PRIMS Full-text transcription (HTML)
Clariſſa, Die Geſchichte eines vornehmen Frauenzimmers,
von demjenigen herausgegeben, welcher die Geſchichte der Pamela geliefert hat: und nunmehr aus dem Engliſchen in das Deutſche uͤberſetzt.
Siebenter und letzter Theil.
GOETTJNGEN, VerlegtsAbram Vandenhoecksſeel. Witwe. 1751.
Mit Roͤm. Kayſerlichen, Koͤnigl. Großbrit. und Churf. Braunſchw. wie auch Koͤnigl. Pohln und Churf. Saͤchſ. allergnaͤdigſten Privilegiis.
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Clariſſa. Der ſiebende Theil.

Der erſte Brief von Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace.

Jch bin um den armen Menſchen, deſſen Ausgang aus der Welt ich beynahe ſtuͤnd - lich erwarte, und bey den empfindlichen Trauerſpielen, welche ſeine Krankheit und ſeine Todesangſt vorſtellet, ſo bekuͤmmert gewe - ſen, daß ich mich nicht in dem Stande befunden habe, mehr als ein Verzeichniß von den traurigen Vorfaͤllen mit wenigen Worten aufzuſetzen, da - mit ſich daraus zur Lehre fuͤr uns alle eine vollkom - menere Nachricht entwerfen laſſe, wenn die Luſt zu ſchreiben wiederkommen wird.

Sie iſt wiedergekommen. Der Unwillen hat ſie erwecket: da ich deine Briefe vom Sonntage und von geſtern erhalten habe. Du giebſt mir dadurch Urſache, dir ernſtlich zu verweiſen, daß du dein Wort, welches du mir auf deine Ehre ge - geben hatteſt, gebrochen haſt: und wo daraus ſolche Folgen entſtehen, als ich befuͤrchte; ſo wer -Siebenter Theil. Ade2de ich dich mehr von meiner Meynung in dieſem Stuͤcke wiſſen laſſen.

Wenn du haben wollteſt, daß deine Wuͤnſche, die arme Fraͤulein zu deinem Vortheil zu gewin - nen, fuͤr Ernſt angeſehen wuͤrden: ſo wird ge - wiß dein leichtfertiges und kurzweiliges Bezeigen in Smithens Hauſe, wenn ſie es hoͤret, ein ſol - ches Anſehen haben, das ſich damit vortrefflich raͤumet. Nicht wahr? Es wird ſie in der That in ihrer Meynung beſtaͤrken, daß eine Per - ſon von ihrer ernſthaften und gottſeligen Gemuͤths - art mehr das Grab, als einen ſolchen Ehegat - ten zu wuͤnſchen habe, der weder zu ernſthafter Ueberlegung noch zu einem Gefuͤhl der Regungen des Gewiſſens aufgelegt iſt, ob er gleich eben aus einer gefaͤhrlichen, wenigſtens einer heftigen Krank - heit aufgekommen, wie du wirklich erſt eben da - von geneſen biſt.

Jch bin um die arme Fraͤulein, die ohne al - len Schutz iſt, uͤber die Maßen bekuͤmmert. Sie war am Sonnabend ſo ausnehmend matt und ſchwach, daß ich nicht vor ſie kommen konnte, mit ihr zu reden. Und dennoch wird ſie aus ihrer Wohnung getrieben: da es ſich beſſer fuͤr ihren Zuſtand ſchickte, im Bette zu bleiben. Dieß iſt eine ſolche Probe der Grauſamkeit, daß nur der - jenige ſich derſelben ſchuldig machen koͤnnte, der mit einem ſolchen Engel ſo zu verfahren im Stan - de waͤre, als du mit ihr umgegangen biſt.

Kannſt du ſelbſt bey reifer Ueberlegung ſa - gen, daß es nicht das Anſehen einer gottloſen undver -3verhaͤrteten Neigung, mit andern ein Spiel zu treiben, bey dir habe, wenn du bloß aus muthwilli - ger Luſt, da keine Abſicht, die du dir vorſetzeſt, ſon - dern vielmehr gerade das Gegentheil, dadurch kann befoͤrdert werden, ein armes Frauenzimmer von einem Orte zum andern jageſt, welches, wie ein unſchuldiges Thier, das ſchon einen zackichten Pfeil in der Bruſt hat, nur in dem Schatten des Todes eine Zuflucht vor dir ſuchet?

Jedoch ich will dieſe Sache deinem eigenen Gewiſſen anheim ſtellen, und dir aus meinem Verzeichniſſe der hier vorgefallenen Umſtaͤnde ein ſolches Trauerſpiel vorſtellen, das dich viel - leicht kraͤftiger als alles andere, ruͤhren wird. Denn es iſt von der Art, daß du dereinſt ſelbſt ei - ne Hauptperſon darinn ſpielen mußt: und eben dasjenige, welches du, wie ich dachte, ganz neu - lich an dir zu befuͤrchten hatteſt. Es iſt das letz - te Trauerſpiel eines deiner vertrauteſten Freunde, der ſeit den vier verwichnen Tagen unter der Angſt des Todes gearbeitet hat. Laß dieſe Wahrheit, Lovelace, dieſe unſtreitige Wahrheit dir bey allen deinen luſtigen Aufzuͤgen ins Gedaͤchtniß einge - graben ſeyn, daß dieß Leben, in welches wir ſo verliebt ſind, kaum ein Leben, nur ein bloßer Hauch ſey, und daß am Ende, wenn es auch aufs laͤngſte dauret,

Du eben ſo wohl ſterben muͤſſeſt, als BELTON.

Du haſt von Tourville erfahren, was wir in den weltlichen Angelegenheiten dieſes armen Man -A 2nes4nes ausgerichtet; und daß wir ſeine ungluͤckliche Schweſter zu ihm gebracht hatten, um mit ihm zu leben; indem wir uns nicht in den Sinn kom - men ließen, daß er ſeinem Ende ſo gar nahe waͤ - re: daher will ich nur bey meinem Vorſatz blei - ben, und dir melden, daß ich ihn bey meiner An - kunft in ſein Haus am Sonnabend, Abends, ausnehmend ſchlecht gefunden habe. Er war aber eben aufgeſtanden, und ſaß in ſeinem Lehn - ſtuhl. Seine Waͤrterinn, und Mowbray, der rau - heſte und unbequemlichſte Menſch, welcher je - mals in eines Kranken Kammer gekommen iſt, hielten ihn: da unterdeſſen die Maͤgde verſuchten, ob ſie ihm das Bette bequemer machen koͤnnten, in welches er ſich wieder legen ſollte; wiewohl ſein Gemuͤth noch zehnmal unbequemer war, als das ſeyn konnte, und die wahre Urſache enthielte, warum die Pflaumfedern fuͤr ihn nicht weicher waren.

Jhn hatte ſo ſehr verlanget, mich zu ſehen; wie mir ſeine Schweſter erzaͤhlte, welche ich her - unter bitten ließ, mich zu erkundigen, wie es mit ihm ſtuͤnde; daß ſie ſich alle freueten, da ich hin - ein kam. Hier, ſagte Mowbray, hier, Thomas, iſt der ehrliche Bruder Belford!

Wo, wo? fragte der arme Kerl.

Jch hoͤre ſeine Stimme, rief Mowbray. Er kommt die Treppe herauf.

Vor Entzuͤckung wollte er ſich aufrichten, als ich hinein trat: waͤre aber bald aus dem Stuhl daruͤber gefallen. Nachdem er wieder zu ſich ge -kom -5kommen war: nannte er mich ſeinen beſten, ſeinen liebreichſten Freund. Allein ein Strom von Thraͤnen ſchoß aus ſeinen Augen hervor. O Bruder! o Belford! ſprach er, ſiehe in welchem Zuſtande ich bin! Siehe, wie ſchwach! So weit und ſo bald herunter gebracht! Kennet ihr mich? Kennet ihr euern armen Freund Belton?

Jhr habt euch nicht ſo ſehr veraͤndert, mein lieber Belton, als ihr denket. Allein ich ſehe, daß ihr ſchwach, ſehr ſchwach ſeyd Und das iſt mir leid.

Schwach! ſchwach, in der That, mein lieb - ſter Belford, und ſchwaͤcher am Gemuͤthe, wo moͤglich, als am Leibe, ſprach er und weinte bit - terlich ſonſt wuͤrde ich mich nicht ſo wenig maͤnnlich bezeigen. Jch, der niemals irgend et - was fuͤrchtete, ſoll genoͤthigt ſeyn, mich als el - nen Saͤugling zu beweiſen! Jch ſchaͤme mich vollkommen vor mir ſelbſt! Aber ver - achte mich nicht, lieber Belford, verachte mich nicht, ich bitte dich.

Jch habe allezeit einen Menſchen in Ehren gehalten, ſprach ich, der um anderer Elend wei - nen koͤnnte, und werde ihn allezeit in Ehren hal - ten: ein ſolcher Menſch aber kann bey ſeinem eignen Jammer nicht unempfindlich ſeyn.

Jnzwiſchen konnte ich mich nicht enthalten, mich durch die heftige Unruhe des amen Mannes augenſcheinlich ruͤhren zu laſſen.

Nun, ſagte der vermeſſene Mowbray, halte ich dich fuͤr unleidlich, Bruder. Unſer armerA 3Freund6Freund iſt ohne das ſchon um eine ganze Stuffe zu niedrig, und du bringſt ihn noch immer nie - driger herunter. Dieß Liebkoſen in ſeinen nieder - geſchlagenen Stunden, und dein weibiſches Wei - nen mit ihm, iſt nicht der rechte Weg: gewiß nicht. Wenn unſer Lovelace hier waͤre: ſo wuͤr - de er dir das ſagen.

Du biſt ein unbeweglicher Menſch, antwor - tete ich. Du ſchickſt dich nicht dazu, daß du bey einem Trauerſpiel zugegen ſeyſt, wovon du das Schrecken nicht eher zu fuͤhlen im Stande ſeyn wirſt, als bis du es an dir ſelber fuͤhleſt: und wo du alsdenn nur noch Zeit zu fuͤhlen haſt; ſo ſe - tze ich mein Leben gegen deines, daß du dich eben ſo klaͤglich bezeigeſt, als diejenigen, welche du fuͤr die klaͤglichſten haͤltſt.

Darauf wandte ich mich zu dem armen Kran - ken. Thraͤnen, mein lieber Belton, ſind nicht Zeichen eines weibiſchen, ſondern eines menſch - lichen Gemuͤths. Sie erleichtern das uͤberladene Herz, welches berſten wuͤrde, wenn es dieſe ange - nehme und natuͤrliche Erleichterung nicht haͤtte. Shakeſpeare ſagt:

Laß ja die Schmerzen ſprechen:
Der Kummer, der nicht ſpricht,
Verheelet ſich darum dem ſchweren Herzen
nicht;
Er ziſchelt ihm doch zu, und noͤthigt es, zu
brechen.

Jch weiß, mein lieber Belton, du pflegteſt an den Stellen, die aus den Dichtern angefuͤhretwer -7werden, Vergnuͤgen zu finden: aber itzo mußt du gegen ihre Schoͤnheiten wohl unempfindlich ſeyn. Jnzwiſchen laß dich durch dieſen rauhen und un - bedaͤchtlichen Mowbray nicht irre machen: denn die Thraͤnen, wie Juvenal ſagt, ſind ein Vor - zug bey einem maͤnnlichen Gemuͤthe.

Es iſt wenigſtens zu gelegner Zeit geſprochen, mein lieber Belford: es iſt eine Guͤtigkeit, mich der Verwirrung uͤber dieſe weibiſche Schwach - heit zu entziehen; wie Mowbray ſie allezeit, ſeit dem er bey mir geweſen iſt, zu einem Vorwurf wider mich genannt hat. Er hat mich durch dieß Verfahren uͤberzeuget, daß Freunde beym Glaſe, nichts anders fuͤhlen, als was in dieſem kleinen Kreiſe vorgehet: ich moͤchte auch bey ſo vollkom - mener Geſundheit, als er genießet, gedacht haben, was ich wollte.

Gut, gut, bleibt bey eurer Weiſe, Bruder Jch liebe meinen Freund Belton eben ſo wohl, als ihr ihn lieben koͤnnet: allein, wenn es auch mein Blut koſten ſollte, ſo kann ich nicht anders geden - ken, als daß die Liebkoſungen gegen die Weich - herzigkeit eines Mannes dieſelbe nur vermehren.

Wo es eine Weichherzigkeit iſt, ſagte ich, bey großen und wichtigen Begebenheiten, an welchen unſere Menſchheit Theil hat, geruͤhret zu werden: ſo magſt du Recht haben.

Jch habe manchen Kerl, verſetzte der rauhe Menſch, auf den Holbourner Huͤgel zum Tode gefuͤhrt geſehen, der ſich weitA 4maͤnn -8maͤnnlicher verhalten hat, als einer von euch beyden.

Aber Mowbray, antwortete der arme Kerl, dieſe elenden Leute haben keine ſolche Schwachhei - ten des Leibes gehabt, als ich lange ausgeſtanden habe, ihre Gemuͤther zu entkraͤften. Du biſt ein aͤrgerlicher harter Kerl, und biſt es allezeit gewe - ſen. Allein daß ich mich in dieſen ſchweren Stunden an nichts erinnern kann, als was mir zu einem ſtrafbaren Vorwurf gereichet, und doch weiß, daß ich es nicht lange halten koͤnne, und was mein Schickſal alsdenn ſeyn moͤge, wo Hier brach er ſelbſt ab und wandte ſich zu mir Aber goͤnne mir dein Mitleiden, Bruder! Das iſt ein Balſam fuͤr meine verwundete Seele. Laß Mowbray ſitzen, und bey der Quaal eines ſter - benden Freundes gleichguͤltig genug ſeyn, uͤber uns beyde zu lachen.

Hierauf gieng der verhaͤrtete Kerl von uns weg, mit der Miene eines Lovelacens: nur weit traͤumeriſcher; indem er gaͤhnte und ſich ſtreckte, ſtatt ein Liedlein zu ſingen, wie du in Smithens Hauſe gethan haſt.

Jch half den armen Mann zu Bette bringen. Er war ſo ſchwach und matt, daß er die Be - ſchwerde nicht aushalten konnte und in Ohnmacht fiel. Jch dachte in Wahrheit, er waͤre ganz weg. Weil er ſich aber wieder erholte, und der Arzt, welcher eben kam, verordnete, ihn ruhen zu laſſen: ſo entfernte ich mich, und kam zu Mow - bray in den Garten; welcher mehr Vergnuͤgenfand,9fand, von dem lebendigen Lovelace und deſſen Leichtſinnigkeit, als von dem ſterbenden Belton und deſſen Buße zu ſchwatzen.

Jch kam am Sonnabend, Abends, nur auf einen Augenblick wieder zu ihm, ehe ich zu Bette gieng: welches ich ziemlich fruͤhe that; weil ich der windichten Unempfindlichkeit an Mowbray uͤberdruͤßig war, und ihn nicht leiden konnte. Es iſt ſo etwas ſchreckliches, daran zu gedenken, daß ein Menſch, der in ſo genauer Vertraulichkeit; es faͤllt nicht ſo aus, daß ich Freundſchaft ſagen darf; mit einem andern gelebet, und ſo viele Lie - be zu ihm vorgegeben hatte; der es nicht ertragen konnte, ohne ſeine Geſellſchaft zu ſeyn; der wohl hundert Meilen weit deswegen geritten waͤre; der ſich fuͤr ihn, er mochte eine gute oder boͤſe Sa - che haben, ſchlagen wollte; ſich doch itzo ſo wenig ruͤhren laſſen konnte, da er ihn in ſolchem Elende in Anſehung des Leibes und Gemuͤthes ſahe, daß er im Stande war, ihn durch Verweiſe niederzu - ſchlagen und vielmehr laͤcherlich zu machen, als Mitleiden mit ihm zu haben, weil er durch das, was er fuͤhlte, mehr beweget war, als er einen Uebelthaͤter, der vielleicht durch ſtarke Getraͤnke hart gemacht und nicht vorher durch Krankheit er - weichet ſeyn mochte, bey ſeinem Hingange zur Vollziehung des Todesurtheils bewegt geſehen hatte.

Dieß erinnerte mich, mit ſtarkem Eindruck, an dasjenige, was die goͤttliche Fraͤulein Harlo - we einmal zu mir ſagte: als ich von der Freund -A 5ſchaft10ſchaft ſchwatzte, und vorſtellte, was meine Freund - ſchaft gegen euch von mir forderte. Glauben ſie ſicher, Herr Belford, waren ihre Worte, ſie werden einmal uͤberzeuget werden, daß das, was ſie Freundſchaft nennen, Spreu und Stop - peln ſey, und daß nichts dieſen geheiligten Na - men verdiene, was nicht die Tugend zu ſeinem Grunde hat.

Des Sonntags ward ich fruͤhe um ſechſe, auf ſein ernſtliches Verlangen, hinaufgerufen, und fand ihn in einer ſchrecklichen Todesangſt. O Bruder, Bruder! ſchrie er, und ſahe ſo verwil - dert aus, als wenn er ein Geſpenſt geſehen haͤtte Komm naͤher zu mir! Er reckte beyde Arme aus! Komm naͤher zu mir Lieber, lieber Belford, rette mich! Darauf ergriff er mich mit beyden Haͤnden bey dem Arm, reck - te den Kopf gegen mich in die Hoͤhe und ließ die Augen ſeltſam herumſchießen. Rette mich! lieber Belford, rette mich! ſagte er noch einmal.

Jch ſchlug meinen andern Arm um ihn her - um Wovon ſoll ich euch retten, mein lieber Belton? Wovon ſoll ich euch retten? Es ſoll euch nichts Leid thun. Wovon muß ich euch retten?

Als er ſich wieder von ſeinem Schrecken er - hohlte: ſank er wiederum nieder. O, ſprach er, rette mich von mir ſelbſt. Rette mich von mei - nen eignen Gedanken. O lieber Bruder! was fuͤr eine harte Sache iſt es, zu ſterben und ſichaus11aus ſeinem vergangenen Leben nichts zu ſeinem Troſte zu erinnern zu haben! Was wollte ich fuͤr ein Jahr, nur ein einziges Jahr, von mei - nem verſtrichnen Leben geben wenn ich dar - inn nur die Dinge eben ſo anſehen moͤchte, als ich ſie itzo anſehe?

Jch verſuchte ihn ſo gut zu troͤſten, als ich konnte. Allein bey dem Todbette ſind freye und luſtige Bruͤder leidige Troͤſter fuͤr einander. Er ſetzte mir ſelbſt zu. O mein lieber Belford, ſprach er, man erzaͤhlt mir, und ich habe euch deswe - gen laͤcherlich machen hoͤren, daß die vortreffliche Fraͤulein Harlowe eine Bekehrung in euch gewir - ket hat. O daß es doch ſo ſeyn moͤchte! Jhr ſeyd ein verſtaͤndiger Mann. O daß es doch ſo ſeyn moͤchte! Nun iſt es die Zeit fuͤr euch! Nun, da ihr vollkommen munter von Gemuͤthe und von Leibe ſeyd! Aber euer armer Belton, ach! euer armer Belton hat ſeine Laſter ſo lange behalten, bis ſie ihn verlaſſen haben. Und ſehet die klaͤg - lichen Folgen in der Schwachheit des Gemuͤths und der Kleinmuͤthigkeit! Waͤre Mowbray hier, und wollte uͤber mich lachen, ſo wollte ich ihm frey geſtehen, daß dieß die Urſache meiner Ver - zweifelung ſey: weil Gottes Gerechtigkeit nicht ſeine Gnade zu meinem Troſte wirken laſſen kann. Denn o! ich bin ſehr, ſehr gottlos geweſen, und habe die dargebotene Gnade verachtet, bis er ſie mir auf ewig entzogen hat.

Jch brauchte alle Gruͤnde, worauf ich mich beſin - nen konnte, ihn zu troͤſten: und das, was ichihm12ihm vorſagte, hatte eine ſolche Wirkung uͤber ihn, daß es ſein Gemuͤth fuͤr den groͤßten Theil des Tages in Ruhe ſetzte. Zu einer guten Stunde, da ſein Gemuͤth etwas heiterer war, erlaubte ihm ſein Gedaͤchtniß dieſe Zeilen aus Dryden zu wie - derhohlen, indem er meine Hand ergriff und mich ſtarre anſahe:

O koͤnnt ich mein Gemuͤth nur etwas beſſer
faſſen,
Und weniger in Furcht dieß Weſen fahren laſſen,
Das wie ein Ball von Schnee, in meiner fei -
gen Hand,
Je mehr ich ihn gefaßt, begriffen, umgewandt,
Deſto geſchwinder zerſchmelzet!

Am Sonntage, Nachmittags, erkundigte er ſich nach euch und eurem gegenwaͤrtigen Bezeigen gegen die Fraͤulein Harlowe. Jch erzaͤhlte ihm, wie krank ihr geweſen waret, und wie leichtſin - nig ihr euch dabey bewieſen hattet. Mowbrayen gefiel eure undurchdringliche Haͤrtigkeit des Her - zens. Robert Lovelace, ſagte er, waͤre ein rech - ter Kerl von Eiſen und Stahl. Dergleichen rau - he aber herzliche Lobeserhebungen mehr ertheilte er dir, welche ein ruchloſer Menſch ertheilen moch - te und auch nur ein ruchloſer Menſch zu verdie - nen wuͤnſchen konnte.

Haͤtteſt du hingegen das gehoͤret, was der ar - me ſterbende, und zu ſpaͤt weiſe Belton bey die - ſer Gelegenheit ſagte: ſo wuͤrde es dich vielleicht, wenigſtens auf eine oder zwo Stunden ernſt - haft gemacht haben.

Wenn13

Wenn der arme Lovelace, ſprach er, ſo wie ich nun, auf das Krankenbette geworfen wird, und ſein Herz ihm zuſaget, daß ſeine Geneſung un - moͤglich ſey; welches daſſelbe in ſeiner letzten Krankheit nicht thun konnte, ſonſt wuͤrde er ſich nicht ſo leichtſinnig dabey bezeiget haben Wenn er ſein vergangenes und uͤbel angewandtes Leben, ſeine ſtrafbaren Handlungen gegen un - ſchuldige Perſonen, die ſich nicht helfen konnten, ſonderlich was mit der Fraͤulein Harlowe vorge - gangen iſt, uͤberleget: was wird er denn von ſich ſelbſt und von ſeinen vergangenen Thaten geden - ken? Wenn ſein Muth geſchwaͤchet, ſeine Staͤrke Schwachheit geworden iſt; wenn er nicht im Stande iſt, ohne Huͤlfe aus der Stelle zu kom - men; wenn kein einziger Strahl der Hoffnung auf ſeine in Nacht und Dunkelheit verhuͤllte See - le zuſchießet; wenn ſein Gewiſſen die Stelle von tauſend Zeugen wider ihn vertritt; wenn ſeine Schmerzen ihn quaͤlen; wenn er des elenden Ue - berreſtes von dem Leben, das er als eine Laſt ſchleppet, muͤde iſt, und doch befuͤrchtet, daß in wenigen kurzen Stunden ſein Bette mit einem noch aͤrgern, ja dem aͤrgſten Zuſtande unter allen verwechſelt ſeyn, und daß eben dieſer aͤrgſte Zu - ſtand unter allen ohne Ende, und in alle Ewig - keit dauren werde: o Bruder! was wird er als - denn von dem elenden und voruͤbergehenden Ver - gnuͤgungen der Sinne gedenken, welche itzo alle ſeine Aufmerkſamkeit an ſich ziehen? Sage ihm, lieber Belford, ſage ihm, wie gluͤcklich er ſey, wo -fern14fern er ſeine eigne Gluͤckſeligkeit kennet; wie gluͤck - lich, in Vergleichung mit ſeinem armen ſterben - den Freunde, daß er von ſeiner Krankheit wie - der aufgekommen iſt und ihm noch eine bequeme Zeit gegoͤnnet wird, fuͤr welche ich tauſend Welten geben wollte, wenn ich ſie zu geben haͤtte.

Jch billigte das, was er ſagte, uͤber alle Maßen, als Betrachtungen, die ſich zu ſeinen gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden ſchickten, und zog aus einem ſo gehoͤrig geruͤhrten Gemuͤthe Gruͤnde, ihn zu troͤſten.

Er fuhr in eben dieſen bußfertigen Reden fort. Jch habe ein ſehr gottloſes Leben gefuͤhret: und das haben wir alle. Wir haben uns nie - mals ein Gewiſſen gemacht, alles Unheil zu ver - uͤben, welches entweder Gewalt oder Betrug uns zu veruͤben in den Stand ſetzte. Wir haben un - ſchuldigen Herzen Fallſtricke geleget, und kein Bedenken getragen, das Boͤſe, welches wir ver - uͤbet hatten, durch unſern allzufertigen Degen, wie es die Gelegenheit gab, auch uͤber diejenigen Perſonen auszubreiten, die wir vorher in ihren liebſten Angehoͤrigen beleidiget hatten. Aber dennoch denke ich in meinem Herzen, daß ich we - niger zu verantworten habe, als Lovelace oder Mowbray. Denn da ich die verfluchte Betruͤ - gerinn zu mir genommen hatte, von der du mich befreyet haſt, und die manche Jahre uͤber ohne mein Wiſſen einen Theil des Uebels, das ich an - dern zugefuͤget hatte, mir auf meinen Kopf wie - der vergolten hat; da ich mich auf mein Gutbege -15begeben hatte, und mit ihr, als einer Frauen, lebte: ſo habe ich nicht an der Haͤlfte von dem Unfug Theil gehabt, den ſie und Tourville, ja auch ihr ſelbſt, Belford, vermuthlich getrieben haben. Was die undankbare Thomaſine be - trifft: ſo hoffe ich, daß ich bey ihr ſelbſt meine Strafe gefunden habe. Allein dem ungeachtet, meyneſt du nicht, daß dieſe Handlung jene Handlung wiederum dieſe Handlung So erinnerte er ſich an verſchiedene ungeheure Bosheiten, woran wir alle durch eingebildete Herzhaftigkeit und durch den Wein verleitet, Theil genommen haben meyneſt du nicht, daß dieſe Schandthaten; laß mich ſie itzo bey ihren rechten Namen nennen; nebſt der vorſetzlichen Verabſaͤumung aller Pflichten, womit wir uns noch dazu zu ruͤhmen pflegten, da uns doch unſe - re beſſere Einſicht und Erziehung lehrte, daß wir zu denfelben als Menſchen und als Chriſten ver - bunden waͤren; meynſt du nicht, daß dieſe hin - laͤnglich genug-ſind, meine Seele durch ihr Ue - bergewicht zur Verzweifelung herunter zu ziehen? Jn Wahrheit, in Wahrheit, ſie ſind es! Und wie kann ich nun auf Barmherzigkeit hof - fen! Wie kann ich mich auf die kraͤftige Wir - kung dieſer liebreichen Eigenſchaft des hoͤchſten Weſens verlaſſen: da die nicht weniger herrliche Vollkommenheit ſeiner Gerechtigkeit mir alle Hoffnung unterſaget? Wie kann ich es! Jch, der ich alle Warnungen verachtet, und mir den Vortheil, welchen ich aus der langwierigen undver -16verzehrenden Krankheit, mit der ich mich gequaͤ - let habe, haͤtte ziehen moͤgen, nicht zu Nutze ge - macht, ſondern alles auf den letzten Stand habe ankommen laſſen: indem ich auf meine Geneſung, ohne allen Grund zu hoffen, gehoffet, und die Buße ſo lange verſchoben habe, bis dieſe Gnade mir verſaget iſt! Denn, o mein lieber Belford, ich kann itzo weder Buße thun, noch beten, wie ich ſollte: mein Herz iſt verhaͤrtet, und ich kann nichts anders thun, als verzweifeln!

Er wuͤrde noch mehr geſaget haben. Weil ihn aber der Kummer und die Schwachheit uͤber - ſtroͤmte: ſo bog er ſein Haupt auf ſeine geaͤngſte - te Bruſt nieder, und ſuchte vor den Augen des verhaͤrteten Mowbray, der eben damals in das Zimmer trat, die Thraͤnen zu verbergen, welche er nicht zuruͤckhalten konnte.

Mowbray machte den Eingang zu ſeiner Un - terredung mit einem kaltſinnigen Ey! betruͤbt, ſehr betruͤbt, in Wahrheit, rief er, und ſetzte ſich an der einen Seite des Bettes nieder, wie ich an der andern ſaß. Seine Augen waren halb ge - ſchloſſen, ſeine Lippen bis an die aufgebogene Na - ſe herausgereckt, und ſein Kinn, ein von dei - nen Beſchreibungen zu gebrauchen, wie geronne - ne Milch zuſammengelaufen, ſo daß man unge - wiß gelaſſen wurde, ob daͤhmiſche Schlaͤfrigkeit, oder ſcharfes Nachdenken, ſich ſeiner am meiſten bemaͤchtigt hatte.

Bey meiner Treue, Mowbray, ſagte ich, es iſt eine vortreffliche, wenn gleich unbequeme,Lehre!17Lehre! Es kann uns einmal, wer weiß, wie bald, eben der Zuſtand uͤberfallen.

Jch dachte an dein Gaͤhnſieber, wie es in dei - nem Briefe vom 13ten Aug. beſchrieben iſt. Denn Mowbray fuhr auf, drehete und ſchuͤtteite ſich, als wenn er einen Anfall vom Fieber bekaͤme, und ſtreckte beyde Haͤnde uͤber den Kopf aus mit deinem Hay! Hay! Hay! mit lauter Gaͤh - nen. Nachdem er ſich hierauf noch einmal geſtreckt und geſchuͤttelt hatte: kam er wieder zu ſich. Was iſt die Uhr? rief er, und zog ſeine Sackuhr hervor. Dann ſchlich er mit lan - gen Schritten auf den Zaͤhen durch das Zimmer und ging die Treppe hinunter. Auf dem Gange begegnete ihn die Magd, und ich hoͤrte, daß er zu ihr ſagte: Eliſabeth, bringe mir ein gutes Glaß rothen Wein; dein armer Herr und der verdamm - te Belford koͤnnen ſchon allein einen Herkules zu einem Grillenfaͤnger machen.

Nachher vertrieb Mowbray ſich die Zeit in unſers Freundes Buͤcherſaal mit ſeinem Buͤcher - vorrath, welcher, wie du weißt, groͤßtentheils aus den Werken der Alten, den Meiſterſtuͤcken des Witzes, und aus Schauſpielen beſtehet. Er fand in Leens Oedipus eine Stelle, die mit aller Gewalt ausnehmend geſchickt ſeyn ſollte. Von der Vorſtellung des Muths, den ſie dem ſterben - den Manne einfloͤßen ſollte, war er ganz einge - nommen. Daher kam er herein und las ſie ihm vor. Sie iſt poetiſch und artig. Hier iſt ſie.

Siebenter Theil. BWenn18
Wenn die Sonne untergehet, wird der Schat -
ten ſchrecklich lang,
Der ſich um die Mittagsſtunde in ſehr kurze
Grenzen zwang:
So geſchieht es, wenn der Wahn uns das
Schickſal nahe zeiget,
Daß die Furcht in unſrer Bruſt uͤber alle
Schranken ſteiget.
Eulen, denkt man, Raben, Heimen, muͤſſen To -
desbothen ſeyn:
Das veraͤchtlichſte Gewuͤrme jaget Menſchen
Schrecken ein.
Wiederſchallendes Geraͤuſch, dieſer leere Reſt
von Worten,
Wird ein redendes Geſpenſt, ruft uns zu des
Grabes Pforten.
Alle Maulwurfshuͤgel ſchwellen zu den hoͤch -
ſten Bergen auf;
Laſſen wir nur den Gedanken in uns ihren
freyen Lauf:
Da wir unterdeſſen doch bloß aus Wahnwitz
ſchwaͤrmend traͤumen,
Und bey leerer Traͤume Laſt ſchnauben, keichen,
ſchwitzen, ſchaͤumen.

Er vermuthete fuͤr dieſen Fund gelobet zu werden. Aber Belton wandte ſeinen Kopf von ihm weg. Ach, Richard! ſagte er, dieß ſind kei - ne Betrachtungen fuͤr einen Sterbenden. Das, was du einmal fuͤhlen wirſt, wird dich uͤberzeu -gen,19gen, wofern es eben das ſeyn wird, was ich itzt fuͤhle, daß die Uebel, welche vor und bey dir ſind, etwas mehr ſind, als die Wirkungen der Einbildungskraft.

Jn der Nacht vom Sonntage auf den Mon - tag ward ich zweymal zu ihm gerufen. Denn der arme Mann fuͤrchtet ſich, wenn die Vorſtel - lungen von ſeinem vergangenen Leben ihn am meiſten beunruhigen, mit den Weibsleuten allein zu ſeyn, und ſeine Augen, ſagen ſie mir, gehen ihm in dem Kopfe herum, und ſuchen mich. Wo iſt Herr Belford? Aber ich werde ihn verdrieslich machen, ſchreyet er Jedoch bit - tet ihn zu mir zu kommen Doch nein, thut es nicht Doch thut es nur. So zweifelhaft und veraͤnderlich war er einmal in ſeinen Befeh - len: und ſie riefen mich, denſelben zu Folge, hin - auf zu kommen.

Aber ach! was konnte ihm Belford helfen? Belford, der nur gar zu oft in den ſtrafwuͤrdigen Stunden ſein Mitgeſelle geweſen, der eben ſo viel Barmherzigkeit noͤthig hat, als er, und nicht im Stande iſt ſich ſelbſt einmal dieſelbe zu verſpre - chen, ob ſie gleich das einzige iſt, worauf er ſei - nen armen Freund ſich zu verlaſſen ermahnen kann.

Was fuͤr Miſſethaͤter ſind wir! Was fuͤr Perſonen werden wir in dieſen ſchrecklichen Stun - den ſpielen.

Wo das herrliche Beyſpiel der Fraͤulein Harlowe an einer, und das Schrecken dieſesB 2armen20armen Mannes an der andern Seite mich nicht ruͤhren: ſo muß ich dem Verderben uͤbergeben ſeyn; wie ich fuͤrchte, daß du ſeyn wirſt, wo du dir nicht beydes zu Nutze macheſt.

Unter denen Troſtgruͤnden, welche ich ihm nachdruͤcklich vorhielte, als ich das letzte mal, in der Nacht vom Sonntage auf den Montag, zu ihm gerufen war, ſtellte ich ihm vor, daß er ſich nicht ganz der Verzweifelung uͤberlaſſen muͤßte, und daß manche Furcht, durch die er beunruhiget wuͤrde, auch die gottſeligſten Leute, wegen der ſchrecklichen Ungewißheit des kuͤnftigen Zuſtandes nach dieſem Leben, uͤberfallen muͤßte. Ein Dich - ter und Gottesgelehrter, ſagte ich, welcher ein vortrefflicher Chriſt war(*)Der ehrwuͤrdige Herr Norris von Bemerton., hat ſehr wohl be - merket:

Kein Aufzug fuͤr den Tod kann trauriger ent -
zuͤcken,
Als Krankheit vor ihm her, und Finſterniß im
Ruͤcken.

Geſtern, am Montage, fruͤhe um acht Uhr, fand ich ihn ein wenig geruhiger. Er fragte mich, wer der Verfaſſer von den zwoen Zeilen waͤre, die ich ihm angezogen hatte, und ließ mich dieſelben noch einmal herſagen. Ein trauriger Aufzug in Wahrheit! ſprach der arme Mann, und erklaͤrte ſich, daß er gar keine Hoffnung haͤt - te laͤnger zu leben. Er bezeugte, daß es ihm er - ſchrecklich waͤre, an den Tod zu gedenken, undzog21zog hieraus erſchreckliche Folgen in Abſicht auf ſein kuͤnftiges Schickſal. Es ſteckt ein ſo na - tuͤrlicher Abſcheu vor dem Tode in der menſch - lichen Natur, verſetzte ich hierauf, daß ihr euch nicht einbilden muͤſſet, mein lieber Belton, als wenn die Furcht vor demſelben und die Sorgen, welche bey ſeiner Naͤherung das Gemuͤth erfuͤl - len, an euch etwas beſonderes waͤren. Jhr muͤſ - ſet billig, ſo viel als moͤglich iſt, dieſe natuͤrliche Furcht, welche alle Menſchen bey einem ſo wich - tigen Vorfall haben muͤſſen, von der beſondern Beyſorge unterſcheiden und abſondern, welche da - her in euch entſtehet, weil ihr mit Recht befuͤrch - tet, nicht bereit und geſchickt zu ſeyn. Der Lord Roscommon ſchreibt in ſeinem Anblick des To - des, welche Schrift ich, unter einer Sammlung von andern in eurem Cloſet, verwichene Nacht ein wenig durchgeblaͤttert und zu mir geſteckt ha - be, auf folgende Art Jch ſuchte die Stelle auf

Kein Weiſer fuͤrchtet ſich, bloß weil er ſterben
muß:
Denn dieſer Bau von Staub und Erden
Muß wiederum zu Staube werden;
Dieß iſt nach langer Zeit des ſiechen Lebens
Schluß.
Allein wohin wir weiter gehn,
Das moͤchten wir am liebſten wiſſen.
Doch weiß es niemand einzuſehn.
Dieß machet, daß wir zittern muͤſſen.
B 3Der22

Der Lord Roscommon, fuhr ich fort, hatte alſo eben ſolche Furcht vor dieſem finſtern Zuſtan - de, als ihr habet: und der vortreffliche Gottes - gelehrte, deſſen ich verwichene Nacht gedachte, der ſich ſehr wenig mehr, als menſchliche Schwach - heiten, vorzuwerfen hatte, und deſſen vermiſchte Betrachtungen mir unter meines Onkels Buͤ - chern, als ich ihm in ſeinen letzten Stunden auf - wartete, in die Haͤnde fielen, druͤckt ſich ſo dar - uͤber aus:

Es muß, o Seele, ſeyn; doch iſt der Wechſel
hart,
Nicht wenig wunderbar, geheimnißvoller Art:
Wenn du genoͤthigt wirſt dieß Haus von Thon
zu fliehen,
Zu einem Jrgendwo das du nicht
kennſt, zu ziehen;
Wenn jene Ewigkeit den Platz der Zeiten
nimmt,
Und dich du weißt nicht was hinfort zu
ſeyn beſtimmt,
Und dich du weißt nicht wie hinfort zu
leben zwinget!
O ſchreckensvoller Stand, den ſolche Furcht
umringet!
Kein Wunder, daß der Tod ſchon unſern Geiſt
erſchreckt,
Wenn ein Gedanke nur ſein Bild in uns er -
weckt;
Kein Wunder, daß die Furcht ſchon in die Her -
zen ſteiget,
Wenn23
Wenn nur ein todter Leib ſich unſern Augen
zeiget:
Da lauter Wolken ihn mit Dunkelheit um -
ziehn,
Als muͤßte ihn ſo gar ſelbſt unſer Wiſſen fliehn.
Note: Dann folgen die Zeilen, welche ich angefuͤhrt habe:
Kein Aufzug fuͤr den Tod kann trauriger ent -
zuͤcken,
Als Krankheit vor ihm her, und Finſterniß
im Ruͤcken.

Ach! mein lieber Belford, ſchloß der un - gluͤckliche Gruͤbler, was fuͤr elende Geſchoͤpfe, wie mich dieß uͤberzeuget, ſind wir Sterbliche, auch wenn es am beſten mit uns ſtehet? Aber wie muß es denn einem ſo verruchten Menſchen gehen, als ich bin, der durch ein vergangenes und gottloſes Leben dieſem natuͤrlichen Schrecken noch mehr Staͤrke gegeben hat? Jſt der Tod der menſchlichen Natur ſo zuwider, daß gottſelige Leute daruͤber in Schrecken und Verwirrung ge - rathen werden: was muß er einem ſolchen ſeyn, der nach ſeinen ſinnlichen Luͤſten und Begierden gelebet, und niemals an das Ende, welches ich nun ſo nahe vor mir ſehe, gedacht hat?

Was konnte ich zu einer ſo richtig gezogenen Folge ſagen? Barmherzigkeit! Barmherzigkeit! unumſchraͤnkte Barmherzigkeit! war noch beſtaͤndig das einzige, was ich ihm zu ſeiner Ve - ruhigung vorhalten konnte: ob er mich gleichB 4dadurch24dadurch, daß er ihr die Gerechtigkeit entgegen - ſetzte, einigermaßen zum Stillſchweigen brachte. Was wollte ich darum gegeben haben, daß mir eine gute, eine vorzuͤglich gute Handlung in den Sinn gekommen waͤre, an die ich ihn haͤtte erin - nern koͤnnen, um dadurch ſeine Furcht zu be - ſtreiten.

Jch glaube, Lovelace, ich werde dich ermuͤ - den und zwar mehr durch den Jnhalt meines Briefes, als durch die Laͤnge deſſelben. Allein wirklich, du biſt nach meinen Gedanken, ſeit dei - ner Geneſung, ſo muthig geworden, andere zu be - leidigen, daß ich mich bemuͤhen muß, durch trau - rige Vorſtellungen, ſo wie ſich die Gelegenheit da - zu anbietet, dich wieder zu der Fahne der Menſch - heit herunterzubringen. Außer dem mußt du auch nothwendig neugierig ſeyn, alles zu erfah - ren, was den armen Mann betrifft, gegen den du allezeit viele Achtung bezeuget haſt. Jch will daher fortfahren, wie ich angefangen habe. Ge - faͤllt es dir itzo nicht zu leſen: ſo lege es bey, wo du willſt, bis dich dergleichen Umſtaͤnde befallen, und dergleichen Betrachtungen von dieſen Um - ſtaͤnden in dir entſtehen; alsdenn nimm es zur Hand und vergleiche die beyden Faͤlle mit ein - ander.

Auf ſein ernſtliches Verlangen ſaß ich ver - wichne Nacht bey ihm auf. Jch kann dir nicht ſagen, wie ruhig und ſicher er ſich, fuͤr den erſtenTheil25Theil der Nacht, in meiner Geſellſchaft achtete. Ein Menſch, der eben erſaufen will, wird auch nach einem Strohhalm greifen, ſagt man gar wohl im Sprichwort: und ein bloßer Strohhalm war ich, in ſo weit es auf einige wirk - liche Huͤlfe ankam, die ich ihm leiſten konnte. Er wachte oft mit Schrecken auf. Einmal rief er laut nach mir. Lieber Belford, ſagte er, wo ſeyd ihr! O! da ſeyd ihr ja! Gebt mir eure freundſchaftliche Hand! Darauf ergriff er ſie und druͤckte ſie an ſeine klebrichte und halb kalte Lippen Wie guͤtig! Jch fuͤrchte alles, wenn ihr abweſend ſeyd! Aber o! wie troſtreich iſt die Gegenwart eines Freundes, eines gleichge - ſinnten Freundes!

Allein um vier Uhr des Morgens erſchreckte er mich ſehr. Er wachte mit dreyen ſchrecklichen Seufzern auf, und beſtrebte ſich zu ſprechen, konnte aber nicht alſobald und da er endlich ſprechen konnte, rief er Bruder, Bruder, Bruder, fuͤnf oder ſechs male nach einander, ſo geſchwinde, als die Gedanken gehen, nun, nun, nun, rette mich, rette mich, rette mich Jch bin des Todes des Todes in der That.

Jch ſchlug meine Arme um ihn und hub ihn auf ſein Hauptkuͤſſen: weil er in die Betttuͤcher ſank, als wenn er ſich verbergen wollte Er ſahe ſtarr und verwildert. Wo bin ich? ſprach er, nachdem er ein wenig wieder zu ſich ſelbſt ge - kommen war. Habt ihr ihn nicht geſehen. Er wandte dabey den Kopf bald auf dieſe, baldB 5auf26auf jene Seite, und in ſeinem Geſichte mahlten ſich Schrecken und Grauen deutlich ab Habt ihr ihn nicht geſehen?

Wen ſollte ich ſehen! Was ſollte ich ſehen, mein lieber Belton.

O lege mich wieder auf das Bette, rief er! Laß mich nicht auf dem Fußboden ſterben! Lege mich ſanfte nieder, und bleibe bey mir! Verlaß mich nicht: Alles, alles wird bald voruͤber ſeyn.

Jhr lieget ja ſchon auf dem Bette, mein lie - ber Belton. Jhr ſeyd nicht auf dem Fußboden geweſen Dieß iſt ein ſtarkes Raſen. Jhr ſeyd entkraͤftet, weil es euch an Staͤrkung fehlet. Denn er hatte ſich zu verſchiedenen malen gewei - gert, etwas zu ſich zu nehmen. Laßt euch bereden, etwas von dieſem herzſtaͤrkenden Safte zu neh - men. Jch werde von euch gehen: wo ihr es mir nicht zu Gefallen thun wollet.

Er nahm es hierauf ganz willig: ſagte aber, er haͤtte ſchwoͤren koͤnnen, daß Thomas Metcalfe in dem Zimmer geweſen waͤre, ihn bey dem Hal - ſe aus dem Bette gezogen, und ihm das Unrecht vorgehalten haͤtte, welches er erſt ſeiner Schwe - ſter und hernach ihm in dem Zweykampf, dem er das Fieber zu danken gehabt, das ihn ſein Leben gekoſtet, gethan haͤtte.

Du weißt dieſe Begebenheit allzu wohl, Lo - velace, daß ich noͤthig haben ſollte, ſie zu wieder - holen. Allein Gott ſey uns gnaͤdig, wo in die - ſen ſchrecklichen Stunden, alles Boͤſe, das wir thun, ſich unſerer erſchreckten Einbildungskraftdar -27darſtellet! Wo es geſchieht: was fuͤr anſtoͤßige Aufzuͤge habe ich, aber noch mehr haſt du, durch - zugehen; wo, wie der edle Dichter ſaget,

Wo der betruͤbten Tage Reſt
Nur noch Empfindung uͤbrig laͤßt.

Der Arzt verordnete ihm heute fruͤhe einen Schlaftrunk, der ſo gute Wirkung hatte, daß er verſchiedene Stunden weit ruhiger ſchlummerte und ſchlief, als er die beyden verwichenen Tage und Naͤchte gethan, ob er gleich auch vorher Schlaftruͤnke bekommen hatte. Aber es zeigt ſich alle Stunden augenſcheinlicher, daß die Natur in ihm beynahe abgenutzet iſt.

Mowbray iſt dieſes Trauerhauſes ganz uͤber - druͤßig, und gedenkt morgen von hier und zu euch zu gehen. Er freuete ſich nicht wenig, da er hoͤr - te, daß ihr in London waͤret: ich glaube, weil er einen Vorwand hat, uns zu verlaſſen.

Er hat eben von ſeinem armen Freunde Ab - ſchied genommen; da er willens iſt, fruͤhe wegzu - reiſen: einen Abſchied auf beſtaͤndig, darf ich ſa - gen; denn, meinen Gedanken nach, wird er ſchwer - lich bis morgen Abend leben.

Jch glaube, der arme Mann wuͤrde ſich nicht daruͤber gegraͤmet haben, wenn er ihn bey meiner Ankunft alſobald verlaſſen haͤtte. Denn er iſt ein harter und aͤrgerlicher Kerl, und von einer allzu - dauerhaften Geſundheit, daß er wiſſen koͤnnte, wieer28er mit einem Kranken Mitleiden haben ſollte. Ueber dieß, um von dir eine Anmerkung zu bor - gen, hat er von Natur ſo ſtarke Empfindungs - glieder, daß die Kraͤfte ſeiner Seele dieſelben nicht leicht ſchwaͤchen werden: und ſo wohl er, als der gottloſe Freund, zu dem er abreiſet, moͤgen, ihrer ſtarken Leibesbeſchaffenheit wegen, beyde eine gute Weile fortdauren, ob ſie gleich ſonſt in ihren na - tuͤrlichen Gaben ſo weit unterſchieden ſind; wofern weder das Schwerdt noch der Strick das Ziel verruͤcket.

Jch muß noch einmal geſtehen, daß ich wegen der armen Fraͤulein, welche du ſo grauſam verfol - geſt, ſehr unruhig bin, und nicht glaube, daß du deine Ehre gegen mich beobachtet haſt. Mir war in der That bange, daß du verſuchen wuͤrdeſt, ſie zu ſehen, ſo bald es mit dir nur beſſer genug ge - worden waͤre, herauf zu kommen: und ich eroͤff - nete ihr auch dieſe Gedanken, wandte ſie aber zu einem Grunde an, ſie zu deinem Beſuch vorzube - reiten, und ſie zu bereden, daß ſie ihn aushielte. Allein es liegt klar am Tage, daß ſie das Aerger - liche dabey nicht hat ertragen koͤnnen: und ſie er - klaͤrte ſich wirklich gegen mich, daß ſie um aller Welt willen dich nicht ſehen wollte, wenn es auch nur auf eine halbe Stunde ſeyn ſollte.

Haͤtte ſie ſich hierinn ſelbſt uͤberwinden koͤn - nen: ſo wuͤrde der Anblick von ihr, das weiß ich gewiß, dich eben ſo ſehr geruͤhret haben, als dein Beſuch ſie haͤtte beunruhigen koͤnnen; wenn du geſehen haͤtteſt, zu was fuͤr einem liebenswuͤrdigenGe -29Gerippe; denn ſie iſt noch in der That liebens - wuͤrdig, und es kann auch bey einer ſolchen Geſtalt und Bildung nicht anders ſeyn; du in wenigen Wochen eines der reizungsvolleſten Frauenzimmer auf der Welt, und zwar in der Bluͤte ihrer Ju - gend und Schoͤnheit, gemachet haſt.

Mowbray uͤbernimmt, euch gegenwaͤrtiges zu uͤberbringen: damit er euch willkommener ſey, wie er ſagt. Wenn es auch unverſiegelt uͤberſendet werden ſollte: ſo wuͤrden doch die Zeichen, mit welchen wir ſchreiben, fuͤr den Klotz ſo gut als hebraͤiſch ſeyn. Jch bitte es wieder zuruͤckzuſchi - cken; und will euch auf Verlangen eine Abſchrift davon geben: denn ich bin willens, es allezeit bey mir zu behalten, um mich dadurch vor deiner an - ſteckenden Geſellſchaft zu verwahren, welche ſonſt vielleicht nach Verlauf einiger Zeit im Stande ſeyn moͤchte, den Eindruck zu ſchwaͤchen, den ich von dieſem fuͤrchterlichen Trauerſpiel allezeit in mir zu erhalten verlange. Gott bekehre uns beyde.

Der zweyte Brief von Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace.

Jch glaube, daß kein Menſch zween ſolche Be - diente habe, als ich. Jch begegne ihnen mitFreund -30Freundlichkeit, und ſpiele mit denen, die unter mir ſtehen, nicht den großen Herrn. Jch verdamme und verfluche ſie nicht mit Mienen und Worten, wie Mowbray; ſchlage ihnen auch nicht die Zaͤh - ne aus, wie Lovelace: ſondern rufe, ey, Henrich, thue doch dieß, und ey, Jonathan, thue doch das. Nichts deſto weniger thun die Kerls nur, was ihnen ſelbſt beliebet, und kehren ſich an das, was ich ſage, nicht weiter, als in ſo fern es mit jenem zutrifft. Da iſt der ſchaͤndliche Henrich, der mir euren Brief von geſtern zu rechter Zeit haͤtte brin - gen koͤnnen, nicht eher als nach eilfen am verwi - chenen Abend damit zu Hauſe gekommen; beſof - fen, wie ich vermuthe; und hat ihn, wie er vor - giebt, in der Vermuthung, daß ich ſchon zu Bette waͤre, weil er gehoͤrt hatte, daß ich die vorige Nacht uͤber aufgeſeſſen, mir nicht gebracht. Nun hat der Boͤſewicht die gehoͤrige Zeit verſchlafen, und kam eben, da ich meinen Brief zugeſiegelt hatte, mit dem vergeſſenen Briefe von dir herein. Er ſchuͤttelte die Ohren, und fahe ſo aus, als wenn er die Entſchuldigungen ſelbſt nicht glaubte, die er vorbringen wollte. Jch ſtellte ihn zur Rede und hoͤrte ſeine klaͤgliche Entſchuldigungen an. Aber, ob ich es gleich niemals einem Cavallier anſtaͤndig achte, uͤbermuͤthig mit Leuten umzuge - hen, die durch ihre Bedienungen unter ſeine Fuͤße erniedrigt ſind: ſo konnte ich mich doch nicht ent - halten, aus ganzem Herzen einen Lovelace und Mowbray mit ihm zu ſpielen.

Weil31

Weil dieß Mowbrayen, der ſchon vorher fertig war, ſich zu dir auf den Weg zu machen, aufhiel - te; indem ich einige wenige Zeilen zur Antwort darauf ſchreibe: ſo fuͤgte dieſer wilde Kerl, der ſich voll Ungedult die Geſellſchaft eines ſterbenden Beltons mit der Geſellſchaft eines allzulebendigen Lovelacens zu verwechſeln ſehnet, noch einen An - hang von Fluͤchen wider den ſtarraͤugichten Kerl hinzu, welcher laͤnger war als mein ganzes Buch. Jch ſuchte auch den Baͤr von einem ſolchen Unthier nicht abzuhalten: weil er bey die - ſer Gelegenheit den Schutz von mir nicht verdien - te, welchen ein jeder Herr einem guten Bedienten ſchuldig iſt.

Er hat noch nicht aufgehoͤrt, auf ihn zu flu - chen. Denn er ſchleicht in ſeinen Stiefeln im Hofe herum, wo der arme Kerl das Pferd fuͤr ihn ſattelt und ſeiner nicht los werden kann. Er bleibt ihm ohne Gnade auf dem Halſe: und ich will ſeine Ungedult, weil er eben unter dem Fen - ſter iſt, wo ich ſchreibe, und mich bey meiner Fe - der nicht in Ruhe laſſen will, noch vermehren, indem ich dir erzaͤhle, wie er ſo wohl meine, als des Kerls Ohren mit ſeinem Geſchrey erfuͤllet Haͤ Herr! Der Henker hohle euch, Herr! Waͤrt ihr mein Vedienter, ihr Hund! Muß ich um eines ſolchen raͤudigen Hundes Beſoffenheit und Nachlaͤßigkeit willen hier warten, bis mich die Mittagsſonne zu Pergament verbrennet. Jhr luͤget, Junge! Jhr luͤget, ich ſage es euch! Jch hoͤre den Kerl, ob gleich nicht vernehmlich,in32in einem demuͤthigen Tone reden, als wenn er ſich entſchuldigte Jhr luͤget, ihr Hund! Jch haͤtte wohl Luſt, meine Peitſche eure verſoffene Kehle hinunterzuſtoßen. Der Henker hohle mich, wo ich einem ſolchen Galgenſchwengel, wenn du mein waͤreſt, nicht die Haut vom Ruͤcken ziehen, und hundeslederne Handſchuhe daraus machen laſſen wollte, daß die uͤbrigen Schurken, diene Bruͤder, ſie zum Andenken deines muthwilligen Vergehens gegen einen ſolchen Herrn tragen ſollten.

Das arme Pferd muß ſonder Zweifel dafuͤr leiden. Denn der Kerl ſchreyet: Was nun! Stehe ſtill! Daß dich der Teufel hohle! und giebt ihm vermuthlich einen Stoß, den er ſelbſt beſſer verdienet. Dieſe Buben ſind eben - falls, wo ſie koͤnnen, Mowbrayen und Lovelacen; es ſey gegen Menſchen oder Thiere: und weil er ihm nicht antworten darf; ſo moͤchte er wohl dem Pferde die Haut uͤber die Ohren ziehen.

Jch hoͤre, daß der Kerl ſich eben auf die Sei - te gemacht hat: indem das Pferd, welches beſſer als ſonſt ordentlich, vermuthlich in der Haͤlfte der gewoͤhnlichen Zeit, geſtriegelt iſt, durch ſeine raſ - ſelnde Schuhe, und Mowbray durch ſein Still - ſchweigen, mir zu erkennen giebet, daß ich nun fortſchreiben mag. Alſo will ich dir ſagen, daß ich fuͤr das erſte wuͤnſche, du moͤchteſt deinen Traum zu Herzen nehmen: ſo wenig ich auch ſonſt, gleichwie ihr, auf Traͤume halte. Denn ich koͤnnte dir eine ſolche Deutung davon machen,welche33welche dich vielleicht in Schrecken ſetzen wuͤrde: und wo du ſie von mir verlangeſt, ſollſt du ſie bekommen.

Mowbray ruft mir vom Hofe zu, daß es ein verflucht heißer Tag ſey, daß er werde gebraten werden, weil er um die Mittagszeit reiten muß, und daß den armen Belton verlange, mich zu ſe - hen. Daher will ich nur, nebſt meiner ernſtlichen Bitte, daß du alle Gedanken aufgeben wolleſt, die Fraͤulein zu ſehen, wofern du ſie noch nicht ge - ſehen haſt, wenn dir gegenwaͤrtiges zu Haͤnden kommt, dieſes beyfuͤgen, daß es freundſchaftlich ſeyn wuͤrde, wenn du hierher kaͤmeſt, und fuͤr das letzte mal, da du deinen armen Freund ſehen wirſt, die Sorge fuͤr ihn mit mir theileteſt, auch zugleich an ihm wahrnaͤhmeſt, was in kurzem fuͤr dich, und mich, fuͤr Mowbray, Tourville und un - ſere uͤbrigen Bruͤder das unvermeidliche Schick - ſal ſeyn wird. Denn was ſind zehn, funf - zehn, zwanzig, oder dreyßig Jahre: wenn wir nach ihrem Verlauf auf ſie zuruͤckſchauen? Sind wir aber erſt ſo viel Zeit weiter gekommen: ſo wer - den wir vielleicht ſchon alle mit dem Staube, wo - von wir unſern erſten Urſprung haben, wieder vermenget ſeyn.

Siebenter Theil. CDer34

Der dritte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Ganz lebendig, lieber Bruder! und in Entzuͤ - ckung! Aller Wahrſcheinlichkeit nach, noch einmal ein gluͤcklicher Mann! Denn ich habe von meiner geliebten Fraͤulein Harlowe einen Brief bekommen: eine Folge, wie ich vermuthe, von denen Nachrichten durch ihre Schweſter, welcher ich in meinem letzten Schreiben Erwaͤhnung that. Jch werde mich alſobald nach Berks auf den Weg machen, um den Jnhalt deſſelben meinem Lord M. zu zeigen und daruͤber von meiner gan - zen Freundſchaft die Gluͤckwuͤnſche anzunehmen.

Jch begab mich geſtern, Abends, wie ich mir vorgenommen hatte, zu Smithens Hauſe: allein die liebe Fraͤulein war noch nicht zuruͤckgekom - men; ob es gleich nicht weit von zehn Uhr war. Hernach ſtieg ich bey Tourvillen aus und nahm ihn mit mir zu Hauſe. Er mußte mir die Gril - len verſingen. Um zwey ging ich ziemlich ruhig zu Bette, und hatte lebhafte und angenehme Traͤu - me, keinen ſo ſchrecklichen, als der war, von wel - chem ich dir Nachricht gegeben habe. Heute fruͤhe um achte, da ich mich ankleidete, um gegen die Zeit fertig zu ſeyn, wenn Wilhelm zuruͤckkaͤ -me,35me, den ich hingeſchickt hatte, ſich nach der Ruͤck - kunft der Fraͤulein zu erkundigen, ward mir durch einen Saͤnftentraͤger dieſer Brief gebracht.

An Herrn Robert Lovelace.
Mein Herr.

Jch habe Jhnen eine gute Zeitung zu melden. Jch bin mit allem Fleiße beſchaͤfftiget, mich zu der Reiſe nach meines Vaters Hauſe anzuſchi - cken. Mir iſt Hoffnung gemacht, daß er, nach einer ihm beſonders eignen Guͤte, ſein armes und bußfertiges Kind aufnehmen wolle. Denn ich habe zu einer ausnehmenden Freude fuͤr mich die Verſicherung bekommen, daß durch die Vermit - telung eines werthen und preiswuͤrdigen Freun - des, den ich allezeit geliebet und geehret habe, ei - ne gaͤnzliche Ausſoͤhnung zu erhalten ſey. Jch habe mit meiner Zubereitung zu dieſer freudigen und laͤngſt gewuͤnſchten Reiſe ſo viel zu thun, daß ich keinen Augenblick zu einem andern Geſchaͤffte davon abbrechen kann: weil ich noch vorher ver - ſchiedne Dinge von der aͤußerſten Wichtigkeit zu beſtellen habe. Daher bitte ich Sie, mein Herr, beunruhigen oder ſtoͤren Sie mich nicht Jch bitte, thun Sie es nicht Sie koͤnnen mich mit der Zeit vielleicht in meines Vaters Hauſe ſehen: wenigſtens, wofern Sie es nicht durch Jhre eigne Schuld hindern.

C 2Jch36

Jch will einen Brief ſchreiben, der Jhnen zugeſchickt werden ſoll, wenn ich dahin gekom - men und daſelbſt aufgenommen bin. Bis auf die Zeit bin ich ꝛc.

Clariſſa Harlowe.

Jch ſandte den Augenblick einen Brief an die liebe Fraͤulein und verſicherte ſie mit allem Dank und großer Freude, daß ich alſobald nach Berks abreiſen, und den Erfolg von der gluͤck - lichen Ausſoͤhnung und der reizenden Hoffnung, mit welcher ſie mein Gemuͤth erfuͤllet haͤtte, er - warten wollte. Jch ſchuͤttete tauſend Segen uͤber ſie aus. Jch erklaͤrte mich, daß es in mei - nem ganzen Leben meine eifrigſte Bemuͤhung ſeyn ſollte, eine ſo ausnehmende Guͤte zu verdie - nen. Jch verſicherte, daß nichts in der Welt waͤre, welches ihr Vater oder ihre Freunde von mir fordern moͤchten, das ich mir nicht um ih - retwillen gefallen laſſen wollte, damit eine ſo gewuͤnſchte Ausſoͤhnung befoͤrdert und zu Stan - de gebracht wuͤrde.

Jch ſchickte ihn in aller Eil fort, ohne eine Abſchrift davon zu nehmen. Schon itzo habe ich befohlen, daß die Kutſche mit ſechs Pferden bereit gehalten werde: und ſo ſoll es in vollen Spruͤngen nach M. Hall zu gehen. Gieb mir nur Nachricht, wie ſich Belton befinde. Jch hoffe, daß ein Brief von dir unterweges ſeyn werde. Wo der arme Kerl ſich ohne dich behel - fen kann: ſo rathe ich dir, eile, dieſer wahrhaftiggoͤttli -37goͤttlichen Fraͤulein auſzuwarten; ſonſt kannſt du ſie vielleicht in verſchiednen Monaten nicht zu ſe - hen bekommen, wenigſtens nicht, ſo lange ſie noch Fraͤulein Harlowe iſt. Erzeige mir die Gefaͤl - ligkeit, wo es moͤglich, ehe ſie abgehet, an mich zu ſchreiben, und mir theils dieſe edelmuͤthige Ver - aͤnderung zu bekraͤftigen, theils die Gruͤnde davon zu entdecken.

Jedoch, was braucht es, die Gruͤnde davon zu entdecken? Die liebe Fraͤulein kann ſelbſt kein Vergnuͤgen haben, ohne auch andere daran Theil nehmen zu laſſen. Wie edelmuͤthig! Sie hat mich in ihrem Ungluͤck nicht ſehen wollen. Kaum aber laͤßt die Gluͤcksſonne einen Strahl auf ſie ſchießen: ſo vergiebet ſie mir.

Jch weiß, von weſſen Vermittelung dieß al - les herkommt. Es iſt des Obriſten Morden Fuͤrſprache. Sie hat ihn, wie ſie ſich ausdruͤ - cket, allezeit geliebet und geehret: und er hat ſie wiederum mehr, als alle ſeine Verwandten ge - liebet.

Nun werde ich uͤberzeugt ſeyn, daß es mit den Traͤumen etwas auf ſich habe. Die Decke, welche ſich oͤffnete, iſt die Ausſoͤhnung, wozu ſich itzt die Hoffnung vor Augen zeiget. Die glaͤn - zende Geſtalt, welche ſie durch dieſe Decke zu ei - ner andern hinauffuͤhrte, die mit guͤldenen Cheru - binen und Seraphinen beſetzt war, bedeutet die ſchoͤnen Buͤbchen und Maͤgdchen, welche die Frucht von dieſer gluͤcklichen Ausſoͤhnung ſeyn werden. Das dreymal wiederholte WillkommenC 3iſt38iſt der Zuruf ihrer Familie, die nun nicht mehr unverſoͤhnlich heißen muß. Jedoch bleibt es noch immer eine Familie, mit der meine Seele nichts zu thun haben kann.

Allein was iſt denn das, daß ich uͤber Hals und Kopf durch den Fußboden in eine ſchreckliche Grube taumelte, und, wie ſie hinaufſtieg, her - unterfuhr? Ey, nichts mehr als dieß: es zielet auf meine Abneigung von dem Eheſtande, der eine grundloſe Grube iſt, ein Schlund, und ich weiß nicht was. Jch vermuthe, daß, wenn ich nicht in einem ſo gewaltigen Schrecken erwachet waͤre, ich an dem Grunde der Hoͤle in einen Fluß getauchet, in demſelben wohl eingeweichet, und alsdenn, von meinen vorigen Bosheiten gereinigt oder gelaͤutert, durch eben die glaͤnzende Geſtalt, die etwa an dem mooſichten Ufer auf mich gewar - tet haͤtte, zu meinem geliebten Kinde gebracht ſeyn wuͤrde. So wuͤrden wir mit einander an - gefangen haben, uns eine Geſellſchaft von Cheru - binen zu verſchaffen und Geburtslieder zu ſingen, bis wir mit unſerm Capitel zu Ende gekommen waͤren.

Aber was ſind die ſchwarzen Maͤntel und Kleider mit langen Schleppen, worinn der Lord M. und die Frauenzimmer erſchienen? Der ſchwarze Mantel, den der Lord M. mir uͤber das Geſicht warf? Ey, Bruder! Auch dieß weiß ich. Sie bedeuten nichts in der Welt, als daß mein Lord ſo gut ſeyn wird, zu ſterben und mir alle ſei - ne Guͤter zu hinterlaſſen. So wuͤnſche ich dann,ehrli -39ehrlicher Lord M. deiner guͤtig geſinnten Seele eine ſanfte Ruhe.

Die Lady Sarah Sadleir und die Lady Eli - ſabeth Lawrance werden auch ſterben und mir gro - ße Vermaͤchtniſſe hinterlaſſen.

Fraͤulein Charlotte und ihre Schweſter Wie wird es mit denen werden? O! die werden der Gewohnheit gemaͤß um ihren Onkel und ihre Tanten trauren Das iſt recht.

Was den Obriſt Morden betrifft, der auf einmal zum Fenſter hereinfuhr, und rief: Stirb, Lovelace, und ſey verdammt, wo du meiner Baſe das ihr zugefuͤgte Unrecht nicht wieder gut ma - chen willſt: ſo heißt das nur ſo viel, daß er mich herausgefordert haben wuͤrde, wenn ich nicht ge - neigt geweſen waͤre, der Fraͤulein Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen.

Das einzige, was mir nicht gefaͤllt, iſt dieſer Theil des Traums. Denn auch ſelbſt in einem Traum wollte ich nicht gern das Anſehen haben, daß ich mich durch Drohungen zu irgend einem Entſchluſſe bewegen ließe, wenn eben der Ent - ſchluß mir gleich noch ſo wohl gefiele.

So viel von meinem prophetiſchen Traume.

Das liebe reizende Kind! Was wird es fuͤr eine Zuſammenkunft zwiſchen ihr und ihren El - tern und Onkeln ſeyn? Was fuͤr Entzuͤckungen, was fuͤr Vergnuͤgen wird dieſe gluͤckliche, dieſe lange gewuͤnſchte Ausſoͤhnung ihrem gehorſamen Herzen mittheilen! Nun deucht mich in Wahr - heit, ich freue mich, daß ſie gegen dieſelben ſo ge -C 4horſam40horſam iſt. Denn ihr Gehorſam gegen ihre Eltern iſt ein uͤberzeugender Beweis fuͤr mich, daß ſie ihrem Ehegatten eben ſo gehorſam ſeyn werde: indem eine Pflicht, die auf gute Grund - ſaͤtze gebauet iſt, ſich ſelbſt allemal aͤhnlich bleibet.

Allein auf dieſe Art, Bruder, erlaube mir, bin ich nicht ſo ſehr zu tadeln geweſen, als du den - keſt. Denn wenn ich nicht geweſen waͤre, und ſie nicht in ſo viele Widerwaͤrtigkeit gebracht haͤt - te: ſo haͤtte ſie die Freude, welche ſie nun alle uͤberſchwemmen wird, weder ſelbſt haben, noch jenen machen koͤnnen. Alſo wird hier ein kur - zes und voruͤbergehendes Uebel die Quelle eines großen und dauerhaften Gutes.

Jch wußte wohl, jene liebten ſie, als die Eh - re und den Ruhm ihrer Familie, viel zu ſehr, daß ſie es lange aushalten ſollten.

Jch wuͤnſchte, daß ich den Brief von der Fraͤulein Arabelle haͤtte leſen koͤnnen. Sie iſt allezeit durch ihre Schweſter ſo verdunkelt wor - den, daß ſie, aller Vermuthung nach, ihr dieſe Ausſoͤhnung nicht ohne eine vergaͤllte Gleichguͤl - tigkeit angezeiget hat: und ihre Einladung muß gewiß ganz in das Kaltſinnige fallen.

Mich wird verlangen, den verſprochenen Brief zu ſehen, wenn ſie bey ihren Eltern ange - kommen iſt. Jch hoffe dadurch eine Nachricht von der Aufnahme, welche ſie finden wird, zu er - halten.

Die41

Die Schreibart in ihrem Briefe iſt inzwi - ſchen, wie es mir vorkommt, mit einer feyerlichen Ernſthaftigkeit verbunden, welche mich zu glei - cher Zeit vergnuͤget und unruhig machet. Da ſich aber augenſcheinlich zeiget, daß ſie mich noch liebet und in ihres Vaters Hauſe zu ſehen hoffet: ſo hat ſie nicht anders als mit feyerlicher Ernſt - haftigkeit und halb verſchaͤmt; die liebe ſcham - haftige, artige und ſchelmiſche Seele! ihre Liebe zu mir geſtehen koͤnnen, nachdem ich ſo mit ihr umgegangen bin.

Und was denkſt du von ihrer Unterſchrift: Bis auf die Zeit bin ich Clariſſa Harlowe? Das heißt ja ſo viel: Nach der Zeit, wofern ſie es nicht durch ihre eigne Schuld hindern, werde ich Clariſſa Lovelacinn ſeyn.

O meine Allerliebſte! Meine beſtaͤndig edel - muͤthige und anbetenswuͤrdige Fraͤulein! Wie ſehr erhebet dieſe deine verſoͤhnliche Guͤte uns beyde! Mich, weil ich dir dazu die Gelegen - heit gegeben habe! Dich, weil du ſie ſo ruͤhmlich zu deinem Vortheil, und zu unſerer beyder Ehre anwendeſt!

Und wenn du, mein liebſtes Leben, nur die Maͤngel deines Anbeters uͤberſehen, und nicht als eine herrſchſuͤchtige Frau uͤber mich regieren willſt, wofern ich etwa, ſo lange die Reizungen von dem, was neu iſt, noch ihre Gewalt uͤber mich haben, mich durch die Verſtrickungen in li - ſtige Anſchlaͤge und Raͤnke, welche meine Seele gar zu gern ſchmiedet und verfolget, auf die SeiteC 5ziehen42ziehen laſſen ſollte; wenn du nur uͤber die Thor - heiten meiner Jugend, eines voruͤbergehenden Standes, nicht die Augen offen halten willſt: ſo ſoll eine jede von dieſen kleinen Streifereyen bloß dienen, dich mir deſto theurer und werther zu machen; bis ich mit der Zeit, und ſelbſt in gar kurzer Zeit, uͤber dieß ſinnliche Vergnuͤgen hinaus ſeyn werde. Alsdenn werde ich durch deinen Um - gang, der Herz und Seele an ſich ziehet, gaͤnzlich eingenommen ſeyn, und dahin gebracht werden, daß ich meine vorige Lebensart verachte. Das, was ich itzo von weitem als eine beſchwerliche Pflicht anſehe, wird fuͤr mich eine vergnuͤgte und freywillige Bemuͤhung ſeyn, und alle meine Er - goͤtzungen werden ſich in dir vereinigen.

Mowbray iſt eben mit deinen Briefen ange - kommen. Jch beſchließe daher meine angeneh - men Betrachtungen, um mich einer andern zu un - terziehen, welche, wie ich vermuthe, verdrieslich genug ſeyn wird. Jch habe den rauhen Kerl eingeladen, mich morgen nach Berks zu begleiten, wo ich den Roſt abfeilen will, den er in der Ge - ſellſchaft unſers armen Bruders angenommen hat.

Er ſpricht, er werde in dreyen Tagen nicht zu ſich ſelbſt kommen, weil ihm der ſterbende Bel - ton und der predigende Belford im Kopfe liegen: und ſagt, daß du die Kleinmuͤthigkeit des ungluͤck - lichen Kerls noch vermehreſt, anſtatt daß du ihmMuth43Muth zuſprechen ſollteſt, um ihm ſein Schickſal tragen zu helfen.

Es iſt mir leid, daß er das unvermeidliche Schickſal ſo ſchwer empfindet. Allein er iſt lan - ge krank geweſen: und Krankheit ſchwaͤchet das Gemuͤth ſo wohl, als den Koͤrper; wie er ſelbſt ſehr nachdruͤcklich gegen dich bemerket hat.

Der vierte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Jch habe deinen verdrieslichen Brief geleſen. Der arme Belton! Wie viele froͤhli - che Stunden haben wir mit einander zugebracht! Es war ein unerſchrockner, luſtiger Bruder! Wer haͤtte denken ſollen, daß alles auf ſo nieder - geſchlagenes Wimmern und Schrecken hinaus - laufen wuͤrde?

Aber warum ſprachſt du dem armen Kerl, wegen des unvermutheten Zweykampfs zwiſchen ihm und der feigen Memme Metcalfe, keinen Troſt zu? Er handelte ja in der Sache, wie ein Mann, der auf wahre Ehre haͤlt, und wie ich ſelbſt unter eben den Umſtaͤnden gehandelt haben wuͤrde. Erzaͤhle ihm, daß ich dieß ſage. Wasſich44ſich zufaͤlliger Weiſe dabey zugetragen hat, das konnte er weder aͤndern, noch vorherſehen.

Einigen Leuten iſt eine Ritze von einer Na - delſpitze eben ſo empfindlich, als andern ein Schwerdtſtreich: und wer kann die Empfindlich - keit ſolcher Menſchen vertheidigen? Metcalfe wollte fuͤr ſeine Schweſter zuͤrnen: da ſeine Schweſter nicht fuͤr ſich ſelbſt zuͤrnete. Haͤtte ſie ihres Bruders Schutz und Ahndung verlan - get: ſo wuͤrde das eines andern Mannes Sa - che geweſen ſeyn; wie mein Lord M. zu reden pflegt. Allein ſie hielte ſelbſt ihren Bruder fuͤr einen Thoren, daß er ſich ungebeten in ihre Sa - chen mengte, und wuͤnſchte nichts mehr, als auf eine anſtandige Art und in geheim bey ihrem Wochenbette verſorget zu werden. Sie war ge - neigt, den Verſuch zu wagen, ob ſie zu ihrem Be - ſten eine Maintenon uͤber ſein Gewiſſen ſpie - len koͤnnte(*)Man ſagte von der Fr. Maintenon, daß ſie Lud - wig den XIV von Frankreich in ſeinem Alter, da er durch den ungluͤcklichen Fortgang im Felde niedergeſchlagen war, beredet habe, ſie zu heyra - then, damit er auf die Art ſein Gewiſſen wegen des freyen Lebens in ſeinen vergangenen Jahren, welchem ſie ſeinen Verluſt bey den oͤffentlichen Angelegenheiten zuſchrieb, befriedigen moͤchte. und ihn zur Ehe zu bewegen ver - moͤgend waͤre, wenn der kleine Fremdling ſich ein - ſtellte: denn ſie wußte, was fuͤr ein bequemer, gutherziger Kerl er war. Und in der That wuͤr - de es, wenn ſie ihn gewonnen haͤtte, ein Gluͤckfuͤr45fuͤr ſie beyde geweſen ſeyn: da er in dem Fall nicht an ſeine verfluchte Thomaſine gerathen ſeyn wuͤrde. Aber wahrlich dieſer dienſtfertige Bru - der mußte ſich einmiſchen. Dieß machte aus ei - ner Kleinigkeit eine wichtige Sache. Und was war der Ausgang? Metcalfe forderte heraus: Belton erſchien, entwaffnete ihn und ſchenkte ihm das Leben. Allein der Kerl war empfindlicher von Haut als von Kopfe. Da er ein wenig geritzet war: ſo gerieth er daruͤber in Schrecken. Dieß zog ihm erſt ein Erbrechen, hernach ein Fie - ber zu: und dann ſtarb er. Das war alles. Was konnte Belton dazu? Aber Krankheit, eine lange verdriesliche Krankheit wird fuͤr ein ſchmachtendes Herz aus allen und jeden Dingen einen Popanz machen: das ſehe ich wohl. Und in ſo weit hat Mowbray die gebundenen Zeilen aus Nat. Lee recht gut und ſchicklich ange - bracht, welche du an mich uͤberſchrieben haſt.

