer uͤber fuͤr ſeine Maſtung geſorgt hat. Wenn ich drey Candidaten beyſammen ſtehen ſehe, ſo kann ich, ohne die Liebe des Naͤchſten zu beleidigen, gewiß glauben, daß zween davon keinen Verſtand ha - ben, und bey dem dritten iſt es noch vielmals un - gewiß. Unſre Aeltern ſind gemeiniglich gegen die Vorſorge des Himmels ſo erkenntlich, daß ſie bey der Erziehung ihrer Kinder nicht den geringſten Vorwitz bezeigen, wenn es auf die Frage ankoͤmmt, ob ihre Kinder auch Gelegenheit haben, ihren Verſtand ſo zu bilden, daß er dereinſt zur Ueber - nehmung eines Amtes, und zu deſſen wuͤrdiger Bekleidung faͤhig iſt. Es waͤre dieſes unverant - wortlich. Jhre Vaͤter dachten eben ſo, und den - noch haben Kinder dieſer Vaͤter Aemter bekom - men, ohne daß jemand die unbeſcheidne Frage aufzuwerfen das Herz gehabt, ob ſie auch Ver - ſtand genug beſaͤßen. Solche Kleinigkeiten geben ſich von ſich ſelbſt. Sie haben nunmehr Ver - ſtand genug, und ſie haben zu viel Verſtand, als daß ſie in dieſem Falle wegen ihrer eignen Kinder bekuͤmmert ſeyn ſollten. Ja ſie machen ſich ein Gewiſſen daraus, und ſie ſind deswegen zu lo -ben.41Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ben. Es iſt unverantwortlich, die Natur in ih - rem Laufe zu ſtoͤren, oder in ihrem Werke zu mei - ſtern. Sie haben wohlgeſtalte Kinder gezeugt, und die wenigſten male war es ihre Abſicht, ſie zu zeugen. Die Natur hat ſie ohne ihre Vorſorge ſo wohlgeſtalt hervor gebracht. Und da der Koͤr - per das Vornehmſte an den Menſchen, wenig - ſtens heut zu Tage, iſt, ſo uͤberlaſſen ſie auch der guͤtigen Natur lediglich die Bildung des Verſtan - des, als eines ſehr zufaͤlligen, und nicht unentbehr - lichen Theils des Menſchen. Jch kenne den Sohn eines vornehmen Officiers. Er iſt noch in ſeiner zarten Kindheit von achtzehen Jahren; deßwegen hat der gnaͤdige Papa noch nicht ſo grauſam ſeyn, und ihn der Aufſicht der Franzoͤſinn entreißen wol - len, welche ihn noch alle Morgen anziehen und waſchen muß. Er iſt ein vortrefflicher Kenner von der Naͤtherey, und verſteht die Schattirung der bunten Nath beſſer, als irgend ein Sohn ei - nes Officiers. Der Koch iſt ein Sudler gegen ihn. Er weis alle Gerichte zu beurtheilen, er kocht ſelbſt die ſchmackhafteſten Speiſen, und un - ter der ganzen Armee iſt niemand, der die Paſte - ten ſo leckerhaft backen kann, als dieſer junge Herr. Waͤre er der Sohn eines Unterofficiers, oder elenden Gemeinen: ſo wuͤrde man ihn, nach der Gewohnheit des buͤrgerlichen Poͤbels, zu einer Kenntniß des Chriſtenthums, der noͤthigſten Wiſ - ſenſchaften, und der Welt angefuͤhrt, und durch beſtaͤndige Arbeit zu ſeinen kuͤnftigen Dienſten ab - gehaͤrtet haben. Aber ſo niedertraͤchtig erzieht manC 5den42Antons Panßa von Manchaden Sohn eines großen Officiers nicht. Aus Liebe zum Vaterlande ſchont man dieſen theuern Koͤrper; zu ſeiner Gemuͤthsergetzung laͤßt man ihn kochen, naͤhen und ſticken. Er iſt ein junger feuriger Herr, welchen man nicht zu fruͤh anſtrengen muß, wenn es ihm nicht gehen ſoll, wie den jungen hitzigen Ochſen, welche ſich leicht verruͤcken, wenn man ſie zu jung ein - ſpannt. Seine gnaͤdige Mama hat mit einem muͤt - terlichen Vergnuͤgen zugeſehn, mit was fuͤr einer ed - len Unverſchaͤmtheit er nur ohnlaͤngſt dem Kammer - maͤdchen in den Buſen griff, und ſie iſt vor Lachen bald außer ſich gekommen, als ihr die alte Franzoͤſinn, bey der dieſer zarte hoffnungsvolle Knabe beſtaͤn - dig aus billiger Vorſorge im Bette liegen mußte, vor etlichen Wochen klagte, daß er ſie des Nachts nicht mehr ruhig ſchlafen ließ. Der loſe Schelm! ſagte die zaͤrtliche Mutter, und nunmehr glaubte ſie, daß es Zeit waͤre, ihn in die Welt zu laſſen. Sie uͤberlegte die Sache mit ihrem Gemahle. Man kaufte ihm eine Compagnie, und bey der er - ſten Gelegenheit wird dieſer allerliebſte Sohn eine Anzahl baͤrtiger und tapfrer Maͤnner, die unter ihm ſtehen, wider den Feind anfuͤhren. Er hatte kaum eine Stunde lang den Ringkragen umgehabt, als er recht eigentlich ſpuͤrte, wie ihm der Verſtand, der zu einem ſolchen Commando gehoͤrt, aus dem Magen in alle Glieder