Ob ich gleich einige Tage her auf ein fei - nes und hoͤfliches Bezeigen geſonnen habe, und auch nicht dreiſt genug ge - weſen bin, die Masque voͤllig abzu - ziehen: ſo habe ich doch ſchon das ſchoͤne Kind durch die feurigen und dabey anſtaͤndigen Vor - ſtellungen von meiner Liebe ſo weit gebracht, daß ſie mehr als einmal in ſich gegangen iſt. Jch habe ſie ſo weit gebracht, daß ſie geſtanden hat, ich ſey ihr mehr, als gleichguͤltig. Da ich ihr aber weiter zuſetzte, ein Liebesbekenntniß heraus - zulocken: ſo war die Antwort: was braucht es dergleichen Geſtaͤndniß, wenn ein Frau - enzimmer ſchon in die Ehe williget? Ein - mal ſtieß ſie mich gar voll Misveranuͤgen zuruͤck, und ich mußte zugleich hoͤren, die wahre Lie - be, welche ich ihr gelobte, wuͤrde durch Ehrerbietung, nicht durch angemaßte Frey - heit bewieſen. Jch erbot mich zwar zu meiner Vertheidigung allein ſie gab mir zu verſtehen,Fuͤnfter Theil. Aſie2ſie haͤtte ſich niemals einen andern Begriff von einer tadelhaften Liebe machen koͤnnen, als daß ſich dieſelbe auf eine ſolche Art, wie die meinige zu thun ſuchte, an den Tag legen muͤßte.
Jch bemuͤhete mich, mein Feuer dadurch zu rechtfertigen, daß ich ihr eine allzuſtrenge Tugend zur Laſt legen wollte. Aller waͤre das ihr Fehler, wußte ſie mir gar bald zu ſagen, ſo waͤre es mei - ner gewiß nicht. Sie muͤßte mir frey geſtehen, daß ich ihr nicht im Stande zu ſeyn ſchiene, rich - tig zu unterſcheiden, was eigentlich zu einem rei - nen und lautern Herzen erfordert werde. Viel - leicht ſtuͤnde ich in der ſtolzen und doch falſchen Einbildung, die mit einer ausſchweifenden Le - bensart verbunden zu ſeyn pflegte, daß ein Herz wie das andere, und zwiſchen dem unreinen kein anderer Unterſchied waͤre, als den Erziehung und Gewohnheit machte ‒ ‒ Und gleichwohl koͤnnte durch die Gewohnheit allein, wie ſie bemerkte, ſo wohl eine gute als boͤſe Gemuͤthsverfaſſung zur andern Natur werden.
Eben itzo habe ich von einigen unſchuldigen Freyheiten, die ich mir in Gegenwart unſerer Frauenzimmer genommen, Rede und Antwort geben muͤſſen. Jch hielte mich dazu berechtiget, weil ſie nicht anders wiſſen, als daß wir getrau - et ſind, und nun in der Hoffnung ſtehen, auch bald als Eheleute mit einander zu leben.
Es3Es ward mir ſchwer, den Verweis meiner Geliebten anzunehmen. Jch wuͤnſchte mit Un - geduld den gluͤcklichen Tag und die frohe Stunde zu ſehen, da ich ſie ganz mein eigen nennen, und von einer ſo zarten Empfindlichkeit, die ihres gleichen nicht haͤtte, keinen Vorwurf erwarten duͤrfte.
Sie ſahe mich mit einer gewiſſen ſchamhaf - tigen Verachtung an. Jch hielte es fuͤr Verach - tung; und frug deswegen nach der Urſache: in - dem ich mir, wie ich ihr zu erkennen gab, keiner Beleidigung bewußt waͤre.
Herr Lovelace, war ihre Antwort, dieß iſt nicht das erſtemal, daß ich Urſache gehabt, uͤbel mit ihnen zufrieden zu ſeyn, wenn ſie vielleicht nicht daran gedacht haben, daß an Jhnen etwas aus - zuſetzen waͤre ‒ ‒ Allein ich muß Jhnen ſagen, der Eheſtand iſt in meinen Augen ein Stand der Reinigkeit, und, wo ich nicht irre, ſo ſetzte ſie dieß noch hinzu, nicht fuͤr ausſchweifende Freyheit; wenigſtens habe ich ſie ſo verſtanden.
Reinigkeit im Eheſtande, Bruder! Jn Wahrheit, das klingt recht, als wenn man jemand auf der Schaubuͤhne reden hoͤrte. Jhr ange - nehmen Kinder, es iſt ja doch die Haͤlfte von dem ſchoͤnen Geſchlechte willig und bereit, mit ei - nem liederlichen Kerl davon zu laufen: eben weil er ein liederlicher Kerl iſt, und aus keiner andern Urſache; ja wenn ſo gar alle andere Gruͤnde wider ihre Wahl ſtreiten.
A 2Haben4Haben wir beyde, Belford, nicht junge Wei - ber geſehn, die man haͤtte fuͤr beſcheiden halten ſollen, und die auch in ihrem ledigen Stande wahnwitzig ſchuͤchtern waren? Haben wir nicht geſehn, wie eben dieſe ihren loͤffelnden Maͤnnern oͤffentlich Freyheiten verſtatteten, die genugſam bewieſen, daß ſie die Pflichten der Klugheit oder des Wohlſtandes vergeſſen haͤtten: da unterdeſ - ſen alle beſcheidne Augen ſich vor der unverſchaͤm - ten Dreiſtigkeit zuſchloſſen, und ein jedes beſcheid - nes Angeſicht fuͤr jene, die nicht erroͤthen konn - ten; ſich uͤber und uͤber vor Schaam verfaͤrbte?
Jch that einſtens bey einer ſolchen Gelegen - heit einer Geſellſchaft von etwa einem Dutzend Perſonen, denen auf die Art ein Aergerniß gege - ben wurde, den Vorſchlag ſich zu entfernen, in - dem ſie ja nothwendig einſehen muͤßten, daß die Gemahlinn ſowohl als der Cavallier, noͤthig haͤt - ten, allein zu ſeyn. Dieſer Vorſchlag hatte an dem verliebten Paar ſeine Wirkung; und ich ward fuͤr den Verweis, den ich ihnen ihrer aus - gelaſſenen Freyheit wegen gegeben hatte, mit gro - ßem Beyfall erhoben.
Allein bey einer andern Gelegenheit von die - ſer Art handelte ich dem gemeinen Ruf von mir ein wenig mehr gemaͤß. Denn ich wagte es, ei - ne Braut in Verſuchung zu fuͤhren. Dazu waͤre ich gewiß nicht dreiſt genug geweſen: wenn das unverſchaͤmte und bloß leidende Verhalten, wom it ſie ihres in ſie vergafften Liebſten oͤffentli - che Taͤndeleyen annahm, und dabey mehr mitFroh -5Frohlocken als mit Schaam auf alle gegenwaͤr - tige Frauenzimmer um ſich herumſahe, meine Neubegierde nicht gereitzet haͤtte. Jch ward da - durch begierig zu wiſſen, ob ſie einem geheimen Freunde nicht eben die Gefaͤlligkeit erzeigen duͤrf - te. Es iſt wahr, ich mußte mich bey meiner Eh - re verpflichten, das Geheimniß bey mir zu be - halten. Allein niemals habe ich nach der Zeit das Turteltaͤubchen zu Geſichte bekommen, ohne an die gezweyte Zahl fuͤr ſie zu gedenken, und dem eingenommenen Ehemann fuͤr die gute Unter - weiſung ſeiner Frauen in meinem Herzen Dank zu ſagen.
Aus dem, was ich beruͤhret habe, wirſt du ſehen, daß ich die Einwendung meiner Geliebten gegen oͤffentliche Liebesbezeigungen billige. Das hoffe ich, iſt alles, was die kaltſinnige Schoͤne unter der Reinigkeit im Eheſtande ver - ſtehet.
Alles vorhergehende wird doch zu dem Schlu - ße fuͤhren, daß ich in den verſtrichnen Tagen zwar nicht bloß ein unſchluͤßiger Zauderer, kein Hickmann, aber doch auch nicht vollkommen ge - ſchaͤftig, kein Lovelace, geweſen bin.
Die werthe Schoͤne ſieht ſich itzt als meine kuͤnftige Gemahlinn an. Jhr Herz, das hiedurch erleichtert iſt, wird nicht laͤnger ſtolz ſeyn, und nunmehr, wie ich hoffe, ſich nicht wider eine jede Handlung einer ihr nicht misfaͤlligen Mannsper - ſon auflehnen. Jedoch muß ſie ſo viel an ſich halten, als noͤthig ſeyn wird, die vorige Unbieg -A 3ſam -6ſamkeit zu rechtfertigen. Manche artige Seele wuͤrde ſich ergeben, wenn ſie nicht beſorgte, daß die beguͤnſtigte Perſon deswegen eine ſchlechtere Meynung von ihr faſſen moͤchte. Das iſt auch ein Stuͤck von den Glaubensartikeln freyer Lieb - haber. Allein ſie mag noch ſo empfindlich ſeyn, ſo kann ſie doch nun mit mir nicht brechen. Denn thut ſie es, ſo wird die Ausſoͤhnung mit ih - ren Angehoͤrigen gaͤnzlich zuruͤckgehen; und das auf eine ihr ſelbſt hoͤchſtnachtheilige Weiſe.
Eben bin ich von der Rechts-Cammer zu - ruͤckgekommen. Jch habe einen Trauſchein ge - ſucht. Wahrlich, Bruder, ich muß den Ver - druß haben, daß ich eine Schwierigkeit finde, dieſen gaͤnzlich feſſelnden Freybrief zu erhalten: weil das Frauenzimmer von Stande und bemit - telt iſt, und ich keine Einwilligung vom Vater oder von den naͤchſten Freunden aufzuweiſen habe.
Jch erzaͤhlte meiner Geliebten dieſe Schwie - rigkeit. Es iſt gar recht, ſagte ſie, daß derglei - chen Einwendungen gemacht werden. Aber ge - wiß, Bruder, keinem Manne von meinen Um - ſtaͤnden, wie ſie ein jeder kennet: und wenn das Frauenzimmer auch eines Herzogs Tochter waͤre.
Jch frug, ob ſie mit der Eheſtiftung zufrie - den waͤre, und bekam zur Antwort, daß ſie dieſel - be mit meiner Mutter ihrer zuſammengehalten und nichts dagegen einzuwenden haͤtte. Sie ge - ſtand, ſie haͤtte an die Fraͤulein Howe ſowohl die - ſer Sache wegen, als auch um ihr von unſerergegen -7gegenwaͤrtigen Verfaſſung Nachricht zu geben, geſchrieben(*)Weil dieſer Brief der Fraͤulein nichts neues in ſich haͤlt, nichts, was man nicht aus dem Schreiben des Herrn Lovelace abnehmen koͤnn - te: ſo iſt er ausgelaſſen..
Dieſen Augenblick hat mir meine Geliebte bey vollkommen guter Laune den Entwurf der Eheſtiftung wieder zuruͤckgegeben, wovon ich eine Abſchrift an den Capitain Tomlinſon geſandt ha - be. Sie machte mir das Compliment, daß ſie in dergleichen Faͤllen niemals an meiner Ehre eini - gen Zweifel gehabt haͤtte. Jn Sachen, da Mann und Mann mit einander zu thun haben, weißt du wohl, hat noch niemand jemals daran ge - zweifelt. Aber du wirſt ſagen, es ſey auch hoͤchſt noͤthig, daß ich wenigſtens einige gute Eigen - ſchaften haͤtte.
