Jch bin um den armen Menſchen, deſſen Ausgang aus der Welt ich beynahe ſtuͤnd - lich erwarte, und bey den empfindlichen Trauerſpielen, welche ſeine Krankheit und ſeine Todesangſt vorſtellet, ſo bekuͤmmert gewe - ſen, daß ich mich nicht in dem Stande befunden habe, mehr als ein Verzeichniß von den traurigen Vorfaͤllen mit wenigen Worten aufzuſetzen, da - mit ſich daraus zur Lehre fuͤr uns alle eine vollkom - menere Nachricht entwerfen laſſe, wenn die Luſt zu ſchreiben wiederkommen wird.
Sie iſt wiedergekommen. Der Unwillen hat ſie erwecket: da ich deine Briefe vom Sonntage und von geſtern erhalten habe. Du giebſt mir dadurch Urſache, dir ernſtlich zu verweiſen, daß du dein Wort, welches du mir auf deine Ehre ge - geben hatteſt, gebrochen haſt: und wo daraus ſolche Folgen entſtehen, als ich befuͤrchte; ſo wer -Siebenter Theil. Ade2de ich dich mehr von meiner Meynung in dieſem Stuͤcke wiſſen laſſen.
Wenn du haben wollteſt, daß deine Wuͤnſche, die arme Fraͤulein zu deinem Vortheil zu gewin - nen, fuͤr Ernſt angeſehen wuͤrden: ſo wird ge - wiß dein leichtfertiges und kurzweiliges Bezeigen in Smithens Hauſe, wenn ſie es hoͤret, ein ſol - ches Anſehen haben, das ſich damit vortrefflich raͤumet. Nicht wahr? ‒ ‒ Es wird ſie in der That in ihrer Meynung beſtaͤrken, daß eine Per - ſon von ihrer ernſthaften und gottſeligen Gemuͤths - art mehr das Grab, als einen ſolchen Ehegat - ten zu wuͤnſchen habe, der weder zu ernſthafter Ueberlegung noch zu einem Gefuͤhl der Regungen des Gewiſſens aufgelegt iſt, ob er gleich eben aus einer gefaͤhrlichen, wenigſtens einer heftigen Krank - heit aufgekommen, wie du wirklich erſt eben da - von geneſen biſt.
Jch bin um die arme Fraͤulein, die ohne al - len Schutz iſt, uͤber die Maßen bekuͤmmert. Sie war am Sonnabend ſo ausnehmend matt und ſchwach, daß ich nicht vor ſie kommen konnte, mit ihr zu reden. Und dennoch wird ſie aus ihrer Wohnung getrieben: da es ſich beſſer fuͤr ihren Zuſtand ſchickte, im Bette zu bleiben. Dieß iſt eine ſolche Probe der Grauſamkeit, daß nur der - jenige ſich derſelben ſchuldig machen koͤnnte, der mit einem ſolchen Engel ſo zu verfahren im Stan - de waͤre, als du mit ihr umgegangen biſt.
Kannſt du ſelbſt bey reifer Ueberlegung ſa - gen, daß es nicht das Anſehen einer gottloſen undver -3verhaͤrteten Neigung, mit andern ein Spiel zu treiben, bey dir habe, wenn du bloß aus muthwilli - ger Luſt, da keine Abſicht, die du dir vorſetzeſt, ſon - dern vielmehr gerade das Gegentheil, dadurch kann befoͤrdert werden, ein armes Frauenzimmer von einem Orte zum andern jageſt, welches, wie ein unſchuldiges Thier, das ſchon einen zackichten Pfeil in der Bruſt hat, nur in dem Schatten des Todes eine Zuflucht vor dir ſuchet?
Jedoch ich will dieſe Sache deinem eigenen Gewiſſen anheim ſtellen, und dir aus meinem Verzeichniſſe der hier vorgefallenen Umſtaͤnde ein ſolches Trauerſpiel vorſtellen, das dich viel - leicht kraͤftiger als alles andere, ruͤhren wird. Denn es iſt von der Art, daß du dereinſt ſelbſt ei - ne Hauptperſon darinn ſpielen mußt: und eben dasjenige, welches du, wie ich dachte, ganz neu - lich an dir zu befuͤrchten hatteſt. Es iſt das letz - te Trauerſpiel eines deiner vertrauteſten Freunde, der ſeit den vier verwichnen Tagen unter der Angſt des Todes gearbeitet hat. Laß dieſe Wahrheit, Lovelace, dieſe unſtreitige Wahrheit dir bey allen deinen luſtigen Aufzuͤgen ins Gedaͤchtniß einge - graben ſeyn, daß dieß Leben, in welches wir ſo verliebt ſind, kaum ein Leben, nur ein bloßer Hauch ſey, und daß am Ende, wenn es auch aufs laͤngſte dauret,
Du eben ſo wohl ſterben muͤſſeſt, als BELTON.
Du haſt von Tourville erfahren, was wir in den weltlichen Angelegenheiten dieſes armen Man -A 2nes4nes ausgerichtet; und daß wir ſeine ungluͤckliche Schweſter zu ihm gebracht hatten, um mit ihm zu leben; indem wir uns nicht in den Sinn kom - men ließen, daß er ſeinem Ende ſo gar nahe waͤ - re: daher will ich nur bey meinem Vorſatz blei - ben, und dir melden, daß ich ihn bey meiner An - kunft in ſein Haus am Sonnabend, Abends, ausnehmend ſchlecht gefunden habe. Er war aber eben aufgeſtanden, und ſaß in ſeinem Lehn - ſtuhl. Seine Waͤrterinn, und Mowbray, der rau - heſte und unbequemlichſte Menſch, welcher je - mals in eines Kranken Kammer gekommen iſt, hielten ihn: da unterdeſſen die Maͤgde verſuchten, ob ſie ihm das Bette bequemer machen koͤnnten, in welches er ſich wieder legen ſollte; wiewohl ſein Gemuͤth noch zehnmal unbequemer war, als das ſeyn konnte, und die wahre Urſache enthielte, warum die Pflaumfedern fuͤr ihn nicht weicher waren.
Jhn hatte ſo ſehr verlanget, mich zu ſehen; wie mir ſeine Schweſter erzaͤhlte, welche ich her - unter bitten ließ, mich zu erkundigen, wie es mit ihm ſtuͤnde; daß ſie ſich alle freueten, da ich hin - ein kam. Hier, ſagte Mowbray, hier, Thomas, iſt der ehrliche Bruder Belford!
Wo, wo? fragte der arme Kerl.
Jch hoͤre ſeine Stimme, rief Mowbray. Er kommt die Treppe herauf.
Vor Entzuͤckung wollte er ſich aufrichten, als ich hinein trat: waͤre aber bald aus dem Stuhl daruͤber gefallen. Nachdem er wieder zu ſich ge -kom -5kommen war: nannte er mich ſeinen beſten, ſeinen liebreichſten Freund. Allein ein Strom von Thraͤnen ſchoß aus ſeinen Augen hervor. O Bruder! o Belford! ſprach er, ſiehe in welchem Zuſtande ich bin! Siehe, wie ſchwach! So weit und ſo bald herunter gebracht! Kennet ihr mich? Kennet ihr euern armen Freund Belton?
Jhr habt euch nicht ſo ſehr veraͤndert, mein lieber Belton, als ihr denket. Allein ich ſehe, daß ihr ſchwach, ſehr ſchwach ſeyd ‒ ‒ Und das iſt mir leid.
Schwach! ſchwach, in der That, mein lieb - ſter Belford, und ſchwaͤcher am Gemuͤthe, wo moͤglich, als am Leibe, ſprach er und weinte bit - terlich ‒ ‒ ſonſt wuͤrde ich mich nicht ſo wenig maͤnnlich bezeigen. Jch, der niemals irgend et - was fuͤrchtete, ſoll genoͤthigt ſeyn, mich als el - nen Saͤugling zu beweiſen! ‒ ‒ Jch ſchaͤme mich vollkommen vor mir ſelbſt! ‒ ‒ Aber ver - achte mich nicht, lieber Belford, verachte mich nicht, ich bitte dich.
Jch habe allezeit einen Menſchen in Ehren gehalten, ſprach ich, der um anderer Elend wei - nen koͤnnte, und werde ihn allezeit in Ehren hal - ten: ein ſolcher Menſch aber kann bey ſeinem eignen Jammer nicht unempfindlich ſeyn.
Jnzwiſchen konnte ich mich nicht enthalten, mich durch die heftige Unruhe des amen Mannes augenſcheinlich ruͤhren zu laſſen.
Nun, ſagte der vermeſſene Mowbray, halte ich dich fuͤr unleidlich, Bruder. Unſer armerA 3Freund6Freund iſt ohne das ſchon um eine ganze Stuffe zu niedrig, und du bringſt ihn noch immer nie - driger herunter. Dieß Liebkoſen in ſeinen nieder - geſchlagenen Stunden, und dein weibiſches Wei - nen mit ihm, iſt nicht der rechte Weg: gewiß nicht. Wenn unſer Lovelace hier waͤre: ſo wuͤr - de er dir das ſagen.
Du biſt ein unbeweglicher Menſch, antwor - tete ich. Du ſchickſt dich nicht dazu, daß du bey einem Trauerſpiel zugegen ſeyſt, wovon du das Schrecken nicht eher zu fuͤhlen im Stande ſeyn wirſt, als bis du es an dir ſelber fuͤhleſt: und wo du alsdenn nur noch Zeit zu fuͤhlen haſt; ſo ſe - tze ich mein Leben gegen deines, daß du dich eben ſo klaͤglich bezeigeſt, als diejenigen, welche du fuͤr die klaͤglichſten haͤltſt.
Darauf wandte ich mich zu dem armen Kran - ken. Thraͤnen, mein lieber Belton, ſind nicht Zeichen eines weibiſchen, ſondern eines menſch - lichen Gemuͤths. Sie erleichtern das uͤberladene Herz, welches berſten wuͤrde, wenn es dieſe ange - nehme und natuͤrliche Erleichterung nicht haͤtte. Shakeſpeare ſagt:
Laß ja die Schmerzen ſprechen:Der Kummer, der nicht ſpricht,Verheelet ſich darum dem ſchweren Herzennicht;Er ziſchelt ihm doch zu, und noͤthigt es, zubrechen.
Jch weiß, mein lieber Belton, du pflegteſt an den Stellen, die aus den Dichtern angefuͤhretwer -7werden, Vergnuͤgen zu finden: aber itzo mußt du gegen ihre Schoͤnheiten wohl unempfindlich ſeyn. Jnzwiſchen laß dich durch dieſen rauhen und un - bedaͤchtlichen Mowbray nicht irre machen: denn die Thraͤnen, wie Juvenal ſagt, ſind ein Vor - zug bey einem maͤnnlichen Gemuͤthe.
Es iſt wenigſtens zu gelegner Zeit geſprochen, mein lieber Belford: es iſt eine Guͤtigkeit, mich der Verwirrung uͤber dieſe weibiſche Schwach - heit zu entziehen; wie Mowbray ſie allezeit, ſeit dem er bey mir geweſen iſt, zu einem Vorwurf wider mich genannt hat. Er hat mich durch dieß Verfahren uͤberzeuget, daß Freunde beym Glaſe, nichts anders fuͤhlen, als was in dieſem kleinen Kreiſe vorgehet: ich moͤchte auch bey ſo vollkom - mener Geſundheit, als er genießet, gedacht haben, was ich wollte.
Gut, gut, bleibt bey eurer Weiſe, Bruder Jch liebe meinen Freund Belton eben ſo wohl, als ihr ihn lieben koͤnnet: allein, wenn es auch mein Blut koſten ſollte, ſo kann ich nicht anders geden - ken, als daß die Liebkoſungen gegen die Weich - herzigkeit eines Mannes dieſelbe nur vermehren.
Wo es eine Weichherzigkeit iſt, ſagte ich, bey großen und wichtigen Begebenheiten, an welchen unſere Menſchheit Theil hat, geruͤhret zu werden: ſo magſt du Recht haben.
Jch habe manchen Kerl, verſetzte der rauhe Menſch, auf den Holbourner Huͤgel zum Tode gefuͤhrt geſehen, der ſich weitA 4maͤnn -8maͤnnlicher verhalten hat, als einer von euch beyden.
Aber Mowbray, antwortete der arme Kerl, dieſe elenden Leute haben keine ſolche Schwachhei - ten des Leibes gehabt, als ich lange ausgeſtanden habe, ihre Gemuͤther zu entkraͤften. Du biſt ein aͤrgerlicher harter Kerl, und biſt es allezeit gewe - ſen. Allein daß ich mich in dieſen ſchweren Stunden an nichts erinnern kann, als was mir zu einem ſtrafbaren Vorwurf gereichet, und doch weiß, daß ich es nicht lange halten koͤnne, und was mein Schickſal alsdenn ſeyn moͤge, wo ‒ ‒ Hier brach er ſelbſt ab und wandte ſich zu mir ‒ ‒ Aber goͤnne mir dein Mitleiden, Bruder! Das iſt ein Balſam fuͤr meine verwundete Seele. Laß Mowbray ſitzen, und bey der Quaal eines ſter - benden Freundes gleichguͤltig genug ſeyn, uͤber uns beyde zu lachen.
Hierauf gieng der verhaͤrtete Kerl von uns weg, mit der Miene eines Lovelacens: nur weit traͤumeriſcher; indem er gaͤhnte und ſich ſtreckte, ſtatt ein Liedlein zu ſingen, wie du in Smithens Hauſe gethan haſt.
Jch half den armen Mann zu Bette bringen. Er war ſo ſchwach und matt, daß er die Be - ſchwerde nicht aushalten konnte und in Ohnmacht fiel. Jch dachte in Wahrheit, er waͤre ganz weg. Weil er ſich aber wieder erholte, und der Arzt, welcher eben kam, verordnete, ihn ruhen zu laſſen: ſo entfernte ich mich, und kam zu Mow - bray in den Garten; welcher mehr Vergnuͤgenfand,9fand, von dem lebendigen Lovelace und deſſen Leichtſinnigkeit, als von dem ſterbenden Belton und deſſen Buße zu ſchwatzen.
Jch kam am Sonnabend, Abends, nur auf einen Augenblick wieder zu ihm, ehe ich zu Bette gieng: welches ich ziemlich fruͤhe that; weil ich der windichten Unempfindlichkeit an Mowbray uͤberdruͤßig war, und ihn nicht leiden konnte. Es iſt ſo etwas ſchreckliches, daran zu gedenken, daß ein Menſch, der in ſo genauer Vertraulichkeit; es faͤllt nicht ſo aus, daß ich Freundſchaft ſagen darf; mit einem andern gelebet, und ſo viele Lie - be zu ihm vorgegeben hatte; der es nicht ertragen konnte, ohne ſeine Geſellſchaft zu ſeyn; der wohl hundert Meilen weit deswegen geritten waͤre; der ſich fuͤr ihn, er mochte eine gute oder boͤſe Sa - che haben, ſchlagen wollte; ſich doch itzo ſo wenig ruͤhren laſſen konnte, da er ihn in ſolchem Elende in Anſehung des Leibes und Gemuͤthes ſahe, daß er im Stande war, ihn durch Verweiſe niederzu - ſchlagen und vielmehr laͤcherlich zu machen, als Mitleiden mit ihm zu haben, weil er durch das, was er fuͤhlte, mehr beweget war, als er einen Uebelthaͤter, der vielleicht durch ſtarke Getraͤnke hart gemacht und nicht vorher durch Krankheit er - weichet ſeyn mochte, bey ſeinem Hingange zur Vollziehung des Todesurtheils bewegt geſehen hatte.
Dieß erinnerte mich, mit ſtarkem Eindruck, an dasjenige, was die goͤttliche Fraͤulein Harlo - we einmal zu mir ſagte: als ich von der Freund -A 5ſchaft10ſchaft ſchwatzte, und vorſtellte, was meine Freund - ſchaft gegen euch von mir forderte. „ Glauben „ ſie ſicher, Herr Belford, „ waren ihre Worte, „ ſie werden einmal uͤberzeuget werden, daß das, „ was ſie Freundſchaft nennen, Spreu und Stop - „ peln ſey, und daß nichts dieſen geheiligten Na - „ men verdiene, „ was nicht die Tugend zu ſeinem „ Grunde hat. „
Des Sonntags ward ich fruͤhe um ſechſe, auf ſein ernſtliches Verlangen, hinaufgerufen, und fand ihn in einer ſchrecklichen Todesangſt. O Bruder, Bruder! ſchrie er, und ſahe ſo verwil - dert aus, als wenn er ein Geſpenſt geſehen haͤtte ‒ ‒ Komm naͤher zu mir! ‒ ‒ Er reckte beyde Arme aus! ‒ ‒ Komm naͤher zu mir ‒ ‒ Lieber, lieber Belford, rette mich! Darauf ergriff er mich mit beyden Haͤnden bey dem Arm, reck - te den Kopf gegen mich in die Hoͤhe und ließ die Augen ſeltſam herumſchießen. Rette mich! lieber Belford, rette mich! ſagte er noch einmal.
Jch ſchlug meinen andern Arm um ihn her - um ‒ ‒ Wovon ſoll ich euch retten, mein lieber Belton? Wovon ſoll ich euch retten? ‒ ‒ Es ſoll euch nichts Leid thun. ‒ ‒ Wovon muß ich euch retten?
Als er ſich wieder von ſeinem Schrecken er - hohlte: ſank er wiederum nieder. O, ſprach er, rette mich von mir ſelbſt. Rette mich von mei - nen eignen Gedanken. O lieber Bruder! was fuͤr eine harte Sache iſt es, zu ſterben und ſichaus11aus ſeinem vergangenen Leben nichts zu ſeinem Troſte zu erinnern zu haben! ‒ ‒ Was wollte ich fuͤr ein Jahr, nur ein einziges Jahr, von mei - nem verſtrichnen Leben geben ‒ ‒ wenn ich dar - inn nur die Dinge eben ſo anſehen moͤchte, als ich ſie itzo anſehe?
Jch verſuchte ihn ſo gut zu troͤſten, als ich konnte. Allein bey dem Todbette ſind freye und luſtige Bruͤder leidige Troͤſter fuͤr einander. Er ſetzte mir ſelbſt zu. O mein lieber Belford, ſprach er, man erzaͤhlt mir, und ich habe euch deswe - gen laͤcherlich machen hoͤren, daß die vortreffliche Fraͤulein Harlowe eine Bekehrung in euch gewir - ket hat. O daß es doch ſo ſeyn moͤchte! Jhr ſeyd ein verſtaͤndiger Mann. O daß es doch ſo ſeyn moͤchte! Nun iſt es die Zeit fuͤr euch! Nun, da ihr vollkommen munter von Gemuͤthe und von Leibe ſeyd! Aber euer armer Belton, ach! euer armer Belton hat ſeine Laſter ſo lange behalten, bis ſie ihn verlaſſen haben. Und ſehet die klaͤg - lichen Folgen in der Schwachheit des Gemuͤths und der Kleinmuͤthigkeit! Waͤre Mowbray hier, und wollte uͤber mich lachen, ſo wollte ich ihm frey geſtehen, daß dieß die Urſache meiner Ver - zweifelung ſey: weil Gottes Gerechtigkeit nicht ſeine Gnade zu meinem Troſte wirken laſſen kann. Denn o! ich bin ſehr, ſehr gottlos geweſen, und habe die dargebotene Gnade verachtet, bis er ſie mir auf ewig entzogen hat.
Jch brauchte alle Gruͤnde, worauf ich mich beſin - nen konnte, ihn zu troͤſten: und das, was ichihm12ihm vorſagte, hatte eine ſolche Wirkung uͤber ihn, daß es ſein Gemuͤth fuͤr den groͤßten Theil des Tages in Ruhe ſetzte. Zu einer guten Stunde, da ſein Gemuͤth etwas heiterer war, erlaubte ihm ſein Gedaͤchtniß dieſe Zeilen aus Dryden zu wie - derhohlen, indem er meine Hand ergriff und mich ſtarre anſahe:
O koͤnnt ich mein Gemuͤth nur etwas beſſerfaſſen,Und weniger in Furcht dieß Weſen fahren laſſen,Das wie ein Ball von Schnee, in meiner fei -gen Hand,Je mehr ich ihn gefaßt, begriffen, umgewandt,Deſto geſchwinder zerſchmelzet!
Am Sonntage, Nachmittags, erkundigte er ſich nach euch und eurem gegenwaͤrtigen Bezeigen gegen die Fraͤulein Harlowe. Jch erzaͤhlte ihm, wie krank ihr geweſen waret, und wie leichtſin - nig ihr euch dabey bewieſen hattet. Mowbrayen gefiel eure undurchdringliche Haͤrtigkeit des Her - zens. Robert Lovelace, ſagte er, waͤre ein rech - ter Kerl von Eiſen und Stahl. Dergleichen rau - he aber herzliche Lobeserhebungen mehr ertheilte er dir, welche ein ruchloſer Menſch ertheilen moch - te und auch nur ein ruchloſer Menſch zu verdie - nen wuͤnſchen konnte.
Haͤtteſt du hingegen das gehoͤret, was der ar - me ſterbende, und zu ſpaͤt weiſe Belton bey die - ſer Gelegenheit ſagte: ſo wuͤrde es dich vielleicht, wenigſtens auf eine oder zwo Stunden ernſt - haft gemacht haben.
Wenn13Wenn der arme Lovelace, ſprach er, ſo wie ich nun, auf das Krankenbette geworfen wird, und ſein Herz ihm zuſaget, daß ſeine Geneſung un - moͤglich ſey; welches daſſelbe in ſeiner letzten Krankheit nicht thun konnte, ſonſt wuͤrde er ſich nicht ſo leichtſinnig dabey bezeiget haben ‒ ‒ Wenn er ſein vergangenes und uͤbel angewandtes Leben, ſeine ſtrafbaren Handlungen gegen un - ſchuldige Perſonen, die ſich nicht helfen konnten, ſonderlich was mit der Fraͤulein Harlowe vorge - gangen iſt, uͤberleget: was wird er denn von ſich ſelbſt und von ſeinen vergangenen Thaten geden - ken? Wenn ſein Muth geſchwaͤchet, ſeine Staͤrke Schwachheit geworden iſt; wenn er nicht im Stande iſt, ohne Huͤlfe aus der Stelle zu kom - men; wenn kein einziger Strahl der Hoffnung auf ſeine in Nacht und Dunkelheit verhuͤllte See - le zuſchießet; wenn ſein Gewiſſen die Stelle von tauſend Zeugen wider ihn vertritt; wenn ſeine Schmerzen ihn quaͤlen; wenn er des elenden Ue - berreſtes von dem Leben, das er als eine Laſt ſchleppet, muͤde iſt, und doch befuͤrchtet, daß in wenigen kurzen Stunden ſein Bette mit einem noch aͤrgern, ja dem aͤrgſten Zuſtande unter allen verwechſelt ſeyn, und daß eben dieſer aͤrgſte Zu - ſtand unter allen ohne Ende, und in alle Ewig - keit dauren werde: o Bruder! was wird er als - denn von dem elenden und voruͤbergehenden Ver - gnuͤgungen der Sinne gedenken, welche itzo alle ſeine Aufmerkſamkeit an ſich ziehen? Sage ihm, lieber Belford, ſage ihm, wie gluͤcklich er ſey, wo -fern14fern er ſeine eigne Gluͤckſeligkeit kennet; wie gluͤck - lich, in Vergleichung mit ſeinem armen ſterben - den Freunde, daß er von ſeiner Krankheit wie - der aufgekommen iſt und ihm noch eine bequeme Zeit gegoͤnnet wird, fuͤr welche ich tauſend Welten geben wollte, wenn ich ſie zu geben haͤtte.
Jch billigte das, was er ſagte, uͤber alle Maßen, als Betrachtungen, die ſich zu ſeinen gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden ſchickten, und zog aus einem ſo gehoͤrig geruͤhrten Gemuͤthe Gruͤnde, ihn zu troͤſten.
Er fuhr in eben dieſen bußfertigen Reden fort. Jch habe ein ſehr gottloſes Leben gefuͤhret: und das haben wir alle. Wir haben uns nie - mals ein Gewiſſen gemacht, alles Unheil zu ver - uͤben, welches entweder Gewalt oder Betrug uns zu veruͤben in den Stand ſetzte. Wir haben un - ſchuldigen Herzen Fallſtricke geleget, und kein Bedenken getragen, das Boͤſe, welches wir ver - uͤbet hatten, durch unſern allzufertigen Degen, wie es die Gelegenheit gab, auch uͤber diejenigen Perſonen auszubreiten, die wir vorher in ihren liebſten Angehoͤrigen beleidiget hatten. Aber dennoch denke ich in meinem Herzen, daß ich we - niger zu verantworten habe, als Lovelace oder Mowbray. Denn da ich die verfluchte Betruͤ - gerinn zu mir genommen hatte, von der du mich befreyet haſt, und die manche Jahre uͤber ohne mein Wiſſen einen Theil des Uebels, das ich an - dern zugefuͤget hatte, mir auf meinen Kopf wie - der vergolten hat; da ich mich auf mein Gutbege -15begeben hatte, und mit ihr, als einer Frauen, lebte: ſo habe ich nicht an der Haͤlfte von dem Unfug Theil gehabt, den ſie und Tourville, ja auch ihr ſelbſt, Belford, vermuthlich getrieben haben. Was die undankbare Thomaſine be - trifft: ſo hoffe ich, daß ich bey ihr ſelbſt meine Strafe gefunden habe. Allein dem ungeachtet, meyneſt du nicht, daß dieſe Handlung ‒ ‒ jene Handlung ‒ ‒ wiederum dieſe Handlung ‒ ‒ So erinnerte er ſich an verſchiedene ungeheure Bosheiten, woran wir alle durch eingebildete Herzhaftigkeit und durch den Wein verleitet, Theil genommen haben ‒ ‒ meyneſt du nicht, daß dieſe Schandthaten; laß mich ſie itzo bey ihren rechten Namen nennen; nebſt der vorſetzlichen Verabſaͤumung aller Pflichten, womit wir uns noch dazu zu ruͤhmen pflegten, da uns doch unſe - re beſſere Einſicht und Erziehung lehrte, daß wir zu denfelben als Menſchen und als Chriſten ver - bunden waͤren; meynſt du nicht, daß dieſe hin - laͤnglich genug-ſind, meine Seele durch ihr Ue - bergewicht zur Verzweifelung herunter zu ziehen? ‒ ‒ Jn Wahrheit, in Wahrheit, ſie ſind es! Und wie kann ich nun auf Barmherzigkeit hof - fen! Wie kann ich mich auf die kraͤftige Wir - kung dieſer liebreichen Eigenſchaft des hoͤchſten Weſens verlaſſen: da die nicht weniger herrliche Vollkommenheit ſeiner Gerechtigkeit mir alle Hoffnung unterſaget? Wie kann ich es! ‒ ‒ Jch, der ich alle Warnungen verachtet, und mir den Vortheil, welchen ich aus der langwierigen undver -16verzehrenden Krankheit, mit der ich mich gequaͤ - let habe, haͤtte ziehen moͤgen, nicht zu Nutze ge - macht, ſondern alles auf den letzten Stand habe ankommen laſſen: indem ich auf meine Geneſung, ohne allen Grund zu hoffen, gehoffet, und die Buße ſo lange verſchoben habe, bis dieſe Gnade mir verſaget iſt! Denn, o mein lieber Belford, ich kann itzo weder Buße thun, noch beten, wie ich ſollte: mein Herz iſt verhaͤrtet, und ich kann nichts anders thun, als verzweifeln! ‒ ‒
Er wuͤrde noch mehr geſaget haben. Weil ihn aber der Kummer und die Schwachheit uͤber - ſtroͤmte: ſo bog er ſein Haupt auf ſeine geaͤngſte - te Bruſt nieder, und ſuchte vor den Augen des verhaͤrteten Mowbray, der eben damals in das Zimmer trat, die Thraͤnen zu verbergen, welche er nicht zuruͤckhalten konnte.
Mowbray machte den Eingang zu ſeiner Un - terredung mit einem kaltſinnigen Ey! ‒ betruͤbt, ſehr betruͤbt, in Wahrheit, rief er, und ſetzte ſich an der einen Seite des Bettes nieder, wie ich an der andern ſaß. Seine Augen waren halb ge - ſchloſſen, ſeine Lippen bis an die aufgebogene Na - ſe herausgereckt, und ſein Kinn, ein von dei - nen Beſchreibungen zu gebrauchen, wie geronne - ne Milch zuſammengelaufen, ſo daß man unge - wiß gelaſſen wurde, ob daͤhmiſche Schlaͤfrigkeit, oder ſcharfes Nachdenken, ſich ſeiner am meiſten bemaͤchtigt hatte.
Bey meiner Treue, Mowbray, ſagte ich, es iſt eine vortreffliche, wenn gleich unbequeme,Lehre!17Lehre! ‒ ‒ Es kann uns einmal, wer weiß, wie bald, eben der Zuſtand uͤberfallen.
Jch dachte an dein Gaͤhnſieber, wie es in dei - nem Briefe vom 13ten Aug. beſchrieben iſt. Denn Mowbray fuhr auf, drehete und ſchuͤtteite ſich, als wenn er einen Anfall vom Fieber bekaͤme, und ſtreckte beyde Haͤnde uͤber den Kopf aus ‒ ‒ mit deinem Hay! Hay! Hay! mit lauter Gaͤh - nen. ‒ ‒ Nachdem er ſich hierauf noch einmal geſtreckt und geſchuͤttelt hatte: kam er wieder zu ſich. Was iſt die Uhr? rief er, und zog ſeine Sackuhr hervor. ‒ ‒ Dann ſchlich er mit lan - gen Schritten auf den Zaͤhen durch das Zimmer und ging die Treppe hinunter. Auf dem Gange begegnete ihn die Magd, und ich hoͤrte, daß er zu ihr ſagte: Eliſabeth, bringe mir ein gutes Glaß rothen Wein; dein armer Herr und der verdamm - te Belford koͤnnen ſchon allein einen Herkules zu einem Grillenfaͤnger machen.
Nachher vertrieb Mowbray ſich die Zeit in unſers Freundes Buͤcherſaal mit ſeinem Buͤcher - vorrath, welcher, wie du weißt, groͤßtentheils aus den Werken der Alten, den Meiſterſtuͤcken des Witzes, und aus Schauſpielen beſtehet. Er fand in Leens Oedipus eine Stelle, die mit aller Gewalt ausnehmend geſchickt ſeyn ſollte. Von der Vorſtellung des Muths, den ſie dem ſterben - den Manne einfloͤßen ſollte, war er ganz einge - nommen. Daher kam er herein und las ſie ihm vor. Sie iſt poetiſch und artig. Hier iſt ſie.
Siebenter Theil. BWenn18Er vermuthete fuͤr dieſen Fund gelobet zu werden. Aber Belton wandte ſeinen Kopf von ihm weg. Ach, Richard! ſagte er, dieß ſind kei - ne Betrachtungen fuͤr einen Sterbenden. Das, was du einmal fuͤhlen wirſt, wird dich uͤberzeu -gen,19gen, wofern es eben das ſeyn wird, was ich itzt fuͤhle, daß die Uebel, welche vor und bey dir ſind, etwas mehr ſind, als die Wirkungen der Einbildungskraft.
Jn der Nacht vom Sonntage auf den Mon - tag ward ich zweymal zu ihm gerufen. Denn der arme Mann fuͤrchtet ſich, wenn die Vorſtel - lungen von ſeinem vergangenen Leben ihn am meiſten beunruhigen, mit den Weibsleuten allein zu ſeyn, und ſeine Augen, ſagen ſie mir, gehen ihm in dem Kopfe herum, und ſuchen mich. Wo iſt Herr Belford? ‒ ‒ Aber ich werde ihn verdrieslich machen, ſchreyet er ‒ ‒ Jedoch bit - tet ihn zu mir zu kommen ‒ ‒ Doch nein, thut es nicht ‒ ‒ Doch thut es nur. So zweifelhaft und veraͤnderlich war er einmal in ſeinen Befeh - len: und ſie riefen mich, denſelben zu Folge, hin - auf zu kommen.
Aber ach! was konnte ihm Belford helfen? Belford, der nur gar zu oft in den ſtrafwuͤrdigen Stunden ſein Mitgeſelle geweſen, der eben ſo viel Barmherzigkeit noͤthig hat, als er, und nicht im Stande iſt ſich ſelbſt einmal dieſelbe zu verſpre - chen, ob ſie gleich das einzige iſt, worauf er ſei - nen armen Freund ſich zu verlaſſen ermahnen kann.
Was fuͤr Miſſethaͤter ſind wir! Was fuͤr Perſonen werden wir in dieſen ſchrecklichen Stun - den ſpielen.
Wo das herrliche Beyſpiel der Fraͤulein Harlowe an einer, und das Schrecken dieſesB 2armen20armen Mannes an der andern Seite mich nicht ruͤhren: ſo muß ich dem Verderben uͤbergeben ſeyn; wie ich fuͤrchte, daß du ſeyn wirſt, wo du dir nicht beydes zu Nutze macheſt.
Unter denen Troſtgruͤnden, welche ich ihm nachdruͤcklich vorhielte, als ich das letzte mal, in der Nacht vom Sonntage auf den Montag, zu ihm gerufen war, ſtellte ich ihm vor, daß er ſich nicht ganz der Verzweifelung uͤberlaſſen muͤßte, und daß manche Furcht, durch die er beunruhiget wuͤrde, auch die gottſeligſten Leute, wegen der ſchrecklichen Ungewißheit des kuͤnftigen Zuſtandes nach dieſem Leben, uͤberfallen muͤßte. Ein Dich - ter und Gottesgelehrter, ſagte ich, welcher ein vortrefflicher Chriſt war(*)Der ehrwuͤrdige Herr Norris von Bemerton., hat ſehr wohl be - merket:
Geſtern, am Montage, fruͤhe um acht Uhr, fand ich ihn ein wenig geruhiger. Er fragte mich, wer der Verfaſſer von den zwoen Zeilen waͤre, die ich ihm angezogen hatte, und ließ mich dieſelben noch einmal herſagen. Ein trauriger Aufzug in Wahrheit! ſprach der arme Mann, und erklaͤrte ſich, daß er gar keine Hoffnung haͤt - te laͤnger zu leben. Er bezeugte, daß es ihm er - ſchrecklich waͤre, an den Tod zu gedenken, undzog21zog hieraus erſchreckliche Folgen in Abſicht auf ſein kuͤnftiges Schickſal. Es ſteckt ein ſo na - tuͤrlicher Abſcheu vor dem Tode in der menſch - lichen Natur, verſetzte ich hierauf, daß ihr euch nicht einbilden muͤſſet, mein lieber Belton, als wenn die Furcht vor demſelben und die Sorgen, welche bey ſeiner Naͤherung das Gemuͤth erfuͤl - len, an euch etwas beſonderes waͤren. Jhr muͤſ - ſet billig, ſo viel als moͤglich iſt, dieſe natuͤrliche Furcht, welche alle Menſchen bey einem ſo wich - tigen Vorfall haben muͤſſen, von der beſondern Beyſorge unterſcheiden und abſondern, welche da - her in euch entſtehet, weil ihr mit Recht befuͤrch - tet, nicht bereit und geſchickt zu ſeyn. Der Lord Roscommon ſchreibt in ſeinem Anblick des To - des, welche Schrift ich, unter einer Sammlung von andern in eurem Cloſet, verwichene Nacht ein wenig durchgeblaͤttert und zu mir geſteckt ha - be, auf folgende Art ‒ ‒ Jch ſuchte die Stelle auf ‒ ‒
Der Lord Roscommon, fuhr ich fort, hatte alſo eben ſolche Furcht vor dieſem finſtern Zuſtan - de, als ihr habet: und der vortreffliche Gottes - gelehrte, deſſen ich verwichene Nacht gedachte, der ſich ſehr wenig mehr, als menſchliche Schwach - heiten, vorzuwerfen hatte, und deſſen vermiſchte Betrachtungen mir unter meines Onkels Buͤ - chern, als ich ihm in ſeinen letzten Stunden auf - wartete, in die Haͤnde fielen, druͤckt ſich ſo dar - uͤber aus:
Ach! mein lieber Belford, ſchloß der un - gluͤckliche Gruͤbler, was fuͤr elende Geſchoͤpfe, wie mich dieß uͤberzeuget, ſind wir Sterbliche, auch wenn es am beſten mit uns ſtehet? ‒ ‒ ‒ Aber wie muß es denn einem ſo verruchten Menſchen gehen, als ich bin, der durch ein vergangenes und gottloſes Leben dieſem natuͤrlichen Schrecken noch mehr Staͤrke gegeben hat? Jſt der Tod der menſchlichen Natur ſo zuwider, daß gottſelige Leute daruͤber in Schrecken und Verwirrung ge - rathen werden: was muß er einem ſolchen ſeyn, der nach ſeinen ſinnlichen Luͤſten und Begierden gelebet, und niemals an das Ende, welches ich nun ſo nahe vor mir ſehe, gedacht hat?
Was konnte ich zu einer ſo richtig gezogenen Folge ſagen? Barmherzigkeit! Barmherzigkeit! unumſchraͤnkte Barmherzigkeit! war noch beſtaͤndig das einzige, was ich ihm zu ſeiner Ve - ruhigung vorhalten konnte: ob er mich gleichB 4dadurch24dadurch, daß er ihr die Gerechtigkeit entgegen - ſetzte, einigermaßen zum Stillſchweigen brachte. Was wollte ich darum gegeben haben, daß mir eine gute, eine vorzuͤglich gute Handlung in den Sinn gekommen waͤre, an die ich ihn haͤtte erin - nern koͤnnen, um dadurch ſeine Furcht zu be - ſtreiten.
Jch glaube, Lovelace, ich werde dich ermuͤ - den und zwar mehr durch den Jnhalt meines Briefes, als durch die Laͤnge deſſelben. Allein wirklich, du biſt nach meinen Gedanken, ſeit dei - ner Geneſung, ſo muthig geworden, andere zu be - leidigen, daß ich mich bemuͤhen muß, durch trau - rige Vorſtellungen, ſo wie ſich die Gelegenheit da - zu anbietet, dich wieder zu der Fahne der Menſch - heit herunterzubringen. Außer dem mußt du auch nothwendig neugierig ſeyn, alles zu erfah - ren, was den armen Mann betrifft, gegen den du allezeit viele Achtung bezeuget haſt. Jch will daher fortfahren, wie ich angefangen habe. Ge - faͤllt es dir itzo nicht zu leſen: ſo lege es bey, wo du willſt, bis dich dergleichen Umſtaͤnde befallen, und dergleichen Betrachtungen von dieſen Um - ſtaͤnden in dir entſtehen; alsdenn nimm es zur Hand und vergleiche die beyden Faͤlle mit ein - ander.
Auf ſein ernſtliches Verlangen ſaß ich ver - wichne Nacht bey ihm auf. Jch kann dir nicht ſagen, wie ruhig und ſicher er ſich, fuͤr den erſtenTheil25Theil der Nacht, in meiner Geſellſchaft achtete. Ein Menſch, der eben erſaufen will, wird auch nach einem Strohhalm greifen, ſagt man gar wohl im Sprichwort: und ein bloßer Strohhalm war ich, in ſo weit es auf einige wirk - liche Huͤlfe ankam, die ich ihm leiſten konnte. Er wachte oft mit Schrecken auf. Einmal rief er laut nach mir. Lieber Belford, ſagte er, wo ſeyd ihr! ‒ ‒ O! da ſeyd ihr ja! ‒ ‒ Gebt mir eure freundſchaftliche Hand! ‒ ‒ Darauf ergriff er ſie und druͤckte ſie an ſeine klebrichte und halb kalte Lippen ‒ ‒ Wie guͤtig! Jch fuͤrchte alles, wenn ihr abweſend ſeyd! Aber o! wie troſtreich iſt die Gegenwart eines Freundes, eines gleichge - ſinnten Freundes! ‒ ‒
Allein um vier Uhr des Morgens erſchreckte er mich ſehr. Er wachte mit dreyen ſchrecklichen Seufzern auf, und beſtrebte ſich zu ſprechen, konnte aber nicht alſobald ‒ ‒ und da er endlich ſprechen konnte, rief er ‒ ‒ Bruder, Bruder, Bruder, fuͤnf oder ſechs male nach einander, ſo geſchwinde, als die Gedanken gehen, nun, nun, nun, rette mich, rette mich, rette mich ‒ ‒ Jch bin des Todes ‒ ‒ des Todes in der That.
Jch ſchlug meine Arme um ihn und hub ihn auf ſein Hauptkuͤſſen: weil er in die Betttuͤcher ſank, als wenn er ſich verbergen wollte ‒ ‒ Er ſahe ſtarr und verwildert. Wo bin ich? ſprach er, nachdem er ein wenig wieder zu ſich ſelbſt ge - kommen war. Habt ihr ihn nicht geſehen. ‒ ‒ Er wandte dabey den Kopf bald auf dieſe, baldB 5auf26auf jene Seite, und in ſeinem Geſichte mahlten ſich Schrecken und Grauen deutlich ab ‒ ‒ Habt ihr ihn nicht geſehen?
Wen ſollte ich ſehen! Was ſollte ich ſehen, mein lieber Belton.
O lege mich wieder auf das Bette, rief er! ‒ ‒ Laß mich nicht auf dem Fußboden ſterben! Lege mich ſanfte nieder, und bleibe bey mir! Verlaß mich nicht: Alles, alles wird bald voruͤber ſeyn.
Jhr lieget ja ſchon auf dem Bette, mein lie - ber Belton. Jhr ſeyd nicht auf dem Fußboden geweſen ‒ ‒ Dieß iſt ein ſtarkes Raſen. Jhr ſeyd entkraͤftet, weil es euch an Staͤrkung fehlet. Denn er hatte ſich zu verſchiedenen malen gewei - gert, etwas zu ſich zu nehmen. Laßt euch bereden, etwas von dieſem herzſtaͤrkenden Safte zu neh - men. Jch werde von euch gehen: wo ihr es mir nicht zu Gefallen thun wollet.
Er nahm es hierauf ganz willig: ſagte aber, er haͤtte ſchwoͤren koͤnnen, daß Thomas Metcalfe in dem Zimmer geweſen waͤre, ihn bey dem Hal - ſe aus dem Bette gezogen, und ihm das Unrecht vorgehalten haͤtte, welches er erſt ſeiner Schwe - ſter und hernach ihm in dem Zweykampf, dem er das Fieber zu danken gehabt, das ihn ſein Leben gekoſtet, gethan haͤtte.
Du weißt dieſe Begebenheit allzu wohl, Lo - velace, daß ich noͤthig haben ſollte, ſie zu wieder - holen. Allein Gott ſey uns gnaͤdig, wo in die - ſen ſchrecklichen Stunden, alles Boͤſe, das wir thun, ſich unſerer erſchreckten Einbildungskraftdar -27darſtellet! Wo es geſchieht: was fuͤr anſtoͤßige Aufzuͤge habe ich, aber noch mehr haſt du, durch - zugehen; wo, wie der edle Dichter ſaget,
Der Arzt verordnete ihm heute fruͤhe einen Schlaftrunk, der ſo gute Wirkung hatte, daß er verſchiedene Stunden weit ruhiger ſchlummerte und ſchlief, als er die beyden verwichenen Tage und Naͤchte gethan, ob er gleich auch vorher Schlaftruͤnke bekommen hatte. Aber es zeigt ſich alle Stunden augenſcheinlicher, daß die Natur in ihm beynahe abgenutzet iſt.
Mowbray iſt dieſes Trauerhauſes ganz uͤber - druͤßig, und gedenkt morgen von hier und zu euch zu gehen. Er freuete ſich nicht wenig, da er hoͤr - te, daß ihr in London waͤret: ich glaube, weil er einen Vorwand hat, uns zu verlaſſen.
Er hat eben von ſeinem armen Freunde Ab - ſchied genommen; da er willens iſt, fruͤhe wegzu - reiſen: einen Abſchied auf beſtaͤndig, darf ich ſa - gen; denn, meinen Gedanken nach, wird er ſchwer - lich bis morgen Abend leben.
Jch glaube, der arme Mann wuͤrde ſich nicht daruͤber gegraͤmet haben, wenn er ihn bey meiner Ankunft alſobald verlaſſen haͤtte. Denn er iſt ein harter und aͤrgerlicher Kerl, und von einer allzu - dauerhaften Geſundheit, daß er wiſſen koͤnnte, wieer28er mit einem Kranken Mitleiden haben ſollte. Ueber dieß, um von dir eine Anmerkung zu bor - gen, hat er von Natur ſo ſtarke Empfindungs - glieder, daß die Kraͤfte ſeiner Seele dieſelben nicht leicht ſchwaͤchen werden: und ſo wohl er, als der gottloſe Freund, zu dem er abreiſet, moͤgen, ihrer ſtarken Leibesbeſchaffenheit wegen, beyde eine gute Weile fortdauren, ob ſie gleich ſonſt in ihren na - tuͤrlichen Gaben ſo weit unterſchieden ſind; wofern weder das Schwerdt noch der Strick das Ziel verruͤcket.
Jch muß noch einmal geſtehen, daß ich wegen der armen Fraͤulein, welche du ſo grauſam verfol - geſt, ſehr unruhig bin, und nicht glaube, daß du deine Ehre gegen mich beobachtet haſt. Mir war in der That bange, daß du verſuchen wuͤrdeſt, ſie zu ſehen, ſo bald es mit dir nur beſſer genug ge - worden waͤre, herauf zu kommen: und ich eroͤff - nete ihr auch dieſe Gedanken, wandte ſie aber zu einem Grunde an, ſie zu deinem Beſuch vorzube - reiten, und ſie zu bereden, daß ſie ihn aushielte. Allein es liegt klar am Tage, daß ſie das Aerger - liche dabey nicht hat ertragen koͤnnen: und ſie er - klaͤrte ſich wirklich gegen mich, daß ſie um aller Welt willen dich nicht ſehen wollte, wenn es auch nur auf eine halbe Stunde ſeyn ſollte.
Haͤtte ſie ſich hierinn ſelbſt uͤberwinden koͤn - nen: ſo wuͤrde der Anblick von ihr, das weiß ich gewiß, dich eben ſo ſehr geruͤhret haben, als dein Beſuch ſie haͤtte beunruhigen koͤnnen; wenn du geſehen haͤtteſt, zu was fuͤr einem liebenswuͤrdigenGe -29Gerippe; denn ſie iſt noch in der That liebens - wuͤrdig, und es kann auch bey einer ſolchen Geſtalt und Bildung nicht anders ſeyn; du in wenigen Wochen eines der reizungsvolleſten Frauenzimmer auf der Welt, und zwar in der Bluͤte ihrer Ju - gend und Schoͤnheit, gemachet haſt.
Mowbray uͤbernimmt, euch gegenwaͤrtiges zu uͤberbringen: damit er euch willkommener ſey, wie er ſagt. Wenn es auch unverſiegelt uͤberſendet werden ſollte: ſo wuͤrden doch die Zeichen, mit welchen wir ſchreiben, fuͤr den Klotz ſo gut als hebraͤiſch ſeyn. Jch bitte es wieder zuruͤckzuſchi - cken; und will euch auf Verlangen eine Abſchrift davon geben: denn ich bin willens, es allezeit bey mir zu behalten, um mich dadurch vor deiner an - ſteckenden Geſellſchaft zu verwahren, welche ſonſt vielleicht nach Verlauf einiger Zeit im Stande ſeyn moͤchte, den Eindruck zu ſchwaͤchen, den ich von dieſem fuͤrchterlichen Trauerſpiel allezeit in mir zu erhalten verlange. Gott bekehre uns beyde.
Jch glaube, daß kein Menſch zween ſolche Be - diente habe, als ich. Jch begegne ihnen mitFreund -30Freundlichkeit, und ſpiele mit denen, die unter mir ſtehen, nicht den großen Herrn. Jch verdamme und verfluche ſie nicht mit Mienen und Worten, wie Mowbray; ſchlage ihnen auch nicht die Zaͤh - ne aus, wie Lovelace: ſondern rufe, ey, Henrich, thue doch dieß, und ey, Jonathan, thue doch das. Nichts deſto weniger thun die Kerls nur, was ihnen ſelbſt beliebet, und kehren ſich an das, was ich ſage, nicht weiter, als in ſo fern es mit jenem zutrifft. Da iſt der ſchaͤndliche Henrich, der mir euren Brief von geſtern zu rechter Zeit haͤtte brin - gen koͤnnen, nicht eher als nach eilfen am verwi - chenen Abend damit zu Hauſe gekommen; beſof - fen, wie ich vermuthe; und hat ihn, wie er vor - giebt, in der Vermuthung, daß ich ſchon zu Bette waͤre, weil er gehoͤrt hatte, daß ich die vorige Nacht uͤber aufgeſeſſen, mir nicht gebracht. Nun hat der Boͤſewicht die gehoͤrige Zeit verſchlafen, und kam eben, da ich meinen Brief zugeſiegelt hatte, mit dem vergeſſenen Briefe von dir herein. Er ſchuͤttelte die Ohren, und fahe ſo aus, als wenn er die Entſchuldigungen ſelbſt nicht glaubte, die er vorbringen wollte. Jch ſtellte ihn zur Rede und hoͤrte ſeine klaͤgliche Entſchuldigungen an. Aber, ob ich es gleich niemals einem Cavallier anſtaͤndig achte, uͤbermuͤthig mit Leuten umzuge - hen, die durch ihre Bedienungen unter ſeine Fuͤße erniedrigt ſind: ſo konnte ich mich doch nicht ent - halten, aus ganzem Herzen einen Lovelace und Mowbray mit ihm zu ſpielen.
Weil31Weil dieß Mowbrayen, der ſchon vorher fertig war, ſich zu dir auf den Weg zu machen, aufhiel - te; indem ich einige wenige Zeilen zur Antwort darauf ſchreibe: ſo fuͤgte dieſer wilde Kerl, der ſich voll Ungedult die Geſellſchaft eines ſterbenden Beltons mit der Geſellſchaft eines allzulebendigen Lovelacens zu verwechſeln ſehnet, noch einen An - hang von Fluͤchen wider den ſtarraͤugichten Kerl hinzu, welcher laͤnger war als mein ganzes Buch. ‒ ‒ Jch ſuchte auch den Baͤr von einem ſolchen Unthier nicht abzuhalten: weil er bey die - ſer Gelegenheit den Schutz von mir nicht verdien - te, welchen ein jeder Herr einem guten Bedienten ſchuldig iſt.
Er hat noch nicht aufgehoͤrt, auf ihn zu flu - chen. Denn er ſchleicht in ſeinen Stiefeln im Hofe herum, wo der arme Kerl das Pferd fuͤr ihn ſattelt und ſeiner nicht los werden kann. Er bleibt ihm ohne Gnade auf dem Halſe: und ich will ſeine Ungedult, weil er eben unter dem Fen - ſter iſt, wo ich ſchreibe, und mich bey meiner Fe - der nicht in Ruhe laſſen will, noch vermehren, indem ich dir erzaͤhle, wie er ſo wohl meine, als des Kerls Ohren mit ſeinem Geſchrey erfuͤllet ‒ ‒ Haͤ Herr! Der Henker hohle euch, Herr! Waͤrt ihr mein Vedienter, ihr Hund! Muß ich um eines ſolchen raͤudigen Hundes Beſoffenheit und Nachlaͤßigkeit willen hier warten, bis mich die Mittagsſonne zu Pergament verbrennet. ‒ ‒ ‒ Jhr luͤget, Junge! Jhr luͤget, ich ſage es euch! ‒ ‒ Jch hoͤre den Kerl, ob gleich nicht vernehmlich,in32in einem demuͤthigen Tone reden, als wenn er ſich entſchuldigte ‒ ‒ Jhr luͤget, ihr Hund! ‒ ‒ Jch haͤtte wohl Luſt, meine Peitſche eure verſoffene Kehle hinunterzuſtoßen. Der Henker hohle mich, wo ich einem ſolchen Galgenſchwengel, wenn du mein waͤreſt, nicht die Haut vom Ruͤcken ziehen, und hundeslederne Handſchuhe daraus machen laſſen wollte, daß die uͤbrigen Schurken, diene Bruͤder, ſie zum Andenken deines muthwilligen Vergehens gegen einen ſolchen Herrn tragen ſollten.
Das arme Pferd muß ſonder Zweifel dafuͤr leiden. Denn der Kerl ſchreyet: Was nun! ‒ ‒ Stehe ſtill! ‒ ‒ Daß dich der Teufel hohle! ‒ ‒ und giebt ihm vermuthlich einen Stoß, den er ſelbſt beſſer verdienet. Dieſe Buben ſind eben - falls, wo ſie koͤnnen, Mowbrayen und Lovelacen; es ſey gegen Menſchen oder Thiere: und weil er ihm nicht antworten darf; ſo moͤchte er wohl dem Pferde die Haut uͤber die Ohren ziehen.
Jch hoͤre, daß der Kerl ſich eben auf die Sei - te gemacht hat: indem das Pferd, welches beſſer als ſonſt ordentlich, vermuthlich in der Haͤlfte der gewoͤhnlichen Zeit, geſtriegelt iſt, durch ſeine raſ - ſelnde Schuhe, und Mowbray durch ſein Still - ſchweigen, mir zu erkennen giebet, daß ich nun fortſchreiben mag. Alſo will ich dir ſagen, daß ich fuͤr das erſte wuͤnſche, du moͤchteſt deinen Traum zu Herzen nehmen: ſo wenig ich auch ſonſt, gleichwie ihr, auf Traͤume halte. Denn ich koͤnnte dir eine ſolche Deutung davon machen,welche33welche dich vielleicht in Schrecken ſetzen wuͤrde: und wo du ſie von mir verlangeſt, ſollſt du ſie bekommen.
Mowbray ruft mir vom Hofe zu, daß es ein verflucht heißer Tag ſey, daß er werde gebraten werden, weil er um die Mittagszeit reiten muß, und daß den armen Belton verlange, mich zu ſe - hen. Daher will ich nur, nebſt meiner ernſtlichen Bitte, daß du alle Gedanken aufgeben wolleſt, die Fraͤulein zu ſehen, wofern du ſie noch nicht ge - ſehen haſt, wenn dir gegenwaͤrtiges zu Haͤnden kommt, dieſes beyfuͤgen, daß es freundſchaftlich ſeyn wuͤrde, wenn du hierher kaͤmeſt, und fuͤr das letzte mal, da du deinen armen Freund ſehen wirſt, die Sorge fuͤr ihn mit mir theileteſt, auch zugleich an ihm wahrnaͤhmeſt, was in kurzem fuͤr dich, und mich, fuͤr Mowbray, Tourville und un - ſere uͤbrigen Bruͤder das unvermeidliche Schick - ſal ſeyn wird. ‒ ‒ Denn was ſind zehn, funf - zehn, zwanzig, oder dreyßig Jahre: wenn wir nach ihrem Verlauf auf ſie zuruͤckſchauen? Sind wir aber erſt ſo viel Zeit weiter gekommen: ſo wer - den wir vielleicht ſchon alle mit dem Staube, wo - von wir unſern erſten Urſprung haben, wieder vermenget ſeyn.
Ganz lebendig, lieber Bruder! und in Entzuͤ - ckung! Aller Wahrſcheinlichkeit nach, noch einmal ein gluͤcklicher Mann! Denn ich habe von meiner geliebten Fraͤulein Harlowe einen Brief bekommen: eine Folge, wie ich vermuthe, von denen Nachrichten durch ihre Schweſter, welcher ich in meinem letzten Schreiben Erwaͤhnung that. Jch werde mich alſobald nach Berks auf den Weg machen, um den Jnhalt deſſelben meinem Lord M. zu zeigen und daruͤber von meiner gan - zen Freundſchaft die Gluͤckwuͤnſche anzunehmen.
Jch begab mich geſtern, Abends, wie ich mir vorgenommen hatte, zu Smithens Hauſe: allein die liebe Fraͤulein war noch nicht zuruͤckgekom - men; ob es gleich nicht weit von zehn Uhr war. Hernach ſtieg ich bey Tourvillen aus und nahm ihn mit mir zu Hauſe. Er mußte mir die Gril - len verſingen. Um zwey ging ich ziemlich ruhig zu Bette, und hatte lebhafte und angenehme Traͤu - me, keinen ſo ſchrecklichen, als der war, von wel - chem ich dir Nachricht gegeben habe. Heute fruͤhe um achte, da ich mich ankleidete, um gegen die Zeit fertig zu ſeyn, wenn Wilhelm zuruͤckkaͤ -me,35me, den ich hingeſchickt hatte, ſich nach der Ruͤck - kunft der Fraͤulein zu erkundigen, ward mir durch einen Saͤnftentraͤger dieſer Brief gebracht.
Jch habe Jhnen eine gute Zeitung zu melden. Jch bin mit allem Fleiße beſchaͤfftiget, mich zu der Reiſe nach meines Vaters Hauſe anzuſchi - cken. Mir iſt Hoffnung gemacht, daß er, nach einer ihm beſonders eignen Guͤte, ſein armes und bußfertiges Kind aufnehmen wolle. Denn ich habe zu einer ausnehmenden Freude fuͤr mich die Verſicherung bekommen, daß durch die Vermit - telung eines werthen und preiswuͤrdigen Freun - des, den ich allezeit geliebet und geehret habe, ei - ne gaͤnzliche Ausſoͤhnung zu erhalten ſey. Jch habe mit meiner Zubereitung zu dieſer freudigen und laͤngſt gewuͤnſchten Reiſe ſo viel zu thun, daß ich keinen Augenblick zu einem andern Geſchaͤffte davon abbrechen kann: weil ich noch vorher ver - ſchiedne Dinge von der aͤußerſten Wichtigkeit zu beſtellen habe. Daher bitte ich Sie, mein Herr, beunruhigen oder ſtoͤren Sie mich nicht ‒ ‒ Jch bitte, thun Sie es nicht ‒ ‒ ‒ Sie koͤnnen mich mit der Zeit vielleicht in meines Vaters Hauſe ſehen: wenigſtens, wofern Sie es nicht durch Jhre eigne Schuld hindern.
C 2Jch36Jch will einen Brief ſchreiben, der Jhnen zugeſchickt werden ſoll, wenn ich dahin gekom - men und daſelbſt aufgenommen bin. Bis auf die Zeit bin ich ꝛc.
Clariſſa Harlowe.
Jch ſandte den Augenblick einen Brief an die liebe Fraͤulein und verſicherte ſie mit allem Dank und großer Freude, „ daß ich alſobald nach „ Berks abreiſen, und den Erfolg von der gluͤck - „ lichen Ausſoͤhnung und der reizenden Hoffnung, „ mit welcher ſie mein Gemuͤth erfuͤllet haͤtte, er - „ warten wollte. Jch ſchuͤttete tauſend Segen „ uͤber ſie aus. Jch erklaͤrte mich, daß es in mei - „ nem ganzen Leben meine eifrigſte Bemuͤhung „ ſeyn ſollte, eine ſo ausnehmende Guͤte zu verdie - „ nen. Jch verſicherte, daß nichts in der Welt „ waͤre, welches ihr Vater oder ihre Freunde von „ mir fordern moͤchten, das ich mir nicht um ih - „ retwillen gefallen laſſen wollte, damit eine ſo „ gewuͤnſchte Ausſoͤhnung befoͤrdert und zu Stan - „ de gebracht wuͤrde. “
Jch ſchickte ihn in aller Eil fort, ohne eine Abſchrift davon zu nehmen. Schon itzo habe ich befohlen, daß die Kutſche mit ſechs Pferden bereit gehalten werde: und ſo ſoll es in vollen Spruͤngen nach M. Hall zu gehen. ‒ ‒ Gieb mir nur Nachricht, wie ſich Belton befinde. Jch hoffe, daß ein Brief von dir unterweges ſeyn werde. Wo der arme Kerl ſich ohne dich behel - fen kann: ſo rathe ich dir, eile, dieſer wahrhaftiggoͤttli -37goͤttlichen Fraͤulein auſzuwarten; ſonſt kannſt du ſie vielleicht in verſchiednen Monaten nicht zu ſe - hen bekommen, wenigſtens nicht, ſo lange ſie noch Fraͤulein Harlowe iſt. Erzeige mir die Gefaͤl - ligkeit, wo es moͤglich, ehe ſie abgehet, an mich zu ſchreiben, und mir theils dieſe edelmuͤthige Ver - aͤnderung zu bekraͤftigen, theils die Gruͤnde davon zu entdecken.
Jedoch, was braucht es, die Gruͤnde davon zu entdecken? Die liebe Fraͤulein kann ſelbſt kein Vergnuͤgen haben, ohne auch andere daran Theil nehmen zu laſſen. Wie edelmuͤthig! ‒ ‒ Sie hat mich in ihrem Ungluͤck nicht ſehen wollen. Kaum aber laͤßt die Gluͤcksſonne einen Strahl auf ſie ſchießen: ſo vergiebet ſie mir.
Jch weiß, von weſſen Vermittelung dieß al - les herkommt. Es iſt des Obriſten Morden Fuͤrſprache. Sie hat ihn, wie ſie ſich ausdruͤ - cket, allezeit geliebet und geehret: und er hat ſie wiederum mehr, als alle ſeine Verwandten ge - liebet.
Nun werde ich uͤberzeugt ſeyn, daß es mit den Traͤumen etwas auf ſich habe. Die Decke, welche ſich oͤffnete, iſt die Ausſoͤhnung, wozu ſich itzt die Hoffnung vor Augen zeiget. Die glaͤn - zende Geſtalt, welche ſie durch dieſe Decke zu ei - ner andern hinauffuͤhrte, die mit guͤldenen Cheru - binen und Seraphinen beſetzt war, bedeutet die ſchoͤnen Buͤbchen und Maͤgdchen, welche die Frucht von dieſer gluͤcklichen Ausſoͤhnung ſeyn werden. Das dreymal wiederholte WillkommenC 3iſt38iſt der Zuruf ihrer Familie, die nun nicht mehr unverſoͤhnlich heißen muß. Jedoch bleibt es noch immer eine Familie, mit der meine Seele nichts zu thun haben kann.
Allein was iſt denn das, daß ich uͤber Hals und Kopf durch den Fußboden in eine ſchreckliche Grube taumelte, und, wie ſie hinaufſtieg, her - unterfuhr? Ey, nichts mehr als dieß: es zielet auf meine Abneigung von dem Eheſtande, der eine grundloſe Grube iſt, ein Schlund, und ich weiß nicht was. Jch vermuthe, daß, wenn ich nicht in einem ſo gewaltigen Schrecken erwachet waͤre, ich an dem Grunde der Hoͤle in einen Fluß getauchet, in demſelben wohl eingeweichet, und alsdenn, von meinen vorigen Bosheiten gereinigt oder gelaͤutert, durch eben die glaͤnzende Geſtalt, die etwa an dem mooſichten Ufer auf mich gewar - tet haͤtte, zu meinem geliebten Kinde gebracht ſeyn wuͤrde. So wuͤrden wir mit einander an - gefangen haben, uns eine Geſellſchaft von Cheru - binen zu verſchaffen und Geburtslieder zu ſingen, bis wir mit unſerm Capitel zu Ende gekommen waͤren.
Aber was ſind die ſchwarzen Maͤntel und Kleider mit langen Schleppen, worinn der Lord M. und die Frauenzimmer erſchienen? Der ſchwarze Mantel, den der Lord M. mir uͤber das Geſicht warf? Ey, Bruder! Auch dieß weiß ich. Sie bedeuten nichts in der Welt, als daß mein Lord ſo gut ſeyn wird, zu ſterben und mir alle ſei - ne Guͤter zu hinterlaſſen. So wuͤnſche ich dann,ehrli -39ehrlicher Lord M. deiner guͤtig geſinnten Seele eine ſanfte Ruhe.
Die Lady Sarah Sadleir und die Lady Eli - ſabeth Lawrance werden auch ſterben und mir gro - ße Vermaͤchtniſſe hinterlaſſen.
Fraͤulein Charlotte und ihre Schweſter ‒ ‒ Wie wird es mit denen werden? ‒ ‒ O! die werden der Gewohnheit gemaͤß um ihren Onkel und ihre Tanten trauren ‒ ‒ Das iſt recht.
Was den Obriſt Morden betrifft, der auf einmal zum Fenſter hereinfuhr, und rief: Stirb, Lovelace, und ſey verdammt, wo du meiner Baſe das ihr zugefuͤgte Unrecht nicht wieder gut ma - chen willſt: ſo heißt das nur ſo viel, daß er mich herausgefordert haben wuͤrde, wenn ich nicht ge - neigt geweſen waͤre, der Fraͤulein Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen.
Das einzige, was mir nicht gefaͤllt, iſt dieſer Theil des Traums. Denn auch ſelbſt in einem Traum wollte ich nicht gern das Anſehen haben, daß ich mich durch Drohungen zu irgend einem Entſchluſſe bewegen ließe, wenn eben der Ent - ſchluß mir gleich noch ſo wohl gefiele.
So viel von meinem prophetiſchen Traume.
Das liebe reizende Kind! Was wird es fuͤr eine Zuſammenkunft zwiſchen ihr und ihren El - tern und Onkeln ſeyn? Was fuͤr Entzuͤckungen, was fuͤr Vergnuͤgen wird dieſe gluͤckliche, dieſe lange gewuͤnſchte Ausſoͤhnung ihrem gehorſamen Herzen mittheilen! Nun deucht mich in Wahr - heit, ich freue mich, daß ſie gegen dieſelben ſo ge -C 4horſam40horſam iſt. Denn ihr Gehorſam gegen ihre Eltern iſt ein uͤberzeugender Beweis fuͤr mich, daß ſie ihrem Ehegatten eben ſo gehorſam ſeyn werde: indem eine Pflicht, die auf gute Grund - ſaͤtze gebauet iſt, ſich ſelbſt allemal aͤhnlich bleibet.
Allein auf dieſe Art, Bruder, erlaube mir, bin ich nicht ſo ſehr zu tadeln geweſen, als du den - keſt. Denn wenn ich nicht geweſen waͤre, und ſie nicht in ſo viele Widerwaͤrtigkeit gebracht haͤt - te: ſo haͤtte ſie die Freude, welche ſie nun alle uͤberſchwemmen wird, weder ſelbſt haben, noch jenen machen koͤnnen. Alſo wird hier ein kur - zes und voruͤbergehendes Uebel die Quelle eines großen und dauerhaften Gutes.
Jch wußte wohl, jene liebten ſie, als die Eh - re und den Ruhm ihrer Familie, viel zu ſehr, daß ſie es lange aushalten ſollten.
Jch wuͤnſchte, daß ich den Brief von der Fraͤulein Arabelle haͤtte leſen koͤnnen. Sie iſt allezeit durch ihre Schweſter ſo verdunkelt wor - den, daß ſie, aller Vermuthung nach, ihr dieſe Ausſoͤhnung nicht ohne eine vergaͤllte Gleichguͤl - tigkeit angezeiget hat: und ihre Einladung muß gewiß ganz in das Kaltſinnige fallen.
Mich wird verlangen, den verſprochenen Brief zu ſehen, wenn ſie bey ihren Eltern ange - kommen iſt. Jch hoffe dadurch eine Nachricht von der Aufnahme, welche ſie finden wird, zu er - halten.
Die41Die Schreibart in ihrem Briefe iſt inzwi - ſchen, wie es mir vorkommt, mit einer feyerlichen Ernſthaftigkeit verbunden, welche mich zu glei - cher Zeit vergnuͤget und unruhig machet. Da ſich aber augenſcheinlich zeiget, daß ſie mich noch liebet und in ihres Vaters Hauſe zu ſehen hoffet: ſo hat ſie nicht anders als mit feyerlicher Ernſt - haftigkeit und halb verſchaͤmt; die liebe ſcham - haftige, artige und ſchelmiſche Seele! ihre Liebe zu mir geſtehen koͤnnen, nachdem ich ſo mit ihr umgegangen bin.
Und was denkſt du von ihrer Unterſchrift: Bis auf die Zeit bin ich Clariſſa Harlowe? Das heißt ja ſo viel: Nach der Zeit, wofern ſie es nicht durch ihre eigne Schuld hindern, werde ich Clariſſa Lovelacinn ſeyn.
O meine Allerliebſte! Meine beſtaͤndig edel - muͤthige und anbetenswuͤrdige Fraͤulein! Wie ſehr erhebet dieſe deine verſoͤhnliche Guͤte uns beyde! ‒ ‒ Mich, weil ich dir dazu die Gelegen - heit gegeben habe! Dich, weil du ſie ſo ruͤhmlich zu deinem Vortheil, und zu unſerer beyder Ehre anwendeſt!
Und wenn du, mein liebſtes Leben, nur die Maͤngel deines Anbeters uͤberſehen, und nicht als eine herrſchſuͤchtige Frau uͤber mich regieren willſt, wofern ich etwa, ſo lange die Reizungen von dem, was neu iſt, noch ihre Gewalt uͤber mich haben, mich durch die Verſtrickungen in li - ſtige Anſchlaͤge und Raͤnke, welche meine Seele gar zu gern ſchmiedet und verfolget, auf die SeiteC 5ziehen42ziehen laſſen ſollte; wenn du nur uͤber die Thor - heiten meiner Jugend, eines voruͤbergehenden Standes, nicht die Augen offen halten willſt: ſo ſoll eine jede von dieſen kleinen Streifereyen bloß dienen, dich mir deſto theurer und werther zu machen; bis ich mit der Zeit, und ſelbſt in gar kurzer Zeit, uͤber dieß ſinnliche Vergnuͤgen hinaus ſeyn werde. Alsdenn werde ich durch deinen Um - gang, der Herz und Seele an ſich ziehet, gaͤnzlich eingenommen ſeyn, und dahin gebracht werden, daß ich meine vorige Lebensart verachte. Das, was ich itzo von weitem als eine beſchwerliche Pflicht anſehe, wird fuͤr mich eine vergnuͤgte und freywillige Bemuͤhung ſeyn, und alle meine Er - goͤtzungen werden ſich in dir vereinigen.
Mowbray iſt eben mit deinen Briefen ange - kommen. Jch beſchließe daher meine angeneh - men Betrachtungen, um mich einer andern zu un - terziehen, welche, wie ich vermuthe, verdrieslich genug ſeyn wird. Jch habe den rauhen Kerl eingeladen, mich morgen nach Berks zu begleiten, wo ich den Roſt abfeilen will, den er in der Ge - ſellſchaft unſers armen Bruders angenommen hat.
Er ſpricht, er werde in dreyen Tagen nicht zu ſich ſelbſt kommen, weil ihm der ſterbende Bel - ton und der predigende Belford im Kopfe liegen: und ſagt, daß du die Kleinmuͤthigkeit des ungluͤck - lichen Kerls noch vermehreſt, anſtatt daß du ihmMuth43Muth zuſprechen ſollteſt, um ihm ſein Schickſal tragen zu helfen.
Es iſt mir leid, daß er das unvermeidliche Schickſal ſo ſchwer empfindet. Allein er iſt lan - ge krank geweſen: und Krankheit ſchwaͤchet das Gemuͤth ſo wohl, als den Koͤrper; wie er ſelbſt ſehr nachdruͤcklich gegen dich bemerket hat.
Jch habe deinen verdrieslichen Brief geleſen. ‒ ‒ Der arme Belton! Wie viele froͤhli - che Stunden haben wir mit einander zugebracht! Es war ein unerſchrockner, luſtiger Bruder! ‒ ‒ Wer haͤtte denken ſollen, daß alles auf ſo nieder - geſchlagenes Wimmern und Schrecken hinaus - laufen wuͤrde?
Aber warum ſprachſt du dem armen Kerl, wegen des unvermutheten Zweykampfs zwiſchen ihm und der feigen Memme Metcalfe, keinen Troſt zu? Er handelte ja in der Sache, wie ein Mann, der auf wahre Ehre haͤlt, und wie ich ſelbſt unter eben den Umſtaͤnden gehandelt haben wuͤrde. Erzaͤhle ihm, daß ich dieß ſage. Wasſich44ſich zufaͤlliger Weiſe dabey zugetragen hat, das konnte er weder aͤndern, noch vorherſehen.
Einigen Leuten iſt eine Ritze von einer Na - delſpitze eben ſo empfindlich, als andern ein Schwerdtſtreich: und wer kann die Empfindlich - keit ſolcher Menſchen vertheidigen? Metcalfe wollte fuͤr ſeine Schweſter zuͤrnen: da ſeine Schweſter nicht fuͤr ſich ſelbſt zuͤrnete. Haͤtte ſie ihres Bruders Schutz und Ahndung verlan - get: ſo wuͤrde das eines andern Mannes Sa - che geweſen ſeyn; wie mein Lord M. zu reden pflegt. Allein ſie hielte ſelbſt ihren Bruder fuͤr einen Thoren, daß er ſich ungebeten in ihre Sa - chen mengte, und wuͤnſchte nichts mehr, als auf eine anſtandige Art und in geheim bey ihrem Wochenbette verſorget zu werden. Sie war ge - neigt, den Verſuch zu wagen, ob ſie zu ihrem Be - ſten eine Maintenon uͤber ſein Gewiſſen ſpie - len koͤnnte(*)Man ſagte von der Fr. Maintenon, daß ſie Lud - wig den XIV von Frankreich in ſeinem Alter, da er durch den ungluͤcklichen Fortgang im Felde niedergeſchlagen war, beredet habe, ſie zu heyra - then, damit er auf die Art ſein Gewiſſen wegen des freyen Lebens in ſeinen vergangenen Jahren, welchem ſie ſeinen Verluſt bey den oͤffentlichen Angelegenheiten zuſchrieb, befriedigen moͤchte. und ihn zur Ehe zu bewegen ver - moͤgend waͤre, wenn der kleine Fremdling ſich ein - ſtellte: denn ſie wußte, was fuͤr ein bequemer, gutherziger Kerl er war. Und in der That wuͤr - de es, wenn ſie ihn gewonnen haͤtte, ein Gluͤckfuͤr45fuͤr ſie beyde geweſen ſeyn: da er in dem Fall nicht an ſeine verfluchte Thomaſine gerathen ſeyn wuͤrde. Aber wahrlich dieſer dienſtfertige Bru - der mußte ſich einmiſchen. Dieß machte aus ei - ner Kleinigkeit eine wichtige Sache. Und was war der Ausgang? Metcalfe forderte heraus: Belton erſchien, entwaffnete ihn und ſchenkte ihm das Leben. Allein der Kerl war empfindlicher von Haut als von Kopfe. Da er ein wenig geritzet war: ſo gerieth er daruͤber in Schrecken. Dieß zog ihm erſt ein Erbrechen, hernach ein Fie - ber zu: und dann ſtarb er. Das war alles. Was konnte Belton dazu? ‒ ‒ Aber Krankheit, eine lange verdriesliche Krankheit wird fuͤr ein ſchmachtendes Herz aus allen und jeden Dingen einen Popanz machen: das ſehe ich wohl. Und in ſo weit hat Mowbray die gebundenen Zeilen aus Nat. Lee recht gut und ſchicklich ange - bracht, welche du an mich uͤberſchrieben haſt.
Kein Weiſer fuͤrchtet ſich, bloß weil er ſterben muß: das iſt falſch; ihr, du, oder dein Schriftſtelier, moͤcht ſagen, was ihr wollet. Selbſt dein feyerliches Wortgepraͤnge uͤber das natuͤrliche Widerſtreben zwiſchen Leben und Tod iſt ein Beweis, daß es falſch iſt.
Jch muß dir ſagen, Bruder, dieſe Welt ge - faͤllt mir ſo wohl in den hauptſaͤchlichſten Stuͤ - cken, ob ſie gleich in einem oder dem andern Thei - le, wenn ich eine Perſon aus ihr machen darf, ſich mir als eine ſchelmiſche Betruͤgerinn bewie - ſen hat; ich finde ſo viel Vergnuͤgen an derFreude46Freude junger Jahre, an meinen weltlichen Vor - theilen, die ich in Anſehung meiner Gluͤcksum - ſtaͤnde vor mir habe, und nun ganz neulich an der reizungsvollen Hoffnung, welche mir die werthe, dreymal werthe, und auf ewig werthe Fraͤulein Harlowe gemacht hat, daß, wenn ich auch ver - ſichert waͤre, es wuͤrde mir in jener Welt nichts boͤſes widerfahren, ich doch ſehr ungern, ja, wo du es ſo haben willſt, mit großer Furcht und vielem Schrecken, mein Leben und alle dieſe Dinge zu - gleich hingeben wuͤrde: und gleichwohl fuͤrchtet ſich kein rechtſchaffener Kerl vor dem Tode weni - ger, als ich, wann es die Ehre erfordert.
Allein ich habe weder Luſt noch Muße, deine bleyerne Gruͤnde, anders als im Ganzen, oder, wie du ſagen wuͤrdeſt, im Klumpen, auf die Wagſchaale zu legen.
Wo ich deine Briefe zuruͤckſende: ſo theile ſie mir nach Verlauf einiger Zeit wieder mit; das ſoll heißen, wann ich verheyrathet bin; oder wenn der arme Belton halb vergeſſen iſt; oder wenn die Zeit den ehrlichen Kerl mit denen in ei - ne Reihe gebracht hat, die wir ſo lange verloh - ren haben, daß wir uns ihrer mit mehrerem Ver - gnuͤgen als Kummer erinnern koͤnnen; und als - denn kann ich ſie vielleicht mit Fleiß durchgehen, und mich ſo weit, als du willſt, in die Unterſuchung ihres Jnhalts mit dir einlaſſen.
Wann ich verheyrathet bin, ſagte ich? ‒ ‒ Wie klinget das!
Jch47Jch muß mit Gedult auf das Gluͤck, dieſe reizende Fraͤulein zu ſehen, ſo lange warten, bis ſie in ihres Vaters Hauſe iſt. Gleichwohl, da die nur erſt aufbluͤhende Schoͤnheit, wie du mir ſageſt, in einen Schatten verwandelt iſt, wuͤrde es mir ein ausnehmendes Vergnuͤgen geweſen ſeyn, ſie itzo, und alle Tage, bis auf den begluͤckten Tag, zu ſehen: damit ich die Freude haben moͤchte, wahrzunehmen, wie lieblich ſie durch Huͤlfe des geruhigen und zufriedenen Zuſtandes, der auf ihre Ausſoͤhnung mit ihren Freunden und unſere gluͤck - liche Vermaͤhlung an die Stelle des vergange - nen und unruhigen Zuſtandes treten wird, von Stunde zu Stunde ſich wieder zu ihrer vorigen Pracht erheben werde.
Da mein Herz itzo ein wenig in Ruhe iſt: ſo will ich mir gefallen laſſen, einiger anderer Stellen in deinen Briefen mit wenigem zu ge - denken.
Jch habe es dir zu danken, wie ich finde, daß die liebe Fraͤulein meinem Beſuch entgangen iſt. Die Sachen ſtehen itzo auf einem ſo guten Fuß, daß ich dir vergeben muß: ſonſt ſollteſt du vondieſer48dieſer neuen Probe der Treuloſigkeit gegen deinen General mehr gehoͤret haben.
Du ertheilſt dir ſelbſt beſtaͤndig große Lobſpruͤ - che durch die Vergleichung, worinn du dich an - dern, wie ich ſagen mag, entgegenſtelleſt: in - dem du dich auf eine gelinde und liſtige Weiſe wegen ſolcher Eigenſchaften tadelſt, die du doch zu eben der Zeit fuͤr lobenswuͤrdig gehalten wiſſen wollteſt, und die auch gemeiniglich fuͤr lobenswuͤr - dig gehalten werden.
So wollteſt du gern in deinem Bezeigen ge - gen deine Bedienten fuͤr einen maͤchtig leutſeli - gen Menſchen angeſehen ſeyn: und das auf Mow - brayens und meine Koſten, die du als Koͤnige und Kayſer gegen unſer Geſinde vorſtelleſt. Dennoch biſt du allezeit in deinen Verſuchen von dieſer Art ungluͤcklich, und kannſt uns, die dich beſſer kennen, nicht uͤberreden, daß das eine Tu - gend an dir ſeyn ſollte, was bloß eine Wirkung deiner natuͤrlichen Kaltſinnigkeit und Ungereimt - heit iſt.
Weißt du nicht, daß einige Leute von Natur etwas Erhabenes in ihrem Weſen haben, welches macht, daß ſie auf einen Blick mehr gelten, als ihr, du mit deinen kriechender, oder Mowbray mit ſeinen heftigen Redensarten, gelten koͤnnet?
Jch bin geſchickt, ein Fuͤrſt zu ſeyn; das kann ich dir ſagen: denn ich belohne wohl, und ſtrafe zu rechter Zeit und auf gehoͤrige Art. Jch bin auch uͤberhaupt ſo wohl bedienet, als irgend ein Menſch.
Die49Die Kunſt, dieſe geringere Buben zu regie - ren, ſteckt mehr in dem erhabenen Anſehen, als in Worten: und du biſt ein alberner Kerl, daß du dir einbildeſt, die Leutſeligkeit beſtehe darinn, daß du mit deinen Bedienten ſo umgeheſt, als dieje - nigen mit ihnen umgehen muͤſſen, welche ihnen ihren Lohn nicht zu zahlen im Stande ſind, oder ſie um Geheimniſſe haben wiſſen laſſen, die, wenn ſie auskaͤmen, ſie ſelbſt ſolchen Schurken nach ih - rem Gefallen bloßſtellen wuͤrden.
Was nun mich betrifft, der ich niemals et - was gethan habe, was ich mich ſchaͤmte zu geſte - hen, und mehr Aufrichtigkeit, als jemals ein Menſch, beſitze; der ich eine Schandthat bey ih - rem rechten Namen nennen kann, wenn ich ſie gleich ſelbſt veruͤbet habe, und durch meine eigne Bereitwilligkeit, mich ſelbſt zu ſtrafen, allen Ver - weiſen von andern zuvorzukommen weiß; der ich kein ſolcher Heuchler bin, daß ich wuͤnſchen koͤnn - te, von der Welt fuͤr anders oder beſſer angeſehn zu werden, als ich bin: ſo ſchickt es ſich fuͤr mich, einen Bedienten durch einen Blick zu ſeiner Pflicht zu bringen, wo ich kann. Jch werde auch niemals einen behalten, der ſich nicht auf ein Nicken oder einen Wink nach mir zu richten weiß, und, wenn ich laͤchele, nicht entzuͤckt, wenn ich ſauer ſehe, nicht ganz in Schrecken ſeyn wird. Gehe ich wirklich ein wenig zu weit: ſo ſuche ich allemal die Buben dafuͤr zu belohnen, daß ſie meinen Unwillen gedultig ertragen haben. Al - lein dieß geſchieht ſchwerlich jemals in andernSiebenter Theil. DFaͤl -50Faͤllen, als wenn ein Kerl in offenbaren Sachen, die er zu thun hat, ausnehmend einfaͤltig iſt, oder kluͤger ſeyn will, als ſein Herr; und wenn er mir ſagen wird, daß er gedacht habe, es waͤre das rechte Mittel, mir am beſten zu dienen, wenn er wider meine Befehle handelte.
Zu einer oder der andern Zeit will ich mit dir deine und meine Auffuͤhrung gegen Bediente un - terſuchen und dich uͤberzeugen, daß eben das, was du Leutſeligkeit nenneſt, dich beſtaͤndig, wofern es ohne Unterſchied bey allen Gemuͤthsarten ge - braucht wird, denen Uebeln unterwerfen werde, woruͤber du dich beklageſt, und daß dieß ſo gar mit Recht geſchehe. Jch will dich uͤberzeugen, daß derjenige allein geſchickt ſey, einen Herrn ab - zugeben, der ſie durch einen Wink mit dem Kopfe eben ſo aufmerkſam machen kann, als wenn er an der einen Seite einen Kerl durch ein Ey thut es doch zu ſeiner Pflicht ermunterte, oder an der andern, wie Mowbray, von Haut - abziehen oder Pferdepeitſchen ſchwatzte. Denn der Diener, welcher deine kriechende Re - densarten zu erwarten gewohnt iſt, wird alle - zeit Herr uͤber ſeinen Herrn ſeyn: und der, wel - cher eine ſolche Begegnung, als der andere, ver - dienet, iſt nicht geſchickt, irgend jemandes Be - dienter zu ſeyn; und ich wollte einen ſolchen Kerl nicht einmal zu meinem Pferdeknecht halten.
Jch werde deſto geneigter ſeyn mich uͤber die - ſe Sache mit dir in eine Unterſuchung einzulaſſen, weil ich dreiſt genug bin zu gedenken, daß wir inkeinem51keinem einzigen von unſern Dichtern fuͤr die Schaubuͤhne, auf die ich mich gegenwaͤrtig beſin - nen kann, einen Character von einem Diener oder einer Magd haben, der recht getroffen iſt. So ungereimt weiſe ſind einige, und ſo abgeſchmackt naͤrriſch andere: ja bisweilen iſt beydes in ei - ner Perſon. Sie werden nach dem niedrigſten und gemeineſten Poͤbel geſchildert, und dienen bloß zu Unterlagen, den Character ihrer Her - ren und Frauen zu haben: ja, was noch aͤrger iſt, bisweilen werden ſie gar wie Perſonen von groͤßerem Witze aufgeſtellet, als der Dichter fuͤr ihre Herrſchaften uͤbrig hat ‒ ‒ Sie ſind bloß Steine und Stahl Feuer damit zu ſchlagen ‒ ‒ Oder, daß ich die Vergleichung aͤndere, ſie dienen bloß zu Schleifſteinen fuͤr den Witz, der ſonſt nicht zum Vorſchein kommen konnte ‒ ‒ oder zu Werkzeugen, welche, wie das Maſchi - nenwerk der alten Dichter, oder wie die noch weit unnatuͤrlichern Geſpraͤche mit ſich ſelbſt, ge - braucht werden, einen klaͤglichen Anſchlag fortzu - helfen, oder eine noͤthige Entwickelung zu Stan - de zu bringen, damit der Dichter die Muͤhe ſpa - ren koͤnne, auf einen beſſern Weg, ſeinen Kno - ten zu loͤſen, mehr Nachdenken zu wenden.
Dieß weiß ich gewiß, wie ich auch immer mit meinen Bedienten im Werk verfahren mag, daß du aus meinen Lehrſaͤtzen Vortheil ziehen werdeſt, wenn wir hieruͤber zu ſtreiten kommen. Denn alsdann werde ich dich uͤberfuͤhren, daß das Bild eines guten Bedienten, ſo wohl auf derD 2Schau -52Schaubuͤhne, als nach ſeiner natuͤrlichen Be - ſchaffenheit, Treue, gemeinen und geſunden Verſtand, willigen Gehorſam und ſtillſchweigen - de Ehrerbietung in ſich faſſen muͤſſe; daß Witz in ſeinem Poſten, ausgenommen gegen ſeines glei - chen, Uebermuth ſeyn wuͤrde; daß er ſich nie - mals herausnehmen ſollte, ſeinen Rath zu geben; daß, wo er ſich unterſtuͤnde, gegen einen unver - nuͤnftigen Befehl, oder einen ſolchen, der ihm ſo vorkaͤme, einige Einwendungen zu machen, er es mit Demuth und Ehrerbietung thun und eine bequeme Zeit dazu nehmen ſollte. Aber die mei - ſten Vorſtellungen auf der Schaubuͤhne, bey de - nen Bediente als Hauptperſonen aufgefuͤhret werden, oder ſehr wichtige oder lange Rollen zu ſpielen haben; welches ich ſchon an ſich ſelbſt fuͤr einen Fehler halte; die meiſten dieſer Vorſtellun - gen, ſo viel ich geſehen habe, ſage ich, geben fuͤr die Dienergallerie ſolche Anweiſungen, daß ich mich nicht gewundert, wenn wir ſo wenige ſittſa - me oder gute Diener unter denen haben, welche mit ihren Herren oder Frauen oft bey Schau - ſpielen ſind. Wie klaͤglich muß ſich hernaͤchſt an dem Dichter der Mangel der Geſchicklichkeit, deſſen er ſich ſelbſt bewußt geweſen, aller Augen darſtellen: an dem Dichter, der ſich ſo weit er - niedrigen kann, daß er, durch das unverſtaͤndige Geſchrey der Gallerie von allerhand Leuten unter einander, ein Klatſchen zum Zeichen des Beyfalls erregen, oder einem ſolchen Klatſchen Gewicht verſchaffen mag!
Aber53Aber dieſe Unterſuchung will ich bis auf eine beſſere Gelegenheit verſparen: bis auf die gluͤck - liche Gelegenheit, da meine Vermaͤhlung mit mei - ner Clariſſa mich verbinden wird, die Anzahl meiner Bedienten zu vermehren, und folglich mich genauer um ihre Eigenſchaften zu bekuͤm - mern.
Ob ich gleich von der edelmuͤthigen Geſin - nung meiner lieben Fraͤulein Harlowe die hoͤheſte Meynung hege, die ein Menſch hegen kann: ſo kann ich doch meines Herzens wegen dieſe ange - nehme Veraͤnderung in ihrer Gemuͤthsfaſſung nicht anders, als auf eine Art, erklaͤren. Bey meiner Treue, Belford, ich glaube in Wahrheit, wenn ich alle Umſtaͤnde zuſammennehme, daß ſich das liebe Kind wider ihr Vermuthen in dem Zu - ſtande findet, in welchem ich ſie ſo ſehnlich ge - wuͤnſchet habe, und daß dieſes ſie endlich geneigt machet, mir gewogen zu ſeyn, damit ſie in ihres Vaters Hauſe ihre Schwangerſchaft mit deſto beſſerem Muthe ertragen moͤge.
Trifft dieſes zu: ſo laſſen ſich alle ihre Schwachheiten und Ohnmachten ſchoͤn erklaͤren. Es iſt auch nicht zu verwundern, waß ein ſo an - genehmes und in dieſen Dingen ſo unerfahrnes Frauenzimmer nicht wiſſe, was ſie fuͤr die Ur - ſache ihrer haͤufigen Unpaͤßlichkeiten anſehen ſoll. Wenn dieß eintreffen ſollte: wie werde ich dich, und, wann ich ihrer erſt voͤllig verſichert bin, dieD 3liebe54liebe unerfahrne Schuͤlerinn ſelbſt, auslachen, daß alle ihr beſchwerliches Elend auf ein junges Knaͤblein hinauslaufen wird; welches ich lieber haben werde, als alle die Cherubinen und Sera - phinen, die hernach kommen moͤgen, wenn ihrer auch ſo viele ſeyn ſollten, als ich in meinem Traum ſahe, in welchem ein weiter Raum an der Decke uͤber mir mit ihnen ſo voll beſetzet war, als er ſeyn konnte.
Jch werde mich fuͤrchten deinen naͤchſten Brief zu erbrechen, damit er mir nicht die Nachricht von dem Tode des armen Beltons bringe. Je - doch, da keine Hoffnung zu ſeiner Geneſung uͤbrig iſt ‒ ‒ Allein was ſollte ich ſagen, es waͤre denn, daß der arme Kerl beſſer bereit waͤre ‒ ‒ Aber deine beſchwerliche Predigt ſoll mich doch auch nicht zu ſehr beunruhigen.
Jch ſchließe deine Papiere hiebey ein. Schrei - be du ſie fuͤr mich ab, oder ſchicke ſie mir wieder: denn es kommt eines und das andere darinn vor, dem ein ſterblicher Menſch zu gehoͤriger Zeit ſeine Aufmerkſamkeit nicht verſagen ſollte; und du ſcheineſt tief in die verdriesliche Sache einge - drungen zu ſeyn. ‒ ‒ Hier aber will ich ſchließen, damit ich nicht zu ernſthaft werde.
Dein Bedienter fragte hier etwa vor einer Stunde nach, ob ich etwas zu befehlen haͤtte. Jch hoffe daher, daß du gegenwaͤrtiges morgen fruͤhebekom -55bekommen wirſt. Wo du kannſt: ſo laß mich Nachricht von dir haben. Jn Erwartung deſſen will ich mich eine Stunde oder ein paar niederle - gen. Jedoch muß ich morgen Abend, wo moͤg - lich, bey meinem Lord M. ſeyn: wenn es auch noch ſo ſpaͤt ſeyn ſollte.
Dein Kerl erzaͤhlt mir, daß der arme Belton ſich noch meiſtens ſo befinde, als da ihn Mow - bray verließ.
Sollteſt du wohl gedenken, daß dieſer Bube Mowbray misvergnuͤgt iſt, weil ich meiner Gluͤck - ſeligkeit mit der Fraͤulein Harlowe ſo nahe bin? Und wahrlich, Bruder, ich weiß ſelbſt nicht, was ich dazu ſagen ſoll: da ich nun ſo weit bin, daß ich die Frucht erreichen kann. Jedoch, es mag kommen, was da will: ich will es erwarten. Denn ich finde, daß ich ohne ſie nicht leben kann.
Jch will fortfahren, wo ich in meinem letzten Schreiben abgebrochen habe.
So bald als ich Mowbrayen zu Pferde geſe - hen hatte: ging ich zu dem armen Belton, denD 4ich56ich in ſchrecklicher Todesangſt fand, woraus er er - wachte, wie er gemeiniglich thut.
Der Arzt kam alſobald nach mir herein: und ich hatte an dem Trauerſpiel, das unter ihnen vor - ging, Theil.
Es oͤffnete ſich mit der Frage des Sterbenden, die er mit betruͤbter Ernſthaftigkeit an denſelben that, ob nichts, gar nichts, fuͤr ihn zu thun waͤre.
Der Arzt ſchuͤttelte den Kopf, und antworte - te ihm, daß er ſehr daran zweifelte.
Jch kann nicht ſterben, verſetzte der arme Mann: ich kann an das Sterben nicht geden - ken. Jch wuͤnſche ſehnlich, noch ein wenig laͤn - ger zu leben, wenn ich nur von den ſchrecklichen Schmerzen in dem Magen und Kopfe frey wer - den koͤnnte. Koͤnnen ſie mir nichts geben, das mich noch eine Woche, nur noch eine Woche, in leidlicher Ruhe beym Leben erhalte, damit ich wie ein Mann ſterben moͤge? ‒ ‒ Wo ich ſterben muß!
Aber, Herr Doctor, ich bin noch ein junger Mann: in der Bluͤthe meiner Jahre ‒ ‒ Bey der Jugend koͤnnen ja die Arzte ihre Kunſt mit Vortheil anwenden. Koͤnnen ſie nichts, gar nichts fuͤr mich thun, Herr Doctor?
Jhre Geſundheit, mein Herr, antwortete ſein Arzt, iſt leider lange in ſchlechtem Zuſtande ge - weſen. Jch fuͤrchte, ich fuͤrchte, daß nichts in der Arzneykunſt ihnen helfen koͤnne.
Darauf verging ihm alle Gedult: Was iſt denn ihre Kunſt, mein Herr? ‒ ‒ Jch bin einganzes57ganzes Jahr ein bloß leidendes Werkzeug gewe - ſen, daran ihr Aerzte nach Gefallen gearbeitet habt. Jch glaube in Wahrheit, haͤtte ich nicht ſo viel garſtiges Zeug eingenommen, ich wuͤrde nun ein geſunder Menſch ſeyn ‒ ‒ Aber, wer, Hagel, wollte denn die Aerzte achten, deren Kunſt nur darinn beſtehet, uns mit falſcher Hoffnung zu ſpeiſen, indem ſie uns zu Grunde richten hel - fen? Und die, alle mit einander, nichts wiſſen, als durch bloße Muthmaßung?
Mein Herr, fuhr er hitzig fort, mit ſtaͤrkerer Stimme und beſſerem Zuſammenhange, als man verſchiedne Stunden vorher an ihm wahrgenom - men hatte, wo ſie mich aufgeben, ſo gebe ich ſie auch auf ‒ ‒ Der einzige anſtaͤndige und gewiſſe Theil der Heilungskunſt iſt die Kunſt der Wund - aͤrzte. Ein guter Wundarzt iſt ſo viel werth, als tauſend von ihnen. Jch bin oft in der Wund - aͤrzte Haͤnden geweſen, und habe allezeit Urſache gefunden, mich auf ihre Geſchicklichkeit zu verlaſ - ſen. Aber, mein Herr, was iſt eure Kunſt? ‒ ‒ Nur ſchmieren, ſchmieren, ſchmieren; flicken, flicken, flicken; pflaſtern, pflaſtern, pflaſtern: bis ihr erſtlich die Luſt zum Eſſen, und hernach die Natur, der ihr aufzuhelfen herbeygerufen werdet, gaͤnzlich zu Grunde richtet. Jch hatte einmal einen guten Freund ‒ ‒ Mein lieber Belford, du haſt den ehrlichen Blomer wohl gekannt ‒ ‒ der wuͤrde einen ſo guten Arzt abgegeben haben, als einer in England, wenn er ſich nur ſelbſt vor den Ausſchweifungen bey dem Wein und denD 5Wei -58Weibern in Acht genommen haͤtte: und dieſer pflegte allezeit zu ſagen, daß nichts als windmache - riſches Großprahlen an der Arzneykunſt waͤre, und daß derjenige, der am beſten muthmaßen und rathen koͤnnte, der beſte Arzt ſeyn wuͤrde. Jch pflegte ihm auch zu glauben. Was thun wir aber gleichwohl aus großer Liebe zum Leben und Furcht vor dem Tode, wenn wir krank wer - den, als daß wir euch zu Huͤlfe rufen? Und was thut ihr, nachdem ihr herbeygerufen ſeyd, als daß ihr unſere Krankheiten unterhaltet, bis ihr ſie aus Zwergen zu Rieſen machet? ‒ ‒ Dann kommt ihr mit feyerlich ernſthaften Ge - ſichtern gekrochen, wenn ihr euch ſchaͤmet mehr vorzuſchreiben, oder wenn der Magen wegen eu - rer giftigen Traͤnke ſeine natuͤrliche Nahrung nicht mehr vertragen kann: Jch fuͤrchte leider, daß die Arzneykunſt nichts mehr fuͤr ihn thun koͤnne! ‒ ‒ Sie braucht es auch nicht, wenn ſie den armen Menſchen, der alle ſeine Zu - verſicht auf eure Zunft und auf die ſchmeichelnde Hoffnung, die ihr ihm machtet, ſetzte, ſchon an die Thuͤr des Grabes gebracht hat.
Der Arzt war ganz beſtuͤrzt, ſagte aber doch: Wenn wir ſterbliche Menſchen unſterblich ma - chen koͤnnten und nicht wollten, ſo moͤchte dieß alles ſeine Richtigkeit haben.
Jch ſtrafte den armen Belton deswegen. Je - doch entſchuldigte ich ihn bey dem Arzt. Es iſt eine betruͤbte Sache, zu ſterben, werther Herr Doctor, wenn wir ſo ungemeine Luſt zu leben ha -ben,59ben, als mein armer Freund. Wir ſind geſchickt, uns zu viele Hoffnung zu machen, und bedenken nicht, daß der Saame des Todes in uns geleget wird, wenn wir anfangen zu leben, und aufſchie - ßet, bis er, wie ein um ſich greifendes Unkraut, die zarte Bluͤthe des Lebens erſticket, welche in uns abnimmt, wie dieſes Unkraut aufbluͤhet. Wir ſollten daher billig beyzeiten anfangen zu erforſchen, was unſere Naturen vertragen wollen, damit wir das Unkraut, welches der Boden am meiſten geſchickt iſt, hervorzubringen, durch Maͤ - ßigkeit ausrotten, oder wenigſtens ſo, wie es auf - ſchießet, unterdruͤcken moͤchten, und ſollten nicht erwarten, wenn die Blume oder Pflanze von der Wurzel aus welk geworden iſt, und das Unkraut in vollem Wachsthum ſtehet, daß die Arzneykunſt jene wieder herſtellen, oder dieſes gaͤnzlich vertrei - ben werde, da eben dieſes, wie ich geſagt habe, von unſerer Geburt an eingewurzelt iſt.
Dieſe Sprache, Robert, wirſt du eine Red - nerſchminke, oder einen weiſſen Baͤren nen - nen. ‒ ‒ Aber der Vergleich iſt richtig: und du haſt mich noch nicht ganz von der Liebe zu ver - bluͤmten Redensarten geheilet.
Mehr als zu wahr, antwortete der Arzt. Sie haben ein gutes Gleichniß angegeben, die Sache zu erlaͤutern. Es iſt mir leid, daß ich fuͤr den Herrn nichts ausrichten kann, und ihm nur Ge - dult und eine beſſere Faſſung des Gemuͤths em - pfehlen muß.
Gut,60Gut, mein Herr; ſagte der arme Mann im Zorn und voll Verdruß uͤber den Arzt, jedoch noch mehr uͤber den Tod; ſie werden vielleicht den naͤchſten, der folget, dem Arzt empfehlen, wenn er nichts mehr ausrichten kann, und ihren Bruder ſchicken, bey mir um dieſe Tugenden zu beten, welche ſie mir wuͤnſchen.
Es ſcheint, daß der Bruder des Arztes ein Pfarrer in der Nachbarſchaft iſt.
Mir ging es ſehr nahe, den guten Mann ſo mitgenommen zu ſehen. Das ſagte ich auch den armen Belton, als er weggegangen war. Allein er blieb ungedultig, und ſprach, er wollte ſich die Freyheit nicht nehmen laſſen, gegen einen Mann dreiſt herauszureden, der ſo manche Guinea fuͤr nichts, oder aͤrger als nichts, von ihm genommen, und niemals eine ausgeſchlagen haͤtte, da er doch alle die Zeit uͤber gewußt, daß er ihm nicht helfen koͤnnte.
Es ſcheint, der Mann iſt dafuͤr bekannt, ob er gleich reich iſt, daß er begierig auf ſeine Bezah - lung ſiehet: und der arme Belton fuhr fort, auf die uͤbermaͤßige Bezahlung zu ſchelten, welche die engliſchen Aerzte, in Vergleichung mit den vor - treff lichſten unter den Auslaͤndern, nehmen. Aber der arme Mann machte es, wie die Tuͤrken, wel - che einen General nach dem Erfolg, den er im Kriege hat, beurtheilen. Er war ungedultig, weil er an den Tod gedenken mußte, und wuͤrde den Arzt angebetet und uͤber dreymal ſo viel Geldnicht61nicht gemurret haben, wenn er ihm haͤtte Hoff - nung zur Geneſung machen koͤnnen.
Jnzwiſchen muß ich doch geſtehen, daß die Herren Aerzte in der Bezahlung, die ſie nehmen, billig maͤßiger ſeyn, oder ſie mit mehrerer Sorg - falt zu verdienen ſuchen ſollten. Denn gemeinig - lich kommen ſie nur ins Zimmer, fuͤhlen dem Kranken nach dem Puls, thun an die Waͤrterinn einige wenige Fragen, beſehen des Kranken Zun - ge, und vielleicht ſein Waſſer, ſetzen ſich alsdenn nieder, ſehen maͤchtig weiſe aus, und ſchreiben. Die guͤldne Muͤhevergeltung findet ihre Hand be - reit, und ſie eilen fort, als wenn des Kranken Zimmer anſteckend waͤre. So trollen ſie zu ei - nem andern und wieder zu einem andern, wenn ſie viel zu thun haben, und machen ſich mit der Anzahl der Beſuche die ſie in einem Morgen ab - legen, und mit der kurzen Zeit, in welcher ſie ſie ablegen, groß. Sie gehn zur Mittagsmahlzeit, und laden ihre Taſchen aus: und thun einen neuen Ausfall, ſie wieder anzufuͤllen. Auf die Art bringen ſie in kurzer Zeit ungeheure Guͤter zuſammen. Denn ſo ſagte Ratcliffe, als ihm zu - erſt von einem großen Verluſt, der ihn betroffen hatte, Nachricht gegeben wurde, es koſtete nur hundert Treppen auf und nieder zu ſteigen, um ihn wieder zu erſetzen.
Fr. Sambre, Beltons Schweſter, hatte ihm verſchiedene male vorgeſchlagen, einen Geiſtlichen kommen zu laſſen, der bey ihm betete. Allein der arme Mann ſagte, es waͤre ihm unertraͤglich,an62an einen Geiſtlichen zu gedenken, weil er gewiß eine oder zwo Stunden hernach ſterben wuͤrde. Er war noch immer geneigt, wider alle Wahr - ſcheinlichkeit zu hoffen, daß er geneſen wuͤrde, und fragte oft ſeine Schweſter, ob ſie nicht Leute eben ſo krank geſehen haͤtte, als er waͤre, die beynahe zu einem Wunder, wenn jedermann ſie aufgege - ben, wieder aufgekommen waͤren?
Sie ſchuͤttelte den Kopf, und ſagte ja. Als ſie ſich aber einmal verlauten ließ, daß die Krank - heiten dieſer Leute eine Art von hitzigen Fie - bern, und ſolche Zufaͤlle, die ihre Entſcheidungs - zeiten haͤtten, geweſen waͤren: ſo nannte er ſie ei - ne Kleinmuͤthige und Hiobs Troͤſterinn, und befahl ihr, nichts zu ſagen, wofern ſie nicht et - was ſagen koͤnnte, das beſſer zur Sache diente, und ſich fuͤr einen Kranken mehr zu hoͤren ſchickte. Gleichwohl hat der arme Kerl ſelbſt keine Hoff - nung: wie aus ſeinem verzweifelungsvollen Schre - cken offenbar iſt. Ein ſolches und ſehr fuͤrchter - liches Schrecken uͤberſiel ihn unter andern bald, nachdem der Arzt weggegangen war.
Der arme Menſch hat, die vorige ganze Stun - de uͤber, in Zuckungen, in ſchrecklichen Zu - ckungen gelegen. O Himmel, Lovelace, der Tod iſt eine harte Sache! Bey meiner Treue, eine harte Sache! ‒ ‒ Jch moͤchte wuͤnſchen, daß du bey dieſer Gelegenheit gegenwaͤrtig waͤreſt. Es kommt hier nicht bloß auf die Beyſorge an, dieman63man fuͤr ſeinen Freund hat: ſondern da der Tod das allgemeine Schickſal iſt; ſo ſehen wir an ſei - nem aͤngſtlichen Kampfe, wie es einmal mit uns ſelbſt gehen werde. Mir iſt ganz, als wenn kal - tes Waſſer uͤber meinen Ruͤcken hinuntergegoſſen wuͤrde, oder als wenn mich ein ſtarkes Fieber an - fiele. Jch ward genoͤthigt, wegzugehen, und ſchreibe, ob ich gleich kaum weiß, was. ‒ ‒ Jch moͤchte wuͤnſchen, daß du hier waͤreſt.
Jch habe ihn zwar verlaſſen, weil ich nicht laͤnger aushalten konnte: dennoch aber kann ich fuͤr mich ſelbſt nicht ruhig ſeyn, ſondern muß wieder zu ihm gehen.
Der arme Belton! ‒ ‒ Es eilt mit ihm zum Ende! Jedoch hatte er noch Empfindung, als ich hinein kam: nur allzu viele Empfindung! Der arme Menſch! Er hat etwas auf dem Her - zen, mir zu entdecken, ſagt er, welches die aͤrgſte Handlung in ſeinem Leben iſt: weit aͤrger, ſpricht er, als irgend etwas, das ihr oder ich von ihm gewußt. Es muß alſo wohl ſehr arg ſeyn!
Er befahl allen, hinauszugehen: aber bekam wieder einen Anfall von Zuckungen; ehe er es mir offenbaren konnte. Jn demſelben liegt er und ringt mit Leben und Tod. Allein ich will wieder hineingehen.
Nun muß bald alles mit ihm voruͤber ſeyn. Der arme! arme Kerl! Er hat mir einen und den andern Wink von dem, was er ſagen wollte, gegeben: aber alles war ohne Zuſammenhang, und ward durch Schlucken und Zuckungen, wie bey einem Sterbenden, unterbrochen.
Arg genug muß es ſeyn, das weiß der Him - mel, nach dem, was ich herausbringen kann. Ach! Lovelace, ich fuͤrchte, ich fuͤrchte, er iſt zu fruͤhe zu ſeines Onkels Gut gekommen.
Wenn ein Menſch beſtaͤndig leben ſollte: ſo moͤchte er noch einige Verſuchung haben, ſchaͤnd - liche Dinge zu veruͤben, damit er ſich, wie es als - denn ſeyn wuͤrde, eine immerwaͤhrende Ge - maͤchlichkeit, einen immerwaͤhrenden Vorrath oder Ueberfluß verſchaffete. Allein um zehn, zwanzig, dreyßig Jahre willen, die er in einem elenden Leben zubringt, ein Boͤſewicht zu ſeyn ‒ ‒ kann ſich das wohl der Muͤhe verlohnen? Und noch dazu mit einem beſtaͤndig nagenden Gewiſ - ſen, und, wenn er zur Ueberlegung koͤmmt, mit ſo aͤngſtlich quaͤlenden Gedanken uͤber ſeine begangne Suͤnde! Wenn alsdenn alles, wie nichts, ſcheinet; alles, was er am hoͤchſten ſchaͤtzte, ihm am mei - ſten zuwider iſt; und er ſich nicht das geringſte zu erinnern hat, wie der arme Kerl wohl zwanzig und abermal zwanzig mal ſagt, als was mit Angſt und harten Vorwuͤrfen verbunden iſt.
Wenn man den armen Menſchen wuͤnſchen hoͤret, daß er niemals gebohren waͤre; wenn manihn65ihn beten hoͤret, daß er nach dem Tode nichts ſeyn moͤge: lieber Gott, wie ſchrecklich iſt das!
Nach dem, was er ohne Zuſammenhang von ſich merken laͤßt, beſorge ich, daß es ſehr uͤbel mit ihm ſtehe. Keine Gnade, keine Barmher - zigkeit, ſagt er einmal uͤber das andere, kann fuͤr ihn uͤbrig ſeyn!
Jch hoffe, ich werde mir dieſe Lehre gehoͤrig zu Nutze machen. Lache mich aus, wo du willſt: aber niemals, niemals will ich mir mehr die Frey - heiten nehmen, die ich mir genommen habe; ſon - dern ſo oft ich verſuchet werde, will ich an Bel - tons Todesangſt gedenken, und uͤberlegen, wie groß mein eigner Sterbenskampf ſeyn moͤge!
Jtzo iſt er in den letzten Zuͤgen ‒ ‒ Er raͤchelt, und hat beynahe alle Augenblicke neue Zu - ckungen. Jn was fuͤr einem Schrecken ſchwebet er! Seine Augen ſehen wie ein uͤberhauchtes Glas aus. Sie gehen nicht mehr fuͤrchterlich herum. Sie ſtehen ganz fteif. Sein Geſicht iſt verdre - het, und durch ſeine ſinkende Kinnbacken und ſtarr aufgerichtete Augenlieder mit verlaͤngerter und ge - runzelter Stirn zweymal ſo lang als ſonſt, wie es ſcheinet, gezogen. Es iſt nicht Beltons Ge - ſicht, es kann nicht Beltons Geſicht ſeyn: deines Beltons und meines Beltons, den wir mit ſo vie - lem Vergnuͤgen uͤber die Vertraulichkeit bey dem Glaſe geſehen, und mit dem wir Rathſchlaͤge ge - faſſet haben, welche dereinſt uns zu einem Vor -Siebenter Theil. Ewurf66wurf dienen und uns zu winſeln noͤthigen koͤnnen, wie ſie ihn noch vor gar kurzer Zeit dazu noͤthig - ten ‒ ‒ naͤmlich ſo lange er noch Kraft genug hatte zu winſeln. Denn itzo iſt ſeine Stimme nicht mehr zu hoͤren. Sie geht ganz einwaͤrts und iſt verlohren. Er kann nicht einmal mehr mit den Augen ſprechen: ob gleich, etwas ſeltſa - mes! wie kann es ſeyn? das Bette unter ihm wackelt, wie eine Wiege.
Nun iſt in der That alles voruͤber! ‒ ‒ Ar - mer, armer Belton! Gegenwaͤrtig weißt du, ob deine Suͤnden groͤßer geweſen ſind, als Gottes Barmherzigkeit! Nun haben eines jeden Sorgen und Wartungen ein Ende! Nun wiſſen wir, deine Freunde, armer Belton! das aͤrgſte von dir, in Anſehung dieſes Lebens! Du biſt von un - ertraͤglicher Marter, beydes an Leib und Seel, er - loͤſet! O daß dieſe Marter und deine Reue zu ei - ner Verſoͤhnung fuͤr deine Miſſethaten dienen und du in alle Ewigkeit gluͤckſelig ſeyn moͤch - teſt!
Wir67Wir hoͤren, daß Gott nicht den Tod, den geiſtlichen Tod eines Suͤnders verlange: und es iſt gewiß, daß du von ganzem Herzen Reue getragen haſt! Da du alſo nicht mitten in deinen Suͤnden durch das Schwerdt beleidigter Freund - ſchaft, dem du mehr als einmal Trotz geboten hat - teſt, hingeriſſen biſt; der ſchrecklichſte Tod unter allen, naͤchſt dem Selbſtmord, weil er keinen Raum zur Buße laͤſſet: ſo hoffe ich, daß dieß ein gnaͤdiges Unterpfand ſey, daß deine Buße ange - nommen worden; und daß deine langwierige Krankheit, und ſchreckliche Todesangſt in den letz - ten Zeiten derſelben, deine einzige Strafe ſeyn werde.
Jch wuͤnſchte in der That, ich wuͤnſchte von Herzen, daß wir einen Strahl des Troſtes auf ſeinen in Nacht und Finſterniß verhuͤllten Geiſt haͤtten einſchießen ſehen koͤnnen, ehe er abgeſchieden waͤre. Aber, leider! alles bis auf den letzten Athem war Schrecken und Verwirrung. Mei - ne einzige Furcht ruͤhret daher, daß er, bis auf die vier letzten Tage ſeines Lebens, nicht dahin ge - bracht werden konnte, zu gedenken, daß er ſterben ſollte, ob er gleich ganze Monathe herdurch augen - ſcheinlich abnahm. Jn der falſchen Einbildung, war er allzu wenig geneigt, eine ernſtliche Vorbe - reitung zu einer Reiſe zu machen, welche er zu uͤbernehmen nicht genoͤthigt zu werden hoffete: und da er anfing zu beſorgen, daß er ſie nicht ver - meiden koͤnnte, zeigte ſeine Ungedult, ſein Schre - cken und ſeine Furcht allzu wenig von demjenigenE 2Ver -68Vertrauen, von derjenigen Ergebung in den goͤtt - lichen Willen, welche den Freunden der Ster - benden und den Sterbenden ſelbſt die troͤſtlich - ſten Betrachtungen an die Hand geben.
Allein wir muͤſſen den armen Belton der Barmherzigkeit uͤberlaſſen, die wir alle ſo ſehr noͤthig haben. Jch meines Theils bin entſchloſ - ſen, ihr, Lovelace, und die Uebrigen von der Bruͤ - derſchaft moͤget thun, was euch beliebet, ich will mich bemuͤhen, meine Buße uͤber die begangne Thorheiten anzufangen, da meine Geſundheit noch gut, mein Verſtand noch unverletzt, und es noch in meiner Gewalt iſt, denen, die ich beleidigt oder verfuͤhrt habe, ihren Schaden auf eine ſolche Art wieder gut zu machen, daß es einer Erſtattung ſo nahe komme, als moͤglich iſt. Jhr moͤget aͤußer - lich, und aus einer falſchen Herzhaftigkeit, meinen Entſchluß mit ſo vieler Verachtung anſe - hen, als ihr wollet. Da keiner von euch unter die Zahl der ruchloſen und einfaͤltigen Thoren ge - hoͤret, welche ſich Muͤhe geben kein kuͤnftiges Le - ben zu glauben, wovor ihr euch fuͤrchtet; ſo bin ich verſichert, ihr werdet mich in euren Herzen, wo nicht durch eure Handlungen, rechtfertigen, und dereinſt wuͤnſchen, daß ihr eben dieſe Ent - ſchließung mit mir gefaßt haͤttet. Jhr werdet alsdenn bekennen, daß ſie vernuͤnftiger ſey, als ihr nun vielleicht geſtehen wollet.
Euch verlanget ſehr, nach eurem letzten Briefe, der mir eben gebracht iſt, wiederum Nach -richt69richt von mir zu haben, ehe ihr nach Berks ab - reiſet. Jch will daher mit wenigen Worten von dem einzigen Stuͤck eures Briefes, das ich itzo beruͤhren kann, beſchließen. Dieß betrifſt den Brief von der Fraͤulein, wovon ihr mir eine Ab - ſchrift gebet.
Der Mangel der Ruhe, und das betruͤbte Schauſpiel, welches ich vor mir habe, haben mich außer Stande geſetzt, auf irgend eine Art Grund von demſelben zu geben. Jhr ſeyd daruͤber ent - zuͤckt. Jhr habt auch Urſache dazu: wofern es ſo iſt, wie ihr gedenket. Jch moͤchte euch nicht gern eure Freude rauben: aber ich muß geſtehen, daß ich daruͤber erſtaunet bin.
Gewiß, Lovelace, dieſer unverſehene Brief kann doch wohl nicht von dir ſelbſt geſchmiedet ſeyn, damit du etwa eine Abſicht ins Werk rich - ten und mich beruͤcken moͤgeſt. Nach der Schreib - art, worinn er aufgeſetzet iſt, kann es nicht ſeyn: ob du gleich ein vollkommener Proteus biſt, der alle Geſtalten annehmen kann.
Jnzwiſchen will ich nicht ein Wort mehr bey - fuͤgen, nachdem ich um die Zuruͤckſendung dieſes erſuchet, und euch verſichert habe, daß ich ſey
Euer getreuer und wohlmeynender Freund Joh. Belford.
Jch habe deinen Brief durch die geſchwinde Beſorgung deines Bedienten bey ſo guter Zeit bekommen, daß es mir bequem iſt, einige Zeilen daruͤber aufzuſetzen. Jch habe eine oder zwo Stellen davon Mowbrayen vorgeleſen: und wir ſind beyde darinn einig, daß du ein vollkom - mener Meiſter biſt, etwas klaͤglich vorzuſtellen.
Armer Belton! Wie ſchrecklich iſt dein letz - ter Kampf geweſen! ‒ ‒ Jch hoffe inzwiſchen, daß er gluͤckſelig ſey: und habe dazu um deſto mehr Hoffnung, weil ſein harter Tod dir vermuth - lich zu einer ſolchen Warnung dienen wird. Wo er die Wirkung hat, welche er nach deiner Erklaͤ - rung bey dir haben ſoll: was fuͤr eine Welt voll Ungluͤck wird er verhuͤten! Wie viel Gutes wird er ſchaffen! Wie viele elende Perſonen werden ſich uͤber die Gelegenheit, wo ſie ſie erfahren, freuen, ob ſie gleich an ſich ſelbſt noch ſo betruͤbt iſt! Ueber die Gelegenheit, welche ihnen eine Er - ſtattung fuͤr das Unrecht, das ſie in der Stille zu ertragen genoͤthigt worden ſind, zuwege bringen wird! Aber, Bruder, ob dich gleich deines OnkelsTod71Tod zu einem reichen Kerl gemacht hat, biſt du gewiß, daß die Erfuͤllung eines ſolchen Geluͤbdes dich nicht einem gaͤnzlich zuruͤckgekommenen Kauf - manne gleich machen werde?
Du ſagſt, ich mag dich auslachen, wo ich will. Das thue ich nicht, Bruder: ich halte es fuͤr keine laͤcherliche Sache. Jch betruͤbe mich herzlich uͤber den Verluſt, den wir alle an dem ar - men Belton leiden. Und wenn ich ein wenig zur Ruhe komme, und Zeit habe, die Eitelkeit aller Dinge unter der Sonne zu betrachten; eine Be - trachtung, die ſich mir bisweilen in meinen frohe - ſten Stunden aufdringen will: ſo iſt es ſehr glaublich, daß ich uͤber dieſe Dinge ernſthaft mit dir reden mag. Wo du mir in der Buße, zu welcher du ſchreiteſt, nicht ſchon allzu weit vorge - kommen biſt: ſo will ich mit gleichen Schritten mit dir in derſelben fortgehen. Biſt du aber ſchon zu weit vor: ſo wirſt du mir doch noch eben in den Augen bleiben. Denn es geht mit dieſen Werk Berg an: und ich werde dich auf deinem Zuge in großer Entfernung ſehen. Weil du nun ein viel ſchwererer und unbeholfener Kerl biſt, als ich: ſo hoffe ich, daß ich im Stande ſeyn wer - de, dich ohne vieles Keichen und Schwitzen einzu - hohlen, wenn ich nur einen guten Hundetrab gehe.
Unterdeſſen haſt du hier deinen Brief wieder zuruͤck, wie du verlangeſt. Jch wollte ihn itzo auf keine Art und Weiſe in der Taſche haben, oder noch einmal leſen.
E 4Jch72Jch bin im Begriff, hinunter zu reiſen, ohne meine Geliebte zu ſehen. Jch bin ein Thor in der Uebereilung geweſen, daß ich ihr einen Brief geſchrieben, und darinn verſprochen habe, nicht eher zu ihr zu kommen, als bis ich ſie in ihres Vaters Hauſe ſehen wuͤrde. Denn da ſie nun wirklich in Smithens Hauſe iſt und ich ihr ſo nahe bin: haͤtte ein kurzer Beſuch nicht ſchaden koͤnnen.
Vor zwoen Stunden ſchickte ich Wilhelm mit meiner dankgefliſſenſten Empfehlung zu ihr, und ließ mich erkundigen, wie ſie ſich befaͤnde. Wie ſehr muß ich dieſe reizende Fraͤulein anbe - ten! Denn ich bin nicht abgeneigt, meinen Die - ner fuͤr gluͤcklicher, als mich ſelbſt, zu halten, weil er in einem Stockwerk und einem Zimmer mit ihr geweſen iſt.
Mowbray und ich wollen, unter Weges, je - der eine Thraͤne zum Andenken des armen Bel - tons vergießen. ‒ ‒ Unter Weges, ſage ich: denn, wenn wir bey dem Lord M. ankommen, und ich ihm und meinen Baſen den Brief von der lieben Fraͤulein zeige, ſo werden wir ſo viele Freude haben, daß wir alles Traurige vergeſſen werden; indem nun ihre Familienhoffnung in meiner Beſſerung, der Sache, die ihnen ſo nahe am Herzen liegt, vollkommen wieder aufleben wird, weil es einer von ihren Glaubensartikeln iſt, daß, wenn ich heyrathe, Reue und Kraͤnkung alſobald folgen werden.
Weder Mowbray, noch ich werde deine muͤnd - liche Einladung zum Leichenbegaͤngniſſe anneh -men.73men. Wir ſind keine Freunde von dieſen wun - derlichen Weitlaͤuftigkeiten. Und was die Ach - tung betrifft, welche dem Andenken eines verſtor - benen Freundes in einem ſolchen Dienſt, wie man glaubt, bewieſen wird: warum ſollten wir etwas thun, das denen zu einem Vorwurf gereichen konn - te, welche es zu einer Mode gemacht haben, die - ſes unnuͤtze Gepraͤnge Leuten, die von ihnen zu dem Ende gemiethet werden, zu uͤber - laſſen.
Lebe wohl, und ſey froͤhlich. Du kannſt itzo dem armen Belton nicht mehr helfen: wenn du auch bis an das Ende deines Lebens um ihn heu - len wollteſt.
Am Donnerſtage nach Mittage war ich bey der Eroͤffnung des Teſtaments von dem ar - men Belton gegenwaͤrtig. Er hat mir allein die Vollziehung ſeines letzten Willens in demſelben aufgetragen, und mir hundert Guineas vermacht. Dieſe werde ich ſeiner ungluͤcklichen Schweſter ſchenken, gegen welche er nicht ſo guͤtig geweſen iſt, als er meinen Gedanken nach haͤtte ſeyn ſol -E 5len.74len. Er hat auch Mowbrayen, Tourvillen, dir und mir, jeden zwanzig Pfund zu einem Ringe vermacht, der ihm zum Andenken getragen wer - den ſoll.
Nachdem ich wegen der Zubereitungen zu ſeinem Leichenbegaͤngniſſe einige Verordnungen gegeben hatte: ging ich nach London ab. Weil ich mich aber verſpaͤtet hatte, ehe ich am Don - nerſtage, Abends, ankam, und, aus Mangel der Ruhe in verſchiedenen vorhergehenden Naͤchten, muͤde und matt war, auch mein Gemuͤth traurig und niedergeſchlagen fand; ich konnte es nicht aͤn - dern, Lovelace: ſo begnuͤgte ich mich damit, daß ich der unſchuldig leidenden Fraͤulein meine Em - pfehlung machen ließ, um mich nach ihrem Be - finden zu erkundigen.
Mein Bedienter ſprach mit Fr. Smithinn, die ihm vermeldete, daß es ihr ſehr lieb waͤre, daß ich zur Stadt gekommen, weil ſich die Fraͤulein ſchlechter befaͤnde, als ſie ſich ſonſt noch befunden haͤtte.
Es iſt unmoͤglich, von dem Jnhalt ihres Briefes an euch Grund zu geben, oder dieſen Jn - halt mit den Begebenheiten, die ich mitzutheilen habe, zuſammen zu reimen.
Jch war geſtern, am Freytage, des Morgens, in Smithens Hauſe, und fand, daß die Fraͤulein ſich in einer Saͤnfte nach St. Dunſtans Kirche zur Bethſtunde begeben hatte. Sie befand ſich zu ſchlecht, um ſechſe in die Kirche beym Covent - Garden zu gehen: und war genoͤthigt, ſich vonFr.75Fr. Lovick an ihre Saͤnfte leiten zu laſſen. Sie haͤtten ſie gerne beredet, ſich nicht von Hauſe zu begeben: allein ſie ſagte, ſie wuͤßte nicht anders, als daß dieß die letzte Gelegenheit ſeyn moͤchte, die ſie dazu haben koͤnnte. Fr. Lovick beſorgte, es moͤchte in der Kirche aͤrger mit ihr werden, und ging daher vor ihr hin.
Fr. Smithinn erzaͤhlte mir, ſie haͤtte ſich am Mittwochen, Abends, ſo ſchlecht befunden, daß ſie das Abendmahl verlanget haͤtte, und daß ihr alſo daſſelbe von dem Geiſtlichen in dem Kirchſpiel ge - reichet waͤre, welchen ſie gebeten, ihr ſo oft, als es ſeine Umſtaͤnde erlauben wollten, in ihrer hei - ligen Vorbereitung beyzuſtehen.
Dieß verſprach der gute Mann. Er fragte auch wirklich des Morgens darauf nach, um ſich nach ihrer Geſundheit zu erkundigen, und ward auf die erſte Anfrage von ihr angenommen. Er blieb ungefaͤhr eine halbe Stunde bey ihr. Als er her unter kam, ſagte er mit weggewandtem An - geſichte und in einem ſtockenden Tone: „ Fr. „ Smithinn, ſie haben einen Engel in ihrem Hau - „ ſe ‒ ‒ Jch will heute auf den Abend ihr wie - „ der aufwarten, wie ſie verlanget, und ſo oft, „ als ich denke, daß es ihr angenehm ſeyn wird.
Die Vergroͤßerung ihrer Schwachheit ſchrieb ſie den Beſchwerden zu, welche ſie auf eure Ver - anlaſſung ausgeſtanden, und einem Briefe, den ſie von ihrer Schweſter bekommen, und an eben demſelbigen Tage beantwortet hatte.
Fr.76Fr. Smithinn ſagte mir, daß zwo verſchied - ne Perſonen daſelbſt Nachfrage gethan, eine am Donnerſtage des Morgens, die andere des Abends, um ſich nach dem Zuſtande ihrer Geſundheit zu erkundigen. Es haͤtte geſchienen, als wenn ih - nen das Gewerbe von ihren Verwandten aufge - tragen waͤre. Sie verlangten ſie aber nicht zu ſehen: ſondern erkundigten ſich nur nach denen Perſonen, von welchen ſie Beſuch annaͤhme; ſon - derlich, ſcheint es, nach mir; was haben ſie da - mit meynen koͤnnen? imgleichen nach ihrer Le - bensart und ihren Ausgaben. Einer von beyden fragte nach, auf was fuͤr Art ſie ihre Ausgaben beſtritte. Dieß, ſagte Fr. Smithinn, haͤtte ſie ſo beantwortet, wie es die Wahrheit waͤre, indem ſie geſtanden, daß ſie genoͤthigt worden, einige von ihren Kleidern zu verkaufen, und wirklich im Begriff waͤre, noch mehrere von der Hand zu ſchlagen. Hieruͤber haͤtte der Nachfrager, ein ernſthafter alter Mann, der wie ein Pachter aus - geſehen, die Haͤnde aufgehoben und geſagt: Lie - ber Gott! ‒ ‒ dieß wird eine traurige, traurige Zeitung fuͤr jemand ſeyn. Jch glaube, ich muß nichts davon erwaͤhnen. Allein Fr. Smithinn ſagt, ſie haͤtte gebeten, er ſollte es erzaͤhlen, er moͤchte kommen, von wem er wollte. Darauf haͤtte er den Kopf geſchuͤttelt, und hinzugeſetzet, wo ſie ſtuͤrbe, wuͤrde die Blume der Welt dahin ſeyn, und die Familie, zu welcher ſie gehoͤrte, wuͤrde alsdenn nichts mehr als eine gemeine Fa -milie77milie ſeyn(*)Dieſer Mann kam von ihrem Vetter Morden: wie man in dem folgenden ſehen wird.. Mir gefiel der Ausdruck des Mannes.
Jhr moͤcht vielleicht gern wiſſen wollen, wie ſie ihre Zeit zugebracht, da ſie genoͤthigt worden, ihre Wohnung zu verlaſſen, damit ſie euch miede.
Fr. Smithinn erzaͤhlt mir, „ daß ſie ſich ſehr „ uͤbel befunden, als ſie am Montage fruͤhe ausge - „ fahren waͤre, und ſo geſeufzet haͤtte, als wenn ihr „ das Herz brechen wollte, wie ſie die Treppe her - „ unter gekommen und durch den Laden an die „ Kutſche gegangen waͤre. Jhre Waͤrterinn waͤ - „ re bey ihr geweſen: wie ihr mir vorher gemeldet „ hattet. Sie haͤtte dem Kutſcher, den ſie auf „ den ganzen Tag gemiethet, befohlen, wohin er „ wollte, zu fahren, wenn es nur in freyer Luft „ waͤre. Alſo fuhr er ſie nach Hampſtead, und „ von dannen nach Highgate. Hier ſtieg ſie bey „ dem Hauſe, wo der gruͤne Kugelplatz iſt, ab, und „ befand ſich ausnehmend ſchlecht. Nachdem ſie „ ein wenig gefruͤhſtuͤcket hatte, befahl ſie dem „ Kutſcher ſehr leiſe zu fahren, wohin er wollte. „ Er fuhr wie kriechend nach Muswellhill, und „ hielte da bey einem Wirthshauſe ſtille: wo ſie „ ſich zwo Stunden mit Schreiben beſchaͤfftigte, „ ob ſie gleich ausnehmend ſchwach und matt war, „ bis das Mittagseſſen, welches ſie beſtellt hatte, „ hineingebracht wurde. Sie bemuͤhete ſich zu „ eſſen: konnte aber nicht. Jhre Luſt zu eſſenwaͤre78„ waͤre verlohren, gaͤnzlich verlohren, ſagte ſie. „ Hierauf ſchrieb ſie noch drey Stunden fort. „ Weil ſie nach dieſem ſchlaͤfrig ward: ſo ſchlum - „ merte ſie ein wenig in einem Lehnſtuhl. Als ſie „ wieder erwachte: befahl ſie dem Kutſcher, ſie „ ſehr leiſe wieder nach London, und zu dem Hau - „ ſe einer Freundinn von Fr. Lovick, welche ſie, „ der Abrede nach, daſelbſt antraf, zu fahren. „ Weil ſie ſich aber aͤußerſt uͤbel befand: ſo woll - „ te ſie es wagen, bey ſpaͤter Zeit zu Hauſe zuruͤck - „ zukehren; ob ſie gleich von der Witwe gehoͤret, „ daß ihr da geweſen waret, und Urſache hatte, „ uͤber eure Auffuͤhrung beſtuͤrzt zu ſeyn. Sie „ ſagte, ſie faͤnde, daß kein Mittel uͤbrig waͤre, euch „ zu entgehen: ſie beſorgte, daß ſie nicht viele „ Stunden mehr leben wuͤrde, und es waͤre nicht „ unmoͤglich, daß der Stoß, den ihr der Anblick „ von euch geben muͤßte, ihr Schickſal in eurer Ge - „ genwart entſcheiden ſollte.
„ Sie ging alſo zu Hauſe. Sie hoͤrte die Er - „ zaͤhlung von euren erſtaunlichen Ausſchweifun - „ gen, mit oft aufgehabenen Haͤnden und Augen. „ Aergerlicher Menſch! Unbeſſerlicher Boͤſewicht! „ Wird ihn nichts ernſthaft machen! waren die „ Worte, welche ſie bisweilen einfließen ließ. Weil „ ihr nun eine Zuſammenkunft mit einem ſo ver - „ haͤrteten Menſchen unertraͤglich war: ſo nahm „ ſie des andern Morgens fruͤhe ihre gewoͤhnliche „ Saͤnfte und ließ ſich an die Treppe bey dem Ge - „ baͤude der Tempelherren tragen, wohin ſie ihrer „ Waͤrterinn vorauszugehen befohlen hatte, um„ ein79„ ein Boot mit zweyen Rudern in Bereitſchaft zu „ halten. Denn die Beſchwerden, welche ſie den „ Tag zuvor ausgeſtanden hatte, machten, daß ſie „ es in einer Kutſche nicht aushalten konnte. Alſo „ ließ ſie nach Chelſea rudern, wo ſie fruͤhſtuͤckte. „ Nachdem man hierauf weiter herumgerudert hat - „ te: ſtieg ſie zum Schwan zu Brentford - Aight „ aus. Da ſpeiſete ſie zu Mittage; und wuͤrde „ geſchrieben haben: aber ſie fand keine Gelegen - „ heit dazu, weder leidliche Federn, noch Dinte, „ noch ein beſonderes Zimmer, wo ſie allein ſeyn „ konnte. Sie fuhr darauf erſt weiter nach Rich - „ mond, und hernach ruderte man mit ihr zuruͤck „ nach Mortlack; wo ſie ausſtieg, und in einem „ Hauſe, welches ihr Ruderer ihr angeprießen hatte, „ Thee trank. Hier ſchrieb ſie eine ganze Stun - „ de, und ließ ſich hernach wieder an das Gebaͤude „ der Tempelherren zuruͤckbringen. So bald ſie „ ans Land geſtiegen war: ließ ſie ſich durch einen „ von den Ruderern eine Saͤnfte holen, und ſich „ ſo, wie des vorigen Abends, wieder zu der Freun - „ dinn der Witwe tragen. Bey dieſer traf ſie „ die Witwe wieder an, welche ihr Nachricht „ gab, daß ihr ſie an dem Tage zweymal geſucht „ haͤttet.
„ Fr. Lovick gab ihr daſelbſt den Brief von ih - „ rer Schweſter(*)Siehe den folgenden XI Brief.: und der Jnhalt deſſelben „ griff ſie ſo heftig an, daß ſie zweymal einer Ohn - „ macht ſehr nahe war, und bitterlich weinte, wie „ mir Fr. Lovick und Fr. Smithinn erzaͤhlten;„ auch80„ auch ſich einige heftigere Ausdruͤckungen gegen „ ihre Freunde, als ſie jemals von ihren Lippen ge - „ hoͤrt hatten, entfallen ließ; indem ſie ſie grau - „ ſam nannte, und uͤber die uͤbeln Dienſte, die „ man ihr geleiſtet haͤtte, und ſchaͤndliche Nachre - „ den, die wider ſie ausgebracht waͤren, klagte.
„ Als ſie noch in ſolcher Unruhe war, kam „ Fr. Smithinn zu ihr, und meldete, daß ihr zum „ dritten male da geweſen, und eben damals, eine „ halbe Stunde nach neunen, weggegangen waͤret, „ nachdem ihr euch erklaͤret haͤttet, wie hoͤflich und „ ehrerbietig ihr ſeyn wolltet, aber daß ihr feſt ent - „ ſchloſſen waͤret, ſie zu ſehen, es moͤchte erfolgen, „ was da wollte.
„ Es waͤre etwas hartes, ſagte ſie, daß man „ ihr nicht goͤnnen wollte, in Friede zu ſterben. „ Jhr Schickſal waͤre ſtrenge. Sie finge an zu „ fuͤrchten, daß ſie ſich nicht enthalten moͤchte zu „ murren, und ihre Strafe fuͤr groͤßer zu achten, „ als ihren Fehler. Allein ſie faßte ſich alſobald „ wieder, und troͤſtete ſich ſelbſt damit, daß ihr Le - „ ben kurz ſeyn wuͤrde, und ſie eines beſſern nach „ demſelben verſichert waͤre.
Aus dem, was ich angefuͤhret habe, werdet ihr mit mir ſchließen, daß der Brief, welcher ihr von Fr. Lovick gebracht wurde, und deſſen Auf - ſchrift ihr fuͤr ihrer Schweſter Hand erkannt hat - tet, nicht derjenige ſeyn konnte, auf deſſen Jnhalt ſie das, was ſie von ihrer Ruͤckkehr in ihres Va - ters Haus an euch ſchrieb, gruͤndete. Gleich - wohl weiß weder Fr. Lovick, noch Fr. Smithinn,noch81noch die Magd der letztern, von einem andern, der ihr gebracht ſeyn ſollte. Da mich aber die beyden Frauen verſicherten, daß ſie wirklich an euch geſchrieben haͤtte: ſo ward mir der Argwohn, den ich zu hegen angefangen hatte, benommen, daß ihr, zu einer Abſicht, die ich nicht errathen koͤnnte, den Brief von ihr geſchmiedet haͤttet, wo - von ihr mir eine Abſchrift ſandtet.
Am Mittwochen, des Morgens, da ſie euren Brief zur Antwort auf den ihrigen bekam, er - klaͤrte ſie ſich auf folgende Art. Die Nothwen - digkeit mag wohl eine Mutter der Erfindung ge - nannt werden ‒ ‒ Allein die Noth iſt der Pro - bierſtein der Lauterkeit des Herzens. ‒ ‒ Jch hoffe, daß ich nicht einen Schritt gethan habe, der nicht zu entſchuldigen ſtehe ‒ ‒ und nach - dem ſie hier eine oder zwo Minuten inne gehalten hatte, ſetzte ſie hinzu: Nun wird mir vielleicht erlaubt ſeyn, in Friede zu ſterben.
Jch blieb, bis ſie zu Hauſe kam. Es waͤre ihr lieb, ſagte ſie, daß ſie mich ſaͤhe: aber weil ſie ſehr ſchwach waͤre, muͤßte ſie ſich erſt niederſetzen, ehe ſie die Treppe hinaufgehen koͤnnte. So kam ſie in den hintern Laden: indem ſie ſich auf Fr. Lovick ſtuͤtzte. Als ſie ſich niedergeſetzt hatte, ſprach ſie: „ Es iſt mir lieb, ſie zu ſehen, Herr „ Belford; das muß ich ſagen ‒ ‒ Verlaͤumder „ moͤgen ſagen, was ſie wollen.
Jch wunderte mich uͤber dieſen Ausdruck(*)Er wird in dem folgenden erklaͤret.: wollte ihr aber nicht in die Rede fallen.
O!Siebenter Theil. F82O! mein Herr, fuhr ſie fort, ich bin jaͤmmer - lich gequaͤlet worden. Jhr Freund, der mich nicht mit Ehren leben laſſen wollte, will mich nicht in Friede ſterben laſſen ‒ ‒ Sie ſehen, wie ich mich befinde ‒ ‒ Jſt nicht eine große Veraͤnde - rung in dieſer Woche mit mir vorgegangen? ‒ ‒ Aber es dienet alles zum Beſten. ‒ ‒ Jedoch, wenn ich mir das Leben wuͤnſchen ſollte, muͤßte ich ſagen, daß ihr Freund, ihr unmenſchlicher Freund, mir großen Schaden gethan hat.
Sie war ſo gar ſchwach, ſo kurz von Athem, und ihre Worte und die Art, womit ſie ſie vor - brachte, waren ſo ſehr beweglich, daß ich genoͤ - thigt ward, von ihr wegzuſpatzieren. Die bey - den Frauen und ihre Waͤrterinn wandten auch ihre Geſichter weg und weinten.
Jch, gnadige Fraͤulein, verſetzte ich, habe ſeit der Zeit, da ich ſie geſehen, das traurigſte Schau - ſpiel verſchiedne Tage nach einander vor Augen gehabt. Mein armer Freund Belton iſt nicht mehr am Leben. Er verſchied geſtern fruͤhe in ſo ſchrecklicher Todesangſt, daß der Eindruck, den es in mir zuruͤckgelaſſen, mein Gemuͤth ſo geſchwaͤ - chet hat ‒ ‒ Jch wollte ſie nicht gern auf die Gedanken bringen, daß meine Betruͤbniß von der Schwachheit, worinn ich ſie ſahe, herruͤhrte, aus Furcht, ich moͤchte dadurch ihren Muth nieder - ſchlagen.
Das dienet nur dazu, Herr Belford, fiel ſie mir in die Rede, daß es geſtaͤrket werde: wo - fern der Eindruck gehoͤrig angewandt wird ‒ ‒Es83Es wuͤrde mir aber lieb ſeyn, weil ſie durch den wichtigen Umſtand in ſo gerechte Regungen der Menſchheit geſetzt ſind, wenn ſie in der Schreib - art und Einkleidung, welche ſie ſo vollkommen in ihrer Gewalt haben, ihrem luſtigen Freunde eine Nachricht davon haͤtten zuſchreiben koͤnnen. Wer weiß, da ſie durch einen Mitgenoſſen und von einem Mitgenoſſen gekommen ſeyn wuͤrde, wie ſie ihn geruͤhret haben moͤchte?
Jch eroͤffnete ihr, daß ich es wirklich gethan haͤtte, und zwar auf eine ſolche Art, die, wie ich glaubte, nicht ohne Wirkung bey euch waͤre.
Seine noch ſo neuliche Auffuͤhrung in dieſem ehrlichen Hauſe, antwortete ſie, und ſeine grauſa - me Verfolgung meiner Perſon geben nur ſehr wenige Hoffnung, daß irgend etwas ernſthaftes oder wichtiges ihn ruͤhren werde.
Wir hatten einige Unterredungen uͤber Bel - tons Bezeigen bey dem Sterben, und ich erzaͤhlte ihr verſchiedne Umſtaͤnde von der Ungedult und Verzweifelung des armen Mannes. Sie war ſehr aufmerkſam darauf, und machte artige An - merkungen uͤber den Aufſchub der Buße.
Jndem wir noch mit einander redeten, ward ihr ein Brief und ein Packet durch einen Kerl zu Pferde von der Fraͤulein Howe gebracht. Sie ging hinauf, ihn zu leſen: und da ich mit Fr. Smithinn und Fr. Lovick im Geſpraͤch begriffen war, kamen der Arzt und der Apotheker beyde zu - gleich herein. Dieſe bekraͤftigten meine Furcht wegen des gefaͤhrlichen Zuſtandes, in welchem ſieF 2ſich84ſich befindet. Sie hatten beyde die neuen Pro - ben der Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde, und eu - rer Verfolgungen erfahren: und der Arzt ſagte, er wollte um aller Welt willen nicht der unver - ſoͤhnliche Vater der Fraͤulein, oder der Mann ſeyn, der ſie in dieß Ungluͤck gebracht haͤtte. Jhr Herz iſt gebrochen, ſprach er: ſie wird ſterben; ihr iſt nicht zu helfen. Wie ich mich aber nach - her beruhigen ſollte, wenn ich entweder der eine oder der andere von denen Leuten waͤre, die ich ge - nannt habe, das kann ich nicht ſagen.
Da ſie hoͤrte, daß wir alle drey beyſammen waren, ließ ſie uns bitten, hinauf zu kommen. Sie ſtand auf, uns zu empfangen, und nachdem ſie zwo oder drey allgemeine Fragen wegen ihrer Geſundheit beantwortet hatte, redete ſie uns auf folgende Art an.
Da ich ſie drey, meine Herren, nicht wieder beyſammen ſehen mag: ſo erlauben ſie mir, dieſe Gelegenheit zu ergreifen, und meine Verbindlich - keit gegen ſie alle zu erkennen. Jch bin ihnen, mein Herr, und ihnen, mein Herr ‒ ‒ Sie neig - te ſich gegen den Arzt und Herrn Goddard ‒ ‒ fuͤr ihre mehr als freundſchaftliche, ihre vaͤterli - che Fuͤrſorge und Bemuͤhung fuͤr mich unaus - ſprechlich verbunden. Bey der Wiſſenſchaft, welche ſie treiben, darf ich wohl ſagen, iſt die Leut - ſeligkeit gar nicht eine ſeltne Eigenſchaft; weil ſie ſelbſt ihrer Verrichtung nach liebreiche Leute ſind: allein ſo viele Guͤte, ſo viele Hoͤflichkeit, als mir von ihnen beyden widerfahren iſt, iſtwohl85wohl niemals einer verlaſſenen Perſon widerfah - ren. Jch habe aber in der That allemal bemer - ket, daß, wo ſich jemand auf die Fuͤrſehung ver - laͤſſet, ſie ſich niemals entbricht, ſtatt eines alten Freundes, der abgehet, einen neuen zu erwecken.
Dieſer Cavallier ‒ ‒ Sie buͤckte ſich gegen mich ‒ ‒ der, wie einige Leute denken, einer von den letzten haͤtte ſeyn ſollen, denen ich die Vollzie - hung meines Teſtaments aufzutragen gedacht ha - ben ſollte ‒ ‒ iſt nichts deſto weniger der einzige, den ich waͤhlen kann; ſo wunderlich haben ſich die Dinge geaͤndert! Daher habe ich ihn zu dieſem Liebesdienſt gewaͤhlet, und er iſt ſo guͤtig geweſen, ihn anzunehmen: denn ſo reich ich mich zu ſeyn ruͤhmen mag; ſo bin ich es doch gegenwaͤrtig viel - mehr dem Rechte nach, als in der That. Jch wiederhole alſo meine gehorſamſte Dankſagung ihnen allen dreyen, und bitte Gott, daß er Jhnen und den Jhrigen; ſie ſahe einen jeden hiebey an; die Guͤte und Gewogenheit, welche ſie mir erzei - get haben, hundertfaͤltig vergelte, und daß es bis an das Ende der Zeit in Jhrem und der Jhrigen Vermoͤgen ſtehen moͤge, vielmehr Wohlthaten zu erzeigen, als genoͤthigt zu ſeyn, ſie anzunehmen. Dieß iſt ein der Gottheit aͤhnliches Vermoͤgen, meine Herren. Jch habe mich ſonſt deſſelben in einem kleinen Maaße zu erfreuen gehabt: und noch weit mehr habe ich mich uͤber die Hoffnung, die ich vor mir hatte, daß es bey mir vergroͤßert wer - den ſollte, erfreuet; ob ich gleich die Kraͤnkung gehabt habe, das Blatt gewandt zu ſehen, undF 3bey -86beynahe allen und jeden, die ich geſehen oder an - getroffen habe, verbunden zu werden. Aber al - les iſt urſpruͤnglich meine eigne Schuld: deswe - gen muß ich die Strafe billig ohne Murren tra - gen; und das thue ich auch, wie ich hoffe. ‒ ‒ Verzeihen ſie mir dieſe Betrachtungen, die ſich itzo ſo wenig ſchicken. Ein dankbares Herz, dem das erwuͤnſchte Vermoͤgen fehlet, ſich ſeinen eig - nen Trieben gemaͤß auszudruͤcken, wird ſchwerlich wiſſen, was es eigentlich der Zunge zu ſagen vor - ſchreiben ſoll. Da es ſich aber dennoch nicht er - wehren kann uͤberzufließen: ſo wird es ſie noͤthi - gen, lieber ſchlechte und ungeſchickte Dinge zu ſa - gen, als den Schein eines undankbaren. Still - ſchweigens anzunehmen. So danke ich ihnen al - len dreyen denn noch einmal fuͤr ihre Guͤte gegen mich: Gott der Allmaͤchtige vergelte ihnen, was ich gegenwaͤrtig nicht vergelten kann!
Sie begab ſich mit thraͤnenvollen Augen von uns weg in ihr Cloſet, und verließ uns ſo, daß wir uns einander bloß anſahen.
Wir waren kaum wieder zu uns ſelbſt ge - kommen, als ſie ganz geruhig, munter und laͤ - chelnd zu uns zuruͤckkehrte. Herr Doctor, ſagte ſie, weil ſie ſahe, daß wir geruͤhret waren, Sie werden mich wegen der Beyſorge, die ich ihnen verurſache, entſchuldigen. Das werden auch Sie, Herr Goddard, und Sie, Herr Belford, thun. Denn es iſt eine Beyſorge, die nur Gemuͤther von edler Art zeigen koͤnnen: und ſolchen Gemuͤ - thern iſt der Kummer, welcher mit einer ſolchenBey -87Beyſorge verknuͤpft iſt, ſuͤß, wenn ich ſo ſagen darf. Da ich aber noch einige wenige Vorberei - tungen zu machen habe, und nicht gern; ob es gleich zur Erleichterung der kuͤnftigen Muͤhe des Herrn Belfords, welche ein Theil meiner Bemuͤ - hung iſt und billig ſeyn muß, dienen ſollte; mehr unternehmen moͤchte, als mir wahrſcheinlicher Weiſe auszufuͤhren Zeit gegoͤnnet ſeyn wird: ſo wollte ich ſie bitten, mir ihre Meynung zu ſagen, wie lange es noch vielleicht wehren moͤchte, ehe ich hoffen mag, von allen meinen Beſchwerden erloͤ - ſet zu werden. Sie ſehen meine Lebensart und koͤnnen verſichert ſeyn, daß ich mit Wiſſen und Willen nichts thun werde, wodurch ich meine Ta - ge verkuͤrzen moͤchte.
Sie waren beyde unſchluͤßig und ſahen ein - ander an. Fuͤrchten ſie ſich nicht, mir zu ant - worten, ſetzte ſie daher hinzu, und druͤckte mit der einen Hand den Arm des einen, und mit der an - dern den Arm des andern; mit derjenigen Mi - ſchung von Freyheit und Beſcheidenheit, welche nur allein eine jungferliche Sittſamkeit, wenn ſie mit dem Bewußtſeyn erhabener Vorzuͤge verbun - den iſt, ausdruͤcken kann; und mit einem freund - lich ernſthaften Blicke: Sagen ſie mir, wie lan - ge ich es noch nach ihren Gedanken halten moͤge, und glauben ſie mir, meine Herren, daß ſie mir deſto mehr Vergnuͤgen machen werden, je kuͤrzer das Ziel meiner Tage iſt, das ſie mir nach der Wahrſcheinlichkeit anzeigen.
F 4Mit88Mit was fuͤr angenehmen Schmerzen, ant - wortete der Arzt, erfuͤllen ſie die Gemuͤther derer - jenigen, welche das Gluͤck haben, mit ihnen um - zugehen, und die gluͤckliche Faſſung, in der ſie ſich befinden, zu ſehen! Das, was ſie binnen wenigen verwichnen Tagen ausgeſtanden haben, hat ihnen vielen Schaden gethan. Sollten ſie neue Be - ſchwerden von der Art haben: ſo koͤnnte ich nicht dafuͤr ſtehen, daß ſie es laͤnger halten wuͤrden, als ‒ ‒ Hier hielt er inne.
Wie lange, Herr Doctor? ‒ ‒ Jch glaube, ich werde noch ein wenig Unruhe haben ‒ ‒ Mir iſt bange davor ‒ ‒ Aber es kann mir nur eines begegnen, das ich nicht ziemlich geruhig er - tragen werde. ‒ ‒ Wie lange denn, mein Herr?
Er ſchwieg ſtille.
Vierzehn Tage, mein Herr?
Er ſchwieg noch ſtille.
Zehn Tage? ‒ ‒ Eine Woche? ‒ ‒ Wie lange, mein Herr? fragte ſie mit laͤchelnder Ernſt - haftigkeit.
Wenn ich reden muß, gnaͤdige Fraͤulein: ſo bin ich beſorgt, wofern man nicht beſſer mit ihnen umgehet, als man vor kurzem mit ihnen umgegan - gen iſt ‒ ‒ Hier brach er wieder ab.
Wovor beſorgt, Herr Doctor? Seyn ſie nicht beſorgt ‒ ‒ Wie lange, mein Herr?
Daß vierzehn Tage oder drey Wochen die Welt ihrer feineſten Blume berauben werde.
Noch89Noch vierzehn Tage, oder drey Wochen, Herr Doctor! ‒ ‒ Jedoch des Herrn Wille geſchehe! Jch werde inzwiſchen auf dieſe Art vollkommen Zeit haben, wenn ich nur Kraͤfte und Verſtand behalte, alles zu thun, was ich zu thun im Sinue habe. Und ſo, meine Herren; ſie wandte ſich zu einem jeden von uns; kann ich ihnen nur noch einmal fuͤr alle ihre Guͤte gegen mich Dank ſa - gen, und, da ich Briefe zu ſchreiben habe, ihnen nicht mehr Zeit wegnehmen ‒ ‒ Nur haben ſie die Gewogenheit, Herr Doctor, mir noch etwas von denen Tropfen zu verſchreiben: ſie geben mir einige Erleichterung, wenn ich matt bin. Zu - gleich ſteckte ſie ihm die gewoͤhnliche Bezahlung in die Hand, welche er anzunehmen ſich weigerte. ‒ ‒ Sie wiſſen, mein Herr, was wir fuͤr Abrede genommen haben! ‒ ‒ Darauf wandte ſie ſich zu dem Herrn Goddard: Sie werden ſo gut ſeyn, mein Herr, gegen Abend oder morgen fruͤ - he, wie es ihnen bequem iſt, bey mir anzuſpre - chen: und ſie, Herr Belford, weiß ich, werden gern ausreiſen wollen, die Zubereitung zu dem letzten Liebesdienſt gegen ihren verſtorbenen Freund zu machen; alſo wuͤnſche ich ihnen eine gluͤckli - che Reiſe, und hoffe, ſie wieder zu ſehen, wenn der - ſelbe vollzogen iſt.
Hierauf entfernte ſie ſich mit muntern und freundlichen Blicken. Die beyden Herren gingen mit einander weg. Jch ging hinunter zu den Frauensleuten, und fand auf meine Nachfrage, daß Fr. Lovick ihr an eben dem Tage noch zwan -F 5zig90zig Guineas fuͤr einen andern von ihren Anzuͤgen bringen wuͤrde.
Die Witwe erzaͤhlte mir, daß ſie ſich die Freyheit genommen haͤtte, ihr wegen der Urſa - che, weswegen ſie dieß Geld mit ſo großem Ver - luſt aufzubringen noͤthig achtete, Einwendungen zu machen: und das verurſachte folgende kurze und ruͤhrende Unterredung zwiſchen ihnen.
Keine von meinen Anverwandtinnen wird et - was von meinen Sachen tragen, ſprach die Fraͤu - lein. Jch werde viele gute Sachen hinterlaſſen. ‒ ‒ Was aber die Angelegenheit betrifft, wozu ich Geld brauche: ‒ ‒ ſo wundern ſie ſich nicht; ‒ ‒ ‒ ‒ allein ſetzen ſie, daß ich es gebrauche, ein Haus zu kaufen.
Sie reden lauter Geheimniſſe, wertheſte Fraͤu - lein: ich verſtehe ſie nicht.
Wohlan denn, Fr. Lovick, ich will mich er - klaͤren. Jch habe einer Mannsperſon, nicht ei - nem Frauenzimmer die Vollziehung meines letz - ten Willens aufgetragen. Denken ſie aber, daß ich irgend etwas, das meine Perſon ſelbſt betrifft, ſeiner Fuͤrſorge uͤberlaſſen werde? ‒ ‒ Nun, Fr. Lovick, ſetzte ſie mit Laͤcheln hinzu, verſtehen ſie mich itzo?
Fr. Lovick weinte.
O pfuy! fuhr die Fraͤulein fort, indem ſie ihr die Thraͤnen mit ihrem eignen Schnupftuch ab - wiſchte und ihr einen Kuß gab ‒ ‒ Was ſoll dieſe freundſchaftliche Weichherzigkeit gegen eine Perſon, mit der ſie eine ſo kurze Zeit bekannt ge -weſen91weſen ſind? Liebe, gute Fr. Lovick, betruͤben ſie ſich meinetwegen nicht uͤber eine bevorſtehende Veraͤnderung, woruͤber ich Urſache habe vergnuͤgt zu ſeyn: ſondern gehen ſie morgen zu ihren Freun - dinnen, und bringen mir das Geld, das ſie ihnen zu geben einig geworden ſind.
So, Lovelace, iſt offenbar, daß ſie ſich ihr letztes Haus zu beſtellen gedenket! Hier iſt ein geſetztes Gemuͤth! Hier iſt ein ruhiges Herz! ‒ ‒ Dieß iſt in der That Großmuth! ‒ ‒ Koͤnnteſt du, oder konnte ich, mit aller unſerer ungeſtuͤmen Herzhaftigkeit und allem unſern feindſeligen und falſchen Muth, wohl ſo handeln? ‒ ‒ Armer Belton! wie ungleich war dein Bezeigen!
Fr. Lovick ſagt mir, daß die Fraͤulein von ei - nem Briefe geredet, den ſie, wehrend meiner Ab - weſenheit, von dem bey ihr am hoͤchſten geachte - ten Geiſtlichen, D. Lewin, bekommen; und von einer Antwort, die ſie darauf gegeben haͤtte. Aber Fr. Lovick weiß, weder von dieſer, noch von jener, den Jnhalt.
Wenn du dieſen Brief empfaͤngeſt: ſo wirſt du ſehen, was bald das Ende von allen Beleidi - gungen ſeyn wird, die du gegen dieſe goͤttliche Fraͤulein veruͤbet haſt. Jch ſage, wenn du ihn empfaͤngeſt: denn ich will ihn noch auf eine kleine Zeit zuruͤckbehalten; damit du dir nicht, unter dem Vorwand, dich wegen der falſchen Hoff - nung, die dir der Brief von ihr machen muß, zu raͤchen, in den Kopf kommen laſſeſt, ſie wiederum zu beunruhigen.
Weil92Weil dieſer Brief mich durch ſeine Weitlaͤuf - tigkeit aufgehalten hat: ſo werde ich erſt morgen nach Epſom abgehen.
Jch haͤtte dir melden ſollen, daß die Fraͤulein ſich gegen mich erklaͤrte, was das eine waͤre, wes - wegen ſie ſich fuͤrchtete, Unruhe zu haben. Es war die Furcht vor dem, was ein Beſuch, wel - chen der Obriſt Morden, wie ſie Nachricht hat, bey euch abzulegen willens iſt, nach ſich ziehen moͤchte.
Weil ich mich auf Jhre vorige Gewogenheit, wertheſte und allezeit verehrungswuͤrdige Fraͤulein, und auf Jhre gute Meynung von mei - ner Einſicht und Aufrichtigkeit verlaſſe: ſo kann ich mich nicht enthalten, bey Jhren gegenwaͤrtigen und ungluͤcklichen Umſtaͤnden einige Zeilen an Sie zu richten.
Jch will nicht auf die Maaßregeln zuruͤckge - hen, zu welchen Sie entweder gefuͤhret oder ge - trieben ſind: ſondern will nur, in Abſicht auf dieſe, das einzige anfuͤhren, daß ich Sie unterallen93allen jungen Frauenzimmern, die jemals von gluͤck - lichen zu ungluͤcklichen Umſtaͤnden herunterge - bracht ſind, am wenigſten fuͤr tadelnswuͤrdig hal - te. Jch habe auch nicht ermangelt, eben dieſes da zu ſagen, wo ich mir zu einer beſſern Aufnah - me meiner Freyheit Hoffnung machte, als ich wirklich zu finden den Verdruß gehabt habe.
Das, warum ich itzo vornehmlich ſchreibe, iſt, Sie zu bereden, daß Sie ſich ſelbſt und Jhrem Geſchlechte durch eine Anklage wider das Leben des ruchloſeſten und verderbteſten Menſchen, wie derjenige ſeyn muß, der ſo ſchaͤndlich, als Herr Lovelace nach dem, was ich vernommen habe, ge - gen Sie gehandelt hat, handeln konnte, ein Stuͤck der Gerechtigkeit leiſten: ich bin verſichert, daß ſein Leben in ihrer Gewalt ſey.
Jch befinde mich ſehr ſchlecht, und bin itzo genoͤthigt, auf meinem Hauptkuͤſſen zu ſchreiben. Meine Gedanken ſind verwirret, und laſſen keine Ordnung zu. Jch will daher auf keine Ordnung ſehen: ſondern Jhnen nur uͤberhaupt meine Mey - nung eroͤffnen. Dieſe geht dahin, daß Jhre Gottesfurcht, Jhre Pflicht gegen Jhre Familie, die Pflicht, welche Sie Jhrer Ehre, und ſelbſt die Liebe, welche Sie Jhrem Geſchlechte ſchuldig ſind, Sie verbinde, gegen dieſen recht gottloſen Menſchen oͤffentlich Zeugniß zu geben.
Erlauben Sie mir, noch einen betraͤchtlichen Grund beyzufuͤgen: die Verhuͤtung des Ungluͤcks, welche auf dieſe Weiſe geſchehen kann; des Un - gluͤcks, das ſonſt zwiſchen Jhrem Bruder undHerrn94Herrn Lovelace, oder zwiſchen dem letztern und Jhrem Vetter Morden entſtehen mag, welcher, wie ich hoͤre, nun angekommen iſt, und beſchloſ - ſen hat, daß Jhnen Gerechtigkeit widerfahren ſoll.
Dieß iſt eine Betrachtung, die Jhr Gewiſ - ſen billig ruͤhren muß: verzeihen Sie mir, wer - theſte Fraͤulein, ich denke, daß ich nun meine Pflicht thue. Es iſt eine Betrachtung, woran Jhnen mehr gelegen ſeyn muß, als an der großen Gewalt, welche bey einer ſolchen Fraͤulein, als Sie ſind, ihrer Sittſamkeit, wie ich weiß, dadurch ge - ſchehen muß, daß Sie gegen ihn oͤffentlich vor Gericht erſcheinen ſollen. Dieſes, ſtelle ich mir vor, wird die Hauptſchwierigkeit ſeyn, welche Sie dagegen zu machen haben. Allein, gnaͤdige Fraͤu - lein, ich weiß, daß Sie erhabene Vorzuͤge genug beſitzen, ihre Schamhaftigkeit der unverdeckteſten Wahrheit aufzuopfern, wenn es Noth, Gerech - tigkeit und Ehre von Jhnen fordern. Liederli - che Leute, und diejenigen, welche unſchuldigen Frauenzimmern Gewalt thun, wuͤrden in der That, und am meiſten von denen, die den groͤß - ten Abſcheu vor ihren Handlungen haͤtten, aufge - muntert werden: wenn die verletzte Sittſamkeit ſich niemals uͤber das Unrecht beklagen ſollte, das ihr von den ſchaͤndlichen Leuten, welche ſie an - greifen, widerfahren iſt.
Mit einem Worte, die Erſetzung der Schan - de, welche Jhrer Familie angethan iſt, beruhet itzo auf Jhrem eignen Entſchluſſe: und ſie kannnur95nur durch eines von dieſen beyden Mitteln erſetzet werden, daß Sie ihn entweder heyrathen oder vor Gericht verfolgen. Herbe Mittel fuͤr eine ſo zaͤrtliche Seele, als Sie beſitzen.
Er, und alle ſeine Freunde, wie ich verneh - me, ſuchen Sie zu dem erſtern zu bewegen: und es iſt nunmehr gewiß das einzige Mittel, welches in ſeiner Gewalt ſtehet, das veruͤbte Unrecht wie - der gut zu machen. Allein ich bin verſichert, daß Sie ihr und ſein Geſuch mit dem Unwillen und der Verachtung, welcher ſeine ſchaͤndliche Hand - lungen wuͤrdig ſind, verworfen haben, dennoch aber ſich nicht weigern, die chriſtliche Vergebung, die er ſo wenig zu erwarten Urſache hat, ſich auch auf ihn erſtrecken zu laſſen, wofern er Sie nur nicht weiter beunruhigen will.
Aber, gnaͤdige Fraͤulein, die gerichtliche Be - langung, wozu ich rathe, wird dazu dienen, daß Jhre gegenwaͤrtige und zukuͤnftige Sicherheit vor neuer Beunruhigung von einem ſo ſchaͤndlichen Menſchen, der Jhnen beſchwerlich ſeyn will, nicht auf ſeine Hoͤflichkeit ankomme. Jch ſollte ge - denken, ein ſo edler und ſo wohl angefuͤhrter Geiſt, als der Jhrige iſt, wuͤrde nicht zugeben, daß es auf dieſelbe ankommen ſollte, wenn Sie es aͤn - dern koͤnnten.
Und koͤnnen unanſtaͤndige Handlungen, ſie moͤgen ſeyn, von welcher Art ſie wollen, auch wohl eigentlich vergeben werden, ehe wir es in un - ſerer Gewalt haben, ſie zu beſtrafen? Wenn wir bezeugen, daß wir ſie verzeihen, ſo lange wirnoch96noch unter der Quaal und Schande von denſelben arbeiten: ſo wird das von einigen bloß fuͤr eine großprahleriſche Barmherzigkeit eines kleinmuͤ - thigen Herzens, das ſie aus bebender Furcht nicht beſtrafet, angeſehen werden. Das Mittel, wel - ches ich vorſchlage, iſt hart: aber welche Strafe kann haͤrter ſeyn, als die Jhnen widerfahrne Be - leidigung? Oder wie wird man glauben, daß uns Beleidigungen ſchmerzen, woruͤber wir uns nie - mals auf eine anſtaͤndige Art beklagen?
Jch bin verſichert, Fraͤulein Clariſſa Harlo - we mag noch ſo ſehr beleidigt und unterdruͤcket ſeyn, Sie bleibt doch in Jhren Grundſaͤtzen von Ehre und Tugend unbeweget: und wenn. Sie gleich lieber ſterben wollte, als verdienen, daß Jhre Sittſamkeit in Zweifel gezogen werde; ſo wird Sie doch keine Wahrheit der Sittſamkeit zuwider achten, welche zur Rettung der Unſchuld und Keuſchheit geaͤußert werden muß. Wenig, gar wenig Unterſchied, wertheſte Fraͤulein, iſt zwi - ſchen einem unterdruͤckten und einem falſchen Zeugniſſe.
Es iſt ein ſchrecklicher Umſtand, ich geſtehe es noch einmal, fuͤr ein junges Frauenzimmer von Jhrer zaͤrtlichen Gemuͤthsart, daß ſie genoͤ - thigt iſt, eine ſo anſtoͤßige Begebenheit vor oͤffent - lichem Gerichte zu erzaͤhlen: allein es iſt ein noch weit aͤrgerer Vorwurf, daß ſie eine ſo toͤdtliche Beleidigung unempfunden hingehen laſſen ſollte.
Gewiſſen, Ehre, Gerechtigkeit und die Fuͤr - ſorge des Himmels ſind auf Jhrer Seiten: unddie97die Sittſamkeit wuͤrde von einigen nur fuͤr einen leeren Namen gehalten werden, wenn Sie ſich weigern ſollten, den Vorſchriften dererſelben zu gehorchen.
Man hat mich in dieſem Stuͤcke zu Rathe ge - zogen: das geſtehe ich. Jch habe meine Mey - nung dahin ertheilet, daß Sie den verruchten Menſchen gerichtlich belangen ſollten: aber ohne meine Gruͤnde anzugeben. Dieſe behielte ich zu - ruͤck, mit der Entſchließung, ſie ohne jemandes Wiſſen Jhnen vorzulegen: damit der Ausſchlag, wenn er das waͤre, was ich wuͤnſche, Jhnen ſelbſt zuzuſchreiben ſeyn moͤchte.
Jch will nur noch beyfuͤgen, daß das Ungluͤck, welches Sie befallen hat, mich nicht mehr haͤtte betruͤben koͤnnen, wenn es das Schickſal meines eignen Kindes geweſen waͤre, als es mich nun, da es Jhr Ungluͤck iſt, betruͤbet hat. Mein eignes Kind liebe ich: aber Sie liebe und ehre ich zu - gleich. Denn wenn man Sie liebet: ſo liebet man Tugend, Verſtand, Klugheit und alles, was an einem Frauenzimmer gut und edel iſt.
Da ich denke, daß dieß alles durch die Be - leidigungen, welche Jhnen widerfahren ſind, ver - letzet ſey: ſo werden Sie glauben, daß die Wiſ - ſenſchaft von Jhrem Ungluͤck mehr, als ich auszu - druͤcken vermoͤgend bin, betruͤbet haben muͤſſe
Siebenter Theil. GJch98Jhren aufrichtigen Bewunderer und gehor - ſamſten Diener, Arthur Lewin.
Jch vernehme eben itzo, daß Jhre Schweſter Jh - nen in ihrem eignen Namen dieſe gerichtliche Belangung vorſchlagen will. Jch vermuthe in geziemender Hochachtung, daß die Urſache, warum Sie ſich nicht alſobald entſchloſſen ha - ben, dieſen Schritt zu thun, dieſe geweſen ſey, weil Sie nicht gewußt, daß Jhre Verwand - ten es billigen und unterſtuͤtzen wuͤrden.
Ehe ich Jhren geneigten und willkommenen Brief empfing, dachte ich, daß ich weder Vater, Onkel, Bruder, noch irgend einen Freund unter meinen vorigen Goͤnnern von Jhrem Ge - ſchlechte uͤbrig haͤtte. Jedoch da ich Sie ſo wohl kannte und keine Urſache hatte, mir ſelbſt einen laſterhaften Willen vorzuwerfen: ſo war ich zu tadeln; wenn ich auch gezweifelt haͤtte, ob Jhre gute Meynung von mir noch waͤhrte; daß ich mich entzog, den Verſuch zu machen, ob ich ſiever -99verſcherzt haͤtte oder nicht; und wenn ich ſie ver - ſcherzt haͤtte, ob ich mich nicht auf eine anſtaͤn - dige Art wieder in dieſelbe ſetzen koͤnnte.
Allein, mein Herr, es hatte verſchiedne Urſa - chen, warum ich es nicht that. Theils war es Schaam, wenn ich bedachte, in was fuͤr großer Achtung ich in meinen gluͤcklichen Tagen bey Jh - nen ſtand, und wie tief ich in derſelben gefallen ſeyn mußte, da mich diejenigen aufgaben, welche mit mir eine ſo viel naͤhere Verwandtſchaft hatten: theils war es großer Bedruck, welcher das ge - demuͤthigte Herz mistrauiſch macht, und ins be - ſondre das meinige furchtſam machte, ſich die guͤ - tige Geſinnung des Jhrigen anzumaßen, die mir in gewiſſer Maaße alle die werthen und verlohr - nen Anverwandten, welche ich genannt habe, er - ſetzt haben wuͤrde.
Außerdem war ich bisweilen ſo beſorgt, daß man denken moͤchte, ich wollte gegen diejenigen, gegen welche mir ſo wohl Pflicht als Zuneigung Ehrfurcht auflegten, eine Parthey machen; ſo lange zwiſchen Zweifel und Hoffnung hin und her getrieben; ſo wenig mir ſelbſt gelaſſen zu einer Zeit; ſo furchtſam zu einer andern, daß ich Ungluͤck anrichten oder veranlaſſen moͤch - te; und, da ich nicht durch eine geneigte Nach - richt von Jhnen aufgemuntert wurde, zu hof - fen, daß es Jhnen angenehm ſeyn wuͤrde, wenn ich mich an Sie wendete; ‒ ‒ beſorgt, meineG 2Ver -100Verwandten moͤchten Sie wenigſtens zum Still - ſchweigen beredet haben(*)Der kaltſinnige Beſuch, welchen dieſer gute Geiſt - liche beredet war bey ihr abzulegen, wie im II Theile, S. 275 u. f. gedacht iſt, woran jedoch ihre Großmuth nicht zuließ, ihn zu erinnern, mochte der Fraͤulein Grund an die Hand geben, zu ge - denken, daß er vielmehr zu jener Partey, weil ſie die Seite war, auf welcher die Eltern ſtunden, als zu der ihrigen geneigt waͤre..
Dieſe ‒ ‒ Jedoch wozu nun dieſe unnuͤtze Erinnerungen des Vergangenen? Jch ſollte un - gluͤcklich ſeyn ‒ ‒ damit ich gluͤcklich waͤre: das iſt meine Hoffnung. ‒ ‒ Weil ich mich alſo mit dieſer Hoffnung beruhige: ſo will ich ohne eine weitere Vorbereitung zur Antwort auf den Jnhalt Jhrer geneigten Zuſchrift einige wenige Zeilen ſchreiben; wofern ich nur, da ich an Sie ſchrei - be, wenig ſchreiben kann.
Erlauben Sie mir dann, mich zu erklaͤren, daß ich glaube, Jhre Gruͤnde wuͤrden in einem jeden andern Fall von dieſer Art unbeantwort - lich geweſen ſeyn, nur nicht in demjenigen, der die ungluͤckliche Clariſſa Harlowe betrifft.
Es iſt gewiß, daß Perſonen, welche keine oͤf - fentliche Beſchaͤmung ertragen koͤnnen, ge - doppelt ſorgfaͤltig bedenken ſollten, wie ſie ſich der Gefahr ausſetzen, in einem geheimen Fehltritt zu gerathen, der ſie vielleicht in jene Schaam brin - gen mag. Was aber mich ſelbſt anlanget: ſo ſetzen Sie, daß von dem hinfaͤlligen Zuſtande,worinn101worinn ich mich in Anſehung meiner Geſundheit befinde, keine Einwendungen herzunehmen waͤren; ſetzen Sie auch, daß ich mich ſelbſt haͤtte uͤber - winden koͤnnen, gegen dieſen Menſchen vor Ge - richt zu erſcheinen; war denn aber nicht Raum, zu befuͤrchten, daß die Abſicht, welche von meinen Freunden ſo ſehr gewuͤnſchet wird, ſeine verdiente Strafe, nicht erhalten ſeyn wuͤrde, wenn es an den Tag gekommen waͤre, daß ich ihm eine heimliche Zuſammenkunft verſtattet haͤtte, und dieſer zu Folge durch meine eigne Schwachheit beruͤckt und mir ſelbſt geraubet waͤre, auch ferner nicht im Stande geweſen, zu vermeiden, daß ich nicht ver - ſchiedne Wochen unter einem Tache mit ihm leb - te; welches ich nicht allein ohne Klage, ſondern auch ohne Urſache zu klagen that.
Vor einem Gerichte, das vielleicht durch Zuſammenrottung umgetrieben und verruchter Weiſe zu einem Spiel gemacht waͤre, wuͤrden ei - nige von denen Vorſtellungen zu meinem Behuf, die außer Gerichte und vor einer beſondern und ernſthaften Verſammlung das groͤßte Ge - wicht gehabt haben wuͤrden, wenig zu ſtatten ge - kommen ſeyn: ‒ ‒ als, ins beſondere, die ſchaͤnd - lichen Wege, ſeine Abſichten zu erreichen, zu wel - chen er ſeine Zuflucht genommen hat.
Es wuͤrde ſonder Zweifel eines jeden Mund fertig und bereit geweſen ſeyn, den Gegenvorwurf zu machen, daß ich mich einem ſolchen Menſchen nicht in ſeine Gewalt haͤtte geben ſollen, und daßG 3ich102ich das, was mich befallen haͤtte, fuͤr meine ver - diente Strafe anſehen muͤßte.
Allein waͤre auch die Anklage mit gutem Er - folg fortgetrieben, und er ſo gar zum Tode ver - urtheilet worden: kann man wohl gedenken, daß ſeine Familie nicht Anſehen genug gehabt ha - ben wuͤrde, ſeine Begnadigung fuͤr ein Verbre - chen zu erhalten, welches man fuͤr allzu geringe anſiehet, ob es gleich eines der groͤßten iſt, das ge - gen eine Perſon, die ihre Ehre hoͤher achtet, als ihr Leben, begangen werden kann; ‒ ‒ da man unterdeſſen wider mich ein unguͤtiges Urtheil wuͤr - de gefaͤllet haben, daß ich einen Menſchen, der mir beyzeiten alle ihm moͤgliche Erſtattung ange - boten, mit blutduͤrſtigen Abſichten vor Gericht verfolgte?
Waͤre er aber begnadigt worden: wuͤrde er alsdenn nicht die voͤllige Freyheit gehabt haben, eben ſo viel Unheil, als jemals, anzurichten?
Jch darf es zuverſichtlich ſagen, mein Herr: die Kuͤhnheit des Menſchen, dem mich mein un - gluͤckliches Schickſal in die Haͤnde geworfen hat, iſt ſo groß, und ſein Groll gegen meine Familie, die alsdenn erſchienen ſeyn wuͤrde, ſich durch ihre bekannte Erbitterung gegen ihn und durch ihr ernſtliches Beſtreben, ihm das Leben zu nehmen, wegen ihres Verfahrens mit mir zu rechtfertigen, iſt ſo heftig, daß er nicht ungern eine bequeme Gelegenheit gehabt haben wuͤrde, mich und mei - nen Vater, meine Onkels und meinen Bruder bey einem ſolchen Vorfall zu einem Verhoͤr vordem103dem Richterſtuhl gegen einander zu ſtellen. Wuͤr - den denn nicht in dem Fall, auf ſeine Losſprechung oder Begnadigung, die Erbitterungen an beyden Seiten hoͤher getrieben ſeyn? Und wuͤrde als - denn mein Bruder, oder mein Vetter Morden mehr in Sicherheit geweſen ſeyn, als itzo?
Wie viel ſchwerer machen dieſe Betrachtun - gen meinen Fehler? Meine Bewegungsgruͤnde waren freylich anfangs nicht zu tadeln: allein ich hatte die vortreffliche Lehre vergeſſen, die mir doch nicht unbekannt war, daß wir nichts Boͤſes thun ſollen, damit etwas Gutes daraus ent - ſpringen moͤge.
Jn vollkommener Ueberzeugung von der Lau - terkeit meines Herzens und von der Beſtaͤndig - keit in meinen guten Grundſaͤtzen ‒ ‒ Warum ſoll ich nicht, da ich ſo aufgefordert werde, dasje - nige ſagen, deſſen ich mir bewußt bin, jedoch ohne Stolz? denn es iſt alles nur eine Pflicht und ich wuͤrde gaͤnzlich ohne Entſchuldigung ſeyn, wenn ich das, was ich ſage, nicht mit Recht ſa - gen koͤnnte; ‒ ‒ Jn dieſer vollkommenen Ueber - zeugung hat er mir die Ehe angeboten. Er hat ſeine Reue bekannt: eine aufrichtige Reue, wie ich Urſache habe zu glauben, ob gleich vielleicht keine chriſtliche Reue. Seine edle Verwand - ten, welche gegen die arme und bedraͤngte Perſon guͤtiger ſind, als ihre eigne Angehoͤrigen, haben ſich auch aus eben dieſer Ueberzeugung, und auf ſeine eigne nicht unedelmuͤthige Bekenntniſſe, mit ihm vereinigt, Fuͤrbitte bey mir zu thun, daß ichG 4ihm104ihm vergeben und ſeine Hand annehmen moͤch - te. Das letzte Stuͤck ihrer Fuͤrbitte kann ich zwar nicht erfuͤllen: aber haben Sie, mein Herr, mich nicht nach den beſten Regeln und den goͤtt - lichſten Beyſpielen gelehret, Beleidigungen zu vergeben?
Die Beleidigung, welche mir von ihm wider - fahren iſt, iſt freylich von der wichtigſten Art und war mit Umſtaͤnden von unmenſchlicher Nieder - traͤchtigkeit und vorſetzlicher Bosheit verknuͤpft: dennoch hat ſie, Gott ſey Dank, mein Gemuͤth nicht beflecket, meine Tugend nicht verletzet. Dem gottloſen Menſchen habe ich es in der That nicht zu danken, daß es nicht geſchehen iſt. Es ſind keine ſchaͤndliche Gewohnheiten darauf gefolget. Mein Wille iſt unverletzet. Das Uebel iſt bloß etwas perſoͤnliches, wenn ich auf mich ſelbſt, und nicht auf meine Freunde ſehe. Keine Leicht - glaͤubigkeit, keine Schwachheit, keinen Mangel der Wachſamkeit habe ich mir ſelbſt vorzuwerfen. Jch habe, durch die Gnade, den Sieg uͤber die durchtriebenſten Anſchlaͤge davon getragen. Jch bin aus ſeinen Haͤnden entgangen. Jch habe ihm entſaget. Den Menſchen, welchen ich ehe - mals haͤtte lieben koͤnnen, bin ich im Stande ge - weſen zu verachten. Soll nun die chriſtliche Liebe meinen Sieg nicht vollkommen machen? Und ſoll ich deſſelben nicht genießen? ‒ ‒ Wo wuͤrde aber mein Sieg ſeyn: wenn er Vergebung von mir verdiente? ‒ ‒ Der elende Menſch! Er hat wirklich einen Verluſt gelitten, da er michver -105verlohren hat. Jch bin ſo ſtolz, daß ich ſo ge - denke: weil ich glaube, daß ich mein eignes Herz kenne. Jch habe keinen Verluſt gelitten, da ich ihn verlohren habe.
Allein ich habe noch einen andern Grund fuͤr mich anzufuͤhren, der, wie ich vermuthe, allein hinlaͤnglich geweſen ſeyn wuͤrde, den Jnhalt Jh - res ſehr guͤtigen und freundſchaftlichen Briefes zu beantworten.
Jch weiß, mein wertheſter und ehrwuͤrdiger Freund, mein geiſtlicher Fuͤhrer und Aufſeher in meinen gluͤcklichern Tagen! ich weiß, Sie wer - den zugeben, daß ich mich billig eifrigſt bemuͤhen muͤſſe, mich in dieſe chriſtlichliebreiche Gemuͤths - verfaſſung zu ſetzen: wenn ich Jhnen eroͤffne, wie nahe ich dem wichtigen und fuͤrchterlichen Augenblick zu ſeyn glaube, in welchem, ja ſelbſt in der ernſtlichen Zubereitung zu demſelben, alle Empfindung des Unrechts oder der Beleidigung, welche nicht die unſterbliche Seele angehet, durch hoͤhere und wichtigere Betrachtungen verſchlun - gen werden muß.
So viel fuͤr mich ſelbſt.
Zur Beruhigung meiner Freunde und Goͤnner, traͤgt die Fraͤulein Howe Sorge, alle diejenigen Briefe und zu einem gehoͤrigen Stoff dienliche Stuͤcke, welche meine ganze Geſchichte in ein wahres Licht ſetzen werden, aufbehalten zu ſehen. Der gute D. Lewin iſt einer der Vor - nehmſten unter dieſen Freunden und Goͤnnern.
G 5Die106Die Warnung, welche allen ſolchen jungen Perſonen, die mich gekannt oder von mir gehoͤrt haben moͤgen, durch dieſe Papiere gegeben wer - den mag, kann zu dem gewuͤnſchten Zweck, wie ich mich nicht ohne gehoͤrige Beſcheidenheit zu denken unterfange, kraͤftiger ſeyn, als es geweſen ſeyn koͤnnte, wenn ich vor einem Gerichte erſchie - nen waͤre und unter den beruͤhrten Unbequemlich - keiten einen zweifelhaften Ausgang erwartet haͤt - te. Wenn Sie nun, mein wertheſter Herr, nach - dem Sie alles erwogen haben, eben dieſer Mey - nung ſind; und ich es erfahren koͤnnte: ſo wuͤr - de ich es als eine beſondere Gluͤckſeligkeit anſehen; indem ich noch eben ſo ſorgfaͤltig, als jemals, in allem dem, worinn es ſeyn kann, in Jhren Au - gen gerechtfertigt zu werden ſuche.
Es iſt mir leid, mein Herr, daß Jhre Un - paͤßlichkeit Sie genoͤthigt hat, auf Jhrem Haupt - kuͤſſen zu ſchreiben. Aber wie ſehr bin ich Jhnen fuͤr dieſe guͤtige und edelmuͤthige Beyſorge ver - pflichtet, welche Sie getrieben hat, einen Brief von ſo vielen Zeilen voll vaͤterlicher Geſinnung, mit ſo großer Ungemaͤchlichkeit in Anſehung Jh - rer ſelbſt, zu ſchreiben.
Der Allmaͤchtige verleihe Jhnen, wertheſter und hochehrwuͤrdiger Herr, Gluͤck und Heil fuͤr alle Jhre Guͤtigkeit gegen mich, welche Sie mir ſo wohl itzt, als ſeit langer Zeit erwieſen haben! Erhalten Sie Jhre Achtung gegen mich bis ans Ende: wie ich Sie verehre und verehren werde. Und erlauben Sie mir, um Jhr Gebeth fuͤr michzu107zu bitten: um die Fortſetzung Jhres Gebeths fuͤr mich, ſollte ich ſagen; denn ich zweifele nicht, daß ich allezeit an Jhrem Gebeth Theil gehabt habe. Vielleicht iſt es zum Theil demſelben ſo wohl, als Jhren gottſeligen Lehren in meiner fruͤ - hern Jugend, zuzuſchreiben geweſen, daß ich im Stande geweſen bin, ſo auszuhalten, wie ich ge - than habe: ob mir gleich nach der goͤttlichen Weisheit, welche wohl erkennet, was fuͤr ſeine ar - me Geſchoͤpfe das beſte ſey, nicht alles, warum Sie gebeten haben, zugeſtanden iſt.
Mein Gebeth fuͤr Sie geht dahin, daß es Gott gefallen moͤge, Sie Jhrer ergebenen Heerde wieder herzuſtellen, und nach ſo vielen Lebensjah - ren, als zu Seinem Dienſte und zu Jhrem ei - genen Vergnuͤgen gereichen werden, uns eine gluͤck - liche Zuſammenkunft in denen ſeligen Gegenden zu verleihen, nach welchen Sie mich ſo wohl durch Beyſpiel als durch Vorſchrift zu trach - ten gelehret haben.
Clariſſa Harlowe.
Jch finde nach Euren Briefen an meine On - kels, daß ſie ſo wohl, als ich, bey Euch in großen Ungnaden ſtehen, weil wir Euch unſere Meynungen geſchrieben haben.
Wir koͤnnen uns nicht helſen, Schweſter Claͤr - chen.
Jhr achtet es der Muͤhe nicht werth, wie ich finde, um den Segen, wornach Jhr ein ſo ernſt - liches Verlangen zu tragen vorgebet, noch einmal anzuhalten. Jhr denket ſonder Zweifel, daß Jhr Eurer Pflicht Genuͤge gethan, indem Jhr ihn verlanget habt: daher wollt Jhr Euch vermuth - lich damit beruhigen, und es Euren gekraͤnkten Eltern uͤberlaſſen, nach dieſem zu bereuen, daß ſie Jhre Pflicht nicht gethan haben, ihn Euch aufdas109das erſte Wort zu ertheilen, und ſolche Nachfra - ge nach Euch zu thun, als Euren Gedanken nach billig haͤtte geſchehen ſollen. Vortreffliche Rei - zung, ſich nach einer verlaufenen Tochter zu er - kundigen, die mit ihrem Kerl ſo lange gelebet, als er mit ihr hat leben wollen! Es reuet Euch auch, bey Eurem vollen Herzen, wie Jhr es mit vie - ler Sittſamkeit nennet, daß Jhr an mich geſchrie - ben habt.
So iſt es nicht glaublich, wie ich finde, daß auf dieſe Weiſe bey uns weiter Anſuchung geſche - hen werde.
Wohlan denn, weil ſich die Sache ſo verhaͤlt, ſo erlaubet mir, mich ſelbſt mit einem oder zween Vorſchlaͤgen aufs allergehorſamſte an Euch zu wenden. Jhr werdet in Gnaden geruhen, eine Antwort darauf zu geben.
Jhr muͤſſet wiſſen, daß uns von verſchiednen Leuten zu verſtehen gegeben iſt, wie Euch von dem niedertraͤchtigen Boͤſewicht, mit dem Jhr da - von gelaufen, auf eine ſolche Art begegnet ſey, daß er fuͤr ſein Verbrechen, wenn es recht bewie - ſen werden ſollte, das Leben verwirkt haben wuͤr - de: und ſelbſt aus denen entfernten Anzeigen, welche Jhr gegeben habt, ſcheint uns etwas der - gleichen zu erhellen.
Wofern, Claͤrchen, etwas mehr, als ein lee - res Geraͤuſch und Klaͤglichthun, hinter dem ſteckt, was aus Eurem vollen Herzen und Eurem pflichtmaͤßigen Bewußtſeyn hervorkommt; und wofern an dem, was uns Fr. Norton undFr.110Fr. Howe zur Nachricht gegeben haben, etwas Wahres iſt: ſo moͤcht Jhr noch Eure Gemuͤths - art bey uns, und bey der Welt, in allen Stuͤcken, außer Eurer aͤrgerlichen Entlaufung, rechtfertigen; und den Boͤſewicht moͤgen die Geſetze treffen. Koͤnnten wir ihn nur an den Galgen bringen: was fuͤr eine verdienſtliche Rache wuͤrde das fuͤr unſere ganze beleidigte Familie ſeyn; und fuͤr die Unſchuldigen, welche er betrogen hat, ſo wohl als fuͤr viele andere, die dadurch von dem Verderben gerettet werden moͤchten?
Meldet mir daher, wo es Euch gefaͤllig iſt, ob Jhr geneigt ſeyd, vor Gericht zu erſcheinen, und Euch ſelbſt, und Uns und Eurem Ge - ſchlechte dieſe Gerechtigkeit widerfahren zu laſ - ſen? Wo nicht, Schweſter Claͤrchen: ſo wer - den wir wiſſen, was wir von Euch denken ſollen. Denn weder Jhr, noch wir koͤnnen durch das Aergerniß, das mit Eurem Falle verbunden iſt, mehr leiden, als wir ſchon gelitten haben. Wo - ſern Jhr aber wollet: ſo werden Herr Ackland und der Sachwalter Derham beyde zu Euch kom - men, um ſich genau und eigentlich zu erkundi - gen, und von den Umſtaͤnden Eurer Begebenheit ein Verzeichniß aufzuſetzen, damit auf dieſelbe ein gerichtliches Verfahren gegruͤndet werde, wo ſie es mit ſo vieler Wahrſcheinlichkeit zu einem gluͤck - lichen Ausgange leiten werden, als man uns von dem Verfolg deſſelben verſprochen hat.
Allein nach dem, was ſich Fr. Howe verlau - ten laͤſſet, iſt es nicht glaublich, daß dieß eingeraͤu -met111met werde. Denn eben dieß iſt es, was ſie, wie es ſcheint, Euch durch ihre lebhafte Tochter, aber ohne Wirkung(*)Siehe den VI Th. den XXIV Brief., zu verſtehen gegeben hat. Außer dem moͤget Jhr Euch vielleicht gegenwaͤr - tig in gewiſſen Stuͤcken nicht ſo klug verhalten, daß es Euch ein Recht gebe, oͤffentlich Gerechtig - keit zu fordern. Jſt das wahr: ſo ſey Euch Gott gnaͤdig!
Nur noch ein Wort von dem obigen Vor - ſchlage: ‒ ‒ Euer Bewunderer, D. Lewin, iſt offenbar der Meynung, daß Jhr den Boͤſewicht gerichtlich verfolgen ſolltet.
Wo Jhr Euch aber hiezu nicht entſchließen wollet: ſo habe ich Euch, und zwar im Namen aller und jeder von der Familie, einen andern Vorſchlag zu thun, welcher darinn beſteht, daß Jhr Euch gefallen laſſet, nach Penſylvanien zu gehen und daſelbſt einige Jahre Euren Aufenthalt zu nehmen, bis alles verraucht iſt, und Eure un - gluͤckliche Eltern, wo es Gott gefaͤllt, Euch und Jhnen das Leben zu friſten, verſichert ſeyn koͤn - nen, daß Jhr in Eurer Auffuͤhrung eine wahre und allezeit gleiche Reue bezeiget; wenigſtens bis Jhr ein und zwanzig Jahr ſeyd. Nach dieſem moͤget Jhr, wie Jhr es ſelbſt fuͤr gut befinden werdet, entweder zu eurem eignen Gute zuruͤck - kommen, oder Euch die Einkuͤnfte davon dorthin ſchicken laſſen. Die benannte Zeit ſetzet mein Vater, weil es die gewoͤhnliche Zeit iſt, und weil er gedenket, daß Euer Großvater ſie haͤtteſetzen112ſetzen ſollen: ja, erlaubet mir hinzuzuſetzen, weil Jhr durch Eure feine Auffuͤhrung vollkommen bewieſen habt, daß Jhr in dem Alter von acht - zehn Jahren noch nicht zur Reife des Verſtan - des gekommen geweſen. Der arme alberne, ob gleich gute, alte Mann! ‒ ‒ Euer Großvater gedachte ‒ ‒ Jedoch ich wollte nicht gern zu ſtrenge ſeyn.
Herr Hartley hat eine verwitwete Schweſter in Penſylvanien, eine ordentliche, verſtaͤndige und wohlbeleſene Frau, bey welcher er Euch Tiſch und Wohnung zu verſchaffen verſpricht: und wenn Jhr Euch erſt einmal wohl daſelbſt befaͤndet; ſo wuͤrde das Eure Eltern von einer Welt voll Sor - gen, Furcht und Aergerniß befreyen, und iſt, wie ich denke, dasjenige, was Jhr vor allen Dingen wuͤnſchen ſolltet.
Herr Hartley will uͤbernehmen, fuͤr alle Be - quemlichkeiten auf Eurer Reiſe, wie ſie Eurem Stande und Vermoͤgen gemaͤß ſind, zu ſorgen. Er hat Antheil an einem Schiffe, das in einem Monath unter Segel gehen wird: und Jhr moͤcht Eure geheime Raͤthinn Hanna mitnehmen, oder wen Jhr von Eurer neuen Bekanntſchaft wollet; man vermuthet aber daß es eine Perſon von Eu - rem eignen Geſchlechte ſeyn werde.
Dieß iſt es, was ich Euch zu eroͤffnen gehabt habe. Wollt Jhr mich mit einer Antwort beeh - ren, welche eben die Hand, die meinen Brief uͤber - bringet, am Mittwochen, Morgens, abfordernwill:113will: ſo wird es eine große Herablaſſung und Gefaͤlligkeit ſeyn.
Arabelle Harlowe.
Schreibet immerhin an mich, meine unbarm - herzige Schweſter, auf was fuͤr Art es Euch gefaͤllt: ich werde fuͤr die Nachricht, welche Jhr mir gebet, Euch allezeit dankbar ſeyn. Aber, Jhr moͤget von mir gedenken, was Jhr wollet, Herrn Ackland und den Sachwalter kann ich zu einem ſolchen Gewerbe, als Jhr erwaͤhnet, nicht ſehen.
Gott ſey mir gnaͤdig, in Wahrheit! Denn ſonſt wird es niemand ſeyn.
Gewiß, man haͤlt mich fuͤr eine Perſon, die alle Schamhaftigkeit verlohren hat: ſonſt koͤnnte man ſich nicht in den Sinn kommen laſſen, zween Mannsperſonen in einer ſolchen Angelegenheit zu mir zu ſchicken.
Haͤtte meine Mutter mich nach den Umſtaͤn - den meiner traurigen Begebenheit gefragt; oder haͤtte Euch die Sittſamkeit erlaubet, Euch dar -Siebenter Theil. Hnach114nach zu erkundigen; oder waͤre der Fr. Norton aufgetragen worden, ſie von mir in Erfahrung zu bringen: ſo deucht mich, haͤtte es ſich beſſer geſchickt; ja, ich unterſtehe mich zu gedenken, es wuͤrde ſelbſt dem Charakter eines jeden gemaͤßer geweſen ſeyn, wenn man mich vorher darnach ge - fragt haͤtte, ehe ein ſo hartes Urtheil uͤber mich ge - ſprochen waͤre, als geſprochen iſt.
Jch weiß, daß dieß des D. Lewins Meynung ſey. Er iſt ſo guͤtig geweſen, mir in einem ge - neigten Schreiben dieſelbe nebſt ſeinen Gruͤnden vorzuſtellen. Jch habe ſeinen Brief beantwortet, und ihm ſolche Gegengruͤnde angegeben, daß ich hoffe, ſie werden ihm Genuͤge thun. Jch moͤch - te wuͤnſchen, daß man es der Muͤhe werth achte - te, ſie zur Durchſicht zu verlangen(*)Nach dieſem Briefe ward nicht gefragt: und der Tod des ehrwuͤrdigen Mannes, welcher bald nach dem Empfang deſſelben erfolgte, war die Urſache, daß er der Familie nicht mitgetheilet wurde, als bis es zu ſpaͤt war, die Dienſte zu lei - ſten, welche davon zu hoffen geweſen waͤren..
Auf Euren andern Vorſchlag, nach Penſyl - vanien zu gehon, iſt dieß meine Antwort. ‒ ‒ Wofern binnen einem Monath nichts vorfaͤllt, das meine Eltern und Freunde eben ſo vollkom - men von der Welt voll Sorgen, Furcht und Aer - gerniß, wovon Jhr Erwaͤhnung thut, befreyen mag; und wofern ich alsdenn noch im Stande bin, mich ans Schiff bringen zu laſſen: ſo will ich meinem Vater und meiner Mutter mit Freu -den115den gehorchen; wenn ich auch verſichert waͤre, daß ich unterweges ſterben muͤßte. Darf ich es ſagen: ſo ſollt Jhr alsdenn, ſtatt meiner armen und gefaͤlligen, aber wirklich untadelichen Hanna, Eure Eliſabeth Barnes uͤber mich ſetzen, welcher ich von allem meinem Thun und Laſſen Rede und Antwort geben will: und ich will dahin ſehen, daß es ſich ihrer Muͤhe verlohnen ſoll, mich zu be - gleiten.