Kein Weiſer fuͤrchtet ſich, bloß weil er ſterben muß: das iſt falſch; ihr, du, oder dein Schriftſtelier, moͤcht ſagen, was ihr wollet. Selbſt dein feyerliches Wortgepraͤnge uͤber das natuͤrliche Widerſtreben zwiſchen Leben und Tod iſt ein Beweis, daß es falſch iſt.

Jch muß dir ſagen, Bruder, dieſe Welt ge - faͤllt mir ſo wohl in den hauptſaͤchlichſten Stuͤ - cken, ob ſie gleich in einem oder dem andern Thei - le, wenn ich eine Perſon aus ihr machen darf, ſich mir als eine ſchelmiſche Betruͤgerinn bewie - ſen hat; ich finde ſo viel Vergnuͤgen an derFreude46Freude junger Jahre, an meinen weltlichen Vor - theilen, die ich in Anſehung meiner Gluͤcksum - ſtaͤnde vor mir habe, und nun ganz neulich an der reizungsvollen Hoffnung, welche mir die werthe, dreymal werthe, und auf ewig werthe Fraͤulein Harlowe gemacht hat, daß, wenn ich auch ver - ſichert waͤre, es wuͤrde mir in jener Welt nichts boͤſes widerfahren, ich doch ſehr ungern, ja, wo du es ſo haben willſt, mit großer Furcht und vielem Schrecken, mein Leben und alle dieſe Dinge zu - gleich hingeben wuͤrde: und gleichwohl fuͤrchtet ſich kein rechtſchaffener Kerl vor dem Tode weni - ger, als ich, wann es die Ehre erfordert.

Allein ich habe weder Luſt noch Muße, deine bleyerne Gruͤnde, anders als im Ganzen, oder, wie du ſagen wuͤrdeſt, im Klumpen, auf die Wagſchaale zu legen.

Wo ich deine Briefe zuruͤckſende: ſo theile ſie mir nach Verlauf einiger Zeit wieder mit; das ſoll heißen, wann ich verheyrathet bin; oder wenn der arme Belton halb vergeſſen iſt; oder wenn die Zeit den ehrlichen Kerl mit denen in ei - ne Reihe gebracht hat, die wir ſo lange verloh - ren haben, daß wir uns ihrer mit mehrerem Ver - gnuͤgen als Kummer erinnern koͤnnen; und als - denn kann ich ſie vielleicht mit Fleiß durchgehen, und mich ſo weit, als du willſt, in die Unterſuchung ihres Jnhalts mit dir einlaſſen.

Wann ich verheyrathet bin, ſagte ich? Wie klinget das!

Jch47

Jch muß mit Gedult auf das Gluͤck, dieſe reizende Fraͤulein zu ſehen, ſo lange warten, bis ſie in ihres Vaters Hauſe iſt. Gleichwohl, da die nur erſt aufbluͤhende Schoͤnheit, wie du mir ſageſt, in einen Schatten verwandelt iſt, wuͤrde es mir ein ausnehmendes Vergnuͤgen geweſen ſeyn, ſie itzo, und alle Tage, bis auf den begluͤckten Tag, zu ſehen: damit ich die Freude haben moͤchte, wahrzunehmen, wie lieblich ſie durch Huͤlfe des geruhigen und zufriedenen Zuſtandes, der auf ihre Ausſoͤhnung mit ihren Freunden und unſere gluͤck - liche Vermaͤhlung an die Stelle des vergange - nen und unruhigen Zuſtandes treten wird, von Stunde zu Stunde ſich wieder zu ihrer vorigen Pracht erheben werde.

Der fuͤnfte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Da mein Herz itzo ein wenig in Ruhe iſt: ſo will ich mir gefallen laſſen, einiger anderer Stellen in deinen Briefen mit wenigem zu ge - denken.

Jch habe es dir zu danken, wie ich finde, daß die liebe Fraͤulein meinem Beſuch entgangen iſt. Die Sachen ſtehen itzo auf einem ſo guten Fuß, daß ich dir vergeben muß: ſonſt ſollteſt du vondieſer48dieſer neuen Probe der Treuloſigkeit gegen deinen General mehr gehoͤret haben.

Du ertheilſt dir ſelbſt beſtaͤndig große Lobſpruͤ - che durch die Vergleichung, worinn du dich an - dern, wie ich ſagen mag, entgegenſtelleſt: in - dem du dich auf eine gelinde und liſtige Weiſe wegen ſolcher Eigenſchaften tadelſt, die du doch zu eben der Zeit fuͤr lobenswuͤrdig gehalten wiſſen wollteſt, und die auch gemeiniglich fuͤr lobenswuͤr - dig gehalten werden.

So wollteſt du gern in deinem Bezeigen ge - gen deine Bedienten fuͤr einen maͤchtig leutſeli - gen Menſchen angeſehen ſeyn: und das auf Mow - brayens und meine Koſten, die du als Koͤnige und Kayſer gegen unſer Geſinde vorſtelleſt. Dennoch biſt du allezeit in deinen Verſuchen von dieſer Art ungluͤcklich, und kannſt uns, die dich beſſer kennen, nicht uͤberreden, daß das eine Tu - gend an dir ſeyn ſollte, was bloß eine Wirkung deiner natuͤrlichen Kaltſinnigkeit und Ungereimt - heit iſt.

Weißt du nicht, daß einige Leute von Natur etwas Erhabenes in ihrem Weſen haben, welches macht, daß ſie auf einen Blick mehr gelten, als ihr, du mit deinen kriechender, oder Mowbray mit ſeinen heftigen Redensarten, gelten koͤnnet?

Jch bin geſchickt, ein Fuͤrſt zu ſeyn; das kann ich dir ſagen: denn ich belohne wohl, und ſtrafe zu rechter Zeit und auf gehoͤrige Art. Jch bin auch uͤberhaupt ſo wohl bedienet, als irgend ein Menſch.

Die49

Die Kunſt, dieſe geringere Buben zu regie - ren, ſteckt mehr in dem erhabenen Anſehen, als in Worten: und du biſt ein alberner Kerl, daß du dir einbildeſt, die Leutſeligkeit beſtehe darinn, daß du mit deinen Bedienten ſo umgeheſt, als dieje - nigen mit ihnen umgehen muͤſſen, welche ihnen ihren Lohn nicht zu zahlen im Stande ſind, oder ſie um Geheimniſſe haben wiſſen laſſen, die, wenn ſie auskaͤmen, ſie ſelbſt ſolchen Schurken nach ih - rem Gefallen bloßſtellen wuͤrden.

Was nun mich betrifft, der ich niemals et - was gethan habe, was ich mich ſchaͤmte zu geſte - hen, und mehr Aufrichtigkeit, als jemals ein Menſch, beſitze; der ich eine Schandthat bey ih - rem rechten Namen nennen kann, wenn ich ſie gleich ſelbſt veruͤbet habe, und durch meine eigne Bereitwilligkeit, mich ſelbſt zu ſtrafen, allen Ver - weiſen von andern zuvorzukommen weiß; der ich kein ſolcher Heuchler bin, daß ich wuͤnſchen koͤnn - te, von der Welt fuͤr anders oder beſſer angeſehn zu werden, als ich bin: ſo ſchickt es ſich fuͤr mich, einen Bedienten durch einen Blick zu ſeiner Pflicht zu bringen, wo ich kann. Jch werde auch niemals einen behalten, der ſich nicht auf ein Nicken oder einen Wink nach mir zu richten weiß, und, wenn ich laͤchele, nicht entzuͤckt, wenn ich ſauer ſehe, nicht ganz in Schrecken ſeyn wird. Gehe ich wirklich ein wenig zu weit: ſo ſuche ich allemal die Buben dafuͤr zu belohnen, daß ſie meinen Unwillen gedultig ertragen haben. Al - lein dieß geſchieht ſchwerlich jemals in andernSiebenter Theil. DFaͤl -50Faͤllen, als wenn ein Kerl in offenbaren Sachen, die er zu thun hat, ausnehmend einfaͤltig iſt, oder kluͤger ſeyn will, als ſein Herr; und wenn er mir ſagen wird, daß er gedacht habe, es waͤre das rechte Mittel, mir am beſten zu dienen, wenn er wider meine Befehle handelte.

Zu einer oder der andern Zeit will ich mit dir deine und meine Auffuͤhrung gegen Bediente un - terſuchen und dich uͤberzeugen, daß eben das, was du Leutſeligkeit nenneſt, dich beſtaͤndig, wofern es ohne Unterſchied bey allen Gemuͤthsarten ge - braucht wird, denen Uebeln unterwerfen werde, woruͤber du dich beklageſt, und daß dieß ſo gar mit Recht geſchehe. Jch will dich uͤberzeugen, daß derjenige allein geſchickt ſey, einen Herrn ab - zugeben, der ſie durch einen Wink mit dem Kopfe eben ſo aufmerkſam machen kann, als wenn er an der einen Seite einen Kerl durch ein Ey thut es doch zu ſeiner Pflicht ermunterte, oder an der andern, wie Mowbray, von Haut - abziehen oder Pferdepeitſchen ſchwatzte. Denn der Diener, welcher deine kriechende Re - densarten zu erwarten gewohnt iſt, wird alle - zeit Herr uͤber ſeinen Herrn ſeyn: und der, wel - cher eine ſolche Begegnung, als der andere, ver - dienet, iſt nicht geſchickt, irgend jemandes Be - dienter zu ſeyn; und ich wollte einen ſolchen Kerl nicht einmal zu meinem Pferdeknecht halten.

Jch werde deſto geneigter ſeyn mich uͤber die - ſe Sache mit dir in eine Unterſuchung einzulaſſen, weil ich dreiſt genug bin zu gedenken, daß wir inkeinem51keinem einzigen von unſern Dichtern fuͤr die Schaubuͤhne, auf die ich mich gegenwaͤrtig beſin - nen kann, einen Character von einem Diener oder einer Magd haben, der recht getroffen iſt. So ungereimt weiſe ſind einige, und ſo abgeſchmackt naͤrriſch andere: ja bisweilen iſt beydes in ei - ner Perſon. Sie werden nach dem niedrigſten und gemeineſten Poͤbel geſchildert, und dienen bloß zu Unterlagen, den Character ihrer Her - ren und Frauen zu haben: ja, was noch aͤrger iſt, bisweilen werden ſie gar wie Perſonen von groͤßerem Witze aufgeſtellet, als der Dichter fuͤr ihre Herrſchaften uͤbrig hat Sie ſind bloß Steine und Stahl Feuer damit zu ſchlagen Oder, daß ich die Vergleichung aͤndere, ſie dienen bloß zu Schleifſteinen fuͤr den Witz, der ſonſt nicht zum Vorſchein kommen konnte oder zu Werkzeugen, welche, wie das Maſchi - nenwerk der alten Dichter, oder wie die noch weit unnatuͤrlichern Geſpraͤche mit ſich ſelbſt, ge - braucht werden, einen klaͤglichen Anſchlag fortzu - helfen, oder eine noͤthige Entwickelung zu Stan - de zu bringen, damit der Dichter die Muͤhe ſpa - ren koͤnne, auf einen beſſern Weg, ſeinen Kno - ten zu loͤſen, mehr Nachdenken zu wenden.

Dieß weiß ich gewiß, wie ich auch immer mit meinen Bedienten im Werk verfahren mag, daß du aus meinen Lehrſaͤtzen Vortheil ziehen werdeſt, wenn wir hieruͤber zu ſtreiten kommen. Denn alsdann werde ich dich uͤberfuͤhren, daß das Bild eines guten Bedienten, ſo wohl auf derD 2Schau -52Schaubuͤhne, als nach ſeiner natuͤrlichen Be - ſchaffenheit, Treue, gemeinen und geſunden Verſtand, willigen Gehorſam und ſtillſchweigen - de Ehrerbietung in ſich faſſen muͤſſe; daß Witz in ſeinem Poſten, ausgenommen gegen ſeines glei - chen, Uebermuth ſeyn wuͤrde; daß er ſich nie - mals herausnehmen ſollte, ſeinen Rath zu geben; daß, wo er ſich unterſtuͤnde, gegen einen unver - nuͤnftigen Befehl, oder einen ſolchen, der ihm ſo vorkaͤme, einige Einwendungen zu machen, er es mit Demuth und Ehrerbietung thun und eine bequeme Zeit dazu nehmen ſollte. Aber die mei - ſten Vorſtellungen auf der Schaubuͤhne, bey de - nen Bediente als Hauptperſonen aufgefuͤhret werden, oder ſehr wichtige oder lange Rollen zu ſpielen haben; welches ich ſchon an ſich ſelbſt fuͤr einen Fehler halte; die meiſten dieſer Vorſtellun - gen, ſo viel ich geſehen habe, ſage ich, geben fuͤr die Dienergallerie ſolche Anweiſungen, daß ich mich nicht gewundert, wenn wir ſo wenige ſittſa - me oder gute Diener unter denen haben, welche mit ihren Herren oder Frauen oft bey Schau - ſpielen ſind. Wie klaͤglich muß ſich hernaͤchſt an dem Dichter der Mangel der Geſchicklichkeit, deſſen er ſich ſelbſt bewußt geweſen, aller Augen darſtellen: an dem Dichter, der ſich ſo weit er - niedrigen kann, daß er, durch das unverſtaͤndige Geſchrey der Gallerie von allerhand Leuten unter einander, ein Klatſchen zum Zeichen des Beyfalls erregen, oder einem ſolchen Klatſchen Gewicht verſchaffen mag!

Aber53

Aber dieſe Unterſuchung will ich bis auf eine beſſere Gelegenheit verſparen: bis auf die gluͤck - liche Gelegenheit, da meine Vermaͤhlung mit mei - ner Clariſſa mich verbinden wird, die Anzahl meiner Bedienten zu vermehren, und folglich mich genauer um ihre Eigenſchaften zu bekuͤm - mern.

Ob ich gleich von der edelmuͤthigen Geſin - nung meiner lieben Fraͤulein Harlowe die hoͤheſte Meynung hege, die ein Menſch hegen kann: ſo kann ich doch meines Herzens wegen dieſe ange - nehme Veraͤnderung in ihrer Gemuͤthsfaſſung nicht anders, als auf eine Art, erklaͤren. Bey meiner Treue, Belford, ich glaube in Wahrheit, wenn ich alle Umſtaͤnde zuſammennehme, daß ſich das liebe Kind wider ihr Vermuthen in dem Zu - ſtande findet, in welchem ich ſie ſo ſehnlich ge - wuͤnſchet habe, und daß dieſes ſie endlich geneigt machet, mir gewogen zu ſeyn, damit ſie in ihres Vaters Hauſe ihre Schwangerſchaft mit deſto beſſerem Muthe ertragen moͤge.

Trifft dieſes zu: ſo laſſen ſich alle ihre Schwachheiten und Ohnmachten ſchoͤn erklaͤren. Es iſt auch nicht zu verwundern, waß ein ſo an - genehmes und in dieſen Dingen ſo unerfahrnes Frauenzimmer nicht wiſſe, was ſie fuͤr die Ur - ſache ihrer haͤufigen Unpaͤßlichkeiten anſehen ſoll. Wenn dieß eintreffen ſollte: wie werde ich dich, und, wann ich ihrer erſt voͤllig verſichert bin, dieD 3liebe54liebe unerfahrne Schuͤlerinn ſelbſt, auslachen, daß alle ihr beſchwerliches Elend auf ein junges Knaͤblein hinauslaufen wird; welches ich lieber haben werde, als alle die Cherubinen und Sera - phinen, die hernach kommen moͤgen, wenn ihrer auch ſo viele ſeyn ſollten, als ich in meinem Traum ſahe, in welchem ein weiter Raum an der Decke uͤber mir mit ihnen ſo voll beſetzet war, als er ſeyn konnte.

Jch werde mich fuͤrchten deinen naͤchſten Brief zu erbrechen, damit er mir nicht die Nachricht von dem Tode des armen Beltons bringe. Je - doch, da keine Hoffnung zu ſeiner Geneſung uͤbrig iſt Allein was ſollte ich ſagen, es waͤre denn, daß der arme Kerl beſſer bereit waͤre Aber deine beſchwerliche Predigt ſoll mich doch auch nicht zu ſehr beunruhigen.

Jch ſchließe deine Papiere hiebey ein. Schrei - be du ſie fuͤr mich ab, oder ſchicke ſie mir wieder: denn es kommt eines und das andere darinn vor, dem ein ſterblicher Menſch zu gehoͤriger Zeit ſeine Aufmerkſamkeit nicht verſagen ſollte; und du ſcheineſt tief in die verdriesliche Sache einge - drungen zu ſeyn. Hier aber will ich ſchließen, damit ich nicht zu ernſthaft werde.

Dein Bedienter fragte hier etwa vor einer Stunde nach, ob ich etwas zu befehlen haͤtte. Jch hoffe daher, daß du gegenwaͤrtiges morgen fruͤhebekom -55bekommen wirſt. Wo du kannſt: ſo laß mich Nachricht von dir haben. Jn Erwartung deſſen will ich mich eine Stunde oder ein paar niederle - gen. Jedoch muß ich morgen Abend, wo moͤg - lich, bey meinem Lord M. ſeyn: wenn es auch noch ſo ſpaͤt ſeyn ſollte.

Dein Kerl erzaͤhlt mir, daß der arme Belton ſich noch meiſtens ſo befinde, als da ihn Mow - bray verließ.

Sollteſt du wohl gedenken, daß dieſer Bube Mowbray misvergnuͤgt iſt, weil ich meiner Gluͤck - ſeligkeit mit der Fraͤulein Harlowe ſo nahe bin? Und wahrlich, Bruder, ich weiß ſelbſt nicht, was ich dazu ſagen ſoll: da ich nun ſo weit bin, daß ich die Frucht erreichen kann. Jedoch, es mag kommen, was da will: ich will es erwarten. Denn ich finde, daß ich ohne ſie nicht leben kann.

Der ſechſte Brief von Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace.

Jch will fortfahren, wo ich in meinem letzten Schreiben abgebrochen habe.

So bald als ich Mowbrayen zu Pferde geſe - hen hatte: ging ich zu dem armen Belton, denD 4ich56ich in ſchrecklicher Todesangſt fand, woraus er er - wachte, wie er gemeiniglich thut.

Der Arzt kam alſobald nach mir herein: und ich hatte an dem Trauerſpiel, das unter ihnen vor - ging, Theil.

Es oͤffnete ſich mit der Frage des Sterbenden, die er mit betruͤbter Ernſthaftigkeit an denſelben that, ob nichts, gar nichts, fuͤr ihn zu thun waͤre.

Der Arzt ſchuͤttelte den Kopf, und antworte - te ihm, daß er ſehr daran zweifelte.

Jch kann nicht ſterben, verſetzte der arme Mann: ich kann an das Sterben nicht geden - ken. Jch wuͤnſche ſehnlich, noch ein wenig laͤn - ger zu leben, wenn ich nur von den ſchrecklichen Schmerzen in dem Magen und Kopfe frey wer - den koͤnnte. Koͤnnen ſie mir nichts geben, das mich noch eine Woche, nur noch eine Woche, in leidlicher Ruhe beym Leben erhalte, damit ich wie ein Mann ſterben moͤge? Wo ich ſterben muß!

Aber, Herr Doctor, ich bin noch ein junger Mann: in der Bluͤthe meiner Jahre Bey der Jugend koͤnnen ja die Arzte ihre Kunſt mit Vortheil anwenden. Koͤnnen ſie nichts, gar nichts fuͤr mich thun, Herr Doctor?

Jhre Geſundheit, mein Herr, antwortete ſein Arzt, iſt leider lange in ſchlechtem Zuſtande ge - weſen. Jch fuͤrchte, ich fuͤrchte, daß nichts in der Arzneykunſt ihnen helfen koͤnne.

Darauf verging ihm alle Gedult: Was iſt denn ihre Kunſt, mein Herr? Jch bin einganzes57ganzes Jahr ein bloß leidendes Werkzeug gewe - ſen, daran ihr Aerzte nach Gefallen gearbeitet habt. Jch glaube in Wahrheit, haͤtte ich nicht ſo viel garſtiges Zeug eingenommen, ich wuͤrde nun ein geſunder Menſch ſeyn Aber, wer, Hagel, wollte denn die Aerzte achten, deren Kunſt nur darinn beſtehet, uns mit falſcher Hoffnung zu ſpeiſen, indem ſie uns zu Grunde richten hel - fen? Und die, alle mit einander, nichts wiſſen, als durch bloße Muthmaßung?

Mein Herr, fuhr er hitzig fort, mit ſtaͤrkerer Stimme und beſſerem Zuſammenhange, als man verſchiedne Stunden vorher an ihm wahrgenom - men hatte, wo ſie mich aufgeben, ſo gebe ich ſie auch auf Der einzige anſtaͤndige und gewiſſe Theil der Heilungskunſt iſt die Kunſt der Wund - aͤrzte. Ein guter Wundarzt iſt ſo viel werth, als tauſend von ihnen. Jch bin oft in der Wund - aͤrzte Haͤnden geweſen, und habe allezeit Urſache gefunden, mich auf ihre Geſchicklichkeit zu verlaſ - ſen. Aber, mein Herr, was iſt eure Kunſt? Nur ſchmieren, ſchmieren, ſchmieren; flicken, flicken, flicken; pflaſtern, pflaſtern, pflaſtern: bis ihr erſtlich die Luſt zum Eſſen, und hernach die Natur, der ihr aufzuhelfen herbeygerufen werdet, gaͤnzlich zu Grunde richtet. Jch hatte einmal einen guten Freund Mein lieber Belford, du haſt den ehrlichen Blomer wohl gekannt der wuͤrde einen ſo guten Arzt abgegeben haben, als einer in England, wenn er ſich nur ſelbſt vor den Ausſchweifungen bey dem Wein und denD 5Wei -58Weibern in Acht genommen haͤtte: und dieſer pflegte allezeit zu ſagen, daß nichts als windmache - riſches Großprahlen an der Arzneykunſt waͤre, und daß derjenige, der am beſten muthmaßen und rathen koͤnnte, der beſte Arzt ſeyn wuͤrde. Jch pflegte ihm auch zu glauben. Was thun wir aber gleichwohl aus großer Liebe zum Leben und Furcht vor dem Tode, wenn wir krank wer - den, als daß wir euch zu Huͤlfe rufen? Und was thut ihr, nachdem ihr herbeygerufen ſeyd, als daß ihr unſere Krankheiten unterhaltet, bis ihr ſie aus Zwergen zu Rieſen machet? Dann kommt ihr mit feyerlich ernſthaften Ge - ſichtern gekrochen, wenn ihr euch ſchaͤmet mehr vorzuſchreiben, oder wenn der Magen wegen eu - rer giftigen Traͤnke ſeine natuͤrliche Nahrung nicht mehr vertragen kann: Jch fuͤrchte leider, daß die Arzneykunſt nichts mehr fuͤr ihn thun koͤnne! Sie braucht es auch nicht, wenn ſie den armen Menſchen, der alle ſeine Zu - verſicht auf eure Zunft und auf die ſchmeichelnde Hoffnung, die ihr ihm machtet, ſetzte, ſchon an die Thuͤr des Grabes gebracht hat.

Der Arzt war ganz beſtuͤrzt, ſagte aber doch: Wenn wir ſterbliche Menſchen unſterblich ma - chen koͤnnten und nicht wollten, ſo moͤchte dieß alles ſeine Richtigkeit haben.

Jch ſtrafte den armen Belton deswegen. Je - doch entſchuldigte ich ihn bey dem Arzt. Es iſt eine betruͤbte Sache, zu ſterben, werther Herr Doctor, wenn wir ſo ungemeine Luſt zu leben ha -ben,59ben, als mein armer Freund. Wir ſind geſchickt, uns zu viele Hoffnung zu machen, und bedenken nicht, daß der Saame des Todes in uns geleget wird, wenn wir anfangen zu leben, und aufſchie - ßet, bis er, wie ein um ſich greifendes Unkraut, die zarte Bluͤthe des Lebens erſticket, welche in uns abnimmt, wie dieſes Unkraut aufbluͤhet. Wir ſollten daher billig beyzeiten anfangen zu erforſchen, was unſere Naturen vertragen wollen, damit wir das Unkraut, welches der Boden am meiſten geſchickt iſt, hervorzubringen, durch Maͤ - ßigkeit ausrotten, oder wenigſtens ſo, wie es auf - ſchießet, unterdruͤcken moͤchten, und ſollten nicht erwarten, wenn die Blume oder Pflanze von der Wurzel aus welk geworden iſt, und das Unkraut in vollem Wachsthum ſtehet, daß die Arzneykunſt jene wieder herſtellen, oder dieſes gaͤnzlich vertrei - ben werde, da eben dieſes, wie ich geſagt habe, von unſerer Geburt an eingewurzelt iſt.

Dieſe Sprache, Robert, wirſt du eine Red - nerſchminke, oder einen weiſſen Baͤren nen - nen. Aber der Vergleich iſt richtig: und du haſt mich noch nicht ganz von der Liebe zu ver - bluͤmten Redensarten geheilet.

Mehr als zu wahr, antwortete der Arzt. Sie haben ein gutes Gleichniß angegeben, die Sache zu erlaͤutern. Es iſt mir leid, daß ich fuͤr den Herrn nichts ausrichten kann, und ihm nur Ge - dult und eine beſſere Faſſung des Gemuͤths em - pfehlen muß.

Gut,60

Gut, mein Herr; ſagte der arme Mann im Zorn und voll Verdruß uͤber den Arzt, jedoch noch mehr uͤber den Tod; ſie werden vielleicht den naͤchſten, der folget, dem Arzt empfehlen, wenn er nichts mehr ausrichten kann, und ihren Bruder ſchicken, bey mir um dieſe Tugenden zu beten, welche ſie mir wuͤnſchen.

Es ſcheint, daß der Bruder des Arztes ein Pfarrer in der Nachbarſchaft iſt.

Mir ging es ſehr nahe, den guten Mann ſo mitgenommen zu ſehen. Das ſagte ich auch den armen Belton, als er weggegangen war. Allein er blieb ungedultig, und ſprach, er wollte ſich die Freyheit nicht nehmen laſſen, gegen einen Mann dreiſt herauszureden, der ſo manche Guinea fuͤr nichts, oder aͤrger als nichts, von ihm genommen, und niemals eine ausgeſchlagen haͤtte, da er doch alle die Zeit uͤber gewußt, daß er ihm nicht helfen koͤnnte.

Es ſcheint, der Mann iſt dafuͤr bekannt, ob er gleich reich iſt, daß er begierig auf ſeine Bezah - lung ſiehet: und der arme Belton fuhr fort, auf die uͤbermaͤßige Bezahlung zu ſchelten, welche die engliſchen Aerzte, in Vergleichung mit den vor - treff lichſten unter den Auslaͤndern, nehmen. Aber der arme Mann machte es, wie die Tuͤrken, wel - che einen General nach dem Erfolg, den er im Kriege hat, beurtheilen. Er war ungedultig, weil er an den Tod gedenken mußte, und wuͤrde den Arzt angebetet und uͤber dreymal ſo viel Geldnicht61nicht gemurret haben, wenn er ihm haͤtte Hoff - nung zur Geneſung machen koͤnnen.

Jnzwiſchen muß ich doch geſtehen, daß die Herren Aerzte in der Bezahlung, die ſie nehmen, billig maͤßiger ſeyn, oder ſie mit mehrerer Sorg - falt zu verdienen ſuchen ſollten. Denn gemeinig - lich kommen ſie nur ins Zimmer, fuͤhlen dem Kranken nach dem Puls, thun an die Waͤrterinn einige wenige Fragen, beſehen des Kranken Zun - ge, und vielleicht ſein Waſſer, ſetzen ſich alsdenn nieder, ſehen maͤchtig weiſe aus, und ſchreiben. Die guͤldne Muͤhevergeltung findet ihre Hand be - reit, und ſie eilen fort, als wenn des Kranken Zimmer anſteckend waͤre. So trollen ſie zu ei - nem andern und wieder zu einem andern, wenn ſie viel zu thun haben, und machen ſich mit der Anzahl der Beſuche die ſie in einem Morgen ab - legen, und mit der kurzen Zeit, in welcher ſie ſie ablegen, groß. Sie gehn zur Mittagsmahlzeit, und laden ihre Taſchen aus: und thun einen neuen Ausfall, ſie wieder anzufuͤllen. Auf die Art bringen ſie in kurzer Zeit ungeheure Guͤter zuſammen. Denn ſo ſagte Ratcliffe, als ihm zu - erſt von einem großen Verluſt, der ihn betroffen hatte, Nachricht gegeben wurde, es koſtete nur hundert Treppen auf und nieder zu ſteigen, um ihn wieder zu erſetzen.

Fr. Sambre, Beltons Schweſter, hatte ihm verſchiedene male vorgeſchlagen, einen Geiſtlichen kommen zu laſſen, der bey ihm betete. Allein der arme Mann ſagte, es waͤre ihm unertraͤglich,an62an einen Geiſtlichen zu gedenken, weil er gewiß eine oder zwo Stunden hernach ſterben wuͤrde. Er war noch immer geneigt, wider alle Wahr - ſcheinlichkeit zu hoffen, daß er geneſen wuͤrde, und fragte oft ſeine Schweſter, ob ſie nicht Leute eben ſo krank geſehen haͤtte, als er waͤre, die beynahe zu einem Wunder, wenn jedermann ſie aufgege - ben, wieder aufgekommen waͤren?

Sie ſchuͤttelte den Kopf, und ſagte ja. Als ſie ſich aber einmal verlauten ließ, daß die Krank - heiten dieſer Leute eine Art von hitzigen Fie - bern, und ſolche Zufaͤlle, die ihre Entſcheidungs - zeiten haͤtten, geweſen waͤren: ſo nannte er ſie ei - ne Kleinmuͤthige und Hiobs Troͤſterinn, und befahl ihr, nichts zu ſagen, wofern ſie nicht et - was ſagen koͤnnte, das beſſer zur Sache diente, und ſich fuͤr einen Kranken mehr zu hoͤren ſchickte. Gleichwohl hat der arme Kerl ſelbſt keine Hoff - nung: wie aus ſeinem verzweifelungsvollen Schre - cken offenbar iſt. Ein ſolches und ſehr fuͤrchter - liches Schrecken uͤberſiel ihn unter andern bald, nachdem der Arzt weggegangen war.

Der arme Menſch hat, die vorige ganze Stun - de uͤber, in Zuckungen, in ſchrecklichen Zu - ckungen gelegen. O Himmel, Lovelace, der Tod iſt eine harte Sache! Bey meiner Treue, eine harte Sache! Jch moͤchte wuͤnſchen, daß du bey dieſer Gelegenheit gegenwaͤrtig waͤreſt. Es kommt hier nicht bloß auf die Beyſorge an, dieman63man fuͤr ſeinen Freund hat: ſondern da der Tod das allgemeine Schickſal iſt; ſo ſehen wir an ſei - nem aͤngſtlichen Kampfe, wie es einmal mit uns ſelbſt gehen werde. Mir iſt ganz, als wenn kal - tes Waſſer uͤber meinen Ruͤcken hinuntergegoſſen wuͤrde, oder als wenn mich ein ſtarkes Fieber an - fiele. Jch ward genoͤthigt, wegzugehen, und ſchreibe, ob ich gleich kaum weiß, was. Jch moͤchte wuͤnſchen, daß du hier waͤreſt.

Jch habe ihn zwar verlaſſen, weil ich nicht laͤnger aushalten konnte: dennoch aber kann ich fuͤr mich ſelbſt nicht ruhig ſeyn, ſondern muß wieder zu ihm gehen.

Der arme Belton! Es eilt mit ihm zum Ende! Jedoch hatte er noch Empfindung, als ich hinein kam: nur allzu viele Empfindung! Der arme Menſch! Er hat etwas auf dem Her - zen, mir zu entdecken, ſagt er, welches die aͤrgſte Handlung in ſeinem Leben iſt: weit aͤrger, ſpricht er, als irgend etwas, das ihr oder ich von ihm gewußt. Es muß alſo wohl ſehr arg ſeyn!

Er befahl allen, hinauszugehen: aber bekam wieder einen Anfall von Zuckungen; ehe er es mir offenbaren konnte. Jn demſelben liegt er und ringt mit Leben und Tod. Allein ich will wieder hineingehen.

Nun64

Nun muß bald alles mit ihm voruͤber ſeyn. Der arme! arme Kerl! Er hat mir einen und den andern Wink von dem, was er ſagen wollte, gegeben: aber alles war ohne Zuſammenhang, und ward durch Schlucken und Zuckungen, wie bey einem Sterbenden, unterbrochen.

Arg genug muß es ſeyn, das weiß der Him - mel, nach dem, was ich herausbringen kann. Ach! Lovelace, ich fuͤrchte, ich fuͤrchte, er iſt zu fruͤhe zu ſeines Onkels Gut gekommen.

Wenn ein Menſch beſtaͤndig leben ſollte: ſo moͤchte er noch einige Verſuchung haben, ſchaͤnd - liche Dinge zu veruͤben, damit er ſich, wie es als - denn ſeyn wuͤrde, eine immerwaͤhrende Ge - maͤchlichkeit, einen immerwaͤhrenden Vorrath oder Ueberfluß verſchaffete. Allein um zehn, zwanzig, dreyßig Jahre willen, die er in einem elenden Leben zubringt, ein Boͤſewicht zu ſeyn kann ſich das wohl der Muͤhe verlohnen? Und noch dazu mit einem beſtaͤndig nagenden Gewiſ - ſen, und, wenn er zur Ueberlegung koͤmmt, mit ſo aͤngſtlich quaͤlenden Gedanken uͤber ſeine begangne Suͤnde! Wenn alsdenn alles, wie nichts, ſcheinet; alles, was er am hoͤchſten ſchaͤtzte, ihm am mei - ſten zuwider iſt; und er ſich nicht das geringſte zu erinnern hat, wie der arme Kerl wohl zwanzig und abermal zwanzig mal ſagt, als was mit Angſt und harten Vorwuͤrfen verbunden iſt.

Wenn man den armen Menſchen wuͤnſchen hoͤret, daß er niemals gebohren waͤre; wenn manihn65ihn beten hoͤret, daß er nach dem Tode nichts ſeyn moͤge: lieber Gott, wie ſchrecklich iſt das!

Nach dem, was er ohne Zuſammenhang von ſich merken laͤßt, beſorge ich, daß es ſehr uͤbel mit ihm ſtehe. Keine Gnade, keine Barmher - zigkeit, ſagt er einmal uͤber das andere, kann fuͤr ihn uͤbrig ſeyn!

Jch hoffe, ich werde mir dieſe Lehre gehoͤrig zu Nutze machen. Lache mich aus, wo du willſt: aber niemals, niemals will ich mir mehr die Frey - heiten nehmen, die ich mir genommen habe; ſon - dern ſo oft ich verſuchet werde, will ich an Bel - tons Todesangſt gedenken, und uͤberlegen, wie groß mein eigner Sterbenskampf ſeyn moͤge!

Jtzo iſt er in den letzten Zuͤgen Er raͤchelt, und hat beynahe alle Augenblicke neue Zu - ckungen. Jn was fuͤr einem Schrecken ſchwebet er! Seine Augen ſehen wie ein uͤberhauchtes Glas aus. Sie gehen nicht mehr fuͤrchterlich herum. Sie ſtehen ganz fteif. Sein Geſicht iſt verdre - het, und durch ſeine ſinkende Kinnbacken und ſtarr aufgerichtete Augenlieder mit verlaͤngerter und ge - runzelter Stirn zweymal ſo lang als ſonſt, wie es ſcheinet, gezogen. Es iſt nicht Beltons Ge - ſicht, es kann nicht Beltons Geſicht ſeyn: deines Beltons und meines Beltons, den wir mit ſo vie - lem Vergnuͤgen uͤber die Vertraulichkeit bey dem Glaſe geſehen, und mit dem wir Rathſchlaͤge ge - faſſet haben, welche dereinſt uns zu einem Vor -Siebenter Theil. Ewurf66wurf dienen und uns zu winſeln noͤthigen koͤnnen, wie ſie ihn noch vor gar kurzer Zeit dazu noͤthig - ten naͤmlich ſo lange er noch Kraft genug hatte zu winſeln. Denn itzo iſt ſeine Stimme nicht mehr zu hoͤren. Sie geht ganz einwaͤrts und iſt verlohren. Er kann nicht einmal mehr mit den Augen ſprechen: ob gleich, etwas ſeltſa - mes! wie kann es ſeyn? das Bette unter ihm wackelt, wie eine Wiege.

Nun leider iſt er hin! das letzte Lebewohl,
Womit der Geiſt entwich, war winſelnd
ſchreckensvoll.
Er iſt auf lange Zeit, und ſtraͤubend ausge -
zogen
Verflogen! Aber ach! wohin iſt er ge -
flogen?

Nun iſt in der That alles voruͤber! Ar - mer, armer Belton! Gegenwaͤrtig weißt du, ob deine Suͤnden groͤßer geweſen ſind, als Gottes Barmherzigkeit! Nun haben eines jeden Sorgen und Wartungen ein Ende! Nun wiſſen wir, deine Freunde, armer Belton! das aͤrgſte von dir, in Anſehung dieſes Lebens! Du biſt von un - ertraͤglicher Marter, beydes an Leib und Seel, er - loͤſet! O daß dieſe Marter und deine Reue zu ei - ner Verſoͤhnung fuͤr deine Miſſethaten dienen und du in alle Ewigkeit gluͤckſelig ſeyn moͤch - teſt!

Wir67

Wir hoͤren, daß Gott nicht den Tod, den geiſtlichen Tod eines Suͤnders verlange: und es iſt gewiß, daß du von ganzem Herzen Reue getragen haſt! Da du alſo nicht mitten in deinen Suͤnden durch das Schwerdt beleidigter Freund - ſchaft, dem du mehr als einmal Trotz geboten hat - teſt, hingeriſſen biſt; der ſchrecklichſte Tod unter allen, naͤchſt dem Selbſtmord, weil er keinen Raum zur Buße laͤſſet: ſo hoffe ich, daß dieß ein gnaͤdiges Unterpfand ſey, daß deine Buße ange - nommen worden; und daß deine langwierige Krankheit, und ſchreckliche Todesangſt in den letz - ten Zeiten derſelben, deine einzige Strafe ſeyn werde.

Jch wuͤnſchte in der That, ich wuͤnſchte von Herzen, daß wir einen Strahl des Troſtes auf ſeinen in Nacht und Finſterniß verhuͤllten Geiſt haͤtten einſchießen ſehen koͤnnen, ehe er abgeſchieden waͤre. Aber, leider! alles bis auf den letzten Athem war Schrecken und Verwirrung. Mei - ne einzige Furcht ruͤhret daher, daß er, bis auf die vier letzten Tage ſeines Lebens, nicht dahin ge - bracht werden konnte, zu gedenken, daß er ſterben ſollte, ob er gleich ganze Monathe herdurch augen - ſcheinlich abnahm. Jn der falſchen Einbildung, war er allzu wenig geneigt, eine ernſtliche Vorbe - reitung zu einer Reiſe zu machen, welche er zu uͤbernehmen nicht genoͤthigt zu werden hoffete: und da er anfing zu beſorgen, daß er ſie nicht ver - meiden koͤnnte, zeigte ſeine Ungedult, ſein Schre - cken und ſeine Furcht allzu wenig von demjenigenE 2Ver -68Vertrauen, von derjenigen Ergebung in den goͤtt - lichen Willen, welche den Freunden der Ster - benden und den Sterbenden ſelbſt die troͤſtlich - ſten Betrachtungen an die Hand geben.

Allein wir muͤſſen den armen Belton der Barmherzigkeit uͤberlaſſen, die wir alle ſo ſehr noͤthig haben. Jch meines Theils bin entſchloſ - ſen, ihr, Lovelace, und die Uebrigen von der Bruͤ - derſchaft moͤget thun, was euch beliebet, ich will mich bemuͤhen, meine Buße uͤber die begangne Thorheiten anzufangen, da meine Geſundheit noch gut, mein Verſtand noch unverletzt, und es noch in meiner Gewalt iſt, denen, die ich beleidigt oder verfuͤhrt habe, ihren Schaden auf eine ſolche Art wieder gut zu machen, daß es einer Erſtattung ſo nahe komme, als moͤglich iſt. Jhr moͤget aͤußer - lich, und aus einer falſchen Herzhaftigkeit, meinen Entſchluß mit ſo vieler Verachtung anſe - hen, als ihr wollet. Da keiner von euch unter die Zahl der ruchloſen und einfaͤltigen Thoren ge - hoͤret, welche ſich Muͤhe geben kein kuͤnftiges Le - ben zu glauben, wovor ihr euch fuͤrchtet; ſo bin ich verſichert, ihr werdet mich in euren Herzen, wo nicht durch eure Handlungen, rechtfertigen, und dereinſt wuͤnſchen, daß ihr eben dieſe Ent - ſchließung mit mir gefaßt haͤttet. Jhr werdet alsdenn bekennen, daß ſie vernuͤnftiger ſey, als ihr nun vielleicht geſtehen wollet.

Euch verlanget ſehr, nach eurem letzten Briefe, der mir eben gebracht iſt, wiederum Nach -richt69richt von mir zu haben, ehe ihr nach Berks ab - reiſet. Jch will daher mit wenigen Worten von dem einzigen Stuͤck eures Briefes, das ich itzo beruͤhren kann, beſchließen. Dieß betrifſt den Brief von der Fraͤulein, wovon ihr mir eine Ab - ſchrift gebet.

Der Mangel der Ruhe, und das betruͤbte Schauſpiel, welches ich vor mir habe, haben mich außer Stande geſetzt, auf irgend eine Art Grund von demſelben zu geben. Jhr ſeyd daruͤber ent - zuͤckt. Jhr habt auch Urſache dazu: wofern es ſo iſt, wie ihr gedenket. Jch moͤchte euch nicht gern eure Freude rauben: aber ich muß geſtehen, daß ich daruͤber erſtaunet bin.

Gewiß, Lovelace, dieſer unverſehene Brief kann doch wohl nicht von dir ſelbſt geſchmiedet ſeyn, damit du etwa eine Abſicht ins Werk rich - ten und mich beruͤcken moͤgeſt. Nach der Schreib - art, worinn er aufgeſetzet iſt, kann es nicht ſeyn: ob du gleich ein vollkommener Proteus biſt, der alle Geſtalten annehmen kann.

Jnzwiſchen will ich nicht ein Wort mehr bey - fuͤgen, nachdem ich um die Zuruͤckſendung dieſes erſuchet, und euch verſichert habe, daß ich ſey

Euer getreuer und wohlmeynender Freund Joh. Belford.

E 3Der70

Der ſiebente Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Jch habe deinen Brief durch die geſchwinde Beſorgung deines Bedienten bey ſo guter Zeit bekommen, daß es mir bequem iſt, einige Zeilen daruͤber aufzuſetzen. Jch habe eine oder zwo Stellen davon Mowbrayen vorgeleſen: und wir ſind beyde darinn einig, daß du ein vollkom - mener Meiſter biſt, etwas klaͤglich vorzuſtellen.

Armer Belton! Wie ſchrecklich iſt dein letz - ter Kampf geweſen! Jch hoffe inzwiſchen, daß er gluͤckſelig ſey: und habe dazu um deſto mehr Hoffnung, weil ſein harter Tod dir vermuth - lich zu einer ſolchen Warnung dienen wird. Wo er die Wirkung hat, welche er nach deiner Erklaͤ - rung bey dir haben ſoll: was fuͤr eine Welt voll Ungluͤck wird er verhuͤten! Wie viel Gutes wird er ſchaffen! Wie viele elende Perſonen werden ſich uͤber die Gelegenheit, wo ſie ſie erfahren, freuen, ob ſie gleich an ſich ſelbſt noch ſo betruͤbt iſt! Ueber die Gelegenheit, welche ihnen eine Er - ſtattung fuͤr das Unrecht, das ſie in der Stille zu ertragen genoͤthigt worden ſind, zuwege bringen wird! Aber, Bruder, ob dich gleich deines OnkelsTod71Tod zu einem reichen Kerl gemacht hat, biſt du gewiß, daß die Erfuͤllung eines ſolchen Geluͤbdes dich nicht einem gaͤnzlich zuruͤckgekommenen Kauf - manne gleich machen werde?

Du ſagſt, ich mag dich auslachen, wo ich will. Das thue ich nicht, Bruder: ich halte es fuͤr keine laͤcherliche Sache. Jch betruͤbe mich herzlich uͤber den Verluſt, den wir alle an dem ar - men Belton leiden. Und wenn ich ein wenig zur Ruhe komme, und Zeit habe, die Eitelkeit aller Dinge unter der Sonne zu betrachten; eine Be - trachtung, die ſich mir bisweilen in meinen frohe - ſten Stunden aufdringen will: ſo iſt es ſehr glaublich, daß ich uͤber dieſe Dinge ernſthaft mit dir reden mag. Wo du mir in der Buße, zu welcher du ſchreiteſt, nicht ſchon allzu weit vorge - kommen biſt: ſo will ich mit gleichen Schritten mit dir in derſelben fortgehen. Biſt du aber ſchon zu weit vor: ſo wirſt du mir doch noch eben in den Augen bleiben. Denn es geht mit dieſen Werk Berg an: und ich werde dich auf deinem Zuge in großer Entfernung ſehen. Weil du nun ein viel ſchwererer und unbeholfener Kerl biſt, als ich: ſo hoffe ich, daß ich im Stande ſeyn wer - de, dich ohne vieles Keichen und Schwitzen einzu - hohlen, wenn ich nur einen guten Hundetrab gehe.

Unterdeſſen haſt du hier deinen Brief wieder zuruͤck, wie du verlangeſt. Jch wollte ihn itzo auf keine Art und Weiſe in der Taſche haben, oder noch einmal leſen.

E 4Jch72

Jch bin im Begriff, hinunter zu reiſen, ohne meine Geliebte zu ſehen. Jch bin ein Thor in der Uebereilung geweſen, daß ich ihr einen Brief geſchrieben, und darinn verſprochen habe, nicht eher zu ihr zu kommen, als bis ich ſie in ihres Vaters Hauſe ſehen wuͤrde. Denn da ſie nun wirklich in Smithens Hauſe iſt und ich ihr ſo nahe bin: haͤtte ein kurzer Beſuch nicht ſchaden koͤnnen.

Vor zwoen Stunden ſchickte ich Wilhelm mit meiner dankgefliſſenſten Empfehlung zu ihr, und ließ mich erkundigen, wie ſie ſich befaͤnde. Wie ſehr muß ich dieſe reizende Fraͤulein anbe - ten! Denn ich bin nicht abgeneigt, meinen Die - ner fuͤr gluͤcklicher, als mich ſelbſt, zu halten, weil er in einem Stockwerk und einem Zimmer mit ihr geweſen iſt.

Mowbray und ich wollen, unter Weges, je - der eine Thraͤne zum Andenken des armen Bel - tons vergießen. Unter Weges, ſage ich: denn, wenn wir bey dem Lord M. ankommen, und ich ihm und meinen Baſen den Brief von der lieben Fraͤulein zeige, ſo werden wir ſo viele Freude haben, daß wir alles Traurige vergeſſen werden; indem nun ihre Familienhoffnung in meiner Beſſerung, der Sache, die ihnen ſo nahe am Herzen liegt, vollkommen wieder aufleben wird, weil es einer von ihren Glaubensartikeln iſt, daß, wenn ich heyrathe, Reue und Kraͤnkung alſobald folgen werden.

Weder Mowbray, noch ich werde deine muͤnd - liche Einladung zum Leichenbegaͤngniſſe anneh -men.73men. Wir ſind keine Freunde von dieſen wun - derlichen Weitlaͤuftigkeiten. Und was die Ach - tung betrifft, welche dem Andenken eines verſtor - benen Freundes in einem ſolchen Dienſt, wie man glaubt, bewieſen wird: warum ſollten wir etwas thun, das denen zu einem Vorwurf gereichen konn - te, welche es zu einer Mode gemacht haben, die - ſes unnuͤtze Gepraͤnge Leuten, die von ihnen zu dem Ende gemiethet werden, zu uͤber - laſſen.

Lebe wohl, und ſey froͤhlich. Du kannſt itzo dem armen Belton nicht mehr helfen: wenn du auch bis an das Ende deines Lebens um ihn heu - len wollteſt.

Der achte Brief von Herrn Belford an Hrn. Robert Lovelace.

Am Donnerſtage nach Mittage war ich bey der Eroͤffnung des Teſtaments von dem ar - men Belton gegenwaͤrtig. Er hat mir allein die Vollziehung ſeines letzten Willens in demſelben aufgetragen, und mir hundert Guineas vermacht. Dieſe werde ich ſeiner ungluͤcklichen Schweſter ſchenken, gegen welche er nicht ſo guͤtig geweſen iſt, als er meinen Gedanken nach haͤtte ſeyn ſol -E 5len.74len. Er hat auch Mowbrayen, Tourvillen, dir und mir, jeden zwanzig Pfund zu einem Ringe vermacht, der ihm zum Andenken getragen wer - den ſoll.

Nachdem ich wegen der Zubereitungen zu ſeinem Leichenbegaͤngniſſe einige Verordnungen gegeben hatte: ging ich nach London ab. Weil ich mich aber verſpaͤtet hatte, ehe ich am Don - nerſtage, Abends, ankam, und, aus Mangel der Ruhe in verſchiedenen vorhergehenden Naͤchten, muͤde und matt war, auch mein Gemuͤth traurig und niedergeſchlagen fand; ich konnte es nicht aͤn - dern, Lovelace: ſo begnuͤgte ich mich damit, daß ich der unſchuldig leidenden Fraͤulein meine Em - pfehlung machen ließ, um mich nach ihrem Be - finden zu erkundigen.

Mein Bedienter ſprach mit Fr. Smithinn, die ihm vermeldete, daß es ihr ſehr lieb waͤre, daß ich zur Stadt gekommen, weil ſich die Fraͤulein ſchlechter befaͤnde, als ſie ſich ſonſt noch befunden haͤtte.

Es iſt unmoͤglich, von dem Jnhalt ihres Briefes an euch Grund zu geben, oder dieſen Jn - halt mit den Begebenheiten, die ich mitzutheilen habe, zuſammen zu reimen.

Jch war geſtern, am Freytage, des Morgens, in Smithens Hauſe, und fand, daß die Fraͤulein ſich in einer Saͤnfte nach St. Dunſtans Kirche zur Bethſtunde begeben hatte. Sie befand ſich zu ſchlecht, um ſechſe in die Kirche beym Covent - Garden zu gehen: und war genoͤthigt, ſich vonFr.75Fr. Lovick an ihre Saͤnfte leiten zu laſſen. Sie haͤtten ſie gerne beredet, ſich nicht von Hauſe zu begeben: allein ſie ſagte, ſie wuͤßte nicht anders, als daß dieß die letzte Gelegenheit ſeyn moͤchte, die ſie dazu haben koͤnnte. Fr. Lovick beſorgte, es moͤchte in der Kirche aͤrger mit ihr werden, und ging daher vor ihr hin.

Fr. Smithinn erzaͤhlte mir, ſie haͤtte ſich am Mittwochen, Abends, ſo ſchlecht befunden, daß ſie das Abendmahl verlanget haͤtte, und daß ihr alſo daſſelbe von dem Geiſtlichen in dem Kirchſpiel ge - reichet waͤre, welchen ſie gebeten, ihr ſo oft, als es ſeine Umſtaͤnde erlauben wollten, in ihrer hei - ligen Vorbereitung beyzuſtehen.

Dieß verſprach der gute Mann. Er fragte auch wirklich des Morgens darauf nach, um ſich nach ihrer Geſundheit zu erkundigen, und ward auf die erſte Anfrage von ihr angenommen. Er blieb ungefaͤhr eine halbe Stunde bey ihr. Als er her unter kam, ſagte er mit weggewandtem An - geſichte und in einem ſtockenden Tone: Fr. Smithinn, ſie haben einen Engel in ihrem Hau - ſe Jch will heute auf den Abend ihr wie - der aufwarten, wie ſie verlanget, und ſo oft, als ich denke, daß es ihr angenehm ſeyn wird.

Die Vergroͤßerung ihrer Schwachheit ſchrieb ſie den Beſchwerden zu, welche ſie auf eure Ver - anlaſſung ausgeſtanden, und einem Briefe, den ſie von ihrer Schweſter bekommen, und an eben demſelbigen Tage beantwortet hatte.

Fr.76

Fr. Smithinn ſagte mir, daß zwo verſchied - ne Perſonen daſelbſt Nachfrage gethan, eine am Donnerſtage des Morgens, die andere des Abends, um ſich nach dem Zuſtande ihrer Geſundheit zu erkundigen. Es haͤtte geſchienen, als wenn ih - nen das Gewerbe von ihren Verwandten aufge - tragen waͤre. Sie verlangten ſie aber nicht zu ſehen: ſondern erkundigten ſich nur nach denen Perſonen, von welchen ſie Beſuch annaͤhme; ſon - derlich, ſcheint es, nach mir; was haben ſie da - mit meynen koͤnnen? imgleichen nach ihrer Le - bensart und ihren Ausgaben. Einer von beyden fragte nach, auf was fuͤr Art ſie ihre Ausgaben beſtritte. Dieß, ſagte Fr. Smithinn, haͤtte ſie ſo beantwortet, wie es die Wahrheit waͤre, indem ſie geſtanden, daß ſie genoͤthigt worden, einige von ihren Kleidern zu verkaufen, und wirklich im Begriff waͤre, noch mehrere von der Hand zu ſchlagen. Hieruͤber haͤtte der Nachfrager, ein ernſthafter alter Mann, der wie ein Pachter aus - geſehen, die Haͤnde aufgehoben und geſagt: Lie - ber Gott! dieß wird eine traurige, traurige Zeitung fuͤr jemand ſeyn. Jch glaube, ich muß nichts davon erwaͤhnen. Allein Fr. Smithinn ſagt, ſie haͤtte gebeten, er ſollte es erzaͤhlen, er moͤchte kommen, von wem er wollte. Darauf haͤtte er den Kopf geſchuͤttelt, und hinzugeſetzet, wo ſie ſtuͤrbe, wuͤrde die Blume der Welt dahin ſeyn, und die Familie, zu welcher ſie gehoͤrte, wuͤrde alsdenn nichts mehr als eine gemeine Fa -milie77milie ſeyn(*)Dieſer Mann kam von ihrem Vetter Morden: wie man in dem folgenden ſehen wird.. Mir gefiel der Ausdruck des Mannes.

Jhr moͤcht vielleicht gern wiſſen wollen, wie ſie ihre Zeit zugebracht, da ſie genoͤthigt worden, ihre Wohnung zu verlaſſen, damit ſie euch miede.

Fr. Smithinn erzaͤhlt mir, daß ſie ſich ſehr uͤbel befunden, als ſie am Montage fruͤhe ausge - fahren waͤre, und ſo geſeufzet haͤtte, als wenn ihr das Herz brechen wollte, wie ſie die Treppe her - unter gekommen und durch den Laden an die Kutſche gegangen waͤre. Jhre Waͤrterinn waͤ - re bey ihr geweſen: wie ihr mir vorher gemeldet hattet. Sie haͤtte dem Kutſcher, den ſie auf den ganzen Tag gemiethet, befohlen, wohin er wollte, zu fahren, wenn es nur in freyer Luft waͤre. Alſo fuhr er ſie nach Hampſtead, und von dannen nach Highgate. Hier ſtieg ſie bey dem Hauſe, wo der gruͤne Kugelplatz iſt, ab, und befand ſich ausnehmend ſchlecht. Nachdem ſie ein wenig gefruͤhſtuͤcket hatte, befahl ſie dem Kutſcher ſehr leiſe zu fahren, wohin er wollte. Er fuhr wie kriechend nach Muswellhill, und hielte da bey einem Wirthshauſe ſtille: wo ſie ſich zwo Stunden mit Schreiben beſchaͤfftigte, ob ſie gleich ausnehmend ſchwach und matt war, bis das Mittagseſſen, welches ſie beſtellt hatte, hineingebracht wurde. Sie bemuͤhete ſich zu eſſen: konnte aber nicht. Jhre Luſt zu eſſenwaͤre78 waͤre verlohren, gaͤnzlich verlohren, ſagte ſie. Hierauf ſchrieb ſie noch drey Stunden fort. Weil ſie nach dieſem ſchlaͤfrig ward: ſo ſchlum - merte ſie ein wenig in einem Lehnſtuhl. Als ſie wieder erwachte: befahl ſie dem Kutſcher, ſie ſehr leiſe wieder nach London, und zu dem Hau - ſe einer Freundinn von Fr. Lovick, welche ſie, der Abrede nach, daſelbſt antraf, zu fahren. Weil ſie ſich aber aͤußerſt uͤbel befand: ſo woll - te ſie es wagen, bey ſpaͤter Zeit zu Hauſe zuruͤck - zukehren; ob ſie gleich von der Witwe gehoͤret, daß ihr da geweſen waret, und Urſache hatte, uͤber eure Auffuͤhrung beſtuͤrzt zu ſeyn. Sie ſagte, ſie faͤnde, daß kein Mittel uͤbrig waͤre, euch zu entgehen: ſie beſorgte, daß ſie nicht viele Stunden mehr leben wuͤrde, und es waͤre nicht unmoͤglich, daß der Stoß, den ihr der Anblick von euch geben muͤßte, ihr Schickſal in eurer Ge - genwart entſcheiden ſollte.

Sie ging alſo zu Hauſe. Sie hoͤrte die Er - zaͤhlung von euren erſtaunlichen Ausſchweifun - gen, mit oft aufgehabenen Haͤnden und Augen. Aergerlicher Menſch! Unbeſſerlicher Boͤſewicht! Wird ihn nichts ernſthaft machen! waren die Worte, welche ſie bisweilen einfließen ließ. Weil ihr nun eine Zuſammenkunft mit einem ſo ver - haͤrteten Menſchen unertraͤglich war: ſo nahm ſie des andern Morgens fruͤhe ihre gewoͤhnliche Saͤnfte und ließ ſich an die Treppe bey dem Ge - baͤude der Tempelherren tragen, wohin ſie ihrer Waͤrterinn vorauszugehen befohlen hatte, um ein79 ein Boot mit zweyen Rudern in Bereitſchaft zu halten. Denn die Beſchwerden, welche ſie den Tag zuvor ausgeſtanden hatte, machten, daß ſie es in einer Kutſche nicht aushalten konnte. Alſo ließ ſie nach Chelſea rudern, wo ſie fruͤhſtuͤckte. Nachdem man hierauf weiter herumgerudert hat - te: ſtieg ſie zum Schwan zu Brentford - Aight aus. Da ſpeiſete ſie zu Mittage; und wuͤrde geſchrieben haben: aber ſie fand keine Gelegen - heit dazu, weder leidliche Federn, noch Dinte, noch ein beſonderes Zimmer, wo ſie allein ſeyn konnte. Sie fuhr darauf erſt weiter nach Rich - mond, und hernach ruderte man mit ihr zuruͤck nach Mortlack; wo ſie ausſtieg, und in einem Hauſe, welches ihr Ruderer ihr angeprießen hatte, Thee trank. Hier ſchrieb ſie eine ganze Stun - de, und ließ ſich hernach wieder an das Gebaͤude der Tempelherren zuruͤckbringen. So bald ſie ans Land geſtiegen war: ließ ſie ſich durch einen von den Ruderern eine Saͤnfte holen, und ſich ſo, wie des vorigen Abends, wieder zu der Freun - dinn der Witwe tragen. Bey dieſer traf ſie die Witwe wieder an, welche ihr Nachricht gab, daß ihr ſie an dem Tage zweymal geſucht haͤttet.

Fr. Lovick gab ihr daſelbſt den Brief von ih - rer Schweſter(*)Siehe den folgenden XI Brief.: und der Jnhalt deſſelben griff ſie ſo heftig an, daß ſie zweymal einer Ohn - macht ſehr nahe war, und bitterlich weinte, wie mir Fr. Lovick und Fr. Smithinn erzaͤhlten; auch80 auch ſich einige heftigere Ausdruͤckungen gegen ihre Freunde, als ſie jemals von ihren Lippen ge - hoͤrt hatten, entfallen ließ; indem ſie ſie grau - ſam nannte, und uͤber die uͤbeln Dienſte, die man ihr geleiſtet haͤtte, und ſchaͤndliche Nachre - den, die wider ſie ausgebracht waͤren, klagte.

Als ſie noch in ſolcher Unruhe war, kam Fr. Smithinn zu ihr, und meldete, daß ihr zum dritten male da geweſen, und eben damals, eine halbe Stunde nach neunen, weggegangen waͤret, nachdem ihr euch erklaͤret haͤttet, wie hoͤflich und ehrerbietig ihr ſeyn wolltet, aber daß ihr feſt ent - ſchloſſen waͤret, ſie zu ſehen, es moͤchte erfolgen, was da wollte.

Es waͤre etwas hartes, ſagte ſie, daß man ihr nicht goͤnnen wollte, in Friede zu ſterben. Jhr Schickſal waͤre ſtrenge. Sie finge an zu fuͤrchten, daß ſie ſich nicht enthalten moͤchte zu murren, und ihre Strafe fuͤr groͤßer zu achten, als ihren Fehler. Allein ſie faßte ſich alſobald wieder, und troͤſtete ſich ſelbſt damit, daß ihr Le - ben kurz ſeyn wuͤrde, und ſie eines beſſern nach demſelben verſichert waͤre.

Aus dem, was ich angefuͤhret habe, werdet ihr mit mir ſchließen, daß der Brief, welcher ihr von Fr. Lovick gebracht wurde, und deſſen Auf - ſchrift ihr fuͤr ihrer Schweſter Hand erkannt hat - tet, nicht derjenige ſeyn konnte, auf deſſen Jnhalt ſie das, was ſie von ihrer Ruͤckkehr in ihres Va - ters Haus an euch ſchrieb, gruͤndete. Gleich - wohl weiß weder Fr. Lovick, noch Fr. Smithinn,noch81noch die Magd der letztern, von einem andern, der ihr gebracht ſeyn ſollte. Da mich aber die beyden Frauen verſicherten, daß ſie wirklich an euch geſchrieben haͤtte: ſo ward mir der Argwohn, den ich zu hegen angefangen hatte, benommen, daß ihr, zu einer Abſicht, die ich nicht errathen koͤnnte, den Brief von ihr geſchmiedet haͤttet, wo - von ihr mir eine Abſchrift ſandtet.

Am Mittwochen, des Morgens, da ſie euren Brief zur Antwort auf den ihrigen bekam, er - klaͤrte ſie ſich auf folgende Art. Die Nothwen - digkeit mag wohl eine Mutter der Erfindung ge - nannt werden Allein die Noth iſt der Pro - bierſtein der Lauterkeit des Herzens. Jch hoffe, daß ich nicht einen Schritt gethan habe, der nicht zu entſchuldigen ſtehe und nach - dem ſie hier eine oder zwo Minuten inne gehalten hatte, ſetzte ſie hinzu: Nun wird mir vielleicht erlaubt ſeyn, in Friede zu ſterben.

Jch blieb, bis ſie zu Hauſe kam. Es waͤre ihr lieb, ſagte ſie, daß ſie mich ſaͤhe: aber weil ſie ſehr ſchwach waͤre, muͤßte ſie ſich erſt niederſetzen, ehe ſie die Treppe hinaufgehen koͤnnte. So kam ſie in den hintern Laden: indem ſie ſich auf Fr. Lovick ſtuͤtzte. Als ſie ſich niedergeſetzt hatte, ſprach ſie: Es iſt mir lieb, ſie zu ſehen, Herr Belford; das muß ich ſagen Verlaͤumder moͤgen ſagen, was ſie wollen.

Jch wunderte mich uͤber dieſen Ausdruck(*)Er wird in dem folgenden erklaͤret.: wollte ihr aber nicht in die Rede fallen.

O!Siebenter Theil. F82

O! mein Herr, fuhr ſie fort, ich bin jaͤmmer - lich gequaͤlet worden. Jhr Freund, der mich nicht mit Ehren leben laſſen wollte, will mich nicht in Friede ſterben laſſen Sie ſehen, wie ich mich befinde Jſt nicht eine große Veraͤnde - rung in dieſer Woche mit mir vorgegangen? Aber es dienet alles zum Beſten. Jedoch, wenn ich mir das Leben wuͤnſchen ſollte, muͤßte ich ſagen, daß ihr Freund, ihr unmenſchlicher Freund, mir großen Schaden gethan hat.

Sie war ſo gar ſchwach, ſo kurz von Athem, und ihre Worte und die Art, womit ſie ſie vor - brachte, waren ſo ſehr beweglich, daß ich genoͤ - thigt ward, von ihr wegzuſpatzieren. Die bey - den Frauen und ihre Waͤrterinn wandten auch ihre Geſichter weg und weinten.

Jch, gnadige Fraͤulein, verſetzte ich, habe ſeit der Zeit, da ich ſie geſehen, das traurigſte Schau - ſpiel verſchiedne Tage nach einander vor Augen gehabt. Mein armer Freund Belton iſt nicht mehr am Leben. Er verſchied geſtern fruͤhe in ſo ſchrecklicher Todesangſt, daß der Eindruck, den es in mir zuruͤckgelaſſen, mein Gemuͤth ſo geſchwaͤ - chet hat Jch wollte ſie nicht gern auf die Gedanken bringen, daß meine Betruͤbniß von der Schwachheit, worinn ich ſie ſahe, herruͤhrte, aus Furcht, ich moͤchte dadurch ihren Muth nieder - ſchlagen.

Das dienet nur dazu, Herr Belford, fiel ſie mir in die Rede, daß es geſtaͤrket werde: wo - fern der Eindruck gehoͤrig angewandt wird Es83Es wuͤrde mir aber lieb ſeyn, weil ſie durch den wichtigen Umſtand in ſo gerechte Regungen der Menſchheit geſetzt ſind, wenn ſie in der Schreib - art und Einkleidung, welche ſie ſo vollkommen in ihrer Gewalt haben, ihrem luſtigen Freunde eine Nachricht davon haͤtten zuſchreiben koͤnnen. Wer weiß, da ſie durch einen Mitgenoſſen und von einem Mitgenoſſen gekommen ſeyn wuͤrde, wie ſie ihn geruͤhret haben moͤchte?

Jch eroͤffnete ihr, daß ich es wirklich gethan haͤtte, und zwar auf eine ſolche Art, die, wie ich glaubte, nicht ohne Wirkung bey euch waͤre.

Seine noch ſo neuliche Auffuͤhrung in dieſem ehrlichen Hauſe, antwortete ſie, und ſeine grauſa - me Verfolgung meiner Perſon geben nur ſehr wenige Hoffnung, daß irgend etwas ernſthaftes oder wichtiges ihn ruͤhren werde.

Wir hatten einige Unterredungen uͤber Bel - tons Bezeigen bey dem Sterben, und ich erzaͤhlte ihr verſchiedne Umſtaͤnde von der Ungedult und Verzweifelung des armen Mannes. Sie war ſehr aufmerkſam darauf, und machte artige An - merkungen uͤber den Aufſchub der Buße.

Jndem wir noch mit einander redeten, ward ihr ein Brief und ein Packet durch einen Kerl zu Pferde von der Fraͤulein Howe gebracht. Sie ging hinauf, ihn zu leſen: und da ich mit Fr. Smithinn und Fr. Lovick im Geſpraͤch begriffen war, kamen der Arzt und der Apotheker beyde zu - gleich herein. Dieſe bekraͤftigten meine Furcht wegen des gefaͤhrlichen Zuſtandes, in welchem ſieF 2ſich84ſich befindet. Sie hatten beyde die neuen Pro - ben der Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde, und eu - rer Verfolgungen erfahren: und der Arzt ſagte, er wollte um aller Welt willen nicht der unver - ſoͤhnliche Vater der Fraͤulein, oder der Mann ſeyn, der ſie in dieß Ungluͤck gebracht haͤtte. Jhr Herz iſt gebrochen, ſprach er: ſie wird ſterben; ihr iſt nicht zu helfen. Wie ich mich aber nach - her beruhigen ſollte, wenn ich entweder der eine oder der andere von denen Leuten waͤre, die ich ge - nannt habe, das kann ich nicht ſagen.

Da ſie hoͤrte, daß wir alle drey beyſammen waren, ließ ſie uns bitten, hinauf zu kommen. Sie ſtand auf, uns zu empfangen, und nachdem ſie zwo oder drey allgemeine Fragen wegen ihrer Geſundheit beantwortet hatte, redete ſie uns auf folgende Art an.

Da ich ſie drey, meine Herren, nicht wieder beyſammen ſehen mag: ſo erlauben ſie mir, dieſe Gelegenheit zu ergreifen, und meine Verbindlich - keit gegen ſie alle zu erkennen. Jch bin ihnen, mein Herr, und ihnen, mein Herr Sie neig - te ſich gegen den Arzt und Herrn Goddard fuͤr ihre mehr als freundſchaftliche, ihre vaͤterli - che Fuͤrſorge und Bemuͤhung fuͤr mich unaus - ſprechlich verbunden. Bey der Wiſſenſchaft, welche ſie treiben, darf ich wohl ſagen, iſt die Leut - ſeligkeit gar nicht eine ſeltne Eigenſchaft; weil ſie ſelbſt ihrer Verrichtung nach liebreiche Leute ſind: allein ſo viele Guͤte, ſo viele Hoͤflichkeit, als mir von ihnen beyden widerfahren iſt, iſtwohl85wohl niemals einer verlaſſenen Perſon widerfah - ren. Jch habe aber in der That allemal bemer - ket, daß, wo ſich jemand auf die Fuͤrſehung ver - laͤſſet, ſie ſich niemals entbricht, ſtatt eines alten Freundes, der abgehet, einen neuen zu erwecken.

Dieſer Cavallier Sie buͤckte ſich gegen mich der, wie einige Leute denken, einer von den letzten haͤtte ſeyn ſollen, denen ich die Vollzie - hung meines Teſtaments aufzutragen gedacht ha - ben ſollte iſt nichts deſto weniger der einzige, den ich waͤhlen kann; ſo wunderlich haben ſich die Dinge geaͤndert! Daher habe ich ihn zu dieſem Liebesdienſt gewaͤhlet, und er iſt ſo guͤtig geweſen, ihn anzunehmen: denn ſo reich ich mich zu ſeyn ruͤhmen mag; ſo bin ich es doch gegenwaͤrtig viel - mehr dem Rechte nach, als in der That. Jch wiederhole alſo meine gehorſamſte Dankſagung ihnen allen dreyen, und bitte Gott, daß er Jhnen und den Jhrigen; ſie ſahe einen jeden hiebey an; die Guͤte und Gewogenheit, welche ſie mir erzei - get haben, hundertfaͤltig vergelte, und daß es bis an das Ende der Zeit in Jhrem und der Jhrigen Vermoͤgen ſtehen moͤge, vielmehr Wohlthaten zu erzeigen, als genoͤthigt zu ſeyn, ſie anzunehmen. Dieß iſt ein der Gottheit aͤhnliches Vermoͤgen, meine Herren. Jch habe mich ſonſt deſſelben in einem kleinen Maaße zu erfreuen gehabt: und noch weit mehr habe ich mich uͤber die Hoffnung, die ich vor mir hatte, daß es bey mir vergroͤßert wer - den ſollte, erfreuet; ob ich gleich die Kraͤnkung gehabt habe, das Blatt gewandt zu ſehen, undF 3bey -86beynahe allen und jeden, die ich geſehen oder an - getroffen habe, verbunden zu werden. Aber al - les iſt urſpruͤnglich meine eigne Schuld: deswe - gen muß ich die Strafe billig ohne Murren tra - gen; und das thue ich auch, wie ich hoffe. Verzeihen ſie mir dieſe Betrachtungen, die ſich itzo ſo wenig ſchicken. Ein dankbares Herz, dem das erwuͤnſchte Vermoͤgen fehlet, ſich ſeinen eig - nen Trieben gemaͤß auszudruͤcken, wird ſchwerlich wiſſen, was es eigentlich der Zunge zu ſagen vor - ſchreiben ſoll. Da es ſich aber dennoch nicht er - wehren kann uͤberzufließen: ſo wird es ſie noͤthi - gen, lieber ſchlechte und ungeſchickte Dinge zu ſa - gen, als den Schein eines undankbaren. Still - ſchweigens anzunehmen. So danke ich ihnen al - len dreyen denn noch einmal fuͤr ihre Guͤte gegen mich: Gott der Allmaͤchtige vergelte ihnen, was ich gegenwaͤrtig nicht vergelten kann!

Sie begab ſich mit thraͤnenvollen Augen von uns weg in ihr Cloſet, und verließ uns ſo, daß wir uns einander bloß anſahen.

Wir waren kaum wieder zu uns ſelbſt ge - kommen, als ſie ganz geruhig, munter und laͤ - chelnd zu uns zuruͤckkehrte. Herr Doctor, ſagte ſie, weil ſie ſahe, daß wir geruͤhret waren, Sie werden mich wegen der Beyſorge, die ich ihnen verurſache, entſchuldigen. Das werden auch Sie, Herr Goddard, und Sie, Herr Belford, thun. Denn es iſt eine Beyſorge, die nur Gemuͤther von edler Art zeigen koͤnnen: und ſolchen Gemuͤ - thern iſt der Kummer, welcher mit einer ſolchenBey -87Beyſorge verknuͤpft iſt, ſuͤß, wenn ich ſo ſagen darf. Da ich aber noch einige wenige Vorberei - tungen zu machen habe, und nicht gern; ob es gleich zur Erleichterung der kuͤnftigen Muͤhe des Herrn Belfords, welche ein Theil meiner Bemuͤ - hung iſt und billig ſeyn muß, dienen ſollte; mehr unternehmen moͤchte, als mir wahrſcheinlicher Weiſe auszufuͤhren Zeit gegoͤnnet ſeyn wird: ſo wollte ich ſie bitten, mir ihre Meynung zu ſagen, wie lange es noch vielleicht wehren moͤchte, ehe ich hoffen mag, von allen meinen Beſchwerden erloͤ - ſet zu werden. Sie ſehen meine Lebensart und koͤnnen verſichert ſeyn, daß ich mit Wiſſen und Willen nichts thun werde, wodurch ich meine Ta - ge verkuͤrzen moͤchte.

Sie waren beyde unſchluͤßig und ſahen ein - ander an. Fuͤrchten ſie ſich nicht, mir zu ant - worten, ſetzte ſie daher hinzu, und druͤckte mit der einen Hand den Arm des einen, und mit der an - dern den Arm des andern; mit derjenigen Mi - ſchung von Freyheit und Beſcheidenheit, welche nur allein eine jungferliche Sittſamkeit, wenn ſie mit dem Bewußtſeyn erhabener Vorzuͤge verbun - den iſt, ausdruͤcken kann; und mit einem freund - lich ernſthaften Blicke: Sagen ſie mir, wie lan - ge ich es noch nach ihren Gedanken halten moͤge, und glauben ſie mir, meine Herren, daß ſie mir deſto mehr Vergnuͤgen machen werden, je kuͤrzer das Ziel meiner Tage iſt, das ſie mir nach der Wahrſcheinlichkeit anzeigen.