des Leibes drang. Er kann fluchen wie der aͤlteſte Muſketier, er ſaͤuft wie ein Corporal, hat ſich ſchon zweymal mit dem Lieute - nant geſchlagen, ſeinem Oberſten ſich einige mal widerſetzt, und alles gethan, was man von ihm hathoffen43Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. hoffen koͤnnen. Nur keine Maitreſſe hat er noch; doch wird er naͤchſtens fuͤr eine ſorgen, damit er ſeinem Herrn Vater in allem gleich werde. Jſt nicht dieſes alles ein Beweis, daß der Verſtand mit dem Amte koͤmmt? Und haͤtte wohl iemand geglaubt, daß, bey einer ſolchen Erziehung, derjenige mit ſo vieler anſcheinenden Hoffnung fuͤr ſein Vaterland fechten ſollte, welcher, menſchlichem Anſehen nach, nur geboren war, fuͤr ſein Vaterland zu kochen?
Wie gluͤcklich muß das Land ſeyn, in welchem ein Ueberfluß von ſolchen Perſonen vorhanden iſt, bey denen man ungewiß bleibt, ob ſie ſich beſſer vor die Spitze ihrer Truppen, oder hinter den Naͤhrahm ſchicken!
Jndeſſen muß ich geſtehn, daß nicht der Mili - taͤrſtand allein ſich dieſes Vorzugs ruͤhmen kann; ſondern daß wir durch die weiſe Sorgloſigkeit un - ſerer Aeltern und Vorgeſetzten, und durch die na - tuͤrliche ſich ſelbſt gelaſſene Dummheit des groͤßten Theils unſrer hoffnungsvollen Jugend, denenjeni - gen gluͤcklichen Zeiten ſehr nahe gekommen ſind, wo man einen Candidaten, welcher die noͤthige Ge - ſchicklichkeit und den Verſtand eher hat, als das Amt, bald als ein Wunderthier fuͤr Geld in den Meſſen ſehen laſſen wird. Jch bin verſchiednen werthen Freunden, welche in meiner Gegend woh - nen, fuͤr das Vergnuͤgen, das ich in ihrem erbau - lichen Umgange taͤglich genieße, ſo vielen Dank ſchuldig, daß ich mir ein Gewiſſen daraus mache, dieſe Abhandlung zu ſchließen, ohne ſie im Vor - beygehn ein wenig zu verewigen, und der Nach -welt44Antons Panßa von Manchawelt ihre Verdienſte um das Vaterland nach mei - nem Vermoͤgen kenntbar zu machen.
Cajus iſt werth, daß ich ihn zuerſt nenne. Seinen wahren Namen muß ich verſchweigen, um ſeine Beſcheidenheit nicht zu beleidigen. Viel - leicht aber findet man ihn naͤchſtens im Anhange der Zeitungen nebſt einer genauen Beſchreibung ſeiner Perſon und Kleidung. Denn wenn er in ſeinem Vorhaben gluͤcklich iſt, wie ſeine Anſtalten nicht anders vermuthen laſſen: ſo wird man das Vergnuͤgen haben, ihn entweder unter dem Gal - gen, oder doch aus einem Steckbriefe kennen zu lernen. Es ſind ihm landsherrſchaftliche Caſſen anvertraut. Ob er nun gleich weder ſchreiben noch rechnen kann: ſo kennt er doch das Geld ſehr gut, und iſt in ſeinem Amte ſo unermuͤdet, daß er nirgends keine Reſte, auſſer in ſeiner Caſſe, leiden kann. Unter andern Wohlthaten des Himmels, welche dieſer wackre Mann verdient, iſt dieſe nicht die geringſte, daß er einen Sohn erzogen hat, wel - cher recht zum Galgen geboren zu ſeyn ſcheint. Als ein unſchuldsvoller Knabe von zwoͤlf Jahren empfand er ſeinen innerlichen Beruf, und bediente ſich mit vieler Geſchicklichkeit einer Gelegenheit, ſeiner Mutter einen Theil ihres Geſchmeides zu ent - wenden. Zweymal hat er bey zunehmenden Jah - ren ſeinem werthgeſchaͤtzten Herrn Vater die Caſſe erbrochen. Jm ganzen Staͤdtchen iſt keiner, der mit einer ſo witzigen Art die Schnupftuͤcher aus der Taſche ziehen kann, als er thut. Dieſe Beſchaͤffti - gungen haben ihm von Jugend auf nicht ſo viel Zeitgelaſ -45Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. gelaſſen, etwas zu lernen, und ich kann es ihm ohne Ruhm nachſagen, daß er itzo, da er zwanzig Jahr alt iſt, ſeinen Namen nicht zu ſchreiben weis, noch das geringſte von Rechnungsſachen verſteht. Die - ſes hat ſeinen Papa ganz natuͤrlicher Weiſe auf die Gedanken gebracht, daß es ſehr wohl gethan ſeyn wuͤrde, ſich den lieben Sohn adjungiren zu laſſen. Und ich ſehe nicht die geringſte Schwierig - keit, welche dieſe vaͤterliche Abſicht hindern ſollte. Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand; und da der Herr Vater ſo lange Zeit ſein Amt hat verwalten koͤnnen, ohne ehrlich zu ſeyn: ſo hoffe ich gewiß, der Herr Adjunctus wird es mit der Zeit noch hoͤher bringen.