Jch bin eben ſo ſehr beſtuͤrzt als betruͤbt uͤber das, was Jhr ſo wohl, als mein Onkel Anton, mir von neuen Fehltritten in meiner Auffuͤhrung zu verſtehen gebet! ‒ ‒ Was mag das zu bedeu - ten haben?
Jch will Euch nicht ſagen, Fraͤulein Harlowe, wie ſehr ich durch Eure Haͤrte gekraͤnket werde, und wie viel ich durch dieſelbe, und durch Eure unbarmherzige Leichtfertigkeit in der Schreibart, leide: weil das, was ich ſagen wuͤrde, als ein lee - res Geraͤuſch und Klaͤglichthun ausgelegt werden moͤchte, und weil ich weiß, daß man die Abſicht hat; vielleicht zu einem guten Zweck, wie gar wohl moͤglich iſt; mich muͤrbe zu machen. Das einzige, was ich daher ſagen will, iſt, daß, wo man nur dieſe Abſicht hat, es ſeines Ziels nicht verfehle.
Allein nichts deſto weniger will ich mich ſo viel, als moͤglich iſt, von allem Widerwillen los - machen, und nur beten, daß der Himmel Euch um Eurer ſelbſt willen ein liebreichers Herz verlei - hen wolle, als Jhr gegenwaͤrtig zu haben ſcheinet:H 2indem116indem ein liebreiches Herz, ich bin es verſichert, ein groͤßerer Segen fuͤr ſeinen Beſitzer iſt, als es fuͤr irgend einen andern ſeyn kann. Jn dieſer Verſicherung unterſchreibe ich mich ſelbſt, meine wertheſte Arabelle,
Eure ewigergebene Schweſter, Cl. Harlowe.
Die Briefe, welche Sie mir zugeſchickt haben, ſende ich Jhnen nunmehr durch eben die Hand, welche Jhnen gegenwaͤrtiges uͤberbringet, wieder zuruͤck.
Es iſt mir unmoͤglich, auszudruͤcken, wie ſehr ich durch dieſelben und durch Jhr letztes vom 17ten geruͤhret worden. Jn Wahrheit, meineliebe117liebe Fraͤulein Claͤrchen, man gehet ſehr hart mit Jhnen um: in Wahrheit, ſehr hart! Sollten Sie von uns genommen werden: was fuͤr Kum - mer und was fuͤr Strafe haͤufet man nicht gegen ſich ſelbſt in den ſchweren Betrachtungen, die man ſich durch ſeine harte Urtheile und Unverſoͤhnlich - keit gegen Sie verurſachen wird!
Allein ich finde, was ſo wohl an dem grauſa - men Brief von Jhrem Onkel Anton, als an ei - nem andern ſchuld iſt, der Sie noch mehr kraͤn - ken wird, wenn er Jhnen zu Haͤnden kommt; Gott helfe Jhnen, mein armes und liebes Kind! Er iſt von Jhrer Schweſter geſchrieben und ent - haͤlt Vorſchlaͤge, die Jhnen geſchehen.
Jch weiß, daß er geſtern fertig geweſen iſt, um an Sie abgeſchickt zu werden, und gebe Jh - nen deswegen Nachricht davon, damit Sie ſich mit einem geſetzten Gemuͤth gegen den Jnhalt deſſelben ruͤſten moͤgen.
Die Bewegungsgruͤnde, welche ſie alle zu dieſer Haͤrte geneigt machen; wuͤrden alle Haͤrte rechtfertigen, die ſie nur zeigen koͤnnten: wenn ſie wohl gegruͤndet waͤren. Da nun Jhre Angehoͤ - rigen ſie fuͤr gegruͤndet halten: ſo ſind beydes die - ſe und Sie gleich ſehr zu bedauren.
Sie ſchreiben ſich von dem Bericht des all - zudienſtfertigen Herrn Brands her, welcher Jh - ren Verwandten von einer oder der andern feind - ſeligen Perſon in Jhrer Nachbarſchaft die Nach - richt gebracht hat, daß Sie von einem Herrn von einer freyen Lebensart und einem vertrautenH 3Freun -118Freunde des Herrn Lovelacens hoͤchſt ſtrafbare Beſuche annehmen: indem er oft allein, biswei - len zwey oder dreymal des Tages, bey Jhnen iſt.
Eliſabeth nimmt ſich bey dieſer Gelegenheit große Freyheiten im Reden heraus: und alle Freunde ſind nur allzu geneigt, zu glauben, daß es mit Jhnen nicht ſo ſey, wie es ſeyn ſollte. Da - her wuͤnſche ich, daß Sie die Bekanntſchaft mit dem Herrn gaͤnzlich aufheben koͤnnten: ſeine Ab - ſichten moͤgen auch noch ſo anſtaͤndig ſeyn.
Eliſabeth hatte ſich vorher gegen mich von weitem etwas dergleichen verlauten laſſen: aber ſo dunkel, daß ich nicht eigentlich ſagen konnte, was ich daraus machen ſollte. Dieß war die Urſache, warum ich in ſo allgemeinen Ausdruͤ - ckungen etwas davon gedachte, als ich in meinem letzten Schreiben that.
Jhr Vetter Morden iſt bey ihnen geweſen. Er nimmt ſich Jhr Ungluͤck ausnehmend zu Her - zen: und da man nicht glauben will, daß Herr Lovelace Sie heyrathen wollte; ſo hat er ſich ent - ſchloſſen, ſich zu dem Lord M. zu begeben, damit er aus des Herrn Lovelacens eignem Munde ver - nehme, ob er willens iſt, Jhnen dieſe Gerechtig - keit widerfahren zu laſſen, oder nicht.
Bey ſeiner erſten Ankunft liebkoſete ihm ein jeder uͤber alle Maaßen: aber gegenwaͤrtig ſoll, wie ich hoͤre, eine kleine Kaltſinnigkeit unter ih - nen ſeyn.
Jch hoffete, den Brief von dem Hrn. Brand; ein unbeſonnener, dienſtfertiger Mann! zu ſehenzu119zu bekommen: aber, es ſcheint, Herr Morden hat ſich ihn geſtern zu leſen geben laſſen, und ihn mit ſich genommen.
Gott ſey Jhr Troſt, meine liebe Fraͤulein! Jn der That aber bin ich ausnehmend unruhig, wenn ich gedenke, was noch alle dieſe Dinge fuͤr einen Ausgang haben moͤgen. Jch bin,
Meine geliebte Fraͤulein, Jhre ergebenſte und getreueſte Judith Norton.
Nachdem ich den Einſchluß ſchon zugeſiegelt hatte: hatte ich die Ehre, in geheim einen Beſuch von Jhrer Tante Hervey zu bekommen, welche ſehr ſchwach geweſen und ſeit verſchiednen Wochen ihr Zimmer gehuͤtet hat, auch eben erſt von Hauſe gegangen iſt.
Sie haͤtte ein Verlangen gehabt, ſagte ſie, mich zu ſehen und mit mir uͤber das harte Schick - ſal, welches ihre geliebte Baſe befallen haͤtte, zu weinen.
H 4Jch120Jch will Jhnen getreulich von dem, was zwi - ſchen uns vorfiel, Nachricht geben: weil ich ver - muthe, daß es, wenn Sie alles erwaͤgen, Jhnen Hoffnung und Troſt ertheilen werde.
„ Sie bedaurte Jhre liebe Mutter gar ſehr, „ welche, nach der von ihr beygefuͤgten Verſiche - „ rung, genoͤthigt iſt, eine Rolle zu ſpielen, die ih - „ ren Neigungen gaͤnzlich zuwider iſt, gleichwie ſie „ ſelbſt, nach ihrem eignen Geſtaͤndniß, groͤßten - „ theils zu thun genoͤthigt worden.
„ Sie ſagte, daß die arme Frau nicht anders „ als mit großer Schwierigkeit zuruͤckgehalten waͤ - „ re, Jhren Brief an ſie zu beantworten, der bey - „ nahe; wie der Ausdruck Jhrer Tante war; ei - „ nem jeden das Herz gebrochen haͤtte: und ſie „ haͤtte Urſache zu gedenken, daß dieſelbe weder ih - „ re Einwilligung dazu gegeben; daß Jhre beyden „ Onkels ſchreiben ſollten, noch das, was ſie ge - „ ſchrieben, genehm gehalten habe.
„ Sie iſt verſichert, daß ſie alle eine herzliche „ Liebe zu Jhnen tragen: aber ſie ſind einmal ſo „ weit gegangen, daß ſie nicht wiſſen, wie ſie zu - „ ruͤckziehen ſollen.
„ Waͤre das abſcheuliche Buͤndniß nicht „ geweſen, ſprach ſie, worein Jhr Bruder ſie alle „ gezogen haͤtte, der ſich geweigert, eher nach „ Schottland abzugehen, als bis es erneuret wor - „ den, und bis ſie alle verſprochen haͤtten, in ſeiner „ Abweſenheit keinen Schritt, anders als mit ſei - „ ner Einwilligung, zu einer Ausſoͤhnung zu thun:„ ſo121„ ſo wuͤrde ſich alles ſchon vor der gegenwaͤrtigen „ Zeit gluͤcklich geleget haben.
„ Niemand wuͤßte, was fuͤr Quaal ihnen ihr „ unbiegſames Bezeigen machte, ſeit dem Sie an - „ gefangen haͤtten, in einer ſo ruͤhrenden und demuͤ - „ thigen Schreibart Briefe an ſie abzulaſſen.
„ Dennoch aber waͤren ſie nicht geneigt, zu „ glauben, daß Sie ſo krank oder ſo voller Reue „ waͤren, als Sie wirklich ſind: und noch weniger, „ daß es dem Herrn Lovelace mit ſeinem Erbieten, „ Sie zu heyrathen, ein Ernſt ſey.
„ Sie iſt verſichert, ſagt ſie, daß alles bald gut „ ſeyn werde: und deſto eher, weil Herr Morden „ angekommen iſt, der ſich Jhrer Sache mit gro - „ ßem Eifer annimmt.
„ Sie wuͤnſchte, der Himmel moͤchte geben, „ daß Sie Herrn Lovelacens Hand annaͤhmen; „ ſo gottlos er auch geweſen waͤre: wofern es ihm „ nun ein Ernſt ſeyn ſollte.
„ Es haͤtte ihr, ſagte ſie, allezeit Anlaß gege - „ ben, ſich zu verwundern, daß ein ſo ſchwachheits - „ voller Stolz an ihrem Vetter Jakob, allein die „ ganze Familie auszumachen, ſie alle verleiten „ ſollte, eine Verbindung mit einer ſolchen Fami - „ lie, als Herr Lovelace haͤtte, auszuſchlagen.
„ Sie wollte behaupten, daß Jhre Entfernung „ mit dem Herrn Lovelace fuͤr Jhre Ehre und „ Vortheile der ungluͤcklichſte Schritt geweſen waͤ - „ re, den Sie haͤtten thun koͤnnen. Denn, ob „ Sie gleich des folgenden Tages eine harte Ver - „ ſuchung gehabt haben moͤchten: ſo wuͤrde esH 5doch122„ doch nach aller Wahrſcheinlichkeit die letzte ge - „ weſen ſeyn, und Jhre Gaben nachdruͤcklich und „ ruͤhrend zu reden muͤßten Jhnen nothwendig „ einige Freunde von jener Partey zugezogen ha - „ ben ‒ ‒ womit ſie auf Jhre Mutter, auf Jh - „ ren Onkel Harlowe, auf Jhren Onkel Hervey, „ und ſich ſelbſt zielte.
Allein damit die Reue, daß Sie den Ausgang dieſer Zuſammenkunft nicht zuverſichtlich erwar - tet haben, Sie bey Jhrem gegenwaͤrtigen ſchwa - chen Zuſtande nicht zu ſehr kraͤnken moͤge: ſo muß ich hier bemerken, daß es nach dieſer Erklaͤ - rung Jhrer Tante ein wenig allzu offenbar am Tage zu liegen ſcheine, daß es nicht ſo ſchlechter - dings ausgemacht geweſen, allen Zwang zu ver - meiden; da Sie Jhre Befreyung davon der Partey zu danken gehabt haben muͤßten, die Sie ſich durch Jhre uͤberzeugende Beredtſamkeit und pflichtmaͤßige Vorſtellung unter ihnen machen ſollten.
„ Sie geſtand, daß einige von ihnen ſich eben „ ſo ſehr gefuͤrchtet vor Sie zu kommen, als Sie „ ſich fuͤrchten konnten, vor dieſelben zu kommen. „ ‒ ‒ Aber warum das, wenn ſie ſich vorgenom - men hatten, auf das letzte Anhalten, Jhnen Jhre Freyheit zu laſſen?
Sie erzaͤhlte mir, „ daß Fr. Williams, Jhrer „ Fr. Mutter vorige Haushaͤlterinn, bey ihr ge - „ weſen waͤre, und ihre Meynung daruͤber ver - „ langt haͤtte, ob es uͤbel genommen werden wuͤrde, „ wenn ſie ſich Erlaubniß ausbaͤte, nach London zu„ rei -123„ reiſen und ihrer wertheſten Fraͤulein in Jhrem „ Ungluͤck Handreichung zu thun. Sie haͤtte die - „ ſelbe aber an Jhre Fr. Mutter gewieſen, jedoch „ nichts weiter davon gehoͤret.
„ Jhre Tochter, Fraͤulein Doͤrtchen, ſagte ſie, „ haͤtte oft ſehr ernſtlich eben deswegen bey ihr an - „ gehalten, und ihre Bitte mit dem groͤßten Eifer „ erneuret, da der erſte Brief von Jhnen zu Haͤn - „ den gekommen waͤre.
„ Jhre Tante ſpricht, daß ſie damals ſehr „ krank geweſen waͤre und deswegen Jhrer Fr. „ Mutter geſchrieben, ſie hoffete, es wuͤrde nicht „ uͤbel genommen werden, wenn ſie der Fraͤulein „ Doͤrtchen erlaubte, zu Jhnen zu gehen: aber „ Jhre Schweſter haͤtte ihr, im Namen Jhrer „ Fr. Mutter geantwortet, daß Sie itzo, da Sie „ zu einer gebuͤhrenden Empfindung Jhrer Fehler „ gekommen zu ſeyn, und in derſelben zu ſtehen „ ſchienen, gaͤnzlich ihrem eignen Gutbefinden uͤber - „ laſſen werden muͤßten.
„ Fraͤulein Doͤrtchen, ſagte ſie, haͤtte ſeit der „ Zeit, da ſie von des Herrn Lovelacens Schand - „ that gehoͤret, ſich beſtaͤndig abgezehret; weil ſie „ auf eine gedoppelte Art dadurch gekraͤnkt waͤre: „ einmal wegen desjenigen, was Sie gelitten haͤt - „ ten; hiernaͤchſt, weil ſie eine von denen geweſen, „ die ſich daruͤber gefreuet, daß Sie davon gegan - „ gen waͤren, und Sie deswegen gerechtfertigt, „ woruͤber ſie ſich ungleiche Urtheile und Wider - „ willen, ſonderlich von Jhrem Bruder und Jh -„ rer124„ rer Schweſter zugezogen haͤtte, ſo daß ſie ſelten „ nach Harlowe-Burg kaͤme.
Machen Sie ſich, wertheſte Fraͤulein, dieſe Nachrichten ſo gut, als moͤglich iſt, zu Jhrem Troſt zu Nutze.
Jch will nur dieß einzige annoch beyfuͤgen, daß ich unter dem eifrigſten Gebeth fuͤr Jhre Ge - neſung und Wiederherſtellung zu vorigem Gluͤck verharre
Jhre ewiggetreue Judith Norton.
Die Nachricht von einer ſolchen Unterredung, als zwiſchen meiner Tante und Jhnen vor - gefallen iſt, wuͤrde mir Vergnuͤgen gemacht ha - ben, wenn ſie vor einiger Zeit gekommen waͤre: weil ſie ein Gemuͤth angetroffen haben wuͤrde, das geſchaͤfftiger geweſen waͤre, als das meinige itzund iſt, in der Hoffnung eines gluͤcklichen Wechſels, der meinen gedultigen Gehorſam der - einſt belohnet haben moͤchte, einen entfernten Troſt ausfuͤndig zu machen.
Jch125Jch habe an meiner Tante guten Geſinnung gegen mich nicht gezweifelt. An Jhrer Gewo - genheit habe ich ebenfalls nicht gezweifelt. Al - lein ſollen wir uns wundern, daß Koͤnige und Fuͤrſten ſo wenig Einrede bey ihren Leidenſchaften finden, wenn ſie auch noch ſo heftig ſind: da in einer beſondern Familie eine Tante, ja ſo gar eine Mutter in eben der Familie, ſich entſchließen mag, lieber ein ehemals beguͤnſtigtes Kind gegen ihre eigne Neigung aufzugeben, als einem hochfliegen - den jungen Menſchen, der ſich mit dem Anſehn eines Vaters gewaffnet hatte, welcher ſich, nach - dem er einmal einen Schluß gefaſſet, niemals ein - reden laſſen wollte, Widerſtand zu thun?
Wollen Sie mich nicht tadeln, wenn ich ſa - ge, daß Verſtand und Klugheit, daß verwandt - ſchaftliche Nachſicht, durch die Begegnung, wel - che mir widerfahren iſt, ein wenig beleidigt ſeyn muͤſſen, und wenn ich geſtehe, daß ich gedenke, es ſey große Schaͤrfe wider mich gebrauchet? Und gleichwohl bin ich nunmehr durch das Urtheil zwoer vortrefflicher Schweſtern, meiner Mutter und meiner Tante, berechtigt, es Schaͤrfe zu nennen: da dieſe beyde geſtehen, wie Sie mir von meiner Tante berichten, daß ſie wider ihre Nei - gungen genoͤthigt ſind, ſich wider mich zu verbin - den, und das ſo gar in einer Sache, die meine ewige Wohlfarth angehet.
Allein ich muß auf dieſe Weiſe nicht weiter fortfahren. Denn kann die Neigung, welche meine Mutter aufgegeben hat, nicht vielmehr dieWirkung126Wirkung einer allzu parteyiſchen Nachſicht ſeyn, als daß ich die Nachſicht verdienen ſollte? Gleich - wohl bin ich ſo muthwillig verkehrt, daß ich mich mit Muͤhe von der Sache abziehen muß.
Das einzige alſo, was ich itzo weiter dazu ſagen will, iſt dieſes, daß, wenn die Guͤte, welche man mir zuzugeſtehen gedenket, nur noch eine Wo - che ſpaͤter kommen ſollte, ſie vielleicht zu ſpaͤt ſeyn wuͤrde ‒ ‒ Zu ſpaͤt, meyne ich, mir zu demjeni - gen Troſte zu dienen, den ich daraus zu ziehen wuͤnſchen moͤchte. Denn was fuͤr eine vergebli - che Vorbereitung muß ich gemacht haben: wo dieſe mich zu der Zeit nicht uͤber alles hinausgeſe - tzet hat, was ‒ ‒ Jedoch uͤber was hinaus? ‒ ‒ Armes und irrendes Geſchoͤpfe! ‒ ‒ Ungluͤckli - che Selbſtbetruͤgerinn! ‒ ‒ Die ſich uͤber nichts hinausgeſetzet findet! Die ſich auch nicht im Stan - de ſiehet, ihre eigne ſtrafwuͤrdige Ungedult zu uͤber - waͤltigen!
Damit ich aber in der That mit einer Sa - che, wobey ich mir ſelbſt nicht trauen darf, zu Ende komme: ſo laſſen Sie, wenn Sie Gelegen - heit dazu haben, meine Tante Hervey, meine liebe Baſe Doͤrtchen, die rechtſchaffene Fr. Williams, wiſſen, wie ausnehmend angenehm mir ihre guͤti - ge Geſinnung und Beyſorge fuͤr mich ſey. Und da ich weiß, daß ihre Gewogenheit gegen mich die Liebe zur Tugend, welche ſie mir zutrauen, zum Grunde hat: ſo vermelden Sie ihnen, als die beſte Sicherheit oder Rechtfertigung fuͤr ihre gute Meynungen, daß ich die Tugend beſtaͤndigbis127bis an meine letzte Stunde geliebet habe, wie man nach der Hoffnung, die ich mir mache, wird ſa - gen koͤnnen; und verſichern ſie, daß ich niemals mit Vorſatz den geringſten Abweg genommen, ſo ungluͤcklich ich auch durch einen Fehltritt ge - worden bin, der jedoch nicht aus unanſtaͤndigen oder verkehrten Bewegungsgruͤnden geſchahe.
Es iſt mir ſehr leid, daß mein Vetter Mor - den den Schluß gefaſſet hat, Herrn Lovelacen zu ſehen.
Meine Furcht bey dieſer Nachricht verringert um vieles das Vergnuͤgen, welches ich in der Ver - ſicherung, daß er mich noch liebet, empfinde.
Der Brief von meiner Schweſter iſt ſo ein - gerichtet, daß er mich aufs empfindlichſte kraͤnket ‒ ‒ Mit ſo unnoͤthigem, ſo leichtfertigem Sticheln. ‒ ‒ Jedoch wegen des Theils von dem - ſelben, der ſo beſchaffen iſt, muß ich vielmehr Mit - leiden mit ihr haben, als ſo bekuͤmmert ſeyn, wie ich bin.
Jch wundere mich, was ich dem Hrn. Brand zu nahe gethan habe ‒ ‒ Jch bitte Gott, daß er ihm und denen, von welchen er ſeine Nachrichten hat, ſie moͤgen ſeyn, wer ſie wollen, vergebe. Wofern aber der Anſtoß allein von des Herrn Belfords Beſuchen herkommt: ſo wird eine ſehr kurze Zeit ihn widerlegen. ‒ ‒ Mittlerweiln wird das Packet, welches ich Jhnen ſenden werde und der Fraͤulein Howe geſandt habe, Jhnen, mei - ne wertheſte Fr. Norton, in Anſehung der Gruͤn -de,128de, warum ich ſeine Beſuche zulaſſe, hoffentlich Genuͤge thun.
Der ſtichelnde Brief von meiner Schweſter und die Unbeweglichkeit meiner werthern Freun - de ‒ ‒ Aber wie fuͤhren doch Sachen, welche anfangs weit davon entfernet waren, immer wie - der zu demjenigen, was uns zunaͤchſt am Herzen lieget! ‒ ‒ Nicht anders, als wie an dem Koͤr - per neuentſponnene Unordnungen ſich alle zu einem verletzten oder kranken Theil zuſammen - ziehen.
Jch will abbrechen: mit Bitte um Jhr Ge - beth, daß mir Gedult und gehoͤrige Gelaſſenheit verliehen werde; und mit der Verſicherung, daß ich ſey und bis an die letzte Stunde meines Lebens ſeyn werde
Jhre eben ſo dankbare als ergebene Cl. Harlowe.
Jch habe die Briefe und Abſchriften von Brie - fen, welche Sie die Guͤte gehabt haben mir mitzutheilen, geleſen, und ſende ſie durch eine be - ſondere Gelegenheit wieder zuruͤck.
Jch bin aͤußerſt bekuͤmmert uͤber Jhren ſchlechten Zuſtand in Anſehung der Geſundheit: aber ich billige Jhr ganzes Verfahren und alle Jhre Vorſichtigkeit, die Sie bey Ernennung ei - nes Mannes zu einem Amte, welches, wie ich hof - fe, auf viele, viele Jahre noch nicht noͤthig ſeyn wird, beobachtet haben.
Jch, und wir alle, bewundern die Großmuth, welche Sie in der Verachtung des nichtswuͤrdi - gen Menſchen, der billig ſo herzlich verachtet und verabſcheuet werden muß, unter ſolchen Reizun -Siebenter Theil. Jgen,130gen, denen kein anderes Frauenzimmer widerſte - hen koͤnnte, und bey ſo verlaſſenen Umſtaͤnden, als die Jhrigen ſind, ſo ſtandhaft machen kann.
Was muͤſſen die Briefe von Jhren Ver - wandten, welche Sie mir nicht zeigen wollen, in ſich enthalten! Pfuy, die Leute ſollten ſich ſchaͤ - men! Wie empoͤret ſich mein Herz ‒ ‒ Allein ich darf nichts mehr ſagen ‒ ‒ Wiewohl Sie itzo ſelbſt anfangen zu gedenken, daß ſie ſehr hart mit Jhnen umgehen.
Ein jeder iſt hier fuͤr Herr Hickmann ſo ein - genommen; und zwar deſto mehr um des Ab - ſcheues willen, den ſie gegen die Gemuͤthsart ei - nes ſolchen Boͤſewichts, als Lovelace iſt, hegen; daß ich faſt bis auf den Tod gequaͤlet worden bin, einen Tag zu benennen. Dieß hat ihn ein wenig aufgeblaſen: und wenn ich ihn nicht anhielte, ſo wuͤrde er ſich ſo nachlaͤßig und uͤbermuͤthig gegen mich bezeigen, als wenn er meiner ſchon verſichert waͤre. Jch bin nicht weniger, als viermal, ſeit dem wir hier geweſen ſind, genoͤthigt worden, ihn zu demuͤthigen.
Jch ließ ihn neulich fuͤr einige Nachlaͤßigkei - ten, die nicht zu uͤberſehen waren, eine ſtrenge Buße thun. Sie waͤren nicht mit Vorſatz ge - ſchehen, ſagte er: allein das war eine ſchlechte Entſchuldigung, wie ich ihm zu verſtehen gab. Denn waͤren ſie mit Vorſatz geſchehen: ſo haͤt - te er niemals wieder vor meine Augen kommen ſollen. Daß ſie aber nicht mit Vorſatz geſche - hen waͤren, das zeigte ſeinen Mangel der Gedan -ken131ken und Aufmerkſamkeit: und der waͤre bey einer Mannsperſon, die noch in dem Stande der Pruͤ - fung ſtuͤnde, nicht zu entſchuldigen.
Er hoffete, daß er mehr, als einen Stand der Pruͤfung, gehabt haͤtte, war ſeine Antwort.
Mochten ſie denn deswegen nachlaͤßiger ſeyn, mein Herr? ‒ ‒ Auf die Art vermehren ſie die Nachlaͤßigkeit noch mit Undank, und ma - chen das, was ſie zu ihrer Rechtfertigung fuͤr et - was Zufaͤlliges, welches ſelbſt eine Entſchuldi - gung noͤthig hat, ausgeben, zu einem Vorſatz, der keine Entſchuldigung verdienet.
Jch wollte ihn zween Tage uͤber nicht ſehen: und er war ſo reuevoll und ſo demuͤthig, daß ich mich beynahe ſelbſt verlohren haͤtte, um es ihm wieder gut zu machen. Denn, wie Sie bemer - ket haben, ein Unwillen, der zu hoch getrieben wird, lauft oft auf eine allzu demuͤthige Verguͤ - tung hinaus.
Mich verlangt, naͤher bey Jhnen zu ſeyn: al - lein das muß noch nicht ſeyn, wie es ſcheint. Ha - ben Sie die Gewogenheit, wertheſte Freundinn, mir ſo oft, als Sie koͤnnen, von Sich Nachricht zu geben.
Der Himmel mehre Jhre Troͤſtungen und ſtelle Jhre Geſundheit wieder her: das iſt das Gebeth
Jhrer ewig getreuen und ergebenen Anna Howe.
P. S. Entſchuldigen Sie mich, daß ich nicht eher ge - ſchrieben habe: es hat mich eine kleine Reiſe an die Kuͤſten, welche ich mir gefallen zu laſſen ge - noͤthigt war, davon abgehalten.
Sie ſind ſehr hoͤflich, meine wertheſte Fraͤulein Howe, daß Sie mir von Jhrem Stillſchwei - gen Rechenſchaft geben. Jch war geruhig da - bey: weil ich nicht zweifelte, daß Sie unter ſol - chen nahen und lieben Freunden, als diejenigen ſind, bey denen Sie ſich aufhalten, durch eine oder die andere dergleichen angenehme Ausfarth, als Sie gedenken, vom Schreiben abgehalten wuͤr - den.
Jch machte mir Hoffnung, daß Sie itzo ſchon das ſehr feurige Weſen abgeleget haͤtten, welches ich mir ſo oft, als Sie mir Gelegenheit dazu ge - geben haben; und das iſt ſehr oft geſchehen; die Freyheit genommen habe, an Jhnen zu tadeln.
Jch habe mich uͤber dieſe Sache allezeit ſehr ernſthaft gegen Sie erklaͤret: und weil Jhre ei - gene und eines rechtſchaffenen Mannes kuͤnftige Gluͤckſeligkeit dabey in Betrachtung kommet; ſo muß ich mich darauf einlaſſen, ſo oft Sie ſich ſelbſt vergeſſen, wenn ich auch nicht einen Tag mehr zu leben haͤtte. Und in der That befinde ich mich ſehr uͤbel.
Jch133Jch bin verſichert, daß Sie Jhren kuͤnftigen Gemahl nicht in der Abſicht mit Sich auf die kleine Jnſel genommen, damit Sie ihn denen von Jhren Verwandten, welche ihn vorher niemals geſehen hatten, als ſchwach und einfaͤltig vorſtel - len moͤchten. Halten Sie es aber wohl fuͤr moͤg - lich, daß dieſelben, ſo ſehr ſie auch vorbereitet und entſchloſſen ſeyn moͤgen, ein Wohlgefallen an ihm zu finden, ſich enthalten koͤnnen, uͤber ihn zu la - chen, wenn ſie ihn unter Jhren wunderlichen Buͤßungen leidend ſehen? Ein beſcheidner Menſch ſollte eben ſo wenig in ſeinen eignen, als in anderer Leute Augen, erniedrigt werden. Geſchieht es: ſo wird er ein Mistrauen gegen ſich ſelbſt faſſen, welches allen Dingen, die er ſagt, oder thut, ein ungeſchicktes Anſehen geben wird. Dieſes aber wird ſo wenig Jhrer Wahl, als dem Beyfall, welchen er bey Jhren Freunden findet, oder ihm ſelbſt, zur Ehre gereichen.
Jch liebe ein gefaͤlliges und ſo gar ein demuͤ - thiges Bezeigen an einer Mannsperſon gegen das Frauenzimmer, an welches er ſich wendet. Es iſt ein Zeichen ſeiner feinen Art der Auffuͤhrung, und dienet, ihr diejenige Meynung von ſich ſelbſt beyzubringen, welche, wie man vermuthen mag, einer beſcheidenen Perſon von Verdienſten einge - floͤßet werden muß. Allein wenn das Frauen - zimmer es mit Ungeſtuͤm fordert: ſo zeigt ſie an ſich ſelbſt weder eine feine Art zu leben, noch eine Dankbarkeit; ob ich gleich geſtehen muß, daß ſie ihren Muth ſehen laͤſſet. Jch habe Jhnen vor -J 3aus -134ausgeſagt, daß ich ſehr ernſthaft mit Jhnen ver - fahren wollte.
O meine liebe Freundinn, waͤre mir doch das Gluͤck zu Theil geworden, da es mir nicht erlaubt war, ledig zu bleiben, daß ich an einen Mann ge - rathen waͤre, gegen den ich haͤtte edelmuͤthig und frey handeln koͤnnen.
Herr Lovelace tadelte meine Auffuͤhrung ge - gen ihn als ein ſteifes und fremdes Bezeigen; in der Abſicht, wie nun am Tage liegt, damit er ei - nen Vorwand gegen mich haben moͤchte. Sie glaubten einmal, daß ich mich einer gewiſſen Art der Sproͤdigkeit ſchuldig machte. Unter bedenk - lichen Umſtaͤnden, bey welchen oft die Gelegenhei - ten zu unguͤtigen Urtheilen unvermeidlich ſind, ſollte man einer jeden Perſon etwas zu gute hal - ten. Jch verdiente keinen Vorwurf von dem, der meine Umſtaͤnde bedenklich machte: und Sie, meine Wertheſte, ſollten gefunden haben, wenn ich mit einem andern Manne zu thun gehabt, oder er nur halb die guten Eigenſchaften beſeſſen haͤtte, die Herr Hickmann beſitzet, daß meine Wer - ke ſich in dieſem Stuͤcke nach meinen Lehrſaͤtzen gerichtet haben wuͤrden.
Allein, daß ich mich ſelbſt aus der Frage zie - he ‒ ‒ ich will Jhnen ſagen, was ich gedenken wuͤrde, wenn ich eine gleichguͤltige Zuſchauerinn von Jhrem hohen Weſen waͤre, womit Sie das demuͤthige Bezeigen des Herrn Hickmanns be - lohnen.
„ Die135„ Die Fraͤulein, wuͤrde ich ſagen, denkt den „ Herrn zu nehmen: das ſehe ich offenbar. Al - „ lein ich ſehe auch eben ſo offenbar, daß ſie ſehr „ gleichguͤltig gegen ihn iſt. Woher mag denn „ dieſe Gleichguͤltigkeit kommen? Sonder Zwei - „ fel von einer oder von allen dieſen Betrachtun - „ gen: Sie nimmt ſeine Anwerbung vielmehr des - „ wegen an, weil es ſich ſchicket, als daß ſie ſelbſt „ Belieben daran finden ſollte; ſie hat eine ſchlech - „ te Meynung von ſeinen Gaben und Verſtan - „ deskraͤften, wenigſtens hegt ſie hoͤhere Gedanken „ von ihren eignen Vorzuͤgen; oder ſie iſt nicht „ edelmuͤthig genug, ſich der Gewalt, die ihr ſeine „ große Neigung zu ihr in die Haͤnde giebet, mit „ gehoͤriger Maͤßigung zu bedienen.
Wie wuͤrde es Jhnen gefallen, wertheſte Freundinn, wenn man irgend eines von dieſen Dingen ſagte?
Wollten Sie hiernaͤchſt wohl Leuten von freyer Lebensart und freyen Reden den geringſten Schein eines Grundes an die Hand geben, aus welchem ſie ſagen oder ſich einbilden koͤnnten, daß die Fraͤulein Howe ihre Hand einem Manne ge - be, der an ihrem Herzen keinen Theil hat? Jch bin verſichert, Sie wuͤrden nicht wuͤnſchen, daß etwas dergleichen nur einmal vermuthet werden ſollte. Ueber dieß muͤßte ſich, wie ich denken ſollte, alle Achtung, die Sie ihm nach dieſem be - weiſen werden, da ihm vorher keine von Jhnen bewieſen iſt, leicht als eine bloße Hoͤflichkeit gegen den Ehegatten, wodurch der Zaͤrtlichkeit derJ 4Frauen136Frauen Gewalt angethan wird, ausdeuten laſſen.
Es iſt nicht zu beſorgen, daß der allerkuͤhnſte; zween Lovelacen koͤnnen nicht in der Welt ſeyn; gegen eine Gemuͤthsart, die der Tugend wegen ſo verehret wird, und mit einer ſo reizenden Lebhaf - tigkeit des Verſtandes verbunden iſt, als die Ge - muͤthsart der Fraͤulein Howe, Verſuche unter - nehmen koͤnnte: jedoch, wenn jemand zur Ver - achtung eines Ehegatten durch das Beyſpiel einer Perſon, der am meiſten daran gelegen iſt, ihn zu ehren, gereizet wird; was, meine werthe Freun - dinn, denken Sie davon? ‒ ‒ Es iſt nur allzu natuͤrlich fuͤr neidiſche Leute; und wer, der die Fraͤulein Howe kennet, wird Herrn Hickmann nicht beneiden? ihr Geſpoͤtte und Spiel mit de - nen zu treiben, welche von einem Frauenzimmer mit Verachtung angeſehen werden oder Verach - tung von demſelben leiden. Wofern eine Manns - perſon eine wahre und feurige Liebe gegen das Frauenzimmer heget, um welches er ſich bewirbt: ſo wird er leicht durch ihr Misvergnuͤgen furcht - ſam gemacht werden; und das wird ihn zu de - muͤthigen Handlungen bringen, die den Namen der Niedertraͤchtigkeit bekommen werden. Welchem wahrhaftig verſtaͤndigen Frauenzimmer aber wuͤrde es gefallen, wenn man von ihr ſagte, daß ſie einem Manne, von dem ſie dereinſt Schutz und Vertheidigung erwartete, etwas auflegen wollte, das ſich als eine Niedertraͤchtigkeit oder einem Manne unanſtaͤndige Erniedrigung in ſei -nem137nem Bezeigen, auch nur einmal gegen ſie ſelbſt, ausdeuten ließe? ‒ ‒ Ja ich weiß nicht gewiß, und frage Sie, wertheſte Freundinn, damit mir der Zweifel benommen werde, ob es nach Jhrer eignen Meynung nicht glaublich iſt, daß ein Frauen - zimmer von Verſtande diejenige Mannsperſon, welche, ſonderlich vor Geſellſchaft, von ihr eine Beſchimpfung gedultig annehmen wird, viel - mehr verachten als deswegen hoͤher ſchaͤtzen werde?
Jch habe allezeit bemerket, daß Vorurtheile zum Nachtheil einer Perſon, welche bey dem er - ſten Anblick derſelben gefaßt werden, ſich tiefer eindruͤcken, und, wenn ſie ſich ſo feſtgeſetzet ha - ben, ſchwerer zu vertreiben ſind, als Vorurtheile zu jemandes Vortheil. Ob es vom Neide her - komme, oder von dem gottloſen und bey nieder - traͤchtigen Gemuͤthern ſo merklich ſichtbaren Grundſatze, der ihnen den Wunſch eingiebet, Leu - te von groͤßern Vorzuͤgen ſo weit zu erniedrigen, daß ſie mit ihnen in einer Reihe ſtehen, unterſte - he ich mich nicht auszumachen. Wenn alſo ein Frauenzimmer von ſo guter Einſicht, als Sie be - ſitzen, einmal der Welt Raum zu denken giebet, daß ſie keine große Meynung von dem Liebha - ber hege, den ſie nichtsdeſtoweniger bey ſeinem Anſuchen unterhaͤlt: ſo wird es ihr hernach ſehr ſchwer werden, eben der Welt eine ſo gute Meynung, als ſie gern haben wollte, von dem Ehegatten, den ſie gewaͤhlet hat, beyzubringen.
J 5Erlau -138Erlauben Sie mir anzumerken, daß eine ge - faͤllige Herablaſſung mit einer erhabenen An - ſtaͤndigkeit, und ein Gebieten mit einer ſolchen Guͤte und einem ſo freundlichen Weſen, daß ſich die gefaͤllige Herablaſſung, ſo lange man un - verheyrathet iſt, daraus ſehen und erkennen laſſen moͤchte, Dinge ſind, worauf ein weiſes Frauen - zimmer, das ihren Mann kennet, ihr Augen - merk billig richten ſollte: und ein weiſes Frauen - zimmer, ſollte ich denken, wuͤrde lieber Lebenslang unverheyrathet bleiben, als ſich einem Manne uͤberlaſſen, den ſie einer ſo edlen Begegnung nicht wuͤrdig achtet.
Wenn aber ein Frauenzimmer ihren Liebha - ber ſehen laͤſſet, daß ſie edelmuͤthig genug iſt, ei - nen wohlgemeynten Dienſt zu billigen und zu be - lohnen; daß ſie eine ſolche Gemuͤthsart beſitzet, welche ſie uͤber die kleinen verfaͤnglichen Thorhei - ten, die von einigen, mit allzugroßer Freyheit, wie ich hoffe, unſerm Geſchlechte uͤberhaupt beygemeſ - ſen werden, hinausſetzet; daß, wo ſie jemals glau - bet, Urſache zum Misvergnuͤgen zu haben, ſie nicht muthwillig oder aus Stolz zuͤrnet; daß ſie es nicht fuͤr noͤthig haͤlt, auf Kleinigkeiten zu be - ſtehen, damit ſie wichtigere Dinge, die es ſich viel - leicht nicht ſchickt zu ſuchen, erlange, oder ſich der - ſelben verſichere; daß ſie nicht Raum laͤſſet zu ge - denken, als wenn ſie ſo viele Urſache haͤtte, an ih - ren eignen Vorzuͤgen zu zweifeln, daß ſie die Lie - be desjenigen, dem ſie ſich gefallig zu bezeigen wil - lens iſt, auf unangenehme oder hochmuͤthige Pro -ben139ben ſtellen muͤßte; daß ſie vielmehr die Vernunft in ihren Handlungen vornehmlich zur Fuͤhrerinn waͤhlet: ſo wird es ihr niemals an der wahren Hochachtung und der aufrichtigen Verehrung feh - len, welcher ſie theilhaftig zu werden wuͤnſchet, und welche verurſachen wird, daß man nach der Vermaͤhlung ihr Urtheil, bisweilen mit einem Vorzuge vor dem Urtheil eines Mannes, zu an - derer Zeit als eine angenehme Bekraͤftigung deſſelben, zu Rathe ziehet.
So viel, meine geliebte Fraͤulein Howe, von dieſer Sache fuͤr dieß mal, und ich darf wohl ſagen, fuͤr allemal.
Jch will alſobald noch einen Brief anfangen und beyde zugleich abſenden. ‒ ‒ Unterdeſſen bin ich ꝛc.
Jn dem verſprochnen naͤchſten Briefe giebt die Fraͤulein der Fraͤulein Howe Nachricht von des Herrn Brands angebrachter Zeitung von ihr; von den Vorſchlaͤgen ihrer Schwe - ſter, entweder aus dem Lande zu gehen oder Herrn Lovelacen gerichtlich zu belangen; und beklaget ſich uͤber den harten Brief von ihrem Onkel Anton und ihrer Schweſter; aber in weit gelindern Ausdruͤckungen, als ſie verdienten.
Sie uͤberſchickt ihr des D. Lewins Brief und die Abſchrift von ihrer Antwort auf den - ſelben.
Sie140Sie erzaͤhlt ihr die Schwierigkeiten, welche ſie gefunden, den Beſuch des Herrn Lovelacens zu vermeiden. Sie theilet ihr den Jnhalt des Briefes mit, den ſie an ihn geſchrieben: und iſt beſorgt, wie ſie ſchreibt, daß ſie hie - durch einen Schritt gethan habe, der nach der Strenge nicht ganz recht ſeyn moͤchte, wofern einer Perſon unter ihren Umſtaͤnden nicht erlaubt ſeyn ſollte, ſich verbluͤmter und uneigentlicher Ausdruͤcke zu bedienen.
Sie meldet ihr ihres Vettern Mordens An - kunft und Bereitwilligkeit, ihre Partey bey ihren Verwandten zu nehmen; wie auch ſeinen Vorſatz, mit Herrn Lovelacen zu ſpre - chen; und eroͤffnet ihr, was ſie dabey be - ſorge.
Sie ſchreibt ihr den Jnhalt der Unterredung zwiſchen ihrer Tante Hervey und Fr. Nor - ton. Hiernaͤchſt faͤhrt ſie fort:
Allein wenn ſie nun auch noch ſo vortheilhaft fuͤr mich geſinnet waͤren: was koͤnnen ſie mir hel - fen? Jch wuͤnſche gleichwohl, und zwar mehr um ihrer ſelbſt, als um meinetwillen, daß ſie noch itzo gelinder werden moͤchten. ‒ ‒ Aber ich befinde mich ſehr uͤbel ‒ ‒ Jch muß meine Feder nie - derlegen ‒ ‒ Eine ploͤtzliche Ohnmacht uͤberfaͤllt mein Herz ‒ ‒ Entſchuldigen Sie mein krum - mes Schreiben! ‒ Leben Sie wohl, wertheſte Freundinn! ‒ ‒ Leben Sie wohl!
Jch nehme meine Feder noch einmal wieder. Jch dachte, daß ich mein letztes Lebewohl an Sie abgelaſſen haͤtte. Mir iſt niemals ſo gar wunderlich zu Muthe geweſen. Es war etwas, das meinen Verſtand gaͤnzlich zu benebeln ſchien ‒ ‒ Jch weiß nicht, wie ich es beſchreiben ſoll! ‒ ‒ Jch glaube, ich thue mir Schaden damit, daß ich ſo viel ſchreibe, und allzu viel uͤber mich nehme: allein ein wirkſames Gemuͤth kann nicht muͤßig ſeyn; wenn es gleich durch Krankheit des Leibes als wie mit truͤben Wolken umzogen wird.
Jch will ſehen, ob mir die Luft und eine un - terbrochne Aufmerkſamkeit helfen wollen ‒ ‒ Wollen ſie aber nicht helfen: ſo bekuͤmmern Sie ſich nicht um mich, meine wertheſte Freundinn. ‒ ‒ Jch werde gluͤcklich ſeyn. Ja ich bin es ſchon itzo mehr, als ich noch vor kurzem glaubte, daß ich es jemals in dieſem Leben ſeyn koͤnnte. ‒ ‒ Jedoch, wie feſt haͤnget ſich dieſer Leib an! ‒ ‒ Wie beſchwerlich iſt er!
Jch konnte dieſen Brief nicht mit einem ſo trau - rigen Beſchluß, wie Sie dafuͤr gehalten ha - ben wuͤrden, abgehen laſſen. Deswegen wartete ich ſo lange, ihn zu ſchließen, bis ich ſehen moͤchte, wie ich mich befaͤnde, wenn ich von meiner Ver - aͤnderung in der Luft zuruͤckkaͤme. Und nun, muß ich ſagen, iſt mir ganz anders. So munter! ‒ ‒ daß ich mit eben ſo vieler Lebhaftigkeit, als ich an -gefan -142gefangen habe, fortfahren, und uͤber Jhre heftige Munterkeit noch mehr predigen koͤnnte, wenn ich davon nicht ſchon mehr, als genug, geſchrieben haͤtte.
Jch wuͤnſche, daß Sie mir erlauben moͤchten, Jhnen und dem Herrn Hickmann Freude zu ma - chen. Erlauben Sie es, meine liebe Freundinn! ‒ ‒ Jch wuͤrde mir ſelbſt einen Theil davon neh - men, wenn Sie wollten.
Meine gehorſamſte Empfehlung an alle Jh - re Freunde, ſo wohl an diejenigen, welche ich zu kennen die Ehre habe, als an die, welche ich nicht kenne.
Jch habe eben itzo unvermuthet von einem Menſchen, von dem ich ſeit langer Zeit niemals etwas wieder zu hoͤren gedachte, einen Brief be - kommen: von Herrn Wyerley. Jch will ihn einſchließen. Sie werden ſich eben ſo ſehr dar - uͤber wundern, als ich mich gewundert habe. Dieß ſcheint ein Mann zu ſeyn, den ich haͤtte auf beſſe - re Wege bringen moͤgen. Allein ich konnte ihn nicht lieben. Jedoch habe ich ihm, wie ich hoffe, niemals uͤbermuͤthig begegnet. Jn Wahrheit, meine wertheſte Freundinn, wo ich nicht zu par - teyiſch gegen mich ſelbſt bin, ſo denke ich, daß ich ſeine Hand mit mehrerer Gelindigkeit ausgeſchla - gen habe, als Sie die Hand eines gewiſſen an - dern behalten. Und dieſe Erinnerung verurſa - chet mir wenigere Betruͤbniß, als ich ſonſt ge -habt143habt haben wuͤrde, da ich dieſe Probe einer edlen Geſinnung, welche mich ruͤhret, anitzo bekomme. Jch will auch den unausgearbeiteten Entwurf von meiner Antwort beyſchließen, ſo bald ich ihn abge - ſchrieben habe.
Wo ich noch einen neuen Bogen anfange: ſo werde ich ihn voll ſchreiben. Daher will ich nur mein Gebeth fuͤr Jhre Ehre und Wohlergehen, und fuͤr ein langes, langes, begluͤcktes Leben bey - fuͤgen; nebſt dem Wunſch, daß, wenn daſſelbe zu ſeinem Ziel gekommen iſt, Sie eben ſo geruhig und zufrieden bey dem Ausgange aus demſelben ſeyn moͤgen, als ich, nach meiner Hoffnung auf Gott, ſeyn werde. Jch bin und werde bis auf den letzten Augenblick ſeyn
Jhre aufrichtig ergebene und verbundene Dienerinn Clar. Harlowe.
Sie werden ſich wundern, daß Sie, nach Ver - lauf ſo langer Zeit, einen Antrag, der ſo aus - druͤcklich, ob gleich ſo hoͤflich, abgelehnet iſt, wie - der erneuret finden: allein, es mag aufgenommen werden, wie es will, ich muß ihn erneuren. Je - dermann hat gehoͤret, daß auf eine ſchaͤndliche Art mit Jhnen umgegangen iſt: von einem Men - ſchen, welcher der ſchaͤndlichſte Kerl in der Welt ſeyn mußte, daß er Jhnen uͤbel begegnen konnte. Jedermann weiß Jhren gerechten Unwillen uͤber ſeine niedertraͤchtige Begegnung: daß Sie feſt entſchloſſen ſind, ſich niemals mit ihm wieder aus - zuſoͤhnen; und daß Sie gegen alles Flehen ſeiner edlen Anverwandten, gegen alles Bitten und alle Reue des unedlen Menſchen ſelbſt, in dieſer Ent - ſchließung beharren. Und alle Welt, die die Eh - re hat, Sie zu kennen, oder von ihm gehoͤret hat, loben Jhren Entſchluß mit vielem Beyfall, als einen Vorſatz, der ſich fuͤr Sie ſelbſt, der ſich fuͤr Jhre Tugend und die genaue Beobachtung derEhre145Ehre ſchicket, welche Jhnen allezeit von einem je - den, der von Jhnen redete, beygeleget ward.
Allein, gnaͤdige Fraͤulein, wenn auch alle Welt anderer Meynung geweſen waͤre: ſo haͤtte das doch die meinige niemals aͤndern koͤnnen. Jch habe Sie allezeit geliebet: ich muß Sie al - lezeit lieben. Dennoch habe ich mich bemuͤhet, mein hartes Schickſal zu ertragen. Nachdem ich ſo viele Wege vergebens verſucht hatte, um Sie zur Gewogenheit gegen mich zu bewegen, ruhete ich und war dem aͤußerlichen Anſehen nach zufrieden. Jch ſuchte auch allen meinen Freun - den, und denen, die mit mir umgehen, die Ge - danken beyzubringen, daß ich es wirklich waͤre. Aber niemand weiß, was fuͤr Marter mich dieſe Selbſtverleugnung koſtet. Vergebens ſtellte ſich mir die Jagd, vergebens ſtellte ſich mir das Rei - ſen, vergebens ſtellte ſich mir lebhafte Geſellſchaft dar. Ob ich gleich ein jedes nach der Reihe an - nahm: ſo brachte doch meine Liebe zu Jhnen mei - ne Ungluͤckſeligkeit immer mit gedoppelter Staͤrke wieder hervor, wenn ich in mich ſelbſt, in mein eignes Herz ſchauete; denn da hatte Jhr reizen - des Bild ſeinen feſten Thron, und Sie nahmen mich gaͤnzlich ein.
Jch bedaure aufrichtig das Ungluͤck und Lei - den, welches Sie betroffen hat, um Jhrer ſelbſt willen. Nichts deſto weniger aber macht mir daſſelbe einen Muth, meine kuͤhne Hoffnung wie - der zu erneuren. Jch weiß die eigentlichen Um - ſtaͤnde nicht. Jch darf mich nicht darnach erkun -Siebenter Theil. Kdigen:146digen: weil ſich mein Leiden mit der Wiſſen - ſchaft von dem, was Sie gelitten haben, vergroͤ - ßern wuͤrde. Daher verlange ich nicht mehr da - von zu wiſſen, als was der gemeine Ruf, nicht ohne Verletzung meiner Ohren, an mich bringet, und was mir durch Jhre Abweſenheit von Jhrer grauſamen Familie, und von dem geheiligten Or - te zu erkennen gegeben wird, wo ich, unter vielen andern Jhrer abgewieſenen Bewunderer, Sie woͤchentlich zweymal gewiß zu ſehen pflegte, in - dem Sie dem heiligen Dienſte Ehre brachten, von welchem eben Jhr Beyſpiel mir die erhaben - ſten Begriffe einfloͤßte. Allein dieß Ungluͤck mag ſeyn, was es will, dieß Leiden mag beſchaf - fen ſeyn, wie es will: ich werde um mein ſelbſt willen die Gelegenheit gluͤcklich nennen; ob gleich in Anſehung Jhrer der Urheber von jenem ver - flucht ſeyn mag; wofern es mir das Gluͤck ver - ſchaffet, zu erfahren, daß dieſer mein erneurter Antrag nicht ſchlechterdings, verworfen wird. Machen Sie mir nur Hoffnung, daß er mit der Zeit einmal Gehoͤr finden moͤge: wofern unter - deſſen weder in meiner Lebensart, noch in meinem Bezeigen etwas vorfaͤllt, das Jhnen aufs neue zur Beleidigung gereiche. Machen Sie mir nur hiezu Hoffnung ‒ ‒ ‒ Daß Sie mich nicht ſchlechterdings abweiſen, das iſt alle die Hoff - nung, um welche ich bitte: und ich will Sie, wo moͤglich, noch mehr lieben, als ich Sie jemals ge - liebet habe. ‒ ‒ Jhres Leidens wegen will ich das thun. Denn Sie verdienen wohl geliebet,ja147ja bis zur Anbetung geliebet zu werden: da Sie um der Ehre und Tugend willen eine Leidenſchaft uͤberwaͤltigen koͤnnen, welche gemeine Gemuͤther; ich ſpreche aus grauſamer Erfahrung; unuͤber - windlich befinden; und dieß noch dazu zu einer Zeit, da der ſcheusliche Menſch, welcher Sie be - leidigt hat, vor Jhnen knieet, und wie ich wohl verſichert bin, fußfaͤllig um Vergebung bittet, gleichwie alle ſeine Freunde ebenfalls inſtaͤndigſt fuͤr ihn bitten.
Daß Sie ihm nicht vergeben, nicht ſo verge - ben koͤnnen, daß Sie ihn wieder gewogen anneh - men ſollten, iſt kein Wunder. Seine Beleidi - gung laͤuft wider die Tugend: dieſe iſt ein Theil von Jhrem Weſen. ‒ ‒ Was fuͤr Großmuth iſt dieß! Wie gerecht ſind Sie gegen Sich ſelbſt, und gegen Jhre unbefleckte Gemuͤthsart! Jſt es ein Verdienſt, eine Perſon von ſo erhoͤheter Ein - ſicht mehr als jemals zu bewundern? Nein es iſt keines. Jch kann daraus keinen Grund fuͤr mich nehmen.
Was fuͤr Hoffnung habe ich uͤbrig, mag man ſagen, nachdem mein Antrag ſchon vormals ver - worfen iſt: da nun Jhr Leiden, welches Sie ſo edelmuͤthig getragen haben, bey allen tuͤchti - gen Richtern die gute Meynung von Jhrer Gemuͤthsart erhoͤhet hat? Gleichwohl, gnaͤdige Fraͤulein, habe ich mich in einem Stuͤcke zu ruͤh - men. Jhre Freunde, welche Sie nicht von der rechten Seite, wie ich, anſehen, verfolgen und ver - bannen Sie. Jhr Vermoͤgen und Jhr Gut wirdK 2Jhnen148Jhnen vorenthalten: und man drohet, wie ich weiß, es Jhnen ſo lange vorzuenthalten, als das verfaͤngliche Recht, oder vielmehr die verfaͤngli - chen Raͤnke der Rechtsgelehrten, es Jhnen ent - ziehen kann. Sie ſind ohne Schutz: indem je - dermann, entweder aus Furcht vor dem Beleidi - ger in der einen, oder vor den Hartherzigen in der andern Familie, von Ferne ſtehet. Unter dieſen Umſtaͤnden ruͤhme ich mich damit, daß ich hervortrete, und mein Vermoͤgen und mein Leben zu Jhrem Befehl wiedme und darbiete. Jedoch thue ich es freylich mit einer eigennuͤtzigen Hoff - nung. Jch wuͤrde ein allzu großer Heuchler ſeyn, wenn ich dieß nicht geſtuͤnde: und ich weiß, wie ſehr Sie alle Falſchheit verabſcheuen.
Sie moͤgen aber dieſe Hoffnung unterſtuͤtzen, oder nicht: ſo haben Sie doch die Gewogenheit, gnaͤdige Fraͤulein, meine gehorſamſten Dienſte anzunehmen, und entſchuldigen mich guͤtigſt we - gen einer Art der Liſt, mit welcher ich nach Be - ſchaffenheit der Sache, da ich zweifele, ſonſt mit einer Nachricht von Jhnen beehret zu werden, be - ſchließen muß. ‒ ‒ Es iſt folgende.
Wo ich noch immer der ungluͤckſelige Menſch ſeyn ſoll: ſo laſſen Sie es mich nur durch eine Zeile von Jhrer Feder wiſſen. Wird mir aber erlaubt, eine Hoffnung zu hegen, wenn ſie auch noch ſo entfernt ſeyn moͤchte: ſo ſoll Jhr Still - ſchweigen von mir fuͤr das gluͤcklichſte Zeichen angeſehen werden, das Sie mir davon geben koͤn - nen ‒ ‒ Ausgenommen das noch gluͤcklichere ‒ ‒das149das gluͤcklichſte, das mir zu Theil werden kann ‒ ‒ eine ausdruͤckliche Anzeige, daß Sie das dar - gebotene Leben und Vermoͤgen annehmen wollen. Jch wuͤrde mir eine Ehre und einen Ruhm dar - aus machen, daſſelbe zu Jhren Dienſten aufzu - opfern und Jhnen ſelbſt die Belohnung dafuͤr zu beſtimmen anheimſtellen.
Jhre Entſchließung mag ausfallen, wie ſie will: ſo muß ich Sie doch beſtaͤndig bewundern und lieben. Jch will auch meinen Stand nie - mals veraͤndern, ſo lange Sie leben: Sie moͤgen den Jhrigen aͤndern, oder nicht. Denn da ich einmal ſo kuͤhn geweſen bin, mich um Sie zu be - werben: ſo kann ich mich nicht ſo weit herunter - laſſen, daß ich an ein anderes Frauenzimmer ge - denken ſollte. Und dieß betheure ich aufs heilig - ſte vor den Augen Gottes; zu dem ich taͤglich be - te, daß er Sie begluͤcke und ſchuͤtze: Jhre Ent - ſchließung, gnaͤdige Fraͤulein, mag ſeyn, wie ſie will, in Abſicht auf
Jhren gehorſamſten und beſtaͤndig ergebe - nen und getreuen Diener, Alexander Wyerley.
Die edle Geſinnung, welche Sie durch Jhren Antrag beweiſen, wuͤrde nicht allein eine Nachricht von mir, ſondern auch eine Dankſa - gung gefordert haben: wenn Sie mir gleich nicht die beyden Faͤlle, aus einer Liſt, wie es Jhnen zu nennen beliebet, vorgeleget haͤtten. Jch ſtatte Jhnen daher fuͤr Jhr guͤtiges Schreiben meinen Dank ab.
Als Sie mir durch Jhre vortheilhafte Ge - ſinnung gegen mich vorzuͤgliche Ehre erwieſen: gab ich Jhnen zu erkennen, mein Herr, daß ich gern ledig bleiben wollte. Und ich ſagte Jhnen darinn die Wahrheit.
Da mir das aber nicht erlaubt war, und ich die verſchiedne Cavalliers, welche mir vorgeſchla - gen waren, nach einander betrachtete, und Urſache hatte zu glauben, daß nicht einer unter ihnen waͤ - re, gegen deſſen Lebensart oder Grundſaͤtze nicht einige Einwendung zu machen ſtuͤnde: ſo wuͤrde es nicht ſehr zu bewundern geweſen ſeyn, wennes151es der Einbildung uͤberlaſſen waͤre, einen Vor - zug zu beſtimmen, wo der Verſtand ſchwerlich einen Ausſchlag geben konnte.
Es ſey ferne von mir, daß ich dieß in der Abſicht ſagen ſollte, Jhnen etwas vorzuwerfen, mein Herr, oder auf Sie zu ſticheln. Jch habe Jhnen allezeit Gutes gewuͤnſchet. Sie hatten Urſache, dieß von mir zu denken. Sie waren ſo edelmuͤthig, daß Sie ſich mein ungeheucheltes Bezeigen gegen Sie gefallen ließen: gleichwie mir das Jhrige gegen mich gefiel. Es iſt mir aber leid, itzo zu hoͤren, daß die Beruhigung, wel - che Sie mir zu gefallen anzunehmen geſucht, Jh - nen ſo viele Beſchwerden verurſachet habe.
Waͤre mir nach der Zeit die Wahl, wovon ich Erwaͤhnung gethan habe, freygelaſſen; wie ich nicht nur wuͤnſchte, ſondern wirklich vorſchlug: ſo wuͤrde das nicht geſchehen ſeyn, was geſchehen iſt. Allein es iſt eine Art des Verhaͤngniſſes geweſen, wodurch unſere ganze Familie, wie ich ſagen mag, getrieben worden, und welches keinem von uns zu vermeiden erlaubt geweſen. Dieß iſt aber eine Sache, daruͤber man ſich nicht weitlaͤuftig einlaſ - ſen kann.
Wie die Umſtaͤnde itzo ſind: ſo habe ich nur zu wuͤnſchen, und zwar um Jhrer ſelbſt willen, daß Sie die guten Regungen in Jhrem Gemuͤ - the, denen viele Stellen in Jhrem guͤtigen und großmuthsvollen Briefe, welchen ich itzo vor mir habe, zuzuſchreiben ſeyn muͤſſen, unterhalten und ſtaͤrken moͤgen. Glauben Sie ſicherlich, meinK 4Herr152Herr, daß dergleichen Regungen, wofern ſie zu ei - ner Fertigkeit gebracht ſind, Jhnen zu einer Zeit, da es ſonſt nichts thun kann, Vergnuͤgen ſchaffen werden. Laſſen ſie ſich aber itzo in Jhren Hand - lungen und in Jhrem Umgange erblicken: ſo wer - den ſie Sie bey den wuͤrdigſten Perſonen unſeres Geſchlechtes beliebt machen. Denn derjenige, mein Herr, der ſo wohl nach ſeiner freywilligen Entſchließung, als durch Erziehung tugend - haft iſt, hat eben die Eigenſchaft an ſich, welche das menſchliche Geſchlecht adelt, und ohne welche die Vornehmſten von Geburt oder Stande un - edel ſind.
Was den Vorſatz betrifft, den Sie ſo heilig faſſen, ſich, ſo lange als ich lebe, nicht zu verhey - rathen: ſo wuͤrde ich desfalls bekuͤmmert ſeyn; wenn ich nicht eine ſittliche Gewißheit haͤtte, daß Sie ihn ohne Jhren Schaden erfuͤllen moͤgen. Denn wenige, ſehr wenige Tage werden Sie uͤberzeugen, daß ich uͤber alle menſchliche Gewalt erhoͤhet ſey ‒ ‒ und daß es des Schutzes und der Gewogenheit nicht beduͤrfe, welche Sie ſo edelmuͤthig anbieten, mein Herr,
Jhrer verbundenen Freundinn und gehorſamen Dienerinn Cl. Harlowe.
Verwichenen Abend, um die Zeit, da der arme Belton begraben wurde, ſo genau als wir es nach unſerer Vermuthung treffen konnten, tranken wir, der Lord M. Mowbray und ich, ein - mal zum Andenken des ehrlichen Thomas Belton; aber auch durch einen geſchwinden Uebergang zu den Lebendigen, auf die Geſund - heit der Fraͤulein Harlowe, welches der Lord M. auf eine hoͤfliche Art ausbrachte, und auf die gluͤckliche Ausſoͤhnung: und darauf ſtießen wir zur Erinnerung des ehrlichen Bruder Belfords an, der ſeit kurzem, wie wir alle ge - ſtunden, ein brauchbarer und leutſeliger Mann ge - worden, und die Gelegenheit ſeinen Freunden zu dienen ſeinen eignen Vortheilen vorzoͤge.
Allein was hat es zu bedeuten, daß ich keine Nachricht von dir bekomme(*)Herr Belford hatte ſeinen zuletzt geſchriebenen Brief noch nicht abgeſchickt. Seine Urſachen da - zu ſiehet man im vorhergehenden VIII Briefe.? Warum eroͤff - neſt du mir nicht, woher die ploͤtzliche AusſoͤhnungK 5meiner154meiner Geliebten mit ihren Freunden komme, und was die Urſache ſey, daß ſie mich ſo großmuͤthig einladet, nach Verlauf einiger Zeit in ihres Va - ters Haus zu ihr zu kommen?
Du mußt itzo gewiß um das Geheimniß wiſ - ſen: und ich kann dir ſagen, ich werde gewaltig eiferſuͤchtig ſeyn, wo irgend etwas zwiſchen mei - nem Engel und dir vorgeht, das vor mir geheim gehalten werden ſoll. Denn entweder ich bin ei - ne Hauptperſon in dieſer Sache, oder ich bin nichts. Jch habe meinen Wilhelm eiligſt abge - fertigt, damit ich die Urſache deiner Nachlaͤßigkeit erfahre.
Aber ich muß dir ein oder ein paar Worte ins Ohr ſagen. Jch fange an zu beſorgen, nach - dem ich alles uͤberlege, daß dieſer Brief nur ein Kunſtgriff geweſen, mich aus London zu bringen, und ſonſt zu nichts diene: denn fuͤrs erſte meldet mir Tourville in einem Briefe, den ich heute fruͤ - he bekommen habe, daß ſich die Fraͤulein wirklich ſehr ſchlecht befindet ‒ ‒ Es iſt mir von ganzem Herzen leid! ‒ Dieß, wirſt du ſagen, mag ich als eine Urſache anſehen, warum ſie noch nicht abreiſen kann: allein hiernaͤchſt habe ich auch an der andern Seite nur erſt geſtern Abends ge - hoͤret, daß ihre Familie noch eben ſo unverſoͤhn - lich iſt, als ſie jemals geweſen; und mein Lord und ich erwarten eben dieſen Nachmittag einen Be - ſuch von dem Obriſten Morden, welcher willens iſt, wie es ſcheint, mich wegen meiner Geſinnung gegen ſeine Baſe zu befragen.
Dieß155Dieß uͤberzeuget mich, daß, wo ſie ihnen von meinem Erbieten gegen ſie Nachricht gegeben hat, ſie nicht glauben wollen, daß es mein Ernſt ſey, bis ſie davon aus meinem eignen Munde verſi - chert ſind. Außer dem aber vernehme ich, daß der uns zugedachte Beſuch eine freywillige Dienſt - fertigkeit von Morden ſelbſt ſey, ohne das Ver - langen irgend jemandes von ihren Freunden.
Nun ſage mir, Bruder, was kann ein Menſch aus allen dieſen Dingen machen? An meiner Nachricht, daß die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Fami - lie noch fortdaure, iſt nicht zu zweifeln: und was kann man gleichwohl ſagen, wenn ich ihren Brief leſe? Gewiß das liebe, kleine, ſchelmiſche Kind wird doch nicht luͤgen.
Jch habe niemals gefunden, daß ſie von ih - rem Worte abgegangen waͤre, ausgenommen ein - mal: und das war, da ſie verſprach, mir zu ver - geben, nach dem ſchrecklichen Feuer, welches bald in unſerer Mutter Hauſe entſtanden waͤre, und mich dennoch des folgenden Tages nicht ſehen wollte, auch hernach ihre Flucht nach Hampſtead nahm, damit ſie mir nicht vergeben duͤrfte. Weil ſie aber dieſe Abweichung von ihrem auf Ehre gegebenen Verſprechen hart und ſchmerzlich empfunden hat; denn es iſt fuͤr fromme Leute ei - ne betruͤbte Sache, ihr Wort zu brechen, wenn es in ihrer Gewalt ſtehet, daſſelbe zu halten: ſo ſollte man nicht vermuthen, daß ſie wieder einen Betrug vornehmen wuͤrde; ſonderlich auf eine ſo vorſetzliche Art, als es beym Schreiben ge -ſchiehet. 156ſchiehet. Jhr werdet vielleicht fragen: Wel - cher ehrlicher Menſch iſt verbunden, einem Straſ - ſenraͤuber ſein Wort zu halten? Denn ich kenne eure unartige Weiſe wohl, Vergleichungen zu ma - chen. Allein ich ſage, ein jeder ehrlicher Menſch iſt es allerdings verbunden: und ich will es euch mit einem Beyſpiel erlaͤutern.
Setzet, es komme ein raͤuberiſcher Kerl, der euch das Piſtol auf die Bruſt ſetze und euer Geld fordere: ihr aber habt weder Geld noch Geldes - werth bey euch, und verſprechet heilig, wo er euch das Leben ſchenken will, daß ihr ihm an einem gewiſſen Tage, an einen gewiſſen Ort, eine verab - redete Summe ſchicken wollet. Die Frage iſt: Ob euer Leben nicht in des Kerls Gewalt ſtehe?
Wie er zu dieſer Gewalt gekommen, das iſt eine andere Frage: und das muß er mit dem Le - ben verantworten; wenn er ergriffen wird ‒ ‒ So lauft er Gefahr fuͤr Gefahr.
Wenn er euch nun euer Leben ſchenket: giebt er euch denn nicht etwas ſchaͤtzbares und be - traͤchtliches fuͤr das Geld, welches ihr ihm auf eure Ehre zu ſenden verſprechet? Wo nicht: ſo muß die Summe ſehr uͤbermaͤßig, oder euer Le - ben, ſelbſt in euren eignen Gedanken, etwas ſehr nichtswuͤrdiges ſeyn.
Jch brauche die Anwendung nicht zu ma - chen: und ich bin verſichert, daß du ſo gar ſelbſt, da du doch meiner niemals ſchoneſt, und mein Herz durch dein eignes zu kennen glaubeſt, denFall157Fall auf keine moͤgliche Art ſtaͤrker und klaͤrer ge - gen mich ſetzen kannſt.
Warum nehmen ſich hiernaͤchſt fromme Leu - te heraus, ſtrenge Urtheile wider Perſonen, die ſich weniger Gewiſſen machen, als ſie ſelbſt, zu faͤllen? Geſchieht es nicht deswegen, weil ſich die letztern manche Freyheiten verſtatten, um eine Sache durchzuſetzen? Kann aber wohl die Unter - laſſung meiner Pflicht einen andern wegen Un - terlaſſung der ſeinigen rechtfertigen? Du wirſt es nicht behaupten.
Und wie wuͤrde es klingen, daß ich noch ein - mal den Fall, ſo wohl der That, als den Wor - ten nach, ſo hart ſetze, als ihn mein groͤßter Feind ſetzen wuͤrde: Hier hat der verruchte Boͤſewicht, Lovelace, ſein Geluͤbde gebrochen, und die Fraͤu - lein Clariſſa Harlowe betrogen ‒ ‒ Ein ſchaͤndli - cher Kerl! wuͤrde ein Feind ſagen: aber es ſieht ihm aͤhnlich. Allein wenn es hieße, die fromme Fraͤulein Clariſſa Harlowe habe ihr Wort gebro - chen und Herrn Lovelacen betrogen: ſo wuͤrde ein jeder ſagen: Himmel! gewiß das kann nicht ſeyn!
Bey meiner Seele, Bruder, die Ehrerbie - tung, welche ich gegen dieß bewundernswuͤrdige Frauenzimmer trage, iſt ſo groß, daß es mir aͤr - gerlich iſt, nur bloß den Fall zu ſetzen: und ſo wird es dir auch ſeyn; wo du gegen ſie die Hoch - achtung hegeſt, welche du billig hegen mußt. Denn du weißt, daß alle Manns - und Weibsper - ſonen in der ganzen Welt ihre Meynungen voneinan -158einander nach den Geſtaͤndniſſen und bekann - ten Handlungen einer jeden Perſon einrichten. An dieſer Fraͤulein wuͤrde es daher eben ſo we - nig zu verzeihen ſeyn, wenn ſie mit Vorſatz ei - ne Unwahrheit ſagte, als es ſeltſam ſeyn wuͤrde, wenn ich mein Wort hielte ‒ ‒ Jn Liebesſachen, meyne ich: denn in allen uͤbrigen Dingen bin ich ein ehrlicher ſittſamer Mann, wie alle, die mich kennen, bezeugen koͤnnen.
Was wuͤrde dieſe Fraͤulein, bey genauer Ueberlegung, verdienen, wo ſie mich in dieſem Fall betrogen hat? Denn machte ſie nicht, daß ich mich auf dem beſten Gaul des Lords M. bruͤ - ſtete, und mit einem muntern und ſieghaften Ge - ſichte, zu der Lady Sarah und Lady Eliſabeth be - gab, um ihnen ihren Brief an mich zu zeigen? Jch habe auch von beyden die Gluͤckwuͤnſche dar - uͤber angenommen. Gut, Vetter Lovelace, rief die eine: Gut, Vetter Lovelace, rief die andere; nun hoffe ich, daß ſie ſich als den beſten Ehemann gegen eine ſo vortreffliche und verſoͤhnliche Fraͤu - lein beweiſen werden! Und nun werden wir bald das Vergnuͤgen haben, ſie als einen Menſchen, der ſich gebeſſert hat, anzuſehen, ſetzte die eine hin - zu! Und nun werden wir ſie in dem Zuſtande ſehen, in welchem wir ſie ſo lange zu ſehen gewuͤn - ſchet haben, frohlockte die andere!
Meine Baſen Montague haben ſich auch be - ſtaͤndig ſeit der Zeit uͤber die neue Verwandtſchaft gefreuet. Jhre reizende Baſe, und ihre liebens - wuͤrdige Baſe, heißt es bey jedem Worte! ‒ ‒Wie159Wie herzlich wollen ſie dieſelbe lieben! ‒ ‒ Was fuͤr gute Lehren wollen ſie von ihr annehmen! ‒ ‒ Dennoch wollte Charlotte, welche Adlersaugen haben will, in der Schreibart und Einkleidung der Gedanken etwas Geheimnißvolles finden, bis ich ſie uͤbertaͤubte und desfalls auslachte.
Der Lord M. hat von einer Stunde zur an - dern gewartet, daß von der Harloweiſchen Fami - lie Vorſchlaͤge von einer oder der andern Art an ihn geſchickt werden ſollten: und will noch immer behaupten, daß der Obriſt Morden ſolche Vor - ſchlaͤge thun werde, wenn er kommt, und daß das Harloweiſche Haus nur den Schein der Unver - ſoͤhnlichkeit annehme, bis ſie den Ausſchlag von Mordens Beſuch erfahren, damit ſie auf deſto beſſere Bedingungen mit uns ſchließen koͤnnen.
Jn der That, wenn ich nicht, wie geſagt, unleugbare Gruͤnde haͤtte zu glauben, daß ihre Feindſeligkeit gegen mich, und ihre Unverſoͤhn - lichkeit gegen die Fraͤulein noch fortdaurete: ſo wuͤrde ich denken koͤnnen, daß die Muthma - ßung meines Lords einigen Grund haͤtte. Denn es herrſcht verflucht viele niedertraͤchtige Argliſt iu dieſer ganzen Familie: nur allein nicht in dem Engel unter derſelben, welcher ſo edel und groß - muͤthig geſinnt iſt, daß er alle Argliſt, ſo wohl dem Namen, als der That nach, verachtet.
Meine Abſicht bey dieſem allen iſt, dir zu zeigen, was fuͤr eine alberne Perſon ich ſelbſt bey meiner ei - gnen ganzen Familie ſpielen wuͤrde, wo meine Cla - riſſa im Stande geweſen iſt, wie es Gulliver in ſeinerſcheus -160ſcheuslichen Yahoo-Geſchichte ausdruͤcket, das zu ſagen, was nicht iſt. Bey meiner Seele, Bru - der, wenn es auch weiter nichts waͤre, als daß ich von einer ſolchen Schuͤlerinn in Raͤnken durch Witz uͤberwaͤltigt ſeyn ſollte, und daß es mir hier bey meinen Verwandtinnen, welche wiſſen, wie viel ich mir auf meine Erfindungen zu gute thun, das Anſehen eines Einfaͤltigen geben wuͤr - de: ſo wuͤrde es mich ſchon herzlich kraͤnken; und ich wollte den Augenblick ein Federbette in eine Kutſche mit ſechſen werfen, ſie abholen, ſie moͤchte krank oder geſund ſeyn, und mich nach meinem Belieben mit ihr vermaͤhlen.
Allein der Obriſt Morden iſt gekommen und ich muß abbrechen.
Jch vermuthe wohl, ihr werdet hoͤchſt ungedul - tig ſeyn, daß ihr ſeit meinem letztern vom verwichenen Donnerſtage keine Nachricht von mir bekommen habt. Jhr wuͤrdet noch ungedul - tiger ſeyn, wenn ihr wuͤßtet, daß ich einen Brief fertig bey mir haͤtte.
Jch161Jch begab mich geſtern fruͤhe nach Epſom, und fand alles nach denen Verordnungen, die ich am Freytage hinterlaſſen hatte, bereit. Des Abends ward die feyerliche Beerdigung vollzogen. Tourville war zugegen, und fuͤhrte ſich ſehr an - ſtaͤndig auf; ließ auch mehr Betruͤbniß blicken, als ich gedacht haͤtte, daß er jemals uͤber irgend jemand wuͤrde bezeigt haben.
Thomaſine war, wie man mir erzaͤhlte, ge - wiſſermaßen verkleidet, in einem dunkeln Kirchen - ſtuhl: aus Neubegierde, demjenigen, deſſen Herz ſie ſo uͤberfluͤßig zu brechen geholfen hatte, den letzten Liebesdienſt erwieſen zu ſehen. Denn es ſcheint, daß es weit von ihr entfernt geweſen, ei - nige Zeichen der Betruͤbniß blicken zu laſſen.
Jch ward genoͤthigt, bis dieſen Nachmittag zu bleiben, damit ich verſchiedne noͤthige Dinge zur Richtigkeit braͤchte, und Anſtalt zu den Ver - zeichniſſen von dem hinterlaſſenen Geraͤthe mach - te, um es ſchaͤtzen zu laſſen. Denn nach ſeinem letzten Willen ſoll alles zu Gelde gemacht werden. Jch ſchenkte ſeiner Schweſter die hundert Gui - neas, welche der arme Mann mir fuͤr die Vollzie - hung ſeines Teſtaments vermacht hat, und bat ſie in dem Hauſe zu bleiben und die Aufſicht uͤber alles auf ſich zu nehmen, bis ich von ſeinem Vet - ter zu Antigoa, der den Geſetzen nach Erbe iſt, Nachricht haben koͤnnte. Er hatte ihr nur funfzig Pfund St. vermacht: ob er gleich ihre Duͤrftigkeit gewußt, und ihm auch wohl bekannt geweſen, daß ſie durch die Schuld eines ſchaͤndli -Siebenter Theil. Lchen162chen Ehegatten, und nicht durch ihr eignes Verſe - hen, duͤrftig waͤre.
Der arme Mann hat etwa zweyhundert Pfund St. an Gelde, und zwey hundert Pfund St. in zwoen Handſchriften von der Oſtindiſchen Handelsgeſellſchaft, hinterlaſſen. Jch will es ſo anſtellen, wo es moͤglich iſt, daß ich die funfzig Pfund der armen Frauen und meine hundert Gui - neas bis auf zweyhundert Pfund bringe: alsdenn wird ſie ein wenig gewiſſes haben; und das, ſoll ſie ſich gegen mich verbindlich machen, einem Sohn, der das Ungluͤck vollkommen gemacht hat, was ſein Vater beynahe ſchon zugerichtet hatte, nicht in die Haͤnde zu geben.
Jch habe Tourvillen ſeine zwanzig Pfund ge - geben, und will euch und Mowbrayen die eurigen durch die erſte Gelegenheit, die ihr dazu beſtellen werdet, ſchicken. So viel von des armen Bel - tons Angelegenheiten, bis ich euch ſelbſt ſehe.
Jch kam gegen Abend zu London an, und ging geradesweges zu Smithen. Jch fand Fr. Lovick und Fr. Smithinn in dem hintern Laden, und ſahe, daß ſie beyde geweint hatten. Sie freueten ſich, inzwiſchen, mich zu ſehen, und mel - deten mir, daß der Arzt und Herr Goddard, wie auch der rechtſchaffene Geiſtliche, welcher oft zu ihr kommt, mit ihr zu beten, eben weggegangen, und alle drey der Meynung waͤren, ſie wuͤrde ſchwerlich noch den Anfang von einer neuen Wo - che erleben. Jch ward dadurch nicht ſo ſehr be - ſtuͤrzt als betruͤbt gemacht: denn ich hatte ebendas163das ſchon beſorget, als ich ſie am Sonnabend verließ.
Jch ließ ihr meine Empfehlung machen: und ſie ließ mir wieder zuruͤckſagen, daß ſie es fuͤr eine Gewogenheit anſehen wuͤrde, wenn ich morgen fruͤhe um acht Uhr bey ihr anſprechen wollte. Fr. Lovick erzaͤhlte mir, daß ſie am Sonnabend in Ohnmacht gefallen, weil ſie geſchrieben haͤtte. Dieß waͤre ihr des vorigen Tages ebenfalls be - gegnet: und weil ſie damals durch eine kleine Veraͤnderung in einer Saͤnfte Erleichterung ge - funden; ſo haͤtte ſie ſich wieder wegtragen laſſen. Sie waͤre etwas beſſer zu Hauſe gekommen und haͤtte ſpaͤt geſchrieben, aber doch eine gute Nacht gehabt. Des Morgens waͤre ſie in die Kirche beym Covent-Garden gegangen: allein ſo ſchlecht wieder zu Hauſe gekommen, daß ſie genoͤthigt worden, ſich niederzulegen.
Als ſie aufſtand, und ſahe, wie ſehr Fr. Lovick und Fr. Smithinn um ſie bekuͤmmert waren: ent - ſchuldigte ſie ſehr nachdruͤcklich die Unruhe, welche ſie ihnen machte ‒ ‒ Sie waren gluͤcklich, ſagte ſie, ehe ich zu ihnen kam. Es war etwas Grau - ſames von mir, daß ich zu ehrlichen fremden Leu - ten kam, und bey ihnen krank bin und ſterbe.
Da ſie der Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde Erwaͤhnung thaten: ſprach ſie, es waͤren ihr bey denſelben uͤble Dienſte geleiſtet, und ſie wuͤßten nicht, wie ſchlecht ſie ſich befaͤnde, wuͤrden auch nichts glauben, was ſie ſchreiben moͤchte. Den - noch koͤnnte ſie bisweilen es nicht anders, als fuͤrL 2ein164ein wenig hart anſehen, daß ſie ſo viele nahe und werthe Freunde am Leben haben ſollte, und doch nicht einen, der ſich um ſie bekuͤmmerte ‒ ‒ Nicht eine alte Bedientinn, nicht eine alte Freundinn, ſagte ſie, der es erlaubt waͤre, zu ihr zu kommen, ohne daß dieſelbe verſichert ſeyn muͤßte, misfaͤllig zu werden; da ſie allein, ſo jung als ſie waͤre, ein ſo wichtiges Werk auszufuͤhren, und an alles, was ihre zeitliche Umſtaͤnde betraͤfe, bis auf ihr Begraͤbniß ſelbſt, zu denken und deswegen An - ſtalten zu machen haͤtte! ‒ ‒ Keine liebe Mutter, ſagte ſie, die mit mir bete und mir den Segen er - theile! ‒ ‒ Keine liebreiche Schweſter, die mir freundlich zurede und Troſt zuſpreche! ‒ ‒ Allein es mag ſeyn, fuhr ſie fort: wie weiß ich, ob nicht alles zum Beſten diene; ‒ ‒ wofern ich mir die Wege der Fuͤrſehung nur gehoͤrig zu Nutze ma - chen kann? ‒ ‒ Beten ſie fuͤr mich, Fr. Lovick ‒ ‒ Beten ſie fuͤr mich, Fr. Smithinn, daß ich es thun moͤge ‒ ‒ Jch habe ihr Gebeth hoͤchſt noͤthig. ‒ ‒ Der grauſame Menſch hat mich ganz aus meiner Faſſung gebracht. Seine Ver - folgungen haben mir eine Quaal zuwege gebracht, die ich eben hier fuͤhle ‒ ‒ Sie legte hierbey die Hand an ihr Herz ‒ ‒ Was fuͤr einen Schritt hat er mich zu thun genoͤthiget, damit ich von ihm frey ſeyn moͤchte! ‒ ‒ Wer kann Pech angrei - fen und ſich nicht beſudeln? Er hat gemacht, glaube ich, daß mich ein boͤſer Geiſt eingenommen hat ‒ ‒ Er hat ſich wider mich geſetzet, mich in allen meinen Pflichten zu ſtoͤren. Und mir iſtbange,165bange, daß er mich noch nicht in Ruhe laſſen wer - de. Jn Wahrheit, er iſt ſehr grauſam ‒ ‒ Al - lein dieß iſt eine von meinen Verſuchungen, glau - be ich. Durch Gottes Gnade werde ich morgen geruhiger ſeyn: ſonderlich wo ich nicht mehr von ihm gequaͤlet werde, und eine ertraͤgliche Nacht haben kann. Jch will bis eilfe aufbleiben, damit ich ſie haben moͤge.
Sie ſagte, daß, ob dieſer Tag gleich ſo ſchwer fuͤr ſie geweſen waͤre, ihr dennoch zu andern Zei - ten, ſonderlich in den wenigen letztverwichnen Ta - gen, heitere Stunden verliehen worden. Vor - nehmlich haͤtte ſie bisweilen ſolche freudige Verſi - cherungen von Gott zu ſeiner Gnade aufgenom - men zu werden, welche ihrer Hoffnung nach nicht eingebildet ſeyn wuͤrden, daß ſie ſich kaum halten koͤnnte, und geneigt waͤre, ſich uͤber dieſe Welt hinausgeſetzt zu achten, da ſie noch in derſelben waͤre. Und was, ſchloß ſie hieraus gegen Fr. Lovick, was muß der Zuſtand ſelbſt ſeyn: da ſchon das Verlangen nach demſelben oft ein ſtrahlendes Licht durch die dickeſte Finſterniß geworfen, und wenn ich am niedrigſten geſunken geweſen, die ſchwarzen Wolken der Verzweifelung aus einan - der getrieben hat? ‒ ‒ Jch hoffe, es werde auch bald dieſen Geiſt des Murrens vertreiben.
Sie hatte darauf eine ſehr gute Nacht, wie es ſcheint, und begab ſich dieſen Morgen in einer Saͤnfte nach St. Dunſtans Kirche.
Die Saͤnftentraͤger erzaͤhlten der Fr. Smi - thinn, daß ſie ſie nach der Bethſtunde; denn ſieL 3kam166kam nicht eher als zwiſchen neun und zehn wieder zuruͤck; zu einem Hauſe auf der Fleet-Street getragen haͤtten, wo ſie vorher noch niemals auf ſie gewartet. Wo, meynſt du wohl, iſt es gewe - ſen? ‒ ‒ Bey einem Tiſchler! Großer Gott! was iſt dieß fuͤr ein Frauenzimmer! Sie ging in den hintern Laden und redete mit dem Meiſter beynahe eine halbe Stunde. Hierauf kam ſie mit einem ſehr heitern Weſen von ihm heraus: und er begleitete ſie mit einem ehrerbietigen, aber neu - begierigen und ernſthaften Geſichte, bis an ihre Saͤnfte.
Es iſt offenbar, daß ſie damals ihr Haus be - ſtellt habe, wovon ſie geredet hatte(*)Siehe den vorhergehenden VIIIten Brief nicht weit vom Ende. ‒ ‒ So bald als ſie koͤnnen, mein Herr, waren ihre Worte zu ihm, als ſie in die Saͤnfte ſtieg. Fr. Smithinn erzaͤhlte mir dieß mit eben der Ver - wunderung und Betruͤbniß, womit ich es an - hoͤrte.
Sie befand ſich des Nachmittags ſo ſchlecht, weil ſie entweder in St. Dunſtans Kirche, oder in der Kapelle, kalt geworden war, daß ſie nach dem Geiſtlichen ſchickte, um mit ihr zu beten: und die Frauensleute ſandten ohne ihr Wiſſen nach dem D. H. und Hrn. Goddard; welche, wie geſagt, eben weggegangen waren, als ich heu - te Abends kam, ihr meine Aufwartung zu ma - chen.
Und167Und ſo habe ich dir nach dem Bericht der gu - ten Frauen wieder erzaͤhlet, was ſeit meiner Ab - weſenheit bis auf dieſen Abend vorgefallen iſt.
Mich verlangt nach dem morgenden Tage, damit ich ſie ſehen moͤge: und gleichwohl iſt es ein ſo trauriges Verlangen, als ich niemals em - pfunden habe und nicht zu beſchreiben weiß.
Jch war eine halbe Stunde nach ſieben in Smi - thens Hauſe. Sie erzaͤhlten mir, daß die Fraͤulein ſich nach St. Dunſtans Kirche tragen laſſen, aber ſich beſſer befaͤnde, als an einem von den beyden vorhergehenden Tagen, und, wie ſie in die Saͤnfte geſtiegen waͤre, zu der Fr. Lovick und Fr. Smithinn geſagt haͤtte: Jch habe Jhnen, meine liebe Freundinnen, wegen meines verdries - lichen Geſpraͤchs von geſtern, Abends, viele Ent - ſchuldigung zu machen.
Wo mir nicht aufs neue etwas begegnet, Fr. Lovick, ſprach ſie mit Laͤcheln, das mich in Unord - nung bringet: ſo glaube ich, werden meine Lebens - geiſter ganz rein aushalten.
Sie kam alſobald nach der Bethſtunde wie - der zu Hauſe.
Herr Belford, ſagte ſie, als ſie in den hintern Laden, wo ich war, hineintrat und ich ihr entgegen ging, es iſt mir ſehr lieb, daß ich ſie ſehe. Sie haben ihrem armen Freunde einen liebreichen letz - ten Dienſt erwieſen. Es iſt nicht lange, daß ſie eben das bey einem nahen Anverwandten gethan. L 4Kommt168Kommt es ihnen nicht ein wenig hart vor, daß ih - nen dieſe Unruhen ſo oft und bald nach einander zufallen? Jedoch es ſind Liebesdienſte: und es gereichet ihrer leutſeligen Geſinnung zu einem Ruhme, daß arme Sterbende nicht wiſſen, wo ſie ſo gut waͤhlen ſollen.
Jch gab ihr zu erkennen, daß es mir leid zu hoͤren geweſen, daß ſie ſich ſo ſchlecht befunden haͤt - te, ſeit dem ich die Ehre gehabt, ihr aufzuwarten; aber angenehm waͤre, zu finden, daß es itzo ein gutes Theil beſſer mit ihr zu ſeyn ſchiene.
Es wird mit elenden Leuten, verſetzte ſie, bald beſſer, bald ſchlimmer ſeyn, wenn ſie zwiſchen Le - ben und Tod ſchweben. Allein nicht mehr von dieſen Dingen fuͤr itzo. Jch hoffe, mein Herr, ſie werden ſich gefallen laſſen, das Fruͤhſtuͤck bey mir zu nehmen. Geſtern war ich ganz verdries - lich. Jch hatte einen recht boͤſen Geiſt auf dem Halſe. Nicht wahr, Fr. Smithinn? Aber ich hoffe, ich werde nicht mehr ſo ſeyn: und heute bin ich vollkommen munter und vergnuͤgt. Dieſer Tag faͤngt ſo bey mir an, als wenn er heiter ſeyn wuͤrde.
Sie bat mich, hinaufzugehen und lud auch Herrn Smith, und ſeine Frau und Fr. Lovick ebenfalls ein, mit ihr zu fruͤhſtuͤcken. Mir ge - fiel ihre Munterkeit beſſer, als ihr Anſehen.
Da die guten Leute nach dem Fruͤhſtuͤck weg - gingen: ſo fiel folgende Unterredung zwiſchen uns vor.
Erlau -169Erlauben ſie mir, mein Herr, waren ihre Worte, ſie zu fragen, ob ſie gedenken, daß ich mir verſprechen darf, von ihrem Freunde nicht mehr beunruhigt zu werden?
Jch ſtockte: denn wie konnte ich fuͤr einen ſolchen Menſchen Gewaͤhr leiſten.
Was ſoll ich thun, wo er wieder kommt? ‒ ‒ Sie ſehen, wie ich mich befinde. ‒ ‒ Jch kann nun nicht vor ihm fliehen ‒ ‒ Wo er noch eini - ges Mitleiden gegen das arme Frauenzimmer, das er ſo weit heruntergebracht, uͤbrig hat: ſo laſſen ſie ihn nicht kommen. ‒ ‒ Allein haben ſie neulich Nachricht von ihm? Und will er kom - men?
Jch hoffe nicht, gnaͤdige Fraͤulein: ich habe ſeit verwichenem Donnerſtage keine Nachricht von ihm, da er aus London gegangen iſt, voller Freu - de in der Hoffnung, die ihm ihr Brief zu einer Ausſoͤhnung zwiſchen ihren Freunden und ihnen gemacht hat, und daß er ſie zu rechter Zeit in ih - res Vaters Hauſe ſehen moͤchte. Er iſt hinunter gereiſet, allen ſeinen Verwandten durch dieſe Zei - tung eine Freude zu machen und thut ſich viel dar - auf zu gute.
Wehe mir! So werde ich ihn gewiß wieder hier haben, mich zu verfolgen! So bald als er merkt, daß das bloß eine Liſt geweſen, ihn abzu - halten, wird er wiederum herauf kommen: und wer weiß, ob er nicht ſo gar ſchon itzo auf dem Wege iſt? Jch dachte, es waͤre ſo ſchlecht mit mir, daß ich ſchon eher, als itzo, ihm und einemL 5jeden170jeden aus dem Wege ſeyn wuͤrde: denn ich ver - muthete nicht, daß dieſe Erfindung mir uͤber zween oder drey Tage dienen ſollte. Eben um dieſe Zeit muß er ſchon erfahren haben, daß ich nicht ſo gluͤcklich bin, irgend eine Hoffnung zur Ausſoͤh - nung mit meiner Familie zu haben: und ſo wird er kommen; ſollte es auch nur zur Rache fuͤr das, was er einen Betrug nennen wird, geſchehen.
Jch glaube, ich ſahe beſtuͤrzt aus, weil ich von ihr das Geſtaͤndniß hoͤrte, daß ihr Brief bloß eine Liſt waͤre. Denn ſie ſagte: Sie wundern ſich, Hr. Belford, wie ich bemerke, daß ich ver - moͤgend geweſen bin, mich eines ſolchen Kunſtgriffs ſchuldig zu machen. Jch beſorge, daß es nicht recht iſt: allein wie konnte ich einen Menſchen ſe - hen, der mich ſo toͤdtlich beleidigt hatte, und doch eben zu der Zeit, da er wegen ſeiner Verbrechen betruͤbt zu ſeyn vorgab und mich gern ſehen wollte, ſich ſo aͤrgerlich und leichtſinnig auffuͤhren konnte, als er ſich gegen die ehrlichen Leute hier im Hau - ſe auffuͤhrte? Gleichwohl iſt es auch etwas ſeltſa - ſames, daß weder ſie, noch er, bey Durchleſung meines Briefes, meinen Sinn getroffen. Sie haben ſonder Zweifel geſehen, was ich geſchrieben habe?
Ja, gnaͤdige Fraͤulein, ich habe es geſehen. Und darauf fing ich an, es als eine unſchuldige Liſt zu rechtfertigen.
Jn ſo weit iſt ſie freylich unſchuldig, mein Herr, daß ich dabey keine Abſicht gehabt habe ihm zu ſchaden, und zu dem Erfolg, den ich da -von171von erwartete, berechtigt geweſen bin. Allein haben ſie ſeinen Brief, mein Herr, in welchem er, wie ich vermuthe, ihnen die Abſchrift von dem meinigen ertheilet?
Ja, gnaͤdige Fraͤulein, ich habe ihn: und darauf zog ich ihn aus meinem Brieffutter. Jch ſtutzte aber ‒ Ey, mein Herr, ſeyn ſie ſo gut, ſprach ſie, und leſen meinen Brief fuͤr ſich ſelbſt ‒ ‒ Jch verlange ſeinen nicht zu ſehen ‒ ‒ Se - hen ſie zu, ob ihnen ein Verſtand, der ſo leicht in die Augen faͤllt, laͤnger fremd ſeyn kann.
Jch las ihn fuͤr mich ſelbſt. ‒ ‒ Jn Wahr - heit, gnaͤdige Fraͤulein, ich kann nichts anders da - rinn finden, als daß ſie nach Harlowe-Burg ab - gehen werden, um ſich mit ihrem Vater und ihren andern Freunden wieder auszuſoͤhnen: und Herr Lovelace vermuthete, daß ein Brief von ihrer Schweſter, den er gebracht geſehen, als er in Smi - thens Hauſe geweſen, ihnen dieſe angenehme Zei - tung ertheilet haͤtte.
Darauf erklaͤrte ſie mir alles, und das, wie ich ſagen mag, mit zwey oder drey Worten ‒ ‒ Es liegt ein geiſtlicher Verſtand darunter. Das iſt die Urſache, warum weder ihr, noch ich, ihn haben finden koͤnnen.
Leſen ſie nur, ſprach ſie, ſtatt meines Vaters Haus, Himmel; und fuͤr die Vermittelung mei - nes werthgeprieſenen Freundes ſetzen ſie das Mitt - leramt meines Heilandes, auf welches ich mich in Demuth verlaſſe: ſo wird alles uͤbrige in dem Briefe erklaͤret ſeyn.
Jch172Jch las ihn ſo, und erſtaunte auf einige Au - genblicke uͤber ihre Erfindung, ihre Gottſeligkeit, ihre chriſtliche Liebe, und uͤber deine und meine eigne Einfalt, daß wir ſo betrogen waren.
Was haſt du, ſchaͤndlicher Lovelace, aber nun zu thun: da die Fraͤulein ganz einig mit ſich ſelbſt bleibet und keine Hoffnung fuͤr dich uͤbrig iſt? Was anders, als dich ſelbſt, wie einen durch Witz uͤberwundenen Gegner, der ſchon mit dem Siege prangte, zu erhenken, zu erſaͤufen oder zu erſchie - ßen?
Als meine Beſtuͤrzung ein wenig voruͤber war, fuhr ſie fort: Was den Brief anlanget, der von meiner Schweſter gekommen, da ihr Freund eben hier geweſen: ſo werden ſie bald ſehen, mein Herr, daß es der grauſamſte Brief ſey, den ſie jemals an mich geſchrieben hat.
Hiernaͤchſt bezeigte ſie ſich uͤber die Folgen von dem euch zugedachten Beſuch des Obriſt Mordens aͤußerſt bekuͤmmert: und bat mich, daß, wo ich itzo, oder zu irgend einer Zeit nach dieſem Gele - genheit haͤtte, einem fernern Ungluͤck vorzubeu - gen, ohne ſelbſt daruͤber in Schaden oder Gefahr zu gerathen, ich es thun moͤchte.
Jch verſicherte ſie, daß ich dieſen und alle ihre Befehle mit der groͤßten Aufmerkſamkeit in Acht nehmen wollte: und zwar auf eine ihr ſo ange - nehme Weiſe, daß ſie mir vom Himmel einen Se - gen erbat, fuͤr meine Guͤte, wie ſie ſich ausdruͤckte, gegen ein verlaſſenes Frauenzimmer, das unterdem173dem aͤrgſten Waiſenſtande leiden muͤßte. Dieß waren ihre eigene Worte.
Hierauf kam ſie wieder auf ihre erſte Sache zuruͤck: auf ihre Unruhe, vor Furcht, daß ihr ſie wiederum belaͤſtigen moͤchtet. Wo ſie etwas uͤber ihn vermoͤgen, Herr Belford, ſagte ſie: ſo bewegen ſie ihn, mir die Verſicherung zu geben, daß der kurze Ueberreſt meiner Zeit mir gaͤnzlich als eigen gelaſſen werde. Jch brauche ihn. Jn Wahrheit, ich brauche ihn. Warum will er wuͤnſchen, mich in meiner Pflicht zu ſtoͤren? Hat er mich fuͤr den Vorzug, den ich ihm vor allen an - dern ſeines Geſchlechts gegeben habe, nicht genug geſtrafet? Hat er nicht meinen guten Namen und mein Gluͤck zernichtet? Und wird ſeine un - verſchuldete Rache uͤber mich nicht vollkommen ſeyn, wofern er nicht auch meine Seele ins Ver - derben ſtuͤrzet? ‒ ‒ Verzeihen ſie mir dieſe Hef - tigkeit, mein Herr! Allein es iſt mir viel daran gelegen, zu wiſſen, daß ich von ihm nicht mehr werde beunruhigt werden. Jedoch wollte ich, bey allem dieſem Abſcheu, viel lieber ſeinen Be - ſuch leiden, wenn ich auch den Augenblick, da ich ihn ſehen wuͤrde, den Geiſt aufgeben ſollte, als an irgend einem ungluͤcklichen Misverſtaͤndniſſe zwiſchen ihnen und ihm ſchuld ſeyn.
Jch verſicherte ſie, ich wollte euch die Sache und den Zuſtand ihrer Geſundheit auf eine ſolche Art vorſtellen, daß ich es uͤber mich nehmen koͤnn - te, fuͤr euch Gewaͤhr zu leiſten, daß ihr nicht verſuchen wuͤrdet zu ihr zu kommen.
Aus174Aus dieſer Urſache, Lovelace, lege ich euch die ganze Sache vor, und bitte euch, mir, ſo bald als gegenwaͤrtiges, und mein Brief vom verwichnen Sonnabend, euch zu Haͤnden kommt, Vollmacht zu geben, daß ich ihr ihre Furcht benehme.
Dieß beruhigte ſie ein wenig: und ſie ſagte hiernaͤchſt, daß, wenn ich mich nicht erklaͤret haͤtte, fuͤr euch verſprechen zu koͤnnen, ſie entſchloſſen ge - weſen waͤre, ſo krank ſie auch ſey, ſich an einen an - dern Ort zu begeben, den ich ſo wenig wuͤßte, als ihr. Dennoch, ſprach die arme Fraͤulein, wuͤrde es meine Widerwaͤrtigkeiten vollkommen gemacht haben: wenn ich genoͤthigt worden waͤre, Leute, mit denen ich eben erſt bekannt geworden bin, zu verlaſſen, und unter Wildfremden zu ſterben.
Dieſe Unterredung, befand ich, hatte ſie ſo wohl ihrer Laͤnge, als ihrer Beſchaffenheit wegen, angegriffen: und weil ich ſahe, daß ſie ein oder zweymal die Farbe veraͤnderte; ſo nahm ich da - her Gelegenheit mich zu entſchuldigen, und beur - laubte mich von ihr. Jch bat mir aber die Er - laubniß aus, ihr den Abend, und ſo oft, als moͤg - lich, aufzuwarten. Denn ich konnte mich nicht entbrechen, ihr zu ſagen, daß ich ſie jedesmal, wenn ich ſie ſaͤhe, mehr und mehr als einen feligen Geiſt betrachtete, und als eine ſolche, die vom Himmel geſandt waͤre, mich aus dem ſumpfichten Schlun - de, in welchem ich ſo lange verſunken geweſen, nach ſich zu ziehen.
Lache mich aus, wo du willſt: es iſt aber wahr, daß, ſo oft ich mich zu ihr nahe, ich ſie nichtanders175anders anſehen kann, als wie eine Perſon, die eben in die Geſellſchaft der Heiligen und Engel tritt. Dieſe Vorſtellung hatte mich ſo vollkom - men eingenommen, daß ich mich, da ich wegging, nicht enthalten konnte, ſie um ihr Gebeth und ih - ren Segen zu erſuchen: und zwar mit derjenigen Ehrerbietung, die man einem Engel ſchuldig iſt, und mit einem ſolchen Eifer, als vertraute Freun - de, die auf eine Befoͤrderung warten, bezeigen, wenn ſie ſich eine Perſon geneigt machen wollen, die eben durch die Gnade ihres Fuͤrſten zu einer der oberſten Stuffen der Gewalt erhoben iſt.
Des Abends war ſie ſo matt und ſchwach, daß ich in weniger, als einer Viertelſtunde, mei - nen Abſchied nahm. Jch ging geradesweges zu Hauſe: wo ich nun, zum Vergnuͤgen und zur Bewunderung meiner Baſe und ihrer Familie, manchen guten Abend zubringe; welches ſie eurer Entfernung von London zuſchreiben.
Jch werde mein Packet morgen fruͤhe mit mei - nem eignen Bedienten abſenden, damit ich euch die ungewiſſe Erwartung, worinn ich euch muß gehalten haben, vergelte. Jhr werdet mir dafuͤr danken, hoffe ich: aber nicht dafuͤr, das bin ich verſichert, daß ich euren Diener ohne einen Brief zuruͤckgeſchickt habe.
Mich verlangt, die Umſtaͤnde von der Unter - redung zwiſchen euch und dem Herrn Morden zu erfahren. Die Fraͤulein iſt desfalls voller Sor - ge: wie ich ſchon angezeigt habe. Sendet mir dieß Packet wieder zuruͤck; wenn ihr es durchge -ſehn176ſehn habt: denn ich habe weder Zeit, noch Ge - dult gehabt, eine Abſchrift davon zu nehmen. ‒ ‒ Jch bitte euch, ſetzet mich in den Stand, meine Verpflichtung gegen die arme Fraͤulein, daß ihr ſie nicht wieder uͤberfallen wollet, zu erfuͤllen.
Jch habe euch eine Unterredung zwiſchen der bewundernswuͤrdigen Fraͤulein und dem Dr. H. mitzutheilen, welche einen neuen Beweis von der Ruhe und Freudigkeit geben wird, mit der ſie vom Tode reden und Vorbereitungen dazu machen kann: nicht anders, als wenn es ein ſo gewoͤhnlicher Vorfall fuͤr ſie waͤre, wie ihr An - und Auskleiden.
So bald als ich meinen Bedienten mit mei - nen Briefen vom 26ten, 28ten, und von geſtern dem 29ten, an euch abgefertigt hatte: ging ich hin, ihr meine ſchuldige Aufwartung zu machen, und hatte das Vergnuͤgen, ſie, nach einer leidlichen Nacht, recht munter und aufgeweckt zu finden. Sie war nur eben erſt von ihrer gewoͤhnlichen Andacht zuruͤckgekommen: und der Dr. H. ſtieg aus, als ſie in die Thuͤre trat.
Nach -177Nachdem er ſich erkundigt, wie ſie ſich befaͤn - de, und gehoͤret hatte, daß ſie uͤber kurzen Athem klagte, den ſie von einer innerlichen Schwachheit, die durch ihre letzte Beunruhigung ſo wohl von ihren Freunden als von euch befoͤrdert worden, herleitete: ſo rieth er ihr, ſich der Luft zu be - dienen.
Was wird mir das helfen, antwortete ſie? Sagen ſie mir aufrichtig, mein werther Herr, fuhr ſie fort, mit einem freudigen Geſichte; ſie wiſſen, daß ſie mich dadurch nicht unruhig ma - chen koͤnnen; ſagen ſie mir aufrichtig, ob ſie itzo nicht die rechte Perſon eines Arztes annehmen, und, weil ſie keine Hoffnung haben, daß irgend etwas in der Arzneykunſt mir helfen werde, mich auf die Luft, als die letzte Ausflucht, verweiſen? ‒ ‒ Koͤnnen ſie gedenken, daß die Luft in einer ſolchen Krankheit, als ich habe, helfen werde?
Er ſchwieg ſtille.
Jch frage darnach, ſetzte ſie hinzu, damit mei - ne Freunde, welche ſich vielleicht nach Verlauf ei - niger Zeit erkundigen werden, was ich fuͤr Mit - tel zu meiner Geneſung gebraucht habe, verſichert werden moͤgen, daß ich nichts unterlaſſen, was mir ein ſo tuͤchtiger und geſchickter Arzt verord - net hat.
Die Luft, gnaͤdige Fraͤulein, kann vielleicht wider die Schwierigkeit beym Athemhohlen, wel - che ſie ſo neulich befallen hat, helfen.
Allein, mein Herr, ſie ſehen, wie ſchwach ich bin. Sie muͤſſen geſehen haben, wie ich vonSiebenter Theil. MTage178Tage zu Tage abgenommen: und wo ich nach dem urtheilen mag, was ich an mir ſelbſt fuͤhle ‒ ‒ Sie legte hiebey die Hand an ihr Herz ‒ ‒ ſo kann ich es nicht lange mehr halten. Wenn die Luft, nach vieler Wahrſcheinlichkeit, meine Tage vermehren wuͤrde: ſo wollte ich mich der - ſelben bedienen; ob ich gleich im geringſten kein Verlangen trage, ſie verlaͤngert zu ſehen; und zwar um ſo viel mehr, da ich weiß, daß Fr. Lovick mir aus Guͤtigkeit Geſellſchaft leiſten wuͤrde. Sollte ich aber die Unruhe haben, meine Woh - nung zu veraͤndern; eine Unruhe, welche meinen Gedanken nach itzo zu groß ſeyn wuͤrde; und zwar bloß dazu, daß ich auf dem Lande ſterben moͤchte: ſo ſaͤhe ich es lieber, daß der Auftritt ſich hier endigen muͤßte. Denn hier habe ich den Ort, und die Art und Weiſe, und alles, was von der geringſten ſo wohl, als von der hoͤchſten Wich - tigkeit, bey den feyerlichen Augenblicken vorfallen kann, uͤberleget. Alſo ſagen ſie mir die Wahr - heit, Herr Doctor, kann ich hier bleiben, und von allem Vorwurf, daß ich aus Vorſatz, oder aus Ungedult, oder aus Zorn, uͤber welchen ich hinaus - zuſeyn hoffe, ein Leben, das ſonſt verlaͤngert ſeyn moͤchte, verkuͤrzt habe, frey ſeyn? ‒ ‒ Sagen ſie mir, mein Herr: ſie reden mit keiner feigen Per - ſon in dieſem Stuͤcke; in Wahrheit nicht! ‒ ‒ Hiebey laͤchelte ſie auf eine ungezwungene Art.
Der Arzt wandte ſich zu mir, und wußte nicht, was er ſagen ſollte. Er hub bloß ſeine Au - gen vor Verwunderung uͤber ſie in die Hoͤhe.
Nie -179Niemals, ſagte ſie, hat wohl ein Kranker ei - nen guͤtigern und holdſeligern Arzt gehabt. ‒ ‒ Weil ſie aber meine Frage nicht gern gerade her - aus beantworten wollen: ſo will ich ſie in andere Worte einkleiden. Sie verordnen mir nicht, in die Luft zu gehen, Herr Doctor: thun ſie es?
Jch thue es nicht, gnaͤdige Fraͤulein. Jch beſuche ſie auch itzo nicht als ein Arzt, ſondern als eine Perſon, deren Umgang ich bewundere und deren Leiden mir zu Herzen gehet. Und daß ich mich wegen der Veranlaſſung des heutigen Be - ſuchs inſonderheit genauer erklaͤre, ſo muß ich Jh - nen ſagen, gnaͤdige Fraͤulein, daß, da ich verneh - me, wie viel ſie durch das Misvergnuͤgen ihrer Freunde leiden, und gar nicht zweifele, daß dieſe ihre Auffuͤhrung gegen ſie aͤndern wuͤrden, wenn ſie wuͤßten, in welchem Zuſtande ſie waͤren, auch glaube, daß es ſie herzlich kraͤnken muͤſſe, wenn ſie zu ſpaͤt alles erfahren werden, ich mich entſchloſſen habe, ihnen, ob ich fuͤr ſie perſoͤnlich gleich ein Fremder bin, Nachricht zu geben, wie noͤthig es fuͤr einige von ihnen ſey, ungeſaͤumt zu ihnen zu kommen. Um ihrer Angehoͤrigen willen, gnaͤ - dige Fraͤulein, erlauben ſie mir, inſtaͤndigſt um ihre Genehmhaltung dieſes Anſchlags zu er - ſuchen.
Sie war ein wenig ſtille und endlich ſagte ſie: Dieß iſt guͤtig, ſehr guͤtig an ihnen, mein Herr. Allein ich hoffe, ſie werden mich nicht fuͤr ſo ver - kehrt und ſo hartnaͤckicht halten, daß ich bis itzo irgend einige Mittel unverſucht gelaſſen haͤtte,M 2welche180welche ich nach aller Wahrſcheinlichkeit fuͤr ge - ſchickt angeſehen, meine Freunde zu meinem Be - ſten zu bewegen. Nun aber, Herr Doctor, wuͤr - de ich durch ihre Betruͤbniß allzu ſehr beunruhi - get werden: wenn einige von ihnen zu mir kom - men oder ſenden ſollten. Ja vielleicht moͤchte ich mir ein laͤngeres Leben wuͤnſchen; wenn ich faͤn - de, daß ſie mich noch liebten: und ſo wuͤrde ich ungern das Leben laſſen, welches ich itzo wirklich eifrig zu laſſen wuͤnſche und ſo zu laſſen hoffe, wie es einer Perſon zuſtehet, die eine ſolche Zeit ſich zu entwoͤhnen gehabt hat, als mir gegoͤnnet iſt.
Jch hoffe, gnaͤdige Fraͤulein, ſagte ich, daß wir dem beweinenswuͤrdigen Verluſt, wovon ſie mit einer ſo erſtaunlich geſetzten Faſſung des Ge - muͤths Erwaͤhnung thun, nicht ſo nahe ſind, als ſie befuͤrchten. Daher unterfange ich mich, den Rath des Herrn Doctors zu unterſtuͤtzen: wenn es auch nur um ihrer Eltern willen ſeyn ſollte, damit dieſe, wenn ſie ſie verlieren muͤſſen, zu ih - rer Beruhigung gedenken koͤnnen, daß ſie ſich noch vorher mit ihnen ausgeſoͤhnet haben.
Das iſt eine ſehr guͤtige, eine ſehr liebreiche Vorſtellung, antwortete ſie. Allein wo ſie ge - denken, daß ich meiner letzten Stunde nicht ſo gar nahe bin: ſo erlauben ſie mir zu bitten, daß dieß ſo lange aufgeſchoben werde, bis ich ſehe, was fuͤr Wirkung die Vermittelung meines Vet - ter Mordens haben moͤge. Vielleicht laͤßt er ſich noch gefallen, mir einen Beſuch zu geben, wenn ſeine beſchloſſene Zuſammenkunft mit dem HerrnLove -181Lovelace vorbey iſt: und wer weiß, Herr Bel - ford, ob die naͤchſten Briefe, welche ſie bekom - men, ihnen von derſelben nicht eine Nachricht er - theilen. Jch hoffe, ſie wird keiner Seele zum Ungluͤck gereichen! ‒ ‒ Wollen ſie mir verſpre - chen, Herr Doctor, nur noch zween Tage das Schreiben zu unterlaſſen? Jch will ihnen alles eroͤffnen, was unter der Zeit vorfaͤllt: und her - nach ſollen ſie ihren eignen Maaßregeln folgen. Jnzwiſchen wiederhole ich meine Dankſagung fuͤr ihre Guͤte gegen mich ‒ ‒ Ey, wertheſter Herr Doctor, eilen ſie nicht ſo ſchleunig von mir; denn er wollte gehen, aus Furcht, daß ihm wieder Geld geboten wuͤrde; ich will ihnen nicht mehr mit der gewoͤhnlichen Bezahlung, welche ſie einige Zeit her geſchmerzet hat, zuwider ſeyn: und da ich ſie nun wegen dieſer guͤtigſt angebotenen Gewogen - heit bloß als einen Freund anzuſehen habe, will ich ſie auf das kuͤnftige verſichern, daß ich ihnen in dieſem Stuͤcke kein Misvergnuͤgen weiter ma - chen werde. Nun, weiß ich, mein Herr, werde ich das Vergnuͤgen haben, ſie oͤfterer, als bisher, zu ſehen.
Der rechtſchaffene Mann war mit dieſer Verſicherung ſehr wohl zufrieden, und bezeugte, daß er allemal mit großem Vergnuͤgen zu ihr ge - kommen, aber aus eben der Urſache, wovon ſie ei - nen Wink gegeben haͤtte, mit eben ſo großem Mis - vergnuͤgen von ihr gegangen waͤre. Er betheur - te, daß er nicht unterlaſſen haben wuͤrde, ſeine Beſuche zu verdoppeln: wenn er dieſe guͤtigeM 3Ver -182Verſicherung, ſo fruͤhe, als er gewuͤnſcht, haͤtte haben koͤnnen.
Es giebt vermuthlich wenige Beyſpiele von einer ſolchen Uneigennuͤtzigkeit in dieſer Zunft. Bis itzo habe ich es allezeit fuͤr ein Evangelium gehalten, daß Freundſchaft und ein Arzt Din - ge waͤren, die nicht bey einander ſtehen koͤnnten. Jch habe mir gar nicht vorgeſtellet, daß ein Arzt, ſo bald er ſeinen Kranken aufgegeben, jemals an andere Beſuche denken wuͤrde, als an diejenigen, welche der aͤußerliche Wohlſtand erfordert, damit er wohl bey der Familie ſtehe, gegen die Zeit, da ſie die Reihe treffen moͤchte, in ſeine Haͤnde zu fallen.
Als der Arzt weggegangen war, fiel ſie auf ein ſehr ernſthaftes Geſpraͤch von der Eitelkeit des Lebens, und der Klugheit, ſich zum Tode zu berei - ten, wenn noch Geſundheit und Staͤrke uͤbrig waͤ - ren, und ehe die Schwachheiten des Koͤrpers die Kraͤfte des Gemuͤths ſchwaͤchten und außer Stan - de ſetzten, mit noͤthiger Staͤrke und Klarheit zu wirken. Alles war nach eines jeden, inſonderheit aber, wie ſich leicht merken ließ, nach deinen und meinen Umſtaͤnden eingerichtet.
Sie war ſehr begierig, noch mehr beſondere Umſtaͤnde von dem Bezeigen des armen Beltons in ſeinen letzten Stunden zu erfahren. Sie muͤſ - ſen ſich nicht wundern, Herr Belford, daß ich die - ſe Nachfrage thue, ſagte ſie: denn wer iſt wohl, der eine Reiſe in ein Land, wo er niemals gereiſet, uͤbernehmen, und ſich nicht nach den Beſchwer -lich -183lichkeiten des Weges, und den Bequemlichkeiten, die man unterweges erwarten kann, erkundigen ſollte?
Jch machte ihr eine kleine Vorſtellung von dem Schrecken des armen Menſchen und von ſei - ner Abneigung zu ſterben. Da ich zu Ende war: ſprach ſie: So muß es mit den armen Seelen allezeit gehen, Herr Belford, die an ihre lange Reiſe niemals eher gedacht haben, als eben in dem Augenblick, da ſie zu Schiffe ſteigen muͤſſen.
Sie machte noch andere dergleichen Anmer - kungen uͤber dieſe Sache, die ich niemals vergeſ - ſen werde, da ſie aus dem Munde einer Perſon, welche ſo bald in Geſellſchaft der Engel ſeyn wird, gekommen ſind. Und in der That, damit ich ſie meinem Gedaͤchtniſſe deſto beſſer einpraͤgen moͤch - te, ſchrieb ich ſie auf, als ich zu Hauſe kam. Al - lein ich will ſie euch nicht eher ſehen laſſen, als bis ihr in einer bequemern Gemuͤthsfaſſung ſtehet, Vortheil daraus zu ziehen, als ihr nach aller Wahr - ſcheinlichkeit auf eine Zeitlang ſeyn werdet.
So weit hatte ich geſchrieben, da die unerwar - tete fruͤhe Ruͤckkunft meines Bedienten mit eu - rem Packet; weil euer Diener und er ſich zu Slough begegnet und ihre Briefe gegen einander ausgewechſelt haben; mich noͤthigte, abzubrechen, damit ich euer Schreiben leſen konnte. ‒ ‒ Hier beſchließe ich alſo dieſen Brief.
Nun, Bruder, will ich dir erzaͤhlen, was bey dem Beſuch, den uns der Obriſt Morden abgeſtattet hat, vorgegangen iſt.
Er kam zu Pferde mit einem Bedienten: und der Lord M. empfing ihn, als einen Ver - wandten von der Fraͤulein Harlowe, mit den groͤß - ten Merkmaalen der Hoͤflichkeit und Hochach - tung.
Nach einem und dem andern allgemeinen Ge - ſpraͤche von der Zeit, und dem Wetter, und der - gleichen Unſinn, womit die Englaͤnder gemeinig - lich den Eingang zu ihrer Unterredung machen, wandte der Obriſt ſich auf folgende Art zu dem Lord M. und mir:
Es iſt nicht noͤthig, mein Lord und Herr Lo - velace, da ſie die Verwandtſchaft wiſſen, in wel - cher ich mit der Harloweiſchen Familie ſtehe, daß ich irgend eine Entſchuldigung vorbringe, weil ich mich in eine Sache einlaſſe, welche ſie in Betrach - tung dieſer Verwandtſchaft fuͤr die vornehmſte Urſache anſehen muͤſſen, warum ich mir die Ehre genommen habe, dieſen Beſuch abzulegen.
Fraͤu -185Fraͤulein Harlowe, die Sache der Fraͤulein Clariſſa Harlowe, ſagte der Lord M. nach ſeiner gewoͤhnlichen Weiſe unbedaͤchtlich zuzufahren. Das iſt es, was ſie meynen, mein Herr. Sie iſt, in aller Betrachtung, das vortrefflichſte Frauen - zimmer in der Welt.
Es iſt mir lieb zu hoͤren, daß ihre Gnaden dieſe Meynung von ihr hegen. Eben das iſt ei - nes jeden Meynung.
Es iſt nicht allein meine Meynung, Herr Obriſt Morden, fuhr der ſchwatzhafte Lord fort, ſondern die Meynung meiner ganzen Familie: meiner Schweſtern, meiner Neffen, und Herrn Lovelacens ſelbſt.
Obr. Jch wollte wuͤnſchen, daß es allezeit Herrn Lovelacens Meynung von ihr geweſen waͤre.
Lovel. Sie ſind auf viele Jahre außerhalb England geweſen, Herr Obriſt: vielleicht ſind ſie noch nicht voͤllig von den eigentlichen Umſtaͤnden dieſer Begebenheit unterrichtet.
Obr. Jch bin auf ſieben Jahre außer Eng - land geweſen, mein Herr. Meine Baſe Claͤr - chen Harlowe war damals etwa zwoͤlf Jahr alt: aber niemals iſt wohl in einem Alter von zwan - zig Jahren ein Frauenzimmer ſo verſtaͤndig, ſo klug, und von ſo vortrefflichen Eigenſchaften ge - weſen. Alle, die ſie kannten oder ſahen, bewun - derten ſie. Niemals habe ich ein junges Frauen - zimmer geſehen, das ſo viel Vollkommenes von Gemuͤth und von Perſon verſprochen haͤtte: undM 5mir186mir iſt geſagt, ja es iſt auch kein Wunder, daß ſie ſo, wie ſie nach und nach zu reifern Jahren ge - kommen, die von ihr gefaßte Hoffnung mehr als gerechtfertigt und erfuͤllet habe. ‒ ‒ Hiernaͤchſt, was ihr Vermoͤgen betrifft ‒ ‒ was ihr Vater, was ihre Onkels, und was ich ſelbſt willens gewe - ſen zu ihrem Beſten zu thun, außer dem, was ihr Großvater gethan hatte ‒ ‒ ſo iſt keine beſſere Partey in der ganzen Grafſchaft.
Lovel. Alles dieß, Herr Obriſt, und mehr als dieß, iſt die Fraͤulein Clariſſa Harlowe: und waͤre die Unverſoͤhnlichkeit und Heftigkeit ihrer Familie nicht geweſen, da ſich alle vorgeſetzt hat - ten, ihr einen Mann aufzudringen, der ihrer eben ſo unwuͤrdig, als er ihr verhaßt war; ſo wuͤrde ſie beſtaͤndig gluͤcklich geweſen ſeyn.
Obr. Jch geſtehe, Herr Lovelace, es iſt wahr, was ſie eben itzo bemerken, daß ich nicht vollkommen von allem dem, was zwiſchen ihnen und meiner Baſe vorgefallen, unterrichtet bin. Allein erlauben ſie mir, zu ſagen, daß ich nur eine Einwendung gegen ſie wußte, da ich zuerſt hoͤrte, daß ſie um ſie warben. Das war freylich eine ſehr große Einwendung: und, als man an mich geſchrieben hatte, eroͤffnete ich ihr frey meine Mey - nung von der Sache(*)Man ſehe den III Theil, S. 550.. Waͤre das aber nicht geweſen: ſo geſtehe ich, daß nach meinen Gedan - ken ins beſondre keine Partey ſeyn koͤnnen, die ſich beſſer geſchickt haͤtte. Denn ſie ſind ein artigerCa -187Cavallier, angenehm von Perſon, bequem und hoͤflich in ihrem Bezeigen, und in Anſehung ihrer Familie, ihres Vermoͤgens, und der Vortheile, die ſie noch zu erwarten haben, ſo gluͤcklich, als ein Menſch zu ſeyn wuͤnſchen kann. Hiernaͤchſt uͤber - zeugt mich die Bekanntſchaft, welche ich mit ih - nen in Jtalien gehabt, ob gleich, mit ihrer guͤtigen Erlaubniß, ihre Auffuͤhrung daſelbſt nicht von allem Tadel frey war, daß ſie Herz haben: und wenige Cavalliers kommen ihnen an Witz und Munterkeit gleich. Jhre Erziehung hat ihnen große Vortheile geſchaffet. Jhr Anſtand hat etwas Einnehmendes. Sie haben gereiſet: und ich weiß, wo ſie es mir zu gute halten wollen, daß ſie beſſere Anmerkungen machen, als die Regeln ſind, wornach ſie ſich verhalten. Alle dieſe Eigen - ſchaften laſſen gar keinen Grund uͤbrig, es zu be - wundern, daß ein junges Frauenzimmer ſie lieben ſollte, und daß dieſe Liebe, bey der unverſtaͤndigen Hitze, womit die Freunde meiner Baſe zum Be - ſten ſolcher Maͤnner, die in den genannten Eigen - ſchaften ihnen ſo weit nachzuſetzen ſind, ihren Nei - gungen Gewalt anthun wollten, ſie antreiben moch - te, ſich in ihren Schutz zu begeben. Da aber nun dieſe beyden ſtarken Bewegungsgruͤnde vorhan - den waren, wovon der eine ſie reizen, der andere ſie treiben konnte: ſo erlauben ſie mir, mein Herr, ſie zu fragen, ob ſie nicht ein gedoppeltes Recht hatte, eine edelmuͤthige Begegnung von einem Manne zu erwarten, den ſie zu ihrem Beſchuͤtzer waͤhlte, und den ſie; vergoͤnnen ſie mir die Frey -heit,188heit, es zu ſagen; fuͤr den Schutz, welchen er ihr leiſten ſollte, ſo reichlich belohnen konnte?
Lovel. Die Fraͤulein Clariſſa Harlowe hatte ein Recht, mein Herr, die beſte Begegnung zu for - dern, die ihr von einem Manne widerfahren konn - te: ich trage kein Bedenken, es zu geſtehen. Jch will ihr allezeit die Gerechtigkeit widerfahren laſ - ſen, die ſie verdienet. Jch weiß, was ſie fuͤr eine Folge daraus ziehen werden, und habe nur dieß einzige zu ſagen, daß ſich keine vergangne Zeit wieder zuruͤckrufen laͤßt. Vielleicht wuͤnſchte ich, daß es geſchehen koͤnnte.
Hierauf beſchrieb der Obriſt, auf eine recht maͤnnliche Art, die Gottloſigkeit, etwas gegen die Tugend und den guten Namen eines Frauenzim - mers zu unternehmen. Die Mannsperſonen, ſagte er, haͤtten allzu viele Vortheile uͤber die Schwach - heit, Leichtglaͤubigkeit, und Unerfahrenheit des ſchoͤnen Geſchlechts, welches ſich durch die erhitzen - den Erzaͤhlungen und eitlen Romanen, die ſie leſen, gar zu leicht zu uͤbereilten Handlungen hinreiſſen ließe. Jedoch waͤre ſeine Baſe, wie er gewiß wuͤßte, ſo weit erhaben, daß die gewoͤhnliche Ver - fuͤhrung ſie nicht treffen, oder daß ſie durch keine ſchwaͤchere Bewegungsgruͤnde, als durch die Ge - waltthaͤtigkeit ihrer Eltern und die feyerlichſten Verſprechungen an meiner Seite zu der Ueber - eilung verleitet werden koͤnnte, deren jene ſie be - ſchuldigten. Da ſie inzwiſchen dieſe Bewegungs - gruͤnde gehabt; und da ihre Klugheit, ſo vor - trefflich ſich dieſelbe auch zeigte, vielmehr eineFrucht189Frucht ihrer natuͤrlichen Gaben, als der Er - fahrung, geweſen waͤre; welche jedoch, wie er ſagte, ein feiner Vortheil bliebe, ein unſtraͤfliches Leben auf das Kuͤnftige darauf zu gruͤnden: ſo haͤtte ſie leichtlich an einem Menſchen, den ſie lieb - te, keine boͤſen Abſichten befuͤrchten moͤgen. Es waͤre daher eine abſcheuliche Sache, das Ver - trauen eines ſolchen Frauenzimmers zu misbrau - chen.
Er wollte auf dieſe altvaͤteriſche Art fortreden. Allein ich fiel ihm in die Rede. Dieſe allge - meine Betrachtungen, Herr Obriſt, ſchicken ſich vielleicht nicht auf dieſen beſondern Fall. Aber ſie ſind ja ſelbſt ein Freund von Liebeshaͤndeln. Vielleicht moͤchten ſie auch nicht im Stande ſeyn, wenn es zur Frage kaͤme, eine jede Handlung in ihrem Leben zu rechtfertigen: eben ſo wenig, als ich.
Obr. Sie ſind mir willkommen, mein Herr: ſie moͤgen mich fragen, was ihnen beliebt. Jch danke Gott, daß ich meine Fehler ſo wohl geſte - hen, als mich derſelben ſchaͤmen kann.
Der Lord M. ſahe mich an. Weil aber der Obriſt nach ſeinem Bezeigen nicht die Abſicht zu haben ſchien, mir dadurch einen Verweis zu ge - ben: ſo hatte ich nicht noͤthig, es dafuͤr anzuſehen; ſonderlich da ich meine Fehler eben ſo bereitwillig, als er oder irgend ein Menſch die ſeinigen, geſte - hen kann, ich mag mich nun derſelben ſchaͤmen, oder nicht.
Er190Er fuhr fort. Weil ſie mich aufzufordern ſcheinen, Herr Lovelace: ſo will ich ihnen, ohne mich damit zu ruͤhmen, erzaͤhlen, wie meine ge - woͤhnliche Lebensart beſchaffen geweſen, bis auf die letzte Zeit, da ich mich ein gutes Theil gebeſ - ſert zu haben glaube.
Jch habe mir Freyheiten genommen, welche die Geſetze der Tugend keinesweges rechtfertigen werden: und einmal wuͤrde ich mich berechtigt gehalten haben, einem jeden jungen Kerl; der ſich gegen eine Schweſter von mir ſolche Freyhei - ten nehmen ſollte, als ich mir gegen die Schweſtern und Toͤchter von andern genommen habe, die Kehle abzuſchneiden. Aber hiebey nahm ich mich in Acht, daß ich niemals etwas verſprach, was ich nicht zu halten willens war. Ein ſittſames Ohr wuͤrde eher offenbare Zoten aus meinem Munde gehoͤrt haben, als das Wort Ehe, wenn ich nicht die Abſicht zu heyrathen gehabt haͤtte. Junge Frauenzimmer ſind gemeiniglich bereit genug, zu glauben, daß wir es ehrlich meynen, wenn ſie uns lieben: und es wuͤrde einer wunderlichen Be - ſchimpfung ihrer Tugend und Reizungen aͤhnlich ſehen, daß es fuͤr noͤthig angeſehen werden ſollte, die Frage zu thun, ob man in ſeiner Bewerbung um ſie eine Abſicht auf die Ehe habe. Allein wenn einmal eine Mannsperſon ein Verſprechen von ſich giebt: ſo, denke ich, muß es billig gehal - ten werden; und ein Frauenzimmer iſt wohl be - rechtiget, ſich auf den Ausſpruch eines jeden gegen die Treuloſigkeit eines Betruͤgers zu berufen, undiſt191iſt allezeit geſichert, die Welt auf ihrer Seite zu haben.
Nun glaube ich, mein Herr; fuhr er fort; ſie haben ſo viel Ehre, daß ſie geſtehen werden, ſie haͤtten einer ſo erhabenen Tugend nicht beykom - men koͤnnen, ohne die Ehe zu verſprechen, und zwar ſehr ausdruͤcklich und feyerlich ‒ ‒
Jch weiß gar wohl, Herr Obriſt; fiel ich ein; alles, was ſie ſagen wollen ‒ ‒ Sie werden mich entſchuldigen, bin ich verſichert, daß ich ihnen in die Rede falle: wenn ſie finden, daß es zu dem Zweck dienet, den ſie erhalten wollen.
Jch geſtehe ihnen dann, daß ich gegen die Fraͤulein Clariſſa Harlowe ſehr ſchaͤndlich gehan - delt habe: und ich will ihnen ferner ſagen, daß ich meine Undankbarkeit und Bosheit gegen ſie herzlich bereue. Ja ich will ihnen noch weiter bekennen, daß ich mich in Anſehung ihrer ſo groͤblich vergangen habe, daß ſelbſt die Vorſtel - lung, wie die Mishandlungen und Beſchim - pfungen, welche mir taͤglich von ihren unverſoͤhn - lichen Verwandten widerfuhren, mich einigerma - ßen gereizt haben, ſchaͤndlich gegen ſie zu handeln, nur ein niedertraͤchtiger und ſchlechter Verſuch ſeyn wuͤrde, mich zu entſchuldigen ‒ ‒ So nieder - traͤchtig und ſo ſchlecht, daß er mich zwiefach ver - urtheilen wuͤrde. Koͤnnen ſie nun etwas aͤrgers ſagen: ſo reden ſie.
Er ſahe den Lord M. und dann mich, zwey oder dreymal an: und mein Lord ſagte: MeinVer -192Verwandter ſpricht, was er denkt, ich will fuͤr ihn Gewaͤhr leiſten.
Lovel. Das iſt wahr, mein Herr: und was kann ich mehr ſagen? Und was kann ich weiter, nach ihrer Meynung, thun?
Obr. Thun! mein Herr? Ey! mein Herr; das ſprach er in einem vermeſſenen Thon; ich darf ihnen nicht erſt ſagen, daß auf Reue Erſtat - tung folget: und ich hoffe, ſie werden kein Beden - ken machen, ihre Aufrichtigkeit in Anſehung der einen durch die andere zu rechtfertigen.
Jch ſtockte; denn die Art wie er ſprach und ſein vermeſſener Thon waren nicht nach meinem Geſchmack; als wenn ich unſchluͤßig waͤre, ob ich mich gehoͤrig daruͤber herauslaſſen ſollte, oder nicht.
Obr. Erlauben ſie mir, Herr Lovelace, ih - nen dieſe Frage vorzulegen ‒ ‒ Jſt es wahr, wie ich gehoͤrt habe, daß ſie meine Baſe heyrathen wollten, wenn ſie ſie haben wollte? ‒ ‒ Was ſa - gen ſie, mein Herr?
Dieß machte mich eine Spanne laͤnger.
Lovel. Einige Fragen, Herr Obriſt, ſind ſo gut als Befehle, wenn man ſie auf eine gewiſſe Art vortraͤgt. Jch moͤchte gern wiſſen, wie ich die ihrigen anzunehmen habe und was die Abſicht von ihren Fragſtuͤcken ſeyn ſoll?
Obr. Meine Fragen ſind von mir nicht als Befehle gemeynet, Herr Lovelace. Die Abſicht iſt, einen Cavallier dahin zu vermoͤgen, daß erwie193wie ein Cavallier, und wie ein Mann, der auf ſeine Ehre haͤlt, handle.
Lovel. hitzig. Und durch was fuͤr Gruͤnde, mein Herr, gedenken ſie mich dahin zu vermoͤ - gen?
Obr. Durch was fuͤr Gruͤnde, mein Herr, man einen Cavallier dahin vermoͤgen wolle, daß er wie ein Cavallier handle! ‒ ‒ Jch wundere mich uͤber dieſe Frage von Herrn Lovelacen.
Lovel. Wie ſo, mein Herr?
Obriſt, zornig. Wie ſo, mein Herr ‒ ‒ Erlauben ſie mir ‒ ‒
Lovel. der ihm in die Rede faͤllt. Jch laſſe mir nicht gern in dem Tone nachſprechen, Herr Obriſt.
Lord M. Ey, Ey, meine Herren, ich bitte, daß ſie ſich doch einander verſtehen wollen. Sie junge Cavalliers ſind ſo hitzig ‒ ‒
Obr. Jch nicht, mein Lord ‒ ‒ Jch bin weder ſehr jung, noch ungebuͤhrlich hitzig. Jhr Enkel, mein Lord, kann aus mir alles machen, was ich nach ſeinem Willen ſeyn ſoll.
Lovel. Und das ſoll ſeyn, was ihnen zu ſeyn beliebet, Herr Obriſt.
Obr. mit Heftigkeit. Sie ſollen die Wahl haben, Herr Lovelace. Freund oder Feind! nach dem ſie einem der feinſten Frauenzimmer in der Welt Gerechtigkeit widerfahren laſſen, oder wi - derfahren zu laſſen geneigt ſind.
Lord M. Jch habe aus ihrer beyder Ge - muͤthsart wohl vermuthet, wie es gehen wuͤrde,Siebenter Theil. Nwenn194wenn ſie zuſammen kaͤmen. Laſſen ſie mich ei - nen Mittler abgeben und ſie bitten, daß ſie ſich nur einander verſtehen wollen. Sie ſchießen beyde nach einem Ziel: und wo ſie Gedult ha - ben, werden ſie es beyde treffen. Erlauben ſie mir, Herr Obriſt, ſie zu erſuchen, daß ſie nicht Haͤndel anbieten ‒ ‒
Obr. Haͤndel, mein Lord! ‒ ‒ Das ſind Dinge, die ich allezeit lieber angenommen, als an - geboten habe. Allein glauben ihre Gnaden, daß einer, der ſo nahe, als ich die Ehre habe, mit dem vollkommenſten Frauenzimmer auf der Welt ver - wandt iſt ‒ ‒
Lord M. der ihm in die Rede faͤllt. Wir geſtehen alle die vortrefflichen Vorzuͤge der Fraͤulein ‒ ‒ Und wir werden es alle als die groͤß - te Ehre, die uns widerfahren kann, anſehen, mit ihr verbunden zu werden.
Obr. Das muͤſſen ſie auch billig thun, mein Lord!
Ein vollkommener Chamont! dachte ich(*)Siehe Otways Trauerſpiel: die Waiſe..
Lord M. Das muͤſſen wir billig thun, Herr Obriſt! Und das thun wir! ‒ ‒ Jch bit - te, laſſen ſie doch einen jeden thun, was er bil - lig thun muß! ‒ ‒ und nicht mehr, als wie er billig muß; und ſie, Herr Obriſt, laſſen ſie mich ihnen ſagen, werden nicht ſo hitzig ſeyn.
Lovel. gelaſſen. Ey, Ey, Herr Obriſt, laſſen ſie dieſen Streit, was ſie auch daraus zu machen geſonnen ſind, nicht weiter gehen, als zwi -ſchen195ſchen mir und ihnen. Sie erklaͤren ſich in ſehr heftigen Ausdruͤcken. Heftiger, als jemals einer in meinem Leben mit mir geredet hat. Aber hier unter dieſem Tache wuͤrde es fuͤr mich etwas ſeyn, das nicht zu entſchuldigen waͤre, wenn ich mich daruͤber ſo herauslaſſen wollte, als es mir viel - leicht an einem andern Orte geziemen wuͤrde, mich daruͤber herauszulaſſen.
Obr. Das iſt geſprochen, wie ich von dem - jenigen wuͤnſche, den ich mit Vergnuͤgen meinen Freund nennen wuͤrde, wenn alle ſeine Handlun - gen uͤbereinſtimmten; und wie ich von demjeni - gen wuͤnſchen wuͤrde, bey dem ich glauben ſollte, daß es ſich der Muͤhe verlohnte, ihn meinen Gegner zu nennen. Jch liebe einen Mann, der Herz hat, wie mein Leben. Aber, Herr Lovelace, da mein Lord glaubet, daß wir auf ein Ziel hal - ten: ſo erlauben ſie mir zu ſagen, daß, wenn uns nur vergoͤnnet waͤre, auf einige Minuten, ſo zu ſa - gen, allein zu ſeyn, wir einander gar bald vollkom - men wohl verſtehen wuͤrden. ‒ ‒ Hiemit ging er auf die Thuͤre zu.
Lovel. Jch bin gaͤnzlich ihrer Meynung, mein Herr, und will ihnen folgen.
Mein Lord klingelte und trat zwiſchen uns. Herr Obriſt, kommen ſie zuruͤck, ich bitte ſie, wa - ren ſeine Worte: denn der Obriſt war unterdeſ - ſen, daß mein Lord mich hielte, aus dem Zim - mer getreten. ‒ ‒ Vetter, ſie ſollen nicht hinaus - gehen.
N 2Die196Die Klocke und meines Lords laute Stimme machten daß Mowbray, und Clemens, meines Lords Cavallier, herein kamen: der erſte auf ſeine gewoͤhnliche und ſorgloſe Weiſe mit den Haͤnden auf dem Ruͤcken. Was giebt es, Robertchen? ſagte er, Was giebt es, mein Lord?
Nur, nur, nur; ſtammelte der Lord, voller Verwirrung; dieſe junge Cavalliers ſind, ſind, ſind ‒ ‒ junge Cavalliers, das iſt es alles ‒ ‒ Haben ſie die Guͤte, Herr Obriſt Morden ‒ ‒ dieſer trat mit einem gelaſſenern Geſichte wieder in das Zimmer ‒ ‒ und laſſen dieſe Sache zu einer unparteyiſchen Unterſuchung kommen, ich bitte ſie.
Obr. Herzlich gern, mein Lord.
Mowbray fliſperte mir zu: Was iſt zu thun, Robertchen? ‒ ‒ Soll ich es mit dem Cavallier fuͤr dich aufnehmen, mein Buͤbchen?
Nein, um aller Welt willen nicht, ziſchelte ich ihm zu: der Obriſt iſt ein rechtſchaffener Caval - lier, und ich bitte euch, daß ihr nicht ein Wort ſaget.
Gut, gut, gut, Robertchen: ich habe nichts mehr zu ſagen. Jch kann dich dem beſten Manne auf Gottes Erdboden gern uͤberlaſſen. Und hiemit trat er ganz trotzig weg in die andere Ecke des Zimmers.
Obr. Es iſt mir leid, mein Lord, wenn ich ihrer Gnaden die geringſte Ungelegenheit verur - ſachen ſollte: ich bin in keiner ſolchen Abſicht ge - kommen.
Lord197Lord M. Jch glaubte in der That, Herr Obriſt, daß ſie in der Abſicht gekommen waͤren: weil ſie ſo geſchwinde Feuer faſſeten. Es iſt mir lieb, von ihnen zu hoͤren, daß es nicht an dem ſey. Wie bald entſtehet aus einem kleinen Fun - ken eine Flamme: ſonderlich bey Gemuͤthern, die ſo leicht Feuer fangen.
Obr. Wenn ich die geringſte Abſicht gehabt haͤtte, zu dem Aeußerſten zu ſchreiten: ſo, bin ich verſichert, wuͤrde Herr Lovelace mir die Ehre er - wieſen haben, mit mir an einem andern Orte zu - ſammenzukommen, wo ich weniger beſchwerlich geweſen waͤre. Allein ich bin mit einer freund - ſchaftlichen Geſinnung gekommen: ‒ ‒ Mishel - ligkeiten vielmehr beyzulegen, als weitlaͤuftiger zu machen.
Lovel. Wohlan denn, Herr Obriſt, ſo laſſen ſie uns die Sache auf ihnen ſelbſt beliebige Wei - ſe vornehmen. Jch weiß keinen Menſchen, mit dem ich lieber einig ſeyn wollte, als mit einem Manne, gegen welchen die Fraͤulein Clariſſa Har - lowe ſo viele Hochachtung heget. Aber ich kann nicht vertragen, daß man entweder in drohenden Worten, oder in einem drohenden Tone mit mir rede.
Lord M. Gut, gut, gut, gut, Cavalliers, das iſt ſo etwas. Zornige Leute machen ſich ſelbſt Betten von Neſſeln: und wenn ſie dar - inn liegen, ſind ſie uͤber jedermann misvergnuͤgt. Allein ich hoffe, ſie ſind Freunde. Laſſen ſie mich aus ihrem eignen Munde hoͤren, daß ſie es ſind. ‒ ‒N 3Jch198Jch bin uͤberzeugt, Herr Obriſt, daß ſie dieſe un - gluͤckliche Begebenheit nicht ganz wiſſen. Sie wiſſen nicht, wie ſehr mein Verwandter ſo wohl als wir alle wuͤnſchen, dieſe Sache zu einem gluͤck - lichen Ende gebracht zu ſehen. Wiſſen ſie es wohl, Herr Obriſt, daß Herr Lovelace auf unſer aller Bitten geneigt iſt, die Fraͤulein zu heyrathen?
Obr. Auf ihrer aller Bitten, mein Lord? ‒ ‒ Jch haͤtte hoffen ſollen, daß Herr Lovelace geneigt waͤre, Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, weil es Gerechtigkeit iſt, ſonderlich da er ſich ſelbſt dadurch, daß er Gerechtigkeit widerfahren ließe, zugleich die groͤßte Ehre thaͤte.
Mowbray ſchlug hiebey ſeine vorher halb ge - ſchloſſene Augen gegen den Obriſten auf, und warf auf mich verſtohlne Blicke.
Lovel. Das iſt aus einem ſehr hohen Ton geſprochen, Herr Obriſt.
Mowbr. Bey meiner Seele, das daͤchte ich auch.
Obr. Aus einem hohen Ton geſprochen, Herr Lovelace? Jſt es nicht gerecht geſpro - chen?
Lovel. Ja, Herr Obriſt: und ich denke, daß derjenige, welcher der Fraͤulein Clariſſa Har - lowe Ehre erweiſet, mir ſelbſt Ehre erweiſe. Nichts deſto weniger giebt es eine gewiſſe Art und Weiſe im Sprechen, wider welche etwas ein - zuwenden ſeyn mag, wo die Worte ſelbſt, ohnedieſe199dieſe Art zu ſprechen, keine Einwendung leiden koͤnnen.
Obr. Jhre Anmerkung iſt uͤberhaupt be - trachtet außer Streit richtig: aber wofern ſie die Achtung gegen meine Baſe haben, welche ſie ſagen; ſo muͤſſen ſie nothwendig denken ‒ ‒
Lovel. Sie muͤſſen mir erlauben, mein Herr, daß ich ihnen in die Rede falle ‒ ‒ Wo - fern ich die Achtung habe, welche ich ſage ‒ ‒ Jch hoffe, mein Herr, daß, wenn ich ſage, ich habe die Achtung, das Wofern, ſo mit einem Nachdruck ausgeſprochen, als ſie es ausſprachen, nicht Platz finde.
Obr. Sie ſind mir zweymal in die Rede ge - fallen, Herr Lovelace. Jch bin eben ſo wenig ge - wohnt, mir in die Rede fallen zu laſſen, als ſie, ſich nachſprechen zu laſſen.
Lord M. Ein paar Leute, wie ein paar Faͤſ - ſer mit Schießpulver, bey meiner Treue! Was, den Teufel, ſoll das Reden bedeuten: wo ſie ein - ander auf die Art bey jedem ungelegnen Worte in Hitze ſetzen wollen?
Lovel. Kein Menſch, der auf Ehre haͤlt, mein Lord, wird es mit gleichguͤltigen Augen an - ſehen, wenn wider die Glaubwuͤrdigkeit ſeines Worts Zweifel erregt werden, ob gleich nur auf eine verſteckte Art.
Obr. Haͤtten ſie mich ausgehoͤret, Herr Lo - velace: ſo wuͤrden ſie gefunden haben, daß mein Wofern vielmehr zu einer Schlußfolge, als zu einem Zweifel diente; allein es iſt wirklichN 4eine200eine ſeltſame Freyheit, die ſich Leute von ungebun - denen Grundſaͤtzen nehmen, daß ſie zu eben der Zeit, da ſie den Vorwurf, eine Unwahrheit gegen eine Mannsperſon reden zu koͤnnen, toͤdtlich raͤ - chen wuͤrden, ſich kein Bedenken machen wollen, die feyerlichſten Eidſchwuͤre und Verſprechungen gegen ein Frauenzimmer zu brechen. Jch muß ſie verſichern, Herr Lovelace, daß ich meine Ge - luͤbde und Verſprechungen allezeit als eine Ge - wiſſensſache angeſehen.
Lovel. Sie haben recht daran gethan, Herr Obriſt. Aber erlauben ſie mir, ihnen zu ſagen, mein Herr, daß ſie den Mann nicht kennen, mit dem ſie reden, wo ſie ſich einbilden, daß er nicht im Stande ſey, einen gebuͤhrenden Unwillen zu faſſen, wenn er ſeine edelmuͤthige Bekenntniſſe fuͤr ein Zeichen niedertraͤchtiger Feigheit angenom - men ſiehet.
Obr. hitzig und mit einem hoͤhniſchen Gelaͤchter. Es ſey ferne von mir, Herr Love - lace, daß ich ihnen die niedertraͤchtige Feigheit bey - legen ſollte, von der ſie reden. Denn was wuͤr - de das anders ſeyn, als ſich einbilden, daß ein Menſch, der eine große Bosheit wider jemand veruͤbet hat, nicht bereit ſeyn ſollte, in Vertheidi - gung derſelben ſeine Muthigkeit ſehen zu laſ - ſen ‒ ‒
Mowbray. Das iſt verdammt hart, Herr Obriſt. Beym Jupiter, es iſt hart. Jch koͤnn - te von keiner lebendigen Seele ſo viel leiden, als Herr Lovelace ſchon zuvor von ihnen gelitten hat.
Obr. 201Obr. Wer ſind ſie, mein Herr? Was fuͤr einen Schein des Rechten haben ſie, ſich in eine Sache zu miſchen, wo an der einen Seite eine er - kannte Schuld, an der andern die Ehre einer an - ſehnlichen Familie, die durch eben die Schuld an ihrem zarteſten Theile verwundet iſt, in Betrach - tung kommt?
Mowbr. der dem Obriſten zufliſperte. Mein liebes Kind, ſie werden mir einen großen Gefallen thun, wenn ſie mir eine bequeme Gele - genheit geben wollen, auf ihre Frage zu antwor - ten. Hiemit ging er hinaus.
Der Obriſt ward von meinem Lord in dem Zimmer zuruͤckgehalten: und ich brachte Mow - bray wieder herein.
Obr. Jch bitte ſie, mein lieber Lord, erlau - ben ſie mir, dieſem dienſtfertigen Cavallier aufzu - warten. Jch bitte ſie darum. Jch will binnen drey Minuten die Ehre haben, wieder bey ihrer Gnaden zu ſeyn: verlaſſen ſie ſich darauf.
Lovel. Mowbray, heißt das wie ein Freund mit mir handeln, daß du mich fuͤr untuͤchtig an - ſieheſt, fuͤr mich ſelbſt zu antworten? Und ſoll ein Mann, der Ehre und Herz hat, wie ich von dem Herrn Obriſt Morden weiß; ſo unbedaͤchtlich er ſich auch vielleicht in dieſem Beſuche bewieſen hat; Urſache haben zu ſagen, daß er in meines Lords M. Haus, gewiſſermaßen entbloͤßt von Be - dienten und Freunden, komme, und ſoll doch um der Urſache willen nicht vielmehr Nachſicht, als Beſchimpfung finden? Dieſen Augenblick, meinN 5lieber202lieber Mowbray, laßt uns allein. Euch geht wirklich dieſe Sache nichts an: und wo ihr mein Freund ſeyd, ſo bitte ich euch, den Herrn Obriſten um Verzeihung zu erſuchen, daß ihr euch auf eine ſolche Art, als ihr gethan, eingemiſcht habet.
Mowbr. Gut, gut, Robert: du ſollſt in dieſer Sache freye Haͤnde haben, ſie auszumachen. Jch weiß daß ich nichts dabey zu thun habe ‒ ‒ Und Herr Obriſt; hiebey reckte er ſeine Hand zu ihm aus; ich uͤberlaſſe ſie einem Manne, der ſeine eigne Sache ſo gut, als irgend einer in Eng - land, zu vertheidigen weiß.
Obr. Der auf des Lords M. Bitten Mowbrayens Hand annahm. Sie haben nicht noͤthig, Herr Mowbray, mir das zu ſagen. Jch zweifele gar nicht an Herrn Lovelacens Ge - ſchicklichkeit, ſeine eigne Sache zu vertheidigen, wenn es eine Sache waͤre, die ſich vertheidigen ließe. Und, Herr Lovelace, erlauben ſie es mir zu ſagen, ich erſtaune, wenn ich gedenke, daß ein herzhafter und ein edelmuͤthiger Mann, wie ſie ſich in zwoen oder dreyen Proben gezeiget haben, welche ſie in meiner kurzen Bekanntſchaft mit ih - nen gegeben, im Stande ſeyn ſollte, ſo zu handeln, wie ſie gegen das vortrefflichſte Frauenzimmer un - ter dem ganzen ſchoͤnen Geſchlechte gehandelt haben.
Lord M. Es mag ſeyn; aber, meine Herren, da Herr Mowbray itzo weg iſt, und ſie beyde Proben genug von Herzhaftigkeit und Muth ge - geben haben: ſo muß ich ſie bitten, ſich freund -ſchaftlich203ſchaftlich mit einander zu beſprechen, und zu uͤber - legen, ob etwas geſchehen koͤnne, das alles zu ei - nem gluͤcklichen Ende fuͤr die Fraͤulein bringen moͤge.
Lovel. Allein ſtille, mein Lord, laſſen ſie mich eines ſagen, da Mowbray itzo weg iſt. Es iſt dieſes. Jch denke, daß ein Cavallier ein oder zwey Dinge, die der Obriſt geſagt hat, nicht ein - ſtecken muͤſſe.
Lord M. Was, Teufel, kannſt du haben wollen? Jch dachte, es waͤre alles vorbey gewe - ſen. Wahrlich, du haſt nichts zu thun, als den Herrn Obriſten zu verſichern, daß du willig und bereit ſeyſt, die Fraͤulein Harlowe zu heyrathen, wo ſie dich haben will.
Obr. Herr Lovelace wird, wie ich vermuthe, kein Bedenken haben, das zu ſagen, ungeachtet alles deſſen, was vorgegangen iſt. Wo ſie aber meynen, Herr Lovelace, daß ich etwas geſagt ha - be, das ich nicht haͤtte ſagen ſollen: ſo iſt es ver - muthlich dieß, daß derjenige, welcher ſo wenig von dem Dinge, das Ehre heißt, gegen ein wehrloſes und unbeſchuͤtztes Frauenzimmer bewieſen hat, nicht mit ſo vieler Bedenklichkeit auf den leeren Namen deſſelben gegen jemand, der ihm deswe - gen Vorwuͤrfe macht, beſtehen muͤſſe. Es iſt mir leid, Herr Lovelace, daß ich Urſache habe, dieß zu ſagen: allein ich wuͤrde es, bey eben der Gele - genheit, noch einmal auch einem Koͤnige in aller ſeiner Herrlichkeit, und unter allen ſeinen Wa - chen, in die Augen ſagen.
Lord204Lord M. Was iſt aber dieß alles anders, als mehr Saͤcke zur Muͤhle, mehr Oel zum Feuer? Sie haben beyde Luſt zu zanken, das ſe - he ich. Sind ſie nicht willig und bereit, mein Enkel, ſind ſie nicht vollkommen willig und be - reit, dieſe Fraͤulein zu heyrathen, wo ſie zu gewin - nen iſt, ſie zu nehmen?
Lovel. Der Teufel hole mich, mein Lord, wo ich auf eine ſolche Begegnung, als dieß iſt, eine Kayſerinn heyrathen wollte.
Lord M. Ey, Robert, nun biſt du hitziger, als der Herr Obriſt. Kurz zuvor war an ihm die Reihe: und nun, da ihr ſehet, daß er gelaſſen iſt, ſeyd ihr lauter Schießpulver.
Lovel. Jch geſtehe, daß der Herr Obriſt viele Vortheile vor mir voraus hat: aber viel - leicht iſt doch noch einer, den er nicht hat, wenn es zur Probe kommen ſollte.
Obr. Jch bin nicht hierher gekommen, wie ich ſchon vorher geſagt habe, die Gelegenheit zu ſuchen. Wenn ſie mir aber angeboten wird: ſo will ich ſie nicht ausſchlagen. ‒ ‒ Und weil wir finden, daß wir dem Lord M. beſchwerlich ſind: ſo will ich meinen Abſchied nehmen, und mich durch den Weg von St. Alban zu Hauſe be - geben.
Lovel. Jch will von Herzen gern auf einen Theil des Weges zu Jhnen kommen, Herr Obriſt.
Obr. Jch nehme ihre Hoͤflichkeit mit gro - ßem Vergnuͤgen an, Herr Lovelace.
Lord205Lord M. der ſich wieder ins Mittel ſchlug, als wir beyde hinaus gehen wollten. Und was wird das helfen, meine Herren? Geſetzt, ſie toͤdten einander: wird die Sache dadurch beſ - ſer oder ſchlimmer werden? Was meynen ſie: wird die Fraͤulein durch eines von ihnen oder ih - rer beyder Tod gluͤcklicher oder ungluͤcklicher wer - den? Jhre Gemuͤthsarten ſind allzuwohl bekannt, daß es neue Proben der Herzhaftigkeit eines von ihnen beyden brauchen ſollte. Und ich denke, Herr Obriſt; wo ſie auf die Ehre der Fraͤulein ihr Au - genmerk gerichtet haben, daß dieſe auf keine Wei - ſe ſo nachdruͤcklich, als durch die Ehe befoͤrdert werden kann. Wollten ſie, mein Herr, das, was ſie bey ihr vermoͤgen, anwenden, ſie zu gewin - nen: ſo iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß ſie zu dem gewuͤnſchten Zweck kommen moͤgen; ob es gleich ſonſt niemand kann.
Lovel. Jch glaube, mein Lord, daß ich alles geſagt habe, was ein Menſch ſagen kann: da das, was geſchehen iſt, ſich nicht zuruͤckrufen laͤßt. Sie ſehen aber, daß der Herr Obriſt Morden beſtaͤn - dig um ſo viel heftiger wird, als ich gelaſſener bin, bis ich genoͤthigt werde, meine Perſon zu behau - pten: ſonſt wuͤrde er mich gar verachten.
Lord M. Erlauben ſie mir, Herr Obriſt, ſie zu fragen: Wiſſen ſie einen Weg, ein Mittel, das ſie fuͤr vernuͤnftig und anſtaͤndig zu einem Vorſchlage anſehen, um eine Ausſoͤhnung mit der Fraͤulein zu Stande zu bringen? Das iſt, was wir alle wuͤnſchen. Und ich kann ihnen ſagen,mein206mein Herr, es kommt nicht um ein geringes von ihrer Familie und ihrem unverſoͤhnlichen Bezei - gen gegen ſie her, daß ihr Widerwillen gegen meinen Verwandten ſich vergroͤßert hat; der ſonſt allerdings ſchaͤndlich mit ihr umgegangen, aber willig und bereit iſt, das ihr widerfahrne Uebel wieder gut zu machen ‒ ‒
Lovel. Nicht um ihrer Familie willen, mein Lord; auch nicht wegen des uͤbermuͤthigen Bezei - gens von dieſem Cavallier: ſondern um ihrer ſelbſt willen, und in vollkommener Empfindung des Uebels, das ich gegen ſie ausgeuͤbet habe.
Obr. Was mein uͤbermuͤthiges Bezeigen be - trifft, wie ſie es nennen, mein Herr: ſo muß ich mich ſehr irren, wo ſie in eben dem Falle, wenn eine ſo wuͤrdige Verwandtinn auf eine ſo unan - ſtaͤndige Weiſe beleidigt waͤre, nicht noch weiter gegangen ſeyn wuͤrden. Jch muß ihnen aber ſa - gen, mein Herr, daß, wofern ihre Bewegungs - gruͤnde nicht Liebe, Ehre und Gerechtigkeit ſind, und wofern dieſelben das geringſte von einem nie - dertraͤchtigen Mitleiden gegen ſie, oder von einer unwilligen Genehmhaltung an ihrer Seite, bey ſich haben, ich verſichert ſey, es werde von einer Perſon, die ſo viele Verzuͤge und ſo vielen Ver - ſtand hat, als meine Baſe, weder verlangt, noch angenommen werden: und ich werde es auch in dem Fall nicht wuͤnſchen.
Lovel. Glauben ſie nicht, Herr Obriſt, daß ich durch einen niedertraͤchtigen Vergleich einen Streit abzulehnen ſuche, den ich eben ſo willigſeyn207ſeyn wuͤrde mit ihnen auszufuͤhren, als zu eſſen oder zu trinken, wo mit Gelegenheit dazu gege - ben wird: allein ſo viel will ich ihnen ſagen, daß mein Lord, die Lady Sarah Sadleir, die Lady Eli - ſabeth Lawrance, meine beyden Baſen Montague, und ich ſelbſt, auf die feyerlichſte und aufrichtigſte Art, an ſie geſchrieben haben, um ihr ſolche Vor - ſchlaͤge zu thun, die niemand, als nur ſie allein, ausſchlagen wuͤrde; und dieß lange genug vorher, ehe man ſich von des Obriſt Mordens Ankunft traͤumen ließ.
Obr. Was fuͤr Urſachen, mein Herr, wo ich fragen darf, fuͤhrt ſie an, weswegen ſie einer ſo ſtarken Vermittelung und ſolchen Anerbietungen kein Gehoͤr giebet?
Lovel. Es ſieht ſo aus, als wenn ich einen Vergleich machen wollte, mich zu ergeben: ſonſt ‒ ‒
Obr. Es ſieht bey mir gar nicht ſo aus, Herr Lovelace: da ich von ihrer Herzhaftigkeit eine ſo gute Meynnng habe, als ein Menſch haben kann. Und ich bitte ſie, was ſtelle ich in dieſer Sache fuͤr eine Perſon vor? und was habe ich fuͤr Bewegungsgruͤnde dazu? Suche ich nicht, indem ich verlange, daß meiner Baſe Clariſſa Harlowe Gerechtigkeit widerfahren moͤge, die Ehre der Fr. Lovelacinn zu behaupten, wofern die Sachen einmal ſo weit gebracht werden koͤnnen?
Lovel. Sollte ſie mich mit Annehmung die - ſes Namens beehren, Herr Morden: ſo wuͤrdeich208ich weder ihrer, noch irgend eines andern beduͤr - fen, die Ehre der Fr. Lovelacinn zu retten.
Obr. Jch glaube es. Aber ſo lange bis ſie ihnen die Ehre erzeiget hat, dieſen Namen anzu - nehmen, iſt ſie mir naͤher, als ihnen, Herr Lovelace. Jch ſage dieß bloß deswegen, damit ich ihnen zei - ge, daß ich bey dem Antheil das ich an der Sa - che nehme, vielmehr Dank als Misfallen von ihnen zu verdienen ſuche: waͤre es auch gegen ſie ſelbſt, wenn es noͤthig ſeyn ſollte. Sie muͤſſen es auch billig nicht uͤbel nehmen: wofern ſie die Sache recht erwaͤgen. Denn, mein Herr, ge - gen wen braucht ein Frauenzimmer wohl anders Schutz, als gegen ihre Beleidiger? Und wer iſt ihr groͤßter Beleidiger geweſen? ‒ ‒ So lange alſo, bis ſie auf ihren Schutz, als ihre Gemahlinn, ein Recht bekommt, koͤnnen ſie mir ſelbſt einiges Ver - dienſt nicht abſprechen, wenn ich wuͤnſche, daß meiner Baſe Gerechtigkeit widerfahre. Allein, mein Herr, ſie wollten ſagen, daß, wofern es nicht ſo ausſaͤhe, als wenn ſie einen Vergleich machen wollten, ſich zu ergeben, ſie mir einen Wink von denen Urſachen geben wuͤrden, welche meine Baſe anfuͤhret, weswegen ſie eine ſo anſehnliche Vermittelung nicht annehmen will.
Jch erzaͤhlte ihm hierauf, wie aufrichtig ich mich zur Ehe erboten haͤtte. „ Jch wollte kein „ Bedenken tragen, ſagte ich, meine Furcht zuge - „ ſtehen, daß mein ungluͤckliches Bezeigen gegen „ ſie ſie ſehr angegriffen haͤtte; die Unverſoͤhnlich - „ keit ihrer Freunde aber waͤre es, die ſie zur Ver -„ zwei -209„ zweifelung gebracht, und ihr eine Verachtung „ gegen das Leben eingefloͤßet. Jch eroͤffnete ihm „ daß ſie ſo gut geweſen waͤre, mir einen Brief zu - „ zuſchicken, damit ſie mich von einem Beſuch, den „ ich mir feſt vorgenommen hatte, abhalten moͤchte: „ einen Brief, auf den ich große Hoffnung bauete; „ weil ſie mich in demſelben verſicherte, daß ſie im „ Begriff ware nach ihres Varers Hauſe abzu - „ gehen, und daß ich ſie daſelbſt ſehen moͤch - „ te, wofern ich es nicht durch meine eigne „ Schuld hinderte.
Obr. Jſt es moͤglich? Haben ſie ſich ſo ernſtlich bemuͤhet, mein Herr? Und hat ſie ihnen wirklich einen ſolchen Brief zugeſchickt?
Der Lord M. bekraͤftigte beydes, und auch, daß ich aus Gehorſam gegen ihr Verlangen, und wegen ihrer gethanen Anzeige, wieder von Lan - don herunter gekommen waͤre, ohne das Vergnuͤ - gen gehabt zu haben, welches ich mir vorgeſetzt, ſie zu ſehen.
Es iſt vollkommen wahr, Herr Obriſt, ſprach ich; und ich wuͤrde ihnen dieß ſchon vorher geſagt haben: allein ihre Hitze machte, daß ich Beden - ken trug, es zu thun; denn es hatte das Anſe - hen, wie ich geſagt habe, als wenn ich mich durch einen niedertraͤchtigen Vergleich ergeben wollte. Eine Feigheit, um welcher willen ich mich ſelbſt eben ſo ſehr verachtet haben wuͤrde, wenn ich da - zu aufgelegt geweſen waͤre, als ich von ihnen ver - achtet zu werden erwartet haben moͤchte.
Siebenter Theil. ODer210Der Lord M. ſchlug vor, ſich auf den Be - weis von dieſem allen einzulaſſen. Er ſagte, nach ſeiner gewoͤhnlichen Weiſe, ſich mit Spruͤchen aus - zudruͤcken: Eine Geſchichte waͤre allezeit gut, bis man die andere hoͤrte. Es waͤre wahr, die Harloweiſche Familie und ich haͤtten uns als die aͤrgſten Feinde gegen einander bezeiget: und jene haͤtten ſich uͤber dieß große Freyheiten ge - gen unſere ganze Familie herausgenommen. Nichts deſto weniger wollte er mehr um der Fraͤulein, als um jener willen oder ſelbſt um mei - netwillen, das koͤnnte er mir ſagen, groͤßere Dinge fuͤr mich thun, als dieſelben fordern koͤnn - ten: wofern ſie zu gewinnen waͤre, mich zu neh - men. Dieß haͤtte er anzeigen wollen; und wuͤrde es eher angezeiget haben: wenn er uns eher zur Gedult und zu einem guten Vernehmen haͤtte bringen koͤnnen.
Der Obriſt entſchuldigte ſeine Hitze durch ſeine Liebe zu ſeiner Baſe.
Meine Achtung gegen dieſelbe machte, daß ich ſeine Entſchuldigungen gern und willig annahm. Und ſo ſetzten wir uns, da eine friſche Flaſche Burgunder und eine Flaſche Champagner auf den Tiſch geſetzt war, nach allem dieſem Brauſen mit gutem Sinne nieder, um uns genauer uͤber die eigentlichen Umſtaͤnde der Begebenheit einzulaſſen: welches ich auf beyder Verlangen zu thun uͤber - nahm.
Allein dieſe Dinge muͤſſen den Jnhalt eines andern Briefes ausmachen, der dem gegenwaͤr -tigen211tigen unmittelbar folgen ſoll, wo er ihn nicht be - gleitet.
Jmmittelſt werdet ihr bemerken, daß eine boͤ - ſe Sache einem Menſchen vieler Vortheile berau - be. Denn ich glaube ſelbſt, daß die Fragen, welche mir der Obriſt mit ſo großer Heftigkeit vorlegte, mir ein verflucht niedriges Anſehen ga - ben: da ſie ihm zu eben der Zeit einen erhabenen Vorzug beylegten, welchen ich dem beſten Kerl in ganz Europa nicht wohl einzuraͤumen weiß. Auf die Art iſt, nach dem Buchſtaben, wie ein From - mer daraus ſchließen wuͤrde, das Laſter ſein eigner Richter zu ſeiner Beſtrafung: indem es machet, daß ein ſtolzer Geiſt dem Miſſethaͤter aͤhnlich ſie - het, der er wirklich iſt. ‒ ‒ Ein Frommer, ſa - ge ich: alſo haſt du; das fuͤge ich bey, um dir zuvorzukommen; kein Recht, Bruder, dieſe Anmerkung zu machen.
Jch ging in dieſem Theil unſerer Unterredung bis auf den Tag zuruͤck, da ich genoͤthigt ward, zu meinem Lord, in der gefaͤhrlichen Krank - heit, welche nach einiger Beyſorge ſeine letzte ge - weſen ſeyn moͤchte, hinunter zu kommen.
Jch erzaͤhlte dem Obriſten „ was fuͤr ernſtli - „ che Briefe ich an einen beſondern Freund ge - „ ſchrieben haͤtte, damit ich ihn bewegen moͤchte, „ die Fraͤulein zu bereden, daß ſie einen gewiſſen „ Tag, der zu der geheimen Vollziehung unſerer „ Heyrath vorgeſchlagen war, nicht vorbeygehen „ ließe. Jch erzaͤhlte ihm, was fuͤr Briefe ich „ der Sache wegen an ſie ſelbſt abgelaſſen haͤt - „ te “(*)Man ſehe den V Theil, S. 823. 829. 831. 835. 846.. Denn ich war zu meinem Cloſet ge - gangen und hatte alle die Briefe, und Entwuͤrfe und Abſchriften von Briefen, die zu dieſer Sa - che gehoͤrten, herunter geholet.
Jch213Jch las ihm verſchiedne Stellen in den Ab - ſchriften von dieſen Briefen vor, welche, wie du dich beſinnen wirſt, mir zu nicht geringer Ehre gereichen. Jch ſagte ihm, „ daß ich wuͤnſchte, ich „ haͤtte auch von den Briefen an meinen Freund, „ die ich bey dieſer Gelegenheit geſchrieben, Ab - „ ſchriften behalten. Daraus wuͤrde er geſehen „ haben, wie ſehr es mir mit meinen Erklaͤrun - „ gen ein Ernſt geweſen: ob ſie gleich nicht einen „ von meinen Briefen beantworten wollen. “ Du magſt dich erinnern, daß einer von dieſen vier Briefen ihr den Grund entdeckte, warum ich wuͤnſchte, daß ſie da, wo ich ſie gelaſſen haͤtte, bleiben ſollte(*)Man ſehe den V Th. S. 825..
Hiernaͤchſt fuhr ich fort, ihm „ von dem Be - „ ſuch Nachricht zu geben, den die Lady Sarah „ und Lady Eliſabeth bey dem Lord M. und mir „ abſtatteten, um mich zu bewegen, daß ich ihr Ge - „ rechtigkeit widerfahren ließe; imgleichen von „ meiner Bereitwilligkeit, mich ihrem Verlangen „ gemaͤß zu bezeigen; von der hohen Meynung, „ die dieſe beyden Ladies von ihr haͤtten; von dem „ Beſuch, den meine Baſen Montague in unſer „ aller Namen bey der Fraͤulein Howe ablegten, „ um ſie zu bewegen, daß ſie ihre Fuͤrſprache bey „ ihrer Freundinn zu meinem Beſten anwenden „ moͤchte; von meiner Unterredung mit der Fraͤu - „ lein Howe in einer beſondern Geſellſchaft, in wel - „ cher ich ihr eben die Verſicherung gab, und ſie „ um ihre Fuͤrſprache bey ihrer Freundinn erſuchte.
O 3Hier -214Hierauf las ich ihm die Abſchriften von dem Briefe, welchen die Fraͤulein Charlotte Monta - gue, den 1ten Auguſt(*)Man ſehe den VI Theil, S. 666., an ſie geſchrieben, und worinn ſie in unſerer aller Namen ſie um ihre Ver - bindung mit uns erſucht hatte: ob er mir gleich ſo ſehr nachtheilig war.
Dieß verurſachte, daß er geneigt ward, zu ge - denken, daß ſeine ſchoͤne Baſe ihren Widerwillen gegen mich zu weit triebe. Er haͤtte ſich nicht vorgeſtellet, ſagte er, daß es mir ſelbſt oder unſe - rer Familie ſo ſehr ein Ernſt geweſen waͤre.
So ſiehſt du, Belford, daß man nur uͤber einen Theil einer Geſchichte Anmerkungen ma - chen, und den andern weglaſſen darf: ſo wird allezeit aus einer ſchlimmen Sache eine gute wer - den. Was fuͤr einen bewundernswuͤrdigen Sach - walter wuͤrde ich abgegeben haben! Und wie ſchlecht wuͤrde dieſe reizende Fraͤulein, mit aller ihrer Unſchuld, gegen einen Menſchen, der ſo viel fuͤr ſich zu ſagen und zu zeigen haͤtte, vor Ge - richt fortgekommen ſeyn.
Jch gab ihm nach dieſem auch einen Wink von dem großmuͤthigen Erbieten zu einem jaͤhrli - chen Geſchenk, welches der Lord M. und ſeine Schweſtern ſeiner ſchoͤnen Baſe gethan, aus Bey - ſorge, ſie moͤchte durch die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde in Mangel gerathen.
Hieruͤber gab der Obriſt ebenfalls ein großes Wohlgefallen zu erkennen, und hatte die Guͤte, das ungluͤckliche Misverſtaͤndniß zwiſchen den bey -den215den Familien zu bedauren, welches verurſachet haͤtte, daß die Harloweiſche Familie eine Verbin - dung mit einem Hauſe, das ſo viel auf wahre Eh - re hielte, als dieſes Beyſpiel von dem unſrigen zeigte, nicht ſo begierig geſucht haͤtte.
Jch erzaͤhlte ihm ferner, „ daß, da ich von „ meinem Freunde; ich meynte dich; welcher „ den Zutritt zu ihr gehabt und allezeit ein Be - „ wunderer ihrer Tugend geweſen, auch mir von „ Zeit zu Zeit der Fraͤulein wegen ſo gut gera - „ then, daß ich ihm gefolgt zu haben wuͤnſchte, „ verſichert worden, daß ein Beſuch von mir ihr „ ſehr unangenehm ſeyn wuͤrde, ich mich noch ein - „ mal entſchloſſen, zu verſuchen, was ein Brief „ ausrichten wuͤrde, und dem zufolge den 7ten „ Auguſt ein Schreiben an ſie abgelaſſen haͤtte.
„ Dieß, Herr Obriſt, iſt die Abſchrift davon. „ Jch ſtand damals nicht in gutem Vernehmen „ mit meinem Lord M. und den Ladies von unſe - „ rer Familie. Sie werden ihn alſo fuͤr ſich ſelbſt „ leſen(*)Man ſehe den VI Theil, S. 712..
Dieſer Brief that ihm vollkommen Genuͤge. Sie ſchreiben hier von ganzem Herzen, Herr Lo - velace. Es iſt ein Brief voller Reue und Er - kenntniß ihrer Schuld. Jhre Bitte iſt vernuͤnf - tig ‒ ‒ daß ſie nur in ſo weit Vergebung erlan - gen moͤgen, als ſie es nach einer Zeit der Pruͤfung, welche ſie ihr feſtzuſetzen uͤberlaſſen, zu verdienenO 4ſchei -216ſcheinen werden. Hat ſie ihnen dann eine Ant - wort auf dieſen Brief geſchickt, mein Herr?
Ja: allein mit Widerſtreben, ich geſtehe es; und nicht eher, als bis ich mich durch mei - nen Freund erklaͤret hatte, daß, wo ich keine Ant - wort erlangen koͤnnte, ich ſelbſt nach London kom - men und mich zu ihren Fuͤßen werfen wollte.
Jch wuͤnſchte, daß es mir erlaubt ſeyn moͤch - te, die Antwort zu ſehen, mein Herr, oder dieje - nigen Stellen davon, welche ſie fuͤr gut befinden werden, vorleſen zu hoͤren.
Jch ſuchte meine Papiere durch. Hier iſt ſie, mein Herr(*)Man ſehe den VI Theil, S. 733.. Jch will mir kein Beden - ken machen, ſie ihnen in ihre Haͤnde zu geben.
Dieß iſt ſehr hoͤflich, Herr Lovelace.
Er las ſie. Meine reizende Baſe! ‒ ‒ Wie ſtark iſt ihr Unwillen! ‒ ‒ Wie liebreich ſind dennoch zugleich ihre Wuͤnſche! Lieber Gott! daß ein ſo vortreffliches Frauenzimmer ‒ ‒ Al - lein, ſie, Herr Lovelace, werden es eben ſo ſehr be - dauren als ich ſelbſt, ich zweifle nicht daran ‒ ‒
Jch fiel ihm in die Rede, und ſchwur, daß ich es thaͤte.
Es muß billig ſo ſeyn, verſetzte er. Jch wun - dere mich auch nicht, daß es ſo ſeyn ſollte. Jch werde ihnen alſobald erzaͤhlen, fuhr er fort, wie viel ſie durch falſche und betruͤgeriſche Nachrich - ten bey ihren Freunden leidet. Wollen ſie mir aber erlauben, mein Herr, dieſe beyden Briefemit217mit mir zu nehmen? Jch werde ſie zu ihrer bey - der Vortheil gebrauchen.
Jch antwortete ihm, daß ich ihm von Herzen gern darinn zu Gefallen ſeyn wollte. Dieß nahm er ſehr guͤtig auf, wie er Urſache hatte, und ſteck - te ſie in ſeine Brieftaſche, mit dem Verſprechen, ſie binnen wenigen Tagen wieder zuruͤckzu - ſenden.
Darauf erzaͤhlte ich ihm weiter, „ daß ich nach „ dieſer abſchlaͤgigen Antwort unternommen haͤtte, „ ſelbſt nach London zu gehen, in Hoffnung, ſie zu „ meinem Beſten zu bewegen. Ob ich gleich da - „ hin gegangen waͤre, ohne ihr von meiner Ent - „ ſchließung Nachricht zu geben: ſo haͤtte ſie doch „ einige Kundſchaft gehabt, daß ich kommen wuͤr - „ de, und es ſo angeſtellet, daß ſie nicht anzutref - „ fen geweſen. Endlich; ſetzte ich hinzu; da ſie „ fand, daß ich mir feſt vorgeſetzet haͤtte, es moͤch - „ te erfolgen, was da wollte, ſie zu ſehen, ehe ich „ auf Reiſen ginge; “welches ich thun werde, ſagte ich, wofern ich ſie nicht gewinnen kann: „ ſo „ ſchickte ſie mir den Brief, wovon ich ſchon vor - „ her Erwaͤhnung gegen ſie gethan habe. Sie „ bittet mich in demſelben, den ihr zugedachten „ Beſuch aufzuſchieben: und das um einer Urſa - „ che willen, die mich in Verwunderung und Ver - „ wirrung ſetzet. Jch weiß niemals, daß ſie von „ ihrem Worte abgegangen waͤre: denn ſie nahm „ es allezeit zur Regel, daß es nicht erlaubt „ waͤre, deswegen etwas Boͤſes zu thun, da - „ mit etwas Gutes daraus erfolgen moͤchte. O 5„ Den -218„ Dennoch hat ſie mich, aus keiner andern Urſa - „ che in der Welt, als damit ſie mich nicht ſehen „ moͤchte, bloß weil ſie ihren Unwillen befriedigen „ will, durch dieſen Brief aus London gebracht, „ da ich mich auf die Verſicherung verließ, die ſie „ mir gegeben hatte.
Obr. Dieß iſt in der That zu bewundern. Allein ich kann nicht glauben, daß meine Baſe, bloß zu einem ſolchen Ende oder wirklich zu ir - gend einem Ende, nach dem, was ich von ihrer Gemuͤthsart hoͤre, ſich erniedrigen ſollte, einen ſol - chen Kunſtgriff zu gebrauchen.
Lovel. Das iſt es eben, Herr Obriſt, was mich in Erſtaunen ſetzet: und gleichwohl, ſehen ſie hier! ‒ ‒ Dieß iſt der Brief, den ſie an mich ſchrieb: ‒ ‒ Ja, mein Herr, es iſt ihre eigne Hand.
Obr. Jch ſehe, ſie iſt es: eine vortrefflich ſchoͤne Hand.
Lovel. Sie bemerken, Herr Obriſt, daß alle ihre Hoffnung zur Ausſoͤhnung mit ihren Eltern von ihnen herkomme. Sie ſind ihr lieber und preiswuͤrdiger Freund. Sie hat allezeit mit Vergnuͤgen von ihnen geſprochen.
Obr. Jch wuͤnſchte nichts mehr, als daß ich nach England gekommen waͤre, ehe ſie von Har - lowe-Burg weggegangen. So waͤre nichts von dieſen Dingen geſchehen. Nicht einer von de - nen Maͤnnern, welche ihre Freunde, wie ich gehoͤ - ret, ihr vorgeſchlagen, haͤtte ſie haben ſollen: auch ſie nicht, Herr Lovelace; ohne wenn ich befundenhaͤtte,219haͤtte, daß ſie der Mann waͤren, der ſie nach dem, was ein jeder, welcher ſie ſiehet, wuͤnſchen muß, ſeyn ſollten. Waͤren ſie aber der Mann ge - weſen: ſo wuͤrde ich fuͤr ein ſo vortreffliches Frauenzimmer ihnen keine Seele vorgezogen haben.
Mein Lord und ich vereinigten unſere Wuͤn - ſche mit den ſeinigen: und, bey meiner Treue, ich wuͤnſchte es recht von Herzen.
Der Obriſt las den Brief zweymal uͤber, und gab ihn mir darauf wieder zuruͤck. Es iſt mir alles ein Geheimniß, ſagte er: ich kann nichts daraus machen. Denn, leider! ihre Freunde ſind ſo wenig, als jemals, zu einer Ausſoͤhnung geneigt.
Lord M. Das haͤtte ich nicht denken koͤn - nen. Aber meynen ſie nicht, daß etwas ſehr vor - theilhaftes fuͤr meinen Enkel in dieſem Briefe ſey? ‒ ‒ Etwas, das ſo ausſieht, als wenn die Fraͤulein ſich zuletzt gefaͤllig erklaͤren wollte.
Obr. Jch will ſterben, wo ich weiß, was dar - aus zu machen iſt. Dieſer Brief iſt von ihrem vorigen Schreiben gar ſehr unterſchieden! ‒ ‒ Sie haben doch eine Antwort darauf zuruͤckge - ſchickt, Herr Lovelace?
Lovel. Eine Antwort, Herr Obriſt! Daran iſt nicht zu zweifeln. Und zwar eine Antwort, die vollkommen von meiner Entzuͤckung zeugte. Jch meldete ihr „ daß ich alſobald zu dem Lord M. „ abreiſen wollte, damit ich ihrem Willen Gehor - „ ſam leiſtete. Jch meldete ihr, daß ich in alles,„ was220„ was ſie befehlen wuͤrde, willigen wollte, damit „ ich dieſe gluͤckliche Ausſoͤhnung befoͤrdern moͤch - „ te. Jch meldete ihr, daß es, bis an das Ende „ meines Lebens, meine ſtuͤndliche Bemuͤhung „ ſeyn ſollte, eine ſo ausnehmende Guͤte zu verdie - „ nen. “ Allein ich kann mich nicht entbrechen, zu ſagen, daß es mir nicht wenig Anſtoß und Be - ſtuͤrzung verurſachet, wofern damit nichts mehr gemeynet iſt, als mich auf das Land hinauszuſchaf - ſen, ohne ſie vorher zu ſehen.
Obr. Das kann es nicht ſeyn: darauf ver - laſſen ſie ſich, mein Herr. Es muß etwas mehr, als das, dahinter ſtecken. Denn waͤre es das al - les: ſo muͤßte ſie ja gedenken, daß ihnen der Jr - thum bald benommen ſeyn und ſie alsdenn nach der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit ihren vorigen Schluß wieder faſſen wuͤrden; ‒ ‒ es waͤre dann, daß ſie ſich etwa darauf verlaſſen haͤtte, mich un - ter der Zeit zu ſehen, weil ſie gewußt, daß ich an - gekommen waͤre. Aber ich geſtehe, ich weiß nicht, was ich daraus machen ſoll. Nur ſo viel ſehe ich, daß ſie mir ſehr viele Ehre erweiſet, wo ich es bin, den ſie ihren preiswuͤrdigen Freund nennet, welchen ſie allezeit geliebet und ge - ehret haͤtte. Jch habe ſie in der That allezeit geliebet: und werde, wo ich unverheyrathet und ohne Kinder ſterbe, eben ſo guͤtig gegen ſie ſeyn, als ihr Großvater geweſen iſt; und das um ſo viel mehr, weil ich fuͤrchte, daß nur allzu viel Neid und Selbſtliebe hinter dem Unwillen ſtecke, den ihr Bruder und ihre Schweſter bey ihrenEltern221Eltern gegen ſie zu unterhalten ſuchen. Allein ich werde hievon beſſer zu urtheilen wiſſen, wenn mein Vetter Jakob von Edinburg kommt. Man erwartet ihn alle Stunden.
Erlauben ſie mir aber zu fragen, Herr Love - lace: Wie heißt ihr Freund, der einen ſo freyen Zutritt zu meiner Baſe hat? Heißt er nicht Belford?
Lovel. Ja, mein Herr: ein Mann, der auf ſeine Ehre haͤlt, und ein großer Bewunderer ih - rer ſchoͤnen Baſe iſt.
Hatte ich Recht in dem erſten Stuͤck, Bru - der? Von dem letzten habe ich ſo ſtarken Be - weis, daß ich deswegen an dem erſten zweifele: indem ſie meinem Beſuche, den ich ihr zugedacht hatte, nicht entgangen ſeyn wuͤrde, wenn du nicht geweſen waͤreſt.
Obr. Sind ſie verſichert, mein Herr, daß Herr Belford ein Mann iſt, der auf Ehre haͤlt?
Lovel. Jch kann fuͤr ihn ſchwoͤren, Herr Obriſt. Was haben ſie aber fuͤr Urſache, dieſe Frage zu thun?
Obr. Bloß dieſe: Es iſt ein dienſtfertiger und unerfahrner Menſch, der ſich gern in fremde Dinge miſcht, nach London hinaufgeſandt, ſich nach der Lebensart und Auffuͤhrung meiner Baſe zu erkundigen: und, wollten ſie es wohl glauben! die oͤftern Beſuche dieſes Cavalliers ſind auf eine niedertraͤchtige Art zu ihrem Nachtheil ausgedeu - tet worden. ‒ ‒ Leſen ſie dieſen Brief, Herr Lo -velace:222velace: ſie werden ſich bey einem jeden Stuͤck deſſelben aͤrgern.
Dieſer verfluchte Brief iſt, ſonder Zweifel, von dem jungen Leviten, den du mir beſchriebeſt, Bruder, wie er ſich nach dem Rufe der Fraͤulein Harlowe und denen Perſonen, die bey ihr Beſuch ablegten, bey Fr. Smithinn erkundigte.
Jch glaube, ich brachte eine Viertelſtunde zu, ihn zu leſen: denn ich machte ihn durch die Zu - ſaͤtze von Eidſchwuͤren und Fluͤchen bey jeder pe - dantiſchen Zeile, ob er gleich nicht kurz iſt, zehn mal ſo lang, als er iſt. Der Lord M. half ihn auch ſo gar durch eben dergleichen Fluͤche verlaͤn - gern. Und du, Bruder, wirſt eben ſo viel Urſa - che haben, ihn zu verfluchen, als wir.
Sie muͤſſen nothwendig ſehen, ſagte der Obriſt, nachdem ich ihn geleſen hatte, daß dieſer Menſch bey ſeiner widrigen Geſinnung Dank zu verdie - nen geſucht hat. Denn was er ſchreibt, iſt bloß vom Hoͤrenſagen, und das Hoͤrenſagen iſt ein Aergerniß, das ſich auf bloße Muthmaßungen gruͤndet, ohne eine wirkliche That, oder den Schein einer wirklichen That, wodurch es unter - ſtuͤtzt werde: ſo daß ein unparteyiſches Auge, bey dem erſten Anblick des Briefes, den Verfaſſer deſſelben, wie ich that, verdammen, und meine Baſe losſprechen wuͤrde. Gleichwohl iſt der Zorn, wodurch die Uebrigen von meinen Anverwandten getrieben werden, ſo groß, daß ſie ſich hinreißen laſſen, das aͤrgſte, was dieſer Brief zu verſtehen giebt, zu glauben: und die liebe Frauͤlein hat dar -uͤber223uͤber ſehr aͤrgerliche Briefe bekommen. Man hat dasjenige, wovon der Schulfuchs einen Wink gegeben, fuͤr wahr angenommen, und ihr eine Reiſe nach einer von den Pflanzſtaͤdten vorge - ſchlagen, als das einzige Mittel, dem Herrn Bel - ford und ihnen zu entgehen. Jch habe dieſe Briefe in der That nicht geſehen: allein ſie mach - ten ſich eine Ehe daraus, mir etwas von ihrem Jnhalt vorzuſagen; welches der armen Fraͤulein durchs Herz gegangen ſeyn muß. Und wenn man dieß zu ihrem vorigen Leiden hinzuſetzet: ‒ ‒ Was haben ſie, Herr Lovelace, denn nicht zu ver - antworten?
Lovel. Wer, Teufel, haͤtte ſolche Folgen, als dieß ſind, erwarten koͤnnen? Wer haͤtte glauben koͤnnen, daß ſo unverſoͤhnliche Eltern, ſo neidiſches Geſchwiſter, und, erlauben ſie mir zu ſagen, ein ſo unbewegliches Frauenzimmer, das ſich ohne Nach - geben denjenigen Mitteln entgegenſetzte, die einzig und allein alles bey einem jeden Theil gut zu ma - chen vermoͤgend waͤren, auf der Welt ſeyn koͤnn - ten? ‒ ‒ Und was iſt nun zu thun uͤbrig?
Lord M. Jch mache mir große Hoffnung, daß der Obriſt Morden ſeine Baſe noch gewin - nen koͤnne: und nach ihrem letzten Briefe ſchwebt es mir im Sinne, daß ſie noch einige Abſicht hat, zuletzt alles, was vorgegangen iſt, zu vergeben. Gedenken ſie, Herr Obriſt, daß, wenn auch gegen - waͤrtig keine ſolche Ausſoͤhnung vor ſich gehen ſollte, ihr Brief nicht ſo viel mit einſchließen moͤge, daß ſie ſich mit Herrn Lovelacen auſoͤhnen wollte,wofern224wofern wir ihre Freunde bewegen koͤnnten, es zu - zugeben?
Obr. Eine ſolche Liſt wuͤrde ſich beſſer fuͤr die italiaͤniſche Spitzfindigkeit, als fuͤr die engli - ſche Aufrichtigkeit ſchicken. Jhre Gnaden ſiud vermuthlich in Jtalien geweſen?
Lovel. Mein Lord hat vielleicht Boccacio geleſen: und das iſt eben ſo gut; in Abſicht auf die beruͤhrte Anmerkung, welche ſich aus einer von den Erzaͤhlungen dieſes Schriftſtellers ent - lehnen laͤſſet. Allein die Fraͤulein Clariſſa Har - lowe iſt uͤber alle liſtige Kunſtgriffe erhaben. Sie muß etwas meynen, das ich nicht ergruͤnden kann.
Ohr. Jch kann nur ſo viel ſagen, mein Lord, daß ich die Briefe, welche Herr Lovelace mir aus beſon - derer Hoͤflichkeit mitzunehmen erlaubt hat, auf einige Art gebrauchen werde: und wenn ich erſt mit meinem Vetter Jakob, der alle Stunden er - wartet wird, einige Unterredung gehabt, und ein oder ein paar Dinge, die mir ſehr auf dem Halſe liegen, zur Richtigkeit gebracht habe; ſo will ich meiner ſchoͤnen Baſe meine Aufwartung machen. Alsdenn werde ich im Stande ſeyn, beſſer von al - lem zu urtheilen. Unterdeſſen will ich an ſie ſchrei - ben: denn ich habe mich nach ihr erkundigen laſ - ſen, und finde, daß ſie Troſt noͤthig hat.
Lovel. Wenn ſie die Gewogenheit haben wol - len, Herr Obriſt, mir den verdammten Brief von dem Kerl, dem Brand, auf einen oder zween Tage zu uͤberlaſſen: ſo werden ſie mich ſehr verbinden.
Obr. 225Obr. Jch will es gar gern thun: aber er - innern ſie ſich, daß der Mann ein Geiſtlicher iſt; und noch dazu, wie man ſagt, ein ſehr unſchuldi - ger Menſch. Sonſt waͤre ich ſchon laͤngſt bey ihm geweſen. Dieſe Neulinge aus den Hoͤrſaͤlen ihrer Lehrer, die ſich einbilden, daß ſie in ihren Zellen alles wiſſen, und daß alle Gelehrſamkeit in Buͤchern liege, ſtellen ſeltſame Perſonen vor, wenn ſie in die Welt und unter Leute von beyder - ley Geſchlecht kommen.
Lord M. Brand! Brand! Er ſollte Feuerbrand geheißen haben, denke ich auf mein Gewiſſen!
So endigte ſich dieſe muthige Unterhand - lung.
Jch muß geſtehen! Bruder, daß mich der Obriſt Morden ſehr eingenommen hat. Er iſt be - herzt und edelmuͤthig. Er kennt die Welt: und ſeine Verachtung gegen die Geiſtlichen iſt ein ge - wiſſes Zeichen, das er einer von Uns iſt.
Wir gingen mit großer Hoͤflichkeit von ein - ander. Der Lord M. der nicht wenig daruͤber vergnuͤgt, und von dem Obriſten eben ſo ſehr ein - genommen war, wiederhohlte ſeinen Wunſch, nach - dem der Obriſt ſich wegbegeben hatte, daß er zu rechter Zeit angekommen waͤre, die Fraͤulein zu retten, wo ſie durch ſeine Ankunft zu retten gewe - ſen ſeyn wuͤrde.
Jch wuͤnſche es ſelbſt auch. Denn bey mei - ner Seele, Bruder, ich werde ihretwegen von Ta -Siebenter Theil. Pge226ge zu Tage unruhiger. Allein ich hoffe, ſie be - findet ſich nicht ſo uͤbel, als mir geſagt wird.
Jch ſchließe den Brief von dieſem Feuer - brand, wie ihn mein Lord nennet, bey. Jch mache mir die Rechnung, daß er alle deine Traͤg - heit zur Rachbegierde erwecken werde.
Jch weiß nicht, was ich rathen ſoll: ob er der Fraͤulein zu zeigen iſt, oder nicht. Jedoch wird ſie daraus vielleicht mehr Vergnuͤgen als Ver - druß ſchoͤpfen; da ſie ſich ihrer Unſchuld bewußt iſt: weil er ihr Grund zu hoffen geben wird, daß das Verfahren ihrer Freunde mit ihr eben ſo viel von falſchen Nachrichten, als von der natuͤrlichen Unverſoͤhnlichkeit derſelben herkomme. Ein ſol - ches Gemuͤth, als ſie hat, weiß ich, wuͤrde ſich freuen, auch nur den Schatten von einem Grun - de zu den aͤrgerlichen Briefen, welche ſie, wie der Obriſt ſagt, ihr zugeſchickt haben, und zu ihrem Vorſchlage, daß ſie nach einer von den Pflanzſtaͤd - ten gehen ſollte, zu finden. Der Henker hohle ſie alle ‒ ‒ Aber wo ich anfange zu fluchen: ſo wer - de ich niemals zu Ende kommen. ‒ ‒ Hiernaͤchſt kann der Brief ihr vielleicht eine Vertheidigung an die Hand geben, zu der ſie gern eine gute Gele - genheit haben moͤchte, und zu einem Mittel dienen, ihre Angehoͤrigen wegen ihrer ungeheuren Leicht - glaͤubigkeit zu beſchaͤmen. ‒ ‒ Allein dieß uͤberlaſſe ich deiner eignen großkoͤpfichten Klugheit ‒ ‒ Nur kraͤnkt es mich bis in die Seele, daß auch nur Schmaͤhſucht und Verlaͤumdung ſich unter - ſtehen ſollen, die bloße Moͤglichkeit zu vermuthen,daß227daß irgend ein Menſch Theil an der Gewogen - heit einer Fraͤulein haben ſollte, welche ich nun, wie mich deucht, goͤttlich verehren koͤnnte.