F 4Mit88

Mit was fuͤr angenehmen Schmerzen, ant - wortete der Arzt, erfuͤllen ſie die Gemuͤther derer - jenigen, welche das Gluͤck haben, mit ihnen um - zugehen, und die gluͤckliche Faſſung, in der ſie ſich befinden, zu ſehen! Das, was ſie binnen wenigen verwichnen Tagen ausgeſtanden haben, hat ihnen vielen Schaden gethan. Sollten ſie neue Be - ſchwerden von der Art haben: ſo koͤnnte ich nicht dafuͤr ſtehen, daß ſie es laͤnger halten wuͤrden, als Hier hielt er inne.

Wie lange, Herr Doctor? Jch glaube, ich werde noch ein wenig Unruhe haben Mir iſt bange davor Aber es kann mir nur eines begegnen, das ich nicht ziemlich geruhig er - tragen werde. Wie lange denn, mein Herr?

Er ſchwieg ſtille.

Vierzehn Tage, mein Herr?

Er ſchwieg noch ſtille.

Zehn Tage? Eine Woche? Wie lange, mein Herr? fragte ſie mit laͤchelnder Ernſt - haftigkeit.

Wenn ich reden muß, gnaͤdige Fraͤulein: ſo bin ich beſorgt, wofern man nicht beſſer mit ihnen umgehet, als man vor kurzem mit ihnen umgegan - gen iſt Hier brach er wieder ab.

Wovor beſorgt, Herr Doctor? Seyn ſie nicht beſorgt Wie lange, mein Herr?

Daß vierzehn Tage oder drey Wochen die Welt ihrer feineſten Blume berauben werde.

Noch89

Noch vierzehn Tage, oder drey Wochen, Herr Doctor! Jedoch des Herrn Wille geſchehe! Jch werde inzwiſchen auf dieſe Art vollkommen Zeit haben, wenn ich nur Kraͤfte und Verſtand behalte, alles zu thun, was ich zu thun im Sinue habe. Und ſo, meine Herren; ſie wandte ſich zu einem jeden von uns; kann ich ihnen nur noch einmal fuͤr alle ihre Guͤte gegen mich Dank ſa - gen, und, da ich Briefe zu ſchreiben habe, ihnen nicht mehr Zeit wegnehmen Nur haben ſie die Gewogenheit, Herr Doctor, mir noch etwas von denen Tropfen zu verſchreiben: ſie geben mir einige Erleichterung, wenn ich matt bin. Zu - gleich ſteckte ſie ihm die gewoͤhnliche Bezahlung in die Hand, welche er anzunehmen ſich weigerte. Sie wiſſen, mein Herr, was wir fuͤr Abrede genommen haben! Darauf wandte ſie ſich zu dem Herrn Goddard: Sie werden ſo gut ſeyn, mein Herr, gegen Abend oder morgen fruͤ - he, wie es ihnen bequem iſt, bey mir anzuſpre - chen: und ſie, Herr Belford, weiß ich, werden gern ausreiſen wollen, die Zubereitung zu dem letzten Liebesdienſt gegen ihren verſtorbenen Freund zu machen; alſo wuͤnſche ich ihnen eine gluͤckli - che Reiſe, und hoffe, ſie wieder zu ſehen, wenn der - ſelbe vollzogen iſt.

Hierauf entfernte ſie ſich mit muntern und freundlichen Blicken. Die beyden Herren gingen mit einander weg. Jch ging hinunter zu den Frauensleuten, und fand auf meine Nachfrage, daß Fr. Lovick ihr an eben dem Tage noch zwan -F 5zig90zig Guineas fuͤr einen andern von ihren Anzuͤgen bringen wuͤrde.

Die Witwe erzaͤhlte mir, daß ſie ſich die Freyheit genommen haͤtte, ihr wegen der Urſa - che, weswegen ſie dieß Geld mit ſo großem Ver - luſt aufzubringen noͤthig achtete, Einwendungen zu machen: und das verurſachte folgende kurze und ruͤhrende Unterredung zwiſchen ihnen.

Keine von meinen Anverwandtinnen wird et - was von meinen Sachen tragen, ſprach die Fraͤu - lein. Jch werde viele gute Sachen hinterlaſſen. Was aber die Angelegenheit betrifft, wozu ich Geld brauche: ſo wundern ſie ſich nicht; allein ſetzen ſie, daß ich es gebrauche, ein Haus zu kaufen.

Sie reden lauter Geheimniſſe, wertheſte Fraͤu - lein: ich verſtehe ſie nicht.

Wohlan denn, Fr. Lovick, ich will mich er - klaͤren. Jch habe einer Mannsperſon, nicht ei - nem Frauenzimmer die Vollziehung meines letz - ten Willens aufgetragen. Denken ſie aber, daß ich irgend etwas, das meine Perſon ſelbſt betrifft, ſeiner Fuͤrſorge uͤberlaſſen werde? Nun, Fr. Lovick, ſetzte ſie mit Laͤcheln hinzu, verſtehen ſie mich itzo?

Fr. Lovick weinte.

O pfuy! fuhr die Fraͤulein fort, indem ſie ihr die Thraͤnen mit ihrem eignen Schnupftuch ab - wiſchte und ihr einen Kuß gab Was ſoll dieſe freundſchaftliche Weichherzigkeit gegen eine Perſon, mit der ſie eine ſo kurze Zeit bekannt ge -weſen91weſen ſind? Liebe, gute Fr. Lovick, betruͤben ſie ſich meinetwegen nicht uͤber eine bevorſtehende Veraͤnderung, woruͤber ich Urſache habe vergnuͤgt zu ſeyn: ſondern gehen ſie morgen zu ihren Freun - dinnen, und bringen mir das Geld, das ſie ihnen zu geben einig geworden ſind.

So, Lovelace, iſt offenbar, daß ſie ſich ihr letztes Haus zu beſtellen gedenket! Hier iſt ein geſetztes Gemuͤth! Hier iſt ein ruhiges Herz! Dieß iſt in der That Großmuth! Koͤnnteſt du, oder konnte ich, mit aller unſerer ungeſtuͤmen Herzhaftigkeit und allem unſern feindſeligen und falſchen Muth, wohl ſo handeln? Armer Belton! wie ungleich war dein Bezeigen!

Fr. Lovick ſagt mir, daß die Fraͤulein von ei - nem Briefe geredet, den ſie, wehrend meiner Ab - weſenheit, von dem bey ihr am hoͤchſten geachte - ten Geiſtlichen, D. Lewin, bekommen; und von einer Antwort, die ſie darauf gegeben haͤtte. Aber Fr. Lovick weiß, weder von dieſer, noch von jener, den Jnhalt.

Wenn du dieſen Brief empfaͤngeſt: ſo wirſt du ſehen, was bald das Ende von allen Beleidi - gungen ſeyn wird, die du gegen dieſe goͤttliche Fraͤulein veruͤbet haſt. Jch ſage, wenn du ihn empfaͤngeſt: denn ich will ihn noch auf eine kleine Zeit zuruͤckbehalten; damit du dir nicht, unter dem Vorwand, dich wegen der falſchen Hoff - nung, die dir der Brief von ihr machen muß, zu raͤchen, in den Kopf kommen laſſeſt, ſie wiederum zu beunruhigen.

Weil92

Weil dieſer Brief mich durch ſeine Weitlaͤuf - tigkeit aufgehalten hat: ſo werde ich erſt morgen nach Epſom abgehen.

Jch haͤtte dir melden ſollen, daß die Fraͤulein ſich gegen mich erklaͤrte, was das eine waͤre, wes - wegen ſie ſich fuͤrchtete, Unruhe zu haben. Es war die Furcht vor dem, was ein Beſuch, wel - chen der Obriſt Morden, wie ſie Nachricht hat, bey euch abzulegen willens iſt, nach ſich ziehen moͤchte.

Der neunte Brief von dem Hochehrwuͤrd. D. Lewin an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Weil ich mich auf Jhre vorige Gewogenheit, wertheſte und allezeit verehrungswuͤrdige Fraͤulein, und auf Jhre gute Meynung von mei - ner Einſicht und Aufrichtigkeit verlaſſe: ſo kann ich mich nicht enthalten, bey Jhren gegenwaͤrtigen und ungluͤcklichen Umſtaͤnden einige Zeilen an Sie zu richten.

Jch will nicht auf die Maaßregeln zuruͤckge - hen, zu welchen Sie entweder gefuͤhret oder ge - trieben ſind: ſondern will nur, in Abſicht auf dieſe, das einzige anfuͤhren, daß ich Sie unterallen93allen jungen Frauenzimmern, die jemals von gluͤck - lichen zu ungluͤcklichen Umſtaͤnden herunterge - bracht ſind, am wenigſten fuͤr tadelnswuͤrdig hal - te. Jch habe auch nicht ermangelt, eben dieſes da zu ſagen, wo ich mir zu einer beſſern Aufnah - me meiner Freyheit Hoffnung machte, als ich wirklich zu finden den Verdruß gehabt habe.

Das, warum ich itzo vornehmlich ſchreibe, iſt, Sie zu bereden, daß Sie ſich ſelbſt und Jhrem Geſchlechte durch eine Anklage wider das Leben des ruchloſeſten und verderbteſten Menſchen, wie derjenige ſeyn muß, der ſo ſchaͤndlich, als Herr Lovelace nach dem, was ich vernommen habe, ge - gen Sie gehandelt hat, handeln konnte, ein Stuͤck der Gerechtigkeit leiſten: ich bin verſichert, daß ſein Leben in ihrer Gewalt ſey.

Jch befinde mich ſehr ſchlecht, und bin itzo genoͤthigt, auf meinem Hauptkuͤſſen zu ſchreiben. Meine Gedanken ſind verwirret, und laſſen keine Ordnung zu. Jch will daher auf keine Ordnung ſehen: ſondern Jhnen nur uͤberhaupt meine Mey - nung eroͤffnen. Dieſe geht dahin, daß Jhre Gottesfurcht, Jhre Pflicht gegen Jhre Familie, die Pflicht, welche Sie Jhrer Ehre, und ſelbſt die Liebe, welche Sie Jhrem Geſchlechte ſchuldig ſind, Sie verbinde, gegen dieſen recht gottloſen Menſchen oͤffentlich Zeugniß zu geben.

Erlauben Sie mir, noch einen betraͤchtlichen Grund beyzufuͤgen: die Verhuͤtung des Ungluͤcks, welche auf dieſe Weiſe geſchehen kann; des Un - gluͤcks, das ſonſt zwiſchen Jhrem Bruder undHerrn94Herrn Lovelace, oder zwiſchen dem letztern und Jhrem Vetter Morden entſtehen mag, welcher, wie ich hoͤre, nun angekommen iſt, und beſchloſ - ſen hat, daß Jhnen Gerechtigkeit widerfahren ſoll.

Dieß iſt eine Betrachtung, die Jhr Gewiſ - ſen billig ruͤhren muß: verzeihen Sie mir, wer - theſte Fraͤulein, ich denke, daß ich nun meine Pflicht thue. Es iſt eine Betrachtung, woran Jhnen mehr gelegen ſeyn muß, als an der großen Gewalt, welche bey einer ſolchen Fraͤulein, als Sie ſind, ihrer Sittſamkeit, wie ich weiß, dadurch ge - ſchehen muß, daß Sie gegen ihn oͤffentlich vor Gericht erſcheinen ſollen. Dieſes, ſtelle ich mir vor, wird die Hauptſchwierigkeit ſeyn, welche Sie dagegen zu machen haben. Allein, gnaͤdige Fraͤu - lein, ich weiß, daß Sie erhabene Vorzuͤge genug beſitzen, ihre Schamhaftigkeit der unverdeckteſten Wahrheit aufzuopfern, wenn es Noth, Gerech - tigkeit und Ehre von Jhnen fordern. Liederli - che Leute, und diejenigen, welche unſchuldigen Frauenzimmern Gewalt thun, wuͤrden in der That, und am meiſten von denen, die den groͤß - ten Abſcheu vor ihren Handlungen haͤtten, aufge - muntert werden: wenn die verletzte Sittſamkeit ſich niemals uͤber das Unrecht beklagen ſollte, das ihr von den ſchaͤndlichen Leuten, welche ſie an - greifen, widerfahren iſt.

Mit einem Worte, die Erſetzung der Schan - de, welche Jhrer Familie angethan iſt, beruhet itzo auf Jhrem eignen Entſchluſſe: und ſie kannnur95nur durch eines von dieſen beyden Mitteln erſetzet werden, daß Sie ihn entweder heyrathen oder vor Gericht verfolgen. Herbe Mittel fuͤr eine ſo zaͤrtliche Seele, als Sie beſitzen.

Er, und alle ſeine Freunde, wie ich verneh - me, ſuchen Sie zu dem erſtern zu bewegen: und es iſt nunmehr gewiß das einzige Mittel, welches in ſeiner Gewalt ſtehet, das veruͤbte Unrecht wie - der gut zu machen. Allein ich bin verſichert, daß Sie ihr und ſein Geſuch mit dem Unwillen und der Verachtung, welcher ſeine ſchaͤndliche Hand - lungen wuͤrdig ſind, verworfen haben, dennoch aber ſich nicht weigern, die chriſtliche Vergebung, die er ſo wenig zu erwarten Urſache hat, ſich auch auf ihn erſtrecken zu laſſen, wofern er Sie nur nicht weiter beunruhigen will.

Aber, gnaͤdige Fraͤulein, die gerichtliche Be - langung, wozu ich rathe, wird dazu dienen, daß Jhre gegenwaͤrtige und zukuͤnftige Sicherheit vor neuer Beunruhigung von einem ſo ſchaͤndlichen Menſchen, der Jhnen beſchwerlich ſeyn will, nicht auf ſeine Hoͤflichkeit ankomme. Jch ſollte ge - denken, ein ſo edler und ſo wohl angefuͤhrter Geiſt, als der Jhrige iſt, wuͤrde nicht zugeben, daß es auf dieſelbe ankommen ſollte, wenn Sie es aͤn - dern koͤnnten.

Und koͤnnen unanſtaͤndige Handlungen, ſie moͤgen ſeyn, von welcher Art ſie wollen, auch wohl eigentlich vergeben werden, ehe wir es in un - ſerer Gewalt haben, ſie zu beſtrafen? Wenn wir bezeugen, daß wir ſie verzeihen, ſo lange wirnoch96noch unter der Quaal und Schande von denſelben arbeiten: ſo wird das von einigen bloß fuͤr eine großprahleriſche Barmherzigkeit eines kleinmuͤ - thigen Herzens, das ſie aus bebender Furcht nicht beſtrafet, angeſehen werden. Das Mittel, wel - ches ich vorſchlage, iſt hart: aber welche Strafe kann haͤrter ſeyn, als die Jhnen widerfahrne Be - leidigung? Oder wie wird man glauben, daß uns Beleidigungen ſchmerzen, woruͤber wir uns nie - mals auf eine anſtaͤndige Art beklagen?

Jch bin verſichert, Fraͤulein Clariſſa Harlo - we mag noch ſo ſehr beleidigt und unterdruͤcket ſeyn, Sie bleibt doch in Jhren Grundſaͤtzen von Ehre und Tugend unbeweget: und wenn. Sie gleich lieber ſterben wollte, als verdienen, daß Jhre Sittſamkeit in Zweifel gezogen werde; ſo wird Sie doch keine Wahrheit der Sittſamkeit zuwider achten, welche zur Rettung der Unſchuld und Keuſchheit geaͤußert werden muß. Wenig, gar wenig Unterſchied, wertheſte Fraͤulein, iſt zwi - ſchen einem unterdruͤckten und einem falſchen Zeugniſſe.

Es iſt ein ſchrecklicher Umſtand, ich geſtehe es noch einmal, fuͤr ein junges Frauenzimmer von Jhrer zaͤrtlichen Gemuͤthsart, daß ſie genoͤ - thigt iſt, eine ſo anſtoͤßige Begebenheit vor oͤffent - lichem Gerichte zu erzaͤhlen: allein es iſt ein noch weit aͤrgerer Vorwurf, daß ſie eine ſo toͤdtliche Beleidigung unempfunden hingehen laſſen ſollte.

Gewiſſen, Ehre, Gerechtigkeit und die Fuͤr - ſorge des Himmels ſind auf Jhrer Seiten: unddie97die Sittſamkeit wuͤrde von einigen nur fuͤr einen leeren Namen gehalten werden, wenn Sie ſich weigern ſollten, den Vorſchriften dererſelben zu gehorchen.

Man hat mich in dieſem Stuͤcke zu Rathe ge - zogen: das geſtehe ich. Jch habe meine Mey - nung dahin ertheilet, daß Sie den verruchten Menſchen gerichtlich belangen ſollten: aber ohne meine Gruͤnde anzugeben. Dieſe behielte ich zu - ruͤck, mit der Entſchließung, ſie ohne jemandes Wiſſen Jhnen vorzulegen: damit der Ausſchlag, wenn er das waͤre, was ich wuͤnſche, Jhnen ſelbſt zuzuſchreiben ſeyn moͤchte.

Jch will nur noch beyfuͤgen, daß das Ungluͤck, welches Sie befallen hat, mich nicht mehr haͤtte betruͤben koͤnnen, wenn es das Schickſal meines eignen Kindes geweſen waͤre, als es mich nun, da es Jhr Ungluͤck iſt, betruͤbet hat. Mein eignes Kind liebe ich: aber Sie liebe und ehre ich zu - gleich. Denn wenn man Sie liebet: ſo liebet man Tugend, Verſtand, Klugheit und alles, was an einem Frauenzimmer gut und edel iſt.

Da ich denke, daß dieß alles durch die Be - leidigungen, welche Jhnen widerfahren ſind, ver - letzet ſey: ſo werden Sie glauben, daß die Wiſ - ſenſchaft von Jhrem Ungluͤck mehr, als ich auszu - druͤcken vermoͤgend bin, betruͤbet haben muͤſſe

Jhren aufrichtigen Bewunderer und gehor - ſamſten Diener, Arthur Lewin.

Siebenter Theil. GJch98

Jch vernehme eben itzo, daß Jhre Schweſter Jh - nen in ihrem eignen Namen dieſe gerichtliche Belangung vorſchlagen will. Jch vermuthe in geziemender Hochachtung, daß die Urſache, warum Sie ſich nicht alſobald entſchloſſen ha - ben, dieſen Schritt zu thun, dieſe geweſen ſey, weil Sie nicht gewußt, daß Jhre Verwand - ten es billigen und unterſtuͤtzen wuͤrden.

Der zehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an den Hoch - ehrwuͤrd. D. Lewin.

Hochehrwuͤrdiger und wertheſter Herr.

Ehe ich Jhren geneigten und willkommenen Brief empfing, dachte ich, daß ich weder Vater, Onkel, Bruder, noch irgend einen Freund unter meinen vorigen Goͤnnern von Jhrem Ge - ſchlechte uͤbrig haͤtte. Jedoch da ich Sie ſo wohl kannte und keine Urſache hatte, mir ſelbſt einen laſterhaften Willen vorzuwerfen: ſo war ich zu tadeln; wenn ich auch gezweifelt haͤtte, ob Jhre gute Meynung von mir noch waͤhrte; daß ich mich entzog, den Verſuch zu machen, ob ich ſiever -99verſcherzt haͤtte oder nicht; und wenn ich ſie ver - ſcherzt haͤtte, ob ich mich nicht auf eine anſtaͤn - dige Art wieder in dieſelbe ſetzen koͤnnte.

Allein, mein Herr, es hatte verſchiedne Urſa - chen, warum ich es nicht that. Theils war es Schaam, wenn ich bedachte, in was fuͤr großer Achtung ich in meinen gluͤcklichen Tagen bey Jh - nen ſtand, und wie tief ich in derſelben gefallen ſeyn mußte, da mich diejenigen aufgaben, welche mit mir eine ſo viel naͤhere Verwandtſchaft hatten: theils war es großer Bedruck, welcher das ge - demuͤthigte Herz mistrauiſch macht, und ins be - ſondre das meinige furchtſam machte, ſich die guͤ - tige Geſinnung des Jhrigen anzumaßen, die mir in gewiſſer Maaße alle die werthen und verlohr - nen Anverwandten, welche ich genannt habe, er - ſetzt haben wuͤrde.

Außerdem war ich bisweilen ſo beſorgt, daß man denken moͤchte, ich wollte gegen diejenigen, gegen welche mir ſo wohl Pflicht als Zuneigung Ehrfurcht auflegten, eine Parthey machen; ſo lange zwiſchen Zweifel und Hoffnung hin und her getrieben; ſo wenig mir ſelbſt gelaſſen zu einer Zeit; ſo furchtſam zu einer andern, daß ich Ungluͤck anrichten oder veranlaſſen moͤch - te; und, da ich nicht durch eine geneigte Nach - richt von Jhnen aufgemuntert wurde, zu hof - fen, daß es Jhnen angenehm ſeyn wuͤrde, wenn ich mich an Sie wendete; beſorgt, meineG 2Ver -100Verwandten moͤchten Sie wenigſtens zum Still - ſchweigen beredet haben(*)Der kaltſinnige Beſuch, welchen dieſer gute Geiſt - liche beredet war bey ihr abzulegen, wie im II Theile, S. 275 u. f. gedacht iſt, woran jedoch ihre Großmuth nicht zuließ, ihn zu erinnern, mochte der Fraͤulein Grund an die Hand geben, zu ge - denken, daß er vielmehr zu jener Partey, weil ſie die Seite war, auf welcher die Eltern ſtunden, als zu der ihrigen geneigt waͤre..

Dieſe Jedoch wozu nun dieſe unnuͤtze Erinnerungen des Vergangenen? Jch ſollte un - gluͤcklich ſeyn damit ich gluͤcklich waͤre: das iſt meine Hoffnung. Weil ich mich alſo mit dieſer Hoffnung beruhige: ſo will ich ohne eine weitere Vorbereitung zur Antwort auf den Jnhalt Jhrer geneigten Zuſchrift einige wenige Zeilen ſchreiben; wofern ich nur, da ich an Sie ſchrei - be, wenig ſchreiben kann.

Erlauben Sie mir dann, mich zu erklaͤren, daß ich glaube, Jhre Gruͤnde wuͤrden in einem jeden andern Fall von dieſer Art unbeantwort - lich geweſen ſeyn, nur nicht in demjenigen, der die ungluͤckliche Clariſſa Harlowe betrifft.

Es iſt gewiß, daß Perſonen, welche keine oͤf - fentliche Beſchaͤmung ertragen koͤnnen, ge - doppelt ſorgfaͤltig bedenken ſollten, wie ſie ſich der Gefahr ausſetzen, in einem geheimen Fehltritt zu gerathen, der ſie vielleicht in jene Schaam brin - gen mag. Was aber mich ſelbſt anlanget: ſo ſetzen Sie, daß von dem hinfaͤlligen Zuſtande,worinn101worinn ich mich in Anſehung meiner Geſundheit befinde, keine Einwendungen herzunehmen waͤren; ſetzen Sie auch, daß ich mich ſelbſt haͤtte uͤber - winden koͤnnen, gegen dieſen Menſchen vor Ge - richt zu erſcheinen; war denn aber nicht Raum, zu befuͤrchten, daß die Abſicht, welche von meinen Freunden ſo ſehr gewuͤnſchet wird, ſeine verdiente Strafe, nicht erhalten ſeyn wuͤrde, wenn es an den Tag gekommen waͤre, daß ich ihm eine heimliche Zuſammenkunft verſtattet haͤtte, und dieſer zu Folge durch meine eigne Schwachheit beruͤckt und mir ſelbſt geraubet waͤre, auch ferner nicht im Stande geweſen, zu vermeiden, daß ich nicht ver - ſchiedne Wochen unter einem Tache mit ihm leb - te; welches ich nicht allein ohne Klage, ſondern auch ohne Urſache zu klagen that.

Vor einem Gerichte, das vielleicht durch Zuſammenrottung umgetrieben und verruchter Weiſe zu einem Spiel gemacht waͤre, wuͤrden ei - nige von denen Vorſtellungen zu meinem Behuf, die außer Gerichte und vor einer beſondern und ernſthaften Verſammlung das groͤßte Ge - wicht gehabt haben wuͤrden, wenig zu ſtatten ge - kommen ſeyn: als, ins beſondere, die ſchaͤnd - lichen Wege, ſeine Abſichten zu erreichen, zu wel - chen er ſeine Zuflucht genommen hat.

Es wuͤrde ſonder Zweifel eines jeden Mund fertig und bereit geweſen ſeyn, den Gegenvorwurf zu machen, daß ich mich einem ſolchen Menſchen nicht in ſeine Gewalt haͤtte geben ſollen, und daßG 3ich102ich das, was mich befallen haͤtte, fuͤr meine ver - diente Strafe anſehen muͤßte.

Allein waͤre auch die Anklage mit gutem Er - folg fortgetrieben, und er ſo gar zum Tode ver - urtheilet worden: kann man wohl gedenken, daß ſeine Familie nicht Anſehen genug gehabt ha - ben wuͤrde, ſeine Begnadigung fuͤr ein Verbre - chen zu erhalten, welches man fuͤr allzu geringe anſiehet, ob es gleich eines der groͤßten iſt, das ge - gen eine Perſon, die ihre Ehre hoͤher achtet, als ihr Leben, begangen werden kann; da man unterdeſſen wider mich ein unguͤtiges Urtheil wuͤr - de gefaͤllet haben, daß ich einen Menſchen, der mir beyzeiten alle ihm moͤgliche Erſtattung ange - boten, mit blutduͤrſtigen Abſichten vor Gericht verfolgte?

Waͤre er aber begnadigt worden: wuͤrde er alsdenn nicht die voͤllige Freyheit gehabt haben, eben ſo viel Unheil, als jemals, anzurichten?

Jch darf es zuverſichtlich ſagen, mein Herr: die Kuͤhnheit des Menſchen, dem mich mein un - gluͤckliches Schickſal in die Haͤnde geworfen hat, iſt ſo groß, und ſein Groll gegen meine Familie, die alsdenn erſchienen ſeyn wuͤrde, ſich durch ihre bekannte Erbitterung gegen ihn und durch ihr ernſtliches Beſtreben, ihm das Leben zu nehmen, wegen ihres Verfahrens mit mir zu rechtfertigen, iſt ſo heftig, daß er nicht ungern eine bequeme Gelegenheit gehabt haben wuͤrde, mich und mei - nen Vater, meine Onkels und meinen Bruder bey einem ſolchen Vorfall zu einem Verhoͤr vordem103dem Richterſtuhl gegen einander zu ſtellen. Wuͤr - den denn nicht in dem Fall, auf ſeine Losſprechung oder Begnadigung, die Erbitterungen an beyden Seiten hoͤher getrieben ſeyn? Und wuͤrde als - denn mein Bruder, oder mein Vetter Morden mehr in Sicherheit geweſen ſeyn, als itzo?

Wie viel ſchwerer machen dieſe Betrachtun - gen meinen Fehler? Meine Bewegungsgruͤnde waren freylich anfangs nicht zu tadeln: allein ich hatte die vortreffliche Lehre vergeſſen, die mir doch nicht unbekannt war, daß wir nichts Boͤſes thun ſollen, damit etwas Gutes daraus ent - ſpringen moͤge.

Jn vollkommener Ueberzeugung von der Lau - terkeit meines Herzens und von der Beſtaͤndig - keit in meinen guten Grundſaͤtzen Warum ſoll ich nicht, da ich ſo aufgefordert werde, dasje - nige ſagen, deſſen ich mir bewußt bin, jedoch ohne Stolz? denn es iſt alles nur eine Pflicht und ich wuͤrde gaͤnzlich ohne Entſchuldigung ſeyn, wenn ich das, was ich ſage, nicht mit Recht ſa - gen koͤnnte; Jn dieſer vollkommenen Ueber - zeugung hat er mir die Ehe angeboten. Er hat ſeine Reue bekannt: eine aufrichtige Reue, wie ich Urſache habe zu glauben, ob gleich vielleicht keine chriſtliche Reue. Seine edle Verwand - ten, welche gegen die arme und bedraͤngte Perſon guͤtiger ſind, als ihre eigne Angehoͤrigen, haben ſich auch aus eben dieſer Ueberzeugung, und auf ſeine eigne nicht unedelmuͤthige Bekenntniſſe, mit ihm vereinigt, Fuͤrbitte bey mir zu thun, daß ichG 4ihm104ihm vergeben und ſeine Hand annehmen moͤch - te. Das letzte Stuͤck ihrer Fuͤrbitte kann ich zwar nicht erfuͤllen: aber haben Sie, mein Herr, mich nicht nach den beſten Regeln und den goͤtt - lichſten Beyſpielen gelehret, Beleidigungen zu vergeben?

Die Beleidigung, welche mir von ihm wider - fahren iſt, iſt freylich von der wichtigſten Art und war mit Umſtaͤnden von unmenſchlicher Nieder - traͤchtigkeit und vorſetzlicher Bosheit verknuͤpft: dennoch hat ſie, Gott ſey Dank, mein Gemuͤth nicht beflecket, meine Tugend nicht verletzet. Dem gottloſen Menſchen habe ich es in der That nicht zu danken, daß es nicht geſchehen iſt. Es ſind keine ſchaͤndliche Gewohnheiten darauf gefolget. Mein Wille iſt unverletzet. Das Uebel iſt bloß etwas perſoͤnliches, wenn ich auf mich ſelbſt, und nicht auf meine Freunde ſehe. Keine Leicht - glaͤubigkeit, keine Schwachheit, keinen Mangel der Wachſamkeit habe ich mir ſelbſt vorzuwerfen. Jch habe, durch die Gnade, den Sieg uͤber die durchtriebenſten Anſchlaͤge davon getragen. Jch bin aus ſeinen Haͤnden entgangen. Jch habe ihm entſaget. Den Menſchen, welchen ich ehe - mals haͤtte lieben koͤnnen, bin ich im Stande ge - weſen zu verachten. Soll nun die chriſtliche Liebe meinen Sieg nicht vollkommen machen? Und ſoll ich deſſelben nicht genießen? Wo wuͤrde aber mein Sieg ſeyn: wenn er Vergebung von mir verdiente? Der elende Menſch! Er hat wirklich einen Verluſt gelitten, da er michver -105verlohren hat. Jch bin ſo ſtolz, daß ich ſo ge - denke: weil ich glaube, daß ich mein eignes Herz kenne. Jch habe keinen Verluſt gelitten, da ich ihn verlohren habe.

Allein ich habe noch einen andern Grund fuͤr mich anzufuͤhren, der, wie ich vermuthe, allein hinlaͤnglich geweſen ſeyn wuͤrde, den Jnhalt Jh - res ſehr guͤtigen und freundſchaftlichen Briefes zu beantworten.

Jch weiß, mein wertheſter und ehrwuͤrdiger Freund, mein geiſtlicher Fuͤhrer und Aufſeher in meinen gluͤcklichern Tagen! ich weiß, Sie wer - den zugeben, daß ich mich billig eifrigſt bemuͤhen muͤſſe, mich in dieſe chriſtlichliebreiche Gemuͤths - verfaſſung zu ſetzen: wenn ich Jhnen eroͤffne, wie nahe ich dem wichtigen und fuͤrchterlichen Augenblick zu ſeyn glaube, in welchem, ja ſelbſt in der ernſtlichen Zubereitung zu demſelben, alle Empfindung des Unrechts oder der Beleidigung, welche nicht die unſterbliche Seele angehet, durch hoͤhere und wichtigere Betrachtungen verſchlun - gen werden muß.

So viel fuͤr mich ſelbſt.

Zur Beruhigung meiner Freunde und Goͤnner, traͤgt die Fraͤulein Howe Sorge, alle diejenigen Briefe und zu einem gehoͤrigen Stoff dienliche Stuͤcke, welche meine ganze Geſchichte in ein wahres Licht ſetzen werden, aufbehalten zu ſehen. Der gute D. Lewin iſt einer der Vor - nehmſten unter dieſen Freunden und Goͤnnern.

G 5Die106

Die Warnung, welche allen ſolchen jungen Perſonen, die mich gekannt oder von mir gehoͤrt haben moͤgen, durch dieſe Papiere gegeben wer - den mag, kann zu dem gewuͤnſchten Zweck, wie ich mich nicht ohne gehoͤrige Beſcheidenheit zu denken unterfange, kraͤftiger ſeyn, als es geweſen ſeyn koͤnnte, wenn ich vor einem Gerichte erſchie - nen waͤre und unter den beruͤhrten Unbequemlich - keiten einen zweifelhaften Ausgang erwartet haͤt - te. Wenn Sie nun, mein wertheſter Herr, nach - dem Sie alles erwogen haben, eben dieſer Mey - nung ſind; und ich es erfahren koͤnnte: ſo wuͤr - de ich es als eine beſondere Gluͤckſeligkeit anſehen; indem ich noch eben ſo ſorgfaͤltig, als jemals, in allem dem, worinn es ſeyn kann, in Jhren Au - gen gerechtfertigt zu werden ſuche.

Es iſt mir leid, mein Herr, daß Jhre Un - paͤßlichkeit Sie genoͤthigt hat, auf Jhrem Haupt - kuͤſſen zu ſchreiben. Aber wie ſehr bin ich Jhnen fuͤr dieſe guͤtige und edelmuͤthige Beyſorge ver - pflichtet, welche Sie getrieben hat, einen Brief von ſo vielen Zeilen voll vaͤterlicher Geſinnung, mit ſo großer Ungemaͤchlichkeit in Anſehung Jh - rer ſelbſt, zu ſchreiben.

Der Allmaͤchtige verleihe Jhnen, wertheſter und hochehrwuͤrdiger Herr, Gluͤck und Heil fuͤr alle Jhre Guͤtigkeit gegen mich, welche Sie mir ſo wohl itzt, als ſeit langer Zeit erwieſen haben! Erhalten Sie Jhre Achtung gegen mich bis ans Ende: wie ich Sie verehre und verehren werde. Und erlauben Sie mir, um Jhr Gebeth fuͤr michzu107zu bitten: um die Fortſetzung Jhres Gebeths fuͤr mich, ſollte ich ſagen; denn ich zweifele nicht, daß ich allezeit an Jhrem Gebeth Theil gehabt habe. Vielleicht iſt es zum Theil demſelben ſo wohl, als Jhren gottſeligen Lehren in meiner fruͤ - hern Jugend, zuzuſchreiben geweſen, daß ich im Stande geweſen bin, ſo auszuhalten, wie ich ge - than habe: ob mir gleich nach der goͤttlichen Weisheit, welche wohl erkennet, was fuͤr ſeine ar - me Geſchoͤpfe das beſte ſey, nicht alles, warum Sie gebeten haben, zugeſtanden iſt.

Mein Gebeth fuͤr Sie geht dahin, daß es Gott gefallen moͤge, Sie Jhrer ergebenen Heerde wieder herzuſtellen, und nach ſo vielen Lebensjah - ren, als zu Seinem Dienſte und zu Jhrem ei - genen Vergnuͤgen gereichen werden, uns eine gluͤck - liche Zuſammenkunft in denen ſeligen Gegenden zu verleihen, nach welchen Sie mich ſo wohl durch Beyſpiel als durch Vorſchrift zu trach - ten gelehret haben.

Clariſſa Harlowe.

Der108

Der eilfte Brief von Fraͤulein Arab. Harlowe an Fraͤul. Clariſſa Harlowe, Zur Antwort auf ihren Brief an ihren Onkel Anton vom 13ten Aug.

Schweſter Claͤrchen.

Jch finde nach Euren Briefen an meine On - kels, daß ſie ſo wohl, als ich, bey Euch in großen Ungnaden ſtehen, weil wir Euch unſere Meynungen geſchrieben haben.

Wir koͤnnen uns nicht helſen, Schweſter Claͤr - chen.

Jhr achtet es der Muͤhe nicht werth, wie ich finde, um den Segen, wornach Jhr ein ſo ernſt - liches Verlangen zu tragen vorgebet, noch einmal anzuhalten. Jhr denket ſonder Zweifel, daß Jhr Eurer Pflicht Genuͤge gethan, indem Jhr ihn verlanget habt: daher wollt Jhr Euch vermuth - lich damit beruhigen, und es Euren gekraͤnkten Eltern uͤberlaſſen, nach dieſem zu bereuen, daß ſie Jhre Pflicht nicht gethan haben, ihn Euch aufdas109das erſte Wort zu ertheilen, und ſolche Nachfra - ge nach Euch zu thun, als Euren Gedanken nach billig haͤtte geſchehen ſollen. Vortreffliche Rei - zung, ſich nach einer verlaufenen Tochter zu er - kundigen, die mit ihrem Kerl ſo lange gelebet, als er mit ihr hat leben wollen! Es reuet Euch auch, bey Eurem vollen Herzen, wie Jhr es mit vie - ler Sittſamkeit nennet, daß Jhr an mich geſchrie - ben habt.

So iſt es nicht glaublich, wie ich finde, daß auf dieſe Weiſe bey uns weiter Anſuchung geſche - hen werde.

Wohlan denn, weil ſich die Sache ſo verhaͤlt, ſo erlaubet mir, mich ſelbſt mit einem oder zween Vorſchlaͤgen aufs allergehorſamſte an Euch zu wenden. Jhr werdet in Gnaden geruhen, eine Antwort darauf zu geben.

Jhr muͤſſet wiſſen, daß uns von verſchiednen Leuten zu verſtehen gegeben iſt, wie Euch von dem niedertraͤchtigen Boͤſewicht, mit dem Jhr da - von gelaufen, auf eine ſolche Art begegnet ſey, daß er fuͤr ſein Verbrechen, wenn es recht bewie - ſen werden ſollte, das Leben verwirkt haben wuͤr - de: und ſelbſt aus denen entfernten Anzeigen, welche Jhr gegeben habt, ſcheint uns etwas der - gleichen zu erhellen.

Wofern, Claͤrchen, etwas mehr, als ein lee - res Geraͤuſch und Klaͤglichthun, hinter dem ſteckt, was aus Eurem vollen Herzen und Eurem pflichtmaͤßigen Bewußtſeyn hervorkommt; und wofern an dem, was uns Fr. Norton undFr.110Fr. Howe zur Nachricht gegeben haben, etwas Wahres iſt: ſo moͤcht Jhr noch Eure Gemuͤths - art bey uns, und bey der Welt, in allen Stuͤcken, außer Eurer aͤrgerlichen Entlaufung, rechtfertigen; und den Boͤſewicht moͤgen die Geſetze treffen. Koͤnnten wir ihn nur an den Galgen bringen: was fuͤr eine verdienſtliche Rache wuͤrde das fuͤr unſere ganze beleidigte Familie ſeyn; und fuͤr die Unſchuldigen, welche er betrogen hat, ſo wohl als fuͤr viele andere, die dadurch von dem Verderben gerettet werden moͤchten?

Meldet mir daher, wo es Euch gefaͤllig iſt, ob Jhr geneigt ſeyd, vor Gericht zu erſcheinen, und Euch ſelbſt, und Uns und Eurem Ge - ſchlechte dieſe Gerechtigkeit widerfahren zu laſ - ſen? Wo nicht, Schweſter Claͤrchen: ſo wer - den wir wiſſen, was wir von Euch denken ſollen. Denn weder Jhr, noch wir koͤnnen durch das Aergerniß, das mit Eurem Falle verbunden iſt, mehr leiden, als wir ſchon gelitten haben. Wo - ſern Jhr aber wollet: ſo werden Herr Ackland und der Sachwalter Derham beyde zu Euch kom - men, um ſich genau und eigentlich zu erkundi - gen, und von den Umſtaͤnden Eurer Begebenheit ein Verzeichniß aufzuſetzen, damit auf dieſelbe ein gerichtliches Verfahren gegruͤndet werde, wo ſie es mit ſo vieler Wahrſcheinlichkeit zu einem gluͤck - lichen Ausgange leiten werden, als man uns von dem Verfolg deſſelben verſprochen hat.

Allein nach dem, was ſich Fr. Howe verlau - ten laͤſſet, iſt es nicht glaublich, daß dieß eingeraͤu -met111met werde. Denn eben dieß iſt es, was ſie, wie es ſcheint, Euch durch ihre lebhafte Tochter, aber ohne Wirkung(*)Siehe den VI Th. den XXIV Brief., zu verſtehen gegeben hat. Außer dem moͤget Jhr Euch vielleicht gegenwaͤr - tig in gewiſſen Stuͤcken nicht ſo klug verhalten, daß es Euch ein Recht gebe, oͤffentlich Gerechtig - keit zu fordern. Jſt das wahr: ſo ſey Euch Gott gnaͤdig!

Nur noch ein Wort von dem obigen Vor - ſchlage: Euer Bewunderer, D. Lewin, iſt offenbar der Meynung, daß Jhr den Boͤſewicht gerichtlich verfolgen ſolltet.

Wo Jhr Euch aber hiezu nicht entſchließen wollet: ſo habe ich Euch, und zwar im Namen aller und jeder von der Familie, einen andern Vorſchlag zu thun, welcher darinn beſteht, daß Jhr Euch gefallen laſſet, nach Penſylvanien zu gehen und daſelbſt einige Jahre Euren Aufenthalt zu nehmen, bis alles verraucht iſt, und Eure un - gluͤckliche Eltern, wo es Gott gefaͤllt, Euch und Jhnen das Leben zu friſten, verſichert ſeyn koͤn - nen, daß Jhr in Eurer Auffuͤhrung eine wahre und allezeit gleiche Reue bezeiget; wenigſtens bis Jhr ein und zwanzig Jahr ſeyd. Nach dieſem moͤget Jhr, wie Jhr es ſelbſt fuͤr gut befinden werdet, entweder zu eurem eignen Gute zuruͤck - kommen, oder Euch die Einkuͤnfte davon dorthin ſchicken laſſen. Die benannte Zeit ſetzet mein Vater, weil es die gewoͤhnliche Zeit iſt, und weil er gedenket, daß Euer Großvater ſie haͤtteſetzen112ſetzen ſollen: ja, erlaubet mir hinzuzuſetzen, weil Jhr durch Eure feine Auffuͤhrung vollkommen bewieſen habt, daß Jhr in dem Alter von acht - zehn Jahren noch nicht zur Reife des Verſtan - des gekommen geweſen. Der arme alberne, ob gleich gute, alte Mann! Euer Großvater gedachte Jedoch ich wollte nicht gern zu ſtrenge ſeyn.

Herr Hartley hat eine verwitwete Schweſter in Penſylvanien, eine ordentliche, verſtaͤndige und wohlbeleſene Frau, bey welcher er Euch Tiſch und Wohnung zu verſchaffen verſpricht: und wenn Jhr Euch erſt einmal wohl daſelbſt befaͤndet; ſo wuͤrde das Eure Eltern von einer Welt voll Sor - gen, Furcht und Aergerniß befreyen, und iſt, wie ich denke, dasjenige, was Jhr vor allen Dingen wuͤnſchen ſolltet.

Herr Hartley will uͤbernehmen, fuͤr alle Be - quemlichkeiten auf Eurer Reiſe, wie ſie Eurem Stande und Vermoͤgen gemaͤß ſind, zu ſorgen. Er hat Antheil an einem Schiffe, das in einem Monath unter Segel gehen wird: und Jhr moͤcht Eure geheime Raͤthinn Hanna mitnehmen, oder wen Jhr von Eurer neuen Bekanntſchaft wollet; man vermuthet aber daß es eine Perſon von Eu - rem eignen Geſchlechte ſeyn werde.

Dieß iſt es, was ich Euch zu eroͤffnen gehabt habe. Wollt Jhr mich mit einer Antwort beeh - ren, welche eben die Hand, die meinen Brief uͤber - bringet, am Mittwochen, Morgens, abfordernwill:113will: ſo wird es eine große Herablaſſung und Gefaͤlligkeit ſeyn.

Arabelle Harlowe.

Der zwoͤlfte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Arabelle Harlowe.

Schreibet immerhin an mich, meine unbarm - herzige Schweſter, auf was fuͤr Art es Euch gefaͤllt: ich werde fuͤr die Nachricht, welche Jhr mir gebet, Euch allezeit dankbar ſeyn. Aber, Jhr moͤget von mir gedenken, was Jhr wollet, Herrn Ackland und den Sachwalter kann ich zu einem ſolchen Gewerbe, als Jhr erwaͤhnet, nicht ſehen.

Gott ſey mir gnaͤdig, in Wahrheit! Denn ſonſt wird es niemand ſeyn.

Gewiß, man haͤlt mich fuͤr eine Perſon, die alle Schamhaftigkeit verlohren hat: ſonſt koͤnnte man ſich nicht in den Sinn kommen laſſen, zween Mannsperſonen in einer ſolchen Angelegenheit zu mir zu ſchicken.

Haͤtte meine Mutter mich nach den Umſtaͤn - den meiner traurigen Begebenheit gefragt; oder haͤtte Euch die Sittſamkeit erlaubet, Euch dar -Siebenter Theil. Hnach114nach zu erkundigen; oder waͤre der Fr. Norton aufgetragen worden, ſie von mir in Erfahrung zu bringen: ſo deucht mich, haͤtte es ſich beſſer geſchickt; ja, ich unterſtehe mich zu gedenken, es wuͤrde ſelbſt dem Charakter eines jeden gemaͤßer geweſen ſeyn, wenn man mich vorher darnach ge - fragt haͤtte, ehe ein ſo hartes Urtheil uͤber mich ge - ſprochen waͤre, als geſprochen iſt.

Jch weiß, daß dieß des D. Lewins Meynung ſey. Er iſt ſo guͤtig geweſen, mir in einem ge - neigten Schreiben dieſelbe nebſt ſeinen Gruͤnden vorzuſtellen. Jch habe ſeinen Brief beantwortet, und ihm ſolche Gegengruͤnde angegeben, daß ich hoffe, ſie werden ihm Genuͤge thun. Jch moͤch - te wuͤnſchen, daß man es der Muͤhe werth achte - te, ſie zur Durchſicht zu verlangen(*)Nach dieſem Briefe ward nicht gefragt: und der Tod des ehrwuͤrdigen Mannes, welcher bald nach dem Empfang deſſelben erfolgte, war die Urſache, daß er der Familie nicht mitgetheilet wurde, als bis es zu ſpaͤt war, die Dienſte zu lei - ſten, welche davon zu hoffen geweſen waͤren..

Auf Euren andern Vorſchlag, nach Penſyl - vanien zu gehon, iſt dieß meine Antwort. Wofern binnen einem Monath nichts vorfaͤllt, das meine Eltern und Freunde eben ſo vollkom - men von der Welt voll Sorgen, Furcht und Aer - gerniß, wovon Jhr Erwaͤhnung thut, befreyen mag; und wofern ich alsdenn noch im Stande bin, mich ans Schiff bringen zu laſſen: ſo will ich meinem Vater und meiner Mutter mit Freu -den115den gehorchen; wenn ich auch verſichert waͤre, daß ich unterweges ſterben muͤßte. Darf ich es ſagen: ſo ſollt Jhr alsdenn, ſtatt meiner armen und gefaͤlligen, aber wirklich untadelichen Hanna, Eure Eliſabeth Barnes uͤber mich ſetzen, welcher ich von allem meinem Thun und Laſſen Rede und Antwort geben will: und ich will dahin ſehen, daß es ſich ihrer Muͤhe verlohnen ſoll, mich zu be - gleiten.

Jch bin eben ſo ſehr beſtuͤrzt als betruͤbt uͤber das, was Jhr ſo wohl, als mein Onkel Anton, mir von neuen Fehltritten in meiner Auffuͤhrung zu verſtehen gebet! Was mag das zu bedeu - ten haben?

Jch will Euch nicht ſagen, Fraͤulein Harlowe, wie ſehr ich durch Eure Haͤrte gekraͤnket werde, und wie viel ich durch dieſelbe, und durch Eure unbarmherzige Leichtfertigkeit in der Schreibart, leide: weil das, was ich ſagen wuͤrde, als ein lee - res Geraͤuſch und Klaͤglichthun ausgelegt werden moͤchte, und weil ich weiß, daß man die Abſicht hat; vielleicht zu einem guten Zweck, wie gar wohl moͤglich iſt; mich muͤrbe zu machen. Das einzige, was ich daher ſagen will, iſt, daß, wo man nur dieſe Abſicht hat, es ſeines Ziels nicht verfehle.

Allein nichts deſto weniger will ich mich ſo viel, als moͤglich iſt, von allem Widerwillen los - machen, und nur beten, daß der Himmel Euch um Eurer ſelbſt willen ein liebreichers Herz verlei - hen wolle, als Jhr gegenwaͤrtig zu haben ſcheinet:H 2indem116indem ein liebreiches Herz, ich bin es verſichert, ein groͤßerer Segen fuͤr ſeinen Beſitzer iſt, als es fuͤr irgend einen andern ſeyn kann. Jn dieſer Verſicherung unterſchreibe ich mich ſelbſt, meine wertheſte Arabelle,

Eure ewigergebene Schweſter, Cl. Harlowe.

Der dreyzehnte Brief von Fr. Judith Norton an Fraͤulein Clariſſa Harlowe. Zur Antwort auf ihr Schreiben vom Donnerſtage, dem 17ten Aug.

Meine allerliebſte Fraͤulein.

Die Briefe, welche Sie mir zugeſchickt haben, ſende ich Jhnen nunmehr durch eben die Hand, welche Jhnen gegenwaͤrtiges uͤberbringet, wieder zuruͤck.

Es iſt mir unmoͤglich, auszudruͤcken, wie ſehr ich durch dieſelben und durch Jhr letztes vom 17ten geruͤhret worden. Jn Wahrheit, meineliebe117liebe Fraͤulein Claͤrchen, man gehet ſehr hart mit Jhnen um: in Wahrheit, ſehr hart! Sollten Sie von uns genommen werden: was fuͤr Kum - mer und was fuͤr Strafe haͤufet man nicht gegen ſich ſelbſt in den ſchweren Betrachtungen, die man ſich durch ſeine harte Urtheile und Unverſoͤhnlich - keit gegen Sie verurſachen wird!

Allein ich finde, was ſo wohl an dem grauſa - men Brief von Jhrem Onkel Anton, als an ei - nem andern ſchuld iſt, der Sie noch mehr kraͤn - ken wird, wenn er Jhnen zu Haͤnden kommt; Gott helfe Jhnen, mein armes und liebes Kind! Er iſt von Jhrer Schweſter geſchrieben und ent - haͤlt Vorſchlaͤge, die Jhnen geſchehen.

Jch weiß, daß er geſtern fertig geweſen iſt, um an Sie abgeſchickt zu werden, und gebe Jh - nen deswegen Nachricht davon, damit Sie ſich mit einem geſetzten Gemuͤth gegen den Jnhalt deſſelben ruͤſten moͤgen.

Die Bewegungsgruͤnde, welche ſie alle zu dieſer Haͤrte geneigt machen; wuͤrden alle Haͤrte rechtfertigen, die ſie nur zeigen koͤnnten: wenn ſie wohl gegruͤndet waͤren. Da nun Jhre Angehoͤ - rigen ſie fuͤr gegruͤndet halten: ſo ſind beydes die - ſe und Sie gleich ſehr zu bedauren.

Sie ſchreiben ſich von dem Bericht des all - zudienſtfertigen Herrn Brands her, welcher Jh - ren Verwandten von einer oder der andern feind - ſeligen Perſon in Jhrer Nachbarſchaft die Nach - richt gebracht hat, daß Sie von einem Herrn von einer freyen Lebensart und einem vertrautenH 3Freun -118Freunde des Herrn Lovelacens hoͤchſt ſtrafbare Beſuche annehmen: indem er oft allein, biswei - len zwey oder dreymal des Tages, bey Jhnen iſt.

Eliſabeth nimmt ſich bey dieſer Gelegenheit große Freyheiten im Reden heraus: und alle Freunde ſind nur allzu geneigt, zu glauben, daß es mit Jhnen nicht ſo ſey, wie es ſeyn ſollte. Da - her wuͤnſche ich, daß Sie die Bekanntſchaft mit dem Herrn gaͤnzlich aufheben koͤnnten: ſeine Ab - ſichten moͤgen auch noch ſo anſtaͤndig ſeyn.

Eliſabeth hatte ſich vorher gegen mich von weitem etwas dergleichen verlauten laſſen: aber ſo dunkel, daß ich nicht eigentlich ſagen konnte, was ich daraus machen ſollte. Dieß war die Urſache, warum ich in ſo allgemeinen Ausdruͤ - ckungen etwas davon gedachte, als ich in meinem letzten Schreiben that.

Jhr Vetter Morden iſt bey ihnen geweſen. Er nimmt ſich Jhr Ungluͤck ausnehmend zu Her - zen: und da man nicht glauben will, daß Herr Lovelace Sie heyrathen wollte; ſo hat er ſich ent - ſchloſſen, ſich zu dem Lord M. zu begeben, damit er aus des Herrn Lovelacens eignem Munde ver - nehme, ob er willens iſt, Jhnen dieſe Gerechtig - keit widerfahren zu laſſen, oder nicht.

Bey ſeiner erſten Ankunft liebkoſete ihm ein jeder uͤber alle Maaßen: aber gegenwaͤrtig ſoll, wie ich hoͤre, eine kleine Kaltſinnigkeit unter ih - nen ſeyn.

Jch hoffete, den Brief von dem Hrn. Brand; ein unbeſonnener, dienſtfertiger Mann! zu ſehenzu119zu bekommen: aber, es ſcheint, Herr Morden hat ſich ihn geſtern zu leſen geben laſſen, und ihn mit ſich genommen.

Gott ſey Jhr Troſt, meine liebe Fraͤulein! Jn der That aber bin ich ausnehmend unruhig, wenn ich gedenke, was noch alle dieſe Dinge fuͤr einen Ausgang haben moͤgen. Jch bin,

Meine geliebte Fraͤulein, Jhre ergebenſte und getreueſte Judith Norton.

Der vierzehnte Brief von Fr. Norton an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Nachdem ich den Einſchluß ſchon zugeſiegelt hatte: hatte ich die Ehre, in geheim einen Beſuch von Jhrer Tante Hervey zu bekommen, welche ſehr ſchwach geweſen und ſeit verſchiednen Wochen ihr Zimmer gehuͤtet hat, auch eben erſt von Hauſe gegangen iſt.

Sie haͤtte ein Verlangen gehabt, ſagte ſie, mich zu ſehen und mit mir uͤber das harte Schick - ſal, welches ihre geliebte Baſe befallen haͤtte, zu weinen.

H 4Jch120

Jch will Jhnen getreulich von dem, was zwi - ſchen uns vorfiel, Nachricht geben: weil ich ver - muthe, daß es, wenn Sie alles erwaͤgen, Jhnen Hoffnung und Troſt ertheilen werde.

Sie bedaurte Jhre liebe Mutter gar ſehr, welche, nach der von ihr beygefuͤgten Verſiche - rung, genoͤthigt iſt, eine Rolle zu ſpielen, die ih - ren Neigungen gaͤnzlich zuwider iſt, gleichwie ſie ſelbſt, nach ihrem eignen Geſtaͤndniß, groͤßten - theils zu thun genoͤthigt worden.

Sie ſagte, daß die arme Frau nicht anders als mit großer Schwierigkeit zuruͤckgehalten waͤ - re, Jhren Brief an ſie zu beantworten, der bey - nahe; wie der Ausdruck Jhrer Tante war; ei - nem jeden das Herz gebrochen haͤtte: und ſie haͤtte Urſache zu gedenken, daß dieſelbe weder ih - re Einwilligung dazu gegeben; daß Jhre beyden Onkels ſchreiben ſollten, noch das, was ſie ge - ſchrieben, genehm gehalten habe.

Sie iſt verſichert, daß ſie alle eine herzliche Liebe zu Jhnen tragen: aber ſie ſind einmal ſo weit gegangen, daß ſie nicht wiſſen, wie ſie zu - ruͤckziehen ſollen.

Waͤre das abſcheuliche Buͤndniß nicht geweſen, ſprach ſie, worein Jhr Bruder ſie alle gezogen haͤtte, der ſich geweigert, eher nach Schottland abzugehen, als bis es erneuret wor - den, und bis ſie alle verſprochen haͤtten, in ſeiner Abweſenheit keinen Schritt, anders als mit ſei - ner Einwilligung, zu einer Ausſoͤhnung zu thun: ſo121 ſo wuͤrde ſich alles ſchon vor der gegenwaͤrtigen Zeit gluͤcklich geleget haben.

Niemand wuͤßte, was fuͤr Quaal ihnen ihr unbiegſames Bezeigen machte, ſeit dem Sie an - gefangen haͤtten, in einer ſo ruͤhrenden und demuͤ - thigen Schreibart Briefe an ſie abzulaſſen.

Dennoch aber waͤren ſie nicht geneigt, zu glauben, daß Sie ſo krank oder ſo voller Reue waͤren, als Sie wirklich ſind: und noch weniger, daß es dem Herrn Lovelace mit ſeinem Erbieten, Sie zu heyrathen, ein Ernſt ſey.

Sie iſt verſichert, ſagt ſie, daß alles bald gut ſeyn werde: und deſto eher, weil Herr Morden angekommen iſt, der ſich Jhrer Sache mit gro - ßem Eifer annimmt.

Sie wuͤnſchte, der Himmel moͤchte geben, daß Sie Herrn Lovelacens Hand annaͤhmen; ſo gottlos er auch geweſen waͤre: wofern es ihm nun ein Ernſt ſeyn ſollte.

Es haͤtte ihr, ſagte ſie, allezeit Anlaß gege - ben, ſich zu verwundern, daß ein ſo ſchwachheits - voller Stolz an ihrem Vetter Jakob, allein die ganze Familie auszumachen, ſie alle verleiten ſollte, eine Verbindung mit einer ſolchen Fami - lie, als Herr Lovelace haͤtte, auszuſchlagen.

Sie wollte behaupten, daß Jhre Entfernung mit dem Herrn Lovelace fuͤr Jhre Ehre und Vortheile der ungluͤcklichſte Schritt geweſen waͤ - re, den Sie haͤtten thun koͤnnen. Denn, ob Sie gleich des folgenden Tages eine harte Ver - ſuchung gehabt haben moͤchten: ſo wuͤrde esH 5doch122 doch nach aller Wahrſcheinlichkeit die letzte ge - weſen ſeyn, und Jhre Gaben nachdruͤcklich und ruͤhrend zu reden muͤßten Jhnen nothwendig einige Freunde von jener Partey zugezogen ha - ben womit ſie auf Jhre Mutter, auf Jh - ren Onkel Harlowe, auf Jhren Onkel Hervey, und ſich ſelbſt zielte.

Allein damit die Reue, daß Sie den Ausgang dieſer Zuſammenkunft nicht zuverſichtlich erwar - tet haben, Sie bey Jhrem gegenwaͤrtigen ſchwa - chen Zuſtande nicht zu ſehr kraͤnken moͤge: ſo muß ich hier bemerken, daß es nach dieſer Erklaͤ - rung Jhrer Tante ein wenig allzu offenbar am Tage zu liegen ſcheine, daß es nicht ſo ſchlechter - dings ausgemacht geweſen, allen Zwang zu ver - meiden; da Sie Jhre Befreyung davon der Partey zu danken gehabt haben muͤßten, die Sie ſich durch Jhre uͤberzeugende Beredtſamkeit und pflichtmaͤßige Vorſtellung unter ihnen machen ſollten.

Sie geſtand, daß einige von ihnen ſich eben ſo ſehr gefuͤrchtet vor Sie zu kommen, als Sie ſich fuͤrchten konnten, vor dieſelben zu kommen. Aber warum das, wenn ſie ſich vorgenom - men hatten, auf das letzte Anhalten, Jhnen Jhre Freyheit zu laſſen?

Sie erzaͤhlte mir, daß Fr. Williams, Jhrer Fr. Mutter vorige Haushaͤlterinn, bey ihr ge - weſen waͤre, und ihre Meynung daruͤber ver - langt haͤtte, ob es uͤbel genommen werden wuͤrde, wenn ſie ſich Erlaubniß ausbaͤte, nach London zu rei -123 reiſen und ihrer wertheſten Fraͤulein in Jhrem Ungluͤck Handreichung zu thun. Sie haͤtte die - ſelbe aber an Jhre Fr. Mutter gewieſen, jedoch nichts weiter davon gehoͤret.

Jhre Tochter, Fraͤulein Doͤrtchen, ſagte ſie, haͤtte oft ſehr ernſtlich eben deswegen bey ihr an - gehalten, und ihre Bitte mit dem groͤßten Eifer erneuret, da der erſte Brief von Jhnen zu Haͤn - den gekommen waͤre.

Jhre Tante ſpricht, daß ſie damals ſehr krank geweſen waͤre und deswegen Jhrer Fr. Mutter geſchrieben, ſie hoffete, es wuͤrde nicht uͤbel genommen werden, wenn ſie der Fraͤulein Doͤrtchen erlaubte, zu Jhnen zu gehen: aber Jhre Schweſter haͤtte ihr, im Namen Jhrer Fr. Mutter geantwortet, daß Sie itzo, da Sie zu einer gebuͤhrenden Empfindung Jhrer Fehler gekommen zu ſeyn, und in derſelben zu ſtehen ſchienen, gaͤnzlich ihrem eignen Gutbefinden uͤber - laſſen werden muͤßten.

Fraͤulein Doͤrtchen, ſagte ſie, haͤtte ſeit der Zeit, da ſie von des Herrn Lovelacens Schand - that gehoͤret, ſich beſtaͤndig abgezehret; weil ſie auf eine gedoppelte Art dadurch gekraͤnkt waͤre: einmal wegen desjenigen, was Sie gelitten haͤt - ten; hiernaͤchſt, weil ſie eine von denen geweſen, die ſich daruͤber gefreuet, daß Sie davon gegan - gen waͤren, und Sie deswegen gerechtfertigt, woruͤber ſie ſich ungleiche Urtheile und Wider - willen, ſonderlich von Jhrem Bruder und Jh - rer124 rer Schweſter zugezogen haͤtte, ſo daß ſie ſelten nach Harlowe-Burg kaͤme.

Machen Sie ſich, wertheſte Fraͤulein, dieſe Nachrichten ſo gut, als moͤglich iſt, zu Jhrem Troſt zu Nutze.

Jch will nur dieß einzige annoch beyfuͤgen, daß ich unter dem eifrigſten Gebeth fuͤr Jhre Ge - neſung und Wiederherſtellung zu vorigem Gluͤck verharre

Jhre ewiggetreue Judith Norton.

Der funfzehnte Brief von Fraͤulein Clar. Harlowe an Fr. Judith Norton.

Die Nachricht von einer ſolchen Unterredung, als zwiſchen meiner Tante und Jhnen vor - gefallen iſt, wuͤrde mir Vergnuͤgen gemacht ha - ben, wenn ſie vor einiger Zeit gekommen waͤre: weil ſie ein Gemuͤth angetroffen haben wuͤrde, das geſchaͤfftiger geweſen waͤre, als das meinige itzund iſt, in der Hoffnung eines gluͤcklichen Wechſels, der meinen gedultigen Gehorſam der - einſt belohnet haben moͤchte, einen entfernten Troſt ausfuͤndig zu machen.

Jch125

Jch habe an meiner Tante guten Geſinnung gegen mich nicht gezweifelt. An Jhrer Gewo - genheit habe ich ebenfalls nicht gezweifelt. Al - lein ſollen wir uns wundern, daß Koͤnige und Fuͤrſten ſo wenig Einrede bey ihren Leidenſchaften finden, wenn ſie auch noch ſo heftig ſind: da in einer beſondern Familie eine Tante, ja ſo gar eine Mutter in eben der Familie, ſich entſchließen mag, lieber ein ehemals beguͤnſtigtes Kind gegen ihre eigne Neigung aufzugeben, als einem hochfliegen - den jungen Menſchen, der ſich mit dem Anſehn eines Vaters gewaffnet hatte, welcher ſich, nach - dem er einmal einen Schluß gefaſſet, niemals ein - reden laſſen wollte, Widerſtand zu thun?

Wollen Sie mich nicht tadeln, wenn ich ſa - ge, daß Verſtand und Klugheit, daß verwandt - ſchaftliche Nachſicht, durch die Begegnung, wel - che mir widerfahren iſt, ein wenig beleidigt ſeyn muͤſſen, und wenn ich geſtehe, daß ich gedenke, es ſey große Schaͤrfe wider mich gebrauchet? Und gleichwohl bin ich nunmehr durch das Urtheil zwoer vortrefflicher Schweſtern, meiner Mutter und meiner Tante, berechtigt, es Schaͤrfe zu nennen: da dieſe beyde geſtehen, wie Sie mir von meiner Tante berichten, daß ſie wider ihre Nei - gungen genoͤthigt ſind, ſich wider mich zu verbin - den, und das ſo gar in einer Sache, die meine ewige Wohlfarth angehet.

Allein ich muß auf dieſe Weiſe nicht weiter fortfahren. Denn kann die Neigung, welche meine Mutter aufgegeben hat, nicht vielmehr dieWirkung126Wirkung einer allzu parteyiſchen Nachſicht ſeyn, als daß ich die Nachſicht verdienen ſollte? Gleich - wohl bin ich ſo muthwillig verkehrt, daß ich mich mit Muͤhe von der Sache abziehen muß.

Das einzige alſo, was ich itzo weiter dazu ſagen will, iſt dieſes, daß, wenn die Guͤte, welche man mir zuzugeſtehen gedenket, nur noch eine Wo - che ſpaͤter kommen ſollte, ſie vielleicht zu ſpaͤt ſeyn wuͤrde Zu ſpaͤt, meyne ich, mir zu demjeni - gen Troſte zu dienen, den ich daraus zu ziehen wuͤnſchen moͤchte. Denn was fuͤr eine vergebli - che Vorbereitung muß ich gemacht haben: wo dieſe mich zu der Zeit nicht uͤber alles hinausgeſe - tzet hat, was Jedoch uͤber was hinaus? Armes und irrendes Geſchoͤpfe! Ungluͤckli - che Selbſtbetruͤgerinn! Die ſich uͤber nichts hinausgeſetzet findet! Die ſich auch nicht im Stan - de ſiehet, ihre eigne ſtrafwuͤrdige Ungedult zu uͤber - waͤltigen!

Damit ich aber in der That mit einer Sa - che, wobey ich mir ſelbſt nicht trauen darf, zu Ende komme: ſo laſſen Sie, wenn Sie Gelegen - heit dazu haben, meine Tante Hervey, meine liebe Baſe Doͤrtchen, die rechtſchaffene Fr. Williams, wiſſen, wie ausnehmend angenehm mir ihre guͤti - ge Geſinnung und Beyſorge fuͤr mich ſey. Und da ich weiß, daß ihre Gewogenheit gegen mich die Liebe zur Tugend, welche ſie mir zutrauen, zum Grunde hat: ſo vermelden Sie ihnen, als die beſte Sicherheit oder Rechtfertigung fuͤr ihre gute Meynungen, daß ich die Tugend beſtaͤndigbis127bis an meine letzte Stunde geliebet habe, wie man nach der Hoffnung, die ich mir mache, wird ſa - gen koͤnnen; und verſichern ſie, daß ich niemals mit Vorſatz den geringſten Abweg genommen, ſo ungluͤcklich ich auch durch einen Fehltritt ge - worden bin, der jedoch nicht aus unanſtaͤndigen oder verkehrten Bewegungsgruͤnden geſchahe.

Es iſt mir ſehr leid, daß mein Vetter Mor - den den Schluß gefaſſet hat, Herrn Lovelacen zu ſehen.

Meine Furcht bey dieſer Nachricht verringert um vieles das Vergnuͤgen, welches ich in der Ver - ſicherung, daß er mich noch liebet, empfinde.

Der Brief von meiner Schweſter iſt ſo ein - gerichtet, daß er mich aufs empfindlichſte kraͤnket Mit ſo unnoͤthigem, ſo leichtfertigem Sticheln. Jedoch wegen des Theils von dem - ſelben, der ſo beſchaffen iſt, muß ich vielmehr Mit - leiden mit ihr haben, als ſo bekuͤmmert ſeyn, wie ich bin.

Jch wundere mich, was ich dem Hrn. Brand zu nahe gethan habe Jch bitte Gott, daß er ihm und denen, von welchen er ſeine Nachrichten hat, ſie moͤgen ſeyn, wer ſie wollen, vergebe. Wofern aber der Anſtoß allein von des Herrn Belfords Beſuchen herkommt: ſo wird eine ſehr kurze Zeit ihn widerlegen. Mittlerweiln wird das Packet, welches ich Jhnen ſenden werde und der Fraͤulein Howe geſandt habe, Jhnen, mei - ne wertheſte Fr. Norton, in Anſehung der Gruͤn -de,128de, warum ich ſeine Beſuche zulaſſe, hoffentlich Genuͤge thun.

Der ſtichelnde Brief von meiner Schweſter und die Unbeweglichkeit meiner werthern Freun - de Aber wie fuͤhren doch Sachen, welche anfangs weit davon entfernet waren, immer wie - der zu demjenigen, was uns zunaͤchſt am Herzen lieget! Nicht anders, als wie an dem Koͤr - per neuentſponnene Unordnungen ſich alle zu einem verletzten oder kranken Theil zuſammen - ziehen.

Jch will abbrechen: mit Bitte um Jhr Ge - beth, daß mir Gedult und gehoͤrige Gelaſſenheit verliehen werde; und mit der Verſicherung, daß ich ſey und bis an die letzte Stunde meines Lebens ſeyn werde

Jhre eben ſo dankbare als ergebene Cl. Harlowe.

Der129

Der ſechzehnte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe. Zur Antwort auf ihr Schreiben vom Freytage, dem 11ten Auguſt.

Meine allerliebſte Freundinn.

Jch habe die Briefe und Abſchriften von Brie - fen, welche Sie die Guͤte gehabt haben mir mitzutheilen, geleſen, und ſende ſie durch eine be - ſondere Gelegenheit wieder zuruͤck.

Jch bin aͤußerſt bekuͤmmert uͤber Jhren ſchlechten Zuſtand in Anſehung der Geſundheit: aber ich billige Jhr ganzes Verfahren und alle Jhre Vorſichtigkeit, die Sie bey Ernennung ei - nes Mannes zu einem Amte, welches, wie ich hof - fe, auf viele, viele Jahre noch nicht noͤthig ſeyn wird, beobachtet haben.

Jch, und wir alle, bewundern die Großmuth, welche Sie in der Verachtung des nichtswuͤrdi - gen Menſchen, der billig ſo herzlich verachtet und verabſcheuet werden muß, unter ſolchen Reizun -Siebenter Theil. Jgen,130gen, denen kein anderes Frauenzimmer widerſte - hen koͤnnte, und bey ſo verlaſſenen Umſtaͤnden, als die Jhrigen ſind, ſo ſtandhaft machen kann.

Was muͤſſen die Briefe von Jhren Ver - wandten, welche Sie mir nicht zeigen wollen, in ſich enthalten! Pfuy, die Leute ſollten ſich ſchaͤ - men! Wie empoͤret ſich mein Herz Allein ich darf nichts mehr ſagen Wiewohl Sie itzo ſelbſt anfangen zu gedenken, daß ſie ſehr hart mit Jhnen umgehen.

Ein jeder iſt hier fuͤr Herr Hickmann ſo ein - genommen; und zwar deſto mehr um des Ab - ſcheues willen, den ſie gegen die Gemuͤthsart ei - nes ſolchen Boͤſewichts, als Lovelace iſt, hegen; daß ich faſt bis auf den Tod gequaͤlet worden bin, einen Tag zu benennen. Dieß hat ihn ein wenig aufgeblaſen: und wenn ich ihn nicht anhielte, ſo wuͤrde er ſich ſo nachlaͤßig und uͤbermuͤthig gegen mich bezeigen, als wenn er meiner ſchon verſichert waͤre. Jch bin nicht weniger, als viermal, ſeit dem wir hier geweſen ſind, genoͤthigt worden, ihn zu demuͤthigen.

Jch ließ ihn neulich fuͤr einige Nachlaͤßigkei - ten, die nicht zu uͤberſehen waren, eine ſtrenge Buße thun. Sie waͤren nicht mit Vorſatz ge - ſchehen, ſagte er: allein das war eine ſchlechte Entſchuldigung, wie ich ihm zu verſtehen gab. Denn waͤren ſie mit Vorſatz geſchehen: ſo haͤt - te er niemals wieder vor meine Augen kommen ſollen. Daß ſie aber nicht mit Vorſatz geſche - hen waͤren, das zeigte ſeinen Mangel der Gedan -ken131ken und Aufmerkſamkeit: und der waͤre bey einer Mannsperſon, die noch in dem Stande der Pruͤ - fung ſtuͤnde, nicht zu entſchuldigen.

Er hoffete, daß er mehr, als einen Stand der Pruͤfung, gehabt haͤtte, war ſeine Antwort.

Mochten ſie denn deswegen nachlaͤßiger ſeyn, mein Herr? Auf die Art vermehren ſie die Nachlaͤßigkeit noch mit Undank, und ma - chen das, was ſie zu ihrer Rechtfertigung fuͤr et - was Zufaͤlliges, welches ſelbſt eine Entſchuldi - gung noͤthig hat, ausgeben, zu einem Vorſatz, der keine Entſchuldigung verdienet.

Jch wollte ihn zween Tage uͤber nicht ſehen: und er war ſo reuevoll und ſo demuͤthig, daß ich mich beynahe ſelbſt verlohren haͤtte, um es ihm wieder gut zu machen. Denn, wie Sie bemer - ket haben, ein Unwillen, der zu hoch getrieben wird, lauft oft auf eine allzu demuͤthige Verguͤ - tung hinaus.

Mich verlangt, naͤher bey Jhnen zu ſeyn: al - lein das muß noch nicht ſeyn, wie es ſcheint. Ha - ben Sie die Gewogenheit, wertheſte Freundinn, mir ſo oft, als Sie koͤnnen, von Sich Nachricht zu geben.

Der Himmel mehre Jhre Troͤſtungen und ſtelle Jhre Geſundheit wieder her: das iſt das Gebeth

Jhrer ewig getreuen und ergebenen Anna Howe.

P. S. Entſchuldigen Sie mich, daß ich nicht eher ge - ſchrieben habe: es hat mich eine kleine Reiſe an die Kuͤſten, welche ich mir gefallen zu laſſen ge - noͤthigt war, davon abgehalten.

J 2Der132

Der ſiebzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Sie ſind ſehr hoͤflich, meine wertheſte Fraͤulein Howe, daß Sie mir von Jhrem Stillſchwei - gen Rechenſchaft geben. Jch war geruhig da - bey: weil ich nicht zweifelte, daß Sie unter ſol - chen nahen und lieben Freunden, als diejenigen ſind, bey denen Sie ſich aufhalten, durch eine oder die andere dergleichen angenehme Ausfarth, als Sie gedenken, vom Schreiben abgehalten wuͤr - den.

Jch machte mir Hoffnung, daß Sie itzo ſchon das ſehr feurige Weſen abgeleget haͤtten, welches ich mir ſo oft, als Sie mir Gelegenheit dazu ge - geben haben; und das iſt ſehr oft geſchehen; die Freyheit genommen habe, an Jhnen zu tadeln.

Jch habe mich uͤber dieſe Sache allezeit ſehr ernſthaft gegen Sie erklaͤret: und weil Jhre ei - gene und eines rechtſchaffenen Mannes kuͤnftige Gluͤckſeligkeit dabey in Betrachtung kommet; ſo muß ich mich darauf einlaſſen, ſo oft Sie ſich ſelbſt vergeſſen, wenn ich auch nicht einen Tag mehr zu leben haͤtte. Und in der That befinde ich mich ſehr uͤbel.