Der Pachter von einem benachbarten Landgute hat einen Sohn, welcher ſo dumm iſt, als man es nur verlangen kann. Sein Vater hat viel Ein - ſicht, und iſt daher im Stande geweſen, ſich mit einer Menge gelehrter Maͤnner bekannt zu machen, welche, ſo viel er hat wahrnehmen koͤnnen, in ih - rer Jugend wenigſtens ſo dumm geweſen ſind, als ſein Sohn, und noch itzo dem Verſtande eines Pachters nicht gleich kommen. Da ſich ſein Sohn zu gar nichts ſchickt: ſo hat er dem gnaͤdigen Herrn ſein Anliegen erzaͤhlt; und beide ſind einmuͤthig darauf gefallen, der Junge ſolle ein Doctor wer - den. Und er faͤngt auch nunmehr an, ein Doctor zu werden. Der Vater ſchmeichelt ſich, daß ihm Gott gewiß mit der Zeit eine Profeſſur, und ſo - dann wenigſtens ſo viel Verſtand geben werde, als, ſeiner Meynung nach, zu einem Canonicaterfo -46Antons Panßa von Manchaerfodert wird. Jn der That ſehe ich nicht, was ihn in ſeinem frommen Vertrauen ſtoͤren ſollte.
Der Organiſt in einem Marktflecken, der un - gefaͤhr eine halbe Meile von mir liegt, hat einen Sohn, der wohl gewachſen iſt, reiche Weſten traͤgt, uͤber alle Sachen ein entſcheidendes Urtheil faͤllt, und nichts gelernt hat. Der Vater, der den Sohn vaͤterlich bewundert, wuͤnſcht ſehr, ihn als Hofmeiſter bey einem Jungen von Adel zu ſehen. Er glaubt, daß er alle Faͤhigkeiten beſitze, die dazu erfodert werden, und ich glaube, daß er im kurzen eine eintraͤgliche Hofmeiſterſtelle bekom - men wird. Es iſt wahr, daß er von allem dem nichts verſteht, was ein junger Cavalier lernen ſoll. Er iſt auch niemals, ſo wenig, als itzo, im Stande geweſen, ſich ſelbſt zu regieren. Er iſt, wie ihm einige muͤrriſche Leute nachſagen, in ſei - nen Ausſchweifungen niedertraͤchtig, in ſeiner Wirthſchaft unordentlich, in ſeinen Urtheilen poͤ - belhaft. Was ſchadet das? Wie viel junge Her - ren wuͤrden allein auf Reiſen gehen muͤſſen, wenn dieſe Eigenſchaften hinderten, ein Hofmeiſter zu ſeyn! Genug, er ſpielt gut l’Hombre; er kann die Kunſt, mit vieler Unterthaͤnigkeit einen gnaͤdigen Rock zu kuͤſſen; er iſt unverſchaͤmt; und hat er gleich keinen Verſtand: ſo wird ſich das ſchon geben.
Weil vielleicht einige nicht begreifen moͤchten, warum ich mich bey einer ſo ausgemachten Sache, als das Spruͤchwort iſt: Wem Gott das Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand, ſo lange aufgehalten habe: ſo will ich hier den Schluͤſ -ſel47Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ſel dazu geben. Es betrifft meine eigne Leibes - und Seelenruhe, und es liegt mir viel daran, daß alle Leute von der Wahrheit dieſes Spruͤchworts uͤberzeugt ſind. Man hat mir unter der Hand an - getragen, Balletmeiſter an einem gewiſſen Hofe zu werden. Es ſind viele Vortheile bey dieſer Station, und mancher große Gelehrte verdient in ſeinem Leben ſo viel nicht bey aller ſauern Muͤhe mit ſeinem Kopfe, als ich ſodann unter Tanzen und Springen in einem Jahre mit meinen Fuͤßen ver - dienen koͤnnte. Jch bin um deßwillen nicht ganz abgeneigt, die Stelle anzunehmen. Es iſt wahr, es ſcheint nicht, als wenn mich die Natur zu einem Tanzmeiſter erkoren haͤtte. Mein linker Fuß iſt ungeheuer dick; auf dem rechten hinke ich ein we - nig; die rechte Schulter iſt etwas hoͤher, als die linke; auf dem einen Auge habe ich einen Stern, auf dem andern ſchiele ich; die Arme ſind durch die engliſche Krankheit ſehr verwachſen, und weil ich einen Anſatz zur Waſſerſucht habe, ſo zweifle ich faſt, daß ich ſolche hohe Capriolen werde machen koͤnnen, als mein ſeliger Uraͤltervater machte, da er geprellt ward. Jnzwiſchen verzweifle ich nicht ganz. Wenn es ausgemacht iſt, daß Gott demjeni - gen Verſtand giebt, dem er ein Amt giebt: ſo iſt es eben ſo leicht zu hoffen, daß er einem Kruͤpel geſunde Gliedmaßen geben wird, den er zum Tanz - meiſter machen will. Es gehoͤrt, duͤnkt mich, noch weniger dazu, als wenn aus einem gebornen Narren ein verſtaͤndiger Mann werden ſoll. Und wenn ich auch wider Vermuthen ein Kruͤpel bliebe:ſo48Antons Panßa von Manchaſo wuͤrde doch das gemeine Weſen von einem ge - brechlichen Tanzmeiſter bey weitem nicht ſo viel Schaden zu beſorgen haben, als es von einem Manne befuͤrchten muß, der zu einem oͤffentlichen Amte ungeſchickt, und bey deſſen Verwaltung ohne Verſtand iſt. Mit einem Worte, ich halte den Antrag fuͤr einen rechtmaͤßigen Beruf. Jch werde ihn alſo wohl annehmen; und der geneigte Leſer wird kuͤnftige Meſſe das Vergnuͤgen haben, eine ſyſtematiſche Abhandlung von den Regeln der Tanzkunſt von mir zu erhalten. Verſtehe ich gleich nicht das geringſte davon: ſo habe ich doch das Recht, mir eine guͤtige Aufnahme meines Werks mit eben der Zuverſicht zu verſprechen, mit welcher ſich ſo viele Schriftſteller ſchmeicheln, die ſich zum Buͤcherſchreiben ſo wenig ſchicken, als ich mich zum Tanzen. Was mich noch abhaͤlt, mei - ne endliche Erklaͤrung von mir zu geben, iſt die Furcht vor dem Hofe. Es geſchieht zuweilen, daß die vornehmſten Damen einen wunderlichen Appe - tit haben, und mein ſcarroniſcher Koͤrper ſtellt mich vor ihren verfuͤhreriſchen Liebkoſungen nicht in voͤl - lige Sicherheit. Jch weis mehr Exempel, daß ein plumper Stallknecht die Stelle eines liebenswuͤr - digen Gemahls vertreten muͤſſen. Jch waͤre des Todes, wenn ich mich in ſo gefaͤhrliche Umſtaͤnde verwickelt ſehen ſollte. Denn keuſch bin ich, wie meine Vaͤter, und dieſe unzeitige Keuſchheit hat mich mehr, als einmal, um mein Gluͤck gebracht. Jch will es uͤberlegen. Ein Balletmeiſter zu ſeyn, waͤre gleichwohl eine huͤbſche Sache!