Charlotte und ihre Schweſter konnten ſich nicht entbrechen uͤber die niedertraͤchtige Ver - laͤumdung zu weinen. Wann, wann, ſagte Mar - tha mit aufgehobenen Haͤnden, wird das Leiden dieſer anmuthsvollen Fraͤulein ein Ende haben? ‒ ‒ O Vetter Lovelace! ‒ ‒
So werden mir eines jeden Fehler zur Laſt geleget! ‒ ‒ Verflucht ſie ihr grauſamer Vater, ſo bin ich es. Jch ſchelte ſie mit ihrer harten Mutter. Jhres einfaͤltigen Onkels Unverſoͤhn - lichkeit iſt meine Schuld. Jhres Bruders Gift und Galle, ihrer Schweſter Hohn und Neid kommen gaͤnzlich von mir her. Dieſes Galgen - ſchwengels, des Brands Brief, iſt von meiner Hand ‒ ‒ O Bruder, was fuͤr ein elender Menſch iſt dein Lovelace! ‒ ‒
Ohne einen Brief zuruͤckgekommen! ‒ ‒ Dieſer verdammte Kerl Wilhelm iſt ohne einen Brief zuruͤckgekommen! Gleichwohl ſagt mir der Bube, er hoͤre, daß ihr dieſe zween Tage uͤber beſchaͤfftigt geweſen, an mich zu ſchreiben!
Der Henker hohle dich, da du meine Unge - dult, und die Urſache derſelben wiſſen mußt!
Jch ſandte zu keinem andern Ende einen eig - nen Kerl zu Pferde! Meine Einbildungskraft war an den Bauch des Thieres geheftet, um mitP 2dem -228demſelben Schritt zu halten! Nun iſt er bis an dieſen; nun bis an jenen Ort; nun zu London; nun zu dir gekommen.
Nun iſt ihm ein Brief gegeben. Mit Peitſche und Spornen geht es auf den Ruͤckweg. Eben iſt er in dieſe Stadt gekommen, und haͤlt ſich nicht auf, irgend etwas zu ſich zu nehmen. Jtzt iſt er bey jenem Flecken vorbey; reitet geſchwinde als der Wind; Kerl und Pferd ſchaͤumen vor Schweiß.
Auf die Art kam er wirklich in den Hinter - hof meines Lords geritten.
Das Geraͤuſch von dem Pflaſter brachte mich herunter ‒ ‒ den Brief, Wilhelm! den Brief, du Hund! ‒ ‒ den Brief, Bube!
Kein Brief, mein Herr! ‒ ‒ Alſobald ſahe ich ſtarr um mich herum und verſtellte das Geſicht, wie ein Unſinniger ‒ ‒ der Henker hohle dich, du Hund, und den, der dich ohne einen Brief zu - ruͤck geſchickt hat! ‒ ‒ Den Augenblick aus mei - nen Augen: oder ich will dein einfaͤltiges Gehirn in die Luft zerſtreuen. Jndem ich dieß ſagte: erhaſchte ich ein Piſtol aus ſeinem Futter. Der Bube aber ſprang von dem rauchenden Pferde herunter, und rannte fort, dem Schickſal zu ent - gehen, welchem ich dich von ganzem Herzen ſo nahe zu haben wuͤnſchte, daß es dich getroffen haͤtte.
Allein, daß ich gegen einen Menſchen, der vollkommen Gewalt uͤber mich hat, und meine Seele nach eignem Gefallen quaͤlen und marternkann,229kann, ſo ſanftmuͤthig ſey, als ein Lamm: was kannſt du fuͤr eine Abſicht haben, weswegen du meinen Kerl ohne einen Brief zuruͤck ſendeſt? ‒ ‒ Jch will, ſo bald als der Tag grauet, noch einen Kerl zu Pferde nach dem, was du geſchrie - ben haſt, abſenden: und ich beſchwoͤre dich bey deiner mir, als deinem General ſchuldigen Treue, daß du ihn nicht mit leeren Haͤnden abfertigeſt.
Jch kam geſtern nach einer leidlich angenehmen Reiſe, in Betrachtung des heiſſen Wetters und der ſtaubichten Wege, zu London an, kehrte in dem Wirthshauſe zum Stier und Thor in Holborn ein, und eilte nach dem Covent-Garden. Jch fand das Haus bald, wo die ungluͤckliche Fraͤulein ihren Aufenthalt genommen hat: und hatte in dem hindern Laden eine ziemlich weitlaͤuf -P 3tige230tige Unterredung(*)Man ſehe den VI Theil, S. 727. mit der Fr. Smithinn, ih - rer Wirthinn. Dieſe fand ich ſo ſehr zu ihrem Vortheil eingenommen, daß ich wohl ſahe, es wuͤrde Jhrem Verlangen nicht Genuͤge thun, wenn ich alle meine Nachrichten von ihr einziehen woll - te. Jch ward auch genoͤthigt, meinem Goͤnner aufzuwarten, der, wie ich zu meinem großen Leid - weſen finde;
ſehr viele Aufwartung haben will, und ein ganz anderer Mann iſt als er auf Schulen war: denn, mein Herr, inter nos, mit den Ehren veraͤn - dern ſich die Arten zu handeln. Der vor - herbenannten Urſachen wegen dachte ich, es wuͤrde den Endzweck des Befehls, womit Sie mich beehret haben, am beſten zu erreichen die - nen, daß ich die Ausforſchung der verlangten Nachrichten der Frauen eines beſonderen Freun - des auftruͤge, die beynahe der Fraͤulein gegen uͤber wohnet, und eine anſehnliche Frau von gutem Gemuͤth und ordentlicher Lebensart iſt, ſelbſt Kinder hat, und die Welt wohl kennet.
An dieſe wandte ich mich alſo und gab ihr ei - ne kurze Nachricht von der Beſchaffenheit der Sache. Jch erſuchte ſie hierauf ſich nach der Auffuͤhrung der ungluͤcklichen Fraͤulein, nach ihrer gegenwaͤrtigen Lebensart und Ver - pflegung, nach den Perſonen, die bey ihr Be - ſuch ablegten, nach ihren Beſchaͤfftigungenund231und dergleichen ſehr genau zu erkundigen. Denn dieß, mein Herr, wiſſen ſie, ſind die Dinge, wo - von ſie Nachricht zu haben wuͤnſchten.
Dem zu folge beſuchte ich heute die vorher - gedachte Frau: und zu meinem großen Leidwe - ſen; weil ich weiß, daß es zu Jhrem und Jhres ganzen hochadlichen Hauſes Misvergnuͤgen gerei - chen werde; finde ich, daß die Sachen ein wenig ſchwaͤrzer ausſehen, als ich hoffete. Denn leider, mein Herr, die Ausſage der Frauen faͤllt nicht ſo vortheilhaft, als ich wuͤnſchte, als Sie wuͤnſch - ten, als ein jeder von ihrer Familie wuͤnſchte, fuͤr den guten Namen der Fraͤulein aus. Allein ſo geht es in der Welt: ein Fehltritt zieht ge - meiniglich den andern und zufaͤlligerweiſe einen aͤrgern und und noch einen aͤrgern nach ſich; bis die arme, und, wie ein Vogel durch den Leim, gefangene Seele; ein ſehr geſchicktes Beywort aus dem goͤttlichen Quarles; gaͤnzlich verwickelt, und, wo nicht unendliche Gnade hilft, auf ewig verlohren iſt.
Dem ungeachtet, mein Herr, ſcheint ſie in Anſehung der Geſundheit in einem ſehr ſchlechten Zuſtande zu ſeyn. Hierinn kom - men beyde Frauen, naͤmlich ihre Wirthinn, Fr. Smithinn, und die Frau meines Freundes, uͤber - ein. Dennoch laͤßt ſie ſich oft in eine Kirche tragen; zur Bethſtunde, wie man ſagt: allein meines Freundes Ehefrau erzaͤhlt mir, es ſey in London nichts gewoͤhnlicher, als daß das Kirchen - gehen bey den Bethſtunden des Morgens zu ei -P 4nem232nem Vorwande und Deckmantel fuͤr gehei - me und verabredete Zuſammenkuͤnfte ge - braucht werde. Was fuͤr eine traurige Sache iſt dieß, daß dasjenige, was zu einer heilſamen Nahrung fuͤr die arme Seele abzielte, in ein ſchaͤdliches Gift verwandelt ſeyn ſollte. Allein wie Herr Daniel von Foe, ein ſinnreicher Mann, ob gleich einer von den Widriggeſinnten, be - merket; jedoch in der That iſt es ein altes Sprich - wort, nur er, denke ich, iſt der erſte geweſen, der es in Verſe gebracht hat;
Jnzwiſchen, daß man der Fraͤulein Gerech - tigkeit widerfahren laſſe, kommt doch niemals jemand mit ihr zu Hauſe: es kann auch in der That niemand mit ihr kommen, weil ſie ſich in ei - nem Tragſeſſel oder in einer Saͤnfte, wie ſie es nennen, hin und her bringen laͤßt. Aber da - gegen iſt ein Cavallier von keinem guten Rufe, ein vertrauter Freund des Herrn Lovelacens, der beſtaͤndig bey ihr und bey den Leuten im Hauſe Beſuche ablegt, und die letztern beſchenkt und bewirthet, auch dem zu folge in großem Ruhm bey ihnen ſtehet.
Jch habe mir deswegen die Muͤhe genom - men; denn ich mag gern in allem, was mir auf - getragen iſt und ich uͤbernehme, genau und ſorgfaͤltig verfahren; mich umſtaͤndlich nachdieſem233dieſem Cavallier zu erkundigen. Cavallier nennt man ihn: ob ich gleich niemand dafuͤr hal - te, als den, der ſich durch ſeine Handlungen ſo be - weiſet. Denn, wie Juvenal ſagt,
Jch habe mich aber vorher erkundiget, ehe ich mich niederſetzen wollte, an Sie zu ſchreiben.
Sein Name iſt Belford. Er hat ein Gut von ſeinem Vater, das jaͤhrlich bis auf tauſend Pfund St. traͤgt: und iſt noch itzo in der Trauer wegen eines Onkels, der ihm auch uͤber dieß ein anſehnliches Vermoͤgen hinterlaſſen hat. Er iſt in einem ſehr boͤſen Rufe in Abſicht auf Frauen - zimmer; denn darnach habe ich mich beſon - ders erkundiget; und ein ſehr vertrauter Freund von dem Herrn Lovelace, mit welchem er einen ordentlichen Briefwechſel unterhaͤlt. Man hat ihn oft tête à tête mit der Fraͤulein am Fen - ſter geſehen: zwar freylich auf keine ſtrafbare Art; aber die Frau von meinem Freunde iſt doch der Meynung, daß alles nicht ſo ſey, wie es ſeyn ſollte. Und in Wahrheit es kommt mir gewal - tig fremd vor; wo die Fraͤulein eine ſo ausneh - mende Reue empfindet, als vorgegeben wird, und wo ſie einen ſolchen Abſcheu vor dem Hrn. Lovelace hat; daß ſie dennoch ſeinen vertraute - ſten Freund zu ſich in ihre Zimmer kommen laſſen, und ſonſt keine andere Geſellſchaft ſe - hen mag.
P 5Jch234Jch vernehme von der Fr. Smithinn, daß Herr Hickmann ſie vor einiger Zeit im Namen der Fraͤulein Howe beſucht habe, und erfahre von einer andern Hand; Sie ſehen, mein Herr, wie ſorgfaͤltig ich geweſen bin, das, was ſie mir auf - getragen haben, auszurichten; daß er anfangs keine außerordentliche Meynung von dieſem Belford gehabt, ob man ſie gleich in der Nachbar - ſchaft einmal des Morgens zum Fruͤhſtuͤck bey der Fraͤulein beyſammen geſehen. Ein anderes mal hat man bemerket, daß dieſer Belford auf den Herrn Hickmann, wie er von ihr gekommen, gewartet: ſo daß es ſcheinen moͤchte, als wenn er ſehr begierig geweſen, ſich bey dem Herrn Hick - mann in Gunſt zu ſetzen; ſonder Zweifel aus kei - ner andern Urſache, als damit er ihn gewinnen moͤch - te, bey der Fraͤulein Howe von der Vertrau - lichkeit, zu welcher er bey ihrer ungluͤcklichen Frundinn gelaſſen worden, eine vortheilhafte Vorſtellung zu machen. Die Fraͤulein mag wohl keine boͤſe Abſicht haben, weswegen ſie ſeine Beſuche geſtattet: da ſie ſich ſehr ſchlecht befindet. Denn es ſcheint, daß er den Arzt und Apotheker, die ſie beſuchen, zu ihr gebracht, oder wenigſtens beyde ihr angeruͤhmet habe. Allein ich denke uͤberhaupt, es ſieht nicht wohl aus.
Es iſt mir leid, mein Herr, daß ich Jhnen kei - ne beſſere Nachricht von der Klugheit der Fraͤu - lein geben kann. Aber was ſoll man ſagen?
wie Juvenal bemerket.
Eines235Eines beſorge ich. Die Fraͤulein mag in Noth ſeyn: und dieſer Belford, der ihr, wie Fr. Smithinn geſtehet, Geld angeboten hat, das ſie damals ausgeſchlagen, kann vielleicht Gele - genheit finden, ſich dieſe Noth zu Nutze zu ma - chen. Der Dichter aber merket gar wohl an:
Und dieſer Belford, der ein kuͤhner Menſch iſt, und, wie man ſagt, auch ſo ausſiehet, kann wohl den Ausſpruch von Horaz; mit deſſen Schriften Sie ſo gut bekannt ſind, daß es keiner beſſer ſeyn mag; wahr machen:
Verzeihen Sie mir, mein Herr, was ich itzo ſchreiben werde. Koͤnnten Sie aber die Uebri - gen von Jhrer Familie bewegen, ſich den Vor - ſchlag gefallen zu laſſen, von welchem Sie und ihre tugendhafte Schweſter, die Fraͤulein Arabella, nebſt dem Archidiakonus und mir, ein - mal redeten, daß die ungluͤckliche Fraͤulein zu be - reden waͤre, ſich auf eine anſtaͤndige Weiſe zu einer oder der andern von den auswaͤrtigen Pflanz - ſtaͤdten zu begeben: ſo moͤchte das nicht allein ih - re eigne Ehre und guten Namen, ſondern auch die Ehre und das Anſehen ihrer ganzen Familie retten, und noch dazu ein großes TheilVer -236Verdruſſes verhuͤten. Denn ich bin in ſchul - digſter Ehrfurcht der Meynung, daß Sie, oder irgend einer von Jhnen, ſich ſchwerlich in Ruhe finden werden, ſo lange dieſe, vormals unſchul - dige, Fraͤulein ſo nahe iſt, daß Sie oft von ihr hoͤren koͤnnen. Auf die Art wuͤrde ſie auch die - ſem Belford und dem Lovelace aus dem We - ge ſeyn: es moͤchte zufaͤlliger Weiſe eben ſo viel Boͤſes als Aergerniß verhuͤten.
Sie, mein Herr, werden mir dieſe Offen - herzigkeit vergeben. Ovid redet fuͤr mich:
Jch habe keine andere Abſicht, als daß ich mich wie einen eifrigen Verehrer, und wie Jhre ganze Familie, welcher ich ſehr viele Verbindlich - keit zu haben bekenne, wohl wuͤnſchet, bezeigen moͤge, und inſonderheit, mein Herr, als
Jhren verbundenen und gehorſamſten Mittwoch. Diener den 9ten Auguſt. Elias Brand.
P. S. Jch werde Jhnen noch einige Winke mehr geben: wenn ich hinunter komme; welches in wenigen Tagen geſchehen wird. Alsdenn wer - de ich Jhnen auch melden, von wem ich meine Nachrichten habe. Aus dem aber, was ich Jh - nen itzo mitgetheilet, werden Sie ſehen, daß ich in der Verrichtung, die Sie mir aufgetragen haben, ſehr fleißig geweſen bin, wenn man die Zeit erwaͤget.
Die237Die Laͤnge meines Briefes werden Sie entſchul - digen. Denn ich darf Jhnen, mein Herr, nicht erſt ſagen, was Briefe, in welchen etwas er - zaͤhlet, von mehrern verſchiednen Dingen und von gehabten Unterredungen geſchrieben wird, dergleichen der meinige iſt, erfordern. Ein je - der hat ſeine beſondere Gabe. Meine iſt das Briefſchreiben; das darf ich kuͤhnlich ſagen: und deswegen ward auf der hohen Schule der Briefwechſel mit mir ſehr geſucht. Allein dieß wuͤrde ich nicht beruͤhret haben; wenn es nicht zur Vertheidigung der Laͤnge meines Briefes noͤthig geweſen waͤre: denn kein Menſch ſchrei - bet kuͤrzer oder nachdruͤcklicher, wenn die Sa - che nur auf die gewoͤhnlichen Briefarten an - kommt ‒ ‒ Jedoch, indem ich meine Weitlaͤuf - tigkeit zu entſchuldigen ſuche, vergroͤßere ich den Fehler: wofern es ein Fehler ſeyn ſollte, wofuͤr ich es gleichwohl nicht halten kann, in Betrachtung der Sache die den Jnhalt ausma - chet. Aber dieß habe ich ſchon vorher mit an - dern Worten geſagt. Wollen Sie alſo nur mein Poſtſcript fuͤr entſchuldigt halten, mein Herr: ſo bin ich verſichert, daß ſie keinen Feh - ler an meinem Briefe finden werden.
Jch denke, ich habe nichts mehr beyzufuͤgen, bis ich die Ehre habe, Jhnen in Perfon aufzuwar - ten, als daß ich ſey, wie oben ꝛc. ꝛc. E. B.
Es iſt gluͤcklich genug geweſen, daß ſich unſere beyden Bedienten bey Hanna(*)Bey der Windmuͤhle bey Slough. begegnet ſind, welches ihnen eine ſo gute Gelegenheit gege - ben, ihre Briefe zeitig genug gegen einander aus - zuwechſeln, daß ein jeder fruͤh am Tage zu ſeinem Herrn zuruͤckkommen koͤnnen.
Du thuſt wohl, daß du dich mit deiner Faͤ - higkeit, die Bedienten zu regieren, groß macheſt, und zu einem Verbeſſerer unſerer Dichter in ih - ren Beſchreibungen von dieſer Art Leute auf - wirfſt(**)Man ſehe den Vten Brief dieſes Theils., wenn du, wie ein Unſinniger, ihnen die Zaͤhne ausſchlagen, und den Kopf durchzu - ſchießen verſuchen kannſt, weil ſie dir etwas nicht bringen, was nicht in ihrer Gewalt geſtanden, zu erhalten.
Jhr bemerket ſehr wohl(***)Man ſehe den XXIV ten Brief dieſes Theils., daß ihr einen vollkommenen Sachwalter abgegeben haben wuͤr - det. Die ganze Unterredung zwiſchen euch und dem Obriſten giebt einen uͤberzeugenden Beweis,daß239daß eine jede Sache eine weiſſe und eine ſchwarze Seite habe. Allein was muß einem parteyiſchen Menſchen, der ſeine eigne Sache weiß oder ei - nes andern Sache ſchwarz machet, ſein Ge - wiſſen ſagen: wenn er ſeinen Richtern einen blauen Dunſt vor die Augen ſtellet, und ſich alle die Zeit uͤber ſeiner Schuld bewußt iſt?
Der Obriſt, ſehe ich, iſt gar nicht von allen Fehlern frey. Allein weil er nicht durch Treu - loſigkeit ſeinen Zweck bey Frauenzimmern zu er - halten geſucht: hat er eine Entſchuldigung, die du nicht haſt. Jch kann aber itzo in Abſicht auf ihn, und uns alle, mit Verabſcheuung einiger von meinen eignen Handlungen, erkennen, daß es die niedertraͤchtigſte Bosheit ſey, die begangen wer - den kann, wenn man die gute Meynung, welche eine andere Perſon von uns heget, ſich zu Nutze machet, eben dieſe andere Perſon zu beleidigen und vielleicht gar ungluͤcklich zu machen.
Handelte eine Mannsperſon ſo gegen eine andere Mannsperſon: ſo wuͤrde es uns keine Schwierigkeit machen, ſolchen Handlungen einen Namen zu geben. Jſt es aber nicht zwey und dreymal aͤrger, wenn man ſich eines ſolchen Vor - theils uͤber ein unerfahrnes und unſchuldiges jun - ges Frauenzimmer bedienet, das wir mehr als irgend eine Frauensperſon in der Welt zu lieben vorgeben, und wenn wir unſer Vorgeben durch die feyerlichſten Geluͤbde und Betheurungen un - verbruͤchlicher Ehre, die wir nur erfinden koͤnnen, verfiegeln?
Jch240Jch ſehe, wie dieſer Cavallier ſich zu dir in allen Stuͤcken ſo wohl ſchicket, daß kein aͤhnlichers Paar zu finden geweſen waͤre. Sein Gemuͤth iſt eben ſo ungeſtuͤm und hitzig, als deines. Er faſſet bald Feuer; iſt rachbegierig; und unter - ſcheidet ſich nur in dieſem Stuͤcke, daß die Sache, in welche er ſich einlaͤſſet, gerecht iſt. Aber mache meine Empfehlung an den ehrlichen trotzigen Mowbray, der, ehe er noch um die Sache wußte, gegen einen Mann, welcher die Partey der belei - digten Perſon genommen, und welchen er vorher niemals geſehen hatte, zu deinem Behuf ſein Schwerdt anbietet.
So bald als ich euren, und des Mordbren - ners, des Brands, Brief durch geſehen hatte; wobey ich aus dem letztern erkannte, woher ein großes Theil von der letzten Unverſoͤnlichkeit der Harloweiſchen Familie gekommen; nahm ich eine Kutſche und fuhr nach Smithens Hauſe, ob ich gleich erſt etwa vor einer Stunde von dannen ge - kommen, und auf die Nacht von der Fraͤulein Abſchied genommen hatte.
Jch ſandte nach der Fr. Lovick daß ſie hinun - ter kaͤme, und bat ſie vor allen Dingen, der Fraͤu - lein, welche in ihrem Cloſet beſchaͤfftigt war, Nach - richt zu geben, daß ich Briefe von Berks haͤtte, in welchen mir gemeldet wuͤrde, daß die Zuſam - menkunft zwiſchen dem Obriſt Morden und Hrn. Lovelacen ohne uͤble Folgen geendigt worden; daß der Obriſt geſonnen waͤre gar bald an ſie zu ſchreiben und unterdeſſen ſich ihrer Partey beyihren241ihren Verwandten annehmen wollte. Jch hoffe - te, dieſe angenehme Zeitung wuͤrde ein Mittel ſeyn, ihr eine gute Ruhe zu verſchaffen: und wollte ihr morgen um die Zeit, wenn ſie von der Bethſtun - de kommen wuͤrde, mit der Nachricht von allen de - nen beſondern Umſtaͤnden aufwarten.
Sie ließ mir ſagen, es ſollte ihr lieb ſeyn, mich morgen zu ſehen; und ſie waͤre mir fuͤr die gute Zeitung, welche ich ihr haͤtte hinauf ſagen laſſen, ſehr verbunden.
Hierauf las ich der Fr. Lovick und Fr. Smithinn den Brief von Branden in dem hintern Laden vor, und fragte ſie, ob ſie nicht muthmaßen koͤnnten, von wem der Mann ſeine Nachrichten haͤtte? Sie fanden keine Schwierigkeit dabey: weil Fr. Smithinn eben den Kerl, Brand, der mit ihr geſchwatzt hatte, wie ich in einem meiner vorigen Briefe gedacht habe(*)Man ſehe den VI Theil, S. 727., aus eines Kra - mers Laden, ihnen gegenuͤber, heraus kommen ge - ſehen, und eben dieſer Kramer, wie ſie ſagte, ſich neulich ſehr genau nach der Fraͤulein erkundigt hatte.
Jch brauchte nicht mehr zu wiſſen: ſondern empfahl ihnen, der Fraͤulein nichts von dem, was ich geleſen hatte, zu ſagen, und ging eilends hin - uͤber. Da ich nun hier nach der Frauen im Hauſe fragte: kam ſie zu mir.
Nachdem ich mit ihr, auf ihre Einladung, in ihren Saal gegangen war: verlangte ich zuwiſſen,Siebenter Theil. Q242wiſſen, ob ſie mit einem jungen Geiſtlichen vom Lande, Namens Brand, Bekanntſchaft haͤtte. Sie geſtand mit Stottern, weil ſie ſahe, daß ich einigermaßen aufgebracht war, ſie haͤtte einige geringe Bekanntſchaft mit dem Herrn. Eben den Augenblick kam ihr Mann herein, der, wie es ſcheint, ein kleiner Zollbedienter iſt, und ſich nicht uͤbel aufzufuͤhren weis. Dieſer geſtand eine groͤßere Bekanntſchaft mit ihm zu.
Jch habe die Abſchrift von einem Briefe die - ſes Brands, fuhr ich fort, in welchem er ſich ge - gen meinen guten Namen und die Ehre des un - tadelhafteſten Frauenzimmers in der Welt große Freyheiten genommen hat, und dieſe auf Nach - richten gruͤndet, welche ſie, Madame, ihm gege - ben haben. Hierauf las ich ihnen verſchiedne Stellen aus ſeinem Briefe vor, und fragte, was ſie fuͤr Grund gehabt haͤtte, dem Menſchen ſolche Gedanken von uns beyden beyzubringen?
Sie wußten nicht, was ſie antworten ſollten. Endlich aber ſagten ſie, er haͤtte ihnen erzaͤhlet, auf was fuͤr eine gottloſe Weiſe die Fraͤulein von ihrem Eltern entlaufen; was dieſe fuͤr rechtſchaffene und reiche Leute waͤren; in was fuͤr Gunſt er bey ihnen ſtuͤnde; und daß ſie ihm aufgetragen haͤt - ten, ſich nach ihrer Auffuͤrung, denen Perſonen, welche bey ihr Beſuche ablegten u. ſ. w. zu erkun - digen.
Sie bekannten, ſie wuͤßten in der That ſehr wenig von der Fraͤulein: aber es waͤre nur allzu natuͤrlich zu gedenken; verflucht ſey ihre Tadel -ſucht!243ſucht! daß ein Frauenzimmer, wenn es ſich ein - mal bethoͤren laſſen und einen ſo argen Schritt gethan haͤtte, es dabey nicht bewenden laſſen wuͤr - de. Die heiligſten Oerter und Sachen wuͤrden nur gar zu oft zu einem Deckmantel gottloſer Handlungen gemacht. Herr Brand haͤtte; viel - leicht von einem meiner Feinde; gehoͤret, daß ich ſehr freye Grundſaͤtze hegte, und von dem Manne, der die Fraͤulein ungluͤcklich gemacht haͤtte, ein ſehr vertrauter Freund waͤre: und ihre Baſe Barkerinn, eine Schneiderinn fuͤr Frauenzimmer; welche eine Treppe hoch wohnte, und auf ihr Bit - ten herunter kam und das, was ſie ſagten, beſtaͤ - tigte; haͤtte mich oft von ihrem Fenſter mit der Fraͤulein in ihrer Kammer geſehen, und bemerkt, daß wir ſehr emſig mit einander redeten. Da nun Herr Brand keinen Grund finden koͤnnen, warum ſie meine Beſuche geſtattete; und gleich - wohl gewußt haͤtte, daß ich von ihr nur ein neuer, von Herrn Lovelacen aber ein alter Bekannter waͤre: ſo haͤtte er ſich verbunden geachtet, dieſe Dinge ihren Freunden zu eroͤffnen.
Dieß war der Hauptinhalt von dem, was ſie ſagten. O wie fluchte ich auf die Tadelſucht die - ſes verdammten Triumvirats! Eines Pfarrers, eines Kramers, und einer Frauenzimmerſchnei - derinn! Von welchen die beyden letzten durch ihr Gewerbe nicht mehr Anlaß bekommen, eine Per - ſon zu ſchmuͤcken, als ſie ſich gemeiniglich durch ausgebrachte Laͤſterungen verleiten laſſen, den guten Namen dererjenigen zu SchandenQ 2zu244zu machen, wider die ſie Luſt haben ihre Gaben auszuuͤben.
Die beyden Weibsleute gaben ſich große Muͤ - he, mich zu uͤberreden, daß ſie gewiſſenhafte Per - ſonen waͤren ‒ ‒ Dem zu folge, ſagte ich, waͤren ſie, wie ich beſorgte, nur allzu ſehr geneigt, andere Leute zu tadeln, die ſich nicht fuͤr ſo ſtrenge ausge - ben wollten: denn ich haͤtte allezeit befunden, daß Tadelſucht, uͤbertriebne Bedenklichkeit und Lieblo - ſigkeit allzu viel uͤber diejenigen vermocht, welche fuͤr froͤmmer, als ihre Nebenmenſchen, haͤtten an - geſehen ſeyn wollen.
So waͤren ſie nicht geſinnet, war ihre Ant - wort. Sie haͤtten ſich ſeit der Zeit nach der Ge - muͤthsbeſchaffenheit und Lebensart der Fraͤulein erkundigt, und koͤnnten nicht ohne Leidweſen dar - an gedenken, daß irgend etwas von dem, was ſie geſagt haͤtten, zum Nachtheil der Fraͤulein ge - braucht werden ſollte. Da ſie uͤber dieß von der Fr. Smithinn hoͤrten, daß ſie nach aller Wahr - ſcheinlichkeit nicht lange leben wuͤrde: ſo wuͤrde es ihnen leid ſeyn, wenn ſie als eine durch ihre Schuld bedraͤngte Perſon oder mit einer uͤbeln Meynung von ihnen, ob ſie ihr gleich fremd waͤ - ren, aus der Welt gehen moͤchte. Der Mann erbot ſich, wo es mir gefaͤllig waͤre, zur Rechtfer - tigung der Fraͤulein an den Herrn Brand zu ſchreiben: und die beyden Weibsleute erklaͤrten ſich, daß es ihnen lieb ſeyn wuͤrde, wenn ſie ihr in Perſon aufwarten duͤrften, damit ſie dieſelbe wegen alles deſſen, was ſie von ihnen uͤbel zu neh -men245men Urſache haͤtte, um Verzeihung bitten koͤnn - ten; weil ſie nunmehr uͤberzeugt waͤren, daß kein ſolches junges Frauenzimmer mehr in der Welt ſey.
Jch eroͤffnete ihnen, daß es bey den gegen - waͤrtigen Umſtaͤnden der Fraͤulein am beſten ſeyn wuͤrde, ihr ſo wenig, als moͤglich, von der Sache zu ſagen. Sie waͤre allzu geneigt, eine jede Ge - legenheit zu ergreiffen, wodurch ſich fuͤr die Un - verſoͤhnlichkeit ihrer Verwandten gegen ſie Ent - ſchuldigungen finden ließen. Jch wuͤrde ihr da - her nur von den liebloſen und ſchlechten Vermu - thungen, die eine ſo ſchaͤndliche Verlaͤumdung hervorgebracht haͤtten, einige Nachricht geben: wollte aber, daß Herr Walton; ſo heißt der Mann; an ſeinen Freund, den Brand, ſo bald, als moͤglich, ſchriebe; wie er ſich erboten haͤtte ‒ ‒ Und ſo ging ich von ihnen.
Jch bin eben von der Fraͤulein gekommen, und habe ſie in einem muntern und aufgeweck - ten Zuſtande verlaſſen.
Q 3Sie246Sie dankte mir fuͤr die Nachricht, welche ich ihr vorigen Abends gegeben hatte. Jch las ihr aus euren Briefen diejenigen Stellen vor, die ich ihr vorleſen konnte: und hielte es fuͤr eine gute Probe, den Schaum und das fluͤchtige Sylbenge - raͤuſch in denſelben von dem, was einen innern und dauerhaften Werth haͤtte, zu unterſcheiden, nach dem man es einem Frauenzimmer von ſo fei - nem Verſtande vorleſen oder nicht vorleſen koͤnnte. Denn unter ſechs Stellen von deinen Briefen, die ich fuͤr angenehm hielte, da ich ſie fuͤr mich ſelbſt las, kamen mir viere, als ich ſie ihr vorleſen wollte, wie das abſcheulichſte Zeug vor, und brachten mir von deinen Gaben und meiner eignen Beurtheilungskraft ſehr veraͤchtli - che Begriffe bey.
Es fehlte ſehr viel, daß ſie ſich ſo, wie ich ge - than hatte, uͤber den Verdruß wegen einer fehl - geſchlagenen Hoffnung, welchen euch ihr Brief verurſachte, nachdem er erklaͤret worden, haͤtte freuen ſollen.
Sie ſagte, ſie haͤtte ihr Abſehen dabey nur auf eine unſchuldige Allegorie gerichtet, welche, wenn der Verſtand derſelben getroffen waͤre, euch eben ſo wohl zur Lehre und Warnung dienen, als ihre Hoffnung fuͤr die Zeit erfuͤllen mochte. Es waͤre damit eilfertig zugegangen. Sie beſorgte, es moͤchte an ihr nicht vollkommen recht ſeyn. Allein ſie hoffete, daß die Abſicht doch die Mittel wenigſtens entſchuldigen wuͤrde, wo ſie dieſelben nicht rechtfertigen koͤnnte. Und hierauf bezeugteſie247ſie wieder viele Furcht, daß ihr es euch noch im - mer in den Kopf kommen laſſen moͤchtet, ſie zu belaͤſtigen, da ihre Zeit, wie ſie ſagt, ſo kurz iſt, daß ſie einen jeden Augenblick davon gebrauchet. Sie wiederhohlte dabey, was ſie ſchon vorher ein - mal geſagt: Sie haͤtte ſich damals, als ſie ge - ſchrieben, ſo ſchlecht befunden, daß ſie geglaubt, ſie wuͤrde nicht bis auf dieſe Zeit am Leben geblieben ſeyn: haͤtte ſie gedacht, daß ſie ſo lange leben ſoll - te; ſo haͤtte ſie auf ein anderes Mittel denken muͤſſen, welches ihre Abſichten beſſer befoͤrdert ha - ben wuͤrde; womit ſie auf eine Entfernung an ei - nen andern Ort, den wir beyde nicht gewußt haͤt - ten, zielte.
Sie war aber ſehr vergnuͤgt, daß die Unter - redung zwiſchen euch und dem Obriſten Morden ſich ſo freundſchaftlich geendigt hatte, nachdem ihr zwey oder dreymal ſo heftig an einander gerathen waret, als ich ihr erzaͤhlte, und ſagte, ſie muͤßte ſich gaͤnzlich auf mein Wort verlaſſen, daß ich mein Aeußerſtes anwenden wollte, ferneres Un - gluͤck ihretwegen zu verhuͤten.
Es gefiel ihr wohl, daß ihr gegen ihren Vet - ter ihrer Gemuͤthsart Gerechtigkeit hattet wider - fahren laſſen.
Sie freuete ſich uͤber die Nachricht, daß er ei - ne ſo gute Meynung von ihr haͤtte und an ſie ſchreiben wollte.
Jch machte mir unnoͤthige Sorge, wie ich es ihr anbringen wollte, daß ich die Abſchrift von dem ſchaͤndlichen Briefe des Brands haͤtte. Un -Q 4noͤthige248noͤthige Sorge, ſage ich: denn ſie nahm die Sache recht ſo an, als ihr gedacht habt. Sie nahm ſie als eine Entſchuldigung an, die ſie fuͤr die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde zu haben wuͤnſchte, und bat mich, ſie den Brief fuͤr ſich le - ſen zu laſſen. Denn, ſagte ſie, der Jnhalt kann mich nicht unruhig machen, er ſey, was er wolle.
Jch gab ihn ihr hin, und ſie las ihn fuͤr ſich: wobey dann und wann eine Thraͤne hervorſchieſ - ſen wollte, und bisweilen ein Seufzer eingeſcho - ben wurde.
Sie gab mir den Brief mit großer, und, in Betrachtung des Jnhalts, erſtaunlicher Gemuͤths - ruhe wieder zuruͤck.
Jch weiß die Zeit, ſprach ſie, und es iſt noch nicht lange, da ein ſolcher Brief, als dieß iſt, mich ſehr betruͤbet haben wuͤrde. Allein nunmehr, hoffe ich, bin ich uͤber alle dieſe Dinge hinaus: denn ich kann es auf ihre und der Fraͤulein Howe gute Dienſte ankommen laſſen, meinem Andenken bey meinen Freunden Gerechtigkeit zu verſchaffen. Ein jedes Ding, das uns zuſtoͤßet, hat ſeine gute und ſeine boͤſe Seite. Will daß menſchliche Gemuͤth ſich ſelbſt zu thun machen, und einen jeden unan - genehmen Vorfall auf der ſchlimmſten Seite an - ſehen: ſo wird es ihm nimmermehr an Jammer und Herzeleid fehlen. Dieſer Brief macht mir mehr Vergnuͤgen als Kummer; ſo ſehr auch der Jnhalt deſſelben meinen guten Namen kraͤnket: weil ich daraus abnehmen kann, daß, wenn meine Freunde nicht von uͤbel berichteten oder unbeſon -nenen249nenen und dienſtfertigen Perſonen, welche allemal bey der Hand ſind, den Leidenſchaften der Rei - chen zu ſchmeicheln oder zu liebkoſen, zum voraus eingenommen waͤren, ſie nicht ſo unbeweglich wi - der mich haͤtten geſetzt ſeyn koͤnnen. Nun ſind ſie von allem Vorwurf der Unverſoͤhnlichkeit hin - laͤnglich freygeſprochen. Denn da ich ihnen die Perſon einer ſchaͤndlichen Heuchlerinn zu ſpielen geſchienen, die zwar eine wahre Reue zu tragen vorgaͤbe, aber ſich dennoch zu einem ruchlofen Wandel beſtaͤndig fortreißen ließe: wie habe ich denn Verzeihung oder Segen von ihnen erwarten koͤnnen?
Allein, gnaͤdige Fraͤulein, verſetzte ich, ſie wer - den aus der Unterſchrift dieſes Briefes, vom 9ten Auguſt, ſehen, daß ihre Haͤrte, die ſie ſchon vor dieſer Zeit bezeiget haben, ſich dadurch nicht ent - ſchuldigen laſſe.
Es iſt mir viel daran gelegen, antwortete ſie, in Anſehung meiner gegenwaͤrtigen Wuͤnſche, we - gen des Amtes, das ſie ſo guͤtig ſind zu uͤberneh - men, daß ſie nicht widrige Gedanken von meinen Freunden hegen moͤchten. Jch muß ihnen geſte - hen, daß ich bisweilen ſelbſt vermoͤgend geweſen bin, ſie nicht allein fuͤr hart, ſondern gar fuͤr grau - ſam zu halten. Gemuͤther, die unter einem Leiden ſeufzen, werden gemeiniglich fuͤr ihre eigne Sache und Verdienſte parteyiſch ſeyn. Weil ſie ihre eigne Herzen kennen: ſo ſind ſie im Stande, wofern ſie aufrichtig ſind, zu murren, wenn ihnen hart be - gegnet wird. Aber wenn Perſonen, die ein RechtQ 5haben,250haben, nach ihren eignen Einſichten uͤber die Auf - fuͤhrung derſelben zu urtheilen, ſie nicht fuͤr un - ſchuldig halten: wie iſt denn der Sache zu helfen? Außer dem, mein Herr, wie wiſſen ſie, daß nicht um meine Freunde auch Leute ſind, die aus eben ſo guter Meynung, als Herr Brand wirklich zu thun ſcheinet, falſche Nachrichten brin - gen? Allein dem ſey, wie ihm wolle: ſo iſt kein Zweifel, daß es viele eben ſo unſchuldige Perſo - nen, als ich ſelbſt bin, giebt und gegeben hat, die auf eben ſo unwahrſcheinliche Vermuthungen, als dieſe ſind, worauf Herr Brand ſein Urtheil gruͤn - det, gelitten haben. Jhre vertraute Freundſchaft mit Herrn Lovelacen, mein Herr, und, darf ich es ſagen? ein Ruf, den ſie in den vorigen Zeiten, wie es ſcheint, weniger Sorge getragen haben zu rechtfertigen, als ſie vielleicht auf das Zukuͤnftige thun werden, und ihre oͤftere Beſuche bey mir, moͤgen wohl fuͤr tadelnswuͤrdige Umſtaͤnde in meiner Auffuͤhrung angeſehen werden.
Jch konnte nichts mehr thun, als ſie ſtill - ſchweigend bewundern.
Aber ſie ſehen, mein Herr, fuhr ſie fort, wie noͤthig es fuͤr junge Perſonen von unſerm Ge - ſchlechte ſey, unſere Geſellſchaft ſorgfaͤltig zu waͤh - len: und wie ſehr es zu gleicher Zeit jungen Ca - valliers zuſtehe, ihren eignen guten Namen in Acht zu nehmen, wenn es auch nur um dererjeni - gen willen von uns, mit denen ſie es ehrlich mey - nen moͤgen, geſchehen ſollte; als welche ſonſt anihrem251ihrem guten Namen leiden koͤnnen, weil ſie in ih - rer Geſellſchaft geſehen werden.
Was den Herrn Brand betrifft, ſetzte ſie hin - zu, ſo muß man Mitleiden mit ihm haben: und erlauben ſie mir, Herr Belford, ihnen auf das nachdruͤcklichſte zu empfehlen, daß ſie keinen Wi - derwillen gegen ihn faſſen, der ſeiner Perſon oder ſeinen Guͤtern nachtheilig ſeyn moͤchte. Laſſen ſie ſein Amt und ſeine gute Meynung fuͤr ihn ſprechen. Er wird Kummer genug haben, wenn er findet, daß ein jeder, deſſen Unwillen mich itzo druͤcket, mein Angedenken von aller verkehrten Schuld losſpricht, und ſich mit den andern zu ei - nem allgemeinen Mittleiden mit mir vereiniget.
Dieß, Lovelace, iſt die Fraͤulein, deren Leben du in ihrer Bluͤte verkuͤrzet haſt! ‒ ‒ Wie viele Gelegenheiten mußt du gehabt haben, ihren un - ſchaͤtzbaren Werth zu bewundern! Und dennoch konnteſt du deine Sinne durch das Frauenzim - mer in ihrer reizenden Perſon ſo betaͤuben laſſen, daß du gegen den Engel, der in ſo vollkommener Pracht aus ihrem Gemuͤthe hervorblicket, blind wareſt? Jn der That, mir iſt es allezeit, ſo oft ich das Gluͤck gehabt, mit ihr umzugehen, nicht anders vorgekommen, als wenn ich mit einem wirklichen Engel in Geſellſchaft waͤre: und ich bin verſichert, daß es fuͤr mich unmoͤglich ſeyn wuͤrde, wenn ſie auch noch eben ſo ſchoͤn und von einer eben ſo bluͤhenden Geſundheit waͤre, als ich ſie geſehen habe, den geringſten Gedanken von ei -ner252ner Frauensperſon zu haben, ſo bald ich ſie reden hoͤrte.
Als ich die Fraͤulein wieder beſuchte: fand ich, daß ſie beynahe eben ſo viel vor Freuden lit - te, als ſie bisweilen vor Kummer gelitten hatte. Denn ſie hatte eben einen ſehr liebreichen Brief von ihren Vetter Morden bekommen, welchen ſie die Guͤte hatte mir zum Durchleſen zu zeigen. Weil ſie ſchon den Anfang gemacht hatte, ihn zu beantworten: ſo bat ich mir die Erlaubniß aus, ihr des Abends aufzuwarten, damit ich ſie darin - ne nicht ſtoͤren moͤchte.
Aber ach! alles wird nunmehr zu ſpaͤt ſeyn. Denn das Urtheil iſt gewiß ausgeſprochen. Die Welt iſt ihrer nicht werth!
Erlauben Sie mir, uͤber die Ungluͤcksfaͤlle, wel - che eine ſo ungluͤckliche Mishelligkeit zwiſchen Jhnen und den uͤbrigen Perſonen von ihrer Fa - milie veranlaſſet haben, mein Beyleid zu bezeugen, und meine Huͤlfe anzubieten, damit Sie in den Stand geſetzet werden, dasjenige, was geſchehen iſt, zu dem beſten Ende zu bringen.
Sie ſind in die ſchaͤndlichſten Haͤnde gefallen. Der Brief, den ich von Florenz aus an Sie ſchrieb(*)Man ſehe den III Th. S. 550 u. f., iſt, wie ich finde, zu ſpaͤt gekommen, daß er die gehoffte Wirkung haͤtte haben koͤnnen. Es iſt mir ſehr leid, daß dieß geſchehen iſt: gleich - wie ich auch ſehr bedaure, daß ich nicht eher in Perſon nach England gekommen bin.
Allein laſſen Sie uns das Vergangene vergeſ - ſen und auf das Kuͤnftige hinausſehen. Jch bin bey dem Herrn Lovelace und dem Lord M. ge - weſen. Es iſt nicht noͤthig, wie es ſcheint, daß ich Jhnen erſt melde, was fuͤr ein großes Ver -langen254langen die ganze Familie trage, die Ehre einer Verwandtſchaft mit Jhnen zu haben. Eben ſo wenig darf ich Jhnen erſt ſagen, wie ausnehmend ernſtlich Herr Lovelace alles auf alle ihm moͤgliche Art wieder gut zu machen wuͤnſche.
Jch denke, meine wertheſte Baſe, daß Sie nunmehr nichts beſſers thun koͤnnen, als ihm die Ehre zu erweiſen und ihm Jhre Hand zu geben. Er ſpricht ſo gerecht und groß von Jhrer Tugend, und verdammt ſich ſelbſt ſo herzlich, daß ich glau - be, es habe noch viele und anſtaͤndige Urſache Platz, warum Sie ihm vergeben moͤchten: und das um ſo viel mehr, da es ſcheint, daß Sie ſich entſchloſſen haben, ihn nicht gerichtlich zu belangen.
Wenn Sie ihm wirklich vergeben: ſo, ſehe ich offenbar, wird das eine allgemeine Ausſoͤhnung beſchleunigen. Denn gegenwaͤrtig koͤnnen meine anderen Baſen und Vetter ſich nicht uͤberreden, daß er im Ernſt geſonnen ſey, Jhnen Gerechtig - keit widerfahren zu laſſen, oder daß Sie ſeine Hand ausſchlagen wuͤrden, wenn Sie glaubten, es ſey ihm ein Ernſt.
Allein, meine wertheſte Baſe, es kann viel - leicht etwas bey der Sache ſeyn, was mir gaͤnzlich unbekannt iſt. Wenn das ſeyn ſollte und Sie mir davon Nachricht geben wollen: ſo ſoll alles geſchehen, was ein von Natur feuriges Herz zu Jhrem Beſten thun kann.
Nichts anders, als meine Bemuͤhung, Jhnen hier zu dienen, hat mich bisher abgehalten, daß ich Sie deſſen nicht muͤndlich verſichere: denn michver -255verlangt ſehr, nach einer Abweſenheit von ſo vie - len Jahren, Sie zu ſehen. Jch hoffe, daß ich bey meinen naͤchſten Beſuchen bey meinen ver - ſchiednen Baſen und Vettern im Stande ſeyn werde, alles zur Richtigkeit zu bringen. Ehrgei - zige Gemuͤther duͤrfen nur eine gute Entſchuldi - gung haben, ſich herabzulaſſen und nachzugeben, wenn ſie erſt einmal uͤberzeuget ſind, daß ſie den Unwillen zu hoch getrieben: und Eltern muͤſſen ein Kind, das ſie einmal geliebet haben, alle - mal lieben.
Mittlerweile bitte ich mir die Gewogenheit aus, ein paar Zeilen an mich zu ſenden, damit ich erfahre, ob Sie Urſache haben, an Herrn Lovela - cens Aufrichtigkeit zu zweifeln. Jch meines Theils kann keine Urſache zu zweifeln haben: wo ich nach der Unterredung, die geſtern in Gegen - wart des Lords M. zwiſchen ihm und mir vorge - fallen iſt, urtheilen ſoll.
Sie werden die Guͤte haben, die Aufſchrift des Briefes an mich ſo einzurichten, daß er in Jh - res Onkels, Antons, Hauſe abgegeben werde.
Erlauben Sie mir, meine wertheſte Baſe, ſo lange bis ich zwiſchen Jhnen, und Jhrem Vater, und Bruder, und Jhren Onkels, eine gluͤckliche Ausſoͤhnung zuwege bringen kann, bey Jhnen die Stelle aller dieſer nahen Anverwandten eben ſo wohl zu vertreten, als den Platz
Jhres ergebenen Vetters und gehorſamen Dieners Wilh. Morden.
Jch wuͤnſche Jhnen von ganzem Herzen Gluͤck, mein wertheſter Herr Vetter, zu ihrer Ruͤckkunft in Jhr Vaterland.
Jch habe mit vielem Vergnuͤgen gehoͤret, daß Sie angekommen waͤren: aber mich ſo wohl ge - fuͤrchtet als geſchaͤmet, mich zu Jhnen zu wenden, bis Sie mich durch eine Nachricht vorher dazu ermunterten.
Wie troͤſtlich iſt es fuͤr mein verwundetes Herz, wenn ich befinde, daß Sie durch den Strohm des Unwillens und Misfallens, wodurch ich ſo ungluͤcklich uͤberſchwemmet bin, nicht hingeriſſen ſind ‒ ‒ ſondern vielmehr, da meine noch weit naͤ - here Verwandten nicht fuͤr dienlich geachtet, die Wahrheit ſchaͤndlicher Erzaͤhlungen, die wider mich aufgebracht ſind, zu unterſuchen, ſelbſt die Erkundigung eingezogen, und auf eine großmuͤthi - ge Weiſe dieſe Erkundigung, damit ſie Glau - ben finden moͤchte, unterſtuͤtzt haben, daß mein Fehler mehr von meinem Ungluͤck hergeruͤh - ret, als meine Schuld geweſen iſt.
Jch257Jch habe nicht die geringſte Urſache an Herrn Lovelacens Aufrichtigkeit in ſeinen Erbietungen zur Ehe zu zweifeln: auch daran nicht, daß alle ſeine Verwandten ein herzliches Verlangen tra - gen, mich in ihre Reihe aufzunehmen. Jch ha - be edle Proben von Jhrer Achtung fuͤr mich ge - habt; da ſie beſorgt geweſen ſind, daß meines Va - ters Unwillen mich einigen Schwierigkeiten un - terworfen haben muͤßte: und dieß ſo gar, nach - dem ich ſo wohl ihre inſtaͤndige Bitten zum Vor - theil ihres Verwandten, als deſſen eignes Fle - hen, ſchlechterdings abgeſchlagen hatte.
Denken Sie auch nicht, mein wertheſter Herr Vetter, daß ich tadelnswuͤrdig ſey, weil ich ſeine Hand ausſchlage. Jch hatte Herrn Lovelacen keine Urſache gegeben, mich fuͤr eine Perſon voll weibiſcher Schwachheiten anzuſehen. Haͤtte ich das gethan: ſo haͤtte ein Menſch von ſeiner Ge - muͤthsart ſich fuͤr berechtigt halten moͤgen, daß er ſich die Schwachheit, welche er einzufloͤßen ver - moͤgend geweſen waͤre, auf eine unedelmuͤthige Weiſe zu Nutze zu machen ſuchte. Das Be - wußtſeyn meiner eignen Schwachheit haͤtte mich, in dem Falle, zu einem Vertrag mit ſeiner Bosheit bringen moͤgen.
Jch kann ihm allerdings vergeben. Aber das kommt daher, weil ich glaube, daß ſeine La - ſter mich uͤber ihm hinausgeſetzet haben. Kann ich nun wohl uͤber denjenigen hinausgeſetzet ſeyn, mein Herr, dem ich meine Hand geben und Treue geloben, und hiemit eine Rechtfertigung fuͤr dieSiebenter Theil. Rvor -258vorſetzlichſte Bosheit ertheilen ſoll? Nein, mein Herr; erlauben Sie mir zu ſagen, daß Jhre Ba - ſe Clariſſa, wenn ſie auch nach aller Wahrſchein - lichkeit noch viele Jahre, und zwar, wofern ſie dieſen Mann nicht heyrathete, in Mangel und Duͤrftigkeit, von allen ihren Freunden verachtet und verlaſſen, zu leben haͤtte, die Bequemlichkei - ten des Lebens, ja das Leben ſelbſt, nicht ſo hoch ſchaͤtze, daß ſie durch eine ſolche Rechtfertigung, die ſie der Bosheit geben wuͤrde, das eine wieder zu erlangen, oder das andere zu bewahren ſuchen moͤchte: eine Rechtfertigung, die den Schaͤnder ihrer Ehre belohnen wuͤrde; wofern ſie ihre Pflicht beobachten ſollte.
Es iſt auch nicht ſo viel dem Stolz, als gu - ten Grundſaͤtzen zuzuſchreiben, daß ich dieß ſage. Wie? mein Herr; wenn Tugend, wenn Keuſch - heit die Krone eines Frauenzimmers, und ſonder - lich einer Ehegattinn, iſt: ſoll ihre Baſe ſich krie - chend erniedrigen, denjenigen Menſchen zu heyra - then, der auf ihre Tugend und Keuſchheit keinen Verſuch unternehmen konnte, ohne nur unter ei - ner Vermuthung, daß ſie im Stande waͤre, ſeine dargebotene Hand anzunehmen, wenn er ſich in der ſchaͤndlichen Meynung, die er von ihr gefaſſet hatte, betrogen gefunden haͤtte? Bisher hat er keine Urſache gehabt, mich fuͤr eine Perſon voll niedertraͤchtiger Schwachheiten zu halten: und ich will ihm keine ſo offenbare Probe geben, daß ich in einem Stuͤcke, worinn es hoͤchſt ſtrafbar ſeyn wuͤrde, voll niedertraͤchtiger Schwachheit be -funden259funden zu werden, eine niedertraͤchtige Schwach - heit an mir habe.
Es wird vielleicht eine Zeit kommen, mein Herr, da Sie meine ganze Geſchichte erfahren werden. Sie mag aber bekannt werden, wann ſie will: ſo bitte ich, daß der Urheber meines Jammers nicht mit Rache verfolgt werden moͤge. Er haͤtte nicht der Urheber deſſelben ſeyn koͤnnen: wenn nicht eine wunderliche Verbindung ungluͤck - licher Urſachen vorhanden geweſen waͤre. Da die Geſetze nicht vermoͤgend ſeyn werden, ihn zu treffen, wenn ich dahin bin: ſo ſchreckt mich eine jede andere Art der Rache, wenn ich nur daran gedenke. Denn ſollten meine Freunde in dem Falle wohl behalten bleiben: was wuͤrde ſein Tod meinem Angedenken fuͤr eine Ehre bringen? Sollte aber irgend einer von ihnen in Ungluͤck daruͤber gerathen: wie viel wuͤrde mein Fehler vergroͤßert werden!
Gott erhalte Sie lange, mein wertheſter Herr Vetter; und begluͤcke Sie nur in eben dem Maaße, wie Sie mich durch die Nachricht, daß Sie mich noch lieben, und daß ich Einen nahen und werthen Verwandten habe, der Mitleiden mit mir haben und mir vergeben kann, getroͤſtet ha - ben: ſo werden Sie ſehr begluͤcket ſeyn. Dieß iſt das Gebeth
Jhrer ewig dankbaren und ergebenen Clariſſa Harlowe.
Jch muß geſtehen, daß ich durch dieſer Fraͤu - lein Harlowe Erklaͤrung ihres Briefes bis in die Seele gekraͤnket werde. Sie muß niemals Vergebung erwarten. Sie, eine ſanftmuͤthige Perſon, und eine Bußfertige und Unſchuldige und Fromme, und ich weiß nicht was, die mit einem Fuße in dem Grabe noch betruͤgen kann! ‒ ‒
Es iſt offenbar, daß ſie geſeſſen und dieſen Brief geſchrieben, mit einem Vorſatz zu hinterge - hen und zu betruͤgen. Und iſt ſie das zu einer ſo entſcheidenden Zeit zu thun im Stande: ſo hat ſie eben ſo viel Vergebung von Gott noͤthig, als ich von ihr. Ja, wo ſie derſelben nicht mehr verſichert iſt, als ich ihrer wirklichen Verzei - hung verſichert bin; und wo ſie die Sache von der gehoͤrigen Seite anſiehet: ſo wird ſie, bey al - lem ihren ſeltſamen Gewaͤſche von chriſtlicher Liebe hier und chriſtlicher Liebe dort, noch ei - nige dunklere Augenblicke zu gewarten haben, als ſie zu erwarten ſcheinet.
Der261Der Lord M. ſelbſt, welcher nicht einer von denen iſt, daß ich in ſeiner eignen Sprache rede, die durch einen Muͤhlſtein ſehen koͤnnen, ſie - het den Betrug, und glaubt, daß er ihr unanſtaͤn - dig ſey: ob meine Baſen Montague ſie gleich vertheidigen. Kein Wunder: dieß verfluchte parteyiſche Geſchlecht; ‒ ‒ ‒ ich haſſe ſie alle ‒ ‒ bey meiner Seele, ich haſſe ſie alle; ‒ wird nie - mals das geringſte gegen eine einzelne Perſon von eben dem Geſchlechte einraͤumen, wo das unſrige Theil hat. Und warum? Weil ſie ihre eigne Herzen verdammen muͤſſen, wenn ſie an einem andern Liſt und Betrug tadeln.
Sie will mir einen Brief ſchicken, wenn ſie im Himmel iſt. Jſt es moͤglich? Der Teufel hole ſolch verbluͤmtes Gewaͤſche: und dich da - zu, weil du dieß ungereimte Zeug einen unſchul - digen Kunſtgriff nenneſt.
Jch bleibe dabey, daß, wo ein Frauenzimmer von ihrer Art, zu einer ſo entſcheidenden Zeit, in einer ſolchen Betruͤgerey zu rechtfertigen iſt, ein Menſch von vollkommener Geſundheit und Staͤr - ke des Leibes und Gemuͤths, wie ich bin, wegen aller ſeiner liſtigen Raͤnke und Verſuche gegen ſie entſchuldigt werden moͤge. Und nunmehr kann ich, Dank ſey meinem Geſtirn, in der Betrachtung mit ruhigem Gemuͤthe ſitzen. Bey meiner See - le, ich kann es, Bruder. Es hat auch keiner, der ſie freyſprechen kann, ein Recht, mich zu ta - deln. Allein bey gewiſſen Leuten muß in der That alles, was ſie thut, gut, und alles, was ichR 3thue,262thue, boͤſe ſeyn. ‒ ‒ Und warum? Weil ſie, wie ein Frauenzimmer, allezeit Sorge getragen hat, der einfaͤltigen und falſch urtheilenden Welt zu ſchmeicheln: da ich hingegen, wie ein Mann, ih - ren widrigen Urtheilen beſtaͤndig Trotz geboten und ſie verachtet habe.
Aber, dem allen ungeachtet, moͤget ihr ſie in meinem Namen wiſſen laſſen, daß ich ſie nicht beſchweren will; da meine Beſuche ihr ſo aͤrger - lich ſeyn wuͤrden: ich hoffe, ſie werde dieß als eine Probe edler Großmuth, welche ſie nach dem mir geſpielten Betrug ſchwerlich erwarten konnte, in Betrachtung ziehen. Laßt ſie ferner wiſſen, daß, wo etwas in meiner Gewalt ſtehet, wodurch zu ihrer Ruhe oder Ehre etwas beygetragen werden kann, ich ihr auf den erſten Wink gehorchen wol - le, es moͤchte mir auch noch ſo nachtheilig oder ſchaͤdlich ſeyn. Alles dieß in der Abſicht, damit ihr alle Furcht benommen werde, und ſie keine Urſache habe, wieder zuruͤckzufallen.
Wenn man ihre verfluchten Anverwandten dahin bringen koͤnnte, das, was ihnen zuſteht, eben ſo willig zu thun: ſo wollte ich fuͤr ihre Ge - neſung mein Leben zum Pfande ſetzen.
Allein wie kann einer, dem durch deine wun - derliche Buße ſo viele laͤcherliche Bilder in den Kopf gebracht ſind, ſich enthalten, uͤber dich zu lachen? Spare, ich bitte dich, lieber Belford, ſpare kuͤnftig die Betheurungen deiner Sehnſucht nach dem andern Leben: wofern du die Betheu -rungen263rungen einer Perſon, die wirklich ein Engel iſt, nicht entehren willſt.
Als ich an die Stelle(*)Man ſehe den vorhergehenden XXI Brief, nicht weit vom Ende. kam, wo du ſagſt, daß du ſie als eine ſolche anſaͤheſt, die vom Him - mel geſandt waͤre, dich nach ſich hinauf zu ziehen: ‒ ‒ ſo konnte ich auf eine ganze Stunde, wenn es auch mein Leben gekoſtet haͤtte, dich nicht aus dem Kopfe bringen, wie du mir in der Stellung der Frau Eliſabeth Carteret auf ihrem Denkmaa - le in der Abtey Weſtminſter in dem Sinne lageſt. Wo du dieſelbe niemals bemerket haſt: ſo gehe eignes Gewerbes dahin. Du wirſt daſelbſt dieſe Frau mit aufgehabenem Haupt und aufgehabner Hand im Bilde ſehen. Die Hand hat ein Cu - pido, der nach allen und jeden Theilen von Stein iſt, angefaſſet. Der eine von ſeinen ungeſchick - ten Fuͤßen iſt auch in die Hoͤhe gehoben, als wenn er, wie die Abſicht des Bildhauers wirklich dabey geweſen, zum Himmel hinauffahren wollte: nur iſt es ſo ſchlecht gerathen, daß man eher auf die Gedanken kommen moͤchte, als wenn die Figur, da ſie keine Schuhe noch Struͤmpfe hat, ob der uͤbrige Theil des Leibes gleich bekleidet iſt, auf ih - ren Leichdornſchneider ſehen wollte. Die andere iſt hingegen an der Erde, welche ihr durch die Ge - burt ſelbſt lieb geworden, feſt genagelt, und, wie du, ſo tief im Kothe; ſo tief verſunken ſageſt du; daß es ihr nicht moͤglich iſt, ſich ſelbſt herauszu -R 4ziehen.264ziehen. Beyde Figuren ſcheinen, wie du finden wirſt, in einem Streit zu ſeyn: die groͤßere, ob ſie die kleinere bey den Ohren herunter ziehen mag; ‒ ‒ die kleinere; ein pausbaͤckichter fetter kleiner Bube, nur den vierten Theil ſo groß, als die andere, mit Fluͤgeln, die nicht viel groͤßer ſind, als die Fluͤ - gel der Buttervoͤgel; ob ſie die groͤßere zu einem Himmel erheben ſoll, nach welchem ſie trachtet, der aber kaum groß genug iſt, die großen Zehe von der einen oder der andern zu faſſen.
Du wirſt vielleicht ſagen, die Abbildung der Frauen in Stein koͤnne, bey dem Vergleich, dei - ner Geſtalt, ſo wohl dem Stoffe als der Bildung nach, Ehre machen: aber die Fraͤulein, die in al - len Stuͤcken, außer dem betruͤglichen Streich, den ſie mir ſo neulich geſpielet hat, wirklich ein Engel iſt, werde nur ſchlecht durch den dickleibichten Cu - pido vorgeſtellet. Dieß gebe ich dir zu: allein es bleibt doch noch genug in deinen erhabenen Wuͤnſchen, mein Gemuͤth durch eine Aehnlichkeit von dir und der Fraͤulein mit den Figuren auf dem elenden Denkmaale zu ruͤhren. Denn du mußt bedenken, daß, ſo wohl bereitet ſie auch ſeyn mag, zu dem Himmel, ihrem Geburtsort aufzu - fahren, es ihr doch unmoͤglich ſey, einen ſchweren Kerl, der ſo viel zu bereuen und zu beſſern hat, nach ſich zu ziehen.
Nun aber, um noch einmal ernſthaft zu ſeyn, muß ich euch ſagen, Belford, daß, wo die Fraͤu - lein ſich wirklich ſo ſchlecht befindet, als ihr ſchrei - bet, es euch geziemen werde; hier iſt keine roͤ -miſche265miſche Schreibart; bey einer ſo ruͤhrenden Sa - che ein wenig minder ſpitz und hoͤhniſch in euren Anmerkungen zu ſeyn. Denn bey meiner See - le, die Sache faͤngt an, mich verzweifelt zu beun - ruhigen.
Jch bin itzo ſo ungedultig, oͤfterer von ihr Nachricht zu haben, daß ich mir den Wink, den mir das Zuſammenſtoßen unſerer Bedienten zu Slough zufaͤlligerweiſe gegeben hat, zu Nutze mache, und entſchloſſen bin, zu unſerm Freunde Dolemann nach Uxbridge abzugehen, deſſen Frau und Schweſter ſo wohl, als er ſelbſt, mich ſo oft inſtaͤndigſt gebeten haben, ihnen auf eine Woche oder zwo meine Geſellſchaft zu goͤnnen. Daſelbſt werde ich, wenn ich mich zu Pferde ſetze, binnen zwo Stunden ſeyn: wofern etwas vorfallen ſollte, das ſie bewegen moͤchte, meinen Beſuch anzuneh - men. Denn es wird ſich fuͤr ihre Gottſeligkeit, und chriſtliche Liebe, zu der ſie ſich erklaͤret, wohl ſchicken, wenn ſich das Aergſte begeben ſollte; der Herr des Himmels und der Erden wolle jedoch dieß Aergſte abwenden! mir die Verzeihung, welche ſie mir durch Feder und Dinte nicht ver - ſaget hat, auch von ihren Lippen zu ertheilen. Und da ſie wuͤnſchet, daß ich mich beſſern moͤchte: ſo weiß ſie nicht, was fuͤr gute Wirkungen eine ſolche Zuſammenkunft uͤber mich haben moͤge.
Jch werde dem zu folge morgen fruͤhe, um eilfe aufs hoͤchſte, bey Dolemannen ſeyn. Mein Kerl wird mich bey ſeiner Ruͤckkunft von euch; mit einem Briefe, hoffe ich; daſelbſt antreffen. R 5Jch266Jch will Joel ebenfalls bey mir haben, damit ich deſto oͤfterer ſenden moͤge, nach dem die Sachen laufen. Sollte ich noch naͤher, oder in der Stadt ſeyn: ſo wuͤrde es mir unmoͤglich fallen, mich zu enthalten, daß ich ſie nicht beſuchte.
Allein wo das Aergſte geſchiehet! ‒ ‒ wie ich denn, bey eurem beſtaͤndigen Laͤuten mit der Tod - tenklocke, nicht weiß, was ich davon denken ſoll! ‒ ‒ Jedoch, noch einmal, der Himmel wolle das Aergſte abwenden! ‒ ‒ Wie natuͤrlich iſt es, zu beten, wenn man ſich ſelbſt nicht helfen kann! ‒ ‒ ſo ſaget mir alsdenn nicht in ſo vielen ſchrecklichen Worten, was erfolget iſt; ‒ ‒ ſondern nur ſo viel, daß ihr mir rathet, nach Paris zu ſtolpern. Das wird mir ſchon das Herz durchſchneiden.
Jch billige eure Freygebigkeit gegen die Schwe - ſter des armen Beltons ſo vollkommen, daß ich Mowbrayen beredet habe, ſein Vermaͤchtniß, ſo wie ich es mit dem meinigen mache, zur Vermeh - rung ihres Antheils an den Handſchriften der indi - aniſchen Handelsgeſellſchaft, aufzugeben. Wenn ich nach London komme, ſoll Tourville eben das thun: und wir wollen jeder fuͤr unſer eigen Geld einen Ring kaufen, den wir zum Andenken des ehrlichen Kerls tragen koͤnnen, damit wir ſo wohl ſeinen als unſern eignen Willen vollziehen moͤgen.
Mein267Mein Kerl reitet die uͤbrige Nacht durch. Jch empfehle euch aufs nachdruͤcklichſte, Bruder, wo ihr ſein Leben erhalten wollet, ihn nicht mit leerer Hand zuruͤckzuſenden.
Bey dem Beſchluß meines letzten Schreibens machte ich mir Hoffnung, daß meine naͤch - ſte Aufwartung bey dieſer erſtaunenswuͤrdigen Fraͤulein mir einige ſo angenehme Nachrichten, als ſich itzo von dem hinfaͤlligen Zuſtande, worinn ſie ſich befindet, erwarten ließen, an die Hand ge - ben wuͤrde: weil ſie einen ſo willkommenen Brief von ihrem Vetter Morden empfangen hatte. Allein es fiel fuͤr mich, ob gleich nicht fuͤr ſie ſelbſt, ganz anders aus. Denn ich glaube, ich bin in meinem Leben niemals trauriger geruͤhret worden, als es bey der Gelegenheit, von der ich alſobald Erwaͤhnung thun werde, geſchehen iſt.
Da ich ihr um ſieben des Abends aufwarte - te: erzaͤhlte ſie mir, daß ſie ſich ſeit der Zeit, da ich weggegangen waͤre, in einer recht muthwilligen Gemuͤthsverfaſſung befunden haͤtte. Es waͤre et -was268was ſeltſames, ſagte ſie, daß das Vergnuͤgen, wel - ches ſie uͤber den Brief von ihrem Vetter empfun - den haͤtte, eine ſolche Wirkung uͤber ſie gehabt haben ſollte. Sie haͤtte aber einer Luſt Verglei - chungen anzuſtellen, wie ſie es nennen moͤchte, den Zuͤgel ſchießen laſſen, und es fuͤr ſehr hart an - geſehen, daß ihre naͤhern Anverwandten es nicht auf die Art, wie es ihr Vetter Morden angefan - gen, mit ihr gemacht, daß ſie ſich nach dem, was Gutes oder Boͤſes an ihr waͤre, erkundigt, und ihre Sache vor der Verurtheilung unparteyiſch gehoͤret haͤtten.
Kaum hatte ſie dieß geſagt, als ſie ſtutzig ward und ſich eine Erroͤthung uͤber ihr Geſicht ausbreitete: weil ſie ſo wohl, als ich, ein rumpeln - des Geraͤuſch auf den Treppen hoͤrte, als wenn ein großer Kaſten zwiſchen zween Leuten heraufge - bracht wuͤrde. Sie ſahe mich mit einem bekuͤm - merten Auge an. Die einfaͤltigen Leute! ſprach ſie: ſie haben etwas zwo Stunden vor der Zeit hergebracht ‒ ‒ Erſchrecken ſie nicht, mein Herr: es geſchieht alles, ihnen Muͤhe und Unruhe zu erſparen.
Ehe ich ſprechen konnte, kam Fr. Smihinn herein. O gnaͤdige Fraͤulein, ſagte ſie, was haben ſie gemacht? ‒ ‒ Fr. Lovick trat herein und rief eben ſo aus. Gott ſey mir gnaͤdig, wertheſte Fraͤulein, ſchriee ich, was haben ſie gemacht! ‒ ‒ Denn, da ſie in dem Augenblick zur Thuͤre ging, erzaͤhlten die Frauensleute, daß es ein Sarg waͤre. ‒ ‒ O Lovelace! daß du doch den Augenblick dageweſen269geweſen waͤreſt! ‒ ‒ Du, der Urheber von allen dieſen widrigen Trauerſpielen! Gewiß du haͤtteſt nicht weniger geruͤhret ſeyn koͤnnen, als ich, der ich in Anſehung ihrer nichts zu verantworten habe.
Nachdem ſie den Leuten befohlen, ihn in ihre Schlafkammer zu bringen: kam ſie mit einer Un - erſchrockenheit, die der Zubereitung vollkommen gleich war, wieder zu uns. Sie haͤtten ihn nicht eher bringen ſollen, waren ihre Worte, als wenn es finſter geworden ‒ ‒ Haben ſie die Guͤte, Hr. Belford, und entſchuldigen mich: und betruͤben ſie ſich nicht, Fr. Lovick; auch ſie nicht, Fr. Smithinn. Warum wollten ſie es thun? Es iſt nichts mehr daran, als die Ungewoͤhnlichkeit der Sache. Warum ſollten wir nicht mit eben ſo vieler Vernunft ſtutzen, wenn wir zur Kirche ge - hen, wo die Graͤber unſerer Voreltern ſind, mit deren Staub ſo gar unſer Staub, wie wir hof - fen, vermenget werden ſoll, als daß wir bey ei - nem ſolchen Anblick, wie dieß iſt, in Bewegung gerathen?
Weil wir alle noch beſtaͤndig ſtille ſchwiegen und die Frauensleute ihre Schuͤrzen an den Augen hatten: ſo redete ſie fort. ‒ ‒ Was ſoll dieſe Traurigkeit um nichts und gar nichts? ‒ ‒ Wo ich irgend zu tadeln bin: ſo iſt es deswegen, daß ich, wie man denken mag, zu viele Sorge fuͤr dieſen irdiſchen Theil trage. Jch mag gern alles fuͤr mich ſelbſt thun, was ich thun kann. Das iſt allezeit mei - ne Weiſe geweſen. Alle andere Dinge von Erheb -lichkeit270lichkeit ſind ſo weit geſchehen und beſorget, daß ich zu Dingen von geringerer Wichtigkeit Muße ge - gehabt habe. Kleinigkeiten darf man wohl beob - achten, wo nur betraͤchtlichere Stuͤcke nicht ihret - wegen verſaͤumet werden. Jch haͤtte dieß vielleicht zu veranſtalten gehabt, wenn es ſich weniger fuͤr mich geſchickt, es zu veranſtalten. Jch habe keine Mutter, keine Schweſter, keine Fr. Norton, kei - ne Fraͤulein Howe, um mich. Einige von ihnen haͤtten dieß doch binnen wenigen Tagen, wo nicht itzo, ſehen: vielleicht auch gar aus Freundſchaft die Muͤhe, es zu veranſtalten, haben muͤſſen. Was iſt denn in Anſehung ihrer der Unterſchied von einigen wenigen Tagen: da ich vielmehr dadurch befriediget, als beunruhiget werde? ‒ ‒ Jch werde um einer ſolchen Zubereitung willen nicht eher ſter - ben ‒ ‒ Sollte nicht ein jeder, der etwas verlaͤſſet, ſein Teſtament machen? Und wer unter denen, die ein Teſtament machen, ſollte vor einem Sarge erſchrecken? ‒ ‒ Meine liebe Freundinnen, ſprach ſie zu den Frauensperſonen, ich habe dieſe Dinge uͤberleget: geben ſie mir nicht Urſache zu gedenken, daß ſie, bey einem ſolchen Gegenſtande, als ſie, gan - ze Wochen her, an mir vor ſich gehabt, es nicht ge - than haben?
Wie vernuͤnnftig war dieß alles! ‒ ‒ Es zeigte in der That, daß ſie es ſelbſt wohl uͤberlegt hatte. Dennoch aber konnten wir uns bey den Gedanken von dem Sarge, der ſo hereingebracht wurde, nicht der Verwirrung entſchlagen: da wir die liebenswuͤrdige Perſon, welche ihn nach allerWahr -271Wahrſcheinlichkeit ſo bald fuͤllen ſollte, vor unſern Augen hatten.
Wir ſchwiegen noch alle ſtille: die Frauens - leute in Betruͤbniß; ich gewiſſermaßen vor Be - ſtuͤrzung betruͤbet. Sie wollte mich nicht bitten, ſprach ſie: es wuͤrde ihr aber lieb ſeyn, wenn ihre beyden guten Freundinnen, da der Sarg ſo viel fruͤher, als ihre Abſicht geweſen, hereingebracht waͤre, hinein treten und ihn beſehen wollten. Sie wuͤrden nicht ſo ſtutzen, wenn er ihren Augen be - kannter und gewoͤhnlicher geworden waͤre, als da ihre Gedanken auf ihn herumſtreifeten. Leitet man nicht ein ſchuͤchternes Pferd, fuhr ſie fort, zu dem Gegenſtande zuruͤck, der es ſchuͤchtern machen kann, um ihn zu demſelben zu gewoͤhnen und von ſeiner Schuͤchternheit zu heilen? Eben der Grund wird in dieſem Falle ſtatt haben. Kommen ſie, meine liebe Freundinnen, ich will ſie hinein - fuͤhren.
Jch nahm meinen Abſchied, und ſagte ihr, ſie haͤtte uͤbel, ſehr uͤbel gethan, und ſollte billig keines - weges einen ſolchen Gegenſtand vor ſich haben.
Die Weibsleute folgten ihr hinein ‒ ‒ Es iſt ein ſeltſames Geſchlecht! Nichts iſt ihnen zu anſtoͤßig, daß ſie es nicht beſchauen, oder vorgehen ſehen ſoll - ten, wenn es etwas Neues und Sonderbares an ſich hat.
Jch ging hinunter, nahm eine Saͤnfte, und ließ mich, aͤußerſt beſtuͤrzt und verwirrt, zu Hauſe tragen. Wenn ich gleichwohl die Gruͤnde der Fraͤulein erwaͤge: ſo weiß ich nicht, warum ich ſoſehr272ſehr geruͤhret war ‒ ‒ ausgenommen, wie ſie ſagte, wegen der Ungewoͤhnlichkeit der Sache.
Unter der Zeit, da ich auf eine Saͤnfte war - tete, kam Fr. Smithinn herunter und erzaͤhlte mir, daß auf dem Deckel Sinnbilder und Jnſchriften waͤren. Gott ſey mir gnaͤdig! Jſt denn ein Sarg dazu geſchickt, daß man ſeiner Einbildungs - kraft daruͤber den Lauf laſſe? ‒ ‒ Allein ſolche große Geiſter koͤnnen nicht vermeiden, außeror - dentliche Dinge zu thun!
Es iſt erſtaunlich, daß ich, als eine Manns - perſon, bey einem ſolchen Gegenſtande, als den Jnhalt meines vorigen Briefes ausmachet, ſo ſehr geruͤhret ſeyn ſollte, der ich noch dazu an meinem ſeligen Onkel und dem armen Belton eben dergleichen vor mir gehabt und die Anſtalten dazu machen muͤſſen: da ſie hingegen, als ein Frauen - zimmer, von einem ſo ſchwachen und zarten Bau, die ihn fuͤllen, vielleicht ſo bald fuͤllen ſollte, die Befehle dazu ertheilen, die Sinnbilder auf dem - ſelben abzeichnen, und mit ſo weniger Ruͤhrung, wie ſie verwichenen Abend, als ich weggegangenwar,273war, nach der Erzaͤhlung der Frauensleute that, erklaͤren konnte.
Jch war wirklich die ganze Nacht uͤber krank und ohne Ruhe. Du wareſt es, auf den ich fluchte, und ſie war es, die ich bewunderte, ſo oft und ſo lange ich ganz und gar wachte: und wenn ich ſchlummerte, traͤumte wir von nichts, als von flie - genden Stundenglaͤſern, Todtenkoͤpfen, Spaten, Hauen, und von der Ewigkeit; weil mir die klei - ne Nachricht von ihren Sinnbildern, wie ſie mir von der Fr. Smithinn gegeben war, in den Kopf herumging.
Jnzwiſchen war es mir doch nicht moͤglich von Smithens Hauſe wegzubleiben. Jch ging alſo um ſieben hin. Die Fraͤulein war eben aus - gegangen. Sie hatte, wie ich befand, beſſer ge - ſchlafen, als ich: ob gleich ihre feyerliche Ruhe - ſtaͤtte unter ihrem Fenſter, nicht weit von ihrer Bettſeite, war.
Jch ließ mich von der Fr. Smithinn, und ihrer Waͤrterinn, Schelburne, indem Fr. Lovick mit ihr aus war, bereden, hinaufzugehen und die Erfindungen zu beſehen. Fr. Lovick hat mir nach der Zeit einen Abriß von dem Entwurf, wornach alles eingerichtet war, gezeiget: und ich will dir ein Verzeichniß von den Sinnbildern und Spruͤ - chen mitheilen.
Das vornehmſte Sinnbild, welches auf einer Platte von weißem Metall gegraben worden, iſt eine gekroͤnte Schlange, mit ihrem Schwanze in demSiebenter Theil. SMun -274Munde, wodurch ſie einen Ring bildet, als das Sinnbild der Ewigkeit. Jn dem Kreiſe, der dadurch gemacht wird, ſteht dieſe Jnſchrift:
Zu Auszierungen dienen, zum Haupte, ein gefluͤgeltes Stundenglaß: zu den Fuͤßen ein Tod - tenkrug.
Unter dem Stundenglaſe iſt auf einer andern Platte dieſe Jnſchrift:
‘Hier hoͤret der Gottloſe auf zu plagen: und hier iſt der Ermuͤdete in Ruhe. ’ (Hiob III, 17.)Ueber dem Todtenkruge zu den Fuͤßen ſteht:
‘Kehre wieder zu deiner Ruhe, meine Seele! denn der Herr hat dich beloh - net. Und warum? Du haſt meine Seele vom Tode, meine Augen von Thraͤnen, und, meine Fuͤße vom Falle befreyet. ’ (Pſ. CXVI, 7. 8.)Ueber dieſer Schriftſtelle iſt der Kopf von ei - ner weißen Lilie, der kurz abgebrochen iſt und eben von dem Stengel faͤllt, nebſt folgender Jnſchrift uͤber demſelben, zwiſchen der Hauptplatte und der Lilie:
Des275‘Des Menſchen Tage ſind nur, wie Graß. Denn er bluͤhet, wie eine Blume auf dem Felde: ſo bald der Wind daruͤber gehet, iſt ſie dahin, und ihre Staͤtte wird ſie nicht mehr kennen. ’ (Pſ. CIII, 15. 16.)Sie entſchuldigte ſich gegen die Weibsleute mit ihrer Jugend, und Gewohnheit, zu ihrem Stickwerke Riſſe zu machen, daß ſie mehr Ein - bildungskraft gezeiget haͤtte, als man vielleicht bey einer ſo feyerlichen Gelegenheit fuͤr ſchicklich halten wuͤrde.
Von der Wahl des geſetzten Tages, des 10ten Aprils, gab ſie zum Grunde an: weil ſie nicht im Stande waͤre, zu ſagen, welches ihr letzter Tag ſeyn wuͤrde, und dieß der ungluͤckliche Tag ge - weſen, an dem ſie ihres Vaters Haus verlaſſen haͤtte.
Sie bezahlte des Tiſchlers Rechnung, nach - dem ich weggegangen war, mit eben ſo vieler Munterkeit, als ſie jemals die Kleider bezahlt ha - ben konnte, die ſie verkaufte, um dieſen ihren Pa - laſt; denn ſo nannte ſie ihn; zu kaufen. Sie machte ſich ſelbſt wegen der darauf gewandten Koſten einen Vorwurf, und ſagte, ſie moͤchten an ihr bemerken, daß der Stolz die armen Sterb - lichen bis auf die letzte Stunde nicht verließe: jedoch wuͤßte ſie in der That nicht anders, als daß ihr Vater erlauben wuͤrde, ihn, wenn er mit allem, was zu ihm gehoͤrte, verſehen waͤre, hinunter brin - gen und bey ihren Voreltern niederſetzen zu laſſen;S 2und276und in dem Falle muͤßte ſie ihnen in ihrem letz - ten Aufzuge nicht zur Entehrung gereichen.
Er iſt mit feinem ſchwarzen Tuch uͤberzogen, und mit weißem Atlaß ausgefuͤttert, der, wie ſie ſagte, bald durch eine ſchnoͤdere Erde, als ihn be - decken koͤnnte, ſeinen Glanz verlieren muͤßte.
Das Todtenkleid ward mit ihm zu Hauſe ge - bracht. Die Frauensleute hatten, wie ich vermu - the, Neubegierde genug, ſie daſſelbe oͤffnen zu ſehen, wo ſie es oͤffnete ‒ ‒ Und, vielleicht, wuͤrde es dir lieb geweſen ſeyn, wenn du zugegen geweſen waͤreſt, es auch bewundert zu haben.
Fr. Lovick geſtand, daß ſie ſich die Freyheit ge - nommen, ihr Vorwuͤrfe zu machen, und die Ent - fernung eines ſolchen Gegenſtandes ‒ ‒ wenig - ſtens aus ihrer Schlaf kammer, gewuͤnſcht haͤt - te; aber durch die edelmuͤthige Antwort, welche ſie ihr darauf gegeben, ſo geruͤhret worden waͤre, daß ſie dieſelbe den Augenblick, da ſie von ihr gegangen, niedergeſchrieben.
Geſunden Perſonen, ſagte ſie, mag dieſer Anblick anſtoͤßig und zuwider ſeyn, und die Zubereitung, nebſt meiner Freudigkeit dabey, gezwungen ſchei - nen: aber was mich betrifft, die ich Zeit gehabt ha - be, mich ſo nach und nach von der Welt zu ent - woͤhnen, und ſo viel Urſache, ſie nicht zu lieben; ſo muß ich ſagen, ich verweile mich mit Fleiß bey den Todesgedanken, ich haͤnge ihnen nach, ja, ge - nau zu reden, ich habe daran meine Freude. Denn glauben ſie mir ‒ ‒ Sie ſahe dabey ſteif auf das fuͤrchterliche Behaͤltniß ‒ ‒ glauben ſie, was ichdieſen277dieſen Augenblick als die unſtreitigſte Wahrheit fuͤhle, daß in den Gedanken vom Tode; und den gehoffeten gluͤcklichen Folgen deſſelben ein ſo unge - meines Uebergewicht und eine ſo viel groͤßere Wich - tigkeit liege, daß dadurch gewiſſermaßen alle ande - re Betrachtungen und Angelegenheiten zernichtet werden. Glauben ſie mir, meine liebe Freundin - nen, dieß thut, was ſonſt nichts thun kann: es lehret mich, indem es die Kraft des goͤttlichſten Beyſpieles verſtaͤrket, die Beleidigungen, welche mir widerfahren ſind, zu vergeben, und ſchließet die Erinnerung vergangener Uebel aus meiner Seele aus.
Nun laß mich dich fragen, Lovelace: Denkſt du, daß wenn die Zeit kommen wird, da du genoͤ - thigt ſeyn wirſt, in das unendliche Meer der Ewig - keit abzuſegeln, du irgend mehr, als der arme Belton, im Stande ſeyn werdeſt, das, was dir oblieget, mit einem ſo wahren Heldenmuth, als dieſe angenehme und zarte Blume von einem Frauenzimmer gezeiget hat, und noch beſtaͤndig zeiget, zu vollbringen?
O nein! Es kann nicht ſeyn ‒ ‒ Und war - um nicht? ‒ ‒ ‒ Der Grund iſt offenbar. Sie hat keine vorſetzliche Fehler, auf die ſie mit Vor - wuͤrfen wider ſich ſelbſt zuruͤckſehen muͤßte ‒ ‒ und ihre Seele wird durch die Troͤſtungen geſtaͤr - ket, welche von der gottſeligen Richtigkeit fließen, die ihr in allen ihren Handlungen zur Fuͤhrerinn gedienet, und ſie gelehret hat, viel lieber zu leiden als zu beleidigen.
S 3Dieß278Dieß war der Troſt des goͤttlichen Sokrates: wie du geleſen haſt. Da er zum Tode gefuͤhret wurde, und ſein Weib klaͤglich that, daß er un - ſchuldig leiden ſollte: ſo ſagte er: du Naͤrrinn, wollteſt du wuͤnſchen, daß ich ſchuldig waͤre?
Wie erſtaunenswuͤrdig iſt es, daß du dich mit - ten unter ſo ruͤhrenden Trauerſpielen uͤber das, was du Betheurungen meiner Sehn - ſucht nach dem Himmel nenneſt, luſtig ma - cheſt! Gewiß, niemals iſt noch ein ſolcher Menſch in der Welt geweſen: wenn man deine natuͤrli - chen Gaben und deine Leichtſinnigkeit zuſammen nimmt! ‒ ‒ Jn Wahrheit, das, was ich dir mit dem gegenwaͤrtigen Briefe ſenden werde, wird dich ruͤhren. Wo nicht: ſo kann es nichts thun, bis deine eigne Stunde kommt ‒ ‒ Alsdenn aber werden deine Betrachtungen ſchwer ſeyn!
Es iſt mir inzwiſchen lieb, daß du mich in den Stand ſetzeſt, die Fraͤulein zu verſichern, daß du ſie nicht mehr beſchweren willſt: das heißt mit andern Worten, daß, nachdem du ihr Gluͤck und alle ihre Hoffnung auf der Welt zu nichte gemachthaſt,279haſt, du ſo gnaͤdig ſeyn willſt, ſie liegen und in Ruhe ſterben zu laſſen.
Dein Vorſatz, der Schweſter des armen Bel - tons zum Beſten das kleine Vermaͤchtniß aufzu - geben, und deine Entſchließung, Mowbrayen und Tourvillen zu bewegen, daß ſie deinem Beyſpiel folgen, kommt vollkommen, das muß ich zu dei - ner Ehre ſagen, mit deiner Freygebigkeit gegen dein Roſenknoͤspchen und ihr Haͤnschen, und mit vielen andern guten Handlungen in Geldſachen uͤberein: ob gleich der Fall mit deinem Roſen - knoͤspchen das einzige Beyſpiel von einer ſo unei - gennuͤtzigen Guͤte iſt, bey welchem ein artiges Frauenzimmer Theil gehabt hat.
Bey meiner Treue, Lovelace, ich mag dich gern ruͤhmen, und habe gar oft, wie du weißt, auf Gelegenheiten geſonnen, es zu thun: dergeſtalt, daß ſelbſt zu der Zeit, da ich mich, wenn es auch mein Leben gekoſtet haͤtte, auf nichts beſinnen koͤn - nen, das Ruhm verdiente, ich mir Muͤhe gegeben habe, die nicht ungefaͤllige Art und Weiſe, wie du Handlungen, die den Galgen verdienten, ausge - fuͤhret haſt, zu erheben.
Da du nun ſo nahe biſt: ſo will ich meinen Bedienten zu dir ſchicken, wenn es die Noth er - fordert. Jch beſorge aber, daß ich dir bald die Nachricht geben werde, die du befuͤrchteſt. Denn Fr. Smithinn hat eben itzo nach mir geſchickt, und dem Bothen befohlen, mir zu ſagen, daß ſie nicht wuͤßte, ob die Fraͤulein noch leben werde, wenn ich komme.
Jch konnte meinen Brief nicht mit ſolcher Un - gewißheit ſchließen, die eure Ungedult ver - mehrt haben muͤßte. Denn ihr habt mich bey verſchiedenen Gelegenheiten uͤberzeuget, daß die ungewiſſe Erwartung, in welcher ihr gern andere laſſen moͤget, die groͤßte Marter fuͤr euch ſeyn wuͤrde, die ihr leiden koͤnntet. Eine Sache, wie ich glaube, die ihr mit allen heſtigen Gemuͤthern, mit allen Gemuͤthern, welche gern der angreiffen - de Theil ſeyn moͤgen, gemein habet. Jch will alſo nur eben beruͤhren, weil euer Bedienter hier wartet, bis ich geſchrieben habe, daß die Fraͤulein zwo ſehr heftige Ohnmachten gehabt hat. Jn - dem ſie in der letzten gelegen, haben ſie zu dem Arzt und dem Herrn Goddard geſchickt; welche beyde den Rath gegeben, daß eiligſt ein Bothe nach mir, als dem, welcher die Vollziehung ihres letzten Willens haben ſollte, geſchickt wuͤrde, weil es zweifelhaft waͤre, wenn ſie eine dritte bekaͤme, ob dieſelbe ſie nicht hinreißen wuͤrde.
Sie hatte ſich unterdeſſen, da ich kam, ziem - lich wieder erholet, und der Arzt ließ ſie vor mei - nen Ohren verſprechen, daß ſie es nicht mehr wa - gen wollte, ſo lange ſie ſo ſchwach waͤre, auszuge - hen. Denn nach der Beſchreibung der Fr. Lo - vick, welche mit ihr geweſen, waren die Kuͤrze ih - res Athems, ihre ausnehmende Mattigkeit, und die Jnbrunſt ihrer Andachten in der Kirche, wi -der281der einander laufende Dinge, die nach verſchiede - nen Richtungen zogen; indem die Seele ſich er - hob, der Koͤrper aber niederſank; und dadurch ih - ren zarten Bau in Stuͤcken zerriſſen.
So viel fuͤr itzo. Jch will euren Wilhelm nicht laͤnger aufhalten, als nur eben zu bitten, daß ihr mir dieſes Packet nebſt dem letzten zuruͤckſen - den wollet. Euer Gedaͤchtniß iſt ſo gut, daß ihr niemals etwas mehr als einmal uͤberleſet, oder uͤberleſen duͤrfet. Und wer, außer uns ſelbſt, kann ſich in unſere abgekuͤrzte Schrift finden: wenn ihr auch geneigt ſeyn ſolltet, jemand ſehen zu laſſen, was vorgehet. Kann mir hierinn nicht gewillfahret werden: ſo werde ich eine Verſu - chung haben, das, was ich ſchreibe, ſo lange zu - ruͤckzubehalten, bis ich Zeit bekomme, eine Ab - ſchrift davon zu nehmen(*)Es kann vielleicht nicht undienlich ſeyn zu bemer - ken, daß Herrn Belfords Sorgfalt, ſeine Briefe zuruͤckzubekommen, von ſeinem Verlangen her - ruͤhrte, die Wuͤnſche der Fraͤulein zu erfuͤllen, daß er der Fraͤulein Howe den Stoff ertheilen moͤch - te, ihr Gedaͤchtniß zu rechtfertigen..
Eben itzo iſt ein Brief von der Fraͤulein Howe durch einen eignen Bothen gebracht, welcher ſagt, daß er einige wenige Zeilen zur Antwort zuruͤckbringen muͤſſe. Weil die Fraͤulein ſich aber eben allein begeben hat, ſich niederzulegen: ſo wird der Mann bald wieder anfragen.
Jch uͤberſende euch hiebey die Papiere. Jhr muͤßt mir, wenn ich euch ſehe, ehrlich und aufrichtig die Urſache ſagen, weswegen ihr ſo ernſt - lich darum ſchreibet. Alsdenn wollen wir auch von dem Jnhalt des mir zuletzt von euch zugefer - tigten und von einigen eurer ernſthaften und un - freundlichen Anmerkungen reden.
Unterdeſſen, was du auch immer thun magſt, laß die wundernswuͤrdige Fraͤulein nicht von uns ſcheiden. Stelle ihr vor, wie ſie ſich durch ihre Vorbereitung verſuͤndige, als wann ſie daͤchte, daß ſie aus der Welt gehen koͤnnte, wenn es ihr be - liebte. Auf die Art wird ſie ſich ſelbſt uͤberreden, daß ſie, wenn alles fertig iſt, nichts weiter zu thun habe als ſich niederzulegen und ſchlafen zu gehen: und eine ſo lebhafte Einbildungskraft, als ſie be - ſitzet, wird, zu einer oder der andern Zeit, einen Ernſt aus einem Spaße machen.
Einen Spaß nenne ich alles, was zwiſchen ihr und mir vorgefallen iſt, einen bloßen Spaß, darum zu ſterben! ‒ ‒ Denn hat ſie nicht vomAn -283Anfange bis zu Ende unendlich mehr uͤber mich geſieget, als von mir gelitten?
Wollte nur die heilige Achtung, welche ich ge - gen ihre Reinigkeit ſelbſt in Anſehung ihrer Per - ſon ſo wohl, als in Anſehung ihres Verſtandes hege, es erlauben: ſo koͤnnte ich dieß ſo klar, als die Sonne iſt, beweiſen. Daher ſage der lieben Fraͤulein, daß ſie nicht gottlos in ihrer Gottſeligkeit ſeyn muͤſſe. Es kann eben ſo wohl zu viel, als zu wenig, ſelbſt in einem rechtmaͤßigen Verfah - ren geſchehen. Vielleicht denkt ſie nicht daran ‒ ‒ O daß ſie mir ſo gefaͤllig zugelaſſen haͤtte, als dir, ihr aufzuwarten! ‒ ‒ Das liebe Kind pflegte die Munterkeit gern zu haben. Jch gedenke noch der Zeit, da ſie wohl wußte, wie ſie uͤber eine Probe einer wohlangebrachten Munterkeit laͤcheln ſollte: und ich muß dir ſagen, ein Laͤcheln auf den Lippen muͤßte in einem ſo aufrichtigen Herzen, als das ihrige iſt, eine ihm gemaͤße Munterkeit gehabt haben.
Vermelde dem Arzt, daß ich ihm alles, was ich beſitze und was auf mich faͤllt, uͤbertragen will: wo er ihr Leben nur auf ein Jahr noch verlaͤn - gern wird. Nur auf ein Jahr, Bruder! ‒ ‒ Er wird alle ſein Anſehen bey mir verlieren, und ich werde ihm eben ſo begegnen, als Belton ſeinem Arzt begegnete: wo er an einer ſo jungen Perſon dieß nicht fuͤr mich thun kann. Aber neunzehn, Belford! ‒ ‒ Neunzehn kann nicht ſo bald vor Betruͤbniß ſterben; wo der Arzt den Namen ver - dienet: ſonderlich bey einer ſo bluͤhenden und gu -ten284ten Leibesbeſchaffenheit, als ſie nur noch vor drey oder vier Monathen gehabt hat.
Allein was hat der Arzt noͤthig gehabt, ſie um Erlaubniß zu bitten, daß er an ihre Freunde ſchriebe? Haͤtte er es nicht thun koͤnnen, ohne ſie etwas von der Sache wiſſen zu laſſen? Das war eines von den wahrſcheinlichſten Mitteln, worauf man denken konnte, um einige von ihnen zu ihr zu bringen: da ſie ſich ſo ſehr ſehnet, ſie zu ſehen. Wenigſtens wuͤrde es ſie bewogen haben, ihren Augapfel, die Norton, zu ihr hinauf zu ſchicken. Aber dieſe verdammt feyerlichen Leute handeln ſtark mit unnoͤthigen Umſchweifen, und koͤnnen nicht aus denſelben herauskommen, wenn es ſie auch das Leben koſten ſollte, die Gelegenheit ſey, welche es wolle. Sie werden einem ihre giftige Arzneyen bey ganzen Ladungen hinunterpfropfen, ohne eine Frage zu thun; und haben die Dreiſtig - keit zu geſtehen, daß es Vorſchreiben ſey: wenn ſie aber Gutes thun ſollen; ſo muͤſſen ſie einen erſt um ſeine Einwilligung befragen.
Wie erhoͤhet ſich die Gemuͤthsart der lieben Fraͤulein in jeder Zeile von deinen Briefen! ‒ ‒ Allein es kommt von den außerordentlichen Gele - genheiten, die ſie gefunden hat, daß ſie mit einem ſolchen Glanze, wie die Sonne am Mittage, ihre Strahlen auf uns wirſt! ‒ ‒ ‒ Wie haͤtte ſie, wenn dieſe Gelegenheiten nicht geweſen waͤren, ihre edle Geſinnung, ihre kluge Bedaͤchtlichkeit, ihr verſoͤnliches Gemuͤth, ihre erhabene Guͤtigkeit, und ihre beſtaͤndig gleiche Gemuͤthsverfaſſung beydem285dem Anblick der widrigſten Ausſichten in die Zu - kunft, welche ſie ſo weit uͤber ihr ganzes Geſchlecht und ſo gar uͤber die Weltweiſen der alten Zeiten erhebet, an den Tag legen koͤnnen?
Jch weiß, du wirſt denken, daß ich mir ſelbſt ein Verdienſt machen wolle, weil ich ihr ſolche be - queme Gelegenheiten gegeben habe, ihre Tugenden als groß und vortrefflich zu beweiſen. Allein das will ich nicht. Denn wenn ich es wollte: ſo muͤßte ich das Verdienſt mit ihren unverſoͤhnlichen Verwandten theilen, die mit Recht wenigſtens auf zwey Drittel davon Anſpruch machen koͤnnten; und meine Seele verabſcheuet eine Gemeinſchaft mit einer ſolchen Familie, es ſey, worinn es wolle.
Aber ich fuͤhre dieß an als eine Antwort auf deine Vorwuͤrfe, daß ich durch Vollkommenheiten, von denen ich, wie du vermutheſt, ſo lange nach einander taͤglich und ſtuͤndlich ein perſoͤnlicher Zeu - ge geweſen bin, ſo wenig gebeſſert ſeyn konnte: ‒ ‒ da, ſo bewundernswuͤrdig ſie auch war, in allem, was ſie ſagte, und in allem, was ſie that, die Gelegenheit dennoch damals dieſe erſtaunliche Vollkommenheiten, welche mich itzo beſtuͤrzt und verwirrt machen, noch nicht zur Reife und an den Tag gebracht hatte.
Daher kommt es, daß ich ſie mehr bewundere, als ich jemals gethan habe, und daß meine Liebe gegen ſie, weniger die Perſon, wie ich ſagen mag, und mehr den Verſtand angehet, als ich jemals gegen eine Weibsperſon fuͤr moͤglich gehalten habe.
Daher286Daher kommt auch meine feſte Zuverſicht, wenn es dem Schickſal gefallen moͤchte, ſie zu erhalten und zu meinem Eigenthum zu machen, daß ich ſie mit einem ſo reinen Herzen lieben koͤnnte, daß dadurch ſo wohl meine eigne kuͤnftige Gluͤckſe - ligkeit befoͤrdert, als ihr zeitliches Gluͤck ver - ſichert werden wuͤrde. ‒ ‒ Und daher werde ich, aus einer nothwendigen Folge, der elendeſte Menſch unter allen ſeyn: wofern ich ihrer beraubet werde.
Du machſt mir harte Vorwuͤrfe wegen mei - ner Leichtſinnigkeit in dem Beyſpiel von der Ab - tey. Jch will ſo aufrichtig ſeyn, zu geſtehen, daß, weil du mein Herz nicht ſieheſt, in einem je - den von meinen Briefen Stellen ſeyn moͤgen, die in Betrachtung der traurigen Gelegenheit, die ſpitzigſten Verweiſe von dir verdienen. Aber wahrlich, Bruder, du biſt ein ſo tragicomiſcher Menſch mit deiner bleyernen Art, dich nach hoͤ - hern Dingen zu ſchwingen, zu einer, und deinen fliegenden Stundenglaͤſern und getraͤumten Schre - cken zu einer andern Zeit, daß, wie Prior ſagt, was ernſthaft iſt, bey dir zum Spaße wird: und es iſt unmoͤglich, ſich in den Schranken der Anſtaͤndigkeit, oder Ernſthaftigkeit, zu halten, wenn man lieſet, was du ſchreibeſt.
Allein, daß ich mir ſelbſt den Zuͤgel nehme; denn meine natuͤrliche Munterkeit haͤtte mich bey - nahe wieder hingeriſſen; ich will es wiederhohlen, ich muß es beſtaͤndig wiederhohlen, daß mich die Umſtaͤnde bey der Sache ausnehmend ruͤhren;und287und daß ich, wenn dieß unvergleichliche Muſter wirklich die Welt verlaſſen ſollte, niemals eine Stunde nach einander meiner ſelbſt genießen wuͤr - de, wenn ich auch Methuſalems Jahre er - reichte.
Jn der That iſt es dieſer tiefe Kummer, von dem meine Leichtſinnigkeit herruͤhret. Denn ich kaͤmpfe und kaͤmpfe, und verſuche dieſe Ge - danken niederzuſchlagen, wie ſie ſich erheben: und wenn ich es nicht thun kann, ſo bin ich genoͤthigt, wie ich oft geſagt habe, zu verſuchen, daß ich mich ſelbſt zum Lachen bringe, damit ich nicht weinen moͤge. Denn das eine, oder das andere muß ich thun. Jſt es nicht Weltweisheit, die bis zum hoͤchſten Gipfel getrieben iſt: wenn ein Menſch ſolche un - ruhige Bewegungen der Seele, als mich bisweilen umtreiben, beſieget, und ſelbſt bey dem groͤßeſten Sturm im Stande iſt, ein lautes Gelaͤchter auf - zuſchlagen.
Euer Seneka, euer Epictet, und die uͤbrigen von eurer ſtoiſchen Zunft konnten mit allem ihren Unſinn von Unbeweglichkeit ſo weit nicht kommen. Sie konnten ſich ſcheeler Geſichter enthalten; leib - liche Schmerzen konnten ſie gut genug zu ertragen ſcheinen; und das war alles: aber uͤber die Mar - ter ihrer eignen gaͤnzlich zerſchlagenen Seelen konn - ten ſie nicht lachen, ob ſie gleich uͤber anderer Thorheiten zu lachen wußten. Sie laſen ernſt - hafte Sachen: allein ſie waren auch ernſthaft. Dieſer hohe Gipfel der Weltweisheit, mitten un - ter den groͤßten Wehen, welche die Seele durch -arbei -288arbeiten, wann die Sehnen des Herzens eben von einander berſten, zu lachen und luſtig zu ſeyn, iſt deinem Lovelace vorbehalten geweſen.
Es iſt etwas der Beſchaffenheit meiner Na - rur zuzuſchreiben; das geſtehe ich: und etwas kommt daher, daß dieß die Lachezeit in meinem Leben iſt. Denn was muß das fuͤr ein herber Schmerz ſeyn, der einen Menſchen von ſechs oder ſieben und zwanzig Jahren, bey vollkommener Geſundheit und Munterkeit, einen Menſchen von einer natuͤrlich freudigen Gemuͤthsart, der ſingen, tanzen, allerley zuſammenſchreiben und bey dem allen Vergnuͤgen finden und andern machen kann, auf eine ganze Stunde nach einander niederzu - ſchlagen vermoͤgend iſt? ‒ ‒ Aber dabey iſt denn auch die Betruͤbniß bey mir, ſo wohl als die Freu - de, weit ſchaͤrfer und heftiger, als bey den meiſten andern Menſchen: und, wie mir Doͤrtchen Wel - by einmal ſagte, da ſie die Geburtsſchmerzen be - ſchrieb, wenn nicht gute Abwechſelungen dabey waͤren ‒ ‒ wenn ſie nicht kaͤmen und wieder weggingen ‒ ‒ ſo wuͤrde es nicht auszuhalten ſeyn.
Bey dem allen, da ich von dem lieben Kinde ſo wenig entfernt bin, und ſie ſich ſo ſehr uͤbel be - findet, denke ich, daß ich mich ſelbſt nicht entbre - chen kann, ſie einmal zu beſuchen. Nichts deſto weniger, wenn ich gedaͤchte, daß ſie ſo nahe bey ‒ ‒ Was fuͤr ein Wort ſoll ich gebrauchen, wo -durch289durch meine Seele nicht in Bewegung gebracht werde! ‒ ‒ und daß ſie durch einen Beſuch all - zu ſehr in Unordnung gerathen wuͤrde: ſo wollte ich nicht daran denken. ‒ ‒ Jedoch wie kann ich die Vorſtellung, woran ich mich erinnern muß, ertragen, daß ſie damals, da ſie das letzte mal von mir ging; als ihre Unſchuld ſo ſiegreich die Oberhand uͤber meine vorſetzliche Schuld be - hielte, daß es genug war, ſie dem Leben wieder zur Freundinn zu machen und uͤber alle ſo edelmuͤ - thig ausgeſtandene Beleidigungen hinauszuſetzen; mit einem unheilbaren Bruch in ihrem Herzen weggegangen, und das das letzte mal geweſen ſeyn ſollte, da ich ſie jemals ſehen wuͤrde! ‒ ‒ Wie, wie kann ich dieſe Betrachtung ertragen!
O Bruder! wie zerreißt mich mein Gewiſ - ſen, das ſo gar deinen ſtumpfen Anmerkungen eine durchſchneidende Schaͤrfe giebt! ‒ ‒ Selbſt die - ſen Augenblick wollte ich die ganze Welt dafuͤr hingeben, daß ich durch eine frohe Veraͤnderung, die darzwiſchen kommen moͤchte, dieſen grauſamen Zuchtmeiſter mit ſeinen Vorwuͤrfen von mir trei - ben koͤnnte! ‒ ‒ Verdrießlich uͤber mich ſelbſt! ‒ ‒ Verdrießlich uͤber das Andenken meiner ſchaͤndlichen Raͤnke und meiner geringen, mei - ner nur auf einen Augenblick gegenwaͤrtigen Entzuͤckung; O ich ſchaͤndlicher Dieb und Rau - ber! welche mir eine ſo dauerhafte und ſo ſchwere Gewiſſensangſt uͤber den Hals gebracht hat! Was wollte ich darum geben, daß ich mich nicht einer ſo grauſamen und undankbaren Treu -Siebenter Theil. Tloſig -290loſigkeit gegen das Vortrefflichſte unter den Wer - ken des Schoͤpfers ſchuldig gemacht haͤtte!
Jch wollte gern, wie mich deucht, mit einer freudigern Zeile beſchließen ‒ ‒ Allein es will nicht angehen ‒ ‒ Wiſſe denn, und freue dich daruͤber, wo du willſt, daß ich
Unausſprechlich elend bin.
Jch finde eines und das andre kleine Vergnuͤ - gen an deinem Briefe, der mir eben gebracht iſt. Jch ſehe nunmehr, daß noch ein wenig Menſchheit bey dir uͤbrig iſt. Wollte der Him - mel, ſo wohl um der Fraͤulein als um deiner ſelbſt willen, daß du es ein wenig eher aus allen den finſtern und vergeſſenen Winkeln deiner Seele hervorgeſtoͤret haͤtteſt!
Die Fraͤulein iſt noch am Leben, und gelaſſen und geruhig, und hat alle ihre edle Verſtands - kraͤfte in gehoͤriger Klarheit und Staͤrke: aber dem ungeachtet wird das Neunzehn ſie doch nicht retten. Sie ſagt, ſie will ſich itzo an den gottſe - ligen Uebungen in ihrem Cloſet und den Beſu -chen291chen des Pfarrers von dem Kirchſpiel begnuͤgen laſſen, und es nicht wagen, auszugehen. Sie wird auch wohl, in der That, wie ich beſorge, nie - mals wieder eine Treppe auf oder nieder ſteigen.
Es kraͤnkt mich bis in die Seele, daß ich dieß ſagen muß: allein es wuͤrde eine Thorheit ſeyn, dir mit falſcher Hoffnung zu ſchmeicheln.
Was deinen Beſuch bey ihr betrifft: ſo glau - be ich, daß der geringſte Wink von der Art, den ſie bekommen koͤnnte, itzo einige Stunden von ih - rem Leben abſchneiden wuͤrde.
Was zu ihrer Beruhigung etwas beygetra - gen, das ſcheint, iſt dieſes, daß ſie ſich die War - nung, welche ihr ihre Ohnmachten gegeben haben, zu Nutze gemacht, und deswegen ihren letzten Willen zu Ende gebracht, unterzeichnet und be - ſiegelt hat. Das hatte ſie bisher aufgeſchoben, in der Hoffnung, wie ſie ſagte, einige gute Zeitun - gen von Harlowe-Burg zu bekommen: welches die Veraͤnderung einiger Stellen in demſelben ver - anlaſſet haben wuͤrde.
Der Brief von der Fraͤulein Howe ward ihr nicht eher, als geſtern, Nachmittags um vier, uͤber - geben: zu welcher Zeit der Bothe wiederkam ei - ne Antwort abzuholen. Sie ließ ihn in den Speiſeſaal vor ſich kommen, ſo ſchlecht ſie ſich auch befand; und wuͤrde gern ein paar Zeilen, nach dem Verlangen der Fraͤulein Howe, geſchrie - ben haben: weil ſie aber nicht im Stande war, eine Feder zu halten; ſo trug ſie dem Bothen auf, ihr zu melden, daß ſie hoffete, ſie wuͤrde ſichT 2gut292gut genug befinden, mit der Poſt des naͤchſtfolgen - den Tages einen langen Brief an ſie zu ſchreiben, und ihn itzo nicht aufhalten wollte.
Jch habe eben itzo angefragt und die Fraͤulein beſchaͤfftigt gefunden, an Fraͤulein Howe zu ſchreiben. Sie bezeigte mir eine traurige Hoͤf - lichkeit durch die Entſchuldigung, daß ſie mir den Brief von der Fraͤulein Howe nicht zeigte, weil ich ihn und alle ihre Papiere bald vor mir haben ſollte. Sie erzaͤhlte mir aber, daß die Fraͤulein Howe mit vieler Bedaͤchtlichkeit bey dem Obriſt Morden verſchiedenen Dingen, die zu Misver - ſtaͤndniſſen zwiſchen ihm und mir Anlaß moͤchten gegeben haben, vorgebauet, und auch einige von euren Handlungen, um des Friedens willen, beſ - ſer ausgedeutet haͤtte, als ſie es verdienten.
Sie ſetzte hinzu, ihr Vetter Morden naͤhme ſich ihrer bey ihren Freunden mit großem Ernſt an: und eine gute Neuigkeit enthielte der Brief von der Fraͤulein Howe, daß ihr Vater einige Dinge aufgeben wollte, welche ihr von Rechtswe - gen zukaͤmen, und alſo meine Vollziehung ihres letzten Willens in einigen Stuͤcken, die ihr ein we - nig Sorge gemacht haͤtten, erleichtern wuͤrden.
Sie geſtand, daß ſie bey dem Briefe, den ſie ſchrieb, vor Schwachheit abzubrechen genoͤthigt worden waͤre.
Wilhelm293Wilhelm ſagt, er werde noch heute Abend bey euch eintreffen. Jch werde morgen hinſchicken, und wo ich ſie nicht verſchlimmert finde, ſo will ich nach Edgware reiten, und des Nachmittags wie - der zuruͤckkommen.
Jch bin endlich einmal wieder zur Stelle ge - kommen; und war willens, Jhnen in Lon - don meine Aufwartung zu machen: allein meine Mutter iſt ſehr krank ‒ ‒ Ach! meine liebe Freundinn, ſie iſt in der That ſehr krank ‒ ‒ Und Sie befinden ſich ebenfalls ſehr ſchlecht ‒ ‒ Das ſehe ich aus Jhrem Schreiben vom 25ten ‒ ‒ Was ſoll ich thun, wo ich zwo ſo nahe, und wer - the, und zaͤrtliche Freundinnen verliere? Sie ward geſtern bey unſerer letzten Station auf un - ſerm Ruͤckwege nach Hauſe befallen ‒ ‒ und hat eine heftige Uebelkeit und Fieber. Die Aerzte ſind ihretwegen zweifelhaft.
T 3Wenn294Wenn ſie ſterben ſollte: wie wird mir alle meine muthwillige Hitze gegen ſie vor Augen ſte - hen! ‒ ‒ Warum, warum habe ich ihr doch je - mals Unruhe gemacht? ‒ ‒ Sie ſagt, ich ſey voll - kommen gut und gehorſam geweſen! ‒ ‒ Sie vergißt aus Guͤtigkeit alle meine Fehler und erin - nert ſich einer jeden Sache, worinn ich ſo gluͤcklich geweſen bin, ihr gefaͤllig zu werden. Dieß geht mir durchs Herz.
Jch ſehe, ich ſehe, meine Wertheſte, Sie be - finden ſich ſehr uͤbel ‒ ‒ Und ich kann es nicht ertragen. Werden Sie beſſer, meine geliebte Fraͤulein Harlowe, wo ſie beſſer werden koͤnnen: werden Sie um meinetwillen beſſer, und ge - ben mir davon Nachricht. Laſſen Sie ja den Ueberbringer des Gegenwaͤrtigen mir eine Zeile zu - ruͤckbringen. Gewiß Sie ſenden mir eine Zeile. Wo ich Sie verliere, die Sie mir mehr, als eine Schweſter ſind, und meine Mutter verliere: ſo werde ich ein Mistrauen in mich ſelbſt ſetzen, mich gehoͤrig zu verhalten, und will nicht heyrathen. Und warum ſollte ich es auch thun? ‒ ‒ Man kriechet, man ſchmieget und bieget ſich mit liebko - ſender Hoͤflichkeit: ‒ ‒ O meine Wertheſte, die Mannsperſonen ſind eine ſchaͤndliche Bruth von kriechenden Thieren, ſo lange wir noch frey ſind, und bloße Baͤren, ſo bald ſie uns in ih - rer Gewalt haben. Sehen Sie an Lovelacen alles, was man ſich wuͤnſchen moͤchte, von Geſtalt, von Geburt, von Gluͤcksguͤtern: aber in ſeinem Herzen einen Teufel! ‒ ‒ Sehen Sie an Hick -mannen295mannen ‒ ‒ Jn Wahrheit, liebſte Freundinn, ich kann nicht ſagen, was gewiſſe Leute an Hick - mannen ſehen koͤnnen, weswegen ſie allezeit Lob - reden auf ihn halten, und ihn anpreiſen. Und iſt es wohl zu vermuthen, daß ich, die kaum von einer Mutter Einrede leiden konnte, ſie von ei - nem Manne annehmen ſollte? ‒ ‒ Noch dazu von einem, der weder mehr Witz, noch mehr Ver - ſtand hat, als ich ſelbſt? Der dennoch mein Fuͤh - rer ſeyn ſoll! ‒ ‒ Das wird er gewiß ſeyn, ver - muthe ich: aber mehr durch die Uebermuth ſeines Willens, als durch den Vorzug ſeines Rathes. Es iſt vergebens, daran zu gedenken ‒ ‒ Jch kann keine Frau von irgend einem Manne ſeyn, den ich bis itzo kenne. ‒ ‒ Dieß beruͤhre ich itzt um ſo viel mehr: weil ich weiß, daß ſie bey der Lebensgefahr meiner Mutter deſto eher in mich dringen werden, mich in eine andere Art des Schu - tzes zu begeben, wenn ich ihrer beraubt werden ſollte. Jedoch nicht mehr von dieſer Sache, oder, daß ich mich recht ausdruͤcke, von irgend einer andern: denn ich werde genoͤthigt bey meiner Mutter zu ſeyn, welche mich nicht aus den Augen laſſen kann.
Meine Mutter hat, Gott Lob! eine gute Nacht gehabt und befindet ſich viel beſſer. Jhr Fieber hat nach der Arzney nachgelaſſen. Alſo kann ich nun noch einmal frey und geruhig an Sie ſchreiben, in Hoffnung, daß es mit JhnenT 4auch296auch beſſer ſey. Jſt hierinn mein Gebeth erhoͤ - ret: ſo werde ich wieder gluͤcklich ſeyn. Jch ſchreibe noch mit deſto groͤßerer Munterkeit: da mir eine bequeme Gelegenheit gegeben iſt, eine Sache zu beruͤhren, welche Sie nahe angehet.
Wiſſen Sie dann, liebſte Freundinn, daß Jhr Herr Vetter Morden hier bey mir geweſen iſt. Er erzaͤhlte mir von einer Zuſammenkunft, die er am Montage bey dem Lord M. mit Lovelacen ge - habt hatte, und that ſehr viele Fragen an mich, welche Sie und den ſchaͤndlichen Kerl betrafen.
Jch haͤtte ein ſchoͤnes Feuer unter dieſem und ihm anblaſen koͤnnen: wenn ich gewollt haͤtte. Weil ich aber bemerkte, daß er ein ſehr hitziger Mann iſt; und glaubte, daß Sie elend daran ſeyn wuͤrden, wenn ihm aus einem Streit mit einem Menſchen, der dafuͤr bekannt iſt, daß er ſo viele Vortheile im Degen vor andern voraus hat, et - was zuſtoſſen ſollte: ſo ſtellte ich die Dinge, wo - von wir redeten, nicht auf das aͤrgſte vor. Je - doch da ich zu ſeinem Behuf gleichwohl nicht die Unwahrheit reden konnte: ſo muͤſſen Sie noth - wendig gedenken, daß ich genug ſagte, ihn zum Fluchen wider den nichtswuͤrdigen Boͤſewicht zu reizen.
Jch finde nicht, ſo viele Achtung ſie auch alle gegen den Obriſt Morden zu bezeigen pflegten, daß er genug bey ihnen gilt, ſie zu einem Ver - gleich zur Ausſoͤhnung zu bringen.
Was koͤnnen ſie darunter ſuchen! ‒ ‒ Allein Jhr Bruder iſt zu Hauſe gekommen: und ſo iſtdie297die Ehre des Hauſes ‒ ‒ das Anſehen der Fa - milie ‒ ‒ das einzige, woruͤber man ſchreyet.
Der Obriſt iſt ausnehmend uͤbel mit ihnen al - len zufrieden. Jnzwiſchen hat er doch bisher Jhren ungeſtuͤmen Bruder, wie es ſcheint, noch nicht geſehen. ‒ ‒ Jch meldete ihm, wie ſchlecht Sie ſich befaͤnden, und eroͤffnete ihm eines und das andere von dem Jnhalt Jhres Briefes. Er bewunderte Sie, fluchte auf Lovelacen, und tobte wider Jhre ganze Familie ‒ ‒ Er erklaͤr - te ſich, daß ſie alle Jhrer unwuͤrdig waͤren.
Auf ſein ernſtliches Erſuchen, erlaubte ich ihm, einige kurze Verzeichniſſe von ſolchen Stuͤ - cken des Jnhalts Jhres Briefes zu machen, wel - che ich ihm nach meiner Meynung vorleſen konn - te: und ſonderlich von Jhrem traurigen Be - ſchluſſe(*)Man ſehe das letzte von dem XVII. Briefe, das vor dreyen geſchrieben iſt..
Er ſagt, daß keiner von Jhren Freunden Sie fuͤr ſo krank halte, als Sie ſind, und auch keiner es glauben wolle ‒ ‒ Er iſt verſichert, daß Sie von ihnen allen, und zwar auch herzlich, ge - liebet werden.
Jſt dieß wahr: ſo wird ihre itzige Unbarm - herzigkeit ihnen zu immerwaͤhrenden Gewiſſens - biſſen Anlaß geben: wann Sie von uns genom - men werden ſollten. ‒ ‒ Nun aber ſcheint es; un - menſchliche und nichtswuͤrdige Leute! daß SieT 5noch298noch in dem letzten Daumenbreit von Jh - rem Leben leiden ſollen!
Er fragte mich nach verſchiednen Dingen in Anſehung des Herrn Belfords: und da er das, was ich von dieſem Cavallier zu ſagen wußte, und ſeine uneigennuͤtzige Dienſte bey Jhnen gehoͤret hatte; ſchalt er auf einige ſchaͤndliche Muthmaſ - ſungen, die durch den dienſtfertigen Schulfuchs, Brand, wider Sie ausgeſtreuet waͤren. Dieſer wuͤrde, wie ich beſinde, zwiſchen Jhrem Vetter und Lovelacen ſchlecht davon kommen: wenn ihm ſein Prieſterrock nicht zum Schutze diente.
Er war Jhretwegen ſelbſt ſo unruhig, daß er am Donnerſtage, dem 24ten, einen ehrlichen und ernſthaften Mann(*)Man ſehe den VIIIten Brief nicht weit vom Anfange., einen gewiſſen Alſton, einen rechtſchaffenen Pachter hinaufſchickte, ſich nach Jhrem Zuſtande, nach den Perſonen, welche bey Jhnen Beſuch ablegten u. ſ. w. zu erkundigen. Dieſer brachte ihm die Nachricht, daß Sie ſehr krank, und in großem Bedruck wegen Jhres Aus - kommens waͤren. Weil dieß aber demſelben von der Wirthinn in dem Hauſe, wo Sie wohnen, er - zaͤhlet, und, wie es ſcheint, mit einigen ſcharfen, ob gleich verdienten, Anmerkungen uͤber die Grauſam - keit Jhrer Verwandten vermiſchet war: ſo fand es bey ihnen keinen Glauben. Jch hoffe auch ſelbſt, daß es nicht wahr ſeyn koͤnne. Denn Sie haben gewiß nicht ſo ungerecht, will ich ſagen,gegen299gegen meine Freundſchaft ſeyn koͤnnen, daß Sie aus Mangel an Gelde irgend einige Unbequem - lichkeiten haͤtten leiden ſollen. Jch denke, ich koͤnnte es Jhnen nicht vergeben: wenn es ſo waͤre.
Der Obriſt, als einer von denen, die den letz - ten Willen Jhres Großvaters zu vollziehen haben, iſt entſchloſſen, Sie in den Beſitz Jhres Gutes geſetzt zu ſehen. Jmmittelſt hat er Jhre Ange - hoͤrigen ſchon wirklich gewonnen, Jhm die Ein - kuͤnfte davon, welche ſeit dem Tode Jhres Groß - vaters angewachſen ſind, eine ſehr betraͤchtliche Summe, fuͤr Sie zu uͤberliefern, und iſt willens, Jhnen damit aufzuwarten. Aus einer Nach - richt aber, die er ſich beylaͤufig entfallen ließ, fin - de ich, daß Sie die niedrige Gemuͤthsart einiger Leute in ihrer Hoffnung betrogen, indem Sie nicht um Geld und Zuſchub an dieſelben geſchrieben: da ſich dieſe vorgenommen hatten, Sie auf das Aeußerſte zu treiben und Jhnen Trotz zu bieten.
Das ſieht allem uͤbrigen Verfahren aͤhnlich! ‒ ‒ Jch hoffe, daß ich das, ohne Sie zu beleidigen, ſagen koͤnne.
Jhr Vetter ſteht in den Gedanken, daß jene, ehe eine Ausſoͤhnung ſtatt findet, darauf dringen werden, daß Sie uͤber das Gut ein ſolches Teſta - ment machen ſollen, als ihnen gefaͤllig ſeyn wird. Allein er erklaͤret ſich, daß er nicht eher aus Eng - land gehen wolle, als bis er von jedermann Jh - nen Gerechtigkeit geleiſtet geſehen. Er verſi -chert,300chert, daß Jhnen weder von Freunden, noch Fein - den Unrecht geſchehen ſoll ‒ ‒
Von Verwandten oder Feinden: haͤtte er nicht ſo ſagen ſollen? ‒ ‒ Denn ein Freund wird dem andern nicht Unrecht thun.
Auf die Art, meine Wertheſte, muͤßten Sie den Frieden fuͤr ſich erkaufen: wenn gewiſſe Leu - te ihren Willen haben ſollten!
Jhr Vetter; nicht ich, liebſte Freundinn, ob es gleich allezeit meine Meynung geweſen iſt(*)Man ſehe den I Th. S. 91.; ſaget, daß die ganze Familie zu reich ſey, entweder demuͤthig und bedaͤchtlich, oder zufrieden zu ſeyn. Was ihn anbetreffe, ſagt er: ſo habe er ein großes Vermoͤgen, und gedenke es Jhnen ganz zu ver - machen.
Haͤtte dieſer Boͤſewicht Lovelace nur ſeine zeit - lichen Vortheile in Betrachtung gezogen: was fuͤr eine anſehnlichreiche Partey wuͤrde er an Jhnen gehabt haben; wenn auch Jhre Vermaͤhlung mit ihm Sie des Antheils an Jhren natuͤrlichen Guͤ - tern beraubet haͤtte.
Jch werde genoͤthigt, hier abzubrechen. Aber weil ich noch ein gutes Theil zu ſchreiben habe, und es ſich mit meiner Mutter gebeſſert hat: ſo will ich von der Sache in einem andern Briefe weiter ſchreiben; wenn ich ſchon beyde zugleich ſende. Jch darf nicht ſagen, wie ſehr ich ſey und allezeit ſeyn werde
Jhre ergebene ꝛc. Anna Howe.
Der Obriſt fand einmal fuͤr gut, zum Lobe der Großmuth Lovelacens zu ſagen, daß er, wie ein rechtſchaffener Mann, der auf Eh - re hielte, thun muͤßte, alle Schuld auf ſich naͤh - me, und Sie von den Folgen des uͤbereilten Schrit - tes, den Sie gethan haͤtten, losſpraͤche: da er, weil Sie ihn liebten, wie er ſagte, und in ſeiner Ge - walt waren, nothwendig Vortheile uͤber Sie ge - habt haben muͤßte, die er nicht gehabt haben wuͤrde, wenn Sie in Jhres Vaters, oder irgend eines Freundes Hauſe geblieben waͤren.
Maͤchtig großmuͤthig, verſetzte ich; wenn auch alles ſo waͤre, wie er annaͤhme; an ſolchen unverſchaͤmten Sittenrichtern, ſelbſt an den beſten unter ihnen, daß ſie das Anſehen haben wollten, den guten Namen anderer von Schandflecken zu ſaͤubern, der doch niemals befleckt waͤre, wenn er nicht in ihre ſchmutzige Bekanntſchaft ge - fallen! Allein in dem gegenwaͤrtigen Falle, fuͤgte ich hinzu, brauchte man nichts, als die genaueſte Wahrheit, um zu beweiſen, daß Lovelace derScheus -302Scheuslichſte unter allen Boͤſewichtern, Sie die Unbefleckteſte unter allen Unſchuldigen waͤren.
Dieß ergriff er, und ſchwur, wenn er finden koͤnnte, daß irgend etwas außerordentliches oder grauſames in der Verfuͤhrung waͤre, wie aller - dings einer von ihren Briefen zu verrathen ge - ſchienen haͤtte; das heißt, meine Wertheſte, wenn etwas aͤrgers dabey waͤre, als Meineid, Treulo - ſigkeit und Misbrauch eines edelmuͤthigen Ver - trauens! ‒ ‒ Die jaͤmmerlichen Leute! ‒ ‒ ſo wollte er ſeine Baſe bis auf das aͤußerſte raͤchen.
Jch ſtellte Jhre Furcht, die Sie eben davor haͤtten, aus ihrem letzten Briefe an mich nach - druͤcklich vor. Allein er ſchien im Stande zu ſeyn, dasjenige, was nach meiner Ueberzeugung wahre und erhabene Großmuth iſt, in einem unanſtaͤndi - gen Sinne zu nehmen. Denn er gedachte un - mittelbar darauf der Erwartung, in welcher Jhre Freunde ſtuͤnden, daß Sie, ehe noch eine Ausſoͤh - nung mit ihnen vorginge, vor Gericht gegen den ſchaͤndlichen Kerl erſcheinen ſollten ‒ ‒ wofern Sie es mit ſo vielem Vortheil fuͤr ſich ſelbſt thun koͤnnten, als ich zu verſtehen gaͤbe.
Und in Wahrheit, wenn ich ihn haͤtte hoͤren wollen, ſo war die Zaͤrtlichkeit des Gemuͤths bey ihm geringe genug, daß er ſich in die eigentliche Beſchaffenheit des Beweiſes, von dem Verbre - chen, uͤber welches ſie Lovelacen gerichtlich belan - get wiſſen wollten, eingelaſſen haͤtte: und dennoch iſt dieß ein Cavallier, der ſich durch Reiſen und Gelehrſamkeit verbeſſert hat! ‒ ‒ Auf meinWort,303Wort, meine Wertheſte, da ich des feinſten und zaͤrtlichſten Umgangs allezeit gewohnt geweſen bin, ſeit dem ich die Ehre gehabt habe, Sie zu ken - nen, ſo iſt mir dieß Geſchlecht von dem Edelman - ne bis auf den Bauren veraͤchtlich.
Ueberhaupt finde ich, daß Herr Morden in beſondern Faͤllen eine ſehr geringe Meynung von der Frauenzimmer Tugend hat: weswegen ich ihn, ob er gleich Jhr Guͤnſtling iſt, fuͤr einen er - klaͤre, der kein Recht hat, den erſten Stein zu werfen.
Jch habe niemals eine Mannsperſon gekannt, die verdiente, daß man von ihr wegen ihrer ſitt - lichen Grundſaͤtze eine gute Meynung hegte, wel - che von der Tugend unſers Geſchlechts uͤberhaupt geringe Gedanken gehabt haͤtte. Denn wo, we - gen des Unterſchieds des Temperaments und der Erziehung, die Sittſamkeit, Keuſchheit und Gottſeligkeit, ja die letztern auch nach guten Grund - ſaͤtzen, in unſerm Geſchlechte nicht vorzuͤglich vor dem andern gefunden werden: ſo moͤchte ich es fuͤr ein Zeichen anſehen, daß die Natur in unſerm Geſchlechte viel aͤrger waͤre.
Er ließ ſich ſo gar verlauten, jedoch freylich nur als etwas, das von Jhren Verwandten kaͤme, daß es unmoͤglich ſey, daß ſich da, wo viele Liebe iſt, nicht auch einiges Wollen finden ſollte. Der - gleichen Urtheile ſind ſchon hinreichend ein Frau - enzimmer, dem ihre eigne Ehre und die Ehre ih - res Geſchlechts am Herzen liegt, dahin zu bringen, daß ſie in ſich gehet, und bedenket, was ſie thut,wenn304wenn ſie ſich mit dieſen elenden Geſchoͤpfen in ei - ne Vertraulichkeit einlaͤßt: indem offenbar iſt, daß, wenn ſie ſich jemals in die Gewalt einer Manns - perſon begiebt, und um deſſelben willen ihre Eltern oder Aufſehern verlaͤßt, jedermann es mehr ihrem Gluͤcke, als ihrer Klugheit, zuſchreiben werde, wo es mit ihrer Tugend nicht ein Ende hat. Die Mannsperſon mag auch noch ſo boͤſe und betruͤge - riſch mit ihr verfahren: ſie muß doch einen Theil ſeiner ſtrafbaren Bosheit auf ſich nehmen.
Jch ſchreibe, wie es ſich uͤberhaupt und ge - meiniglich verhaͤlt. Von Jhnen, wertheſte Freundinn, iſt hiebey gar nicht die Frage. Jhre Geſchichte wird, wie ich ſchon ſonſt geſagt habe, ſo wohl zu einer Warnung, als zu einem Vorbilde, dienen(*)Man ſehe den IV. Theil, S. 31.. Denn wer wird wohl nicht ſchließen: Wenn eine Perſon von Jhrem Vermoͤgen, von Jhrer Gemuͤthsart und von Jhren Verdienſten, dem Verderben nicht entgehen konnte, nachdem ſie ſich in die Gewalt ihres Raubthieres, ihrer Hyene, begeben hatte; was kann denn ein unbe - dachtſames, verliebtes, fluͤchtiges Frauenzimmer erwarten?
Eine jede Mannsperſon, wird man ſagen, iſt kein Lovelace ‒ ‒ Das iſt wahr: aber denn iſt auch nicht ein jedes Frauenzimmer eine Clariſſa ‒ ‒ Man mache fuͤr den einen und die andere ei - ne Ausnahme: ſo muß das Beyſpiel einen allge - meinen Nutzen haben.
Jch305Jch bereitete dieſen Cavallier zum voraus dazu, daß er Jhre Entſchließung, dem Herrn Belford ein Amt aufzutragen, welches weder er noch ſonſt jemand, nach unſerer Hoffnung, in vie - len, ſehr vielen Jahren zu verwalten Gelegenheit haben wird, erwarten moͤchte. Er ward anfangs ſtutzig daruͤber. Als er aber Jhre Gruͤnde hoͤrte, die mir Gnuͤge gethan hatten: ſo ſagte er nur daß eine ſolche Verordnung ſeine andern Vettern ſehr ſchmerzen wuͤrde, wenn ſie ſtatt finden ſollte.
Er erzaͤhlte mir, daß er eine Abſchrift von Lo - velacens Briefe haͤtte, in welchem er Sie um Ver - zeihung erſuchte, und ſich alle Buße auszuſtehen erboͤte(*)Man ſehe den VI Theil, S. 712.: auch eine Abſchrift von Jhrer Ant - wort darauf(**)Man ſehe den VI Theil, S. 733..
Jch befinde, daß er noch geneigt iſt, zu hof - fen, es koͤnne eine Heyrath zwiſchen Jhnen ſtatt haben: und dieſes, ſagt er, wuͤrde alle Spaltun - gen heilen.
Jch wurde viel mehr geſchrieben haben; ‒ ‒ ſonderlich von den folgenden Umſtaͤnden: Von des nichtswuͤrdigen Kerls Verfolgung, wodurch er Sie aus Jhrer Wohnung verjaget; von Jh - rer Anverwandten wunderlicher Unverſoͤhnlich - keit ‒ ‒ Jch bin eilfertig und kann itzo eben auf kein anderes Wort denken, das Jhnen beſſer gefallen wuͤrde ‒ ‒; von Jhrem letzten Briefe an Herrn Lovelacen, wodurch Sie ihn abzuhaltenSiebenter Theil. Uſuchen,306ſuchen, daß er Sie nicht verfolge; von der Buß - unterredung Jhrer Tante Hervey mit der Fr. Norton; von der wieder erneuerten Bewerbung des Herrn Wyerley; von Jhren guten Lehren zu Hickmanns Vortheil, die ſo vielen Beyfall ver - dienen, wenn der Mann nur mehr verdiente, als er wirklich verdienet ‒ ‒ Jn der That bin ich eben itzo mit ihm unzufrieden, und bin es ſchon ſeit zween Tagen geweſen; ‒ ‒ von dem Wan - derungsvorſchlage Jhrer Schweſter; ‒ ‒ und von zwanzig und abermal zwanzig andern Dingen: ‒ ‒ allein ich werde genoͤthigt, abzubrechen, um meinen beyden Baſen Spilsworth, und meiner Baſe Herbert aufzuwarten, die wegen der Unpaͤß - lichkeit meiner Mutter einen Beſuch bey uns ab - zulegen gekommen ſind. ‒ ‒ Jch will daher dieſe Briefſchaften durch Rogers abſenden: und wo meine Mutter bald geſund wird, wie ich hoffe; ſo habe ich mir vorgenommen, Sie zu London zu ſehen, und Jhnen alles, was ich itzo auf dem Her - zen habe, zu ſagen; inſonderheit aber, wenn ich zugleich meine Seele mit der Jhrigen vereinige, wie ſehr ich ſey und beſtaͤndig ſeyn werde, meine liebſte werthe Freundinn,
Jhre ergebene Anna Howe.
Jch wundere mich nicht uͤber die Ungedult, welche Jhr, nach der Ausſage eures Be - dienten, bezeiget, Nachricht von mir zu haben. Jch war willens, euch einen langen Brief zu ſchrei - ben, und war zu dem Ende eben von Smithen gekommen: weil ihr aber ſo dringet, ſo muͤßt ihr mit einem kurzen zufrieden ſeyn.
Jch machte der Fraͤulein heute fruͤhe, kurz vorher ehe ich mich nach Edgware auf den Weg begab, meine Aufwartung. Sie hatte ſich geſtern Abends ſo uͤbel befunden, daß ſie genoͤthigt wor - den war, ihren Brief an die Fraͤulein Howe un - geendigt zu laſſen: allein dieſen Morgen fruͤhe hatte ſie ihn zu Ende gebracht, und als ich kam, eben zugeſiegelt. Sie war ſo muͤde von dem Schreiben, daß ſie mir ſagte, ſie wollte ſich nieder - legen, wenn ich weg waͤre, und ihre Lebensgeiſter wieder zu erſetzen ſuchen.
Sie hatten nach dem Hrn. Goddard geſchickt, als ſie ſich geſtern Abends ſo uͤbel befand: und weil ſie nicht im Stande war, ihn außer ihrer Kammer zu ſprechen; ſo ſahe er zum erſten malU 2ihr308ihr Haus, wie ſie es nennt. Er ward aͤußerſt beſtuͤrzt und bekuͤmmert daruͤber, und verwies es der Fr. Smithinn und Fr. Lovick, daß ſie ſie nicht beredet haͤtten, einen ſolchen Gegenſtand aus ih - rer Schlafkammer wegzuthun. Da ſie ſich aber mit dem geringen Anſehen, das ſie, nach aller vernuͤnftigen Vermuthung, bey einem ſo weit uͤber ſie erhabenen Frauenzimmer haben muͤßten, ent - ſchuldigten: ſo redete er mit vieler Hitze wider die - jenigen, welche mehr Anſehen haͤtten, und ſie doch in einer ſo anſtoͤßigen und feyerlichen Grille, wie er es nannte, forthandeln ließen.
Es iſt bey dem Fenſter hingeſtellt, wie ein Clavezimbel: jedoch uͤber und uͤber bis an den Boden bedeckt. Wenn ſie ſich ſo ſchlecht befindet, daß ſie nicht gut zu ihrem Cloſet gehen kann: ſo ſchreibt und lieſet ſie darauf; wie andere auf ei - nem Pult oder Tiſch thun wuͤrden. Jnzwiſchen findet ſie nicht fuͤr gut, irgend jemand in dem Zim - mer zu ſehen: ausgenommen, da ſie geſtern Abends ſo krank war.
Jch reiſete nach Edgware: und als ich Abends wieder zu Hauſe kam; ging ich wieder zu ihr. Sie hatte einen Brief von Fr. Norton empfan - gen; einen langen Brief, wie es nach ſeiner Groͤ - ße ſcheinet; der ihr eben, als ich kam, vorher ge - bracht war. Sie hatte ihn aber nicht erbrochen, und ſagte, ſie ſcheuete ſich, da ſie recht ruhig und in guter Ordnung waͤre, den Jnhalt deſſelben an - zuſehen, damit ſie nicht aus ihrer Faſſung gebracht wuͤrde: indem ſie nunmehr von den lieben un -barm -309barmherzigen Nachbaren dieſer guten Frauen; ſo nannte ſie ihre eigne Verwandten; nichts zu hoͤren vermuthete, was ihr Nutzen ſchaffen, oder Vergnuͤgen machen koͤnnte.
Weil ich ſahe, daß ſie ſo ſchwach und ſchlecht war: ſo ging ich weg. Sie noͤthigte mich auch nicht, zu verziehen: wie ſie ſonſt bisweilen thut, wenn ich eine Bewegung mache, wegzugehen.
Von der Fr. Smithinn wurden mir bey mei - nem Abſchiede einige Winke gegeben, daß ſie die - ſen Abend zu einigen Verrichtungen beſtimmt haͤt - te, welche nach ihrem Hingange, wie ſie ſagte, Un - ruhen zu verhuͤten dienen ſollten. Sie hatte auch ihrer Waͤrterinn, und der Fr. Lovick, und Fr. Smithinn ihren Willen in Anſehung deſſen, was ſie nach ihrem Tode gethan wiſſen wollte, eroͤff - net. Jch glaube, daß es von gar beſonderer und ruͤhrender Beſchaffenheit geweſen: allein Frau Smithinn ließ ſich nicht genau uͤber die eigentli - chen Umſtaͤnde heraus.
Der Arzt ſo wohl, als Herr Goddard waren bey ihr geweſen. Beyde ſuchten einmuͤthig und mit großem Eifer ſie zu bereden, daß ſie ihr Haus von ihren Augen wegthun ließe. Sie verſicherte ſie aber, daß es ihr Vergnuͤgen und Muth mach - te: und da es eine nothwendige Vorbereitung waͤre, ſo wunderte ſie ſich, daß es ihnen fremd vorkommen koͤnnte, zumal ſie nicht eine Seele von ihrer Familie, oder eine alte Bekannte um ſich haͤtte, auf deren Fuͤrſorge und genaue Aufmerk -U 3ſamkeit310ſamkeit ſie ſich in dieſen Kleinigkeiten, wie ſie ſie nannte, verlaſſen moͤchte.
Der Arzt ließ ſich gegen Fr. Smithinn ver - lauten, er glaubte, ſie wuͤrde es noch lange genug halten, daß jemand von ihrer Freundſchaft Nach - richt von ihr haben und zu ihr kommen koͤnnte; aber auch ſchwerlich laͤnger: und weil er nicht merken koͤnnte, daß ſie irgend einige Gewißheit haͤtte, von ihrem Vetter Morden Nachricht zu be - kommen oder ihn zu ſehen; welches ein offenba - res Zeichen waͤre, daß ihre Verwandten noch un - verſoͤhnlich blieben; ſo wollte er zu Hauſe gehen und an ihren Vater ſchreiben, ſie moͤchte es auf - nehmen, wie ſie wollte.
Sie hatte einen großen Theil des Tages in bruͤnſtiger Andacht zugebracht, und morgen fruͤhe wird ſie eben den Geiſtlichen, der oft bey ihr ge - weſen iſt, bey ſich haben, von deſſen Haͤnden ſie das Abendmahl wieder nehmen will.
Du ſiehſt, Lovelace, daß alle Vorbereitung ge - ſchiehet, daß alles fertig ſeyn wird: und ich ſoll mor - gen, Nachmittags, zu ihr kommen, einige Anwei - ſung in Abſicht auf meine Verrichtung bey dem letz - ten Liebesdienſt, der ihr erwieſen werden ſoll, zu be - kommen. So habe ich mich nun nach eurer Unge - dult gerichtet: indem ich die Nachrichten von einer ſeinen Unterredung zwiſchen ihr und Fr. Lovick, welche mir die letztere eroͤffnet hat, und noch von einer andern zwiſchen ihr und dem Arzt und Apo - theker, vorbeylaſſe, da ich ſonſt willens war, ſiedir311dir dieſen Abend mitzutheilen, weil ſie ſehr zu ruͤhren geſchickt ſind.
Jch werde morgen ganz fruͤhe Henrichen mit ih - rem Briefe an die Fraͤulein Howe abſenden: ein Erbieten, welches ſie ſehr guͤtig aufnahm; weil ſie ſich mit aͤußerſter Sorgfalt bemuͤhet, die Furcht, welche dieſe Fraͤulein ihretwegen haben wird, weil ſie mit der Sonnabends Poſt keine Nachricht von ihr bekommen hat, zu ver - mindern. Jedoch, wenn ich die Wahrheit ſchreiben ſoll: wie kann ihre Furcht vermindert werden?
Jch ſchreibe, meine geliebte Fraͤulein Howe: ob ich mich gleich noch ſehr ſchlecht befinde. Damals aber, als Jhr Bothe wieder zuruͤckkehr - te, konnte ich es nicht thun: denn ich war zu der Zeit nicht im Stande, eine Feder zu halten.
Die Unpaͤßlichkeit Jhrer Fr. Mutter verur - ſachte mir, nach dem erſten Theil Jhres Briefes, Jhretwegen großen Kummer, bis ich weiter las. Sie beklagen dieſelbe, wie es einer ſo zaͤrtlichen Tochter zuſtehet. Der Himmel mache Sie, nochU 4auf312auf viele, auf ſehr viele, begluͤckte Jahre, durch einander gluͤcklich! Jch zweifle nicht, daß ſelbſt dieſe ploͤtzliche und ſchmerzliche Krankheit, durch die Gemuͤthsfaſſung, worein dieſelbe Sie geſetzet, und durch die Furcht, welche ſie Jhnen eingejaget hat, eine ſo werthe Mutter zu verlieren, zu der Gluͤckſeligkeit, die ich Jhnen wuͤnſche, etwas bey - tragen werde. Denn, liebſte Freundinn, wir wiſſen, leyder! niemals, wie wir die Segensguͤ - ter, die wir genießen, ſchaͤtzen ſollen, bis wir in Gefahr ſtehen, ſie zu verlieren, oder ſie wirklich verlohren haben. Was wuͤrden wir aber als - denn dafuͤr geben, daß ſie uns wieder zu Theil werden moͤchten?
Was, Wunder! iſt wieder zwiſchen Jhnen und Herrn Hickmann vorgefallen? Ob ich es gleich nicht weiß: ſo darf ich doch wohl ſagen, daß ein oder der andere kleine Muthwillen, oder ein und der andere Vortheil, den ſie auf eine halb unedel - muͤthige Art aus ſeiner Gefaͤlligkeit, und beſtaͤn - digen Bemuͤhung um Sie, gezogen haben, daran ſchuld ſey. Wollen Sie denn niemals, meine Wertheſte, wollen Sie, und unſer ganzes Geſchlecht, niemals den guten Eigenſchaften der Maͤßigkeit und Ordnung in der Art zu leben und zu handeln an dem andern Geſchlechte den uͤberwiegenden Vorzug einraͤumen? Muͤſſen kuͤhne Leute und vorwitzige Gemuͤther auf ewig, und bey den be - ſten und weiſeſten von uns ſo wohl, als bey den unbedaͤchtlichſten, diejenigen ſeyn, denen am guͤ - tigſten begegnet wird?
Meine313Meine lieben Freunde wiſſen nicht, daß ich wirklich ſo lange gelitten habe, bis weniger, als ein Daumenbreit von meinem Leben uͤbrig geweſen iſt.
Der arme Herr Brand! Er hat es gut ge - meynet, glaube ich ‒ ‒ Mir iſt bange, daß alles ſchwer auf ihn zuruͤckfallen werde, da er vermuth - lich gedacht hat, daß er die beſte Art waͤhlte, ge - faͤllig zu werden. Allein waͤre er auch nicht ſo leicht - glaͤubig, und auf eine ſo ſtrafbare Art dienſtfertig geweſen; ſondern haͤtte einen vortheilhaftern, und, es wuͤrde etwas ſeltſames ſeyn, wenn ich nicht ſa - gen koͤnnte, einen gerechtern Bericht abgeſtatet: ſo wuͤrden die Sachen doch, nichts deſto weniger, vollkommen eben ſo geweſen ſeyn, als ſie ſind.
Jch muß meine Feder niederlegen. Jch be - finde mich ſehr uͤbel. Jch hoffe, mir wird bald beſſer ſeyn. Die ſchlecht geſchriebenen Zeilen wuͤrden mich verrathen: wenn ich gleich willens waͤre, Jhnen zu verbergen, was der Erfolg noth - wendig bald ‒ ‒
Nun nehme ich meine bebende Feder wieder. Halten Sie mir meine wankelhafte Schreibart zu gute. Es will nicht anders ſeyn ‒ ‒
Mir hat es nicht an Gelde gefehlet: daher zuͤrnen Sie um eine ſolche Kleinigkeit, als das Geld iſt, nicht mit mir. Jnzwiſchen iſt mir das doch lieb, wozu Sie mir Hoffnung machen, daß meine Freunde die Einkuͤnfte aus dem Gut mei -U 5nes314nes Großvaters von der Zeit an, da es in ihren Haͤnden geweſen iſt, hergeben wollen. Denn weil ich wußte, daß ſie mir von Rechtswegen zu - gehoͤrten, und daß ſie dieſelben nicht noͤthig haben koͤnnten: ſo hatte ich ſchon wegen eines guten Theils davon meine Verordnung gemacht, und konnte nur hoffen, daß ſie geneigt ſeyn wuͤrden, auf mei - ne letzte Bitte ſie fahren zu laſſen. Wie reich wer - de ich mich nun in dieſer meiner letzten Station achten! ‒ ‒ Jedoch habe ich auch vorher keinen Mangel gehabt ‒ ‒ Nein in der That nicht ‒ ‒ Denn wie kann man ſagen, daß jemand einen Mangel leidet, der viel Ueberfluͤßiges hat?
Betruͤben Sie ſich nicht, meine wertheſte Freundinn, daß ich es meine letzte Station nen - ne. Denn was heißt ſelbſt das lange Leben, wor - auf bey guter Geſundheit unſere Wuͤnſche gehen? Was anders, als in dem ganzen Verlauf ein Le - ben voller Furcht, bisweilen fuͤr unſere Freunde, noch oͤfterer fuͤr uns ſelbſt? Zuletzt aber, wenn wir zu dem hohen Alter, das wir begierig wuͤnſchen, ge - kommen ſind; nachdem ein ſchwerer Verluſt dem andern, eine ſchmerzliche Beraubung der andern gefolget iſt: ſehen wir uns von allen und jeden, die wir liebten, ſo zu ſagen entbloͤßet, und finden uns, als ungeſellige elende Geſchoͤpfe, der Gering - ſchaͤtzung, der Verachtung uͤbermuͤthig ſpielender Jugend ausgeſetzet, die uns gern von dem Poſten ſtoßen moͤchte, in Hoffnung das, was wir haben, zu beſitzen ‒ ‒ Und zu dem allen kommen noch unſere eigne Schwachheiten, die taͤglich zunehmen. Dieſe315Dieſe ſind ſchon allein genug, uns das Leben, wel - ches wir wuͤnſchten, zu der groͤßten Laſt unter al - len zu machen. Beſinnen Sie ſich nicht auf die Zeilen von Howard, die Sie mir einmal in meiner Sommerlaube vorlaſen(*)Die Zeilen, worauf ſich die Fraͤulein beruft, ſind folgende:Vom Tode ſind wir erſt zum Leben eingegangen: Durch dieſes wiederum dahin zuruͤckgelangen, Jſt nichts, als eben das. Wir muͤſſen ſchaam - roth ſtehn, Wenn wir da die Gewalt der Leidenſchaften ſehn, Wo uns Gewißheit nicht, wo uns Vernunft nicht ziehet, Ja wo die Tugend ſelbſt vergebens ſich bemuͤhet. Die Ehre, leeres Wort! hat es ſo weit gebracht, Daß ſie die Todesfurcht bey uns geringe macht. Die Liebe laͤſſet ſich nie durch Verachtung quaͤlen: Sie ſuchet bald den Tod zur Zuflucht zu erwaͤhlen. Und ein geſchaͤrfter Schmerz bey Noth und Ungemach, Sieht ſehnſuchtsvoll herum und jagt dem Tode nach. Die Hoffnung aber ſiegt und kann uns ſiegreich lenken, An Tod, an Nacht und Grab nicht weiter zu gedenken: Und das Verhaͤngniß iſt dem Thoren zum Betrug,Dem?
Bey316Bey meiner Verordnung wegen desjenigen, was mir zugehoͤrt, habe ich mich bemuͤhet, alles auf die gerechteſte und beſte Art, die ich erdenken konnte, zu machen: indem ich mich ſelbſt an mei - ner Verwandten Stelle geſetzt, und in den wich - tigſten Stuͤcken meine Sachen ſo eingerichtet ha - be, als wenn kein Misverſtaͤndniß vorgefallen waͤre.
Jch hoffe, ſie werden an einige Vermaͤchtniſſe, wo ſie noͤthig geweſen ſind, und wo meine Dank - barkeit dieſelbe erfordert hat, nicht viel gedenken. Sollten ſie es aber thun: ſo iſt einmal geſchehen, was geſchehen iſt; und ich kann es nunmehr nicht aͤndern. Jedoch muß ich es noch einmal ſagen, ich hoffe, ich hoffe, daß ich es einem jeden von ihnenzu(*)Dem Ungluͤckſeligen zur Schmeichelung genug. Wir fuͤrchten den Verluſt von dem, was doch nicht waͤhret, Was eine kurze Zeit gewiß fuͤr ſich verzehret: Bis uns das Leben ſelbſt durch ſeine Maͤngel ſchreckt, Zu einer Krankheit wird und uns Verdruß er - weckt. Jndem wir darum flehn, daß wir noch laͤnger leben: So bitten wir um nichts als ein hinfaͤllig Schweben; Um nichts, als um die Quaal, mit ausgedehnter Pein Auf eine lange Zeit in Todesnoth zu ſeyn. 317zu Dank gemachet habe. Denn ich wuͤrde es kei - nesweges gerne ſehen, wenn man gedaͤchte, daß bey meiner letzten Verordnung irgend etwas einer Tochter, einer Schweſter oder einer Baſe unan - ſtaͤndiges in einem Gemuͤthe, welches, wie ich mich unterſtehe zu ſagen, der Wahrheit nach ſo frey von allem Unwillen iſt, daß es itzo von Dankbarkeit fuͤr das Gute, das ich empfangen habe, uͤberfließet, ob es gleich nicht alles iſt, was mein Herz zu em - pfangen gewuͤnſchet hat. Waͤre es auch eine Haͤrte, daß mir nicht mehr zugeſtanden iſt: was iſt es denn wohl anders, als eine Haͤrte von einem halben Jahre, die gegen die liebreichſte Guͤte von achtzehn und einem halben Jahre, welche je - mahls einer Tochter bewieſen iſt, gehalten werden muß?
Mein Vetter, melden Sie mir, glaubet, daß ich nicht auf meiner Huth geweſen, und bey einem oder dem andern Vortheil, den ich uͤber mich eingeraͤumet haͤtte, gefangen ſey. Jn Wahrheit, meine liebe Freundinn, das iſt nicht geſchehen. Jn Wahrheit, ich habe keine Vortheile uͤber mich ein - geraͤumet. Jch hoffe, daß man dieſes dereinſt ſehen werde: wo mir die Gerechtigkeit widerfaͤh - ret, von welcher mir Herr Belford Verſicherung giebet.
Jch ſollte hoffen, daß mein Vetter ſich nicht die Freyheiten genommen habe, derer Sie ihn, bey einer nicht ungegruͤndeten Anmerkung zu be - ſchuldigen ſcheinen. Denn es iſt ſeltſam zu ge - denken, daß das maͤnnliche Geſchlecht uͤberhauptſolche318ſolche Laſter fuͤr ſo geringe halten koͤnnte, die ſie mit Recht fuͤr ſo unverzeichlich anſehen, wenn ſie an ihren naͤheſten Verwandten unſeres Geſchlechtes veruͤbet werden: ‒ ‒ da ſie dieſelben doch nicht begehen koͤnnen, ohne andere Familien und Per - ſonen mit ſolcher Beleidigung zu kraͤnken, die ſie ſich bis auf den Tod zu raͤchen verbunden achten, ſo bald ſie ihren eignen Familien widerfaͤhret.
Allein wir Frauenzimmer verdienen nur allzu oft in dieſem Stuͤcke getadelt zu werden: indem auch die Tugendhafteſten unter uns ſelten die Tu - gend zum Grunde ihres Wohlgefallens an dem andern Geſchlechte machen; ſo daß eine Manns - perſon ſich ſo gar vor den Augen unſtreitig tugend - hafter Frauenzimmer mit dieſer Art der Bosheit ruͤhmen mag, ohne deswegen verworfen zu werden. Daher kommt es, daß ein Freund der ſo genann - ten freyen Lebensart es ſelten fuͤr ſich noͤthig ach - tet, nur einmal den aͤußerlichen Wohlſtand zu be - obachten: und wie vieles muß unſer Geſchlecht nicht durch die Meynungen, welche ſie desfalls von uns hegen, in eben dieſer Betrachtung leiden? Ja, was habe ich, mehr als viele andere, in den Augen der Welt, in eben dem Stuͤcke, zu verant - worten?
Moͤchte doch meine Geſchichte allen zu einer Warnung dienen, wie ſie einen Freydenker in der Lebensart einem Manne, der auf wahre Ehre haͤlt, vorziehen, und wie ſie ſich ſelbſt durch die ſchein - bare, aber doch thoͤrichte, Hoffnung, eingewurzel - te Gewohnheiten zu unterdruͤcken, und, ſo zu ſagen,die319die Naturen zu aͤndern, verleiten laſſen, wo ſie die beſte Abſicht haben! ‒ ‒ Eine um ſo viel thoͤ - richtere Hoffnung, da uns die Erfahrung uͤberzeu - gen kann, daß ſo gar bey ziemlich gluͤcklichen Ehen kaum einer unter zehen iſt, in welcher die Frau eben diejenige Zuneigung bey dem Manne behaͤlt, die ſie bey dem Freyer und Liobhaber hatte. Was kann ſie denn fuͤr einen Einfluß uͤber die ſittlichen Grundſaͤtze eines Menſchen haben, der ſich oͤffentlich zu der freyen Lebensart bekennet, der vielleicht nur einiger Gemaͤchlichkeit halber hey - rathet, der dieß Band fuͤr etwas veraͤchtliches anſiehet, und der, nur allzu wahrſcheinlicher Weiſe, durch nichts, als Alter, oder Krankheit, oder Schwachheit, die Folge von verderblicher Ueppig - keit, auf beſſere Wege zu bringen iſt.
Es iſt mir ſehr lieb, daß Sie meinem Vett ‒ ‒ ‒
Bis hierher hatte ich geſchrieben: als ich ge - noͤthigt ward, meine Feder niederzulegen. Jch ward ſo viel ſchwaͤcher und ſchlechter, daß, wenn ich ſie wiedergenommen haͤtte, hier zu beſchließen, es mit einer ſo bebenden Wankelhaftigkeit haͤtte geſchehen muͤſſen, daß es Jhnen mehr Sorge mei - netwegen gemacht haben wuͤrde, als der Aufſchub, da ich meinen Brief nicht mit der geſtrigen Poſt des Abends abgeſendet, thun kann. Deswegen ha - be ich es verſchoben, um zu ſehen, wie es Gottgefal -320gefallen moͤchte, mit mir zu verfahren: und ich fin - de, daß ich, nach einer beſſern Nacht, als ich ver - muthete, munter und unbenebelt bin. Davon will ich Jhnen in der Fortſetzung meines Briefes einen Beweis geben. Jch will ſo nach der Rei - he fortfahren, als wenn ich nicht abgebrochen haͤtte.
Es iſt mir lieb, daß Sie ſo wohlbedaͤchtlich meinem Vetter Morden vortheilhafte Meynungen von Herrn Velford beygebracht haben. Sonſt koͤnnte zwiſchen ihnen beyden leicht ein und das andere Misverſtaͤndniß vorgefallen ſeyn. Denn ob ich gleich hoffe, daß dieſer Cavallier ſchon ein ganz anderer Menſch ſey, und mit der Zeit ein Bekehrter ſeyn werde: ſo iſt er doch einer von den hitzigen Koͤpfen, der gewohnt geweſen, auch ein - gebildete Beleidigungen, die ihm widerfahren, zu raͤchen; da er, wie ich glaube, ſich doch nicht bemuͤhet hat, wirkliche Beleidigungen gegen anders zu vermeiden; indem Leute von dieſem Schlage gerade ſo handeln, als wenn ſie daͤchten, daß die ganze Welt ihnen, und ſie keinem in der - ſelben nachgeben muͤßten:
Herr Lovelace, berichten Sie, hat es fuͤr gut befunden, meinem Vetter die Abſchrift von ſeinem bußfertigen Briefe an mich, und meine Antwort auf denſelben, worinn ich ihn mit ſeinem Geſuche gaͤnzlich abweiſe, anzuvertrauen: und Herr Bel - ford ſaget mir uͤber dieſes, wie bekuͤmmert Herr Lovelace wegen ſeiner niedertraͤchtigen Bosheit ſey, und wie frey er ſich ſelbſt gegen meinen Vetter an -geklaget321geklaget habe. Dieß zeiget, daß die wahre Herz - haftigkeit viel zu erhaben iſt, eine ſchaͤndliche Handlung zu begehen: und daß nichts dem menſchli - chen Gemuͤthe eine ſolche Niedertraͤchtigkeit auflege, daß wir uns vorſetzlicher Beleidigungen gegen un - ſere Nebengeſchoͤpfe ſchuldig machen ſollten. Wie unedel, wie poͤbelhaft ſind die Erniedrigungen, wo - zu eine ausgekuͤnſtelte Schandthat noͤthiget! Daß der nichtswuͤrdige Menſch ſo, wie er that, mit mir verfahren, und dann eine ſo jaͤmmerliche und krie - chende Auffuͤhrung annehmen konnte, damit ich ihm vergeben, und, ſo vorſetzliche, ſo ſcheusliche, ſo uͤberlegte Bosheiten wieder gut zu machen zu ſuchen, erlauben moͤchte! Wie veraͤchtlich iſt er bey einer gewiſſen Gelegenheit, die Sie einmal erfahren werden(*)Die Fraͤulein meynt die Gewaltthaͤtigkeit, die er ſich, nach des Vten Theils Lten Briefe, noch ein - mal zu veruͤben vorgeſetzt hatte, und ſeine darauf erfolgte Briefe, in welchen er demuͤthigſt um Ver - zeihung bittet., wegen ſeiner Niedertraͤchtig - keit, meiner Seele geweſen! Denjenigen aber, den man aus Herzens Grunde fuͤr veraͤchtlich haͤlt, gaͤnzlich abzuweiſen, iſt im geringſten keine Schwie - rigkeit: waͤre man ihn auch vormals noch ſo parteyiſch zugethan geweſen.
Jnzwiſchen iſt es mir lieb, daß dieſer hitzige Kopf ſo kriechen kann; daß er, wie eine giftige Schlange, ſich ſo ſchmiegen und winden und ſei - nen Kopf in ſeinen engen Kreiſen ſo verbergenkann:Siebenter Theil. X322kann: weil dieſe Krimmung, dieſe Erniedrigung mir Hoffnung macht, daß kein weiteres Ungluͤck erfolgen werde.
Alles, was ich befuͤrchte, iſt dasjenige, was nach meinem Tode geſchehen mag: daß alsdenn mein Vetter oder irgend ſonſt jemand meinetwe - gen Rache ſuchen und ſein eignes koſtbarers Leben in Gefahr ſetzen moͤchte.
Wenn nur der Theil von Cains Fluch, daß er unſtaͤt und fluͤchtig auf Erden ſeyn ſollte, den Herrn Lovelace traͤfe; ich will ſagen, wenn ihm dadurch nur kein Schaden weiter gewuͤnſchet wuͤrde, als daß er genoͤthigt ſeyn moͤchte, herum - zureiſen, wie ſeine Abſicht zu ſeyn ſcheinet; ob ich ihm gleich nichts Boͤſes auf ſeinen Reiſen wuͤn - ſche; und ich es nur gewiß wiſſen koͤnnte: ſo wollte ich mich wegen der gehoffeten Sicherheit meiner Freunde vor ſeiner geſchickten und geuͤb - ten Gewaltthaͤtigkeit beruhigen. O koͤnnte ich hoͤren, daß er tauſend Meilweges von hier waͤre!
Als ich dieſen Brief anfing: dachte ich nicht, daß ich ſo weitlaͤuftig und ſo viel haͤtte ſchreiben koͤnnen. Allein ich ſchreibe an Sie, meine wer - theſte Freundinn: und Sie haben ein Recht, auf diejenige Munterkeit zu Jhren Dienſten einen Anſpruch zu machen, welche Sie erwecken und unterhalten. Denn ſie iſt nicht laͤnger mein, und wird ſich den Augenblick verlieren, wenn ich auf - hoͤre, an Sie zu ſchreiben.
Aber wozu wollen Sie mir Hoffnung gemacht wiſſen: wenn Sie mir melden, daß Sie mich zuLondon323London ſehen wollen, ſo bald es die Geſundheit Jhrer Fr. Mutter erlaubet? Jch hoffe, es wer - de mit der Geſundheit Jhrer Fr. Mutter voll - kommen beſſer ſeyn; wie Sie wuͤnſchen: allein ich darf mir eine ſo große Gewogenheit, eine ſo große Gluͤckſeligkeit will ich es nennen, doch nicht verſprechen. ‒ ‒ Jn der That weiß ich auch nicht, ob ich nunmehr noch im Stande ſeyn moͤch - te, ſie zu ertragen. ‒ ‒
Unterdeſſen iſt es doch ein Vergnuͤgen, das Sie mir machen koͤnnen, und das in Jhrer Gewalt ſtehet. Laſſen Sie mich wiſſen; und zwar muß es ſehr geſchwinde ſeyn, wofern Sie mir dadurch eine Gefaͤlligkeit zu erweiſen wuͤnſchen; laſſen Sie mich wiſſen, daß zwiſchen Jhnen und Herrn Hick - mann alles beygeleget ſey. Jch ſehe, daß Sie ſich vorgenommen haben, bey allem Jhrem hoch - fliegenden Muth, ihm viele Verbindlichkeit fuͤr ſeine Gedult mit Jhrem fluͤchtigen Feuer ſchuldig zu werden. Gedenken Sie hieran, meine liebe ſtolze Freundinn! und gedenken Sie auch an das, was ich Jhnen oft geſagt habe, daß der Stolz, es ſey an einer Mannsperſon, oder an einem Frauenzimmer, eine Ausſchweifung iſt, die faſt allezeit, uͤber kurz oder lang, ihr ſchmerzliches Ge - gentheil hervorbringet.
Jch wuͤnſche, meine liebe Fraͤulein Howe, daß Sie kein anderes Misvergnuͤgen haben moͤ - gen, als was Sie ſich ſelbſt machen. Dieſes muß Jhre Strafe ſeyn, wenn Sie es nicht ſelbſt vermindern, da es in Jhrer Gewalt ſtehet. WeilX 2hier324hier keine vollkommene Gluͤckſeligkeit moͤglich iſt; indem das geſchaͤfftige Gemuͤth ſich ſelbſt Uebel ſchaffen wird, wenn keine zu finden ſeyn ſollten: ſo werden Sie mir dieſen eingeſchraͤnkten Wunſch verzeihen; ſo ſeltſam er auch ſcheinen mag, bis Sie ihn erwaͤgen. Denn ſollte ich Jhnen gar keine Ungluͤckſeligkeiten, weder in, noch außer Jhnen, wuͤnſchen: ſo waͤre das eben ſo gut, als wenn ich Jhnen etwas wuͤnſchen wollte, das in dieſer Welt nicht geſchehen koͤnnte; und das vielleicht nicht zu wuͤnſchen waͤre, wenn man durch einen Wunſch ſeinem Freunde eine ſolche Ausnahme verſchaffen koͤnnte; indem wir hier nicht beſtaͤndig leben ſollen.
Kurz, wir muͤſſen nicht erwarten, daß uns die Roſen ohne Dornen aufwachſen werden: al - lein dabey ſind es doch nuͤtzliche und lehrreiche Dornen; die in Zukunft behutſamer zu ſeyn leh - ren; indem ſie demjenigen, der die Roſen zu hitzig und eilfertig pfluͤckt, in die Finger ſtechen; und doch zu eben der Zeit den Beſitz der Guͤter, die man nicht allzu leicht erlanget hat, angenehmer und ſchmackhafter machen.
Jch muß beſchließen ‒ ‒
Gott verleihe Jhnen, und allen, welche Sie lieben und ehren, beſtaͤndig Heil und Gluͤck, und belohne Sie hier und dort fuͤr Jhre Guͤte gegen
Jhre ewig verbundene und ergebene Clariſſa Harlowe.
Jch haͤtte eher geſchrieben, meine wertheſte Fraͤulein: wenn ich mich nicht beſtaͤndig ſeit dem Empfang Jhres letzten Briefes bemuͤ - het haͤtte, in geheim zu Jhrer Fr. Mutter zu kom - men, in Hoffnung, die Erlaubniß zu erhalten, daß ich ihn ihr zeigen moͤchte. Allein geſtern Abends ward ich zu meiner groͤßten Verwunderung ein - geladen, heute Morgens zu Harlowe-Burg zu fruͤhſtuͤcken, und der Wagen kam fruͤhe mich ab - zuholen: eine Ehre, die ich nicht vermuthete.
Als ich dahin kam: fand ich, daß eine Ver - ſammlung von Jhrer ganzen Familie mit dem Obriſt Morden zu Harlowe-Burg ſeyn ſollte, und Jhre Fr. Mutter vorgeſchlagen, die Uebrigen aber bewilliget haͤtten, daß ich dabey zugegen ſeyn moͤch - te. Jhr Vetter, vernehme ich, hatte es mit vie - ler Schwierigkeit ſo weit gebracht, daß dieſe Ver -X 3ſamm -326ſammlung zugeſtanden war. Denn Jhr Bruder hatte vorher alle Unterredung mit ihm von der empfindlichen Sache ſorgfaͤltig vermieden: indem er darauf beſtanden, daß es nicht noͤthig waͤre, mit dem Herrn Morden davon zu ſprechen, der als ein weitlaͤuftigerer Verwandter nicht befugt waͤre, ſich zum Richter uͤber ihr Verhalten gegen ihre Tochter, ihre Baſe und ihre Schweſter auf - zuwerfen; ſonderlich da er ſich fuͤr dieſelbe erklaͤ - ret haͤtte. Ja er hatte noch hinzugefuͤgt, daß er ſchwerlich Gedult haben wuͤrde, ſich von ihm dar - uͤber befragen zu laſſen.
Jch machte mir Hoffnung, daß Jhre Frau Mutter mir Gelegenheit geben wuͤrde, ehe die Ge - ſellſchaft zuſammen kaͤme, mit ihr allein zu reden: aber ſie ſchien es mit Fleiß zu vermeiden; jedoch darf ich wohl ſagen, nicht mit ihrem guten Willen.
Jch ward nur eben vorher, ehe Herr Morden kam, hereingefordert, und bekam Befehl, mich zu ſetzen. ‒ ‒ Das that ich, und ging am Fenſter ſitzen.
Der Obriſt fing, ſo bald als er kam, die Un - terredung damit an, daß er ſeine Fuͤrbitte fuͤr Sie erneurte, wie er ſagte. Er ſtellte ihnen Jhre Reue vor, Jhren ſchlechten Zuſtand der Geſund - heit, Jhre Tugend, ob ſie gleich einmal beruͤcket und ſchaͤndlich gemishandelt waͤre. Er las ihnen ferner den Brief von Herrn Lovelace, der in der That mit der groͤßten Reue geſchrieben iſt(*)Man ſehe den VI Theil, S. 712.;er327er las ihnen auch Jhre großmuͤthige Antwort(*)Man ſehe den VI Theil, S. 733. vor; denn ſo nannte er ſie mit Recht; und ging mit der dienſtfertigen Nachricht des Herrn Brands, uͤber die er ſie, wie ich vorher gehoͤret, ſchon ſchamroth gemacht hatte, ſo um, wie ſie es verdiente: indem er dagegen Vorſtellungen that, welche ſich auf des Herrn Alſtons Nachfrage gruͤndeten(**)Man ſehe den vorhergehenden VIIIten Brief nicht weit vom Anfange.. Dieſen aber hatte er eignes Ge - werbes darum nach London gehen laſſen, daß er ſich nach Jhrer Lebensart, und was es mit den Beſuchen des Herrn Belfords zu bedeuten haͤtte, erkundigen ſollte.
Er erzaͤhlte ihnen hiernaͤchſt, er haͤtte des Ta - ges vorher der Fraͤulein Howe ſeine Aufwartung gemacht, und es waͤre ihm ein Brief von Jhnen an dieſe Fraͤulein(***)Man ſehe den vorhergehenden XVIIten Brief und zwar das letzte, was vor dreyen geſchrie - ben iſt. gezeiget, auch die Er - laubniß gegeben, eines und das andere aus dem - ſelben aufzuzeichnen: nach dieſem Schreiben ſchie - nen Sie, ſo wohl der Hand, als des Jnhalts wegen, ſich ſo ſchlecht zu befinden, daß es ihm zweifelhaft vorkaͤme, ob Sie die Krankheit uͤber - ſtehen koͤnnten. Er las ihnen unter andern die Stelle vor, wo Sie die Fraͤulein Howe fragen, „ was nunmehr fuͤr Sie ausgerichtet werden koͤnn - „ te, wenn Jhre Freunde Jhnen auch noch ſo guͤn -X 4„ ſtig328„ ſtig waͤren; “imgleichen, wo Sie „ mehr um Jhrer „ Verwandten, als um Jhrer ſelbſt willen wuͤn - „ ſchen, daß Sie nur noch nachlaſſen moͤchten, “und alsdenn ſagen, „ daß Sie ſich ſehr uͤbel befinden ‒ ‒ „ daß Sie Jhre Feder niederlegen muͤſſen ‒ ‒ auch „ Jhrer krummen Zuͤge wegen um Entſchuldigung „ bitten, und nicht anders, als wenn es das letzte „ mal waͤre, von der Fraͤulein Howe Abſchied neh - „ men ‒ ‒ Leben Sie wohl, meine Wertheſte, le - „ ben Sie wohl, “ſind Jhre Worte.
O mein Kind! mein Kind! ſagte hiebey Jh - re Frau Mutter mit Weinen und mit zuſammen - geſchlagenen Haͤnden.
Wertheſte Frau Mutter, ſprach Jhr Bruder, haben Sie die Guͤte und denken, daß ſie mehr Kinder haben, als dieß undankbare.
Jhre Schweſter ſchien inzwiſchen zum Mitlei - den beweget zu ſeyn.
Jhr Onkel Harlowe wiſchte die Augen. O Herr Vetter, ſagte er, wenn man daͤchte, daß das arme Maͤgdchen wirklich ſo krank waͤre ‒ ‒
Sie muß es wirklich ſeyn, ſprach Jhr Onkel Anton. Dieß iſt an Jhre vertraute Freundinn geſchrieben. Gott verhuͤte, daß wir ſie nicht ganz und gar verlieren!
Jhr Onkel Harlowe wuͤnſchte, daß man ſei - nen Unwillen nicht zu weit treiben moͤchte.
Jch bat um Gottes willen, mit ringenden Haͤnden, und mit einem gebogenen Knie, daß ſie mir erlauben moͤchten, zu Jhnen nach London zu gehen: und machte mich verbindlich, ihnen allengetreue329getreue Nachricht von denen Umſtaͤnden zu geben, in welchen Sie waͤren. Allein ich bekam dafuͤr einen Verweis von Jhrem Bruder: und dieß gab zu einigen zornigen Worten zwiſchen ihm und dem Herrn Morden Gelegenheit.
Jch glaube, gnaͤdiger Herr, ich glaube, gnaͤ - dige Frau; waren die Worte Jhrer Schweſter zu ihren Eltern; daß wir meinen Herrn Vetter nicht weiter bemuͤhen duͤrfen, noch mehr zu leſen. Es macht ihnen nur Unruhe und Kummer. Meine Schweſter, Claͤrchen, ſcheinet ſich ſchlecht zu befinden: ich denke, es wuͤrde nicht unrecht ſeyn, wenn Fr. Norton die Erlaubniß bekaͤme, zu ihr hinaufzureiſen. So gottlos ſie auch ge - handelt hat: ſo wuͤrde es doch, wofern ſie wahr - haftig Reue empfindet ‒ ‒
Hier hielte ſie inne: und da ein jeder ſtille ſchwieg; ſo ſtand ich noch einmal auf, und bat ſie, mich reiſen zu laſſen. Jch erbot mich auch da - bey, eine oder zwo Stellen aus Jhrem Briefe an mich vom 24ten vorzuleſen: aber Jhr Bruder fuhr mich wieder an; und dieß veranlaſſete einen noch heftigern Wortwechſel zwiſchen dem Obriſten und ihm.
Jhre Fr. Mutter hatte noch Hoffnung, Jh - ren unbeweglichen Bruder zu gewinnen, und die erbitterten Gemuͤther der beyden Cavalliers aus einander zu bringen. Deswegen ſchlug ſie vor, daß der Obriſt fortfahren moͤchte, den Auszug aus Jhrem Briefe zu leſen.
X 5Dem330Dem zufolge las er „ wie Sie Jhre Feder „ wieder genommen; wie Sie gedacht haͤtten, daß „ Sie ſchon den letzten Abſchied wuͤrden genom - „ men haben; und das Uebrige von der ſehr ruͤh - „ renden Stelle, wo Sie genoͤthigt werden, mehr „ als einmal abzubrechen, und hiernaͤchſt ſich in ei - „ ner Saͤnfte eine kleine Veraͤnderung in freyer „ Luft zu machen. “ Jhr Bruder und Jhre Schweſter wurden hiebey erweichet: und jener nahm ſeine Zuflucht zu ſeiner Schnupftabacksdoſe. Bey der Stelle aber, wo Sie die Fraͤulein Ho - we troͤſten, und ſagen „ daß Sie gluͤcklich ſeyn „ werden, “redete er wieder. Das iſt mehr, ſprach er, als ſie irgend einem andern goͤnnen wird.
Jhre Schweſter nannte Sie eine liebenswuͤr - dige Seele: aber mit leiſer Stimme. Darauf ward ſie wieder hartherzig: jedoch ſagte ſie, daß ſich niemand bey den nachdruͤcklichen Vorſtellun - gen Jhres Kummers des Mitleidens erwehren koͤnnte ‒ ‒ allein das waͤre Jhre beſondere Gabe.
Der Obriſt fuhr ſo dann weiter fort und kam auf die gute Wirkung, welche die Veraͤnderung in der freyen Luft bey Jhnen hatte; auf Jhre gute Wuͤnſche fuͤr die Fraͤulein Howe und den Herrn Hickmann, und auf Jhren nachdruͤcklichen Be - ſchluß, daß ſie, wenn das gluͤckliche Leben, welches Sie ihr wuͤnſchen, zum Ende laufen wird, bey dem Ausgange aus demſelben ſo geruhig und zu - frieden ſeyn moͤge, als Sie in Gott zu ſeyn hof -fen.331fen. Hiebey konnte Jhre Fr. Mutter nicht aus - dauren, ſondern ging allein in eine Ecke des Zim - mers, gluchſete und weinte. Jhr Herr Vater war auf einige Augenblicke nicht im Stande ein Wort zu ſagen: ob es gleich ſchiene, als wenn er etwas ſagen wollte.
Jhre Onkels waren auch beyde mitleidig ge - ruͤhret: ‒ ‒ allein Jhr Bruder ging zu allen in die Ruͤnde herum; und erinnerte Jhre Fr. Mut - ter wieder, daß ſie noch andere Kinder haͤtte. Was waͤre wohl, ſprach er, in allem dem, was geleſen worden, mehr, als die Wirkung der na - tuͤrlichen Gabe, die Sie haͤtten, Leidenſchaften zu erregen? Ja er machte ihnen einen Vorwurf dar - aus, daß ſie ſich entſchließen moͤchten, etwas gele - ſen zu hoͤren, das, nach ihrer eignen Ueberzeu - gung, fuͤr ihre allzu große und gemisbrauchte Guͤte zu ſtark waͤre, ſich dabey halten zu koͤnnen.
Dieß brachte den Herrn Morden wieder auf. Pfuy, ſchaͤmen ſie ſich, Vetter Harlowe! waren ſeine Worte ‒ ‒ Jch ſehe augenſcheinlich, wer daran ſchuld iſt, daß alle Verwandtſchaft, alle Verbindung unter Blutsfreunden gegen dieſe lie - benswuͤrdige Bedraͤngte aus den Augen geſetzet wird. Eine ſolche Haͤrte, wie dieß iſt, macht es einer gleitenden Tugend ſchwer, ſich jemals wie - der zu ſetzen.
Jhr Bruder brauchte die Ehre der Familie zu einem Vorwande, und erklaͤrte ſich, daß man keinem Kinde vergeben muͤßte, welches gegen alle War -nung,332nung, gegen beſſer Wiſſen und Gewiſſen, wie Sie gethan haͤtten, die allerguͤtigſten Eltern verließe.
Allein, mein Herr, und gnaͤdige Frau und Fraͤulein; ‒ ‒ ſprach ich, indem ich von meinem Stuhl am Fenſter aufſtand, und mich ehrerbie - tig zu einem jeden herum wandte ‒ ‒ ‒ wo ich die Erlaubniß haben mag zu reden; meine liebe Fraͤulein bittet ja nur um einen Segen: ſie bittet nicht, wieder zu voriger Liebe und Gewogenheit angenommen zu werden; ſie iſt ſehr krank und bittet nur um einen letzten Segen.
So, ſo, gute Fr. Norton ‒ ‒ ich darf Jh - nen nicht ſagen, wer ſo redete ‒ ‒ ſie kommen wieder mit ihrem Klaͤglichthun! ‒ ‒ So gut ſie auch ſeyn moͤgen: ſo iſt doch die Neigung, ein Verbrechen, das fuͤr ihr Antheil an ihrer Erzie - hung eben ſo ſchaͤndlich iſt, als fuͤr ihre Familie, ſo willig zu vergeben, eine Schwachheit, die ihre Tugend, wenn ſie auf eine geſchickte Art ver - ſucht wuͤrden, eines Abfalls verdaͤchtig machen koͤnnte.
Durch eine oder die andere Probe von einer ſo liebreichen Vernunftlehre, als dieß iſt, ſagte Herr Morden, iſt meine Baſe Arabelle, ſonder Zweifel, gefangen. Wo man einen Beweis von ſeiner Tugend giebt; wenn man lieblos und un - verſoͤhnlich iſt: ſo ſind ſie, Herr Jakob Harlowe, der tugendhafteſte junge Herr in der Welt.
Jch wußte wohl, wie es kommen wuͤrde, ver - ſetzte ihr Bruder mit großer Hitze, wenn ich die - ſer Sache wegen mit dem Herrn Morden zuſam -men -333menkaͤme. Deswegen wuͤrde ich es gern abge - lehnet haben: allein ſie, gnaͤdiger Herr ‒ ‒ das ſagte er zu ſeinem Herrn Vater ‒ ‒ wollten es mir nicht erlauben. Aber, mein Herr ‒ ‒ hie - mit wandte er ſich zu dem Obriſten ‒ ‒ wenn niemand mehr gegenwaͤrtig waͤre ‒ ‒
So ſoll, Vetter Jakob, fiel der andere Caval - lier ihm in die Rede, das ein Schutz fuͤr mich ſeyn, wie es ſcheint, was wirklich ein Schutz fuͤr ſie iſt. Jch bin nicht gewohnt, mich ſo heraus - fordern zu laſſen ‒ ‒ Sie ſind mein Vetter, Herr ‒ ‒ und der Sohn und Enkel von Perſo - nen, die mir eben ſo lieb, als nahe verwandt ſind ‒ ‒ Hier hielte er inne ‒ ‒
Sollen wir denn, ſprach Jhr Herr Vater, noch ungluͤcklicher unter uns ſelbſt gemacht wer - den: da inzwiſchen der Boͤſewicht am Leben blei - bet, wider den ein jeder, der entweder die Familie oder dieß undankbare Maͤgdchen einer Achtung wuͤrdig haͤlt, ſeinen Zorn richten ſollte?
Das iſt eben der Mann, antwortete Jhr Herr Vetter, gegen den ich meinen Unwillen zu richten geſonnen war, als ich verwichenen Montag bloß zu dem Ende ausreiſete. Allein was konnte ich ſagen: da ich ihn ſo willig fand, ſein Verbrechen wieder gut zu machen? ‒ ‒ Jch muß bekennen, es iſt meine Meynung, und ich habe auch meiner armen Baſe ſo geſchrieben, daß es fuͤr alle mit einander das beſte waͤre, ſein Erbieten anzuneh - men ‒ ‒ Ja ich muß ihnen ſagen ‒ ‒
Sagen334Sagen ſie mir nichts, ſprach ihr Herr Va - ter, ganz erboſet, ſagen ſie mir nichts von dem ſchaͤndlichen Kerl. Jch habe einen unausloͤſchli - chen Haß gegen ihn, und wollte lieber die Wider - ſpenſtige hundert Arten des Todes ſterben ſehen, wenn es moͤglich waͤre, als daß ſie aus einem ſol - chen Buben einen Verwandten meiner Familie machen ſollte.
Es mag ſeyn: aber man hat gar nicht Urſa - che zu gedenken, ſprach Jhre Fr. Mutter, daß ſie einen ſolchen Menſchen zu unſerm Verwandten machen werde, mein Wertheſter. Das arme Maͤgdchen, fuͤrchte ich, wird die Zahl unſerer Verwandten vermindern, nicht vermehren. Wo ſie ſich ſo ſchlecht befindet, als man uns Nachricht giebet: ſo laſſen ſie uns Fr. Norton zu ihr hinauf ſchicken ‒ ‒ Das iſt das wenigſte, was wir thun koͤnnen. ‒ ‒ Laſſen ſie ſie uns indeſſen doch dem Belforden aus den Haͤnden nehmen.
Jhre beyden Onkels unterſtuͤtzten dieſen Rath: ſonderlich den letzten Theil davon.
Jhr Bruder bemerkte, nach ſeiner uͤbelgeſinn - ten Art, wie ſchoͤn es ſich an Jhnen zuſammen - raͤumte, daß Sie die Hand des ſchaͤndlichen Be - leidigers und die Verguͤtigung, zu der er ſich er - boͤte, ausſchluͤgen, und ſich doch in den Schutz ſei - nes vertrauten Freundes begaͤben.
Die Fraͤulein Harlowe befuͤrchtete, wie ſie ſagte, daß Sie alles, was Sie koͤnnten, der na - ſeweiſen Fraͤulein Howe ‒ So nannte ſie dieſelbe ‒ ‒ vermachen wuͤrden, wenn Sie ſterben ſollten.
O ſetze,335O ſetze, ſetze doch den Fall nicht, meine Arabelle, antwortete Jhre arme Fr. Mutter: ich kann nicht daran gedenken, daß ich mein Claͤrchen verlieren ſollte ‒ ‒ Bey allen Jhren Fehlern iſt ſie doch mein Kind ‒ ‒ Man hat noch die Urſachen nicht gehoͤrt, die ſie gehabt hat, ſich ſo zu verhalten. Es wuͤrde mir das Herz abſtoßen, wenn ich ihrer verluſtig werden ſollte. ‒ ‒ Jch gedenke, mein Wertheſter, ſprach ſie zu Jhrem Herrn Vater, es ſchickt ſich fuͤr niemand ſo gut als fuͤr mich, wenn ſie mir die Erlaubniß geben wollen, hinaufzurei - ſen: und Fr. Norton ſoll mir Geſellſchaft leiſten.
Dieß war ein liebreicher Rath: und ihr Hr. Vater hielte dabey inne. Herr Morden erbot ſei - ne Dienſte, ſie zu begleiten. Jhre Onkels ſchienen es zu billigen. Aber Jhr Bruder machte alles zu nichte. Jch hoffe, gnaͤdiger Herr, ſagte er zu ſeinem Herrn Vater; ich hoffe, gnaͤdige Frau, zu ſeiner Fr. Mutter, daß ſie eine ſtrafbare Tochter nicht durch den Verluſt eines unſtraͤflichen Sohnes wieder zu bekommen ſuchen werden. Jch erklaͤre mich, daß, wo jemals meine Schweſter Claͤrchen dieſe Schwellen wieder betritt, ich es niemals thun will. Jch will den Augenblick, gnaͤdige Frau, da ſie zu einem ſolchen Gewerbe nach London abge - hen, nach Edinburg aufbrechen: da will ich blei - ben, und zu vergeſſen ſuchen, daß ich ſo nahe und ſo werthe Anverwandten, als ſie mir itzo alle ſind, in England habe.
Lieber Gott! ſprach der Obriſt, was iſt das fuͤr eine Erklaͤrung! ‒ ‒ Geſetzt aber, mein Herr,geſetzt,336geſetzt, gnaͤdige Frau ‒ ‒ So wandte er ſich zu Jhren Eltern ‒ ‒ daß dieß geſchehen ſollte: welches von beyden, meynen ſie denn wohl, iſt beſſer; daß ſie eine ſolche Tochter, wie meine Baſe Claͤrchen, auf beſtaͤn - dig verlieren, oder daß ihr Sohn nach Edinburg gehen, und daſelbſt auf einem Gute, welches deſto beſſer ſeyn wird, wenn er es zu ſeinem Aufenthalt waͤhlet, ſeinen beſtaͤndigen Sitz nehmen ſollte? ‒ ‒
Wie zornig ſich Jhr Bruder hieruͤber bezeigte, iſt kaum zu beſchreiben. Er nahm es ſo unwillig auf, als wenn es die guͤtige Neigung der Familie von ihm abzuwenden die - nen ſollte. Der Zorn ward ſo weit getrieben, weil ſich alle zu ihm ſchlugen, daß der Obriſt mit aufgehabenen Haͤnden und Augen ausrief: Mit was fuͤr ſteinernen Herzen bin ich verwandt! ‒ ‒ O Herr Vetter Harlowe ‒ ‒ So kehrte er ſich zu Jhrem Herrn Vater ‒ ‒ ſind ſie entſchloſſen, nur eine Tochter zu haben? Und wollen ſie, gnaͤ - dige Frau, von einem Sohn, der kein menſchliches Gefuͤhl hat, ſich lehren laſſen, wie ſie vergeſſen koͤnnen, daß ſie eine Mutter ſind?
Der Obriſt wandte ſich hierauf von ihnen, um ſein Schnupftuch herauszuziehen, und konnte auf einige Augenblicke nicht reden. Die Augen eines jeden, außer dem hartherzigen Bruder, preßten ihm Thraͤnen aus.
Hernach aber kehrte er ſich wieder zu ihnen: mit deſto groͤßerem Unwillen, wie es ſchien; weil er gezwungen worden war, Zeichen der Menſch - heit von ſich blicken zu laſſen, wovor ſich gleichwohlkein337kein rechtſchaffenes Herz ſchaͤmen ſollte. Jch ver - laſſe ſie alle, ſprach er, als eine Geſellſchaft von Leuten, die ſich vollkommen zu einander ſchicken. Niemals will ich wieder gegen irgend jemand von ihnen meinen Mund dieſer Sache wegen aufthun. Jch will den Augenblick mein Teſtament machen: und an mir ſoll die liebe Fraͤulein den Vater, On - kel, Bruder haben, den ſie verlohren hat. Jch will ſie bereden, mit mir eine Reiſe durch Frank - reich und Jtalien zu thun: und ſie ſoll nicht eher wiederkommen, bis ſie den Werth einer ſolchen Tochter kennen gelernt haben.
Jndem er dieß ſagte, eilte er auch aus dem Zimmer, ging in den Hinterhof und befahl ſein Pferd herzufuͤhren.
Herr Anton Harlowe ging dahin zu ihm, eben als er aufſteigen wollte, und ſagte, er hoffete, daß er ihn Abends gelaſſener finden wuͤrde; denn er hatte bis auf die Zeit bey ihm ſeinen Aufenthalt genommen: alsdenn wollten ſie ſich geruhiger un - terreden; und ein jeder wuͤrde mittlerweile alles wohl erwaͤgen. ‒ ‒ Allein der erzuͤrnte Cavallier antwortete: Vetter Harlowe, ich werde das, was ich ihnen fuͤr ihre Hoͤflichkeit, ſeit dem ich in Eng - land geweſen, ſchuldig bin, gut zu machen ſuchen: aber mir iſt von dem hitzigen jungen Herrn; der, ſo viel ich weiß, mehr zu dem Ungluͤck ſeiner Schweſter beygetragen hat, als Lovelace ſelbſt, und dieß mit ihrer aller Genehmhaltung; ſo be - gegnet worden, daß ich weder ihre, noch jener Schwellen jemals wieder betreten werde. MeineSiebenter Theil. YBe -338Bediente ſollen Befehl bekommen, wohin ſie das, was mir zugehoͤret, aus ihrem Hauſe bringen ſollen. Jch will meine liebe Baſe Claͤrchen ſehen, ſo bald als ich nur kann. Und ſo behuͤte ſie Gott alle mit einander! Nur dieß eine Wort an ihren Enkel, wo es ihnen gefaͤllig iſt, daß er noch erſt den Unterſchied zwiſchen Herzhaftigkeit und Pol - tern lernen muͤſſe, und es vielleicht ein Gluͤck fuͤr ihn ſey, daß ich ſein Vetter bin, ob es mir gleich leid, daß er mein Vetter iſt.
Jch wunderte mich, wie ich Jhren Onkel bey ſeiner Ruͤckkunft zu ihnen allen dieß wieder ſagen hoͤrte: in Betrachtung der Folgen, die es haben koͤnnen; ob ich gleich hoffe, daß es keine boͤſe Fol - gen nach ſich ziehen werde. ‒ ‒ Jnzwiſchen ward es doch als eine Art des herausforderns angeſe - hen: und das beſtaͤtigten alle Jhrem Bruder zu Gefallen. Die Fraͤulein Harlowe vergaß auch nicht, auf das Vergehen loßzuziehen, welches alle dieſe Uebel gebracht haͤtte.
Jch nahm mir noch einmal die Freyheit, aber mit Furcht und Zittern, um die Erlaubniß zu bit - ten, daß ich Jhnen aufwarten duͤrfte.
Ehe noch ſonſt jemand antworten konnte, ſagte Jhr Bruder, er vermuthete, daß ich mich als ei - ne Perſon anſehen wuͤrde, die nur unter ihrer eig - nen Gewalt ſtuͤnde. Brauchte ich denn ihre Ein - willigung, brauchte ich, ihnen gute Worte zu geben, damit ich hinauf reiſen duͤrfte. Wenn er ſeine Meynung ſagen moͤchte: ſo ſchickten wir uns am beſten zuſammen ‒ ‒ Jnzwiſchen wellteer339er wuͤnſchen, daß ich mir den Kopf nicht uͤber ihre Familienſachen zerbraͤche, bis ich darum ge - beten waͤre.
Allein wißt ihr nicht, Bruder, ſprach die Fraͤulein Harlowe, daß der Fehltritt irgend einer Perſon, die zu einer Familie gehoͤret, die ganze Familie trenne, und nicht allein einen jeden gemein - ſchaftlichen Freund und Bekannten, ſondern auch ſo gar Bediente, zu Richtern uͤber beyde mache? ‒ ‒ Dieß iſt eine von den geſegneten Folgen des Verſehens meiner Schweſter!
Es waͤre niemals eine ſo ſtrafwuͤrdige Creatur geweſen, ſagte Jhr Herr Vater, und ſahe mich mit Misfallen an, die nicht einige Schwache gefunden haͤtte, welche ſie beklaget und es mit ihr gehalten.
Jch weinte. Jhre Fr. Mutter war ſo gut und nahm mich bey der Hand. Kommen ſie, meine gute Frau, waren ihre Worte, kommen ſie mit mir weg. Sie haben zu viele Urſache, uͤber das, was uns betruͤbet, betruͤbt zu ſeyn, daß ſie noch Vergroͤßerungen ihres Kummers brauchen ſollten.
Aber, meine liebſte Fraͤulein, ich war mehr um Jhretwillen, als meinetwegen, bekuͤmmert. Denn ich bin ſehr viele Jahre in niedrigen Um - ſtaͤnden in der Welt geweſen und muß folglich des Anfahrens und Zuruͤckweiſens von den Rei - chen gewohnt geweſen ſeyn. Jch hoffe aber, daß mir die Gedult eben ſo leſerlich an dem Kopfe ge - ſchrieben ſtehet, als irgend einem meiner Wohl - thaͤter der Stolz und Uebermuth.
Y 2Jhre340Jhre Fr. Mutter fuͤhrte mich in ihre Kam - mer. Da ſaßen wir einige Zeit und weinten mit einander, ohne daß eine von uns im Stande war, ein Wort mit der andern zu ſprechen. Zuletzt unterbrach ſie das Stillſchweigen, und fragte mich, ob Sie wirklich ſo krank waͤren, als man ſagte?
Jch antwortete ja, und wollte ihr ihren letz - ten Brief zeigen: allein ſie lehnte es von ſich ab.