Große Laſter und große Tugenden werden oft in einer Perſon beyſammen gefunden. Jch bin gleichwohl in keinem Stuͤcke ſehr arg: wenn es nur nicht auf die Weibsperſonen angeſehen iſt. Und hat nicht ſelbſt eine von ihnen mit mir zuerſt angefangen(**)S. den I. Theil den XXXI. Brief auf der 325. S.?
Wir haben dafuͤr gehalten, daß die Frauen - zimmer keine Seelen haͤtten. Jch bin ein aͤch - ter Jude in dieſem Stuͤcke. Jch bin geneigt zu glauben, daß ſie keine haben. Jſt es ſo: wem ſoll ich denn von dem, was ich ihnen gethan habe,A 4Rechen -8Rechenſchaft zu geben? Ja, ſie moͤgen auch See - len haben. Weil dennoch in jener Welt kein anderes Geſchlecht iſt, auch keines ſeyn darf, was kann ein Frauenzimmer uͤber Beleidigungen, die ihr in ihrem weiblichen Stande widerfahren ſind, alsdann fuͤr eine Klage fuͤhren, wenn es mit dem weiblichen Geſchlecht ein Ende hat?
Nunmehr muß ich beynahe daran verzweifeln, daß ich bey meiner kalten Schoͤnen durch Liebe oder Hoͤflichkeit etwas ausrichten ſollte. Es iſt, wie ich dir ſchon berichtet habe, eine Abſchrift von dem Entwurfe zur Eheſtiftung an den Capi - tain Tomlinſon geſandt; und zwar durch einen eignen Boten. Er wird wirklich ins Reine ge - bracht. Jch bin wiederum bey der Rechts - Cammer geweſen. Aller Wahrſcheinlichkeit nach wuͤrde ich mir durch Malorys Vermittelung ei - nen Trauſchein verſchaffet haben: wenn nicht ſein Freund, der Anwald, ploͤtzlich nach Ches - hunt geholet waͤre, einer alten Frauen ein Teſta - ment zu machen. Pritchard hat mir muͤndlich, ob ihn mein ſchoͤner Engel g eich nicht geſehen,alles,9alles, was ihr aus meines Onkels Briefe, den ich ihr nicht zeigen konnte, zu wiſſen noͤthig war, angebracht, und der Guͤter wegen, die mir bey meiner Heyrath uͤbertragen werden ſollen, mei - nen Willen vernommen. ‒ ‒ ‒ Dennoch iſt bey allem dieſen guͤnſtigen Anſchein kein guͤnſtiger Augenblick zu finden, keine fuͤr mich brauchbare Zaͤrtlichkeit zu erregen.
Es iſt wahr; ich habe ihr zweymal mit Ent - zuͤckung, die ſie einmal ungeſchliffen nannte, ei - nen Kuß gegeben. Aber jedesmal ward ſie uͤber die genommene Freyheit empfindlich und gieng weg. Doch muß ich ihr die Gerechtigkeit wie - derfahren laſſen, daß ſie ſo gewogen war, mir auf mein erſtes Bitten ihre Gegenwart wieder zu goͤnnen und der Urſache ihrer Entfernung mit keinem Worte zu gedenken.
Jſt es der Klugheit gemaͤß, ſich uͤber un - ſchuldige Freyheiten, die ſie nach ihren Umſtaͤn - den ſo bald verzeihen muß, ſo offenbar ungehalten zu bezeigen?
Allein die Frauenzimmer, welche uͤber die erſten Freyheiten nicht unempfindlich werden, ſind nothwendig verlohren. Denn die Liebe iſt eine Betriegerinn, die immer mehr Ein - griffe zu thun ſuchet. Sie geht niemals ruͤck - waͤrts. Sie trachtet immer weiter. Sie muß immer weiter trachten. Nichts als die letzte Gunſt, kann ſie befriedigen, wenn ihr einmal etwas eingeraͤumt iſt. Und was hat ein Liebha -A 5ber,10ber, der es nicht der Muͤhe werth achtet, den Frieden zu brechen, fuͤr Vortheile uͤber ſeine Ge - liebte, die denſelben mit aller Sorgfalt zu erhal - ten ſuchet?
Jtzt habe ich mich eben ſelbſt wohl zum zwoͤlf - ten mal zu einer halben Entſchließung gebracht. Tauſend angenehme Dinge habe ich ihr zu ſagen. Sie iſt in dem Speiſeſaale. Eben gieng ſie hin - auf. Wenn ſie da iſt: ſo erwartet ſie mich.
Aeußerſtes Misvergnuͤgen! ‒ ‒ das eine ploͤtzliche Entfernung nach ſich zog.
Jch hatte mich zu ihr geſetzet. Jch nahm ihre beyden Haͤnde in meine. So hatte ich es gewuͤnſcht. Meine Stimme war ganz gelinde und ſanft ‒ Jhres Vaters wurde mit Hochach - tung, ihrer Mutter mit Ehrerbietung erwaͤhnet. Selbſt von ihrem Bruder ward als von einem Freunde geſprochen. Jch haͤtte niemals gedacht, ſagte ich zu ihr, daß ich eine Ausſoͤhnung mit ih - ren Angehoͤrigen ſo ſehnlich wuͤnſchen koͤnnte, als ich ſie wirklich wuͤnſchte.
Dabey breitete ſich eine liebliche und dankge - fliſſene Roͤthe uͤber ihr ſchoͤnes Angeſicht aus. Bisweilen hub auch ein gelinder Seufzer ihr Halstuch in die Hoͤhe.
Jch haͤtte ein ſehr großes Verlangen, ſo fuhr ich fort, von dem Capitain Tomlinſon Nachricht einzuziehen. Es wuͤrde ihrem Onkel unmoͤglich ſeyn, an dem Entwurf der Eheſtiftung etwasaus -11auszuſetzen. Wie dem aber auch ſeyn moͤchte, ſo wollte ich es mit der Ueberſendung deſſelben nicht ſo gemeynet haben, als wenn ich geſonnen waͤre, den Auſſchub meines gluͤcklichen Tages ihrem On - kel freyzuſtellen. Wann, wann wuͤrde doch der be - ſtimmet ſeyn? Jch wollte wieder zu der Rechts - Cammer eilen und nicht ohne den Trauſchein zu - ruͤckkommen.
Jch ſchlug die Forſt zu unſerm Aufenthalte vor, ſo bald die gluͤckliche Vollziehung unſerer Ehe geſchehen waͤre. Jch ſchlug dazu dieſen und jenen Tag vor.
Es waͤre noch Zeit genug, antwortete ſie, den Tag zu benennen, wenn die Eheſtiftung voͤl - lig ausgefertiget und der Trauſchein erhalten waͤ - re. Gluͤcklich wuͤrde ſie ſeyn, wenn der guͤtige Capitain Tomlinſon ihres Onkels Gegenwart insgeheim auswirken koͤnnte!
Ein guter Wink! Vielleicht kann ich mir ihn zu Nutze machen; entweder Aufſchub zu ge - winnen, oder Frieden zu ſtiften.
Keine neue Verzoͤgerungen um des Himmels willen! So bat ich: indem ich ihr zugleich den bisherigen Verſchub hoͤflich vorhielte. Nennen ſie doch nur den Tag; einen baldigen Tag, etwa, wie ich hoffete, in der kuͤnftigen Woche ‒ ‒ da - mit ich zu ſeiner Naͤherung Gluͤck wuͤnſchen und die langſamen Stunden zaͤhlen moͤchte.
Jch legte meinen Kopf auf ihre Schulter. Jch kuͤßte ihre Haͤnde wechſelsweiſe. Sie ſtraͤub - te ſich mehr mit Schaam als mit Unwillen. Sie12Sie ſuchte ihre Haͤnde wegzuziehen, und mit ih - rer Schulter meinem darauf gelehnten Kopfe auszuweichen. Wie ich merkte, that ſie es un - gern. Noch vielweniger hatte ſie Luſt mit mir zu zanken. Jhr niedergeſchlagenes Auge ſagte mehr, als ihre Lippen aͤußern konnten. ‒ ‒ Nun, dachte ich, iſt es gewiß meine Zeit, zu verſuchen, ob ſie eine noch kuͤhnere Freyheit, als ich mir je - mals bisher genommen habe, verzeihen kann.
Jch lies ihr darauf ihre ringende Haͤnde los. Jch umfaßte ſie mit einem Arme. Jch kuͤßte ihren ſuͤßen Mund mit vielem Feuer. Sie ſagte nichts dazu, als: Seyn ſie doch geruhig, und wandte ihr Geſicht weg, als wenn ſie noch einen Kuß beſorgte.
Durch eine ſo gelinde Weigerung bekam ich noch mehr Muth. Jch redete auf das zaͤrtlich - ſte. Jch ſchob alsdenn mit der andern Hand das Halstuch weg, welches das Schoͤnſte unter allen Schoͤnheiten verdeckte, und druͤckte meine feurige Lippen an die reizungsvolle Bruſt, die meine ent - zuͤckte Augen jemals geſehen haben.
Aber den Augenblick fand ſich eine ganz an - dre Leidenſchaft bey ihr ein, als diejenige war, wodurch ihre Bruſt vorher mit ſo vieler Anmuth aufgeſchwollen. Sie riß ſich voll Unmuths aus meinen um ſie geſchlungenen Armen. Jch hiel - te ſie noch bey ihrer ringenden Hand. Laſſen ſie mich gehen, ſprach ſie. Jch ſehe wohl, man darf von ihnen nicht hoffen, daß ſie ſich in den gehoͤ - rigen Schranken halten werden. Niedertraͤchti -ger13ger Betrieger, der immer neue Eingriffe zu thun ſuchet! Hat es mit ihren Schmeichelworten ein ſolches Abſehen? ‒ ‒ So weit auch die Sache ſchon gegangen ſeyn mag: ſo will ich mich doch ihrer auf ewig entſagen. Sie haben ein haſſens - wuͤrdiges Herz. Laſſen ſie mich gehen, ich ſage es ihnen ‒ ‒
Jch mußte gehorchen, und ſie eilte mit Ge - walt von mir, indem ſie nur die vorigen Worte, niedertraͤchtiger, mit dem Zuſatz ſchmeichleri - ſcher, Betruͤger, wiederholte.
Vergebens habe ich durch die Dorcas um die verſprochene Gunſt, Mittagsmahlzeit mit ihr zu halten, inſtaͤndigſt erſuchen laſſen. Sie wollte zu Mittage gar nicht eſſen, hieß es: Sie koͤnnte es nicht.
Aber warum haͤlt ſie einen jeden Daumbreit von ihrer Perſon ſo heilig? ‒ ‒ Da doch die Zeit ſo nahe iſt in der ſie vermuthen muß, durch geſchloßnen Kauf und Eheſtiftung ganz und gar mein eigen zu ſeyn.
Sie hat ſonder Zweifel etwas von dem Kunſt - griff der morgenlaͤndiſchen Monarchen geleſen, die ſich den Augen ihrer Unterthanen deswegen entziehen, damit ſie von dieſen deſtomehr angebe - tet werden, wenn ſie es bey einigen feyerlichen Gelegenheiten fuͤr gut befinden, oͤffentlich zu er - ſcheinen.
Aber14Aber Belford, ich frage dich, ob nicht bey dieſen feyerlichen Gelegenheiten der vorreitende Zug, hier ein großer Kriegsbedienter und dort ein großer Rath, mit ihren Trabanten und ihrem blin - zenden Aufzuge, die Augen der bewundernden Zu - ſchauer nach und nach vorbereite, den blendenden Glanz der unter einem Himmel hervorleuchtenden Majeſtaͤt zu ertragen? Sollte dieſe ſelbſtgleich nur ein ſchlechter alter Mann ſeyn: ſo funkelt derſel - be doch in der vereinigten Pracht ſeines weiten Reiches.
Und ſollte ſich meine Geliebte nicht um ihrer ſelbſt willen nach und nach von der Goͤttlichkeit zur Menſchlichkeit herablaſſen? Jſt es Stolz, der ſie zuruͤckhaͤlt: muß denn nicht ein ſolcher Stolz geſtraft werden? Jſt es, wie bey den mor - genlaͤndiſchen Kayſern, ſowohl ein Kunſtgriff als Stolz: ſo iſt es etwas, das ſie unter allen Weibs - perſonen allein nicht noͤthig hat zu gebrauchen. Jſt es Schaam: was iſt denn das fuͤr eine Schaam, daß ſie ſich ſchaͤmet, ihren Anbeter das allerbewundernswuͤrdigſte von ihren perſoͤnlichen Reizungen ſehen zu laſſen?
Jch will des Todes ſeyn, Belford, wenn ich nicht die glanzreichſte Krone in der Welt fahren laſſen wollte, um nur das Vergnuͤgen zu haben, daß ich ein paar Zwillinge von Lovelace, an jeder ihrer ſchoͤnen Bruͤſte einen, die daraus ihre erſte Nahrung in ſich ſoͤgen, ſehen moͤchte. Dieß15Dieß Werk der muͤtterlichen Liebe ſollte nur einen Monath und nicht laͤnger dauren.
Mich deucht, ich ſehe ſchon itzt die Schoͤnſte unter den Weibern in dieſem angenehmen Dienſte begriffen. Jch ſehe, wie ſie mit ihren zarten Fingern einem jeden der begierigen Saͤuglinge wechſelsweiſe das edle Naß in den purpurrothen Mund druͤcket. Jch ſehe, wie ihr ſich be - wußtes Auge mit einem Seufzer von muͤtterli - cher Zaͤrtlichkeit bald auf den einen, bald auf den andern faͤllt, und ſich alsdenn zu meinem er - goͤtzten Auge aufſchlaͤget, voll von Wuͤnſchen um der artigen Buͤbchen und ihrer ſelbſt willen, daß ich ſie doch wuͤrdigen moͤchte, ſie zu recht - maͤßigen Kindern zu machen, daß ich mir doch gefallen laſſen moͤchte, die Feſſeln des ehlichen Bundes auf mich zu nehmen.
Ein Brief, den ich von dem braven Capitain Tomlinſon empfangen habe, hat mir denZutritt16Zutritt zu meiner Schoͤnen, eher als ich vielleicht ſonſt vorgelaſſen ſeyn moͤchte, eroͤffnet.
Mit zorniger Stirne trat ſie in den Speiſe - ſaal. Aber ich ſagte nicht ein Wort von dem, was vorgegangen war. Und ſo mußte ſich ihr Zorn in ſich ſelbſt verzehren.
„ Der Capitain meldet mir zuerſt, daß er fuͤr „ gut befunden nicht eher zu ſchreiben, als bis er „ den verſprochnen Entwurf von der Eheſtiftung „ bekommen haͤtte. Er berichtet hiernaͤchſt, ſein „ Freund, Herr Joh. Harlowe, haͤtte ſich bey der „ erſten Unterredung, ſo bald er zu Hauſe gekom - „ men, aͤußerſt entſetzet und wohl gar, wie er be - „ ſorgte, inniglich betruͤbet, als er gehoͤret, daß wir „ nicht verheyrathet waͤren. Die Welt, haͤtte er „ geſagt, die meine Art kennte, wuͤrde ſehr boͤſe „ urtheilen; wenn es bekannt werden ſollte, daß „ wir ſo lange unverheyrathet in einem Hauſe mit „ einander gelebet haͤtten: es moͤchte unſre Ehe - „ verbindung itzt auch noch ſo feyerlich vollzogen „ werden.
„ Sein Vetter Jacob, wuͤßte er gewiß, wuͤr - „ de gegen alle Vorſchlaͤge zu einer Ausſoͤhnung „ ein großes Werk daraus machen, und zwar mit „ deſto gluͤcklicherm Erfolg, weil in dem ganzen „ Koͤnigreiche keine Familie ſo eiferſuͤchtig fuͤr ihre „ Ehre waͤre. “
Dieß iſt wahr von den Harlowes, Bruder. Man hat ſie ſchon laͤngſt die ſtolzen Harlowes ge - nannt. Und ich habe allezeit befunden, daß aller junger Adel aufgeblaſen und empfindlich iſt.
Aber17Aber ſiehſt du nun, wie vollkommen ich auf dem rechten Wege geweſen bin, als ich mein ſchoͤ - nes Kind zu bereden ſuchte, ſie moͤchte ihres On - kels Freund doch in der Meynung laſſen, daß wir verheyrathet waͤren: ſonderlich da er ſchon, ehe er zu uns kam, vorbereitet war, es zu glau - ben, und da ihr Onkel hoffete, es wuͤrde ſo ſeyn? ‒ ‒ Allein es iſt nichts in der Welt ſo verkehrt, als ein Frauenzimmer, wenn es ſich einmal etwas in den Kopf geſetzet, und mit einem gelinden Manne, oder mit einem, der ſeine Ruhe liebet, zu thun hat.
Meine Geliebte ward bekuͤmmert. Sie zog ihr Schnupftuch hervor. Doch war ſie mehr mich, als ſich ſelbſt, anzuklagen geneigt.
Haͤtten ſie ihr Wort gehalten, Herr Lovelace, und mich, ſo bald wir nach London gekommen, verlaſſen ‒ ‒ Da brach ſie ab. Denn ſie wuß - te wohl, daß es ihre Schuld geweſen, daß wir nicht getrauet worden, ehe wir vom Lande weg - giengen. Wie konnte ich ſie aber nachher allei - ne laſſen, da ihr Bruder Anſchlaͤge ſchmiedete, ſie mit Gewalt wegzufuͤhren?
Er hat auch ſeine Anſchlaͤge noch nicht auf - gegeben. Denn wie der Capitain weiter ſchrei - bet, ſo hat „ Herr Joh. Harlowe ihm, ob wohl „ nur im Vertrauen, geſtanden, ſein Vetter gebe „ ſich noch bis dieſe Stunde Muͤhe unſern Aufent - „ halt aus zuforſchen. Da man von mir bey kei - „ nem meiner Anverwandten noch an denen Oer - „ tern, wo ich ſonſt meine Wohnung zu habenFuͤnfter Theil. Bpflegte,18„ pflegte, etwas hoͤrte: ſo ſey derſelbe verſichert, „ daß wir bey einander ſind. Daß wir aber in „ keinem Eheverbuͤndniſſe ſtehen, ſey aus dem noch „ ſo neulichen Antrag des Herrn Hickmanns an „ ihren Onkel, den er gewiß erfahren haben wuͤr - „ de, und aus der Bemuͤhung der Frau Norton „ bey ihrer Mutter, eben den Vorſchlag zu befoͤr - „ dern, ſattſam am Tage. Und er koͤnne nicht „ leiden, daß ich eines ſolchen Sieges in Ruhe ge - „ nießen ſollte.
Hiebey ward ein tiefer Seufzer gethan und das Schnupftuch wieder zu den Augen gehoben. Allein verdiente das angenehme Kind fuͤr ihre treuloſe Abſicht, mich ihrer ſelbſt zu berauben, nicht dieſe Vergeltung?
Jch las folgendergeſtalt weiter:
„ Herr Harlowe frug, warum denn ſeinem „ andern Freunde, der ſich erkundiget, geſagt waͤ - „ re, daß wir mit einander verheyrathet waͤren, „ und zwar von ſeiner Baſe eignem Cammer - „ Maͤdchen, die es doch wohl wiſſen mußte, die „ ſonder Zweifel uͤberzeugende Gruͤnde angeben „ konnte? ‒ ‒
Hier weinte ſie wieder, gieng queer uͤber das Zlmmer, und kam alsdenn zuruͤck ‒ Leſen ſie wei - ter, ſagte ſie ‒ ‒
Wollen ſie, mein wertheſter Engel, es ſelbſt leſen?
Jch will den Brief mit mir nehmen ‒ ‒ alſobald ‒ Jch kann nicht ſehen, ihn nun eben zu leſen ‒: Sie wiſchte ihre Augen ‒ ‒ Leſen ſieweiter.19weiter. Laſſen ſie mich ihn ganz hoͤren, daß ich ihre Meynung daruͤber vernehmen, und meine eigne ſagen kann.
„ Der Capitain erzaͤhlte hierauf ihrem Onkel „ Johann die Urſachen, die mich bewogen, vorzu - „ geben, daß wir verheyrathet waͤren. Er er - „ zaͤhlte ihm auch die Bedingungen, unter wel - „ chen meine Geliebte ſich dahin bringen laſſen, „ es nicht zu wiederrufen. Er bemerkte, daß eben „ dieſe uns, als Fremde nach dem ſtrengſten „ Wohlſtand mit einander umzugehen, verbun - „ den haͤtten. “
„ Allein meine gewoͤhnliche Art zu handeln „ haͤtte einen beſtaͤndigen Anſtoß gegeben. Herr „ Harlowe waͤre unzufrieden weggegangen. Der „ Capitain ſelbſt haͤtte ſich die Sache ſo nahe ge - „ hen laſſen, daß er nicht darauf geachtet, von „ dem Erfolg dieſer erſten Unterredung Nachricht „ zu geben.
„ Es waͤre aber, nachdem der Entwurf von „ der Eheſtiftung ihm zu Haͤnden gekommen, ei - „ ne andere, eben wie die vorige, um deſto gehei - „ mer zu verfahren, in ſeinem Hauſe gehalten „ worden. Bey dieſer haͤtte ſich der alte Herr, „ als er den Entwurf geleſen und des Capitains „ Meynung daruͤber gehoͤret, vergnuͤgter bezeiget. „ Jedoch haͤtte er frey herausgeſagt, es wuͤrde „ nicht leicht irgend eine andere Perſon von der „ Familie zu uͤberreden ſeyn, daß ſie von der Sa - „ che ſo vortheilhaft gedaͤchte, als er nunmehr zu „ thun geneigt waͤre, wenn ſie erfahren ſollten,B 2„ daß20„ daß wir ſo lange unverheyrathet mit einander „ gelebet.
„ Hierauf, ſchreibt der Capitain, haͤtte ſein „ wertheſter Freund einen Vorſchlag gethan. Er „ beſtuͤnde darinn: Wir ſollten uns ohne den „ geringſten Verzug trauen laſſen. Es „ muͤßte aber ſo geheim geſchehen als moͤg - „ lich waͤre. Er haͤtte bemerkt, daß wir „ ohne das es ſo zu thun geſonnen waͤren. An „ der Eheſtiftung koͤnnte er nichts ausſe - „ tzen. Jedoch vermuthete er, daß er zu „ deſto groͤßerer Beruhigung fuͤr ſich einen „ ſichern Freund von ſeiner Bekanntſchaft „ dabey zugegen ſeyn laſſen duͤrfte ‒ ‒
Hier hielt ich ein, und war willens boͤſe zu thun. Allein ſie verlangte, ich moͤchte fortleſen, und ich gehorchte ‒
„ Es muͤßte aber keine lebendige Seele, „ ausgenommen die ſichere Perſon, er ſelbſt „ und der Capitain, anders wiſſen, als daß „ wir von der Zeit an, da wir mit einander „ in einem Hauſe gelebet, verheytather ge - „ weſen. Auch muͤßte man dieſe Zeit ſo be - „ ſtimmen, daß ſie mit des Herrn Hickmanns „ Antrag an ihn von der Fraͤulein Howe „ uͤbereinkaͤme.
Dieß, mein liebſter Engel, ſagte ich, iſt ein ſehr bedaͤchtlicher Vorſchlag. Wir duͤrfen nur die Leute unten im Hauſe desfalls warnen. Jch haͤtte nicht gedacht, daß ihr Onkel Harlowe auf ein ſo geſchicktes Mittel fallen koͤnnte. Alleinſie21ſie ſehen, wie ſehr ihm die Ausſoͤhnung am Her - zen liege.
Was ſollte ich wohl fuͤr eine Antwort dar - auf bekommen? ‒ ‒ Sie haben, als ein Merk - maal ihrer Hoͤflichkeit, mir bey allen Gelegenhei - ten zu verſtehen gegeben, was ſie ſich fuͤr niedri - ge Gedancken von einem jeden meiner Angehoͤri - gen machen.
Doch du wirſt dencken, Belford, daß ich ihr den Verweis zu gute halten koͤnnte.
„ Der Capitain fuͤgt hinzu, er wiſſe nicht, „ wie dieſer Vorſchlag uns gefallen duͤrfte. Sei - „ nes Theils aber halte er ihn fuͤr ein bequemes „ Mittel, vielen Schwierigkeiten vorzubeugen, „ und den fernern Anſchlaͤgen des Herrn Jacob „ Harlowe vielleicht ein Ende zu machen. Des - „ wegen habe er ſich ſchon auf des Onkels Rath „ gegen zwo verſchiedne Perſonen, durch die es „ dem jungen Cavallier leicht zu Ohren kommen „ moͤchte, herausgelaſſen, daß er ſehr große Urſa - „ che habe zu glauben, daß wir gleich, nachdem „ des Herrn Hickmanns Antrag fruchtlos gewe - „ ſen, ehelich verbunden waͤren. “
„ Und dieſes, Herr Lovelace, ſchreibt der Ca - „ pitain ferner, wird Jhnen ein Recht geben, der „ Familie ein Compliment zu machen, das ſich „ zu einigen edelmuͤthigen Anerbietungen, welche „ ſie dem Fraͤulein in meiner Gegenwart zu thun „ beliebet, und Herr Joh. Harlowe ſich zur Be - „ foͤrderung der Ausſoͤhnung einigermaßen zu „ Nutze machen kann, nicht uͤbel ſchicken wird. B 3„ Es22„ Es iſt ja unter den Umſtaͤnden eine beſondre „ Hoͤflichkeit von ihnen, daß ſie ihrer Fraͤulein „ Gut nicht ſo bald, als ſie dazu berechtiget gewe - „ ſen, gefordert haben. “ Ein trefflicher Kopf, Raͤnke auszuſinnen! So muß meine Schoͤne hiebey nothwendig von dem braven Herrn Tom - linſon gedacht haben.
Der Capitain ſetzt aber noch weiter hinzu, „ wenn entweder der Fraͤulein oder mir ſeine Er - „ zaͤhlung von unſerm Eheverbuͤndniſſe nicht an - „ genehm waͤre, ſo wolle er ſie wiederrufen. Je - „ doch muͤſſe er mir frey bekennen, daß ſich Herr „ Joh. Harlowe dieß vorgeſchlagene Mittel die „ Sache zu treiben, als das einzige ſeiner Mey - „ nung nach, welches zu einer allgemeinen Aus - „ ſoͤhnung mit Erfolge zu gebrauchen ſey, ſehr feſt „ in den Kopf geſetzt habe. Allein wenn wir es „ genehm halten ſollten, ſo bitte er meine Schoͤ - „ ne, den begluͤckten Tag fuͤr mich nicht zu ver - „ ſchieben, damit er doch wenigſtens durch die „ Wahrheit der Hauptſache zu dem, was er ſpraͤ - „ che, berechtiget waͤre. “ Wie gewiſſenhaft iſt dieſer gute Mann! „ Man duͤrfe auch nicht er - „ warten, ſchreibt er, daß ihr Onkel eher zu der „ gewuͤnſchten Verſoͤhnung nur einen Schritt „ thun werde, als bis die Trauung wirklich ge - „ ſchehen iſt. “
Endlich meldet er noch, „ daß er bald in an - „ dern Geſchaͤfften zur Stadt kommen werde, und „ ſchlaͤgt vor, uns alsdenn zu beſuchen, und von „ allem, was zwiſchen Herrn Harlowe und ihm„ vor -23„ vorgefallen, oder weiter vorſallen duͤrſte, um - „ ſtaͤndlichere Nachricht zu geben. “
Was ſagen ſie nun, mein liebſtes Leben, was ſagen ſie zu ihres Onkels Vorſchlag? Soll ich an den Capitain ſchreiben, und ihm melden, daß wir nichts dagegen einzuwenden haben?
Sie ſchwieg einige Minuten lang ſtille. Endlich kam ein Seufzer! ‒ ‒ Sehen ſie, Herr Lovelace, ſprach ſie, wie weit ſie mich durch ihre krumme Wege gebracht haben! Sehen ſie, in was fuͤr Ungluͤck ich gerathen bin! ‒ ‒ Wahr - lich ſie haben nicht als ein weiſer Mann ge - handelt.
Erinnern ſie ſich denn nicht, mein liebſter Engel, wie inſtaͤndig ich um die Ehre, ihrer Hand gewuͤrdiget zu werden, ehe wir zur Stadt kaͤmen, angehalten habe? Waͤren ſie mir da - mals ſo geneigt geweſen ‒ ‒
Gut, gut, Herr ‒ ‒ Es iſt bey unſerer Sa - che an einer oder der andern Seite viel verſehen. Das iſt alles, was ich itzo ſagen will. Und da geſchehne Dinge nicht zu aͤndern ſtehen: ſo denke ich, man muß meinem Onkel gehorſam ſeyn.
Wie reizend iſt ſie in Beobachtung der Pflich - ten! ‒ Mir war unter den Umſtaͤnden nichts an - ders uͤbrig, als daß ich auf das inſtaͤndigſte um die Ernennung des gluͤcklichen Tages anhielte, damit ich dem wuͤrdigen Capitain und ihrem Onkel nichts nachgeben moͤchte. Das that ich mit vielem Eifer. Allein ſie wiederhohlte nur ihreB 4vorige24vorige Antwort, wie ich mir leicht vorſtellen konn - te, es waͤre Zeit genug den Tag zu benennen, wenn die Eheſtiftung voͤllig ausgefertiget, und der Trauſchein erhalten waͤre. Und o! Herr Lo - velace, fuhr ſie fort, indem ſie ſich mit einem un - nachahmlich zaͤrtlichen Reize und dem Schnupf - tuche an ihren Augen, von mir wandte, o! was fuͤr eine Gluͤckſeligkeit, wenn von meinem lieben Onkel ſo viel zu erhalten ſtuͤnde, daß er bey die - ſer Gelegenheit perſoͤnlich ein Vater fuͤr das ar - me vaterloſe Maͤdchen ſeyn wollte.
Was ſicht mich das an! ‒ ‒ Wo kommt dieſer Thautropfe her! ‒ ‒ Ein Thraͤnlein! ‒ ‒ So wahr ich lebe, es iſt ein Thraͤnlein, Bruder! ‒ ‒ Die ſitzen ſehr los, deucht mich ‒ ‒ Beym bloßen Vorleſen! ‒ ‒ Aber eben ſtand ihr leben - diges Bild in eben der Stellung, und mit eben denſelben Mienen, womit ſie die Worte ſprach, wieder vor mir ‒ ‒ Und in der That, damals, als ſie dieſelben ausſprach, fielen mir dieſe Zeilen von Schakeſpeare ein:
Dein Herz iſt dir zu ſchwer: Geh eilend fortund weine.Der Kummer hat geſiegt: Geh hin und bleiballeine.Denn weil in deinem Aug itzt Trauerperlenſtehn:So wollen mir bereits die Augen uͤbergehn.
Jch gieng weg und ſchrieb folgendes an den Capitain: „ Er moͤchte die Guͤte haben, ſeinemwer -25„ werthen Freunde zu melden, daß wir mit ſei - „ nem Vorſchlag vollkommen zufrieden waͤren, „ und bereits die Frauenzimmer im Hauſe nebſt „ ihren und unſern eignen Bedienten desfalls ge - „ warnet haͤtten, gehoͤrige Vorſichtigkeit zu ge - „ brauchen. Wollte derſelbe mich perſoͤnlich „ durch die Hand ſeiner wertheſten Baſe gluͤck - „ lich machen: ſo wuͤrde das unſerer beyden Wuͤn - „ ſche kroͤnen. Jn dem Fall ſollte der ihm belie - „ bige Tag, weil ich hoffte daß es ein naher Tag „ ſeyn wuͤrde, auch uns beliebig ſeyn. Auf die „ Art wuͤrde das Geheimniß in wenigern Haͤn - „ den bleiben. Jch waͤre ſelbſt der Meynung, „ daß die Trauung, wenn ſie auch noch ſo geheim „ geſchaͤhe, niemals zu geheim vollzogen werden „ koͤnnte: nicht nur um der weiſen Abſicht wil - „ len, die er dadurch zu erhalten geſonnen waͤre; „ ſondern auch deswegen, weil ich nicht gerne ſaͤ - „ he, daß mein Onkel, Lord M ‒ ‒, ſich fuͤr nach - „ geſetzet halten ſollte. Dieſer waͤre willens ge - „ weſen, wie ich dem Capitain ſchon erzaͤhlet haͤt - „ te, bey unſerer Vermaͤhlung Vaters Stelle zu „ vertreten: wenn wir ſein guͤtiges Anerbieten „ nicht deswegen von uns abgelehnet haͤtten, da - „ mit wir ein oͤffentliches Hochzeitfeſt vermeiden „ moͤchten. Denn dazu wollte ſeine geliebte Ba - „ ſe ſich nimmermehr entſchließen, ſo lange ſie bey „ ihren Freunden in Ungnade ſtuͤnde ‒ ‒ Sollte „ er es aber nicht fuͤr gut befinden, uns dieſe Eh - „ re zu erweiſen: ſo wuͤnſchte ich, daß der Capi - „ tain Tomlinſon die zuverlaͤßige Perſon ſeynB 5„ moͤchte,26„ moͤchte, die er bey dieſer gluͤcklichen Gelegenheit „ zugegen ſeyn laſſen wollte. “
Jch zeigte dieſen Brief meiner Schoͤnen. Sie war nicht uͤbel damit zufrieden. So ſiehſt du wohl, Bruder, daß wir nun mit der Eheſtif - tung und dem Trauſcheine nicht zu geſchwinde eilen koͤnnen. Der Vollziehungstag iſt der ih - rem Onkel oder vielleicht dem Capitain Tom - linſon beliebige Tag: wie es die Gelegenheit am beſten geben wird. Den Abſichten der Fraͤu - lein Howe mit der Zollbetriegerinn iſt nun auf alle Faͤlle gewiß vorgebeuget.
Doch, ich will dich nicht zum voraus von al - len denen Vortheilen, die wir von dieſen meinen geſchmiedeten und wohl uͤberdachten Raͤnken zu - wachſen moͤgen, urtheilen laſſen. Warum wol - len mich dieſe Maͤdchen auf meine Meiſterſtrei - che bringen?
Nun kommt es auf eine kleine Mine an, die ich im Begriff bin ſpringen zu laſſen: die erſte, und auf den Fuß, wie ich ſtehe, bald ſchluͤßig, bald reuevoll, vielleicht auch die letzte.
Jch nenne es nur eine kleine Mine. Allein ſie kann vielleicht große Wirkung thun. Es ſey, wie es wolle, ſo will ich es doch auf den Erfolg hievon nicht ſchlechterdings ankommen laſſen. Jch habe noch mehrere, die weit ſicherer ihre Wirkung thun, in Bereitſchaft. Und gleichwohl werden oft große Maſchinen durch kleine Trieb - federn beweget. Ein kleiner Funke, der von ohn -gefaͤhr27gefaͤhr in ein Pulvermagazin gefallen iſt, hat bisweilen mehr ausgerichtet, als hundert Ca - nonen.
Wenn es auch noch ſo arg geht: ſo muß die Hochzeitsfackel und eine weiſſe Schuͤrze meine amende honorable, wie die Franzoſen ſa - gen, oder meine ehrliche Strafe ſeyn.
So wenig ich auch bisher durch meine Vor - ſtellungen bey dir ausgerichtet habe, ſo kann ich es doch nicht uͤbers Herze bringen, daß ich zum Beſten dieſes wundernswuͤrdigen Frauen - zimmers nicht noch einmal mehr ſchreiben ſollte. Und gleichwohl bin ich ſelbſt nicht im Stande, von dem Eifer, der mich ihre Partey ſo ernſt - lich und aufrichtig zu nehmen antreibt, Grund zu geben.
Allein du erkenneſt ihren ganzen Werth. Du geſteheſt deine eigne Unart und ruͤhmeſt dich ſo gar damit. Was iſt denn fuͤr Hoffnung uͤbrig, einen ſo verſtockten Menſchen zu bewegen? ‒ ‒ Jedoch es iſt noch nicht zu ſpaͤt und du biſt itzo unter ſolchen Umſtaͤnden, die von deinem kuͤnfti - gen Zuſtande den Ausſchlag geben werden. Des -wegen28wegen hab ich mich entſchloſſen, zu verſuchen, was noch ein Brief ausrichten duͤrſte. Wirkt er nichts gutes: ſo iſt doch nur mein Schreiben ver - lohren. Willſt du mich aber etwas uͤber dich vermoͤgen laſſen: ſo weiß ich, du wirſt mich nach dieſem uͤberfluͤßig berechtiget achten, Dank von dir zu fordern.
Weitlaͤuftige Beweiſe zu fuͤhren, wuͤrde bey dir eine Thorheit ſeyn. Die Sache erfordert es auch nicht. Jch will dich alſo nur auf das in - ſtaͤndigſte bitten, daß du doch einen ſolchen Aus - bund von tugendhaften Frauenzimmern nicht der Belohnung ihrer wachſamen Tugend verluſtig machen wolleſt.
Jch glaube, es ſind niemals ſo arge Frey - geiſter in Anſehung der Lebensart geweſen, die nicht den Vorſatz gehabt haben ſollten, in einem oder dem andern kuͤnftigen Zeitlauf ihres Lebens auf Beſſerung zu gedenken. Erlaube mir denn, dich zu bitten, daß du bey dieſer wichtigen Sa - che deine zukuͤnftige Buße dir ſo leicht machen moͤgeſt, als du etwa einige Zeit hernach gethan zu haben wuͤnſchen duͤrfteſt. Wenn du nach dei - nen Anſchlaͤgen fortgeheſt: ſo zweifle ich gar nicht, die Sache wird auf eine oder die andre Wei - ſe ein trauriges Ende nehmen. Es muß noth - wendig ſo ſeyn. Ein ſolches Frauenzimmer muß Gott und Menſchen auf ihrer Seite haben. Was ich aber am meiſten beſorge, iſt dieß, daß ſie, vor Herzeleid uͤber die an ihr veruͤbte Schande, mit eigner Hand, als eine andere Lucretia, dieReinig -29Reinigkeit ihres Herzens außer Zweifel ſetzen, oder, wenn ihre Froͤmmigkeit ſie vor einem ſo ge - waltſamen Tode bewahret, der nagende Kummer ihren Tagen bald ein Ziel ſetzen werde. Und wuͤr - de nicht in einem jeden von dieſen Faͤllen das An - denken deiner ewigen Schuld, und deines ver - gaͤnglichen, kurzen Sieges, eine Quaal uͤber alle Quaal fuͤr dich ſeyn?
Es iſt in der That doch eine recht betruͤbte Sache, daß ein ſo artiges Frauenzimmer in ſo unartige und gewiſſenloſe Haͤnde fallen muͤſſen. Denn du haſt von deiner Wiegen an, wie ich dich ſelbſt habe geſtehen hoͤren, ein Vergnuͤgen daran gefunden, allezeit dasjenige Thier, das du liebteſt und woruͤber du Gewalt hatteſt, es mochte Vo - gel oder ſonſt ein Thier ſeyn, durch dein Spiel zu beunruhigen und zu quaͤlen.
Was hat es fuͤr eine verſchiedne Bewandniß mit dieſem liebenswuͤrdigen Frauenzimmer und allen andern Weibsperſonen, die du jemals ver - fuͤhret haſt! Jch darf dir nicht den Unterſchied, der allen in die Augen faͤllt, zu Gemuͤthe fuͤhren. Darauf habe ich nicht noͤthig zu beſtehen. Es iſt genug, daß Gerechtigkeit, Dankbarkeit, dein eigner Vortheil, deine Geluͤbde, alle dich verbin - den, und du ſie gewiß, ſo weit du zu lieben im Stande biſt, uͤber alle andre von ihrem Geſchlech - te liebeſt. Es iſt genug, daß ſie nicht durch Liſt auf Abwege zu bringen ſtehet, nicht verleitet wer - den kann, durch Leichtglaubigkeit oder Mangel an Verſtand und Ueberlegung ihr Leiden zu verdie -nen;30nen; welches bey einem ſo feinen Verſtande, als ſie beſitzet, ihr in ihrem Ungluͤcke eine neue herzna - gende Betrachtung ſeyn wird. Und doch iſt der Streit zwiſchen euch ſehr ungleich, wie er zwi - ſchen der bloßen Unſchuld und einer bewaffneten Bosheit ſeyn muß. Denn in einem jeden an - dern Stuͤcke uͤbertreffen ihre Gaben die deinigen ſehr weit. Das geſtehſt du ſelbſt ‒ ‒ Wie un - ertraͤglich wird ihr Schickſal ſeyn: wofern du nicht endlich durch deine wiederhohlten Gewiſ - ſensbiſſe uͤberwunden wirſt!
Zuerſt, als ich die Erlaubniß hatte, ſie zu ſe - hen, ehe ich ihr beſonderes und ruͤhrendes We - ſen bemerkte, ehe ich ſie ſprechen hoͤrte, vermuthe - te ich in der That, daß ſie eben keinen ſo außeror - dentlichen Verſtand beſaͤße, womit ſie groß thun duͤrfte. Denn ich dachte, ich ließe ihr ſchon voll - kommen Gerechtigkeit widerfahren, wenn ich ihre bluͤhende Jugend, die Liebenswuͤrdigkeit ihrer Perſon, und die ungezwungne Art ſich zu putzen, worauf ſie meiner Meynung nach die Haͤlfte ih - rer Zeit und Bemuͤhung verwandt haben muͤßte, fuͤr lobenswuͤrdig erkennete. Und gleichwohl war ich ſchon von dir vorbereitet, daß ich mir von ih - rer Einſicht und Beleſenheit ſehr hohe Gedan - ken machen ſollte. Allein ihre Entſchließung, ſich mit einem ſo luſtigen Bruder auf ſo wagli - che Bedingungen einzulaſſen, dachte ich, iſt ein ſicherer Beweis, daß es ihrem Verſtande noch an derjenigen Reife fehlet, die nur Jahre und Erfahrung zuwege bringen. Jhr Erkennt -niß,31niß, ſchloß ich bey mir ſelbſt, muß alles auf bloße Betrachtungen ankommen, und noch nicht zur Ausuͤbung gebracht ſeyn. Die Gefaͤlligkeit, welche allemal mit einem ſo bluͤhenden und mun - tern Alter verbunden iſt, wird ein ſo unerfahrnes Frauenzimmer wenigſtens abhalten, ſich uͤber freye Reden, woraus die gegenwaͤrtigen Perſo - nen von ihrem Geſchlechte und einige von unſerm, die ſo gelehrt, ſo wohl beleſen und wohl gereiſet ſind, ſich kein Verbrechen machen, misvergnuͤgt zu bezeigen.
Jn dieſem Wahne verſuchte ich mein Heil. Weil ich in meinen Gedanken vor der ganzen Ge - ſellſchaft, dich ausgenommen, den Vorzug hatte, und in ihren Augen gern fuͤr einen recht verſchla - genen Kopf angeſehen ſeyn wollte: ſo dacht ich, ich ließe mich recht ſehen, wenn ich etwas alber - nes ſagte, das mehr Klang, als Verſtand, hatte. Und wenn ich einen thoͤrichten Spaß machte, woruͤber deine Sinclair und die ſcheinbare Par - tington lachen mußte, die Fraͤulein Harlowe aber nicht einmal laͤchelte: ſo ſchrieb ich das entwe - der ihrer Jugend, oder einem gezwungenen We - ſen, oder einer Miſchung von beyden, vielleicht auch einer groͤßern Gewalt uͤber ihre Mienen und Gebeerden zu. ‒ ‒ Es traͤumte mir nichts weni - ger, als daß ich mir die ganze Zeit uͤber ihre Ver - achtung zuziehen ſollte.
Allein wie geſagt, ſo bald ich ſie ſprechen hoͤr - te; und das geſchahe nicht eher, als bis ſie uns alle von Grunde aus erforſchet hatte; ſo bald ichihre32ihre Meynung uͤber zwey oder drey Stuͤcke ver - nahm und auf das forſchende Auge, das bis in die innerſten Zellen unſers aufgeblaſenen Gehirns ſchoß, Achtung gab: ſo mußte ich bey meiner Treue in mich gehen. Jch fing an zu mir ſelbſt zu kommen und mich vor allem, was ich zuvor geredet hatte, zu ſchaͤmen. Kurz, ich entſchloß mich, ſtille zu ſitzen, bis alle herum geſchwatzt haͤtten, damit ich meine Thorheit im Zaume hal - ten moͤchte. Hierauf brachte ich die Dinge auf die Bahn, woruͤber ſie ſich einlaſſen konnte, und auch zu ſo vieler Verwirrung und Beſtuͤrzung eines jeden von uns wirklich einließ. Denn bey dir ſelbſt, Lovelace, war es ſtockfinſter, und du mußteſt eben ſo wohl, als wir, in dich gehen: ſo angeſehen dich auch ſonſt dein ſeiner Witz, deine Geſchwindigkeit alles zu beantworten, und deine Fertigkeit andere aufzuziehen, woran ſich alle, die mit dir umgehen, vergnuͤgen, laͤngſt gemachet haben.
Jch will dich nur an ein einziges Beyſpiel hievon erinnern. Wir ſchwatzten einmal uͤber das andere von Witz und Verſtand. Wir ſuchten alle damit zu prangen. Wir ſpielten da - mit, als mit einem Balle, den wir uns einan - der zuwarfen und zuletzt vorzuͤglich dir uͤberließen. Denn du haſt dich allezeit mit dieſer Geſchicklich - keit groß genug gemacht. Damals ſuchteſt du es noch mehr, als ſonſt, zu thun: weil du uns, ſo viel ich weiß, nur darum verſammlet hatteſt, daß du der Fraͤulein deine Vorzuͤge vor uns, unduns33uns deinen Sieg uͤber ſie zeigen moͤchteſt. Hier - auf ſagte Tourville, der ſich allemal mit dem Witz aus der andern Hand, mit dem Witz aus dem Gedaͤchtniſſe, mit fremden Witze begnuͤgen laͤſſet, einige gebundne Zeilen her, die ſich zu der Sache ſchickten. Zween von uns gaben ihren Beyfall daruͤber zu erkennen; ob ſie gleich voll Zweydeu - tigkeit waren. Du wandteſt dich zu der Fraͤu - lein, weil du ihr ernſthaftes Geſicht bey einer Stelle von dieſen Zeilen bemerkteſt, und bateſt, daß ſie uns ihre Gedanken, von dem Witze eroͤff - nen moͤchte: einer Eigenſchaft, ſagteſt du, die ein jeder ſchaͤtzte, er moͤchte ſie nun an ſich, oder an andern wahrnehmen.
Den Augenblick zog ſie alle unſre Aufmerk - ſamkeit auf ſich. Es waͤre eine Eigenſchaft, ſprach ſie, wovon viel geſchwatzet, aber, wie ſie glaubte, ſehr wenig verſtanden wuͤrde. Wenig - ſtens muͤßte ſie geſtehen, wenn ſie alſo frey ſeyn duͤrfte, ihr Urtheil nach dem, was in der gegen - waͤrtigen Geſellſchaft vorgefallen, davon zu faͤllen, daß Witz und Verſtand bey Mannsperſonen et - was anderes und bey Frauenzimmern wiederum ganz etwas anders waͤre.
Dieß ſetzte uns alle in Verwirrung ‒ ‒ Wie ſahen unſre Weibsbilder auf! Wie zogen ſie den Mund wieder ein, den kurz vorher ein freyes La - chen uͤber die hergeſagten Zeilen aus den Falten gebracht hatte! Wie wir an ihren Blicken merk - ten: ſo hatten ſie dieſelben ſehr wohl verſtanden. Unterdeſſen erſuchte ich die Fraͤulein, uns zu un -Fuͤnfter Theil. Cſerer34ſerer Belehrung wiſſen zu laſſen, was Verſtand und Witz bey den Frauenzimmern hieße: denn ich waͤre verſichert, daß es eben das bey Manns - perſonen ſeyn muͤßte.
Cowley, verſetzte ſie, haͤtte ihn verneinungs - weiſe gar artig erklaͤret.
Du bateſt, ſie moͤchte uns ſeine Erklaͤrung wiederholen.
Sie that es, und zwar mit einer ſo reizenden Fertigkeit, mit einem ſo ſchoͤnen und geſchickten Tone, daß wohl ein ſchlechtes Gedichte dadurch anmuthsvoll geworden waͤre.
Hier brach ſie ab, und ſahe auf uns alle um ſich herum, wie es mir vorkam, mit der Ueber - zeugung von ihrem Vorzuge. O Himmel, wie ſtarre ſahen wir! Du verſuchteſt inzwiſchen, uns deine Erklaͤrung von dem Witze zu geben, damit du nur etwas zu ſagen und nicht das Anſehn ha -ben35ben moͤchteſt, als wenn du ſo beſtuͤrzt geworden waͤreſt, daß du nichts als ein beſcheidnes Still - ſchweigen aͤußern koͤnnteſt.
Allein ſie berief ſich zu einer ausdruͤcklichern Entſcheidung auf eben den Schriftſteller, gleich als wenn ſie dir in der Sache nicht zu trauen gedaͤchte, und ſprach dieſelbe mit eben der wohl - klingenden Stimme, mit eben dem anmuthigen Tone ſehr nachdruͤcklich aus:
Wenn du dich auf dieſen Theil der Unterre - dung wieder beſinneſt; wenn du dich erinnerſt, wie wir als Narren einander anſahen; wenn du gedenkeſt, wie ſehr wir außer uns und in Furcht vor ihr geſetzet wurden, als wir befunden, daß uns in unſerm Umgange eben diejenige Art zu denken und zu handeln gaͤnzlich abgeſprochen ſey, welche wir nach unſerer Eitelkeit uns ſo zuver - ſichtlich zugeeignet hatten; wenn du dir endlich dieſ〈…〉〈…〉 Angedenken gehoͤrig zu Nutze macheſt: ſo wirſt du meiner Meynung ſeyn, daß bey der Bos - heit nicht ſo viel Witz iſt, als wir uns dabey zu ſehen geſchmeichelt haben.
Jn der That habe ich beſtaͤndig ſeit dieſer ge - habten Unterredung dafuͤr gehalten, daß der WitzC 2aller36aller liederlichen und ausſchweifend freyer Leute, mit denen ich jemals umgegangen bin, von dem anſehnlichen Raͤnkeſchmieder Lovelace an bis auf den kleinen Haͤnschen Hartop, den Hurenjaͤger, groͤßtentheils darinn beſtehe, ſchaͤmenswuͤrdige und anſtoͤßige Dinge mit einer ſolchen Dreiſtig - keit herauszuſagen, daß beſcheidne Leute davor erroͤthen, unverſchaͤmte daruͤber lachen und uner - fahrne dabey ſtarre ſehen.
Du denkeſt wohl, warum ich doch dieſe Dinge ſo zur Unzeit, wie es ſcheinen moͤchte, beruͤhre? Jch will es dir ſagen. Jch thue es bloß, um nur ein Beyſpiel unter vielen, die mir eben dieſe Abendge - ſellſchaftan die Hand geben koͤnnte, von dem Vorzu - ge dieſer Fraͤulein in ſolchen Gaben, welche die Na - tur adelten und ihr Geſchlecht verehrungswuͤrdig machen, anzufuͤhren. Den Vorzug mußte nicht allein ein jeder von uns, die den Anſtoß gaben, ſondern auch die ſchlaue Partington und die nicht ſo feine, aber trefflich heuchelnde Sinclair voll - kommen einſehen. Alle ſahen ihn ja uͤberzeu - gend in dem ſtrafenden Auge, in der uns nieder - ſchlagenden Roͤthe, welche mit eben ſo viel Mis - vergnuͤgen als Beſcheidenheit vermenget war. Und bisweilen, wie es die Gelegenheit erforder - te, da einige von uns ſo verhaͤrtet waren, daß ſie einen feinen Verweis nicht empfinden konnten, zeigte er ſich auch offenbar in der großmuͤthigen Verachtung, die mit einer gewiſſen Art eines ge - ringſchaͤtzenden Mitleidens vermiſchet war. Aus dieſem ließ ſich zugleich ſowohl ihr eigner Werthund37und die Ueberzeugung von demſelben, als unſere ſchaͤndliche Unwuͤrdigkeit erblicken.
O Lovelace! wie groß war damals ſelbſt in meinen Augen und wie groß iſt noch bey wieder - holter Ueberlegung der Sieg einer aͤchten Beſchei - denheit, eines aͤchten Witzes, einer aͤchten Hoͤflich - keit uͤber aufgeblaſenen Scherz, lachende Unver - ſchaͤmtheit und eine ſelbſt in den Augen der ſchul - digen ſo ſchaͤmenswuͤrdige Unflaͤtherey, daß ſie nicht anders als mit zweydeutigen Worten dar - auf weiſen moͤgen.
Alle ihre Beſtrafungen, wie du auch einmal bemerket haſt, entdeckte ſie durch ihr Auge. Sie that es aber nicht auf eine ſo armſelige Weiſe, wie es der gemeine Haufe von ihrem Geſchlechte zu thun pflegte. Sie nahm nicht etwa eine uͤber - triebene Einfalt an, als wenn ſie den Verſtand der Worte, die offenbar keiner Erklaͤrung bedurf - ten, nicht einſaͤhe. Nein, ihr Auge ließ ſo viele Empfindlichkeit blicken, daß es einer jeden unver - ſchaͤmten Perſon, die ſich zu lachen unterſtand, das Aergerniß deutlich vorhielte, welches einem reinen Herzen gegeben und von dieſem gefuͤhlet worden; einem Herzen, daß ſich nur unwiſſend auf ſeinem Wege verirret haͤtte, da es in eine ſol - che Geſellſchaft gerathen waͤre.
So iſt das Frauenzimmer, ſo iſt der Engel beſchaffen, den du mit Liſt in deine Gewalt gezo - gen haſt, den du zu betriegen und ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen gedenkeſt. ‒ ‒ O die liebenswuͤrdige Schoͤne. Wuͤßte ſie nur, das dachte ich damalsC 3ſo -38ſowohl, als ich es itzo denke, wie ſie umringet iſt und was ihr zugedacht wird: wie viel lieber wuͤrde ſie den Tod ſuchen, als ſich ſo traurigen Umſtaͤnden uͤberlaſſen! Und wie kraͤſtig wuͤrde ihre Geſchichte, wenn ſie uͤberall bekannt waͤre, das ganze ſchoͤne Geſch lecht warnen, ſich niemals in unſere Gewalt zu geben, unſere Geluͤbde, Eidſchwuͤre und Betheurungen moͤgen ſo groß ſeyn als ſie wollen.
Allein laß mich noch einmal dich bitten, mein lieber Lovelace, wo du noch einige Achtung fuͤr deine Ehre, fuͤr die Ehre deiner Familie, fuͤr dei - ne kuͤnftige Ruhe oder auch fuͤr meine gute Mey - nung von dir traͤgeſt: wiewohl ich nicht das An - ſehen haben will, als wenn ich vielmehr durch Gruͤnde hiezu angetrieben wuͤrde, als durch den blendenden Glanz der großen Verdienſte deiner Geliebten, welcher dich billig noch mehr einneh - men ſollte. Laß mich noch einmal dich bitten, daß mein Wort etwas bey dir gelten moͤge, daß du nur ‒ ‒ daß du nur menſchlich ſeyn wolleſt, das iſt alles ‒ ‒ Nur dieß einzige, daß du die Menſchlichkeit, die wir mit einander gemein haben, nicht zu ſchanden machen wolleſt.
Jch weiß gewiß, ſo verhaͤrtet du auch ſeyn magſt, daß es bloß das verruchte Volk im Hauſe iſt, das dich zu einer widrigen Entſchließung ge - gen die Fraͤulein aufhetzet. O daß ſich doch die ſcharfſinnige Schoͤne, bey ſo vieler unſchuldigen Liebe in ihrem Herzen, nicht ſo eilfertig entſchloſ - ſen haͤtte, dieſe Weibsperſonen von ihrer Geſell - ſchaft entfernt zu halten! ‒ Daß ſie doch als eineKoſt -39Koſtgaͤngerinn oͤfterer mit ihnen zu Tiſche geweſen waͤre! So einen guten Schein ſie auch anzuneh - men wiſſen: ſo wuͤrde ſie dieſelben doch in einer Woche durch und durch kennen gelernet haben. Sie haͤtten nicht allemal ſo auf ihrer Huth ſeyn koͤnnen, als ſie nun geweſen ſind, da ſie nur ſelten mit ihr umgegangen und niemals anders, als wenn ſie ſich vorbereitet hatten, in ihrer Geſell - ſchaft zu ſeyn. Die Fraͤulein wuͤrde alsdenn ge - wiß ihr Haus, als einen von der Peſt angeſteck - ten Ort, zu fliehen geſucht haben. Jedoch viel - leicht haͤtte dieſe Entdeckung ihr Ungluͤck bey ei - nem Menſchen, der ſo feſt entſchloſſen iſt, alles zu unternehmen, nur noch beſchleuniget.
Jch weiß, daß du in deiner Liebe ekel biſt. Aber giebt es denn nicht hundert Frauenzimmer, die nicht eben auf das aͤußerſte gebracht ſind und doch bloß aus perſoͤnlichen Abſichten ſich von Herzen gern mit dir einlaſſen wuͤrden? Willſt du dein Spiel mit den Grundſaͤtzen keuſcher Tu - gend treiben: ſo treibe es bey ſolchen Perſonen von dem andern Geſchlechte, welche ſie fuͤr ein Spielwerk anſehen, raube aber einen Engel nicht diejenige Reinigkeit, welche in ihren Gedanken den Unterſchied zwiſchen engliſchen und thieriſchen Eigenſchaften ausmachet.
Wenn man die Leidenſchaft ſelbſt anſieht: ſo ſind ſowohl Manns-als Weibsperſonen allezeit deſto wolluͤſtiger, je weniger ſie von einer Seele haben. Du, Lovelace, haſt eine Seele, ob ſie gleich verderbt iſt, und richteſt deine Aufmerkſamkeit,C 4wie40wie du dich ſelbſt ruͤhmeſt, mehr auf die vor - laͤuſige Kriegesliſt, als auf den Zweck des Sieges.
Sehen wir nicht dieſen natuͤrlichen Trieb an einfaͤltigen Kloͤtzen und verruͤckten Koͤpfen? ‒ Die Neigung an ſich iſt ganz koͤrperlich. Und wenn wir am meiſten Thoren und verruͤckt ſind, denn laufen wir derſelben am hitzigſten nach. Bedenke, was fuͤr Narren dieſe Leidenſchaft aus den weiſeſten Leuten mache! Was fuͤr alberne Troͤpfe, was fuͤr eingenommene Traͤumer! wenn ſie ſich von derſelben hinreiſſen laſſen. ‒ ‒ Es iſt eine unbeſtaͤndige Leidenſchaft. Denn wofern wir ſie Liebe nennen muͤſſen; weil wir uns ihres eigentlichen Namens ſchaͤmen: ſo iſt eine be - guͤnſtigte Liebe ja ſchon eine befriedigte Lie - be; eine befriedigte Liebe aber iſt der erſte Schritt zur Gleichguͤltigkeit. Und ſo iſt es ſelbſt unter denen Umſtaͤnden, wo eine freye Ein - willigung an der einen Seite die Verbindlichkeit an der andern vermehret. Was kann denn wohl anders, als ein unruhiges Gewiſſen, auf eine gewaltſame Kraͤnkung der Ehre eines Frau - enzimmers erfolgen?
Suchen nicht ſo gar keuſche Verliebte bey ihren vorlaͤufigen Liebesbezeigungen allein zu ſeyn? Schaͤmen ſie ſich nicht auch nur ein Kind zum Zeugen ihrer thoͤrichten Handlungen und noch thoͤrichtern Ausdruͤckungen zu haben? ‒ ‒ Muß dieſe vergoͤtterte Leidenſchaft in ihrer groͤß - ten Hoͤhe nicht das Licht ſcheuen? ‒ ‒ Gehn nichtdie41die Verliebten, wenn ſie unter ſich einig geworden ſind, allein an verborgne Oerter und ins Finſtre, ihre Wuͤnſche zu erfuͤllen? Soll denn einer ſo ver - ſtohlnen Leidenſchaft, als dieſe iſt, die ſo leicht durch ſchlechtere Perſonen zu befriedigen ſteht, erlaubt ſeyn, die edelſte zu erniedrigen?
Der Aufſchub deines ehrloſen Vorhabens iſt gewiß der Ehrfurcht, welche ihre majeſtaͤtiſche Tugend dir eingefloͤßet hat, mehr zuzuſchreiben, als deinem Mangel an Geſchicklichkeit in loſen Raͤnken. Jch muß in dieſem Stuͤcke frey mei - ne Gedanken ſagen: denn habe ich dieſen Engel nicht ſelbſt geſehen? Sonſt wuͤrde ich einige von deinen Anſchlaͤgen und Vorwendungen, den ge - wuͤnſchten Tag zu verſchieben, als gemein, ver - legen und in meinen Augen, da ich deine Abſicht weiß, recht armſelig, tadeln. Jch wuͤrde ur - theilen, daß du allzu oft deine Zuflucht dazu ge - nommen, weil nichts heraus kommt, dich damit ruͤhmen zu duͤrfen. Das wuͤrde ich ſonderlich von dem Einſalle mit dem Mennell, den grillenſiechen Weibe und dem vollkommen eingerichteten Hau - ſe denken.
Sie muß ſelbſt bisweilen ſo gedacht, und dich deswegen in ihrem Herzen verachtet haben: oder ſie muß dich, ſo undankbar du biſt, zu ihrem Ungluͤcke lieben und wider alle Wahrſcheinlichkeit ihre Hoffnung unterhalten. Allein eben dieß wuͤr - de dem andern Geſchlechte eine neue Warnung ge - ben: wenn es ihre Geſchichte erfahren ſollte. Die Schoͤnen koͤnnten daraus lernen, mit wasC 5fuͤr42fuͤr elenden Vorwendungen ſie ſich befriedigen laſſen muͤſſen: wenn ſie ſich einmal der Gewalt eines von Anſchlaͤgen ſchwangeren Kopfes uͤber - laſſen haben.
Haͤtteſt du bloß die Abſicht, ſie auf die Probe zu ſtellen; wie du einſtens vorgabeſt(*)S. Th. III. Brief XVII. : ſo haſt du wahrlich dieſes Muſter der Tugend und Wach - ſamkeit genug gepruͤfet. Aber ich kannte dich zu gut, daß ich mir damals haͤtte vorſtellen ſollen, du wuͤrdeſt dabey ſtehen bleiben. Wenn Leute von unſerm Schlage erſt einmal auf irgend eine Perſon von dem ſchoͤnen Geſchlechte ihr Abſehen richten: ſo ſetzen ſie ihren Abſichten keine andre Grenzen, als die ihnen der Mangel an Vermoͤ - gen vorſchreibet. Jch wußte ſchon voraus, daß wenn du erſt einen Vortheil gewonnen haͤtteſt, du immer weiter gehen und einen neuen ſuchen wuͤrdeſt. Jch kannte deinen ſchon eingewurzel - ten Abſcheu vor dem Heyrathen nur gar zu gut. Und du geſteheſt ja in eben dem Briefe, in wel - chem du vorgiebſt, deine Hauptabſicht ſey nur ſie auf die Probe zu ſtellen, daß du dir Hoffnung ma - cheſt, ſie zum Beyſchlafe zu bewegen.
Allein uͤberzeugen dich nicht ſo gar deine eigne oͤftern Gewiſſensbiſſe, die dich wider deinen Wil - len uͤberfallen, ſelbſt wenn Zeit, Ort, Geſellſchaft und alle andre Umſtaͤnde dir zu deinem boͤſen Vorhaben guͤnſtig ſind, daß eine ſo eingebildete Hoffnung hier nicht Platz finden koͤnne? ‒ ‒ Warum willſt du denn, da du ſie doch lieber hey -rathen43rathen als fahren laſſen wollteſt, dir einen ewigen Haß von ihr zuziehen?
Wenn du aber unternehmen magſt, ſie fuͤr deine und ihre Perſon auf die Probe zu ſtellen, und in deiner Entſchließung, ſie nach ihrem Ver - halten bey derſelben zu belohnen, aufrichtig biſt: ſo bitte ich dich, ſie aus dieſem liederlichen Hauſe wegzunehmen. Das wird ihr und dein Gewiſ - ſen von allem Zwange befreyen. Dieß ange - nehme und betrogne Muſter der Vollkommenhei - ten verlaͤßt ſich nunmehr ſo feſt auf ihre vermeyn - te bald gluͤcklichere Umſtaͤnde, daß du nicht be - ſorgen darfſt, ſie moͤchte dir entfliehen oder zu dem Anſchlage der Fraͤulein Howe, der dich, wie du es nenneſt, auf deine Meiſterſtreiche bringet, ihre Zuflucht nehmen wollen.
Du magſt aber in dieſem Stuͤcke beſchloſſen haben, was du willſt; wenn ich etwa zu ſpaͤt ſchreibe und du ſchon wirklich die Masque abge - zogen haſt: ſo gehe doch in deinen Raͤnken nicht ſo weit, wofern du dir nicht von einem jeden im Herzen fluchen laſſen, und nach dieſem den Fluch deines eignen Herzens vermeiden willſt, daß du ſie, auch nur eine einzige Stunde, wenn ihr Un - willen gleich noch ſo groß ſeyn moͤchte, der Ge - walt des ehrloſen Weibes im Hauſe uͤbergeben ſollteſt. Denn dieſe hat, wofern es nur moͤglich iſt, noch weniger Gewiſſen als du ſelbſt, und treibt ja ihre Handthierung bloß damit, daß ſie den Widerſtand guter Gemuͤther uͤberwaͤltiget, und Herzen, die im Boͤſen ungeuͤbt ſind, aͤußerſtver -44verderbet ‒ ‒ O Lovelace, Lovelace, wie viele ſchreckliche Begebenheiten koͤnnte dieß ſcheusliche Weib dem ſchoͤnen Geſchlechte erzaͤhlen! Soll denn die Geſchichte der Fraͤulein Clariſſa Harlo - we die lange Reihe dieſer Suͤnden noch ver - mehren?
Jedoch dieſes haͤtte ich wohl ſparen koͤnnen. So ein arger Teufel du auch ſeyn magſt: ſo kannſt du doch ſo weit nimmermehr gehen. Du wuͤrdeſt einen Sieg, der ſo wohl deinem Stolze als der Menſchheit zu ſo großer Schande gereich - te, nicht ertragen koͤnnen.
Sollteſt du etwa gedenken, daß der traurige Anblick, den ich itzo ſtuͤndlich vor mir habe, mich ernſthafter gemacht habe, als ich ſonſt zu ſeyn pflegte: ſo wirſt du dich vielleicht darinn nicht irren. Allein es laͤßt ſich hieraus nichts weiter ſchließen, wenn ich auch meine vorige Lebensart wieder anfangen ſollte, als daß wir ohne Zweifel, wo wir noch zu denken im Stande ſind und Zeit dazu haben, auf eben die Art denken werden, ſo bald die Zeit zu gelaſſener Ueberlegung einfaͤllt, es mag nun durch unſre eigne oder durch anderer Ungluͤcksfaͤlle geſchehen.
Wir ſind nicht ſolche Narren, keiner von uns beyden, daß wir ein kuͤnftiges Leben in Zweifel ziehen, oder in den Gedanken ſtehen ſollten, als wenn wir durch einen blinden Zufall und zu kei - nem andern Ende, als alles das Boͤſe zu thun, das wir nur thun koͤnnen, in die Welt gekommen waͤren: unſre Lebensart mag auch beſchaffen ſeyn,wie45wie ſie will. Jch ſchaͤme mich nicht zu geſtehen, daß ich bey denen Gebetern, die ich meinem ar - men Onkel in der Abweſenheit eines ſehr guten Geiſtlichen, der ihn ordentlich beſucht, vorleſen muß, nicht vergeſſe, ein oder ein paar Worte fuͤr mich ſelbſt einfließen zu laſſen.
Lacheſt du uͤber mich, Lovelace: ſo wird dein Gelaͤchter mehr deinen Handlungen, als dem, was du glaubeſt, gemaͤß ſeyn. Die Teufel glauben und zittern. Kannſt du verruchter ſeyn, als dieſe ſind?
Jch muß hier noch bey der Gelegenheit, da ich meines armen Alten gedenke, hinzufuͤgen, daß ich oft wuͤnſche, du moͤchteſt nur eine halbe Stun - de des Tages gegenwaͤrtig ſeyn, damit du ſehen moͤchteſt, wie endlich die Hefen von einem luſti - gen Leben in der ſchmerzlichſten Marter, welche die Kolik, der Stein, und der kalte Brand zu - gleich verurſachen koͤnnen, verlaufen muͤſſen; da - mit du hoͤren moͤchteſt, wie er in der bitterſten Angſt eines Geiſtes, der alle Stunden auf den Ruf zu ſeiner letzten Rechenſchaft wartet, die Leichtfertigkeit in ſeinem vergangenen Leben be - weinet ‒ ‒ Gleichwohl hat er ſich, bey allen ſei - nen Bekenntniſſen, in Verlauf von ſieben und ſechzig Lebensjahren nicht die Haͤlfte von den recht ſchaͤndlichen Ausſchweifungen vorzuhalten, die wir, du und ich, allein in den letzten ſieben Jahren begangen haben.
Schluͤßlich46Schluͤßlich empfehle ich dir alles, was ich geſchrieben habe, zu ernſtlicher Ueberlegung. Es reden dabey Herz und Seele
deines wahren Freundes Joh. Belford.
Es ſind noch immer Schwierigkeiten zur Er - langung des verdrießlichen Trauſcheins zu uͤberſteigen. Jch habe allezeit dieſe geiſtlichen Richter und ihr Gericht gehaſſet, und werde ſie auch allezeit haſſen.
Nun, Bruder, habe ich, wo nicht einen ge - wiſſen Sieg, doch eine ſichere Zuflucht.
Aber halt ‒ ‒ Dein Bedienter mit einem Briefe ‒ ‒
Es iſt ein erſchrecklich langer Brief und doch nicht von Neuigkeiten ‒ ‒ Noch einmal zum Beſten der Fraͤulein ‒ Da liege, daß du ſchwarz wirſt, albernes Gewaͤſche! Was kannſt du ſchrei - ben, das bey dieſen entſcheidenden Umſtaͤnden et - was uͤber mich vermoͤge? ‒ Und habe ich dich nicht ſelbſt, ſo wie ich von Schritt zu Schrittfort -47fortgegangen bin, in den Stand geſetzt, alles zu ſa - gen, was fuͤr dich zu ſagen noͤthig geweſen iſt?
Jedoch noch einmal will ich es mit dir auf - nehmen.
Gemein, verlegen, armſelig, ſagſt du, ſind einige von meinen erſonnenen Anſchlaͤgen; ſonderlich der mit der Witwe ‒ Mir vergeht die Geduld mit dir ‒ Hatte dieſer Einfall zu der Zeit nicht ſeine Wirkung, mir Aufſchub zu ver - ſchaffen? Und hatte ich damals nicht Urſache zu fuͤrchten, daß ſie genug finden wuͤrde, wodurch ihr dieß Haus zuwider ſeyn koͤnnte? War es bey der Abſicht, die ich hatte, nicht recht, ſie von Zeit zu Zeit in den Gedanken zu erhalten, daß bald ein eignes Haus fuͤr ſie bereit ſeyn wuͤrde, damit ſie ſich bereden ließe, hier ſo lange zu bleiben?
Gemein, verlegen, armſelig! ‒ ‒ Du biſt ein ſchlechter Bruder und kein Richter, wenn du dieß ſagſt. Haͤtte ich dir nicht als ein Einfalts - pinſel, ſo wie ich von Schritt zu Schritt fortge - gangen bin, die geheimen Abſichten meines Her - zens entdecket, ſondern alles bey mir behalten, bis der Ausgang meine Geheimniſſe ans Licht gebracht: ſo wuͤrde ich dir auf alle Gefahr Trotz geboten haben, ob du das geringſte geſchickter, als die Fraͤulein, geweſen waͤreſt, das, was ihr begegnen ſollte, zu errathen, bis es wirklich ge - ſchehen waͤre. Jch zweifle auch in dem Fall nicht, daß du, an ſtatt uͤber ihre Leichtglaubigkeitdeine48deine Betrachtungen anzuſtellen, wie ſie mich zu ihrem Ungluͤcke liebe und wider alle Wahr - ſcheinlichkeit ihre Hoffnung unterhalte, weit geneigter geweſen ſeyn wuͤrdeſt, eine zu ſtren - ge Tugend und uͤbertriebene Bedenklichkeit an ihr zu tadeln. Und ich muß es dir ſagen, haͤtte ſie mich ſo geliebt, wie ich es wuͤnſchte: ſo haͤtte ſie ſich unmoͤglich ſo ſehr vor meinen Abſichten fuͤrchten koͤnnen; ſo haͤtte ſie nicht ſo bereit ſeyn koͤnnen, als ſie allemal geweſen iſt, die Vorſchlaͤ - ge der Fraͤulein Howe zu einer ſorgfaͤltigen Be - hutſamkeit bey ſich gelten zu laſſen. Das iſt nicht moͤglich: ob auch gleich der gemeine Ruf von mir nicht fuͤr mich bey ihr geweſen.
Aber in deinen Gedanken macht das Leichte und Ungezwungene, in meinen Anſchlaͤgen mich tadelnswuͤrdig. Und das iſt doch eben ihr Haupt - vorzug. Jch brauche keine Maſchinen zu be - wegen. Jch ſuche keinen unnatuͤrlichen Schwung. Jch bleibe allezeit bloß bey der Natur, und ma - che mir die Natur, wohin ſie ſich lenket, zu Nu - tze. Meine Erfindungen ſind ſo leicht und un - gekuͤnſtelt, daß, wenn ſie bekannt werden; du, ſo gar du, dir einbildeſt, du haͤtteſt auf eben die Gedanken kommen koͤnnen. Ja in der That ſcheineſt du zu geſtehen, daß die Geringſchaͤtzung, womit du ſie anſieheſt, bloß der fruͤhzeitigen Er - oͤffnung, die ich dir von denſelben und von mei - nen Abſichten dabey gemacht habe, zuzuſchreiben ſey, ſo kurzſichtig und undankbar als du biſt.
Jedoch49Jedoch wollte ich bey allem dem nicht gern bey dir in dem Verdachte ſtehen, daß ich meine ſchwache Seite nicht kenne. Jch habe dir ſchon ehemals zu bedenken gegeben, daß es dem ge - ſchickteſten General ſchwer ſey zu ſagen, was er thun wolle oder thun koͤnne, wenn er ſeine Be - wegungen nach den Bewegungen eines wachſa - men Feindes abmeſſen und einrichten muß(*)S. Th. III. S. 299.. Wofern du dieſer Betrachtung ihr gehoͤriges Ge - wicht laͤſſeſt: ſo wirſt du dich nicht wundern, daß ich viele Maͤrſche und Contremaͤrſche thue, da - von einige einem ſchlechten Zuſchauer leicht un - noͤthig ſcheinen koͤnnen.
Allein ich muß mich doch beylaͤufig mit dir in den Streit uͤber dieſe Sache einlaſſen: da ich ſchon das Ende von meinem Zuge abſehen kann.
Du ſchreibſt mir eine Menge von Dingen, die nichts zur Sache beytragen. Einige davon haſt du bloß von mir ſelbſt: andre habe ich lan - ge vorher gewußt.
Alles, was du zum Lobe meiner reizenden Schoͤnen anfuͤhreſt, reicht lange noch nicht an dasjenige, was ich uͤber dieſe unerſchoͤpfliche Ma - terie geſagt und geſchrieben habe.
Jhre Tugend, ihr Widerſtand, welches ihre Verdienſte ſind, treiben mich eben an. Habe ich dir das nicht zwanzigmal geſagt?
Nennen mich dieſe Maͤdchen unter ſich einen Teufel: was bin ich denn fuͤr ein Teufel, andersalsFuͤnfter Theil. D50als in meinen liſtigen Erfindungen? Jn Betrach - tung der letzten Abſicht, die ich mir vorgeſetzt ha - be, bin ich nicht mehr ein Teufel, als andere. Denn wenn ich zu meinem Ziel gekommen bin: ſo bleibt es doch allemal nur eine Verfuͤhrung. Und vielleicht bin ich unterdeſſen der Suͤnde vie - ler Verfuͤhrungen uͤberhoben worden.
Was wuͤrde in dieſem Fall außerordentliches ſeyn: wenn ihre Wachſamkeit nicht waͤre? ‒ ‒ Denkeſt du, daß ich meinen Zweck nicht weit lie - ber mit weniger Unruhe und Suͤnde zu erhalten wuͤnſche, ſo ſehr ich auch wohlgeſpielte Haͤndel und liſtige Erfindungen liebe?
Derjenige, muß ich dir ſagen, der ſo boͤſe iſt, als er ſeyn kann, iſt aͤrger, als ich bin. Laß mich unter den freyen Liebhabern in England fra - gen, wen du willſt, ob er bey dem feſten Vorſatze, ſeinen Zweck zu erreichen, ſich ſo lange damit wuͤrde aufgehalten, oder ſo viele Ruͤhrungen des Gewiſſens, als ich, empfunden haben?
Saͤße ein jeder freyer Liebhaber, ja ſaͤße ein jeder Mann, wie ich, und ſchriebe alles, was ihm in den Kopf oder ins Herz kommt, und klagte ſich ſelbſt mit eben ſo vieler Freyheit als Wahrheit an: was wuͤrde ich fuͤr ein Heer von zweifelmuