PRIMS Full-text transcription (HTML)
Sammlung ſatyriſcher Schriften.
Dritter Theil.
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Mit allergnaͤdigſten Privilegien.
Leipzig,Jm Verlage Johann Gottfried Dycks.1752.

Vorbericht.

Es iſt noch gar nicht lange, daß man uͤber den Mangel deut - ſcher Briefe klagte, und viel - leicht mit gutem Grunde. Man beſchwerte ſich, daß dieſe Gegend des deutſchen Witzes noch am wenigſten angebaut, oder doch nur hin und wie - der von Pedanten, lateiniſchen und deut - ſchen Pedanten, Pedanten vom Hofe und von der Stadt, bewohnt ſey.

Seit einigen Jahren haben wir nicht mehr Urſache, uͤber dieſen Mangel uns zu beſchweren. Wir ſind mit Brie -* 2fenVorbericht. fen und Briefſtellern in ziemlicher Men - ge verſorgt. Bald werden wir wuͤn - ſchen, daß unſre Landsleute ſich mit ei - ner andern Art von Witze beſchaͤfftigen moͤchten.

Es iſt vielen unter unſern Deutſchen ſehr gewoͤhnlich, daß ihr Witz langſam und ſpat erwacht; erwacht er aber auch einmal, ſo ſind ſie bis zum Ekel witzig. Der Beyfall, den einige anakreontiſche Oden verdienten, machte das halbe Land anakreontiſch. Man ſang von Wein und Liebe, man taͤndelte mit Wein und Liebe, und die Leſer gaͤhnten bey Wein und Liebe. Ein Heldengedichte, deſſen Vorzuͤge vielleicht erſt in hundert Jah - ren den verdienten Beyfall allgemein ha - ben werden, macht zwey Drittheile des Volks epiſch. Aus allen Winkeln, wo ein Autor ſchwitzt, kriechen epiſche Hoch - zeitwuͤnſche, epiſche Todenfluͤche, epiſcheWiegen -Vorbericht. Wiegenlieder hervor, und der kleinſte Geiſt flattert, ſo weit er kann, in die Hoͤhe, um uͤber den geſchwaͤrzten Wol - ken rauſchend hoch daher zu donnern. Mit den Briefen gehet es uns eben ſo, und wir ſind in Gefahr, bey dieſer Art des Witzes noch mehr auszuſtehn, ie ge - wiſſer ein jeder glaubt, daß es ſehr leicht ſey, Briefe zu ſchreiben, und ie leich - ter es iſt, aus allem, was man geſchrie - ben hat, einen Brief zu machen.

Mit Erlaubniß dieſer meiner Her - ren Collegen, will ich hier die Kunſt ih - res Handwerks ein wenig verrathen. Sie haben geleſen, daß man einen Brief ſo ſchreiben ſoll, wie man rede; aber weiter haben ſie nicht geleſen, ſonſt wuͤr - den ſie gefunden haben, daß man vor - her im Stande ſeyn muͤſſe, vernuͤnftig zu reden und zu denken, wenn man es wagen wolle, vernuͤnftige Briefe zu* 3ſchrei -Vorbericht. ſchreiben. Viele von ihnen reden und denken poͤbelmaͤßig, und wie ſie reden und denken, ſo ſchreiben ſie auch ihre Briefe; ſie ſchreiben ſehr viele Briefe, weil ihnen der Mangel des Verſtandes den Vortheil verſchafft, daß ſie mit gro - ßer Geſchwindigkeit wenig denken, und viel plaudern. So muß man es machen, wenn man, nach ihrer Art, ſcherzhafte, freundſchaftliche, oder vertraute Briefe der Welt mittheilen will. Der ſteife und ſtrotzende Witz, den uns die Aus - laͤnder ſo oft vorwerfen, aͤuſſert ſich be - ſonders bey denen, welche fuͤhlen, daß ſie gelehrt und beleſen ſind, auf eine an - dre Art. Sie machen ſehr tiefſinnige Abhandlungen von uralten Wahrhei - ten, jagen ſolche durch alle Faͤcher der Dialektik und Schulberedtſamkeit durch, machen dieſes gothiſche Gewebe mit Sentenzen der Alten erbaulich, und mitſchoͤnenVorbericht. ſchoͤnen Sinnbildern anmuthig, und wenn ſie endlich unter Muͤhe und Angſt ſechs Bogen zuſammen gepredigt haben: ſo ſetzen ſie daruͤber: Hochedelgebohrner Herr, Hochzuehrender Herr, und vornehmer Goͤnner! den Augenblick wird dieſes gelehrte Werk ein Brief!

Das iſt das große Geheimniß, und der wahre Kunſtgriff, deſſen ſich ein ar - beitſamer Deutſcher bedienen kann, wenn er ein gelehrter Briefſteller von vier Quartbaͤnden werden will. Durch dieſes vortreffliche Mittel getraue ich mir aus allen Folianten meines Vater - landes Briefe zu machen. Sollte die - ſes nicht ein Weg ſeyn, der aſiatiſchen Baniſe, welche bey Kennern und an - dern ihren vorigen Werth verlohren hat, zu ihrem alten Anſehn wieder zu* 4ver -Vorbericht. verhelfen, wenn man nach dem itzigen herrſchenden Geſchmacke einen Brief daraus machte? Wie das angehn koͤn - ne? Sehr leicht. Wir wollen es ver - ſuchen:

Gnaͤdiges Fraͤulein,

Blitz, Donner und Hagel, als die raͤ - chenden Werkzeuge des erzuͤrnten Him - mels, zerſchmettern die Pracht der mit Gold bedeckten Thuͤrme,

und wie es etwan weiter lautet. Dieſes: Gnaͤdiges Fraͤulein wiederholt man auf allen Seiten ein paar mal, ſo iſt es ein Brief, oder der Leſer, der es laͤugnen will, muß gar keinen Geſchmack, und gar keine geſunden Begriffe von einem Briefe haben. Das will ich doch nicht wuͤnſchen, daß ſich iemand dieſen kriti - ſchen Fluch muthwillig auf den Hals laden moͤchte, welcher bey andern Gelegenhei - ten ſchon vielen ſo ſchrecklich geweſen iſt!

DaVorbericht.

Da ich der ſchreibenden Welt dieſe beyden Handgriffe bekannt gemacht ha - be: ſo ſcheint es faſt uͤberfluͤßig zu ſeyn, weitere Anleitung zu Briefen zu geben. Nun weiß man, wie man artig, ver - traut und geſchwind, man weiß auch, wie man gelehrt ſchreiben ſolle.

Jn dieſe Claſſen werden ſich, glau - be ich, die meiſten Briefe einſchraͤn - ken laſſen. Allenfalls nehme ich diejeni - gen aus, welche man Amts - und Be - rufsbriefe nennen koͤnnte, und welchen der Kanzleyſtyl eigen iſt. Die Ge - wohnheit rechtfertigt dieſe Schreibart, und macht ſie unentbehrlich. Wer die - ſen Kanzleyſtyl zur Unzeit unterlaͤßt, iſt eben ſo wohl ein laͤcherlicher Pedante, als derjenige, der ihn zur Unzeit braucht.

Von dem aͤuſſerlichen Baue und Wohlſtande eines Briefs werde ich nicht viel ſagen. Man kann ihn bey einem* 5Schrei -Vorbericht. Schreibemeiſter, oder bey einem Copi - ſten lernen. Einen Brief zu beſchnei - den, einen Brief zu brechen, einen Brief zu uͤberſchreiben, ſind Sachen, die in ihrer Art wichtig genug, aber auch leicht zu lernen ſind.

Nur von der Titulatur muß ich noch etwas gedenken. Es iſt uns Deut - ſchen nicht zuzumuthen, daß wir unſer gezwungnes und buntes Wortgepraͤnge auf einmal verlaſſen ſollen, mit dem wir die Eingaͤnge unſrer Briefe praͤchtig machen. Am wenigſten wollte ich, daß die witzigen Koͤpfe die erſten waͤren, die - ſe Gewohnheit laͤcherlich, und das Mein Herr, oder Madame allgemein zu machen. Jhnen wird man es ge - wiß als eine ungeſittete Vertraulich - keit, oder eine Verabſaͤumung des Wohlſtandes auslegen. Diejenigen, welche durch die Gewohnheit ein Rechthaben,Vorbericht. haben, weitlaͤuftige und praͤchtige Ti - tel zu fodern, haben auch allein das Recht, ſich davon los zu ſagen. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß ſie es nach und nach thaͤten, und dadurch unſre deut - ſche Ehrenbezeugungen biegſamer und natuͤrlicher machten. So lange ſie ſich dieſes Rechts nicht ſelbſt begeben; ſo lange gehoͤren dergleichen verzerrte Ti - tulaturen unter die nothwendigen Un - bequemlichkeiten des Ceremoniels. Jn erdichteten Briefen, und bey unſern Freunden koͤnnen wir das vertraute Mein Herr ohne Gefahr brauchen, und wir thun wohl, wenn wir es in der - gleichen Faͤllen allgemein machen.

Jch wollte wuͤnſchen, daß ſich je - mand die Muͤhe gaͤbe, eine chronologi - ſche Geſchichte der Complimente und Ti - tulaturen zu ſchreiben. Jch habe ange - merkt, daß das Laͤcherliche der Titula -turenVorbericht. turen in eben dem Grade geſtiegen, in welchem der gute Gehalt der Muͤnzen gefallen iſt. Als wir noch nach zinni - ſchem Fuße ausmuͤnzten, da war ein Edler ein wichtiger, und verehrungs - wuͤrdiger Mann. Nach und nach ſtieg man auf Wohledler, auf Hochwohledler, auf Hochedel. Jtzt hat noch nicht ein - mal Hochedelgebohrner den innerlichen Werth, den ſonſt Edler hatte, und der Himmel weiß, ob wir nicht in funfzig Jahren ſo hoch hinauf getrieben werden, daß wir denjenigen, den wir vor hun - dert Jahren Edler hießen, alsdann in Gott Vater und Herrn nennen muͤſſen.

Da ich ſo viel nachtheiliges von den Briefen, von ihren Verfaſſern, und von andern dabey vorfallenden aͤuſſerli - chen Umſtaͤnden ſage: ſo werden meine Leſer vermuthen, daß ich mich dieſes Augenblicks bediene, deſto vortheilhaf -terVorbericht. ter von mir und meinen Briefen zu ſprechen, um auch fuͤr mich das ange - maßte Recht der Autorn zu behaupten, die gemeiniglich nicht eher zu ihrem Lobe ſchreiten, als wenn ſie zehn andre Schriftſteller der Welt verdaͤchtig ge - macht haben. Jch werde es nicht thun. Jch will mich und meine Sammlung dem Urtheile der Leſer uͤberlaſſen, ohne zu flehen, und ohne zu trotzen. Man kann leicht glauben, daß ich als Autor zu viel Empfindung habe, bey dieſem Urtheile gleichguͤltig zu bleiben. Der Beyfall der Kenner macht mich ſtolz; der Beyfall derer, die nicht Kenner ſind, macht mir ein Vergnuͤgen. Jch wuͤn - ſche mir von keinem von beiden getadelt zu werden, es ſey mit Grunde, oder ohne Grund. Jch bin noch kein ſo ab - gehaͤrteter Autor, daß ich bey dem Ta - del meines Leſers, wer der auch ſey, ge - laſſen ſeyn koͤnnte.

DieVorbericht.

Die Einrichtung meiner ſatyriſchen Briefe iſt ungefaͤhr dieſe. Jch habe ge - wiſſe Anmerkungen von dem Laͤcherli - chen, oder Laſterhaften der Menſchen gemacht. Dieſe Anmerkungen habe ich durch Briefe erlaͤutert. Um meinen Le - ſern durch die Abwechslung die Sache angenehm zu machen, habe ich hin und wieder dieſen Briefen die Geſtalt einer zuſammenhangenden Geſchichte gegeben. Da ſie alle nur erdichtet ſind, ſo habe ich beſonders in Anſehung der Titulaturen nicht noͤthig gehabt, ſorgſam zu ſeyn. Es iſt meine Abſicht nicht geweſen, mei - nen Leſern durch dieſe Sammlung For - mulare in die Haͤnde zu geben, die ſie bey andern Gelegenheiten brauchen koͤnnten. Jch wollte es wohl wuͤnſchen, daß man in der Welt ſchriebe, wie man daͤchte; auf dieſen Fall wuͤrde mei - ne Sammlung ungemein praktiſch ſeyn,undVorbericht. und ich wuͤrde vor andern Briefſtellern unendliche Vorzuͤge erlangen. Weil man aber in der Welt gemeiniglich an - ders ſchreibt, als man denkt: ſo will ich zufrieden ſeyn, wenn man durch meine Bemuͤhung, und durch mein gegebnes Beyſpiel nur ſo viel lernt, wie man ei - nen Brief verſtehen ſoll, in welchem der Verfaſſer anders gedacht hat, als er ſchreibt.

Das nachſtehende Verzeichniß der in dieſer Sammlung befindlichen Briefe wird die ganze Einrichtung des Werks, und meine Abſichten naͤher entdecken.

Von der Behutſamkeit, die ich ge - braucht habe, auch in dieſem Theile mei - ner Schriften weder den Wohlſtand zu verletzen, noch iemanden perſoͤnlich zu beleidigen, will ich weiter nichts ſagen. Die gerechteſte Sache wird verdaͤchtig, wenn man ſie zu oft, und zu muͤhſament -Vorbericht. entſchuldigt. Zugleich wuͤrde ich meine Leſer beleidigen, wenn ich an ihrer Bil - ligkeit und Einſicht bey aller Gelegen - heit zweifeln wollte. Das einzige, was ich hierbey thun kann, iſt dieſes, daß ich denen, welche mich und meine Schriften noch nicht kennen, das Glaubensbe - kenntniß meiner Satyre empfehle, wel - ches ich in der Vorrede zum erſten Theile meiner Schriften abgelegt habe(*)Siehe Sammlung ſatyriſcher Schriften, Erſten Theil, und deſſen Vorbericht auf der ſieben und zwanzigſten Seite bis zum Ende des Vorberichts..

Leipziger Oſtermarkt 1752. Gottlieb Wilhelm Rabener.

Verzeich -

Verzeichniß

der in nachſtehender Sammlung befind - lichen Briefe und Abhandlungen.

  • Schreiben, eines von Adel an einen Pro - feſſor, in welchem einen guten Hof - meiſter zu waͤhlen gebeten, und ge - ſagt wird, was man von ihm fuͤr Faͤhig - keiten verlangeS. 10
  • Antwort des Profeſſors, nebſt zwo Taxen von einem geſchickten und eilf ungeſchick - ten Hofmeiſtern13
  • Empfehlungsſchreiben an ein Kammermaͤd - chen, wegen der erledigten Hofmeiſter - ſtelle25
  • Antwort im Kammermaͤdchenſtyle26
  • Ein kleiner Roman zwiſchen einer jungen Prieſterwittwe, und einem Herrn Candi - daten. Beſteht aus folgenden Briefen:
  • Schreiben der Prieſterwittwe an den Can -dida -Verzeichniß. didaten, worinnen ihm ein Wink von dem goͤttlichen Berufe gegeben wird28
  • Einladungsſchreiben des Kirchenpatrons an den Candidaten30
  • Antwort des Candidaten an den Kirchen - patron31
  • Dergleichen an die Prieſterwittwe. 32
  • Schreiben der Prieſterwittwe an den Kir - chenpatron33
  • Deſſen lehrreiche Antwort an die Wittwe34
  • Ein Oberſter empfiehlt ſeinen Feldprediger zu einem Dorfpfarr38
  • Bittſchreiben des Feldpredigers an den Ober - ſten wegen dieſer Sache40
  • Ein abgeſetzter Schulmeiſter bittet um einen Schuldienſt, und liefert drey Proben von ſeiner Staͤrke in Gevatter und Hochzeit - briefen42
  • Chria Aphthoniana, worinnen um eine Rekto - ratſtelle in einem kleinen Staͤdtchen gebe - ten wird52
  • Eine praktiſche Abhandlung von der Kunſt zu beſtechen, imgleichen ſich beſtechen zu laſſen. Beſteht aus folgenden Briefen:
  • Schreiben, wie ein ungewiſſenhafter Vor - mund den Richter nicht beſtechen ſoll62
Der -Verzeichniß.
  • Dergleichen, wie ein Rittergutsbeſitzer den Commiſſar nicht beſtechen ſoll64
  • Dergleichen, wie ein Kaufmann ſeinen Rich - ter nicht beſtechen ſoll65
  • Eine ungeſchickte Art, wie ein Bauer ſeine gnaͤdige Frau Amtmanninn zu beſtechen ſucht66
  • Schreiben, wie ein ungewiſſenhafter Vor - mund es machen ſoll, wenn er den Rich - ter beſtechen will71
  • Dergleichen fuͤr einen Rittergutsbeſitzer an den Commiſſar74
  • Anweiſung, wie man einen Richter beym Spiele beſtechen kann77
  • Formular, eines leeren Briefs allen ſtreiten - den Partheyen zur Warnung geſchrieben. 80
  • Eines ungerechten Richters unpartheyiſche Antwort darauf81
  • Ein Handgriff, wie man einen Richter, den man beſticht, die ſaure Muͤhe erſparen kann, roth zu werden83
  • Des Richters Antwort auf den ſtummen Brief84
  • Gebeſſertes Formular, wie ein Kaufmann ſeinen Richter beſtechen ſoll. 87
** 2An -Verzeichniß.
  • Anleitung, einen Richter mit Holze zu beſte - chen89
  • Jngleichen mit alten Muͤnzen und Gem - mis90
  • Recept, wie eine ſchoͤne Frau den Richter gewinnen ſoll96
  • Des Richters vielbedeutende Antwort dar - auf98
  • Ein Brief, wie man einen Commiſſar mit der Furcht vor ſeinen Obern beſticht100
  • Dergleichen mit der Furcht vor ſeinem eig - nen boͤſen Gewiſſen101
  • Dergleichen mit der Furcht vor Wechſel - ſchulden102
  • Eine arme gedruckte Wittwe bittet um Ge - rechtigkeit bey ihrem Richter106
  • Des Richters Antwort108
  • Vier Formulare von der mittelbaren Be - ſtechung durch die Weiber der Richter, nach ihren verſchiednen herrſchenden Lei - denſchaften111
  • Schreiben an einen Amtmann, der viel von der Kuͤche, und nichts von der Amtsſtube verſteht118
  • Dergleichen an ſeine juriſtiſche Tochter, ſo das Directorium Actorum fuͤhrt119
  • Von der Kunſt ſich beſtechen zu laſſen, inglei -chenVerzeichniß. chen von einer ganz neuentdeckten compu - tatione graduum122
  • Bittſchreiben eines jungen Menſchen, der zur Zierde des Vaterlandes Rathsherr werden will. 135
  • Empfehlungsſchreiben eines Mannes, der aus Bequemlichkeit Rathsherr werden will140
  • Schreiben des bequemen Candidaten142
    • Nota. Beide ſind aus dem Alciphron getreu - lich uͤberſetzt.
  • Charakter eines juriſtiſchen Polyphems145
  • Vier Briefe, denen zum Beſten geſchrieben, die Gerichtsbeſtallungen ſuchen157
  • Ein Brief von der Gefahr, die man laͤuft, wenn man einen jungen und noch ungeuͤb - ten Mann zum Richter oder Commiſſar bekoͤmmt170
  • Zwey Formulare fuͤr diejenigen, welche in vornehmen Haͤuſern Sekretarien werden wollen, um die Hofluft zu gewohnen174
  • Roman einer alten Sproͤden. Darinnen ſind folgende Briefe enthalten:
  • Schreiben der alten Sproͤden an den Ver - faſſer der ſatyriſchen Briefe181
  • Der Hofrath R wirbt um die Sproͤde183
** 3Ab -Verzeichniß.
  • Abſchlaͤgige Antwort der Sproͤden an den Hofrath R 186
  • Ein mediciniſcher Doctor wirbt um die Sproͤ - de189
  • Zaͤrtliches Schreiben des Herrn Lieutenants an die Sproͤde192
  • Abſchlaͤgige Antwort der Sproͤden an den Doctor193
  • Ein Profeſſor wirbt um die Sproͤde199
  • Abſchlaͤgige Antwort der Sproͤden an den Profeſſor202
  • Herzbrechendes Schreiben der Sproͤden an ihren Lieutenant204
  • Des Lieutenants ſchreckliche Antwort dar - auf207
  • Ein Advocat wirbt um die Sproͤde212
  • Abſchlaͤgige Antwort der Sproͤden darauf214
  • Ein Wuͤrzkraͤmer wirbt um die Sproͤde216
  • Abſchlaͤgige Antwort der Sproͤden darauf218
  • Die alte Sproͤde wirbt um ihres Vaters Schreiber221
  • Abſchlaͤgige Antwort des Schreibers darauf225
  • Die alte Sproͤde wirbt um den Hofrath230
  • Abſchlaͤgige Antwort des Hofraths darauf232
DieVerzeichniß.
  • Die alte Sproͤde wirbt um den mediciniſchen Doctor235
  • Abſchlaͤgige Antwort des mediciniſchen Doc - tors darauf237
  • Die alte Sproͤde wirbt um den Profeſſor241
  • Des Profeſſors Frau antwortet der alten Sproͤden, daß ihr Mann ſchon eine Frau habe245
  • Die alte Sproͤde wirbt um den Advocaten248
  • Abſchlaͤgige Antwort des Advocaten in hoͤch - ſter Eil251
  • Befehdungsbrief der alten Sproͤden an den Wuͤrzkraͤmer252
  • Deſſen Antwort an die alte Sproͤde mit Proteſt257
  • Antwort des Verfaſſers der ſatyriſchen Schriften an die alte Sproͤde264
  • Extrafavorable Auswuͤrflung der alten Sproͤden276
  • Ein Roman von einer Fraͤulein, die der Großvater, und der Enkel zugleich liebt. Beſteht aus folgenden Briefen:
  • Anwerbungsbrief, und vier Poſtſcripte eines alten Cavaliers an ein junges Fraͤulein278
** 4Schrei -Verzeichniß.
  • Schreiben des Enkels an ſeine Tante281
  • Troſtſchreiben der Tante an den eyferſuͤchti - gen Enkel282
  • Der Enkel ſeufzt284
  • Liebeserklaͤrung des Enkels an das junge Fraͤulein285
  • Die Tante ſagt, daß der Enkel thoͤricht ſey286
  • Freundſchaftliches Schreiben der jungen Fraͤulein an die Tante288
  • Der Tante Antwort darauf291
  • Schreiben der Fraͤulein an ihren Onkel293
  • Antwort des Onkels an das Fraͤulein295
  • Der Enkel verzweifelt vor Liebe, und klagt es ſeiner Tante296
  • und klagt es ſeiner Fraͤulein298
  • und klagt es ihrem Onkel299
  • Der eyferſuͤchtige Enkel bittet ſeinen Groß - papa um Erlaubniß, die Fraͤulein heira - then zu duͤrfen301
  • Antwort der Tante an den Vetter304
  • Dem Vetter wird angſt, und er antwortet der Tante309
  • Antwort der Tante309
  • Antwort des Vetters an die Tante310
Ant -Verzeichniß.
  • Antwort der Tante311
  • Umſtaͤndlicher Statuscauſaͤ des Großvaters an ſeine Tochter, daß der Enkel uͤber und uͤber ein Narr ſey312
  • Schreiben der Fraͤulein an die Tante315
  • Schreiben des Onkels der Fraͤulein, an den Großvater316
  • Schreiben des Großvaters an die Tochter, worinnen er geſteht, daß der Enkel ein ſo gar großer Narr doch nicht ſey, als er ge - glaubt haͤtte319
  • Schreiben des Großvaters an den Onkel der Fraͤulein, welches den Roman aufloͤſt320
  • Liebestractaten eines rechtſchaffnen, aber eigenſinnigen Freyers mit einem Frauen - zimmer326
  • Das Frauenzimmer fragt ihre Tante um Rath331
  • ingleichen ihren Onkel332
  • Antwort der Tante333
  • Antwort des Frauenzimmers an die Tante335
  • Antwort des Onkels an das Frauenzimmer336
  • Gutachten einer Freundinn des Frauenzim - mers338
** 5Der -Verzeichniß.
  • Dergleichen340
  • Dergleichen344
  • Noch dergleichen von einer andern Art346
  • Excitatorium des zaͤrtlichen, und eigenſin - nigen Liebhabers an das Frauenzimmer347
  • Entſchluß und Erklaͤrung des Frauenzim - mers an den Liebhaber348
  • Eigennuͤtzige Liebeserklaͤrung eines jungen Menſchen an eine alte Frau350
  • Zaͤrtlicher Liebesbrief einer alten Frau an einen jungen Menſchen353
  • Liebeserklaͤrung eines Menſchen, der zaͤrtlich liebt, aber nicht vernuͤnftig357
  • Antwort und freundſchaftlicher Korb358
  • Liebesflammen eines Pedanten362
  • Ehrendienſtwillige Antwort darauf364
  • Hanns liebt Grethen365
  • Grethe Hannſen366
  • Ein Buͤrger, der reich und vernuͤnftig iſt, wirbt um ein Fraͤulein368
  • Ein Fraͤulein, das arm und vernuͤnftig iſt, ſchlaͤgt es ihm ab371
  • Ein ſtrotzender Landjunker will ſeine Liebe an ein reiches Buͤrgermaͤdchen verkaufen377
EinVerzeichniß.
  • Ein einfaͤltiges Buͤrgermaͤdchen nimmt den Vorſchlag mit demuͤthigem Danke an381
  • Ein hochmuͤthiges Buͤrgermaͤdchen nimmt den Vorſchlag mit Verachtung an384
  • Ein vernuͤnftiges Buͤrgermaͤdchen verſichert den gnaͤdigen Junker, daß er ein Narr ſey390
  • Leben und Thaten eines ehrlichen Bankru - tirers, worinnen folgende Briefe ſind:
  • Der ehrliche Bankrutirer will ſo gnaͤdig ſeyn, und tauſend Thaler borgen392
  • Wird unterthaͤnig abgeſchlagen393
  • Conſilium medicum394
  • Recept394
  • Schreiben des Bankrutirers an den Advo - caten396
  • Antwort des Advocaten ſehr praktiſch einge - richtet397
  • Antwort des ehrlichen Bankrutirers an den boshaften Advocaten400
  • Schreiben des verjagten Bankrutirers an ſeinen Sekretair405
  • Ein Mahnbrief auf 2000 Thlr. 406
  • Freundliche Antwort darauf406
  • Mahnbrief auf 600 Thlr. fuͤr Waaren407
Troſt -Verzeichniß.
  • Troſtſchreiben darauf408
  • Mahnbrief wegen eines Wechſelbriefs von 2500 Thlr. 408
  • Fuͤr 2500 Thlr. Complimente409
  • Wehmuͤthiges Bittſchreiben einer verarmten Wittwe, wegen ſchuldiger 550 Thlr. 410
  • Eine ehrliche Antwort im Ernſte411
  • Bruͤderliche Drohungen eines Junkers an den ehrlichen Bankrutirer412
  • Antwort darauf ziemlich kurz, aber doch deutlich413
  • Trotziger Mahnbrief von Hanns Puff und Compagnie414
  • Freundſchaftliche Antwort darauf415
  • Schreiben des Sekretairs an ſeinen Princi - pal, den ehrlichen Bankrutirer, worinnen die ganze Verwirrung aufgeloͤſt wird416

Fehler, ſo in dieſem dritten Bande zu aͤndern ſind.

S. 10. Z. 18. von fuͤr vom. S. 18. Z. 8. 258. fuͤr 257. S. 20. Z. 11. 2100. fuͤr 2000. S. 59. Z. 5. Formalien fuͤr Formulare. S. 81. Z. 2. verlangen fuͤr erlangen. S. 122. Z. 19. Hodegetæ, fuͤr Hodogetæ. S. 139. Z. 9. Pagoden fuͤr Bago - den. und Z. 23. ζυδον fuͤr ξύδον. S. 191. Z. 25. ihm fuͤr ihn. S. 184. Z. 11. Jhre fuͤr Jhrer. S. 281. Z. 3. d aylhoudi - ſchen fuͤr alliotiſchen. S. 280. Z. 4. 1740. fuͤr 1750.

Saty -
[1]

Satyriſche Briefe.

A[2][3]

Die Klagen wegen der Kinderzucht ſind ſo alt, und ſo allgemein, daß ich nicht Willens bin, mich gar zu lange da - bey aufzuhalten. Diejenigen, welche Kinder haben, beſchweren ſich mit der groͤßten Bitterkeit, daß es ſo viele Muͤhe koſte, Jeman - den zu finden, der den Willen und das Geſchicke habe, die Kinder redlich zu unterweiſen, und ver - nuͤnftig anzufuͤhren. Eben ſo unzufrieden und misvergnuͤgt ſind auf der andern Seite diejeni - gen, welche ſich, unter dem Titel der Hofmeiſter und Jnformatoren, der Unterweiſung der Kinder in Familien unterziehen. Denn von dieſer Art der Kinderzucht rede ich itzt; die Fehler der oͤffentlichen Schulen verdienen eine beſondere Be - trachtung. Jch glaube, man hat auf beiden Seiten Urſache ſich zu beſchweren, und gemeinig - lich ſind beide Schuld daran.

Aeltern, welche die Pflichten der Aeltern nicht verſtehen, und wie viele verſtehen ſie nicht? Aeltern, welche in ihrer Jugend ſelbſt keine Er -A 2ziehung4Satyriſche Briefe. ziehung gehabt, und nicht verlangen, daß ihre Kinder vernuͤnftiger werden, als ſie ſind, die viel - mehr nur darauf ſehen, daß ſie mit einer ſorgfaͤl - tigen Erſparung alles Aufwands dieſelben heran ziehen moͤgen; ſolche Aeltern verdienen das Gluͤck kaum, einen geſchickten Mann in ihr Haus zu bekommen, welcher es getreuer und redlicher mit ihren Kindern meynt, als ſie es ſelbſt mit ihnen meynen.

Kinder, und beſonders Kinder, vornehmer Aeltern zu ziehen, iſt die wichtigſte, aber auch die ſchwerſte Arbeit, die man ſich vorſtellen kann. Wird ſich wohl ein Mann, der Gelehrſamkeit, Geſchmack, und gute Sitten beſitzet, ſo leicht entſchließen koͤnnen, ein Amt uͤber ſich zu nehmen, bey dem ſo wenig Vortheil, und oft noch weniger Ehre, allemal aber viel Verdruß und Arbeit iſt?

Ein Vater, welcher niemals gewohnt iſt, vernuͤnftig zu denken, iſt auch nicht im Stande, ſich vernuͤnftige Vorſtellungen von der Verbind - lichkeit zu machen, die er einem Manne ſchuldig iſt, der das ſchwere Amt der Erziehung mit ihm theilt. Er ſieht dieſen Mann als einen ſeiner Bedienten, und wenn er recht artig denkt, als den Vornehmſten ſeiner Bedienten an. Er wird ihm nicht mehr Achtung erweiſen, als er einem ſeiner Bedienten erweiſt; und kann er alsdann wohl verlangen, daß ſeine Kinder dieſen ihren Hof -5Satyriſche Briefe. Hofmeiſter mehr ehren ſollen? Wie viel ungluͤck - liche Folgen fließen aus dieſer einzigen Qvelle, wenn die Kinder ſich durch das Beyſpiel der Ael - tern berechtiget halten, denjenigen zu verachten, der ihr Fuͤhrer und Lehrer ſeyn ſoll!

Die Beſoldung, oder wie es in vielen vor - nehmen Haͤuſern genannt wird, der Lohn, den man dem Hofmeiſter giebt, iſt ſo kuͤmmerlich und geringe, daß ein rechtſchaffner Mann unmoͤglich Muth genug behalten kann, ſein ſklaviſches Amt mit dem Eifer und der Munterkeit zu verwalten, die bey dieſer Verrichtung ſo noͤthig ſind.

Und, damit der Hofmeiſter ſein Geld ja nicht mit Muͤßiggehen verdiene, ſo ſind viele ſo ſinn - reich, daß ſie von ihm alle Wiſſenſchaften, und uͤber die Wiſſenſchaften alle moͤgliche Handdienſte fordern, und es gern ſaͤhen, wenn er Hofmeiſter, und Peruͤkenmacher, und Hausvoigt, und Korn - ſchreiber zugleich waͤre.

Koͤnnen dergleichen unbillige Aeltern ſich es wohl befremden laſſen, wenn ihre Kinder ſchlecht, und niedertraͤchtig erzogen werden, da ſie mit demjenigen, der ſie erziehen ſoll, ſo niedertraͤchtig, und eigennuͤtzig verfahren?

Da ich dieſes ſage, ſo weis ich, daß ich alle diejenigen auf meiner Seite habe, denen in adli -A 3 chen6Satyriſche Briefe. chen Haͤuſern und andern Familien die Erziehung und Unterweiſung der Jugend anvertraut iſt. Sie werden ſo billig ſeyn und mir in demjenigen auch Beyfall geben, was ich itzt anfuͤhren will.

Sie geben den Aeltern eben ſo oft, und noch oͤfter, Gelegenheit, unzufrieden mit ihnen zu ſeyn.

Viele ſind verwegen genug, dieſes Amt auf ſich zu nehmen, und die anvertraute Jugend in Wiſſenſchaften, und guten Sitten zu unterweiſen, welche bey ihrer tiefen Unwiſſenheit, eine ſo ſchlech - te Auffuͤhrung haben, daß ſie ſelbſt noch verdien - ten, unter der Hand eines Zuchtmeiſters zu ſtehen. Die Sorgfalt, welche man wegen des aͤußerlichen Wohlſtandes auch in den kleinſten Umſtaͤnden beobachten muß, iſt ihnen auf niedern und hohen Schulen ſo gleichguͤltig, und wohl oft ſo laͤcher - lich geweſen, daß ſie es fuͤr brav gehalten haben, ungezogen zu ſeyn. Nun kommen ſie in ein Haus, wo rechtſchaffne Aeltern eben ſo ſorgfaͤltig verlan - gen, daß ihre Kinder wohlgeſittet erzogen, als daß ſie in Wiſſenſchaften unterrichtet werden moͤ - gen. Wie empfindlich muß es ihnen ſeyn, wenn ſie dieſem ſich ſelbſt gelaſſenen Hofmeiſter ihre Kinder zur Aufſicht anvertrauen ſollen, welche gar leicht, ihrer Jugend ungeachtet, das Unan - ſtaͤndige an ihrem Lehrer wahrnehmen muͤſſen, da ſie dergleichen weder bey ihren Aeltern, noch bey ihren Bedienten, zu ſehen gewohnt ſind. Die Be -7Satyriſche Briefe. Bedienten ſelbſt finden ihn laͤcherlich, und er wird es endlich dem ganzen Hauſe, da er ſich ſo wenig Muͤhe giebt, ſeine Fehler zu verbergen, oder zu aͤndern. Und dennoch wird eben dieſer ungeſittete Menſch die bitterſten Klagen fuͤhren, daß man ihm in dieſem Hauſe nicht mit der Achtung und Ehrerbietung begegne, die er im Namen ſeines Amtes fordert.

Es iſt ein Ungluͤck, daß gemeiniglich nur die - jenigen ſich dieſer Lebensart widmen, welchen die Armuth ihrer Aeltern, und ihre niedrige Geburt die Hoffnung benimmt, ihre Abſichten auf etwas hoͤheres als auf die Erlangung einer Dorfpfarre zu richten. Es geſchieht alsdann gar zu leicht, daß ihre Auffuͤhrung entweder zu ſchuͤchtern und kleinmuͤthig iſt, weil ſie gewohnt ſind, einſam und im Dunkeln zu leben; oder ſie iſt zu trotzig und zu ſtolz, weil ſie zu wenig Gelegenheit gehabt ha - ben, ſich und die Welt kennen zu lernen. Bey - des ſind Folgen, welche ihnen bey der Unterwei - ſung der Jugend nachtheilig ſind. Koͤmmt end - lich dieſes noch dazu, daß ihre Abſichten allzuei - gennuͤtzig ſind, daß ſie die Befoͤrdrung in ein Amt, ie eher ie lieber zu erlangen wuͤnſchen, es geſchehe auch wie es wolle: ſo wird ihnen die uͤbernommene Arbeit deſto verdruͤßlicher, und die geringſte Ver - zoͤgerung ihrer Hoffnung unertraͤglich fallen.

A 4Aber8Satyriſche Briefe.

Aber darum getraue ich mir noch nicht, zu behaupten, daß ein Menſch deswegen, weil er nicht von armen Aeltern, und nicht von niedriger Ge - burt herſtammt, weil er vielleicht hoͤhere Abſichten ſeines kuͤnftigen Gluͤcks hat, als eine mittelmaͤßige Befoͤrderung, weil er nicht einſam und im Dunkeln, ſondern vor den Augen der Welt erzogen worden, daß, ſage ich, ein ſolcher Menſch ſtets geſchickt ſey, die Jugend zu unterrichten, und vernuͤnftig zu erziehen. Nein, dieſes getraue ich mir nicht zu behaupten; die Erfahrung wuͤrde mir wider - ſprechen. Man bemerket es nur gar zu oft, daß diejenigen am meiſten ungeſittet ſind, welche die beſte Gelegenheit gehabt haben, wohl erzogen zu werden.

Jch kann mir kein lebhafter Vergnuͤgen vor - ſtellen, als wenn vernuͤnftige Aeltern, die keine Muͤhe und Koſten ſparen, ihren Kindern eine anſtaͤndige Erziehung zu verſchaffen, einen Mann finden, der bey einer geſitteten Auffuͤhrung ein redliches Herz und die Geſchicklichkeit beſitzt, ſeinem Amte vollkommen vorzuſtehen; wenn ſie die Fruͤchte ſeiner redlichen Bemuͤhungen von Zeit zu Zeit wahrnehmen; und wenn ſie alsdenn eine Gele - genheit erlangen, das Gluͤck dieſes rechtſchaffenen Mannes auf eine vortheilhafte Art zu befeſtigen.

Jch will hier mit einer Anmerkung ſchließen, die ich aus einem lateiniſchen Buche entlehne, undzwar9Satyriſche Briefe. zwar aus einem Buche, das viele von denen Her - ren nicht geleſen haben, welche doch glauben, daß ſie gelehrt, geſchickt, und beredt genug ſind, die Jugend, und kuͤnftig eine ganze Gemeine zu unterweiſen. Es faſſet dieſe Stelle ein unver - gleichliches Recept in ſich, wie man bey der Wah eines Jnformators, und Hofmeiſters verfahren ſoll. Wer Kinder hat, und dieſe Stelle, darum weil ſie lateiniſch iſt, nicht verſteht, der laſſe ſich ſolche von ſeinem Jnformator verdeutſchen, und gebe ihm dabey genau auf die Augen acht, ob er ſich im Geſichte verwandele. Jſt er gelehrt, und geſchickt, und wohlgeſittet: ſo wird er dieſe Stelle ſehr billig finden. Jſt er alles dieſes nicht, ſo wird er es ſehr uͤbel nehmen, daß man ihm die Erklaͤrung einer ſo pedantiſchen Aufgabe, die ſich auf unſere Zeiten gar nicht mehr ſchickt, zumuthen koͤnnen. Aber vielleicht verſteht er zu ſeiner innerlichen Beruhigung ſo viel Latein nicht, als noͤthig iſt, ſie deutſch zu erklaͤren. Hier iſt die ganze Stelle:

De pædagogis hoc amplius, ut aut ſint eruditi plane, quam primam eſſe curam ve - lim: aut, ſe non eſſe eruditos, ſciant. Nihil enim pejus eſt iis, qui paulum aliquid ultra primas literas progreſſi, falſam ſibi ſcientiæ perſuaſionem induerunt. Nam et cedere præ - cipiendi peritis indignantur et, velut jure quo - dam poteſtatis, quo fere hoc hominum ge -A 5nus10Satyriſche Briefe. nus intumeſcit, imperioſe atque interim ſæ - vientes, ſtultitiam ſuam perdocent. Nec minus error eorum nocet moribus. qvin - tilianvs.

Damit ich nicht das geringſte verabſaͤume, meinen Satz deutlich und begreiflich zu machen, ſo will ich ein paar Briefe einruͤcken, welche das - jenige naͤher beweiſen werden, was ich hier, viel - leicht ein wenig zu ernſthaft, voraus erinnert habe.

Hochzuehrender Herr Profeſſor,

Meine Jungen wachſen heran, und es iſt nun Zeit, daß ich ihnen einen geſcheiden Hofmei - ſter halte. Bisher habe ich den Schulmeiſter laſ - ſen zu ihnen gehen; aber er kann ſie nicht mehr baͤn - digen. Jch weiß, in welchem Anſehen Sie in Leipzig ſtehn, und daß Jhr Vorzimmer beſtaͤndig vom ſolchen krummgebuͤckten Creaturen voll iſt, welche Hofmeiſterſtellen, oder Jnformationes ſu - chen. Leſen Sie mir einen huͤbſchen geſunden Kerl aus. Sie wiſſen es ſelbſt, daß bey mir weder Menſchen noch Vieh Noth leiden. Fritze, der aͤl - teſte, iſt ein durchtriebner Schelm. Er hat einen offenen Kopf, und iſt auf die Maͤgde, wie ein klei - ner Teufel; ich darf es den Buben nicht merken laſ -ſen,11Satyriſche Briefe. ſen, daß ich ihn lieb habe; der leichtfertge Schelm! Er iſt noch nicht vierzehn Jahr alt, und hat in hu - manioris gar feine principio. Ferdinand, iſt meiner Frau ihr Junge. Er iſt immer kraͤnklich, und das geringſte Aergerniß kann ihm ſchaden. Das gute Kind will mit lauter Liebe gezogen ſeyn, und meine Frau hat ſchon zween Bediente wegge - jagt, die ihm unfreundlich begegnet haben. Das aͤlteſte Maͤdchen iſt zwoͤlf Jahre. Sie ſoll noch ein bißchen Catechiſſen lernen, und hernach will ich dem kleinen Nickel einen Mann geben, der mag ſehn wie er mit ihr zu Rechte koͤmmt. Mit dem kleinen Maͤdchen hat der Hofmeiſter gar nichts zu thun, die behaͤlt die Mamſell bey ſich. Sehn Sie nun, Herr Profeſſor, das iſt die Arbeit alle. Jch wer - de Jhnen ſehr verbunden ſeyn, wenn Sie mir einen huͤbſchen Menſchen vorſchlagen. Jch verlange wei - ter nichts von ihm, als daß er gut Latein verſteht, ſich in Waͤſche und Kleidung reinlich und ſauber haͤlt, Franzoͤſiſch und Jtaliaͤniſch ſprechen kann, eine ſchoͤne Hand ſchreibt, die Mathimatik verſteht, Verſe macht, ſo viel man fuͤrs Haus braucht, tan - zen, fechten und reuten kann, und wo moͤglich, ein wenig zeichnet. Jn der Hiſtorie muß er auch gut beſchlagen ſeyn, vor allen Dingen aber in der Wap - penkunſt. Jſt er ſchon auf Reiſen geweſen; deſto beſſer. Aber er muß ſich gefallen laſſen, bey mir auf meinem Gute zu bleiben, und ſich wenigſtens auf ſechs Jahre bey mir zu vermiethen. Dafuͤr ſoll er bey meinen Kindern auf der Stube freyeWohnung12Satyriſche Briefe. Wohnung haben, mit dem Cammerdiener eſſen, und jaͤhrlich 50 Gulden bekommen. Zum heili - gen Chriſte und zur Meſſe gebe ich nichts; derglei - chen Betteleyen kann ich nicht leiden. Sind die ſechs Jahre um, ſo kann er in Gottes Namen hinge - hen, wohin er will. Jch will ihn ſodann an ſei - nem Gluͤcke nicht hindern. Mich duͤnkt, die Vor - ſchlaͤge ſind ganz billig. Hat der Menſch Luſt zur Wirthſchaft, ſo kann er meinem Verwalter mit an die Hand gehen. Es wird ſein Schade nicht ſeyn, denn er weiß doch nicht, wozu ers einmal brau - chen kann. Jch werde fuͤr Jhre Bemuͤhung er - kenntlich ſeyn, und bin

Hochzuehrender Herr Profeſſor Jhr dienſtbereitwilligſter

Hoch -13Satyriſche Briefe.
Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr,

Ew. Excellenz gnaͤdigſt mir ertheiltem Befehle un - terthaͤnigſt nachzuleben, habe ich mir Muͤhe gegeben, alle diejenigen ſubjecta quovis modo zu ſondiren, von denen ich geglaubt, daß ſie der hohen Gnade nicht ganz unwuͤrdig waͤren, welche Ew. Hochwohlgebohrne Excellenz, als ein wahrer Maͤcenat, und Beſchuͤtzer der ſchoͤnen Kuͤn - ſte und Wiſſenſchaften, ſo großmuͤthig zu offeri - ren geruht haben. Es fehlt nicht an Leuten, wel - che conditiones ſuchen, aber es iſt zu beklagen, daß heut zu Tage junge Leute zu zeitig vornehm ſeyn, und ſich nicht gefallen laſſen wollen, durch einen kleinen Anfang den gewiſſen Grund zu ihrem groͤßern Gluͤcke zu legen. Die wenigen Wiſſen - ſchaften ſo ſie etwan beſitzen, machen ſie ſo ſtolz, daß ſie unverſchaͤmt genug ſind, fuͤr ihre kleinen Bemuͤ - hungen, die doch in weiter nichts beſtehen, als Kinder zu informiren, ſo viel zu fordern, daß man dafuͤr gar reichlich drey Bediente in Livrey halten koͤnnte. Jch habe einen jungen Menſch bey mir gehabt, welcher in der That alle diejenigen Faͤ -higkei -14Satyriſche Briefe. higkeiten beſitzt, ſo Ew. Excellenz bey einem Hofmei - ſter fuͤr Dero gnaͤdige junge Herrſchaft verlangen. Ueberdieſes iſt er von einem geſetzten Weſen, tu - gendhaft, und ſo gar, welches Ew. Excellenz nicht ungnaͤdig vermerken werden, fromm und chriſtlich. Es wird keiner, ſo wie dieſer, vermoͤgend ſeyn, Dero junge Herren zu wackern Maͤnnern fuͤrs Vaterland, und zur Ehre Dero hohen Hauſes zu erziehn. Aber was hilft das? Seine Forderun - gen ſind ungeheuer, und Ew. Excellenz ſind viel zu einſehend, als daß Sie wider die Gewohnheit Dero hoher Ahnherren ſo vieles Geld wegwerfen, und dennoch nichts weiter dadurch erlangen ſollten, als rechtſchaffene Kinder. Wollen Sich Dieſelben eine Luſt machen, ſo geruhen Sie gnaͤdig, deſſen eigenhaͤndigen Aufſatz ſeiner laͤcherlichen Præten - ſion in der copeylichen Anfuge ſub A. zu leſen. Mit einem Worte, ein ſo theurer Hofmeiſter iſt fuͤr Ew. Excellenz keine Sache. Es ſind noch einige andre bey mir geweſen, welche ſichs fuͤr eine große Gnade halten, als Hofmeiſter in Ew. Excel - lenz Dienſte zu treten. Sie verſtehn freylich das wenigſte von dem, was Dieſelben verlangen; und ich kann nicht laͤugnen, daß bey den meiſten die Auffuͤhrung nicht die beſte iſt. Jnzwiſchen kann ich ihnen doch nachruͤhmen, daß ſie Leute ſind, welche mit ſich handeln laſſen, und die Ew. Excellenz ge - wiß nicht uͤbertheuern werden. Mehrere Nach - richt davon, werden Sie in der Beylage ſub B. von ihnen finden. Ew. Excellenz gnaͤdigſten Dispoſitiondie -15Satyriſche Briefe. dieſerhalb bin in Unterthaͤnigkeit ich erwartend. Mein Rath hierbey waͤre, ſonder alles unziemende Maaßgeben, ich ließe dieſe Candidaten alle auf einmal zu mir kommen und ſie auf die Hofmeiſter - ſtelle licitiren. Demjenigen, welcher am wenig - ſten fuͤr ſeine Bemuͤhung haben wollte, koͤnnte ich ſodann gedachte Hofmeiſterſtelle zuſchlagen. Doch uͤberlaſſe alles zu Dero erleuchtem Ermeſſen ich ledig - lich, und verharre mit der tiefſten Devotion

Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr, Ew. Excellenz, unterthaͤnig gehorſamſter Diener

N. S. Wollten Ew. Excellenz die hohe Gna - de haben, und das Stipendium, ſo Dieſelben zu disponiren haben, meinem aͤlteſten Sohne gnaͤdig conferiren: ſo wuͤrde dieſes mit der groͤßten Un - terthaͤnigkeit ich Lebenslang veneriren.

A. En -16Satyriſche Briefe.

A.

Endesbenannter glaubt, daß er, ohne unbillig zu ſeyn, fuͤr die von Jhro Excellenz geforderten Bemuͤhungen und Dienſte als Hofmeiſter der jun - gen Herrſchaft jaͤhrlich folgendes verlangen koͤnne:

  • 1.) Fuͤr Aufſicht, Unterweiſung im Chriſtenthu - me, und in der Lateiniſchen Sprache uͤberhaupt50 Thlr.
  • 2.) Fuͤr die Franzoͤſiſche Jnformation monatlich zwey Thaler, thut auf dreyzehn Mo - nate 26 Thlr.
  • 3.) Dergleichen im Jtaliaͤ - niſchen, zwey Thaler 26 Thlr.
  • 4.) Als Schreibemeiſter, mo - natlich einen Thaler, zwoͤlf Groſchen 19 Thlr. 12 gl.
  • 5.) Fuͤr Lection im Rechnen, und in der Mathematik, mo - natlich drey Thaler 39 Thlr.
  • 6.) Mit den Verſen, bittet er, ihn gnaͤdig zu verſchonen.
7.) Als17Satyriſche Briefe.
  • 7.) Als Tanzmeiſter, monat - lich einen Thaler, und will da - fuͤr die Woche zwo Stunden geben. 13 Thlr.
  • 8.) Als Fechtmeiſter, taͤglich eine Stunde, zwey Thaler, zwoͤlf Groſchen. 32 Thlr. 12 gl.
  • 9.) Als Bereuter, auch taͤg - lich eine Stunde, vier Thaler. 52 Thlr.
  • und verſpricht er hierbey weder Accidentien zu fo - dern, noch ſonſt einigen Aufwand zu veranlaſſen.
  • 10.) Fuͤr die Anleitung in der Geſchichte, Wap - penkunſt und dergleichen, wird weiter nichts ver - langt, und gehoͤrt dieſes zum erſten Capitel.
  • 11.) Man hofft, die gnaͤdige Erlaubniß zu erhal - ten, mit der jungen Herrſchaft zu ſpeiſen, um Gele - genheit zu haben, derſelben auch einige Anweiſung in der Kunſt zu geben, wie ſie mit Anſtand eſſen ſolle, und ſich bey der Tafel vernuͤnftig aufzufuͤh - ren habe, welches vielen jungen Leuten fehlt.
  • 12.) Junker Ferdinand muß der Aufſicht und Zucht des Hofmeiſters lediglich uͤberlaſſen bleiben, ohne von der gnaͤdigen Frau geſchuͤtzt zu werden, welches man zu ſeinem eigenen Beſten wuͤnſcht.
B13.) Bey18Satyriſche Briefe.
  • 13.) Bey dieſer Arbeit wird keine Zeit uͤbrig bleiben, dem Verwalter an die Hand zu gehen, welches durch einen Kornſchreiber am beſten ver - richtet werden kann.
  • 14.) Nach Verlauf der ſechs Jahre hoffet man gnaͤdige Befoͤrderung.
  • Obige Koſten betragen zuſammen257. Thlr.

Es ſoll weder Treue noch Fleiß geſparet werden, die Pflicht eines Hofmeiſters, nach allem Vermoͤ - gen, redlich zu erfuͤllen.

Elias Pfaffendorff.

B.

Verzeichniß derer Candidaten, die ſich zur Hofmeiſterſtelle ange - geben haben.

  • 1.) N. N. Ein junger Menſch, 22. Jahre alt, hat ziemliche Studia. Jch habe ihn aber bey mir zu Tiſche gehabt, und gefunden, daß er zu viel ißt. Verlangt auſſer den zwey ordentlichen Mahlzeiten, annoch Fruͤhſtuͤck und Veſperbrod, und uͤber dieſes taͤglich drey Kannen Bier. Will 50. Thaler haben.
2.) N.19Satyriſche Briefe.
  • 2.) N. N. Artium Magiſter. 40 Jahre alt. Scheint ein geſetzter Menſch zu ſeyn. Hat ſchon ſeit 20. Jahren als Jnformator unter adli - chen Herrſchaften gedient, aber niemals laͤnger, als ein Jahr, an einem Orte aushalten koͤnnen. Mag ehedem in ſeinen Wiſſenſchaften nicht unrecht ge - weſen ſeyn, doch hat er in dieſen 20. Jahren alles wieder ausgeſchwitzt. Jnzwiſchen weiß er immer noch ſo viel, als Ew. Excellenz junge Herrſchaft zu lernen noͤthig hat. Bittet ſich uͤber die 50. Gulden freyes Bier und Taback aus, ſo viel er braucht. NB. Raucht nur Bremer.
  • 3.) N. N. 29. Jahre alt, friſch und geſund vom Koͤrper, der Gottesgelahrheit Befliſſener, predigt einen ziemlichen Baß, und beſitzet eine große Staͤrke in Poſtillen. Will mit 50. Gul - den zufrieden ſeyn, wenn er in 6. Jahren Subſti - tute werden kann.
  • 4.) N. N. hat zehn Jahre lang auf Univerſi - taͤten gelebt, aber noch nicht abſolvirt, da er im - mer das Ungluͤck gehabt, relegirt zu werden. Jch glaube, er wird in den 6. Jahren Zeit haben, nachzuholen, was er verſaͤumt hat. Er iſt ein luſtiger Kopf, und wird ſich fuͤr Junker Fritzen gut ſchicken. Bittet flehentlich um Verſorgung und Brod, da er ſich mit einem Naͤdermaͤdchen verſprochen hat. Er ficht.
B 25.) N.20Satyriſche Briefe.
  • 5.) N. N. 27. Jahre alt, iſt uͤberſichtig, re - det lateiniſch und griechiſch, kann aber kein Deutſch. Deſto beſſer ſchickt er ſich zu einem Jnformator in ein adliches Haus. Es iſt ewig zu bejammern, daß man itzt anfangen will, nicht allein von Ge - lehrten, ſondern auch von dem Adel zu verlangen, daß ſie die ſogenannten deutſchen witzigen Schrif - ten mit Geſchmack leſen, und Deutſch lernen ſol - len. Als wenn ein Deutſcher noͤthig haͤtte, Deutſch zu lernen. Quæ! qualis! quanta! Er verlangt c c I I c H. S. ſage 2000. Seſterzen, thut, nach unſerer Muͤnze, etwan ſiebenzig Thaler leich - te Geld.
  • 6.) N. Seines Handwerks ein Poet, ſchreibt einen fließenden Vers, alles in Reimen, und iſt ein Todfeind von den itzigen ſchweren ſtrotzenden Ge - dichten ohne Reime. Dem Himmel ſey Dank, daß es noch hin und wieder Leute giebt, die Ge - ſchmack haben! Auſſer der Mythologie, die er Trotz zehn andern verſteht, hat er nichts gelernt. Er hat itzt ein wichtiges Werk unter der Feder, da er alle Sonn - und Feſttagsepiſteln in Reime bringt, ohne ein Wort vom Grundtexte zu aͤndern, oder zu verſetzen. Wenn er damit fertig iſt, will er ſich ein wenig auf die Humaniora legen. Cor - deri Colloqvia exponirt er ziemlich. Jn Wuͤn - ſchen iſt er unerſchoͤpflich. Er erbietet ſich, ohne Beſoldung zu dienen, wenn ihm fuͤr eine jede Gra -tulation21Satyriſche Briefe. tulation von zweyhundert Verſen baar vier Gro - ſchen gegeben werden, wobey er es jaͤhrlich we - nigſtens auf 80 Thaler zu bringen gedenkt. Er verlangt alle Weihnachten ein abgeſetztes Kleid, es mag ſo alt ſeyn, als es wolle. Um ein paar ganze Hofen wollte ich Ew. Excellenz ſelbſt fuͤr den armen Schelm, ſtatt des Handgeldes, gebeten ha - ben. NB. Er iſt auch witzig, und ſatyriſch, man moͤchte ſich vor Lachen ausſchuͤtten. Ew. Excellenz koͤnnen tauſend Spaß mit ihm haben. Boͤſe wird er nicht leicht, man muͤßte denn ſeine Verſe tadeln.
  • 7.) Da Ew. Excellenz gar wohl bedaͤchtig zu ſagen pflegen, daß ein junger Edelmann, der nicht denkt, weit ertraͤglicher ſey, als einer, der keinen Haſen hetzen kann: ſo wollte ich Jhnen wohl N. N. vorſchlagen. Er hat wider ſeinen Willen ſtu - diren muͤſſen, weil es ſein Vormund ſchlechter - dings verlangt; er hat aber vor allen Wiſſenſchaf - ten ſo einen Abſcheu, und dagegen zu den Jagd - hunden eine ſolche Neigung, daß man ſeine Mut - ter, ſo des herrſchaftlichen Verwalters Frau gewe - ſen, nicht ohne Grund im Verdacht gehabt, daß ſie mit ihrem gnaͤdigen Herrn vertraut gelebt. We - nigſtens hat ſie ſich an ihm verſehen. Gelernt hat er alſo wenig oder nichts; aber er iſt ein ganzer Jaͤ - ger. Lerchennetze ſtrickt er als ein Meiſter, und in der ganzen Gegend iſt keiner, der den VogelheerdB 3ſo22Satyriſche Briefe. ſo geſchickt anrichten kann. Er will 50 Thaler, und alle Fuchsbaͤlge. Faͤngt auch Hamſter.
  • 8.) N. N. iſt kurz, unterſetzt, und im Durch - ſchnitte wenigſtens zwey und eine halbe Elle ſtark, welches er dem fetten Biere zu danken hat. Als er bey mir war, konnte ich nicht erfahren, ob er etwas gelernt hatte, weil er ein wenig taumelte, doch habe ich viele ſchoͤne teſtimonia von ihm ge - ſehen, die er von Schulen mit gebracht. Jch glaube, wenn er als Hofmeiſter nicht ſonderlich zu brauchen iſt, ſo wird er doch alsdann ſehr gut ſeyn, wenn Ew. Excellenz Gaͤſte haben. Denn ob er gleich nur ein ſchlechter Buͤrger iſt, ſo ſaͤuft er doch Trotz manchem Cavalier. Er iſt mit 50 Gulden zufrieden, wenn er einen Ducaten fuͤr ieden Rauſch bekoͤmmt, den er ſich trinkt, ſo oft er die hon - neurs vom Hauſe macht.
  • 9.) N. N. ein guter, ſtiller, ehrlicher Menſch. Jch habe ihn zwo Stunden bey mir gehabt, aber auf alle meine Fragen keine Antwort erhalten koͤnnen, als: O ja! Hochedler Patron! Jch glaube, daß er grundgelehrt iſt, weil er gar keine Condui - te hat. Ew. Excellenz werden mit ihm anfangen koͤnnen, was Sie wollen, und er wird ſich alles ge - fallen laſſen. Jch fragte, was er zur Beſoldung haben wollte; aber er buͤckte ſich ſehr tief, und ſag - te: Wie ſie befehlen, Hochedler Patron! NB. Traͤgt keine Manſchetten.
10.) N.23Satyriſche Briefe.
  • 10.) N. N. Ein ſuͤſſes artiges Herrchen. Jſt geputzt, wie eine Puppe, und denkt auch ſo. Hat vier Jahre in Leipzig ſtudirt, und in vier Jahren keinen Huth auf den Kopf gebracht. Hat ſich, wie er ſagt, vornehmlich nur auf galante Studien gelegt. Erbietet ſich, die junge Herrſchaft zu friſiren. Macht Dintenflecke aus der Waͤſche, bohnt Schraͤn - ke, und kann allerhand artige Figuren in Papier ausſchneiden. Als ich von ihm wiſſen wollte, wie viel er an Beſoldung verlangte, ſo machte er ein Ruͤckpas, und ſagte ganz klar: Siebenzig Thaler, zu dienen, Jhre Hochedlen! Er gefaͤllt meiner Frau.
  • 11.) Wenn Ew. Excellenz einen Menſchen haben wollen, der im Lateiniſchen, Franzoͤſiſchen, Jtalie - niſchen, und der Hiſtorie, im Tanzen, Reiten und Fechten, und in allen moͤglichen Wiſſenſchaften Un - terweiſung geben ſoll, ſo ſchlage ich Jhnen N. N. vor. Er verſteht zwar von allen dieſen nichts, er iſt aber meiner Schweſter Sohn, und koͤmmt alle Wochen wenigſtens zweymal zu mir, mich mit vieler Demuth ſeiner Devotion zu verſichern, um deswillen moͤchte ich ihm gern geholfen wiſſen. Jch habe ihn zeither, mit gutem Erfolge, jungen Leuten zur Privatinformation vorgeſchlagen, welche ſo bil - lig geweſen ſind, ihn monatlich, in Anſehung mei - ner, zu bezahlen, ohne ſeine Stunden abzuwarten. Er repetirt mit ihnen meine juriſtiſchen Collegia, ungeachtet er ein Theologus iſt. Achtzig Thaler Beſoldung duͤrften wohl nicht zu viel ſeyn, denn er iſt mein Vetter.
B 4Der24Satyriſche Briefe.

Der Schleifwege zum geiſtlichen Schafſtal - le ſind ſo viel, daß jemand dieſer Gegend ſehr kundig ſeyn muß, wenn er es unterneh - men will, ſie alle, oder doch nur die meiſten davon zu beſchreiben. Eines der ſicherſten und gewoͤhn - lichſten Mittel iſt dieſes, wenn ſich der Candidat durch das Kammermaͤdchen dem Herrn darſtellen laͤßt. Jch glaube nicht, daß jemand ſo aberglaͤu - biſch ſeyn und hierbey etwas bedenkliches finden wird. Wider das Recht der Natur laͤuft es we - nigſtens nicht, und die Kirchengeſchichte unſrer Zeit rechtfertigt den Gebrauch. Die Gelegenheit und der Raum verſtatten mir nicht, weitlaͤuftig zu ſeyn; auſſerdem wuͤrde ich mir Muͤhe geben, zu be - weiſen, daß die Vocation in der Hand eines ſol - chen Frauenzimmers einen doppelten Werth er - halte. Ein Mann, der Muth genug hat, dieſen Schritt zu wagen; den weder Exempel noch Ver - nunft abhalten koͤnnen, ſich mit einer Perſon auf ewig zu verbinden, welche zwar nicht allemal, doch ſehr oft, von einer problematiſchen Tugend iſt, und gewiß nicht vergeſſen wird, bey der ge - ringſten Gelegenheit ihm vorzuſagen, daß er durch ſie Schutz und Amt gefunden hat; ein ſolcher Mann ohne Gefuͤhle wird gewiß auch in ſeinem Amte ſtandhaft, und immer unempfindlich bleiben; und die groͤßten Verfolgungen, die uͤber ſein Amt er - gehn,25Satyriſche Briefe. gehn, werden ihn nicht niederbeugen, da er weit groͤßere in ſeinem Hauſe zu erdulden ge - wohnt iſt.

Dieſe Betrachtungen bewegen mich, jungen Leuten wohlmeynend zu rathen, daß ſie ſo bald, als es moͤglich iſt, dergleichen Bekanntſchaften ſuchen, um ſich ihrem Gluͤcke zu naͤhern. Jch will es beiden Theilen leicht machen, und fuͤr bei - de ein Formular liefern, wie man ſein Herz in der - gleichen Faͤllen ausſchuͤtten muͤſſe.

An ein Cammermaͤdchen.

Mademoiſelle,

Da ich weiß, wie viel Sie zu gewiſſen Stunden uͤber den gnaͤdigen Herrn vermoͤgen: ſo glau - be ich, daß ich mein Gluͤck in keine beſſern Haͤnde, als in die Jhrigen, empfehlen kann. Jch wuͤnſche mir, an die Stelle des vorigen Jnformators zu kommen; und dieſes durch Jhren Vorſpruch. Sie werden keine Urſache finden, es zu bereuen, da ich mir vorgeſetzt habe, die Hochachtung mit Jhnen zu theilen, welche ich ſonſt der gnaͤdigen Herrſchaft ganz ſchuldig bin, und da ich mich von meinem Vor - fahren wenigſtens dadurch unterſcheiden werde, daß ich weder zu muͤrriſch, noch zu pedantiſch bin,B 5Jhnen,26Satyriſche Briefe. Jhnen bey muͤſſigen Stunden auf vielerley Art zu ſagen, daß ich ſey.

Mademoiſelle, der Jhrige.

N. S. Jch bin Magiſter, drey Ellen drey Zoll lang, ſechs und zwanzig Jahre alt, ha - be, wie man mir ſagt, einen feinen Fuß, und bin ſehr geneigt, zu ſeiner Zeit in den Stand der heiligen Ehe zu treten.

Antwort.

Mein Herr Magiſter,

Jch habe mit ihm geredet, mit dem gnaͤdigen Herrn. Er ſagte, nein, gewiß nein, ich kanns Jhnen nicht ſagen, was er ſagte; erſt ſagte er gar nichts, aber hernach ich werde ganz roth, er kriegte mich beym Kinne, und ſagte, wie er immer ganz ſpashaft iſt: He! kleine Hure, willſt du dir den Jnformator ich kanns bey meiner Ehre nicht raus ſagen; er fragte mich, ob ich Sie kennte? Bey meiner Frau Muhme ha - be ich ihn geſtern geſehn, ſagte ich, und da ſagte ich weiter nichts. Mit einem Worte, mein Herr Magiſter, es iſt ſo gut, als richtig. Die gnaͤdige Frau moͤchte des Teufels werden; aber es hilft nichts. Der Vorreiter hat ihr des Schulmeiſters aͤlteſten Sohn vorgeſchlagen, und ſie hat es auchdem27Satyriſche Briefe. dem Vorreiter verſprochen. Nein, da wird nichts draus. Herr Jemine! das fehlte uns noch, ſo einen rothkoͤpfichten Jnformator! den ſollten wir noch ins Haus kriegen? Machen Sie ſich immer fertig. So bald der gnaͤdige Herr wieder einen Anfall von der Kolike kriegt, will ich ihn noch ein - mal daran erinnern. Er iſt ein gar zu lieber Herr! Wenn Sie zu uns kommen, das will ich Jhnen nur ſagen, daß Sie Sich aus der gnaͤdigen Frau gar nichts zu machen haben. Sie hat noch ein Menſche bey ſich, das Maulaffengeſichte moͤchte auch gern Cammermaͤdchen heißen. Der vorige Jnformator ſagte immer, ſie haͤtte ſchoͤne weiße Zaͤhne; ich denke der Balg wird ihm wohl nach - ziehn, wenn er weg iſt. Aber, ich weiß nun nicht, was ſie thun wird, wenn ſie nun, ich ſetze nun den Fall, ſie bliebe noch da, da nehmen Sie Sich ja vor ihr in Acht, es iſt ein boͤſes gefaͤhrliches Thier, ſie hat ein meſchantes Maul. Gott bewahre einen jeden Chriſten vor ihr; der Nickel! Nun, wie ge - ſagt, machen Sie immer ihre Sachen fertig, daß Sie auf Weihnachten anziehen koͤnnen. Jch bin Jhre Dienerinn

N. S. Wie Gott will! Jch bin immer noch ein und zwanzig Jahre alt. Unſer alter Pfar - rer wird doch nicht ewig leben. Koͤmmt Zeit, koͤmmt Rath. Jhre Dienerinn. Fuͤr das ſchoͤne Band danke ich; es iſt auch ein gar zu niedliches Baͤndchen. Leipzig bleibt wohl Leipzig.

Adjeu.

Wem28Satyriſche Briefe.

Wem etwa dieſe Art, ſeine Abſichten zu erklaͤren, zu dreiſt, und nicht fein genug vorkoͤmmt, den will ich durch den klei - nen Roman befriedigen, welcher in den nachſte - henden ſechs Briefen erzaͤhlt wird. Hat jemand von meinen Leſern Zeit und Luſt, ſich ſelbſt im Briefſchreiben zu uͤben, der wird wohl thun, wenn er den zweyten Theil dazu verfertigt, und die Neubegierde ſeiner Freunde befriediget, welche vielleicht gern moͤchten wiſſen wollen, ob der Can - didat die Pfarre wirklich angenommen; ob ſeine, und der jungen Wittwe Wuͤnſche erfuͤllt wor - den; und ob der Kirchenpatron noch oft noͤthig gehabt, ſie uͤber ihren ſeligen Mann zu troͤſten.

Schreiben einer Prieſterwittwe an den Candidaten.

Hochgeehrter Herr Magiſter,

Es hat der gnaͤdige Herr mir befohlen, Jhnen innliegenden Brief zu uͤberſenden. Er betrifft Jhre Befoͤrderung an die Stelle meines ſeligen Mannes. Sollte die Sache zur Richtigkeit kom - men, ſo wuͤnſche ich Jhnen im voraus Gluͤck, und beſonders dieſes, daß Sie des Amts laͤnger genies - ſen moͤgen, als mein ſeeliger Herr, welcher es nurvier29Satyriſche Briefe. vier Jahre lang verwaltet hat, und deſſen Tod mir deſto ſchmerzhafter faͤllt, da er mich nach einem drey - jaͤhrigen Eheſtande, in meinem zwey und zwanzig - ſten Jahre als eine ungluͤckliche Wittwe verlaſſen hat. Das Amt iſt ſehr muͤhſam wegen der ſtar - ken Wirthſchaft, die damit verknuͤpft iſt, und die ohne großen Schaden nicht verpachtet werden kann. Das Jnventarium betraͤgt wenigſtens ſiebenhun - dert Thaler, und mein ſeliger Herr wuͤrde ſich da - durch unfehlbar ruinirt haben, wenn er nicht mit einem Theile meines Vermoͤgens ſolches beſtreiten, und die Wittwe des Vorfahren befriedigen koͤnnen, welche ſolches allemal auf einem Brete ausgezahlt bekommen muß. Sollten Sie veranlaßt werden, eine Gaſtpredigt zu thun: ſo ſteht Jhnen mein Haus und Tiſch zu Dienſten, wenn es Jhnen gefiele, bey mir abzutreten. Faͤnden ſich noch einige Schwierigkeiten wegen Jhrer Befoͤrderung: ſo haben Sie das Vertrauen zu mir, daß ich Jhnen nach Vermoͤgen, und vielleicht mit gutem Erfolge dienen werde, da ich ſeit vielen Jahren mich der Gnade unſers Kirchenpatrons ruͤhmen kann. Jch erwarte baldige Antwort, und bin

Meines Hochgeehrten Herrn ehrendienſtwillige, N. Witwe.

N. S.30Satyriſche Briefe.

N. S. Jch habe von meinem ſeligen Herrn, troͤ - ſte ihn Gott, ein einziges Kind, und das ar - me Wuͤrmchen iſt immer kraͤnklich, daß es wohl nicht lange leben duͤrfte. Was fuͤr Herz - leid muß ich nicht bey allen meinem Gelde als eine ungluͤckliche Wittwe im zwey und zwanzigſten Jahre erleben! Antworten Sie ja bald.

Mein Herr,

Der Herr Stifftsrath hat mir ſo viel gutes von Jhnen zu ruͤhmen gewußt, daß ich glaube, kei - ne beſſere Wahl treffen zu koͤnnen, als wenn ich Jh - nen die durch den Tod meines Pfarrers erledigte Stelle anbiete. Das Amt iſt eines der austraͤg - lichſten; doch muß ich Jhnen auch dieſes ſagen, daß die meiſten Einkuͤnfte in der Wirthſchaft beſtehen. Es wird noͤthig ſeyn, daß Sie wenigſtens tauſend Thaler in Haͤnden haben, um das Jnventarium anzuſchaffen. Koͤnnten Sie Sich mit der Wittwe verſtehn, daß ſie Jhnen das gegenwaͤrtige Jnven - tarium fuͤr ein billiges uͤberließe: ſo waͤren einige hundert Thaler zu erſparen. Sie iſt ein billiges Weib, und ich habe ſie allemal als eine gute Frau gefunden. Noch eins will ich Jhnen rathen. Wenn die Sache zur Richtigkeit koͤmmt, ſo ſehn Sie Sich nach einer guten Wirthinn um, welche auf dem Lan - de erzogen iſt, und die Haushaltung, beſonders diehieſige31Satyriſche Briefe. hieſige Landesart, wohl verſteht, denn darauf koͤmmt viel an, ſonſt ſind ſie gleich im erſten Jahre ruinirt. Jch uͤberlaſſe alles Jhrer Einſicht, denn ich bin kei - ner von denen, welche die Vocationes mit ſolchen Bedingungen uͤbergeben, die eigennuͤtzig ſind, oder dem Candidaten zur Laſt fallen koͤnnen. Melden Sie mir Jhre Entſchließung, und ob Sie eine Gaſtpre - digt thun koͤnnen. Da ich als Officier wenig auf meinem Guthe, und unverheirathet bin, auch keine eigene Wirthſchaft habe, und auf dem Schloſſe bauen laſſe: ſo will ich Ordre ſtellen, daß Sie in der Pfar - re abtreten koͤnnen, wenn Sie die Gaſtpredigt thun. Die Wittwe wird Jhnen alle Hoͤflichkeit erweiſen. Schreiben Sie mir, ſo bald Sie koͤnnen. Mein Reitknecht ſoll die Antwort bey der Wittwe ab - holen.

Leben Sie wohl!

N. S. Sie ſind doch nicht ſchon mit einem Maͤd - chen verſprochen?

Gnaͤdiger Herr,

Da ich groͤßten Theils nur um deswillen Theolo - gie ſtudirt habe, um bald ein Amt, und eine Frau zu bekommen: ſo ſehe ich das Anerbieten Ew. Gnaden, die Austraͤglichkeit des Amts, eine junge Wittwe, mit einem einzigen, und noch dar - zu kraͤnklichen Kinde, ihr Vermoͤgen, und eine ganz eingerichtete Wirthſchaft, billig als einen goͤttlichenBeruf32Satyriſche Briefe. Beruf an. Geſchieht es mit Dero gnaͤdigen Er - laubniß, ſo will ich auf kuͤnftigen Sonntag die Gaſtpredigt thun, und ſodann weitern Befehl von Jhnen erwarten. Jch werde mich bey meinem Amte ſo bezeigen, daß Ew. Gnaden mit der ge - troffenen Wahl zufrieden ſeyn ſollen; zu Dero gnaͤdigen Protection empfehle mich gehorſamſt, und bin ꝛc. ꝛc.

Hochgeehrte Frau.

Jch habe nicht einen Augenblick noͤthig gehabt, mich uͤber das mir angetragene Amt zu beſin - nen. Jch folge dem mir gegebenen Winke mit Freuden, und verlaſſe mich auf Dero Vorſpruch bey dem gnaͤdigen Herrn. Da ich auf dieſe Art Jhnen lediglich mein ganzes Gluͤck zu danken ha - be: ſo werde ich mich weiter Jhres wohlgemeyn - ten Raths bedienen; und weil ich mich wegen der ſtarken Wirthſchaft, nothwendig bald verheira - then muß: ſo werde ich keine Frau, als von Jhrer Hand annehmen. Jch weiß, daß Sie bey Jhrer guten Einſicht nach meinem Wunſche waͤhlen, und mich auch auf dieſe Art gluͤcklich machen werden. Kuͤnftigen Sonntag, ſo Gott will, ein mehrers. Jch werde alsdann meine Gaſtpredigt thun, und Gelegenheit haben, Jhnen ausfuͤhrlicher die Ver - ſicherung zu thun, daß ich mit wahrer Hochach - tung ſey ꝛc. ꝛc.

Gnaͤdi -33Satyriſche Briefe.
Gnaͤdiger Herr,

Ew. Hochwohlgebohrnen Gnaden uͤberſende durch den alten Hanns die Antwort des Herrn Ma - giſters, welche, wie ich aus dem Briefe an mich urtheile, nach Wunſche lauten wird. Jch erkenne mit demuͤthigem Danke die Gnade, welche Sie bey dieſer Gelegenheit auf eine ſo vorſichtige Art gegen mich hegen. Nehmen Sie Sich einer ar - men verlaſſenen Wittwe ferner an, und ſeyn Sie verſichert, daß ich nach meinem wenigen Vermoͤ - gen nicht unerkenntlich ſeyn werde. Jch glaube ſeit ſechs Jahren einiges Recht auf Jhre gnaͤdige Vorſorge erlangt zu haben, und alles, was ich wuͤn - ſche, iſt dieſes, daß ich ferner auf Jhrem Gute blei - ben, und ſo oft als moͤglich Sie muͤndlich uͤberzeu - gen koͤnne, daß ich unveraͤndert ſey,

Gnaͤdiger Herr, Dero demuͤthige Dienerinn

CKleiner34Satyriſche Briefe.
Kleiner Narr,

Thuſt du doch ſo demuͤthig und erbar, als wenn wir einander erſt geſtern haͤtten kennen lernen. Verlaß dich auf mich! Habe ich dich das erſtemal mit Ehren unter die Haube gebracht: ſo will ich dich auch itzt gewiß mit Ehren unter der Haube er - halten. Dein neuer Herr Candidat iſt verflucht hitzig. Wer Teufel hat ihn ſo kirre gemacht? Jch glaube, wenn es nach ihm gienge: ſo machte er mit dir Hochzeit, ehe er noch die Gaſtpredigt thaͤte. Er wird auf den Sonnabend anmarſchirt kommen. Neige dich fein tief, und werde huͤbſch roth, wenn er dir einen demuͤthigen Buckel macht. Aber, das rathe ich dir, Hanchen, gieb ja wohl auf deine ſchelmiſchen Augen acht. Dein ſchwarzer Ritter, ſo hitzig er iſt, ſcheint mir kein ſolcher ehrfurchtsvol - ler Pinſel zu ſeyn, wie der ſelige gute Mann, dem ich wohl haͤtte ein laͤngeres Leben wuͤnſchen wollen. Laß es gut ſeyn, wir wollen ihn ſchon dreſſiren, wenn wir ihn nur einmal da haben, wo wir ihn haben wollen. Stell dich ja recht zuͤchtig und fromm; wenn er dein Mann iſt, kannſt du ſchon wieder ein - bringen, was du itzt verſaͤumſt. Fromme Witt - wen, boͤſe Weiber! Nicht wahr? Kann ich Urlaub erhalten, ſo komme ich auf den Sonntag fruͤh ſelbſt. Da mußt du recht erſchrecken, wenn ich komme. Je! Gnaͤ -35Satyriſche Briefe. Gnaͤdiger Herr, mußt du rufen, und dich tief tief buͤcken. Thu nur, als wenn du mir die Hand kuͤſſen wollteſt. Jch werde kein Narr ſeyn, und es zulaſſen. Bedaure, daß du nicht im Stande waͤreſt daß du dir die hohe Gnade nicht verſehen haͤtteſt daß du, da ich dir das erſtemal die Gnade meines Zuſpruchs goͤnnete, ſo wenig geſchickt daß du bey deinen betruͤbten Umſtaͤnden (ge - ſchwinde fahre nach dem Schnupftuche, und reibe dir die Augen) daß dein ſeliger Mann (im - mer beſſer geweint) daß du als eine ungluͤckliche verlaſſene Wittwe Siehſt du, ſo mußt du recht beſtuͤrzt reden, immer von vorne anfangen, und nichts ausreden. Jch will dir zu rechter Zeit in die Rede fallen. Meine liebe Frau Magi - ſtrinn (will ich mit einem huldreichen Tone auf dich herab reden) faſſen Sie Sich, es iſt Gottes Wille, und Sie ſind eine zu gute Chriſtinn, als daß Sie unter Jhrem Kreuze murren ſollten. Tragen Sie es, als eine vernuͤnftige Frau, in Geduld. Der Himmel, der Sie auf eine ſo ſchmerzliche Art betruͤbt hat, wird Sie vielleicht auf andere Art wieder erfreuen. Sie ſind dieſe fromme Gelaſſenheit ſich ſelbſt, und ihrem ar - men Kinde ſchuldig. Sind Sie bey Jhren gluͤcklichen Umſtaͤnden andern, als eine vernuͤnf - tige Frau, ein Exempel geweſen: ſo ſeyn Sie es auch itzt bey ihrem Ungluͤcke. Verſichern Sie Sich meiner Dienſtbereitwilligkeit auf alle moͤgliche Art. Der Herr Candidat ſcheint mir ein ver -C 2nuͤnftiger36Satyriſche Briefe. nuͤnftiger Mann zu ſeyn, der gewiß keiner armen Wittwe Unrecht thun wird. Jch werde Jhnen die Freundſchaft, die ich gegen Jhren ſeligen rechtſchaffenen Mann gehabt, (geſchwind wieder ein bißchen geweint) gewiß niemals entziehn. Jhre Tugend und ihr Ungluͤck verdienen meine ganze Vorſorge. Nun fahre mir hurtig nach der Hand, oder nach der Weſte, was du am er - ſten kriegen kannſt. Jch werde mich vornehm zu - ruͤck ziehen, und dir die Hand vaͤterlich druͤcken. Siehſt du Hannchen, das iſt ungefaͤhr der Text zu unſrer Comoͤdie. Spiele deine Rolle ja gut. Jch ſtehe dir fuͤr das uͤbrige. Je kluͤger dein kuͤnftiger Mann iſt, ie lieber wollen wir ihn betruͤgen. Der vorige war, unter uns geredt, ein wenig gar zu dumm. Der Verwalter ſoll dir Fiſche und Wildpret geben, ſo viel du brauchſt. Du weißt doch, daß auf dem Schloſſe gebaut wird, und kein Zimmer fuͤr mich zu rechte gemacht iſt. Weißt du das nicht? Jm Ernſte nicht? Freylich wird gebaut. Jch werde den Abend in der Pfar - re bleiben muͤſſen. Der Herr Candidat mag oben im Studirſtuͤbchen ſchlafen. Jch will mein Plaͤtzchen ſchon finden. Verſtehſt du mich? Nun fuͤhre dich fein ſchlau auf. Es wird ſchon gehn.

Lebe wohl. Es bleibt beym alten.

N. S. Zerreiß den Brief ja, der Teufel moͤchte ſein Spiel damit haben.

Ein37Satyriſche Briefe.

Ein ſehr wichtiger Beweis von der Groͤße und Staͤrke unſrer Religion iſt gewiß dieſer, daß ſie auch an denenjenigen Or - ten gewaltig und fruchtbar iſt, wo die geiſtlichen Aemter zu ihrer Schande durch die Vorſorge ſol - cher Maͤnner beſetzt werden, welche kaum unver - nuͤnftiger ſeyn koͤnnten, als ſie ſind, wenn ſie auch gar keine Religion haͤtten.

Jch habe ſchon ſonſt Gelegenheit gehabt, mei - ne Gedanken davon bekannt zu machen*Siehe Antons Panßa von Mancha Abhandlung von dem Spruͤchworte: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand, in der Sammlung vermiſchter Schriften zum Vergnuͤgen des Verſtandes und Witzes. II Th. 33 S.. Da - mit das Unſinnige deſto beſſer in die Augen falle, welches diejenigen begehn, die auf eine ſo unvor - ſichtige Art das wichtige Recht misbrauchen, welches die Obrigkeit ihren vernuͤnftigern Vor - fahren gegoͤnnt hat; und damit das Unanſtaͤn - dige denen deſto mehr in die Augen falle, welche, ungeachtet ihrer ungeſitteten Lebensart und poͤ - belhaften Unwiſſenheit, unverſchaͤmt gnug ſind, die ewigen Wahrheiten eine Gemeine zu leh - ren, die ihnen nicht einmal ihr Vieh zu huͤ - ten anvertrauen wuͤrde: ſo habe ich die Zuͤ - ge in nachſtehenden beiden Briefen ziemlich ſtark und deutlich gemacht, und von einem ieden dergleichen Charaktere einen Strich entlehnt, umC 3meine38Satyriſche Briefe. meine Copey recht verabſcheuungswuͤrdig zu ma - chen. Sie werden darum nicht unwahrſchein - lich; ich glaube, daß faſt in einer jeden Dioͤces wenigſtens ein Original ſeyn wird.

Jch habe dieſen Eingang etwas ernſthaft abfaſſen muͤſſen, weil ich hier mit einer Art Le - ſer zu thun bekomme, unter denen verſchiedene ſind, welche nebſt vielen andern Sachen, die ſie nicht verſtehn, auch dieſes nicht wiſſen, was die Eigenſchaft der Satyre und Jronie erfodere, und daher ſchon oͤfters auf den ungluͤcklichen Einfall gekommen ſind, mich in ihrem kleinen unwiſſenden Herzen, und wohl oͤffentlich, zu ver - ketzern, wenn ich von dem Thoͤrichten ihres Standes, und von den unbilligen Abſichten ih - rer Befoͤrderer, in der lachenden Sprache der Satyre geredet habe, um diejenigen deſto ver - ehrungswuͤrdiger zu machen, welche eine wahre Zierde ihres Amts, und alſo ganz anders ſind, als ſie.

Lieber Herr Bruder.

Es iſt mir recht lieb, daß dein Alter ſich abge - fuͤhrt hat. Das verdammte Schmaͤlen hatte kein Ende. Jch weiß nicht, ob die Leute ſich ein - bilden, daß wir ihnen darum Amt und Brodt ge - ben, daß ſie uns alle Sonntage die bitterſten Wahrheiten vorpredigen, und uns dem Teufel in den Rachen ſchieben ſollen. Fuͤr die Bauern iſtdas39Satyriſche Briefe. das gut genug, und wenn ich ein Bauer waͤre, ſo lebte ich vielleicht auch fromm, weil ich ſonſt nichts zu thun haͤtte; aber fuͤr Maͤnner vom Stande, und fuͤr uns, die wir alte Landedelleute ſind, ſieht das andaͤchtige Kopfhaͤngen ſehr albern aus. Waͤ - re es nach deinem alten Murrkopfe gegangen, ſo wuͤrdeſt du ein erbarer, frommer, chriſtlicher Buͤr - ger, und dem ganzen Adel laͤcherlich geworden ſeyn. Was meynſt du, Bruͤderchen, was iſt ruͤhmlicher, uͤber der Poſtille, oder beym Deckelglaſe einzu - ſchlafen? Laß die Pfaffen fuͤr uns beten, wir wol - len fuͤr ſie ſaufen. Jeder nach ſeinem Berufe! Aber auf dieſe Art fahrt ihr dahin, wie das Vieh, ſagte dein Alter. Gut! Wer weiß denn auch, obs wahr iſt. Fahren wir, wie unſere Alten, ſo wol - len wir auch leben, wie unſere Alten. Es waren doch beym Henker ganze Leute, die auf ihren alten Adel hielten. Laͤndlich, ſittlich! Ein rechtſchaff - ner Deutſcher muͤßte ſein Vaterland wenig lieben, wenn er deswegen nach Frankreich reiſen wollte, daß er Waſſer trinken lernte. Aber zum Haupt - werke zu kommen. Du brauchſt einen neuen Pfar - rer. Jch will dir einen vorſchlagen, das iſt ein gan - zer Kerl. Er iſt zehn Jahre als Feldprediger bey mei - nem Regimente mit herum gelaufen, und er iſt recht, wie ich mir ihn wuͤnſche. Er hat an mich geſchrieben, und gebeten, dir ihn vorzuſchlagen. Da, lies den Brief ſelbſt. Jch verliere ihn un - gern. Der iſt recht nach deinem Herzen. Und wenn du gar nicht in die Kirche kaͤmſt, ſo wird erC 4nicht40Satyriſche Briefe. nicht mukſen. Gieb ihm alle Wochen ein paar - mal zu freſſen, ſo iſt er zahm, wie ein Lamm. Du wirſt deine Freude mit ihm haben. Er ſaͤuft dich und deine hochadlichen Gaͤſte alle unter den Tiſch, und wenn er die ſchwarze Kutte ausgezogen hat, ſo flucht er, wie ein Corporal. Nimm ihn, Bruͤ - derchen, ich rathe dirs, es wird dich nicht gereuen. Gelernt hat er nichts; aber er predigt dir, der Henker hole mich, ſeinen Stiefel weg, daß es eine Art hat; und der Heuchler ſteht ſo fromm da, als wenn er von der Kanzel gen Himmel fahren wollte. Meine Cathrine konnte ihn recht gut lei - den. Jch glaube gar, der Ketzer gieng mir manch - mal ins Gehege! Nun Bruͤderchen, wie geſagt, nimm ihn. Seinethalben magſt du leben, wie du willſt. Und wenn du heute zum Teufel faͤhrſt, ſo faͤhrt er morgen nach. Es iſt ein braver Kerl. Gruͤße mir deine Menſcher.

Lebe wohl.

Gnaͤdiger Herr Obriſter,

Es iſt beym Herrn von eine austraͤgliche Pfarre offen, und ich moͤchte ſie gern haben. Kathrinchen ſagte, Sie waͤren ein guter Freund von ihm, und koͤnnten mir leicht dazu helfen. Jch bin das wilde Leben uͤberdruͤßig, und moͤchte gern einmal meinen eignen Heerd, und meine eigne Frau haben. Haben Sie die Gnade, und ſorgen Sie fuͤr mich. Jch habe gehoͤrt, daß der alte Pfarrer mit ſeinem Patrone in großer Feindſchaftgelebt41Satyriſche Briefe. gelebt hat; aber die Schuld war ſeine. Jch ge - traue mir beſſer mit ihm auszukommen. Jch ken - ne die Herren ſchon. Wenn er mir giebt, was mir gehoͤrt, ſo mag er leben, wie er will. Mit Schmaͤ - len und Predigen, halten Sie mirs zur Gnade, macht man euch Herren nicht froͤmmer. Sie ſind zu vornehm, als daß Sie uns zu Gefallen fromm und chriſtlich leben ſollten. Und, unter uns geſpro - chen, aus dem beſtaͤndigen Poltern koͤmmt auch nicht viel heraus. Mit den Jahren aͤndert ſichs ſo wohl. Es iſt ſchlimm gnug, wenn die Herren einmal bey Hofe ſind, und ein paar Wochen er - bar thun muͤſſen: ſollen wir ihnen auch das Leben noch ſauer machen, wenn ſie ſich beym Regimente oder auf ihren Guͤtern aufhalten? Jch kenne die Welt beſſer. Saufen und Huren iſt bey Herren von Jhrer Art und Erziehung außer den Ahnen immer noch das einzige, womit ſie ſich von uns buͤrgerlichem Poͤbel unterſcheiden. Halten Sie mir dieſen Scherz zur Gnade; ich rede, wie ichs meyne. Sie kennen mich ſchon. Mit einem Worte, gnaͤdi - ger Herr Obriſter, ſchaffen Sie mir die Pfarre, oder ich trinke nicht ein Glas Wein mehr mit Jhnen. Jn dieſer Hoffnung verharre ich mit aller Hochachtung,

Gnaͤdiger Herr Obriſter, Dero zum Gebethe und unterthaͤnig zu dienen ſtets willigſter N. Feldprediger.

C 5Jch42Satyriſche Briefe.

Jch bin uͤberzeugt, daß dem gemeinen Vol - ke, und beſonders dem Landvolke, ein ge - ſchickter und fleißiger Schulmeiſter faſt noch unentbehrlicher ſey, als ein gelehrter, und beredter Prediger. Und dennoch iſt man an vielen Orten bey der Beſetzung dieſes Amts bey - nahe noch leichtſinniger, und noch weniger beſorgt, als bey den andern geiſtlichen Aemtern. Jch will mich nicht dabey aufhalten. Jch will mei - nen Schulmeiſter reden laſſen. Noch zur Zeit iſt er nicht befoͤrdert; ich weiß aber ein gewiſſes Ritterguth, wo ich ihn in Vorſchlag bringen will, und ich hoffe gewiß, er wird ſein Gluͤck daſelbſt machen.