Jn dieſen drey Worten liegt eine unerſchoͤpfliche Weisheit verborgen. Sie ſind der Schluͤſ - ſel zu den erſtaunlichſten Begebenheiten des menſch - lichen Lebens, welche ſo vielen, und den Philo - ſophen am meiſten, unbegreiflich vorkommen. Sie ſind das wahre, das einzige Mittel, alle diejenigen Gluͤckſeligkeiten zu erlangen, um welche ſich ein großer Theil der Menſchen vergebens bemuͤhet. Thoren ſind es, welche ſich und andern weiß ma - chen, daß nur die wahren Verdienſte, die Liebe zum Vaterlande, die Redlichkeit, daß nur die Tu - gend gluͤckſelig und uns zu wahrhaftig großen und beruͤhmten Leuten macht. Wie unverantwortlich und grauſam ſind unſre Moraliſten zeither mit uns umgegangen! Was brauchen wir alle dieſe aͤngſt - lichen Bemuͤhungen? Kleider, gluͤckſelige Erfin - dung! nur Kleider machen das, was Tugend und Verdienſte, Redlichkeit und Liebe zum Vaterlande vergebens unternehmen. Nunmehr iſt mir nichts ſo laͤcherlich, als ein ehrlicher Mann in einem ſchlechten Aufzuge; und das iſt mir ganz unertraͤg - lich, wenn ein ſolcher Mann darum, weil er ehr - lich iſt, angeſehen und bewundert zu ſeyn verlangt. Wie lange muß er ſich durch Hunger und Verach - tung hindurch winden, ehe er es nur ſo weit bringt, daß er von Leuten, welche ihre Kleider vorzuͤglich machen, einiger maßen gelitten wird. Eine aͤngſt -Dliche50Antons Panßa von Manchaliche Bemuͤhung, ſeinen Pflichten Gnuͤge zu thun, bringt ihn in dreyßig Jahren zu der Hochachtung nicht, zu welcher er durch ein praͤchtiges Kleid in vier und zwanzig Stunden gelangen kann. Man ſtelle ſich einen ſolchen Mann vor, welcher mit ſei - nen altvaͤteriſchen Tugenden und einfoͤrmiger Klei - dung ſich in eine Geſellſchaft von vornehmen Klei - dern zum erſten male wagt. Er muß ſehr gluͤck - lich ſeyn, wenn ihm der Thuͤrſteher nicht den er - ſten Schritt ins Haus verwehrt. Draͤngt er ſich auch bis in das Vorzimmer, ſo hat er ſich noch durch eine Menge von Bedienten durchzuarbeiten, wovon ihn die meiſten laͤcherlich finden, viele gleich - guͤltig anſehen, und die billigſten gar nicht merken. Er verlangt Jhro Excellenz aufzuwarten. Man antwortet ihm nicht. Er verlangt Jhro Excel - lenz unterthaͤnig aufzuwarten. Ein Laqvey weiſt ihn an den andern, und keiner meldet ihn an. Er ſteht beſchaͤmt am Camine, und ſteht allen im Wege. Er ſieht endlich den Kammerdiener. Er bittet gehorſamſt, ihm die hohe Gnade zu verſchaf - fen, daß er Jhro Excellenz ſeine ganz unterthaͤ - nigſte Aufwartung machen duͤrfe. Komme der Herr morgen wieder, es iſt heute Geſellſchaft im Zimmer! ‒ ‒ ‒ Aber waͤre es nicht moͤglich ‒ ‒ ‒ Kurz, nein! Jhro Excellenz haͤtten viel zu thun, wenn ſie jede Bettelviſite annehmen wollten; der Herr kann morgen wieder kommen. Da ſteht der tugendhafte, der ehrliche, der gelehrte Mann, der Mann von großen Verdienſten, welcher ſich redlich, und muͤhſam naͤhrt, ſeinen Fuͤrſten treudient,51Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. dient, hundert Leute durch ſeinen guten Rath gluͤcklich gemacht hat, mit aͤngſtlicher Sorgfalt die Rechte gedruͤckter Witwen und Wayſen ſchuͤtzt; niemanden um das Seinige bringt, da ſteht der rechtſchaffenſte Patriot. Sein ſchlechter Anzug druͤckt alle Verdienſte nieder. Er ſchleicht ſich beſchaͤmt zur Thuͤre, um ſich der Verachtung der Antichambre zu entziehen. Man ſtoͤßt ihn mit Gewalt von derſelben weg, man reißt beide Fluͤ - gel mit einer ehrfurchtsvollen Beſchaͤfftigung auf, alle Bediente kommen in Bewegung, alle richten ſich in eine demuͤthige Stellung, der Kammerdie - ner fliegt ins Zimmer ſeines Herrn; es wird Laͤr - men darinnen, man wirft die Karten hin. Jhro Excellenz eilen entgegen, und wem? einem ver - goldeten Narrn, welcher die Treppe herauf gefa - ſelt koͤmmt, und den Schweiß ſeines betrognen Glaͤubigers auf der Weſte traͤgt. Sein Kopf, ſo leer er iſt, wird bewundert, weil er gut friſirt iſt; ſein Geſchmack beſteht in der Kunſt, ſich artig zu buͤcken. Haͤtte er Verſtand, ſo wuͤrde er alle ſech - zehn Ahnen beſchaͤmen, und nur aus kindlicher Hochachtung gegen ſeine Vorfahren hat er ſich in Acht genommen, verſtaͤndiger zu werden, als ſie geweſen ſind. Sein Herz iſt boshaft, ſo viel es ihm ſeine vornehme Dummheit zulaͤßt. Er hat das geringſte nicht gelernt, womit er dem Vater - lande, oder ihm ſelbſt dienen koͤnnte, und womit er jemanden dient, das ſind leere Gnadenverſiche - rungen. Er borgt, er betruͤgt, er kuͤßt, er pfeift, er lacht, ſpielt gern und ungluͤcklich, und JhroD 2Ex -52Antons Panßa von ManchaExcellenz freuen ſich mit offenen Armen uͤber die Ehre ſeines Zuſpruchs. Nun iſt unſer redlicher Mann ganz vergeſſen, und es iſt ein Gluͤck fuͤr ihn, daß er noch ohne Schaden aus dem ehr - furchtsvollen Gedraͤnge entronnen, und die Treppe hinunter kommen koͤnnen. Es geſchieht ihm recht. Der Thor! Warum hat er nicht beſſere Kleider, und geringere Verdienſte?