Jch haͤtte Jhnen gern bey ihr die Gewogen - heit ausgewirket, daß ſie eine Zeile mit ihrem Se - gen an Sie geſchrieben haͤtte. Jch fragte, was Jhr Bruder und Jhre Schweſter fuͤr Abſichten hegten? Ob ſie beyde mit nichts, als mit Jhrer gaͤnzlichen Verſtoßung zufrieden ſeyn wollten? ‒ ‒ Jch gab von weitem zu verſtehen, wie es ſeyn wuͤr - de, wenn Sie ſich nicht von Jhrem Gehorſam und von Jhrer Demuth leiten ließen, ſich in Anſehung der aͤußerlichen Umſtaͤnde aller fremden Gewalt gaͤnzlich zu entziehen: Sie forderten aber nichts mehr als einen Segen, einen letzten Segen. Und noch viele andere Dinge ſtellte ich zu Jhrem Vor - theil auf das nachdruͤcklichſte vor. Die folgende kurze Wiederhohlung deſſen, was ihr auf meine Vorſtellungen zu antworten beliebte, wird Jhnen von allen, und auch von der gegenwaͤrtigen Be - ſchaffenheit der Sachen, eine Kundſchaft geben.
Sie ſagte, „ ſie waͤre ſehr ungluͤcklich! Sie „ haͤtte durch eines Kindes Fehler, das wenige An - „ ſehen, das ſie ſonſt uͤber die andern Kinder ge - „ habt, und allen Einfluß uͤber den Herrn Harlowe „ und ſeine Bruͤder verlohren. Jhr Herr Vater„ haͤtte341„ haͤtte ſie erſucht, ihn nach ſeiner eignen Weiſe „ mit Jhnen verfahren zu laſſen, und, ſo werth ſie „ ihn hielte, ohne ſein und Jhrer Onkels Wiſ - „ ſen keinen Schritt zu Jhrem Beſten zu thun. Je - „ doch geſtand ſie, daß dieſe ſich alle zu viel von „ Jhrem Bruder regieren ließen. Nichts deſto „ weniger wuͤrden ſie mit der Zeit einer Ausſoͤhnung „ Raum laſſen; das wuͤßte ſie gewiß: ſie haͤtten „ keine andere Abſicht; denn ſie liebten Sie noch „ alle.
„ Jhr Bruder und Schweſter, geſtand ſie, waͤ - „ ren ſehr eiferſuͤchtig daruͤber, daß Sie wieder in „ Gunſt kommen ſollten. Haͤtte inzwiſchen Herr „ Morden ſich nur halten, und die erſte Hitze „ ihres Sohnes ertragen koͤnnen; ihres Sohnes, „ der allezeit die Hoheit und Groͤße der Familie „ zu ſeinem Augenmerk gehabt, und daruͤber ſeinen „ Unwillen ſo hoch getrieben haͤtte, daß er nicht „ wuͤßte, wie er ſich wieder herablaſſen ſollte: ſo „ wuͤrden die Unterhandlungen, die eben itzo ſo „ geſchwinde auf einmal abgebrochen waͤren, ein „ gluͤcklicheres Ende gehabt haben; indem ſie Ur - „ ſache haͤtte, zu gedenken, daß, wenn Sie in Ab - „ ſicht auf Jhres Großvaters Gut etwas weniges „ zugeſtanden, und Jhr Herr Vetter fuͤr die Un - „ terwerfung, dazu Sie ſich aus freyen Stuͤcken „ bequemen ſollten, gut geſagt haͤtte, ſie hiedurch „ alle beſaͤnftigt worden ſeyn wuͤrden.
„ Herrn Brands Nachricht von Jhrem ver - „ trauten Umgange mit dem Freunde des verruch - „ ten Mannes, ſagte ſie, haͤtte noch zur Zeit ſehrY 3„ un -342„ ungluͤckliche Wirkungen. Denn vorher haͤtte „ ſie ſo viel gewonnen gehabt, daß ſie einigen Grund „ geleget: nachher haͤtte ſie ſich nicht unterſtehen „ duͤrfen, und auch keine Luſt gehabt, ihren Mund „ zu Jhrem Beſten aufzuthun. Jhre beſtaͤndige „ Vertraulichkeit mit dieſem Herrn Belford ließe „ ſich gar nicht erklaͤren und eben ſo wenig ent - „ ſchuldigen.
„ Was die gewuͤnſchte Ausſoͤhnung ſchwerer „ machte, fuhr ſie fort, waͤre erſtlich dieß, daß Sie „ ſelbſt geſtuͤnden, Sie waͤren entehret, und man „ gar zu wohl wuͤßte, daß Sie durch Jhre eigne „ Schuld in die Gewalt eines ſo verruchten Men - „ ſchen gekommen, und daß dem zufolge ihrer al - „ ler und Jhre eigne Schande nicht groͤßer ſeyn „ koͤnnte, als ſie waͤre; Sie aber dem ungeachtet „ ſich weigerten, den Boͤſewicht gerichtlich zu ver - „ folgen: und hiernaͤchſt, daß die Verzeihung und „ der Segen, worauf Sie hoffeten, aller Wahr - „ ſcheinlichkeit nach, Jhre Vermaͤhlung mit dem „ Manne, den ſie alle haſſeten, und der ſie wieder - „ um eben ſo ſehr haſſete, nach ſich ziehen muͤßte. „ Sehr unangenehme Umſtaͤnde, ſprach ſie, muͤßte „ ich geſtehen, eine Ausſoͤhnung darauf zu „ bauen.
„ Was ſie ſelbſt betraͤfe: ſo muͤßte ſie noth - „ wendig bekennen, daß, wenn einige Hoffnung zur „ Beſſerung des Herrn Lovelacens waͤre, der Brief „ von ihm an Sie, den ihr Herr Vetter Morden „ vorgeleſen haͤtte, und die Gerechtigkeit; wie es „ ihrer Hoffnung nach wirklich ſeyn wuͤrde; wel -„ che343„ che er Jhrer tugendhaften Gemuͤthsart, ob gleich „ zu ſeiner eignen Verdammung, widerfahren ließ, „ und das ernſtliche Verlangen aller ſeiner Ange - „ hoͤrigen, mit Jhnen verwandt zu werden, ſolche „ Gruͤnde waͤren, die bey ihr Gewicht haben wuͤr - „ den, wenn ſie nur bey Jhrem Vater und Jhren „ Onkels etwas gelten koͤnnten; da an ſeiner Fa - „ milie und ſeinen Gluͤcksumſtaͤnden nichts auszu - „ ſetzen waͤre.
Auf meine Vorſtellung von Jhrer Krankheit antwortete ſie: „ Sie muͤßte ſich ſchmeicheln, daß „ dieſelbe von Kleinmuͤthigkeit und Niedergeſchla - „ genheit, die mit der Zeit vergehen wuͤrde, her - „ ruͤhrte. Ein junges Frauenzimmer, das ſo gar „ bedaͤchtlich, als Sie von Natur, und ſo weit her - „ untergekommen waͤre, muͤßte damit genug gepla - „ get ſeyn. Sollten ſie Jhrer verluſtig werden, „ welches Gott verhuͤte: ſo wuͤrde ſich freylich das „ Spiel auf eine betruͤbte Art umkehren. Denn „ diejenigen, welche itzo am zornigſten waͤren, wuͤr - „ den alsdenn am betruͤbteſten ſeyn: alle Jhre „ treffliche Eigenſchaften wuͤrden ihnen einfallen, „ und Jhr ungluͤcklicher Fehltritt wuͤrde ganz und „ gar vergeſſen ſeyn.
„ Sie wuͤnſchte, daß Sie ſich gaͤnzlich in Jh - „ res Herrn Vetters Schutz begeben, und dem „ Herrn Belford nichts mehr zu ſagen haben „ moͤchten.
Jch wollte es Jhnen auch ernſtlich zu uͤberle - gen empfehlen, meine liebe Fraͤulein Claͤrchen, ob Sie itzo, da Jhr Herr Vetter, dem die Vollzie -Y 4hung344hung Jhres großvaͤterlichen Teſtaments in Anſe - hung des vermachten Gutes aufgetragen iſt, nicht alle Gedanken aufgeben moͤchten, den vertrauten Freund des Herrn Lovelacens zu dem Ausrichter Jhres letzten Willens zu machen: ſonderlich da die Sache, wenn der Herr ſich auf den betruͤbten Fall, woran mein Herz nicht ohne Kummer ge - denket, in die Angelegenheiten Jhrer Familie miſchte, ſolche Folgen nach ſich ziehen koͤnnte, die Sie in andern Faͤllen ſo ſorgfaͤltig zu verhuͤten ſuchen. Und geſetzt, meine wertheſte Fraͤulein, Sie ſollten noch einmal einen Brief an einen je - den von Jhren Onkels ſchreiben, um ihnen zu mel - den, wie ſchlecht Sie ſich befaͤnden? ‒ ‒ und ſich ihren Rath zur Einrichtung Jhres letzten Wil - lens wegen Jhres Guts und Vermoͤgens aus - zubitten, nebſt dem Erbieten, ſich darnach zu richten?
Jch finde, daß ſie Jhnen einen großen Theil von den Einkuͤnften aus dem Gute, ſeit dem es Jhnen zugehoͤret hat, zugleich mit Jhrem hinter - laſſenen Vorrath an Gelde, das Sie zu den ge - woͤhnlichen Ausgaben zu gebrauchen pflegten, uͤberſenden wollen: und zwar durch Jhren Herrn Vetter Morden; aus Furcht, Sie moͤchten etwa Schulden gemacht haben, die Jhnen Unbequem - lichkeiten verurſachten.
Sie vermuthen, wie es ſcheint, daß Sie ge - neigt ſeyn werden, in der Stille Jhres Großva - ters Haus zu bewohnen: wofern Jhr Herr Vet -ter345ter Sie nicht beredet, auf ein Jahr oder zwey in die Fremde zu gehen.
Eben iſt Eliſabeth bey mir geweſen. Sie er - zaͤhlt mir, Jhr Herr Vetter Morden ſey mit ihnen allen ſo uͤbel zufrieden, daß er nicht weiter bey Jhrem Onkel Anton ſeinen Aufenthalt neh - men wollen, und ſo gar mit einer unbequemen Gelegenheit verlieb genommen habe, bis er ſich mit einer andern nach ſeinem Sinne verſeheu kann. Hieruͤber ſind ſie ſehr bekuͤmmert; und ſie bereuen, daß ſie ihn mit ſo vieler Heftigkeit begegnet haben: um ſo viel mehr, da er geſonnen iſt, wie er ſagt, Sie zu ſeiner gaͤnzlichen Erbinn einzuſetzen und Jhnen die Vollziehung ſeines letz - ten Willens voͤllig aufzutragen.
Was fuͤr treffliche Gluͤcksguͤter haben Sie noch zu erwarten, meine wertheſte Fraͤulein! Jch bin vollkommen uͤberzeuget, wo es Gott gefaͤllt, Jhnen Leben und Geſundheit zu erhalten, daß jedermann bald mit Jhnen ausgeſoͤhnet ſeyn wird, und Sie noch viele gluͤckliche Tage erleben werden.
Jhre Fr. Mutter wuͤnſchte, daß ich Jhnen meine Aufwartung noch nicht machen moͤchte: weil ſie hoffet, daß ich dieß Vergnuͤgen bald mit eines jeden Genehmhaltung, ja gar auf ihrer aller Verlangen, haben koͤnne. Die Ausſoͤhnung Jh - res Herrn Vetter Mordens mit ihnen, wornach ſie alle ein ſehr großes Verlangen tragen, wird dieY 5Ver -346Verſoͤhnung derſelben mit Jhnen einſchließen: wie ich zu hoffen geneigt bin.
Allein wenn das geſchehen ſollte, was ich ſo ſehr fuͤrchte, und ich nicht bey Jhnen waͤre: ſo wuͤrde ich mir ſelbſt niemals vergeben. Erlau - ben Sie mir daher zu bitten, wertheſte Fraͤulein, daß Sie mir befehlen moͤgen, zu Jhnen zu kom - men; wo Sie irgend Gefahr merken und mir ein ruhiges Gemuͤth wuͤnſchen: ſo ſoll mich keine Be - trachtung abhalten.
Jch hoͤre, daß die Fraͤulein Howe von ihrer Fr. Mutter Erlaubniß bekommen habe, Sie zu beſuchen, und geſonnen ſey, ſo wohl zu dem En - de, als auch, wie man glaubet, um zu ihrer her - annahenden Hochzeit Kleider einzukaufen, kuͤnfti - ge Woche nach London zu reiſen.
Herrn Hickmanns Stiefmutter iſt neulich mit Tode abgegangen. Jhr Witwenſitz von 600 Pfund St. jaͤhrlicher Einkuͤnfte iſt ihm zugefal - len: und ſie hat ihm uͤberdieß zu einem Zeugniſſe ſeines guten Verhaltens gegen ſie, alle ihr Ver - moͤgen, welches ſehr betraͤchtlich geweſen iſt, ver - macht, einige wenige Vermaͤchtniſſe zum Beſten ihrer Anverwandten ausgenommen.
Solche tugendhafte Mannsperſonen ſind alle - zeit und unter allen Umſtaͤnden gleichmaͤßig tu - gendhaft. Sie koͤnnten auch ſonſt in der That nicht tugendhaft ſeyn: und fahren deswegen, weil ſie ſo ſind, niemals aͤrger. Alle Welt ſtimmt darinn uͤberein, daß er ein vortrefflicher Ehemann fuͤr die artige Fraͤulein ſeyn werde. Und347Und es iſt mir leid, daß ſie ſich nicht eben ſo ein - ſtimmig von ihr die Hoffnung einer vortrefflichen Gattinn machen. Allein ich hoffe, daß eine Fraͤu - lein von ihren guten Grundſaͤtzen ſeine Anwer - bung nicht gut heißen wuͤrde, ſie moͤchte ihn nun itzo lieben, oder nicht, wofern ſie daͤchte, daß ſie ihn nicht lieben koͤnnte, oder wofern ſie irgend ſonſt jemand ihm vorzoͤge.
Herr Pocock macht ſich anheiſchig, gegenwaͤr - tiges zu uͤberbringen: aber er beſorgt, es moͤchte erſt Sonnabends ſpaͤt, wo nicht gar Sonntags fruͤhe geſchehen.
Der Allmaͤchtige ſey Jhr Schutz und Heil! Mich verlangt herzlich, ſie zu ſehen ‒ ‒ Meine wertheſte Fraͤulein, mich verlangt herzlich, ſie zu ſehen und noch einmal an meine fuͤr Sie zaͤrtliche Bruſt zu druͤcken. Jch unterſtehe mich zu ſa - gen, die gluͤcklichen Tage nahen ſich ſchon. Mun - tern Sie ſich nur auf. Laſſen Sie der Hoffnung Raum.
Es ſey in dieſer, oder jener Welt: Sie muͤſ - ſen gluͤcklich ſeyn. Jnzwiſchen wuͤnſchen ſie doch ja, am Leben zu bleiben: wenn es auch nur des - wegen geſchehen ſollte, weil Sie nach Jhrer Ge - muͤthsart ſo geſchickt ſind, jedermann gluͤcklich zu machen, der die Ehre hat, Sie zu kennen. Was hat dieſe kurze Verdunkelung Jhres Glanzes auf ſich? Sie kommen nach allem, was ich gehoͤret habe, der Vollkommenheit ſo nahe, als ihr ein Geſchoͤpfe in dieſer Welt kommen kann. Denn hierinn liegt ihre Herrlichkeit: Sie ſind durchJhr348Jhr Leiden, ſo zu ſagen, glaͤnzender und reiner ge - worden! ‒ ‒ Wie verlangt mich, Jhre ganze traurige aber doch lehrreiche Geſchichte aus Jhrem eignen Munde zu hoͤren!
Um der Fraͤulein Howe willen, die in ihren neuen Verbindungen Jhrer ſo noͤthig haben wird; um Jhres Herrn Vetter Mordens willen; um Jhrer Fr. Mutter willen, wenn ich ja nicht wei - ter in Jhrer Familie gehen darf; und dennoch kann ich wohl ſagen, um ihrer aller willen; und um meinetwillen, meine allerliebſte Fraͤulein, neh - men Sie Jhre gewoͤhnliche Großmuth wieder an, und laſſen ſich dadurch aufrecht erhalten. Sie haben vieles zu thun: und ich weiß nicht, wer es thun wuͤrde, wenn Sie uns verlaſſen.
So vereinigen Sie dann Jhr Gebeth mit dem meinigen, daß Gott Sie einer Welt, die Jh - rer und Jhres Vorbildes bedarf, noch laͤnger er - halten wolle. Sollten auch gleich Jhre Tage abgezaͤhlt geweſen zu ſeyn ſcheinen: wer weiß dennoch, ob ſie Jhnen nicht mit dem frommen Koͤnige Hiskias verlaͤngert werden moͤgen? Gott gebe es, wo es ſein gnaͤdiger Wille iſt, und erhoͤ - re dadurch das Gebeth
Jhrer Judith Norton.
Die Fraͤulein wollte den Brief den ſie von der Fr. Norton bekommen, nicht eher leſen, als bis ſie das heilige Abendmahl empfangen hatte: aus Furcht, er moͤchte etwas enthalten, das die gluͤckſelige Stille, welche ſie zu dieſer heiligen Handlung zu erhalten geſucht, ſtoͤren koͤnnte. Nachdem dieſelbe vollendet war, fand ſie ſich ſo geſetzt und geruhig, wie ſie ſagte, daß ſie glaubte, ſie koͤnnte nunmehr alle und jede Zeitungen, wenn ſie auch noch ſo ſchmerzlich waͤren, mit gelaſſenem Gemuͤthe annehmen.
Nichts deſto weniger ward ſie genoͤthigt, als ſie ihn las, verſchiedne male abzuſetzen, wegen Schwach - heit und Verdunkelung des Geſichts, woruͤber ſie klagte; wo ich klagen ſagen mag; denn ihre Kla - gen waren mit einer ſolchen Zufriedenheit und Sanftmuth verbunden, daß man ſie kaum ſo nen - nen konnte.
Sie ward bey verſchiedenen Stellen dieſes Briefes gar ſehr geruͤhret. Sie weinte zu ver - ſchiedenen malen und ſeufzete oft. Fr. Lovick er - zaͤhlte mir, daß dieß die ſanften Ausrufungen wa - ren, die ſie von ſich hoͤren ließ, als ſie las: ‒ ‒Jhr350Jhr unguͤtiger, ihr grauſamer Bruder! ‒ ‒ Wie wenig ſchweſterlich! ‒ ‒ Die arme liebe Frau! womit ſie von Fr. Norton zu ſprechen ſchien. ‒ ‒ Jhr guͤtiger Vetter! ‒ ‒ O was ſind das fuͤr hitzige Koͤpfe! ‒ ‒ Und darauf machte ſie ſich mehr als einmal harte Vorwuͤrfe ‒ ‒ O wie weit erſtrecket ſich mein Verge - hen! ‒ ‒ Zu was fuͤr Uebeln habe ich Gelegen - heit gegeben.
Da ich zu ihr gelaſſen wurde, ſagte ſie: Jch ha - be einen langen und nicht ſehr angenehmen Brief von meiner lieben Fr. Norton bekommen; er wird bald in ihren Haͤnden ſeyn. Es wird mir widerrathen, ihnen das Amt, welches ſie ſo guͤtig uͤbernommen haben, aufzutragen: allein ſie muͤſ - ſen uͤber nichts von ſolchen Dingen unwillig werden. Meine Wahl wird in ihrer aller Augen ein ſeltſa - mes Anſehen haben: aber es iſt nunmehr zu ſpaͤt, ſie zu aͤndern, wenn ich auch wollte.
Jch wollte gern eine Antwort darauf ſchrei - ben, fuhr ſie fort: allein ich habe kein klares Geſicht, Herr Belford, keine Feſtigkeit in den Fingern. ‒ ‒ Dieſe Benebelung wird jedoch viel - leicht bald voruͤbergehen. ‒ ‒ Hierauf wandte ſie ſich zu der Fr. Lovick: Jch denke nicht, daß ich ſchon eine ſterbende Perſon bin ‒ ‒ Jch bin noch nicht eine wirklich ſterbende Perſon, Fr. Lovick ‒ ‒ Denn ich habe keine leibliche Schmerzen ‒ ‒ keine Erſtarrungen, keine Zeichen eines unmittel - bar bevorſtehenden Todes, wie ich denke ‒ ‒ und mein Athem, der die letzte Zeit uͤber ſo kurz zuſeyn351ſeyn pflegte, iſt itzo leidlich ‒ ‒ Mein Kopf iſt unbetaͤubt, mein Verſtand frey ‒ ‒ Jch denke, ich kann noch nicht im Sterben ſeyn ‒ ‒ Jch werde Todesangſt haben, vermuthe ich ‒ ‒ das Leben wird nicht ſo ungemein leicht hinfahren, fuͤrch - te ich ‒ ‒ Jedoch, wie gnaͤdig iſt der Allmaͤchti - ge, daß er ſeiner armen Creatur eine ſo liebliche Heiterkeit verleihet! ‒ ‒ Dieß iſt es, warum ich mein Gebeth zu ihm geſchicket habe! ‒ ‒ Was fuͤr eine Aufmunterung, Fr. Lovick, bey ſo naher Aufloͤſung, wenn man Urſache hat zu hoffen, daß das Gebeth, welches man gethan, erhoͤret ſey!
Fr. Smithinn ſo wohl, als Fr. Lovick, waren bey ihr. Sie weinten beyde. Auch ich hatte eben ſo wenig, als ſie, das Vermoͤgen, ein Wort zur Antwort zu ſagen. Gleichwohl ſprach ſie dieß alles ſo wohl, als das, was folget, mit einer erſtaunlichen Faſſung des Gemuͤths und Ge - ſichtes.
Allein, Herr Belford, ſagte ſie mit einem noch munterern Weſen und Tone, erlauben ſie mir ein wenig mit ihnen zu reden; weil ich ſo gut im Stande bin, das zu ſagen, was ich zu ſa - gen habe.
Fr. Lovick, gehen ſie nicht von uns ‒ ‒ Denn die Frauensleute ſtunden auf und wollten wegge - hen ‒ ‒ Jch bitte, ſetzen ſie ſich: und ſie auch, Fr. Smithinn, ſetzen ſie ſich nieder. ‒ ‒ Frau Schelbourne, nehme ſie dieſen Schluͤſſel und ſchließe den oͤberſten Schubkaſten auf. Jch will zu demſelben gehen.
Sie352Sie that es mit bebenden Knieen. Hier, Herr Belford, iſt mein Teſtament. Es iſt von drey Perſonen aus Herrn Smithens Bekanntſchaft bezeuget.
Jch darf hoffen, daß mein Vetter Morden ihnen Beyſtand leiſten werde, wenn ſie es von ihm verlangen. Mein Vetter Morden iſt mir noch gewogen: aber da ich ihn nicht geſehen habe; ſo laſſe ich ihnen, Herr Belford, alle die Unruhe. Dieſer Urkunde mag es wohl an Formalien fehlen; und es fehlt ihr ſonder Zweifel daran: jedoch um ſo viel weniger, weil ich meines Großvaters Teſta - ment beynahe auswendig weiß und daſſelbe oft unterſuchen gehoͤret habe. Jch will es allein in dieſe Ecke legen ‒ ‒ Und ſo legte ſie es hinter in den Schubkaſten.
Darauf nahm ſie ein Packet von Briefen auf, die in einem Umſchlage mit dreyen ſchwarzen Siegeln eingeſchloſſen waren. Dieß, ſagte ſie, habe ich verwichenen Abend zugeſiegelt. Aus dem Umſchlage, mein Herr, werden ſie ſehen, was mit dem Einſchluſſe zu thun ſey. Dieß iſt die Auf - ſchrift: ‒ ‒ Sie hielte es nahe vor ihren Augen und rieb dieſelben ‒ ‒ So bald als ich gewiß todt bin, iſt dieſes von Herrn Belford zu eroͤffnen. ‒ ‒ Hier, mein Herr, lege ich es hin ‒ ‒ So legte ſie es zu dem Teſtament ‒ ‒ Dieſe zuſammengewickelten Papiere ſind Briefſchaften und Abſchriften von Briefen, die nach denen Tagen, an welchen ſie geſchrieben worden, zuſammen und nach einander gelegt ſind. Fraͤulein Howe wirddamit353damit machen, was ſie und dieſelbe fuͤr gut finden. Wo ich mehrere bekomme, oder mehrere einlaufen, wenn ich nicht im Stande bin, ſie anzunehmen: ſo mag man ſie in dieſen Schubkaſten legen ‒ ‒ da - bey zog ſie den Schubkaſten unter den Spiegel aus, und ſchob ihn wieder hinein. ‒ ‒ Sie werden ſo gut ſeyn, und dieß merken, Fr. Lovick und Fr. Schelbourne ‒ ‒ daß ſie dem Herrn Belford ge - geben werden, ſie moͤgen ſeyn, von wem ſie wollen.
Hier, mein Herr, fuhr ſie fort, lege ich die Schluͤſſel hin zu meinen Kleidern und Anzuͤgen: und indem ſie es ſagte, legte ſie ſie in den Schub - kaſten bey ihren Papieren. Alles iſt in Ordnung. Das Verzeichniß liegt darauf, nebſt einer Nach - richt von dem, was ich von der Hand geſchlagen habe: ſo daß niemand Fr. Smithinn irgend mit Fragen beſchweren darf.
Es wird nicht gleich noͤthig ſeyn, die Kiſten, worinn meine Kleider liegen, zu oͤffnen oder zu be - ſichtigen. Fr. Norton wird ſie oͤffnen oder es je - mand an ihrer Stelle, in ihrer Gegenwart, Fr. Lovick, thun laſſen: denn ſo habe ich es in meinem Teſtament verordnet. Man mag ſie itzo verſie - geln: ich werde niemals mehr noͤthig haben, ſie zu oͤffnen.
Sie brachte mich hierauf dahin, ob ich gleich Gegenvorſtellung that, daß ich ſie mit meinem Siegel verwahren mußte.
Nach dieſem ſchloß ſie den Schubkaſten zu, worinn ihre Papiere waren. Sie nahm aberSiebenter Theil. Zvorher354vorher ihr Buch mit geiſtlichen Betrachtun - gen, wie ſie es nannte, heraus, und ſagte, ſie wuͤrde das vielleicht gebrauchen. Sodann bat ſie mich, den Schluͤſſel von dem Schubkaſten zu mir zu nehmen: denn ſie wuͤrde auch den nicht weiter noͤthig haben.
Alles dieß redete und that ſie mit einem ſo ge - ſetzten und muntern Weſen, daß wir dadurch eben ſo ſehr in Erſtaunen als in Betruͤbniß geſetzt wurden.
Sie koͤnnen mir Zeugniß geben, Fr. Smi - thinn, und auch ſie Fr. Lovick, fuhr ſie fort, wenn irgend jemand nach meiner Lebensart und meinem Umgange, ſeit dem ſie mich gekannt haben, fragen ſollte, daß ich ſehr ordentlich geweſen bin, meine Stunden richtig beobachtet und niemals uͤber Nacht außerhalb Hauſes geſchlafen habe, ohne nur da ich im Gefaͤngniſſe war, und damals, wiſ - ſen ſie, konnte ich es nicht aͤndern.
O Lovelace! haͤtteſt du ſie doch bey dieſer Ge - legenheit, ohne ihr Wiſſen, nur hoͤren oder ſehen koͤnnen! ‒ ‒ Keiner von uns konnte ein Wort ſprechen.
Jch werde die Welt in vollkommenchriſtli - cher Liebe verlaſſen, ſetzte ſie hinzu; und indem ſie ſich zu den Frauensleuten wandte, ſprach ſie: Betruͤben ſie ſich meinetwegen nicht ſo ſehr, meine liebe Freundinnen. Dieß iſt alles nur eine noth - wendige Zubereitung: und ich werde ſehr gluͤck - lich ſeyn.
So -355Sodann rieb ſie ihre Augen wieder, welche, wie ſie ſagte, ſehr benebelt waren, und ſehe ge - nauer auf einem jeden herum, ſonderlich auf mich ‒ ‒ Gott ſegne ſie alle, waren ihre Worte! Wie guͤtig ſind ſie um mich bekuͤmmert! ‒ ‒ Wer ſagt, daß ich ohne Freunde? Wer ſagt, daß ich verlaſſen und unter Fremden ſey? ‒ ‒ Lieber Hr. Belford, bezeigen ſie ſich nicht ſo ungemein mit - leidig! ‒ ‒ Jn der That ‒ ‒ Hiebey legte ſie ihr Schnupftuch an ihre ſchoͤne Augen ‒ ‒ ſie werden mich weniger gluͤcklich machen, als ſie, nach meiner Ueberzeugung, mich zu ſeyn wuͤn - ſchen.
Jndem wir ſo feyerlich beſchaͤfftiget waren, kam ein Bedienter mit einem Briefe von ihrem Vetter Morden. ‒ ‒ So, ſprach ſie, iſt er nicht ſelbſt gekommen!
Sie brach ihn auf: aber eine jede Zeile, ſag - te ſie, ſchien ihr gedoppelt; ſo daß ſie mich bat, weil ſie ihn ſelbſt nicht zu leſen im Stande war, ihn ihr vorzuleſen. Jch that es, und wuͤnſchte, daß er ihr mehr zum Troſte gereichen moͤchte. Sie war aber ganz gedultig und aufmerkſam. Jedoch troͤpfelten oft Thraͤnen ihre Wangen her - unter. Nach der Unterſchrift war er geſtern ge - ſchrieben: und hier iſt der Hauptinhalt davon.
Er meldet ihr, „ daß er Donnerſtags vorher „ eine Zuſammenkunft von allen ihren vornehm - „ ſten Verwandten bey ihrem Vater zuwege ge - „ bracht haͤtte: ob gleich nicht ohne Schwierigkeit; „ indem ihr uͤbermuͤthiger Bruder ſich dagegenZ 2„ geſetzet,356„ geſetzet, und auch, nachdem ſie zuſammengekom - „ men, alle ſeine Bemuͤhungen, dieſelben mit ihr „ auszuſoͤhnen, kraftlos gemachet. Er beurtheilt „ ihn, als den unbaͤndigſten jungen Menſchen, „ den er jemals gekannt haͤtte. Eine große Krank - „ heit, ſchreibt er, ein ſchweres Ungluͤck iſt ihm noͤ - „ thig, um ihn zur Erkenntniß ſeiner ſelbſt, und „ deſſen, was er andern ſchuldig iſt, zu bringen. „ Er wuͤnſchet, daß er nicht ihr Bruder und ſein „ Vetter waͤre. Auch ſchont er ihres Vaters und „ ihrer Onkels nicht: weil ſie ſich ſo unvermerkt „ von ihm leiten laſſen.
Er meldet ihr ferner, „ er haͤtte ſie alle in dem „ groͤßten Unwillen verlaſſen, und waͤre geſonnen „ geweſen, keine von ihren Schwellen jemals wie - „ der zu betreten. Eben das haͤtte er auch ihren „ beyden Onkeln, die am Sonnabend zu ihm ge - „ kommen, und ſich mit ihm zu vertragen geſucht, „ frey herausgeſagt. Dieſe haͤtten ihn in den An - „ ſtalten begriffen gefunden, welche er gemacht, „ nach London zu gehen und ihr aufzuwarten: und „ er waͤre, ihrer inſtaͤndigſten Bitten ungeachtet, „ feſt entſchloſſen geweſen, es zu thun, und nicht „ mit ihnen nach Harlowe-Burg, oder irgend ei - „ nem von ihren eignen Haͤuſern, zu gehen; haͤtte „ ſie auch dem zufolge mit einer ſolchen Antwort „ von ſich gelaſſen.
„ Allein da ihm ihr edelmuͤthiges Schreiben, „ wie er es nennt, vom 31ten Auguſt(*)Man ſehe den vorhergehenden XXIXten Brief., eine halbe „ Stunde nach ihrem Abſchiede von ihm gebracht„ worden357„ worden waͤre: haͤtte er gedacht, es moͤchte ſie eben „ ſo ſehr ruͤhren, als ihn; ihnen die erhabene Mey - „ nung von ihrer Tugend und Ehre einfloͤßen, die „ ſie ſo wohl verdiente; und ſie zu gleicher Zeit „ von dem, was ſie ſolche Schwierigkeit machten „ zu glauben, uͤberzeugen; naͤmlich, daß ihr und „ alle eure Anverwandten die Ehre, auf ihr ſelbſt „ beliebige Bedingungen, mit ihr verbunden zu „ ſeyn, ſo ſorgfaͤltig zu erlangen ſuchetet. Dieß „ haͤtte ihn bewogen, ſein Pferd ruͤckwarts zu ih - „ rem Onkel Anton zu wenden, an ſtatt daß es „ haͤtte vorwaͤrts nach London gehen ſollen.
„ Als er nun daſelbſt angekommen waͤre, und „ ihre beyden Onkels bey einander gefunden haͤtte: „ ſo haͤtte er ihnen den ruͤhrenden Brief vorgele - „ ſen, bey welchem keinem von allen dreyen ein „ Auge trocken geblieben waͤre. Weil auf die Ab - „ weſenden, wie in ſolchen Faͤllen gewoͤhnlich iſt, „ alle Schuld geſchoben worden: ſo haͤtten ſie ih - „ ren Bruder und ihre Schweſter angeklaget und „ ihn gebeten, ſeine Reiſe nach London ſo lange auf - „ zuſchieben, bis er den Segen, um welchen ſie „ vorher vergebens erſuchet haͤtte, und, wie ſie „ hoffeten, auch die gluͤckliche Zeitung von einer „ allgemeinen Ausſoͤhnung, mit ſich nehmen „ koͤnnte.
„ Er haͤtte nicht daran gezweifelt, daß ſein „ Beſuch ihr deſto willkommener ſeyn wuͤrde, „ wenn dieſe guten Abſichten erreicht werden koͤnn - „ ten, und ſie deswegen um ſo viel williger ihrer „ Bitten gewaͤhret. Weil er aber nicht geneigtZ 3„ waͤre,358„ waͤre, es nur einmal moͤglich zu machen, daß er „ neuen Beſchimpfungen von ihrem Bruder aus - „ geſetzt ſeyn ſollte: ſo haͤtte er ihren Onkeln eine „ Abſchrift von ihrem Briefe gegeben, daß die Fa - „ milie ſich deswegen verſammlen moͤchte, und den „ Ausſchlag ihrer Berathſchlagungen, ſo bald, als „ moͤglich waͤre, zu wiſſen verlanget.
„ Er berichtet, daß er die Rechnungen uͤber „ die Einkuͤnfte von dem Gute ihres Großvaters „ heraufbringen und mit ihr in Richtigkeit ſetzen „ werde: indem er die ruͤckſtaͤndigen Gelder, die „ ihr davon zukaͤmen, wirklich in Haͤnden haͤtte.
„ Er erhebt die edle Art, wie ſie eure Begeg - „ nung gegen ſich ahndet, mit ungemeinem Bey - „ fall. Es ſey unmoͤglich, geſteht er, daß ihr ent - „ weder ſie, oder Vergebung von ihr verdienen „ koͤnnet. Weil ihr aber ihrer Tugend Gerech - „ tigkeit widerfahren laſſet, und euch erbietet, alles „ auf alle euch moͤgliche Art bey ihr wieder gut zu „ machen; weil auch ſie ihn ſo gar ernſtlich bittet, „ dieſe Begegnung nicht zu raͤchen, und ſich erklaͤ - „ ret, daß ihr nicht haͤttet der Urheber ihres Elen - „ des werden koͤnnen, wenn nicht manche ungluͤck - „ liche Urſachen auf eine wunderbare Art zuſam - „ mengekommen waͤren; weil er endlich gar wohl „ weiß, wie dieſe wunderbare Verknuͤpfung der „ Urſachen eigentlich zu verſtehen ſey: ſo bittet „ er ſie, daß ſie von ſeinem Theile keine rachſuͤchti - „ ge Maaßregeln fuͤrchten moͤge.
Nichts deſto weniger „ ſchilt er auf euch, wie „ leicht zu vermuthen iſt: da er findet, daß ſie euch„ keinen359„ keinen Vortheil uͤber ſich geſtattet habe. Allein „ er will ſich, ſchreibt er, in dieſe Sache nicht eher „ weiter einlaſſen, als bis er die Ehre hat, ſie zu „ ſehen: und das um ſo viel mehr, weil ſie ſo feſt „ gegen euch entſchloſſen zu ſeyn ſcheinet. Gleich - „ wohl kann er nicht anders ſagen, als daß er euch „ fuͤr einen artigen und verſtaͤndigen Mann halte, „ und daß ihr dem Rufe nach in allen Faͤllen, oh - „ ne wo es auf das ſchoͤne Geſchlecht ankommt, „ fuͤr edelmuͤthig angeſehen werdet. Jn den aus - „ genommenen Faͤllen, geſteht er, habt ihr euch „ Freyheiten angemaßet, die nicht zu entſchuldigen „ ſind. Und es iſt ihm leid zu ſagen, daß es we - „ nige junge Leute von guten aͤußerlichen Umſtaͤn - „ den gebe, die ſich in eben denen Faͤllen nicht ſehr „ viel nachſehen ſollten. Perſonen von beyderley „ Geſchlecht, merkt er an, moͤgen ſich einander all - „ zu gern in ihrer Gewalt haben: und dennoch „ habe er ſchwerlich jemals eine Mannsperſon „ oder ein Frauenzimmer gekannt, denen es ſehr „ um Gewalt zu thun geweſen, welche ſich derſel - „ ben recht gebrauchet haͤtte.
„ Wofern ſie ſchlechterdings entſchloſſen iſt, „ euch nicht zu heyrathen; wie ſie ſich erklaͤret: ſo „ macht er ſich Hoffnung, wie er ſchreibt, ſie zu be - „ reden, daß ſie, ſo bald als es ihre Geſundheit zu - „ laſſen wird, eine kleine Reiſe mit ihm vornehme. „ Das, meynt er, werde ſie nach aller Wahrſchein - „ lichkeit in einen dauerhaften Zuſtand ſetzen: weil „ das Reiſen gewiß das beſte Arzneymittel gegen „ alle dergleichen Krankheiten ſey, die ihren Ur -Z 4ſprung360„ ſprung von Kummer und Verdruß uͤber eine „ fehlgeſchlagene Hoffnung haben. Eine Abwe - „ ſenheit auf zwey oder drey Jahr werde bey ihrer „ Ruͤckkehr ſie allen und jeden, und alle und jede „ ihr, lieb und werth machen.
„ Er bezeuget ſein ſehnliches Verlangen, ſie zu „ ſehen. Er ſagt, er wolle ſich den Augenblick „ auf den Weg machen, wenn er den Ausſchlag „ von der Entſchließung ihrer Familie erfuͤhre: „ er zweifle aber nicht, daß derſelbe vortheilhaft „ und guͤnſtig ſeyn werde. Jedoch wolle er auch „ darauf nicht lange warten. “
Als ich der matten und ſchwachen Fraͤulein den Brief ganz vorgeleſen hatte, ſprach ſie: Eben ſo, meine Freunde, habe ich von einem Kranken gehoͤrt, der wirklich unter der Zeit ſtarb, da fuͤnf oder ſechſe der vornehmſten Aerzte in Berath - ſchlagung begriffen waren, und unter ſich nicht einig werden konnten, was ſie ſeiner Krankheit fuͤr ei - nen Namen geben ſollten. Der Kranke war ein Kayſer: der Kayſer Joſeph, denke ich.
Jch fragte, ob ich an ihren Vetter ſchreiben ſollte, weil er nicht wuͤßte, wie ſchlecht es mit ihr waͤre, daß er ſeine Reiſe hierher beſchleunigen moͤchte.
Keinesweges, verſetzte ſie: denn, wo er nicht ſchon abgereiſet waͤre, ſo waͤre ſie verſichert, daß ſie unter der Zeit, da er meinen Brief erhalten und kommen koͤnnte, ſo ſchwach ſeyn wuͤrde, daß ſeine Gegenwart ihr nur Unordnung und Verwirrung, und ihm nur Kummer verurſachen moͤchte.
Jch361Jch hoffe inzwiſchen, daß ſie ihrem Ende noch nicht ſo gar nahe iſt. Deswegen ſchrieb ich, oh - ne ihr ein Wort weiter zu ſagen, nachdem ich weg - gegangen war, an den Obriſt Morden, daß, wo er ſeine geliebte Baſe lebendig zu ſehen gedaͤchte, er keine Zeit verlieren muͤßte, ſich auf den Weg zu machen. Jch uͤberſchickte ihm dieſen Brief durch ſeinen eigenen Bedienten.
Der Herr D. H. hat ſeinen Brief an ihren Vater heute fruͤhe mit einer beſondern Gelegen - heit fortgeſandt.
Fr. Walton, die Kraͤmerinn, hat auch eben itzo der Fr. Smithinn ſagen laſſen, daß ihrem Manne vor einer halben Stunde durch einen ei - gnen Bothen ein Brief von dem Pfarrer Brand gebracht ſey, mit dem Einſchluſſe der Abſchrift von einem andern, den er an den Herrn Johann Harlowe geſchrieben, und worinn er ſein allzu dienſtfertiges Schreiben widerrufen haͤtte.
Da alle dieſe Briefe und die Abſchrift von dem Briefe der Fraͤulein an den Obriſt Morden faſt zu einer Zeit bey ihnen ſeyn werden: ſo muß der Teufel in der Familie ſeyn, wo ſie nicht von einer Regung des Gewiſſens uͤberfallen werden, welche die gedoppelt verriegelten Thuͤren vor ihren Herzen zerſprenge.
Wilhelm macht ſich anheiſchig, ſo ſpaͤt es auch ſeyn wird, doch noch eher, als ihr zu Bette geht, mit dem gegenwaͤrtigen Briefe bey euch zu ſeyn. Er bittet, daß ich von der Stunde und Minute,Z 5da362da ich ihn ihm geben werde. Zeugniß fuͤr ihn ab - lege. Es iſt eben eine halbe Stunde nach zehn.
Jch maße mir itzo, da ich ſo lange Uebung ge - habt habe, den Vorzug an, daß ich naͤchſt euch der geſchwindeſte Schreiber mit abgekuͤrzten Zuͤgen in ganz England bin. Allein wenn auch alle Stunden neuer Stoff zum Schreiben vorkom - men ſollte und ich nichts anders zu thun haͤtte: ſo kann ich doch nicht ſo geſchwinde ſchreiben, als ihr in eurer Erwartung ſeyd. Seyd ſo gut, und erinnert euch, daß eure Bedienten keine Briefe oder Bothſchaften eher bringen koͤnnen, als ſie ge - ſchrieben oder ihnen aufgetragen ſind.
Joh. Belford.
Wo ich von den Herzen anderer Eltern nach meinem eignen urtheilen mag: ſo kann ich nicht zweifeln, daß Sie es wohl aufnehmen wer - den, wenn Jhnen Nachricht gegeben wird, daß Sie noch eine Gelegenheit haben, ſich ſelbſt und der Familie viele Reue und Kraͤnkung auf die Zu -kunft363kunft zu erſparen; wofern ſie nur etwa einen von derſelben mit Jhrem und Jhrer Fr. Gemahlinn letzten Segen an die vortrefflichſte Fraͤulein in der Welt eiligſt abſenden.
Jch habe einige Urſache zu glauben, mein Herr, daß ſie Jhnen ganz anders abgeſchildert iſt, als ihr Bild wirklich ausſiehet. Und dieß iſt es, was mich beweget, Jhnen zu melden, daß ich aus den ſicherſten Gruͤnden ſie in aller ihrer Auffuͤh - rung, die vor meinen Augen vorgegangen, oder mir zu Ohren gekommen iſt, ſchlechterdings fuͤr untadelhaſt halte, und der Meynung bin, daß ſelbſt ihre Ungluͤcksfaͤlle, durch ihre Anwendung derſelben, durch die Gedult und Ergebung, wo - mit ſie ſich in einer ſchmerzlichen, zehrenden und niederſchlagenden Abnahme des Koͤrpers unter - haͤlt, und durch den unerſchrockenen Muth, wo - mit ſie ihrer herannahenden Aufloͤſung entgegen ſieht, ihr zu einem Ruhme, und allen, die mit ihr in Verwandtſchaft ſtehen, zu einer Ehre gewor - den ſind: ſonderlich da alle dieſe Tugenden a[us]richtigen Bewegungsgruͤnden bey ihr entſteh[en;]aus Bewegungsgruͤnden, mit welchen ſich ein[Hei -]liger im Tode ruͤhmen moͤchte.
Sie weiß nicht, daß ich ſchreibe. Jch[muß]jedoch geſtehen, daß ich mich vor einigen Tagen[und]zwar mit der inſtaͤndigſten Bitte um ihre Erl[aub -]niß, dazu erboten habe. Sie ſchlug[es]mir a[uch]nicht aus Hartnaͤckigkeit ab ‒ ‒ Sie ſcheint ni[cht]zu wiſſen, was Hartnaͤckigkeit ſey ‒ ‒ Allein ſ[ie]bat mich, daß ich nur zween Tage Anſtand nehme[n]moͤchte,364moͤchte, in Hoffnung, daß ihr neulich angekommener Vetter, der ſich, wie ſie hoͤrte, durch ſeine Fuͤrſpra - che fuͤr ſie bemuͤhete, im Stande ſeyn wuͤrde, ſei - ne Abſicht zu ihrem Beſten zu erreichen.
Jch hoffe, daß ich bey dieſer Gelegenheit nicht werde fuͤr einen unzeitig dienſtfertigen Mann angeſehen werden. Sollte es aber ſeyn: ſo kann ich nicht helfen; indem ich durch eine gewiſſe Art einer natuͤrlichen und unwiderſtehlichen Regung getrieben bin, zu ſchreiben.
Allein, mein Herr, Sie moͤgen thun, oder zu thun erlauben, was Sie wollen: ſo muß es eiligſt geſchehen. Denn ſie kann meinen wirklichen Ge - danken nach, keine Woche mehr leben: und wie lange ſie in der kurzen Zeit noch den Gebrauch ih - res unvergleichlichen Verſtandes haben werde, um in denen Gunſtbezeigungen, welche Sie ihr zu er - theilen fuͤr dienlich halten moͤgen, Troſt und Ver - gnuͤgen zu finden, das laͤßt ſich nicht ſagen. Jch bin,
Mein Herr, Jhr gehorſamſter Diener R. H.
Die dringende Nothwendigkeit der Umſtaͤnde, und die bequeme Gelegenheit durch Jhren Bedienten, werden zu einer hinlaͤnglichen Entſchul - digung dienen, daß Jhnen ein Unbekannter in Anſehung Jhrer Perſon, der jedoch in Anſehung Jhrer Vorzuͤge und Verdienſte kein Unbekannter iſt, auf dieſe Art beſchwerlich faͤllt.
Jch vernehme, daß Sie bey den Eltern und andern Verwandten der Fraͤulein Clariſſa Harlo - we Jhre gute Dienſte anwenden, ſie mit der wohl - verdienteſten Tochter und Verwandtinn, der ſich jemals eine Familie zu ruͤhmen gehabt, wieder aus - zuſoͤhnen.
So edelmuͤthig dieſe Abſichten auch bey Jh - nen ſind: ſo haben wir hier doch allzuviel Urſa - che zu gedenken, daß alle Jhre Bemuͤhungen in dieſem Stuͤcke unnoͤthig ſeyn werden. Denn ein jeder, der die Ehre hat, vor ſie zu kommen, iſt der Meynung, daß ſie nicht uͤber drey Tage mehr leben koͤnne: ſo daß Sie keine Zeit verlieren muͤſ -ſen,366ſen, herauf zu kommen, wofern Sie ſie noch leben - dig zu ſehen wuͤnſchen.
Sie weiß nicht, daß ich ſchreibe. Jch haͤtte es ſchon eher gethan: wenn ich den geringſten Zwei - fel gehabt haͤtte, daß ſie nicht bereits vor dieſer Zeit einige Nachrichten von den gluͤcklichen Wir - kungen Jhrer Vermittelung zu ihrem beſten von Jhnen wuͤrde erhalten haben. Jch bin,
Mein Herr, Jhr gehorſamſter Diener Joh. Belford.
Wie? iſt es moͤglich, daß dieſe bewunderns - wuͤrdige Fraͤulein ſo bald dieſe verfluchte Welt verlaſſen will? Denn fuͤr verflucht werde ich die Welt halten, und noch mehr mich ſelbſt, wenn ſie aus derſelben hinausgegangen iſt. O Bruder! du,367du, der du ſo kaltſinnig ſitzen und wie der Engel beym Addiſon, den Sturm der meine Gluͤckſelig - keit mit ihrer Wurzel ausreißet, regieren, ja ſo gar zu deiner Abſicht gebrauchen kannſt, ma - che du mir aus meiner Ungedult keinen Vorwurf, ſie ſey ſo unvernuͤnftig, als ſie wolle. Wenn du wuͤßteſt, daß ich ſchon in der Gewiſſenspein, die mein Herz durchwuͤhlet, wenn ich auf meine vori - gen Handlungen mit ihr zuruͤckſehe, die Quaal der Verdammten fuͤhle: ſo wuͤrdeſt du kein ſolcher Teufel ſeyn, als du biſt, daß du ein reißendes Ge - wiſſen noch weiter aufhetzeſt, welches, ohne deine unbarmherzige Vergroͤßerung meiner Schuld, be - reits unertraͤglich iſt.
Jch weiß nicht, was ich ſchreibe, noch, was ich ſchreiben wollte. Wenn die Geſellſchaft, an welcher ich vergnuͤgen zu finden pflegte, mir eben ſo zuwider iſt, als mir meine Gedanken beſchwer - lich und ſchmerzhaft ſind, und ich mir weder hel - fen, noch durch andere Vorſtellungen Ruhe ſchaf - fen kann: muß denn nicht ein jeder Bedienter, der um mich iſt, an einer ſo aufrichtigen Verwir - rung Theil haben?
Soll ich dir eine geringe Abbildung von der abſcheulichen Unruhe geben, mit welcher mein Ge - muͤth kaͤmpfet? Geringe muß das Bild gewiß ſeyn: denn nichts, als wuͤtende Raſerey kann mei - ne Unruhe uͤbertreffen; und dieſe ſelbſt nur nach der Furcht, welche andere vor ihr haben; indem es in Anſehung deſſen, der ſie leidet, gewiß iſt, daß eine wirkliche Verruͤckung; man nehme ſie nurohne368ohne die heitern Abwechſelungen; ein unendlich weit gluͤcklicherer Zuſtand ſey, als die ungewiſſe Er - wartung und die Beaͤngſtigungen, woraus ſie ent - ſtehet.
Da es mir verboten iſt, dem lieben Kinde aufzuwarten, und ich mich doch ſchmachtend ſehne, ſie zu ſehen: ſo wollte ich die ganze Welt dafuͤr geben, daß es mir erlaubt waͤre, noch einmal vor ſie zu kommen. Jch reite drey oder viermal des Tages nach London zu, und entſchließe mich, ehe ich zwo oder drey Meilen fortkomme, zwanzigmal dafuͤr und dawider. Endlich reite ich wieder zu - ruͤck; und wenn ich ſchon Urbridge im Geſichte habe, ſo verabſcheue ich den guͤtigen Freund und das gaſtfreye Haus, wende mein Pferd wieder nach Lon - don zu, und entſchließe mich, meiner Neigung Ge - nuͤge zu thun, ſie moͤge es nehmen, wie ſie wolle: aber, wenn ich eben vor der Stadt bin, und un - endlich viele Berathſchlagungen angeſtellet habe, beſinne ich mich wieder anders, und ſcheue mich, ſie zu beleidigen und in Schrecken zu ſetzen, da - mit ich nicht auf die Art ihr ſo koſtbares Leben verkuͤrzen moͤge.
Geſtern inſonderheit, damit ich euch von der Gewalt der Ungedult, welche ich nothwendig uͤber meine Bediente ausbrechen laſſen muß, einen Be - griff mache, hatte ich meinen Wilhelm nicht ſo bald abgefertigt, da nahm ich ſchon ein Pferd, ihm bey ſeiner Ruͤckkehre entgegen zu kommen.
Um ihm Zeit zu geben, ritte ich langſam an dem Wege herum, dieſe Allee hinauf zu der einenStraße,369Straße, jene hinunter zu der andern, wie mir mein Pſerd den Weg zeigte. Den ganzen Weg uͤber verfluchte ich mein eignes Daſeyn: und ob ich gleich erſt vor kurzer Zeit die ganze Welt unter mir geſehen hatte; ſo wuͤnſchte ich doch itzo meine Umſtaͤnde mit dem aͤrmſten Bett - ler zu vertauſchen, der mich um eine milde Gabe anſchrie, als ich beym ihm vorbey ritte ‒ ‒ und warf ihm Geld zu, in Hoffnung, durch ſein Ge - beth das Gluͤck zu erlangen, wornach meine Seele ſchmachtet.
Nachdem ich eine oder zwo Stunden, die mir als drey oder vier verdrießliche Stunden vorka - men, herumgeſtreifet hatte: ſo war mir bange, ich moͤchte den Kerl nicht gemerkt haben. Da - her fragte ich bey allen Schlagbaͤumen, ob nicht ein Bedienter in ſolcher und ſolcher Liverey auf ſeinem Ruͤckwege von London in vollen Spruͤngen durchgeritten waͤre; denn wehe dem Hunde, wenn er mir in einem ſchlaͤſrigen Trab begegnet ſeyn ſoll - te! Und damit er mir nicht an einem Ende von Kenſington entgehen moͤchte, nach dem er entweder den Weg uͤber Acton oder uͤber Hamerſmith naͤh - me; oder an dem andern, nach dem er entweder durch den Park kaͤme, oder nicht: O! wie viel hundertmal ritte ich hin und her von dem Palaſt bis an die Grenze; ſo daß ich mich ſelbſt zu einem Gegenſtande machte, den alle betrachteten, die vorbeykamen, ſie mochten zu Pferde oder zu Fu - ße ſeyn! Sie wunderten ſich ſonder Zweifel, daß ſie einen wohlgeputzten und wohl zu Pferde ſitzen -Siebenter Theil. A aden370den Menſchen bisweilen im Schritte, bisweilen mit kurzen Spruͤngen, weil das Thier mehr Feu - er hatte, als ſein Herr, in einem ſo kurzen Bezirk hin und her reiten ſahen!
Dennoch ſcheuete ich mich alle dieſe Zeit uͤber, ob ich den Kerl gleich zu entdecken ſehnlich wuͤnſchte, ihm zu begegnen: damit er nicht etwa mit ungluͤck - lichen Zeitungen verſehen ſeyn moͤchte.
Sahe ich von weitem jemand in vollen Spruͤngen auf mich zureiten: ſo machte meine Einbildungs - kraft, die ſelbſt die Aehnlichkeiten bildete, ihn zu jenem; und alsdenn ſchlug mir das Herz bis an die Kehle, als wenn es mich erwuͤrgen wollte. Be - nahm mir aber der naͤhere Anblick meinen Jr - thum: wie fluchte ich wechſelsweiſe auf des boͤſen Buben Zaudern und auf dich; und wie bereit war ich, mein Piſtol auf den Fremden loszubren - nen, weil er ſo unverſchaͤmt geweſen, in vollen Spruͤngen zu reiten, welches meinen Gedanken nach niemand, als mein Bothe, Recht oder Urſache zu thun hatte! Denn ich bin vollkommen geneigt, mir einzubilden, daß bey einer ſo traurigen, und fuͤr mich ſo wichtigen Angelegenheit, alle Geſchaͤff - te in der Welt liegen bleiben ſollten. Ja ich waͤ - re ſeit der verwichenen Woche im Stande, allen Mannsperſonen oder Frauenzimmern die Kehlen abzuſchneiden, die ich zu einer Zeit, da ich ſo nie - dergeſchlagen bin, lachen ſehe.
Nunmehr bin ich uͤberzeuget, daß die Ungluͤck - ſeligen, die von einem ſchweren Trauerſpiel ent - laufen, in der Ungewißheit und Furcht, die ſie un -ter371ter der Zeit beunruhiget, zehnmal mehr Jammer auszuſtehen haben, als diejenigen ausſtehen koͤn - nen, die bey demſelben gegenwaͤrtig ſind, und das Aergſte ſehen und wiſſen. So viel groͤßer ſind die Uebel, welche wir fuͤrchten, als die, welche wir ſehen! ‒ ‒ Und ſo geſchickt iſt die Einbildung, die unmittelbarere Geburth der Seelen, das, was wirklich geſchiehet, zu uͤberſteigen, der Vorfall ſey nun freudig oder traurig.
Eben daher kommt es auch, wie ich mir vor - ſtelle, daß alle Vergnuͤgungen groͤßer ſind, wenn man ſie erwartet, oder ſich ihrer nach dieſem wieder erinnert, als wenn man ſie genießet: gleichwie alle Schmerzen, welche beyde Theile der ungleichen Vereinigung, wodurch die hin - faͤllige Sterblichkeit ihren ungewiſſen Beſtand hat, heftig druͤcken, gemeiniglich in der gegen - waͤrtigen Zeit am ſchaͤrfſten ſind; denn wie wenig macht man ſich aus den ſchwereſten Un - gluͤcksfaͤllen, wenn man ſich ihrer wieder er - rinnert, ſonderlich nachdem ſie uͤberſtanden ſind! ‒ ‒ Jedoch, geſtehe ich, macht man ſich am we - nigſten aus denen, an welchen der Leib mehr Theil hat, als die Seele. Allein dieß iſt ein Stuͤck aus der Weltweisheit, das ich itzo eben we - der Zeit mich Geſchicklichkeit habe zu erwaͤgen: Daher nimm es ſo, wie es aus der Feder eines Unſinnigen kommt.
Wehe einem jeden der Elenden, welcher mir die ungluͤckliche Zeitung bringen ſoll, daß ſie nicht mehr da iſt! Denn es iſt nur mehr als zu wahr -A a 2ſchein -372ſcheinlich, daß eine ſo verhaßte Klageule niemals wieder ſchreyen oder heulen wird: es waͤre denn, daß die Beſtuͤrzung, welche bey einer ſo betruͤbten Gelegenheit, nach aller Wahrſcheinlichkeit, mei - nen ganzen Bau erſchuͤttern und zerruͤtten wird, mich meines Ziels, ſeines Kopfes, Herzens, oder Eingeweides zu verfehlen noͤthigte, indem ſie mei - ner Hand ihre Feſtigkeit benaͤhme; wofern nicht mein eigner Leib mein Ziel wuͤrde.
Aber, gewiß, ſie wird nicht, ſie kann noch nicht ſterben! Ein ſo unvergleichlicher Ausbund aller Vollkommenheiten,
koͤnnte unmoͤglich dazu geliehen ſeyn, daß ſie ſo bald wieder zuruͤckgefordert wuͤrde.
Allein, kann es nicht ſeyn, daß du, Belford, mit der liebſten Fraͤulein, die mich nicht vor ſich laſſen will, mich ſelbſt zu uͤberzeugen, in einem ge - heimen Verſtaͤndniſſe wider mich ſteheſt, um die empfindlichſte Gewiſſensangſt und Reue in mei - ner Seele zu wirken; und daß ſie hernach, wenn ſie von beyder Aufrichtigkeit uͤberzeuget, und mein Gemuͤth zu einem ſolchen Wachſe gemacht worden, das bequem iſt, einen jeden Eindruck, den ſie ihm mitzutheilen Belieben findet, anzunehmen, mich mit der frohen Zeitung aufrichten will, daß es ſich mit ihrer Geſundheit beſſert, und ſie meine Hand an - nimmt?
Was373Was wollte ich darum geben, daß es ſo waͤre! Und warum ſollte es nicht ſo ſeyn: da die Gluͤck - ſeligkeit von ganzen Hunderten, ſo wohl als die Ruhe und Ausſoͤhnung verſchiedner auſehnlichen Familien auf ihre Geneſung und Gluͤckſeligkeit ankoͤmmt?
Laß mich vermuthen, daß es ſo ſeyn werde. Laß mich meiner vorigen Hoffnung nachhaͤngen: wenn ſie auch noch ſo unwahrſcheinlich ſeyn ſollte. ‒ ‒ Jch will: ja ich[empfinde] ſie ſchon mit Vergnuͤgen. Vergoͤnne mir, daß ich dir ſage, wie entzuͤckend mein Vergnuͤgen ſeyn wuͤrde, wenn ſich ein ſolch geheimes Verſtaͤndniß, als dieß waͤ - re, entwickeln ſollte.
Laß, lieber Belford, laß es ſo ſeyn! ‒ ‒ Und o meine allerliebſte, meine ewiggeliebte Cla - riſſa, halte mich nicht laͤnger in dieſer grauſamen Ungewißheit, in welcher ich tauſendmal mehr lei - de, als ich dich jemals habe leiden laſſen. Be - ſorge nicht, daß ich zuͤrnen, oder zuruͤckziehen wer - de: wenn mir eine ſo erwuͤnſchte Eroͤffnung wi - derfaͤhret. Denn ich will dich ewig anbeten, und, ohne dir wegen der Pein, womit du mich gequaͤ - let haſt, Vorwuͤrfe zu machen, geſtehen, daß du mir eben ſo weit an edlen Erfindungen, als an Ehre und Tugend, uͤberlegen biſt.
Allein, noch einmal ‒ ‒ Sollte das Aergſte geſchehen ‒ ‒ ſo ſage mir nicht, was das aͤrgſte iſt ‒ ‒ und ich will von dieſer verhaßten JnſelA a 3entfernt374entfernt ‒ ‒ auf ewig entfernt ſeyn. ‒ ‒ Es moͤ - ge ewige ‒ ‒ Jedoch ich bin ſchon itzo verruͤckt ‒ ‒ Darum will ich damit ſchließen, daß ich
Mehr der deine als der meine bin; ich mache auch kein großes Compliment; R. L.
Als ich euren Brief von heute fruͤhe las, konn - te ich mich nicht entbrechen, wegen der Nachricht, die ihr mir von der ſchrecklichen Angſt und Ungewißheit gebet, unter welcher ihr ſeufzet, Mitleiden mit euch zu haben. Jch wuͤnſchte von ganzem Herzen, daß ſich alles ſo endigen moͤch - te, als ihr ſo geneigt zu hoffen ſeyd: allein es will nicht ſeyn; und wo eure Ungewißheit eure aͤrgſte Marter iſt, wie ihr ſaget, ſo wird dieſelbe bald vorbey ſeyn, aber, leider auf eine ſolche Art, wie ihr es nicht wuͤnſchet.
Jch habe der Fraͤulein eben itzo meine Auf - wartung gemacht. Sie befindet ſich ausneh -mend375mend ſchlecht: und dennoch hat ſie ihr Augen - merk auf eine Antwort auf den Brief von ihrer Fr. Norton gerichtet, die ſie geſtern in ihrer Kam - mer angefangen und ein gutes Theil fortgeſchrie - ben hat; aber nicht in ihrer ſchoͤnen Hand, wie mir Fr. Lovick ſagt, ſondern viel groͤßer, und mit krummen Zeilen.
Jch habe hier ein Zimmer, das mir angebo - ten worden, und an die Stube der Witwe Lovick ſtoͤßet, angenommen, bis ich ſehe, wie die Sachen laufen; jedoch ohne der Fraͤulein Wiſſen. Jch werde nur alle Abend auf einige wenige Stunden zu Hauſe gehen. ‒ ‒ Jch wollte um eines gan - zen Reichs willen nicht einen Ausſpruch von ſo lehrreichen Lippen, noch die bequeme Gelegenheit, alle ihre Befehle anzunehmen, verlieren.
Jn dieſem meinen neuen Zimmer ſchreibe ich itzo, und werde es ferner thun, wie ſich dazu Ge - legenheit findet, damit ich deſto umſtaͤndlicher ſeyn moͤge. Jch verlaſſe mich aber darauf, daß ich meine Briefe, oder Abſchriften davon, auf Ver - langen wiederbekomme, damit ich alles beyſam - men habe, was zu dieſer ruͤhrenden Begebenheit gehoͤret. Das werde ich bis an das Ende mei - nes Lebens mit einem traurigen Vergnuͤgen fleißig wieder nachleſen.
Jch denke, ich werde dir den Brief von Bran - den an Herrn Joh. Harlowe, worinn er ſeine ſchaͤndliche Muthmaßungen wiederruft, zuſchicken. Es iſt ein Stuͤck, das unter den Werken der Pe - danten ſeines gleichen nicht hat, und kann viel -A a 4leicht376leicht deinen empfindlichen Kummer ein wenig un - terbrechen: wenigſtens kann es dieß nach Verlauf einiger Zeit thun; wo nicht itzo.
Was fuͤr elende Geſchoͤpfe giebt es in der Welt! Was fuͤr wunderlich gemiſchte Gemuͤths - arten! ‒ ‒ So empfindlich und ſo thoͤricht zu - gleich! Was fuͤr ein mannichfaltiges, was fuͤr ein thoͤrichtes Geſchoͤpfe iſt der Menſch! ‒ ‒
Die Fraͤulein hat eben ihren Brief zu Ende gebracht, und die Fr. Lovick, Fr. Smithinn und mich mit einer vortrefflichen Unterredung von der Eitelkeit und Kuͤrze des Lebens unterhalten. Jch kann ſie nicht vollkommen wiederholen: und, in Wahrheit, ich bin um ſie ſo bekuͤmmert, daß, ſo krank ſie auch iſt, mein Verſtand nicht halb ſo aufgeklaͤret iſt, als der ihrige.
Auf einige wenige Dinge, die ſo wohl wegen der Betrachtungen ſelbſt, als wegen der Art und Weiſe, womit ſie ſie vortrug, den ſtaͤrkſten Ein - druck bey mir machten, beſinne ich mich. Sie brachte ſie folgendergeſtalt vor:
Jch denke, ſprach ſie, was fuͤr einen allmaͤhli - gen und gluͤcklichen Tod mir Gott der Allmaͤch - tige; gelobet ſey ſein Name! verleihet! Wer haͤt - te denken ſollen, daß, nach allem dem, was ich ge - litten habe, und ſo verlaſſen als ich geweſen bin, bey einer ſo zaͤrtlichen Erziehung, ich ſo langſam ſterben wuͤrde! ‒ ‒ Allein man ſehe, wie es nach und nach ſo weit gekommen iſt. Zuerſt wardmir377mir die Kraft genommen zu ſpatzieren: darauf nahm ich eine Kutſche ‒ ‒ Eine Kutſche ward mir auch eine allzu heftige Bewegung: alſo nahm ich hernach eine Saͤnfte. ‒ ‒ Das Gefaͤngniß war ein weiter Schritt, den der Tod auf mich zu that. ‒ ‒ Jch wuͤrde ſonſt laͤnger ausgehal - ten haben! ‒ ‒ Nach dieſem war ich nicht mehr im Stande zur Kirche zu gehen; hierauf nicht mehr die Treppen auf oder nieder zu ſteigen: Nun kann ich kaum aus einem Zimmer in das andere kommen; und bald wird noch ein klei - nerer Raum mich einſchließen ‒ ‒ Meine Au - gen fangen an, mich zu verlaſſen, ſo daß ich bis - weilen nicht ſehen kann, recht genau zu leſen: und itzo kann ich kaum ſchreiben, oder eine Feder hal - ten. ‒ ‒ Das naͤchſte wird vermuthlich nun ſeyn, daß ich niemand kennen und keinem von ihnen al - len Dank zu ſagen vermoͤgend ſeyn werde: daher danke ich ihnen itzo noch einmal, Fr. Lovick, und ihnen, Fr. Smithinn, und ihnen, Herr Belford, da ich ihnen noch danken kann, fuͤr alle ihre Guͤ - te gegen mich. Und ſo ertoͤdtet Gott nach und nach, wie ich ſagen mag, bey einem ſo allmaͤhligen Tode, als mir gnaͤdigſt gegoͤnnet iſt, alle menſch - liche Vergnuͤgungen, damit er ſeine arme Geſchoͤ - pfe Jhm ſelbſt unterwuͤrfig mache.
Du kannſt leicht erachten, wie wir alle bey dieſer nachdruͤcklichen Erzaͤhlung des allmaͤhligen Fortganges in ihrer Schwachheit geruͤhrt wur - den. Wir hoͤrten ſie mit naſſen Augen: denn ich konnte mich theils bey dem Beyſpiel, das ichA a 5an378an den Frauensleuten ſahe, theils bey ihrer ruͤh - renden Beredtſamkeit, eben ſo wenig der Thraͤ - nen erwehren, als dieſe. Nichts deſto weniger ſchwiegen wir ſtille: und ſie fuhr fort zu reden; wandte ſich aber zu mir.
O Herr Belford! Dieß iſt ein elendes ver - gaͤngliches Leben in den beſten Ergoͤtzlichkeiten, die es verſtattet. Wir flattern, wie die bunten Sommervoͤgel, auf eine zwar luſtige, aber ſehr kurze Zeit, mit allen unſern Eitelkeiten um uns, hier und dort herum, bis wir uns endlich zur Ru - he niederlegen: und wer weiß, in was fuͤr einer Geſtalt, oder zu was fuͤr einem Zuſtande wir wieder aufſtehen werden?
Jch wuͤnſchte, daß ſie mir, als einem jungen Frauenzimmer, das eben neunzehn Jahre errei - chet hat, und, da es noch vor einigen wenigen Mo - naten in voller Bluͤthe und geſundem Zuſtande war, itzo ſchon durch die kalte Hand des Todes gebrochen iſt, in dieſen meinen letzten Stun - den ſo vielen Einfluß uͤber ſie erlauben wollten, daß ſie ſich zu einem ordentlichen Leben und zur Buße uͤber alles Boͤſe, deſſen ſie ſich etwa vorher ſchuldig gemacht haben koͤnnen, entſchließen moͤch - ten. Denn glauben ſie mir, mein Herr, daß itzo, in dieſem letzten Stande, ſehr wenige Dinge vor unſerm eignen Richterſtuhl die Probe halten, oder als loͤblich, wo ja noch als verzeihlich, hin - gehen wollen; viel weniger vor einem noch fuͤrch - terlichern Richterſtuhle: und das in allem, was wir gethan, oder woran wir Vergnuͤgen gefundenhaben;379haben; ſelbſt in einen Leben, das wir eben nicht fuͤr ſehr boͤſe halten moͤgen! ‒ ‒ Sollten wir denn nicht billig bey hellem Tage, ehe die dunkeln Stunden kommen, ſo zu leben ſuchen, daß es uns Betrachtungen an die Hand gebe, welche die Angſt der letzten Stunden, wenn ſie hereinbrechen, lindern, und auf die abſcheidende Seele einen Strahl goͤttlicher Gnade, ihren Weg zu einer fuͤrchterlichen Ewigkeit zu erleuchten, hereinlaſſen werden?
Sie waͤre bald in Ohnmacht gefallen: und weil ſie ſich gern niederlegen wollte; ſo ging ich weg, ich darf nicht erſt ſagen mit niedergeſchlage - nem Herzen. Da ich aber in mein neubezognes Zimmer kam, ward mein Herz durch den Anblick des feyerlichen Briefes, den die bewundernswuͤr - dige Fraͤulein vor ſo kurzer Zeit erſt geendigt hat - te, noch mehr geruͤhret. Er ward mir von der Fr. Lovick gezeiget, die ihn fuͤr mich abzuſchreiben hatte: er ſollte mir aber nicht eher, als nach ih - rem Hingange, eingehaͤndigt werden. Dem un - geachtet uͤbertrat ich dieſe Vorſchrift in ſo weit, daß ich die Witwe beredete, mich eine Abſchrift davon nehmen zu laſſen: welches ich denn alſo - bald in abgekuͤrzter Schreibart that.
Jch uͤberſchicke ſie eingeſchloſſen. Wo du ſie leſen kannſt, und dein Herz nicht aus deinen An - gen blutet: ſo kann die Regung deines Gewiſſens ſchwerlich ſo groß ſeyn, als du mich zu denken geneigt gemachet haſt.
Jch fuͤrchte, daß ich nicht im Stande ſeyn wer - de, von dem Jnhalt Jhres letzten Schrei - bens alles dasjenige zu ſagen, was ich auf dem Herzen habe. Jedoch will ich es verſuchen.
Was meine Freunde und das betruͤbte Fruͤh - ſtuͤck betrifft: ſo kann ich nicht anders als ihret wegen bekuͤmmert ſeyn. Was, ach! was hat nicht meine Mutter inſonderheit durch meine Un - beſonnenheit ausgeſtanden! ‒ ‒ Jedoch ſollte man einem Sohn ſo viel ‒ ‒ einer Tochter ſo wenig nachſehen! ‒ ‒ Allein es wird nunmehr, ſo viel mich anlanget, alles bald voruͤber ſeyn. Jchhoffe,381hoffe, ſie werden allen ihren Unwillen in meinem Grabe verſcharren.
Wegen Jhres guten Raths, in Abſicht auf den Herrn Belford, erlauben Sie mir zu ſagen, daß die Verwerfung, mit der ich angeſehen wor - den, und die kurze Zeit, die ich habe, nunmehr ſtatt einer Schutzſchrift fuͤr mich dienen muͤſſe. ‒ ‒ Jch wuͤnſchte, daß ich, Jhrem Rathe gemaͤß an meine Mutter und meine Onkels haͤtte ſchrei - ben koͤnnen. Gleichwohl aber kommen die Gunſtbezeigungen ſo langſam von ihnen! ‒ ‒
Jch habe nunmehr nur die Gewaͤhruug einer einzigen Bitte von ihnen zu wuͤnſchen: welche ich dennoch, wann ſie mir gewaͤhret wird, nicht empfinden werde. Es iſt dieſe, daß ſie guͤtigſt erlauben wollen, daß mein erblaßter Koͤrper bey den Leibern meiner Voreltern geleget ‒ ‒ zu den Fuͤßen meines werthen Großvaters beygeſetzet werde, wie in ich meinem Teſtament gedacht habe. Jedoch mag es hiemit gehalten werden, wie es ihnen gefaͤllt. Denn bey dem allen muß dieſer geringe Leib billig meine Sorge nicht ſo ſehr auf ſich ziehen. Es iſt eine Schwachheit ‒ ‒ Allein erlauben ſie es eine natuͤrliche Schwach - heit zu nennen: ſo werde ich entſchuldigt ſeyn; ſonderlich wenn man wiſſen wird, daß eine ehrer - bietige Dankbarkeit dabey zum Grunde lieget. Sie wiſſen, meine werthe Fr. Norton, wie ſehr mich mein Großvater liebte. Sie wiſſen auch, wie ſehr ich ihn ehrte, und das von meiner Kindheit an bis auf ſeine letzte Stunde. Wie oft habe ichnach382nach der Zeit gewuͤnſchet, daß er mich nicht ſo lieb gehabt haͤtte!
Jch wuͤnſche itzo, da ich dieß ſchreibe, auch ſelbſt meinen Vetter Morden nicht zu ſehen. O meine liebe Fr. Norton! meine werthe muͤtterlich - geſinnte Freundinn! Jch bin im Begriff eine beſſere Reiſe anzutreten, als nach Frankreich oder Jtalien ‒ ‒ oder auch ſelbſt nach meiner mir ehe - mals lieben Hollaͤnderey! ‒ ‒ Wie geringe ſchei - nen mir itzo alle diejenigen Ausſichten und Ver - gnuͤgungen, welche mir in meinen geſunden Tagen ſo angenehm zu ſeyn pflegten! ‒ ‒
Jn Wahrheit, in Wahrheit, meine liebe Mamma Norton, ich werde gluͤckſelig ſeyn! Jch weiß, ich werde es ſeyn! ‒ ‒ Jch habe bereits reizungsvolle Vorbedeutungen der Gluͤckſeligkeit ‒ ‒ Sagen Sie allen meinen Freunden, daß ich gluͤckſelig ſeyn werde! Wer wollte die Strafen, die ich ausgeſtanden habe, nicht gerne ausſtehen, um die frohen Ausſichten in die Zukunft, und die Verſicherungen, in welchen ich mich erfreue, zu erlangen! ‒ ‒ Verſicherungen, die ich nicht ge - habt haben moͤchte, wenn mir alle meine Wuͤn - ſche gewaͤhret worden waͤren!
Jch habe auch ſo gar Sie, meine werthe Fr. Norton, nicht noͤthig zu ſehen. Nichts deſto we - niger muß ich geſtehen, damit ich meiner Dank - barkeit Gerechtigkeit widerfahren laſſe, daß eine Zeit geweſen iſt, da Jhre Gegenwart und Jhr troſtreicher Zuſpruch ein Balſam fuͤr mein verwun - detes Herz geweſen ſeyn wuͤrde, wenn es Jhnenhaͤtte383haͤtte erlaubt ſeyn koͤnnen, zu mir zu kommen, oh - ne ſich bey denen ein Misſallen zuzuziehen, deren Achtung ſie zu unterhalten noͤthig haben. Soll - ten Sie aber itzo, ſelbſt mit jener Einwilligung, und mit den Zeitungen der geſtifteten Verſoͤh - nung zu mir kommen: ſo wuͤrde das nur Jhren Kummer vermehren; und der Anblick einer Per - ſon, die ich ſo herzlich liebe, und die zu ſo großem Gluͤcke gute Zeitungen braͤchte, moͤchte mich zu Wuͤnſchen zuruͤckziehen, welche ich mit ſo vielem Kampfe zu uͤberwinden gehabt habe. Ja erlauben Sie mir, Jhnen zu Jhrer Beruhigung zu ſagen, daß ich nichts, was zu thun iſt, es ſey in Abſicht auf meine Seele, oder meine Perſon, zu thun unterlaſſen habe; nein, nichts bis auf die geringſte Zubereitung: ſo daß Jhnen nichts fuͤr mich zu thun uͤbrig iſt. Eine jede hat ſchon ihre Anwei - ſung, was den letzten Liebesdienſt betrifft ‒ ‒ Und mein Pult, worauf ich itzo ſchreibe ‒ ‒ O meine wertheſte Fr. Norton, es iſt fuͤr alles geſorget! ‒ ‒ Alles iſt bereit! Und alles wird dem Wohl - ſtande ſo gut gemaͤß ſeyn, als es ſeyn ſollte!
Haben Sie noch die Guͤte, meine Fraͤulein Howe wiſſen zu laſſen, daß zu der Zeit, da Sie gegenwaͤrtiges Schreiben empfangen und ſie von Jhnen die Meldung des Jnhalts davon bekom - men wird, es nach aller Wahrſcheinlichkeit fuͤr ſie zu ſpaͤt ſeyn werde, mir die unſchaͤtzbare Ge - wogenheit, wie ich es ehedem angeſehen haben wuͤrde, zu erweiſen, und mich zu beſuchen. Gott will in den Herzen derer, die er heiliget, nie -mand384mand leiden, der die Liebe mit ihm theile. Durch mancherley Wege toͤdtet er alle andre Em - pfindungen, oder verſchlinget ſie vielmehr in der Liebe gegen Jhn.
Nichts deſto weniger werde ich Sie lieben, meine werthe Mamma Norton: und auch meine Fraͤulein Howe, deren Liebe gegen mich bis an meine letzte Stunde der Frauen Liebe uͤber - troffen hat! ‒ ‒ Dennoch aber bin ich uͤber die lebhafte Empfindung ſolcher Vergnuͤgungen, die mich vormals am meiſten ergoͤtzeten, hinaus: und ich ſage noch einmal, daß ich Perſonen, die mir ſo werth ſind, nicht zu ſehen wuͤnſche, als welche mich wieder zum Gefuͤhl bringen, an mei - ner hoͤchſten Liebe Theil nehmen moͤchten.
Zweymal bin ich genoͤthigt geweſen, abzubre - chen. Jch habe gewuͤnſchet, daß mein letztes Schreiben an Sie, oder an Fraͤulein Howe ge - richtet ſeyn moͤchte, wo nicht an meine wertheſte Mu ‒ ‒
Mutter habe ich ſchreiben wollen ‒ ‒ Jſt das Wort leſerlich? ‒ ‒ Meine Augen ſind ſo benebelt! ‒ ‒ Wo ich mit halben Worten abbre - che, wenn ich mich an Sie wende: ſo ergaͤnzen Sie dieſelben ‒ ‒ Die liebreichſten Worte kommen Jhnen zu ‒ ‒ Gewiß, nehmen Sie die liebreich - ſten Worte, die Luͤcken auszufuͤllen, wo Luͤcken da ſind ‒ ‒
Noch385Noch einmal abgebrochen! ‒ ‒ Aber der neue Tag ſcheint uͤber mich mit heilender Staͤr - kung in ſeinen Fluͤgeln hervorzugehen. Jch habe, wie ich denke, einen neuen Zuwachs der Kraͤfte bekommen: an der Lebhaftigkeit des Verſtandes hat es mir, Gott ſey Dank! in der letzten Zeit nicht gefehlet.
Meine liebſte Fraͤulein Howe mag nur ihre Hochzeitskleider kaufen ‒ ‒ Und ich wuͤnſche, daß auf die angenehme Vorbereitung aller zeitlicher Segen folgen moͤge. ‒ ‒ Der Segen wird folgen, daran zweifle ich gar nicht: wenn gleich Herr Hickmann bisweilen ein wenig truͤbe Zeiten erlebet. Dieſe ſind fuͤr ihn nur Vorboten eines bevorſtehenden heitern Tages. Denn ihr Herz iſt gut, und ihr Verſtand nicht ſchlecht ‒ ‒ Aber Perſonen von großen Vorzuͤgen halten an ſich, und das an ſich halten hat nicht allemal ſeinen Grund in einem Stolze. Sollte es inzwiſchen Stolz ſcheinen: ſo nehme man nur die oͤberſte Decke ab; alsdenn iſt es an ihr ein edelmuͤthiges Mistrauen, und eine Liebe, die nur Verſicherung noͤthig hat.
Sagen Sie dem Herrn Hickmann, daß ich dieß ſchreibe, und, wie ich glaube, mit meiner letz - ten Feder. Sagen Sie, daß ich ihm empfehle, zuerſt ein wenig zu leiden und ſich zu enthalten: ſo wird alle kuͤnftige Zeit nichts als kroͤnende Dankbarkeit und belohnende Liebe ſeyn. DennSiebenter Theil. B bFraͤu -386Fraͤulein Howe hat großen Verſtand, feine Be - urtheilungskraft und erhabne Großmuth: und kann eine ſolche Perſon unter den Verbindlichkei - ten, welche ihr ſeine beſtaͤndige Bemuͤhung und Gefaͤlligkeit auflegen wird, wann er ſo gluͤcklich ſeyn ſoll, ſie die ſeinige zu nennen, wohl undankbar oder unempfindlich ſeyn?
Was mich anlanget: ſo iſt niemals eine Braut ſo bereit geweſen, als ich bin. Meine Hochzeits - kleider ſind gekaufet ‒ ‒ Und ob ſie gleich nicht fein ſind, oder in die Augen ſcheinen; ob ſie gleich nicht mit Edelgeſteinen geſchmuͤcket und mit Gold und Silber beſetzet ſind; denn ich habe niemand, der mich ſehen ſollte, und in deſſen Augen ich zu glaͤnzen wuͤnſchte: ſo werden ſie doch die bequem - ſten, die gluͤcklichſten Kleider ſeyn, die jemals eine Jungfer an ihrem Hochzeitstage getragen hat ‒ ‒ Denn ſie ſind von der Beſchaffenheit, daß ſie eine Sicherheit gegen alle die Beaͤngſti - gungen, Schmerzen und Unruhen, welche biswei - len auf den hoffnungsvolleſten Hervortritt folgen, mit ſich fuͤhren.
Und nunmehr, meine werthe Fr. Norton, wuͤnſche ich nichts anders.
O beſchleunige, gnaͤdiger Gott, wo es dein heiliger Wille iſt, den gluͤcklichen Augenblick, da ich mit dieſem erwuͤnſchten Gewand, das alles in Ruhe ſetzen wird, ausgeſchmuͤcket werden ſoll, und erhalte, troͤſte, ſegne, und bedecke mit den ſchatten - reichen Fluͤgeln deiner Gnade meine liebe Eltern, meine Onkels, meinen Bruder, meine Schweſter,meinen387meinen Vetter Morden, meine allezeit werthe, allezeit guͤtige Fraͤulein Howe, meine gute Fr. Norton, und alle wuͤrdige Perſonen, denen ſie wohl wuͤnſchen! Dieß iſt das bruͤnſtige Gebeth, das erſte und letzte, bey einer jeden angehenden Stunde, wie mir die Uhr ſie anzeiget; Stunden ſind nun ganze Tage, ja ganze Jahre; dieß iſt das Gebeth
Jhrer nunmehr nicht betruͤbten oder geplag - ten, ſondern gluͤcklichen Clariſſa Harlowe.
Jch bin nicht der Wilde, fuͤr den ihr, und mei - ne aͤrgſten Feinde mich halten. Meine Seele iſt durch den Jnhalt des Briefes, den ihr in eurem letztern eingeſchloſſen habet, allzu ſehr geruͤhret, daß ich ein Wort mehr dazu ſagen koͤnn - te, als daß mein Herz daruͤber aus allen Adern geblutet hat! ‒ ‒ Jch will eiligſt von der Sache abbrechen ‒ ‒ Allein was kann ich ſonſt fuͤr eineB b 2waͤhlen,388waͤhlen, die nicht eben ſo traurig ſeyn, und eben dahin fuͤhren wird?
Jch koͤnnte mit der ganzen Welt zanken: mit dir ſo wohl, als mit den Uebrigen; ſo gefaͤllig du auch zu ſeyn glaubeſt, weil du alle Stunden an mich ſchreibeſt. Wie haſt du dich, wenn gleich ohne ihr Wiſſen, unterſtehen duͤrfen, ein Zimmer unter eben demſelben Dache mit ihr zu beziehen? ‒ ‒ Es iſt mir unertraͤglich zu gedenken, daß man dich, alle Stunden, nach und von ihren Zimmern gehen ſehen ſoll: da ich unterdeſſen, der ich ſo vie - le Urſache habe, ſie die meinige zu nennen, und ehemals von ihr aller Welt vorgezogen ward, ge - noͤthigt bin, ferne zu bleiben, und kaum in die Stadt kommen darf, wo ſie iſt!
Wo etwas in Brands Briefe iſt, das mir die ſchwermuͤthigen Gedanken vertreiben wird: ſo uͤberſende mir ihn eiligſt. Allein es wird nun - mehr nichts mich jemals aufmuntern, nichts mir jemals Freude oder Vergnuͤgen wieder machen! Jch kann weder eſſen, trinken, noch ſchlafen. Die ganze Welt iſt mir zuwider.
Gewiß es wird beſſer ſeyn, wenn alles vor - bey iſt ‒ ‒ wenn ich das Aergſte weiß, was die Schickſale wider mich thun koͤnnen. ‒ ‒ Jedoch wie ſoll ich dieß Aergſte ertragen? ‒ ‒ O Bel - ford, Belford! ſchreibe es nicht an mich: ſon - dern, wo es ſeyn muß, ſo ſchaffe ſonſt jemand, der es ſchreibe. Denn ich werde die Feder, die Hand, den Kopf und das Herz verfluchen, das gebrauchet wird, mir die ungluͤckliche Zeitung zuhinter -389hinterbringen. Allein was heißt das, wenn ich bereits die ganze Welt, ſie ausgenommen ‒ ‒ mich ſelbſt am meiſten, verfluche?
Am Ende bin ich das klaͤglichſte Weſen. Das Leben iſt mir eine Laſt. Jch wollte es auf dieſem Fuß nicht eine Woche mehr ertragen; mein Schickſal moͤchte ſeyn, was es wollte: denn es hat ſich ſchon eine Hoͤlle in meinem Gemuͤthe angefangen. Niemals gedenke gegen mich des Gefaͤngniſſes weiter; es ſey nun ſie, oder wer es wolle, der daſſelbe nenne ‒ ‒ Jch kann es nicht ertragen ‒ ‒ O daß eiligſt die Verdammniß das verfluchte Weib ergreifen moͤchte, das den Tod hat reizen koͤnnen, den weiten Schritt zu thun, wie ſich das liebe Kind ausdruͤcket! ‒ ‒ Jch hat - te keine Schuld daran. Aber ihre Verwandten, ihre unverſoͤhnliche Verwandten, haben es ge - macht. Sonſt wuͤrde alles uͤberſtanden ſeyn. Berede mich ja nicht eines andern. Das Ju - gendfeuer und die Heftigkeit der Liebe wuͤrde bey einer Perſon von einem Geſchlechte, das es gerne ſiehet, wenn man ihm eine feurige, ja ſo gar eine ſtuͤrmiſche Neigung bezeiget, nicht vergebens das Wort fuͤr mich geredet haben: waͤre dieſe Grau - ſamkeit und Unverſoͤhnlichkeit nicht geweſen, wel - che, wenn man die Perſon und die Reue beden - ket, ihres gleichen nicht finden, und die Abſcheu - lichkeit meiner Fehler vergroͤßert haben.
Da ich nicht im Stande bin, zu ruhen, ob ich gleich nicht eher als um zwey zu Bette gegan -B b 3gen:390gen: ſo ſchicke ich gegenwaͤrtiges ab, ehe der Tag grauet. ‒ ‒ Wer weiß, was dieſe Nacht, dieſe ungluͤckliche Nacht, hervorgebracht haben mag!
Jch muß meinem Bothen nach. Jch habe dem Buben geſagt, daß ich ihm vielleicht zu Knightsbridge, vielleicht in Piccadilly, entgegen kommen will: und ich traue mir nicht mit Piſto - len, nicht allein ſeinetwegen, ſondern um mein ſelbſt willen; denn mit Piſtolen iſt das Ungluͤck nur allzu bald geſchehen.
Jch hoffe, daß du einen Brief fuͤr ihn fertig haſt. Er geht erſt zu deiner Wohnung: denn du wirſt dich doch gewiß nicht unterſtehen, in ei - nem Zimmer nahe bey dem ihrigen deine Ruhe zu halten. Wo er dich da nicht findet: fliegt er nach Smithens Hauſe, und bringt mir Nachricht, ob es Leben oder Tod.
Jch werde ihn ſo wohl aus der Luft, als zu Pferde erwarten, und mich ſo, wie ich reite, nach ihm umſehen. Denn wo der Fuͤrſt derſelben mir ſo gut dienet, als ich ihm gedienet habe: ſo wird er den Hund, wie einen andern Habakuk, mit der Zeitung, wornach ſich mein Herz ſehnet, bey den Ohren an meinen Sattel bringen.
Nichts außer den quaͤlenden Schmerzen, wel - che die verdammten Seelen bey ihrem Eingange in die ewige Pein nach dem, was wir zu fuͤrchten gelehret werden, fuͤhlen, kann dasjenige uͤbertref - fen, was ich itzo fuͤhle, und beynahe dieſe vergan -gene391gene Woche herdurch gefuͤhlet habe. Jch wuͤn - ſche dir eine Probe davon, wo du keinen Brief fertig haſt fuͤr
Deinen Lovelace.
Die Fraͤulein bleibt ausnehmend ſchwach und krank. Jnzwiſchen iſt ihr Verſtand noch eben ſo unbenebelt und ſtark, als vorher: und mit ihrer Gottſeligkeit und Gedult iſt nichts zu vergleichen. Jedermann denkt, daß dieſe Nacht ihre letzte ſeyn werde. Wie empfindlich iſt es, das von einem ſolchen Muſter aller Vorzuͤge zu ſagen! Sie will gleichwohl ihren Brief an ihre Norton noch nicht wegſchicken. Sie bemuͤhte ſich vergebens, die Aufſchrift darauf zu ſetzen: al - ſo bat ſie mich, es zu thun. Jhre Finger wollen die Feder nicht mehr mit der gehoͤrigen Feſtigkeit halten. Jch fuͤrchte, ſie hat ihr letztes geſchrie - ben und geleſen!
Es iſt etwas beſſer mit ihr, als es war. Der Arzt iſt hier geweſen, und glaubt, ſie werde es noch einen oder zween Tage aushalten. Er hat ihr bloß, wie einige Zeit her, ein wenig Herz - ſtaͤrkungen verordnet, die ſie nehmen ſoll, wenn ſie eine Ohnmacht antreten will. Sie ſchien ſich in ihrer Hoffnung betrogen zu finden, als er ihr ver - meldete, daß ſie noch wohl zween oder drey Tage leben koͤnnte, und ſagte, ſie wuͤnſchte aufgeloͤſet zu ſeyn! ‒ ‒ Das Lebenslicht, ſaͤhe ſie, waͤre nicht ſo leicht ausgeloͤſchet, als ſich einige vorſtellten ‒ ‒ Ein Tod aus Kummer und Herzeleid, glaubte ſie, waͤre der langſamſte unter allen ‒ ‒ Allein Gottes Wille muͤßte geſchehen! ‒ ‒ Jhr einziges Gebeth waͤre itzo nur dieß, daß ſie ſich demſelben unterwerfen moͤchte. Denn ſie zweifelte nicht, daß ſie durch Gottes Gnade gluͤckſelig ſeyn wuͤr - de, ſo bald ſie nur von dieſem abgenutzten Gewand der Sterblichkeit entkleidet ſeyn koͤnnte.
Sie that hierauf aus freyen Stuͤcken von euch Erwaͤhnung: wovor ſie ſich bis daher gehuͤtet hatte. Sie fragte mit großer Heiterkeit, wo ihr waͤret?
Jch ſagte ihr, wo: und was ihr fuͤr Urſachen haͤttet, ſo nahe zu ſeyn. Jch las ihr auch einige Zeilen aus eurem Briefe von heute fruͤhe vor, in welchen ihr eurer Wuͤnſche, ſie zu ſehen, eurer herzlichen Betruͤbniß, und eurer Entſchließung,euch393euch nicht ohne ihre Einwilligung zu ihr zu nahen, gedenket.
Jch haͤtte gern mehr geleſen: allein ſie ſagte: Genug, Herr Belſord, genug! ‒ ‒ Der arme Menſch! ‒ ‒ Faͤngt ſein Gewiſſen an, ihn zu er - greifen! ‒ ‒ So darf ihm niemand eine groͤßere Strafe wuͤnſchen! ‒ ‒ Jch wuͤnſche, daß es zu einer gluͤckſeligen Folge auf ihn wirken moͤge!
Jch nahm mir die Freyheit zu ſagen, daß, da ſie nun in einer ſolchen Gemuͤthsfaſſung ſtuͤn - de, daß nichts vermoͤgend ſchiene, ſie aus der Ord - nung zu bringen, ich wuͤnſchen koͤnnte, ihr moͤchtet Gelegenheit haben, aus ihren Ermahnungen Vor - theil zu ziehen, welche, wie ich wohl ſagen duͤrfte, itzo bey euren ſo ernſtlichen Regungen mehr Ge - wicht bey euch haben wuͤrden, als tauſend Pre - digten: und wie gluͤcklich wuͤrdet ihr euch achten, wenn ihr nur auf euren Knieen die Vergebung von ihr empfangen koͤnntet.
Wie koͤnnen ſie ſich ſo etwas in den Sinn kommen laſſen, Herr Belford, antwortete ſie, mit einiger Bewegung. Meine ruhige Gemuͤthsfaſ - ſung habe ich naͤchſt der goͤttlichen Guͤte, die mein ernſtliches Flehen geſegnet hat, dem zu danken, daß ich ihn nicht ſehe. Jndeſſen laſſen ſie ihn wiſſen, wie ich nun noch einmal wiederhohle, daß ich ihm vergebe. ‒ ‒ Gott, der Allmaͤchtige ‒ ‒ Hierbey faltete ſie die Haͤnde und ſchlug die Au - gen in die Hoͤhe ‒ ‒ vergebe ihm doch auch, ma - che ſeine Buße vollkommen und heilige ſie ihm! ‒ ‒ Vermelden ſie ihm, daß ich dieß ſage, und,B b 5wenn394wenn ich es nicht von ganzem Herzen ſagen koͤnnte, ſehr unruhig ſeyn, und glauben wuͤrde, daß mei - ne Hoffnung, Gnade zu erlangen, auf einem ſehr ſchwachen Grunde ruhete, und ich noch in einem oder dem andern geheimen Unwillen einiges Ver - langen truͤge, ein Leben, das er verkuͤrzet hat, zu behalten.
Die goͤttliche Fraͤulein wandte hierauf ihren Kopf auf die Seite ‒ ‒ Der arme Menſch, ſprach ſie! Jch haͤtte ihn einmal lieben koͤnnen. Dieß iſt mehr geſagt, als ich jemals von irgend einer andern Mannsperſon aus meiner eignen Fa - milie ſagen konnte! Haͤtte er mir erlauben wollen, ein geringes Werzeug zu ſeyn, ihn from zu ma - chen: ſo denke ich, haͤtte ich ihn gluͤcklich machen koͤnnen. ‒ ‒ Aber ſagen ſie ihm das nicht, wo er wirklich Reue empfindet ‒ ‒ Es moͤchte ihn zu ſehr ſchmerzen ‒ ‒ Hier hielte ſie inne.
Unvergleichliche Fraͤu[lein]! ‒ ‒ Himmliſches Beyſpiel der Vergebenden! ‒ ‒ Darauf fing ſie wieder an ‒ ‒ Allein melden ſie ihm, ich bitte ſie, daß, wenn ich wiſſen koͤnnte, daß mein Tod ein Mittel ſeyn moͤchte, ihn auf beſſere Wege zu brin - gen und ſeine Seele zu retten, es mir ein unaus - ſprechliches Vergnuͤgen ſeyn wuͤrde.
Jnzwiſchen laſſen ſie mich doch nicht durch die Furcht, ihn zu ſehen, beunruhiget werden. Es iſt mir unertaͤglich, ihn zu ſehen.
Eben da ſie ausgeredet hatte, ließ der Geiſtli - che, welcher ſo oft bey ihr geweſen war, hinaufſa -gen,395gen, daß er da waͤre: und ſein Beſuch ward an - genommen.
Weil ich fuͤrchtete, es moͤchte viele Schwie - rigkeit haben, euer ungeſtuͤmes Gemuͤth zu ge - winnen, daß ihr euch nicht bey ihren Todesſtun - den zudruͤnget, und mich vor der toͤdtlichen Angſt, worinn ſie ein ſolcher Ueberfall ſetzen wuͤrde, ſcheue - te: ſo glaubte ich, daß der Beſuch dieſes recht - ſchaffenen Mannes eine bequeme Gelegenheit gaͤ - be, die Unterredung uͤber die Sache wieder zu er - neuren. Nachdem ich ſie alſo um Erlaubniß ge - beten hatte: ſagte ich ihnen, wovon wir eben ge - redet haͤtten.
Der fromme Geiſtliche ſtellte vor, daß man gemeiniglich bey dieſen feyerlichen Gelegenheiten von ſo frommen Seelen, als ſie haͤtte, wenn ſie ſich ſelbſt auch noch ſo vollkommen Genuͤge ge - than haben moͤchten, einige gefaͤllige Herablaſſun - gen erwartete, um zu einem Beyſpiel zu dienen und der Welt zu zeigen, daß aller Unwillen gegen diejenigen, welche ſie am meiſten beleidiget haͤtten, gaͤnzlich unterdruͤckt waͤre: und wenn ſie ein ſo auf - richtig reuevolles Herz, wie ich den Herrn Love - lace vorgeſtellet, wuͤrdigen wollte, ihm in Perſon die Verzeihung, warum ich gebeten, zu ertheilen; ſo wuͤrde keine Vermuthung Raum haben, daß der geringſte verſteckte Unwillen uͤbrig waͤre; und bey dem Cavallier koͤnnte es ſehr gluͤckliche Wir - kungen haben.
Jch hege keinen verſteckten Unwillen, mein Herr, war ihre Antwort ‒ ‒ Dieß iſt nicht dieZeit396Zeit zum Unwillen: und ſie werden deſto geneig - ter ſeyn mir zu glauben, wenn ich ſie verſichern kann ‒ ‒ Sie ſahe hiebey auf mich ‒ ‒ daß ſo gar dasjenige, woran ich mein groͤßtes Vergnuͤgen gefunden habe, die wahrhaftig freundſchaftliche Lie - be, welche ſo lange zwiſchen meiner Fraͤulein Howe und ihrer Clariſſa gedauret hat, ob ſie gleich bis an den Augenblick, da ich den letzten Athem hoh - len werde, mir unter allem, was in dieſem Leben theuer und werth iſt, das liebſte ſeyn wird, ſchon vieles von dem Feuer verlohren, ſchon einem hoͤhern Feuer Platz gegeben habe. Soll denn die Erinnerung an die Beleidigungen meiner Per - ſon, die mir von Herrn Lovelacen widerfahren ſind, und Gott ſey Dank, niemals das Gemuͤth, welches an ihrer Freundſchaft ſo viel Vergnuͤgen fand, verderbet haben, in dieſen Stunden ſtaͤrker bey mir ſeyn, als die Erinnerung einer ſo reinen Liebe, als ſich jemals ein menſchliches Herz zu ruͤhmen gehabt hat? Sagen ſie alſo der Welt, wo es ihnen beliebt, und ſagen ſie, Herr Belford, wo ſie das, was ich ihnen vorher ſagte, nicht fuͤr ſtark genug halten, ſagen ſie dem armen Men - ſchen, daß ich ihm nicht allein vergebe, ſondern ſeiner Seele, und zwar in Betrachtung ihrer Un - ſterblichkeit, mit ſolchem Ernſt wohl wuͤnſche, daß, wenn meine Buße fuͤr mehrere, als fuͤr mei - ne eigne Suͤnden dienen koͤnnte, meine letzte Thraͤ - ne fuͤr eben denjenigen, durch den ich ſterbe, nie - derfließen ſollte.
Unſere397Unſere Augen und Haͤnde druͤckten fuͤr uns beyde das aus, was unſere Lippen nicht aͤußern konnten.
Sagen ſie alſo nicht, fuhr ſie fort, und laſſen ſie es nicht ſagen, daß mein Unwillen noch nicht uͤberwaͤltiget ſey! ‒ ‒ Aber dennoch ſollen dieſe Augen, die ich gen Himmel hebe, als zu dem Zeu - gen der Wahrheit deſſen, was ich geſagt habe, ihn niemals mehr ſehen: wo ich es aͤndern kann! ‒ ‒ Denn bedenken ſie nicht, meine Herren, wie kurz meine Zeit iſt; auf wie viele wichtigere Dinge ich ſie zu wenden habe; und wie wenig ich, ſo ſchwach, als ich bin, im Stande ſeyn wuͤrde, ſelbſt mit der bezeugten Reue einer Perſon von dauerhafter Ge - ſundheit, die ſich durch ungebaͤndigte und allezeit heftige Leidenſchaften regieren laͤſſet, zu kaͤmpfen? ‒ ‒ Nun, hoffe ich, werden ſie dieſer Sache we - gen niemals mehr in mich dringen.
Der Geiſtliche ſagte, es wuͤrde unverantwort - lich ſeyn, jemals auf dieſe Vorſtellung wieder zu dringen.
Jhr ſehet, Lovelace, daß ich die Pflicht eines Freundes nicht vergeſſen habe, indem ich mich be - muͤhet, ſie zu gewinnen, daß ſie euch ihre letzte Vergebung in Perſon ertheilen moͤchte. Jch hoffe alſo, da ſie ihrem Ende ſo nahe iſt, daß ihr euch in ihren letzten Stunden nicht zu ihr draͤn - gen werdet: denn ſie muͤßte bey einem ſolchen An - blick ſehr aus ihrer Faſſung geſetzt werden, und es moͤchte ſie deſto eher aus der Welt bringen.
Dieß398Dieß erinnert mich an einen Ausdruck, den ſie gebrauchte, als ſie bey eurer grauſamen Nach - ſtellung in Smithens Hauſe wieder in ihre Zim - mer kam; und das mit einer Stille und Heiter - keit, die ihres gleichen nicht gehabt hat, wie mir Fr. Lovick erzaͤhlte, in Betrachtung der Veranlaſ - ſung, und der Unruhe, die ihr dadurch verurſachet war, und ihrer Unpaͤßlichkeit zugleich. Er will mich nicht auf eine anſtaͤndige Art ſterben laſſen, ſagte der leidende Engel! ‒ ‒ Er will mich nicht in ſo guter Ordnung, als erfordert wird, wenn man in das Zimmer eines irdiſchen Fuͤrſten tritt, vor meinem Schoͤpfer erſcheinen laſſen!
Jch kann mich inzwiſchen nicht entbrechen zu wuͤnſchen, daß die himmliſche Fraͤulein ſich haͤtte uͤberwinden koͤnnen, euch in dieſen ihren letzten Stunden zu ſehen: und dieß ſo wohl meinetwe - gen, als um euretwillen. Denn ob ich gleich feſt entſchloſſen bin, mich niemals derjenigen Laſter, die bis auf dieſe wenige zuletzt verſtrichenen Wo - chen mein voriges Leben beflecket haben, und um welcher willen ich mir ſelbſt von ganzem Herzen verhaßt bin, wieder ſchuldig zu machen: ſo wuͤr - de mir doch vor einem Ruͤckfall weniger bange ſeyn; wenn ihr durch die Feyerlichkeit, welche ei - ne ſolche Zuſammenkunft begleitet haben muͤßte, geruͤhret waͤret und euer Leben gebeſſert haͤttet. Denn ich fuͤrchte keinen Teufel, als den, der in eurer Geſtalt einhergehet.
Es iſt itzo um eilfe des Abends. Die Fraͤu - lein, welche ſich vor einer Stunde zur Ruhe be - geben hat, liegt in einem ſuͤßen Schlummer, wie mir Fr. Lovick erzaͤhlet.
Jch will hier beſchließen. Jch hoffe, daß ich ſie morgen desfalls in deſto beſſerem Zuſtande fin - den werde. Aber, ach! wie hinfaͤllig iſt die Hoff - nung! Wie hinfallig iſt das Leben; wenn wir ge - neigt ſind, ſo viel auf eine jede Huͤlfe, die bloß ein Schatten iſt, zu bauen: ob wir gleich in ſo ver - zweifelten Faͤllen, als dieſer iſt, ſo bald wir nur nachdenken wollen, wiſſen muͤſſen, daß ſie nur ein Schatten iſt!
Jch will die ſcheusliche und pedantiſche Arbeit des Brands einſchließen, und komme fuͤr dieß mal deiner begierigen Ungedult zuvor.
Die Briefe des Herrn Brands, worinn er wiederruft, und wovon der eine an ſeinen Freund, Herrn ‒ ‒ der andere an ſeinen Goͤnner, Herrn Joh. Harlo - we gerichtet iſt, hat man fuͤr Urſtuͤcke in ihrer Art angeſehen. Weil ſie aber lang ſind, und dem Leſer ſchon von ſeinem beſondern Character ein Begriff gemacht iſt; man ſehe nur den VIten Theil, S. 653 u. f. und den XXVten Brief von ihm in dem gegenwaͤrtigen Theile; auch dieſe Sammlung ſchon weitlaͤuftiger ge - worden iſt, als man wuͤnſchet: ſo hat man ſie weggelaſſen.
Wie? Jſt es etwas beſſer mit ihr? ‒ ‒ Jch wuͤnſche dir Gluͤck und Segen dafuͤr oh - ne Zahl oder Maaß! Laß es immer beſſer und beſſer mit ihr werden! Sage mir es wenigſtens ſo, wo es nicht ſo iſt: denn du weißt nicht, was fuͤr eine Freude mir auch dieſe kurze Friſt, da ſie es noch ein oder zween Tage halten wird, gemachet hat.
Allein wer hat denn dieſem unbarmherzigen und zum Todesurtheil geneigten Arzt geſagt, daß ſie es nicht laͤnger halten werde? Was hat er fuͤr Verſicherung, warum er es ſagt? Wie groß und vermeſſen thun dieſe prahleriſche und feyerliche Mitglieder einer Zunft, die mir bis an die letzte Stunde meines Lebens veraͤchtlich ſeyn wird, wo - fern dieſer Bruder aus derſelben, da er einen ſo trefflichen Ruf hat, nicht ein gemeines Wunder zu ihrem oder vielmehr zu meinem Beſten thun kann.
Jch muß dir ſagen, Belford, daß er ſchon die aͤußerſte Verachtung verdienet, weil er dieſes rei - zende Uhrwerk ſo weit ablaufen laͤſſet. Wieſchlecht401ſchlecht muß ſeine Kunſt ſeyn, wo ſie es nicht in dem vierten Theil der Zeit, die er zu ihr gegangen, aufzuziehen vermoͤgend geweſen iſt: da bey ſeinen erſten Beſuchen die Triebfedern und Raͤder zum Leben und zur Bewegung ſo gut waren, daß ſie nur eine nicht außerordentliche Sorgfalt und ein wenig Oel noͤthig zu haben ſchienen!
Jch bin euch fuͤr eure Bemuͤhgung, ſie zu bewegen, daß ſie mich vor ſich ließe, verbunden. Es iſt ein Freundſchaftſtuͤck geweſen. Haͤtte ſie mich dieſer Gunſt wuͤrdig geachtet: ſo wuͤrde ſie den niedrigſten Anbeter, der jemals vor einer mit Recht zuͤrnenden Schoͤnheit geknieet hat, zu ihren Fuͤßen geſehen haben.
Was ſie euch befiehlet, und was ſie euch ver - bietet mir zu ſagen, und zwar in Anſehung des letztern aus zaͤrtlichen Bewegurſachen; daß ſie mir naͤmlich vergebe, und, wenn ſie mich haͤtte fromm machen koͤnnen, mich gluͤcklich gemacht haben koͤnnte; daß ſie mich einmal geliebet; ‒ ‒ daß ſie zu einer ſolchen Stunde geſtehet, ſie habe mich einmal geliebet, und habe niemals vorher ei - ne Mannsperſon geliebet! ‒ ‒ daß ſie fuͤr mich bete; daß ihre letzte Thraͤne fuͤr mich vergoſſen werden ſollte, wenn ſie dadurch eine Seele retten koͤnnte, die ohne ſie zum Verderben verurtheilet iſt; ‒ ‒ O Belford, Belford! das iſt mir uner - traͤglich. ‒ ‒ Was fuͤr ein Hund, was fuͤr ein Teufel bin ich gegen einen ſolchen Ausbund der Guͤte geweſen! ‒ ‒ Warum ſchilt ſie nicht auf mich? ‒ ‒ Warum verflucht ſie mich nicht? OSiebenter Theil. C cdie402die triumphirende Bezwingerinn! Sie iſt allezeit uͤber mich erhaben geweſen! ‒ ‒ Und ſoll ſie mich nun ſo unendlich weit unter ſich zuruͤcklaſſen!
Heyrathen, und dadurch alles wieder gut machen, bleibt allezeit frey. Dieß war Vorſtellung, wodurch ich Nichtswuͤrdiger mich bey mir ſelbſt rechtfertigte. Jch ſuchte ihr eine erniedrigende Empfindlichkeit beyzubringen. Jch ſuchte ſie von den Sternen, mit welchen ihr ſtrah - lendes Haupt umgeben war, herunterzuziehen, da - mit meine Gattinn, die ſo weit uͤber mich erhaben waͤre, mich nicht allzu ſehr verachten moͤchte ‒ ‒ Dieß war ein Stuͤck von meinem kriechenden Nei - de, der ſich von meiner noch mehr kriechenden Furcht, geringer zu ſeyn, herſchrieb ‒ ‒ Dennoch behauptet ſie von Schritt zu Schritt, von einem Ungluͤck zu dem andern, ihren Vorzug, der ſie uͤber mich erhebet, und bricht, wie die Sonne, mit deſto groͤßerem Schein auf mich hervor, weil ſie von denen Wolken bedeckt geweſen iſt, welche ſie auf mein Anſtiften umzogen haben ‒ ‒ Und nun will ſie mir ſo entgehen! ‒ ‒ So, daß mir keine Moͤglichkeit uͤbrig gelaſſen wird, das Boͤſe, welches ich ihr zugefuͤget habe, wieder gut zu machen! ‒ ‒ Keine Erleichterung fuͤr die Vorwuͤrfe, welche ich mir ſelbſt machen muß! ‒ ‒ Keine Gelegenheit, den Tadel mit ihr zu theilen! ‒ ‒
Sage ihr, o! ſage ihr, Belford, daß ihre Gebethe und Wuͤnſche, ihre ausbuͤndig großmuͤ - thige Gebethe und Wuͤnſche nicht vergebens ſeyn ſollen: daß ich Reue fuͤhlen kann und wirklichfuͤhle403fuͤhle ‒ ‒ und lange ſchon gefuͤhlet habe. ‒ ‒ Erzaͤhle ihr die oͤftern und empfindlichſten Re - gungen meines Gewiſſens ‒ ‒ Es waͤre unmoͤg - lich, ſage ihr, daß ſolche Regungen nicht endlich kraͤftige Gewiſſensbiſſe erzeugen ſollten ‒ ‒ Je - doch muͤßte ſie mich nicht verlaſſen ‒ ‒ Sie muͤß - te leben: wo ſie wuͤnſchen wollte, daß meine Buße vollkommen ſeyn moͤchte ‒ ‒ Denn was kann aus Verzweifelung entſtehen? ‒ ‒
Jch will alles thun, was ihr haben wollt, in Zuruͤckſendung eurer Briefe. Jhr habt mich durch dieſen letzten, und durch eure inſtaͤndige Fuͤrbitte, daß ſie mich vor ſich laſſen moͤchte, un - endlich verbunden, ob die Bitte gleich keine Wir - kung gehabt hat.
Noch einmal, wie habe ich ein ſo ſchaͤndlicher Boͤſewicht gegen ein ſo goͤttliches Frauenzimmer ſeyn koͤnnen! Und ſie dennoch alle die Zeit uͤber ſo lieben koͤnnen, als niemals eine Mannsperſon ein Frauenzimmer geliebet hat! ‒ ‒ Verflucht ſey meine raͤnkſuͤchtige Natur! Verflucht mein Kopf, der Kuͤnſte erſinnet, und mein Herz, das ihm zu ſtatten kommet! ‒ ‒ Sollte ich mit dem guten Namen, mit der Ehre, mit dem Leben ei - nes ſolchen Engels von einem Frauenzimmer ein Spiel getrieben haben! ‒ ‒ O mein verdammter Unglaube! ‒ ‒ Daß ich in den Gedanken, als wenn ſie ein Frauenzimmer waͤre, hoffen mußte,C c 2ein404ein Frauenzimmer an ihr zu finden! ‒ ‒ Auf meinen Unglauben, daß es eine ſolche Tugend; Tugend um der Tugend willen; in dem andern Geſchlechte geben koͤnnte, gruͤndete ich meine Hoff - nung, meine Abſichten bey ihr zu erreichen.
Aber ſage nicht, Bruder, daß ſie uns doch verlaſſen muͤſſe ‒ ‒ Wo es ſich mit ihr wieder voͤllig beſſert; ‒ ‒ und wo ich ihre Gunſt wieder erlangen kann: ſo wird ihr Leben mein Leben ſeyn ‒ ‒ Die Welt hat niemals einen ſolchen Ehemann geſehen, als ich fuͤr ſie ſeyn will. Jch will kei - nen andern Willen haben, als den ihrigen. Sie ſoll mich in allen meinen Schritten leiten. Sie ſoll meine Hoffnung beſtimmen und lenken, und alle Bewegungen meines Herzens wenden, wie es ihr beliebt.
Jhr meldet mir in eurem Briefe, daß ſie um eilfe in einer ſuͤßen Ruhe gelegen: und mein Be - dienter bringt mir von Fr. Smithinn die Nachricht, daß ſie eine gute Nacht gehabt hat. Mit was fuͤr Hoffnung werde ich dadurch erfuͤllet! Jch habe dem Kerl fuͤnf Guineas fuͤr ſeine gute Zei - tungen gegeben, die er mit ſeinem Nebengeſellen theilen ſoll.
Lieber, lieber Bruder, beſtaͤtige mir dieſes in deinem naͤchſten Schreiben ‒ ‒ Um des Him - mels willen thue es! ‒ ‒ Sage dem Arzt, ich will ihm ein Geſchenk von tauſend Guineas ma - chen: wo er ſie wieder zur voͤlligen Geſundheit bringet ‒ ‒ Frage, ob eine Berathſchlagung noͤ - thig ſey.
Lebe405Lebe wohl, lieber Belford! ‒ ‒ Beſtaͤtige, ich bitte dich, beſtaͤtige die Hoffnung, die ſich itzo mit herrſchender Freude eines Herzens bemeiſtert hat, das, naͤchſt ihr,
Dein iſt.
Euer Bedienter kam hier ſchon an, ehe ich auf - geſtanden war. Jch ſchickte ihn nach Smi - thens Hauſe, daß er ſich erkundigen ſollte, wie ſich die Fraͤulein befaͤnde, und befahl ihm, bey mir an - zufragen, wenn er zuruͤckkaͤme. Es war mir ein Vergnuͤgen zu hoͤren, daß ſie ziemlich geruhet hat - te, und ſo bald als ich ihn mit dem Briefe, den ich geſtern Abends geſchrieben, abgefertigt, ging ich hin, ihr aufzuwarten.
Jch fand ſie aufgeſtanden und angekleidet: in einem weißen Schlafrock von Atlaß. Allezeit nett: jedoch nicht mehr ſo, wie ich ſie vor einer Woche geſehen; da in ihrem Geſichte eine heitere Munterkeit herrſchte.
C c 3Sie406Sie gedachte der Dunkelheit ihrer Augen, die zugenommen, und des Zitterns, das ihre Glieder befallen hatte. Wo dieß Sterben iſt, ſagte ſie: ſo iſt gar nichts ſchreckliches darinn. Mein Koͤr - per fuͤhlet kaum Schmerzen; mein Gemuͤth iſt ruhig; meine Verſtandskraͤfte ſind ungeſchwaͤcht und ſo vollkommen, als jemals. Was fuͤr einen guͤtigen und gnaͤdigen Gott habe ich! ‒ ‒ Denn dieß iſt es, warum ich allezeit in meinem Gebeth geflehet habe.
Jch erzaͤhlte ihr, daß es bey euch nicht ſo hei - ter waͤre.
Es iſt nicht eben der Grund dazu vorhan - den, antwortete ſie. Es iſt ein ungemeiner Troſt, Herr Belford, daß ich im Stande bin, wenn ich unſere kurze Geſchichte uͤberdenke, zu ſagen, ich habe vielmehr ſelbſt Unrecht gelitten, als an - dern gethan. Jch danke Gott; ob ich gleich ungluͤcklich geweſen bin, wie es die Welt nennet, und ich ehedem mehr, als itzo gedacht habe: ſo habe ich doch keine Seele mit meinem Willen un - gluͤcklich gemacht. Jch habe nicht Urſache um etwas zu trauren, als nur um die Sorge, die ich meinen Freunden gemacht habe.
Allein haben ſie die Guͤte, Herr Belford, und gedenken bey meinem Vetter Morden meiner im Beſten. Bitten ſie ihn, meine Freunde zu troͤ - ſten, und ihnen vorzuſtellen, daß alles doch eben ſo geweſen ſeyn wuͤrde, wenn ſie auch meine wah - re Buße angenommen haͤtten, wie ich wuͤnſche und traue, daß der Allmaͤchtige es gethan habe.
Jch407Jch ward heruntergerufen. Es war zu Hen - richen, der eben von der Fraͤulein Howe, an wel - che er den Brief der Fraͤulein gebracht, zuruͤck - gekommen war. Weil ihm befohlen war, damit zu eilen und ſo bald, als moͤglich, wiederzukom - men: ſo hatte der einfaͤltige Kerl ſich nicht ſo lan - ge aufgehalten, bis die Fraͤulein Howe, welche fuͤnf Meilen von Hauſe geweſen, ihn empfangen, ob die Frau Howe gleich haben wollen, daß er bleiben ſollte, und eignes Gewerbes einen Kerl zu Pferde mit dem Briefe an ihre Tochter geſchickt hatte.
Die arme-Fraͤulein hat ſich eben wieder aus ei - ner Ohnmacht erhohlet, die ſie an die Pfor - ten des Todes gebracht hat. Jhre kurz zuvor empfundene Ruhe und Befreyung von Schmer - zen ſchien nur wie ein voruͤberfahrender Blitz zu ſeyn, wie ſich Fr. Lovick und Fr. Smithinn ausdruͤcken.
Bey meiner Treue, Lovelace, ich haͤtte mich lieber von allen meinen Freunden in der Welt ge - trennt geſehen, als von dieſer Fraͤulein. Vorher habe ich niemals gewußt, was eine tugendhafte, eine heilige Freundſchaft waͤre: ſo aber mag ich die meinige gegen ſie wohl nennen. Allein was iſt das fuͤr ein Kummer, daß ich zu derſelben noch ſo wenig gewohnt und ihrer ſo bald zu entbeh - ren genoͤthigt bin. Jedoch, den Himmel ſey Dank, ich verliere ſie nicht durch meine eigneC c 4Schuld!408Schuld! ‒ ‒ Aber es wuͤrde grauſam ſeyn, dei - ner itzo nicht zu ſchonen.
Sie hat nach dem Geiſtlichen geſchickt, der ſie ſonſt beſuchet, daß er mit ihr beten moͤge.
Du biſt wie der Wandersmann beym Aeſop: du blaͤſeſt Hitze und Kaͤlte, Leben und Tod, in einem Athem; ſonder Zweifel in der Abſicht, mich verruͤckt zu machen. Wie dreiſt gehſt du mit den Worten, Sterben, Dunkelheit des Geſichts, Zittern der Glieder, um? Niemals hat wohl ein Menſch mit ſo wenigen Klocken ſo ſehr verſchieden gelaͤutet. Dein wahrer Vater, duͤrfte ich wohl ſchwoͤren, iſt ein Metzger, oder ein Leichenbeſorger geweſen: wenn man nach dem Vergnuͤgen urtheilen ſoll, das du an den Trauer - ſpielen des Schreckens und Todes zu finden ſchei - neſt. Deine grauſame Anmerkung, daß du ſie nicht durch deine eigne Schuld verliereſt, iſt nim - mermehr zu vergeben. Du haſt nur einen Weg, die Marter, welche du mir macheſt, auszuſoͤhnen: und der iſt dieſer, daß du mir meldeſt, es ſey beſ - ſer mit ihr, und ſie werde wieder geneſen. Esmag409mag wahr ſeyn oder nicht: ſo laß es mir ſo geſagt werden. Alsdenn will ich mit Freuden herum - gehen und es glauben. Meine Wuͤnſche und Einbildungskraft ſollen alles uͤbrige gut machen.
Wenn ſie nur noch ein Jahr lebet, daß ich mich bey mir ſelbſt rechtfertigen kann; nach der Welt frage ich nichts; daß ihr Tod mir nicht beyzumeſſen iſt: ſo will ich mich wegen des Uebri - gen zufrieden geben.
Wollen denn weder Geluͤbde noch Gebethe ſie erretten? Jch habe niemals in meinem Leben, wenn man alle Jahre deſſelben zuſammen nimmt, ſo gebetet, als ich dieſe letzten Vierzehntage gethan habe: und ich habe alle meine ſchaͤndliche Hand - lungen gegen ſie aufrichtigſt bereuet ‒ ‒ Will dann nichts etwas helfen?
Aber endlich, wo ſie nicht wieder geneſen wird, muß dieſe Betrachtung mein Troſt ſeyn; und es iſt die Wahrheit; daß ihr Tod vielmehr einem Eigenſinne, einem offenbaren weiblichen Eigenſin - ne, als irgend einer andern Urſache zuzuſchreiben ſeyn wird.
Es iſt ſchwer fuͤr Leute, die den Eingebungen eines heftigen Unwillens nachgehen, da inne zu halten, wo ſie zuerſt inne zu halten willens waren.
Jch bin aus chriſtlicher Liebe geneigt zu glau - ben, daß ſelbſt Jakob und Arabella Harlowe an - fangs bey dem Buͤndniſſe, das ſie gegen ihre en - gliſche Schweſter gemacht, keine andere Abſichten geheget, als ſie in Ungnade zu bringen und nie - derzuhalten, damit nicht etwa zu ihrem Scha -C c 5den;410den; niedertraͤchtige Boͤſewichter! ihre Onkels dem Beyſpiel, das ihr Großvater gegeben hatte, folgen moͤchten.
Mancher Menſch, der erſt nur willens war, zu verſuchen, ob ein Maͤgdchen eine kleine Frey - heit uͤbel aufnehmen wuͤrde, iſt, wenn er gefun - den, daß ihm kein Einhalt geſchehen, oder daß er nur obenhin und mit lachendem Munde abgewie - ſen worden, eben dadurch aufgemuntert, den letz - ten Verſuch zu wagen, und hat geſieget, wo er ſich vormals nicht anders, als mit Furcht und Zittern, und vorlaͤufiger Ueberlegung, wie er davon kom - men moͤchte, wann ein heftiger Unwille darauf er - folgen ſollte, auch nur von weiten einen Verſuch zu machen unterſtand.
Um dieſe Erlaͤuterung auf den gegenwaͤrtigen Fall anzuwenden, vermuthe ich, daß die Fraͤulein bey ihrem Unwillen anfangs nur die Abſicht ge - habt mich zu kraͤnken und zu plagen. Da ſie aber gefunden, daß ſie ihren Zweck dabey erreichen koͤnnte, iſt die Rachbegierde bey ihr ſtaͤrker gewor - den, als das Verlangen zu leben. Und nun iſt ſie willig zum Sterben, als einem Erfolg, der nach ihrer Vermuthung mir das Herz abſtoßen wird. Auch noch deſto mehr geraͤchet zu ſeyn, nimmt ſie die Geſtalt einer Chriſtinn an, und ver - giebet mir.
Aber ich will nichts von ihrer Vergebung ha - ben. Mein eigenes Herz ſaget mir zu, daß ich ſie nicht verdiene, und ſie iſt mir unertraͤglich. ‒ ‒ Was iſt es auch wohl anders, als eine bloße Ver -gebung411gebung mit dem Munde, die, auf eine eben ſo großprahleriſche als grauſame Weiſe, mit einer Abſicht ſich ſelbſt zu erheben, und mich noch tiefer zu verwunden, ertheilet iſt! Eine kleine, liebe, ſcheinbare ‒ ‒ Jedoch laß mich inne halten ‒ ‒ ſonſt moͤchte ich eine Gotteslaͤſterung begehen.
Da ich das Obige wiederum uͤberleſe, ſchaͤme ich mich vor meinen ſchwaͤrmenden Ausſchweifun - gen: allein was willſt du haben, was ſoll ich thun? ‒ ‒ Siehſt du nicht, daß ich nur aus mir ſelbſt zu entlaufen ſuche, in Hoffnung, mich ſelbſt zu verlieren, und dennoch keines von beyden zu thun im Stande bin?
Wenn du jemals nur halb ſo bruͤnſtig gelie - bet haſt, als ich liebe ‒ ‒ Jedoch dazu iſt deine ſchwere Seele nicht geſchickt.
Gieb mir durch dein naͤchſtes Schreiben, ich beſchwoͤre dich, bey den Namen aller ihr ver - wandten Heiligen und Engel, die Nachricht, daß ſie noch lebe, und wahrſcheinlicherweiſe leben wer - de ‒ ‒ Schickſt du boͤſe Zeitungen: ſo wirſt du die Folgen zu verantworten haben; ſie moͤgen nun dem Bothen zum Verderben gereichen, oder
deinem Lovelace.
Dr. H. iſt eben hier geweſen. Er verzog bey mir, bis der Geiſtliche ſein Gebeth mit der Fraͤulein geendigt hatte: und darauf wurden wir beyde vorgelaſſen. Hr. Goddard, welcher unter - deſſen, da der Arzt und der Pfarrer bey ihr wa - ren, auch kam, ging mit ihnen weg, als ſie gingen. Sie nahmen feyerlich und auf ewig Abſchied von ihr: wie ich kein Bedenken trage zu ſagen. Sie ſegneten ſie, und wurden von ihr geſegnet: wo - bey ſie ſich zu ihrer Zeit nur einen eben ſo begluͤck - ten Ausgang aus der Welt wuͤnſchten, als der ih - rige nach aller Wahrſcheinlichkeit ſeyn wird.
Sie hatte wiederum den Arzt ſehr ernſtlich um ſeine Meynung befraget, wie lange ſie es nun wahrſcheinlicher Weiſe noch halten koͤnnte: und er hatte ihr geſagt, daß er beſorgte, ſie wuͤrde kaum den morgenden Abend erleben. Darauf war ih - re Antwort geweſen: ſie wollte die Stunden mit groͤßerem Vergnuͤgen zaͤhlen, als ſie ſie jemals in ihrem Leben, bey den froheſten Vorfaͤllen, gezaͤhlet haͤtte.
Wie unaͤhnlich waren die letzten Stunden des armen Beltons den ihrigen! Siehe den unend -lichen413lichen Unterſchied in den Wirkungen, bey eben derſelben fuͤrchterlichen und ruͤhrenden Gelegen - heit, zwiſchen einem guten und einem boͤſen Gewiſſen!
Dieſen Augenblick iſt ein Mann mit einem Briefe von der Fraͤulein Howe gekommen. Vielleicht werde ich dir den Jnhalt ſenden koͤnnen.
Sie gab ſich zu verſchiednen malen ernſtliche Muͤhe, den Brief von ihrer werthen Freundinn zu leſen: aber vergebens ‒ ‒ Die Schrift, ſagte ſie, waͤre zu fein fuͤr ihr groͤbers Geſicht, und die Zeilen wackelten unter ihren Augen. Jn der That zitterte ſie ſo. daß ſie das Papier nicht halten konnte: und zuletzt bat ſie Fr. Lovick, ihn ihr vorzuleſen; weil der Bothe auf eine Antwort wartete.
Du wirſt an dem Briefe von der Fraͤulein Howe ſehen, wie weit ſich eben die Ungedult und heftige Liebe in ihren Ausdruͤckungen, wenn ſie von dem ſanftern Gemuͤthe eines Frauenzimmers in die Feder gegeben werden, von denen unterſchei - de, die aus einem ſo ſtuͤrmiſchen und rauhen Ge - muͤthe, als du haſt, herkommen. Denn Fr. Lo - vick will ihn abſchreiben und ich werde ihn uͤber - ſenden ‒ ‒ damit du ihn hier leſen koͤnneſt, wo du willſt.
Wie wird es mit Jhrer armen Anna Howe werden! Jch ſehe ſo wohl aus Jhrer Hand, als ich es aus Jhrer eignen Erzaͤhlung, die ſie mit mehrerer Zaͤrtlichkeit begleitet haben wuͤrden, wenn es nicht ſehr, ſehr uͤbel mit Jh - nen waͤre, leſe, wie es mit Jhnen ſtehe! ‒ ‒ Warum habe ich es ſo lange aufgeſchoben, zu Jhnen zu kommen! ‒ ‒ Konnte ich wohl gedenken, daß die Troͤſtungen einer getreuen Freundinn fuͤr ein ſanftes Gemuͤth im Ungluͤck wie nichts waͤren, um mich dadurch bewegen zu laſſen, auch nicht einmal einen einzigen Beſuch in aller dieſer Zeit bey ihnen abzulegen! ‒ ‒ Haͤtte ich eben ſo wohl, als ſonſt jedermann, meine theure Freundinn verlaſſen und bloß Fremden uͤberlaſſen ſollen! ‒ ‒ Wie wird es mit mir werden: wo es mit Jhnen ſo uͤbel ſtehet, als meine Furcht es mir vorſtellet!
Jch will mich dieſen Augenblick auf den Weg begeben: ſo wenig Sie mir auch Muth da - zu machen! ‒ ‒ Meine Mutter iſt geneigt, es zu erlauben! ‒ ‒ Warum, o warum iſt ſie nicht vorher dazu geneigt geweſen!
Jedoch415Jedoch aber beredet ſie mich noch, damit ich nicht ungluͤcklich geruͤhret werden moͤchte, wenn ich meine Furcht nur allzu wohl gerechtfertigt finden ſollte, die Ruͤckkunft dieſes Bothen zu erwarten, der unſer geſchwindeſtes Pferd reitet. ‒ ‒ Gott bringe ihn baldigſt mit guten Zeitungen zuruͤck ‒ ‒ Sonſt ‒ ‒ Aber, ach! meine allerliebſte, allerliebſte Freundinn, was ſonſt! ‒ ‒ Nur eine Zeile von Jhrer Hand durch ihn! ‒ ‒ Senden Sie mir nur eine Zeile, in der Sie mir befehlen, Jhnen aufzuwarten. ‒ ‒ Jch will mich den Au - genblick, eben den Augenblick, da ich ſie bekomme, auf den Weg machen. ‒ ‒ Jch bin itzo ſchon wirklich in Bereitſchaft es zu thun! ‒ ‒ Und wo Sie mich ſo lieben, als ich Sie liebe: ſo wird der Anblick von mir Sie fuͤr meine Hoffnung wieder lebendig machen. Aber warum, warum bin ich nicht eher hinauf gekommen: da ich dieß denken kann?
Gnaͤdiger Himmel! verſage mir auf mein Gebeth zu einer Zeit, die ſo vieles fuͤr mich ent - ſcheiden ſoll, nicht meine Erinnererinn, meine Rathgeberinn.
Allein mich deucht, Jhre Schreibart und Ge - danken hangen allzu wohl zuſammen, haben all - zu viel Leben und Munterkeit, daß ſie zu ſo vieler Verzweifelung, als die wackelnde Feder zu dro - hen ſcheinet, Urſache geben koͤnnten.
Es iſt mir leid, daß ich nicht zu Hauſe gewe - ſen bin; ſo viel muß ich noch beyfuͤgen, ob der Bediente gleich ſchon zu Pferde vor der Thuͤr iſt;als416als des Hrn. Belfords Diener mit ihrem ruͤhren - den Briefe angekommen. Jch war bey der Fraͤulein Lloyd. Meine Mutter ſchickte mir ihn zu: und ich kam den Augenblick zu Hauſe. Aber er war ſchon fort. Er wollte nicht bleiben, wie es ſcheint. Gleichwohl haͤtte ich ihm gern ein hundert tauſend Fragen thun moͤgen. Aber war - um halte ich meinen Bothen ſo auf? Jch habe Jhnen ſehr viele Dinge zu ſagen: uͤber dieſelbe mit Jhnen zu berathſchlagen. Sie ſollen mich in allen Stuͤcken leiten. Jch will Jhnen auf den geringſten Wink gehorchen. Aber wo Sie mich verlaſſen ‒ ‒ ‒ was iſt dann die Welt, oder alles in derſelben fuͤr
Jhre Anna Howe.
Die Wirkung, welche dieſer Brief uͤber die Fraͤulein hatte, die dem Ende, das die red - liche Verfaſſerinn deſſelben ſo ſehr befuͤrchtet und bejammert, ſo nahe iſt, noͤthigte die Fr. Lovick bey Vorleſung deſſelben oft abzubrechen und die Stimme zu veraͤndern.
Dieß iſt eine Freundinn; ſprach die goͤttliche Fraͤulein, indem ſie den Brief in ihre Hand nahm und ihn kuͤſſete; dieß iſt eine Freundinn, die werth iſt, daß man um ihretwillen zu leben wuͤn - ſche ‒ ‒ O meine liebe Anna Howe! wie unver - ruͤckt angenehm und edelmuͤthig iſt unſere Freund - ſchaft geweſen! ‒ ‒ Allein wir werden dereinſt, wie ich hoffe, und das muß unſer beyder Troſtſeyn,417ſeyn, wieder zuſammenkommen, um niemals ge - ſchieden zu werden! Alsdenn werden wir von den Schatten des Koͤrpers entkleidet, lauter Licht und lauter Geiſt ſeyn ‒ ‒ Wie unverfaͤlſcht, wie voll - kommen wird alsdann unſere Freundſchaft ſeyn! Unſere Liebe wird alsdenn einen und eben denſel - ben aubetenswuͤrdigen Gegenſtand haben, und wir werden deſſen und einander in alle Ewigkeit genießen!
Jhre werthe Freundinn, ſagte ſie, baͤte ſo ernſtlich um eine oder zwo Zeilen, daß ſie gern ſchreiben wollte, wann ſie nur koͤnnte: und ſie ver - ſuchte es; aber umſonſt. Jedoch glaubte ſie, daß ſie im Stande ſeyn wuͤrde einige Zeilen in die Fe - der zu geben, und bat die Fr. Lovick, Feder und Papier zu nehmen. Das that dieſelbe, und ſie fing darauf an ihr die Worte zuzuſagen. Jch wollte mich unterdeſſen wegbegeben: aber auf ihr Verlangen blieb ich.
Sie ſchweifte anfangs ein gutes Theil herum ‒ ‒ Sie erwaͤhnte auch ſelbſt, daß ſie es thaͤte ‒ ‒ Und da ſie ein wenig auf eine Spur kam, ent - ſchuldigte ſie ſich bey der Fr. Lovick, weil das Ge - ſchriebne ihr ſelbſt nicht gefiel, daß ſie ſie ein und das andere mal von neuem anfangen ließe, und ſagte, zum dritten male ſollte es fortgehen, es moͤch - te ſeyn wie es wollte.
Den Theil, worinn ſie Abſchied nimmt, gab ſie ohne Anſtoß in die Feder. Als ſie aber an den Segen und die Unterſchrift kam: nahm ſie die Feder, fiel auf ihre Kniee, von Fr. Lovick ge -Siebenter Theil. D dhalten,418halten, und ſchrieb den Beſchluß ſelbſt; jedoch ward Fr. Lovick genoͤthigt, ihr die Hand zu fuͤhren.
Jhr werdet den Verſtand zum Erſtaunen, in Betrachtung ihrer Schwachheit, unverletzt finden.
Jch habe den Bothen warten laſſen, bis ich dieſen ihren Brief abgeſchrieben hatte. Jch ha - be mich bemuͤhet, die Unterſchrift nachzumachen.
Sie muͤſſen nicht erſchrecken ‒ ‒ ſich auch nicht betruͤben, ‒ ‒ daß Fr. Lovick fuͤr mich ſchrei - bet. Ob ich Jhnen gleich nicht gehorchen und mit meiner Hand ſchreiben kann: ſo ſchreibet doch mein Herz durch die ihrige ‒ ‒ Nehmen Sie es ſo an ‒ ‒ Es iſt alles, was ich thun kann, dem Gehorſam gegen ihren Befehl ſo nahe zu kommen, als moͤglich iſt.
Und was ſoll ich nun ſagen? Was kann ich ſagen? ‒ ‒ Jedoch warum ſollten Sie nicht die Wahrheit wiſſen? Da Sie ſie doch bald ‒ ‒ gar bald erfahren muͤſſen.
So wiſſen Sie dann, und laſſen Jhre Thraͤ - nen Zeugen eines frohen Mitleidens ſeyn, wo ſie Zeugen des Mitleidens ſeyn ſollen! Denn ich er - laube Jhnen ein Paar zu vergießen, um, wie ich ſagen mag, eine abgefallene Blume einzubalſami - ren ‒ ‒ So wiſſen Sie dann, daß der gute Arzt, der fromme Geiſtliche und der rechtſchaffene Apo -theker419theker eben itzo mit vereinigten Segenswuͤnſchen ihren letzten Abſchied von mir genommen haben: und der erſte befiehlt mir zu hoffen ‒ ‒ O ja, meine allerliebſte, laſſen Sie mich hoffen ſagen ‒ ‒ daß ich morgen vor Untergang der Sonnen aufgeloͤſet ſeyn werde.
Leben Sie alſo wohl, meine theureſte Freun - dinn! Laſſen Sie dieß Jhren Troſt ſeyn, wie es der meinige iſt, daß wir zu Gott gefaͤlliger Zeit in einer geſegneten Ewigkeit einander wieder ſe - hen werden, niemals wieder geſchieden zu ſeyn. ‒ ‒ Noch einmal denn, leben Sie wohl, und ſeyn begluͤckt! Das aber kann ein edles Gemuͤth nicht ſeyn, wofern es nicht, ſo viel in ſeiner Gewalt ſte - het, auch andere gluͤcklich machet.
Gott ſegne Sie ewig! Dieß iſt, auf meinen gebogenen Knieen, ob ich mich gleich auf denſelben halten laſſen muß, das Gebeth
Jhrer dankbaren, verbundenen, ergebenen Clar. Harlowe.
Nachdem ich dieſen Brief auf ihre Verord - nung abgeſchrieben und hernach verſiegelt hatte: ſo gab ich ihn ſelbſt dem Bothen, der mir ſagte, daß die Fraͤulein Howe nur auf ſeine Ruͤckkunft wartete, ſich auf den Weg nach London zu ma - chen.
D d 2Dein420Dein Bedienter iſt eben gekommen. Da - her will ich hier ſchließen. Du biſt ein unbarm - herziger Herr. Die beyden Kerls werden von dir zu Tode gejagt. Jch glaube, in ihren Herzen wuͤnſchen ſie den Engel in den Himmel, der be - reit iſt ſie aufzunehmen, und dich an deinen gehoͤ - rigen Ort: damit ihre Unruhe ein Ende haben moͤge.
Was fuͤr einen Brief haſt du mir zugeſchrie - ben! ‒ ‒ Armer Lovelace! ‒ ‒ Das iſt alle die Antwort, die ich dir darauf geben will.
Um fuͤnfe.
Der Obriſt Morden iſt dieſen Augenblick an - gekommen.
Bey meinem vorigen Schreiben hatte ich nur eben Zeit, euch zu ſagen, daß der Obriſt Morden angekommen waͤre. Er war zu Pfer - de, mit zween Bedienten, und ſtieg vor der Thuͤ - re ab, eben als es fuͤnfe ſchlug. Fr. Smithinn war damals unten in ihrem hintern Laden und weinte. Jhr Mann war bey ihr, und war ebenſo421ſo betruͤbt, als ſie. Fr. Lovick hatte ſie beyde kurz vorher gleichfalls mit Thraͤnen verlaſſen. Denn ſie hatten ſich einander beklaget, weil ſie einerley Meynung geweſen, daß die bewundernswuͤrdige Fraͤulein die Nacht nicht uͤberleben wuͤrde. Die Fraͤulein ſelbſt hatte ihnen geſagt, ſie glaubte es auch, wegen einiger Benebelungen, die ſie die Vor - bothen des Todes nannte, und wegen einer zuneh - menden Neigung zu ſchlummern.
Der Obriſt fragte, wie mir Fr. Smithinn nachher erzaͤhlte, den Augenblick, da er vom Pfer - de ſtieg, mit großer Ungedult, wie es mit der Fraͤu - lein Harlowe waͤre? Sie waͤre noch am Leben, antwortete ſie, aber ihr waͤre bange, daß es ge - ſchwinde mit ihr auswerden moͤchte. Lieber Gott! ſprach er mit aufgehabenen Haͤnden und Augen. Kann ich ſie ſehen? Mein Name iſt Morden. Jch habe die Ehre, nahe mit ihr ver - wandt zu ſeyn. Gehen ſie hinauf, ich bitte, und melden ihr; ſie hat noch Empfindung, hoffe ich; daß ich hier bin. Wer iſt bey ihr?
Niemand, als ihre Waͤrterinn und Fr. Lo - vick, eine edle Witwe, die ſo viel Sorge fuͤr ſie traͤgt, als wenn ſie ihre Mutter waͤre: ‒ ‒
Ja noch mehr Sorge, fiel er ihr ins Wort: ſonſt traͤgt ſie gar keine Sorge fuͤr ſie ‒ ‒
Es waͤre dann, fuhr Fr. Smithinn fort, daß ein Cavallier, ein gewiſſer Herr Belford, der der beſte Freund geweſen iſt, den ſie gehabt hat, bey ihr waͤre.
D d 3Wo422Wo Herr Belford bey ihr iſt: ſo kann ich es gewiß auch ſeyn ‒ ‒ Aber ſeyn ſie ſo gut, und gehen hinauf, und melden dem Herrn Belford, daß ich es fuͤr eine Gewogenheit anſehen werde, wenn ich erſt mit ihm ſprechen kann.
Fr. Smithinn kam zu mir in mein neues Zimmer herauf. Jch hatte eben erſt euren Die - ner abgefertigt, und fragte ihre Waͤrterinn, ob ich wieder zu ihr kommen moͤchte. Dieſe gab mir zur Antwort, ſie ſchlummerte in dem Lehnſtuhl, weil ſie ſich nicht hatte niederlegen wollen, indem ſie geſagt, ſie wuͤrde ſich bald, wie ſie hoffete, zu einem gluͤcklichen Erfolg niederlegen.
Der Obriſt, welcher wirklich ein feiner Ca - vallier iſt, empfing mich mit großer Hoͤflichkeit. Nach der erſten Begruͤßung waren dieß alſobald ſeine Worte. Meine Baſe, mein Herr, iſt ih - nen mehr verpflichtet, als irgend einem von ihrer eignen Familie. Jch meines Theils habe mich an ihnen allen, eben ſo viel Felſen, als ihrer ſind, zu ihrem Vortheil zu bewegen bemuͤhet, und, in - dem ich mir gar nicht in den Sinn kommen laſ - ſen, daß es mit der lieben Fraͤulein ſo gar ſchlecht ſtehen ſollte, daruͤber verſaͤumet, ihr aufzuwarten, wie ich den Augenblick nach meiner Ankunft bil - lig haͤtte thun ſollen, und auch gethan haben wuͤr - de, wenn ich gewußt haͤtte, wie uͤbel ſie ſich be - faͤnde, und was ich mit ihren Freunden zu thun haben ſollte. Allein, mein Herr, ihr Freund hat ſich ausnehmend ſtrafbar bewieſen: und da ſie in ſo vertrauter Bekanntſchaft mit ihm ſtehen, iſt esdaher423daher gekommen, daß ſie eben um ihrer Hoͤflich - keiten willen gegen ſie deſto ſchlechter gefahren iſt. Aber iſt denn keine Hoffnung zu ihrer Ge - neſung?
Die Aerzte haben ſie mit der traurigen Er - klaͤrung, daß keine mehr da ſey, verlaſſen.
Hat ſie gute Pflege gehabt, mein Herr? Ei - nen erfahrnen und geſchickten Arzt? Jch hoͤre, dieſe guten Leute ſind ſehr hoͤflich und gefaͤllig ge - gen ſie geweſen ‒ ‒
Wer koͤnnte wohl anders, ſagte Fr. Smi - thinn mit Weinen? Sie iſt die liebenswuͤrdigſte Fraͤulein von der Welt!
Ein Ruhm, ſprach der Obriſt, welcher ſeine Augen und die eine Hand aufhub, den ihr alle Menſchen geben! ‒ ‒ Lieber Gott! Wie iſt es ihrem verfluchten Freunde moͤglich geweſen ‒ ‒
Und wie, fiel ich ihm in die Rede, iſt es ih - ren grauſamen Eltern moͤglich geweſen. ‒ ‒ Wir koͤnnen fuͤr ihn eben ſo leicht, als fuͤr dieſe, Rede und Antwort geben.
Nur mehr als zu wahr! verſetzte er: wenn man die ſchaͤndliche Art der liederlichen Leute von unſerm Geſchlechte erwaͤget, ſo oft ſie irgend eine Perſon von dem andern Geſchlechte in ihre Ge - walt bekommen koͤnnen.
Jch gab ihm hinlaͤngliche Nachricht von der Sorge, die man fuͤr ſie getragen haͤtte, und erzaͤhl - te ihm die freundſchaftliche, ja gar vaͤterliche Sorgfalt, die ihr von dem Dr. H. und Herrn Goddard bewieſen waͤre.
D d 4Er424Er war voller Ungedult, zu ihr zu kommen: weil er ſie, wie er ſagte, ſeit ihrem zwoͤlften Jah - re nicht geſehen hatte; und ſie damals die Hoff - nung von ſich gegeben, eines der ſchoͤnſten Frauen - zimmer in England zu werden.
Das war ſie auch, antwortete ich, noch vor einigen wenigen Monaten: und, ob ſie gleich itzt ausgezehret iſt, ſo wird ſie ihnen doch dieſe Hoff - nung erfuͤllt zu haben ſcheinen. Denn die Zuͤge ihrer Bildung ſind ſo regelmaͤßig und ordentlich, ihr ganzer Bau nach ſo vollkommenen Verhaͤlt - niſſen eingerichtet, und ihre Arten zu handeln ſo unnachahmlich anmuthsvoll, daß ſie eine Schoͤn - heit ſeyn muͤßte, wenn ſie auch nur Haut und Knochen waͤre.
Fr. Smithinn ging, auf ſein Erſuchen, hinauf und brachte uns die Nachricht herunter, daß Fr. Lovick und ihre Waͤrterinn bey ihr waͤren, und ſie in einem ſo geſunden Schlafe auf die erſtere in ihrem Lehnſtuhl geſtuͤtzt laͤge, daß ſie ſie weder in ihr Zimmer hinein noch aus demſelben herausge - hen gehoͤret haͤtte. Der Obriſt bat, daß, wo es ſich thun laſſen wollte, er ſie, ob gleich im Schla - fe, ſehen moͤchte. Er ſagte, ſeine Ungedult wuͤr - de ihn nicht ſo lange verziehen laſſen, bis ſie er - wachte. Jedoch wollte er nicht haben, daß ſie geſtoͤrt werden ſollte, und wuͤrde ſich freuen, ihre angenehme Bildung zu betrachten, wenn ſie ihn nicht ſaͤhe. Er fragte, ob ſie nicht daͤchte, daß er, ohne ſie zu ſtoͤren, hinein und herauskommen koͤnnte?
Sie425Sie glaubte, er koͤnnte es thun, war ihre Ant - wort: denn die Lehne von ihrem Stuhl waͤre ge - gen die Thuͤr gekehret.
Er ſagte, er wollte ſich bemuͤhen, wenn ſie er - wachen ſollte, alſobald wegzukommen, damit ſie uͤber ſeinen unvermutheten Anblick nicht in Be - ſtuͤrzung geriethe.
Fr. Smithinn ſtieg vor uns hinauf und em - pfahl der Fr. Lovick und der Waͤrterinn, ſich nicht zu ruͤhren, wenn wir hineintreten wuͤrden. Da - rauf gingen wir leiſe mit einander hinauf.
Wir ſahen die Fraͤulein in einer reizenden Stellung. Sie war, wie ich euch vorher gemel - det habe, in ihrer juͤngferlichen Farbe, weiß, ge - kleidet, und ſaß in ihrem Lehnſtuhl. Auf einem andern Stuhl ſaß Fr. Lovick ganz nahe bey ihr, und hatte ihren linken Arm um den Hals der Fraͤulein geſchlagen, wodurch ſie ihren Kopf ſtuͤtz - te. Denn die Fraͤulein, ſcheint es, hatte es ſo von ihr verlanget, und geſagt, Fr. Lovick waͤre ei - ne Mutter gegen ſie geweſen, ſie wollte ſich alſo in der Vorſtellung vergnuͤgen, als wenn ſie in ih - rer Mutter Armen waͤre, weil ſie faͤnde, daß ſie ſchlaͤfrig waͤre, vielleicht zum letzten male.
Eine von den verbluͤheten Wangen ruhete auf dem Buſem der guten Frauen, und von der freundſchaftlichen Waͤrme deſſelben war ſie mit einer ſchwachen, aber ſchoͤnen Roͤthe uͤberzogen: die andre war blaſſer und eingefallen, als wenn ſie ſchon durch den Tod mit Eis bedeckt waͤre. Jh - re Haͤnde, welche ſo weiß waren als die Lilien, mitD d 5ihren426ihren durch einander gehenden Adern von einem mehr durchſcheinenden Blau, als ich jemals ſelbſt an den ihrigen geſehen hatte; Adern, die leider! ſo bald durch Gefrierung des Purpurſtromes, der ſchon itzo ſo matt durch dieſelben vielmehr kriechet, als flie - ßet, verſtopft werden ſollen; ihre Haͤnde hingen leblos, eine vor ihr, die andere von der rechten Hand der guͤtigen Witwe umfaſſet, deren Thraͤnen das anmuthreiche Geſicht, welches ihr muͤtterlicher Buſem ſtuͤtzte, bethaueten, ob es die ſchlafende Schoͤne gleich nicht fuͤhlte, und die gute Frau ſelbſt entweder auch nicht merkte, oder die Fraͤulein da - durch nicht ſtoͤren wollte, daß ſie ſie abwiſchte, oder ihre Stellung veraͤnderte. Sie ſahe auf eine an - genehme Art, ruhig und heiter aus: und ob ſie gleich bisweilen zuſammenfuhr; ſo ſchien doch ihr Schlaf geruhig. Jhr Athem war allerdings kurz und geſchwinde: aber noch ziemlich frey, und nicht ſo, wie er bey einer Sterbenden zu ſeyn pflegt.
Jn dieſer ruͤhrenden Stellung und Beſchaf - fenheit fiel ſie uns in die Augen, als wir uns zu ihr naheten, und ihr liebenswuͤrdiges Geſicht vor uns bekamen.
Der Obriſt ſahe ſie mit oͤftern Seufzern, mit zu - ſammengeſchlagenen Armen, und mit der ſtaͤrkſten und ergebenſten Aufmerkſamkeit ſtarre an: bis er ſich endlich, da ſie zuſammenfuhr, und mit groͤße - rer Schwierigkeit als vorher ihren Athem ausſtieß, an eine ſpaniſche Wand begab, die vor ihr Haus, wie ſie es nennt, welches, wie ich vorher gedachthabe,427habe, unter einem von den Fenſtern ſtehet, geſetzet war. Dieſe ſpaniſche Wand war zu der Zeit da - hin geſtellt, da ſie ſich genoͤthigt gefunden, ſich in ihrer Kammer zu halten: und bey der Heftigkeit unſerer Betruͤbniß, und der Menge anderer Ge - ſpraͤche bey unſerer erſten Zuſammenkunft, hatte ich vergeſſen, dem Obriſten Meldung von einer Sache zu thun, die er nach aller Wahrſcheinlich - keit ſehen wuͤrde.
Jndem er ſich dahin begab, zog er ſein Schnupftuch aus, und ſchien vor uͤberſtroͤmender Traurigkeit nicht vermoͤgend zu ſprechen. Als er aber ſein Auge hinter die ſpaniſche Wand warf, brach er bald das Stillſchweigen. Denn da ihn die Geſtalt des Sarges ſtutzig machte, hub er ei - ne purpurfarbene Decke auf, die uͤber daſſelbe ge - breitet war, fuhr darauf wieder zuruͤck, und ſag - te: Lieber Gott, was iſt hier!
Weil Fr. Smithinn am naͤchſten bey ihm ſtand: ſprach er mit großer Heftigkeit: Warum laͤßt man meine Baſe ihren betruͤbten Gedanken bey einem ſolchen Gegenſtande vor ihren Augen nachhaͤngen?
Ach! mein Herr, antwortete die gute Frau, wer ſollte ihr Einrede thun? Wir ſind alle ge - wiſſermaßen Fremde um ſie: und dennoch haben wir bey dem traurigen Vorfall einen Wortwech - ſel mit ihr gehabt.
Jch haͤtte ihnen billig hievon Nachricht geben ſol - len, ſagte ich, indem ich leiſe zu ihm hinauf trat, weil die Fraͤulein wieder in einen Schlummer fiel. Jchwar428war eben hier, als es hereingebracht wurde, und bin in meinem Leben niemals ſo erſchrocken. Al - lein ſie hatte niemand von ihren Verwandten um ſich, und keine Urſache zu hoffen, daß irgend je - mand von ihnen zu ihr kommen wuͤrde. Nun war ſie verſichert, daß ſie nicht wieder geneſen wuͤrde. Daher wollte ſie dem Ausrichter ihres Teſtaments ſo wenig als moͤglich waͤre, ſonderlich was ihre Perſon betraͤfe, uͤberlaſſen. Es iſt aber kein ſchrecklicher Gegenſtand fuͤr ſie: ob es gleich ſonſt fuͤr einen jeden das iſt.
Verflucht ſey die Verhaͤrtung derer, ſprach er, die ihr Urſache gegeben haben, eine ſo betruͤbte Anſtalt fuͤr ſich ſelbſt zu machen. Was muß ſie alle die Zeit uͤber, da ſie daran gedacht und es an - geordnet, fuͤr Betrachtungen gehabt haben? Und was fuͤr Betrachtungen muß ſie noch allemal ha - ben, ſo oft ſie das Geſicht dahin wendet? Sol - che außerordentliche Gemuͤther ‒ ‒ Allein in der That, ſie haͤtte Einrede dabey finden ſollen: wenn ich hier geweſen waͤre.
Die Fraͤulein ſtieß hierauf einen tiefen Seuf - zer aus und fuhr zuſammen. Dieß brach unſere Unterredung ab: und der Obriſt ging weiter hin - ter die ſpaniſche Wand, damit ſie vor ſeiner un - vermutheten Gegenwart nicht erſchrecken moͤchte.
Wo bin ich! ſagte ſie. Wie ſchlaͤfrig bin ich! Wie lange habe ich geſchlafen? Gehen ſie nicht weg, mein Herr: denn ich wollte mich wegbegeben. Jch bin ſehr betaͤubt und werde vermuthlich immer mehr und mehr ſo werden.
Hierauf429Hierauf wollte ſie aufſtehen: allein weil ſie beynahe vor Mattigkeit in Ohnmacht gefallen waͤ - re, ward ſie genoͤthigt, ſich wieder niederzuſetzen und legte den Kopf an die Lehne ihres Stuhls. Nach einigen wenigen Augenblicken redete ſie uns an. Jch glaube, meine lieben Freunde, nun wird alle ihre Unruhe bald voruͤber ſeyn. Jch habe geſchlafen, aber mich dadurch nicht erquicket, und die Spitzen von meinen Fingern ſcheinen er - ſtarrt ‒ ‒ haben kein Gefuͤhl! ‒ ‒ Hiebey hiel - te ſie ſie in die Hoͤhe ‒ ‒ Es iſt Zeit, den Brief an meine liebe Fr. Norton abzuſchicken.
Soll ich meinen Bedienten damit wegreiten laſſen, gnaͤdige Fraͤulein?
O nein, mein Herr, ich danke ihnen. Er wird der lieben Frauen nur allzu bald, wie ſie ge - denken wird, mit der Poſt zu Haͤnden kommen.
Jch ſagte ihr, daß es kein Poſttag waͤre.
Jſt es noch Mittwochen? ſprach ſie. Gott ſey mir gnaͤdig! Jch weiß nicht, wie die Zeit geht: aber verdrieslich langſam geht ſie, das iſt offenbar. Nun, glaube ich, muß ich mich bald zu Bette be - geben. Da wird alles auf die anſtaͤndigſte Art und mit der wenigſten Beſchwerde voruͤber ſeyn ‒ ‒ Nicht wahr, Fr. Lovick? ‒ ‒ Jch denke, mein Herr ‒ ‒ hier wandte ſie ſich zu mir ‒ ‒ ich habe nichts bis auf dieſe Stunden, die zu allem ſo ungeſchickt machen, verſchoben: nichts, das ich entweder zu ſagen, oder zu thun haͤtte. Jch dan - ke Gott, daß ich es nicht gethan habe. Haͤtte ich es gethan: wie ungluͤcklich wuͤrde ich ſeyn? Koͤn -nen430nen ſie, mein Herr, mich an irgend etwas erinnern, das zu thun oder zu ſagen noͤthig ſeyn ſollte, damit ihnen ihr Amt erleichtert werde?
Wenn ihr Hr. Vetter, Morden, kommen ſoll - te, gnaͤdige Fraͤulein: ſo wuͤrden ſie ihn vermuth - lich gern ſehen?
Jch bin zu ſchwach, daß ich meinen Vetter nun zu ſehen wuͤnſchen ſollte. Es wuͤrde mich nur in Unordnung bringen und ihn ſelbſt auch. Jedoch, wo er kommt, wenn ich noch ſehen kann: ſo will ich ihn ſehen; wenn es auch nur geſchehen ſollte, ihm fuͤr ſeine vorige Gewogenheit und gegenwaͤr - tige gute Geſinnungen gegen mich Dank zu ſagen. Jſt jemand von ihm hier geweſen?
Er hat anfragen laſſen, gnaͤdige Fraͤulein, und will in einer halben Stunde hier ſeyn: er be - ſorgte aber, er moͤchte ihnen zu unvermuthet kom - men, und ſie dadurch in Bewegung ſetzen.
Jtzo kann mich nichts mehr in Bewegung ſetzen: ausgenommen, wenn meine Mutter mir die Gewogenheit erzeigen moͤchte, mir ihren letzten Segen in Perſon zu ertheilen. Das wuͤrde mir auch noch itzo willkommen ſeyn und eine an - genehme Bewegung erregen. Allein iſt mein Vet - ter eignes Gewerbes nach London gekommen, um mich zu ſehen?
Ja, gnaͤdige Fraͤulein. Jch habe mir die Freyheit genommen, ihm verwichenen Montag durch eine Zeile zu melden, wie ſchlecht es mit ih - nen ſtuͤnde.
Sie431Sie ſind ſehr guͤtig, mein Herr. Jch bin ihnen hoͤchlich verbunden, und verbunden geweſen. Allein ich denke, es wird mir itzo ſchmerzlich ſeyn, ihn zu ſehen, weil es ihm Kummer machen wird, mich zu ſehen. Gleichwohl, da es noch nicht ſo uͤbel mit mir iſt, als es bald ſeyn wird ‒ ‒ iſt es deſto beſſer, je eher er kommt. Aber wo er kommt, was ſoll ich wegen der ſpaniſchen Wand machen? Er wird mir nach aller Wahrſcheinlichkeit deswe - gen Verweiſe geben, und ich kann itzo keine Ver - weiſe ertragen. Vielleicht ‒ ‒ hiemit lehnte ſie ſich auf Fr. Lovick und Fr. Smithinn ‒ ‒ kann ich in das naͤchſte Zimmer gehen, ihn zu em - pfangen.
Sie bewegte ſich, aufzuſtehen: allein ſie waͤ - re beynahe wieder in Ohnmacht gefallen, und ward genoͤthigt, ſitzen zu bleiben.
Der Obriſt war hinter der ſpaniſchen Wand in vollkommener Bewegung, da er dieſe Unterre - dung hoͤrete, und kam zweymal, ohne daß ſeine Baſe es ſahe, von derſelben auf ſie zu, ging aber aus Furcht, ſie zu ſehr zu uͤberraſchen, wieder zuruͤck.
Jch ging zu ihm und half ihm ſich zuruͤckzu - ziehen: indem ſie nur dieſes ſagte: Wollen ſie weggehen, Herr Belford? Werden ſie hinunter - gerufen? Jſt mein Vetter gekommen? Denn ſie hoͤrte jemand leiſe queer uͤber das Zimmer gehen, und dachte, ich waͤre es: weil ihr Gehoͤr beſſer war, als ihr Geſicht.
Jch432Jch antwortete, daß ich es glaubte; und ſie ſagte: Wir muͤſſen es ſo gut machen, als moͤglich iſt, Fr. Lovick und Fr. Smithinn. Sonſt wer - de ich meinem armen Vetter das betruͤbteſte Schre - cken verurſachen. Denn er hat mich vormals herzlich geliebt. Seyn ſie ſo gut, und geben mir ein wenig von den letzten Tropfen, die mir der Arzt verordnet hat, damit ich nur noch zu dieſer einzigen Zuſammenkunft meine Lebensgeiſter auf - geweckt erhalte: das iſt alles, glaube ich, warum ich mich nunmehr bekuͤmmern kann.
Der Obriſt, welcher dieß alles anhoͤrte, ſchick - te in ſeinem Namen herauf, und ich that, als wenn ich zu ihm hinunter ginge. Jch fuͤhrte den betruͤbten Cavallier herein: nachdem ſie vorher die ſpaniſche Wand ſo nahe, als moͤglich, an das Fenſter zu ſetzen befohlen hatte, damit er nicht ſe - hen moͤchte, was hinter derſelben waͤre. Weil er unterdeſſen gehoͤrt, was ſie davon geſagt hatte: ſo war er ſchon entſchloſſen, nichts davon zu er - waͤhnen.
Er faßte den Engel in ſeine Arme, wie ſie auf dem Stuhl ſaß, und fiel auf ein Knie. Denn ſie ſtuͤtzte ſich auf die beyden Arme des Stuhls und verſuchte aufzuſtehen, konnte aber nicht. Entſchuldigen ſie mich, mein wertheſter Hr. Vet - ter, ſprach ſie, entſchuldigen ſie mich, daß ich nicht aufſtehen kann ‒ ‒ Jch erwartete dieſe Gewo - genheit itzo nicht. Jch freue mich inzwiſchen, daß ich dieſe bequeme Gelegenheit habe, ihnenfuͤr433fuͤr alle ihre edelmuͤthige Guͤtigkeit gegen mich Dank zu ſagen.
Jch werde es mir ſelbſt niemals vergeben, meine geliebteſte und wertheſte Baſe, war ſeine Antwort; wobey ihm die Augen uͤbergingen; daß ich ihnen nicht eher meine Aufwartung ge - macht habe. Jch ließ mir gar nicht in den Sinn kommen, daß es ſo ſchlecht mit ihnen waͤre: es glaubt dieſes auch keiner von ihren Freunden. Wenn ſie es glaubten ‒ ‒
Wenn ſie es glaubten; wiederhohlte ſie, und fiel ihm in die Rede: ſo wuͤrde ich mehr Mit - leiden bey ihnen gefunden haben. Das bin ich verſichert. Allein, erlauben ſie, mein Herr, wie haben ſie ſie verlaſſen? Haben ſie ſich wieder mit ihnen vertragen? Wo nicht: ſo bitte ich, thun ſie es, wofern ſie ihre arme Clariſſa lieb haben. Denn eine jede vergroͤßerte Mishelligkeit vergroͤßert nur meinen Fehltritt: weil dieſer der Grund von al - lem iſt.
Jch hatte ſchon einige Stunden vortheilhafte Nachricht fuͤr ſie, meine werthe Baſe, von ihnen erwartet; ſprach er: als der Brief von dieſem Herrn ankam und mich zur Eilfertigkeit auffor - derte. Allein ich habe die Rechnung von dem Gute ihres Großvaters mit ihnen zur Richtigkeit zu bringen, und habe von jenen deswegen Hand - ſchriften und Anweiſungen auf ihren Wechsler zu den Geldern, die ihnen zukommen. Man ver - langet, daß ſie dieſelben annehmen moͤgen, damit ſie keinen Mangel an Gelde leiden duͤrfen. UndSiebenter Theil. E edieß434dieß iſt ein ſolches Unterpfand einer nahen Aus - ſoͤhnung, daß ich mich unterſtehe, Gewaͤhr dafuͤr zu leiſten, daß alles uͤbrige nach ihrem Wunſche gehen werde, wenn ‒ ‒
Ach! mein Herr, fiel ſie ihn mit oft unterbroch - ner Sprache in die Rede, Jch wuͤnſche, ich wuͤnſche, daß dieß nur nicht vielmehr anzeige, daß, wenn ich am Leben bleiben ſollte, ſie mir nichts mehr zu ſa - gen haben wollten. Jch habe mir niemals eine Ehre daraus gemacht, nicht unter ihrer Gewalt zu ſtehen. Das zeigen alle meine Handlungen: da ich mich der Gewalt haͤtte mehr entziehen koͤn - nen ‒ ‒ Allein was helfen dieſe Gedanken nun? ‒ ‒ Jch bitte nur, mein Herr, daß ſie, und dieſer Cavallier, ‒ ‒ dem ich ausnehmend verpflichtet bin ‒ ‒ dieſe Dinge, dem Teſtament, das ich ge - ſchrieben habe, gemaͤß ‒ ‒ zur Richtigkeit bringen wollen. Hr. Belford wird mich entſchuldigen: in Wahrheit aber war es mehr die Noth, als eine freye Wahl, die mich auf die Gedanken brachte, ihm die Muͤhe aufzutragen, die er ſo guͤtig uͤber ſich nimmt. Haͤtte ich das Gluͤck gehabt, ſie, mein Herr Vetter, eher zu ſehen ‒ ‒ oder nur zu wiſſen, daß ſie mich noch mit ihrer Achtung beehr - ten: ‒ ‒ ſo wuͤrde ich nicht die Dreiſtigkeit ge - habt haben, dieſe Gunſtbezeigung von ihm zu verlangen ‒ ‒ Aber ‒ ‒ ob er gleich Hrn. Love - lacens Freund, ſo iſt er doch ein Herr, der auf Ehre und Tugend haͤlt, und er wird vielmehr Frieden ſtiften, als ihn ſtoͤren. Erlauben ſie mir, mein werther Herr Vetter, ſie zu erſuchen ‒ ‒daß435daß ſie das ihrige dazu beytragen ‒ ‒ und ſich erinnern, daß, ſo lange ich noch naͤhere Verwand - ten habe, als mein Herr Vetter Morden iſt, ſo theuer und werth ſie mir auch ſind, und allezeit ge - weſen ſind, ſie kein Recht haben, das mir wieder - fahrne Boͤſe an demjenigen zu raͤchen, der daran ſchuld geweſen iſt. Aber ich habe ihnen meine Meynung von dieſer Sache, nebſt meinen Gruͤn - den, geſchrieben: und ich hoffe, daß ich nicht noͤ - thig habe, darauf weiter zu dringen.
Jch muß dem Herrn Lovelace ſo viel Gerech - tigkeit widerfahren laſſen, antwortete er, indem er zugleich ſeine Augen abwiſchte, daß ich ein Zeugniß ablege, wie aufrichtig er ſeine undankba - re und ſchaͤndliche Handlungen gegen ſie bereuet, und wie geneigt er iſt, alles bey ihnen auf alle ihm moͤgliche Art wieder gut zu machen. Er ge - ſtehet ſeine Bosheit und ihre Verdienſte. Wenn er es nicht thaͤte: ſo koͤnnte ich es nicht hin - gehen laſſen: ob ſie gleich naͤhere Anverwandten haben. Denn, meine werthe Baſe, hat mich nicht ihr Großvater zu ihrem Vormunde beſtellet? Und ſollte ich ſelbſt wohl denken, daß ich mich um ihre Guͤter, nicht um ihre Ehre zu bekuͤmmern habe? ‒ ‒ Allein da er ſo begierig iſt, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen: ſo habe ich deſto weniger zu ſagen; und ſie koͤnnen ſich des - wegen gaͤnzlich beruhigen.
Jch danke ihnen, danke ihnen, mein Herr. Nun iſt alles ſo, wie ich es wuͤnſchte. Aber ich bin ſehr ſchwach, ſehr matt. Es iſt mir leid, daßE e 2ich436ich nicht aufdauren; daß ich mich der Ehre dieſes Beſuchs nicht beffer wuͤrdig machen kann: allein es will ſich nicht thun laſſen ‒ ‒ Und indem ſie dieß ſagte, ſank ſie in ihren Stuhl, und war ſtille.
Darauf gingen wir beyde weg, und verließen es ſo, daß wir zu Bedford-Head ſeyn wollten, wenn etwas außerordentliches vorfallen ſollte.
Wir beſtellten eine kleine Mahlzeit: weil kei - ner von uns beyden zu Mittage gegeſſen hatte. Jhr koͤnnet leicht errathen, worauf unterdeſſen, da ſie zubereitet wurde, unſere Unterredung gefal - len. Wir beklagten beyde einmuͤthig den ver - zweifelten Zuſtand der Fraͤulein; bewunderten ihre mannichfaltigen Vorzuͤge; und verdammten euch und ihre Freunde mit vieler Strenge. Je - doch, damit ich ihm eine beſſere Meynung von euch beybringen moͤchte, las ich ihm einige Stel - len aus euren letzten Briefen, welche von eurer Betruͤbniß uͤber das Boͤſe, das ihr derſelben zu - gefuͤget, und von eurem empfindlich geruͤhrten Gewiſſen zeugeten: und er ſagte, es waͤre etwas ſchreckliches, unter der Empfindung einer ſo uner - ſetzlichen Schuld zu ſeufzen.
Wir machten die Anſtalt, daß Herr God - dard, weil Dr. H. nicht zu Hauſe war, ſie noch einmal beſuchte, und auf ſeinem Ruͤckwege bey uns anſpraͤche. Er war ſo gut und that es: aber verzog nicht fuͤnf Minuten bey ihr, und brachte uns die Nachricht, daß es mit ihr zum Abſchied eilte; daß er beſorgte, ſie wuͤrde nicht bis Mor -gen437gen leben; und daß ſie den Obriſt Morden gern alſobald ſehen moͤchte.
Der Obriſt machte Entſchuldigungen, wo kei - ne noͤthig waren, und ging unmittelbar darauf fort, ob gleich unſere kleine Mahlzeit eben herein - gebracht wurde.
Jch konnte keinen Biſſen anruͤhren, und nahm Feder und Dinte, mich dadurch ſelbſt zu unter - halten und euch einen Gefallen zu erweiſen, weil ich wußte wie ungedultig ihr auf ein paar Zeilen warten wuͤrdet. Denn aus dem, was ich erzaͤh - let habe, werdet ihr ſehen, daß ich mich unmoͤg - lich damals, als euer Bedienter um halb ſechfe ge - kommen, habe wegbegeben, und ſchreiben, oder bis itzo eine bequeme Gelegenheit dazu haben koͤn - nen: und die gegenwaͤrtige iſt bloß zufaͤllig. Gleichwohl ſcheuete ſich euer armer Kerl mit der muͤndlichen Nachricht, welche ich euch geben ließ, abzugehen. Sie beſtand aber, wie er euch ohne Zweifel hinterbracht hat, darinn, daß der Obriſt bey uns waͤre, die Fraͤulein ſich ungemein ſchlecht befaͤnde, und ich nicht von der Stelle kommen koͤnnte, eine Zeile zu ſchreiben.
Der Obriſt ließ mir nachher ſagen, die Fraͤu - lein haͤtte heftige Zuckungen gehabt, und da - durch waͤre er ſo ſehr in Unordnung gerathen, daß es ihm nicht moͤglich waͤre, mir aufzuwarten.
Jch habe alle halbe Stunden hingeſchickt und fragen laſſen, wie es mit ihr ſtehe. Eben itzoE e 3habe438habe ich das Vergnuͤgen zu hoͤren, daß die Zuckun - gen ſie verlaſſen haben, und daß ſie in einem weit ruhigern Zuſtande, als man erwarten konnte, zur Ruhe gegangen ſey.
Jhr armer Vetter iſt ſehr unpaß: gleich - wohl will er keinen Fuß aus dem Hauſe ſetzen, ſo lange ſie in einem ſolchen Zuſtande iſt; ſondern iſt willens, ſich auf einem Ruhebette niederzule - gen, und hat alle andere Bequemlichkeiten ausge - ſchlagen.
Die Fraͤulein iſt noch am Leben. Weil der Obriſt mich eben durch ſeinen Diener wiſ - ſen laſſen, daß ſie vor einer Stunde nach mir ge - fraget habe: ſo kleide ich mich an, ihr aufzuwar - ten. Joel bittet mich, ihn, wenn es auch nur mit einer Zeile waͤre, abzufertigen, damit eurer gegen - waͤrtigen Ungedult Genuͤge geſchehe. Er ver - muthe, ſagt er, euch zu Knightsbridge zu finden, er moͤge auch ſo ſehr, als nur immer moͤglich iſt, zuruͤckeilen; und beſorge, wo er nicht eine oderzwo439zwo Zeilen habe, euch zu beruhigen, daß ihr ihn erſchießen werdet; denn er fuͤrchte, ihr ſeyd ſchwer - lich bey euch ſelbſt. Jch ſchicke daher gegenwaͤr - tiges ab, und will ſo bald, als ich kann, ein ande - res mit genauen Nachrichten bereit halten. Allein ihr muͤßt ein wenig Gedult haben. Denn wie kann ich alle halbe Stunde weggehen, zu ſchrei - ben, wenn ich bey der Fraͤulein oder bey dem Obri - ſten bin?
Die Fraͤulein liegt in einem Schlummer. Fr. Lovick, die bey ihr aufgeſeſſen, ſagt, daß ſie eine beſſere Nacht gehabt, als man vermuthete: denn ob ſie gleich wenig geſchlafen, ſo ſey ſie doch geruhig geſchienen; und zwar deſto geruhiger, weil ſie in einer ſo gottſeligen Gemuͤthsfaſſung ge - weſen; indem alle ihre Augenblicke, die ſie gewa - chet, in Andacht, oder in einem Stillſchweigen mit bruͤnſtigen Seufzern, wobey ſie oft ihre Haͤn - de und Augen aufgehoben, und mit einer Jn - brunſt, die ſich fuͤr dieſe letzte Stunde vollkommen ſchickt, die Lippen beweget, zugebracht worden.
Weil der Obriſt Verlangen trug, ſeine Baſe, ſo bald als ſie erwachte, zu ſehen: ſo wur - den wir beyde vorgelaſſen. Wir bemerkten, ſo bald wir hineintraten, heftige Zufaͤlle ihrer her - annahenden Aufloͤſung an ihr: ungeachtet deſſen, womit uns die Frauensleute, wegen ihrer geruhi -E e 4gen440gen Stille in der verwichenen Nacht, geſchmeichelt hatten. Der Obriſt und ich wollten beyde nicht gern ſagen, was wir dachten, und ſahen mit trau - rigen Geſichtern einander an.
Der Obriſt ſagte ihr, er wuͤrde einen Bedien - ten nach einigen Papieren, die er bey ihrem On - kel Anton zuruͤckgelaſſen haͤtte, zu demſelben ſen - den, und fragte, ob ſie des Weges etwas zu befeh - len haͤtte? ‒ ‒ ‒ Sie gedaͤchte nicht, war ihre Antwort, wobey ſie mehr einwaͤrts redete, als des Tages vorher. Sie haͤtte wohl einen Brief fer - tig, der an ihre gute Fr. Norton geſchickt werden ſollte; und in demſelben waͤre einer Bitte gedacht: allein es waͤre Zeit genug, wenn ſie denen, welche ſie anginge, nur kund gethan wuͤrde, wann alles voruͤber waͤre. Jnzwiſchen koͤnnte er mit dem Bedienten, der doch des Weges ginge, abgeſandt werden. Sie verordnete daher, daß er dem Obri - ſten zu dem Ende gegeben wurde.
Weil ihr der Athem ſehr kurz war: ſo ver - langte ſie noch ein Hauptkuͤſſen. Da ſie ſchon vorher ihrer zwey hatte: ſo machte dieß, daß ſie gewiſſermaßen in ihrem Bette aufgerichtet ſaß. Sie ſprach darauf vernehmlicher, und weil ſie uns ſehr betruͤbt ſahe, vergaß ſie ihr eignes Leiden, um uns zu troͤſten. Sie gab uns eine ſchoͤne, ob gleich kurze, Lection uͤber die Gluͤckſeligkeit bey ei - ner fruͤhzeitigen Zubereitung, und uͤber die Ge - fahr bey einer ſpaͤten Buße, wenn das Gemuͤth, wie ſie bemerkte, eben ſo wohl, als der Leib, ſo ſehr geſchwaͤchet waͤre, daß es eine arme Seeleaußer441außer Stande ſetzte, mit ihren eignen Schwach - heiten zu ſtreiten.
Jch bitte ſie, meine lieben Freunde, fuhr ſie fort, trauren ſie nicht um eine Perſon, die um ſich ſelbſt nicht trauret, und nicht Urſache hat, zu trau - ren. Freuen ſie ſich vielmehr mit mir, daß alle meine Beſchwerden in der Welt ihrem Ende ſo nahe ſind. Glauben ſie mir, meine Herren, daß, wenn ich die Wahl haͤtte, ich nicht leben moͤchte; wenn auch der vergnuͤgteſte Theil meines Lebens noch einmal wieder durchzugehen waͤre: und gleich - wohl ſind achtzehn Jahre von demſelben, unter neunzehn, ſehr vergnuͤgt geweſen. Da man ſo vieler Verſuchung ausgeſetzet iſt, und bey der Pruͤ - fung ſo leicht fehlen kann: wer wollte ſich denn wohl nicht freuen, daß alle ihre Gefahr voruͤber iſt! ‒ ‒ Alles, was ich wuͤnſchte, war Verzei - hung und Segen von meinen lieben Eltern. So leicht mein Abſchied ſich anzulaſſen ſcheinet: ſo wuͤrde er doch noch leichter geweſen ſeyn, wenn ich das Vergnuͤgen gehabt haͤtte. Aber Gott der Allmaͤchtige hat nicht gewollt, daß ich mich auf irgend jemand, als auf ihn, verlaſſen ſollte, Troſt zu erlangen.
Sie wiederhohlte hiernaͤchſt, auf die ernſtlich - ſte Weiſe, ihre Bitte bey ihrem Vetter, daß er nicht ihren Fehler vergroͤßern moͤchte, indem er ihren Tod zu raͤchen ſuchte: bey mir, daß ich mich bemuͤhen moͤchte, alle Uneinigkeiten zu ver -E e 5gleichen,442gleichen, und mich ſo wohl der Gewalt, die ich uͤber meinen Freund haͤtte, bedienen, allem kuͤnf - tigen Ungluͤck von ihm vorzubeugen, als auch der - jenigen, die mir die aufgetragene Vollziehung des Teſtaments geben koͤnnte, ſo gebrauchen, daß al - lem Ungluͤck wider ihn vorgebeuget wuͤrde.
Sie machte einige Entſchuldigungen gegen ihren Vetter, daß ſie nicht im Stande geweſen waͤre, ihr Teſtament zu aͤndern und ihm zugleich mit mir die Vollziehung aufzutragen: und gegen mich, daß ſie mir ſo viele Unruhe gemacht haͤtte, und noch machen ſollte.
Sie hatte ſich ſo ſehr angegriffen und abge - mattet, indem ſie augenſcheinlich ſchwaͤcher ward, daß ſie ihren Kopf auf ihre Hauptkuͤſſen ſinken ließ, und beynahe in Ohnmacht gefallen waͤre. Wir gingen an das Fenſter und ſahen einander an; konnten aber uns nicht erklaͤren, was wir zu ſagen hatten, und gleichwohl ſchienen wir ſpre - chen zu wollen: allein die Bewegung ging mit Stillſchweigen voruͤber. Unſere Augen redeten nur: und das auf eine Art, wozu ſie bey keinem von uns beyden gewohnt waren; die meinigen we - nigſtens nicht, bis ich dieß unvergleichliche Frau - enzimmer kennen gelernt hatte.
Der Obriſt ging weg ſeinen Bothen abzufer - tigen und den Brief an Fr. Norton fortzuſchicken. Jch bediente mich der Gelegenheit, mich gleich - falls wegzubegeben und ſo weit zu ſchreiben: und weil Joel wiederkommt, es abzuhohlen; ſo ſchließe ich itzo hier.
Der Obriſt erzaͤhlt mir, daß er, mit ſeinem Be - dienten, an Herrn Johann Harlowe geſchrie - ben habe, „ Sie moͤchten ihre Muͤhe ſparen, uͤber „ eine Ausſoͤhnung ſich zu ſtreiten: denn ſeine lie - „ be Baſe wuͤrde nach aller Wahrſcheinlichkeit „ dahin ſeyn, ehe ſie ſich entſchließen koͤnnten. “
Er fragte mich nach den Mitteln, wodurch ſeine Baſe ſich den noͤthigen Unterhalt verſchaffet, und ob ſie einige Beguͤnſtigung von mir ange - nommen haͤtte: davon, ſagte er, waͤre er verſi - chert, daß ſie es von euch nicht gethan haben wuͤrde.
Jch ſagte ihm die Wahrheit, daß ſie einige von ihren Kleidern zu Gelde gemacht haͤtte. Dieß ging ihm durchs Herz: und er rief bitterlich ſo wohl uͤber euch, als uͤber ihre unverſoͤhnliche Ver - wandten aus.
Er wuͤnſchte, daß er gar nicht nach England gekommen waͤre, oder zeitig genug gekommen ſeyn moͤchte, und hoffte, daß ich ihm zu einer gelegenen Zeit die ganze traurige Geſchichte erzaͤhlen wuͤrde. Er ſetzte hinzu, daß er bey ſeiner Ueberkunft ge -dacht444dacht haͤtte, ſich fuͤr ſeine uͤbrige Lebenszeit hier zu ſetzen: nun aber, da es unmoͤglich waͤre, daß ſeine Baſe wieder geneſen koͤnnte, wollte er wie - der auf Reiſen gehen und ſeine Wohnung zu Flo - renz oder Leghorn nehmen.
Die Fraͤulein hat mit ſehr geſetztem Gemuͤthe ihren Willen, wegen ihres Koͤrpers, erklaͤret: in - dem ſie verordnet, daß ihre Waͤrterinn und die Magd im Hauſe ſie, ſo bald als ſie kalt waͤre, in ihren Sarg legen ſollten. Herr Belford, ſagte ſie, wuͤrde nach ihrem Teſtament das Uebrige wiſſen.
Eben itzo hat ſie aus ihrem Buſem, wo ſie es be - ſtaͤndig getragen, ein verkleinertes Gemaͤhlde von der Fraͤulein Howe, in Gold eingefaſſet, von ſich gegeben. Sie gab es der Fr. Lovick, mit Bitte, es in weißes Papier zu wickeln und die Aufſchrift, an Herrn Carl Hickmann, darauf zu ſetzen, wenn ſie aber verſchieden waͤre, es mir fuͤr dieſen Herrn zu geben.
Sie ſahe das Gemaͤhlde noch an, ehe ſie es von ſich gab ‒ ‒ Angenehme und allezeit liebreiche Freundinn ‒ ‒ Geſpielinn ‒ ‒ Schweſter ‒ ‒ Liebſte! ſprach ſie ‒ ‒ und kuͤſſete es zu verſchiedenen malen; bey jeder zaͤrtli - chen Benennung einmal.
Euer445Euer anderer Diener iſt gekommen. ‒ ‒ Jhr habt wohl Urſache ungedultig zu ſeyn ‒ ‒ Jhr habt wohl Urſache ‒ ‒ Aber denkt ihr denn, daß ich mitten in einer Unterredung abbrechen kann, wegzulaufen, und was vorgeht, aufzuſetzen, und es ſtuͤckweiſe, wie ich es ſchreibe, wegzuſchi - cken? ‒ ‒ Wenn ich es auch koͤnnte: muͤßte ich auf die Art nicht die eine Haͤlfte verlieren, indem ich die andere niederſchriebe?
Diefe Begebenheit geht mich ſaſt eben ſo na - he an, als euch. Wo ihr betruͤbter ſeyd, als ich: ſo kann das nur eine Urſache haben; und die liegt in eurem Herzen. Jch haͤtte lieber alle Freun - de, die ich in der Welt habe; euch ſelbſt mit einge - ſchloſſen; als dieſe goͤttliche Fraͤulein verlohren: und werde ungluͤcklich ſeyn, ſo oft ich an ihr Lei - den und an ihre Vorzuͤge gedenke; ob ich gleich des erſtern wegen mir nichts vorzuwerfen habe.
Jch ſage dieß, itzt eben, nicht ſo wohl in der Abſicht, euch eines zu verſetzen, als meine eigne Betruͤbniß an den Tag zu legen: ob gleich euer Gewiſſen, wie ich vermuthe, euch andere Gedanken beybringen wird.
Euer armer Kerl, welcher ſagt, daß er um ſein Leben bitte, wenn er verlanget, eiligſt mit einem Briefe zuruͤckgeſandt zu werden, reißt mir dieſes faſt mit Gewalt aus den Haͤnden. Sonſt wuͤrde vielleicht eine halbe Stunde; denn ich wer - de eben hinuntergerufen; ‒ ‒ euch freylich nichtruhig446ruhig ‒ ‒ aber doch gewiß machen ‒ ‒ Und das iſt in einem ſolchen Zuſtande, wie der eurige, fuͤr ein ſolches Gemuͤth, als das eurige, eine Er - leichterung.
Es iſt mir angenehm zu hoͤren, daß ihr in Lon - don ſeyd. Begebet euch den Augenblick, da euch dieſes zu Haͤnden kommt; wo moͤglich, mit Tourvillen; zu dem Menſchen, der unter allen Menſchen am wenigſten von einem rechtſchaffe - nen Herzen, am meiſten aber von dir und ihm, Liebe verdienet: ſonſt wird die Zeitung, welche ich ihm nach der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit binnen einer oder zwoen Stunden ſenden werde, die groͤßte Gluͤckſeligkeit, die er zu wuͤnſchen hat, zu nichte machen.
Jhr werdet ihn zwiſchen Piccadilly und Ken - ſington finden: nach aller Wahrſcheinlichkeit zu Pferde, daß er in einem verruͤckten Zu -ſtande447ſtande hin und her reitet; oder daß er vielleicht in einem Wirthshauſe oder in einer Schenke auf dem Wege eingekehret iſt; vermuthlich als ein Auflaurer, der auf ſeines Dieners Ruͤckkunft von mir zu ihm wartet.
Sein Kerl, Wilhelm, iſt eben zu mir gekom - men. Er wird gegenwaͤrtige Zeilen auf ſeinem Ruͤckwege an euch bringen, und euch zu einem Wegweiſer dienen. Eilet fort, in einer Kutſche, oder auf eine andere Art. Eure Gegenwart bey ihm kann vielleicht ihm oder einem Bedienten das Leben retten. Sehet die geſegneten Fruͤchte von einer jauchzenden freyen Lebensart! Es wird uns eher oder ſpaͤter zu Hauſe gebracht, und alles laͤuft auf Galle und Bitterkeit hinaus! Lebt wohl.
Joh. Belford.
Verflucht ſey der Obriſt, verflucht der Verfaſ - ſer des letzten Briefes, den ich bekommen habe, und verflucht die ganze Welt! Sollteſt du vorgeben, daß das Schickſal meiner Clariſſa dich eben ſo viel angehe, als mich ſelbſt! Es iſt gut fuͤr einen von uns beyden, das dieß mir nicht, an ſtatt geſchrieben, geſaget worden ‒ ‒ Sie mag leben, oder ſterben: ſo iſt ſie mein; ‒ ‒ und nur mein allein. Habe ich ſie mir nicht theuer erwor - ben? ‒ ‒ Jſt es nicht wahrſcheinlich, daß mein Kauf die Verdammniß ſeyn werde, ob der ihrige gleich eine ewige Gluͤckſeligkeit ſeyn wird?
Eine ewige Trennung! O Gott! O Gott! ‒ ‒ Wie kann ich dieſe Gedanken ertagen! ‒ ‒ Allein noch iſt ja Leben da ‒ ‒ Noch iſt alſo Hoffnung ‒ ‒ Vermehre meine Hoffnung: ſo ſollſt du mein guter Geiſt ſeyn; und ich will dir alles vergeben.
Fuͤr dieß letzte mal ‒ ‒ Jedoch es muß nicht, es ſoll nicht das letzte ſeyn ‒ ‒ Gieb mir den Au - genblick, wenn du dieß bekommſt, Nachricht ‒ ‒ was ich ſeyn ſoll ‒ ‒ denn itzo bin ich
der elendeſte unter allen Menſchen.
Mein449Zur Roſe, zu Knightsbridge, um fuͤnfe.
Mein Kerl ſagt mir, daß du Mowbray und Tour - ville zu mir ſchickeſt. Jch brauche ſie nicht. Mei - ne Seele hat einen Eckel vor ihnen; und vor der ganzen Welt: aber am meiſten vor mir ſelbſt. ‒ ‒ Unterdeſſen, da ſie mir ſagen laſſen, daß ſie alſobald zu mir kommen wollen, will ich ſie, und dein naͤchſtes, erwarten. O Belford! laß es nicht ‒ ‒ Jedoch beſchleunige es, beſchleunige es nur, es ſey, was es wolle!
Jch habe itzo nur dieß zu ſagen: ‒ ‒ Du wirſt wohl thun, eine Reiſe nach Paris vorzu - nehmen; oder wohin auch ſonſt immer dein Schick - ſal dich fuͤhren wird!!! ‒ ‒
Johann Belford.
Jch ſchriebe auf des armen Lovelacens Verlan - gen, um eine genauere Auslegung uͤber den ungluͤcklichen kurzen Begriff von einem Briefe, den du ihm dieſen Abend zugeſchickt haſt, zu for - dern. Es iſt ihm unertraͤglich, eine Feder anzu - ſetzen: und dennoch will er gern einen jeden klei - nen Umſtand von dem Abſchiede der Fraͤulein Harlowe wiſſen. Aber, warum er es wollen ſoll - te, kann ich nicht ſehen. Denn iſt ſie hin: ſo iſt ſie hin; und wer kann ſich helfen?
Jch habe niemals in meinem Leben von ei - nem ſolchen Frauenzimmer gehoͤret. Was hat ſie ſonderliches gelitten, daß der Kummer ſie ſo uns Leben bringen ſollte?
Jch wollte wuͤnſchen, daß der arme Kerl ſie niemals gekannt haͤtte. Was fuͤr Unruhe hat ſie ihn vom Anfange bis zu Ende gekoſtet! Der ar - tige Kerl iſt beſtaͤndig, ſeit dem er ihr nachgegan - gen, fuͤr uns wie verlohren geweſen. Und wasiſt451iſt denn an einem Frauenzimmer mehr als an ei - nem andern, das ſich der Muͤhe verlohnte?
Es war gut, daß wir bey ihm waren, als eure Nachricht kam. Jhr habt eure wahre Freund - ſchaft durch eure Vorſicht bewieſen. Wahrlich! Bruder, der arme Kerl war ganz außer ſich ‒ ‒ von Sinnen, ſo gut als jemals einer in dem Toll - hauſe.
Wilhelm brachte ihm den Brief, eben als wir in Bohemia-Head zu ihm gekommen waren. Er hatte es in der Roſe zu Knightsbridge ſo ver - laſſen, daß er da ſeyn wollte: denn er war voller Ungedult, indem er auf uns, und auf ſeinen Kerl, gewartet hatte, auf und nieder, hin und her ge - gangen. Wilhelm ging ihm aus dem Wege, ſo bald als er ihm das Schreiben eingehaͤndigt hat - te: und da er es oͤffnete, ſahen wir einen ſolchen Aufzug, als wohl niemals vorgekommen iſt. Er zitterte bey dem Empfang deſſelben, wie ein Teu - fel, und griff um das Siegel herum, mit ſo ge - laͤhmten Fingern, als Thomas Doleman, und ſo bebender Hand, daß er den Brief entzwey riß, ehe er zu dem Jnhalt kommen konnte. Als er ihn aber geleſen hatte: kam der Huth vom Kopfe, und mußte in die eine Ecke von dem Zimmer, und die Perucke in die andere, fliegen ‒ ‒ ‒ Ver - dammt ſey die Welt! rief er, und gab eine ganze Salve von ſolchen Fluͤchen: indem er das Zim - mer auf und nieder rannte; die Vorſetzungen an dem Fenſter in die Hoͤhe und wieder herunter ſtieß; ſich mit doppelter Fauſt, und ſolcher Ge -F f 2walt,452walt, daß ein Ochſe davon gefallen ſeyn wuͤrde, vor die Stirn ſchlug, und ſo ſtampfte und tobte, daß der Wirth herein und noch geſchwinder wie - der heraus lief. Und dieſer unſinnige Aufzug wuͤhrte einige Zeit.
Vergebens war alles, was ihm Jakob, oder ich, ſagen konnte. Jch wollte einmal ſeine Hand ergreifen; weil er, wie ich glaubte, ſich Leid thun wollte, da er ſich nach ſeinen Piſtolen umſahe, die er auf den Tiſch gelegt, Wilhelm aber ungeſehen mit ſich hinausgenommen hatte; ein getreuer ehr - licher Kerl, der Wilhelm, ich werde den Buben dafuͤr allezeit lieb haben: allein er gab mir eine ſo verdammte Maulſchelle, daß mir die Naſe da - von blutete. Es war gut, daß er es war: denn ich wußte kaum, wie ich es aufnehmen ſollte.
Jakob war boͤſe uͤber ihn, und ſagte ihm, wie gottlos es an ihm waͤre, einen Freund ſo unver - nuͤnftig zu mishandeln, und um eine Weibsper - ſon den Verſtand zu verlieren. Darauf ſagte er endlich, es waͤre ihm leid, und Wilhelm wagte ſich mit Waſſer und einer Handquaͤle herein: der Hund aber freuete ſich, wie ich an ſeinen Bli - cken merken konnte, daß ich, nicht er, es bekom - men haͤtte.
Und ſo brachten wir ihn nach und nach ein wenig zu rechte, und er verſprach ſich maͤnnlicher aufzufuͤhren. Daher vergab ich ihm: und wir ritten im Finſtern fort hierher, nach Dolemans Hauſe. Wir verſuchten alle, ihn durch Beſchaͤ - mung aus ſeiner wahnwitzigen und unbaͤndigenThor -453Thorheit zu ziehen. Denn wir ſagten ihm, ſie waͤre ja nur eine Weibsperſon, und noch dazu eine eigenſinnige, verkehrte Weibsperſon: und wie koͤnnte er es aͤndern?
Jhr wiſſet, Bruder; wie wir ihm uͤberdieß auch ſagten; daß es eine Schande fuͤr das maͤnn - liche Geſchlecht waͤre, wenn ſich eine Mannsper - ſon, die mit zwanzig und abermal zwanzig Weibs - leuten eben ſo arg oder noch aͤrger umgegangen, er mag auch noch ſo arg mit der Fraͤulein Harlo - we umgegangen ſeyn, ſich ſo ſeltſam gebaͤrden ſollte: und wir riethen ihm, ſich niemals wieder an ein Frauenzimmer, das auf ihre Ehre und Tugend, wie ſie es nennen, ſtolz iſt, zu wagen; denn warum? Der Sieg braͤchte die Muͤhe nicht ein; und was waͤre wohl an einem Frauenzim - mer mehr, als an dem andern? Gelte, ihr wiſ - ſet es, Bruder! ‒ ‒ Und ſo troͤſteten wir ihn und gaben ihm guten Rath!