Hochwuͤrdiger, Hochgelahrter Herr, Gnaͤdiger Herr Lieutenant,

Unſer Schaͤfer hat mir erzaͤhlt, daß ihr Schul - meiſter in voriger Woche geſtorben iſt, und daß Sie bemuͤht ſind, dieſe Stelle, ſo bald moͤglich, wieder zu beſetzen. Da ich in vorigem Jahre den Lerchenſtrich von Ew. Gnaden gepachtet, und zwey Gulden mehr gegeben habe, als mein Vorfahr: ſo nehme ich mir die Freyheit, Ew. Excellenz dienſt - freundlichſt zu bitten, Sie wollen die hohe Gnade haben und mich zu Jhrem allerunterthaͤnigſten Schulmeiſter machen. Meine Stimme iſt gut,und43Satyriſche Briefe. und ich getraue mir, die groͤßte Kirche zu fuͤllen. Die Orgel ſchlage ich friſch, und in Fugen bin ich ſtark. Jch habe das Ungluͤck gehabt, dreymal ab - geſetzt zu werden; aber meine Feinde ſind Schuld dran, und vielleicht waͤre es das letztemal auch nicht geſchehen, wenn ich dem Superintendenten zu rechter Zeit einen gemaͤſteten Truthahn geſchickt haͤtte. Das erſtemal kam es uͤber des Schulzens Frau her. Der Corporal gab mich an; aber er mochte wohl ſeine Urſachen haben. Es giebt boͤſe Leute, die alles zu Bolzen drehn, und ich war noch nicht verheirathet. Das zweytemal war mein eigener Pfarrer Schuld dran. Jch wei - gerte mich, ihm den Prieſterrock aufs Filial nach - zutragen; und deswegen machte er dem Kirchen - patrone weiß, ich ſey alle Tage im Brandtweine beſoffen. Der Himmel iſt mein Zeuge, daß es alle Wochen nur ein paarmal geſchahe, und noch dazu war es im damaligen Winter grimmig kalt. Das drittemal war ich vollends gar unſchuldig. Es fiel dem Superintendenten ein, daß ich in ſei - ner Gegenwart catechiſiren mußte. Freylich gieng es nicht recht, wie es ſeyn ſollte, und meine Jun - gen wußten mehr, als ich ſie fragen konnte; aber der Catechismus iſt auch niemals mein Hauptſtu - dium geweſen, weil ich mich von Jugend an, aufs Vogelſtellen gelegt habe. Soll man deswegen ei - nen ehrlichen Mann abſetzen, wenn er das nicht verſteht, was zu ſeinem Amte gehoͤrt? Wie viel Pfarrer und Superintendenten wuͤrden ohne Amtherum44Satyriſche Briefe. herum laufen, wenn das eingefuͤhrt werden ſollte! Wie geſagt, wenn ich in Zeiten geſchmiert haͤtte, ſo waͤre ich wohl beſſer gefahren. Aber meine Frau wollte nicht dran; ſie hatte den Truthahn gar zu lieb. Sehn Sie, gnaͤdigſter Herr Lieutenant, das iſt nun alles, und davon macht man ſo ein Aufhebens. Jch denke in Jhr Dorf werde ich mich ganz gut ſchicken. So viel Jhre Bauerjungen von Gottes Worte brauchen, will ich ihnen doch wohl vorſagen. Fuͤr armer Leute Kinder mag es halbweg ſeyn. Auf den Reſpect halte ich; da gebe ich Jhnen mein Wort. Jch will die Jungen zuſammen peitſchen, ſie ſollen Oel geben, wenn ſie nicht gut thun wollen. Was mir am Chriſtenthume und dem Catechiſmus ab - geht, das erſetze ich auf eine andere Art. Sie haben keinen Barbier im Dorfe, den Sie doch ſo nothwen - dig brauchen, da Sie Sich beſtaͤndig daſelbſt aufhal - ten. Das verſtehe ich perfect. Jch will Ew. Gna - den umſonſt ſcheren, nach dem Striche und wider den Strich, wie Sie es verlangen, und alles umſonſt, dar - auf koͤnnen ſich Ew. Excellenz verlaſſen. Die gnaͤ - dige Frau Gemahlinn iſt eine Liebhaberinn vom Brandtweine. Das ſage ich Jhnen, ſo ſchoͤn muß ihn kein Menſch abziehn, als ich. Meine Frau hat ein beſondres Geheimniß, Froſchleichwaſſer zu ma - chen, welches zu einer reinen Haut, und wider die Sommerſproſſen hilft. Das wird ſehr gut fuͤr den aͤlteſten Junker ſeyn, welcher ſehr viel auf ein huͤb - ſches weißes Geſichtchen haͤlt. Jch glaube, Ew. Mag - nificenz ſollen ſo viel Einſicht haben, und finden, daßſich45Satyriſche Briefe. ſich niemand beſſer zu Jhrem Schulmeiſter ſchickt, als ich. Rechnen und Schreiben iſt auch meine Sache nicht; aber was thut das? Jch will mir einen gro - ßen Jungen aus der Gemeine halten, der es an mei - ner ſtatt thut. Jch denke ja wohl, das geſchieht in den meiſten Aemtern, daß einer den Titel und die Beſoldung hat, und einen großen Jungen fuͤr ſich arbeiten laͤßt. Was vornehmen Leuten recht iſt, das wird doch bey einem armen Dorfſchulmeiſter auch angehn. Mit einem Worte, ich verlaſſe mich darauf, daß ich den Dienſt kriege. Gevatterbrie - fe, und Hochzeitbriefe, das iſt mein Werk, die kann ich ſchreiben, trotz zehn andern! Jch ſchicke Jhnen von beiden eine Probe mit, die ſich gewaſchen hat. Wenn Sie mir den Dienſt geben, gnaͤdigſter Herr Lieutenant, ſo ſchenke ich ihnen den beſten Lockfinken, den ich habe, einen Reiter, uͤber den nichts geht. Der junge Herr ſoll meinen Staar kriegen, das iſt ein Staar! Er kann Ew. Gnaden in dreyerley Spra - chen einen Hahnrey heißen, und hat mehr gelernt, als mancher Magiſter. Laſſen Sie mir durch Jhren Pachter antworten, gnaͤdiger Herr. Er darf mir nur den Brief mit dem Dreſcher uͤberſchicken. Jch halte mich mit meiner Frau itzt, weil ich keinen Dienſt habe, hauſſen in der Kneipſchenke am Anger auf. Und hiermit Gott befohlen. Der ich allſtets beharre

Gnaͤdiger Herr Lieutenant, Ew. Excellenz allerunterthaͤnigſt, treugehorſamſt pflichtſchuldigſter

N. S.46Satyriſche Briefe.

N. S. Meine Frau meynte, ob ich nicht, wenn ich das Schuldienſt kriegte, von Ew. Gna - den den Titel als Cantor bekommen koͤnnte? Da bey allen Aemtern die Titulaturen ſteigen, ſo moͤchte ich auch nicht gern zuruͤck bleiben. Es wird ſich wohl geben.

A.

Formular zu einem Gevatterbriefe, à 8. gl. T. T.

Nachdem es dem großen Gott gefallen hat, mei - ne liebe Hausfrau in Gnaden zu entbin - den, und uns beiderſeits Aeltern mit einem jungen Toͤchterlein zu erfreuen, und aber uns, als chriſtli - chen Aeltern, obliegen will, dieſes Kindlein dem Herrn vorzutragen, und hierzu chriſtliche Taufzeu - gen zu erbitten, worzu wir Ew. ꝛc. vorlaͤngſt in un - ſer Herz eingeſchloſſen haben:

Als ergeht an meinen Hochzuehrenden Herrn, und zukuͤnftig werthgeſchaͤtzten Herrn Gevatter, mein dienſtfreundlichſtes Suchen und Bitten, Die - ſelben wollen Sich gefallen laſſen, morgen des Nachmittags um drey Uhr, wird ſeyn der ſiebente May, ſich allhier einzufinden, dieſes chriſtliche Werk zu verrichten, und ſodann in unſrer Behau -ſung47Satyriſche Briefe. ſung mit Speis und Trank, ſo viel Gott beſchert hat, großguͤnſtig vorlieb zu nehmen. Dafuͤr werde ich ſeyn

T. T. Meines Hochzuehrenden Herrns, und zukuͤnftigen werthgeſchaͤtz - ten Herrn Gevatters dienſtwilligſter ꝛc. ꝛc.

B.

Detto ein Formular, noch etwas feiner; koſtet ei - nen Gulden Trankgeld fuͤr den Schulmeiſter.

HochEdler, Veſt, und Hochgelahrter, Jnſonders Großguͤnſtiger Hochzuehrender Herr Gevatter, Vornehmer Freund,

Denenſelben kann aus erfreutem Gemuͤthe nicht verhalten, welchergeſtalt der allgewaltige Gott meine Eheliebſte ihrer bisher getragenen weib - lichen Buͤrde heute Morgens um acht Uhr in Gna -den48Satyriſche Briefe. den entbunden, und uns beiderſeits mit einem wohlgeſtalten jungen Soͤhnlein verehret.

Wenn denn ſolches unſer Kindlein gleich an - dern Menſchen in Suͤnden empfangen und geboh - ren, und dahero uns Aeltern obliegen will, ſolches zur heiligen Taufe befoͤrdern zu laſſen, dazu aber chriſtliche Mittelsperſonen, und Taufzeugen erfo - dert werden, und zu unſerm hochzuehrenden Herrn Gevatter das Vertrauen haben, daß Dieſelben ne - benſt andern dieſes chriſtliche Werk auf ſich nehmen werden;

Als ergehet an Dieſelben mein und meiner Eheliebſten dienſt - und ehrenfreundliches Bitten, Sie wollen von Jhren vornehmen Geſchaͤfften ſich ſo viel abmuͤſſigen, ſonder Beſchwerde morgen des Tages, goͤnnets Gott, gegen drey Uhr in der Kir - che allhier zu erſcheinen, obgedachtes unſer Kind - lein in der Taufe vortragen zu helfen, darauf mit Jhrer Frau Eheliebſte in meiner Behauſung einzu - ſprechen, und mit den Tractementen, ſo der liebe Gott an Speiſe und Trank beſcheeren wird, vor - lieb und willen zu nehmen.

Solches, wie es Denenſelben zu Ehren, mir und meiner Eheliebſten aber zu ſonderbarem Gefal - len, und unſerm Kindlein zur zeitlichen und ewigen Wohlfarth gereicht; alſo ſind wir es andere Wegezu49Satyriſche Briefe. zu verdienen, und zu verſchulden gefliſſen, unter goͤttlicher Obhut verbleibende

Hochedler, Veſt, und Hochgelahrter Herr, Meines Hochzuehrenden Herrn Gevatters, dienſtwilliger N. N.

C. Formular zu einem Hochzeitbriefe.

Hochedler, Veſt und Hochgelahrter, Jnſonders großguͤnſtig Hochgeehrter Herr, Vornehmer Freund,

Denenſelben gebe hiermit zu vernehmen, wel - chergeſtalt uf vorher abgeſchicktes Gebet, und darauf erfolgte goͤttliche Fuͤgung, auch mit Genehmhaltung und Einwilligung beiderſeits Ael - tern, ich mich unlaͤngſt mit Jungfer N. N. Herrn N. N. allhier eheleiblichen juͤngſten Tochter in ein beſtaͤndiges Ehegeloͤbniß eingelaſſen, und ſolches uf den funfzehnten innſtehenden Monats vermit - telſt prieſterlicher Copulation zu vollziehn ent - ſchloſſen.

DWenn50Satyriſche Briefe.

Wenn denn dabey meinen Hochgeehrten Herrn nebſt deren Eheliebſte auch gerne ſehen und haben moͤchte; als ergeht an Dieſelben mein dienſt - und ehrenfreundlich Bitten, Sie wollen belieben, Sich ſo viel von ihren obhabenden vornehmen Verrich - tungen dießmal zu entbrechen, bemeldten Tages in meiner Behauſung alhier einzufinden, der prie - ſterlichen Trauung beyzuwohnen, und Gott um eine gedeyliche Ehe anzurufen, und ſodann nach beſchehenem ſolchen Actu das der Zeit und Gele - genheit nach angeſtellte Hochzeitmahl zu genießen, und vollenden zu helfen.

Wie nun ſolches zufoͤrderſt dem Stifter des heiligen Eheſtandes zu Ehren, mir und meiner Verlobten, und beiderſeits Anverwandten zu ſon - derbarem Gefallen und Freundſchaft gereicht; al - ſo bin ich ſothane hohe Ehrenerweiſung in derglei - chen, und andern Begebenheiten zu verdienen ohn - vergeßlich, maßen unter Gottes Schutz und Ob - hand verharre,

Hochedler, Veſt und Hochgelahrter, Meines großguͤnſtig Hochgeehrten Herrn, allezeit dienſtwilliger N. N.

Damit51Satyriſche Briefe.

Damit ich meine Briefe auch fuͤr diejenige Art der Gelehrten brauchbar mache, wel - che ganz anders denken und anders reden, als Vernuͤnftige denken und reden: ſo will ich nachſtehenden Brief einruͤcken. Man gebe mir nur nicht Schuld, daß die Sache uͤbertrieben ſey. Findet man nicht allemal aphthonianiſche Chrien, und iſt auch nicht allemal auf dem Rande beyge - ſetzt, wie der Gedanke im Griechiſchen oder La - teiniſchen heißt, den man vorbringt: ſo findet man doch das Weſentliche dieſer Pedanterey ſehr oft. Man mache mit einem jeden Briefe, den ein Pedant mit Fleiß, und, nach ſeiner Art, mit Ueberlegung ſchreibt, die Probe, und zer - gliedre ihn nach den Regeln der Schulkunſt: ſo wird man das Steife, und Schematiſche auch alsdann finden, wenn ſich ſchon der Verfaſſer die Gewalt angethan hat, weder Sentenzen ſeiner Alten, die er Weisheit nennt, noch todte Sprachen, die ſeine Gelehrſamkeit ausmachen, darunter zu miſchen. Jch bin von dieſer Wahr - heit ſo uͤberzeugt, daß ich mir gewiß zu behaup - ten getraue, mein Brief wuͤrde bey dieſer Art Schriftſtellern großen Beyfall gefunden haben, wenn ich ihn nicht durch dieſen Vorbericht ver - daͤchtig gemacht haͤtte.

D 2CHRIA52Satyriſche Briefe.

CHRIA APHTHONIANA. Wird um eine Rectoratſtelle in einem kleinen Staͤdtchen gebeten.

Hochedelgebohrne Frau, Hochzuehrende Frau Buͤrgermeiſterinn,
Laus auto - ris & di - ctum.

Sokrates, die Zierde Griechenlandes, der Phoͤ - nix ſeiner Zeit, der Weiſe, welcher unter den andern Weiſen hervor leuchtete, gleichſam als der Mond unter den kleinen Feuern, tanquam inter ignes luna minores, Sokrates, ſage ich, den Hochedelgebohrne Frau, Xantippe ſelbſt nicht von ſeiner philoſophiſchen Hoͤhe herunter zanken konnte; dieſer hat ſehr wohl und gelehrt geſagt apud Xe - nophontem, memor. Lib. IV. c. I.

Αἱ ἀρισται δοκουσαι εἰναι φυσεις, μαλιστα παιδειας δεονται,

zu deutſch alſo lautend:

Drum glaubet mir zu dieſer Friſt,
Daß die Natur, ſo ſchoͤn ſie iſt,
Dennoch den Unterricht vermißt.
Paraphra - ſis.

Er wollte damit gleichſam andeuten, daß die vortrefflichſten Gemuͤther der Jugend die meiſte Zucht noͤthig haͤtten, oder, wie es nach dem eigent - lichen Verſtande unſers Grundtextes lauten moͤch -te,53Satyriſche Briefe. te, daß ſie mehr als andre der vernuͤnftigen An - weiſung eines gelehrten Schulmannes beduͤrften, und zwar ſchlechterdings und unumgaͤnglich be - duͤrften, wie das Woͤrtlein δεονται ſolches klaͤrer, als die Mittagsſonne, anzeigt.

Denn wie nothwendig iſt es nicht, Hochzueh -Cauſſa. rende Frau Buͤrgermeiſterinn, daß man der Na - tur zu Huͤlfe komme, welche nur den rohen Stoff zu großen Geiſtern ſchafft, und das uͤbrige der ſorg - faͤltigen Ausbildung der Schulleute uͤberlaͤßt.

Unrecht, ja dreymal und viermal unrecht thunContrari - um. diejenigen, welche dieſe Vorſorge verabſaͤumen, und, da ſie der Himmel in ein Amt, quaſi in ſpe - culam geſetzt hat, darauf zu ſehn, daß das Beſte einer Stadt, und des gemeinen Weſens uͤberhaupt, befoͤrdert werde, dennoch die Sorge fuͤr die Schu - len verabſaͤumen, und die Sache nicht fuͤr ſo wich - tig halten, allen Stein zu bewegen, damit ſie flei - ßige und geſchickte Lehrer dahin ſetzen, und dieſen die Unterweiſung der Jugend anvertrauen moͤch - ten, die dieſe Unterweiſung deſto noͤthiger hat, ie hoffnungsvoller ſie iſt, και μαλιστα παιδειας δεονται, zu reden aus dem Sokrates, und deſſen obange - fuͤhrten Worten.

Pferde von der beſten Art muͤſſen am mei -Parabola. ſten durchgearbeitet werden. Sie machen es bey dem edlen Feuer ihren Herren oft am ſchwerſten;D 3aber54Satyriſche Briefe. aber deſto noͤthiger iſt es, ſie ſorgfaͤltig zuzureiten. Ein traͤges unedles Pferd braucht dieſe Bemuͤhung nicht; aber es iſt auch nur fuͤr den Pflug ge - bohren.

Exemplum.

Wer war groͤßer, als Dionyſius, der zweyte, da er noch Tyrann, und das Schrecken von Si - cilien war? Das widrige Gluͤck konnte ihm den Thron nehmen, aber niemals die Begierde, der Welt zu nutzen. So groß er geweſen war, ſo wenig ſchaͤmte er ſich doch, die griechiſche Jugend zu lehren, und mit der Hand, womit er ganze Laͤnder zerſtoͤrt hatte, mit eben der Hand ſuchte er die Kinder der Corinthier zur Weisheit zu fuͤhren.

Teſtimo - nium.

Wie ungluͤcklich diejenigen ſind, ſo die Zucht ihrer Kinder verabſaͤumen, das beweiſen die trau - rigen Folgen, welche zuerſt ihre eignen Familien empfinden, und welche nach dieſen das ganze ge - meine Weſen treffen. Dieſe ungluͤcklichen Aeltern moͤchten ſich wohl laſſen vom Homer zurufen:

Ἀιϑ᾽ ὀφελον ἀγαμος τ᾽ ἐμεναι, ἀγονος τ᾽ ἀπο - λεσϑαι.
Epilogus.

Sie ſehn hieraus deutlich, Hochedelgebohrne Frau, wie noͤthig es iſt, daß E. E. Wohlw. Rath dieſer Stadt das erledigte Schulrechtorat ungeſaͤumt beſetze, und mit einem Manne beſetze, deſſen Standhaftigkeit, deſſen Fleiß, deſſen Treue, deſſen Anſehn, deſſen Gelehrſamkeit, deſſen weiſeEin -55Satyriſche Briefe. Einſicht in die großen Wahrheiten, die uns So - krates und Homer hinterlaſſen haben, deſſen iedoch, ich ſage nichts weiter, Sie werden mich verſtehn. Jch habe mich mit meinem Suchen an Sie gewandt, da ich weis, daß Jhr theurer Ehe - gemahl in dieſem Jahre unter Jhren auſpiciis an der Regierung iſt. Erlange ich das Vergnuͤgen, daß Sie mit Jhren vielgeltenden, und erleuchte - ten Fuͤßen in meine Meynung herabſteigen: ſo bin ich gluͤcklich, und ich weis gewiß, daß ſodann der ganze Ehrenveſte Rath hinter drein ſteigt, et ma - nibus pedibusque in Tuam deſcendit ſen - tentiam.

Jch verharre in dieſer großen Hoffnung ad ex - tremum uſque uitæ halitum, Hochedelgebohrne Frau, Hochzuehrende Frau Buͤrgermeiſterinn, Ew. Hochedelgeb. gehorſamſt, ergebenſter, und ehrendienſtwilligſter N. N.

D 4Es56Satyriſche Briefe.

Es iſt bey nahe keine Handlung und Be - ſchaͤfftigung in der Welt, welche man nicht in gewiſſe Regeln gebracht, mit Grundſaͤtzen befeſtiget, und mit Exempeln erlaͤu - tert hat. Wir haben eine Kunſt zu lieben, eine Kunſt zu trinken, eine Kunſt zu regieren, eine Kunſt zu leben. Mit ſolchen Kleinigkeiten be - ſchaͤfftigt ſich unſer ſpielender Witz, wichtigere Sachen verabſaͤumen wir. Sind wohl alle dieſe Kuͤnſte dem Menſchen ſo noͤthig, als ihm die Kunſt zu beſtechen iſt? Jch ſchaͤme mich, daß ich der erſte ſeyn muß, der meinen Landsleuten die Augen oͤffnet, meinen Landsleuten, die ſo oft mit einem patriotiſchen Stolze die Gluͤckſeligkeit ihrer aufgeklaͤrten, und erleuchteten Zeiten ruͤh - men. Jch will es thun, wenigſtens will ich ei - nen Verſuch davon liefern. Es iſt mir vielmals ganz unbegreiflich geweſen, durch welches Schick - ſal ich zu dem Amte verſtoßen worden bin, das ich fuͤhre; nunmehr glaube ich, es einzuſehn. Die Kunſt zu beſtechen habe ich meine Landsleute lehren ſollen; dazu war mir mein Amt noͤthig. Jch will dieſem deutlichen Berufe folgen. Man wird meiner Lehre glauben koͤnnen, da ich mit Ueberzeugung lehre. Der zaͤrtliche Ovid lehrte die Kunſt zu lieben; der feurige Horaz die Kunſt zu dichten; und ich, berechtiget durch mein Amt, ich lehre die Kunſt zu beſtechen.

Es57Satyriſche Briefe.

Es wird nicht leicht jemand zu finden ſeyn, der in ſeinem Leben nicht wenigſtens einmal, es ſey nun als Klaͤger, oder als Beklagter, in die traurige Nothwendigkeit waͤre gebracht worden, daß er einen Theil ſeines Gluͤcks, oder wohl gar ſein ganzes Gluͤck der zufaͤlligen Einſicht des Richters, und den von deſſen Willkuͤhr abhan - genden Geſetzen Preis geben muͤſſen*So oft ich in dieſer Abhandlung eines Richters erwaͤhne, ſo oft nehme ich dieſes in dem allgemeinſten Verſtande und begreife darunter alle diejenigen, denen Amts - oder Commiſ - ſionswegen, oder auf andere Art die Entſcheidung, oder auch nur die Unterſuchung einer Sache aufgetragen iſt.. Und was iſt hierbey wohl noͤthiger, als die Kunſt zu beſte - chen? Will er ſich auf ſeine gerechte Sache ver - laſſen, das iſt ein leerer Name, ein Wort ohne Beſtimmung. Wer ſoll entſcheiden, ob ſeine Sache gerecht iſt; da man noch in den wenigſten Richterſtuben einig iſt, was Gerechtigkeit ſey? Soll man dieſe Entſcheidung aus den Geſetzen nehmen? Aber muͤſſen die Geſetze nicht ſo wollen, wie der Richter will? Oder iſt der Richter etwan wegen der Geſetze da? Vielleicht; aber ſelten. Jſt es wohl ſicher, ſich auf die Erfahrung und billige Einſicht des Richters zu verlaſſen? Wer leiſtet uns die Gewaͤhr, daß der Richter er - fahren, und billig, und einſehend ſey? Es iſt moͤglich, daß er es ſeyn kenn; doch Sachen, die moͤglich ſind, machen noch keine Wahr - ſcheinlichkeit aus; und was dann und wann ge - ſchieht, das kann keine allgemeine Regel werden. D 5Rich -58Satyriſche Briefe. Richterſtuben werden beſetzt, wie andere Aemter; wollen wir von ihnen mehr verlangen, als von andern Aemtern? Oftmals, und nur gar zu oft nimmt der Richter zwey Dritttheile von der ge - rechten Sache fuͤr ſich; in das uͤbrige Dritttheil theilen ſich ſeine Schreiber, die Advocaten, und die Partheyen. Was hilft mir bey dieſer Pluͤn - derung die augenſcheinlichſte Gerechtigkeit, die auf meiner Seite iſt? Wie gluͤcklich bin ich, wie viel gewinne ich nicht, wenn ich die hohe Kunſt verſtehe, einem eigennuͤtzigen und unwiſſenden Richter auf eine anſtaͤndige Art, und mit gutem Nachdrucke begreiflich zu machen, daß meine Sache gerechter iſt, als die Sache meines Gegenparts, oder, im Kanzleyſtyl zu reden, wenn ich weis, meinen Richter zu beſtechen.

Das iſt alles Pedanterey, was der unnuͤtze Fleiß muͤßiger Rechtsgelehrten von der Erklaͤ - rung der Geſetze geſchrieben hat. Fuͤr wen ſchreiben ſie dieſes? Fuͤr den Richter? Viele von ihnen leſen nicht einmal die Geſetze, wie ſollen ſie Geduld genug haben, die trocknen Erklaͤrungen zu leſen? Fuͤr die Advocaten? Den wenigſten un - ter ihnen iſt daran etwas gelegen, daß die Ge - ſetze deutlich ſind. Fuͤr die Partheyen? Was hilft es den Partheyen, Erklaͤrungen zu wiſſen, die dem Richter zu ekelhaft, und den Advocaten in ihrer Nahrung ſo nachtheilig ſind? Die ſi - cherſte, die beſte, die vortheilhafteſte Art, denwahren59Satyriſche Briefe. wahren und eigentlichen Sinn der Geſetze ſeinem Richter deutlich zu machen, iſt die Kunſt, ihn zu beſtechen.

Ein Richter wird noch immer, wenigſtens um die Formulare ſeines Amts zu beobachten, un - partheyiſch, und gewiſſenhaft thun. Jſt er noch nicht gar zu lange Richter, oder iſt er ſonſt von einer gemeinen und ſchlechten Erziehung: ſo wird er von Zeit zu Zeit etwas fuͤhlen, das ihm ſagt, es ſey unbillig, partheyiſch zu ſeyn. Dieſes Etwas nennt der Poͤbel Gewiſſen, und es iſt vielmal fuͤr einen Theil der Partheyen von ſchlim - men Folgen. Durch die Kunſt zu beſtechen er - leichtern wir unſerm Richter dieſe Unbequemlich - keit des Gewiſſens.

Jch verlange aber ſchlechterdings, daß man ſolches als eine Kunſt anſehe, und ſehr vorſich - tig dabey verfahre. Man muß die Geſchicklich - keit beſitzen, die Gemuͤther der Menſchen, und, in gegenwaͤrtigem Falle, die Leidenſchaften eines Richters zu erforſchen. Kein Umſtand in ſeiner Verwandſchaft, in ſeinem Hauſe iſt zu klein, den man nicht ſorgfaͤltig bemerken und ſich zu Nutze machen muͤßte. Der Angriff muß von der Sei - te geſchehn, wo der Richter uns die Bloͤße giebt, ſonſt wird er ſich vertheidigen, und der Gegner wird ſich unſere Unvorſichtigkeit zu Nutze machen.

Wie60Satyriſche Briefe.

Wie die Arten der Beſtechung ſehr verſchie - den ſind, ſo iſt die erſte Regel dieſe: Man muß ſich durchaus nicht merken laſſen, daß man be - ſtechen will.

Einmal iſt der Satz richtig und ausgemacht: ein jeder will fuͤr einen ehrlichen Mann gelten, der ſich auſſerdem ſehr viel Muͤhe giebt, es nicht zu ſeyn. So niedertraͤchtig unſer Richter iſt, ſo hungrig er iſt, ſich beſtechen zu laſſen: ſo ſehr werden wir ihn beleidigen, wenn wir ihm mer - ken laſſen, daß wir die Abſicht haben, ihn zu be - ſtechen. Er muß ſich ſchaͤmen, nicht vor ſich, ſondern vor uns; er wird den Namen eines un - partheyiſchen Richters behaupten, er wird ſeiner Natur Gewalt anthun, gerecht zu ſeyn, um uns das nachtheilige Vorurtheil zu benehmen, daß er das ſey, was er iſt. Er muß befuͤrchten, daß wir die Einſicht ſeines Fehlers misbrauchen, und entweder den Werth der Gefaͤlligkeit nicht erken - nen, die er uns durch ſeine Nachſicht bezeigt, oder ihm gar ſeinen Fehler oͤffentlich vorruͤcken, wenn wir etwan eine andre Gelegenheit finden ſollten, mit ihm unzufrieden zu ſeyn. Dieſe unge - woͤhnliche Gerechtigkeit wird ihm ſodann deſto leichter ankommen, ie gewiſſer ein aufmerkſamer Gegner ſich unſre Dummheit zu Nutze macht, und den beleidigten Richter dadurch auf ſeine Seite bringt, daß er ihn, wegen ſeiner uns er -zeigten61Satyriſche Briefe. zeigten ſtrengen Gerechtigkeit, auf eine anſtaͤndi - gere und bindigere Art ſchadlos haͤlt.

Jch habe bey einer andern Gelegenheit be - zeugt, wie ſehr ich wuͤnſchte, daß meine Lands - leute ſich gewoͤhnen moͤchten, ſo zu ſchreiben, wie ſie denken. Gegenwaͤrtigen Fall nehm ich aus. Wo die Frage entſteht: ob ich mein Vermoͤgen derlieren, oder der Wahrheit Eintrag thun will; da iſt die Wahl leicht. Bey einem Richter, wel - cher die Ehrliebe dergeſtalt in ſeiner Gewalt hat, daß er damit machen kann, was er will; bey dieſem wuͤrde es ſehr unvorſichtig ſeyn, durch die Wahrheit ſeine Ehrbegierde zu reizen. Da - durch, daß ich dieſen Fall ausnehme, widerſpre - che ich meinem Satze gar nicht. Eine andre Sprache iſt diejenige, die ich in Geſellſchaften, und im gemeinen Leben rede, da kann ich, da ſoll ich die Wahrheit ſagen; eine ganz andre Sprache aber iſt der ſtylus curiæ, da muß ich dem Herkommen gemaͤß reden, oder, welches ei - nerley iſt, ich muß den Richter zu eben der Zeit, da ich ihm zeige, daß er ein Schelm iſt, verſi - chern, daß ich ihn fuͤr einen unpartheyiſchen, fuͤr den billigſten Mann halte.

Damit ich dasjenige deutlicher mache, was ich hier geſagt habe: ſo will ich ein paar Briefeein -62Satyriſche Briefe. einruͤcken, wo man dem Richter ſagt, daß man ihn beſtechen will. Ein jeder ſetze ſich an die Stelle des Richters, und pruͤfe ſich, was er in dieſem Falle werde gethan haben.

Mein Herr,

Jch will es Jhnen aufrichtig geſtehn: Die Kla - gen, die mein ehmaliger Muͤndel wider mich erhoben hat, iſt leider gegruͤndet genug. Jch habe einen ziemlichen Theil ſeines Vermoͤgens theils verwahrloſet, theils an mich gebracht. Vielleicht waͤre ich wenigſtens vorſichtiger geweſen, wenn ich nicht die Abſicht gehabt haͤtte, meine Tochter an ihn zu verheirathen. Dieſes wuͤrde meine Sache, und meine Rechnungen, gerechtfertigt haben. Mein Fehler iſt es nicht, daß ſich dieſe Ehe zer - ſchlagen hat. Jnzwiſchen bin ich ungluͤcklich, daß ich uͤber eine Sache angegriffen werde, da ich mich nicht vertheidigen kann. Es wuͤrde mir dieſer Zufall noch empfindlicher ſeyn, wenn ich mit einem Richter zu thun haͤtte, der zu gewiſſenhaft waͤre, ſich beſtechen zu laſſen. Jch freue mich unendlich, mein Herr, daß Sie es nicht ſind. Sie haben den Ruhm in der ganzen Stadt vor Sich, daß Sie zuerſt auf Jhren Vortheil, und hernach auf Jhrer Clienten Sache ſehen. Sie werden mir nicht unguͤtig nehmen, daß ich hier eine Sache ge - gen Sie erwaͤhne, die Sie, meines Wiſſens, nie - mals heimlich gehalten haben. Jn der That iſtes63Satyriſche Briefe. es auch fuͤr Sie kein Fehler. Und waͤre es ja ein Fehler, ſo wuͤrde die Schuld auf diejenigen fallen, welche Sie in dieſes Amt geſetzt, da Sie ihnen nicht haben unbekannt ſeyn koͤnnen. Mit einem Worte, es iſt hier etwas zu verdienen. Mein Advocat, ein Mann, welcher wohl verdiente, Jhr Nachfolger zu ſeyn, iſt uͤberzeugt, daß ich eine un - gerechte Sache habe, und dennoch getraut er ſich, durch Deren guͤtige Vermittelung den Proceß we - nigſtens zwoͤlf Jahre aufzuhalten, wenn ich tau - ſend Thaler Gebuͤhren dran wagen wollte. Die - ſer Vorſchlag ſcheint mir, unter uns geſprochen, etwas eigennuͤtzig zu ſeyn. Jch habe es anders ausgerechnet. Von dieſen tauſend Thalern wuͤr - den ungefaͤhr dreyhundert Thaler an Sie, als Richter, kommen; Sie ſollen aber fuͤnf hundert davon haben. Zweyhundert ſende ich Jhnen hier - mit auf Abſchlag, die uͤbrigen dreyhundert bekom - men Sie ſofort, wenn ich den Proceß ohne Weit - laͤuftigkeit gewonnen habe. Jch rede mit einem Manne von Erfahrung; es wird mir alſo nicht ſchwer, Jhnen die Billigkeit meines Suchens ver - ſtaͤndlich zu machen. Nehmen Sie es immer ohne Bedenken an. Sie, mein Herr, koͤnnen an Jh - rem ehrlichen Namen nichts weiter verlieren; ich aber kann einen Proceß dadurch gewinnen. Jch verlaſſe mich auf Jhre billige Einſicht, und bin,

Mein Herr, Jhr Diener.

Hoch -64Satyriſche Briefe.
Hochgeehrter Herr Commiſſar,

Es iſt weiter nichts, als eine Zunoͤthigung von meinen Unterthanen, welche ſich durch den Ei - gennutz eines ungewiſſenhaften Advocaten haben aufwiegeln laſſen. Die Sache iſt in der That durch die Laͤnge der Zeit, und die Bosheit meiner Gegner ſehr verworren. Jch bin erſchrocken, da ich gehoͤrt habe, daß die Commiſſion an Sie aus - gebracht worden iſt, weil ich weis, daß Sie Sich vielleicht zu allen, nur zu keinem Commiſſar, ſchi - cken. Man hat mir von Jhrer Ungeſchicklichkeit, und Unwiſſenheit ſo viel beſondre Umſtaͤnde er - zaͤhlt, daß ich untroͤſtbar ſeyn wuͤrde, wenn man mich nicht zugleich verſichert haͤtte, daß man Sie mit einer Bouteille Wein, und einer Hand voll Dukaten zu allem vermoͤgen koͤnnte, was man ver - langt. Jch bediene mich dieſes Mittels deſto lie - ber, da ich es nicht misbrauche, ſondern Jhnen nur die Billigkeit meiner Sache deutlich zu machen ſuche, welche Sie auſſerdem ſo wenig verſtehn. Jch erwarte Sie auf den Sonntag bey mir; mei - ne Pferde ſollen Sie abholen. Wir wollen uns mit einander ſatt trinken, und die Sache dabey uͤberlegen. Damit Sie ſehen, wie erkenntlich ich ſeyn will: ſo mache ich hier einen Anfang mit ei - nem Duzend Dukaten. Es ſoll nicht das letzte ſeyn, ſo Sie von mir bekommen, und fuͤr Jhre Kuͤche will ich ſorgen, ſo lange die Jagd waͤhrt. Sie,65Satyriſche Briefe. Sie, mein Herr, denke ich doch wohl noch ſatt zu machen. Jch erwarte Sie alſo gewiß, und hoffe ſodann gegen die Gebuͤhr einen beyfaͤlligen Bericht von Jhnen zu erhandeln, bin im uͤbrigen,

Mein Herr, Jhr Diener.

Hochzuehrender Herr Kammerrath,

Jch habe gehoͤrt, daß Jhnen mein Klaͤger heute fruͤh ein Vaͤßchen Auſtern geſchickt hat. Der dumme Teufel! Er weiß noch nicht recht zu leben, wenigſtens verſtehe ich die Praxin beſſer, als er. Auſtern ohne Wein ſind ein ungeſundes Eſſen. Jch habe die Ehre, Jhnen mit einem Feuillet Burgunder aufzuwarten, welchen der Ueberbrin - ger dieſes bey Jhnen abzuladen Befehl hat. Jch hoffe, Sie werden nunmehr nicht einen Augenblick mehr zweifeln, daß meine Sache die gerechteſte ſey; und ich glaube, daß es heute nur Jhr Scherz ge - weſen, da Sie bey der Ankunft der Auſtern gegen meinen Advocaten gedachten, daß Klaͤger wirklich viel vor ſich habe. Sollten Sie wider Vermuthen bey der Sache noch einigen Zweifel finden: ſo ſteht beym Austrage derſelben noch ein KorbECham -66Satyriſche Briefe. Champagner zu Dienſten. Jch thue alles, was moͤglich iſt, Jhnen die Augen zu oͤffnen. Faͤllt es Jhnen etwas ſchwer, den Abſchied zu machen: ſo trinken Sie nur ein paar Boutellien von meinem Weine. Jch ſtehe Jhnen dafuͤr, die rationes de - cidendi werden ſich ſodann von ſich ſelbſt geben. Unter Erwartung, daß der Burgunder ſeine gute Wirkung thun werde, verharre ich mit aller Hoch - achtung

Hochzuehrender Herr Kammerrath, Dero ergebenſter Diener.

Gnaͤdige Frau Amtmannin,

Der Teufel iſt wieder einmal mit euerm Herrn gar los. Das bischen Dahlen wird doch den Hals nicht koſten ſollen! Das Menſch ſieht gut aus, es iſt wahr, und ich traf ſie auf der Panſe allein an; und da habe ich nun ſo etwan mit ihr geſchaͤkert. Gewiß, Frau Amtmannin, weiter ha - be ich nichts gethan, oder doch nicht viel mehr. Daruͤber haͤtte meine Frau nicht ſollen ein ſolches Larmen machen. Jch kann ja nichts dafuͤr, daßſie67Satyriſche Briefe. ſie haͤßlicher ausſieht. Eine runde derbe Magd iſt mir freylich lieber. Wir Bauern, wir haben Fleiſch und Blut eben ſo gut, wie vornehme Leute. Und wenn man uͤber ſo ein bischen Ehebrechen den Kopf verlieren ſoll: ſo moͤchte ich wiſſen, wie un - ſer gnaͤdiger Herr Amtmann ſeinen Kopf ſo lange durchgebracht hat. Mit einem Worte, Frau Amtmannin, ich ſehe die Karte wohl. Mein Guͤtchen ſticht euern Herrn in die Augen. Wißt ihr was? ganz kriegt ers ſo nicht; ich will was uͤbriges thun, es ſoll mir nicht drauf ankommen. Schelme muß man ſchmieren. Die Wieſe hin - ter euerm Vorwerke hat der Herr Amtmann ſchon lange gern von mir haben wollen. Jch will ſie ihm geben; ſie iſt unter Bruͤdern zweyhundert Thaler werth. Jch will thun, als wenn ich ſie ihm verkaufte. Da bleibt alles huͤbſch in ſeiner Ordnung. Aber darnach muß er mir auch das arme Menſch aus dem Gefaͤngniſſe laſſen davon ſpringen. Jch will ſie ſchon wegbringen, daß ſie nimmermehr wieder ins Amt kommen ſoll. Ue - berlegt es immer, gnaͤdige Frau Amtmannin, ich daͤchte nun ſo, es waͤre ein Vorſchlag zur Guͤte. Auf dieſe Art kriegt ihr die Wieſe, und die Unko - ſten; und wenn ich zum Schwure kaͤme, ſagte mein Advocat, ſo kriegtet ihr nichts. Leſt euch aus, was ihr wollt. Jch naͤhme die Wieſe, wenn ich an eurer Stelle waͤre. Geſtern habe ich ge - ſchlachtet, da ſchicke ich euch ein halbes Rind, das mag ein gutes Wort fuͤr mich einlegen. Kurz undE 2gut68Satyriſche Briefe. gut, Gnaͤdige Frau Amtmanninn, befehlt euerm Herrn, daß er mich ungeſchoren laͤßt. Er mag immer einmal durch die Finger ſehn; er hat es ja beym Schulzen auch gethan. Lebt wohl, Frau Amtmanninn. An die Panſe will ich gedenken. Seht immer, wie ihr mir dasmal raus helft. Braucht eure Tochter etwan einen Stein Flachs? Wie geſagt, lebt wohl. Jch bin,

Gnaͤdige Frau Amtmannin, Euer Hanns.

Jch will meine Leſer nicht fragen, was ſie in dem Falle thun wuͤrden, wenn ſie an des Rich - ters Stelle waͤren, und dergleichen Briefe er - hielten, wie diejenigen ſind, die ich hier ange - fuͤhrt habe. Jch wenigſtens wuͤrde mich ſehr leicht entſchließen; und wenn ich einen noch ſo ſtarken Trieb empfaͤnde, mich beſtechen zu laſſen:ſo69Satyriſche Briefe. ſo wuͤrde ich mir bey einem dergleichen unvorſich - tigen Antrage doch Gewalt anthun, und Wieſe, und Wein, und Geld, mit einer gerechtigkeitlie -- benden, und unpartheyiſchen Mine verachten, um meinen guten Namen zu retten, und bey einer beſſern Gelegenheit noch einmal ſo viel zu verdie - nen. Ein vernuͤnftiger Client, er habe nun ei - ne gerechte oder ungerechte Sache, wird weit be - hutſamer gehn, und ſeinen Zweck auch weit eher erlangen. Die Leidenſchaften der Richter ſind wie die Leidenſchaften andrer Menſchen. Den Beyfall eines dummen Maͤcenaten werde ich mir nicht leichter erwerben, als wenn ich von der Bewunderung rede, zu der ſein Verſtand alle Welt zwingt. Keine Verfuͤhrungen ſind dem Frauenzimmer gefaͤhrlicher, als wenn man ihnen von dem Werthe ihrer Tugenden, von ihrer edlen Grauſamkeit, und von unſern unſtraͤflichen, und ehrliebenden Abſichten vorprediget. Ein ei - gennuͤtziger, und partheyiſcher Richter nimmt un - ſer Lob mit offnem Munde an, wenn wir ihm mit der Hochachtung ſchmeicheln, die ſeine vor - gegebne Billigkeit und Unpartheylichkeit verdie - nen. Er fuͤhlt es zwar, daß wir nicht wahr reden; unſre Unwahrheit aber thut ihm ſo wohl, daß er ſich Muͤhe giebt, zu glauben, es ſey unſer Ernſt; daß er ſich nach und nach ſelbſt zu bereden ſucht, er ſey wirklich der billige, und unpartheyiſche Mann, von dem wir reden. Er ſinnt bey ſich auf eine Entſchuldigung, wie er dasE 3Ver -70Satyriſche Briefe. Verfahren rechtfertigen koͤnne, wenn er unſer Ge - ſchenk annehmen wollte. Er ſieht, daß es weniger verdaͤchtig ſeyn wuͤrde, wenn unſre Sache gerecht waͤre; er giebt ſich alſo Muͤhe, unſre Sache ge - recht zu finden. Er wendet ſie ſo lange von ei - ner Seite zur andern, bis er eine gute Seite fin - det; an dieſe haͤlt er ſich. Er entſchuldiget die verdaͤchtige Seite, er bearbeitet ſich endlich, zu glauben, daß unſre ganze Sache gerecht ſey, und erfreut ſich uͤber dieſe Entdeckung. Nunmehr macht er ſich ein Gewiſſen daraus, unſre gerech - te Sache unvertheidiget zu laſſen. Seine theure Amtspflicht iſt nun die vornehmſte Triebfeder, die ihn noͤthigt, ſich unſrer anzunehmen; die Ge - ſchenke aber ſind ein ganz kleiner Nebenumſtand, den er aus lauter Begierde zur Gerechtigkeit ſchon anfaͤngt zu vergeſſen. Wenigſtens ſieht er es nur als eine kleine Erkenntlichkeit an, die wir ſeiner Unpartheylichkeit ſchuldig ſind, und die er ohne Bedenken annehmen kann, weil unſre Sa - che allein die gerechte Sache iſt. Wie viel ha - ben wir gewonnen, wenn wir unſern Richter ſo weit bringen koͤnnen, daß er ſich Muͤhe giebt, ſich ſelbſt zu betruͤgen; daß er vergißt, er ſey beſto - chen! Wie nachdruͤcklich wird er uns unterſtuͤ - tzen, wenn er uns mit einer innerlichen Ueberzeu - gung unterſtuͤtzt! Wuͤrden wir dieſen großen Endzweck wohl erlangt haben, wenn wir ihn nicht kunſtmaͤßig beſtochen haͤtten?

Damit71Satyriſche Briefe.

Damit es meinen Leſern bey dieſen ſo unent - behrlichen Wiſſenſchaften nicht an Exempeln feh - le: ſo will ich deren ein paar hier einruͤcken. Es wird ſie ein Jedweder nach ſeinen Umſtaͤnden ein - zurichten, und zu veraͤndern wiſſen.

Mein Herr,

Jch empfinde das Ungluͤck, welches alle redliche Vormuͤnder empfinden, wenn ſie undankbare Muͤndel heran gezogen haben. Jch habe mir we - gen meines jungen Vetters weder eine Unachtſam - keit, noch einige Untreue vorzuwerfen; ich habe ſein Vermoͤgen redlich, wenigſtens ſo gut, als das meinige, beforgt. Deſto mehr muß es mich kraͤn - ken, da ich erfahre, daß dieſer junge unbeſonne - ne Menſch bey Jhren Gerichten Klage wider mich erhoben hat. Durch einen Zufall, den ich nicht habe vermeiden koͤnnen, ſind ein großer Theil mei - ner Privatrechnungen verlohren gegangen, durch welche ich meine Unſchuld darthun, und den muth - willigen Zunoͤthigungen meines Muͤndels vordeu - gen koͤnnte. Es wuͤrde mich dieſes unruhig ma - chen, wenn ich mit einem andern Richter zu thun haͤtte, als mit Jhnen, mein Herr. Wie gluͤcklich bin ich, da ich weiß, daß mein guter Name, meine zeitliche Ruhe, von der weiſen Einſicht eines Man -E 4nes72Satyriſche Briefe. nes abhaͤnget, welcher ſich ſeit ſo vielen Jahren den Ruhm verdienet hat, daß er der gerechteſte Mann ſey! Sie wiſſen es, mein Herr, und Sie haben die traurigſte Erfahrung ſelbſt gehabt, wie empfindlich es einem rechtſchaffnen Vormunde ſey, dergleichen undankbare Vorwuͤrfe von der aus - ſchweifenden Jugend anzuhoͤren. Erinnern Sie Sich einmal dieſer Erfahrung, und haben Sie Mitleid mit mir. Eine nachdruͤckliche Zuredung von Jhnen wird dieſen jungen Menſchen, der von Natur nicht boshaft, ſondern nur verfuͤhrt iſt, gar leicht wieder in Ordnung bringen. Sein Advocat wird ſich ſeines Unternehmens ſchaͤmen muͤſſen, wenn er aus Jhren Vorſtellungen ſieht, daß Sie, mein Herr, ſein Beginnen verabſcheuen. Sie werden mich hierdurch mit einemmale aus ei - ner Unruhe reißen, welche mich viele Jahre hin - durch beaͤngſtigen, und mir viel Unkoſten verurſa - chen koͤnnte. Viele hundert Thaler wuͤrden kaum zureichend ſeyn, mich eines Anſpruchs zu entſchuͤt - ten, welcher mir durch den Verluſt meiner Rech - nungen ſehr gefaͤhrlich wird. Es iſt nichts billiger, als daß ich Jhnen eine kleine Verſichrung meiner Erkenntlichkeit gebe. Da ich durch Jhre guͤtige und vielvermoͤgende Vermittelung ſo viel hundert Thaler erſparen kann: ſo ſind beyliegende zwey - hundert Thaler nur ein geringer Anfang derjeni - gen Schuld, die ich abzutragen mir vorgenom -men73Satyriſche Briefe. men habe. Jch beſchwoͤre Sie bey Jhrer Amts - pflicht, bey Jhrer Begierde, unrechtleidenden Perſonen beyzuſpringen, bey dem Ruhme, den Sie Sich bey aller Welt erworben haben, daß Sie ein Feind aller ungerechten Bedraͤngungen, und koſtbaren Rechtshaͤndel ſind, bey der Hoch - achtung, die ich, und die ganze Stadt fuͤr Sie he - ge, beſchwoͤre ich Sie; betruͤben Sie mich da - durch nicht, daß Sie dieſer meiner guten Abſicht eine unrechte Deutung geben. Sehen Sie dieſe Kleinigkeiten nicht als etwas an, das mir ge - hoͤrt; ſehn Sie es vielmehr als einen Theil desje - nigen an, was Sie durch Jhre Bemuͤhung den Klauen meines ungerechten Gegners entreißen. Dieſer unbillige Menſch wuͤrde mir es mit Gewalt abgepreßt haben. Muß ich mich alſo nicht freuen, wenn ich es in den Haͤnden eines rechtſchaffnen Mannes wiſſen kann, welcher es nur anwendet, das Armuth zu unterſtuͤtzen, und unrechtleidenden Perſonen beyzuſpringen? Nehmen Sie es zu die - ſem großen Endzwecke an; glauben Sie, daß nie - mand ſo begierig iſt, erkenntlich zu ſeyn, als ich es bin; retten Sie mich aus den Haͤnden eines ei - gennuͤtzigen Gegners, und erſparen Sie ei - nem jungen unbeſonnenen Menſchen die Schan - de der Undankbarkeit. Hemmen Sie dieſen Rechtshandel, oder zum mindeſten helfen Sie mir ohne Weitlaͤuftigkeit zu dem Rechte,E 5das74Satyriſche Briefe. das ich habe, und doch ſchwer beweiſen kann. Von einem ſo erfahrnen, gelehrten, und rechtſchaff - nen Manne, als Sie ſind, mein Herr, iſt dieſes noch das wenigſte, was ich erwarten kann. Von mir erwarten Sie Hochachtung und Dankbarkeit, ſo lange ich lebe. Jch bin,

Mein Herr, Der Jhrige.

Hochgeehrteſter Herr Commiſſar,

Meine unruhigen Bauern haben wenig gewon - nen, daß ſie die Unterſuchung an Sie aus - gebracht haben. Meine Sache haͤtte in keine gluͤcklichern Haͤnde, als in die Jhrigen, fallen koͤn - nen, da Sie ein Mann ſind, der Einſicht, Erfah - rung, und Billigkeit hat. Verzeihen Sie mir ein Lob, das ich Jhnen nicht unter die Augen ſa - gen ſollte, da ich Jhre Beſcheidenheit kenne. Es iſt das erſtemal, daß ich die Ehre habe, an Sie zu ſchreiben, und es liegt mir daran, daß Sie wiſſen, wie genau ich Sie dem ungeachtet kenne. Jn der That ſage ich nichts weiter, als was mich Jhre Obern von Jhnen weit umſtaͤndlicher, und noch weit ruͤhmlicher verſichert haben. Darf ich es wohl geſtehen, daß ich hohen Orts ſelbſt Anlaß gegeben habe, Sie zum Commiſſar in dieſer Sa - che zu erbitten? Vielleicht iſt Jhnen die Arbeitſehr75Satyriſche Briefe. ſehr beſchwerlich; aber entſchuldigen Sie immer meine Freyheit. Rechtſchaffne, und geſchickte Maͤnner, wie Sie ſind, ſucht man auch wider ih - ren Willen. Die Sache iſt durch die Laͤnge der Zeit, und die Bosheit der Gegner in der That ſehr verworren; aber deſto noͤthiger iſt mir der Bey - ſtand eines ſo unpartheyiſchen Richters. Jch ver - urſache Jhnen Muͤhe, fuͤr die ich gewiß erkenntlich ſeyn werde. Sollten Sie etwan baaren Verlag, oder ſonſt Aufwand noͤthig haben: ſo uͤberſende ich hier ein Dutzend Dukaten. Dem ungeachtet er - warte ich Jhre Liquidation vollſtaͤndig. Bey ei - ner ſo auſſerordentlichen Arbeit, als diejenige iſt, muͤſſen Sie durch Jhren Fleiß und Unpartheylich - keit den geringſten Schaden nicht leiden. Jch wuͤr - de ſehr gern ſehen, wenn ich noch vor dem Termine aus der Sache muͤndlich mit Jhnen ſprechen koͤnn - te. Meine Pferde ſollen Sie abholen. Jch hoͤ - re, Sie ſind ein Liebhaber von der Jagd; halten Sie Sich ein paar Tage bey mir auf, wir wollen uns wohl vergnuͤgen. Jch ſende Jhnen einen klei - nen Friſchling. Sehn Sie einmal, ob es ſich nicht der Muͤhe verlohnt, ſie zu ſchieſſen. Jch er - warte Sie gewiß. Einen freundlichen Wirth, und ein gutes Glas Wein ſollen Sie finden. Jch bin mit der aufrichtigſten Zuneigung,

Mein Herr, Jhr Diener.

Dieſe76Satyriſche Briefe.

Dieſe beiden Briefe ſagen in der That eben dasjenige, was die ſagen, welche ich oben einge - ruͤckt habe. Sie druͤcken es nur auf eine feinere Art aus; und ein Richter muß in der That ſehr unempfindlich, oder ganz altvaͤtriſch ſeyn, wenn er ſich nicht auf dieſe Art gewinnen laͤßt.

Es giebt noch eine feinere Art, den Richter zu beſtechen. Dieſes geſchieht im Spielen. Ein Client hat viel gewonnen, wenn er es dahin bringen kann, daß er mit ſeinem Richter ein ho - hes Spiel ſpielt. Ein Richter, der ſich ſo weit verlaͤugnen kann, daß er Geſchenke nimmt, wird gemeiniglich auch bey dem Spiele eigennuͤtzig genug ſeyn. Alsdann erfodert es die Klug - heit, daß wir ſo viel verſpielen, als nur moͤg - lich ſeyn will. Wir wagen nichts, wenn er unſre Abſichten auch merkt. Es iſt deſto beſſer fuͤr uns. Er kann keinen anſtaͤndigern Vorwand haben, unſer Geld an ſich zu bringen, als durch den Gewinnſt; er ſucht aber auch weiter nichts, als einen anſtaͤndigen Vorwand, und iſt wegen der Abſichten unbekuͤmmert, in denen wir es verſpie - len. Wir werden wohl thun, wenn wir ihm das Geld, das er gewonnen hat, nicht gleich be - zahlen. Man ſchickt es den naͤchſten Morgen darauf, und thut, als ob man ungewiß waͤre, wie viel man eigentlich verſpielt habe. Bey dieſer Ungewißheit bekoͤmmt man Gelegenheit, ihm noch einmal ſo viel zu ſchicken, als er bekommenſollte.77Satyriſche Briefe. ſollte. Jch wuͤrde ungefaͤhr dieſen Brief dazu ſchreiben.

Mein Herr,

Sie werden ſich nun nicht mehr wundern, wenn ich Jhnen die Urſache ſage, warum ich ge - ſtern Abends in einer beſtaͤndigen Zerſtreuung ge - ſpielt habe. Der Advocat meines Gegners iſt bey mir geweſen, und hat mich ſo lange aufgehalten, bis ich zu Jhnen gieng. Der ungewiſſenhafte Mann! Seine Bosheit hat neue Waffen erdacht, mich nieder zu werfen. Bey der gerechteſten Sache, die ich habe, kann ich doch der ungluͤcklichſte Mann werden. Er macht gar kein Geheimniß daraus, daß er nicht eher ruhen will, bis er mich ganz muͤr - be gemacht. Seine Wut geht ſo weit, daß er ſelbſt Sie, mein Herr, nicht ſchonet, und in allen Geſellſchaften ungeſcheut vorgiebt, Sie waͤren der einzige, der ſich einkommen ließ, ihn an ſeinem Rechte zu hindern. Ein ſolcher Vorwurf muß einen gerechten und unpartheyiſchen Mann, wie Sie ſind, mehr vergnuͤgen, als kraͤnken. Sie alſo, mein Herr, ſind nach dem Bekenntniſſe Jhrer und meiner Feinde noch der einzige, der meine gute Sa - che unterſtuͤtzt. Wie gluͤcklich bin ich, wenn Sie dieGuͤtig -78Satyriſche Briefe. Guͤtigkeit haben, und ſich derſelben ferner an - nehmen! Es muß Jhnen natuͤrlich ſeyn, dieſes zu thun, da Sie ein ſo billiger Mann ſind. Wenig - ſtens wuͤrden es meine Feinde fuͤr eine Frucht ih - rer Drohungen halten, wenn Sie anfiengen, der - ſelben mit wenigerm Eifer Sich anzunehmen. Nein, das laͤßt ſich von Jhnen gar nicht denken. Meine gerechte Sache, und mein gerechter Richter laſſen mich dabey ganz ruhig ſeyn. Jch bin mit unveraͤnderter Hochachtung,

Mein Herr ꝛc.

N. S. Hier uͤberſende ich meine geſtrige Spiel - ſchuld. Meine Zerſtreuung iſt ſo groß gewe - ſen, daß ich vergeſſen habe, wie viel ſie ei - gentlich betragen. War es mehr, ſo bitte mir es zu melden; ich werde es mit Danke zahlen.

Waͤre der Richter wider Vermuthen ſo groß - muͤthig, und wollte das Uebrige zuruͤck ſchicken: ſo traue ich einem Jeden zu, daß er ſo viel Er - findung haben wird, wahrſcheinlich zu behaup - ten, es ſey wirklich ſo viel geweſen. Leute, die begierig ſind Geld zu nehmen, machen es uns nicht ſauer, wenn wir ſie uͤberfuͤhren wollen, daß ſie ſchuldig ſind, es anzunehmen.

Jch79Satyriſche Briefe.

Jch will hier eines Fehlers gedenken, den vie - le Clienten begehn, wenn ſie dem Richter ihre Sache empfehlen. Sie haben in der That die Ab - ſicht, erkenntlich zu ſeyn, wie man es nennt, oder, legal zu reden, die Richter zu beſtechen. Sie ver - ſichern ihn deſſen ſo wohl muͤndlich, als ſchriftlich; ſie geben ihm aber weder muͤndlich, noch ſchriftlich etwas. Dieß iſt ein großer Fehler! Et formu - la cadunt, ſagt der Juriſt, welches der gemeine Mann von Wort zu Wort alſo ausdruͤckt: Wer nicht gut ſchmiert, faͤhrt nicht gut! So behutſam man ſeyn muß, einem Richter zu ſagen, was man denkt: ſo ungeſchickt iſt es doch, ihn nur mit Verſprechungen aufzumuntern. Maͤnner, die die Gerechtigkeit verauctioniren, muͤſſen baa - res Geld ſehen, oder ſie ſehn gar nichts. Wie wollen wir ihnen zumuthen, daß ſie, was wir wuͤnſchen, thun, und ſich nur auf unſre Groß - muth verlaſſen ſollen? Trauen wir ihnen viel - leicht nicht, und glauben wir, daß unſer Ge - ſchenk etwan vergebens angebracht ſeyn moͤchte? Es iſt moͤglich; aber dergleichen Mistrauen muͤſ - ſen wir nicht an uns merken laſſen, oder der Schade iſt unerſetzlich, den wir uns zuziehn. Wir muͤſſen bey dem Richter etwas wagen, da wir etwas bitten; der Richter hat nicht Urſache, bey uns etwas zu wagen. Was ſoll der Richter fuͤr einen Vorwand haben, uns an unſer Ver - ſprechen zu erinnern, wenn er gethan hat, was wir wuͤnſchten, und wir das nicht erfuͤllen, was wir80Satyriſche Briefe. wir ihm verſprochen? Jch will ein Formular von einem dergleichen leeren Briefe hier einruͤcken, um meine Leſer wohlmeynend davor zu warnen.

Hochzuehrender Herr Rath und Amtmann,

Jch hoffe meine gerechte Sache wird bey dem letztern rechtlichen Verfahren ſo deutlich gewor - den ſeyn, daß ich mir nichts gewiſſers verſprechen kann, als einen guten Ausgang des Proceſſes. Jnzwiſchen weiß ich, wie viel auf Sie ankoͤmmt, um die Cabale meines Gegners zu zernichten, wel - cher ſo boshaft iſt, zu wuͤnſchen, daß die Sache wenigſtens ſehr ſpaͤt verlohren werde, wenn er ſie ja einmal verlieren muͤſſe. Jch verlaſſe mich auf Jhre gute Vermittelung, und auf den Ruhm, den Sie als ein gerechter Mann haben. Die auſſer - ordentlichen Bemuͤhungen, die ich Jhnen dadurch verurſache, verdienen meine ganze Erkenntlichkeit. Jch wage es noch nicht, itzt einen Anfang damit zu machen, da ich wohl weiß, wie empfindlich ein Mann von Jhrem Charakter ſeyn muß, wenn ihm etwas angeboten wird, das ihn verdaͤchtig ma - chen koͤnnte, weil andre die guten und billigen Ab - ſichten nicht wiſſen. Helfen Sie mir aus dieſem be - ſchwerlichen Handel. Da ich Jhnen auf dieſe Art ſo viel Muͤhe mache, und Jhnen eine Laſtauf -81Satyriſche Briefe. aufbuͤrde, die ich nicht von Jhrem Amte, ſondern nur von Jhrer Freundſchaft erlangen kann: ſo iſt es weiter nichts, als nur ein geringer Anfang mei - ner Erkenntlichkeit, wenn ich Jhnen die Verſich - rung gebe, daß ich nach voͤlliger Beendigung der Sache Jhnen wenigſtens mit funfzig Dukaten auf - warten, und uͤber dieſes mich fuͤr einen beſtaͤndi - gen Schuldner von Jhnen erkennen werde. Jch uͤberlaſſe mich Jhnen mit dem groͤßten Vertrauen, und bin unausgeſetzt,

Hochzuehrender Herr Rath und Amtmann, Jhr ergebenſter Diener.

Ein dergleichen lediger Brief ohne Saft und Kraft, und ohne den geringſten buͤndigen Beweis, verdient eine Antwort, wie etwan die folgende iſt.

Mein Herr,

Jch werde mich freuen, wenn Jhre Sache ſo be - ſchaffen iſt, daß ſie zu Jhrem Vortheile aus - ſchlagen muß. Jch werde nichts thun, als was die Gerechtigkeit erfodert, um das Vertrauen zu ver - dienen, ſo Sie gegen mich aͤuſſern. Klaͤger hat aller -Fdings82Satyriſche Briefe. dings viel vor ſich, das werden Sie ſelbſt nicht laͤugnen koͤnnen. Jndeſſen will ich keinen Fleiß ſparen, Jhre Hoffnung, ſo gut es moͤglich ſeyn will, zu erfuͤllen, und mich bey Jhnen von einem empfindlichen Verdachte zu rechtfertigen, als waͤ - re ich auf die Gerechtigkeit der Sache nur alsdann erſt aufmerkſam, wenn man mir eine Belohnung von ferne weiſt. Wodurch habe ich bey Jhnen ein ſo bittres Compliment verdient? Sie haͤtten es nicht thun ſollen, mein Herr; und ich muß ge - ſtehn, daß mich Klaͤger in dieſem Stuͤcke beſſer kennt. Aber es ſey drum; dem ungeachtet will ich Jhnen zeigen, daß dieſe kleine Beleidigung mich nicht hindert, mit aller Ergebenheit zu ſeyn,

Mein Herr, Jhr Diener

Wir erſparen dem Richter die Muͤhe, roth zu werden, und uns viel beſchwerliche Compli - mente und Kruͤmmungen, wenn wir ihn beſte - chen, ohne ein Wort im Briefe davon zu ſagen. Es iſt auch dieſes Mittel das beſcheidenſte, und fuͤr den Richter das ſicherſte, da er kein Bedenken haben kann, unſern Brief allen zu zeigen, die ihn ſehen wollen, weil ſie doch nur den Brief, und nicht dasjenige ſehen, was im Briefe gelegen hat.83Satyriſche Briefe. hat. Seine Antwort an uns iſt ihm deſto we - niger gefaͤhrlich, weil nur wir ſie verſtehen, und ſie fuͤr den dritten Mann ein Raͤzel bleibt. Wenn ich alſo meine gerechte Sache durch ein paar Dutzend Dukaten begreiflich machen wollte: ſo wuͤrde ich ſie ungefaͤhr mit dieſem Briefe uͤber - ſenden.

Herr Commiſſar,

Mein Agent hat mir gemeldet, daß Sie Sich entſchloſſen haben, in meiner Sache des naͤ - heſten Bericht zu erſtatten. Jch empfehle Jhnen nochmals alles aufs beſte. Jch verlange weiter gar nichts, als was die Gerechtigkeit haben will. Es wuͤrde ganz vergebens ſeyn, mehr von Jhnen zu fodern; aber ich kann ruhig ſeyn, da ich Sie bey dieſer Gelegenheit habe als einen Mann ken - nen lernen, der billig und einſehend iſt. Alles, was ich bitte, iſt dieſes, daß Sie die ungegruͤndeten Zunoͤthigungen meiner Unterthanen in Jhrem Berichte ſo deutlich aus einander ſetzen, und ſo gruͤndlich widerlegen, daß alle, die ihn leſen, eben ſo davon uͤberzeugt werden, als Sie es ſind; und daß dem Gegentheile nichts uͤbrig bleibt, die Sache laͤnger zu verzoͤgern. Mein Agent hat Ordre, den Bericht ſo fort abzuloͤſen, und, wenn Sie es ver - langen, Vorſchuß zu thun. Da Sie mir alle Gelegenheit benommen haben, mich dankbar gegenF 2Sie84Satyriſche Briefe. Sie zu erzeigen: ſo kann ich doch wenigſtens die - ſes nicht geſchehen laſſen, daß Sie meinetwegen Sich in koſtbaren Vorſchuß ſetzen ſollen. Jch bin unveraͤndert,

Mein Herr, der Jhrige ꝛc.

Wenn nun ein paar Dutzend Dukaten in dieſen ſtummen Brief gelegt worden: ſo kann ihn der Herr Commiſſar ganz ſicher alſo beant - worten:

Gnaͤdiger Herr,

Sie beſitzen die Geſchicklichkeit, Jhre gerechte Sache ſo deutlich und uͤberzeugend vorzutra - gen, daß man nicht einen Augenblick anſtehen kann, Jhrer Meynung beyzupflichten. Jch habe, ſo bald ich Jhren Brief erhielt, die Acten noch einmal ſorgfaͤltig durchgeſehn; und finde in der That, daß die Zweifel, die ich mir machte, ſo er - heblich nicht ſind, als ich vorher meynte. Der Bericht wird morgen abgehen. Sie koͤnnen Sich darauf verlaſſen, daß er Jhnen nicht nachtheilig iſt. Jhr Agent hat ihn abgeloͤſt, und mich genoͤthiget, zwanzig Thaler Vorſchuß anzunehmen. Gewiß, Gnaͤdiger Herr, Sie ſind gar zu ſorgfaͤltig, und Jhr Agent faſt zu eigenſinnig, daß er uͤber dieſenVor -85Satyriſche Briefe. Vorſchuß nicht einmal Quittung von mir anneh - men wollen. Jch werde Gelegenheit ſuchen, die Sache ſo einzurichten, daß Sie Jhre Aufmerk - ſamkeit und Achtung gegen mich nicht einen Au - genblick gereut. Sie haben boͤſe verſtockte Unterthanen, ein hartnaͤckiges Volk! Noch bis auf dieſe Stunde habe ich nicht einen Dreyer Com - miſſionsgebuͤhren von ihnen bekommen koͤnnen. Sie ſind eine blinde Heerde, die ſich von ihrem ungewiſſenhaften Advocaten irre fuͤhren laͤßt; fiat juſtitia, pereat ruſticus! Die Leute wollen es nicht beſſer haben. Jch habe meine ſchwere Pflicht auf mir; allen kann ich es unmoͤglich recht machen. Jch habe Jhrem Agenten im Vertrauen geſagt, wo er ſich wegen des Berichts melden ſoll. Ein gu - ter Bericht braucht dennoch einen guten Vortrag. Jch weiß, gnaͤdiger Herr, Jhnen darf man eine dergleichen Sache nur halb ſagen, ſo verſtehn Sie ſolche ganz. Jch bin mit der groͤßten Ehrfurcht,

Gnaͤdiger Herr, Deren unterthaͤniger Diener

F 3 Das86Satyriſche Briefe.

Das waͤren alſo einige Proben, wie man einen gewinnſuͤchtigen Richter mit Gelde zahm machen ſoll. Allemal aber geht das nicht an. Es giebt unter ihnen Leute, welche von ihrer Pflicht ſo enge Begriffe haben, daß man ihnen, ungeachtet aller nur moͤglichen Behutſam - keit, dennoch kein baares Geld anbieten darf, ohne ſie zu beleidigen, und uns ihrer bitterſten Empfindlichkeit auszuſetzen. Um deswillen iſt es ſehr noͤthig, daß man die Denkungsart eines jeden Richters wohl pruͤfet, ehe man hier einen Schritt wagt. Nimmt der Richter kein baares Geld, ſo bleiben doch noch hundert Wege uͤbrig, ſeine theure Pflicht zu uͤberraſchen. Jch kenne einen Mann, welcher ſich gewiß ſehr unbaͤndig anſtellen wuͤrde, wenn man ihm anſinnen wollte, funfzig Thaler zu nehmen; und eben dieſen ge - wiſſenhaften Mann will ich mit einem halben Ey - mer Wein weiter bringen, als einen weniger gewiſſenhaften Richter mit funfzig Thalern. Nur das baare Geld hat ein ſo verhaßtes Anſe - hen, und viele ſind ihrer Mutterſprache ſo wenig maͤchtig, daß ſie glauben, das Wort ſich beſte - chen laſſen werde nur in dem Falle gebraucht, wo ein Richter baares Geld annimmt. Man mache ſich dieſe Unwiſſenheit zu Nutze. Es iſt aber noͤthig, daß ſolches mit eben der Vorſicht geſchehe, die ich in dem vorhergehenden mit vie - ler Sorgfalt angerathen habe. Ein geſchickter Client muß ſo erfindſam ſeyn, daß er fuͤr ein jedes Geſchenk87Satyriſche Briefe. Geſchenk einen anſtaͤndigen Vorwand hat. Da - mit meine Abhandlung auch in dieſem Falle prak - tiſch werde: ſo will ich einige Exempel mittheilen. Jch habe oben einen Brief eingeruͤckt, wo der Beklagte die Auſtern ſeines Klaͤgers mit einem Feuillet Burgunderwein uͤberboten hat. Jch will dieſes Thema noch einmal annehmen.

Hochzuehrender Herr Kammerrath,

Mein Freund in Straßburg hat etliche Piecen Burgunderwein an mich ſpedirt, und ge - beten, ihm einen Kaufmann dazu zu verſchaffen. Jch ſchicke Jhnen hier zur Probe ein Feuillet, weil ich weiß, daß Sie ein Kenner ſind; Sie werden finden, daß er ſehr gut iſt. Haben Sie die Guͤ - tigkeit und trinken ihn auf meine Geſundheit. Koͤn - nen Sie jemanden erfahren, der eine Parthie davon kaufen will: ſo werden Sie meinen Freund und mich Jhnen ungemein verbinden. Jch habe von einem ſichern Freunde aus Hamburg ein paar Vaͤßchen Auſtern bekommen; ſie ſind aber bey itzi - ger warmen Wittrung ſo ſchlecht, daß ich mich ſchaͤmen muß, Jhnen mit ſo elendem Zeuge auf - zuwarten. Es iſt mir nicht allein, ſondern allen Kaufleuten ſo gegangen, die mit der letzern Poſt Auſtern erhalten haben. Jch erwarte kuͤnftigeF 4Neu -88Satyriſche Briefe. Neujahrsmeſſe etliche Koͤrbe Champagnier, etwas extra feines. Jch bin,

Hochzuehrender Herr Kammerrath, Deren ergebenſter Diener.

N. S. Wie ſteht es denn mit dem Proceſſe? Mein Advocat iſt gar zu ſaumſelig. Neh - men Sie Sich meiner an, ſo viel billig iſt.

Etliche Klaftern Holz vor die Thuͤre des Rich - ters gefuͤhrt, ſie, ohne lange zu fragen, abgela - den, wieder fortgefahren, und ſodann erſt den Brief uͤbergeben, thut bey einer geringen Sache ſeine gute Wirkung. Was will ein gewiſſenhaf - ter Richter in der Angſt anfangen, wenn das Holz einmal da liegt, und niemand mehr da iſt, der es wieder wegfahren will? Jnzwiſchen muß man doch dieſem Geſchenke, ſo geringe es iſt, ei - nen gewiſſen Anſtrich geben, damit es einen Werth erhaͤlt, und nicht beleidiget. Vielleicht geht es auf dieſe Art an.

Mein89Satyriſche Briefe.
Mein Herr,

Es iſt ein Misverſtaͤndniß von meinem Verwal - ter geweſen, daß er Jhnen im vorigen Herbſte nicht mehr, als eine Klafter Holz, ausgezeichnet hat. Hier ſende ich deren noch viere. Ueber den Preis wollen wir uns auf die Oſtermeſſe vereinigen. Jch bin ohnedem noch Jhr großer Schuldner; aber ich werde auf Mittel denken, es nicht laͤnger zu bleiben. Wird denn meine Sache bald zum Berichte reif ſeyn? Jch wuͤnſche ſehr, daß ich endlich aus dem boͤſen Handel kommen moͤge. Mein einziger Troſt iſt noch dieſer, daß ich mit ei - nem ehrlichen Manne zu thun habe, der ein un - partheyiſcher Richter, und mein Freund iſt

à propos! ich laſſe ſechs Mitteleichen faͤllen. Jch habe ſie der Frau Liebſte zu Jhrem neuen Gar - tenhauſe verſprochen. Aber dafuͤr behalte ich mir die Erlaubniß vor, auf Johanne einen friſchen Hering darinne zu eſſen, wenn es fertig ſeyn wird. Sie ſehn, daß ich nichts umſonſt thue. Den Braten bringe ich ſelbſt mit, und fuͤr Wein mag meine Frau ſorgen. Jch bin mit der alten deut - ſchen Redlichkeit,

Mein Herr, Jhr guter Freund und Diener

F 5 Jch90Satyriſche Briefe.

Jch habe einen guten Freund, der ſeinen Proceß mit nachſtehendem Briefe gewonnen hat. So wenig gehoͤrt vielmals dazu, gluͤcklich zu ſeyn, wenn man die ſchwache Seite des Richters entdeckt hat, und ſeinem Geſchenke, wenn es auch das wichtigſte nicht iſt, ein gutes Anſehen zu ge - ben weiß.

Hochedelgebohrner Herr, Hochgeehrteſter Herr Doctor,

Man hat mir geſagt, daß Jhnen in Jhrem ſchoͤ - nen Muͤnzcabinette noch drey Glockenthaler fehlen. Jch habe die Doubletten davon, und warte Jhnen damit auf. Sie werden mir nicht anmuthen, etwas dafuͤr zu nehmen. Vielleicht haben Sie kuͤnftig einmal einige Stuͤcken doppelt, und erlauben mir etwas davon. Weil Sie ein Kenner ſind, ſo bitte ich mir Jhre Gedanken uͤber beyliegende Gemmam aus. Sie ſoll vom Kaiſer Galba ſeyn. Das Geſicht giebt es, wenn ich an - ders den Sueton recht verſtanden habe. Waͤre dieſe Gemma, was ich glaube, ſo verdiente ſie wohl einen Platz in Jhrer Sammlung. Bey mir wird ſie nicht geſucht, weil ich weder auf alte Muͤnzen, noch alte Gemmas viel halte. Jch habe meinem Gerichtsverwalter befohlen, Jhnen dieſe Stuͤcken ſelbſt einzuhaͤndigen, wenn er ſich die Ehre gebenwird,91Satyriſche Briefe. wird, Jhnen meine Leuterungsſache beſtens zu empfehlen. Die Bauern misbrauchen die Nach - ſicht der Geſetze. Jch bin unveraͤndert

Ew. Hochedelgeb. dienſtergebenſter Diener

Jch koͤnnte noch viel andre Exempel anfuͤh - ren, wie man ſeine Geſchenke an den Richter bringen muͤſſe, ohne den Wohlſtand zu beleidigen. Aber dieſes mag inzwiſchen genug ſeyn, weil ich itzt nicht Willens habe, eine weitlaͤuftige Abhand - lung, ſondern nur einen Verſuch von der Kunſt zu beſtechen zu ſchreiben.

Jch wollte wuͤnſchen, daß ich gewiſſe Regeln geben koͤnnte, wie eigentlich das Verhaͤltniß zwi - ſchen der Sache, um derentwillen man den Rich - ter beſticht, und zwiſchen dem Geſchenke ſeyn muͤſſe. Es iſt aber ſehr ſchwer etwas zuverlaͤſſi - ges davon anzugeben, weil die Perſonen des Richters, und des Clienten oft ein andres Ver - haͤltniß ausmachen, und weil noch oͤfter darauf geſehen werden muß, wie verzweifelt unſre Sa - che ſchon iſt, die wir retten wollen.

Die Hauptregel iſt wohl dieſe, daß man lie - ber zu viel, als zu wenig, thue. Bey einem Rich - ter,92Satyriſche Briefe. ter, der nicht gar zu niedertraͤchtig iſt, muß we - nigſtens fuͤnf pro Cent von dem Werthe der Sa - che gerechnet werden, die wir erlangen, oder ret - ten wollen. Bey einem hungrigen Richter kann man auch wohl weniger thun. Kleinigkeiten ſind von Zeit zu Zeit noͤthig, um uns bey dem Richter in gutem Andenken zu erhalten; aber man muß ſie oft wiederholen, und ſich nicht zu ſehr darauf verlaſſen. Wie auf dem Lande alles wohlfeiler iſt, als in großen Staͤdten: ſo iſt es auch mit der Gerechtigkeit. Man hat mir ei - nen Gerichtsverwalter genannt, welcher ſich mit einer Kanne Butter blind machen laͤßt; bey uns iſt kaum ein Faß zureichend.

Weil ich einmal auf die Beſtechung mit Vik - tualien komme: ſo will ich eine ungefaͤhre Tax - ordnung machen, wie man ſich dabey zu verhal - ten hat.

Wir wollen vorausſetzen: der Beſitzer ei - nes mittelmaͤßigen Landgutes von zwoͤlftauſend Thalern wird in Anſpruch genommen, daß er ſolches durch ein falſches Teſtament an ſich ge - bracht habe. Damit man nun eine Mitteltaxe nehmen darf, ſo ſoll der Proceß in einer kleinen Stadt anhaͤngig ſeyn. Jch ſetze auch voraus, daß des Beklagten Sache ziemlich ungerecht ſey. Auf dieſe beſtimmten Faͤlle wuͤrde ich die Taxord - nung etwan ſo einrichten:

1.)93Satyriſche Briefe.
  • 1.) bey Jnſinuation der Klage, dem Amts - boten einen halben Gulden, und ein Glas Brandt - wein. Es iſt bekannt, wie viel Einfluß vielmals der kleinſte Diener der Gerechtigkeit in einer Sa - che hat.
  • 2.) bey der Litisconteſtation, der Frau Amtmanninn einen Scheffel Waizen, einen Trut - hahn, und einen Schinken.
  • 3.) binnen der Zeit, als rechtlich verfahren wird, erhaͤlt man den Richter durch verſchiedne kleine Gefaͤlligkeiten in der Aufmerkſamkeit. Man richtet ſich nach der Jahrszeit; der mittlere Preis iſt eines Gulden werth.
  • Nota bene! Den Gerichtsactuar nicht zu vergeſſen!
  • 4.) bey Verſendung der Acten zum Ver - ſpruche Rechtens wuͤrde ich hoͤchſtens ein paar Scheffel Haber, und mehr nicht geben. Es koͤmmt dabey auf den Unterrichter ſo gar viel nicht an, und dennoch muß man ihn in Odem erhalten.
  • 5.) bis zum Gegenbeweiſe, wie Nu. 3.
  • 6.) Aber nun geht das Opfern an! Den Gegenbeweis lege man einem fettgemaͤſteten Och - ſen zwiſchen die Hoͤrner. Man muͤßte mit einem Heiden zu thun haben, wenn ihm bey dieſem An - blicke das Herz nicht brechen ſollte.
7.)94Satyriſche Briefe.
  • 7.) der groͤßte Vortheil beſteht im Zeugenver - hoͤren. Auſſerdem daß ein Beklagter ſeine Zeu - gen noch vor dem Termine gehoͤrig zu zurichten wiſſen muß: ſo iſt noͤthig, daß man denjenigen, der die Zeugen vernehmen ſoll, die Zunge wohl loͤſe. Niemand, als wer eine gute Kenntniß der praktiſchen Rechte hat, kann wiſſen, wie viel bey einer vortheilhaften Zeugenausſage auf eine vortheilhafte Frage ankomme. Pecuniam in tem - pore negligere, maxima ſæpe parſimonia eſt: oder, wie es im Deutſchen lautet, hier bekoͤmmt der Amtmann ſo viel Getreide, daß er noch einen Ochſen maͤſten kann, und Butter in Menge. Derjenige, welcher zunaͤchſt unter ihm arbeitet, erhaͤlt ein Baͤllchen feine Leinwand; der dritte in der Reihe, dergleichen, etwas ſchlechter; und al - le Schreiber, wie ſie folgen, bekommen ihren An - theil von der Beute.
  • 8.) bey dem Verfahren, wie bey der dritten Numer; aber doppelte Doſin. Jnzwiſchen wird zum Urthel beſchloſſen. Erlangt man nun durch dieſes Recept ein gutes Urthel: ſo wollte ich wohl rathen, daß man wegen der kuͤnftigen Zei - ten die ganze Richterſtube auf das ererbte, und durch Urthel und Recht beſtaͤtigte Landgut bitten, und bey dem Leicheneſſen der Gerechtigkeit nichts ſparen moͤchte, das Wohlwollen des Richters ge - gen uns zu befeſtigen.
Aus95Satyriſche Briefe.

Aus dieſem kurzen Plane wird man ſehen, wie man bey dem Fortgange der Sache, oder in andern Faͤllen, verfahren muͤſſe. Es bezieht ſich dieſer Plan nur auf die Taxordnung der Viktua - lien; es verſteht ſich aber von ſich ſelbſt, daß man in ſolchen wichtigen Proceſſen zu eben der Zeit, wo man bey des Richters Frau in der Kir - che ſeine Nothdurft vorſtellig macht, auch in des Richters Stube durch baares Geld der Sache den Ausſchlag giebt.

Es ſind auſſer dem baaren Gelde und den Viktualien noch andre Arten, einen Richter zu be - ſtechen. Eine Vorbitte aus dem Munde einer ſchoͤnen Frau macht oft einen uͤberzeugendern Ein - druck, als zwanzig alte Rechtsgelehrte. Jch un - terſtehe mich in dieſem Falle nicht, iemanden et - was zu rathen. Ein Jeder muß wiſſen, wie em - pfindlich er dabey iſt, wie viel ihm daran liegt, ſel - nen Proceß zu gewinnen; und wie der Richter geſinnet ſey. So viel bleibt ausgemacht, daß das Recept probat iſt. Jch kenne einen Gerichts - ſchoͤſſer auf dem Lande, der ſeinem Edelmanne die Gerechtigkeit abgepachtet, und den ſeltnen Ruhm bis dieſe Stunde behauptet hat, daß er gegen alle Bauern unpartheyiſch iſt, nur diejenigen ausge - nommen, welche ſchoͤne Weiber haben.

Jch glaube, es iſt bey dieſer Sache noch ein Mittel zu treffen. Ein Frauenzimmer kann oftdurch96Satyriſche Briefe. durch unſchuldige Freyheiten den Eigenſinn des ernſthafteſten Richters brechen. Sollte man nicht am beſten thun, wenn man ſich der Will - kuͤhr ſeiner Frau uͤberließ? Liebt ſie uns, ſo wird ſie das Spiel hoͤher nicht als auf eine er - laubte Coqvetterie treiben, und dem Richter hoͤch - ſtens unſchuldige Freyheiten verſtatten; liebt ſie uns aber nicht, ja, meine Herren, da kann ich ihnen ſelbſt nicht rathen; liebt ſie uns nicht, ſo wird ſie immer Gelegenheit finden, zu thun, was ſie will, ohne allemal darauf zu ſehen, ob ſie uns einen Proceß damit gewinnt.

Ohne Jemanden bey dieſer bedenklichen Sa - che etwas zu rathen, will ich hier ein paar Brie - fe liefern. Der Richter ſoll von vornehmem, der Beklagte von geringem Stande ſeyn. Deſto wahrſcheinlicher wird die Sache.

Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr,

Jch unterſtehe mich noch einmal, Ew. Excellenz die Sache meines Mannes unterthaͤnig zu em - pfehlen. Die hohen Verſichrungen, die Sie mir vor einigen Wochen muͤndlich gaben, ſind durch die Bosheit unſers Gegners fruchtlos gemacht worden. Es muß mir dieſes deſto empfindlicherſeyn,97Satyriſche Briefe. ſeyn, da ich weiß, daß Ew. Excellenz von der un - gerechten Zunoͤthigung des Klaͤgers uͤberzeugt ſind. Man unterfaͤngt ſich nunmehr, meinen Mann auch um deswillen doppelt zu verfolgen, da Ew. Ex - cellenz die hohe Gnade gehabt haben, Jhres Schutzes ihn zu verſichern. Behaupten Sie, Gnaͤ - diger Herr, Jhr Anſehn, und zugleich die Gerech - tigkeit unſrer Sache. Jch werfe mich Jhnen zu Fuͤſſen; laſſen Sie Sich die unſchuldigen Zaͤhren einer Ungluͤcklichen ruͤhren, welche ſchon in den erſten Wochen ihres Eheſtandes alle die Bitterkeit empfindet, von welcher oft eine Ehe von vielen Jahren ganz befreyet iſt. Das Ungluͤck, ſo mei - nem Manne droht, zwingt mich, durch mein un - geſtuͤmes Bitten die Gnade Ew. Excellenz zu mis - brauchen. Nur dasmal retten Sie uns noch! Wie leicht muß es Jhnen fallen, da Sie ſo groß - muͤthig und gerecht ſind. Jch bin dafuͤr mit der tiefſten Ehrfurcht

Ew. Excellenz demuͤthigſte Dienerinn.

Das verſteht ſich ſchon von ſich ſelbſt, daß die Verfaſſerinn dieſes Briefs jung und ſchoͤn ſeyn muß. Auſſerdem waͤre es ein ſehr leerer und trockner Brief. Aber eine ſchoͤne Ungluͤckliche,Gdie98Satyriſche Briefe. die ſich thraͤnend zu unſern Fuͤſſen wirft, die in den erſten Wochen ihres Eheſtandes ſo viel Ver - folgung unſchuldiger Weiſe ausſtehen muß; dieſe, deucht mich, verdient noch wohl, daß man ihr alſo antworte.

Madame,

Jhr Ungluͤck ruͤhrt mich. Jch habe mir laſſen die Acten vorlegen, ich finde aber verſchiedne bedenkliche Umſtaͤnde, die, wie es ſcheinen will, Jhrem Manne ſehr nachtheilig ſind. Jch werde mich erfreuen, wenn Sie mich uͤberzeugen koͤnnen, daß meine Beſorgniß ungegruͤndet ſey. Eine muͤndliche Unterredung iſt dazu wohl am geſchick - teſten. Jch bin den ganzen Tag beſchaͤfftigt, fruͤh um ſechs Uhr aber werde ich noch ungeſtoͤrt ſeyn. Jch erwarte Sie in meinem Cabinette. Mein Kammerdiener hat Ordre, Sie durch die Gallerie zu mir zu fuͤhren. Faſſen Sie einen Muth. Jch wenigſtens will thun, was in meinem Vermoͤgen iſt.

Leben Sie wohl!

Es ſetze ſich ein Jeder in die Umſtaͤnde des Beklagten. Die Sache iſt auf dem Wege ge - wonnen zu werden. So viel iſt gewiß: wird der Vorſchlag angenommen, ſo kann er verſichert ſeyn, daß er in einer Stunde mehr gewinnt, als er99Satyriſche Briefe. er in zehn Jahren durch die koſtbarſte Chicane nicht erlangt. Soll er ſeine Frau in das Cabi - nett ſchicken? Was ſoll ich ihm rathen? Gewiß, das weiß ich nicht; ſo viel weiß ich, daß ich lieber Richter, als Beklagter, ſeyn moͤchte.

Wenn man das Wort beſtechen im weit - laͤuftigern Verſtande, und zwar dafuͤr annimmt, daß es eine Kunſt ſey, durch welche der Klaͤger oder der Beklagte ſich der herrſchenden Leiden - ſchaften des Richters unmittelbar, oder durch andre Penſeen dergeſtalt zu bemaͤchtigen weiß, daß er ihn auf ſeine Seite ziehen, und den Pro - ceß nach ſeinen Abſichten herum leiten, und zu Ende bringen kann, wenn es, ſage ich, in die - ſem Verſtande genommen wird: ſo kann man gar wohl behaupten, daß ein Richter auch durch die Furcht beſtochen werden koͤnne. Es giebt deren verſchiedne, welche die Welt ſo wohl ken - nen, daß ſie ſich mehr vor ihren Obern, als vor ihrem Gewiſſen fuͤrchten. Viele muͤſſen ſtumm ſeyn, um bittre Vorwuͤrfe zu vermeiden; noch andre ſind in ihrer Wirthſchaft gewiſſen Zufaͤllen ausgeſetzt, welche ſie ſehr zahm machen. Von einer jeden dieſer Arten will ich eine Probe geben; ein billiger Client wird ſie nicht misbrauchen, und kann er es ganz vermeiden, ſie gar nicht ge - brauchen.

G 2Mein100Satyriſche Briefe.
Mein Herr,

Jch habe geſtern Mittags bey Jhro Excellenz, dem Herrn von geſpeiſt. Die Gna - de, welche dieſelben ſeit vielen Jahren auf eine vorzuͤgliche Art mir erzeigt, gab mir Gelegenheit, ihnen von der Verdrießlichkeit Etoͤffnung zu thun, die mir durch den bewußten Hutungsproceß zu - gezogen wird. Jch war ſo gluͤcklich, Jhro Ex - cellenz von der Billigkeit meiner Befugniſſe durch ein kurzes pro memoria zu uͤberzeugen. Sie wunderten ſich, wie bey dieſen klaren Umſtaͤnden die Sache ſo lange Zeit bey der Commiſſion uner - oͤrtert bleiben koͤnnen. Als ein aufrichtiger Freund von Jhnen, mein Herr, nahm ich Gelegen - heit Jhr Verfahren zu entſchuldigen; ich war auch endlich ſo gluͤcklich, Jhro Excellenz die widrige Meynung zu benehmen, zu welcher ſie, wie die - ſelben ſich gegen mich ausdruͤckten, ſchon ſeit eini - gen Jahren, und bey verſchiednen Gelegenheiten gegruͤndete Urſachen bekommen haͤtten. Haben Sie die Gewogenheit, und beſchleunigen den Hauptbericht. Sie ſind zu billig, und zu einſe - hend, als daß Sie ihn zu meinem Nachtheile ab - faſſen ſollten. Jch weiß, darauf kann ich mich verlaſſen. Jch habe Jhro Excellenz Hoffnung gemacht, daß er laͤngſtens binnen drey Wochen von Jhnen eingeſendet werden wuͤrde. Laſſen Sie mich in meinem Verſprechen nicht fallen; ich werde gewiß in drey Wochen Jhro Excellenz wie -der101Satyriſche Briefe. der aufwarten, und ſodann das Vergnuͤgen ha - ben, Jhnen zu melden, wie der Bericht aufge - nommen worden iſt. Bin ich im Stande, Jhnen hoͤhern Orts zu dienen: ſo verſehn Sie Sich zu meiner Freundſchaft aller moͤglichſten Bereitwillig - keit. Jch verharre u. ſ. w.

Hochgeehrteſter Herr Amtmann,

Jch habe gewiſſe Nachricht, daß meine Feinde ſich Muͤhe geben, einen Befehl zur Reviſion meiner Caſſe an Sie auszuwuͤrken. Nun bin ich zwar alle Stunden im Stande, Rede und Antwort zu geben; weil aber dieſes Rechnungsweſen ſo weitlaͤuftig iſt, weil mir noch verſchiedne Belege fehlen, und weil ich aus einer, vielleicht gar zu gefaͤlligen, Nachſicht gegen das Armuth der Con - tribuenten mich in eine ziemliche verwirrte Reſt - rechnung eingelaſſen habe: ſo erwarte ich von Jh - rer Freundſchaft, daß Sie mir, ſo bald der Be - fehl einlangt, unter der Hand Nachricht geben, und mich nicht uͤbereilen. Jch zweifle an dieſer Gefaͤlligkeit nicht einen Augenblick, da ich im Stande bin, auf andre Art erkenntlich zu ſeyn. Sie ſind der billigſte, der gewiſſenhafteſte Beamte; das geſteht Jhnen jedermann zu. Aber wuͤrden Sie wohl ganz gleichguͤltig ſeyn, wenn ich un - vermuthet zu Jhnen kaͤme, und auf Befehl die Vorlegung der Depoſitengelder verlangte? G 3Urthei -102Satyriſche Briefe. Urtheilen Sie hieraus, wie empfindlich auch dem ehrlichſten Rechnungsfuͤhrer eine dergleichen Ue - berfallung ſeyn muͤſſe. Sie verſtehn mich doch wohl, Herr Amtmann? Mit einem Worte: Hal - ber Dienſt, und ganze Freunde! Eine Hand waͤſcht die andre, und ich bin, u. ſ. w.

Hochgeehrter Herr Stadtrichter,

Jch will Jhnen die ganze Sache aufrichtig ge - ſtehn. Die Bekanntſchaft, die ich ſeit vielen Jahren mit dem Manne gehabt, hat eine gewiſſe Art der Vertraulichkeit zwiſchen mir und ſeiner Frau veranlaßt, welche denenjenigen allerdings et - was zweydeutig ſeyn muß, die mehr neugierig, als billig ſind. Es war eine Unvorſichtigkeit von mir, aber weiter war es auch nichts, daß ich bey der Abweſenheit des Mannes laͤnger in ihrem Hau - ſe blieb, als es vor den Augen der gemeinen Leu - te der Wohlſtand zu erlauben ſchien. Jch ſchwoͤ - re es Jhnen zu, es iſt nicht mehr, als drey, hoͤch - ſtens viermal geſchehn, und jederzeit im Beyſeyn ihrer Verwandtinn, welche ihre Jahre und ihre Froͤmmigkeit glaubwuͤrdig machen. Waͤre der Mann bey ſeiner unerwarteten Ruͤckkunft nicht trunken geweſen: ſo wuͤrde er ſich vernuͤnftiger auf - gefuͤhrt haben. Jch war genoͤthigt, ihm den De - gen aus der Hand zu reißen; denn ſo weit, glau - be ich, geht die Freundſchaft nicht, daß man ſichſoll103Satyriſche Briefe. ſoll erſtechen laſſen. Dieſes aber wird wohl nicht wider die peinliche Halsgerichtsordnung ſeyn, daß ich in ſeinem Hauſe meinen Beſuch im Schlaf - pelze, und in Pantoffeln abgelegt habe. Meine Pflicht erfoderte, daß ich eine unſchuldige Frau den Haͤnden ihres raſenden Mannes entriß, und ſie ſo lange in mein Haus nahm, bis ich ſie mit anbrechendem Tage dem Schutze ihrer Aeltern uͤberlaſſen konnte. Jhre alte fromme und recht - ſchaffne Verwandte kann alles, was ich ſage, be - zeugen. Sie liegt noch bis itzt auf ihren Knien, und fleht den Himmel an, daß er dem armen Manne ſeinen verlohrnen Verſtand wieder ſchen - ken wolle.

Sehn Sie, Hochgeehrter Herr Stadtrichter, das iſt der eigentliche und wahre Verlauf der Sa - che. Muß der Mann nicht unſinnig ſeyn, daß er uͤber dieſe Kleinigkeiten ſolche Bewegung macht, die Obrigkeit wider mich aufzubringen ſucht, und ſo vieles Geld dran ſetzen will, ein gerichtlicher Hahnrey zu werden. Jch bin allemal im Stande, mich zu rechtfertigen; allein die Freundſchaft ge - gen dieſen unſinnigen, die Hochachtung fuͤr ſeine unſchuldig gekraͤnkte Frau, und das Verlangen, ruhig zu ſeyn, iſt Urſache, daß ich wuͤnſche ohne Weitlaͤuftigkeit aus der Sache zu kommen. Jch weiß, mein Herr, wie viel Sie uͤber ihn vermoͤ - gen. Reden Sie ihm, als Freund und als Rich - ter, zu, daß er anſteht, ſeine eingebildete Beleidi -G 4gung104Satyriſche Briefe. gung weiter zu ahnden. Erwerben Sie Sich das Verdienſt, eine ungluͤckliche Frau mit einem Man - ne auszuſoͤhnen, welcher ſich uͤbereilt hat, und ei - ne Freundſchaft wieder herzuſtellen, die zwiſchen mir und ihm ſo lange Zeit, und bis auf den trau - rigen Augenblick unverbruͤchlich gepflogen worden iſt. Sie machen Sich durch dieſe guͤtige Vermit - telung zwo Familien auf einmal verbindlich, und ich ins beſondre werde Gelegenheit ſuchen, Jhnen in der That zu zeigen, daß ich mit der groͤßten Er - kenntlichkeit ſey,

Hochgeehrter Herr Stadtrichter, Jhr ergebenſter Diener.

N. S. Jch habe vorige Woche von den Ge - bruͤdern N. N. einen Wechſel auf fuͤnfhundert Thaler an Zahlungsſtatt annehmen muͤſſen, wel - chen Sie ausgeſtellt haben, und der auf kuͤnftige Meſſe gefaͤllig iſt. Es iſt mir bekannt, daß Jhre Umſtaͤnde Sie gegenwaͤrtig ſchlechterdings hindern, Zahlung zu leiſten. Jch verlange auf keinerley Art Jhnen beſchwerlich zu fallen. Melden Sie mir Jhre Gedanken in ein paar Zeilen, oder noch beſſer, erzeigen Sie mir dieſen Abend die Ehre, und ſpeiſen Sie mit mir in meinem Garten. Wir ſind ganz allein. Muͤndlich von allem ein mehrers.

Da, wie ich oben erinnert habe, die Kunſt zu beſtechen eine Kunſt iſt, ſich der herrſchen - den105Satyriſche Briefe. den Leidenſchaften eines Richters zu ſeinem Vor - theile zu bemaͤchtigen: ſo wird es oft eine ſehr vergebne Arbeit ſeyn, daß man ihn durch Mit - leiden und Erbarmung zu bewegen ſuche. Dieſe Empfindungen ſind allzumenſchlich fuͤr einen Mann, den gemeiniglich ſein Amt zu ernſthaft macht, als daß er bey den Thraͤnen einer Witwe weinen ſollte. Er gewoͤhnt ſich hart, um deſto unpartheyiſcher, und von dieſer Seite unempfind - lich zu ſeyn; denn wenn er ja empfindlich ſeyn ſoll, ſo muͤſſen die Urſachen dazu gewiß eintraͤg - lich ſeyn. Das aber ſind die Thraͤnen des Ar - muths nicht. Man wird mir nicht zumuthen, dasjenige hier zu wiederholen, was ich ſo oft ge - ſagt habe. Jch weiß freylich, daß es Richter giebt, die zum großen Schaden ihrer haͤuslichen Nahrung ganz anders geſinnt ſind, ich weiß auch, daß dieſe eine ziemliche Anzahl ausmachen; aber das weiß ich auch, daß der groͤßte Haufe von ihnen ganz anders, und gruͤndlicher denkt. Und nur von dieſem groͤßten Haufen rede ich. Die andern ſind Phaͤnomena, die zur Ausnahme ge - hoͤren. Wieder zur Hauptſache zu kommen! Man huͤte ſich alſo wohl, dem Richter durch Thraͤnen und Klagen, und Erzaͤhlung unſers Elends einen Ekel gegen unſre Sache beyzubringen. Er wird die Augen wegwenden, um unſern Jammer nicht zu ſehen. Haͤtten wir nicht ſo gar aͤngſtlich und klaͤglich gethan: ſo wuͤrde er ſich vielleicht noch einen guten Begriff von unſrer Sache gemachtG 5 haben;106Satyriſche Briefe. haben; da wir ihn aber mit den duͤrftigen Klagen betaͤuben, ſo iſt er nur unſer Richter, und hoͤrt auf, unſer Freund zu ſeyn. Eine Sache, wel - che die Erfahrung beſtaͤtiget, haͤtte eben nicht noͤthig, mit Beyſpielen erlaͤutert zu werden; zum Ueberfluſſe aber will ich es doch thun.

Mein Herr,

Es wird nun faſt ein Jahr ſeyn, daß ich wegen der tauſend Thaler klagen muͤſſen, die Herr N. meinem verſtorbnen Manne ſchuldig geblieben iſt. Die Billigkeit meiner Fordrung iſt klar, und mein Advocat hat mich verſichert, mein Beweis waͤre ſo uͤberzeugend, daß mir die Obrigkeit ohne Weitlaͤuftigkeit zu meinem Rechte verhelfen wer - de. Jch habe, dieſes Jahr uͤber, mir und meinen Kindern den nothduͤrftigſten Unterhalt entzogen, um ſo viel Geld aufzubringen, als noͤthig gewe - ſen iſt, Jhnen, mein Herr, an Gerichtsunkoſten zu entrichten. Nun iſt es mir weiter nicht moͤg - lich, einen Groſchen daran zu ſetzen. Jch lebe in der groͤßten Duͤrftigkeit. Stellen Sie Sich, mein Herr, vier unerzogne Kinder vor, die mir am Halſe haͤngen, und um Nahrung flehen, welche ich ihnen nicht geben kann. Jch kuͤſſe dieſe klei - nen Ungluͤcklichen, um ſie zu beruhigen, und ſage ihnen, daß wir unſer Gluͤck von den Haͤnden einesgerech -107Satyriſche Briefe. gerechten und großmuͤthigen Richters erwarten. Die armen Kinder verſtehen mich nicht, ſie wei - nen, weil ſie mich weinen ſehen, und kuͤſſen mei - ne muͤtterlichen Zaͤhren. Gewiß, mein Herr, Sie haben das Leben von fuͤnf Unſchuldigen in Jhren Haͤnden. Schaffen Sie mir Recht! Jch beſchwoͤre Sie bey der Zaͤrtlichkeit, die Sie als Vater gegen Jhre Kinder haben. Erbarmen Sie Sich meiner! Verhelfen Sie mir zu dem, was mir gehoͤrt, und laſſen Sie nicht zu, daß meine Feinde ſich meines Armuths misbrauchen. Ret - ten Sie mich, mein Herr, damit die Thraͤnen meiner Kinder nicht etwan kuͤnftig einmal Jhren Kindern zu ſchwer werden. Ach, mein Herr, verzeihen Sie mir die Heftigkeit meiner Empfin - dungen! Jch bin ganz ohne Huͤlfe, wenn Sie mich verlaſſen. Verlaſſen Sie mich nicht, damit es Jhnen und den Jhrigen beſtaͤndig wohl gehe! Jch erbitte dieſes auf meinen Knien von Gott, und bin,

Mein Herr, Deren demuͤthige Dienerinn.

Madame,108Satyriſche Briefe.
Madame,

Wenn Jhr Advocat die Sache beſſer verſteht, als ich: ſo wollte ich, daß er an meiner Stelle Richter ſeyn muͤßte. Haben Sie gerechte Sache, ſo wird es ſich zuletzt ſchon ausweiſen; man muß der Gerechtigkeit ihren Lauf laſſen, wie es ſich nach Vorſchrift der Geſetze gehoͤrt. Das verſtehe ich, und Sie verſtehn es nicht, Madame. Mit Thraͤnen und Klagen loͤſt man weder einen Bericht, noch ein Urthel ab. Haben Sie kein Geld, ſo muͤſſen Sie keinen Proceß fuͤhren. Hat Jhnen das Jhr Advocat nicht geſagt? Warum haben Sie ſo viel Kinder, wenn Sie ſolche nicht ernaͤhren koͤnnen? Meinen Kindern giebt niemand etwas, als was ich verdiene; und was mir gehoͤrt, das laſſe ich mir nicht nehmen. Mit einem Wor - te: Sie ſind noch fuͤnf Thaler Gerichtsgebuͤhren und baaren Verlag ſchuldig; und bezahlen Sie die - ſe binnen acht Tagen nicht: ſo laſſe ich Sie aus - pfaͤnden, oder ich will kein ehrlicher Mann ſeyn. Jch ſchwoͤre nicht vergebens, das wiſſen Sie.

Leben Sie wohl.

Jch habe bisher groͤßtentheils nur von der unmittelbaren Beſtechung geredet. Es iſt noͤ - thig, daß ich noch ein Wort von der mittelba - ren ſage, welche einen ſo großen und wichtigen Theil von der Hiſtorie unſrer Proceſſe ausmacht.

Es gruͤndet ſich dieſes auf den alten und wahren Satz, daß eine große Anzahl unſrer Rich -109Satyriſche Briefe. Richter unmuͤndig iſt. Sie ſtehn ſehr oft unter der Vormundſchaft ihrer Weiber, oder ihrer Kinder, oder ihrer Subalternen. Das erſte, was ein vernuͤnftiger Client thun kann, iſt dieſes, daß er ſich nach dergleichen Umſtaͤnden wohl er - kundiget. Gemeiniglich ſind die Weiber der Richter die erſte Jnſtanz fuͤr die Partheyen. Man huͤte ſich ja, ſie zu uͤbergehen. Jch we - nigſtens bin allemal der Meynung geweſen, daß es beſſer ſey, den Richter und die Geſetze, als des Richters Frau, wider ſich zu haben. Nach dem ordentlichen Laufe der Natur hat der Richter nur in der Richterſtube, ſeine Frau aber im ganzen Hauſe, zu befehlen. Der Richter lenkt die Geſetze nach ſeinem Gutbefinden, die Frau den Mann nach ihrem Winke. Ein Richter, er ſey auch wie er wolle, hat doch immer einen gewiſſen Zwang von ſeiner Pflicht und ſeinem Gewiſſen: die Frau des Richters iſt durch keine Pflicht gebunden; und wenn ſie ſich einmal vornimmt, Recht zu behalten, ſo uͤberſchreyt ſie die Geſetze und alle Rechtsgelehrten.

Was ich hier ſage, braucht keinen Beweis, die Erfahrung lehrt es, und ich will einem jeden, dem ſeine gerechte Sache lieb iſt, wohlmeynend rathen, ſich nach dieſer Erfahrung zu richten.

Beſondre Regeln braucht man dabey nicht. Es gelten hier eben diejenigen, die ich oben wegen der Richter feſtgeſetzt habe. Man gebe ſich Muͤhe, die herrſchenden Leidenſchaften der Frau zu erfahren. So110Satyriſche Briefe. So viel herrſchende Leidenſchaften eine Frau hat, und man ſagt, deren waͤren eine ziemliche An - zahl: ſo viel Wege hat man, zu ſeinem Zwecke zu gelangen. So viel iſt gewiß, mit alten Muͤn - zen und Gemmis werde ich die Frau eines Rich - ters nicht verfuͤhren: aber das weiß ich ſehr wohl, daß eine Garnitur Meißnerporcellan, zu ſeiner Zeit angebracht, Wunder thut. Ein guter Freund von mir war durch die Unachtſamkeit ſei - nes Advocaten ſo ungluͤcklich, daß er ſeinen Pro - ceß verlohr. Keine Leuterung, keine Appella - tion half ihm mehr; er war ganz abgewieſen. Endlich fand er ganz unvermuthet einen Weg, ſich durch einen reichen Stoff am rechten Orte zu empfehlen; und da hieß es: Nunmehro aus den Acten ſo viel zu befinden ꝛc.

Wer die Kunſt recht verſteht, den Beyfall der Frau ſeines Richters zu gewinnen, der hat viele Vortheile, die man nicht hat, wenn man ſich nur an den Mann haͤlt. Es macht bey der Richterinn einen viel ſtaͤrkern Eindruck, wenn ich nachtheilig von andern Frauenzimmern, und be - ſonders von der Frau meines Gegners rede. Jch kann es ſicher wagen, ihr damit zu ſchmeicheln, daß ſie ihr weibliches Anſehn uͤber ihren Mann, und ſein Amt behaupte. Jſt eine ſolche Frau noch uͤber dieſes zaͤrtlich; wie viel haben wir ge - wonnen! Das muß man nicht allemal verlangen, daß ſie ſchoͤn ausſieht. Sieht ſie ſchoͤn aus, deſto beſſer,111Satyriſche Briefe. beſſer, unſer Vortheil iſt doppelt. Sieht ſie haͤß - lich aus, wer kann ſich helfen; man druͤcke die Augen feſt zu, und verlaͤugne ſeine Empfindungen. Wie viel leidet ein Menſch nicht, ſein Gluͤck zu machen!

Weil ich angefangen habe, alle meine Saͤtze durch Briefe zu erlaͤutern: ſo will ich es auch hier thun. Man wird aus einem ieden dieſer Briefe ſehen, in welchem Falle er zu gebrauchen iſt; ich habe nicht noͤthig, es daruͤber zu ſchreiben.

Madame,

Sie haben voͤllig Recht, die Eitelkeit dieſer Frau iſt ganz unertraͤglich. Sollte man wohl glau - ben, daß dieſe Prinzeſſinn die Frau eines Mannes ſey, der mich um ſechshundert Thaler ungerechter Weiſe verklagt, und der ſo aͤngſtlich thun kann, als wenn er mit Weib und Kinde verhungern muͤßte, wenn ihm nicht ſchleuniges Recht wider mich verſchafft wuͤrde? Jch habe mich geſtern er - kundiget, wie viel die Elle von den Spitzen koſte, mit denen ſie ſich am Sonntage in Jhrer Geſellſchaft ſo bruͤſtete. Wie viel meynen Sie wohl, Mada - me? Sie werden es kaum glauben. Jch bin ſo gluͤcklich geweſen, noch acht Ellen von dieſer Sor - te aufzutreiben. Erlauben Sie mir, daß ichJhnen112Satyriſche Briefe. Jhnen damit aufwarten darf. Mich duͤnkt, Ma - dame, ſie ſchicken ſich fuͤr Jhren Stand beſſer, als fuͤr dieſe Naͤrrinn. Aergert es Sie, daß dieſe Frau ſich anmaßt, eben ſo koſtbare Spitzen zu tra - gen, als Sie tragen, Madame: ſo vermitteln Sie nur, daß ich meinen Proceß gewinne. Jſt das wahr, was mein Klaͤger bey den Acten ſagt: ſo wird ihn ſodann die Noth zwingen, die praͤchtigen Spitzen ſeiner Frau zu verkaufen, um etwas zu haben, wovon er lebt. Jſt das aber nicht wahr, was er dem Richter ſo klaͤglich vorſeufzt: ſo ver - dient der Heuchler, und ſeine ſtrotzende Frau Jh - re Rache doppelt. Mit einem Worte, Madame, Sie haben itzt dieſe Familie in Jhren Haͤnden. Sie kennen ihren Bettelſtolz; zuͤchtigen Sie ihren Hochmuth, und ſchaffen Sie dadurch Sich und mir Recht. Von Jhren Haͤnden allein erwarte ich mein Recht, und bin,

Madame, u. ſ. w.

Hochzuehrende Frau Amtmanninn,

Wird Sie es nun bald gereuen, daß Sie geſtern die Parthey von meinem Gegner ſo eifrig nahmen? Aber vielleicht wiſſen Sie das noch nicht, was ſchon die ganze Stadt weiß. Jm Ernſte, wiſſen Sie es noch nicht? Jch will es Jh - nen ſagen. Der Mann, welcher nicht einmal ſoviel113Satyriſche Briefe. viel Vermoͤgen hat, mir die dreyhundert Thaler zu bezahlen, die ich von ihm aus dem Teſtamente fodere; der durch den Mangel ſo weit gebracht iſt, daß er ſich nicht ſchaͤmt, mir die Richtigkeit der Foderung zu leugnen; der Mann, der geſtern das Gluͤck hatte, von Jhnen bedauert zu werden; dieſer Mann hat heute einen Befehl gebracht, daß er den Rang uͤber den Herrn Amtmann haben ſolle. Sehn Sie, Madame, ſo bald Sie nun wieder mit ſeiner Frau in Geſellſchaft kommen: ſo werden Sie Jhren Platz zu nehmen wiſſen, der Jhnen nach dem Befehle gehoͤrt. Die guten Zeiten ſind vorbey, wo die Frau Amtmanninn obenan ſaß, und alsdann erſt Madame. Gewiß, bedauren Sie mich immer ein wenig, ich verliere am meiſten dabey. Wird nun der Herr Amtmann wohl noch das Herz haben, mir wider einen Mann Recht zu verſchaffen, den die Vorſicht ſo hoch uͤber ihn und ſeine Frau erhoben hat? Jch beklage Sie von gan - zem Herzen. Mehr kann ich nicht thun. Bey allen dieſen Ungluͤcksfaͤllen, die Sie treffen, bin ich dennoch mit der groͤßten Ehrfurcht,

Hochzuehrende Frau Amtmanninn, Jhr gehorſamſter Diener.

HGnaͤ -114Satyriſche Briefe.
Gnaͤdige Frau Amtshauptmanninn,

Eine Abbitte, und eine Ehrenerklaͤrung iſt das wenigſte, was ich von Jhnen fodern kann. Koͤnnen Sie mir im Ernſte einen ſo ſchlechten Ge - ſchmack zutrauen, daß ich das Geſichte der Kom - merzenraͤthinn fuͤr reizend halten ſollte? Die Schmeichleyen, die ich ihr geſtern ſagte, giengen wenigſtens ihr Geſichte nicht an. Koͤnnte ich mir auch ſo viel Gewalt anthun, ſie zu lieben: ſo muͤß - te es gewiß nur darum geſchehen, daß ich mich an ihrem Mann raͤchte, der mich in einen ſo ver - drießlichen Rechtshandel verwickelt hat. Es iſt wahr, die ehrliche Frau verlaͤßt ſich auf ihre alten Reizungen ſo ſehr, als ihr guter Mann auf die Gerechtigkeit ſeiner Sache, die er wider mich aus - zufuͤhren gedenkt; doch will ich hoffen, ſie ſollen beide verlieren. Dem ungeachtet muß ich geſte - hen, die Kommerzenraͤthinn iſt eine billige Frau. Sie hat mir geſtern ins Ohr geſagt, daß Sie, Gnaͤdige Frau, noch ganz ertraͤglich ausſaͤhen, und geſteht, daß Jhre Haͤnde ſchoͤn ſind. Jch kam zugleich auf meinen Proceß zu reden, und that ein wenig ſtolz auf die Billigkeit meiner Sache. Es kann ſeyn, ſagte ſie mit ihrer hohen Mine, aber vielleicht wird ſie der Herr Amtshauptmann ſo gar gerecht nicht finden, wenn ich nur ein - mal Gelegenheit habe, muͤndlich mit ihm davon zu ſprechen. Verſtehn Sie dieſe trium -phirende115Satyriſche Briefe. phirende Sprache, Gnaͤdige Frau Amtshauptman - ninn? Jch will wuͤnſchen, daß ſie Jhr Gemahl nicht verſteht. Unterbrechen Sie dieſe Cabale. Gewiß eine ſolche Schoͤnheit, von der vorigen Re - gierung, iſt gefaͤhrlich. Jch bitte mir die Erlaub - niß aus, daß ich Jhnen dieſen Abend aufwarten, und diejenigen Haͤnde kuͤſſen darf, welche das Gluͤck haben, ſelbſt von Jhren Feinden bewundert zu werden. Jch werde in der gebeugten Stellung eines demuͤthigen Clienten gekrochen kommen, wegen meines Rechtshandels Jhren Vorſpruch bey Jhrem Gemahl mir auszubitten. Werden Sie wohl, Gnaͤdige Frau, das Herz haben, es mit den hinreiſſenden Blicken der Frau Kommer - zenraͤthinn anzunehmen, die fuͤr den Herrn Amts - hauptmann deſto gefaͤhrlicher ſeyn muͤſſen, da ſie ſchon ſeit dreyßig Jahren gewohnt ſind zu ſiegen? Jch habe die Ehre zu ſeyn,

Gnaͤdige Frau Amtshauptmanninn, Jhr unterthaͤniger Diener

H 2Mada -116Satyriſche Briefe.
Madame,

Jch habe Willens, meinen Nachbar zu verklagen. Von der Billigkeit meiner Klage, und von der Buͤndigkeit meines Beweiſes bin ich uͤber - zeugt; ich wage es aber doch nicht, ehe und bevor ich weiß, ob es mit Jhrer Zufriedenheit geſchieht. Wir wiſſen es alle, Madame, daß Jhr Mann das Amt hat, Sie aber den Verſtand haben, der zu ſeinem Amte gehoͤrt. Er iſt ſo billig, daß er ſich Jhrer Leitung uͤberlaͤßt, und, wie es auch ei - nem gehorſamen Ehemanne gebuͤhrt, nichts thut und ausſpricht, als was Sie thun, und zu ſpre - chen ihm anbefehlen. Stehen Sie meiner Sache bey. Verſichern Sie Sich meiner Dankbarkeit, von der das beyliegende Paͤcktchen nichts, als nur eine kleine Probe iſt. Geben Sie nur einen Wink, ſo weiß ich, daß die ganze Richterſtube zittert, und Jhr Mann ein beyfaͤlliges Urthel fuͤr mich ab - faßt, noch ehe er meine Klage zu ſehen bekoͤmmt. Wie gluͤcklich iſt unſre Stadt, Madame, da Sie regierender Stadtrichter ſind! Wir bekommen un - ſer Gluͤck von Jhnen durch den Mund Jhres Mannes. Der Himmel erhalte dieſen noch lange Jahre, damit wir Sie nicht verlieren. Dieſes iſt, Madame, der aufrichtigſte Wunſch Jhres gehor - ſamen Dieners.

Dieſes117Satyriſche Briefe.

Dieſes waͤren alſo einige Formulare, die man brauchen kann, wenn ein Richter die Ma - ſchine der Gerechtigkeit iſt, durch welche ſeine Frau die Proceſſe der Partheyen nach ihrem Gutbefinden lenkt.

Jn den Faͤllen, wo ein Richter dieſes Di - rectorium ſeinen Kindern aufgetragen hat, ver - faͤhrt man auf eben dieſe Weiſe. Jſt die Toch - ter an der Regierung; deſto beſſer! Jch bin in einem Hauſe bekannt, wo die Tochter die Amts - ſtube, und der Vater die Kuͤche beſorgt; wo der Vater von den gangbaren Rechtshaͤndeln, und den bey dem Amte vorfallenden Sachen nicht die mindeſte Kenntniß, und die Tochter eben ſo wenig Erfahrung von der Kuͤche hat; wo der Va - ter uͤber der Mahlzeit entweder gar nichts ſpricht, oder es doch nur zu entſchuldigen ſucht, daß das Eſſen verſalzen iſt, die Tochter aber den Gaͤſten erzaͤhlt, was ſie ſeit fuͤnf Jahren in ihrem Amte fuͤr caſus in terminis erlebt hat. Mit einem Worte, die guͤtige Natur hat der Tochter den Verſtand in ziemlich reichem Maaße gegeben, den ſie, gewiß aus weiſen Urſachen, dem Vater ent - zogen. Alles dieſes deſto beſſer zu erlaͤutern, will ich ein paar Briefe einruͤcken, die ich vor ei - niger Zeit an den Vater, und an die Tochter geſchrieben habe.

H 3Hoch -118Satyriſche Briefe.
Hochedelgebohrner Herr, Hochzuehrender Herr Amtmann,

Auf dero geehrteſtes vom ſechzehnten dieſes ha - be die Ehre Jhnen zu melden, daß wir heuer bey uns eben ſo ſchlechte Eichelmaſt haben, und was das ſchlimmſte iſt, ſo ſagt man, daß an vie - len Orten die Braͤune unter die Sauen gekommen ſey. Die Butter will noch nicht wohlfeil wer - den; ſieben Groſchen iſt der genauſte Preis. Flachs die Menge! Der Stein aufs hoͤchſte zween Thaler. Mit dem Unſchlit laſſen Sie es immer noch anſtehen. Es iſt itzt in keinem Werthe. Jch kann es Ew. Hochedelgeb. wohl glauben, daß Sie vielen Verdruß mit den Maͤgden haben. Es iſt leider bey uns nicht viel beſſer; das machen die wohlfeilen Zeiten! Spindeln habe ich Jhnen aus dem Gebirge verſchrieben, und ich hoffe Sie itzt beſſer zu verwahren, als das letztemal. Eine gu - te Freundinn von mir moͤchte auf Weihnachten gern eine geſunde und gute Amme haben; wollten Ew. Hochedelgeb. nicht ſo guͤtig ſeyn, und uns eine vorſchlagen. Die Frau Obriſtlieutenantinn iſt mit der, die Sie ihr geſchickt haben, ganz unge - mein wohl zufrieden. Sie machen Jhnen mich dadurch ſehr verbindlich, und koͤnnen gewißglau -119Satyriſche Briefe. glauben, daß ich mit der groͤßten Hochachtung ſey,

Hochedelgebohrner Herr, Hochzuehrender Herr Amtmann, u. ſ. w.

N. S. Jnnliegenden Brief bitte unverzuͤglich an die Mademoiſelle Tochter zu uͤbergeben; er betrifft Fatalia!

Mademoiſelle,

Nur dieſes einzigemal haben Sie noch die Guͤ - tigkeit und nehmen meine Appellation an. Jch kann mir itzt nicht anders helfen, und Sie haben die geringſte Verantwortung nicht dabey, da die letzte rejection ſine clauſula geſchehn. Wie es mit dem Urtheil in Sachen N. contra N. zu - gegangen ſey, kann ich gar nicht begreifen. Salvo honore ſententionantium iſt ſehr elend geſpro - chen. Es zeigt von Jhrer Unpartheylichkeit, und guten Erfahrung, daß Sie die Leuterung ohne Schwierigkeit zugelaſſen haben. Zween von der hieſigen Bande haben die Tortur gluͤcklich ausge - ſtanden, der dritte hat bekannt. Sollten Sie SichH 4es120Satyriſche Briefe. es wohl ſo naͤrriſch traͤumen laſſen, daß kein No - tarius bey der peinlichen Frage adhibirt worden iſt. Hier ſende ich Jhnen die drey conſtitutiones ineditas, welche ſie verlangt. Der zweyte Theil vom Bauernrechte iſt ſchon lange aus der Preſſe; wiſſen Sie das noch nicht? Aus dem Oberhofge - richte werden Sie wieder eine Jnhibition kriegen. Laſſen Sie es immer einmal drauf ankommen. Ueber beykommende Sportuln bitte mir bey Ge - legenheit Quittung aus. Wir haben noch keinen Ordinarium. Befehlen Sie, daß ich weiter aufs juriſtiſche Orakel praͤnumeriren ſoll? Die Sache wegen des Abzugsgeldes iſt wohl gar ins Vergeſ - ſen gekommen. Laſſen Sie doch noch einmal in Jhrem Archive nachſuchen, ob ſich von den bewuß - ten Lehnbriefen gar nichts findet. Jch habe die Ehre zu ſeyn,

Mademoiſelle, der Jhrige.

N. S. Haben Sie die Guͤtigkeit, und befeh - len dem Papa, daß er den gebirgiſchen Mann wegen der Butter befriedigt. Jch habe den Verdruß und den Anlauf von den Leuten, und weiß bald nicht mehr, wie ich ſie bey der Geduld erhalten ſoll.

Jn121Satyriſche Briefe.

Jn denjenigen Gerichtsſtuben, wo die De - mokratie eingefuͤhrt iſt, und wo ein Jeder, von dem Thuͤrſteher an bis zu dem Richter, ſein Votum hat; da iſt fuͤr die Partheyen allerdings eine ſehr koſtbare Gerechtigkeit. Es gehoͤrt Ge - duld und Geld dazu, wer hier zu ſeinem End - zwecke kommen will. Ein Jeder will an den Partheyen ſaugen. Bey ſolchen Gelegenheiten muß man es machen, wie Taubmann, dem der Fuͤrſtliche Hof verbothen war, und zwar unter der Bedrohung, daß man ihn mit Hunden hin - aus hetzen wuͤrde. Er wagte es doch, er ließ fuͤr jeden Hund, der ihn anfiel, einen Haſen laufen, und kam endlich durch dieſe Liſt zum Fuͤr - ſten, wo er die Sache erlangte, die er wuͤnſchte. Es iſt alſo hier nichts zu thun, als daß man ſich in die Zeit, und in den Ort ſchickt. Wenn der gut faͤhrt, der gut ſchmiert, wie der gemeine Mann ſpricht: wie gut muß der fahren, der ſo viele ſchmiert! Beſondre Regeln, wie man ſich in dieſem Falle zu verhalten habe, laſſen ſich nicht geben. Die Hauptregeln ſind ſchon im vorhergehenden von mir angefuͤhrt worden, und dieſe beobachtet man auch in dem gegenwaͤrti - gen Falle.

Dieſes waͤren alſo die wichtigſten Vorſchrif - ten von der Kunſt zu beſtechen. Jch mag nicht weitlaͤuftiger ſeyn, da ich weiter nichtsH 5habe122Satyriſche Briefe. habe thun wollen, als einen Verſuch liefern. Ueberhaupt iſt das Werk ſo wichtig, und von einem ſo weiten Umfange, daß ich nicht im Stan - de bin, es allein zu uͤberſehn. Es wuͤrde mir lieb, und dem gemeinen Weſen ſehr vortheilhaft ſeyn, wenn man in allen Gerichtsſtuben dieſe we - nige Bogen wollte durchſchieſſen, und von Zeit zu Zeit die beſondern Arten nachtragen laſſen, deren ſich vorſichtige Partheyen bedienen, ihre Richter und Commiſſarien zu gewinnen. Die Faͤlle, welche etwan kuͤnftig bey meinem Amte noch vor - kommen ſollten, will ich ſehr ſorgfaͤltig aufzeichnen. Wir wollen mit vereinten Kraͤften uns bemuͤhen, den ſtreitenden Partheyen einen ſichrern Weg zu weiſen, als ihnen die ungewiſſen Geſetze zei - gen. Bringen wir auf dieſe Art eine vollſtaͤndi - ge Sammlung zu Stande: ſo wird ſie, wie mich deucht, mehr, als andre praktiſche Buͤcher, den Namen eines Hodogetæ forenſis verdienen.

An dieſes Werk ſoll ſodann noch ein Anhang kommen, von der Kunſt ſich beſtechen zu laſ - ſen. Der Plan iſt ungefaͤhr dieſer:

Das erſte Capitel handelt von der Nothwen - digkeit zu beſtechen. Hier wird dasjenige kurz wiederholt, was ich auf den vorhergehenden Blaͤttern geſagt habe.

Das123Satyriſche Briefe.

Das zweyte Capitel handelt von der Billig - keit, ſich beſtechen zu laſſen. Jch zeige dieſelbe aus dem Rechte der Natur, und fange den Be - weis von dem ſuum cuique an.

Das dritte Capitel erlaͤutert dieſes aus den geiſtlichen und weltlichen Rechten noch mehr.

Jm vierten Capitel fuͤhre ich die beſondern Verfaſſungen jedes Landes, und

im fuͤnften die geheimen Statuta jedes Amts und jeder Expedition an. Dieſes Capitel iſt das ſtaͤrkſte; aber auch das nuͤtzlichſte.

Das ſechſte Capitel handelt eine Controvers uͤber das Gewiſſen ab. Dieſes Capitel iſt eins der gelehrteſten, weil ich alle nur moͤgliche Antiqui - taͤten vom Gewiſſen zuſammen getragen habe.

Das ſiebente Capitel liefert Recepte wider das Gewiſſen.

Nota! Dieſes Capitel iſt fuͤr alle Staͤnde.

Jch werde mir Muͤhe geben, im achten Ca - pitel zu zeigen, daß ein Richter ſchuldig ſey, den Partheyen es leicht zu machen, wenn ſie unge - wiß ſind, wie ſie es mit Anſtand unternehmen ſollen, ihn zu beſtechen. Dieſes iſt ein Con - ſectarium aus dem zweyten Capitel.

Die124Satyriſche Briefe.

Die letzten ſechs Capitel handeln von den Cau - telen, welche die Richter zu beobachten haben, wenn ſie ſich auf eine vortheilhafte Art wollen be - ſtechen laſſen. Eine der vornehmſten Cautelen iſt dieſe: Der Richter muß ſproͤde thun. Jch habe dieſen Ausdruck von der Coqvetterie ent - lehnt. Ein Maͤdchen von einem zweydeutigen Charakter wird ihren Beruf weit gluͤcklicher trei - ben koͤnnen, wenn ſie ſich das Anſehen eines tu - gendhaften und eingezognen Frauenzimmers er - halten kann. Dergleichen Ausſchweifungen, wenn ſie mit Vorſicht geſchehn, ſind allemal ein - traͤglicher, und das Publicum bleibt in einer Art der Ungewißheit, die dem guten Namen des Maͤdchens ſehr vortheilhaft iſt. Sie wird, ohne mein Erinnern, ihre Ernſthaftigkeit ſo zu maͤßi - gen wiſſen, daß ſie von dem Wilden und Rauhen unterſchieden bleibt, wodurch die Jugend, und ihre Freunde zu ſehr abgeſchreckt werden koͤnnten.

Auf eben dieſe Art muß ſich ein Richter ge - berden. Er muß es einem aufmerkſamen Clien - ten errathen laſſen, daß er gegen Geſchenke nicht unempfindlich ſey; und dennoch muß er den Cli - enten in einer gewiſſen Art der Ehrfurcht zu er - halten wiſſen, daß dieſer glaubt, er ſey der ein - zige, dem es gegluͤckt habe, ihn zu beſtechen. Man glaubt nicht, wie ſehr dieſes den Preis der Geſchenke erhoͤht. Die Partheyen opfern noch einmal ſo viel, um durch den anſehnlichen Werth des Geſchenks die Verwegenheit einigermaßenzu125Satyriſche Briefe. zu entſchuldigen, die ſie unternehmen, einen ſo unpartheyiſchen und gerechten Mann zu blenden. Ein Richter, welcher ſich ſeine Leidenſchaften zu ſehr merken laͤßt, welcher die Gerechtigkeit dem erſten dem beſten, der darauf bietet, fuͤr ein gerin - ges Geld zuſchlaͤgt; ein ſolcher Richter iſt ſelbſt Urſache, wenn der Werth ſeiner Waare faͤllt. Ordentlicher Weiſe bekoͤmmt man fuͤr ein Dutzend Dukaten ſo gar viel Gerechtigkeit eben nicht: wie kann es nun ein ſolcher Mann bey ſeinen Colle - gen, und bey den Nachkommen verantworten, wenn ihm ſchon von einem einzigen Dukaten Hoͤ - ren und Sehen vergeht?

Mit dieſer Regel iſt noch eine andre ſehr ge - nau verwandt, welche befiehlt, daß man von den Armen nichts, von den Reichen deſto mehr neh - men ſoll. Sie folgt aus eben dem Grundſatze, aus welchem ich die vorhergehende hergeleitet habe, und hat auſſerdem noch einen doppelten Nutzen. Dadurch, daß ich dem Armen die nichtswurdigen Kleinigkeiten, ſo er mir anbietet, mit einer freund - lichen und mitleidigen Mine wieder zuruͤck gebe, erheichle ich mir den Ruhm eines frommen Rich - ters. Den elenden Gulden, den ich dem armen und nothduͤrftigen Clienten zuruͤck gebe, traͤgt er mit Thraͤnen und Freuden nach Hauſe, er wird nicht ruhen, bis die ganze Nachbarſchaft unſre Großmuth erfaͤhrt, und gewinnt er auch nun - mehr ſeinen Proceß nicht, wie er ihn natuͤrlicher Weiſe nicht gewinnen kann, da er ein Armer iſt:ſo126Satyriſche Briefe. ſo wird er dennoch die Schuld ſeinem Richter nicht beymeſſen, dieſem frommen und unparthey - iſchen Manne, welcher aus großer Liebe zur Ge - rechtigkeit nicht einmal einen Gulden hat anneh - men wollen!

Auſſer dieſem Geruche der Heiligkeit, den ich mir bey tauſend andern Faͤllen wohl zu Nutze machen kann, habe ich auch dieſen Vortheil, daß der Reiche, wenn er von dem Armen meine Groß - muth erfaͤhrt, ſeine Geſchenke deſto wichtiger einrichten muß, wenn er nicht Gefahr laufen will, auch abgewieſen zu werden. Nach den Regeln der Proportion faͤllt es dem armen Bauer weit ſchwerer, eine alte duͤrre Henne zu ſchenken, als es ſeinem Edelmanne faͤllt, den ich durch meine geruͤhmte Unpartheylichkeit noͤthige, mir den be - ſten gemaͤſteten Truthahn aufzuopfern. Da der Arme ſo viel verliert, wenn er auch wenig ſchenkt: ſo iſt es ihm zu gute zu halten, wenn er ſeinem kleinen Geſchenke einen großen Werth beylegt, und viel Gerechtigkeit dafuͤr verlangt. Erlangt er dieſe nicht, ſo glaubt er, berechtigt zu ſeyn, es dem ganzen Dorfe zu klagen, wie himmel - ſchreyend ſein Richter verfaͤhrt, den er, nach ſei - ner Sprache zu reden, nicht ſatt und gerecht ma - chen koͤnnen, ob er ihm ſchon das Brod in den Rachen geſteckt, welches er ſeinen armen Kindern vom Tiſche genommen. Ein Reicher hingegen, wenn er auch durch ſeine Geſchenke den Endzweck nicht127Satyriſche Briefe. nicht erhaͤlt, wird dennoch entweder ſo billig, oder ſo vorſichtig ſeyn, und die Mittel verſchwei - gen, die er angewendet hat, ſein Recht zu behaup - ten. Dieſen Satz habe ich in der Abhandlung ſelbſt ſehr weitlaͤuftig ausgefuͤhrt, da wider ihn in den meiſten Kuͤchen der Richter ſo groͤblich ver - ſtoßen wird.

Ein Richter hat ſich wohl vorzuſehn, daß er von denjenigen kein Geſchenke nimmt, welche mit ſeinen Obern und Vorgeſetzten in einiger Verbind - lichkeit, oder Verwandſchaft ſtehen. Thut er es dennoch, und iſt er dabey nicht vorſichtig gnug, ſo iſt er auf einmal, ohne Rettung, verlohren; huͤtet er ſich aber, und zeigt er denjenigen, der ihn beſtechen will, einen gerechten Abſcheu vor ei - ner ſolchen Handlung: ſo gewinnt er dadurch dop - pelt ſo viel, als er dem aͤuſſerlichen Anſehen nach durch die Abweiſung dergleichen Geſchenke ver - liert. Dieſe Cautel hat mir Gelegenheit gegeben, dem Richter ſehr weitlaͤuftige Regeln wegen der Sorgfalt vorzuſchreiben, mit welcher er ſich gleich beym Anfange des Proceſſes erkundigen muͤſſe, ob eine der Partheyen auf dieſe oder jene Art mit einem von ſeinen Obern, oder mit denen, die er ſonſt zu fuͤrchten hat, in einiger Verbindlich - keit ſtehe. Jch habe gewieſen, daß ein Richter ſchuldig ſey, dieſes zu thun, ehe er noch die Kla - ge lieſt. Denn in dieſen Faͤllen wird die Ge - rechtigkeit der Sache nicht durch die Beweiſe der Par -128Satyriſche Briefe. Partheyen entſchieden, ſondern durch die Actien, die der eine oder der andre von ihnen bey unſern Obern hat. Damit ich nicht das geringſte ver - abſaͤume, wodurch dem gemeinen Weſen gehol - fen werden koͤnne: ſo zeige ich in meiner Abhand - lung, wie man dieſe Verbindungen der Parthey - en durch die gewoͤhnlichen Stammbaͤume ausfindig machen kann. Jch zeige auch, wie man die Grade zaͤhlen muß, welches von der gewoͤhnlichen Art ganz abgeht, weil durch dieſe Art der Stamm - baͤume nicht ſo wohl die Verwandtſchaften, als die politiſchen Verbindungen der Partheyen mit den Obern ausfindig gemacht werden ſollen. Es ſind in dieſem Capitel viele Aufgaben, welche den Verſtand eines jungen Richters uͤben koͤnnen, wenn er ſich die Muͤhe geben will, die Stammbaͤume daraus zu verfertigen. Die Faͤlle, von denen ich daſelbſt rede, habe ich aus ſolchen Acten ge - nommen, welche vor den anſehnlichſten Richter - ſtuben, und Commiſſionen ergangen ſind. Da - mit ich den Leſern einen hohen Begriff von der Wichtigkeit meines Vorſchlags beybringe: ſo will ich ihnen nur eine von ſo vielen Aufgaben erzaͤh - len, die ich angefuͤhrt habe. Es iſt folgend. Ca - jus klagt wider den Sempronius aus einem Te - ſtamente, wegen eines Vermaͤchtniſſes von fuͤnf - hundert Thalern. Das Teſtament hat ſeine Richtigkeit. Sempronius raͤumt es ſelbſt ein; es iſt ihm durch wiederholte Urthel auferlegt wor - den, die fuͤnfhundert Thaler zu bezahlen; alleAppella -129Satyriſche Briefe. Appellationen, die er eingewendet hat, ſind reji - cirt, und er iſt ſo weit getrieben, daß bereits der Termin zur Huͤlfe anberaumt worden. Was ſoll Sempronius thun? Soll er bezahlen? Die Geſetze, die Urthel, die Billigkeit wollen es ha - ben. Kleinigkeiten! Er hat einen Advocaten, der Geſetze, und Urthel, und Billigkeit uͤberſieht. Er bezahlt nicht, und findet einen Weg, daß zu nochmaliger Unterſuchung dieſer Sache eine be - ſondre Eommiſſion niedergeſetzt wird. Der neue Commiſſar, ein Mann von Erfahrung, wirft die Acten bey Seite, und unterſucht, in was fuͤr einer Verbindung Sempronius mit dem - jenigen ſteht, der ſein Obrer und Maͤcenat iſt. Er findet die Verbindung alſo: Sempronius hat einen Bruder, Titius; die Frau des Titius, Cal - purnia, hat eine Schweſter, deren Mann, Ca - jus, ſeinen juͤngſten Sohn, Laͤlius, zum Schrei - ben und Rechnen angehalten, und ſo weit gebracht, daß er in einer gewiſſen Herrſchaft Kornſchrei - ber geworden, und vor drey Wochen die Tibur - tia, ein Maͤdchen geheirathet hat, das Jhro Ex - cellenz, der Obre und Maͤcenat des neuerwehl - ten Commiſſars, fuͤnf Jahre lang, als ein ſchoͤnes und artiges Maͤdchen gefunden hat, und noch al - ſo findet. Aus dieſem allen fertigt der Commiſ - ſar ſeinen Stammbaum, und weil er das nur vor kurzen verheirathete Maͤdchen als ein documen - tum noviter repertum billig anſieht: ſo wird das bisherige Verfahren aufgehoben, und Klaͤ -Jger,130Satyriſche Briefe. ger, Cajus, genoͤthigt, ſich mit dem Sempro - nius zu vergleichen, ſo gut er kann. Jch bitte diejenigen von meinen jungen Leſern, welche ſich kuͤnftig als Prieſter der Gerechtigkeit wollen einweihen laſſen, daß ſie die Muͤhe ſich nicht dauern laſſen, die Verbindungen dieſer Aufgabe in einen Stammbaum zu bringen. Jn Sachen von Wichtigkeit, wie dieſe iſt, kann man nicht zeitig gnug anfangen, ſich zu uͤben.

Bey der Anweiſung von der Kunſt ſich beſtechen zu laſſen habe ich endlich auch dieſe Regel wiederholt: Ein Richter darf es nicht gar zu ſehr auf die Großmuth ſeiner Par - theyen ankommen laſſen, und nicht verſtatten, daß ihm die Geſchenke nur von ferne gewie - ſen werden. Accipe, dum dolet! Die Er - kenntlichkeit, die die Partheyen alsdann erſt leiſten wollen, wenn der Proceß zu Ende iſt, gehoͤren zu den leeren und unnuͤtzen Compli - menten. Sie bedeuten nichts mehr, als das bekannte: Mein Herr, wir wollen ſe - hen! welches uns die Großen in ihren Vor - zimmern machen, wenn wir von ihnen etwas bitten, das ſie uns nicht gewaͤhren wollen. Ein Client, der in Angſt iſt, ſeinen Proceß zu verlieren, thut in dieſer Noth eben ſo große, und eben ſo vergebne Geluͤbde, als derjenige that, der waͤhrenden Sturms demgroßen131Satyriſche Briefe. großen Chriſtoph die Wachskerze verſprach. Jch zeige hier, wie alsdann ein Richter den zaudernden Partheyen es ſo nahe legen koͤn - ne, daß ſie nicht einen Augenblick anſtehen, ihn zu verſoͤhnen. Es giebt mir dieſer Um - ſtand Gelegenheit, die ganze Abhandlung von der Kunſt ſich beſtechen zu laſſen mit den bekannten Verſen zu ſchließen:

Dum proceſſus ventilatur, dum aegro -
tus aegrotatur,
Studeas accipere.
Nam proceſſu ventilato, et aegroto
releuato,
Nemo curat ſoluere!
J 2Jch132Satyriſche Briefe.

Jch habe in den Schriften des Plato eine Stelle gefunden, die mich ſehr aufmerk - ſam gemacht hat. Jn der Abhandlung von der Einrichtung ſeiner neuen Republik iſt er ſehr weitlaͤuftig, wenn er auf die Fehler des Ma - giſtrats zu reden koͤmmt. Bey dieſer Gelegen - heit fuͤhrt er ein attiſches Spruͤchwort an, wel - ches ungefaͤhr ſo viel ſagt, daß einige Raths - herren in Athen zum Nutzen, andre aber nur zur Zierde des Vaterlandes zu dieſer Ehrenſtelle erhoben worden*Τους μεν φασι ἐργῳ ὠφελουντας, τους δε δια το σεμνυνεϑαι κοσμον παρεχοντας.Plato. Rep. l. 2. p. m. 413.. Jch habe die - ſen Gedanken ganz neu gefunden; und ich wun - dre mich, daß ſeit ſo viel Jahrhunderten nie - mand darauf gefallen iſt, durch den Ausſpruch eines ſo weiſen Mannes den verjaͤhrten Eigen - ſinn zu beſiegen, der ſich noch in allen Staͤdten durchgaͤngig behauptet, und der verhindert, daß niemand in den Rath kommen kann, als wer die Geſchicklichkeit und den Willen hat, dem Vater - lande zu nuͤtzen. Wie viele wohlgebildete Kin - der der Stadt, denen es am Verſtande fehlt, wuͤrden Brod haben, wenn man wenigſtens ei - ne gewiſſe Anzahl aufnaͤhme, welche nur zur Zierde des Vaterlandes ernaͤhrt wuͤrden. Man koͤnn -133Satyriſche Briefe. koͤnnte dieſen Gedanken noch weiter ausfuͤhren, und zum Beſten einer jeden Republik allgemeiner machen, wenn man einige zum Nutzen, einige zur Zierde, einige ſowohl zum Nutzen als zur Zierde, und endlich noch andre in derglei - chen Aemter aufnaͤhme, welche weder zum Nu - tzen noch zur Zierde des Vaterlandes gereichten. So widerſinnig dieſes letztere klingt; ſo groß wuͤrde doch der Nutzen ſeyn, den man davon zu erwarten haͤtte. Dergleichen Maͤnner ſind in Aemtern ſo unentbehrlich, als der Schatten im Gemaͤlde. Ein Mann, der zum Nutzen des Vaterlandes dienet, wuͤrde weniger in die Au - gen fallen, wenn nicht ein College neben ihm ſaͤße, der nicht zum Nutzen, ſondern bloß zur Zierde des Vaterlandes geſchaffen waͤre. Und dieſer wuͤrde ſehr unbemerkt da ſitzen, wenn es nicht noch andre gaͤbe, die weder zum Nutzen, noch zur Zierde des Vaterlandes gereichten. Dadurch, daß man bisher niemanden das Anſehen eines Vaters der Stadt hat zugeſtehen wollen, als nur demjenigen, der ſowohl zum Nutzen als zur Zierde des Vaterlandes geſchickt iſt, durch dieſes Vorurtheil iſt es gekommen, daß man ſo viel Muͤhe hat, die erledigten Stellen zu beſetzen. Oft ſind ſie zum unerſetzlichen Schaden des ge - meinen Weſens wegen Mangel geſchickter Candi - daten lange Zeit und wohl ganz und gar unbe - ſetzt geblieben; oft hat man ſeine Zuflucht zu ei - ner einzigen erleuchteten Familie nehmen, undJ 3durch134Satyriſche Briefe. durch Vater und Sohn und Enkel, und Schwie - gerſohn die Gerechtigkeit muͤſſen verwalten laſ - ſen, welche gar leicht zu einer Familiengerechtig - keit haͤtte werden koͤnnen, wenn wir nicht in den gluͤcklichen Zeiten lebten, wo die Geſetze mehr gelten, als eigennuͤtzige Abſichten.

Jch wollte, daß ich Gelegenheit geben koͤnnte, dieſen Unbequemlichkeiten abzuhel - fen. Die Nahrung wuͤrde allgemeiner ſeyn; die Aemter wuͤrden viel leichter beſetzt, und viel luſtiger verwaltet werden. Ein jeder wuͤrde in den Stand kommen, dem Vaterlande zu dienen, wo nicht mit dem Verſtande, doch mit einem wohlgewachſnen Koͤrper, und wo auch mit dieſem nicht, doch wenigſtens mit ſei - nem Daſeyn.

Jch ſollte hoffen, daß meine patriotiſchen Vorſtellungen einigen Eindruck machen wuͤrden; aber ich weiß auch leider, wie ſchwer es haͤlt, ein - gewurzelte Vorurtheile auszurotten. Vielleicht giebt man ſich nach und nach; vielleicht erleben unſre Kinder dasjenige, was uns itzt unmoͤg - lich ſcheint.

Es verſteht ſich von ſich ſelbſt, daß ich fuͤr die Nachwelt ſchreibe. Dieſes hat mich bewo - gen, ein Formular zu entwerfen, wie etwan in kuͤnftigen, vielleicht ſehr ſpaͤten Zeiten, ein junger Menſch es anfangen ſoll, wenn er einen inner -135Satyriſche Briefe. innerlichen Beruf empfindet, zur Zierde des Va - terlandes ein Rathsherr zu werden. Diejeni - gen, welche an einer ſo problematiſchen Sache, und an den Sitten der Nachwelt keinen Antheil nehmen, koͤnnen dieſes Formular ſicher uͤber - ſchlagen, ohne etwas dabey zu verlieren. Die folgenden zween Briefe ſind ſchon etwas wichti - ger, und mehr praktiſch.

Madame,

Jch habe das Gluͤck, Jhr Pathe zu ſeyn. Die - ſes giebt mir ein Recht, auf alle diejenigen Aemter Anſpruch zu machen, welche durch die Hand Jhres Mannes vergeben werden. Die nur unlaͤngſt eroͤffnete Rathsſtelle erinnert mich an dieſes Vorrecht. Sie wiſſen, Madame, wie vorſichtig und zaͤrtlich meine Aeltern mich iederzeit erzogen haben. Jhre Sorge, mich durch eine poͤbelmaͤßige Strenge und einen unzeitigen Fleiß zu fruͤh niederzudruͤcken, und zu dem Amte, das ich itzt ſuche, ungeſchickt zu machen, dieſe liebrei - che Vorſorge meiner Aeltern hat mich in den Stand geſetzt, daß ich itzt bey einem geſunden, wohlgebauten, und gut genaͤhrten Koͤrper das Vermoͤgen, welches ich geerbt, ruhig genieſ - ſen, und die kleinen Spoͤttereyen der Pedan - ten uͤber den Mangel der Gelehrſamkeit und des Verſtandes gelaſſen uͤberſehen kann. Jch weiß, Madame, und Sie wiſſen es nochJ 4beſſer136Satyriſche Briefe. beſſer, als ich, daß der Mangel dieſer beiden Kleinigkeiten mich nicht unfaͤhig macht, dem Amte, das ich ſuche, wuͤrdig vorzuſtehen. Zwe - en unter uns koͤnnen allemal Verſtand und Ge - lehrſamkeit ſicher entbehren, wenn nur der drit - te zugleich in unſerm Namen verſtaͤndig, ge - lehrt, und fleißig iſt. Man hat mich verſi - chert, daß dieſes Verhaͤltniß faſt in allen Aem - tern gemein ſey. Jch hoffe, man wird in unſrer Stadt von den Sitten unſrer Vor - fahren, und den allgemeinen Gewohnheiten nicht abgehn. Glauben Sie, Madame, es iſt fuͤr die Stadt allemal vortraͤglicher, wenn ihre Vaͤ - ter weniger gelehrt, und beſſer gebaut ſind. Das Anſehen eines ſtarken Koͤrpers bringt beym Volke eine Hochachtung zu wege, die derjenige, welcher zwar verſtaͤndig und gelehrt, aber ſo wohl nicht gewachſen iſt, nur ſelten erlangt. Durch Anſehen und Hochachtung aber wird das Volk regiert, und die Gerechtigkeit ge - handhabt. Es giebt gewiſſe Faͤlle, wo der Rath paradiren muß, und wo man durch ei - ne Garnitur wohlgewachſner Rathsherren mehr Beyfall und Vortheil erlangt, als durch den pedantiſchen Troß derjenigen, die incognito, und zugleich fuͤr uns, verſtaͤndig und fleißig ſeyn muͤſſen. Dieſes ſind die Faͤlle, Madame, wo ich hoffe, meinem Vaterlande dienen zu koͤnnen, und wo ich vor Eifer brenne, es zu thun. Jch will meinen Stuhl wohl fuͤllen,und137Satyriſche Briefe. und meinem Amte Zierde machen. Verlaſſen Sie Sich darauf. Machen Sie mich, und zugleich mein Vaterland gluͤcklich. Verſchaffen Sie mir ein Amt, fuͤr das ich gebohren und erzogen bin. Es koſtet Sie nur ein Wort, ſo erlange ich meinen Wunſch. Dieſes eine Wort werden Sie mir doch nicht verſagen, Mada - me? Sie thun es nicht, ich weiß es gewiß, und meine einzige Sorge iſt dieſe, wie ich Jh - nen ſodann fuͤr Jhre Bemuͤhung meine Erge - benheit lebhaft gnug bezeigen will. Jch bin mit der tiefſten Hochachtung ꝛc.

J 5Weil138Satyriſche Briefe.

Weil ich einmal auf dem Wege bin, meine Beleſenheit in den Schriften der alten Griechen blicken zu laſſen: ſo will ich nachſtehende zween Briefe des Alciphrons ein - ruͤcken. (*)Alciphr. libr. 1. Ep. 11. 12. p. m. 23.

Um ſie unſern Zeiten aͤhnlicher zu machen, ſo habe ich ſie nach Art der neuern Franzoſen, und beſonders des Herrn Prevot, ſo frey uͤberſetzt, daß ſie dem Originale faſt gar nicht mehr aͤhnlich ſind. Die Gewaltthaͤtigkeit, die man auf dieſe Art an den Schriften andrer ausuͤbt, wuͤrde oh - ne das entſcheidende Beyſpiel der witzigen Fran - zoſen etwas unverantwortliches ſeyn. Jch be - halte mir vor, den Nutzen davon bey einer andern Gelegenheit zu zeigen; itzt muß ich nur ſo viel er - innern, daß ich mich bey dieſer Freyheit unge - mein wohl, und bequem befunden habe.

Da ich dieſe Erklaͤrung vorgeſetzt habe, ſo will ich hoffen, daß ich gegen die voreilige Weis - heit eines eigenſinnigen Kunſtrichters geſichert ſeyn werde. Jch werde mir die Muͤhe nicht geben, es zu beantworten, wenn man mir vorwirft, daß es unter den Griechen Maͤnner gegeben haͤtte, wel - che mit der ganzen Welt zu frieden geweſen waͤ -J 5ren,139Satyriſche Briefe. ren, wenn ſie Knaſter und Bier gehabt haͤt - ten. Jch wuͤrde es ſehr leicht von Wort zu Wort haben uͤberſetzen koͤnnen; es wuͤrde aber unſern Zeiten unverſtaͤndlich geworden ſeyn(*)Ὁτε καρδαμον ἐχει και ξυϑον, προςγελων ἁπασι, την παρ᾽ ἑαυτω ἀφϑονιαν τω τροπω δηλων. Alciphr. l. all. . Wenn mir nicht Mathanaſius zuvor gekommen iſt, ſo bin ich vielleicht der erſte, der entdeckt hat, daß ſchon bey den Griechen die kleinen poſ - ſirlichen Figuren gebraͤuchlich geweſen, die man auf den Camin ſetzt, und Bagoden nennt(**)Ὡςπερ τα προσωπα τα κωφα, ἐπι ταις καμινοις ἱςαμενα ὁρωμεν, προσφιλως ἐπινευον - τες. Alciphr. l. all. . Ein Beweis, daß dieſer Geſchmack ſo gothiſch nicht iſt, als man wohl glauben ſollte. Ariſte - naͤt braucht eben dieſes Wort in einem Briefe an den Libanius, wenn er von einem ſtummen Rathsherrn in Conſtantinopel redet, der ſich bey ſeiner Bequemlichkeit alles gefallen ließ, was man in Vorſchlag brachte, und den das ge - meine Volk um deswillen nur den Jaherrn nennte(***)Να[ι]νδρα και ἐπινευτικον. Ariſtenaet. l. 2. ep. 7. p. m. 74.. Die Anmerkung wird uͤberfluͤſſig ſeyn, daß es bereits bey den Griechen Wei - ber gegeben habe, die ihren Maͤnnern das Le - ben ſauer gemacht. Unſer Text ſagt esmit140Satyriſche Briefe. mit klaren Worten; aber es ſagen es noch mehr Texte. Ob ich das Wort: fauler Schlingel: recht uͤberſetzt habe, will ich von Kennern entſchei - den laſſen(*)Γαςηρ ἀργος. conf. Liban. Ep. 493. p. m. 248.. Bey dem zweyten Briefe werden die Kunſtrichter ſehr ſtutzen, wenn ſie hoͤren, daß es in Athen zwoͤlfe geſchlagen hat. Der Hahn kraͤht ſchon, wuͤrden ſie geſagt haben; aber ſie wuͤrden nicht verſtanden worden ſeyn.

Wie leicht iſt es doch, gelehrt zu ſchreiben! Jch war Willens, nur ein Wort zu meiner Ver - theidigung zu ſagen, und habe eine ganze Seite voll kritiſcher Weisheit hingeſchrieben. Der Himmel weiß, wie viel Gewalt ich mir anthun muß, nicht ſo gelehrt zu ſeyn, um meinen Leſern nicht unertraͤglich zu werden. Was ich geſagt habe, iſt gnug meine Ueberſetzung zu retten.

Herr Buͤrgemeiſter,

Endlich habe ich einen Mann gefunden, der recht nach Jhres Herzens Wunſche iſt. Sie koͤnnen die erledigte Rathsherrnſtelle nicht beſſer beſetzen, als mit ihm. Er koͤmmt den ganzen Sommer nicht von ſeinem Weinberge, und den Winter hindurch nicht vom Camine. Ein Mann, der, wenn er Knaſter und Bier hat, mit der ganzen Welt zu -frieden141Satyriſche Briefefrieden iſt! Aus dieſem Manne koͤnnen Sie machen, was Sie wollen. Er hilft Jhnen daſitzen, wenn Sie es verlangen, und Sie koͤnnen ihn ſo heftig begegnen, als Sie wollen, Sie beleidigen ihn ge - wiß nicht. Jch bin Buͤrge fuͤr ihn, daß er Jh - nen niemals widerſprechen ſoll. Zu mehrer Sicher - heit giebt er Jhnen einen Revers daruͤber. Mu - then Sie ihm nur nicht zu, daß er viel reden darf; widerſprechen wird er wenigſtens nicht. Auf ſein Votum koͤnnen Sie ſichern Staat machen. Er iſt wie die Bagoden von Thon, die man auf den Camin ſetzt, und die laͤnger als eine Viertelſtunde mit dem Kopfe nicken, wenn man nur ein wenig mit dem Finger daran ruͤhrt. Jch empfehle ihn beſtens, und bitte mir bald Antwort aus. Er ver - dient Jhr Wohlwollen. Leſen Sie nur ſeinen Brief, den er an mich geſchrieben hat. Koͤnnen Sie Sich einen beſſern Collegen wuͤnſchen? Vor ſeiner Frau fuͤrchten Sie Sich nicht. Sie hat ei - nen naͤrriſchen Kopf, aber nur fuͤr den Mann; auſſerdem iſt ſie zahm, und ſehr gefaͤllig. Jch kenne ſie. Es iſt ihr nur um den Rang zu thun. Hat ſie den erlangt, ſo wird ſie gewiß keine Unru - he in der Stadt anrichten, oder ſich einiger Herr - ſchaft anmaßen. Das koͤnnen Sie der Frau Buͤrgemeiſterinn ſagen, damit ſie nicht ohne Noth argwoͤhniſch, und eiferſuͤchtig wird. Folgen Sie mir, mein Herr. Machen Sie dieſe Maſchine zum Rathsherrn. Es wird Sie nicht gereuen. u. ſ. w.

Viel -142Satyriſche Briefe.
Vielgeliebteſter Herr Schwager,

Rathsherr moͤchte ich nun freylich gern werden. Jch habe mir immer ſo ein Aemtchen ge - wuͤnſcht, bey dem man den Koͤrper ſchonen kann. Sie wiſſen es, Herr Schwager, ich bin ein wenig langſam und bedaͤchtig, gut, wie ein Kind; alle heftige Bewegungen leidet mein ſtarker Koͤrper nicht. Aber das waͤre recht, wie ich mirs wuͤnſch - te. Meynen Sie nicht, daß ich es werden koͤnn - te? Reden Sie einmal mit dem Herrn Buͤrge - meiſter. Er ſoll einen recht frommen, und lieben Collegen an mir haben; mit Willen wenigſtens will ich ihn niemals erzuͤrnen, den ehrlichen Mann! Reden Sie einmal mit ihm. Aber ſollte er es wohl nicht gern ſehen? Je nun, wiſſen Sie was, Herr Schwager, wenn es auch nicht iſt, ſo mag es das mal bleiben. Jch moͤchte ihn nicht boͤſe machen. Reden Sie nur mit ihm. Meine Frau, ſie hat auch ihr Koͤpfchen vor ſich, wie eine andre Frau, meine Frau ſpricht immer zu mir: Mann! wird denn nimmermehr nichts aus dir? willſt du denn ein ewger fauler Schlingel bleiben? Laß es gut ſeyn, mein Engelchen, ſpreche ich zu ihr, es wird ſich ſchon geben! Sehn Sie, Herr Schwa - ger, das waͤre nun ſo eine Urſache, warum ich mich gern in den Rath wuͤnſchte. Der liebe Hausfriede! Sie verſtehn mich ſchon. DasWeib -143Satyriſche Briefe. Weibchen iſt gut; nur die fliegende Hitze! die, die, die wie geſagt, Sie verſtehn mich ſchon. Stellen Sie es dem Herrn Buͤrgemeiſter vor. An gutem Willen, und an Geſchicklichkeit ſoll mir es wohl nicht fehlen. Jch habe eine ſehr ver - nuͤnftige Frau; bin ich nur einmal Rathsherr, ſo kann ſie mir mit Rath und That beyſtehen. Nun es bleibt dabey! Hoͤren Sie einmal, was der Buͤrgemeiſter dazu ſagt. Uebereilen Sie Sich nicht; koͤmmt Zeit, koͤmmt Rath. Jch muß ab - brechen; ich habe ſchon lange geſchrieben, und meine Frau laͤßt mir ſagen, ich ſoll zu Bette gehn. Gute Nacht! Lieber Himmel; es ſchlaͤgt ſchon zwoͤlf Uhr die Nacht habe ich mir gewiß mit dem vielen Schreiben verderbt. Thun Sie Jhr Beſtes, Herr Schwager. Jch gaͤhne mich noch todt.

Gute Nacht!

Seit144Satyriſche Briefe.

Seit der Zeit, daß ich mir vorgenommen habe, ſatyriſche Briefe zu ſchreiben, bin ich von dieſem Gedanken ſo voll ge - weſen, daß faſt eine jede merkwuͤrdige Stelle, die ich in einem Buche leſe, mich auf den Einfall bringt, einen Brief daruͤber auszuarbeiten. Eben ſo gieng mir es mit der Stelle in der Odyſſee, wo ich durch die grauſame Freundſchaft des Po - lyphems auf eine empfindliche Art geruͤhrt ward. Jch wuͤnſchte mir, dieſen Gedanken in einem Briefe anzubringen; ich wandte meinen Poly - phem auf alle Seiten herum, um eine Aehnlich - keit mit einem Manne zu finden, deſſen Cha - rakter etwas laͤcherliches und tadelnswuͤrdiges an ſich haͤtte. Endlich ſchuf ich mir eine gewiſſe Art eines ungerechten Richters. Jch bewaff - nete ihn mit einiger Gewalt, Schaden zu thun; ich baute ihm eine Hoͤhle, aus welcher er das um - liegende Land ſchrecken ſollte; ich ſchaltete hin und wieder kleine Epiſoden ein, und endlich ward der Brief fertig, der nachſteht.

Es iſt fuͤr einen Verfaſſer nicht vortheil - haft, wenn der Leſer gar zu genau weiß, was die Gelegenheit zu einer Schrift gegeben, und wie ſich ein Gedanke aus dem andern entwickelt hat. Sagt man ihm dasjenige zu zeitig, was er ſelbſt entdecken ſollte, ſo faͤllt das Unerwartete, und145Satyriſche Briefe. und eben dadurch der groͤßte Theil der Annehm - lichkeit, weg.

Jch verliere bey dieſer Erklaͤrung allerdings, das ſehe ich gar wohl voraus; aber ich habe die - ſen Schaden lieber verſchmerzen, als in einen Verdacht fallen wollen, der mir noch weit em - pfindlicher ſeyn wuͤrde. Nunmehr ſind meine Leſer uͤberzeugt, wenigſtens hoffe ich es, daß mein ungerechter Richter nur des Polyphems we - gen erdacht worden. Haͤtten ſie das nicht ge - wußt, wie viel vergebne Muͤhe wuͤrden ſie ſich ge - macht haben, das Original zu errathen. Haͤtten ſie auch kein Original dazu gefunden, wie es denn nicht moͤglich iſt, da dergleichen ungerechte Richter, wenigſtens in unſern Landen nicht, ſind, ſo wuͤrden ſie doch mich nicht aus dem Verdachte gelaſſen haben, daß meine Satyre eine perſoͤnliche Satyre ſey. Nun kann ich ihr Ur - theil gelaſſen erwarten. Derjenige Leſer muß ſehr verſtockt ſeyn, der dem ungeachtet glauben will, daß ein ſolcher Polyphem unter uns wohne.

Gnaͤdiger Herr,

Jſt es moͤglich, daß Sie dieſen Mann erſt itzt haben kennen lernen? und Sie wohnen ſchon ſechs Jah - re in der Gegend, welche unter ſeiner Ungerechtigkeit ſeufzt? Aber vielleicht kennen Sie ihn noch itzt nicht einmal recht genau. Jch will ihn malen, nach dem Leben will ich ihn zeichnen. Machen Sie Sich die - ſe Entdeckung zu Nutze, und huͤten Sie Sich vor ihm.

KEr146Satyriſche Briefe.

Er giebt ſich Muͤhe zu vergeſſen, wer er gewe - ſen iſt, ungeachtet ſeine Aeltern ſich dieſes Sohns mehr zu ſchaͤmen haben, als er ſich ſeines Vaters zu ſchaͤmen hat, welcher in Armut lebt, und ehr - lich iſt. Er hat fuͤr gut angeſehn, eine mittelmaͤ - ßige Stadt zu ſeinem Aufenthalte zu waͤhlen, um ſeine Verdienſte deſto merklicher zu machen. Das iſt die Hoͤhle, in welcher er die Beute verzehrt, die er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen zuſammen raubt. Er hat ſo eintraͤgliche Begriffe von der Amtspflicht, daß er gerecht iſt, nur ſeinen Vortheil zu machen, und eben dieſes Vortheils we - gen zu andrer Zeit die groͤßten Ungerechtigkeiten be - geht. Der Hochmuth iſt ſeine ſtaͤrkſte Leidenſchaft, eine Leidenſchaft, die immer diejenigen am meiſten martert, welche die wenigſten Verdienſte haben. Er erinnert ſich noch, und ſagt es allen denen, die es noͤthig zu wiſſen haben, daß er vor zwanzig Jah - ren neben dem Miniſter auf dem Canapee geſeſſen hat. Er wiederholt dieſen Umſtand ſo oft als er merkt, daß man an ſeiner unumſchraͤnkten Gewalt zu ſchaden zweifelt. Ungeachtet dieſes Hochmuths iſt er noch immer niedertraͤchtig genug, Geſchenke zu fodern, wenn man ihm ſolche nicht ſo geſchwind, als er wuͤnſcht, entgegen bringt. Er beſtimmt ſelbſt den Werth derſelben, wenn er findet, daß ſie fuͤr ſeine Partheylichkeit ein zu geringer Lohn ſind. Es iſt gefaͤhrlich, von dem Preiſe abzugehen, den er ſetzt. So vorſichtig ein andrer Richter iſt, um zu verbergen, daß er ſich habe beſtechen laſſen: ſomuͤhſam147Satyriſche Briefe. muͤhſam iſt dieſer, es allen zu ſagen, von denen er itzt oder kuͤnftig Geſchenke vermuthen kann. Von alle dem, was ſein Amt erfodert, verſteht er wei - ter nichts, als die Kunſt, das nicht zu thun, was er thun ſoll. Jn ſeiner Jugend war es in verſchied - nen Haͤuſern noch Mode, daß vornehme Leute mit der Religion leichtſinnig ſcherzten, daß ſie in ihrem Amte ſich aus Bequemlichkeit auf den Fleiß ihrer Untergebnen verließen, von ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften veraͤchtlich ſprachen, und in den artigſten Geſellſchaften auf eine unflaͤtige Art witzig waren. Er iſt bey nahe der einzige, der dieſe poͤbelmaͤßige Mode noch beybehalten hat. Mit der Religion ſcherzt er leichtſinnig, weil er ſich Muͤhe giebt, den traurigen Gedanken von der ernſthaften Folge ei - ner Religion zu ſeiner innerlichen Beruhigung zu uͤberwaͤltigen. Seine Untergebnen haben die gan - ze Laſt des Amts bey einem geringen Unterhalte auf ſich, weil er zu ungeſchickt iſt, es ſelbſt zu ver - walten. Jch kenne niemanden, dem es natuͤrlicher laͤßt, von den ſchoͤnen Wiſſenſchaften veraͤchtlich zu ſprechen, als ihm, weil niemand natuͤrlicher dumm iſt, als er. Die unflaͤtige Sprache iſt ſeine Mut - terſprache. Er iſt ſtark darinnen, noch ſtaͤrker, als ſein Geſinde. Von dieſem Witze iſt er ein wahrer Kenner, den weiß er zu ſchaͤtzen. Die Thraͤnen eines nothleidenden Unterthanen ruͤhren ihn bey weiten ſo nicht, als eine unerwartete Zote; mit dieſer kann man ihn gewinnen. Er hat einen Ad - vocaten in ſeiner Pflege, welcher bey einem jedenK 2neuen148Satyriſche Briefe. neuen Proceſſe auf neue Unflaͤtereyen ſinnt, und ſo gluͤcklich iſt, durch dieſen Witz einen beyfaͤlligen Richter zu behalten. So grauſam er gegen die Unterthanen ſeines Fuͤrſten iſt, ſo ein harter Va - ter iſt er auch. Er hat ſich zum drittenmale ver - heirathet, und, welches bey ihm faſt unglaublich iſt, er hat zum drittenmale eine vernuͤnftige Frau bekommen. Wie gluͤcklich waͤre dieſe Elende, wenn er zum drittenmale zum Wittwer wuͤrde! Sie hat es einmal gewagt, die Thraͤnen einer ge - druͤckten Gemeine ſich bewegen zu laſſen, und fuͤr ſie zu bitten; dieſes Mitleiden findet er ſo wider - natuͤrlich, daß er es ſie noch itzt empfinden laͤßt. Seine Kinder ſind ſo tugendhaft und vernuͤnftig, daß ſie wohl verdienten, ſeine Kinder nicht zu ſeyn. Waͤren ſie ihm aͤhnlicher, ſo wuͤrde er ſie mehr lieben.

Glauben Sie wohl, Gnaͤdiger Herr, daß man, dieſes haͤßlichen Charakters ungeachtet, den - noch faſt eine Stunde lang mit Vergnuͤgen in ſei - ner Geſellſchaft ſeyn kann? Wirklich kann man es ſo lange ſeyn; aber man muß ſich ſeiner Schwaͤche zu bedienen wiſſen. Jch habe es verſucht. Jch ließ mich bey ihm melden, als ein Mann, der die Ehre zu haben wuͤnſchte, ihn kennen zu lernen, und ihm ſeine unterthaͤnige Aufwartung zu ma - chen. Er nahm mich an, nachdem mich ein alter Bedienter, welcher Kutſcher, und Gaͤrtner, und Koch und Schreiber zugleich war, an der Trep - pe empfieng, und im Pompe durch drey große Saͤ - le, eine Kuͤche und zwo Vorrathskammern indas149Satyriſche Briefe. das Cabinett zur Audienz fuͤhrte, wo ich die - ſes Geſchoͤpfe, das theure Schrecken ſeiner Bauern, und die Geiſſel der Gerechtigkeit in praͤchtigem Schlafpelze am Pulte ſitzend fand. So dick er iſt, denn ſeine ſchweren Berufsarbei - ten haben ihm immer noch Zeit gelaſſen, fett zu werden: ſo geſchwinde ſprang er auf, bedauerte, daß er in ſeinem Nachtkleide uͤberraſcht ward, warf zween große Stoͤße Acten uͤber den Haufen, die er ſeit vielen Jahren zur Parade neben ſich ſte - hen, und ſeit vielen Jahren uͤber den Haufen ge - worfen hat, gieng mir mit einer großen geſchaͤffti - gen Mine entgegen, und empfieng mich mit Huld und Gnade. Sie koͤnnen wohl glauben, daß bey einem ſolchen Auftritte kein Compliment natuͤrli - cher iſt, als dieſes, daß man die Freyheit ent - ſchuldigt, die man ſich genommen hat, einen Mann von ſolchen Geſchaͤfften zu ſtoͤren. Er nahm es mit der laͤchelnden Mine an, mit der eine alte Jungfer widerſpricht, wenn man ihr die Schmeicheley macht, daß ſie ſchoͤn ſey. Sein lin - ker Arm hieng nachlaͤßig uͤber das Schreibepult, und die Finger waren geſchaͤfftig in verſchiednen Schreiben und Suppliken zu wuͤhlen. Er ſeufzte uͤber ſein Amt, uͤber den Anlauf der Leute, uͤber die vielen herrſchaftlichen Arbeiten ex officio. Jch war in allen ſeiner Meynung, und ſeufzte ergebenſt mit. Dieſes machte, daß er ſein Herz zu mir herab neigte, und mir nach ver - ſchiednen wichtigen Unterredungen endlich vonK 4großen150Satyriſche Briefe. großen Veraͤnderungen im Staate ganz im Ver - trauen einen Wink gab. Ein Brief von Jhro Excellenz mehr durfte er nicht ſagen. Ein Hofmann, wie er, ſagt alles nur halb, und denkt gar nichts dabey! Jn der That wies er mir von ferne einen Brief, und ließ mich ſehr vorſich - tig weiter nichts leſen, als: Hochedelgebohrner, Hochgelahrter. Mit einemmale verſchloß er ihn ins Pult, brach ab, und ſahe mir ſteif in die Augen. Jch antwortete ihm mit einem beredten Achſelzu - cken, ſchlug die Augen in die Hoͤhe, und laͤchelte. Wir verſtunden beyde einander; er, daß ich ſeine Einſicht in das Zukuͤnftige des Staats bewunderte, und ich, daß er ein Narr war. Nach einer lan - desverraͤtheriſchen Pauſe von zwo Minuten, nahm er mich bey der Hand, und ſagte: Seria in cra - ſtinum! und ſagte mir vielleicht damit ſein ganzes Latein. Womit kann ich Jhnen dienen? mit Un - gariſchem Weine? mit Champagner? mit Burgun - der? Mit Burgunder doch wohl am liebſten. Bur - gunder, Johann, vom beſten, geſchwind! rief er ſeinem Bedienten zu, der von ferne an der Thuͤre ſtand, und ſich die Haare auskaͤmmte. Er kam. Burgunder? Nein, Gnaͤdiger Herr, ein rother Landwein. Jch trank ihn als ein wahrer Patriot, und ſchlurfte ihn ſo pruͤfend durch meine Zaͤhne, als der Schmarozer kaum thut, welcher gegen Sie, Gnaͤdiger Herr, niemals mehr Ehrfurcht bezeigt, als wenn Sie Burgunder und Auſtern haben. Bey dem erſten Glaſe noͤthigte er mir eine Schmeicheleyab,151Satyriſche Briefe. ab, die mir nicht ſchwer ward, weil ich mich darauf gefaßt gemacht hatte; bey dem zweyten erzaͤhlte er mir den ganzen Umfang von ſeinem Amte, und ſeufzte noch einmal daruͤber, daß er ein ſchweres Amt haͤtte. Ein ſehr vergebner Seufzer! Denn, wenn es ihm ſchwer wird, ſo geſchieht es gewiß nur alsdann, wenn er Jemanden gluͤcklich machen ſoll. Und in dieſe Umſtaͤnde ſetzt er ſich ſehr ſelten, oder er muß wenigſtens die Haͤlfte von dem Gluͤcke zu genießen haben. Bey dem dritten Glaſe ruͤhmte er die Gnade, die das Miniſterium fuͤr ihn habe. Das Canapee ward nicht vergeſſen. Bey dem vierten Glaſe verſicherte er mich ſeiner Freund - ſchaft. Verlohnte dieſe Verſichrung wohl die Muͤ - he, vier Glaͤſer ſauern Landwein zu trinken? Jch verbat mehrern Wein, und ſchuͤtzte den Gehorſam vor, den ich meinem Arzte ſchuldig waͤre, einen Ge - horſam, von dem mein Arzt nichts weiß. Er be - ſchaͤfftigte ſich noch faſt eine halbe Stunde mit ſei - ner Groͤße, und beſchloß den letzten Aufzug mit ein paar artigen Unflaͤtereyen. Jch ſtund von mei - nem Stuhle auf, und entflohe ſeinem Witze und ſeinem Weine!

Haͤtten Sie mir wohl ſo viel Geduld zuge - traut, Gnaͤdiger Herr? Jn der That habe ich ſie gehabt, und habe ſie eine Stunde lang mit Ver - gnuͤgen gehabt; dennoch will ich Jhnen nicht ra - then, mir es nachzuthun. Da ich nicht in der ge - ringſten Verbindung mit ihm, und mit ſeinem AmteK 4ſtehe,152Satyriſche Briefe. ſtehe, ſo war er mir ertraͤglich. Jhnen hingegen wird er es nicht ſeyn, und Sie wird er eine ge - wiſſe Hoheit empfinden laſſen, die ſeine Dummheit ehrwuͤrdig machen ſoll. Am wenigſten wagen Sie es itzt, da Sie in den ungluͤcklichen Proceß ge - rathen ſind. Bisher hat er Sie geſchont, oder ſchonen muͤſſen, nun ſieht er Sie als ein Opfer an, das von ſeiner Hand ſterben ſoll, das fuͤr ihn geſchlachtet wird. Jch bin gar nicht mit dem Ein - falle zufrieden, den Sie gehabt haben, ihn mit dem Eymer Wein zu beſaͤnftigen. Dadurch ma - chen Sie ihn nicht menſchlich, nicht billig; wenn es hoch koͤmmt, erlangen Sie von ſeiner Unge - rechtigkeit nur eine kurze Friſt. Polyphem war im Begriffe, den Ulyſſes mit ſeinen noch uͤbrigen Gefaͤhrten zu freſſen. Ulyſſes gab ihm von ſei - nem goͤttlichen Weine. Der ungerechte Cyclop trank davon, er lobte den goͤttlichen Wein; drey - mal trank er davon, und ſagte zum Ulyſſes: Dein Wein iſt vortrefflich, mein Freund, dich will ich zuletzt freſſen! Haͤtten Sie wohl geglaubt, Gnaͤdiger Herr, daß ſich mein Brief ſo pedantiſch ſchließen ſollte? Jch bin mit beſtaͤndiger Hochachtung u. ſ. w.

Da153Satyriſche Briefe.

Da ich noch auf hohen Schulen war, und die Welt nicht kannte, ließ ich mir das Vorurtheil beybringen, es gehoͤre mit unter die unbemerkten und verzehrenden Krank - heiten eines Staats, wenn Privatperſonen, als Beſitzer von Doͤrfern und Landguͤtern, zu viel Freyheit haͤtten, das Recht uͤber ihre Bauern unter dem Namen der Erbgerichte zu verwalten. Dieſer Wahrheit ein fuͤrchterliches Anſehen zu geben, ſtellte man die Moͤglichkeit vor, daß ein Gerichtsherr ungerecht ſeyn koͤnnte; daß der Un - terthan durch dieſe Ungerechtigkeit, welche noch immer den Schein einer Legalitaͤt haͤtte, nach und nach entkraͤftet, und auſſer den Stand ge - ſetzt wuͤrde, dasjenige zu leiſten, was er ſeinem Fuͤrſten ſchuldig waͤre; daß ihm oft nicht Zeit gelaſſen, oder daß es ihm doch ſehr ſchwer ge - macht wuͤrde, wenn er wider dergleichen Unter - druͤckungen den Schutz der obern Richter anfle - hen wollte. Man wollte angemerkt haben, daß dergleichen oͤftere Zunoͤthigungen, und Un - terdruͤckungen den Unterthanen trotzig und ver - ſtockt machten; daß ihm alles verdaͤchtig ſey, was man von ihm fodere, daß er ſich endlich auch in denjenigen Sachen widerſetzlich bezeige, die er und ſeine Vorfahren zu thun ſchuldig geweſen. Der Schade von derglei - chen Gewaltthaͤtigkeiten falle mit der Zeit demK 5Beſi -154Satyriſche Briefe. Beſitzer des Ritterguts ſelbſt ungluͤcklicher Wei - ſe zur Laſt. Er empfinde das Armut ſeiner ausgeſaugten Unterthanen zu erſt, wenn dieſe un - vermoͤgend gemacht waͤren, ihm Zinnſen und Dienſte ferner zu leiſten. Es ſey ganz falſch, wenn man glaube, daß ein bemittelter Unterthan nicht zu baͤndigen, und ein Bauer alsdann erſt zahm wuͤrde, wenn er ganz verarmt ſey. So bald er gar nichts mehr zu verlieren habe, ſo bald mache ihn die Verzweiflung muthig. Aus Rach - ſucht bemuͤhe er ſich nunmehr ſeinen Gerichts - herrn durch ungerechte Proceſſe auch zu entkraͤf - ten, und ſo viel moͤglich, mit arm zu machen. Es ſey ſchwer, einen aufgebrachten und rebelliſchen Bauer von ſeinem Gute und aus dem Dorfe zu verjagen, noch ſchwerer aber eine ganze Gemei - ne. Gemeiniglich treffe das Ungluͤck den Ge - richtsherrn zu erſt, daß er durch die Laſt der Pro - ceſſe ermuͤdet, ſein Gut verſtoſſen muͤſſe. Die - ſes waͤren die gewoͤhnlichſten Folgen von einer uͤbelverſtandnen Herrſchaft, und von dem un - gluͤcklichen Misbrauche der ihnen erlaubten Erb - gerichte; Folgen, die dem Gerichtsherrn und den Unterthanen ſchrecklich, nur dem Gerichtsver - walter und den Advocaten vortheilhaft ſeyn koͤnnten!

Das waren ungefaͤhr die academiſchen Gril - len meiner Lehrer. So ſchimpft ein Armer auf den Reichthum, eine alte Betſchweſter auf die Wol -155Satyriſche Briefe. Wolluſt der Jugend, und ein Profeſſor, der kei - ne Bauern hat, auf die Gewaltthaͤtigkeit der Ge - richtsſtube. Vielleicht waͤre er der erſte, der ſie druͤckte, wenn ihm der Himmel ein Dorf voll Un - terthanen in die Haͤnde gaͤbe.

Mir ſind die Augen aufgegangen, da mich mein Beruf in die Umſtaͤnde ſetzte, die Natur der Bauern genauer zu anatomiren, und einzuſehn, wie vortrefflich die Ausbeute ſey, welche die Ge - rechtigkeit giebt. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß unſre Erbgerichte deſpotiſcher gelaſſen, und weni - ger eingeſchraͤnkt worden waͤren. Es hebt den Werth der Ritterguͤter. Jn den Anſchlaͤgen finde ich kein Capitel billiger, als das, von Ge - richtsnutzungen. Vielleicht waͤre es beſſer, und ausdruͤcklicher, wenn man es rechtliche Contribution, oder Gerichtsbeute nennte; aber es iſt ſchon genug, daß man weiß, was man darunter verſteht. So viel iſt freylich wahr, wenn der Unterthan in Armut gebracht wird, ſo leidet der Gerichtsherr zugleich; aber der leidet doch nicht, der ſeine Gerichte verwaltet. Jm Handel und Wandel muß allemal einer verlieren, wenn der andre gewinnen ſoll. Werden die Unterthanen arm, wird es der Gerichtsherr mit; gut genug, daß das Geld im Lande bleibt. Der Gerichtsverwalter, die Advocaten, die obern Richter, alle die in der Fabrik der Gerechtigkeit arbeiten, bis auf den unterſten Copiſten, ge -winnen156Satyriſche Briefe. winnen dabey. Es muß gleichwohl eine große Beruhigung fuͤr den Gerichtsherrn ſeyn, wenn er ſieht, daß ſeine widerſpaͤnnſtigen Unterthanen durch Hunger gedemuͤthiget ſind, geſetzt auch, daß er dieſes Vergnuͤgen nicht eher erlebt, als wenn er ſelbſt halb verhungert iſt. Das Ver - langen ſich zu raͤchen geht uͤber alles.

Man hat es in unſerm Lande fuͤr gut ange - ſehn, die Gewalt der Erbgerichte ſehr vorſichtig einzuſchraͤnken. Jch, als ein Unterthan, darf dawider nichts ſagen. Jn der That wuͤrde ich auch nichts neues ſagen, da meine Landsleute ſchon vor langen Zeiten die vortheilhafte Einſicht erlangt haben, wie ſie dieſe Einſchraͤnkung ſich er - traͤglich machen koͤnnen. Die groͤßte Kunſt be - ſteht darinne, daß ſie die Verwaltung ihrer Ge - richte einem Manne anvertrauen, der an ihren Abſichten gemeinſchaftlich arbeitet. Sie haben die Wahl, und in dieſer Wahl muͤſſen ſie behut - ſam ſeyn. Noch ein Vortheil iſt dieſer, daß ſie von den Sporteln der Gerichtsſtuben ihren An - theil behalten. Es hat einen doppelten Nutzen, welcher ſo deutlich in die Augen faͤllt, daß ich ihn nicht erſt erklaͤren darf.