Man thut der Welt unrecht, wenn man ſagt, daß ſie bey den Verdienſten rechtſchaffener Maͤn - ner unempfindlich, und blind ſey. Sie iſt es nicht; aber man muß ihr die Augen durch eine aͤußerliche Pracht oͤffnen, und ſie durch ein vorneh - mes Geraͤuſch aufwecken. Kann die Welt etwas dafuͤr, daß ſich ein großer Geiſt in ein ſchlechtes Kleid verſteckt? Die Welt iſt eine Schaubuͤhne, und auf der Schaubuͤhne halten wir nur diejenigen fuͤr Prinzen, welche fuͤrſtlich gekleidet ſind. Nicht alle haben die Geduld, den letzten Auftritt, und die Entwickelung des Spiels abzuwarten.
Man ſtelle einmal die Billigkeit der Welt auf die Probe, und vertauſche die Kleider.
Jhro Gnaden werden ſich gefallen laſſen, das ſchwarze Kleid dieſes ehrlichen Mannes anzuzie - hen, und ſeine etwas bejahrte Peruͤcke aufzuſetzen. Wie dumm ſehn Jhro Gnaden aus! Die dreiſte und unverſchaͤmte Miene iſt mit einem male ver - ſchwunden. Aller Witz, deſſen ein praͤchtiges Kleid faͤhig war, iſt verloren. Man fuͤhre ihn indie53Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. die Loge; in eben diejenige Loge, in welcher er ſo vielmal der artige Herr, der allerliebſte artige Herr, der ſchalkhafte Baron geweſen. Er koͤmmt. Er macht ſeine Verbeugung noch immer ſo gut, und ungezwungen als ſonſt. Man lacht daruͤber. Er will die Hand kuͤſſen; man ſtoͤßt ihn fort. Die Damen murmeln unter einander, und aͤrgern ſich uͤber die Unverſchaͤmtheit dieſes gemeinen Men - ſchen. Man haͤlt ihn fuͤr einen Jnformator, wel - cher bey ſeiner gnaͤdigen Herrſchaft nicht gut thun, und etwas mehr ſeyn wollen, als ein gemeiner Bedienter. Er faͤngt an zu reden. Wie abge - ſchmackt, wie pedantiſch redet er! Er wird unge - duldig, und flucht ein ſacre bleu! Man lacht uͤber den Narrn, und laͤßt ihn durch die Heyducken als einen wahnwitzigen Kerl hinausſtoßen.
Nunmehr erſcheint der redliche und verdienſt - volle Mann in der Loge, welcher die praͤchtigen Kleider des entlarvten Barons angezogen hat. Er erſcheint das erſte mal darinnen, und thut ein wenig bloͤde. Man findet ſeine Bloͤdigkeit ange - nehm, und haͤlt ihn fuͤr einen Fremden, deſſen Sittſamkeit bewundert wird. Die Damen dan - ken ihm auf eine gnaͤdige Art, und die Faͤcher rau - ſchen ihm mit Beyfall entgegen. Man bietet ihm einen Stuhl an, und er ſetzt ſich mit Anſtand nie - der. Eine jede fragt ihre Nachbarinn, wer dieſer Herr ſeyn muͤſſe; es kennt ihn keine. Sie laſſen ſich in ein Geſpraͤch mit ihm ein; er redet beſchei - den. Man beurtheilt die Oper; er beurtheilt ſieD 3mit,54Antons Panßa von Manchamit, und ſein Urtheil findet Beyfall. Die Saͤn - ger werden gelobt, er lobt ſie mit Geſchmacke; man redet vom Hofe, er kennt die Welt; man redet von Staatsſachen, man findet ſeine Gedan - ken ſehr fein; man redet Boͤſes von den uͤbrigen Logen, er ſchweigt, und auch ſein Stillſchweigen wird gebilligt, weil man ihn fuͤr einen Fremden haͤlt, welcher noch ganz unbekannt, oder zu be - ſcheiden iſt, in einer fremden Geſellſchaft auf eine boshafte Art witzig zu ſeyn. Die Oper iſt zu Ende. Er hat die Gnade, ſeine Nachbarinn an die Kutſche zu fuͤhren. Er thut es mit einer un - gezwungenen Wohlanſtaͤndigkeit. Er darf die Hand kuͤſſen, und Jhro Excellenz wuͤnſchen, in - dem ſie fortfahren, daß der gnaͤdige Herr wohl ruhen moͤge. Gluͤckſelige Veraͤnderung! Der gnaͤdige Herr! der, welcher nur vor wenig Stun - den noch beſchaͤmt am Camin ſtand, und allen Bedienten laͤcherlich war, iſt itzo die Bewunde - rung der ganzen Geſellſchaft! Man erkennt ſeine Verdienſte, denn man ſieht ſeine praͤchtigen Kleider.