Allein dennoch ſteht ihm ſein bethoͤrter Sinn auf dieſe Fraͤulein, itzo, da ſie todt iſt, eben ſo ſehr, als da ſie am Leben war. Denn ich vermuthe, Bruder, daß es kein Spaß iſt. Sie iſt doch gewiß, und bona fide, todt: nicht wahr? Jſt es nicht: ſo verdienſt du zwiefache Verdammniß, weil du uns zu Narren haben willſt; das ſage ich dir. Deswegen will er haben, daß ich an dich ſchreiben, und mich nach den eigentlichen Um - ſtaͤnden ihres Abſchiedes erkundigen ſoll.
Er will das Wort todt auf keine Weiſe lei - den. Ein wunderlicher Taͤndler! Wie die LiebeF f 3ent -454entmannet, weichlich machet und entkraͤftet! Und noch dazu einen ſo edelmuͤthigen Kerl, als dieß iſt! Laß ihn laufen als einen Einfaͤltigen und ei - nen Thoren! Jch habe keine Gedult mit dem al - bernen klotzichten Hunde ‒ ‒ Bey meiner See - le nicht.
So ſchicke die Nachricht, und laß ihn daruͤber heulen, wie er vermuthlich thun wird.
Allein er muß und ſoll eine Reiſe thun; und binnen einem, oder zween Monaten, wollen wir, Jakob, ihr, und ich, zu ihm kommen: ſo wird er bald von dieſer weichherzigen Thorheit, wie die jungen Huͤner haben, geneſen und ſich ſeiner ſelbſt ſchaͤmen. Alsdenn wollen wir ſein nicht ſchonen: ob es gleich itzo unbarmherzig ſeyn wuͤrde, ihn ſo hart anzugreiffen, als er es verdienet. Spare du auch deine Anmerkungen uͤber ihn bis auf die Zeit: denn, es ſcheint, du biſt ſehr unbarmherzig mit ihm zu Werke gegangen.
Jch war willens, dir einige Nachricht zu ge - ben, was wir mit dem reiſſenden Thiere von ei - nem Kerl zu thun gehabt haben, der gewiß ver - lohren geweſen ſeyn wuͤrde, wenn wir nicht bey ihm geweſen waͤren; oder er wuͤrde auch ſonſt je - mand umgebracht haben ‒ ‒ Daran zweifle ich nicht. Und itzo iſt es auch nur ſehr mittelmaͤſ - ſig mit ihm. Er ſitzt, und verzieht das Geſicht wie ein Menſch im Stroh, flucht und ſchwoͤret und iſt verzweifelt finſter; und kriecht in alle Loͤ - cher und Winkel, wie ein alter Jgel, dem man um ſeines Fettes willen nachjaget. So lebe wohl,Bru -455Bruder. Tourvillen und uns alle verlangt nach dir: denn niemand hat den Einfluß uͤber ihn, den du haſt.
R. Mowbray.
Weil ich ihm verſprochen habe, wegen der oben ge - dachten Umſtaͤnde zu ſchreiben: ſo ſchreibe ich dieſes, nachdem alle zu Bette ſind; und der Kerl ſoll ſich damit bey Anbruch des Tages auf den Weg machen.
Jch thue wohl eben ſo gut, wenn ich verſuche zu ſchreiben: indem ich doch nicht ſchlafen werde, wenn ich auch zu Bette gehen wollte. Jch habe in meinem Leben niemals einen ſo ſchweren Kummer auf dem Herzen gehabt, als ich uͤber den Tod dieſes bewundernswuͤrdigen Frauenzim - mers, deren Seele ſich itzo in den Wohnungen des Lichtes erfreuet, empfinde.
Jhr moͤget vielleicht gern die eigentlichen Um - ſtaͤnde von ihrem gluͤcklichen Ausgange aus die - ſem Leben wiſſen wollen. Jch will verſuchen, ob ich damit fortkommen kann. Denn alles iſt ſtille;F f 4das456das ganze Haus iſt zu Bette: aber niemand von allen; und am wenigſten unter allen, darf ich wohl ſagen, ihr Vetter; um zu ſchlafen.
Um vier Uhr, wie ich in meinem letztern ge - meldet habe, ward ich hinuntergerufen: und weil du an meinen Beſchreibungen Gefallen zu haben pflegteſt; ſo will ich dir das traurige Schauſpiel, das ſich mir zeigte, als ich an das Bette kam, vorſtellen.
Der Obriſt war der erſte, welcher meine Auf - merkſamkeit an ſich zog. Er lag an der einen Sei - te des Bettes auf den Knieen und hatte die rech - te Hand der Fraͤulein in ſeinen beyden Haͤnden. Sein Angeſicht bedeckte dieſelbe, und er netzte ſie mit ſeinen Thraͤnen: ob ſie ihn gleich, wie mir die Weibsleute nachher erzaͤhlet haben, in erhabe - nen Ausdruͤcken, aber mit gebrochener Sprache, getroͤſtet hatte.
An der andern Seite von dem Bette ſaß die gute Witwe. Jhr Geſicht war von Thraͤnen uͤberſchwemmet, und ihr Kopf, in einem hoͤchſt untroͤſtbaren Zuſtande, gegen das Bette, wo das Haupt lieget, gelehnet. So bald ſie mich ſahe, wandte ſie ihr Geſicht zu mir. O Herr Belford, rief ſie, mit gefaltenen Haͤnden ‒ ‒ die liebe Fraͤulein ‒ ‒ und ein ſchweres Gluchſen erlaubte ihr nichts mehr zu ſagen.
Fr. Smithinn lag mit zuſammengeſchlagenen Haͤnden und aufgehabenen Augen, als wenn ſie die einzige Kraft, welche Huͤlfe ſchaffen konnte, um Huͤlfe anflehete, zu den Fuͤßen am Bette auf denKnieen,457Knieen, und die Thraͤnen liefen in großen Tropfen ihre Wangen herunter.
Jhre Waͤrterinn kniete, zwiſchen dem Fenſter und Fr. Smithinn, mit ausgereckten Armen. Jn der einen Hand hielte ſie eine unkraͤftige Herzſtaͤr - kung, welche ſie ihrer ſterbenden Herrſchaft eben dargeboten hatte. Jhr Geſicht war vom Wei - nen geſchwollen; ob ſie gleich ſolche Trauerſpiele zu ſehen gewohnt war; und ſie wandte ihre Au - gen auf mich, als wenn ſie mich durch dieſelben auffordern wollte, mich mit ihnen allen zugleich der vergeblichen Traurigkeit zu uͤberlaſſen: indem ein friſcher Strohm aus ihnen hervorbrach, als ich mich dem Bette naͤherte.
Die Magd vom Hauſe, die mit dem Geſich - te auf ihren zuſammengeſchlagnen Armen lag, in - dem ſie ſich gegen die Vertaͤfelung gelehnet hatte, ließ ihren Kummer vernehmlicher merken, als ir - gend jemand von den Uebrigen.
Die Fraͤulein war auf einige wenige Augenbli - cke ſtille geweſen, und ſprachlos, wie ſie dachten, weil ſie ihre Lippen bewegte, ohne ein Wort her - auszubringen: und ihre eine Hand, wie ich ge - ſagt habe, hatte ihr Vetter mit ſeinen beyden Haͤn - den umfaſſet. Als aber Fr. Lovick meinen Namen bey meiner Herannaͤherung hoͤren ließ: fing ſie an zu reden. O! Herr Belford, ſagte ſie in gebroch - ner Rede, und mit einer ſchwachen einwaͤrts ſchal - lenden Stimme, aber doch ſehr deutlich ‒ ‒ Nun! ‒ ‒ Nun! ‒ ‒ Jch danke Gott fuͤr ſeine mannich - faltige Gnade gegen ſein armes Geſchoͤpfe ‒ ‒ NunF f 5wird458wird alles bald voruͤber ſeyn. ‒ ‒ Wenige ‒ ‒ ſehr wenige Augenblicke ‒ ‒ werden dieſem Kampfe ein Ende machen: ‒ ‒ und ich werde gluͤckſelig ſeyn!
Getroſt hier, mein Herr ‒ ‒ ſo wandte ſie ihr Geſicht gegen den Obriſten ‒ ‒ Getroſt, Herr Vetter ‒ ‒ Siehe! ‒ ‒ die ſtraͤfliche Guͤtigkeit ‒ ‒ Er wollte nicht wuͤnſchen, daß ich ‒ ‒ ſo bald gluͤcklich ſeyn ſollte!
Hier hielte ſie auf zwo oder drey Minuten in - ne, und ſahe ihn ernſthaft an. Darauf nahm ſie das Wort wieder. Mein liebſter Herr Vetter, laſſen ſie ſich doch troͤſten ‒ ‒ Was iſt der Tod anders, als das gemeine Looß? ‒ ‒ Der ſterbliche Bau mag unter einer Laſt zu arbeiten ſcheinen ‒ ‒ Aber das iſt auch alles! ‒ ‒ Es iſt nicht ſo hart, zu ſterben, als ich geglaubet habe! ‒ ‒ Die Vorbereitung iſt die Schwierigkeit ‒ ‒ ‒ Jch danke Gott, daß ich dazu Zeit gehabt habe. ‒ ‒ Das Uebrige iſt aͤrger fuͤr die Zuſchauer, als fuͤr mich ‒ ‒ Jch bin voll ſeliger Hoffnung ‒ ‒ ja die Hoffnung ſelbſt.
Sie ſahe ſo aus, wie ſie ſagte: ein angeneh - mes Laͤcheln ſtrahlte uͤber ihr Geſicht.
Nach einem kurzen Stillſchweigen fuhr ſie wieder fort. Noch einmal, mein lieber Herr Vetter, ſagte ſie, aber noch immer in gebrochner Sprache, empfehlen ſie mich aufs gehorſamſte bey meinem Vater und Mutter ‒ ‒ Da brach ſie ab. Bald aber fuhr ſie fort ‒ ‒ Bey meiner Schweſter, bey meinem Bruder, bey meinen On -kels459kels ‒ ‒ Und ſagen ſie ihnen, daß ich ihnen mit meinem letzten Athem ‒ ‒ fuͤr alle ihre Guͤte ge - gen mich ‒ ‒ ja ſelbſt fuͤr ihren Unwillen ‒ ‒ herzlich danke und allen Segen wuͤnſche ‒ ‒ Meine Strafe, die ich hier gelitten habe, iſt mein groͤßtes Gluͤck geweſen ‒ ‒ Mein Gluͤck, in Wahrheit!
Sie ſchwieg hierauf einige Augenblicke ſtille und hub ihre Augen und die Hand, welche ihr Vetter nicht zwiſchen ſeinen Haͤnden hielte, in die Hoͤhe. Hernach ſprach ſie: O Tod, wo iſt dein Stachel; die Worte beſinne ich mich bey dem Begraͤbniß meines Onkels und des armen Beltons geleſen gehoͤrt zu haben; und nach ei - nem kurzen Jnnehalten ‒ ‒ Es iſt mir gut, daß ich betruͤbet worden bin! ‒ ‒ Worte der Schrift, wie ich vermuthe.
Darauf wandte ſie ſich zu uns, die wir uns in einer ſprachloſen Traurigkeit verlohren hatten ‒ ‒ O meine werthe, werthe Herren, waren ihre Worte, ſie wiſſen nicht was fuͤr ein Vorſchmack ‒ ‒ was fuͤr Gewißheit. Da brach ſie wieder ab, und ſahe in die Hoͤhe, als wenn ſie in einer dankvollen Entzuͤckung waͤre, mit einem ſuͤßen Laͤcheln.
Hiernaͤchſt wandte ſie ihr Geſicht gegen mich. ‒ ‒ Sagen ſie, mein Herr, ihrem Freunde, daß ich ihm vergebe, und zu Gott bete, ihm zu ver - geben! ‒ ‒ Sie hielte hier aufs neue inne, und ſchlug die Augen auf, als wenn ſie betete, daß Gott es thun moͤchte ‒ ‒ Laſſen ſie ihn wiſſen,wie460wie begluͤckt ich ſterbe ‒ ‒ und daß ich wuͤnſche, daß ſeine letzten Stunden eben ſo ſeyn moͤgen, als die meinigen.
Nun ſchwieg ſie wieder einige Augenblicke ſtille: und darauf fing ſie von neuem an zu reden ‒ ‒ Mein Geſicht verlaͤßt mich! ‒ ‒ Nur allein ihre Stimmen ‒ ‒ denn wir ruͤhmten beyde ihre chriſtliche, ihre goͤttliche Gemuͤthsfaſ - ſung, ob gleich in eben ſo gebrochner Sprache, als die ihrige war ‒ ‒ Und die Stimme der Traurig - keit iſt bey allen einerley. Jſt dieß nicht des Hrn. Mordens Hand? ‒ ‒ Dabey druͤckte ſie eine von ſeinen Haͤnden mit der ihrigen, die er eben losge - laſſen hatte ‒ ‒ Welche iſt Herrn Belfords? ‒ ‒ Hiemit reckte ſie ihre andere Hand aus. Jch gab ihr die meinige. Gott, der Allmaͤchtige, ſeg - ne ſie beyde, ſprach ſie, und mache ſie beyde ‒ ‒ in ihrer letzten Stunde ‒ ‒ denn ſie muͤſſen da - zu kommen ‒ ‒ ‒ ſo gluͤcklich, als ich bin.
Sie hielte wieder inne: weil ihr Athem kuͤr - zer ward. Nach wenigen Minuten aber fuhr ſie fort. Und nun, mein liebſter Herr Vetter, geben ſie mir ihre Hand ‒ ‒ naͤher ‒ ‒ noch naͤher ‒ ‒ So zog ſie ſie zu ſich und druͤckte ſie mit ih - ren ſterbenden Lippen ‒ ‒ Gott erhalte ſie, mein werther, werther Herr, in ſeinem Schutze ‒ ‒ Und noch einmal, nehmen ſie die erkenntlichſte Dankſagung von mir an ‒ ‒ und ſagen meiner lieben Fraͤulein Howe ‒ ‒ und wuͤrdigen meine rechtſchaffene Fr. Norton, ſie zu ſehen, und ihr zu ſagen ‒ ‒ Sie wird dereinſt, ich fuͤrchte nicht,ob461ob ſie gleich itzo nur unter niedrigen und geringen Umſtaͤnden iſt, eine Heilige im Himmel ſeyn ‒ ‒ Sagen ſie ihnen beyden, daß ich mich ihrer mit dankbaren Segenswuͤnſchen in meinen letzten Au - genblicken erinnere ‒ ‒ und Gott bitte, ihnen auf viele, viele Jahre, um ihrer Freunde und um derer willen, die ſie lieben, hier Gluͤck, und nach dieſem eine himmliſche Krone, und ſolche Gewißheit da - von, als ich habe, durch das vollguͤltige Verdienſt meines gelobten Erloͤſers, zu geben.
Jhre angenehme Stimme, und ihre gebroch - ne Rede, deucht mich, ſchallt mir noch in den Oh - ren, und wird niemals aus meinem Gedaͤchtniſſe kommen.
Nach einem kurzen Stillfchweigen, fing ſie wieder an, in einem gebrochnern und ſchwaͤchern Tone ‒ ‒ Und ſie, Herr Belſord, erhalte Gott, und bringe ſie zu einer Empfindung aller ihrer Fehltritte ‒ ‒ Sie ſehen an mir, wie ſich alles en - diget ‒ ‒ Jch wuͤnſche, daß ſie ‒ ‒ Hiemit ſank ihr Kopf auf ihr Hauptkuͤſſen nieder. Sie fiel in Ohnmacht und zog ihre Haͤnde von uns.
Wir dachten, ſie waͤre ſchon dahin, und ein je - der ließ einem heftigen Ausbruch der Traurigkeit den Lauf.
Allein ſie gab bald Zeichen von ſich, daß das Leben wiederkaͤme, und zog unſere Aufmerkſamkeit wieder an ſich. Jch bat ſie, als ſie ſich ein we - nig erhohlet hatte, ihren halb ausgeſprochenen Segen zu meinem Beſten zu vollenden. Sie bewegte ihre Hand auf und nieder gegen uns beyde,und462und neigte ihren Kopf zu ſechs verſchiedenen malen, wie wir uns machher beſonnen haben, als wenn ſie eine jede von den gegenwaͤrtigen Perſo - nen unterſcheiden wollte; die Waͤrterinn und die Magd nicht vergeſſen; indem die letztere ſich mit Weinen zu dem Bette genaͤhert hatte, als wenn ſie ſich zu dem letzten Segen von der goͤttlichen Fraͤulein mit eindraͤngen wollte: und ſie ſprach ſtotternd und einwaͤrts ‒ ‒ Segne ‒ ‒ ſegne ‒ ‒ ſegne ‒ ‒ ſie alle ‒ ‒ Und nun ‒ Und nun ‒ ‒ dabey hub ſie ihre beynahe lebloſen Haͤnde zum letzten mal in die Hoͤhe ‒ ‒ komm ‒ ‒ o komm ‒ ‒ Hochgelobter Herr ‒ ‒ Jeſu!
Mit dieſen Worten verſchied ſie, als ſie das letzte nur erſt halb ausgeſprochen hatte: und in dem Augenblick breitete ſich ein ſolches Laͤcheln, ei - ne ſo reizende Heiterkeit uͤber ihr anmuthreiches Geſicht aus, daß es ein Zeichen ihrer ſchon ange - gangenen ewigen Gluͤckſeligkeit zu ſeyn ſchiene.
O Lovelace! ‒ ‒ Allein ich kann nicht mehr ſchreiben!
Jch nehme meine Feder wieder, um noch ei - nige wenige Zeilen hinzuzuſetzen.
Als ſie noch warm, ob gleich ohne Bewe - gung, war, druͤckte ein jeder von uns ſeine Lippen an ihre Hand: und ſo dann begaben wir uns in das naͤchſte Zimmer.
Wir ſahen einander an, in der Abſicht, zu ſprechen: allein wir wandten uns ſtillſchweigendvon463von einander, als wenn eine Bewegung uns bey - de regierte, eine Urſache uns beyde ruͤhrte.
Der Obriſt ſeufzete, als wenn ihm das Herz berſten wollte. Endlich ſagte er mit aufgehabe - nem Geſichte und Haͤnden und gegen mich gekehr - tem Ruͤcken, zu ſich ſelbſt: Gnaͤdiger Himmel, ſtehe mir bey! ‒ ‒ Und iſt es ſo, o Meiſterſtuͤck der Natur! Darauf hielte er ein wenig inne ‒ ‒ Und muͤſſen wir nicht mehr ‒ ‒ Niemals mehr! ‒ ‒ Meine preiswuͤrdige, preiswuͤrdige Baſe! ‒ ‒ Hierbey ſprach er einige andere Worte aus, welche ſeine Seufzer unvernehmlich machten. ‒ ‒ Hernach ſagte er, als wenn er ſich wieder faſſete ‒ ‒ Vergeben ſie mir, mein Herr! ‒ ‒ Entſchul - digen ſie mich, Herr Belford; und, indem er bey mir weghuſchte: Jch hoffe, ſie bald zu ſehen, mein Herr! ‒ ‒ Hiemit ging er die Treppe hinunter, und zum Hauſe hinaus, und ließ mich unbeweg - lich, wie eine Saͤule.
Nachdem ich wieder zu mir ſelbſt gekommen war: war es beynahe nur, um uͤber das, was ich damals eine ungleiche Regierung der Vorſicht nannte, zu klagen. Jch vergaß ihre gluͤckliche Zubereitung und noch gluͤcklichern Ausgang aus der Welt. Jch vergaß, daß ihr nur das gemei - ne Schickſal wiederfahren war, und ſie bey dem - ſelben geſieget, einen jeden aber der Gluͤckſeligkeit weniger verſichert hinterlaſſen hatte, ob gleich eben ſo gewiß, daß es dereinſt ſein Schickſal ſeyn wuͤrde.
Sie464Sie verſchied eben um vierzig Minuten nach ſechſen, wie ihre Uhr, die auf dem Tiſche lag, an - zeigte.
Und ſo ſtarb Fraͤulein Clariſſa Harlowe in der Bluͤthe ihrer Jugend und Schoͤnheit; ei - ne Fraͤulein, die in Betrachtung ihrer zarten Jah - re keine hinter ſich gelaſſen hat, welche es ihr an weitlaͤuftiger Erkenntniß und wachſamer Klug - heit zuvorthaͤte; auch ſchwerlich eine, die an un - befleckter Tugend, ſtrenger Gottſeligkeit, Anmuth in der Art ſich zu bezeigen, kluger Großmuth und wahrer chriſtlicher Liebe ihr gleich kaͤme: da alle dieſe Vorzuͤge durch die angenehmſte Beſcheiden - heit und Demuth noch erhoͤhet wurden; wobey ſie gleichwohl bey allen Gelegenheiten, wo es ſich ſchickte, eine edle Unerſchrockenheit und einen gro - ßen Muth zeigte; ſo daß man von ihr ſagen mag, ſie ſey nicht allein ihrem Geſchlechte, ſondern der menſchlichen Natur zur Zierde geweſen.
Eine beſſere Feder, als die meinige iſt, mag ihr voͤlliger Gerechtigkeit leiſten ‒ ‒ Jch meyne die deinige, o Lovelace! Denn du weißt wohl, wie ſehr ſie alles, was Frauenzimmer heißt, an Vorzuͤgen ſo wohl des Gemuͤths, als der Perſon, uͤbertraf. Du kannſt auch von den Urſachen ih - res fruͤhzeitigen Todes am beſten Rede und Ant - wort geben, der durch diejenigen Truͤbſale gewir - ket iſt, welche ſie in einer ſo kurzen Zeit von dem hoͤchſten Gipfel des Gluͤcks, da ſie ein jeder ge - wiſſermaßen anbetete, zu einem Ausgange aus der Welt gebracht haben, der fuͤr ſie ſelbſt ſo gluͤcklich,aber,465aber, weil er ſo fruͤhe geſchehen, von allen die die Ehre ihrer Bekanntſchaft gehabt haben, ſo ſehr zu bedauren iſt.
Dieſe Arbeit uͤberlaſſe ich alſo dir: nun aber kann ich nichts mehr ſchreiben, als daß ich mit gleicher Neigung in allen Stuͤcken an deinem Un - gluͤck Theil nehme, nur nicht; gleichwohl iſt es grauſam zu ſagen; in dem, was von deiner Schuld herruͤhret.
Um ein Uhr, Freytags ſruͤhe.
Jch habe keine Zeit, weitlaͤuftig zu ſchreiben: weil ich bey dem traurigen Zufall noͤthige Anſtalten zu machen habe. Joel, der heute fruͤ - he um ſechſe zu mir kam, und den ich alſobald mit dem fuͤr ihn fertig liegenden Briefe von der verwichenen Nacht, zuruͤckſchickte, giebt mir nur eine mittelmaͤßige Nachricht von eurer Gemuͤths - faſſung. Jch wundere mich nicht daruͤber: al - lein die Zeit, und ſonſt nichts kann es thun, wird es euch ertraͤglicher machen; wofern ihr; dieß ſoll es ſagen; euch mit eurem Gewiſſen vergli -Siebenter Theil. G gchen466chen habt; ſonſt kann es von Tage zu Tage ſchwe - rer werden.
Tourville erzaͤhlet mir, in was fuͤr einem Zu - ſtande ihr ſeyd. Jch hoffe, ihr werdet euch nicht in den Kopf kommen laſſen, hierher zu kommen. Die Fraͤulein verlangt in ihrem Teſtament, daß ihr ſie nicht ſehen moͤget. Es ſind vier Abſchrif - ten von demſelben zu machen. Es iſt lang: denn ſie giebt von allem, was ſie verordnet, ihre Gruͤnde an. Jch will umſtaͤndlicher an euch ſchreiben, ſo bald es mir nur irgend moͤglich iſt.
Eben itzo werden durch einen Bedienten in Livrey drey Briefe mit der Aufſchrift: An Fraͤu - lein Clariſſa Harlowe, uͤberbracht. Jch will euch Abſchriften davon ſchicken. Der Jnhalt iſt ſchon hinlaͤnglich, einen verwirrt zu machen. Wie wuͤrde ſich dieſe arme Fraͤulein gefreuet haben: wenn ſie ſie bekommen haͤtte. ‒ ‒ Jedoch, wenn ſie ſie gehabt haͤtte: ſo wuͤrde ſie nicht im Stan - de geweſen ſeyn, zu ſagen, wie ſie edelmuͤthig ſag - te, daß Gott nicht haben wollte, daß ſie ſich auf irgend jemand, als auf ihn, verlaſ - ſen ſollte, Troſt zu erlangen. ‒ ‒ Und in der That, einige Tage her war ſie uͤber alle weltliche Betrachtungen hinaus zu ſeyn geſchienen ‒ ‒ Jh - re feurige Liebe ſelbſt gegen ihre Fraͤulein Howe hatte, wie ſie bekannte, einem hoͤhern Feuer Platz gemacht.
Endlich, meine geliebteſte Fraͤulein, Claͤrchen, iſt alles auf dem gewuͤnſchten Wege. ‒ ‒ Denn alle Jhre Anverwandten ſtimmen einmuͤ - thig zu Jhrem Beſten uͤberein ‒ ‒ Selbſt ihr Bruder und Schweſter ſind vor allen geneigt, ſich mit Jhnen auszuſoͤhnen.
Jch wußte wohl, daß es ſich ſo endigen muͤß - te! ‒ ‒ Was fuͤr einen Sieg haben Sie durch Gedult und beſtaͤndige Sanftmuth davon ge - tragen!
Dieſer gluͤckliche Wechſel ruͤhret von den Briefen her, welche man von Jhrem Arzte, von Jhrem Herrn Vetter Morden, und von Herrn Brand bekommen hat.
Der Obriſt Morden wird ſonder Zweifel bey Jhnen ſeyn, ehe dieſes Jhnen zu Haͤnden kommen kann, und ſeine Brieftaſche voll Wechſel mit ſich bringen, damit nichts fehlen moͤge, Sie zu be - ruhigen.
Und nun iſt alle unſere Hoffnung, alle unſer Gebeth, daß dieſe gute Zeitung Jhnen Jhre Mun - terkeit und Geſundheit wieder herſtellen, und, daG g 2ſie468ſie ſo lange zuruͤckgehalten iſt, nicht zu ſpaͤt kom - men moͤge.
Jch weiß, wie ſehr Jhr gehorſames Herz durch die frohe Zeitung aufgerichtet werden wird, wel - che ich Jhnen ſchreibe, und wovon ich Jhnen noch mehr erzaͤhlen werde, wenn ich das Gluͤck habe, Sie zu ſehen. Dieß hoffe ich aber, wird aufs hoͤchſte kuͤnftigen Sonnabend; vielleicht ſchon am Freytage nach Mittage geſchehen. Unterdeſſen koͤnnen ſie gegenwaͤrtiges bekommen.
Heute ward mit aller Einwilligung nach mir geſchickt. Jch ward von einem jeden mit großer Guͤte und vieler Herablaſſung empfangen, und erſuchet; denn dieß war das Wort, welches ih - nen zu gebrauchen beliebte, da es gewiß keines Erſuchens bedurfte; zu Jhnen hinauf zu eilen und Sie ihrer aller ergebenen Achtung gegen Sie zu verſichern: ja Jhr Herr Vater befahl mir, alles Liebreiche und Freundliche, was ich nach mei - nem Herzen gern ſagen wollte, zu ſagen, damit ich ſie troͤſtete und aufrichtete; und ſie wollten ſich verbunden achten, alles, was ich geſagt haben wuͤr - de, wahr zu machen.
Wie angenehm iſt dieſer Auftrag fuͤr Jhre Norton! Mein Herz wird von freundlichen Re - den uͤberfließen: ſorgen Sie nicht! ‒ ‒ Jch ſin - ne ſchon itzo darauf, was ich in aller und jeder Namen, die Jhnen lieb und nahe ſind, ſagen ſoll, ſie zu ermuntern und aufzurichten. Mir iſt nur leid, daß ich mich nicht dieſen Augenblick auf den Weg machen kann; wie ich thun wuͤrde, an ſtattzu469zu ſchreiben, wenn ſie meiner dringenden Ungedult mit ihrem Wagen guͤtigſt zu ſtatten kommen wollten: aber da er mir nicht angeboten ward; ſo wuͤrde es eine Verwegenheit geweſen ſeyn, darum zu bitten; und morgen wird eine gemiethete Kut - ſche mit einem Paar Pferde bereit ſeyn; um wel - che Stunde, kann ich nicht ſagen.
Wie verlangt mich, noch einmal meine theu - re werthe Fraͤulein an meine zaͤrtliche, meine mehr als zaͤrtliche, meine muͤtterliche Bruſt zu druͤcken!
Jhre Schweſter will an Sie ſchreiben und ihren Brief, nebſt dieſem, mit einem eignen Bo - then fortſchicken.
Jch muß ſie nicht ſehen laſſen, was ich ſchrei - be, weil ich von meinem Wunſch, ihren Wagen zu haben, Erwaͤhnung gethan.
Jhr Onkel Harlowe will auch ſchreiben; und, wie ich nicht zweifle, in den guͤtigſten Ausdruͤ - ckungen: denn ſie ſind alle ſo wohl uͤber den ge - faͤhrlichen Zuſtand, worinn Jhr Arzt Sie vor - ſtellet, aͤußerſt beſtuͤrzt und unruhig, als durch das Lob, welches er Jhnen ertheilet, vergnuͤgt ge - worden. Wollte der Himmel, der gute Herr haͤtte eher geſchrieben! Und gleichwohl ſchreibt er, Sie wuͤßten nicht, daß er itzo geſchrieben habe. Allein es iſt alle unſere Zuverſicht und unſer Troſt, daß er gar nicht wuͤrde geſchrieben haben, wenn er gedacht haͤtte, daß es zu ſpaͤt waͤre.
Man will Jhnen gar keine Bedingungen vor - ſchreiben, meine liebſte Fraͤulein: ſondern allesG g 3Jhrem470Jhrem eignen Gehorſam und Jhrer eignen Klug - heit anheimſtellen. Nur erklaͤren ſich Jhr Bru - der und Schweſter, daß ſie Herrn Lovelace nie - mals Bruder nennen wollen: und, wie ich glau - be, wird auch Jhr Herr Vater nicht leicht dahin zu bringen ſeyn, daß er gedenke, ihn zu einem Sohn zu haben.
Jch ſoll Sie mit mir herunterbringen: ſo bald es Jhre Geſundheit und Neigung erlauben will. Sie werden mit offnen Armen empfangen werden. Einen jeden verlangt, Sie zu ſehen. Alle Be - dienten machen ſich eine Freude daruͤber, daß ſie die Erlaubniß haben ſollen, Jhnen die Haͤnde zu kuͤſſen. Die Rolle der ſtichelnden Eliſabeth hat ſich ſchon geaͤndert: und ſie ſtroͤmet itzo von ihren gerechten Lobeserhebungen. Was fuͤr Freunde macht das Gluͤck! Was fuͤr Feinde das Ungluͤck! Es iſt allezeit ſo geweſen, und wird allezeit ſo ſeyn, in einem jeden Stande, von dem Kayſerthrone, bis zu der Schaͤferhuͤtte. ‒ ‒ Allein laſſen Sie nun bey dieſem frohen Wechſel alles vergeſſen ſeyn. Jch wuͤnſche nichts mehr, als daß Sie, meine wertheſte Fraͤulein, im Stande ſeyn moͤ - gen, ſich uͤber dieſe gute Zeitung zu erfreuen: wie ich weiß, daß Sie ſich freuen werden; wo Sie noch zu etwas im Stande ſind.
Gott erhalte Sie zu unſerer gluͤcklichen Um - armung! Und ich will den Himmel mit meinem unablaͤßigen Gebeth, wo ich ſo ſagen mag, er - muͤden, daß er Sie erhalte, und nachher zur voͤlli - gen Geneſung bringe!
Jch471Jch darf nicht ſagen, wie ſehr ich ſey, meine wertheſte Fraͤulein,
Jhre beſtaͤndig ergebene und gehorſamſte Judith Norton.
Ein ungluͤcklicher Aufſchub, in Anſehung des Wa - gens, wird verurſachen, daß es Sonnabend Mor - gen werden wird, ehe ich Sie an mein zaͤrtliches Herz druͤcken kann.
Wir haben eben erfahren, daß es mit Euch ausnehmend ſchlecht ſey. Wir haben Euch alle ſo geliebet, als niemals ein junges Frauenzimmer geliebet worden iſt: Jhr ſeyd Euch deſſen ſelbſt bewußt, Schweſter Claͤrchen. Und Jhr ſeyd ſehr boshaft geweſen ‒ ‒ Allein es wuͤrde uns unmoͤglich ſeyn, beſtaͤndig zu zuͤrnen.
G g 4Wir472Wir ſind in der That durch die Zeitung von Eurem ſo gar ſchlechten Befinden mehr betruͤbet worden, als ich ausdruͤcken kann. Denn ich ſehe nicht anders, als daß wir nach dieſer Trennung; da wir vernehmen, daß Euer Ungluͤck groͤßer ge - weſen iſt, als Euer Fehltritt, und Jhr, ſo ungluͤck - lich Jhr auch geweſen ſeyd, Euch dennoch wie das gute Kind, das Jhr zu ſeyn pflegtet, aufgefuͤhret habet; Euch, wo moͤglich, noch mehr, als jemals, lieben werden.
Laßt Euch alſo troͤſten, Schweſter Claͤrchen, und ſeyd nicht allzu niedergeſchlagen. ‒ ‒ Wie ſehr es Euch auch kraͤnken mag, daß eine ſo treffli - che Ausſicht in die Zukunft, als Jhr vor Euch hattet, mit truͤben Wolken uͤberzogen iſt; wie ſehr Euch auch Eure eigne Betrachtungen uͤber euren Fehltritt, und die Befleckung eines ſo ſchoͤnen Rufes durch denſelben, kraͤnken moͤgen: ſo werdet Jhr doch gewiß von keinem von uns jemals ge - kraͤnket werden. Als ein Unterpfand von der Gewogenheit und Verſoͤhnung eures Vaters und Mutter, verſichern Sie Euch durch mich Jhres Segens und ſtuͤndlichen Gebeths.
Wo es Euch zu einem Troſte dienen kann, und meine Mutter finden wird, daß dieſer Brief ſo aufgenommen iſt, wie wir erwarten; welches wir aus der guten Wirkung, die er uͤber Eure Geſund - heit haben wird, erkennen werden: ſo will ſie ſelbſt zu Euch nach London kommen. Mittler - weile wird die gute Frau, welche Jhr ſo herzlich liebet, eiligſt zu Euch hinauf geſchickt werden:und473und ſie ſchreibt bey dieſer Gelegenheit, Euch ſo wohl davon, als von unſrer wiederkehrenden Liebe, Nachricht zu geben.
Jch hoffe, Jhr werdet Euch uͤber dieſe gute Zeitung freuen. Jch bitte, laßt uns hoͤren, daß ihr Euch freuet. Euer naͤchſter angenehmer Brief, bey dieſer Gelegenheit, wird; ſonderlich wo er uns die Freude macht, zu hoͤren, daß Jhr Euch auf dieſe Zeitung beſſer befindet; mit eben dem, wo nicht groͤßerem, Vergnuͤgen aufgenom - men werden, das wir an allen Euren artig abge - faßten Briefen zu finden pflegten. Lebet wohl, meine liebe Claͤrchen! Jch bin
Eure in Liebe ergebene Schweſter und wahre Freundinn Arabella Harlowe.
Wir ſind durch Jhren Fehltritt, meine gelieb - te Fraͤulein Claͤrchen, hoͤchlich betruͤbet worden: aber wir ſind es noch mehr, wo moͤg - lich, wenn wir itzo hoͤren, daß Sie ſich ſo garG g 5ſchlecht474ſchlecht befinden; und es iſt uns leid, daß die Sa - chen ſo weit gerathen ſind.
Wir kennen Jhre Gaben, meine Wertheſte, und wiſſen, wie ruͤhrend Sie ſchreiben konnten, ſo oft es Jhnen beliebte; ſo daß Jhnen niemand je - mals etwas abſchlagen konnte: und da wir glaub - ten, daß Sie ſich auf Jhre Feder verließen, und uns gar nicht in den Sinn kam, daß es ſo ſchlecht mit Jhnen waͤre, und daß Sie ein ſo ordentliches Leben gefuͤhret haͤtten, und ſo wahre Reue empfaͤn - den; ſo ſind wir, ein jeder von uns, Jhr Bruder und alle, ſehr darum bekuͤmmert, daß wir ſo ſtren - ge geweſen ſind. Vergeben Sie mir mein An - theil daran, meine liebſte Claͤrchen. Jch bin Jhr anderer Vater, das wiſſen Sie: und Sie pflegten mich zu lieben.
Jch hoffe, Sie werden bald im Stande ſeyn herunterzukommen, und werden nach einiger Zeit, wenn Jhre guͤtigen Eltern ſich Jhrer entbrechen koͤnnen, auf einen ganzen Monat zu mir kommen, und mein Herz vergnuͤgen, wie Sie zu thun pflegten. Wo Sie aber, Krankheit wegen, nicht ſo bald herunter kommen koͤnnen, als wir wuͤnſchen: ſo will ich zu Jhnen hinaufreiſen; denn mich verlangt, Sie zu ſehen. Mich hat in mei - nem Leben niemals mehr verlanget, Sie zu ſehen: und Sie haben mir doch allezeit am Herzen gelegen.
Mein Bruder Anton verlangt, daß ich ſeine herzliche Empfehlung an Sie mache, und giebt einmuͤthig mit mir die zaͤrtlichſte Verſicherung,daß475daß alles gut, und wo moͤglich, beſſer, als jemals ſeyn ſoll. Denn wir ſind nun ſo lange ohne Sie geweſen, daß wir wiſſen, was es ſey, Jhrer ent - behren zu muͤſſen, und uns ſo gar, wie ich ſagen mag, hungert und durſtet, Sie zu ſehen, und noch einmal an unſere Herzen zu legen; aus welchen Sie in der That niemals ſo weit verbannet gewe - ſen, als unſere Bekuͤmmerniß uͤber Jhren ungluͤck - lichen Fehltritt uns, zu denken, und Sie, zu glauben, veranlaſſete. Jhr Bruder und Schwe - ſter reden beyde davon, daß ſie Sie in London ſe - hen wollen. Eben das thut auch meine liebe Schweſter, Jhre guͤtige Mutter.
Gott helfe Jhnen wieder zu Jhrer Geſund - heit; wo es ſein Wille iſt: ſonſt weiß ich nicht, wie es werden wird mit
Jhrem in wahrer Liebe ergebenen Onkel und anderm Vater, Johann Harlowe.
Jch will itzo die Erzaͤhlung von unſerm Ver - fahren da wieder anfangen, wo ich in mei - nem Briefe die verwichne Nacht aufhoͤrte, wel - cher die letzten Worte dieſer unvergleichlichen Fraͤulein in ſich hielte.
So bald als wir den letzten Auftritt, mit ſo vielem Segen fuͤr Sie, beſchloſſen geſehn hatten: uͤberließen wir den Leib der Fuͤrſorge der guten Frauen, die nach ihrer Verordnung, welche ſie ih - nen noch eben den Abend ertheilt hatte, ſie in ihr letztes Haus legten, in deren Anſchaffung ſie ſo viele Herzhaftigkeit bewieſen hatte.
Des Morgens, zwiſchen ſieben und achten, kam der Obriſt hier zu mir, wie es verabredet war. Er war ſehr in Unordnung. Wir gingen mit einander, in Geſellſchaft der Fr. Lovick und Fr. Smithinn, in der Verſtorbenen Kammer. Wir konnten uns nicht entbrechen, einen Blick auf die liebenswuͤrdige Leiche zu werfen, und die reizende Heiterkeit in ihrem edlen Anſehen zu be - wundern. Die Frauensleute bezeugten, daß ſie ſonſt niemals einen Todten ſo liebenswuͤrdig ge -ſehen477ſehen haͤtten, und daß ſie ſo ausſaͤhe, als wenn ſie nur in einem ruhigen Schlummer waͤre, in - dem die Farbe ihre Wangen und Lippen noch nicht ganz verlaſſen hatte.
Jch ſchloß den Schubkaſten auf, worinn ſie, wie ich in einem meiner vorigen Briefe(*)Man ſehe den vorhergehenden XLIten Brief. ge - meldet, ihre Papiere niedergeleget hatte. Jch habe euch in meinem letztern vom verwichenen Montage berichtet, daß ſie des Abends vorher ein Packet mit der Aufſchrift: So bald als ich ge - wiß todt ſeyn werde, durch Herrn Belford zu erbrechen, mit dreyen ſchwarzen Siegeln ver - wahret hatte. Jch machte mir ſelbſt einen Vor - wurf daraus, daß ich es nicht geſtern Abends gethan: allein in der That war ich damals zu nichts geſchickt.
Jch erbrach es ihrer Verordnung gemaͤß und fand nicht weniger als eilf Briefe darinn, einen jeden mit ihrem eignen Siegel und ſchwarzem Siegellack zugeſiegelt. Einer davon war an mich gerichtet.
Jch will eine Abſchrift von demſelben ein - ſchließen.
Jch ergreiffe dieſe letzte und feyerliche Gelegen - heit, Jhnen meine Dankſagung fuͤr alle JhreGuͤte478Guͤte gegen mich, zu einer Zeit, da ich am mei - ſten Huͤlfe und Schutz noͤthig hatte, noch einmal zu wiederhohlen.
Einige wenige Betrachtungen, bitte ich mir die Erlaubniß aus, bey Jhrer Durchleſung des gegenwaͤrtigen, itzo von den Todten, mit allem Eifer einer aufrichtigen Freundſchaft, Jhnen auf das nachdruͤcklichſte zu Gemuͤthe zu fuͤhren.
Zu der Zeit, da Sie dieſe Zeilen ſehen wer - den, werden Sie an den letzten Stunden einer Perſon, die bis an ihre letzte Stunde Jhre ewi - ge Wohlfarth wuͤnſchen wird, wie ich in demuͤ - thiger Zuverſicht hoffe, ein Beyſpiel von der troſt - reichen Wichtigkeit eines beruhigten Gewiſſens gehabt haben.
Der große Herzog von Luxemburg erklaͤrte ſich, wie ich gehoͤrt habe, auf ſeinem Todbette, daß es ihm damals viel lieber geweſen ſeyn wuͤr - de, wenn er ſich zu erinnern gehabt haͤtte, daß er einer armen und wuͤrdigen Perſon in der Noth einen Becher kalten Waſſers gereichet, als daß er ſo viele Schlachten gewonnen, wie ihm zu einem Siegesgepraͤnge gedienet haͤtten ‒ ‒ Und, wie je - mand wohl anmerket, alle Empfindungen einer weltlichen Hoͤhe verſchwinden in dem unvermeid - lichen Augenblick, der aller Menſchen Schickſal entſcheidet.
Jſt es denn, zu der fuͤrchterlichen Stunde, mit den Siegern uͤber ganze Heere, mit den Be - zwingern ganzer Voͤlker nicht anders: ſo erlauben Sie mir, nur in gar wenigen Worten; vieleſind479ſind nicht noͤthig; zu fragen, was zu der Zeit die - jenigen fuͤr Gedanken haben muͤſſen, wo ſie noch Gedanken zu haben im Stande ſind, welche ein bloß ſinnliches Leben, ein Leben voller Beleidigung gefuͤhrt haben; deren Bemuͤhung und Ehre zur hoͤchſten Schande darinn beſtanden, die Unſchul - digen zu verfuͤhren, und die Schwachen, die Un - wachſamen und die Freundloſen, welche durch ihre ſchaͤndliche Verfuͤhrung noch mehr zu Freundloſen gemacht ſind, ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen? ‒ ‒ O! Herr Belford, erwaͤgen, uͤberlegen und bedenken Sie dieß itzo, da Jhnen die Betrachtungen, weil Sie noch an Seele und Leib geſund und munter ſind, am meiſten nuͤtzen werden ‒ ‒ Was fuͤr ein un - dankbarer, unmaͤnnlicher und mehr als kriechend niedriger Stolz iſt es, in dieſen Dingen eine Eh - re zu ſuchen!
Hiernaͤchſt, erlauben Sie mir, mein Herr, Sie um meinetwillen zu erſuchen, da ich ge - noͤthigt bin, oder wie Sie es itzo am beſten leſen werden, genoͤthig geweſen bin, meine Zuflucht zu Jhnen zu nehmen und Jhnen die Vollziehung meines Teſtaments aufzutragen, daß Sie nach der Großmuth, welche ich Jhnen zutraue, allen mei - nen Freunden, und ſonderlich meinem Bruder, der wirklich ein braver junger Menſch, nur viel - leicht in ſeinem erſten Unwillen, und ſeinen zuerſt gefaßten Meynungen von Dingen, ein wenig zu hartnaͤckicht iſt, nachgeben moͤgen, wofern etwas, wegen der aufgetragenen Vollziehung dieſes Teſta - ments, widrig ausfallen ſollte; und daß Sieſich480ſich bemuͤhen wollen, Frieden zu ſtiften und alle Parteyen zu verſoͤhnen; ſonderlich aber, daß Sie, weil Sie einen großen Einfluß uͤber Jhren noch weit hartnaͤckichtern Freund zu haben ſcheinen, ſich ins Mittel ſchlagen, fernerm Ungluͤck vorzu - beugen. ‒ ‒ Denn gewiß, mein Herr, dieſer hef - tige Kopf kann ſich wohl an dem Uebel das er ſchon ausgerichtet hat, begnuͤgen laſſen: und in - ſonderheit an dem Boͤſen, dem abſcheulichen und ſchaͤndlichen Boͤſen, das er in mir meiner Familie zugefuͤget hat, die an dem empfindlichſten Theil ihrer Ehre verwundet iſt.
Zu dieſer Bitte habe ich ſchon Jhr wieder - hohltes Verſprechen. Jch verlange daher die Beobachtung deſſelben als eine Schuldigkeit von Jhnen: und ob ich gleich hoffe, daß ich keine Ur - ſache habe, daran zu zweifeln; ſo habe ich doch gern, bey dieſer feyerlichen, dieſer letzten Gelegen - heit, wieder ſo ernſtlich darauf dringen wollen.
Jch habe noch eine Bitte an Sie zu thun. Es iſt nur dieſe, daß Sie die Guͤte haben moͤgen, die eingeſchloſſenen Briefe, durch einem beſondern Bothen, nach ihren Aufſchriften zu befoͤrdern.
Und nun, mein Herr, da ich mich unterſtehe zu gedenken, daß durch den ungluͤcklichen Schritt, der mein Leben ſo bald zu ſeinem Ziel gebracht hat, der Geſellſchaft ein nuͤtzliches Mitglied ent - riſſen iſt: ſo erlauben Sie mir, zu hoffen, daß ich in den Haͤnden der Vorſehung ein geringes Werk - zeug ſeyn moͤge, einen Menſchen von ihren Ga - ben und ihrer Geſchicklichkeit auf beſſere Wege zubrin -481bringen. Alsdenn werde ich glauben, daß der Verluſt noch reichlicher der Welt erſetzet ſey, in - dem er zugleich, nach Gottes Guͤte, mein Gewinn ſeyn wird: und werde noch weiter dieſe Hoffnung haben, daß ich noch einmal in einer ſeligen Ewig - keit Gelegenheit finden werde, Jhnen, wie ich itzo zu wiederhohlten malen thue, fuͤr das Gute, das Sie mir erwieſen, und die Muͤhe, die ſie fuͤr mich genommen haben werden, Dank zu ſagen; fuͤr mich, mein Herr, als
Jhre verbundene Dienerinn Clariſſa Harlowe.
Die andern Briefe gehoͤren an ihren Vater, an ihre Mutter, einer an ihre beyden Onkels, an ihren Bruder, an ihre Schweſter, an ihre Tante Hervey, an ihren Vetter Morden, an Fraͤu - lein Howe, an Fr. Norton und endlich einer an euch, zur Erfuͤllung ihres Verſprechens, daß ein Brief an euch geſchickt werden ſollte, wenn ſie in ihres Vaters Haus kaͤme. ‒ ‒ Jch will dieſen letzten ſo lange zuruͤckbehalten, bis ich ver - ſichert ſeyn kann, daß ihr in einem beſſern Stan - de ſeyd, ihn zu empfangen, als mir Tourville itzo von euch meldet.
Von allen dieſen Briefen ſind Abſchriften ge - macht, und verſiegelt, unter der Aufſchrift: Ab - ſchriften von meinen zehn nach meinem To - de zu beſtellenden Briefen fuͤr Hrn. Joh. Belford, zu dem Packet von Papieren, die mirSiebenter Theil. H hzu482zu gehoͤrigem Gebrauch uͤberlaſſen ſind, geleget. Dieß Packet habe ich noch nicht Zeit gehabt zu oͤffnen.
Kein Wunder, daß ſie allezeit geſchrieben, ſo lange ſie im Stande geweſen, es zu thun: da ſie noch zuletzt die Zeit ſo hat anwenden koͤnnen, wel - che vorher, wegen der langen Tage, die ſie mach - te, ſo vielen ſchoͤnen Werken von ihren Fingern den Urſprung gegeben hat. Jch bin der Mey - nung, daß niemals ein junges Frauenzimmer ge - weſen, das ſo viel und mit ſolcher Geſchwindigkeit geſchrieben habe. Weil ihre Gedanken, wie ich geſehen, mit ihrer Feder einen gleichen Lauf hiel - ten: ſo hielte ſie kaum jemals inne, oder ſtockte; und ſtrich ſehr ſelten aus, oder aͤnderte. Dieß war eine natuͤrliche Gabe, die ſie unter vielen an - dern außerordentlichen Vorzuͤgen der Natur beſaß.
Jch gab dem Obriſten ſeinen Brief und be - fahl Henrichen alſobald, ſich fertig zu machen und die uͤbrigen wegzubringen.
Mittlerweile begaben wir uns in das naͤchſte Zimmer und oͤffneten das Teſtament. Wir wur - den beyde bey Durchleſung deſſelben ſo geruͤhret, daß einmal der Obriſt abbrach und es mir gab, weiter zu leſen; ein anderes mal ich es ihm zu - ruͤckgab, damit fortzufahren: indem keiner von uns beyden im Stande war, es ohne ſolche Zei - chen der Empfindlichkeit, welche in die Sprache eines jeden einen Einfluß hatten, durchzuleſen.
Fr.483Fr. Lovick, Fr. Smithinn und ihre Waͤrte - rinn waren noch mehr geruͤhret, als wir ihnen die - jenigen Stuͤcke vorlaſen, in welchen ihrer, einer jeden an ihrem Orte, Erwaͤhnung geſchiehet. Al - lein ich will keine genauere Nachricht davon ge - ben; diejenigen Umſtaͤnde ausgenommen, welche zu dem Zuſammenhang meiner Erzaͤhlung gehoͤ - ren: weil ich euch zu rechter Zeit eine Abſchrift davon ſenden werde.
Der Obriſt ſagte mir, er waͤre bereit, die Rechnungen uͤber das Geld, welches er von ihren Freunden heraufgebracht haͤtte, mit mir zur Rich - tigkeit zu bringen: das wuͤrde mich in den Stand ſetzen, die Stuͤcke, welche auf Vermaͤchtniſſe ge - hen, alſobald zu vollziehen; und er wollte nicht ablaſſen, bis ich ein Papier, das dahin gehoͤrte, zu mir nahm. Jch ſteckte es in meine Brieftaſche, ohne hinein zu ſehen, und ſagte ihm, daß, wie ich hoffete, er wuͤrde alles thun, was in ſeinem Ver - moͤgen waͤre, eine buchſtaͤbliche Erfuͤllung des Te - ſtaments zu befoͤrdern, ich ihn um ſeinen Rath und Beyſtand bey der Vollziehung deſſelben bit - ten muͤßte.
Jhr Verlangen, bey ihren Voreltern begra - ben zu werden, machte einen Brief des folgenden Jnhalts nothwendig, welchen ich den Obriſten zu ſchreiben beredete, weil ich ſelbſt nicht gern, we - nigſtens ſo fruͤhe, in den Augen einer Familie, die nach aller Wahrſcheinlichkeit nicht etwas mit mir gemeinſchaftlich zu thun haben wuͤnſchet, das Anſehen eines Allzudienſtfertigen haben wollte.
H h 2An484Der Brief, den Ueberbringer dieſes einzuhaͤndi - gen hat, wird mich vermuthlich der Muͤhe uͤberheben, Jhnen und meinen Vettern den Tod des unvergleichlichſten Frauenzimmers zu melden. Allein ich bin von dem Ausrichter ihres Teſta - ments, der Jhnen eheſtens eine Abſchrift von dem - ſelben ſchicken wird, erſuchet worden, ihrem Va - ter Nachricht zu geben, welches ich durch Sie zu thun fuͤr gut finde, daß ſie in ihrem letzten Wil - len ernſtlich verlanget, in das Familiengrab zu den Fuͤßen ihres Großvaters gelegt zu werden.
Wo ihr Vater das nicht zugeben will, hat ſie verordnet, daß ihr Leichnam auf dem Kirchhofe in dem Bezirk, wo ſie geſtorben iſt, begraben werde.
Jch darf Jhnen nicht ſagen, daß eine baldige Antwort hierauf noͤthig iſt.
Jhre ſelige Veraͤnderung nahm geſtern Nach - mittags eben um vierzig Minuten nach ſechſen ih - ren Anfang.
Jch kann nicht mehr ſchreiben, als daß ich ſey
Freytags, fruͤhe, den 8ten Sept. Jhr ergebener ꝛc. Wilh. Morden.
Als dieß geſchrieben und mit des Obriſten Erlaubniß abgeſchrieben war, kam Henrich geſtie - felt und geſpornt, und ſein Pferd war vor der Thuͤr. Jch uͤbergab ihm alſo die Briefe an die Familie, nebſt denen an Fr. Norton und Fraͤu - lein Howe, zugleich mit dem obigen Schreiben des Obriſten Mordens an Herrn Jakob Harlo - we, und befahl ihm nach aller Moͤglichkeit mit ih - nen zu eilen.
Der Obriſt und ich haben Trauer beſtellet fuͤr uns und unſere Bedienten.
Die arme Fr. Norton iſt angekommen. Sie ward an die Thuͤr gebracht und wollte alſo - bald die Treppe hinauf gehen. Allein weil Fr. Smithinn und Fr. Lovick bey einander waren und weinten; und die erſtere der wirklich ehrwuͤrdigen Frauen die ungluͤckliche Zeitung zu ploͤtzlich bey - brachte: ſo ſank ſie zu ihren Fuͤßen in Ohnmacht nieder, ſo daß ſie genoͤthigt wurden, ihr eine Ader zu oͤffnen, damit ſie ſie zu ſich ſelbſt braͤchten, und ihr das Vermoͤgen zu klagen gaͤben. So baldH h 3dieß486dieß geſchehen war, ließ ſie gegen Fr. Lovick und gegen mich; weil ich eben hereintrat, als ſie wie - der zu ſich ſelbſt kam; ihren Lobeserhebungen von der Fraͤulein, ihren Klagen um ſie, und den hef - tigen Reden wider euch den Zuͤgel ſchießen: je - doch waren ihre heftige Reden ſo eingeſchraͤnkt, daß ich in denſelben ein wohlerzogenes Frauen zim - mer und in ihren Klagen eine chriſtlichgemaͤßigte Leidenſchaft bemerken konnte.
Sie aͤußerte ein ungedultiges Verlangen, die Leiche zu ſehen. Die Frauensleute gingen mit ihr hinauf: aber ſie geſtunden, daß ſie bey dieſer Gelegenheit ſelbſt allzu ſehr geruͤhrt geweſen, ihr ausnehmend bewegliches Bezeigen zu beſchreiben.
Mit zitternder Ungedult ſtieß ſie den Deckel des Sarges beyſeite. Sie benetzte das Geſicht mit ihren Thraͤnen, und kuͤßte ihre Wangen und Stirn, als wenn ſie lebendig waͤre. Es waͤre Sie, in der That, waren ihre Worte! Sie, ihre ſuͤße Fraͤulein! Sie vollkommen ſelbſt! Auch der Tod, der alle Dinge veraͤnderte, haͤtte keine Macht, ihre liebliche Bildung zu aͤndern! Sie bewunderte die Heiterkeit in ihrem Geſichte. Sie waͤre ſonder Zweiſel gluͤcklich, ſprach ſie, wie ſie ihr geſchrieben haͤtte, daß ſie es ſeyn wuͤrde: al - lein wie viele elende Perſonen haͤtte ſie hinter ſich gelaſſen! ‒ ‒ Die gute Frau beklagte hiebey, daß ſie ſelbſt ſo lange gelebet, um eine derſelben zu ſeyn.
Sie beredeten ſie mit vieler Muͤhe, von der Leiche wieder wegzugehen: und da ſie in das naͤch -ſte487ſte Zimmer gingen, begab ich mich zu ihnen, und brachte ihr die Nachricht von dem guͤtigen Ver - machtniſſe, das ihre geliebte Fraͤulein ihr hinter - laſſen haͤtte. Aber dieß vermehrte ihre Betruͤb - niß mehr, als es dieſelbe verminderte. Sie haͤtte ihr, ſagte ſie, billig in Perſon aufwarten ſollen. Was waͤre die Welt nunmehr fuͤr ſie, ſetzte ſie mit Haͤnderingen hinzu, da das Kind, welches an ihrer Bruſt gelegen und ihr ganzes Herze auf ſich gewandt, dahin waͤre? Jhr beſter Troſt waͤ - re, inzwiſchen, daß ſie die Fraͤulein nicht lange uͤberleben wuͤrde. Sie hoffte, ſprach ſie, daß ſie ſich nicht verſuͤndigte, wenn ſie dieß wuͤnſchte.
Es war leicht aus der Aehnlichkeit der Ge - ſinnungen, die ſie in dieſem und andern Umſtaͤn - den zeigte, wahrzunehmen, daß die goͤttliche Fraͤu - lein viele ihrer guten Begriffe dieſer trefflichen Frauen zu danken hatte.
Jch gedachte, es wuͤrde die arme Frau ein wenig aufmuntern, und zwar auf eine nicht ganz unbequeme Art, wenn ich ſie darauf braͤchte, daß ſie die Trauer fuͤr ſich anſchaffete: weil dieß ſie durch eine ſchickliche und nothwendige Beſchaͤffti - gung von der ſeltſamen Schlafſucht der Traurig - keit aufrichten wuͤrde, welche insgemein auf den allzu heftigen Schmerzen folget, der ein ſanftes Gemuͤth auf die erſte Nachricht von dem uner - warteten Verluſt eines theuren Freundes zu zer - reißen pfleget. Jch gab ihr daher die dreyßig Guineas, welche ihr und ihrem Sohne zur Trauer vermacht ſind; der einzigen Trauer, deren dieH h 4entſchla -488entſchlafene Schoͤne in ihrem Teſtament gedacht hat: und bat ſie, ohne Zeitverluſt die ihrige zuzu - bereiten, weil ich nicht zweifelte, daß ſie die Leiche begleiten wuͤrde, wenn man ſie hinunter zu brin - gen erlaubte.
Der Obriſt iſt willens mit dem Leichenwagen hinunter zu kommen, wofern die Anverwandten ihm nicht aufs neue Urſache zum Misvergnuͤgen geben: und will eine Abſchrift von dem Teſta - ment mit ſich nehmen. Weil er auch die Abſicht hat, der Familie einigen vortheilhaften Eindruck von mir zu machen: ſo will er gleichfalls, wie er aus eignem Triebe verlangt hat, die Abſchrift von dem an mich nachgelaſſenen Briefe mit ſich nehmen.
Er iſt ſo guͤtig, daß er mir eine genaue Nach - richt von allem, was bey der betruͤbten Gelegen - heit vorgehen wird, verſpricht. Wir haben eine Freundſchaft angefangen und einen Briefwechſel feſtgeſetzet, welche nach aller Moͤglichkeit nur durch einen Zufall bis an das Ende unſers Lebens un - terbrochen werden koͤnnen: und der, hoffe ich, wird ſich nicht zutragen.
Aber was muß es fuͤr ein Kummer ſeyn, was fuͤr eine Gewiſſensangſt, welche die Herzen ihrer bisher unerbittlichen Familie uͤberfallen wird, wenn ſie die nachgelaſſenen Briefe empfangen und von dem Obriſten hoͤren, was vorgefal - len iſt.
Jch habe in der Vermuthung, daß man er - lauben wird, den Leichnam hinunter zu bringen,einem489einem Leichenbeſorger desfalls Befehl gegeben: und die Frauensleute ſind willens, den Sarg mit wohlriechenden Kraͤutern anzufuͤllen.
Der Obriſt hat mich genoͤthigt, die Hand - ſchriften und Anweiſungen, welche er mit ſich her - auf gebracht hat, zu den anſehnlichen Summen, die ſeit des Großvaters Tode von dem Gute der Fraͤulein aufgelaufen ſind, anzunehmen.
Jch haͤtte der Fr. Norton die Abſchriften von den beyden Briefen, die ihr durch ihre Herauf - kunft entzogen ſind, zeigen koͤnnen. Allein ihre Traurigkeit braucht die Vergroͤßerung nicht, wel - che ihr die Durchleſung derſelben verurſacht ha - ben wuͤrde.
Jch habe in die Abſchriften von den nachgelaſſe - nen Briefen an die Familie, welche Henrich hin - unter gebracht hat, ein wenig hineingeſehen. Mit Recht kann ich dieſe bewundernswuͤrdige Fraͤulein goͤttlich nennen. Sie ſind alle, vielmehr Troſt zu geben, als Vorwuͤrfe zu machen, eingerichtet: ob gleich ihre Grauſamkeit gegen ſie nichts als Vor - wuͤrfe verdiente. Allein waͤre ich in einer von ihren Stellen: wie viel lieber wuͤrde es mir ſeyn, daß ſie durch die heftigſten Gegenverweiſe die Rechnung abgethan haͤtte, als daß ſie durch eine Großmuth, die ihres gleichen nicht hat, ſo edel - muͤthig uͤber mich ſiegen ſollte?
Jch will einige von denſelben einſchließen, welche ich, ſo bald als ihr koͤnnet, wieder zuruͤckzu - ſchicken bitte.
Mit freudiger Zuverſicht tritt itzo Jhre kuͤh - ner gewordene Tochter durch dieſe Zeilen Jhnen unter Jhre ehrfurchtswuͤrdige Augen, wel - che ſich nicht anders, als bey dieſer Gelegenheit unterſtehen durfte, mit einiger Hoffnung zur Ge - wogenheit und Vergebung zu Jhnen aufzuſehen: indem zu der Zeit, da Jhnen gegenwaͤrtiges zu Haͤnden kommt, es nicht mehr in ihrer Gewalt ſeyn wird, Sie jemals wieder zu beleidigen.
Und nun erlauben Sie mir, mein hochgeehr - teſter Herr Vater, Jhnen den verbindlichſten Dank abzuſtatten, und zwar auf meinen Knieen, wie ich ſchreibe; fuͤr alle Wohlthaten, die ich von Jhrer Guͤte empfangen habe; fuͤr Jhre zaͤrtliche Liebe gegen mich, in den Tagen meiner ſchwatzhaften Unſchuld; fuͤr die tugendhafte Erziehung, die ich von Jhnen erhalten habe; und fuͤr die Krone von allem, das gluͤckliehe Ende; welches ich durch die goͤttliche Gnade, vermittelſt dieſer tu - gendhaften Erziehung, zu der Zeit, wenn Sie ge - genwaͤrtiges bekommen werden, gehabt zu habenhoffe.491hoffe. Erlauben Sie mir aber auch zu bitten, gnaͤdiger Herr, daß Sie die letzten ungluͤckl chen acht Monate aus Jhrem Gedaͤchtniſſe ausloͤſchen moͤgen: alsdenn werde ich hoffen, in einem vor - theilhaften Andenken zu ſtehen; wegen des Ver - gnuͤgens, das Sie die Guͤte gehabt haben, an Jhrer Clariſſa zu finden.
Erlauben Sie hiebey Jhrer armen und reue - vollen Tochter, die noch auf ihren Knieen lieget, Sie um Vergebung aller ihrer Fehler und Thor - heiten, ſonderlich des ungluͤcklichen Fehltritts, der ſie Jhrem Schutze entzogen hat, anzuflehen.
Wenn Sie erfahren, gnaͤdiger Herr, daß ich, in Anſehung meines Willens niemals eines Feh - lers ſchuldig geweſen; daß ich allezeit, ſeit dem mein Elend unerſetzlich geworden war, in einem Stande der Vorbereitung gelebet; daß ich die ſtaͤrkſte Verſicherung habe, daß der Allmaͤchtige meine ungeheuchelte Buße angenommen; und daß Sie itzo, wie ich mich in Demuth zu hoffen unterſtehe, das Werkzeug geweſen ſeyn werden, eine Perſon zu der Zahl der Seligen hin - zuzuſetzen: ſo werden Sie Urſache haben, ſich vielmehr zu freuen, als zu betruͤben. Denn, waͤ - re ich den Fallſtricken entgangen, in welche ich verwickelt worden bin: ſo haͤtte ich diejenigen Ue - bungen vielleicht nicht haben koͤnnen, die ich nun - mehr als eben ſo viele Proben der Barmherzig - keit anſehe, welche mir verliehen ſind, um mich beyzeiten von einer Welt zu entwoͤhnen, die ſich wir mit allzu reizenden Ausſichten darſtellte; undin492in dem Falle moͤchte ich mich nur allzu leicht mit der weltlichen Gluͤckſeligkeit befriediget, und die - jenige Seligkeit nicht erlanget haben, in welcher ich mich, wenn Sie dieſes leſen, durch die goͤttliche Guͤte, ſchon zu erfreuen, demuͤthigſt glaube.
Der Allmaͤchtige gebe, daß Sie, gnaͤdiger Herr, und meine allezeit geehrteſte Fr. Mutter, nach einer langen Kette irdiſcher Gluͤckſeligkeiten, welche durch meinen ungluͤckſeligen Fehltritt allein unterbrochen ſeyn moͤge; ich weiß daß dieſe Un - terbrechung betruͤbt und ſchmerzlich genug gewe - ſen ſeyn muß; ſich in eben dem ſeligen Zuſtande erfreuen moͤgen! Dieß iſt das wiederhohlte Ge - beth, gnaͤdiger Herr,
Jhrer nun gluͤcklichen Tochter Clariſſa Harlowe.
Das letzte mal, da ich die Kuͤhnheit hatte, an Sie zu ſchreiben, geſchahe es voͤllig mit dem Bewußtſeyn einer durch ſich ſelbſt verurtheilten Miſſethaͤterinn, die ihren beleidigten Richter um Gnade und Verzeihung anflehet. Jtzo nahe ichmich493mich Jhnen durch dieſe Zeilen mit mehrerer Zu - verſicht: jedoch nichts deſto weniger mit der hoͤch - ſten Ehrerbietung, Dankbarkeit und Gehorſam. Den Grund von dieſer zuverſichtlichen Dreiſtig - keit wird mein Brief an meinen Hrn. Vater er - oͤffnen: und wie ich ihn, auf meinen Knieen, um Verzeihung gebeten habe; ſo flehe ich auch Sie itzo, auf eben die demuͤthigſtgehorſame Art, wegen der Betruͤbniß und Unruhe, die ich Jhnen verurſa - chet habe, um Vergebung an.
Mein Herz hat mir aus allen Adern wegen einer ungluͤcklichen Uebereilung geblutet, welche von dem Augenblick an, da ſie vollbracht war, ob ſie gleich nicht mit meinem freyen Willen zur Vollziehung gekommen iſt, ihre eigne Strafe mit ſich gefuͤhret hat, und von einer wahren und auf - richtigen Reue begleitet iſt.
Gott, der ein Zeuge meiner Truͤbſale geweſen, weiß, daß, ſo groß ſie auch geweſen ſind, die groͤßte unter allen dennoch das Herzeleid geweſen ſey, wel - ches ich Jhnen, gnaͤdige Frau, und meinem Herrn Vater, wie ich uͤberzeugt war, verurſacht haben mußte: indem ich einen ſolchen Schritt gethan hatte, der in Jhren und ſeinen Augen, ja in der That in den Augen meiner ganzen Familie, ſo ſcheuslich ausſahe; einen Schritt, der ſich fuͤr Jhre Tochter, und fuͤr die Erziehung, welche Sie derſelben hatten wiederfahren laſſen, ſo wenig ſchickte!
Aber Er, hoffe ich voll Zuverſicht, hat mir vergeben: und in dem Augenblick, da Jhnen ge -gen -494genwaͤrtiges zu Haͤnden kommen wird, werde ich mich, nach meinem demuͤthigen Vertrauen, an den geſegneten Fruͤchten Seiner Vergebung erfreuen. Laſſen Sie ſich dieſes zum Troſte dienen, meine allezeit geehrte Fr. Mutter, daß der vornehmſte Zweck aller Jhrer gottſeligen Fuͤrſorge fuͤr mich erreichet iſt: wenn gleich nicht auf die Art und Weiſe, wie man es zu erwarten ſo viele Hoffnung gehabt hat.
Der Himmel gebe, daß der Kummer, wel - chen Jhnen beyden mein ungluͤckliches Vergehen zuwege gebracht hat, der einzige ſeyn moͤge, der Sie in dieſer Welt jemals druͤcken werde! ‒ ‒ Er laſſe Sie, gnaͤdige Frau, noch lange leben, meinem Herrn Vater ſeine Sorgen zu verſuͤßen und ſein Vergnuͤgen zu vergroͤßern. ‒ ‒ Er verleihe, daß der beſtaͤndige, und, wo moͤglich, vergroͤßerte Gehorſam meiner Schweſter Jhnen den Verluſt, den Sie in mir gelitten haben, gluͤcklich erſetzen moͤge! Und wenn mein Bruder und ſie, es ſey, zu welcher Zeit es wolle, ihren ledigen Stand verwechſeln: ſo wuͤnſche ich, daß es mit ſo vielem Vergnuͤgen fuͤr Sie beyde geſchehen moͤge, daß Sie daruͤber mei - ne Beleidigung vergeſſen, und ſich meiner nur in denen Zeiten erinnern, da Sie Freude an mir hatten. Endlich gebe der Herr, daß eine gluͤckli - che Zuſammenkunft mit Jhrer bußfertigen Toch - ter, die Vergebung erlanget hat, in den ewigen Wohnungen, die Seligkeit derſelben vermehren moͤge, welche durch das Leiden gelaͤutert iſt, undſchon,495ſchon, wenn dieſes Jhnen eingehaͤndiget wird, zu ſeyn hoffet
die auf ewig gluͤckliche Clariſſa Harlowe.
Es war nur eine Zeit, nur eine Gelegenheit, nach dem uͤbereilten Schritt, wozu man mich getrieben hatte, da ich Entſchuldigung hoffen konnte, wenn ich auf Euch, unter dem Namen ei - nes Bruders und Freundes, in die Hoͤhe ſehen wuͤr - de. Und nun iſt die Zeit, und dieß die Gelegen - heit. Nun, wenn Jhr dieſes leſet, werdet Jhr Eu - re ehemals ungluͤckliche Schweſter bedauren! Nun werdet Jhr derſelben ihre ſo wohl vermeyn - te, als wirkliche Fehler vergeben: und nun wer - det Jhr ihrem Andenken das guͤtige Mitleiden widerfahren laſſen, das Jhr ihr vorher verſagt habet.
Jch ſchreibe zuvoͤrderſt, lieber Bruder, um Euch, wegen der Beleidigung, die Euch und den uͤbrigen Perſonen einer mir ſo werthen Familiedurch496durch meinen ungluͤcklichen Fehltritt widerfahren iſt, um Verzeihung zu bitten.
Jungfraͤuliche Keuſchheit und Tugend ſollte ſich allerdings nicht ſo verhalten, daß nur einmal ein Argwohn auf ſie fiele: jedoch, wenn Jhr meine ganze Geſchichte erfahret, werdet Jhr mehr Grund zum Mittleiden, wo nicht zu etwas mehr, als zum Mittleiden, fuͤr Eure vormals ungluͤckli - che Schweſter finden.
O waͤre doch der Zorn nicht taub geweſen! Haͤtten doch die falſchen Vorſtellungen zugegeben, daß man ſich gehoͤrig erkundigt haben moͤchte! Haͤtte doch Euer ſtrenges Herze, wo es nicht ſelbſt beſaͤnftigt werden konnte, die Gewalt, wel - che Jhr uͤber einen jeden bekommen hattet, ge - maͤßiget, und andern Herzen erlaubet, ſich guͤtiger auszulaſſen!
Allein ich ſchreibe nicht, Misvergnuͤgen zu er - wecken. Jch wollte lieber haben, daß Jhr mich noch immer fuͤr ſtrafwuͤrdig hieltet, als daß Jhr Euch der Folgen, die aus meiner Rechtfertigung fließen werden, annehmen ſolltet.
Jch ſetze daher eine Sache beyſeite, welche ich nicht einmal zu beruͤhren willens war. Denn ich hoffe, indem ich dieſes ſchreibe, daß ich uͤber alle Neigung, Gegenvorwuͤrfe zu machen, hinaus bin. Erlaubet mir dagegen, mein Herr, Euch zu er - oͤffnen, daß meine fernere Abſicht, warum ich auf dieſe feyerliche Art zuletzt an Euch ſchreibe, da - hin gehe, Euch zu bitten, daß Jhr allen thaͤtlichen Widerwillen, der ein allen Euren Freunden ſoſchaͤtz -497ſchaͤtzbares Leben in Gefahr ſetzen kann, gegen den - jenigen Menſchen, deſſen ausgekuͤnſtelter Bosheit ich mein zeitliches Ungluͤck zu danken habe, fahren laſſen moͤget.
Denn, iſt es wohl recht und billig, daß ein Unſchuldiger mit einem Schuldigen gleiche Ge - fahr laufe? ‒ ‒ Eine mehr als gleiche Gefahr, da der Schuldige lange zu gewaltſamen Hand - lungen gewoͤhnet, und in den Kuͤnſten zu beleidi - gen wohl erfahren iſt?
Jhr werdet Euch gewiß nicht Gottes Amt anmaßen wollen, der geſagt hat: Die Rache iſt mein; ich will es vergelten. Wolltet Jhr es thun: ſo zittere ich vor den Folgen. Denn wird es der goͤttlichen Gerechtigkeit nicht gemaͤß ſeyn, den vermeſſenen Unſchuldigen, wie Jhr in dem Falle ſeyn wuͤrdet, bey dem Vergehen ſelbſt, und zwar durch die Hand des ſich vertheidigen - den Schuldigen, zu ſtrafen ‒ ‒ indem er dieſen zu einem kuͤnftigen Tage der Rache wegen ſeiner gehaͤuften Vergehungen aufbehaͤlt?
So uͤberlaſſet denn den elenden Menſchen der goͤttlichen Gerechtigkeit. Laſſet den Fehler Eurer Schweſter mit ihr begraben werden: we - nigſtens laſſet ihn nicht wieder durch Blutvergieſ - ſen hervorkommen. Das Leben iſt ein kurzer Lauf, wo es am laͤngſten iſt. Nach einer kurzen Zeit wird das Haupt, welches itzo gruͤnet, grau ſeyn, wofern es die kurze Zeit erlebet: und wo der Himmel ihm Zeit zur Buße laſſen will, war - um ſolltet Jhr es nicht wollen?
Siebenter Theil. J iHier -498Hiernaͤchſt bedenket, lieber Bruder, was es fuͤr Eure werthe Eltern fuͤr Folgen haben wuͤrde, wenn der boͤſe Menſch, der ihnen den Verluſt ei - ner Tochter zuwege gebracht hat, ſie auch ihrer beſten Hoffnung, eines einigen Sohnes, der in Betrachtung der Familienſachen mehr werth iſt, als verſchiedne Toͤchter, berauben ſollte?
Wolltet Jhr, lieber Bruder, das Herzeleid noch vermehren, weswegen Jhr Eure Schweſter fuͤr ſo wenig zu entſchuldigen haltet, weil ſie es, ob gleich wider Willen und ohne Vorſatz verur - ſachet hat?
Suchet alſo nicht, ich bitte Euch, ſuchet nicht die uͤblen Folgen von dem Vergehen Eurer Schwe - ſter noch weiter auszubreiten. Sein Gewiſſen wird ſchaͤrfer ſeyn, als Euer Schwerdt, wenn es Gott gefallen wird, daſſelbe zu ruͤhren.
Jch habe noch einen Bewegungsgrund, war - um ich auf dieſe feyerliche Art an Euch ſchreibe. Es iſt dieſer, daß ich Euch erſuchen moͤge, uͤber Eure Leidenſchaften zu wachen. Der vornehm - ſte Fehler, deſſen ich Euch ſchuldig weiß, iſt Eure Heftigkeit, wenn Jhr Recht zu haben glaubet: wie Jhr oͤfterer haben wuͤrdet, wenn eben dieſe Heftigkeit nicht im Wege ſtuͤnde.
Jhr habt zu verſchiednen malen Euer Leben dadurch in Gefahr gebracht.
Jſt derjenige nicht einer parteyiſchen Eigen - liebe in einem hohen Grade ſchuldig, der weniger im Stande iſt, Widerſpruch zu ertragen, als ge - ſchickt, ihn zu thun? ‒ ‒ Wie oft hat eine un -geſtuͤme499geſtuͤme Hitze bey Euch eine Erniedrigung zuwe - ge gebracht? ‒ ‒ Eine nur allzu natuͤrliche Folge.
Erlaubet mir alſo, werther Bruder, daß ich Euch vor einer aufwallenden Hitze, und einer unge - ſtuͤmen Heftigkeit, ſo bald ſie erreget wird; ſie iſt aber bey Euch ſo leicht zu erregen; warne: vor einer Heftigkeit, die Euch in unerwartete Schwie - rigkeiten ſtuͤrzen kann, und wobey es eine Suͤnde iſt, wenn man ſie nicht zu baͤndigen ſuchet. Gott verleihe Euch, um Eurer eignen ſo wohl gegen - waͤrtigen als zukuͤnftigen Ruhe und Wohlfarth willen, das Vermoͤgen, es zu thun! Er verleihe Euch daſſelbe auch um Eurer Familie willen, in welcher alle Euren Fehler einſehen, aber zu zaͤrt - lich ſind, gegen Euch davon zu reden.
Was mich betrifft, mein lieber Bruder: ſo iſt meine Strafe bequem geweſen und zu rechter Zeit gekommen. Gott hat mir Gnade gegeben, mir mein Leiden gehoͤrig zu Nutze zu machen. Jch habe beyzeiten Reue empfunden. Jch habe den Menſchen niemals halb ſo ſehr geliebet, als ich ſeine Handlungen haſſete, ſo bald ich ſahe, was er zu thun im Stande waͤre. Jch uͤberließ mein ganzes Herz einer beſſern Hoffnung. Gott ſegne - te meine Buße und mein Vertrauen auf Jhn: und nun unterſtehe ich mich zu ſagen, ich bin gluͤcklich.
Der Himmel erhalte Euch in Wohlergehen, Geſundheit und Ehre, und verlaͤngere Eure Tage zu einem Troſte und zu einer Stuͤtze fuͤr Eure ge -J i 2ehrteſte500ehrteſte Eltern. Er laſſe Euch bey Veraͤnderung Eures ledigen Standes eine Gattinn finden, die ſo wohl einem jeden als Euch ſelbſt angenehm ſey. Er laſſe Euch in einer Hoffnungsvollen Nachkommenſchaft gluͤcklich ſeyn, und unter der - ſelben keine Clariſſa haben, die Euch Euer Ver - gnuͤgen vergaͤlle, wenn ſie Euch das meiſte Ver - gnuͤgen geben ſollte: ſondern gebe, daß mein Bey - ſpiel den lieben Kindern, die ich ehemals noch bey meinem Leben zu ſehen und zu umarmen hoffete, zu einer Warnung vor dem Boͤſen diene, wovon dieſe betruͤgliche Welt uͤberfließet. Dieß iſt das Gebeth
Eurer ergebenen Schweſter Clariſſa Harlowe.
Nun moͤget Jhr, meine liebe Arabelle, wohl von Eurer ſtrengen Tugend nicht gebunden ſeyn, daß ihr nicht eine mitleidige Thraͤne uͤber die vergangenen Fehler und Leiden Eurer ehemals ungluͤcklichen Schweſter vergießen ſolltet: indem ſie Euch itzo niemals mehr beleidigen kann. Die goͤttliche Gnade, welche ihr zuerſt Reue einfloͤßte; und das war eine fruͤhzeitige Reue, weil ſie vor ihrem Leiden vorherging; Reue uͤber einen Fehler,den501den ſie nicht geringer zu machen ſuchet, ob er gleich eine Verringerung vielleicht zuließe; hat itzo, zu der Zeit, da Jhr dieſes leſet, wie ich in Demuth hoffe, ſie mit den Fruͤchten derſelben begluͤcket.
So ſchreibet ſie mit deſto geringerer Furcht an ihre Schweſter, da ſie ſelbſt ſchon, indem ſie ſchreibet, in ihrer Vorſtellung gelaͤutert und erhoͤ - het iſt: und iſt nunmehr verſichert, daß ſie fuͤr alle die kleinen Veranlaſſungen zum Misvergnuͤ - gen, welche ihre muthwilligere Jugend Euch ge - geben, und fuͤr die Schande, welche ihr Fall uͤber Euch und ihre Familie gebracht hat, Verzei - hung erlangen werde.
Jch wuͤnſche, liebe Schweſter, daß Jhr fer - ner die werthen und geehrten Anverwandten, de - ren Guͤte Eure aͤußerſte Dankbarkeit verdienet, mit denen freudigen Proben der ſchuldigen Liebe und Gehorſams, welche bisher ihnen ſo ange - nehm und an Euch ſo ruͤhmlich geweſen ſind, er - freuen und gluͤcklich machen: und auch, wenn ſich eine anſtaͤndige Partey finden wird, die Luͤcke, wel - che ihr an mir erlittener Verluſt in ihrer Familie gemacht hat, wuͤrdiger ausfuͤllen moͤget.
So, meine Arabelle! meine einzige Schwe - ſter! und auf viele gluͤckliche Jahre meine Freun - dinn! ſo betet mit der groͤßten Jnbrunſt diejenige Schweſter, deren Zuneigung gegen Euch kein un - freundliches Verfahren, keine Misdeutung ihrer Auffuͤhrung wankend machen konnte, und dieJ i 3nun,502nun, da ſie durch Leiden, wie ſie hoffet, vollkom - men gemacht iſt, ſich ſelbſt nennet
die gluͤckliche Clariſſa Harlowe.
Wenn dieſe Zeilen Jhnen zu Haͤnden kommen, wird Jhre vormals ungluͤckliche Baſe das Ende aller ihrer Unruhen geſehen haben, und ſich, wie ſie in Demuth hoffet, in der Barmherzigkeit eines gnaͤdigen Gottes erfreuen, der ſich erklaͤret hat, daß Er den wahrhaftig und von Herzen Buß - fertigen vergeben wolle.
Jch ſchreibe daher, meine wertheſte Onkels, und zwar an Sie beyde in einem Briefe; weil Jhre bruͤderliche Liebe Sie beyde gleichſam zu Ei - ner Perſon gemacht hat; damit ich Jhnen Troſt, nicht Kummer und Herzeleid, bringen moͤge. Denn ſo ſcharf meine Truͤbſal geweſen iſt: ſo iſt ſie doch nur von einer kurzen Dauer geweſen, und ich bin beyzeiten, und gluͤcklich, wie ich hoffe, an das Ende einer muͤhfamen Reiſe gekommen.
Zu503Zu gleicher Zeit ſchreibe ich auch in der Ab - ſicht, daß ich Jhnen beyden fuͤr alle Jhre Guͤte und Nachſicht gegen mich Dank abſtatte, und Sie wegen meines letzten, meines einzigen großen Fehlers gegen Sie und gegen meine Familie, um Verzeihung bitte.
Die Wege der Vorſehung ſind unerforſchlich. Mannichfaltig ſind die Mittel, welche ſie gebraucht, arme Suͤnder zu einer Empfindung ihrer Pflicht zu bringen. Einige werden, durch Liebe gezogen, andere durch Schrecken getrieben, zu ihrer goͤttli - chen Zuflucht gefuͤhret. Jch hatte auf achtzehn Jahre von neunzehn mich der Gunſt und Zunei - gung eines jeden zu erfreuen gehabt. Keine Un - ruhe traf mein Herze. Jch ſchiene eine von de - nen zu ſeyn, die durch ſanfte Seile der Liebe gezo - gen werden ſollten ‒ ‒ Allein vielleicht war ich zu ſehr geneigt mich wegen der Liebe und Gewo - genheit eines jeden zu hoch zu ſchaͤtzen. Das Verdienſt von dem Guten, welches ich zu thun Vergnuͤgen fand, und von denen Neigungen, die mir verliehen waren, und die ich nicht durch mein Zuthun haben konnte, war ich vielleicht allzu be - reit mir ſelbſt zuzuſchreiben. Nun, da ich Ver - anlaſſung habe, den Grund von meiner zeitlichen Truͤbſal anzugeben, finde ich, daß ich einen gehei - men Stolz gehabt habe, den ich nicht ergruͤndet hatte, fuͤr welchen ich geſtraft werden mußte. Es iſt vielleicht noͤthig geweſen, daß mich einige har - te und ſchreckliche Ungluͤcksfaͤlle uͤberfielen, damitJ i 4mein504mein Stolz und meine Eitelkeit gedemuͤthiget wuͤrde.
Dem zufolge wurden Verſuchungen geſchickt. Jch nahm ab zur Zeit der Pruͤſung. Meine Klugheit, die ſo beſchrieen geweſen war, ward zu leicht befunden, als ſie in einer gleichen Wagſcha - le gewogen werden ſollte. Jch ward beruͤcket, ich fiel, und ward das Sprichwort meiner Geſpielen und eine Schande meiner Familie, die auf mich vielleicht zu ſtolz geweſen war. Aber da mein Fehler nicht von einem ſtraͤflichen Willen herruͤhr - te: ſo ward nicht zugelaſſen, nachdem mein Stolz ſattſam gedemuͤthiget war, daß ich gaͤnzlich ver - lohren ginge, ob ich gleich mit Gefahr umringet, und in Fallſtricke verwickelt war; ſondern ich ward durch Leiden gelaͤutert und zu dem Wechſel geſchickt gemacht, den ich nun, zu der Zeit, da Sie dieſes bekommen werden, ſo neulich, und, wie ich demuͤthigſt hoffe, ſo gluͤcklich erfahren habe.
Erfreuen Sie ſich denn mit mir, meine wer - theſte Herren, daß ich einen ſo großen Sturm uͤberſtanden habe. Laſſen Sie auch dieß nicht zu einer Urſache des Traurens dienen, daß ich in der Bluͤthe meiner Jugend hingeriſſen bin. „ Jm „ Grabe wird nicht gefragt, ob wir zehn oder hun - „ dert Jahre gelebt haben: und der Tag des To - „ des iſt beſſer, als der Tag unſerer Geburth.
Noch einmal, wertheſte Herren, nehmen Sie meinen erkenntlichſten Dank an, fuͤr alle Jhre Guͤte gegen mich, von meiner zarten Kindheit an bis auf den Tag, den ungluͤcklichen Tag, da ichgefehlet505gefehlet habe! Vergeben Sie mir dieſen Fehler! ‒ ‒ Gott aber verleihe, daß wir uns in einer ſe - ligen Ewigkeit gluͤcklich wieder antreffen moͤgen. So betet
Jhre gehorſamſte und verbundneſte Baſe Clariſſa Harlowe.
Herr Belford theilet die nachgelaſſenen Briefe der Fraͤulein an Fr. Hervey, Fraͤulein Howe und Fr. Norton gleich - falls ganz mit. Allein, ob gleich ein jeder Brief ſo wohl der Schreibart, als dem Jnhalt nach von dem andern unterſchieden iſt: ſo hat man doch, weil ſie alle auf einerley Veranlaſſung geſchrieben und ſehr lang ſind, fuͤr dien - lich gehalten, ſie kurz zuſammenzu - ziehen.
Derjenige, welcher an ihre Tante Hervey ge - richtet iſt, iſt auf eben die gottſelige und edel - muͤthige Art, wie die vorigen, geſchrieben: indem ſie mehr Troſt zu ertheilen, als Kummer zu ver - urſachen ſuchet. „ Der Allmaͤchtige, ſchreibt ſie, „ hat meine Buße, wie ich hoffe, angenommen „ und geſegnet, und ich bin gluͤcklich. Haͤtte ich „ mehr, als das, ſeyn koͤnnen, wenn ich das Ende „ eines Lebens, das man gluͤcklich nennet, von 20 „ oder 30 oder 40 Jahren mehr erreichet haͤtte? „ Und was ſind zwanzig, oder dreyßig, oder vier - „ zig Jahre, wenn man auf ſie zuruͤckſiehet, nach -J i 5„ dem506„ dem ſie verfloſſen ſind? ‒ ‒ Was fuͤr Freun - „ de haͤtte ich nicht ſchon in der Haͤlfte ſo wohl ei - „ nes als des andern von dieſen Zeiten zu betrauren „ haben koͤnnen? Mit was fuͤr Verſuchungen „ von zeitlicher Gluͤckſeligkeit haͤtte ich nicht zu „ ſtreiten haben moͤgen? Und wie wenig Wahr - „ ſcheinlichkeit hat es in einem ſolchen Fall, wenn „ ich in irdiſchen Vergnuͤgungen verſunken gewe - „ ſen waͤre, daß ich bey dem Ziel meines Lebens - „ laufs mit einer ſolchen Vorbereitung und Er - „ gebung in den goͤttlichen Willen begluͤckt gewor - „ den ſeyn wuͤrde, als ich itzo zu meinem Segen „ gehabt habe?
Sie faͤhrt folgendergeſtalt fort: „ So viel, „ gnaͤdige Frau, Sie und mich ſelbſt durch dieſe „ Regierung der Vorſehung zu troͤſten. Was „ meine werthe Eltern betrifft: ſo hoffe ich, ſie wer - „ den ſich ſelbſt damit troͤſten, daß ihnen noch vieler „ Segen uͤbrig gelaſſen iſt, welcher billig den Un - „ ruhen, die ihnen mein Vergehen verurſachet hat, „ zu einem Gegengewichte dienen muͤſſen; daß, „ ſo ungluͤcklich ich auch geweſen bin, ihre Gluͤck - „ ſeligkeit zu ſtoͤren, ſie doch niemals, bis auf die - „ ſen meinen Fehltritt, ein ſchweres Uebel em - „ pfunden haben; daß die Truͤbſal ſich in Segen „ verkehren kann, wenn man ſie mit Gedult ertraͤ - „ get; daß keine ununterbrochne Gluͤckſeligkeit in „ dieſem Leben zu erwarten ſtehet; daß ſie doch „ by dem allen, wie ich mir in demuͤthiger Zuverſicht „ Hoffnung mache, nicht Urſache haben, die Wahr - „ ſcheinlichkeit des ewigen Verderbens bey ihrem„ Kinde507„ Kinde zu beweinen; und daß ſie in kurzem, wenn „ meine Geſchichte voͤllig bekannt wird, den Troſt „ haben werden, zu erfahren, daß mein Leiden „ mehr zu meiner Ehre, als zu meiner Schande „ ausſchlagen werde.
„ Dieſe Betrachtungen werden, wie ich hoffe, „ ihren zeitlichen Verluſt eines Kindes unter „ dreyen, das noch dazu in ſo ungluͤckliche Um - „ ſtaͤnde gerathen war, zu einer Sache machen, „ bey der ſie mehr Urſache haben ſich zu troͤſten, „ als ſich zu betruͤben: und das um ſo viel mehr, „ da wir die Hoffnung haben koͤnnen, dereinſt wie - „ der zuſammen zu kommen, daß uns weder Zei - „ ten noch Beleidigungen zu trennen vermoͤgend „ ſeyn werden.
Sie beſchließet dieſen Brief mit einer Anrede an ihre Baſe Doͤrtchen Hervey, die ſie ihre lieb - reiche Baſe nennet: und erinnert ſich mit Dank - barkeit des Antheils, das ſie an ihrer Truͤbſal ge - nommen. ‒ ‒ „ O meine wertheſte Baſe! laſſen „ Sie Jhr Herz gegen dieſe Teuſchereyen, die „ meiner zeitlichen Gluͤckſeligkeit zum Verderben „ ausgeſchlagen ſind, auf der Huth ſeyn! ‒ ‒ „ Das Mittleiden, welches Sie gegen mich bewie - „ ſen haben, zeigt eine ſanfte Natur an, die Sie „ vielleicht Ungluͤcksfaͤllen unterwerfen kann, wo „ Sie Jhrem Auge erlauben, Jhren Verſtand zu „ verleiten ‒ ‒ Allein eine genaue Beobachtung „ Jhrer kindlichen Pflicht, und die Befehle einer „ ſo klugen Mutter, als Sie das Gluͤck haben zu „ verehren, wird, ſonderlich da ſie durch ein ſo be -„ truͤbtes508„ truͤbtes Exempel in Jhrer eignen Familie, als „ ich gegeben habe, auf das nachdruͤcklichſte einge - „ ſchaͤrfet iſt, Jhnen durch Gottes Beyſtand zur „ Huth und Sicherheit dienen.
Der hinterlaſſene Brief an die Fraͤulein Ho - we iſt ausnehmend zaͤrtlich und voll Zeugniſſe der Liebe. Sie fordert dieſelbe, mit nachdruͤcklicher Be - wegung, zur Freude auf, „ daß alle Unruhen ihrer „ Clariſſa nun ein Ende haben, daß der Stand der „ Verſuchung und Pruͤfung, des Zweifels und der „ Ungewißheit bey ihr nuninehr voruͤber iſt, und „ daß ſie den Fallſtricken, welche ihrer Seele ge - „ legt geweſen, gluͤcklich entgangen: und das zu „ einer um ſo viel groͤßern Freude, weil ihr Un - „ gluͤck von einer ſolchen Beſchaffenheit war, daß „ ſie unmoͤglich in dieſem Leben auch nur einmal eine „ mittelmaͤßige Gluͤckſeligkeit erwarten konnte.
Sie „ erkennet mit vielem Dank die Gunſt - „ bezeigungen, welche Sie von der Frau Howe „ und dem Herrn Hickmann erhalten hatte; bezeu - „ get ihren Kummer uͤber die Unruhe, die ſie der „ erſten und ihr verurſachet hat; und fuͤget ihr „ Gebeth hinzu, daß alle irdiſche Segensguͤter, „ die ſie einander zu wuͤnſchen pflegten, auf ſie al - „ lein fallen moͤgen.
Sie erſuchet ſie, „ den Tag nicht zu verſchie - „ ben, welcher ihr die Freundinn, die ſie an ihr ver - „ lohren haben wird, erſetzen, und ihr einen noch „ naͤhern und werthern Anverwandten geben „ ſoll.
Sie509Sie ſagt ihr, „ daß ihre Wahl, eine Wahl, „ die ſie mit Genehmhaltung aller ihrer Freunde „ getroffen haͤtte, auf einen aufrichtigen, ehrlichen, „ tugendhaften, und was mehr als alles iſt, einen „ gottſeligen Mann gefallen ſey; ein Mann, der „ zwar ihre Perſon bewundert, aber doch noch „ mehr in die anmuthreichen Vorzuͤge ihres Ge - „ muͤths verliebt iſt. Und da dieſe Annehmlich - „ keiten mit einem jeden Jahre des Lebens zuneh - „ men koͤnnen, welches hingegen die vergaͤnglichen „ Reizungen des Koͤrpers ſchwaͤchen wird: was „ fuͤr einen feſten Grund, ſchließet ſie, hat denn „ Herr Hickmann gewaͤhlet, ſeine Liebe darauf zu „ bauen!
Sie ſetzt ihr Gebeth hinzu „ daß Gott ſie mit „ einander ſegnen wolle: und damit das Anden - „ ken von ihr und von dem, was ſie gelitten hat, „ ihre beyderſeitige Gluͤckſeligkeit nicht unterbrechen „ moͤge; ſo erſuchet ſie beyde, an nichts zu geden - „ ken, als daran, was ſie nun iſt, und daß eine „ Zeit kommen werde, da ſie ſich wieder ſehen und „ niemals mehr geſchieden ſeyn ſollen.
„ Dem goͤttlichen Schutz empfiehlt ſie ſie un - „ terdeſſen und beſchwoͤret ſie bey der Liebe, die al - „ lezeit zwiſchen ihnen beſtanden iſt, nicht zu ſehr „ um ſie zu trauren; und alsdenn fordert ſie ſie „ noch einmal, nach einer guͤtigen Thraͤne, die ſie „ ihr zum Andenken ihrer ununterbrochenen Freund - „ ſchaft zu vergießen erlauben will, zur Freude „ auf, daß ſie durch ihr Leiden gelaͤutert, und durch „ Gottes Gnade, wie ſie gewiß vertrauet, ewig „ gluͤckſelig gemacht iſt.
Die510Die hinterlaſſenen Briefe an Hrn. Lovelace und Hrn. Morden werden nach dieſem ge - legentlich eingeſchaltet werden: wie auch mit dem Hauptinhalt des Schreibens an Fr. Norton geſchehen wird.
Jch vernehme, daß du nichts als Rache gegen mich, weil ich dir mit ſo vieler Freyheit be - gegnet habe, und gegen das verfluchte Weib und ihre hoͤlliſche Rotte, aushaucheſt. Jch bekuͤmmere mich im geringſten nicht uͤber deine Drohungen gegen mich. Es iſt meine Abſicht, dich zum Ge - fuͤhl zu bringen. Es macht mir Vergnuͤgen, daß ich meine Abſicht erreicht ſehe. Und ich wuͤn - ſche dir Gluͤck, daß du die Empfindung nicht ver - lohren haſt.
Was die verfluchte Rotte betrifft: ſo verdie - nen ſie wohl das Feuer hier, womit du ihnen droheſt, und das Feuer nach dieſem, welches ihrer zu warten ſcheinet. Allein ich habe dieſen Augenblick Zeitungen bekommen, die dir nach aller Wahrſcheinlichkeit die Suͤnde, das alte Weib fuͤr ihr Theil an der Bosheit, als deine Unter -haͤnd -511haͤndlerinn, zu ſtrafen, erſparen werden. Wo ihr aber das begegnet, was ihr wahrſcheinlicher Wei - ſe begegnen wird: wirſt du denn nicht vor demje - nigen erzittern, was dem Anfuͤhrer widerfahren mag?
Jch will dich nicht laͤnger ungewiß laſſen. Geſtern Abends, wie es ſcheint, berauſchte ſich das ſchaͤndliche Weib auf des Obriſten Salters Ko - ſten ſo herzlich in ihrem lieben Gteraͤnke, Arrack Puntch, daß ſie einen Fehltritt that, ein Paar Treppen herunter fiel und ihr Bein zerbrach. Nun liegt ſie, nach einer ſchrecklichen Nacht, mit Schaͤumen, Raſen und Bruͤllen in einem hitzigen Fieber, das keines andern Feuers bedarf, ſie durch ſeinen Brand in ein empfindlichers und dauerhaf - teres Gefuͤhl zu ſetzen, als irgend deine Rache ihr zu leiden auflegen koͤnnte.
Das nichtswuͤrdige Weib hat mich bitten laſſen, zu ihr zu kommen: und damit ich es nicht abſchlagen moͤchte, wenn ſie mir einen gemeinen Bothen ſchickte, ihre ſchaͤndliche Gehuͤlfinn Sa - rah Martin zu mir geſandt. Da mich nun dieſe nicht zu Soho fand, kam ſie hierher, weil ſie auch noch das Gewerbe hatte, von der goͤttlichen Fraͤu - lein Verzeihung wegen der Bosheit des alten Un - thiers auszuwirken.
Dieſer eingefleiſchte Teufel, Sarah, war wohl in ihrem Leben nicht ſo erſchrocken, als, da ich ihr ſagte, daß die Fraͤulein todt waͤre.
Sie zog ihr Salz heraus, ſich der Ohnmacht zu erwehren: und nachdem ſie ein wenig wiederzu512zu ſich ſelbſt gekommen war, machte ſie ſich ſelbſt Vorwuͤrfe wegen des Antheils, das ſie an dem Unrecht, welches die Fraͤulein gelitten, gehabt haͤt - te. Maria Horton, ſagte ſie, wuͤrde fuͤr ihr Theil eben das thun. Sie bezeugte mit Thraͤnen, daß die Welt niemals ſolch ein Frauenzimmer hervorgebracht haͤtte. Sie nannte ſie die Zierde und den Ruhm ihres Geſchlechtes, und geſtand, daß ihr Ungluͤck mehr von ihren Aufhetzungen, als ſelbſt, ſo wild du auch biſt, von deiner eignen Bosheit hergekommen ſey: indem du mehr als einmal geneigt geweſen waͤreſt, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, wenn ſie dein verruchtes Feuer nicht angeblaſen haͤtten.
Dieß nichtswuͤrdige Weibsbild haͤtte gern die Erlaubniß gehabt, die Leiche zu ſehen. Allein ich ſchlug ihre Bitte mit Fluͤchen ab:
Sie koͤnnte ſich alles vergeben, ſagte ſie, aus - genommen die Beſchimpfungen, womit ſie der bewundernswuͤrdigen Fraͤulein in Rowlands Hauſe begegnet haͤtte. Denn alles uͤbrige waͤre nur eine Folge von der Lebensart geweſen, zu der ſie heruntergebracht waͤre, als ſie beſſere Umſtaͤnde, wie ſie ſich ruͤhmte, zu erwarten gehabt haͤtte: ei - ner Lebensart, welcher hundert andere eben ſo gut, als ſie, nachgehen. Jch fragte ſie nicht, von wem ſie dazu heruntergebracht waͤre.
Als ſie wegging, ſagte ſie mir, daß die Zer - quetſchung des alten Ungeheuers von gefaͤhrlicherer Folge waͤre, als der Bruch; daß man eine Ent - zuͤndung befuͤrchtete; und daß das ſchaͤndliche Weibſo513ſo viele Gewiſſensangſt empfaͤnde, wenn ſie ihr Verfahren mit der Fraͤulein Harlowe bedaͤchte, und ſo ſehr darauf beſtuͤnde, Vergebung von ihr ausgewirkt zu haben, daß ſie verſichert waͤre, die Zeitung, welche ſie ihr zu bringen haͤtte, wuͤrde ihr Ende beſchleunigen.
Dein Bedienter giebt mir eine fuͤrchterliche Nachricht von deiner raſenden Unbaͤndigkeit. Jch wundere mich nicht daruͤber. Allein da nichts, was heftig iſt, lange dauret: ſo darf ich auch ſa - gen, daß deine gewoͤhnliche Froͤhlichkeit bald deine Raſerey vertreiben werde. Jch faͤlle dieſes Ur - theil um ſo viel mehr, da deine Anfaͤlle eine ge - wiſſe Art der Wuth ſind, die ſich zu deiner unge - ſtuͤmen Gemuͤthsbeſchaffenheit ſchicket, und nicht zu der niedergeſchlagenen Traurigkeit gehoͤren, welche langſamere Gemuͤther zu uͤberfallen pflegt.
Aus der Urſache will ich fortfahren, an dich zu ſchreiben, damit meine Erzaͤhlung nicht durch dei - ne Unordnung des Gemuͤths unterbrochen werde, und der Jnhalt derſelben dir, wenn du wieder her -Siebenter Theil. K kge -514geſtellet biſt, an das Herz greiffen und zum Nach - ſinnen verhelfen moͤge.
Henrich iſt von ſeinem Gewerbe wieder ge - kommen und hat die hinterlaſſenen Briefe an die Familie und die Fraͤulein Howe, und das Schrei - ben des Obriſten, welches dem Jakob Harlowe den Tod ſeiner Schweſter und ihr Verlangen bey ihrem Großvater begraben zu werden, meldet, uͤberbracht.
Er iſt vor keinen von der Familie gelaſſen worden. Sie ſind eben, wie es ſcheint, alle zu Harlowe ‒ Burg auf Veranlaſſung des Brie - fes von dem Obriſten, der ihnen von dem gefaͤhr - lichen Zuſtande der Fraͤulein Nachricht gab(*)Man ſehe den vorhergehenden LVten Brief., verſammlet geweſen, und haben ſich, wie Henrichen geſagt iſt, mit der Hoffnung getroͤſtet, daß der Herr Morden ihren Zuſtand auf das ſchlimmſte vorge - ſtellt haben wuͤrde, damit er ihre Entſchließung beſchleunigen moͤchte.
Es iſt alſo leicht zu urtheilen, wie groß ihr Kummer, wie groß ihre Beſtuͤrzung ſeyn mußte, da ſie die ungluͤckliche Zeitung bekamen, welche ih - nen die Briefe, die Henrich hineinſchickte, brachten.
Er blieb lange genug da, das ganze Haus in Verwirrung zu finden. Die Bedienten liefen einer hier, der andere dort hinaus, klagten jaͤmmerlich, und rungen die Haͤnde, wie ſie liefen; ſonderlich die Maͤgde: als wenn jemand; ſonder Zweifeldie515die arme Fr. Harlowe, und vielleicht auch Frau Hervey; von Ohnmachten uͤberfallen waͤre.
Alle waren in ſolcher Unordnung, daß er we - der Beſcheid bekommen, noch die Gelegenheit, ſelbſt befragt zu werden, haben konnte. Die Bedienten ſchienen geneigter ihn zu verfluchen, als zu bewillkommen. ‒ ‒ O guter Freund! O junger Menſch! ſchrieen drey oder vier mit einan - der, was fuͤr ungluͤckliche Zeitungen hat er ge - bracht! ‒ ‒ Sie halfen ihm gleich bey dem erſten Worte zu ſeinem Pferde, das ſie bey ſeiner An - kunft mit großer Hoͤflichkeit eingezogen hatten. Er ging darauf zu einem Wirthshauſe, und ver - folgte zu Fuße ſeinen Weg nach der Fr. Norton. Weil er aber fand, daß ſie auf dem Wege nach London waͤre: ſo ließ er den Brief, welchen er fuͤr ſie hinunterbrachte, bey ihrem Sohne, einem ar - tigen Juͤnglinge, der, ſo bald er die ungluͤckliche Zeitung hoͤrte, ganze Stroͤme von Thraͤnen ver - goß ‒ ‒ und erſt den Tod der Fraͤulein beklagte, hiernaͤchſt aber ausrief: Was, was wuͤrde aus ſeiner armen Mutter werden? ‒ ‒ Wie wuͤrde ſie ſich faſſen koͤnnen, wenn ſie bey ihrer Ankunft in London finden ſollte, daß die liebe Fraͤulein, welche mit ſo vielem Rechte ihr ganzes Herz ſich zu eigen gemacht, nicht mehr am Leben waͤre!
Er ging weiter zu der Fraͤulein Howe, mit dem Briefe an ſie. Dieſe hatte eben, wie er hoͤr - te, einem jungen Menſchen, eines Pachters Sohne, Befehl gegeben, eiligſt nach London zu reiten, da - mit er ihr von dem Zuſtande ihrer lieben Freun -K k 2dinn516dinn Nachricht braͤchte, und ſie erfuͤhre, ob ſie durch einem Bericht, daß ſie noch am Leben waͤre, Muth bekommen koͤnnte, ihr einen Beſuch zu ge - ben: indem befohlen war, daß alles zu ihrer Hin - aufreiſe, wofern er mit derjenigen Zeitung zuruͤck - kaͤme, welche ſie wuͤnſchte, und durch ihr Gebeth mit der aͤußerſten Sehnſucht zu erhalten ſuchte, in Bereitſchaft ſeyn ſollte. Henrich kam eben zu rechter Zeit, die Abreiſe des Menſchen zu ver - huͤten.
Er gebrauchte die Vorſichtigkeit, daß er mit der Kammerfrau oder dem Kammermaͤgdchen der Fraͤulein Howe zu ſprechen verlangte: und dieſer hinterbrachte er die ungluͤckliche Zeitung, damit ſie dieſelbe ihrer Fraͤulein auf eine gute Art bey - bringen moͤchte. Das Maͤgdchen aber erſchrack ſelbſt ſo daruͤber, daß ihre gnaͤdige Frau, die al - lenthalben, wie Henrich ſagte, zugleich zu ſeyn ſchiene, dazu kam, um zu ſehen, was ihr fehlte. Allein dieſe ward auch uͤber die Nachricht in ſol - ches Schrecken geſetzt, daß ſie genoͤthigt wurde, ſich auf einen Stuhl niederzulaſſen. O die ange - nehme Fraͤulein! ſagte ſie ‒ ‒ Jſt es ſo weit gekommen! ‒ ‒ O mein armes Annchen! ‒ ‒ Wie werde ich im Stande ſeyn, meinem Annchen die Sache auf eine gute Art beyzubringen!
Herr Hickmann war in dem Hauſe. Er eilte hinein, die gnaͤdige Frau zu troͤſten ‒ ‒ Aber er konnte ſich ſelbſt der Thraͤnen nicht verwehren. Er haͤtte wohl beſuͤrchtet, ſagte er, da er das letzte mal in London geweſen waͤre, daß ſich dieſer traurigeFall517Fall bald begeben wuͤrde: allein es waͤre ihm gar nicht in den Sinn gekommen, daß es ſo gar bald geſchehen ſollte! ‒ ‒ Jedoch ſie iſt gewiß gluͤckſe - lig, ſprach er!
Fr. Howe ging hinauf, nachdem ſie ſich ein wenig gefaßt hatte, um ihrer Tochter die Nachricht auf eine gute Art beyzubringen. Sie nahm den Brief und ihr Salz in die Hand. Und Henrich konnte merken, daß ſie es gebraucht hatten. Denn die Haushaͤlterinn kam bald in die Kuͤche herunter gerannt und ihr Geſicht war von Thraͤnen uͤberſchwemmet ‒ ‒ Jhre Fraͤulein, ſagte ſie, waͤre in Ohnmacht gefallen ‒ ‒ Sie wunderte ſich auch nicht daruͤber ‒ ‒ Niemals waͤre eine Fraͤulein auf der Welt geweſen, die mehr verdienet haͤtte, von allen und jeden bewundert und bedauret zu werden, als Fraͤulein Clariſſa Harlowe! Niemals waͤre eine ſtaͤrkere Freundſchaft durch den Tod zer - ſtoͤret, als die zwiſchen ihrer Fraͤulein und ihr. Sie eilte mit einem brennenden Wachsſtock und mit Federn wieder hinauf, die ſie ihrer jungen Herrſchaft unter der Naſe anzuͤnden wollten. Dieß zeigte, daß die Ohnmachten noch anhielten.
Herr Hickmann machte hierauf mit ſeiner ge - woͤhnlichen Leutſeligkeit die Anſtalt, daß man Henrichen die ganze Nacht uͤber verſorgte: weil der Tag eben zum Ende ging. Er fragte ihn nach meinem Befinden. Er bezeugte, daß er ſo wohl uͤber den Verluſt, als uͤber die gerechte Be - truͤbniß der Fraͤulein, die er ſo herzlich liebet, aus - nehmend bekuͤmmert waͤre. Die abgeſchiedne Fraͤu -K k 3lein518lein aber nannte er einen Engel des Lichts. Wir fuͤrchteten uns, ſprach er, ſaget eurem Herrn, den uͤberſandten Brief zu leſen. ‒ ‒ Allein wir hatten es nicht noͤthig ‒ ‒ Es iſt ein preiswuͤrdiger Brief von einer preiswuͤrdigen Hand. ‒ ‒ Jedoch wird der Troſt, den ſie zu ertheilen willens iſt, fuͤr das gegenwaͤrtige nur den empfindlichen Schmer - zen, den wir alle uͤber den Verluſt einer ſo vor - trefflichen Perſon fuͤhlen, erhoͤhen! Sagt dem Hern Belford, ich danke Gott, daß ich nicht der Mann bin, der die unverdiente Ehre hatte, ſich ihren Bruder zu nennen.
Jch weiß, wie erſchrecklich dich dieſe große Veraͤnderung, wie ich ſie wohl nennen mag, da ſo viele Perſonen darinn eingeflochten ſind, ruͤhret. Daher wuͤrde es mir lieb geweſen ſeyn, wenn ich dir von dem Herzeleid, das die erſte Nachricht von derſelben zu Harlowe-Burg verurſacht haben muß, etwas genauers zu melden gehabt haͤtte. Wer kann inzwiſchen wohl anders als Mitleiden mit der ungluͤcklichen Mutter haben.
Die Antwort, welche Jakob Harlowe auf den Brief des Obriſten Mordens, worinn er den Tod ſeiner Schweſter meldet, und auf ihr Ver - langen in Anſehung des Begraͤbniſſes, ertheilet, wird zu einer kleinen Erklaͤrung dienen, wie groß ihr Kummer ſeyn muß. Hier folgt eine Abſchriſt davon.
Jch kann keine Worte finden, das jenige auszu - druͤcken, was wir alle uͤber die traurigſte Zeitung, die uns jemals gebracht iſt, ausſtehen.
Meine Schweſter Arabelle; aber, ach! ich habe ja nun keine andere Schweſter mehr; machte ſich fertig, der Fr. Norton nach London zu folgen: und ich war entſchloſſen ſie zu begleiten, und bey der lieben Fraͤulein einzuſprechen.
Gott ſey uns allen gnaͤdig! Weswegen ſchrieb der Arzt, wenn ſie ihrem Ende ſo nahe war! ‒ ‒ Warum ſchickte er nicht eher, wie jedermann ſagt? ‒ ‒ oder warum ließ er es nicht gar bleiben?
Die bewundernswuͤrdigſte unter jungen Frauenzimmern, die jemals gelebet haben! ‒ ‒ Daß nicht einer von ihren Freunden bey ihr ge - weſen! ‒ ‒ Ach! mein Herr, ich fuͤrchte, meine Mutter werde dieſen Stoß nimmermehr uͤber - ſtehen ‒ ‒ Sie hat beſtaͤndig alle Stunden Ohn - machten gehabt, ſeit dem ſie die ungluͤckliche Zei - tung bekommen. Meinem armen Vater iſt das Podagra in den Magen geſtiegen: und Gott weiß ‒ ‒ O Vetter, o mein Herr! ‒ ‒ ich hat - te nichts als die Ehre der Familie zum Zweck; dennoch finde ich die ganze Laſt auf mich gewor -K k 4fen520fen ‒ ‒ (O der verfluchte Lovelace! ich will ver - lohren ſeyn, wo er der verdienten Rache entgehen ſoll)(*)Die Worte welche ſo () eingeſchloſſen ſind, wa - ren in der Abſchrift an Hrn. Lovelace ausgelaſſen..
Wir hatten ſchon angefangen, uns uͤber uns ſelbſt zu vergnuͤgen, daß wir ſie bald hier ſehen wuͤrden ‒ ‒ Großer Gott! daß ihr erſter Ein - gang in dieß Haus, nachdem ſie uns ſo ploͤtz - lich verlaſſen hatte, in einem Sarge ſeyn ſollte!
Wir koͤnnen mit dem Manne nichts zu thun haben, dem ſie die Vollziehung ihres Teſtaments aufgetragen hat: noch ein wunderlicher Schritt, den die liebe Fraͤulein gethan hat! Er kann nicht erwarten, daß wir es thun werden ‒ ‒ Er wird auch, wo er ein rechtſchaffener Cavallier iſt, ſich nicht in den Sinn kommen laſſen, thaͤtlich zu ver - fahren. Haben Sie alſo die Guͤte, mein Herr, und machen die Anſtalt, daß ein Leichenbeſorger den Koͤrper zu uns herunter begleite.
Meine Mutter ſagt, ſie werde beſtaͤndig un - gluͤckſelig ſeyn, wo ſie ihr liebes Kind, das ſie im Leben nicht ſehen konnte, im Tode nicht ſehen mag. Seyn Sie daher ſo guͤtig und befehlen, daß der Deckel nur halb zugeſchraubet werde ‒ ‒ damit, wenn meine arme Mutter nicht zu bereden ſtehet, ſich eines ſo traurigen Anblicks zu uͤberheben, ihr Genuͤge geſchehen moͤge. ‒ ‒ Sie iſt ihr Aug - apfel geweſen.
Wenn521Wenn wir ihren letzten Willen in Anſehung des Leichbegaͤngniſſes wiſſen: ſo ſoll er auf das genaueſte erfuͤllet werden; wie mit einem jeden Stuͤcke in ihrem Teſtament, das ſich ſchickt oder vernuͤnftig iſt vollzogen zu werden, geſchehen ſoll; und das ohne Zuthun fremder Leute.
Wollen Sie, mein Herr, uns zu dieſer be - truͤbten Zeit nicht die Gewogenheit Jhrer Gegen - wart goͤnnen? Haben Sie doch die Guͤte ‒ ‒ und tragen Mitleiden und entſchuldigen das, was bey unſerer letzten Zuſammenkunft vorgegangen iſt, mit derjenigen Großmuth, welche dem Helden - muͤthigen und dem Weiſen natuͤrlich iſt. Alle und jede werden Sie mit Hochachtung, mit wel - cher ſie ſich empfehlen laſſen, erwarten. Und ich bin, mein Herr,
Jhr unausſprechlich gekraͤnkter Vetter und Diener Jak. Harlowe, der Juͤng.
Alles was ſich ſchickt, oder vernuͤnftig iſt, vollzogen zu werden! ſagte ich gegen den Obriſten aus dem obigen Briefe noch einmal nach, als er ihn mir vorlas; das iſt alles was ſie verordnet hat, das vollzogen werden kann. Jch hoffe, Hr. Obriſt, daß ich keinen Streit mit ihnen haben werde. Jch wuͤnſche mir ihre Bekanntſchaft nicht mehr, als ſie ſich die meinige. Aber ſie, mein Herr, muͤſſen die Mittelsperſon zwiſchen ihnen und mir ſeyn. Denn ich werde in allen Stuͤcken auf eine buchſtaͤbliche Vollziehung beſtehen.
K k 5Der522Der Obriſt war ſo guͤtig und erklaͤrte ſich, daß er mich in meiner Entſchließung unterſtuͤtzen wollte.
Jch blieb ſo lange in Smithens Hauſe, bis ich das letzte von allem, was an der goͤttlichen Fraͤulein ſterblich war, ſahe.
Weil ſie durch ihr Teſtament verſchiednen Perſonen Ringe mit ihrem Haar, das in Criſtall geſetzt werden ſoll, vermacht hat: ſo ſchnitte die betruͤbte Fr. Norton, ehe der Sarg zugemacht wurde vier ſchoͤne Locken ab. Eine davon nahm der Obriſt zu einem Angehaͤnge, welches er, wie er ſagt, machen laſſen, und zum Andenken ſeiner geliebten Baſe zunaͤchſt an ſeinem Herzen tragen will.
Zwiſchen vier und fuͤnfen des Morgens ward der Koͤrper in den Leichenwagen geſetzt: nachdem der Sarg vorher mit Blumen und wohlriechenden Kraͤutern, wie man ſich vorgenommen hatte, an - gefuͤllet und gehoͤrige Sorge getragen war, daß drr Leichnam, ſo viel man ſehen konnte, nicht durch die Erſchuͤtterung des Leichenwagens etwas litte.
Die523Die arme Fr. Norton befindet ſich ausneh - mend uͤbel. Jch habe der Fr. Smithinn Magd, welche auf meine Veranſtaltung die gute Frau in einem Trauerwagen begleitet, aufgetragen, Sor - ge fuͤr ſie zu tragen. Der Obriſt, welcher mit ſeinen Bedienten ſo reitet, daß er den Leichenwa - gen im Geſichte behaͤlt, ſagt, er wolle dahin ſehen, daß meine Verordnung in Abſicht auf dieſelbe be - ſtaͤtiget werde.
Als der Leichenwagen abgegangen und aus dem Geſichte war: ſo verſchloß ich die Kammer der Fraͤulein, in welche alles, was ihr zugehoͤret hatte, gebracht wurde.
Jch vermuthe von dem Obriſten, ſo bald als er hinunter gekommen iſt, durch einen von ſeinen eignen Bedienten, Nachricht zu haben.
Jch ſende Euch den eingeſchloſſenen Brief von Herrn Lovelace. Ob er gleich mit den ver - fluchten abgebraiſchen Zuͤgen geſchrieben iſt: ſoweiß524weiß ich doch, daß er ſo beſchaffen iſt, daß er zei - gen wird, in was fuͤr einem wunderlichen Zu - ſtande er ſey; denn er hat ihn uns vollkommen tragoͤdienmaͤßig vorgeleſen. Jhr werdet daraus ſehen, was der verruͤckte Kerl zu thun willens ge - weſen, wenn wir uns nicht alle ins Mittel geſchla - gen haͤtten. Er war wirklich im Begriff, mit ei - nem Wundarzt abzugehen, damit die Fraͤulein geoͤffnet und einbalſamiret wuͤrde. ‒ ‒ Jch will nicht ehrlich ſeyn, wo ich nicht voͤllig der Mey - nung bin, daß, wenn es geſchehen waͤre, ihr Herz entweder eiſern oder marmorn befunden ſeyn wuͤrde.
Wir haben den Lord M. zu ihm geſchafft. Seine Gnaden ſind auch uͤber den Tod der Fraͤu - lein ſehr betruͤbt. Seine Schweſtern und Neffen, ſagt er, wollen ſich faſt das Herz brechen. Was fuͤr Lermens iſt hier um ein Weibsbild? Denn wenn alles um und um kommt, ſo war ſie ja nichts mehr.
Wir haben ihm einen Waſſereimer voll ſchwar - zen Ochſenbluts abgezapft, und das hat ihn ein wenig geſchwaͤchet. Allein er drohet dem Obriſt Morden, er drohet Euch um Eurer verfluchten Anmerkungen willen; in der That, verfluchte An - merkungen, Bruder! und fluchet der ganzen Welt, und ſich ſelbſt noch dazu.
Geſtern Abends ward ſeine Trauer, die voll - kommen ſo tief iſt, als fuͤr eine Frau, nebſt der Trauer ſein Bedienten gebracht. Ob es gleich ſchon acht Uhr war: ſo wollte er ſie dennoch an -legen,525legen, und jene ihn in der ihrigen aufwarten laſſen.
Ein jeder tadelt ihn dieſer Fraͤulein wegen. Allein ich ſehe nicht, warum. Sie war eigen - ſinnig in ihrer Tugend. Und ihre Verwandten ſind zehnmal mehr zu tadeln, als er. Das will ich ihnen allen unter die Augen ſagen und behaup - ten. Konnten ſie ihr uͤbel begegnen: warum ſollten ſie von ihm erwarten, daß er ihr wohl be - gegnete. ‒ ‒ Jhr, oder ich, oder Tourville wuͤr - den es eben ſo gemacht haben, wenn wir an ſeiner Stelle geweſen waͤren. Werden nicht alle Maͤgd - chen zum voraus gewarnet? ‒ ‒ „ Hat er es ſo „ mit ihr gemacht, wie es der Galgenſchwengel „ Miles mit eines Pachters Tochter machte, die „ er unter dem Vorwand, daß ſie einer Fraͤulein „ aufwarten ſollte, hinterliſtiger Weiſe nach London „ hinauf brachte: und es war auch ein artiges „ Maͤgdchen, eben ſo, wie Roberts Roſenknoͤspchen! „ ‒ ‒ Er machte ihr eine Naſe, und gab vor, „ die Fraͤulein waͤre nicht zu Hauſe; trank ihr zu, „ daß ſie luſtig ward; nahm ſie hernach mit zu ei - „ ner Comoͤdie; darauf war es zu ſpaͤt, wie ihr „ wiſſet, die vorgegebene Fraͤulein zu ſehen; dann „ brachte er ſie zu einem Bade und machte ſie un - „ gluͤcklich, wie die Leute ſagen; und das alles an „ eben demſelben Tage. Nachher hielte er ſie „ vierzehn Tage oder drey Wochen zu ſeinem Ge - „ fallen; noch dazu ein garſtiger Hund! und als - „ denn uͤberließ er ſie den Leuten von dem Bade „ in ihrer Gewalt, ohne jemals etwas zu bezahlen,„ welche526„ welche ihr alle ihre Kleider nahmen, und, weil „ ſie ſich nicht ergeben wollte, ſie ins Gefaͤngniß „ brachten, wo ſie in Mangel und Verzweifelung „ ſtarb! “ ‒ ‒ Eine wahre Geſchichte, wie du weißt, Bruder ‒ ‒ Dieſer Kerl verdiente ver - dammt zu werden. Allein iſt unſer Robert ein ſolcher Boͤſewicht geweſen? ‒ ‒ Und wuͤrde er dieſe ſteinharte Fraͤulein nicht geheyrathet ha - ben? ‒ ‒ So iſt er ja ganz augenſcheinlich gerechtfertiget!
Warum ſollten ihn denn ſo verfluchte Grillen einnehmen? ‒ ‒ Wer haͤtte denken ſollen, daß er ein ſo armes Blut geweſen waͤre? daß man ihn itzo; der Henker hohle den albernen Kerl! in ei - ner Ecke ſitzen ſehen ſollte, wie er ſeinen Schatten das Maul gegen die Vertaͤfelung verziehen lehret, nachdem er ſeiner hoͤniſchen Majeſtaͤt und ſeines Beweiſefuͤhrens muͤde geworden iſt: und wer mag wohl ſo gern Beweiſe machen, als er? ‒ ‒ Potz tauſend, ich habe keine Gedult mehr mit ihm.
Aber er hat dieſe zehn Tage her keine Ruhe gehabt: das iſt die Sache! ‒ ‒ Jhr muͤßt an ihn ſchreiben: und ich bitte dich, ſchmeichle ihm ein wenig, Bruder, ſchicke ihm alles, warum er ge - ſchrieben hat, und laß ihm in allen ſeinen Willen; ſonſt wird kein Auskommens mit ihm ſeyn. Macht, daß die Fraͤulein ſo bald, als moͤglich iſt, begraben werde, und laßt ihn nicht wiſſen, wo.
Dieſer Brief ſollte ſchon geſtern abgegangen ſeyn. Wir ſagten ihm, daß er wirklich fort waͤre: wir machten uns aber Hoffnung, daß er nicht wie -der527der darnach fragen wuͤrde. Allein er tobet, daß er noch keine Antwert hat.
Was er fuͤr gut fand, ron einem Eurer Briefe vorzuleſen, das hat den Lord ſo neubegierig gemacht, daß er Euch bittet, in Euren Erzaͤh - lungen fortzufahren. Jch bitte Euch, thut es; aber nicht in Euren arabiſchen Zeichen: ſo wol - len wir den armen Kerl nur ſo viel wiſſen laſſen, als wir fuͤr ſeinen gegenwaͤrtigen Zuſtand gut achten.
Jch fuͤhre ein verfluchtes, ſchwermuͤthiges, verdrießliches Leben. Von dem, was ich erſt vor ſo kurzer Zeit an dem armen Belton geſehen ha - be, und was ich nun an dieſem artigen Kerl ſehe, werde ich bald eben ſo verruͤckt ſeyn, als er, oder eben ſo ſchwermuͤthig, als du, Bruder! daher muß ich eine beſſere Geſellſchaft in London ſuchen, als einer von Euch beyden iſt. Jch bin genoͤ - thig geweſen, bisweilen etwas zu leſen, um mich zu zerſtreuen: und ihr wißt, das ich ein Feind vom Leſen bin. Es tritt mich alſobald eine Traͤg - heit daruͤber an, und dann gaͤhne ich, und ſtrecke mich, wie der Teufel.
Jedoch in Dreydens Palemon und Arcite ha - be ich eben eine Stelle gefunden, welche vieles von unſern Roberts Umſtaͤnden in ſich enthaͤlt. Dieß ſind einige von den Zeilen.
Jch kann Euch ſagen, daß, wenn ich eben ſo fruͤhe angefangen haͤtte zu ſchreiben, als Jhr und Lovelace, ich eben eine ſo gute Figur gemacht haben wuͤrde, als einer von Euch beyden. Warum nicht? Allein ſo wohl wie ein Knabe, als wie ein Mann, habe ich allezeit einen Haß gegen ein Buch gehabt. Es iſt eine Thorheit, zu luͤgen. Jch habe gern allezeit in Wirkſamkeit ſeyn moͤgen, Bruͤderchen. Jch bin ein Feind vom Faullenzen geweſen und habe in meinem vergangenen Leben mehr Bu - ben von ihren Buͤchern abgezogen, als ſelbſt mein Lehrmeiſter dadurch gelehrt gemacht hat. Bei - ne unterſchlagen, Maulſchellen geben, die Baum - gaͤrten beſtehlen, iſt der Ruhm geweſen, den ich gar fruͤhe erlangt habe.
Allein ich bin des Schreibens uͤberdruͤßig. Jch habe in meinem Leben niemals einen ſolchen langen Brief geſchrieben. Die Gelenke an mei - nen Haͤnden, meine Finger und Daumen thun mir verdammt wehe. Die Feder iſt mir wenig - ſtens ein hundert Pfund ſchwer: und meine Au - gen wollen mir aus dem Kopfe auf das Papier fallen. ‒ ‒ Der Krampf war mir noch erſt dieſen Augenblick in den Fingern. Der Henker hohle die Gaͤnſe und die Gaͤnſeſpulen! Jch will in ei - nem Jahre keine lange Briefe wieder ſchreiben. Jedoch noch ein Wort: wir denken der verruͤckte Kerl kommt doch noch. Lebt wohl.
Jch finde es ſchlechterdings fuͤr gut, daß meine allezeit werthe und geliebte Fraͤulein, ge - oͤffnet und einbalſamiret werde. Es muß alſo - bald geſchehen ‒ ‒ noch dieſen Nachmittag. Eu - er Bekannter, Tomkins, und der alte Anderſon von hier, den ich mitbringen will, ſollen die Wundaͤrzte ſeyn. Jch habe mit dem letztern desfalls ge - redet.
Jch will ſelbſt zuſehen, daß alles mit dem Wohlſtande, den die Sache und die geheiligte Per - ſon meiner Geliebten erfordert, geſchehe.
Alles, was geſchehen kann, die reizende Schoͤne vor der Verweſung zu bewahren, ſoll auch geſchehen. Und wenn ſie in ihren erſten Staub zuruͤckfallen will, oder nicht laͤnger gehal - ten werden kann: ſo will ich ſie in mein Familien - grab zwiſchen meinem eignen Vater und Mutter gelegt haben. Jch ſelbſt bin die Hauptperſon un - ter den Leidtragenden: wie in meiner Seele, alſo auch in meiner Perſon. Allein ihr Herz, auf welches ich ſo unſtreitige Anſpruͤche habe, an wel -Siebenter Theil. L lchem530chem ich vormals ein ſo großes Antheil hatte, und welches ich mehr als mein eignes ſchaͤtzen will, will ich haben. Jch will es in Weingeiſt auf behalten. Es ſoll niemals aus meinem Geſichte kommen: und alle Begraͤbnißkoſten ſollen auch auf mich fallen.
Gewiß keine Seele wird mir mein Recht auf ſie ſtreitig machen. Wem gehoͤrte ſie im Leben? Wem gehoͤret ſie im Tode, anders als mir? ‒ ‒ Jhre verfluchten Eltern, deren unmenſchliche Grauſamkeit gegen ſie, ſonder Zweifel, die wahre Urſache ihres Todes geweſen iſt, haben ſich ihrer ſeit langer Zeit entſaget. Sie verließ dieſelben um meinetwillen. Sie waͤhlte mich alſo: und ich war ihr Mann. Wie? wenn ich ihr gleich als ein Betruͤger begegnet habe? Bezahle ich itzo nicht dafuͤr? Wuͤrde ſie nicht die meinige geweſen ſeyn, wenn ich ihr nicht ſo begegnet haͤtte? Das wird kein Menſch ſtreiten. Und hat ſie mir nicht vergeben? ‒ ‒ Jch bin alſo in ſtatu, quo prius, mit ihr ‒ ‒ Nicht wahr? ‒ ‒ als wenn ich ſie niemals beleidigt haͤtte? Wem kann ſie denn zugehoͤren, außer mir?
Jch will Euch von der Vollziehung ihres Teſtaments und von allen Euren Sorgen be - freyen.
Wiſſet, Belford, und laßt Euch geſagt ſeyn, daß ich hiemit wirklich Euch und jedermann aller Sorge und Muͤhe ihretwegen erlaſſe. Jhr letzes Teſtament will ich ſelbſt vollziehen.
Es iſt kein Vertrag, keine Eheſtiftung zwi - ſchen uns geweſen: und ſie iſt die meinige, wieJhr531Jhr von mir bis zur ungezweifelten Gewißheit erwieſen ſehet. Sie konnte es auch mit ihr ſelbſt nicht anders machen und verordnen, als wie es mir beliebte. Alſo will ich verdammt ſeyn, wo ich mein Recht nicht gegen alle, die ſich dawider ſetzen, behaupte.
Jhr Eingeweide ſoll ihren Freunden geſandt werden, wo ſie ſehr darum erſuchen und ſehr de - muͤthig und bekuͤmmert ſind; ſelbſt haben ſie doch keines; ‒ ‒ damit es bey ihren Voreltern nieder - gelegt werde ‒ ‒ wofern ſie es nicht anders ver - ordnet hat. Denn außer dem, daß ſie der Er - de, welche ihrer nicht werth iſt, nicht anvertrauet werden ſoll, ſo lange ſie außer derſelben erhalten werden kann, ſoll ihr letzter Wille in allen Stuͤ - cken vollzogen werden.
Jch verlange mittlerweile, daß mir eine Locke von ihren Haaren geſchickt werde.
Jch empfehle Euch auf das nachdruͤcklichſte, nicht auf ein Haar in irgend einem Stuͤcke, ohne meine ausdruͤckliche Verordnung, von ihrem Te - ſtament abzuweichen. Jch will alles ſelbſt an - ordnen. Denn bin ich nicht ihr Mann? Und, da ſie mir vergeben hat, bin ich denn nicht derje - nige, welchen ſie ſelbſt nach ihrem Herzen gewaͤh - let hat? Was bedeutet ſonſt ihre Vergebung?
Die beyden unleidlichen Buben, die ihr zu mir geſchickt habt, quaͤlen mich bis auf den Tod, u. wollen mit mit umgehen, wie mit einem kleinen Kinde in einem Gaͤngelriem. Der Henker hohle die Kerls! Was koͤnnen ſie damit haben wollen? ‒ ‒ Je -L l 2doch532doch der krippelichte Affe, Doleman, blaͤſet mit ihnen in ein Horn. Und wie ich ſie flispern hoͤre, haben ſie nach dem Lord M. geſchickt ‒ ‒ Ver - muthlich, mich einzutreiben.
Was koͤnnen ſie mit dieſem Verfahren bey mir haben wollen? Gewiß die ganze Welt iſt toll geworden, außer mir. Sie gehen mit mir ſo um, als mit einem jeden von ihnen billig umge - gangen werden ſollte. Die ganze Welt iſt nur ein großes Tollhaus. Blitz und Donner ſchla - ge drein, und in alles, was in derſelben iſt, da nunmehr meine geliebte Clariſſa Lovelacinn ‒ ‒ nicht mehr Harlowe ‒ ‒ Verflucht ſey der Name, und ein jeder, der ihn traͤgt.
Dasjenige, weswegen ich an Euch ſchrei - be, iſt,
1) Euch zu verbieten, daß Jhr Euch in nichts menget, was ſie angehet: auch Morden zu verbie - ten, daß er ſich nicht einmenge. Wo ich mich recht beſinne, hat er mir gedrohet, und auf mich gefluchet, und mir uͤbel mit geſpielet. Laß ihn von ihr gehen: wo er meinen Zorn vermeiden will.
2) mir alſobald durch den Ueberbringer eine Locke von ihren Haaren zu ſchicken.
3) Tomkins zu beſprechen, daß er alles zur Oeffnung und Einbalſamirung bereit halte. Jch werde Anderſon mitbringen.
4) ihr Teſtament und alles zu meiner Durch - ſicht und Unterſuchung in Bereitſchaft zu haben.
Jch will noch dieſen Abend ihr liebes Herz in Beſitz nehmen. Laß Tomkins fuͤr ein bequemesBe -533Behaͤltniß und fuͤr den Weingeiſt ſorgen, bis ich ein guͤldnes dazu gemacht bekommen kam.
Jch will ihre Papiere zu mir nehmen. Da niemand ihrem Angedenken ſo vollkommen Ge - rechtigkeit thun kann, als ich, und ich meiner ſelbſt nicht ſchonen will: wer kann denn der Welt wohl beſſer zeigen, was ſie geweſen iſt, und was fuͤr ein Boͤſewicht der, welcher ihr uͤbel begegnen konnte? Und die Welt ſoll auch ſehen, was fuͤr unverſoͤhn - liche und unwuͤrdige Eltern ſie gehabt hat.
Alles ſoll der Laͤnge nach beſchrieben werden. Nichts ſoll geringer gemacht werden. Keine Namen, keine Handlungen ſollen verſteckt werden. Denn da ich ſelbſt die aͤrgſte Perſon dabey vor - ſtellen werde, und ein Recht habe mit mir ſelbſt ſo umzugehen, als ſonſt niemand thun ſoll: wer will mir dann Einhalt thun? Wer darf mich zur Rechenſchaft fordern?
Melde mir, ob die verdammte alte Mutter noch unter der Rache des Teufels leidet ‒ ‒ ob das alte Thier todt, oder lebendig iſt? Ein oder das andere Ungluͤck, das ein merkliches Beyſpiel gebe, muß ich noch anrichten. Meine Rache ſoll den Teufel und alle, die mir von der grauſamen harlo - weiſchen Familie zuwider ſind, von dem Erdbo - den fegen. Ganze Hecatomben muͤſſen der ab - geſchiednen Seele meiner Clariſſa Lovelacinn auf - geopfert werden.
Wenn auch ihr letzter Wille in einigen Stuͤ - cken dem meinigen entgegen laufen ſollte: ſo er - warte ich doch, daß man mir gehorche. Jch willL l 3das534das Recht haben, von ihrem Willen die Deutung zu machen.
Naͤchſt meinem Willen ſoll der ihrige beob - achtet werden: denn ſie iſt meine Frau; und ſoll es in alle Ewigkeit ſeyn. Jch will niemals eine andere haben.
Lebt wohl, Bruder. Jch mache mich bereit, bey Euch zu ſeyn. Jch beſchwoͤre Euch, ſo lieb Euch mein, oder Eurer eignes Leben iſt, ſeyd mir in keinem Stuͤcke, das meine Clariſſa Lovelacinn angeht, zuwider.
Meine Gemuͤthsart hat ſich ganz umgekehret. Jch weiß nicht mehr, was lachen, oder laͤcheln, oder luſtig ſeyn, iſt. Jch bin zornig und unge - dultig geworden und will keine Widerrede leiden.
Jch ſchreibe dieſes mit abgekuͤrzten Zuͤgen, damit niemand, außer Euch, wiſſen moͤge, was ich ſchreibe. Denn niemals iſt wohl ein Menſch ſo mit unverſchaͤmten Leuten geplagt geweſen, als ich itzo bin.
R. Lovelace.
Auf einem abgeſonderten Papiere, das in dem obigen eingeſchloſſen war.
Jch muß dir doch melden, auch noch mit abge - kuͤrzten Zuͤgen, daß ich eben itzo in einem ſchrecklichen Zuſtande bin. Mein ganzes Gehirn kochtet, wie ein Keſſel uͤber einem feurigen Ofen. Was, Teufel, heißt das bey mir! Jch wundere mich! Mir iſt niemals in meinem Leben ſo ſelt - ſam geweſen.
Jn535Jn Wahrheit, Bruder, ich bin der abſcheu - lichſte Boͤſewicht geweſen: und wenn ich alle mei - ne Handlungen gegen dieſen Engel von einem Frauenzimmer, und an ihr die Froͤmmigkeit, das liebreiche Herz, den Verſtand, die Schoͤnheit, wel - che ich verſtoͤren geholfen, und das Gute, deſſen ich die Welt, als ein Werzeug, eben dadurch be - raubet habe, wohl uͤberlege; ſo kann ich das Ver - dammungsurtheil uͤber mich ſelbſt ſprechen. Wie kann ich denn ſonſt irgendwo Gnade erwarten!
Jch glaube, ich werde keine Gedult mit Euch haben, wenn ich Euch ſehe. Eure verdammte Stiche und Anmerkungen haben mir beynahe den Kopf verruͤckt.
Allein hier, ſagt man mir, iſt der Lord M. gekommen! ‒ ‒ Der Henker hohle ihn, und die, welche nach ihm geſchickt haben!
Jch weiß nicht, was ich geſchrieben habe! Aber ihr liebes Herz, und eine Locke von ihren Haaren will ich haben: es widerſpreche auch, wer da wolle. Denn iſt ſie nicht die meinige? Weſſen kann ſie ſonſt ſeyn? Sie hat keinen Va - ter noch Mutter, keine Schweſter, keinen Bruder, keine Anverwandten außer mir. Und meine Ge - liebte iſt die meinige; und ich der ihrige: und das iſt genug ‒ ‒ Aber ach!
Wie aber? Jſt es ſo? Jſt es in der That ſo? ‒ ‒ Lieber Gott! Lieber Gott! ‒ ‒ Allein ſie wollen mich nicht weiter ſchreiben laſſen. Jch muß zu dem allzudienſtfertigen Lord hinunterge - hen ‒ ‒ Wer, Teufel, hat nach ihm geſchickt!
Jch habe Euren Brief nebſt dem Einſchluſſe von unſerm ungluͤcklichen Freunde bekom - men. Es iſt mir lieb, daß der Lord bey ihm iſt. Wie ich vermuthe, daß ſeine Raſerey nur von einer kurzen Dauer ſeyn wird: ſo wuͤnſche ich mit dem groͤßten Verlangen, daß er ſich bereden laſſen moͤchte, eine Reiſe zu thun. Herr Morden, der nicht zu troͤſten iſt, hat aus dem Teſtament geſehen, daß die Begebenheit mehr, als eine ordentliche Verfuͤhrung, geweſen iſt, und hat ſich ſchon mer - ken laſſen, daß er ſich deswegen von ſeinem Ver - ſprechen gegen die ſterbende Fraͤulein, ihres Todes wegen keine Rache zu ſuchen, losgeſprochen ach - tet. Jhr muͤßt ſeine Geneſung zu einem Vor - wande machen, um ihn zum Reiſen anzutreiben: denn wo Jhr ſeiner Sicherheit, auch nur vonweitem,537weitem, Erwaͤhnung thut; ſo wird er nicht einen Fuß deshalben bewegen, und vielmehr den Obri - ſten ſuchen.
Was die Haarlocke betrifft: ſo koͤnnt Jhr ihn leicht mit einem Haar, das der Farbe nahe kommt, zufrieden ſtellen; weil ihr den Engel ein - mal geſehn habt; wofern er den Kopf darauf ge - ſetzt hat.
Auf des Lords Verlangen will ich weiter fort ſchreiben, und zwar in meiner ordentlichen Hand: damit ihr urtheilen moͤget, was ſich gegenwaͤrtig dem Herrn Lovelace vorleſen laͤßt, oder nicht. Wie ich mich aber nicht enthalten werde, in dem Fortgange weiter Anmerkungen uͤber ihn zu ma - chen, in Hoffnung, bey ſeiner Geneſung ihm das Herz zu ruͤhren: ſo halte ich es fuͤr das beſte, mich noch immer an ihn zu wenden, und das eben ſo, als wenn er nicht in Unordnung waͤre.
Da ich nicht Zeit haben werde, Abſchriften davon zu machen; und doch gern die ganze Sa - che, zu meiner eignen kuͤnftigen Ueberlegung, vor mir haben moͤchte: ſo muß ich darauf beſtehen, daß mir meine Briefe einige Zeit hernach wieder zuruͤckgeſchickt werden. Herr Lovelace weiß, daß dieß eine von denen Bedingungen iſt, welche ich geſetzt habe: und hat ſie ſich bisher gefallen laſſen.
Dein Brief, Mowbray, iſt ein unnachahm - liches Stuͤck. Du biſt ein wunderlicher und unergruͤndlicher Menſch. Allein erlaube mir, dich und den eitlen Flatterer Tourville, wegen desjeni -L l 5gen,538gen, was ihr von des armen Beltons Tode ge - ſehen habt; wegen der Raſerey unſers Freundes Lovelace, und der Veranlaſſung dazu; und wegen des erſchrecklichen Zuſtandes, in welchem die gott - loſe Sinclair lieget; auf das ernſtlichſte zu beſchwoͤ - ren, daß ihr alſobald eine andere Lebensart an - fanget. Jch meines Theils bin feſt entſchloſſen, Euer Vorſatz mag ſeyn, wie er will, mich des Raths ſelbſt zu bedienen, den ich gebe.
Das bezeuget
J. Belford.
O Lovelace! Jch habe von der gottloſen Sin - clair einen traurigen Aufzug zu ſchildern, der, wo ich es recht mache, dich zum reiflichen Nachſinnen bringen wird: oder es kann nichts dazu hinlaͤnglich ſeyn. Jch will ihn ordentlich vorſtellen, und zwar in meiner gewoͤhnlichen Hand, damit deine Bruͤder eben ſo wohl, als du ſelbſt, im Stande ſeyn moͤgen, es zu leſen.
Als ich meinen vorigen Brief geſchrieben hat - te: ſo wußte ich nicht, was ich mit mir ſelbſt ma - chen ſollte. Jch erinnerte mich des angenehmen und lehrreichen Umganges, den ich nun auf beſtaͤn - dig verlohren hatte, und wuͤnſchte mir denſelbenver -539vergebens wieder. Jch dachte daher, es wuͤrde eben ſo gut ſeyn, wenn ich das Werk anfinge, das ich mir ſeit einiger Zeit vorgenommen hat - te, anzufangen: das iſt, wenn ich in die Kirche ginge, und zuſaͤhe, ob ich nicht aus dem, was ich da hoͤren wuͤrde, einigen Vortheil einerndten koͤnn - te. Alſo ward ich ſchluͤßig hinzugehen und den beruͤhmten Prediger an St. Jakobs Kirche zu hoͤren. Aber, nicht anders, als wenn der Teufel es fuͤr ſeinen Vortheil hielte, meine Abſicht zu hintertreiben; denn ſo war ich damals geneigt zu ſchließen; ward eben, wie ich angekleidet war, ein Beſuch bey mir abgeſtattet, der mich von mei - nem Vorhaben abhielte.
Von wem ſollte der anders ſeyn, als von Sa - rah Martin, welche Fr. Carterinn, die Schwe - ſter der ſchaͤndlichen Sinclair begleitete: eben diejenige, wie ich Euch vermuthlich nicht ſagen darf, welche bey Bloomsbury das Bad haͤlt.
Dieſe erzaͤhlten mir, daß der Wundarzt, der Apotheker, und der Arzt alle das gottloſe Weib aufgegeben haͤtten: allein ſie ſagte, ſie koͤnnte nicht ſterben noch Ruhe haben, bis ſie mich ſaͤhe. Sie baten mich desfalls, in der Kutſche, in welcher ſie kamen, mit ihnen zu fahren, wo ich noch einen Funken Liebe, chriſtlicher Liebe, wie ſie ſich aus - druͤckten, uͤbrig haͤtte.
Es war mir ſehr verdrießlich, daß ich durch eine ſo ungelegne Bitte, und von ſo verhaßten Leu - ten, von meinem Vorhaben abgehalten wurde. Allein endlich ging ich, und wir kamen um zehndahin.540dahin. Hier ſtellte ſich mir ein ſo erſchreckliches Trauerſpiel dar, daß der Tod des armen Beltons in ſeiner Verzweifelung, meinen Gedanken nach, damit nicht zu vergleichen iſt.
Das alte Ungeheuer hatte einmal aus Wuth und heftiger Aufwallung ihren Fuß herausge - ſteckt, und beſtaͤndig ſeit dem vorigen Abend, da der Wundarzt ihr geſagt, daß es unmoͤglich waͤ - re, ſie zu retten, und daß ein Brand ſich zu zei - gen angefangen haͤtte, geſchrieen, geſcholten, geflu - chet: ſo daß ſie bloß aus Mitleiden mit ihren eig - nen Ohren genoͤthigt worden waren, nach einem andern Wundarzt zu ſchicken; allein in der Ab - ſicht, damit er ihr, ob gleich wider ſeine eigne Ueberzeugung, ſagen, und den andern, weil er ein Freund von ihm war, zu uͤberfuͤhren ſcheinen moͤchte, daß er ſich verſaͤhe, und daß ſie wieder aufkommen koͤnnte, wenn ſie gedultig ſeyn wollte. Nichts deſto weniger war ihre Furcht vor dem Tode, und ihre Abneigung von den Todesgedan - ken ſo ſtark, daß ihre Teuſcherey nicht die vermeyn - te Wirkung hatte: und ſie lag und tobte, ſchriee, fluchte, ja heulte, als ich kam, mehr wie ein Wolf, als wie ein menſchliches Geſchoͤpfe: ſo daß ich ſagte, indem ich die Treppe hinaufging: dieſes Laͤrmen, dieſes Heulen kann doch gewiß wohl nicht von dem ungluͤcklichen Weibe ſeyn! Sarah ſagte ja, und verſicherte mich, daß es gegen den Lerm, welchen ſie die ganze Nacht gemacht haͤtte, noch nichts waͤre. Sie trat auch vor mir in das Zim - mer. Liebe Frau Sinclair, ſprach ſie, unterlaſ -ſen541ſen ſie doch dieß Lermen! Es iſt mehr, wie von einem Ochſen, als von einer Frauensperſon! ‒ ‒ Hier kommt Herr Belford: und ſie werden ihn erſchrecken und verjagen, wo ſie ſo bruͤllen.
Es waren nicht weniger, als achte von ihren verfluchten Toͤchtern, die ihr Bett beſetzt hatten, als ich hineintrat. Die eine von denen, welche an ihrem Gewinn Theil nehmen, Maria Horton, war an ihrer aller Spitze: und nun machte Sa - rah, die andere, die mit dem alten Weibe in Ge - ſellſchaft ſtehet, mit der Frau Carterinn, wie ſie dieſelbe nennen; denn ſie ſind alle Frauen unter einander; die Zahl von zehn voll. Alle waren auf eine aͤrgerliche Art entkleidet und ohne Schnuͤr - bruſt; ausgenommen Sarah, Carterinn, und Maria, welche ſich nicht unterſtanden hatten, die Alte zu verlaſſen, und die ganze Nacht uͤber nicht zu Bette geweſen waren.
Die andern ſieben ſchienen nur eben erſt auf - geſtanden zu ſeyn: vielleicht von ihren Kundleu - ten in dem Voͤrderhauſe und von dem naͤchtlichen Bachusfeſte; mit Geſichtern, worauf bey drey - en oder vieren unter ihnen, die gelaufen hatten, die Schminke in ſtreifichten Strichen, welche nicht halb abgewiſcht waren, annoch lag, und eine grobe runz - lichte Haut entdeckte. Die Haare von einigen unter ihnen waren von verſchiednen Farben: welches von dem ſchwarzbleyernen Kam̃ herruͤhrte, wo man eine gekuͤnſtelte Schwaͤrze geſucht hatte. Dieß war eine durch Kunſt gemachte bunte Farbe, die jedoch dem natuͤrlichen Scheckichten geſchwinde gleich zu wer -den542den ſchiene. Bey andern waren ſie mit Oel und Puder eingeſalbet: aber das Oel merkte man vor dem Puder heraus. An allen hingen ſie um die Ohren und um den Hals in gebrochenen Locken oder zerriſſenen Enden herum: und als ich in das Zimmer trat, ſtrichen ſie alle ihre verwirrten Lo - cken mit beyden Haͤnden unter ihre Hauben oder Nachtmuͤtzen, welche alle voller Falten waren. Sie hatten alle nur die Spitzen von den Fuͤßen in die Schuhe geſteckt. Einige waren ohne Struͤmpfe: alle bloß in einem Unterrock. Jhre Oberroͤcke, die gemacht waren, weite Reiffen zu bedecken, hingen ſchlumpiſch, und ſchlugen um ih - re Ferſen herum. Dieſe hatten ſie nur eben um ſich geworfen, ſo bald als ich die Treppen hinauf gekommen war. Die Haͤlfte von ihnen waren ungeſtalte, ſchiefe, elende Geſchoͤpfe, mit blaſſen Lippen, hingen nur ſchwach zuſammen, und ſchie - nen aus bluͤhenden Schoͤnheiten von neunzehn oder zwanzig Jahren vielleicht uͤber Nacht zu ſcheuslichen und wohlgeuͤbten Huren von acht und dreyßig oder vierzig Jahren geworden zu ſeyn.
Jch beſchreibe dir das Anſehen, das dieſe Creaturen in meinen Augen machten, da ich in das Zimmer kam, um deſto genauer, weil ich glau - be, daß du niemals irgend eine von ihnen, viel weniger einen ganzen Haufen geſehen haſt, wenn ſie ſo wenig vorbereitet geweſen, ſich ſehen zu laſ - ſen(*)Wer des Dechant Swifts Putzſtube der Frau -enzimmer. Jch meines Theils habe ſie nie geſehen:und543und wuͤrde auch itzo nicht das Gluͤck gehabt haben; wenn es die Gelegenheit nicht ſo mit ſich gebracht haͤtte. Haͤtteſt du es gethan: ſo wuͤrdeſt du, wie ich glaube, ein liederliches Weibsbild ſo, wie eine von des Swifts Yahoos, oder des Virgils unflaͤtigen Harpyen, die ihren Unrath auf die Tel - ler der Trojaner fallen ließen, haſſen: indem ſol - che Frauensleute in ihren Kammern eben ſo un - ſauber von Perſon, als von Gemuͤthe, ſind ‒ ‒ Haſſe ſie eben ſo ſehr, als ich: und ſo ſehr, als ich ein wahrhaftig tugendhaftes und ſauberes Frauenzim - mer bewundere und bis zur Anbetung verehre. Denn fuͤr mich iſt es augenſcheinlich, daß, wie ein nettes und reinliches Frauenzimmer ein Engel von einem Geſchoͤpfe ſeyn muß, alſo ein unſauberes Weibsbild das unreinſte Thier in der Natur iſt.
Allein dieß waren die aͤltern, die ausgeſuchte Bande. Denn bisweilen kamen auf eine kurze Zeit, wechſelsweiſe, zu halben Dutzent oder mehrere, un - ter dieſen ſtehende Suͤnderinnen herein, die eine Stuffe niedriger waren und juͤnger, als einige von dem auserwaͤhlten Haufen. Aber ſie waren nicht weniger unflaͤtig von Anſehen: ob ſie gleich nicht ſo viel von Schminke und Pflaſter hatten. Sie waren doch ohne Schnuͤrbruſt, unſauber, lieder -lich(*)enzimmer geſehen hat, wird dieſe Beſchreibung des Hrn. Belfords nicht allein fuͤr eine natuͤrlichere, ſon - dern auch geziemendere Abſchilderung halten, die ſich auch durch die Abſicht und den Nutzen, wozu man ſie anwenden kann, beſſer rechtfertigen laͤßt.544lich im Anzuge, mit flatternden Haaren, bloß in einem Unterrock, wie die erſten, mit halb offenen nickenden Augen, uͤbel mit Schoͤnfleckchen belegt. Sie gaͤhnten und ſtreckten ſich, als wenn ſie die Wirkungen von dem Schwaͤrmen bis um Mit - ternacht noch nicht uͤberwunden haͤtten. Alle wa - ren nach der Reihe mit friſchem Vorath von Herz - ſtaͤrkungen verſehen, welche ein jede, die gegenwaͤr - tig war, koſtete oder zum Theil mitgenoß. Das geſchahe, wie es die richtermaͤßige Dorcas anord - nete, welche bisweilen auf eine kurze Zeit herein - kam, um zuzuſehen, daß ihre Traͤnke gegeben und genommen wuͤrden.
Allein was fuͤr ein Anblick ſtellte ſich meinen Augen dar: als ich mich dem alten Ungeheuer nahete!
Jhr Ungluͤck hatte ihr Fleiſch gar nicht ver - mindert, ſondern vielmehr, wie es mir vorkam, noch vermehret: indem vielleicht Wuth und Hef - tigkeit ihre Zuͤge von ſtarken Muſkeln aufgetrieben hatte. Stelle ſie dir denn vor, wie ſie ſich mit ihrem ungeheuren ſumpfichten Koͤrper uͤber das ganze durchwuͤhlte Bette ausbreitet; wie ſie ih - re dicke und Muͤhlpfoſten aͤhnliche Arme in die Hoͤhe hebet; wie ſie ihre breiten Haͤnde mit Ge - walt zuſammenſchlaͤgt; wie ihre großen Augen aufgeſperrt und feuerroth ſind, nicht anders als man ſie an einem Salamander vermuthen mag; wie ihre verwirrten graulichten Haare, gegen die man ihrer Bosheit wegen keine Ehrerbietung hegen konnte, um ihre dicken Ohren und den braͤun -lichten545lichten Hals herumhaͤngen, indem ihr geflickter Hauptſchmuck halb herunter gefallen war; wie ihre ſchwarzgelben Lippen verbrannt ſcheinen und gewaltig arbeiten; wie ihr breites Kinn in zucken - der Bewegung iſt; wie ihr weites Maul, weil ſie die Stirne, welche in ihren eignen ſchrecklichen Furchen halb verlohren ſchien, zuſammengezogen hatte, ihr Geſicht gleichſam in zwey Stuͤcke zer - ſpaltet; wie ihre ungeheure Zunge ſcheuslich da - rinn herumrollet; wie ſie ſich hebet, wie ſie ſchnau - bet, als wenn ſie Athem ſuchte, indem ihre Bruͤ - ſte, die wie Blaſebaͤlge ausſehen und von ver - ſchiednen Farben ſind, wechſelsweiſe ſich bis an ihr Kinn heben und wieder ſo weit herunter ſteigen, daß man ſie nicht ſehen kann, weil ſie ſo heftig nach Luft ſchnappet.
Dieß war der Anblick, ſo viel mich das Ange - denken in den Stand geſetzt hat, ihn zu beſchrei - ben, welchen dieß nichtswuͤrdige Weib meinen Augen darſtellte, als ich mich ihrem Bette naͤherte, das, wie ich geſagt habe, mit ihren Untergebenen und Toͤchtern umgeben war, welche ſie mit einer ſauren und erſchrocknen Aufmerkſamkeit anſahen; einer Aufmerkſamkeit, die, wie man leicht ſehen konnte, mit mehrerem Schrecken und Sorge fuͤr ſie ſelbſt, ja wohl gar Selbſtverdammung, als mit Liebe oder Mitleiden vermiſchet war; nicht anders, als wenn ſie ſagen wollten: Sehet! was wir ſelbſt dereinſt ſeyn muͤſſen.
So bald als ſie mich ſahe, ſchriee ſie mit ihrer von Natur groben Stimme, welche durch ihr To -Siebenter Theil. M mben546ben noch heiſerer geworden war, gegen mich aus: O Herr Belford! O mein Herr! ſehen ſie, wie es mir gegangen iſt! ‒ ‒ Sehen ſie, wozu ich gera - then bin! ‒ ‒ Daß ich ſo einen verfluchten Hau - fen um mich haben muß und doch keine von ihnen Sorge fuͤr mich traͤgt! ‒ ‒ ſondern mich die Treppen hinunter taumeln laͤßt, ſo weit von dem Zimmer woraus ich kam! ſo weit von dem Zim - mer, wohin ich gehn wollte! O verflucht ſey ei - ne jede von den unachtſamen Teufeln! ‒ ‒ Jch wuͤnſche, daß es ihnen allen eben ſo, oder noch aͤr - ger gehen moͤge!
Darauf fluchte und ſchwur ſie noch heftiger: um ſo viel mehr, weil zwo oder dreye von ihnen ſich damit entſchuldigten, daß ſie damals eben ſo wenig im Stande geweſen waͤren, ſich ſelbſt zu helfen, als ſie.
So bald als ſie durch die Schwuͤre und Fluͤ - che, welche ihre wilde Ungedult ſie auszuſtoßen trieb, den Weg in ihrer Kehle frey gemacht hatte, fing ſie mit einem hohlern und weinenden Tone an, ſich zu beklagen. Und hier; ſagte ſie, indem ſie zugleich ihre Haͤnde zuſammenſchlug und wie - der aus einander that; hier, Gott verleihe mir Gedult! muß ich ſo jaͤmmerlich ſterben! ‒ ‒ an einem Beinbruch in meinen alten Tagen! ‒ ‒ durch meine eigne Unmaͤßigkeit hingeriſſen! ‒ ‒ Keine Zeit zu meinen Sachen! Keine Zeit zur Buße! ‒ ‒ Und in wenigen Stunden O! ‒ O! ‒ ‒ nebſt noch einem lange heulenden O ‒ ‒! welches ein ſchreiender Huſten beſchloß ‒ ‒wer547wer weiß, wer kann ſagen, wo ich ſeyn werde! ‒ ‒ O waͤre ich doch wirklich niemals, niemals da geweſen!
Was konnte man zu einem ſolchen nichtswuͤr - digen Weibe ſagen, als dieß iſt, die ihr ganzes Leben in der alleraͤrgſten Bosheit, die ſich am meiſten ausbreitet, zugebracht, und mehrere See - len von Perſonen beyderley Geſchlechts zu verant - worten hat, als der beſte Gottesgelehrte in Eng - land jemals ſelig gemacht? ‒ ‒ Jedoch ſtellte ich ihr vor, ſie muͤßte Gedult haben; ihre Heftig - keit machte es aͤrger mit ihr: und wenn ſie ſich beruhigen wollte, ſo koͤnnte ſie zu einer Gemuͤths - faſſung kommen, die ſich fuͤr ihre gegenwaͤrtigen Umſtaͤnde beſſer ſchickte.
Wer, ich? fiel ſie mir in die Rede: ich zu einer beſſern Gemuͤthsfaſſung kommen! Jch, die weder weinen, noch beten kann! und doch ſchon die Quaal der Verdammten fuͤhle! Was fuͤr Barmherzigkeit kann ich erwarten! Was fuͤr Hoffnung iſt mir uͤbrig? ‒ ‒ Dazu kommt das angenehme Kind! die unvergleichliche Fraͤulein Harlowe! ‒ ‒ Sie iſt todt, ſcheint es, und da - hin! ‒ ‒ O der verfluchte Menſch! Waͤre es nicht ſeinetwegen geſchehen: ſo haͤtte ich niemals die - ſe, die himmelsſchreiende und groͤßte unter allen meinen Suͤnden zu verantworten gehabt! Und ſo fing ſie ein neues Geheul an.
Aber iſt ſie todt? ‒ ‒ wirklich todt? fuhr ſie fort, da ihr Geheul zu Ende war ‒ ‒ O was fuͤr ein Engel iſt durch mein Zuthun zu Grunde ge -M m 2richtet548richtet worden! ‒ ‒ Denn ob es gleich des gottloſen Menſchen Schuld geweſen iſt, daß ſie jemals in mein Haus gekommen: ſo war es doch meine und eure und eure und eure Schuld, ſolche Teufel, als wir alle waren; dabey wandte ſie ſich gegen Sa - rah, Maria und eine oder zwo mehr; daß er ihr nicht Gerechtigkeit widerfahren ließ! Und das, das iſt mein Fluch, und wird auch dereinſt euer Fluch ſeyn. Hiemit heulte ſie wieder.
Jch riethe ihr noch immer Gedult an. Jch ſagte, daß, wenn ihre Zeit ſo kurz waͤre, als ſie be - ſorgte, ſie deſto mehr Urſache haͤtte, ſich zu faſſen: und denn wuͤrde ſie wenigſtens mit mehrerer Be - ruhigung fuͤr ſich ſelbſt ſterben ‒ ‒ und mit meh - rerem Troſte fuͤr ihre Freunde, wollte ich ſagen ‒ ‒ Allein das Wort ſterben brachte ſie zu einem heſtigen Toben: und ſo fuhr ſie mich an.
Sterben, ſagten ſie, mein Herr? ‒ ‒ Ster - ben! ‒ ‒ Jch will nicht, ich kann nicht ſter - ben! ‒ ‒ Jch weiß nicht, wie ich ſterben ſoll! ‒ ‒ Sterben, mein Herr! ‒ ‒ Und muß ich dann ſterben! ‒ ‒ dieſe Welt verlaſſen! ‒ ‒ Es iſt mir unertraͤglich! ‒ ‒ Und wer hat ſie hier - her gebracht, mein Herr; dabey ſchoſſen ihre Augen Feuer auf mich; Wer hat ſie hierher ge - bracht, mein Herr, mir zu ſagen daß ich ſterben muß? ‒ ‒ Jch kann nicht, ich will dieſe Welt nicht verlaſſen. Es moͤgen andere ſterben, die ſich eine andere Welt wuͤnſchen! die eine beſſere er - warten! ‒ ‒ Jch habe meine Plagen in dieſer Welt gehabt: allein ich wollte mich dennoch ver -glei -549gleichen, alle kuͤnftige Hoffnung hinzugeben, ſo daß ich nach dieſer nichts ſeyn moͤge! Hierauf heulte und bruͤllte ſie wechſelsweiſe.
Bey meiner Treue, Lovelace, ich zitterte an allen Gliedern: und indem ich ſie, welche dieß ſag - te und ſo bruͤllete, und die Geſellſchaft um mich herum anſahe; dachte ich mehr als einmal, ich waͤre in einer der hoͤlliſchen Wohnungen.
Jedoch ich will fortfahren und zu deinem Be - ſten verſuchen, ob ich dich durch meine Beſchrei - bungen nur halb ſo viel ſchrecken kann, als ich durch das, was ich ſahe und hoͤrte, erſchreckt wurde.
Sarah ‒ ‒ Maria ‒ ‒ Schweſter Carte - rinn! ſprach ſie, habt ihr mir nicht geſagt, daß ich wieder geneſen koͤnnte? Hat mir nicht der Wundarzt geſagt, ich koͤnnte geneſen?
Ja ſie koͤnnen, rief Sarah: Herr Garon ſagt, ſie koͤnnen geneſen, wo ſie gedultig ſeyn wol - len. Aber, wie ich ihnen dieſen lieben Morgen ſchon oft geſagt habe, ſie ſind geneigter, ſich durch ihre eigne Furcht in Verzweifelung zu ſetzen, als durch alle die Hoffnung, welche wir ihnen machen koͤnnen, troͤſten zu laſſen.
Aber, ſchrie das alte Weib, welches ihr in die Rede fiel, ſagt nicht Herr Belford; und dem habt ihr die Wahrheit geſagt, ob ihr ſie mir gleich nicht habt ſagen wollen; ſagt nicht Herr Belford, daß ich ſterben werde? ‒ ‒ Es iſt mir unertraͤglich! Es iſt mir unertraͤglich, an das Sterben zu gedenken! ‒ ‒
M m 3Hier -550Hierauf wuͤrde ſie ſich ſelbſt geſchlagen haben: wenn nicht ein halbes Dutzent auf einmal ſich be - muͤhet haͤtte, ihre gewaltſamen Haͤnde niederzuhal - ten. Das hatte ſie, wie es ſcheint, ſchon oft ver - ſucht, ſeit dem der Wundarzt ſich das Wort kal - ter Brand gegen ſie hatte entfallen laſſen.
Aber zu welchem Ende; ſprach ich, nachdem ich mich auf die Seite zu ihrer Schweſter und Sarah und Maria gewandt hatte; zu welchem Ende wird ihr dieſe Hoffnung gemacht: wo die Aerzte ſie aufgeben? Man ſollte ſie alles wiſſen laſſen, ſo arg als es iſt. Alsdenn muͤßte ſie ſich darein ſchicken. Denn vom Tode laͤßt ſich nicht wegrennen. Wo ſie etwas in Ordnung zu bringen hat: ſo berede man ſie, es in Ordnung zu bringen, und beraube ſie nicht durch eine faͤlſchli - che Hoffnung, daß ſie am Leben bleiben werde, der Bequemlichkeit, das noͤthige zu beſchicken. Geben die Wundaͤrzte ſie wirklich auf?
Ja, ziſchelten ſie mir zu. Jhr ſtarker Koͤr - per, ſagen ſie, giebt keine gute Hoffnung. Wir haben nach beyden Wundaͤrzten geſchickt, die wir alle Augenblicke erwarten.
Die beyden Wundaͤrzte, welche Franzoſen ſind, weil Fr. Sinclair die franzoͤſiſchen Wundaͤrzte von Tourvillen hatte ſehr loben hoͤren, kamen her - ein, als wir noch ſo ſchwatzten. Jch begab mich in die andere Ecke des Zimmers und ſchob ein Fenſter auf, um ein wenig friſche Luſt zu ſchoͤpfen: indem ich von den Ausduͤnſtungen aus ſo vielen unreinen Koͤrpern halb vergiftet war. Dießbrach -551brachte mir keinen unvollkommenen Begriff von dem Geſtank in Gefaͤngniſſen bey, welcher die Luft in der Gegend anſteckt und das Uebel verurſacht, das man die Gefaͤngnißkrankheit nennet.
Jch kam wieder an das Bette zuruͤck: nach - dem die Wundaͤrzte den Bruch angeſehen hatten, und fragte ſie, ob einige Hoffnung zu ihrem Le - ben waͤre.
Einer von ihnen flisperte mir zu, es waͤre keine Hoffnung mehr da: ſie haͤtte ein ſtarkes Fieber, welches aller Wahrſcheinlichkeit nach, bey einem ſolchen Koͤrper, es ſchon allein ausmachen wuͤrde; und der kalte Brand haͤtte ſie augen - ſcheinlich weiter angegriffen, ſeit dem ſie vor ſechs Stunden da geweſen waͤren.
Wird ihr zu helfen ſeyn, wenn das Bein ab - geloͤſet wird? Jhre Sachen und ihr Gemuͤth muͤſſen noch erſt in Ordnung gebracht werden. Wenn ihr Leben nur auf wenige Tage verlaͤngert wird: ſo kann ihr das in beyder Betrachtung Dienſte leiſten.
Sie ſagten mir, der Bruch waͤre hoch an dem Fuße, das Knie ſehr zerſtoßen, und der kalte Brand haͤtte ſich, nach aller Wahrſcheinlichkeit, ſchon uͤber die Haͤlfte von der Femur ausgebrei - tet. Darauf nahmen ſie mich zwiſchen ſich, in - dem zugleich drey oder vier von den Weibsleuten ſich zu uns geſellten, welche das Maul aufſperrten und alle Zeichen einer unwiſſenden Verwunderung in ihren Geſichtern hatten, gleichwie ſich in den Geſichtern der Kunſterfahrnen die Zeichen einerM m 4voͤlli -552voͤlligen Zufriedenheit mit ſich ſelbſt ſehen ließen. Beyde fuͤllten wechſelsweiſe meine Ohren mit ei - ner Beſchreibung des Fußes und dicken Beins nach der Zergliederungskunſt, und liefen ſie mit ihren Kunſtwoͤrtern durch, von dem Tarſus, dem Metatarſus, der Tibia, der Fibula, der Patella, dem Os Tali, dem Os Tibiae, dem Tibialis Po - ſticus und Tibialis Anticus, hinauf zu dem Os femoris, zu dem Acetabulum des Os Iſchion, dem großen Trochanter, Glutes, Triceps, Le - vidus und kleinem Rotator; kurz von allen Mu - ſkeln, Knoͤrpeln und Knochen, die den Fuß und das dicke Bein ausmachen, von dem großen Zehe bis zu der Huͤfte: als wenn ſie mir zeigen woll - ten, daß alle ihre Wiſſenſchaft nicht weiter in ih - ren Kopf gedrungen waͤre, als bis zu ihrem Mun - de, da unterdeſſen Sarah ihre Haͤnde aufhub, mit einem Lobſpruch: O Himmel! Sind alle Wundaͤrzte ſo gelehrt ‒ ‒ Aber endlich erklaͤrten ſich dieſe beyden Herren, daß, wenn ſie und ihre Freunde in die Abloͤſung des Beines willigen wollten, ſie daſſelbe in einem Augenblick wegneh - men wuͤrden.
Fr. Carterinn fragte: Wozu ſollte das dienen, wenn die Operation ſie doch nicht retten wuͤrde?
Es waͤre wahr, ſprachen ſie: allein es moͤchte doch den Freunden der Kranken eine Beruhi - gung ſeyn, daß alles geſchehen waͤre, was geſche - hen koͤnnen.
So ſollte ſich das arme und ungluͤckliche Weib bloß zu einem Verſuche, wie ich wohl ſa -gen553gen mag, zerſchneiden und viertheilen laſſen, und, ohne irgend einige Hoffnung, von der Operation einen Nutzen zu haben, die Wundaͤrzte dafuͤr be - zahlen, daß ſie ſie quaͤlten!
Jch muß geſtehen, ich hahe eine ſchlechte Meynung von dieſen Herren, die zwar in ihrer Le - bensart ein Aufſehen machen, und ſich nicht allein mit einer franzoͤſiſchen Geburth, ſondern auch mit einer pariſiſchen Erziehung groß wiſſen, aber in der Ausuͤbung ihrer Kunſt niemals ein Aufſehen machen werden.
Wie unaͤhnlich iſt dieſen mein ehrlicher eng - liſcher Freund, Tomkins, ein ehrlicher, ernſthaf - ter, verſtaͤndiger Mann, bey dem die Kunſt wei - ter geht, als auf Worte: ein Mann, der allezeit ein prahleriſches Anſehen und unverſtaͤndliches Gewaͤſche vermeidet, und jedermann in den Stand zu ſetzen ſuchet, von demjenigen, womit er zu thun hat, eben ſo gut zu urtheilen, als er ſelbſt davon zu urtheilen weiß.
Alle die Zeit uͤber, da die Wundaͤrzte mit ih - ren Vorſtellungen aus der Zergliederungskunſt zu thun hatten, bruͤllte und bloͤckte das ungluͤckliche Weib auf die ſchrecklichſte Weiſe. Die Herren zeigten, daß ſie von der Art Leuten waͤren, die von ſolchen Uebeln, welche ſie nicht fuͤhlen, nicht ge - ruͤhret werden. Sie achteten das nicht weiter, als daß ſie ihre Stimmen nur mehr erhuben, um gehoͤrt zu werden, nach dem jene die ihrige er - hob. ‒ ‒ Sie waren augenſcheinlich mehr bemuͤ - het, ihre Bekanntſchaft zu vermehren und dieM m 5Mey -554Meynung von ihrer Geſchicklichkeit auszubreiten, als auf das Schreyen der Elenden, zu deren Huͤl - fe ſie gerufen waren, zu merken: ob ſie gleich eben dadurch, wie der Hund mit dem Schatten in der Fabel, ihrer gedoppelten Abſicht bey mir beraubet wurden. Denn ich habe mich in einer Regel, die ich fruͤhe machte, niemals betrogen; daß naͤmlich die ſtilleſten Gewaͤſſer am tiefeſten ſind, da hinge - gen die aufwallenden Stroͤme nur ein ſeichtes Waſ - ſer verrathen, und zu erkennen gebẽn, daß Steine und Kieſel ſo nahe an ihrer Oberfluche liegen, daß daſelbſt der beſte Ort angewieſen wird, einen Fluß trocknes Fußes zu durchwaten.
Weil niemand Luſt hatte, dem ungluͤcklichen Weibe den Erfolg zu hinterbringen, den ein jeder beſorgte, und von deſſen naher Bevorſtehung mich die Wundaͤrzte uͤberzeugten: ſo uͤbernahm ich es, ihr ihr Urtheil anzukuͤndigen. Daher ſetzte ich mich, nachdem die Schneidekuͤnſtler weggegangen waren, auf der Seite an ihr Bette. Wohlan, Fr. Sinclair, ſagte ich, ich muß ihnen den Rath geben, ſich des Tobens uͤber die Sorgloſigkeit de - rer, die damals, wie ich befinde, fuͤr ſich ſelbſt nicht ſorgen konnten, zu entſchlagen, und weil die Sa - che geſchehen iſt, und nicht zu aͤndern ſtehet, den Schluß zu faſſen, nur ſo gut, als immer moͤglich, dabey zu fahren. Denn alle dieſe Heftigkeit ver - mehret nur die Wuth der Krankheit, und ſie wer - den nach der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit, wo ſie derſelben Raum geben, in eine Raſerey verfallen, welche ſie derjenigen Vernunft berauben wird, dieſie555ſie ſich ſo lange, als ſie ihnen noch gegoͤnnet iſt, aufs beſte zu Nutze zu machen verbunden ſind.
Sie wandte ihr Geſicht zu mir: und da ſie mich mit einer geſetzten Stimme reden hoͤrte, und ein eben ſo geſetztes Weſen annehmen ſahe; ſo ward ſie ſtiller und aufmerkſamer.
Jch fuhr fort, und ſagte ihr, daß ich mich nach denen Zeichen, die ſie von ſich gegeben haͤtte, freuete, ſie uͤber ihr vergangenes und uͤbel ange - wandtes Leben, und ſonderlich uͤber ihr Antheil an dem Ungluͤck des vortrefflichſten Frauenzimmers auf dem Erdboden, bekuͤmmert zu ſehen. Wo ſie ſich ſelbſt ſaſſen und ſich den Folgen eines Uebels, das ſie ſich ſelbſt zugezogen haͤtte, unter - werfen wollte: ſo moͤchte es vielleicht noch gluͤck - lich fuͤr ſie ſeyn. Unterdeſſen, ſetzte ich hinzu, ſa - gen ſie mir, warum ſie ein ſo großes Verlangen gehabt haben mich zu ſehen?
Jhre Gedanken ſchienen ſehr verwirrt zu ſeyn. Sie drehete ihren Kopf hier und dorthin, und ſag - te endlich nach vieler Zweifelhaftigkeit: Ach ich Elende! Jch weiß kaum, was ich von ihnen ha - be haben wollen. Als ich von meiner unmaͤßi - gen Entzuͤckung erwachte, und befand, in was fuͤr einem verfluchten Zuſtande ich waͤre: ſo plagte mich mein Gewiſſen, und ich war bereit, wie ein Ungluͤcklicher, der eben erſaufen ſoll, nach einem jeden Strohhalme zu greiffen. Jch wollte gern alle und jede ſehen, außer denen, die ich ſahe: ei - nen jeden, von dem ich dachte, daß er mir Troſt verſchaffen koͤnnte. Gleichwohl konnte ich auchvon556von ihnen keinen Troſt erwarten. Denn ſie hat - ten ſich fuͤr meinen Feind erklaͤret, ob ich ihnen gleich niemals das geringſte zuwider gethan hat - te. Denn ‒ ‒ ‒ dieß ſagte ſie in ihrem gewoͤhn - lichen Tone, indem ſie durch die Naſe heulte ‒ ‒ was ging Fraͤulein Harlowe ſie an? ‒ ‒ Allein ſie iſt gluͤcklich! ‒ ‒ Aber ach! wie wird es mit mir werden? ‒ ‒ Jedoch ſagen ſie mir; denn die Wundaͤrzte haben ihnen ſonder Zweifel die Wahrheit geſagt; ſagen ſie mir: Wird es wieder beſſer mit mir werden? Kann ich wieder aufkom - men? Wo das ſeyn kann: ſo will ich eine ganz andere Lebensart anfangen; ſo wahr als ich ſelig zu werden hoffe, ich will es thun. Jch will mich eurer aller entſagen ‒ ‒ einer jeden von euch ‒ ‒ Sie ſahe hierbey um ſich herum ‒ ‒ Jch will al - les zuſammenſcharren und ein bußfertiges Leben fuͤhren: und wenn ich ſterbe, es alles zu Liebes - werken vermachen ‒ ‒ Bey meiner Seele, ich will es thun ‒ ‒ Einen jeden Heller will ich zu einem Liebeswerk vermachen ‒ ‒ Nur noch dieß einzige mal; ſetzte ſie hinzu mit Aufſchlagung ih - rer herumrollenden Augen und Aufhebung ihrer gefalteten Haͤnde, mit einem Eifer, woruͤber ſie das Maul verzog, ſo daß alle Muſkeln und Zuͤ - ge ihres Geſichtes Theil daran nahmen ‒ ‒ Gnaͤdiger Gott des Himmels und der Erden, nur noch dieß einzige mal! dieß einzige mal! ‒ ‒ die - ſe Worte wiederhohlte ſie fuͤnf oder ſechs male ‒ ‒ ſchone deines armen Geſchoͤpfes und erhalte es: und eine jede Stunde meines Lebens ſoll Reueund557und Buße ſeyn; bey meiner Seele, ſo ſoll es ſeyn!
Nicht ſo hitzig! Nicht ſo gar hitzig! ſprach ich ‒ ‒ Es ſchickt ſich nicht fuͤr mich, da ich, wie ſie nur allzu wohl wiſſen, ein ſo freyes Leben ge - fuͤhret habe, die Sprache eines Strafpredigers gegen ſie zu fuͤhren, und ihnen die Gottloſigkeit, in der ſie gelebet, und die vielen Seelen, die ſie zu verderben geholfen haben, vorzuhalten. Allein da ſie in einem ſo bußfertigen Zuſtande ſind: ſo wuͤr - de ich, wenn ich rathen moͤchte, den Rath geben, nach einem frommen Geiſtlichen zu ſchicken, an wel - chem die Lauterkeit in ſeinem Leben und ſeine Ar - ten zu handeln allem dem, was von ihm kommt, einen beſſern Anſtand geben wird, als es haben koͤnnte, wenn es von mir kaͤme.
Wie, mein Herr! Was, mein Herr! fiel ſie mir in die Rede. Nach einem Pfarrer zu ſchi - cken! ‒, So glauben ſie denn in der That, daß ich ſterben werde! So glauben ſie denn, daß kei - ne Hoffnung uͤbrig ſey! ‒ ‒ Nach einem Pfar - rer, mein Herr! ‒ ‒ Wer ſchickt nach einem Pfar - rer, ſo lange noch einige Hoffnung uͤbrig iſt? Der Anblick von einem Pfarrer wuͤrde alſobald der Tod fuͤr mich ſeyn! ‒ ‒ Jch kann nicht, ich kann nicht ſterben! ‒ ‒ Sagen ſie mir nimmer - mehr davon! ‒ ‒ Was! ſterben! ‒ ‒ Was! mitten in meinen Suͤnden hingeriſſen werden!
Und darauf fing ſie wieder an zu toben.
Es iſt mir unertraͤglich, ſagte ich, und ſtand mit einem muͤrriſchen Geſichte auf, daß ich einver -558vernuͤnftiges Geſchoͤpfe ſich ſo laͤſterlich bezeigen ſehen ſoll! ‒ ‒ Wird dieſe Heftigkeit die Sache beſſer machen? Was meynen ſie? Wird ſie ihnen zu etwas nuͤtzen? Wird ſie nicht vielmehr ein Le - ben verkuͤrzen, das ſie ſo gern verlaͤngert haben wol - len? Wird ſie ihnen nicht die einzige Gelegenheit, ihre Sachen in Abſicht auf beyde Welten zu be - ſtellen, benehmen? ‒ ‒ Dieß iſt nur das gemeine Schickſal: und wo es bald das ihrige ſeyn wird: ‒ ‒ hiebey ſahe ich ſie an ‒ ‒ ſo wird es auch das ihrige und das ihrige; und das ihrige ‒ ‒ das ſagte ich mit erhabner Stimme, und wandte mich gegen eine jede von den zitternden Teufeln um ſie herum: denn ſie bebten alle bey meiner nach - druͤcklichen Anordnung ‒ ‒ und das meinige gleichfalls ſeyn. Sie haben noch Urſache dank - bar zu ſeyn, daß ſie nicht in der Unmaͤßigkeit ſelbſt, die ihnen dieß zugezogen hat, umgekommen ſind. Denn es haͤtte eben ſo gut ihren Hals, als ihren Fuß treffen koͤnnen: und ſo haͤtten ſie die Gele - genheit zur Buße, welche ſie itzo haben, nicht ge - habt. ‒ ‒ Und, Gott ſey ihnen gnaͤdig! in wel - chem Zuſtande haͤtten ſie alsdenn erwachen moͤgen?
Hiemit fing das elende Weib ein unvernehmli - ches ſchreckliches Geheul an: ein Geheul, dergleichen ich vorher niemals gehoͤret hatte, als wenn die Hoͤl - lenſchmerzen ſie ſchon ergriffen haͤtten. Und da ſie alle und jede erſchrocken, und mich in der Bewegung ſahe, wegzugehen: ſo ſchrie ſie, mit Worten die durch Gluchſen unterbrochen wurden: O! erbarmen ſieſich559ſich uͤber mich, erbarmen ſie ſich uͤber mich, Herr Belford. Jch befinde, daß ſie glauben, ich werde ſterben. Und wer kann ſagen ‒ ‒ was ‒ ‒ und wo ich in gar wenigen Stunden ſeyn moͤge?
Jch geſtand, es waͤre vergebens, ihr zu ſchmei - cheln: ich waͤre wirklich der Meynung, daß ſie nicht wieder aufkommen wuͤrde.
Jch wollte ihr von neuem den Rath geben, ihr Gemuͤth zu beruhigen, und ſich zu beſtreben, daß ſie ſich der guͤtigen Vorſehung uͤberließe, und die Gelegenheit, welche ihr noch uͤbrig gelaſſen waͤ - re, auf das beſte zu Nutze machte: allein dieſe Erklaͤrung brachte ſie zu dem laͤſterlichſten Toben. Sie wuͤrde ſich die Haare ausgeriſſen und die Bruſt zerſchlagen haben: wenn nicht einige von den elenden Weibsbildern ihr mit Gewalt die Haͤnde gehalten haͤtten, da unterdeſſen andere ſie ſo feſt hiel - ten als ſie konnten, damit ſie nicht ihr erſt friſch zu - ſammengeſetztes Bein, wieder herausſtecken ſollte. Weil ich ſie nun ſo wenig im Stande ſahe, guten Rath anzunehmen, und eine vollkommne Raſerey an ihr bemerkte: ſo ſagte ich zur Sarah Martin, daß man es in dem Zimmer nicht aushalten koͤnnte, und ſie am beſten thun wuͤrden, wenn ſie nach ei - nem Geiſtlichen ſchickten, der bey ihr betete, und vernuͤnftig mit ihr redete, ſo bald als ſie dazu ge - ſchickt ſeyn wuͤrde.
So verließ ich ſie: und niemals hatte ich den Vortheil von einer friſchen Luft ſo ſtark empfun - den, als den Augenblick, da ich auf die Gaſſe trat.
Es560Es iſt auch nicht zu verwundern: wenn man bedenkt, daß nebſt dem mannichfaltigen uͤbeln Ge - ruch, den man allemal in einem verſchloſſenen Zimmer mit einem Krankenbette finden wird, weil gemeiniglich, wenn der Arzt kommt, die Luſt ausgeſchloſſen wird, der von der Fr. Sinclair um ſo viel mehr beſonders widrig war, da zu dem Ge - ruch von Pflaſtern, Umſchlaͤgen und Salben, der Geſtank von gebrannten und ungebrannten ſtar - ken Waſſern aller Art hinzukam. Denn alle die Zeit uͤber, die ich da war, rief beſtaͤndig die eine oder die andere, unter dem Vorwand von Coliken, Schneiden im Leibe, Uebelkeiten, oder Aufwal - lungen, uͤber friſchen Vorath von denſelbigen. Gleichwohl wird dieß fuͤr ein manierliches Haus von der Art gehalten: und alle liederliche Weibs - bilder in demſelben laſſen es ſich theuer bezahlen, und die ſie beſuchen, ſind Leute von Stande.
O Lovelace! was fuͤr ein Leben fuͤhren die meiſten von uns liederlichen Bruͤdern und Freun - den der ſo genannten freyen Lebensart! Was fuͤr Geſellſchaft halten wir! Und was fuͤr Geſellſchaft ſchlagen wir um ſolcher willen aus, oder ſuchen ſie derſelben gleich zu machen!
Welches Frauenzimmer, das etwas Bedenk - lichkeit in Anſehung ihrer Perſon, und eine unbe - fleckte Tugend in Anſehung ihres Gemuͤhs und Betragens beſitzet, wuͤrde nicht, wenn ſie wuͤßte, was fuͤr unflaͤtige Welzbaͤlge die meiſten von un - ſerer Art Leuten an ſich ſelbſt ſind, und beſtaͤndig an einem Troge und in einem Stalle um ſich ha -ben,561ben, ſchon den Gedanken verabſcheuen, ſich zu ſo gar - ſtigen Sklaven der Sinnlichkeit zu geſellen, deren Hauptgeſchmack ſie hinreißet, ſich mit dem Ab - ſchaum der Hurenhaͤuſer und gemeinen Cloaken zu bemengen.
Gleichwohl werden viele wuͤrdige Frauensper - ſonen durch die falſche und unbeſonnene Vorſtel - lung, die ſonder Zweifel von dem Urheber alles Betruges erreget und fortgepflanzet iſt, daß ein liederlicher Menſch, der ſich gebeſſert hat, den beſten Mann abgebe, verfuͤhret, eine ſol - che Wahl zu treffen. Wir liederlichen Leute ſind in der That kuͤhn genug, die Vermuthung feſtzu - ſetzen, daß die Frauensperſonen uͤberhaupt eben ſo liederlich in ihren Herzen ſind, als die Liebhaber der freyen Lebensart in ihrer Auffuͤhrung. Dieß iſt daher eine Vermuthung, welche Perſonen von dem andern Geſchlechte, die eine wahre Ehre lieben, der Falſchheit dadurch zu uͤberweiſen geziemet, daß ſie einen jeden mit ſeinem Antrage abweiſen, deſſen Gemuͤthsart nicht die Probe derjenigen Tu - gend haͤlt, die der Ruhm eines Frauenzimmers; und in der That, mag ich wohl ſagen, auch einer Mannsperſon Ruhm und Ehre iſt: warum ſollte es nicht ſeyn?
Wie iſt es doch wohl moͤglich, wenn man dieß gehoͤrig erwaͤget, daß ein Menſch, der von dem ganzen Geſchlechte einerley denket, und weiß, daß es in dem Vermoͤgen eines Weibes ſtehe, ihm die groͤßte Schande anzuthun, die ein Mann haben kann, auch an ihrem Willen, esSiebenter Theil. N nzu562zu thun, wo ſich die Gelegenheit anbietet und Un - verſchaͤmtheit nicht fehlet, gar keinen Zweifel hat; wie iſt es moͤglich, daß ein ſolcher Menſch aus guten Grundſaͤtzen einen guten Ehegatten fuͤr irgend ein Frauenzimmer abgeben ſollte? Jn Wahrheit, die unſchuldigen Seelen denken gar nicht, was fuͤr eine gaͤnzliche Umkehrung des Be - tragens, was fuͤr ein Wechſel eingewurzelter Ge - wohnheiten, ja was fuͤr eine Ueberwindung einer boͤſen Natur dazu gehoͤre, daß ein Menſch aus guten Grundſaͤtzen ein guter Ehegatte, ein wuͤrdiger Vater und treuer Freund werde: ſon - derlich wenn man bedenket, daß es nicht in ei - nes Menſchen eignem Vermoͤgen ſtehe, ſich zu beſſern, wann er will. Dieß haſt du, daß ich von meiner eignen Erfahrung nichts ſage, in dem Fort - gang deiner Unternehmungen gegen die goͤttliche Fraͤulein Harlowe befunden. Denn wer konnte wohl empfindlichere oder oͤftere Gewiſſensbiſſe ha - ben? Und bey wenn konnten ſie wohl fluͤchtiger voruͤbergehen?
Werde nicht boͤſe, daß ich ſo ernſthafte Be - trachtungen, als dieß ſind, unter meine Erzaͤhlun - gen miſche. Es ſtehet mir, nach meiner gegen - waͤrtigen Art zu denken, zu, es ſo zu machen: da ich an der Fraͤulein Harlowe ſehe, wie alle menſch - liche Vortrefflichkeit; an dem armen Belton, wie alle unmenſchliche Liederlichkeit; und nun bald an dieſem verruchten Weibe, wie alle teufliſche Ruch - loſigkeit ſich endige. Jch wuͤrde mich freuen, um eurer ſelbſt, um eurer anſehnlichen Familie, undum563um aller eurer Vertrauten und Bekannten willen, wenn ihr unter eben dieſen Eindruͤckungen ſeufzen ſolltet, daß auf die Art wir, die einander in der Bosheit zu Mitgeſellen und Gehuͤlfen gedienet ha - ben, uns mit einander zu einer allgemeinen Buße nach unſerm aͤußerſten Vermoͤgen vereinigen moͤchten.
Jch kam mit den Betrachtungen uͤber alle dieſe Dinge zu Hauſe, die mich mehr erbaueten, eine Predigt, die ich haͤtte hoͤren koͤnnen: und ich werde dieſen langen Brief mit der Anmerkung beſchließen, daß, ob ich gleich das ungluͤckliche heulende Weib in einer ſtarken Raſerey verließ, welche den Umſtehenden ausnehmend ſchrecklich war, dennoch ihre Raſerey der gluͤcklichſte Theil von ihrem ſchrecklichen Zuſtande iſt. Denn wenn ſie bey ſich ſelbſt iſt, wie man ſagt: was muß ſie fuͤr Betrachtungen uͤber ihr vergangenes ruch - loſes Leben haben, in deſſen ganzem Verlauf ihr beſtaͤndiges Vergnuͤgen und Gewerbe geweſen iſt, wie der Teufel, andere eben ſo gottlos zu machen, als ſie ſelbſt war. Was fuͤr Schrecken muß ſie empfinden; da ſich ſchon eine Hoͤlle in ihrem Ge - muͤthe anfaͤnget: wenn ſie auf den fuͤrchterlichen Zuſtand, an deſſen Grenzen ſie nun ſtehet, vor ſich hinaus ſiehet? ‒ ‒ Allein ich lege meine be - bende Feder nieder.
Meinem Verſprechen nachzukommen ſende ich Jhnen eine Nachricht, wie die Sachen hier ſtehen. Die arme Fr. Norton befand ſich unterweges ſo ſehr ſchlecht, daß mir bange war, ſo langſam auch der Leichenwagen fortging und die Kutſche folgte, wir wuͤrden ſie nicht bis nach St. Albans gebracht haben. Wir ſtiegen daſelbſt ab, wie ich willens geweſen war. Jch machte mir Hoffnung, daß es durch den Aufenthalt beſſer wer - den wuͤrde: allein ich ward genoͤthigt, ſie hinter mirzu -565zuruͤckzulaſſen. Jch befahl der Magd, welche ſie ſo wohl bedaͤchtlich die Guͤte gehabt hatten, mit ihr herunter zu ſchicken, daß ſie ihrer aufs ſorgfaͤl - tigſte pflegen ſollte, und ließ die Kutſche zuruͤck, auf ſie zu warten. Sie verdienet alle Achtung, die ihr bezeigt werden kann, nicht allein um meiner Baſe, ſondern um ihr ſelbſt willen. Sie iſt eine vortreffliche Frau.
Als wir zu fuͤnf Meilen von Harlowe-Burg waren: ſo fing ich einen kurzen Galop an. Jch befahl, daß der Leichenwagen noch langſamer fahren ſollte, weil der Kreuzweg, worinn wir wa - ren, uneben war, und wir mehr Zeit vor uns hat - ten, als ich wollte: denn ich wollte nicht gern, daß der Leichenwagen eher, als gegen die Abend - daͤmmerung zur Stelle ſeyn ſollte.
Jch kam bey meinen Vettern um vier Uhr an. Sie koͤnnen leicht glauben, daß ich ein trauervolles Haus fand. Aber ſie verlangen, daß ich ſehr um - ſtaͤndlich ſchreiben ſoll.
Als ich in den Hof kam, waren ſie alle in Be - wegung. Ein jeder Bedienter, den ich erblickte, hatte aufgeſchwollene Augen, und ſahe ſo traurig aus, daß ich anfangs beſorgte, es moͤchte ein neues Ungluͤck in der Familie vorgefallen ſeyn.
Herr Johann und Herr Anton Harlowe und Fr. Hervey waren da. Dieſe alle verſtaͤrkten ein - ander ihren Kummer, wie ſie vorher einander in der Unbarmherzigkeit geſtaͤrkt hatten.
Mein Vetter Jakob kam mir entgegen, als ich in den Vorſaal trat. Jn ſeinem Geſichte ließN n 3ſich566ſich ein anhaltender Kummer merken: und er bat mich, ihm ſein Bezeigen das letzte mal, als ich da war, zu gute zu halten.
Meine Baſe Arabella kam voͤllig in Thraͤnen und Betruͤbniß zu mir. O Herr Vetter! ſagte ſie, und hing ſich an meinen Arm ‒ ‒ Jch darf ihnen keine Fragen thun! ‒ ‒ Ueber die Heranna - hung des Leichenwagens, meynte ſie vermuthlich.
Jch ſelbſt war voller Kummer und ſetzte mich, ohne weiter zu gehen oder zu reden, in den Vor - ſaal auf den erſten Stuhl nieder.
Der Bruder ſetzte ſich an der einen, die Schwe - ſter an der andern Seite bey mir. Beyde ſchwie - gen ſtille. Die letztere weinte.
Herr Anton Harlowe kam bald hernach zu mir. Sein Geſicht war mit Spuren des Herze - leids bedecket. Er bat mich in den Saal zu ge - hen, wo, wie er ſagte, alle ſeine Mittraurige waͤren.
Jch begleitete ihn hinein. Mein Vetter Ja - kob und meine Baſe Arabella folgten mir nach.
Den Augenblick, da ich in den Saal hinein - trat, brach, ſo zu ſagen, ein vollkommenes Concert von traurigen Klagen aus.
Mein Vetter Harlowe, der lieben Fraͤulein Vater, ſagte, ſo bald als er mich ſahe: O Herr Vetter, Herr Vetter, von unſerer ganzen Familie ſind ſie der einzige, der ſich nichts vorzuwerfen hat! ‒ ‒ Sie ſind ein gluͤcklicher Mann!
Die arme Mutter neigte ihren Kopf gegen mich in ſprachloſer Traurigkeit, und ſaß mit ihrem Schnupftuch vor den Augen in der einen Hand:die567die andere hatte ihre Schweſter Hervey zwiſchen ihren beyden Haͤnden gefaßt, und netzte ſie mit ihren Thraͤnen.
Nahe beym Fenſter ſaß Herr Johann Harlowe. Sein Geſicht und ſein Leib war von der traurigen Geſellſchaft abgewandt. Seine Augen waren roth und aufgelaufen.
Mein Vetter Anton ging auf die Fr. Harlo - we zu, als er wieder in den Saal kam. ‒ ‒ Laſſen ſie nicht ‒ liebe Schweſter, ſprach er ‒ ‒ alsdenn wandte er ſich zu meinem Vetter Harlowe ‒ ‒ Laſſen ſie nicht ‒ ‒ lieber Bruder! ‒ ‒ ‒ Laſſen ſie nicht ſo weit ‒ ‒ Weiter aber war er nicht im Stande, ein Wort zu ſagen, und da er ſelbſt den Troſt brauchte, den er gern ertheilt haͤtte, ſank er in einen Stuhl, und ſeufzete, daß man es deutlich hoͤren konnte.
Fraͤulein Arabella folgte ihrem Onkel Anton, wie er vor mir hineinging. Es ſchien, als wenn ſie der zerſchlagenen Mutter einige Troſtworte zu - ſprechen wollte. Allein ſie war nicht im Stande dieſelben herauszubringen, ſondern ging hinter den Stuhl ihrer Mutter und legte ihr Geſicht uͤber denſelben auf die Schultern der ungluͤcklichen Frauen, als wenn ſie den Troſt finden wollte, den ſonſt guͤtige Eltern zu ertheilen pflegten, ſie aber itzo nicht zu ertheilen vermoͤgend war.
Der junge Herr Harlowe mit aller ſeiner Heftigkeit war itzo gedemuͤthigt. Sein eignes Gewiſſen, das ihn verklagte, war ſonder Zweifel die Urſache davon.
N n 4Und568Und was, mein Herr, was mußten ihre Ge - danken ſeyn, die ihnen in dem Augenblick gewiſſer - maßen alle Bewegung benahmen und ihre Spra - che in Seufzer und Gluchſen verwandelte! ‒ ‒ Wie ſind ſie zu bedauren, wie ſehr ſind ſie alle zu bedauren! Allein wie ſehr iſt der abſcheuliche Lo - velace zu verfluchen, der durch ganz außerordent - liche Kunſtgriffe, wie es ſcheint, durch eine Bos - heit, wovon kein Beyſpiel zu finden, allein der Ur - heber eines ſo mannichfaltigen und ſo weit ausge - breiteten Jammers geweſen iſt! ‒ ‒ Gott richte mich, wie ‒ ‒ Allein ich halte inne ‒ ‒ Der Menſch iſt Jhr Freund! ‒ ‒ Er leidet ſchon, wie ſie ſagen, an ſeinem Verſtande ‒ ‒ Hilf ihm, o Himmel! wieder zu demſelben ‒ ‒ Wo ich fin - de, daß die Sache ſo herauskommt, wie ich be - fuͤrchte ‒ ‒ Jn der That, die Winke, die ſie von ſeinem Verfahren mit ihr, in ihrem Te - ſtament, und in ihrem erſten Briefe an mich, gegeben hat, ſind hinlaͤnglich! ‒ ‒ Den - ke du nicht, meine geliebte Baſe, du meines Herzens Luſt! daß dein ſanftes Gemuͤth, das Lie - be und Vergebung gegen den ſchaͤndlichſten un - ter allen Menſchen aͤußert, ihm helfen werde!
Allein ich halte noch einmal inne ‒ ‒ Ver - geben ſie mir, mein Herr! ‒ ‒ Wer konnte einen ſo betruͤbten Aufzug anſehen, wer konnte ſich wie - der an denſelben erinnern, um ihn ſo genau zu be - ſchreiben, als ſie von mir erzaͤhlt zu haben wuͤn - ſchen, wie dieſe ungluͤckliche Familie bey dieſer traurigen Gelegenheit geruͤhret war, und konnte nicht gegen dem Urheber von allen erbittert ſeyn,da569da ein jeder von den Leidtragenden mit ihm ſo nahe verwandt iſt!
Weil ich die einzige Perſon war, von der, ſo betruͤbt ich auch ſelbſt war, jemand von ihnen da - mals Troſt erlangen konnte: ſo ging ich mit die - ſen Worten zu der untroͤſtlichen Mutter. Laſſen ſie uns nicht, liebſte Baſe, einem Kummer voͤllig Raum geben, der, ſo gerecht er auch ſeyn mag, uns doch nunmehr nichts helfen kann. Wir thun uns ſelbſt Schaden und koͤnnen doch die liebe Fraͤulein, um die wir trauren, nicht wiederrufen. Sie wuͤrden es auch nicht einmal wuͤnſchen: wenn ſie wuͤßten, mit was fuͤr Verſicherungen von der ewigen Gluͤckſeligkeit ſie die Welt verlaſſen hat. ‒ ‒ Sie iſt gluͤcklich, Madame! ‒ ‒ Verlaſſen ſie ſich darauf, ſie iſt gluͤcklich! und troͤſten ſie ſich mit dieſer Verſicherung.
O Herr Vetter, Herr Vetter! rief die un - gluͤckſelige Mutter, indem ſie zugleich ihre Hand von ihrer Schweſter Hervey wegzog und die mei - nige mit derſelben druͤckte, ſie wiſſen nicht, was fuͤr ein Kind ich verlohren habe! ‒ ‒ Mit einer leiſern Stimme ſetzte ſie hinzu ‒ ‒ Und wie ver - lohren! ‒ ‒ Das iſt es, was mir den Verluſt unertraͤglich macht.
Sie vereinigten ſich alle in einer gewiſſen Art von einem Trauerchor und alle klagten ſich ſelbſt an, einige auch einander. Alle aber rund um - her warfen ihre Augen auf meinen Vetter Jakob, als denjenigen, welcher den allgemeinen Wider - willen gegen ein ſo angenehmes Kind unterhaltenN n 5haͤt -570haͤtte: da er unterdeſſen ſeine eigne Gewiſſensbiſſe kaum zu ertragen im Stande war, noch die Fraͤu - lein Harlowe die ihrigen. Dieſe brach in Wor - te aus: Wie anzuͤglich ſchreib ich an ſie! Wie grauſam ſpottete ich ihrer! Wie gelaſſen nahm ſie es gleichwohl an! ‒ ‒ Wer haͤtte denken ſollen, daß ſie ihrem Ende ſo nahe geweſen waͤre! ‒ ‒ O Bruder, Bruder! ‒ ‒ Waͤret ihr es nur nicht geweſen! ‒ ‒ ‒ Waͤret ihr es nur nicht gewe - ſen! ‒ ‒
Verdoppelt meine Wehe uͤber mich nicht, ſprach er! ‒ ‒ Jch habe alles vor Augen, was geſchehen iſt! ‒ Jch dachte nur eine liebe Schwe - ſter, die ſich vergangen hatte, wieder auf beſſere Wege zu bringen! ‒ ‒ Jch war nicht willens, ihr zartes Herz zu brechen! ‒ ‒ Aber es war der ſchaͤndliche Lovelace, der das that ‒ ‒ Keiner von uns allen! ‒ ‒ Schrieb ſie mir gleichwohl nicht alles zu, Herr Vetter? ‒ ‒ Mir iſt bange, daß ſie es gethan! ‒ ‒ Sagen ſie mir nur, nannte ſie mich, redete ſie von mir, in ihren letzten Stun - den? Jch hoffe, da ſie dem groͤßten Boͤſewicht auf Erden vergeben, und Vorſtellungen fuͤr ihn thun konnte, damit er vor unſerer Rache geſichert ſeyn moͤge: ſo, hoffe ich, konnte ſie auch mir ver - geben.
Sie wuͤnſchte ihnen allen lauter Segen, und rechtfertigte ihre Strenge gegen ſie vielmehr, als ſie ſie verdammte.
Darauf fingen ſie noch ein allgemeines Klag - lied an. Wir ſehen, ſagte ihr Vater, wir ſehenzur571zur Gnuͤge in ihren ruͤhrenden Briefen an uns, in was fuͤr einer gluͤcklichen Gemuͤthsfaſſung ſie we - nige Tage vor ihrem Tode geſtanden. Allein daurte es auch aus bis auf die letzte? Fuͤhrte ſie keine Klagen? Hatte das liebe Kind keine Her - zensangſt?
Gar nicht! ‒ ‒ Jch habe niemals ein ſo gluͤck - ſeliges Ende geſehen, werde es auch niemals wie - der ſehen. Aber kein Wunder: denn ich habe niemals von einer ſolchen Vorbereitung gehoͤrt. Alle Stunden, vier Wochen nach einander, wurden darinn zugebracht. Laſſen ſie dieß unſern Troſt ſeyn ‒ ‒ Wir duͤrfen nur uns ſelbſt und denen, die uns zunaͤchſt am Herzen liegen, ein ſo gluͤckli - ches Ende wuͤnſchen. Einige von uns koͤnnen freylich uͤber die Unfreundlichkeit, welche ſie ihr bewieſen haben, betruͤbt ſeyn: aber, wenn auch alles geſchehen waͤre, was ſie vormals wuͤnſchte; ſo haͤtte ſie kein gluͤcklicher Ende nehmen koͤnnen, und vielleicht haͤtte ſie es nicht ſo gluͤcklich genom - men.
Die liebe Seele! Die liebe angenehme See - le! riefen der Vater, die Onkels, die Schweſter, meine Baſe Hervey alle auf einmal in ſolchen Toͤ - nen aus, die eine unausſprechlich ruͤhrende Angſt ausdruͤckten.
Wir muͤſſen fuͤr die Unfreundlichkeit, welche wir gegen ein ſo angenehmes Kind bewieſen haben, beſtaͤndig beunruhigt werden, ſchrie die ungluͤckli - che Mutter. ‒ ‒ Jn der That, in der That; das ſagte ſie leiſe zu ihrer Schweſter Hervey; ich habemich572mich in dieſem Falle allzu gelaſſen, viel zu ge - laſſen aufgefuͤhret. ‒ ‒ Die zeitliche Ruhe, wel - che ich in meinem ganzen Leben ſo ſorgfaͤltig zu er - halten geſucht habe, hat mich eine beſtaͤndige Un - ruhe gekoſtet! ‒ ‒
Hier brach ſie ab.
Liebſte Schweſter! Das war alles, was Fr. Hervey ſagen konnte.
Jch habe meine Pflicht gegen das liebſte und wuͤrdigſte von allen Kindern nur halb gethan, fing die bekuͤmmerte Mutter wieder an! ‒ ‒ Wie haben wir unſere Herzen gegen ſie verhaͤrtet! ‒ ‒
Jhre Thraͤnen verſchloſſen von neuem den Worten ihren Weg.
Meine liebſte, liebſte Schweſter! Das war wieder alles, was Fr. Hervey ſagen konnte.
Wollte der Himmel, fuhr die arme Mutter fort auszurufen, ich haͤtte ſie nur einmal geſehen! Darauf wandte ſie ſich zu meinem Vetter Jakob und ſeiner Schweſter ‒ ‒ O mein Sohn! O meine Arabella! wenn wir eben ſo wenig Barm - herzigkeit erlangen ſollten ‒ ‒
Hier hielte ſie wieder inne. Jhre Thraͤnen unterbrachen den Fortgang ihrer Rede. Jeder - mann ſchwieg alle die Zeit uͤber ſtille. Jhre Bil - dungen zeigten einen Kummer an, der zu groß war, daß er ſich haͤtte mit Worten ausdruͤcken laſſen.
Nun ſehen Sie, Herr Belford, daß man meiner liebſten Baſe alle ihre Vorzuͤge zugeſtehen konnte! ‒ ‒ Was fuͤr eine ſchreckliche Sache iſtes,573es, wenn man eine ſo verkehrte und unnatuͤrliche Auffuͤhrung hinten nach bedenket?
O der verfluchte Freund von Jhnen, Hr. Belford! der verdammte Lovelace! ‒ ‒ Von ihm, von ihm ruͤhrt es her ‒ ‒
Verzeihen Sie mir, mein Herr. Jch will meine Feder niederlegen, bis ich mich wieder ge - faßt habe.
Vergebens, mein Herr, habe ich mich bemuͤ - het, mein Gemuͤth zur Stille zu bringen, damit ich ein wenig ruhen moͤchte. Sie wollten gern, daß ich recht umſtaͤndlich ſchreiben ſollte: und ich kann mich ſelbſt deſſen nicht entbrechen. Dieſe traurige Sache erfuͤllt mein ganzes Gemuͤth. Jch will fortfahren: ob es gleich Mitternacht iſt.
Um ſechs herum kam der Leichenwagen an das aͤußerſte Thor. Die Kirche zu dem Sprengel iſt etwas entfernt; weil aber der Wind zu uns ſtand, ſo traf die betruͤbte Familie eben vorher, ehe er ankam, ein friſcher Anfall des Traurens, indem ſie die Todtenklocke auf eine feyerliche Wei - ſe laͤuten hoͤrten: eine Achtung, wie ſich hernach zeigte, und wie ſie alle muthmaßeten, welche dem Gedaͤchtniſſe der werthen Verſtorbenen aus gefaͤlli - ger Liebe bezeigt wurde, indem der Leichenwagen bey der Kirche vorbeykam!
Urtheilen ſie, da ihre Betruͤbniß bey Erwar - tung deſſelben ſo groß war, wie groß ſie ſeyn mußte, als er anlangte.
Ein574Ein Bedienter kam herein, um uns dasjeni - ge zu hinterbringen, was uns das rumpelnde ſchwe - re Getoͤſe von demſelben auf dem innern gepflaſter - ten Hofe ſchon vorher gemeldet hatte.
Er ſprach nicht. Er konnte nicht ſprechen. Er ſahe uns an, buͤckte ſich und ging weg.
Jch trat hinaus. Sonſt konnte damals nie - mand einen Fuß aus der Stelle ſetzen. Jedoch folgte mir ihr Bruder bald nach.
Als ich an die Thuͤr kam, fand ich einen ſehr ruͤhrenden Anblick.
Sie haben gehoͤrt, mein Herr, wie allgemein die Liebe gegen mein Baſe geweſen war. Von den Armen und Mittelleuten inſonderheit iſt wohl kein junges Frauenzimmer jemals ſo ſehr geliebet worden. Und das nicht ohne Urſache: denn ſie war die gemeinſchaftlichere Beſchuͤtzerinn aller ehr - lichen Armen in ihrer Nachbarſchaft.
Es iſt uns natuͤrlich bey einer jeden empfind - lichen und aufrichtigen Traurigkeit, alle diejenigen, welche wir kennen, an dem, was uns ſelbſt ſo na - he gehet, Theil haben zu laſſen. Die Bedienten von der Familie, ſcheint es, hatten ihren Freun - den, und dieſe wieder den ihrigen erzaͤhlt, daß, ob man gleich ihre liebe Fraͤulein in ihrem Leben nicht hatte aufnehmen noch anſehen wollen, man dennoch erlaubt hatte, ihren Leichnam nach Hauſe zu bringen. Die Zeit war ſo eingeſchraͤn - ket, daß diejenigen, welche wußten, wann ſie ge - ſtorben war, leichtlich die Zeit ungefaͤhr errathen mußten, da der Leichenwagen kommen wuͤrde. Ein575Ein Leichenwagen, der durch die Doͤrfer gehet und von London kommt, zieht eines jeden Auf - merkſamkeit an ſich, wenn er auch noch ſo wenig Gefolge hat: denn die Kutſche wartete auf die arme Fr. Norton, wie ich gedacht habe. Es war auch nicht ſchwer zu errathen, wem dieſer ange - hen mußte, ob er gleich mit keinen Wapenſchildern behangen war, da man die Kreuzwege nach Har - lowe-Burg nahm, ſo bald er innerhalb ſechs Meilen davon war. Daher hatte der Leichenwa - gen und das feyerliche Gelaͤute der Klocke wenig - ſtens funfzig Perſonen an Maͤnnern, Weibern und Kindern aus der Nachbarſchaft und einige von gutem Anſehen zuſammengebracht. Keine Seele unter ihnen, ſcheint es, hatte ein trocknes Auge. Alle und jede klagten uͤber den Tod dieſer bewundernswuͤrdigen Fraͤulein, welche, wie man mir erzaͤhlet, niemals einen Fuß aus dem Hauſe geſetzt, ohne jemand durch ſich gluͤcklicher zu ma - chen.
Dieſe umgaben den Sarg, als er aus dem Leichenwagen genommen wurde, und hinderten auf einige Augenblicke, daß er nicht hereingetragen werden konnte. Die jungen Leute ſtritten ſich, wer ihn tragen ſollte; jedoch mehr mit einem ehr - erbietigen Ziſcheln, als einem ſchreienden Ge - zaͤnke: ein Merkmaal der Ehrerbietung, wel - ches ich niemals, bey irgend einer Gelegenheit, auf allen meinen Reiſen, von den geringen Leuten abgelegt geſehen hatte, weil von dieſen gemeinig - lich in allen ihren Beeiferungen das Geraͤuſch un -zer -576zertrennlich iſt. Endlich ward ſechs Maͤgdchen erlaubet, ihn bey den ſechs Henkeln hereinzutra - gen.
Alſo ward die Leiche mit der feyerlichſten Ehr - erbietung in den Vorſaal getragen, und gegen - waͤrtig daſelbſt auf zween Stuͤhlen hingeſetzet. Die Platten und Sinnbilder und Jnſchriften mach - ten, daß jedermann ſtarr auf den Deckel ſahe, und ihn bewunderte: noch um ſo viel mehr, da ihnen geſagt wurde, daß ſie alles ſelbſt ſo ange - ordnet haͤtte. Sie wuͤnſchten ſich die Erlaubniß, die Leiche anzuſehen: aber beruͤhrten dieß mehr wie einen Wunſch von ſich, als wie eine Hoffnung, die ſie ſich machten. Nachdem ſie alle ihre Neubegierde vergnuͤget und die Sinnbilder bemerket hatten: verliefen ſie ſich, mit ſegensvollen Lobſpruͤchen uͤber ihr Gedaͤchtniß und mit Thraͤnen und Klagen. Sie prieſen ſie gluͤcklich, und ſchloſſen, wenn ſie es nicht ſeyn ſollte, wie es mit ihnen werden wuͤr - de? Andere wiederhohlten unterdeſſen das Gute, welches ſie zu thun Vergnuͤgen gefunden hatte. Es fehlte auch unter ihnen an ſolchen nicht, die ei - nen Fluch uͤber den andern wider denjenigen aus - ſtießen, der an ihrem Falle ſchuld geweſen.
Hiernaͤchſt gingen die Bedienten der Familie um den Sarg. Vorher konnten ſie nicht dazu kommen. Dieß ſtellte einen neuen Auftritt der Betruͤbniß dar: aber mit Stillſchweigen: denn ſie redeten bloß mit ihren Augen und mit Seuf - zern; indem ſie mit aufgehobenen Haͤnden, wech - ſelsweiſe den Deckel, und ſich unter einander an -ſahen.577ſahen. Die Gegenwart ihres jungen Herrn mochte ihnen vermuthlich Ehrfurcht einfloͤßen, und die Urſache ſeyn, daß ſich ihr Kummer nur durch ſtumme Zeichen erklaͤrte.
Herr Jakob Harlowe, der mich begleitet hatte, aber ſich auf die Seite begab, als er den Haufen des Volkes erblickte, ſtand und ſahe mit ſtarrer Aufmerkſamkeit, nachdem das Volck weg war, den Deckel an: aber wuͤrde gleichwohl, das darf ich kuͤhnlich ſagen, nicht ein einziges Sinn - bild oder einen einzigen Buchſtaben auf demſelben gekannt haben, wenn die Frage an ihn geſchehen waͤre. Er ſtand in tiefen Gedanken, mit zuſam - mengeſchlagenen Armen, mit dem Kopfe auf ei - ner Seite, und mit ſichern Merkmaalen der Be - taͤubung, die allen ſeinen Zuͤgen eingedruͤckt waren.
Als aber der Leichnam in den kleinern Saal an dem Vorſaal, den ſie ihren Saal zu nennen pflegte, getragen und auf den Tiſch mitten in dem Zimmer geſetzt war, und der Vater und die Mutter, die beyden Onkels, ihre Tante Hervey, und ihre Schweſter, die mit bebenden Fuͤßen und beißen - dem Kummer zu ihrem Bruder und mir ging, hineinkamen: ſo ward das Trauerſpiel noch ruͤh - render. Jhr Schmerz vermehrte ſich ſonder Zwei - fel durch das Andenken ihrer unverſoͤhnlichen Strenge: und da ſie itzo das Behaͤltniß vor ſich ſahen, welches den Ruhm ihrer Familie umſchloß, der vor ſo kurzer Zeit durch ihre unvernuͤnftige Gewaltthaͤtigkeit von dannen getrieben war, und ihnen nunmehr niemals, niemals wieder hergeſtelletSiebenter Theil. O ower -578werden ſollte; ſo war es kein Wunder, daß ihre Betruͤbniß mehr als eine gemeine Traurigkeit war.
Sie hatten, wie es ſcheint, die Mutter zuruͤck - halten wollen, nicht hinein zu kommen. Als ſie es aber nicht konnten: ſo leiſteten ſie ihr alle Ge - ſellſchaft, ob ſie gleich vorher unſchluͤßig waren; und wurden durch einen Trieb, dem ſie nicht wi - derſtehen konnten, geleitet. Die arme Frau ließ ihr Auge nur eben auf den Sarg fallen. Alsdenn zog ſie es ploͤtzlich davon ab und begab ſich mit empfindlichem Kummer an das Fenſter. Jedoch wandte ſie ſich mit zuſammengeſchlagenen Haͤnden gleichſam an ihre geliebte Tochter. O mein Kind! mein Kind! rief ſie: Du meine beſte Hoffnung! Warum ward mir nicht erlaubet, dir Verzeihung und Friede zuzuſprechen! ‒ ‒ O vergieb dei - ner grauſamen Mutter!
Jhr Sohn, deſſen Herz nunmehr beſaͤnftigt war, wie ſeine Augen zeigten, erſuchte ſie, ſich wegzubegeben: und weil ihre Kammerfrau eben den Augenblick hereinſahe; ſo rief er dieſer, daß ſie ihm ihre gnaͤdige Frau in den mittlern Saal fuͤhren huͤlfe. Darauf kam er wieder zuruͤck und begegnete ſeinem Vater, da er aus der Thuͤre ging, welcher auch nur eben ein Auge auf den Sarg geworfen hatte und ſich durch mein inſtaͤndiges Bitten bewegen ließ, wegzugehen.
Seine Traurigkeit war allzu groß, daß ſie ſich aͤußern konnte: bis er ſeinen Sohn herein kom - men ſahe. Alsdenn ſtieß er einen ſchweren Seuf - zer aus und ſagte: Niemals iſt ein Schmerzge -579geweſen, wie mein Schmerz! ‒ ‒ O Sohn! Sohn! ‒ ‒ Dieß ſprach er mit einem bey Vor - wuͤrfen gewohnlichen Tone aus und wandte ſein Geſicht von ihm.
Jch begleitete ihn durch den mittlern Saal und ſuchte ihn zu troͤſten. Seine Gemahlinn war daſelbſt in Todesaͤngſten. Sie fiel ihm in die Augen. Er machte eine Bewegung auf ſie zuzugehen: O meine Wertheſte, ſprach er ‒ ‒ Allein er wandte kurz wieder um. Seine Augen waren ſo ſchwer, als ſein Herz. Er eilte hindurch zu dem großen Saal: und als er da war, bat er mich, ihn ſich ſelbſt zu uͤberlaſſen.
Jhre Onkels und ihre Schweſter ſahen ſehr oft in ſtillſchweigender Betruͤbniß auf die Sinnbil - der und wieder davon weg. Fr. Hervey wollte ihnen die Jnſchrift leſen ‒ ‒ Folgende Worte las ſie: Hier hoͤrt[de]r Gottloſe auf zu pla - gen: allein weiter konnte ſie nicht leſen. Jhre Thraͤnen fielen in großen Tropfen auf die Platte, welche ſie betrachtete. Gleichwohl hatte ſie Verlan - gen, einer Neubegierde Genuͤge zu thun, welche ihre Traurigkeit mit Ungedult vermiſchte, weil ſie ihr nicht Genuͤge thun konnte, ob ſie gleich ihre Au - gen oft ſo, wie ſie uͤberfloſſen, abwiſchte.
Urtheilen ſie, Herr Belford; denn ſie haben viele Menſchheit: wie ich geruͤhret ſeyn mußte. Dennoch war ich gezwungen zu verſuchen, wie ich ſie alle troͤſten moͤchte.
Allein hier will ich dieſen Brief ſchließen, da - mit ich ihn morgen fruͤhe zu Jhnen ſenden kann. O o 2Nichts580Nichts deſto weniger will ich einen andern wie - der anfangen: in der Vermuthung, daß meine kla - genvolle Weitlaͤuftigkeit Jhnen nicht unangenehm ſeyn werde. Jch bin in der That zur Ruhe gar nicht geſchickt: wie ich vorher gedacht habe. Al - ſo kann ich nichts anders thun, als ſchreiben. Jch habe auch noch mehr traurige Aufzuͤge zu ſchilder. Meine Feder, wenn ich ſo ſagen mag, iſt unerm uͤ - det. Dieſe Trauerbilder ſind mir noch in fri - ſchem Andenken: und vielleicht bitte ich mir von Jhnen die Gewogenheit aus, ſie nebſt andern der - gleichen Papieren, mit denen ſie mir zu dienen fuͤr gut finden werden, wieder durchzuſehen, wenn der ſchwere Kummer einer ſanftern Traurigkeit Platz gemachet hat.
Mein Bedienter ſoll, auf ſeinem Wege zu Jhnen mit dieſem Briefe, zu St. Albans anfra - gen und ſich nach der guten Frauen erkundigen, damit er Jhnen Nachricht bringen koͤnne, wie ſie ſich befindet. Fraͤulein Arabella fragte mich nach ihr, als ich mich in meine Kammer begab, zu der ſie mich hoͤflich begleitete. Sie war uͤber den ſchlechten Zuſtand, worinn wir ſie verlaſſen hatten, ſehr bekuͤmmert, und ſagte, ihre Mutter wuͤrde ſich noch mehr betruͤben.
Kein Wunder, daß die liebe Verſtorbene, welche die Gewiſſensbiſſe vorausſahe, die dieſer ungluͤck - lichen Familie zu Theil werden wuͤrden, wenn ihnen die Zeitung von ihrem Tode bekraͤftigt waͤre, ſich uͤber ihren beſorgten Kummer ſo ſehr betruͤbte und ſie durch ihre hinterlaſſene Briefe zu troͤſten ſuchte. Allein581Allein es war noch mehr Großmuth an ihr, daß ſie dieſelben gegen mich zu entſchuldigen ſuchte, wie ſie wirklich that, als wir wenige Stunden vor ihrem Ende alleine bey einander waren, und daß ſie den einzigen Fehler, deſſen ſie ſich jemals ſchul - dig gemacht, mehr als ſie billig haͤtte thun ſollen, ſo viel ich finden kann, zu vergroͤßern bemuͤhet war. Gleichwohl that ſie das vielleicht deswegen um ſo viel freyer; o erhabene Seele! damit ich mir von ihren Freunden beſſere Gedanken machen moͤchte, wenn es auch gleich auf ihre Unkoſten geſchehen ſollte. Jch bin, werther Herr,
Jhr getreuer und gehorſamer Diener Wilh. Morden.
Nachdem die ungluͤcklichen Leidtragenden ſich alle wegbegeben hatten: ſo befahl ich den Deckel des Sarges aufzuſchrauben, und machte, daß einige friſche Kraͤuter und Blumen hineinge - legt wurden.
Die Leiche hatte ſich, ungeachtet der Reiſe, ſehr wenig veraͤndert. Das angenehme Laͤcheln blieb noch.
Die Maͤgdchen, welche die Blumen brach - ten, ſuchten eine Ehre darinn, ſie darum zu ſtreuen. O o 3Sie582Sie fuͤhrten neue Klagen uͤber ſie. Eine jede wuͤnſchte, daß ſie ſo gluͤcklich geweſen waͤre und die Erlaubniß erhalten haͤtte, ihr in London auf - zuwarten. Eine unter ihnen, die, wie es ſcheint, meiner Baſe Arabella Kammermaͤgdchen iſt, war ſonderlich lauter in ihrer Betruͤbniß, als die Uebri - gen: und den Augenblick, da ſie den Ruͤcken wand, bekannten alle die andern, daß ſie Urſache dazu haͤtte. Jch erkundigte mich nachher ihret - wegen, und fand, daß dieſe Creatur uͤber meine liebe Baſe geſetzet war, als dieſelbe durch die un - vernuͤnftige Strenge ihrer Verwandten in ihrer Kammer gefangen gehalten worden.
Lieber Himmel! Wie haben ſie einer jungen Fraͤulein, die ſo viele vortreffliche Eigenſchaften hatte, daß ſie ihrer ganzen Familie Regeln geben konnte, ſo begegnen, und leiden ſollen, daß ihr ſo begegnet wuͤrde.
Als meine Vettern und Baſen hoͤrten, daß der Sargdeckel aufgeſchraubet war: ſo eilten ſie alle wieder herein; außer dem traurigen Vater und der betruͤbten Mutter; als wenn ſie ſich ver - abredet haͤtten. Fr. Hervey kuͤßte ihre blaſſe Lippen. Schoͤnſte Zierde der Welt! das war alles, was ſie ſagen konnte: und darauf machte ſie der Fraͤnlein Arabella Platz. Dieſe kuͤßte die Stirn derjenigen, der ſie ſo grauſam begeg - net hatte, und konnte nur zu meinem Vetter Ja - kob, o Bruder! ſagen, indem ſie auf die Leiche und auf ihn ſahe. Dieſer nahm unterdeſſen dieſchoͤne583ſchoͤne lebloſe Hand und kuͤßte ſie, und ging eilends wieder weg.
Jhre beyden Onkels waren ſprachlos. Sie ſchienen einer auf des andern Beyſpiel zu warten, ob ſie die Leiche anſehen ſollten, oder nicht. Jch befahl, den Deckel wieder aufzulegen. Darauf eilten ſie herzu, wie die andern auch wieder tha - ten, den letzten Abſchied von dem Kaͤſtlein zu neh - men, das noch vor ſo kurzer Zeit einen ſo koſtba - ren Edelgeſtein in ſich faßte.
Nun fand die Traurigkeit eines jeden leichter Worte ſich auszudruͤcken. Alle wandten ſich mit aller der Zaͤrtlichkeit, welche die aufrichtigſte Liebe und die eifrigſte Bewunderung einfloͤßen konn - ten, an die ſchoͤne Leiche, nach den verſchiedenen Stuffen ihrer Verwandtſchaft: als wenn ſie vor - her keiner geſehen haͤtte. Es waͤre ihre Neffe ſelbſt, ſagten beyde Onkels; die beleidigte Heilige, ſprach ihr Onkel Harlowe; eben die laͤchelnde Schweſter, ſetzte Arabelle hinzu ‒ ‒ Das liebe Kind! ſagten alle ‒ ‒ Eben die Guͤtigkeit in ih - rer Bildung! Eben die angenehmen Zuͤge! Eben das natuͤrlich erhabne Weſen ‒ ‒ Sie waͤre ohne Streit gluͤcklich! Das angenehme Laͤ - cheln zeigte, daß ſie es waͤre: ſie ſelbſt hinge - gen waͤren hoͤchſt ungluͤckſelig! ‒ ‒ Hierauf nahm der Bruder noch einmal die lebloſe Hand, und gelobte uͤber derſelben Rache an dem verfluchten Urheber alles dieſes Jammers.
Die ungluͤcklichen Eltern nahmen ſich vor, noch nur einen Blick auf ihren Augapfel, aufO o 4ihre584ihre vormals zaͤrtlich geliebte Tochter zu werfen und von ihr den letzten Abſchied zu nehmen. Der Vater war der untroͤſtlichen Mutter bis an die Saalthuͤre gefolget: aber keines von beyden war im Stande, in denſelben hineinzutreten. Die Mutter ſagte ſie muͤßte ihr Herzenskind noch ein - mal ſehen: oder ſie wuͤrde ihrer ſelbſt niemals froh werden. Allein ſie wurden ſich beyde einig, ihre traurige Neubegierde bis den folgenden Tag aufzuhalten, und gingen, nachdem ſie ſich bey der Hand gefaßt hatten, beyde untroͤſtlich und ſprach - los wieder weg: indem ſich der nagende Kummer uͤber ihre Geſichter ausbreitete, die ſie von einan - der abkehrten, als wenn ſie nicht vermoͤgend waͤ - ren, einer des andern Jammer anzuſehen.
Als ſie alle weg waren, begab ich mich in mein Zimmer und ſchickte nach meinem Vetter Jakob. Dieſen hinterbrachte ich das Verlangen ſeiner Schweſter in Abſicht auf die Leichenpredigt bey ihrer Beerdigung, und ſtellte ihm vor, wie noͤthig es waͤre, daß der Geiſtliche, wer er auch ſeyn ſoll - te, die baldigſte Nachricht, welche die Sache lei - den wollte, davon bekaͤme.
Er beklagte den Tod des hochwuͤrdigen D. Lewin, der, wie er ſagte, ein großer Bewunderer ſeiner Schweſter geweſen, gleichwie ſie eine Be - wunderinn von ihm, und ſich am beſten unter al - len zu dieſem Amte geſchickt haben wuͤrde.
Von Herrn Brand redete er mit großer Bit - terkeit, und war geneigt, auf deſſen ſchlechte E[r -]kundigung, nach ſeiner Schweſter Lebensart inLondon585London, einen Theil des Vorwurfs, der ihn billig traf, zu ſchieben.
Herr Melvill, D. Lewins Gehuͤlfe, ſagte er, muͤßte der Mann ſeyn. Er ruͤhmte ihn wegen ſeiner Geſchicklichkeit, ſeiner Ausrede, und ſeines unverwerflichen Betragens, und verſprach, es ihm morgen bey fruͤher Zeit aufzutragen.
Er rief ſeine Schweſter heraus: und die war ſeiner Meynung. Alſo uͤberließ ich dieß ihnen beyden.
Sie ließen ſich beyde, mit nicht weniger Hi - tze, ihr Misfallen merken, daß Sie, mein Herr, die Vollziehung von dem Teſtament ihrer Schwe - ſter haben ſollten: weil Sie mit dem Urheber ih - res Ungluͤcks in ſo vertrauter Freundſchaft ſtuͤn - den.
Sie muͤſſen nichts uͤbel nehmen, was ich Jh - nen von ihren Reden bey dieſer Gelegenheit ent - decken werde. Weil ich das Vertrauen zu Jh - nen habe, daß Sie es nicht thun werden: ſo wer - de ich deſto freyer ſchreiben.
Jch erzaͤhlte ihnen, wie viele Verbindlichkeit meine liebe Baſe ihrer Freundſchaft und Hoͤflich - keit haͤtte. Jch ſtellte ihnen die Verbindungen vor, welche ſie Jhnen aufgeleget haͤtte: ich ſtellte Jhre eigne Neigung vor, dieſelben zu beobachten. Jch ſagte, Sie waͤren ein Herr, der Ehre und Tugend liebte; Sie truͤgen Verlangen, ſich mei - nes Raths zu bedienen; und ich haͤtte große Luſt, mir Jhre Gunſt und Jhren Briefwechſel zu er - halten.
O o 5Sie586Sie verſetzten, man brauchte keinen, der nicht zur Familie gehoͤrte, das Teſtament zu vollziehen, und ſie hoffeten, Sie, mein Herr, wuͤrden ein ſo unnoͤthiges Amt, wie ſie es nannten, von ſelbſt fahren laſſen. Mein Vetter Jakob erklaͤrte ſich, er wollte, ſo bald als das Leichenbegaͤngniß vor - uͤber waͤre, an Sie ſchreiben, und bitten, auf ge - hoͤrige Verſicherungen, daß alles, was das Teſta - ment verordnete, vollzogen werden ſollte, es ſo zu machen.
Jch ſagte, Sie waͤren ein Mann von unwan - delbarer Entſchließung: ich glaubte, er wuͤrde ſeine Abſicht ſchwerlich erreichen; weil Sie es fuͤr etwas anſaͤhen, wobey es auf Jhre Ehre an - kaͤme.
Hiernaͤchſt zeigte ich ihnen den von ihrer Schweſter an Sie hinterlaſſenen Brief, in wel - chem ſie ihre Verbindlichkeiten gegen Sie, und ihre Achtung fuͤr Sie und ihre Sorgen, fuͤr Jh - re kuͤnftige Wohlfarth bekennet(*)Man ſehe den vorhergehenden LXV Brief.. Sie wer - den leicht glauben, mein Herr, daß ſie bey Durch - leſung deſſelben ausnehmend geruͤhret wurden.
Sie wunderten ſich voller Beſtuͤrzung, daß ich Jhnen die Einkuͤnfte von ihres Großvaters Gute, nach ſeinem Tode, uͤbergeben haͤtte. Jch aber ſagte ihnen deutlich heraus, ſie muͤßten es ſich ſelbſt danken, wenn ihrer Schweſter Entſchlieſ - ſung eine oder die andere unangenehme Folge fuͤr ſie haͤtte, da ſie ſo verlaſſen geweſen und fremden Leuten in die Haͤnde gejaget worden waͤre.
Jhre587Jhre Antwort war, ſie wollten alles, was ich geſagt haͤtte, ihren Eltern hinterbringen. Sie ſetzten hinzu, ſo groß auch ihre Unruhe ſchon waͤ - re, ſo faͤnden ſie doch, daß ſie noch mehr zu erwar - ten haͤtten. Wenn aber Herr Belford, wider ihr Vermuthen, die Vollziehung des Teſtaments behalten muͤßte: ſo erſuchten ſie mich, die Muͤ - he zu uͤbernehmen und alles mit Jhnen abzuthun; damit ein Freund desjenigen, dem ſie alle ihre Noth zuzuſchreiben haͤtten, ihnen nicht vor Augen kommen moͤchte.
Durch die Schriftſtelle, welche ihre Schwe - ſter zum Grunde ihrer Leichenrede gewaͤhlt hatte, wurden ſie ungemein beweget(*)Man ſehe das Teſtament, welches nach dem LXXXVI Briefe folgen wird.. Jch hatte dieß Stuͤck aus dem Teſtamente ausgezogen: weil ich als wahrſcheinlich vermuthete, daß ich nicht ſo bald Gelegenheit haben wuͤrde, ihnen das Teſtament zu zeigen, wie ſonſt in Betrachtung ihres Begraͤbniſſes, das keinen Aufſchub leidet, noͤthig geweſen ſeyn wuͤrde.
Die ungluͤckliche Familie macht ſich zu einer traurigen Zuſammenkunft beym Fruͤhſtuͤck fertig. Herr Jakob Harlowe, der eben ſo wenig Ruhe gehabt hat, als ich, hat an Herrn Melvill geſchrieben: und dieſer hat verſprochen, eine kleine Lobrede auf die Verſtorbene zu entwerfen. DieFraͤu -588Fraͤulein Howe wird hier alſobald erwartet, um noch zum letzten mal ihre geliebte Freundinn zu ſehen.
Durch ihren Bothen bittet ſie, daß niemand auf ſie merken und ſich ihretwegen bemuͤhen moͤ - ge. Sie wuͤrde nur einige Minuten verziehen, war die Nachricht. Jhr Verlangen wird ihr leichtlich zugeſtanden werden.
Jhr Diener, der die Bitte anbrachte, hatte Befehl, wenn es ihr abgeſchlagen wuͤrde, zuruͤck - zukehren und ihr entgegen zu kommen. Denn ſie war in Bereitſchaft geweſen, ſich in ihrer Kutſche auf den Weg zu machen, als er auf das Pferd geſtiegen.
Wo er ihr nicht mit einer abſchlaͤgigen Ant - wort entgegen kommen wuͤrde, ſollte er hier blei - ben, bis ſie kaͤme. Jch bin, mein Herr,
Jhr getreuer, gehorſamer Diener Wilhelm Morden.
Wir ſind hier eine ſo ſchlechte Geſellſchaft fuͤr einander, daß es einige Erleichterung iſt, ſich allein in ſein Zimmer zu begeben und zu ſchreiben.
Um halb neun herum bekam ich eine Anfor - derung, zum Fruͤhſtuͤck zu kommen. Die trau - rige Verſammlung kam langſam zuſammen. Wir nahmen alle unluſtig und unmuthig unſere Plaͤtze. Ein jeder fragte mit geſchwollenen Augen den an - dern, wie er geruhet hatte, ohne eine leidliche Nach - richt zu erwarten.
Die kummervolle Mutter gab zur Antwort, ſie wuͤrde niemals mehr wiſſen, was Ruhe waͤre.
Als wir in gutem Frieden ſaßen, klingelte die Klocke, weil ſich das aͤußere Thor oͤffnete, und ein Wagen raſſelte uͤber das Pflaſter in dem Hofe. Das brachte ſie in Bewegung.
Jch ging von ihnen: und kam eben zu rech - ter Zeit, der Fraͤulein Howe, indem ſie ausſtieg,meine590meine Hand zu reichen; weil ihr Maͤgdchen in vol - len Thraͤnen im Wagen ſitzen blieb.
Mich deucht, Sie haben mir geſagt, mein Herr, daß ſie die Fraͤulein Howe noch niemals ge - ſehen. Sie iſt ein feines, anmuthreiches, junges Frauenzimmer. Eine dauerhafte Traurigkeit, die ſich in ihrem ganzen Geſichte merken ließ, um - woͤlkte eine Lebhaftigkeit und ein Feuer, welches gleichwohl bisweilen durch die ehrfurchtsvolle Dunkelheit durchbrach. Jch werde ſie allezeit we - gen ihrer Liebe gegen meine werthe Baſe hoch - ſchaͤtzen.
Jch habe niemals gedacht, dieſe Schwellen wieder zu betreten; ſagte ſie, als ſie mir ihre Hand reichte: aber meine Clariſſa zieht mich al - lenthalben nach ſich, ſie mag lebendig, oder todt ſeyn.
Sie ging mit mir in den kleinen Saal. Den Augenblick da ſie den Sarg ſahe, zog ſie ihre Hand von der meinigen weg, und ſtieß den Deckel mit Ungedult beyſeite. Eben ſo ungedultig nahm ſie das Tuch von dem Geſichte weg. Jn einem verwilderten Anſehen ſchlug ſie ihre aufgehobenen Haͤnde zuſammen, und ſahe bald auf die Leiche, bald gen Himmel, als wenn ſie ihren Schmerzen dieſem anheimſtellte. Jhre Bruſt hob und be - wegte ſich auf und nieder, daß man es deutlich durch das Halstuch ſehen konnte. Endlich brach ſie das Stillſchweigen: ‒ ‒ O mein Herr! ‒ ‒ Sehen ſie hier nicht! ‒ ‒ Sehen ſie hier nicht ‒ ‒die591die Zierde und den Ruhm von ihrem Geſchlechte? ‒ ‒ die ſo durch den ſchaͤndlichſten Menſchen von dem andern Geſchlecht ‒ ‒ ſo ‒ ‒ niedergeworfen iſt?
O meine preiswuͤrdige Freundinn! ſprach ſie ‒ ‒ Meine angenehme Geſpielinn! ‒ ‒ Meine liebenswuͤrdige Erinnerinn! ‒ ‒ Bey jeder zaͤrtli - chen Anrede kuͤſſete ſie ihre Lippen ‒ ‒ Und iſt dieß alles! ‒ ‒ Jſt dieß alles von meiner Clariſſa Geſchichte!
Nachdem ſie hier ein wenig inne gehalten und einen tiefen Seuzfer gehohlt hatte, wandte ſie ſich zu mir und dann wieder zu ihrer erblaßten Freun - dinn ‒ ‒ Aber iſt ſie, kann ſie wirklich todt ſeyn! ‒ ‒ Sie ſchlaͤfet nur ‒ ‒ Erwachen ſie, meine ge - liebte Freundinn! Meine angenehme eißkalte Freundinn, erwachen ſie! Laß deine Anna Howe dich wieder beleben, meine Wertheſte! ‒ ‒ Durch ihren warmen Athem laß ſie dich wieder beleben! ‒ ‒ Darauf kuͤßte ſie ſie wieder ‒ ‒ Laß meine warme Lippen deine kalte Lippen in lebendige Be - wegung bringen.
Hierauf ſeufzete ſie wieder, als wenn es aus dem Grunde des Herzens kaͤme, und mit einem ſolchen Anſehen, als wenn ſie daruͤber verdries - lich waͤre, daß ſie ſie vergeblich hoffen ließ und ihr nicht antwortete. ‒ ‒ Kann ſolche Vollkom - menheit ſich ſo endigen! ‒ ‒ Und biſt du wirk - lich und in der That von deiner Anna Howe ge - fiohen! ‒ ‒ O meine unguͤtige Clariſſa!
Sie ſchwieg auf einige wenige Augenblicke ſtille. Darauf ſchien ſie wieder zu ſich ſelbſt zukom -592kommen und wandte ſich zu mir ‒ ‒ Verzelhen ſie, verzeihen ſie, Herr Morden, dieſen wilden Un - ſinn! ‒ ‒ Jch bin nicht bey mir ſelbſt! ‒ ‒ Jch werde es niemals ſeyn. ‒ ‒ Sie kennen das vor - treffliche Muſter der Vollkommenheiten nicht, nein, ſie kennen das vortreffliche Muſter der Vollkommenheiten nicht halb, das ſo zu Grunde gerichtet iſt! ‒ ‒ Sie ſagte noch einmal: Ge - wiß dieß kann nicht alles von meiner Clariſſa Geſchichte ſeyn!
Sie hielte wieder inne ‒ ‒ Eine Thraͤne, meine geliebte Freundinn, haſt du mir erlaubet! ‒ ‒ Allein dieſer ſtumme Schmerz! ‒ ‒ O haͤt - te ich nur eine Thraͤne, mein ganz geſchwollnes Herz zu erleichtern, das eben brechen will! ‒ ‒
Allein, warum, mein Herr, warum, Herr Morden, iſt ſie hierher geſchickt? Warum nicht zu mir? ‒ ‒ Sie hat keinen Vater, keine Mut - ter, keine Verwandten: nein, nicht einen! ‒ ‒ Sie hatten ſich ihrer alle entſagt. Jch war ihre Freundinn, die in allen mit ihr gleiche Regungen empfand ‒ ‒ Hatte ich nicht das beſte Recht zu dem Ueberreſt von meiner lieben Freundinn? ‒ Muͤſſen bloße Namen, ohne ein wirkliches We - ſen, einer ſolchen Liebe, als die meinige iſt, vorge - zogen werden?
Wiederum kuͤßte ſie ihre Lippen, beyde Wan - gen, ihre Stirn ‒ ‒ und ſeufzete, als wenn ihr das Herz brechen wollte ‒ ‒
Allein, warum, warum, ſagte ſie, ward ich abgehalten, meine liebſte werthe Freundinn zu ſe -hen,593hen, ehe ſie ein Engel ward? ‒ ‒ Da ich den freundſchaftlichen Beſuch, nach welchem mein Herz ſich ſehnte, immer aufſchob, und mich gar zu leicht ihn aufzuſchieben bereden ließ: was fuͤr Kummer wird mir dieſe Betrachtung ma - chen! ‒ ‒ O meine gepriesne Freundinn! Wer weiß, wenn ich beyzeiten gekommen waͤre, was meine herzlichen Troͤſtungen fuͤr dich ausgerichtet haben moͤchten.
Aber ‒ ‒ Hier ſahe ſie um ſich herum, als wenn ſie jemand von der Familie zu ſehen fuͤrch - tete ‒ ‒ Noch einmal einen Kuß, mein Engel, meine Freundinn, meine ſtets bedaurenswuͤrdige verlohrne Geſpielinn! Und ſo laß mich dieß ver - haßte Haus fliehen, das mir niemals anders, als um deinetwillen lieb geweſen iſt! ‒ ‒ Lebe dann wohl, meine liebſte Clariſſa! ‒ ‒ Du biſt gluͤck - lich, daran zweifle ich nicht, wie du mich in mei - nem letzten Briefe verſicherteſt! ‒ ‒ O daß wir uns doch wieder finden und mit einander freuen moͤgen, wo keine Lovelacen, keine verhaͤrtete Verwandten jemals unſere Unſchuld verletzen, oder unſere Gluͤckſeligkeit ſtoͤren werden!
Hiemit ſchwieg ſie wieder ſtille, und war nicht im Stande wegzugehen, ob ſie es gleich willens zu ſeyn ſchien. Sie hatte mit ihrer Traurigkeit zu ſtreiten und keuchte vor Angſt. Endlich ſtroͤmte zu gutem Gluͤck eine Fluth von Thraͤnen aus ihren Augen ‒ ‒ Nun! ‒ ‒ Nun! ‒ ſprach ſie ‒ ‒ wird mir, ‒ ‒ wird mir ‒ ‒ leichter werden. Waͤre mir nicht dieſe angenehme Er -Siebenter Theil. P pleich -594leichterung gegoͤnnet worden: ſo wuͤrde mein Herz von einander geborſten ſeyn. ‒ ‒ Mehr, viel mehr Thraͤnen, als dieß ſind, bin ich meiner Cla - riſſa ſchuldig, deren guter Rath das fuͤr mich gethan hat, was der meinige fuͤr ſie nicht thun konnte! ‒ ‒ Aber warum ‒ ‒ Nun ſahe ſie die Leiche, mit zuſammengeſchlagenen und aufgehobe - nen Haͤnden, ernſtlich an ‒ ‒ Aber warum be - klage ich die Gluͤckſelige? Und daß du es biſt, iſt mein Troſt. Es iſt es, es iſt es, meine liebe Freundinn! ‒ ‒ Hierbey kuͤßte ſie dieſelbe wieder.
Entſchuldigen ſie mich, mein Herr; ſo wand - te ſie ſich zu mir, der ich eben ſo geruͤhret war, als ſie ſelbſt; ich habe die liebe Fraͤulein ſo gelie - bet, als wohl niemals ein Frauenzimmer das an - dere geliebet hat. Entſchuldigen ſie meinen Kum - mer, der mich mir ſelbſt geraubet. Wie iſt die Zierde ihres Geſchlechtes zu einem Opfer der Bos - heit und der Unbarmherzigkeit geworden!
Gnaͤdige Fraͤulein, verſetzte ich, ſie fuͤhlen es alle! ‒ ‒ Nun fuͤhlen ſie es in der That ‒ ‒
Sie moͤgen es immer fuͤhlen ‒ ‒ Jch wuͤr - de meine Liebe gegen meine Herzensfreundinn ver - leugnen: wenn ich ſie bedauren ſollte. ‒ ‒ Al - lein, wie ungluͤcklich bin ich ‒ ‒ Hiebey ſahe ſie auf die Leiche ‒ ‒ daß ich ſie nicht geſehen habe, ehe dieſe Augen geſchloſſen, ehe dieſe Lippen auf ewig verſchloſſen wurden! ‒ ‒ O mein Herr! ſie wiſſen nicht, was fuͤr Weisheit beſtaͤndig von dieſen Lippen floß, wenn ſie redete! ‒ ‒ Siewiſſen595wiſſen nicht, was fuͤr eine Freundinn ich verloh - ren habe.
Hierauf uͤberſahe ſie den Deckel des Sarges, und ſchien auf einmal den Verſtand der Sinnbil - der zu faſſen. Dieß verurſachte ihr von neuem ſo vielen Kummer, daß ſie nicht im Stande war, ob ſie gleich verſchiedne mal ihre Augen abwiſchte, die Jnſchrift und bibliſche Stellen zu leſen. Sie wandte ſich daher zu mir. Erweiſen ſie mir die Gewogenheit, mein Herr, und ſenden mir mit einer Zeile die Beſchreibung dieſer Sinnbilder und dieſe Schriftſtellen: und wo mir eine Locke von den Haaren der lieben Fraͤulein gegoͤnnt wer - den moͤchte ‒ ‒
Jch meldete ihr, daß der Ausrichter ihres Teſtaments beydes beſorgen, und ihr auch eine Abſchrift des letzten Willens ſenden wuͤrde, in welcher ſie die dankbarlichſte Erinnerung ihrer Liebe gegen ſie, als die ſie ihre Herzensſchweſter nenne, finden moͤchte.
Mit Recht, ſagte ſie, nennt ſie mich ſo. Denn wir hatten nur ein Herz, nur eine Seele unter uns. Und nun iſt meine beſte Haͤlfte von mir geriſſen ‒ ‒ Was ſoll ich thun?
Darauf aber ſahe ſie ſich um, da ein Bedien - ter an die Thuͤr trat, als wenn ſie wieder beſorgt haͤtte, es moͤchte jemand von der Familie kom - men. ‒ ‒ Noch einmal, ſprach ſie, ein feyerliches und ewiges Lebewohl! ‒ ‒ Ach! fuͤr mich, ein feyerliches und ewiges Lebewohl!
P p 2So596So umfaßte ſie dann ihr Geſicht wieder mit ihren beyden Haͤnden, und kuͤßte es, wie auch nachher die Haͤnde der lieben Verſtorbenen, erſt die eine, hernach die andere. Hiernaͤchſt reichte ſie mir ihre Hand, verließ das Zimmer mit der groͤßten Eilfertigkeit, und ſprang in ihre Kutſche. Als ſie in derſelben ſaß, war ſie vor tiefen Seuf - zern und einem neuen Ausbruch der Thraͤnen nicht im Stande mehr zu reden, ſondern neigte ihren Kopf gegen mich, und ward weggefahren.
Die untroͤſtliche Geſellſchaft ſahe bey meiner Ruͤckkunft zu ihnen, wie ſehr ich geruͤhret war. Herr Jakob Harlowe hatte ihnen eroͤffnet, was zwiſchen ihm und mir vorgefallen war. Da ich mich nun ſelbſt nicht zur Geſellſchaft aufgelegt fand, und auch bemerkte, daß ſie von ihrem Ge - ſpraͤch abbrachen, wie ich hereinkam: ſo hielte ich fuͤr gut, ſie ihren Berathſchlagungen zu uͤber - laſſen.
Und hier will ich dieſen Brief endigen. Denn bloß die Wiedererinnerung dieſes beweglichen Auf - zuges hat mich in der That beynahe eben ſo un - geſchickt gemacht, fortzufahren, als ich gleich nach demſelben war, mich mit meinen Vettern und Ba - ſen zu unterreden. Jch bin mit aller Aufrichtig - keit, mein Herr,
Jhr gehorſamſter Diener Wilhelm Morden.
Die gute Fr. Norton iſt angekommen: und es iſt ein wenig beſſer mit ihrem Gemuͤth; welches eben von den hinterlaſſenen Briefen her - kommt, von denen Sie, Herr Belford, und ich beſorgten, daß ſie ungluͤckliche Wirkungen uͤber ſie haben wuͤrden.
Jch kann dieß nichts anders als ihrer richtigen Gemuͤthsfaſſung zuſchreiben. Es ſcheint, ſie iſt zu Truͤbſalen gewohnet und hat in einer beſtaͤndi - gen Hoffnung eines beſſern Lebens gelebet. Da ſie ſich nun kein unfreundliches Bezeigen gegen die liebe Verſtorbene vorzuwerfen hat, ſo iſt ſie auf das bedaͤchtlichſte entſchloſſen, ihre aͤußerſte Standhaftigkeit anzuwenden, um die betruͤbte Mutter zu troͤſten.
O Herr Belford, wie wird die Gemuͤthsart meiner lieben verſtorbenen Baſe von eines jeden Munde gegen mich erhoͤhet! ‒ ‒ Waͤre ſie mein eignes Kind, oder meine Schweſter geweſen ‒ ‒ ‒ Aber denken ſie, daß der Menſch, der dieſes gro - ße, dieſes weit ausgebreitete Verderben angerich - tet hat ‒ ‒ ‒ Jedoch ich enthalte mich.
P p 3Das598Das Teſtament iſt nicht anzuſehen, bis das Leichenbegaͤngniß vollzogen iſt. Man macht zu dieſer Feyerlichkeit Anſtalten: und die Bedienten ſo wohl, als die Herrſchaften, von allen Zweigen der Familie, ſind in tiefer Trauer gekleidet.
Jch habe den Herrn Melvill geſehen. Er iſt ein ernſthafter und nicht unempfindlicher Mann. Jch habe ihm einige beſondere Umſtaͤn - de an die Hand gegeben, uͤber die er ſich in der Rede bey ihrer Beerdigung herauslaſſen kann. Allein ich hatte dieß um ſo viel weniger noͤthig: da ich finde, daß ihm die ganze ungluͤckliche Ge - ſchichte ungemein wohl bekannt iſt, und er ein per - ſoͤnlicher Bewunderer meiner lieben Baſe gewe - ſen, ihre Ungluͤcksfaͤlle aber und ihren Tod auf - richtig beklaget. Der hochwuͤrdige D. Lewin, der erſt kuͤrzlich geſtorben, iſt ſein vertrauter Freund geweſen, und hatte vormals die Abſicht gehabt, ihn ihrer Gewogenheit zu empfehlen.
Jch komme eben von ihren bekuͤmmerten El - tern zuruͤck, und bin bey ihnen geweſen, da ſie ei - nen Verſuch gethan, die Leiche ihres geliebten Kin - des anzuſehen. Sie hatten ſich meine und der guten Fr. Norton Geſellſchaft dabey ausgebeten. Den letzten Abſchied, ſagte die Mutter, muͤßte ſie nehmen.
Jnzwiſchen war es doch nur ein Verſuch und nichts mehr. So bald ihnen der Sarg nur zu Geſichte kam, ehe noch der Deckel beyſeite ge -than599than werden konnte: trat der Vater ſchon wieder zuruͤck. O meine Wertheſte, ſprach er, ich kann es nicht, ich finde, ich kann es nicht aushalten! ‒ ‒ Waͤre ich ‒ ‒ Waͤre ich ‒ ‒ Waͤre ich doch niemals hartgeſinnt geweſen! ‒ ‒ Darauf wand - te er ſich um zu ſeiner Gemahlinn und hatte nur noch eben Zeit, ſie in ſeine Arme zu faſſen, damit ſie nicht zu Boden ſinken moͤchte, wie ſie eben thun wollte. O mein liebſtes Leben, waren ſeine Worte, dieß iſt zu viel! ‒ ‒ Zu viel in Wahr - heit! ‒ ‒ Laſſen ſie uns, laſſen ſie uns weggehen. Fr. Norton, die durch das ehrfurchtswuͤrdige Behaͤltniß angelocket war und die gute Frau eben erſt verlaſſen hatte, eilte zu ihr ‒ ‒ Liebe, liebe Fr. Norton, ſchrie die ungluͤckliche Mutter, in - dem ſie ihre Arme derſelben um den Hals ſchlug, tragen ſie mich, tragen ſie mich von hier! ‒ ‒ O mein Kind! mein Kind! Meine eigne Cla - riſſa Harlowe! Du, die noch vor ſo kurzer Zeit der Ruhm meines Lebens geweſen! ‒ ‒ Niemals, niemals muß ich dich mehr ſehen!
Jch half dem ungluͤcklichen Vater, Fr. Nor - ton der ſinkenden Mutter zu dem naͤchſten Saal. Sie warf ſich daſelbſt auf ein Seſſelbett; er in einen Lehnſtuhl neben ihr; die gute Frau zu ih - ren Fuͤßen, und hatte ſie mit beyden Armen um - faſſet. So zaͤrtlich beſchaͤfftigten ſich die beyden Muͤtter, wie ich ſie wohl nennen mag, von mei - ner geliebten Baſe! ‒ ‒ Was fuͤr ein mannich - faltiger Jammer zeiget ſich in dieſen klaͤglichen Aufzuͤgen.
P p 4Der600Der ungluͤckliche Vater ſuchte ſeine Gattinn zu troͤſten, und vermehrte ſich dabey ſelbſt die Laſt ſeiner Schuld. Wollte Gott, meine Wertheſte, ſprach er, wollte Gott, ich haͤtte mir nichts mehr vorzuwerfen, als ſie. ‒ ‒ Sie gaben ja ſchon nach! ‒ ‒ Sie haͤtten mich auch gern beredet, nachzugeben!
Deſto groͤßer iſt meine Schuld, verſetzte ſie, da ich wußte, das Misvergnuͤgen ſey zu hoch ge - trieben, daß ich mich beruhigen ließ, wie ich that. Was fuͤr eine grauſame Mutter bin ich geweſen, da ich mich durch zwey zornige Kinder ſo weit bringen laſſen, zu vergeſſen, daß ich auch Mutter von einem dritten waͤre! ‒ ‒ Von ſolch einem dritten! ‒ ‒
Fr. Norton brauchte Gruͤnde und Bitten, ſie zu troͤſten ‒ ‒ O meine liebe Fr. Norton, ant - wortete die ungluͤckſelige Frau, ſie ſind eine weit natuͤrlichere Mutter fuͤr das liebe Kind gewe - ſen! ‒ ‒ Wollte der Himmel, ich haͤtte nicht mehr zu verantworten, als ſie.
So wiederhohlte das ungluͤckliche Paar ohne Nutzen ihre Vorwuͤrfe und Gegenvorwuͤrfe, bis meine Baſe Hervey herein trat und die untroͤſtli - che Mutter mit der Fr. Norton hinauf in ihre Kammer fuͤhrte. Zu gleicher Zeit kamen die bey - den Onkels und Herr Hervey herein und berede - ten den gekraͤnkten Vater, ſich auch mit ihnen in ſeine Kammer zu begeben. ‒ ‒ Beyde gaben alle Gedanken auf, jemals das Kind wieder zu ſehen, deſſen Tod ſo billig von ihnen bedauret wurde.
Nur601Nur die Zeit allein, Herr Belford, kann ei - nen ſo ſchweren Verluſt, als dieß iſt, mit gutem Erfolg beſtreiten. Guter Rath und freundſchaft - liches Zureden wird nichts helfen: ſo lange der Verluſt noch neu iſt. Die Natur will, daß ihr ihre Freyheit gelaſſen werde, und ſo muß es auch ſeyn, bis der Schmerz ſich gewiſſermaßen ſelbſt er - ſchoͤpfet hat. Alsdenn wird erſt die gelegne Zeit ſeyn, da Vernunft und Religion mit ihrer kraͤfti - gen Huͤlfe hervortreten koͤnnen, die matten Her - zen aufzurichten.
Jch ſehe hier kein einziges Geſicht ſo, wie es bey meiner erſten Ankunft war. Damals ſahe ein jeder ſtolz und uͤbermuͤthig aus, und wollte keinem Bitten Raum geben. Wie ſehr ſind ſie aber nun gedemuͤthigt! ‒ ‒ Jn einem jeden ver - laͤngerten Geſichtszuge, in einer jeden aufgeſchwol - lenen Muskel eines jeden der untroͤſtlichen Leid - tragenden entdeckte ſich der aͤußerſte Jammer. Jhre Augen, welche noch vor ſo kurzer Zeit Zorn und Unwillen ſtrahlten, wenden ſich nun zu einem jeden, der ſich ihnen naͤhert, als wenn ſie um Mit - leiden fleheten! ‒ ‒ Hat wohl jemals eine vorſetzliche Hartherzigkeit ſchaͤrfer geſtraft werden koͤnnen?
Die ſolgenden Zeilen Juvenals laſſen ſich uͤberhaupt auf dieß Haus und dieſe Familie an - wenden. Jch habe ſie vielmal ſeit Sonntags Abends uͤberdacht.
P p 5Humani602Jch muß noch beyfuͤgen, daß Fr. Norton den hinterlaſſenen Brief, der an ſie geſchickt iſt, gezei - get habe. Dieſer Brief giebt ihnen einen Grund zu ihrem kuͤnftigen Troſte an die Hand: aber gegenwaͤrtig hat er ihrem Kummer nur neue Staͤrke gegeben; indem er ſie zur Ueberlegung ihrer Grauſamkeit gegen eine ſo vortreffliche Tochter, Neffe und Schweſter bringet(**)Der Hauptinhalt dieſes Briefes beſteht in folgen - dem. „ Sie danket der guten Frauen fuͤr ihre Fuͤr - „ ſorge fuͤr ſie in ihrer Jugend; fuͤr ihre gute Unter - „ weiſung und das vortreffliche Beyſpiel, welches ſie „ ihr gegeben haͤtte: klaget ſich aber ſelbſt einer Ei -telkeit. Jch bin, werther Herr,
Jhr getreuer gehorſamer Diener Wilh. Morden.
Wir ſind eben von der Vollziehung des letzten traurigen Gebrauchs zuruͤckgekommen. Mein Vetter Jakob und ſeine Schweſter, Herr und Fr. Hervey nebſt ihrer Tochter, einer jungenFraͤu -(**)„ telkeit und Einbildung an, die in ihr, ohne daß ſie „ es gewußt, verborgen gelegen, bis ihre Truͤbſal, wel - „ che ſie genoͤthigt, in ſich ſelbſt hineinzuſchauen, die - „ ſelbe ans Licht gebracht habe. „ Sie laͤßt ſich weitlaͤuftig uͤber den Vortheil her - „ aus, den ein beſcheidnes, furchtſames und mistraui - „ ſches Gemuͤth von den Drangſalen hat. „ Sie troͤſtet ſie wegen ihres fruͤhzeitigen Todes, „ weil ſie ihren Lauf in der Pruͤfungszeit, wie ſie „ ſagt, bey ſo fruͤhen Jahren vollendet hat: da viele „ durch den Schein der goͤttlichen Gnadenſonne nicht „ beſſer zur Reife kommen, bis ſie 50, 60, oder 70 „ Jahr alt ſind. „ Jch hoffe, ſchreibt ſie, mein Vater werde die „ Bitte genehm halten, welche ich an ihn in meinem „ Teſtament gethan habe, daß er Sie in meiner„ Hollaͤn -604Fraͤulein, deren Zuneigung gegen meine verſtorbe - ne Clariſſa mich ihr allezeit verbinden wird, mei - ne Vettern, Johann und Anton Harlowe, ich ſelbſt,und(**)„ Hollaͤnderey, wie es genannt zu werden pflegte, „ wo ich mir vormals Hoffnung machte, durch Sie „ und bey Jhnen gluͤcklich zu ſeyn, den Ueberreſt Jh - „ rer Tage zubringen laſſe. Jhr Verſtand, Jhre „ Klugheit und Wirthſchaftlichkeit, meine liebe gute „ Fr. Norton, wird Jhre Aufſicht uͤber die Angele - „ genheiten dieſes Hauſes eben ſo vortheilhaft fuͤr „ meine Verwandten machen, als ſie Jhnen zutraͤg - „ lich ſeyn kann. Um Jhretwillen, meine liebe „ Fr. Norton, hoffe ich, werden ſie Jhnen dieſe An - „ erbietung thun: und wenn ſie ſie thun; ſo hoffe „ ich, Sie werden ſie um derſelben willen anneh - „ men. Sie empfiehlt ihrem Mitſaͤugling auf eine ſehr guͤ - tige Art ihr Angedenken: und beſchwoͤret ſie, um deſſelben willen, dasjenige nicht zu ſehr zu Herzen zu nehmen, was ihr widerfahren iſt. Sie beſchließt auf folgende Art: „ Gedenken Sie endlich meiner bey allen ihren „ guͤtigen Bekannten, die mir wohl wollen, und bey „ denen, welche ich meine Armen zu nennen pfleg - „ te. Dieſe werden Gottes Armen ſeyn: wo „ ſie auf Jhn trauen. Jch habe ſo viel Sorge ge - „ tragen, daß ich hoffe, ſie werden durch meinen Tod „ nichts verlieren. Empfehlen Sie ihnen daher, „ ſich zu erfreuen, und erfreuen Sie ſich auch, meine„ ehrwuͤr -605und einige andere weitlaͤuftigere Verwandten von dem Fuller ‒ und Allinſonſchen Namen, die ſich ſelbſt gebeten und ihre Achtung gegen das An - denken der lieben Verſtorbenen zu bezeugen die Trauer angelegt hatten, waren dabey zugegen.
Der Vater und die Mutter wuͤrden ſich die - ſer letzten Ehrenbezeigung nicht entzogen haben: wenn ſie im Stande geweſen waͤren dabey zu er - ſcheinen. Allein ſie waren beyde ſehr unpaͤßlich und ſind es auch noch.
Die untroͤſtliche Mutter ſagte der Fr. Nor - ton, daß die beyden Muͤtter des angenehmſten Kindes in der Welt ſich bey dieſer Gelegenheit nicht von einander trennen muͤßten. Sie bat ſie daher, bey ihr zu bleiben.
Das ganze Leichenbegaͤngniß ward mit gro - ßer Anſtaͤndigkeit und Ordnung vollzogen. DieEnt -(**)„ ehrwuͤrdige Troͤſterinn, meine Stuͤtze ſo wohl in „ meinen truͤben als in meinen heitern Tagen, daß „ ich von denen Uebeln, die mir bevorgeſtanden, ſo „ bald erloͤſet bin, und itzo, wenn Jhnen gegenwaͤr - „ tiges zu Haͤnden kommt, wie ich das demuͤthige „ Vertrauen habe, in der Barmherzigkeit eines gnaͤ - „ digen Gottes frohlocke, der mich durch die groͤßten „ Verſuchungen in Sicherheit gebracht und allen mei - „ nen Anfechtungen und Drangſalen ein ſo gluͤckliches „ Ende verliehen hat; der auch, wie ich demuͤthigſt „ vertraue, uns zu ihm ſelbſt gefaͤlliger Zeit, eine froͤh - „ liche Zuſammenkunft in den Gegenden der ewigen „ Gluͤckſeligkeit goͤnnen wird. “606Entfernung von Harlowe-Burg bis zur Kirche iſt etwa eine halbe Meile. Den ganzen Weg uͤber ward die Leiche von einer großen Anzahl von Leuten allerley Standes begleitet.
Es war neun Uhr, da ſie in die Kirche kam. Ein jeder Winkel war voll. Eine ſo tiefe, eine ſo ſtille Achtung habe ich niemals bey Begraͤb - niſſen der Fuͤrſten bewieſen geſehen. Eine auf - merkſame Traurigkeit breitete ſich uͤber aller Ge - ſichter aus.
Die Lobrede, welche Herr Melvill hielte, war ſehr beweglich. Er wiſchte oft ſeine Augen ſelbſt ab, und machte, daß ein jeder, der gegenwaͤrtig war, die ſeinigen noch oͤfterer abwiſchen mußte.
Die Zuhoͤrer wurden ins beſondre ſehr bewe - get, da er ihnen ſagte, daß die Schriftſtelle zu ſei - ner Rede von ihr ſelbſt ausgeſuchet waͤre.
Er erzaͤhlte ihre gute Eigenſchaften, und nannte ihren weiland wuͤrdigen Obergeiſtlichen, als den Zeugen, der ihn derſelben verſichert haͤtte.
Einer jeden vortrefflichen Eigenſchaft, die er anfuͤhrte, ward in verſchiednen Stellen der Kir - che mit einem ehrerbietigen Ziſcheln von verſchie - denen Perſonen Zeugniß gegeben, als einer Sa - che, die ſie ſelbſt wuͤßten, wie mir nach der Zeit hinterbracht iſt.
Als er auf den Stuhl wies, wo ſie zu ſitzen, oder zu knieen, und durch ihr Beyſpiel der Re - ligion Ehre zu machen pflegte: wandte ſich die ganze Verſammlung als eine Perſon, mit der ehrer -bietig -607bietigſten Feyerlichkeit zu dem Stuhl, als wenn ſie ſelbſt da geweſen waͤre.
Da der Redner ihr eine gefaͤllige Herablaſ - ſung und ein damit vereinigtes erhabnes Weſen beylegte: ward mit einem ſanften Gemurmel durch die ganze Kirche dieſem Lobe Beyfall gegeben; und eine arme reinliche Frau unter meinem Stuhl ſetzte hinzu, „ daß ſie in der That die Guͤtigkeit „ ſelbſt geweſen waͤre und mit einem jeden geredet „ haͤtte. “
Viele Augen gingen uͤber, als er ihrer Liebes - werke, ihrer mit Verſtande angewandten Liebes - werke, gedachte. Ein jeder Mund that den Aus - ſpruch, daß ſie den Lohn dafuͤr empfangen muͤßte, einige mit Ausrufungen, andere mit dieſen Wor - ten „ die Armen werden ſie herzlich vermiſſen. “
Man geſtand, daß ſie der freywillige Ge - ber geweſen, von dem es heißt, Gott liebe ihn: und ein junges Frauenzimmer, hoͤrte ich, ſagte, „ Fraͤulein Clariſſa Harlowe gab ſich Muͤhe, den „ Ungluͤcklichen bey einem ploͤtzlichen Unfall ausfuͤn - „ dig zu machen, ehe das ſeufzende Herz dadurch „ uͤberſchwemmet ward. “
Sie hatte eine Anzahl armer Leute, die ſie ihrer ſonderbaren Ehrlichkeit und ihres vergebli - chen Fleißes wegen ausgeſucht hatte. Dieſe be - zeigten freywillig ihrer Wohlthaͤterinn die letzte Ehre durch ihre Aufwartung: und da ſie ſich in der Kirche ſo nahe, als ſie konnten, bey dem Chor, wo die Leiche auf dem Geruͤſte ſtand, unter die Leute mengten; ſo war es deſto weniger Wunder,daß608daß die Lobeserhebungen, welche ihr von dem Pre - diger zugetheilet wurden, ein ſo allgemeines und ſo dankbares Ziſcheln zum Beyfall erhielten.
Einige, ſcheint es, waren da, welche ihre un - gluͤckliche Geſchichte wußten, und deswegen auf die niedergeſchlagenen Blicke des Bruders, und die uͤberſchwemmten Augen der Schweſter Achtung gaben. „ O was wuͤrden ſie nun dafuͤr geben, „ wollten ſie wetten, daß ſie nicht ſo hartherzig ge - „ weſen waͤren! “ ‒ ‒ Andre verfolgten, ſo zu ſa - gen, den ſtrengen Vater und die ungluͤckliche Mutter bis in ihre Kammern zu Hauſe. ‒ ‒ „ Sie „ wollten dafuͤr ſtehen, daß ſie nunmehr nachlaſſen „ wuͤrden, da es zu ſpaͤt waͤre! ‒ ‒ Wie groß „ muͤßte ihre Betruͤbniß ſeyn! ‒ ‒ Kein Wun - „ der, daß ſie nicht gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnten. “
Verſchiedne druͤckten ihr Erſtaunen aus, wie alle Stunden Leute thun, „ daß ein Menſch leben „ koͤnnte, den ſolche Vollkommenheiten nicht zu „ bewegen vermoͤgend waͤren, gerecht gegen ſie zu „ verfahren; “menſchlich, moͤchte ich ſagen. ‒ ‒ Und wer koͤnnte wohl, in Betrachtung ihres Stan - des und Vermoͤgens, ſo wenig auf ſeine eigne Vortheile bedacht ſeyn: wenn er auch ſonſt kei - ne Bewegungsgruͤnde gehabt haͤtte, gerecht zu ſeyn! ‒ ‒
Der gute Geiſtliche beruͤhrte, auf Veranlaſ - ſung ſeines Spruchs, nur eben den ungluͤcklichen Schritt, welcher die Urſache ihres fruͤhzeitigen To - des war. Er ſchrieb es der Beſchaffenheit der Dinge auf Erden zu, bey welchen keine gaͤnzlicheVoll -609Vollkommenheit ſtatt haͤtte. Er beruͤhrte ſehr fein den edlen Unwillen, welchen ſie bewieſen haͤt - te, ob ſie gleich von einer ganzen anſehnlichen Fa - milie inſtaͤndig erſucht waͤre, ſich mit einem Man - ne zu verbinden, den ſie ihrer Achtung und ihres Vertrauens unwuͤrdig fand, und der ſich bey ihr mit dem groͤßten Eifer bewarb, daß ſie ſeine Hand annehmen moͤchte.
Das, worauf er am meiſten beſtand, war das gluͤckliche Ende, welches ſie genommen haͤtte. Hieraus zog er Troſt fuͤr ihre Anverwandten und gute Lehren fuͤr die Zuhoͤrer.
Mit einem Worte, ſeine Ausfuͤhrung war ſo beſchaffen, daß ſie das Anſehen, welches er ſchon vorher in einem ſehr hohen Grad erhalten hatte, noch mehr erhoͤhete.
Als die Leiche in die Gruft, welche ſehr ge - raͤumig und in der Kirche iſt, geſetzt werden ſollte, war ein großes Gedraͤnge, den Sargdeckel und die Jnſchriften auf demſelben zu ſehen. Jnſon - derheit draͤngten zween Cavallier, in Maͤnteln vermummelt, hervor. Dieſe, ſcheint es, waren Herr Mullins und Herr Wyerley: beyde offen - bare Bewunderer meiner lieben Baſe.
Da ſie an den Sarg kamen und ihre Augen auf den Deckel warfen: ſagte Herr Mullins: „ Jn dieſem kleinen Raum liegen alle menſchliche „ Vorzuͤge verſchloſſen! “ ‒ ‒ Und darauf konnte ſich Herr Wyerley nicht laͤnger halten, ſondern ward genoͤthigt, ſich aus der Kirche wegzubegeben. Wie wir hoͤren, iſt er ſehr unpaͤßlich.
Siebenter Theil. Q qMan610Man ſagt, Herr Solmes ſey in einer entfern - ten Ecke der Kirche, in einem Reitrock eingehuͤl - let, geweſen, und habe zu verſchiednen malen Thraͤnen vergoſſen. Allein ich habe ihn nicht ge - ſehen.
Ein anderer Cavallier war als ein Unbekann - ter zugegen und ſtand in einem Stuhl nahe an dem Eingange zur Gruft. Man wuͤrde ihn nicht gemerket haben, wenn er nicht in ſo große Bewegung gerathen waͤre, da er uͤber ſeinen Stuhl ſahe, als der Sarg an ſeinen letzten Ort verſenket wurde. Dieß war der Fraͤulein Howe wuͤrdiger Verehrer, Herr Hickmann.
Meine Vettern Johann und Anton und ihr Enkel Jakob hatten nicht Luſt, in die Gruft un - ter ihre verſtorbene Voreltern hinunterzuſteigen.
Die Fraͤulein Harlowe war aͤußerſt geruͤhret. Jhr Gewiſſen ſo wohl als ihre Liebe nahm bey dieſer Gelegenheit Antheil. Sie wollte mit der Leiche ihrer lieben, ihrer einzigen Schweſter hin - unterſteigen, ſagte ſie: aber ihr Bruder wollte es nicht zulaſſen. Jhr uͤberſchwemmtes Auge ver - folgte den Sarg, bis ſie nichts mehr davon ſehen konnte: und dann warf ſie ſich auf den Sitz nie - der, und war nahe bey einer Ohnmacht.
Jch begleitete die Leiche hinunter, damit ich nicht allein mich ſelbſt, ſondern auch Sie, mein Herr, den Ausrichter ihres Teſtaments, befriedigen moͤchte, daß, ſie wie ſie verordnet hatte, zu den Fuͤßen ihres Großvaters niedergeſetzet worden.
Herr611Herr Melvill kam auch hinunter, betrachtete den Deckel und vergoß einige wenige Thraͤnen daruͤber. Jch war mit ſeiner Rede und Auffuͤh - rung ſo wohl zufrieden, daß ich ihn auf der fey - erlichen Stelle mit einem Ringe von einigem Werth beſchenkte und ihm fuͤr ſeine Arbeit Dank ſagte.
Und hier verließ ich nun die Ueberbleibſel von meiner geliebten Baſe: nachdem ich mir ſelbſt eine Stelle zur Seite ihres Sarges ausgemacht hatte.
Bey meiner Ruͤckkunft nach Harlowe-Burg begnuͤgte ich mich damit, daß ich den bekuͤmmer - ten Eltern meine Empfehlung machen ließ, und begab mich in meine Kammer. Jch ſchaͤme mich auch nicht zu geſtehen, daß ich mir nicht entbre - chen konnte, ſo bald als ich in dieſelbe kam, einem wiederhohlten Anfall der Menſchheit nachzugeben. Jch bin,
Mein Herr, Jhr getreuſter und gehorſamſter Diener, Wilh. Morden.
P. S. Sie werden einen Brief von meinem Vet - ter Jakob bekommen, der ſich Hoffnung macht, Sie zu gewinnen, daß Sie die Vollziehung des Teſtaments aufgeben. Es geſchieht nicht mit meinem Zuthun.
Jch hatte einmal die Gedanken, in geheim hin - unter zu gehen, um verſteckt die Vollzie - hung des letzten Liebesdienſtes anzuſehen. Allein es iſt nicht noͤthig geweſen, daß ich mir ſelbſt dieſe betruͤbte Muͤhe gemacht haͤtte: indem Jhr letzter Brief alles, was vorgegangen iſt, ſo natuͤrlich be - ſchreibet, daß ich einen jeden Auftritt vor meinen Augen habe.
Sie bringen mich, mein Herr, wie mich deucht, mitten unter das ſtille und langſame Gefolge ‒ ‒ Bald trete ich mit der geheiligten Bahre in den ehrfurchtswuͤrdigen Vorhof. Bald meſſe ich, mit feyerlichen Schritten das ehrerbietungswuͤrdige Chor der Kirche. Bald eifre ich einem nahen Verwandten von ihr nach, und lauſche in einem Stuhle nahe bey dem Sarge, auf den aller Au - gen gezogen werden, auf die bewegliche Lobrede. Bald ſteige ich durch den Schwarm von ſtarre ſehenden Leuten, durch einen Haufen mit aufge - ſchwollenen Augen in die feuchte Gruft, als eintreuer613treuer Ausrichter ihres Teſtaments, damit ich die - ſes Stuͤck von ihrem letzten Willen mit meinen eignen Augen vollzogen ſehe. Da zaͤhle ich mit einer einnehmenden Betrachtung die Denkmale der Sterblichkeit, welche in der Ruͤnde herumſte - hen, und uͤberdenke die gegenwaͤrtige Stille ſo vieler ehemals geſchaͤfftiger Eitelkeiten, welche alle in einen elenden gewoͤlbten Winkel zuſammen ge - ſtecket ſind, als wenn die Lebendigen den Koͤrpern dererjenigen, fuͤr welche in ihrem Leben weder Er - de, Luft noch Waſſer Platz genug finden konnte, den Raum beneideten. Dann ſehe ich, wie ſie zu deſſen Fuͤßen geſetzt wird, dem ſie zu einem ir - diſchen Vergnuͤgen gedienet hatte, und der, wie ich finde, dem Vergnuͤgen, das ſie ihm machte, die Verlaͤngerung ſeines Lebens zuſchreibet(*)Man ſehe den I. Th. S. 47.: ich ſeufze, und verlaſſe mit abgekehrtem Angeſichte die feyerliche Wohnung, den ſinnbildlichen Sarg und die ewige Zierde ihres Geſchlechtes; ich ſtei - ge mit denen herauf, welche in wenigen Jahren, nach einem ſehr kurzen Leben, andere Plaͤtze von eben der Gruft, die ſie itzo, da ſie bloß um derje - nigen trauren, welche ſie mit vereinigten Kraͤften verfolget haben, mit ihren Fuͤßen druͤcken, ausfuͤl - len werden.
Auch hier laſſen mich Jhre ruͤhrende Be - ſchreibungen nicht ſtehen bleiben: ſondern, nach - dem ich heraufgeſtiegen bin, miſche ich meine Thraͤ - nen und Lobſpruͤche mit denen, welche von denQ q 3zahl -614zahlreichen Zuſchauern kommen. Jch begleite die gekraͤnkten Leidtragenden zuruͤck zu ihrer Woh - nung, wo kein Troſt zu finden iſt, und ſtimme in das allgemeine Concert von vergeblicher Trau - rigkeit mit ein, bis ich mich, wie ich vermuthe, daß ſie ſich allein begeben, gleichfalls wirklich al - lein begebe und neuen Aufzuͤgen eines einſamen und ſchlafloſen Kummers Raum gebe: indem ich die Vollkommenheiten, deren Ende ich geſehen habe, uͤberlege, und keine andere Erleichterung finde, als die mir ein Widerwillen verſchaffet, der mich beweget, den Unwillen anderer gegen den un - gluͤckſeligen Menſchen und dieſe eben ſo un - gluͤckſelige Anverwandten von ihr, welche an dem unerſetzlichen Verluſt ſchuld ſind, zu billigen.
Verzeihen Sie mir dieſe Betrachtungen, mein Herr, und erlauben mir hiebey Jhnen dasjenige zu uͤberſenden, was Sie nicht eher annehinen wollten, als bis das Leichenbegraͤbniß voruͤber waͤ - re. ‒ ‒
Dieſes ungeſaͤumte Verfahren, ſchreibt er, wird den Herrn Jakob Harlowe uͤberzeugen, daß ich feſt entſchloſſen bin, das Teſtament gaͤnzlich vollzogen zu ſehen; und ihn gleichwohl durch mei - ne Art zu handeln uͤberfuͤhren, daß ich der Fami - lie keine unnoͤthige Kraͤnkungen zu machen ver - lange, indem alles, was ſie angehet, durch Jhre Haͤnde gehen ſoll.
Jch mache mir nach der vortheilhaften Beſchrei - bung, die mein wuͤrdiger Herr Vetter Mor -Q q 4den616den mir von Jhnen giebt, die Hoffnung, daß Sie mich entſchuldigen werden, wenn ich mich an Sie wende, einer ganzen Familie in einer Sache zu Gefallen zu ſeyn, die ihre Ruhe ſehr nahe betrifft, und ſonſt niemand eben ſo viel angehen kann. Sie werden alſobald urtheilen, mein Herr, daß dieß die Vollziehung des Teſtaments iſt, womit Sie meine Schweſter durch ihren letzten Willen be - muͤhet hat.
Wir werden uns Jhnen alle aufs hoͤchſte ver - bunden achten: wenn es Jhnen gefaͤllt, dieß Amt unſerer eignen Familie zu uͤberlaſſen. Wir ha - ben folgende Gruͤnde, aus welchen wir uns zu die - ſer Gewogenheit von Jhnen Hoffnung machen.
Einmal, weil ſie niemals die Gedanken ge - faßt haben wuͤrde, Sie, mein Herr, damit zu be - muͤhen, wenn ſie geglaubt haͤtte, daß jemand von ihren nahen Verwandten es ſelbſt wuͤrde uͤbernom - men haben.
Zweytens, vernehme ich, daß ſie Jhnen in dem Teſtament empfiehlet, ſich zur Vollziehung ſolcher Stuͤcke, welche bloß Familienſachen betref - fen, auf die Ehre eines jeden von unſerm Hauſe zu verlaſſen. Wir ſind alle ſammt und ſonders bereit, wenn Sie es verlangen, unſere Ehre bey dieſer Gelegenheit zum Pfande zu ſetzen: und al - les, was Sie, als ein ehrliebender Mann, wuͤn - ſchen koͤnnen, iſt, daß das Teſtament vollzogen werde.
Wir haben um ſo viel mehr Urſache zu wuͤn - ſchen, daß Sie, mein Herr, dieß Amt von ſichab -617ablehnen moͤchten, da Sie mit der lieben Urhebe - rinn des Teſtaments eine kurze und zufaͤllige Bekanntſchaft gehabt haben, mit demjenigen aber, dem ſie ihr Ungluͤck, und wir, in Betrachtung ihrer mannichfaltigen und trefflichen Vorzuͤge, den groͤßten Verluſt und die ſchmerzlichſte Zernichtung unſerer Hoffnung, die jemals eine Familie betroffen, zu danken haben, in einer langen und vertrauten Freundſchaft ſtehen.
Sie werden dieſer Vorſtellung ihr gehoͤriges Gewicht nicht abſprechen; das darf ich frey ſa - gen; wofern Sie ſich an unſere Stelle ſetzen: und das um ſo viel williger, wenn ich Sie verſichere, daß, wo Sie ſich in dieſe Sache miſchen, da es uns ſo ſehr zuwider iſt; entſchuldigen Sie mich, mein Herr, daß ich ſo offenherzig verfahre; eben dieß nach der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit in eini - gen Stuͤcken, wobey ſonſt keine Widerrede ent - ſtanden ſeyn moͤchte, Gelegenheit zum Widerſpuch geben werde.
Was ich alſo vorſchlage, iſt, nicht daß mein Vater dieß Amt uͤbernehmen ſollte; er iſt viel zu ſehr gekraͤnket, daß er es thun koͤnnte; ‒ ‒ auch nicht, daß ich es ſelbſt annehme; ‒ ‒ ‒ ich moͤch - te allzuviel Antheil an den Vortheilen dabey zu haben ſcheinen: ſondern, daß es meinen beyden Onkeln uͤbertragen werden moͤge, an deren Ehre und an deren Liebe gegen die werthe Verſtorbene niemand jemals gezweifelt hat. Dieſe werden wegen derjenigen Stuͤcke, die ſie zu vollziehen uͤber -Q q 5nehmen618nehmen wollen, mit Jhnen, mein Herr, durch mei - nen Vetter Morden, Unterhandlung pflegen.
Die Muͤhe, weche Sie ſchon gehabt haben, wird Jhnen zu dem Vermaͤchtniſſe, das ſie Jhnen beſtimmet, wie auch zu der Erſtattung aller Un - koſten, die Sie gehabt haben, und zur Nachſicht wegen der Vermaͤchniſſe, die Sie ſchon ausgezah - let haben, ein voͤlliges Recht geben: ob Sie ſich gleich nicht ſelbſt haͤtten anmaßen ſollen, als ein Ausrichter des Teſtaments zu handeln; wie ich vermuthe, daß Sie noch nicht gethan haben, und auch itzo nicht thun werden.
Jhre Gewaͤhrung dieſer Bitte, mein Herr, wird eine Familie verbinden, die ſchon bey den Umſtaͤnden, welche zu dieſem Antrage bey Jhnen Gelegenheit geben, Kummer genug auf dem Halſe hat: noch mehr aber inſonderheit, mein Herr,
Jhren gehorſamſten Diener, Jakob Harlowe, den juͤngern.
Jch ſende gegenwaͤrtiges durch einen meiner Be - dienten, welcher auf Jhre Abfertigung warten wird.
Sie werden mich entſchuldigen, daß ich gleich - falls wiederum offenherzig verfahre. Denn ich muß bemerken, daß, wenn ich auch nicht die richtige Meynung, die ich wirklich habe, von der geheiligten Beſchaffenheit des Amtes haͤtte, das ich uͤbernommen habe, dennoch einige Stellen in dem Schreiben, womit Sie mich beehret, mich uͤberzeugen wuͤrden, daß ich mich aus keiner Ent - ſchuldigung entbrechen muͤßte, wirklich nach dem - ſelben zu handeln.
Jch darf nur eine von dieſen Stellen anfuͤh - ren. Es beliebt Jhnen zu ſagen, daß Jhre On - kels, wenn Jhnen dieß Amt uͤberlaſſen wird, wegen derjenigen Stuͤcke, die ſie zu voll - ziehen uͤbernehmen wollen, mit mir durch den Herrn Obriſt Morden Unterhandlung pfle - gen werden.
Erlauben Sie mir zu ſagen, mein Herr, daß die Schuldigkeit desjenigen, dem die Vollziehung eines Teſtaments aufgetragen iſt, erfordert, ein jedes Stuͤck, das vollzogen werden kann, voll -zogen620zogen zu ſehen. Jch will auch gewiß die Vollzie - hung, welche mir zuſteht, nicht andern uͤberlaſſen: ſonderlich unter den Umſtaͤnden, da man ſich ſo deutlich merken laͤßt, ſie ſich anzumaßen, und da alle Glieder ihrer Familie gezeiget haben, daß ſie in Abſicht auf die unvergleichliche Fraͤulein nur eine und eben dieſelbe Geſinnung hegen.
Es hat Jhnen gefallen, ſich darauf zu beru - fen, daß ſie mir empfiehlet, ſolche Stuͤcke, die bloß Familienſachen betreffen, der Ehre eines jeden von Jhrem Hauſe zu uͤberlaſſen. Allein, wenn ich dieß zugebe, ſchließt es denn nicht zugleich ein, daß ich Sorge tragen muͤſſe, die uͤbrigen Stuͤcke noch zu erhalten? ‒ ‒ Jedoch auch jene ſelbſt giebt ſie nicht gaͤnzlich auf; wie Sie aus dem Teſtament ſehen werden: und darauf berufe ich mich.
Es iſt mir leid, daß Sie ſich etwas von ei - nem Widerſpruch merken laſſen, in ſolchen Stuͤ - cken, wie Sie ſagen, wobey keine Widerrede ſeyn moͤchte, wofern ich mich nicht einmiſchte. Jch ſehe nicht, mein Herr, warum Jhre Feindſeligkeit gegen einen Menſchen, der nicht zu vertheidigen iſt, ſo weit gegen einen, der Sie niemals im ge - ringſten beleidigt hat, getrieben werden ſollte: und das bloß, weil er mit jenem bekannt iſt. Jch will nicht alles ſagen, was ich bey dieſer Gelegen - heit ſagen moͤchte.
Was das Vermaͤchtniß fuͤr mich ſelbſt be - trifft: ſo verſichere ich Sie, mein Herr, daß we -der621der meine Umſtaͤnde noch meine Gemuͤthsart, mich verleiten werden, bey der Vollziehung des Teſtaments einen Gewinnſuͤchtigen abzugeben. Jch werde mir ein Vergnuͤgen daraus machen, in allem, wo ich kann, in die Fußtapfen der be - wundernswuͤrdigen Perſon, von welcher das Te - ſtament herkommt, zu treten: und will ihrer Ar - men Capital vielmehr vermehren, als verrin - gern.
Jn Anſehung der Muͤhe, die mit der Aus - richtung des Teſtaments verknuͤpft iſt, will ich nur ſagen, daß ich, ihrem Gedaͤchtniſſe zu Ehren, zehn mal mehr Muͤhe, als mir dieß machen kann, nicht achten werde. Jch habe freylich noch die Voll - ziehung von zweyen andern Teſtamenten unter Haͤnden: allein beyde machen mir nicht viel Schwierigkeiten; und die Hinterbliebenen koͤn - nen ihre Zeit nicht beſſer oder chriſtlicher an - wenden.
Jch ſtelle mir vor, daß alle Stuͤcke, ausge - nommen das, was das Capital der Armen betrifft, binnen zween Monathen, aufs laͤngſte, vollzogen ſeyn koͤnnen.
Veranlaſſungen zum Streit oder Zorn ſollen von mir nicht kommen. Sie duͤrfen ſich nur an den Herrn Obriſt Morden wenden, der mir in al - len Dingen zu befehlen haben ſoll, worinn mir das Teſtament Jhrer Familie zu willfahren erlaubet. Jch verſichere, daß ich eben ſo wenig geneigt bin,mich622mich derſelben aufzudringen, als es nur immer je - mand von derſelben wuͤnſchen kann.
Jch geſtehe, daß ich das Teſtament noch nicht habe beſtaͤtigen laſſen: ich werde es auch nicht eher, als kuͤnftige Woche, aufs baldigſte, thun; damit Sie zu freundſchaftlichen Einwendungen Zeit haben moͤgen, wofern Sie fuͤr gut befinden, durch des Herrn Obriſtens Vermittelung derglei - chen zu machen. Aber erlauben Sie mir, mein Herr, Jhnen vorzuſtellen, „ daß die Gewalt des - „ jenigen, dem die Vollziehung eines Teſtaments „ aufgetragen iſt, in ſolchen Faͤllen, worinn ich ſie „ ausgeuͤbet habe, eben ſo vor der Beſtaͤtigung, „ als nach derſelben, ſey. Er kann ſo gar, ohne „ dieſe hervorzuziehen, anfangen wirklich nach „ dem Teſtament zu verfahren; ob er gleich keine „ oͤffentliche Erklaͤrung daruͤber thun kann: „ und dieſe Unternehmungen, das aufgetragene „ Amt zu verwalten, verbinden ihn ſelbſt zu dem „ nachfolgenden wirklichen Verfahren. “ Jch ha - be alſo bey denen Schritten, die ich zu einem Theil der Vollziehung dieſes geheiligten Amts ge - than, mich ganz gehoͤrig verhalten, und brauche desfalls keine Nachſicht zu verlangen.
Erlauben Sie mir, hinzuzuſetzen, daß ich mir Hoffnung mache, Sie werden ſelbſt, nachdem Sie das Teſtament durchgeſehen und alles gelaſſen uͤberlegt haben, der Meynung ſeyn, daß kein Streit oder Widerrede dabey Platz finden koͤnne, und wenn Jhre Familie ſich vereinigen will, die Voll -ziehung623ziehung zu befoͤrdern, dieß der natuͤrlichſte und leich - teſte Weg ſeyn werde, die ganze Sache zu Ende zu bringen, und nicht laͤnger mit einem Menſchen zu thun zu haben, der ſo unſchuldigerweiſe und ohne Urſache, ſo viel ihn ſelbſt betrifft, der Gegenſtand Jhres Misfallens iſt, als, mein Herr,
Jhr gehorſamſter Diener; dem ungeachtet, Johann Belford.
„ Jch hoffe, Entſchuldigung erwarten zu koͤn - „ nen, daß ich mich, an verſchiednen Stellen in „ dieſem feyerlichen und letzten Aufſatz, uͤber ei - „ nige wichtige Dinge weitlaͤuftig herausgelaſ - „ ſen habe. Denn ich habe von ſo vielen Bey - „ ſpielen der Verwirrung und Mishelligkeit in „ Familien, und von ſo vielen Zweifeln und „ Schwierigkeiten, die aus Mangel voͤlliger „ Klarheit in den Teſtamenten verſtorbener „ Perſonen entſtanden ſind, gehoͤret, daß ich oftgeſchloſ -624„ geſchloſſen habe, wenn auch keine andere „ Gruͤnde, als dieſe, welche die Ruhe der hin - „ terbliebnen Freunde betreffen, vorhanden waͤ - „ ren, dieſe Schrift, welche in Anſehung ihres „ Zwecks und ihrer Wirkung die letzte iſt, „ muͤßte billig in ihrer Ausarbeitung oder Ver - „ fertigung nicht die letzte ſeyn, ſondern ſollte aus „ geruhiger Ueberlegung, und, wie oͤfterer vor - „ gegeben, als mit Recht geſagt wird, aus ei - „ nem geſunden Verſtande und Gedaͤcht - „ niſſe, die nur allzu ſelten anders als bey geſun - „ dem Leibe gefunden werden, herfließen. „ So wird auch, wenn eine Perſon, die ein Te - „ ſtament machet, die Gruͤnde von dem, was „ ſie will, angiebet, allen Vorwendungen, als „ wenn ſie nicht geſunden Verſtandes geweſen „ waͤre, vorgebeuget. Es wird allen betruͤge - „ riſchen Zaͤnkereyen uͤber Worte begegnet. „ Diejenigen, denen ein Vortheil zugeſtanden iſt, „ werden deſſelben verſichert, und die Wohl - „ that wird denen wirklich zu Theil, welchen ſie „ zugedacht war. Aus der Urſache habe ich „ mich auf einige Zeit beſchaͤfftiget, die Haupt - „ ſtuͤcke von einer ſolchen letzten Verordnung „ niederzuſchreiben, welche ich, wie ſich mir die „ Gruͤnde dargeboten, veraͤndert und vermehret „ habe: ſo daß ich niemals gaͤnzlich ohne ein „ Teſtament geweſen, wenn ich auch noch ſo „ ploͤtzlich weggenommen waͤre. Dieſer kurze „ und unvollkommene Entwurf hat mich in den „ Stand geſetzt, wie mir Gott Zeit und Ruhe„ gnaͤ -625„ gnaͤdiglich verliehen, alle Stuͤcke in Ordnung „ und in die Geſtalt, worinn ſie itzo erſcheinen, „ zu bringen. “
Jch Clariſſa Harlowe, die ich itzo wegen ſeltſamer und trauriger Zufaͤlle in dem Kirch - ſpiel von St. Paul Covent Garden meinen Au - fenthalt habe und bey geſunden und vollkomme - nen Verſtande und Gedaͤchtniſſe bin; wie hof - fentlich dieſe gegenwaͤrtige Blaͤtter, die von mir ſelbſt entworfen und mit eigner Hand geſchrie - ben ſind, bezeugen werden; mache und eroͤff - ne hiemit heute, den zweyten Septemper(*)Wie dieß geſchrieben wurde, ward fuͤr dieſen Tag ein weißer Raum gelaſſen und an dem benannten Tage ausgefuͤllet. Man ſehe den XXXVten Brief. in dem Jahr unſers Herrn ‒ ‒ ‒(**)Der Raum fuͤr das Jahr iſt aus beſondern Urſa - chen weiß gelaſſen worden. dieſen meinen letzten Willen und Teſtament auf fol - gende Art und Weiſe.
Zuerſt verlange ich, daß mein Leichnam zween oder drey Tage nach meinem Hintritt, oder bis mei - nes Vaters Belieben in Anſehung deſſelben in Erfahrung gebracht iſt, unbegraben liegen bleiben moͤge. Da aber die Veranlaſſung mei - nes Todes keinem Zweifel unterworfen iſt: ſo will ich auf keine Weiſe, daß er geoͤffnet werde;undSiebenter Theil. R r626und iſt mein ausdruͤckliches Verlangen, daß er von niemanden als von Perſonen meines eig - nen Geſchlechts angeruͤhret werden ſoll.
Jch habe allezeit inſtaͤndigſt gebeten, daß mein Leichnam in dem Familienbegraͤbniſſe zu den Ge - beinen meiner Voreltern niedergeſetzt werden moͤchte. Sollte es genehm gehalten werden: ſo moͤchte ich itzo wuͤnſchen, daß er zu den Fuͤßen meines lieben und geehrten Großvaters gelegt werde. Allein da ich durch einen ungluͤcklichen Schritt das Anſehen bekommen habe, als wenn ich meinem ganzen Stamme zur Schande ge - reichte, und daher dieſe letzte Ehre meiner Lei - che vielleicht verſagt werden kann: ſo iſt, auf den Fall, mein Verlangen, daß ſie auf dem Kirchhofe des Bezirks, worinn ich ſterben wer - de, beſtaͤtigt werden moͤge: und das in aller Stille, Abends zwiſchen eilfen und zwoͤlfen, bloß in Begleitung der Fr. Lovick, des Herrn Smithens, der Fr. Smithinn und ihrer Magd.
Es iſt aber mein Wille, daß eben die Gefaͤlle und Gebuͤhren bezahlt werden moͤgen, welche ge - woͤhnlich fuͤr diejenigen gegeben werden, die in die beſten Graͤber, oder ſelbſt in das Chor der Kirche zu legen ſind. ‒ ‒ Und ich verma - che fuͤnf Pfund St. daß ſie, nach Anweiſung der Kirchenvorſteher, unter zwanzig arme Leute, den Sonntag nach meiner Beerdigung, ausge - theilet werden ſollen; und dieß, ich mag hier oder ſonſt irgendwo begraben werden.
Jch627Jch habe ſchon muͤndlich verordnet, daß, wenn ich todt bin, und man mich auf die Weiſe, wie ich ich angeordnet, gekleidet hat, ich ſo bald, als moͤglich, in meinen Sarg gelegt werde. Es iſt mein Wille, daß ich nicht ohne Noth jeman - den zum Schau gegeben werden moͤge: ausge - nommen wenn einige von meinen Verwandten ſich belieben laſſen wollten, mich zum letzten mal zu ſehen.
Jch moͤchte wuͤnſchen, wenn es ſich, ohne ein Mis - verſtaͤndniß zwiſchen Herrn Lovelace und dem Ausrichter meines Teſtaments zu erregen, ver - meiden ließ, daß dem erſtern nicht geſtattet werden moͤchte, meinen Leichnam zu ſehen. Allein, wofern er, wie er ein unbaͤndiger Menſch iſt, und ich Niemand angehoͤre, darauf beſtehet, diejenige todt zu ſehen, die er ſchon einmal vorher gewiſſermaßen todt geſehen hat: ſo mag ſeine froͤhliche Neubegierde geſtillet werden. Er mag den elenden Ueberreſt derjenigen, die zu einem Opfer ſeiner grauſamen Treuloſigkeit ge - macht iſt, anſehen und daruͤber frohlocken: aber eine oder die andere gottſelige Perſon ſoll ihm, indem er den ſchrecklichen Anblick vor ſich hat, ein Papier, als auf mein Verlangen, uͤberrei - chen, worauf nur dieſe wenige Worte ſtehen: ‒ ‒ „ Froͤhliches, grauſames Herz, ſiehe hier den „ Ueberreſt der ehemals ungluͤcklich gemachten, „ nun aber gluͤcklichen Clariſſa Harlowe! ‒ ‒ „ Siehe, was du ſelbſt gar bald ſeyn mußt: ‒ ‒ „ und thue Buße! “ ‒ ‒
R r 2Jedoch,628Jedoch, um zu zeigen, daß ich in vollkommener chriſtlicher Liebe gegen alle Welt ſterbe, ver - gebe ich dem Herrn Lovelace von ganzem Her - zen alles Boͤſe, was er mir gethan hat.
Wo mein Vater das Verſehen ſeines unwuͤrdigen Kindes ſo weit verzeihen kann, daß er, wie ich oben gebeten habe, ihre Leiche zu den Fuͤßen ihres Großvaters niederſetzen laſſen will: ſo moͤchte ich wuͤnſchen, da meine Ungluͤcksfaͤlle ſo bekannt ſind, daß uͤber meinen Leichnam, ehe er zur Erde gebracht werde, eine kurze Rede gehalten wuͤr - de. Den Grund zu dem Jnhalt derſelben werde ich beſtimmen, ehe ich dieſe Schrift ſchließe.
Daß ich ſo viel uͤber etwas, das nicht die geringſte Betrachtung verdienet, und uͤber etwas, das Nichts ſeyn wird, wann dieſe Schrift zu oͤffnen und zu leſen iſt, geſchrieben habe, wird man entſchuldigen, wenn man meine gegenwaͤrtige ungluͤck - liche Umſtaͤnde und meine Entfernung von allen meinen Blutsfreunden in Er - waͤgung ziehet.
Was nun die weltlichen Guͤter betrifft, ſo wohl diejenigen, welche ich bey meinem Tode beſitzen werde, als die, welche mir entweder durch mei - nes Großvaters Teſtament, oder ſonſt von Rechtswegen zugehoͤren: ſo iſt mein Wille, daß es auf folgende Art damit gehalten werde.
Zuerſt629Zuerſt gebe und vermache ich alle die Guͤter, wel - che nicht in Geld beſtehen, und an welchen oder auf welche ich durch das gedachte Teſta - ment einen Anſpruch oder Recht habe, meinem allezeit geehrten Vater, Herrn Jakob Harlo - we: und dieſem deswegen lieber, als meinem Bruder und meiner Schweſter, denen ich ſie ehemals zugedacht hatte, weil dieſe Guͤter, wo - fern ſie meinen Vater uͤberleben, gewiß auf ſie, oder einen von ihnen, nach ſeiner Gewogenheit und Liebe fallen werden; wie die Umſtaͤnde in Abſicht auf die getroffenen Eheverbindungen, oder ſonſt, es erfordern; oder ſie beyderſeits, je - des an ſeinem Theil, es durch ihren fernern Ge - horſam verdienen moͤgen.
Meines ſeligen Großvaters Haus, den Hayn ge - nannt, und von ihm mir zu Ehren und von einigen meiner freywilligen Beſchaͤfftigungen meine Hollaͤnderey zubenahmet, nebſt dem Ausputze und Hausgeraͤthe, wie es itzo da ſtehet, nur die Bilder und die große eiſerne Kiſte mit altem Geſchirr ausgenommen, vermache ich gleichfalls meinem Vater: und bitte mir nur als eine Gewogenheit aus, daß er meiner lieben Fr. Norton guͤtigſt erlauben wolle, den Ueber - reſt ihrer Tage in dem Hauſe zuzubringen, und die Zimmer in demſelben, welche man unter dem Namen der Haushaͤlterinn Zimmer ge - nugſam kennet, nebſt dem Aufputz und Geraͤ - the darinnen, zu haben und zu gebrauchen; dem Aufputz und Geraͤthe, das ganz neu und ſau -R r 3ber630ber von meinem Großvater, der ſein Vergnuͤ - gen daran fand, mich ſeine Haushaͤlterinn zu nennen, fuͤr mich gekauft ward, und welches ich daher bey ſeinen Lebzeiten als ſeine Haushaͤl - terinn gebrauchte; ſo daß das Amt nebſt den Zimmern an Fr. Norton uͤbergehe. Jch em - pfehle dieſes deſto inſtaͤndiger: da ich ehemals mit dieſer guten Frauen daſelbſt recht gluͤcklich zu ſeyn gedachte; und weil ich glaube, daß ihre kluge Haushaltung meinem Vater eben ſo zutraͤglich ſeyn wird, als ſeine Guͤte ihr vortheil - haft ſeyn kann.
Aber die angewachſenen Einkuͤnfte von dem Gute ſeit meines Großvaters Tode, und die Summe von neunhundert und ſiebzig Pfund, welche, wie ſich hernach gezeiget hat, die Haͤlfte von dem Gelde war, das mein gedachter Großvater bey ſeinem Tode bey ſich hatte, und mir zu meinem eignen und beſondern Gebrauch, wie meiner Schweſter die andere Haͤlfte auf gleiche Wei - ſe(*)Man ſehe den I. Theil, S. 122., vermacht ward, ich aber, meinen Bru - der und Schweſter zu uͤberzeugen, daß ich mich der Gewalt meines Vaters nicht zu entziehen wuͤnſchte, zugleich mit der Verwaltung und den Einkuͤnften des ganzen mir vermachten Gutes in meines Vaters Haͤnde gab: ‒ ‒ Dieſe Sum - men, ſo betraͤchtlich ſie auch zuſammen genom - men ſeyn moͤgen, hoffe ich, werden mir gaͤnz - lich uͤberlaſſen ſeyn koͤnnen, daß ich damit ſo verfahre, wie es meine Liebe und Dankbarkeitrecht -631rechtfertigen koͤnnen, ohne mich auf meine eig - ne Familie ganz einzuſchraͤnken, die nach allen ihren Zweigen unter ſehr guten Umſtaͤnden iſt. Daher werde ich daruͤber meinen Willen auf die in dem folgenden beſtimmte Art erklaͤren. Allein es iſt dabey mein Verlangen und aus - druͤckliche Verordnung, daß meines Vaters Berechnung der oben gedachten Einkuͤnfte an - genommen, und ſchlechterdings, ohne die gering - ſte Widerrede und Nachfrage, ſo wie er ſich belieben laſſen wird, dieſelbe meinem Vetter Morden, oder wem es ihm ſonſt gefallen mag, zu uͤbergeben, genehm gehalten werde: damit dieſe Rechnung nicht zum Streit, oder zum Widerſpruch von Seiten meines Teſtament - verweſers, oder ſonſt irgend andrer Perſonen Gelegenheit geben koͤnne.
Mein Vater hatte, nach ſeiner Liebe und Guͤte, die Gefaͤlligkeit, mir zu Kleidern und andern Beduͤrfniſſen vierteljaͤhrig eben ſo viel Geld, als meiner Schweſter, zuzugeſtehen; und pfleg - te zu ſagen, weil er damals mit mir wohl zu - frieden war, daß dieſe Summen von dem Gu - te, und den Sachen, die mir von meinem Groß - vater vermacht waͤren, nicht abgezogen werden ſollten: allein da ich ihn durch einen ungluͤcklichen Schritt toͤdtlich beleidigt habe; wie mir ban - ge iſt, daß man ſagen wird; ſo mag zu vermu - then ſeyn, daß er ſich dieſer Summen wegen wieder bezahlt machen wolle ‒ ‒ Es iſt daher mein Wille und Verordnung, daß ihm freyR r 4gelaſſen632gelaſſen werde, ſich ſelbſt fuͤr alle ſolche viertel - jaͤhrige oder andere Gelder, die er von meines Großvaters Tode an die Guͤte gehabt, mir vor - zuſchießen, wieder zu vergnuͤgen: und daß ſei - ne Rechnungen von dieſen Summen gleich - falls ohne Widerrede angenommen; jedoch zur Erſtattung derſelben das Geld, welches ich in meinem Schreibkaſten zuruͤckgelaſſen habe, mit angewendet werde.
Mein Großvater, deſſen Guͤte und Gewogenheit ge - gen mich keine Grenzen hatten, ließ ſich gefal - len mir alle Familiengemaͤhlde in ſeinem ehema - ligen Hauſe, unter welchen einige rechte Mei - ſterſtuͤcke ſind, zu vermachen: mit dem Befehl, daß, wo ich unverheyrathet oder zwar verhey - rathet, aber ohne Erben, ſtuͤrbe, ſie alsdenn an denjenigen von ſeinen Soͤhnen, wo etwa mehrere noch am Leben ſeyn moͤchten, kommen ſollten, der nach meinen Gedanken ſie am hoͤchſten ſchaͤtzen wuͤrde. Da ich nun weiß, daß mein geehrter Onkel, Herr Johann Harlowe, ſich einigerma - ßen daruͤber zu beklagen beliebte, daß ſie ihm, als dem aͤlteſten Sohne, nicht vermacht waͤren; und er eine Gallerie hat, wo ſie vortheilhaft aufgeſtellt werden koͤnnen; ich aber auch Urſa - che habe zu glauben, daß er ſie meinem Vater vermachen werde, wo dieſer ihn uͤberlebet, der ſie ſonder Zweifel meinem Bruder hinterlaſſen wird: ſo vermache ich alle die gedachten Fa - miliengemaͤhlde meinem gemeldeten Onkel Jo - hann Harlowe. Jedoch ſchließe ich in dieſenGe -633Gemaͤhlden eines von mir ſelbſt, das um das vierzehente Jahr meines Alters verfertigt iſt, nicht mit ein: als welches ich hiernaͤchſt in ei - nem andern Artikel anderswohin beſtimmen werde.
Weil mein geehrter Großvater ſehr viel auf das alte Geſchirr aus der Familie hielte, welches er niemals veraͤndern laſſen wollte, indem er es, wie er zu ſagen pflegte, erlebet hatte, daß ein großer Theil davon bey der umwechſelnden Veraͤnderung der Moden wieder aufgekom - men war; und es mir deswegen vermacht hat, mit dem Befehl, es unveraͤndert aufzubehal - ten, und mit der Macht, es bey meinem Tode nach Belieben einem wieder zu vermachen; von dem ich glaubte, daß er ſein Verlangen be - foͤrdern wuͤrde; welches darinn beſtand, wie er es ausdruͤcket, daß es bis an das Ende der Zeit aufbehalten werden moͤchte: ſo vermache ich dieſes Familien-Geſchirre, welches, in ei - ner großen eiſernen Kiſte, in der großen Stu - be in ſeinem ehemaligen Wohnhauſe ſtehet, ganz und unverſehrt meinem geehrten Onkel, Herrn Anton Harlowe; mit eben denen Ver - bindungen, die mir aufgelegt worden; und zweifle nicht, er werde dieſelben durch ſein eige - nes Teſtament beſtaͤtigen und verſtaͤrken.
Jch vermache meiner allezeit werthgeſchaͤtzten Freundinn, der Fr. Judith Norton, deren Gottſeligkeit und Sorgfalt, womit ſie der Gott - ſeligkeit und Sorgfalt meiner allezeit geehrtenR r 5und634und vortrefflichen Mutter zu Huͤlfe gekommen iſt, ich naͤchſt Gott die guten Eigenſchaften, welche mich auf achtzehn Jahre meines Lebens beliebt und geehrt gemacht, zu danken habe, die voͤllige Summe von ſechs hundert Pfund, welche ihr binnen dreyen Monaten nach mei - nem Tode ausgezahlt werden ſoll.
Jch vermache auch eben dieſer guten Frauen drey - ßig Guineas zur Trauer fuͤr ſie und fuͤr ihren Sohn, meinen Mitſaͤugling.
Der Fr. Dorotheen Hervey, der einzigen Schwe - ſter meiner geehrten Mutter, vermache ich funf - zig Guineas zu einem Ring, und bitte ſie, mei - nen erkenntlichſten Dank anzunehmen; fuͤr alle ihre Guͤte gegen mich von meiner Kindheit an, und ſonderlich fuͤr ihre Gedult mit mir, in den verſchiedenen Zaͤnkereyen, die vor meinem ungluͤcklichen Abzuge von Harlowe-Burg, zwiſchen meinem Bruder, meiner Schweſter, und mir, vorgefallen ſind.
Meiner guͤtigen und werthgeſchaͤtzten Baſe, der Fraͤulein Doͤrtchen Hervey, der Tochter mei - ner Tante Hervey, vermache ich meine Taſchen - uhr nebſt dem Zubehoͤr, und meine beſten Mechliner und Bruͤſſeler Kopfzeuge und Man - ſchetten, wie auch mein Kleid, und den Unter - rock dazu, mit ſilbernen Blumen von meiner eignen Arbeit, welche erſt wenige Tage vorher, ehe ich in meiner Kammer eingeſperret wurde, fertig geworden waren, und alſo niemals von mir getragen ſind.
Eben635Eben dieſer Fraͤulein vermache ich auch mein Clavezimbel, meine kleine Orgel, und alle mei - ne Muſikbuͤcher.
Da meine Schweſter einen gar artigen Buͤcher - vorrath hat, und meine geliebte Fraͤulein Ho - we auch, theils von ihrem ſeligen Vater, theils fuͤr ſich ſelbſt: ſo vermache ich alle meine Buͤ - cher uͤberhaupt, mit den Futteralen, worinn ſie ſind, meiner gedachten Baſe Doͤrtchen Hervey. Wie ſie fuͤr ein Frauenzimmer nicht uͤbel aus - geſucht ſind: ſo weiß ich, wird ſie, wenn ihre freundſchaftliche Betruͤbniß durch die Zeit ge - mildert und zu einem mehr angenehmen als traurigen Angedenken geworden iſt, ein deſto groͤßeres Vergnuͤgen daran finden, weil ſie mein geweſen, und in vielen ſo wohl von meiner eignen Hand Anmerkungen beygefuͤget, als auch einige ſehr ſcharfſinnige Betrachtungen von dem wahrhaftig ehrwuͤrdigen D. Lewin hinzugeſchrieben ſind.
Jch vermache auch eben dieſer Fraͤulein fuͤnf und zwanzig Guineas zu einem Ringe, den ſie zum Andenken ihrer aufrichtigen Freundinn trage.
Wo ich nicht ſo lange lebe, daß ich meinen wuͤr - digen Vetter, Herrn Wilhelm Morden ſehe: ſo bitte ich ihm meinen gehorſamſten und er - gebenſten Dank abzuſtatten; fuͤr ſeine Gewo - genheit und Guͤte gegen mich, und ſonderlich fuͤr ſeine Bemuͤhungen, meine andern Freun - de fuͤr mich auszuſoͤhnen, zu einer Zeit, da ich zweifelte, ob er mir ſelbſt einmal vergeben wuͤr -de.636de. Da er in anſehnlichen Umſtaͤnden iſt: ſo will ich ihn nur bitten, zum Andenken einer Verwandtinn, die ihn allezeit ſo ſehr geehret, als er ſie geliebet hat, zwo oder drey Kleinig - keiten anzunehmen; inſonderheit das geſtickte Blumenſtuͤck, welches mein Onkel, Robert, ſein Herr Vater, ſehr gern haben wollte, um es mit ſich wegzunehmen.
Jch erſuche ihn gleichfalls, das ins Kleine gebrach - te Gemaͤhlde, welches in Gold gefaßt iſt, an - zunehmen; eben dasjenige, welches ſein wuͤrdi - ger Herr Vater durch einen italiaͤniſchen Mei - ſter, den er mit ſich heruͤberbrachte, von mir nehmen ließ, und mir deswegen ſchenkte, daß ich es demjenigen geben moͤchte, wie ihm zu ſa - gen beliebte, dem ich einmal am meiſten gefaͤl - lig zu ſeyn geneigt waͤre.
Eben dieſem Herrn vermache ich auch meinen ro - then diamantenen Ring, der ein Geſchenk von ſeinem lieben Vater war, und ihm in der Be - trachtung deſto ſchaͤtzbarer ſeyn wird.
Die Fr. Annabella Howe, die Mutter meiner wer - then Fraͤulein Howe, erſuche ich gehorſamſt, meine ehrerbietigſte Dankſagung fuͤr alle ihre Gewogenheit und Guͤte gegen mich, da ich ihre geliebte Tochter ſo oft beſuchte, und einen Ring fuͤnf und zwanzig Guineas an Werth, geneigt anzunehmen.
Mein Gemaͤhlde in Lebensgroͤße, das in meines ſe - ligen Großvaters Cloſet ſtehet, und im vorher - gehenden von den Familiengemaͤhlden ausge -nommen637nommen iſt; dieß Bildniß von mir, das ge - ſchildert ward, als ich nicht weit von vierzehn Jahren war, zu welcher Zeit meine werthe Fraͤulein Howe und ich uns einander zu ken - nen, vorzuͤglich zu ſchaͤtzen und ſo herzlich ‒ ‒ ich kann es nicht ausdruͤcken, wie herzlich ‒ ‒ zu lieben anfingen, vermache ich dieſer meiner Herzensſchweſter: von deren Freundſchaft ſo wohl im Ungluͤck, da ich alles andern Troſtes und aller andern Troͤſter beraubt war, als im Gluͤck, ich ſolche Proben gehabt habe, daß un - ſere Liebe nur allein in dem Stande der Voll - kommenheit, in welchem ich mich nach dieſem mit ihr in alle Ewigkeit zu erfreuen hoffe, uͤber - troffen werden kann.
Jch vermache eben dieſer Freundinn auch meinen beſten diamantenen Ring, der in der verſteck - ten Schublade meines Schreibkaſtens lieget, nebſt andern Juwelen: wie auch alle mein fer - tiges und eingeſpanntes Stuͤckwerk; das Blu - menſtuͤck ausgenommen, welches ich meinem Vetter Morden ſchon vermacht habe.
Dieſe Stuͤcke ſind alle heruntergenommen, wie ich gehoͤrt habe(*)Man ſehe den III. Theil, S. 402.: und meine Verwandten wer - den niemals Luſt haben, ſie wieder aufzuſtellen. Sollte inzwiſchen meine liebe Mutter fuͤr gut finden, ein oder das andere Stuͤck, das oben gedachte Hauptſtuͤck ausgenommen, zuruͤckzu - behalten; wenn ſie etwa nicht wuͤßte, ob ſie nicht nach Verlauf einiger Zeit den Anblick deſ -ſelben638ſelben ertragen koͤnnte: ſo nehme ich das auch von dieſem allgemeinen Vermaͤchtniſſe aus, und verordne, daß es ihr dargeboten werde.
Mein Gemaͤhlde in Lebensgroͤße, nach Vandykens Art(*)Man ſehe den III. Theil, S. 403., welches in meinem Saal, wie mir er - laubt war ihn zu nennen, zu hangen pflegte, vermache ich meiner Tante Hervey: es waͤre dann, daß meine Mutter fuͤr gut finden ſollte, es ſelbſt zu behalten.
Jch vermache dem wuͤrdigen Cavallier, Herrn Carl Hickmann das Angehaͤnge, welches ich beſtaͤndig an meinem Herzen getragen habe, und bis an meine letzte Stunde tragen wer - de(**)Man ſehe den vorhergehenden LVten Brief., mit dem Bildniſſe der Fraͤulein, die er am meiſten liebet. Es muß ihm, naͤchſt der Hand des werthen Urbildes, das ange - nehmſte Geſchenk ſeyn, welches ihm gemacht werden kann. Und, o meine liebe Fraͤulein Howe, verziehen ſie nicht lange, ihm zu jenem ein Recht zu geben: ‒ ‒ Denn in der That ſie wiſſen nicht, wie hoch ein tugendhaftes Ge - muͤth in dem Geſchlechte zu ſchaͤtzen, und wie weit ein ſolches Gemuͤth einem andern vorzu - ziehen iſt, das ſich durch blendhaftere hoch - fliegende Gedanken eines unordentlichen Wi - tzes unterſcheidet, wenn auch das letztere mit dem ſcheinbaren aͤußerlichen Anſehen, wodurch man gar zu oft das uͤbereilte Auge und dasleicht639leicht zu fangende Herz einnehmen laͤßt, ver - knuͤpfet ſeyn ſollte.
Jch erſuche meine liebe Fraͤulein Howe inſtaͤn - digſt, keine Trauer um mich anzulegen: aber ich bitte ſie, und Herrn Hickmann gleichfalls, einen Ring mit meinen Haaren, jeden funfzehn Guineas am Werthe anzunehmen.
Der Lady Eliſabeth Lawrance und ihrer Schwe - ſter, der Lady Sarah Sadleir, wie auch dem hochgebohrnen Lord M. und ihren wuͤrdigen Neffen, der Fraͤulein Charlotte und Fraͤulein Martha Montague vermache ich jedem einen emaillirten Ring, mit den verzogenen Buch - ſtaben Cl. H. von meinen Haaren in Criſtall, mit dem Tage, Monathe und Jahr meines To - des an der innern Seite in jedem und mit ge - ſchnittenen Edelgeſteinen an jedem, ſo daß er zwanzig Guineas koſte: und zwar dieß, als ein geringes Zeichen der dankbaren Regung, wegen der Ehre, die ſie mir durch ihre gute Meynungen von mir, und durch die guͤtigen Wuͤnſche zu meinem Vortheil erwieſen haben; als auch wegen ihrer wahrhaftig edlen Dar - bietung einer ſehr betraͤchtlichen jaͤhrlichen Ver - pflegung, zu der Zeit, da ſie beſorgten, es moͤch - te mir gaͤnzlich an Verpflegung fehlen.
Dem hochwuͤrdigen und hochgelahrten D. Ar - thur Lewin, von deſſen Unterweiſungen ich eben ſo viel Vergnuͤgen als Nutzen gehabt habe, vermache ich zwanzig Guineas zu einem Rin - ge. Wo es Gott gefallen ſollte, ihn abzufor -dern,640dern, ehe er dieß geringe Vermaͤchtniß bekom - men kann; ſo iſt mein Wille, daß es ſeiner wuͤrdigen Tochter zu gute komme.
Zu einem Zeichen meiner Dankbarkeit fuͤr die Hoͤflichkeiten, welche mir von Zeit zu Zeit von der Frauen und der Fraͤulein Howe Bedien - ten bey meinen Beſuchen in ihrem Hauſe wi - derfahren ſind, vermache ich dreyßig Guineas, damit ſie unter ihnen ausgetheilt werden, wie es ihre liebe junge Herrſchaft fuͤr gut finden wird.
Einer jeden von meinen wuͤrdigen Geſpielinnen und Freundinnen, der Fraͤulein Brigitta Lloyd, der Fraͤulein Fanny Alſton, der Fraͤulein Ra - chel Biddulph und der Fraͤulein Cartwright Campbell, vermache ich fuͤnf Guineas zu ei - nem Ringe.
Meinem ehemaligen Kammermaͤgdchen, Hanna Burton, einem ehrlichen, getreuen Maͤgdchen, das allezeit Liebe gegen mich, Ehrerbietung ge - gen meine Mutter und Achtung gegen meine Schweſter bewieſen, und niemals etwas, das ſich fuͤr ſie nicht ſchickte, zu thun geſuchet hat, vermache ich funfzig Pfund Sterlings, die ihr binnen einem Monathe nach meinem Tode ausgezahlt werden ſollen, weil ſie krank liegt: und wo dieſe Krankheit anhaͤlt, empfehle ich ſie meiner guten Fr. Norton zu fernerm Bey - ſtande, daß ſie mit an dem Capital fuͤr meine Armen, wovon im folgenden Meldung geſche - hen wird, Theil habe.
Dem641Dem Kutſcher, Stallknecht, zween Dienern und fuͤnf Maͤgden zu Harlowe-Burg vermache ich jedem zehn Pfund Sterlings, und der Neben - magd fuͤnf Pfund.
Dem Kammermaͤgdchen meiner Schweſter, Eli - ſabeth Barnes, vermache ich zehn Pfund, um zu zeigen, daß ich nicht uͤber die vorigen Be - leidigungen zuͤrne, die, wie ich glaube, mehr ei - ner uͤbeln Dienſtfertigkeit, und natuͤrlichen Lebhaftigkeit, als einem perſoͤnlichen Wider - willen zuzuſchreiben ſind.
Alle meine Kleider, ſie moͤgen ſeyn, von welcher Art ſie wollen, die ich nicht genoͤthigt worden bin, von der Hand zu ſchlagen, oder nicht ſchon andern vermacht habe, meine Waͤſche ausge - nommen, bitte ich Fr. Norton anzunehmen.
Die Kiſten und Kaſten, worinn meine Kleider verſiegelt ſind, will ich, ſollen nicht anders als in Gegenwart der Fr. Norton, oder einer an - dern Perſon, die ſie ſchicken wird, und der Fr. Lovick geoͤffnet werden.
Der gedachten rechtſchaffenen Fr. Lovick, von der ich große Hoͤflichkeiten und ſelbſt muͤtterliche Guͤtigkeiten empfangen habe, und der Fr. Smi - thinn, bey der ich wohne, die mir auch viele Guͤtigkeiten bewieſen hat, vermache ich alle mei - ne Waͤſche und alle meine nicht verkaufte Spitzen, daß ſie unter ihnen beyden, wie ſie ſich vergleichen wollen, gleich getheilet, oder, wenn ſie ſich nicht vergleichen koͤnnten, verkauft und das Geld dafuͤr gleich getheilet werde.
Siebenter Theil. S sJch642Jch vermache auch eben dieſen beyden Frauen, als ein ferners Zeichen meiner dankbaren Er - kenntlichkeit fuͤr ihre guͤtige Liebe und mitlei - dige Sorge fuͤr mich, einer jeden zwanzig Guineas.
Dem Herrn Smithen, dem Manne der gedach - ten Fr. Smithinn, vermache ich zehn Guineas, zur Erkenntlichkeit fuͤr ſeine Hoͤflichkeiten ge - gen mich.
Der ehrlichen Magd von Fr. Smithinn, der ich, weil ich ſelbſt keine Magd gehabt, Muͤhe ver - urſachet habe, vermache ich fuͤnf Guineas; und noch zehn Guineas, ſtatt eines Anzugs von meinen Kleidern, den ich ihr ſonſt, nebſt etwas Waͤſche, zugedacht hatte. Hiefuͤr mag ſie ſich etwas kaufen, das ihr angenehmer ſeyn, und ſich beſſer fuͤr ihren Stand ſchicken kann.
Der ehrlichen und ſorgfaͤltigen Witwe, Anna Schelburne, meiner Waͤrterinn, vermache ich außer und uͤber ihren gehoͤrigen Lohn und die kleinen gewoͤhnlichen Einkuͤnfte, die ihr zukom - men moͤgen, noch zehn Guineas. Jhre Ver - richtung iſt muͤhſam und fuͤr Perſonen von ſol - cher Leutſeligkeit und zaͤrtlichen Gemuͤthsart betruͤbnißvoll, ja bey dem letzten Theil des Le - bens mit vielem Wachen und vielen Beſchwer - den verknuͤpft, welches man ſchwerlich allezeit genug bedenket.
Fr. Lovick bitte ich, die wenigen Buͤcher, welche ich in meiner gegenwaͤrtigen Wohnung bey mir habe, anzunehmen, und verlange, daß ihr er -laubt643laubt werde, wo ſie Belieben dazu hat, mein Buch zu geiſtlichen Betrachtungen, wie ich es zu nennen pflegte, abzuſchreiben: da es Aus - zuͤge aus den beſten Buͤchern ſind, welche ihr zu gefallen ſchienen, ob ſie gleich vornehmlich auf meine eigne Umſtaͤnde eingerichtet ſind. Das Buch ſelbſt wird vielleicht meine liebe Fr. Norton gern haben: weil es ganz mit meiner eignen Hand geſchrieben iſt.
Jn der mittlern Schublade von meinem Schreib - kaſten zu Harlowe-Burg ſind viele Briefe und Abſchriften von Briefen nach den Tagen, an welchen ſie abgelaſſen ſind, zuſammengelegt, welche ich in dem Zeitlauf von einigen Jahren, ſeitdem ich nur ſchreiben gelernet hatte, ge - ſchrieben oder bekommen habe. Die Perſo - nen, von denen, und an die ſie gekommen, ſind mein Großvater, mein Vater, und meine Mut - ter, meine Onkels, mein Bruder und meine Schweſter, wenn wir bey einer oder der an - dern Gelegenheit auf eine kurze Zeit von ein - ander entfernt geweſen; mein ſeliger Onkel Morden, mein Vetter Morden, Fr. Norton, Fraͤulein Howe und andere von meinen Geſpie - linnen oder Freundinnen vor meiner Einſpen - rung in meines Vaters Hauſe; wie auch die drey ehrwuͤrdigen Maͤnner, D. Blome, Herr Arnold und Herr Tompkins, die nun bey Gott ſind, imgleichen der hochwuͤrdige Herr D. Le - win, deren Briefe ernſthafte Sachen betref - fen. Da dieſe Briefe einen Briefwechſel aus -S s 2machen,644machen, vor dem ſich keine junge Perſon mei - nes Geſchlechts ſchaͤmen darf, wenn man der Zeit des Alters, da die meinigen geſchrieben ſind, etwas zu gute haͤlt; da auch viele vor - treffliche Dinge in denen enthalten ſind, welche an mich geſchrieben worden; und da die Fraͤu - lein Howe, der die meiſten davon gezeiget ſind, vordem gewuͤnſchet hat, ſie zu haben, wo ſie mich uͤberlebte: ſo vermache ich ſie, dieſer Ur - ſachen wegen, meiner gedachten lieben Freun - dinn, der Fraͤulein Anna Howe; und dieß um ſo vielmehr, weil ſie einige Jahre her ein ſehr betraͤchtliches Antheil an dem Briefwechſel ge - habt hat.
Jch mache, beſtelle und verordne hiemit Herrn Johann Belford, von Edgworth in der Graf - ſchaft Middleſex zu dem einzigen Ausrichter dieſes meines letzten Willens und Teſtaments: nachdem ich vorher von ihm die Erlaubniß dazu erhalten habe. Die Gruͤnde, welche mich bewogen haben, dieſen Herrn zu bitten, daß er dieſe Muͤhe uͤber ſich nehme, habe ich der Fraͤu - lein Howe eroͤffnet. Jch beziehe mich alſo in dieſem Stuͤcke auf ſie.
Allein ich bitte ihn, den gedachten Herrn Belford, inſtaͤndigſt, daß er ſich bey der Vollziehung die - ſes Amts, wie er zu verſchiedenen malen ver - ſprochen hat, ſorgfaͤltig bemuͤhen wolle, bey ei - nem jeden Theil Ruhe und Friede zu befoͤr - dern, und Zorn und Widerwillen zu daͤmpfen: ſo daß alles Ungluͤck ſo wohl von, als widerſeinen645ſeinen Freund verhuͤtet werde. Dieſem zu folge erſuche ich ihn, die Freundſchaft mit mei - nem wuͤrdigen Vetter Morden zu unterhalten; welcher ihm, wie ich hoffen darf, wenn er ver - nimmt, daß es bey meinem Sterben meine Bit - te geweſen iſt, in allen Stuͤcken, wo es noͤthig ſeyn mag, ſeinen Rath und Beyſtand goͤnnen, und vielleicht auch ſo gut ſeyn wird, ſich bey meinen Verwandten ins Mittel zu ſchlagen, wenn etwa wegen der Vollziehung eines oder des andern Artikels von dieſem meinen letzten Willen eine Schwierigkeit entſtehen ſollte, und ſie zu beſaͤnftigen, damit ſie ſich meinen Wuͤn - ſchen geneigt bezeigen. ‒ ‒ Denn es iſt meine inſtaͤndigſte Bitte an Hrn. Belford, daß er nicht gerichtlich, oder auf irgend eine andere gewaltſa - me Art, es ſey mit Worten oder in der That, die Vollziehung von ihnen zu erzwingen ſuche. Wo einige Stuͤcke da ſind, die bloß Familien - ſachen betreffen, und welche meine Verwand - ten nicht fuͤr gut finden werden zur Vollziehung kommen zu laſſen: ſo uͤberlaſſe ich dergleichen Artikel ganz meinem gedachten Vetter Mor - den und Herrn Belford, daß ſie darinn ent - weder einige Aenderung treffen oder gaͤnzlich nachgeben, wie ſie ſich daruͤber vergleichen wer - den; oder, wo ſie beyde verſchiedner Meynung ſind, werden ſie die Guͤte haben, ſich durch ei - ne dritte Perſon, die von ihnen beyden zu er - waͤhlen iſt, zur Entſchließung bringen zu laſſen.
S s 3Jch646Jch bin von der Fraͤulein Howe und ihrer Mut - ter inſtaͤndigſt erſucht worden, die Umſtaͤnde meiner Geſchichte zuſammenzutragen, und ha - be Hoffnung gemacht, daß ich es thun wollte, damit meinem guten Namen bey allen meinen Freunden und Geſpielinnen Gerechtigkeit wi - derfahren moͤchte. Da ich aber zu dieſer muͤh - ſamen Arbeit keine Zeit vor mir habe: ſo ha - be ich mit Vergnuͤgen aus einigen Auszuͤgen, die mir von meinem gedachten Teſtamentsver - weſer guͤtigſt mitgetheilt ſind, gefunden, daß ich meinen guten Ruf ſicher auf die Gerechtigkeit, welche mir Herr Lovelace in ſeinen Briefen an dieſen meinen erwaͤhnten Teſtamentsverweſer gethan hat, ankommen laſſen mag. Weil nun Herr Belford ſich anheiſchig gemacht hat, alles, was in ſeinem Vermoͤgen iſt, beyzutra - gen, damit alles, was meine Geſchichte betrifft, geſammlet werde; und er in dieſem Stuͤcke meine Meynung vollkommen weiß: ſo iſt mein Verlangen, daß er von dieſer Sammlung zwo Abſchriften machen laſſen wolle, eine, die bey der Fraͤulein Howe, und eine andere, die bey ihm ſelbſt aufbehalten werde; und daß er ſei - ne Abſchrift, wenn es verlangt wird, meiner Tante Hervey, zur Befriedigung eines jeden von meiner Familie, zeige oder leihe; jedoch unter ſolchen Bedingungen, wie gedachter Herr Belford fuͤr gut finden wird, damit durch die Mittheilung derſelben weder irgend einesandern647andern Sicherheit, noch ſeine eigne Ehre etwas leide.
Jch vermache meinem erwaͤhnten Teſtamentsaus - richter hundert Guineas, als eine dankgefließe - ne, obgleich unzulaͤngliche Erkenntlichkeit fuͤr die Muͤhe, welche ihm die Vollziehung des Teſtaments, die er ſo guͤtig uͤbernommen hat, verurſachen wird. Jch erſuche ihn gleichfalls zwanzig Guineas zu einem Ringe anzuneh - men, und ſich wegen aller Koſten und Ausga - ben, welche er bey Vollziehung dieſes Teſta - ments haben wird, bezahlt zu machen.
An dem wuͤrdigen D. H. habe ich zugleich einen Arzt, einen Vater und einen Freund geſunden. Jch bitte ihn, zu einem Zeugniſſe meiner Dank - barkeit zwanzig Guineas zu einem Ringe an - zunehmen.
Jch habe eben die Verbindlichkeiten gegen den guͤtigen und geſchickten Herrn Goddard, der mich als mein Apotheker beſucht hat. Seine ſehr billige Rechnung habe ich bis auf geſtern bezahlet. Jch habe allezeit dafuͤr gehalten, daß es denen, die ein Teſtament machen, obliege, in allem, wo ſie koͤnnen, ihren Teſtamentsver - weſern die Muͤhe zu verkuͤrzen. Jch weiß, daß ich den Werth von Herrn Goddards Be - ſuchen noch zu geringe anſetze, wenn ich verlan - ge, daß außer und uͤber das, was von geſtern an ſeine Rechnung betragen mag, ihm funfzehn Guineas zu einem Ringe uͤberreichet werden.
S s 4Dem648Dem ehrwuͤrdigen Herrn ‒ ‒ ‒, der in meinen letzten Tagen oft zu mir gekommen und mit mir gebetet hat, vermache ich auch funfzehn Guineas zu einem Ringe.
Es iſt eine Anzahl von ehrlichen und duͤrſtigen Leuten, die ich meine Armen zu nennen pfleg - te, und denen Fr. Norton alle Monathe, oder binnen kuͤrzern Zeitwechſeln, von einer Sum - me, die ich ihr in die Haͤnde gegeben und von Zeit zu Zeit vermehret habe, wie mir ſelbſt die Mittel dazu nach und nach zugewachſen, die aber itzo faſt, wo nicht ganz, aufgewandt iſt, eine Beyſteuer zu reichen pfleget. Damit nun mein Vergehen ſo wenig, als moͤglich iſt, da - durch ſchwerer gemacht werde, daß die guten Leute, zu deren Huͤlfe mich der Himmel ge - neigt gemachet hat, darunter leiden; und weil die erhobenen Einkuͤnfte von meines Großva - ters Gut, nebſt der Haͤlfte von denen Geldern, welche er baar im Hauſe hatte und mir bey ſeinem Tode zu geben beliebte, wie ich vorher gedacht habe, nebſt demjenigen, was ich weiter in dem folgenden zu eben dem Gebrauch beſtim - men werde, hoffentlich zu allen meinen Ver - maͤchtniſſen mehr als genug ſeyn werden: ſo iſt mein Wille und Verlangen, daß der Ueber - ſchuß, es ſey viel oder wenig, zu einem Capi - tal gemacht werde, welches zu gleichem Zweck mit denen Geldern, die ich, wie vorher geſagt, der Fr. Norton uͤbergeben habe, diene, und ich verordne hiemit, daß es zu eben dem Zweckdienen649dienen ſoll; ‒ ‒ und zwar unter Aufſicht und Verwaltung der erwaͤhnten Fr. Norton, wel - che in dieſem Stuͤck meinen Willen vollkom - men weiß. Wenn ſie aber ſterben, oder der Verwaltung uͤberhoben zu werden verlangen ſollte: ſo iſt meine inſtaͤndigſte Bitte an mei - ne werthe Fraͤulein Howe, daß ſie die Ver - waltung ſelbſt uͤber ſich nehmen, und bey ihrem Tode dasjenige, was zu der Zeit noch unange - wandt uͤbrig ſeyn wird, ſolchen Perſonen und unter ſolchen Einſchraͤnkungen, Bedingungen und Vorbehaltungen, als ihrem Beduͤnken nach meiner Abſicht am gemaͤßeſten ſeyn wird, uͤbertragen wolle. Denn was die Verwal - tung oder Austheilung des Ganzen, oder eines Theils davon, betrifft; ſo lange ſie in der Frau Norton oder ihren eignen Haͤnden iſt: ſo will ich, daß ſie gaͤnzlich nach ihrem eignen Gutbe - finden geſchehe, ohne desfalls meinem Teſta - mentsverweſer oder ſonſt jemanden Rechenſchaft davon zu geben.
Ob gleich Fr. Norton, wie ich beruͤhret habe, mei - nen Willen in dieſem Stuͤcke vollkommen weiß: ſo wird es doch nicht undienlich ſeyn, in die - ſem meinem letzten feyerlichen Aufſatz zu erwaͤh - nen, wie meine Abſicht dahin gehe, daß dieß Capital gaͤnzlich abgeſondert und beſtimmt wer - de, auf eine gewiſſe Zeit von denen Zinſen deſ - ſelben, wie es ſonder Zweifel auf das vortheil - hafteſte belegt werden wird, oder ſelbſt wenn es noͤthig iſt, von dem Hauptſtuhl, bloß ehrli -S s 5chen,650chen, fleißigen, arbeitſamen Armen Zuſchub zu thun, wenn Krankheit, Laͤhmung, unvermuthe - ter Verluſt oder andere Zufaͤlle ſie außer Stan - de ſetzen, ihren geſetzmaͤßigen Beruf zu verfol - gen; oder um ſolchen ehrlichen Leuten zu Huͤl - fe zu kommen, die viele Kinder haben, und ei - nes von guter Art in Dienſten oder zu einem Handwerk, oder zur Wirthſchaft geben wollen.
Es iſt bey mir in meinen kleinen Schenkungen allezeit eine Regel geweſen, maͤßige und fleißi - ge Arme zu unterſtuͤtzen und fortzuhelfen. Sol - chen Leuten kann eine geringe Beyhuͤlfe zu ſtat - ten kommen, wenn ſie ihnen zu gehoͤriger Zeit gegeben wird: und auf die Weiſe kann ſich der Vortheil von dem Capital viel weiter erſtre - cken. Fuͤr faule und liederliche aber wird ein Meer von Guͤtern nicht hinreichen. Weil ſie alſo doch beſtaͤndig Mangel haben werden: ſo wird es kein Liebeswerk ſeyn, dergleichen Men - ſchen die Hand zu bieten, wenn wuͤrdigere Leu - te dadurch eines ſolchen Beyſtandes beraubet werden, der die Triebraͤder ihres Fleißes in den Gang bringen und ſie in den Stand einer nuͤtzlichen Wirkſamkeit ſetzen mag.
Allein es iſt mein ausdruͤcklicher Wille und Ver - ordnung, daß dieß Capital, es mag auch noch ſo betraͤchtlich ausfallen, bloß und allein zur Erſetzung der Beduͤrfniſſe, die auf eine ge - wiſſe Zeit ſolchen Perſonen, als ich beſchrie - ben habe, zuſtoßen koͤnnen, angewandt werde, und eine Familie oder eine Perſon auf einmal,oder651oder in einem Jahre, nicht mehr als die Sum - me von zwanzig Pfund bekomme.
Es iſt mein Wille und Verlangen, daß die Samm - lung von Juwelen, die meiner Großmutter zu - gehoͤret hat, und mir von meinem Großvater bald nach ihrem Tode geſchenket ward, geſchaͤ - tzet, und der Werth derſelben dem Ausrichter meines Teſtaments ausgezahlet werde, wofern jemand von der Familie Belieben haben ſollte, ſie zu behalten; oder widrigenfalls, daß man ſie verkaufe, und in beyden Faͤllen das Geld dafuͤr zur Vermehrung des Capitals fuͤr mei - ne Armen anwende. ‒ ‒ Wenn ſie aber fuͤr eine Erſetzung der Gelder, die mein Vater die Guͤte gehabt hat, mir ſeit meines Großvaters Tode vorzuſchießen, angeſehen werden moͤchte: ſo verlange ich, daß ſie ihm uͤberlaſſen werden.
Jch vermuthe, daß die diamantene Halskette, Kreuz und Spangen, die eigentlich mein eigen waren, und mir von dem Onkel meiner Mut - ter, Herrn Joſias Brookland, zum Geſchenke gegeben worden, aus nur allzu leicht einleuch - tenden Urſachen, von keinem aus meiner Fa - milie werden gekauft werden. Auf dieſen Fall verlange ich, daß ſie dem Ausrichter meines Teſtaments zugeſchickt werden, und er die vor - theilhafteſte Verfuͤgung desfalls treffen, das Geld aber zu Vollſtreckung meines Willens anwenden moͤge.
Beym Anfange dieſer verdrieslichen Schrift ha - be ich die Ernennung des Jnhalts der Rede,welche652welche ich bey meiner Beerdigung gehalten wuͤnſchte, wofern es erlaubt werden ſollte, daß ich bey meinen Voreltern begraben werde, bis auf das Ende derſelben verſchoben. Jch glau - be, die folgende Stelle wird ſich auf meine Umſtaͤnde ſchicken. Die Veraͤnderung einiger Worte, die das Geſchlecht der Perſon ausdruͤ - cken, hoffe ich, wird zu erlauben ſeyn.
„ Laß diejenige, die betrogen iſt, nicht auf „ Eitelkeit bauen: denn Eitelkeit wird „ ihr Lohn ſeyn. Sie wird vor ihrer „ Zeit hingeriſſen werden: und ihr Zweig „ wird nicht gruͤn ſeyn. Sie wird ihre „ unreife Trauben abſchuͤtteln, wie der „ Weinſtock, und ihre Blume abwerfen, „ wie der Oelbaum, der vom Mehlthau „ verderbet iſt(*)Hiob XV, 31. 32. 33. nach der engliſchen Ueber - ſetzung..
Wenn ich aber in der Stadt begraben werden muß; ſo mag bloß das gewoͤhnliche Begraͤb - nißformular uͤber meine Leiche geleſen werden.
Wo es vergoͤnnt wird, daß man meinen Leichnam hinunterbringe: ſo vermache ich zehen Pfund, welche, nach Verordnung der Kirchenvorſte - her, den Armen des Kirchſpiels, binnen vier - zehn Tagen nach meiner Beerdigung ausge - theilt werden ſollen.
Wofern endlich in dieſem meinen Teſtament et - was Nothwendiges ausgelaſſen ſeyn; oder wo -fern653fern in demſelben etwas zweifelhaft, oder wi - derſprechend, ſcheinen moͤchte; wie vielleicht ſeyn mag, da, außer meiner Unerfahrenheit in dieſen Sachen, ich itzo ſehr ſchwach und krank bin, und ein wenig zu lange gewartet habe, die letzte Hand anzulegen, in Hoffnung, von meinen geehrten Freunden die letzte Verge - bung zu erlangen; in welchem Falle ich die Gewogenheit mit gehoͤrigem Eifer und Gehor - ſam erkannt, und einige leere Stellen, die ich bis auf die letzte Zeit weiß gelaſſen(*)Man ſehe den vorhergehenden XXXVten Brief., auf eine mir ſelbſt weit angenehmere Art ausge - fuͤllt haben wuͤrde, als ich nun zu thun im Stande geweſen bin: ‒ ‒ ſo verlange ich auf den Fall, wenn wirklich ſolche Maͤngel und Unvollkommenheiten vorhanden ſeyn ſollten, daß mein Vetter Morden ſo gut ſeyn wolle, ſie gemeinſchaftlich mit dem Herrn Belford zu uͤberlegen und mit dem, was ich ausdruͤcklicher geſchrieben habe, zu vergleichen. Wo aber, nach dieſem, noch ein Zweifel uͤbrig bleibt: ſo bitte ich, daß ſie die Guͤte haben wollen, ſich zu der Fraͤulein Howe zu wenden, die mein ganzes Herz weiß. Jch verlange, daß als - denn ihrer aller Auslegung fuͤr guͤltig angenom - men werde, erklaͤre ſie auch hiemit fuͤr guͤltig, wofern ſie einmuͤthig gegeben wird, und ver - lange, daß ſie in ihre Kraft gehe, als wenn ich es ſelbſt ſo geſchrieben und beſtimmet haͤtte.
Und654Und nun, o mein hochgelobter Erloͤſer, er - greife ich mit einem lebendigen Glauben deinen verdienſtlichen Tod und Leiden, und hoffe in deinem theuren Blute von allen meinen Suͤnden rein gewaſchen zu werden. Wie leicht ſcheint mir, bloß in der Hoffnung der gluͤckſeligen Folgen hievon, dieſes Leiden, das mir einſt ſo ſchwer und traurig geweſen iſt! Jch ha - be das zuverſichtliche Vertrauen, daß es durch deine Gnade ein Mittel ſeyn wird, mir eine groͤßere und ewig wichtige Herr - lichkeit zu wirken!
Clariſſa Harlowe.
Jch habe eine ſehr betruͤbte Arbeit gehabt: das Teſtament der lieben Verſtorbenen zu leſen.
Die ungluͤckliche Mutter und Fr. Norton wollten bey der traurigen Gelegenheit nicht zuge - gen ſeyn. Allein Fr. Harlowe aͤußerte, als ihre inſtaͤndigſte Bitte, daß ein jeder Artikel davon vollzogen werden ſollte.
Die erſten Worte des Teſtaments: „ Jch „ Clariſſa Harlowe, die ich itzo wegen ſeltſamer „ und betruͤbter Zufaͤlle ꝛc. meinen Aufenthalt ha - „ be ꝛc. “erzwangen von einigen Thraͤnen, von an - dern Seufzer.
Die Anordnungen wegen ihres Begraͤbniſſes, es moͤchte nun erlaubt werden, daß ſie hinunter - gebracht wuͤrde, oder nicht; die Anzeige, daß ſie verordnet haͤtte, wie man ſie kleiden ſollte; und das geſetzte Gemuͤth, welches ſo augenſcheinlich durch und durch hervorleuchtet, brachten ſie zur Bewunderung, welche ſie mit aufgehobenen Haͤn - den und Augen und herabfließenden Thraͤnen an den Tag legten.
Als656Als ich die Verordnung las, „ daß ihr Leich - „ nam nicht zum Schau gegeben werden ſollte, „ ausgenommen wenn jemand von ihren Verwand - „ ten fuͤr gut finden moͤchte, ſie das letzte mal an - „ zuſehen: “wandten ſie ſich drey oder viermal wechſelsweiſe von mir weg, und wieder zu mir. Fr. Hervey und Fraͤulein Arabella hohlten tiefe Seufzer; die Onkels wiſchten ihre Augen, der Bruder ſahe vor ſich nieder; der Vater rang die Haͤnde.
Bey den Worten, „ daß ſie niemand ange - „ hoͤrte, “ward ich genoͤthigt abzubrechen.
Da ich aber auf die Anrede kam, die durch ein Papier an den verfluchten Menſchen geſche - hen ſollte, „ wo er nicht davon abzubringen waͤre, „ diejenige todt zu ſehen, die er ſchon ehemals ge - „ wiſſermaßen todt geſehen haͤtte “‒ ‒ gingen Fluͤ - che, und entweder Geluͤbde oder Wuͤnſche zur Rache, aus eines jeden Munde.
Dieſe wurden noch feuriger erneuret, da ſie leſen hoͤrten, wie ſie auch ſo gar dieſem Menſchen vergiebet.
Sie erinnern ſich, mein Herr, was ich da - mals, als wir zu London das Teſtament zum er - ſtenmal laſen, uͤber das unehrliche Verfahren, das die vortreffliche Fraͤulein von dem verruchten Menſchen offenbar erduldet hat, fuͤr Anmerkun - gen machte, und was ich bey der Gelegenheit ſagte. Jch bin nicht gewohnt, dergleichen Dinge zu wie - derhohlen.
Die657Die edle Geringſchaͤtzung der Fraͤulein gegen das Nichts, wie ſie es eben ſo edelmuͤthig nen - net, uͤber welches ſie ſo genaue Verordnungen ge - macht haͤtte, naͤmlich ihren Leib; und die Ent - ſchuldigung wegen der Weitlaͤuftigkeit dieſer ge - nauen Verordnung, die ſie von den Umſtaͤnden hernimmt, in welchen ſie geweſen ‒ ‒ hatten eben dieſelbe und eine eben ſo ſtarke Wirkung uͤber mich, als da ich dieſen lebhaften und faſt beſeelten Abſatz das erſte mal las: und wie mein Auge, das ich wechſelsweiſe auf ſie alle fallen lies, ihnen die Erinnerung dabey gab, ſo ruͤhrte er ſie auch alle.
Nachdem der Artikel geleſen war, welcher dem Vater des Großvaters Gut vermachet, nebſt dem dazu angegebenen Grunde, welcher ſo edel - muͤthig und ſo pflichtmaͤßig iſt: konnte der Vater nicht laͤnger ſitzen bleiben, ſondern ging weg; in - dem er ſeine Augen wiſchte, und ſeine Haͤnde ge - gen Herrn Jakob Harlowe aufhub, welcher auf - ſtand ihm bis zur Thuͤre zu folgen, wie Arabella gleichfalls that ‒ ‒ Alles, was er ſagen konnte, war dieß ‒ ‒ O Sohn, Sohn! ‒ ‒ O Maͤgd - chen! Maͤgdchen! ‒ ‒ als wenn er ihnen die Rollen, welche ſie geſpielet, und ihn zu ſpielen ver - leitet hatten, verweiſen wollte.
Jedoch bewieſen ſich dieſer Bruder und Schweſter bey einer und der andern Gelegenheit als wirkliche Beſtreiter des Teſtaments.
Die Zunge und Augen moͤgen ſagen, was ſie wollen, Herr Belford: die Vorleſung eines Te -Siebenter Theil. T tſtaments,658ſtaments, wo eine Perſon von betraͤchtlichem Ver - moͤgen geſtorben iſt, giebt gemeiniglich einen un - betruͤglichen Probierſtein der Liebe gegen die Ver - ſtorbenen ab.
Die Kleider, die dreyßig Guineas zur Trauer fuͤr Fr. Norton, nebſt der Empfehlung dieſer gu - ten Frauen zur Haushaͤlterinn auf dem Hayn, wurden fuͤr hinlaͤnglich gehalten, wenn auch der Punkt von 600 Pfund, den man etwas Ungeheu - res nannte, weggelaſſen waͤre. Einige andere Stellen in dem Teſtament wurden uͤbertriebene hochfliegende Einfaͤlle und ſolche ſeltſame Grillen, die Leute von großer Einbildungs - kraft von Perſonen von Verſtande unter - ſchieden, geſcholten.
Meiner Baſe Doͤrtchen Hervey ward der Buͤchervorrath be[n]eidet. Fraͤulein Harlowe ſag - te, weil ſie und ihre Schweſter niemals einerley Buͤcher gekauft haͤtten, wollte ſie ihn ſelbſt be - halten, und es mit ihrer Baſe Doͤrtchen auf eine, oder die andere Art, gut machen.
Jch bin willens, Herr Belford, Jhnen die Muͤhe, daß Sie ſich ins Mittel ſchlagen, zu er - ſparen. ‒ ‒ Der Buͤchervorrath ſoll meiner Ba - ſe Doͤrtchen zu Theil werden.
Fr. Hervey konnte kaum ſitzen. Jedoch ſag - te ſie bey dieſer Gelegenheit bloß, daß ihre ſelige liebe und allezeit liebe Enkelinn allzu guͤtig ge - gen ſie und ihre Tochter waͤre. Zu einer an - dern Zeit aber bezeugte ſie mit Thraͤnen, daß ſie ſich wegen eines Briefes, den ſie geſchriebenhaͤtte;659haͤtte(*)Man ſehe den III. Th. S. 383.; wobey ſie die Fraͤulein Arabella anſa - he, welche ſie, wie es ſcheint, ohne eines andern Wiſſen um Rath gefragt, ehe ſie geſchrieben; nicht vergeben koͤnnte: indem derſelbe, wie ſie ſag - te, ein Gemuͤth, das ſchon vorher, ſo viel ſie itzo ſaͤhe, nur allzu tief verwundet geweſen, noch tiefer verwundet haben muͤßte.
O meine liebe Tante, ſprach Arabella, nicht mehr davon! ‒ ‒ Wer haͤtte denken ſollen, daß die liebe Schweſter in einem ſo reuevollen Zuſtan - de geweſen waͤre?
Herr Johann und Herr Anton Harlowe wur - den durch die Artikel, welche ihnen vortheilhaft waren, und ohne das geringſte Wort oder Zeichen eines Vorwurfs und Gegenverweiſes Vermaͤcht - niſſe fuͤr ſie beſtimmeten, ſo ſehr geruͤhret, daß ſie anfingen, ſich ſelbſt anzuklagen, und bedaurten, daß ihre angenehme Baſe zu weit erhoben waͤre, irgend eine dankbare Erkenntlichkeit und einige Wiedervergeltungen anzunehmen.
Jn der That unterbrachen mich die Vorwuͤr - fe, die man ſich unter einander machte, und die Betruͤbniß aller Gegenwaͤrtigen bey denen Stel - len, wo eines jeden zum beſten gedacht war, ſo oft, daß die Vorleſung uͤber ſechs Stunden weg - nahm. Die Fluͤche uͤber den verfluchten Men - ſchen aber waren eine Zuflucht, zu der ſie ſich oft wandten, um ſich zu erleichtern.
Wie ſchmerzlich, Herr Belford, wie ſchmerz - lich verwundet eine edelmuͤthige und außerordent -T t 2liche660liche Vergebung! Was fuͤr eine Rache kann kraͤf - tiger und edler ſeyn: wenn das Abſehen auf Ra - che ginge und der Wunſch waͤre, einem ſchuldi - gen oder undankbaren Herzen das Gewiſſen zu ruͤhren! Allein meine liebe Baſe handelte aus gar keinem andern Bewegungsgrunde, als aus Gehorſam und Liebe. Sie ſcheint in Wahrheit die Liebe ſelbſt geweſen zu ſeyn, ſo viel es bey der Sterblichkeit moͤglich war: Liebe, welche durch eine reine Tugend, durch eine wahre Gemuͤths - zaͤrtlichkeit, deren ſich vor ihr ſchwerlich ein Frauen - zimmer ruͤhmen konnte, erhoͤhet war. O Herr Belford! was fuͤr ein lehrreiches Beyſpiel wuͤr - de ſie in allen Umſtaͤnden, als Frau, Mutter, Herrſchaft, Freundinn, gegeben haben: wenn ihr ein Mann zu Theil geworden waͤre, den der Himmel eben ein ſolches Gemuͤth, als ihr, verlie - hen haͤtte.
Die 600 Pfund, welche der Fr. Norton, der Buͤchervorrath, der der Fraͤulein Hervey, und die Gedaͤchtnißſtuͤcke, die der Fraͤulein Howe ver - macht waren, waren nicht die einzigen Artikel, woruͤber man murrete. Allein zu welchem En - de bedaurten ſie die Vermaͤchtniſſe an Geld: da das Capital fuͤr die Armen, und nicht ſie, den Vortheil gehabt haben wuͤrde, wenn dieſe Ver - maͤchtniſſe nicht beſtimmt geweſen waͤren?
Es ging genug vor, welches mich uͤberzeugte, daß meine Baſe vollkommen Recht gethan, da ſie zur Vollziehung ihres Teſtaments jemand au - ßerhalb der Familie gewaͤhlt hatte. Haͤtte ſie inder -661derſelben jemand gewaͤhlet: ſo, darf ich kuͤhnlich ſagen, wuͤrde auf ihr Teſtament nicht mehr geach - tet ſeyn, als auf den letzten Willen eines verſtor - benen Koͤnigs; als inſonderheit auf das Teſta - ment Ludwigs des XIVten, das ſo offenbar von ſeinem Enkel, dem Herzog von Orleans, ehe er noch einmal kalt war, gebrochen wurde; das ein - zige mal vielleicht, da der Wille dieſes Monar - chen Widerſpruch gefunden.
Allein Herr Jakob Harlowe bedenket gar nicht, daß, indem er nach Hunderten greift, er nach der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit Tauſender verluſtig gehen werde, wo er mich uͤberlebet. Ein ſo eigennuͤtziger und niedertraͤchtiger Menſch ſoll mein Erbe nicht ſeyn.
Sie werden ſich beſſer vorſtellen koͤnnen, Hr. Belford, als ich es ausdruͤcken kann, wie ſehr ſie bey dem gegebenen Wink, daß die liebe Fraͤulein genoͤthigt worden, einige von ihren Kleidern zu veraͤußern, geruͤhret wurden.
Stillſchweigende Vorwuͤrfe bemaͤchtigten ſich eines jeden unter ihnen: als ich zu der Stelle kam, wo ſie beruͤhret, daß ſie die Ausfuͤllung einiger leer - gelaſſenen Plaͤtze, in Hoffnung, den letzten Segen und Vergebung von ihnen zu erlangen, verſcho - ben habe.
Jch will nur noch dieſes beyfuͤgen, daß es ihnen unertraͤglich war, den Beſchluß anzuhoͤren, der mit ſo feyerlichem Nachdruck an ihren Erloͤ - ſer gerichtet iſt. Sie ſtunden alle von ihren Stuͤhlen auf und eilten haufenweiſe aus demT t 3Zim -662Zimmer, worinn wir waren. Sie gingen dar - auf, wie ich hernach befand, alle aus einander, um in der Einſamkeit denjenigen Troſt zu ſuchen, den ſie zwar von ihrem eignen Nachſinnen nicht hoffen konnten, aber doch damals noch weniger Urſache hatten in ihrer Geſellſchaft bey einander zu erwarten. Jch bin, mein Herr,
Jhr getreuer und gehorſamer Diener, Wilh. Morden.
Jch beſorge gar ſehr, daß die Sache, welche zwiſchen dem Herrn Lovelace und der wey - land vortrefflichen Fraͤulein Clariſſa Harlowe vor - gegangen iſt, fernere uͤble Folgen haben werde: ungeachtet ſie auf ihrem Todbette das Gegentheil aufs nachdruͤcklichſte empfohlen hat. Jch woll - te daher gehorſamſt vorſchlagen, daß Jhre Gna - den und ſeine andern Verwandten den Vorſatz, welchen Jhr Vetter noch vor kurzem gehabt, auf Reiſen zu gehen, befoͤrdern moͤchten: worauf erhoffentlich663hoffentlich ſo lange bleiben wird, bis alles verrau - chet iſt. Da er aber nicht aus der Stelle gehen wird, wo er die eigentlichen Bewegungsgruͤnde zu Jhren Wuͤnſchen erfaͤhret: ſo kann etwa, wie ich hievon ſchon einmal dem Herrn Mowbray ei - nen Wink gegeben habe, aͤußerlich ſeine Geneſung am Leibe und am Gemuͤthe zur Bewegurſache dienen. Dem Herrn Mowbray und Herrn Tourville ſind alle Laͤnder gleich: und ſie werden ihm vielleicht Geſellſchaft leiſten.
Es iſt mir lieb zu hoͤren, daß er in der Beſ - ſerung iſt: allein dieß beweget mich um ſo viel mehr auf die Sache zu dringen; und ich glaube, es muͤßte keine Zeit verſaͤumet werden.
Jhre Gnaden haben gehoͤret, daß ich die Eh - re habe, den letzten Willen dieſer bewundernswuͤr - digen Fraͤulein zu vollziehen. Jch ſchreibe aus demſelben folgenden Abſatz hierher.
Da mein Lord das Chiragra in der rechten Hand hat: ſo haben Jhre Gnaden nebſt der Lady Sarah und der Lady Eliſabeth mir be - fohlen, Jhnen zu melden, daß Herr Lovelace ſich ſchon, ehe Jhr Brief angekommen, zu einer Reiſe in fremde Laͤnder angeſchickt habe. Wir werden aus den Bewegurſachen, die Sie angeben, uns bemuͤhen, ſeine Abreiſe zu beſchleunigen.
Der Tod der lieben Fraͤulein hat uns alle aͤußerſt betruͤbet. Die Lady Eliſabeth und Lady Sarah, ſind beſtaͤndig, ſeit dem ſie davon Nach - richt gehabt, unpaͤßlich geweſen. Sie hatten ſich ſchon gefreuet, wie auch meine Schweſter, und ich ſelbſt, gethan habe, weil ſie ſich Hoffnung mach - ten, nach ſeiner Abreiſe, die Bekanntſchaft und Freundſchaft mit ihr, unter ihr ſelbſt beliebigen Bedingungen, zu unterhalten und zu vermehren. Jhr guͤtiges Andenken eines jeden von uns hat unſere Betruͤbniß uͤber einen ſo unerſetzlichen Ver - luſt zwar nicht erhoͤhen koͤnnen, aber ſie dennoch erneuret. Wir werden Herrn Finchen, unſermGold -665Goldſchmiede, auftragen, zu Jhnen zu gehen. Er weiß unſern Willen wegen der Ringe. Sie wer - den lange, lange, zum Andenken der lieben Per - ſon, die ſie vermacht hat, getragen werden.
Jedermann iſt verſichert, daß Sie alles moͤg - liche thun werden, weitere uͤble Folgen von die - ſer betruͤbten Sache zu verhuͤten. Mein Lord hat befohlen, ſeine Empfehlung an Sie zu ma - chen. Jch bin, mein Herr,
Jhre gehorſame Dienerinn Ch. Montague.
Weil dieſe Sammlung weit ſtaͤrker angewach - ſen iſt, als man gewuͤnſchet: ſo hat man fuͤr gut gehalten, verſchiedne Briefe, die zwiſchen dem Obriſt Morden, der Fraͤulein Howe, dem Herrn Belford und Herrn Hickmann wegen der Vollziehung des Teſtaments ꝛc. gewechſelt wor - den, wegzulaſſen.
Jnzwiſchen iſt doch noͤthig, dieſer Sache we - gen zu bemerken, daß die ungluͤckliche Mutter mit Huͤlfe der beyden Onkels, uͤber den betruͤbten Va - ter ſo viel vermochte, daß er alle Einwendungen ſeines Sohnes fuͤr unguͤltig erklaͤrte, eine buchſtaͤb - liche Vollziehung des Teſtaments anbefahl, und zu gleicher Zeit alle die Gelder, welche er durch daſſelbe ſich wieder erſtatten zu laſſen berechtigt war, aufgab, auch die Begraͤbnißkoſten zu tragen uͤbernahm.
T t 5Herr666Herr Belford verband ſich die Fraͤulein Ho - we durch ſeine Standhaftigkeit, Billigkeit und Geſchwindigkeit, wie auch durch ſeine Bereitwil - ligkeit zu der verordneten Sammlung das ſeinige beyzutragen, ſo ſehr, daß ſie ſich mit ihm, als ei - nem, der an ihrer geliebten Freundinn Stelle war, freywillig in einen Briefwechſel einließ, bey deſſen Fortgange er ihr die Briefe, welche zwiſchen ihn und Herrn Lovelacen gewechſelt wurden, im Ver - trauen, und, mit des Obriſt Mordens Einwilli - gung, auch diejenigen, die zwiſchen dieſem Herrn und ihm gewechſelt wurden, mittheilte.
Er ſchickte mit dem erſten Packet von Brie - fen, die er aus der unleſerlichen Schreibart mit abgekuͤrzten Zuͤgen in eine leſerliche gebracht und fuͤr die Fraͤulein Howe abgeſchrieben hatte, einen Brief an Herrn Hickmann, vom 16ten Septemb. worinn er ſich auf folgende Art ausdruͤcket.
„ Allein, mein Herr, ich haͤtte bey dieſem Pa - „ cket einen Brief weglaſſen ſollen. Es iſt der, „ welcher die Unterredung zwiſchen Jhnen und „ Herrn Lovelacen in Herrn Dormers Hauſe be - „ trifft(*)Man ſehe den VI. Theil, S. 401. u. f.. Herr Lovelace geht in demſelben mit ei - „ ner gewiſſen Leichtfertigkeit mit Jhnen um, wel - „ che weder Jhre Perſon, Jhre Gemuͤthsart, noch „ der Jhnen geſchehene Auftrag verdiente: aber „ das war ſeine gewoͤhnliche Art wie er es mit al - „ len denen machte, deren Gewerbe ihm nicht an - „ ſtand. Jch hoffe, mein Herr, Sie werden zu „ viel Großmuth beſitzen, daß Sie dieſer Brief „ beunruhigen koͤnnte, wenn die Fraͤulein Howe„ Jhnen667„ Jhnen denſelben zeigen ſollte: und zwar um ſo „ viel mehr, da es unmoͤglich iſt, daß Jhnen des - „ wegen bey ihr ein Nachtheil zuwachſen moͤchte. “ Darauf entſchuldigt er den Herrn Lovelace als ei - nen nicht uͤbelgeſinnten Menſchen bey allen ſeinen Fehlern, und fuͤhret Beyſpiele an, daß er noch weit freyer gegen ſich ſelbſt verfahre.
Dieß beantwortet Herr Hickmann in ſeinem Briefe vom 18ten alſo:
„ Was des Herrn Lovelacens Betragen gegen „ mich in dem Briefe, deſſen Sie Erwaͤhnung zu „ thun belieben, anlanget: ſo werde ich mich dar - „ um nicht bekuͤmmern, es mag ſeyn, wie es will. „ Jch ging ſo zu ihm, daß ich mich auf eine wun - „ derliche Begegnung gefaßt gemacht hatte: und „ war in meiner Vermuthung nicht betrogen. Jch „ ſchließe in allen ſolchen Faͤllen, wie dieſer iſt, eben „ ſo bey mir, wie die Fraͤulein Howe, nach Maaß - „ gebung ihrer allezeit werthen Freundinn, ſchlieſ - „ ſet: Wo die widrigen Anmerkungen uͤber „ mich gerecht ſind: ſo muß ich ſie nicht al - „ lein dem, der ſie macht, vergeben, ſondern „ mich auch dadurch zu beſſern ſuchen. „ Sind ſie aber ungerecht: ſo muß ich ſie, und „ ihren Urheber dazu, billig verachten; in - „ dem es nicht zu entſchuldigen ſeyn wuͤrde, „ einen Feind, deſſen Bosheit durch Verach - „ tung entwaffnet werden koͤnnte, durch „ Zorn darinn zu beſtaͤrken. Und uͤber dieß „ wuͤrde es mir faſt leid ſeyn, wenn ich finden ſoll - „ te, daß ein Menſch, der mit einem Frauenzim -„ mer,668„ mer, das eine Zierde ihres Geſchlechts und der „ menſchlichen Natur war, ſo umgehen konnte, „ als er gethan hat, von mir wohl geſprochen „ haͤtte.
„ Jch danke Jhnen, inzwiſchen, mein Herr, „ ſetzt er hinzu, fuͤr die Achtung, welche Sie in „ dieſem Stuͤcke gegen mich beweiſen: gleichwie „ auch fuͤr Jhre ganze Zuſchrift, die mir eine ſo „ erwuͤnſchte Probe von derjenigen Freundſchaft „ giebt, deren Sie mich damals, als ich zuletzt in „ London war, zu verſichern mir die Ehre erzeig - „ ten, und die ich eben ſo aufrichtig annehme, als „ zu unterhalten und zu vermehren wuͤnſche.
Die Fraͤulein Howe bedankt ſich in ihrem Schreiben vom 20ten fuͤr die Briefe, und Pa - piere und Vermaͤchtniſſe, die ihr mit des Herrn Belfords Briefe an Herrn Hickmann zugeſchickt waren, und verſichert ihn „ daß dasjenige, was er „ ihr mittheilet, nicht anders gebraucht werden ſoll, „ als wie er es genehm halten wird.
Er hatte das Herzeleid der harloweiſchen Fa - milie mit Bezeugung einiges Mitleidens beruͤh - ret ‒ ‒ „ Leute von mitleidiger Gemuͤthsart, „ ſchreibt ſie darauf, moͤgen Mitleiden mit ihnen „ haben. Jch bin nicht von dieſen. Sie, glau - „ be ich, haben auch Mitleiden mit dem hoͤlliſchen „ Kerl: da ich ihm unterdeſſen nur ſeine Raſerey „ beneide; weil ſie ihn der Gewiſſensangſt berau - „ bet, die ihn, wie ich hoffe, nach ſeiner Geneſung „ niemals verlaſſen wird. Bisweilen, mein Herr, „ erlauben Sie es mir zu ſagen, haſſe ich Jhr„ ganzes669„ ganzes Geſchlecht um ſeinetwillen: ſelbſt Maͤn - „ ner von untadelhafter Gemuͤthsart; welche ich „ zu ſolchen Zeiten nicht anders anſehen kann, „ als wie Leute, die ich noch nicht ergruͤndet „ habe.
„ Wo meiner lieben Freundinn eigne Juwe - „ len, faͤhrt ſie fort, zum Verkauf an Sie geſchickt „ werden: ſo bitte ich mir zu erlauben, daß ich die „ Kaͤuferinn ſeyn moͤge, zu dem hoͤchſten Preiſe „ ‒ ‒ Von der Halsſchnur und dem Kreuze in - „ ſonderheit.
„ O wie viele Thraͤnen koſtete mich die Durch - „ leſung des Teſtaments von meiner Geliebten! „ ‒ ‒ Allein ich muß die herznagende Sache nur „ nicht beruͤhren. Jch kann weder davon anfan - „ gen noch dabey beſchließen, ohne mit Verfluchung „ des Boͤſewichts, den alle Welt verfluchen muß.
Herr Belford verſpricht in ſeiner Antwort, daß ſie die Kaͤuferinn zu den Juwelen ſeyn ſoll, wo ſie ihm in die Haͤnde kommen.
Er meldet ihr, daß die Familie dem Obriſt Morden die Schluͤſſel zu allem dem gegeben haͤt - te, was der lieben Verſtorbenen zugehoͤret; daß die ungluͤckliche Mutter befohlen, wie das Teſta - ment erlaubet, ein Stuͤck von der geſtickten Ar - beit fuͤr ſie aufzuheben; daß ſie Fr. Norton er - ſucht, das kleine Buch von geiſtlichen Betrach - tungen abſchreiben und ſie das Urſtuͤck behalten zu laſſen, weil das alles waͤre, was ſie von ihrer lieben Tochter Hand geſchriebenes haͤtte, und ihr, wenn ſie es ertragen koͤnnte, hineinzuſehen, Troſtgeben670geben moͤchte; und daß endlich ſie ſich auch ihr Gemaͤhlde nach Vandykens Art vorbehalten haͤtte.
Herr Belford ſchickt mit dieſem Briefe an die Fraͤulein, Howe auch das Tagebuͤchlein der Fraͤulein und verſpricht, ihr die Abſchriften von den verſchiedenen hinterlaſſenen Briefen, die nach ihrem Tode erſt zu beſtellen geweſen ſind, zu ſen - den. Er meldet ihr, daß er den hinterlaſſenen Brief an Herrn Lovelace, weil es mit ihm in der Beſſerung waͤre, in einem Einſchluſſe an den Lord M. geſchickt haͤtte, damit ſeine Gnaden ihm den - ſelben geben moͤchten, wie ſie finden wuͤrden, daß er es ertragen koͤnnte. Folgendes iſt eine Abſchrift von dem Briefe.
Jch habe Jhnen in dem Briefe, den ich verwi - chenen Dienſtag an Sie ſchrieb(*)Man ſehe den III. Brief dieſes gegenwaͤrtigen Theils. Der Leſer kann nach dem angezeigten Ta - ge, da dieſer Brief geſchrieben iſt, bemerken, daß er binnen zween Tagen nach dem verbluͤmten Briefe, worauf er ſich beziehet, geſchrieben worden: als die Fraͤulein unter der zugenommenen Unpaͤßlichkeit lei -den, geſagt, daß Jhnen noch einer zugeſchickt werden ſollte, wenn ich in meines Vaters Haus gekommenwaͤre.671waͤre. Jch darf wohl ſagen, daß ich itzo, da Sie dieß empfangen, daſelbſt angekommen bin, und la - de Sie ein, mir zu folgen, ſo bald als Sie zu ei - ner ſo großen Reiſe vorbereitet ſeyn koͤnnen.
Jch will nicht weiter verbluͤmt reden ‒ ‒ Mein Schickſal iſt itzo, da Sie dieſes leſen, voll - endet. Mein Urtheil iſt unveraͤnderlich beſtim - met: und ich bin entweder ein ungluͤckſeliges, oder ein gluͤckſeliges Geſchoͤpfe in alle Ewigkeit. Bin ich gluͤckſelig: ſo habe ich es allein der goͤtt - lichen Barmherzigkeit zu danken. Bin ich aber ungluͤckſelig: ſo iſt Jhre unverdiente Grauſam - keit daran ſchuld ‒ ‒ Bedenken Sie nun um Jhrer ſelbſt willen, froͤhlicher, grauſamer, flatter - hafter, ungluͤckſeliger Menſch! bedenken Sie, ob die unmenſchliche und treuloſe Begegnung, welche mir von Jhnen widerfahren iſt, es wohl verlohnte,daß(*)den mußte, welches von dem Uebereilen und Schre - cken, worinn Herr Lovelace ſie geſetzet hatte, um ſei - nen Beſuch zu vermeiden, den er ſich ſo ernſtlich vor - genommen, in Smithens Hauſe bey ihr abzulegen, veranlaſſet war ‒ ‒ So fruͤhe iſt er vielleicht des - wegen geſchrieben, damit ſie nicht von dem Tode in einem ſcheinbaren Bruch ihres Wortes uͤbereilt wer - den moͤchte. So hoch ſich auch ihr chriſtlicher Geiſt in dieſem Briefe hebet: ſo hat doch der Leſer in dem XLVIII Briefe und in andern Stellen geſehen, daß dieſer er - habne Geiſt ſie noch zu einem weit goͤttlichern Swun - ge gebracht, da ſie ihrem Ende naͤher gekommen.672daß Sie Jhre unſterbliche Seele deswegen in Ge - fahr ſetzten: da Jhre gottloſen Abſichten nicht anders, als durch den vorſetzlichen Bruch der feyerlichſten Geluͤbde, die jemals von einer Manns - perſon gethan ſind, und mit Huͤlfe einer Gewalt - thaͤtigkeit und Schandthat, die einem Weſen von menſchlicher Natur unanſtaͤndig iſt, ins Werk zu richten waren.
Jch wuͤnſche daher noch einmal, daß Sie beyzeiten Jhren Wandel bedenken moͤgen. Jhr ſchmeichelhafter Traum kann nicht lange waͤhren. Jhre gegenwaͤrtige Lebensart kann Jhnen nicht laͤnger Vergnuͤgen machen, als ſo lange Sie ſich alles Nachſinnens oder Ueberlegens erwehren koͤnnen. Eine verſtockte Unempfindlichkeit iſt der einzige Grund, worauf Jhre innerliche Ruhe gebauet iſt. Wenn einmal eine gefaͤhrliche Krank - heit uͤber Sie kommt; wenn einmal kraͤftige Ge - wiſſensangſt bey Jhnen ausbricht: wie erſchreck - lich wird alsdenn Jhr Zuſtand ſeyn! Wie elend werden Sie alsdenn den Sieg befinden, daß Sie im Stande geweſen ſind, durch eine Reihe von ſcheuslichen Meineiden und ausgeſonnenen Schandthaten, unter dem Namen der Galanterie oder liſtiger Streiche, ein armes unerfahrnes jun - ges Frauenzimmer zu beruͤcken, das vielleicht, bis es Sie kennen lernte, von nichts als von ihrer Pflicht wußte! ‒ ‒ Sie werden ſich nicht einer guten Handlung in der Stunde der Angſt zu er - innern haben, nicht eine rechtſchaffene Abſicht wiſ - ſen, darauf Sie ſich beſinnen koͤnnten. Alles wirdGewiſ -673Gewiſſensunruhe und Schrecken ſeyn: und Sie werden wuͤnſchen, daß es Jhnen frey ſtuͤnde, ſich um die Vernichtung zu vergleichen, um nur da - mit los zu kommen.
Bedenken Sie, mein Herr, daß ich zu dem, was ich ſchreibe, keine andere Bewegurſache ha - ben kann, als ihren eignen Vortheil und die Si - cherheit anderer unſchuldigen Perſonen, die durch Jhre gottloſe Kuͤnſte und Meineide ins Garn ge - zogen werden koͤnnen. Sie finden in meinen Wuͤnſchen fuͤr Jhre kuͤnftige Wohlfarth nicht die Wuͤnſche einer flehenden Gattinn, welche Sie, ſo wohl um ihrer ſelbſt willen als um Jhretwillen, zu bewegen ſuche, daß Sie dieſen Wandel beſſern moͤgen. Nein, meine Wuͤnſche ſind ohne Abſicht auf irgend einen Vortheil fuͤr mich ſelbſt, und unverdienet. Allein ich wuͤrde meiner eignen Buße nicht trauen: wenn ich im Stande waͤre zu wuͤnſchen, Boͤſes mit Boͤſem zu vergelten ‒ ‒ wenn, ſo ſcheuslich auch Jhre Beleidigungen ge - gen mich geweſen ſind, ich nicht eben ſo vergeben koͤnnte, als ich wuͤnſche, daß mir vergeben werde.
Jch wiederhohle daher, daß ich Jhnen ver - gebe. Gott der Allmaͤchtige wolle Jhnen auch vergeben! Jch habe ſo gar, indem ich dieſes ſchrei - be, keinen andern hauptſaͤchlichen Verdruß, als den mir der Kummer macht, welchen ich meinen Eltern verurſachet habe, die ſo lange, bis ich Sie kennen lernte, die guͤtigſten Eltern von der Welt waren; den mir das Aergerniß macht, welches ich den andern Zweigen von meiner Familie ge -Siebenter Theil. U ugeben;674geben; den mir die Schande macht, welche ich meinem Geſchlechte zugezogen; und den mir die Beleidigung macht, welche ich durch meinen Fall der Tugend zuwege gebracht habe.
Was mich ſelbſt betrifft: ſo haben Sie mich nur meiner liebſten Hoffnung in dem voruͤberge - henden Leben, das ich werde aufgegeben haben, wenn Sie dieſes empfangen, beraubet. Sie ſind bloß die Urſache geweſen, daß ich in der Bluͤ - te meiner Jugend hingeriſſen bin, und ein Leben abgekuͤrzet iſt, das vielleicht mir oder andern haͤt - te angenehm ſeyn koͤnnen, wie es den Abſichten und Zwecken der Vorſehung gemaͤß geweſen waͤ - re. Jch habe Urſache, dankbar zu ſeyn, daß ich vor dem Ungluͤck weggenommen bin, mein Theil an einem Joche mit einem ſo ungluͤckſeligen Manne, will ich nur ſagen, zu ziehen, daß, nach aller Wahrſcheinlichkeit, eine jede Stunde, die ich mit ihm gelebt haͤtte, eine neue Unruhe mit ſich gebracht haben moͤchte. Ja ich bin in der That durch hartes Leiden und Truͤbſal eine Schuldne - rinn von Jhnen; jedoch nur in ſo fern Sie, wie ich mich in Demuth zu hoffen unterſtehe, bloß eine Nebenurſache ſind; fuͤr ſo viele Jahre der Herrlichkeit, als Jahre der Gefahr, Verſuchung und Angſt geworden ſeyn moͤchten, wenn ſie mei - nem ſterblichen Leben zugeſetzet waͤren.
So, mein Herr, haben Sie mir, ob gleich Jhre Abſicht und Geſinnung keinen Dank verdienet, einen wirklichen Dienſt gethan: und ich wuͤnſche Jhnen dafuͤr wieder, daß Sie gluͤck -lich675lich ſeyn moͤgen. Allein bisher iſt Jhr Leben ſo beſchaffen geweſen, daß Sie keine Zeit verſaͤumen muͤſſen, Jhre Buße anzufangen. Buße bey ſol - chen Leuten, die nur ſorglos gelebet und ihre or - dentliche Pflichten unterlaſſen, niemals aber arme unſchuldige Perſonen ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen ge - ſucht haben, iſt kein ſo leichtes Werk und nicht ſo ſehr in unſerer Gewalt, als ſich einige einbilden. Was fuͤr eine ſchwer zu erhaltende Gnade muß ſie denn da ſeyn, wo die Schuld vorſetzlich, frey - willig und mannichfaltig iſt!
Wenn ich ſagen ſoll, daß ich Sie einſtens vor - zuͤglich geachtet habe: ſo iſt das ein Bekenntniß, wovor ich billig erroͤthen muß; indem ich Sie eben damals im geringſten nicht fuͤr tugendhaft hielte, ob ich mir gleich gar nicht in den Sinn kommen ließ, daß Sie, oder in der That eine le - bendige Seele, ſo ſeyn koͤnnte, wie Sie ſich bewie - ſen haben. Allein, in Wahrheit, mein Herr, ich bin lange weit uͤber Sie hinaus geweſen: denn von ganzem Herzen habe ich Sie und alle Jhre Arten zu handeln, ſeitdem ich geſehen, was fuͤr ein Menſch Sie waͤren, allezeit verachtet.
Es iſt auch nicht zu verwundern, daß ich es zu thun im Stande ſeyn ſollte: da der Vorzug, den ich Jhnen gegeben hatte, auf keine unedle Be - wegungsgruͤnde gebauet war. Denn ich hatte Schwachheit und Einbildung genug, mir Hoff - nung zu machen, daß ich in den Haͤnden der Vor - ſehung ein Werkzeug ſeyn wuͤrde, einen Men -U u 2ſchen676ſchen auf beſſere Wege zu bringen, den ich des Verſuchs wuͤrdig hielte.
Noch itzt habe ich nicht alle Hoffnung von der Art aufgegeben: wie Sie aus der Muͤhe, die ich mir bey dieſer feyerlichen Gelegenheit gebe, Sie aus Jhrem ſinnlichen Traume zu erwecken, ſehen werden.
Hoͤren Sie mich alſo, o Lovelace, als eine, die von den Todten zu Jhnen redet ‒ ‒ Verſaͤumen Sie keine Zeit ‒ ‒ ‒ Fangen Sie den Augen - blick Jhre Buße an ‒ ‒ Bleiben Sie nicht laͤn - ger das Werkzeug des Satans, arme Seelen in dieſe feine und verſteckte Fallſtricke, die zuletzt Jh - re eigne Fuͤße verwickeln werden, zu ziehen. Su - chen Sie nicht Jhre Schulden ſo weit zu haͤufen, daß es der goͤttlichen Gnade, ſo zu ſagen, nicht moͤglich iſt, ſie zu vergeben: da die Gerechtig - keit nicht weniger eine Eigenſchaft des Allmaͤchti - gen iſt, als die Barmherzigkeit.
Erzittern Sie und beſſern ſich, wann Sie le - ſen, was der Gottloſen Theil von Gott ſey. So ſteht es geſchrieben:
„ Das Triumphiren des Gottloſen iſt kurz: „ und die Freude des Heuchlers waͤhret nur einen „ Augenblick. Er wird durch ſeine eigne Fuͤße „ ins Netz gezogen ‒ ‒ Er geht auf einem Fall - „ ſtrick. Schrecken wird ihn an allen Seiten in „ Furcht ſetzen und zu ſeinen Fuͤßen treiben. Sei - „ ne Staͤrke ſoll vom Hunger aufgerieben werden, „ und Vernichtung ſoll bereit zu ſeiner Seiten ſte - „ hen. Der Erſtgebohrne des Todes ſoll ſeine„ Staͤrke677„ Staͤrke verzehren. Sein Angedenken wird von „ der Erden vertilget werden: und er wird auf „ den Straßen keinen Namen haben. Er wird „ aus der Welt gejaget werden. Er wird weder „ Sohn noch Enkel unter ſeinem Volke haben. „ Diejenigen, die ihn geſehen haben, werden ſagen: „ Wo iſt er? Er ſoll dahin fliehen wie ein Traum: „ er ſoll verjaget werden, wie eine Erſcheinung zur „ Nachtzeit. Seine Speiſe iſt die Galle der „ Nattern in ihm. Er wird vor den eiſernen „ Waffen fliehen: und der Bogen von Stahl wird „ ihn durchſchießen. Ein Feuer, das nicht auf - „ geblafen iſt, wird ihn verzehren. Der Himmel „ wird ſeine Bosheit aufdecken und die Erde wird „ ſich wider ihn erheben. Der Wurm wird ein „ ſuͤßes Futter an ihm haben. Seiner wird nicht „ mehr gedacht werden. ‒ ‒ So wird es dem ge - „ hen, der Gott nicht kennet. “ ‒ ‒
Wenn Sie jemals geneigt ſeyn werden, die heilige Offenbarung, woraus die obigen Drohun - gen gezogen ſind, zu Rathe zu ziehen: ſo werden Sie Lehrſaͤtze und Spruͤche finden, an denen ſich ein wahrhaftig bußfertiges und zerſchlagenes Herz zu ſeinem Troſte halten kann.
Daß Jhr Herz, Herr Lovelace, ſo werden, und Sie geſchickt ſeyn moͤgen, dem Verhaͤngniſſe, das den Gottloſen verkuͤndiget iſt, zu entgehen, und auf die Barmherzigkeit eines langmuͤthigen und gnaͤdigen Gottes ein Recht zu haben, iſt das aufrichtige Gebeth von
Clariſſa Harlowe.
Seit dem ungluͤcklichen ſiebenden dieſes Mo - naths, bin ich allezeit mir ſelbſt und aller Freude des Lebens geraubet geweſen. Jch haͤtte noch weiter als auf den ungluͤcklichen ſiebenden zuruͤckgehen moͤgen, den ich in Zukunft nicht an - ders als in Trauer jaͤhrlich wiederkommen ſehen will: nur hatte ich doch bis auf den verfluchten Tag noch einige Strahlen der Hoffnung, die bis - weilen auf mich ſchoſſen.
Man ſagt mir von einem wunderlichen Brie - ſe, den ich an euch geſchrieben habe(*)Man ſehe den vorhergehenden LXXVI. Brief.. Jch be - ſinne mich wohl, daß ich geſchrieben: aber, was ich geſchrieben, davon beſinne ich mich ſehr wenig.
Jch bin in einem verfluchten Zuſtande gewe - ſen. Mich deucht, es hat etwas auf eine ſeltſa - me Art zu meiner Strafe gewirket, um mir alles zu vergelten. Jch bin niemals ein ſolcher Narr geweſen, daß ich eine Vorſehung geleugnet haͤtte: jedoch iſt es auch nicht meine Weiſe, alles, was auf eine Zeitlang wie Rache ausſiehet, auf ein goͤttliches Gericht hinauszuleiten. Wo mir aberhier,679hier, oder nach dieſem fuͤr unſere Miſſethaten geſtraft werden muͤſſen: ſo iſt es beſſer hier, als nach dieſem. Jſt mir denn nicht daran gele - gen, daß ich gedenke, meine Strafe ſey nicht allein ſchon angegangen, ſondern auch vollendet: indem das, was ich gelitten habe, und noch leide, nicht zu beſchreiben iſt?
Jch will nur ein Beyſpiel anfuͤhren, wie mir vergolten iſt ‒ ‒ Jch, der ich auf eine unmenſch - liche Art dem Frauenzimmer, das ihres gleichen nicht hat, auf eine ganze Woche den Verluſt der Sinne verurfachte, bin hier mit dem Verluſt mei - ner eignen Sinne geſtraft worden ‒ ‒ Als eine Vorbereitung zu ‒ ‒ Wer weiß, was? ‒ ‒ Wann, o wann werde ich eine frohe Stunde haben?
Jch werde, als ausnehmend ſchwach, gehal - ten: und ausnehmend ſchwach bin ich auch. Der hinterlaſſene Brief von dem lieben Kinde liegt mir feſt im Sinne. Alle ihre trefflichen Vorzuͤge kommen mir ſtuͤndlich in die Gedanken.
Dennoch darf ich dieſen traurigen Gedanken nicht nachhaͤngen. Jch finde, daß mein Kopf wieder wunderlich arbeitet. ‒ ‒ Weg, Feder!
Jch fange wieder an mit einem frohern Muth, hoffe ich ‒ ‒ Mowbray und Tourville haben eben itzo ‒ ‒
Aber was Mowbray und Tourville! ‒ ‒ Was iſt die Welt? ‒ ‒ Was iſt ein jeder in derſelben?
U u 4J〈…〉〈…〉680Jedoch ſind ſie um des letzten Briefes willen, den du an ſie geſchrieben haſt(*)Dieſer Brief iſt nicht vorhanden., ſehr erbittert ‒ ‒ der ſo unfreundlich, ſo unbarmherzig ‒ ‒
Allein es will nicht gehen! ‒ ‒ Jch muß meine Feder wiederum niederlegen ‒ ‒ O Bel - ford, Belford! Jch bin noch, ich bin noch, auf die klaͤglichſte Weiſe, außer mir ſelbſt! Jch werde niemals, niemals wieder ſeyn, was ich geweſen bin!
Sonnabends, Sonntags, nichts gethan. Nicht im Stande zu irgend etwas ‒ ‒
Schwer, verdammt ſchwer, und krank in der Seele, beym Jupiter! ‒ ‒ Jch muß mir ihren Vorſchlag gefallen laſſen. Jch muß ſe - hen, was die Veraͤnderung der Himmelsgegend thun will.
Jhr ſchwatzt dieſen Kerln, ihr ſchwatzt mir von Buße und Beſſerung vor. ‒ ‒ Mir iſt kei - nes von beyden moͤglich. Wem es moͤglich iſt, der muß nicht den Tod einer Clariſſa Harlowe zu verantworten haben ‒ ‒ Harlowe! ‒ ‒ Ver - flucht ſey der Name! ‒ ‒ Und verflucht ich ſelbſt, daß ich ihn nicht veraͤndert habe, wie ich haͤtte thun moͤgen! ‒ ‒ Jedoch ich habe nicht noͤthig, einen Fluch uͤber mich ſelbſt zu erzwingen ‒ Jch habe ihn ſchon wirklich auf mir.
„ Wenn681„ Wenn ich ſagen ſoll, daß ich ſie einſtens vor - „ zuͤglich geachtet habe “(*)Man ſehe den unmittelbar vorhergehenden Brief. ‒ ‒ Jn was fuͤr einer gezwungenen Sprache druͤckt ſich die juͤngferliche Sittſamkeit bey ſolchen bedenklichen Vorfaͤllen aus! ‒ ‒ Wenn ich ſagen ſoll, daß ich ſie einſtens geliebet habe ‒ ‒ ſo heißt es auf deutſch, und ſo iſt der Ausdruck wahr und unge - zwungen ‒ ‒ „ Wenn ich ſagen ſoll, daß ich ſie „ einſtens geliebet habe “‒ ‒ alsdenn mag es ſeyn ‒ ‒ „ ſo iſt das ein Bekenntniß, wovor ich „ billig erroͤthen muß. “
Und geſtehſt du es dann? ‒ ‒ Vortreffliche Fraͤulein! geſtehſt du es dann? ‒ ‒ Was fuͤr ein muſikaliſcher Wohlklang liegt in dieſen Worten, wenn ſie aus dem Munde eines ſolchen Engels kommen! ‒ ‒ Was wollte ich darum geben, daß ſie am Leben waͤre und geſtehen koͤnnte und woll - te, daß ſie mich liebte?