Alles, was ich noch thun kann, iſt dieſes, daß ich durch nachſtehende vier Briefe meinen Satz erlaͤutere. Der erſte und zweyte Brief zeigt, wie157Satyriſche Briefe. wie ein Gerichtsverwalter ſeyn muß; der dritte Brief iſt der Gegenſatz von dieſem, und zeigt, wie er nicht ſeyn ſoll. Dieſes deſto lebhafter zu machen, habe ich den vierten Brief hinzu geſetzt. Jch wuͤnſche, daß meine Leſer die guten Abſich - ten erkennen moͤgen, die ich dabey gehabt habe. Folgen ſie meinem Rathe, und bedienen ſie ſich der Vortheile, die ich ihnen zeige, mit Ernſte: ſo gebe ich ihnen mein Wort, es ſoll in zehn Jah - ren kein Bauer mehr im ganzen Lande ſeyn. Und, o! wie ruhig kann ein Edelmann auf ſei - nem Gute leben, wenn er es ſo weit gebracht hat!

Gnaͤdiger Herr,

Jch ſage es Jhnen aufrichtig, zu Jhrem Gerichts - verwalter ſchickt ſich niemand beſſer, als ich. Sie haben ſo geſunde Begriffe von der Gewalt uͤber Hals und Hand, und Beutel Jhrer Unter - thanen, daß ich mich freue, unter Jhrer Anfuͤh - rung dieſen elenden Geſchoͤpfen den Nachdruck un - ſerer Gerechtigkeit fuͤhlen zu laſſen. Wenn ich die Sache recht anſehe, ſo finde ich, daß die Bauern nicht fuͤr ſich, ſondern fuͤr ihren Edelmann geſchaf - fen ſind. Jch weiß, daß man es bey uns nicht oͤffentlich ſagen darf, und daß auf dem Cathedernoch158Satyriſche Briefe. noch hin und wieder der Satz behauptet wird, daß die Bauern, und der Gerichtsherr, beyde Unter - thanen eines Fuͤrſten ſind. Jch weiß dieſe theo - retiſche Wahrheiten gar wohl. Wir koͤnnen es geſchehen laſſen, daß ſich die Gelehrten auf hohen Schulen, um ein paar milzſuͤchtige Schriftſteller, damit beſchaͤfftigen. Genug, daß wir unter uns die Erfahrung haben, welche allen dieſen Pedante - reyen widerſpricht. Was wir noch thun koͤnnen, um vor den Augen des gemeinen Volks den aͤuſſer - lichen Wohlſtand zu behaupten, das iſt dieſes, daß wir die Bauern niemals anders, als mit der ſtreng - ſten Legalitaͤt, pluͤndern. Darf ich es wohl wa - gen, Gnaͤdiger Herr, Jhnen zu ſagen, daß ich eben darinne meine Staͤrke habe? So bald ich Jhnen diejenigen Lehrer nenne, die mich auf hohen Schu - len zur Gerechtigkeit eingeweiht haben; ſo bald werden Sie weniger an meinem Vorgeben zwei - feln. Wollen Sie noch mehr Beweis haben? Davor habe ich mich ſehr gehuͤtet, was man gruͤnd - liche Rechtsgelehrſamkeit nennet. Cautelen ſind mein Hauptſtudium geweſen, und ich war im Stande, Geſetze zu verdrehen, ehe ich noch wußte, was Novellen hießen. Die erſte Probe meiner Geſchicklichkeit waren einige Hurenproceſſe, die ich gluͤcklich ausgefuͤhrt habe. Jch war noch kein Jahr ein Advocat, als mir ſchon zweymal die Pra - xis unterſagt wurde. Meine Unerſchrockenheit, mit welcher ich die Obern, und die Richter, zum beſten meiner Clienten, beleidigte, brachte mich vierWochen159Satyriſche BriefeWochen ins Gefaͤngniß. Sie koͤnnen wohl glau - ben, Gnaͤdiger Herr, daß mich dieſe Vorfaͤlle ſehr beruͤhmt gemacht haben, und es iſt bey nahe keine ungerechte Sache, die ich nicht vertheidigen muß, und gewiß ruͤhmlich vertheidige. Fragen Sie ein - mal in meiner Gegend nach, mit welchem Eifer ich meine Gerichtsbeſtallungen nutze. Es giebt gewiſſe Handgriffe, durch welche man das Ver - moͤgen der Unterthanen an ſich ziehen, und dennoch der gerechteſte Mann ſeyn kann. Es ſind Geheim - niſſe, die ich nicht ſagen kann, die ich aber zu Jh - rem guten Vergnuͤgen ins Werk ſetzen werde, wenn Sie mir die Stelle uͤberlaſſen ſollten, um die ich bitte. Fragen Sie den Herrn von deſſen Gerichte ich verwalte. Er wird Jhnen ſagen, wie weit ich es in einem Jahre gebracht habe. Seine Bauern ſind alle zu Grunde gerichtet; itzt arbeite ich noch an dem Schulzen, und ich hoffe, ihn nach der Erndte auch an den Bettelſtab zu bringen. Es iſt wahr, der Herr von hat zugleich ſein ganzes Vermoͤgen verſtritten, und er iſt durch die Proceſſe in Anſehung ſeines Standes weit aͤrmer geworden, als ſeine Bauern; aber was thut das? Er hat Recht behalten, ſeine trotzigen Bauern ſind gedemuͤthiget, und ich habe dabey ein ziemliches Vermoͤgen verdient. Verhungert der Herr von ſo iſt es mein Fehler nicht; es iſt ein Fehler der theuren Gerechtigkeit, fuͤr die er zum Maͤrtyrer geworden iſt. Jch habe weiter nichts gethan, als was er verlangt, und was mein Amt erfodert hat.

Sie160Satyriſche Briefe.

Sie ſollen es erfahren, Gnaͤdiger Herr, daß es nicht ruhmredige Verſprechungen ſind, die ich thue, Jch erwarte Jhren Entſchluß, und bin u. ſ. w.

Gnaͤdiger Herr,

Es iſt freylich eine ſchlimme Sache, daß die Lan - desobrigkeit dem Gerichtsherrn die Bauern nicht ganz Preis gegeben, ſondern den kleinen Dorfmonarchien gewiſſe Grenzen geſetzt, und ver - ordnet hat, daß die Gerechtigkeit durch beſondre Perſonen unpartheyiſch verwaltet werden ſoll. Es laͤuft allerdings wider den Stand der natuͤrlichen Freyheit, und wider die weiſen Abſichten der Na - tur, welche das Wild und die Bauern zum Nu - tzen und zum Vergnuͤgen des Junkers geſchaffen hat. Aber was iſt zu thun? Einer hoͤhern Ge - walt muß man nachgeben. Genug, daß noch Mittel uͤbrig ſind, dieſer hoͤhern Gewalt auszuwei - chen. Sie haben, Gnaͤdiger Herr, beſtaͤndig die - ſes zu Jhrer Regel gehabt, daß derjenige, dem Sie, nach den Landsgeſetzen, die Verwaltung der Ju - ſtitz anvertrauen muͤſſen, ſo unwiſſend, als moͤglich, ſey, um ihre willkuͤrlichen Ausſpruͤche deſto beſſer zu behaupten. Da ich nicht glaube, daß Sie itzt erſt von dieſer guten Regel abgehen werden: ſo mache ich mir Hoffnung, die erledigte Stelle als Gerichtsverwalter bey Jhnen zu erlangen. Jch bin ſo dumm und unwiſſend, als Sie es wuͤn -ſchen161Satyriſche Briefe. ſchen koͤnnen. Da ich die Rechtsgelehrſamkeit niemals anders, als handwerksmaͤßig gelernt habe: ſo kann es mir nicht ſchwer fallen, ſo zu denken, wie Sie befehlen. Sie, Gnaͤdiger Herr, ſollen mein erſtes Geſetze ſeyn. Jn der That ſind mir die uͤbrigen Geſetze deſto gleichguͤltiger, je weniger ich mit ihnen bekannt bin. Nur das einzige bitte ich, daß Sie mich auf Jhre Koſten wider hoͤhere Obrigkeiten vertreten, wenn mein Verfahren als unguͤltig angefochten werden ſollte. Sie erlangen durch mich noch einen Vortheil, den Sie nicht uͤberall finden. Man hat ein Spruͤchwort, ich weiß aber nicht in welcher Sprache, daß diejenigen Advocaten die groͤbſten ſind, die am wenigſten ver - ſtehn. Glauben Sie, Gnaͤdiger Herr, ich bin fuͤr zween Advocaten unwiſſend, und fuͤr dreye grob. Es wage es niemand, Sie und Jhre Ge - rechtſame anzugreifen; ich will ihm ſo unbeſchei - den begegnen, daß er wenig Ehre davon haben ſoll. Muß ich Strafe geben, ſo verlaſſe ich mich auf Jhr baares Geld. Sollte es gar bis zum Gefaͤngniſſe kommen, ſo werden Sie mich auf eine billige Art ſchadlos halten; aber Abbitte und Ehrenerklaͤrung will ich ex officio thun, ohne etwas dafuͤr zu verlan - gen. Scheinen Jhnen dieſe Bewegungsgruͤnde nicht wichtig genug, mir Jhre Gerichte anzuvertrauen? Jch will Jhnen noch einen Vorſchlag thun. Jch will die Beute mit Jhnen theilen. Die Gerichts - ſporteln ſollen zur Haͤlfte Jhre ſeyn, wenn Sie mir nur erlauben, noch einmal ſo viel von JhrenLBauern162Satyriſche Briefe. Bauern zu erpreſſen. Ueberhaupt finde ich die - ſe Art in Compagnie zu ſporteln ſehr billig. Den Gerichtsverwalter muntert es auf, hungriger zu ſeyn, als er ſonſt ſeyn wuͤrde, den Gerichtsherrn aber noͤthiget es, nachſehender zu ſeyn, weil er auſſerdem allemal die Haͤlfte verlieren wuͤrde, wenn er gerechter waͤre. Noch ein Vortheil faͤllt mir ein, den Sie, Gnaͤdiger Herr, durch mich erlangen. Cavaliere von Jhrer Art und Erziehung ſind niemals witziger, als bey Tiſche, und in Geſellſchaft des benachbarten Landadels. Wie noͤthig iſt es alsdann fuͤr Jhren Witz, daß Jemand mit an der Tafel ſitzt, den Sie ohne Verantwortung mishandeln koͤnnen. Jch ver - ſtehe Spas, Gnaͤdiger Herr. Fuͤr jede gnaͤdige Grobheit, die Sie mir ſagen, werde ich mich mit einer Boutellie Wein bezahlt machen, das ſoll meine ganze Rache ſeyn. Da ich auf Jhren Be - fehl mein Gewiſſen, und meinen ehrlichen Na - men daran wage, warum ſollte ich mich nicht fuͤr eine Boutellie Wein, Jhnen zu gefallen, zum Narren machen laſſen.

Wollen Sie mir die Gnade erzeigen, und mei - ner Bitte ſtatt geben, ſo werden Sie ſehen, wie unermuͤdet ich mich beeifern werde, meine theure Pflicht zu erfuͤllen, und zu ſeyn ꝛc.

Gnaͤ -163Satyriſche Briefe
Gnaͤdiger Herr,

Es hat mich Herr gebeten, ihn bey Ew. Gnaden zu empfehlen, da er gehoͤrt hat, daß Sie die erledigte Schoͤſſerſtelle auf Jhren Guͤtern wieder zu beſetzen im Begriffe ſind. Sie ſehen es ſelbſt ein, Gnaͤdiger Herr, daß dieſes Amt einen gelehrten, einen ehrlichen, und einen arbeitſamen Mann haben will. Es iſt ſchwer, alle drey Tugenden beyſammen anzutreffen; und wer ſie beyſammen beſitzt, der wird gemeiniglich ſo ſehr geſchaͤtzt, und ſo ſorgfaͤltig geſucht, daß er ſich kaum entſchlieſſen duͤrfte, ein Amt, wie das Jhrige, anzunehmen, welches ihn vom Hofe, und von aller Gelegenheit, ſein Gluͤck weiter zu treiben, entfernt. Ew. Gnaden kennen mich zu gut, als daß Sie glauben ſollten, ich ſtellte Jh - nen die Sache um deswillen ſo ſchwer vor, damit ich die Verdienſte meines Candidaten deſto gelten - der machen koͤnnte. Er beſitzt wirklich alle die Ei - genſchaften, die ich oben gefodert habe, er weiß es aber ſelbſt ſo wenig, daß er immer zweifelt, ob er auch geſchickt genug ſey, dem Amte ſo vorzuſtehn, wie er ihm vorzuſtehen wuͤnſcht. Dieſe Furcht - ſamkeit, vielleicht aber auch ein vernuͤnftiges Ver - langen, gluͤcklich und ruhig zu bleiben, entfernen ihn vom Hofe. Er wuͤnſcht, als ein ehrlicher Mann, und unbekannt, auf Jhrer Herrſchaft zu ſterben. Wollen Sie eine genauere NachrichtL 2von164Satyriſche Briefe. von ſeinen Verdienſten haben? Er hat ſeine Ju - risprudenz als ein Gelehrter erlernt. Er weiß den Grund der Geſetze, und verſteht bey den dazu er - foderlichen Sprachen die Geſchichte der Rechts - gelehrſamkeit in ihrem ganzen Umfange. Dieſes unterſcheidet ihn von einem praktiſchen Schmierer und Rabuliſten. Er hat ſich Muͤhe gegeben, die Anwendung der Geſetze, und die beſondre Verfaſ - ſung des Landes ſich bekannt zu machen. Durch eine fleißige Uebung hat er dieſe Geſchicklichkeit er - langt, und vielen vor dem Richter beygeſtanden, die ihn um ſeine Huͤlfe gebeten. Dieſes unterſchei - det ihn von den theoretiſchen Pedanten. Er iſt ſo ehrlich, daß er keine Sache annimmt, ohne von ih - rer Billigkeit uͤberzeugt zu ſeyn; daß er einem nothleidenden Armen lieber dient, als einem Rei - chen, der Gewalt thut; daß er es ſehr ſelten zu ei - nem weitlaͤuftigen Proceſſe kommen laͤßt, und daß er es ſo gleich im Anfange zu einem billigen Ver - gleiche zu bringen ſucht, wenn ihn nicht die Haͤrte des Gegners, oder der Eigennutz des Richters dar - an hindert; mit einem Worte, er iſt ſo ehrlich, Gnaͤdiger Herr, daß er in fuͤnf Jahren gewiß ver - hungern muß, wenn er fortfaͤhrt, als Advocat ſei - nen Unterhalt zu ſuchen. Jch erinnere mich ver - ſchiedner Gelegenheiten, wo der Richter ſo wohl, als ſein Gegner, ſich einen ſehr ſchlechten Begriff von ſeiner Geſchicklichkeit gemacht, und gar ge - zweifelt haben, ob er wirklich ad praxin admit -tirt165Satyriſche Briefe. tirt ſey, weil er weder in der Richterſtube, noch in ſeinen Schreiben heftig geworden, ſondern ſein Recht mit der groͤßten Gelaſſenheit, und ei - nem geſitteten Anſtande vertheidigt, ohne den Gegner zu ſchimpfen, oder dem Richter bittere Vorwuͤrfe zu machen. Es wird nun zehn Jahre ſeyn, daß er die Gerichtsbeſtallung zu uͤbernahm. Es war an dieſem Orte ſeit funfzig Jahren zur Gewohnheit geworden, daß die Herr - ſchaft und die Unterthanen einander durch ewige und koſtbare Proceſſe entkraͤfteten. Jn der That befanden ſich die Unterthanen in den kuͤmmerlich - ſten, und verzweifeltſten Umſtaͤnden; und ſeit die - ſen funfzig Jahren waren zwo Herrſchaften genoͤ - thigt worden, das Rittergut zu verkaufen, um ſich aus dieſen Proceſſen, und von ihrem voͤlligen Untergange zu retten. Als mein Candidat zur Gerichtsverwaltung kam, ſo beneideten ihn we - gen dieſes Gluͤcks viele, welche glaubten, er wer - de dieſes Amt ſo nutzen, wie es ſeine Vorfahren genutzt hatten. Allein auch dazu war er zu ehr - lich. Seine erſte Sorgfalt gieng dahin, wie er ſich beym Gerichtsherrn ein gewiſſes Anſehn er - werben moͤchte, welches ſich diejenigen gar leicht erwerben, die geſchickt und redlich ſind. Auf der andern Seite gab er ſich Muͤhe, das Zutrauen der Unterthanen zu gewinnen, und ihnen zu zeigen, daß er ein unpartheyiſcher Richter ſey. Er erlangte beides. Wie leicht muß es einemL 3Manne166Satyriſche Briefe. Manne, den die Gerichtsherrſchaft fuͤr redlich, den die Unterthanen fuͤr unpartheyiſch halten, wie leicht, ſage ich, muß es einem rechtſchaffnen Manne fallen, alle die Verbitterungen und Pro - ceſſe zu heben, welche die Herrſchaft und die Un - terthanen zugleich ungluͤcklich machen. Kaum waren zwey Jahre verfloſſen, als er alle Streitig - keiten vom Grunde aus verglichen hatte. Seine Vorſicht hat bis itzt neuen Jrrungen vorzubeugen gewußt. Durch ſeine vernuͤnftige Vorſtellungen hat er ſeinem Edelmanne begreiflich gemacht, daß die Bauern Menſchen, und in unſerm Lande keine Sklaven ſind. Er hat den wunderbaren Satz be - hauptet, daß ein verarmter Unterthan viel unru - higer und gefaͤhrlicher ſey, als ein bemittelter. Die Bauern hingegen hat er durch ſein Anſehn, und, wo es noͤthig geweſen, mit Nachdruck zu ihrer Schuldigkeit angehalten. Nunmehr ſehen ſie es ein, wie gluͤcklich ſie bey dieſer Ruhe und Eintracht ſind. Sie arbeiten an der Erhaltung derſelben mit ihm gemeinſchaftlich, und werden reich. Jn vorigen Zeiten war dieſes Dorf das Geheege verſchiedner hungriger Advocaten, wel - che den Stolz der Gerichtsherrſchaft und den Trotz der Unterthanen misbrauchten. Seit acht Jah - ren ſind ſie verſcheucht; ſie vermeiden ſo gar dieſen Ort, in welchem ſie nunmehr verhaßt ſind, und eilen misvergnuͤgt von ferne vorbey, wie ein Wolf vor einer Heerde, welche unter der Wachſamkeit ihres Hirten, und der Treue ſeiner Hunde ruhig iſt.

Ver -167Satyriſche Briefe.

Verzeihen Sie mir, Gnaͤdiger Herr, daß aus meinem Empfehlungsſchreiben eine Predigt von der Gerechtigkeit wird. Jch habe mich vergeſſen; es gereut mich aber nicht, denn ich weiß, daß Sie eben das Vergnuͤgen empfinden, den Charakter ei - nes ehrlichen Advocaten zu leſen, das ich empfinde, da ich ihn ſchildere. Jch freue mich, daß ich die Gelegenheit in den Haͤnden habe, Jhnen das Ori - ginal zu verſchaffen. Sie werden es als eine Pro - be meiner Achtung fuͤr Jhre Perſon, und meiner Aufmerkſamkeit fuͤr Jhr Beſtes anſehen, und zu - gleich Jhnen mich verpflichten, wenn Sie dieſem ehrlichen Manne, den ich Jhnen empfehle, durch die gebetne Befoͤrderung Muth machen, ferner ehrlich zu ſeyn. Jch verharre mit unterthaͤniger Hochachtung, u. ſ. w.

Antwort.

Hochzuehrender Herr Doctor,

Wir kennen einander zu gut, als daß ich Jh - nen meine Gedanken nicht aufrichtig ſagen ſollte. Jſt das alles Jhr wahrer Ernſt, was Sie mir ſchreiben? oder haben Sie Jhren Brief nur um deswillen ſo erbaulich eingerichtet, daß ihn die ſtudirende Jugend ins Latein uͤberſetzen, und die ſchoͤnen Bluͤmchen und Sentenzen mit ro - ther Dinte unterſtreichen ſoll, um ſie deſto beque -L 4mer168Satyriſche Briefe. mer auswendig zu lernen? Fuͤr einen Mann, der die Welt kennt, wie Sie, ſchreiben Sie wirklich zu pe - dantiſch. Jhr Candidat mag ein ehrlicher Mann ſeyn, ich glaube es, vielleicht wuͤrde er auch in Deutſchland ein großer und angeſehner Mann ge - weſen ſeyn, wenn er zu Hermanns Zeiten gelebt haͤt - te; aber was ſoll man itzt aus ihm machen? Wie ſa - tyriſch ſind Sie, wenn Sie ſagen, daß ein gelehrter, ein ehrlicher, und ein arbeitſamer Mann ſo ſehr ge - ſchaͤtzt, und ſo ſorgfaͤltig geſucht werde! Geſtehn Sie es nur, Sie ſind ein wenig boshaft, und Jhre Lebhaf - tigkeit verleitet Sie zuweilen ſo weit, daß Sie Sich vergeſſen, und Sachen ſagen, die Jhnen bey Jhren Collegen nicht viel Ehre machen wuͤrden, wenn Sie ſollten gedruckt werden. So ein frommer und bil - liger Schoͤſſer wuͤrde mir meine Unterthanen in kur - zer Zeit zu muthig werden laſſen. Der Bauer fuͤhlt ſich, er ſchwillt, ſo bald er mehr als einen Kittel hat. Ruſtica gens, optima flens, et peſſima ridens! Sehn Sie, Herr Doctor, daß ein alter Kammerjunker auch noch Latein verſteht, ſo gut wie ein Profeſſor? Mit einem Worte, ich habe fuͤr Jhren Candidaten alle die Hochachtung, die man fuͤr eine altvaͤtriſche Tugend hat; aber brauchen kann ich ihn zu nichts. Kann ich ihm auſſerdem dienen, ſo ſoll es mit Vergnuͤgen geſche - hen. Zween Tage vorher, ehe ich Jhren Brief erhielt, hatte ich mich ſchon mit einem neuen Schoͤſ - ſer verſehen. Er iſt noch ſehr jung, er verſteht gar nichts; aber er wagt es, mir tauſend Thalervor -169Satyriſche Briefe. vorzuſchieſſen, von denen er nimmermehr einen Haͤller wieder ſehen ſoll. Jnzwiſchen will ich doch als ein ehrlicher Mann mit ihm handeln, und ihm zu laſſen, daß er ſich, ſo gut er kann, von meinen Unterthanen bezahlt mache. Jch habe fette Haͤm - mel darunter, die mag er nutzen, bis er ſatt und be - zahlt iſt. So viel gewinnt er allemal dabey, daß ich ihm nicht auf die Finger ſehen werde. Die Gerichtsſtube will ich mit einem geſchickten Actuar beſetzen. Wenn der Verſtand hat, ſo braucht der Schoͤſſer keinen. Sehn Sie, mein Herr, das iſt mein Plan. Sie muͤſſen ihn billigen, wenn Sie unpartheyiſch ſeyn wollen. Jch wollte wuͤnſchen, daß ich Jhrem ehrlichen Candidaten ſonſt helfen koͤnnte. Was meynen Sie, wenn ihn das Land auf gemeinſchaftliche Koſten ernaͤhrte, und den Fremden als eine Raritaͤt fuͤrs Geld ſehen ließe? Aber das muͤßte er ſich gefallen laſſen, daß er nach ſeinem Tode ausgeſtopft, und zum Wahrzeichen auf die Univerſitaͤtsbibliothek geſetzt wuͤrde, daß ſich andre an ihm ſpiegeln koͤnnten. Halten Sie mir dieſen Scherz zu gute, Sie wiſſen es wohl, ich ſpa - ſe gern; und wenn ich an einen guten Freund ſchrei - be, wie Sie ſind, ſo nehme ich mir kein Blatt vors Maul. Leben Sie wohl. Schicken Sie doch auf die Meſſe Jhren Candidaten zu mir. Jch moͤchte doch zum wenigſten gern ſehen, wie er ausſaͤhe. Es iſt mir dergleichen Geſchoͤpfe noch niemals vor - gekommen. Bis dahin leben Sie wohl. Jch bin Jhr alter guter Freund u. ſ. w.

L 5Von170Satyriſche Briefe.

Von dem Briefe, der itzt folgt, weiß ich nichts zu erinnern. Er erklaͤret ſich oh - ne eine Vorrede. Haͤtte ich ihn vor zehn Jahren geſchrieben, ſo wuͤrde ich vielleicht wegen einiger Stellen in den Verdacht gefallen ſeyn, als machte ich auf mich ſelbſt eine Satyre. Nunmehr bin ich uͤber dieſe Beſorgniß weg. Das wird wohl nicht noͤthig ſeyn zu erinnern, daß die Satyre in dieſem Briefe nicht allgemein iſt, und nur diejenigen trifft, welche dergleichen Vorwuͤr - fe verdienen. Eine Erinnerung, die ich muͤde bin zu wiederholen, und die ich vielleicht fuͤr ei - nen unachtſamen, und argwoͤhniſchen Leſer nicht oft genug wiederholen kann!

Gnaͤdiger Herr,

Jch bin in der That ganz andrer Meynung, als Sie ſind. Sie glauben viel gewonnen zu ha - ben, daß Sie, bey dem Proceſſe mit Jhren Unter - thanen, die Commiſſion an einen jungen Mann auszubringen Gelegenheit gefunden, der zum er - ſtenmale in dergleichen Geſchaͤfften gebraucht wird. Sie irren Sich gewiß, Gnaͤdiger Herr, wenn Sie Sich Hoffnung machen, ihn, als einen ungeuͤb - ten, und noch unerfahrnen Mann, nach Jhrem Willen zu lenken. Mich hat es die Erfahrunggelehrt,171Satyriſche Briefe. gelehrt, daß gemeiniglich niemand gefaͤhrlicher ſey, als ein junger Commiſſar. Seine Begriffe von der Pflicht ſind noch zu wenig ausgearbeitet. Da er noch niemals dergleichen Auftrag gehabt, ſo glaubt er, er arbeite itzt vor den Augen des Hofs, und des ganzen Landes. Ein amtsmaͤßiger Hoch - muth, und das Verlangen, ſein kuͤnftiges Gluͤck zu empfehlen, macht ihn ſtrenge. Er verſteht nur das Finſtre und Schwere der Pflicht, und vergißt die Billigkeit daruͤber. Er iſt hart gegen den Un - terthan, um ein treuer Diener ſeines Fuͤrſten zu ſcheinen. Die Geſetze ſind ihm noch zu neu, als daß er ſie genau kennen ſollte. Er weiß es noch nicht, daß dergleichen Geſetze eben ſo wohl zum Beſten des Landes, als dazu gegeben ſind, die Rechte des Fuͤrſten zu ſchuͤtzen. Ueberzeugen Sie ihn, daß er gefehlt, daß er die Geſetze nicht recht verſtanden hat: ſo wird ihm ſein junger Stolz nicht verſtatten, es einzuſehn. Auf Jhre Unko - ſten wird er ſeine Meynung behaupten. Ein Com - miſſar muß ſehr unrecht haben, wenn er davon uͤberfuͤhrt werden ſoll. Sie werden ihn beleidi - gen, wenn Sie ihn durch Geſchenke auf Jhre Sei - te bringen wollen. Vielleicht nimmt er ſie kuͤnf - tig an; itzt darf er es noch nicht thun, ohne ſeinem kuͤnftigen Gluͤcke, und dem Anſehn zu ſchaden, in das er ſich durch ſeine Gerechtigkeit ſetzen will. Er weiß es, daß Sie Selbſt Gelegenheit gegeben haben, daß er zum Richter in Jhrer Streitigkeit gewaͤhlt worden iſt. Eben das iſt die Urſache,Gnaͤ -172Satyriſche Briefe. Gnaͤdiger Herr, warum ich ſo viel boͤſe Folgen fuͤr Sie befuͤrchte. Jſt Jhre Sache ungerecht, ſo wird er ſich freuen, es Sie nachdruͤcklich empfin - den zu laſſen, daß er einer ungerechten Sache feind ſey. Haben Sie Recht, ſo iſt es fuͤr Sie noch weit gefaͤhrlicher. Er wird alle Kraͤfte daran ſe - tzen, Jhnen Jhr Recht ſtreitig zu machen, um bey Jhrem Gegner, und andern, den Vorwurf zu vermeiden, daß er partheyiſch, und um deswillen auf Jhrer Seite ſey, weil Sie ſelbſt ihn zum Rich - ter vorgeſchlagen haben. Keine Partheylichkeit iſt gefaͤhrlicher, als diejenige, welche die Richter begehen, um unpartheyiſch zu ſcheinen. Was ich hier ſage, das ſchreibe ich aus einer Ueberzeu - gung, die mich die Erfahrung gelehrt hat.

Ein alter Richter, ein Mann, dem ſchon oft die Unterſuchung der Streitigkeiten aufgetragen worden, iſt bey ſeiner Erfahrung vorſichtig, ge - laſſen, gegen beide Theile gefaͤllig, und nachſehend. Sein Ehrgeiz iſt beruhigt. Hat er geirrt, ſo giebt er nach, weil er ſo oft Gelegenheit gehabt hat, zu ſehen, wie leicht es einem Richter moͤglich ſey, ſich zu irren. Er wird zur Ungebuͤhr nicht ſtrenge ſeyn, weil er weiß, daß das Gluͤck ſeines Fuͤrſten allein auf dem Wohlſtande der Unterthanen beruht. Niemals wird er behutſamer ſeyn, als wenn er ei - nen Vorſchlag thun, oder ein Gutachten geben ſoll, von welchem oft das Wohl einer ganzen Ge - meine abhaͤngt. Er weiß es, daß noch die Uren -kel173Satyriſche Briefe. kel die ungluͤcklichen Folgen eines uͤbereilten, und zu hitzigen Urtheils empfinden. Die Seufzer der Nachwelt bewegen ihn ſchon itzt; er iſt aufmerk - ſam, und unpartheyiſch, damit nicht ſein Anden - ken noch in ſpaͤten Jahren verflucht werde.

Wird es Sie nunmehr bald gereuen, Gnaͤdiger Herr, daß Sie auf den Einfall gekommen ſind, ſich die Unwiſſenheit eines jungen Richters zu Nu - tze zu machen? Ueberlegen Sie, was ich Jhnen ſo aufrichtig geſchrieben habe, und aͤndern Sie es noch, wenn es moͤglich iſt.

Niemand iſt ſtrenger, als ein junger Raths - herr, der als Richter die galanten Suͤnden beſtra - fen ſoll, die er geſtern ſelbſt begieng, da er noch nicht Rathsherr war; Niemand iſt grimmiger, als ein junger Officier, der in Friedenszeit zum erſtenmale vor den Augen ſeiner gnaͤdigen Ma - ma, und Fraͤulein Schweſter commandirt; Nie - mand iſt partheyiſcher, als ein junger Commiſſar, der zum erſtenmale Gelegenheit ſucht, zu zeigen, daß er gerecht ſey! Drey Geſchoͤpfe, Gnaͤdiger Herr, vor denen ich alle meine Feinde warne! Jch werde mich freuen, wenn ich erfahre, daß Sie meine Freymuͤthigkeit nicht beleidigt hat. Jch hoffe die - ſes von Jhrer Freundſchaft, und bin ꝛc.

Jch174Satyriſche Briefe.

Jch habe die billige Abſicht, den Nutzen von meinen Briefen allgemein zu machen. Bisher habe ich groͤßtentheils nur fuͤr die - jenigen geſorgt, welche in der kleinen buͤrgerli - chen Welt ihr Gluͤck ſuchen. Hier will ich noch zween Briefe fuͤr diejenigen einruͤcken, welche ſich an den Hof wagen wollen. Sie ſind ſo deutlich, daß ich nicht noͤthig zu ſagen habe, wovon ſie handeln. Meine Leſer werden es bey dem erſten Anblicke finden.

Mein Herr,

Geben Sie noch nicht alle Hoffnung auf. Nun bin ich endlich auf dem Wege, mein Gluͤck zu machen, und ein Mann von Wichtigkeit zu wer - den. Seit acht Tagen habe ich Jhrem Rathe ge - folgt, und was Sie mir gerathen haben, iſt die Stimme der Natur geweſen, denn ich finde mich ungemein leicht darein.

Am Montage habe ich mit dem Cammerdie - ner Bruͤderſchaft getrunken. Die ganze Anti - chamber iſt ſchon auf meiner Seite, und der kleine Laͤufer, welcher die Gnade hat, Jhro Excellenz Narr zu ſeyn, faͤngt an, eiferſuͤchtig auf meine wi - tzigen Einfaͤlle zu werden, und glaubt, Jhro Ex - cellenz wuͤrden ſich halb todt lachen, wenn ſie mei -ne175Satyriſche Briefene Schwaͤnke hoͤren ſollten. Arbeit genug fuͤr ei - nen Tag, aber auch Ruhm genug!

Dienſtags legte ich den Grundſtein zu meinem Gluͤcke. Kennen Sie das Maͤdchen, welches an - faͤngt, dem Gnaͤdigen Herrn gleichguͤltig zu werden, da ſie es ſeit fuͤnf Jahren nicht geweſen iſt? Jch brauchte mehr nicht, als zwo Stunden, ſie auf meine Schmeicheleyen aufmerkſam zu machen; Sie hat uͤber das Herz ihres Herrn immer noch Gewalt genug, um mein Gluͤck zu unterſtuͤtzen, und Jhro Excellenz ſind ſo erkenntlich, daß ſie wuͤnſchen, das Gluͤck dieſes Maͤdchens auf eine dau - erhafte Art zu befeſtigen.

An der Mittewoche habe ich ein Amt angetre - ten, welches zwar in der Welt kein Aufſehn macht, aber auf meiner Stube wichtig genug iſt. Dieſen und den folgenden Tag brachte ich zu, ver - ſchiedne Clienten zu verſichern, daß ich mir ein un - gemeines Vergnuͤgen daraus machen wuͤrde, ih - nen bey aller Gelegenheit zu dienen. Jch weiß nicht mehr, wer ſie waren.

Am Freytage hat mich mein Schneider aus - gebildet, und ich haͤtte wahrhaftig in mir das nicht geſucht, was ich nunmehr wirklich in mir finde.

Geſtern habe ich einige von meinen alten Glaͤu - bigern abgewieſen, und funfzehnhundert Thaler aufs neue geborgt. Jch borgte ſie mit einer ſehrguten176Satyriſche Briefe. guten Art, und ich glaube der Kaufmann ſoll mich verſtehn. So klug iſt er wenigſtens, daß er ſie von mir nicht wieder fodern wird. Funfzehnhun - dert Thaler iſt eine Kleinigkeit; aber bedenken Sie, mein Herr, daß ich laͤnger nicht, als ſeit ſechs Tagen bey Hofe bin.

Heute fruͤh bin ich in der Kirche geweſen. Meine Weſte that ihre gute Wirkung. Der Pre - diger gefiel mir nicht ſo, wie vor acht Tagen, da ich noch kein Hofmann war. Wenn ich nicht irre, ſo predigt der Mann zu pedantiſch. Fuͤr den Poͤ - bel mag er ganz erbaulich ſeyn. Seine chriſtlichen Tugenden treten ſo buͤrgerlich einher. Bewun - dern Sie immer dieſen Einfall; er hat mir heute viel Ehre in der Kapelle gemacht. Morgen iſt der zweyte Feyertag, um deswillen werde ich zur Ader laſſen.

Leben Sie wohl. Es iſt meinem neuen Stan - de gemaͤß, daß ich meine alten Freunde nach und nach vergeſſe. Gewiß vergeſſe ich Sie zuletzt; ich will aber doch thun, was mir moͤglich iſt. Ver - ſuchen Sie es uͤber acht Tage. Begegnen Sie mir. Jch werde Sie anſehen, ein paar große Augen machen. Jch ſoll Sie kennen, mein Herr, werde ich ſprechen. Sie werden mir Jhren Na - men ſagen; ich werde, als vom Traume erwachend, zuruͤck ſpringen, Sie umarmen, und ohne ihre Antwort zu erwarten, mich aus Jhren Armen los reiſſen, weil mich hoͤchſtdringende Geſchaͤfftenoͤthi -177Satyriſche Briefe. noͤthigen, nach Hofe zu eilen; mein Bedienter wird Jhnen meine Wohnung ſagen. Gruͤſſen Sie mei - ne Freunde; aber, ich bitte Sie, ja incognito. Jch halte ſie hoch; aber die Zeiten aͤndern ſich. Der Hof giebt auf alle meine Bewegungen acht. Wie geſagt, gruͤſſen Sie die ehrlichen Leute, wenn ichs recht uͤberlege, habe ich eben nicht Urſache, mich ihrer zu ſchaͤmen. Leben Sie wohl. Jch habe die Ehre zu ſeyn,

Mein Herr, Deren dienſtwilliger Freund.

N. S. Vornehme Leute pflegen des Wohlſtands wegen gemeiniglich an einem oder mehrern Theilen der Religion zu zweifeln. Geben Sie mir einen guten Rath, an welchem zweifle ich? Jch daͤchte, weil ich erſt an - fange, mich in der Welt zu zeigen, ich zwei - felte noch zur Zeit nur an der Hoͤlle. Koͤmmt Zeit, koͤmmt Rath. Was mey - nen Sie?

MGnaͤdi -178Satyriſche Briefe.
Gnaͤdiger Herr,

Da Ew. Gnd. die Mine einer Excellenz ma - chen, und um deswillen noͤthig finden, bey der uͤbrigen Equipage auch einen Sekretaͤr mit zu halten: ſo wuͤnſchte ich mir wohl, dieſe Stelle zu erlangen. Jch weiß, daß ich dabey weiter nichts zu thun habe, als der gnaͤdigen Frau ihre Waͤſch - zeddel abzuſchreiben, den Verwalter einen Eſel zu heißen, und den Schuldleuten auf ihre Mahnbrie - fe in den gnaͤdigſten und freundlichſten Ausdruͤ - ckungen zu ſagen, daß ſie nicht bezahlt werden ſol - len. Jch glaube daher, Geſchicklichkeit genug zu haben, dieſem Amte vorzuſtehn, und ich will, mit Huͤlfe einer reichen Weſte, in dem Vorzimmer ſo wichtig thun, daß man glauben ſoll, Ew. Gna - den arbeiteten in Jhrem Cabinette am allgemeinen Frieden. Da ich weiß, Gnaͤdiger Herr, daß Sie zuweilen ein wenig hitzig ſind: ſo will ich ver - ſprechen, es mit aller Geduld auszuhalten, wenn Sie mir erlauben wollen, daß ich zu meiner Schadloshaltung, ſo oft Sie in Jhrem Zimmer gegen mich hitzig ſind, im Vorzimmer gegen die - jenigen grob ſeyn darf, die weniger ſind, als ich, oder die bey Ew. Gnaden etwas zu ſuchen haben. Sie werden kein Bedenken finden, mir dieſes zu erlauben, da es in den meiſten Vorzimmern der kleinen Potentaten, wie Ew. Gnaden ſind, Mo - de iſt. Um den Gehalt werden wir uns verglei -chen.179Satyriſche Briefe. chen. Jch ſehe hauptſaͤchlich auf die Ehre, und verlange daher zum Anfange mehr nicht, als zwey - hundert Thaler, bey freyer Bekoͤſtigung und Woh - nung. Dieſes aber bitte ich mir zugleich unter - thaͤnig aus, daß alle diejenigen Gelder, welche Ew. Gnaden aufborgen, durch meine Haͤnde gehn. Jch werde Jhnen dadurch Jhre Muͤhe ſehr erleichtern. Denn da Sie die hohe Abſicht haben, laͤngſtens in zehn Jahren einen Jhrem Stande gemaͤßen Bankerutt zu machen: ſo ge - traue ich mir, es in fuͤnf Jahren ſo weit zu brin - gen, daß ich einige tauſend Thaler erworben ha - be; daß Jhre Glaͤubiger betrogen, und Ew. Gna - den ein Bettler ſind. Jch bin mit unterthaͤniger Hochachtung ꝛc.

M 2Jch180Satyriſche Briefe.

Jch will meinen Leſern hier einige Brie - fe mittheilen, die mir von einer unbe - kannten Hand zugeſendet worden ſind. Die Erfindung, ſeinen Leſern auf dergleichen Art ein Geheimniß im Vertrauen zu ſagen, iſt ſo neu nicht, daß ich ohne Sorge ſeyn ſollte, ob man es nicht auch fuͤr eine ſolche Erfindung halten werde. Jch muß mir al - les gefallen laſſen. Weil aber in dieſen Briefen ſo viel Wahrſcheinlichkeit enthalten iſt; weil die traurige Geſchichte, die man dar - innen findet, ſich ſo oft, ob wohl mit ver - ſchiednen Umſtaͤnden zutraͤgt; und weil ich ſelbſt bey dem Schluſſe eine ziemlich ernſt - hafte Lehre und Vermahnung bekomme: ſo wird man die Gefaͤlligkeit haben, und glau - ben, daß dieſe Briefe nicht erdichtet ſind. Jch koͤnnte einem jeden die Originale vor - legen; es ſoll aber niemand ein Recht haben, ſie von mir zu fodern, als ſolche Frauen - zimmer, welche ſie zu ihrer Beſſerung brau - chen.

An181Satyriſche Briefe.

An den Verfaſſer der ſatyriſchen Briefe.

Mein Herr,

Wenn es wahr iſt, was man mich verſichert, daß ſie kuͤnftige Meſſe den dritten Theil Jhrer ſatyriſchen Schriften heraus geben, und darinne eine Sammlung verſchiedner Briefe der Welt mittheilen wollen: ſo nehme ich mir die Freyheit, fuͤr diejenigen um eine Stelle zu bit - ten, die ich Jhnen hier zu uͤberſenden die Eh - re habe. Es iſt dieſes die einzige Gelegen - heit, mein Gewiſſen zu beruhigen, da ich durch mein uͤbereiltes Exempel viele meiner Mitſchwe - ſtern auf die Eitelkeit gebracht habe, eben ſo koſtbar, und laͤcherlich zu thun, als ich gethan habe, und da ich zugleich hoffe, daß viele, die es noch nicht gethan haben, ſich deſto eher kuͤnftig vor dieſen Fehlern huͤten werden.

Damit Sie alles deſto beſſer verſtehn, ſo muß ich Jhnen melden, daß mein Vater ein fuͤrſtlicher Beamter geweſen iſt, welcher die Kunſt verſtanden, reich zu thun, da er es nicht war; und welcher ſich das gewoͤhnliche Vergnuͤgen machte, in Geſellſchaft der benachbarten Adlichen, das Geld, das er von den Bauern erpreßt hatte,M 3zu182Satyriſche Briefe. zu verthun, um ſich bey ſeinen Gaͤſten ein gewiſſes Anſehn zu erwerben, welches nicht laͤnger dauerte, als der Rauſch, den ſich ſeine hochadlichen Gaͤſte bey ihm trunken. Da es einem jungen von Adel ſo wenig koſtet, einem Buͤrgermaͤdchen, das noch ſo ziemlich gebildet iſt, Schmeicheleyen vorzuſa - gen: ſo koͤnnen Sie wohl glauben, wie ſehr dieſes meiner natuͤrlichen Eitelkeit gefiel, und ich ward ſo thoͤricht, ein iedes Compliment fuͤr einen zaͤrtli - chen Seufzer zu halten. Jn Gedanken war ich ſchon gnaͤdige Frau, und um meiner neuen Wuͤr - de keine Schande zu machen, gewoͤhnte ich mich, alle diejenigen veraͤchtlich anzuſehn, welche, nach meiner Meynung, der Himmel in ſeinem Zorne ohne Ahnen erſchaffen hatte.

Dieſes iſt die wahre Qvelle aller meiner Thor - heiten. Wie ſehr bin ich fuͤr meinen Stolz gede - muͤthiget worden! Alle Gelegenheiten, welche mir gegeben wurden, mich zu verheirathen, ſtieß ich auf eine uͤbermuͤthige Art von mir, da es nur buͤrgerliche Haͤnde waren, die man mir anboth. Hier ſind die Briefe, und meine Antwort darauf, nach ihrer chronologiſchen Ordnung. Wie un - vernuͤnftig habe ich gehandelt!

Schrei -183Satyriſche Briefe.
Schreiben des Herrn Hofraths R an die Mademoiſelle F

Der Tod meiner Frau, welche vor einem Jah - re geſtorben iſt, hat mich in die Nothwen - digkeit geſetzt, fuͤr eine ziemlich weitlaͤuftige Wirthſchaft, und fuͤr die Erziehung zweyer Kin - der zu ſorgen, wovon das aͤlteſte acht Jahre iſt. Mein Amt, das ich habe, iſt mit ſo vieler Unruhe verknuͤpft, daß ich mich nicht im Stande ſehe, meinen haͤuslichen Angelegenheiten laͤnger, wie bisher, allein vorzuſtehn, ob ich ſchon aus Liebe zu meinen Kindern wohl wuͤnſchte, den ganzen Tag auf ihre Zucht und Unterweiſung wenden zu koͤnnen, da ich, wenn ich mir als Vater nicht etwa zu viel ſchmeichle, ſo viel gutes in ihren jungen Gemuͤtern zu finden glaube, welches die Hoffnung ſorgfaͤltiger Aeltern mit der Zeit reich - lich belohnen wird. Es iſt um deswillen eine meiner wichtigſten Sorgen, wie ich dieſen guten Kindern den Verluſt erſetzen moͤge, den ſie durch den Tod einer vernuͤnftigen und liebreichen Mut - ter ſo fruͤh erlitten haben. Die Gelegenheit, die ich gehabt, Jhren Herrn Vater ſeit langen Jah - ren zu kennen, iſt Urſache, daß ich mir von Jh - nen, Mademoiſelle, nichts anders, als den Cha -M 4 rakter184Satyriſche Briefe. rakter eines vollkommen tugendhaften und arti - gen Frauenzimmers habe vorſtellen koͤnnen; und ich habe in der letztern Oſtermeſſe in Jhrer Ge - ſellſchaft gefunden, daß Jhre Vollkommenhei - ten meine Vorſtellungen weit uͤbertreffen. Er - lauben Sie alſo, Mademoiſelle, daß ich aus Verlangen, mich ſelbſt gluͤcklich zu machen, und das Gluͤck meiner Kinder zu befeſtigen, Jhnen ſage, daß ich Sie aufrichtig, und mit Hochach - tung liebe, und nichts auf der Welt ſo ſehr wuͤn - ſche, als einige Hoffnung Jhrer Gegenliebe zu er - langen. Sie allein, Mademoiſelle, ſind vermoͤ - gend, mir das Andenken eines Verluſtes vergeſ - ſend zu machen, welcher mir in der That bis itzo noch empfindlich iſt.

Da meine Wahl ſo vorſichtig iſt, ſo koͤn - nen ſie glauben, daß meine Liebe vernuͤnftig und dauerhaft bleiben wird. Mein Amt, und mei - ne uͤbrigen Umſtaͤnde ſind eintraͤglich genug, Jh - nen alles dasjenige zu verſchaffen, was Jhr Stand erfodert. Es wird im uͤbrigen auf Sie ankommen, unter welchen Bedingungen Sie mir Jhre Hand uͤberlaſſen wollen; denn ich ver - lange, daß Sie auch nach meinem Tode noch gluͤcklich ſeyn ſollen. Haben Sie die Guͤtigkeit, und melden Sie mir, ob ich hoffen darf; denn ſo werde ich nicht einen Augenblick anſtehn, Jh - rem Herrn Vater von meiner Abſicht Nachricht zu geben. Unter Erwartung einer gewuͤnſch - ten185Satyriſche Briefe. ten Antwort bin ich mit der groͤßten Hochach - tung,

Mademoiſelle, Deroden 22 May 1736. ergebenſter Diener R.

Wie meynen Sie, mein Herr, daß ich dieſen Brief aufnahm? Jtzt, da ich Zeit habe, ihn ge - laßner zu uͤberdenken, finde ich in der That alles drinnen, was man von einem vernuͤnftigen Lieb - haber fodern kann. Damals aber dachte ich ganz anders. Er kam mir froſtig und altvaͤtriſch vor, und ich glaubte nichts, als die letzten Flam - men eines verliebten Wittwers wahrzunehmen, wel - cher aus Liebe zu ſeinen armen Wayſen zu guter letzt noch einmal zaͤrtlich thut, um fuͤr ſie eine gute Waͤrterinn zu erfreyen. Unendlich reizender und ſchaͤtzbarer waren mir die Schmeicheleyen ei - nes jungen von Adel aus der Nachbarſchaft, der mich ſeit fuͤnf Jahren verſicherte, daß ich ſchoͤn, und ſeine Goͤttinn ſey. Sagte der Herr Hofrath wohl ſo etwas, und hat er wohl mit einem Worte an meine SchoͤnheitM 5gedacht,186Satyriſche Briefe. gedacht, auf die ich doch meinen ganzen Werth ſetzte? Dieſer von Adel war Lieutenant, und ich bildete mir ein, daß er mir bey einigen unſchuldi - digen Freyheiten, die ich ihm dann und wann er - laubte, nicht undeutlich zu verſtehen gaͤbe, er wolle mich heirathen, ſo bald er eine Compagnie haben wuͤrde. Ein Soldat, ein Hauptmann, ein zaͤrt - licher Hauptmann ohne Kinder, war der nicht ei - nem bejahrten Hofrathe, und ernſthaften Wittwer mit zwey Kindern vorzuziehn? Jch ſollte es wohl glauben, wenigſtens glaubte ich es damals. Jn der That hatte ich unter den ſuͤſſen Traͤumen eines adlichen Gluͤcks ſchon mein vier und zwanzigſtes Jahr herangebracht; aber ich war auch keine Stun - de mehr ſicher, daß mein zaͤrtlicher Herr Lieute - nant nicht Capitain wuͤrde. Sollte ich mich ſelbſt an dieſem Gluͤcke hindern? Jch that alſo, was ei - ne Naͤrrinn, wie ich, thun konnte, und ſchrieb an den Hofrath folgenden Brief.

Mein Herr,

Es iſt in der That eine große Schmeicheley fuͤr meinen Vater, daß Sie ihm den Beſitz einer frommen und chriſtlich erzognen Tochter zuge - ſtehn. Es wuͤrde Jhrer geſetzten und ernſthaf - ten Liebe nachtheilig ſeyn, wenn Sie weniger auf die Tugend, als auf die aͤuſſerlichen Vorzuͤge eines Frauenzimmers ſaͤhen; und ich habe die Ehre, Sie zu verſichern, daß ich noch nieman -den187Satyriſche Briefe. den geſehn habe, der ſo erbaulich, und exempla - riſch liebt, als Sie, mein Herr. Jhre Perſon, und Jhr Amt verdienen meine ganze Hochach - tung; ich glaube aber, daß ich noch zu jung und flatterhaft bin, um mich nach dem ehrwuͤrdigen Muſter Jhrer ſeligen, und noch im Grabe herz - lich geliebten Frau zu bilden. Jch bin gewiß uͤberzeugt, daß uns bey einer genauern Verbin - dung niemals Materie zu Geſpraͤchen fehlen wuͤr - de, da Sie ſo unerſchoͤpflich ſind, wenn Sie auf die Verdienſte Jhrer ſeligen Frau zu reden kom - men, von denen der groͤßte Theil Jhres Briefs angefuͤllt iſt. Jhre hoffnungsvollen Wayſen verdienen allerdings Jhre ganze Zaͤrtlichkeit. Es waͤre unbillig, wenn ich dieſelben um einen Theil bringen wollte. Jn der That finde ich bey mei - nen itzigen Umſtaͤnden noch keinen Beruf Kin - derfrau zu werden, zu welchem wichtigen Amte Sie mich, vor ſo vielen andern, auserſehen haben. Die Offenherzigkeit iſt noch eine Tu - gend von mir, die Sie in der letzten Oſter - meſſe nicht wahrgenommen haben. Sie koͤn - nen glauben, daß es mein ganzer Ernſt ſey, wenn ich mir die Ehre gebe, Jhnen zu ſagen, daß ich ſey,

Mein Herr, am 13ten Brachmonats 1736. Jhre Dienerinn F

Sie188Satyriſche Briefe.

Sie koͤnnen Sich vorſtellen, daß der Herr Hofrath die Luſt verlohr, noch einmal um ſo ein naͤrriſches Ding, als ich war, anzuhalten. Er verheirathete ſich anderwaͤrts, und ich war mit mei - nem und ſeinem Entſchluſſe wohl zufrieden. Es vergieng mehr als ein Jahr, ohne daß ſich Je - mand um meine Liebe ernſtlich bewarb. Denn die kleinen zaͤrtlichen Klaͤffer rechne ich nicht, wel - che um mich herum ſprangen, und ſeufzten. Jch ſahe ihre Seufzer als eine Art Sporteln an, wel - che mir eben ſo wohl gehoͤrten, als meinem Va - ter die Sporteln, die ihm ſeine gedemuͤthigten Bauern brachten. Jch wuͤrde unzufrieden gewe - ſen ſeyn, wenn mich nicht dieſe kleinen ſuͤſſen Ge - wuͤrme angebetet haͤtten. Jch wußte ſie aber mit der Majeſtaͤt einer Goͤttinn ſo zahm, und ſo ſehr in ihrer Tiefe zu erhalten, daß ſich keiner un - terſtand, zu vertraut zu reden; und es koſtete mich nur ein Machtwort, nur einen gebietriſchen Blick, ſo waren ſie in ihr erſtes Nichts verwandelt. Jch brauchte ſie, die Zaͤrtlichkeit meines Lieutenants in der Bewegung und lebhaft zu erhalten, von dem es mir ſchien, daß er zuweilen deſto kaltſinni - ger ward, je vertrauter ich gegen ihn that. Es hatte ſeine gute Wirkung, und folgender Brief brachte ihn auf einmal ganz wieder zu mir.

Made -189Satyriſche Briefe.
Mademoiſelle,

Die langwierige Krankheit Jhres Herrn Va - ters hat mir ein Gluͤck verſchafft, das ich nicht zu ſchaͤtzen weiß. Bey den oͤftern Beſu - chen, die ich, als ſein Medicus, ablegte, hatte die Sorge fuͤr ſeine Geſundheit, wenn ich es auf - richtig geſtehn darf, nicht ſo viel Antheil, als das Verlangen, Sie, Mademoiſelle, zu ſehn. Sie haben mir es oft angemerkt, daß ich zerſtreut war. Sie dachten, es geſchaͤhe aus Sorge fuͤr die bedenklichen Umſtaͤnde Jhres Herrn Vaters: Sie dachten falſch. Vielmals bin ich mehr mit mir beſchaͤfftigt geweſen, als mit dem Pulſe des Kranken, den ich in Jhrer Gegenwart zu hal - ben Stunden mit einer horchenden Mine hielt, um das ſtille Vergnuͤgen zu haben, Sie unbe - wegt anzuſehn, wenn Sie, ohne ein Auge von mir zu verwenden, mit einer kindlichen Zaͤrtlich - keit den ſchrecklichen Ausſpruch aͤngſtlich erwarte - ten, den ich uͤber das Leben, oder die Geſund - heit Jhres Herrn Vaters thun wuͤrde. Ent - ſchuldigen Sie, Mademoiſelle, eine Verwegen - heit, die ſich in der That mit nichts, als Jhrer Schoͤnheit, und meiner aufrichtigen Hochach - tung gegen Sie entſchuldigen laͤßt. Da ich ſo offenherzig bin, alles dasjenige zu geſtehn, was mir als ein Fehler ausgelegt werden koͤnnte, wenn Sie weniger billig und guͤtig waͤren, als Sieſind:190Satyriſche Briefe. ſind: ſo wage ichs, ein Bekenntniß abzulegen, welches fuͤr mich das wichtigſte iſt, daß ich je - mals thun kann. Jch bin ein ſolcher Verehrer Jhrer Schoͤnheit und Tugenden, daß ich nichts weiter als Jhre Erlaubniß erwarte, Sie von der Hand Jhres Herrn Vaters zu meiner beſtaͤndi - gen Freundinn mir zu erbitten. Soll meine Lie - be gluͤcklich ſeyn? Jch erwarte Jhren Ausſpruch. Sehn Sie nicht ſo wohl auf mein Vermoͤgen und meine Einnahme, die zureichend ſind, Jh - nen und mir alle Bequemlichkeit zu verſchaffen. Sehn Sie auf meine redliche und heftige Nei - gung, und machen Sie denjenigen nicht ungluͤck - lich, welcher nichts ſo ſehr wuͤnſcht, als die Er - laubniß zu haben, Jhnen zeitlebens zu ſagen, daß er mit der zaͤrtlichſten Hochachtung ſey,

Mademoiſelle, am 3ten Februar 1738. der Jhrige D. Z.

Was meynen Sie, mein Herr? Das war doch ein andrer Brief, als der von dem trocknen Hofrathe. Glauben Sie, daß mir ein Liebha - ber gleichguͤltig ſeyn konnte, deſſen Perſon ganzertraͤg -191Satyriſche Briefe. ertraͤglich, deſſen Amt und Einkuͤnfte gar anſehn - lich waren; der eine ſo zaͤrtliche Liebeserklaͤrung, wie Sie in ſeinem Briefe finden, nach allen Re - geln der Rhetorik herauswurgte; und der, nach ſeinem eignen Geſtaͤndniſſe, von meiner Schoͤnheit geblendet, das Maul offen behielt, wenn er mich bey meines Vaters Krankenbette ſahe? Jn der That wuͤrde ich kein Bedenken ge - habt haben, meinen zaͤrtlichen Arzt aus ſeiner Entzuͤckung zu reiſſen; aber, der Herr Lieutenant, Jhre Gnaden, der zukuͤnftige Herr Capitain, und vielleicht kuͤnftig gar einmal Jhre Excellenz, der Herr General! Sollte ich dieſes Gluͤck ſo muth - willig verſcherzen? dieſes Gluͤck, das mir ſo moͤg - lich und nah zu ſeyn ſchiene! Es iſt wahr, bey nahe ward mir die Zeit lang. Jtzo haͤtte ich in meinem ſechs und zwanzigſten Jahre Frau Docto - rinn werden koͤnnen, und wer leiſtete mir die Gewaͤhr, daß ich in meinem dreyſſigſten Frau Hauptmanninn ſeyn wuͤrde? Aber hatte ich nicht eben um deswillen einen Hofrath vergebens ſeufzen laſſen? Sollte ich mich nun einem Doctor in die Arme werfen? Jch faßte einen Entſchluß der fein war, und gluͤcklich ausſchlug. Jch ſchrieb an meinen Lieutenant, und meldete ihn den Antrag meines Liebhabers. Jch ließ ihm unter der Hand errathen, daß ich nicht ungeneigt ſey, einen An - trag anzunehmen, der fuͤr meine Umſtaͤnde ſo vor - theilhaft zu ſeyn ſchiene. Da ich auf den Punkt unſrer alten Liebe und Bekanntſchaft kam: ſoſchrieb192Satyriſche Briefe. ſchrieb ich ſo unſchluͤßig, und verwirrt, daß er wohl merken konnte, was ich fuͤhlte, und meynte; ich geſtund ihm aber, daß ich allerdings thoͤricht geweſen waͤre, mir mit einem Gluͤcke zu ſchmei - cheln, das fuͤr mich zu groß ſey. Es ſey mein Un - gluͤck, und immer mein Fehler geweſen, die Auf - richtigkeit andrer nach meinem redlichen Herzen zu beurtheilen. Er ſollte mir daruͤber keinen Vor - wurf machen, ich faͤnde ſelbſt, wie unuͤberlegt ich gehandelt haͤtte. Waͤre es ſein Ernſt geweſen, unſre Freundſchaft zu einer naͤhern Verbindung zu bringen: ſo wuͤrde er ſchon lange Gelegenheit ge - habt haben, es zu thun. Jch wollte dem unge - achtet niemals aufhoͤren, ſeine Freundinn zu ſeyn; er moͤchte dafuͤr mein Freund bleiben, und mir itzo als mein aufrichtiger Freund rathen, was ich dem Doctor fuͤr eine Entſchlieſſung melden ſollte. Jch erhielt den folgenden Tag von dem Lieutenant die - ſen Brief.

Mein engliſches, mein allerſchoͤnſt es Lottchen!

Der Donner ſoll dem verfluchten Qvackſalber die Knochen entzwey ſchmeiſſen, wenn er ſich noch einmal unterſteht uͤber Jhre Schwelle zu ſchreiten, oder eine Zeile an Sie zu ſchreiben! Ein allerliebſtes Kind, wie Sie, mein Lottchen, iſt fuͤr keinen ſolchen griechiſchen Miſtfinken ge -macht.193Satyriſche Briefe. gemacht. Rund vorbey, Herr Doctor, der Biſſen iſt fuͤr ihn zu fett! Bedenken Sie, Lott - chen, was Sie thun? Hat Jhnen die Natur darum ſo ſchoͤne Haͤnde gegeben, daß ſie Pillen damit drehen ſollen? Wollen Sie ihren goͤttli - chen Mund von einem elenden Kerl kuͤſſen laſſen, der den ganzen Tag das Uringlas vor der Naſe hat? Pfuy, Lottchen, Sie riechen ſchon nach todten Koͤrpern; gewiß, Sie riechen ſchon dar - nach! Was wird kuͤnftig werden, wenn Sie ſelbſt mit helfen muͤſſen Hunde wuͤrgen, oder ar - me Suͤnder anatomiren? Wie iſt es moͤglich ge - weſen, daß Sie nur einen Augenblick haben zweifeln koͤnnen, Jhren krummbeinigten Liebhaber mit einer langen Naſe heimzuſchicken? Schicken Sie ihn den Augenblick fort, folgen Sie mir! Sie verdienen ein beſſeres Gluͤck, verſtehn Sie mich, Schoͤnſtes Lottchen, ein beſſres Gluͤck! Morgen Nachmittage werde ich bey Jhnen ſeyn. O wie viel habe ich Jhnen da zu ſagen, recht viel zu ſagen! Leben Sie wohl. Jch kuͤſſe Sie tauſendmal in Gedanken; Stirne, Augen, Ba - cken, Mund, Bruſt, Hand, alles kuͤſſe ich Jh - nen, und Jhrem Wurmkraͤmer breche ich noch ſeinen griechiſchen Hals. Leben Sie wohl.

Dieſer Brief ſetzte mich ganz auſſer mir. Bey der naͤrriſchen Eigenliebe, die ich fuͤr mich, meine Schoͤnheit, und Verdienſte hatte, hielt ich ihn fuͤr eine voͤllige Liebeserklaͤrung, fuͤr einenNEh -194Satyriſche Briefe. Ehcontrakt, und ich weiß ſelbſt nicht wofuͤr. Steht wohl von allen dieſem ein Wort darinnen? Nicht ein Wort. Wie blind ſind wir Maͤdchen, wenn wir uns einmal von den albernen Schmeiche - leyen der verfuͤhreriſchen Mannsperſonen fangen, und uns von einer Liebe einnehmen laſſen, von der uns unſer Stand, und die Vernunft abhalten ſollte! Mein Lieutenant kam, wie er verſprochen hatte. Er ſagte mir tauſend laͤppiſche Sachen vor, die mir damals ſehr wichtig vorkamen. Jch muß - te mich in ſeiner Gegenwart hinſetzen, und an mei - nen Liebhaber folgenden Brief ſchreiben.

Hochzuehrender Herr Doctor,

Wenn Sie Sich auf den Puls nicht beſſer ver - ſtehn, als auf die Herzen der Maͤdchen: ſo ſind Sie ein ziemlicher Pfuſcher. Die Sor - ge fuͤr die Geſundheit meines Vaters hat mir Jhre Gegenwart etliche Monate uͤber ertraͤglich gemacht. Nun iſt er wieder geſund, Sie ſind fuͤr Jhre Muͤhe bezahlt; haben Sie weiter ei - nen Anſpruch an ihn, oder ſoll er ſeine Geſund - heit mit ſeiner Tochter erkaufen? Nein, Hocher - fahrner Herr Doctor, dieſer Kauf waͤre zu theu - er. Der Himmel erhalte meinen Vater beſtaͤn - dig geſund! Blos darum wuͤnſche ich es, da - mit er Jhnen nicht vom neuen eine Wohlthat zu dan -195Satyriſche Briefe. danken habe, fuͤr die Sie Sich ſo wohl bezahlt zu machen ſuchen. Jch werde ihm Jhre große Aufmerkſamkeit auf einen kranken Vater und ſeine geſunde Tochter zu ruͤhmen wiſſen, damit er erfaͤhrt, warum er etliche Wochen laͤnger das Bette hat huͤten muͤſſen. So gelehrt Sie ſeyn moͤgen, ſo wenig bin ich im Stande, ſie zu leiden. Ein Liebhaber, der nach Moſch, und Ambra riecht, iſt mir laͤcherlich. Aber Seufzer, die nach Rhabarber, und Eſſenzen riechen, ſind mir gar unertraͤglich. Sind Sie boͤſe, im Ernſt boͤſe? Geſchwind nehmen Sie Cremor Tartari, oder ſonſt ſo was niederſchlagendes ein; Sie werden am beſten wiſſen, was wider den Zorn hilft. Jch weiß, was wider die aufwallende Lie - be gut iſt. Nichts beſſer, als ein Brief, wie die - ſer. Recipe, mein Herr; friſch hinunter ge - ſchluckt, und ein Glas Waſſer darauf! Wohl bekomme es dem Herrn! Jch bin

am 8ten Februar 1738. Jhre Dienerinn, F

Haͤtten Sie wohl geglaubt, mein Herr, daß ein Frauenzimmer, welches ſich ſchmeichelt, Erzie -N 2hung196Satyriſche Briefe. hung zu haben, im Stande geweſen waͤre, einen ſo unhoͤflichen und raſenden Brief zu ſchreiben? Aber was thut nicht eine Naͤrrinn, wie ich war? Jch ſchrieb ihn in Gegenwart meines Hochwohl - gebohrnen Lieutenants. Er hatte ſeinen Arm um meinen Nacken geſchlagen, da ich ihn ſchrieb, und er kuͤßte mich fuͤr ieden allerliebſten artigen Gedan - ken, wie er meine groben Einfaͤlle nennte. Jch war damals ſo wohl zufrieden mit mir und meinem Ritter, daß ich nicht weiß, wozu mich ſeine Zaͤrt - lichkeit gebracht haͤtte, wenn er noch ein wenig mehr verwegen, und ich nicht beſorgt geweſen waͤre, durch eine zuvertraute Gefaͤlligkeit die Hochachtung zu verlieren, in der ich ihn gegen mich erhalten muß - te, wenn meine Abſichten auf ihn ernſthaft bleiben ſollten. Er liebte mich einige Monate feuriger, als iemals, und als ihn eine heftige Krankheit uͤber - fiel, merkte ich erſt, wie ſtark meine Liebe zu ihm war, die ich ihm nunmehr weder ſelbſt ſagen, noch andern entdecken durfte. Jn dieſer aͤngſtlichen Ungewißheit blieb ich laͤnger, als ein Jahr, und ich war bey dieſer Unruhe ſo unbeſorgt auf mich ſelbſt, daß ich nicht wußte, was um mich herum vorgieng, ob ich damals Anbeter hatte, oder nicht. Jch weiß es in der That nicht. So viel weiß ich, daß mir um dieſe Zeit Niemand mit einem ſchriftli - chen Antrage beſchwerlich fiel. Er wuͤrde ſchlimm angekommen ſeyn. Endlich ward mein Lieute - nant wieder geſund. Seine Krankheit hatte ihn ſehr muͤrriſch, und verdruͤßlich gemacht. Wenig -ſtens197Satyriſche Briefe. ſtens gab ich es ſeiner Krankheit Schuld, das er bey unſrer erſten Zuſammenkunft ziemlich gleich - guͤltig gegen mich that. Er erholte ſich nach und nach, gegen mich aber blieb er immer gleichguͤltig. Wie unruhig ward ich Thoͤrinn! Ganz unvermu - thet erhielt ich die Nachricht, er ſey nach Dresden gereiſt, um die Sachen wegen ſeiner Compagnie in Ordnung zu bringen. Nach Dresden zu reiſen, ohne mir ein Wort davon zu ſagen, ohne Abſchied zu nehmen, ohne mir zu ſagen, daß er ſich dem gluͤcklichen Augenblicke nunmehr nahe, wo er mei - ne Liebe und Beſtaͤndigkeit kroͤnen koͤnne? Konnte ein Gedanke fuͤr mich grauſamer ſeyn, als der, welcher natuͤrlicher Weiſe aus dieſen Vorſtellungen flieſſen mußte? Und doch war ich immer noch ſo leichtglaͤubig, daß ich mir einbildete, nur aus Lie - be zu mir, nur um mich nicht zu kraͤnken, ſey er oh - ne Abſchied, und in der Stille fortgereiſt; um mir eine ganz unerwartete Freude zu ma - chen, habe er mich nicht wollen wiſſen laſſen, wie nahe er ſeinem Gluͤcke ſey. Mit ausgeſperr - ten Armen ſahe ich im Geiſte meinen treuen Lieb - haber zu mir zuruͤck fliegen, und ſein neues Gluͤck als Hauptmann mit mir theilen. Aber warum ſchrieb er mir nicht? Schreiben haͤtte er zum we - nigſten gekonnt. Das hieß ich die Zaͤrtlichkeit aufs hoͤchſte treiben. Nun ward ich argwoͤhniſch, und unruhig.

N 3Mitten198Satyriſche Briefe.

Mitten in dieſen kritiſchen Umſtaͤnden verblen - dete der Himmel einen Profeſſor, daß er um mich warb. Mein Vater ſagte, er waͤre ein gelehrter Mann. Es kann ſeyn. Aber ein gelehrter Pro - feſſor, und ein Capitain, den man liebt, ſind zwo ganz unterſchiedne Creaturen. Er hatte ein gu - tes Auskommen, und ich wußte, ungeachtet aller Muͤhe, die ich mir gab, an ihm weiter nichts aus - zuſetzen, als daß er zwey und vierzig Jahre alt war. Ein Maͤdchen von acht und zwanzig Jahren haͤtte ſich daran nicht ſtoßen ſollen! So? Wer hat Jhnen denn geſagt, mein Herr, daß ich damals acht und zwanzig Jahre alt war? Um dieſe Zeit ſind die Frauenzimmer in ihren ſte - henden Jahren, und ich war ſeit fuͤnf Jahren be - ſtaͤndig drey und zwanzig Jahre alt geweſen. Jhr Einwurf taugte alſo nichts. Laſſen Sie mich mei - nen Roman weiter erzaͤhlen. Die alten Roͤmer moͤgen ſich vermuthlich an die Vaͤter gewendet ha - ben, wenn ſie ſich in die Toͤchter verliebt hatten; wenigſtens machte es mein Herr Profeſſor ſo. Er arbeitete an meinen Herrn Vater folgende gelehrte Schrift aus.

Hoch -199Satyriſche Briefe.
Hochedelgebohrner Herr, Hochzuehrender Herr Commiſſionrath, Vornehmer Goͤnner.

Ew. Hochedelgeb. mit gegenwaͤrtigen Zeilen ge - horſamſt aufzuwarten, verbindet mich die unterthaͤnige Hochachtung, die ich gegen Dero vornehmes Haus noch bis itzt unveraͤndert hege. Es wird nunmehr ungefaͤhr funfzehn Jahre ſeyn, daß ich das Gluͤck hatte, von Jhnen als Jnfor - mator Jhrer lieben Jugend ſo viele Wohlthaten zu genießen, die mir beſtaͤndig unvergeßlich ſeyn werden. Wie geſchwind ſind dieſe Jahre ver - ſtrichen, und wie vielen Veraͤnderungen ſind wir mit denſelben unterworfen! Jch kann ohne inni - ge Regung noch itzt nicht an den ſchmerzlichen Verluſt gedenken, den Sie vor zehn Jahren durch den unvermutheten Hintritt Jhrer im Leben ſo zaͤrtlich geliebten, und nunmehr in Gott ſanft ruhenden Frau Eheliebſte erlitten haben. Ge - wiß, wenn Gottesfurcht und Tugend den Men - ſchen unſterblich machten: ſo wuͤrde dieſe wohl - ſelige Frau vor andern verdient haben, niemals zu ſterben. Aber ihre unveraͤnderte Liebe zu Ew. Hochedelgeb. ihre vernuͤnftige Bemuͤhung, die ihr anvertrauten Liebespfaͤnder dem Schoͤp - fer zur Ehre, ſich zur Freude, und der Welt zum Beſten zu erziehn; ihre Sorgfalt, dieN 4 Pflich -200Satyriſche Briefe. Pflichten einer Chriſtinn zu erfuͤllen; ihre Liebe gegen den armen und nothleidenden Naͤchſten, dieſe und noch unzaͤhlich andre Tugenden, ma - chen ſie unſterblich, wenn auch das Jrdiſche von ihr laͤngſt verweſt iſt. Ew. Hochedelgeb. verzei - hen, daß ich dieſe ſchmerzhafte Wunde wieder aufreiſſe, welche eine Zeit von zehn Jahren nicht voͤllig zuheilen koͤnnen. Meine Thraͤnen ſollen den Schmerz lindern, Thraͤnen der Dankbarkeit und Freundſchaft, redliche Thraͤnen. Sie ſind Zeugen der Hochachtung. Wie gluͤcklich ſind Sie noch, Hochzuehrender Herr Commiſſ ion - rath, da Sie der muͤtterlichen Sorgfalt dieſer rechtſchaffnen Frau die Erziehung einer tugend - haften Tochter zu danken haben, die Jhnen durch die Aehnlichkeit ihrer Geſichtszuͤge zwar beſtaͤndig das Andenken ihres Verluſts verneu - ern muß; deren gottesfuͤrchtiger und frommer Wandel aber, nebſt andern loͤblichen Eigenſchaf - ten, Jhnen auf der andern Seite dieſen Verluſt wieder zum groͤßten Theile erſetzt. Erinnern Sie Sich, Hochedelgebohrner Herr, wie ver - gnuͤgt Sie bey dem gluͤcklichen Beſitze Jhrer ſe - ligen Frau Eheliebſte waren, und ſtellen Sie Sich dabey einmal vor, wie gluͤcklich Sie denjeni - gen machen, welchen Sie wuͤrdigen, mit einer ſo liebenswuͤrdigen Tochter zu vereinigen. Ein Gluͤck, auf welches niemand Anſpruch machen darf, als der es zu ſchaͤtzen weiß, und den die Begierde, deſſen wuͤrdig zu werden, mit der groͤß -ten201Satyriſche Briefe. ten Hochachtung und Dankbarkeit gegen Ew. Hochedelgeb. verbindet. Fehlen mir, Hochedel - geb. Herr, andre Vorzuͤge, ſo ſind es doch Hoch - achtung und Dankbarkeit nicht, die ich mir ſtrei - tig machen laſſe. Verdiene ich itzt die Ehre noch nicht, ihr Schwiegerſohn zu ſeyn: ſo wird mein Beſtreben unermuͤdet ſeyn, mich ſo aufzufuͤhren, daß Sie dieſe Wahl kuͤnftig nicht gereuen kann. Ein Wink von Jhnen wird mich ſo dreiſte ma - chen, Jhrer Hochzuehrenden Jungfer Tochter dieſe meine tugendhafte Neigung, und chriſtliche Abſicht zu eroͤffnen. Kommen Sie durch Jh - ren Vorſpruch meiner Bloͤdigkeit zu Huͤlfe, und empfehlen Sie mich einer Perſon, die ich uͤber al - les in der Welt ſchaͤtze. Sie haben bey meiner Befoͤrderung den erſten Grund zu meinem Gluͤ - cke gelegt, machen Sie es vollkommen. Sie verbinden mich auf dieſe Art Jhnen doppelt. Jch werde dafuͤr mit unwandelbarer Devotion ſeyn,

Hochedelgebohrner Herr, Hochzuehrender Herr Commiſſionrath, Meines Hochzuehrenden Herrn und vornehmen Goͤnners am 5ten May 1740. gehorſamſt ergebenſter Diener, N.

N 5Die -202Satyriſche Briefe.

Dieſer Brief brach meinem Vater das Herz. Der Herr Profeſſor hatte ihn auf der ſchwachen Seite angegriffen; denn er war wider die Ge - wohnheit der meiſten Maͤnner ſo ſchwach, daß er niemals ohne zaͤrtliche Empfindlichkeit an den Tod ſeiner Frau denken konnte. Die Perſon des Herrn Profeſſors, ſeine Gelehrſamkeit, ſeine gu - ten Einkuͤnfte waren ihm bekannt. Vielleicht kam auch dieſes dazu, daß er ſich die Laſt, eine erwachſne Tochter zu huͤten, vom Halſe ſchaffen wollte. Er redete mir ſehr ernſtlich zu, ich ſollte den Vorſchlag annehmen. Sein hohes Alter, ſeine uͤbrigen Umſtaͤnde mußten ihm dazu dienen, mich zu bereden. Jch wußte auf alles eine Ant - wort, und wenn ich nicht weiter konnte: ſo gab ich ihm zu verſtehn, daß ich mich entſchloſſen haͤt - te, gar nicht zu heirathen. Ein naͤrriſcher Ent - ſchluß, meynte mein Vater; er war aber auch nicht ſo ernſtlich gemeynt. Vierzehn Tage brachte er zu, mich zu bekehren; immer war ſeine redliche Muͤhe vergebens. Endlich bat ich mir vier Wo - chen Bedenkzeit aus. Jch erhielt ſie, und wen - dete dieſe Zeit dazu an, ohne Vorwiſſen meines Vaters dem Herrn Profeſſor folgende Antwort zu uͤberſchicken.

Mein Herr,

Auf Befehl meines Vaters habe ich die Ehre, Jhnen fuͤr die wohlgemeynte Condolenz we - gen203Satyriſche Briefe. gen des Ablebens ſeiner vor zehn Jahren ver - ſtorbnen Frau ergebenſt zu danken. Mein Vater iſt mit mir einig, daß Sie ihr die beſte Leichen - predigt gehalten haben; und ich ins beſondre bin uͤberzeugt, daß Sie mehr geſchickt ſind, verſtorb - nen Frauenzimmern Lobreden zu halten, als den itztlebenden Schmeicheleyen vorzuſagen. Haͤt - ten Sie um meinen Vater ſelbſt anhalten wollen, ſo wuͤrde dieſes freylich der beſte Entſchluß ge - weſen ſeyn, ſich an ihn ſelbſt zu wenden. Da Sie aber mir die Ehre zugedacht hatten, ſo haͤt - te ich wohl den Antrag von Jhnen unmittelbar erwartet. Mit Jhrer Erlaubniß, ich glaube, Sie, mein Herr, ſind ein Beweis, daß man fromm, ehrbar und gelehrt ſeyn kann, und doch nicht zu leben weiß. Jch danke Jhnen fuͤr Jh - re chriſtliche Abſicht unendlich. Jch finde Be - denken, meinen alten Vater zu verlaſſen, deſſen Jahre Wartung und Vorſorge brauchen. Kann ich in meinem Leben das Gluͤck nicht haben, die Verſichrung Jhrer Liebe anzunehmen: ſo wuͤn - ſche ich mir doch nichts mehr, als die Ehre, daß Sie mir nach meinem Tode die Abdankung hal - ten. Sie ſind der erbaulichſte Leichenredner, den ich kenne, und ich bin dafuͤr mit unwandel - barer Devotion,

Mein Herr, am 20ſten des Brachm. 1740. Jhre Dienerinn, F

N. S.204Satyriſche Briefe.

N. S. Sie werden nicht noͤthig haben, mir oder meinem Vater zu antworten. Er denkt itzt an nichts, als an den Tod ſeiner ſeligen Frau.

Und was meynen Sie wohl, mein Herr, in welcher Abſicht ich dieſen Brief ſchrieb? Jch woll - te meinem alten Liebhaber ein freywilliges Opfer bringen. Aus dieſem Entſchluſſe, den ich wider den Rath und Willen meines Vaters faßte, ſollte er urtheilen, wie beſtaͤndig meine Liebe, und wie billig es von ihm ſey, dieſe nunmehr zu belohnen, da er in den Stand gekommen, es nach ſeinem und meinem Wunſche zu thun. Mit der naͤchſten Poſt ſchrieb ich ihm dieſen Brief.

Mein Herr,

Koͤnnen Sie wohl von mir itzt was anders erwarten, als die bitterſten Vorwuͤrfe? Gewiß, Sie haben ſie verdient, hundertmal ver - dient, und dieſes itzt mehr, als iemals. Erſt ſind Sie grauſam und werden krank, um mich ein ganzes Jahr zu aͤngſtigen. Endlich werden Sie wieder geſund, aber nicht zu meiner Beru - higung; nein, um mich auf eine neue Art zu qvaͤlen. Sie verreiſen, ohne mich es wiſſen zu laſſen, ohne mir zu erlauben, daß ich Jhnen bey dem Abſchiede die zaͤrtlichſte Verſichrung meiner Freund -205Satyriſche Briefe. Freundſchaft, meiner beſtaͤndigen Liebe, gaͤbe. Wie viele wichtige Sachen hatte ich ihnen zu ſagen, tauſend wichtige Sachen, auf die meine ganze Ruhe ankoͤmmt! Jſt fuͤr mich etwas wich - tigers, als wenn ich Jhnen ſage, daß ich Sie liebe? Und kann ich ruhig ſeyn, wenn ich nur den mindeſten Verdacht habe, an Jhrer Liebe zu zwei - feln. Sie fliehn, Grauſamer? Fliehn Sie einen traurigen Abſchied zu vermeiden? Wie wenig kennen Sie die Liebe, die Sie mich doch ſelbſt ge - lehrt haben! Es wuͤrde mich Thraͤnen gekoſtet ha - ben; aber ich haͤtte ſie in Jhren Armen geweinet. Jch wuͤrde ſie beſchworen haben, Jhre Ruͤckkunft zu beſchleunigen. Wie viel zaͤrtliches haͤtten Sie mir dabey ſagen koͤnnen, das ich ſonſt gewohnt bin, von Jhnen zu hoͤren! Glauben Sie wohl, daß ich Jhnen wuͤrde eine Reiſe widerrathen haben, welche Sie thun, um Jhr Gluͤck auf diejenige dauerhafte Art zu befeſtigen, die Sie ſo oft, und ſo oft meinetwegen, gewuͤnſcht ha - ben? Kommen Sie, eilen Sie zuruͤck, ich er - warte Sie mit der zaͤrtlichſten Ungeduld. Das haͤtte ich doch nicht geglaubt, daß ich Sie ſo heftig liebte! Kommen Sie, damit ich Jhnen vom neuen ſagen kann, daß ich Sie ewig lie - ben werde.

Wiſſen Sie denn auch, mein irrender Rit - ter, in welcher Gefahr Sie Jhre troſtloſe Prin - zeſſinn verlaſſen haben? Drachen und Rieſenſchwaͤr -206Satyriſche Briefe. ſchwaͤrmen um mein Schloß herum, mich zu ent - fuͤhren. Tapfrer Roland! Eilen Sie, dieſe Ungeheuer zu verjagen. Glauben Sie nur nicht, daß ich ſcherze! Leſen Sie den eingeſchloßnen Brief. Er iſt von einem fchwarzen Ritter aus dem Koͤnigreiche Latium, welcher auf Abentheuer ausgieng, und den ich mit meinem Schwerdte kecklich erwuͤrgt habe. Ja, mein Herr, konn - ten Sie von Jhrer zaͤrtlichen und ewig treuen Charlotte einen andern Entſchluß erwarten, als den, welchen Sie aus dem andern Briefe ſehm werden? Fuͤr dieſesmal bin ich der gedachten Gefahr gluͤcklich entkommen. Werde ich im - mer Muth und Kraͤfte genug dazu haben, wenn Sie mich laͤnger verlaſſen? Eilen Sie! Bey Jhrer Liebe beſchwoͤre ich Sie, eilen Sie, und ſagen Sie mir, daß meine Sorge vergebens ge - weſen iſt. Was ich Jhnen dafuͤr ſagen werde? Daß Sie mein beſter Freund ſind! Daß ich Sie unendlich liebe! Daß ich ganz die Jhrige bin! Soll ich Jhnen noch mehr ſagen? Gut, ich will Sie kuͤſſen, tauſendmal will ich Sie kuͤſſen. Wie unruhig iſt man, wenn man liebt! Leben Sie wohl.

Wie gefaͤllt Jhnen dieſer Brief, mein Herr? Koͤnnte ein Maͤdchen, ohne den Wohlſtand ganz zu beleidigen, deutlicher, als ich, ſagen, was ſie wuͤnſchte, und was ſie hoffte? Nun erwartete ich meinen Liebhaber auf den Fluͤgeln der Liebe. Jchwußte,207Satyriſche Briefe. wußte, daß er die Compagnie bekommen hatte. Jch war dem gewuͤnſchten Augenblicke nahe, dem ich zehn Jahre entgegen geſehn hatte. Jede Mi - nute, die ich vergebens auf ihn wartete, ſchien mir ganze Tage zu ſeyn. Er kam nicht. Es verſtrichen vier Wochen, ohne daß ich von meinem Ungetreuen eine Zeile Antwort bekam. Endlich erhielt ich einen Brief von ihm. Urtheilen Sie von meinem Schrecken, als ich folgendes las.

Mademoiſelle,

Jch erinnere mich der angenehmen Augenblicke ſehr wohl, da ich das Vergnuͤgen hatte, in Jhrer Geſellſchaft zu ſeyn. Glauben Sie Ma - demoiſelle, daß wir Officiere denen Maͤdchen unendlichen Dank ſchuldig ſind, welche bey un - ſern muͤßigen Stunden, deren wir ſehr viele ha - ben, ſich gefallen laſſen, unſre Schmeicheleyen an - zuhoͤren, und ſie zu beantworten. Außer die - ſem Zeitvertreibe wuͤrde es fuͤr uns auf dem Lan - de und in kleinen Staͤdten nicht auszuſtehen ſeyn, wo man ſo wenig Geſellſchaft findet, die unſerm Stande gemaͤß iſt. Jch glaube, Sie, als eine alte gute Freundinn und Bekannte von mir, werden mir es goͤnnen, wenn ich Jhnen melde, daß ich eine Compagnie unter dem Regimente des Herrn Obriſten von bekommen ha - be, und geſtern ſo gluͤcklich geweſen bin, mich mit ſeiner Fraͤulein Tochter zu vermaͤhlen. Sieiſt208Satyriſche Briefe. iſt, wie Sie wiſſen, aus einem guten Hauſe, vom alten Adel, nur ſiebzehn Jahre alt, bild - ſchoͤn, und nicht ohne Mittel. Jch empfehle meine Frau zu Jhrer Freundſchaft, wenn ich wieder in Jhre Gegend kommen ſollte, welches ſo bald noch nicht geſchehen duͤrfte. Jch habe ihr ſo viel Gutes von Jhnen geſagt, daß ſie ſehr verlangt, Sie kennen zu lernen. Verſi - chern Sie Jhren Herrn Vater meiner Hochach - tung. Was macht der alte rechtſchaffne Mann? Es iſt mir wohl bey ihm gegangen. Der Lieutenant von iſt an meine Stelle gekommen. Er hat mich gebeten, ihm Bekannt - ſchaften zu machen. Werden Sie wohl die Ge - faͤlligkeit fuͤr mich haben, Mademoiſelle, und ihm diejenige Freundſchaft goͤnnen, mit der Sie mich ſo lange Zeit gluͤcklich gemacht haben? Er brennt vor Verlangen, mit Jhnen bekannt zu werden; ſo viel Gutes habe ich ihm von Jhnen erzaͤhlt. Er wird Jhnen gefallen, es iſt ein ſehr artiger, und lebhafter Menſch. Jch muß ab - brechen, weil ich den Augenblick auf meines Schwiegervaters Gut reiſe. Jch kann alſo weiter nichts ſagen, als daß ich mit aller Erge - benheit bin.

Mademoiſelle,Dresden am 8ten Auguſt 1740der Jhrige.

N. S.209Satyriſche Briefe.

N. S. Die an mich uͤberſendeten Briefe folgen hier mit ergebenſtem Danke zuruͤck. Meine Frau hat ſich uͤber den Ausdruck bald todt ge - lacht, wo Sie den armen Profeſſor einen Rie - ſen aus dem Koͤnigreiche Latium nennen. Le - ben Sie wohl.

Das war alſo, mein Herr, der letzte Auftritt von der klaͤglichen Comoͤdie, in der ich eine ſo naͤr - riſche Rolle geſpielt hatte! Jch bin nicht im Stan - de, Jhnen die Empfindungen zu beſchreiben, die ich beym Durchleſen dieſes Briefs fuͤhlte. Zorn, Wut, Schaam, Rache, alles empoͤrte ſich in mir. Jch fiel auf die verzweifeltſten Anſchlaͤge, mir Recht zu verſchaffen, oder mich ſelbſt auf ewig vol - lends ungluͤcklich zu machen. Jch fluchte dem Himmel, meinem ungetreuen Verraͤther; ich fluch - te mir ſelbſt. Dieſes alles geſchah in einer Raſe - rey von zwo Stunden. Endlich brachen die Thraͤ - nen aus, und ich kam einigermaßen wieder zu mir. Jch Verlaſſene! Jch ungluͤckſelig Verlaſſene! dach - te ich bey mir ſelbſt. Jſt das die Belohnung einer zehnjaͤhrigen Treue? Jſt das die Erfuͤllung der Eidſchwuͤre, und der theuerſten Verſichrung? Und der meyneidige Boͤſewicht triumphiret noch in den Armen meiner Feindinn, ſeiner Frau, uͤber meine leichtglaͤubige Einfalt? Straft der Himmel dieſes Verbrechen nicht, ſo muß er ungerecht ſeyn. So ungefaͤhr ſchwaͤrmte ich. OJch210Satyriſche Briefe. Jch zankte mit dem Himmel, und haͤtte doch mir allein den Vorwurf machen ſollen, daß ich ſo naͤrriſch geweſen, den Schmeicheleyen eines Men - ſchen zu glauben, deſſen Stand uͤber den meinigen war, der bey ſeinen Jahren mit ſeiner Lebensart durch die Gewohnheit gerechtfertiget, und von der Welt gebilliget wird, wenn er ein hochmuͤthi - ges Buͤrgermaͤdchen, eine Naͤrrinn, wie ich, betrog, ſie zum Zeitvertreib um ihren guten Namen brach - te, oder zum Spaſe, auf beſtaͤndig ungluͤcklich machte. Wie vielmal hatte ich ehedem uͤber die Thorheit derer gelacht, welche ſich auf eine ſolche Art verfuͤhren laſſen! Haͤtte ich nicht beſſer auf meiner Hut ſeyn ſollen? War ich etwan vorneh - mer, ſchoͤner, reicher, als andre, die ſich in der - gleichen Ungluͤck geſtuͤrzt hatten? Keins von al - len. Der Hochmuth machte, daß ich fuͤr moͤg - lich hielte, beſtaͤndig geliebt, und immer angebe - tet zu werden. Es iſt ſchaͤndlich, wenn Maͤnner, die es fuͤr ihr erſtes Geſetz halten, ihre Ehre zu vertheidigen, auf eine ſo unehrliche Art ein unſchul - diges Maͤdchen ungluͤcklich machen, und oft eine ganze Familie in Schande bringen. Ein Maͤd - chen aber, das ſich von ihnen beſtricken laͤßt, ver - dient weniger Mitleid, da ſie haͤtte an dem Exem - pel andrer lernen koͤnnen, daß man ihr nur dar - um ſchmeichelte, um einiges Vergnuͤgen zu haben, und ſie auf eine luſtige Art elend zu machen.

Nun211Satyriſche Briefe.

Nun fielen mir alle diejenigen vernuͤnftigen Lieb - haber ein, deren redliche Abſichten ich auf eine ſo hochmuͤthige und ſproͤde Art von mir gewieſen hatte. Wie grauſam war ich an ihnen geraͤchet! Konnte ich mir wohl itzt dergleichen Gelegenheiten wieder verſprechen, da meine Jahre zunahmen, da der jugendliche Reiz meiner Schoͤnheit anfieng zu verſchwinden, da mein Vater auf der Grube gieng, und ſein Tod mir die duͤrftigſten Umſtaͤnde droh - te? Konnte ich mich nunmehr wohl entſchließen, geringern Perſonen meine Hand zu geben, als die waren, denen ich ſie verweigert hatte? Jch faßte nun im ganzen Ernſte den grauſamen Entſchluß, nimmermehr zu heirathen. Jch ward ziemlich be - ruhigt, da ich das Herz gehabt hatte, ſo ein ver - zweifeltes Geluͤbde zu thun, und es vergieng eine ziemliche Zeit, ehe ich merkte, daß ich mich ſelbſt hintergangen haͤtte. Dieſer unerwartete Streich von meinem Ungetreuen hatte mich ſo hart getrof - fen, daß ich in eine langwierige Krankheit fiel. Jch brauchte faſt zwey Jahre, ehe ich mich voͤllig wieder erholte, und es geſchahe endlich nicht an - ders, als mit dem gaͤnzlichen Verluſte meiner noch uͤbrigen Schoͤnheit. O! haͤtte ich ſie zehn Jahre eher verlohren, vielleicht waͤre ich vernuͤnftiger ge - weſen, vielleicht waͤre ich itzt nicht ſo ungluͤcklich!

Jch weiß nicht, wie es kam, daß ſich nach ei - niger Zeit ein junger Rechtsgelehrter zu mir verirr - te, und ſich einbildete, daß er mich noch lieben koͤnn -O 2te.212Satyriſche Briefe. te. Vielleicht hatte die Hoffnung, meinem Vater mit der Zeit in ſeinem Amte zu folgen, oder ſonſt eine ſtaͤrkere Kundſchaft in ſeiner Praxis durch mich zu erlangen, mehr Antheil an ſeiner Zaͤrtlich - keit, als meine Perſon. Er ſchrieb an mich:

Mademoiſelle,

Denenſelben vermelde in hoͤchſter Eil, daß ich nach reifer der Sachen Ueberlegung und ein - geholtem Rath von meinen Freunden ernſtlich ge - meynet bin, mich zu veraͤndern, und nach nun - mehro erfolgtem Abſterben meiner ſeligen Frau Mutter meine Wirthſchaft ſelbſt anzufangen. Die Kuͤrze der Zeit, und meine dringenden Ver - richtungen hindern mich, Jhnen umſtaͤndlichere Anzeige zu thun, wie viel anſehnliche Gelegenhei - ten mir in hieſiger Gegend, mich zu verheirathen, angebothen worden. Wann aber ich das Ver - gnuͤgen gehabt, bey dem unlaͤngſt vor Jhres Herrn Vaters Amtsgerichten abgewarteten Ter - mine in Sachen George Fruͤhauffen, contra Caſper Baldigen, in puncto den Gemeinebroͤm - mer betrl. Dieſelben kennen zu lernen, und ich ei - ne beſondre Zuneigung gegen Sie bey mir ver - merkt; Als habe mir die Freyheit nehmen wollen, Dieſelben meiner billigen, und in goͤttlichen und weltlichen Rechten gegruͤndeten Abſichten zu benachrichtigen, mit angehengtem Suchen, Sie wollen213Satyriſche Briefe. wollen meine Bitte nicht rejiciren, und mir erlauben, daß ich das Gluͤck habe, mit aller le - galen Ergebenheit zeitlebens Dero gehorſamſter Diener zu ſeyn. Da Sie, Mademoiſelle, bey meiner Liebe allerdings die erſte Jnſtanz ſind, ſo habe Bedenken getragen, bey Dero Hochzuehren - dem Herrn Vater eher in Schriften dieſerhalb ein - zukommen, bis ich weiß, ob Sie meinem ergeben - ſten petito hochgeneigt deferiren, als warum ich nochmalen inſtanter, inſtantius, inſtantiſſime bitte. Dieſen Augenblick kommt ein Oberhof - gerichtsbothe, mit einer Inhibition; ich werde daher genoͤthigt, abzubrechen, und habe nicht Zeit, etwas weiters hier zu ſagen, als daß ich mit der groͤßten Hochachtung unablaͤßlichen ſey,

Mademoiſelle, Dero am 9 Januar. 1743 Raptim. Ipſe concepi! ganz ergebenſter Diener, K. L. M. Adv. immatr. et Not. Publ. Cæſ. a Sen. Lipſ. Creat. et coram Regim. Elect. Confirm. m. p.

O 3Haͤtte214Satyriſche Briefe.

Haͤtte ich dieſen ungeſchickten und pedantiſchen Brief etliche Jahre eher bekommen: ſo wuͤrde ich ihn gewiß, ohne mich lang zu beſinnen, unter den Tiſch geſchmiſſen haben. Jtzt war ich gedemuͤthiget genug, daß ich ihn zweymal durchlas, und un - ſchluͤſſig blieb, was ich thun wollte. Die Ge - luͤbde, mich niemals zu verheirathen, fieng nach und nach an, mich zu gereuen. Mein Vater lag mir alle Tage in den Ohren, und er haͤtte, glau - be ich, lieber geſehn, ich waͤre ſelbſt auf die Hei - rath ausgegangen. Jch wies ihm den Brief. Er geſtund, der Herr Advocatus immatriculatus ſey ein Narr, er meynte aber auch, daß ich nicht die erſte, und nicht die letzte Frau ſeyn wuͤrde, die einen Narren heirathe. Es koſtete mich viel Ue - berwindung, und doch war ich im Begriffe, auf Befehl meines Vaters dieſem geſchaͤfftigen Liebha - ber Hoffnung zu geben, als ich, vielleicht zu mei - nem Gluͤcke, noch bey Zeiten erfuhr, daß eine Magd, mit der er auf Univerſitaͤten zu vertraut gelebt haben mochte, ihn auf die Ehe verklagen wollte. Jch war bey allen meinem Ungluͤcke noch immer boshaft genug, mich daruͤber zu freuen, und ich ergriff dieſen Vorwand mit beiden Haͤnden, mich von ihm loszureißen, und mit meiner gewoͤhn - lichen Bitterkeit ihm alſo zu antworten.

Mein Herr,

Was Dieſelben in hoͤchſter Eil mir wegen der legalen, und in allen Rechten gegruͤndetenGeſin -215Satyriſche Briefe. Geſinnung gegen meine Wenigkeit unterm 9ten Januar a. c. in Schriften vorzutragen, gelieben wollen, ſolches habe daraus allenthalben mit meh - rern erſehn. Nun wuͤrde mir zwar eine beſonde - re Ehre ſeyn, Jhrem petito geziemend zu defe - riren; Wenn aber ich in glaubwuͤrdige Erfah - rung gebracht, daß allem Anſehen nach zu Dero wertheſten Perſon und Liebe ein Concurs des ſchierſtkuͤnftigſten ausbrechen moͤchte, und mein Vater in Sorgen ſteht, daß ich wegen meiner juͤngern, und nicht dinglichen Rechte und An - ſpruͤche an Sie gar leicht leer ausgehn, oder doch in die letzte Claſſe locirt werden duͤrfte; Als ha - be Kraft dieſes, allen meinen An - und Zuſpruͤ - chen, wie ſie Namen haben moͤchten, hiermit zu Vermeidung unnoͤthigen, und auf geldſplittern - de Weitlaͤuftigkeit abzielenden Proceſſes aufs feyerlichſte renunciren ſollen, wollen und moͤgen, mit der Verſicherung, daß ich nicht geſonnen bin, einer Magd diejenigen Rechte ſtreitig zu machen, welche ſie noch von den Univerſitaͤtsjahren her zu behaupten vermag. Die ich fuͤr die Perſon De - nenſelben zu billigen Freundſchaftsleiſtungen ſtets gefliſſen bin: Als

Meines Hochgeehrteſten Herrn am 30ten Januar 1743. Dienſtbereitwillige F

O 4Das216Satyriſche Briefe.

Das war alſo wieder ein Liebhaber weniger. Jch glaube, es mochte nach und nach bekannt wor - den ſeyn, wie gefaͤhrlich es ſey, mir eine Liebeser - klaͤrung zu thun; denn es meldete ſich in zwey Jah - ren kein Menſch, ob ich ſchon anfieng meiner Natur mit Farben, und anderm Putze zu Huͤlfe zu kom - men. So leichtſinnig ich in jungen Jahren war, ſo wenig hatte ich mich doch iemals uͤberwinden koͤnnen, eine freye und verbuhlte Auffuͤhrung anzu - nehmen. Nunmehr aber hielt ich es fuͤr noͤthig, zu coquettiren, da ich wahrnahm, daß ich anfieng, auf der Gaſſe und in Geſellſchaften unbemerkt zu bleiben. Jch zwang mich, lebhaft zu ſeyn, ich ward gegen Vornehme und Niedrige gefaͤllig, mit einem Worte, ich ward zahm, und doch konnte ich niemanden ruͤhren, der mir vorſeufzte. Jch glau - be, ich wuͤrde es ihm nicht ſauer gemacht haben. So hochmuͤthig aber war ich doch noch, daß ich mich nicht gar zu weit unter meinen Stand verhei - rathen wollte. Sie koͤnnen es daraus ſehn, mein Herr. Es kam einem Landkramer ein, mich zu lieben. Wuͤrden Sie mir wohl dazu gerathen ha - ben? Leſen Sie ſeinen Brief.

R den 7. May 1745.
Ehren und viel Tugendſames Frauenzimmer! Salut.

Hiernebenſt ſende ich Denenſelben im Namen und Geleite Gottes per Fuhrmann Hannß Goͤrgen und Geſpann von Reichenbach ein Paͤck - tel217Satyriſche Briefe. tel mit allerley Wuͤrz und andern Waaren, ge -[figure] merkt als in margine, zur Fracht 14. Pfund wie - gend, und iſt alles content bezahlt. Sie werden guͤnſtig erlauben, daß ich Jhnen damit ehrenfreund - lich aufwarten thue. Anlangend meine Hochach - tung und Liebe gegen Sie, deren ich Sie auf letz - term Jahrmarkt avertirt, ſo bin ich noch immer derſelben Meynung, und thue ich mir gar hoͤchlich gratuliren, wenn Sie mich Deren Gegenliebe wuͤr - digen, und mir aviſo geben wollen, ob ich es wa - gen darf, bey dem Herrn Papa mich Jhrentwegen zu melden. Es ſoll dieſes ſo gleich geſchehn. Den Ranzen, und emballage, worinnen beyfolgende Waaren eingeſchlagen ſind, wird der Fuhrmann bey ſeiner Ruͤckreiſe wieder abfordern. Bitte ſolche coſty mit ein paar Zeilen zu uͤbergeben. Gott verhelfe Jhnen ſalvo. Denen empfohlen, verbleibe, und bin

Ehrn und viel Tugendſames Frauenzimmer DerenDieſer Brief zukomme Der ehrn und viel tugendſamen Jungfer N. N. Dienſtwilligſter Freund N. Nebſt einem Paͤcktel

[figure]

gezeichnet. zu eignen Haͤnden zu uͤbergeben. franco par tout. großguͤnſtig in N.

O 5 Sehn218Satyriſche Briefe.

Sehn Sie, mein Herr, das war doch noch ein reeller Liebhaber, und der erſte, der ſeinen foͤrm - lichen Liebesantrag mit einem Geſchenke begleitete. Aber das war mir erſchrecklich, daß ich in einem Marktflecken vor dem Laden ſtehn, und Schwefel - faden verkaufen ſollte, da ich zu ſtolz geweſen war, einen Hofrath zu heirathen. Sie wiſſen wohl, was ſich in kleinen Staͤdten die Tochter eines fuͤrſtlichen Dieners fuͤr ein Anſehn zu geben weiß: ſollte ich nun meinen Rang und Stand ſo ſehr verlaͤugnen, und in R eine elende Wuͤrz - kraͤmerinn werden? Mein Vater fuͤhlte es ſelbſt, wie ungleich dieſe Heirath ſey, und befahl mir, ei - ne abſchlaͤgige Antwort zu ertheilen. Jch that es auf folgende Art:

Ehrenveſter, Fuͤrnehmer, Jnſonders großguͤnſtig Hochgeehrter Herr. Salut.

Deſſen geehrteſtes vom 7. paſſato iſt mir, nebſt dem Raͤnzlein, wohl worden, welches ich danknehmend zuruͤck ſchicke, und meinem groß - guͤnſtigen Herrn dafuͤr verbunden bin. Beliebe es der Herr à conto zu ſtellen. Mag annebenſt demſelben nicht verhalten, daß ich mich uͤber meines Hochgeehrten Herrns Anſinnen gar hoͤch - lichen erfreuen thue. Weil aber mein Vater Be - denken traͤgt, mich von ſich zu laſſen, ſo kannich219Satyriſche Briefe. ich demſelben in deſſen freundlichen Bitten ſo fort nicht fugen. Meine Freunde glauben uͤber dieß, daß ich mit meinem Reifenrocke in Jhrem Wuͤrzladen nicht Raum haben werde. Sie hof - fen, es werde Jhnen nicht an Gelegenheit feh - len, eine Frau zu bekommen, wenn es auch gleich keine Tochter eines Commiſſionraths ſey. Unter Gottes Schutz verbleibende,

Ehrenveſter, Fuͤrnehmer, Jnſonders großguͤnſtig Hochgeehrter Herr, Deſſen gute Freundinn und Dienerinn.

Dieſes war die letzte Kraft meines jungfraͤuli - chen Stolzes, und nunmehr kam die Reihe an mich, gedemuͤthiget zu werden. Hier faͤngt ſich der zweyte Theil meines Romans an. Wie traurig iſt dieſe Veraͤnderung fuͤr mich! Mein Vater ſtarb. Was ich befuͤrchtet hatte, geſchahe, und noch weit mehr. Er verließ kein Vermoͤgen, es meldeten ſich ſo gar verſchiedne Glaͤubiger, und man fand in ſeinen Rechnungen viele Unrichtigkei - ten, welche machten, daß auch die Caution zu - ruͤck behalten ward. Ueberlegen ſie es einmal, mein Herr! Ein Maͤdchen von drey und dreyßig Jahren ohne Aeltern, ohne Vermoͤgen, dasjenigezu220Satyriſche Briefe. zu beſtreiten, was zum nothduͤrftigſten Unterhalte erfodert wird; ein Maͤdchen, welches ſich durch Jhren Hochmuth alle zu Feinden gemacht hatte, welches ſo bequem, und vornehm erzogen, und itzt von allen verlaſſen, und nicht geachtet war; mit einem Worte, eine alte Jungfer ohne Geld, oh - ne Schoͤnheit, ohne Freunde, und, deutſch zu reden, ohne Verſtand, iſt ſo ein Maͤdchen nicht eine erbar - menswuͤrdige Creatur? Was ſollte ich anfangen? Zwey Jahre hatte ich mich unter meinen Verwand - ten aufhalten, und fuͤr die kleinen Gefaͤlligkeiten, die ſie mir, als ein Allmoſen, erwieſen, viel Demuͤthigung erfahren muͤſſen. Sie wurden mich uͤberdruͤßig, und ſie ſagten mir es deutlich, daß ſie wuͤnſchten, ich moͤchte mich entſchließen, ſie zu verlaſſen. Wo ſollte ich hin? War ich nicht bey dieſen kuͤmmerlichen Um - ſtaͤnden zu entſchuldigen, daß ich einen Schritt wag - te, der eine Folge meiner großen Verzweiflung war, der mich bey allen, die meine Noth nicht wußten, ver - aͤchtlich, und laͤcherlich machte, und deſſen ich mich gewiß noch itzt ſchaͤmen wuͤrde, wenn mich nicht mein Ungluͤck ſo abgehaͤrtet haͤtte, daß ich weiter nicht im Stande bin, mich uͤber eine Niedertraͤchtigkeit zu ſchaͤmen.

Mein Vater hatte ein armes Kind zu ſich zur Aufwartung, als Jungen, genommen, und ihn end - lich zum Schreiber herangezogen. Er mochte bey dem Abſterben meines Vaters ungefaͤhr dreyßig Jahre alt ſeyn. Seine Perſon war ſehr unanſehn -lich,221Satyriſche Briefe. lich, ſeine Sitten verriethen ſeine ſchlechte Ankunft, und die Livrey, die er lange Zeit getragen hatte. Dieſer Menſch, welcher wenigſtens funfzehn Jahre meines Vaters demuͤthiger Johann geweſen war, ſollte itzt das unerwartete Gluͤck haben, die ſtolze Tochter ſeines ehmaligen Herrn zur Frau zu be - kommen, damit ſie nicht vor Hunger ſterben moͤch - te. Glauben Sie nur, mein Herr, daß mich dieſer bittre Entſchluß viel Selbſtverlaͤugnung gekoſtet hat. Dieſer Menſch hatte ſich bey dem Leben mei - nes Vaters ſo wohl vorzuſehn gewußt, daß er ei - nige hundert Thaler ſammeln, und ſich die Gnade eines vornehmen Mannes erwerben koͤnnen, der ihm, als mein Vater geſtorben war, den Geleits - einnehmerdienſt in einem kleinen Orte an der Gren - ze verſchafft; einen Dienſt, der etwan zweyhundert Thaler eintragen mochte. Jch hoͤrte, daß er noch unverheirathet ſey, und ich ſchrieb nachſtehenden Brief an ihn, welcher mich viel Thraͤnen koſtete, ehe ich ihn zu Ende brachte. Wie kruͤmmte ſich mein Hochmuth!

Mein Herr,

Es iſt eine von meinen angenehmſten Beſchaͤffti - gungen, wenn ich itzt an diejenige Treue, und Ergebenheit zuruͤck denke, welche Sie, mein Herr, ge - gen meinen ſeligen Vater funfzehn Jahre lang auf die unverbruͤchlichſte Art bezeigt. Dieſer rechtſchaffneVater,222Satyriſche Briefe. Vater, welcher ſo vorſichtig, als dienſtfertig war, hat ſich niemals in ſeiner Wahl betrogen. Der erſte Blick, den er auf Sie that, entdeckte ihm alles das Gute, und die lobenswuͤrdigen Eigenſchaften, welche den Werth Jhrer Seele ausmachten. Er eilte, Sie aus dem Mangel zu reiſſen, welcher Sie in dem Hauſe Jhrer ar - men Aeltern niederdruͤckte; er nahm Sie zu ſich, und liebte Sie bis an ſein Ende, als ſein eignes Kind. Da er mich beſtaͤndig mit Jhrem from - men chriſtlichen Wandel, mit Jhrer Treue, mit Jhrem Fleiße, und mit der Hoffnung unter - hielt, die Sie zu Jhrem kuͤnftigen Gluͤcke von Sich blicken lieſſen: ſo wuͤrde ich vielleicht viel - mal Gelegenheit gehabt haben, uͤber die Liebe meines Vaters gegen Sie eiferſuͤchtig zu werden, wenn ichs nicht fuͤr einen Theil meiner Schul - digkeit angeſehen haͤtte, Jhren Verdienſten Recht widerfahren zu laſſen. Der unvermu - thete Tod meines Vaters hinderte ihn, dasjeni - ge zu Stande zu bringen, was er ſich zu Jhrem Beſten vorgenommen hatte. Alles, was er thun konnte, war dieſes, daß er wenig Stun - den vor ſeinem Ende mir ſagte, wie nah ihm dieſes gienge, wie ſehr er Sie liebte, und wie aufrichtig er wuͤnſchte, daß ich mich entſchließen moͤchte, Jhnen, mein Herr, diejenige Freund - ſchaft zu erzeigen, die er Jhnen fuͤr Jhre redli - che Dienſte ſchuldig zu ſeyn glaubte. Er ſagte dieſes, und noch vielmehr, als er ſtarb. Derredliche223Satyriſche Briefe. redliche Vater! Seit dieſem betruͤbten Abſterben ſind mir ſeine letzten Worte niemals aus den Ge - danken gekommen, ob ich ſchon keine Gelegen - heit gehabt habe, Jhnen, mein Herr, etwas davon zu eroͤffnen. Die gluͤckliche Veraͤndrung Jhrer Umſtaͤnde ſehe ich als eine Wirkung des letzten Seegens meines Vaters, und als eine Belohnung Jhrer Verdienſte an, die Jhnen den Weg zu demjenigen weitern Gluͤcke bahnt, deſ - ſen Sie ſo wuͤrdig ſind. Jch bezeuge Jhnen meine aufrichtige Freude daruͤber, welche Jhnen vielleicht nicht ganz gleichguͤltig ſeyn kann, da Sie, wie ich hoffe, noch itzt nicht aufgehoͤrt ha - ben, ein Freund von meines Vaters Hauſe zu ſeyn, und da ich bereit bin, dem Wunſche mei - nes ſterbenden Vaters, und, wenn ich ſo ſagen darf, ſeinem letzten Willen aufs ſorgfaͤltigſte nachzuleben, und es Jhnen zu uͤberlaſſen, wie genau diejenige Freundſchaft unter uns ſeyn ſoll, welche mir mein Vater noch auf dem Tod - bette ſo nachdruͤcklich empfohlen hat. Jch glau - be, diejenige Achtung und Gefaͤlligkeit verſtan - den zu haben, welche Sie mir, mein Herr, in meines Vaters Hauſe die letztern Jahre uͤber bey verſchiednen Gelegenheiten gezeigt. Jch lebte damals unter der Gewalt eines Vaters, und es ſtund bey mir nicht, Jhnen zu eroͤffnen, wie geneigt ich ſey, dieſe Achtung zu vergelten. Sie Selbſt, mein Herr, waren nach der Art aller tugendhaften Gemuͤther in dieſem Falle zu bloͤde, und224Satyriſche Briefe. und glaubten, ob wohl ganz ohne Urſache, mei - nen Vater zu beleidigen, der Sie als ſein Kind liebte, und damals ſchon Jhr Vater war. Sein Tod hat auf beiden Seiten den Zwang aufgeho - ben. Sie haben keine Urſachen mehr, bloͤde zu ſeyn, und ich ſtehe unter keiner Gewalt mehr, welche mich abhalten koͤnnte, Jhnen zu ſagen, wie hoch ich Sie ſchaͤtze. Es wird auf Jhrem Ausſpruche beruhen, wie weit ich in meiner Hoch - achtung gegen Sie gehn darf. Jch wenigſtens wuͤnſche mir nichts mehr, als die beſtaͤndige Freundſchaft eines Mannes, welcher wegen ſei - ner Tugend und Verdienſte der einzige iſt, der einzige unter allen, den ich lieben kann, und deſ - ſen Gegenliebe mir dennoch unſchaͤtzbar ſeyn wuͤr - de, wenn mich auch der Befehl meines Vaters nicht verbaͤnde, Sie darum zu erſuchen. Jch werde aus Jhrer baldigen Antwort ſehn, ob ich in meinem Zutrauen auf Jhre redliche Freund - ſchaft zu voreilig, und meinem ſeligen Vater gar zu gehorſam geweſen bin. Jch habe die Eh - re mit aller Hochachtung zu ſeyn,

Mein Herr, am 6. Auguſt, 1747. Jhre Dienerinn, F.

Das225Satyriſche Briefe.

Das war alſo meines Vaters Johann, der dickkoͤpfige dumme Junge, wie ich ihn ſonſt be - ſtaͤndig nennte, der war es, den ich itzt unter der Verſichrung meiner Hochachtung bitten, und bey der Aſche meines Vaters beſchwoͤren mußte, er moͤchte doch das Werk der Barmherzigkeit, und der chriſtlichen Liebe an mir armen verlaſſenen Wayſe ausuͤben, und mich, ſo bald als moͤglich, zu ſeiner gehorſamſtergebenſten Frau machen, und eine Hand annehmen, von der er in vorigen Jah - ren ſo viel Naſenſtuͤber, und Ohrfeigen bekommen hatte. So elend meine Umſtaͤnde waren, ſo viel Stolz hatte ich doch noch uͤbrig zu glauben, daß mein angebeteter Johann dumm genug ſeyn wuͤr - de, mit beiden Haͤnden zu zugreifen, und das Gluͤck, ſo ich ihm an den Hals warf, feſt zu hal - ten. Aber wie aͤndert ſich doch alles mit der Zeit! Der dumme Johann war kluͤger als ich wuͤnſchte. Leſen Sie ſeinen Brief, und urthei - len Sie von meiner Beſchaͤmung. Hier iſt er von Wort zu Wort.

Mademoiſelle,

Es haͤtte mir keine Erinnerung empfindlicher ſeyn koͤnnen, als diejenige iſt, auf welche Sie mich in Jhrem Briefe zuruͤck fuͤhren. Der Tod Jhres ſeligen Herrn Vaters, eines Mannes, den ich noch im Grabe als meinen Goͤnner und Ver - ſorger verehre, dieſer Tod hat mich ſo viele Thraͤ -P nen226Satyriſche Briefe. nen gekoſtet, und meine Wehmuth wird verdop - pelt, da Sie, Mademoiſelle, mir ſein Wohlwol - len gegen mich auf eine ſo lebhafte Art abſchil - dern. Wie elend wuͤrde ich itzt ſeyn, wenn er mich nicht aus dem Staube geriſſen, mir ſo vie - le Jahre meinen Unterhalt gegeben, und mich zu demjenigen Amte geſchickt gemacht haͤtte, das ich itzt verwalte! Jch waͤre der undankbarſte, und nichtswuͤrdigſte Menſch von der Welt, wenn ich dieſe Wohlthat iemals vergeſſen wollte. Meine Hochachtung gegen Sie, die bis in den Tod dau - ern wird, iſt das einzige, was ich als eine Art ei - ner geringen Wiedervergeltung anbieten kann. Meine Armuth, und mein geringer Stand hin - dern mich, mehr zu thun. Die Freundſchaft, de - ren Sie mich verſichern, iſt das wichtigſte auf der Welt, das ich mir wuͤnſchen kann. Haͤtte ich mir wohl iemals einbilden koͤnnen, daß Jhr ſeli - ger Herr Vater ſo viel unverdiente Liebe gegen mich hegen wuͤrde, daß er noch auf dem Todbette Jhrer Freundſchaft mich empfehlen ſollte? Und Sie, Mademoiſelle, ſind ſo geneigt, mich dieſer Freundſchaft zu wuͤrdigen? Eine Ehre, deren ich mich am wenigſten verſehen haͤtte. Sie haben, ſo lange ich in Jhres Herrn Vaters Hauſe gewe - ſen bin, mir nicht die geringſte Gelegenheit gege - ben, auf einen ſo ſtolzen Gedanken zu fallen, und ich bin immer ganz troſtlos geweſen, wenn ich aus Jhrem Bezeigen gegen mich zu ſehn glaub - te, daß Sie mich des Wohlwollens, das Jhr Herr227Satyriſche Briefe. Herr Vater gegen mich aͤuſſerte, ganz fuͤr un - wuͤrdig hielten. Jch glaubte in dieſen letzten zwey Jahren nach ſeinem Tode von Jhnen ganz vergeſſen zu ſeyn. Wie edel und großmuͤthig iſt Jhr Herz, welches ſo viel Antheil an meinem kleinen Gluͤcke nimmt, und mir erſt itzt den letz - ten Willen des ſeligen Herrn Vaters auf eine ſo verbindliche Art eroͤffnet!

Sie bieten mir Jhre Freundſchaft an. Jch wuͤrde deren unwuͤrdig ſeyn, wenn ich ſolche fuͤr etwas anders, als eine Verſichrung Jhres ſchaͤtz - baren Wohlwollens annehmen wollte. Jch ha - be Sie iederzeit als die Tochter meines Goͤn - ners verehrt, und es wuͤrde mir leid ſeyn, wenn Jhr Vorwurf gegruͤndet waͤre, und ich die letz - tern Jahre uͤber wirklich Gelegenheit gegeben haͤtte, Jhnen meine Hochachtung verdaͤchtig zu machen. Goͤnnen Sie mir, Mademoiſelle, fer - ner Jhren Schutz und Wohlwollen. Es wird dieſes der groͤßte Ruhm fuͤr mich ſeyn, da Sie bey Jhren Jahren, und bey Jhrem reifen Ver - ſtande die Welt ſo wohl haben kennen lernen. Jch wage es, noch eine kleine Bitte zu thun. Es findet ſich eine Gelegenheit, mich mit der Toch - ter eines benachbarten Verwalters zu verbinden. Es iſt dieſes tugendhafte Maͤdchen das einzige unter allen, das ich lieben kann. Jch bin aber ihren Aeltern und in der hieſigen Gegend ſo un - bekannt, daß ſie noch angeſtanden haben, einen fremden Menſchen gluͤcklich zu machen. JchP 2 habe228Satyriſche Briefe. habe mir die Freyheit genommen, mich auf Jhr Zeugniß, Mademoiſelle, zu berufen. Der Vater wird auf kuͤnftige Meſſe Gelegenheit ſu - chen, Jhnen aufzuwarten. Sagen Sie ihm, daß Sie mich Jhres Wohlwollens wuͤrdig hal - ten. Das iſt der groͤßte Lobſpruch fuͤr mich, und mehr brauche ich nicht, gluͤcklich zu werden. Wie leicht muß es Jhnen ankommen, mein Gluͤck zu befeſtigen, da Sie Selbſt ſo edel den - ken, und ſo geneigt ſind, dem Befehle eines ſter - benden Vaters nachzukommen! Jch werde da - fuͤr mit aller Demuth und Ehrfurcht, die ich Jh - nen und der Aſche Jhres Herrn Vaters ſchuldig bin, unveraͤndert ſeyn,

Mademoiſelle, Jhr gehorſamſter Knecht.

Wie meynen Sie, mein Herr, war das nicht ein niedlicher Korb? Sollten Sie dieſes wohl fuͤr die Schreibart eines dummkoͤpfigen Johanns hal - ten? Waͤre er nur in ſeiner Antwort grob und un - bedachtſam geweſen: ſo haͤtte ich doch zum wenig - ſten das Vergnuͤgen gehabt, ihn einen Eſel zu heißen. Aber was ſollte ich itzt thun, da er auf allen vieren gekrochen kam, und mir mit Demuth, Ehrfurcht und Hochachtung ſagte, daß ich eineNaͤrrinn229Satyriſche Briefe. Naͤrrinn waͤre? Jch nahm mir vor, meinen Ver - druß zu verbergen, und ſeinem Schwiegervater, wenn er das Zeugniß abholen wuͤrde, die groͤßten Lobeserhebungen von ihm vorzuſagen. Aber es kam niemand, der mein Gutachten wiſſen wollte, und ich muß glauben, daß auch dieſes nur eine boshafte Erfindung war, mich abzufertigen. Jch ungluͤckliches Maͤdchen! Was ſollte ich nun thun? Meine Freunde wurden immer treuherziger. Je laͤnger ich ihr Brod , ie deutlicher ſagten ſie mir, daß ſie wuͤnſchten, ich moͤchte nun bald vor eine andre Thuͤre gehen. Aber vor welche? Das wußten ſie nicht, und ich noch weniger.

Jch hatte Gelegenheit gehabt, die Schwe - ſter meines erſten Liebhabers, des Herrn Hofraths R kennen zu lernen. Die Bekanntſchaft half mir weiter nichts, als daß ich erfuhr, ſeine zwote Frau ſey ihm vor einem halben Jahre auch wieder geſtorben. Es gehoͤrte eine Unverſchaͤmt - heit dazu, dieſe Nachricht ſich zu Nutze zu ma - chen; aber fuͤr ein Frauenzimmer, das demuͤthig genug geweſen, dem Schreiber ihres Vaters ihr Herz anzubieten, und welches nicht vor Scham ge - ſtorben war, da ſie eine abſchlaͤgige Antwort von ihm erhalten hatte; fuͤr ein ſolches Frauenzimmer war die Entſchließung nicht zu ſchwer, einen ver - ſchmaͤhten Liebhaber um Gegenliebe anzuflehn. Jch ſchrieb an den Hofrath:

P 3Mein230Satyriſche Briefe.
Mein Herr,

Jhre Frau Schweſter, welche mir die Ehre Jhrer Freundſchaft goͤnnt, haͤtte mir keine betruͤbtere Nachricht ſagen koͤnnen, als die von dem Tode ihrer ſeligen Frau. Es iſt nun zu ſpaͤt, Jhnen mein aufrichtiges Beyleid zu verſi - chern. Es wuͤrde eine Grauſamkeit von mir ſeyn, Jhre Betruͤbniß uͤber einen Verluſt zu er - neuern, der einem Manne, welcher ſo edel denkt, und ſo vernuͤnftig liebt, als Sie, mein Herr, nicht anders, als hoͤchſt empfindlich fal - len muß. Sie haben voͤllig den Charakter eines ehrlichen Mannes. Die Welt und ich haben hiervon unzaͤhlige Proben; mir aber wird beſon - ders diejenige unvergeßlich ſeyn, da Sie Selbſt vor einigen Jahren ſchriftliche Gelegenheit gege - ben haben, mich davon zu uͤberzeugen. Wie gluͤcklich waͤre ich, wenn es damals bey mir ge - ſtanden haͤtte, mir ſolche zu Nutze zu machen! Jch liebe meinen verſtorbnen Vater noch itzt im Grabe zu ſehr, als daß ich mich uͤberwinden kann, Jhnen die Urſachen zu ſagen, die mich daran hinderten. Jch will es eine Uebereilung, eine perſoͤnliche Verbitterung, oder ſonſt eine Haͤrte nennen, die ihn bewog, mich zu zwingen, Jhnen wider die Empfindung meines Herzens zu antworten. Mein Ungluͤck wuͤrde doppelt ſeyn, wenn Sie bisher in den Gedanken geſtanden, alswaͤre231Satyriſche Briefe. waͤre ich ohne den ſtrengen Befehl meines Vaters vermoͤgend geweſen, einen ſo thoͤrichten Entſchluß zu faſſen. Laſſen Sie mir Gerechtigkeit wider - fahren, glauben Sie, daß ich von Jhren Ver - dienſten, und von meinem Gluͤcke beſſer geur - theilt habe. Jtzt bin ich frey. Jch habe keinen Vater mehr, der mich hindern kann, gluͤcklich zu werden. Zweifeln Sie noch an der Hoch - achtung, die ich gegen Sie gehabt, an den Thraͤ - nen, die es mich gekoſtet, durch den Zwang un - dankbar zu ſeyn, an dem Verlangen, Jhre Freundſchaft und Achtung zu verdienen; zwei - feln Sie noch an einem von dieſen allen: ſo will ich, wider die Geſetze meines Geſchlechts, einen Schritt thun, der Sie uͤberzeugen ſoll, wie un - billig Sie zweifeln. Jch will Jhnen ſagen, daß ich Sie liebe, daß ich Sie itzt noch eben ſo ſehr liebe, als damals; daß ich mir kein Gluͤck mit einer ſo zaͤrtlichen Unruhe wuͤnſche, als dieſes, die Jhrige zu ſeyn. Redete ich mit einem Man - ne, der weniger vernuͤnftig und einſehend waͤre, als Sie, mein Herr, ſind: ſo wuͤrde ich mich ſchaͤmen, meine Neigung und Liebe ſo offenher - zig zu bekennen, und beide Jhnen anzubieten. Sie ſind zu gerecht, als daß Sie dieſes zu mei - nem Nachtheile auslegen ſollten. Goͤnnen Sie mir die Ehre, mir ſchriftlich zu ſagen, ob meine Hoffnung und mein Zutrauen zu Jhnen unge - gruͤndet geweſen iſt. Mein Herz ſagt mir, daß es nicht ſeyn werde; und mein Herz hat michP 4 noch232Satyriſche Briefe. noch niemals betrogen. Jch bin mit aller er - ſinnlichen Hochachtung,

Mein Herr, am 18. des Heumonats 1748. Jhre Dienerinn.

Aber dasmal log mein Herz doch, und noch mehr, als ich gelogen hatte. Der Herr Hofrath war zu meinem Ungluͤcke vernuͤnftig. Jch bekam mit dem naͤchſten Poſttage folgende Antwort.

Mademoiſelle,

Sie verbinden mich Jhnen durch das aufrichti - ge Beyleid uͤber den Tod meiner ſeligen Frau. Jch habe viel verlohren, und ich glaube, daß ich dieſen Verluſt niemals wieder erſetzen kann. Es iſt ſonſt mein Fehler geweſen, andern mit Er - zaͤhlungen von den Vorzuͤgen und Verdienſten meiner verſtorbnen Frau beſchwerlich zu fallen; ich habe mich aber ſeit zwoͤlf Jahren von dieſer Schwachheit ſo ſehr erholt, daß ich Jhnen, Ma - demoiſelle, weiter nicht ein Wort davon ſagen will. Die Verſichrung von Jhrer Freundſchaft und Jhrem Wohlwollen wuͤrde mir zu einer an - dern Zeit noch unſchaͤtzbarer geweſen ſeyn, als Sie mir itzt iſt, da ich uͤber den Tod meiner recht - ſchaffnen Frau in meinem Gemuͤthe noch nicht ſo233Satyriſche Briefe. ſo ruhig bin, daß ich im Stande waͤre, ein Ver - gnuͤgen ganz zu ſchmecken. Der Unwille Jhres ſeligen Herrn Vaters iſt mir in der That eine un - erwartete Nachricht; er hat dieſen, ſo lange er gelebt, wenigſtens ſehr ſorgfaͤltig zu verbergen ge - wußt, und ich habe Proben ſeiner Freundſchaft, die mir niemals Gelegenheit gegeben haben, dar - an zu zweifeln. Dem ſey, wie ihm wolle, ſo thun Sie doch alles, was man von einer vernuͤnf - tigen und wohlgezognen Tochter verlangen kann. Bey ſeinem Leben ſind Sie, wider die Empfin - dungen Jhres Herzens, gehorſam geweſen, und auch nach ſeinem Tode reden Sie von der unbil - ligen Haͤrte eines Vaters mit einer Maͤßigung, die Jhnen zur Ehre gereichen muß. Jch habe von den Pflichten der Kinder gegen die Aeltern ſo ſtrenge Begriffe, daß ich glaube, Kinder ſind ſchuldig, auch nach deren Tode, ihre Befehle, ſo wunderſam ſie auch ſcheinen moͤgen, aufs ge - naueſte zu befolgen. Hat Jhr Herr Vater ge - glaubt, es werde Jhr Gluͤck nicht ſeyn, wenn Sie die Meinige wuͤrden: ſo muß er, als ein vernuͤnftiger Mann, ſo wichtige Urſachen ge - habt haben, daß ich mich auch itzt nicht ent - ſchließen kann, Sie zu einem Ungehorſame zu verleiten. Die Verheirathung meiner beiden Toͤchter, die vor zwoͤlf Jahren noch unerzogne Kinder waren, wuͤrden mich in den Stand ſe - tzen, Jhnen, Mademoiſelle, meine Hand anzu - bieten, ohne den Vorwurf zu beſorgen, daß ichP 5 es234Satyriſche Briefe. es in der Abſicht thaͤte, eine Kinderfrau fuͤr ſie zu ſuchen. Jch fuͤhle aber meine Jahre, die mich oft ſo muͤrriſch machen, daß ich niemanden anmuthen kann, mit mir ſo viel Geduld zu ha - ben, als meine Kinder gegen mich bezeigen, die bey mir im Hauſe ſind, und mich aufrichtig lie - ben. Hier erwarte ich meinen Tod gelaſſen, und was ich noch wuͤnſche, iſt dieſes, daß es Jhnen wohl gehen moͤge. Jch bin mit beſon - drer Hochachtung,

Mademoiſelle, Jhr ergebenſter Diener.

Sehn Sie, mein Herr, das war alſo wieder nichts. Jch glaube der Hofrath mußte meinen unbeſonnenen Brief, den ich vor zwoͤlf Jahren an ihn geſchrieben, noch aufgehoben haben. Wenig - ſtens hatte er ihn Punkt fuͤr Punkt beantwortet, und ich geſtehe es, daß ich noch mehr Vorwuͤrfe verdiente. Was half es mir alſo, daß ich meinen Vater unſchuldiger Weiſe mit ins Spiel miſchte? Wieder eine Thorheit mehr!

Nunmehr war ich ganz von meinen Freun - den verlaſſen. Sie hatten mich von ſich geſtoßen. Jch kann es wohl ſo nennen, denn ſie waren end - lich, da ich gutwillig nicht weichen wollte, hart ge - gen mich geweſen. Jch zog in ein kleines Staͤdt - chen, wo ich von dem Ueberreſte meines geringenVer -235Satyriſche Briefe. Vermoͤgens ſo kuͤmmerlich leben mußte, als man es nur denken kann. Zu meinem Ungluͤcke traf ich den Doctor in dieſem Staͤdtchen an, welcher mich ehedem auch geliebt hatte. Er befand ſich in ſo reichlichen Umſtaͤnden, daß ich wuͤnſchte, es moͤchte ihm wieder einfallen, daß ich ehedem ſchoͤn ausgeſehen haͤtte. Er flohe meine Geſellſchaft auf alle Art, gleichwohl war er, wie ich erfuhr, immer noch ſo beſcheiden, daß er nichts Boͤſes von mir re - dete. Jch hielt dieſes fuͤr ein gutes Anzeigen, und bildete mir ein, er glaube vielleicht, ich ſey noch eben ſo wild, als ſonſt. Haͤtte er es nur verſucht! Er that es nicht. Es war mir auch nicht moͤg - lich ihn zu ſprechen, denn er vermied alle Geſell - ſchaften, wo er glaubte, daß er mich finden wuͤr - de. Endlich kam ich auf den Einfall mich krank zu ſtellen. Jch ließ ihn unter dieſem Vorwande bitten, mich zu beſuchen; allein er entſchuldigte ſich, ich weiß nicht mehr, womit, und ſchickte mir ſeinen Collegen. Aus Verdruß ward ich nun im Ernſte krank, und weil ich ihn gar nicht zu mir bringen konnte, ſo ſchrieb ich an ihn:

Mein Herr,

Es iſt etwas hartes, daß Sie eine Kranke ver - laſſen, die ihr Vertrauen auf Sie ganz allein geſetzt hat. Waͤre ich Jhnen auch ganz unbe - kannt, ſo wuͤrde Sie doch Jhr Amt verbinden, gefaͤlliger gegen mich zu ſeyn. Jch habe einmaldie236Satyriſche Briefe. die Erhaltung meines Vaters Jhrer Geſchicklich - keit und Sorgfalt zu danken gehabt. Bin ich Jhnen ſeitdem ſo gleichguͤltig geworden, daß Sie Sich die Muͤhe nicht geben wollen, von mir, we - gen meiner eignen Perſon, eine gleiche Verbind - lichkeit zu verdienen? Sie waren in vorigen Zei - ten aufmerkſam auf mich, und wenn Sie mir nicht zu viel geſchmeichelt haben: ſo hatte ich das Gluͤck, Jhnen zu gefallen. Jch verwahre Jhre ſchrift - liche Verſicherung davon noch ſehr ſorgfaͤltig; und, ſo oft ich ſie durchleſe, empfinde ich einen gewiſſen Stolz in mir, welcher ſich durch das billige Ur - theil der Welt rechtfertiget, die von Jhrem Ver - ſtande und Jhrer Einſicht uͤberzeugt iſt. Eine Perſon, die Sie fuͤr Jhre Freundinn, und ich fuͤr vernuͤnftig hielt, die aber uns beide betrogen hat, war Urſache, daß ich mich verleiten ließ, Jhr freundſchaftliches Suchen zu misbrauchen, und Jhnen eine Antwort zu ſchreiben, deren ich mich noch mehr ſchaͤmen wuͤrde, wenn ich nicht wuͤßte, daß ſie in den Haͤnden eines vernuͤnftigen Man - nes waͤre. Jch verlange meinen Fehler nicht zu entſchuldigen, den ich ſonſt der Bosheit unſrer gefaͤhrlichen Freundinn ganz zur Laſt legen koͤnn - te. Jch will es geſtehn, ich habe mich uͤbereilt, und ich kann es Jhnen gar nicht verdenken, wenn Sie ſeit der Zeit geglaubt haben, ich ſey Jhrer Freundſchaft und Liebe unwuͤrdig. Verlangen Sie noch mehr Reue uͤber ein Vergehen, das ich alle Stunden bereue, wenn ich daran gedenke? Kom -237Satyriſche Briefe. Kommen Sie zu mir, Sie ſollen die Verſichrung davon aus meinem eignen Munde hoͤren. Jch will Jhnen ſagen, wie hoch ich Sie halte; ja, wenn es meine Krankheit erlaubt, ſo will ich Jh - nen aufs verbindlichſte ſagen, daß ich Sie liebe. Jch biete Jhnen meine Hand an, zum Zeichen meiner aufrichtigen Verſoͤhnung. Beſuchen Sie mich. Wollen Sie mich nicht als Jhre Freun - dinn beſuchen, ſo beſuchen Sie mich als eine Kranke, der Sie Jhren Zuſpruch nicht abſchla - gen koͤnnen, ohne doppelt ungerecht zu ſeyn. Jch erwarte Sie dieſen Nachmittag. Jch bin ſehr krank.

Leben Sie wohl.

Die Hoffnung, meinen zaͤrtlichen und geliebten Arzt zu ſprechen, machte, daß ich meine Krankheit weniger fuͤhlte, als ſonſt, und daß ich mit einer ver - liebten Ungeduld auf die Stunde wartete, in der ich mich mit ihm auszuſoͤhnen hoffte. Wie ſehr betrog ich mich! Er kam nicht, und ſchickte mir an ſeiner ſtatt dieſe grobe und beleidigende Ant - wort:

Hochzuehrende Jungfer Lieutenantinn,

D Sie eine Naͤrrinn ſind, das habe ich lan - ge gewußt; aber das haͤtte ich mir niemals traͤumen laſſen, daß Sie auch eine ſo dreiſte und unverſchaͤmte Naͤrrinn waͤren, als ich es nun erfahren muß. Wie koͤnnen Sie es wagen, mich an Jhre Grobheit zu erinnern, die ich zu ver -geſſen,238Satyriſche Briefe. geſſen, mir, aus Hochachtung gegen Jhren ſeli - Herrn Vater, alle Muͤhe bisher gegeben habe. Damit ja kein Laſter uͤbrig bleibt, deſſen Sie Sich nicht ſchuldig machen: ſo erdenken Sie auch eine rechte derbe, und ungeſchickte Luͤgen. Wer war denn die gefaͤhrliche Freundinn, die Sie und mich betrog? Jhr herzallerliebſter Lieutenant war es. Jhres Vaters Johann muͤßte blind, oder mehr verſchwiegen geweſen ſeyn, wenn ich nicht haͤtte erfahren ſollen, daß Sie den unbe - ſcheidnen Brief in ſeinen Armen an mich geſchrie - ben. Nein, Mademoiſelle, was fuͤr den Lieu - tenant zu ſchlecht iſt, das iſt auch fuͤr mich nicht gut genug. Jhr herrliches Recept wider die Liebe hat ſeine unvergleichliche Wirkung gethan. Es iſt ſeit der Zeit, als ich es ſo friſch hinunter ge - ſchluckt, mir nicht einen Augenblick eingefallen, Sie hoch zu achten, geſchweige zu lieben. Was bin ich doch mit allen meinen Arzeneyen fuͤr ein Pfuſcher gegen Sie! Jch verwahre Jhren Brief noch ſehr ſorgfaͤltig, als ein ſichres Gegengift wider alle Liebe, dafern mir es ja wider Ver - muthen einmal einfallen ſollte, mich zu erinnern, daß ſie vor eilf Jahren, eine ſchreckliche lange Zeit, ſchoͤn und reizend geweſen ſind. Sie koͤnnen leben oder ſterben, wie es Jhnen gefaͤllt. Aber bleiben Sie immer leben. Jch gebe Jhnen mein Wort, daß ich Sie niemals ſprechen werde. Jch rieche immer noch nach Rhabarber und Eſſenzen. Erinnern Sie Sich wohl, wie ſehr Jhnen ſonſtdavor239Satyriſche Briefe. davor ekelte? Der Himmel erwecke Jhnen doch bald wieder einen Officier, der ſich uͤberwinden kann, den traurigen Reſt Jhrer Schoͤnheit zu bewundern. Ein guter dauerhafter Lieutenant wird das beſte Recept wider Jhre Krankheit ſeyn. Koͤmmt dieſer nicht, ſo rathe ich Jhnen, nehmen Sie den erſten den beſten Muſketier. Es hilft gewiß, oder ich muß mein Handwerk gar nicht verſtehn. Nicht wahr das iſt die beſte Kur? Le - ben Sie wohl, und helfen Sie Sich ſo gut, als Sie koͤnnen. Alles was ich thun kann, iſt die - ſes, daß ich ſage, ich ſey,

Mademoiſelle,vom Hauſe, am 8. Januar 1749. Jhr Diener.

Gewiß, mein Herr, das war zu arg! Es ſtund ihm frey, mich nicht zu lieben; aber dazu hatte er kein Recht, mich auf eine ſo plumpe Art zu beleidigen, und mir Vorwuͤrfe zu machen, die man der geringſten Weibsperſon zu ſagen ſich ſchaͤmen muß. Allein, was wollte ich anfangen? Es war noch eine ſehr große Barmherzigkeit von ihm, daß er meine Schande nicht in der Stadt ausbreitete, ſondern mir ſeine Grobheiten nur ins Ohr ſagte. Dieſer unerwartete Zufall war mir ſo ſchrecklich, daß meine Krankheit anfieng, gefaͤhr - lich zu werden, und ich war genoͤthiget, einige Mo -nate240Satyriſche Briefe. nate das Bette zu huͤten. Weil man aber wenig Exempel hat, daß Leute vor Schaam und Liebe geſtorben ſind, ſo erhielt ich mich auch, und ward nach und nach wieder geſund. Jch fieng an ein - ſam zu leben, ich vermied alle Geſellſchaft, und es ward mir leichte, dieſes zu thun, weil Niemand kam, der mir ſolches auszureden Luſt hatte.

Mitten in dieſer Kloſterzucht, da mich mein Ungluͤck zwang, der Welt und der Liebe großmuͤ - thig zu entſagen, erfuhr ich, daß der Profeſſor in Halle, der bey meinem Vater um mich geworben hatte, noch unverheirathet ſey. Es geht den al - ten Sproͤden, wie den Goldmachern. Je laͤnger ſie betrogen werden, ie groͤßer wird ihre Hoffnung, daß ſie doch endlich zu ihrem Zweck gelangen wer - den. Jch ſtellte mir es, als etwas ſehr moͤgliches, vor, daß der Profeſſor aus Verzweiflung, mich nicht bekommen zu haben, gar nicht geheirathet haͤtte, daß er vielleicht noch itzt uͤber meine Haͤrte untroͤſtbar ſey, und daß er gewiß vor Freuden taumeln werde, wenn er erfahren ſollte, daß ich mich mitleidig entſchloſſen haͤtte, ihn aus ſeinem traurigen Junggeſellenſtande zu reißen. Aber was ſollte ich meiner ehemaligen Thorheit fuͤr einen An - ſtrich geben, um mir einen Theil der Schaam zu erſparen, die von meinem itzigen Unternehmen auf mich zuruͤck fallen mußte? Die Erfindung war nicht mehr neu, die Haͤrte meines Vaters ins Spiel zu miſchen. Jch hatte gefunden, daß es gefaͤhrlich ſey, die Schuld auf eine boshafteFreun -241Satyriſche Briefe. Freundinn zu ſchieben. Jch entſchloß mich zu ei - nem Mittel, welches gewiß noch unverſchaͤmter, als die erſten beiden Einfaͤlle, war. Leſen Sie nur dieſen Brief.

Mein Herr,

Haben Sie etwan Urſachen gehabt, auf mei - nen Vater unwillig zu ſeyn: ſo laſſen Sie dieſen Unwillen wenigſtens mich nicht empfinden. Er iſt vor einiger Zeit geſtorben, und er ſtarb bey nahe untroͤſtbar, da er kein Mittel hatte, Jhnen einen Jrrthum zu benehmen, der ſeiner Freundſchaft ſo empfindlich war. Jch will mir Muͤhe geben, dieſen rechtſchaffnen Vater wenig - ſtens im Grabe noch bey Jhnen zu rechtfertigen. Es wird Jhnen nahe gehen, wenn Sie erfahren, wie unrecht Sie gethan haben, einen Mann zu haſſen, der Sie als ſeinen vertrauteſten Freund liebte.

Erinnern Sie Sich wohl, mein Herr, ei - nes Briefs, da Sie mir die Ehre anthaten, bey meinem Vater um mich anzuſuchen? So ſauer meinem Vater der Entſchluß ward, mich von ſich zu laſſen: ſo wenig war er doch Willens, mich an einem Gluͤcke zu hindern, das er fuͤr das groͤßte hielt, welches ich mir in dieſer Art wuͤnſchen koͤnn - te. Er ſtellte mir Jhr Anſuchen vor. Er gab mir zu erkennen, wie vortheilhaft es fuͤr mich ſey, von einem ſo frommen, chriſtlichen, und rechtſchaff -Qnen242Satyriſche Briefe. nen Manne, von ſeinem Freunde, geliebt zu wer - den. Er las mir mit Thraͤnen die Stellen aus Jhrem Briefe vor, wo Sie ſeiner ſeligen Frau auf eine ſo edle Art gedenken. Er bat mich, Jh - nen meine Hand zu geben. Er befahl mir es endlich ernſthaft, und mit ziemlicher Heftigkeit, da ich wegen meiner natuͤrlichen Bloͤdigkeit, und wegen der Unentſchluͤſſigkeit, die uns Maͤdchen eigen iſt, ihm ſo geſchwind nicht antworten woll - te, als er es verlangte. Endlich ſagte ich ihm, daß ich nun keinen Zweifel mehr faͤnde, welcher mich hinderte, Sie, mein Herr, meiner Hochach - tung und Gegenliebe zu verſichern. Er umarm - te mich thraͤnend, der redliche Vater! Jch muß - te mich ſo fort zu ihm ſetzen, und Jhnen, mein Herr, dieſe Verſichrung ſchriftlich thun. Jch that ſie, und ich muß Sie, mein Herr, noch itzt um Verzeihung bitten, wenn dieſe Erklaͤrung nicht in der feinen und geputzten Art abgefaßt war, die mir, als einem ſtillen, und in der Welt ganz unbekannten Maͤdchen, allerdings fremde ſeyn mußte. Jch ließ mein Herz reden. Mein Herz empfand Hochachtung und Liebe gegen Sie. Jch ſagte dieſes in meinem Briefe. Vielleicht ſagte ich es gar zu treuherzig und deutlich. Viel - leicht habe ich mir dadurch Jhre Verachtung zu - gezogen. Jch bin ungluͤcklich, wenn dieſes iſt; aber nur mein redliches, mein offnes Herz macht mich ungluͤcklich. Mein Vater ſchloß dieſen Brief in den ſeinigen ein. Jch erinnere mich deſ -ſen243Satyriſche Briefe. ſen noch wohl. Er war voll von Verſichrungen der Freundſchaft. Er ſchwur Jhnen eine ewige Zaͤrtlichkeit. Wie ſorgſam und liebreich empfahl er mich Jhrem Wohlwollen! So freundſchaftli - che, ſo liebreiche Briefe, mein Herr, haͤtten ja wohl eine Antwort verdient. Und doch erhielten wir keine, obſchon mein Vater noch einmal dar - um bat, der es oͤfter nicht thun konnte, weil er fuͤhlte, daß er beſchaͤmt war, und ein großer Theil des Schimpfs auf mich fallen mußte. Wie konnten Sie, mein Herr, einen ſo redlichen Freund ſterben laſſen, ohne ihm zu ſagen, wo - mit er Sie beleidiget hatte? Er ſtarb endlich, und hatte das Gluͤck nicht, als ihr Freund zu ſterben. Wie unruhig hat ihn dieſes noch in ſeinen letzten Tagen gemacht!

Jch kann mich unmoͤglich uͤberwinden, laͤn - ger zu ſchweigen. Gewiß, mein Herr, ich waͤre eines ſo rechtſchaffnen Vaters ganz unwuͤrdig, wenn ich mir nicht Muͤhe geben wollte, ihn noch im Sarge bey einem Freunde zu rechtfertigen, den er fuͤr ſeinen beſten, fuͤr ſeinen einzigen Freund hielt. Nur dieſes bitte ich von Jhnen, mein Herr, ſagen Sie mir, ſagen Sie mir es aufrich - tig, womit hat Sie mein Vater beleidiget? Was waren die Urſachen einer ſo unerwarteten Kalt - ſinnigkeit? Womit verdiente ich eine ſolche Ver - achtung, die mich vor den Augen der ganzen Stadt laͤcherlich machte? Jch will meinen Vater nicht entſchuldigen, wenn er nicht zu entſchuldi -Q 2gen244Satyriſche Briefe. gen iſt; aber vielleicht war es nur ein Misver - ſtaͤndniß. Vielleicht war es ein Streich von mis - guͤnſtigen Freunden, die Jhre Leichtglaͤubigkeit misbrauchten. Vielleicht haben Sie Unrecht, mein Herr! Treiben Sie Jhre Empfindlichkeit und Rache nicht zu weit. Wuͤrdigen Sie mich einer Antwort. Jch habe noch eben die Hoch - achtung gegen Sie, wie vormals, und, darf ich es wohl ſagen, noch eben die Liebe, welche Sie ſo ſchlecht belohnten. Ja, mein Herr, Jhnen zu zeigen, wie rechtſchaffen Sie mein Vater ge - liebt, wie hoch ich Jhre Freundſchaft ſchaͤtze, wie unſchuldig meine Zaͤrtlichkeit von Jhnen beleidi - get worden; Jhnen dieſes alles zu zeigen, biete ich Jhnen itzt vom neuen ſelbſt die Hand an, die Sie durch meinen Vater verlangten. Wollen Sie mich noch einmal beſchaͤmen? Die Freund - ſchaft meines Vaters, meine eigne Liebe zu Jh - nen, beide verdienen eine Antwort. Jch er - warte ſie mit der erſten Poſt, und bin,

Mein Herr, am 10. des Chriſtmonats 1749. Jhre Dienerinn.

Wie gefalle ich Jhnen, mein Herr? Steigt nicht meine Unverſchaͤmtheit mit iedem Briefe. Nun nahm ich mir vor, den Brief gar zu laͤugnen, den ich ehedem, wider meines Vaters Wiſſen, anden245Satyriſche Briefe. den Profeſſor geſchrieben hatte. Er war fromm, und faſt ein wenig gar zu fromm. Dieſer Schwaͤ - che wollte ich mich bedienen. Konnte es nicht moͤglich ſeyn, daß mein Brief untergeſchoben, und meine Hand von boͤſen Leuten nachgemalet war? Jch wollte den Profeſſor zweifelhaft machen. Haͤt - te ich ihn einmal ſo weit gehabt, daß er angefan - gen zu glauben, es habe ſich die Bosheit neidiſcher Leute mit ins Spiel gemiſcht: ſo hoffte ich gewon - nen zu haben, und ihn ſo weit zu bringen, daß er an mich ſchreiben, oder gar zu mir kommen ſollte. Alsdann haͤtte es mich ein paar kleine Thraͤnen geko - ſtet, die zu ihrer Zeit beredter ſind, als alle goldne Spruͤche der griechiſchen und roͤmiſchen Weiſen. Das war mein Plan. Jm Geiſte war ich ſchon Frau Profeſſorinn. Jch ward es nicht. Mit dem naͤchſten Poſttage kam ein Brief; aber was fuͤr einer? Leſen Sie einmal. Wie widrig iſt mein Schickſal!

Mademoiſelle,

Mein Mann, welcher unbaß iſt, hat mir auf - getragen, Jhnen den richtigen Empfang Jhres Briefs vom zehnten dieſes zu melden. Er laͤßt Jhnen durch mich aufs heiligſte zuſchwoͤren, daß er noch itzt niemals ohne die groͤßte Hochach - tung an Jhren ſeligen Herrn Vater gedenken koͤnne. Aber das iſt ihm alles unbegreiflich, was Sie von einem Misverſtaͤndniſſe, von verlohrenQ 3gegang -246Satyriſche Briefe. gegangnen Briefen, von der Unruhe des Herrn Vaters auf ſeinem Todbette, und ich weiß nicht, von was fuͤr gefaͤhrlichen Cabalen mehr, ſchrei - ben. Er hat das Vergnuͤgen gehabt, Jhren Herrn Vater noch ein Jahr vor ſeinem Ende auf der Meſſe zu ſprechen, und ihn in ſeiner Freund - ſchaft unveraͤndert zu finden. Dieſer Umſtand muß Jhnen, Mademoiſelle, vermuthlich bey der Anlage Jhres Briefs unbekannt geweſen ſeyn. Mein Mann verlangt nicht, dieſes weiter zu un - terſuchen, und er hat mir befohlen, davon abzu - brechen, weil er glaubt, eine naͤhere Entdeckung werde Jhnen eben nicht vortheilhaft ſeyn. So viel laͤßt er ſie verſichern, daß er noch immer be - reit ſey, Jhnen nach Jhrem Tode die Abdan - kung zu halten. Jch weiß nicht, was er damit meynen muß; aber vielleicht iſt es Jhnen ver - ſtaͤndlich. Er vermuthet, daß es nicht noͤthig ſey, Jhnen den Schluß Jhres Briefs zu beant - worten, da ich, als ſeine Frau, noch ſo geſund und munter bin, daß ich die Ehre habe, in ſei - nem Namen an Sie zu ſchreiben. Mir, fuͤr meine Perſon, iſt es ungemein vortheilhaft, daß ich einen Mann habe, der von ſo einem artigen und erfahrnen Frauenzimmer aufgeſucht wird. Jch liebe ihn nun doppelt, ob ich gleich eiferſuͤch - tig genug bin, um zu wuͤnſchen, daß dergleichen verliebte Anfaͤlle nicht zu oft auf ihn gethan wer - den moͤgen. Jch moͤchte ihn verlieren, oder doch nicht allemal die Erlaubniß von ihm bekom -men247Satyriſche Briefe. men, auf die Liebesbriefe zu antworten, die ſo herzbrechend ſind, wie der Jhrige. Fuͤr dieſes mal bin ich mit aller Hochachtung,

Mademoiſelle, Jhre Dienerinn.

N. S. Mein Mann bittet ſich ein paar Zeilen uͤber den richtigen Empfang dieſes Briefs aus, weil er in großen Sorgen ſteht, die Poſt moͤchte noch eben ſo unrichtig gehn, wie im Brachmonate des tauſend ſieben hundert und vierzigſten Jahres.

Alſo war der Profeſſor verheirathet! Konn - te er mich wohl tiefer demuͤthigen, als daß er mir durch ſeine Frau antworten ließ? Keine Vor - wuͤrfe ſind uns Frauenzimmern bittrer, als die uns von Frauenzimmern gemacht werden. Jch empfand dieſe Wahrheit itzt doppelt, und doch mußte ich alles verſchmerzen, ſo ſehr ich auch in der vorigen Hoffnung betrogen, und vom neuen beſchaͤmt war.

Alle dieſe ungluͤcklichen Verſuche ſchreckten mich doch nicht ab, mein Gluͤck mit gewaffneter Fauſt zu verfolgen. Was ich von meinem Vater geerbt hatte, das beſtund in einigen koſtbaren Pro -Q 4ceſſen,248Satyriſche Briefe. ceſſen, und einer ziemlichen Summe auſſenſtehen - der Sporteln, die ich mit der groͤßten Strenge einzutreiben ſuchte, um zu zeigen, daß ich meines Vaters Tochter ſey. Es konnte dieſes ohne Wi - derſpruch nicht geſchehn, und faſt in allen Sachen diente der Advocat wider mich, der mich ſeiner Lie - be ehedem in dem zaͤrtlichſten Canzleyſtil ſo eilfer - tig verſichert hatte. Gemeiniglich iſt es bey an - dern Advocaten der Eigennutz, welcher ſie erhitzt, fuͤr die Sache zu kaͤmpfen, zu welcher ſie gedun - gen ſind; bey dieſem aber kam noch ein Bewe - gungsgrund dazu, die Rache. Er verfuhr un - barmherzig mit mir. Jch ſann auf ein Mittel, ihn zahm zu machen, und, damit er recht zahm wer - den ſollte: ſo ſetzte ich mir vor, ſeine Frau zu wer - den. Jch fiel ihn mit den Waffen des Eigennu - tzes, und der Liebe an, und hielt meinen Sieg fuͤr gewiß. Jch ſchrieb ihm:

Mein Herr,

Jch uͤberſende Jhnen mit dieſem Boten die Un - koſten, deren Bezahlung mir in dem letzten Urthel zuerkannt worden iſt. Sie koͤnnen glau - ben, mein Herr, daß der Verluſt einer ſo an - ſehnlichen Rechtsſache mir nicht ſo empfindlich iſt, als der Eifer, mit welchem Sie Klaͤgern wider mich gedient haben. So gewiß ich auch von der Billigkeit meiner Sache uͤberzeugt war: ſo we -nig249Satyriſche Briefe. nig konnte ich mir doch vom Anfange an ein gu - tes Ende verſprechen, da ich an Jhnen einen Mann wider mich hatte, deſſen Geſchicklichkeit, Erfahrenheit in Rechten, und unermuͤdete Be - gierde, ſeinen Clienten redlich zu dienen, mir und aller Welt bekannt war. Jch habe Sie um deßwillen iederzeit hoch geſchaͤtzt; und dieſe Hoch - achtung hat ſich auch itzt vermehrt, ungeachtet ich mit meinem Schaden erfahren habe, wie gluͤcklich derjenige iſt, deſſen Sache Sie verthei - digen. Waͤre ich mehr eigennuͤtzig, als billig, ſo wuͤrde ich Jhnen einen Eifer nicht vergeben koͤnnen, den Sie wider mich, eine bekannte und aufrichtige Freundinn von Jhnen, wider mich, die Tochter eines Mannes, der auch Jhr alter und rechtſchaffner Freund war, ſo hitzig aͤuſſern. Erinnern Sie Sich derjenigen Zeit gar nicht mehr, da ich das Gluͤck hatte, von Jhnen ge - liebt zu werden? Ein Gluͤck, das mir ſchon da - mals unendlich koſtbar war, ſo wenig es auch Jhre Umſtaͤnde litten, Sich mit mir auf diejeni - ge Art zu verbinden, welche unſre Freundſchaft haͤtte dauerhaft machen und Jhre Liebe belohnen koͤnnen! Mir wenigſtens ſind dieſe vergnuͤgte Zeiten noch immer unvergeſſen, und ob Sie mir ſchon die Gelegenheit benommen haben, Sie auf eine genauere, und vertraute Art zu lieben: ſo iſt doch meine Hochachtung gegen Sie noch im - mer ſo ſtark, daß ich glaube, auch unter ihren Amtseifer gegen mich, den Freund noch zu er -Q 5kennen250Satyriſche Briefe. kennen, deſſen Wohlwollen mir ſo ſchaͤtzbar ge - weſen iſt. Jch nehme um deßwillen meine Zu - flucht zu Jhnen; Sie koͤnnen mir eine Huͤlfe nicht abſchlagen, zu der Sie Jhr Amt verbindet. Sie werden aus den Beylagen diejenigen ge - gruͤndeten und anſehnlichen Anſpruͤche ſehn, wel - che ich in der Verlaſſenſchaft meines Vaters be - kommen habe. Erzeigen Sie mir die Gefaͤllig - keit, und fuͤhren Sie meine Sache aus. Die Caution von dreytauſend fuͤnfhundert Thalern, die mein Vater ſtellen muͤſſen, iſt mir noch nicht zuruͤck gezahlt. Es hat mir nur an einem ſo er - fahrnen und geſchickten Manne gefehlt, als Sie ſind, ſo wuͤrde ich ſie ſchon laͤngſt wieder bekom - men haben. Geben Sie Sich die Muͤhe, meh - rere Umſtaͤnde bey mir muͤndlich zu erfahren: ſo werden Sie ſehn, wie leicht es Jhnen ſey, mir Recht zu verſchaffen. Jch trage alle Koſten willig, und werde Jhnen funfzig Thaler zu Be - ſtreitung des baaren Verlags zuſtellen, ſo bald ich die Ehre habe, Sie bey mir zu ſehn. Durch Jhre Bemuͤhung hoffe ich, ein Vermoͤgen zu be - kommen, welches gar anſehnlich iſt. Jch werde dieſes Gluͤck Jhnen allein zu danken haben, und ich glaube verbunden zu ſeyn, es mit Jhnen zu theilen, wenn Sie Sich entſchlieſſen koͤnnten, mich zu verſichern, daß Jhre Liebe und Freund - ſchaft gegen mich unveraͤndert ſey. Ein Mann, dem ich mein ganzes Gluͤck in ſeine Haͤnde uͤber - gebe, hat ein billiges Recht, auch auf meinHerz251Satyriſche Briefe. Herz Anſpruch zu machen. Jch erwarte Jhre Antwort, und bin mit aller Hochachtung,

Mein Herr, am 13 May 1750. Jhre Dienerinn, F

Dieſe erwartete Antwort kam ſehr geſchwind. Sie lautete alſo:

Mademoiſelle,

Wegen der uͤberſendeten Unkoſten folgt inn - liegende Qvittung. Jhr Communica - tum ſende angeſchloſſen zuruͤck. Jch habe nicht Willens, mich mit Jhren Sachen zu vermengen. Jch mag Jhr Geld nicht, und noch weniger Jhr Herz. Beſinnen Sie Sich noch auf den Con - curs? Leben Sie wohl. Jch muß ins Amt. Es iſt bey nahe zwoͤlf Uhr. Jch bin

Jhr Diener K. L. M.

N. S. Verſchonen Sie mich mit Jhren Briefen, oder ſchreiben Sie nicht ſo weitlaͤuftig. Die Zeit iſt edel; ich habe mehr zu thun. Sie werden dem Boten lohnen. à Dieu.

Nun252Satyriſche Briefe.

Nun war von meinen alten Liebhabern nie - mand mehr uͤbrig, als der ehrendienſtwillige Wuͤrzkraͤmer in R . Sollte ich noch einen An - griff wagen, da ich ſo oft ſchimpflicher Weiſe ab - gewieſen war? Aber war ich nicht ſchon bey aller Schande abgehaͤrtet? Was konnte ich weiter ver - lieren, wenn ich mich auch von meiner Hoͤhe bis in den Kramladen meines ehemaligen Freyers her - abließ? So weit hatte ich mich ſchon gefaßt, daß ich den Reifenrock vor der Thuͤre ausziehen wollte, damit ich Platz darinnen haͤtte. Was fuͤr Ueber - windung koſtet es einem Frauenzimmer, ehe ſie ſich, dieſes zu thun, entſchließt! Aber wie ſollte ich es anfangen? Sollte ich von meines Liebhabers Ver - ſtande, von ſeinen großen Verdienſten, von mei - ner Liebe zu ihm, ſollte ich von Pflicht und Ge - wiſſen reden? Was meynen Sie, mein Herr? Das ſind wohl ordentlicher Weiſe die Sachen nicht, die einen Kaufmann weichherzig machen. Vom Gel - de konnte ich nicht viel ſagen: das waͤre ſonſt wohl der buͤndigſte Schluß geweſen. Jch wagte eine ganz neue Art zaͤrtlich zu ſeyn. Jch ſetzte ihm den Degen an die Bruſt, und bat ihn ganz demuͤthig um ſein Herz. Hier haben Sie meinen Fehdebrief.

Mein Herr,

Gewiß, Sie misbrauchen meine Geduld. Da ich mir ſeit fuͤnf Jahren Muͤhe gegeben, Sie zu ihrer Schuldigkeit zuruͤck zu bringen, daalle253Satyriſche Briefe. alle dieſe Muͤhe, alle meine freundſchaftlichen Brie - fe vergebens geweſen: ſo ſehe ich mich genoͤthi - get, ein Wort im Ernſte mit Jhnen zu reden. Erinnern Sie Sich wohl Jhres Briefs vom 7 May 1745, in welchem Sie mich baten, ich moͤchte mich entſchließen, die Jhrige zu werden? So ſchwer es meinem Vater, und meinen Freun - den ankam, ihre Einwilligung zu geben: ſo ge - neigt war doch ich dazu. Jch meldete Jhnen die Zweifel meiner Verwandten, zugleich gab ich Jhnen deutlich genug zu verſtehen, wie an - genehm mir ein Antrag ſey, der von einem Man - ne herkam, an deſſen Redlichkeit und billigen Abſichten zu zweifeln, ich nicht Urſache hatte. Jch uͤberwand endlich die Zweifel meines Vaters und meiner uͤbrigen Freunde. Sie gaben ihre Einwilligung dazu, die ich Jhnen ohne Verzug meldete, und Jhr Anerbieten aufs feyerlichſte annahm. Haͤtten Sie diejenigen Pflichten, die ein ehrlicher Mann fuͤr unverbruͤchlich haͤlt, nicht genoͤthiget, mir zu antworten: ſo haͤtten es we - nigſtens die Pflichten des Wohlſtands thun ſol - len. Beide waren bey Jhnen nicht ſtark genug, eine Antwort zu erpreſſen. Jch ſchrieb in eini - gen Wochen darauf noch einmal an Sie. Jch wiederholte dieſes zum drittenmal da ſich eine Gelegenheit fuͤr mich fand, die ich, ſo vortheil - haft ſie auch war, doch ausſchlug, um Jhren Wunſch zu erfuͤllen, und mich mit Jhnen zu ver - binden. Noch erhielt ich keine Zeile Antwort. Jch254Satyriſche Briefe. Jch uͤberwand mich noch einmal, den letzten Ent - ſchluß von Jhnen zu erfahren, aber auch dasmal umſonſt. Jch kann Jhnen durch eine Beſcheini - gung aus dem Poſtamte beweiſen, daß alle dieſe Briefe richtig abgegangen ſind. Wie bin ich im Stande, Jhnen das Misvergnuͤgen deutlich ge - nug zu beſchreiben, das ich empfand, da ich er - fahren mußte, daß Sie der billige und aufrichti - ge Mann nicht waͤren, fuͤr den ich Sie gehalten hatte! Jch wagte noch den letzten Verſuch, und ſchickte am verwichnen Markte eine Freundinn an Sie, welche muͤndlich dasjenige wiederholen ſollte, was ich Jhnen ſo oft ſchriftlich, und ver - gebens, verſichert hatte. Aber auch dieſe Freun - dinn ließen Sie nicht vor Sich, und ſie kam unverrichteter Sache zuruͤck. Wahrhaftig, mein Herr, das hieß meine Geduld aufs hoͤchſte trei - ben. Jch verlange von Jhnen, mein Herr, eine anſtaͤndige Genugthuung. Melden Sie mir, weſ - ſen ich mich zu Jhnen zu verſehn habe. Jſt Jhr gegebnes Wort, meine Freundſchaft, meine Liebe zu Jhnen, iſt Ehre und Gewiſſen nicht vermoͤ - gend, Jhnen Jhre Pflicht und Schuldigkeit begreif - lich zu machen: ſo muß es der Richter thun. Es geſchieht ſehr ungern, mein Herr, daß ich dieſen Entſchluß faſſe; aber meine Ehre verlangt ihn. Jch habe Jhre Verbindung in meinen Haͤnden. Die weltliche Obrigkeit ſoll mir Recht ſchaffen, da Jhr Herz zu meyneidig iſt, es zu thun. Ver - langen Sie eine Frau, mein Herr, die Siered -255Satyriſche Briefe. redlich, die Sie zaͤrtlich liebt, die blos durch Jh - re aufrichtige Gegenliebe gluͤcklich zu werden ver - langt, die ihr ganzes Wohl von Jhren Haͤnden erwartet, die Geld und Vermoͤgen genug hat, Jhre Anfmerkſamkeit zu verdienen, verlangen Sie dieſelbe: ſo ſollen Sie wiſſen, daß ich eine Freundinn bin, die alle Beleidigungen vergißt, die auf den erſten Wink Jhnen folgen und Sie ewig lieben will. Sind Sie noch hart, und unempfindlich, ſo ſollen Sie erfahren, daß ich mein Recht ſuchen werde. Jch habe es ſchon einem Advocaten aufgetragen, welcher durch den weltlichen Arm Sie zwingen ſoll, redlich zu ſeyn. Er ſoll nicht ruhen, bis er Sie billig, oder ganz ungluͤcklich gemacht hat. Wollen Sie nicht mit mir gluͤcklich ſeyn, ſo ſollen Sie es auch nicht ohne mich bleiben. Meine Rache ſoll keine Grenzen haben. Die ganze Welt ſoll erfahren, wie ſtrafbar es ſey, ein Maͤdchen zu betruͤgen, deſſen Stand, deſſen Erziehung, deſſen redliches Herz mehr Achtung verdient, als Sie, Undank - barer, gegen mich bezeigt haben. Jch laſſe Jh - nen die Wahl, mein Herr, wollen Sie mit mir gluͤcklich leben, oder wollen Sie ohne mich an den Bettelſtab gebracht ſeyn? Bis an den Bet - telſtab! Eher ruhe ich nicht. Wie vergnuͤgt waͤre ich, wenn es mir erlaubt waͤre, einen Mann zu lieben, welcher die Kunſt verſtanden hat, mein Herz zu gewinnen, meine ganze Hoch - achtung zu erlangen; einen Mann, den zu lie -ben,256Satyriſche Briefe. ben, ich mein Gluͤck, und meine Hoffnung auf - geopfert habe. Fuͤrchten Sie Sich vor der Ver - zweiflung eines beleidigten Frauenzimmers. Noch itzt redet meine Liebe fuͤr Sie; bald aber wird ſie muͤde ſeyn, es zu thun. Wenn ich be - trogen werden ſoll, ſo ruhe ich nicht, bis ſie ganz ungluͤcklich ſind. Hier haben Sie Liebe und Ra - che. Waͤhlen Sie Sich! Jch gebe Jhnen vier Wochen Zeit, laͤnger nicht. Bedenken Sie Jhr eignes Wohl. Jch bin,

Mein Herr, am 27. des Chriſtmonats 1750. Jhre Dienerinn, F

Haͤtte ich wohl vor fuͤnf Jahren glauben koͤn - nen, daß ich in ſo traurige Umſtaͤnde kommen wuͤrde, einen Mann mir mit Feuer und Schwerdt zu ertrotzen, und die Obrigkeit um Huͤlfe anzu - flehn, daß ſie einen Wuͤrzkraͤmer in R zwin - gen moͤchte, mich zur Frau zu nehmen? Es war mein Ernſt zwar nicht, die Sache ſo weit zu treiben, und ich wuͤrde vielleicht wenig ausgerichtet haben; aber es war ſchon ſchlimm genug, daß ich mich ſo grimmig anſtellen mußte, einen Mann zu ſchre - cken, den ich ſonſt ſo veraͤchtlich von mir gewie - ſen hatte. Jch hoffte, er wuͤrde aus Furcht vor einem Proceſſe mit Sacke und Packe angezogenkom -257Satyriſche Briefe. kommen, mich zu erloͤſen. Allein er kam nicht, und ich erhielt an ſeiner Stelle folgenden demuͤthi - genden Brief:

Was? ich ſollte wider meinen Willen eine Frau nehmen? Schwaͤrmt Sie, Mamſell, oder hat Sie den Teufel im Leibe? Manntolle muß Sie zum wenigſten ſeyn, ſonſt haͤtte Sie einen ſo raſenden Brief nicht geſchrieben. Das will ich doch ſehn, wer mich zwingen ſoll, ein Menſch zu heirathen, das mich vor fuͤnf Jahren auf eine ſo ſproͤde Art von ſich gewieſen hat! Jch weiß den Henker von Jhren Briefen, und von Jhrer Freundinn, die Sie an mich geſchickt hat. Das ſind alles Luͤgen, kurz, derbe Luͤgen, verſteht Sie mich? Mit Jhrem Advocaten! dar - uͤber lache ich. Wir haben in unſerm Staͤdtchen auch Advocaten, ſo ſchlimm als der Jhrige kaum ſeyn kann. Sie mag nur kommen, wenn Sie Luſt hat. Jhn will ich zur Treppe herunter ſchmeiſſen, und Sie durchs Fenſter, wenn Sie mitkoͤmmt; verſteht Sie mich? Die Obrigkeit muß mir Recht ſchaffen, ſo gut wie Jhr. Mit dem weltlichen Arme koͤmmt Sie mir gleich recht. Verklage Sie mich. Gut! wir wollen ſehn, wer das meiſte Geld daran zu ſetzen hat, ich oder Sie? So einen verlaufnen Nickel will ich wohl noch aushalten. Jch denke, Sie ſoll das Geld zu Brode brauchen, daß der Advocat nicht viel davon ſchmecken wird. Und wenn Sie mich bisRuntern258Satyriſche Briefe. untern Galgen braͤchte, ſo mag ich Sie nicht. Jch wuͤrde mich doch ſelbſt hengen muͤſſen, wenn ich Sie als Frau am Halſe haͤtte. Das waͤre doch was ſchreckliches, wenn ein ehrlicher Mann in ſei - nem eignen Hauſe vor einer Frau nicht ſicher ſeyn koͤnnte, und das erſte das beſte Menſche heirathen muͤßte, das ſich in Kopf ſetzte, mit Ehren unter die Haube zu kommen! Jns Spinnhaus ge - hoͤrt ſo eine Drolle, wie Sie iſt. Geh Sie zum Teufel, und laſſe Sie ehrliche Leute unge - ſchoren! Jch denke, Sie ſoll mich verſtehn. Lebe Sie wohl, wenn Sie kann. Jch bin Jhr Narr nicht.

R. am 5. Januar 1751.

Haben Sie wohl in Jhrem Leben gehoͤrt, daß ein Liebesbrief mit einem ſo groben Proteſte zuruͤck geſchickt worden iſt? Jch ſah nun wohl, mit wem ich mir hatte zu ſchaffen gemacht, und daß dieſer der Mann nicht waͤre, welcher ſich durch Advocaten und Richter ſchrecken, oder durch Dro - hungen betaͤuben ließ, zaͤrtlich zu werden. Die Luſt vergieng mir, mein gutes Geld aufs Spiel zu ſetzen, und mich einem Manne aufzudringen, der Herz genug zu haben ſchien, ſeine liebſte Haͤlf - te zum Fenſter herunter zu werfen. Jch ließ mei -nen259Satyriſche Briefe. nen Vorſatz fahren, und nun bin ich ohne Rath und Troſt. Was ſoll ich armes Maͤdchen an - fangen!

Wiſſen Sie was, Herr Autor, erbarmen Sie Sich meiner! Nehmen Sie mich zu Jhrer Frau! Sie ſind noch unverheirathet; Sie ſind faſt in meinen Jahren, oder doch nicht viel aͤlter; Sie haben ein Amt, das mich und Sie ernaͤhren kann. Eine alte Jungfer iſt ja wohl einen alten Junggeſellen werth. Jch daͤchte, Sie naͤhmen mich immer. Was meynen Sie? Machen Sie mir den Vorwurf nicht, daß ich in meinen jungen Jahren ſproͤde geweſen bin, daß ich bey zuneh - menden Jahren mich allen meinen Bekannten an - geboten habe, und daß mich die Verzweiflung zu Mitteln getrieben hat, die eben nicht die gewiſſen - hafteſten zu ſeyn ſcheinen. Es waͤre unbillig, wenn meine Offenherzigkeit mir bey Jhnen ſchaden ſollte. Sie kennen mich nun von auſſen und von innen. Wer weiß, ob Sie kuͤnftig mit Jhrer Frau nicht noch mehr betrogen werden, als mit mir? Wir wollen einander unſre Fehler nicht vorwerfen. Vielleicht haben Sie auch Fehler. Viele Maͤd - chen werden um deßwillen zu alten Jungfern, weil ſie, wie ich, in ihrer Jugend zu ſproͤde geweſen ſind, und an allen Liebhabern etwas zu tadeln ge - funden. Aber wo kommen denn die alten Jung - geſellen her? Jn jungen Jahren lieben ſie zu flat - terhaft. Sie glauben, alle Maͤdchen waͤren nur fuͤr ſie geſchaffen, und es brauche keine Muͤhe wei -R 2ter,260Satyriſche Briefe. ter, als daß ſie die Hand zum Fenſter heraus ſtreckten: ſo wuͤrden gleich zehn Maͤdchen kom - men, und ſich daran halten. Jſt dieſe Eitelkeit nicht eben ſo laͤcherlich, als die unſrige? Mit zu - nehmenden Jahren merken ſie, daß man ſich nicht um ſie zankt, und daß die große Vorſtellung von der Wichtigkeit ihrer Perſon groͤßtentheils eine eit - le Einbildung geweſen iſt. Nun fangen die Her - ren aus Verzweiflung an, Boͤſes vom Frauenzim - mer, von Jungfern und von Weibern zu reden; und ſind ſie gar Schriftſteller, wie Sie, hochzu - ehrender Herr Autor: ſo ſchreiben ſie Boͤſes, und ſpotten uͤber unſer Geſchlechte. Das nennen ſie Satyren, die nur aus Liebe zur Wahrheit, und ihren armen Nebenchriſten zu beſſern, gedruckt werden. Aber, unter uns geſprochen, geſchieht es nicht aus Begierde, ſich wegen der Verachtung zu raͤchen, die das Frauenzimmer gegen ihre gro - ßen Verdienſte hat blicken laſſen? Jch denke, Sie ſollen mich verſtehn, ſagte mein Wuͤrzkraͤmer. Endlich ruͤcken bey den Mannsperſonen die trauri - gen Jahre der Verzweiflung und des Eigennutzes heran. Wie alt waren Sie, mein Herr? Jch glaube, ich hatte es oben ausgerechnet, daß Sie faſt ſo alt ſind, als ich. Wie geſagt, die Jahre des Eigennutzes. Man ſieht ſich nach einer rei - chen Frau um. Sie mag ausſehn, wie ſie wolle, ſie mag alt oder jung, in gutem oder boͤſem Rufe ſeyn, wenn ſie nur Geld hat. Bisweilen ſind die Herren ſo gluͤcklich, den Schatz mit dem Drachenzu261Satyriſche Briefe. zu heben, der darauf liegt; und nun koͤmmt gewiß die Reihe an ſie, gedemuͤthigt zu werden. Alle Spoͤttereyen uͤber das weibliche Geſchlecht werden ſodann denen Herren reichlich vergolten, die in ih - rer Jugend zu muthwillig, zu unbeſtaͤndig geliebt, und nur eigennuͤtzig gewaͤhlt haben. Eine Frau, die ſich und ihren Reichthum fuͤhlt, die uͤberzeugt iſt, daß ſie bey der Wahl ihrem Gelde alles zu danken hat; eine ſolche Frau waͤre thoͤricht, wenn ſie ihren Mann mehr lieben wollte, als ihr Geld. Jn der That geſchieht es auch ſehr ſelten. Es kommen zuweilen noch andre Umſtaͤnde dazu, die euch, ſtolze Herren, zahm machen. Es giebt Ga - lanterien, die im Eheſtande nicht leicht unvergolten bleiben, wenn die Frau nur einigermaßen ertraͤglich ausſieht, oder wenigſtens einen guten Kerl ehrlich bezahlen kann. Jch bin keine Freundinn von per - ſoͤnlichen Satyren, dieſe Tugend habe ich Jhrer Vorrede zu danken; und wenn Jhnen dieſe Pre - digt zu bitter vorkoͤmmt, ſo bin ich nur aus all - gemeiner Menſchenliebe bitter, wie Sie, mein Herr. Jch ſage auch nicht, daß es ſchlechterdings ſo kommen muͤſſe. Am wenigſten iſt das meine Meynung, daß ich Jhnen, Hochgeehrteſter Herr Autor, die Nativitaͤt ſtellen wollte. Davor be - wahre mich der Himmel! Das iſt gar nicht meine Abſicht. Jch ſage nur ſo verſtehn Sie mich, wie ſoll ich mich recht ausdruͤcken? ſo ungefaͤhr, daß es doch wohl bey Jhnen auch einmal moͤglich ſeyn koͤnnte. Und wenn es nunR 3ſo262Satyriſche Briefe. ſo moͤglich ſeyn koͤnnte, ſo ſehe ich nicht, warum Sie nicht eben ſo lieb mich, als eine andre, heira - then wollten, mit der Sie eben ſo gut betrogen wer - den koͤnnten. Wir ſchicken uns gar vortrefflich zuſammen. Jch moͤchte gar zu gern einen Mann haben; und Sie, mein Herr, verſtellen Sie Sich nur nicht, man ſieht es Jhnen an den Augen an, Sie moͤchten auch gern eine Frau. Vielleicht wollen Sie nur ein recht reiches Maͤdchen. Es kann ſeyn. Aber wiſſen Sie denn, ob ein recht reiches Maͤdchen auch Sie haben will? Geſetzt aber, Sie bekaͤmen eine, nach Jhrem geizigen Wunſche, (denn ein wenig geizig ſind Sie, das koͤnnen Sie nicht laͤugnen,) ſind Sie deßwegen gluͤcklich? Wohl ſchwerlich, oder es muͤßte alles nicht wahr ſeyn, was ich oben geſagt habe. Jch bin ja auch nicht ganz ohne Mittel. Machen Sie nur meine Caution frey. Vielleicht haben Sie eher Gelegenheit, es dahin zu bringen, als ein an - drer. Und wenn ich gar nichts mitbraͤchte, ſo bringe ich Jhnen doch neun Expensbuͤcher von mei - nem ſeligen Vater mit, worinnen noch ein großer Schatz von unbezahlten Sporteln ſteckt. Spor - teln ſind wohl das nicht, wovor Jhr zartes Ge - wiſſen erſchrickt, oder ich muͤßte Sie, und Jhre Collegen, gar nicht kennen. Sie koͤnnen ja meine Sporteln mit den Jhrigen eintreiben laſſen, und wenn auch alle Bauern zu Grunde gehen ſollten. Es thut ein jeder, was ſeines Amts iſt. Der Um - ſtand wegen meines Vermoͤgens waͤre alſo aufs reinegebracht.263Satyriſche Briefe. gebracht. Wegen meiner Liebe laſſen Sie Sich noch weniger leid ſeyn. Wenn man in Jhren Jahren heirathet, ſo iſt dieſes gemeiniglich der letz - te Punkt, wonach man fragt. Aber ich glaube auch, daß ich das Herz habe, Sie zu lieben. Wie weit wird man nicht durch Noth und Kummer ge - bracht! Ein Frauenzimmer, das ſich ſchon ſo viel in der Welt hat muͤſſen gefallen laſſen, als ich, wird nicht viel Ueberwindung mehr brauchen, einem Manne nachzugeben, der eigenſinnig, oder, wie man es gemeiniglich nennt, accurat und hypochon - driſch iſt. Ein Fehler, den man Jhnen auch ſchuld giebt, wertheſter Herr Autor! Geſtehn Sie es nur aufrichtig, Sie ſind auch eiferſuͤchtig. Die Herren ſind es am meiſten, die es an andern Maͤn - nern am wenigſten leiden koͤnnen. O, mein aller - liebſter Herr Autor! wie vergnuͤgt wird unſre Ehe ſeyn! Jch bin wirklich durch die Jahre, durch Noth und Krankheit von meiner ehmaligen Schoͤn - heit ſo weit herunter gekommen, daß Sie meinet - wegen nicht einen Augenblick in Sorgen ſeyn duͤr - fen; und da ich, wie Sie wiſſen, eben kein Geld habe: ſo fehlen mir die Mittel, das durch Wohl - thun zu erſetzen, und mir zu verſchaffen, was ich durch meinen todten Reiz nicht erlangen kann. Mit einem Worte, unſre Ehe iſt, als wenn ſie im Himmel geſchloſſen waͤre. Jch erwarte Jhre Er - klaͤrung mit Schmerzen. Jch werde alle meine bisherige Noth vergeſſen; fuͤr die gluͤcklichſte Per - ſon in der Welt werde ich mich halten, wenn ichR 4die264Satyriſche Briefe. die Jhrige ſeyn kann. Jn dieſer Hoffnung bin ich mit der zaͤrtlichſten Hochachtung, die ſich den - ken laͤßt.

Hochzuehrender Herr Autor, am 26. Heumonat 1751. Jhre aufrichtigſte und ergebenſte Dienerinn, F

Antwort des Autors an die Mademoiſelle F

Mademoiſelle,

Die Ehre iſt ganz unerwartet, welche Sie mir zugedacht haben. Es kann in der That nichts ſchmeichelhafter fuͤr mich ſeyn, als daß ein ſo verſuchtes Frauenzimmer, welches alle Schulen durchgeliebt hat, und mit ihrem zaͤrtlichen Herzen zwanzig Jahre hauſſiren gegangen iſt, ſich endlich auf mich beſinnt, und ihren verliebten Brandbrief bey mir einwirft. Bey allen meinen Fehlern, die Sie mit ſo vieler Einſicht an mir wahrgenommen haben, bin ich doch nicht undankbar. Kann ichJhre265Satyriſche Briefe. Jhre Liebe nicht ſo fort auf die Art erwiedern, wie Sie es verlangen: ſo will ich doch auf eine andre Art gewiß erkenntlich ſeyn. Und vielleicht ent - ſchlieſſe ich mich dennoch, der Jhrige zu werden. Wenn ich ja einmal mit einer Frau betrogen wer - den muß, wie Sie gar gruͤndlich angemerkt haben: ſo iſt es in der That am beſten, daß es durch Jhre guͤtige Beſorgung geſchieht. Ein Ungluͤck, das man voraus weiß, iſt nur halb ſo empfindlich, als ein unerwartetes Ungluͤck. Noch zur Zeit bin ich freylich nicht aufs aͤuſſerſte gebracht; aber viel - leicht bin ich dem traurigen Augenblicke nahe, wo ich mich aus Verzweiflung entſchlieſſe, Jhre Hand anzunehmen. Laſſen Sie mir Zeit, Mademoi - ſelle, mich recht zu beſinnen. Jch will es mit dem Publico uͤberlegen. Die Sache iſt fuͤr mich von Folgen, und wichtig genug.

Sollten Umſtaͤnde kommen, welche mir an - riethen, Jhre Liebe zu verbitten: ſo habe ich mich doch auf ein andres Mittel beſonnen, Sie aus Jhrer Jungfernoth zu reiſſen, und Jhnen ein Gluͤck zu ſchaffen, das Jhnen fehlt. Was mey - nen Sie, Mademoiſelle? Jch will ſie ausſpielen! Ja, ja, im ganzen Ernſte, ausſpielen will ich Sie, und zwar auf die vortheilhafteſte Art von der Welt. Haben Sie nur Geduld, meinen Plan anzuhoͤren.

Ein jeder buͤrgerlichen Standes, der ſeit zehn Jahren in hieſigen Landen muthwillig bankrut gemacht hat, und ein jeder, der binnen den naͤch - ſten zehn Jahren auf dieſe legale Art andre um ihrR 5Ver -266Satyriſche Briefe. Vermoͤgen bringen will, ſoll gezwungen ſeyn, um Sie zu wuͤrfeln. Der Einſatz iſt der zehnte Theil von demjenigen, was er von ſeinem Glaͤubiger gewonnen hat, oder zu gewinnen ge - denkt. Die Einlage geſchieht binnen dato, und dem letzten des Wintermonats kuͤnftigen Jahrs. Mit dem erſten des Chriſtmonats werden die Buͤ - cher geſchloſſen, und den letzten deſſelben, als am Tage Sylveſter, wird auf oͤffentlichem Markte, im Beyſeyn eines alten Notarien, und ſieben alter Zeugen, allerſeits Junggeſellen, gewuͤrfelt. Jch habe einen freyen Wurf. Mich deucht es iſt bil - lig. Wer die meiſten Augen wirft, hat die Ehre, Jhr Braͤutigam zu ſeyn. Hat er ſchon eine Frau, ſo behalten Sie die erſte Hypothek auf ſein Herz; und er iſt ſchuldig, Jhnen die geſammte Einlage, als die Sie zur Mitgabe bekommen, mit ſechs pro Cent ſo lange zu verintereſſiren, bis entweder ſei - ne Frau ſtirbt, oder er Gelegenheit gefunden hat, Sie vom neuen auszuſpielen. Jn dieſem Falle bleibt Jhnen die erſte Einlage; die neue, die nur halb ſo ſtark ſeyn ſoll, als die erſte, wird zum Ca - pital geſchlagen, und derjenige, der Sie ausſpielt, bekoͤmmt drey Quart Proviſion, behaͤlt aber kei - nen freyen Wurf. So geht es immer fort, bis Sie an einen Mann kommen, der keine Frau hat, und dieſer iſt ſchuldig, Sie zu heirathen.

Erlauben Sie, Mademoiſelle, daß ich Jh - nen die Billigkeit meines Plans ein wenig deutli - cher zeige.

Viel -267Satyriſche Briefe.

Vielleicht ſind Sie unzufrieden, daß ich die Jntereſſenten nur auf den buͤrgerlichen Stand ein - ſchraͤnke? Dieſes kann gar wohl moͤglich ſeyn, wenn Sie Jhre alte Neigung zum Adel noch nicht verlohren haben ſollten. Aber laſſen Sie Sich es immer gefallen. Es iſt billig. Wollte ich die von Adel mit dazu ziehn, ſo wuͤrde der Zulauf zu groß ſeyn. Viele von guten Haͤuſern wuͤrden ſich an ihrer Ehre Schaden thun; denn es iſt ein groͤß - rer Vorwurf, ein Buͤrgermaͤdchen zu heirathen, als einen muthwilligen Bankrut zu machen. Jch kenne ein Fraͤulein, das mit Jhnen einerley Cha - rakter, und einerley Schickſal hat. Fuͤr dieſe he - be ich die von Adel auf, und wenn es mit Jhrem Projecte gut ablaͤuft, wie ich hoffe: ſo will ich dieſes Fraͤulein kuͤnftge Oſtermeſſe uͤber ein Jahr auf eben dieſe Art in Auerbachshofe, unter der Garantie des Herrn von ausſpielen. Das bin ich allenfalls zufrieden. Sollten Sie naͤmlich einem verheiratheten Manne zufallen, und es will Sie einer von Adel, gegen einen billigen Rabatt, an ſich kaufen: ſo ſoll es ihm frey ſtehn; nur ſoll er nicht gezwungen ſeyn. Beruhigen Sie Sich! Es wird gewiß nicht an Liebhabern fehlen, die es fuͤr vortraͤglicher halten, durch buͤrgerliches Geld ſich vor der Unbeſcheidenheit ihrer Glaͤubi - ger, und vor dem Hunger zu ſchuͤtzen, als unter dem ſtolzen Glanze der ſechzehn Ahnen kuͤmmerlich zu darben. Das waͤre alſo eins!

Fuͤrs268Satyriſche Briefe.

Fuͤrs zweyte: Daß ich nur von denen rede, die muthwillig bankrut machen, das iſt billig. Es giebt Faͤlle, die den redlichſten Mann ungluͤcklich machen koͤnnen. Sollte dieſer noch ungluͤcklicher werden, und gezwungen ſeyn, Sie, Mademoiſelle, zu heirathen? Das waͤre grauſam! gewiß gar zu grauſam! Ein ehrlicher Mann, der bankrut macht, gewinnt nichts dabey. Wovon ſoll er alſo die Einlage thun? Ueberhaupt verlieren Sie wenig dadurch. Die Exempel ſind auch ſo gar haͤu - fig nicht.

Warum ich, drittens, zehn Jahre geſetzt habe, das hat dieſe Urſache. Wer einmal einen vernuͤnftigen Bankrut mit Vortheil gemacht hat, dem wird dieſe Nahrung gewiß ſo gut gefallen, daß er ihn wenigſtens alle zehn Jahre wiederholt. Kann er es binnen zehn Jahren nicht ſo weit brin - gen: ſo iſt er entweder zu ungeſchickt, oder er hat weder Geld noch Credit mehr, oder er iſt ſo aber - glaͤubiſch geweſen, wieder ehrlich zu werden. Bey allen dieſen Leuten iſt nichts zu verdienen. Es iſt,

Viertens, ein vortrefflicher Einfall von mir, daß ich diejenigen mit dazu ziehe, die ſich Muͤhe geben, in den naͤchſten zehn Jahren muth - willig bankrut zu werden. Ueberlegen Sie es einmal ſelbſt. Alle Jahre ſteigt die Anzahl dieſer Gluͤcklichen. Wenn Sie, Mademoiſelle, die Progreſſionsrechnung verſtuͤnden: ſo wollte ich Jhnen darthun, daß binnen zehn Jahren faſt zwey Drittheile unſrer vorſichtigen Mitbuͤrger dasVer -269Satyriſche Briefe. Vergnuͤgen haben wuͤrden, das uͤbrige Drittheil um das Seinige zu bringen. Sehn Sie einmal unſre Kaufleute, aber die Kaufleute nicht allein, ſehn Sie auch andre Staͤnde an! Wie bearbeiten ſich die meiſten von ihnen, ihren ehrlichen Namen mit ſechzig bis ſiebenzig pro Cent Gewinnſt zu ver - lieren! Geben Sie auf unſre handelnde Jugend, auf die Soͤhne derjenigen alten Kaufleute Achtung, welche altvaͤtriſch genug waren, ehrlich zu ſterben. Bey den itzigen ſchweren nahrloſen Zeiten, bey den hohen Abgaben, uͤber die man ſich beklagt, bey dem klaͤglichen Verfalle der Handlung, wiſſen die - ſe jungen Herren die vornehme Kunſt, mit der be - ſten Art von der Welt, in einem Jahre unnoͤthi - ger Weiſe mehr zu verſchwenden, als ihre wirth - ſchaftlichen Vaͤter bey den gluͤckſeligſten Zeiten in fuͤnf Jahren zur bequemen Unterhaltung fuͤr ſich, und die Jhrigen, brauchten. Sollten dieſe Herren, dieſe Hoffnung des Vaterlandes, nicht im Stan - de ſeyn, in zehn Jahren alles dasjenige zu ver - thun, was ihre Vaͤter in funfzig Jahren geſamm - let haben? Rechnen Sie einmal ſelber nach, wie gluͤcklich Sie ſeyn werden, wenn alle dieſe Herren, groͤßtentheils recht artige Herren, um Sie wuͤr - feln, und Jhnen den zehnten Theil ihrer Beute ge - ben muͤſſen. Aber dieſer Entwurf iſt von mir nicht Jhrentwegen allein, Mademoiſelle, nein er iſt ſelbſt dieſer bankruten Nachwelt zum Beſten ge - macht worden. Gemeiniglich fehlt es dieſen Leu - ten an Ungluͤcksfaͤllen, welche ſie angeben ſollen. Jch270Satyriſche Briefe. Jch glaube, derjenige, der Sie erwuͤrfelt, braucht weiter keinen Ungluͤcksfall, als dieſen, daß er die Ehre hat, Jhr Mann zu ſeyn. Er hat ein Recht, ſeinen Glaͤubigern mit der ehrlichſten Mi - ne von der Welt zwanzig pro Cent weniger, als ſonſt, zu bieten. Ein doppelter Vortheil fuͤr ihn! Zwanzig pro Cent mehr zu gewinnen, und doch noch ehrlich auszuſehn! Daß ich,

fuͤnftens, nur von denen rede, die auf ei - ne legale Art andre um das Jhrige bringen, das geſchieht, um die muthwilligen Bankrutirer von denjenigen zu unterſcheiden, welche die Reiſen - den auf der Straße pluͤndern, oder die Uhren aus der Taſche ziehen. Es war noͤthig dieſen Unter - ſchied zu beſtimmen, der auſſerdem ſehr ſchwer in die Augen faͤllt. Raͤuber und Diebe gehoͤren an den Galgen; jene aber, wenn ſie es recht zu ma - chen wiſſen, in allen Geſellſchaften oben an. Sie ſehn wohl, Mademoiſelle, wie viel Ehre Sie in Jhrem kuͤnftigen Eheſtande zu erwarten haben.

Sechſtens: Vielleicht ſcheint es uͤberfluͤßig, zu ſagen, daß die vergangnen und kuͤnftigen Bank - rutirer gezwungen werden ſollen, um Sie zu wuͤrfeln, da ich mir Muͤhe gegeben habe, zu er - weiſen, wie vortheilhaft es fuͤr dieſelben ſeyn koͤn - ne. Sie muͤſſen wiſſen, Mademoiſelle, daß die - jenigen das Aeuſſerliche der Ehrlichkeit am ſorg - faͤltigſten zu erhalten ſuchen, welche ſich die meiſteMuͤhe271Satyriſche Briefe. Muͤhe geben, nicht mehr ehrlich zu ſeyn. Jch will es lieber wagen, den ehrlichſten Mann einen Schelm zu heißen, er wird es nicht ſo hoch em - pfinden, als ein muthwilliger Bankrutirer. Um deßwillen wird es noͤthig ſeyn, Zwang zu brau - chen. Die Richterſtuben muͤſſen angewieſen wer - den, ein zuverlaͤſſiges Verzeichniß dererjenigen ein - zuſenden, die ſeit zehn Jahren muthwilligen Bankrut gemacht haben, wobey ich voraus ſetze, daß der Richter weder Vetter noch Schwager von dem Bankrutirer iſt, und waͤhrend des Concurſes kein Geſchenke von ihm bekommen hat. Die kuͤnftigen Bankrutirer aber kann man dadurch zwingen, daß, wofern ſie ſich itzt nicht zur Einla - ge bequemen, ſie aller heilſamen Beneficien der Bankrutirer auf ewig verluſtig und gewaͤrtig ſeyn ſollen, nach der Gerechtigkeit der Geſetze geſtraft zu werden. Sie haben gar nicht Urſache, dieſen Zwang fuͤr eine Grauſamkeit zu halten, da ſie es ſo billig befinden, durch vielerley Mittel ihre Glaͤu - biger zu zwingen, daß ſie ihre Einwilligung dazu geben muͤſſen, ſich von ihnen bevortheilen zu laſſen. Jch glaube endlich,

ſiebentens, nicht, daß Sie, Mademoiſelle, dabey eine Schwierigkeit finden werden, wenn ich Sie auf dieſe Art der ganzen bankruten Welt Preis gebe, und Sie dem Gluͤcke der Wuͤrfel uͤberlaſſen will. Wenn ich Sie anders aus Jh - ren Briefen recht habe kennen lernen: ſo muß esJhnen272Satyriſche Briefe. Jhnen gleichguͤltig ſeyn, was Sie fuͤr einen Mann kriegen, wenn es nur ein Mann iſt. Aber ich thue noch mehr: ich verſchaffe Jhnen zugleich ſo viel Vermoͤgen, daß Sie ein gegruͤndetes Recht bekommen, Jhrem kuͤnftigen Manne es nachdruͤck - lich fuͤhlen zu laſſen, was das ſagen wolle, eine reiche Frau zu heirathen.

Machen Sie einmal einen Ueberſchlag von Jhrem kuͤnftigen Reichthume. Wir wollen ſe - tzen: Jn die erſte Claſſe kommen die, ſo ſeit zehn Jahren muthwillig bankrut gemacht haben. Auf iedes Jahr rechne ich vier, ſolche Bankrute. Je - den Bankrut zu 25000 Reichsthalern. Sie ſehn, wie billig ich bin, da es bekannt genug iſt, daß vier Bankrute nicht zureichen, und daß 25000 Thaler fuͤr einen Bankrutirer gar nichts heißen. Die kleinen Schurken, welche ſich die Muͤhe neh - men, ihren ehrlichen Namen nur fuͤr ein paar tau - ſend Thaler hin zu geben, verdienen nicht einmal in Anſatz gebracht zu werden. Wir wollen ſie unter die uͤbrigen mit einrechnen, welche das Handwerk beſſer verſtehn, und die, wenn ſie ih - ren guten Namen dran wagen, es doch nicht un - ter 25000 Thalern thun. Solchergeſtalt betra - gen die vier Bankrute auf ein Jahr 100000 Tha - ler . Jch will den billigſten Accord neh - men, der ſeyn kann, und ſehr ſelten geſchloſſen wird. Jch will ſetzen, daß der muthwillige Bankrutirer mit den Glaͤubigern theilt, und ſie nur um die Haͤlftebetruͤgt.273Satyriſche Briefe. betriegt. Wenn er ſo großmuͤthig iſt, und funf - zig pro Cent giebt, ſo thut er mehr, als man ver - langen kann. Es betraͤgt alſo die Beute von ei - nem Jahre 50000 Thaler . Hiervon den zehnten Theil zur Einlage genommen, thut auf ein Jahr 5000 Thaler und auf alle zehn Jah - re zuſammen funfzigtauſend Thaler. Was mey - nen Sie Mademoiſelle? Muͤſſen Jhnen nicht die Augen vor Freuden uͤbergehn, wenn Sie ſehn, wie muͤhſam ich bin, Sie reich und gluͤcklich zu machen? Aber das heißt alles noch nichts gegen den Vortheil, den Sie aus der zwoten Claſſe ziehn werden. Wir wollen das zum Fuſſe behal - ten, daß jeder Bankrut 25000 Thaler ſtark iſt, und bey jedem auf 50 pro Cent accordirt wird. Wir wollen aber nach den Regeln der Wahr - ſcheinlichkeit, die ich oben bey dem vierten Punkte angefuͤhrt habe, voraus ſetzen, daß ſich kuͤnftig alle Jahre die Bankrute verdoppeln. Der muß die Welt gar nicht kennen, wem die - ſes unwahrſcheinlich vorkommen ſoll. Nach den Regeln dieſer Verdopplung kommen im Jahre 1753 acht Bankrute, im naͤchſten Jahre ſechzehn, in dem darauf folgenden zwey und dreyßig Bankrute; und ſofort. Damit Sie die Rich - tigkeit meines Plans deſto beſſer einſehn moͤ - gen: ſo ſende ich Jhnen zugleich die Tabel - le, die ich dem Publico zur Nachachtung bekannt machen will. Wie viel meynen Sie wohl, daß Jhr Antheil betrage? Weniger nichtSals274Satyriſche Briefe. als 10230000 Rthl. Hierzu die 50000 Thaler aus der erſten Claſſe, thut in Summa / 10280000 Thaler.

Jch bin vor Freuden ganz auſſer mir! Das haͤtte ich ſelber nicht gedacht! Es uͤberfaͤllt mich ein zaͤrtlicher Schauer, wenn ich bedenke, daß Sie ein ſo reiches Frauenzimmer ſind, und daß es ſo ungewiß iſt, ob ich hernach das Gluͤck ha - ben kann, der Jhrige zu werden. Sollte Sie das Schickſal an einen verheiratheten Bankru - tirer bringen, ſo belohnen Sie meinen Eifer. Es wird alsdann bey Jhnen ſtehn, ob Sie mich zu dem beneidenswuͤrdigſten Sterblichen unter der Sonne machen wollen. Jch vergeſſe alle Jhre Abentheuer, vom Hofrathe an bis auf den Wuͤrzkraͤmer; ſo gar vom Lieutenante weiß ich nicht ein Wort mehr. Daran gedenke ich vollends gar nicht, daß Sie ein Frauenzimmer ſind, welches, allem Anſehen nach, dem kuͤnfti - gen Ehemanne bey der geringſten Beleidigung beide Augen auskratzen wird. Es gehe mir, wie es der Himmel beſchloſſen hat. Wer woll - te ſich dadurch abhalten laſſen, ein Maͤdchen mit zehn Millionen und 280000 Thlr. zu hei - rathen? So verliebt bin ich in meinem Leben noch nicht geweſen, als ich in dieſem Augenbli - cke bin. Ja, Mademoiſelle, alt, krumm, lahm, bucklicht, blind, verbuhlt, herrſchſuͤchtig, undaber -275Satyriſche Briefe. aberglaͤubiſch, alles moͤgen Sie ſeyn; ſeyn Sie nur die Meinige. Jch beſchwoͤre Sie bey Jh - ren 10280000 Thalern! Lieben Sie mich! Wuͤr - digen Sie mich alsdann Jhrer Hand. Glauben Sie, daß ich mit der groͤßten Unruhe, die ſich bey einer zaͤrtlichen und eintraͤglichen Liebe denken laͤßt, den gluͤcklichen Augenblick erwarte, da ich die Erlaubniß haben ſoll, mich den Jhrigen zu nennen. Bis dahin bin ich mit der tiefſten Ehrfurcht,

Mademoiſelle, Dero Leipzig, den 4. Auguſt 1751. ganz gehorſamſt ergebenſter Diener, der Autor.

S 2Plan276

Plan

der extra-favorablen Auswuͤrflung einer alten Sproͤden.

A. Erſte Claſſe.

B. Zwote Claſſe.

277Satyriſche Briefe.

Die große Haͤlfte des menſchlichen Ge - ſchlechts liebt gemeiniglich in jungen Jahren von ganzem Herzen und naͤr - riſch, in reifen Jahren eigennuͤtzig, und im Alter laͤcherlich. Es gehoͤrt keine große Philoſophie da - zu, dieſe Wahrheit einzuſehn. Man darf nur ein wenig auf die Handlungen der Menſchen, und, wenn man recht gruͤndlich davon uͤberzeugt ſeyn will, vornehmlich auf ſich ſelbſt Achtung ge - ben Eine kleine Unterſuchung ſeiner eignen Neigungen wird machen, daß man von den Feh - lern andrer gelinder urtheilt. Jch will hier mei - nen Leſern einige Briefe vorlegen, in denen der Charakter eines zaͤrtlichen Greiſes der wilden und unruhigen Liebe eines jungen Menſchen ent - gegen geſetzt iſt. An beiden ſieht man den Grund eines ehrlichen Herzens, und einer edlen Denkungsart. Bey allen dem Laͤcherlichen, das ſie durch ihre Leidenſchaften verrathen, verdie - nen ſie einige Nachſicht. Jch wuͤnſche, daß mei - ne alten Leſer eben ſo anſtaͤndig fehlen moͤgen, wenn ſie ja die Liebe einmal uͤberraſchen ſollte. Meine jungen Leſer koͤnnen ſich die Hochachtung der Welt gewiß verſprechen, wenn ſie das Herz haben, von ihren fluͤchtigen Ausſchweifungen, ſo geſchwind, wie mein Original, zu ihrer Schul - digkeit zuruͤck zu kehren. Laͤcherliche Exempel erbauen nicht allemal ſo ſehr, als tugendhafte. S 3Die -278Satyriſche Briefe. Dieſes hat mich veranlaßt, eine Miſchung des Laͤcherlichen und Tugendhaften zu machen. Viel - leicht iſt meine gute Abſicht nicht ganz vergebens. Jch werde mich erfreuen, wenn ich erfahre, daß ein Alter aufgehoͤrt hat, laͤcherlich zu ſeyn; und daß ein Juͤngling ſich gehuͤtet hat, es zu werden. Die Perſon der Tochter des verliebten Greiſes war zu dieſem Auftritte noͤthig. Jch brauchte ſie, die wilde Hitze eines jungen Menſchen zu daͤmpfen, und ihn in der Hochachtung zu erhal - ten, die er ſeinem alten Vater, ſo laͤcherlich auch dieſer liebte, dennoch ſchuldig blieb. Dieſes konnte niemand thun, als ein Frauenzimmer, deren Jahre und Tugend ihn zur Ehrfurcht zwangen. Jch habe mir Muͤhe gegeben, den Charakter der Fraͤulein, welche vom Großva - ter, und Enkel zugleich geliebt worden, ſo edel und vorzuͤglich zu bilden, als es nur hat moͤglich ſeyn wollen. Jhre Schoͤnheit und Tu - gend entſchuldigen das Laͤcherliche eines alten Liebhabers, und das Thoͤrichte eines zaͤrtlichen Juͤnglings. Was ich hier geſagt habe, kann als ein kurzer Vorbericht meines kleinen Ro - mans angeſehn werden. Jch will meine Leſer nicht laͤnger aufhalten.

Gnaͤdiges Fraͤulein,

Jch habe ein Amt, welches mir einen anſehnli - chen Rang in der Welt verſchafft. Zwey -tauſend279Satyriſche Briefe. tauſend Thaler Renten und funfzehnhundert Tha - ler Beſoldung machen, daß ich bey einer vernuͤnf - tigen Wirthſchaft ſehr gemaͤchlich leben kann. Meine Kinder ſind alle verſorgt, und haben ihr Brod. Jch bin noch munter genug, daß ich das Herz habe, Jhnen meine Hand anzubieten. Jh - re eingezogne Lebensart, und Jhr tugendhafter Charakter vermehren dieſe Hochachtung, die ich gegen Sie hege, und ich vergeſſe dabey, daß Sie nur ſechzehn Jahr alt ſind. Vielleicht wuͤrde ich behutſamer ſeyn, Jhnen meine Neigung zu eroͤffnen, wenn ich Sie nicht fuͤr zu vernuͤnftig hielte, als daß Sie durch den kleinen Unterſchied der Jahre, der zwiſchen uns beiden iſt, ſich ſollten abſchrecken laſſen, Jhr Gluͤck zu befeſtigen, und mich zugleich zu dem gluͤcklichſten Ehemanne zu machen. Seit dem Altrannſtaͤdtiſchen Frieden habe ich die Lebhaf - tigkeit nicht empfunden, die ich itzt empfinde, da ich Jhnen ſage, daß ich Sie liebe. Entſchließen Sie Sich bald, und wo moͤglich, zu meinem Vor - theile. Jch werde kuͤnftige Woche ins Carlsbad reiſen, eine kleine Krankheit zu heben, die ſich oh - nedem bald verlieren muß, da ſie mir ſchon zwan - zig Jahr beſchwerlich geweſen iſt, und die in der That weiter nichts iſt, als eine Folge meines fluͤch - tigen, und feurigen Gebluͤtes, ungeachtet mein ungeſchickter Medicus es fuͤr eine fliegende Gicht halten will. Laſſen Sie mich nicht ohne die Hoff - nung wegreiſen, daß ich bey meiner Ruͤckkunft die Erlaubniß haben werde, Jhnen mit der zaͤrt -S 4lich -280Satyriſche Briefe. lichſten Hochachtung zeitlebens zu ſagen, daß ich ſey,

Gnaͤdiges Fraͤulein, am 1. May 1750. Jhr gehorſamſter Diener.

N. S. Gegen meine Tochter, die Hofraͤthinn, gedenken Sie nichts von meinem Vorſchlage. Jch weiß, daß Sie eine vertraute Freundinn von ihr ſind; aber ſie moͤchte Jhre Vertrau - lichkeit misbrauchen.

N. S. Mein Enkel, den Sie kennen werden, und der ein gutes Kind iſt, wird Jhnen die - ſen Brief zuſtellen. Jch habe ihn beredt, es betraͤfe Jhre Vormundſchaftsrechnungen. Laſſen Sie Sich nichts gegen ihn merken. Ungeachtet er nur achtzehn Jahre alt iſt, ſo iſt er doch ſchlau genug, mehr zu errathen, als ich ihm noch zur Zeit will wiſſen laſſen.

N. S. Die Juwelen von meiner ſeligen Frau habe ich noch alle, und ſie duͤrfen nur neu gefaßt werden. Die rechtſchaffne Frau! Jn ihrem ganzen Leben hat ſie mich nicht ein einzigsmal betruͤbt; und wenn ich auch der eiferſuͤchtigſte Mann von der Welt geweſenwaͤre:281Satyriſche Briefe. waͤre: ſo haͤtte ich doch bey ihr nicht die ge - ringſte Gelegenheit gehabt, es zu ſeyn.

Noch eins! Was halten Sie vom alliotiſchen Pulver? Jch finde es ganz gut.

Gnaͤdige Tante,

Mein Großvater hat mir dieſen Morgen einen Brief gegeben, den ich der Fraͤulein L in ihre eignen Haͤnde zuſtellen ſoll. Er ſagte mir, daß er ſehr wichtige Vormundſchaftsrechnungen be - treffe; dieſes ſagte er mir mit ſo viel Zaͤrtlichkeit, und einer ſo muntern Mine, daß ich ſtutzig ward, und mich vielleicht verfaͤrbte. Jch vermuthe es daher, weil er mich fragte, was mir fehle. Er nennte mich ſein beſtes Kind, und redte von der vortrefflichen Fraͤulein, und ihrer wichtigen Vor - mundſchaftsſache mit ſo vielem Feuer, daß ich im - mer mehr argwoͤhniſch ward. Sagen Sie mir, Gnaͤdige Tante, machen die Vormundſchaftsſa - chen ſo lebhaft? Und macht dieſes die Fraͤulein in ſeinen Augen ſo goͤttlich, und vortrefflich, daß ſie ihn hat laſſen ihre Rechnungen calculiren? Jch weiß nicht, was ich denken ſoll? Erinnern Sie Sich der jugendlichen Sorgfaͤltigkeit, die unſer Großvater ſeit einigen Wochen in ſeinem Anzuge gezeigt; einer gewiſſen Pracht in ſeiner Equipage, die uns gleich in die Augen fiel, weil ſie ungewoͤhn - lich war. Er iſt geſelliger, als er iemals geweſen iſt, und itzt faͤllt mir ein, daß er vorgeſtern dieS 5Fraͤu -282Satyriſche Briefe. Fraͤulein aus der Oper fuͤhrte, in die er ſeit der Großmutter Tode nicht gekommen iſt. Was ſoll ich von dieſem allen denken? Sie haben, Gnaͤdige Tante, mehr als einmal uͤber die Aufmerkſamkeit mit mir geſcherzt, die ich gegen die Fraͤulein bey aller Gelegenheit gezeigt. Jch habe niemals die Gewalt uͤber mich gehabt, Jhnen zu geſtehn, daß ich die Fraͤulein liebe, daß ich ſie uͤber alles in der Welt liebe. Jch bin gezwungen, es nunmehr zu geſtehn. Ja, Gnaͤdige Tante, uͤber alles in der Welt liebe ich die Fraͤulein. Aber was rathen Sie mir? Wie ſoll ich mich verhalten, daß ich an mir ſelbſt nicht zum Verraͤther werde, daß ich die Hochachtung nicht beleidige, die ich meinem Groß - vater ſchuldig bin, und daß ich das ungluͤckliche Vertrauen nicht misbrauche, das er bey dieſer Ge - legenheit in mich geſetzt hat? Jch werde der Fraͤu - lein den Brief nicht eher uͤbergeben, bis ich Ant - wort von Jhnen habe.

Vetter,

Jhr habt ein ſchweres Amt uͤbernommen. Jch glaube, daß Jhr nicht ganz ohne Grund arg - woͤhniſch ſeyd. Vielleicht koͤnnte ich Euch noch mehr ſagen, aber ich mag Euch das Herz nicht ſchwer machen. Alles, was Jhr thun koͤnnt, iſt dieſes, daß Jhr den Befehl euers Großvaters aus - richtet. Habt Jhr nicht Herz genug, den Brief der Fraͤulein ſelbſt zu uͤbergeben, ſo ſchickt ihn die -ſen283Satyriſche Briefe. ſen Abend zu ihr. Jch werde ganz allein bey ihr ſeyn, und Euch morgen mehr Nachricht geben koͤnnen. Alſo habt Jhr es doch endlich geſtehn muͤſ - ſen, daß Jhr die Fraͤulein liebt? Eure Wahl muß gewiß vernuͤnftig ſeyn, weil Jhr mit dem Großvater einerley Geſchmack habt. Jch wuͤnſche euch Gluͤck dazu. Wahrhaftig, eine ſo liebenswuͤrdige Groß - mutter iſt werth, daß man ihr die Haͤnde kuͤßt. Ar - mer Vetter! Jhr dauert mich, aber nur ein wenig. Warum ſeyd ihr ſo mistrauiſch gegen mich gewe - ſen, und habt mir niemals geſtehn wollen, daß Jhr die Fraͤulein liebt. Vielleicht haͤtte ich Euch dieſe Unruhe erſparen koͤnnen; denn fuͤr eine Tan - te ſchickt es ſich doch wohl am beſten, wenn ſie ein wenig kuppelt. Eure Aeltern haben Euch in ſol - chen Umſtaͤnden verlaſſen, daß Jhr es wohl haͤt - tet wagen koͤnnen, lauter zu ſeufzen; und Euren Jahren haͤlt man eine zaͤrtliche Thorheit zu gute. Wie gluͤcklich haͤttet Jhr werden koͤnnen! Aber nun iſt alles aus. Jhr bekommt Eure Prinzeſſ inn zur Großmutter, und ich meine beſte Schweſter und Freundinn zur Mama, und das alles durch Eure Schuld. Jch daͤchte, Vetter, Jhr verzweifeltet ein Bißchen. Jhr ſeyd ja ein Poet, ihr koͤnnt ſin - gen, Jhr ſeyd ein ungluͤcklicher Liebhaber, und in euerm Garten iſt ein Echo. Was wollt ihr mehr? Betaͤubt einmal die Felſen mit einer herzbrechenden Arie, in der Melodie: da der Großvater die Großemutter nahm! Jch moͤchte Euch von ferne zuſehn, wie es Euch laͤßt, wenn Jhr ausLiebe284Satyriſche Briefe. Liebe verzweifelt. Wie gefaͤllt Euch mein Troſt? Aber ein Wort im Ernſte. Ueberſendet der Fraͤu - lein den Brief; ſeyd vorſichtig, verlaßt Euch auf mich, und wenn auch alles wider Euern Wunſch laufen ſollte: ſo vergeßt doch niemals, daß Euer Großvater ein rechtſchaffner Mann iſt, der mich und Euch zaͤrtlich liebt. Lebt wohl.

Gnaͤdige Tante,

Es iſt ein erſchrecklicher Troſt, den Sie mir ge - ben, und der Scherz iſt bey nahe zu bitter, mit dem Sie mir mein Ungluͤck vorwerfen. Jch will der Fraͤulein ſchreiben. Jch will ihr den Brief zuſchicken. Wahrhaftig, ich kan ihn nicht ſelbſt uͤberbringen. Aber was ſoll ich ihr ſchrei - ben? Daß ich mit der zaͤrtlichſten Unruhe daß mein Großvater daß ich ſchon lan - ge zeither Gnaͤdige Tante, ich weiß nicht, was ich ſchreiben ſoll. So unruhig bin ich noch niemals geweſen. Jch will gar nichts ſchreiben, oder doch ſehr gleichguͤltig. Es waͤre wohl am beſten, ich uͤbergaͤbe den Brief ſelbſt. Aber nein, das wage ich nicht. Mein Compli - ment wuͤrde noch zerſtreuter ſeyn, als mein Brief. Gnaͤdige Tante, ich verlaſſe mich auf Sie. Sie koͤnnen viel thun. Sie ſind bey dem Fraͤulein, wenn ſie den Brief bekoͤmmt. Reden Sie fuͤr mich. Wie ſchwer iſt es, einen Großvater zu eh - ren, der mein Nebenbuhler iſt! Bey ſeinen Jah -ren,285Satyriſche Briefe. ren, Gnaͤdige Tante, bedenken Sie einmal! und ein ſo vernuͤnftiger Mann! Aber ich vergeſſe, daß er mein Großvater iſt, daß er mich zaͤrtlich liebt. Jch muß abbrechen, um ſeine Liebe nicht zu belei - digen. Jch warte mit der groͤßten Unruhe auf den morgenden Tag, und bin ꝛc.

Gnaͤdiges Fraͤulein,

Die Vormundſchaftsrechnungen, die mein Groß - vater, der das beneidenswuͤrdige Gluͤck er - langt hat, mit der groͤßten Hochachtung, die man Jhren Verdienſten ſchuldig iſt, und mit den zaͤrt - lichſten Empfindungen, die eine Wirkung Jhrer Schoͤnheit ſind, und von denen ich ſo lange zeit - her, ob ich es gleich niemals wagen duͤrfen, an - ders, als in ſtiller Ehrfurcht zu bewundern, und ſchon dieſes fuͤr eine Verwegenheit gehalten, wenn meine Augen einen Theil derjenigen Unruhe verra - then, die ich empfinde, und welche mich, Gnaͤdiges Fraͤulein, hindert, Jhnen innliegende Vormund - ſchaftsrechnungen nebſt dem Briefe von meinem Großvater ſelbſt zu uͤberbringen. Jch kann alſo weiter nichts thun, als Sie, Gnaͤdiges Fraͤulein, mit der groͤßten Hochachtung verſichern, daß ich zeitlebens ſeyn werde ꝛc.

Vetter,286Satyriſche Briefe.
Vetter,

Habt Jhr denn Euern Brief an das Fraͤulein wieder durchgeleſen, ehe Jhr Jhn zugeſiegelt? Gewiß, Vetter, ſo verwirrt ſchreibt man nur im hitzigen Fieber. Bald fange ich an, Euch im Ernſte zu bedauern. War das der gleichguͤltige Brief, den Jhr an das Fraͤulein ſchreiben wolltet? Jch glaube, eine foͤrmliche Liebeserklaͤrung haͤtte nicht wunderbarer ſeyn koͤnnen; wenigſtens iſt die - ſes gewiß, daß wohl noch niemals eine Vormund - ſchaftsrechnung mit einer ſo zaͤrtlichen Verwirrung uͤbergeben worden iſt. Der Großvater hat ſich ſchlecht vorgeſehn, daß er Euch zum Poſtillion angenommen; und Jhr haͤttet entweder dieſes Ge - ſchaͤffte gar verbitten, oder gegen den Großvater billiger ſeyn ſollen. Zu Eurer Beſtrafung moͤch - te ich Euch bey nahe nicht ſagen, was Euer Brief fuͤr eine Wirkung gethan hat. Das Fraͤulein er - brach ihn in meiner Gegenwart. Es war ſchon ſpaͤt, da er ankam; denn eine Vormundſchafts - rechnung zu uͤberſenden, und ſeine Meynung ſo deutlich vorzutragen, wie Jhr gethan habt, dazu gehoͤrt freylich Ueberlegung und Zeit, und es war immer noch viel, daß Jhr Abends um neun Uhr fertig werden koͤnnen. So bald ſie Eure Unter - ſchrift ſahe, ſtutzte ſie. Ein Brief von Jhrem Vetter, Madame, ſagte ſie, und ward roth. Merkt wohl auf dieſen Umſtand, Vetter, Jhr koͤnnt ihn ſo wohl zu Eurer Beruhigung, als zuEurer287Satyriſche Briefe. Eurer Demuͤthigung auslegen, wie Jhr wollt. Sie las Euern Brief einmal, ſie las ihn zweymal durch, ſie ſchuͤttelte mit dem Kopfe. Vormund - ſchaftsrechnungen? ſagte ſie, von dem Herrn Großvater? durch Jhren Vetter? Einen Brief, wie dieſen? Davon verſtehe ich nicht ein Wort, Madame, und gab mir den Brief in die Haͤnde. Sie ſchien beſtuͤrzt, aber doch ſchien ſie nicht un - willig zu ſeyn. Sie laͤchelte, als ſie mir den Brief gab. Ein Frauenzimmer, das bey einem Briefe von einem jungen Herrn laͤchelt, iſt ſo gar erbittert nicht! Merkt Euch dieß, Vetter. Mit Euerm Briefe war ich geſchwind fertig. Jch gab auf ihre Augen acht, und wartete, was ſie fuͤr Minen bey dem Briefe von unſerm Vater machen wuͤrde. Sie erblaßte. Der Brief zitterte in ih - rer Hand, ſie ſtund auf, trat ans Fenſter, und ſteckte den Brief ein, ohne ein Wort zu ſagen. Jch ließ ihr ein wenig Zeit, ſich zu erholen. Wie ſtehts, Fraͤulein, ſagte ich endlich, ſind die Nach - richten von den Vormundſchaftsſachen ſo verdrieß - lich? Wie kommen ſie mir vor? Alles was ſie mir antwortete, war dieſes, daß ſie zu mir kam, mir die Hand druͤckte, und Thraͤnen in den Augen hatte. Morgen ſollen Sie alles erfahren, Ma - dame; ich bin ganz auſſer mir; ich brauche Jhre Freundſchaft itzt mehr, als iemals. Jch ſchreibe Jhnen morgen; heute kann ich nicht ein Wort ſa - gen. Bleiben Sie meine Freundinn, verlaſſen ſie mich nicht. Sie war ſo bewegt, daß es mirſelbſt288Satyriſche Briefe. ſelbſt nahe gieng. Jch eilte von ihr, um ſie in der Freyheit zu laſſen. Nun erwarte ich einen Brief von ihr. Lebt wohl, Vetter, und ſeyd heute vorſichtiger, als geſtern.

N. S. Dieſen Augenblick erhalte ich den Brief von dem Fraͤulein. Der gute Alte! Bey allen ſeinen Fehlern bleibt er doch ein recht - ſchaffner Vater. Vetter, ſeyd klug! Die Sache wird ernſthaft.

Gnaͤdige Frau Hofraͤthinn,

Jch muß Jhnen ein Anliegen eroͤffnen, welches ich gegen Sie am ſorgfaͤltigſten verſchweigen ſoll; wenigſtens hat man mir ausdruͤcklich verbo - ten, Jhnen etwas davon zu ſagen. Es iſt mir unmoͤglich, dieſem Verbote nachzuleben. Die Sache iſt fuͤr mich zu wichtig, ſie allein zu uͤberle - gen; und ich befuͤrchte, meine Freundſchaft und mein Zutrauen gegen Sie zu beleidigen, wenn ich Jhnen aus einer Sache ein Geheimniß machen wollte, auf die meine Ruhe, und mein ganzes Gluͤck anzukommen ſcheint. Leſen Sie den ein - geſchloßnen Brief von Jhrem Herrn Vater. Wer - den Sie Sich nunmehr wohl noch wundern, daß ich geſtern abends ſo unruhig, und ganz auſſer mir war? Was ſoll ich auf dieſen unerwarteten Antrag ant - worten? Meine Gluͤcksumſtaͤnde ſind allerdings nur mittelmaͤßig. Man zeigt mir eine Gelegen -heit289Satyriſche Briefe. heit, ſolche auf eine anſehnliche Art zu verbeſſern. Der Rang, zu welchem man mich erheben will, iſt vielleicht nicht eine von den geringſten Bewegungs - urſachen; wenigſtens iſt er in dem Briefe die erſte, auf die man mich weiſt. Soll ich alles dieſes ab - ſchlagen, und mir doch nicht den Vorwurf eines unvernuͤnftigen Eigenſinns zuziehn, vor welchem man mich ſtillſchweigend zu warnen ſcheint? Wird man in der Ehe dadurch gluͤcklich, daß die Perſon, die man waͤhlt, den Charakter eines rechtſchaffnen Mannes vor den Augen der ganzen Welt behaup - tet: ſo kann man ſich gewiß nicht gluͤcklicher ver - heirathen, als mit Jhrem Herrn Vater. Was ſoll ich thun? Sollte mich nicht meine Jugend noch entſchuldigen, an ein ſo ernſthaftes Buͤndniß zu denken, als die Ehe iſt? Werde ich aber dieſe Entſchuldigung brauchen koͤnnen, ohne in den Ver - dacht zu kommen, daß mir die hohen Jahre Jhres Herrn Vaters den Antrag zuwider gemacht haben? Ein Verdacht, der mir um deßwillen doppelt em - pfindlich ſeyn muß, weil er den Muthwillen junger Leute zu Spoͤttereyen reizen, bey Jhrem Herrn Vater aber die Achtung ganz vertilgen wird, die er gegen mich, ohne daß ich es verdiene, zu haben ſcheint. Kann ich hierbey wohl gleichguͤltig blei - ben, da mir ſo viel daran gelegen iſt, das Wohl - wollen eines Mannes zu erhalten, der den Ruhm eines billigen, eines vernuͤnftigen, eines einſehenden Mannes ſich ſeit ſo langen Jahren eigen gemacht hat? Nehme ich aber den Antrag an, wie ſehr ſtelleTich290Satyriſche Briefe. ich mich den bittern Beurtheilungen der Welt bloß! Wird man mir wohl das Recht widerfahren laſ - ſen, daß ich ihm meine Hand gegeben, weil er ein billiger, ein einſehender, ein vernuͤnftiger Mann iſt, oder wird man nicht vielmehr glauben, daß der Ei - gennutz mich bewogen, einen Schritt zu thun, von dem mich nach dem Urtheile der richtenden Welt meine Jugend, und ſein Alter haͤtten zuruͤck halten ſollen? Wie ungluͤcklich waͤre ich, Gnaͤdige Frau, wenn ich mir itzt bey dieſer Unentſchluͤſſigkeit nicht Jhren freundſchaftlichen Rath verſprechen koͤnnte? Als Schweſter liebe ich Sie itzt, Gnaͤdige Frau. Nehme ich das Anerbieten Jhres Herrn Vaters an, was ſoll ich unſrer Liebe alsdann fuͤr einen Na - men geben, ohne daß er bey meinen jungen Jahren laͤcherlich wird? Gewiß, daran darf ich nicht den - ken; ich ſchaͤme mich vor mir ſelber. Jch glaube itzt den Brief von Jhrem Vetter beſſer zu verſtehn, als ich ihn geſtern Abends verſtand, da ich Jhnen ſolchen zu leſen gab. Vielleicht iſt ihm ſchon et - was von der Sache bekannt, und eine dergleichen Handlung von einem Großvater kann einem Enkel allerdings nicht gleichguͤltig ſeyn, wenn er auch auf weiter nichts ſieht, als auf den Verluſt eines Theils der gehofften Erbſchaft. Jch habe verſchiedne Ur - ſachen, Sie zu bitten, daß Sie gegen ihn weder von dem Antrage des Herrn Vaters, noch von mei - nem Briefe etwas gedenken. Wir wollen ihm ei - ne Unruhe erſparen, welche vielleicht vergebens ſeyn wird. Beſchleunigen Sie Jhre Antwort, GnaͤdigeFrau.291Satyriſche Briefe. Frau. Jch werde nicht eine Minute ruhig ſeyn, bis ich ſolche habe. Rathen Sie mir, aufrichtig rathen Sie mir, und, wo moͤglich, ſo, wie ich wuͤnſche. Jhr Rath ſoll den Ausſpruch thun. Setzen Sie Sich an meine Stelle. Was wuͤrden wohl Sie thun? Jch bin ꝛc. ꝛc.

Was ich thun wuͤrde, mein gutes Fraͤulein? Das weiß ich in der That ſelbſt nicht. Sie ſind ein allerliebſtes Maͤdchen. Jch glaube nicht, daß auſſer Jhnen noch ein Frauenzimmer in der Welt ſeyn kann, welches dem wunderbaren Einfalle mei - nes redlichen Vaters einen ſo freundſchaftlichen An - ſtrich geben wuͤrde. Aber geſtehen Sie es nur, geſtehen Sie es wenigſtens aus Freundſchaft zu mir, daß man auch mitten unter den Schwachhei - ten meines alten Vaters den vernuͤnftigen, den rechtſchaffnen Mann erblickt. Es wuͤrde ſeiner Einſicht wenig zur Ehre gereichen, wenn er gegen Jhre Perſon, und gegen Jhren tugendhaften Cha - rakter weniger Hochachtung bezeigt haͤtte. Er iſt von Jhren Verdienſten ſo uͤberzeugt, daß er ſich und ſeine Jahre vergißt, um Jhnen ſeine Hand an - zubieten. Der rechtſchaffne Alte! Was ihn vor den Augen der Welt laͤcherlich machen koͤnnte, das macht ihn vor meinen Augen immer ehrwuͤrdiger. Waͤre mein Vater dreiſſig Jahre juͤnger, ſo wuͤrde ich aus Liebe zu ihm, und aus Freundſchaft gegen Sie, mir alle Muͤhe geben, Sie zu bereden, daßT 2Sie292Satyriſche Briefe. Sie ihn in ſeinen Wuͤnſchen gluͤcklich machten. Da dieſes nicht iſt, ſo kann ich in der That nichts dazu ſagen, ohne Jhren zaͤrtlichen Geſchmack zu be - leidigen, und auf der andern Seite meinen Vater an einer Hoffnung zu hindern, auf der ſein ganzes Gluͤck zu beruhen ſcheint. Sie haben Recht, Fraͤulein, voͤllig Recht, daß zu einer vergnuͤgten Ehe noch etwas mehr gehoͤrt, als die Wahl einer vernuͤnftigen Perſon. Allerdings muß eine naͤhere Gleichheit in Jahren dabey ſeyn. Die Urtheile der Welt laſſen Sie Sich an nichts hindern. Die Welt urtheilt allemal anders, als wir handeln; und Sie moͤgen Sich entſchlieſſen, wozu Sie wol - len, ſo werden Sie allemal getadelt werden. Fol - gen Sie Jhrer Neigung, ſo werden Sie die gluͤck - lichſte Wahl treffen. Fragen Sie Jhren Onkel, den Oberſten. Er iſt mit meinem Vater ſo ver - traut, und im uͤbrigen ſo vernuͤnftig, daß er in die - ſer Sache am beſten rathen kann. Meinem Vet - ter will ich nichts ſagen; aber das bitten Sie ihm ja ab, daß Sie glauben, der Eigennutz werde ihn bey dieſer Sache unruhig machen. Er hat ſeine Fehler, Fraͤulein, ſehr große Fehler; aber eigen - nuͤtzig iſt er nicht. Wenn ich ihn recht kenne, ſo glaube ich, er wuͤrde Jhnen von unſerm und ſeinem Vermoͤgen noch weit mehr wuͤnſchen, als Sie durch einen Ehecontrakt von ſeinem Großvater erlangen koͤnnen. Verlaſſen Sie Sich darauf, ich will ihm nichts von allem ſagen. Wie gefaͤllig ſind Sie, liebes Fraͤulein, daß Sie dem guten Menſchen ſoviel293Satyriſche Briefe. viel Unruhe erſparen wollen! Das verdient eine beſondre Erkenntlichkeit. Aber ich will ihm nichts ſagen, auf mein Wort. Der arme Vetter, wie unruhig wuͤrde er ſonſt ſeyn! Darf ich es wiſſen, was Jhnen Jhr Onkel antwortet: ſo melden Sie mir es, ſo bald es ſeyn kann. Jch liebe Sie mit der vollkommenſten Zaͤrtlichkeit einer aufrichtigen Schweſter; und ich glaube, daß ich Sie nicht zaͤrt - licher lieben koͤnnte, wenn Sie auch meine Mama waͤren. Denn vermuthlich war dieſes das fuͤrch - terliche Wort, welches Sie in Jhrem Briefe meyn - ten, und doch das Herz nicht hatten, es auszuſpre - chen. Leben Sie wohl. Mein Vater hat ſich entſchloſſen, ſeine Reiſe zu beſchleunigen. Er will ſchon morgen ins Carlsbad gehen, um deſto eher geſund und jung wieder zuruͤck zu kommen. Koͤn - nen Sie es denn gar nicht uͤbers Herz bringen, den guten Alten ein wenig zu lieben? Ueberlegen Sie es.

Gnaͤdiger Onkel.

Es hat mir der Herr Cammerrath von ei - nen Heirathsantrag gethan, durch den ich mei - ne zeitlichen Gluͤcksumſtaͤnde anſehnlich verbeſſern, und zu einem Range in der Welt gelangen koͤnnte, um den mich vielleicht viele beneiden wuͤrden. Die Verdienſte des Herrn von und ſein redliches Herz machen ſich mir durch dieſen Vorſchlag noch weit kenntlicher, als ſie mir bisher geweſen ſind. T 3Wollte294Satyriſche Briefe. Wollte ich bey meiner Verheirathung auf weiter nichts ſehen, als auf dieſe Umſtaͤnde: ſo wuͤrde ich nicht einen Augenblick noͤthig haben, mich zu beſin - nen. Allein meine Jugend iſt eine der wichtigſten Urſachen, welche mich unſchluͤſſig macht, die Hand eines Mannes anzunehmen, die ich vielleicht mit beſſerm Anſtande in kindlichem Gehorſam, als bey einer genauern Verbindung aus Zaͤrtlichkeit kuͤſſen wuͤrde. Jch werde die Urtheile der Welt wider mich erregen, und niemals im Stande ſeyn, die Vorwuͤrfe zu beantworten, die man mir mit guter Wahrſcheinlichkeit, und doch allemal unſchuldig machen wird. Verſagen Sie mir, Gnaͤdiger Herr, bey dieſen zweifelhaften Umſtaͤnden Jhren vaͤterli - chen Rath nicht. Sie ſind bey Jhrem Alter und Jhren Erfahrungen beſſer, als ich, im Stande, die Wichtigkeit einer Entſchluͤſſung einzuſehn, von der mein ganzes Gluͤck abhaͤngt. Jch bin ruhig, da ich mich Jhrer Liebe und Vorſorge verſichert hal - ten kann. Jhre Einſicht wird mir das erſetzen, was mir bey meiner Jugend fehlt. Vergeſſen Sie nicht, daß ein Maͤdchen von ſechzehn Jahren dem ehrwuͤrdigen Alter des Herrn Cammerraths viel leichter Ehrfurcht, als Liebe verſprechen kann; ſo weiß ich gewiß, daß Jhr Ausſpruch nach meinem Wunſche ausfallen wird. Jch uͤberſende Jhnen ſeinen Brief, und bin mit der vollkommenſten Hoch - achtung, u. ſ. w.

Liebes295Satyriſche Briefe.
Liebes Fraͤulein,

Jch werde wohl nicht noͤthig haben, dich um eine deutlichere Erklaͤrung deiner Meynung zu bit - ten. Jch glaube, dich zu verſtehn. Wenn ich auf weiter nichts ſehn wollte, als dich angeſehn, und reich in der Welt zu wuͤnſchen: ſo wuͤrde ich dir ernſtlich anrathen, die Hand des Herrn Cam - merraths anzunehmen. Aber ich will dich auch gluͤcklich in der Welt wiſſen; und das moͤchteſt du ſchwerlich bey ihm werden, da du bey deinen Jah - ren eher ſeine Enkelinn, als ſeine Frau, ſeyn koͤnn - teſt. Was muß der ehrliche Greis gedacht haben, da er dir einen ſolchen Brief geſchrieben hat! Jch ſehe ſein ganzes Herz darinnen. Er iſt ein recht - ſchaffner Mann; er iſt in einen Fehler gefallen, der auch bey rechtſchaffnen Leuten eine Uebereilung bleibt. Aber ſo ſeyd ihr Maͤdchen. Jhr ver - fuͤhrt Juͤnglinge und Greiſe; und der Teufel iſt euch nicht klug genug, ſo alt er iſt. Jm uͤbrigen verlaſſe dich auf mich. Du ſollſt ihn wider deinen Willen nicht zum Manne kriegen. Jch habe die - ſen Nachmittag eine nothwendige Reiſe auf meine Guͤter zu thun. Jn acht Tagen komme ich zu - ruͤck, und hernach will ich ſelbſt an den alten Cam - merrath ſchreiben, und ihm meine Meynung ganz treuherzig ſagen. Er iſt billig, ich vermag etwas uͤber ihn, und ich hoffe die Sache ſo einzurichten, daß er ſich ſelbſt begreifen wird, ohne auf dich einen Widerwillen zu werfen.

Lebe wohl.

T 4Gnaͤ -296Satyriſche Briefe.
Gnaͤdige Tante,

Sie halten es alſo wirklich fuͤr moͤglich, daß ich wegen meines Schickſals vier Tage in Unge - wißheit, und doch ruhig bleiben koͤnne? Zweymal habe ich vergebeus um die Erlaubniß angeſucht, Jhnen aufzuwarten, und da ich mir endlich dieſe Erlaubniß ſelbſt gegeben: ſo ſchienen Sie, Gnaͤdige Tante, uͤber meine Dreiſtigkeit auf eine ganz unge - woͤhnliche Art ſo misvergnuͤgt, daß mich Jhre ernſt - haften Vorwuͤrfe noch unruhiger machten, als ich vorher war. Jch verlange ja nichts mehr zu wiſ - ſen, als dieſes, ob ich gluͤcklich, oder ungluͤcklich ſeyn ſoll. Jch glaube, dieſe Frage iſt natuͤrlicher Weiſe fuͤr mich ſo wichtig, daß ich ſolche thun kann, ohne der Hochachtung zu nahe zu treten, die ich Jh - nen ſchuldig bin, und ohne die Pflichten zu beleidi - gen, die mein Großvater von mir fodern kann. Wie ſehr verbittern Sie mir eine Pflicht, die ich von meiner erſten Kindheit an mit Vergnuͤgen beobachtet habe, und die mir itzt zum erſtenmale unertraͤglich wird, da man ſie zu hoch treibt! Jch glaube, Gnaͤdige Tante, mein Großvater und ich ſind in dieſem Falle als zwo fremde Perſonen anzu - ſehn, wovon eine jede das Recht haben muß, ihre Abſichten zu verfolgen, ſo gut es moͤglich iſt. Und ich glaube, mit Jhrer gnaͤdigen Erlaubniß, daß ich noch mehr Recht dazu habe, als er. Meine Ab - ſichten auf das Fraͤulein ſind gewiß aͤlter, als die ſeinigen, und hat er derſelben ſeine Liebe eher unddeut -297Satyriſche Briefe. deutlicher entdeckt, als ich: ſo hat er etwas gethan, wovon ihn ſeine Jahre haͤtten abhalten ſollen, und woran mich meine Bloͤdigkeit, und eine unzeitige Beſcheidenheit gehindert hat. Es mag blos auf den Ausſpruch der Fraͤulein ankommen, ich bin es ja zufrieden; nur das iſt zu hart, daß man mich hindern will, der Fraͤulein meine Liebe eben ſo deut - lich zu entdecken, als es mein alter Großvater ge - than hat. Was will ſie fuͤr einen Ausſpruch thun koͤnnen, wenn ſie davon nichts weiß. Mein Groß - vater haͤlt ſeine Abſichten vor mir am geheimſten; vielleicht moͤgen ſie alle wiſſen, nur ich noch nicht. Dieſes Mistrauen will ich mir zu Nutzen machen. Jch kann alſo dem Großvater ſagen, daß ich das Fraͤulein liebe, weil es mir ganz unbekannt iſt, daß er ſie liebt; und dem Fraͤulein kann ich meine Hand anbieten, da ich nicht weiß, daß es mein Vater ge - than hat. Halten Sie etwan, Gnaͤdige Tante, die - ſen Einfall fuͤr zu verwegen? Vielleicht. Aber es iſt nun zu ſpaͤt, mir ſolchen auszureden. Jch habe ſchon an den Großvater, an das Fraͤulein, und an den Oberſten von deßwegen geſchrieben. Hier haben Sie eine Abſchrift von den Briefen. Entſchuldigen Sie, Gnaͤdige Tante, eine Uebereilung, wenn es eine iſt, die nunmehr nicht geaͤndert wer - den kann. Vielleicht waͤre ich vorſichtiger, und gelaßner geweſen, wenn man ſich gegen mich et - was weniger geheimnißvoll bezeigt haͤtte. Die Umſtaͤnde, in die man mich geſtuͤrzt hat, verdienen Mitleiden. Entziehn Sie mir ſolches nicht, Gnaͤ -T 5dige298Satyriſche Briefe. dige Tante. Jch wuͤrde ganz ohne Troſt ſeyn, wenn Sie mich nur einen Augenblick an Jhrem unveraͤnderten Wohlwollen zweifeln ließen. Das koͤnnen Sie nicht thun; Sie ſind zu guͤtig dazu, ich weiß es, und werde dafuͤr niemals aufhoͤren, zu ſeyn u. ſ. w.

Gnaͤdiges Fraͤulein,

Jch wage es, Jhnen eine Sache zu entdecken, die Jhnen nicht mehr ſo unbekannt ſeyn koͤnnte, wenn Sie die Guͤtigkeit gehabt haͤtten, ſeit einigen Monaten auf meine zaͤrtliche Achtung gegen Sie etwas aufmerkſamer zu ſeyn. Jch liebe Sie, un - endlich liebe ich Sie. Laſſen Sie Jhren Verdien - ſten Gerechtigkeit wiederfahren, und glauben Sie, Gnaͤdiges Fraͤulein, daß ich die Heftigkeit meiner Neigung gegen Sie noch mehr Jhrem tugendhaf - ten Charakter als Jhrer Schoͤnheit zu danken habe; ſo groß auch die Vorzuͤge ſind, die Sie durch die letztere vor vielen Jhres Standes und Jhres Ge - ſchlechts erlangt haben. Dieſes ernſthafte Bekennt - niß wuͤrde manchem Fraͤulein uͤbertrieben klingen; bey Jhnen aber darf ich dieſen Vorwurf nicht be - fuͤrchten. Sie ſind von dem Werthe der Tugend, die Jhnen ſelbſt ſo eigen iſt, uͤberzeugt; wie viel habe ich bey Jhnen gewonnen, wenn ich Sie uͤber - zeugen kann, daß auch ich dieſen Werth kenne! Jch kann es alsdann ſichrer wagen, Jhnen mein Herz und meine Hand anzubieten. Durch den Tod mei -ner299Satyriſche Briefe. ner Aeltern bin ich in den Stand geſetzt, frey zu waͤhlen; und ich habe Niemanden, als meinen Großvater, welcher ein Recht hat, mir Regeln vorzuſchreiben. Dieſer ehrwuͤrdige Greis liebt mich aufrichtig; und da ihm ſein hohes Alter nicht zulaͤßt, an etwas anders, als an ſeinen Tod, und an das Gluͤck ſeiner Kinder zu denken: ſo wird er ſich unendlich erfreuen, wenn er erfaͤhrt, daß ich auf dem Wege bin, ewig gluͤcklich zu werden. Jch weiß, wie hoch er Sie ſchaͤtzt. Und wie ruhig wird dieſer gute Alte ſeinem nahen Tode entgegen ſehn, wenn er hoffen kann, daß ihm eine ſo liebenswuͤr - dige Tochter die Augen zudruͤcken ſoll! Goͤnnen Sie mir, Gnaͤdiges Fraͤulein, ein Gluͤck, welches ich durch Hochachtung, und beſtaͤndige Zaͤrtlichkeit kuͤnftig zu verdienen ſuchen will, wenn ich auch itzt deſſen noch nicht wuͤrdig ſeyn ſollte. Laſſen Sie mich hoffen. Mehr verlange ich itzt nicht. Wie ſchwer wird es mir ſeyn, dieſes Verſprechen zu hal - ten! Erinnern Sie mich daran, ſo oft ich es ver - geſſe. Sie werden mich ſehr oft erinnern muͤſſen. Aber laſſen Sie mich nicht zu lange hoffen, ohne mich ganz gluͤcklich zu machen. Jch erwarte dieſes Gluͤck von Jhren Haͤnden, die ich tauſendmal kuͤſſe, und bin, u. ſ. w.

Gnaͤdiger Herr Oberſter,

Die Freundſchaft, die Ew. Gnaden gegen mei - nen Großvater hegen, macht mir Hoffnung,daß300Satyriſche Briefe. daß ich nicht vergebens bitten werde, wenn ich mich Jhrem gnaͤdigen Wohlwollen empfehle. Jch weiß, wie ſehr Sie Sich allemal freuen, wenn Sie ſehn, daß es unſrer Familie wohl geht. Schmeichle ich mir wohl zu viel, wenn ich Jhnen entdecke, daß itzt mein ganzes Gluͤck in Jhren Haͤnden ſteht? Jch liebe die Fraͤulein von L . Jch wuͤnſche mir das Gluͤck, mich auf ewig mit ihr zu verbinden. Ein Wunſch, der fuͤr mich faſt zu verwegen ſeyn wuͤrde, wenn ihn nicht ihre Tugend und Schoͤnheit rechtfertigten. Meine Gluͤcksumſtaͤnde ſind Ew. Gnaden bekannt. Meine Jugend hindert mich nicht, an eine Heirath zu gedenken, da ich bey mei - nem Vermoͤgen weiter nicht Urſache habe, ein Gluͤck in der Welt zu ſuchen. Jch wuͤrde es nicht beſſer finden, und dennoch durch dieſen Verzug in Ge - fahr kommen, das groͤßte Gluͤck zu verlieren, das ich mir iemals wuͤnſchen kann. Alle, die das Fraͤu - lein kennen, ſind von ihren Verdienſten uͤberzeugt. Dieſes macht mich unruhig. Mein Großvater, deſſen hohes Alter, und ſchwaͤchliche Geſundheit mich alle Tage in die traurige Furcht ſetzt, ihn zu verlieren, wird weit ruhiger ſterben, wenn er mit ſeinen abgelebten Haͤnden vor ſeinem Ende dieje - nige noch als Tochter ſeegnen kann, deren ruͤhmliche Eigenſchaften und Vorzuͤge Jhnen, wie ich glaube, bekannt genug ſind. Wie zufrieden muß der letzte ſeiner Tage ſeyn, wenn er ſieht, daß mich der Him - mel durch dieſe Verbindung weit gluͤcklicher gemacht hat, als er mir iemals bey aller ſeiner Zaͤrtlichkeitwuͤnſchen301Satyriſche Briefe. wuͤnſchen koͤnnen! Jch habe dem Fraͤulein meine Neigung entdeckt; ſie wird ohne Jhren Ausſpruch ſich zu nichts entſchlieſſen. Unterſtuͤtzen Sie mein Bitten, Gnaͤdiger Herr. Jch werde mit unermuͤ - deter Sorgfalt alle Gelegenheit ſuchen, Jhnen zu zeigen, daß ich mit unterthaͤniger Hochachtung ſey ꝛc.

Gnaͤdiger Großpapa,

Sie hatten allerdings Urſache, mir bey Jhrer Abreiſe meine Zerſtreuung und Unruhe vorzu - halten. Auſſer der Beſorgniß fuͤr Jhre Geſund - heit, welche mir bey einer ſo beſchwerlichen Reiſe, und bey Jhren hohen Jahren in Gefahr zu kom - men ſchien, hatte ich allerdings noch ein Anliegen, welches meinen innerlichen Kummer verrieth. Es geſchah damals nicht aus Mangel eines kindlichen Vertrauens, daß ich dieſen Kummer vor Jhnen verbarg. Jch bin von Jhrer vaͤterlichen Liebe uͤber - zeugt genug, und die Art, mit welcher Sie Jhre Kinder lieben, iſt mehr die Zaͤrtlichkeit eines ver - trauten Freundes, als die Ernſthaftigkeit eines be - jahrten Vaters. Mein Anliegen war zu wichtig, als daß ich haͤtte gelaſſen ſeyn koͤnnen; und bey Jhrer Abreiſe war ich noch ungewiſſer, als itzt, ob ich in meinen Abſichten gluͤcklich ſeyn wuͤrde. Er - innern Sie Sich, Gnaͤdiger Großpapa, wie oft Sie gewuͤnſcht, mich noch vor Jhrem Ende verheira thet zu ſehen. Sie haben mir mehr als einmavor302Satyriſche Briefe. vorgeſtellt, wie noͤthig es ſey, meine Guͤter ſelbſt zu verwalten, und meine Jahre auf dem Lande in Ruhe zuzubringen, ohne mich um das zweydeutige Gluͤck des Hofs zu bemuͤhen, oder im Kriege mein Heil zu verſuchen. Sie haben den Einwurf nie - mals gelten laſſen, daß ich noch zu jung ſey, ruhig zu leben. Sie waren ſo guͤtig mich zu verſichern, daß Sie bey Jhrem Alter Sich kein groͤßres Ver - gnuͤgen vorſtellen koͤnnten, als die Familie desjeni - gen noch zu ſehen, der der einzige Erbe Jhres Na - mens ſey. Jch halte es fuͤr einen Theil meiner Pflicht, alles zu thun, was Jhnen ein Vergnuͤgen machen kann. Dieſe Vorſtellung hat bey mir alle die Zweifel uͤberwunden, welche mir ſonſt ſo wichtig ſchienen. Jhr Alter, Gnaͤdiger Großpapa, die taͤg - liche Abnahme Jhrer Kraͤfte, die ſchreckliche Be - ſorgniß, Sie unvermuthet zu verlieren, da Sie der Himmel uns nunmehr zwey und ſiebenzig Jahre er - halten hat; alles dieſes iſt Urſache, daß ich mir vorgenommen habe, Jhren Wunſch und mein Gluͤck zu beſchleunigen. Jch wuͤrde troſtlos ſeyn, wenn ich mir vorwerfen koͤnnte, eins von beiden gehindert zu haben. Nein, Gnaͤdiger Großpapa, da ich das Zeugniß eines gehorſamen Sohnes von Jhnen ſo oft erhalten habe, ſo mag ich auch itzt nicht Gelegenheit geben, dieſen Titel zu verlieren, auf den ich ſtolzer bin, als auf mein ganzes Vermoͤ - gen, und auf meinen Adel. Jch will mich verhei - rathen. Jch habe mir eine Perſon ausgeſehn, die Jhrer vaͤterlichen Liebe wuͤrdig iſt. Jhr Stand,und303Satyriſche Briefe. und ihre Schoͤnheit ſind das vornehmſte nicht, was mich zu dieſem Entſchluſſe bewogen hat. Jhre Tugend iſt es, ihr unvergleichlicher Charakter. O waͤre ich itzt bey Jhnen, Gnaͤdiger Großpapa, um Jhnen die Haͤnde zu kuͤſſen; um Jhnen alles zu ſagen, was ich fuͤhle, da ich dieſes ſchreibe; um ein Zeuge von den vaͤterlichen Thraͤnen zu ſeyn, die Sie, ich weiß es gewiß, die Sie uͤber das Gluͤck Jhres Enkels vor Freuden fallen laſſen; Jhres Enkels, der Jhre ganze Liebe hat, und an dem Sie den Seegen Jhres Gebets noch bey Jhrem Leben erfuͤllt ſehn! Jch ſchreibe in einer wahren Entzuͤckung, aus Liebe zu Jhnen, meinem beſten Vater, dem liebreichſten Greiſe in der Welt, und aus Liebe zu meinem Fraͤulein, meinem engliſchen Fraͤulein! Kann man ſich wohl anders ausdruͤcken, wenn man von der Fraͤulein von L redet? Jhre Perſon iſt Jhnen nicht unbekannt; aber ſoll - ten Sie ihre Gemuͤthsart, ihre vortreffliche Ge - muͤthsart ſo kennen, wie ich ſie ſeit etlichen Mona - ten kennen zu lernen Gelegenheit gehabt: Sie wuͤr - den mit gefaltnen Haͤnden mir vom Himmel ein Gluͤck erbeten helfen, deſſen ich in der That kaum wuͤrdig bin; und das, wenn mir es der Himmel giebt, mir nur Jhrentwegen, nur als eine Beloh - nung Jhres redlichen Herzens, und zur Erhoͤrung Jhres Seegens, Gnaͤdiger Großpapa, gegeben wird. Sie ſehn mein ganzes Herz; aber wem wollte ich es auch lieber entdecken, als Jhnen? Jch habe an die Fraͤulein geſchrieben, auch an ihren Onkel. Noch304Satyriſche Briefe. Noch zur Zeit habe ich von beiden keine Antwort. Jch finde Urſachen zu hoffen, daß die Fraͤulein nicht abgeneigt iſt. Ein Umgang von etlichen Monaten hat mich ſie kennen lehren, und ich weiß, daß mein Brief nicht gleichguͤltig aufgenommen iſt. Sie wird es aber doch auf den Ausſpruch ihres Onkels ankommen laſſen. Nur eins befuͤrchte ich noch. Jhr Onkel glaubt, ſie ſey zum Heirathen noch viel zu jung. Jch glaube es nicht, Gnaͤdiger Großpapa, und ich hoffe, Sie werden meiner Meynung ſeyn. Da ich nur zwanzig Jahre alt bin, ſo iſt ein Fraͤu - lein von ſechzehn Jahren fuͤr mich wohl nicht zu jung. Waͤre ich aͤlter, ſo wuͤrde ich mich aller - dings ſchaͤmen, ihrem Onkel zu widerſprechen. Jch bitte Sie, Gnaͤdiger Großpapa, an den Herrn Oberſten zu ſchreiben; Jhr Vorſpruch giebt der Sache auf einmal den Ausſchlag. Eilen Sie, das Gluͤck Jhres Sohnes zu beſchleunigen; ein Gluͤck, von dem mein Leben, und meine ganze Wohlfahrt abhaͤngt. Der Himmel laſſe dafuͤr Jhre Jahre geſeegnet, und Jhr Alter ſeyn, wie Jhre Jugend. Dieß iſt der Wunſch Jhres Enkels, welcher Jhnen mit kindlicher Hochachtung die Haͤnde kuͤßt.

Vetter,

Nun kommt Jhr mir abſcheulich vor. Es iſt mein Ernſt, glaubt es mir, mein ganzer Ernſt. Wenn die Liebe einen jungen Menſchen zum Nar - ren macht: ſo lache ich uͤber ihn, oder bedaure ihnauch,305Satyriſche Briefe. auch, nachdem er es verdienet. Aber wer aus Liebe boshaft, und zum Heuchler wird, der verdient meinen Abſcheu. Sonder Zweifel ſeyd Jhr mit Eurer Weisheit ſehr zufrieden, daß Jhr auf die gluͤckliche Erfindung gefallen ſeyd, die Fraͤulein, die ohnedem unruhig genug iſt, noch mehr zu beunru - higen, und Euern alten redlichen Vater zu einer Zeit zum Zorne wider Euch zu reizen, wo ſeine Cur eine vollkommene Gemuͤthsruhe verlangt, wenn ſie nicht zu ſeinem Tode ausſchlagen ſoll, und wo der arme Vater doppelt ungluͤcklich ſeyn muß, da er keinen vertrauten Freund um ſich hat, der ihn troͤ - ſten kann, und da auch ſein ungerathner Sohn von ihm entfernt iſt, deſſen Reue, denn ganz verſtockt ſeyd Jhr wohl noch nicht, deſſen Reue uͤber ein ſo thoͤrichtes Beginnen ihn wieder beruhigen koͤnnte. Wie wenig verſteht Jhr Euer eignes Gluͤck! Jch vermied die Gelegenheit, Euch zu ſprechen, zu der Zeit, da ich wirklich fuͤr Euch arbeitete, da es aber noch zu fruͤh war, Euch etwas davon zu entdecken. So klug Jhr Euch zu ſeyn einbildet, ſo wenig ſeyd Jhr es, Vetter, ſo bald Eure Leidenſchaften in Bewegung kommen. Die Fraͤulein, und ich, hat - ten den Onkel unvermerkt auf unſre Seite gebracht. Gleich nach ſeiner Ruͤckkunft wollte er an unſern Vater ſchreiben, und ihm von ſeiner Liebe abrathen. Sein Rath iſt vernuͤnftig, und freundſchaftlich; unſer alter Vater, ihr wißt es wohl, iſt ein recht - ſchaffner Mann, und von Einſicht. Er wuͤrde ſeine Uebereilung erkannt haben; er wuͤrde denUOber -306Satyriſche Briefe. Oberſten, und die Fraͤulein gebeten haben, ſie zu vergeſſen, und Niemanden etwas davon zu entde - cken; ich und Jhr haͤtten davon nichts gewußt; nach einiger Zeit haͤtte es Euch frey geſtanden, um die Fraͤulein anzuſuchen; Euer Vater wuͤrde ſelbſt dazu geholfen haben, und die Fraͤulein haͤtte, ohne den Wohlſtand zu beleidigen, Euch eine Hand an - bieten koͤnnen, die frey war. Kurz, alles waͤre nach Wunſche gegangen. Jch ſage Euch dieſes, Euern Stolz zu demuͤthigen. Alle meine freund - ſchaftlichen Abſichten habt Jhr durch Eure unbe - dachte Hitze verderbt. Die Fraͤulein muß Euch meiden, da Jhr Euch ſo oͤffentlich zum Nebenbuh - ler Eures Großvaters aufwerft. Vom Onkel koͤnnt Jhr wohl nicht verlangen, daß er Euch mehr lieben ſoll, als ſeinen alten Freund, unſern Vater; und dieſer zaͤrtlich liebende Vater muß Euch haſſen, da er noch nicht Zeit gehabt hat, ſich von ſeiner Schwachheit zu erholen, und da er Euch als die einzige Hindrung ſeiner Abſichten anſieht, durch welche er gluͤcklich zu werden glaubte. Kann Euch der Haß eines Vaters, welcher Euch mehr, als ſich ſelbſt, liebte, gleichguͤltig ſeyn? Habt Jhr noch einige Empfindung der kindlichen Liebe, faͤllt es Euch noch zuweilen ein, wie zaͤrtlich dieſer beleidigte Vater gegen Euch war, ſeyd Jhr noch ein Menſch: ſo muͤßt Jhr erſchrecken, wenn Jhr bedenkt, daß Jhr mit eigner Hand, die der ungluͤckliche Vater Euch beym Abſchiede ſo liebreich druͤckte, ihm das Herz durchbohrt. Denn das iſt die gewiſſe Folge, dieEuer307Satyriſche Briefe. Euer uͤbereilter Brief haben wird. Er iſt mehr, als uͤbereilt, er iſt boshaft, und tuͤckiſch. Jhr be - maͤchtiget Euch im Anfange des Briefs ſeines Her - zens, da Jhr ihn an ſeine Liebe, an Eure Jugend, an ſein Verlangen, Euch verheirathet zu ſehn, an Euern ehemaligen Gehorſam erinnert. Jhr ma - let ihm die Perſon, die Jhr Euch ausgeſehn habt, ſo vortrefflich und tugendhaft, als er ſie Euch wuͤn - ſchen kann, und alsdann erſt, da Jhr ſeine ganze Zaͤrtlichkeit in Bewegung gebracht habt, da der gute Greis gewiß ſchon vor Freuden uͤber das be - vorſtehende Gluͤck ſeines liebſten Kindes geweint hat, alsdann erſt nennt Jhr ſein Fraͤulein von L . Kann ein beleidigter Feind grauſamer ſeyn, als ſein Sohn gegen ihn iſt? Was war Eure Abſicht, ihn auf einer ieden Zeile an ſein Alter zu erinnern? Zit - terte Euch die Hand nicht, da Jhr die Jahre des Fraͤuleins mit Euren Jahren verglicht, und glaub - tet, daß Euer Verlangen ungereimt ſeyn wuͤrde, wenn Jhr aͤlter waͤrt? Seyd Jhr allein ſo ſcharfſich - tig, daß Jhr euch einbildet, andre wuͤrden dieſe Vergleichung nicht verſtehn? Und waret Jhr wohl unverſchaͤmt gnug, zu wuͤnſchen, daß andre und Euer Vater dieſe Bitterkeit verſtehn moͤchten? Vetter! Seyd Jhr bey dem Vorwurfe der Ehre und der Menſchenliebe taub: ſo ſeyd Jhr es gewiß auch, wenn ich Euch an die Pflichten der Religion erin - nern wollte. Es fehlt nur ein einziger Schritt noch zu Euerm voͤlligen Verderben. Jch erſchrecke, ſo oft ich den Schluß Eures Briefs leſe. WarU 2Euch308Satyriſche Briefe. Euch die Schrift nicht heilig gnug? Eure Bosheit vollkommen zu machen, mußte ſelbſt das Gebet zu einem bittern Vorwurfe dienen. Ach thoͤrichter Vetter! Euer Alter ſey nicht wie Eure Jugend! Wie ſehr wuͤnſche ich Euch das! Wie ſehr wuͤnſche ich, daß Jhr niemals Urſache haben moͤget, mit Schrecken an den Misbrauch dieſes Wunſches zu denken! Faſt ſchaͤme ich mich Eurer. Verlangt nicht, mit mir zu ſprechen, bis wir Briefe von un - ſerm Vater bekommen haben, und bis ich ſehe, ob ihn Eure Thorheit das Herz bricht. Das haͤtte ich von Euch nicht geglaubt. Der redliche Vater! Jch bin itzt zu ernſthaft, Euch zu ſagen, was ich von Euerm Briefe an das Fraͤulein halte. Er iſt ein Miſchmaſch von Pedanterie und Taͤndeley. Das Fraͤulein muͤßte wenig Geſchmack und Ein - ſicht haben, wenn er ihr ertraͤglich ſeyn ſollte. Jch ſchaͤme mich, das Fraͤulein zu ſprechen. Wie ſehr liebte ich Euch, Vetter, ehe ich Euch kannte, ehe ich noch wußte, zu welchem Grade der Bosheit Jhr faͤhig waͤret! Jch mag Euch nicht ſehn, durchaus nicht, bis ich Briefe vom Vater habe. Vielleicht lebt er itzt nicht mehr, da ich dieſes ſchreibe. Jch weine! Seyd Jhr wohl verſtockt gnug, gleichguͤltig zu bleiben, da Eure Thorheit mich zu Thraͤnen zwingt. Nehmt dieſen Brief auf, wie Jhr wollt. Jch fuͤhle es, daß ich Euch doch noch liebe. Liebte ich Euch we - niger, ſo wuͤrde ich gelaßner ſchreiben. Jch war die

Euch zaͤrtlich liebende Schweſter.

Gnaͤdige309Satyriſche Briefe.
Gnaͤdige Tante,

Sollen denn auch Jhre Bedienten Zeugen von meiner Schande ſeyn? Viermal bin ich geſtern bey Jhnen geweſen. Sie haben verboten, Nie - manden vor Sich zu laſſen. Jch leſe es in den Au - gen aller, die im Hauſe ſind, daß ſie von meiner Uebereilung wiſſen. Gnaͤdige Tante, bringen Sie mich nicht zur Verzweiflung. Jch habe einen Feh - ler begangen; ich ſchaͤme mich deſſen; ich ſehe es ein, wie unrecht ich an meinem Vater gehandelt habe; ich glaubte es nicht. Jch hielt es fuͤr ein unſchuldiges Mittel, mein Gluͤck zu befoͤrdern. Jch liebe meinen Vater unendlich, noch dieſen Au - genblick liebe ich ihn ſo ſehr, als iemals. Es war keine Bosheit, nein Gnaͤdige Tante; Unvorſichtig - keit, eine Thorheit war es, die von der Liebe und Jugend herkam. Verdient denn dieſe Thorheit, daß Sie mir Jhre Liebe entziehn wollen? daß Sie mich in einer Unruhe laſſen, die alle Angſt ei - nes Miſſethaͤters uͤbertrifft? Haben Sie denn noch keinen Brief von meinem Vater, von meinem be - leidigten Vater? Ja! Beleidigt habe ich ihn, aber aus Thorheit, nicht aus tuͤckiſcher Bosheit? Er - lauben Sie mir, zu Jhnen zu kommen. Jch bin auſſer mir!

Vetter,

Wie ſehr freue ich mich uͤber Eure Unruhe! Noch ſeyd Jhr nicht ganz verlohren. JhrU 3wuͤr -310Satyriſche Briefe. wuͤrdet weniger fuͤhlen, wenn Jhr verſtockt waͤret. Gebe doch der Himmel, daß Eure Reue nicht zu ſpaͤt ſey! Der Augenblick wird es entſcheiden, da ich Briefe von unſerm Vater bekomme. Bis ich dieſe habe, kann ich Euch unmoͤglich ſprechen. Gebt Euch keine vergebne Muͤhe. Weder Euch, noch ſonſt einen Menſchen laſſe ich vor mich. Mei - ne Bedienten wiſſen die Urſache nicht. Traut mir die Ueberlegung zu, daß ich ihnen eine Sache nicht ſagen werde, die ich vor meiner vertrauteſten Freundinn geheim halten muß. Auf den Abend erwarte ich Briefe mit der Poſt. Jhr ſollt den Augenblick Nachricht davon haben. Gott laſſe ſie vergnuͤgt lauten! Wie ſehr werde ich mich er - freuen, wenn meine Sorge vergebens geweſen iſt, und wenn ich keine Urſache behalte, mich zu ſchaͤmen, daß ich Euch ſo aufrichtig geliebt habe.

Gnaͤdige Tante,

Jn dieſem Augenblicke koͤmmt die Poſt. Laſſen Sie nach Briefen fragen, und reiſſen Sie mich aus einer Beaͤngſtigung, die mir unertraͤglich wird. Jch zittre, wenn ich daran gedenke, daß unſer guter Vater krank oder wohl gar Nein, das glaube ich nicht; das wird der Him - mel nicht thun. Es war ja nur eine jugendliche Thorheit. Sollte die ſo hart beſtraft werden, als die groͤßte Bosheit? Wie ſehr muß ich fuͤr meine Thorheit leiden, und wie groß muß die Angſt ei -nes311Satyriſche Briefe. nes Menſchen ſeyn, der aus Vorſatz boshaft ge - weſen iſt! Der Augenblick, in dem ich die Briefe von Jhnen bekomme, muß mein kuͤnftiges Schick - ſal entſcheiden. Lebt er, iſt er noch geſund; wie froh will ich dem Himmel danken! Jch will mich aller Strenge geduldig unterwerfen, die mein Vater uͤber mich beſchloſſen hat. Nimmermehr will ich ihn wieder beleidigen, den rechtſchaffnen Vater! Soll - te er gar todt ſeyn; o, Gnaͤdige Tante, dieſen Gedanken kann ich nicht ertragen! An dem Tode des zaͤrtlichſten Vaters Urſache ſeyn, Jhre Liebe verlieren, und dem Fraͤulein veraͤchtlich werden, das entſchuldiget die groͤßte Verzweiflung. Mein Entſchluß wird ſchrecklich ſeyn; aber es iſt mir auch alsdann unertraͤglich, laͤnger zu leben. Jch erwarte die Briefe mit Zittern.

Vetter,

Der Vater lebt noch. Er iſt geſund. Hier iſt ſein Brief. Er iſt geſchrieben, daß Jhr ihn leſen ſollt. Es wird Zeit dazu gehoͤren, ſeine Lie - be wieder zu gewinnen, die Jhr ganz verloren habt. Jch glaube, er wuͤrde noch heftiger ſeyn, wenn er vermuthen koͤnnte, daß Jhr und ich etwas von ſeinen Abſichten auf die Fraͤulein wuͤßten. Noch zur Zeit haͤlt er Euch fuͤr unartig und dumm. Wuͤßte er ſo viel, als ich, ſo wuͤrde er Urſache ha - ben, Euch fuͤr boshaft zu halten. Macht Euch den Fehler zu Nutze, den Jhr begangen habt. U 4Seyd312Satyriſche Briefe. Seyd kuͤnftig kluͤger. Bemuͤht Euch, das Herz Eures Vaters wieder zu gewinnen. Es koſtet Euch ein großes Opfer; aber ich kann Euch nicht helfen. Das Fraͤulein iſt unbaß, ich werde ſie morgen be - ſuchen. Lebt wohl, und glaubt, daß ich Euch liebe.

Frau Tochter,

Meine Reiſe iſt, Gott Lob! gluͤcklich geweſen. Jch bin am fuͤnften dieſes hier angekommen, und habe ſo gleich meine Badekur angetreten, wobey ich mich wohl befinde. Jm rechten Fuſſe habe ich ſeit einigen Tagen ziemliches Reiſſen. Es koͤnnte wohl gar das Podagra werden. Je nun, nun! Vielleicht lebe ich hernach noch zwanzig Jahre laͤn - ger, und bin deſto muntrer, wenn es vorbey iſt. Aber aufs Hauptwerk zu kommen. Was fuͤr ein Narr iſt unſerm Jungen, meinem Enkel, in den Kopf geſtiegen! Lies einmal ſeinen Brief, Frau Tochter, den ich geſtern von ihm bekommen habe. Des Himmels Einfall haͤtte ich mir eher verſehn, als ſo einen albernen Streich von dem Buben. Kaum habe ich den Ruͤcken gewandt, ſo wird das Naͤrrchen verliebt, und weißt du wohl, in wen? Jn die Fraͤulein von L Jch ſehe wohl, ich muß dem Jungen wieder einen Jnformator halten, daß er in die Schule geht, ſonſt wird er zu muthwillig. Bedenke nur einmal, Frau Tochter, der Limmel iſt kaum neunzehn Jahre alt, und will ſchon eine Frau haben, und was das laͤcherlichſte iſt, bloßaus313Satyriſche Briefe. aus Hochachtung fuͤr mich will er eine Frau haben, damit ich das geſchwinde Vergnuͤgen haben ſoll, in meinem zwey und ſiebenzigſten Jahre zu erfahren, wie meine Urenkel ausſehn. Jch glaube, Frau Tochter, der Bube iſt betrunken geweſen, da er an mich geſchrieben hat. Wenn habe ich ihm denn gute Worte gegeben, daß er ſich verheirathen ſoll? Meine ſelige Frau hat wohl ein paar mal davon geſprochen, ich habe wohl auch ein Wort davon laufen laſſen, es kann ſeyn; aber die Fraͤulein von L iſt keine Sache fuͤr ihn, ſchlechterdings keine Sache. Das Maͤdchen iſt gut genug, es iſt wahr, ſie iſt gut erzogen, ein frommes chriſtliches Maͤdchen, und ſieht ganz reinlich aus; aber ſie iſt fuͤr ihn viel zu jung. Was ſoll ſie mit ſo einem Laffen anfangen, der ſelber noch eine Kinderfrau braucht? Und wenn die Fraͤulein ja heirathen will, ſo wird ihr der Oberſte ſchon einen feinen vernuͤnf - tigen Mann ausſuchen, der in ſeinen beſten Jahren iſt, und die gute junge Fraͤulein vollends heran zie - hen kann. Jhr Vermoͤgen iſt auch, unter uns ge - ſprochen, nicht das ſtaͤrkſte, und Fritze muß eine Frau mit Gelde haben, da er nichts gelernt, und kein Amt hat, folglich nichts verdienen kann; denn fuͤr einen Muͤſſiggaͤnger iſt er noch lange nicht reich genug. Aber ſo machen es heut zu Tage unſre junge Herrchen. Wenn ſie ein paar Doͤrfer voll Bauern, und ſieben Haare im Kinne haben: ſo denken ſie, ſie ſind reich und alt genug, Papa zu werden. Hernach ſetzt ſich der Taugenichts aufU 5ſein314Satyriſche Briefe. ſein Gut, und wird der vornehmſte Bauer im Dor - fe. Zu meiner Zeit, o! da wars ganz anders! Jch war ein maͤßiger Burſche von dreyzehn Jahren, als mich mein Vater ſeliger, der Oberſtwachtmei - ſter, mit nach Wien nahm. Da half ich Wien entſetzen, und ſchlug den Tuͤrken. Das gieng warm zu, Frau Tochter. Die Strapazzen, und was ich in folgenden Jahren ausgeſtanden habe, haͤtte Fritze nimmermehr ausgeſtanden. Jch war ſchon vier und zwanzig Jahre alt, als mir mein Vater eine Frau gab. Jch will Fritzen ſchon auch eine geben, wenn es wird Zeit ſeyn; aber die Fraͤu - lein von L nicht. Sage es dem Limmel! Jch weiß nicht, Frau Tochter, ſeit welcher Zeit hat denn der Bengel lernen die Nativitaͤt ſtellen? Woher weiß er denn, daß ich bey meinen hohen Jahren nicht lange mehr leben kann? Zwey und ſiebenzig Jahre, und die noch nicht einmal voͤllig, ſind bey meinem geſunden und ſtarken Koͤrper ja kein ſo erſchrecklich hohes Alter; und meiner ſeli - gen Großmutter Bruder hat in ſeinem drey und ſiebenzigſten Jahre noch taufen laſſen. Die Zeit mag Fritzen ſchrecklich lang werden, daß der Groß - vater ſo ein zaͤhes Leben hat. Mit einem Worte, Fritz iſt ein Narr, ſag es ihm; und damit er klug werde, ſo habe ich mich entſchloſſen, daß er drey Jahre auf Reiſen gehen ſoll. Er kann ſeine Sa - chen darnach einrichten. So bald ich zuruͤck kom - me, ſoll er fort. Er ſoll uͤber Wien, wo ich meine erſte Campagne gethan habe, nach Jtalien, und ſo -dann315Satyriſche Briefe. dann weiter, und damit der Junge unterwegens keinen Schaden nimmt, ſo will ich ihm meinen alten Kammerdiener mitgeben. Koͤmmt er nach drey Jahren wieder heim, und ich habe ihn in ein feines austraͤgliches Amt gebracht: ſo mag er ſich eine Frau nehmen, ich bins zufrieden, aber die Fraͤulein von L nicht. Er kann eine huͤbſche reiche Wittwe freyen. Es wird ihm auch gut thun, wenn er einen Thaler Geld mit kriegt. Die Zeiten ſind ſchwer! Nun, wie geſagt, Frau Tochter, er kann ſich reiſefertig halten. So bald ich komme, muß er fort. Laß ihn den Brief leſen. Es wird ſo gut ſeyn, als wenn ich ihm ſelber geantwortet haͤtte.