Da wir bloß den Kleidern den entſcheidenden Werth unſrer Verdienſte zu danken haben: ſo ſcheue ich mich nicht zu geſtehen, daß ich wenig Perſonen mit ſo viel Ehrfurcht anſehe, als mei - nen Schneider. Jch beſuche ſeine Werkſtatt oft, und niemals ohne einen heiligen Schauer, wenn ich ſehe, wie Verdienſte, Tugenden und Vernunft unter ſeinen ſchaffenden Haͤnden hervorwachſen, und theure Maͤnner durch den Stich ſeiner Nadelaus55Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. aus Nichts hervor ſpringen, ſo, wie das erſte Roß an dem Ufer muthig hervor ſprang, als Neptun mit ſeinem gewaltigen Dreyzack in den Sand ſtach.
Vor etlichen Wochen gieng ich zu ihm, und fand ihn in einem Chaos von Sammet und rei - chen Stoffen, aus welchen er erlauchte Maͤnner und Gnaden ſchuf. Er ſchnitt eben einen Dom - herrn zu, und war ſehr unzufrieden, daß der Sam - met nicht zureichen wollte, den hochwuͤrdigen Bauch auszubilden. Ueber dem Stuhle hiengen zwo Excellenzen ohne Aermel. Einer ſeiner Ge - ſellen arbeitete an einem geſtrengen Junker, wel - cher ſich von ſeinem Pachter zwey Quartale hatte vorſchieſſen laſſen, um ſeine hochadlichen Ver - dienſte in der bevorſtehenden Meſſe kenntlich zu machen. Auf der Bank lagen noch eine ganze Menge junge Stutzer, liebenswuͤrdige junge Herr - chen, und ſeufzende Liebhaber, welche mit Unge - duld auf ihre Bildung, und die Entwickelung ih - res Weſens zu warten ſchienen. Unter der Bank ſtack ein großes Packt ſchlechter Tuͤcher und Zeuge fuͤr Gelehrte, Kaufleute, Kuͤnſtler, und andre niedere Geſchoͤpfe. Zwey Jungen, welche noch nicht geſchickt genug waren, ſaßen an der Thuͤre, und uͤbten ſich an dem Kleide eines Poeten. Jch ſtund bey dem Meiſter, hielt den Hut unterm Ar - me, und blieb laͤnger, als eine Stunde, in eben der ehrfurchtsvollen Stellung, welche ich anneh - me, wenn ich in Geſellſchaft vornehmer und groſ - ſer Maͤnner bin. Mein Schneider iſt in derglei -D 4chen56Antons Panßa von Manchachen Faͤllen ſchon von mir ein ſolches ehrerbietiges Stilleſchweigen gewohnt, daß er mich nicht wei - ter um die Urſachen befragt. Er weis die Hoch - achtung, welche ich fuͤr die wunderthaͤtigen Klei - der habe. Sie iſt billig. Nur die Kleider ſind es, welche wir an den meiſten Großen verehren. Und weil uns der Koͤrper, ſo in dieſen verdienſt - vollen Kleidern ſteckt, gleichguͤltig, und von kei - ner Wichtigkeit ſcheint; ſo verbindet uns unſre Pflicht, auch alsdann eine demuͤthige Miene anzu - nehmen, wenn wir dieſe Kleider ohne ihre zufaͤl - ligen Koͤrper ſehen.
So erhaben meine Gedanken ſind, wenn ich den erſtaunenden Wirkungen meines Schneiders in ſeiner Werkſtatt zuſehe: ſo kleinmuͤthig werde ich im Namen des groͤßten Theils meiner vorneh - men Landsleute, ſo oft ich bey einer Troͤdelbude vorbeygehe. Dieſe iſt in Anſehung der Kleider eben das, was uns Menſchen die Begraͤbniſſe ſind. Hier hoͤrt aller Unterſcheid auf. Oftmals ſehe ich in der Troͤdelbude den abgetragnen Rock eines witzigen Kopfs ſehr vertraut neben dem Kleide ei - nes reichen Wuchrers liegen, und es iſt wohl eher geſchehen, daß die Weſte eines Dorfſchulmeiſters uͤber dem Sammetkleide ſeines Praͤlaten gehangen hat. Noch betruͤbter iſt es, wenn dieſe praͤchti - gen Kleider die Hochachtung der Menſchenmaſchi - ne, die in ſelbigen geſteckt, uͤberleben. Man hat mir einen reichgeſtickten Rock gezeigt, welcher die Bewunderung der ganzen Stadt und der beſin - gungswuͤrdige Gegenſtand vieler hungrigen Mu -ſen57Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ſen geweſen; endlich aber doch vor der Unbeſchei - denheit ſeiner Glaͤubiger in dieſe Troͤdelbude fluͤch - ten muͤſſen.