Jch133

Jch bin verſichert, daß Sie Jhren kuͤnftigen Gemahl nicht in der Abſicht mit Sich auf die kleine Jnſel genommen, damit Sie ihn denen von Jhren Verwandten, welche ihn vorher niemals geſehen hatten, als ſchwach und einfaͤltig vorſtel - len moͤchten. Halten Sie es aber wohl fuͤr moͤg - lich, daß dieſelben, ſo ſehr ſie auch vorbereitet und entſchloſſen ſeyn moͤgen, ein Wohlgefallen an ihm zu finden, ſich enthalten koͤnnen, uͤber ihn zu la - chen, wenn ſie ihn unter Jhren wunderlichen Buͤßungen leidend ſehen? Ein beſcheidner Menſch ſollte eben ſo wenig in ſeinen eignen, als in anderer Leute Augen, erniedrigt werden. Geſchieht es: ſo wird er ein Mistrauen gegen ſich ſelbſt faſſen, welches allen Dingen, die er ſagt, oder thut, ein ungeſchicktes Anſehen geben wird. Dieſes aber wird ſo wenig Jhrer Wahl, als dem Beyfall, welchen er bey Jhren Freunden findet, oder ihm ſelbſt, zur Ehre gereichen.

Jch liebe ein gefaͤlliges und ſo gar ein demuͤ - thiges Bezeigen an einer Mannsperſon gegen das Frauenzimmer, an welches er ſich wendet. Es iſt ein Zeichen ſeiner feinen Art der Auffuͤhrung, und dienet, ihr diejenige Meynung von ſich ſelbſt beyzubringen, welche, wie man vermuthen mag, einer beſcheidenen Perſon von Verdienſten einge - floͤßet werden muß. Allein wenn das Frauen - zimmer es mit Ungeſtuͤm fordert: ſo zeigt ſie an ſich ſelbſt weder eine feine Art zu leben, noch eine Dankbarkeit; ob ich gleich geſtehen muß, daß ſie ihren Muth ſehen laͤſſet. Jch habe Jhnen vor -J 3aus -134ausgeſagt, daß ich ſehr ernſthaft mit Jhnen ver - fahren wollte.

O meine liebe Freundinn, waͤre mir doch das Gluͤck zu Theil geworden, da es mir nicht erlaubt war, ledig zu bleiben, daß ich an einen Mann ge - rathen waͤre, gegen den ich haͤtte edelmuͤthig und frey handeln koͤnnen.

Herr Lovelace tadelte meine Auffuͤhrung ge - gen ihn als ein ſteifes und fremdes Bezeigen; in der Abſicht, wie nun am Tage liegt, damit er ei - nen Vorwand gegen mich haben moͤchte. Sie glaubten einmal, daß ich mich einer gewiſſen Art der Sproͤdigkeit ſchuldig machte. Unter bedenk - lichen Umſtaͤnden, bey welchen oft die Gelegenhei - ten zu unguͤtigen Urtheilen unvermeidlich ſind, ſollte man einer jeden Perſon etwas zu gute hal - ten. Jch verdiente keinen Vorwurf von dem, der meine Umſtaͤnde bedenklich machte: und Sie, meine Wertheſte, ſollten gefunden haben, wenn ich mit einem andern Manne zu thun gehabt, oder er nur halb die guten Eigenſchaften beſeſſen haͤtte, die Herr Hickmann beſitzet, daß meine Wer - ke ſich in dieſem Stuͤcke nach meinen Lehrſaͤtzen gerichtet haben wuͤrden.

Allein, daß ich mich ſelbſt aus der Frage zie - he ich will Jhnen ſagen, was ich gedenken wuͤrde, wenn ich eine gleichguͤltige Zuſchauerinn von Jhrem hohen Weſen waͤre, womit Sie das demuͤthige Bezeigen des Herrn Hickmanns be - lohnen.

Die135

Die Fraͤulein, wuͤrde ich ſagen, denkt den Herrn zu nehmen: das ſehe ich offenbar. Al - lein ich ſehe auch eben ſo offenbar, daß ſie ſehr gleichguͤltig gegen ihn iſt. Woher mag denn dieſe Gleichguͤltigkeit kommen? Sonder Zwei - fel von einer oder von allen dieſen Betrachtun - gen: Sie nimmt ſeine Anwerbung vielmehr des - wegen an, weil es ſich ſchicket, als daß ſie ſelbſt Belieben daran finden ſollte; ſie hat eine ſchlech - te Meynung von ſeinen Gaben und Verſtan - deskraͤften, wenigſtens hegt ſie hoͤhere Gedanken von ihren eignen Vorzuͤgen; oder ſie iſt nicht edelmuͤthig genug, ſich der Gewalt, die ihr ſeine große Neigung zu ihr in die Haͤnde giebet, mit gehoͤriger Maͤßigung zu bedienen.

Wie wuͤrde es Jhnen gefallen, wertheſte Freundinn, wenn man irgend eines von dieſen Dingen ſagte?

Wollten Sie hiernaͤchſt wohl Leuten von freyer Lebensart und freyen Reden den geringſten Schein eines Grundes an die Hand geben, aus welchem ſie ſagen oder ſich einbilden koͤnnten, daß die Fraͤulein Howe ihre Hand einem Manne ge - be, der an ihrem Herzen keinen Theil hat? Jch bin verſichert, Sie wuͤrden nicht wuͤnſchen, daß etwas dergleichen nur einmal vermuthet werden ſollte. Ueber dieß muͤßte ſich, wie ich denken ſollte, alle Achtung, die Sie ihm nach dieſem be - weiſen werden, da ihm vorher keine von Jhnen bewieſen iſt, leicht als eine bloße Hoͤflichkeit gegen den Ehegatten, wodurch der Zaͤrtlichkeit derJ 4Frauen136Frauen Gewalt angethan wird, ausdeuten laſſen.

Es iſt nicht zu beſorgen, daß der allerkuͤhnſte; zween Lovelacen koͤnnen nicht in der Welt ſeyn; gegen eine Gemuͤthsart, die der Tugend wegen ſo verehret wird, und mit einer ſo reizenden Lebhaf - tigkeit des Verſtandes verbunden iſt, als die Ge - muͤthsart der Fraͤulein Howe, Verſuche unter - nehmen koͤnnte: jedoch, wenn jemand zur Ver - achtung eines Ehegatten durch das Beyſpiel einer Perſon, der am meiſten daran gelegen iſt, ihn zu ehren, gereizet wird; was, meine werthe Freun - dinn, denken Sie davon? Es iſt nur allzu natuͤrlich fuͤr neidiſche Leute; und wer, der die Fraͤulein Howe kennet, wird Herrn Hickmann nicht beneiden? ihr Geſpoͤtte und Spiel mit de - nen zu treiben, welche von einem Frauenzimmer mit Verachtung angeſehen werden oder Verach - tung von demſelben leiden. Wofern eine Manns - perſon eine wahre und feurige Liebe gegen das Frauenzimmer heget, um welches er ſich bewirbt: ſo wird er leicht durch ihr Misvergnuͤgen furcht - ſam gemacht werden; und das wird ihn zu de - muͤthigen Handlungen bringen, die den Namen der Niedertraͤchtigkeit bekommen werden. Welchem wahrhaftig verſtaͤndigen Frauenzimmer aber wuͤrde es gefallen, wenn man von ihr ſagte, daß ſie einem Manne, von dem ſie dereinſt Schutz und Vertheidigung erwartete, etwas auflegen wollte, das ſich als eine Niedertraͤchtigkeit oder einem Manne unanſtaͤndige Erniedrigung in ſei -nem137nem Bezeigen, auch nur einmal gegen ſie ſelbſt, ausdeuten ließe? Ja ich weiß nicht gewiß, und frage Sie, wertheſte Freundinn, damit mir der Zweifel benommen werde, ob es nach Jhrer eignen Meynung nicht glaublich iſt, daß ein Frauen - zimmer von Verſtande diejenige Mannsperſon, welche, ſonderlich vor Geſellſchaft, von ihr eine Beſchimpfung gedultig annehmen wird, viel - mehr verachten als deswegen hoͤher ſchaͤtzen werde?

Jch habe allezeit bemerket, daß Vorurtheile zum Nachtheil einer Perſon, welche bey dem er - ſten Anblick derſelben gefaßt werden, ſich tiefer eindruͤcken, und, wenn ſie ſich ſo feſtgeſetzet ha - ben, ſchwerer zu vertreiben ſind, als Vorurtheile zu jemandes Vortheil. Ob es vom Neide her - komme, oder von dem gottloſen und bey nieder - traͤchtigen Gemuͤthern ſo merklich ſichtbaren Grundſatze, der ihnen den Wunſch eingiebet, Leu - te von groͤßern Vorzuͤgen ſo weit zu erniedrigen, daß ſie mit ihnen in einer Reihe ſtehen, unterſte - he ich mich nicht auszumachen. Wenn alſo ein Frauenzimmer von ſo guter Einſicht, als Sie be - ſitzen, einmal der Welt Raum zu denken giebet, daß ſie keine große Meynung von dem Liebha - ber hege, den ſie nichtsdeſtoweniger bey ſeinem Anſuchen unterhaͤlt: ſo wird es ihr hernach ſehr ſchwer werden, eben der Welt eine ſo gute Meynung, als ſie gern haben wollte, von dem Ehegatten, den ſie gewaͤhlet hat, beyzubringen.

J 5Erlau -138

Erlauben Sie mir anzumerken, daß eine ge - faͤllige Herablaſſung mit einer erhabenen An - ſtaͤndigkeit, und ein Gebieten mit einer ſolchen Guͤte und einem ſo freundlichen Weſen, daß ſich die gefaͤllige Herablaſſung, ſo lange man un - verheyrathet iſt, daraus ſehen und erkennen laſſen moͤchte, Dinge ſind, worauf ein weiſes Frauen - zimmer, das ihren Mann kennet, ihr Augen - merk billig richten ſollte: und ein weiſes Frauen - zimmer, ſollte ich denken, wuͤrde lieber Lebenslang unverheyrathet bleiben, als ſich einem Manne uͤberlaſſen, den ſie einer ſo edlen Begegnung nicht wuͤrdig achtet.

Wenn aber ein Frauenzimmer ihren Liebha - ber ſehen laͤſſet, daß ſie edelmuͤthig genug iſt, ei - nen wohlgemeynten Dienſt zu billigen und zu be - lohnen; daß ſie eine ſolche Gemuͤthsart beſitzet, welche ſie uͤber die kleinen verfaͤnglichen Thorhei - ten, die von einigen, mit allzugroßer Freyheit, wie ich hoffe, unſerm Geſchlechte uͤberhaupt beygemeſ - ſen werden, hinausſetzet; daß, wo ſie jemals glau - bet, Urſache zum Misvergnuͤgen zu haben, ſie nicht muthwillig oder aus Stolz zuͤrnet; daß ſie es nicht fuͤr noͤthig haͤlt, auf Kleinigkeiten zu be - ſtehen, damit ſie wichtigere Dinge, die es ſich viel - leicht nicht ſchickt zu ſuchen, erlange, oder ſich der - ſelben verſichere; daß ſie nicht Raum laͤſſet zu ge - denken, als wenn ſie ſo viele Urſache haͤtte, an ih - ren eignen Vorzuͤgen zu zweifeln, daß ſie die Lie - be desjenigen, dem ſie ſich gefallig zu bezeigen wil - lens iſt, auf unangenehme oder hochmuͤthige Pro -ben139ben ſtellen muͤßte; daß ſie vielmehr die Vernunft in ihren Handlungen vornehmlich zur Fuͤhrerinn waͤhlet: ſo wird es ihr niemals an der wahren Hochachtung und der aufrichtigen Verehrung feh - len, welcher ſie theilhaftig zu werden wuͤnſchet, und welche verurſachen wird, daß man nach der Vermaͤhlung ihr Urtheil, bisweilen mit einem Vorzuge vor dem Urtheil eines Mannes, zu an - derer Zeit als eine angenehme Bekraͤftigung deſſelben, zu Rathe ziehet.

So viel, meine geliebte Fraͤulein Howe, von dieſer Sache fuͤr dieß mal, und ich darf wohl ſagen, fuͤr allemal.

Jch will alſobald noch einen Brief anfangen und beyde zugleich abſenden. Unterdeſſen bin ich ꝛc.

Jn dem verſprochnen naͤchſten Briefe giebt die Fraͤulein der Fraͤulein Howe Nachricht von des Herrn Brands angebrachter Zeitung von ihr; von den Vorſchlaͤgen ihrer Schwe - ſter, entweder aus dem Lande zu gehen oder Herrn Lovelacen gerichtlich zu belangen; und beklaget ſich uͤber den harten Brief von ihrem Onkel Anton und ihrer Schweſter; aber in weit gelindern Ausdruͤckungen, als ſie verdienten.

Sie uͤberſchickt ihr des D. Lewins Brief und die Abſchrift von ihrer Antwort auf den - ſelben.

Sie140

Sie erzaͤhlt ihr die Schwierigkeiten, welche ſie gefunden, den Beſuch des Herrn Lovelacens zu vermeiden. Sie theilet ihr den Jnhalt des Briefes mit, den ſie an ihn geſchrieben: und iſt beſorgt, wie ſie ſchreibt, daß ſie hie - durch einen Schritt gethan habe, der nach der Strenge nicht ganz recht ſeyn moͤchte, wofern einer Perſon unter ihren Umſtaͤnden nicht erlaubt ſeyn ſollte, ſich verbluͤmter und uneigentlicher Ausdruͤcke zu bedienen.

Sie meldet ihr ihres Vettern Mordens An - kunft und Bereitwilligkeit, ihre Partey bey ihren Verwandten zu nehmen; wie auch ſeinen Vorſatz, mit Herrn Lovelacen zu ſpre - chen; und eroͤffnet ihr, was ſie dabey be - ſorge.

Sie ſchreibt ihr den Jnhalt der Unterredung zwiſchen ihrer Tante Hervey und Fr. Nor - ton. Hiernaͤchſt faͤhrt ſie fort:

Allein wenn ſie nun auch noch ſo vortheilhaft fuͤr mich geſinnet waͤren: was koͤnnen ſie mir hel - fen? Jch wuͤnſche gleichwohl, und zwar mehr um ihrer ſelbſt, als um meinetwillen, daß ſie noch itzo gelinder werden moͤchten. Aber ich befinde mich ſehr uͤbel Jch muß meine Feder nie - derlegen Eine ploͤtzliche Ohnmacht uͤberfaͤllt mein Herz Entſchuldigen Sie mein krum - mes Schreiben! Leben Sie wohl, wertheſte Freundinn! Leben Sie wohl!

Um141

Jch nehme meine Feder noch einmal wieder. Jch dachte, daß ich mein letztes Lebewohl an Sie abgelaſſen haͤtte. Mir iſt niemals ſo gar wunderlich zu Muthe geweſen. Es war etwas, das meinen Verſtand gaͤnzlich zu benebeln ſchien Jch weiß nicht, wie ich es beſchreiben ſoll! Jch glaube, ich thue mir Schaden damit, daß ich ſo viel ſchreibe, und allzu viel uͤber mich nehme: allein ein wirkſames Gemuͤth kann nicht muͤßig ſeyn; wenn es gleich durch Krankheit des Leibes als wie mit truͤben Wolken umzogen wird.

Jch will ſehen, ob mir die Luft und eine un - terbrochne Aufmerkſamkeit helfen wollen Wollen ſie aber nicht helfen: ſo bekuͤmmern Sie ſich nicht um mich, meine wertheſte Freundinn. Jch werde gluͤcklich ſeyn. Ja ich bin es ſchon itzo mehr, als ich noch vor kurzem glaubte, daß ich es jemals in dieſem Leben ſeyn koͤnnte. Jedoch, wie feſt haͤnget ſich dieſer Leib an! Wie beſchwerlich iſt er!

Jch konnte dieſen Brief nicht mit einem ſo trau - rigen Beſchluß, wie Sie dafuͤr gehalten ha - ben wuͤrden, abgehen laſſen. Deswegen wartete ich ſo lange, ihn zu ſchließen, bis ich ſehen moͤchte, wie ich mich befaͤnde, wenn ich von meiner Ver - aͤnderung in der Luft zuruͤckkaͤme. Und nun, muß ich ſagen, iſt mir ganz anders. So munter! daß ich mit eben ſo vieler Lebhaftigkeit, als ich an -gefan -142gefangen habe, fortfahren, und uͤber Jhre heftige Munterkeit noch mehr predigen koͤnnte, wenn ich davon nicht ſchon mehr, als genug, geſchrieben haͤtte.

Jch wuͤnſche, daß Sie mir erlauben moͤchten, Jhnen und dem Herrn Hickmann Freude zu ma - chen. Erlauben Sie es, meine liebe Freundinn! Jch wuͤrde mir ſelbſt einen Theil davon neh - men, wenn Sie wollten.

Meine gehorſamſte Empfehlung an alle Jh - re Freunde, ſo wohl an diejenigen, welche ich zu kennen die Ehre habe, als an die, welche ich nicht kenne.

Jch habe eben itzo unvermuthet von einem Menſchen, von dem ich ſeit langer Zeit niemals etwas wieder zu hoͤren gedachte, einen Brief be - kommen: von Herrn Wyerley. Jch will ihn einſchließen. Sie werden ſich eben ſo ſehr dar - uͤber wundern, als ich mich gewundert habe. Dieß ſcheint ein Mann zu ſeyn, den ich haͤtte auf beſſe - re Wege bringen moͤgen. Allein ich konnte ihn nicht lieben. Jedoch habe ich ihm, wie ich hoffe, niemals uͤbermuͤthig begegnet. Jn Wahrheit, meine wertheſte Freundinn, wo ich nicht zu par - teyiſch gegen mich ſelbſt bin, ſo denke ich, daß ich ſeine Hand mit mehrerer Gelindigkeit ausgeſchla - gen habe, als Sie die Hand eines gewiſſen an - dern behalten. Und dieſe Erinnerung verurſa - chet mir wenigere Betruͤbniß, als ich ſonſt ge -habt143habt haben wuͤrde, da ich dieſe Probe einer edlen Geſinnung, welche mich ruͤhret, anitzo bekomme. Jch will auch den unausgearbeiteten Entwurf von meiner Antwort beyſchließen, ſo bald ich ihn abge - ſchrieben habe.

Wo ich noch einen neuen Bogen anfange: ſo werde ich ihn voll ſchreiben. Daher will ich nur mein Gebeth fuͤr Jhre Ehre und Wohlergehen, und fuͤr ein langes, langes, begluͤcktes Leben bey - fuͤgen; nebſt dem Wunſch, daß, wenn daſſelbe zu ſeinem Ziel gekommen iſt, Sie eben ſo geruhig und zufrieden bey dem Ausgange aus demſelben ſeyn moͤgen, als ich, nach meiner Hoffnung auf Gott, ſeyn werde. Jch bin und werde bis auf den letzten Augenblick ſeyn

Jhre aufrichtig ergebene und verbundene Dienerinn Clar. Harlowe.

Der144

Der achtzehnte Brief von Herrn Wyerley an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Wertheſte Fraͤulein.

Sie werden ſich wundern, daß Sie, nach Ver - lauf ſo langer Zeit, einen Antrag, der ſo aus - druͤcklich, ob gleich ſo hoͤflich, abgelehnet iſt, wie - der erneuret finden: allein, es mag aufgenommen werden, wie es will, ich muß ihn erneuren. Je - dermann hat gehoͤret, daß auf eine ſchaͤndliche Art mit Jhnen umgegangen iſt: von einem Men - ſchen, welcher der ſchaͤndlichſte Kerl in der Welt ſeyn mußte, daß er Jhnen uͤbel begegnen konnte. Jedermann weiß Jhren gerechten Unwillen uͤber ſeine niedertraͤchtige Begegnung: daß Sie feſt entſchloſſen ſind, ſich niemals mit ihm wieder aus - zuſoͤhnen; und daß Sie gegen alles Flehen ſeiner edlen Anverwandten, gegen alles Bitten und alle Reue des unedlen Menſchen ſelbſt, in dieſer Ent - ſchließung beharren. Und alle Welt, die die Eh - re hat, Sie zu kennen, oder von ihm gehoͤret hat, loben Jhren Entſchluß mit vielem Beyfall, als einen Vorſatz, der ſich fuͤr Sie ſelbſt, der ſich fuͤr Jhre Tugend und die genaue Beobachtung derEhre145Ehre ſchicket, welche Jhnen allezeit von einem je - den, der von Jhnen redete, beygeleget ward.

Allein, gnaͤdige Fraͤulein, wenn auch alle Welt anderer Meynung geweſen waͤre: ſo haͤtte das doch die meinige niemals aͤndern koͤnnen. Jch habe Sie allezeit geliebet: ich muß Sie al - lezeit lieben. Dennoch habe ich mich bemuͤhet, mein hartes Schickſal zu ertragen. Nachdem ich ſo viele Wege vergebens verſucht hatte, um Sie zur Gewogenheit gegen mich zu bewegen, ruhete ich und war dem aͤußerlichen Anſehen nach zufrieden. Jch ſuchte auch allen meinen Freun - den, und denen, die mit mir umgehen, die Ge - danken beyzubringen, daß ich es wirklich waͤre. Aber niemand weiß, was fuͤr Marter mich dieſe Selbſtverleugnung koſtet. Vergebens ſtellte ſich mir die Jagd, vergebens ſtellte ſich mir das Rei - ſen, vergebens ſtellte ſich mir lebhafte Geſellſchaft dar. Ob ich gleich ein jedes nach der Reihe an - nahm: ſo brachte doch meine Liebe zu Jhnen mei - ne Ungluͤckſeligkeit immer mit gedoppelter Staͤrke wieder hervor, wenn ich in mich ſelbſt, in mein eignes Herz ſchauete; denn da hatte Jhr reizen - des Bild ſeinen feſten Thron, und Sie nahmen mich gaͤnzlich ein.

Jch bedaure aufrichtig das Ungluͤck und Lei - den, welches Sie betroffen hat, um Jhrer ſelbſt willen. Nichts deſto weniger aber macht mir daſſelbe einen Muth, meine kuͤhne Hoffnung wie - der zu erneuren. Jch weiß die eigentlichen Um - ſtaͤnde nicht. Jch darf mich nicht darnach erkun -Siebenter Theil. Kdigen:146digen: weil ſich mein Leiden mit der Wiſſen - ſchaft von dem, was Sie gelitten haben, vergroͤ - ßern wuͤrde. Daher verlange ich nicht mehr da - von zu wiſſen, als was der gemeine Ruf, nicht ohne Verletzung meiner Ohren, an mich bringet, und was mir durch Jhre Abweſenheit von Jhrer grauſamen Familie, und von dem geheiligten Or - te zu erkennen gegeben wird, wo ich, unter vielen andern Jhrer abgewieſenen Bewunderer, Sie woͤchentlich zweymal gewiß zu ſehen pflegte, in - dem Sie dem heiligen Dienſte Ehre brachten, von welchem eben Jhr Beyſpiel mir die erhaben - ſten Begriffe einfloͤßte. Allein dieß Ungluͤck mag ſeyn, was es will, dieß Leiden mag beſchaf - fen ſeyn, wie es will: ich werde um mein ſelbſt willen die Gelegenheit gluͤcklich nennen; ob gleich in Anſehung Jhrer der Urheber von jenem ver - flucht ſeyn mag; wofern es mir das Gluͤck ver - ſchaffet, zu erfahren, daß dieſer mein erneurter Antrag nicht ſchlechterdings, verworfen wird. Machen Sie mir nur Hoffnung, daß er mit der Zeit einmal Gehoͤr finden moͤge: wofern unter - deſſen weder in meiner Lebensart, noch in meinem Bezeigen etwas vorfaͤllt, das Jhnen aufs neue zur Beleidigung gereiche. Machen Sie mir nur hiezu Hoffnung Daß Sie mich nicht ſchlechterdings abweiſen, das iſt alle die Hoff - nung, um welche ich bitte: und ich will Sie, wo moͤglich, noch mehr lieben, als ich Sie jemals ge - liebet habe. Jhres Leidens wegen will ich das thun. Denn Sie verdienen wohl geliebet,ja147ja bis zur Anbetung geliebet zu werden: da Sie um der Ehre und Tugend willen eine Leidenſchaft uͤberwaͤltigen koͤnnen, welche gemeine Gemuͤther; ich ſpreche aus grauſamer Erfahrung; unuͤber - windlich befinden; und dieß noch dazu zu einer Zeit, da der ſcheusliche Menſch, welcher Sie be - leidigt hat, vor Jhnen knieet, und wie ich wohl verſichert bin, fußfaͤllig um Vergebung bittet, gleichwie alle ſeine Freunde ebenfalls inſtaͤndigſt fuͤr ihn bitten.

Daß Sie ihm nicht vergeben, nicht ſo verge - ben koͤnnen, daß Sie ihn wieder gewogen anneh - men ſollten, iſt kein Wunder. Seine Beleidi - gung laͤuft wider die Tugend: dieſe iſt ein Theil von Jhrem Weſen. Was fuͤr Großmuth iſt dieß! Wie gerecht ſind Sie gegen Sich ſelbſt, und gegen Jhre unbefleckte Gemuͤthsart! Jſt es ein Verdienſt, eine Perſon von ſo erhoͤheter Ein - ſicht mehr als jemals zu bewundern? Nein es iſt keines. Jch kann daraus keinen Grund fuͤr mich nehmen.

Was fuͤr Hoffnung habe ich uͤbrig, mag man ſagen, nachdem mein Antrag ſchon vormals ver - worfen iſt: da nun Jhr Leiden, welches Sie ſo edelmuͤthig getragen haben, bey allen tuͤchti - gen Richtern die gute Meynung von Jhrer Gemuͤthsart erhoͤhet hat? Gleichwohl, gnaͤdige Fraͤulein, habe ich mich in einem Stuͤcke zu ruͤh - men. Jhre Freunde, welche Sie nicht von der rechten Seite, wie ich, anſehen, verfolgen und ver - bannen Sie. Jhr Vermoͤgen und Jhr Gut wirdK 2Jhnen148Jhnen vorenthalten: und man drohet, wie ich weiß, es Jhnen ſo lange vorzuenthalten, als das verfaͤngliche Recht, oder vielmehr die verfaͤngli - chen Raͤnke der Rechtsgelehrten, es Jhnen ent - ziehen kann. Sie ſind ohne Schutz: indem je - dermann, entweder aus Furcht vor dem Beleidi - ger in der einen, oder vor den Hartherzigen in der andern Familie, von Ferne ſtehet. Unter dieſen Umſtaͤnden ruͤhme ich mich damit, daß ich hervortrete, und mein Vermoͤgen und mein Leben zu Jhrem Befehl wiedme und darbiete. Jedoch thue ich es freylich mit einer eigennuͤtzigen Hoff - nung. Jch wuͤrde ein allzu großer Heuchler ſeyn, wenn ich dieß nicht geſtuͤnde: und ich weiß, wie ſehr Sie alle Falſchheit verabſcheuen.

Sie moͤgen aber dieſe Hoffnung unterſtuͤtzen, oder nicht: ſo haben Sie doch die Gewogenheit, gnaͤdige Fraͤulein, meine gehorſamſten Dienſte anzunehmen, und entſchuldigen mich guͤtigſt we - gen einer Art der Liſt, mit welcher ich nach Be - ſchaffenheit der Sache, da ich zweifele, ſonſt mit einer Nachricht von Jhnen beehret zu werden, be - ſchließen muß. Es iſt folgende.

Wo ich noch immer der ungluͤckſelige Menſch ſeyn ſoll: ſo laſſen Sie es mich nur durch eine Zeile von Jhrer Feder wiſſen. Wird mir aber erlaubt, eine Hoffnung zu hegen, wenn ſie auch noch ſo entfernt ſeyn moͤchte: ſo ſoll Jhr Still - ſchweigen von mir fuͤr das gluͤcklichſte Zeichen angeſehen werden, das Sie mir davon geben koͤn - nen Ausgenommen das noch gluͤcklichere das149das gluͤcklichſte, das mir zu Theil werden kann eine ausdruͤckliche Anzeige, daß Sie das dar - gebotene Leben und Vermoͤgen annehmen wollen. Jch wuͤrde mir eine Ehre und einen Ruhm dar - aus machen, daſſelbe zu Jhren Dienſten aufzu - opfern und Jhnen ſelbſt die Belohnung dafuͤr zu beſtimmen anheimſtellen.

Jhre Entſchließung mag ausfallen, wie ſie will: ſo muß ich Sie doch beſtaͤndig bewundern und lieben. Jch will auch meinen Stand nie - mals veraͤndern, ſo lange Sie leben: Sie moͤgen den Jhrigen aͤndern, oder nicht. Denn da ich einmal ſo kuͤhn geweſen bin, mich um Sie zu be - werben: ſo kann ich mich nicht ſo weit herunter - laſſen, daß ich an ein anderes Frauenzimmer ge - denken ſollte. Und dieß betheure ich aufs heilig - ſte vor den Augen Gottes; zu dem ich taͤglich be - te, daß er Sie begluͤcke und ſchuͤtze: Jhre Ent - ſchließung, gnaͤdige Fraͤulein, mag ſeyn, wie ſie will, in Abſicht auf

Jhren gehorſamſten und beſtaͤndig ergebe - nen und getreuen Diener, Alexander Wyerley.

K 3Der150

Der neunzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Herrn Alex. Wyerley.

Mein Herr.

Die edle Geſinnung, welche Sie durch Jhren Antrag beweiſen, wuͤrde nicht allein eine Nachricht von mir, ſondern auch eine Dankſa - gung gefordert haben: wenn Sie mir gleich nicht die beyden Faͤlle, aus einer Liſt, wie es Jhnen zu nennen beliebet, vorgeleget haͤtten. Jch ſtatte Jhnen daher fuͤr Jhr guͤtiges Schreiben meinen Dank ab.

Als Sie mir durch Jhre vortheilhafte Ge - ſinnung gegen mich vorzuͤgliche Ehre erwieſen: gab ich Jhnen zu erkennen, mein Herr, daß ich gern ledig bleiben wollte. Und ich ſagte Jhnen darinn die Wahrheit.

Da mir das aber nicht erlaubt war, und ich die verſchiedne Cavalliers, welche mir vorgeſchla - gen waren, nach einander betrachtete, und Urſache hatte zu glauben, daß nicht einer unter ihnen waͤ - re, gegen deſſen Lebensart oder Grundſaͤtze nicht einige Einwendung zu machen ſtuͤnde: ſo wuͤrde es nicht ſehr zu bewundern geweſen ſeyn, wennes151es der Einbildung uͤberlaſſen waͤre, einen Vor - zug zu beſtimmen, wo der Verſtand ſchwerlich einen Ausſchlag geben konnte.

Es ſey ferne von mir, daß ich dieß in der Abſicht ſagen ſollte, Jhnen etwas vorzuwerfen, mein Herr, oder auf Sie zu ſticheln. Jch habe Jhnen allezeit Gutes gewuͤnſchet. Sie hatten Urſache, dieß von mir zu denken. Sie waren ſo edelmuͤthig, daß Sie ſich mein ungeheucheltes Bezeigen gegen Sie gefallen ließen: gleichwie mir das Jhrige gegen mich gefiel. Es iſt mir aber leid, itzo zu hoͤren, daß die Beruhigung, wel - che Sie mir zu gefallen anzunehmen geſucht, Jh - nen ſo viele Beſchwerden verurſachet habe.

Waͤre mir nach der Zeit die Wahl, wovon ich Erwaͤhnung gethan habe, freygelaſſen; wie ich nicht nur wuͤnſchte, ſondern wirklich vorſchlug: ſo wuͤrde das nicht geſchehen ſeyn, was geſchehen iſt. Allein es iſt eine Art des Verhaͤngniſſes geweſen, wodurch unſere ganze Familie, wie ich ſagen mag, getrieben worden, und welches keinem von uns zu vermeiden erlaubt geweſen. Dieß iſt aber eine Sache, daruͤber man ſich nicht weitlaͤuftig einlaſ - ſen kann.

Wie die Umſtaͤnde itzo ſind: ſo habe ich nur zu wuͤnſchen, und zwar um Jhrer ſelbſt willen, daß Sie die guten Regungen in Jhrem Gemuͤ - the, denen viele Stellen in Jhrem guͤtigen und großmuthsvollen Briefe, welchen ich itzo vor mir habe, zuzuſchreiben ſeyn muͤſſen, unterhalten und ſtaͤrken moͤgen. Glauben Sie ſicherlich, meinK 4Herr152Herr, daß dergleichen Regungen, wofern ſie zu ei - ner Fertigkeit gebracht ſind, Jhnen zu einer Zeit, da es ſonſt nichts thun kann, Vergnuͤgen ſchaffen werden. Laſſen ſie ſich aber itzo in Jhren Hand - lungen und in Jhrem Umgange erblicken: ſo wer - den ſie Sie bey den wuͤrdigſten Perſonen unſeres Geſchlechtes beliebt machen. Denn derjenige, mein Herr, der ſo wohl nach ſeiner freywilligen Entſchließung, als durch Erziehung tugend - haft iſt, hat eben die Eigenſchaft an ſich, welche das menſchliche Geſchlecht adelt, und ohne welche die Vornehmſten von Geburt oder Stande un - edel ſind.

Was den Vorſatz betrifft, den Sie ſo heilig faſſen, ſich, ſo lange als ich lebe, nicht zu verhey - rathen: ſo wuͤrde ich desfalls bekuͤmmert ſeyn; wenn ich nicht eine ſittliche Gewißheit haͤtte, daß Sie ihn ohne Jhren Schaden erfuͤllen moͤgen. Denn wenige, ſehr wenige Tage werden Sie uͤberzeugen, daß ich uͤber alle menſchliche Gewalt erhoͤhet ſey und daß es des Schutzes und der Gewogenheit nicht beduͤrfe, welche Sie ſo edelmuͤthig anbieten, mein Herr,

Jhrer verbundenen Freundinn und gehorſamen Dienerinn Cl. Harlowe.

Der153

Der zwanzigſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Verwichenen Abend, um die Zeit, da der arme Belton begraben wurde, ſo genau als wir es nach unſerer Vermuthung treffen konnten, tranken wir, der Lord M. Mowbray und ich, ein - mal zum Andenken des ehrlichen Thomas Belton; aber auch durch einen geſchwinden Uebergang zu den Lebendigen, auf die Geſund - heit der Fraͤulein Harlowe, welches der Lord M. auf eine hoͤfliche Art ausbrachte, und auf die gluͤckliche Ausſoͤhnung: und darauf ſtießen wir zur Erinnerung des ehrlichen Bruder Belfords an, der ſeit kurzem, wie wir alle ge - ſtunden, ein brauchbarer und leutſeliger Mann ge - worden, und die Gelegenheit ſeinen Freunden zu dienen ſeinen eignen Vortheilen vorzoͤge.

Allein was hat es zu bedeuten, daß ich keine Nachricht von dir bekomme(*)Herr Belford hatte ſeinen zuletzt geſchriebenen Brief noch nicht abgeſchickt. Seine Urſachen da - zu ſiehet man im vorhergehenden VIII Briefe.? Warum eroͤff - neſt du mir nicht, woher die ploͤtzliche AusſoͤhnungK 5meiner154meiner Geliebten mit ihren Freunden komme, und was die Urſache ſey, daß ſie mich ſo großmuͤthig einladet, nach Verlauf einiger Zeit in ihres Va - ters Haus zu ihr zu kommen?

Du mußt itzo gewiß um das Geheimniß wiſ - ſen: und ich kann dir ſagen, ich werde gewaltig eiferſuͤchtig ſeyn, wo irgend etwas zwiſchen mei - nem Engel und dir vorgeht, das vor mir geheim gehalten werden ſoll. Denn entweder ich bin ei - ne Hauptperſon in dieſer Sache, oder ich bin nichts. Jch habe meinen Wilhelm eiligſt abge - fertigt, damit ich die Urſache deiner Nachlaͤßigkeit erfahre.

Aber ich muß dir ein oder ein paar Worte ins Ohr ſagen. Jch fange an zu beſorgen, nach - dem ich alles uͤberlege, daß dieſer Brief nur ein Kunſtgriff geweſen, mich aus London zu bringen, und ſonſt zu nichts diene: denn fuͤrs erſte meldet mir Tourville in einem Briefe, den ich heute fruͤ - he bekommen habe, daß ſich die Fraͤulein wirklich ſehr ſchlecht befindet Es iſt mir von ganzem Herzen leid! Dieß, wirſt du ſagen, mag ich als eine Urſache anſehen, warum ſie noch nicht abreiſen kann: allein hiernaͤchſt habe ich auch an der andern Seite nur erſt geſtern Abends ge - hoͤret, daß ihre Familie noch eben ſo unverſoͤhn - lich iſt, als ſie jemals geweſen; und mein Lord und ich erwarten eben dieſen Nachmittag einen Be - ſuch von dem Obriſten Morden, welcher willens iſt, wie es ſcheint, mich wegen meiner Geſinnung gegen ſeine Baſe zu befragen.

Dieß155

Dieß uͤberzeuget mich, daß, wo ſie ihnen von meinem Erbieten gegen ſie Nachricht gegeben hat, ſie nicht glauben wollen, daß es mein Ernſt ſey, bis ſie davon aus meinem eignen Munde verſi - chert ſind. Außer dem aber vernehme ich, daß der uns zugedachte Beſuch eine freywillige Dienſt - fertigkeit von Morden ſelbſt ſey, ohne das Ver - langen irgend jemandes von ihren Freunden.

Nun ſage mir, Bruder, was kann ein Menſch aus allen dieſen Dingen machen? An meiner Nachricht, daß die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Fami - lie noch fortdaure, iſt nicht zu zweifeln: und was kann man gleichwohl ſagen, wenn ich ihren Brief leſe? Gewiß das liebe, kleine, ſchelmiſche Kind wird doch nicht luͤgen.

Jch habe niemals gefunden, daß ſie von ih - rem Worte abgegangen waͤre, ausgenommen ein - mal: und das war, da ſie verſprach, mir zu ver - geben, nach dem ſchrecklichen Feuer, welches bald in unſerer Mutter Hauſe entſtanden waͤre, und mich dennoch des folgenden Tages nicht ſehen wollte, auch hernach ihre Flucht nach Hampſtead nahm, damit ſie mir nicht vergeben duͤrfte. Weil ſie aber dieſe Abweichung von ihrem auf Ehre gegebenen Verſprechen hart und ſchmerzlich empfunden hat; denn es iſt fuͤr fromme Leute ei - ne betruͤbte Sache, ihr Wort zu brechen, wenn es in ihrer Gewalt ſtehet, daſſelbe zu halten: ſo ſollte man nicht vermuthen, daß ſie wieder einen Betrug vornehmen wuͤrde; ſonderlich auf eine ſo vorſetzliche Art, als es beym Schreiben ge -ſchiehet. 156ſchiehet. Jhr werdet vielleicht fragen: Wel - cher ehrlicher Menſch iſt verbunden, einem Straſ - ſenraͤuber ſein Wort zu halten? Denn ich kenne eure unartige Weiſe wohl, Vergleichungen zu ma - chen. Allein ich ſage, ein jeder ehrlicher Menſch iſt es allerdings verbunden: und ich will es euch mit einem Beyſpiel erlaͤutern.

Setzet, es komme ein raͤuberiſcher Kerl, der euch das Piſtol auf die Bruſt ſetze und euer Geld fordere: ihr aber habt weder Geld noch Geldes - werth bey euch, und verſprechet heilig, wo er euch das Leben ſchenken will, daß ihr ihm an einem gewiſſen Tage, an einen gewiſſen Ort, eine verab - redete Summe ſchicken wollet. Die Frage iſt: Ob euer Leben nicht in des Kerls Gewalt ſtehe?

Wie er zu dieſer Gewalt gekommen, das iſt eine andere Frage: und das muß er mit dem Le - ben verantworten; wenn er ergriffen wird So lauft er Gefahr fuͤr Gefahr.

Wenn er euch nun euer Leben ſchenket: giebt er euch denn nicht etwas ſchaͤtzbares und be - traͤchtliches fuͤr das Geld, welches ihr ihm auf eure Ehre zu ſenden verſprechet? Wo nicht: ſo muß die Summe ſehr uͤbermaͤßig, oder euer Le - ben, ſelbſt in euren eignen Gedanken, etwas ſehr nichtswuͤrdiges ſeyn.

Jch brauche die Anwendung nicht zu ma - chen: und ich bin verſichert, daß du ſo gar ſelbſt, da du doch meiner niemals ſchoneſt, und mein Herz durch dein eignes zu kennen glaubeſt, denFall157Fall auf keine moͤgliche Art ſtaͤrker und klaͤrer ge - gen mich ſetzen kannſt.

Warum nehmen ſich hiernaͤchſt fromme Leu - te heraus, ſtrenge Urtheile wider Perſonen, die ſich weniger Gewiſſen machen, als ſie ſelbſt, zu faͤllen? Geſchieht es nicht deswegen, weil ſich die letztern manche Freyheiten verſtatten, um eine Sache durchzuſetzen? Kann aber wohl die Unter - laſſung meiner Pflicht einen andern wegen Un - terlaſſung der ſeinigen rechtfertigen? Du wirſt es nicht behaupten.

Und wie wuͤrde es klingen, daß ich noch ein - mal den Fall, ſo wohl der That, als den Wor - ten nach, ſo hart ſetze, als ihn mein groͤßter Feind ſetzen wuͤrde: Hier hat der verruchte Boͤſewicht, Lovelace, ſein Geluͤbde gebrochen, und die Fraͤu - lein Clariſſa Harlowe betrogen Ein ſchaͤndli - cher Kerl! wuͤrde ein Feind ſagen: aber es ſieht ihm aͤhnlich. Allein wenn es hieße, die fromme Fraͤulein Clariſſa Harlowe habe ihr Wort gebro - chen und Herrn Lovelacen betrogen: ſo wuͤrde ein jeder ſagen: Himmel! gewiß das kann nicht ſeyn!

Bey meiner Seele, Bruder, die Ehrerbie - tung, welche ich gegen dieß bewundernswuͤrdige Frauenzimmer trage, iſt ſo groß, daß es mir aͤr - gerlich iſt, nur bloß den Fall zu ſetzen: und ſo wird es dir auch ſeyn; wo du gegen ſie die Hoch - achtung hegeſt, welche du billig hegen mußt. Denn du weißt, daß alle Manns - und Weibsper - ſonen in der ganzen Welt ihre Meynungen voneinan -158einander nach den Geſtaͤndniſſen und bekann - ten Handlungen einer jeden Perſon einrichten. An dieſer Fraͤulein wuͤrde es daher eben ſo we - nig zu verzeihen ſeyn, wenn ſie mit Vorſatz ei - ne Unwahrheit ſagte, als es ſeltſam ſeyn wuͤrde, wenn ich mein Wort hielte Jn Liebesſachen, meyne ich: denn in allen uͤbrigen Dingen bin ich ein ehrlicher ſittſamer Mann, wie alle, die mich kennen, bezeugen koͤnnen.

Was wuͤrde dieſe Fraͤulein, bey genauer Ueberlegung, verdienen, wo ſie mich in dieſem Fall betrogen hat? Denn machte ſie nicht, daß ich mich auf dem beſten Gaul des Lords M. bruͤ - ſtete, und mit einem muntern und ſieghaften Ge - ſichte, zu der Lady Sarah und Lady Eliſabeth be - gab, um ihnen ihren Brief an mich zu zeigen? Jch habe auch von beyden die Gluͤckwuͤnſche dar - uͤber angenommen. Gut, Vetter Lovelace, rief die eine: Gut, Vetter Lovelace, rief die andere; nun hoffe ich, daß ſie ſich als den beſten Ehemann gegen eine ſo vortreffliche und verſoͤhnliche Fraͤu - lein beweiſen werden! Und nun werden wir bald das Vergnuͤgen haben, ſie als einen Menſchen, der ſich gebeſſert hat, anzuſehen, ſetzte die eine hin - zu! Und nun werden wir ſie in dem Zuſtande ſehen, in welchem wir ſie ſo lange zu ſehen gewuͤn - ſchet haben, frohlockte die andere!

Meine Baſen Montague haben ſich auch be - ſtaͤndig ſeit der Zeit uͤber die neue Verwandtſchaft gefreuet. Jhre reizende Baſe, und ihre liebens - wuͤrdige Baſe, heißt es bey jedem Worte! Wie159Wie herzlich wollen ſie dieſelbe lieben! Was fuͤr gute Lehren wollen ſie von ihr annehmen! Dennoch wollte Charlotte, welche Adlersaugen haben will, in der Schreibart und Einkleidung der Gedanken etwas Geheimnißvolles finden, bis ich ſie uͤbertaͤubte und desfalls auslachte.

Der Lord M. hat von einer Stunde zur an - dern gewartet, daß von der Harloweiſchen Fami - lie Vorſchlaͤge von einer oder der andern Art an ihn geſchickt werden ſollten: und will noch immer behaupten, daß der Obriſt Morden ſolche Vor - ſchlaͤge thun werde, wenn er kommt, und daß das Harloweiſche Haus nur den Schein der Unver - ſoͤhnlichkeit annehme, bis ſie den Ausſchlag von Mordens Beſuch erfahren, damit ſie auf deſto beſſere Bedingungen mit uns ſchließen koͤnnen.

Jn der That, wenn ich nicht, wie geſagt, unleugbare Gruͤnde haͤtte zu glauben, daß ihre Feindſeligkeit gegen mich, und ihre Unverſoͤhn - lichkeit gegen die Fraͤulein noch fortdaurete: ſo wuͤrde ich denken koͤnnen, daß die Muthma - ßung meines Lords einigen Grund haͤtte. Denn es herrſcht verflucht viele niedertraͤchtige Argliſt iu dieſer ganzen Familie: nur allein nicht in dem Engel unter derſelben, welcher ſo edel und groß - muͤthig geſinnt iſt, daß er alle Argliſt, ſo wohl dem Namen, als der That nach, verachtet.

Meine Abſicht bey dieſem allen iſt, dir zu zeigen, was fuͤr eine alberne Perſon ich ſelbſt bey meiner ei - gnen ganzen Familie ſpielen wuͤrde, wo meine Cla - riſſa im Stande geweſen iſt, wie es Gulliver in ſeinerſcheus -160ſcheuslichen Yahoo-Geſchichte ausdruͤcket, das zu ſagen, was nicht iſt. Bey meiner Seele, Bru - der, wenn es auch weiter nichts waͤre, als daß ich von einer ſolchen Schuͤlerinn in Raͤnken durch Witz uͤberwaͤltigt ſeyn ſollte, und daß es mir hier bey meinen Verwandtinnen, welche wiſſen, wie viel ich mir auf meine Erfindungen zu gute thun, das Anſehen eines Einfaͤltigen geben wuͤr - de: ſo wuͤrde es mich ſchon herzlich kraͤnken; und ich wollte den Augenblick ein Federbette in eine Kutſche mit ſechſen werfen, ſie abholen, ſie moͤchte krank oder geſund ſeyn, und mich nach meinem Belieben mit ihr vermaͤhlen.

Allein der Obriſt Morden iſt gekommen und ich muß abbrechen.

Der ein und zwanzigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Robert Lovelace.

Jch vermuthe wohl, ihr werdet hoͤchſt ungedul - tig ſeyn, daß ihr ſeit meinem letztern vom verwichenen Donnerſtage keine Nachricht von mir bekommen habt. Jhr wuͤrdet noch ungedul - tiger ſeyn, wenn ihr wuͤßtet, daß ich einen Brief fertig bey mir haͤtte.

Jch161

Jch begab mich geſtern fruͤhe nach Epſom, und fand alles nach denen Verordnungen, die ich am Freytage hinterlaſſen hatte, bereit. Des Abends ward die feyerliche Beerdigung vollzogen. Tourville war zugegen, und fuͤhrte ſich ſehr an - ſtaͤndig auf; ließ auch mehr Betruͤbniß blicken, als ich gedacht haͤtte, daß er jemals uͤber irgend jemand wuͤrde bezeigt haben.

Thomaſine war, wie man mir erzaͤhlte, ge - wiſſermaßen verkleidet, in einem dunkeln Kirchen - ſtuhl: aus Neubegierde, demjenigen, deſſen Herz ſie ſo uͤberfluͤßig zu brechen geholfen hatte, den letzten Liebesdienſt erwieſen zu ſehen. Denn es ſcheint, daß es weit von ihr entfernt geweſen, ei - nige Zeichen der Betruͤbniß blicken zu laſſen.

Jch ward genoͤthigt, bis dieſen Nachmittag zu bleiben, damit ich verſchiedne noͤthige Dinge zur Richtigkeit braͤchte, und Anſtalt zu den Ver - zeichniſſen von dem hinterlaſſenen Geraͤthe mach - te, um es ſchaͤtzen zu laſſen. Denn nach ſeinem letzten Willen ſoll alles zu Gelde gemacht werden. Jch ſchenkte ſeiner Schweſter die hundert Gui - neas, welche der arme Mann mir fuͤr die Vollzie - hung ſeines Teſtaments vermacht hat, und bat ſie in dem Hauſe zu bleiben und die Aufſicht uͤber alles auf ſich zu nehmen, bis ich von ſeinem Vet - ter zu Antigoa, der den Geſetzen nach Erbe iſt, Nachricht haben koͤnnte. Er hatte ihr nur funfzig Pfund St. vermacht: ob er gleich ihre Duͤrftigkeit gewußt, und ihm auch wohl bekannt geweſen, daß ſie durch die Schuld eines ſchaͤndli -Siebenter Theil. Lchen162chen Ehegatten, und nicht durch ihr eignes Verſe - hen, duͤrftig waͤre.

Der arme Mann hat etwa zweyhundert Pfund St. an Gelde, und zwey hundert Pfund St. in zwoen Handſchriften von der Oſtindiſchen Handelsgeſellſchaft, hinterlaſſen. Jch will es ſo anſtellen, wo es moͤglich iſt, daß ich die funfzig Pfund der armen Frauen und meine hundert Gui - neas bis auf zweyhundert Pfund bringe: alsdenn wird ſie ein wenig gewiſſes haben; und das, ſoll ſie ſich gegen mich verbindlich machen, einem Sohn, der das Ungluͤck vollkommen gemacht hat, was ſein Vater beynahe ſchon zugerichtet hatte, nicht in die Haͤnde zu geben.

Jch habe Tourvillen ſeine zwanzig Pfund ge - geben, und will euch und Mowbrayen die eurigen durch die erſte Gelegenheit, die ihr dazu beſtellen werdet, ſchicken. So viel von des armen Bel - tons Angelegenheiten, bis ich euch ſelbſt ſehe.

Jch kam gegen Abend zu London an, und ging geradesweges zu Smithen. Jch fand Fr. Lovick und Fr. Smithinn in dem hintern Laden, und ſahe, daß ſie beyde geweint hatten. Sie freueten ſich, inzwiſchen, mich zu ſehen, und mel - deten mir, daß der Arzt und Herr Goddard, wie auch der rechtſchaffene Geiſtliche, welcher oft zu ihr kommt, mit ihr zu beten, eben weggegangen, und alle drey der Meynung waͤren, ſie wuͤrde ſchwerlich noch den Anfang von einer neuen Wo - che erleben. Jch ward dadurch nicht ſo ſehr be - ſtuͤrzt als betruͤbt gemacht: denn ich hatte ebendas163das ſchon beſorget, als ich ſie am Sonnabend verließ.

Jch ließ ihr meine Empfehlung machen: und ſie ließ mir wieder zuruͤckſagen, daß ſie es fuͤr eine Gewogenheit anſehen wuͤrde, wenn ich morgen fruͤhe um acht Uhr bey ihr anſprechen wollte. Fr. Lovick erzaͤhlte mir, daß ſie am Sonnabend in Ohnmacht gefallen, weil ſie geſchrieben haͤtte. Dieß waͤre ihr des vorigen Tages ebenfalls be - gegnet: und weil ſie damals durch eine kleine Veraͤnderung in einer Saͤnfte Erleichterung ge - funden; ſo haͤtte ſie ſich wieder wegtragen laſſen. Sie waͤre etwas beſſer zu Hauſe gekommen und haͤtte ſpaͤt geſchrieben, aber doch eine gute Nacht gehabt. Des Morgens waͤre ſie in die Kirche beym Covent-Garden gegangen: allein ſo ſchlecht wieder zu Hauſe gekommen, daß ſie genoͤthigt worden, ſich niederzulegen.

Als ſie aufſtand, und ſahe, wie ſehr Fr. Lovick und Fr. Smithinn um ſie bekuͤmmert waren: ent - ſchuldigte ſie ſehr nachdruͤcklich die Unruhe, welche ſie ihnen machte Sie waren gluͤcklich, ſagte ſie, ehe ich zu ihnen kam. Es war etwas Grau - ſames von mir, daß ich zu ehrlichen fremden Leu - ten kam, und bey ihnen krank bin und ſterbe.

Da ſie der Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde Erwaͤhnung thaten: ſprach ſie, es waͤren ihr bey denſelben uͤble Dienſte geleiſtet, und ſie wuͤßten nicht, wie ſchlecht ſie ſich befaͤnde, wuͤrden auch nichts glauben, was ſie ſchreiben moͤchte. Den - noch koͤnnte ſie bisweilen es nicht anders, als fuͤrL 2ein164ein wenig hart anſehen, daß ſie ſo viele nahe und werthe Freunde am Leben haben ſollte, und doch nicht einen, der ſich um ſie bekuͤmmerte Nicht eine alte Bedientinn, nicht eine alte Freundinn, ſagte ſie, der es erlaubt waͤre, zu ihr zu kommen, ohne daß dieſelbe verſichert ſeyn muͤßte, misfaͤllig zu werden; da ſie allein, ſo jung als ſie waͤre, ein ſo wichtiges Werk auszufuͤhren, und an alles, was ihre zeitliche Umſtaͤnde betraͤfe, bis auf ihr Begraͤbniß ſelbſt, zu denken und deswegen An - ſtalten zu machen haͤtte! Keine liebe Mutter, ſagte ſie, die mit mir bete und mir den Segen er - theile! Keine liebreiche Schweſter, die mir freundlich zurede und Troſt zuſpreche! Allein es mag ſeyn, fuhr ſie fort: wie weiß ich, ob nicht alles zum Beſten diene; wofern ich mir die Wege der Fuͤrſehung nur gehoͤrig zu Nutze ma - chen kann? Beten ſie fuͤr mich, Fr. Lovick Beten ſie fuͤr mich, Fr. Smithinn, daß ich es thun moͤge Jch habe ihr Gebeth hoͤchſt noͤthig. Der grauſame Menſch hat mich ganz aus meiner Faſſung gebracht. Seine Ver - folgungen haben mir eine Quaal zuwege gebracht, die ich eben hier fuͤhle Sie legte hierbey die Hand an ihr Herz Was fuͤr einen Schritt hat er mich zu thun genoͤthiget, damit ich von ihm frey ſeyn moͤchte! Wer kann Pech angrei - fen und ſich nicht beſudeln? Er hat gemacht, glaube ich, daß mich ein boͤſer Geiſt eingenommen hat Er hat ſich wider mich geſetzet, mich in allen meinen Pflichten zu ſtoͤren. Und mir iſtbange,165bange, daß er mich noch nicht in Ruhe laſſen wer - de. Jn Wahrheit, er iſt ſehr grauſam Al - lein dieß iſt eine von meinen Verſuchungen, glau - be ich. Durch Gottes Gnade werde ich morgen geruhiger ſeyn: ſonderlich wo ich nicht mehr von ihm gequaͤlet werde, und eine ertraͤgliche Nacht haben kann. Jch will bis eilfe aufbleiben, damit ich ſie haben moͤge.

Sie ſagte, daß, ob dieſer Tag gleich ſo ſchwer fuͤr ſie geweſen waͤre, ihr dennoch zu andern Zei - ten, ſonderlich in den wenigen letztverwichnen Ta - gen, heitere Stunden verliehen worden. Vor - nehmlich haͤtte ſie bisweilen ſolche freudige Verſi - cherungen von Gott zu ſeiner Gnade aufgenom - men zu werden, welche ihrer Hoffnung nach nicht eingebildet ſeyn wuͤrden, daß ſie ſich kaum halten koͤnnte, und geneigt waͤre, ſich uͤber dieſe Welt hinausgeſetzt zu achten, da ſie noch in derſelben waͤre. Und was, ſchloß ſie hieraus gegen Fr. Lovick, was muß der Zuſtand ſelbſt ſeyn: da ſchon das Verlangen nach demſelben oft ein ſtrahlendes Licht durch die dickeſte Finſterniß geworfen, und wenn ich am niedrigſten geſunken geweſen, die ſchwarzen Wolken der Verzweifelung aus einan - der getrieben hat? Jch hoffe, es werde auch bald dieſen Geiſt des Murrens vertreiben.

Sie hatte darauf eine ſehr gute Nacht, wie es ſcheint, und begab ſich dieſen Morgen in einer Saͤnfte nach St. Dunſtans Kirche.

Die Saͤnftentraͤger erzaͤhlten der Fr. Smi - thinn, daß ſie ſie nach der Bethſtunde; denn ſieL 3kam166kam nicht eher als zwiſchen neun und zehn wieder zuruͤck; zu einem Hauſe auf der Fleet-Street getragen haͤtten, wo ſie vorher noch niemals auf ſie gewartet. Wo, meynſt du wohl, iſt es gewe - ſen? Bey einem Tiſchler! Großer Gott! was iſt dieß fuͤr ein Frauenzimmer! Sie ging in den hintern Laden und redete mit dem Meiſter beynahe eine halbe Stunde. Hierauf kam ſie mit einem ſehr heitern Weſen von ihm heraus: und er begleitete ſie mit einem ehrerbietigen, aber neu - begierigen und ernſthaften Geſichte, bis an ihre Saͤnfte.

Es iſt offenbar, daß ſie damals ihr Haus be - ſtellt habe, wovon ſie geredet hatte(*)Siehe den vorhergehenden VIIIten Brief nicht weit vom Ende. So bald als ſie koͤnnen, mein Herr, waren ihre Worte zu ihm, als ſie in die Saͤnfte ſtieg. Fr. Smithinn erzaͤhlte mir dieß mit eben der Ver - wunderung und Betruͤbniß, womit ich es an - hoͤrte.

Sie befand ſich des Nachmittags ſo ſchlecht, weil ſie entweder in St. Dunſtans Kirche, oder in der Kapelle, kalt geworden war, daß ſie nach dem Geiſtlichen ſchickte, um mit ihr zu beten: und die Frauensleute ſandten ohne ihr Wiſſen nach dem D. H. und Hrn. Goddard; welche, wie geſagt, eben weggegangen waren, als ich heu - te Abends kam, ihr meine Aufwartung zu ma - chen.

Und167

Und ſo habe ich dir nach dem Bericht der gu - ten Frauen wieder erzaͤhlet, was ſeit meiner Ab - weſenheit bis auf dieſen Abend vorgefallen iſt.

Mich verlangt nach dem morgenden Tage, damit ich ſie ſehen moͤge: und gleichwohl iſt es ein ſo trauriges Verlangen, als ich niemals em - pfunden habe und nicht zu beſchreiben weiß.

Jch war eine halbe Stunde nach ſieben in Smi - thens Hauſe. Sie erzaͤhlten mir, daß die Fraͤulein ſich nach St. Dunſtans Kirche tragen laſſen, aber ſich beſſer befaͤnde, als an einem von den beyden vorhergehenden Tagen, und, wie ſie in die Saͤnfte geſtiegen waͤre, zu der Fr. Lovick und Fr. Smithinn geſagt haͤtte: Jch habe Jhnen, meine liebe Freundinnen, wegen meines verdries - lichen Geſpraͤchs von geſtern, Abends, viele Ent - ſchuldigung zu machen.

Wo mir nicht aufs neue etwas begegnet, Fr. Lovick, ſprach ſie mit Laͤcheln, das mich in Unord - nung bringet: ſo glaube ich, werden meine Lebens - geiſter ganz rein aushalten.

Sie kam alſobald nach der Bethſtunde wie - der zu Hauſe.

Herr Belford, ſagte ſie, als ſie in den hintern Laden, wo ich war, hineintrat und ich ihr entgegen ging, es iſt mir ſehr lieb, daß ich ſie ſehe. Sie haben ihrem armen Freunde einen liebreichen letz - ten Dienſt erwieſen. Es iſt nicht lange, daß ſie eben das bey einem nahen Anverwandten gethan. L 4Kommt168Kommt es ihnen nicht ein wenig hart vor, daß ih - nen dieſe Unruhen ſo oft und bald nach einander zufallen? Jedoch es ſind Liebesdienſte: und es gereichet ihrer leutſeligen Geſinnung zu einem Ruhme, daß arme Sterbende nicht wiſſen, wo ſie ſo gut waͤhlen ſollen.

Jch gab ihr zu erkennen, daß es mir leid zu hoͤren geweſen, daß ſie ſich ſo ſchlecht befunden haͤt - te, ſeit dem ich die Ehre gehabt, ihr aufzuwarten; aber angenehm waͤre, zu finden, daß es itzo ein gutes Theil beſſer mit ihr zu ſeyn ſchiene.

Es wird mit elenden Leuten, verſetzte ſie, bald beſſer, bald ſchlimmer ſeyn, wenn ſie zwiſchen Le - ben und Tod ſchweben. Allein nicht mehr von dieſen Dingen fuͤr itzo. Jch hoffe, mein Herr, ſie werden ſich gefallen laſſen, das Fruͤhſtuͤck bey mir zu nehmen. Geſtern war ich ganz verdries - lich. Jch hatte einen recht boͤſen Geiſt auf dem Halſe. Nicht wahr, Fr. Smithinn? Aber ich hoffe, ich werde nicht mehr ſo ſeyn: und heute bin ich vollkommen munter und vergnuͤgt. Dieſer Tag faͤngt ſo bey mir an, als wenn er heiter ſeyn wuͤrde.

Sie bat mich, hinaufzugehen und lud auch Herrn Smith, und ſeine Frau und Fr. Lovick ebenfalls ein, mit ihr zu fruͤhſtuͤcken. Mir ge - fiel ihre Munterkeit beſſer, als ihr Anſehen.

Da die guten Leute nach dem Fruͤhſtuͤck weg - gingen: ſo fiel folgende Unterredung zwiſchen uns vor.

Erlau -169

Erlauben ſie mir, mein Herr, waren ihre Worte, ſie zu fragen, ob ſie gedenken, daß ich mir verſprechen darf, von ihrem Freunde nicht mehr beunruhigt zu werden?

Jch ſtockte: denn wie konnte ich fuͤr einen ſolchen Menſchen Gewaͤhr leiſten.

Was ſoll ich thun, wo er wieder kommt? Sie ſehen, wie ich mich befinde. Jch kann nun nicht vor ihm fliehen Wo er noch eini - ges Mitleiden gegen das arme Frauenzimmer, das er ſo weit heruntergebracht, uͤbrig hat: ſo laſſen ſie ihn nicht kommen. Allein haben ſie neulich Nachricht von ihm? Und will er kom - men?

Jch hoffe nicht, gnaͤdige Fraͤulein: ich habe ſeit verwichenem Donnerſtage keine Nachricht von ihm, da er aus London gegangen iſt, voller Freu - de in der Hoffnung, die ihm ihr Brief zu einer Ausſoͤhnung zwiſchen ihren Freunden und ihnen gemacht hat, und daß er ſie zu rechter Zeit in ih - res Vaters Hauſe ſehen moͤchte. Er iſt hinunter gereiſet, allen ſeinen Verwandten durch dieſe Zei - tung eine Freude zu machen und thut ſich viel dar - auf zu gute.

Wehe mir! So werde ich ihn gewiß wieder hier haben, mich zu verfolgen! So bald als er merkt, daß das bloß eine Liſt geweſen, ihn abzu - halten, wird er wiederum herauf kommen: und wer weiß, ob er nicht ſo gar ſchon itzo auf dem Wege iſt? Jch dachte, es waͤre ſo ſchlecht mit mir, daß ich ſchon eher, als itzo, ihm und einemL 5jeden170jeden aus dem Wege ſeyn wuͤrde: denn ich ver - muthete nicht, daß dieſe Erfindung mir uͤber zween oder drey Tage dienen ſollte. Eben um dieſe Zeit muß er ſchon erfahren haben, daß ich nicht ſo gluͤcklich bin, irgend eine Hoffnung zur Ausſoͤh - nung mit meiner Familie zu haben: und ſo wird er kommen; ſollte es auch nur zur Rache fuͤr das, was er einen Betrug nennen wird, geſchehen.

Jch glaube, ich ſahe beſtuͤrzt aus, weil ich von ihr das Geſtaͤndniß hoͤrte, daß ihr Brief bloß eine Liſt waͤre. Denn ſie ſagte: Sie wundern ſich, Hr. Belford, wie ich bemerke, daß ich ver - moͤgend geweſen bin, mich eines ſolchen Kunſtgriffs ſchuldig zu machen. Jch beſorge, daß es nicht recht iſt: allein wie konnte ich einen Menſchen ſe - hen, der mich ſo toͤdtlich beleidigt hatte, und doch eben zu der Zeit, da er wegen ſeiner Verbrechen betruͤbt zu ſeyn vorgab und mich gern ſehen wollte, ſich ſo aͤrgerlich und leichtſinnig auffuͤhren konnte, als er ſich gegen die ehrlichen Leute hier im Hau - ſe auffuͤhrte? Gleichwohl iſt es auch etwas ſeltſa - ſames, daß weder ſie, noch er, bey Durchleſung meines Briefes, meinen Sinn getroffen. Sie haben ſonder Zweifel geſehen, was ich geſchrieben habe?

Ja, gnaͤdige Fraͤulein, ich habe es geſehen. Und darauf fing ich an, es als eine unſchuldige Liſt zu rechtfertigen.

Jn ſo weit iſt ſie freylich unſchuldig, mein Herr, daß ich dabey keine Abſicht gehabt habe ihm zu ſchaden, und zu dem Erfolg, den ich da -von171von erwartete, berechtigt geweſen bin. Allein haben ſie ſeinen Brief, mein Herr, in welchem er, wie ich vermuthe, ihnen die Abſchrift von dem meinigen ertheilet?

Ja, gnaͤdige Fraͤulein, ich habe ihn: und darauf zog ich ihn aus meinem Brieffutter. Jch ſtutzte aber Ey, mein Herr, ſeyn ſie ſo gut, ſprach ſie, und leſen meinen Brief fuͤr ſich ſelbſt Jch verlange ſeinen nicht zu ſehen Se - hen ſie zu, ob ihnen ein Verſtand, der ſo leicht in die Augen faͤllt, laͤnger fremd ſeyn kann.

Jch las ihn fuͤr mich ſelbſt. Jn Wahr - heit, gnaͤdige Fraͤulein, ich kann nichts anders da - rinn finden, als daß ſie nach Harlowe-Burg ab - gehen werden, um ſich mit ihrem Vater und ihren andern Freunden wieder auszuſoͤhnen: und Herr Lovelace vermuthete, daß ein Brief von ihrer Schweſter, den er gebracht geſehen, als er in Smi - thens Hauſe geweſen, ihnen dieſe angenehme Zei - tung ertheilet haͤtte.

Darauf erklaͤrte ſie mir alles, und das, wie ich ſagen mag, mit zwey oder drey Worten Es liegt ein geiſtlicher Verſtand darunter. Das iſt die Urſache, warum weder ihr, noch ich, ihn haben finden koͤnnen.

Leſen ſie nur, ſprach ſie, ſtatt meines Vaters Haus, Himmel; und fuͤr die Vermittelung mei - nes werthgeprieſenen Freundes ſetzen ſie das Mitt - leramt meines Heilandes, auf welches ich mich in Demuth verlaſſe: ſo wird alles uͤbrige in dem Briefe erklaͤret ſeyn.

Jch172

Jch las ihn ſo, und erſtaunte auf einige Au - genblicke uͤber ihre Erfindung, ihre Gottſeligkeit, ihre chriſtliche Liebe, und uͤber deine und meine eigne Einfalt, daß wir ſo betrogen waren.

Was haſt du, ſchaͤndlicher Lovelace, aber nun zu thun: da die Fraͤulein ganz einig mit ſich ſelbſt bleibet und keine Hoffnung fuͤr dich uͤbrig iſt? Was anders, als dich ſelbſt, wie einen durch Witz uͤberwundenen Gegner, der ſchon mit dem Siege prangte, zu erhenken, zu erſaͤufen oder zu erſchie - ßen?

Als meine Beſtuͤrzung ein wenig voruͤber war, fuhr ſie fort: Was den Brief anlanget, der von meiner Schweſter gekommen, da ihr Freund eben hier geweſen: ſo werden ſie bald ſehen, mein Herr, daß es der grauſamſte Brief ſey, den ſie jemals an mich geſchrieben hat.

Hiernaͤchſt bezeigte ſie ſich uͤber die Folgen von dem euch zugedachten Beſuch des Obriſt Mordens aͤußerſt bekuͤmmert: und bat mich, daß, wo ich itzo, oder zu irgend einer Zeit nach dieſem Gele - genheit haͤtte, einem fernern Ungluͤck vorzubeu - gen, ohne ſelbſt daruͤber in Schaden oder Gefahr zu gerathen, ich es thun moͤchte.

Jch verſicherte ſie, daß ich dieſen und alle ihre Befehle mit der groͤßten Aufmerkſamkeit in Acht nehmen wollte: und zwar auf eine ihr ſo ange - nehme Weiſe, daß ſie mir vom Himmel einen Se - gen erbat, fuͤr meine Guͤte, wie ſie ſich ausdruͤckte, gegen ein verlaſſenes Frauenzimmer, das unterdem173dem aͤrgſten Waiſenſtande leiden muͤßte. Dieß waren ihre eigene Worte.

Hierauf kam ſie wieder auf ihre erſte Sache zuruͤck: auf ihre Unruhe, vor Furcht, daß ihr ſie wiederum belaͤſtigen moͤchtet. Wo ſie etwas uͤber ihn vermoͤgen, Herr Belford, ſagte ſie: ſo bewegen ſie ihn, mir die Verſicherung zu geben, daß der kurze Ueberreſt meiner Zeit mir gaͤnzlich als eigen gelaſſen werde. Jch brauche ihn. Jn Wahrheit, ich brauche ihn. Warum will er wuͤnſchen, mich in meiner Pflicht zu ſtoͤren? Hat er mich fuͤr den Vorzug, den ich ihm vor allen an - dern ſeines Geſchlechts gegeben habe, nicht genug geſtrafet? Hat er nicht meinen guten Namen und mein Gluͤck zernichtet? Und wird ſeine un - verſchuldete Rache uͤber mich nicht vollkommen ſeyn, wofern er nicht auch meine Seele ins Ver - derben ſtuͤrzet? Verzeihen ſie mir dieſe Hef - tigkeit, mein Herr! Allein es iſt mir viel daran gelegen, zu wiſſen, daß ich von ihm nicht mehr werde beunruhigt werden. Jedoch wollte ich, bey allem dieſem Abſcheu, viel lieber ſeinen Be - ſuch leiden, wenn ich auch den Augenblick, da ich ihn ſehen wuͤrde, den Geiſt aufgeben ſollte, als an irgend einem ungluͤcklichen Misverſtaͤndniſſe zwiſchen ihnen und ihm ſchuld ſeyn.

Jch verſicherte ſie, ich wollte euch die Sache und den Zuſtand ihrer Geſundheit auf eine ſolche Art vorſtellen, daß ich es uͤber mich nehmen koͤnn - te, fuͤr euch Gewaͤhr zu leiſten, daß ihr nicht verſuchen wuͤrdet zu ihr zu kommen.

Aus174

Aus dieſer Urſache, Lovelace, lege ich euch die ganze Sache vor, und bitte euch, mir, ſo bald als gegenwaͤrtiges, und mein Brief vom verwichnen Sonnabend, euch zu Haͤnden kommt, Vollmacht zu geben, daß ich ihr ihre Furcht benehme.

Dieß beruhigte ſie ein wenig: und ſie ſagte hiernaͤchſt, daß, wenn ich mich nicht erklaͤret haͤtte, fuͤr euch verſprechen zu koͤnnen, ſie entſchloſſen ge - weſen waͤre, ſo krank ſie auch ſey, ſich an einen an - dern Ort zu begeben, den ich ſo wenig wuͤßte, als ihr. Dennoch, ſprach die arme Fraͤulein, wuͤrde es meine Widerwaͤrtigkeiten vollkommen gemacht haben: wenn ich genoͤthigt worden waͤre, Leute, mit denen ich eben erſt bekannt geworden bin, zu verlaſſen, und unter Wildfremden zu ſterben.

Dieſe Unterredung, befand ich, hatte ſie ſo wohl ihrer Laͤnge, als ihrer Beſchaffenheit wegen, angegriffen: und weil ich ſahe, daß ſie ein oder zweymal die Farbe veraͤnderte; ſo nahm ich da - her Gelegenheit mich zu entſchuldigen, und beur - laubte mich von ihr. Jch bat mir aber die Er - laubniß aus, ihr den Abend, und ſo oft, als moͤg - lich, aufzuwarten. Denn ich konnte mich nicht entbrechen, ihr zu ſagen, daß ich ſie jedesmal, wenn ich ſie ſaͤhe, mehr und mehr als einen feligen Geiſt betrachtete, und als eine ſolche, die vom Himmel geſandt waͤre, mich aus dem ſumpfichten Schlun - de, in welchem ich ſo lange verſunken geweſen, nach ſich zu ziehen.

Lache mich aus, wo du willſt: es iſt aber wahr, daß, ſo oft ich mich zu ihr nahe, ich ſie nichtanders175anders anſehen kann, als wie eine Perſon, die eben in die Geſellſchaft der Heiligen und Engel tritt. Dieſe Vorſtellung hatte mich ſo vollkom - men eingenommen, daß ich mich, da ich wegging, nicht enthalten konnte, ſie um ihr Gebeth und ih - ren Segen zu erſuchen: und zwar mit derjenigen Ehrerbietung, die man einem Engel ſchuldig iſt, und mit einem ſolchen Eifer, als vertraute Freun - de, die auf eine Befoͤrderung warten, bezeigen, wenn ſie ſich eine Perſon geneigt machen wollen, die eben durch die Gnade ihres Fuͤrſten zu einer der oberſten Stuffen der Gewalt erhoben iſt.

Des Abends war ſie ſo matt und ſchwach, daß ich in weniger, als einer Viertelſtunde, mei - nen Abſchied nahm. Jch ging geradesweges zu Hauſe: wo ich nun, zum Vergnuͤgen und zur Bewunderung meiner Baſe und ihrer Familie, manchen guten Abend zubringe; welches ſie eurer Entfernung von London zuſchreiben.

Jch werde mein Packet morgen fruͤhe mit mei - nem eignen Bedienten abſenden, damit ich euch die ungewiſſe Erwartung, worinn ich euch muß gehalten haben, vergelte. Jhr werdet mir dafuͤr danken, hoffe ich: aber nicht dafuͤr, das bin ich verſichert, daß ich euren Diener ohne einen Brief zuruͤckgeſchickt habe.

Mich verlangt, die Umſtaͤnde von der Unter - redung zwiſchen euch und dem Herrn Morden zu erfahren. Die Fraͤulein iſt desfalls voller Sor - ge: wie ich ſchon angezeigt habe. Sendet mir dieß Packet wieder zuruͤck; wenn ihr es durchge -ſehn176ſehn habt: denn ich habe weder Zeit, noch Ge - dult gehabt, eine Abſchrift davon zu nehmen. Jch bitte euch, ſetzet mich in den Stand, meine Verpflichtung gegen die arme Fraͤulein, daß ihr ſie nicht wieder uͤberfallen wollet, zu erfuͤllen.

Der zwey und zwanzigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Robert Lovelace.

Jch habe euch eine Unterredung zwiſchen der bewundernswuͤrdigen Fraͤulein und dem Dr. H. mitzutheilen, welche einen neuen Beweis von der Ruhe und Freudigkeit geben wird, mit der ſie vom Tode reden und Vorbereitungen dazu machen kann: nicht anders, als wenn es ein ſo gewoͤhnlicher Vorfall fuͤr ſie waͤre, wie ihr An - und Auskleiden.