Lebe wohl, und antworte mir bald.

N. S. Jch habe ein paar Tage vor meiner Abreiſe der Fraͤulein von L gewiſſe Rechnun - gen zugeſchickt. Ob ſie ſolche wohl muß be - kommen haben? Erinnere ſie daran. Viel - leicht antwortet ſie ein paar Zeilchen. Sie darf den Brief nur unfrankirt gleich auf die Poſt geben. Jch moͤchte nur wiſſen, wie Fritze auf die Fraͤulein gefallen waͤre. Der Laffe!

Gnaͤdige Frau Hofraͤthinn,

Jch befinde mich etwas leidlicher, und bitte mir nunmehr die Ehre Jhres Zuſpruchs aus. Mein Onkel hat an den Herrn Kammerrath geſchrieben;hier316Satyriſche Briefe. hier iſt eine Abſchrift von ſeinem Briefe. Jch bin ſehr wohl zufrieden, daß die Sache allem Anſehn nach beſſer ausſchlaͤgt, als ich anfangs hoffen koͤn - nen. Dieſe Unruhe waͤre alſo groͤßtentheils uͤber - ſtanden, aber ich befinde mich in einer neuen. Jch verlange ſehr mit Jhnen zu ſprechen. Wie gluͤck - lich iſt man, wenn man eine ſo vertraute Freundinn hat, als Sie ſind, Gnaͤdige Frau! Jch misbrauche Jhre Liebe; aber ich weiß mir nicht zu helfen. Kommen Sie bald. Jch bin, u. ſ. w.

Hochwohlgebohrner Herr Cammerrath, Hochgeehrter Herr Bruder,

Wenn ſich der Herr Bruder noch wohl befindet, ſo wird es mir ſehr lieb zu vernehmen ſeyn. Jch befinde mich, dem Himmel ſey Dank, fuͤr meine Jahre ganz wohl. Jm uͤbrigen hat die Fraͤulein von L , meine liebe Baſe, mich avertirt, daß mein Hochzuehrender Herr Bruder eine chriſtliche Abſicht auf das Maͤdchen habe. Deſſen freue ich mich nun gar ſehr, und danke dem Herrn Bruder herzlich fuͤr das freundſchaftliche Zutrauen zu mei - ner Familie, und namentlich zu dem guten Kinde. Sie iſt fromm und wohl erzogen, und eine gute Wirthinn, die ihren Mann einmal in Ehren halten wird. Allermeiſt aber kann ich dem Herrn Bruder nicht verhalten, daß das Maͤdchen faſt zu jung iſt, in den heiligen Eheſtand zu treten. Sie wird kaumnoch317Satyriſche Briefe. noch ſechzehn Jahre ſeyn, und das, deucht mich, iſt faſt zu jung, eine Woͤchnerinn zu werden. Man macht die guten Dinger vor der Zeit alt, und ſie kommen in das Eheſtandskreuz, ehe ſie recht anfan - gen zu leben. Wie ich denn dem Hochgeehrten Herrn Bruder nicht bergen mag, daß die Fraͤulein ſehr ſchwer daran geht. Sie iſt von ſo gutem jugement, daß ſie des Herrn Bruders Verdienſte vollkommen einſieht. Sie gratulirt ſich gar hoͤch - lich, wie es denn auch billig iſt, der Ehre, die ihr angetragen wird, und ſie hat mich verſichert, daß ſie ſich nichts mehr wuͤnſche, als mit der Zeit einen Mann zu haben, der ſo rechtſchaffen und edel gefin - net ſey, als der Herr Bruder. Nichts minder ſieht ſie wohl ein, wie groß das Gluͤck in Anſehung der zeitlichen Umſtaͤnde ſey, das ihr angetragen wird. Unbeſchadet dieſem allen iſt ſie von dem Gedanken nicht abzubringen, daß ſie noch zu jung ſey. Wenn aber ich es ſehr ungern ſehe, daß ſie ſich in den Kopf geſetzt hat, vor ihrem zwanzigſten Jahre nicht zu heirathen: ſo waͤre dieſes ungefaͤhr mein unvorgreiflicher Rath, man ließe das Maͤd - chen vollends heran wachſen. Jſt ſie zwanzig Jah - re, und der Herr Bruder bleibt auf ſeiner Mey - nung, eh bien, vielleicht giebt ſichs hernach eher. Der Herr Bruder iſt bey ſeinen Jahren noch mun - ter, und vigoureux, und wird dieſer gebetenen dilation gar wohl deferiren koͤnnen. Es laufen hier keine fatalia, wie in foro. Selbſt beliebigem Gutachten uͤberlaſſe dieſes alles, was ich hier wohl -meynend318Satyriſche Briefe. meynend ſchreibe. Poſito aber, der Herr Bruder faͤnde Bedenken, ſeinem Suchen zu inhæriren, und glaubte, daß bey mehr zunehmenden Jahren es be - quemer, und ſeinem Alter anſtaͤndiger waͤre, un - verheirathet zu bleiben, und den Reſt ſeiner Tage in Ruhe zuzubringen, und das Wohl ſeiner lieben Kinder, die den Herrn Bruder mit vieler Aufrich - tigkeit verehren, fernerweit als ein zaͤrtlicher Va - ter zu beſorgen, die auch denſelben pflegen und warten, als es fuͤr einen guten ehrlichen Vater ge - hoͤrt, und rechtſchaffnen Kindern allenthalben eig - net und gebuͤhret; poſito alſo, ſage ich, es vergien - ge dem Herrn Bruder die Luſt, ſich wieder zu ver - maͤhlen: ſo wird es mir lieb ſeyn, wenn Er fuͤr mich und die Meinigen die gute Meynung behaͤlt, und der Fraͤulein huld und gewogen bleibt, wie es denn dieſelbe verdient, und es weiter zu verdienen ſuchen wird. Der ich den Herrn Bruder goͤttli - cher Obhut empfehle, und nach abgelegtem guten Wunſche zu einer erſprießlichen Badekur, und gluͤcklichen Wiederkunft mit alter deutſcher Treue unablaͤßlichen beharre,

Hochwohlgebohrner Herr Cammerrath, Meines Hochgeehrten Herrn Bruders dienſtwilliger Freund und Diener. N.

Frau319Satyriſche Briefe.
Frau Tochter,

Sende dem Herrn Oberſten von innlie - genden Brief unverzuͤglich zu. Es liegt mir daran. Jn acht Tagen hoffe ich, ſo Gott will, zuruͤck zu kommen. Jch bin ſeit etlichen Tagen nicht gar zu wohl geweſen. Das Reiſſen in Glie - dern wird immer heftiger. Die hieſigen Aerzte ſind alle der Meynung, es ſey eine fliegende Gicht. Jch haͤtte es doch nicht gedacht. Die beſtaͤndige Mattigkeit iſt das, was mir am meiſten beſchwer - lich faͤllt. Der Appetit iſt ſchlecht, und der Schlaf unruhig. Mit einem Worte, ich fuͤhle meine Jahre. Das Alter iſt ſelbſt eine Krankheit, ſag - ten unſre Vaͤter. Wie Gott will! Jch bin alle Stunden bereit. Der Himmel bringe mich nur wieder geſund zu Euch, damit ich meine Kinder vor meinem Ende noch ſeegnen kann. Sage es Fritzen, er ſoll nlcht auf Reiſen gehen, ich habe mich an - ders entſchloſſen. Wenn es geht, wie ich wuͤn - ſche, ſo habe ich einen Weg vor mir, ihn gluͤcklich zu machen. Muͤndlich ein mehrers. Gruͤſſe Fritzen. Der Junge waͤre gut genug, wenn er nur kluͤger waͤre. Vielleicht giebt es ſich mit den Jahren. Wie nachſehend ſind doch die Aeltern gegen die Fehler ihrer Kinder! Wenn die Fraͤu - lein noch nicht an mich geſchrieben hat, ſo kann es Anſtand haben, bis ich zuruͤck komme. Jchwerde320Satyriſche Briefe. werde ſie wohl bey Jhrem Onkel ſprechen. Jch bin,

Liebe Frau Tochter, Dein redlicher Vater.

N. S. Fritze ſoll ſich zwey reiche Kleider machen laſſen, und neue Livrey fuͤr die Bedienten. Wenn ich komme, daß alles fertig iſt. Lebe wohl.

Hochgebohrner Herr Oberſter, Hochgeehrteſter Herr Bruder,

Die Schwierigkeiten, welche das Fraͤulein von L gefunden hat, mich ihrer Gegenlie - be zu wuͤrdigen, vermindern die Hochachtung im geringſten nicht, die ich gegen ſie hege. Sie ſind ihrem Alter und ihrer Einſicht ſo anſtaͤndig, daß ich ſie doppelt verehren muß. Haͤtte ſie meinen Wunſch erfuͤllt, ſo waͤre ich gewiß der gluͤcklichſte Mann geworden; ihr Gluͤck aber wuͤrde immer noch unvollkommen geweſen ſeyn, da mich meine Jahre zu ernſthaft machen, ihre Liebe zu vergel - ten. So ungerecht bin ich nicht, daß ich mein Gluͤck dem ihrigen vorziehen ſollte. Der Herr Bruder ſind ein neuer Beweis, wie unſchaͤtzbar ein vernuͤnftiger Freund ſey. Jch ſehe meine Ueber -eilung321Satyriſche Briefe. eilung ein, die ich begangen habe. Sie erinnern mich auf eine ſehr beſcheidne Art meines Alters, und der Pflicht, die ein Greis bey ſeinem heran - nahenden Ende zu beobachten hat. Jch will Jhr Vertrauen zu verdienen ſuchen, und mich einer Lei - denſchaft entſchlagen, die mir bey meinen Jahren nicht mehr anſtaͤndig iſt. Jch verwandle die Lie - be, die ich gegen das tugendhafte Fraͤulein hegte, in eine vaͤterliche Zaͤrtlichkeit. Dieſen einzigen Fehler halten Sie mir zu gute, daß ich zu eiferſuͤch - tig bin, den Beſitz dieſes liebenswuͤrdigen Kin - des iemanden anders als meinem Enkel zu goͤnnen. Jch weiß, daß er ſie anbetet. Er verdiente nicht mein Sohn zu ſeyn, wenn er anders daͤchte. Es iſt mir unbekannt, ob das Fraͤulein guͤtig genug iſt, ſeine jugendlichen Fehler zu uͤberſehn, und ob ſie ſich entſchlieſſen kann, einen Menſchen zu lieben, der weiter keine Verdienſte hat, ihrer wuͤrdig zu ſeyn, als dieſe, daß er den Werth ihrer Tugenden und ihrer vorzuͤglichen Eigenſchaften empfindet. Nehmen Sie Gelegenheit, Hochgeehrteſter Herr Bruder, die Neigungen des Fraͤuleins zu unterſu - chen. Das Vermoͤgen, welches mein Enkel von ſeiner Mutter ererbt hat, iſt gar anſehnlich. Jch werde ihn, wenn ich lebe, in noch beqvemere Um - ſtaͤnde zu ſetzen ſuchen. Jch will ihm einen anſtaͤn - digen Rang kaufen. Sterbe ich einmal, ſo faͤllt der groͤßte Theil meines Vermoͤgens wieder auf ihn. Aber ich will haben, daß er mir noch bey meinen Lebzeiten fuͤr meine Vorſorge danken ſoll. XFuͤr322Satyriſche Briefe. Fuͤr das danken uns die Kinder ſelten, was wir ihnen durch unſern Tod laſſen muͤſſen, weil wir es nicht aͤndern koͤnnen. Diejenigen Wohlthaten ge - nieſſen wir ſelbſt mit, die wir ihnen bey unſerm Leben erweiſen. Kann ſich mein Enkel eine groͤ - ßere Wohlthat wuͤnſchen, als die, um welche ich fuͤr ihn bitte? Er haͤlt es ſelbſt fuͤr die groͤßte, ich weiß es. Machen Sie ihn, und zugleich mich gluͤcklich, Wertheſter Herr Bruder. Wir wol - len das Vergnuͤgen unſrer Kinder befeſtigen, weil wir beide noch leben. Vielleicht hat uns der Himmel unſre hohen Jahre nur um deswillen ſo lange gefriſtet, daß wir an dieſem Gluͤcke gemein - ſchaftlich arbeiten ſollen. Jch denke ganz ruhig an meinen Tod, wenn ich mir vorſtelle, daß ich in den Armen dieſer zaͤrtlich geliebten Enkelinn ſterben ſoll. Laſſen Sie dieſe mir ſo angenehme Vorſtel - lung nicht vergebens ſeyn. Eilen Sie, meine Bitte zu erfuͤllen. Sie wiſſen nicht, wie lange Sie bey Jhren Jahren noch im Stande ſind, es zu thun. Jch wenigſtens fuͤhle mein Alter alle Tage mehr. Meine Mattigkeit, und andre Be - ſchwerungen erinnern mich ſtuͤndlich an den letzten wichtigen Schritt, den wir zu thun haben. Jch werde meine Ruͤckreiſe beſchleunigen, und mit Un - geduld den Augenblick erwarten, da ich von Jh - nen erfahre, ob ſich das Fraͤulein entſchlieſſen kann, meinen Enkel gluͤcklich zu machen, und einem red - lichen Vater, der ſie ſo zaͤrtlich liebt, ſeine Bitte, vielleicht ſeine letzte Bitte, zu gewaͤhren. DerHim -323Satyriſche Briefe. Himmel laſſe unſre Kinder geſeegnet ſeyn. Das Gebet eines Vaters bleibt nie unerhoͤrt. Es wird ihnen wohl gehen, und ſie verdienen es auch. Wir wollen uns lieben, Herr Bruder, bis wir ſterben. Unſre Kinder ſollen von uns lernen, was Freundſchaft ſey, damit ſie uns auch im Grabe noch ſeegnen. Dieſes ſchreibe ich mit der wahren Hochachtung eines alten Freundes, und bin,

Hochwohlgebohrner Herr Oberſter, Meines Hochgeehrteſten Herrn Bruders ergebenſter Diener.

N. S. Es wird mir lieb ſeyn, wenn Sie, und die Fraͤulein vergeſſen, daß ich die Ueber - eilung begangen habe, ſie auf eine andre Art zu lieben, als es itzt geſchieht. Jch wuͤrde Sie bitten, gegen keinen Menſchen etwas davon zu gedenken, wenn ich nicht wuͤßte, daß Sie auch ohne meine Bitte ſo gefaͤllig waͤren, meine Schwachheit zu be - decken. Gruͤſſen Sie die Fraͤulein in mei - nem Namen tauſendmal. Wie ſehr ver - langt mich bey Jhnen zu ſeyn! Die guten Kinder! Es gehe ihnen ewig wohl!

X 2Bey324Satyriſche Briefe.

Bey Vernuͤnftigen iſt es eine der vornehm - ſten Regeln in der Freundſchaft, daß man Niemanden zu ſeinem vertrauten Freunde waͤhle, deſſen Charakter, deſſen Fehler und Tugenden man nicht vorher ſorgfaͤltig ge - pruͤft hat. Man behaͤlt zwar ſtets die Freyheit, ſich von ſeinem Umgange zuruͤck zu ziehen, wenn man findet, daß er die Hoffnung nicht erfuͤllt, die man ſich von ſeiner Aufrichtigkeit gemacht hat; allein der Vorwurf iſt dennoch bitter, und unſrer eignen Ruhe nachtheilig, wenn wir er - fahren muͤſſen, daß wir zu leichtglaͤubig, oder doch nicht vorſichtig genug geweſen ſind.

Jch habe mich vielmal gewundert, wie es kommen muͤſſe, daß man bey dem Heirathen, bey dieſer wichtigſten, und faſt unzertrennlichen Art der Freundſchaft, ſo wenig Sorgfalt bezeigt, vernuͤnftig zu waͤhlen. Es waͤre dieſe Vorſicht beſonders um deswillen ſehr noͤthig, da gemei - niglich von beiden Theilen alle Sorgfalt ange - wendet wird, einander zu hintergehn, und ſeine Fehler zu verbergen. Unſre Vorfahren haben in gewiſſen Handlungen drey Hauptmaͤngel feſt - geſetzt, welche den Kauf unguͤltig machen, wenn ſie verſchwiegen worden ſind. Sollte der Eh - ſtand nicht wichtig genug ſeyn, daß man ihrer auch wenigſtens drey feſtſetzte, durch welche dieVer -325Satyriſche Briefe. Verbindlichkeit von beiden Theilen aufhoͤrte, ſo bald ſie verſchwiegen wuͤrden?

Jch gebe hiermit allen verheiratheten Perſo - nen, beiderley Geſchlechts, die Freyheit, und erſuche ſie darum, daß eine jede drey Fehler auf - ſetzen moͤge, von welchen ſie glaubt, daß ſie ſo wichtig ſeyn koͤnnten, die Ehe zu trennen. Es wird dieſe Nachricht zu einem Schluͤſſel ſo vieler ungluͤcklichen Ehen dienen, und ich werde Gele - genheit bekommen, aus allen Fehlern zuſammen drey der wichtigſten auszuſuchen, und es an ſei - nem Orte in Vorſchlag bringen, daß ſie durch ein Landesgeſetz fuͤr zureichend erklaͤrt werden moͤchten, als Hauptmaͤngel alle Verbindung des Eheſtandes aufzuheben. Mein Verleger hat Ordre, die Aufſaͤtze anzunehmen; ich werde ſie ſodann mit Verſchweigung der Namen und Orte zuſammen drucken laſſen, und einen Vorſchlag thun, der dem gemeinen Weſen nicht anders als vortheilhaft ſeyn kann, wenn er das Gluͤck ha - ben ſollte, die Achtung der Obern zu verdienen.

So viel muß ich noch erinnern, daß unver - heirathete Perſonen kein Recht haben ſollen, der - gleichen Fehler in Vorſchlag zu bringen. Sie haben gemeiniglich zu viel Vorurtheile, und ich wuͤrde muͤſſen gewaͤrtig ſeyn, viele wichtige Klei - nigkeiten anzuhoͤren.

Da ich die Hoffnung nicht habe, daß mein patriotiſcher Einfall ſo bald zu Stande kommen, und als ein allgemeines Geſetz eingefuͤhrt werdenX 3moͤch -326Satyriſche Briefe. moͤchte: ſo wuͤrde ich gern ſehen, wenn meinẽ Mitbuͤrger ſich wollten gefallen laſſen, ihre Lie - besbriefe, ſtatt der bisherigen Seufzer und Flam - men, und verſtellten Schmeicheleyen, ſo einzu - richten, daß ſie ein wahres und redliches Be - kenntniß ihrer Fehler waͤren. Wie viel ungluͤck - liche Ehen wuͤrden wir weniger haben, wenn dieſes geſchaͤhe!

Jch gebe hier eine Probe von einem ſo auf - richtigen Bekenntniſſe. Die uͤbrigen Briefe, die angedruckt ſind, erlaͤutern dasjenige noch weiter, was ich von dieſer Materie oben geſagt habe. Wenn ich die Aufſaͤtze einmal der Welt bekannt mache, welche wegen der drey Hauptmaͤngel im Eheſtande bey mir einlaufen werden: ſo will ich zugleich einen reichen Vorrath von Formularen fuͤr alle Staͤnde und Arten der Liebhaber beider - ley Geſchlechts liefern, wie ſie einander von ihren Fehlern beyzeiten Nachricht geben ſollen. Das Werk wird, wenn ich anders die Welt kenne, ziemlich weitlaͤuftig ausfallen. Es ſoll auf Vor - ſchuß gedruckt werden, und ich will zu mehrer Erbauung die Namen derjenigen vordrucken laſſen, welche darauf praͤnumeriren.

Hier ſind die verſprochnen Briefe.

Mademoiſelle,

Jch liebe Sie mit der groͤßten Hochachtung. Bey den Vorzuͤgen, die Sie ſo ſchaͤtzbar ma -chen,327Satyriſche Briefe. chen, und bey meiner Gemuͤthsart, iſt nichts na - tuͤrlicher, als daß ich Sie ewig zu lieben wuͤnſche. Geben Sie mir Jhre Hand: ſo glaube ich der gluͤck - lichſte Mann auf der Welt zu ſeyn. Vielleicht wundern Sie Sich uͤber meinen unregelmaͤßigen Antrag. Meine Offenherzigkeit iſt Schuld dar - an, und die Sache, die ich bitte, iſt mir gar zu wichtig, als daß ich in dem Romanſtyle darum bitten ſollte. Jch laſſe Jhnen acht Tage Zeit, Jh - re Erklaͤrung zu thun; laͤnger halten Sie mich nicht auf, ich erſuche Sie mit aller der Zaͤrtlich - keit, die ich gegen Sie empfinde. Mein Alter, meine Perſon, meine Gluͤcksumſtaͤnde ſind Jhnen bekannt; aber vermuthlich meine Fehler nicht. Jch will ſo offenherzig ſeyn, und Jhnen dieſe ſagen.

Jch bin eigenſinnig, ſehr eigenſinnig, Made - moiſelle. Sie koͤnnen die Ordnung in meinem Hausweſen einrichten, wie Sie wollen, und wie es meine Umſtaͤnde leiden; allein uͤber dieſe Ordnung muß unveraͤndert gehalten werden.

Jch muß eine jede Stunde voraus wiſſen, wenn ich eſſen, ſchlafen, arbeiten, und mich ver - gnuͤgen ſoll. Die Veraͤndrung einer einzigen Stunde bringt mich auf die ganze Woche in Un - ordnung. Jch werde Jhnen nichts an Putz und Bequemlichkeit mangeln laſſen, was Jhr Stand erfodert, und meine Einkuͤnfte erlauben. Aber es wohnen in meiner Gaſſe Maͤnner, welche noch einmal ſo vornehm, und noch einmal ſo reich ſind, als ich. Werden Sie das Herz haben, die Wei -X 4ber328Satyriſche Briefe. ber derſelben praͤchtiger ausgeputzt zu ſehen, und ihren groͤßern Aufwand zu bemerken, ohne eine gleiche Pracht, und eben ſo viel Aufwand zu ver - langen? Gewiß, Mademoiſelle, ich wuͤrde es Jhnen abſchlagen, und alsdann wuͤrden mich we - der Bitten noch Thraͤnen erweichen. Nur aus Liebe zu Jhnen wuͤrde ich nein ſagen. Es iſt keine Thorheit koſtbarer, als die Thorheit, es de - nen gleich zu thun, welche vornehmer, und reicher ſind, als wir. Wenn man ſein ganzes Vermoͤ - gen daran gewendet hat, um Vernuͤnftigen zehn Jahre laͤcherlich zu werden: ſo iſt man die uͤbrige Zeit des Lebens Vernuͤnftigen und Unvernuͤnfti - gen veraͤchtlich, wenn ſie ſehen, daß uns die Ar - muth hindert, laͤnger thoͤricht zu ſeyn. Wenn Sie meine Frau ſind, ſo verlange ich, daß Sie Sich eben ſo viel Muͤhe geben, mir durch einen reinlichen Anzug zu gefallen, als Sie Sich in den erſten Tagen unſers Eheſtandes geben werden. Eine Frau, welche ſich mehr fuͤr die Welt, als fuͤr ihren Mann putzt, verraͤth eine Sorgloſigkeit, welche ihrem Manne empfindlich, und der Welt verdaͤchtig ſeyn muß. Eiferſuͤchtig bin ich nicht; aber ich werde es gern ſehen, wenn Sie Jhre Auf - fuͤhrung ſo vorſichtig einrichten, als wenn Sie den eiferſuͤchtigſten Mann von der Welt haͤtten. Meine Bedienten ſind gewohnt, von mir als freye Menſchen, und nicht als Sklaven gehalten zu wer - den. Es ſcheint mir unrecht, ihnen ihre Armuth empfinden zu laſſen, da ſie gemeiniglich keinen Feh -ler329Satyriſche Briefe. ler weiter haben, als dieſen, daß ſie nicht ſo reich ſind, wie wir. Jch glaube nicht, daß es Jhnen ſchwer fallen wird, Sich eben ſo glimpflich gegen ſie zu bezeigen, da dieſes das bequemſte Mittel iſt, die Hochachtung und Treue der Bedienten zu gewin - nen. Noch unzufriedner bin ich uͤber diejenigen Herrſchaften, welche ſich zu ihren Bedienten allzu - vertraulich herablaſſen. Man giebt ihnen eine Freyheit, deren ſie ſich mit der Zeit gewiß mis - brauchen. Jch werde Jhnen ſehr verbunden ſeyn, wenn Sie zu keiner Zeit vergeſſen, daß Jhr Auf - wartmaͤdchen niemals Jhre vertraute Freundinn iſt. Bemaͤchtigen Sie Sich der Herrſchaft in der Kuͤche. Jch verlange nicht, daß Sie ſelbſt kochen ſollen; aber das verlange ich, daß das Ge - ſinde Sie fuͤr eine vernuͤnftige Wirthinn, und nicht fuͤr ein erwachsnes Kind haͤlt, welches nur da ſitzt, um ſich fuͤttern zu laſſen. Jch habe einen ſehr armen Vater, welcher ein redlicher Greis, aber kraͤnklich, und ein wenig einfaͤltig iſt. Ge - trauen Sie Sich wohl, ihn ſo zu lieben, wie Jh - ren eignen Vater? Jch werde es von Jhnen ver - langen. Das Vermoͤgen, welches mir der Him - mel bey meiner Handlung gegeben hat, das hat er mir vermuthlich darum gegeben, um dieſem redli - chen Manne ſein Alter ertraͤglich zu machen. Es wuͤrde mir nahe gehen, wenn Sie anders daͤchten; und ich wuͤrde es nicht zulaſſen, gewiß nicht, Ma - demoiſelle. Auf dieſen alten redlichen Vater bin ich ſtolz, und meine Freunde koͤnnen mir niemalsX 5empfind -330Satyriſche Briefe. empfindlicher ſchmeicheln, als wenn ſie dieſem gut - herzigen Alten in ſeiner ſchlechten Kleidung eben die Achtung bezeigen, die man einem angeſehnen Grei - ſe vom Stande ſchuldig iſt. Wie ſehr werde ich Sie lieben, Mademoiſelle, wenn Sie Sich gewoͤh - nen koͤnnen, dieſen guten Alten zu lieben! Noch eins. Jch kann mir nicht hitzig widerſprechen laſ - ſen. Jch habe nicht allemal Recht, es iſt wahr; aber ich ſehe es gern, wenn man mir Zeit laͤßt, die - ſes ſelbſt einzuſehn. Jch ſehe es ſehr bald ein, und alsdann ſchaͤme ich mich doppelt, ſo wohl uͤber meine Uebereilung, als uͤber die Nachſicht meiner Freunde, die ich gemisbraucht habe.

Sehen Sie wohl aus allen dieſen Umſtaͤn - den, Mademoiſelle, daß ich die ungewoͤhnliche Ab - ſicht habe, Herr im Hauſe zu ſeyn? Es iſt eine ſehr altvaͤtriſche Mode, aber ich will ſie doch bey - behalten wiſſen. So viel kan ich Jhnen inzwi - ſchen verſichern, daß ſo gewiß ich Herr im Hauſe zu ſeyn verlange, ſo gewiß will ich auch, daß mei - ne Frau Frau im Hauſe ſeyn ſoll. Dieſe Ver - ſichrung muß Sie beruhigen.

Was meynen Sie, Mademoiſelle? Getrauen Sie Sich, einen Mann zu heirathen, der alle dieſe Fehler hat? Glauben Sie, dem ungeachtet gluͤck - lich mit ihm zu leben? Jch bitte mir binnen acht Tagen Jhre Antwort aus. Entſchlieſſen Sie Sich dazu, ſo bin ich der gluͤcklichſte Menſch. Koͤnnen Sie Sich nicht entſchlieſſen, ſo werdenSie331Satyriſche Briefe. Sie mir bey meinem aufrichtigen Geſtaͤndniſſe we - nigſtens nicht Schuld geben, daß ich Sie habe be - truͤgen wollen.

Leben Sie wohl. Jch bin ꝛc. R

Hochzuehrende Tante,

Herr R hat mir einen Antrag gethan, welcher eine genauere Ueberlegung wohl zu verdienen ſcheint. Noch bin ich unſchluͤßig, ob mir ſchon die offenherzige Art, mit welcher Herr R ſich erklaͤrt, beſonders gefaͤllt, und viel Gutes verſpricht. Jch uͤberſende Jhnen ſei - nen Brief, und bitte mir Jhren guten Rath, ſo bald als es moͤglich iſt, aus. Die muͤtterliche Lie - be, welche Sie bey andern Gelegenheiten gegen mich geaͤuſſert haben, laͤßt mich hoffen, daß Sie mir von ganzem Herzen rathen werden. Jch wuͤrde itzt meine verſtorbne Mutter mehr als ie - mals vermiſſen, wenn mir nicht Jhre Wohlgewo - genheit ein Recht gegeben haͤtte, meine Zuflucht zu Jhnen zu nehmen. Jch habe meinen Onkel, und einige meiner Freundinnen des Wohlſtands wegen zugleich mit zu Rathe gezogen: aber auf Jhren Ausſpruch, Hochzuehrende Frau, werde ich es allein ankommen laſſen, da mein Onkel, wenn ich es wagen darf zu ſagen, ein wenig gar zu ſorgſam iſt, und meine Freundinnen gar zuleicht -332Satyriſche Briefe. leichtſinnig ſind. Jch bin mit der Zaͤrtlichkeit ei - ner gehorſamen Tochter,

Hochzuehrende Frau, Dero ꝛc.

Hochzuehrender Onkel,

Es iſt mir, wie Sie aus innliegender Abſchrift ſehen werden, von dem Herrn R ein Vorſchlag zu einer Heirath gethan worden. Da auf dieſer Wahl mein ganzes zeitliches Gluͤck be - ruht: ſo ſehe ich mich genoͤthiget, den guten Rath eines Mannes zu ſuchen, welcher die Welt ſo wohl kennt, als Sie, und von deſſen guͤtiger Vorſorge ich ſo uͤberzeugt bin, als von der Jhrigen. Sie haben als Onkel die Gewalt mir zu befehlen; und deſto williger werde ich Jhnen bey dieſer Gelegen - heit folgen, da ich Jhnen mit nichts als mit der Bitte beſchwerlich falle, mir Jhren guten Rath zu ertheilen. Jch bitte, die Antwort zu beſchleuni - gen, und verharre ꝛc.

Liebe Baſe,

Du biſt ein gluͤckliches Maͤdchen, daß Du die Achtung und die Zuneigung eines Manneshaſt333Satyriſche Briefe. haſt erlangen koͤnnen, welcher ſo einſehend und vernuͤnftig iſt, als Dein Braͤutigam. Wie gluͤck - lich wuͤrden unſre Ehen ſeyn, wenn es eingeſuͤhrt waͤre, daß junge Leute einander ihre Fehler ent - deckten, anſtatt daß ſie ſich alle Muͤhe geben, einander durch Schmeichleyen ſolche zu verbergen, und ſich auf beiden Seiten zu betruͤgen! Der Schritt, den Du itzt thuſt, iſt der wichtigſte Schritt, den ein Frauenzimmer in ihrem ganzen Leben thun kann. Und doch iſt man gemeiniglich bey keinem ſo leichtſinnig, als bey dieſem. Die Uebereilung von einer Minute iſt der Grund zu einem Misver - gnuͤgen, das oft viele Jahre dauert, und ſich nicht eher endiget, als mit dem Tode. Alle unſre Ein - ſicht, welche wir Frauenzimmer zu haben glauben, iſt gemeiniglich nicht hinreichend, die Verſtellung ei - ner Mannsperſon zu uͤberſehn, welche ſich um unſre Gegenliebe bemuͤht. Jn andern Faͤllen ſind wir ſcharfſichtig genug, nur in dieſem nicht, wo ſich Vorurtheile, Eigennutz, und andre Leiden - ſchaften einmiſchen, die uns deſto leichter blenden, ie kluͤger wir uns zu ſeyn duͤnken. O wie viel haſt Du gewonnen, Liebe Tochter, daß Du alle Feh - ler Deines kuͤnftigen Mannes ſchon itzt beſſer kennſt, als ſie manche Frau an dem ihrigen nicht kennt, mit dem ſie wohl ſchon viele Jahre in einer mis - vergnuͤgten Ehe gelebt hat! Alle die Fehler, die Herr R von ſich ſelbſt ſagt, ſind Tugen - den, weil er ſie geſteht; und ſein Eigenſinn, wenn es anders ein Eigenſinn iſt, verſpricht einer ver -nuͤnfti -334Satyriſche Briefe. nuͤnftigen Frau ein wahres Gluͤcke, und ein dauer - haftes Vergnuͤgen. Kannſt Du Dir wohl mehr wuͤnſchen, als einen Mann, der um deßwillen Herr im Hauſe ſeyn will, damit er Dir bey Freun - den und Bedienten das Anſehn der Frau vom Hauſe behaupten kann? Wie unvernuͤnftig han - deln unſre Weiber, welche die Groͤße ihres An - ſehns auf die Verachtung ihrer Maͤnner bauen wollen! Der Vorwurf faͤllt allemal auf ſie zu - ruͤck, daß ſie bey dem Verſtande, mit dem ſie ſich bruͤſten, keine kluͤgre Wahl getroffen, und einen Mann genommen haben, deſſen ſie ſich ſchaͤmen muͤſſen. Die Entſchuldigung, daß ſie der Eigennutz dazu gebracht hat, gilt hier nichts, oder es muͤßte moͤglich ſeyn, daß man ei - nen thoͤrichten Fehler mit einer noch groͤßern Thor - heit entſchuldigen koͤnnte. Laß Dich das nicht abſchrecken, daß er Dir ſo deutſch heraus ſagt, wie weit er dir den Aufwand und Staat zulaſſen will. Waͤre er weniger billig, und haͤtte er nicht Willens, als ein ehrlicher Mann zu ſterben: ſo wuͤrde er dieſe Vorſicht nicht brauchen. Er hat Recht. Es iſt keine Thorheit abgeſchmackter, als wenn man ſich durch einen uͤbermaͤßigen Aufwand denjeni - gen gleich ſetzen will, welche ihr Stand uͤber uns erhebt. Vornehmern werden wir laͤcherlich; de - nen, die uns gleich ſind, veraͤchtlich; nicht einmal den Poͤbel blenden wir. Verlohnt es ſich wohl der Muͤhe, ſein Vermoͤgen zu verſchwenden, um den Namen einer Naͤrrinn zu erkaufen? Es iſt die -ſes335Satyriſche Briefe. ſes ein Fehler, den Weiber von demjenigen Stan - de, in welchen Du treten ſollſt, ſich immer vor - werfen laſſen muͤſſen, und immer mit Grunde. Nimm ihn, Liebe Tochter, gieb ihm Dein Wort, ſo bald Du kannſt. Das iſt mein Rath. Bloß um deßwillen verdient er Deine ganze Hochachtung und Zaͤrtlichkeit, daß er Muth genug hat, vor den Augen der ganzen Stadt mit ſeinem alten gu - ten Vater ſo groß zu thun, deſſen geringen Her - kommens ſich vielleicht ein andrer ſchaͤmen wuͤrde, der nicht ſo vernuͤnftig waͤre, als Dein Liebhaber. Wie gewiß kannſt Du ſeyn, daß er Dich auch im Alter noch zaͤrtlich lieben wird, da er mitten unter den Schmeicheleyen, die er Dir als Liebhaber ſagt, mit einem ſo edlen Trotze Deine Hochachtung fuͤr ſeinen Vater von Dir verlangt. Was fuͤr Liebe und Ehrfurcht kann ſich Dein Braͤutigam kuͤnftig von ſeinen Soͤhnen verſprechen, da er ſelbſt ein ſo tugendhafter Sohn iſt! Mit einem Worte, Du biſt gluͤcklich. Gieb ihm Deine Hand. Dein Verſtand, und Deine gute Auffuͤhrung verdienen dieſes Gluͤck. Lebe wohl mit ihm! Maͤdchen, ich kann mich der Thraͤnen nicht enthalten. Lebe ewig wohl! Jch liebe Dich als Mutter.

Hochzuehrende Tante,

Von einer ſo liebenswuͤrdigen Freundinn konnte ich mir nichts anders, als einen ſo aufrichtigen Rath, und die zaͤrtlichſten Wuͤnſche verſprechen. Jch336Satyriſche Briefe. Jch habe dem Herrn R geantwortet. Er wird, wie ich hoffe, mit meiner Erklaͤrung, die er vom neuen ziemlich treuherzig gefodert hat, zufrie - den ſeyn. Werde ich bey meiner Ehe gluͤcklich, ſo werde ich es durch Sie, Hochzuehrende Frau. Jch ſende Jhnen meine Antwort, und zugleich einige Briefe von meinem Onkel, und einigen Freundin - nen mit, die ich mir zuruͤck ausbitte. Sie lieben mich alle, ich weiß es; aber wie ſehr unterſcheidet ſich dieſe theils eigennuͤtzige, theils flatterhafte Liebe von der muͤtterlichen Zaͤrtlichkeit, die Sie, Wertheſte Tante, gegen mich bezeigen. Jch kuͤſſe Jhnen da - fuͤr die Haͤnde; der Himmel laſſe mir ſie noch viele Jahre kuͤſſen! Wie gluͤcklich werde ich ſeyn, wenn ich der Vorſorge einer ſo guͤtigen Mutter beſtaͤndig verſichert ſeyn kann! Auf kuͤnftigen Sonnabend werde ich Sie beſuchen. Vielleicht begleitet mich Herr R zu Jhnen. Er muß Sie kennen ler - nen. So viel er ſich auf ſeinen alten Vater zu gute thut, ſo ſtolz bin ich auf meine liebe Tante. Jch bin mit der kindlichſten Hochachtung,

Hochzuehrende Frau, Dero ꝛc.

Liebe Baſe,

Der Antrag iſt vortheilhaft, nimm ihn immer an. Jch habe mich nach ſeinen Umſtaͤndenerkun -337Satyriſche Briefe. erkundigt. Er ſteht gut. Wenigſtens funfzig - tauſend Thaler hat er im Vermoͤgen, und iſt ein guter Wirth. Wenn er nur noch Pferde und Wagen abſchaffte. Er koͤnnte alle Jahre dreyhun - dert Thaler erſparen, thut an Capital à 5 pro Cent ſechstauſend Thaler. Denke einmal an, Baſe, was das ſagen will, und zwar bey einer Handlung, wie die ſeinige, wo er das Capital wenigſtens auf zwanzig pro Cent nutzen kann. Sieh, wie weit Du es bringſt. Mannichmal kann eine Frau viel ſagen, wenn ſie es recht anfaͤngt. Auf ſeine Bedien - ten wendet er auch zu viel; die Leute leben wie die kleinen Herren. Viel Arbeit, und maͤßig Futter macht gute Leute, ſagte mein ſeliger Vater immer. Nun er mag das halten, wie er will, es geht mich nichts an, und was mich nicht brennt, loͤſche ich nicht. Wie geſagt, nimm den Mann! Aber das ſage ich dir, fange es klug an; es wird Dein Schade nicht ſeyn. Eine gute Eheſtiftung iſt das Haupt - werk. Schmiede das Eiſen, weil es warm iſt. Jtzt thut er alles, was Du verlangſt. Wenn er Dich einmal hat, hernach mußt Du nach ſeiner Pfeife tanzen. Du wirſt mich wohl verſtehn. Jch will Dir meinen Advocaten ſchicken, der weiß, wo die Zaͤume haͤngen. Du bringſt ihm ſiebentauſend Thaler mit. Laß Du Dir dreyßigtauſend Thaler dagegen vermachen. Stirbt er ohne Kinder was meynſt Du wohl, ob das geſchehn wird? Nun albernes Maͤdchen, daruͤber mußt Du nicht roth werden; wie geſagt, ſtirbt er ohne Kinder, ſoYmuß338Satyriſche Briefe. muß das ganze Vermoͤgen an Dich fallen, ſchlech - terdings an Dich, dafuͤr ſorge ja, denn Du biſt ſeine Frau. Was gehn Dich ſeine armen Freunde an? Der alte Vater wird doch auch nicht ewig leben, und Du kannſt hernach noch allemal thun, was Du willſt. Es iſt beſſer, ſeine Freunde ſehn Dir in die Haͤnde, als Du ihnen. Die Zeiten werden immer ſchlimmer, ſieh Dich ja wohl vor. Steuern und Gaben ſteigen. Der Einnahme wird immer weniger; und was ſoll hernach eine arme Wittwe anfangen, wenn ihr der Mann geſtorben iſt? Die Freunde ſind alsdann immer die ſchlimm - ſten. Wie geſagt, heirathe ihn in Gottes Na - men; es iſt eine gute Parthie. Mein Advocat ſoll dir noch mehr ſagen. Jch muß auf die Boͤrſe gehn.

Lebe wohl.

N. S. Die dreyßigtauſend Thaler laß Dir in fein - ſilbrigen Zweydrittheilen verſchreiben. Je ſpaͤter Dein Mann ſtirbt, deſto mehr thun ſie hernach; denn das Agio ſteigt, Gott Lob! alle Tage.

Schweſterchen,

Biſt Du toll? Du wirſt doch den eigenſinnigen Mann nicht heirathen wollen! Das wird einmal ein zaͤrtlicher Ehmann ſeyn, der ſchon als Liebhaber ſo deutſch von der Leber weg ſpricht, ehe er noch weiß, ob Du ihn haben willſt. Das ſtuͤn -de339Satyriſche Briefe. de mir an, daß ich mir auf eine ſo gebietriſche Art ſollte Lebensregeln vorpredigen laſſen. Es wun - dert mich, daß Dein zaͤrtlicher Tyrann nicht gleich das Maaß mit geſchickt hat, wie weit Dein Reif - rock ſeyn ſoll, wenn Du das Gluͤck haſt, ſeine un - terthaͤnig gehorſamſte Frau zu werden. Alles von der Welt laſſe ich mir gefallen. Aber das mag ſich mein kuͤnftiger Mann ja nicht unterſtehn, daß er mir vorſchreiben will, was ich fuͤr Kleider tra - gen ſoll. Dafuͤr iſt er mein Mann, und nicht mein Schneider. Hat er das Herz nicht, eine Frau zu ernaͤhren, welche ſo viel braucht, als ich: ſo mag er mich nicht nehmen; oder, wenn er mich doch nimmt, ſo ſoll er ſehn, wie ich ihm den Kopf will zurechte ſetzen. Was hilft uns denn unſer Eingebrachtes? Geben wir das um deßwillen hin, daß wir die hohe Ehre haben, Frau zu werden? Sachte, vielkuͤhner Ritter! Heut zu Tage ſpielt man die Romane anders! Ein Maͤdchen, das dem Manne tauſend Thaler zubringt, hat das Recht, ihm alle Jahre tauſend zu verthun. Da - fuͤr hat er auch eine Frau, die ihm Ehre macht. Soll ich mich um deßwillen nicht ſo praͤchtig hal - ten, als meine Nachbarinn, damit mein Mann ehr - lich bleibt? Wo koͤmmt denn dieſe neue Weishelt her? Laß es ſeyn, Schweſterchen, daß der Mann zum Teufel geht, und bankrut macht: was ſcha - det das der Frau? Und wenn alle Glaͤubiger be - trogen werden, ſo gewinnt doch die Frau, oder ſie muß es ſehr dumm anfangen. Aber Dein MannY 2ver -340Satyriſche Briefe. verliert ja ſeinen ehrlichen Namen dabey? Aber warum denn? Bey uns wohl nicht, Schweſter - chen. Es iſt niemand ehrlicher, als ein muthwillig bankruter Kaufmann, und niemand gluͤcklicher, als ſeine Frau, die ihn dazu gebracht hat. Wie altvaͤtriſch biſt Du! Mit einem Worte, Dein Lieb - haber mag ſeyn, wie er will, fuͤr mich waͤre er nicht. So lange ich noch nach meinem Kopfe leben kann: ſo lange mag ich noch nicht ins Zuchthaus. Thue, was Du willſt, mit meinem Willen ſollſt Du den alten Jeſus Syrach nicht heirathen. Deßwegen wollen wir nicht ſitzen bleiben; ich gebe Dir mein Wort. Fuͤr unſer Geld koͤnnen wir uns einen Mann kaufen, wie wir ihn haben wollen, einen feinen geduldigen, und gehorſamen Mann: das laſſe ich eher gelten. Lebe wohl und uͤbereile Dich nicht.

Jch bin Deine aufrichtige Freundinn ꝛc.

Jungfer Muhme,

Jhr Herzensbaͤndiger ſcheint ein allerliebſter Pe - dant zu ſeyn. Was muß er mit ſeiner Ord - nung ſagen wollen, die er ſo einfoͤrmig gehalten wiſſen will, daß ihm nicht eine Viertelſtunde ver - ruͤckt wird? Der haͤtte ſollen einen guten Schul - rektor in einem kleinen Staͤdtchen abgeben, wo die Knaben von fruͤh um ſechs Uhr an bis auf den Abend um zehn Uhr nach dem Takte der Ruthe ſich anziehen, lernen, eſſen, trinken, und ſchlafen muͤſſen, und das heute wie geſtern, und morgenwie341Satyriſche Briefe. wie heute. Unmoͤglich iſt es Jhr Ernſt, daß Sie dieſen ſchematiſchen Mann heirathen wollen. Ver - zeihn Sie mir dieſen Ausdruck; mein Bruder nennte ihn ſo, und lachte erſchrecklich dazu. Es muß wohl ein artiges Wort ſeyn; denn mein Bru - der iſt witzig, wie der Henker! Wie geſagt, Jhr Ernſt kann es unmoͤglich ſeyn, oder Sie ſollten mich ſehr dauern. Bedenken Sie einmal, was ſoll das fuͤr eine Zucht werden? Einen Tag, wie den andern, beſtaͤndig ordentlich, das iſt ja gar unertraͤglich! Soll ich Jhnen einmal wahrſagen? Wollen Sie wiſſen, wie es gehen wird? Hier ha - ben Sie Jhren Lebenslauf:

Fruͤh um ſechs Uhr ſteht die junge Frau auf, nachdem ſie dreymal gegaͤhnt, und zweymal die Augen gewiſcht hat. Sie zieht ſich an, und zwar gleich reinlich und ſorgfaͤltig, damit ſie das ſeltne Gluͤck hat, ihrem theuern Gemahle zu gefallen. Es wundert mich, Liebe Jungfer Muhme, daß Jh - nen Jhr Liebhaber nicht auch vorgeſchrieben hat, wie lang der Morgenſeegen ſeyn ſoll. Wie leicht koͤnnten Sie laͤnger beten, als er es ausgerechnet hat, daß Sie beten ſollten. Weiter:

Um ſieben Uhr wird Thee, oder Caffee ge - trunken, drey, hoͤchſtens vier Taſſen, mehr nicht, junge Frau, bey Leibe nicht mehr, daß ja die Wirthſchaft nicht in Unordnung geraͤth. Mit dem Schlage achte muß auch das Fruͤhſtuͤck ver - zehrt, und alles wieder abgeraͤumt, und an ſeinen Ort geſetzt ſeyn.

Y 3Um342Satyriſche Briefe.

Um acht Uhr geht der Mann auf die Schrei - beſtube. Er kuͤßt Sie zum Abſchiede, und geht! Sehn Sie nun, Jungfer Muhme, darauf koͤnnen Sie alſo ſichre Rechnung machen, daß wenn er Sie den erſten Tag fruͤh um acht Uhr gekuͤßt hat, ſo kuͤßt er Sie das ganze Jahr lang fruͤh um acht Uhr. Betraͤgt in einem Jahre, richtig gerechnet, dreyhundert und fuͤnf und ſechzig Kuͤſſe zum Fruͤh - ſtuͤcke, und wenn wir ein Schaltjahr haben, noch einen Kuß mehr.

Von acht bis zwoͤlf Uhr haben Sie Zeit, Jh - re Wirthſchaft zu beſorgen, und, wie Jhr zukuͤnf - tiger Eheherr ſehr tiefſinnig ſich ausdruͤckt, ſich der Herrſchaft in der Kuͤche zu bemaͤchtigen.

Um zwoͤlf Uhr koͤmmt er heim. Sorgen Sie ja, daß Sie fein nach Rauche riechen, und Rus am Arme haben, damit er die gute Wirthinn ſieht. Aber vor allen Dingen ſorgen Sie, daß das Eſſen mit dem zwoͤlften Schlage auf dem Ti - ſche ſteht.

Bis um zwey Uhr wird gegeſſen, und wie ich hoffen will, nichts gethan, als Caffee getrunken.

Um zwey Uhr geht er wieder an ſeine Arbeit, und Sie gehn ins Bette. Denn ſo ein Barbar wird er doch nicht ſeyn, daß er Jhnen dieſes ver - wehren wollte. Schlafen koſtet ja kein Geld, und wenn Sie ſchlafen, ſo widerſprechen Sie auch nicht; zween Hauptpunkte, die Jhr Sittenpredi - ger ſehr einzuſchaͤrfen ſucht! Bis um ſieben Uhr alſo thun Sie, was Jhnen gefaͤllt, und dieſes wer -den343Satyriſche Briefe. den wohl die einzigen Stunden ſeyn, wo Sie im Stande der natuͤrlichen Freyheit leben, wie mein Bruder zu ſagen pflegt.

Um ſieben Uhr erſcheint der Herr vom Hau - ſe wieder, und verſichert die Frau vom Hauſe ſei - ner Gunſt und geneigten Willens zuvorn.

Um acht Uhr koͤmmt das Abendeſſen unver - zuͤglich.

Um neun Uhr, denn ſo lange, und laͤnger nicht, darf man bey Tiſche ſitzen, wird die Tafel aufgehoben, vielleicht gebetet; und ſodann erhebt ſich der Herr mit ſeiner huldreichen jungen Frau zum Camine, eine Pfeife Tabak zu rauchen, und ſie zu examiniren, wie ſie heute ihre Stunden ein - getheilt hat.

Es ſchlaͤgt zehn Uhr. Geſchwind die Pfeife ausgeklopft, ausgezogen, zu Bette gegangen, und hernach was weiß ichs! Vermuth - lich alles nach Stunden und Minuten, damit wir ja nicht in Unordnung kommen.

Fruͤh um ſechs Uhr wieder aufgeſtanden, und ſodann ut ſupra, ſpricht mein Bruder.

Nun, Liebe Jungfer Muhme, wie gefaͤllt Jh - nen der Lebenslauf? So ordentlich geht die Son - ne nicht auf und unter. Muß ſo ein Ehſtand nicht ſchoͤn ſeyn? Aber das rathe ich Jhnen, wenn Sie einmal in die Wochen kommen ſollten, daß Sie Sich ja an die Stunde binden, die er Jh - nen ſetzt; ſonſt bringen Sie ihn um alle ſeine Ordnung.

Y 4Jm344Satyriſche Briefe.

Jm Ernſte, Jhr Liebhaber iſt unertraͤglich. Wenn Sie es gut mit Sich Selbſt meynen, ſo flech - ten Sie ihm ein niedliches Koͤrbchen, und ſchicken Sie ihn heim. Das verdient der Eigenſinn. Jch verharre

Jhre Dienerinn ꝛc. ꝛc.

Liebe Schweſter,

Das muß ich geſtehn! So offenherzig habe ich noch keinen Liebhaber geſehn! Eine ganz neue Mode, ſein Gluͤck zu machen, wenn man ſeine Fehler beichtet! Das wolle der Himmel nicht, daß das Ding unter uns Maͤdchen Mode werde! Was meynſt du wohl, Schweſter, daß ich zu mei - nem Amadis ſagen ſollte? Soll ich etwan ſpre - chen: Jch habe die Ehre, Jhnen zu ſagen, daß ich ein Maͤdchen bin, welches einen Mann haben moͤchte, und wenn er auch noch duͤmmer waͤre, als Sie, tapfrer Amadis. Jch gebe Jhnen meine Hand, um mich dem jungfraͤulichen Zwange zu entreiſſen, und als Frau thun zu koͤnnen, was ich will. Jch habe den Fehler, daß ich keine Mannsperſon haſſe, ob ich gleich nur einen auf einmal heirathe. Jch kann nicht leiden, daß Sie mir widerſprechen, denn Sie ſind der Mann, und ich bin ein ſchwaches Werkzeug. Jch wer - de Jhnen nicht mehr verthun, als ich brauche;aber345Satyriſche Briefe. aber ich brauche ſehr viel, um andern Weibern nichts nachzugeben. Jch werde alle Tage in Geſellſchaft gehn, damit mir Jhre beſtaͤndige Gegenwart nicht zur Laſt wird. Sorgen Sie fuͤr Geld zum Spielen, damit Sie Ehre von mir haben. Wenn ich erſt ſpaͤt in der Nacht nach Hauſe komme, ſo ſchlafen Sie nur ruhig. Jch bin muͤndig, und kann mir ſelbſt rathen. Fuͤr die Wirthſchaft werden Sie ſorgen, denn Sie ſind Herr vom Hauſe. Jch habe Sie geheira - thet, um eine Frau zu ſeyn, und Sie, mein Herr, haben die Ehre, daß Sie mein Mann ſind, um mich zu ernaͤhren; wie Sie das moͤglich machen, das iſt meine Sorge nicht. Dieſes ſind meine Fehler, Zaͤrtlicher Amadis; beſinnen Sie ſich, ob Sie dem ungeachtet Sich getrauen, mit mir gluͤcklich zu leben. Wie gefaͤllt Dir das, Schweſter? Sollte ich ſo treuherzig ſeyn? Jch weiß wohl, wie ich bin, was braucht es mein Lieb - haber zu wiſſen. Er wird es Zeit genug erfahren, wenn er mich am Halſe hat. Du denkſt vielleicht, Schweſter, was fuͤr ein gluͤckliches Maͤdchen Du biſt, daß Du ſo einen treuherzigen Beichtſohn zum Freyer haſt. Glaub es nur nicht. Das ſind die ſchlimmſten, die ſich ſo aufrichtig ſtellen. Wage es einmal, wenn er Dein Mann iſt, und wirf ihm ſeine Fehler vor! Habe ich Dir es nicht geſagt, wird er ſprechen, daß ich dieſen Fehler habe, warum haſt Du mich genommen? Aber das iſt das ſchlimm - ſte noch nicht. Hat dein Mann das Herz, ſo vielY 5Fehler346Satyriſche Briefe. Fehler von ſich ſelbſt zu ſagen: wie wird er Dir die Ohren reiben, wenn er Deine Fehler kennen lernt! Das waͤre mir unertraͤglich. Wenn ich ſchon Frau bin, und Kinder ziehe, ſoll ich da noch erſt mich ſelbſt ziehen und hofmeiſtern laſſen? Nein, Herr Mann, das laſſe er bleiben, oder es laͤuft nicht gut ab!

Mit einem Worte, Schweſter, uͤberlege, was Du thuſt, und mache Dich nicht ohne Noth un - gluͤcklich.

Lebe wohl.

Liebe Jungfer Gevatterinn,

Jch weiß nicht, was ich Jhnen rathen ſoll. So viel iſt gewiß, ich moͤchte lieber des Herrn R Vater oder Bedienter ſeyn, als ſeine Frau. Er verlangt von Jhnen gar zu viel, gewiß gar zu viel. Mein ſeliger Mann, troͤſte ihn Gott! haͤtte mir ſo kommen ſollen, wie Jhnen Jhr Liebhaber begegnet; mit Fuͤſſen haͤtte ich ihn getreten, den Hund! Es kann unmoͤglich ein gutes Ende nehmen, da er ſchon ſo fruͤh anfaͤngt, die Klauen ſehen zu laſſen. Das wolle der Himmel nicht, was ſoll daraus werden! Wir armen Weiber! Wir haben die ganze Wirth - ſchaft, und die Kinder auf dem Halſe, wenn unſre Maͤnner aus dem Hauſe gehen, und vornehmen, was ſie wollen. Sollen wir nicht zu Hauſe un - ſern Willen haben, da wir ohnedem halbe Skla - vinnen ſind? Ueberlegen Sie es wohl, Jungfer Gevatterinn, bey Jhren Jahren und bey JhremGelde347Satyriſche Briefe. Gelde koͤnnen Sie allemal waͤhlen, wie Sie wol - len. Der junge Herr P wird außer ſich ſeyn, wenn er es erfaͤhrt. Sie koͤnnen es nicht verantworten, daß Sie dem armen P. be - ſtaͤndig ſo ſproͤde begegnet haben. Verſtand hat er freylich nicht, aber deſto beſſer fuͤr ſeine kuͤnftige Frau. Hat er doch Geld, und wenn der Vater ſtirbt, ſo will er Baron werden, und den Pfeffer - kram aufgeben. Denken Sie einmal! Frau Ba - roneſſinn! Gnaͤdige Frau Baroneſſinn! Wie das klingt! Und wenn Sie den Herrn R hei - rathen, ſo heißt es Frau R ſchlechtweg, und wenn es hoch koͤmmt, ſo koͤmmt eine Frau Commerzraͤthinn heraus. Wie geſagt, uͤbereilen Sie Sich nicht. Es waͤre ewig Schade um Sie.

Jch bin ꝛc.

N. S. Wiſſen Sie denn auch, daß Jhr Herr R ſchon vierzig Jahre alt iſt?

Mademoiſelle,

Jch habe neulich vergeſſen, Jhnen noch einen Fehler von mir zu ſagen. Es iſt dieſer, daß ich ſehr ungeduldig liebe, wenn ich liebe; und daß ich ſehr unruhig bin, wenn ich in vierzehn Tagen die Erklaͤrung noch nicht erhalten kann, die ich mir binnen acht Tagen ausgebeten. Haben Sie die Guͤte, melden Sie mir Jhre Entſchließung. Auf der Welt wuͤnſche ich mir nichts ſo ſehr, als Jhre Gegenliebe. Jch werde vielleicht untroͤſtbar ſeyn,wenn348Satyriſche Briefe. wenn Sie mir eine abſchlaͤgliche Antwort geben; aber ich ſchaͤtze Sie zu hoch, als daß ich Jhnen den geringſten Zwang anthun ſollte. Erklaͤren Sie Sich frey. Bin ich ungluͤcklich genug, Sie nicht zur Frau zu bekommen: ſo laſſen Sie mir wenig - ſtens die Hoffnung, daß Sie mich fuͤr Jhren Freund annehmen wollen. Jch werde das ewig ſeyn, und mich aufrichtig freuen, wenn es Jhnen allezeit ſo wohl geht, als es Jhre Tugend verdient. Jch bin

der Jhrige, R

Mein Herr,

Vielleicht wuͤrde ich Jhnen geſchwinder geant - wortet haben, wenn ich nicht ſo viel Hochach - tung fuͤr Sie haͤtte. Jch habe Zeit gebraucht, um zu uͤberlegen, ob ich das Zutrauen verdiene, welches Sie gegen mich aͤuſſern. Der Rath meiner naͤch - ſten Anverwandten ſchien mir in einer ſo wichtigen Sache noͤthig zu ſeyn. Eine unvorſichtige Ent - ſchließung wuͤrde vielleicht der erſte Fehler geweſen ſeyn, den Sie an mir billig zu tadeln gefunden haͤt - ten. Diejenigen von meinen Freunden, auf deren Einſicht ich mich verlaſſen kann, verſichern mir ſo ſo viel gutes von Jhnen, mein Herr, daß ich mich nicht laͤnger bedenken darf, Jhnen meine Hand an - zubieten. Jch thue es mit der Empfindung einer Perſon, welche wuͤnſcht, durch Jhre Liebe gluͤcklich, und Jhrer Zuneigung immer wuͤrdiger zu werden.

Jch bin ꝛc.

Jch349Satyriſche Briefe.

Jch hoffe, ich will mich mit der Erfahrung ſchuͤtzen, wenn ich behaupte, daß viele aus Neigung lieben, aber aus Eigennutz heira - then. Wenigſtens haben diejenigen kein Recht, mir zu widerſprechen, welche ſich mit einem Frau - enzimmer verbinden, die, nach dem ordentlichen Laufe der Natur, ihre Großmutter ſeyn koͤnnte. Dieſe Liebhaber der Alterthuͤmer gewinnen in der That ſehr viel, wenn man ihnen Schuld giebt, daß ihre Verbindungen aus Eigennutz geſchehen. Waͤre dieſes nicht, ſo wuͤrde man ſie gar fuͤr naͤr - riſch halten; und ich glaube nach der Art, wie die heutige Welt denkt, iſt es immer ruͤhmlicher, ei - gennuͤtzig, als naͤrriſch zu ſeyn. Jch bin alſo nicht wider dieſe Art der Ehen. Dieſes nur ſcheint mir unleidlich zu ſeyn, daß man dergleichen Frauen - zimmern, welche ohnedem ihr Alter aberglaͤubiſch macht, ſo viel von Liebe, und zaͤrtlichen Empfin - dungen vorſchwatzt. Es iſt unbillig, ihre Leicht - glaͤubigkeit zu misbrauchen. Jch will ein For - mular geben, wie man in dergleichen Faͤllen ſeuf - zen muͤſſe. Ein jeder, der es braucht, wird es nach ſeinen Umſtaͤnden zu veraͤndern wiſſen. Jn der Hauptſache werden wir immer einig ſeyn, wenn wir anders aufrichtig ſeyn wollen.

Mada -350Satyriſche Briefe.
Madame,

Da ich nur fuͤnf und zwanzig Jahre alt bin, und Sie geſtern in Jhr ſieben und funfzigſtes ge - treten ſind: ſo wird mich die ganze Welt fuͤr einen Narren halten, wenn man erfaͤhrt, daß ich mich habe uͤberwinden koͤnnen, Jhnen zu ſagen, daß ich Sie liebe, und Sie um Jhre Gegenliebe bitte. Waͤre ich einer von den jungen leichtſinnigen Men - ſchen, welche auf weiter nichts ſehn, als auf die Jahre, und auf ein friſches bluͤhendes Geſicht: ſo wuͤrde ich mir ſelbſt dieſen Vorwurf der Thorheit machen. Aber nein, Madame, meine Liebe iſt gruͤndlicher, und ernſthafter. Außer dem daß Sie, ungeachtet Jhrer Jahre, noch immer das muntre und friſche Weſen beybehalten, das Sie in vorigen Zeiten ſchoͤn und reizend gemacht haben mag: ſo beſitzen Sie gewiſſe Vorzuͤge, Madame, die Jhren Werth unendlich erhoͤhn. Jedes Jahr, das Sie zu alt ſind, koͤnnen Sie mit tauſend Thalern ab - kaufen; und Sie kommen mir bey dieſer Rechnung kaum als ein Maͤdchen von ſechzehn Jahren vor. Jch ſchwoͤre Jhnen alſo bey Jhrem Gelde, und bey allem, was mir ehrwuͤrdig iſt, das ich Sie und Jhre Vorzuͤge aufs heftigſte liebe. Entſchlieſſen Sie Sich die Meinige zu ſeyn. Jch glaube, Sie werden bey Jhren Umſtaͤnden mehr nicht von mir verlangen, als Ehrfurcht und Geduld. Dieſe ver - ſpreche ich Jhnen. Da Sie ſo vernuͤnftig ſind,Mada -351Satyriſche Briefe. Madame, ſo traue ich Jhnen zu, daß Sie meine Geduld nicht misbrauchen, und zum laͤngſten in ſechs Jahren Anſtalt machen werden, mich in die Umſtaͤnde zu ſetzen, daß ich den ſchmerzlichen Ver - luſt einer ſo ehrwuͤrdigen Frau als ein betruͤbter Wittwer zween Monate lang beweinen, und ſo - dann, durch Huͤlfe Jhres Geldes, mir ein junges Maͤdchen waͤhlen kann, in deren Armen ich das je - nige empfinde, was ich itzt nicht fuͤhle, und welche mich vergeſſen laͤßt, daß ich mir die Gewalt ange - than habe, zu ſeyn,

Madame, der Jhrige.

Jch352Satyriſche Briefe.

Jch habe mich ſchon oben erklaͤrt, in wie weit ich es entſchuldige, wenn junge Mannsperſonen alte Weiber heirathen. Laͤcherlich ſind ſie mir immer, das kann ich nicht laͤugnen. Sind ſie aber nur mit ihrem guten Vortheile laͤcherlich, und machen ſie nur Anſtalt, daß ihre bejahrten Schoͤnen ſich zu rech - ter Zeit abfuͤhren: ſo werden ſie etwas haben, womit ſie ſich uͤber die Spoͤttereyen der Welt troͤ - ſten koͤnnen. Sie kommen mir wie diejenigen vor, die vor dem alten Bilde einer Heiligen knien, das ſchon ihr Großvater angebetet hat. Werden ſie erhoͤrt, ſo iſt es ſchon gnug, nur darf dieſe Andacht nicht zu lange dauern. Oft fehlen wir in unſrer Hoffnung, und alsdann iſt das Ungluͤck nicht zu uͤberſehn. Jch habe einen Freund, wel - chen ſeine Schulden noͤthigten, auf dieſe verzwei - felte Art zaͤrtlich zu thun. Er hat ſein Ungluͤck zwanzig Jahre mit ziemlicher Gelaſſenheit ertra - gen. Schon dreymal hat er alles eingekauft, was zur Trauer eines Wittwers gehoͤrt, und drey - mal hat ſich ſeine fuͤnf und ſiebenzigjaͤhrige Phyl - lis entſchloſſen, wieder geſund zu werden, und vom neuen aufzuleben. Er hat mich gebeten, nach - ſtehenden Brief bekannt zu machen, damit er ſich bey denen entſchuldige, welche ihm die ungleiche Heirath mit einer fuͤnf und funfzigjaͤhrigen Wittwe ehedem als eine Thorheit haben auslegen wollen.

Er353Satyriſche Briefe.

Er wuͤnſcht, daß ſich andre an ſeinem Exempel ſpiegeln, und ſich auf die Sorgfalt der Aerzte nicht zu ſehr verlaſſen moͤgen, welche nicht allemal im Stande ſind, einen Koͤrper zu toͤd - ten, bey dem die Liebe alle heilſame Arzneyen entkraͤftet. Hier iſt der Brief, welcher der Grund zu ſeinem Ungluͤcke war. Kann man wohl ſo unempfindlich ſeyn, und ſolchen Reizun - gen widerſtehn?

Mein Herr,

Jch weiß in der That nicht mit Gewißheit zu ſa - gen, wie alt ich eigentlich bin. Nach mei - nem Taufſcheine bin ich etliche und funfzig Jahre. Jch kann mir aber nicht anders einbilden, als daß ſich der Kuͤſter verſchrieben haben muß; denn nach meinen Kraͤften, nach der Begierde, die Welt zu genießen, und nach dem Verlangen, Jhnen, mein Herr, zu gefallen, nach allen dieſen Umſtaͤnden zu urtheilen, bin ich unmoͤglich aͤlter, als dreyßig, hoͤchſtens ſechs und dreyßig Jahre. Jch bin auf dem letzten Balle ungemein mit Jhnen zufrieden geweſen. Sie haben bey Jhren zwanzig Jahren etwas ſo geſetztes, und maͤnnliches, welches alle meine Aufmerkſamkeit verdient. Die andern jun - gen Herren flatterten um die Maͤdchen herum, die weder zum Lieben noch zum Taͤndeln alt genug, und viel zu jung ſind, vernuͤnftig mit ſich reden zu laſ - ſen. Jch werde es ewig nicht vergeſſen, mit wel -Zcher354Satyriſche Briefe. cher Achtung Sie mir den ganzen Abend hindurch begegneten. Jch war die erſte, die Sie zum Tan - ze auffoderten, und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich Sie verſichre, daß ich bey aller Jhrer Beſcheidenheit die loſe Sprache Jhrer Augen ver - ſtanden, und Jhr ganzes Herz geſehen habe, als Sie mir die Hand zum erſtenmale kuͤßten. Faſt ſind Sie noch ein wenig zu furchtſam. Jch will Jhrer Schuͤchternheit auf dem halben Wege ent - gegen kommen. Jch will Jhnen ſagen, daß ich Sie liebe. Urtheilen Sie, wie jung mein Herz ſeyn muß, da es mit dem Jhrigen einerley fuͤhlt. Wie gluͤcklich werde ich ſeyn, wenn ich, bey einer genauern Verbindung mit Jhnen, mich wegen derjenigen Jahre ſchadlos halten kann, in denen ich an der Seite eines abgelebten muͤrriſchen Man - nes ganz troſtlos ſeufzen muͤſſen. Meine Aeltern zwangen mich, ihn zu heirathen, weil er Vermoͤ - gen hatte; ich konnte ihn aber aller, Bemuͤhungen ungeachtet, dahin nicht bringen, daß er ſeines Le - bens uͤberdruͤßig geworden waͤre. Dreyßig Jahre, koͤnnen Sie es wohl glauben, dreyßig Jahre lebte er noch, und nur mir zum Trotze iſt er nicht eher, als vor fuͤnf Jahren, geſtorben. Jch bin ganz frey, und beſitze, auſſer einem zaͤrtlichen Herzen, Geld genug, Sie gluͤcklich zu machen. Wollen Sie meine Hand annehmen? Hier iſt ſie. Es koͤmmt auf Sie an, wie viel Sie verlangen, Sich einen Rang zu kaufen, und eine anſtaͤndige Equipage anzuſchaffen. Mit wem ich mein Herz theile, mitdem355Satyriſche Briefe. dem theile ich auch mein Vermoͤgen. Mit der Zeit ſoll beides ganz Jhre ſeyn. Waͤren Sie weniger bloͤde, ſo wuͤrde ich mehr behutſam ſeyn, Jhnen meine Empfindungen zu entdecken. Jhre Liebe iſt mir unſchaͤtzbar; wie groß wird das Ver - gnuͤgen noch alsdann ſeyn, wenn kuͤnftig einmal, der Himmel gebe, ſo ſpaͤt, als moͤglich, die Zei - ten kommen, die uns bey einem herannahenden Alter noͤthigen, unſre Liebe in eine ernſthafte Freundſchaft zu verwandeln! Jch brenne vor Ver - langen, Jhre Entſchlieſſung aus Jhrem Munde zu hoͤren. Jch werde auf den Abend zu Hauſe ſeyn. Wie jugendlich ſchlaͤgt mein Herz, da ich dieſes ſchreibe! Jch zittre, aber nur vor Vergnuͤ - gen zittre ich. Wie entzuͤckend wird der Augen - blick ſeyn Nein, mein Herr, mehr kann ich nicht ſagen. Bey nahe vergeſſe ich, daß ich ein Frauenzimmer bin. Mit einem Worte, ich liebe Sie. Preſſen Sie mir kein offenherziger Be - kenntniß ab.

Jch liebe Sie, und bin ganz die Jhrige.

Z 2Die356Satyriſche Briefe.

Die Menſchen ſind ſo ſinnreich, daß ſie viel - mal ihren groͤßten Thorheiten einen frommen Anſtrich zu geben wiſſen. Bis auf die uͤbereilten Ehen erſtreckt ſich dieſe Art der Andacht. Viele heirathen, ohne zu uͤberle - gen, ob ſie im Stande ſind, den unentbehrlichen Aufwand zu beſtreiten, welchen eine Wirthſchaft erfodert. Sie ſehen die Noth voraus, in die ſie ſich und die ihrigen ſtuͤrzen; ſie koͤnnen aber der Liebe nicht widerſtehn. Und weil ſie in andern Handlungen vernuͤnftig genug ſind, nichts unbe - ſonnenes zu unternehmen: ſo ſuchen ſie ſich zu be - reden, daß diejenige Thorheit, zu welcher ſie ſich itzt anſchicken, eine Art von guten Werken ſey, wo ſie ihr chriſtliches Vertrauen auf die goͤttliche Vorſorge an den Tag legen, und den Himmel, ſo zu ſagen, bey ſeinem Verſprechen feſt halten wollen, damit er Anſtalt mache, ſie zu ernaͤhren. Sie beten, und beten vielleicht andaͤchtig. Aber auch eine Thorheit, die man mit Gebet anfaͤngt, bleibt dennoch eine Thorheit, und zieht oft die ungluͤcklichſten Folgen nach ſich, welche in dem gegenwaͤrtigen Falle deſto empfindlicher ſind, ie weniger wir uns vorwerfen wollen, daß die Schuld unſer ſey. Wir wollen den Himmel zur Verantwortung ziehn. Wie leicht wird uns das Herz, wenn wir iemanden finden, dem wir unſre Uebereilung Schuld geben koͤnnen! Einleicht -357Satyriſche Briefe. leichtſinniger Thor flucht auf das Schickſal; ein frommer Thor ſeufzt uͤber den Himmel. Beide ſind Thoren!

Da dieſe unvorſichtigen Verbindungen nicht ungewoͤhnlich ſind: ſo werden ſich vielleicht Leſer finden, welche ſich nachſtehende zween Briefe zu Nutze machen koͤnnen.

Mademoiſelle,

Jch habe einige Jahre her das Vergnuͤgen ge - habt, durch einen oͤftern Umgang den Werth Jhrer Tugenden, und die Vortrefflichkeit Jhrer Gemuͤthsart kennen zu lernen. Da ich und Sie uͤber die erſten Jahre weg ſind, in denen man die Empfindungen der Liebe gar leicht einer fluͤchtigen Uebereilung Schuld giebt: ſo kann ichs wagen, Jhnen meine Zaͤrtlichkeit zu entdecken, und Sie zu verſichern, daß ich es fuͤr mein groͤßtes Gluͤck in der Welt halte, der Jhrige zu ſeyn; und daß ich dieſes mit einer ſo reifen Ueberlegung ſchreibe, daß ich uͤberzeugt bin, dieſes Gluͤck wird mir nach vielen ſpaͤten Jahren noch eben ſo ſchaͤtzbar ſeyn, als es mir itzt iſt. Was fuͤr ein Himmel muß ein Ehſtand ſeyn, wo ſich die Liebe auf Tugend gruͤn - det, und wo man ſich von beiden Theilen Muͤhe giebt, die Hochachtung gegen einander immer neu zu erhalten, und taͤglich zu vermehren! Dieſe ſelt - ne Gluͤckſeligkeit kann ich mir von niemanden in der Welt verſprechen, als von Jhnen, Mademoi -Z 3ſelle358Satyriſche Briefe. ſelle; und ich meines Orts muͤßte aller Empfindun - gen der Menſchheit unwuͤrdig ſeyn, wenn ich das Geringſte verſaͤumen wollte, Jhre Gluͤckſeligkeit eben ſo vollkommen zu machen, als ich die meinige zu ſehn wuͤnſche. Kann ich hoffen, in meinen Wuͤnſchen gluͤcklich zu ſeyn? Das macht mir keine Sorge, daß mein Amt ſehr wenig eintraͤglich iſt; daß Sie ſelbſt kein Vermoͤgen beſitzen; und daß ich kei - ne ſo nahe Hoffnung vor mir ſehe, wie dieſem Mangel der zeitlichen Gluͤcksumſtaͤnde abzuhelfen ſeyn moͤchte. Es kann nicht fehlen, eine ſo tugend - hafte Liebe, wie die unſrige iſt, laͤßt der Himmel nicht unbelohnt. Er wird uns Wege zu unſrer Verbeſſrung zeigen, die wir als einen Seegen unſrer vernuͤnftigen Abſichten anſehn koͤnnen. Geſetzt aber auch, unſre Umſtaͤnde verbeſſerten ſich nicht; geſetzt, wir lebten kuͤmmerlich: o wie viel haben wir vor tauſend Familien voraus, da uns unſre aufrichtige und zaͤrtliche Liebe nicht Zeit laͤßt, an unſern Mangel zu denken. Jch wenigſtens, Ma - demoiſelle, ich traue mir, bey Waſſer und Brod der vergnuͤgteſte Ehmann zu bleiben, wenn ich das Gluͤck habe, der Jhrige zu ſeyn.

Antwort.

Nein, wahrhaftig nein, mein Herr, das iſt meine Religion nicht. So hoch ich Sie ſchaͤ - tze, und ſo lieb ich Sie als einen meiner beſten Freunde habe: ſo wenig kann ich mich entſchlieſſen,als359Satyriſche Briefe. als Frau im Namen Gottes mit Jhnen zu hun - gern. Glauben Sie mir, es geſchieht nicht aus Leichtſinn, daß ich ſo ſchreibe. Sie kennen mich. So lebhaft ich bin, ſo ernſthaft bin ich auch, wenn ich an eine Verbindung denke, deren Folgen ſo wichtig ſind. Jch bin uͤberzeugt, daß Sie der rechtſchaffenſte Mann von der Welt ſind, daß Sie mich aufrichtig lieben, daß Sie alles daran wagen wuͤrden, mich gluͤcklich zu machen; daß unſer Eh - ſtand ein wahres Muſter einer vernuͤnftigen Ehe ſeyn wuͤrde. Das alles weiß ich. Aber, mein Herr, aus Hochachtung gegen Sie, aus wahrer Freundſchaft, verſtehn Sie mich wohl, aus bloßer Liebe zu Jhnen, mag ich Sie nicht zum Manne ha - ben. Glauben Sie denn, daß unſer Ehſtand nur vier und zwanzig Stunden dauern ſoll? Und glauben Sie denn, wenn man vier und zwanzig Stunden Waſſer und Brod gegeſſen hat, daß man ſich nicht ein wenig Fleiſch und Zukoſt wuͤnſcht. Bey einem leeren Magen kann ſichs unmoͤglich lan - ge zaͤrtlich lieben. Stellen Sie Sich einmal vor, daß wir in chriſtlichem Vertrauen auf die Vorſorge des Himmels Mann und Weib ſind; daß Sie an dieſem Ende der Stube ſitzen, und ich an dem an - dern; daß Sie nichts zu eſſen haben, und daß mich hungert; daß ich aus Liebe zu Jhnen recht ſatt thue, und daß Sie aus zaͤrtlicher Gegenliebe den Kopf traurig ſtuͤtzen, und unruhig nachdenken, wo Sie etwas zu eſſen fuͤr Jhre verhungerte Haͤlfte, fuͤr Jhr anders Jch hernehmen ſollen: was fuͤr ein HimmelZ 4der360Satyriſche Briefe. der Ehe wird dieſes ſeyn? Je mehr wir einander lieben, ie bekuͤmmerter muͤſſen wir ſeyn, wenn wir ſehen, daß es uns an den unentbehrlichſten Noth - wendigkeiten fehlt. Wiſſen Sie wohl, was ich thun wuͤrde, wenn Sie alsdann mein Mann waͤ - ren? Jch wuͤrde mir die aͤuſſerſte Gewalt anthun, mich alle Mittage um zwoͤlf Uhr mit Jhnen zu zan - ken, mich bis aufs Schlagen mit Jhnen zu zanken, und Sie ſo lange zu reizen, bis Sie im Zorne zu mir ſpraͤchen: Da, verhungre Beſtie! Wie ruhig waͤre meine Liebe gegen Sie, wenn Sie alsdann meine Noth nicht fuͤhlten, wenn Sie vor Aerger - niß vergaͤßen, daß Jhre liebe Frau nichts zu eſſen haͤtte, wenn ich den Kummer, unſern Mangel zu empfinden, ganz allein litte! Was wollen wir uns unſer Leben ſo ſchwer machen! Der Himmel will uns alle ernaͤhren, es iſt wahr; aber das verſprach der Himmel zu der Zeit, da wir noch nicht ſo viel brauchten, wie itzt, und da die Eitelkeit der Men - ſchen viel tauſend unnoͤthige Dinge noch nicht er - ſonnen hatte, die in der Welt, worinn wir nun ſind, ganz unentbehrliche Dinge geworden ſind. Noch eins faͤllt mir ein. Koͤnnen wir durch unſre uͤber - eilte Zuverſicht nicht andre auch ungluͤcklich ma - chen? Als ein unverheirathetes Frauenzimmer ſoll - te ich zwar zu bloͤde ſeyn, dieſes zu ſagen; aber aus Furcht zu hungern ſage ich alles, was mir ein - faͤllt. Mit einem Worte, ich glaube gewiß, daß es eine Art der Grauſamkeit ſey, wenn junge Leu - te ſich verheirathen, ohne zu wiſſen, wie ſie ihrenNach -361Satyriſche Briefe. Nachkommen den nothduͤrftigen Unterhalt und die noͤthige Erziehung geben ſollen. Damit wir einander recht zaͤrtlich und exemplariſch lieben koͤn - nen, ſollen deßwegen unſre armen Kinder verhun - gern, oder dem Vaterlande zur Laſt ſeyn? Wiſ - ſen Sie was? Sie fuͤr Sich haben zu leben, ich fuͤr mich auch; aber beide zuſammen haben wir kein Brod. Wir wollen leben, wie bisher. Jch liebe Sie als einen vernuͤnftigen und rechtſchaffnen Freund; und Sie lieben mich als Jhre Freundinn. Dabey ſoll es bleiben, und wir wollen niemals eher zuſammen kommen, bis wir zu Hauſe uns ſatt ge - geſſen haben. Unſer Umgang wird immer ver - gnuͤgt, immer tugendhaft bleiben, und wir wer - den den dauerhaften Vortheil haben, daß wir bey unſrer Freundſchaft nicht unruhig ſind. Sind Sie mit meiner Antwort zufrieden? Wie ſchwer wird es mir, eine Sache auszuſchlagen, die ich bey andern Umſtaͤnden fuͤr mein groͤßtes Gluͤck halten wuͤrde!

Leben Sie wohl.

Z 5Da362Satyriſche Briefe.

Da die Natur allen Thieren den Trieb zu lieben eingepflanzt hat: ſo fuͤhlen ihn auch die Pedanten, und oft fuͤhlen dieſe ihn mehr, als vernuͤnftige Geſchoͤpfe, weil man aus der Zergliedrungskunſt will wahrgenommen ha - ben, daß diejenigen Creaturen am bruͤnſtigſten ſind, die am wenigſten denken. Jch will meinen Leſern eine Art von dergleichen Schulſeufzern mit - theilen. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß ſie alle ſo beantwortet wuͤrden, wie ich dieſen beantwortet habe. Auf dieſe Art wuͤrde ſich das ſchmutzige Geſchlecht der Pedanten weniger vermehren.

Hochzuehrende, und Werthgeſchaͤtzte Jungfrau!

Wenn ich Jhnen ſage, daß die Sonne zum Er - waͤrmen, der Vogel zum Fliegen, und der Menſch zum Lieben erſchaffen iſt: ſo ſage ich Jhnen eine Wahrheit, von der der wilde Scythe ſo ſehr, als der vernuͤnftig denkende Grieche, uͤberzeugt war. Amor omnibus idem! Die weiſe Natur hat dem Menſchen einen Trieb eingepflanzt, welchen er Liebe nennt, und der auf die Vermehrung ſeines Ge - ſchlechts abzielt. Ohne dieſen Trieb wuͤrden die großen Abſichten der muͤtterlichen Natur nicht be - ſtehn, und die Welt wuͤrde in ihr erſtes Chaos zuruͤck fallen, wenn die Menſchen nicht liebten.

Jch,363Satyriſche Briefe.

Jch, Hochzuehrende, und Werthgeſchaͤtzte Jung - frau, ich, der ich minima particula, ein kleiner Theil, dieſes Ganzen bin, ich fuͤhle dieſe Triebe der Natur mehr als jemals, da ich das Gluͤck gehabt, Sie kennen zu lernen. Jch halte es fuͤr meine Pflicht, dieſer Stimme zu folgen. Sie wuͤrden rebelliſch ſeyn, wenn Sie dieſen Trieben der Natur ſich widerſetzen, und nichts fuͤhlen wollten, da Sie doch zu eben dieſen großen Abſichten ſo fuͤhlbar ge - bohren ſind.

Laſſen Sie uns denn, Werthgeſchaͤtzte Jung - frau, dieſe Triebe vereinigen, und, ſo viel an uns iſt, hindern, daß die Welt nicht zur Wuͤſte werde.

Sie heißen Dorothea, denn Sie ſind eine wah - re Gottesgabe; und da ich Theodor heiße: ſo wird es uͤberfluͤſſig ſeyn, zu beweiſen, daß wir beide fuͤr einander geſchaffen zu ſeyn ſcheinen.

Jener malte eine Sonnenblume, mit der Ue - berſchrift:

Sequitur ſuum!

Wie dieſer iſt die Sonne:
So biſt du meine Wonne!

anzudeuten, daß ein Verliebter niemals ſeinen ge - liebten Gegenſtand aus den Augen laſſe, ſondern ſich, gleich einer Sonnenblume, nach demſelben be - ſtaͤndig wende und kehre. Glauben Sie, Hochzu - ehrende Jungfrau, daß ich niemals meine eheliche Pflicht aus den Augen laſſen, ſondern mit unver - wandten Augen nach Jhnen, wie ein Schiffer nach dem Polarſterne, ſehn, und mir Muͤhe geben wer -de,364Satyriſche Briefe. de, Jhnen durch meinen Wandel ad oculum zu demonſtriren, daß ich bis zu dem letzten Hauche des Lebens, ja, wo moͤglich, noch laͤnger, voll Hoch - achtung, Liebe, und Ergebenheit ſey,

Hochzuehrende und Werthgeſchaͤtzte Jungfrau, Meiner Hochzuehrenden und Werthgeſchaͤtzten Jungfrau, gehorſamſter, und ehrendienſtwilliger, N.

Antwort.

Mein Herr,

Es iſt ein großer Fehler von meinen Aeltern, daß ſie mich haben Dorothea nennen laſſen. Weil ich aber auch Johanne, und Sie Caſper heißen: ſo mache ich mir ein Gewiſſen daraus, die Natur in ihrer Ordnung zu ſtoͤren, und mit Jhnen ein Buͤnd - niß einzugehn, welches mir nicht den großen Ab - ſichten der muͤtterlichen Natur gemaͤß zu ſeyn ſcheint. Jch weiß nicht, was ich thun wuͤrde, wenn Sie ein vernuͤnftig denkender Grieche waͤren, und ich eine wilde Scythinn; ſo viel aber weiß ich, daß ich es lieber zufrieden bin, wenn die Welt in ihr erſtes Chaos zuruͤck faͤllt, als wenn ich mich, gleich einer Sonnenblume, nach Jhnen wenden und kehren ſoll. Jene malte einen kleinen Korb, mit der Ueberſchrift:

Mein Herr, Jhre Dienerinn.

Unter365Satyriſche Briefe.

Unter tauſend gluͤcklichen Vorzuͤgen, die der Bauer vor vielen Vornehmen genießt, iſt auch dieſer, daß er meiſtentheils ver - nuͤnftig, vorſichtig, und uneigennuͤtzig liebt. Es iſt wahr, er faͤngt gemeiniglich da in der Lie - be an, wo wir aufhoͤren; aber dieſes iſt ein neuer Vorzug fuͤr ihn, und wenn er weniger ſeufzt, ſo iſt er auch weniger laͤcherlich. Er uͤberlegt, ob er eine Frau ernaͤhren kann. Er ſucht ſich eine Frau, die ihm in ſeiner Narung helfen ſoll. Er ſorgt, daß ſeine Kinder geſund und arbeitſam er - zogen werden. Ein wenig Eiferſucht erhaͤlt die Liebe neu und lebhaft; und auch dieſes Vergnuͤ - gen fehlt dem Bauer nicht. Zur Abwechslung will ich ein paar Briefe einruͤcken, welche zeigen, wie unſchuldig man in den Huͤtten liebt.

Grethe,

Du biſt ein flinkes Menſch. Jch habe es in der Heuerndte geſehen, wie Dir die Arbeit friſch von der Fauſt gieng. So eine Frau moͤchte ich haben! Willſt Du mich, ſo ſchlag ein. Jch habe ein bezahltes Haͤuschen, funfzig Guͤlden baar Geld, und der gnaͤdige Herr iſt mir auf ein ganzes Jahr Arbeiterlohn ſchuldig. Er wird mich ſchon bezah - len, wenn er Geld kriegt. Wir wollen uns red - lich und ehrlich naͤhren, und fuͤr unſre Kinder wirdſich366Satyriſche Briefe. ſich auch Brod finden, wenn ſie arbeiten lernen. Was meynſt Du, Grethe? Nimm mich, ich bin Dir gut. Thue mir nicht ſo ſchoͤn mit Nachbars Chriſteln. Stecke den Brief nur hinter den Back - ofen, ich will ihn ſchon finden. Jch bin Dir recht gut.

Hanns,

Jnun nun! Kann ich Dich doch wohl nehmen, wenn ich Dir gut genug bin. Wir wollen beten und arbeiten, es wird ſchon gehn. Fuͤr die Kinder iſt mir nicht leid; armer Leute Kinder brau - chen nicht viel. Jch kriege von meiner Mutter noch zwanzig Guͤlden raus, und ein Ehrenkleid. Sonſt habe ich nichts. Ein neues rothes Mieder habe ich noch mit weißen Knoͤpfen, und einen ge - henkelten Thaler. Wir wollen einander in Got - tes Namen nehmen. Brod wollen wir wohl ver - dienen. Jch ſcheue die Arbeit nicht. Mit Dei - nem Chriſtel! Jch habe ſeit dem Pfingſtbiere nicht mit ihm geredt. Du ſchierſt mich nur. Sage ich Dir doch auch nichts von der großen Hofmagd. Du kannſt mit meiner Mutter reden. Jch muß auf die Froͤhne. Rede nur mit der Mutter.

Es367Satyriſche Briefe.

Es giebt gewiſſe Vorurtheile, welche durch die Zeit und Gewohnheit dergeſtalt ge - rechtfertiget worden ſind, daß es eine Nothwendigkeit iſt, ſich ihnen zu unterwerfen, und daß man von derſelben nicht abgehn kann, ohne ſich den Urtheilen der Welt, und vielen dar - aus erwachſenden Verdrießlichkeiten bloß zu ſtel - len. Dieſe privilegirten Vorurtheile aͤußern ſich nirgends ſtaͤrker, als bey den Ehen, wenn eine von den beiden Perſonen ſich unter ihren Stand verheirathet. Dieſe Ungleichheit des Standes iſt ſehr ſchwer zu beſtimmen, da gemeiniglich ein jeder glaubt, er ſey beſſer, als ſein Nachbar. Ein reicher Bauer, der die Tochter eines armen Tagloͤhners freyt, wird das ganze Dorf und alle Bauerpatricien wider ſich aufbringen. Die Buͤr - ger machen unter ſich eine unendliche Abtheilung der Grade ihres Standes, und ſind ganz troſt - los, wenn einer von ihnen dieſe willkuͤhrliche Rangordnung uͤbertritt. Bey niemanden faͤllt es mehr in die Augen, als bey dem Adel. Und dieſer hat, meines Erachtens, auch noch das meiſte Recht, wider ſolche ungleiche Heira - then zu eifern, da mit dem Adel verſchiedne we - ſentliche Vorzuͤge verbunden ſind, welche durch dergleichen Verbindungen entweder ganz weg - fallen, oder doch Verwirrungen machen muͤſſen, wenn man ſich derſelben, dieſem ungeachtet, fer -ner368Satyriſche Briefe. ner anmaßen will. Die Exempel ſind ſo gar haͤufig nicht, daß ein reicher Buͤrger ſich mit ei - nem armen Fraͤulein verbindet. Es iſt nicht zu laͤugnen, daß dergleichen Ehen oft auf beiden Theilen vergnuͤgt und gluͤcklich ausſchlagen; und dennoch glaube ich, daß beyde Theile viel dabey wagen. Sind die zaͤrtlichen Monate des Eh - ſtandes vorbey, ſo kann es leicht geſchehn, daß den Mann eine Wahl gereut, durch welche ſeine Reichthuͤmer nicht vermehrt worden ſind. Sei - ne Frau aber muß ſehr vernuͤnftig und billig ſeyn, wenn ihr nicht von Zeit zu Zeit der Rang ihrer Vorfahren, und der demuͤthigende Gedanke ein - fallen ſoll, daß die Vorwuͤrfe ihrer Verwand - ten gegruͤndet ſind. Jch will Gelegenheit neh - men, dieſes in nachfolgenden zween Briefen wei - ter auszufuͤhren.

Gnaͤdiges Fraͤulein,

Die Gelegenheit, die ich ſeit zwey Jahren ge - habt, Sie kennen zu lernen, und durch einen taͤglichen Umgang Jhre Vorzuͤge und Tugenden einzuſehn, macht mich ſo dreiſt, Jhnen eine Er - klaͤrung zu thun, die Sie Sich vielleicht itzt am wenigſten vermuthen. Sie betrifft die Hochach - tung, die ich gegen Sie hege, und das Verlangen, das ich habe, durch die Erlaubniß, Sie zu lieben, und ewig der Jhrige zu ſeyn, gluͤcklich zu werden. Jch weiß die Einwuͤrfe, Gnaͤdiges Fraͤulein, dieSie369Satyriſche Briefe. Sie machen koͤnnen, und die ich gewiß befuͤrchten muͤßte, wenn ich von Jhrer billigen Denkungsart nicht beſſer uͤberzeugt waͤre.

Die Verbindung einer Fraͤulein mit einem aus buͤrgerlichem Stande wird nur denenjenigen uͤber - eilt vorkommen, welche von meiner zaͤrtlichen Ach - tung fuͤr Jhre Perſon, und von Jhrer Einſicht, die Sie uͤber die kleinen Vorurtheile der Welt er - hebt, unrechte Begriffe haben. Meine Vorfah - ren haben immer den Ruhm gehabt, ehrliche Leu - te zu ſeyn. Sie waren in der Stadt, wo ſie wohn - ten, von einigem Anſehn. Sie ſind zwar alle nur Buͤrger geweſen, aber tugendhafte Maͤnner, und ich darf mich keines einzigen ſchaͤmen. Das Gluͤck, welches meinem Vater in der Handlung zufiel, brachte ihm die Bekanntſchaft, und das Vertrauen der groͤßten Familien zu Wege. Jch bin der einzige Erbe ſeines hinterlaßnen Vermoͤ - gens, welches mir uͤberfluͤſſig Gelegenheit verſchafft, auf eine beqveme, und ſehr anſtaͤndige Art zu le - ben. Was mir noch an meinem zeitlichen Gluͤ - cke mangelt, iſt der Beſitz einer ſo vernuͤnftigen, und tugendhaften Perſon, als Sie ſind, Gnaͤdiges Fraͤulein. Da Sie weder Aeltern noch nahe Ver - wandte haben: ſo beruht mein Gluͤck bloß auf Jh - rer Wahl, und auf Jhrem Ausſpruche. Darf ich hoffen? Wird es Jhnen ſchwer fallen, denjenigen gluͤcklich zu machen, der es ohne Sie nicht ſeyn kann? Verlangen Sie Gnaͤdiges Fraͤulein, daß ich mir die adlichen Vorzuͤge, welche die NaturA ameinen370Satyriſche Briefe. meinen Voraͤltern verſagt hat, durch Geld erlau - gen ſoll? Aber werde ich Sie deßwegen aufrichti - ger lieben, als es itzt geſchieht? Werde ich, da Sie ſo billig ſind, in Jhren Augen mehr Verdien - ſte erlangen? Jch glaube keins von beiden. Ver - langen Sie es ſchlechterdings: ſo will ichs thun: aber, ich geſtehe es, ich thue es ungern. Nicht darum, daß ich es denenjenigen uͤbel auslegte, wel - che es fuͤr noͤthig hielten, ſich in den Adel einzukau - fen; keineswegs. Es giebt Faͤlle, wo der Adel eine Belohnung auch fuͤr buͤrgerliche Tugenden iſt: und ſie iſt noͤthig, auch andre aufzumuntern, ſich um ihr Vaterland verdient zu machen. Jch, Gnaͤdiges Fraͤulein, ich habe um mein Vaterland keine Verdienſte weiter, als ein redliches Herz, und die Reichthuͤmer meiner Aeltern. Auf das erſte bin ich ſtolz; aber eine ſo allgemeine Pflicht, als dieſe iſt, redlich zu ſeyn, giebt uns noch kein Recht, eine ſo wichtige Belohnung, als die Erhe - bung in den Adelſtand iſt, dafuͤr zu fodern. Auf meinen Reichthum hingegen habe ich gar nicht Ur - ſache ſtolz zu ſeyn. Es iſt ein Gluͤck, das der nichtswuͤrdigſte Menſch erlangt haben wuͤrde, wenn er meines Vaters einziger Sohn geweſen waͤre. Kann ich es alſo wohl wagen, mich unter den Adel zu draͤngen, ohne den Vorwurf zu verdienen, der denen, die zu dieſer vorzuͤglichen Wuͤrde gelangen, gemeiniglich, und nur zuweilen ohne Grund, ge - macht wird? Die von Adel, welche vernuͤnftig ſind, wuͤrden mit meiner Eitelkeit Mitleiden haben; dieaber,371Satyriſche Briefe. aber, welche nicht vernuͤnftig ſind, wuͤrden mich fuͤr einen laͤcherlichen Thoren halten, und mich verachten. Die von buͤrgerlichem Stande wuͤrden das ſagen, was man in dergleichen Faͤllen immer ſagt; und immer ſagt man mehr boͤſes von andern, als gutes. Sie wuͤrden mich als einen Mann anſehen, der ſich ihrer ſchaͤmte. Ein Buͤrger der Vermoͤgen und Anſehn hat, iſt zu ſtolz, als daß ihm die Geſellſchaft eines neuen Edelmanns ohne Verdienſte ertraͤglich ſeyn ſollte. Was fuͤr ein ungluͤckſeliges Mittelding zwiſchen den Adlichen und Buͤrgerlichen wuͤrde ich alsdann ſeyn! Jene wuͤr - den mich verachten, und dieſe vermeiden. Ra - then Sie mir wohl, Gnaͤdiges Fraͤulein, daß ich mir einen ſolchen Vorwurf ſo theuer erkaufen ſoll? Und dennoch will ich es thun, wenn Sie mir es rathen. Die Urtheile der ganzen Welt werde ich nicht achten, wenn ich dadurch das Gluͤck erlange, daß Sie mich Jhrer Liebe wuͤrdigen. Jch erwar - te Jhren Ausſpruch mit Ungeduld. Auf dieſem beruht meine ganze Zufriedenheit. Laſſen Sie mich nicht zu lange in der traurigen Ungewißheit, ob ich es wagen darf, zu ſagen, ich ſey

Gnaͤdiges Fraͤulein, der Jhrige.

Mein Herr,

Jch muß mich ſchaͤmen, daß ich noch bis itzt in einer Sache unſchlieſſig bin, die mir von einemA a 2ſo372Satyriſche Briefe. ſo vernuͤnftigen Manne und auf eine ſo anſtaͤndige Art angetragen wird. Jch kenne den Werth Jh - res Herzens. Meine Hochachtung gegen Sie iſt ſtaͤrker, als eine gemeine Hochachtung. Jch glau - be, ſie koͤmmt der Liebe ſehr nahe. Jch will dieſe Empfindung fuͤr eine Liebe halten, die ich der Tu - gend ſchuldig bin. Mit Jhrer Hand bieten Sie mir ſo viel Vortheile des Gluͤcks an, welche ſtaͤr - ker ſind, als ich iemals hoffen koͤnnen; und welche allein ſtark genug ſeyn wuͤrden, ein jedes Frauen - zimmer, das nicht reicher iſt, als ich, zu einem geſchwinden Entſchluſſe zu bringen. Mit einem Worte, ich kann nicht vernuͤnftiger, und zugleich vortheilhafter lieben, als wenn ich Sie liebe, mein Herr. Und dennoch bin ich ſo ſchwach, mich durch die kleinen Vorurtheile der Welt unſchlieſſig machen zu laſſen, uͤber welche, wie Sie mir ſchmei - cheln, ich erhoben ſeyn ſollte. Meine Begriffe von dem wahren Werthe des Adels ſind den Jh - rigen ganz aͤhnlich. Der Adel giebt denen, die ihn verdienen, einen anſehnlichen Vorzug, und er vermehrt die Schande dererjenigen, welche ſei - ner, und ihrer Ahnen unwuͤrdig ſind. Ein Buͤr - ger, der durch ſeine Verdienſte um das Vaterland ſich ſelbſt dieſen Vorzug erworben, hat das Recht, von mir mehr Hochachtung zu fodern, als ein ad - licher Taugenichts, den ein blinder Zufall aus ei - nem alten Hauſe hat laſſen gebohren werden. Auch darinn bin ich mit Jhnen einig, daß ein ieder buͤr - gerlichen Standes nicht behutſam genug ſeynkann,373Satyriſche Briefe. kann, die Rechte des Adels auf ſich zu bringen, die Jhn, wenn er es nicht ſchon vorher iſt, weder vernuͤnftiger, noch tugendhafter machen. Jch we - nigſtens wuͤrde fuͤr Sie, mein Herr, nicht einen Augenblick mehr Hochachtung haben koͤnnen, als ich itzt habe, wenn Sie gleich in dieſem neuen Glanze zu mir kaͤmen, in der Hand das koſtbare Pergament, und auf einer jeden Seite zwey Ah - nen haͤtten. Da ich vom Adel ſo billig urtheile: ſo koͤnnen Sie wohl glauben, daß mir nichts ab - geſchmackter vorkoͤmmt, als der laͤcherliche Hoch - muth der kleinen adlichen Seelen, welche alle an - dre, und die vernuͤnftigſten Maͤnner verachten, weil ſie buͤrgerlichen Standes ſind. Dieſe Crea - turen haben wohl Urſache, auf die Vorzuͤge der Geburt zu trotzen; denn wenn dieſe nicht waͤren, ſo wuͤrden Sie oft gar nichts haben, womit Sie ſich von den niedrigſten, und unedelſten Poͤbel unterſcheiden koͤnnten. So wahr dieſes alles iſt, und ſo gewiß ich von dem uͤberzeugt bin, was ich hier ſage: ſo gewiß iſt es doch auch, daß wir in einer Welt leben, die durch Vorurtheile regiert wird, und die zu alt iſt, als daß Sie ſich durch uns eines beſſern ſollte belehren laſſen. Dieſe mit Vorurtheilen eingenommene Welt iſt ſo unbil - lig, daß Sie die Heirath einer Fraͤulein mit einem aus buͤrgerlichem Stande ſchwerlich entſchuldigen wird, wenn auch dieſer nach ſo angeſehn, und der vernuͤnftigſte Mann waͤre. Jſt dieſer Mann reich und das Fraͤulein arm: ſo wird ein Theil des Vor -A a 3wurfs374Satyriſche Briefe. wurfs mit auf ſie fallen, und man wird ſich Muͤhe geben, ihre Abſichten verdaͤchtig, und wenigſtens eigennuͤtzig zu machen. Was hat ſie alsdann fuͤr Mittel in Haͤnden, ihre Unſchuld zu vertheidigen? Und wie empfindlich muß ein ſolcher Vorwurf ſeyn, den man nicht ablehnen kann! Werden ihre eig - nen Verwandten billig genug ſeyn, ihren Ent - ſchluß zu rechtfertigen, oder wird es Jhnen nicht immer einfallen, daß ſie etwas gethan, das ein Fraͤulein von altem guten Hauſe nicht haͤtte thun ſollen? Es ſind Vorurtheile, mein Herr, ſehr laͤ - cherliche Vorurtheile, ſie haben Recht; aber ſie ſind doch allgemein, und um deßwillen allemal gefaͤhrlich.

Muͤſſen Sie es nicht geſtehn, mein Herr, daß dieſer Fehler nicht dem Adel allein eigen iſt? Er iſt unter denen vom buͤrgerlichen Stande noch viel ſtaͤrker. Jch will nur ein Exempel anfuͤhren. Ein Doctor iſt ein Buͤrger, ein Handwerksmann auch. Was fuͤr Bewegungen erregt das in der buͤrgerli - chen Welt, wenn ein Doctor die Tochter ſeines Schuſters heirathet! Alle Caffeegeſellſchaften, alle Wochenſtuben ſchreyen Ach und Weh uͤber dieſe widernatuͤrliche Verbindung. Haben Sie immer die gefaͤllige Nachſicht gegen die Thorheiten meines Standes, welche ſich durch die Thorheiten des Jh - rigen ſo lange rechtfertigen, bis beide vernuͤnftiger denken, und billiger urtheilen lernen. Es iſt einem Fraͤulein wohl erlaubt, einen Mann buͤrgerlichen Standes hoch zu achten, und ſeine aufrichtige Freun - dinn zu ſeyn, wenn man ihr gleich nicht erlaubenwill,375Satyriſche Briefe. will, ſich genauer mit ihm zu verbinden. Jſt eine ſolche Freundſchaft ohne Tadel nicht einer Liebe vorzuziehn, welche ſo bitter getadelt wird? Hat dieſer Mann Vermoͤgen, iſt er wegen ſeines ehrli - chen Charakters in der Stadt angeſehn: wie gluͤck - lich kann er ein Buͤrgermaͤdchen machen, das arm, aber tugendhaft iſt! Die ganze Welt wird ſeinen Entſchluß preiſen; Adliche und Buͤrgerliche muͤſſen ihn wegen ſeiner Großmuth hochachten; die Fa - milie, welche er in ſo vortheilhafte Umſtaͤnde ge - ſetzt hat, wird ihn ſeegnen und ehren. Hat ein Fraͤulein das Gluͤck, ſeine Freundinn zu ſeyn: ſo wird ſie es nunmehr doppelt ſeyn muͤſſen, da ihm ſeine vernuͤnftige Wahl ſo viel Ehre macht.

Sehen Sie, mein Herr, daß ſind ungefaͤhr meine Zweifel, die ich itzt habe, und die ich Jh - nen nicht ſo offenherzig ſagen wuͤrde, wenn ich Sie weniger liebte. Laſſen Sie mir noch eine kurze Bedenkzeit; ich will mich hernach naͤher erklaͤren. Das koͤnnen Sie inzwiſchen gewiß glauben, daß ich mit der groͤßten Hochachtung unveraͤndert ſey

die Jhrige.

N. S. Fuͤhren Sie mich heute in die Comoͤdie. Es wird uͤber unſern Text ein ſehr erbauliches Stuͤck geſpielt, das die Madame Gottſchedinn zur Ver - faſſerinn hat. Jch erwarte Sie gewiß. Sie ſol - len auf den Abend mit mir ſpeiſen, und mir ſa - gen, wie es Jhnen gefallen hat. Hier iſt der Co - moͤdienzettel. Bis auf Wiederſehn.

A a 4Es376Satyriſche Briefe.

Es iſt nicht zu laͤugnen, daß oftmals ein Frauenzimmer buͤrgerlichen Standes durch ihre Tugenden und ihre gute Auf - fuͤhrung das Gluͤck verdient, ſich mit einem vom Adel zu verbinden. Traͤgt ihre Schoͤnheit et - was dazu bey, ſo iſt es fuͤr ſie ein Vorzug mehr; und ſie verdient doppelte Achtung, wenn ihr Ver - moͤgen ſo anſehnlich iſt, daß ſie ihren Mann auch auf dieſer Seite gluͤcklich machen kann. Die Erfahrung lehrt uns, daß dergleichen Ehen vielmal der Grund einer dauerhaften Zufrieden - heit ſind. Wenn beide Theile mit Vernunft waͤhlen, und mit Zaͤrtlichkeit ſich lieben: ſo ha - ben ſie ein Recht, alle die Spoͤttereyen großmuͤ - thig zu verachten, welche von dem Poͤbel daruͤ - ber ausgeſtoßen werden.

Was ich hier angefuͤhrt habe, iſt die Schutz - ſchrift von dem, wovon nachſtehende Briefe han - deln. Sie gehn diejenigen nichts an, welche vernuͤnftig ſind; und ſie koͤnnen nur die beleidi - gen, welche ein Recht haben, ſich fuͤr die Origi - nale dazu aufzuwerfen. Sie werden ſich wohl ſelbſt melden; noch zur Zeit kenne ich ſie nicht, und ich werde mich ſehr erfreuen, wenn meine Leſer ſich uͤberzeugen koͤnnen, daß es dergleichen Originale nirgends gebe. Jch will den Vorwurf gern leiden, daß meine Charakter unwahrſcheinlich ſind. Was ich als Autor dabey verliere, das ge -winne377Satyriſche Briefe. winne ich auf der andern Seite als ein aufrichtiger Patriot wieder.

Mademoiſelle,

Jch habe Jhnen einen Vorſchlag zu thun, der Jhnen Ehre macht. Mein Vater heirathete ein blutarmes Fraͤulein aus einem uralten Hauſe. Mein Großvater vermaͤhlte ſich mit der Baroneſ - ſinn von deren Vorfahren zu Kaiſer Frie - drichs des Rothbarts Zeiten zum heiligen Grabe als Ritter reiſten. Von meinem Urgroßvater iſt es bekannt, daß er ſich nicht entſchlieſſen konnte, eine reiche Graͤfinn zu heirathen, bloß darum, weil ihr Vater ein Kaufmann geweſen war. Er nahm ein armes Fraͤulein, welche von ſo gutem Adel war, daß ſie ſelbſt den Beyfall des Herzogs erhielt. Mit einem Worte, alle meine Vorfahren ſind ſo vorſichtig geweſen, daß ſie nicht unter ihren Stand geheirathet, und niemals ihren Adel mit buͤrgerli - chem Blute befleckt und vermengt haben. Und dennoch habe ich ſo viel Ueberwindung, Jhnen, Mademoiſelle, zu ſagen, daß ich Sie liebe, und dieſes in der ernſtlichen Abſicht, Sie zu meiner Ge - mahlinn zu nehmen. Jch gebe mich der Verach - tung des ganzen Adels bloß, ich weiß es wohl; aber ich kann es nicht aͤndern. Ein Buͤrgermaͤd - chen zu heirathen: das will viel ſagen! Sonſt war ich der erſte, der gegen dergleichen widernatuͤrliche Ehe eiferte. Aber Noth bricht Eiſen! MeineA a 5Um -378Satyriſche Briefe. Umſtaͤnde zwingen mich zu dieſem verzweifelten Entſchluſſe. Was ich von meinem Vater geerbt habe, das iſt ein altes adliches Blut, und neue Schulden. Die drey Guͤter, von denen ich mich ſchreibe, gehoͤren meinen Glaͤubigern. Jch ſtehe in Gefahr, kuͤnftige Meſſe eine traurige Figur zu machen, wenn ich mich nicht durch Jhre Liebe ret - te. Sie haben Geld, und ich den Stand; wir wollen unſre Vorzuͤge mit einander theilen, ſo fehlt es uns beiden nicht an dem, was wir brauchen. Jch will die Schande Jhrer geringen Herkunft mit meinen alten Pergamenten zudecken. Erlau - ben Sie mir dafuͤr, daß ich mit Jhren Wechſeln mich gegen die Grobheit meiner Glaͤubiger ſchuͤtze. Jch mache Sie zu einer gnaͤdigen Frau; iſt es wohl unbillig, daß Sie mich dagegen bey meinen Ritterguͤtern erhalten? Waͤre eine Moͤglichkeit, daß ich Jhr Geld, ohne Sie, bekommen koͤnnte: ſo koͤnnen Sie mir heilig glauben, daß ich Jhr Geld allein, und Jhre Perſon nicht verlangen wollte. Aber ich weiß es ſchon, das thun Sie nicht; und ehe ich Jhr Geld miſſe, ſo will ich mir lieber gefallen laſſen, Jhre Perſon zugleich mit zu nehmen. Glauben Sie nur nicht, daß Sie mir zu viel aufopfern. Jch wage meinen guten Na - men, den Ruhm aller meiner Ahnen wage ich dar - an, der Jhrige zu werden; koͤnnen Sie mir wohl dieſes mit Jhrem Gelde zu theuer bezahlen? Noch etwas muß ich Jhnen ſagen. Da ſie buͤrgerlich erzogen worden ſind: ſo haben Sie vielleicht die ge -meinen379Satyriſche Briefe. meinen Vorurtheile, daß mich unſre Ehe verbin - den wuͤrde, Sie mit Hochachtung und aufrichtig zu lieben, und daß Sie ein Recht erhielten, in oͤf - fentlichen Geſellſchaften, und in Gegenwart des ganzen Landadels mir, als Jhrem Manne, auf eine vertraute Art zu ſchmeicheln; keins von bei - den. Bin ich Herr von Jhrem Vermoͤgen, ſo habe ich, was ich geſucht. Von Jhrem Herzen verlange ich nicht Herr zu ſeyn, ob ich gleich will, daß Sie von mir, als Jhrem Manne, Befehl an - nehmen. Das bitte ich Sie, vergeſſen Sie Sich in Geſellſchaften nicht. Hochachtung und Ehr - furcht gehoͤrt mir. Eine vertraute Zaͤrtlichkeit wuͤrde den Vorwurf rechtfertigen, den mir der Adel machen kann. Am beſten wird es ſeyn, wenn Sie, ſo viel moͤglich, die Geſellſchaften vermeiden, die uͤber Jhren Stand ſind. Es wird Jhnen an Umgange nicht fehlen, da ich Willens bin, von Jhrem Gelde eine ziemliche Anzahl Bediente zu er - naͤhren. Meines Pfarrers Frau iſt ein ganz fei - nes Weib, zu der koͤnnen Sie Sich halten. Ein Umgang mit Jhres gleichen wird Jhnen am beſten anſtehn. Bey meinen Unterthanen heißen Sie immer gnaͤdige Frau. Wenn ich vom Hofe ab - kommen kann, will ich Sie dann und wann beſu - chen. Es wuͤrde oͤfter geſchehen, wenn Sie ſchoͤ - ner ausſaͤhen; aber, mit Jhrer Erlaubniß, Sie ſe - hen ſehr haͤßlich aus. Es ſey drum! Sind Sie doch reich, und fuͤr eine Buͤrgers Tochter ſehn Sie immer ertraͤglich genug, zumal da Sie Jhr Schnei -der380Satyriſche Briefe. der ſo wohl zu kleiden weiß. Sehn Sie, Made - moiſelle, ich ſage es Jhnen, wie mirs ums Herz iſt. Mein Kammerdiener hat Befehl, nicht eher von Jhnen wegzugehn, bis er mir Antwort bringt. Ungeachtet Jhrer ſchlechten Erziehung traue ich Jhnen doch ſo viel Einſicht zu, daß Sie das Gluͤck erkennen werden, welches ich Jhnen entgegen tra - ge. Machen Sie Sich nicht vor der Welt laͤcher - lich, und ſchlagen Sie eine Ehre nicht aus, die nicht alle Tage koͤmmt. Unſre armen Kinder dau - ern mich; denn ohne Kinder wird es doch nicht ganz abgehn, das ſehe ich ſchon. Jhre Mutter wird Jhnen ein ewiger Vorwurf ſeyn, und ich bin freylich Schuld daran. Wer kann ſich helfen? Sie muͤſſen uͤber die Unbeſcheidenheit meiner Glaͤu - biger ſchreyen, welche mich ſo weit treiben. Was iſt zu thun? Sie moͤgen ſich durch die Welt brin - gen, ſo gut es angehn will; koͤnnen Sie doch ſtudi - ren, dazu ſind Sie noch immer gut genug. Gott Lob! ich und alle meine Vorfahren haben niemals ſtudirt. Pedanterey iſt unſer Familienfehler nicht, hol mich der Teufel! nicht, das ſage ich Jhnen, Mademoiſelle! Leſen und ſchreiben kann ich ſo ziem - lich; aber einen Haſen will ich Jhnen hetzen, Trotz dem beſten Jaͤger, und wenn ich die Aufwartung habe, ſo mache ich auch der Antichamber Ehre; das koͤnnen Sie mir glauben. Jch wuͤßte in mei - nem Leben nicht, wenn ich ſo viel geſchrieben haͤtte, als itzt an Sie; aber was thun die Liebe und der Glaͤubiger nicht. Das will ich nimmermehr ver -geſſen381Satyriſche Briefe. geſſen, was mich dieſer Brief fuͤr Ueberwindung gekoſtet hat. Kurz, antworten Sie bald, und ſo, wie ich wuͤnſche. Es ſoll Sie nicht gereuen. Jch bin

Jhr Diener

Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr,

Dem Himmel ſey tauſendmal Danck, der Sie auf den gluͤcklichen Einfall gebracht hat, mich zu einer gnaͤdigen Frau zu machen. Das iſt alles, was ich mir in meinem Leben wuͤnſchen kann. Als ich noch jung und unverſtaͤndig war, da wuͤr - de ich zufrieden geweſen ſeyn, wenn ein feiner er - barer Buͤrger gekommen waͤre; da ich aber aͤlter und verſtaͤndiger ward: ſo that ich bey mir ſelbſt ein Geluͤbde, daß ich niemanden, als einen Edel - mann heirathen wollte. Sie glauben nicht, Gnaͤ - diger Herr, was fuͤr ein naͤrriſcher Hochmuth un - ter der Buͤrgercanaille iſt! Eine Doctorsfrau, de - ren Mann vielmal das liebe Brod nicht hat, wird ſich nimmermehr uͤberwinden koͤnnen, der Frau des reichſten Kaufmanns den Rang zu geben. Mir iſt es am Sonntage ſo gegangen, daß die Tochter eines Profeſſors, welche ihrer ſeligen Mutter Braut - kleid anhatte, ſich uͤber mich draͤngte, ungeachtetder382Satyriſche Briefe. der Stab von meinem Stoffe acht Thaler koſtete. Das will ich ihr gewiß empfinden laſſen, habe ich nur einmal die Gnade, Jhre Gemahlinn zu ſeyn. Mit Freuden uͤberlaſſe ich Jhnen meine Hand und mein ganzes Vermoͤgen. Nun ſehe ich erſt, wie viel Dank ich meinem weiſen Vater ſchuldig bin, wel - cher aus liebreicher Vorſorge bey ſeinen Schaͤtzen verhungerte, um ſeiner einzigen Tochter ein ſo an - ſehnliches Vermoͤgen zu hinterlaſſen, welches mich wuͤrdig macht, Jhre Gemahlinn zu werden. Wenn es wahr iſt, was man meinem Vater Schuld gegeben, daß er den groͤßten Theil ſeiner Reichthuͤmer von dem Landadel zuſammen gewu - chert hat: ſo halte ich es fuͤr eine Art des billigen Wiedererſatzes, Jhnen, Gnaͤdiger Herr, ſolche Preis zu geben. Jch laſſe mir alle die Bedingun - gen gefallen, unter denen Sie mir Jhre Hand an - bieten. Jch will alle die vornehmen Geſellſchaften meiden, in denen Sie Sich meiner zu ſchaͤmen ha - ben. Die Vorwuͤrfe, die mir von adlichen Da - men gemacht werden, will ich in Demuth ertra - gen, wenn ich nur dafuͤr die Freyheit behalte, an - dern Weibern, die geringer ſind, als ich, und Jh - ren Unterthanen, es empfinden zu laſſen, daß ich gnaͤdige Frau bin. Das einzige bitte ich Sie noch, erlauben Sie mir, daß ich in der Meſſe, unter der Bedeckung von vier bis fuͤnf Bedienten mich durch den Landadel draͤngen darf. Jch hoffe Jhnen, und Jhren Ahnen mit meinem Reifrocke Ehre zu machen; und begegnet mir eine von mei -nen383Satyriſche Briefe. nen alten buͤrgerlichen Bekannten: ſo will ich von meiner gnaͤdigen Hoͤhe mit einer eben ſo ſtolzen Mine auf dieſe elende Creatur herab ſehn, als wenn meine Vorfahren das heilige Grab auch haͤt - ten erobern helfen. Mit einem Worte, Sie ſol - len Jhre Freude an mir haben, und Jhre Wahl ſoll Sie gewiß nicht gereuen. Jch erwarte einen Aufſatz von Jhren Schulden, damit ich die Glaͤu - biger auf die Zahlung vertroͤſten kann. Jch habe Vermoͤgen genug, ſie zu befriedigen; und Sie koͤnnen nehmen, ſo viel Sie zu Jhrem Staate brauchen. Jch ſehe es zwar im voraus, daß mein ganzes Vermoͤgen mit der Zeit wird verloh - ren gehn, und daß mich Jhre Schulden, und Jhr Aufwand in kuͤmmerliche Umſtaͤnde bringen wer - den; aber es ſey drum. Es iſt immer ruͤhmlicher, wenn man als Gnaͤdige Frau hungert, als wenn man mit buͤrgerlichen Haͤnden Allmoſen austheilen kann. Jch erwarte die Ehre Jhres Zuſpruchs, um Jhnen muͤndlich zu ſagen, daß ich mit der groͤßten Hochachtung ſey,

Gnaͤdiger Herr, Jhre demuͤthige Dienerinn.

N. S. Koͤnnte die Hochzeit nicht noch vor der Faſten werden? Es iſt hernach gar zu lange bis auf Oſtern.

Ant -384Satyriſche Briefe.

Antwort von einem andern Jnhalte.

Gnaͤdiger Herr,

Urtheilen Sie ſelbſt, wie groß mein Verlangen ſeyn muß, adlich zu werden, da mich nicht einmal Jhr Brief hat beleidigen koͤnnen, ſo grob und poͤbelmaͤßig er auch abgefaßt iſt. Jch verzei - he Jhnen dieſe Kleinigkeiten, um bey meinen großen Abſichten deſto gluͤcklicher zu ſeyn. Da ich ſchon ſo lange vergebens auf einen dergleichen ernſthaften Antrag gewartet habe: ſo greife ich itzt mit beiden Haͤnden zu, ohne auf Jhre Perſon zu ſehn, die zu einem Manne, und wozu ich Sie brauchen will, gut genug, im uͤbrigen aber ganz unertraͤglich iſt. Nehme ich die hohe und unver - ſchaͤmte Mine aus, die Sie haben: ſo finde ich gar nichts, was Sie von den Livreybedienten unterſcheiden koͤnnte. Selbſt in den praͤchtigſten Kleidern behalten Sie den Anſtand eines Kutſchers, und Sie haben noͤthig, allen Leuten, wie Sie es in dem Briefe an mich gethan, ſehr umſtaͤndlich zu ſagen, wie ſorgfaͤltig Jhre Aeltern ſich gehuͤtet, ihr adliches Blut mit keinem Buͤrgerblute zu be - flecken; ſonſt wuͤrde, wenn man dieſes nicht weiß, Jhre ſelige Frau Mutter in einen Verdacht kom - men, der ihr weniger Ehre machte, als ihrem Vorreiter. Jhre Auffuͤhrung, Gnaͤdiger Herr, mag vielleicht zu manchen Zeiten der Antichamber Ehre machen, wie Sie mich verſichern; auſſerdemaber385Satyriſche Briefe. aber gewiß keinen Geſellſchaften. Es iſt uͤberfluͤ - ßig, die Leute muͤhſam zu uͤberfuͤhren, daß Sie nicht ſtudirt haben. Nicht allein dieſes ſieht man Jhnen ſehr wohl an, ſondern auch das, daß Sie niemals etwas geleſen, niemals, wenigſtens nicht mit Jhrem Willen, in vernuͤnftiger Geſellſchaft geweſen, mit einem Worte, daß Sie nicht fuͤr die geſittete Welt, ſondern fuͤr einen Strick Hunde gebohren ſind. Was Sie noch von dem Poͤbel unterſchei - det, und Jhre vornehme Abſichten behaupten kann, iſt dieſes, daß Sie im Begriffe ſtehn, bankrut zu werden. Sehn Sie, Gnaͤdiger Herr, ich ſage es Jhnen auch, wie mirs ums Herz iſt; und wenn ich das Gluͤck habe, die Jhrige zu ſeyn, ſollen Sie noch mehr erfahren. Ungeachtet dieſes nachthei - ligen Charakters, den Sie haben, und den ich mir von Jhnen machen muß, bin ich dennoch nicht eine Minute unſchluͤſſig, Jhnen meine Hand zu geben. Genug Sie ſind von Adel, und ſo ein Mann fehlt mir. Ein Buͤrger, welcher wohl er - zogen, vernuͤnftig, im Umgange artig, in ſeinen Handlungen redlich, in ſeiner Nahrung gluͤcklich und ſorgfaͤltig, in ſeiner Liebe uneigennuͤtzig, und zaͤrtlich, in der ganzen Stadt angeſehn iſt; ein ſol - cher Buͤrger wuͤrde mich vielleicht zur gluͤcklichſten Frau machen koͤnnen; allein bey allen dieſen Vor - zuͤgen iſt er doch nur ein Buͤrger, und dieſe Ge - ſchoͤpfe kann ich durchaus nicht leiden. Von mei - ner erſten Kindheit an, konnte man mir nicht em - pfindlicher ſchmeicheln, als wenn man mich imB bScherze386Satyriſche Briefe. Scherze, kleines Fraͤulein, hieß. Bey zunehmen - den Jahren fiel dieſer Scherz freylich weg; aber ich erſetzte den Verluſt dadurch, daß ich mir ſelbſt Muͤhe gab, mich zu uͤberreden, es ſey nichts, als ein uͤbereiltes Verſehn von der Natur, daß ſie mich in meiner buͤrgerlichen Aeltern Hauſe hatte laſſen gebohren werden, und ich ſey vom Himmel zu nichts geringerm, als zu einer gnaͤdigen Frau, be - ſtimmt. Durch Leſung einiger Romane kam ich vielmals auf den wahrſcheinlichen Zweifel, ob ich nicht die Tochter eines Lords, eines Marquis, oder ſonſt eines vornehmen Cavaliers, und nur wegen einiger politiſchen Abſichten unter dem ver - deckten Namen des Buͤrgers, der mein Vater heißt, in ſeinem Hauſe unerkannt erzogen ſey. Dem ſey, wie ihm wolle; ich mag es itzt nicht un - terſuchen. Es moͤchte mir ſonſt einfallen, daß ich mich weit unter meinen Stand verheirathe - te, wenn ich die Jhrige wuͤrde. Die Zeit wird mir zu lang, auf eine gluͤckliche Entwick - lung des Geheimniſſes von meiner Geburt zu warten. Sie ſollen mich haben, und wenn mein Vater ein Reichsgraf waͤre. Aber mit Jhrer Erlaubniß, die Bedingungen, die Sie mir vorſchreiben, werde ich mir nicht alle gefallen laſſen. Daß Sie mich zur Pfarrfrau, und zu Jhren Bauern verbannen wollen, daraus wird nichts. Buͤrgerliche Geſellſchaft habe ich in mei - nem Leben nicht leiden koͤnnen, nun werde ich nicht erſt anfangen, mich daran zu gewoͤhnen. Es konn -te387Satyriſche Briefe. te mir keine groͤßre Beleidigung widerfahren, als wenn man mich in Zuſammenkuͤnfte, oder auf Baͤlle bat, wo nichts als buͤrgerliches Geſchmeiße, und fuͤr mich keine von Adel waren. Sollte ich mich kuͤnftig ſo wegwerfen, da ich wirklich eine gnaͤdige Frau bin? Glauben Sie mir, daß ich zu leben weiß, und daß mir der Umgang mit denen von Adel nichts neues iſt. Jch habe Grafen zu Anbetern gehabt, mit Baronen bin ich ſo vertraut geweſen, als ich kaum mit Jhnen werden kann, und eine ganze Menge junger Edelleute habe ich laſſen vergebens ſeufzen, gegen die ein ſolcher Dorf - junker, wie Sie ſind, gar nichts heißt. Verlaſ - ſen Sie Sich auf mich, man ſoll mir in der vor - nehmſten Geſellſchaft meine Erziehung nicht anſehn; aber dergleichen Geſellſchaft will ich beſuchen, ſchlechterdings will ich ſie beſuchen, und wenn Sie, Gnaͤdiger Herr, mit allen den altadlichen Damen in leinwandnen Andrienen, raſend daruͤber wuͤr - den. Urtheilen Sie hieraus, ob ich geneigt bin, mir viel von Hochachtung und Ehrfurcht, von Be - fehlen und Gehorſam vorſchwatzen zu laſſen. Das unterſtehn Sie Sich nur nicht, oder ich will Jh - nen Jhren hochadlichen Kopf zu rechte ſetzen. Daruͤber aber gebe ich Jhnen mein Wort, und das will ich heilig halten, daß ich Jhnen weder zu Hauſe noch in Geſellſchaften auf eine vertraute Art ſchmeicheln werde. Es wuͤrde mir ſehr empfindlich ſeyn, wenn Sie es thun wollten. Das unter - ſtehn Sie Sich nur nicht Gegen alle CavaliereB b 2werde388Satyriſche Briefe. werde ich zaͤrtlicher thun, als gegen Sie. Von allen, nur von meinem Manne nicht, will ich mir Schmeicheleyen laſſen vorſagen; mit der halben adlichen Welt will ich coquettiren, mit einem Worte, ich will mich ſo auffuͤhren, daß man glau - ben ſoll, ich ſey aus dem aͤlteſten Hauſe. Nur machen Sie mir keine Schande, und laſſen Sie Sich es etwan einfallen, eiferſuͤchtig zu werden. Pfuy, das waͤre ſehr buͤrgerlich! Eben um deß - willen heirathe ich Sie, daß ich die Freyheit ha - ben will, Sie oͤffentlich zum Hahnrey zu machen. Heirathete ich einen guten ehrlichen Buͤrger: ſo wuͤrde ich es nur koͤnnen in der Stille thun, und dieſer poͤbelmaͤßige Zwang iſt mir zuwider. Da ich einen ſo vornehmen, und Jhrem Range an - ſtaͤndigen Entſchluß gefaßt habe: ſo koͤnnen Sie gewiß glauben, daß ich mich nicht kraͤnken werde, wenn Sie die Drohungen wahr machen, und mich nur ſehr ſelten beſuchen. Deſto beſſer! Habe ich Jhren Namen, und Jhr Wappen, ſo koͤnnen Sie hingehn, wohin Sie wollen; Sie ſind mir ganz uͤberley. Laſſen Sie Sich unſre armen Kinder nur nicht dauern. Sie ſollen an den wenigſten Urſache ſeyn, auf mein Wort! Dafuͤr laſſen Sie mich ſor - gen, das iſt meine Sache; und ich werde Jhnen eine ſo anſtaͤndige Erziehung zu geben wiſſen, daß ſie Jhnen ganz unaͤhnlich ſeyn ſollen. Was mein Vermoͤgen anbetrifft: ſo iſt es ganz zu Jhren Dienſten. Jch will alle Jhre Schuldleute bezah - len, Jhre Guͤter will ich frey machen; aber JhreGuͤter389Satyriſche Briefe. Guͤter ſollen dafuͤr meine ſeyn; ich will allein an die Stelle aller Jhrer Glaͤubiger treten. Fuͤhren Sie Sich vernuͤnftig und beſcheiden gegen mich auf, wie es ſich fuͤr einen Ehmann gehoͤrt: ſo ſol - len Sie die Erlaubniß behalten, zu thun, als waͤ - ren die Guͤter noch Jhre. Sie ſollen der oberſte Volgt ſeyn, und den Unterthanen befehlen, was ich fuͤr genehm halten werde. Kommen Sie aber auf den ungluͤcklichen Einfall, meine guͤtige Nach - ſicht zu misbrauchen: ſo ſchwoͤre ich Jhnen bey Jh - rem Ahnenſtolze, ich will grauſamer mit Jhnen verfahren, als alle Jhre Glaͤubiger verfahren ſind. Der Ehcontrakt ſoll ſo eingerichtet werden, daß ich allemal das Recht behalte, Sie aus meinen Guͤtern zu werfen, und eher will ich nicht ruhn, bis ich Sie zum Arreſt gebracht habe. Mit ei - nem Worte, es ſteht bey Jhnen, ob Sie gluͤck - lich oder ungluͤcklich ſeyn wollen. Waͤhlen Sie, was Sie am beſten finden. Unſre Vermaͤhlung kann vor ſich gehn, wenn es Jhnen gefaͤllt. Je eher, ie lieber! Bis dahin, und laͤnger nicht, bin ich mit der groͤßten Zaͤrtlichkeit, und mit demuͤthiger Hochachtung,

Gnaͤdiger Herr, Jhre unterthaͤnige Dienerinn.

N. S. Jch erwarte durch Jhren Kammerdiener Antwort. Der Menſch hat etwas, das mir gefaͤllt.

B b 3Dritte390Satyriſche Briefe.

Dritte Antwort von den vorigen beiden ganz unterſchieden.

Mein Herr,

Jhr Kammerdiener hat mir einen Brief von Jh - nen uͤberbracht, welcher vermuthlich nicht an mich, ſondern an eine andre Perſon gerichtet iſt. Jch glaube nicht, daß ich mit meiner Auffuͤhrung Jhnen Gelegenheit gegeben habe, ſo nachtheilig von mir zu urtheilen, und mir ſo unanſtaͤndige Vorwuͤrfe zu machen, welche die gemeinſten Weibsperſonen beleidigen muͤſſen. Jch halte es fuͤr kein Ungluͤck, die Tochter eines ehrlichen Buͤr - gers zu ſeyn. Jch waͤre meines rechtſchaffnen Va - ters unwuͤrdig, wenn ich mich meiner Geburt ſchaͤmen wollte. Unter den vielen Verdienſten, die Jhnen fehlen, iſt allem Anſehn nach die Be - ſcheidenheit eins der vornehmſten. So ſchlecht die Begriffe ſind, die Sie Sich von meiner buͤr - gerlichen Erziehung machen: ſo wohl bin ich doch im Stande, dieſen Fehler an Jhnen wahrzuneh - men. Jch bin niemals ſo ſtolz geweſen, auf eine Verbindung zu hoffen, die uͤber meinen Stand iſt; aber dazu bin ich doch noch zu ſtolz, daß mir Jhr Antrag ertraͤglich ſeyn ſollte. Das Vermoͤgen, das ich beſitze, und welches in Jhren Augen mei - nen ganzen Werth ausmacht, wuͤrde ich ſehr uͤbel anwenden, wenn ich mir dadurch das bittre Gluͤck erkaufen wollte, die Frau eines Edelmanns zuwerden,391Satyriſche Briefe. werden, deſſen Liebe ſo eigennuͤtzig, und deſſen Denkungsart ſo unedel iſt. Ueberlegen Sie es wohl, mein Herr, ob Sie nicht Urſache haben, mit meinem Entſchluſſe wohl zufrieden zu ſeyn. Jh - ren vornehmen Anverwandten erſpare ich den Ver - druß, ſich meiner zu ſchaͤmen, da es denſelben weit ruͤhmlicher ſeyn muß, wenn ihr Vetter mit unbeflecktem Adel im Gefaͤngniſſe verhungert, als wenn er ſich am Tiſche ſeiner buͤrgerlichen Frau ſatt eſſen kann. Sie ſelbſt vermeiden die großen Gewiſſensbiſſe, die Nachwelt mit halbadlichen Kin - dern zu verwahrloſen. Jch bin im Begriffe, ei - nem Jhrer ſtaͤrkſten Glaͤubiger meine Hand zu ge - ben. Es wird dieſes in gewiſſer Maße zu meiner Beruhigung dienen, wenn ich Sie mit der demuͤ - thigen und gebeugten Mine eines boͤſen Schuld - ners vor einem Manne-ſtehen ſehe, deſſen Frau Jhnen ehedem veraͤchtlich genug geweſen iſt, ihr die empfindlichſten Grobheiten vorzuſagen. So bald Sie im Stande ſeyn werden, einzuſehn, daß Sie dieſe Vorwuͤrfe verdient haben: ſo bald wer - de ich mir ein Vergnuͤgen daraus machen, Sie auf - richtig zu verſichern, daß ich mit aller Hochach - tung ſey,

Mein Herr, Jhre Dienerinn.

B b 4Heut392Satyriſche Briefe.

Heut zu Tage iſt dieſes wohl unſtreitig eine der groͤßten Nahrungen, daß man Geld borgt, und es nicht wieder bezahlt. Sie iſt dergeſtalt allgemein worden, daß, da ſie ſonſt nur ein Vorrecht der Kaufleute war, ſich nunmehr auch der gemeinſte Mann darauf legt. Selbſt die Gelehrten, und ehrwuͤrdige Maͤnner, haben ſich dieſes Vortheils bemaͤchti - get. Es hat mich dieſes veranlaßt, einige For - mulare zu verfertigen, wie man Geld borgt, wie man mahnet, und wie man durch eine beſcheidne Antwort ſeine Glaͤubiger hintergehn kann, oh - ne noͤthig zu haben, ſie zu bezahlen. Weil ich aber doch gern ſaͤhe, daß meine Landesleute ſo ehrlich waͤren, als es ohne ihren merklichen Scha - den geſchehen kann: ſo habe ich in nachſtehenden Briefen meinem Schuldner den Charakter eines Mannes gegeben, welcher zwar im Aufborgen leichtſinnig, und bey ſeiner Wirthſchaft unvor - ſichtig, im Grunde aber ein ehrlicher Mann iſt.

Mein Herr,

Es haben mich verſchiedne gute Freunde gebeten, daß ich ihnen die Ehre erzeigen, und einige tauſend Thaler von ihnen borgen moͤchte. Jch habe es allen abgeſchlagen, weil ich Niemandenver -393Satyriſche Briefe. verbunden ſeyn will, als Jhnen, mein Herr. Mein Sekretair hat Ordre, tauſend Thaler von Jhnen in Empfang zu nehmen, die ich dieſen Abend brauche. Es iſt eine Kleinigkeit, die ich aber als eine beſondre Probe Jhrer Freundſchaft gegen mich anſehe, und ſie ſo hoch ſchaͤtzen werde, als wenn Sie mir in der wichtigſten Sache gedient haͤtten. Sie koͤnnen Sich wegen des Wiedererſa - tzes auf mein Wort verlaſſen. Wollen Sie noch ſichrer ſeyn, ſo ſollen Sie meinen Wechſel haben. Jch diene Jhnen bey andern Gelegenheiten mit Vergnuͤgen, u. ſ. w.

Antwort.

Ew. Gnaden haben Jhr Zutrauen ſo oft gegen mich geaͤuſſert, daß ich billig Bedenken tra - gen muß, es zu misbrauchen. Jch bin nicht im Stande, Jhnen mit den verlangten tauſend Tha - lern zu dienen, ohne meine uͤbrigen Freunde eiferſuͤch - tig auf mich zu machen. Davon bin ich uͤberzeugt, daß ich mich auf Jhr hohes Wort ſo ſehr, als auf Jhren Wechſel, verlaſſen kann. Sie werden mich davon noch mehr uͤberfuͤhren, wenn Sie die Gnade haben, und Jhrem Sekretair befehlen wol - len, daß er diejenigen zweytauſend Thaler an mich bezahle,, welche in der letzten Meſſe verfallen ſind. Es wird mich dieſes im Stande erhalten, Jhnen bey einer andern Gelegenheit wieder zu dienen. Jch bin mit der groͤßten Ehrfurcht u. ſ. w.

R

B b 5Herr394Satyriſche Briefe.
Herr Bruder,

Denke, wie mirs geht. Jch verlange von dem verfluchten Juden, dem Kaufmanne N. tau - ſend Thaler. Jch habe ſie mit der artigſten Art von der Welt verlangt, und der Schurke hat mir es nicht allein abgeſchlagen, ſondern mich auch noch um zweytauſend Thaler gemahnet, die ich ihm ſchul - dig bin, und die ich ſchon lange vergeſſen hatte. Er iſt dieſen Morgen bey mir geweſen, und droht mit dem Arreſte. Sey ſo gut, und ſtrecke mir die zweytauſend Thaler vor, bis auf kuͤnftigen Wollmarkt. Jch will Dich redlich bezahlen. Jch erwarte dieſe Freundſchaft von Dir gewiß, da Du auch weißt, wie einem zu Muthe iſt, den die Wechſel verfolgen. Unterſchreib wenigſtens mei - nen Wechſel mit; vielleicht giebt mir der Hund noch ein halb Jahr Nachſicht. Unterſchreiben wirſt Du doch? Das wird ein Cavalier dem an - dern nicht leicht abſchlagen. Lebe wohl, und antworte geſchwind.

Antwort.

Herr Bruder,

Kurz von der Sache zu kommen; ich habe kein Geld, und ſo lange ich nicht beſoffen bin, un - terſchreibe ich mich fuͤr Niemanden. Das iſt eben unſer Ungluͤck, daß wir Cavaliere fuͤr einander mit Freuden unterſchreiben, und mit Angſt bezahlenmuͤſſen.395Satyriſche Briefe. muͤſſen. Unter hunderten werden funfzig durch dieſe unuͤberlegte Treuherzigkeit bankrut. Wer ſein Vermoͤgen ſelbſt verſchwendet, genießt doch noch etwas dafuͤr; wer ſich aber mit verbuͤrgt, der muß in eines andern Namen verhungern. Nimm mir dieſe Predigt nicht uͤbel. Du kennſt mich; und wenn ja eins ſeyn ſoll, ſo iſt es beſſer, Du wirſt itzt ein wenig auf mich verdrießlich, da ich Dir es abſchlage, als wenn Du kuͤnftig mein Todfeind wer - den ſollteſt; und das wuͤrdeſt Du gewi[ß]wenn ich mein Geld von Dir wieder haben wollte. Du dauerſt mich von ganzem Herzen, Herr Bruder, bey meiner Seele, von ganzem Herzen; aber wie ſoll ich Dir helfen? Geld habe ich nicht, das weißt Du, dazu bin ich zu vornehm, und uͤber ein halbes Jahr, wenn wir bezahlen ſollten, haͤtte ich gewiß eben ſo wenig Geld. Was wollten wir hernach beide anfangen, da Du itzt allein nicht weißt, was Du machen ſollſt? Es iſt ſchlimm genug, daß wir den chriſtlichen Wuchrern ſo viel gute Worte ge - geben muͤſſen, wenn wir Geld borgen; laß ihn Dir nun wieder gute Worte geben, bis Du ihn be - zahlſt. Rechnen das die Schurken fuͤr nichts, daß wir ſie unſrer Freundſchaft verſichern, ihnen alle unſre Dienſte anbieten, uns vor ihnen buͤcken und demuͤthigen, wenn wir ihnen die Gnade erzei - gen, und ihnen fuͤr zweytauſend Thaler ein Blaͤttchen Pappier geben. Haͤtten ſie nicht mehr Geld, als wir, und brauchten wir nicht das nothduͤrftig, was ſie uͤberfluͤſſig haben: ſo woll -ten396Satyriſche Briefe. ten wir der Buͤrgercanaille wohl anders begegnen. Laß ihn eine Weile laufen, er wird es ſchon uͤber - druͤſſig werden. Fuͤrchteſt Du dich vor dem Wech - ſelarreſte? Du wirſt kein Kind ſeyn! Wer ſo viel ſchuldig iſt, wie Du, der, daͤchte ich, ſollte das Handwerk beſſer verſtehn. Verſtehſt Du es nicht, ſo rede mit meinem Advocaten, der wird Dich es lehren, und wenn Du es verlangſt, ſo ſoll er die Sache ſo herum drehen, daß Dir Dein Glaͤubiger noch Abbitte und Ehrenerklaͤrung thun muß. Ein guter Advocat iſt allemal beſſer, als baar Geld! Jſt es unrecht? Gut, da laß ihn dafuͤr ſorgen, und faͤhrt er zum Teufel, ſo faͤhrt einer mehr hin! Das ſchadet Dir nichts. Dafuͤr iſt er ein Advocat, daß er wiſſen muß was Rechtens iſt. Lebe wohl, es wird ſchon gehn!

Hochgeehrter Herr Doctor,

Der Herr Oberſtlieutenant von hat mir Sie als einen ſehr geſchickten Advocaten an - geruͤhmt. Jch brauche Jhre Huͤlfe Der Kauf - mann N. hat einen Wechſel von mir auf zweytau - ſend Thaler, die ich nicht bezahlen kann, und doch bezahlen ſoll, wenn ich nicht Arreſt haben will. Was ſoll ich thun? Hindert Sie Jhre Krankheit, ſelbſt zu mir zu kommen: ſo ſchreiben Sie mir we - nigſtens ein paar Zeilen, und geben mir einen gu - ten Rath. Jch will erkenntlich ſeyn. Leben Sie wohl.

Gnaͤ -397Satyriſche Briefe.
Gnaͤdiger Herr,

Aus der Sache wollen wir bald kommen. Koͤn - nen Sie ſchwoͤren? Jn einer Viertelſtunde kann man zehn Wechſel abſchwoͤren. Jch weiß, das ich mit einem Cavalier rede, der die gemeinen Vorurtheile nicht hat, die man den Poͤbel laͤßt; ſonſt wuͤrde ich nicht ſo gerade zu mit Jhnen reden. Jch verlange gar nicht, daß Sie einen falſchen Eid thun ſollen. Sie ſollen nur bey dem Eide etwas anders denken, als der Klaͤger denkt, und als Sie gefragt werden. Sie ſchwoͤren alsdann kei - nen falſchen Eid, ſondern nur den Eid nicht, den man von Jhnen verlangt hat. Wie man das ei - gentlich mache, das will ich Jhnen muͤndlich ſa - gen, wenn ich die Gnade habe, Jhnen aufzuwar - ten, denn ich denke uͤbermorgen wieder aus zu gehen, ſo Gott will, und mein Medicus. Sollten Die - ſelben wider alles Vermuthen, nehmen Sie mir es ja nicht ungnaͤdig, daß ich dergleichen von ei - nem ſo artigen Hofmanne denke, ſollten Sie wi - der alles Vermuthen, ein Bedenken dabey finden, und, in der Sprache des gemeinen Mannes zu reden, zu gewiſſenhaft dazu ſeyn, ſo wollen wir es an einem andern Ende angreifen. Wie alt ſind Ew. Gnaden geweſen, als Sie den Wechſel uͤber die 2000 Thlr. ausſtellten? Und wenn nur noch zwo Minuten an fuͤnf und zwanzig Jahren fehlen: ſo ſoll Herr N. nicht ſo viel kriegen. Das wird Jhnen doch keine Gewiſſensbiſſe machen,wenn398Satyriſche Briefe. wenn Sie Sich des Rechts bedienen, das Jhnen die Geſetze geben? Haben Sie Jhren Namen ganz unter dem Wechſel ausgeſchrieben? Jch wollte, es fehlte was, und wenn es auch nur ein D. fuͤr ein T. waͤre, es ſollte Jhren Glaͤubiger warm genug machen. Koͤnnen Sie Sich wohl noch erinnern, ob Sie die 2000 Thlr. baar, und in den Sorten, worinnen Sie verſchrieben worden, ausgezahlt be - kommen; oder haben Sie gute Sorten gegen ſchlechte verſchrieben? Hat Jhnen der Kaufmann etwan Waaren daran gegeben, oder unter dem Titel von Proviſion, Agio und dergleichen viel ab - gezogen? Beſinnen Sie Sich ja recht. Jhre Chriſtenpflicht, und die Geſetze verbinden Sie, auf dieſen Fall dem Wuchrer nicht nachzuſehn, ſon - dern ihn andern zum Exempel zu zuͤchtigen. Jch habe verſchiednemal dieſen caſum in terminis vor dem Conſiſtorio mit gutem Erfolge ausgefuͤhrt. Koͤnnte nicht etwan Jhr Sekretair den Wechſel vorher zu ſehen bekommen? Das waͤre ein Mei - ſterſtreich! Er muͤßte ihn den Augenblick in Stuͤ - cken zerreiſſen, und zum Fenſter hinaus werfen. Was will der Kaufmann hernach mit dem Sekre - tair anfangen? Verklagen? Dafuͤr laſſen Sie mich ſorgen. Es ſoll ihm dreytauſend Thaler ko - ſten, ehe er die 2000 Thlr. wieder kriegt. Man wirft dem Richter eine Hand voll Ducaten an den Kopf, ſo iſt er blind und taub. Kurz, dafuͤr laſ - ſen Sie mich ſorgen; und was Jhr Sekretair thut, das iſt nicht Jhre Suͤnde. Gefallen Jhnen alledieſe399Satyriſche Briefe. dieſe Vorſchlaͤge nicht: ſo will ich Jhnen noch ei - nen andern thun. Recognoſciren Sie den Wech - ſel nicht. Wenn ihn die Gerichte produciren, ſo ſtellen Sie Sich ſo trunken, daß Sie weder reden noch ſehen koͤnnen. Sie gewinnen doch wieder ei - nige Stunden Luft; koͤmmt Zeit, koͤmmt Rath. Wenn alle Straͤnge reißen, ſo weiß ich noch ein Mittel; aber das iſt freylich ein verzweifeltes Mit - tel. Jch habe es bey andern Gelegenheiten mit gutem Vortheil gebraucht. Mit einem Worte, Gnaͤdiger Herr, ich will Sie naͤrriſch machen, ſo bald es Jhnen gefaͤllt. Befehlen Sie nur. So naͤrriſch, daß Sie ſelbſt nicht wiſſen ſollen, wie Sie daran ſind. Noch eins. Was meynen Sie, wenn ich Jhnen von Jhrem Glaͤubiger einen Wech - ſel auf dreytauſend Thaler ſchaffe, die er von Jh - nen geborgt hat? Den Augenblick ſollen Sie den haben. Mein Schreiber kann alle Haͤnde nach - malen; und wie man die Siegel nachdruckt, das verſtehe ich. Jch mag das Ding anſehn, von wel - cher Seite ich will, ſo gefaͤllt mir dieſer Vorſchlag am beſten. Haben Sie doch nicht noͤthig, ihn auf die 3000 Thlr. zu verklagen; es iſt genug, wenn Sie ihm zu eben der Zeit mit dem Arreſte drohen, da er ſich gegen Sie unnuͤtze macht. Und treibt er die Sache gar zu weit; gut, ſo muß er ſie bezahlen; geben Sie ihm ſeine 2000 Thlr. davon, und wenn Jhnen das dritte tauſend auf dem Gewiſſen liegt, ſo geben Sie es nur mir, ich will mit meinem Gewiſſen ſchon zu rechte kommen.

Wenn400Satyriſche Briefe.

Wenn ich Zeit haͤtte: ſo wollte ich Jhnen noch mehr Wege vorſchlagen, wodurch Sie Sich ret - ten koͤnnen. Leſen Sie Sich inzwiſchen hier aus, was Sie wollen. Jch bin allemal zu Jhren Dien - ſten. Jch erwarte Jhren Entſchluß, und bin mit aller Hochachtung ꝛc.

N. S. Jch wollte wohl ſehen, daß ich morgen zu Jhnen kommen koͤnnte; aber ich habe von vielen Jahren her allemal Dienſtags meinen Faſttag, und arbeite vor der Son - nen Untergang nicht. Jch halte dieſes Geluͤbde ſo heilig, daß ich es nicht breche, und wenn ich hundert Dukaten zu verdie - nen wuͤßte. Es iſt auf die Mittewoche noch Zeit genug. Ueberlegen Sie es in - zwiſchen. Das Abſchwoͤren des Wech - ſels waͤre gewiß das beſte Mittel. Wie Sie wollen, Gnaͤdiger Herr!

Hochgeehrter Herr Doctor,

Jch will es Jhnen aufrichtig geſtehn. Von al - len Jhren Vorſchlaͤgen, die Sie mir gethan haben, gefaͤllt mir nicht ein einziger. Sie ſind ſehr praktiſch, es iſt wahr; und ich glaube gewiß, daß es hundert Perſonen von meinem Stande giebt welche niedertraͤchtig genug ſind, derglei - chen Mittel zu ihrer Rettung zu ergreifen. Jch mache Jhnen deswegen keinen Vorwurf. Die unbeſtimmte Art, mit der ich Sie um Jhren Bey -ſtand401Satyriſche Briefe. ſtand anſprach, und mit der Sie vielleicht von vie - len angeſprochen worden ſind, die, wie Sie Sich ausdruͤcken, ſo poͤbelmaͤßig gewiſſenhaft nicht ſind, als ich es bin; dieſe freye Art, ſage ich, hat Jhnen vermuthlich ein Recht gegeben, von mir eben ſo nachtheilig als von andern meines gleichen zu den - ken, und mir Vorſchlaͤge zu thun, uͤber die ich mich in ihrem Namen ſchaͤmen muß.

Die unruhigen Umſtaͤnde, in denen ich mich dieſe Meſſe wegen verſchiedner druͤckenden Schul - den befinde, haben mir Gelegenheit gegeben, uͤber mich ſelbſt ernſthafter nachzudencken. Jch finde es, daß ich von meinen erſten Jahren an leicht - ſinnig genug geweſen bin, Gelder aufzuborgen, ohne zu wiſſen, ob ich iemals im Stande ſeyn wuͤr - de, ſie wieder zu bezahlen, und ohne mich durch die - ſen Gedanken lange zu quaͤlen. Die vernuͤnftige Vorſicht meines Vaters, die ich in meinen akade - miſchen Jahren Geiz nannte, gab mir das, was zu einer ſtandesmaͤßigen Auffuͤhrung und zu mei - nem Studiren gehoͤrte, uͤberfluͤßig, dasjenige aber nur nothduͤrftig, was ich zu meinen Nebenvergnuͤ - gen brauchte. Jch gerieth in eine Geſellſchaft jun - ger Leute, welche, ihrem Range nach, weniger wa - ren, als ich, und gleichwohl mehr Aufwand ma - chen konnten. Ein uͤbelverſtandner Ehrgeiz noͤ - thigte mich, es ihnen gleich zu thun. Dieſes konn - te ich nicht thun, ohne Schulden zu machen, und ich fiel einigen Wuchrern in die Haͤnde, welche mei - ne Thorheit zu ihrem Vortheile misbrauchten. Die - ſes ſtuͤrzte mich von einer Schuld in die andre. JchC chatte402Satyriſche Briefe. hatte mir vorgenommen, ſie redlich zu bezahlen. Jch that es auch wirklich bey dem Tode meines Vaters, deſſen Verlaſſenſchaft aber ſo anſehnlich nicht war, daß ich es ohne meine Unbequemlichkeit haͤtte thun koͤnnen. Die Gelegenheit, die ich fand, bey Hofe mein Gluͤck zu machen, noͤthigte mich zu einem Aufwande, der uͤber meine Kraͤfte gieng. Jch borgte vom neuen, und bey ieder Stufe, die ich hoͤher ſtieg, verwickelte ich mich in neue Schulden. Diejenigen, die mir itzt Geld vorſtreckten, waren groͤßtentheils eben ſo ungewiſſenhaft, als diejenigen Wuchrer, welche mich auf Schulen gepluͤndert hat - ten. Mit einem Worte, eine jede Schuld noͤthigte mich, eine noch ſchlimmere Schuld zu machen, um mich von jener zu befreyen; und ich wagte alles dar - an, um den Ruhm nicht zu verlieren, daß ich ein ehrlicher Mann ſey. Nunmehr bin ich aber ſo weit getrieben, daß ich nicht mehr weiß, wie ich mich ret - ten ſoll.

Sehn Sie, mein Herr, das iſt die wahre Ge - ſchichte meines Ungluͤcks, und die Genealogie aller meiner itzigen Schulden. Jch habe ſie Jhnen mit Fleiß ſo umſtaͤndlich geſchrieben, damit Sie nicht allein Gelegenheit haben ſollen, von mir beſſer zu denken, ſondern auch von andern Cavaliern eine bil - ligere Meynung zu faſſen, die, wie ich, ihre Schul - den nicht bezahlen koͤnnen, und die oft bey dem red - lichſten Herzen, das Sie haben, bankrut werden muͤſſen. Sie werden nach und nach eingeflochten, bis Sie ganz verlohren gehn. Die Ungerechtigkeit ihrer Glaͤubiger, unrichtige Begriffe von der Ehr -begier -403Satyriſche Briefe. begierde, eine Unachtſamkeit in ihrer Wirthſchaft, und die traͤumende Hoffnung auf ein unerwartetes Gluͤck, das Sie retten ſoll; dieſes ſind die gemein - ſten, und wichtigſten Urſachen an dem Umſturze der groͤßten Haͤuſer. Von denen rede ich nicht, welche muthwillige Betruͤger ſind, und deren ſind ſehr viele; nur von denen rede ich, die, wie ich, unvorſichtig ge - nug, aber doch ehrlich ſind.

Nun ſtellen Sie ſich einmal vor, wie ſehr ich durch Jhren Brief muß gedemuͤthigt worden ſeyn, da ich ſehe, daß Sie mich fuͤr einen Betruͤger, und nicht fuͤr einen verungluͤckten Mann anſehen, wel - cher ein Mittel ſucht ſich zu retten, ohne ſein Gewiſ - ſen und ſeine Ehre zu verlieren. Und beides muͤßte ich verlieren, wenn ich nur einen einzigen von Jhren Vorſchlaͤgen annaͤhme.

Es gehoͤrt wirklich eben ſo wenig Verſtand da - zu, einen verſtellten Eid zu leiſten, als wenig Ver - ſtand noͤthig iſt, iemanden dergleichen anzurathen. Da ich noch in der erſten Claſſe ſaß, ſahe ich dieſe Weisheit ſchon ein, und mein Praͤceptor, ſo ein - faͤltig er auch war, uͤberfuͤhrte mich doch, daß der - gleichen Kunſtgriffe auch den niedrigſten Poͤbel ſchaͤndeten. Jhnen, als einem Rechtsgelehrten, darf ich das nicht weiter erklaͤren, und da Sie ein Chriſt ſind, der Gott zu Ehren alle Wochen einmal faſ - tet: ſo werden Sie beſſer, als ich, uͤberzeugt ſeyn, wie abſcheulich dergleichen betruͤgriſche Eide ſind.

Jch weiß die Geſetze wohl, die uns von der Verbindlichkeit des Wiedererſatzes losſprechen, wenn man in einem gewiſſen Alter geborgt hat; aber dasC c 2weiß404Satyriſche Briefe. weiß ich auch, daß uns in gewiſſen Faͤllen die Eh - re dazu verbindet, wenn es gleich die Geſetze nicht thun. Die Vorſicht der Geſetzgeber war noͤthig, die Bosheit derjenigen zu ſteuern, die ſich unſers ju - gendlichen Unverſtandes bedienen, um etwas zu ge - winnen; wider diejenigen aber duͤrfen wir uns die - ſes Mittels nicht bedienen, die uns als ehrliche Leu - te geholfen haben, wir ſetzen uns ſonſt in eine Claſſe mit den Wahnwitzigen und Verſchwendern, fuͤr welche die Geſetze auf eben die Art geſorgt haben. Bin ich in meinem fuͤnf und zwanzigſten Jahre nicht eben ſo verbunden ehrlich zu ſeyn, als im ſechs und zwanzigſten? Der Taufſchein wird mich wider mein ehrliebendes Gewiſſen nicht ſchuͤtzen, wenn es mich auch wider den Richter ſchuͤtzt. Mit einem Worte, dergleichen Rechte der Unmuͤndigen ſind meiſtentheils nur eine Zuflucht der unbeſonnenen Jugend, welche ohne Verſtand borgt, oder der Be - truͤger; beides mag ich mir nicht vorwerfen laſſen.

Was ſoll ich von Jhren uͤbrigen Mitteln ſagen, die Sie mir vorſchlagen? Befreyt mich eine unvoll - kommne Unterſchrift von der Verbindlichkeit, die ich haben wuͤrde, wenn ich auch gar nichts unterſchrie - ben haͤtte? Seinem Glaͤubiger den Wechſel mit Gewalt aus den Haͤnden zu reiſſen, iſt eine Art ei - nes Raubes, die das Rad verdient, und nicht den Beyfall der vernuͤnftigen Welt, wenn auch dieſe ver - nuͤnftige Welt nicht einmal ehrlich waͤre.

Ueber den Vorſchlag, mich naͤrriſch zu machen, will ich mich nicht erklaͤren. Sie haͤtten verdient,daß405Satyriſche Briefe. daß ich Jhnen die Antwort durch meinen Bedien - ten geben ließ.

Der Einfall, einen falſchen Wechſel auf den Namen meines Glaͤubigers zu ſchreiben, iſt nur Jh - rer werth, und mir zu abſcheulich, als daß ich noch ein einziges Wort davon ſagen ſollte.

Jch bin niemals ſo feſt Willens geweſen, mei - nen Glaͤubiger, der mir redlich gedient hat, auch red - lich wieder zu bezahlen, als itzt, da ich aus Jhrem Briefe ſehe, wie niedertraͤchtig man ſeyn muß, wenn man es nicht thun will.

Was ich wuͤnſche, iſt dieſes, daß niemand von meinen Freunden in ſo verzweifelte Umſtaͤnde gera - then moͤge, ſich Jhrer Huͤlfe zu bedienen. Leben Sie wohl.

Herr Sekretair,

Jch bin ungluͤcklich, ohne Huͤlfe ungluͤcklich! Alle meine Schulden ſind mit einem male aufge - wacht. Sie verfolgen mich, und ich muß noch die - ſen Abend vor ihnen fliehen. Wollte Gott, ich koͤnn - te mich vor mir ſelbſt verbergen! Jch ſchaͤme mich meiner, und das Verlangen, alle meine Glaͤubiger zu bezahlen, und ehrlich zu bleiben, entſchuldigt mich weder bey mir ſelbſt, noch vor den Augen der Welt. Sie werden bey dem Herrn Oberſtlieutenant er - fahren, wo ich mich aufhalte. Beſchleunigen Sie Jhre Ruͤckreiſe, Sie moͤgen die Sache zu Stande gebracht haben, oder nicht. Jch lege Jhnen alle die Mahnbriefe bey, die geſtern und heute an mich ge - kommen ſind. Sie finden bey einem jeden meineC c 3Ant -406Satyriſche Briefe. Antwort. Wie ſehr bin ich gedemuͤthigt, daß ich habe muͤſſen die Sprache der boͤſen Schuldner an - nehmen! Beruhigen Sie meine Glaͤubiger, ſo gut Sie koͤnnen. Sie ſollen alle bezahlt werden, alle ehrlich bezahlt werden; aber gerechter Gott! wenn? womit? Das weiß ich nicht! Jch Un - gluͤcklicher! Kommen Sie zuruͤck! Geſchwind kommen Sie zuruͤck! Jch muß fort.

Gnaͤdiger Herr,

Nun kann ich Jhnen nicht laͤnger nachſehn. Die 2000 Thlr. muß ich morgen auf den Abend haben, oder ich bediene mich der Mittel, die Sie wiſſen. Jch thue es ungern; aber ich werde ſelbſt gedraͤngt. Sie haben mich von einem Tage zum andern aufgehalten. Laͤnger kann ich nicht nachſehn, ohne meinen Credit ſelbſt zu verlieren. Das werden Sie mir nicht zumuthen. Machen Sie Sich keinen Schimpf; und wenn Sie es doch thun, ſo geben Sie mir die Schuld nicht. Jch erwarte mein Geld ohne Verzug, und verharre mit unterthaͤnig - ſter Hochachtung

Ew. Gnaden u. ſ. w. R

Antwort.

Mein Liebſter Herr R

Es iſt billig, Sie ſollen bezahlt werden. Laͤngſtens auf den Freytag fruͤh. Bis dahin haben Sienoch407Satyriſche Briefe. noch Geduld. Jch ſoll morgen Geld haben, das mir ein guter Freund ſchuldig iſt. Sie haben mir als ein ehrlicher Mann gedient, und ich habe den Wil - len, als ein ehrlicher Mann zu bezahlen. Jch bin mit meinem Pachter ungluͤcklich geweſen, es waͤre ſonſt ſchon vor der Meſſe geſchehn. Waren es nicht Louis blanc, die Sie mir vorſtreckten? Jch glau - be, ja; gut, Sie ſollen ſie haben, oder doch wenig - ſtens das agio. Was thun Sie gegen Maxdor? Schicken Sie nur auf den Freytag fruͤh zu mir, und den Wechſel mit. Jch werde Jhre gefaͤllige Nachſicht niemals vergeſſen, und Jhnen dienen, wo ich kann.

Leben Sie wohl.

N. S. Koͤnnen Sie einen hollaͤndiſchen Brief auf 500 Thlr. brauchen?

Gnaͤdiger Herr,

Dieſelben erhalten durch meinen Ladendiener den Auszug fuͤr die ausgenommenen Stoffe, und andre Waaren. Es wird Jhnen nicht ſchwer fal - len, die kleine Poſt an 600 Thlr. zu bezahlen. Meine Freunde haben mir gerathen, es gerichtlich zu ſuchen, weil ich ſo oft vergebens darum bitten muͤſſen. Es wuͤrde mir leicht ſeyn, es auszufuͤh - ren, da Sie die Rechnung ſchon unterſchrieben ha - ben; ich will es aber nicht gern thun, um Jhnen das Vergnuͤgen zu laſſen, daß Sie Jhre gegebne Ca - valierparole ohne richterlichen Zwang erfuͤllen. Jch bin mit unveraͤnderter Ehrfurcht

Ew. Gnaden u. ſ. w.

C c 4Mein408Satyriſche Briefe.
Mein Herr,

Jhre Freunde kennen mich und Sie nicht, ſie wuͤr - den Jhnen ſonſt billiger rathen. Jch will es Jhnen nicht vorruͤcken, daß Sie mir den Preis der Stoffe zu hoch angeſetzt haben; es iſt einmal ge - ſchehn, und ich habe mich dazu bekannt. Sie ſol - len der erſte nicht ſeyn, dem ich etwas ſchuldig blei - be. Jch erwarte Sie auf den Freytag Nachmit - tage. Sie werden wohl Doppien nehmen? Ha - ben Sie dieſe Meſſe etwas neues von Stoffen? Bringen Sie mir welche mit, ſo ſchoͤn Sie ſolche haben. Jch bezahle baar. Es ſoll zu einer Meſſe fuͤr meine Frau. Nur nicht gar zu bunt. Ver - ſtehen Sie mich?

à Dieu.

Gnaͤdiger Herr,

Mein Advocat wird Jhnen geſagt haben, daß der uͤber die Juwelen ausgeſtellte Wechſelbrief an 2500 Thlr. an der Peterpaulmeſſe gefaͤllig geweſen iſt. Sie haben mich bis auf heute vertroͤ - ſtet, und ich nehme mir die Freyheit, mich unterthaͤ - nig zu erkundigen, um welche Stunde ich Jhnen aufwarten darf. Sie wiſſen noch, Gnaͤdiger Herr, wie genau Sie gehandelt haben, und koͤnnen gewiß glauben, daß ich nicht fuͤnf Thaler daran verdiene. Deſtoweniger wird mir es zuzumuthen ſeyn, laͤnger nachzuſehn, da die ganze Summe mein baarer Verlag iſt. Brauchen Sie ſonſt dieſe Meſſe etwas, ſo werden Sie gnaͤdig befehlen, und ich werde Jh - nen damit dienen, ſo bald ich meine 2500 Thlr. von Jhnen bekommen habe. Sollte mein Advocat ſichdieſen409Satyriſche Briefe. dieſen Morgen bey Jhnen melden: ſo ſagen Sie ihm nur, daß die Sache bis gegen Abend Anſtand haͤtte. Weiſen Sie ihm allenfalls dieſen Brief, da - mit er nicht nach der Ordre verfaͤhrt, die ich ihm geſtern Abends gegeben habe. Er war heute fruͤh nicht zu Hauſe, als ich zu ihm ſchickte. Sie ſehen, Gnaͤdiger Herr, mit wie viel Vorſorge ich mir an - gelegen ſeyn laſſe, Jhnen zu zeigen, daß ich mit un - terthaͤnigem Reſpecte ſey

Ew. Gnaden, ꝛc.

Antwort.

Hochgeehrteſter Herr,

Hat Jhnen denn mein Sekretair das Geld noch nicht ausgezahlt? Das iſt ganz unverant - wortlich! Jch habe es ihm ſchon am Montage be - fohlen. Er mußte am Dienſtage fruͤh wegen einer dringenden Angelegenheit verreiſen, und hat in der Eil aus Unvorſichtigkeit meine Caſſe und alles in ſeinem Beſchluſſe behalten. Laͤngſtens kuͤnfti - gen Sonnabend koͤmmt er gewiß wieder. Ha - ben Sie ſo lange Geduld. Jch will ihm ſeine Un - vorſichtigkeit verweiſen, daß er es empfinden ſoll.

Man iſt doch gar zu ungluͤcklich, wenn man ſich auf andre Leute verlaſſen muß. Es verdrießt mich doppelt, daß er ſo einen ehrlichen Mann, wie Sie ſind, ſo lange warten laͤßt. Sie ſollen Jhr Geld haben. Es iſt ſchon abgezaͤhlt, ich weiß es. Einen tollern Streich haͤtte mir mein Sekretair nicht ma - chen koͤnnen! Sie ſollen Jhr Geld richtig haben. C c 5Jhr410Satyriſche Briefe. Jhr Advocat iſt noch nicht bey mir geweſen. Aber wozu brauchen denn zween ſo gute und alte Freun - de, als wir ſind, einen Advocaten? Das haͤtten Sie nicht thun ſollen, gewiß nicht, mein Herr. Ein Wort, ein Wort; ein Mann, ein Mann! Jch be - zahle meine rechtſchaffnen Freunde ehrlich, und wenn weder Advocaten noch Richter in der Welt waͤren. Dieſe Meſſe werde ich nichts brauchen. Jch habe mich vom Gelde entbloͤßt, und Sie wiſ - ſen wohl, ich kaufe ohne Noth nicht gern, wenn ich nicht gleich, oder doch bald bezahlen kann.

Den Augenblick faͤllt mir etwas ein. Die Prin - zeſſinn von will eine Haarnadel kaufen; ſie muß aber ſchoͤn ſeyn. Dabey waͤre ein Thaler zu verdienen. Soll ich Sie vorſchlagen? Kommen Sie uͤber morgen fruͤh in die Antichambre, da wer - den Sie mich finden. Oder, wiſſen Sie was: lie - ber auf den Markt; da wird die Prinzeſſinn um eilf Uhr ſelbſt ſeyn. Sehn Sie, wie freundſchaftlich ich fuͤr Sie ſorge. Aber bringen Sie Jhren Advo - caten nicht mit; Jhre Durchlauchten moͤchten ſich vor ſeiner Peruͤke entſetzen. Gewiß, das Compli - ment von Jhrem Advocaten kann ich Jhnen noch nicht recht vergeben. Was geſchehn iſt, iſt geſchehn. Wir wollen gute Freunde bleiben. Leben Sie wohl, bis auf Wiederſehn. u. ſ. w.

Hochwohlgebohrner Herr, Gnaͤdiger Herr,

Das Abſterben meines ſeligen Mannes hat mich in kuͤmmerliche Umſtaͤnde geſetzt. Die Gnade, dieEw.411Satyriſche Briefe. Ew. Hochwohlgeb. gegen ihn ehedem bezeigt, werde ich nunmehr fuͤr mich, und meine armen unerzognen Kinder unterthaͤnig ausbitten. Die erſte Probe von Dero gnaͤdigen Vorſorge wird dieſe ſeyn, wenn Sie die Veranſtaltung treffen, daß der itzige Meſſe verfall - ne Wechſel an 550 Thlr. ausgezahlt werde. Er iſt meinem aͤlteſten Sohne auf ſein Antheil im Erbe zuge - fallen, und weil er im Begriffe ſteht, auf die Univerſi - taͤt zu gehen: ſo muß er dieſe Poſt zu ſeinem nothduͤrf - tigen Unterhalte aufnehmen. Es beruht ſein ganzes Gluͤck darauf, da er ſonſt nichts zu leben hat, und von mir auf keine Art unterſtuͤtzt werden kann. Ew. Hoch - wohlgeb. Gnad. ſind als ein großmuͤthiger Beſchuͤtzer armer Waiſen bekannt, und ich zweifle an gnaͤdiger Geſtattung meiner Bitte im geringſten nicht, da es Jhnen ſo leicht fallen muß, mit dieſer Kleinigkeit ein armes Kind gluͤcklich zu machen, welches die Gnade gehabt hat, ſein ganzes Vermoͤgen Jhren Haͤnden zeit - her zu uͤberlaſſen. Gott, der Gott der Wittwen und Waiſen, wird ein reicher Vergelter feyn, und Jhr ho - hes Haus ſeegnen. Jch bin mit der tiefſten Devotion

Ew. Hochwohlgeb. Gnaden demuͤthigſte Dienerinn. N.

Antwort.

Liebe Frau Magiſterinn,

Sie verlangen das Jhrige auf eine ſo beſcheidne, und verpflichtende Art zuruͤck, daß ich mich ſchaͤmen muß, ſo lange Jhr Schuldner geweſen zu ſeyn. Es koͤmmt mir freylich die Aufkuͤndigung des Wechſels itzt ein wenig unvermuthet; aber ich will Rath ſchaffen. Kann es nicht gleich in der Meſſe ſeyn: ſo ſoll es doch geſchehen, ſo bald ich nach Hauſo komme. Jch thuenichts412Satyriſche Briefe. nichts, als was meine Schuldigkeit iſt; und wenn Jhr lieber Sohn fromm und fleißig iſt, ſo will ich weiter fuͤr ihn ſorgen. Jch will noch heute verſuchen, ob es moͤglich iſt, ein Procuraturſtipendium fuͤr ihn auszu - wirken. Er kann ſich, wenn er herkoͤmmt, bey dem Herrn Profeſſor N. melden, der mir verſprochen hat, ihm einen Freytiſch zu geben. Die Collegia ſoll er auch bey ihm umſonſt hoͤren. Der ehrliche Mann thut mir alles zu Gefallen, was ich verlange. Mit einem Worte, ich will fuͤr ihn ſorgen, und wenn er nach Leip - zig geht, kann er erſt auf mein Gut zu mir kommen, und das Geld gegen den Wechſel heben. Jch bin dieſe kleine Bemuͤhung der Freundſchaft ſchuldig, die mir Jhr ſeliger Mann erwieſen hat. Seyn Sie von meiner Aufrichtigkeit uͤberzeugt, und leben Sie allemal wohl.

Nota! Der Herr Sekretair wird ſorgen, daß dieſe ehr - liche Frau vor allen andern bezahlt wird. Da - vor behuͤte mich Gott, daß ich auch die Thraͤnen der Wittwen und Waiſen auf mich laden ſollte. Dieſe Schuldpoſt nagt mich am Herzen. Jch habe noch vor meiner Abreiſe mit dem Profeſſor geredet, er hat mir es verſprochen. Sorgen Sie ja fuͤr die arme Frau. Jhr Mann war ein recht - ſchaffner Mann. Sie muß ihr Geld nach der Meſſe haben, es komme her, wo es wolle.

Hochwohlgebohrner Herr, Hochgeehrteſter Herr Bruder,

Jch habe dieſe Meſſe verſchiedne Baͤre los zu binden, um deßwillen ich den Herrn Bruder erſuche, das kleine Wechſelchen an 400 Thlr. meinem Agenten zu bezahlen. Da ich es Jhnen drey Jahre ohne Jnter - eſſen creditirt habe: ſo verſehe ich mich gewiſſer Zah - lung. Es ſteht ohnedem in meiner Gewalt nicht, laͤn -ge413Satyriſche Briefe. ger nachzuſehn, da ich den Wechſel an Herr N. und Compagnie gegen eine Schuldfoderung cedirt habe. Der Herr Bruder wiſſen, wie dieſe Juden ſind, und daß ſie mit ihren Schuldnern ſo ſaͤuberlich nicht verfah - ren, als wir von Adel mit einander umzugehn pflegen. Es ſollte mir ſehr leid ſeyn, wenn der Herr Bruder es zur Weitlaͤuftigkeit kommen ließen. Jch wenigſtens waͤre ganz außer Schuld, denn der Wechſel iſt nicht mehr in meiner Hand. Eben itzt erfahre ich von mei - nem Gerichtsverwalter, daß Jhr Herr Schwiegerva - ter dieſen Abend ſehr unbaß nach Hauſe gekommen ſey. Wie Gott will! Der Alte verlaͤßt Pfennige; Sie werden Sich wohl troͤſten laſſen. Die Haſenjagd iſt heuer ſehr ſchlecht. Das macht das liebe Hagelwet - ter. Der Teufel hat doch immer ſein Spiel. Ge - ſtern Abends iſt mir mein beſter Fuchs im Stalle um - gefallen; ich glaube nicht, daß mir mein beſter Freund ſo nahe gehen kann. Es war ein Fuchs, Trotz einem Fuchſe! Der Donner hole mich, mein beſtes Pferd war es! Und hiermit Gott befohlen. Auf die Be - zahlung des Wechſels verlaſſe ich mich alſo gewiß, und bin u. ſ. w.

Antwort.

Hochwohlgebohrner Herr, Hochgeehrteſter Herr Bruder,

Es iſt mir nicht lieb, daß Sie meinen Wechſel von Sich gegeben haben. Jch werde ihn bezahlen, darauf koͤnnen Sie Sich verlaſſen, aber dieſe Meſſe iſt es unmoͤglich, das ſage ich Jhnen, es komme auch zu was es wolle. Daß Sie ihn drey Jahre ohne Jntereſſen gehabt haben, iſt mir bekannt; aber der Herr Bruder wiſſen auch, daß wir Spielſchulden nicht zu verintereſſiren pflegen. Sollte mich Herr N. aufs auſſerſte treiben, ſo werde ich gerichtlich ſagen muͤſſen,was414Satyriſche Briefe. was dieſer Wechſel eigentlich iſt; und es ſollte mir na - he gehen, wenn ich, wider meine Gewohnheit, der - gleichen Ausflucht brauchen muͤßte, da ich wirklich Wil - lens bin, den Wechſel zu bezahlen, und wenn er noch un - guͤltiger waͤre. Jch haͤtte mich zu Jhrer Freundſchaft wohl verſehen, daß Sie mich den Zunoͤthigungen des Herrn N. und Compagnie nicht auf dieſe Art Preis geben wuͤrden. Jch habe ihnen ſagen laſſen, daß ſie von mir anf dieſen Wechſel nicht einen Dreyer bekom - men wuͤrden, und ſie moͤchten ihren Regreß nehmen, an wen ſie wollten, oder ſonſt thun, was ihnen gefiele. Der Herr Bruder werden alſo andre Anſtallt machen, Jhre Schulden zu bezahlen. Jn kuͤnftiger Meſſe tra - ge ich dieſe Poſt ab; aber an niemanden, als an Sie, und auch nicht eher. Das habe ich bey mir beſchloſſen, und Sie kennen mich. Von der Krankheit meines Schwiegervaters weiß ich nichts. Die Nachricht wird wohl keinen Grund haben. Der rechtſchaffne Mann ſollte mich dauern, ſo hart er auch gegen mich und mei - ne Frau iederzeit geweſen iſt. Jch bin unveraͤndert

Ew. Hochwohlgeb. u. ſ. w.

Gnaͤdiger Herr,

Wundern Sie Sich etwan, was ich will? Mein Geld will ich haben. Ja ja, im ganzen Ernſte, mein Geld, das ich Jhnen ſo lange geliehen habe, und wenn ich das nicht kriege, ſo will ich Sie haben, oder es muͤßte keine Gerechtigkeit im Lande ſeyn. Tauſend Thaler iſt kein Pappenſtiel, und ich habe Jhren Wech - ſel daruͤber, wiſſen Sie das wohl, Gnaͤdiger Herr? Das iſt keine Kunſt, daß vornehme Leute in den Tag hinein borgen, und uns arme Leute hernach betruͤgen wollen. Sie haben mich nun ſeit zwo Meſſen bey der Naſe herum gefuͤhrt. Jch bin der Complimente ſatt. Geld415Satyriſche Briefe. Geld, mein Herr, und kein Compliment, das will ich haben, oder Sie ſitzen in vier und zwanzig Stun - den zwiſchen vier Mauern. Und ſollte ich Sie zu To - de fuͤttern, ſo laſſe ich Sie nicht aus dem Arreſte, bis Sie zu Heller und Pfennigen bezahlt haben. Wie ge - ſagt, das iſt keine Kunſt! Erſt kommt ihr Herren, und ſtrotzt von Gold und Silber, Gott weiß, ob ein Dreyer darauf bezahlt iſt; und da ſind wir armen Kaufleute eure gute Freunde, eure Herzens gute Freun - de, da herzt ihr und kuͤßt uns, bis ihr das Geld habt. Und wenn ihr es denn habt, ſo hole der Teufel den verfluchten Juden, der es wieder haben will, wenn der Wechſel verfallen iſt. Halten Sie mirs zu Gna - den, daß ich ſo deutſch weg rede; aber es iſt ſchlimm genug, daß es wahr iſt. Wir armen Kaufleute muͤſ - ſen es uns laſſen blutſauer werden, und wenn wir mit Angſt und Noth ein paar Thaler Geld zuſammen ge - raſpelt haben, ſo koͤmmt ſo ein vornehmer Muͤſſiggaͤn - ger, und betruͤgt uns drum. Jch meyne eben Sie nicht, Gnaͤdiger Herr; aber meine tauſend Thaler muß ich auf den Donnerſtag haben, oder es wird nicht gut. Kurz! Geld oder Arreſt! Was Sie wollen. Jch bin

Ew. Gnd. unterthaͤniger Diener Hanns Puff und Comp.

Antwort.

Mein lieber ehrlicher Hanns Puff,

Sie bleiben doch der alte Deutſche, der Sie alle - mal geweſen ſind. Sie ſollen Jhr Geld haben, laſſen Sie Sich nur nicht leid ſeyn. Wir wollen des - wegen allemal gute Freunde ſeyn. Kommen Sie auf den Freytag fruͤh zu mir, da ſollen Sie es finden. Es gefaͤllt mir nur, daß Sie mit Jhren Freunden ſo we - nig Umſtaͤnde machen. Wir verſtehn einander ſchon. Mein416Satyriſche Briefe. Mein Sekretair ſoll Jhnen alles bezahlen. Er wird auf den Donnerſtag Abend erſt wieder kommen. Bis auf den Freytag warten Sie doch, mein guter Alter! Nicht wahr? Sie Sind doch nicht boͤſe?

[Hochwohlgebohrner] Herr, Gnaͤdiger Herr,

Sie ſind geſtern Abends kaum zur Stadt hinaus ge - weſen, als ich mit der Poſt hier ankam. Jch habe die Briefe, und Jhre Ordre gefunden. Die Ur - ſachen meiner geſchwinden Ruͤckkunft ſind dieſe. Am Dienſtage Abends kam Jhr Herr Schwiegervater ganz krank von der Fiſchererey zuruͤck. Jch fuhr zu ihm, ſo bald ich die Nachricht erhielt. Er war in Gefahr, und dieſe mehrte ſich dergeſtallt, daß der Medicus ſchon an der Mittwoche fruͤh an ſeinem Aufkommen zwei - felte. Jch bin von ſeinem Bette nicht weggekommen, weil er zuſehends ſchwaͤcher ward. Er bezeigte ein gro - ßes Verlangen, Sie und die Frau Gemahlinn zuſpre - chen. Es war aber unmoͤglich, weil er gegen Mitter - nacht in meinen Armen verſchied. Jch habe ſogleich von den Guͤtern Beſitz nehmen, und alles verſiegeln laſſen. Jch konnte nicht eher, als geſtern ſpaͤt hier ankommen ſo ſehr ich auch eilte, Jhnen Nachricht davon zu geben, und Jhnen mein unterthaͤniges Beyleid muͤndlich zu bezeigen. Von dem Herrn Oberſtlieutenant habe ich auch nicht eher als dieſen Mittag Jhren Aufenthalt erfah - ren koͤnnen. Dieſen Vormittag habe ich angewendet, Jhre Glaͤubiger zu beruhigen. Die anſehnliche Ver - laſſenſchaft des ſel. Herrn Schwiegervaters hat ſie ſo gefaͤllig gemacht, daß ſie Ew. Gnaden nicht allein nach - ſehen, ſondern mit ihrem ganzen Vermoͤgen unterthaͤ - nig aufwarten wollen, wenn Sie es verlangen. Hanns Puff und Compagnie haben mich beſchworen, Sie ihrer unterthaͤnigſten Devolion zu verſichern. Jch bin u. ſ. w.

About this transcription

TextSammlung satyrischer Schriften
Author Gottlieb Wilhelm Rabener
Extent448 images; 85363 tokens; 10329 types; 576140 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationSammlung satyrischer Schriften Dritter Theil Gottlieb Wilhelm Rabener. . [14] Bl., 416 S. DyckLeipzig1752.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Lo 6227:1 (1.3)Dig: http://diglib.hab.de/drucke/lo-6227-1b-1s-3/start.htm

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Prosa; core; ready; china

Editorial statement

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:33:54Z
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Holding LibraryHAB Wolfenbüttel
ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Lo 6227:1 (1.3)
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