Ehe ich dieſen Artikel ſchließe, muß ich noch etwas erinnern. Jch bin ſo billig geweſen, und habe gewieſen, daß Kleider Leute und Verdien - ſte machen; zur Vergeltung dieſer Bemuͤhungen verlange ich wieder etwas, das eben ſo billig iſt.
Diejenigen, denen zum Troſte ich dieſes Spruͤchwort ausgefuͤhrt und bekannter gemacht habe, und die keine Verdienſte weiter beſitzen, als welche ſie dem Anſehen ihrer Kleider zu danken haben, werden ſo gerecht ſeyn, und die Ehrenbe - zeugungen, welche dieſen Kleidern gemacht worden, niemals auf ihre Rechnung annehmen. Sie ge - hen ſie nichts an, und es iſt wirklich ein unver - antwortlicher Raub, wenn ſie ſich der Hochach - tung bemaͤchtigen, die man ihren Kleidern ſchul - dig iſt. Sollte ich wider Vermuthen erfahren, daß man dieſe meine Vermahnung nicht in Acht naͤhme, und wie es bey den meiſten geſchehn, fort - fuͤhre, die Verdienſte der Kleider ſich anzumaßen: ſo werde ich und meine Freunde ſie oͤffentlich de - muͤthigen. Wir werden die Sprache der Com - plimente aͤndern, und wenn wir einem ſolchen Manne begegnen, niemals anders zu ihm ſagen, als: Mein Herr, ich habe die Gnade, ihre Weſte meiner unterthaͤnigſten Devotion zu verſichern. Jch empfehle mich ihrem geſtick - ten Kleide zu gnaͤdiger Protection. Das Vaterland bewundert die Verdienſte ihresD 5rei -58Antons Panßa von Manchareichen Aufſchlags. Der Himmel erhalte ih - ren Sammetrock der Kirche und unſrer Stadt zum Beſten noch viele Jahre! u. ſ. w.
N. S. Jn dieſem Augenblicke erfahre ich et - was, von dem ich nicht weis, ob ich es wuͤnſchen, oder nicht wuͤnſchen ſoll. Denenjenigen zur War - nung, welche mit den Verdienſten ihrer Kleider ſo, wie ich oben gedacht, zur Ungebuͤhr groß thun, will ich dieſes Geheimniß im Vertrauen entdecken, und es bleibt noch zur Zeit unter uns. Man hat einen Vorſchlag gethan, daß der Handlung zum Beſten in die neue Kleiderordnung ein Artikel ein - geruͤckt werden moͤge: „ Daß niemand ein reiches „ oder ſeidnes Kleid anziehen ſoll, bis er es be - „ zahlt habe, und ein jeder ſoll zu dem Ende alle - „ zeit die Quittung von dem Schneider und Kauf - „ manne bey ſich tragen. „ Was ſoll das fuͤr ein Laͤrm werden! und wie viel angeſehne Kleider wer - den vor unſern Augen verſchwinden! Der Vor - ſchlag iſt ſo vernuͤnftig und billig, und der Handlung ſo zutraͤglich, als einer ſeyn kann; aber er iſt, wie mich duͤnkt, ein wenig zu grauſam. Sehr viele, ge - wiß ſehr viele, welche weder Geld noch Verdienſte beſitzen, und ihr Anſehen bloß auf Unkoſten der Kaufleute und ihrer Glaͤubiger bisher erhalten ha - ben, verlieren dadurch, daß man ihnen die geborgte Pracht der Kleider nimmt, zugleich mit einem male alles, was ſie vorzuͤglich, groß, liebenswuͤrdig, und anſehnlich gemacht hat. Was ſoll aus dieſen guten Leuten werden? Wie todt wird es kuͤnftig in ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ und bey vornehmen Verſammlungen ſeyn!
Herr Anton Panßa von Mancha iſt uͤber die Nachricht ſehr aufgebracht worden, welche ihm der Verleger von der gleichguͤltigen Aufnahme und dem ſchlechten Vertriebe ſeiner Ab - handlung von Spruͤchwoͤrtern gegeben hat. Er bedient ſich des allgemeinen Rechts der Autoren, und ſpricht allen ſeinen Leſern ohne Barmherzig -