So bald als ich meinen Bedienten mit mei - nen Briefen vom 26ten, 28ten, und von geſtern dem 29ten, an euch abgefertigt hatte: ging ich hin, ihr meine ſchuldige Aufwartung zu machen, und hatte das Vergnuͤgen, ſie, nach einer leidlichen Nacht, recht munter und aufgeweckt zu finden. Sie war nur eben erſt von ihrer gewoͤhnlichen Andacht zuruͤckgekommen: und der Dr. H. ſtieg aus, als ſie in die Thuͤre trat.

Nach -177

Nachdem er ſich erkundigt, wie ſie ſich befaͤn - de, und gehoͤret hatte, daß ſie uͤber kurzen Athem klagte, den ſie von einer innerlichen Schwachheit, die durch ihre letzte Beunruhigung ſo wohl von ihren Freunden als von euch befoͤrdert worden, herleitete: ſo rieth er ihr, ſich der Luft zu be - dienen.

Was wird mir das helfen, antwortete ſie? Sagen ſie mir aufrichtig, mein werther Herr, fuhr ſie fort, mit einem freudigen Geſichte; ſie wiſſen, daß ſie mich dadurch nicht unruhig ma - chen koͤnnen; ſagen ſie mir aufrichtig, ob ſie itzo nicht die rechte Perſon eines Arztes annehmen, und, weil ſie keine Hoffnung haben, daß irgend etwas in der Arzneykunſt mir helfen werde, mich auf die Luft, als die letzte Ausflucht, verweiſen? Koͤnnen ſie gedenken, daß die Luft in einer ſolchen Krankheit, als ich habe, helfen werde?

Er ſchwieg ſtille.

Jch frage darnach, ſetzte ſie hinzu, damit mei - ne Freunde, welche ſich vielleicht nach Verlauf ei - niger Zeit erkundigen werden, was ich fuͤr Mit - tel zu meiner Geneſung gebraucht habe, verſichert werden moͤgen, daß ich nichts unterlaſſen, was mir ein ſo tuͤchtiger und geſchickter Arzt verord - net hat.

Die Luft, gnaͤdige Fraͤulein, kann vielleicht wider die Schwierigkeit beym Athemhohlen, wel - che ſie ſo neulich befallen hat, helfen.

Allein, mein Herr, ſie ſehen, wie ſchwach ich bin. Sie muͤſſen geſehen haben, wie ich vonSiebenter Theil. MTage178Tage zu Tage abgenommen: und wo ich nach dem urtheilen mag, was ich an mir ſelbſt fuͤhle Sie legte hiebey die Hand an ihr Herz ſo kann ich es nicht lange mehr halten. Wenn die Luft, nach vieler Wahrſcheinlichkeit, meine Tage vermehren wuͤrde: ſo wollte ich mich der - ſelben bedienen; ob ich gleich im geringſten kein Verlangen trage, ſie verlaͤngert zu ſehen; und zwar um ſo viel mehr, da ich weiß, daß Fr. Lovick mir aus Guͤtigkeit Geſellſchaft leiſten wuͤrde. Sollte ich aber die Unruhe haben, meine Woh - nung zu veraͤndern; eine Unruhe, welche meinen Gedanken nach itzo zu groß ſeyn wuͤrde; und zwar bloß dazu, daß ich auf dem Lande ſterben moͤchte: ſo ſaͤhe ich es lieber, daß der Auftritt ſich hier endigen muͤßte. Denn hier habe ich den Ort, und die Art und Weiſe, und alles, was von der geringſten ſo wohl, als von der hoͤchſten Wich - tigkeit, bey den feyerlichen Augenblicken vorfallen kann, uͤberleget. Alſo ſagen ſie mir die Wahr - heit, Herr Doctor, kann ich hier bleiben, und von allem Vorwurf, daß ich aus Vorſatz, oder aus Ungedult, oder aus Zorn, uͤber welchen ich hinaus - zuſeyn hoffe, ein Leben, das ſonſt verlaͤngert ſeyn moͤchte, verkuͤrzt habe, frey ſeyn? Sagen ſie mir, mein Herr: ſie reden mit keiner feigen Per - ſon in dieſem Stuͤcke; in Wahrheit nicht! Hiebey laͤchelte ſie auf eine ungezwungene Art.

Der Arzt wandte ſich zu mir, und wußte nicht, was er ſagen ſollte. Er hub bloß ſeine Au - gen vor Verwunderung uͤber ſie in die Hoͤhe.

Nie -179

Niemals, ſagte ſie, hat wohl ein Kranker ei - nen guͤtigern und holdſeligern Arzt gehabt. Weil ſie aber meine Frage nicht gern gerade her - aus beantworten wollen: ſo will ich ſie in andere Worte einkleiden. Sie verordnen mir nicht, in die Luft zu gehen, Herr Doctor: thun ſie es?

Jch thue es nicht, gnaͤdige Fraͤulein. Jch beſuche ſie auch itzo nicht als ein Arzt, ſondern als eine Perſon, deren Umgang ich bewundere und deren Leiden mir zu Herzen gehet. Und daß ich mich wegen der Veranlaſſung des heutigen Be - ſuchs inſonderheit genauer erklaͤre, ſo muß ich Jh - nen ſagen, gnaͤdige Fraͤulein, daß, da ich verneh - me, wie viel ſie durch das Misvergnuͤgen ihrer Freunde leiden, und gar nicht zweifele, daß dieſe ihre Auffuͤhrung gegen ſie aͤndern wuͤrden, wenn ſie wuͤßten, in welchem Zuſtande ſie waͤren, auch glaube, daß es ſie herzlich kraͤnken muͤſſe, wenn ſie zu ſpaͤt alles erfahren werden, ich mich entſchloſſen habe, ihnen, ob ich fuͤr ſie perſoͤnlich gleich ein Fremder bin, Nachricht zu geben, wie noͤthig es fuͤr einige von ihnen ſey, ungeſaͤumt zu ihnen zu kommen. Um ihrer Angehoͤrigen willen, gnaͤ - dige Fraͤulein, erlauben ſie mir, inſtaͤndigſt um ihre Genehmhaltung dieſes Anſchlags zu er - ſuchen.

Sie war ein wenig ſtille und endlich ſagte ſie: Dieß iſt guͤtig, ſehr guͤtig an ihnen, mein Herr. Allein ich hoffe, ſie werden mich nicht fuͤr ſo ver - kehrt und ſo hartnaͤckicht halten, daß ich bis itzo irgend einige Mittel unverſucht gelaſſen haͤtte,M 2welche180welche ich nach aller Wahrſcheinlichkeit fuͤr ge - ſchickt angeſehen, meine Freunde zu meinem Be - ſten zu bewegen. Nun aber, Herr Doctor, wuͤr - de ich durch ihre Betruͤbniß allzu ſehr beunruhi - get werden: wenn einige von ihnen zu mir kom - men oder ſenden ſollten. Ja vielleicht moͤchte ich mir ein laͤngeres Leben wuͤnſchen; wenn ich faͤn - de, daß ſie mich noch liebten: und ſo wuͤrde ich ungern das Leben laſſen, welches ich itzo wirklich eifrig zu laſſen wuͤnſche und ſo zu laſſen hoffe, wie es einer Perſon zuſtehet, die eine ſolche Zeit ſich zu entwoͤhnen gehabt hat, als mir gegoͤnnet iſt.

Jch hoffe, gnaͤdige Fraͤulein, ſagte ich, daß wir dem beweinenswuͤrdigen Verluſt, wovon ſie mit einer ſo erſtaunlich geſetzten Faſſung des Ge - muͤths Erwaͤhnung thun, nicht ſo nahe ſind, als ſie befuͤrchten. Daher unterfange ich mich, den Rath des Herrn Doctors zu unterſtuͤtzen: wenn es auch nur um ihrer Eltern willen ſeyn ſollte, damit dieſe, wenn ſie ſie verlieren muͤſſen, zu ih - rer Beruhigung gedenken koͤnnen, daß ſie ſich noch vorher mit ihnen ausgeſoͤhnet haben.

Das iſt eine ſehr guͤtige, eine ſehr liebreiche Vorſtellung, antwortete ſie. Allein wo ſie ge - denken, daß ich meiner letzten Stunde nicht ſo gar nahe bin: ſo erlauben ſie mir zu bitten, daß dieß ſo lange aufgeſchoben werde, bis ich ſehe, was fuͤr Wirkung die Vermittelung meines Vet - ter Mordens haben moͤge. Vielleicht laͤßt er ſich noch gefallen, mir einen Beſuch zu geben, wenn ſeine beſchloſſene Zuſammenkunft mit dem HerrnLove -181Lovelace vorbey iſt: und wer weiß, Herr Bel - ford, ob die naͤchſten Briefe, welche ſie bekom - men, ihnen von derſelben nicht eine Nachricht er - theilen. Jch hoffe, ſie wird keiner Seele zum Ungluͤck gereichen! Wollen ſie mir verſpre - chen, Herr Doctor, nur noch zween Tage das Schreiben zu unterlaſſen? Jch will ihnen alles eroͤffnen, was unter der Zeit vorfaͤllt: und her - nach ſollen ſie ihren eignen Maaßregeln folgen. Jnzwiſchen wiederhole ich meine Dankſagung fuͤr ihre Guͤte gegen mich Ey, wertheſter Herr Doctor, eilen ſie nicht ſo ſchleunig von mir; denn er wollte gehen, aus Furcht, daß ihm wieder Geld geboten wuͤrde; ich will ihnen nicht mehr mit der gewoͤhnlichen Bezahlung, welche ſie einige Zeit her geſchmerzet hat, zuwider ſeyn: und da ich ſie nun wegen dieſer guͤtigſt angebotenen Gewogen - heit bloß als einen Freund anzuſehen habe, will ich ſie auf das kuͤnftige verſichern, daß ich ihnen in dieſem Stuͤcke kein Misvergnuͤgen weiter ma - chen werde. Nun, weiß ich, mein Herr, werde ich das Vergnuͤgen haben, ſie oͤfterer, als bisher, zu ſehen.

Der rechtſchaffene Mann war mit dieſer Verſicherung ſehr wohl zufrieden, und bezeugte, daß er allemal mit großem Vergnuͤgen zu ihr ge - kommen, aber aus eben der Urſache, wovon ſie ei - nen Wink gegeben haͤtte, mit eben ſo großem Mis - vergnuͤgen von ihr gegangen waͤre. Er betheur - te, daß er nicht unterlaſſen haben wuͤrde, ſeine Beſuche zu verdoppeln: wenn er dieſe guͤtigeM 3Ver -182Verſicherung, ſo fruͤhe, als er gewuͤnſcht, haͤtte haben koͤnnen.

Es giebt vermuthlich wenige Beyſpiele von einer ſolchen Uneigennuͤtzigkeit in dieſer Zunft. Bis itzo habe ich es allezeit fuͤr ein Evangelium gehalten, daß Freundſchaft und ein Arzt Din - ge waͤren, die nicht bey einander ſtehen koͤnnten. Jch habe mir gar nicht vorgeſtellet, daß ein Arzt, ſo bald er ſeinen Kranken aufgegeben, jemals an andere Beſuche denken wuͤrde, als an diejenigen, welche der aͤußerliche Wohlſtand erfordert, damit er wohl bey der Familie ſtehe, gegen die Zeit, da ſie die Reihe treffen moͤchte, in ſeine Haͤnde zu fallen.

Als der Arzt weggegangen war, fiel ſie auf ein ſehr ernſthaftes Geſpraͤch von der Eitelkeit des Lebens, und der Klugheit, ſich zum Tode zu berei - ten, wenn noch Geſundheit und Staͤrke uͤbrig waͤ - ren, und ehe die Schwachheiten des Koͤrpers die Kraͤfte des Gemuͤths ſchwaͤchten und außer Stan - de ſetzten, mit noͤthiger Staͤrke und Klarheit zu wirken. Alles war nach eines jeden, inſonderheit aber, wie ſich leicht merken ließ, nach deinen und meinen Umſtaͤnden eingerichtet.

Sie war ſehr begierig, noch mehr beſondere Umſtaͤnde von dem Bezeigen des armen Beltons in ſeinen letzten Stunden zu erfahren. Sie muͤſ - ſen ſich nicht wundern, Herr Belford, daß ich die - ſe Nachfrage thue, ſagte ſie: denn wer iſt wohl, der eine Reiſe in ein Land, wo er niemals gereiſet, uͤbernehmen, und ſich nicht nach den Beſchwer -lich -183lichkeiten des Weges, und den Bequemlichkeiten, die man unterweges erwarten kann, erkundigen ſollte?

Jch machte ihr eine kleine Vorſtellung von dem Schrecken des armen Menſchen und von ſei - ner Abneigung zu ſterben. Da ich zu Ende war: ſprach ſie: So muß es mit den armen Seelen allezeit gehen, Herr Belford, die an ihre lange Reiſe niemals eher gedacht haben, als eben in dem Augenblick, da ſie zu Schiffe ſteigen muͤſſen.

Sie machte noch andere dergleichen Anmer - kungen uͤber dieſe Sache, die ich niemals vergeſ - ſen werde, da ſie aus dem Munde einer Perſon, welche ſo bald in Geſellſchaft der Engel ſeyn wird, gekommen ſind. Und in der That, damit ich ſie meinem Gedaͤchtniſſe deſto beſſer einpraͤgen moͤch - te, ſchrieb ich ſie auf, als ich zu Hauſe kam. Al - lein ich will ſie euch nicht eher ſehen laſſen, als bis ihr in einer bequemern Gemuͤthsfaſſung ſtehet, Vortheil daraus zu ziehen, als ihr nach aller Wahr - ſcheinlichkeit auf eine Zeitlang ſeyn werdet.

So weit hatte ich geſchrieben, da die unerwar - tete fruͤhe Ruͤckkunft meines Bedienten mit eu - rem Packet; weil euer Diener und er ſich zu Slough begegnet und ihre Briefe gegen einander ausgewechſelt haben; mich noͤthigte, abzubrechen, damit ich euer Schreiben leſen konnte. Hier beſchließe ich alſo dieſen Brief.

M 4Der184

Der drey und zwanzigſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Nun, Bruder, will ich dir erzaͤhlen, was bey dem Beſuch, den uns der Obriſt Morden abgeſtattet hat, vorgegangen iſt.

Er kam zu Pferde mit einem Bedienten: und der Lord M. empfing ihn, als einen Ver - wandten von der Fraͤulein Harlowe, mit den groͤß - ten Merkmaalen der Hoͤflichkeit und Hochach - tung.

Nach einem und dem andern allgemeinen Ge - ſpraͤche von der Zeit, und dem Wetter, und der - gleichen Unſinn, womit die Englaͤnder gemeinig - lich den Eingang zu ihrer Unterredung machen, wandte der Obriſt ſich auf folgende Art zu dem Lord M. und mir:

Es iſt nicht noͤthig, mein Lord und Herr Lo - velace, da ſie die Verwandtſchaft wiſſen, in wel - cher ich mit der Harloweiſchen Familie ſtehe, daß ich irgend eine Entſchuldigung vorbringe, weil ich mich in eine Sache einlaſſe, welche ſie in Betrach - tung dieſer Verwandtſchaft fuͤr die vornehmſte Urſache anſehen muͤſſen, warum ich mir die Ehre genommen habe, dieſen Beſuch abzulegen.

Fraͤu -185

Fraͤulein Harlowe, die Sache der Fraͤulein Clariſſa Harlowe, ſagte der Lord M. nach ſeiner gewoͤhnlichen Weiſe unbedaͤchtlich zuzufahren. Das iſt es, was ſie meynen, mein Herr. Sie iſt, in aller Betrachtung, das vortrefflichſte Frauen - zimmer in der Welt.

Es iſt mir lieb zu hoͤren, daß ihre Gnaden dieſe Meynung von ihr hegen. Eben das iſt ei - nes jeden Meynung.

Es iſt nicht allein meine Meynung, Herr Obriſt Morden, fuhr der ſchwatzhafte Lord fort, ſondern die Meynung meiner ganzen Familie: meiner Schweſtern, meiner Neffen, und Herrn Lovelacens ſelbſt.

Obr. Jch wollte wuͤnſchen, daß es allezeit Herrn Lovelacens Meynung von ihr geweſen waͤre.

Lovel. Sie ſind auf viele Jahre außerhalb England geweſen, Herr Obriſt: vielleicht ſind ſie noch nicht voͤllig von den eigentlichen Umſtaͤnden dieſer Begebenheit unterrichtet.

Obr. Jch bin auf ſieben Jahre außer Eng - land geweſen, mein Herr. Meine Baſe Claͤr - chen Harlowe war damals etwa zwoͤlf Jahr alt: aber niemals iſt wohl in einem Alter von zwan - zig Jahren ein Frauenzimmer ſo verſtaͤndig, ſo klug, und von ſo vortrefflichen Eigenſchaften ge - weſen. Alle, die ſie kannten oder ſahen, bewun - derten ſie. Niemals habe ich ein junges Frauen - zimmer geſehen, das ſo viel Vollkommenes von Gemuͤth und von Perſon verſprochen haͤtte: undM 5mir186mir iſt geſagt, ja es iſt auch kein Wunder, daß ſie ſo, wie ſie nach und nach zu reifern Jahren ge - kommen, die von ihr gefaßte Hoffnung mehr als gerechtfertigt und erfuͤllet habe. Hiernaͤchſt, was ihr Vermoͤgen betrifft was ihr Vater, was ihre Onkels, und was ich ſelbſt willens gewe - ſen zu ihrem Beſten zu thun, außer dem, was ihr Großvater gethan hatte ſo iſt keine beſſere Partey in der ganzen Grafſchaft.

Lovel. Alles dieß, Herr Obriſt, und mehr als dieß, iſt die Fraͤulein Clariſſa Harlowe: und waͤre die Unverſoͤhnlichkeit und Heftigkeit ihrer Familie nicht geweſen, da ſich alle vorgeſetzt hat - ten, ihr einen Mann aufzudringen, der ihrer eben ſo unwuͤrdig, als er ihr verhaßt war; ſo wuͤrde ſie beſtaͤndig gluͤcklich geweſen ſeyn.

Obr. Jch geſtehe, Herr Lovelace, es iſt wahr, was ſie eben itzo bemerken, daß ich nicht vollkommen von allem dem, was zwiſchen ihnen und meiner Baſe vorgefallen, unterrichtet bin. Allein erlauben ſie mir, zu ſagen, daß ich nur eine Einwendung gegen ſie wußte, da ich zuerſt hoͤrte, daß ſie um ſie warben. Das war freylich eine ſehr große Einwendung: und, als man an mich geſchrieben hatte, eroͤffnete ich ihr frey meine Mey - nung von der Sache(*)Man ſehe den III Theil, S. 550.. Waͤre das aber nicht geweſen: ſo geſtehe ich, daß nach meinen Gedan - ken ins beſondre keine Partey ſeyn koͤnnen, die ſich beſſer geſchickt haͤtte. Denn ſie ſind ein artigerCa -187Cavallier, angenehm von Perſon, bequem und hoͤflich in ihrem Bezeigen, und in Anſehung ihrer Familie, ihres Vermoͤgens, und der Vortheile, die ſie noch zu erwarten haben, ſo gluͤcklich, als ein Menſch zu ſeyn wuͤnſchen kann. Hiernaͤchſt uͤber - zeugt mich die Bekanntſchaft, welche ich mit ih - nen in Jtalien gehabt, ob gleich, mit ihrer guͤtigen Erlaubniß, ihre Auffuͤhrung daſelbſt nicht von allem Tadel frey war, daß ſie Herz haben: und wenige Cavalliers kommen ihnen an Witz und Munterkeit gleich. Jhre Erziehung hat ihnen große Vortheile geſchaffet. Jhr Anſtand hat etwas Einnehmendes. Sie haben gereiſet: und ich weiß, wo ſie es mir zu gute halten wollen, daß ſie beſſere Anmerkungen machen, als die Regeln ſind, wornach ſie ſich verhalten. Alle dieſe Eigen - ſchaften laſſen gar keinen Grund uͤbrig, es zu be - wundern, daß ein junges Frauenzimmer ſie lieben ſollte, und daß dieſe Liebe, bey der unverſtaͤndigen Hitze, womit die Freunde meiner Baſe zum Be - ſten ſolcher Maͤnner, die in den genannten Eigen - ſchaften ihnen ſo weit nachzuſetzen ſind, ihren Nei - gungen Gewalt anthun wollten, ſie antreiben moch - te, ſich in ihren Schutz zu begeben. Da aber nun dieſe beyden ſtarken Bewegungsgruͤnde vorhan - den waren, wovon der eine ſie reizen, der andere ſie treiben konnte: ſo erlauben ſie mir, mein Herr, ſie zu fragen, ob ſie nicht ein gedoppeltes Recht hatte, eine edelmuͤthige Begegnung von einem Manne zu erwarten, den ſie zu ihrem Beſchuͤtzer waͤhlte, und den ſie; vergoͤnnen ſie mir die Frey -heit,188heit, es zu ſagen; fuͤr den Schutz, welchen er ihr leiſten ſollte, ſo reichlich belohnen konnte?

Lovel. Die Fraͤulein Clariſſa Harlowe hatte ein Recht, mein Herr, die beſte Begegnung zu for - dern, die ihr von einem Manne widerfahren konn - te: ich trage kein Bedenken, es zu geſtehen. Jch will ihr allezeit die Gerechtigkeit widerfahren laſ - ſen, die ſie verdienet. Jch weiß, was ſie fuͤr eine Folge daraus ziehen werden, und habe nur dieß einzige zu ſagen, daß ſich keine vergangne Zeit wieder zuruͤckrufen laͤßt. Vielleicht wuͤnſchte ich, daß es geſchehen koͤnnte.

Hierauf beſchrieb der Obriſt, auf eine recht maͤnnliche Art, die Gottloſigkeit, etwas gegen die Tugend und den guten Namen eines Frauenzim - mers zu unternehmen. Die Mannsperſonen, ſagte er, haͤtten allzu viele Vortheile uͤber die Schwach - heit, Leichtglaͤubigkeit, und Unerfahrenheit des ſchoͤnen Geſchlechts, welches ſich durch die erhitzen - den Erzaͤhlungen und eitlen Romanen, die ſie leſen, gar zu leicht zu uͤbereilten Handlungen hinreiſſen ließe. Jedoch waͤre ſeine Baſe, wie er gewiß wuͤßte, ſo weit erhaben, daß die gewoͤhnliche Ver - fuͤhrung ſie nicht treffen, oder daß ſie durch keine ſchwaͤchere Bewegungsgruͤnde, als durch die Ge - waltthaͤtigkeit ihrer Eltern und die feyerlichſten Verſprechungen an meiner Seite zu der Ueber - eilung verleitet werden koͤnnte, deren jene ſie be - ſchuldigten. Da ſie inzwiſchen dieſe Bewegungs - gruͤnde gehabt; und da ihre Klugheit, ſo vor - trefflich ſich dieſelbe auch zeigte, vielmehr eineFrucht189Frucht ihrer natuͤrlichen Gaben, als der Er - fahrung, geweſen waͤre; welche jedoch, wie er ſagte, ein feiner Vortheil bliebe, ein unſtraͤfliches Leben auf das Kuͤnftige darauf zu gruͤnden: ſo haͤtte ſie leichtlich an einem Menſchen, den ſie lieb - te, keine boͤſen Abſichten befuͤrchten moͤgen. Es waͤre daher eine abſcheuliche Sache, das Ver - trauen eines ſolchen Frauenzimmers zu misbrau - chen.

Er wollte auf dieſe altvaͤteriſche Art fortreden. Allein ich fiel ihm in die Rede. Dieſe allge - meine Betrachtungen, Herr Obriſt, ſchicken ſich vielleicht nicht auf dieſen beſondern Fall. Aber ſie ſind ja ſelbſt ein Freund von Liebeshaͤndeln. Vielleicht moͤchten ſie auch nicht im Stande ſeyn, wenn es zur Frage kaͤme, eine jede Handlung in ihrem Leben zu rechtfertigen: eben ſo wenig, als ich.

Obr. Sie ſind mir willkommen, mein Herr: ſie moͤgen mich fragen, was ihnen beliebt. Jch danke Gott, daß ich meine Fehler ſo wohl geſte - hen, als mich derſelben ſchaͤmen kann.

Der Lord M. ſahe mich an. Weil aber der Obriſt nach ſeinem Bezeigen nicht die Abſicht zu haben ſchien, mir dadurch einen Verweis zu ge - ben: ſo hatte ich nicht noͤthig, es dafuͤr anzuſehen; ſonderlich da ich meine Fehler eben ſo bereitwillig, als er oder irgend ein Menſch die ſeinigen, geſte - hen kann, ich mag mich nun derſelben ſchaͤmen, oder nicht.

Er190

Er fuhr fort. Weil ſie mich aufzufordern ſcheinen, Herr Lovelace: ſo will ich ihnen, ohne mich damit zu ruͤhmen, erzaͤhlen, wie meine ge - woͤhnliche Lebensart beſchaffen geweſen, bis auf die letzte Zeit, da ich mich ein gutes Theil gebeſ - ſert zu haben glaube.

Jch habe mir Freyheiten genommen, welche die Geſetze der Tugend keinesweges rechtfertigen werden: und einmal wuͤrde ich mich berechtigt gehalten haben, einem jeden jungen Kerl; der ſich gegen eine Schweſter von mir ſolche Freyhei - ten nehmen ſollte, als ich mir gegen die Schweſtern und Toͤchter von andern genommen habe, die Kehle abzuſchneiden. Aber hiebey nahm ich mich in Acht, daß ich niemals etwas verſprach, was ich nicht zu halten willens war. Ein ſittſames Ohr wuͤrde eher offenbare Zoten aus meinem Munde gehoͤrt haben, als das Wort Ehe, wenn ich nicht die Abſicht zu heyrathen gehabt haͤtte. Junge Frauenzimmer ſind gemeiniglich bereit genug, zu glauben, daß wir es ehrlich meynen, wenn ſie uns lieben: und es wuͤrde einer wunderlichen Be - ſchimpfung ihrer Tugend und Reizungen aͤhnlich ſehen, daß es fuͤr noͤthig angeſehen werden ſollte, die Frage zu thun, ob man in ſeiner Bewerbung um ſie eine Abſicht auf die Ehe habe. Allein wenn einmal eine Mannsperſon ein Verſprechen von ſich giebt: ſo, denke ich, muß es billig gehal - ten werden; und ein Frauenzimmer iſt wohl be - rechtiget, ſich auf den Ausſpruch eines jeden gegen die Treuloſigkeit eines Betruͤgers zu berufen, undiſt191iſt allezeit geſichert, die Welt auf ihrer Seite zu haben.

Nun glaube ich, mein Herr; fuhr er fort; ſie haben ſo viel Ehre, daß ſie geſtehen werden, ſie haͤtten einer ſo erhabenen Tugend nicht beykom - men koͤnnen, ohne die Ehe zu verſprechen, und zwar ſehr ausdruͤcklich und feyerlich

Jch weiß gar wohl, Herr Obriſt; fiel ich ein; alles, was ſie ſagen wollen Sie werden mich entſchuldigen, bin ich verſichert, daß ich ihnen in die Rede falle: wenn ſie finden, daß es zu dem Zweck dienet, den ſie erhalten wollen.

Jch geſtehe ihnen dann, daß ich gegen die Fraͤulein Clariſſa Harlowe ſehr ſchaͤndlich gehan - delt habe: und ich will ihnen ferner ſagen, daß ich meine Undankbarkeit und Bosheit gegen ſie herzlich bereue. Ja ich will ihnen noch weiter bekennen, daß ich mich in Anſehung ihrer ſo groͤblich vergangen habe, daß ſelbſt die Vorſtel - lung, wie die Mishandlungen und Beſchim - pfungen, welche mir taͤglich von ihren unverſoͤhn - lichen Verwandten widerfuhren, mich einigerma - ßen gereizt haben, ſchaͤndlich gegen ſie zu handeln, nur ein niedertraͤchtiger und ſchlechter Verſuch ſeyn wuͤrde, mich zu entſchuldigen So nieder - traͤchtig und ſo ſchlecht, daß er mich zwiefach ver - urtheilen wuͤrde. Koͤnnen ſie nun etwas aͤrgers ſagen: ſo reden ſie.

Er ſahe den Lord M. und dann mich, zwey oder dreymal an: und mein Lord ſagte: MeinVer -192Verwandter ſpricht, was er denkt, ich will fuͤr ihn Gewaͤhr leiſten.

Lovel. Das iſt wahr, mein Herr: und was kann ich mehr ſagen? Und was kann ich weiter, nach ihrer Meynung, thun?

Obr. Thun! mein Herr? Ey! mein Herr; das ſprach er in einem vermeſſenen Thon; ich darf ihnen nicht erſt ſagen, daß auf Reue Erſtat - tung folget: und ich hoffe, ſie werden kein Beden - ken machen, ihre Aufrichtigkeit in Anſehung der einen durch die andere zu rechtfertigen.

Jch ſtockte; denn die Art wie er ſprach und ſein vermeſſener Thon waren nicht nach meinem Geſchmack; als wenn ich unſchluͤßig waͤre, ob ich mich gehoͤrig daruͤber herauslaſſen ſollte, oder nicht.

Obr. Erlauben ſie mir, Herr Lovelace, ih - nen dieſe Frage vorzulegen Jſt es wahr, wie ich gehoͤrt habe, daß ſie meine Baſe heyrathen wollten, wenn ſie ſie haben wollte? Was ſa - gen ſie, mein Herr?

Dieß machte mich eine Spanne laͤnger.

Lovel. Einige Fragen, Herr Obriſt, ſind ſo gut als Befehle, wenn man ſie auf eine gewiſſe Art vortraͤgt. Jch moͤchte gern wiſſen, wie ich die ihrigen anzunehmen habe und was die Abſicht von ihren Fragſtuͤcken ſeyn ſoll?

Obr. Meine Fragen ſind von mir nicht als Befehle gemeynet, Herr Lovelace. Die Abſicht iſt, einen Cavallier dahin zu vermoͤgen, daß erwie193wie ein Cavallier, und wie ein Mann, der auf ſeine Ehre haͤlt, handle.

Lovel. hitzig. Und durch was fuͤr Gruͤnde, mein Herr, gedenken ſie mich dahin zu vermoͤ - gen?

Obr. Durch was fuͤr Gruͤnde, mein Herr, man einen Cavallier dahin vermoͤgen wolle, daß er wie ein Cavallier handle! Jch wundere mich uͤber dieſe Frage von Herrn Lovelacen.

Lovel. Wie ſo, mein Herr?

Obriſt, zornig. Wie ſo, mein Herr Erlauben ſie mir

Lovel. der ihm in die Rede faͤllt. Jch laſſe mir nicht gern in dem Tone nachſprechen, Herr Obriſt.

Lord M. Ey, Ey, meine Herren, ich bitte, daß ſie ſich doch einander verſtehen wollen. Sie junge Cavalliers ſind ſo hitzig

Obr. Jch nicht, mein Lord Jch bin weder ſehr jung, noch ungebuͤhrlich hitzig. Jhr Enkel, mein Lord, kann aus mir alles machen, was ich nach ſeinem Willen ſeyn ſoll.

Lovel. Und das ſoll ſeyn, was ihnen zu ſeyn beliebet, Herr Obriſt.

Obr. mit Heftigkeit. Sie ſollen die Wahl haben, Herr Lovelace. Freund oder Feind! nach dem ſie einem der feinſten Frauenzimmer in der Welt Gerechtigkeit widerfahren laſſen, oder wi - derfahren zu laſſen geneigt ſind.

Lord M. Jch habe aus ihrer beyder Ge - muͤthsart wohl vermuthet, wie es gehen wuͤrde,Siebenter Theil. Nwenn194wenn ſie zuſammen kaͤmen. Laſſen ſie mich ei - nen Mittler abgeben und ſie bitten, daß ſie ſich nur einander verſtehen wollen. Sie ſchießen beyde nach einem Ziel: und wo ſie Gedult ha - ben, werden ſie es beyde treffen. Erlauben ſie mir, Herr Obriſt, ſie zu erſuchen, daß ſie nicht Haͤndel anbieten

Obr. Haͤndel, mein Lord! Das ſind Dinge, die ich allezeit lieber angenommen, als an - geboten habe. Allein glauben ihre Gnaden, daß einer, der ſo nahe, als ich die Ehre habe, mit dem vollkommenſten Frauenzimmer auf der Welt ver - wandt iſt

Lord M. der ihm in die Rede faͤllt. Wir geſtehen alle die vortrefflichen Vorzuͤge der Fraͤulein Und wir werden es alle als die groͤß - te Ehre, die uns widerfahren kann, anſehen, mit ihr verbunden zu werden.

Obr. Das muͤſſen ſie auch billig thun, mein Lord!

Ein vollkommener Chamont! dachte ich(*)Siehe Otways Trauerſpiel: die Waiſe..

Lord M. Das muͤſſen wir billig thun, Herr Obriſt! Und das thun wir! Jch bit - te, laſſen ſie doch einen jeden thun, was er bil - lig thun muß! und nicht mehr, als wie er billig muß; und ſie, Herr Obriſt, laſſen ſie mich ihnen ſagen, werden nicht ſo hitzig ſeyn.

Lovel. gelaſſen. Ey, Ey, Herr Obriſt, laſſen ſie dieſen Streit, was ſie auch daraus zu machen geſonnen ſind, nicht weiter gehen, als zwi -ſchen195ſchen mir und ihnen. Sie erklaͤren ſich in ſehr heftigen Ausdruͤcken. Heftiger, als jemals einer in meinem Leben mit mir geredet hat. Aber hier unter dieſem Tache wuͤrde es fuͤr mich etwas ſeyn, das nicht zu entſchuldigen waͤre, wenn ich mich daruͤber ſo herauslaſſen wollte, als es mir viel - leicht an einem andern Orte geziemen wuͤrde, mich daruͤber herauszulaſſen.

Obr. Das iſt geſprochen, wie ich von dem - jenigen wuͤnſche, den ich mit Vergnuͤgen meinen Freund nennen wuͤrde, wenn alle ſeine Handlun - gen uͤbereinſtimmten; und wie ich von demjeni - gen wuͤnſchen wuͤrde, bey dem ich glauben ſollte, daß es ſich der Muͤhe verlohnte, ihn meinen Gegner zu nennen. Jch liebe einen Mann, der Herz hat, wie mein Leben. Aber, Herr Lovelace, da mein Lord glaubet, daß wir auf ein Ziel hal - ten: ſo erlauben ſie mir zu ſagen, daß, wenn uns nur vergoͤnnet waͤre, auf einige Minuten, ſo zu ſa - gen, allein zu ſeyn, wir einander gar bald vollkom - men wohl verſtehen wuͤrden. Hiemit ging er auf die Thuͤre zu.

Lovel. Jch bin gaͤnzlich ihrer Meynung, mein Herr, und will ihnen folgen.

Mein Lord klingelte und trat zwiſchen uns. Herr Obriſt, kommen ſie zuruͤck, ich bitte ſie, wa - ren ſeine Worte: denn der Obriſt war unterdeſ - ſen, daß mein Lord mich hielte, aus dem Zim - mer getreten. Vetter, ſie ſollen nicht hinaus - gehen.

N 2Die196

Die Klocke und meines Lords laute Stimme machten daß Mowbray, und Clemens, meines Lords Cavallier, herein kamen: der erſte auf ſeine gewoͤhnliche und ſorgloſe Weiſe mit den Haͤnden auf dem Ruͤcken. Was giebt es, Robertchen? ſagte er, Was giebt es, mein Lord?

Nur, nur, nur; ſtammelte der Lord, voller Verwirrung; dieſe junge Cavalliers ſind, ſind, ſind junge Cavalliers, das iſt es alles Haben ſie die Guͤte, Herr Obriſt Morden dieſer trat mit einem gelaſſenern Geſichte wieder in das Zimmer und laſſen dieſe Sache zu einer unparteyiſchen Unterſuchung kommen, ich bitte ſie.

Obr. Herzlich gern, mein Lord.

Mowbray fliſperte mir zu: Was iſt zu thun, Robertchen? Soll ich es mit dem Cavallier fuͤr dich aufnehmen, mein Buͤbchen?

Nein, um aller Welt willen nicht, ziſchelte ich ihm zu: der Obriſt iſt ein rechtſchaffener Caval - lier, und ich bitte euch, daß ihr nicht ein Wort ſaget.

Gut, gut, gut, Robertchen: ich habe nichts mehr zu ſagen. Jch kann dich dem beſten Manne auf Gottes Erdboden gern uͤberlaſſen. Und hiemit trat er ganz trotzig weg in die andere Ecke des Zimmers.

Obr. Es iſt mir leid, mein Lord, wenn ich ihrer Gnaden die geringſte Ungelegenheit verur - ſachen ſollte: ich bin in keiner ſolchen Abſicht ge - kommen.

Lord197

Lord M. Jch glaubte in der That, Herr Obriſt, daß ſie in der Abſicht gekommen waͤren: weil ſie ſo geſchwinde Feuer faſſeten. Es iſt mir lieb, von ihnen zu hoͤren, daß es nicht an dem ſey. Wie bald entſtehet aus einem kleinen Fun - ken eine Flamme: ſonderlich bey Gemuͤthern, die ſo leicht Feuer fangen.

Obr. Wenn ich die geringſte Abſicht gehabt haͤtte, zu dem Aeußerſten zu ſchreiten: ſo, bin ich verſichert, wuͤrde Herr Lovelace mir die Ehre er - wieſen haben, mit mir an einem andern Orte zu - ſammenzukommen, wo ich weniger beſchwerlich geweſen waͤre. Allein ich bin mit einer freund - ſchaftlichen Geſinnung gekommen: Mishel - ligkeiten vielmehr beyzulegen, als weitlaͤuftiger zu machen.

Lovel. Wohlan denn, Herr Obriſt, ſo laſſen ſie uns die Sache auf ihnen ſelbſt beliebige Wei - ſe vornehmen. Jch weiß keinen Menſchen, mit dem ich lieber einig ſeyn wollte, als mit einem Manne, gegen welchen die Fraͤulein Clariſſa Har - lowe ſo viele Hochachtung heget. Aber ich kann nicht vertragen, daß man entweder in drohenden Worten, oder in einem drohenden Tone mit mir rede.

Lord M. Gut, gut, gut, gut, Cavalliers, das iſt ſo etwas. Zornige Leute machen ſich ſelbſt Betten von Neſſeln: und wenn ſie dar - inn liegen, ſind ſie uͤber jedermann misvergnuͤgt. Allein ich hoffe, ſie ſind Freunde. Laſſen ſie mich aus ihrem eignen Munde hoͤren, daß ſie es ſind. N 3Jch198Jch bin uͤberzeugt, Herr Obriſt, daß ſie dieſe un - gluͤckliche Begebenheit nicht ganz wiſſen. Sie wiſſen nicht, wie ſehr mein Verwandter ſo wohl als wir alle wuͤnſchen, dieſe Sache zu einem gluͤck - lichen Ende gebracht zu ſehen. Wiſſen ſie es wohl, Herr Obriſt, daß Herr Lovelace auf unſer aller Bitten geneigt iſt, die Fraͤulein zu heyrathen?

Obr. Auf ihrer aller Bitten, mein Lord? Jch haͤtte hoffen ſollen, daß Herr Lovelace geneigt waͤre, Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, weil es Gerechtigkeit iſt, ſonderlich da er ſich ſelbſt dadurch, daß er Gerechtigkeit widerfahren ließe, zugleich die groͤßte Ehre thaͤte.

Mowbray ſchlug hiebey ſeine vorher halb ge - ſchloſſene Augen gegen den Obriſten auf, und warf auf mich verſtohlne Blicke.

Lovel. Das iſt aus einem ſehr hohen Ton geſprochen, Herr Obriſt.

Mowbr. Bey meiner Seele, das daͤchte ich auch.

Obr. Aus einem hohen Ton geſprochen, Herr Lovelace? Jſt es nicht gerecht geſpro - chen?

Lovel. Ja, Herr Obriſt: und ich denke, daß derjenige, welcher der Fraͤulein Clariſſa Har - lowe Ehre erweiſet, mir ſelbſt Ehre erweiſe. Nichts deſto weniger giebt es eine gewiſſe Art und Weiſe im Sprechen, wider welche etwas ein - zuwenden ſeyn mag, wo die Worte ſelbſt, ohnedieſe199dieſe Art zu ſprechen, keine Einwendung leiden koͤnnen.

Obr. Jhre Anmerkung iſt uͤberhaupt be - trachtet außer Streit richtig: aber wofern ſie die Achtung gegen meine Baſe haben, welche ſie ſagen; ſo muͤſſen ſie nothwendig denken

Lovel. Sie muͤſſen mir erlauben, mein Herr, daß ich ihnen in die Rede falle Wo - fern ich die Achtung habe, welche ich ſage Jch hoffe, mein Herr, daß, wenn ich ſage, ich habe die Achtung, das Wofern, ſo mit einem Nachdruck ausgeſprochen, als ſie es ausſprachen, nicht Platz finde.

Obr. Sie ſind mir zweymal in die Rede ge - fallen, Herr Lovelace. Jch bin eben ſo wenig ge - wohnt, mir in die Rede fallen zu laſſen, als ſie, ſich nachſprechen zu laſſen.

Lord M. Ein paar Leute, wie ein paar Faͤſ - ſer mit Schießpulver, bey meiner Treue! Was, den Teufel, ſoll das Reden bedeuten: wo ſie ein - ander auf die Art bey jedem ungelegnen Worte in Hitze ſetzen wollen?

Lovel. Kein Menſch, der auf Ehre haͤlt, mein Lord, wird es mit gleichguͤltigen Augen an - ſehen, wenn wider die Glaubwuͤrdigkeit ſeines Worts Zweifel erregt werden, ob gleich nur auf eine verſteckte Art.

Obr. Haͤtten ſie mich ausgehoͤret, Herr Lo - velace: ſo wuͤrden ſie gefunden haben, daß mein Wofern vielmehr zu einer Schlußfolge, als zu einem Zweifel diente; allein es iſt wirklichN 4eine200eine ſeltſame Freyheit, die ſich Leute von ungebun - denen Grundſaͤtzen nehmen, daß ſie zu eben der Zeit, da ſie den Vorwurf, eine Unwahrheit gegen eine Mannsperſon reden zu koͤnnen, toͤdtlich raͤ - chen wuͤrden, ſich kein Bedenken machen wollen, die feyerlichſten Eidſchwuͤre und Verſprechungen gegen ein Frauenzimmer zu brechen. Jch muß ſie verſichern, Herr Lovelace, daß ich meine Ge - luͤbde und Verſprechungen allezeit als eine Ge - wiſſensſache angeſehen.

Lovel. Sie haben recht daran gethan, Herr Obriſt. Aber erlauben ſie mir, ihnen zu ſagen, mein Herr, daß ſie den Mann nicht kennen, mit dem ſie reden, wo ſie ſich einbilden, daß er nicht im Stande ſey, einen gebuͤhrenden Unwillen zu faſſen, wenn er ſeine edelmuͤthige Bekenntniſſe fuͤr ein Zeichen niedertraͤchtiger Feigheit angenom - men ſiehet.

Obr. hitzig und mit einem hoͤhniſchen Gelaͤchter. Es ſey ferne von mir, Herr Love - lace, daß ich ihnen die niedertraͤchtige Feigheit bey - legen ſollte, von der ſie reden. Denn was wuͤr - de das anders ſeyn, als ſich einbilden, daß ein Menſch, der eine große Bosheit wider jemand veruͤbet hat, nicht bereit ſeyn ſollte, in Vertheidi - gung derſelben ſeine Muthigkeit ſehen zu laſ - ſen

Mowbray. Das iſt verdammt hart, Herr Obriſt. Beym Jupiter, es iſt hart. Jch koͤnn - te von keiner lebendigen Seele ſo viel leiden, als Herr Lovelace ſchon zuvor von ihnen gelitten hat.

Obr. 201

Obr. Wer ſind ſie, mein Herr? Was fuͤr einen Schein des Rechten haben ſie, ſich in eine Sache zu miſchen, wo an der einen Seite eine er - kannte Schuld, an der andern die Ehre einer an - ſehnlichen Familie, die durch eben die Schuld an ihrem zarteſten Theile verwundet iſt, in Betrach - tung kommt?

Mowbr. der dem Obriſten zufliſperte. Mein liebes Kind, ſie werden mir einen großen Gefallen thun, wenn ſie mir eine bequeme Gele - genheit geben wollen, auf ihre Frage zu antwor - ten. Hiemit ging er hinaus.

Der Obriſt ward von meinem Lord in dem Zimmer zuruͤckgehalten: und ich brachte Mow - bray wieder herein.

Obr. Jch bitte ſie, mein lieber Lord, erlau - ben ſie mir, dieſem dienſtfertigen Cavallier aufzu - warten. Jch bitte ſie darum. Jch will binnen drey Minuten die Ehre haben, wieder bey ihrer Gnaden zu ſeyn: verlaſſen ſie ſich darauf.

Lovel. Mowbray, heißt das wie ein Freund mit mir handeln, daß du mich fuͤr untuͤchtig an - ſieheſt, fuͤr mich ſelbſt zu antworten? Und ſoll ein Mann, der Ehre und Herz hat, wie ich von dem Herrn Obriſt Morden weiß; ſo unbedaͤchtlich er ſich auch vielleicht in dieſem Beſuche bewieſen hat; Urſache haben zu ſagen, daß er in meines Lords M. Haus, gewiſſermaßen entbloͤßt von Be - dienten und Freunden, komme, und ſoll doch um der Urſache willen nicht vielmehr Nachſicht, als Beſchimpfung finden? Dieſen Augenblick, meinN 5lieber202lieber Mowbray, laßt uns allein. Euch geht wirklich dieſe Sache nichts an: und wo ihr mein Freund ſeyd, ſo bitte ich euch, den Herrn Obriſten um Verzeihung zu erſuchen, daß ihr euch auf eine ſolche Art, als ihr gethan, eingemiſcht habet.

Mowbr. Gut, gut, Robert: du ſollſt in dieſer Sache freye Haͤnde haben, ſie auszumachen. Jch weiß daß ich nichts dabey zu thun habe Und Herr Obriſt; hiebey reckte er ſeine Hand zu ihm aus; ich uͤberlaſſe ſie einem Manne, der ſeine eigne Sache ſo gut, als irgend einer in Eng - land, zu vertheidigen weiß.

Obr. Der auf des Lords M. Bitten Mowbrayens Hand annahm. Sie haben nicht noͤthig, Herr Mowbray, mir das zu ſagen. Jch zweifele gar nicht an Herrn Lovelacens Ge - ſchicklichkeit, ſeine eigne Sache zu vertheidigen, wenn es eine Sache waͤre, die ſich vertheidigen ließe. Und, Herr Lovelace, erlauben ſie es mir zu ſagen, ich erſtaune, wenn ich gedenke, daß ein herzhafter und ein edelmuͤthiger Mann, wie ſie ſich in zwoen oder dreyen Proben gezeiget haben, welche ſie in meiner kurzen Bekanntſchaft mit ih - nen gegeben, im Stande ſeyn ſollte, ſo zu handeln, wie ſie gegen das vortrefflichſte Frauenzimmer un - ter dem ganzen ſchoͤnen Geſchlechte gehandelt haben.

Lord M. Es mag ſeyn; aber, meine Herren, da Herr Mowbray itzo weg iſt, und ſie beyde Proben genug von Herzhaftigkeit und Muth ge - geben haben: ſo muß ich ſie bitten, ſich freund -ſchaftlich203ſchaftlich mit einander zu beſprechen, und zu uͤber - legen, ob etwas geſchehen koͤnne, das alles zu ei - nem gluͤcklichen Ende fuͤr die Fraͤulein bringen moͤge.

Lovel. Allein ſtille, mein Lord, laſſen ſie mich eines ſagen, da Mowbray itzo weg iſt. Es iſt dieſes. Jch denke, daß ein Cavallier ein oder zwey Dinge, die der Obriſt geſagt hat, nicht ein - ſtecken muͤſſe.

Lord M. Was, Teufel, kannſt du haben wollen? Jch dachte, es waͤre alles vorbey gewe - ſen. Wahrlich, du haſt nichts zu thun, als den Herrn Obriſten zu verſichern, daß du willig und bereit ſeyſt, die Fraͤulein Harlowe zu heyrathen, wo ſie dich haben will.

Obr. Herr Lovelace wird, wie ich vermuthe, kein Bedenken haben, das zu ſagen, ungeachtet alles deſſen, was vorgegangen iſt. Wo ſie aber meynen, Herr Lovelace, daß ich etwas geſagt ha - be, das ich nicht haͤtte ſagen ſollen: ſo iſt es ver - muthlich dieß, daß derjenige, welcher ſo wenig von dem Dinge, das Ehre heißt, gegen ein wehrloſes und unbeſchuͤtztes Frauenzimmer bewieſen hat, nicht mit ſo vieler Bedenklichkeit auf den leeren Namen deſſelben gegen jemand, der ihm deswe - gen Vorwuͤrfe macht, beſtehen muͤſſe. Es iſt mir leid, Herr Lovelace, daß ich Urſache habe, dieß zu ſagen: allein ich wuͤrde es, bey eben der Gele - genheit, noch einmal auch einem Koͤnige in aller ſeiner Herrlichkeit, und unter allen ſeinen Wa - chen, in die Augen ſagen.

Lord204

Lord M. Was iſt aber dieß alles anders, als mehr Saͤcke zur Muͤhle, mehr Oel zum Feuer? Sie haben beyde Luſt zu zanken, das ſe - he ich. Sind ſie nicht willig und bereit, mein Enkel, ſind ſie nicht vollkommen willig und be - reit, dieſe Fraͤulein zu heyrathen, wo ſie zu gewin - nen iſt, ſie zu nehmen?

Lovel. Der Teufel hole mich, mein Lord, wo ich auf eine ſolche Begegnung, als dieß iſt, eine Kayſerinn heyrathen wollte.

Lord M. Ey, Robert, nun biſt du hitziger, als der Herr Obriſt. Kurz zuvor war an ihm die Reihe: und nun, da ihr ſehet, daß er gelaſſen iſt, ſeyd ihr lauter Schießpulver.

Lovel. Jch geſtehe, daß der Herr Obriſt viele Vortheile vor mir voraus hat: aber viel - leicht iſt doch noch einer, den er nicht hat, wenn es zur Probe kommen ſollte.

Obr. Jch bin nicht hierher gekommen, wie ich ſchon vorher geſagt habe, die Gelegenheit zu ſuchen. Wenn ſie mir aber angeboten wird: ſo will ich ſie nicht ausſchlagen. Und weil wir finden, daß wir dem Lord M. beſchwerlich ſind: ſo will ich meinen Abſchied nehmen, und mich durch den Weg von St. Alban zu Hauſe be - geben.

Lovel. Jch will von Herzen gern auf einen Theil des Weges zu Jhnen kommen, Herr Obriſt.

Obr. Jch nehme ihre Hoͤflichkeit mit gro - ßem Vergnuͤgen an, Herr Lovelace.

Lord205

Lord M. der ſich wieder ins Mittel ſchlug, als wir beyde hinaus gehen wollten. Und was wird das helfen, meine Herren? Geſetzt, ſie toͤdten einander: wird die Sache dadurch beſ - ſer oder ſchlimmer werden? Was meynen ſie: wird die Fraͤulein durch eines von ihnen oder ih - rer beyder Tod gluͤcklicher oder ungluͤcklicher wer - den? Jhre Gemuͤthsarten ſind allzuwohl bekannt, daß es neue Proben der Herzhaftigkeit eines von ihnen beyden brauchen ſollte. Und ich denke, Herr Obriſt; wo ſie auf die Ehre der Fraͤulein ihr Au - genmerk gerichtet haben, daß dieſe auf keine Wei - ſe ſo nachdruͤcklich, als durch die Ehe befoͤrdert werden kann. Wollten ſie, mein Herr, das, was ſie bey ihr vermoͤgen, anwenden, ſie zu gewin - nen: ſo iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß ſie zu dem gewuͤnſchten Zweck kommen moͤgen; ob es gleich ſonſt niemand kann.

Lovel. Jch glaube, mein Lord, daß ich alles geſagt habe, was ein Menſch ſagen kann: da das, was geſchehen iſt, ſich nicht zuruͤckrufen laͤßt. Sie ſehen aber, daß der Herr Obriſt Morden beſtaͤn - dig um ſo viel heftiger wird, als ich gelaſſener bin, bis ich genoͤthigt werde, meine Perſon zu behau - pten: ſonſt wuͤrde er mich gar verachten.

Lord M. Erlauben ſie mir, Herr Obriſt, ſie zu fragen: Wiſſen ſie einen Weg, ein Mittel, das ſie fuͤr vernuͤnftig und anſtaͤndig zu einem Vorſchlage anſehen, um eine Ausſoͤhnung mit der Fraͤulein zu Stande zu bringen? Das iſt, was wir alle wuͤnſchen. Und ich kann ihnen ſagen,mein206mein Herr, es kommt nicht um ein geringes von ihrer Familie und ihrem unverſoͤhnlichen Bezei - gen gegen ſie her, daß ihr Widerwillen gegen meinen Verwandten ſich vergroͤßert hat; der ſonſt allerdings ſchaͤndlich mit ihr umgegangen, aber willig und bereit iſt, das ihr widerfahrne Uebel wieder gut zu machen

Lovel. Nicht um ihrer Familie willen, mein Lord; auch nicht wegen des uͤbermuͤthigen Bezei - gens von dieſem Cavallier: ſondern um ihrer ſelbſt willen, und in vollkommener Empfindung des Uebels, das ich gegen ſie ausgeuͤbet habe.

Obr. Was mein uͤbermuͤthiges Bezeigen be - trifft, wie ſie es nennen, mein Herr: ſo muß ich mich ſehr irren, wo ſie in eben dem Falle, wenn eine ſo wuͤrdige Verwandtinn auf eine ſo unan - ſtaͤndige Weiſe beleidigt waͤre, nicht noch weiter gegangen ſeyn wuͤrden. Jch muß ihnen aber ſa - gen, mein Herr, daß, wofern ihre Bewegungs - gruͤnde nicht Liebe, Ehre und Gerechtigkeit ſind, und wofern dieſelben das geringſte von einem nie - dertraͤchtigen Mitleiden gegen ſie, oder von einer unwilligen Genehmhaltung an ihrer Seite, bey ſich haben, ich verſichert ſey, es werde von einer Perſon, die ſo viele Verzuͤge und ſo vielen Ver - ſtand hat, als meine Baſe, weder verlangt, noch angenommen werden: und ich werde es auch in dem Fall nicht wuͤnſchen.

Lovel. Glauben ſie nicht, Herr Obriſt, daß ich durch einen niedertraͤchtigen Vergleich einen Streit abzulehnen ſuche, den ich eben ſo willigſeyn207ſeyn wuͤrde mit ihnen auszufuͤhren, als zu eſſen oder zu trinken, wo mit Gelegenheit dazu gege - ben wird: allein ſo viel will ich ihnen ſagen, daß mein Lord, die Lady Sarah Sadleir, die Lady Eli - ſabeth Lawrance, meine beyden Baſen Montague, und ich ſelbſt, auf die feyerlichſte und aufrichtigſte Art, an ſie geſchrieben haben, um ihr ſolche Vor - ſchlaͤge zu thun, die niemand, als nur ſie allein, ausſchlagen wuͤrde; und dieß lange genug vorher, ehe man ſich von des Obriſt Mordens Ankunft traͤumen ließ.

Obr. Was fuͤr Urſachen, mein Herr, wo ich fragen darf, fuͤhrt ſie an, weswegen ſie einer ſo ſtarken Vermittelung und ſolchen Anerbietungen kein Gehoͤr giebet?

Lovel. Es ſieht ſo aus, als wenn ich einen Vergleich machen wollte, mich zu ergeben: ſonſt

Obr. Es ſieht bey mir gar nicht ſo aus, Herr Lovelace: da ich von ihrer Herzhaftigkeit eine ſo gute Meynnng habe, als ein Menſch haben kann. Und ich bitte ſie, was ſtelle ich in dieſer Sache fuͤr eine Perſon vor? und was habe ich fuͤr Bewegungsgruͤnde dazu? Suche ich nicht, indem ich verlange, daß meiner Baſe Clariſſa Harlowe Gerechtigkeit widerfahren moͤge, die Ehre der Fr. Lovelacinn zu behaupten, wofern die Sachen einmal ſo weit gebracht werden koͤnnen?

Lovel. Sollte ſie mich mit Annehmung die - ſes Namens beehren, Herr Morden: ſo wuͤrdeich208ich weder ihrer, noch irgend eines andern beduͤr - fen, die Ehre der Fr. Lovelacinn zu retten.

Obr. Jch glaube es. Aber ſo lange bis ſie ihnen die Ehre erzeiget hat, dieſen Namen anzu - nehmen, iſt ſie mir naͤher, als ihnen, Herr Lovelace. Jch ſage dieß bloß deswegen, damit ich ihnen zei - ge, daß ich bey dem Antheil das ich an der Sa - che nehme, vielmehr Dank als Misfallen von ihnen zu verdienen ſuche: waͤre es auch gegen ſie ſelbſt, wenn es noͤthig ſeyn ſollte. Sie muͤſſen es auch billig nicht uͤbel nehmen: wofern ſie die Sache recht erwaͤgen. Denn, mein Herr, ge - gen wen braucht ein Frauenzimmer wohl anders Schutz, als gegen ihre Beleidiger? Und wer iſt ihr groͤßter Beleidiger geweſen? So lange alſo, bis ſie auf ihren Schutz, als ihre Gemahlinn, ein Recht bekommt, koͤnnen ſie mir ſelbſt einiges Ver - dienſt nicht abſprechen, wenn ich wuͤnſche, daß meiner Baſe Gerechtigkeit widerfahre. Allein, mein Herr, ſie wollten ſagen, daß, wofern es nicht ſo ausſaͤhe, als wenn ſie einen Vergleich machen wollten, ſich zu ergeben, ſie mir einen Wink von denen Urſachen geben wuͤrden, welche meine Baſe anfuͤhret, weswegen ſie eine ſo anſehnliche Vermittelung nicht annehmen will.

Jch erzaͤhlte ihm hierauf, wie aufrichtig ich mich zur Ehe erboten haͤtte. Jch wollte kein Bedenken tragen, ſagte ich, meine Furcht zuge - ſtehen, daß mein ungluͤckliches Bezeigen gegen ſie ſie ſehr angegriffen haͤtte; die Unverſoͤhnlich - keit ihrer Freunde aber waͤre es, die ſie zur Ver - zwei -209 zweifelung gebracht, und ihr eine Verachtung gegen das Leben eingefloͤßet. Jch eroͤffnete ihm daß ſie ſo gut geweſen waͤre, mir einen Brief zu - zuſchicken, damit ſie mich von einem Beſuch, den ich mir feſt vorgenommen hatte, abhalten moͤchte: einen Brief, auf den ich große Hoffnung bauete; weil ſie mich in demſelben verſicherte, daß ſie im Begriff ware nach ihres Varers Hauſe abzu - gehen, und daß ich ſie daſelbſt ſehen moͤch - te, wofern ich es nicht durch meine eigne Schuld hinderte.

Obr. Jſt es moͤglich? Haben ſie ſich ſo ernſtlich bemuͤhet, mein Herr? Und hat ſie ihnen wirklich einen ſolchen Brief zugeſchickt?

Der Lord M. bekraͤftigte beydes, und auch, daß ich aus Gehorſam gegen ihr Verlangen, und wegen ihrer gethanen Anzeige, wieder von Lan - don herunter gekommen waͤre, ohne das Vergnuͤ - gen gehabt zu haben, welches ich mir vorgeſetzt, ſie zu ſehen.

Es iſt vollkommen wahr, Herr Obriſt, ſprach ich; und ich wuͤrde ihnen dieß ſchon vorher geſagt haben: allein ihre Hitze machte, daß ich Beden - ken trug, es zu thun; denn es hatte das Anſe - hen, wie ich geſagt habe, als wenn ich mich durch einen niedertraͤchtigen Vergleich ergeben wollte. Eine Feigheit, um welcher willen ich mich ſelbſt eben ſo ſehr verachtet haben wuͤrde, wenn ich da - zu aufgelegt geweſen waͤre, als ich von ihnen ver - achtet zu werden erwartet haben moͤchte.

Siebenter Theil. ODer210

Der Lord M. ſchlug vor, ſich auf den Be - weis von dieſem allen einzulaſſen. Er ſagte, nach ſeiner gewoͤhnlichen Weiſe, ſich mit Spruͤchen aus - zudruͤcken: Eine Geſchichte waͤre allezeit gut, bis man die andere hoͤrte. Es waͤre wahr, die Harloweiſche Familie und ich haͤtten uns als die aͤrgſten Feinde gegen einander bezeiget: und jene haͤtten ſich uͤber dieß große Freyheiten ge - gen unſere ganze Familie herausgenommen. Nichts deſto weniger wollte er mehr um der Fraͤulein, als um jener willen oder ſelbſt um mei - netwillen, das koͤnnte er mir ſagen, groͤßere Dinge fuͤr mich thun, als dieſelben fordern koͤnn - ten: wofern ſie zu gewinnen waͤre, mich zu neh - men. Dieß haͤtte er anzeigen wollen; und wuͤrde es eher angezeiget haben: wenn er uns eher zur Gedult und zu einem guten Vernehmen haͤtte bringen koͤnnen.

Der Obriſt entſchuldigte ſeine Hitze durch ſeine Liebe zu ſeiner Baſe.

Meine Achtung gegen dieſelbe machte, daß ich ſeine Entſchuldigungen gern und willig annahm. Und ſo ſetzten wir uns, da eine friſche Flaſche Burgunder und eine Flaſche Champagner auf den Tiſch geſetzt war, nach allem dieſem Brauſen mit gutem Sinne nieder, um uns genauer uͤber die eigentlichen Umſtaͤnde der Begebenheit einzulaſſen: welches ich auf beyder Verlangen zu thun uͤber - nahm.

Allein dieſe Dinge muͤſſen den Jnhalt eines andern Briefes ausmachen, der dem gegenwaͤr -tigen211tigen unmittelbar folgen ſoll, wo er ihn nicht be - gleitet.

Jmmittelſt werdet ihr bemerken, daß eine boͤ - ſe Sache einem Menſchen vieler Vortheile berau - be. Denn ich glaube ſelbſt, daß die Fragen, welche mir der Obriſt mit ſo großer Heftigkeit vorlegte, mir ein verflucht niedriges Anſehen ga - ben: da ſie ihm zu eben der Zeit einen erhabenen Vorzug beylegten, welchen ich dem beſten Kerl in ganz Europa nicht wohl einzuraͤumen weiß. Auf die Art iſt, nach dem Buchſtaben, wie ein From - mer daraus ſchließen wuͤrde, das Laſter ſein eigner Richter zu ſeiner Beſtrafung: indem es machet, daß ein ſtolzer Geiſt dem Miſſethaͤter aͤhnlich ſie - het, der er wirklich iſt. Ein Frommer, ſa - ge ich: alſo haſt du; das fuͤge ich bey, um dir zuvorzukommen; kein Recht, Bruder, dieſe Anmerkung zu machen.

O 2Der212

Der vier und zwanzigſte Brief von Herrn Lovelace. Zur Fortſetzung des vorhergehenden.

Jch ging in dieſem Theil unſerer Unterredung bis auf den Tag zuruͤck, da ich genoͤthigt ward, zu meinem Lord, in der gefaͤhrlichen Krank - heit, welche nach einiger Beyſorge ſeine letzte ge - weſen ſeyn moͤchte, hinunter zu kommen.

Jch erzaͤhlte dem Obriſten was fuͤr ernſtli - che Briefe ich an einen beſondern Freund ge - ſchrieben haͤtte, damit ich ihn bewegen moͤchte, die Fraͤulein zu bereden, daß ſie einen gewiſſen Tag, der zu der geheimen Vollziehung unſerer Heyrath vorgeſchlagen war, nicht vorbeygehen ließe. Jch erzaͤhlte ihm, was fuͤr Briefe ich der Sache wegen an ſie ſelbſt abgelaſſen haͤt - te (*)Man ſehe den V Theil, S. 823. 829. 831. 835. 846.. Denn ich war zu meinem Cloſet ge - gangen und hatte alle die Briefe, und Entwuͤrfe und Abſchriften von Briefen, die zu dieſer Sa - che gehoͤrten, herunter geholet.

Jch213

Jch las ihm verſchiedne Stellen in den Ab - ſchriften von dieſen Briefen vor, welche, wie du dich beſinnen wirſt, mir zu nicht geringer Ehre gereichen. Jch ſagte ihm, daß ich wuͤnſchte, ich haͤtte auch von den Briefen an meinen Freund, die ich bey dieſer Gelegenheit geſchrieben, Ab - ſchriften behalten. Daraus wuͤrde er geſehen haben, wie ſehr es mir mit meinen Erklaͤrun - gen ein Ernſt geweſen: ob ſie gleich nicht einen von meinen Briefen beantworten wollen. Du magſt dich erinnern, daß einer von dieſen vier Briefen ihr den Grund entdeckte, warum ich wuͤnſchte, daß ſie da, wo ich ſie gelaſſen haͤtte, bleiben ſollte(*)Man ſehe den V Th. S. 825..

Hiernaͤchſt fuhr ich fort, ihm von dem Be - ſuch Nachricht zu geben, den die Lady Sarah und Lady Eliſabeth bey dem Lord M. und mir abſtatteten, um mich zu bewegen, daß ich ihr Ge - rechtigkeit widerfahren ließe; imgleichen von meiner Bereitwilligkeit, mich ihrem Verlangen gemaͤß zu bezeigen; von der hohen Meynung, die dieſe beyden Ladies von ihr haͤtten; von dem Beſuch, den meine Baſen Montague in unſer aller Namen bey der Fraͤulein Howe ablegten, um ſie zu bewegen, daß ſie ihre Fuͤrſprache bey ihrer Freundinn zu meinem Beſten anwenden moͤchte; von meiner Unterredung mit der Fraͤu - lein Howe in einer beſondern Geſellſchaft, in wel - cher ich ihr eben die Verſicherung gab, und ſie um ihre Fuͤrſprache bey ihrer Freundinn erſuchte.

O 3Hier -214

Hierauf las ich ihm die Abſchriften von dem Briefe, welchen die Fraͤulein Charlotte Monta - gue, den 1ten Auguſt(*)Man ſehe den VI Theil, S. 666., an ſie geſchrieben, und worinn ſie in unſerer aller Namen ſie um ihre Ver - bindung mit uns erſucht hatte: ob er mir gleich ſo ſehr nachtheilig war.

Dieß verurſachte, daß er geneigt ward, zu ge - denken, daß ſeine ſchoͤne Baſe ihren Widerwillen gegen mich zu weit triebe. Er haͤtte ſich nicht vorgeſtellet, ſagte er, daß es mir ſelbſt oder unſe - rer Familie ſo ſehr ein Ernſt geweſen waͤre.

So ſiehſt du, Belford, daß man nur uͤber einen Theil einer Geſchichte Anmerkungen ma - chen, und den andern weglaſſen darf: ſo wird allezeit aus einer ſchlimmen Sache eine gute wer - den. Was fuͤr einen bewundernswuͤrdigen Sach - walter wuͤrde ich abgegeben haben! Und wie ſchlecht wuͤrde dieſe reizende Fraͤulein, mit aller ihrer Unſchuld, gegen einen Menſchen, der ſo viel fuͤr ſich zu ſagen und zu zeigen haͤtte, vor Ge - richt fortgekommen ſeyn.

Jch gab ihm nach dieſem auch einen Wink von dem großmuͤthigen Erbieten zu einem jaͤhrli - chen Geſchenk, welches der Lord M. und ſeine Schweſtern ſeiner ſchoͤnen Baſe gethan, aus Bey - ſorge, ſie moͤchte durch die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde in Mangel gerathen.

Hieruͤber gab der Obriſt ebenfalls ein großes Wohlgefallen zu erkennen, und hatte die Guͤte, das ungluͤckliche Misverſtaͤndniß zwiſchen den bey -den215den Familien zu bedauren, welches verurſachet haͤtte, daß die Harloweiſche Familie eine Verbin - dung mit einem Hauſe, das ſo viel auf wahre Eh - re hielte, als dieſes Beyſpiel von dem unſrigen zeigte, nicht ſo begierig geſucht haͤtte.

Jch erzaͤhlte ihm ferner, daß, da ich von meinem Freunde; ich meynte dich; welcher den Zutritt zu ihr gehabt und allezeit ein Be - wunderer ihrer Tugend geweſen, auch mir von Zeit zu Zeit der Fraͤulein wegen ſo gut gera - then, daß ich ihm gefolgt zu haben wuͤnſchte, verſichert worden, daß ein Beſuch von mir ihr ſehr unangenehm ſeyn wuͤrde, ich mich noch ein - mal entſchloſſen, zu verſuchen, was ein Brief ausrichten wuͤrde, und dem zufolge den 7ten Auguſt ein Schreiben an ſie abgelaſſen haͤtte.

Dieß, Herr Obriſt, iſt die Abſchrift davon. Jch ſtand damals nicht in gutem Vernehmen mit meinem Lord M. und den Ladies von unſe - rer Familie. Sie werden ihn alſo fuͤr ſich ſelbſt leſen(*)Man ſehe den VI Theil, S. 712..

Dieſer Brief that ihm vollkommen Genuͤge. Sie ſchreiben hier von ganzem Herzen, Herr Lo - velace. Es iſt ein Brief voller Reue und Er - kenntniß ihrer Schuld. Jhre Bitte iſt vernuͤnf - tig daß ſie nur in ſo weit Vergebung erlan - gen moͤgen, als ſie es nach einer Zeit der Pruͤfung, welche ſie ihr feſtzuſetzen uͤberlaſſen, zu verdienenO 4ſchei -216ſcheinen werden. Hat ſie ihnen dann eine Ant - wort auf dieſen Brief geſchickt, mein Herr?

Ja: allein mit Widerſtreben, ich geſtehe es; und nicht eher, als bis ich mich durch mei - nen Freund erklaͤret hatte, daß, wo ich keine Ant - wort erlangen koͤnnte, ich ſelbſt nach London kom - men und mich zu ihren Fuͤßen werfen wollte.

Jch wuͤnſchte, daß es mir erlaubt ſeyn moͤch - te, die Antwort zu ſehen, mein Herr, oder dieje - nigen Stellen davon, welche ſie fuͤr gut befinden werden, vorleſen zu hoͤren.

Jch ſuchte meine Papiere durch. Hier iſt ſie, mein Herr(*)Man ſehe den VI Theil, S. 733.. Jch will mir kein Beden - ken machen, ſie ihnen in ihre Haͤnde zu geben.

Dieß iſt ſehr hoͤflich, Herr Lovelace.

Er las ſie. Meine reizende Baſe! Wie ſtark iſt ihr Unwillen! Wie liebreich ſind dennoch zugleich ihre Wuͤnſche! Lieber Gott! daß ein ſo vortreffliches Frauenzimmer Al - lein, ſie, Herr Lovelace, werden es eben ſo ſehr be - dauren als ich ſelbſt, ich zweifle nicht daran

Jch fiel ihm in die Rede, und ſchwur, daß ich es thaͤte.

Es muß billig ſo ſeyn, verſetzte er. Jch wun - dere mich auch nicht, daß es ſo ſeyn ſollte. Jch werde ihnen alſobald erzaͤhlen, fuhr er fort, wie viel ſie durch falſche und betruͤgeriſche Nachrich - ten bey ihren Freunden leidet. Wollen ſie mir aber erlauben, mein Herr, dieſe beyden Briefemit217mit mir zu nehmen? Jch werde ſie zu ihrer bey - der Vortheil gebrauchen.

Jch antwortete ihm, daß ich ihm von Herzen gern darinn zu Gefallen ſeyn wollte. Dieß nahm er ſehr guͤtig auf, wie er Urſache hatte, und ſteck - te ſie in ſeine Brieftaſche, mit dem Verſprechen, ſie binnen wenigen Tagen wieder zuruͤckzu - ſenden.

Darauf erzaͤhlte ich ihm weiter, daß ich nach dieſer abſchlaͤgigen Antwort unternommen haͤtte, ſelbſt nach London zu gehen, in Hoffnung, ſie zu meinem Beſten zu bewegen. Ob ich gleich da - hin gegangen waͤre, ohne ihr von meiner Ent - ſchließung Nachricht zu geben: ſo haͤtte ſie doch einige Kundſchaft gehabt, daß ich kommen wuͤr - de, und es ſo angeſtellet, daß ſie nicht anzutref - fen geweſen. Endlich; ſetzte ich hinzu; da ſie fand, daß ich mir feſt vorgeſetzet haͤtte, es moͤch - te erfolgen, was da wollte, ſie zu ſehen, ehe ich auf Reiſen ginge; welches ich thun werde, ſagte ich, wofern ich ſie nicht gewinnen kann: ſo ſchickte ſie mir den Brief, wovon ich ſchon vor - her Erwaͤhnung gegen ſie gethan habe. Sie bittet mich in demſelben, den ihr zugedachten Beſuch aufzuſchieben: und das um einer Urſa - che willen, die mich in Verwunderung und Ver - wirrung ſetzet. Jch weiß niemals, daß ſie von ihrem Worte abgegangen waͤre: denn ſie nahm es allezeit zur Regel, daß es nicht erlaubt waͤre, deswegen etwas Boͤſes zu thun, da - mit etwas Gutes daraus erfolgen moͤchte. O 5 Den -218 Dennoch hat ſie mich, aus keiner andern Urſa - che in der Welt, als damit ſie mich nicht ſehen moͤchte, bloß weil ſie ihren Unwillen befriedigen will, durch dieſen Brief aus London gebracht, da ich mich auf die Verſicherung verließ, die ſie mir gegeben hatte.

Obr. Dieß iſt in der That zu bewundern. Allein ich kann nicht glauben, daß meine Baſe, bloß zu einem ſolchen Ende oder wirklich zu ir - gend einem Ende, nach dem, was ich von ihrer Gemuͤthsart hoͤre, ſich erniedrigen ſollte, einen ſol - chen Kunſtgriff zu gebrauchen.

Lovel. Das iſt es eben, Herr Obriſt, was mich in Erſtaunen ſetzet: und gleichwohl, ſehen ſie hier! Dieß iſt der Brief, den ſie an mich ſchrieb: Ja, mein Herr, es iſt ihre eigne Hand.

Obr. Jch ſehe, ſie iſt es: eine vortrefflich ſchoͤne Hand.

Lovel. Sie bemerken, Herr Obriſt, daß alle ihre Hoffnung zur Ausſoͤhnung mit ihren Eltern von ihnen herkomme. Sie ſind ihr lieber und preiswuͤrdiger Freund. Sie hat allezeit mit Vergnuͤgen von ihnen geſprochen.

Obr. Jch wuͤnſchte nichts mehr, als daß ich nach England gekommen waͤre, ehe ſie von Har - lowe-Burg weggegangen. So waͤre nichts von dieſen Dingen geſchehen. Nicht einer von de - nen Maͤnnern, welche ihre Freunde, wie ich gehoͤ - ret, ihr vorgeſchlagen, haͤtte ſie haben ſollen: auch ſie nicht, Herr Lovelace; ohne wenn ich befundenhaͤtte,219haͤtte, daß ſie der Mann waͤren, der ſie nach dem, was ein jeder, welcher ſie ſiehet, wuͤnſchen muß, ſeyn ſollten. Waͤren ſie aber der Mann ge - weſen: ſo wuͤrde ich fuͤr ein ſo vortreffliches Frauenzimmer ihnen keine Seele vorgezogen haben.

Mein Lord und ich vereinigten unſere Wuͤn - ſche mit den ſeinigen: und, bey meiner Treue, ich wuͤnſchte es recht von Herzen.

Der Obriſt las den Brief zweymal uͤber, und gab ihn mir darauf wieder zuruͤck. Es iſt mir alles ein Geheimniß, ſagte er: ich kann nichts daraus machen. Denn, leider! ihre Freunde ſind ſo wenig, als jemals, zu einer Ausſoͤhnung geneigt.

Lord M. Das haͤtte ich nicht denken koͤn - nen. Aber meynen ſie nicht, daß etwas ſehr vor - theilhaftes fuͤr meinen Enkel in dieſem Briefe ſey? Etwas, das ſo ausſieht, als wenn die Fraͤulein ſich zuletzt gefaͤllig erklaͤren wollte.