„ Allein, in Wahrheit, mein Herr, ich bin lan - „ ge weit uͤber Sie hinaus geweſen. “
Lange, meine ſelige Schoͤne! ‒ ‒ Jn Wahr - heit, lange ‒ ‒ denn ſie ſind allezeit weit uͤber mich, und weit uͤber ihr Geſchlecht, und weit uͤber alle Welt erhaben geweſen.
„ Dieſer Vorzug war nicht auf unedle Bewe - „ gungsgruͤnde gebauet. “
Was fuͤr ein nichtswuͤrdiger Boͤſewicht bin ich geweſen, da ich ſo vorzuͤglich von ihr geachtetU u 5wor -682worden und doch ihrer Hoffnung, mich auf beſſe - re Wege zu bringen, ſo unwuͤrdig geweſen bin!
Wie edel ſind ihre Bewegungsgruͤnde! Nicht bloß um ihretwillen, nicht gaͤnzlich um meinet - willen hoffete ſie mich auf beſſere Wege zu brin - gen: ſondern eben ſo viel auch um der Unſchuldi - gen willen, die ſonſt von mir ungluͤcklich gemacht werden moͤchten.
Und warum ſchrieb ſie nun dieſen Brief, und warum befahl ſie, daß er mir eingehaͤndigt wuͤrde, nachdem der beweinenswuͤrdigſte Erfolg zur Wirklichkeit gekommen waͤre? Warum an - ders, als zu meinem Beſten, und mit einer Ab - ſicht auf die Sicherheit der Unſchuldigen, die ſie nicht gekannt hat? ‒ ‒ Und wann ward dieſer Brief geſchrieben? War es nicht zu der Zeit, eben zu der Zeit, da ich ſie, ſo zu ſagen, von einem Or - te zum andern verfolgt hatte; da ihre Seele durch Truͤbſal und Verfolgung niedergedruͤckt; und ihr ſelbſt von den unverſoͤhnlichſten Verwandten alle Vergebung verſaget wurde?
Erhabene Seele! ‒ ‒ Konnteſt du zu einer ſolchen Zeit, und ſo fruͤhe und unter ſolchen Umſtaͤnden deinen gerechten Zorn ſo weit uͤber - waͤltigt haben, daß du dem vornehmſten Urheber aller deiner Ungluͤcksfaͤlle die Gluͤckſeligkeit wuͤn - ſchen konnteſt? Dem, der dich aller „ deiner lieb - „ ſten Hoffnung in dieſem Leben beraubet hatte? “ Dem, der die Urſache geweſen war, „ daß du in „ der Bluͤte deiner Jugend hingeriſſen wor - „ den? “
Himm -683Himmliſch erhabenes Gemuͤth! ‒ ‒ Jn was fuͤr einer Verfaſſung mußteſt du ſeyn, daß du im Stande wareſt, bey Erwaͤhnung dieſer wichtigen Beraubungen die Worte Nur und Bloß zu gebrauchen! ‒ ‒ Da dieß geſchehen, ehe du noch die Sterblichkeit ablegteſt: mag ich denn nicht vermuthen, daß du itzo
„ Meinen Wandel ſoll ich bedenken “‒ ‒ Wer - thes Leben meines Lebens! Was nuͤtzt mir nun das Bedenken, da ich die theure Perſon verlohren habe, um deretwillen es ſich allein der Muͤhe ver - lohnte, Betrachtungen anzuſtellen? ‒ ‒ Unwie - derruflich verlohren ‒ ‒ Da ſie von dem begie - rigen Grabe verſchlungen iſt ‒ ‒ Auf ewig verlohren ‒ ‒ Das iſt es, was durch die Seele gehet ‒ ‒ Unvergleichliches Frauenzimmer! das einzige in der Art! ‒ ‒ Wie kraͤnket mich dieſe Vorſtellung!
„ Jhr ſchmeichleriſcher Traum kann nicht lan - „ ge waͤhren “‒ ‒ Goͤttliche Prophetinn! Mein ſchmeichleriſcher Traum iſt ſchon itzo vorbey. „ Des Nachſinnens und Ueberlegens kann ich mich „ nicht laͤnger erwehren “‒ ‒ Nicht laͤnger mehr dauret „ die verſtockte Unempfindlichkeit, “die du mir vorwirfſt ‒ ‒ „ Gewiſſensangſt iſt bey mir„ ein -684„ eingebrochen “‒ ‒ „ Erſchrecklich iſt mein Zu - „ ſtand “‒ ‒ Es iſt lauter Gewiſſensangſt und „ Schrecken bey mir! “ ‒ ‒ Tauſend Geier nagen einer um den andern mein Herz!
Allein nicht mehr von dieſen vergeblichen Be - trachtungen ‒ ‒ Weil ich nicht vermoͤgend bin, etwas anders zu ſchreiben; weil meine Feder un - vermerkt auf dieſe finſtere Vorſtellung von ſich ſelbſt fallen wird; ich mag wollen, oder nicht: ſo will ich ſie noch einmal von mir legen, und ſie auch nicht eher wiedernehmen, als bis ich mehr ihr und mein eigner Herr ſeyn kann.
Alles, was ich eigentlich ſchreiben wollte, iſt inzwiſchen noch nicht mit dem geringſten Worte beruͤhret. Jch wollte nur mit wenigen meinen Wunſch aͤußern, daß ihr, wie gewoͤhnlich, mit eu - ren Nachrichten fortfahren moͤchtet! ‒ ‒ Und warum ſolltet ihr es nicht thun? ‒ ‒ Da ich mit ihrem allezeit beklagenswuͤrdigen Tode alles weiß, was widrig und kummervoll iſt. ‒ ‒ Melde mir alſo alles, was du weißt und ich nicht weiß: Wie ihre Verwandten, ihre grauſame Verwandten ſich dabey bezeigen; und ob nun der zackichte Pfeil von einer Ueberlegung, die hinten nach kommt, in ihre Herzen nicht eben ſo, wie in das meinige, bis auf die aͤußerſten Widerhacken gedrungen ſey.
Jch will bald dieß Koͤnigreich verlaſſen. Denn da nun meine Clariſſa nicht mehr vorhanden iſt:was685was iſt denn wohl in demſelben; und in der That in der Welt; das werth waͤre, deswegen zu le - ben? ‒ ‒ Allein ſollte ich nicht erſt durch ein oder das andere meiſterliche Ungluͤck ſie und mich an ihrer verfluchten Familie raͤchen?
Das verfluchte Weib, ſagt man mir, hat ihr Bein gebrochen. Warum iſt es nicht ihr Hals geweſen? ‒ ‒ Alles, alles, ausgenommen, was von ihren Verwandten herkommt, iſt die Schuld dieſes Weibes und ihrer hoͤlliſchen Nymphen. Je groͤßer die Tugend, deſto edler der Sieg, war ein Lehrſpruch, den ſie ewig im Munde hat - ten. ‒ ‒ Jch habe es verſchiedene male im Sinn gehabt, das verfluchte Haus in Brand zu ſtecken und an den Thuͤren und Fenſtern Wache zu hal - ten, damit kein einziger Teufel in demſelben der verzehrenden Flamme entgehen moͤchte. Waͤre das Haus von andern abgeſondert geweſen: ſo haͤtte ich es gewiß gethan.
Allein, es ſcheint, das alte Ungeheur iſt auf dem Wege ihren Lohn, ohne meine Huͤlfe, zu be - kommen. Man hat einen entſetzlichen Brief in Abſicht auf ſie von jemand bekommen ‒ ‒ Von euch, vermuthe ich ‒ ‒ Zu entſetzlich fuͤr mich, ſa - gen ſie, daß ich ihn itzo ſehen ſollte(*)Man ſehe den vorhergehenden LXXVIIIten Brief..
Sie regieren mich hier als ein Kind in Leit - riemen. Jedoch ich habe ſo viel in meinem Fie - ber ausgeſtanden, daß ich ſie gern ertrage, bis mir leidlich wohl ſeyn wird.
Gegen -686Gegenwaͤrtig kann ich weder eſſen, trinken, noch ſchlafen. Dennoch iſt meine Krankheit nichts gegen das, was ſie geweſen iſt. Denn, Bruder! mein Gehirn ſtand Tag und Nacht im Feuer: und wenn es nicht von der unverbrenn - lichen Art geweſen waͤre; ſo wuͤrde es ganz ver - zehret ſeyn.
Jch hatte keine deutliche Begriffe, ſondern nur dunkle und verwirrte Vorſtellung von Elend und Jammer. Es war in der That lauter Ge - wiſſensangſt und Schrecken! Gedanken von Haͤngen, Erſaufen, Erſchießen! Wuth, Gewalt - thaͤtigkeit, Ungluͤck und Verzweifelung wechſelten bey mir ab. Meine heitern Augenblicke waren noch aͤrger: da ſie mir zu uͤberlegen gaben, was ich die Stunde vorher geweſen waͤre, und was ich wahrſcheinlicher Weiſe die naͤchſtfolgende, und vielleicht meine Lebenszeit uͤber ſeyn wuͤrde ‒ ‒ Der Spott der Feinde! das Gelaͤchter der Tho - ren! und das Angehaͤnge und herumlaufende Ei - genthum gemietheter Sklaven, die vielleicht ihre Rechnung dabey finden moͤchten, daß ſie mich feſ - ſelten, und, abſcheulicher Gedanke! mich perſoͤn - lich mit Streichen und Schlaͤgen mishandelten.
Wer kann ſolche Vorſtellungen, als dieß find, ertragen, daß ein Menſch, wie ich, dazu beſtimmt ſeyn ſoll, ſich zu fuͤrchten, und noch dazu vor ſol - chen nichtswuͤrdigen Leuten! ‒ ‒ Was iſt dieß fuͤr eine Sache: wenn man ſie nur von weiten befuͤrchtet! Und daß gleichwohl ein Menſch in ei - nem ſolchen Zuſtande iſt, der ſeinen liebſten Freun -den687den die Nothwendigkeit aufleget, dieß, um ſein ſelbſt willen, und damit ferneres Ungluͤck verhuͤtet werde, geſchehen zu laſſen! ‒ ‒ Man kann an dieſe Dinge nicht einmal gedenken.
Jch will daher nicht daran gedenken: ſon - dern entweder eine Reihe von frohern Begriffen bekommen, oder morgen fruͤhe mich ſelbſt er - henken.
Jch ſchreibe, um meinen letzten Brief wieder zuruͤckzufordern. Jch geſtehe, daß es zu den verſchiednen Zeiten, da ich es geſchrieben ha - be, meine Meynung geweſen iſt: und, es mochte mir fehlen, was mir wollte, ich mußte es ſchrei - ben. Ein ſo finſterer Trieb uͤberfiel mich, und nahm zu, indem ich ſchrieb, daß ich, wenn es auch mein Leben gegolten haͤtte, mich nicht erwehren konnte, ins Klaͤgliche zu gerathen.
Es iſt wunderlich, recht wunderlich, daß das Gewiſſen eines Menſchen vermoͤgend ſeyn ſollte,ſeine688ſeine Finger zum Schreiben zu zwingen, und ihn auf eine Sache zu bringen, an die er ſich zu glei - cher Zeit, mehr als einmal entſchloß, nicht zu ge - denken.
Es iſt auch eben ſo wunderlich, daß er in ei - nem oder zween Tagen mehr, da kein neuer Grund vorfaͤllt, ſeine Geſinnung ſo vollkommen aͤndern, oder, ſein Gemuͤth, ſollte ich vielmehr ſa - gen, ſo vollkommen durch frohe Hoffnungen und aufgehende Ausſichten in die Zukunft erleuchtet ſehen ſollte, daß er ſich deſſen ſchaͤme, was er ge - ſchrieben hatte.
Denn da ich eine Abſchrift von meinem Brie - fe wieder durchgeleſen, die mir von ungefaͤhr in der Hand meiner Baſe Charlotte, welche ihn oh - ne mein Wiſſen abgeſchrieben hatte, in die Haͤnde gefallen iſt: ſo finde ich, daß es ein ſolcher Brief iſt, den ſich ein Feind zu ſehen freuen wuͤrde.
So viel weiß ich, daß wenn ich nur noch eine Woche in dem Zuſtande geblieben waͤre, worinn ich mich befand, als ich den letzten Theil deſſelben ſchrieb: ſo wuͤrde ich in der naͤchſtfolgenden ein - geſperrt geweſen ſeyn und im Stroh gelegen ha - ben. Denn ich beſinne mich, daß mich alle mei - ne Krankheit mit unwiderſtehlicher Gewalt wie - der uͤberfiel ‒ ‒ und dieß Trotz aller in Waſſer gekochten Habergruͤtze und magern Suppen.
Jch geſtehe, daß ich uͤber die mir fehlgeſchla - gene Hoffnung, die Hoffnung, in welcher dieß be - wundernswuͤrdige Frauenzimmer ein ſo ſeltſames Vergnuͤgen gefunden hat, mich zu betruͤgen, nochaus -689ausnehmend betruͤbt bin. Aber da es ſo ausge - fallen iſt; da ſie ſich feſt vorgenommen gehabt, die Welt zu verlaſſen; und da ſie wirklich nicht mehr da iſt: muß ich dann uͤber eine Begeben - heit, die geſchehen iſt, und weil ſie geſchehen, nicht geaͤndert werden kann, finſtern und traurigen Be - trachtungen nachhaͤngen; ich, der ich noch ſo viel Antheil am Leben und an guter Geſundheit in Haͤnden habe? ‒ ‒ Habe ich nicht ſchon eine Probe gehabt, wie es mir gehen wird, wo ich es thue?
Denn, Belford; es waͤre eine Thorheit, wenn ich es leugnen wollte; ich bin ganz verruͤckt geweſen.
Warum, warum hat meine Mutter mich ſo erzogen, daß ich keine Einrede, keine Hinderniſſe bey dem, was ich will, ertragen kann? Warum habe ich eine ſolche Erziehung gehabt, daß ſelbſt von meinen Hofmeiſtern verlanget wurde, mich keinen Widerſpruch oder Verdruß uͤber fehlge - ſchlagene Hoffnung erfahren zu laſſen? ‒ ‒ Haͤt - te ſie nicht wiſſen ſollen, was fuͤr Grauſamkeit in ihrer Guͤte ſteckte?
Was fuͤr eine Strafe iſt es, daß ich ſehen muß, daß mein erſter recht großer Verdruß uͤber eine fehlgeſchlagene Hoffnung meinen Verſtand angreifet! ‒ ‒ Und wenn der Verſtand einmal angegriffen iſt ‒ ‒ Aber daran iſt es mir uner - traͤglich zu gedenken ‒ ‒ Nur ſo viel iſt gewiß: die Reue und Beſſerung, welche mir ſo herzlich von meiner guͤtigen und widerſinniſchen SchoͤnenSiebenter Theil. X xan -690angewuͤnſchet worden, ſind gehindert und zuruͤck - geſetzt; wer weiß wie lange? Die Beſſerung we - nigſtens: ‒ ‒ Kann ein Verruͤckter zu einem von beyden geſchickt ſeyn?
Da mein Verſtand alſo einmal angegriffen iſt: ſo muß ich mich bemuͤhen, dieſe finſtern Be - trachtungen, welche ſonſt die gehoͤrige Verfaſſung des Gemuͤths zuwege gebracht haben moͤchten, zu verbannen; und dieß, mich mit des Lords M. Redensarten auszudruͤcken, damit mein Verſtand nicht auf die Wanderung gehe.
Denn ich muß dir noch dieſes dazu geſtehen, daß Dr. Hale, der mein guter Aſtolphus gewe - ſen; ihr habt den Arioſt geleſen, Bruder; und mir meinen verlohrnen Verſtand in ſeiner Fla - ſche aus dem Mond wiedergebracht hat, ſehr viel Muͤhe gehabt habe, durch abzehrende Ent - haltſamkeit von Speiſe und Trank, durch ſtarkes Aderlaſſen, durch ſchindende ſpaniſche Fliegen, durch Kuckloͤcher vom Schroͤpfen, ein finſteres Zimmer, eine Einſamkeit und Stille bey hellem Mittage, als wenn es um Mitternacht waͤre, meine Geneſung zu Stande zu bringen. Und nun ſagt er mir zum Troſte, daß ich noch bey den Vollmonden wieder ſolche Anfaͤlle bekommen mag ‒ ‒ Erſchrecklich! Hoͤchſt erſchrecklich! ‒ ‒ und daß ich mich zu beyden Jahrszeiten, da Tag und Nacht gleich werden, eben ſo ſehr in acht nehmen muß, als Caͤfar gewarnet wurde, ſich vor dem 15ten Merz in Acht zu nehmen.
Wie691Wie kraͤnkt ſich mein Herz, wenn ich auf das zuruͤckſehe, was ich geweſen bin. Die Sonne und alles Vergnuͤgen war mir verſaget. Alle, die zu mir kamen, waren geringe Leute, die auf den Zehen gingen und mir aufwarteten. Selbſt dieſe ſchleichende Sklaven naheten ſich nicht an - ders als zu gewiſſen Zeiten zu mir, und waren mit Toͤpfen, mediciniſchen Biſſen und hauptſtaͤrken - den Traͤnken verſehen, beſtellten bey mir, was ih - nen befohlen war, mit verhaßtem Ziſcheln, und antworteten andern abgeſchmackten Leuten, die ſich erkundigten, wie ich mich befaͤnde und wie ich ih - re verfluchte Traͤnke einnaͤhme, und dieß noch da - zu alles mit Ziſcheln. Was fuͤr ein verfluchtes ſtilles Leben war das! ‒ ‒ Nichts war wirkſam und lebendig in mir oder um mich herum, als nur der Wurm, der niemals ſtirbt.
Jch eile wiederum das Angedenken ſolcher betruͤbten Aufzuͤge, die ſich bisweilen mir wider meinen Willen darſtellen werden, zu unter - druͤcken.
Lebe wohl, Belford!
Aber ſchicke mir meinen letzten Brief wieder, und baue nichts auf deſſen Jnhalt. Jch muß, ich will, ich habe ſchon dieſes finſtere und ver - gebliche Trauren uͤberwunden. Meine Natur erhohlet ſich und wird mir zu Gefallen immer ſtaͤrker und ſtaͤrker. Einen Seufzer ausgenom - men, der dann und wann dem Gedaͤchtniſſe mei - ner herzlich Geliebten als ein Zoll abzutragen iſt, habe ich Hoffnung, daß ich gar bald wieder ſeynX x 2werde,692werde, was ich geweſen bin ‒ ‒ Leben, Geiſt, Froͤhlichkeit, und noch einmal eine Plage fuͤr das ſchoͤne Geſchlecht, das mir eine Plage geweſen iſt, und einem jeden zu einer oder der andern Zeit in ſeinem Leben eine Plage ſeyn wird.
Jch wiederhohle inzwiſchen meine Bitte, daß ihr, wie gewoͤhnlich, an mich ſchreibet. Jch hof - fe, ihr werdet einen guten Vorrath von beſondern Nachrichten mitzutheilen haben, wenn ich erſt beſſer im Stande bin, von denen Verfuͤgungen, die man mit allem, was an meiner geliebten Cla - riſſa ſterblich geweſen, getroffen hat, etwas zu hoͤren.
Allein das wird mir eine herzliche Freude ſeyn, wenn ich erfahre, daß ihre unverſoͤhnliche Freunde mit Gewiſſensangſt geplaget ſind. Der - gleichen Dinge koͤnnt ihr mir nun wohl melden. Denn es iſt einige Erleichterung, wenn man nicht allein elend iſt: ſonderlich wenn ein Menſch ge - denken kann, daß diejenigen, welche er haſſet, eben ſo elend ſind, als er ſelbſt.
Noch einmal, lebe wohl, Bruder?
Jch ruͤſte mich, dieß Koͤnigreich zu verlaſſen. Mowbray und Tourville verſprechen, mir in einem oder zween Monathen ihre Geſellſchaft zu goͤnnen.
Jch will dir ein Verzeichniß von dem Wege geben, den ich nehmen werde.
Jch werde zuerſt nach Paris gehen, und zum Zeitvertreib und zur Aufmunterung einige alte Freundſchaften zu erneuren verſuchen: Von dan - nen an einige deutſche Hoͤfe; von dannen vielleicht nach Wien; von dannen durch Bayern und Ty - rol hinunter nach Venedig, wo ich das Carneval halten werde; von dannen nach Florenz und Tu - rin; von dannen wieder uͤber Mont-Cenis nach Frankreich. Wenn ich nach Paris zuruͤckkom - me: ſo werde ich erwarten, meinen Freund Bel - ford zu ſehen, der unterdeſſen, wie ich nicht zwei - fele, mit Buße, Selbſtverleugnung, Ertoͤdtung des Fleiſches, uͤber und uͤber bedeckt ſeyn wird; als ein rechter Einſiedler, nur ein wandelnder Ein - ſiedler, der herumreiſet, in Hoffnung, durch die Bekehrung ſeines alten Mitgeſellen eine Menge von ſeinen eignen Suͤnden zu bedecken.
X x 3Allein694Allein ich muß dir ſagen, Bruder, daß, wo das Schuldcapital ſo fortwaͤchſet, wie ſeit meinem letzten Briefe geſchehen iſt, ich ſehr befuͤrchte, du werdeſt viel zu thun haben, damit fortzukommen, wenn das deine Abſicht ſeyn ſollte.
Jch glaube auch in der That, daß deine eigne Buße und Beſſerung keinen Beſtand haben kann. Eingewurzelte Gewohnheiten werden nicht ſo leicht ausgerottet. Der alte Satan hat in dem Ver - lauf von einigen Jahren zu vielen Vortheil von deinen getreuen Dienſten gehabt, daß er dich ſo leicht aus ſeinen Klauen laſſen ſollte. Er weiß, was bey dir helfen wird. Eine feine große Bo - na Roba, nach der Art wie zu Chartres, aber von zierlichen Gliedmaßen, heller Farbe, und tuͤr - kiſchen Augen, bey der du die erſte Mannsperſon biſt, oder, welches eben das iſt, uͤberredet wirſt, daß du der erſte ſeyſt: wie wird dein froſtiges Geſicht bey einem ſolchen Gegenſtande ſcheinen! Wie wird dein trauervolles Antlitz dadurch erleuch - tet werden! Ein Vertrag wird zwiſchen dir und dem alten Verſucher aufgerichtet werden: du wirſt verſprechen, ihm Folge und Dienſt zu lei - ſten, bis das Alter und Unvermoͤgen kommt. Und alsdenn wird er nach aller Wahrſcheinlich - keit beiner auf ewig verſichert ſeyn. Denn, ſoll - keit du etwa deine gegenwaͤrtig herrſchende Be - gierden uͤberleben: ſo wird er eine andere Schooß - ſuͤnde auftreiben, oder eine, die itzo nur nebenher geht, zu einer Schooßſuͤnde machen, damit er dich feſt bey ſeinen hoͤlliſchen Vortheilen halte. Duwirſt695wirſt immerfort den Entſchluß faſſen, dich zu beſ - ſern, aber dich niemals beſſern, bis endlich, nach - dem du alt geworden, ehe du es gewahr wirſt; und ein zehn oder zwoͤlf Jahre weiter, biſt du alt, wie ein jeder anderer; dein auf eine Zeitlang gebauetes Haus zu ſeinem beſtimmten Ziel gekommen iſt, und er uͤber dein greislichtes Haupt die allgemeine Fallthuͤre zuſchlaͤgt: als - denn wird mit dir alles nach ſeinem eignen Geſal - len zu Ende ſeyn.
Du wirſt denken, dieſe Winke, welche ich dir gebe, ſchicken ſich nicht fuͤr mich. Dennoch aber kann ich nicht anders, als dich vor der Gefahr warnen, in welcher du wirklich ſchwebeſt, und wel - che deſto groͤßer iſt, da du ſie nicht zu kennen ſcheineſt. Alſo nur noch ein Paar Worte von dieſer Sache.
Du haſt gute Entſchließungen gefaßt. Wo du ſie nicht haͤltſt: ſo wirſt du niemals im Stan - de ſeyn, irgend einen guten Vorſatz zu bewahren. Nichts deſto weniger aber iſt der Teufel und dein Alter wider dich: und, ſechſe gegen eins, es ge - lingt dir nicht. Wo du nur bloß den Vorſatz gefaßt haſt: ſo ſetze ich ſechſe gegen eines, es ge - linget dir nicht. Gelingt es dir aber nicht: ſo wirſt du der Menſchen Spott und der Teufel Triumph ſeyn. ‒ ‒ Wie will ich alsdenn uͤber dich lachen! Denn dieſe Warnung kommt bey mir nicht aus guten Grundſaͤtzen her. Vielleicht wuͤnſchte ich, daß es ſo waͤre: allein ich habe ge - gen eine Mannsperſon niemals gelogen, und ge -X x 4gen696gen ein Frauenzimmer ſchwerlich jemals die Wahrheit geſagt. Das erſte koͤnnen alle Freun - de der freyen Lebensart nicht ſagen: aber das letz - te kann ein jeder von ihnen wohl ſagen.
Jch bin wieder verruͤckt, beym Jupiter! ‒ ‒ allein Dank ſey meinem Geſtirn nicht auf eine ſo finſtere Art! ‒ ‒ Fahre wohl, fahre wohl, fahre wohl, beſchließt zum dritten oder vierten mal
Dein Lovelace.
Jch glaube, Charlotte und ihr ſeyd in einem ge - heimen Verſtaͤndniſſe mit einander. Jch finde, es ſind Briefe zwiſchen ihr und euch und dem Lord M. gewechſelt. Man hat mich einige Zeit her verflucht finſter gehal - ten: aber ich will bald uͤber euch alle, wie die Sonne uͤber einen mitternaͤchtlichen Dieb, ausbrechen. Erinnert euch, daß ihr mir noch keine Abſchrift von dem Teſtament meiner Geliebten geſchickt habet.
Eben, da ich mich niederſetzte, euren Brief vom 14ten bis zum 18ten zu beantworten, damit ich euch allen Troſt, den ich koͤnnte, ertheilen moͤchte, langte euer Brief vom Mittwochen an, in welchem ihr wiederrufet.
Jch bin wirklich betruͤbt und in meiner Hoff - nung betrogen: da auf den erſten ſo bald ein an - derer, der ihm ganz entgegen ſtehet, gefolget iſt.
Der ſchreckliche Brief, deſſen ihr Erwaͤhnung thut, und den euch eure Freunde vorenthalten, iſt in der That von mir. Sie koͤnnen euch, wie ich ſehe, itzo alles zeigen. Fordert alſo den Brief von ihnen, wo ihr etwas von eurer wahrhaftigen Mutter, dem Gemuͤthe nach, leſen wollet.
Jch will ſetzen, als wenn du eben den Brief geleſen haͤtteſt, den du ſchrecklich nenneſt, und der meiner Abſicht nach auch ſo ſeyn ſollte. Laß mich denn fragen, was du davon gedenkeſt. Erzitterſt du nicht vor dem Schrecken, unter welchem das ſchaͤndlichſte Weib bey der Furcht des Todes undX x 5zukuͤnf -698zukuͤnftigen Gerichts arbeitet? ‒ ‒ Wie ſchicken ſich die Betrachtungen, welche bey der Durchle - ſung dieſes Briefes haben entſtehen muͤſſen, zu deinen noch offenen Kuckloͤchern vom Schroͤpfen? Werden ſich nicht einige ernſthafte Gedanken un - ter deinen Steinklee miſchen und das dicke Fell von deinem Gemuͤthe reißen, wie dieſer dir das Leder von dem Ruͤcken ziehen, und deine ſpaniſche Fliegen das Pergament von deinem raͤnkſuͤchtigen Kopfe ſtreifen moͤgen? Geſchieht es nicht: ſo iſt dein Gewiſſen in der That verbrannt, und es wird keine Hoffnung fuͤr dich uͤbrig ſeyn.
Wo dieſes dich nicht ruͤhret: ſo habe ich dir noch eine Zeitung von einem ungluͤcklichen Wech - ſel, die mir eben erſt in dieſer Stunde zu Ohren gekommen iſt, von einem andern deiner preiswuͤr - digen Unterhaͤndler zu melden. Dein Tomlin - ſon! ‒ ‒ liegt in den letzten Zuͤgen in dem Ge - faͤngniſſe zu Maidſtone, und wird aller Wahr - ſcheinlichkeit nach, ehe dieſer Brief dir zu Haͤnden kommen kann, ſchon todt ſeyn. Es iſt an dem, wie du in deinem letzten Briefe ſchreibeſt, „ es ſcheinet „ etwas auf eine ſeltſame Art zur Strafe und „ Wiedervergeltung zu wirken. “
Die Umſtaͤnde von ſeiner Begebenheit ſind dieſe. Er fuͤhrte eine Bande von Zollbetruͤgern,die699die ſich bemuͤheten eingeſchlichne Guͤter, welche verwichenen Dienſtag angelandet waren, abzu - bringen: als des Abends eine Partey von Dra - gonern auf ſie ſtieß. Einige von ſeinen Mitge - ſellen ergriffen die Flucht. McDonald ward umringet. Er verſuchte daher ſich durchzuſchla - gen und verwundete auch ſeinen Mann. Weil er aber einen Schuß in den Hals bekommen hat - te und mit einem breiten Schwerdt tief in den Kopf gehauen war: ſo fiel er von ſeinem Pferde, ward ergriffen und in das Maidſtoniſche Ge - faͤngniß gebracht. Da hat ihn derjenige, von dem ich meine Nachricht habe, in Todesnoͤthen, und in der Verficherung, gehangen zu werden, wo er wieder aufkommen ſollte, verlaſſen.
Weil er ganz und gar bloß und verlaſſen war: ſo beredete er einen von ſeinen Verwandten, zu mir, und zu den uͤbrigen von der Bruͤderſchaft, wo ſie in London waͤren, zu gehen und uns um et - was anzuſprechen; nicht zum Unterhalt fuͤr ihn, ließ er ſagen; denn er vermuthete nicht, daß er ſo lange leben wuͤrde, bis der Kerl wiederkaͤme; ſon - dern zum Begraͤbniß.
Jch habe ihn niemals mehr als einmal ge - brauchet: und da verdarb er mir meinen Anſchlag. Jch danke itzo dem Himmel, daß er es gethan. Allein ich ſchickte ihm drey Guineas, und ver - ſprach ihm mehr, von euch, und Mowbrayen und Tourvillen, wo er noch einige Tage lebet, oder ſo lange, bis er zum Verhoͤr kommt. Jch uͤberlaſſeeuch,700euch, weiter Erkundigung von ihm einzuziehen, und ihm zu geben, was ihr fuͤr gut findet.
Sein Bothe ſagt mir, daß er ſehr bußfertig iſt. Er weint beſtaͤndig. Er ruft aus, daß er der ſchaͤndlichſte Menſch von der Welt geweſen: jedoch ſucht er es damit zu bemaͤnteln, daß ſeine Duͤrſtigkeit ihn aͤrger zu ſeyn genoͤthiget, als er ſonſt geweſen ſeyn wuͤrde; eine Entſchuldigung, die keiner von uns fuͤr ſich anfuͤhren kann. Was ihn aber am meiſten ruͤhrte, ſpricht er, waͤre eine ſchaͤndliche Betruͤgerey, zu der er, einem gewiſſen reichen und vornehmen Cavallier zu dienen, ver - leitet waͤre, zum Verderben des vortrefflichſten Frauenzimmers, das jemals gelebet, und das, wie er gehoͤret, vor Kummer geſtorben waͤre.
Laß mich uͤberlegen, Lovelace ‒ ‒ An wen kann die Reihe zunaͤchſt kommen? ‒ ‒ Jch wuͤn - ſche, nicht an dich. Allein weil du mir ein Stuͤck von einem Rath giebeſt, den ich in der That dei - nem Charakter nicht gemaͤß geachtet haben wuͤr - de, wenn du dir nicht die Muͤhe genommen haͤt - teſt, mich zu uͤberzeugen, daß er nicht aus guten Grundſaͤtzen herkomme: ſo will ich dir wieder einen geben. Es ſoll dieſer ſeyn: „ Tritt deine „ Reiſe, die du zu thun willens biſt, ſo geſchwinde „ an, als moͤglich iſt. “ Die Veraͤnderung des Schauplatzes und der Himmelsgegend kann deine Geſundheit vielleicht in einen dauerhaften Zu - ſtand ſetzen: da hingegen dieſe dicke Luft und die Annaͤherung des Winters dein Gebluͤte verdicken, und mit Zuthun eines Gewiſſens, das mit dir imKampfe701Kampfe iſt, und wie ein liſtiger Ringer auf ſeine Gelegenheit lauret, dich noch einmal zu faͤllen, dich auf beſtaͤndig ungluͤckſelig machen moͤchte.
Jch ſchicke euch euren wiederrufenen Brief zuruͤck. Zerreißt ihn aber nicht. Jhr moͤcht vielleicht noch einmal eben die Sprache zu fuͤhren noͤthig finden.
Was die Familie zu Harlowe-Burg betrifft: ſo habe ich ſehr ruͤhrende Briefe von dem Obriſt Morden, die ihren Kummer und Jammer be - ſchreiben. Jhr, der die Gelegenheit dazu gege - ben, thut wohl, daß ihr euch uͤber ihre Kraͤnkung freuet. Aber, wie jemand gar wohl bemerket, ſo gehaͤßig ſie euch auch geweſen ſind, ſo haͤtten ſie doch mit der Zeit eure Freunde werden muͤſſen, und wuͤrden es auch ge - worden ſeyn, wenn ihr der Fraͤulein haͤttet Gerechtigkeit widerfahren laſſen.
Es wuͤrde mir leid ſeyn, wenn ich nicht ſagen koͤnnte, daß das, wovor ihr mich im Scherz ge - warnet habet, mich im Ernſt erzittern mache. Jch hoffe; denn es iſt eine ernſthafte Sache bey mir, ob gleich bey euch nichts ernſthaft ſeyn kann; daß ich niemals durch meinen Abfall verdienen werde, der Menſchen Spott und der Teufel Triumph zu ſeyn.
Alles, was ihr von der Schwierigkeit, einge - wurzelte Gewohnheiten auszurotten, anfuͤhret, iſt nur mehr als zu wahr. Dieſe und mein Alter ſind allzu ſehr wider mich. Aber wenn ich das, bey einigen fruͤhzeitige, Ende derjenigen von un -ſern702ſern Mitbruͤdern, die wir vormals verlohren ha - ben; wenn ich Beltons ungluͤckſeligen Tod; wenn ich das Geheul und Geſchrey der Sinclairinn, welches mir noch in den Ohren thoͤnet; wenn ich das gegenwaͤrtige Schickſal eures elenden Tom - linſons bedenke, und ihr Ende mit dem gluͤcklichen und erwuͤnſchten Hintritte der unnachahmlichen Fraͤulein Harlowe vergleiche: ſo habe ich hoffent - lich Urſache, meinen Stand menſchlicherweiſe fuͤr geſichert zu halten. Eure Warnung wird mir nichts deſto weniger nuͤtzlich ſeyn; was ihr auch fuͤr eine Abſicht dabey gehabt haben moͤget: und da ich meine ſchwache Seite kenne; ſo will ich mich bemuͤhen, ſo bald als ich mich des Vertrauens und der Achtung eines tugendhaften Frauenzim - mers wuͤrdig machen kann, mich an dieſem Theile durch Heyrathen in Sicherheit zu ſetzen, und auf die Art vielmehr das Ziel eures Neides als eures Spottes werden.
Jch habe meinen Vorſatz zur Wiedererſtat - tung, wie ich ihn nennen mag, ſchon angefangen ins Werk zu richten. Jch habe ein jaͤhrliches Gehalt fuͤr den armen Johann Loftus ausgeſetzet, den ich untuͤchtig machte, da er ſich bemuͤhete, ſei - ne junge Herrſchaft vor meinen unrechtmaͤßigen Unternehmungen zu ſchuͤtzen. Jch freue mich, daß ich meinen Zweck dabey nicht erhielte: gleich - wie ich eben das thue, wenn ich mich verſchiedner anderer Faͤlle von gleicher Art, worinn es mir nicht gelungen iſt, erinnere.
Die703Die arme Farley, welche ganz zuruͤckgekom - men war, habe ich wieder in guten Stand geſetzet, aber dabey die Erklaͤrung gethan, daß der jaͤhrli - che Zuſchub, den ich ihr gebe, aufhoͤren ſoll, wo ich hoͤre, daß ſie ihre vorige Lebensart wieder an - faͤngt. Jch habe ſie verbindlich gemacht, der gu - ten Witwe Lovick von ihrer Auffuͤhrung Rechen - ſchaft zu geben. Dieſe Witwe habe ich fuͤr ei - nen ziemlichen Gehalt zu meiner Haushaͤlterinn auf Edgeware gemacht; denn das Haus zu Wat - ford habe ich vermiethet; und ſie ſoll ihr viertel - jaͤhrig die beſtimmten Gelder reichen, wie ſie es verdienet.
Eben die gute Frau ſoll mehr dergleichen Dinge zu beſorgen haben, wenn wir beſſer bekannt werden: und ich zweifle nicht, daß ſie meiner Er - wartung Genuͤge thun, und ich durch ihren Um - gang ſo wohl befeſtigt als gebeſſert werden wer - de; denn ſie ſoll ordentlich allemal an meinem Tiſche ſitzen.
Das unverſchuldete Leiden der Fraͤulein Cla - riſſa Harlowe, ihr erhabenes Verdienſt, ihre ſtren - ge Vorbereitung und ihr gluͤckliches Ende werden uns beſtaͤndigen Stoff zur Unterredung her - geben.
Sie ſoll mir die Stellen, welche ſie anpreiſen wird, aus Buͤchern vorleſen, wenn ich keine Ge - ſellſchaft habe, und ſie fuͤr mich ausſchreiben. Jhre Jahre, die uͤber funfzig ſind, und ihr guter Ruf wird mich dabey vor allem Aergerniß in Sicherheit ſtellen: und ich finde großes Vergnuͤ -gen,704gen, wenn ich uͤberlege, daß ich ſelbſt dadurch ge - beſſert ſeyn werde, daß ich ſie gluͤcklich mache.
So oft ich in Gefahr bin, will ich einige von den Papieren der unvergleichlichen Fraͤulein leſen: ſo oft ich meine vorige Lebensart verabſcheuen will, will ich einige von deinen Briefen und Ab - ſchriften von meinen eignen leſen.
Die Folge von dem allen wird ſeyn, daß ich das Vergnuͤgen meiner eignen Verwandten bey - derley Geſchlechts ſeyn werde, die mich als einen verlohrnen Menſchen anzuſehen gewohnt geweſen. Jch werde gute Ordnung in meinem Hauſe ha - ben, weil ich ſelbſt mit einem guten Exempel vor - gehen werde. Jch werde beſucht und geachtet werden: vielleicht nicht von Lovelacen, von Mow - brayen und von Tourvillen, weil dieſe mich nicht auf dem alten Fuß ſehen koͤnnen, und auf dem neuen vielleicht nicht ſehen wollen; aber von den beſten und wuͤrdigſten Perſonen, ſo wohl geiſtli - chen, als weltlichen Standes, in der Ruͤnde um mich herum. Jch werde auf meine vorige Thor - heiten, mit Verachtung: auf meine alten Genoſ - ſen, mit Mitleiden, zuruͤckſchauen. Eidſchwuͤre und Fluͤche ſollen auf ewig von meinem Munde verbannet ſeyn: an deren Stelle ſoll ſich ein Um - gang finden, der einem vernuͤnftigen Weſen und einem Cavallier anſtaͤndig iſt. Und ſtatt der Be - leidigungswerke, die mich beſtaͤndig Vertheidi - gungswerken ausſetzen, will ich mich beſtreben, alles Boͤſe, was ich gethan habe, dadurch wieder gut zu machen, daß ich alles Gute thue, was inmeiner705meiner Gewalt iſt, und ſo weit ſich dieß Vermoͤ - gen erſtrecket, ein allgemeiner Wohlthaͤter werde.
Nun ſage mir, Lovelace, auf dieſen ſchwachen Abriß von dem, was ich zu thun und zu ſeyn hoffe, ob dieß nicht ein Anſchlag ſey, der den wil - den, ſchaͤdlichen und ſo wohl fuͤr Leib als Seele gefaͤhrlichen Abſichten, denen wir nachgegangen ſind, unendlich weit vorzuziehen iſt?
Jch wollte wuͤnſchen, daß ich meinen Abriß euren Augen eben ſo liebenswuͤrdig vorſtellen koͤnnte, als er mir vorkommt. Jch wollte es von ganzer Seele wuͤnſchen: denn ich habe euch alle - zeit lieb gehabt. Es iſt dieß eben mein Ungluͤck geweſen: indem es mich zu unendlichen Ueppig - keiten und Thorheiten verleitet hat, deren ich mich ſonſt, das denke ich in Wahrheit, nicht ſchuldig ge - macht haben wuͤrde.
Jhr habt ein großes Theil mehr zu verant - worten, als ich: wo es auch nur das zeitliche Un - gluͤck dieſes wundernswuͤrdigen Frauenzimmers ſeyn ſollte. Laßt mich euch nun gewinnen, da ihr noch jung, geſund und bey Verſtande ſeyd: denn ich fuͤrchte, ich fuͤrchte gar ſehr, daß dieſe einzige Bosheit, wodurch der Welt ein ſolches ſcheinen - des Licht geraubet worden, ſo ungeheuer groß iſt, daß, wo ihr euch nicht geſchwinde beſſert, es nicht in eurer Gewalt ſeyn wird, euch zu beſſern, und daß die Vorſehung, welche euch durch die Schick - ſale eurer Unterhaͤndler, der Sinclairinn und des Tomlinſons ſchon gewarnet hat, den Haupturhe -Siebenter Theil. Y yber706ber des veruͤbten Unrechts nicht entkommen laſſen wird, wo er die Warnung in den Wind ſchlaͤgt.
Jhr werdet mich vielleicht dieſer ernſthaften Vorſtellungen halber auslachen. Thut es, wo ihr wollt. Jch moͤchte es lieber haben, daß ihr mich deswegen auslachtet, weil ich in dieſer Art zu denken und zu handeln fortfahre, als daß ihr, wie ihr drohet, uͤber mich frohlocken ſolltet, wenn ich meine Entſchließungen, die ich aus ſo gutem Grunde und nach ſo guten Beyſpielen gefaßt ha - be, fahren ließe.
So viel von dieſer Sache fuͤr dießmal.
Es wuͤrde mir lieb ſeyn, zu erfahren, wann ihr abzureiſen willens ſeyd. Jch nehme an eu - rer Wohlfarth zu viel Theil, daß ich euch nicht in einer duͤnnern Luft und einer beſtaͤndigern Him - melsgegend einen Aufenthalt wuͤnſchen ſollte.
Was haben Tourville und Mowbray zu thun, daß ſie nicht mit euch abreiſen koͤnnen? Sie wer - den ſich nicht nach meiner Geſellſchaft ſehnen; das darf ich wohl ſagen: und ich werde nicht im Stan - de ſeyn, die ihrige zu ertragen, wann ihr wegſeyd. Darum nehmt ſie mit euch.
Jnzwiſchen will ich es nicht verſchweren, daß ich euch bey eurer Ruͤckkehr aus Deutſchland und Jtalien nicht einmal beſuchen ſollte: aber ſchwer - lich in der Hoffnung, euch auf beſſere Wege zu bringen; wo die gehoͤrige Ueberlegung desjenigen, was ich euch vorgeleget und was ihr in euren bey - den letzten Briefen geſchrieben habt, es unterdeſ - ſen nicht gethan haben wird.
Jch707Jch vermuthe, daß ich euch voreurer Abreiſe ſehen werde. Noch einmal, ich wuͤnfchte, daß ihr ſchon wegwaͤret. Dieſe ſchwere Luft auf der Jn - ſel kann euch nicht ſo gut ſeyn, als die Luft auf dem feſten Lande ſeyn wird.
Jch glaube nicht, daß ich euch diſſeits des Ca - nals ferner, wie ich zu thun pflegte, ſchreiben muͤſ - ſe. Laßt mich alſo von der entgegenſtehenden Kuͤſte Nachricht von euch haben: und ihr ſollt nach eurem Gefallen uͤber meine Feder, und, auf alle anſtaͤndige Weiſe uͤber alles, was ich vermag, zu befehlen haben.
J. Belford.
Das Schickſal, glaube ich aufrichtig, ſpinnet eignes Gewerbes Faͤden zu Trauerſpielen fuͤr dich, damit du ſie zuſammenwebeſt. ‒ ‒ Dein Onkel von Watfort, der arme Belton, die unnachahmliche Schoͤne; o die erhabene Fraͤu - lein! Und muß die in einer ſolchen Liſte gefunden werden! Das verfluchte Weib und Tomlinſon, ſcheinen alle dazu verdammt zu ſeyn, daß ſie dir einen Vortrag vom Seltſamen und SchrecklichenY y 2an708an die Hand geben ſollen! ‒ ‒ Und bey meiner Seele, du bringſt das Werk in den Gang, wie der Lord M. es ausdruͤcken wuͤrde.
Das iſt das Schreckliche: ein Menſch kann nicht anfangen zu denken, ohne daß ſich eine Ur - ſache zum Denken uͤber die andere einfindet. Alsdenn nimmt das finſtere Weſen Platz: und Luſt und Freude verlaſſen ſein Herz auf ewig.
Der arme McDonald! ‒ ‒ Es iſt mir wirklich leid um den Kerl ‒ ‒ Er war ein brauch - barer, getreuer Bube von einem feyerlichen Anſe - hen, der eine jede Rolle, die ihm anvertrauet war, unvergleichlich ſpielen konnte, und nicht wußte, was Rothwerden war. ‒ ‒ Er hat ſich wirklich in der letzten Sache, die ihm und mir beym Nach - denken ſo theuer zu ſtehen gekommen iſt, ehrlich fuͤr mich bemuͤhet. So oft wir auch beyde von Gewiſſensregungen beunruhigt wurden: ſo ließ er ſich doch niemals abſchrecken. ‒ ‒ Der arme McDonald, muß ich noch einmal ſagen! ‒ ‒ Wenn ein anſehnliches Schelmſtuͤck ins Werk zu richten war, hatte er nicht ſeines gleichen.
Jch war ſo bekuͤmmert, zu erfahren, ob er ſich wirklich ſo ſchlecht befaͤnde, als du einen jeden abzumahlen beſondre Geſchicklichkeit beſitzeſt, den du ausſucheſt, deine moͤrderiſche Feder an ihm zu uͤben, daß ich einen Kerl zu Pferde nach Maid - ſtone abfertigte, ſo bald als ich deinen Brief hatte. Mir ward die Nachricht zuruͤckgebracht, daß er binnen zwoen Stunden, nachdem er deine drey Guineas bekommen hatte, geſtorben waͤre. Alles,was709was du von ſeiner Betruͤbniß wegen der ewig - lieben Fraͤulein Harlowe geſchrieben haſt, iſt wahr geweſen, wie es ſcheinet.
Jch kann nicht helfen, Belford! ‒ ‒ Jch habe nur ſo viel beyzufuͤgen, daß es ein Gluͤck iſt, daß der arme Kerl nicht ſo lange gelebt, bis er ge - hangen worden waͤre; wie dem Anſehen nach ge - ſchehen ſeyn wuͤrde: denn wer weiß, da er ein - mal auf ſo bußfertige Reden gerathen war, was in ſeinen Geſpraͤchen auf dem Todbette haͤtte ent - halten ſeyn moͤgen?
Wenn ein Menſch kein großes Vermoͤgen hat ſich dadurch zu vergnuͤgen: ſo iſt es recht und billig, daß er ſich das wenige, was ihm angebo - ten wird, aufs beſte zu Nutze machet. Es hat niemals einen Menſchen ein Ungluͤck uͤberfallen, daß nicht ein oder der andere Strahl des Troſtes eingebrochen waͤre, wenn der Elende nur nicht ſo weit im Elende geweſen, daß er die Vorhaͤnge, an ſtatt ſie aufzuziehen, zugezogen, um ihn abzu - halten und nicht hereinzulaſſen.
So viel fuͤr dieß und fuͤr alle male von dem armen Capit. Tomlinſon, wie ich ihn nannte.
Eure Sorgfalt, mich aus dieſer ſchweren und veraͤnderlichen Himmelsgegend wegzuſchaffen, koͤmmt genau mit eines jeden Fuͤrſorge allhier uͤberein. Sie glauben alle, daß das Reiſen mich recht geſund machen werde. Dennoch glaube ich, daß ich mich vollkommen wohl befinde. Nur die verdammten Neu - und Vollmonde und die Zeiten, da Tag und Nacht gleich wird, ja -Y y 3gen710gen mir ein wenig Schrecken ein, wenn ich daran gedenke; und das geſchieht beſtaͤndig: denn die ganze Familie lautet mir das ohne Auſhoͤren vor und beweiſet ſich weit ſorgfaͤltiger, mich aus dem Koͤnigreich zu ſchaffen, als ich wohl erklaͤren kann
Allein willſt du oft ſchreiben, wenn ich weg bin? Willſt du alsdenn da, wo du abgebrochen haſt, in deiner Erzaͤhlung fortfahren? Willſt du mir genau die Umſtaͤnde von dem Herzeleid de - rerjenigen melden, die meine Gehuͤlfen geweſen ſind, den Zufall, der mich kraͤnket, zu befoͤrden? ‒ ‒ Ja vielmehr die Hauptperſonen. Denn was habe ich gethan, ſage, was du willſt, das werth geweſen waͤre, daß ſich ein Frauenzimmer daruͤber das Herz abgenaget haͤtte?
Bey meiner Treue, Bruder, mir iſt ſehr hart begegnet worden, wie ich oft geſagt habe: ‒ ‒ Da man mir ſo verflucht boͤſe Namen gegeben; da man mit Fingern auf mich gewieſen; da man uͤber mich ausgeſchrieen; da man von mir weg - gelaufen, als man von einem tollen Hunde thun wuͤrde; da alle meine eigne Freunde bereit gewe - ſen, mir zu entſagen.
Dennoch glaube ich, daß ich es alles verdie - ne. Denn bin ich nicht eben ſo bereit geweſen, mich ſelbſt aufzugeben, als andre ſind, mich zu verdammen?
Was fuͤr ein Unſinn, was fuͤr eine Thorheit iſt dieß! ‒ ‒ Wer will ſich eines Menſchen an - nehmen, der ſich ſelbſt verdammet? ‒ ‒ Werkann711kann es? Derjenige, welcher ſich auf eine Ankla - ge fuͤr ſchuldig bekennet, laͤßt fuͤr nichts mehr Raum, als fuͤr den Richterſpruch. Ey was bin ich fuͤr ein unpolitiſcher elender Kerl! Jch bin nicht ſo verſchlagen, als der einfaͤltigſte von un - ſern chriſtlichen Fuͤrſten, die ſich alle Tage zehn mal aͤrgerer Untreue ſchuldig machen, und den - noch, indem ſie ein Manifeſt ausgehen laſſen, den Mund wiſchen, und von einem Bruch zum an - dern, von einer Raͤuberey zur andern, ſchreiten, eine Verwuͤſtung uͤber die andere anrichten, und ‒ ‒ zu ihrem Ruhm! ‒ ‒ verheeren. Man belohnet ſie mit dem Zunahmen der Ueberwin - der und der Großen. Von Rednern und Dich - tern werden ſie fuͤr ihre Metzelungen und Raͤube - reyen geprieſen und wohl gar vergoͤttert.
Jch aber ein armer, einzelner, unſchuldiger, wenigſtens vergleichungsweiſe unſchuldiger, heimlicher Dieb, ſtehle nur um meinen Hunger zu ſtillen, ein einziges elendes Lamm: und ein jeder thut den Mund wider mich auf, ein jeder hebt die Hand wider mich in die Hoͤhe.
Ja, wie ich eben itzo hoͤre, ſoll ein Manifeſt wider mich herauskommen; ob ich gleich kein Fuͤrſt bin: denn Fraͤulein Howe drohet, die Be - gebenheit der ganzen Welt bekannt gemachet zu ſehen.
Jch habe wohl Luſt, mich nicht dawider auf - zulehnen, und ſo bald es herauskommt, eine Ant - wort dagegen zu ſchreiben, und die Schuld von mir abzuwelzen, indem ich ſie gaͤnzlich auf dieY y 4Alten712Alten ſchiebe. So viel habe ich gewiß fuͤr mich anzufuͤhren, geſetzt auch, alles, was meine aͤrgſten Feinde wider mich anbringen koͤnnen, waͤre wahr ‒ ‒ daß ich alle die ausſchweifenden und unver - mutheten Folgen, weiche ſich bey dieſer Sache ein - gefunden haben, nicht verantworten duͤrfe.
Dieß will ich durch einen aͤhnlichen Fall, den ich erſt vor wenigen Stunden dem Lord M. und den beyden Fraͤulein Montague vorgehalten habe, ungezweifelt beweiſen. Es iſt folgender.
Geſetzt, A, ein Geizhals, haͤtte an einem ge - heimen Ort ein Paͤcklein Gold verſteckt, um es daſelbſt ſo lange verborgen zu halten, bis er es auf ausſchweifende Zinſen austhun koͤnnte.
Geſetzt, B haͤtte dieſen Schatz ſo noͤthig, daß er ohne denſelben nicht leben koͤnnte.
Geſetzt, A, der Geizhals, habe eine ſo gute Meynung von B, der das Geld noͤthig bat, daß er es ihm viel lieber, als ſonſt einem Menſchen in der Welt leihen wollte: aber er beſtehe den - noch, ob er es gleich ſonſt in der Welt zu nichts brauchen kann, auf die ungewiſſenhaften Bedin - gungen.
B wollte mit vielen Freuden die gewoͤhnli - chen Zinſen geben; wuͤrde aber; wenigſtens in ſeinen Gedanken, und das iſt alles fuͤr ihn; verlohren ſeyn, wenn er ſich die Bedingungen des Geizhalſes gefallen ließe; denn er wuͤrde ver - ſichert ſeyn, daß er alsdenn bald Schulden halber ins Gefaͤngniß geworfen werden und Zeit Lebens ein Gefangener ſeyn wuͤrde. Daher errietheer,713er, als ein liſtiger verſchlagener Kopf, wo der liebe Schatz laͤge, ſuchte nach, wenn der Geiz - hals in einem tiefen Schlaf begraben waͤre, faͤn - de ihn und liefe damit fort.
B kann in dieſem Falle nur ein Dieb ſeyn: das iſt offenbar, Bruder.
Hier aber fiel die Fraͤulein Montague ſehr lebhaft ein ‒ ‒ ‒ Ein Dieb, mein Herr, ſagte ſie, der mir das ſtielt, was mir lieber iſt und bil - lig ſeyn muß, als mein Leben, verdienet weniger Vergebung, als derjenige, der mich ermordet.
Allein was iſt dieß, Baſe Charlotte, ſprach ich, das ihnen lieber iſt, als ihr Leben? Jhre Eh - re, wollen ſie ſagen ‒ ‒ Jch werde mit einem Frauenzimmer nicht auf eine ſolche Art reden; das habe ich niemals gethan; daß ſie mir nicht antworten kann ‒ ‒ Allein, wenn ich ihnen alles einraͤume, was ſie dieſem Geſpenſte zuſchreiben: was iſt in dem Falle, zu deſſen Erlaͤuterung ich meinen aͤhnlichen Fall anfuͤhre, fuͤr eine Ehre verlohren, da der Wille nicht verletzet iſt und die Perſon es nicht aͤndern kann? Aber wie haben wir in Abſicht auf den geſetzten Fall, wiſſen koͤn - nen, bis der Diebſtal begangen war, daß der Geizhals wirklich einen ſo eingebildeten Werth auf den Schatz ſetzte?
Meine beyden Baſen ſchwiegen ſtille: und mein Lord fluchte auf mich, weil er mir nicht ant - worten konnte. Jch aber fuhr fort.
Wohlan denn, die Folge iſt, daß B nur ein Dieb ſeyn kann: dieß iſt offenbar. ‒ ‒ UmY y 5alſo714alſo meinen angenommenen Fall zu verfol - gen ‒ ‒
Geſetzt, eben dieſer Geizhals A finde, wie er erwachet und nachſucht, ſeinen Schatz weggenom - men, und nehme es ſo ſehr zu Herzen, daß er ſich durch Hunger toͤdtet:
Wer iſt wohl deswegen zu tadeln, als er ſelbſt? ‒ ‒ Wuͤrde wohl Billigkeit, Geſetz, oder Gewiſ - ſen zulaſſen, B als einen Moͤrder zu haͤngen?
Um nun die Anwendung zu machen, fuhr ich fort ‒ ‒
Keine von ihren Anwendungen, riefen meine Baſen, beyde in einem Athem.
Keine von euren Anwendungen, daß euch der Henker hohle, ſchrie der zornige Lord.
Wohlan denn, verſetzte ich, ſo will ich den Schluß machen, der Fall ſey ſo klar, daß es kei - ner Anwendung beduͤrfe ‒ ‒ Hiebey ſahe ich die beyden Maͤgdchens an, welche zu erroͤthen verſuch - ten ‒ ‒ Folglich halte ich mich wegen des Todes fuͤr losgeſprochen.
Nicht alſo, rief mein Lord ‒ ‒ Die Lords, weißt du, Bruder, ſind die Richter, zu denen man die letzte Zuflucht nimmt ‒ ‒ denn, fuhr er fort, wenn ein Verbrechen, wodurch das Leben verwirkt wird, die Folge von einer ſtrafbaren Handlung iſt: ſo habt ihr beydes zu verantworten.
Sagen ſie das, mein guter Lord? ‒ ‒ Wol - len ſie aber auf ſich nehmen, es zu behaupten, wenn man, wie in dem gegenwaͤrtigen Fall, ſetzt, daß eine Jungferſchaft geraubt iſt; ihrer Gegen -wart715wart nicht zu nahe geredet Baſe Charlotte, auch ihrer nicht, Baſe Martha: iſt der Tod die na - tuͤrliche Folge von einer geraubten Jungfer - ſchaft? ‒ ‒ Haben ſie das jemals gehoͤret, mein Lord, oder ſie, Fraͤulein? ‒ ‒ Jſt er aber nicht die natuͤrliche Folge und ein Frauenzimmer will ſich ſelbſt hinrichten, entweder durch einen langſa - men Tod, als durch Kummer, oder durch den Dolch, wie Lucretia that: hat denn die Manns - perſon mehr als einen Fehler begangen; ‒ ‒ iſt der andere nicht des Frauenzimmers Verſehen? ‒ ‒ Waͤre es nicht ſo, erlauben ſie mir zu ſagen, meine Wertheſte: ‒ ‒ Hiebey griff ich meinen beyden erroͤthenden Baſen unter das Kinn ‒ ‒ ſo haben wir entweder keine ſo gottloſen Maͤn - ner, als der junge Tarquin geweſen, oder keine ſo tugendhafte Frauen, als die Lucretia, gehabt; in der Zeit von ‒ ‒ wie viel tauſend Jahren, mein Lord? ‒ ‒ Und ſo erinnert man ſich der Lucretia, als eines einzelnen Wunders!
Jhr werdet leicht glauben, daß man uͤber mich ausſchrie. Leute, die nicht antworten koͤn - nen, werden gemeiniglich zu toben anfangen: und das thaten ſie alle. Aber ich beſtand bey ihnen, und beſtehe auch bey euch darauf, Bruder, daß ich von allem außer einem gemeinen Diebſtal bil - lig freyzuſprechen bin: es iſt nur ein heimlicher Raub, wie es die Rechtsgelehrten nennen, in die - ſem Stuͤcke geſchehen. Waͤre mein Leben nach den Geſetzen verwirkt: ſo wuͤrde es nicht des Mor - des wegen ſeyn.
Ueber716Ueber dieß, ſagte ich ihnen, waͤre in dem ge - genwaͤrtigen Fall ein Umſtand ſehr zu meinem Vortheil. Denn ich wuͤrde mich von ganzem Herzen gefreuet haben, meine Vergebung durch eine Gefaͤlligkeit unter ſolchen Bedingungen, bey welchen ich anfangs zweifelhaft war, zu erkaufen. Dazu habe ich mich ja erboten: und mein Lord und Lady Eliſabeth und Lady Sarah, und meine beyden Baſen, und meiner Baſen Baſen, bis in das vierzehnte Glied, wuͤrden fuͤr mich gut geſagt haben ‒ ‒ Allein es wollte nicht helfen: die an - genehme Geizige wollte ſich das Herz abnagen und ſterben. Was konnte ich dawider?
Wenn alles um und um kommt, Bruder: wuͤrde wohl halb ſo viel davon geſagt ſeyn, wenn die Fraͤulein nicht geſtorben waͤre, als nun geſagt wird? War ich aber die Urſache ihres Todes? Oder konnte ich es helfen? Und ſind nicht unter einer Million von ſolchen Faͤllen, wie dieſer iſt, neun hundert und neun und neunzig tauſend ge - weſen, die ſich nicht ſo, als dieſer, geendigt haben? ‒ ‒ Wie hart iſt alſo mein Schickſal! ‒ ‒ Bey meiner Seele, ich will es nicht leiden, wie ich ge - than habe: ſondern an ſtatt die Schuld auf mich zu nehmen, will ich Mitleiden fordern. Und, da ein geſtriger Tag nicht wieder zuruͤckzurufen ſte - het: ſo iſt dieß die einzige Lebensart, die ich waͤh - len kann, mich zu beruhigen. Nach Tiſche will ich weiter ſchreiben.
Allein was fuͤr einen artigen Vorſchlag haſt du fuͤr dich und deine alte Witwe zu eurer bey - der Lebensart ausgedacht! Bey meiner Seele, Bruder, ich bin ſehr dafuͤr eingenommen. Es fehlet nur eines und das wird mit der Zeit kom - men: unter den Abgeordneten des Koͤnigreichs zu ſitzen und einer von den Richtern zu ſeyn. Du biſt bereits mit einem Schreiber verſehen, der ſo gut iſt, als du ihn brauchen wirſt; denn du ver - ſtehſt die Rechte und ſie Gewiſſensſachen: du kannſt ein guter Lord Canzler unter euch ſeyn! ‒ ‒ Jch wuͤrde ein ungemeines Vergnuͤgen ha - ben, wenn ich dich in der Sache eines unehlich gebohrnen Kindes, nach deinen neuen Begriffen und alten wieder erinnerten Vorſtellungen, das Urtheil ſprechen hoͤrte.
Aber Scherz beyſeite geſetzt ‒ ‒ Jm Herzen iſt alles dunkel und traurig, beym Jupiter! ob die Feder und das Geſicht gleich ein leichtfertiges Anſehen annimmt ‒ ‒ Wo du, bey dem allen, ſo leicht Buße thun und dich beſſern kannſt, als du zu koͤnnen glaubeſt; wenn du ſo deine alten Suͤnden und eingewurzelten Gewohnheiten abzu - ſchuͤtteln vermoͤgend biſt; wenn dein alter Herreinen718einen ſo verſuchten und getreuen Knecht ſo willig aus ſeinen Dienſten laſſen, und dir erlauben will, deinem neuen Entwurf ſo ruhig nachzugehen, ſo daß kein Aergerniß Platz findet, und alle Ver - ſuchung aufhoͤret; wenn du endlich, nachdem dei - ne Beſſerung bewaͤhret und durch die Zeit bewie - ſen iſt, heyratheſt und ein ehrbares Leben fuͤhreſt: ‒ ‒ ſo kann ich nicht anders ſagen, Belford, als daß du gute Hoffnung haſt, wo alles dieß Wenn wirklich in Erfuͤllung gehet, ein gluͤckſeliger Mann zu ſeyn!
Alles, was ich denke, wie ich dir in meinem letzten Schreiben eroͤffnet, iſt dieſes, daß der Teu - fel ſeinen eigenen Vortheil zu gut kennet, dich ſo leicht wegzulaſſen. Du ſagſt mir ſelbſt, daß wir nicht Buße thun koͤnnen, wenn wir wollen. Und ich habe es in der That ſo befunden. Denn in meinen guten Zwiſchenſtunden faßte ich gute Ent - ſchließungen: aber da die Geſundheit mir ihre froͤhliche Seite zeigte und mir die Ausſicht auf meine Geneſung oͤffnete, ſtellten ſich alle meine alte Neigungen und Begierden wieder ein; und dieſer Brief wird dich vielleicht gaͤnzlich uͤberzeu - gen, daß ich ein ſo wilder Kerl bin, als ich jemals geweſen, oder auf dem Wege bin, es zu ſeyn.
Du fragſt mich ſehr ernſthaft, ob nach dem ſchwachen Abriſſe, den du mir gemacht haſt, dein neuer Entwurf zu deiner kuͤnftigen Lebensart al - len denen, welchen wir ſo lange nachgegangen ſind, nicht unendlich weit vorzuziehen ſey? ‒ ‒ Wahrlich, Bruder ‒ ‒ Jch muß mich beſin -nen719nen ‒ ‒ Wahrlich, Belford ‒ ‒ ‒ ich kann nicht anders ſagen, als daß es an dem iſt. Es iſt wirklich, wie Biddy in dem Luſtſpiel ſagt, ein gu - ter troͤſtlicher Entwurf.
Wenn du mir aber erzaͤhleſt, daß es dein Un - gluͤck geweſen, daß du mich lieb gehabt haſt, weil deine Achtung gegen mich dich gottloſer gemacht, als du ſonſt geweſen ſeyn wuͤrdeſt: ſo bitte ich dich, dieſen Ausſpruch zu uͤberlegen; und ich bin verſichert, daß du dich ſelbſt nicht auf einer ſo rech - ten Bahn finden wirſt, als du dir einbildeſt.
Auf keinen falſchen Anſtrich, auf keine An - merkungen uͤber andere richtet ein wahrhaftig Bußfertiger ſein Augenmerk. Demuth, Mis - trauen, Ertoͤdtung, Zerknirſchung ſind alle nahe verwandt, Bruder, und von einem bußfertigen Geiſte unzertrennlich. ‒ ‒ Wo du dieß nicht weißt: ſo haſt du von dreymal ſechzig noch nicht drey Schritte zur Buße und Beſſerung gethan. Und ich muß dich erinnern, ehe es der große An - klaͤger zu thun anfaͤngt, daß du allezeit weit mehr als ein unwirkſamer Nachfolger in der Bosheit geweſen biſt. Ob du gleich nicht ſo viele Erfin - dungskraft hatteſt, als der, an den du ſchreibeſt: ſo hatteſt du doch ein zum Unheil ſo geſchaͤfftiges Herz, als ich jemals an einem Menſchen gefun - den habe.
Hiernaͤchſt biſt du allezeit, daß ich mir einen gegebenen Wink zu Nutze mache, ein rechter Eng - laͤnder geweſen. Jch habe niemals ein Schelm - ſtuͤck auf die Bahn gebracht, das aus deinerSchmie -720Schmiede nicht gewiſſermaßen zur Vollziehung fertig auf den Ambos bearbeitet und gehaͤmmert gekommen waͤre: wenn ich oft ſelbſt nichts dar - aus zu machen gewußt.
Was mir in der That das Anſehen gab, als wenn ich gottloſer waͤre, als du, war dieſes, daß, wann wir ein Wildpret aufgetrieben und nieder - gejagt hatten, das arme erſchreckte Thierlein ſich gemeiniglich lieber in meine, als in deine Arme, werfen mochte, weil ich ein wohlgebildeter und du ein haͤßlicher Kerl biſt. Alsdenn haſt du dich allemal in deiner Hoffnung betrogen gefunden, dein Maul mit dicken Lippen gemiſcht und biſt wieder abgezogen, ein neues Wild aufzutreiben: mich aber haſt du unterdeſſen allezeit einen gott - loſen Kerl genannt.
Kurz, Belford, du konnteſt vortrefflich auf - treiben und beſetzen. Die alten Frauen waren ihrer Toͤchter wegen nicht beſorgt, wenn ſie ein ſolches Geſicht, als deines, ſahen. Aber wenn ich kam: ey! ſo waren ihre Maͤgdchen den Au - genblick verſchloſſen. Und dennoch half alles nichts: denn die Liebe wird wohl, bey Gelegen - heit, einen Elephanten durch ein Schluͤſſelloch zie - hen. Allein was dein Herz, deine Geſinnung betrifft, Belford: wer hat daran wohl jemals ge - zweifelt?
Auch ſo gar in dieſer Sache, die mich am mei - ſten druͤckt, und aus welcher mein Gewiſſen einen ſolchen Handel gegen mich machet, biſt du ſo un - ſchuldig nicht, als du dir ſelbſt einbildeſt. Duwirſt721wirſt hieruͤber ſtutzen: allein es iſt wahr; und ich will dich alſobald davon uͤberzeugen.
Du ſagſt, du haͤtteſt die Fraͤulein gern aus dem Ungluͤck, das ihr begegnete, retten wollen. Du biſt desfalls doch ein artiger Kerl. Denn wie haͤtteſt du ſie retten wollen? Was ergrif - feſt du fuͤr Mittel, ſie zu retten?
Du wußteſt alle meine Abſichten in ihrem ganzen Fortgange. Waͤreſt du geſonnen gewe - ſen, dir ein gutes Recht zu dem Verdienſte zu verſchaffen, worauf du itzo Anſpruch macheſt: ſo haͤtteſt du, wie ein rechter irrender Ritter, die Fraͤulein aus ihrem bezauberten Schloſſe zu be - freyen ſuchen ſollen. Du haͤtteſt ihr von der Gefahr, worinn ſie waͤre, Nachricht geben; heim - lich, wenn der Rieſe nicht bey der Hand geweſen, einbrechen; oder wo der rechte Geiſt der irrenden Ritterſchaft auf dir geruhet, und ſonſt nichts haͤtte helfen wollen, den Rieſen toͤdten ſollen: ſo wuͤr - deſt du etwas gehabt haben, dich groß zu ma - chen.
„ Aber o! der Rieſe war mein guter Freund. „ Er ſetzte ein Vertrauen auf mich: und ich ſollte „ meinen Freund verrathen und ſein Vertrauen „ gemisbraucht haben! “ Dieß wuͤrdeſt du ſon - der Zweifel zu deiner Vertheidigung vorgeſtellt wiſſen wollen. Allein pruͤfe dieſe Vertheidigung nach deinen gegenwaͤrtigen Grundſaͤtzen: ſo wirſt du ſehen, was fuͤr ein Boͤſewicht du geweſen, da du ſie bey einer Gelegenheit, wo die Untreue ge - gen einen Vertrauten weit mehr zu entſchuldigenSiebenter Theil. Z ziſt,722iſt, als die Verſchwiegenheit, haſt einiges Gewicht bey dir haben laſſen.
Du kannſt nicht vorgeben, und ich weiß, du wirſt es nicht thun, daß du deines Lebens halber beſorgt geweſen, wenn du ſolche Maaßregeln ge - nommen haͤtteſt: denn es iſt kein herzhafterer und dreiſterer Kerl auf der Welt, als Bruder Belford. Jch beſinne mich auf verſchiedene Faͤlle, und du kannſt ſie ſelbſt nicht vergeſſen haben, wo du, in einer Schelmerey, deine Beine, deinen Hals, dein Leben gegen ganze Schaaren zu wage geſetzet haſt: und haͤtteſt du einen Funken von der Tugend be - ſeſſen, mit deren Beſitz du ſo geneigt biſt dir itzo zu ſchmeicheln; ſo wuͤrdeſt du dich gewiß gern in Gefahr begeben haben, eine Unſchuld und eine Tugend zu retten, die ein jeder nach ſeiner Pflicht haͤtte ſchuͤtzen und deren ſich ein jeder billig haͤtte annehmen ſollen. Dieß iſt die wahre Beſchaf - fenheit der Sache: ſo ſehr ſie auch wider mich iſt. Allein ich haſſe einen Heuchler von ganzer Seele.
Jch glaube, ich wuͤrde dich zu der Zeit ge - toͤdtet haben, wofern ich gekonnt haͤtte, wenn du vermoͤgend geweſen waͤreſt, mich ſo zu verrathen. Aber itzo bin ich verſichert, daß ich dir von gan - zem Herzen Dank dafuͤr geſagt, und dich mehr fuͤr einen Vater und Freund angeſehn haben wuͤrde, als meinen wirklichen Vater und meinen beſten Freund ‒ ‒ Es war auch fuͤr dich, bey ſo erha - benen Vorzuͤgen, als dieſe Fraͤulein beſaß, natuͤr - lich, zu gedenken, daß es ſo ſeyn wuͤrde, wenn ſtattder723der Leidenſchaft die Ueberlegung Platz naͤhme, oder vielmehr wenn die verdammte Liebe zu liſtigen Raͤnken aufhoͤrte, die ich mir niemals ſo ſehr zum Ruhme gerechnet habe, als ſie itzo bey richtiger Ueberlegung mir zum Fluche dienet.
Unternimm nur deine Vertheidigung: ſo will ich dir den Schwaͤr noch tiefer ſtechen und dich noch ſtaͤrker uͤberfuͤhren, daß du in dieſer Sache ſelbſt mehr Schuld, als Verdienſt, haſt. Was aber alle uͤbrige Faͤlle betrifft, in welchen wir in Kuppeln auf das Jagen ausgegangen ſind: ſo wareſt du allezeit voraus, und weit geneigter, mich mit dir, als ich, dich mit mir, hinzureißen. Dennoch kannſt du itzo deine pferdmaͤßige Mus - keln zierlich in Ordnung bringen und ausſchreyen: Wie viel haſt du, Lovelace, mehr zu verantworten, als ich ‒ ‒ Jndem du aber dieß ſageſt, ſageſt du nichts: wenn es auch wahr waͤre. ‒ ‒ Denn du wirſt nicht durch Vergleichung mit andern Rechenſchaft zu geben haben, wann die Zeit kommt.
Kurz, du kannſt dich ſelbſt auf dieſe Weiſe ſo jaͤmmerlich betruͤgen, daß, ungeachtet aller deiner Selbſtverleugnung und Ertoͤdtung, du vielleicht deine Augen, wenn du ſie geſchloſſen haſt, an ei - nem Orte wieder aufthun magſt, wo du am we - nigſten zu ſeyn gedachteſt.
Jnzwiſchen berathſchlage mit deinem alten Weibe uͤber dieſe Sache. Jch werde meinem Charakter nicht gemaͤß zu handeln ſcheinen: wenn ich in dieſem Tone fortgehe. Allein wirklich,Z z 2was724was das Recht betrifft in dieſer Sache einen An - ſpruch auf ein Verdienſt zu machen, verſichere ich dich, Bruder, daß du weniger Ruhm verdieneſt, als eine Pferdeſchwemme: und ich wuͤnſchte, daß ich deine Geſinnung haben koͤnnte.
Jch bin itzo wirklich beſchaͤfftiget, Abſchied von meinen Verwandten auf dem Lande zu neh - men. Jch war ſonſt willens, Tomlinſon, wie ich ihn genannt habe, mitzunehmen: aber ſein Schick - ſal hat dieſen Vorſatz zernichtet.
Kuͤnftigen Montag denke ich euch in London zu ſehen: und dann wollen ihr und Mowbray und Tourville den ganzen Abend uͤber uns ſatt la - chen. Sie wollen mich beyde, wie ich auch von euch hoffe, bis nach Dover begleiten, wo ſie nicht mit mir uͤberfahren. Jch muß euch, und ſie, als gute Freunde mit einander, verlaſſen. Sie nehmen es ungemein uͤbel, daß ihr in euren letzten Briefen ſo mit ihnen umgegangen ſeyd. Sie ſagen, ihr greifet ihren Verſtand an. Jch lache uͤber ſie, und ſage ihnen, daß diejenigen Leute, die am wenigſten davon haben, am meiſten aufge - legt ſind, zornig zu werden, wenn er ihnen ſtrei - tig gemacht wird.
Bringet alle Papiere und Erzaͤhlungen, die ihr fuͤr mich gegen die Zeit in Bereitſchaft haben koͤnnet, zuſammen und in Ordnung. Das Te - ſtament hoffe ich inſonderheit mit mir zu nehmen. Wer725Wer weiß, ob nicht dieſe Dinge, die euch auf dem Wege, den ihr betreten habet, bewahren helfen werden, mich bekehren moͤgen?
Du ſchwatzeſt von einer Frau, Bruder. Was denkſt du von unſerer Charlotte? Jhre Familie und Gluͤcksumſtaͤnde ſind vermuthlich, nach dei - nen Anſchlaͤgen, zu hoch. Wird das zu einer Ein - wendung dienen? Charlotte iſt ein munteres Maͤgdchen. Was die Froͤmmigkeit, als deine gegenwaͤrtige Neigung, anlanget: ſo kann ich nicht viel ſagen. Jedoch iſt ſie ſo ernſthaft, als die meiſten von ihrem Geſchlecht, in ihrem Alter. ‒ ‒ Sie wuͤrde auch wohl, glaube ich ſelbſt, wie die andern, ein wenig praͤchtig einhergehen: wenn ihr guter Name dabey ſeine Sicherheit haͤtte.
Aber es wuͤrde doch wohl nicht angehen, da ich es recht bedenke: ‒ ‒ Dn biſt ein ſo unfoͤrm - liches und ungeſchicktes Geſchoͤpfe; haſt ein ſo Bootsknechtmaͤßiges Anſehen! ‒ ‒ Die Leute wuͤrden denken, daß ſie dich zu Wapping oder Rotherhith, oder indem ſie ausgegangen waͤre, ein neues Schiff vom Stapel laufen zu ſehen, oder die Schiffſtellen zu Chatham oder Portsmouth zu beſchauen, aufgefangen haͤtte. So buntſchek - kicht gekleidet und ſo toͤlpiſch! Deine vielfaͤrbich - te Kleidung wird bey Charlotten nichts helfen! ‒ ‒ So ſitze nur ſtille und ſey zufrieden, Belford.
Jedoch moͤchte ich ſelbſt gern deine Tugend in Sicherheit ſetzen: wofern es das Heyrathen ausrichten wird.
Z z 3Laß726Laß mich ſehen! ‒ ‒ Nun habe ich das Rech - te gefunden.
Hat nicht die Witwe Lovick eine Tochter, oder eine Enkelinn? Es wird ſich nicht ein jedes Maͤgdchen von Vermoͤgen und Stande gefal - len laſſen, ein oder zweymal taͤglich mit dir in die Bethſtunde zu gehen. Allein da du doch Luſt haſt eine Frau zu nehmen, dich damit zu kaſteyen: wie waͤre es, wenn du die Witwe ſelbſt heyrathe - teſt? ‒ ‒ Jhr wird alsdenn gedoppelt an deiner Bekehrung gelegen ſeyn. Jhr und ſie koͤnnet manchen troſtreichen Winterabend bey einander tête à tête zubringen, und geiſtliche Erfahrun - gen, wie ſie die frommen Leute nennen, gegen ein - ander halten.
Es iſt mein Ernſt, Bruder. Bey meiner Treue! es iſt mein Ernſt. Jch wuͤnſchte, daß du es auf deine weiſe Art in Erwaͤgung ziehen wollteſt.
Erlauben Sie mir, wertheſter Herr, daß ich mich auf die ernſthafteſte und feyerlichſte Art in einer Sache, der ich mich nicht uͤberheben muß, noch kann, an Sie wende: da ich der goͤtt - lichen Fraͤulein verſprochen habe, daß ich alles, was in meinem Vermoͤgen ſtehet, thun wollte, ferneres Ungluͤck, wovor ſie ſich ſo ſehr fuͤrchtete, zu verhuͤten.
Jch will mich nicht damit begnuͤgen laſſen, daß ich nur von weitem hievon Erwaͤhnung thue. Mit ſehr großer Betruͤbniß habe ich eben itzo von einer Erklaͤrung gehoͤret, die Sie gegen Jhre An - verwandten zu Harlowe-Burg gethan haben ſol - len, daß Sie nicht eher ruhen wollen, bis Sie das Uebel, welches Jhrer Baſe widerfahren iſt, an Herrn Lovelace geraͤchet haben.
Es ſey ferne von mir, daß ich den ungluͤckſe - ligen Menſchen zu vertheidigen, oder auch nur ſein Verbrechen auf eine unbillige Weiſe ge - ringer machen ſollte. Dennoch aber muß ich ſa - gen, daß die Familie, wegen ihrer Verfolgungen wider die werthe Fraͤulein zu Anfange, und nach - her wegen ihrer Unverſoͤhnlichkeit, billig an denZ z 4ver -728verdienten Vorwuͤrfen wenigſtens mit ihm Theil nehmen muͤſſe. Es iſt ſo gar nicht we - nig Urſache, zu glauben, daß eine Fraͤulein von ſo gottſeliger Gemuͤthsfaſſung, wenn ihre Tugend weder uͤberraſchet, noch zu Fehltritten verleitet war, wenn ihr Wille unverletzt geblieben, eine bloß perſoͤnliche Beleidigung wuͤrde uͤber - wunden haben: ſonderlich da er alles moͤgliche gethan haben wuͤrde, das Unrecht zu erſetzen; und da die Fraͤulein wegen des Anſuchens ſeiner ganzen Familie zu ſeinem Beſten, und wegen an - derer Umſtaͤnde, die mit ſeinem aufrichtigen und freywilligen Erbieten verbunden waren, ſich zu groͤßerem Ruhme fuͤr ſich ſelbſt haͤtte gefaͤllig be - zeigen koͤnnen, als wenn er ſie niemals beleidiget haͤtte.
Wenn ich das erſtemal wieder das Vergnuͤ - gen habe, Sie zu ſehen: ſo will ich Jhnen, mein Herr, alle Umſtaͤnde dieſer traurigen Geſchichte eroͤffnen; woraus Sie ſehen werden, daß dem Herrn Lovelace zuerſt von der ganzen Familie aus - nehmend uͤbel begegnet worden, dieſe bewunderns - wuͤrdige Fraͤulein ausgenommen. Dieſe Aus - nahme, weiß ich, macht ſein Verbrechen ſchwerer. Allein da ſeine vornehmſte Abſicht nur geweſen, ihre Tugend auf die Probe zu ſtellen; da er her - nach ſie ſo ſehnlich um die eheliche Verbindung mit ihm gebeten; und da er deswegen, weil er es nicht in ſeiner Gewalt hat, das ihr gethane Un - recht zu erſetzen, in dem Verluſt ſeiner Vernunft ſo klaͤglich gelitten: ſo unterſtehe ich mich zu hof -fen,729fen, daß ſich gegen eine ſolche Entſchließung, als Sie gefaßt haben ſollen, viele Vorſtellungen ma - chen laſſen.
Jch will Jhnen alsdenn zugleich einige Stel - len aus ſeinen Briefen vorleſen. Zweene derſel - ben, wovon ich den einen erſt dieſen Augenblick empfangen habe, werden Sie uͤberzeugen, daß der ungluͤckliche Menſch, welcher itzo erſt ſeinen Ver - ſtand wieder bekommen, keiner groͤßern Strafe beduͤrfe, als die er von ſeinen eignen Vorſtellun - gen hat.
Jch habe eben die Abſchriften von den hin - terlaſſenen Briefen der lieben Fraͤulein durchgele - ſen. Jch ſchicke ſie Jhnen alle in Abſchrift zu, denjenigen ausgenommen, der an Herrn Lovelace gerichtet iſt. Dieſen behalte ich ſo lange zuruͤck, bis ich das Vergnuͤgen habe, Sie zu ſehen. Er - lauben Sie mir, zu bitten, daß Sie den Brief an ſich ſelbſt und den an ihren(*)Man ſehe den LXIXten Brief dieſes Theils. Bruder, wel - chen letztern ich Jhnen itzt uͤberſende, noch einmal leſen, da ſie eben die gegenwaͤrtige Sache be - treffen.
Jch denke, mein Herr, es iſt nichts darauf zu antworten. Wenigſtens haben ſie eine ſolche Wirkung bey mir, daß ich hoffe, ich werde nie - mals mehr gereizet werden, in einem geheimen Streit meinen Degen wieder zu ziehen.
Zu dem Gewichte, welches dieſe Briefe noth - wendig bey Jhnen haben muͤſſen, erlauben SieZ z 5mir730mir noch hinzuzufuͤgen, daß der ungluͤckliche Menſch, ſeit Jhrem Beſuch bey ihm in des Lords M. Hauſe, da Sie mit ſeiner Geſinnung, ſeine Vergehungen wieder gut zu machen, ſo wohl zu - frieden waren, daß Sie ſelbſt Jhre Baſe inſtaͤn - dig baten, ihm zu vergeben, keine neue Gelegen - heit auf ihn zu zuͤrnen gegeben habe.
Erlauben Sie mir auch; ob ich gleich hoffe, daß es gar nicht noͤthig ſeyn wird, wenn ſie alles kaltſinnig uͤberlegen; Sie an Jhr Verſprechen gegen Jhre ſterbende Baſe, worauf ſie ſich ver - ließ, und in ihren letzten Stunden deſto geruhi - ger war, zu erinnern.
Das groͤßte Unrecht, mein wertheſter Herr Obriſt Morden, iſt ihr widerfahren. Jhre gan - ze Familie hat an der Urſache dazu Theil. Sie vergiebt es. Warum ſollten wir uns nicht be - muͤhen, dasjenige nachzuahmen, was wir bewun - dern?
Sie fragten mich, mein Herr, da Sie in Lon - don waren, ob ein herzhafter Menſch mit Vorſatz niedertraͤchtig ſeyn koͤnnte? ‒ ‒ Ueberhaupt zu reden, glaube ich, daß Herzhaftigkeit und Nieder - traͤchtigkeit nicht beyſammen ſtehen koͤnnen. Aber in dem Falle, den wir vor uns haben, giebt uns des Herrn Lovelacens Charakter einen Beweis von der Wahrheit der gemeinen Anmerkung, daß keine Regel ohne Ausnahme ſey. Denn Eng - land, glaube ich, fuͤr ſo tapfer es auch gehalten wird, hat keinen herzhaftern Geiſt, als der ſeinige iſt, in ſeinem Umfange; keinen Menſchen, derbeſſer731beſſer verſteht, die Waffen zu fuͤhren, und keinen, der bey ſeiner Geſchicklichkeit geruhiger iſt.
Jch beruͤhre dieß nicht in der Meynung, daß es den Obriſt Morden ruͤhren koͤnne, der mir, wofern er nicht durch hoͤhere Bewegungs - gruͤnde zuruͤckgehalten wird, und diejenigen Ur - ſachen, welche ich ihm zu Gemuͤthe gefuͤhrt habe, einen Einfluß bey ſich haben laͤßt, den Beſcheid geben wird, daß dieſe Geſchicklichkeit und dieſer herzhafte Muth ihn deſto wuͤrdiger mache, von ihm aufgefordert zu werden.
Auf jene hoͤhere Bewegungsgruͤnde berufe ich mich alſo: und zwar mit deſto groͤßerer Zu - verſicht, da eine Verfolgung, die ſich mit Blut - vergießen endigte, itzo bey keinem einzigen die Entſchuldigung finden wuͤrde, welche eine ploͤtzlich auffahrende Hitze bey einem oder dem andern finden moͤchte; ſondern von allen und jeden als eine bey geruhigem Gemuͤthe und mit voͤlliger Ueberlegung vorgenommene Handlung, ein ſchlech - terdings unerſetzliches Uebel zu raͤchen, als eine Handlung, zu welcher ein herzhafter und edler Geiſt, wie der Geiſt des Cavalliers, an den ich itzo zu ſchreiben die Ehre habe, nicht aufgelegt iſt, wuͤrde ausgedeutet werden.
Laſſen Sie mir meine Pflicht in Vollziehung des Teſtaments und mein Verſprechen zur Ent - ſchuldigung dienen, mein Herr, und bedenken ſo wohl die perſoͤnlichen Verordnungen, als den geſchriebenen Willen der lieben Fraͤulein, wel - che durch die hinterlaſſenen Briefe noch mehrver -732verſtaͤrket ſind. So ſorgfaͤltig wir auch beyde ihr Teſtament vollzogen zu ſehen ſuchen: ſo wuͤr - de ſie doch viel lieber ein jedes Stuͤck deſſelben nachgelaſſen haben, als daß ihretwegen noch fer - ner Ungluͤck entſtehen ſollte. Jch bin,
wertheſter Herr, Jhr ergebener und getreuer Diener, Johann Belford.
Da es nach meinem gegenwaͤrtigen ſchwachen Zuſtande ungewiß iſt, ob ich ſo lange leben werde, daß ich im Stande ſeyn mag, die Gewo -gen -733genheit eines Beſuches, den Sie mir zugedacht haben, wenn Sie nach London kommen, ſo, wie ich billig ſollte, anzunehmen: ſo ergreiffe ich dieſe Gelegenheit, Jhnen, weil ich noch im Stande bin, die gehorſamſten Dankſagungen eines erkenntli - chen Herzens fuͤr alle Jhre Guͤte gegen mich, von meiner Kindheit an, bis auf die gegenwaͤrtige Zeit, und ins beſondre noch mehr fuͤr Jhre itzige liebreiche Fuͤrbitte zu meinem Beſten, abzuſtat - ten. ‒ Gott der Allmaͤchtige ſegne Sie ewig, wer - theſter Herr, fuͤr die Guͤtigkeit, welche Sie ſich mir auszuwirken bemuͤhet haben.
Eine Hauptabſicht, warum ich auf dieſe feyer - liche Art an Sie ſchreibe, iſt, Sie zu erſuchen, daß Sie in ihrer edlen Bruſt keinen thaͤtigen Zorn meinetwegen Platz nehmen laſſen, wenn Sie alle Umſtaͤnde meiner Geſchichte erfahren.
Erinnern Sie ſich, mein wertheſter Herr Vetter, daß die Rache Gottes Werk ſey, und er es ſelbſt uͤber ſich genommen habe, ſie zu vergel - ten. Jch hoffe, Sie werden ſich dieß Amt nicht anmaßen: ‒ ‒ ſonderlich da Sie nicht noͤthig ha - ben, meinen guten Namen zu retten, weil der Be - leidiger ſelbſt, ehe man ihn aufgefordert hat, her - vorgetreten iſt und ſich erboten hat, mir alle Ge - rechtigkeit widerfahren zu laſſen, die Sie, wenn ich am Leben geblieben waͤre, von ihm haͤtten er - zwingen koͤnnen; und da Jhre eigne Perſon Schaden nehmen mag, wenn Sie mit einem Schuldigen gleiche Gefahr laufen.
Ein734Ein Zweykampf, mein Herr, darf ich Jh - nen, die eine oͤffentliche Ehrenſtelle bekleiden, nicht erſt ſagen, iſt nicht allein ein Eingriff in die goͤttlichen Vorrechte, ſondern auch eine Beſchim - pfung der Obrigkeit und guter Regierung. Es iſt eine gottloſe Handlung. Es iſt ein Unterneh - men, ein Leben wegzureißen, das dem Schwerdt einer Privatperſon nicht uͤberlaſſen ſeyn ſollte: ein Werk, wovon die Folge iſt, daß eine Seele, mit allen ihren Suͤnden uͤber dem Haupte, ins Ver - derben geſtuͤrzet, und die Seele des elenden Sie - gers ſelbſt in Gefahr geſetzet wird ‒ ‒ indem kei - ner von beyden dem andern, in einer Gelegenheit zur Buße, den Raum zur goͤttlichen Barmher - zigkeit zu verſtatten willens iſt, welchen doch ein jeder fuͤr ſich hoffen will.
Suchen Sie alſo nicht, mein Herr, ich bitte Sie, ſuchen Sie nicht meinen Fehler durch eine blutige Rache, welche nothwendig fuͤr eine Folge deſſelben gehalten werden muß, ſchwerer zu ma - chen. Geſtatten Sie dem ungluͤcklichen Men - ſchen, wenn ſie ungezweifelt den Sieg davon tra - gen muͤßten, nicht den Vorzug, daß er durch Jh - re Hand falle. Jtzo iſt er der treuloſe, der un - dankbare Betruͤger. Allein wird nicht die Ver - ſcherzung ſeines Lebens und der wahrſcheinliche Verluſt ſeiner Seele eine ſchreckliche Buße dafuͤr ſeyn, daß er mich nur auf einige wenige Mo - nathe ungluͤcklich, und durch dieſes Ungluͤck, nach der goͤttlichen Gnade, auf alle Ewigkeit gluͤcklich gemachet hat?
Wo,735Wo, wertheſter Herr Vetter, wird in ſolchem Falle das Uebel ein Ende finden? Wer wird ſich an Jhnen raͤchen? ‒ ‒ Und wer an Jhrem Raͤcher?
Laſſen Sie alſo, wertheſter Herr, das Ge - wiſſen des elenden Menſchen ſelbſt mich raͤchen. Er wird durch daſſelbe dereinſt mehr Strafe aus - zuſtehen haben, als genug iſt. Goͤnnen Sie ihm Raum zur Buße. Will ihm der Allmaͤchtige Zeit dazu geben: warum ſollten Sie es ihm ver - ſagen? ‒ ‒ Laſſen Sie ihn allezeit den ſtrafwuͤr - digen und angreifenden Theil bleiben: und laſſen Sie niemand ſagen, daß Clariſſa Harlowe nun in ſeinem Falle vollkommen geraͤchet worden; oder, wenn Sie etwa in dem Kampfe bleiben ſoll - ten; welches der Himmel verhuͤten wolle! daß ihr Vergehen, ſtatt in ihrem Grabe verſcharret zu ſeyn, durch einen weit groͤßern Verluſt, als der Verluſt in ihr geweſen, verewigt und vergroͤ - ßert ſey.
Der Schuldigere, mein Herr, hat oft uͤber den Unſchuldigern den Sieg davon getragen. Ein Grafe von Shrewsbury, unter der Regie - rung Carls des II. ſuchte die groͤßte Beleidigung, die einer Mannsperſon von der andern widerfah - ren kann, zu raͤchen, und fand ſeinen Tod bey Barn Elms, eben durch die Hand des unedelmuͤ - thigen Herzogs, der ihn auf das ſchaͤndlichſte be - ſchimpft hatte. Man kann es auch fuͤr keine un - gleiche Haushaltung der Vorſehung halten: wennes736es auch gemeiniglich geſchehen ſollte, daß derje - nige, welcher in die goͤttliche Vorrechte einen Ein - griff thut, fuͤr ſeine Vermeſſenheit durch eben den - jenigen, den er zu toͤdten ſuchet, und der, ſo ſtraf - wuͤrdig er auch vorher ſeyn mag, in dieſem Falle zu einem nothwendigen Vertheidigungswerke ge - trieben wird, geſtrafet wuͤrde.
Der Himmel ſchuͤtze Sie, mein Herr, auf al - len Jhren Wegen, und belohne Sie, wie noch einmal mein Gebeth deswegen zu ihm abgeſchicket wird, fuͤr alle Jhre Guͤte gegen mich: eine Guͤte, die Jhrem Herzen ſo anſtaͤndig und dem meini - gen ſo ausnehmend angenehm iſt; die guͤtige Bemuͤhung, Frieden zu ſtiften, und mit einem ehemals geliebten Kinde ſeine Eltern; mit einer noch vor kurzem als einen Augapfel geachteten Baſe, ihre Onkels; und mit einer Schweſter, ih - ren Bruder und Schweſter, welche vormals die - ſelbe ihrer zaͤrtlichen Verwandtſchaft nicht unwuͤr - dig zu ſeyn geglaubet hatten, wieder auszuſoͤhnen; eine Guͤte, die der Rache des Mordſchwerdtes ſo weit vorzuziehen iſt.
Haben Sie die Guͤte, mein Herr, ein Troͤſter fuͤr meine geehrte Eltern zu ſeyn, wie Sie fuͤr mich geweſen ſind. Gott aber wolle uns, nach ſeiner Gnade gegen uns beyde, in der ſeligen Ewig - keit, in welche ich, wie ich demuͤthigſt vertraue, eingegangen ſeyn werde, wenn Sie dieſes leſen, wieder zu einander fuͤhren.
Dieß737Dieß iſt das Gebeth, und wird, mein werthe - ſter Herr Vetter Morden, mein Freund, mein Vormund, aber nicht mein Raͤcher ‒ ‒ werthe - ſter Herr! erinnern Sie ſich deſſen! ‒ ‒ Bis an ihre letzte Stunde das Gebeth ſeyn
Jhrer ewig ergebenen und verbundenen Clariſſa Harlowe.
Es iſt mir ſehr leid, daß irgend etwas, das ich geſagt haben ſoll, und Jhnen zu Ohren ge - kommen iſt, Jhnen Unruhe machen ſollte.
Jch bin Jhnen fuͤr die Briefe, welche Sie mir mitgetheilet haben, verbunden: und noch mehr fuͤr Jhr Verſprechen, mir die Gewogenheit zu erweiſen, und bey Gelegenheit noch einige an - dere zu uͤberſchicken.
Alles, was meine liebe Baſe angeht, werde ich gern ſehen, es ſey, von wem es wolle.
Jch uͤberlaſſe Jhrer eignen Einſicht, was von einer ſo freyen Feder, als die meinige iſt, ſich fuͤrSiebenter Theil. A a adie738die Fraͤulein Howe zu ſehen ſchicken, oder nicht ſchicken mag.
Jch bewundere ihren Geiſt. Wenn ſie eine Mannsperſon waͤre: meynen Sie wohl, mein Herr, daß ſie itzo in einer ſolchen Sache, als die iſt, von der Sie ſchreiben, Jhren Rath anzuneh - men haben wuͤrde?
Fuͤrchten Sie inzwiſchen nicht, daß etwas von dem, was Sie mir mittheilen, mich auf irgend andere Maaßregeln, als ich ſonſt genommen haͤt - te, bringen werde. Die Bosheit, mein Herr, iſt ſo beſchaffen, daß ſie keine Vergroͤßerung zulaͤſſet.
Jedoch verſichere ich Sie, daß ich keinen Ent - ſchluß gefaßt habe, der mir zu einer Verbindlich - keit dienen werde.
Jch habe mich freylich bey der Gelegenheit etwas heftig ausgedruͤckt. Wer konnte ſich deſ - ſen wohl enthalten? Allein es iſt nicht meine Weiſe, in wichtigen Dingen eher einen Schluß zu faſſen, bis eine bequeme Gelegenheit mich in den Stand ſetzet, meinen Vorſatz ins Werk zu richten. Wir werden ſehen, was fuͤr ein Geiſt dieſen jungen Herrn treiben wird, wann er wie - der geneſen iſt. Wo er fortfaͤhret, einer Fami - lie, die er auf eine ſo unwiederbringliche Art be - leidigt hat, Hohn zu ſprechen und Trotz zu bieten ‒ ‒ Wo ‒ ‒ Jedoch Entſchließungen, die von zukuͤnftigen und zufaͤlligen Begebenheiten abhan - gen, ſind am beſten kuͤnftiger Beſtimmung zu uͤberlaſſen: wie ich eben erſt beruͤhret habe.
Mittler -739Mittlerweile will ich geſtehen, daß ich die Gruͤnde von meiner Baſe fuͤr unbeantwortlich halte. Ein jeder Frommer muß dadurch uͤber - zeuget und zu einer feſten Entſchließung gebracht werden ‒ ‒ Aber, ach! mein Herr, wer iſt voll - kommen fromm?
Was Jhre Gruͤnde betrifft: ſo hoffe ich, Sie werden mir glauben, wenn ich Sie verſiche - re, wie ich itzo thue, daß Jhre Meynung und Jh - re Schluͤſſe ein großes und gehoͤriges Gewicht bey mir haben und allezeit haben werden; und daß ich Sie wegen Jhrer Vorſtellungen, die Ab - ſicht der gottſeligen Verordnungen meiner Baſe zu befoͤrdern, noch mehr, wo moͤglich, als vorher, achte. Sie kommen von Jhnen, mein Herr, ſo daß ſie ſich vollkommen fuͤr Sie ſchicken, als eben denjenigen der ihr Teſtament zu vollziehen und ihre Perſon vorzuſtellen hat: Da Sie uͤber dieß auch noch auf Menſchenliebe halten, und beyden Parteyen wohlwollen.
Jch bin eben ſo wenig, als Jhr Freund, mein Herr, von heftigen Leidenſchaften frey: allein da - bey hoffe ich, daß ſie nur durch anderer Leute Ue - bermuth, und nicht durch meinen eignen Stolz, erregt werden koͤnnen. Wenn ich jemals durch meine Unvollkommenheiten und meinen Zorn ge - reizet werde, wider mein Urtheil und wider das - jenige, was uns meine Baſe aufs ſorgfaͤltigſte em - pfohlen hat, zu handeln: ſo werden einige von ſolchen Vorſtellungen, als folgen, meinen VerſtandA a a 2mit740mit ſich hinreißen. Jn der That gehen ſie mir allezeit im Kopfe herum.
Zuerſt, mein eigner Verdruß, daß ich mich in mei - ner Hoffnung betrogen ſehe: da ich in der Hoff - nung heruͤber gekommen, meine uͤbrigen Tage in dem Umgange mit einer ſo geliebten Baſe, mit der ich noch dazu in einer gedoppelten Ver - wandtſchaft ſtand, als ihr Vetter und als ihr Vormund, zuzubringen.
Alsdenn uͤberlege ich, vielleicht allzu ‒ ‒ allzu oft in Anſehung der Verbindlichkeit, die ſie mir in ihren letzten Stunden aufgeleget hat, daß die liebe Fraͤulein nur allein fuͤr ſich ſelbſt verge - ben konnte. Sie iſt ſonder Zweiſel gluͤcklich: aber wer ſoll fuͤr eine ganze Familie, die in allen ihren Zweigen auf ihre Lebenszeit un - gluͤcklich gemacht iſt, vergeben?
Jch erwaͤge, daß ſeine Undankbarkeit um ſo viel ungeheurer und um ſo viel weniger zu ent - ſchuldigen iſt, je mehr es ihre Freunde in An - ſehung ihrer verſehen haben ‒ ‒ Wie? mein Herr, war es nicht genug, daß ſie um ſeinet - willen das litte, was ſie litte: mußte der Un - menſch ihr noch ein neues Leiden dafuͤr aufle - gen, daß ſie um ſeinetwillen litte? ‒ ‒ Der Zorn macht, daß ich dieß mit ſchwachen Wor - ten ausdruͤcke: der Zorn verſagt uns bisweilen die Staͤrke im Ausdruck, wo die Billigkeit ei - nes gefaßten Unwillens gleich bey dem erſten Anblick zeiget, daß es nicht noͤthig ſey, ihn aus -zudruͤ -741zudruͤcken. Jch uͤberlaſſe Jhnen, mein Herr, dieſer Anmerkung ihre gehoͤrige Staͤrke zu geben.
Jch erwaͤge, daß der Urheber dieſes weit ausge - breiteten Ungluͤcks daſſelbe mit Vorſatz, aus Uebermuth, aus Muthwillen veruͤbet hat. Meine Baſe auf die Probe zu ſtellen, ſa - gen Sie, mein Herr? Die Tugend einer Cla - riſſa Harlowe auf die Probe zu ſtellen! ‒ ‒ Hatte ſie ihm denn die geringſte Urſache gege - ben, an ihrer Tugend zu zweifeln? ‒ ‒ Es konnte nicht ſeyn ‒ ‒ Behauptet er es ‒ ‒ ſo bin ich in der That herausgefordert ‒ ‒ Al - lein ich will Gedult haben.
Jch erwaͤge, daß er ſie, wie itzo am Tage liegt, in ein ſchaͤndliches Hurenhaus gebracht; mit dem wohlbedaͤchtlichen Vorſatz, ihr alle menſchliche Zuflucht zu benehmen, ſich ſelbſt allen menſch - lichen Gewiſſensregungen zu entziehen: und daß, weil er befunden, wie ſie gegen alle ge - woͤhnliche Kunſtgriffe des Betrugs wohl ver - wahret waͤre, ſchaͤndliche und unmenſchliche Kuͤnſte angewandt worden, ſeine gottloſen Ab - ſichten ins Werk zu richten. Einmal, ſagt die beleidigte Heilige in ihrem Teſtament, ha - be er ſie ſchon todt geſehen.
Jch erwaͤge, daß ich dieß nicht wiſſen konnte, da ich ihn zu M. Hall ſahe; daß in Betrachtung des Gegenſtandes, wider welchen er ſeine Ver - ſuche gewaget, ich nicht vermuthen konnte, daß ein ſolches Ungeheuer auf Erden lebte; daß esA a a 3fuͤr742fuͤr mich natuͤrlich war, ihre gaͤnzliche Verwer - ſung ſeiner angebotenen Hand vielmehr einem voruͤbergehenden Unwillen, einem Bewußtſeyn menſchlicher Schwachheit und damit vermiſch - ten Zweifeln an der Aufrichtigkeit ſeiner Erbie - tungen, zuzuſchreiben, als ſolchen Schandtha - ten, die ihr den unwiederruflichen Stoß gege - ben und alſobald an die Pforten des Todes, welche in ſehr wenigen Tagen ſie einſchloſſen, heruntergebracht haͤtten.
Jch erwaͤge, daß er ein trotziger Menſch iſt: ein Menſch, der ſich einbildet, ein jeder muͤſſe ſich durch ſein uͤbermuͤthig vermeſſenes Bezeigen und ſeine angemaßte Vorzuͤge in der Herzhaf - tigkeit und Geſchicklichkeit Furcht einjagen laſſen.
Jch erwaͤge, daß, da er ein Schandfleck fuͤr ſeinen Namen und fuͤr den guten Ruf eines Caval - liers iſt, es demjenigen nicht an ſeinem Ver - dienſt mangeln wuͤrde, der ihn, um den ent - ehrten Stand zu raͤchen, aus der wuͤrdigen Li - ſte ausſtreichen und ausloͤſchen ſollte.
Jch erwaͤge, daß die beleidigte Familie einen Sohn hat, der, ſo unwuͤrdig er auch einer ſolchen Schweſter ſeyn mag, dennoch von einer hefti - gen Gemuͤthsart, unbaͤndig, wild, und daher, wie man ſchon einmal in der That befunden hat, einem Streit mit dieſem Menſchen nicht gewachſen iſt. Der Verluſt von dieſem Soh - ne, durch einen gewaltſamen Tod, bey einer ſol - chen Gelegenheit, durch eine mit Recht ſo ver -haßte743haßte Hand, wuͤrde das Ungluͤck der ganzen Familie ganz vollkommen machen. Und gleich - wohl iſt er entſchloſſen, ihn zur Rechenſchaft zu fordern: wo ich es nicht thue. Sein uͤbles Bezeigen ſelbſt gegen eine ſolche Schweſter reizet vielleicht ſein verkehrtes Herz, ihrem Ge - daͤchtniſſe eine deſto merkwuͤrdigere Ge - rechtigkeit widerfahren zu laſſen: ob der Ver - ſuch ihm gleich zum Ungluͤck gereichen moͤchte.
Wie verdrießlich muß es mir hiernaͤchſt ſeyn, mein Herr, daß ich von dem Jammer und Herzeleid einer Familie, zu der ich gehoͤre, ein Zeuge ſeyn ſoll, wie ich ſtuͤndlich bin: von wel - cher ein jeder, ſo abgeneigt ſie auch von einer Verbindung mit ihm waren, dieweil ſie noch nicht Platz genommen hatte, ſonder Zweifel bald mit der bewundernswuͤrdigen Fraͤulein ausgeſoͤhnt worden ſeyn wuͤrde, wenn der Menſch, mit dem ſeiner Familie und ſeiner Gluͤcksumſtaͤnde wegen es keine Schande ge - weſen waͤre, verwandt zu werden, ihr nur die gemeine und gewoͤhnliche Gerechtigkeit haͤtte widerfahren laſſen.
Wie verdrießlich, zu ſehen, daß ſie in tiefen Ge - danken die Koͤpfe haͤngen, ſtumm und traͤge herumgehen, und einander meiden; da ſie doch vorher niemals zuſammen zu kommen pflegten, ohne ihre Luſt an einander zu haben: daß ſie ſich ſelbſt mit den Gedanken kraͤnken, daß es hier oder dort, an einem ſolchen Orte, in einer ſolchen Stellung geweſen, da ſie die liebe Fraͤu -A a a 4lein744lein das letzte mal, ein jeder beſonders, geſehen; und haͤtten ſie wohl denken koͤnnen, daß es das letzte mal ſeyn wuͤrde?
Ein jeder von ihnen erinnert ſich einiger Faͤlle, da ſie Proben ihrer trefflichen Vorzuͤge gege - ben hat: und das wird auf eine lange Zeit ih - ren Segen ſelbſt zu einem Fluch fuͤr ſie ma - chen.
Jhr Cloſet, ihre Kammer, ihr Cabinet ſind mir uͤbergeben, um ſie auszuraͤumen; itzt ſind ſie zu ſpaͤt gefaͤllig; damit die Vermaͤchtniſſe zur Erfuͤllung gebracht werden. Sie ſelbſt ſind nicht im Stande hineinzugehen und bedienen ſich ſo gar unbequemer Hintertreppen, damit ſie nur nicht bey der Thuͤr von ihrem Zimmer vorbeygehen duͤrfen.
Jhr Saal zum Beſuch iſt verſchloſſen. Die Spa - ziergaͤnge, die zur Einſamkeit bequeme Oerter, das Sommerhaus, worinn ſie ſich zu vergnuͤ - gen, und ihre ſchoͤne Arbeit zu machen pflegte, ſonderlich aber das, aus welchem ſie zu der ungluͤcklichen Zuſammenkunft herausgegangen, werden gemieden, oder, wenn man bey demſel - ben iſt, oder voruͤbergehet, eilet man, davon wegzukommen.
Nichts deſto weniger aber werden ihre Vollkom - menheiten im Angedenken erhalten und erzaͤh - let. Vorfaͤlle und angenehme Bezeigungen, auf die man vorher nicht geachtet, oder die man unter der Menge ihrer unzaͤhligen Vollkom -menheiten745menheiten uͤberſehen hat, werden itzo bemerkt und weitlaͤuftig erhoben.
So gar den Bedienten wird erlaubt, ſich gegen ihre Herrſchaften uͤber dieſe ruhmvolle Stuͤcke weitlaͤuftig herauszulaſſen! Ja ſie ſind in ihren Lobeserhebungen ſelbſt beredt! ‒ ‒ Die un - gluͤcklichen Herrfchaften horchen und weinen! Wie muß ich ſie dabey bald aus Ungedult und Gewiſſensangſt den eifrigen Lobrednern ins Wort fallen, ihre huͤlfloſe Haͤnde herumwerfen und ausrufen; bald wieder, um mehr von ih - rem Lobe zu hoͤren, horchen und weinen ſehen ‒ ‒ Sie geben gar den Bedienten Anlaß, wie - der zu erzaͤhlen, wie ſie von Fremden, die ſich nach ihr erkundiget, und von Bekannten, die gern eine und andere neue Proben zu ihrer Eh - re hoͤren wollen, angehalten zu werden pfleg - ten. ‒ ‒ Wie viel vergroͤßert dieß alles die Sache!
Jn Traͤumen ſehen ſie die Fraͤulein und wuͤn - ſchen, ſie zu ſehen: allezeit als einen Engel; allezeit mit Kleidern des Lichts angethan; alle - zeit bemuͤht ſie zu troͤſten, die frey bekennen, daß ſie niemals einen Troſt wieder empfinden werden.
Was fuͤr ein gutes Beyſpiel ſie gab! Wie ſie ſchrieb! Wie ſie zeichnete! Wie ſie ſtickte! Wie ſie redete! Wie ſie ſang! Wie ſie ſpielte! Jhre Stimme, Muſik! Jhren Ton! den Wohlklang in ihrem Tone!
A a a 5Wie746Wie lehrreich ihr Umgang! Wie begierig von andern geſucht! Ein Vergnuͤgen fuͤr Perſonen von allem Alter, von beyderley Geſchlechte, von allen Staͤnden! Wie demuͤthig gleichwohl, wie liebreich und gefaͤllig, ſich herabzulaſſen! Erhabnes Weſen und Demuth ſind niemals ſo vortrefflich mit einander gemiſcht geweſen.
Wie großmuͤthig, hieß es zu andern Zeiten, wie edel geſinnt, wie geneigt zu den Werken der chriſtlichen Liebe, wie ſtark an Beurtheilungs - kraft bey ihren chriſtlichen Liebeswerken! Jn allen und jeden Handlungen lobenswuͤrdig! Jn jeder Stellung und Bewegung reizend! Jn jedem Auſzuge, ſie mochte voͤllig geputzet, oder in der geringern Kleidung einer Hauswirthinn erſcheinen, gleich ſauber und gleich liebenswuͤr - dig! Wie Fraͤulein Clariſſa Harlowe, er - kennen ſie itzo fuͤr eine Lobeserhebung, die bey einem jeden den hoͤchſten Grad loͤblicher Vor - trefflichkeit anzeige, man rede von welcher Per - ſon, von welcher Handlung, von welchem Stan - de man wolle.
Die erwuͤnſchte Tochter! Die gefaͤllige Baſe! Die ergebene Schweſter! ‒ ‒ Aller Neid hat ſich nun geleget! ‒ ‒ Die getreue, die feurige Freundinn! Die geſpraͤchige, die guͤtige, die geneigte Herrſchaft! ‒ ‒ Man erinnert ſich nicht eines einzigen Fehlers! Alle ihre Haͤrte gegen die Fraͤulein heißt itzo Grauſamkeit! Man klagt ſich unter einander an; ein jeder und eine jede ſich ſelbſt: und das alles, um dieVor -747Vorzuͤge und Gemuͤthsart der Fraͤulein zu er - heben und ſich ſelbſt zu quaͤlen.
Ein ſolcher Engel, mein Herr, iſt die Per - ſon, welche der ſchaͤndlichſte Menſch der Welt ge - raubet hat. Sie, mein Herr, die mehr von den grauſamen Raͤnken und Streichen dieſes wunder - lichen Menſchen wiſſen, koͤnnen mir zu noch meh - rern Bewegungsgruͤnden helfen, wenn es noͤthig waͤre, warum ein Menſch, der nicht vollkom - men iſt, bey der Welt uͤberhaupt Entſchuldigung finden moͤchte, wenn er ſeiner Rache nachgehen ſollte.
Allein ich will mich ſelbſt von dieſer Sache abzubrechen zwingen: nachdem ich wiederhohlt habe, daß ich noch keinen Schluß gefaßt, der mich binden koͤnnte. Wenn ich es jemals thue, ſo wird es mir lieb ſeyn, wenn er ſo beſchaffen iſt, daß er die Ehre Jhres Beyfalls verdienen mag.
Jch ſchicke Jhnen die Abſchriften von den hinterlaſſenen Briefen zuruͤck. Jch ſehe die Menſchenliebe in Jhren Abſichten bey Ueberſen - dung derſelben an mich: und danke Jhnen dafuͤr von Herzen. Jch vermuthe, daß Sie aus eben dem loͤblichen Abſehen die Abſchrift des Briefes an den gottloſen Menſchen ſelbſt zuruͤckbehalten haben.
Jch bin willens, der Fraͤulein Howe in Per - ſon mit dem diamantenen Ringe und den andernihr748ihr vermachten Stuͤcken, die hier ſind, aufzuwar - ten. Jch bin, mein Herr,
Jhr getreueſter und verbundener Diener Wilh. Morden.
Herr Belford dringet in ſeiner Antwort auf dieſen Brief noch weiter auf das, was die Fraͤu - lein bey ihrem Tode ſo nachdruͤcklich empfohlen hatte; erfreuet ſich, daß der Obriſt keinen rach - gierigen Schluß gefaßt hat; und hoffet alles von ſeiner Klugheit und Bedaͤchtlichkeit ſo wohl, als von ſeinem Verſprechen, das er der ſterbenden Fraͤulein gethan.
Er verſchiebt, bis auf die Zeit, da er ihn in London ſehen wuͤrde, ihm eine Nachricht von dem ſchrecklichen Ende zwoer Perſonen zu geben, die in ſeiner Baſe Sache des groͤßten Verbrechens ſchuldig geweſen. „ Dieß, ſchreibt er, nebſt der „ Gemuͤthskrankheit des Herrn Lovelace, ſiehet ſo „ aus, als wenn die Vorſehung ſchon ſelbſt die „ Beſtrafung dieſer ungluͤckſeligen Boͤſewichter „ uͤbernommen haͤtte. “
Er bittet, ihm den Tag zu melden, da er nach London kommen wuͤrde, damit er zu der Zeit nicht abweſend ſeyn moͤge.
Dieß thut er, ob er ihm die Urſache gleich nicht ſaget, mit einer Abſicht, um zu verhuͤten, daß er nicht mit dem Herrn Lovelace, der eben um die Zeit, wie er beſorgt, auf dem Wege zu ſeiner Reiſe in London ſeyn moͤchte, in Geſellſchaft kaͤme.
Jch muß nothwendig mir ſelbſt ſo wohl, als Jhnen Gluͤck wuͤnſchen, daß wir ſchon alle Stuͤcke des Teſtaments, woran die Familie An - theil hat, bey ihr durchgeſetzt haben.
Sie haben mir in vielen Faͤllen die Freyheit gegeben, mein Herr, nach meiner Einſicht zu ver - fahren: und dem zu folge habe ich die Juwelen, welche meiner lieben Baſe perſoͤnlich zugehoͤret, ſchaͤtzen laſſen. Jch werde ſie Jhnen, wenn ich nach London komme, zu dem hoͤchſten Preiſe be - rechnen, und Jhnen auch von andern Dingen, die Sie die Guͤte gehabt mir zur Beſorgung zu ver - trauen, Rechnung ablegen.
Dieſe Juwelen habe ich meiner Baſe Doͤrt - chen Hervey, zur Erkenntlichkeit fuͤr ihre Liebe ge - gen die liebe Verſtorbene, zu einem Geſchenke ge - geben. Das habe ich der Fraͤulein Howe geſagt: und ſie iſt mit dem, was ich gethan habe, eben ſo wohl zufrieden, als wenn ſie ſelbſt die Kaͤuferinn geweſen waͤre. Da dieſe Fraͤulein ſelbſt Juwe - len genug hat: ſo haͤtte ſie dieſelben nur bloß umihrer750ihrer geliebten Freundinn willen zu kaufen wuͤn - ſchen koͤnnen.
Die Juwelen von der Großmutter ſind auch geſchaͤtzt; und das Geld wird mir fuͤr Sie bezahlt werden, damit es zu dem durch das Teſtament be - ſtimmten Gebrauch angewandt werde.
Fr. Norton ſchickt ſich mit aller Einwilli - gung an, ihr Amt als Haushaͤlterinn auf dem Hayn anzutreten. Jch bin aber der Meynung, daß ſie nicht lange diſſeit des Himmels leben werde.
Jch habe der Fraͤulein Howe ſelbſt mit dem, was ihr und ihrer Mutter vermacht war, aufge - wartet, wie ich Jhnen gemeldet, daß ich es wil - lens geweſen bin. Wenn ich in Anſehung dieſer Fraͤulein, die meiner geliebten Baſe ſo werth ge - weſen iſt, einige Anmerkungen mache: ſo wird es Jhnen vielleicht nicht unangenehm ſeyn; da Sie keine perſoͤnliche Bekanntſchaft mit ihr haben.
Es iſt niemals eine feſtere und edlere Freund - ſchaft unter Frauenzimmern geweſen, als die der gottloſe Menſch zwiſchen meiner werthen Baſe und der Fraͤulein Howe zerſtoͤret hat.
Die Freundſchaft, uͤberhaupt davon zu re - den, Herr Belford, iſt eine zu feurige Flamme, daß weibliche Gemuͤther wohl damit umgehen koͤnnten: ein Licht, das nur in wenigen von ihren Haͤnden beſtaͤndig brennet, und das ſchoͤne Ge - ſchlecht oft zu einem uͤbertriebenen Schwunge und zur Ungereimtheit verleitet. Wie andere zu hoch getriebene Dinge kann ſie ſchwerlich allezeit dau -ren.751ren. Eine Eheverbindung, welche der hoͤchſte Freundſchaftsſtand iſt, hebet gemeiniglich die ei - frigſten Freundſchaften der Frauenzimmer mit Frauenzimmern auf: es mag die Heyrath gluͤck - lich ſeyn, oder nicht.
Welches Frauenzimmer hat ein Gemuͤth, das geſchickt ſey, zwo feurige Freundſchaften zu einer und eben derſelben Zeit zu unterhalten?
Dieß beruͤhre ich, als eine allgemeine An - merkung. Allein die Freundſchaft, welche zwi - ſchen dieſen beyden Fraͤulein beſtanden, giebt eine merkwuͤrdige Ausnahme dabey an die Hand, wel - che ich aus denen Eigenſchaften und Gaben an beyden erklaͤre, die zum Vortheil des ſchoͤnen Geſchlechts mehrere Ausnahmen zuwege bringen wuͤrden, wenn ſie gemeiner waͤren. Beyde hat - ten eine große und ſo gar freygebige Erziehung. Beyde hatten Gemuͤther, die mit brennender Be - gierde nach tugendhafter Erkenntniß ſtrebeten. Beyde laſen viel: Beyde ſchrieben viel ‒ ‒ Und fruͤhzeitiges Schreiben zwiſchen vertrauten Perſonen halte ich fuͤr eines der beſten Mittel, die eine Mannsperſon oder ein Frauenzimmer ge - brauchen kann, den Verſtand zu oͤffnen und zu beſſern ‒ ‒ Beyde waren edelmuͤthig und freyge - big, reich an Guͤtern, und daher nicht genoͤthigt, von einander abzuhangen, welches oft die Ver - traulichkeit, das Band der Freundſchaft, aufhe - bet. Beyde hatten ihre vortrefflichen Vorzuͤge auf verſchiedne Arten, in welchen keine von beyden die andere zu beneiden ſuchte. Beydewaren752waren mit hellem und ſcharfem Verſtand, mit gruͤndlicher Einſicht begabt, und ſahen von ihrer erſten Bekanntſchaft an; ich habe vieles von mei - nen Nachrichten der Fr. Norton zu danken, mein Herr! eine jede an der andern, ſo wohl etwas, das zu fuͤrchten, als das zu lieben war. Je - doch machten ſie es zu einer unaufloͤslichen Be - dingung ihrer Freundſchaft, einander ihre Fehler zu entdecken und fuͤr dieſe genommene Freyheit dankbar zu ſeyn. Die eine war von Natur ſanft und gelinde: die andere ward es, aus Lie - be und Bewunderung gegen ihre erhabne Freundinn ‒ ‒ Es war unmoͤglich, daß eine Freundſchaft beſſer auf die Dauer eingerichtet ſeyn konnte.
Jch muß mir inzwiſchen die Freyheit nehmen, die Fraͤulein Howe wegen ihrer Auffuͤhrung ge - gen Herrn Hickmann zu tadeln: und ich ziehe den Schluß daraus, daß ſelbſt verſtaͤndigen Frauen - zimmern keine Gewalt und Macht anzuver - trauen iſt.
Beylaͤufig, bin ich verſichert, darf ich nicht ein - mal bitten, dieſer hitzigen Fraͤulein die Freyheiten, welche ich mir mit ihrem Namen nehme, nicht zu eroͤffnen.
Jch darf wohl ſagen, meine Baſe konnte die Auffuͤhrung der Fraͤulein Howe gegen dieſen Herrn nicht billigen: eine Auffuͤhrung, davon ſo viele Leute reden, als Herrn Hickmann und ſie kennen. Kann ein weiſes junges Frauenzimmerſich753ſich bey ſolchen Vorwuͤrfen beruhigen? ‒ ‒ Sie muß es wiſſen.
Herr Hickmann iſt wirklich ein recht braver Mann. Ein jeder ſpricht wohl von ihm. Aber er iſt von ſanfter Gemuͤthsart und betet die Fraͤu - lein Howe an: und die Liebe leidet kein Anſehen eines erhabenen, wenn gleich gebuͤhrlichen, We - ſens gegen den Gegenſtand, der geliebet wird. Jedoch wird er ſchwerlich die Zuͤgel wieder zu - ruͤckbekommen, die er einmal aufgegeben hat: es waͤre denn, daß ſie die Gewalt, worauf ſie itzo allzu ſehr zu beſtehen ſcheinet, zu weit treiben, und, wenn ſie ihm keine Gewogenheiten mehr zu erweiſen hat, die er nicht berechtigt iſt zu fordern, ihn dadurch reizen ſollte, das allzu ſchwere Joch abzuſchuͤtteln. Sollte er das thun, und ihr nach - laͤßig begegnen: ſo wird die Fraͤulein Howe unter allen Frauenzimmern, die ich kenne, am wenigſten im Stande ſeyn, ſich darein zu ſchicken. Als - denn wird ſie weit ungluͤcklicher ſeyn, als ſie ihn jemals gemacht hat. Denn ein Mann, der zu Hauſe ſein Vergnuͤgen nicht findet, kann ſich au - ßerhalb Hauſes aufmuntern: das kann aber ein Frauenzimmer nicht ſo leicht ohne Aergerniß thun.
Erlauben Sie mir ferner zu bemerken, in Abſicht auf die Fraͤulein Howe, daß ich offenbar ſehe, wie ſie ſich, durch ihr hohes Bezeigen gegen dieſen wuͤrdigen Mann, ſelbſt in eine Schwierig - keit verwickelt habe, aus der ſie ſich nicht mit dem - jenigen Anſtande, der alle ihre Handlungen be -Siebenter Theil. B b bgleitet,754gleitet, zu ziehen weiß. Sie iſt willens, Herrn Hickmann zu nehmen. Jch glaube, er gefaͤllt ihr nicht uͤbel. Es wird ſie aber nicht geringe Muͤhe koſten, ſich von der Hoͤhe, zu der ſie hin - aufgeklettert iſt, herunter zu laſſen.
Noch eine andere Unbequemlichkeit wird ſie daher leiden, daß ſie einen jeden; denn ſie iſt uͤber alle Verſtellung hinaus; durch ihr Bezeigen ge - gen Herrn Hickmann gelehret hat, ſich viel ſchlech - tere Gedanken von ihm zu machen, als er verdie - net. Und muß ſeine Entehrung ihr nicht ſelbſt zur Unehre gereichen?
Fr. Howe iſt uͤber ihrer Tochter Auffuͤhrung gegen dieſen Herrn ſehr unzufrieden. Er hat mit vollkommenem Rechte ihre Gunſt. Aber, ein neuer Fehler an der Fraͤulein Howe! ihre Mutter gilt nicht ſo viel bey ihr, als die gute Ein - ſicht ihrer Tochter ſie billig gelten laſſen ſollte. Es iſt ſehr ſchwer, Herr Belford, fuͤr Leute von verſchiedner oder entgegengeſetzter Gemuͤths - art, wenn ſie auch ſonſt nicht boͤſe ſind, mit ihrer Liebe gegen einander Ehrerbietung zu verknuͤ - pfen: ſelbſt da, wo die Natur in der Verwandt - ſchaft zur Liebe aufgefordert hat.
Fraͤulein Howe iſt offenherzig, freygebig, edelmuͤthig. Die Mutter hat nicht eine einzi - ge von dieſen ſchoͤnen Eigenſchaften. Die Eltern ſollten billig große Sorge tragen, damit ſie ſich bey ihren Kindern die Ehrerbietung erhielten, dieſelbe in ihrer Auffuͤhrung, oder in ihrem Be -zeigen755zeigen oder in ihren Grundſaͤtzen, nichts ſehen zu laſſen, was ſie ſelbſt an andern nicht billigen wuͤrden.
Bey dem allen aber ſehe ich etwas ſo reizend glaͤnzendes und freyes in der Gemuͤthsart der Fraͤulein Howe, ob es gleich itzo augenſcheinlich durch Kummer und Betruͤbniß umwoͤlket und verdunkelt iſt, daß es unmoͤglich faͤllt, ſie ſelbſt ih - rer Fehler wegen nicht zu lieben. Sie kann, und ich hoffe, ſie wird fuͤr Herrn Hickmann eine angenehme Gattinn werden. Geſchieht es: ſo wird ſie bey mir einen Vorzug mehr verdienen; da ſie keinen Zwang oder Einrede befuͤrchten kann, und alſo, nach ihrer Großmuth und Klugheit durch die Vollbringung deſſen, was nicht mehr als ihre Schuldigkeit iſt, ihrem Manne eine Verbindlichkeit auflegen mag.
Jhre Mutter hat ſo wohl Liebe fuͤr ſie als Furcht vor ihr. Gleichwohl iſt Fr. Howe eine Frau von lebhafter Gemuͤthsart, und fertig ge - nug, zu ſchreien, wenn ihr Verdruß geſchiehet. Aber leider! wie ich ſchon von weiten zu verſte - hen gegeben habe, ſie hat ihr Anſehen durch ihre unedle Gemuͤthsart geſchwaͤchet.
Gleichwohl ruͤhmte ſie einmal gegen mich die Großmuth und edle Geſinnung ihrer Tochter mit ſo vieler Hitze, daß, wenn ich die Gemuͤthsart der alten Dame nicht gekannt haͤtte, ich ſie ſelbſt fuͤr großmuͤthig und edelgeſinnt gehalten haben wuͤr - de. Und dennoch habe ich allezeit bemerket, daß ſelbſt Leute von unedlem Gemuͤthe bereit ſind edel -B b b 2geſinnte756geſinnte Perſonen zu erheben: ‒ ‒ und das ha - be ich daraus erklaͤret, weil ſolche Leute es gemei - niglich ihren Abſichten gemaͤß befinden, daß alle Welt, außer ihnen, aufrichtig und offenherzig ſeyn moͤchten.
Die gnaͤdige Frau wandte ſich an mich, daß ich den Jnhalt des Teſtaments bey der Fraͤulein nachdruͤcklich vorſtellen moͤchte, damit ſie ſich be - wegen ließe, bald einen Tag zu ihrer Vermaͤh - lung feſtzuſetzen: aber bat, daß ich Fraͤulein Ho - we nicht merken ließe, daß ſie ſich desfalls an mich gewandt haͤtte.
Jch nahm mir die Freyheit, der Fraͤulein zu eroͤffnen, daß ich hoffete, ihr Theil von einem Te - ſtamente, das beynahe in allen ſeinen andern Stuͤ - cken ſo bald und ſo genau vollzogen waͤre, wuͤrde nicht der einzige ſeyn, welcher hintangeſetzet wer - den ſollte.
Jhre Antwort war, ſie wollte es uͤberlegen: und dabey neigte ſie ſich mit einer ſolchen Mine, die mir zeigte, daß ſie mich mehr uͤber meine Grenzen geſchritten zu ſeyn glaubte, als ich ihr zu denken erlauben konnte, wenn es mir erlaubt ge - weſen waͤre, mit ihr daruͤber zu ſtreiten.
Jch fand ſo wohl die Fraͤulein Howe, als ihr Kammermaͤgdchen in tiefer Trauer. Dieß hatte anfangs, wie es ſcheint, großen Streit zwiſchen ihrer Mutter und ihr verurſachet. Jhre Mut - ter hatte die ausdruͤcklichen Worte des Teſta - ments auf ihrer Seite, und Herrn Hickmanns Vortheil vor Augen: weil ihre Tochter geſagthatte,757hatte, daß ſie ſie wenigſtens ſechs Monathe tra - gen wollte. Allein die Fraͤulein ſetzte ihre Sa - che durch ‒ ‒ „ Es waͤre wunderlich, ſagte ſie, „ daß ich, die den ſchweren und unerſetzlichen Ver - „ luſt bis an meine letzte Stunde betrauren wer - „ de, der Welt nicht auf einige wenige Monathe „ meine Betruͤbniß zeigen ſollte. “
Herr Hickmann war, fuͤr ſein Theil, bey die - ſer Gelegenheit ſo weit entfernt, ein einziges Wort dagegen zu aͤußern, daß er an eben dem Tage, da die Fraͤulein Howe ihre Trauer anlegte, ihr in ei - nem neuen Trauerkleide, als wenn es fuͤr einen nahen Verwandten waͤre, aufwartete. Seine Bedienten, Pferde und Wagen erſchienen in eben dem ehrerbietigen Aufzuge.
Ob die Mutter desfalls von ihm um Rath gefragt war, kann ich nicht ſagen. Die Tochter aber wußte nichts davon, bis ſie ihn darinn ſahe. Sie warf mit beſtuͤrzungsvoller Verwunderung ihr Auge auf ihn und fragte, fuͤr wen er traurte.
Fuͤr die werthe und allezeit werthe Fraͤulein Harlowe, ſagte er.
Sie war ganz verlegen, wie es ſcheint ‒ ‒ Endlich antwortete ſie ‒ ‒ Alle Welt ſollte billig um meine Clariſſa trauren: aber wem, mein Herr ‒ ‒ ſo wandte ſie ſich zu ihm ‒ ‒ denkt ihr durch dieſen Aufzug ein Gefallen zu thun?
Es iſt mehr als ein aͤußerlicher Aufzug, gnaͤdige Fraͤulein. Jch habe meine eigne Schwe - ſter, ſo wuͤrdig ſie auch iſt, nicht lieber, als ich die Fraͤulein Clariſſa Harlowe gehabt habe. JchB b b 3thue758thue mir ſelbſt dadurch ein Gefallen. Und wenn ich ihnen dadurch nur nicht misfaͤllig werde: ſo iſt das alles, was ich zu wuͤnſchen habe.
Darauf beſahe ſie ihn, iſt mir geſagt, von Haupt bis zu Fuße. Sie wußte ſelbſt anfangs nicht, ob ſie zornig oder mit ihm zufrieden ſeyn ſollte. ‒ ‒ Nach einer guten Weile ſprach ſie endlich. Jch dachte, waren ihre Worte, ſie moͤch - ten einen kuͤhnern und freyern Bewegungsgrund dazu haben ‒ ‒ Allein, wie meine Mutter ſagt, ſie moͤgen wohl ein Menſch von gutem Herzen ſeyn: ob ſie gleich gemeiniglich einen etwas ver - kehrten Kopf zeigen. ‒ ‒ Jedoch, da die Welt gern richtet, und uns fuͤr naͤher verwandt halten mag, als ich gern vermuthet wiſſen wollte: ſo muß ich mich in Acht nehmen, guter Freund, daß ich außerhalb Hauſes nicht in ihrer Geſellſchaft geſehen werde.
Allein erlauben Sie mir beyzufuͤgen, Herr Belford, daß, wo dieſe Hoͤflichkeit des Herrn Hick - manns; oder dieſes mehr als hoͤfliche Bezeigen, darf ich wohl ſagen, indem der wuͤrdige Mann nicht ohne innerliche Regung von meiner lieben Baſe redet; nicht einen auf kurze Zeit ausgeſetz - ten Tag zu ihrer Verbindung zuwege bringet, ich denken werde, daß die Fraͤulein Howe weniger Edles in ihrer Gemuͤthsart habe, als ich ihr gern zueignen moͤchte.
Sie werden mich entſchuldigen, Herr Bel - ford, ich bin es verſichert, daß ich Jhnen ſo ge -nau759nau alle kleine Umſtaͤnde melde: weil Sie mich dazu ſelbſt aufgefordert und ermuntert haben.
Da ich nun alles, was den letzten Willen mei - ner lieben Baſe betrifft, zu einem ſo erwuͤnſchten Ende gebracht geſehen habe: ſo will ich mein ei - genes Teſtament zu machen anfangen. Jch wer - de dem Beyſpiel der lieben Fraͤulein folgen, und bey einem jeden Stuͤck meine Gruͤnde anfuͤhren, damit nachher kein Streit Platz finde.
Was anders, als eine Furcht vor dem Tode, eine Furcht, die einem Geſchoͤpfe, welces weiß, daß es eben ſo gewiß einmal ſterben muͤſſe, als es gebohren worden, ſo unanſtaͤndig iſt, kann jemand abhalten eine ſolche Verordnung zu machen?
Jch hoffe Jhnen bald in London meine Auf - wartung zu machen. Mittlerweile bin ich mit vieler Hochachtung,
Wertheſter Herr, Jhr getreuer und ergebener gehorſamer Diener, Wilh. Morden.
Jch nehme mir die Ehre, Jhnen hiemit die Abſchriften von den hinterlaſſenen Briefen Jhrer erhoͤheten Freundinn, meinem Verſprechen gemaͤß(*)Man ſehe den vorhergehenden LXXXIXten Brief., zu uͤberſenden.
Sie werden dieſelben mit noch einigen andern Briefen, ſonderlich mit einer Abſchrift eines Brie - fes von Herrn Lovelacen, den er am 14ten ange - fangen und bis zum 18ten fortgeſetzet hat(**)Man ſehe den vorhergehenden XC. Brief., begleitet finden. Aus der letztern, gnaͤdige Fraͤu - lein, werden Sie von der ſchrecklichen Angſt, un - ter welcher ſein Geiſt arbeitet, und von ſeinen em - pfindlichen Gewiſſensbiſſen urtheilen.
Herr Lovelace hat nach dieſem Briefe geſchickt, um ihn wieder zuruͤckzubekommen. Jch bin ihm darinn zu Gefallen geweſen: aber ich habe erſt eine Abſchrift davon genommen. Da ich ihm nicht geſagt, daß ich es gethan habe: ſo werden Sie die Guͤte haben, ihn keinem Menſchen, alsdem761dem Herrn Hickmann, mitzutheilen. Wenn ihn nur dieſer Herr durchlieſet: ſo wird es eben ſo gut ſeyn, als wenn ihn niemand, außer Jhnen ſelbſt, geſehen haͤtte.
Einer von den Briefen des Obriſt Mordens, die ich beyſchließe, iſt nur eine Abſchriſt(*)Naͤmlich der unmittelbar vorhergehende Brief., gnaͤ - dige Fraͤulein, wie Sie bemerken werden. Die wahre Urſache davon, will ich aufrichtig geſtehen, iſt eine und die andere freye, aber zugleich ehrer - bietige Anmerkung, welche der Obriſt uͤber Sie gemacht hat, weil Sie noch Schwierigkeiten ma - chen, Jhren Theil von den letzten Bitten Jhrer werthen Freundinn zur Vollziehung zu bringen. Jch habe daher aus Achtung gegen dieſen wuͤrdi - gen Herrn, weil er mich desfalls erinnert hat, die Stellen weggelaſſen.
Wollen Sie mir inzwiſchen erlauben, gnaͤdi - ge Fraͤulein, Jhnen zu eroͤffnen, daß ich ſelbſt nicht haͤtte glauben koͤnnen, daß die eigne Fraͤu - lein Howe der unvergleichlichen Urheberinn des mir zur Vollziehung anvertraueten Teſtaments die letzte ſeyn wuͤrde, ein ſolches Stuͤck von dem letzten Willen ihrer liebſten Freundinn, das gaͤnz - lich in ihrer Gewalt ſtehet, in Erfuͤllung zu brin - gen ‒ ‒ ſonderlich da dieſe Erfuͤllung einen der wuͤrdigſten Maͤnner, und denjenigen, welchen ſie vermuthlich ſich vorgenommen hat, mit ihrer Hand zu beehren, gluͤcklich machen wuͤrde?
B b b 5Ent -762Entſchuldigen Sie mich, gnaͤdige Fraͤulein. Jch habe die aufrichtigſte Ehrfurcht gegen Sie, und wollte Jhnen um aller Welt willen nicht mis - faͤllig werden.
Jch will mir nicht herausnehmen, uͤber die Briefe, welche ich Jhnen ſchicke, und uͤber die Nachrichten, die ich Jhnen von dem erſchreckli - chen Ende zwoer ungluͤcklichen und elenden Per - ſonen zu geben habe, Anmerkungen zu machen. Die beyden Perſonen hatten in der Sache Jhrer anbetenswuͤrdigen Freundinn die meiſte Schuld. Sie ſind die ſchaͤndliche Sinclair und einer, von dem Sie ſonder Zweifel in den Briefen der rei - zenden und unſchuldigen Fraͤulein unter dem Na - men des Capitain Tomlinſon etwas geleſen haben.
Das nichtswuͤrdige Weib ſtarb in der aͤußer - ſten Marter und Verzweifelung: der Kerl, an Wunden, die er in ſeiner Vertheidigung bekom - men hatte, als er verbotene Waaren aufbrachte. Beyde warfen ſich in ihren letzten Stunden die Rollen, welche ſie gegen das vortrefflichſte Frauen - zimmer geſpielet hatten, als das Verbrechen vor, das ihr Gewiſſen am meiſten beunruhigte.
Erlauben Sie mir zu ſagen, gnaͤdige Fraͤu - lein, daß, wo kein Mitleiden gegen den armen Menſchen, der von der Angſt ſeines eignen Ge - wiſſens, wie Sie aus ſeinem Briefe ſehen wer - den, ſo viel leidet, und gegen die ungluͤckliche Fa - milie, die ſo empfindliche Gewiſſensregungen fuͤh - let; wie Sie aus den Briefen des Obriſt Mor -dens763dens ſehen werden, bey Jhnen erreget wird ‒ ‒ Schrecken in Jhnen erweckt werden muͤſſe. Je - doch werde ich mich nicht wundern, wenn die ge - rechte Empfindung von dem unerſetzlichen Ver - luſt, den Sie gelitten haben, ein Herz gegen alles Mitleiden verhaͤrtet, welchem bey einer nicht ſo außerordentlichen Gelegenheit, ſeine vornehmſte Schoͤnheit und Anmuth mangeln wuͤrde, wenn es nicht mitleidig waͤre.
Jch bin mit der groͤßten Hochachtung und Dankbarkeit,
Gnaͤdige Fraͤulein, Jhr verbundenſter und getreu gehorſam - ſter Diener Johann Belford.
Jch habe mir ſonſt gar nicht in den Sinn kom - men laſſen, daß ich jemals irgend einer Mannsperſon ſo viel Verbindlichkeit haben koͤnn - te, als Sie mir aufgeleget haben. Gleichwohl hat dasjenige, was Sie mir zugeſchickt, mir bey -nahe764nahe das Herz abgeſtoßen und die Augen ver - derbet.
Jch bin, ob gleich auf eine angenehme Art, in beſtuͤrzungsvolle Verwunderung geſetzt, daß Sie ſo bald und ſo gluͤcklich den Theil der uͤber - nommenen Teſtamentsverweſung, der die Fami - lie angehet, zu Stande gebracht haben.
Nach dem Ende der zwo mitſchuldigen Per - ſonen, der bey den Werkzeuge des hoͤlliſchen Kerls, welches Sie beruͤhren, iſt zu vermuthen, daß der Donnerkeil nicht eben kurz vor der Hauptperſon niederfallen werde. Jch empfinde in der That ein Vergnuͤgen, wenn ich gedenke, daß er bis auf den verfluchten Kopf, der alles dieß Ungluͤck durch ſeine ausgedachte Raͤnke zuwege gebracht hat, fortrollet. Jnzwiſchen muß ich doch ſagen, daß, ob ich gleich glaube, Herr Morden habe in ſeinen Gruͤnden Rache zu ſuchen, nicht gar Unrecht, da er der lieben Fraͤulein Vetter und Vormund iſt, ich dennoch dafuͤr halte, daß Sie ſehr wohl thun, wenn Sie es ihm widerrathen, da Jhnen die Voll - ziehung ihres Teſtaments aufgetragen iſt, und Sie ihrem ernſtlichen Verlangen darinn gemaͤß handeln.
Aber was fuͤr ein Brief iſt es, den der hoͤlli - ſche Kerl geſchrieben hat! Jch kann keine Auf - merkſamkeit dabey behalten: und eben ſo wenig bey den hinterlaſſenen Briefen meiner werthen Freundinn; ſonderlich bey dem, der an ihn ge - richtet iſt. O! Herr Belford, was fuͤr unzaͤh -lige765lige Vollkommenheiten ſind mit dem letzten Athem meiner Clariſſa verlohren gegangen!
Wofern der Wohlſtand in ſeinen Briefen be - obachtet iſt; denn ich habe bisher noch nicht Ge - duld gehabt, außer dem abſcheulichen, den ich Jh - nen eingeſchloſſen wieder zuruͤckſende, uͤber zween oder drey davon zu leſen: ſo kann ich vielleicht nach Verlauf einiger Zeit neubegierig ſeyn, ver - mittelſt derſelben in die Herzen nichtswuͤrdiger Leute hineinzuſchauen, welche zwar allen tugend - haften Gemuͤthern ein Abſcheu ſeyn muͤſſen, aber doch, wenn ſie aufgedeckt werden, wie ich ſie dar - inn aufgedeckt zu finden hoffe, allen denen, die ſie leſen, eine gehoͤrige Warnung geben und ſie lehren koͤnnen, Mannsperſonen von ſo ver - ruchter Gemuͤthsart zu verabſcheuen.
Jſt Jhre Bemuͤhung ſich zu beſſern aufrich - tig: ſo werden Sie ſich nicht fuͤr beleidigt halten, daß ich Sie bey dieſer Gelegenheit nicht davon ausnehme. ‒ ‒ Und ſo habe ich Jhnen zu einem Kennzeichen geholfen, wornach Sie ſich ſelbſt pruͤ - fen koͤnnen.
Aus dieſem Briefe des gottloſen Menſchen iſt offenbar, daß es noch gottloſere Weibsperſonen gebe. Allein ſehen Sie, wozu eine ſtrafbare Ge - meinſchaft mit den Teufeln von Jhrem Geſchlech - te diejenigen bringen wird, deren Tugend Sie zu Grunde gerichtet haben! ‒ ‒ Denn ſolche Weibs - leute ſind ſonſt unſchuldig geweſen: eine Manns - perſon hat ſie umgekehret. Die erſte gottloſe Mannsperſon brachte ſie vielleicht an aͤrgere:dieſe766dieſe an noch aͤrgere; bis ſie eingefleiſchte Teu - fel geworden. ‒ ‒ Man kommt gar nicht auf ein - mal zu den hoͤchſten Stuffen der Gottloſigkeit oder der Schaam: wie ich irgendwo bemerken gehoͤrt habe.
Aber daß dieſer Kerl, oder vielmehr dieß Un - geheuer, auf ſolche Weibsleute und auf die Fami - lie der lieben Fraͤulein fluchet; ſo unverſoͤhnlich die letztern auch geweſen ſind; damit er eine Buͤr - de, die er ſich freywillig aufgeladen, und worunter er ſeufzet, leichter machen moͤge, das heißt, Gott - loſigkeit mit Niedertraͤchtigkeit vermehren. Er wird dereinſt ſeine poͤbelhafte Vertheidigung, daß er mit ihren Freunden und mit jenen gemei - nen Boͤſewichtern eine Schuld theilet, die ihm ganz und gar als ſeine eigne zugerechnet werden wird, vergeblich befinden; ob jene gleich ebenfalls ihre Strafe finden moͤgen: und dieſe hat ſchon augenſcheinlich ihren Anfang genommen; bey den erſtern in ihren untuͤchtigen Vorwuͤrfen gegen einander; bey den letztern ſo, wie Sie mir gemel - det haben.
Dieſen Brief von dem verruchten Boͤſewicht habe ich keinem Menſchen gewieſen; auch Herrn Hickmann nicht: denn, mein Herr, erlauben Sie mir, Jhnen zu ſagen, daß ich es noch nicht fuͤr eben das halte, als wenn ich ihn ſelbſt nur ſaͤhe.
Herr Hickmann wuͤrde ſich, wie die uͤbrigen von ſeinem Geſchlechte, nach einer Gefaͤlligkeit immer mehr herausnehmen. Wenn ich ihn ein - mal vorzuͤglich von andern unterſchiede: ſo wuͤrdeer767er ſich ſelbſt zweymal ſo viel Vorzug geben. Ueber - muͤthige Schleicher, oder Leute, die immer weiter greifen, ſind alle Sie Mannsperſonen. Wenn man Jhnen heute eine Gunſt erzeigte: ſo wuͤr - den Sie ſie morgen ſchon als ein Recht er - warten.
Jch bin, wie Sie ſehen, ſehr aufrichtig und offenherzig gegen Sie: und habe mir vorgenom - men, es in einem andern Briefe noch mehr zu ſeyn, damit ich Jhre und des Obriſt Mordens Anforderung an mich in einem Stuͤcke, woruͤber ich mich gegen den Teſtamentsverweſer meiner geliebten Freundinn und ihren einzigen zaͤrtli - chen und einzigen wuͤrdigen Verwandten bil - lig zu erklaͤren habe, beantworte.
Jch muß den Obriſt Morden wegen ſeiner Freygebigkeit gegen die Fraͤulein Doͤrtchen Her - vey nothwendig erheben.
O waͤre er doch fruͤhe genug angekommen, meine unnachahmliche Freundinn von den Raͤn - ken des ſchaͤndlichſten Kerls und von dem Neide und der Bosheit des eigennuͤtzigſten und unver - ſoͤhnlichſten Bruders und Schweſters zu retten!
Anna Howe.
Wenn Sie mir ſolche Fragen vorlegen, mein Herr, wie Sie thun, und in einer Sache, die mich ſo nahe angehet; aber als einer, der die Perſon meiner geliebteſten Freundinn vorſtellet; und wenn Sie bisher in allen Umſtaͤnden dieſem Charakter gemaͤß gehandelt haben: ſo haben Sie ein Recht, Achtung und Aufmerkſamkeit von mir zu fordern; ſonderlich da Sie in Jhren vorgelegten Fragen von einem Cavallier unterſtuͤtzt werden, den ich als den liebſten und naͤheſten Ver - wandten meiner wertheſten Freundinn anſehe, weil er der wuͤrdigſte iſt; und der, wie es ſcheint, ein ſo ſtrenges Urtheil uͤber meine Auffuͤhrung ge - faͤllet hat, daß Jhre Hoͤflichkeit Jhnen nicht er - lauben will, mir ſeinen Brief nebſt den andern von ihm zu uͤberſenden, ſondern nur eine Abſchrift, in welcher die Stellen wider mich ausgelaſſen ſind.
Jch vermuthe inzwiſchen, daß dasjenige, was mit der beunruhigenden Freyheit des Obriſten ge - meynet iſt, nichts mehr ſey, als was Sie mir bey - de ſchon zu verſtehen gegeben haben: als wenn Sie daͤchten, daß ich nicht geneigt waͤre, gegenden769den letzten Willen meiner geliebten Freundinn in meiner eignen Sache ſo viele Achtung zu bezeigen, als ich von andern gegen denſelben bezeigt haben wollte. Ein Vorwurf, bey dem ich nicht ganz ſtille ſchweigen darf.
Sie haben ſonder Zweifel bemerkt, daß ich mir auf die Freyheit, meine Meynung in allen Sachen, die ich beruͤhren mag, ohne Zuruͤckhal - tung zu ſagen, etwas zu gute zu thun ſcheine: und ich kann kaum zweifeln, daß ich in Jhren Gedan - ken durch meine Auffuͤhrung gegen Sie, da ich Jhnen, auf eine ſo kurze Bekanntſchaft, ohne alle Umſtaͤnde begegne, in den Fehler derjenigen ver - fallen ſey oder verfallen werde, die ins Baͤuriſche, wo nicht gar ins Grobe und Unartige gerathen, in - dem ſie fuͤr Leute angeſehen ſeyn wollen, die uͤber alles Heucheln und Schmeicheln hinaus ſind; ein gemeiner Fehler bey denen, welche ſich nicht bemuͤhen ihre natuͤrlichen Maͤngel zu verbeſſern, ſondern ſie mit dem Namen einer oder der an - dern Tugend zu uͤberkleiſtern ſuchen, da es doch vielleicht ein angebohrner Stolz iſt, oder wenig - ſtens ein zugezogener Roſt, den ſie nicht abfeilen laſſen wollen, weil es ihnen Muͤhe und Schmer - zen machen wuͤrde.
Sie ſehen unterdeſſen, mein Herr, daß ich eben ſo frey mit mir ſelbſt, als mit Jhnen, ver - fahren kann: und aus dem, was ich ſchreiben will, werden Sie mich noch freyer befinden. Dennoch weiß ich gar wohl, daß Perſonen von meinem Geſchlechte, die ſich nicht ein wenig An -Siebenter Theil. C c cſehen770ſehen geben und von dem Jhrigen Ehrerbietung fordern wollen, ſich ſelbſt werden geringſchaͤtzig machen, und vielleicht fuͤr ihre Beſcheidenheit und ihr geringes Zutrauen zu ſich ſelbſt mit Spott und Schimpf bezahlt werden.
Allein den Spott will ich mich bemuͤhen nicht zu verdienen: und die Beſchimpfung werde ich nicht leiden.
Jn einigen von den Papieren meiner lieben Freundinn, die Sie in Jhrem Beſitz gehabt ha - ben und zur Abſchrift wieder haben muͤſſen, wer - den Sie verſchiedne freundſchaftliche, aber harte Vorwuͤrfe gegen mich finden: wegen einer natuͤr - lichen oder wenigſtens zur Gewohnheit gewor - denen Hitze, die es ihr gefiel mir zuzurechnen.
Jch gedachte, Jhnen ihren Vorwurf gegen mich mit ihren eignen Worten aus einem ihrer Briefe zu eroͤffnen, den ſie mir ſelbſt bey dem letz - ten Beſuch, womit ich von ihr beehret ward, als ſie Abſchied nahm, uͤberreichte. Allein ich will ihn durch ein Bekenntniß, das mehr in ſich ſchlieſ - ſet, erſetzen: naͤmlich „ daß ich hochmuͤthig, durch „ keine Einrede zu regieren, und hitzig von Ge - „ muͤthsart bin. “ Das ſage ich. „ Daß ich „ keinen Widerſpruch leiden koͤnnte, “war der Vorwurf, den mir meine Geliebte machte; von irgend jemand, außer ihr ſelbſt, die mir ſo werth war, haͤtte ſie billig ſagen ſollen; „ und „ daß ich nicht die geſpraͤchige und gelinde Ge - „ muͤthsart ſuchte, die der Sanftmuth nahe kaͤme, „ und, wie ſie mir in dem Briefe, den ich Jhnen„ mit -771„ mittheilen wollte, ſagt, das beſondere und noth - „ wendige Kennzeichen eines wirklich feinen Frauen - „ zimmers waͤre, welches, wie ihr zu ſagen beliebt, „ weniger Galle, als eine Taube, zu haben ſchei - „ nen und niemals wiſſen ſollte, was Hitze oder „ Heftigkeit ſey, ohne wo es auf Religion oder Tu - „ gend ankommt, oder in ſolchen Faͤllen, wo ent - „ weder ihre eigne Ehre, oder die Ehre eines „ Freundes oder einer Freundinn, oder die Ehre „ einer unſchuldigen Perſon es erfordert.
Da ich mich nun auf dieſe Anklage noth - wendig ſchuldig bekennen muß: glauben Sie denn, mein Herr, daß ich mich nicht billig ent - ſchließen ſollte, ledig zu bleiben? ‒ ‒ Jch, die ich von Jhrem Geſchlechte eine ſolche Meynung habe, daß ich denke, es gebe nicht einen unter hunderten, dem ein Frauenzimmer von Einſicht und Verſtande Ehre oder Gehorſam beweiſen kann, ob ſie uns gleich in den feyerlichen Wort - formeln, die uns mit ihnen zur Ehe vereinigen, oder vielmehr binden, beydes verſprechen laſſen?
Wenn ich auf alle verheyrathete Perſonen von meiner Bekanntſchaft herumſchaue, und ſehe, wie ſie leben, und was diejenigen, die am be - ſten leben, ausſtehen: ſo werde ich in meinem Widerwillen gegen dieſen Stand beſtaͤrket.
Jhr Geſchlecht hat wohl Urſache, uns als Thoͤrinnen und Unwiſſende zu erziehen, damit es uns dahin bringe, daß wir das Joch, welches ſie auf unſere Schultern legen, ertragen, und ſie nicht,C c c 2wie772wie wir gewiß thun wuͤrden, wenn wir ſo, wie ſie, auferzogen wuͤrden, wegen ihrer Unwiſſenheit eben ſo ſehr von ganzen Herzen verachten moͤgen, als ſie uns oft Anlaß geben, ſie wegen ihres Ueber - muths zu verachten.
Dieß, mein Herr, ſind einige von meinen Vorſtellungen. Und bey dieſen Vorſtellungen, erlauben ſie mir meine Frage zu wiederhohlen. Glauben Sie, daß ich mit ſolchen Begrif - fen uͤberhaupt einmal heyrathen ſollte?
Wo ich entweder einen niedertraͤchtigen oder einen gebieteriſchen Mann bekomme: kann ich wohl mit ihm leben? Was meynen Sie? Und waͤre es an der andern Seite billig, daß ein Mann von einer entgegenſtehenden Gemuͤthsart, um ſei - nes oder meines guten Namens willen, mit mir geplagt ſeyn ſollte?
Lange habe ich es gegen alle mir geſchehene Erbietungen und gegen alles Zureden meiner Mutter ausgehalten: und zwar, daß ich Jhnen die Wahrheit ſage, deſto laͤnger und mit deſto mehrerer Hartnaͤckigkeit, da die Perſon, auf welche meine Wahl zuerſt gefallen ſeyn wuͤrde, weder bey meiner Mutter, noch bey meiner lieb - ſten Freundinn Beyfall fand. Dieß verhaͤrtete mich zu meinem Stolze und Widerſtreben. Denn ob ich gleich eine Zeitlang hernach uͤberzeuget ward, daß meine Wahl weder klug noch gluͤcklich geweſen ſeyn wuͤrde, und daß der ſcheinbare Boͤ - ſewicht das nicht war, was er mich von ihm zu glauben bewogen hatte: ſo konnte ich doch nichtleicht773leicht an eine andere Mannsperſon gedenken; und faßte in der That aus der Entdeckung ſeiner Be - ſchaffenheit einen dauerhaften Abſcheu vor dem ganzen maͤnnlichen Geſchlechte.
Endlich bot ſich Herr Hickmann dar: ein Mann, der einer beſſern Wahl wuͤrdig iſt. Er hatte das Gluͤck, wie er es auslegt, meiner Mut - ter zu gefallen und ihr auch ſeinen Antrag gefaͤl - lig zu machen.
Was mich ſelbſt betrifft: ſo geſtehe ich, daß, wenn ich mir haͤtte einen Bruder ausſuchen ſol - len, Herr Hickmann es geweſen ſeyn ſollte; da er tugendhaft, maͤßig, aufrichtig, freundſchaftlich iſt. Allein ich wuͤnſchte gar nicht zu heyrathen: und wußte auch keinen Mann in der Welt, den ich meiner geliebten Freundinn wuͤrdig achten konnte. Jedoch keine von uns beyden hatte Eltern, die uns im ledigen Stande leben laſſen wollten.
Meiner Freundinn ward zu einer Zeit der verfluchte Lovelace vorgeſchlagen: und, da ſie nur noch gleichguͤltig gegen ihn war, brachten ſie es dahin, indem ſie ihm auf eine unedelmuͤthige Art begegneten; denn damals war er noch nicht fuͤr den Beelzebub ſelbſt bekannt; und ihre Neigun - gen erſt zum Vortheil eines Unwuͤrdigen, hernach wieder eines andern, aus Haß gegen ihn, zu er - zwingen ſuchten, daß ſie, durch ihres thoͤrichten Bruders Eigenſinn, dieſe Gleichguͤltigkeit aus ihrer natuͤrlichen Großmuth in eine Achtung ver - wandelten, welche ſie ſonſt gegen einen MenſchenC c c 3von774von ſeinem Rufe und Gemuͤthsart nicht zu haben im Stande geweſen ſeyn wuͤrde.
Mir ward Herr Hickmann angetragen. Jch ſchlug ſeine Hand einmal uͤber das andere aus. Er blieb beſtaͤndig. Meine Mutter war ſeine Fuͤrſprache und machte auch ſo gar meine geliebte Freundinn zu ſeiner Fuͤrſprecherinn. Jch eroͤff - nete ihn meinen Widerwillen gegen alle Manns - perſonen, gegen ihn, gegen das Heyrathen. ‒ ‒ Noch blieb er beſtaͤndig. Jch begegnete ihm ty - ranniſch; wozu ich in der That, theils durch mei - ne natuͤrliche Heftigkeit, theils durch meinen Vor - ſatz getrieben wurde, indem ich mir Hoffnung machte, auf die Art ſeiner los zu werden: bis der arme Mann, da ſich ſeine Gemuͤthsart ohne Aus - nahme allezeit gleichförmig zeigte, und er noch be - ſtaͤndig blieb, ſich durch ſeine Gedult ein Ver - dienſt bey mir machte. Dieß erniedrigte meinen Stolz; ich bin niemals fuͤr ſehr unedelmuͤthig und ganz undankbar angeſehen worden; und ſetz - te mich zu einer Zeit in meinen eignen Gedanken unter ihn herunter. Dieſe Geſinnung waͤhrte eben lange genug, daß meine Freunde mich unter - deſſen gewinnen konnten, ihm Hoffnung zu ma - chen, und ſeine Beſuche anzunehmen.
Als ich das gethan hatte: ſo befand ich, nach - dem das Wetterglaß von meinem Stolze wieder geſtiegen war, daß ich zu weit gegangen waͤre, wieder zuruͤckzuziehen. Meine Mutter und mei - ne Freunde hielten mich beyde dabey. Dennoch ſtellte ich ihn auf die Probe. Jch plagte ihnauf775auf hunderterley Weiſe: und das dazu, nicht ſo viel in der Abſicht, ihn zu plagen, als mich bey ihm verhaßt zu machen, und ihn zu bewegen, daß er ſeinen Vorſatz aufgeben moͤchte.
Jnzwiſchen ertrug er dieſes: und gewann da - durch nichts als Mitleiden bey mir. Jedoch da meine Mutter und meine Freunde ein Verſpre - chen von mir erlangt hatten, welches gleichwohl nicht ihm, ſondern ihnen gegeben war, und da ſie verſichert waren, daß ich keine Mannsperſon mehr achtete, als Herrn Hickmann, der mich nie - mals in Worten oder Werken oder Mienen, oh - ne nur durch ſeine thoͤrichte Beſtaͤndigkeit, belei - digt hatte: ſo drungen ſie auf die Erfuͤllung.
So lange meine werthe Freundinn in ihrer ungluͤcklichen Ungewißheit war; konnte ich nicht an das Heyrathen gedenken: und was habe ich nunmehr fuͤr Ermunterung dazu? ‒ ‒ Sie, mei - ne Erinnerinn, meine Fuͤhrerinn, meine Rathge - berinn iſt dahin, iſt auf ewig dahin! ‒ ‒ Sie, durch deren Rath und Unterweiſung ich mich in dem Stande, in den ich unvermeidlich treten ſoll - te, leidlich zu verhalten hoffete. Denn, mein Herr, meine Mutter iſt eine ſo parteyiſche Freun - dinn von Herrn Hickmann, daß ich verſichert bin, daß, wenn ein Streit entſtehen ſollte, ſie mir alle - zeit die Schuld geben und ihn losſprechen wuͤrde; wenn er auch unedelmuͤthig genug ſeyn ſollte, mir alles zu der Zeit, da ich in ſeiner Gewalt waͤre, wieder zu gedenken, was zwiſchen uns vorher vor - gegangen iſt.
C c c 4Da776Da ich unter dieſen Umſtaͤnden bin, mein Herr: ſo erwaͤgen Sie, wie ſchwer es fuͤr mich ſey an das Heyrathen zu gedenken. So oft uns etwas gefaͤllt; koͤnnen wir hundert gute Gruͤnde finden, unſern Geſchmack daran zu rechtfertigen: ſo oft uns aber etwas misfaͤllt, koͤnnen wir wohl tauſend Gruͤnde finden, unſer Misfallen zu recht - fertigen. Alles und jedes iſt in dem letzten Falle ein Hinderniß: ein jeder Schatten iſt ein Schreck - bild ‒ ‒ Auf die Art kann ich vielleicht bloß eingebildete Beſchwerden erzaͤhlen und vergroͤ - ßern. „ Jch muͤßte gehen, wohin er haben woll - „ te: ich muͤßte beſuchen, wen er haben wollte. „ So gern ich ſchreibe; wiewohl itzo leider! meine „ große Reizung zum Schreiben vorbey iſt: ſo „ muͤßte es an niemand geſchehen, als an wem es „ ihm beliebte. “ Und Herr Hickmann, der, wie Fraͤulein Howe, nichts boͤſes thun kann, wuͤrde ſchwerlich jemals im Stande ſeyn, gutes zu thun. So kehret ſich dann das Blatt wider mich um, und ich werde meines angelobten Gehorſams, den ich gebrochen, erinnert: ich werde vielleicht zu der ehelichen Vollkommenheit trotzig ermahnet; und vielleicht wird aller Krieg, der im Eheſtande vor - zufallen pflegte, auf eine troͤſtliche Art zwiſchen uns beyden gefuͤhret; denn ich werde mich unter einer ungeſtuͤmen Begegnung nicht leidend ver - halten: bis wir uns einander zum Fluch, unſern Nachbarn zu einem Sprichwort und unſern eige - nen Bedienten zu einem Spotte werden.
Allein777Allein man muß aushalten und ſich ent - halten, deucht mich, wird einer oder der andere von weiſen Leuten mir ſagen. Aber warum muß ich denn ſo lange geplagt werden, bis ich in einen Stand gezogen bin, wo dieß nothwendig geſche - hen muß: da ich itzo thun kann, wie mir beliebt, und nichts mehr wuͤnſche, als daß man mich al - leine laſſe, damit ich thue, wie es mir am beſten gefaͤllt? Und was ſagt meine Mutter in der That? „ Anna Howe, ihr thut itzo alles, was euch belie - „ bet. Jhr habt niemand, der euch einredet. Jhr „ geht und kommt; ihr zieht euch an und aus; „ ihr ſteht auf und geht zu Bette, gerade ſo, wie „ ihr es fuͤr das beſte haltet: aber ihr muͤßt noch „ gluͤcklicher ſeyn, mein Kind! ‒ ‒
Wie denn, Fr. Mutter?
„ Ey! ihr muͤßt heyrathen, meine liebe Toch - „ ter, und in keinem von allen dieſen Dingen eu - „ ren freyen Willen haben: ſondern in allen Stuͤ - „ cken thun, wie euer Mann befiehlt! “
Dieß iſt ſehr hart; das werden Sie ſelbſt ge - ſtehen, mein Herr; wenn eine ſolche Perſon, als ich, daran gedenken ſoll. Wie kann ich mir, gleichwohl, helfen: da ich mich verbindlich gemacht habe, in dieſen Stand zu treten? Meine Mutter dringet in mich. Meine Freundinn, meine ge - liebte Freundinn, ſchreibt wie von den Todten, und dringet in mich. Sie und der Herr Mor - den, die ihren Willen zu vollziehen haben, erin - nern mich. Der Menſch ſelbſt fuͤrchtet ſich nicht vor mir. Jch bin verſichert, wenn ich die Manns -C c c 5perſon778perſon waͤre, ich wuͤrde nicht halb das Herze ha - ben. Jch denke, ich muß mich billig entſchließen, ihn fuͤr ſeine verkehrte Beſtaͤndigkeit und anhal - tende Verfolgung, wie viele andere Leute geſtraft werden, mit der Gewaͤhrung ſeiner Wuͤnſche zu ſtrafen: als welches der einzige Weg iſt, wie ich es mit wirklichen Erfolg thun kann.
Erlauben Sie mir dann, mein Herr, Sie zu verſichern, daß, wenn ich, nach den Worten mei - ner reizenden Freundinn in ihrem Teſtament, wo ſie von ihrer Baſe Hervey ſchreibet, finden kann, daß meine Betruͤbniß um ſie, durch die Zeit gemildert, zu einem mehr angenehmen als kummervollen Angedenken geworden iſt, damit ich der Liebe, die ein Mann von einigen Verdienſten fuͤr mich heget, nicht aͤußerſt unwuͤr - dig ſeyn moͤge, ich der Bitte meiner werthen Freundinn, die ſo oft wiederhohlet, und ſo ernſt - lich vorgeſtellt iſt, Genuͤge thun wolle. Hr. Hick - mann ſoll finden, wo er meine Dankbarkeit zu verdienen fortfaͤhret, daß es an meinen Bemuͤ - hungen nicht fehlen wird, ihm die Gedult, welche er mit mir gehabt hat, und noch eine kleine Wei - le laͤnger haben muß, zu vergelten. Alsdenn wird es ſeine eigne, ich hoffe, nicht meine, Schuld ſeyn: wenn unſere Ehe den gluͤcklichen Ahndun - gen nicht gemaͤß iſt, welche, wie ſie mir einſtens zu meiner Ermunterung und um mich zu bewe - gen, daß ich ihm Hoffnung machte, eroͤffnete, ihr edelgeſinntes prophetiſches Gemuͤth in dieſer Betrachtung erfuͤlleten.
So,779So, mein Herr, habe ich Jhnen, als dem Te - ſtamentsverweſer meiner geliebten Freundinn, auf eine ſehr freye Art von allem Rechenſchaft gege - ben, was Jhnen, als einem ſolchen, zu wiſſen dien - lich iſt; ja wider mich ſelbſt, von mehrerem, als ich zu thun noͤthig gehabt habe: außer, daß Sie in einigen von ihren Briefen eben ſo viel wider mich finden werden; und ſo verliere ich dadurch nichts, gewinne aber bey Jhnen ſo viel, daß ich mich in den Ruf der Aufrichtigkeit ſetze.
Und ſo viel auf den gedoppelten Verweis, daß ich meinen Theil von dem letzten Willen meiner werthen Freundinn zu vollziehen zoͤgere.
Nun erlauben Sie mir, Sie eines wichtigen Stuͤckes, das Sie ſelbſt angehet, zu erinnern: da Sie mir in dieſer Sache eine Erinnerung geben. Es wird mir durch ihren an Sie hinterlaſſenen Brief Gelegenheit dazu gemacht. ‒ ‒ Jch hoffe, Sie werden nicht vergeſſen, daß das wohlgewo - genſte Frauenzimmer eine eben ſo ernſtliche Fuͤr - ſorge fuͤr Jhre gaͤnzliche Beſſerung als fuͤr meine Vermaͤhlung, bezeiget. Sie werden alſo dahin ſehen, daß ihre Wuͤnſche eben ſo vollkommen in dem Stuͤcke erfuͤllet werden, als Sie dieſelben in allen andern Stuͤcken erfuͤllt zu ſehen wuͤnſchen.
Jch geſtehe, ich bin der lieben Fraͤulein in ei - nem Stuͤcke ungehorſam geweſen: naͤmlich da ſie verlangt, daß ich keine Trauer anlegen ſoll! Allein ich konnte es nicht helfen.
Jch780Jch ſchicke gegenwaͤrtiges und das vom ver - wichenen Sonnabend zugleich ab, und will kein Wort mehr beyfuͤgen, wenn ich Jhnen geſagt ha - be, daß ich mich ſelbſt anſehe als
Jhre verbundne Dienerinn A. Howe.
Jch ſtatte Jhnen den gehorſamſten Dank ab, gnaͤdige Fraͤulein, daß Sie ſich in der guͤti - gen Erinnerung wegen der gottſeligen Wuͤnſche Jhrer erhabenen Freundinn fuͤr meine gaͤnzliche Beſſerung ſo weit herablaſſen.
Jch will nur ſo viel ſagen, daß ich mich ernſt - lich und unermuͤdet bemuͤhen werde, dieſe edelmuͤ - thige Wuͤnſche in Erfuͤllung zu bringen: und ich hoffe, den goͤttlichen Segen zu dieſen meinen Be - muͤhungen zu erlangen; ſonſt werden ſie vergeb - lich ſeyn, das weiß ich gewiß.
Jch kann nicht beſchreiben, gnaͤdige Fraͤulein, wie ſehr ich mich Jhnen fuͤr eine andere fernere Herablaſſung verbunden bin: da Sie mir ſo un -geheu -781geheuchelt Jhre vorige und gegenwaͤrtige Geſin - nung gegen das ledige und das eheliche Leben ſchrei - ben. Wo die Fraͤulein, von der ich, als der Te - ſtamentsverweſer Jhrer unnachahmlichen Freun - dinn ſo geehret werde, Fehler hat: ſo ſind gewiß niemals Fehler ſo liebenswuͤrdig an einem Frauen - zimmer geweſen! ‒ ‒ Wie viel liebenswuͤrdiger ſind ſie, in der That, als die Tugenden vieler von Jhrem Geſchlechte!
Jn die Haͤnde eines ſolchen Frauenzimmers, haͤtte ich es wohl wagen koͤnnen, den Brief des Obriſten ohne Abſchrift, oder Auslaſſung einer Stelle, gelangen zu laſſen. Dieſer wuͤrdige Ca - vallier bewundert Sie ausnehmend: und ſeine Warnung iſt bloß die Wirkung ſeiner Hoͤflichkeit und Achtung gegen Sie geweſen.
Jch uͤberſende Jhnen, gnaͤdige Fraͤulein, ei - nen Brief von dem Lord M. an mich, und die Abſchriften von dreyen andern, die jenem zu Fol - ge geſchrieben ſind. Aus dieſen werden Sie des Herrn Lovelacens Abreiſe von England, und an - dere Umſtaͤnde, die Sie zu wiſſen begierig ſeyn werden, erſehen.
Haben Sie die Guͤte, von ihrem Jnhalt das - jenige bey ſich zu behalten, was Sie nach Jhrer eignen Klugheit fuͤr etwas halten werden, das ſonſt niemand ſehen muß.
Jch bin, gnaͤdige Fraͤulein, mit der tiefeſten und dankgefliſſenſten Ehrfurcht
Jhr getreuer und verbundenſt gehorſamſter Diener, Johann Belford.
Mein Verwandter, Lovelace, iſt itzo im Be - griff nach London abzugehen. Er hat ſich vorgenommen, Sie zu ſehen, alsdenn nach Do - ver zu reiſen und ſo zu Schiffe zu ſteigen. Gott begleite ihn, daß er wohlbehalten aus dem Koͤnig - reiche komme.
Am Montage, hoffe ich, wird er bey Jhnen ſeyn. Haben Sie die Guͤte, und geben mir von allen ihren Unterredungen Nachricht: denn Hr. Mowbray und Herr Tourville wollen auch da ſeyn. Melden Sie mir auch, ob Sie glauben, daß er wieder der Menſch geworden, der er gewe - ſen iſt. Warum ich vornehmlich ſchreibe, das iſt dieß, weil ich wuͤnſche, daß Sie den Obriſt Morden und ihn von einander entfernt halten moͤgen, und Jhnen deswegen von ſeiner bevorſte - henden Reiſe nach London Nachricht geben will. Jch wuͤrde ſehr ungern ſehen, wenn ein Ungluͤck unter ihnen vorfallen ſollte: da Sie mir gemel - der haben, daß der Obriſt meinem Enkel gedro - het. Allein mein Verwandter wuͤrde das nichtleiden783leiden koͤnnen: daher laſſe ihn niemand etwas da - von wiſſen. Jch hoffe aber, daß nichts zu beſor - gen ſeyn wird: denn der Obriſt drohet itzo nicht; wie ich hoͤre. Um ſein ſelbſt willen iſt mir das lieb: denn es iſt kein ſolcher Menſch in der Welt, als mein Verwandter, wie man ſagt, in allen Ar - ten der Waffen ‒ Waͤre er es nicht: ſo wuͤrde er nicht ſo verwegen ſeyn.
Wir werden hier alle den wilden Kerl ver - miſſen. Gewiß es iſt kein Menſch beſſer zur Ge - ſellſchaft, als er, wenn er gut iſt.
Erlauben Sie mir, reiſen Sie niemals drey - ßig oder vierzig Meilen? Es wuͤrde mir lieb ſeyn, Sie hier zu M. Hall zu ſehen. Wenn mein Verwandter weg iſt: ſo wird es ein Werk der Liebe ſeyn; denn wir vermuthen, daß Sie die Hauptperſon ſeyn werden, mit der er Briefe wech - ſele. Wiewohl er verſprochen hat, oft an meine Neffen zu ſchreiben. Allein er kann ſein Verſpre - chen gar leicht vergeſſen: ſonderlich gegen ſeine Angehoͤrigen. Gott bewahre uns alle; Amen. Dieß iſt das Gebeth
Jhres gehorſamſten Dieners M.
Jch gehorche Jhrer Gnaden Befehlen mit vie - lem Vergnuͤgen.
Geſtern Nachmittags beſuchte mich Herr Lo - velace in meiner Wohnung. Da ich aber zu eben der Zeit auch einen Beſuch von dem Obriſt Morden erwartete: ſo hielte ich fuͤr dienlich ihn, unter dem Vorwande, als wenn ich es halb und halb verſprochen haͤtte, in ein Weinhaus zu fuͤh - ren, das ſonſt keiner von uns beſuchet hat. Jch befahl, daß man mir daſelbſt Nachricht bringen ſollte, wenn der Obriſt kaͤme: und Herr Lovelace ſchickte nach Mowbrayen, Tourvillen und Herrn Dolemann von Uxbridge, der nach London gekom - men war Abſchied von ihm zu nehmen, und ließ ihnen ſagen, wo wir anzutreffen waͤren.
Herr Lovelace iſt allzu wohl geneſen, haͤtte ich bald geſagt. Jch habe ihn niemals luſtiger, aufgeweckter und ſchoͤner geſehen. Wir hatten ein ziemliches Gezaͤnke mit einander uͤber einige Stuͤcke der Teſtamentsverweſung, die ich uͤber -nommen785nommen habe, und uͤber die Freyheiten, welche ich gegen ihn gebraucht hatte. Er wollte behaupten, ich haͤtte darinn unſere verabredete Grenzen uͤber - ſchritten. Allein da unſere drey alten Mitbruͤ - der, und ein Enkel von dem Herrn Dolemann, der ſchon lange gern eine Stunde mit Herrn Lo - velacen hatte zubringen wollen, ankamen: ſo ging es fuͤr dießmal voruͤber.
Herr Mowbray und Herr Tourville hatten auch einige Einwendungen gegen die Freyheiten meiner Feder gefunden: und Herr Lovelace nahm es nach ſeiner Weiſe auf ſich, uns wieder zu ver - ſoͤhnen. Er that es aber auf aller dreyer Unko - ſten, und mit einem ſo unendlichen Zufluß von Scherz und zum Aufziehen geſchickten Einfaͤllen, daß wir nichts zu thun hatten, als uͤber das, was er ſagte, und uͤber einander zu lachen. Jch kann in der Feder ziemlich mit ihm auskommen: aber im Umgange hat er ſeines gleichen nicht. Kurz, es war ſein Tag. Er freuete ſich, ſagte er, daß er ſich noch lebendig befaͤnde: und ſeine beyden Freunde, die wohl zwanzig mal in einer Stunde ihre Haͤnde zuſammenſchlugen und rieben, erklaͤr - ten ſich, daß er nun wieder waͤre, wer er geweſen; der artigſte Kerl in der Welt. Sie verſicherten, ſie wollten ihm bis an das aͤußerſte Ende der Welt folgen.
Jch warf ihm wohl bisweilen eine Klette an den Rock: aber keine wollte hangen bleiben.
Jhre Gnaden wiſſen, daß es viele Dinge giebt, die im Umgange einen lermenden BeyfallSiebenter Theil. D d dzu -786zuwege bringen, wenn das Herz aufgeſchloſſen iſt und man ſich vorgenommen hat luſtig zu ſeyn, welche aber ſich weder gut nachher wieder - hohlen, noch in Gedanken vorſtellen laſſen. Ganz gemeine Dinge werden in dem Munde eines Men - ſchen, den wir bewundern, und deſſen Witz bey uns als baares Geld gegolten hat, in einer frohen Stunde, etwas außerordentliches. Wir lau - ren auf einen jeden Zug in eines ſolchen Geſichte, und ſind entſchloſſen zu lachen, wenn er laͤchelt: ſelbſt ehe er noch einmal dasjenige aͤußert, was wir von ſeinen Lippen zu rauben bereit ſind.
Herr Dolemann und ſein Enkel nahm um zwoͤlfe von uns Abſchied. Mowbray und Tour - ville wurden um ein Uhr ſehr laut, und zogen um zwey ab. Herrn Lovelacen ſteigt der Wein, un - geachtet einer Lebhaftigkeit, die gemeiniglich allzu muntern Lebensgeiſtern dazu hilft, niemals zu Kopfe. Was mich betrifft: ſo machte der ge - ringe Antheil, den ich an ihrer Froͤhlichkeit ge - nommen hatte, daß ich unangefochten blieb.
Die Klocke ſchlug drey, ehe ich ihn in eine ernſthafte und aufmerkſame Gemuͤthsfaſſung brin - gen konnte. ‒ ‒ So natuͤrlich iſt ihm ein luſti - ges Herz und einen ſo ſtarken Eindruck hatte der freudige Abend bey ihm gemacht. Was er in Geſellſchaft zu ſagen hat, wenn ihm das Herz frey iſt, wiſſen Sie, mein Lord, laͤuft bis auf den Bo - den ohne einige Hefen heraus.
Nach der Stunde aber, und da wir an das Weggehen gedachten, ward er ein wenig ernſt -hafter.787hafter. Darauf erzaͤhlte er mir ſeine Abſichten und gab mir einen Abriß von der Reiſe, die er zu thun willens waͤre: wobey er herzlich wuͤnſchte, daß ich ihn haͤtte begleiten koͤnnen.
Wir gingen um vier von einander. Er war aber nicht wenig unzufrieden mit mir. Denn wir hatten einige Unterredungen von ſolchen Din - gen gehabt, woran er nicht gern gedenken mochte, wie er ſagte: naͤmlich von dem letzten Willen der Fraͤulein Harlowe; von meiner Pflicht, das Te - ſtament zu vollziehen; von einigen Papieren, die ich dieſer unvergleichlichen Fraͤulein, ich verſiche - re Jhre Gnaden, ohne unfreundſchaftliche Ab - ſichten mitgetheilet hatte; wobey er auch darauf beſtand, daß ich ihm alle die Briefe, die er ſeit ſeinen erſten Beſuchen bey ihr an mich geſchrie - ben, zuruͤckgeben ſollte, welches ich ihm abſchlug.
Er wollte mich noch einmal ſehen, ſagte er: und es wuͤrde auf eine ſehr uͤble Art ſeyn, wo ich ſein Verlangen nicht erfuͤllte. Jch empfahl ihm, ſich keine Hoffnung darauf zu machen. Damit ich ihm aber nicht alles abſchluͤge, ſagte ich ihm, daß ich ihm eine Abſchrift von dem Teſtament ge - ben wollte: ob ich gleich verſichert waͤre, daß er, wenn er es geleſen, wuͤnſchen wuͤrde, es nicht geſe - hen zu haben.
Jch bekam heute fruͤhe um eilfe Bothſchaft von ihm, wodurch er mich bitten ließ, einen Ort zu benennen, wo ich mit ihm, und Mowbrayen und Tourvillen das letzte mal zu Mittage ſpeiſen wollte: und bald hernach eine andere von demD d d 2Obriſt788Obriſt Morden, der mich noͤthigen ließ, den Abend mit ihm zu Bedford ‒ Head im Covent ‒ Garden zuzubringen. Damit ich ſie nun von einander entfernt halten moͤchte, nannte ich dem Herrn Lo - velace den Adler in der Suffolksgaſſe.
Da traf ich ihn und die andern beyden. Wir fiengen es wieder an, wo wir es geſtern bey un - ſerm Abſchiede gelaſſen hatten, und kamen ſehr heftig an einander. Endlich aber ward alles bey - gelegt und er erklaͤrte ſich, alles zu vergeſſen und zu vergeben, unter der Bedingung, daß ich mit ihm, weil er außerhalb Landes waͤre, Briefe wechſeln, und die Erzaͤhlung, welche durch ſeine Unpaͤßlichkeit abgebrochen worden, fortſetzen, in - ſonderheit auch ihm eine Abſchrift von dem Teſta - ment der Fraͤulein, meinem Verſprechen zu folge, geben wollte.
Jch verſprach es ihm: und darauf fieng er an, mich mit meiner Ernſthaftigkeit und meinen Anſchlaͤgen, fromm zu werden, wie er ſich aus - druͤckte, aufzuziehen. Da wir in dem Zimmer herumgingen und warteten, daß das Mittagseſſen hereingebracht wuͤrde: legte er ſeine Hand auf meine Schultern; ſtieß mich mit einem Fluch von ſich; ging um mich herum und beſahe mich von Haupt zu Fuße. Alsdann wandte er ſich auf den Abſaͤtzen herum, indem er die andern aufforderte, mich zu bemerken, und ſtieß mit einem ihm eignen und wilden Weſen und einem ha, ha, ha, ha, die - ſe Worte aus: Daß ſich dieſe ſauerſehenden Neu - bekehrten in den Kopf ſetzen, als wenn ſie nichtfromm789fromm ſeyn koͤnnen, wo ſie nicht ihre natuͤrliche gute Gaben und ihre guten Sitten verleugnen! ‒ ‒ Ey Bruder ‒ ‒ hiebey wandte er mich um ‒ ‒ ich bitte dich, ſiehe doch in die Hoͤhe, Kerl! ‒ ‒ Weißt du nicht, daß die Religion, wenn ſie das Herz einmal gehoͤrig eingenommen hat, die freudigſten Geſichter von der Welt bildet? ‒ ‒ So habe ich meine geliebte Fraͤulein Harlowe ſa - gen hoͤren: und ſie hat es wohl gewußt; oder es muͤßte es niemand wiſſen. War auch ihr Anſehen nicht ein angenehmer Beweis von dieſer Anmer - kung? Allein aus denen Wallungen in deiner ver - fluchten Kehle und aus deinen verſtellten Gebaͤr - den ſehe ich, daß du nur noch ein Lehrling darin - nen biſt! ‒ ‒ Ach, Belford, Belford, du haſt noch erſt ein verdammtes Stuͤck von Dornen und Diſteln mit bloßen Fuͤßen durchzutreten, ehe die Religion deine finſtere Bildung erheitern wird.
Jch gebe Jhrer Gnaden dieſe Nachricht in der Abſicht, damit ich Jhrem Verlangen Genuͤge thun moͤge: da Sie wiſſen wollen, ob ich glaube, daß er wieder eben der Menſch geworden, der er geweſen iſt.
Bey unſern Unterredungen uͤber Tiſche war er ungewiß, ob er naͤchſtkuͤnftigen Morgen oder den Morgen hernach abreiſen ſollte. Weil ich aber fand, daß er nichts zu thun haͤtte; und weil der Obriſt Morden in London war, wovon ich ihm gleichwohl nichts ſagte: ſo gab ich den Aus - ſchlag, und er ward einig, morgen fruͤhe abzuge - hen. Die andern beyden entſchloſſen ſich ihn zuD d d 3Schiffe790Schiffe ſteigen zu ſehen: und ich verſprach, ihn ſo weit, als man in einem Morgen reiten koͤnnte; weil ſie ihre Pferde vorſchlugen; zu begleiten, ſagte aber, daß ich Nachmittags wieder zuruͤck - kommen muͤßte.
Mit vielem Widerſtreben ließen ſie mich zu meiner verabredeten Abendgeſellſchaft gehen: ſie ließen ſich aber nicht einfallen, mit wem ſie war. Denn Herr Lovelace hatte es uns allen, als eine Frage, die wir auf unſere Ehre beantworten ſoll - ten, vorgelegt, ob er, da Herr Morden und Herr Jakob Harlowe, wie er gehoͤrt, Drohungen gegen ihn ausgeſtoßen, das Koͤnigreich verlaſſen ſollte, ohe er ſich ihnen geſtellt haͤtte.
Mowbray erklaͤrte ſich dahin, daß er als ein Mann, der auf Ehre hielte, wie er wirklich thaͤ - te, das Koͤnigreich verlaſſen muͤßte; und wo er dieſe Herren wegen ihrer anzuͤglichen Reden nicht zur Rede ſtellen wollte, ſich doch wenigſtens vor ſeiner Abreiſe oͤffentlich von ihnen ſehen laſſen muͤßte: ſonſt moͤchten ſie ſich groß machen, daß er das Koͤnigreich aus Furcht vor ihnen verlaſſen haͤtte.
Hierzu war er ſelbſt ſo geneigt, daß ich ihn nicht anders als mit vieler Schwierigkeit bereden konnte, daß, da keiner von beyden bis zu einer un - mittelbaren und eigentlichen Ausforderung gegan - gen waͤre, da ſie wuͤßten, daß er es keinem ſchwer gemacht haͤtte, zu ihm zu kommen, und da er die Familie ſchon genug beleidigt, die Fraͤulein Har - lowe aber ihn inſtaͤndigſt gebeten, er moͤchte ſichdamit791damit begnuͤgen laſſen, keine Urſache in irgend ei - ner Betrachtung wegen ſeiner Ehre fuͤr ihn vor - handen waͤre, warum er ſeine Reiſe aufſchieben ſollte: ſonderlich da er einen ſo guten Bewegungs - grund, die Wiederherſtellung ſeiner Geſundheit, zu ſeiner Reiſe fuͤr ſich haͤtte; und, wenn er es noͤthig finden wuͤrde, deſto eher wiederkommen moͤchte.
Jch fand den Obriſten in einer ſehr feyerli - chen und ernſthaften Gemuͤthsverfaſſung. Wir redeten vieles von dem Jnhalt der Briefe, die in Abſicht auf das Teſtament der Fraͤulein Harlo - we, und auf ihre Familie unter uns gewechſelt waren.
Er hat einige Rechnungen mit ſeinem Wechs - ler zur Richtigkeit zu bringen, welche, wie er ſagt, morgen abgethan ſeyn werden: und am Donner - ſtage iſt er Willens wieder hinunter zu reiſen, um von ſeinen Freunden Abſchied zu nehmen; worauf er ſich alſobald nach Jtalien auf den Weg zu ma - chen gedenket.
Jch wuͤnſchte, daß ſich Herr Lovelace haͤtte bereden laſſen, eine andere Reiſe, als die nach Frankreich und Jtalien, zu thun. Jch ſchlug ihm Madrit vor: aber er lachte mich aus, und ſagte, der Vorſchlag ſaͤhe einem Zwitter von einem liederlichen Bruder und einem Neubekehrten aͤhn - lich; und einem Menſchen, der ſo ernſthaft, als ein neunzigjaͤhriger Spanier von dem alten Schrot und Korn, geworden waͤre.
D d d 4Jch792Jch bezeugte gegen den Obriſten, daß ich be - ſorgte, die letzten Bitten ſeiner ſterbenden Baſe wuͤrden nicht ſo viel bey ihm gelten, als zu wuͤn - ſchen waͤre.
Sie gelten ſehr viel bey mir, Herr Belford, war ſeine Antwort: ſonſt wuͤrde Herr Lovelace und ich nicht ſo lange in einer Welt geweſen ſeyn. Allein meine Abſicht iſt, nach Florenz zu gehen: nicht, wie bey dem Tode meiner Baſe mein Vor - ſatz war und ich Jhnen auch geſagt habe, meine Gebeine daſelbſt begraben zu laſſen, ſondern alle meine Sachen in denen Gegenden in Ordnung zu bringen und alsdenn heruͤberzukommen, und auf einem kleinen Landgut in Kent, welches ſich von meinem Vater herſchreibt, und in meiner Abwe - ſenheit ungemein zu Grunde gegangen iſt, meine Wohnung zu nehmen. Sollte ich Herrn Love - lacen entweder hier oder außerhalb Landes an - treffen: ſo moͤchte ich freylich fuͤr die Folgen nicht ſtehen.
Er wollte gern, daß ich mich auf morgen bey ihm verſprechen ſollte. Weil ich aber, wie ge - dacht, Herrn Lovelacen auf ſeiner Reiſe zu beglei - ten verſprochen hatte: ſo entſchuldigte ich mich da - mit, daß ich genoͤthigt waͤre, von London auszu - reiſen, und nicht gewiß wuͤßte, wann ich des Abends wiederkommen moͤchte. Daher werde ich ihn Donnerſtags fruͤhe in meiner Wohnung bey mir ſehen.
Jch793Jch will mir die Ehre nehmen, morgen Abend Jhrer Gnaden wieder zu ſchreiben. Un - terdeſſen verharre ich
Jhrer Gnaden ꝛc.
Jch komme eben itzo zuruͤck: nachdem ich Hrn. Lovelacen bis Gads-Hill bey Rocheſter be - gleitet habe. Er war ausnehmend luſtig, den ganzen Weg uͤber. Mowbray und Tourville ſind weiter mit ihm fortgegangen. Sie wollen ihn zu Schiffe und unter Segel gehen ſehen; und verſprechen, ihm in einem oder zween Monathen zu folgen: denn ſie ſagen, es ſey nicht moͤglich ohne ihn zu leben, da er wieder zu ſich ſelbſt ge - kommen iſt.
Er und ich nahmen mit großen und ſo gar feyerlichen Zeichen der Liebe Abſchied von einan - der: jedoch, wie ich Jhrer Gnaden melden wer - de, nicht ohne luſtige Streiche, die ſich einmiſchten.
Er nahm mich auf die Seite und ſchlug ſeine Arme um mich. „ Lebt wohl, lieber Belford,D d d 5waren794waren ſeine Worte: „ ich wuͤnſche, daß ihr in dem „ angefangenen Lauf fortgehen moͤget! ‒ ‒ Was „ ich auch immer fuͤr ein Weſen annehmen mag: „ ſo haͤlt mich doch die reizende Fraͤulein hier feſt „ ‒ ‒ Dabey ſchlug er mit der Hand auf ſein „ Herz ‒ ‒ und ich muß entweder in dem Aufzu - „ ge erſcheinen, wie ihr mich ſehet, oder das ſeyn, „ was ich erſt vor ſo kurzer Zeit geweſen bin ‒ ‒ „ O die goͤttliche Fraͤulein! ‒ ‒ das ſagte er mit „ aufgehabenen Augen.
„ Wo ich aber ſo lange lebe, daß ich wieder „ nach England komme, und ihr feſt bey eurer ge - „ genwaͤrtigen Geſinnung bleibt, und mir zu einer „ Ermunterung dienen koͤnnet: ſo will ich viel - „ mehr eurem Beyſpiel folgen, als euch deswegen „ laͤcherlich machen. Dieſes Teſtament; denn „ ich hatte ihm eine Abſchrift davon gegeben; ſoll „ bey meinen einſamen Stunden meine Geſell - „ ſchaft ſeyn. Jhr habt mir einen Theil von ſei - „ nem traurigen Jnhalt erzaͤhlet. Das und ihre „ hinterlaſſene Briefe ſollen es ſeyn, woruͤber ich „ meine Betrachtungen anſtellen werde. Dadurch „ werde ich vorbereitet werden, euer Schuͤler zu „ ſeyn: wo ihr beſtaͤndig bleibt.
„ Jhr, Bruder, moͤget heyrathen, fuhr er „ fort, und ich habe eine Frau fuͤr euch auf dem „ Korn ‒ ‒ Nur biſt du ein ſo haͤßlich ungeſchick - „ ter Kerl “‒ ‒ Er ſahe daß ich beweget war, und gedachte mich zum Lachen zu bewegen ‒ ‒ „ Jedoch wir koͤnnen uns ſelbſt nicht bilden, außer „ daß wir uns druch unſere Kleidung haͤßlicher„ ma -795„ machen. Du biſt itzo ſo wohl, als ich, in der „ Trauer. Wo aber deine laͤcherliche Geſinnung „ dich wieder zu deiner buntſcheckichten Tracht ver - „ leitet: ſo will ich dich, wenn ich wiederkomme, „ nach meinem Sinne und nach deiner natuͤrlichen „ Geſtalt einrichten. ‒ ‒ Du ſollſt fuͤr meine See - „ le, und ich will fuͤr deinen Leib der Lehrmeiſter „ ſeyn: du ſollſt ſehen, was fuͤr einen wackern „ Kerl ich aus dir machen will.
„ Was mich betrifft: ſo will und kann ich „ niemals heyrathen. ‒ ‒ Daß ich mir nicht ei - „ nige wenige Freyheiten nehmen und nicht einige „ von meinen vorigen Streichen wieder hervorſu - „ chen wollte, will ich nicht verſprechen ‒ ‒ Ein - „ gewurzelte Gewohnheiten laſſen ſich nicht ſo leicht „ ablegen ‒ ‒ Aber es ſoll nur ſo geſchehen, daß „ ich mich davon zugleich entwoͤhne. So wird „ meine Ruͤckkunſt und meine Beſſerung mit „ einander zugleich erfolgen.
„ Und was fehlt dir nun, du ſorgenvoller Affe? “ Jch liebe ihn, mein Lord.
„ Lebe wohl! ‒ ‒ Noch einmal lebe wohl! “ ‒ ‒ Hiemit umfaßte er mich ‒ ‒ „ Und wenn „ du glaubeſt, daß du dir ſelbſt dein Theil dort „ ausgemachet haſt “‒ ‒ hiebey ſchlug er die Augen in die Hoͤhe ‒ ‒ „ ſo laß auch ein Wort „ fuͤr deinen Lovelace mit einfließen.
Jndem wir wieder zu der Geſellſchaft kamen: empfahl er mir, oft zu ſchreiben, und verſprach, mir bald von ſich Nachricht zu geben, auch an Jhre Gnaden und an ſeine ganze Familie zuſchrei -796ſchreiben: denn er geſtand, daß Sie alle viel guͤ - tiger gegen ihn geweſen waͤren, als er verdienet hätte.
Und ſo ſchieden wir von einander.
Jch hoffe, mein Lord, um Jhrer ganzen edlen Familie willen, daß wir ihn bald wieder gekom - men und zu einer beſſern Lebensart bekehrt ſehen werden, wie er verſpricht.
Jch ſtatte Jhrer Gnaden fuͤr die Ehre Jhrer geneigten Einladung nach M. Hall gehorſamſten Dank ab. Der erſte Brief, den ich von dem Herrn Lovelacen bekommen werde, ſoll mir Gele - genheit geben, mir dieſelbe zu Nutze zu machen. Jch bin, mein Lord,
Jhr getreueſter und gehorſamſter Diener Johann Belford.
Es kann vielleicht Jhrer Gnaden zu einigem Vergnuͤgen gereichen, wenn Sie eine kurze Nachricht von dem, was eben itzo zwiſchen dem Obriſt Morden und mir vorgegangen iſt, be - kommen.
Wir fuͤhrten viele Geſpraͤche von der Harlo - weiſchen Familie und denen Stuͤcken des letzten Willens der Fraͤulein, die noch unvollzogen ſind. Hiernaͤchſt wandte ſich der Obriſt auf eine Art, die mir einige Beſtuͤrzung verurſachte, zu mir.
Er ſchmeichelte ſich, ſprach er, nach meiner ge - genwaͤrtigen gluͤcklichen Geſinnung und meiner guten Natur, daß ich noch ſehr viele Jahre leben wuͤrde. Er baͤte alſo, daß ich mir gefallen laſſen moͤchte, die Vollziehung ſeines Teſtaments zu uͤbernehmen: weil er unmoͤglich eine beſſere Wahl treffen, oder einem beſſern Beyſpiel folgen koͤnnte, als ſeine Baſe gegeben haͤtte.
Sein Herz, ſagte er, waͤre darauf geſetzet. Es faͤnde ſich etwas aͤhnliches in dem Teſtament ſei - ner Baſe, und in dem ſeinigen. Er haͤtte nebſtmir798mir noch eine Perſon ernannt, mit der ich nicht ungern, wie er verſichert waͤre, vereinigt ſeyn wuͤr - de, und an die er ſich um ihre Einwilligung wen - den wollte, nachdem er erſt meine Genehmhal - tung erlanget haͤtte. [(*)Was zwiſchen dieſen Haͤckgen [] iſt, das ließ Herr Belford aus, da er dieſen Brief abſchrieb und an die Fraͤulein Howe ſchickte. Er ließ ſich merken, ſo viel ich errathen konnte, daß es Herr Hickmann, ein Sohn von dem Herrn Carl Hickmann, dem Jhre Gnaden, wie ich weiß, nicht unbekannt ſind, ſeyn ſollte. Denn er ſagte, ein jeder, der ſeiner geliebten Baſe werth geweſen waͤre, muͤßte es ihm auch ſeyn: und er wuͤßte, daß der Herr, auf den er daͤchte, nebſt meinem Rath und Beyſtan - de, noch den Rath eines der verſtaͤndigſten Frauen - zimmer in England haben wuͤrde.]
Er ergriff mich bey der Hand: da er mich einigermaßen beſtuͤrzt ſahe. Sie muͤſſen nicht unſchluͤßig ſeyn, Herr Belford, am wenigſten aber mich abweiſen. Jn Wahrheit, das muͤſſen ſie nicht thun. Von zweyen Dingen will ich ihnen Verſicherung geben: daß ich, wie ich hoffe, alles ſo klar gemacht habe, daß ſie keinen Streit haben koͤnnen; und daß ich gegen alle meine Verwand - ten ſo gerecht, und, wie man meiner Hoffnung nach urtheilen wird, ſo freygebig gehandelt, daß ein Gemuͤth, wie das ihrige, bey dieſer Teſtaments - verweſung vielmehr Vergnuͤgen, als Muͤhe und Verdruß haben wird. Und dieß iſt es, was mei -ner799ner Meynung nach ein jeder ehrlicher Mann, der einen ehrlichen Mann zu ſeinem Teſtamentsver - weſer zu finden hoffet, thun ſollte.
Jch verſetzte, daß ich ihm fuͤr ſeine gute Mey - nung von mir ſehr verbunden waͤre: es erforder - te aber eines jeden Pflicht ſo nothwendig, ein ehr - licher Mann zu ſeyn, daß es kein Eigenlob ſeyn koͤnnte, wenn ich ſagte, daß ich nicht zweifelte ſo befunden zu werden. Sollte ich aber dieſe Te - ſtamentsverweſung annehmen: ſo muͤßte es unter einer Bedingung geſchehen ‒ ‒
Jch koͤnnte keine Bedingung nennen, fiel er mir in die Rede, welche er ſich nicht gefallen laſ - ſen wollte.
Dieſe Bedingung, ſagte ich, waͤre die, daß, da eben ſo viele Wahrſcheinlichkeit waͤre, daß er mich, als daß ich ihn, uͤberlebte, er mir erlaubte, ihm wiederum die Vollziehung meines Teſta - ments aufzutragen: und in dem Fall ſollte nicht eine Woche vorbeygehen, ehe ich mein Teſtament machte.
Von Herzen gern, antwortete er: und zwar um ſo viel mehr, da er ſich keines ploͤtzlichen To - des beſorgte. Denn was er gethan und gebeten haͤtte, das waͤre ſo wohl deswegen geſchehen, weil er an meiner Auffuͤhrung, die ich ſchon als der Te - ſtamentsverweſer ſeiner Baſe bewieſen, und wie ihm hinzuzuſetzen beliebte, an meiner Geſchicklich - keit viel Vergnuͤgen gefunden haͤtte, als auch des - wegen, weil er dem Rath ſeiner Baſe in dem Ein - gange bey ihrem Teſtament folgen wollte: „ daß„ naͤm -800„ naͤmlich dieſes ein Werk waͤre, woran man ſich „ billig bey voͤlliger Geſundheit an Leibe und Ge - „ muͤthe machen ſollte. “
Jch eroͤffnete ihm, daß ich ein Vergnuͤgen faͤnde, da ich ihn ſagen hoͤrte, daß er ſich gar kei - nes ploͤtzlichen Todes beſorgte: weil mir dieß eine Verſicherung gaͤbe, daß er alle Gedanken, wider die Bitte ſeiner geliebten Baſe auf ihrem Todbet - te zu handeln, aufgegeben haͤtte.
Soll dieß ſo viel heißen, ſagte er mit Laͤcheln, daß, wenn ich eine meiner Meynung nach ſo ge - rechte Rache verfolgen wollte, ich beſorgen muͤßte, durch Herrn Lovelacens Hand gefaͤllet zu werden? ‒ ‒ Jch will Sie verſichern, daß ich keine ſolche Furcht habe ‒ ‒ Allein ich weiß, daß dieß eine unangenehme Sache zur Unterredung fuͤr ſie iſt. Herr Lovelace iſt ihr Freund: und ich will zuge - ben, daß ein guter und rechtſchaffener Mann ſo viel Freundſchaft gegen einen boͤſen Menſchen haben kann, daß er ihm wohlwolle, ohne ihm in ſeiner Bosheit das Wort zu reden.
Jch will Sie verſichern, ſetzte er hinzu, daß ich noch weder auf die eine, noch auf die andere Seite, irgend einen Entſchluß gefaßt habe. Jch habe ihnen eroͤffnet, wie viel die wiederhohlten Bitten meiner Baſe bey mir gelten. Bisher ha - ben ſie mich abgehalten ‒ ‒ Allein laſſen ſie uns von dieſer Sache abbrechen.
Dieß iſt mein Teſtament, mein Herr. ‒ ‒ Hiemit gab er mir ein verſiegeltes Packet. ‒ ‒ Es iſt gehoͤrig von den noͤthigen Zeugen unter -ſchrieben.801ſchrieben. Jch habe keinen Zweifel gehabt, daß ich ſie bewegen wuͤrde, mir die ausgebetene Ge - wogenheit zu erweiſen. Jch habe eine zwote Abſchrift, die ich dem andern Herrn laſſen will, und noch eine von Zeugen unterſchriebene Copey, die ich bey meinem Wechsler niederlegen werde. Bey meiner Wiederkunft, welche in ſechs, oder aufs laͤngſte, in acht Monathen ſeyn wird, will ich ihnen freyſtellen, mir das ihrige dafuͤr wieder zu geben, wenn ſie es ſo haben wollen. Jch habe itzo nur von meinen Verwandten auf dem Lande Abſchied zu nehmen. Gott behuͤte ſie, Herr Belford: ſie werden bald wieder Nachricht von mir haben.
Hierauf umfaßte er mich ſehr feyerlich, und ich ihn: und ſo ſchieden wir von einander.
Jch freue mich von Herzen mit Jhrer Gna - den, daß die beyden Herren nur noch ſo eben ein - ander entkommen ſind: denn ich fuͤrchte, daß ſie einander nicht ohne ungluͤckliche Folgen haͤtten ſprechen koͤnnen.
Die Zeit, hoffe ich, die alles uͤberwaͤltiget, wird auch ihren Zorn uͤberwaͤltigen. Jch bin, mein Lord,
Jhrer Gnaden getreueſter und gehor - ſamſter Diener Johann Belford.
Es ſind noch verſchiedne Briefe zwiſchen der Fraͤu - lein Howe und Herrn Belford gewechſelt, wel -Siebenter Theil. E e eche802che den Gebrauch der Papiere und Briefſchaf - ten, das Capital fuͤr die Armen, und andere Stuͤcke von dem Teſtament der Fraͤulein be - trafen, und in welchen die Art, wie man in je - dem Fall verfahren, gerechtfertigt war: wor - auf die Papiere wieder an Herrn Belford zu - ruͤckgeſandt wurden, damit er die beyden Ab - ſchriften, welche die Fraͤulein zu machen ver - ordnet hatte, machen laſſen moͤchte.
Jn einem von dieſen Briefen bittet Herr Bel - ford die Fraͤulein Howe, eine Abſchilderung von ihrer ſo herzlich geliebten Freundinn zu ge - ben: „ Eine Arbeit, wie er ſich vorſtellet, die „ ihr ſo wohl angenehm, als ihrer Feder wuͤr - „ dig ſeyn wuͤrde.
„ Jch bin inſonderheit noch begieriger zu wiſſen, „ ſchreibt er, was es fuͤr eine beſondere Ein - „ theilung ihrer Zeit geweſen, deren ich in ei - „ nem Briefe, in den ich eben hineingekuckt ha - „ be, Erwaͤhnung gethan finde, wo ihre Schwe - „ ſter ihr deswegen neidiſch Vorwuͤrfe macht(*)Man ſehe den I. Theil, S. 479.. „ Dieſe Nachricht kann mich vielleicht in den „ Stand ſetzen, dasjenige zu erklaͤren, was mich „ ſo oft in Erſtaunen geſetzt hat: Wie dieſe un - „ vergleichliche Fraͤulein in einem ſo zarten Al - „ ter ſich ſo außerordentliche und mannichfalti - „ ge Eigenſchaften erworben habe. “
Dieſe Bitte gab Anlaß zu dem folgenden Briefe.
Jch bin nicht im Stande, das Bild meiner ge - liebten Freundinn ſo vollkommen zu ent - werfen, daß ihr Gerechtigkeit widerfahre: und dieß nicht allein aus Mangel noͤthiger Gaben, ſondern auch aus Traurigkeit; welche, wie ich glaube, ſich mit der Zeit mehr vermehret, als ver - mindert, und mir nicht Ruhe zu einer Arbeit laſ - ſen wird, die ſo vieles Nachdenken, und eine groͤſ - ſere Sorgfalt, als ich mir zutraue, erfordert.
Dennoch aber gefaͤllt mir ihr Rath ſo wohl, daß ich Jhnen einigen Stoff an die Hand geben will, welcher, ſo zu ſagen, zu einer Ergaͤnzung desjenigen dienen mag, den Sie aus den Papieren ſelbſt, aus des Obriſt Mordens Briefen an Sie, ſonderlich dem vom 23ten Sept.(*)Man ſehe den XCV. Brief. und aus den Briefen des verfluchten Boͤſewichts ſelbſt, der ihr, wie ich finde, ob gleich zu ſeiner eignen Ver - dammung, Gerechtigkeit gethan hat, zu ſammlen vermoͤgend ſeyn. Alle dieſe Aufſaͤtze werden Sie, welche ein ſo großer Bewunderer ihrer Tugen -E e e 2den804den zu ſeyn ſcheinen, in den Stand ſetzen, die Ar - beit auszufuͤhren: und zwar, wie ich glaube, beſ - ſer, als irgend jemand, den ich kenne. Allein ich bitte, daß, wo Sie dergleichen etwas thun, Sie mir es anzuſehen erlauben ‒ ‒ Finde ich es nicht nach meiner Meynung: ſo will dazu oder davon thun, wie es recht ſeyn wird.
Sie war wundervoll von ihrer Kindheit an. Allein ich vermuthe, Sie ſind willens, einen Ab - riß von ihr zu machen, wie ſie in denen Jahren geweſen, da ſie ſo viele vortreffliche Eigenſchaften hatte, daß ſie vielmehr, als eine Geſchichte von ihrem Leben, andern jungen Frauenzimmern zu einem Beyſpiel dienen konnte.
Vielleicht aber werden Sie nichts deſto weni - ger gern eine Beſchreibung von ihrer Perſen ge - ben wollen. Da Sie nun die liebe Fraͤulein zu der Zeit nicht gekannt haben, als ihr das Herz frey war: ſo will ich Jhnen eine Nachricht da - von geben, die Sie jedoch zum Theil ſelbſt bekraͤf - tigen koͤnnen.
Jhr Bau war ſo fein, ihre Proportion ſo genau, ihre Bildung ſo regelmaͤßig, ihre Farbe ſo liebenswuͤrdig, und ihre ganze Perſon und ihr gan - zes Weſen ſo ausnehmend reizend, daß ſie keinen Fuß ruͤhren konnte, ohne von aller Augen, wenn es auch Fremde waren, die ſie niemals geſehen hatten, bewundert und verfolgt zu werden. Des Obriſt Mordens oben angezogener Brief wird dieſes beſtaͤtigen.
Jn805Jn ihrem Putze war ſie unnachahmlich zierlich.
Von Perſon war ſie mehr lang, als von mitt - ler Groͤße. Jn ihrem ganzen Anſehen und We - ſen zeigte ſich ein erhabener Wohlſtand, der auf eine bezaubernde Art die Geſinnung zuwege brach - te, welche alle belebte.
Dieſes angebohrne und erhabene Weſen ver - leitete einige ſeichte Perſonen, die nicht wußten, wie ſie die Ehrerbietung erklaͤren ſollten, die ſich bey ihrem Anblick ihrer Herzen wider ihren Wil - len bemeiſterten, ihr einen Stolz beyzumeſſen. Allein ſie wußte nicht, was der Stolz im boͤſen Verſtande war.
Sie koͤnnen, wenn Sie dieſe Sache beruͤhren, folgende Lehren von ihr mit einfließen laſſen.
„ Perſonen, die nur zufaͤllige oder ſcheinbare „ Vorzuͤge haben, moͤgen ſtolz ſeyn: allein eine „ angebohrne Wuͤrde muß allezeit viel zu erhaben „ ſeyn, daß entweder ein eingebildetes oder ein „ hochmuͤthiges Weſen dabey ſtatt haben ſollte.
„ Wer kann beſſer oder wuͤrdiger ſeyn, als „ man hat ſeyn ſollen? Und wer ſollte uͤber Ga - „ ben, die man ſich nicht ſelbſt giebet, ſtolz ſeyn?
„ Die groͤßte und veraͤchtlichſte Unwiſſenheit „ iſt, wenn man ſich ſelbſt nicht kennet, und nicht „ weiß, daß alles, was wir Vorzuͤgliches haben, „ ein Geſchenk von Gott ſey.
„ Alle menſchliche Vollkommenheit iſt nur „ vergleichungsweiſe eine Vollkommenheit. ‒ ‒ „ Es giebt allezeit Perſonen, die uns ſo weit uͤber -E e e 3„ treffen,806„ treffen, als wir uns einbilden, die niedrigſten zu „ uͤbertreffen.
„ Jn der allgemeinen Reihe der Dinge iſt das „ niedrigſte Weſen eben ſo nuͤtzlich, und eben ſo „ wohl ein Glied von der großen Kette, als das „ hoͤchſte.
„ Die Vollkommenheit, welche alle andere „ Vollkommenheiten liebenswuͤrdig machet, iſt die „ Demuth.
„ Es iſt nur ein Stolz, der zu verzeihen iſt, „ und das iſt dieſer, daß man zu erhaben iſt, eine „ niedertraͤchtige oder ſchaͤndliche Handlung zu voll - „ bringen. “
Von der Art waren die Lehrſaͤtze, nach wel - chen dieſe bewundernswuͤrdige Fraͤulein ſich ſelbſt zu verhalten und ihre Auffuͤhrung gegen andere einzurichten ſuchte.
Und in Wahrheit, niemals hat ſich ein geſpraͤ - chiges und gefaͤlliges Weſen; Holdſeligkeit haben es einige genannt; an irgend einer Perſon, maͤnn - lichen oder weiblichen Geſchlechts merklicher und vorzuͤglicher bewieſen, als es ſich an ihr gegen alle diejenigen gezeiget, welche ihr die Macht ga - ben, ihnen Dienſte zu leiſten: ſo daß der, dem eine Wohlthat erwieſen worden, bisweilen nicht gewußt hat, was er am meiſten ſchaͤtzen ſollte; die erwieſene Guͤte, oder die Art und Weiſe, wie ſie erwieſen worden.
Man hat angemerkt, daß man von ihrer Art eine Bitte abzuſchlagen eben das ſagen konnte, was von Henrich dem IV. geſaget ward: Sieließ807ließ gemeiniglich die Perſon, der ſie etwas abge - ſchlagen hatte, beynahe eben ſo zufrieden von ſich, als wenn ſie ihrer Bitten von ihr gewaͤhret wor - den waͤren.
Hiernaͤchſt war ſie auf eine ſo edle Art auf - richtig ‒ ‒ Sie koͤnnen ihre Aufrichtigkeit nicht zu viel ruͤhmen, mein Herr. Jch darf wohl ſa - gen, daß man in allen ihren Briefen, in allen Briefen des nichtswuͤrdigen Kerls, ihre Aufrich - tigkeit nicht einmal anzuklagen finden wird: ob ihre Widerwaͤrtigkeiten gleich ſo ſchwer, die tuͤcki - ſchen Nachſtellungen des ſcheuslichen Boͤſewichts ſo fein, und ihre Bemuͤhungen, ſich von denſelben zu befreyen, ſo wirkſam geweſen ſind.
So ſtrenge ſie allezeit in ihren Beſtrafungen einer vorſetzlichen und ausgedachten Schandthat geweſen: ſo hat doch niemand wider ihr Urtheil Klagen gefuͤhret, oder ſie einer unzeitigen Stren - ge beſchuldiget. Denn ihre chriſtliche Liebe war ſo groß, daß ſie allemal lieber zu vertheidigen oder loszuſprechen ſuchte, wo das Vergehen nicht ſo groß und offenbar war, daß es die Gerechtig - keit erforderte, es zu verdammen.
Sie muͤſſen allenthalben darauf beſtehen, daß ſie niemals in die Gewalt dieſes ſcheuslichen und verruchten Boͤſewichts gekommen ſeyn wuͤrde, wenn die einfaͤltigen Verfolgungen ihrer Eltern nicht geweſen waͤren. Und gleichwohl war ſie ſo aufrichtig, daß ſie geſtand, wenn Perſon, Be - werbung und Verwandſchaft die vornehm - ſten Reizungen ſeyn muͤßten, ſo wuͤrde es ihremE e e 4Auge808Auge nicht ſchwer geweſen ſeyn, ihr Herz zu ver - leiten.
Da ſie das letzte mal, drey begluͤckte Wochen nach einander! bey mir war: war ſie in einem jeden Beſuche misvergnuͤgter uͤber ihn, wenn er wegging, als vorher.
Um den Befehlen ihrer Freunde, als ſie zu mir kam, gehorſam zu ſeyn, wollte ſie ihn niemals anders, als in meiner Geſellſchaft, ſehen, und ſagte oft, wenn er weggegangen war(*)Man ſehe den I. Theil, S. 106.: „ O, mein „ Annchen, dieß iſt nicht der rechte Mann “‒ ‒ ‒ Zu andern Zeiten: „ Der luſtige, unbeſonnene „ Menſch! Er hat allezeit etwas, weswegen er „ Vergebung ſuchen muß. “ ‒ ‒ Wiederum zu andern Zeiten: „ Dieſer Menſch wird eher Furcht „ bey jemand erwecken, als jemand zur Liebe rei - „ zen. “ Alsdenn wiederhohlte ſie: „ Dieß iſt nicht „ der rechte Mann ‒ ‒ Alles, was die Welt „ von ihm ſaget, kann nicht falſch ſeyn. ‒ ‒ Aber „ was habe ich fuͤr Recht, ihn zu beſchuldigen, da „ ich nicht willens bin, ihn zu nehmen? “ ‒ ‒ Kurz, haͤtte man ſie einer Einſicht und Klugheit uͤberlaſſen, die ihr niemand jemals ſtreitig ge - macht, der eine oder die andere dieſer Eigen - ſchaften ſelbſt beſaß: ſo wuͤrde ſie genug von ihm entdecket haben, welches ſie bewogen haͤtte, ihm auf ewig ſeinen Abſchied zu geben.
Jhre Aufrichtigkeit, einen jeden Fehler, zu dem ſie verleitet worden, zu geſtehen, muͤſſen Sie auch ſorgfaͤltig bemerken.
„ Der809„ Der Vermeidung des Vergehens, pflegte ſie „ zu ſagen, kaͤme das Geſtaͤndniß eines Fehlers „ am naͤchſten: und ſich in einer ſtrafbaren Sache „ entſchuldigen zu wollen, waͤre das ungezweifelte „ Zeichen eines falſchen oder verkehrten Ge - „ muͤths. “
Jedoch eine von ihren Ausdruͤckungen uͤber eine aͤhnliche Sache verdienet angefuͤhrt zu wer - den: da ihr von einer ſtrengen Richterinn ein Vorwurf gemacht wurde, weil eine Perſon, der ſie oft das Wort geredet, ſich wirklich ſchaͤndlich bewieſen hatte. „ Sie haben mehr Einſicht ge - „ habt, Madame, waren ihre Worte, als ſich ein „ ſo junges Frauenzimmer, wie ich bin, anmaßen „ kann. Allein ob das Verderben der Menſchen „ gleich oͤfterer, meiner Vermuthung nach, dieje - „ nige Perſon rechtfertigen mag, die harte Urthei - „ le faͤllet, als diejenige, die vortheilhaft urtheilet: „ ſo will ich doch meine liebreiche Geſinnung nicht „ fahren laſſen. Jnzwiſchen will ich mich in Zu - „ kunft bemuͤhen, ſie ſo einzurichten, daß ſie mit „ der Fuͤrſicht und Klugheit beſtehen koͤnne. “
Wo Sie der Schoͤnheiten und Annehmlich - keiten ihrer Feder Erwaͤhnung thun: koͤnnen Sie gedenken, daß es ihr allezeit zu einer Verwunde - rung Urſache gegeben, daß unſer Geſchlecht gemei - niglich ſo abgeneigt vom Schreiben iſt, als ſich wirklich zeiget: da die Feder, naͤchſt der Nadel, unter allen Beſchaͤfftigungen am bequemſten und geſchickteſten fuͤr ihre Gemuͤthsart iſt; und dieß ſo wohl zum wirklichen Nutzen als zum Zeitver -E e e 5treib.810treib. „ Wer ſieht nicht, waren ungefaͤhr ihre „ Worte, daß diejenigen Frauenzimmer, welche „ am Schreiben Vergnuͤgen finden, in allen An - „ nehmlichkeiten der vertrauten Schreibart die „ Mannsperſonen uͤbertreffen? Jhre ſanfte Ge - „ muͤthsart, die Zaͤrtlichkeit in ihren Meynungen „ und Grundſaͤtzen, die durch die Art ihrer Erzie - „ hung vermehret wird, und die Lebhaftigkeit ihrer „ Einbildungskraͤfte, geben ihnen die Geſchicklich - „ keit zu einer hohen Stufe des Vorzugs in die - „ ſer Beſchaͤfftigung: da hingegen gelehrte Maͤn - „ ner, wie man ſie nennet; jedoch nur bloß gelehr - „ te Maͤnner; ſich uͤber das natuͤrlich Leichte und „ Freye, welches dieſe, und in der That auch alle „ andere Schreibarten, vorzuͤglich macht, zu erhe - „ ben ſuchen, und, wenn ſie glauben, daß es ihnen „ am beſten gelungen iſt, uͤber alle natuͤrliche „ Schoͤnheit hinaus, oder vielmehr unter dieſelbe „ erniedrigt ſind. “
Eine kleine Lehre koͤnnen Sie auch, wenn es Jhnen beliebt, den Frauenzimmern geben, die ge - meiniglich in ihrer Rechtſchreibung allzu nachlaͤſ - ſig ſind. Ein Bewußtſeyn eines Mangels in dieſem Stuͤcke haͤlt ſie gemeiniglich vom Schrei - ben ab. ‒ ‒ Sie pflegte zu ſagen: „ Es waͤre ein „ Beweis, daß ein Frauenzimmer die Ableitung „ und den Verſtand der Worte, die es gebrauchte, „ inne haͤtte, und nicht bey dem Schalle ſtehen „ bliebe, wenn es genau und richtig buchſtabirte. “
Sie moͤgen gleichfalls wohl der wunderns - wuͤrdigen Geſchicklichkeit gedenken, welche ſie be -ſaß,811ſaß, leichtlich Sprachen zu lernen; daß ſie mit großer Fertigkeit beydes Jtaliaͤniſch und Franzoͤ - ſiſch las, und auch beydes ſprechen konnte, ob ſie gleich dazu nicht ſehr geneigt war, welches Sie die Guͤte haben werden einen Fehler an ihr zu nennen; imgleichen daß ſie angefangen hatte, ſich auf das Lateiniſche zu legen.
Allein Sie werden vor allen nicht vergeſſen anzumerken, daß aller ihrer Wiſſenſchaften unge - achtet ſie doch eine vortreffliche Haushaͤlterinn und Wirthinn geweſen iſt. Und dieſe Eigen - ſchaften, muͤſſen Sie gedenken, war ſie inſonder - heit geneigt allen ihren Geſpielinnen im Leſen und Schreiben einzuſchaͤrfen. Denn es war eine Grundregel bey ihr, „ daß ein Frauenzimmer, „ welches das Nuͤtzliche und Zierliche, wodurch „ ihr eignes Geſchlecht ſich unterſcheidet, des - „ wegen verſaͤumet, damit es die Wiſſenſchaften, „ welche nach der gemeinen Meynung dem an - „ dern Geſchlechte eigentlich zuſtehen, erlangen „ moͤge, ſich durch dasjenige, was ſie verabſaͤu - „ met, mehr Verachtung zuziehet, als ſie durch „ das, was ſie erlanget, Anſehen gewinnet.
„ Es mag ſich alſo unſer Geſchlecht, pflegte „ ſie daher zu ſagen, nach der Fertigkeit in allem „ dem, was an dem andern Geſchlechte vortreff - „ lich iſt und zu dem ihrigen ſich nicht uͤbel ſchickt, „ bemuͤhen: allein ohne dadurch etwas zu verlie - „ ren, das an ihrem eignen Geſchlechte ruͤhmlich „ iſt. “
Viel -812Vielleicht werden Sie es nicht fuͤr undienlich halten, in dieſer Betrachtung ferner anzumerken; da es zeigen wird, wie bey ihr Lehrſaͤtze und Bey - ſpiel allezeit auf das genaueſte mit einander ver - einigt waren; daß ihre Hollaͤnderey auf ihres Großvaters Gut einen jeden vergnuͤgte, der ſie ſahe, gleich wie ſie ſelbſt alle ergoͤtzte, welche ſie in derſelben ſahen. Denn ſie war in einer und eben derſelben Stunde, wenn es ihr beliebte, das zierlichſte Milchmaͤgdchen, das man jemals geſe - hen, oder die feinſte Fraͤulein, welche jemals einer Verſammlung Reiz und Anmuth gegeben.
Gleichwohl hatte dieſes bewundernswuͤrdige Frauenzimmer alle die haͤuslichen Eigenſchaften, ohne die geringſte Miſchung von Kargheit, an ſich. Sie pflegte zu ſagen, „ wenn man die wah - „ re Freygebigkeit erklaͤren wollte, ſo muͤßte ſie „ die gluͤckliche Mittelſtraße zwiſchen der Spar - „ ſamkeit und Verſchwendung genannt werden. “
Sie war eben ſo weit uͤber alles Zuruͤckhal - ten, als uͤber alle Verſtellung, erhaben. So ge - neigt, ſich zu entdecken, daß kein junges Frauen - zimmer eine halbe Stunde in ihrer Geſellſchaft ſeyn konnte, ohne einige gute Lehren mit ſich zu nehmen, die Unterredung mochte fallen, worauf ſie wollte. Jedoch ward alles auf eine angenehme Art beygebracht; nichts mit einem gebieteriſchen Anſehen vorgetragen: ſo daß ſie unterdeſſen, da ſie zu ihrer Nachricht eine Frage zu thun ſchien, den noͤthigen Unterricht einfließen, und die unter - wieſene Perſon ungewiß bleiben ließ, ob der Ge -danke813danke hauptſaͤchlich von ihr ſelbſt oder von der liebreichen Lehrmeiſterinn herkaͤme; indem ſie, die unterwieſene Perſon ihn, wenn er einmal auf die Bahn gebracht war, erweitern konnte.
Sie wußte in denen Theilen der Wiſſenſchaf - ten, die ſie zu erlangen ſuchte, das Gothiſche und Vandaliſche wohl zu entdecken und vor Augen zu legen: und dieß alles von Natur.
Das, was ſich eigentlich zu einer jeden Sa - che ſchicket; wodurch die Natur nur mit einem andern Worte angedeutet wird; war bey ihr ein Geſetz, nach welchem ſie alles einrichtete: gleich - wie es der Grund aller wahren Beurtheilung iſt.
Jhre Geſchicklichkeit im Naͤhen und Sticken werden Sie in einigen von denen Briefen viel - leicht beruͤhret finden. Das Stuͤck, welches ſie ihrem Vetter Morden vermacht, iſt in der That ein Meiſterſtuͤck: ein ſo bewundernswuͤrdiges Werk, daß der Vater dieſes Herrn, der groͤßten - theils außerhalb Landes ſeinen Aufenthalt hatte, es ſehr gern haben wollte, wie in ihrem Teſtament erwaͤhnet wird, damit er es mit ſich nach Jtalien nehmen koͤnnte, um den Neubegierigen von an - dern Laͤndern, wie er zu ſagen pflegte, zur Ehre ſeines Vaterlandes zu zeigen, daß bey den eng - laͤndiſchen Frauenzimmern das Einſperren in Kloͤſtern nicht noͤthig waͤre, um ſie geſchickt zu machen, ſich in denen ſchoͤnen Kuͤnſten hervorzu - thun, womit ſich Nonnen und Kloſterfrauen ſo viel wiſſen.
Jhre814Jhre Geſchwindigkeit in dieſer Art von Ar - beit war erſtaunlich: und diente ihr ſelbſt zu einer großen Aufmunterung, ſie fortzuſetzen.
Herrn Mordens Vater wuͤrde ihr beſtaͤndig Geſchenke gemacht haben; wenn ſie es ihm haͤtte zulaſſen wollen: und er pflegte ſie, eben ſo wie ihr Großvater, einen Zoll zu nennen, den man ei - nem ſo erhabenen Verdienſte ſchuldig waͤre, und keine Geſchenke.
Jch ſage nichts von ihrer Erfahrenheit in der Muſik, und von ihrer reizenden Stimme, wenn dieſe ihre Finger begleitete; ob es gleich etwas ſehr außerordentliches war: weil ſie in beyden ih - res gleichen nicht hatte.
Wenn ſie das Kartenſpiel nicht vermeiden konnte: ſo ſpielte ſie wohl: aber ſie ſetzte ſich als - denn allemal wider das hohe Spiel. „ Kleinigkei - „ ten ausgenommen, pflegte ſie zu ſagen, wollte ſie „ das, was ſie ſchon einmal gewiß haͤtte, nicht auf „ alle Gefahr hinſetzen. “
Zu andern Zeiten ſagte ſie: „ Sie wuͤrde ih - „ ren Freunden ein ſehr ſchlechtes Compliment „ machen, wenn ſie vermuthete, daß ſie dasjenige „ zu beſitzen wuͤnſchten, was ihr von Rechtswegen „ zugehoͤrte: und ſie wuͤrde ſehr nichtswuͤrdig „ ſeyn, wenn ſie auf das, was ihnen zugehoͤrte, ei - „ nen Anſpruch zu machen verlangte.
„ Kurz; hoch ſpielen, pflegte ſie zu ſagen, iſt „ ein niedertraͤchtiges Laſter; eine Untugend; eine „ Ausgeburt des Geizes; und eine unmittelbare„ Ueber -815„ Uebertretung des Gebotes, das uns verbietet, „ unſers Naͤchſten Gut zu begehren. “
Sie werden Gelegenheit haben, ihrer Liebes - werke zugedenken. Jhr Teſtament giebt Jhnen die beſondere Beſchaffenheit derſelben einigerma - ßen zu erkennen. Jn der That, ſie hatte in der klugen Austheilung derſelben weder ein Beyſpiel noch ihres gleichen.
Sie koͤnnen ſich in dieſer Sache, wo ſie ſich auf die beſondern Umſtaͤnde bey Erzaͤhlung der - ſelben einlaſſen wollen, bey der Fr. Norton Raths erhohlen: und wenn ich ſehe, was dieſe Jhnen mittheilen wird; ſo werde ich vielleicht noch einen Zuſatz dazu machen.
Jn allem, was ſie las, und in ihren Unterre - dungen daruͤber, mochte ſie lieber Schoͤnheiten, als Maͤngel finden. Jedoch pflegte ſie zu bekla - gen, daß gewiſſe Schriftſteller der erſten Ord - nung, die im Stande waͤren, die Tugend zu erhoͤ - hen, und das Laſter zu beſchaͤmen, ſich nur allzu oft mit bloßen Werken der Einbildungskraft, bey Sachen, die auf bloße Betrachtungen des Ver - ſtandes ankaͤmen, keinen Einfluß haͤtten, und nichts zur Erbauung beytruͤgen, beſchaͤfftigten; bey Sa - chen, woraus keine gute Lehre oder Vorbild gezo - gen werden koͤnnte.
Alles, was ſie redete und that, war mit einem natuͤrlich ungezwungenen und erhabenen Weſen begleitet. Dieß ſetzte ſie uͤber allen angenomme - nen Schein, und den Verdacht davon, hinaus. Denn bey allen ihren trefflichen Vorzuͤgen war ſiewilliger816williger zu hoͤren als zu reden: und daher kam ſonder Zweifel kein geringer Theil ihres Wachs - thums.
Sie ſind begierig, die beſondere Eintheilung ihrer Zeit zu wiſſen, und vermuthen, daß Jhnen dieſes helfen werde, etwas, woruͤber ſie nach ih - rem Geſtaͤndniſſe beſtuͤrzt ſind, zu erklaͤren: naͤm - lich, wie ein ſo junges Frauenzimmer ſo viele Ei - genſchaften erlangen konnte.
Jch will zum voraus erinnern, daß ſie von Jugend auf durch ein vortreffliches, und, wie ich wohl ſagen mag, ein gelehrtes Frauenzimmer, durch die Fr. Norton, deren Sorgfalt, Weisheit und Exempel ſie den Grund zu ihrem Geſchmack und erlangten guten Eigenſchaften zu danken hat - te, fruͤhe aufzuſtehen gewohnt worden. Da aber der Grund, den die Fr. Norton in ihr gelegt, ſo große natuͤrliche Gaben bey ihr fand: ſo war es um ſo viel weniger zu verwundern, daß ſie es den meiſten von ihrem Alter und Geſchlechte zuvor - that.
Sie pflegte zu ſagen. „ Es waͤre unglaublich „ zu gedenken, was durch Fruͤheaufſtehen und „ durch lange und zugleich wohl angewandte Tage „ auszurichten ſtuͤnde.
Man kann hinzuſetzen, daß, wenn man, nach der gewoͤhnlichen Weiſe nur allzu vieler Leute, die Rechnung machte, ſie wirklich in ihrem Alter von ſechszehn Jahren laͤnger gelebt hatte, als jene in einem Alter von ſechs und zwanzig Jahren.
„ Nie -817„ Niemand, pflegte ſie zu ſagen, koͤnnte ſeine „ Zeit wohl anwenden, der nicht nach einer gewiſ - „ ſen Regel lebte; der nicht, ſo nahe als ſeyn koͤnn - „ te, ſeine Stunden zu beſondern Abſichten und „ Geſchafften beſtimmte.
Dieſer ſelbſtgegebenen Lehre zu folge, war die gewoͤhnliche Eintheilung der vier und zwanzig Stunden, nachdem ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen worden, auf folgende Art gemacht.
Zur Ruhe ſetzte ſie nur ſechs Stunden.
Sie glaubte, daß ſie ſich nicht ſo wohl, und ſo heiter von Verſtande; ſo lebendig pflegte ſie zu ſagen; befaͤnde: wenn ſie dieſe Proportion uͤberſchritte. Wenn ſie nicht ſchlief: ſo ſtand ſie lieber eher auf. Und im Winter hatte ſie ihr Feuerwerk bereit legen laſſen, und einen Wachs - ſtock, der leicht brennte, um es anzuzuͤnden: in - dem ſie den Bedienten nicht gern Beſchwerde machte, „ deren haͤrtere Arbeit, wie ſie zu ſagen ge - „ wohnt war, und ſpaͤteres Zubettegehn in Be - „ trachtung gezogen zu werden verdiente. “
Jch habe ihr deswegen Vorwuͤrfe gemacht, daß ſie mehr auf dieſe, als auf ſich ſelbſt ſaͤhe. Al - lein dieß war ihre Antwort: „ Jch habe meinen „ freyen Willen: wie kann ich mehr wuͤnſchen? „ Warum ſollte ich andere Leute druͤcken, mir ſelbſt „ Genuͤge zu thun? Sie ſehen, was ein freyer „ Wille jemand zu thun in den Stand ſetzet: da „ hingegen ein Befehl, wodurch etwas aufgeleget „ wird, eine leichte Laſt ſchwer machen wuͤrde. “
Siebenter Theil. F f fJhre818Jhre erſten drey Morgensſtunden
Wurden gemeiniglich mit ihrem Studiren und mit dem, was ſie in ihrem Cloſet zu thun ver - bunden war, zugebracht, und bey Gelegenheit durch diejenige Zeit vermehret, die ſie von ihrer Ruhe erſparte. Jn eben dieſen Stunden hatte ſie auch ihren Zeitvertreib mit dem Brief - wechſel.
Zwo Stunden beſtimmte ſie uͤberhaupt zu haͤnslichen Geſchaͤfften.
Dieſe waren nach verſchiednen Zeiten den Tag uͤber vertheilet, wie es die Noth erforderte: indem alle Rechnungen der Haushaͤlterinn, zur Erleichterung ihrer Mutter, durch ihre Haͤnde gingen. Denn ſie hatte die Regeln der vier vor - nehmſten Rechnungsarten vollkommen inne.
Fuͤnf Stunden wandte ſie auf ihr Sti - cken, Zeichnen, Muſik u. ſ. w.
Jn dieſen waren die Zeiten mit begriffen, da ſie ihren eignen und ihrer Schweſter Bedienten in dem Naͤhen und Sticken, das fuͤr die Familie noͤthig war, Huͤlfe leiſtete und die Aufſicht dar - uͤber fuͤhrte: denn ihre Schweſter iſt ein Frauen - zimmer nach der Mode. Auch waren des D. Lewins Beſuche auf ein freundſchaftliches Ge - ſpraͤch in derſelben mit eingeſchloſſen. Mit die - ſem ehrwuͤrdigen Manne unterhielte ſie gleichfalls einen Briefwechſel. Er erfreuete aber ſich undſie,819ſie, zwey oder dreymal die Woche, mit ſeinen Be - ſuchen; wenn es ſeine Geſundheit litte, und ſie zog ſeine Geſellſchaft allemal einer jeden andern Einladung vor.
Zwo Stunden ſetzte ſie zu ihrem Fruͤh - ſtuͤck und Mittagseſſen feſte.
Wenn aber eine Unterredung, oder das Ver - langen ihrer Freunde, oder eine ungefaͤhre Geſell - ſchaft, oder Gaͤſte es anders erforderten: ſo mach - te ſie ſich niemals ein Bedenken, ſich gefaͤllig zu beweiſen, und wollte ſo viel Zeit, wie ſie ſagte, von ihren andern Abtheilungen borgen. Und weil ſie es ſehr ſchwer befand, in den hierzu beſtimm - ten Stunden nicht das geſetzte Maaß zu uͤberſchrei - ten: ſo ſetzte ſie
Noch eine Stunde zu den Unterredun - gen bey der Mittagsmahlzeit aus;
Daß ſie, wie es die Gelegenheit gab, oder das Verlangen ihrer Freunde erforderte, hinzuge - than oder abgezogen werden mochte. Dem un - geachtet fand ſie Schwierigkeiten, wie ſie oft ſagte, dieſe Rechnung richtig zu halten: ſonderlich wenn der D. Lewin ſie mit ſeiner Geſellſchaft bey Tiſche vergnuͤgte; welches er gleichwohl nur ſelten that. Denn da er kraͤnklich und an einer beſtaͤndigen Ordnung im Eſſen und Trinken gebunden war: ſo legte er ſeine Beſuche gemeiniglich des Nach - mittags ab.
F f f 2Eine820Eine Stunde widmete ſie den Beſuchen bey den Armen in der Nachbar - ſchaft.
Einer auserleſenen Anzahl von dieſen, und ihren Kindern, pflegte ſie kurze Unterweiſungen und gute Buͤcher zu geben. Da dieſe Beſuche aber nicht alle Tage, und ſelten uͤber zweymal in der Woche vorfielen: ſo hatte ſie zwo oder drey Stunden auf einmal zu dieſer guͤtigen Beſchaͤffti - gung anzuwenden.
Die uͤbrigen vier Stunden
Waren, wie es die Gelegenheit gab, zum Abendeſſen, zu Unterredungen, oder der Familie nach der Abendmahlzeit vorzuleſen beſtimmet. Dieſe beſtimmte Zeit nannte ſie ihr Capital, auf welches ſie ihre Wechſel zu ziehen pflegte, ihre an - dre Schulden zu bezahlen. Hierunter begriff ſie die Beſuche, welche ſie bekam und wieder ableg - te, die Schauſpiele u. ſ. w. Da dergleichen Din - ge auf dem Lande nicht alle Tage vorkamen: ſo pflegte ſie es fuͤr etwas großes zu halten, daß ſie ſich nicht weniger als zween Tage unter ſechſen bloß zu Ergoͤtzlichkeiten zuließe. Und es waͤre viel, war ſie gewohnt zu ſagen, wenn ſie von ei - nem ſolchen Capital, als dieß waͤre, nicht Zeit zu einer Luſtreiſe, auch wohl auf zween oder drey Ta - ge, in einem Monathe abbrechen koͤnnte.
Wollte man ſagen, daß auf dieſe Art ihren Verwandten und den jungen Frauenzimmern inder821der Nachbarſchaft nur wenig von ihrer Zeit ge - goͤnnet worden: ſo wird man zu erwaͤgen haben, daß ſie, außer den vier Stunden in den vier und zwanzigen, einen großen Theil der Zeit, da ſie ſich mit Naͤhen und Sticken beſchaͤfftigte, bey der Ar - beit zum Umgange zu widmen pflegte. Es war eine Gewohnheit, die ſie unter ihrer Bekannt - ſchaft eingefuͤhret hatte, daß die jungen Frauen - zimmer bey ihren Beſuchen, auf eine nachbarliche Art, ſonderlich bey den Winterabenden, ihre Ar - beit oft mit ſich zu bringen pflegten: und Eine unter einem halben Dutzent von ihrer auserleſe - nen Bekanntſchaft pflegte, wie die Reihe an ſie kam, den Uebrigen bey der Arbeit etwas vorzu - leſen.
Dieß war die gewoͤhnliche Art, wie ſie, nach - dem ſie freye Gewalt uͤber ſich bekommen hatte, ſechs Tage in der Woche zuzubringen pflegte.
Den ſiebenden Tag
Beging ſie, wie er billig zu begehen iſt. Und da ſehr oft ein Theil davon zu Liebeswerken ange - wandt wurde: ſo ward die Stunde, welche ſie be - ſtimmt hatte, ihre Armen in der Nachbarſchaft zu beſuchen, wie es die Gelegenheit mit ſich brach - te, durch dieſen Tag oft erſetzt und zu ihrem Capi - tal geſchlagen.
Jch muß aber bemerken, daß, wenn ſie bey ihres Großvaters Lebzeiten auf einmal drey oder vier Wochen ſeine Haushaͤlterinn und ſein Gaſt war, wie auch, wenn ſie bey einem von ihren bey -F f f 3den822den Onkeln ſo lange blieb, ihre gewoͤhnliche Ein - theilung der Zeit veraͤndert war. Jedoch hielte ſie dieſelbe ſo genau, als es die Umſtaͤnde leiden wollten.
Wenn ich ſo gluͤcklich war, ſie auf vierzehn Tage, oder ſo, bey mir zu bewirthen: ſo erließ ſie ſich ebenfalls ihre Regeln. Jn ihrem Rechnungs - buche habe ich, nach ihrem ewig zu bedaurenden Tode, dieß angezeichnet gefunden: ‒ ‒ „ Von „ dem und dem Tage bis an den und den „ Tag ſind lauter Feyertage fuͤr mich geweſen, bey „ meiner lieben Fraͤulein Howe. “ Wenn ſie zu - ruͤckgekommen war: ſchrieb ſie in dieß Buch: „ An dem und dem Tage, “welchen ſie dabey benannte, „ iſt die Rechnung wieder angefangen. “ Und darauf fuhr ſie ordentlich fort, wie vorher.
Einmal in der Woche pflegte ſie allezeit mit ſich Rechnung zu halten. Wenn ſie alsdenn in den 144 Stunden, die in den ſechs Tagen enthal - ten waren, ihre Rechnung richtig gemacht hatte: ſo ſchrieb ſie es ſo an. Wo nicht: ſo ſchlug ſie die Schuld zu der Rechnung von der naͤchſtfol - genden Woche; etwa auf folgende Art z. Ex. Schuldnerinn in Anſehung des Artikels von den Liebesbeſuchen, fuͤr ſo und ſo viele Stun - den. Und ſo mit dem Uebrigen.
Es war aber allezeit ein hauptſaͤchliches Stuͤck ihrer Bemuͤhung, ſie mochte Beſuch geben oder annehmen, in allen Geſellſchaften ſich vollkommen geruhig, zufrieden, und munter zu bezeigen: als wenn ſie keine ſo genaue Rechnung hielte, undals823als wenn ſie ſich nicht ſelbſt von ihren bey Gele - genheit gemachten Abweichungen Rechenſchaft ge - ben muͤßte.
Dieſe Weiſe, welche andern verwirrend und unnoͤthig ſcheinen wird, hatte ihr fruͤhes Aufſte - hen und die Gewohnheit ihr leicht und angenehm gemacht.
Und in der That; wie ich ihr auch zu ſagen pflegte; ſo ſehr ich ſie in allen ihren Einrichtun - gen bewunderte: ſo koͤnnte ich mich zu dieſer doch nicht bringen; ob ich mich gleich zu dem fruͤhen Aufſtehen gebracht hatte, und den Nutzen da - von finde; wenn ich auch die ganze Welt dafuͤr haben ſollte.
Sie pflegte zu antworten: „ Jch halte nicht „ alles, was ich thue, fuͤr einen andern fuͤr noͤthig „ zu thun: ja nicht einmal fuͤr mich ſelbſt. Da „ es mir aber angenehmer iſt, eine ſolche Rech - „ nung zu halten, als ſie liegen zu laſſen: warum „ ſollte ich denn nicht in meinen uͤberfluͤßig guten „ Werken fortfahren? ‒ ‒ Es kann kein Schade „ daraus entſtehen. Es erhaͤlt meine Aufmerk - „ ſamkeit bey Rechnungen: und dieß kann mir „ vielleicht einmal in wichtigern Faͤllen Dienſte „ thun. Diejenigen, die keine genaue Rechnung „ halten wollen, halten ſelten lange irgend eine „ Rechnung. Jch verſaͤume daruͤber keine nuͤtzli - „ chere Beſchaͤfftigungen: und es lehrt mich, mit „ der Zeit geizig zu ſeyn; dem einzigen Dinge, „ womit man auf eine erlaubte Art geizig ſeyn „ kann, da wir nur einmal in dieſer Welt leben,F f f 4„ und824„ und wenn wir aus derſelben gegangen, auf ewig „ herausgegangen ſind. “
O Herr Belford! Jch kann hievon nicht wei - ter ſchreiben. Denn da ich anderer Umſtaͤnde wegen in das Rechnungsbuch hineinſehe: ſo finde ich eine hoͤchſtſchmerzliche Anzeige. Weil ſie an dem aͤußerſten Rande des Papieres mit einer fei - nen Feder, und in der kleineſten Hand der lieben Fraͤulein, geſchrieben iſt: ſo habe ich ſie vorher nicht geſehen ‒ ‒ Es iſt folgende; und wie ich vermuthe zu einer Zeit, da die Sachen ein betruͤb - tes Anſehen bekommen hatten, nach dem benann - ten Tage niedergeſchrieben ‒ ‒ Helfen Sie mir, einen Fluch zu finden, wodurch das Ungeheuer; welches dazu Gelegenheit gegeben hat, zernichtet werde! ‒ ‒
„ Den 10ten April ſchließt ſich die Rechnung! „ ‒ ‒ Und mit ihr endigt ſich alle meine „ Hoffnung und alles Gluͤck, das mir ſonſt „ bevorſtand!!! “
Jch nehme meine Feder wieder: aber nicht, meinen Fluch zu entſchuldigen. ‒ ‒ Noch ein - mal bitte ich Gott, mich an ihm zu raͤchen! ‒ ‒ Mich, ſage ich ‒ ‒ denn an meiner Seite iſt der Verluſt: ‒ an der Seite meiner geliebten Freundinn der Gewinn.
O mein Herr! Sie haben ſie nicht ſo ge - kannt, Sie haben ſie nicht ſo kennen koͤnnen, alsich825ich gekannt habe. Es hat niemals ein ſo vor - treffliches Muſter gelebet! ‒ ‒ Eine ſo feurige und doch ſo gelaſſene Freundinn! ‒ ‒ Jn einem ſo hohen Grade das, was ich zu ſeyn wuͤnſche: aber niemals ſeyn werde! ‒ ‒ Denn, leyder! meine Stuͤtze, meine Rathgeberinn, meine Erin - nerinn, meine Aufſeherinn, iſt dahin! auf beſtaͤn - dig dahin!
Sie beehrte mich mit dem Namen ihrer Her - zensſchweſter. Allein ich war nur eine Schwe - ſter von ihr in der Liebe die ich zu ihr trug; einer Liebe, die uͤber alle Schweſterliebe ‒ ‒ unendlich weit uͤber die Liebe ihrer wirklichen Schweſter, gegangen iſt; in dem Haß, den ich gegen alle nie - dertraͤchtige und unedle Handlungen hege; und in meiner Liebe zur Tugend. ‒ ‒ Denn ſonſt bin ich von hohem Geiſte, und von einer ſtolzen Ge - muͤthsart, wie ich ſchon vorher bekannt habe, und in meinen Leidenſchaften ſehr heftig.
Kurz; ſie kam unter allen Geſchoͤpfen, die ich jemals gekannt habe, der Vollkommenheit am naͤheſten. Sie predigte mir niemals Lehren vor, die ſie nicht ſelbſt ausuͤbte. Sie fuͤhrte eben das Leben, welches ſie zu fuͤhren lehrte. Sie war die Demuth, die Holdſeligkeit ſelbſt; klagte ſich beſtaͤndig ſelbſt an, und ſprach andere los: ob gleich kaum der Schatten von dem Verſehen ihr, und das Weſentliche deſſelben denen beyzumeſſen war, deren einzige Ehre darinn beſtand, daß ſie ihre Verwandten waren.
F f f 5Mußte826Mußte ich eine ſolche Freundinn, eine ſolche Fuͤhrerinn verlieren! ‒ ‒ Wo meine Heftigkeit jemals zu rechtfertigen geweſen iſt: ſo iſt ſie es gewiß itzo, da ich mich alles deſſen erinnere! ‒ ‒ Denn ſie lebte nur, mich zur Empfindung mei - ner Fehler zu bringen: aber nicht lange genug dazu, daß ſie mich in den Stande ſetzte, ſie zu uͤberwaͤltigen, wie ich mich mit feſtem Vorſatze zu thun bemuͤhen wollte.
So erlauben Sie mir denn, denjenigen noch einmal zu verfluchen ‒ ‒ Allein nun haben Hef - tigkeit und Zorn ſchon wieder die Oberhand? ‒ ‒ Und wie kann es anders ſeyn?
Jedoch ich will mich mit Gewalt von dieſer Sache abziehen: da ich des Zwecks verfehlet ha - be, weswegen ich meine Feder wieder ergriff.
Anna Howe.
‒ ‒ ‒ ‒ Timor et minaeS[c]andunt eodem, quo dominus: nequeDecedit aerata triremi, etPoſt equitem ſedet atra cura(*)Dieſe Zeilen aus dem Horaz kann man auf fol - gende Art uͤberſetzen:(*).Die Furcht und drohende GefahrSteigt mit dem Herrn, wohin er ſteiget:Auch von dem ſtarkbeſchlagnen SchiffeEntweicht die ſchwarze Sorge nicht;Und will der Reuter vor ihr fliehen,So ſitzt ſie hinter ihm zu Pferde.
Jn einer ſo nachdruͤcklichen Sprache, als die Engliſche iſt, haſſe ich die Schulfuͤchſerey, das, was ich ſchreibe, mit lateiniſchen Brocken zu beſetzen, oder ſtatt des Eingangs anzufangen: und ich habe allezeit wider diejenigen unter unſern woͤchentlichen und taͤglichen Schriftſtellern, die ſolche Denkſpruͤche vorſetzen, ein hartes Urtheil ge - faͤllet. Allein dieſe Zeilen aus dem Horaz ſchi - cken ſich ſo vollkommen auf meine Umſtaͤnde, daßich828ich nicht im Stande bin, ich mag auf dem Schif-27 fe, oder in meiner Poſtkutſche, oder des Nachts in meinem Wirthshauſe ſeyn, ſie mir aus dem Sinne zu bringen. Vormals ſtand ich in den Gedanken, daß Dryden in dieſen prahleriſchen Zeilen recht wohl redete:
Man macht ſein Schickſal ſelbſt nach ſeinem eig -nen Sinn.Den Feigen reißt das Gluͤck zu ſeinem Skla -ven hin:Allein, kommt ihm ein Held mit Hectors Muthentgegen;So muß ſich ſelbſt dieß Gluͤck, als Sklave nie -derlegen.Webt denn das Schickſal mir nur auf gemeinenSchlag:So denk ich dieſen Schluß als Richter aufzu -heben;Und will mir ſchon dafuͤr, ſo gut ichs wuͤnſchen mag,Ein edleres Geweb aus neuem Purpur weben.
Eben das glaubte ich auch von den folgenden:
Das Gluͤck mag nur auf mich den ganzen Koͤ -cher leeren:Die Seele, die mir bleibt, faͤngt alle Pfeile auf;So wie ein großer Schild. Wenn mehrere dawaͤren:So fielen mehrere noch frey genug darauf.Das Schickſal hat niemals in meiner Hand ge -ſtanden:Und829Und ich bin auch zu groß fuͤr ſeine niedre Ban -den ‒ ‒Fuͤr Seelen giebt es nichts, das Ueberwinderheißt ‒ ‒
Allein in den zuerſt angezogenen Zeilen iſt nichts, als aufgeblaſene Ungereimtheit: und in den andern redet der Dichter nicht wahr; denn das Gewiſſen iſt der Ueberwinder von den See - len. Wenigſtens iſt es der Ueberwinder von der meinigen: und wer hat dieſe wohl jemals fuͤr klein und unedel gehalten?
Aber dieß kommt zum Theil daher, daß ich das ruͤhrende Teſtament und die hinterlaſſene Brie - fe uͤbergeſehen habe. Was fuͤr ein Heer von Schriftſtellen hat ſie in dem letzten wider mich in Schlachtordnung aufgefuͤhret! ‒ ‒ Jedoch Bru - der, zeigen mir dieſe Stellen nicht, daß ſchon vor zwey oder drey tauſend Jahren eben ſo gottloſe Leute geweſen ſind, als ich bin? ‒ ‒ Allerdings ‒ ‒ Und das iſt einiger Troſt.
Die edle Geſinnung und Großmuth, welche ſie in beyden auf das deutlichſte an den Tag gele - get hat, iſt dasjenige, was mich am meiſten naget: und das noch um ſo viel mehr, da es mir itzo auf keine Art und Weiſe in der Welt moͤglich iſt, mit ihr zur Richtigkeit zu kommen.
Jch haͤtte billig eher an euch ſchreiben ſollen. Allein ich habe zween Tage zu Calais gezaudert und auf eine Antwort gelauret: indem ich an meinen vorigen Diener auf meinen Reiſen, an den De la Tour, einen verſchlagenen geſchicktenKerl,830Kerl, wie ihr wohl von mir gehoͤrt habt, geſchrie - ben hatte, um ihn wieder anzunehmen. Jch habe ihn bekommen und er iſt ſchon bey mir.
Jch werde mich hier nicht lange aufhalten: ſondern gedenke an einige von den churfuͤrſtlichen Hoͤfen zu gehen. Der von Bayern, glaube ich, wird meine Aufmerkſamkeit am laͤngſten unter - halten. Vielleicht kann ich aus meinem Wege ausweichen; wo ich nur irgendwo aus meinem Wege ſeyn kann; und die Hoͤfe zu Dresden und Berlin beſuchen: Und es iſt nicht unmoͤglich, daß ihr von Wien aus einen Brief von mir bekom - met. Alsdenn kann ich vielleicht durch Tirol nach Jtalien hinunterkommen, und ſo uͤber Turin wieder nach Paris zuruͤckkehren; wo ich Mow - brayen und Tourvillen zu ſehen hoffe: auch habe ich in Anſehung eurer noch nicht alle Hoffnung aufgegeben.
Dieß iſt nicht wenig von dem Entwurfe, den ich euch von meiner Reiſe gegeben habe, unter - ſchieden. Allein ihr koͤnnt von mir allezeit Nach - richt erwarten, wie ich fortreiſe: und ob ich dieſen Weg, oder den andern verfolgen werde.
Jch habe meine vorige Wohnung in der St. Antonius Straße: und werde ſie, meiner Reiſe ungeachtet, behalten. Alſo wird ſie in Bereit - ſchaft ſeyn, allezeit zween von euch aufzunehmen; wo ihr vor meiner Ruͤckkehr dahin kommet: und das habe ich bedungen.
Jch831Jch ſchreibe an Charlotte: und das iſt ſo gut, als wenn ich an alle meine Verwandten auf einmal ſchriebe.
Du, Bruder, gieb mir gehoͤrig Nachricht von allem, was vorgehet: ‒ ſonderlich, wie du mit deinen Anſchlaͤgen dich zu beſſern fortkommſt; wie ſich Mowbray und Tourville in meiner Ab - weſenheit verhalten; und ob du etwa eine Gele - genheit zu einer Frau haſt; ich bin in dieſem Stuͤ - cke um ſo viel mehr bekuͤmmert, weil du zu geden - ken ſcheineſt, daß deine Zuͤchtigung nicht vollkom - men ſeyn werde, bis du gefeſſelt biſt. Melde mir auch, wie die Harloweiſche Familie in ihrer Reue fortgehe; ob die Fraͤulein Howe vermaͤhlet iſt, oder bald vermaͤhlt werden wird; wie der ehrliche Dolemann mit ſeinem Quackſalber fahre, nachdem er ſeine ordentlichen Aerzte, oder ſie viel - mehr ihn verlaſſen haben; und ob einige Wahr - ſcheinlichkeit zu ſeiner vollkommenen Geneſung vorhanden ſey. Gewiß, melde mir alles recht genau: denn ein jeder kleiner Umſtand, der dieje - nigen betrifft, welche wir werth achten, wird et - was wichtiges, etwas, daran uns gelegen iſt, wenn wir ein wenig von ihnen entfernet ſind. End - lich mache dich bereit, deine Erzaͤhlung, die du abgebrochen haſt, zu ergaͤnzen, wo du mich dir ver - binden willſt, als
Deinen Lovelace.
Jch ſchreibe, um euch zu zeigen, daß ich nicht im Stande bin auch nur die geringſten Bit - ten eines abweſenden und entfernten Freundes aus der Acht zu laſſen. Gleichwohl moͤget ihr leichtlich glauben, daß in der kurzen Zeit, da ihr außerhalb England geweſen ſeyd, keine große Ver - aͤnderungen mit denen Dingen, wornach ihr euch erkundiget, vorgefallen ſeyn kann. Nichts deſto weniger will ich auf ein jedes aus der angegebe - nen Urſache antworten; und auch aus der Urſa - che, die ihr anfuͤhret, daß ſelbſt Kleinigkeiten und Dinge, die nichts auf ſich haben, angenehm ſind, wenn ſie von einem Freunde an einen Freund kommen, und Freunde betreffen, ja auch wenn ſie nur diejenigen angehen, welche wir fuͤr wichtig genug halten, daß wir ſie unſere Feinde nennen.
Was denn zuerſt meine Anſchlaͤge mich zu beſſern, wie ihr es nennet, anlanget: ſo habe ich darinn, wie ich hoffe, einen ſehr guten Fortgang. Jch wuͤnſchte, daß ihr eben einen ſolchen Lauf an - gefangen haͤttet und auch ſo ſagen koͤnntet. Jhr wuͤrdet alsdenn unendlich mehr Ruhe des Ge - muͤths finden, als ihr ſonſt nach aller Wahrſchein -lichkeit833lichkeit kennen lernen werdet. Wenn ich auf den Riß, der binnen zwey oder dreyen Jahren unter uns geſchehen iſt, zuruͤck, und auf das, was noch vorfallen kann, vor mir hinaus ſehe: ſo achte ich mich ſchwerlich ſicher; ob ich gleich ſeit einiger Zeit von ganz andern Betrachtungen, als von den Vorſtellungen der Sinne und Begierden, die ſo manchen von unſerer Bruͤderſchaft in zeitliches Ungluͤck, wo nicht in das ewige Verderben, ge - ſtuͤrzt haben, geleitet bin.
Es iſt mir ein rechter Ernſt mit meinen Wuͤn - ſchen, zum Eheſtande gelaſſen zu werden. Allein ich denke, daß ich einige Zeit, als zur Pruͤfung, werde hinbringen muͤſſen, bis ich, durch Beſtaͤn - digkeit in meinem guten Vorſatz, ein oder das andere Frauenzimmer, welches ich lieben und eh - ren koͤnnte, und welches durch ihr gutes Beyſpiel mich in meinem tugendhaften Wandel beſtaͤtigen moͤchte, uͤberzeugen kann, daß doch noch einer von den freyen und liederlichen Bruͤdern vorhan - den iſt, der die Gnade gehabt hat, fromm zu wer - den, ehe das Alter oder Ungluͤck es ihm unmoͤg - lich gemacht, fortzuſuͤndigen.
Die Harloweiſche Familie bleibt untroͤſtlich, und ich darf wohl ſagen, ſie wird es bis an das Ende ihres Lebens bleiben.
Die Fraͤulein Howe iſt noch nicht vermaͤhlet: allein ich habe Urſache zu glauben, daß es bald ge - ſchehen werde. Jch habe die Ehre, mit ihr Brie - fe zu wechſeln: und je mehr ich ſie kennen lerne; deſto mehr bewundere ich ihre edle GeſinnungSiebenter Theil. G g gund834und Gemuͤthsart. Sie muß ſich bewußt ſeyn, daß ſie uͤber die Haͤlfte von unſerm, und die mei - ſten von ihrem eignen Geſchlechte erhaben iſt. Das mag ſie vielleicht bewegen, einer von Natur geſchwinden und ungedultigen Gemuͤthsart den Zuͤgel ſchießen zu laſſen: allein, wo ſie an ihrem Manne ein gefaͤlliges Nachgeben antrifft; und wer wollte bey einem ſo ſichtbaren Vorzuge nicht nachgeben, wenn es nicht mit Hochmuth erzwun - gen wird; ſo, darf ich ſagen, wird ſie eine vortreff - liche Frau ſeyn.
Was Herrn Dolemann betrifft: ſo verſucht er es noch immer mit ſeinem Quackſalber, und hoffet noch immer. Jch muß geſtehen, daß, da der letztere ein Mann von Einſicht und Beur - theilungskraft iſt, und nicht uͤbereilt handelt, nicht auf bloße Meynungen bauet, oder gar zu leicht glaubet, ich große Hoffnung habe, ſo wenig ich auch uͤberhaupt von Quackſalbern und Theriacks - kraͤmern halte, daß er ihm Nutzen ſchaffen werde, wo es ſeine Umſtaͤnde nur zulaſſen wollen. Mei - ne Gruͤnde ſind: weil der Mann ihn ordentlich und beſtaͤndig beſucht; mit ſeinen eignen Augen auf eine jede Veraͤnderung, auf einen jeden neuen Zufall bey ſeinem Kranken Achtung giebt; ſeine Arzneymittel veraͤndert, wie ſich die Anzeigen ver - aͤndern; ſich nicht an die Regeln bindet, welche die Vaͤter der Kunſt feſtgeſetzet haben, die vor vielen hundert Jahren gelebt, da die Krankheiten und die Urſachen derſelben, ſo wohl als die Him - melsgegenden und die zufaͤlligen Umſtaͤnde ebenſo835ſo ſehr unterſchieden geweſen, als die damaligen Lebensarten von den itzigen unterſchieden waren; und weil er ſeine Bezahlung nicht nach den Ta - gen, ſondern, außer den erſten fuͤnf Guineas fuͤr Arzney, nach Proportion, wie der Kranke ſelbſt Beſſerung ſpuͤren wird, bekommen ſoll.
Du fragſt nach Mowbrayen und Tourvil - len? Was kann man in ſo kurzer Zeit fuͤr Neuig - keiten von Leuten erwarten, die nicht Verſtand ge - nug haben, neue Erfindungen, ſie moͤgen gut oder boͤſe ſeyn, hervorzubringen oder zu verfolgen? Sonderlich itzo, da du weg biſt, der du die See - le von allen Unternehmungen und inſonderheit ihre Seele wareſt. Außer dem ſehe ich ſie nur ſelten. Jch vermuthe, ſie werden noch eher zu Paris ſeyn, als ihr von Teutſchland wieder zuruͤck kommen koͤnnet: denn ſie koͤnnen nicht ohne euch leben, und ihr habt ihnen in der letzten Abendge - ſellſchaft eine ſolche Probe von eurer wiederherge - ſtellten Fluͤchtigkeit gegeben, daß ſie dadurch eben ſo ſehr ergoͤtzet wurden, als ich betruͤbet ward.
Jch wollte herzlich wuͤnſchen, daß du deinen Weg gegen die Pyrenaͤiſchen Gebuͤrge lenken moͤchteſt. Alsdenn wuͤrde ich, wenn du deiner Baſe Montague eine Nachricht von den vornehm - ſten Merkwuͤrdigkeiten auf deiner Reiſe geben ſollteſt, um eine Abſchrift von deinen Briefen ein - kommen: indem die Sachen, wovon du ſchrie - beſt, alsdenn eben ſo neu fuͤr dich ſelbſt ſeyn wuͤr - den als fuͤr
Deinen Belford.
Jch verfolge mein Letztes vom $$\frac {14}{25}$$ ten, bey Ge - legenheit eines Briefes, der mir eben itzo von Joſeph Lehmannen zu Haͤnden gekommen iſt. Den Kerl faͤngt das Gewiſſen an zu plagen, Bru - der! Er erzaͤhlt mir, „ daß er weder Tag noch „ Nacht vor dem Ungluͤck ruhen koͤnne, zu deſſen „ Vollbringung er das Werkzeug geweſen zu ſeyn „ und noch ferner zu ſeyn befuͤrchtet. “ Er wuͤnſcht, „ wenn es Gott ſo gefiele und ich es erlaubte, daß „ er meiner Gnaden Angeſicht niemals geſehen „ haͤtte. “
Und was iſt wohl die Urſache von ſeinem ge - genwaͤrtigen Kummer in Abſicht auf ihn ſelbſt? Was anders, als „ die Geringſchaͤtzung und „ Verachtung, womit ihn ein jeder von der Har - „ loweiſchen Familie anſiehet; und diejenigen in - „ ſonderheit, wie er ſagt, denen er ſich ſo getreu zu „ dienen befliſſen hat, als es ſeine Verbindlichkeit „ gegen mich zulaſſen wollte: und ich haͤtte ihm „ allezeit eingebildet, ſchreibt er; ſo eine leicht - „ glaͤubige Seele, als er von ſeiner Wiegen „ an geweſen! daß auf die Laͤnge der Dienſt, „ den er mir thaͤte, beyden Parteyen ein Dienſt„ ſeyn837„ ſeyn wuͤrde. Allein dieſes und der Tod ſeiner „ lieben jungen Fraͤulein ſey ein Kummer, bezeu - „ get er, den er niemals verwinden wuͤrde, wenn „ er auch ſo alt werden ſollte als Matthuſalem: „ obſchonſt und wiewohln er verſichert iſt, daß „ er keinen Monath mehr ausleben werde, „ weil er ſchreckliche Schmerzen hat und ſein Ma - „ gen gar nicht mehr ſo iſt, wie er ſonſt geweſen; „ auch Fr. Eliſabeth nun, da ſie ſeine Liebe ge - „ wonnen hat, ſich ſehr wunderlich ſtellt und „ veraͤchtlich thut; allein er dankt ſeinem Gott, „ daß er ſie geſtrafet hat, weil ſie ſelbſt in einem „ ſchlechten Zuſtande iſt. “
„ Aber die Haupturſache, warum er meiner „ Gnaden nun beſchwerlich faͤllt, iſt nicht ſein eig - „ ner Kummer allein; obſchonſt der ſehr groß „ iſt; ſondern um kuͤnftiges Ungluͤck fuͤr mich zu „ verhuͤten. Denn er kann mich verſichern, daß „ der Obriſt Morden von ihnen allen weggereiſet „ iſt, mit dem feſten Vorſatz, ſein Muͤthlein an „ mir zu kuͤhlen: und er weiß gewiß, daß er ge - „ ſagt und dazu geſchworen, wie er entſchloſſen „ waͤre, daß er entweder das Blut aus meiner „ Gnaden Herzen haben wollte, oder ich ſollte ſei - „ nes haben; oder einige dergleichen betruͤb - „ te Drohungen; und daß die ganze Familie „ ſich daruͤber freuet, und hoffet, ich werde zu kurz „ kommen.
Dieß iſt der Hauptinhalt von Joſephs Brie - fe: und ich habe auch einen Brief von Mowbray, worinn mir ein gleicher Wink gegeben wird. G g g 3Außer838Außer dem beſinne ich mich itzo, daß du mich mit aller Gewalt bereden wollteſt, da wir den letzten Abend mit einander zubrachten, lieber nach Ma - drit, als nach Frankreich und Jtalien zu gehen.
Das, warum ich dich bitte, iſt, mir bey der erſten Gelegenheit alles, was du in dieſem Stuͤ - cke weißt, getreulich zu melden.
Jch kann mir nicht drohen laſſen, Bruder. Es ſoll ſich auch kein Menſch, ohne desfalls zur Rede geſetzt zu werden, wenn ich es erfahre, in meiner Abweſenheit ein Anſehen geben, das in ir - gend jemandes Augen mich niedertraͤchtig vorſtel - len, das meinen Freunden meinetwegen Sorge machen, das ſie bewegen wird, zu wuͤnſchen, daß ich meine Abſichten oder meinen Reiſeplan aͤndern moͤchte ihm auszuweichen. Glaubſt du, daß ich unter ſo veraͤchtlichen Bedingungen das Leben er - tragen koͤnnte?
Allein, wenn er einen ſolchen Vorſatz gehabt: warum hat er ihn mir nicht entdecket, ehe ich aus England gegangen war? War er nicht im Stan - de, ſich zu einer Entſchließung zu bringen, bis er wußte, daß ich nicht mehr in dem Koͤnigreiche war?
So bald als ich nur Nachricht einziehen kann, wohin die Briefe an ihn gehen muͤſſen, will ich an ihn ſchreiben, um ſeine Entſchließung zu erfahren: denn ich kann in einem ſolchen Falle, als dieß iſt, keine Ungewißheit leiden. Die feyer - liche Handlung, die doch morgen geſchehen muß, wenn es auch ſo gar Heyrathen oder Haͤngen ſeynſollte,839ſollte, moͤchte ich allemal lieber heute geſchehen wiſſen. Mein Gemuͤth wird muͤde und krank vor Ungedult, wenn es ſolchen Aufzuͤgen nachden - ket, die weder Veraͤnderung, noch Gewißheit bey ſich haben koͤnnen. Es iſt hoͤchſt beſchwerlich, wenn man einen Ausgang, der in einer Viertel - ſtunde entſchieden werden mag, zwanzig Tage lang erwarten ſoll.
Wenn er nach Paris kommt: ſo wird er mei - ne Wohnung leicht ausforſchen; wenn ich gleich ſchon auf meiner Reiſe ſeyn ſollte. Denn ich ſe - he taͤglich einen oder den andern von meinen Lan - desleuten, und verſchiedne von ihnen habe ich hier bewirthet. Jch gehe fleißig in die Opera und in die Comoͤdie, und erſcheine bey Hofe und an allen oͤffentlichen Oertern. Und wenn ich von dieſer Stadt abgehe: will ich eine Anweiſung zu - ruͤcklaſſen, wohin meine Briefe von England, oder von andern Gegenden von Zeit zu Zeit befoͤrdert werden ſollen. Waͤre ich verſichert, daß ſeine Abſicht das iſt, was Joſeph Lehmann mir meldet: ſo wuͤrde ich hier bleiben, oder ihm den Weg zu mir verkuͤrzen; er moͤchte ſeyn, wo er wollte.
Jch kann nicht ablaſſen, die liebe Fraͤulein zu bedauren: wenn es auch mein Leben koſten ſollte. Wo der Obriſt und ich zuſammen kommen: ſo werden wir, da er mir kein Unrecht gethan hat, und das Angedenken ſeiner Baſe liebet, mit glei - chen Geſinnungen, in Anſehung der Sache, wor - auf unſer Streit ankommt, uns mit einander ein -G g g 4laſſen.840laſſen. Die Sache aber iſt, wie ihr wiſſet, kein gemeiner Fall.
Kurz; ich bin eben ſo ſehr uͤberzeugt, daß ich Unrecht gethan habe, als er es ſeyn kann: und bedaure es auch eben ſo ſehr. Allein ich will mir von keinem Menſchen in der Welt drohen laſſen: wenn ich mir auch noch ſo ſehr bewußt bin, daß ich Tadel verdient habe.
Lebe wohl, Belford! Gehe aufrichtig mit mir um. Kein Bemaͤnteln: ſo werth dir iſt
Dein Lovelace.
Jch kann nicht glauben, mein lieber Lovelace, daß der Obriſt Morden euch in den rauhen Ausdruͤckungen, welche der ſchaͤndliche, heuchleri - ſche und unwiſſende Joſeph Lehmann gemeldet hat, gedrohet habe, noch daß er euch zu folgen willens ſey. Es ſind die Worte von Leuten, die zu des Kerls Claſſe gehoͤren; und nicht von einem Cavallier: nicht vom Obriſt Morden; das weiß ich gewiß. Jhr werdet bemerken, daß Joſephnicht841nicht ſagen will, daß er ſie aus ſeinem Munde ge - hoͤret habe.
Jch habe mir ſehr viele Muͤhe gegeben, den Obriſten auszuforſchen: ſo wohl euretwegen, als um ſein ſelbſt willen, und um desjenigen willen, was die vortreffliche Fraͤulein in dieſem Stuͤcke mir nicht weniger, als ihm, empfohlen hat. Er iſt ausnehmend geruͤhret; daruͤber werdet ihr euch nicht wundern; und geſteht, daß er ſich bey Gelegenheit mit ſolchen Worten, die von einem Unwillen zeugen, ausgedruͤckt habe. Einmal ſagte er zu mir, daß, wenn der Fall mit ſeiner ge - liebten Baſe eine gemeine Verfuͤhrung geweſen, und ſie durch feine Raͤnke, wie Biſchoff Burnet ſagt, ins Garn gezogen waͤre, indem ihre eigne Schwachheit und Leichtglaͤubigkeit etwas zu ih - rem Falle beygetragen haͤtte, er euch haͤtte verge - ben koͤnnen. Allein er verſicherte mich ausdruͤck - lich mit eben den Worten, daß er noch keine Ent - ſchließungen gefaßt, und ſich auch gegen die Fa - milie auf keine ſolche Art herausgelaſſen haͤtte, daß er ſeine Baſe zu raͤchen dadurch verbunden ſeyn ſollte. Jm Gegentheil hat er geſtanden, daß die inſtaͤndigſten Bitten ſeiner Baſe bisher alles Ge - wicht bey ihm gehabt haͤtten, das ich wuͤnſchen koͤnnte.
Er reiſete acht Tage nach euch weg. Da er Abſchied von mir nahm: ſagte er, ſeine Abſicht waͤre nach Florenz zu gehen; da wollte er ſeine Sachen in Ordnung bringen, alsdenn wiederG g g 5nach842nach England zuruͤckkommen und hier ſeine uͤbri - gen Tage zubringen.
Jch war freylich beſorgt, daß, wenn ihr und er zuſammenkommen ſolltet, ein Ungluͤck entſtehen moͤchte: und weil ich wußte, daß ihr euch vorge - nommen hattet, Jtalien und, nach großer Wahr - ſcheinlichkeit, Florenz, auf eurem Ruͤckwege nach Frankreich zu beruͤhren; ſo gab ich mir viele Muͤ - he euch zu gewinnen, daß ihr den Hof von Spa - nien mit in euren Reiſeplan nehmen moͤchtet. Jch bin auch noch ſo geſinnet. Und wo ihr nicht zu gewinnen ſeyd, daß ihr das thut: ſo laßt mich euch inſtaͤndigſt bitten, Florenz oder Leghorn auf eurem Ruͤckwege zu vermeiden, da ihr beyde vor - her ſchon beſucht habet. Wenigſtens laßt den Vor - ſchlag, zuſammenzukommen, nicht von euch her - ruͤhren.
Es wuͤrde mir zu ernſthafter Betrachtung An - laß geben, wenn eben der Kerl, der Joſeph Leh - mann, der euch ſo bequeme Gelegenheit verſchaf - fet hat, alle Ruͤſtung ſeiner Herrſchaft gegen ſie ſelbſt zu kehren, und ſie ſich einander bey der Na - ſe herumfuͤhren zu laſſen, damit ſie eure raͤnkevol - len Abſichten befoͤrderten, in des Teufels Haͤnden das Werkzeug ſeyn ſollte, noch dazu unwiſſendlich, ſie alle an euch zu raͤchen. Denn wenn ihr auch die Oberhand uͤber den Obriſten behalten ſolltet: wuͤrde ſich denn das Ungluͤck damit endigen? ‒ ‒ Es wuͤrde eure gegenwaͤrtige Gewiſſensbiſſe nur vermehren: da das Ende von der Zuſammen - kunft der Tod ſeyn muͤßte. Denn er wuͤrde ſeinLeben843Leben nicht von euren Haͤnden annehmen: das weiß ich ſicher. Ueber dieß wuͤrde die Harlowei - ſche Familie euch gerichtlich verfolgen. Jhr haſſet ſie: und ſie wuͤrden durch ſeinen Tod gewinnen; uͤber den eurigen ſich freuen ‒ ‒ Und habt ihr nicht ſchon Ungluͤck genug angerichtet?
Laßt mich daher, und durch mich alle eure Freunde das Vergnuͤgen haben, zu hoͤren, daß ihr entſchloſſen ſeyd, dieſen Cavallier zu vermeiden. Die Zeit wird alles uͤberwinden. Niemand zwei - felt an eurer Herzhaftigkeit. Man wird auch nicht erfahren, daß ihr euren gemachten Entwurf zur Reiſe durch jemandes Ueberredung bewogen geaͤndert habt.
Der junge Harlowe ſchwatzt davon, daß er euch zu Rede ſetzen will. Dieß iſt ein offenba - rer Beweis, daß Herr Morden den Streit fuͤr ih - re Familie nicht auf ſich genommen habe.
Jch bin vor keinem als vor dem Obriſt Mor - den in Furcht. Jch weiß, daß es kein Mittel ſeyn wird, euch zu gewinnen, damit ihr mir gefaͤl - lig ſeyn moͤget, wenn ich euch ſage, daß ich wohl verſichert bin, daß dieſer Herr den Degen geſchickt zu fuͤhren weiß, und eben ſo kaltſinnig und gelaſ - ſen, als erfahren iſt! Dennoch aber will ich hinzuſe - tzen, daß, wenn ich mein Leben achtete, er der letz - te ſeyn ſollte, euch ſelbſt ausgenommen, mit wel - chem ich einen Streit haben moͤchte.
Jch bin ſehr offenherzig und aufrichtig mit euch umgegangen, wie ihr verlanget habt. Jch habe keine Bemaͤntelung geſucht. Wo ihr denObriſt844Obriſt Morden nicht ſuchet: ſo wird er euch nicht ſuchen; das iſt meine Meynung. Denn er iſt ein Mann von guten Grundſaͤtzen. Sucht ihr ihn aber: ſo glaube ich, daß er euch nicht fliehen werde.
Erlaubt mir noch einmal darauf zu dringen; es iſt die Wirkung meiner Liebe gegen euch! daß ihr ja wiſſet, wie viel Schuld ihr in dieſer Sache habet, und billig nicht wiederum der angreifende Theil ſeyn ſolltet. Es wuͤrde Schade ſeyn, daß ein ſo rechtſchaffener Mann, als der Obriſt Morden iſt, fallen ſollte; wenn ihr und er zuſammen kaͤ - met: und an der andern Seite wuͤrde es ſchreck - lich ſeyn, daß ihr unbereitet, und in dem Verfolg einer neuen Rache, an den Ort geſchickt werden ſolltet, wo ihr Rechenſchaft zu geben habet. Siehſt du uͤberdieß nicht in dem Tode zwoer Perſonen, die deine vornehmſten Unterhaͤndler geweſen, die Handſchrift an der Wand wider dich?
Mein Eifer mag Urſache ſeyn, daß ich mich bey dieſer Gelegenheit einiger Wiederhohlung ſchuldig mache. Jch weiß in der That nicht, wie ich von der Sache abbrechen ſoll. Allein wo das, was ich geſchrieben habe, nebſt euren eignen Gewiſſensregungen und eurem Bewußtſeyn, euch nicht gewinnen kann: ſo wird alles, was ich fer - ner vorſtellen koͤnnte, kraftlos ſeyn.
Lebe alſo wohl! Jch wuͤnſche, daß du wegen des Vergangenen Buße thun moͤgeſt, und daß keine neue Gewaltthaͤtigkeit deine ſchweren Ge -danken845danken vermehren und deine kuͤnftige Hoffnung uͤberſchwemmen moͤge: ich, als
Dein getreuer Freund Johann Belford.
Jch habe euren Brief eben dieſen Augenblick empfangen: da ich im Begriff war, nach Wien abzugehen.
Was die Reiſe nach Madrit betrifft, oder auch nur einen Schritt aus meinem Wege, um den Obriſt Morden zu vermeiden: ſo will ich des Todes ſeyn; wo ich es thue! ‒ ‒ Jhr koͤnnt mich fuͤr keinen ſo niedertraͤchtigen Kerl halten.
Und ſo geſteht ihr, daß er mir gedrohet hat: aber nicht in rauhen und einem Cavallier unan - ſtaͤndigen Ausdruͤckungen; ſaget ihr. Wo er mir, wie ein Cavallier gedrohet hat: ſo will ich ſeine Drohungen auch wie ein Cavallier ahnden. Al - lein er hat nicht wie ein rechtſchaffener Mann ge - handelt: wo er mir uͤberall hinter meinem Ruͤcken gedrohet hat. Jch wuͤrde es fuͤr eine Schande halten, einem Mann zu drohen, an den ich michſelbſt846ſelbſt entweder in Perſon, oder durch Feder und Dinte zu wenden wuͤßte.
Wenn ihr aber von meiner Schuld; von der Handſchrift an der Wand; von einer gerichtlichen Belangung, wofern er von meinen Haͤnden bleibt; von ſeiner Geſchicklichkeit, Gelaſſenheit, Herzhaf - tigkeit und dergleichen feigen Memmen Zeuge Erwaͤhnung thut: ſo ſagt mir, was ihr damit meynen koͤnnt? Gewiß ihr koͤnnt nicht glauben, daß ſolche Vorſtellungen, als dieß ſind, entweder meine Haͤnde, oder mein Herz ſchwaͤchen werden ‒ ‒ Nichts mehr von ſolchem Unſinn, ich bitte euch, in irgend einem von euren kuͤnftigen Briefen.
Er hatte keine Entſchließungen gefaßt, ſagt ihr, als ihr ihn das letzte mal geſehen. Er muß und wird gar bald auf eine oder die andere Art eine Entſchließung faſſen. Denn ich habe ſchon geſtern an ihn geſchrieben, ohne dieſe eure Ant - wort auf mein letztes zu erwarten. Jch konnte nicht in der Ungewißheit leben, wie ich euch in demſelben meldete. Jch habe meinen Brief nach Florenz an ihn gerichtet. Jch konnte auch mei - ne Freunde, in Anſehung meiner Sicherheit, oder ſonſt, nicht in Ungewißheit laſſen. Allein ich habe ihn in ſo maͤßigen Ausdruͤckungen abgefaßt, daß er vollkommen die Wahl hat. Er wird das Herausfordern thun: wo er ihn in dem Ver - ſtande annimmt, in welchem er ihn auf ſo gute Art anzunehmen vermeiden kann. Und wo er es thut: ſo wird er zeigen, daß Bosheit und Rachbegierdie847die herrſchenden Leidenſchaften bey ihm geweſen, und daß er ſich feſt vorgenommen gehabt, nur ſei - ne Sachen in Ordnung zu bringen und alsdenn ſeine Entſchließung zu faſſen, wie ihr es aus - druͤcket. ‒ ‒ Jedoch, wo wir zuſammen kommen; denn ich weiß, wie meine Wahl in dem Fall, wor - unter er iſt, auf einen ſolchen Brief, ſo hoflich er auch iſt, ausfallen wuͤrde: ſo moͤchte ich wuͤn - ſchen, daß er eine ſchlimmere, ich eine beſſere Sa - che haͤtte. Es wuͤrde ihm eine angenehme Ra - che ſeyn: wenn ich durch ſeine Hand fallen ſollte. Allein was ſollte ich dadurch gebeſſert ſeyn, daß ich ihn getoͤdtet haͤtte?
Jch will die Abſchrift von dem Briefe, den ich an ihn geſchickt habe, beyfuͤgen.
Da ich euren Brief zu einer Stunde, da ich etwas gelaſſener bin, wieder durchleſe: ſo kann ich nicht anders, als euch fuͤr eure freundſchaftli - che Liebe und gute Geſinnung danken. Jch ha - be niemals, ſeit der erſten Stunde unſerer Be - kanntſchaft bis itzo, meine Achtung gegen euch uͤbel angebracht befunden; wenigſtens in Be - trachtung eurer Abſicht: inzwiſchen mußt du ge - ſtehen, daß du dich in Anſehung der Rolle, die du zwiſchen mir und meiner herzlichgeliebten Fraͤulein geſpielet, eines guten Theils von Ueber - eilung ſchuldig gemacht haſt, indem du bald zu viel, bald zu wenig gethan. Allein du hiſt wirk -lich848lich ein ehrlicher Kerl, und ein aufrichtiger und feuriger Freund. Jch koͤnnte beynahe wuͤnſchen, daß ich nicht nach Florenz geſchrieben haͤtte, bis ich deinen Brief erhalten, den ich itzo vor mir ha - be. Allein es iſt vorbey. Laß es gehen. Wo er Frieden wuͤnſchet und Gewaltthaͤtigkeit vermei - den will: ſo wird er eine gute Gelegenheit haben, jenen zu ergreifen und dieſer zu entgehen. ‒ ‒ Wo nicht: ‒ ‒ ſo muß er ſein Schickſal hin - nehmen.
Dem ſey aber, wie ihm wolle: ſo koͤnnt ihr es ſo anſtellen, daß der junge Harlowe erfahre; der drohet noch dazu! daß ich, aufs laͤngſte, naͤchſtkuͤnftigen Merz in England ſeyn werde.
Der hieſige Hof von Bayern iſt fein und ar - tig. Jedoch, da ich ungewiß bin, ob mein Brief den Obriſten zu Florenz antreffen werde: ſo wer - de ich ihn verlaſſen, und, wie ich willens geweſen bin, nach Wien abreiſen. Jch will inzwiſchen Sorge tragen, daß ein jeder Brief, oder eine jede Bothſchaft von ihm dahin an mich gelange: und dieß wird mich bald hieher zuruͤck, oder an einen jeden andern Ort bringen, wohin ich werde einge - laden werden.
Weil ich an Charlotte ſchreibe: ſo habe ich, nach meiner Empfehlung an alle Freunde, nichts mehr hinzuzuſetzen, als daß ich
Ganz der Eurige, Lovelace.
Jch habe mit ziemlicher Verwunderung gehoͤret, daß Sie fuͤr gut befunden haben, einige dro - hende Ausdruͤckungen gegen mich auszuſtoſſen.
Es wuͤrde mir ſehr lieb geweſen ſeyn, wenn Sie geglaubt haͤtten, daß ich wegen des Unrechts, das ich dem vortrefflichſten Frauenzimmer gethan habe, in meinem eigenen Gemuͤthe Strafe genug haͤtte; und wenn es moͤglich geweſen waͤre, daß zwo Perſonen, die eine ſo eifrige Liebe gegen eine und eben dieſelbe Perſon hegten; ſonderlich da ich gern nach meinem aͤußerſten Vermoͤgen das gethane Unrecht erſetzen wollte; mit einander, wo nicht als Freunde, dennoch auf eine ſolche Art, ge - lebt haͤtten, daß keiner von beyden in den Ver - druß geſetzt waͤre, von Drohungen zu hoͤren, die in ſeiner Abweſenheit wider ihn ausgeſtoſſen wor - den; welche ein jeder von beyden billig verachten muͤßte, wenn er nicht geneigt waͤre, darauf zu merken.
Wofern nun, mein Herr, das, was ich gehoͤ - ret habe, bloß von einer hitzigen Gemuͤthsart, oder von einem aufſteigenden Zorn, da noch der Verluſt, welcher mir unter allen, die ich jemals ge -Siebenter Theil. H h hlitten,850litten, der ſchmerzlichſte geweſen iſt, neu war: ſo entſchuldige ich Sie nicht allein desfalls; ſondern lobe Sie deswegen. Wo Sie aber wirklich entſchloſſen ſind, mit mir auf irgend eine andere Art zuſammen zu kommen; welches gleichwohl, wie ich Jhnen geſtehe, nicht dasjenige iſt, was ich wuͤnſche: ſo wuͤrde es ſehr ſtrafbar, und dem guten Namen, den ich ſo wohl bey Jhnen, als bey einem jeden andern Cavallier, zu behaupten ver - lange, ſehr unanſtaͤndig ſeyn, Jhnen eine Schwie - rigkeit dabey in den Weg zu legen.
Weil ich nicht gewiß weiß, wann dieſer Brief Jhnen zu Haͤnden kommen wird: ſo werde ich morgen nach Wien abreiſen; woſelbſt ein jeder Brief, der an das Poſthaus in dieſer Stadt, oder an den Baron Windisgratz zur Favorita, an welchen ich Empfehlungsbriefe habe, zur weitern Abgabe gerichtet iſt, an mich gelangen wird.
Mittlerweile, da ich ſie fuͤr allzu edelmuͤthig halte, daß ſie dasjenige, wozu ich mich eben itzo erklaͤret habe, uͤbel ausdeuten ſollten; und da ich weiß, wie viele Achtung die allerliebſte Fraͤulein gegen Sie gehabt, und wie nahe Sie mit ihr ver - wandt ſind: ſo will ich mir kein Bedenken ma - chen, Sie zu verſichern, daß mir die angenehmſte Antwort ſeyn werde, daß der Obriſt Morden lie - ber auf einem freundſchaftlichen, als auf einem andern Fuß, ſtehen wolle, mit
Seinem aufrichtigen Bewunderer und gehor - ſamſten Diener R. Lovelace.
Jch bin itzo auf meinem Wege nach Trident, um den Obriſt Morden, nach ſeiner Ant - wort auf meinen Brief, den ich in meinem letzten eingeſchloſſen hatte, anzutreffen. Jch war in Presburg geweſen, und hatte mir vorgenommen, einige andere Staͤdte von Ungarn zu beſuchen. Allein da ich mich verbindlich gemacht hatte, erſt nach Wien zuruͤckzukehren: ſo fand ich daſelbſt ſeinen Brief, welcher hier folget.
Jhr Brief war vier Tage vorher zu Florenz, ehe ich daſelbſt anlangte.
Damit ich Jhrer Gewogenheit nicht unwuͤr - dig ſcheinen moͤchte: begab ich mich alſobald des naͤchſtſolgenden Morgens nach dieſer Stadt auf den Weg. Jch wußte nicht anders, als daß die Artigkeit dieſes Hofes einen Cavallier, der bloßH h h 2ſein852ſein Vergnuͤgen zu ſuchen hat, laͤnger, als ſeine Abſicht geweſen, unterhalten haben moͤchte.
Da ich mich aber in meiner Hoffnung, Sie hier zu finden, betrogen ſehe: ſo geziemet mir, Jhnen zu melden, daß ich ein ſolches Verlangen trage, in der Meynung eines Mannes von ihrem Muth und Geiſte wohl zu ſtehen, daß ich keinen Augenblick bey der Wahl unſchluͤßig bleiben kann, welche Herr Lovelace unter meinen Umſtaͤnden, wenn er ſo aufgefordert waͤre, gewiß treffen wuͤrde.
Jch geſtehe, mein Herr, daß ich bey aller Gelegenheit von ihrer Begegnung gegen meine allezeit werthe Baſe ſo geſprochen habe, wie ſie es verdiente. Es wuͤrde ſehr zu bewundern gewe - ſen ſeyn, wenn ich es nicht gethan haͤtte. Und es ſtehet mir zu; da Sie mir nun eine ſo edle Ge - legenheit, mich zu erklaͤren, gegeben haben; Sie zu uͤberzeugen, daß kein Wort von Jhnen aus meinem Munde gegangen, bloß weil Sie abwe - ſend geweſen ſind. Jch eroͤffne Jhnen daher, daß ich Nachricht von Jhnen erwarten will, wo Sie mich zu ſehen verlangen werden, und daß ich dar - auf erſcheinen wuͤrde, wenn es auch an dem aͤußer - ſten Ende der Erden waͤre.
Jch werde einige Tage an dieſem Hofe blei - ben: und wo es Jhnen beliebt, einen Brief an mich in Herrn Klienfurts Hauſe in dieſer Stadt abgeben zu laſſen; ſo werden Jhre Befehle, ichmag853mag hier bleiben, oder nicht, ſicher und bald an mich kommen, als,
mein Herr, Jhren gehorſamſten Diener Wilh. Morden.
So ſeht ihr, Belford, daß der Obriſt, nach ſei - ner willigen und ſo gar mit beißendem Un - willen ausgedruͤckten Annahme der angebotenen Zuſammenkunft, ſchon ſchluͤßig geweſen. Und iſt es nicht weit beſſer, eine ſolche Sache, als dieß iſt, zu einem oder dem andern Ende zu bringen, als meinen Freunden wegen meiner Sicherheit Sorge zu machen, oder ſelbſt in der Ungewiß - heit zu bleiben: wie ich thun muͤßte, wenn ich mir vorſtellte, daß ein anderer etwas wider mich haͤtte.
Dieß war meine Antwort:
Jch habe eben dieſen Augenblick das Gluͤck Jh - ren Brief zu erhalten. Jch will eine Reiſe, die ich in Ungarn zu thun im Begriff war, auf - ſchieben, und alſobald nach Muͤnchen aufbrechen. Und wo ich Sie da nicht finde: will ich weiter nach Trident gehen. Da dieſe Stadt an den Grenzen von Jtalien liegt: ſo wird ſie Jhnen,H h h 3wie854wie ich vermuthe, bey Jhrer Ruͤckkehr nach Toſ - cana am bequemſten ſeyn; und ich werde hoffen, Sie daſelbſt den $$\frac {3}{14}$$ ten December zu ſehen.
Jch werde nur einen franzoͤſiſchen und einen engliſchen Bedienten mit mir bringen. Andere Umſtaͤnde koͤnnen verabredet werden, wenn ich die Ehre habe, Sie zu ſehen. Bis dahin bin ich, mein Herr,
Jhr gehorſamſter Diener R. Lovelace.
Nun, Bruder, habe ich gar keine Furcht vor dem Ausgange dieſer Zuſammenkunft. Jch denke, ich mag ſagen, daß er mich ſuche, nicht ich ihn: und ſo mag er die Folge mitnehmen.
Was mir unendlich naͤher am Herzen liegt, iſt meine Undankbarkeit gegen das vortrefflichſte Frauenzimmer ‒ ‒ Meine vorſetzliche Undank - barkeit! ‒ ‒ Da ich doch unterdeſſen im Stande bin, ihre vortreffliche Vorzuͤge zu unterſcheiden und zu verehren, Trotz der ſchlechten Meynung, die ich ſeit meinen maͤnnlichen Jahren ganz fruͤhe von dem andern Geſchlechte eingeſogen habe.
Allein dieſe Fraͤulein hat die Wuͤrde ihres Geſchlechts behauptet, und ſie nun bey mir hoͤchſt ruͤhmlich erhoͤhet. Jedoch gewiß, wie ich wohl hundertmal geſagt und geſchrieben habe, es kann kein ſolches Frauenzimmer mehr ſeyn.
Da aber mein Verluſt in ihr der groͤßte iſt, den jemals ein Mann gelitten hat; und da ſie mir naͤher geweſen, als irgend einer andern Per -ſon855ſon auf der Welt, auch es ehemals ſelbſt zu ſeyn gewuͤnſchet hat: was iſt es denn fuͤr ein Ueber - muth an einem jeden Menſchen, der in der Welt lebet, vorzugeben, als wenn er ſie an mir raͤchen wollte! ‒ ‒ Gluͤcklich! gluͤcklich! dreymal gluͤck - lich! wenn ich gewußt haͤtte, wie ich den Ruhm eines ſolchen Vorzugs ſo, wie ich ihn billig haͤt - te ſchaͤtzen muͤſſen, ſchaͤtzen ſollte!
Jch will bey mir ſelbſt dieſe Beſchwerde ge - gen den Obriſten, daß er ſich herausnimmt, mich wegen meines Verfahrens mit einer Fraͤulein, die mir ſo nahe als mein Eigenthum gewe - ſen iſt, zur Rechenſchaft zu fordern, groͤßer vor - ſtellen, damit mein Herz nicht in der bevorſtehen - den Zuſammenkunft gegen eine ſo nahe mit ihr verwandte Perſon, und einen Mann, der ihrem Angedenken Ehre und Gerechtigkeit zu verſchaffen meynet, erweichet werden, und ich ihm dadurch ei - nige Vortheile, die er ſonſt nicht haben kann, uͤber mich geben moͤchte. Denn ich weiß, daß ich geneigt ſeyn werde, mich auf meine Geſchick - lichkeit zu verlaſſen, damit ich einen Mann, der von ihr ſo hoch und mit ſo vielem Rechte geſchaͤtzet wor - den iſt, erhalten moͤge, und daß ich ſchwerlich mei - nem Unwillen als ein Mann, dem man gedrohet hat, werde den Zuͤgel laſſen koͤnnen. Und in die - ſer Betrachtung allein iſt mir vor ſeiner Geſchick - lichkeit, und vor ſeinem Muth bange, damit ich nicht genoͤthigt ſeyn moͤchte, zu meiner eignen Ver - theidigung ein Kerbholz, das ſchon ohne das zu lang iſt, noch zu verlaͤngern.
H h h 4Jn856Jn der That, in der That, Belford, ich bin das elendeſte Weſen unter allen, und werde es bis an meine letzte Stunde ſeyn. So erhabene Groß - muth! ‒ ‒ Warum haſt du mir die Abſchriſt von ihrem Teſtament in meine darnach ringende Haͤn - de gegeben? Warum haſt du mir den hinterlaſſe - nen Brief zugeſchickt? ‒ ‒ Warum, ob ich gleich ein ernſtliches Verlangen bezeigte, das Teſtament zu ſehen? Du wußteſt, was beyde waren; ich nicht: du wußteſt, daß es grauſam ſeyn wuͤrde, mir zu Gefallen zu ſeyn.
Die Zuſammenkunft mit zwanzig Obriſt Mor - dens, wenn ich mit zwanzigen nach der Reihe zu - ſammen kommen muͤßte, wuͤrde nichts fuͤr mich ſeyn; wuͤrde mir in Anſehung meiner Sicherheit nicht einen Augenblick Kummer machen: allein meine Gedanken uͤber meine ſchaͤndliche Undank - barkeit gegen ein ſo weit erhabenes Muſter der Vollkommenheiten wird allezeit mein Fluch ſeyn.
Waͤre ſie eine Fraͤulein Howe gegen mich ge - weſen; und haͤtte mir ſo begegnet, als wenn ich ein Hickmann geweſen waͤre: ſo haͤtte ich ein Recht zur Rache gehabt; und die Klugheit moͤch - te meine Unternehmungen, ſie zu erniedrigen, ge - rechtfertigt haben, wenn ich willens geweſen waͤre, ein Ehemann zu werden. Allein ihre Gemuͤths - art war ſanft und gelinde: ob ſie gleich eine wahr - haftige Heldinn war; ſo oft jemals Ehre oder Tugend eine Probe der Herzhaftigkeit forderte.
Nichts857Nichts als meine verfluchte Raͤnke ſtunden meiner Gluͤckſeligkeit im Wege. Erinnerſt du dich nicht, wie oft ich, von Anfange an, ihre auf - ſteigende Flamme durch niedertraͤchtigen und un - dankbaren wider ſie ſelbſt gemachten Gebrauch der Bedingungen, welche ſo wohl die jungfraͤu - liche Zaͤrtlichkeit als der kindliche Gehor - ſam ſie genoͤthigt hatte mir aufzulegen, ehe ich ſie in meine Gewalt bekam, ausgeloͤſchet habe(*)Man ſehe den III. Th. S. 154. wie auch den XVI XLIII. XLIV. Brief eben deſſelben Theils und viele andere Stellen.?
Sagte ſie mir nicht, und wußte ich es nicht, wenn ſie es mir nicht geſagt haͤtte, daß ſie nicht im Stande waͤre, gegen diejenige Manns - perſon, die ſie zu heyrathen gedaͤchte, ſich einer gezwungenen Sproͤdigkeit oder Ty - ranney ſchuldig zu machen(**)Man ſehe den Vten Th. S. 414. ‒ ‒ Es kann ferner bemerkt werden, daß alle gelegentliche Lehren und Verweiſe der Clariſſa an die Fraͤulein Howe, wegen der Begegnung dieſer jungen Fraͤulein gegen Herrn Hickmann ſattſam beweiſen, daß ſie uͤber alle, gezwungene Svroͤdigkeit und Tyranney erhaben ge - weſen. ‒ ‒ Man ſehe inſonderheit den XVII. Brief des gegenwaͤrtigen Theils, S. 134. ‒ ‒ „ O meine „ liebe Freundinn, ſchreibt ſie in dieſem Briefe, waͤre „ mir doch das Gluͤck zu Theil geworden, da es mir „ nicht erlaubt war, ledig zu bleiben, daß ich an einen „ Mann gerathen waͤre, gegen den ich haͤtte edelmuͤ - „ thig und frey handeln koͤnnen! ꝛc. “? Jch wußte, wie ſie mir einmal vorwarf, daß ich ſeit der Zeit, da ich ſie von ihres Vaters Hauſe gezogen, eine ebene Bahn vor mir gehabt hatte(***)Th. V. S. 314. 402.. H h h 5Mit858Mit Wahrheit ſagte ſie, und ich frohlockte in der Entdeckung, daß ich ſeit der Zeit ihre Seele hundert mal in ungewiſſer Erwartung ge - laſſen haͤtte(*)Th. V. S. 418.. Mein Verſuch mit der Jpe - cacuanha war allein hinlaͤnglich einen Unglaͤubi - gen zu uͤberfuͤhren, daß ſie ein Gemuͤth haͤtte, in welchem Liebe und Zaͤrtlichkeit geherrſcht haben wuͤrden, wenn ich dem reizenden Knospen zuge - laſſen haͤtte fortzutreiben und aufzubluͤhen(**)Man ſehe im IV. Th. den XXXVI. und XXXVII. Brief..
Sie wuͤrde kein verſtecktes Weſen an - genommen haben, wie ſie mir einmal ſagte, wenn ich ihr nicht Urſache zu zweifeln ge - geben haͤtte(***)Man ſehe den V. Th. S. 465.. Und geſtand ſie nicht ge - gen dich, daß ſie mich vormals haͤtte lieben koͤnnen, und wann ſie mich haͤtte fromm machen koͤnnen, mich gluͤcklich gemacht haben wuͤrde(****)Man ſehe den XLVIII. Brief dieſes Theils.. O Belford! hier war Liebe: eine Liebe von der edelſten Art! ‒ ‒ Ei - ne Liebe, wie ſie in ihrem hinterlaſſenen Briefe zu verſtehen giebt(†)Man ſehe den LXXXIXten Brief des gegenwaͤr - tigen Theils., die ſich bis auf die Seele erſtreckte: und die ſie nicht allein in ihren Todes - ſtunden bekannte, ſondern mir auch nach ihrem Tode vor Augen zu legen Anſtalt machte; in dem Briefe voll Warnungen und Ermahnungen, die keine andere Abſicht, als meine ewige Wohlfarth, hatten.
Die859Die verfluchten Weibsleute ſuchten freylich meine Rache und meinen Stolz zu erwecken: in - dem ſie mir ewig von den Zweifeln der Fraͤulein, von ihrem Mangel der Liebe und von ihrer Ver - achtung gegen mich vorpredigten: und mein Stolz ward bisweilen durch ihr ſchaͤndliches Zublaſen nur allzu ſehr erreget. Allein wenn es auch ſo geweſen waͤre, wie ſie ſagten: ſo mochte ihr, die gewohnt war, von einem jeden verlangensvollen Auge geliebkoſet und bewundert, und von einem jeden ehrfurchtsvollen Herzen verehret zu werden ‒ ‒ einem ſolchen Frauenzimmer mochte wohl er - laubt ſeyn, zuruͤckzuziehen, da ſie befand, daß ſie in Anſehung der Hauptfrage von einem raͤn - kevollen und liſtigen Kopfe in Ungewißheit gehal - ten wuͤrde, der die Ehrfurcht und einen fremden Umgang zu einem Vorwande brauchte, als wenn es die Urſachen waͤren, wodurch ein Feuer zuruͤck - gehalten wuͤrde, welches nicht zuruͤckgehalten werden kann, wenn es wirklich iſt. ‒ ‒ Die goͤtt - liche Fraͤulein! Jhre Zweifel ſelbſt, ihre Zuruͤck - haltung, da ſie mit ſo gutem Grunde zweifelte, wuͤrden eine Verſicherung und ein Ruhm fuͤr mich geweſen ſeyn! ‒ ‒ Und was fuͤr eine andere Probe gebrauchte ihre Tugend? Was fuͤr eine andere Probe gebrauchte ein ſo engliſch reines Herz; da ſie in der Bluͤte ihrer Jugend mit ei - ner ſolchen Herrſchaft uͤber ihre Begierden begluͤ - cket war: wenn ich nicht ein Boͤſewicht ‒ ‒ und ein uͤbermuͤthiger, ein eingebildeter, ein ſtolzer Thor, ſo wohl als ein Boͤſewicht, geweſen waͤre?
Dieſe860Dieſe Gedanken, welche vielmehr ſchaͤrfer werden, als daß ſie durch die Zeit ihre Schaͤrfe verlieren ſollten, begleiten mich in allem, was ich thue, und wohin ich auch gehe, und miſchen ſich in alle meine Luſtbarkeiten und Ergoͤtzungen. Gleichwohl gehe ich in aufgeweckte und praͤchtige Geſellſchaft. Jch habe an den verſchiedenen Hoͤfen, die ich beſucht habe, neue Bekanntſchaft gemacht. Jch beſuche die oͤffentlichen Gebaͤude fuͤr die Studirende, die Kirchen, die Palaͤſte. Jch komme fleißig zu den Schauſpielen, bin bey allen oͤffentlichen Proben gegenwaͤrtig, und ſehe alles Sehenswuͤrdige, was ich vorher nicht geſe - hen hatte, in den Cabinettern der Liebhaber von Seltenheiten. Bisweilen werde ich zu dem Nachttiſch einer vor andern anſehnlichen Schoͤn - heit gelaſſen, und gebe ſelbſt mit vielem Vorzuge in den Verſammlungen von andern auch eine ab ‒ ‒ Dennoch kann ich an nichts, und an niemand, mit Vergnuͤgen gedenken, als an meine Clariſſa. Jch habe auch kein einziges Frauenzimmer geſe - hen, das irgend einen Vorzug fuͤr ſich haͤtte, als in ſo fern es von Perſon, von Weſen, von Farbe, von Stimme, oder in einigen Zuͤgen dieſer bezau - bernden Schoͤnheit, dieſer einzigen bezaubernden Schoͤnheit, fuͤr meine Seele, aͤhnlich kommt.
Welche Strafe kann wohl groͤßer ſeyn, als daß ich leiden muß, daß dieſe erſtaunenswuͤrdige Vollkommenheiten, die ſie beſaß, mein Gedaͤcht - niß mit ſolcher Staͤrke ruͤhren: da mir nichts an - ders uͤbrig iſt, als der nagende Verdruß, daß ichmich861mich ſelbſt und die Welt eines ſolchen Segens be - raubet habe? Dann und wann bin ich freylich geſchickt, einen Strahl des Troſtes zu empfinden, der nicht ohne edelmuͤthige Geſinnung aus der ſittlichen Gewißheit, die ich von ihrer ewigen Gluͤckſeligkeit habe, hervorbricht: einer Gluͤckſe - ligkeit, zu der ſie gekommen iſt, Trotz aller Raͤnke und Kuͤnſte, welche ich auf die Bahn brachte, ihre Tugend zu beſtricken und ein ſo reines Ge - muͤth eben ſo weit zu erniedrigen, als das meini - ge erniedrigt war.
Wo ich mich ſo elend in der Fremde befinde: ſo will ich bald wieder nach England zuruͤckkehren, und eurem Exempel folgen, denke ich ‒ ‒ ein Einſiedler, oder ein oder das andere dergleichen elendes Ding werden, und zuſehen, was ein be - ſtaͤndiger Lebenslauf von Reue und ertoͤdtender Zuͤchtigung fuͤr mich ausrichten wird. Auf die - ſen Fuß laͤßt ſich nicht leben ‒ ‒ der Henker hoh - le mich: wo es moͤglich iſt.
Wo mir irgend ein Unfall begegnen ſollte: ſo werdet ihr von de la Tour genaue Nachricht davon bekommen. Er weiß freylich nicht ein Wort vom Engliſchen: allein alle heutige Spra - chen ſind auch eure Sprachen. Er iſt ein treuer und verſchlagener Kerl: und wo etwas vorfaͤllt; ſo wird er noch einige andere Papiere, die ich ver - ſiegelt in Bereitſchaft halten werde, fuͤr euch ha - ben, damit ihr ſie dem Lord M. zuſchicket. Und weil du ſo erfahren und ſo bereit biſt die Vollzie - hung der Teſtamente zu uͤbernehmen: ſo bitte ich dich, Belford, uͤbernimm das Amt ſo wohl fuͤr mich, als fuͤr meine Clariſſa ‒ ‒ Clariſſa Lo - velacinn laß mich ſie nennen.
Bey863Bey allem, was gut und heilig iſt! ich bin bezaubert, ihr Gedaͤchtniß nicht aus dem Sinne zu laſſen. Jhr Name ſelbſt, in Verbindung mit dem meinigen, entzuͤcket meine Seele, und iſt mir angenehmer, als die ſchoͤnſte Muſik.
Haͤtte ich ſie; das muß ich mir noch immer vorwerſen; nur an einen andern Ort, als in das Haus des verfluchten Weibes gebracht ‒ ‒ Denn der Trank war ihre Erfindung und war von ihr gemiſchet, und alle hartnaͤckige Entſchließung, Ge - walt zu gebrauchen, kam von ihrem Aufhetzen her und von dem Anſtiften ihrer nichtswuͤrdigen Toͤch - ter, die nun ihr eignes Verderben, das ſie mir zur Laſt legen, reichlich an mir geraͤ - chet haben.
Allein dieß ſiehet dem Bekenntniſſe eines Diebes bey dem Galgen ſo aͤhnlich, daß du viel - leicht denken kannſt, ich ſey durch die bevorſtehen - de Zuſammenkunft in Furcht geſetzet. Aber weit anders. Jch gehe vielmehr mit der groͤßten Freu - digkeit dem Obriſten entgegen: und ich wollte mir mit meinen eignen Haͤnden das Herz ausreißen, wenn es im Stande waͤre, ſich in dieſer Betrach - tung zu fuͤrchten oder zu betruͤben.
Nur ſo viel weiß ich, daß, wenn ich ihn toͤd - ten ſollte; welches ich nicht thun will, wo ich es aͤndern kann; ich im geringſten nicht in meinem Gemuͤthe werde beruhigt werden. Ruhig werde ich niemals mehr ſeyn. Allein da er augenſchein - lich, gegen eine ihm freygelaſſene Wahl des Ge - gentheils, die Zuſammenkunft ſelbſt ſuchet, und ichſie864ſie nicht vermeiden kann: ſo will ich hieran nach dieſem gedenken. Jch muß nur alles auf ein - mal bereuen und auf einmal meine Zuͤchtigung dafuͤr leiden. Denn ich bin des Sieges ſo ge - wiß, als ich verſichert bin, daß ich itzo lebe; er mag den Degen ſo gut verſtehen, als er will: in - dem noch uͤber dieß, daß ich kein feiger Lehrling bin, dieß ein Spiel iſt, das ich, wenn man mich dazu auffordert, eben ſo lieb habe, als mein taͤgli - ches Brodt. Außerdem werde ich ſo gelaſſen und geruhig ſeyn als der Biſchoff, wenn er ſein Gebeth vorlieſet: da er hingegen, wie ſich offen - bar aus ſeinem Briefe ſehen laͤßt, durch Rache und Zorn aufgebracht werden muß.
Zweifle daher nicht, Bruder, daß ich eine gu - te Nachricht von dieſer Sache geben werde. Mitt - lerweile verharre ich
mit der groͤßten Ergebenheit der Eurige ꝛc. Lovelace.
Morgen ſoll der Tag ſeyn, der nach aller Wahr - ſcheinlichkeit entweder einen, oder zweenGeiſter,865Geiſter, zur Aufwartung bey der Seele meiner verſtorbenen Clariſſa, fortſchicken wird.
Jch kam hier geſtern an: und da ich mich nach einem engliſchen Cavallier, Namens Mor - den, er[kun]digte, machte ich des Obriſten Wohnung bald ausfuͤndig. Er war ſchon zween Tage in der Stadt geweſen: und hatte ſeinen Namen an allen Orten, wo wahrſcheinlicher Weiſe Nachfra - ge geſchehen konnte, von ſich gegeben.
Er war ausgegangen, um auszureiten: und ich gab meinen Namen von mir, und die Nach - richt, wo ich zu finden ſeyn wuͤrde. Des Abends beſuchte er mich.
Er war gewaltig ſinſter. Das war ich nicht. Jedoch ſagte er zu mir, daß ich in meinem erſten Briefe als ein Mann von wahrer Herzhaftigkeit, und darinn, daß ich ſo willig zu dieſer Zuſammen - kunft geweſen waͤre, nach wahrer Ehre gehandelt haͤtte. Er wuͤnſchte, daß ich eben das in anderer Betrachtung gethan haben moͤchte: ſo haͤtten wir einander unter beſſern Umſtaͤnden, als itzo geſchaͤ - he, ſprechen koͤnnen.
Jch ſagte, was geſchehen waͤre, ließe ſich nicht wieder zuruͤckrufen, und ich wuͤnſchte eben ſo wohl, als er, daß eines und das andere nicht geſchehen waͤre.
Wenn wir nun aufs neue uns mit Vorwuͤr - fen aufhalten wollten, ſprach er: ſo wuͤrde es ſo wohl zur Verbitterung dienen als unnuͤtze ſeyn! Und da ich ihm dieſe Gelegenheit ſo willig gege - ben haͤtte: ſo wollten wir ſtatt der Worte zurSiebenter Theil. J i iSache866Sache ſchreiten ‒ ‒ Was ihnen gefallen wird, Herr Lovelace, in Anſehung der Zeit, des Orts, der Waffen, das ſoll auch mir gefallen.
Die letztern beyden Stuͤcke ſollen von ihrer Wahl abhaͤngen, Herr Morden. Die Zeit mag morgen oder uͤbermorgen ſeyn, wie ihnen beliebt.
So mag es uͤbermorgen ſeyn, Herr Lovelace: und morgen wollen wir ausreiten, den Platz feſt - zuſetzen.
Jch bins zufrieden, mein Herr.
Gut: nun waͤhlen ſie, Herr Lovelace, was wir fuͤr Waffen gebrauchen wollen.
Jch ſagte, ich glaubte, wir wuͤrden bey dem Degen allein beyde gleiche Vortheile haben: wenn er aber anderer Meynung waͤre; ſo haͤtte ich wi - der ein Piſtol nichts einzuwenden.
Jch will nur ſo viel ſagen, verſetzte er, daß die Waglichkeit bey dem Degen mehr Gleichheit ha - ben mag; weil keiner von uns beyden dabey ein Fremdling ſeyn kann: und ſie wuͤrden uͤbel fah - ren, wie ich beſorge, wenn wir ein Piſtol naͤhmen; jedoch habe ich zwey mitgebracht, damit ſie eines von beyden waͤhlen koͤnnen. Denn, ſetzte er hin - zu, ich habe niemals, ſo weit eine Piſtol traͤgt, ein Ziel verfehlet, ſeit dem ich eines zu halten gewußt.
Jch antwortete, er ſpraͤche, wie es von ihm zu vermuthen waͤre: ich aber waͤre in der Art der Uebung erfahren genug, ſie anzunehmen, wenn er ſie waͤhlte; ob ich gleich meines Ziels nicht ſo ge - wiß waͤre, als er zu ſeyn vorgaͤbe. Allein derTeufel867Teufel muͤßte darinn ſeyn, Herr Obriſt, wenn ich meinen Mann nicht treffen ſollte, da ich eine Ku - gel auf die Schaͤrfe eines Meſſers in zwey Stuͤ - cken zerſpaltet habe. Alſo habe ich gegen ein Pi - ſtol nichts einzuwenden: wenn ſie es waͤhlen wol - len. Kein Menſch, will ich mich unterſtehen zu ſagen, hat eine feſtere Hand oder Auge, als ich habe.
Beyde koͤnnen ihnen Dienſte thun, mein Herr, ſo wohl bey dem Degen, als bey dem Pi - ſtol: Der Degen mag alſo unſer Werkzeug fuͤr dießmal ſeyn; wo es ihnen beliebt.
Von Herzen gern.
Wir nahmen mit einer feyerlichen Art von umſtaͤndlicher Hoͤflichkeit Abſchied von einander: und heute hohlte ich ihn ab, und wir ritten mit einander aus, den Ort feſtzuſetzen. Weil wir beyde von einer Geſinnung waren, und einen Wi - derwillen empfanden, bis morgen aufzuſchieben, was heute geſchehen konnte: ſo wuͤrden wir un - ſere Sache gleich darauf ausgemacht haben. Al - lein da De la Tour und des Obriſten Kammer - diener, die uns begleiteten, hinter das Geheimniß gekommen waren, ohne daß wir es hatten vermei - den koͤnnen: ſo vereinigten ſie ſich beyde und ba - ten, daß wir einen Wundarzt von Brixen bey uns haben moͤchten, welchen La Tour daſelbſt an - getroffen und welcher ihm geſagt hatte, daß er des naͤchſtkuͤnftigen Tages ausreiten muͤßte, einer Perſon in einem Fieber, in einer einzeln Huͤtte, nicht weit von dem Orte, wo wir damals waren,J i i 2wofern868wofern es nicht eben die Huͤtte waͤre, die uns vor Augen laͤge, Ader zu laſſen.
Sie uͤbernahmen, es ſo zu veranſtalten, daß der Wundarzt nichts von der Sache wiſſen ſollte, bis ſein Beyſtand verlanget wuͤrde. Und weil La Tour, wie ich den Obriſten verſicherte, ein ge - ſchwinder verſchlagener Kerl iſt, den ich befahl, dem Obriſten ſo, wie mir ſelbſt, zu gehorchen, wenn die Sache fuͤr ihn ausfallen ſollte: ſo wurden wir beyde einig, die Entſcheidung bis morgen auf - zuſchieben, und das, was den Wundarzt betraf, gaͤnzlich unſern beyden Bedienten zur Veranſtal - tung zu uͤberlaſſen; indem wir ihnen aufs hoͤchſte einſchaͤrften, verſchwiegen zu ſeyn. So ritten wir durch verſchiedne Wege wieder zuruͤck.
Wir beſtimmten ein kleines einſames Thal zu dem Kampfplatze ‒ ‒ Morgen fruͤhe um zehn iſt die Zeit ‒ ‒ und bloß ein Degen die Abrede. Jedoch habe ich ihm mehr als einmal geſaget, daß ich mir ſo viel auf meine Geſchicklichkeit in dieſer Art der Waffen zu gute thaͤte, daß ich wuͤn - ſchen wollte, er moͤchte eine andere Art von Ge - wehr waͤhlen.
Er antwortete, es waͤre ein Gewehr fuͤr ei - nen Cavallier, und demjenigen, der es nicht ver - ſtuͤnde, fehlte eine Eigenſchaft, fuͤr deren Mangel er billig leiden muͤßte. Was ihn aber anlangte: ſo waͤre unter allen ſchaͤdlichen Werkzeugen ein Gewehr ſo gut fuͤr ihn, als das andere.
So, Bruder, ſeht ihr, mache ich mir keinen Vortheil uͤber ihn. Allein mein Teufel muß michbetruͤ -869betruͤgen: wofern er nicht ſein Leben, oder ſeinen Tod, vor eilfen morgen fruͤhe, von meinen Haͤn - den empfaͤnget.
Sein Kammerdiener und der meinige ſollen zugegen ſeyn: aber beyden iſt auf das ſchaͤrfſte eingeknuͤpfet, unpartheyiſch und unwirkſam zu ſeyn; und zur Vergeltung meiner Hoͤflichkeit von gleicher Art befahl er dem ſeinigen, mir huͤlfliche Hand zu bieten, wenn er bleiben ſollte.
Wir werden, der Abrede nach, dahin reiten, und wenn wir an dem Orte ſind, abſteigen. Unſe - re Bedienten aber ſollen in einer beſtimmten Ent - fernung mit einer Kutſche warten, um denjenigen, der am Leben bleibt an die, venetianiſche Grenzen zu bringen, wofern einer von uns bleibt, oder ei - nem von uns, oder beyden Huͤlfe zu leiſten, wie es die Gelegenheit mit ſich bringen mag.
So, Belford, iſt die Sache verabredet.
Ein Platzregen hat mir nicht erlaubet, etwas anders zu thun. Daher ſchreibe ich dieſen Brief: ob ich es gleich eben ſo gut haͤtte bis morgen um zwoͤlfe verſchieben moͤgen, zu welcher Zeit ich ſon - der Zweifel im Stande ſeyn werde wieder zu ſchrei - ben, und euch zu verſichern, wie ſehr ich ſey
der Eurige ꝛc. Lovelace.
Jch habe Jhnen traurige Nachrichten auf Be - fehl des Ritter Lovelacens zu melden. Er zeigte mir ſeinen Brief an Sie, ehe er ihn verſie - gelte, worinn er berichtete, daß er ſich den 15ten mit dem Ritter Morden ſchlagen ſollte. Da Jh - nen alſo die Gelegenheit zu der Zuſammenkunft ſo wohl bekannt iſt: ſo werde ich hier nichts da - von erwaͤhnen.
Jch hatte Sorge getragen, einen Wundarzt und ſeinen Geſellen, denen ich unter einer eidlich verſprochenen Verſchwiegenheit die Sache entdeckt hatte, ob ich es den beyden Cavalliers gleich nicht geſtand, in einer kleinen Entfernung bereit zu hal - ten: ſo daß ſie mit dem, was zum Verband ge - hoͤret, und mit allen noͤthigen Sachen verſehen waren. Denn ich kannte den Muth und die Ge - ſchicklichkeit meines Cavalliers gar wohl, und hattevon871von der Gemuͤthsart des andern gehoͤrt, wußte auch, wie erbittert beyde waren. Jn einer klei - nen Entfernung ſtand eine Poſtkutſche mit eines jeden Dienern bereit.
Die beyden Herren kamen genau zu der be - ſtimmten Zeit, in Begleitung von Mr. Margate, des Obriſten Kammerdiener, und mir ſelbſt. Sie hatten geſtern befohlen, und wiederhohlten es itzo, ein jeder in des andern Gegenwart, daß wir die ſtrengſte Unparteylichkeit unter ihnen beobachten ſollten, und daß, wenn einer bliebe, ein jeder von uns ſich, in Anſehung aller noͤthigen Huͤlfe oder Rettung durch die Flucht, als den Bedienten des - jenigen, der am Leben geblieben, anſehen, und dem zu folge ſeinen Befehlen gehorchen ſollte.
Nach einigen wenigen Complimenten kleide - ten ſich beyde Cavalliers, mit der groͤßten Gelaſ - ſenheit, die ich jemals an Maͤnnern geſehen habe, bis auf das Hemde aus, und zogen.
Sie parirten mit gleicher Geſchicklichkeit ver - ſchiedne Stoͤſſe. Mein Cavallier verwundete ſei - nen Gegner zuerſt: indem er einen verzweifelten Stoß that, der nur durch eine ploͤtzliche Wendung ſeines Gegners ſo weit fehlſchlug, daß er nicht ganz durch ihn ging, und ihn bloß an dem fleiſchich - ten Theil der Rippen an der rechten Seite ver - wundete; welchen Theil der Degen ausriß, da er an der aͤußern Flaͤche des Leibes liegt. Allein ehe er ſich ſelbſt wieder ſetzen konnte, ſtieß ihm ſein Gegner dafuͤr in die inwendige Seite des linken Arms bey der Schulter: und weil der Degen imJ i i 4Vor -872Vorbeygehen ſeine Bruſt ſtreifte, daß viel Blut folgte; ſo ſagte der Obriſt, mein Herr, ich glaube, ſie haben genug.
Mein Cavallier ſchwur bey Gott, er haͤtte kei - nen Schaden bekommen; es waͤre nur eine Na - delritze: und ſo that er noch einen Stoß auf ſei - nen Gegner. Dieſer aber fing den Stoß mit ei - ner erſtaunlichen Geſchicklichkeit unter ſeinem Arm auf, und rannte meinem lieben Cavallier in den Leib; welcher alſobald niederfiel, und ſagte: das Gluͤck iſt an ihrer Seite, mein Herr ‒ ‒ O mei - ne geliebte Clariſſa! ‒ ‒ Nun biſt du ‒ ‒ Noch drey oder vier Worte mehr ſprach er einwaͤrts. Sein Degen fiel ihm aus der Hand. Hr. Mor - den warf den ſeinigen nieder, lief zu ihm, und ſag - te in franzoͤſiſcher Sprache ‒ ‒ Ach mein Herr, ſie ſind des Todes! ‒ ‒ Rufen ſie Gott um Gna - de an!
Wir gaben den Dienern das verabredete Zei - chen: und dieſe gaben es den Wundaͤrzten; wel - che den Augenblick heraufkamen.
Der Obriſt Morden, fand ich, war des bluti - gen Werks mehr als zu wohl gewohnt. Denn er war ſo gelaſſen, als wenn nichts ſo außeror - dentliches vorgegangen waͤre, und leiſtete den Wundaͤrzten huͤlfliche Hand, ob ſeine eigne Wun - de gleich ſtark blutete. Aber mein werther Ca - vallier fiel zwey oder dreymal nach einander in Ohumacht und ſpie, außerdem, Blut.
Jnzwiſchen ſtillten ſie das Blut fuͤr dieß mal, und wir halfen ihm in den Wagen. Hierauf ließder873der Obriſt ſeine eigne Wunde verbinden, und be - zeigte ſich daruͤber bekuͤmmert, daß mein Caval - lier bisweilen, wenn er ſprechen und ſich ſtraͤuben konnte, ausnehmend ſchalt und tobte ‒ ‒ Der ar - me Herr! Er hatte ſich feſt in den Kopf geſetzt, daß er ſiegen wuͤrde.
Der Obriſt wollte gegen der Wundaͤrzte Rath zu Pferde ſteigen, um in das venetianiſche Gebiet zu gehen, und gab mir mit vieler Freyge - bigkeit einen Beutel voll Gold, die Wundaͤrzte zu bezahlen, und bat mich, dem Diener ein Ge - ſchenk davon zu machen, und das Uebrige, als ein Zeichen ſeiner Zufriedenheit mit meiner Auffuͤh - rung, und mit meiner Fuͤrſorge und Zaͤrtlichkeit gegen meinen Herrn, anzunehmen.
Die Wundaͤrzte ſagten ihm, daß mein Caval - lier den Tag nicht uͤberleben koͤnnte.
Als der Obriſt Abſchied von ihm nahm, ſag - te Herr Lovelace in franzoͤſiſcher Sprache: Sie haben die liebe Fraͤulein wohl geraͤchet.
Das habe ich gethan, mein Herr, verſetzte Herr Morden in eben der Sprache: und viel - leicht wird es mir leid ſeyn, daß ſie mich zu die - ſem Werk aufgefodert haben, da ich noch unſchluͤſ - ſig war, ob ich dem lieben Engel gehorſam, oder ungehorſam ſeyn ſollte.
Es iſt ein Verhaͤngniß dabey, antwortete mein Cavallier ‒ ‒ Ein verfluchtes Verhaͤngniß! ‒ ‒ Sonſt haͤtte dieß nicht ſeyn koͤnnen! ‒ ‒ Allein ſeyd ihr alle Zeugen, daß ich mein Schickſal wi - der mich aufgerufen habe, und erkenne, daß ichJ i i 5durch874durch die Hand eines rechtſchaffenen Mannes ge - fallen bin.
Mein Herr, ſagte der Obriſt, ſo gottſelig als ein Beichtvater; indem er dem Herrn Lovelace die Hand druͤckte; ergreiffen ſie dieſe wenige und fluͤchtige Augenblicke und befehlen ſich Gott.
Und ſo ritte er weg.
Der Wagen ging langſam mit meinem Ca - vallier fort: dennoch machte die Bewegung, daß ſeine Wunden beyde wieder zu bluten anfingen; und ſie hatten Muͤhe, das Blut wieder zu ſtillen.
Wir brachten ihn lebendig zu der erſten Huͤt - te: und er befahl mir, das Packet, welches ich hierbey ſende, an Sie abzuſchicken, Jhnen die Umſtaͤnde von dieſer ungluͤcklichen Sache zu ſchrei - ben und in ſeinem Namen fuͤr alle ihre Gewo - genheit und Freundſchaft gegen ihn Dank zu ſagen.
Wider alles Vermuthen uͤberlebte er noch die Nacht: ſtand aber ſo wohl von ſeiner Unge - dult und ſeinem Misvergnuͤgen, daß ihm ſeine Hoffnung fehlgeſchlagen war, als von ſeinen Wunden vieles aus; denn er ſchien ſehr ungern zu ſterben.
Er raſete bisweilen in den beyden letzten Stunden; und in der Raſerey rief er zu verſchie - denen malen: Nehmet ſie weg! Nehmet ſie weg! nannte aber niemand. Bisweilen erhob er eine Fraͤulein; die Clariſſa, vermuthe ich, welche er anredete, als er ſeine toͤdtliche Wunde bekam; und nannte ſie: Angenehmes Muſter der Voll -kom -875kommenheit! Goͤttliche Fraͤulein! Leidende Schoͤ - ne! ‒ ‒ Einmal ſagte er: Schaue herunter, ſeliger Geiſt, ſchaue herunter! ‒ ‒ Und damit hielte er inne: ‒ ‒ jedoch bewegten ſich ſeine Lippen.
Um neun des Morgens ward er von Zuckun - gen uͤberfallen und fiel in Ohnmacht. Es waͤhr - te eine Viertelſtunde, ehe er ſich daraus erhohlte.
Seine wenigen letzten Worte muß ich nicht vergeſſen: da ſie beweiſen, daß er ſich zuletzt ge - faſſet habe; welches ſeinen geehrten Freunden zu einigem Troſte gereichen mag.
Heiliger ‒ ‒ ſprach er; und wandte ſich da - mit ſonder Zweifel zum Himmel: denn ſeine ſter - bende Augen waren aufgehoben ‒ ‒ Eine ſtarke Zuckung hinderte ihn auf einige Augenblicke mehr zu ſagen ‒ Als er ſich aber wieder erhohlte, ſprach er wieder mit großem Eifer, mit aufgehabenen Augen und ausgebreiteten Haͤnden, das Wort Heiliger aus. ‒ ‒ Hierauf redete er, als wenn er andaͤchtige Seufzer ſchickte, ſo einwaͤrts, daß man es nicht verſtehen konnte: und zuletzt ſprach er deutlich dieſe drey Worte aus: Laß dieß verſoͤhnen! Hiemit ſank ſein Haupt auf das Kopfkuͤſſen; und er verſchied: eine halbe Stunde nach zehn.
Er gedachte nicht; der arme Herr! daß ſein Ende ſo nahe ſeyn wuͤrde. Daher hatte er, fei - nes Koͤrpers wegen, nichts befohlen. Jch habe ihn ausnehmen und in ein Gewoͤlbe ſetzen laſſen, bis ich aus England Verhaltungsbefehle bekomme.
Dieß876Dieß iſt eine Gefaͤlligkeit, die nicht ohne Schwierigkeit erhalten iſt, und gar abgeſchlagen ſeyn wuͤrde, wenn er nicht ein Englaͤnder von Stande geweſen waͤre; eine Nation, gegen die man mit Grunde in allen Oeſterreichiſchen Staa - ten Achtung hat: denn er hatte keine geiſtli - chen Beſuche und keine Sacramente nach catho - liſcher Art haben wollen. Mein Gebeth iſt, daß er ſelig ſeyn moͤge.
Jch habe auch von der hieſigen Obrigkeit, we - gen der Art ſeines Todes, einige Unruhe gehabt. Dieſelbe hat in der Sache die gehoͤrige Erkundi - gung eingezogen: und es hat mich etwas Geld gekoſtet. Hievon und von der Verlaſſenſchaft meines lieben Cavalliers will ich Jhnen in mei - nem naͤchſten Briefe getreulich Rechnung ablegen. Alſo erwarte ich hier Jhre Befehle, und bin,
mein Herr, Jhr getreueſter und gehorſamſter Diener, F. J. De la Tour.
Was noch zu beruͤhren uͤbrig iſt, damit denen Genuͤge geſchehe, von welchen man unter den Leſern vermuthen mag, daß ſie ſich der Schick - ſale der andern Hauptperſonen in der Geſchichte, welche Herr Lovelacen uͤberlebet, angenommen haben, das wird kuͤrzlich, wie folgt, erzaͤhlt gefun - den werden.
Die Zeitung von dem ungluͤcklichen Ende des Herrn Lovelace ward mit eben ſo vieler Be - truͤbniß von ſeinen eignen Verwandten, als mit Frohlocken von der Harloweiſchen Familie und der Fraͤulein Howe aufgenommen. Seine eigne Familie war am meiſten zu bedauren: weil ſeine Angehoͤrigen, als aufrichtige Bewunderer der un - nachahmlichen Fraͤulein, uͤber die Ungerechtigkeit, welche ihr widerfahren, hoͤchſt betruͤbet waren; und nun noch dazu die Kraͤnkung hatten, den einzigen maͤnnlichen Erben von ihrem Hauſe durch einen gewaltſamen Tod zu verlieren.
Daß er ſein Schickſal verdient hatte, das war eine neue Vergroͤßerung ihres Jammers: da ſie eben aus der Urſache, und weil er dazu nicht be - reit geweſen war, nur allzu viele Gruͤnde hatten, in Anſehung ſeiner kuͤnftigen Gluͤckſeligkeit beſorgt zu ſeyn. Die andere Familie hingegen fand nachihrer878ihrer unverſoͤhnlichen Geſinnung, und ſelbſt die edelmuͤthige und genannte Fraͤulein fand, nach ihrer Lebhaftigkeit in ihrem Unwillen, in ſeinem Tode einige kleine, einige vergaͤngliche Erleichte - rung des ſchweren Verluſtes, den ſie ſonderlich durch ſein Zuthun gelitten hatten.
Eine vergaͤngliche Erleichterung, ſagen wir noch einmal, in Abſicht auf die Harloweiſche Familie: denn dieſe waren im geringſten nicht gluͤcklich oder geruhig, wenn ſie ihre eigne Auf - fuͤhrung uͤberlegten.
Fr. Harlowe lebte etwa zwey und ein hal - bes Jahr nach dem hoͤchſtbeklagten Tode ihrer vortrefflichen Tochter.
Herr Harlowe uͤberlebte ſeine Gattinn ohn - gefaͤhr ein halbes Jahr.
Beyde troͤſteten ſich in ihren letzten Stun - den damit, daß ſie wieder zu ihrer preiswuͤrdi - gen Tochter, wie ſie dieſelbe allezeit nannten, nachdem ſie ihr gluͤckſeliges Ende erfahren hatten, gebracht werden ſollten.
Jedoch lebten beyde noch ſo lange, daß ſie ih - ren Sohn Jakob und ihre Tochter Arabella verheyrathet ſahen, aber an keiner von beyden Heyrathen Vergnuͤgen hatten.
Herr Jakob Harlowe vermaͤhlte ſich mit einem Frauenzimmer von der Familie, einer Way - ſe: und iſt genoͤthigt, ihren Anſpruch auf Guͤter, die ihn vornehmlich bewogen hatten, daß er ſich um ſie beworben, mit ſehr großen Koſten zu un - terſtuͤtzen. Er hat ſie aber bis auf dieſen Tagnoch879noch nicht wieder bekommen; und wird ſie auch nach aller Wahrſcheinlichkeit ſo leicht nicht wieder bekommen: weil er mit ſehr maͤchtigen Gegnern zu thun, und ein Recht, das ſich beſtreiten laͤßt, zu behaupten hat; dabey aber nicht mit ſo vieler Gedult begabt iſt, als Perſonen, die in Rechtshaͤn - del verwickelt ſind, noͤthig haben.
Was ferner in Abſicht auf ihn merkwuͤrdig iſt, das iſt dieß, daß er bey der Partey bloß ſei - nem eignen Kopfe folgte; wider den Rath ſeines Vaters, ſeiner Mutter und ſeiner Onkels, die ihn warneten, daß er mit dieſer Fraͤulein zugleich ei - nen Proceß auf ſeine ganze Lebenszeit erheyrathen wuͤrde. Sein unedelmuͤthiges Bezeigen gegen ſeine Frau, wegen einer Sache, die ſie nicht aͤn - dern kann, und die eben ſo ſehr ihr, als ſein Un - gluͤck iſt, hat eine ſolche Trennung der Gemuͤther unter ihnen veranlaſſet, da ſie ein hitziges Frauen - zimmer iſt, daß, wenn auch die Proceſſe entſchie - den waͤren, und ſo gar weit vortheilhafter, als wahrſcheinlich iſt, er dadurch bis an das Ende ſeines Lebens ungluͤcklich ſeyn muß. Er ſchreibet alle ſein Ungluͤck, wenn er ſich den wenigen Freunden, die er hat, entdecket; ſeinem ſchaͤndli - chen und grauſamen Verfahren gegen ſeine engli - ſche Schweſter zu. Er bekennet, daß dieſe Un - gluͤcksfaͤlle gerecht ſind, und hat doch keine ſolche Gemuͤthsverfaſſung, daß er ſich bey der erkannten Gerechtigkeit derſelben zufrieden geben ſollte. Ei - nen Monath in jedem Jahre legt er Trauer an: und der Monath faͤngt ſich bey ihm mit dem 7tenSeptem -880September an; welche Zeit uͤber er ſich vor aller Geſellſchaft verſchließet. Kurz er wird fuͤr das elendeſte Weſen unter allen gehalten und be - legt ſich oft ſelbſt mit dieſem Namen.
Arabellens Vermoͤgen ward einem Manne von Stande eine Verſuchung, wodurch er ſich verleiten ließ, um ſie anzuhalten: ſein Rang ihr eine Reizung, ſich ihm gefaͤllig zu bezeigen. Bruͤ - der und Schweſtern ſind gemeiniglich, wenn ſie nicht Freunde ſind, die heftigſten Feinde. Er glaubte, es waͤre in den Eheſtiftungen zu viel fuͤr ſie geſchehen: ſie dachte, nicht genug. Und ſeit einigen Jahren ſind ſie einander ſo herzlich feind geweſen, daß, wo ja ein Theil von beyden eine Freude empfunden, es darinn beſtanden, daß er von einem neuen Ungluͤcksfalle oder Misvergnuͤ - gen, das dem andern zugeſtoſſen, gehoͤret. Noch ehe es zu einem offenbaren Bruch zwiſchen ihnen kam, buͤrdeten ſie ſich einander, um ſich ſelbſt zu entladen, zu einer neuen Unruhe fuͤr die gan - ze Familie, die meiſte Schuld an ihrem unver - ſoͤhnlichen Verfahren und ihrer filzigen Grauſam - keit gegen ihre bewundernswuͤrdige Schweſter auf. ‒ ‒ Es waͤre zu wuͤnſchen, daß die Geruͤch - te von dem freyen Leben ihres Gemahls; einem Fehler, den ſie mit Recht an dem Herrn Lovela - ce fuͤr haſſenswuͤrdig hielte, ob er gleich nicht zu einer unuͤberwindlichen Einwendung gegen ſeine Anwerbung bey ihr hinlaͤnglich geweſen ſeyn wuͤr - de; und von ſeiner oͤffentlichen Geringſchaͤtzung und Verachtung gegen ſie, ja ſo gar bisweilenper -881perſoͤnlichen Mishandlungen, welche von ih - rer ungedultigen Gemuͤthsart und ihren heftigen Leidenſchaften herkommen ſollen, gaͤnzlich ohne Grund ſeyn moͤchten. ‒ Denn was muͤßte das fuͤr ein Herz ſeyn, welches wuͤnſchen wollte, daß ſie ſich ſelbſt eine eben ſo große Marter ſeyn moͤch - te, als ſie ihrer Schweſter zu ſeyn geſuchet? Son - derlich da ſie ihre granſame Auffuͤhrung gegen dieſe Schweſter bis auf dieſe Stunde bereuet, und ſich erklaͤret, daß ſie dieß bis auf die letzte Stun - de ihres Lebens thun werde, auch eben ſo wohl, als ihr Bruder, nur mehr als zu geneigt iſt, derſel - ben ihre eigne Ungluͤckſeligkeit zuzuſchreiben.
Herr Anton und Herr Johann Harlowe ſind, da dieß geſchrieben wird, noch am Leben: aber ſagen oft, daß ſie mit ihrer geliebten Enke - linn alle Freude in ihrem Leben verlohren haben, und beklagen ohne Zuruͤckhaltung in allen Geſell - ſchaften die unnatuͤrliche Rolle, welche ſie gegen dieſelbe zu ſpielen verleitet worden ſind.
Herr Solmes iſt auch noch am Leben: wo man von einem Manne von ſeinem Schlage ſa - gen kann, daß er lebe. Denn ſeine ganze Auf - fuͤhrung und niedertraͤchtige Arten zu handeln ſind ſo beſchaffen, daß ſie den Abſcheu, welchen die vortreffliche Fraͤulein vor ihm hatte, rechtfertigen. Er hat uͤber dieß ſeine Anwerbung von verſchiede - nen Frauenzimmern von weit geringerm Vermoͤ - gen, als das Vermoͤgen derjenigen Fraͤulein war, zu der man ihm Hoffnung machte, ſo groß auch das ſeinige iſt, verworfen gefunden.
Siebenter Theil. K k kHerr882Herr Mowbray und Herr Tourville wur - den, nachdem ſie den Menſchen verlohren hatten, an deſſen Umgange ſie ſo viel Vergnuͤgen gehabt, durch die verſchiedenen ungluͤcklichen Veraͤnderun - gen, die ſie vor ſich ſahen, geruͤhret und erwecket: und weil ſie allezeit vielmehr folgſame als eigen - willige Herzen gehabt; ſo nahmen ſie den Rath ihres Freundes Belfords an, machten den Ueber - reſt ihres Vermoͤgens zu Leibrenten, und begaben ſich, der eine nach Yorkshire, der andere nach Nottinghamshire, aus welchen Grafſchaften ſie gebuͤrtig ſind. Jhr Freund Belford beſorgt ihre Angelegenheiten fuͤr ſie, wechſelt Briefe mit ih - nen, und hat jedesmal, wann er ſie ſiehet; wel - ches ein oder zweymal im Jahr geſchieht, wann ſie zur Stadt kommen; mehr und mehr Hoffnung, daß ſie ſich ihrer Namen und Familien immer wuͤrdiger machen werden.
Es kann nicht uͤbel gethan ſeyn, wenn wir melden, wie es mit den beyden Schweſtern in der Bosheit, Sarah Martin und Maria Horton geworden: Namen, die in der vorhergehenden Sammlung ſo oft vorkommen.
Nach dem Tode der verruchten Sinclair trie - ben ſie den ſchaͤndlichen Handel nur mit allzuvie - lem Gluͤcke fort, bis ſich ein Zufall in ihrem Hau - ſe eraͤugte ‒ ‒ indem ein Cavallier von Familie in demſelben bey einem Kampf getoͤdtet wurde, da er mit einem andern um ein neu ausgebeſſertes Geſicht ſtritte. Sarah ward verklagt, daß ſie dem Cavallier den Arm gehalten, indem ſein mehrbeguͤn -883beguͤnſtigter Gegner ihm durch das Herz gerannt und darauf ſich davon gemacht: und weil ſie auf Leib und Leben zum Verhoͤr gezogen war, kam ſie nur mit genauer Noth davon.
Dieſer Zufall noͤthigte ſie, die Haushaltung aufzugeben, und da ſie mit ihrem uͤbelgewonne - nen Verdienſt nicht rathſam genug umgegangen waren, ſondern an dem einen das verſchwendet, was ſie von dem andern gewonnen hatten; ſo wurden ſie gezwungen, zu ihrer Unterhaltung in ein anderes dergleichen Haus, wie das ihrige ge - weſen war, als Unterhaͤndlerinnen, zu treten. Jn dieſem Dienſt ſtarb Sarah, bald hernach, an einem Fieber und Magenverderben, das ſie ſich durch eine Schwelgerey zugezogen hatte: und die andere, ohngefaͤhr einen Monath hernach, an ei - ner heftigen Erkaͤltung, die durch eine Nachlaͤßig - keit in einer Salivation verurſachet war. Zwo Perſonen, denen es nicht an natuͤrlichem Verſtan - de fehlte, und die eine gute Erziehung nach der heutigen Welt, wie man es nennt, gehabt hatten. Denn ihre Eltern hatten ein anſtaͤndiges Leben gefuͤhrt, und ſich vormals beſſere Hoffnung von ihnen gemacht. Allein ſie hatten doch ein großes Theil von ihrer uͤbeln Auffuͤhrung zu verantwor - ten: weil ſie ihnen in den Modethorheiten und der Ueppigkeit eines Alters nachgeſehen hatten, das ſich denjenigen Zeitverkuͤrzungen und Ergoͤtz - lichkeiten ganz ergiebet, welche ſo geſchickt ſind, Leute von bloß mittelmaͤßigem Vermoͤgen uͤber alle nuͤtzliche Beſchaͤfftigungen des LebensK k k 2hinaus -884hinauszuſetzen, und junge Frauenzimmer zu einem leichten Raube liederlicher und freyer Leute zu machen.
Gluͤcklichere Ausſichten oͤffnen ſich fuͤr die uͤbrigen Perſonen: denn man moͤchte ſich zu weit herablaſſen, wenn man des fruͤhzeitigen Todes der Dorcas, und des Wilhelms, des gottloſen Die - ners von Herrn Lovelacen, und des ſchmerzlichen Endes der Eliſabeth Barnes und Joſeph Lehmanns, die beyde, an einer ſchmerzlichen und auszaͤhrenden Krankheit, unverheyrathet und in weniger Zeit, als einem Jahr, nach dem gluͤckli - chen Tode ihrer vortrefflichen jungen Fraͤulein ſtarben, gedenken wollte.
Die gottſelige Fr. Norton brachte den kur - zen Ueberreſt ihres Lebens in ihrer geliebten Pfle - getochter Hollaͤnderey, wie man ſie zu nennen pflegte, ſo gluͤcklich zu, als ſie wuͤnſchte. Als ſie wuͤnſchte, wiederhohlen wir ‒ ‒ denn ſie hatte ein zu ſtarkes Verlangen nach einem andern Leben, daß ſie von dem gegenwaͤrtigen ſehr eingenommen ſeyn ſollte.
Sie wandte den groͤßten Theil ihrer Zeit an, durch ihren Rath und durch die kluge Verwal - tung des ihrer Aufſicht anvertrauten Capitals Gu - tes zu thun. Nachdem ſie von ihrer Jugend an ein exemplariſches Leben gefuͤhret, und ihren Sohn gluͤcklich in der Welt verſorgt geſehen hatte: ſo ſtarb ſie leicht und ruhig, ohne Schmerzen und Angſt, wie ein ermuͤdeter Wandersmann, der in einen ſuͤßen Schlummer faͤllt. Jhre letzten Wortebezeug -885bezeugten ihre Hoffnung, wieder zu ihrem Schooß - kinde, und zu ihren eignen vortrefflichen Eltern, deren Sorge und Muͤhe ſie die gute Erziehung zu danken hatte, welcher ſie alle ihr Gluͤck ſchul - dig war, zu gelangen.
Das Capital fuͤr die Armen, welches ihrer Fuͤrſorge anvertrauet war, trat ſie eine Woche vor ihrem Tode an Fr. Hickmanninn ab, wie es in dem Teſtament verordnet worden, und uͤbergab ihm zugleich alle Rechnungen und Verzeichniſſe von den Ausgaben, welche ſie ſo genau gehalten hatte, daß ſich Fr. Hickmanninn erklaͤret, ſie wolle ihrer Weiſe folgen, und nur wuͤnſchet, es eben ſo gut zu machen.
Die Fraͤulein Howe war nicht zu bereden, daß ſie ihre Trauer fuͤr ihre liebe Freundinn ab - legte, bis ſechs Monathe voͤllig verfloſſen waren: und darauf machte ſie Herrn Hickmann zu ei - nem der gluͤcklichſten Maͤnner in der Welt. Bey einem Frauenzimmer von ihrer. Einſicht und von ihrem Verſtande konnte es nicht anders ſeyn: da ſie an einen tugendhaften und gutgeſinnten Mann verheyrathet war, der ſich keine hauptſaͤchlichen Fehler vorzuwerfen, und dadurch ſeine Freude zu verringern hatte; deſſen Bezeigen auch gegen die Fr. Hickmanninn eben ſo liebreich iſt, als es ehrerbietig gegen die Fraͤulein Howe geweſen war. Sie ſind ſchon mit zweyen artigen Kin - dern geſegnet: einer Tochter, der ſie einhellig den Namen ihrer geliebten Freundinn gegeben haben;K k k 3und886und einem Sohne, der den Namen nach ſeinem Vater hat.
Sie hat dem Herrn Hickmann, der ein Ver - gnuͤgen daran findet, daß er Gutes thut, und dieß ſo wohl um ſein ſelbſt willen, als um ihr gefaͤllig zu werden, ſeinen Theil von der Verwaltung des Capitals fuͤr die Armen beſtimmet, um ihr, wie ſie ſcherzhaft ſagt, davon Rechnung abzulegen. Sie hat einen jeden Donnerſtags Morgen zu ih - rem Theil von dieſer Verwaltung ausgeſetzet, und findet ſo viel Vergnuͤgen in der Arbeit, daß ſie ſich erklaͤret, es ſey eines ihrer angenehmſten Beſchaͤfftigungen: und dieß um ſo viel mehr, da ſie eine jede Perſon, der ſie Gutes thut, das An - denken ihrer verſtorbenen Freundinn in Se - gen zu halten lehret, als welcher ſie alles Gute, ſo wohl in allen ihren eignen Liebeswerken, als in denen, die ſie nach ihrem Teſtament durch Aus - theilung der Allmoſen ausuͤbet, zuſchreibet.
Sie hat ſich erklaͤret, daß dieß Capital nie - mals ausgehen ſoll: ſo lange ſie lebet. Sie hat ſo gar ihre Mutter beredet, jaͤhrlich etwas dazu beyzutragen. Und Herr Hickmann hat jaͤhrlich zwanzig Pfund dazu ausgeſetzet. Jn Betrach - tung deſſelben erlaubet ſie ihm, alle Jahr vier Per - ſonen vorzuſchlagen, die daran Theil nehmen. ‒ ‒ Erlaubet, iſt ihre Art ſich auszudruͤcken: denn ſie behaͤlt ſich den Vorzug, dieſe Mildigkeit aus - zutheilen, gaͤnzlich allein vor; den einzigen Vor - zug, den ſie ſich vorbehaͤlt, oder vorzubehalten noͤthig iſt. Jn allen andern Faͤllen iſt nur einWille887Wille unter ihnen, und der iſt gemeiniglich der ſeinige, oder der ihrige, wie der eine oder der an - dere Theil bey einer Sache, ſie mag betreffen, was ſie will, zuerſt redet. Fr. Hickmanninn, ſagt ſie bisweilen eben ſo ſcherzhaft als edelmuͤthig zu ihm, muß nicht ganz vergeſſen, daß ſie einſt Fraͤu - lein Howe geweſen iſt: denn wenn er ſie nicht als ſolche, und mit allen ihren Schwachheiten ge - liebt haͤtte; ſo waͤre ſie niemals Fr. Hickman - ninn geworden. Nichts deſto weniger bekennet ſie im Ernſt, bey allen Gelegenheiten, und das ſo wohl gegen andere, als gegen ihn ſelbſt, daß ſie ihm fuͤr ſeine Gedult mit ihr in ihren Tagen, da es in ihrer Gewalt geſtanden, ſeine Hand anzu - nehmen oder auszuſchlagen, und fuͤr ſein edelmuͤ - thiges Bezeigen gegen ſie in ſeinen Tagen, da ſie in ſeiner Gewalt waͤre, unerſtattliche Ver - bindlichkeiten ſchuldig ſey.
Sie achtet und liebet ihn auch noch um ſo viel mehr: da ſie ſeine ehemalige Guͤtigkeit gegen ihre geliebte Freundinn, und dieſer werthen Freundinn gute Meynung von ihm erwaͤget. Nicht weni - ger iſt es ihr angenehm, daß dieſer rechtſchaffene Mann ſich aufrichtigſt zugleich mit ihr alles deſſen ehrfurchtsvoll und liebreich erinnert, was das Gedaͤchtniß der Verſtorbenen den Hinterbliebenen koſtbar machet.
Herr Belford hatte nicht ſo wenig Menſchen - liebe und Zuneigung, daß er bey dem ungluͤckli - chen Schickſal ſeines vertrauteſten Freundes haͤt - te unbekuͤmmert ſeyn ſollen. Ueberleget er aberK k k 4das888das fruͤhzeitige Ende verſchiedener von ſeinen Mit - geſellen, deren in der vorhergehenden Geſchichte nur bloß eine kleine Meldung geſchehen iſt(*)Man ſehe des VI. Th. LXXVII. Brief am Ende, und des gegenwaͤrtigen Theils XCIII. Brief in der Mitte und den CX. Brief nicht weit vom Anfange. ‒ ‒ Ueberlegt er die entſetzliche Verzweifelung, und den Tod ſeines armen Freundes Belton ‒ ‒ Ueberlegt er die merkliche Strafgerechtigkeit, welche den gottloſen Tomlinſon uͤberfiel ‒ ‒ ‒ Das ſchreckliche Ende der ſchaͤndlichen Sinclair ‒ ‒ Die empfindlichen Gewiſſensbiſſe ſeines wer - ther gehaltenen Freundes ‒ ‒ Und an der andern Seite das Beyſpiel, welches ihm das vortrefflich - ſte Frauenzimmer gegeben hat, ‒ ‒ ihre geſegne - te Vorbereitung und ihren gluͤcklichen Ausgang aus der Welt ‒ ‒ Ueberlegt er, wie er oft mit Furcht und Schrecken thut, daß ſeine gottloſe Gewohnheiten in ſeinem verderbten Herzen ſo tief eingewurzelt geweſen, daß alle dieſe War - nungen, und dieß liebenswuͤrdige Beyſpiel nicht anders als nothwendig waren, damit er in den Stand geſetzt wuͤrde, ſie zu uͤberwaͤltigen, und ſich zu beſſern; und daß ein ſolcher Ruf kaum jemals Leuten von ſeinem Schlage gegoͤnnet wird, oder, wo es geſchieht, nur ſelten in der erſten Ju - gend, und bey voͤlliger Munterkeit des Leibes ſo gluͤckliche Wirkungen hat ‒ ‒ Ueberlegt er alle dieſe Dinge: ſo verehret er in hoͤchſter Demuth die Barmherzigkeit, welche ihn durch dieſen Ruf als einen Brand aus dem Feuer geriſſenhat;889hat; und achtet ſich ſelbſt verpflichtet, ſich Muͤhe zu geben, daß er einige von denen, die durch ſein Zuthun in Gefahr gerathen ſeyn moͤgen, ausfor - ſche und auf beſſere Wege bringe, wie auch allen Schaden, oder alles Ungluͤck, welches er andern verurſacht haben mag, nach ſeinem aͤußerſten Ver - moͤgen erſetze.
Was die Teſtamentsverweſung betrifft, wo - mit er von der unnachahmlichen Fraͤulein beehret war: ſo hatte er das Vergnuͤgen, dieſelbe zu je - dermanns Zufriedenheit, ſelbſt zum Wohlgefallen der ungluͤcklichen Familie, die ihm bey der Gele - genheit ihren Dank abſtatten ließ, in ſehr weni - gen Monathen auszufuͤhren. Als er ſeine Rech - nungen uͤbergab: unterließ er nicht, das, was ihm vermacht war, zu dem Gebrauche, wozu in dem Teſtament die uͤbriggebliebenen Gelder beſtimmt waren, abzutreten; ſo daß das Capital fuͤr die Armen, wie es genannt wird, eine ſehr betraͤchtli - che Summe geworden iſt, und lange Zeit eine Niederlage zur Huͤlfe von Leuten; die Huͤlfe ver - dienen, ſeyn wird.
Es war nur noch ein irdiſches Gluͤck fuͤr Hrn. Belford zu wuͤnſchen uͤbrig, um ihn aller ſeiner andern Gluͤckſeligkeit, menſchlichem Anſehen nach, zu verſichern: und das war das groͤßte unter al - len weltlichen Guͤtern; eine tugendhaſte und klu - ge Frau. Da er ein ſo freyes Leben gefuͤhrt hat - te: ſo glaubte er nicht, daß er einer ſolchen Gat - tinn wuͤrdig waͤre, bis er auf eine unparteyiſche Unterſuchung ſeiner ſelbſt, das Vergnuͤgen, wel -K k k 5ches890ches er an ſeinen neuen Entſchließungen hatte, ſo groß, und ſeinen Abſcheu gegen ſeine vorige Lebens - art ſo aufrichtig befand, daß er vor einer Abwei - chung von ſeinem guten Wege deſto weniger be - ſorgt war.
Jn dieſer guten Meynung von ſich, da er auch einige Winke des Herrn Lovelacens, die ihm Hoffnung machten, behalten hatte, und ſo gluͤck - lich geweſen war, daß er Gelegenheit gehabt, dem Lord M. und der ganzen edlen Familie durch ei - nige ihnen angenehme Dienſte, wozu die Anſu - chung von ſeinem ungluͤcklichen Freunde unter an - dern Papieren mit dem todten Koͤrper durch De la Tour uͤberbracht war, gefaͤllig zu werden, bat er ſich dieſes Herrn Erlaubniß aus, um die Fraͤu - lein Charlotte Montague, die Aelteſte von ſei - ner Gnaden beyden Enkelinnen, zu werben. Und weil er zu gleicher Zeit ſolche Vorſchlaͤge zu den Eheſtiftungen that, daß nichts dawider einzuwen - den war: ſo ließen ſich ihre Gnaden gefallen, ſeine vielvermoͤgende Fuͤrſprache fuͤr ihn zu ge - brauchen. Da nun ſeine wuͤrdige Neffe keine Verbindung mit irgend einem andern hatte: ſo war ſie ſo guͤtig und beehrte Herrn Belford mit ihrer Hand. Dadurch machte ſie ihn ſo vollkom - men gluͤcklich, als ein Menſch ſeyn kann, der ſich große Laſter vorzuwerfen hat, die, in einem Ver - lauf von Jahren, bey einigen durch den Tod der beleidigten Theile, bey andern dadurch, daß ſie ſich nicht wieder auf beſſere Wege bringen laſſen, unmoͤglich gut zu machen geworden ſind.
Gluͤck -891Gluͤcklich iſt der Menſch, der bey geſunden und guten Tagen die Fehler in ſeinem Wandel ſiehet und beſſert! ‒ ‒ Allein wie viel gluͤcklicher iſt derjenige, der keine große und vorſetzliche Feh - ler zu bereuen hat. ‒ ‒ Wie rein und lauter muß die Freude eines ſolchen Menſchen an ihn kommen!
Der Lord M. vermehrte guͤtigſt bey ſeinen Lebezeiten, wie auch die beyden Ladies, ſeine Schwe - ſtern, thaten, das Vermoͤgen ihrer wuͤrdigen Neffe. Und da Herr Belford mit einem Sohn von ihr geſegnet iſt: ſo gefiel es ſeiner Gnaden bey ſeinem Tode, der juſt drey Jahre nach dem fruͤhzeitigen Ende ſeines ungluͤcklichen Enkels er - folgte, dieſem Sohn und ſeinen Abkoͤmmlingen, und wenn er unverheyrathet ſterben ſollte, einem andern Kinde von ſeiner Neffe ſein Gut in Hert - fordshire, das dem Herrn Lovelacen zugedacht war, zu vermachen. Dieß Gut verbeſſerte er ſo, daß es die eine Haͤlfte von ſeinen liegenden Gruͤnden ausmachte: und verließ eben dieſer Frauen auch eine Haͤlfte von ſeinem Capital.
Die Fraͤulein Martha Montague, ein fei - nes junges Frauenzimmer, der ihr edler Onkel bey ſeinem Tode die andere Haͤlfte von ſeinen lie - genden Gruͤnden und von ſeinem Capital, ſein Gut in Berkshire mit eingeſchloſſen, vermachte, lebet itzo bey ihrer vortrefflichen Schweſter, der Fr. Belfordinn, zu der ſie ſich bey dem Tode des Lords M. begeben hat: allein, nach aller Wahr - ſcheinlichkeit, wird ſie bald die Gemahlinn eineswuͤrdi -892wuͤrdigen Baronets von alter Familie, feinen Ei - genſchaften und großem Vermoͤgen ſeyn. Die - ſer Herr iſt eben von ſeiner Reiſe zu Hauſe ge - kommen, und hat einen Ruhm mitgebracht, der den ſehr guten Ruhm noch uͤbertrifft, welchen er ſchon bey ſeiner Abreiſe hatte: ein Fall, der ſich ſehr ſelten zutraͤgt, ob gleich die Abſicht beym Reiſen iſt, ſich zu verdeſſern.
Der Obriſt Morden, welcher bey ſo vielen Tugenden und guten Eigenſchaften nicht ungluͤck - lich ſeyn kann, wechſelt mit dem Teſtamentsver - weſer von Florenz aus Briefe: indem er nach ſeiner ungluͤcklichen Sache mit Herrn Lovelacen ſeinen Vorſatz geaͤndert hat, ſo bald, als er ge - dachte, nach England zu kommen und ſeinen Auf - enthalt daſelbſt zu nehmen. Jn verſchiedenen von ſeinen Briefen erklaͤrt er ſich, er habe ſich zwar verbunden geachtet, entweder das, was er fuͤr eine Ausforderung hielte, als eine Ausfor - derung anzunehmen, oder mit zahmen Gemuͤthe zu bekennen, daß er alle Ahndung des ſeiner Ba - ſe widerfahrnen Unrechts aufgebe, und gewiſſer - maßen um Verzeihung zu bitten, daß er von dem Herrn. Lovelace hinter ſeinem Ruͤcken frey geſprochen haͤtte; es ſey ihm auch damals ſei - nem eignen Geſtaͤndniſſe nach nicht unangenehm geweſen, daß er auf ſolche Art, wie wirklich ge - ſchehen, angefordert worden, den einen oder den andern Weg zu erwaͤhlen; dennoch aber wuͤn - ſche er itzo, da er mit gelaßnem Gemuͤthe die Gruͤnde ſeiner geliebten Baſe gegen den Zwey -kampf,893kampf, und das, was es den ungluͤcklichen Men - ſchen nur nach allzu vieler Wahrſcheinlichkeit ge - koſtet haͤtte, uͤberlegt, daß er dieſe Worte in dem hinterlaſſenen Briefe von ſeiner Baſe vollkom - men bedacht haben moͤchte ‒ ‒ „ Wenn ihm Gott „ Zeit zur Buße goͤnnen will: warum ſollten ſie „ es ihm verſagen? “
Um zu dem Schluſſe zu kommen ‒ ‒ Die wuͤrdige Witwe Lovick lebt noch bey dem Herrn Belford, und hat ſich durch ihre kluge Auffuͤhrung, ihre Gottſeligkeit, und den Nutzen, den ſie ſchaf - fet, ihrer gnaͤdigen Frauen und der ganzen Familie lieb und werth gemacht.
Der Verfaſſer des vorhergehenden Werks hat die Ehre gehabt unter der Zeit, da daſſel - be herausgekommen; viele Briefe von Ungenann - ten zu empfangen, in welchen die Perſonen, von denen ſie geſchrieben ſind, ihre Wuͤnſche in Anſe - hung deſſen, was ſie von der Entwickelung oder Aufloͤſung des Knotens beſorgten, auf verſchied - ne Weiſe ausgedruͤcket haben.
Die meiſten von denen, welche von dem ſchoͤ - nen Geſchlechte an ihn abgelaſſen ſind, gehen da - hin, daß ſie gern einen gluͤcklichen Ausgang, wie man es nennt, haben wollen: und einige von denen Perſonen, die von der Hauptperſon und ih - ren Eigenſchaften, wie ſie geſtehen, eingenommen ſind, wuͤnſchen eifrigſt, ſie gluͤcklich zu ſehen.
Da dieſe Briefe bey Durchleſung der vier erſten Theile allein geſchrieben worden; ehe man die mannichfaltig in einander verwickelte Verbin - dung der verſchiedenen Theile mit einander ſehen oder erkennen konnte: ſo moͤchte man es itzo, da das ganze Werk jedermann vor Augen liegt, fuͤr uͤber - fluͤßig halten, ſich in dieſe Sache einzulaſſen; weil vermuthet wird, daß die Loͤſung des Knotens aus dem natuͤrlichen Verlauf der Geſchichte nothwen - dig folge. Allein der Begriff, den man ſich von der poetiſchen Gerechtigkeit macht, ſcheint uͤber - haupt bey dem ſchoͤnen Geſchlechte die Oberhand bekommen zu haben: und man muß geſtehen, daß er den Schein einer guten Geſinnung und Men -ſchen -895ſchenliebe bey ſich habe. Daher moͤchte es nicht undienlich ſeyn, ihn ein wenig in Betrachtung zu ziehen.
Man kann es auch nicht fuͤr unſchicklich anſe - hen, dieſe Sache bey dem Schluſſe eines Werkes zu beruͤhren, das die Abſicht hat, unter dem Vor - wand einer Ergoͤtzung, dem menſchlichen Gemuͤ - the die großen Lehren des Chriſtenthums einzu - ſchaͤrſen: in einem Alter, wie das gegenwaͤrtige iſt, welches von den Dichtern und dramatiſchen Schriftſtellern, das iſt, von den Verfaſſern der Werke des Witzes, zu erwarten ſcheinet, daß ſie es zu einer ihrer vornehmſten Regeln machen ſoll - ten, unter dem Namen der poetiſchen Gerech - tigkeit eine ganz andere Art der goͤttlichen Regie - rung fortzupflanzen, als wodurch Gott, wie er uns durch die Offenbarung lehret, fuͤr gut befunden hat, die Menſchen zu uͤben; welche er hier nur in einen Stand der Pruͤfung geſetzet, und deswe - gen das Gute und Boͤſe ſo untermenget hat, daß es ſie noͤthiget, auf eine gleichmaͤßigere Austheilung von beyden in die Zukunft vor ſich hinauszuſehen.
Die Geſchichte oder vielmehr die dramatiſche Erzaͤhlung von der Clariſſa iſt nach dieſem der Religion gemaͤßen Plan eingerichtet, und iſt da - her ſattſam deswegen gerechfertiget, daß ſie die leidende Tugend nicht eher herausreißet, bis ſie ihre vollkommenſte Belohnung erlanget.
Allein wir haben nicht noͤthig, fuͤr unſer Ver - fahren unter der Fuͤrſchrift der Religion, einem Anſehen, das bey den heutigen Kunſtrichtern viel -leicht896leicht nicht das groͤßte Gewicht hat, Schutz zu ſuchen: indem wir darinn von dem groͤßten Mei - ſter in vernuͤnftigen Urtheilen und dem beſten Richter uͤber ſchtiftliche Aufſaͤtze, der jemals ge - lebet hat, gerechtfertigt werden. Der gelehrte Leſer weiß ſchon, daß wir den Ariſtoteles meynen muͤſſen; deſſen Meynung in dieſer Sache, wir uns die Erlaubniß ausbitten wollen, mit den Worten eines ſehr beliebten Schriftſtellers von unſerm eignen Volke anzufuͤhren.
„ Die engliſchen Verfaſſer der Trauerſpiele, „ ſagt Herr Addiſon(*)Man ſehe den Zuſchauer Th. I. Num. XL. , ſind mit einem Vor - „ urtheil eingenommen, daß, wenn ſie eine tugend - „ hafte oder unſchuldige Perſon im Ungluͤck vor - „ ſtellen, ſie dieſelbe nicht verlaſſen muͤßten, bis ſie „ dieſelbe aus ihren Unruhen gerettet, und zu ei - „ nem frohlockenden Sieger uͤber ihre Feinde ge - „ macht haben.
„ Zu dieſem Jrthum ſind ſie durch eine laͤ - „ cherliche Lehre in den Grundſaͤtzen der neuern „ Kunſtrichter, daß ſie eine gleichmaͤßige Aus - „ theilung der Belohnungen und Strafen und „ eine unparteyiſche Vollziehung der poetiſchen „ Gerechtigkeit zu beobachten, verbunden ſind, „ verleitet worden.
„ Welche die erſten geweſen ſeyn moͤgen, die „ dieſe Regel geſetzt haben, weiß ich nicht: aber „ ich weiß gewiß, daß ſie in der Natur, in der „ Vernunft, oder in der Ausuͤbung der Alten „ keinen Grund habe.
„ Wir897„ Wir finden, daß in den Haushaltungen „ der goͤttlichen Vorſehung Gutes und Boͤſes „ allen Menſchen vor ihrem Grabe gleich gut „ begegne: und da der vornehmſte Endzweck bey „ den Trauerſpielen iſt, Mitleiden und Schrecken „ in den Gemuͤthern der Zuhoͤrer zu erwecken; ſo „ werden wir dieſe Hauptabſicht aufheben, wenn „ wir die Tugend und Unſchuld allezeit gluͤcklich „ machen.
„ Ein Frommer mag in dem Haupttheil des „ Trauerſpiels noch ſo viele Widerwaͤrtigkeiten und „ Ungluͤcksfaͤlle auszuſtehen haben: ſo werden „ doch dieſelben nur einen ſchwachen Eindruck in „ unſere Gemuͤther machen; wenn wir wiſſen, daß „ er in dem letzten Aufzuge ſeine Wuͤnſche und „ ſein Verlangen erfuͤllt ſehen werde.
„ Wenn wir ihn in ſeinem tiefſten Leiden ver - „ wickelt ſehen: ſo koͤnnen wir uns troͤſten, weil „ wir verſichert ſind, daß er ſich aus demſelben heraus „ finden, und ſein Kummer, ſo groß er auch gegen - „ waͤrtig ſeyn mag, ſich bald in Freude endigen „ werde.
„ Aus der Urſache gingen die alten Verfaſſer „ von Trauerſpielen in ihren Vorſtellungen ſo „ mit den Menſchen um, wie mit ihnen in der „ Welt umgegangen wird: indem ſie die Tu - „ gend bisweilen gluͤcklich und bisweilen ungluͤck - „ lich machten; wie ſie es der Erdichtung, welcheSiebenter Theil. L l l„ ſie898„ ſie waͤhlten, gemaͤß fanden, oder wie es die Zu - „ hoͤrer auf die angenehmſte Art ruͤhren moͤchte.
„ Ariſtoteles betrachtet die Trauerſpiele, die „ auf die eine oder die andere von dieſen beyden „ Arten geſchrieben waren, und merket an, daß „ diejenigen, in welchen ein ungluͤcklicher Ausgang „ der Sache vorgeſtellt worden, allezeit dem Volk „ gefallen, und vor denen, die ſich gluͤcklich endig - „ ten, in dem oͤffentlichen Streit der Schaubuͤhne, „ den Preiß davon getragen haͤtten(*)Dieß war zu einer Zeit, da die Unterhaltung der Schaubuͤhne der Fuͤrſorge der Obrigkeitsperſonen empfohlen war; da die Preiße, um die man ſtritte, von dem Staat gegeben wurden; da folglich die Nacheiferung unter den Schriftſtellern feurig war; und da die Gelehrſamkeit in der beruͤhmten Repu - blick auf dem hoͤchſten Gipfel der Ehre ſtand. Es laͤßt ſich nicht vermuthen, daß die Athenienſer in dieſem Zeitalter, da ihr Geſchmack und feine Sit - ten auf das hoͤchſte geſtiegen waren, weniger Men - ſchenliebe, weniger Zaͤrtlichkeit beſeſſen haben ſollten, als wir itzo beſitzen. Allein ſie fuͤrchteten ſich nicht, geruͤhret zu werden, und ſchaͤmten ſich auch nicht, ſich geruͤhrt zu bezeigen: wenn ſie Ungluͤcksfaͤlle wohl geſchildert und vorgeſtellt ſahen. Kurz; ſie waren eben der Meynung, welcher der Weiſeſte unter den Menſchen geweſen iſt, daß es beſſer waͤre, in dasTrauer -.
„ Schre -899„ Schrecken und Mitleiden laſſen eine ange - „ nehme Angſt in dem Gemuͤthe zuruͤck, und hal -L l l 2„ ten(*)Trauerhaus, als in das Freudenhaus zu gehen, und hatten Muth genug, ſich bey ihrer edelmuͤthi - gen Traurigkeit auf ſich ſelbſt zu verlaſſen, weil ſie ihre Herzen dadurch gebeſſert befanden. So wuͤnſchten auch Horaz und die feineſten Roͤ - mer zu Auguſtus Zeiten geruͤhret zu werden:Ac ne forte putes, me, quae facere ipſe recu - ſem, Cum recte tractant alii, laudare maligne: Ille per extentum funem mihi poſſe videtur Ire poëta, meum qui pectus inaniter angit, Irritat, mulcet, falſis terroribus implet, Vt magus, et modo me Thebis, modo ponit Athenis. Dieſe Zeilen kann man ſo uͤberſetzen:Damit ich aber nicht das, was ich ſelbſt nicht kann, Geht es gleich noch ſo gut fuͤr andre Kuͤnſtler an, Aus Eiferſucht etwa nicht ſehr zu loben ſcheine: So wiſſe, was im Ernſt ich von der Sache meyne. Der Dichter, ſcheint es, hat ein ſchweres Werk gewagt, Der meine Bruſt bey nichts, als wie ein Zaubrer, plagt, Erhitzt, die Hitze ſtillt, mit falſchem Schrecken ruͤhret, Und mich bald nach Athen, und bald nach Theben fuͤhret. 900„ ten die Zuhoͤrer in einer ſo ernſthaften Faſſung „ der Gedanken, daß dieſelbe viel beſtaͤndiger und „ vergnuͤgter iſt, als alle kleine und vorbeygehende „ Aufwallungen von Freude und Beruhigung.
„ Dem zu folge finden wir, daß mehrere von „ unſern engliſchen Trauerſpielen, in welchen die „ geliebten Perſonen der Zuhoͤrer unter ihrem „ Elende verſinken, als von denen, in welchen ſie „ ſich aus demſelben wieder erhohlen, Beyfall ge - „ funden haben.
„ Die beſten Spiele von dieſer Art ſind: die „ Wayſe, das erhaltene Venedig, Alexander „ der Große, Theodoſius, alles aus Liebe, „ Oedipus, Oroonoko, Othello u. ſ. w.
„ Der Koͤnig Lear iſt ein bewundernswuͤr - „ diges Trauerſpiel von eben der Art; ſo wie es „ Shakeſpeare geſchrieben hat: allein ſo wie es „ nach dem ungeheuren Begriff von der poeti - „ ſchen, oder, wie wir wohl ſagen moͤgen, „ der wider die Vorſehung laufenden, Ge - „ rechtigkeit umgeſchmolzen iſt, hat es, meiner we - „ nigen Einſicht nach, die Haͤlfte von ſeiner Schoͤn - „ heit verlohren(*)Jedoch der neuere Geſchmack ſcheint von dem Ge - ſchmack der Alten ſo weit unterſchieden, daß der ver - aͤnderte Koͤnig Lear von Herrn Tate, vorzuͤglich vordem.
„ Unter -901„ Unterdeſſen muß ich zugleich geſtehen, daß „ man ſehr ſchoͤne Trauerſpiele hat, die nach dem „ andern Plan eingerichtet ſind und einen gluͤckli - „ chen Ausgang haben: wie in der That die mei - „ ſten von den guten Trauerſpielen, welche ſeit der „ Zeit geſchrieben ſind, da der obengedachte Grund - „ ſatz der Kunſtrichter aufgekommen, dieſe Be - „ ſchaffenheit haben; als die traurende Braut, „ Tamerlan(*)Jedoch leiden in dem Tamerlan zwo Perſonen von den liebenswuͤrdigſten Eigenſchaften, Moneſes und Aſpaſia, den Tod., Ulyſſes, Phaͤdra und Hip - „ polytus, nebſt den meiſten von Herrn Dryden. „ Jch muß auch geſtehen, daß viele vom Shake -L l l 3„ ſpeare(*)dem Urſtuͤcke, ob es gleich von Shakeſpeare ſelbſt geſchrieben iſt, beſtaͤndig auf der engliſchen Schau - buͤhne vorgeſtellt wird. ‒ ‒ Ob dieſer ſeltſame Vor - zug von der falſchen Bedenklichkeit oder gezwunge - nen Zaͤrtlichkeit der Spieler, oder der Zuhoͤrer her - komme, iſt viele Jahre her nicht verſucht worden. Und die erſtern haben vielleicht das Herz nicht, den oͤffentlichen Geſchmack daruͤber zu verſuchen. Gleich - wohl ſcheint es, wo es jemals zu verſuchen ſeyn ſollte, itzo die Zeit zu ſeyn: Da einer, der die Rol - len vorſtellt und einer, der die Einrichtung der Schauſpiele macht, in einer und eben derſelben Perſon vorhanden iſt, welcher in allem, was er un - ternimmt, oͤffentlichen Beyfall findet, und dieſem großen Meiſter menſchlicher Leidenſchaften ſo viel zu danken hat, und es auch ſo dankbar erkennet.902„ ſpeare und verſchiedne von den beruͤhmten Trauer - „ ſpielen der Alten auf eben die Art eingerichtet „ ſind. Jch ſtreite daher nicht wider dieſe Art, „ Trauerſpiele zu ſchreiben: ſondern wider den „ Grundſatz der Kunſtrichter, welcher dieß als die „ einzige Weiſe feſtſetzen moͤchte, und auf die Art „ die engliſchen Trauerſpiele ſehr einſchraͤnken, und „ vielleicht dem Witz unſerer Schriftſteller einen „ uͤbeln Hang geben wuͤrde. “
So weit Herr Addiſon.
Unſere unparteyiſche Leſer werden auch er - ſucht, auf dasjenige zu merken, was ein beruͤhm - ter Kunſtrichter(*)Rapin uͤber des Ariſtoteles Buch von der Dicht - kunſt. von einem benachbarten Vol - ke, nach den Regeln, die von eben dem großen Manne des Alterthumes feſtgeſetzt ſind, von der Natur und Abſicht der Trauerſpiele ſagt.
„ Trauerſpiele, ſchreibt er, machen den Men - „ ſchen beſcheiden; indem ſie die großen Herren „ der Erden gedemuͤthigt vorſtellen. Sie ma - „ chen ihn zaͤrtlich und barmherzig: indem ſie „ ihm die wunderlichen Zufaͤlle des Lebens „ und die unerwarteten Ungluͤcksfaͤlle, wel - „ chen die angeſehenſten Perſonen unterworfen „ ſind, zeigen.
„ Allein weil der Menſch von Natur zur Furcht „ und zum Mitleiden geneigt iſt: ſo kann er leicht„ in903„ in andere Ausſchweifungen gerathen. Allzu „ viele Furcht kann leicht die Standhaſtigkeit ſei - „ nes Gemuͤths erſchuͤttern: und allzu vieles Mit - „ leiden kann leicht ſeine Billigkeit verringern. „ Es gehoͤrt fuͤr die Trauerſpiele, dieſe beyden „ Schwachheiten regelmaͤßig zu lenken. Sie be - „ reiten ihn vor zu Ungluͤcksfaͤllen, und bewaff - „ nen ihn dagegen; indem ſie ihm zeigen, daß ſie „ bey den anſehnlichſten Perſonen ſo oft vorkom - „ men: und er wird ſich nicht mehr vor außeror - „ dentlichen Zufaͤllen fuͤrchten, wenn er ſiehet, daß „ ſie dem erhabenſten, und das Beyſpiel wird „ noch kraͤftiger werden, moͤgen wir hinzuſetzen, „ wenn er ſiehet, daß ſie dem beſten Theil der „ Menſchen begegnen.
„ Allein wie die Abſicht der Trauerſpiele iſt, „ die Menſchen zu lehren, daß ſie ſich nicht mit „ allzu großer Schwachheit vor gemeinen Un - „ gluͤcksfaͤllen fuͤrchten: ſo haben ſie auch den „ Zweck, ſie zu lehren, daß ſie ihr Mitleiden fuͤr „ Perſonen, die es verdienen, aufbehalten. Denn „ es iſt eine Ungerechtigkeit: wenn man durch „ die Drangſale ſolcher Leute, die ungluͤcklich zu „ ſeyn verdienen, geruͤhret wird. Wir koͤnnen, „ ohne Mitleiden, die Clytemneſtra durch ihren „ Sohn Oreſtes in dem Aeſchylus erſchlagen ſe - „ hen; weil ſie ihren Gemahl, Agamemnon, er - „ mordet hatte: und den Hippolytus koͤnnen wir „ nicht ohne Erbarmen durch die Raͤnke ſeinerL l l 4„ Stief -904„ Stiefmutter, beym Enripides ſterben ſehen; „ weil er um keiner andern Schuld willen ſtarb, „ als daß er keuſch und tugendhaft geweſen war. “
Dieß iſt das große Anſehen, welches denen Erzaͤhlungen, die ſich ungluͤcklich endigen, ſo vor - theilhaft iſt. Dennoch aber iſt der Verfaſſer von der Geſchichte der Clariſſa nach ſeiner gerin - gen Einſicht der Meynung, daß ihm ſelbſt dieje - nigen, welche die Vertheidiger der entgegengeſetz - ten Meynung ſind, es haͤtten zu gute halten moͤ - gen, wenn er ſich, zur Rechtfertigung der von ihm gebrauchten Aufloͤſung des Knotens, auf daſſelbe nicht berufen haͤtte: indem der Begriff, den man ſich von der poetiſchen Gerechtigkeit machet, und der ſich auf die neuern Regeln gruͤndet, ſchwerlich jemals in Werken von dieſer Art ge - nauer beobachtet iſt, als in der gegenwaͤrtigen Ar - beit; wo dem chriſtlichen Lehrgebaͤude, nach welchem es eingerichtet worden, noch irgend eini - ge Achtung bewieſen werden ſoll.
Denn iſt Herr Lovelace, der gegen die ſtaͤrke - ſten und oͤftereſten Ueberzeugungen und Gewiſ - ſensbiſſe, die jemals einem Gottloſen zugeſchickt ſind, ihn zu erwecken und auf beſſere Wege zu bringen, bey ſeinen ſchaͤndlichen Abſichten verhar - ren konnte ‒ ‒ Jſt dieſer große, dieſer vorſetzliche Uebertreter der Geſetze nicht ſo, wie er es ver - diente, geſtrafet worden: und iſt ſeine Strafe nicht durch die Nachricht von eden dem JoſephLehmann,905Lehmann, den er beſtochen hatte(*)Man ſehe den VIIten Th. den CXI. und CXIIten Brief., und durch Zuthun eben der Weibsbilder, die von ihm ge - misbraucht waren(**)Eben daſelbſt den CXIVten Brief nicht weit vom Ende., befoͤrdert ‒ ‒ Jſt nicht Herr Belton, der den beſchleunigten Tod ei - nes Onkels zu verantworten hatte(***)Eben daſelbſt den VIten Brief, in der Mitte. ‒ ‒ Jſt nicht die ganze Harloweiſche Familie ‒ ‒ Jſt nicht der ſchaͤndliche Tomlinſon ‒ ‒ Sind nicht die ſcheusliche Sinclair und ihre nichts - wuͤrdige Genoſſen ‒ ‒ Und ſo gar die gottlo - ſen Maͤgde und Bedienten, welche mit offnen Augen ihren Theil beytrugen, die ſchaͤndlichen Ab - ſichten ihrer Herrſchaften zu befoͤrdern ‒ ‒ Sind nicht dieſe alle gleichfalls exemplariſch ge - ſtrafet worden?
An der andern Seite; iſt nicht die Fraͤulein Howe fuͤr ihre edelmuͤthige Freundſchaft gegen die erhoͤhete Fraͤulein in ihrem Ungluͤck ‒ ‒ Jſt nicht Herr Hickmann fuͤr ſeine unſtraͤfliche Tu - gend und ſeinen guten Wandel ‒ ‒ Jſt nicht der bußfertige und nicht unedelmuͤthige Belford ‒ ‒ Jſt nicht die rechtſchaffene Norton, auf eine merkliche Art gluͤcklich gemachet?
Und wer, dem es mit ſeinem Bekenntniſſe des Chriſtenthums ein Ernſt iſt, wird den TodL l l 5der906der Clariſſa nicht vielmehr beneiden, als bedau - ren: da ihre Gottſeligkeit von ihrer erſten Kind - heit an, ihre weit und breit geuͤbten Werke der chriſtlichen Liebe, ihre ſtandhaftige Tugend, ihre chriſtliche Demuth, ihr verſoͤhnliches Gemuͤth, ihre Leutſeligkeit, ihre Ergebung in den goͤttlichen Willen, nur durch den Himmel allein belohnet werden konnten(*)Es kann vielleicht nicht undienlich ſeyn, den Leſer zu erinnern, daß die Haushaltungen der Vorſehung in ihren Ungluͤcksfaͤllen, ſo fruͤhe in dem Werke, als im II. Th. S. 400. 401. 402. 403. von ihr ſelbſt ge - rechtfertigt worden. So beſchließt ſie daſelbſt ihre Betrachtungen: „ Jch werde doch nicht ewig leben „ ‒ ‒ und ich wuͤnſche nur, daß mein Abtritt von „ der traurigen Schaubuͤhne dieſes Lebens gluͤcklich „ ſeyn moͤge. “ Sie ward ihres Wunſches gewaͤhret. Er war gluͤcklich.?
Wider die Weitlaͤuftigkeit des Werks ſind von einigen auch Einwuͤrfe gemacht worden, die nur die vier erſten Theile geſehen hatten, und es vielleicht fuͤr eine bloße Erzaͤhlung oder einen Roman hielten: und gleichwohl fehlt es bey Buͤchern dieſer Art ſelbſt nicht an Werken von gleicher Weitlaͤuftigkeit.
Sie ſind der Meynung geweſen, daß die Er - zaͤhlung zu langſam fortginge: ſonderlich in dem erſten und andern Theil, welche vornehmlich mit den Uneinigkeiten zwiſchen der Clariſſa und den verſchiedenen Perſonen von ihrer Familie ange - fuͤllt ſind.
Allein907Allein iſt es nicht wahr, daß dieſe Uneinigkei - ten der Grund von dem ganzen Werk und daher ein nothwendiger Theil deſſelben ſind? Die Brie - fe und Unterredungen, wo die Geſchichte am lang - ſamſten fortgehet, werden fuͤr diejenigen Stellen augeſehen, welche die Gemuͤthsarten der Per - ſonen ſchildern. Sie geben auch Gelegenheit, manche perſoͤnliche Umſtaͤnde von Wichtig - keit anzubringen, von welchen ein guter Theil der Belehrung, die einem Werke von dieſer Art we - ſentlich iſt, begleitet wird. Man wird ſich uͤber dieß erinnern, daß der Verfaſſer alſobald zu An - fange dem Leſer gemeldet, daß die Geſchichte nur als das Mittel, wodurch die Belehrung uͤberlie - fert werden ſollte, anzuſehen waͤre.
Zu allen dieſen Erinnerungen koͤnnen wir noch hinzuſetzen, daß es oft ſchlechterdings nothwendig geweſen, recht umſtaͤndlich und auf Kleinigkeiten aufmerkſam zu ſeyn, damit das wahrſcheinliche Anſehen beobachtet und beybehalten wuͤrde, wel - ches in einer Geſchichte nothwendig beybehalten werden muß, die eine wirkliche Lebensbeſchreibung abgeben ſoll; eine Beſchreibung von einem Leben, das durch die Raͤnke und Erfindungen, welche von einer der Hauptperſonen erdacht und auf die Bahn gebracht werden, ausnehmend geſchaͤfftig und wirkſam gemacht wird.
Mit einem Worte; wenn in der Geſchichte, die wir vor uns haben, befunden werden wird, daßder908der Witz und die Lebhaftigkeit durch und durch gehoͤrig vertheilt worden, daß die Charaktere man - nichfaltig und natuͤrlich, wohl unterſchieden, und gleichfoͤrmig fortgefuͤhret und beybehalten ſind; wenn ſich in derſelben eine Mannichfaltigkeit von Begebenheiten zeiget, die hinreichend iſt, Auf - merkſamkeit zu erwecken, und dieſe Begebenhei - ten ſo angebracht ſind, daß der Leſer allezeit wa - chend erhalten wird: ſo muß die Laͤnge nach Pro - portion das Vergnuͤgen vermehren, welches eine jede Perſon von Geſchmack bey einer wohlgetrof - fenen Abbildung der Natur empfindet. Wo aber das Gegentheil von allen dieſen Eigenſchaften dem Verſtande zu einem Anſtoße dienet: da wird die ausſchweifende Vorſtellung fuͤr ekelhaft und ver - drieslich gehalten werden; wenn ſie auch nicht laͤnger waͤre, als ein Zau - bermaͤrchen.
Wir Franz von Gottes Gnaden Erwaͤhlter Roͤmi - ſcher Kayſer, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, in Germanien und zu Jernſalem Koͤnig, Herzog zu Lothringen und Bar, Großherzog zu Toſeana, Fuͤrſt zu Charleville, Marggraf zu Nomeny, Graf zu Falken - ſtein ꝛc. ꝛc. Bekennen oͤffentlich mit dieſem Brief, und thun kund allermaͤnniglich, was maßen Uns Unſer und des Reichs Lieber Getreuer Abraham Vandenboeck, Univerſitaͤts-Buchhaͤndler in Goͤttingen, in Unterthaͤ - nigkeit vorgeſtellet, daß er die ganze Ueberſetzung aus dem Engliſchen in das Deutſche des aus verſchiedenen Theilen beſtehenden Werks, Clariſſa, die Geſchichte ei - nes vornehmen Frauenzimmers genannt, in Octavo zum Druck zu befoͤrdern in Willens habe. Nachdeme aber Derſelbe ſo wohl auf die Ueberſetzung als den ſau - bern Abdruck ſothanen Werks große Unkoſten anwen - den muͤſſe, und nicht unzeitig befuͤrchte, es duͤrften ge - winnſuͤchtige Leute erſtbeſagtes Buch zu ſeinem nicht geringen Schaden und Verluſt nachdrucken; als bit - tet er allerunterthaͤnigſt, Wir gnaͤdigſt geruheten, Jhm, ſeinen Erben und Nachkommen uͤber gedachtes Werk ein Kayſerliches Druckprivilegium auf zehen Jahr zu ertheilen. Wann nun Wir ſolch des Sup - plicantens demuͤthigſte Bitte mildeſt angeſehen; als haben Wir ihm Vandenhoeck, ſeinen Erben und Nach - kommen die Gnad gethan und Freyheit gegeben. Thun ſolches auch hiemit wiſſentlich in Kraft dieſes Briefs alſo und dergeſtalten, daß gedachter Abraham Van - denhoeck, ſeine Erben und Nachkommen oberwehntes Werk in offenen Druck auflegen, ausgehen, hin und wieder ausgeben, feil haben und verkauffen moͤgen, auch ihnen ſolches niemand ohne ihren Conſens, Wiſ - ſen oder Willen innerhalb zehen Jahren, von dato die - ſes Kayſerlichen Privilegii anzurechnen, im heiligen roͤmiſchen Reich noch unter dieſem, nach anderen Ti - tel, noch ganz, nach Extractweiß, weder in groͤßerem, noch kleinerem Form nachdrucken und verkauffen ſolle; und gebieten darauf allen und jeden Unſeren und des heil. Reichs Unterthanen und Getreuen; inſonderheitallenallen Buchdruckern, Buchfuͤhrern, Buchbindern und Buchhaͤndlern, bey Vermeidung einer Poen von fuͤnf Mark Loͤthigen Golds, die ein jeder, ſo oft er freventlich hierwider thaͤte, Uns halb in unſere kayſerliche Kam - mer, und den andern halben Theil mehr beſagten Van - denhoeck oder ſeinen Erben und Nachkommen unnach - laͤßlich zu bezahlen verfallen ſeyn ſolle, hiemit ernſtlich befehlend, und wollen, daß Jhr, noch einiger aus Euch ſelbſt, oder jemand von euertwegen obangeregtes Werk innerhalb denen beſtimmten zehen Jahren obver - ſtandener maßen nicht nachdrucket, diſtrahiret, feil - habet, umtraget oder verkauffet, noch auch ſolches anderen zu thun geſtattet, in keinerley Weiſe noch Wege, alles bey Vermeidung Unſerer kayſerlichen Un - gnade, und obbeſtimmter Poen der fuͤnf Mark Loͤthi - gen Golds, auch Verlierung deſſelben euren Drucks, den vielgemelder Vandenhoeck oder ſeine Erben und Nachkommen, oder deren Befehlshabere mit Huͤlf und Zuthnung eines jeden Orts Obrigkeit, wo ſie der - gleichen bey Euch und einem jeden finden werden, alſo gleich aus eigenem Gewalt, ohne Verhinderung man - niglichs zu ſich nehmen, und darmit nach ihrem Ge - fallen handeln und thun moͤgen, hingegen ſoll er Vandenhoeck ſchuldig und verbunden ſeyn, bey Ver - luſt dieſer kayſerlichen Freyheit die gewoͤhnliche Ex - emplarien zu Unſerem kayſerlichen Reichshofrath zu liefern, und dieſes Privilegium vorandrucken zu laſſen. Mit Urkund dieſes Briefs beſiegelt mit Unſerm kay - ſerlichen aufgedruckten Secretinſiegel, der geben iſt zu Wien den Eilften Februarii Anno 1749. Unſers Reichs im Vierten.
Franz (L. S.) Vt Graf Coloredo. Ad Mandatum Sac. Caeſ. Maje - ſtatis proprium J. J. Hayeck von Waldſtaͤtten.
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Fraktur
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