Obr. Jch will ſterben, wo ich weiß, was dar - aus zu machen iſt. Dieſer Brief iſt von ihrem vorigen Schreiben gar ſehr unterſchieden! Sie haben doch eine Antwort darauf zuruͤckge - ſchickt, Herr Lovelace?

Lovel. Eine Antwort, Herr Obriſt! Daran iſt nicht zu zweifeln. Und zwar eine Antwort, die vollkommen von meiner Entzuͤckung zeugte. Jch meldete ihr daß ich alſobald zu dem Lord M. abreiſen wollte, damit ich ihrem Willen Gehor - ſam leiſtete. Jch meldete ihr, daß ich in alles, was220 was ſie befehlen wuͤrde, willigen wollte, damit ich dieſe gluͤckliche Ausſoͤhnung befoͤrdern moͤch - te. Jch meldete ihr, daß es, bis an das Ende meines Lebens, meine ſtuͤndliche Bemuͤhung ſeyn ſollte, eine ſo ausnehmende Guͤte zu verdie - nen. Allein ich kann mich nicht entbrechen, zu ſagen, daß es mir nicht wenig Anſtoß und Be - ſtuͤrzung verurſachet, wofern damit nichts mehr gemeynet iſt, als mich auf das Land hinauszuſchaf - ſen, ohne ſie vorher zu ſehen.

Obr. Das kann es nicht ſeyn: darauf ver - laſſen ſie ſich, mein Herr. Es muß etwas mehr, als das, dahinter ſtecken. Denn waͤre es das al - les: ſo muͤßte ſie ja gedenken, daß ihnen der Jr - thum bald benommen ſeyn und ſie alsdenn nach der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit ihren vorigen Schluß wieder faſſen wuͤrden; es waͤre dann, daß ſie ſich etwa darauf verlaſſen haͤtte, mich un - ter der Zeit zu ſehen, weil ſie gewußt, daß ich an - gekommen waͤre. Aber ich geſtehe, ich weiß nicht, was ich daraus machen ſoll. Nur ſo viel ſehe ich, daß ſie mir ſehr viele Ehre erweiſet, wo ich es bin, den ſie ihren preiswuͤrdigen Freund nennet, welchen ſie allezeit geliebet und ge - ehret haͤtte. Jch habe ſie in der That allezeit geliebet: und werde, wo ich unverheyrathet und ohne Kinder ſterbe, eben ſo guͤtig gegen ſie ſeyn, als ihr Großvater geweſen iſt; und das um ſo viel mehr, weil ich fuͤrchte, daß nur allzu viel Neid und Selbſtliebe hinter dem Unwillen ſtecke, den ihr Bruder und ihre Schweſter bey ihrenEltern221Eltern gegen ſie zu unterhalten ſuchen. Allein ich werde hievon beſſer zu urtheilen wiſſen, wenn mein Vetter Jakob von Edinburg kommt. Man erwartet ihn alle Stunden.

Erlauben ſie mir aber zu fragen, Herr Love - lace: Wie heißt ihr Freund, der einen ſo freyen Zutritt zu meiner Baſe hat? Heißt er nicht Belford?

Lovel. Ja, mein Herr: ein Mann, der auf ſeine Ehre haͤlt, und ein großer Bewunderer ih - rer ſchoͤnen Baſe iſt.

Hatte ich Recht in dem erſten Stuͤck, Bru - der? Von dem letzten habe ich ſo ſtarken Be - weis, daß ich deswegen an dem erſten zweifele: indem ſie meinem Beſuche, den ich ihr zugedacht hatte, nicht entgangen ſeyn wuͤrde, wenn du nicht geweſen waͤreſt.

Obr. Sind ſie verſichert, mein Herr, daß Herr Belford ein Mann iſt, der auf Ehre haͤlt?

Lovel. Jch kann fuͤr ihn ſchwoͤren, Herr Obriſt. Was haben ſie aber fuͤr Urſache, dieſe Frage zu thun?

Obr. Bloß dieſe: Es iſt ein dienſtfertiger und unerfahrner Menſch, der ſich gern in fremde Dinge miſcht, nach London hinaufgeſandt, ſich nach der Lebensart und Auffuͤhrung meiner Baſe zu erkundigen: und, wollten ſie es wohl glauben! die oͤftern Beſuche dieſes Cavalliers ſind auf eine niedertraͤchtige Art zu ihrem Nachtheil ausgedeu - tet worden. Leſen ſie dieſen Brief, Herr Lo -velace:222velace: ſie werden ſich bey einem jeden Stuͤck deſſelben aͤrgern.

Dieſer verfluchte Brief iſt, ſonder Zweifel, von dem jungen Leviten, den du mir beſchriebeſt, Bruder, wie er ſich nach dem Rufe der Fraͤulein Harlowe und denen Perſonen, die bey ihr Beſuch ablegten, bey Fr. Smithinn erkundigte.

Jch glaube, ich brachte eine Viertelſtunde zu, ihn zu leſen: denn ich machte ihn durch die Zu - ſaͤtze von Eidſchwuͤren und Fluͤchen bey jeder pe - dantiſchen Zeile, ob er gleich nicht kurz iſt, zehn mal ſo lang, als er iſt. Der Lord M. half ihn auch ſo gar durch eben dergleichen Fluͤche verlaͤn - gern. Und du, Bruder, wirſt eben ſo viel Urſa - che haben, ihn zu verfluchen, als wir.

Sie muͤſſen nothwendig ſehen, ſagte der Obriſt, nachdem ich ihn geleſen hatte, daß dieſer Menſch bey ſeiner widrigen Geſinnung Dank zu verdie - nen geſucht hat. Denn was er ſchreibt, iſt bloß vom Hoͤrenſagen, und das Hoͤrenſagen iſt ein Aergerniß, das ſich auf bloße Muthmaßungen gruͤndet, ohne eine wirkliche That, oder den Schein einer wirklichen That, wodurch es unter - ſtuͤtzt werde: ſo daß ein unparteyiſches Auge, bey dem erſten Anblick des Briefes, den Verfaſſer deſſelben, wie ich that, verdammen, und meine Baſe losſprechen wuͤrde. Gleichwohl iſt der Zorn, wodurch die Uebrigen von meinen Anverwandten getrieben werden, ſo groß, daß ſie ſich hinreißen laſſen, das aͤrgſte, was dieſer Brief zu verſtehen giebt, zu glauben: und die liebe Frauͤlein hat dar -uͤber223uͤber ſehr aͤrgerliche Briefe bekommen. Man hat dasjenige, wovon der Schulfuchs einen Wink gegeben, fuͤr wahr angenommen, und ihr eine Reiſe nach einer von den Pflanzſtaͤdten vorge - ſchlagen, als das einzige Mittel, dem Herrn Bel - ford und ihnen zu entgehen. Jch habe dieſe Briefe in der That nicht geſehen: allein ſie mach - ten ſich eine Ehe daraus, mir etwas von ihrem Jnhalt vorzuſagen; welches der armen Fraͤulein durchs Herz gegangen ſeyn muß. Und wenn man dieß zu ihrem vorigen Leiden hinzuſetzet: Was haben ſie, Herr Lovelace, denn nicht zu ver - antworten?

Lovel. Wer, Teufel, haͤtte ſolche Folgen, als dieß ſind, erwarten koͤnnen? Wer haͤtte glauben koͤnnen, daß ſo unverſoͤhnliche Eltern, ſo neidiſches Geſchwiſter, und, erlauben ſie mir zu ſagen, ein ſo unbewegliches Frauenzimmer, das ſich ohne Nach - geben denjenigen Mitteln entgegenſetzte, die einzig und allein alles bey einem jeden Theil gut zu ma - chen vermoͤgend waͤren, auf der Welt ſeyn koͤnn - ten? Und was iſt nun zu thun uͤbrig?

Lord M. Jch mache mir große Hoffnung, daß der Obriſt Morden ſeine Baſe noch gewin - nen koͤnne: und nach ihrem letzten Briefe ſchwebt es mir im Sinne, daß ſie noch einige Abſicht hat, zuletzt alles, was vorgegangen iſt, zu vergeben. Gedenken ſie, Herr Obriſt, daß, wenn auch gegen - waͤrtig keine ſolche Ausſoͤhnung vor ſich gehen ſollte, ihr Brief nicht ſo viel mit einſchließen moͤge, daß ſie ſich mit Herrn Lovelacen auſoͤhnen wollte,wofern224wofern wir ihre Freunde bewegen koͤnnten, es zu - zugeben?

Obr. Eine ſolche Liſt wuͤrde ſich beſſer fuͤr die italiaͤniſche Spitzfindigkeit, als fuͤr die engli - ſche Aufrichtigkeit ſchicken. Jhre Gnaden ſiud vermuthlich in Jtalien geweſen?

Lovel. Mein Lord hat vielleicht Boccacio geleſen: und das iſt eben ſo gut; in Abſicht auf die beruͤhrte Anmerkung, welche ſich aus einer von den Erzaͤhlungen dieſes Schriftſtellers ent - lehnen laͤſſet. Allein die Fraͤulein Clariſſa Har - lowe iſt uͤber alle liſtige Kunſtgriffe erhaben. Sie muß etwas meynen, das ich nicht ergruͤnden kann.

Ohr. Jch kann nur ſo viel ſagen, mein Lord, daß ich die Briefe, welche Herr Lovelace mir aus beſon - derer Hoͤflichkeit mitzunehmen erlaubt hat, auf einige Art gebrauchen werde: und wenn ich erſt mit meinem Vetter Jakob, der alle Stunden er - wartet wird, einige Unterredung gehabt, und ein oder ein paar Dinge, die mir ſehr auf dem Halſe liegen, zur Richtigkeit gebracht habe; ſo will ich meiner ſchoͤnen Baſe meine Aufwartung machen. Alsdenn werde ich im Stande ſeyn, beſſer von al - lem zu urtheilen. Unterdeſſen will ich an ſie ſchrei - ben: denn ich habe mich nach ihr erkundigen laſ - ſen, und finde, daß ſie Troſt noͤthig hat.

Lovel. Wenn ſie die Gewogenheit haben wol - len, Herr Obriſt, mir den verdammten Brief von dem Kerl, dem Brand, auf einen oder zween Tage zu uͤberlaſſen: ſo werden ſie mich ſehr verbinden.

Obr. 225

Obr. Jch will es gar gern thun: aber er - innern ſie ſich, daß der Mann ein Geiſtlicher iſt; und noch dazu, wie man ſagt, ein ſehr unſchuldi - ger Menſch. Sonſt waͤre ich ſchon laͤngſt bey ihm geweſen. Dieſe Neulinge aus den Hoͤrſaͤlen ihrer Lehrer, die ſich einbilden, daß ſie in ihren Zellen alles wiſſen, und daß alle Gelehrſamkeit in Buͤchern liege, ſtellen ſeltſame Perſonen vor, wenn ſie in die Welt und unter Leute von beyder - ley Geſchlecht kommen.

Lord M. Brand! Brand! Er ſollte Feuerbrand geheißen haben, denke ich auf mein Gewiſſen!

So endigte ſich dieſe muthige Unterhand - lung.

Jch muß geſtehen! Bruder, daß mich der Obriſt Morden ſehr eingenommen hat. Er iſt be - herzt und edelmuͤthig. Er kennt die Welt: und ſeine Verachtung gegen die Geiſtlichen iſt ein ge - wiſſes Zeichen, das er einer von Uns iſt.

Wir gingen mit großer Hoͤflichkeit von ein - ander. Der Lord M. der nicht wenig daruͤber vergnuͤgt, und von dem Obriſten eben ſo ſehr ein - genommen war, wiederhohlte ſeinen Wunſch, nach - dem der Obriſt ſich wegbegeben hatte, daß er zu rechter Zeit angekommen waͤre, die Fraͤulein zu retten, wo ſie durch ſeine Ankunft zu retten gewe - ſen ſeyn wuͤrde.

Jch wuͤnſche es ſelbſt auch. Denn bey mei - ner Seele, Bruder, ich werde ihretwegen von Ta -Siebenter Theil. Pge226ge zu Tage unruhiger. Allein ich hoffe, ſie be - findet ſich nicht ſo uͤbel, als mir geſagt wird.

Jch ſchließe den Brief von dieſem Feuer - brand, wie ihn mein Lord nennet, bey. Jch mache mir die Rechnung, daß er alle deine Traͤg - heit zur Rachbegierde erwecken werde.

Jch weiß nicht, was ich rathen ſoll: ob er der Fraͤulein zu zeigen iſt, oder nicht. Jedoch wird ſie daraus vielleicht mehr Vergnuͤgen als Ver - druß ſchoͤpfen; da ſie ſich ihrer Unſchuld bewußt iſt: weil er ihr Grund zu hoffen geben wird, daß das Verfahren ihrer Freunde mit ihr eben ſo viel von falſchen Nachrichten, als von der natuͤrlichen Unverſoͤhnlichkeit derſelben herkomme. Ein ſol - ches Gemuͤth, als ſie hat, weiß ich, wuͤrde ſich freuen, auch nur den Schatten von einem Grun - de zu den aͤrgerlichen Briefen, welche ſie, wie der Obriſt ſagt, ihr zugeſchickt haben, und zu ihrem Vorſchlage, daß ſie nach einer von den Pflanzſtaͤd - ten gehen ſollte, zu finden. Der Henker hohle ſie alle Aber wo ich anfange zu fluchen: ſo wer - de ich niemals zu Ende kommen. Hiernaͤchſt kann der Brief ihr vielleicht eine Vertheidigung an die Hand geben, zu der ſie gern eine gute Gele - genheit haben moͤchte, und zu einem Mittel dienen, ihre Angehoͤrigen wegen ihrer ungeheuren Leicht - glaͤubigkeit zu beſchaͤmen. Allein dieß uͤberlaſſe ich deiner eignen großkoͤpfichten Klugheit Nur kraͤnkt es mich bis in die Seele, daß auch nur Schmaͤhſucht und Verlaͤumdung ſich unter - ſtehen ſollen, die bloße Moͤglichkeit zu vermuthen,daß227daß irgend ein Menſch Theil an der Gewogen - heit einer Fraͤulein haben ſollte, welche ich nun, wie mich deucht, goͤttlich verehren koͤnnte.

Charlotte und ihre Schweſter konnten ſich nicht entbrechen uͤber die niedertraͤchtige Ver - laͤumdung zu weinen. Wann, wann, ſagte Mar - tha mit aufgehobenen Haͤnden, wird das Leiden dieſer anmuthsvollen Fraͤulein ein Ende haben? O Vetter Lovelace!

So werden mir eines jeden Fehler zur Laſt geleget! Verflucht ſie ihr grauſamer Vater, ſo bin ich es. Jch ſchelte ſie mit ihrer harten Mutter. Jhres einfaͤltigen Onkels Unverſoͤhn - lichkeit iſt meine Schuld. Jhres Bruders Gift und Galle, ihrer Schweſter Hohn und Neid kommen gaͤnzlich von mir her. Dieſes Galgen - ſchwengels, des Brands Brief, iſt von meiner Hand O Bruder, was fuͤr ein elender Menſch iſt dein Lovelace!

Ohne einen Brief zuruͤckgekommen! Dieſer verdammte Kerl Wilhelm iſt ohne einen Brief zuruͤckgekommen! Gleichwohl ſagt mir der Bube, er hoͤre, daß ihr dieſe zween Tage uͤber beſchaͤfftigt geweſen, an mich zu ſchreiben!

Der Henker hohle dich, da du meine Unge - dult, und die Urſache derſelben wiſſen mußt!

Jch ſandte zu keinem andern Ende einen eig - nen Kerl zu Pferde! Meine Einbildungskraft war an den Bauch des Thieres geheftet, um mitP 2dem -228demſelben Schritt zu halten! Nun iſt er bis an dieſen; nun bis an jenen Ort; nun zu London; nun zu dir gekommen.

Nun iſt ihm ein Brief gegeben. Mit Peitſche und Spornen geht es auf den Ruͤckweg. Eben iſt er in dieſe Stadt gekommen, und haͤlt ſich nicht auf, irgend etwas zu ſich zu nehmen. Jtzt iſt er bey jenem Flecken vorbey; reitet geſchwinde als der Wind; Kerl und Pferd ſchaͤumen vor Schweiß.

Auf die Art kam er wirklich in den Hinter - hof meines Lords geritten.

Das Geraͤuſch von dem Pflaſter brachte mich herunter den Brief, Wilhelm! den Brief, du Hund! den Brief, Bube!

Kein Brief, mein Herr! Alſobald ſahe ich ſtarr um mich herum und verſtellte das Geſicht, wie ein Unſinniger der Henker hohle dich, du Hund, und den, der dich ohne einen Brief zu - ruͤck geſchickt hat! Den Augenblick aus mei - nen Augen: oder ich will dein einfaͤltiges Gehirn in die Luft zerſtreuen. Jndem ich dieß ſagte: erhaſchte ich ein Piſtol aus ſeinem Futter. Der Bube aber ſprang von dem rauchenden Pferde herunter, und rannte fort, dem Schickſal zu ent - gehen, welchem ich dich von ganzem Herzen ſo nahe zu haben wuͤnſchte, daß es dich getroffen haͤtte.

Allein, daß ich gegen einen Menſchen, der vollkommen Gewalt uͤber mich hat, und meine Seele nach eignem Gefallen quaͤlen und marternkann,229kann, ſo ſanftmuͤthig ſey, als ein Lamm: was kannſt du fuͤr eine Abſicht haben, weswegen du meinen Kerl ohne einen Brief zuruͤck ſendeſt? Jch will, ſo bald als der Tag grauet, noch einen Kerl zu Pferde nach dem, was du geſchrie - ben haſt, abſenden: und ich beſchwoͤre dich bey deiner mir, als deinem General ſchuldigen Treue, daß du ihn nicht mit leeren Haͤnden abfertigeſt.

Der fuͤnf und zwanzigſte Brief von Herrn Brand an Hrn. Joh. Harlowe. Ein Einſchluß bey dem vorhergehenden.

Hochwohlgebohrner Herr, Hochgeehrteſter Freund und Goͤnner.

Jch kam geſtern nach einer leidlich angenehmen Reiſe, in Betrachtung des heiſſen Wetters und der ſtaubichten Wege, zu London an, kehrte in dem Wirthshauſe zum Stier und Thor in Holborn ein, und eilte nach dem Covent-Garden. Jch fand das Haus bald, wo die ungluͤckliche Fraͤulein ihren Aufenthalt genommen hat: und hatte in dem hindern Laden eine ziemlich weitlaͤuf -P 3tige230tige Unterredung(*)Man ſehe den VI Theil, S. 727. mit der Fr. Smithinn, ih - rer Wirthinn. Dieſe fand ich ſo ſehr zu ihrem Vortheil eingenommen, daß ich wohl ſahe, es wuͤrde Jhrem Verlangen nicht Genuͤge thun, wenn ich alle meine Nachrichten von ihr einziehen woll - te. Jch ward auch genoͤthigt, meinem Goͤnner aufzuwarten, der, wie ich zu meinem großen Leid - weſen finde;

Miſerum eſt, aliena viuere quadra;

ſehr viele Aufwartung haben will, und ein ganz anderer Mann iſt als er auf Schulen war: denn, mein Herr, inter nos, mit den Ehren veraͤn - dern ſich die Arten zu handeln. Der vor - herbenannten Urſachen wegen dachte ich, es wuͤrde den Endzweck des Befehls, womit Sie mich beehret haben, am beſten zu erreichen die - nen, daß ich die Ausforſchung der verlangten Nachrichten der Frauen eines beſonderen Freun - des auftruͤge, die beynahe der Fraͤulein gegen uͤber wohnet, und eine anſehnliche Frau von gutem Gemuͤth und ordentlicher Lebensart iſt, ſelbſt Kinder hat, und die Welt wohl kennet.

An dieſe wandte ich mich alſo und gab ihr ei - ne kurze Nachricht von der Beſchaffenheit der Sache. Jch erſuchte ſie hierauf ſich nach der Auffuͤhrung der ungluͤcklichen Fraͤulein, nach ihrer gegenwaͤrtigen Lebensart und Ver - pflegung, nach den Perſonen, die bey ihr Be - ſuch ablegten, nach ihren Beſchaͤfftigungenund231und dergleichen ſehr genau zu erkundigen. Denn dieß, mein Herr, wiſſen ſie, ſind die Dinge, wo - von ſie Nachricht zu haben wuͤnſchten.

Dem zu folge beſuchte ich heute die vorher - gedachte Frau: und zu meinem großen Leidwe - ſen; weil ich weiß, daß es zu Jhrem und Jhres ganzen hochadlichen Hauſes Misvergnuͤgen gerei - chen werde; finde ich, daß die Sachen ein wenig ſchwaͤrzer ausſehen, als ich hoffete. Denn leider, mein Herr, die Ausſage der Frauen faͤllt nicht ſo vortheilhaft, als ich wuͤnſchte, als Sie wuͤnſch - ten, als ein jeder von ihrer Familie wuͤnſchte, fuͤr den guten Namen der Fraͤulein aus. Allein ſo geht es in der Welt: ein Fehltritt zieht ge - meiniglich den andern und zufaͤlligerweiſe einen aͤrgern und und noch einen aͤrgern nach ſich; bis die arme, und, wie ein Vogel durch den Leim, gefangene Seele; ein ſehr geſchicktes Beywort aus dem goͤttlichen Quarles; gaͤnzlich verwickelt, und, wo nicht unendliche Gnade hilft, auf ewig verlohren iſt.

Dem ungeachtet, mein Herr, ſcheint ſie in Anſehung der Geſundheit in einem ſehr ſchlechten Zuſtande zu ſeyn. Hierinn kom - men beyde Frauen, naͤmlich ihre Wirthinn, Fr. Smithinn, und die Frau meines Freundes, uͤber - ein. Dennoch laͤßt ſie ſich oft in eine Kirche tragen; zur Bethſtunde, wie man ſagt: allein meines Freundes Ehefrau erzaͤhlt mir, es ſey in London nichts gewoͤhnlicher, als daß das Kirchen - gehen bey den Bethſtunden des Morgens zu ei -P 4nem232nem Vorwande und Deckmantel fuͤr gehei - me und verabredete Zuſammenkuͤnfte ge - braucht werde. Was fuͤr eine traurige Sache iſt dieß, daß dasjenige, was zu einer heilſamen Nahrung fuͤr die arme Seele abzielte, in ein ſchaͤdliches Gift verwandelt ſeyn ſollte. Allein wie Herr Daniel von Foe, ein ſinnreicher Mann, ob gleich einer von den Widriggeſinnten, be - merket; jedoch in der That iſt es ein altes Sprich - wort, nur er, denke ich, iſt der erſte geweſen, der es in Verſe gebracht hat;

Hat irgendwo der Herr zum Bethhaus eine
Stelle,
So iſt dort auch gewiß Beelzebubs Kapelle.

Jnzwiſchen, daß man der Fraͤulein Gerech - tigkeit widerfahren laſſe, kommt doch niemals jemand mit ihr zu Hauſe: es kann auch in der That niemand mit ihr kommen, weil ſie ſich in ei - nem Tragſeſſel oder in einer Saͤnfte, wie ſie es nennen, hin und her bringen laͤßt. Aber da - gegen iſt ein Cavallier von keinem guten Rufe, ein vertrauter Freund des Herrn Lovelacens, der beſtaͤndig bey ihr und bey den Leuten im Hauſe Beſuche ablegt, und die letztern beſchenkt und bewirthet, auch dem zu folge in großem Ruhm bey ihnen ſtehet.

Jch habe mir deswegen die Muͤhe genom - men; denn ich mag gern in allem, was mir auf - getragen iſt und ich uͤbernehme, genau und ſorgfaͤltig verfahren; mich umſtaͤndlich nachdieſem233dieſem Cavallier zu erkundigen. Cavallier nennt man ihn: ob ich gleich niemand dafuͤr hal - te, als den, der ſich durch ſeine Handlungen ſo be - weiſet. Denn, wie Juvenal ſagt,

Nobilitas ſola eſt, atque vnica virtus.

Jch habe mich aber vorher erkundiget, ehe ich mich niederſetzen wollte, an Sie zu ſchreiben.

Sein Name iſt Belford. Er hat ein Gut von ſeinem Vater, das jaͤhrlich bis auf tauſend Pfund St. traͤgt: und iſt noch itzo in der Trauer wegen eines Onkels, der ihm auch uͤber dieß ein anſehnliches Vermoͤgen hinterlaſſen hat. Er iſt in einem ſehr boͤſen Rufe in Abſicht auf Frauen - zimmer; denn darnach habe ich mich beſon - ders erkundiget; und ein ſehr vertrauter Freund von dem Herrn Lovelace, mit welchem er einen ordentlichen Briefwechſel unterhaͤlt. Man hat ihn oft tête à tête mit der Fraͤulein am Fen - ſter geſehen: zwar freylich auf keine ſtrafbare Art; aber die Frau von meinem Freunde iſt doch der Meynung, daß alles nicht ſo ſey, wie es ſeyn ſollte. Und in Wahrheit es kommt mir gewal - tig fremd vor; wo die Fraͤulein eine ſo ausneh - mende Reue empfindet, als vorgegeben wird, und wo ſie einen ſolchen Abſcheu vor dem Hrn. Lovelace hat; daß ſie dennoch ſeinen vertraute - ſten Freund zu ſich in ihre Zimmer kommen laſſen, und ſonſt keine andere Geſellſchaft ſe - hen mag.

P 5Jch234

Jch vernehme von der Fr. Smithinn, daß Herr Hickmann ſie vor einiger Zeit im Namen der Fraͤulein Howe beſucht habe, und erfahre von einer andern Hand; Sie ſehen, mein Herr, wie ſorgfaͤltig ich geweſen bin, das, was ſie mir auf - getragen haben, auszurichten; daß er anfangs keine außerordentliche Meynung von dieſem Belford gehabt, ob man ſie gleich in der Nachbar - ſchaft einmal des Morgens zum Fruͤhſtuͤck bey der Fraͤulein beyſammen geſehen. Ein anderes mal hat man bemerket, daß dieſer Belford auf den Herrn Hickmann, wie er von ihr gekommen, gewartet: ſo daß es ſcheinen moͤchte, als wenn er ſehr begierig geweſen, ſich bey dem Herrn Hick - mann in Gunſt zu ſetzen; ſonder Zweifel aus kei - ner andern Urſache, als damit er ihn gewinnen moͤch - te, bey der Fraͤulein Howe von der Vertrau - lichkeit, zu welcher er bey ihrer ungluͤcklichen Frundinn gelaſſen worden, eine vortheilhafte Vorſtellung zu machen. Die Fraͤulein mag wohl keine boͤſe Abſicht haben, weswegen ſie ſeine Beſuche geſtattet: da ſie ſich ſehr ſchlecht befindet. Denn es ſcheint, daß er den Arzt und Apotheker, die ſie beſuchen, zu ihr gebracht, oder wenigſtens beyde ihr angeruͤhmet habe. Allein ich denke uͤberhaupt, es ſieht nicht wohl aus.

Es iſt mir leid, mein Herr, daß ich Jhnen kei - ne beſſere Nachricht von der Klugheit der Fraͤu - lein geben kann. Aber was ſoll man ſagen?

Vuaque conſpecta liuorem ducit ab vua,

wie Juvenal bemerket.

Eines235

Eines beſorge ich. Die Fraͤulein mag in Noth ſeyn: und dieſer Belford, der ihr, wie Fr. Smithinn geſtehet, Geld angeboten hat, das ſie damals ausgeſchlagen, kann vielleicht Gele - genheit finden, ſich dieſe Noth zu Nutze zu ma - chen. Der Dichter aber merket gar wohl an:

Aegre formoſam poteris ſeruare puellam: Nunc prece, nunc auro forma petita ruit.

Und dieſer Belford, der ein kuͤhner Menſch iſt, und, wie man ſagt, auch ſo ausſiehet, kann wohl den Ausſpruch von Horaz; mit deſſen Schriften Sie ſo gut bekannt ſind, daß es keiner beſſer ſeyn mag; wahr machen:

Audax omnia perpeti, Gens humana ruit per vetitum nefas.

Verzeihen Sie mir, mein Herr, was ich itzo ſchreiben werde. Koͤnnten Sie aber die Uebri - gen von Jhrer Familie bewegen, ſich den Vor - ſchlag gefallen zu laſſen, von welchem Sie und ihre tugendhafte Schweſter, die Fraͤulein Arabella, nebſt dem Archidiakonus und mir, ein - mal redeten, daß die ungluͤckliche Fraͤulein zu be - reden waͤre, ſich auf eine anſtaͤndige Weiſe zu einer oder der andern von den auswaͤrtigen Pflanz - ſtaͤdten zu begeben: ſo moͤchte das nicht allein ih - re eigne Ehre und guten Namen, ſondern auch die Ehre und das Anſehen ihrer ganzen Familie retten, und noch dazu ein großes TheilVer -236Verdruſſes verhuͤten. Denn ich bin in ſchul - digſter Ehrfurcht der Meynung, daß Sie, oder irgend einer von Jhnen, ſich ſchwerlich in Ruhe finden werden, ſo lange dieſe, vormals unſchul - dige, Fraͤulein ſo nahe iſt, daß Sie oft von ihr hoͤren koͤnnen. Auf die Art wuͤrde ſie auch die - ſem Belford und dem Lovelace aus dem We - ge ſeyn: es moͤchte zufaͤlliger Weiſe eben ſo viel Boͤſes als Aergerniß verhuͤten.

Sie, mein Herr, werden mir dieſe Offen - herzigkeit vergeben. Ovid redet fuͤr mich:

Adulator nullus amicus erit.

Jch habe keine andere Abſicht, als daß ich mich wie einen eifrigen Verehrer, und wie Jhre ganze Familie, welcher ich ſehr viele Verbindlich - keit zu haben bekenne, wohl wuͤnſchet, bezeigen moͤge, und inſonderheit, mein Herr, als

Jhren verbundenen und gehorſamſten Mittwoch. Diener den 9ten Auguſt. Elias Brand.

P. S. Jch werde Jhnen noch einige Winke mehr geben: wenn ich hinunter komme; welches in wenigen Tagen geſchehen wird. Alsdenn wer - de ich Jhnen auch melden, von wem ich meine Nachrichten habe. Aus dem aber, was ich Jh - nen itzo mitgetheilet, werden Sie ſehen, daß ich in der Verrichtung, die Sie mir aufgetragen haben, ſehr fleißig geweſen bin, wenn man die Zeit erwaͤget.

Die237

Die Laͤnge meines Briefes werden Sie entſchul - digen. Denn ich darf Jhnen, mein Herr, nicht erſt ſagen, was Briefe, in welchen etwas er - zaͤhlet, von mehrern verſchiednen Dingen und von gehabten Unterredungen geſchrieben wird, dergleichen der meinige iſt, erfordern. Ein je - der hat ſeine beſondere Gabe. Meine iſt das Briefſchreiben; das darf ich kuͤhnlich ſagen: und deswegen ward auf der hohen Schule der Briefwechſel mit mir ſehr geſucht. Allein dieß wuͤrde ich nicht beruͤhret haben; wenn es nicht zur Vertheidigung der Laͤnge meines Briefes noͤthig geweſen waͤre: denn kein Menſch ſchrei - bet kuͤrzer oder nachdruͤcklicher, wenn die Sa - che nur auf die gewoͤhnlichen Briefarten an - kommt Jedoch, indem ich meine Weitlaͤuf - tigkeit zu entſchuldigen ſuche, vergroͤßere ich den Fehler: wofern es ein Fehler ſeyn ſollte, wofuͤr ich es gleichwohl nicht halten kann, in Betrachtung der Sache die den Jnhalt ausma - chet. Aber dieß habe ich ſchon vorher mit an - dern Worten geſagt. Wollen Sie alſo nur mein Poſtſcript fuͤr entſchuldigt halten, mein Herr: ſo bin ich verſichert, daß ſie keinen Feh - ler an meinem Briefe finden werden.

Jch denke, ich habe nichts mehr beyzufuͤgen, bis ich die Ehre habe, Jhnen in Perfon aufzuwar - ten, als daß ich ſey, wie oben ꝛc. ꝛc. E. B.

Der238

Der ſechs und zwanzigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Robert Lovelace.

Es iſt gluͤcklich genug geweſen, daß ſich unſere beyden Bedienten bey Hanna(*)Bey der Windmuͤhle bey Slough. begegnet ſind, welches ihnen eine ſo gute Gelegenheit gege - ben, ihre Briefe zeitig genug gegen einander aus - zuwechſeln, daß ein jeder fruͤh am Tage zu ſeinem Herrn zuruͤckkommen koͤnnen.

Du thuſt wohl, daß du dich mit deiner Faͤ - higkeit, die Bedienten zu regieren, groß macheſt, und zu einem Verbeſſerer unſerer Dichter in ih - ren Beſchreibungen von dieſer Art Leute auf - wirfſt(**)Man ſehe den Vten Brief dieſes Theils., wenn du, wie ein Unſinniger, ihnen die Zaͤhne ausſchlagen, und den Kopf durchzu - ſchießen verſuchen kannſt, weil ſie dir etwas nicht bringen, was nicht in ihrer Gewalt geſtanden, zu erhalten.

Jhr bemerket ſehr wohl(***)Man ſehe den XXIV ten Brief dieſes Theils., daß ihr einen vollkommenen Sachwalter abgegeben haben wuͤr - det. Die ganze Unterredung zwiſchen euch und dem Obriſten giebt einen uͤberzeugenden Beweis,daß239daß eine jede Sache eine weiſſe und eine ſchwarze Seite habe. Allein was muß einem parteyiſchen Menſchen, der ſeine eigne Sache weiß oder ei - nes andern Sache ſchwarz machet, ſein Ge - wiſſen ſagen: wenn er ſeinen Richtern einen blauen Dunſt vor die Augen ſtellet, und ſich alle die Zeit uͤber ſeiner Schuld bewußt iſt?

Der Obriſt, ſehe ich, iſt gar nicht von allen Fehlern frey. Allein weil er nicht durch Treu - loſigkeit ſeinen Zweck bey Frauenzimmern zu er - halten geſucht: hat er eine Entſchuldigung, die du nicht haſt. Jch kann aber itzo in Abſicht auf ihn, und uns alle, mit Verabſcheuung einiger von meinen eignen Handlungen, erkennen, daß es die niedertraͤchtigſte Bosheit ſey, die begangen wer - den kann, wenn man die gute Meynung, welche eine andere Perſon von uns heget, ſich zu Nutze machet, eben dieſe andere Perſon zu beleidigen und vielleicht gar ungluͤcklich zu machen.

Handelte eine Mannsperſon ſo gegen eine andere Mannsperſon: ſo wuͤrde es uns keine Schwierigkeit machen, ſolchen Handlungen einen Namen zu geben. Jſt es aber nicht zwey und dreymal aͤrger, wenn man ſich eines ſolchen Vor - theils uͤber ein unerfahrnes und unſchuldiges jun - ges Frauenzimmer bedienet, das wir mehr als irgend eine Frauensperſon in der Welt zu lieben vorgeben, und wenn wir unſer Vorgeben durch die feyerlichſten Geluͤbde und Betheurungen un - verbruͤchlicher Ehre, die wir nur erfinden koͤnnen, verfiegeln?

Jch240

Jch ſehe, wie dieſer Cavallier ſich zu dir in allen Stuͤcken ſo wohl ſchicket, daß kein aͤhnlichers Paar zu finden geweſen waͤre. Sein Gemuͤth iſt eben ſo ungeſtuͤm und hitzig, als deines. Er faſſet bald Feuer; iſt rachbegierig; und unter - ſcheidet ſich nur in dieſem Stuͤcke, daß die Sache, in welche er ſich einlaͤſſet, gerecht iſt. Aber mache meine Empfehlung an den ehrlichen trotzigen Mowbray, der, ehe er noch um die Sache wußte, gegen einen Mann, welcher die Partey der belei - digten Perſon genommen, und welchen er vorher niemals geſehen hatte, zu deinem Behuf ſein Schwerdt anbietet.

So bald als ich euren, und des Mordbren - ners, des Brands, Brief durch geſehen hatte; wobey ich aus dem letztern erkannte, woher ein großes Theil von der letzten Unverſoͤnlichkeit der Harloweiſchen Familie gekommen; nahm ich eine Kutſche und fuhr nach Smithens Hauſe, ob ich gleich erſt etwa vor einer Stunde von dannen ge - kommen, und auf die Nacht von der Fraͤulein Abſchied genommen hatte.

Jch ſandte nach der Fr. Lovick daß ſie hinun - ter kaͤme, und bat ſie vor allen Dingen, der Fraͤu - lein, welche in ihrem Cloſet beſchaͤfftigt war, Nach - richt zu geben, daß ich Briefe von Berks haͤtte, in welchen mir gemeldet wuͤrde, daß die Zuſam - menkunft zwiſchen dem Obriſt Morden und Hrn. Lovelacen ohne uͤble Folgen geendigt worden; daß der Obriſt geſonnen waͤre gar bald an ſie zu ſchreiben und unterdeſſen ſich ihrer Partey beyihren241ihren Verwandten annehmen wollte. Jch hoffe - te, dieſe angenehme Zeitung wuͤrde ein Mittel ſeyn, ihr eine gute Ruhe zu verſchaffen: und wollte ihr morgen um die Zeit, wenn ſie von der Bethſtun - de kommen wuͤrde, mit der Nachricht von allen de - nen beſondern Umſtaͤnden aufwarten.

Sie ließ mir ſagen, es ſollte ihr lieb ſeyn, mich morgen zu ſehen; und ſie waͤre mir fuͤr die gute Zeitung, welche ich ihr haͤtte hinauf ſagen laſſen, ſehr verbunden.

Hierauf las ich der Fr. Lovick und Fr. Smithinn den Brief von Branden in dem hintern Laden vor, und fragte ſie, ob ſie nicht muthmaßen koͤnnten, von wem der Mann ſeine Nachrichten haͤtte? Sie fanden keine Schwierigkeit dabey: weil Fr. Smithinn eben den Kerl, Brand, der mit ihr geſchwatzt hatte, wie ich in einem meiner vorigen Briefe gedacht habe(*)Man ſehe den VI Theil, S. 727., aus eines Kra - mers Laden, ihnen gegenuͤber, heraus kommen ge - ſehen, und eben dieſer Kramer, wie ſie ſagte, ſich neulich ſehr genau nach der Fraͤulein erkundigt hatte.

Jch brauchte nicht mehr zu wiſſen: ſondern empfahl ihnen, der Fraͤulein nichts von dem, was ich geleſen hatte, zu ſagen, und ging eilends hin - uͤber. Da ich nun hier nach der Frauen im Hauſe fragte: kam ſie zu mir.

Nachdem ich mit ihr, auf ihre Einladung, in ihren Saal gegangen war: verlangte ich zuwiſſen,Siebenter Theil. Q242wiſſen, ob ſie mit einem jungen Geiſtlichen vom Lande, Namens Brand, Bekanntſchaft haͤtte. Sie geſtand mit Stottern, weil ſie ſahe, daß ich einigermaßen aufgebracht war, ſie haͤtte einige geringe Bekanntſchaft mit dem Herrn. Eben den Augenblick kam ihr Mann herein, der, wie es ſcheint, ein kleiner Zollbedienter iſt, und ſich nicht uͤbel aufzufuͤhren weis. Dieſer geſtand eine groͤßere Bekanntſchaft mit ihm zu.

Jch habe die Abſchrift von einem Briefe die - ſes Brands, fuhr ich fort, in welchem er ſich ge - gen meinen guten Namen und die Ehre des un - tadelhafteſten Frauenzimmers in der Welt große Freyheiten genommen hat, und dieſe auf Nach - richten gruͤndet, welche ſie, Madame, ihm gege - ben haben. Hierauf las ich ihnen verſchiedne Stellen aus ſeinem Briefe vor, und fragte, was ſie fuͤr Grund gehabt haͤtte, dem Menſchen ſolche Gedanken von uns beyden beyzubringen?

Sie wußten nicht, was ſie antworten ſollten. Endlich aber ſagten ſie, er haͤtte ihnen erzaͤhlet, auf was fuͤr eine gottloſe Weiſe die Fraͤulein von ihrem Eltern entlaufen; was dieſe fuͤr rechtſchaffene und reiche Leute waͤren; in was fuͤr Gunſt er bey ihnen ſtuͤnde; und daß ſie ihm aufgetragen haͤt - ten, ſich nach ihrer Auffuͤrung, denen Perſonen, welche bey ihr Beſuche ablegten u. ſ. w. zu erkun - digen.

Sie bekannten, ſie wuͤßten in der That ſehr wenig von der Fraͤulein: aber es waͤre nur allzu natuͤrlich zu gedenken; verflucht ſey ihre Tadel -ſucht!243ſucht! daß ein Frauenzimmer, wenn es ſich ein - mal bethoͤren laſſen und einen ſo argen Schritt gethan haͤtte, es dabey nicht bewenden laſſen wuͤr - de. Die heiligſten Oerter und Sachen wuͤrden nur gar zu oft zu einem Deckmantel gottloſer Handlungen gemacht. Herr Brand haͤtte; viel - leicht von einem meiner Feinde; gehoͤret, daß ich ſehr freye Grundſaͤtze hegte, und von dem Manne, der die Fraͤulein ungluͤcklich gemacht haͤtte, ein ſehr vertrauter Freund waͤre: und ihre Baſe Barkerinn, eine Schneiderinn fuͤr Frauenzimmer; welche eine Treppe hoch wohnte, und auf ihr Bit - ten herunter kam und das, was ſie ſagten, beſtaͤ - tigte; haͤtte mich oft von ihrem Fenſter mit der Fraͤulein in ihrer Kammer geſehen, und bemerkt, daß wir ſehr emſig mit einander redeten. Da nun Herr Brand keinen Grund finden koͤnnen, warum ſie meine Beſuche geſtattete; und gleich - wohl gewußt haͤtte, daß ich von ihr nur ein neuer, von Herrn Lovelacen aber ein alter Bekannter waͤre: ſo haͤtte er ſich verbunden geachtet, dieſe Dinge ihren Freunden zu eroͤffnen.

Dieß war der Hauptinhalt von dem, was ſie ſagten. O wie fluchte ich auf die Tadelſucht die - ſes verdammten Triumvirats! Eines Pfarrers, eines Kramers, und einer Frauenzimmerſchnei - derinn! Von welchen die beyden letzten durch ihr Gewerbe nicht mehr Anlaß bekommen, eine Per - ſon zu ſchmuͤcken, als ſie ſich gemeiniglich durch ausgebrachte Laͤſterungen verleiten laſſen, den guten Namen dererjenigen zu SchandenQ 2zu244zu machen, wider die ſie Luſt haben ihre Gaben auszuuͤben.

Die beyden Weibsleute gaben ſich große Muͤ - he, mich zu uͤberreden, daß ſie gewiſſenhafte Per - ſonen waͤren Dem zu folge, ſagte ich, waͤren ſie, wie ich beſorgte, nur allzu ſehr geneigt, andere Leute zu tadeln, die ſich nicht fuͤr ſo ſtrenge ausge - ben wollten: denn ich haͤtte allezeit befunden, daß Tadelſucht, uͤbertriebne Bedenklichkeit und Lieblo - ſigkeit allzu viel uͤber diejenigen vermocht, welche fuͤr froͤmmer, als ihre Nebenmenſchen, haͤtten an - geſehen ſeyn wollen.

So waͤren ſie nicht geſinnet, war ihre Ant - wort. Sie haͤtten ſich ſeit der Zeit nach der Ge - muͤthsbeſchaffenheit und Lebensart der Fraͤulein erkundigt, und koͤnnten nicht ohne Leidweſen dar - an gedenken, daß irgend etwas von dem, was ſie geſagt haͤtten, zum Nachtheil der Fraͤulein ge - braucht werden ſollte. Da ſie uͤber dieß von der Fr. Smithinn hoͤrten, daß ſie nach aller Wahr - ſcheinlichkeit nicht lange leben wuͤrde: ſo wuͤrde es ihnen leid ſeyn, wenn ſie als eine durch ihre Schuld bedraͤngte Perſon oder mit einer uͤbeln Meynung von ihnen, ob ſie ihr gleich fremd waͤ - ren, aus der Welt gehen moͤchte. Der Mann erbot ſich, wo es mir gefaͤllig waͤre, zur Rechtfer - tigung der Fraͤulein an den Herrn Brand zu ſchreiben: und die beyden Weibsleute erklaͤrten ſich, daß es ihnen lieb ſeyn wuͤrde, wenn ſie ihr in Perſon aufwarten duͤrften, damit ſie dieſelbe wegen alles deſſen, was ſie von ihnen uͤbel zu neh -men245men Urſache haͤtte, um Verzeihung bitten koͤnn - ten; weil ſie nunmehr uͤberzeugt waͤren, daß kein ſolches junges Frauenzimmer mehr in der Welt ſey.

Jch eroͤffnete ihnen, daß es bey den gegen - waͤrtigen Umſtaͤnden der Fraͤulein am beſten ſeyn wuͤrde, ihr ſo wenig, als moͤglich, von der Sache zu ſagen. Sie waͤre allzu geneigt, eine jede Ge - legenheit zu ergreiffen, wodurch ſich fuͤr die Un - verſoͤhnlichkeit ihrer Verwandten gegen ſie Ent - ſchuldigungen finden ließen. Jch wuͤrde ihr da - her nur von den liebloſen und ſchlechten Vermu - thungen, die eine ſo ſchaͤndliche Verlaͤumdung hervorgebracht haͤtten, einige Nachricht geben: wollte aber, daß Herr Walton; ſo heißt der Mann; an ſeinen Freund, den Brand, ſo bald, als moͤglich, ſchriebe; wie er ſich erboten haͤtte Und ſo ging ich von ihnen.

Der ſieben und zwanzigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Robert Lovelace.

Jch bin eben von der Fraͤulein gekommen, und habe ſie in einem muntern und aufgeweck - ten Zuſtande verlaſſen.

Q 3Sie246

Sie dankte mir fuͤr die Nachricht, welche ich ihr vorigen Abends gegeben hatte. Jch las ihr aus euren Briefen diejenigen Stellen vor, die ich ihr vorleſen konnte: und hielte es fuͤr eine gute Probe, den Schaum und das fluͤchtige Sylbenge - raͤuſch in denſelben von dem, was einen innern und dauerhaften Werth haͤtte, zu unterſcheiden, nach dem man es einem Frauenzimmer von ſo fei - nem Verſtande vorleſen oder nicht vorleſen koͤnnte. Denn unter ſechs Stellen von deinen Briefen, die ich fuͤr angenehm hielte, da ich ſie fuͤr mich ſelbſt las, kamen mir viere, als ich ſie ihr vorleſen wollte, wie das abſcheulichſte Zeug vor, und brachten mir von deinen Gaben und meiner eignen Beurtheilungskraft ſehr veraͤchtli - che Begriffe bey.

Es fehlte ſehr viel, daß ſie ſich ſo, wie ich ge - than hatte, uͤber den Verdruß wegen einer fehl - geſchlagenen Hoffnung, welchen euch ihr Brief verurſachte, nachdem er erklaͤret worden, haͤtte freuen ſollen.

Sie ſagte, ſie haͤtte ihr Abſehen dabey nur auf eine unſchuldige Allegorie gerichtet, welche, wenn der Verſtand derſelben getroffen waͤre, euch eben ſo wohl zur Lehre und Warnung dienen, als ihre Hoffnung fuͤr die Zeit erfuͤllen mochte. Es waͤre damit eilfertig zugegangen. Sie beſorgte, es moͤchte an ihr nicht vollkommen recht ſeyn. Allein ſie hoffete, daß die Abſicht doch die Mittel wenigſtens entſchuldigen wuͤrde, wo ſie dieſelben nicht rechtfertigen koͤnnte. Und hierauf bezeugteſie247ſie wieder viele Furcht, daß ihr es euch noch im - mer in den Kopf kommen laſſen moͤchtet, ſie zu belaͤſtigen, da ihre Zeit, wie ſie ſagt, ſo kurz iſt, daß ſie einen jeden Augenblick davon gebrauchet. Sie wiederhohlte dabey, was ſie ſchon vorher ein - mal geſagt: Sie haͤtte ſich damals, als ſie ge - ſchrieben, ſo ſchlecht befunden, daß ſie geglaubt, ſie wuͤrde nicht bis auf dieſe Zeit am Leben geblieben ſeyn: haͤtte ſie gedacht, daß ſie ſo lange leben ſoll - te; ſo haͤtte ſie auf ein anderes Mittel denken muͤſſen, welches ihre Abſichten beſſer befoͤrdert ha - ben wuͤrde; womit ſie auf eine Entfernung an ei - nen andern Ort, den wir beyde nicht gewußt haͤt - ten, zielte.

Sie war aber ſehr vergnuͤgt, daß die Unter - redung zwiſchen euch und dem Obriſten Morden ſich ſo freundſchaftlich geendigt hatte, nachdem ihr zwey oder dreymal ſo heftig an einander gerathen waret, als ich ihr erzaͤhlte, und ſagte, ſie muͤßte ſich gaͤnzlich auf mein Wort verlaſſen, daß ich mein Aeußerſtes anwenden wollte, ferneres Un - gluͤck ihretwegen zu verhuͤten.

Es gefiel ihr wohl, daß ihr gegen ihren Vet - ter ihrer Gemuͤthsart Gerechtigkeit hattet wider - fahren laſſen.

Sie freuete ſich uͤber die Nachricht, daß er ei - ne ſo gute Meynung von ihr haͤtte und an ſie ſchreiben wollte.

Jch machte mir unnoͤthige Sorge, wie ich es ihr anbringen wollte, daß ich die Abſchrift von dem ſchaͤndlichen Briefe des Brands haͤtte. Un -Q 4noͤthige248noͤthige Sorge, ſage ich: denn ſie nahm die Sache recht ſo an, als ihr gedacht habt. Sie nahm ſie als eine Entſchuldigung an, die ſie fuͤr die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde zu haben wuͤnſchte, und bat mich, ſie den Brief fuͤr ſich le - ſen zu laſſen. Denn, ſagte ſie, der Jnhalt kann mich nicht unruhig machen, er ſey, was er wolle.

Jch gab ihn ihr hin, und ſie las ihn fuͤr ſich: wobey dann und wann eine Thraͤne hervorſchieſ - ſen wollte, und bisweilen ein Seufzer eingeſcho - ben wurde.

Sie gab mir den Brief mit großer, und, in Betrachtung des Jnhalts, erſtaunlicher Gemuͤths - ruhe wieder zuruͤck.

Jch weiß die Zeit, ſprach ſie, und es iſt noch nicht lange, da ein ſolcher Brief, als dieß iſt, mich ſehr betruͤbet haben wuͤrde. Allein nunmehr, hoffe ich, bin ich uͤber alle dieſe Dinge hinaus: denn ich kann es auf ihre und der Fraͤulein Howe gute Dienſte ankommen laſſen, meinem Andenken bey meinen Freunden Gerechtigkeit zu verſchaffen. Ein jedes Ding, das uns zuſtoͤßet, hat ſeine gute und ſeine boͤſe Seite. Will daß menſchliche Gemuͤth ſich ſelbſt zu thun machen, und einen jeden unan - genehmen Vorfall auf der ſchlimmſten Seite an - ſehen: ſo wird es ihm nimmermehr an Jammer und Herzeleid fehlen. Dieſer Brief macht mir mehr Vergnuͤgen als Kummer; ſo ſehr auch der Jnhalt deſſelben meinen guten Namen kraͤnket: weil ich daraus abnehmen kann, daß, wenn meine Freunde nicht von uͤbel berichteten oder unbeſon -nenen249nenen und dienſtfertigen Perſonen, welche allemal bey der Hand ſind, den Leidenſchaften der Rei - chen zu ſchmeicheln oder zu liebkoſen, zum voraus eingenommen waͤren, ſie nicht ſo unbeweglich wi - der mich haͤtten geſetzt ſeyn koͤnnen. Nun ſind ſie von allem Vorwurf der Unverſoͤhnlichkeit hin - laͤnglich freygeſprochen. Denn da ich ihnen die Perſon einer ſchaͤndlichen Heuchlerinn zu ſpielen geſchienen, die zwar eine wahre Reue zu tragen vorgaͤbe, aber ſich dennoch zu einem ruchlofen Wandel beſtaͤndig fortreißen ließe: wie habe ich denn Verzeihung oder Segen von ihnen erwarten koͤnnen?

Allein, gnaͤdige Fraͤulein, verſetzte ich, ſie wer - den aus der Unterſchrift dieſes Briefes, vom 9ten Auguſt, ſehen, daß ihre Haͤrte, die ſie ſchon vor dieſer Zeit bezeiget haben, ſich dadurch nicht ent - ſchuldigen laſſe.

Es iſt mir viel daran gelegen, antwortete ſie, in Anſehung meiner gegenwaͤrtigen Wuͤnſche, we - gen des Amtes, das ſie ſo guͤtig ſind zu uͤberneh - men, daß ſie nicht widrige Gedanken von meinen Freunden hegen moͤchten. Jch muß ihnen geſte - hen, daß ich bisweilen ſelbſt vermoͤgend geweſen bin, ſie nicht allein fuͤr hart, ſondern gar fuͤr grau - ſam zu halten. Gemuͤther, die unter einem Leiden ſeufzen, werden gemeiniglich fuͤr ihre eigne Sache und Verdienſte parteyiſch ſeyn. Weil ſie ihre eigne Herzen kennen: ſo ſind ſie im Stande, wofern ſie aufrichtig ſind, zu murren, wenn ihnen hart be - gegnet wird. Aber wenn Perſonen, die ein RechtQ 5haben,250haben, nach ihren eignen Einſichten uͤber die Auf - fuͤhrung derſelben zu urtheilen, ſie nicht fuͤr un - ſchuldig halten: wie iſt denn der Sache zu helfen? Außer dem, mein Herr, wie wiſſen ſie, daß nicht um meine Freunde auch Leute ſind, die aus eben ſo guter Meynung, als Herr Brand wirklich zu thun ſcheinet, falſche Nachrichten brin - gen? Allein dem ſey, wie ihm wolle: ſo iſt kein Zweifel, daß es viele eben ſo unſchuldige Perſo - nen, als ich ſelbſt bin, giebt und gegeben hat, die auf eben ſo unwahrſcheinliche Vermuthungen, als dieſe ſind, worauf Herr Brand ſein Urtheil gruͤn - det, gelitten haben. Jhre vertraute Freundſchaft mit Herrn Lovelacen, mein Herr, und, darf ich es ſagen? ein Ruf, den ſie in den vorigen Zeiten, wie es ſcheint, weniger Sorge getragen haben zu rechtfertigen, als ſie vielleicht auf das Zukuͤnftige thun werden, und ihre oͤftere Beſuche bey mir, moͤgen wohl fuͤr tadelnswuͤrdige Umſtaͤnde in meiner Auffuͤhrung angeſehen werden.

Jch konnte nichts mehr thun, als ſie ſtill - ſchweigend bewundern.

Aber ſie ſehen, mein Herr, fuhr ſie fort, wie noͤthig es fuͤr junge Perſonen von unſerm Ge - ſchlechte ſey, unſere Geſellſchaft ſorgfaͤltig zu waͤh - len: und wie ſehr es zu gleicher Zeit jungen Ca - valliers zuſtehe, ihren eignen guten Namen in Acht zu nehmen, wenn es auch nur um dererjeni - gen willen von uns, mit denen ſie es ehrlich mey - nen moͤgen, geſchehen ſollte; als welche ſonſt anihrem251ihrem guten Namen leiden koͤnnen, weil ſie in ih - rer Geſellſchaft geſehen werden.

Was den Herrn Brand betrifft, ſetzte ſie hin - zu, ſo muß man Mitleiden mit ihm haben: und erlauben ſie mir, Herr Belford, ihnen auf das nachdruͤcklichſte zu empfehlen, daß ſie keinen Wi - derwillen gegen ihn faſſen, der ſeiner Perſon oder ſeinen Guͤtern nachtheilig ſeyn moͤchte. Laſſen ſie ſein Amt und ſeine gute Meynung fuͤr ihn ſprechen. Er wird Kummer genug haben, wenn er findet, daß ein jeder, deſſen Unwillen mich itzo druͤcket, mein Angedenken von aller verkehrten Schuld losſpricht, und ſich mit den andern zu ei - nem allgemeinen Mittleiden mit mir vereiniget.

Dieß, Lovelace, iſt die Fraͤulein, deren Leben du in ihrer Bluͤte verkuͤrzet haſt! Wie viele Gelegenheiten mußt du gehabt haben, ihren un - ſchaͤtzbaren Werth zu bewundern! Und dennoch konnteſt du deine Sinne durch das Frauenzim - mer in ihrer reizenden Perſon ſo betaͤuben laſſen, daß du gegen den Engel, der in ſo vollkommener Pracht aus ihrem Gemuͤthe hervorblicket, blind wareſt? Jn der That, mir iſt es allezeit, ſo oft ich das Gluͤck gehabt, mit ihr umzugehen, nicht anders vorgekommen, als wenn ich mit einem wirklichen Engel in Geſellſchaft waͤre: und ich bin verſichert, daß es fuͤr mich unmoͤglich ſeyn wuͤrde, wenn ſie auch noch eben ſo ſchoͤn und von einer eben ſo bluͤhenden Geſundheit waͤre, als ich ſie geſehen habe, den geringſten Gedanken von ei -ner252ner Frauensperſon zu haben, ſo bald ich ſie reden hoͤrte.

Als ich die Fraͤulein wieder beſuchte: fand ich, daß ſie beynahe eben ſo viel vor Freuden lit - te, als ſie bisweilen vor Kummer gelitten hatte. Denn ſie hatte eben einen ſehr liebreichen Brief von ihren Vetter Morden bekommen, welchen ſie die Guͤte hatte mir zum Durchleſen zu zeigen. Weil ſie ſchon den Anfang gemacht hatte, ihn zu beantworten: ſo bat ich mir die Erlaubniß aus, ihr des Abends aufzuwarten, damit ich ſie darin - ne nicht ſtoͤren moͤchte.

Note: Der Brief iſt ſehr zaͤrtlich abgefaßt ****
Note: Hier theilt Herr Belford den Hauptinhalt deſſelben aus dem Gedaͤchniſſe mit. Man ſehe den folgenden Brief. Als - denn ſetzt er hinzu:

Aber ach! alles wird nunmehr zu ſpaͤt ſeyn. Denn das Urtheil iſt gewiß ausgeſprochen. Die Welt iſt ihrer nicht werth!

Der253

Der acht und zwanzigſte Brief von dem Obriſt Morden an die Fraͤulein Cla - riſſa Harlowe.

Meine wertheſte Baſe.

Erlauben Sie mir, uͤber die Ungluͤcksfaͤlle, wel - che eine ſo ungluͤckliche Mishelligkeit zwiſchen Jhnen und den uͤbrigen Perſonen von ihrer Fa - milie veranlaſſet haben, mein Beyleid zu bezeugen, und meine Huͤlfe anzubieten, damit Sie in den Stand geſetzet werden, dasjenige, was geſchehen iſt, zu dem beſten Ende zu bringen.

Sie ſind in die ſchaͤndlichſten Haͤnde gefallen. Der Brief, den ich von Florenz aus an Sie ſchrieb(*)Man ſehe den III Th. S. 550 u. f., iſt, wie ich finde, zu ſpaͤt gekommen, daß er die gehoffte Wirkung haͤtte haben koͤnnen. Es iſt mir ſehr leid, daß dieß geſchehen iſt: gleich - wie ich auch ſehr bedaure, daß ich nicht eher in Perſon nach England gekommen bin.

Allein laſſen Sie uns das Vergangene vergeſ - ſen und auf das Kuͤnftige hinausſehen. Jch bin bey dem Herrn Lovelace und dem Lord M. ge - weſen. Es iſt nicht noͤthig, wie es ſcheint, daß ich Jhnen erſt melde, was fuͤr ein großes Ver -langen254langen die ganze Familie trage, die Ehre einer Verwandtſchaft mit Jhnen zu haben. Eben ſo wenig darf ich Jhnen erſt ſagen, wie ausnehmend ernſtlich Herr Lovelace alles auf alle ihm moͤgliche Art wieder gut zu machen wuͤnſche.

Jch denke, meine wertheſte Baſe, daß Sie nunmehr nichts beſſers thun koͤnnen, als ihm die Ehre zu erweiſen und ihm Jhre Hand zu geben. Er ſpricht ſo gerecht und groß von Jhrer Tugend, und verdammt ſich ſelbſt ſo herzlich, daß ich glau - be, es habe noch viele und anſtaͤndige Urſache Platz, warum Sie ihm vergeben moͤchten: und das um ſo viel mehr, da es ſcheint, daß Sie ſich entſchloſſen haben, ihn nicht gerichtlich zu belangen.

Wenn Sie ihm wirklich vergeben: ſo, ſehe ich offenbar, wird das eine allgemeine Ausſoͤhnung beſchleunigen. Denn gegenwaͤrtig koͤnnen meine anderen Baſen und Vetter ſich nicht uͤberreden, daß er im Ernſt geſonnen ſey, Jhnen Gerechtig - keit widerfahren zu laſſen, oder daß Sie ſeine Hand ausſchlagen wuͤrden, wenn Sie glaubten, es ſey ihm ein Ernſt.

Allein, meine wertheſte Baſe, es kann viel - leicht etwas bey der Sache ſeyn, was mir gaͤnzlich unbekannt iſt. Wenn das ſeyn ſollte und Sie mir davon Nachricht geben wollen: ſo ſoll alles geſchehen, was ein von Natur feuriges Herz zu Jhrem Beſten thun kann.

Nichts anders, als meine Bemuͤhung, Jhnen hier zu dienen, hat mich bisher abgehalten, daß ich Sie deſſen nicht muͤndlich verſichere: denn michver -255verlangt ſehr, nach einer Abweſenheit von ſo vie - len Jahren, Sie zu ſehen. Jch hoffe, daß ich bey meinen naͤchſten Beſuchen bey meinen ver - ſchiednen Baſen und Vettern im Stande ſeyn werde, alles zur Richtigkeit zu bringen. Ehrgei - zige Gemuͤther duͤrfen nur eine gute Entſchuldi - gung haben, ſich herabzulaſſen und nachzugeben, wenn ſie erſt einmal uͤberzeuget ſind, daß ſie den Unwillen zu hoch getrieben: und Eltern muͤſſen ein Kind, das ſie einmal geliebet haben, alle - mal lieben.

Mittlerweile bitte ich mir die Gewogenheit aus, ein paar Zeilen an mich zu ſenden, damit ich erfahre, ob Sie Urſache haben, an Herrn Lovela - cens Aufrichtigkeit zu zweifeln. Jch meines Theils kann keine Urſache zu zweifeln haben: wo ich nach der Unterredung, die geſtern in Gegen - wart des Lords M. zwiſchen ihm und mir vorge - fallen iſt, urtheilen ſoll.

Sie werden die Guͤte haben, die Aufſchrift des Briefes an mich ſo einzurichten, daß er in Jh - res Onkels, Antons, Hauſe abgegeben werde.

Erlauben Sie mir, meine wertheſte Baſe, ſo lange bis ich zwiſchen Jhnen, und Jhrem Vater, und Bruder, und Jhren Onkels, eine gluͤckliche Ausſoͤhnung zuwege bringen kann, bey Jhnen die Stelle aller dieſer nahen Anverwandten eben ſo wohl zu vertreten, als den Platz

Jhres ergebenen Vetters und gehorſamen Dieners Wilh. Morden.

Der256

Der neun und zwanzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Herrn Wilh. Morden.

Jch wuͤnſche Jhnen von ganzem Herzen Gluͤck, mein wertheſter Herr Vetter, zu ihrer Ruͤckkunft in Jhr Vaterland.

Jch habe mit vielem Vergnuͤgen gehoͤret, daß Sie angekommen waͤren: aber mich ſo wohl ge - fuͤrchtet als geſchaͤmet, mich zu Jhnen zu wenden, bis Sie mich durch eine Nachricht vorher dazu ermunterten.

Wie troͤſtlich iſt es fuͤr mein verwundetes Herz, wenn ich befinde, daß Sie durch den Strohm des Unwillens und Misfallens, wodurch ich ſo ungluͤcklich uͤberſchwemmet bin, nicht hingeriſſen ſind ſondern vielmehr, da meine noch weit naͤ - here Verwandten nicht fuͤr dienlich geachtet, die Wahrheit ſchaͤndlicher Erzaͤhlungen, die wider mich aufgebracht ſind, zu unterſuchen, ſelbſt die Erkundigung eingezogen, und auf eine großmuͤthi - ge Weiſe dieſe Erkundigung, damit ſie Glau - ben finden moͤchte, unterſtuͤtzt haben, daß mein Fehler mehr von meinem Ungluͤck hergeruͤh - ret, als meine Schuld geweſen iſt.

Jch257

Jch habe nicht die geringſte Urſache an Herrn Lovelacens Aufrichtigkeit in ſeinen Erbietungen zur Ehe zu zweifeln: auch daran nicht, daß alle ſeine Verwandten ein herzliches Verlangen tra - gen, mich in ihre Reihe aufzunehmen. Jch ha - be edle Proben von Jhrer Achtung fuͤr mich ge - habt; da ſie beſorgt geweſen ſind, daß meines Va - ters Unwillen mich einigen Schwierigkeiten un - terworfen haben muͤßte: und dieß ſo gar, nach - dem ich ſo wohl ihre inſtaͤndige Bitten zum Vor - theil ihres Verwandten, als deſſen eignes Fle - hen, ſchlechterdings abgeſchlagen hatte.

Denken Sie auch nicht, mein wertheſter Herr Vetter, daß ich tadelnswuͤrdig ſey, weil ich ſeine Hand ausſchlage. Jch hatte Herrn Lovelacen keine Urſache gegeben, mich fuͤr eine Perſon voll weibiſcher Schwachheiten anzuſehen. Haͤtte ich das gethan: ſo haͤtte ein Menſch von ſeiner Ge - muͤthsart ſich fuͤr berechtigt halten moͤgen, daß er ſich die Schwachheit, welche er einzufloͤßen ver - moͤgend geweſen waͤre, auf eine unedelmuͤthige Weiſe zu Nutze zu machen ſuchte. Das Be - wußtſeyn meiner eignen Schwachheit haͤtte mich, in dem Falle, zu einem Vertrag mit ſeiner Bosheit bringen moͤgen.

Jch kann ihm allerdings vergeben. Aber das kommt daher, weil ich glaube, daß ſeine La - ſter mich uͤber ihm hinausgeſetzet haben. Kann ich nun wohl uͤber denjenigen hinausgeſetzet ſeyn, mein Herr, dem ich meine Hand geben und Treue geloben, und hiemit eine Rechtfertigung fuͤr dieSiebenter Theil. Rvor -258vorſetzlichſte Bosheit ertheilen ſoll? Nein, mein Herr; erlauben Sie mir zu ſagen, daß Jhre Ba - ſe Clariſſa, wenn ſie auch nach aller Wahrſchein - lichkeit noch viele Jahre, und zwar, wofern ſie dieſen Mann nicht heyrathete, in Mangel und Duͤrftigkeit, von allen ihren Freunden verachtet und verlaſſen, zu leben haͤtte, die Bequemlichkei - ten des Lebens, ja das Leben ſelbſt, nicht ſo hoch ſchaͤtze, daß ſie durch eine ſolche Rechtfertigung, die ſie der Bosheit geben wuͤrde, das eine wieder zu erlangen, oder das andere zu bewahren ſuchen moͤchte: eine Rechtfertigung, die den Schaͤnder ihrer Ehre belohnen wuͤrde; wofern ſie ihre Pflicht beobachten ſollte.

Es iſt auch nicht ſo viel dem Stolz, als gu - ten Grundſaͤtzen zuzuſchreiben, daß ich dieß ſage. Wie? mein Herr; wenn Tugend, wenn Keuſch - heit die Krone eines Frauenzimmers, und ſonder - lich einer Ehegattinn, iſt: ſoll ihre Baſe ſich krie - chend erniedrigen, denjenigen Menſchen zu heyra - then, der auf ihre Tugend und Keuſchheit keinen Verſuch unternehmen konnte, ohne nur unter ei - ner Vermuthung, daß ſie im Stande waͤre, ſeine dargebotene Hand anzunehmen, wenn er ſich in der ſchaͤndlichen Meynung, die er von ihr gefaſſet hatte, betrogen gefunden haͤtte? Bisher hat er keine Urſache gehabt, mich fuͤr eine Perſon voll niedertraͤchtiger Schwachheiten zu halten: und ich will ihm keine ſo offenbare Probe geben, daß ich in einem Stuͤcke, worinn es hoͤchſt ſtrafbar ſeyn wuͤrde, voll niedertraͤchtiger Schwachheit be -funden259funden zu werden, eine niedertraͤchtige Schwach - heit an mir habe.

Es wird vielleicht eine Zeit kommen, mein Herr, da Sie meine ganze Geſchichte erfahren werden. Sie mag aber bekannt werden, wann ſie will: ſo bitte ich, daß der Urheber meines Jammers nicht mit Rache verfolgt werden moͤge. Er haͤtte nicht der Urheber deſſelben ſeyn koͤnnen: wenn nicht eine wunderliche Verbindung ungluͤck - licher Urſachen vorhanden geweſen waͤre. Da die Geſetze nicht vermoͤgend ſeyn werden, ihn zu treffen, wenn ich dahin bin: ſo ſchreckt mich eine jede andere Art der Rache, wenn ich nur daran gedenke. Denn ſollten meine Freunde in dem Falle wohl behalten bleiben: was wuͤrde ſein Tod meinem Angedenken fuͤr eine Ehre bringen? Sollte aber irgend einer von ihnen in Ungluͤck daruͤber gerathen: wie viel wuͤrde mein Fehler vergroͤßert werden!

Gott erhalte Sie lange, mein wertheſter Herr Vetter; und begluͤcke Sie nur in eben dem Maaße, wie Sie mich durch die Nachricht, daß Sie mich noch lieben, und daß ich Einen nahen und werthen Verwandten habe, der Mitleiden mit mir haben und mir vergeben kann, getroͤſtet ha - ben: ſo werden Sie ſehr begluͤcket ſeyn. Dieß iſt das Gebeth

Jhrer ewig dankbaren und ergebenen Clariſſa Harlowe.

R 2Der260

Der dreyßigſte Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. Zur Antwort auf ſeine Briefe vom 26, 28-29 Aug.

Jch muß geſtehen, daß ich durch dieſer Fraͤu - lein Harlowe Erklaͤrung ihres Briefes bis in die Seele gekraͤnket werde. Sie muß niemals Vergebung erwarten. Sie, eine ſanftmuͤthige Perſon, und eine Bußfertige und Unſchuldige und Fromme, und ich weiß nicht was, die mit einem Fuße in dem Grabe noch betruͤgen kann!

Es iſt offenbar, daß ſie geſeſſen und dieſen Brief geſchrieben, mit einem Vorſatz zu hinterge - hen und zu betruͤgen. Und iſt ſie das zu einer ſo entſcheidenden Zeit zu thun im Stande: ſo hat ſie eben ſo viel Vergebung von Gott noͤthig, als ich von ihr. Ja, wo ſie derſelben nicht mehr verſichert iſt, als ich ihrer wirklichen Verzei - hung verſichert bin; und wo ſie die Sache von der gehoͤrigen Seite anſiehet: ſo wird ſie, bey al - lem ihren ſeltſamen Gewaͤſche von chriſtlicher Liebe hier und chriſtlicher Liebe dort, noch ei - nige dunklere Augenblicke zu gewarten haben, als ſie zu erwarten ſcheinet.

Der261

Der Lord M. ſelbſt, welcher nicht einer von denen iſt, daß ich in ſeiner eignen Sprache rede, die durch einen Muͤhlſtein ſehen koͤnnen, ſie - het den Betrug, und glaubt, daß er ihr unanſtaͤn - dig ſey: ob meine Baſen Montague ſie gleich vertheidigen. Kein Wunder: dieß verfluchte parteyiſche Geſchlecht; ich haſſe ſie alle bey meiner Seele, ich haſſe ſie alle; wird nie - mals das geringſte gegen eine einzelne Perſon von eben dem Geſchlechte einraͤumen, wo das unſrige Theil hat. Und warum? Weil ſie ihre eigne Herzen verdammen muͤſſen, wenn ſie an einem andern Liſt und Betrug tadeln.

Sie will mir einen Brief ſchicken, wenn ſie im Himmel iſt. Jſt es moͤglich? Der Teufel hole ſolch verbluͤmtes Gewaͤſche: und dich da - zu, weil du dieß ungereimte Zeug einen unſchul - digen Kunſtgriff nenneſt.

Jch bleibe dabey, daß, wo ein Frauenzimmer von ihrer Art, zu einer ſo entſcheidenden Zeit, in einer ſolchen Betruͤgerey zu rechtfertigen iſt, ein Menſch von vollkommener Geſundheit und Staͤr - ke des Leibes und Gemuͤths, wie ich bin, wegen aller ſeiner liſtigen Raͤnke und Verſuche gegen ſie entſchuldigt werden moͤge. Und nunmehr kann ich, Dank ſey meinem Geſtirn, in der Betrachtung mit ruhigem Gemuͤthe ſitzen. Bey meiner See - le, ich kann es, Bruder. Es hat auch keiner, der ſie freyſprechen kann, ein Recht, mich zu ta - deln. Allein bey gewiſſen Leuten muß in der That alles, was ſie thut, gut, und alles, was ichR 3thue,262thue, boͤſe ſeyn. Und warum? Weil ſie, wie ein Frauenzimmer, allezeit Sorge getragen hat, der einfaͤltigen und falſch urtheilenden Welt zu ſchmeicheln: da ich hingegen, wie ein Mann, ih - ren widrigen Urtheilen beſtaͤndig Trotz geboten und ſie verachtet habe.

Aber, dem allen ungeachtet, moͤget ihr ſie in meinem Namen wiſſen laſſen, daß ich ſie nicht beſchweren will; da meine Beſuche ihr ſo aͤrger - lich ſeyn wuͤrden: ich hoffe, ſie werde dieß als eine Probe edler Großmuth, welche ſie nach dem mir geſpielten Betrug ſchwerlich erwarten konnte, in Betrachtung ziehen. Laßt ſie ferner wiſſen, daß, wo etwas in meiner Gewalt ſtehet, wodurch zu ihrer Ruhe oder Ehre etwas beygetragen werden kann, ich ihr auf den erſten Wink gehorchen wol - le, es moͤchte mir auch noch ſo nachtheilig oder ſchaͤdlich ſeyn. Alles dieß in der Abſicht, damit ihr alle Furcht benommen werde, und ſie keine Urſache habe, wieder zuruͤckzufallen.

Wenn man ihre verfluchten Anverwandten dahin bringen koͤnnte, das, was ihnen zuſteht, eben ſo willig zu thun: ſo wollte ich fuͤr ihre Ge - neſung mein Leben zum Pfande ſetzen.

Allein wie kann einer, dem durch deine wun - derliche Buße ſo viele laͤcherliche Bilder in den Kopf gebracht ſind, ſich enthalten, uͤber dich zu lachen? Spare, ich bitte dich, lieber Belford, ſpare kuͤnftig die Betheurungen deiner Sehnſucht nach dem andern Leben: wofern du die Betheu -rungen263rungen einer Perſon, die wirklich ein Engel iſt, nicht entehren willſt.

Als ich an die Stelle(*)Man ſehe den vorhergehenden XXI Brief, nicht weit vom Ende. kam, wo du ſagſt, daß du ſie als eine ſolche anſaͤheſt, die vom Him - mel geſandt waͤre, dich nach ſich hinauf zu ziehen: ſo konnte ich auf eine ganze Stunde, wenn es auch mein Leben gekoſtet haͤtte, dich nicht aus dem Kopfe bringen, wie du mir in der Stellung der Frau Eliſabeth Carteret auf ihrem Denkmaa - le in der Abtey Weſtminſter in dem Sinne lageſt. Wo du dieſelbe niemals bemerket haſt: ſo gehe eignes Gewerbes dahin. Du wirſt daſelbſt dieſe Frau mit aufgehabenem Haupt und aufgehabner Hand im Bilde ſehen. Die Hand hat ein Cu - pido, der nach allen und jeden Theilen von Stein iſt, angefaſſet. Der eine von ſeinen ungeſchick - ten Fuͤßen iſt auch in die Hoͤhe gehoben, als wenn er, wie die Abſicht des Bildhauers wirklich dabey geweſen, zum Himmel hinauffahren wollte: nur iſt es ſo ſchlecht gerathen, daß man eher auf die Gedanken kommen moͤchte, als wenn die Figur, da ſie keine Schuhe noch Struͤmpfe hat, ob der uͤbrige Theil des Leibes gleich bekleidet iſt, auf ih - ren Leichdornſchneider ſehen wollte. Die andere iſt hingegen an der Erde, welche ihr durch die Ge - burt ſelbſt lieb geworden, feſt genagelt, und, wie du, ſo tief im Kothe; ſo tief verſunken ſageſt du; daß es ihr nicht moͤglich iſt, ſich ſelbſt herauszu -R 4ziehen.264ziehen. Beyde Figuren ſcheinen, wie du finden wirſt, in einem Streit zu ſeyn: die groͤßere, ob ſie die kleinere bey den Ohren herunter ziehen mag; die kleinere; ein pausbaͤckichter fetter kleiner Bube, nur den vierten Theil ſo groß, als die andere, mit Fluͤgeln, die nicht viel groͤßer ſind, als die Fluͤ - gel der Buttervoͤgel; ob ſie die groͤßere zu einem Himmel erheben ſoll, nach welchem ſie trachtet, der aber kaum groß genug iſt, die großen Zehe von der einen oder der andern zu faſſen.

Du wirſt vielleicht ſagen, die Abbildung der Frauen in Stein koͤnne, bey dem Vergleich, dei - ner Geſtalt, ſo wohl dem Stoffe als der Bildung nach, Ehre machen: aber die Fraͤulein, die in al - len Stuͤcken, außer dem betruͤglichen Streich, den ſie mir ſo neulich geſpielet hat, wirklich ein Engel iſt, werde nur ſchlecht durch den dickleibichten Cu - pido vorgeſtellet. Dieß gebe ich dir zu: allein es bleibt doch noch genug in deinen erhabenen Wuͤnſchen, mein Gemuͤth durch eine Aehnlichkeit von dir und der Fraͤulein mit den Figuren auf dem elenden Denkmaale zu ruͤhren. Denn du mußt bedenken, daß, ſo wohl bereitet ſie auch ſeyn mag, zu dem Himmel, ihrem Geburtsort aufzu - fahren, es ihr doch unmoͤglich ſey, einen ſchweren Kerl, der ſo viel zu bereuen und zu beſſern hat, nach ſich zu ziehen.

Nun aber, um noch einmal ernſthaft zu ſeyn, muß ich euch ſagen, Belford, daß, wo die Fraͤu - lein ſich wirklich ſo ſchlecht befindet, als ihr ſchrei - bet, es euch geziemen werde; hier iſt keine roͤ -miſche265miſche Schreibart; bey einer ſo ruͤhrenden Sa - che ein wenig minder ſpitz und hoͤhniſch in euren Anmerkungen zu ſeyn. Denn bey meiner See - le, die Sache faͤngt an, mich verzweifelt zu beun - ruhigen.

Jch bin itzo ſo ungedultig, oͤfterer von ihr Nachricht zu haben, daß ich mir den Wink, den mir das Zuſammenſtoßen unſerer Bedienten zu Slough zufaͤlligerweiſe gegeben hat, zu Nutze mache, und entſchloſſen bin, zu unſerm Freunde Dolemann nach Uxbridge abzugehen, deſſen Frau und Schweſter ſo wohl, als er ſelbſt, mich ſo oft inſtaͤndigſt gebeten haben, ihnen auf eine Woche oder zwo meine Geſellſchaft zu goͤnnen. Daſelbſt werde ich, wenn ich mich zu Pferde ſetze, binnen zwo Stunden ſeyn: wofern etwas vorfallen ſollte, das ſie bewegen moͤchte, meinen Beſuch anzuneh - men. Denn es wird ſich fuͤr ihre Gottſeligkeit, und chriſtliche Liebe, zu der ſie ſich erklaͤret, wohl ſchicken, wenn ſich das Aergſte begeben ſollte; der Herr des Himmels und der Erden wolle jedoch dieß Aergſte abwenden! mir die Verzeihung, welche ſie mir durch Feder und Dinte nicht ver - ſaget hat, auch von ihren Lippen zu ertheilen. Und da ſie wuͤnſchet, daß ich mich beſſern moͤchte: ſo weiß ſie nicht, was fuͤr gute Wirkungen eine ſolche Zuſammenkunft uͤber mich haben moͤge.

Jch werde dem zu folge morgen fruͤhe, um eilfe aufs hoͤchſte, bey Dolemannen ſeyn. Mein Kerl wird mich bey ſeiner Ruͤckkunft von euch; mit einem Briefe, hoffe ich; daſelbſt antreffen. R 5Jch266Jch will Joel ebenfalls bey mir haben, damit ich deſto oͤfterer ſenden moͤge, nach dem die Sachen laufen. Sollte ich noch naͤher, oder in der Stadt ſeyn: ſo wuͤrde es mir unmoͤglich fallen, mich zu enthalten, daß ich ſie nicht beſuchte.

Allein wo das Aergſte geſchiehet! wie ich denn, bey eurem beſtaͤndigen Laͤuten mit der Tod - tenklocke, nicht weiß, was ich davon denken ſoll! Jedoch, noch einmal, der Himmel wolle das Aergſte abwenden! Wie natuͤrlich iſt es, zu beten, wenn man ſich ſelbſt nicht helfen kann! ſo ſaget mir alsdenn nicht in ſo vielen ſchrecklichen Worten, was erfolget iſt; ſondern nur ſo viel, daß ihr mir rathet, nach Paris zu ſtolpern. Das wird mir ſchon das Herz durchſchneiden.

Jch billige eure Freygebigkeit gegen die Schwe - ſter des armen Beltons ſo vollkommen, daß ich Mowbrayen beredet habe, ſein Vermaͤchtniß, ſo wie ich es mit dem meinigen mache, zur Vermeh - rung ihres Antheils an den Handſchriften der indi - aniſchen Handelsgeſellſchaft, aufzugeben. Wenn ich nach London komme, ſoll Tourville eben das thun: und wir wollen jeder fuͤr unſer eigen Geld einen Ring kaufen, den wir zum Andenken des ehrlichen Kerls tragen koͤnnen, damit wir ſo wohl ſeinen als unſern eignen Willen vollziehen moͤgen.

Mein267

Mein Kerl reitet die uͤbrige Nacht durch. Jch empfehle euch aufs nachdruͤcklichſte, Bruder, wo ihr ſein Leben erhalten wollet, ihn nicht mit leerer Hand zuruͤckzuſenden.

Der ein und dreyßigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Rob. Lovelace.

Bey dem Beſchluß meines letzten Schreibens machte ich mir Hoffnung, daß meine naͤch - ſte Aufwartung bey dieſer erſtaunenswuͤrdigen Fraͤulein mir einige ſo angenehme Nachrichten, als ſich itzo von dem hinfaͤlligen Zuſtande, worinn ſie ſich befindet, erwarten ließen, an die Hand ge - ben wuͤrde: weil ſie einen ſo willkommenen Brief von ihrem Vetter Morden empfangen hatte. Allein es fiel fuͤr mich, ob gleich nicht fuͤr ſie ſelbſt, ganz anders aus. Denn ich glaube, ich bin in meinem Leben niemals trauriger geruͤhret worden, als es bey der Gelegenheit, von der ich alſobald Erwaͤhnung thun werde, geſchehen iſt.

Da ich ihr um ſieben des Abends aufwarte - te: erzaͤhlte ſie mir, daß ſie ſich ſeit der Zeit, da ich weggegangen waͤre, in einer recht muthwilligen Gemuͤthsverfaſſung befunden haͤtte. Es waͤre et -was268was ſeltſames, ſagte ſie, daß das Vergnuͤgen, wel - ches ſie uͤber den Brief von ihrem Vetter empfun - den haͤtte, eine ſolche Wirkung uͤber ſie gehabt haben ſollte. Sie haͤtte aber einer Luſt Verglei - chungen anzuſtellen, wie ſie es nennen moͤchte, den Zuͤgel ſchießen laſſen, und es fuͤr ſehr hart an - geſehen, daß ihre naͤhern Anverwandten es nicht auf die Art, wie es ihr Vetter Morden angefan - gen, mit ihr gemacht, daß ſie ſich nach dem, was Gutes oder Boͤſes an ihr waͤre, erkundigt, und ihre Sache vor der Verurtheilung unparteyiſch gehoͤret haͤtten.

Kaum hatte ſie dieß geſagt, als ſie ſtutzig ward und ſich eine Erroͤthung uͤber ihr Geſicht ausbreitete: weil ſie ſo wohl, als ich, ein rumpeln - des Geraͤuſch auf den Treppen hoͤrte, als wenn ein großer Kaſten zwiſchen zween Leuten heraufge - bracht wuͤrde. Sie ſahe mich mit einem bekuͤm - merten Auge an. Die einfaͤltigen Leute! ſprach ſie: ſie haben etwas zwo Stunden vor der Zeit hergebracht Erſchrecken ſie nicht, mein Herr: es geſchieht alles, ihnen Muͤhe und Unruhe zu erſparen.

Ehe ich ſprechen konnte, kam Fr. Smihinn herein. O gnaͤdige Fraͤulein, ſagte ſie, was haben ſie gemacht? Fr. Lovick trat herein und rief eben ſo aus. Gott ſey mir gnaͤdig, wertheſte Fraͤulein, ſchriee ich, was haben ſie gemacht! Denn, da ſie in dem Augenblick zur Thuͤre ging, erzaͤhlten die Frauensleute, daß es ein Sarg waͤre. O Lovelace! daß du doch den Augenblick dageweſen269geweſen waͤreſt! Du, der Urheber von allen dieſen widrigen Trauerſpielen! Gewiß du haͤtteſt nicht weniger geruͤhret ſeyn koͤnnen, als ich, der ich in Anſehung ihrer nichts zu verantworten habe.

Nachdem ſie den Leuten befohlen, ihn in ihre Schlafkammer zu bringen: kam ſie mit einer Un - erſchrockenheit, die der Zubereitung vollkommen gleich war, wieder zu uns. Sie haͤtten ihn nicht eher bringen ſollen, waren ihre Worte, als wenn es finſter geworden Haben ſie die Guͤte, Hr. Belford, und entſchuldigen mich: und betruͤben ſie ſich nicht, Fr. Lovick; auch ſie nicht, Fr. Smithinn. Warum wollten ſie es thun? Es iſt nichts mehr daran, als die Ungewoͤhnlichkeit der Sache. Warum ſollten wir nicht mit eben ſo vieler Vernunft ſtutzen, wenn wir zur Kirche ge - hen, wo die Graͤber unſerer Voreltern ſind, mit deren Staub ſo gar unſer Staub, wie wir hof - fen, vermenget werden ſoll, als daß wir bey ei - nem ſolchen Anblick, wie dieß iſt, in Bewegung gerathen?

Weil wir alle noch beſtaͤndig ſtille ſchwiegen und die Frauensleute ihre Schuͤrzen an den Augen hatten: ſo redete ſie fort. Was ſoll dieſe Traurigkeit um nichts und gar nichts? Wo ich irgend zu tadeln bin: ſo iſt es deswegen, daß ich, wie man denken mag, zu viele Sorge fuͤr dieſen irdiſchen Theil trage. Jch mag gern alles fuͤr mich ſelbſt thun, was ich thun kann. Das iſt allezeit mei - ne Weiſe geweſen. Alle andere Dinge von Erheb -lichkeit270lichkeit ſind ſo weit geſchehen und beſorget, daß ich zu Dingen von geringerer Wichtigkeit Muße ge - gehabt habe. Kleinigkeiten darf man wohl beob - achten, wo nur betraͤchtlichere Stuͤcke nicht ihret - wegen verſaͤumet werden. Jch haͤtte dieß vielleicht zu veranſtalten gehabt, wenn es ſich weniger fuͤr mich geſchickt, es zu veranſtalten. Jch habe keine Mutter, keine Schweſter, keine Fr. Norton, kei - ne Fraͤulein Howe, um mich. Einige von ihnen haͤtten dieß doch binnen wenigen Tagen, wo nicht itzo, ſehen: vielleicht auch gar aus Freundſchaft die Muͤhe, es zu veranſtalten, haben muͤſſen. Was iſt denn in Anſehung ihrer der Unterſchied von einigen wenigen Tagen: da ich vielmehr dadurch befriediget, als beunruhiget werde? Jch werde um einer ſolchen Zubereitung willen nicht eher ſter - ben Sollte nicht ein jeder, der etwas verlaͤſſet, ſein Teſtament machen? Und wer unter denen, die ein Teſtament machen, ſollte vor einem Sarge erſchrecken? Meine liebe Freundinnen, ſprach ſie zu den Frauensperſonen, ich habe dieſe Dinge uͤberleget: geben ſie mir nicht Urſache zu gedenken, daß ſie, bey einem ſolchen Gegenſtande, als ſie, gan - ze Wochen her, an mir vor ſich gehabt, es nicht ge - than haben?

Wie vernuͤnnftig war dieß alles! Es zeigte in der That, daß ſie es ſelbſt wohl uͤberlegt hatte. Dennoch aber konnten wir uns bey den Gedanken von dem Sarge, der ſo hereingebracht wurde, nicht der Verwirrung entſchlagen: da wir die liebenswuͤrdige Perſon, welche ihn nach allerWahr -271Wahrſcheinlichkeit ſo bald fuͤllen ſollte, vor unſern Augen hatten.

Wir ſchwiegen noch alle ſtille: die Frauens - leute in Betruͤbniß; ich gewiſſermaßen vor Be - ſtuͤrzung betruͤbet. Sie wollte mich nicht bitten, ſprach ſie: es wuͤrde ihr aber lieb ſeyn, wenn ihre beyden guten Freundinnen, da der Sarg ſo viel fruͤher, als ihre Abſicht geweſen, hereingebracht waͤre, hinein treten und ihn beſehen wollten. Sie wuͤrden nicht ſo ſtutzen, wenn er ihren Augen be - kannter und gewoͤhnlicher geworden waͤre, als da ihre Gedanken auf ihn herumſtreifeten. Leitet man nicht ein ſchuͤchternes Pferd, fuhr ſie fort, zu dem Gegenſtande zuruͤck, der es ſchuͤchtern machen kann, um ihn zu demſelben zu gewoͤhnen und von ſeiner Schuͤchternheit zu heilen? Eben der Grund wird in dieſem Falle ſtatt haben. Kommen ſie, meine liebe Freundinnen, ich will ſie hinein - fuͤhren.

Jch nahm meinen Abſchied, und ſagte ihr, ſie haͤtte uͤbel, ſehr uͤbel gethan, und ſollte billig keines - weges einen ſolchen Gegenſtand vor ſich haben.

Die Weibsleute folgten ihr hinein Es iſt ein ſeltſames Geſchlecht! Nichts iſt ihnen zu anſtoͤßig, daß ſie es nicht beſchauen, oder vorgehen ſehen ſoll - ten, wenn es etwas Neues und Sonderbares an ſich hat.

Jch ging hinunter, nahm eine Saͤnfte, und ließ mich, aͤußerſt beſtuͤrzt und verwirrt, zu Hauſe tragen. Wenn ich gleichwohl die Gruͤnde der Fraͤulein erwaͤge: ſo weiß ich nicht, warum ich ſoſehr272ſehr geruͤhret war ausgenommen, wie ſie ſagte, wegen der Ungewoͤhnlichkeit der Sache.

Unter der Zeit, da ich auf eine Saͤnfte war - tete, kam Fr. Smithinn herunter und erzaͤhlte mir, daß auf dem Deckel Sinnbilder und Jnſchriften waͤren. Gott ſey mir gnaͤdig! Jſt denn ein Sarg dazu geſchickt, daß man ſeiner Einbildungs - kraft daruͤber den Lauf laſſe? Allein ſolche große Geiſter koͤnnen nicht vermeiden, außeror - dentliche Dinge zu thun!

Der zwey und dreyßigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Rob. Lovelace.

Es iſt erſtaunlich, daß ich, als eine Manns - perſon, bey einem ſolchen Gegenſtande, als den Jnhalt meines vorigen Briefes ausmachet, ſo ſehr geruͤhret ſeyn ſollte, der ich noch dazu an meinem ſeligen Onkel und dem armen Belton eben dergleichen vor mir gehabt und die Anſtalten dazu machen muͤſſen: da ſie hingegen, als ein Frauen - zimmer, von einem ſo ſchwachen und zarten Bau, die ihn fuͤllen, vielleicht ſo bald fuͤllen ſollte, die Befehle dazu ertheilen, die Sinnbilder auf dem - ſelben abzeichnen, und mit ſo weniger Ruͤhrung, wie ſie verwichenen Abend, als ich weggegangenwar,273war, nach der Erzaͤhlung der Frauensleute that, erklaͤren konnte.

Jch war wirklich die ganze Nacht uͤber krank und ohne Ruhe. Du wareſt es, auf den ich fluchte, und ſie war es, die ich bewunderte, ſo oft und ſo lange ich ganz und gar wachte: und wenn ich ſchlummerte, traͤumte wir von nichts, als von flie - genden Stundenglaͤſern, Todtenkoͤpfen, Spaten, Hauen, und von der Ewigkeit; weil mir die klei - ne Nachricht von ihren Sinnbildern, wie ſie mir von der Fr. Smithinn gegeben war, in den Kopf herumging.

Jnzwiſchen war es mir doch nicht moͤglich von Smithens Hauſe wegzubleiben. Jch ging alſo um ſieben hin. Die Fraͤulein war eben aus - gegangen. Sie hatte, wie ich befand, beſſer ge - ſchlafen, als ich: ob gleich ihre feyerliche Ruhe - ſtaͤtte unter ihrem Fenſter, nicht weit von ihrer Bettſeite, war.

Jch ließ mich von der Fr. Smithinn, und ihrer Waͤrterinn, Schelburne, indem Fr. Lovick mit ihr aus war, bereden, hinaufzugehen und die Erfindungen zu beſehen. Fr. Lovick hat mir nach der Zeit einen Abriß von dem Entwurf, wornach alles eingerichtet war, gezeiget: und ich will dir ein Verzeichniß von den Sinnbildern und Spruͤ - chen mitheilen.

Das vornehmſte Sinnbild, welches auf einer Platte von weißem Metall gegraben worden, iſt eine gekroͤnte Schlange, mit ihrem Schwanze in demSiebenter Theil. SMun -274Munde, wodurch ſie einen Ring bildet, als das Sinnbild der Ewigkeit. Jn dem Kreiſe, der dadurch gemacht wird, ſteht dieſe Jnſchrift:

Clariſſa Harlowe den X. Apr. (Alsdenn ſteht das Jahr.) Jhres Alters XIX.

Zu Auszierungen dienen, zum Haupte, ein gefluͤgeltes Stundenglaß: zu den Fuͤßen ein Tod - tenkrug.

Unter dem Stundenglaſe iſt auf einer andern Platte dieſe Jnſchrift:

Hier hoͤret der Gottloſe auf zu plagen: und hier iſt der Ermuͤdete in Ruhe. (Hiob III, 17.)

Ueber dem Todtenkruge zu den Fuͤßen ſteht:

Kehre wieder zu deiner Ruhe, meine Seele! denn der Herr hat dich beloh - net. Und warum? Du haſt meine Seele vom Tode, meine Augen von Thraͤnen, und, meine Fuͤße vom Falle befreyet. (Pſ. CXVI, 7. 8.)

Ueber dieſer Schriftſtelle iſt der Kopf von ei - ner weißen Lilie, der kurz abgebrochen iſt und eben von dem Stengel faͤllt, nebſt folgender Jnſchrift uͤber demſelben, zwiſchen der Hauptplatte und der Lilie:

Des275Des Menſchen Tage ſind nur, wie Graß. Denn er bluͤhet, wie eine Blume auf dem Felde: ſo bald der Wind daruͤber gehet, iſt ſie dahin, und ihre Staͤtte wird ſie nicht mehr kennen. (Pſ. CIII, 15. 16.)

Sie entſchuldigte ſich gegen die Weibsleute mit ihrer Jugend, und Gewohnheit, zu ihrem Stickwerke Riſſe zu machen, daß ſie mehr Ein - bildungskraft gezeiget haͤtte, als man vielleicht bey einer ſo feyerlichen Gelegenheit fuͤr ſchicklich halten wuͤrde.

Von der Wahl des geſetzten Tages, des 10ten Aprils, gab ſie zum Grunde an: weil ſie nicht im Stande waͤre, zu ſagen, welches ihr letzter Tag ſeyn wuͤrde, und dieß der ungluͤckliche Tag ge - weſen, an dem ſie ihres Vaters Haus verlaſſen haͤtte.

Sie bezahlte des Tiſchlers Rechnung, nach - dem ich weggegangen war, mit eben ſo vieler Munterkeit, als ſie jemals die Kleider bezahlt ha - ben konnte, die ſie verkaufte, um dieſen ihren Pa - laſt; denn ſo nannte ſie ihn; zu kaufen. Sie machte ſich ſelbſt wegen der darauf gewandten Koſten einen Vorwurf, und ſagte, ſie moͤchten an ihr bemerken, daß der Stolz die armen Sterb - lichen bis auf die letzte Stunde nicht verließe: jedoch wuͤßte ſie in der That nicht anders, als daß ihr Vater erlauben wuͤrde, ihn, wenn er mit allem, was zu ihm gehoͤrte, verſehen waͤre, hinunter brin - gen und bey ihren Voreltern niederſetzen zu laſſen;S 2und276und in dem Falle muͤßte ſie ihnen in ihrem letz - ten Aufzuge nicht zur Entehrung gereichen.

Er iſt mit feinem ſchwarzen Tuch uͤberzogen, und mit weißem Atlaß ausgefuͤttert, der, wie ſie ſagte, bald durch eine ſchnoͤdere Erde, als ihn be - decken koͤnnte, ſeinen Glanz verlieren muͤßte.

Das Todtenkleid ward mit ihm zu Hauſe ge - bracht. Die Frauensleute hatten, wie ich vermu - the, Neubegierde genug, ſie daſſelbe oͤffnen zu ſehen, wo ſie es oͤffnete Und, vielleicht, wuͤrde es dir lieb geweſen ſeyn, wenn du zugegen geweſen waͤreſt, es auch bewundert zu haben.

Fr. Lovick geſtand, daß ſie ſich die Freyheit ge - nommen, ihr Vorwuͤrfe zu machen, und die Ent - fernung eines ſolchen Gegenſtandes wenig - ſtens aus ihrer Schlaf kammer, gewuͤnſcht haͤt - te; aber durch die edelmuͤthige Antwort, welche ſie ihr darauf gegeben, ſo geruͤhret worden waͤre, daß ſie dieſelbe den Augenblick, da ſie von ihr gegangen, niedergeſchrieben.

Geſunden Perſonen, ſagte ſie, mag dieſer Anblick anſtoͤßig und zuwider ſeyn, und die Zubereitung, nebſt meiner Freudigkeit dabey, gezwungen ſchei - nen: aber was mich betrifft, die ich Zeit gehabt ha - be, mich ſo nach und nach von der Welt zu ent - woͤhnen, und ſo viel Urſache, ſie nicht zu lieben; ſo muß ich ſagen, ich verweile mich mit Fleiß bey den Todesgedanken, ich haͤnge ihnen nach, ja, ge - nau zu reden, ich habe daran meine Freude. Denn glauben ſie mir Sie ſahe dabey ſteif auf das fuͤrchterliche Behaͤltniß glauben ſie, was ichdieſen277dieſen Augenblick als die unſtreitigſte Wahrheit fuͤhle, daß in den Gedanken vom Tode; und den gehoffeten gluͤcklichen Folgen deſſelben ein ſo unge - meines Uebergewicht und eine ſo viel groͤßere Wich - tigkeit liege, daß dadurch gewiſſermaßen alle ande - re Betrachtungen und Angelegenheiten zernichtet werden. Glauben ſie mir, meine liebe Freundin - nen, dieß thut, was ſonſt nichts thun kann: es lehret mich, indem es die Kraft des goͤttlichſten Beyſpieles verſtaͤrket, die Beleidigungen, welche mir widerfahren ſind, zu vergeben, und ſchließet die Erinnerung vergangener Uebel aus meiner Seele aus.

Nun laß mich dich fragen, Lovelace: Denkſt du, daß wenn die Zeit kommen wird, da du genoͤ - thigt ſeyn wirſt, in das unendliche Meer der Ewig - keit abzuſegeln, du irgend mehr, als der arme Belton, im Stande ſeyn werdeſt, das, was dir oblieget, mit einem ſo wahren Heldenmuth, als dieſe angenehme und zarte Blume von einem Frauenzimmer gezeiget hat, und noch beſtaͤndig zeiget, zu vollbringen?

O nein! Es kann nicht ſeyn Und war - um nicht? Der Grund iſt offenbar. Sie hat keine vorſetzliche Fehler, auf die ſie mit Vor - wuͤrfen wider ſich ſelbſt zuruͤckſehen muͤßte und ihre Seele wird durch die Troͤſtungen geſtaͤr - ket, welche von der gottſeligen Richtigkeit fließen, die ihr in allen ihren Handlungen zur Fuͤhrerinn gedienet, und ſie gelehret hat, viel lieber zu leiden als zu beleidigen.

S 3Dieß278

Dieß war der Troſt des goͤttlichen Sokrates: wie du geleſen haſt. Da er zum Tode gefuͤhret wurde, und ſein Weib klaͤglich that, daß er un - ſchuldig leiden ſollte: ſo ſagte er: du Naͤrrinn, wollteſt du wuͤnſchen, daß ich ſchuldig waͤre?

Der drey und dreyßigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Rob. Lovelace.

Wie erſtaunenswuͤrdig iſt es, daß du dich mit - ten unter ſo ruͤhrenden Trauerſpielen uͤber das, was du Betheurungen meiner Sehn - ſucht nach dem Himmel nenneſt, luſtig ma - cheſt! Gewiß, niemals iſt noch ein ſolcher Menſch in der Welt geweſen: wenn man deine natuͤrli - chen Gaben und deine Leichtſinnigkeit zuſammen nimmt! Jn Wahrheit, das, was ich dir mit dem gegenwaͤrtigen Briefe ſenden werde, wird dich ruͤhren. Wo nicht: ſo kann es nichts thun, bis deine eigne Stunde kommt Alsdenn aber werden deine Betrachtungen ſchwer ſeyn!

Es iſt mir inzwiſchen lieb, daß du mich in den Stand ſetzeſt, die Fraͤulein zu verſichern, daß du ſie nicht mehr beſchweren willſt: das heißt mit andern Worten, daß, nachdem du ihr Gluͤck und alle ihre Hoffnung auf der Welt zu nichte gemachthaſt,279haſt, du ſo gnaͤdig ſeyn willſt, ſie liegen und in Ruhe ſterben zu laſſen.

Dein Vorſatz, der Schweſter des armen Bel - tons zum Beſten das kleine Vermaͤchtniß aufzu - geben, und deine Entſchließung, Mowbrayen und Tourvillen zu bewegen, daß ſie deinem Beyſpiel folgen, kommt vollkommen, das muß ich zu dei - ner Ehre ſagen, mit deiner Freygebigkeit gegen dein Roſenknoͤspchen und ihr Haͤnschen, und mit vielen andern guten Handlungen in Geldſachen uͤberein: ob gleich der Fall mit deinem Roſen - knoͤspchen das einzige Beyſpiel von einer ſo unei - gennuͤtzigen Guͤte iſt, bey welchem ein artiges Frauenzimmer Theil gehabt hat.

Bey meiner Treue, Lovelace, ich mag dich gern ruͤhmen, und habe gar oft, wie du weißt, auf Gelegenheiten geſonnen, es zu thun: dergeſtalt, daß ſelbſt zu der Zeit, da ich mich, wenn es auch mein Leben gekoſtet haͤtte, auf nichts beſinnen koͤn - nen, das Ruhm verdiente, ich mir Muͤhe gegeben habe, die nicht ungefaͤllige Art und Weiſe, wie du Handlungen, die den Galgen verdienten, ausge - fuͤhret haſt, zu erheben.

Da du nun ſo nahe biſt: ſo will ich meinen Bedienten zu dir ſchicken, wenn es die Noth er - fordert. Jch beſorge aber, daß ich dir bald die Nachricht geben werde, die du befuͤrchteſt. Denn Fr. Smithinn hat eben itzo nach mir geſchickt, und dem Bothen befohlen, mir zu ſagen, daß ſie nicht wuͤßte, ob die Fraͤulein noch leben werde, wenn ich komme.

S 4Freytags,280

Jch konnte meinen Brief nicht mit ſolcher Un - gewißheit ſchließen, die eure Ungedult ver - mehrt haben muͤßte. Denn ihr habt mich bey verſchiedenen Gelegenheiten uͤberzeuget, daß die ungewiſſe Erwartung, in welcher ihr gern andere laſſen moͤget, die groͤßte Marter fuͤr euch ſeyn wuͤrde, die ihr leiden koͤnntet. Eine Sache, wie ich glaube, die ihr mit allen heſtigen Gemuͤthern, mit allen Gemuͤthern, welche gern der angreiffen - de Theil ſeyn moͤgen, gemein habet. Jch will alſo nur eben beruͤhren, weil euer Bedienter hier wartet, bis ich geſchrieben habe, daß die Fraͤulein zwo ſehr heftige Ohnmachten gehabt hat. Jn - dem ſie in der letzten gelegen, haben ſie zu dem Arzt und dem Herrn Goddard geſchickt; welche beyde den Rath gegeben, daß eiligſt ein Bothe nach mir, als dem, welcher die Vollziehung ihres letzten Willens haben ſollte, geſchickt wuͤrde, weil es zweifelhaft waͤre, wenn ſie eine dritte bekaͤme, ob dieſelbe ſie nicht hinreißen wuͤrde.

Sie hatte ſich unterdeſſen, da ich kam, ziem - lich wieder erholet, und der Arzt ließ ſie vor mei - nen Ohren verſprechen, daß ſie es nicht mehr wa - gen wollte, ſo lange ſie ſo ſchwach waͤre, auszuge - hen. Denn nach der Beſchreibung der Fr. Lo - vick, welche mit ihr geweſen, waren die Kuͤrze ih - res Athems, ihre ausnehmende Mattigkeit, und die Jnbrunſt ihrer Andachten in der Kirche, wi -der281der einander laufende Dinge, die nach verſchiede - nen Richtungen zogen; indem die Seele ſich er - hob, der Koͤrper aber niederſank; und dadurch ih - ren zarten Bau in Stuͤcken zerriſſen.

So viel fuͤr itzo. Jch will euren Wilhelm nicht laͤnger aufhalten, als nur eben zu bitten, daß ihr mir dieſes Packet nebſt dem letzten zuruͤckſen - den wollet. Euer Gedaͤchtniß iſt ſo gut, daß ihr niemals etwas mehr als einmal uͤberleſet, oder uͤberleſen duͤrfet. Und wer, außer uns ſelbſt, kann ſich in unſere abgekuͤrzte Schrift finden: wenn ihr auch geneigt ſeyn ſolltet, jemand ſehen zu laſſen, was vorgehet. Kann mir hierinn nicht gewillfahret werden: ſo werde ich eine Verſu - chung haben, das, was ich ſchreibe, ſo lange zu - ruͤckzubehalten, bis ich Zeit bekomme, eine Ab - ſchrift davon zu nehmen(*)Es kann vielleicht nicht undienlich ſeyn zu bemer - ken, daß Herrn Belfords Sorgfalt, ſeine Briefe zuruͤckzubekommen, von ſeinem Verlangen her - ruͤhrte, die Wuͤnſche der Fraͤulein zu erfuͤllen, daß er der Fraͤulein Howe den Stoff ertheilen moͤch - te, ihr Gedaͤchtniß zu rechtfertigen..

Eben itzo iſt ein Brief von der Fraͤulein Howe durch einen eignen Bothen gebracht, welcher ſagt, daß er einige wenige Zeilen zur Antwort zuruͤckbringen muͤſſe. Weil die Fraͤulein ſich aber eben allein begeben hat, ſich niederzulegen: ſo wird der Mann bald wieder anfragen.

S 5Der282

Der vier und dreyßigſte Brief von Herrn Lovelace an Hrn. Joh. Belford.

Jch uͤberſende euch hiebey die Papiere. Jhr muͤßt mir, wenn ich euch ſehe, ehrlich und aufrichtig die Urſache ſagen, weswegen ihr ſo ernſt - lich darum ſchreibet. Alsdenn wollen wir auch von dem Jnhalt des mir zuletzt von euch zugefer - tigten und von einigen eurer ernſthaften und un - freundlichen Anmerkungen reden.

Unterdeſſen, was du auch immer thun magſt, laß die wundernswuͤrdige Fraͤulein nicht von uns ſcheiden. Stelle ihr vor, wie ſie ſich durch ihre Vorbereitung verſuͤndige, als wann ſie daͤchte, daß ſie aus der Welt gehen koͤnnte, wenn es ihr be - liebte. Auf die Art wird ſie ſich ſelbſt uͤberreden, daß ſie, wenn alles fertig iſt, nichts weiter zu thun habe als ſich niederzulegen und ſchlafen zu gehen: und eine ſo lebhafte Einbildungskraft, als ſie be - ſitzet, wird, zu einer oder der andern Zeit, einen Ernſt aus einem Spaße machen.

Einen Spaß nenne ich alles, was zwiſchen ihr und mir vorgefallen iſt, einen bloßen Spaß, darum zu ſterben! Denn hat ſie nicht vomAn -283Anfange bis zu Ende unendlich mehr uͤber mich geſieget, als von mir gelitten?

Wollte nur die heilige Achtung, welche ich ge - gen ihre Reinigkeit ſelbſt in Anſehung ihrer Per - ſon ſo wohl, als in Anſehung ihres Verſtandes hege, es erlauben: ſo koͤnnte ich dieß ſo klar, als die Sonne iſt, beweiſen. Daher ſage der lieben Fraͤulein, daß ſie nicht gottlos in ihrer Gottſeligkeit ſeyn muͤſſe. Es kann eben ſo wohl zu viel, als zu wenig, ſelbſt in einem rechtmaͤßigen Verfah - ren geſchehen. Vielleicht denkt ſie nicht daran O daß ſie mir ſo gefaͤllig zugelaſſen haͤtte, als dir, ihr aufzuwarten! Das liebe Kind pflegte die Munterkeit gern zu haben. Jch gedenke noch der Zeit, da ſie wohl wußte, wie ſie uͤber eine Probe einer wohlangebrachten Munterkeit laͤcheln ſollte: und ich muß dir ſagen, ein Laͤcheln auf den Lippen muͤßte in einem ſo aufrichtigen Herzen, als das ihrige iſt, eine ihm gemaͤße Munterkeit gehabt haben.

Vermelde dem Arzt, daß ich ihm alles, was ich beſitze und was auf mich faͤllt, uͤbertragen will: wo er ihr Leben nur auf ein Jahr noch verlaͤn - gern wird. Nur auf ein Jahr, Bruder! Er wird alle ſein Anſehen bey mir verlieren, und ich werde ihm eben ſo begegnen, als Belton ſeinem Arzt begegnete: wo er an einer ſo jungen Perſon dieß nicht fuͤr mich thun kann. Aber neunzehn, Belford! Neunzehn kann nicht ſo bald vor Betruͤbniß ſterben; wo der Arzt den Namen ver - dienet: ſonderlich bey einer ſo bluͤhenden und gu -ten284ten Leibesbeſchaffenheit, als ſie nur noch vor drey oder vier Monathen gehabt hat.

Allein was hat der Arzt noͤthig gehabt, ſie um Erlaubniß zu bitten, daß er an ihre Freunde ſchriebe? Haͤtte er es nicht thun koͤnnen, ohne ſie etwas von der Sache wiſſen zu laſſen? Das war eines von den wahrſcheinlichſten Mitteln, worauf man denken konnte, um einige von ihnen zu ihr zu bringen: da ſie ſich ſo ſehr ſehnet, ſie zu ſehen. Wenigſtens wuͤrde es ſie bewogen haben, ihren Augapfel, die Norton, zu ihr hinauf zu ſchicken. Aber dieſe verdammt feyerlichen Leute handeln ſtark mit unnoͤthigen Umſchweifen, und koͤnnen nicht aus denſelben herauskommen, wenn es ſie auch das Leben koſten ſollte, die Gelegenheit ſey, welche es wolle. Sie werden einem ihre giftige Arzneyen bey ganzen Ladungen hinunterpfropfen, ohne eine Frage zu thun; und haben die Dreiſtig - keit zu geſtehen, daß es Vorſchreiben ſey: wenn ſie aber Gutes thun ſollen; ſo muͤſſen ſie einen erſt um ſeine Einwilligung befragen.

Wie erhoͤhet ſich die Gemuͤthsart der lieben Fraͤulein in jeder Zeile von deinen Briefen! Allein es kommt von den außerordentlichen Gele - genheiten, die ſie gefunden hat, daß ſie mit einem ſolchen Glanze, wie die Sonne am Mittage, ihre Strahlen auf uns wirſt! Wie haͤtte ſie, wenn dieſe Gelegenheiten nicht geweſen waͤren, ihre edle Geſinnung, ihre kluge Bedaͤchtlichkeit, ihr verſoͤnliches Gemuͤth, ihre erhabene Guͤtigkeit, und ihre beſtaͤndig gleiche Gemuͤthsverfaſſung beydem285dem Anblick der widrigſten Ausſichten in die Zu - kunft, welche ſie ſo weit uͤber ihr ganzes Geſchlecht und ſo gar uͤber die Weltweiſen der alten Zeiten erhebet, an den Tag legen koͤnnen?

Jch weiß, du wirſt denken, daß ich mir ſelbſt ein Verdienſt machen wolle, weil ich ihr ſolche be - queme Gelegenheiten gegeben habe, ihre Tugenden als groß und vortrefflich zu beweiſen. Allein das will ich nicht. Denn wenn ich es wollte: ſo muͤßte ich das Verdienſt mit ihren unverſoͤhnlichen Verwandten theilen, die mit Recht wenigſtens auf zwey Drittel davon Anſpruch machen koͤnnten; und meine Seele verabſcheuet eine Gemeinſchaft mit einer ſolchen Familie, es ſey, worinn es wolle.

Aber ich fuͤhre dieß an als eine Antwort auf deine Vorwuͤrfe, daß ich durch Vollkommenheiten, von denen ich, wie du vermutheſt, ſo lange nach einander taͤglich und ſtuͤndlich ein perſoͤnlicher Zeu - ge geweſen bin, ſo wenig gebeſſert ſeyn konnte: da, ſo bewundernswuͤrdig ſie auch war, in allem, was ſie ſagte, und in allem, was ſie that, die Gelegenheit dennoch damals dieſe erſtaunliche Vollkommenheiten, welche mich itzo beſtuͤrzt und verwirrt machen, noch nicht zur Reife und an den Tag gebracht hatte.

Daher kommt es, daß ich ſie mehr bewundere, als ich jemals gethan habe, und daß meine Liebe gegen ſie, weniger die Perſon, wie ich ſagen mag, und mehr den Verſtand angehet, als ich jemals gegen eine Weibsperſon fuͤr moͤglich gehalten habe.

Daher286

Daher kommt auch meine feſte Zuverſicht, wenn es dem Schickſal gefallen moͤchte, ſie zu erhalten und zu meinem Eigenthum zu machen, daß ich ſie mit einem ſo reinen Herzen lieben koͤnnte, daß dadurch ſo wohl meine eigne kuͤnftige Gluͤckſe - ligkeit befoͤrdert, als ihr zeitliches Gluͤck ver - ſichert werden wuͤrde. Und daher werde ich, aus einer nothwendigen Folge, der elendeſte Menſch unter allen ſeyn: wofern ich ihrer beraubet werde.

Du machſt mir harte Vorwuͤrfe wegen mei - ner Leichtſinnigkeit in dem Beyſpiel von der Ab - tey. Jch will ſo aufrichtig ſeyn, zu geſtehen, daß, weil du mein Herz nicht ſieheſt, in einem je - den von meinen Briefen Stellen ſeyn moͤgen, die in Betrachtung der traurigen Gelegenheit, die ſpitzigſten Verweiſe von dir verdienen. Aber wahrlich, Bruder, du biſt ein ſo tragicomiſcher Menſch mit deiner bleyernen Art, dich nach hoͤ - hern Dingen zu ſchwingen, zu einer, und deinen fliegenden Stundenglaͤſern und getraͤumten Schre - cken zu einer andern Zeit, daß, wie Prior ſagt, was ernſthaft iſt, bey dir zum Spaße wird: und es iſt unmoͤglich, ſich in den Schranken der Anſtaͤndigkeit, oder Ernſthaftigkeit, zu halten, wenn man lieſet, was du ſchreibeſt.

Allein, daß ich mir ſelbſt den Zuͤgel nehme; denn meine natuͤrliche Munterkeit haͤtte mich bey - nahe wieder hingeriſſen; ich will es wiederhohlen, ich muß es beſtaͤndig wiederhohlen, daß mich die Umſtaͤnde bey der Sache ausnehmend ruͤhren;und287und daß ich, wenn dieß unvergleichliche Muſter wirklich die Welt verlaſſen ſollte, niemals eine Stunde nach einander meiner ſelbſt genießen wuͤr - de, wenn ich auch Methuſalems Jahre er - reichte.

Jn der That iſt es dieſer tiefe Kummer, von dem meine Leichtſinnigkeit herruͤhret. Denn ich kaͤmpfe und kaͤmpfe, und verſuche dieſe Ge - danken niederzuſchlagen, wie ſie ſich erheben: und wenn ich es nicht thun kann, ſo bin ich genoͤthigt, wie ich oft geſagt habe, zu verſuchen, daß ich mich ſelbſt zum Lachen bringe, damit ich nicht weinen moͤge. Denn das eine, oder das andere muß ich thun. Jſt es nicht Weltweisheit, die bis zum hoͤchſten Gipfel getrieben iſt: wenn ein Menſch ſolche un - ruhige Bewegungen der Seele, als mich bisweilen umtreiben, beſieget, und ſelbſt bey dem groͤßeſten Sturm im Stande iſt, ein lautes Gelaͤchter auf - zuſchlagen.

Euer Seneka, euer Epictet, und die uͤbrigen von eurer ſtoiſchen Zunft konnten mit allem ihren Unſinn von Unbeweglichkeit ſo weit nicht kommen. Sie konnten ſich ſcheeler Geſichter enthalten; leib - liche Schmerzen konnten ſie gut genug zu ertragen ſcheinen; und das war alles: aber uͤber die Mar - ter ihrer eignen gaͤnzlich zerſchlagenen Seelen konn - ten ſie nicht lachen, ob ſie gleich uͤber anderer Thorheiten zu lachen wußten. Sie laſen ernſt - hafte Sachen: allein ſie waren auch ernſthaft. Dieſer hohe Gipfel der Weltweisheit, mitten un - ter den groͤßten Wehen, welche die Seele durch -arbei -288arbeiten, wann die Sehnen des Herzens eben von einander berſten, zu lachen und luſtig zu ſeyn, iſt deinem Lovelace vorbehalten geweſen.

Es iſt etwas der Beſchaffenheit meiner Na - rur zuzuſchreiben; das geſtehe ich: und etwas kommt daher, daß dieß die Lachezeit in meinem Leben iſt. Denn was muß das fuͤr ein herber Schmerz ſeyn, der einen Menſchen von ſechs oder ſieben und zwanzig Jahren, bey vollkommener Geſundheit und Munterkeit, einen Menſchen von einer natuͤrlich freudigen Gemuͤthsart, der ſingen, tanzen, allerley zuſammenſchreiben und bey dem allen Vergnuͤgen finden und andern machen kann, auf eine ganze Stunde nach einander niederzu - ſchlagen vermoͤgend iſt? Aber dabey iſt denn auch die Betruͤbniß bey mir, ſo wohl als die Freu - de, weit ſchaͤrfer und heftiger, als bey den meiſten andern Menſchen: und, wie mir Doͤrtchen Wel - by einmal ſagte, da ſie die Geburtsſchmerzen be - ſchrieb, wenn nicht gute Abwechſelungen dabey waͤren wenn ſie nicht kaͤmen und wieder weggingen ſo wuͤrde es nicht auszuhalten ſeyn.

Bey dem allen, da ich von dem lieben Kinde ſo wenig entfernt bin, und ſie ſich ſo ſehr uͤbel be - findet, denke ich, daß ich mich ſelbſt nicht entbre - chen kann, ſie einmal zu beſuchen. Nichts deſto weniger, wenn ich gedaͤchte, daß ſie ſo nahe bey Was fuͤr ein Wort ſoll ich gebrauchen, wo -durch289durch meine Seele nicht in Bewegung gebracht werde! und daß ſie durch einen Beſuch all - zu ſehr in Unordnung gerathen wuͤrde: ſo wollte ich nicht daran denken. Jedoch wie kann ich die Vorſtellung, woran ich mich erinnern muß, ertragen, daß ſie damals, da ſie das letzte mal von mir ging; als ihre Unſchuld ſo ſiegreich die Oberhand uͤber meine vorſetzliche Schuld be - hielte, daß es genug war, ſie dem Leben wieder zur Freundinn zu machen und uͤber alle ſo edelmuͤ - thig ausgeſtandene Beleidigungen hinauszuſetzen; mit einem unheilbaren Bruch in ihrem Herzen weggegangen, und das das letzte mal geweſen ſeyn ſollte, da ich ſie jemals ſehen wuͤrde! Wie, wie kann ich dieſe Betrachtung ertragen!

O Bruder! wie zerreißt mich mein Gewiſ - ſen, das ſo gar deinen ſtumpfen Anmerkungen eine durchſchneidende Schaͤrfe giebt! Selbſt die - ſen Augenblick wollte ich die ganze Welt dafuͤr hingeben, daß ich durch eine frohe Veraͤnderung, die darzwiſchen kommen moͤchte, dieſen grauſamen Zuchtmeiſter mit ſeinen Vorwuͤrfen von mir trei - ben koͤnnte! Verdrießlich uͤber mich ſelbſt! Verdrießlich uͤber das Andenken meiner ſchaͤndlichen Raͤnke und meiner geringen, mei - ner nur auf einen Augenblick gegenwaͤrtigen Entzuͤckung; O ich ſchaͤndlicher Dieb und Rau - ber! welche mir eine ſo dauerhafte und ſo ſchwere Gewiſſensangſt uͤber den Hals gebracht hat! Was wollte ich darum geben, daß ich mich nicht einer ſo grauſamen und undankbaren Treu -Siebenter Theil. Tloſig -290loſigkeit gegen das Vortrefflichſte unter den Wer - ken des Schoͤpfers ſchuldig gemacht haͤtte!

Jch wollte gern, wie mich deucht, mit einer freudigern Zeile beſchließen Allein es will nicht angehen Wiſſe denn, und freue dich daruͤber, wo du willſt, daß ich

Unausſprechlich elend bin.

Der fuͤnf und dreyßigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Rob. Lovelace.

Jch finde eines und das andre kleine Vergnuͤ - gen an deinem Briefe, der mir eben gebracht iſt. Jch ſehe nunmehr, daß noch ein wenig Menſchheit bey dir uͤbrig iſt. Wollte der Him - mel, ſo wohl um der Fraͤulein als um deiner ſelbſt willen, daß du es ein wenig eher aus allen den finſtern und vergeſſenen Winkeln deiner Seele hervorgeſtoͤret haͤtteſt!

Die Fraͤulein iſt noch am Leben, und gelaſſen und geruhig, und hat alle ihre edle Verſtands - kraͤfte in gehoͤriger Klarheit und Staͤrke: aber dem ungeachtet wird das Neunzehn ſie doch nicht retten. Sie ſagt, ſie will ſich itzo an den gottſe - ligen Uebungen in ihrem Cloſet und den Beſu -chen291chen des Pfarrers von dem Kirchſpiel begnuͤgen laſſen, und es nicht wagen, auszugehen. Sie wird auch wohl, in der That, wie ich beſorge, nie - mals wieder eine Treppe auf oder nieder ſteigen.

Es kraͤnkt mich bis in die Seele, daß ich dieß ſagen muß: allein es wuͤrde eine Thorheit ſeyn, dir mit falſcher Hoffnung zu ſchmeicheln.

Was deinen Beſuch bey ihr betrifft: ſo glau - be ich, daß der geringſte Wink von der Art, den ſie bekommen koͤnnte, itzo einige Stunden von ih - rem Leben abſchneiden wuͤrde.

Was zu ihrer Beruhigung etwas beygetra - gen, das ſcheint, iſt dieſes, daß ſie ſich die War - nung, welche ihr ihre Ohnmachten gegeben haben, zu Nutze gemacht, und deswegen ihren letzten Willen zu Ende gebracht, unterzeichnet und be - ſiegelt hat. Das hatte ſie bisher aufgeſchoben, in der Hoffnung, wie ſie ſagte, einige gute Zeitun - gen von Harlowe-Burg zu bekommen: welches die Veraͤnderung einiger Stellen in demſelben ver - anlaſſet haben wuͤrde.

Der Brief von der Fraͤulein Howe ward ihr nicht eher, als geſtern, Nachmittags um vier, uͤber - geben: zu welcher Zeit der Bothe wiederkam ei - ne Antwort abzuholen. Sie ließ ihn in den Speiſeſaal vor ſich kommen, ſo ſchlecht ſie ſich auch befand; und wuͤrde gern ein paar Zeilen, nach dem Verlangen der Fraͤulein Howe, geſchrie - ben haben: weil ſie aber nicht im Stande war, eine Feder zu halten; ſo trug ſie dem Bothen auf, ihr zu melden, daß ſie hoffete, ſie wuͤrde ſichT 2gut292gut genug befinden, mit der Poſt des naͤchſtfolgen - den Tages einen langen Brief an ſie zu ſchreiben, und ihn itzo nicht aufhalten wollte.

Jch habe eben itzo angefragt und die Fraͤulein beſchaͤfftigt gefunden, an Fraͤulein Howe zu ſchreiben. Sie bezeigte mir eine traurige Hoͤf - lichkeit durch die Entſchuldigung, daß ſie mir den Brief von der Fraͤulein Howe nicht zeigte, weil ich ihn und alle ihre Papiere bald vor mir haben ſollte. Sie erzaͤhlte mir aber, daß die Fraͤulein Howe mit vieler Bedaͤchtlichkeit bey dem Obriſt Morden verſchiedenen Dingen, die zu Misver - ſtaͤndniſſen zwiſchen ihm und mir Anlaß moͤchten gegeben haben, vorgebauet, und auch einige von euren Handlungen, um des Friedens willen, beſ - ſer ausgedeutet haͤtte, als ſie es verdienten.

Sie ſetzte hinzu, ihr Vetter Morden naͤhme ſich ihrer bey ihren Freunden mit großem Ernſt an: und eine gute Neuigkeit enthielte der Brief von der Fraͤulein Howe, daß ihr Vater einige Dinge aufgeben wollte, welche ihr von Rechtswe - gen zukaͤmen, und alſo meine Vollziehung ihres letzten Willens in einigen Stuͤcken, die ihr ein we - nig Sorge gemacht haͤtten, erleichtern wuͤrden.

Sie geſtand, daß ſie bey dem Briefe, den ſie ſchrieb, vor Schwachheit abzubrechen genoͤthigt worden waͤre.

Wilhelm293

Wilhelm ſagt, er werde noch heute Abend bey euch eintreffen. Jch werde morgen hinſchicken, und wo ich ſie nicht verſchlimmert finde, ſo will ich nach Edgware reiten, und des Nachmittags wie - der zuruͤckkommen.

Der ſechs und dreyßigſte Brief von der Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Meine wertheſte Freundinn.

Jch bin endlich einmal wieder zur Stelle ge - kommen; und war willens, Jhnen in Lon - don meine Aufwartung zu machen: allein meine Mutter iſt ſehr krank Ach! meine liebe Freundinn, ſie iſt in der That ſehr krank Und Sie befinden ſich ebenfalls ſehr ſchlecht Das ſehe ich aus Jhrem Schreiben vom 25ten Was ſoll ich thun, wo ich zwo ſo nahe, und wer - the, und zaͤrtliche Freundinnen verliere? Sie ward geſtern bey unſerer letzten Station auf un - ſerm Ruͤckwege nach Hauſe befallen und hat eine heftige Uebelkeit und Fieber. Die Aerzte ſind ihretwegen zweifelhaft.

T 3Wenn294

Wenn ſie ſterben ſollte: wie wird mir alle meine muthwillige Hitze gegen ſie vor Augen ſte - hen! Warum, warum habe ich ihr doch je - mals Unruhe gemacht? Sie ſagt, ich ſey voll - kommen gut und gehorſam geweſen! Sie vergißt aus Guͤtigkeit alle meine Fehler und erin - nert ſich einer jeden Sache, worinn ich ſo gluͤcklich geweſen bin, ihr gefaͤllig zu werden. Dieß geht mir durchs Herz.

Jch ſehe, ich ſehe, meine Wertheſte, Sie be - finden ſich ſehr uͤbel Und ich kann es nicht ertragen. Werden Sie beſſer, meine geliebte Fraͤulein Harlowe, wo ſie beſſer werden koͤnnen: werden Sie um meinetwillen beſſer, und ge - ben mir davon Nachricht. Laſſen Sie ja den Ueberbringer des Gegenwaͤrtigen mir eine Zeile zu - ruͤckbringen. Gewiß Sie ſenden mir eine Zeile. Wo ich Sie verliere, die Sie mir mehr, als eine Schweſter ſind, und meine Mutter verliere: ſo werde ich ein Mistrauen in mich ſelbſt ſetzen, mich gehoͤrig zu verhalten, und will nicht heyrathen. Und warum ſollte ich es auch thun? Man kriechet, man ſchmieget und bieget ſich mit liebko - ſender Hoͤflichkeit: O meine Wertheſte, die Mannsperſonen ſind eine ſchaͤndliche Bruth von kriechenden Thieren, ſo lange wir noch frey ſind, und bloße Baͤren, ſo bald ſie uns in ih - rer Gewalt haben. Sehen Sie an Lovelacen alles, was man ſich wuͤnſchen moͤchte, von Geſtalt, von Geburt, von Gluͤcksguͤtern: aber in ſeinem Herzen einen Teufel! Sehen Sie an Hick -mannen295mannen Jn Wahrheit, liebſte Freundinn, ich kann nicht ſagen, was gewiſſe Leute an Hick - mannen ſehen koͤnnen, weswegen ſie allezeit Lob - reden auf ihn halten, und ihn anpreiſen. Und iſt es wohl zu vermuthen, daß ich, die kaum von einer Mutter Einrede leiden konnte, ſie von ei - nem Manne annehmen ſollte? Noch dazu von einem, der weder mehr Witz, noch mehr Ver - ſtand hat, als ich ſelbſt? Der dennoch mein Fuͤh - rer ſeyn ſoll! Das wird er gewiß ſeyn, ver - muthe ich: aber mehr durch die Uebermuth ſeines Willens, als durch den Vorzug ſeines Rathes. Es iſt vergebens, daran zu gedenken Jch kann keine Frau von irgend einem Manne ſeyn, den ich bis itzo kenne. Dieß beruͤhre ich itzt um ſo viel mehr: weil ich weiß, daß ſie bey der Lebensgefahr meiner Mutter deſto eher in mich dringen werden, mich in eine andere Art des Schu - tzes zu begeben, wenn ich ihrer beraubt werden ſollte. Jedoch nicht mehr von dieſer Sache, oder, daß ich mich recht ausdruͤcke, von irgend einer andern: denn ich werde genoͤthigt bey meiner Mutter zu ſeyn, welche mich nicht aus den Augen laſſen kann.

Meine Mutter hat, Gott Lob! eine gute Nacht gehabt und befindet ſich viel beſſer. Jhr Fieber hat nach der Arzney nachgelaſſen. Alſo kann ich nun noch einmal frey und geruhig an Sie ſchreiben, in Hoffnung, daß es mit JhnenT 4auch296auch beſſer ſey. Jſt hierinn mein Gebeth erhoͤ - ret: ſo werde ich wieder gluͤcklich ſeyn. Jch ſchreibe noch mit deſto groͤßerer Munterkeit: da mir eine bequeme Gelegenheit gegeben iſt, eine Sache zu beruͤhren, welche Sie nahe angehet.

Wiſſen Sie dann, liebſte Freundinn, daß Jhr Herr Vetter Morden hier bey mir geweſen iſt. Er erzaͤhlte mir von einer Zuſammenkunft, die er am Montage bey dem Lord M. mit Lovelacen ge - habt hatte, und that ſehr viele Fragen an mich, welche Sie und den ſchaͤndlichen Kerl betrafen.

Jch haͤtte ein ſchoͤnes Feuer unter dieſem und ihm anblaſen koͤnnen: wenn ich gewollt haͤtte. Weil ich aber bemerkte, daß er ein ſehr hitziger Mann iſt; und glaubte, daß Sie elend daran ſeyn wuͤrden, wenn ihm aus einem Streit mit einem Menſchen, der dafuͤr bekannt iſt, daß er ſo viele Vortheile im Degen vor andern voraus hat, et - was zuſtoſſen ſollte: ſo ſtellte ich die Dinge, wo - von wir redeten, nicht auf das aͤrgſte vor. Je - doch da ich zu ſeinem Behuf gleichwohl nicht die Unwahrheit reden konnte: ſo muͤſſen Sie noth - wendig gedenken, daß ich genug ſagte, ihn zum Fluchen wider den nichtswuͤrdigen Boͤſewicht zu reizen.

Jch finde nicht, ſo viele Achtung ſie auch alle gegen den Obriſt Morden zu bezeigen pflegten, daß er genug bey ihnen gilt, ſie zu einem Ver - gleich zur Ausſoͤhnung zu bringen.

Was koͤnnen ſie darunter ſuchen! Allein Jhr Bruder iſt zu Hauſe gekommen: und ſo iſtdie297die Ehre des Hauſes das Anſehen der Fa - milie das einzige, woruͤber man ſchreyet.

Der Obriſt iſt ausnehmend uͤbel mit ihnen al - len zufrieden. Jnzwiſchen hat er doch bisher Jhren ungeſtuͤmen Bruder, wie es ſcheint, noch nicht geſehen. Jch meldete ihm, wie ſchlecht Sie ſich befaͤnden, und eroͤffnete ihm eines und das andere von dem Jnhalt Jhres Briefes. Er bewunderte Sie, fluchte auf Lovelacen, und tobte wider Jhre ganze Familie Er erklaͤr - te ſich, daß ſie alle Jhrer unwuͤrdig waͤren.

Auf ſein ernſtliches Erſuchen, erlaubte ich ihm, einige kurze Verzeichniſſe von ſolchen Stuͤ - cken des Jnhalts Jhres Briefes zu machen, wel - che ich ihm nach meiner Meynung vorleſen konn - te: und ſonderlich von Jhrem traurigen Be - ſchluſſe(*)Man ſehe das letzte von dem XVII. Briefe, das vor dreyen geſchrieben iſt..

Er ſagt, daß keiner von Jhren Freunden Sie fuͤr ſo krank halte, als Sie ſind, und auch keiner es glauben wolle Er iſt verſichert, daß Sie von ihnen allen, und zwar auch herzlich, ge - liebet werden.

Jſt dieß wahr: ſo wird ihre itzige Unbarm - herzigkeit ihnen zu immerwaͤhrenden Gewiſſens - biſſen Anlaß geben: wann Sie von uns genom - men werden ſollten. Nun aber ſcheint es; un - menſchliche und nichtswuͤrdige Leute! daß SieT 5noch298noch in dem letzten Daumenbreit von Jh - rem Leben leiden ſollen!

Er fragte mich nach verſchiednen Dingen in Anſehung des Herrn Belfords: und da er das, was ich von dieſem Cavallier zu ſagen wußte, und ſeine uneigennuͤtzige Dienſte bey Jhnen gehoͤret hatte; ſchalt er auf einige ſchaͤndliche Muthmaſ - ſungen, die durch den dienſtfertigen Schulfuchs, Brand, wider Sie ausgeſtreuet waͤren. Dieſer wuͤrde, wie ich beſinde, zwiſchen Jhrem Vetter und Lovelacen ſchlecht davon kommen: wenn ihm ſein Prieſterrock nicht zum Schutze diente.

Er war Jhretwegen ſelbſt ſo unruhig, daß er am Donnerſtage, dem 24ten, einen ehrlichen und ernſthaften Mann(*)Man ſehe den VIIIten Brief nicht weit vom Anfange., einen gewiſſen Alſton, einen rechtſchaffenen Pachter hinaufſchickte, ſich nach Jhrem Zuſtande, nach den Perſonen, welche bey Jhnen Beſuch ablegten u. ſ. w. zu erkundigen. Dieſer brachte ihm die Nachricht, daß Sie ſehr krank, und in großem Bedruck wegen Jhres Aus - kommens waͤren. Weil dieß aber demſelben von der Wirthinn in dem Hauſe, wo Sie wohnen, er - zaͤhlet, und, wie es ſcheint, mit einigen ſcharfen, ob gleich verdienten, Anmerkungen uͤber die Grauſam - keit Jhrer Verwandten vermiſchet war: ſo fand es bey ihnen keinen Glauben. Jch hoffe auch ſelbſt, daß es nicht wahr ſeyn koͤnne. Denn Sie haben gewiß nicht ſo ungerecht, will ich ſagen,gegen299gegen meine Freundſchaft ſeyn koͤnnen, daß Sie aus Mangel an Gelde irgend einige Unbequem - lichkeiten haͤtten leiden ſollen. Jch denke, ich koͤnnte es Jhnen nicht vergeben: wenn es ſo waͤre.

Der Obriſt, als einer von denen, die den letz - ten Willen Jhres Großvaters zu vollziehen haben, iſt entſchloſſen, Sie in den Beſitz Jhres Gutes geſetzt zu ſehen. Jmmittelſt hat er Jhre Ange - hoͤrigen ſchon wirklich gewonnen, Jhm die Ein - kuͤnfte davon, welche ſeit dem Tode Jhres Groß - vaters angewachſen ſind, eine ſehr betraͤchtliche Summe, fuͤr Sie zu uͤberliefern, und iſt willens, Jhnen damit aufzuwarten. Aus einer Nach - richt aber, die er ſich beylaͤufig entfallen ließ, fin - de ich, daß Sie die niedrige Gemuͤthsart einiger Leute in ihrer Hoffnung betrogen, indem Sie nicht um Geld und Zuſchub an dieſelben geſchrieben: da ſich dieſe vorgenommen hatten, Sie auf das Aeußerſte zu treiben und Jhnen Trotz zu bieten.

Das ſieht allem uͤbrigen Verfahren aͤhnlich! Jch hoffe, daß ich das, ohne Sie zu beleidigen, ſagen koͤnne.

Jhr Vetter ſteht in den Gedanken, daß jene, ehe eine Ausſoͤhnung ſtatt findet, darauf dringen werden, daß Sie uͤber das Gut ein ſolches Teſta - ment machen ſollen, als ihnen gefaͤllig ſeyn wird. Allein er erklaͤret ſich, daß er nicht eher aus Eng - land gehen wolle, als bis er von jedermann Jh - nen Gerechtigkeit geleiſtet geſehen. Er verſi -chert,300chert, daß Jhnen weder von Freunden, noch Fein - den Unrecht geſchehen ſoll

Von Verwandten oder Feinden: haͤtte er nicht ſo ſagen ſollen? Denn ein Freund wird dem andern nicht Unrecht thun.

Auf die Art, meine Wertheſte, muͤßten Sie den Frieden fuͤr ſich erkaufen: wenn gewiſſe Leu - te ihren Willen haben ſollten!

Jhr Vetter; nicht ich, liebſte Freundinn, ob es gleich allezeit meine Meynung geweſen iſt(*)Man ſehe den I Th. S. 91.; ſaget, daß die ganze Familie zu reich ſey, entweder demuͤthig und bedaͤchtlich, oder zufrieden zu ſeyn. Was ihn anbetreffe, ſagt er: ſo habe er ein großes Vermoͤgen, und gedenke es Jhnen ganz zu ver - machen.

Haͤtte dieſer Boͤſewicht Lovelace nur ſeine zeit - lichen Vortheile in Betrachtung gezogen: was fuͤr eine anſehnlichreiche Partey wuͤrde er an Jhnen gehabt haben; wenn auch Jhre Vermaͤhlung mit ihm Sie des Antheils an Jhren natuͤrlichen Guͤ - tern beraubet haͤtte.

Jch werde genoͤthigt, hier abzubrechen. Aber weil ich noch ein gutes Theil zu ſchreiben habe, und es ſich mit meiner Mutter gebeſſert hat: ſo will ich von der Sache in einem andern Briefe weiter ſchreiben; wenn ich ſchon beyde zugleich ſende. Jch darf nicht ſagen, wie ſehr ich ſey und allezeit ſeyn werde

Jhre ergebene ꝛc. Anna Howe.

Der301

Der ſieben und dreyßigſte Brief von der Fraͤulein Howe an die Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Der Obriſt fand einmal fuͤr gut, zum Lobe der Großmuth Lovelacens zu ſagen, daß er, wie ein rechtſchaffener Mann, der auf Eh - re hielte, thun muͤßte, alle Schuld auf ſich naͤh - me, und Sie von den Folgen des uͤbereilten Schrit - tes, den Sie gethan haͤtten, losſpraͤche: da er, weil Sie ihn liebten, wie er ſagte, und in ſeiner Ge - walt waren, nothwendig Vortheile uͤber Sie ge - habt haben muͤßte, die er nicht gehabt haben wuͤrde, wenn Sie in Jhres Vaters, oder irgend eines Freundes Hauſe geblieben waͤren.

Maͤchtig großmuͤthig, verſetzte ich; wenn auch alles ſo waͤre, wie er annaͤhme; an ſolchen unverſchaͤmten Sittenrichtern, ſelbſt an den beſten unter ihnen, daß ſie das Anſehen haben wollten, den guten Namen anderer von Schandflecken zu ſaͤubern, der doch niemals befleckt waͤre, wenn er nicht in ihre ſchmutzige Bekanntſchaft ge - fallen! Allein in dem gegenwaͤrtigen Falle, fuͤgte ich hinzu, brauchte man nichts, als die genaueſte Wahrheit, um zu beweiſen, daß Lovelace derScheus -302Scheuslichſte unter allen Boͤſewichtern, Sie die Unbefleckteſte unter allen Unſchuldigen waͤren.

Dieß ergriff er, und ſchwur, wenn er finden koͤnnte, daß irgend etwas außerordentliches oder grauſames in der Verfuͤhrung waͤre, wie aller - dings einer von ihren Briefen zu verrathen ge - ſchienen haͤtte; das heißt, meine Wertheſte, wenn etwas aͤrgers dabey waͤre, als Meineid, Treulo - ſigkeit und Misbrauch eines edelmuͤthigen Ver - trauens! Die jaͤmmerlichen Leute! ſo wollte er ſeine Baſe bis auf das aͤußerſte raͤchen.

Jch ſtellte Jhre Furcht, die Sie eben davor haͤtten, aus ihrem letzten Briefe an mich nach - druͤcklich vor. Allein er ſchien im Stande zu ſeyn, dasjenige, was nach meiner Ueberzeugung wahre und erhabene Großmuth iſt, in einem unanſtaͤndi - gen Sinne zu nehmen. Denn er gedachte un - mittelbar darauf der Erwartung, in welcher Jhre Freunde ſtuͤnden, daß Sie, ehe noch eine Ausſoͤh - nung mit ihnen vorginge, vor Gericht gegen den ſchaͤndlichen Kerl erſcheinen ſollten wofern Sie es mit ſo vielem Vortheil fuͤr ſich ſelbſt thun koͤnnten, als ich zu verſtehen gaͤbe.

Und in Wahrheit, wenn ich ihn haͤtte hoͤren wollen, ſo war die Zaͤrtlichkeit des Gemuͤths bey ihm geringe genug, daß er ſich in die eigentliche Beſchaffenheit des Beweiſes, von dem Verbre - chen, uͤber welches ſie Lovelacen gerichtlich belan - get wiſſen wollten, eingelaſſen haͤtte: und dennoch iſt dieß ein Cavallier, der ſich durch Reiſen und Gelehrſamkeit verbeſſert hat! Auf meinWort,303Wort, meine Wertheſte, da ich des feinſten und zaͤrtlichſten Umgangs allezeit gewohnt geweſen bin, ſeit dem ich die Ehre gehabt habe, Sie zu ken - nen, ſo iſt mir dieß Geſchlecht von dem Edelman - ne bis auf den Bauren veraͤchtlich.

Ueberhaupt finde ich, daß Herr Morden in beſondern Faͤllen eine ſehr geringe Meynung von der Frauenzimmer Tugend hat: weswegen ich ihn, ob er gleich Jhr Guͤnſtling iſt, fuͤr einen er - klaͤre, der kein Recht hat, den erſten Stein zu werfen.

Jch habe niemals eine Mannsperſon gekannt, die verdiente, daß man von ihr wegen ihrer ſitt - lichen Grundſaͤtze eine gute Meynung hegte, wel - che von der Tugend unſers Geſchlechts uͤberhaupt geringe Gedanken gehabt haͤtte. Denn wo, we - gen des Unterſchieds des Temperaments und der Erziehung, die Sittſamkeit, Keuſchheit und Gottſeligkeit, ja die letztern auch nach guten Grund - ſaͤtzen, in unſerm Geſchlechte nicht vorzuͤglich vor dem andern gefunden werden: ſo moͤchte ich es fuͤr ein Zeichen anſehen, daß die Natur in unſerm Geſchlechte viel aͤrger waͤre.

Er ließ ſich ſo gar verlauten, jedoch freylich nur als etwas, das von Jhren Verwandten kaͤme, daß es unmoͤglich ſey, daß ſich da, wo viele Liebe iſt, nicht auch einiges Wollen finden ſollte. Der - gleichen Urtheile ſind ſchon hinreichend ein Frau - enzimmer, dem ihre eigne Ehre und die Ehre ih - res Geſchlechts am Herzen liegt, dahin zu bringen, daß ſie in ſich gehet, und bedenket, was ſie thut,wenn304wenn ſie ſich mit dieſen elenden Geſchoͤpfen in ei - ne Vertraulichkeit einlaͤßt: indem offenbar iſt, daß, wenn ſie ſich jemals in die Gewalt einer Manns - perſon begiebt, und um deſſelben willen ihre Eltern oder Aufſehern verlaͤßt, jedermann es mehr ihrem Gluͤcke, als ihrer Klugheit, zuſchreiben werde, wo es mit ihrer Tugend nicht ein Ende hat. Die Mannsperſon mag auch noch ſo boͤſe und betruͤge - riſch mit ihr verfahren: ſie muß doch einen Theil ſeiner ſtrafbaren Bosheit auf ſich nehmen.

Jch ſchreibe, wie es ſich uͤberhaupt und ge - meiniglich verhaͤlt. Von Jhnen, wertheſte Freundinn, iſt hiebey gar nicht die Frage. Jhre Geſchichte wird, wie ich ſchon ſonſt geſagt habe, ſo wohl zu einer Warnung, als zu einem Vorbilde, dienen(*)Man ſehe den IV. Theil, S. 31.. Denn wer wird wohl nicht ſchließen: Wenn eine Perſon von Jhrem Vermoͤgen, von Jhrer Gemuͤthsart und von Jhren Verdienſten, dem Verderben nicht entgehen konnte, nachdem ſie ſich in die Gewalt ihres Raubthieres, ihrer Hyene, begeben hatte; was kann denn ein unbe - dachtſames, verliebtes, fluͤchtiges Frauenzimmer erwarten?

Eine jede Mannsperſon, wird man ſagen, iſt kein Lovelace Das iſt wahr: aber denn iſt auch nicht ein jedes Frauenzimmer eine Clariſſa Man mache fuͤr den einen und die andere ei - ne Ausnahme: ſo muß das Beyſpiel einen allge - meinen Nutzen haben.

Jch305

Jch bereitete dieſen Cavallier zum voraus dazu, daß er Jhre Entſchließung, dem Herrn Belford ein Amt aufzutragen, welches weder er noch ſonſt jemand, nach unſerer Hoffnung, in vie - len, ſehr vielen Jahren zu verwalten Gelegenheit haben wird, erwarten moͤchte. Er ward anfangs ſtutzig daruͤber. Als er aber Jhre Gruͤnde hoͤrte, die mir Gnuͤge gethan hatten: ſo ſagte er nur daß eine ſolche Verordnung ſeine andern Vettern ſehr ſchmerzen wuͤrde, wenn ſie ſtatt finden ſollte.

Er erzaͤhlte mir, daß er eine Abſchrift von Lo - velacens Briefe haͤtte, in welchem er Sie um Ver - zeihung erſuchte, und ſich alle Buße auszuſtehen erboͤte(*)Man ſehe den VI Theil, S. 712.: auch eine Abſchrift von Jhrer Ant - wort darauf(**)Man ſehe den VI Theil, S. 733..

Jch befinde, daß er noch geneigt iſt, zu hof - fen, es koͤnne eine Heyrath zwiſchen Jhnen ſtatt haben: und dieſes, ſagt er, wuͤrde alle Spaltun - gen heilen.

Jch wurde viel mehr geſchrieben haben; ſonderlich von den folgenden Umſtaͤnden: Von des nichtswuͤrdigen Kerls Verfolgung, wodurch er Sie aus Jhrer Wohnung verjaget; von Jh - rer Anverwandten wunderlicher Unverſoͤhnlich - keit Jch bin eilfertig und kann itzo eben auf kein anderes Wort denken, das Jhnen beſſer gefallen wuͤrde ; von Jhrem letzten Briefe an Herrn Lovelacen, wodurch Sie ihn abzuhaltenSiebenter Theil. Uſuchen,306ſuchen, daß er Sie nicht verfolge; von der Buß - unterredung Jhrer Tante Hervey mit der Fr. Norton; von der wieder erneuerten Bewerbung des Herrn Wyerley; von Jhren guten Lehren zu Hickmanns Vortheil, die ſo vielen Beyfall ver - dienen, wenn der Mann nur mehr verdiente, als er wirklich verdienet Jn der That bin ich eben itzo mit ihm unzufrieden, und bin es ſchon ſeit zween Tagen geweſen; von dem Wan - derungsvorſchlage Jhrer Schweſter; und von zwanzig und abermal zwanzig andern Dingen: allein ich werde genoͤthigt, abzubrechen, um meinen beyden Baſen Spilsworth, und meiner Baſe Herbert aufzuwarten, die wegen der Unpaͤß - lichkeit meiner Mutter einen Beſuch bey uns ab - zulegen gekommen ſind. Jch will daher dieſe Briefſchaften durch Rogers abſenden: und wo meine Mutter bald geſund wird, wie ich hoffe; ſo habe ich mir vorgenommen, Sie zu London zu ſehen, und Jhnen alles, was ich itzo auf dem Her - zen habe, zu ſagen; inſonderheit aber, wenn ich zugleich meine Seele mit der Jhrigen vereinige, wie ſehr ich ſey und beſtaͤndig ſeyn werde, meine liebſte werthe Freundinn,

Jhre ergebene Anna Howe.

Laſſen Sie Rogers ja eine Zeile bringen, ich bitte Sie. Jch gedachte ihn dieſen Nachmittag weg - zuſchicken: er kann aber nicht eher als morgen ganz fruͤhe von Hauſe kommen. Jch kann nicht ausſprechen, wie ſehr mich Jhre wan - kelhafte Zeilen und Jhr Beſchluß ſchmerzen!
32
Der307

Der acht und dreyßigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Robert Lovelace.

Jch wundere mich nicht uͤber die Ungedult, welche Jhr, nach der Ausſage eures Be - dienten, bezeiget, Nachricht von mir zu haben. Jch war willens, euch einen langen Brief zu ſchrei - ben, und war zu dem Ende eben von Smithen gekommen: weil ihr aber ſo dringet, ſo muͤßt ihr mit einem kurzen zufrieden ſeyn.

Jch machte der Fraͤulein heute fruͤhe, kurz vorher ehe ich mich nach Edgware auf den Weg begab, meine Aufwartung. Sie hatte ſich geſtern Abends ſo uͤbel befunden, daß ſie genoͤthigt wor - den war, ihren Brief an die Fraͤulein Howe un - geendigt zu laſſen: allein dieſen Morgen fruͤhe hatte ſie ihn zu Ende gebracht, und als ich kam, eben zugeſiegelt. Sie war ſo muͤde von dem Schreiben, daß ſie mir ſagte, ſie wollte ſich nieder - legen, wenn ich weg waͤre, und ihre Lebensgeiſter wieder zu erſetzen ſuchen.

Sie hatten nach dem Hrn. Goddard geſchickt, als ſie ſich geſtern Abends ſo uͤbel befand: und weil ſie nicht im Stande war, ihn außer ihrer Kammer zu ſprechen; ſo ſahe er zum erſten malU 2ihr308ihr Haus, wie ſie es nennt. Er ward aͤußerſt beſtuͤrzt und bekuͤmmert daruͤber, und verwies es der Fr. Smithinn und Fr. Lovick, daß ſie ſie nicht beredet haͤtten, einen ſolchen Gegenſtand aus ih - rer Schlafkammer wegzuthun. Da ſie ſich aber mit dem geringen Anſehen, das ſie, nach aller vernuͤnftigen Vermuthung, bey einem ſo weit uͤber ſie erhabenen Frauenzimmer haben muͤßten, ent - ſchuldigten: ſo redete er mit vieler Hitze wider die - jenigen, welche mehr Anſehen haͤtten, und ſie doch in einer ſo anſtoͤßigen und feyerlichen Grille, wie er es nannte, forthandeln ließen.

Es iſt bey dem Fenſter hingeſtellt, wie ein Clavezimbel: jedoch uͤber und uͤber bis an den Boden bedeckt. Wenn ſie ſich ſo ſchlecht befindet, daß ſie nicht gut zu ihrem Cloſet gehen kann: ſo ſchreibt und lieſet ſie darauf; wie andere auf ei - nem Pult oder Tiſch thun wuͤrden. Jnzwiſchen findet ſie nicht fuͤr gut, irgend jemand in dem Zim - mer zu ſehen: ausgenommen, da ſie geſtern Abends ſo krank war.

Jch reiſete nach Edgware: und als ich Abends wieder zu Hauſe kam; ging ich wieder zu ihr. Sie hatte einen Brief von Fr. Norton empfan - gen; einen langen Brief, wie es nach ſeiner Groͤ - ße ſcheinet; der ihr eben, als ich kam, vorher ge - bracht war. Sie hatte ihn aber nicht erbrochen, und ſagte, ſie ſcheuete ſich, da ſie recht ruhig und in guter Ordnung waͤre, den Jnhalt deſſelben an - zuſehen, damit ſie nicht aus ihrer Faſſung gebracht wuͤrde: indem ſie nunmehr von den lieben un -barm -309barmherzigen Nachbaren dieſer guten Frauen; ſo nannte ſie ihre eigne Verwandten; nichts zu hoͤren vermuthete, was ihr Nutzen ſchaffen, oder Vergnuͤgen machen koͤnnte.

Weil ich ſahe, daß ſie ſo ſchwach und ſchlecht war: ſo ging ich weg. Sie noͤthigte mich auch nicht, zu verziehen: wie ſie ſonſt bisweilen thut, wenn ich eine Bewegung mache, wegzugehen.

Von der Fr. Smithinn wurden mir bey mei - nem Abſchiede einige Winke gegeben, daß ſie die - ſen Abend zu einigen Verrichtungen beſtimmt haͤt - te, welche nach ihrem Hingange, wie ſie ſagte, Un - ruhen zu verhuͤten dienen ſollten. Sie hatte auch ihrer Waͤrterinn, und der Fr. Lovick, und Fr. Smithinn ihren Willen in Anſehung deſſen, was ſie nach ihrem Tode gethan wiſſen wollte, eroͤff - net. Jch glaube, daß es von gar beſonderer und ruͤhrender Beſchaffenheit geweſen: allein Frau Smithinn ließ ſich nicht genau uͤber die eigentli - chen Umſtaͤnde heraus.

Der Arzt ſo wohl, als Herr Goddard waren bey ihr geweſen. Beyde ſuchten einmuͤthig und mit großem Eifer ſie zu bereden, daß ſie ihr Haus von ihren Augen wegthun ließe. Sie verſicherte ſie aber, daß es ihr Vergnuͤgen und Muth mach - te: und da es eine nothwendige Vorbereitung waͤre, ſo wunderte ſie ſich, daß es ihnen fremd vorkommen koͤnnte, zumal ſie nicht eine Seele von ihrer Familie, oder eine alte Bekannte um ſich haͤtte, auf deren Fuͤrſorge und genaue Aufmerk -U 3ſamkeit310ſamkeit ſie ſich in dieſen Kleinigkeiten, wie ſie ſie nannte, verlaſſen moͤchte.

Der Arzt ließ ſich gegen Fr. Smithinn ver - lauten, er glaubte, ſie wuͤrde es noch lange genug halten, daß jemand von ihrer Freundſchaft Nach - richt von ihr haben und zu ihr kommen koͤnnte; aber auch ſchwerlich laͤnger: und weil er nicht merken koͤnnte, daß ſie irgend einige Gewißheit haͤtte, von ihrem Vetter Morden Nachricht zu be - kommen oder ihn zu ſehen; welches ein offenba - res Zeichen waͤre, daß ihre Verwandten noch un - verſoͤhnlich blieben; ſo wollte er zu Hauſe gehen und an ihren Vater ſchreiben, ſie moͤchte es auf - nehmen, wie ſie wollte.

Sie hatte einen großen Theil des Tages in bruͤnſtiger Andacht zugebracht, und morgen fruͤhe wird ſie eben den Geiſtlichen, der oft bey ihr ge - weſen iſt, bey ſich haben, von deſſen Haͤnden ſie das Abendmahl wieder nehmen will.

Du ſiehſt, Lovelace, daß alle Vorbereitung ge - ſchiehet, daß alles fertig ſeyn wird: und ich ſoll mor - gen, Nachmittags, zu ihr kommen, einige Anwei - ſung in Abſicht auf meine Verrichtung bey dem letz - ten Liebesdienſt, der ihr erwieſen werden ſoll, zu be - kommen. So habe ich mich nun nach eurer Unge - dult gerichtet: indem ich die Nachrichten von einer ſeinen Unterredung zwiſchen ihr und Fr. Lovick, welche mir die letztere eroͤffnet hat, und noch von einer andern zwiſchen ihr und dem Arzt und Apo - theker, vorbeylaſſe, da ich ſonſt willens war, ſiedir311dir dieſen Abend mitzutheilen, weil ſie ſehr zu ruͤhren geſchickt ſind.

Jch werde morgen ganz fruͤhe Henrichen mit ih - rem Briefe an die Fraͤulein Howe abſenden: ein Erbieten, welches ſie ſehr guͤtig aufnahm; weil ſie ſich mit aͤußerſter Sorgfalt bemuͤhet, die Furcht, welche dieſe Fraͤulein ihretwegen haben wird, weil ſie mit der Sonnabends Poſt keine Nachricht von ihr bekommen hat, zu ver - mindern. Jedoch, wenn ich die Wahrheit ſchreiben ſoll: wie kann ihre Furcht vermindert werden?

Der neun und dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch ſchreibe, meine geliebte Fraͤulein Howe: ob ich mich gleich noch ſehr ſchlecht befinde. Damals aber, als Jhr Bothe wieder zuruͤckkehr - te, konnte ich es nicht thun: denn ich war zu der Zeit nicht im Stande, eine Feder zu halten.

Die Unpaͤßlichkeit Jhrer Fr. Mutter verur - ſachte mir, nach dem erſten Theil Jhres Briefes, Jhretwegen großen Kummer, bis ich weiter las. Sie beklagen dieſelbe, wie es einer ſo zaͤrtlichen Tochter zuſtehet. Der Himmel mache Sie, nochU 4auf312auf viele, auf ſehr viele, begluͤckte Jahre, durch einander gluͤcklich! Jch zweifle nicht, daß ſelbſt dieſe ploͤtzliche und ſchmerzliche Krankheit, durch die Gemuͤthsfaſſung, worein dieſelbe Sie geſetzet, und durch die Furcht, welche ſie Jhnen eingejaget hat, eine ſo werthe Mutter zu verlieren, zu der Gluͤckſeligkeit, die ich Jhnen wuͤnſche, etwas bey - tragen werde. Denn, liebſte Freundinn, wir wiſſen, leyder! niemals, wie wir die Segensguͤ - ter, die wir genießen, ſchaͤtzen ſollen, bis wir in Gefahr ſtehen, ſie zu verlieren, oder ſie wirklich verlohren haben. Was wuͤrden wir aber als - denn dafuͤr geben, daß ſie uns wieder zu Theil werden moͤchten?

Was, Wunder! iſt wieder zwiſchen Jhnen und Herrn Hickmann vorgefallen? Ob ich es gleich nicht weiß: ſo darf ich doch wohl ſagen, daß ein oder der andere kleine Muthwillen, oder ein und der andere Vortheil, den ſie auf eine halb unedel - muͤthige Art aus ſeiner Gefaͤlligkeit, und beſtaͤn - digen Bemuͤhung um Sie, gezogen haben, daran ſchuld ſey. Wollen Sie denn niemals, meine Wertheſte, wollen Sie, und unſer ganzes Geſchlecht, niemals den guten Eigenſchaften der Maͤßigkeit und Ordnung in der Art zu leben und zu handeln an dem andern Geſchlechte den uͤberwiegenden Vorzug einraͤumen? Muͤſſen kuͤhne Leute und vorwitzige Gemuͤther auf ewig, und bey den be - ſten und weiſeſten von uns ſo wohl, als bey den unbedaͤchtlichſten, diejenigen ſeyn, denen am guͤ - tigſten begegnet wird?

Meine313

Meine lieben Freunde wiſſen nicht, daß ich wirklich ſo lange gelitten habe, bis weniger, als ein Daumenbreit von meinem Leben uͤbrig geweſen iſt.

Der arme Herr Brand! Er hat es gut ge - meynet, glaube ich Mir iſt bange, daß alles ſchwer auf ihn zuruͤckfallen werde, da er vermuth - lich gedacht hat, daß er die beſte Art waͤhlte, ge - faͤllig zu werden. Allein waͤre er auch nicht ſo leicht - glaͤubig, und auf eine ſo ſtrafbare Art dienſtfertig geweſen; ſondern haͤtte einen vortheilhaftern, und, es wuͤrde etwas ſeltſames ſeyn, wenn ich nicht ſa - gen koͤnnte, einen gerechtern Bericht abgeſtatet: ſo wuͤrden die Sachen doch, nichts deſto weniger, vollkommen eben ſo geweſen ſeyn, als ſie ſind.

Jch muß meine Feder niederlegen. Jch be - finde mich ſehr uͤbel. Jch hoffe, mir wird bald beſſer ſeyn. Die ſchlecht geſchriebenen Zeilen wuͤrden mich verrathen: wenn ich gleich willens waͤre, Jhnen zu verbergen, was der Erfolg noth - wendig bald

Nun nehme ich meine bebende Feder wieder. Halten Sie mir meine wankelhafte Schreibart zu gute. Es will nicht anders ſeyn

Mir hat es nicht an Gelde gefehlet: daher zuͤrnen Sie um eine ſolche Kleinigkeit, als das Geld iſt, nicht mit mir. Jnzwiſchen iſt mir das doch lieb, wozu Sie mir Hoffnung machen, daß meine Freunde die Einkuͤnfte aus dem Gut mei -U 5nes314nes Großvaters von der Zeit an, da es in ihren Haͤnden geweſen iſt, hergeben wollen. Denn weil ich wußte, daß ſie mir von Rechtswegen zu - gehoͤrten, und daß ſie dieſelben nicht noͤthig haben koͤnnten: ſo hatte ich ſchon wegen eines guten Theils davon meine Verordnung gemacht, und konnte nur hoffen, daß ſie geneigt ſeyn wuͤrden, auf mei - ne letzte Bitte ſie fahren zu laſſen. Wie reich wer - de ich mich nun in dieſer meiner letzten Station achten! Jedoch habe ich auch vorher keinen Mangel gehabt Nein in der That nicht Denn wie kann man ſagen, daß jemand einen Mangel leidet, der viel Ueberfluͤßiges hat?

Betruͤben Sie ſich nicht, meine wertheſte Freundinn, daß ich es meine letzte Station nen - ne. Denn was heißt ſelbſt das lange Leben, wor - auf bey guter Geſundheit unſere Wuͤnſche gehen? Was anders, als in dem ganzen Verlauf ein Le - ben voller Furcht, bisweilen fuͤr unſere Freunde, noch oͤfterer fuͤr uns ſelbſt? Zuletzt aber, wenn wir zu dem hohen Alter, das wir begierig wuͤnſchen, ge - kommen ſind; nachdem ein ſchwerer Verluſt dem andern, eine ſchmerzliche Beraubung der andern gefolget iſt: ſehen wir uns von allen und jeden, die wir liebten, ſo zu ſagen entbloͤßet, und finden uns, als ungeſellige elende Geſchoͤpfe, der Gering - ſchaͤtzung, der Verachtung uͤbermuͤthig ſpielender Jugend ausgeſetzet, die uns gern von dem Poſten ſtoßen moͤchte, in Hoffnung das, was wir haben, zu beſitzen Und zu dem allen kommen noch unſere eigne Schwachheiten, die taͤglich zunehmen. Dieſe315Dieſe ſind ſchon allein genug, uns das Leben, wel - ches wir wuͤnſchten, zu der groͤßten Laſt unter al - len zu machen. Beſinnen Sie ſich nicht auf die Zeilen von Howard, die Sie mir einmal in meiner Sommerlaube vorlaſen(*)Die Zeilen, worauf ſich die Fraͤulein beruft, ſind folgende:Vom Tode ſind wir erſt zum Leben eingegangen: Durch dieſes wiederum dahin zuruͤckgelangen, Jſt nichts, als eben das. Wir muͤſſen ſchaam - roth ſtehn, Wenn wir da die Gewalt der Leidenſchaften ſehn, Wo uns Gewißheit nicht, wo uns Vernunft nicht ziehet, Ja wo die Tugend ſelbſt vergebens ſich bemuͤhet. Die Ehre, leeres Wort! hat es ſo weit gebracht, Daß ſie die Todesfurcht bey uns geringe macht. Die Liebe laͤſſet ſich nie durch Verachtung quaͤlen: Sie ſuchet bald den Tod zur Zuflucht zu erwaͤhlen. Und ein geſchaͤrfter Schmerz bey Noth und Ungemach, Sieht ſehnſuchtsvoll herum und jagt dem Tode nach. Die Hoffnung aber ſiegt und kann uns ſiegreich lenken, An Tod, an Nacht und Grab nicht weiter zu gedenken: Und das Verhaͤngniß iſt dem Thoren zum Betrug,Dem?

Bey316

Bey meiner Verordnung wegen desjenigen, was mir zugehoͤrt, habe ich mich bemuͤhet, alles auf die gerechteſte und beſte Art, die ich erdenken konnte, zu machen: indem ich mich ſelbſt an mei - ner Verwandten Stelle geſetzt, und in den wich - tigſten Stuͤcken meine Sachen ſo eingerichtet ha - be, als wenn kein Misverſtaͤndniß vorgefallen waͤre.

Jch hoffe, ſie werden an einige Vermaͤchtniſſe, wo ſie noͤthig geweſen ſind, und wo meine Dank - barkeit dieſelbe erfordert hat, nicht viel gedenken. Sollten ſie es aber thun: ſo iſt einmal geſchehen, was geſchehen iſt; und ich kann es nunmehr nicht aͤndern. Jedoch muß ich es noch einmal ſagen, ich hoffe, ich hoffe, daß ich es einem jeden von ihnenzu(*)Dem Ungluͤckſeligen zur Schmeichelung genug. Wir fuͤrchten den Verluſt von dem, was doch nicht waͤhret, Was eine kurze Zeit gewiß fuͤr ſich verzehret: Bis uns das Leben ſelbſt durch ſeine Maͤngel ſchreckt, Zu einer Krankheit wird und uns Verdruß er - weckt. Jndem wir darum flehn, daß wir noch laͤnger leben: So bitten wir um nichts als ein hinfaͤllig Schweben; Um nichts, als um die Quaal, mit ausgedehnter Pein Auf eine lange Zeit in Todesnoth zu ſeyn. 317zu Dank gemachet habe. Denn ich wuͤrde es kei - nesweges gerne ſehen, wenn man gedaͤchte, daß bey meiner letzten Verordnung irgend etwas einer Tochter, einer Schweſter oder einer Baſe unan - ſtaͤndiges in einem Gemuͤthe, welches, wie ich mich unterſtehe zu ſagen, der Wahrheit nach ſo frey von allem Unwillen iſt, daß es itzo von Dankbarkeit fuͤr das Gute, das ich empfangen habe, uͤberfließet, ob es gleich nicht alles iſt, was mein Herz zu em - pfangen gewuͤnſchet hat. Waͤre es auch eine Haͤrte, daß mir nicht mehr zugeſtanden iſt: was iſt es denn wohl anders, als eine Haͤrte von einem halben Jahre, die gegen die liebreichſte Guͤte von achtzehn und einem halben Jahre, welche je - mahls einer Tochter bewieſen iſt, gehalten werden muß?

Mein Vetter, melden Sie mir, glaubet, daß ich nicht auf meiner Huth geweſen, und bey einem oder dem andern Vortheil, den ich uͤber mich eingeraͤumet haͤtte, gefangen ſey. Jn Wahrheit, meine liebe Freundinn, das iſt nicht geſchehen. Jn Wahrheit, ich habe keine Vortheile uͤber mich ein - geraͤumet. Jch hoffe, daß man dieſes dereinſt ſehen werde: wo mir die Gerechtigkeit widerfaͤh - ret, von welcher mir Herr Belford Verſicherung giebet.

Jch ſollte hoffen, daß mein Vetter ſich nicht die Freyheiten genommen habe, derer Sie ihn, bey einer nicht ungegruͤndeten Anmerkung zu be - ſchuldigen ſcheinen. Denn es iſt ſeltſam zu ge - denken, daß das maͤnnliche Geſchlecht uͤberhauptſolche318ſolche Laſter fuͤr ſo geringe halten koͤnnte, die ſie mit Recht fuͤr ſo unverzeichlich anſehen, wenn ſie an ihren naͤheſten Verwandten unſeres Geſchlechtes veruͤbet werden: da ſie dieſelben doch nicht begehen koͤnnen, ohne andere Familien und Per - ſonen mit ſolcher Beleidigung zu kraͤnken, die ſie ſich bis auf den Tod zu raͤchen verbunden achten, ſo bald ſie ihren eignen Familien widerfaͤhret.

Allein wir Frauenzimmer verdienen nur allzu oft in dieſem Stuͤcke getadelt zu werden: indem auch die Tugendhafteſten unter uns ſelten die Tu - gend zum Grunde ihres Wohlgefallens an dem andern Geſchlechte machen; ſo daß eine Manns - perſon ſich ſo gar vor den Augen unſtreitig tugend - hafter Frauenzimmer mit dieſer Art der Bosheit ruͤhmen mag, ohne deswegen verworfen zu werden. Daher kommt es, daß ein Freund der ſo genann - ten freyen Lebensart es ſelten fuͤr ſich noͤthig ach - tet, nur einmal den aͤußerlichen Wohlſtand zu be - obachten: und wie vieles muß unſer Geſchlecht nicht durch die Meynungen, welche ſie desfalls von uns hegen, in eben dieſer Betrachtung leiden? Ja, was habe ich, mehr als viele andere, in den Augen der Welt, in eben dem Stuͤcke, zu verant - worten?

Moͤchte doch meine Geſchichte allen zu einer Warnung dienen, wie ſie einen Freydenker in der Lebensart einem Manne, der auf wahre Ehre haͤlt, vorziehen, und wie ſie ſich ſelbſt durch die ſchein - bare, aber doch thoͤrichte, Hoffnung, eingewurzel - te Gewohnheiten zu unterdruͤcken, und, ſo zu ſagen,die319die Naturen zu aͤndern, verleiten laſſen, wo ſie die beſte Abſicht haben! Eine um ſo viel thoͤ - richtere Hoffnung, da uns die Erfahrung uͤberzeu - gen kann, daß ſo gar bey ziemlich gluͤcklichen Ehen kaum einer unter zehen iſt, in welcher die Frau eben diejenige Zuneigung bey dem Manne behaͤlt, die ſie bey dem Freyer und Liobhaber hatte. Was kann ſie denn fuͤr einen Einfluß uͤber die ſittlichen Grundſaͤtze eines Menſchen haben, der ſich oͤffentlich zu der freyen Lebensart bekennet, der vielleicht nur einiger Gemaͤchlichkeit halber hey - rathet, der dieß Band fuͤr etwas veraͤchtliches anſiehet, und der, nur allzu wahrſcheinlicher Weiſe, durch nichts, als Alter, oder Krankheit, oder Schwachheit, die Folge von verderblicher Ueppig - keit, auf beſſere Wege zu bringen iſt.

Es iſt mir ſehr lieb, daß Sie meinem Vett

Bis hierher hatte ich geſchrieben: als ich ge - noͤthigt ward, meine Feder niederzulegen. Jch ward ſo viel ſchwaͤcher und ſchlechter, daß, wenn ich ſie wiedergenommen haͤtte, hier zu beſchließen, es mit einer ſo bebenden Wankelhaftigkeit haͤtte geſchehen muͤſſen, daß es Jhnen mehr Sorge mei - netwegen gemacht haben wuͤrde, als der Aufſchub, da ich meinen Brief nicht mit der geſtrigen Poſt des Abends abgeſendet, thun kann. Deswegen ha - be ich es verſchoben, um zu ſehen, wie es Gottgefal -320gefallen moͤchte, mit mir zu verfahren: und ich fin - de, daß ich, nach einer beſſern Nacht, als ich ver - muthete, munter und unbenebelt bin. Davon will ich Jhnen in der Fortſetzung meines Briefes einen Beweis geben. Jch will ſo nach der Rei - he fortfahren, als wenn ich nicht abgebrochen haͤtte.

Es iſt mir lieb, daß Sie ſo wohlbedaͤchtlich meinem Vetter Morden vortheilhafte Meynungen von Herrn Velford beygebracht haben. Sonſt koͤnnte zwiſchen ihnen beyden leicht ein und das andere Misverſtaͤndniß vorgefallen ſeyn. Denn ob ich gleich hoffe, daß dieſer Cavallier ſchon ein ganz anderer Menſch ſey, und mit der Zeit ein Bekehrter ſeyn werde: ſo iſt er doch einer von den hitzigen Koͤpfen, der gewohnt geweſen, auch ein - gebildete Beleidigungen, die ihm widerfahren, zu raͤchen; da er, wie ich glaube, ſich doch nicht bemuͤhet hat, wirkliche Beleidigungen gegen anders zu vermeiden; indem Leute von dieſem Schlage gerade ſo handeln, als wenn ſie daͤchten, daß die ganze Welt ihnen, und ſie keinem in der - ſelben nachgeben muͤßten:

Herr Lovelace, berichten Sie, hat es fuͤr gut befunden, meinem Vetter die Abſchrift von ſeinem bußfertigen Briefe an mich, und meine Antwort auf denſelben, worinn ich ihn mit ſeinem Geſuche gaͤnzlich abweiſe, anzuvertrauen: und Herr Bel - ford ſaget mir uͤber dieſes, wie bekuͤmmert Herr Lovelace wegen ſeiner niedertraͤchtigen Bosheit ſey, und wie frey er ſich ſelbſt gegen meinen Vetter an -geklaget321geklaget habe. Dieß zeiget, daß die wahre Herz - haftigkeit viel zu erhaben iſt, eine ſchaͤndliche Handlung zu begehen: und daß nichts dem menſchli - chen Gemuͤthe eine ſolche Niedertraͤchtigkeit auflege, daß wir uns vorſetzlicher Beleidigungen gegen un - ſere Nebengeſchoͤpfe ſchuldig machen ſollten. Wie unedel, wie poͤbelhaft ſind die Erniedrigungen, wo - zu eine ausgekuͤnſtelte Schandthat noͤthiget! Daß der nichtswuͤrdige Menſch ſo, wie er that, mit mir verfahren, und dann eine ſo jaͤmmerliche und krie - chende Auffuͤhrung annehmen konnte, damit ich ihm vergeben, und, ſo vorſetzliche, ſo ſcheusliche, ſo uͤberlegte Bosheiten wieder gut zu machen zu ſuchen, erlauben moͤchte! Wie veraͤchtlich iſt er bey einer gewiſſen Gelegenheit, die Sie einmal erfahren werden(*)Die Fraͤulein meynt die Gewaltthaͤtigkeit, die er ſich, nach des Vten Theils Lten Briefe, noch ein - mal zu veruͤben vorgeſetzt hatte, und ſeine darauf erfolgte Briefe, in welchen er demuͤthigſt um Ver - zeihung bittet., wegen ſeiner Niedertraͤchtig - keit, meiner Seele geweſen! Denjenigen aber, den man aus Herzens Grunde fuͤr veraͤchtlich haͤlt, gaͤnzlich abzuweiſen, iſt im geringſten keine Schwie - rigkeit: waͤre man ihn auch vormals noch ſo parteyiſch zugethan geweſen.

Jnzwiſchen iſt es mir lieb, daß dieſer hitzige Kopf ſo kriechen kann; daß er, wie eine giftige Schlange, ſich ſo ſchmiegen und winden und ſei - nen Kopf in ſeinen engen Kreiſen ſo verbergenkann:Siebenter Theil. X322kann: weil dieſe Krimmung, dieſe Erniedrigung mir Hoffnung macht, daß kein weiteres Ungluͤck erfolgen werde.

Alles, was ich befuͤrchte, iſt dasjenige, was nach meinem Tode geſchehen mag: daß alsdenn mein Vetter oder irgend ſonſt jemand meinetwe - gen Rache ſuchen und ſein eignes koſtbarers Leben in Gefahr ſetzen moͤchte.

Wenn nur der Theil von Cains Fluch, daß er unſtaͤt und fluͤchtig auf Erden ſeyn ſollte, den Herrn Lovelace traͤfe; ich will ſagen, wenn ihm dadurch nur kein Schaden weiter gewuͤnſchet wuͤrde, als daß er genoͤthigt ſeyn moͤchte, herum - zureiſen, wie ſeine Abſicht zu ſeyn ſcheinet; ob ich ihm gleich nichts Boͤſes auf ſeinen Reiſen wuͤn - ſche; und ich es nur gewiß wiſſen koͤnnte: ſo wollte ich mich wegen der gehoffeten Sicherheit meiner Freunde vor ſeiner geſchickten und geuͤb - ten Gewaltthaͤtigkeit beruhigen. O koͤnnte ich hoͤren, daß er tauſend Meilweges von hier waͤre!

Als ich dieſen Brief anfing: dachte ich nicht, daß ich ſo weitlaͤuftig und ſo viel haͤtte ſchreiben koͤnnen. Allein ich ſchreibe an Sie, meine wer - theſte Freundinn: und Sie haben ein Recht, auf diejenige Munterkeit zu Jhren Dienſten einen Anſpruch zu machen, welche Sie erwecken und unterhalten. Denn ſie iſt nicht laͤnger mein, und wird ſich den Augenblick verlieren, wenn ich auf - hoͤre, an Sie zu ſchreiben.

Aber wozu wollen Sie mir Hoffnung gemacht wiſſen: wenn Sie mir melden, daß Sie mich zuLondon323London ſehen wollen, ſo bald es die Geſundheit Jhrer Fr. Mutter erlaubet? Jch hoffe, es wer - de mit der Geſundheit Jhrer Fr. Mutter voll - kommen beſſer ſeyn; wie Sie wuͤnſchen: allein ich darf mir eine ſo große Gewogenheit, eine ſo große Gluͤckſeligkeit will ich es nennen, doch nicht verſprechen. Jn der That weiß ich auch nicht, ob ich nunmehr noch im Stande ſeyn moͤch - te, ſie zu ertragen.

Unterdeſſen iſt es doch ein Vergnuͤgen, das Sie mir machen koͤnnen, und das in Jhrer Gewalt ſtehet. Laſſen Sie mich wiſſen; und zwar muß es ſehr geſchwinde ſeyn, wofern Sie mir dadurch eine Gefaͤlligkeit zu erweiſen wuͤnſchen; laſſen Sie mich wiſſen, daß zwiſchen Jhnen und Herrn Hick - mann alles beygeleget ſey. Jch ſehe, daß Sie ſich vorgenommen haben, bey allem Jhrem hoch - fliegenden Muth, ihm viele Verbindlichkeit fuͤr ſeine Gedult mit Jhrem fluͤchtigen Feuer ſchuldig zu werden. Gedenken Sie hieran, meine liebe ſtolze Freundinn! und gedenken Sie auch an das, was ich Jhnen oft geſagt habe, daß der Stolz, es ſey an einer Mannsperſon, oder an einem Frauenzimmer, eine Ausſchweifung iſt, die faſt allezeit, uͤber kurz oder lang, ihr ſchmerzliches Ge - gentheil hervorbringet.

Jch wuͤnſche, meine liebe Fraͤulein Howe, daß Sie kein anderes Misvergnuͤgen haben moͤ - gen, als was Sie ſich ſelbſt machen. Dieſes muß Jhre Strafe ſeyn, wenn Sie es nicht ſelbſt vermindern, da es in Jhrer Gewalt ſtehet. WeilX 2hier324hier keine vollkommene Gluͤckſeligkeit moͤglich iſt; indem das geſchaͤfftige Gemuͤth ſich ſelbſt Uebel ſchaffen wird, wenn keine zu finden ſeyn ſollten: ſo werden Sie mir dieſen eingeſchraͤnkten Wunſch verzeihen; ſo ſeltſam er auch ſcheinen mag, bis Sie ihn erwaͤgen. Denn ſollte ich Jhnen gar keine Ungluͤckſeligkeiten, weder in, noch außer Jhnen, wuͤnſchen: ſo waͤre das eben ſo gut, als wenn ich Jhnen etwas wuͤnſchen wollte, das in dieſer Welt nicht geſchehen koͤnnte; und das vielleicht nicht zu wuͤnſchen waͤre, wenn man durch einen Wunſch ſeinem Freunde eine ſolche Ausnahme verſchaffen koͤnnte; indem wir hier nicht beſtaͤndig leben ſollen.

Kurz, wir muͤſſen nicht erwarten, daß uns die Roſen ohne Dornen aufwachſen werden: al - lein dabey ſind es doch nuͤtzliche und lehrreiche Dornen; die in Zukunft behutſamer zu ſeyn leh - ren; indem ſie demjenigen, der die Roſen zu hitzig und eilfertig pfluͤckt, in die Finger ſtechen; und doch zu eben der Zeit den Beſitz der Guͤter, die man nicht allzu leicht erlanget hat, angenehmer und ſchmackhafter machen.

Jch muß beſchließen

Gott verleihe Jhnen, und allen, welche Sie lieben und ehren, beſtaͤndig Heil und Gluͤck, und belohne Sie hier und dort fuͤr Jhre Guͤte gegen

Jhre ewig verbundene und ergebene Clariſſa Harlowe.

Der325

Der vierzigſte Brief von Fr. Norton an Fraͤulein Clariſſa Har - lowe. Zur Antwort auf ihr Schreiben vom Donnerſtage, dem 24ten Auguſt.

Jch haͤtte eher geſchrieben, meine wertheſte Fraͤulein: wenn ich mich nicht beſtaͤndig ſeit dem Empfang Jhres letzten Briefes bemuͤ - het haͤtte, in geheim zu Jhrer Fr. Mutter zu kom - men, in Hoffnung, die Erlaubniß zu erhalten, daß ich ihn ihr zeigen moͤchte. Allein geſtern Abends ward ich zu meiner groͤßten Verwunderung ein - geladen, heute Morgens zu Harlowe-Burg zu fruͤhſtuͤcken, und der Wagen kam fruͤhe mich ab - zuholen: eine Ehre, die ich nicht vermuthete.

Als ich dahin kam: fand ich, daß eine Ver - ſammlung von Jhrer ganzen Familie mit dem Obriſt Morden zu Harlowe-Burg ſeyn ſollte, und Jhre Fr. Mutter vorgeſchlagen, die Uebrigen aber bewilliget haͤtten, daß ich dabey zugegen ſeyn moͤch - te. Jhr Vetter, vernehme ich, hatte es mit vie - ler Schwierigkeit ſo weit gebracht, daß dieſe Ver -X 3ſamm -326ſammlung zugeſtanden war. Denn Jhr Bruder hatte vorher alle Unterredung mit ihm von der empfindlichen Sache ſorgfaͤltig vermieden: indem er darauf beſtanden, daß es nicht noͤthig waͤre, mit dem Herrn Morden davon zu ſprechen, der als ein weitlaͤuftigerer Verwandter nicht befugt waͤre, ſich zum Richter uͤber ihr Verhalten gegen ihre Tochter, ihre Baſe und ihre Schweſter auf - zuwerfen; ſonderlich da er ſich fuͤr dieſelbe erklaͤ - ret haͤtte. Ja er hatte noch hinzugefuͤgt, daß er ſchwerlich Gedult haben wuͤrde, ſich von ihm dar - uͤber befragen zu laſſen.

Jch machte mir Hoffnung, daß Jhre Frau Mutter mir Gelegenheit geben wuͤrde, ehe die Ge - ſellſchaft zuſammen kaͤme, mit ihr allein zu reden: aber ſie ſchien es mit Fleiß zu vermeiden; jedoch darf ich wohl ſagen, nicht mit ihrem guten Willen.

Jch ward nur eben vorher, ehe Herr Morden kam, hereingefordert, und bekam Befehl, mich zu ſetzen. Das that ich, und ging am Fenſter ſitzen.

Der Obriſt fing, ſo bald als er kam, die Un - terredung damit an, daß er ſeine Fuͤrbitte fuͤr Sie erneurte, wie er ſagte. Er ſtellte ihnen Jhre Reue vor, Jhren ſchlechten Zuſtand der Geſund - heit, Jhre Tugend, ob ſie gleich einmal beruͤcket und ſchaͤndlich gemishandelt waͤre. Er las ihnen ferner den Brief von Herrn Lovelace, der in der That mit der groͤßten Reue geſchrieben iſt(*)Man ſehe den VI Theil, S. 712.;er327er las ihnen auch Jhre großmuͤthige Antwort(*)Man ſehe den VI Theil, S. 733. vor; denn ſo nannte er ſie mit Recht; und ging mit der dienſtfertigen Nachricht des Herrn Brands, uͤber die er ſie, wie ich vorher gehoͤret, ſchon ſchamroth gemacht hatte, ſo um, wie ſie es verdiente: indem er dagegen Vorſtellungen that, welche ſich auf des Herrn Alſtons Nachfrage gruͤndeten(**)Man ſehe den vorhergehenden VIIIten Brief nicht weit vom Anfange.. Dieſen aber hatte er eignes Ge - werbes darum nach London gehen laſſen, daß er ſich nach Jhrer Lebensart, und was es mit den Beſuchen des Herrn Belfords zu bedeuten haͤtte, erkundigen ſollte.

Er erzaͤhlte ihnen hiernaͤchſt, er haͤtte des Ta - ges vorher der Fraͤulein Howe ſeine Aufwartung gemacht, und es waͤre ihm ein Brief von Jhnen an dieſe Fraͤulein(***)Man ſehe den vorhergehenden XVIIten Brief und zwar das letzte, was vor dreyen geſchrie - ben iſt. gezeiget, auch die Er - laubniß gegeben, eines und das andere aus dem - ſelben aufzuzeichnen: nach dieſem Schreiben ſchie - nen Sie, ſo wohl der Hand, als des Jnhalts wegen, ſich ſo ſchlecht zu befinden, daß es ihm zweifelhaft vorkaͤme, ob Sie die Krankheit uͤber - ſtehen koͤnnten. Er las ihnen unter andern die Stelle vor, wo Sie die Fraͤulein Howe fragen, was nunmehr fuͤr Sie ausgerichtet werden koͤnn - te, wenn Jhre Freunde Jhnen auch noch ſo guͤn -X 4 ſtig328 ſtig waͤren; imgleichen, wo Sie mehr um Jhrer Verwandten, als um Jhrer ſelbſt willen wuͤn - ſchen, daß Sie nur noch nachlaſſen moͤchten, und alsdenn ſagen, daß Sie ſich ſehr uͤbel befinden daß Sie Jhre Feder niederlegen muͤſſen auch Jhrer krummen Zuͤge wegen um Entſchuldigung bitten, und nicht anders, als wenn es das letzte mal waͤre, von der Fraͤulein Howe Abſchied neh - men Leben Sie wohl, meine Wertheſte, le - ben Sie wohl, ſind Jhre Worte.

O mein Kind! mein Kind! ſagte hiebey Jh - re Frau Mutter mit Weinen und mit zuſammen - geſchlagenen Haͤnden.

Wertheſte Frau Mutter, ſprach Jhr Bruder, haben Sie die Guͤte und denken, daß ſie mehr Kinder haben, als dieß undankbare.

Jhre Schweſter ſchien inzwiſchen zum Mitlei - den beweget zu ſeyn.

Jhr Onkel Harlowe wiſchte die Augen. O Herr Vetter, ſagte er, wenn man daͤchte, daß das arme Maͤgdchen wirklich ſo krank waͤre

Sie muß es wirklich ſeyn, ſprach Jhr Onkel Anton. Dieß iſt an Jhre vertraute Freundinn geſchrieben. Gott verhuͤte, daß wir ſie nicht ganz und gar verlieren!

Jhr Onkel Harlowe wuͤnſchte, daß man ſei - nen Unwillen nicht zu weit treiben moͤchte.

Jch bat um Gottes willen, mit ringenden Haͤnden, und mit einem gebogenen Knie, daß ſie mir erlauben moͤchten, zu Jhnen nach London zu gehen: und machte mich verbindlich, ihnen allengetreue329getreue Nachricht von denen Umſtaͤnden zu geben, in welchen Sie waͤren. Allein ich bekam dafuͤr einen Verweis von Jhrem Bruder: und dieß gab zu einigen zornigen Worten zwiſchen ihm und dem Herrn Morden Gelegenheit.

Jch glaube, gnaͤdiger Herr, ich glaube, gnaͤ - dige Frau; waren die Worte Jhrer Schweſter zu ihren Eltern; daß wir meinen Herrn Vetter nicht weiter bemuͤhen duͤrfen, noch mehr zu leſen. Es macht ihnen nur Unruhe und Kummer. Meine Schweſter, Claͤrchen, ſcheinet ſich ſchlecht zu befinden: ich denke, es wuͤrde nicht unrecht ſeyn, wenn Fr. Norton die Erlaubniß bekaͤme, zu ihr hinaufzureiſen. So gottlos ſie auch ge - handelt hat: ſo wuͤrde es doch, wofern ſie wahr - haftig Reue empfindet

Hier hielte ſie inne: und da ein jeder ſtille ſchwieg; ſo ſtand ich noch einmal auf, und bat ſie, mich reiſen zu laſſen. Jch erbot mich auch da - bey, eine oder zwo Stellen aus Jhrem Briefe an mich vom 24ten vorzuleſen: aber Jhr Bruder fuhr mich wieder an; und dieß veranlaſſete einen noch heftigern Wortwechſel zwiſchen dem Obriſten und ihm.

Jhre Fr. Mutter hatte noch Hoffnung, Jh - ren unbeweglichen Bruder zu gewinnen, und die erbitterten Gemuͤther der beyden Cavalliers aus einander zu bringen. Deswegen ſchlug ſie vor, daß der Obriſt fortfahren moͤchte, den Auszug aus Jhrem Briefe zu leſen.

X 5Dem330

Dem zufolge las er wie Sie Jhre Feder wieder genommen; wie Sie gedacht haͤtten, daß Sie ſchon den letzten Abſchied wuͤrden genom - men haben; und das Uebrige von der ſehr ruͤh - renden Stelle, wo Sie genoͤthigt werden, mehr als einmal abzubrechen, und hiernaͤchſt ſich in ei - ner Saͤnfte eine kleine Veraͤnderung in freyer Luft zu machen. Jhr Bruder und Jhre Schweſter wurden hiebey erweichet: und jener nahm ſeine Zuflucht zu ſeiner Schnupftabacksdoſe. Bey der Stelle aber, wo Sie die Fraͤulein Ho - we troͤſten, und ſagen daß Sie gluͤcklich ſeyn werden, redete er wieder. Das iſt mehr, ſprach er, als ſie irgend einem andern goͤnnen wird.

Jhre Schweſter nannte Sie eine liebenswuͤr - dige Seele: aber mit leiſer Stimme. Darauf ward ſie wieder hartherzig: jedoch ſagte ſie, daß ſich niemand bey den nachdruͤcklichen Vorſtellun - gen Jhres Kummers des Mitleidens erwehren koͤnnte allein das waͤre Jhre beſondere Gabe.

Der Obriſt fuhr ſo dann weiter fort und kam auf die gute Wirkung, welche die Veraͤnderung in der freyen Luft bey Jhnen hatte; auf Jhre gute Wuͤnſche fuͤr die Fraͤulein Howe und den Herrn Hickmann, und auf Jhren nachdruͤcklichen Be - ſchluß, daß ſie, wenn das gluͤckliche Leben, welches Sie ihr wuͤnſchen, zum Ende laufen wird, bey dem Ausgange aus demſelben ſo geruhig und zu - frieden ſeyn moͤge, als Sie in Gott zu ſeyn hof -fen.331fen. Hiebey konnte Jhre Fr. Mutter nicht aus - dauren, ſondern ging allein in eine Ecke des Zim - mers, gluchſete und weinte. Jhr Herr Vater war auf einige Augenblicke nicht im Stande ein Wort zu ſagen: ob es gleich ſchiene, als wenn er etwas ſagen wollte.

Jhre Onkels waren auch beyde mitleidig ge - ruͤhret: allein Jhr Bruder ging zu allen in die Ruͤnde herum; und erinnerte Jhre Fr. Mut - ter wieder, daß ſie noch andere Kinder haͤtte. Was waͤre wohl, ſprach er, in allem dem, was geleſen worden, mehr, als die Wirkung der na - tuͤrlichen Gabe, die Sie haͤtten, Leidenſchaften zu erregen? Ja er machte ihnen einen Vorwurf dar - aus, daß ſie ſich entſchließen moͤchten, etwas gele - ſen zu hoͤren, das, nach ihrer eignen Ueberzeu - gung, fuͤr ihre allzu große und gemisbrauchte Guͤte zu ſtark waͤre, ſich dabey halten zu koͤnnen.

Dieß brachte den Herrn Morden wieder auf. Pfuy, ſchaͤmen ſie ſich, Vetter Harlowe! waren ſeine Worte Jch ſehe augenſcheinlich, wer daran ſchuld iſt, daß alle Verwandtſchaft, alle Verbindung unter Blutsfreunden gegen dieſe lie - benswuͤrdige Bedraͤngte aus den Augen geſetzet wird. Eine ſolche Haͤrte, wie dieß iſt, macht es einer gleitenden Tugend ſchwer, ſich jemals wie - der zu ſetzen.

Jhr Bruder brauchte die Ehre der Familie zu einem Vorwande, und erklaͤrte ſich, daß man keinem Kinde vergeben muͤßte, welches gegen alle War -nung,332nung, gegen beſſer Wiſſen und Gewiſſen, wie Sie gethan haͤtten, die allerguͤtigſten Eltern verließe.

Allein, mein Herr, und gnaͤdige Frau und Fraͤulein; ſprach ich, indem ich von meinem Stuhl am Fenſter aufſtand, und mich ehrerbie - tig zu einem jeden herum wandte wo ich die Erlaubniß haben mag zu reden; meine liebe Fraͤulein bittet ja nur um einen Segen: ſie bittet nicht, wieder zu voriger Liebe und Gewogenheit angenommen zu werden; ſie iſt ſehr krank und bittet nur um einen letzten Segen.

So, ſo, gute Fr. Norton ich darf Jh - nen nicht ſagen, wer ſo redete ſie kommen wieder mit ihrem Klaͤglichthun! So gut ſie auch ſeyn moͤgen: ſo iſt doch die Neigung, ein Verbrechen, das fuͤr ihr Antheil an ihrer Erzie - hung eben ſo ſchaͤndlich iſt, als fuͤr ihre Familie, ſo willig zu vergeben, eine Schwachheit, die ihre Tugend, wenn ſie auf eine geſchickte Art ver - ſucht wuͤrden, eines Abfalls verdaͤchtig machen koͤnnte.

Durch eine oder die andere Probe von einer ſo liebreichen Vernunftlehre, als dieß iſt, ſagte Herr Morden, iſt meine Baſe Arabelle, ſonder Zweifel, gefangen. Wo man einen Beweis von ſeiner Tugend giebt; wenn man lieblos und un - verſoͤhnlich iſt: ſo ſind ſie, Herr Jakob Harlowe, der tugendhafteſte junge Herr in der Welt.

Jch wußte wohl, wie es kommen wuͤrde, ver - ſetzte ihr Bruder mit großer Hitze, wenn ich die - ſer Sache wegen mit dem Herrn Morden zuſam -men -333menkaͤme. Deswegen wuͤrde ich es gern abge - lehnet haben: allein ſie, gnaͤdiger Herr das ſagte er zu ſeinem Herrn Vater wollten es mir nicht erlauben. Aber, mein Herr hie - mit wandte er ſich zu dem Obriſten wenn niemand mehr gegenwaͤrtig waͤre

So ſoll, Vetter Jakob, fiel der andere Caval - lier ihm in die Rede, das ein Schutz fuͤr mich ſeyn, wie es ſcheint, was wirklich ein Schutz fuͤr ſie iſt. Jch bin nicht gewohnt, mich ſo heraus - fordern zu laſſen Sie ſind mein Vetter, Herr und der Sohn und Enkel von Perſo - nen, die mir eben ſo lieb, als nahe verwandt ſind Hier hielte er inne

Sollen wir denn, ſprach Jhr Herr Vater, noch ungluͤcklicher unter uns ſelbſt gemacht wer - den: da inzwiſchen der Boͤſewicht am Leben blei - bet, wider den ein jeder, der entweder die Familie oder dieß undankbare Maͤgdchen einer Achtung wuͤrdig haͤlt, ſeinen Zorn richten ſollte?

Das iſt eben der Mann, antwortete Jhr Herr Vetter, gegen den ich meinen Unwillen zu richten geſonnen war, als ich verwichenen Montag bloß zu dem Ende ausreiſete. Allein was konnte ich ſagen: da ich ihn ſo willig fand, ſein Verbrechen wieder gut zu machen? Jch muß bekennen, es iſt meine Meynung, und ich habe auch meiner armen Baſe ſo geſchrieben, daß es fuͤr alle mit einander das beſte waͤre, ſein Erbieten anzuneh - men Ja ich muß ihnen ſagen

Sagen334

Sagen ſie mir nichts, ſprach ihr Herr Va - ter, ganz erboſet, ſagen ſie mir nichts von dem ſchaͤndlichen Kerl. Jch habe einen unausloͤſchli - chen Haß gegen ihn, und wollte lieber die Wider - ſpenſtige hundert Arten des Todes ſterben ſehen, wenn es moͤglich waͤre, als daß ſie aus einem ſol - chen Buben einen Verwandten meiner Familie machen ſollte.

Es mag ſeyn: aber man hat gar nicht Urſa - che zu gedenken, ſprach Jhre Fr. Mutter, daß ſie einen ſolchen Menſchen zu unſerm Verwandten machen werde, mein Wertheſter. Das arme Maͤgdchen, fuͤrchte ich, wird die Zahl unſerer Verwandten vermindern, nicht vermehren. Wo ſie ſich ſo ſchlecht befindet, als man uns Nachricht giebet: ſo laſſen ſie uns Fr. Norton zu ihr hinauf ſchicken Das iſt das wenigſte, was wir thun koͤnnen. Laſſen ſie ſie uns indeſſen doch dem Belforden aus den Haͤnden nehmen.

Jhre beyden Onkels unterſtuͤtzten dieſen Rath: ſonderlich den letzten Theil davon.

Jhr Bruder bemerkte, nach ſeiner uͤbelgeſinn - ten Art, wie ſchoͤn es ſich an Jhnen zuſammen - raͤumte, daß Sie die Hand des ſchaͤndlichen Be - leidigers und die Verguͤtigung, zu der er ſich er - boͤte, ausſchluͤgen, und ſich doch in den Schutz ſei - nes vertrauten Freundes begaͤben.

Die Fraͤulein Harlowe befuͤrchtete, wie ſie ſagte, daß Sie alles, was Sie koͤnnten, der na - ſeweiſen Fraͤulein Howe So nannte ſie dieſelbe vermachen wuͤrden, wenn Sie ſterben ſollten.

O ſetze,335

O ſetze, ſetze doch den Fall nicht, meine Arabelle, antwortete Jhre arme Fr. Mutter: ich kann nicht daran gedenken, daß ich mein Claͤrchen verlieren ſollte Bey allen Jhren Fehlern iſt ſie doch mein Kind Man hat noch die Urſachen nicht gehoͤrt, die ſie gehabt hat, ſich ſo zu verhalten. Es wuͤrde mir das Herz abſtoßen, wenn ich ihrer verluſtig werden ſollte. Jch gedenke, mein Wertheſter, ſprach ſie zu Jhrem Herrn Vater, es ſchickt ſich fuͤr niemand ſo gut als fuͤr mich, wenn ſie mir die Erlaubniß geben wollen, hinaufzurei - ſen: und Fr. Norton ſoll mir Geſellſchaft leiſten.

Dieß war ein liebreicher Rath: und ihr Hr. Vater hielte dabey inne. Herr Morden erbot ſei - ne Dienſte, ſie zu begleiten. Jhre Onkels ſchienen es zu billigen. Aber Jhr Bruder machte alles zu nichte. Jch hoffe, gnaͤdiger Herr, ſagte er zu ſeinem Herrn Vater; ich hoffe, gnaͤdige Frau, zu ſeiner Fr. Mutter, daß ſie eine ſtrafbare Tochter nicht durch den Verluſt eines unſtraͤflichen Sohnes wieder zu bekommen ſuchen werden. Jch erklaͤre mich, daß, wo jemals meine Schweſter Claͤrchen dieſe Schwellen wieder betritt, ich es niemals thun will. Jch will den Augenblick, gnaͤdige Frau, da ſie zu einem ſolchen Gewerbe nach London abge - hen, nach Edinburg aufbrechen: da will ich blei - ben, und zu vergeſſen ſuchen, daß ich ſo nahe und ſo werthe Anverwandten, als ſie mir itzo alle ſind, in England habe.

Lieber Gott! ſprach der Obriſt, was iſt das fuͤr eine Erklaͤrung! Geſetzt aber, mein Herr,geſetzt,336geſetzt, gnaͤdige Frau So wandte er ſich zu Jhren Eltern daß dieß geſchehen ſollte: welches von beyden, meynen ſie denn wohl, iſt beſſer; daß ſie eine ſolche Tochter, wie meine Baſe Claͤrchen, auf beſtaͤn - dig verlieren, oder daß ihr Sohn nach Edinburg gehen, und daſelbſt auf einem Gute, welches deſto beſſer ſeyn wird, wenn er es zu ſeinem Aufenthalt waͤhlet, ſeinen beſtaͤndigen Sitz nehmen ſollte?

Wie zornig ſich Jhr Bruder hieruͤber bezeigte, iſt kaum zu beſchreiben. Er nahm es ſo unwillig auf, als wenn es die guͤtige Neigung der Familie von ihm abzuwenden die - nen ſollte. Der Zorn ward ſo weit getrieben, weil ſich alle zu ihm ſchlugen, daß der Obriſt mit aufgehabenen Haͤnden und Augen ausrief: Mit was fuͤr ſteinernen Herzen bin ich verwandt! O Herr Vetter Harlowe So kehrte er ſich zu Jhrem Herrn Vater ſind ſie entſchloſſen, nur eine Tochter zu haben? Und wollen ſie, gnaͤ - dige Frau, von einem Sohn, der kein menſchliches Gefuͤhl hat, ſich lehren laſſen, wie ſie vergeſſen koͤnnen, daß ſie eine Mutter ſind?

Der Obriſt wandte ſich hierauf von ihnen, um ſein Schnupftuch herauszuziehen, und konnte auf einige Augenblicke nicht reden. Die Augen eines jeden, außer dem hartherzigen Bruder, preßten ihm Thraͤnen aus.

Hernach aber kehrte er ſich wieder zu ihnen: mit deſto groͤßerem Unwillen, wie es ſchien; weil er gezwungen worden war, Zeichen der Menſch - heit von ſich blicken zu laſſen, wovor ſich gleichwohlkein337kein rechtſchaffenes Herz ſchaͤmen ſollte. Jch ver - laſſe ſie alle, ſprach er, als eine Geſellſchaft von Leuten, die ſich vollkommen zu einander ſchicken. Niemals will ich wieder gegen irgend jemand von ihnen meinen Mund dieſer Sache wegen aufthun. Jch will den Augenblick mein Teſtament machen: und an mir ſoll die liebe Fraͤulein den Vater, On - kel, Bruder haben, den ſie verlohren hat. Jch will ſie bereden, mit mir eine Reiſe durch Frank - reich und Jtalien zu thun: und ſie ſoll nicht eher wiederkommen, bis ſie den Werth einer ſolchen Tochter kennen gelernt haben.

Jndem er dieß ſagte, eilte er auch aus dem Zimmer, ging in den Hinterhof und befahl ſein Pferd herzufuͤhren.

Herr Anton Harlowe ging dahin zu ihm, eben als er aufſteigen wollte, und ſagte, er hoffete, daß er ihn Abends gelaſſener finden wuͤrde; denn er hatte bis auf die Zeit bey ihm ſeinen Aufenthalt genommen: alsdenn wollten ſie ſich geruhiger un - terreden; und ein jeder wuͤrde mittlerweile alles wohl erwaͤgen. Allein der erzuͤrnte Cavallier antwortete: Vetter Harlowe, ich werde das, was ich ihnen fuͤr ihre Hoͤflichkeit, ſeit dem ich in Eng - land geweſen, ſchuldig bin, gut zu machen ſuchen: aber mir iſt von dem hitzigen jungen Herrn; der, ſo viel ich weiß, mehr zu dem Ungluͤck ſeiner Schweſter beygetragen hat, als Lovelace ſelbſt, und dieß mit ihrer aller Genehmhaltung; ſo be - gegnet worden, daß ich weder ihre, noch jener Schwellen jemals wieder betreten werde. MeineSiebenter Theil. YBe -338Bediente ſollen Befehl bekommen, wohin ſie das, was mir zugehoͤret, aus ihrem Hauſe bringen ſollen. Jch will meine liebe Baſe Claͤrchen ſehen, ſo bald als ich nur kann. Und ſo behuͤte ſie Gott alle mit einander! Nur dieß eine Wort an ihren Enkel, wo es ihnen gefaͤllig iſt, daß er noch erſt den Unterſchied zwiſchen Herzhaftigkeit und Pol - tern lernen muͤſſe, und es vielleicht ein Gluͤck fuͤr ihn ſey, daß ich ſein Vetter bin, ob es mir gleich leid, daß er mein Vetter iſt.

Jch wunderte mich, wie ich Jhren Onkel bey ſeiner Ruͤckkunft zu ihnen allen dieß wieder ſagen hoͤrte: in Betrachtung der Folgen, die es haben koͤnnen; ob ich gleich hoffe, daß es keine boͤſe Fol - gen nach ſich ziehen werde. Jnzwiſchen ward es doch als eine Art des herausforderns angeſe - hen: und das beſtaͤtigten alle Jhrem Bruder zu Gefallen. Die Fraͤulein Harlowe vergaß auch nicht, auf das Vergehen loßzuziehen, welches alle dieſe Uebel gebracht haͤtte.

Jch nahm mir noch einmal die Freyheit, aber mit Furcht und Zittern, um die Erlaubniß zu bit - ten, daß ich Jhnen aufwarten duͤrfte.

Ehe noch ſonſt jemand antworten konnte, ſagte Jhr Bruder, er vermuthete, daß ich mich als ei - ne Perſon anſehen wuͤrde, die nur unter ihrer eig - nen Gewalt ſtuͤnde. Brauchte ich denn ihre Ein - willigung, brauchte ich, ihnen gute Worte zu geben, damit ich hinauf reiſen duͤrfte. Wenn er ſeine Meynung ſagen moͤchte: ſo ſchickten wir uns am beſten zuſammen Jnzwiſchen wellteer339er wuͤnſchen, daß ich mir den Kopf nicht uͤber ihre Familienſachen zerbraͤche, bis ich darum ge - beten waͤre.

Allein wißt ihr nicht, Bruder, ſprach die Fraͤulein Harlowe, daß der Fehltritt irgend einer Perſon, die zu einer Familie gehoͤret, die ganze Familie trenne, und nicht allein einen jeden gemein - ſchaftlichen Freund und Bekannten, ſondern auch ſo gar Bediente, zu Richtern uͤber beyde mache? Dieß iſt eine von den geſegneten Folgen des Verſehens meiner Schweſter!

Es waͤre niemals eine ſo ſtrafwuͤrdige Creatur geweſen, ſagte Jhr Herr Vater, und ſahe mich mit Misfallen an, die nicht einige Schwache gefunden haͤtte, welche ſie beklaget und es mit ihr gehalten.

Jch weinte. Jhre Fr. Mutter war ſo gut und nahm mich bey der Hand. Kommen ſie, meine gute Frau, waren ihre Worte, kommen ſie mit mir weg. Sie haben zu viele Urſache, uͤber das, was uns betruͤbet, betruͤbt zu ſeyn, daß ſie noch Vergroͤßerungen ihres Kummers brauchen ſollten.

Aber, meine liebſte Fraͤulein, ich war mehr um Jhretwillen, als meinetwegen, bekuͤmmert. Denn ich bin ſehr viele Jahre in niedrigen Um - ſtaͤnden in der Welt geweſen und muß folglich des Anfahrens und Zuruͤckweiſens von den Rei - chen gewohnt geweſen ſeyn. Jch hoffe aber, daß mir die Gedult eben ſo leſerlich an dem Kopfe ge - ſchrieben ſtehet, als irgend einem meiner Wohl - thaͤter der Stolz und Uebermuth.

Y 2Jhre340

Jhre Fr. Mutter fuͤhrte mich in ihre Kam - mer. Da ſaßen wir einige Zeit und weinten mit einander, ohne daß eine von uns im Stande war, ein Wort mit der andern zu ſprechen. Zuletzt unterbrach ſie das Stillſchweigen, und fragte mich, ob Sie wirklich ſo krank waͤren, als man ſagte?

Jch antwortete ja, und wollte ihr ihren letz - ten Brief zeigen: allein ſie lehnte es von ſich ab.

Jch haͤtte Jhnen gern bey ihr die Gewogen - heit ausgewirket, daß ſie eine Zeile mit ihrem Se - gen an Sie geſchrieben haͤtte. Jch fragte, was Jhr Bruder und Jhre Schweſter fuͤr Abſichten hegten? Ob ſie beyde mit nichts, als mit Jhrer gaͤnzlichen Verſtoßung zufrieden ſeyn wollten? Jch gab von weitem zu verſtehen, wie es ſeyn wuͤr - de, wenn Sie ſich nicht von Jhrem Gehorſam und von Jhrer Demuth leiten ließen, ſich in Anſehung der aͤußerlichen Umſtaͤnde aller fremden Gewalt gaͤnzlich zu entziehen: Sie forderten aber nichts mehr als einen Segen, einen letzten Segen. Und noch viele andere Dinge ſtellte ich zu Jhrem Vor - theil auf das nachdruͤcklichſte vor. Die folgende kurze Wiederhohlung deſſen, was ihr auf meine Vorſtellungen zu antworten beliebte, wird Jhnen von allen, und auch von der gegenwaͤrtigen Be - ſchaffenheit der Sachen, eine Kundſchaft geben.

Sie ſagte, ſie waͤre ſehr ungluͤcklich! Sie haͤtte durch eines Kindes Fehler, das wenige An - ſehen, das ſie ſonſt uͤber die andern Kinder ge - habt, und allen Einfluß uͤber den Herrn Harlowe und ſeine Bruͤder verlohren. Jhr Herr Vater haͤtte341 haͤtte ſie erſucht, ihn nach ſeiner eignen Weiſe mit Jhnen verfahren zu laſſen, und, ſo werth ſie ihn hielte, ohne ſein und Jhrer Onkels Wiſ - ſen keinen Schritt zu Jhrem Beſten zu thun. Je - doch geſtand ſie, daß dieſe ſich alle zu viel von Jhrem Bruder regieren ließen. Nichts deſto weniger wuͤrden ſie mit der Zeit einer Ausſoͤhnung Raum laſſen; das wuͤßte ſie gewiß: ſie haͤtten keine andere Abſicht; denn ſie liebten Sie noch alle.

Jhr Bruder und Schweſter, geſtand ſie, waͤ - ren ſehr eiferſuͤchtig daruͤber, daß Sie wieder in Gunſt kommen ſollten. Haͤtte inzwiſchen Herr Morden ſich nur halten, und die erſte Hitze ihres Sohnes ertragen koͤnnen; ihres Sohnes, der allezeit die Hoheit und Groͤße der Familie zu ſeinem Augenmerk gehabt, und daruͤber ſeinen Unwillen ſo hoch getrieben haͤtte, daß er nicht wuͤßte, wie er ſich wieder herablaſſen ſollte: ſo wuͤrden die Unterhandlungen, die eben itzo ſo geſchwinde auf einmal abgebrochen waͤren, ein gluͤcklicheres Ende gehabt haben; indem ſie Ur - ſache haͤtte, zu gedenken, daß, wenn Sie in Ab - ſicht auf Jhres Großvaters Gut etwas weniges zugeſtanden, und Jhr Herr Vetter fuͤr die Un - terwerfung, dazu Sie ſich aus freyen Stuͤcken bequemen ſollten, gut geſagt haͤtte, ſie hiedurch alle beſaͤnftigt worden ſeyn wuͤrden.

Herrn Brands Nachricht von Jhrem ver - trauten Umgange mit dem Freunde des verruch - ten Mannes, ſagte ſie, haͤtte noch zur Zeit ſehrY 3 un -342 ungluͤckliche Wirkungen. Denn vorher haͤtte ſie ſo viel gewonnen gehabt, daß ſie einigen Grund geleget: nachher haͤtte ſie ſich nicht unterſtehen duͤrfen, und auch keine Luſt gehabt, ihren Mund zu Jhrem Beſten aufzuthun. Jhre beſtaͤndige Vertraulichkeit mit dieſem Herrn Belford ließe ſich gar nicht erklaͤren und eben ſo wenig ent - ſchuldigen.

Was die gewuͤnſchte Ausſoͤhnung ſchwerer machte, fuhr ſie fort, waͤre erſtlich dieß, daß Sie ſelbſt geſtuͤnden, Sie waͤren entehret, und man gar zu wohl wuͤßte, daß Sie durch Jhre eigne Schuld in die Gewalt eines ſo verruchten Men - ſchen gekommen, und daß dem zufolge ihrer al - ler und Jhre eigne Schande nicht groͤßer ſeyn koͤnnte, als ſie waͤre; Sie aber dem ungeachtet ſich weigerten, den Boͤſewicht gerichtlich zu ver - folgen: und hiernaͤchſt, daß die Verzeihung und der Segen, worauf Sie hoffeten, aller Wahr - ſcheinlichkeit nach, Jhre Vermaͤhlung mit dem Manne, den ſie alle haſſeten, und der ſie wieder - um eben ſo ſehr haſſete, nach ſich ziehen muͤßte. Sehr unangenehme Umſtaͤnde, ſprach ſie, muͤßte ich geſtehen, eine Ausſoͤhnung darauf zu bauen.

Was ſie ſelbſt betraͤfe: ſo muͤßte ſie noth - wendig bekennen, daß, wenn einige Hoffnung zur Beſſerung des Herrn Lovelacens waͤre, der Brief von ihm an Sie, den ihr Herr Vetter Morden vorgeleſen haͤtte, und die Gerechtigkeit; wie es ihrer Hoffnung nach wirklich ſeyn wuͤrde; wel - che343 che er Jhrer tugendhaften Gemuͤthsart, ob gleich zu ſeiner eignen Verdammung, widerfahren ließ, und das ernſtliche Verlangen aller ſeiner Ange - hoͤrigen, mit Jhnen verwandt zu werden, ſolche Gruͤnde waͤren, die bey ihr Gewicht haben wuͤr - den, wenn ſie nur bey Jhrem Vater und Jhren Onkels etwas gelten koͤnnten; da an ſeiner Fa - milie und ſeinen Gluͤcksumſtaͤnden nichts auszu - ſetzen waͤre.

Auf meine Vorſtellung von Jhrer Krankheit antwortete ſie: Sie muͤßte ſich ſchmeicheln, daß dieſelbe von Kleinmuͤthigkeit und Niedergeſchla - genheit, die mit der Zeit vergehen wuͤrde, her - ruͤhrte. Ein junges Frauenzimmer, das ſo gar bedaͤchtlich, als Sie von Natur, und ſo weit her - untergekommen waͤre, muͤßte damit genug gepla - get ſeyn. Sollten ſie Jhrer verluſtig werden, welches Gott verhuͤte: ſo wuͤrde ſich freylich das Spiel auf eine betruͤbte Art umkehren. Denn diejenigen, welche itzo am zornigſten waͤren, wuͤr - den alsdenn am betruͤbteſten ſeyn: alle Jhre treffliche Eigenſchaften wuͤrden ihnen einfallen, und Jhr ungluͤcklicher Fehltritt wuͤrde ganz und gar vergeſſen ſeyn.

Sie wuͤnſchte, daß Sie ſich gaͤnzlich in Jh - res Herrn Vetters Schutz begeben, und dem Herrn Belford nichts mehr zu ſagen haben moͤchten.

Jch wollte es Jhnen auch ernſtlich zu uͤberle - gen empfehlen, meine liebe Fraͤulein Claͤrchen, ob Sie itzo, da Jhr Herr Vetter, dem die Vollzie -Y 4hung344hung Jhres großvaͤterlichen Teſtaments in Anſe - hung des vermachten Gutes aufgetragen iſt, nicht alle Gedanken aufgeben moͤchten, den vertrauten Freund des Herrn Lovelacens zu dem Ausrichter Jhres letzten Willens zu machen: ſonderlich da die Sache, wenn der Herr ſich auf den betruͤbten Fall, woran mein Herz nicht ohne Kummer ge - denket, in die Angelegenheiten Jhrer Familie miſchte, ſolche Folgen nach ſich ziehen koͤnnte, die Sie in andern Faͤllen ſo ſorgfaͤltig zu verhuͤten ſuchen. Und geſetzt, meine wertheſte Fraͤulein, Sie ſollten noch einmal einen Brief an einen je - den von Jhren Onkels ſchreiben, um ihnen zu mel - den, wie ſchlecht Sie ſich befaͤnden? und ſich ihren Rath zur Einrichtung Jhres letzten Wil - lens wegen Jhres Guts und Vermoͤgens aus - zubitten, nebſt dem Erbieten, ſich darnach zu richten?

Jch finde, daß ſie Jhnen einen großen Theil von den Einkuͤnften aus dem Gute, ſeit dem es Jhnen zugehoͤret hat, zugleich mit Jhrem hinter - laſſenen Vorrath an Gelde, das Sie zu den ge - woͤhnlichen Ausgaben zu gebrauchen pflegten, uͤberſenden wollen: und zwar durch Jhren Herrn Vetter Morden; aus Furcht, Sie moͤchten etwa Schulden gemacht haben, die Jhnen Unbequem - lichkeiten verurſachten.

Sie vermuthen, wie es ſcheint, daß Sie ge - neigt ſeyn werden, in der Stille Jhres Großva - ters Haus zu bewohnen: wofern Jhr Herr Vet -ter345ter Sie nicht beredet, auf ein Jahr oder zwey in die Fremde zu gehen.

Eben iſt Eliſabeth bey mir geweſen. Sie er - zaͤhlt mir, Jhr Herr Vetter Morden ſey mit ihnen allen ſo uͤbel zufrieden, daß er nicht weiter bey Jhrem Onkel Anton ſeinen Aufenthalt neh - men wollen, und ſo gar mit einer unbequemen Gelegenheit verlieb genommen habe, bis er ſich mit einer andern nach ſeinem Sinne verſeheu kann. Hieruͤber ſind ſie ſehr bekuͤmmert; und ſie bereuen, daß ſie ihn mit ſo vieler Heftigkeit begegnet haben: um ſo viel mehr, da er geſonnen iſt, wie er ſagt, Sie zu ſeiner gaͤnzlichen Erbinn einzuſetzen und Jhnen die Vollziehung ſeines letz - ten Willens voͤllig aufzutragen.

Was fuͤr treffliche Gluͤcksguͤter haben Sie noch zu erwarten, meine wertheſte Fraͤulein! Jch bin vollkommen uͤberzeuget, wo es Gott gefaͤllt, Jhnen Leben und Geſundheit zu erhalten, daß jedermann bald mit Jhnen ausgeſoͤhnet ſeyn wird, und Sie noch viele gluͤckliche Tage erleben werden.

Jhre Fr. Mutter wuͤnſchte, daß ich Jhnen meine Aufwartung noch nicht machen moͤchte: weil ſie hoffet, daß ich dieß Vergnuͤgen bald mit eines jeden Genehmhaltung, ja gar auf ihrer aller Verlangen, haben koͤnne. Die Ausſoͤhnung Jh - res Herrn Vetter Mordens mit ihnen, wornach ſie alle ein ſehr großes Verlangen tragen, wird dieY 5Ver -346Verſoͤhnung derſelben mit Jhnen einſchließen: wie ich zu hoffen geneigt bin.

Allein wenn das geſchehen ſollte, was ich ſo ſehr fuͤrchte, und ich nicht bey Jhnen waͤre: ſo wuͤrde ich mir ſelbſt niemals vergeben. Erlau - ben Sie mir daher zu bitten, wertheſte Fraͤulein, daß Sie mir befehlen moͤgen, zu Jhnen zu kom - men; wo Sie irgend Gefahr merken und mir ein ruhiges Gemuͤth wuͤnſchen: ſo ſoll mich keine Be - trachtung abhalten.

Jch hoͤre, daß die Fraͤulein Howe von ihrer Fr. Mutter Erlaubniß bekommen habe, Sie zu beſuchen, und geſonnen ſey, ſo wohl zu dem En - de, als auch, wie man glaubet, um zu ihrer her - annahenden Hochzeit Kleider einzukaufen, kuͤnfti - ge Woche nach London zu reiſen.

Herrn Hickmanns Stiefmutter iſt neulich mit Tode abgegangen. Jhr Witwenſitz von 600 Pfund St. jaͤhrlicher Einkuͤnfte iſt ihm zugefal - len: und ſie hat ihm uͤberdieß zu einem Zeugniſſe ſeines guten Verhaltens gegen ſie, alle ihr Ver - moͤgen, welches ſehr betraͤchtlich geweſen iſt, ver - macht, einige wenige Vermaͤchtniſſe zum Beſten ihrer Anverwandten ausgenommen.

Solche tugendhafte Mannsperſonen ſind alle - zeit und unter allen Umſtaͤnden gleichmaͤßig tu - gendhaft. Sie koͤnnten auch ſonſt in der That nicht tugendhaft ſeyn: und fahren deswegen, weil ſie ſo ſind, niemals aͤrger. Alle Welt ſtimmt darinn uͤberein, daß er ein vortrefflicher Ehemann fuͤr die artige Fraͤulein ſeyn werde. Und347Und es iſt mir leid, daß ſie ſich nicht eben ſo ein - ſtimmig von ihr die Hoffnung einer vortrefflichen Gattinn machen. Allein ich hoffe, daß eine Fraͤu - lein von ihren guten Grundſaͤtzen ſeine Anwer - bung nicht gut heißen wuͤrde, ſie moͤchte ihn nun itzo lieben, oder nicht, wofern ſie daͤchte, daß ſie ihn nicht lieben koͤnnte, oder wofern ſie irgend ſonſt jemand ihm vorzoͤge.

Herr Pocock macht ſich anheiſchig, gegenwaͤr - tiges zu uͤberbringen: aber er beſorgt, es moͤchte erſt Sonnabends ſpaͤt, wo nicht gar Sonntags fruͤhe geſchehen.

Der Allmaͤchtige ſey Jhr Schutz und Heil! Mich verlangt herzlich, ſie zu ſehen Meine wertheſte Fraͤulein, mich verlangt herzlich, ſie zu ſehen und noch einmal an meine fuͤr Sie zaͤrtliche Bruſt zu druͤcken. Jch unterſtehe mich zu ſa - gen, die gluͤcklichen Tage nahen ſich ſchon. Mun - tern Sie ſich nur auf. Laſſen Sie der Hoffnung Raum.

Es ſey in dieſer, oder jener Welt: Sie muͤſ - ſen gluͤcklich ſeyn. Jnzwiſchen wuͤnſchen ſie doch ja, am Leben zu bleiben: wenn es auch nur des - wegen geſchehen ſollte, weil Sie nach Jhrer Ge - muͤthsart ſo geſchickt ſind, jedermann gluͤcklich zu machen, der die Ehre hat, Sie zu kennen. Was hat dieſe kurze Verdunkelung Jhres Glanzes auf ſich? Sie kommen nach allem, was ich gehoͤret habe, der Vollkommenheit ſo nahe, als ihr ein Geſchoͤpfe in dieſer Welt kommen kann. Denn hierinn liegt ihre Herrlichkeit: Sie ſind durchJhr348Jhr Leiden, ſo zu ſagen, glaͤnzender und reiner ge - worden! Wie verlangt mich, Jhre ganze traurige aber doch lehrreiche Geſchichte aus Jhrem eignen Munde zu hoͤren!

Um der Fraͤulein Howe willen, die in ihren neuen Verbindungen Jhrer ſo noͤthig haben wird; um Jhres Herrn Vetter Mordens willen; um Jhrer Fr. Mutter willen, wenn ich ja nicht wei - ter in Jhrer Familie gehen darf; und dennoch kann ich wohl ſagen, um ihrer aller willen; und um meinetwillen, meine allerliebſte Fraͤulein, neh - men Sie Jhre gewoͤhnliche Großmuth wieder an, und laſſen ſich dadurch aufrecht erhalten. Sie haben vieles zu thun: und ich weiß nicht, wer es thun wuͤrde, wenn Sie uns verlaſſen.

So vereinigen Sie dann Jhr Gebeth mit dem meinigen, daß Gott Sie einer Welt, die Jh - rer und Jhres Vorbildes bedarf, noch laͤnger er - halten wolle. Sollten auch gleich Jhre Tage abgezaͤhlt geweſen zu ſeyn ſcheinen: wer weiß dennoch, ob ſie Jhnen nicht mit dem frommen Koͤnige Hiskias verlaͤngert werden moͤgen? Gott gebe es, wo es ſein gnaͤdiger Wille iſt, und erhoͤ - re dadurch das Gebeth

Jhrer Judith Norton.

Der349

Der ein und vierzigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Rob. Lovelace.

Die Fraͤulein wollte den Brief den ſie von der Fr. Norton bekommen, nicht eher leſen, als bis ſie das heilige Abendmahl empfangen hatte: aus Furcht, er moͤchte etwas enthalten, das die gluͤckſelige Stille, welche ſie zu dieſer heiligen Handlung zu erhalten geſucht, ſtoͤren koͤnnte. Nachdem dieſelbe vollendet war, fand ſie ſich ſo geſetzt und geruhig, wie ſie ſagte, daß ſie glaubte, ſie koͤnnte nunmehr alle und jede Zeitungen, wenn ſie auch noch ſo ſchmerzlich waͤren, mit gelaſſenem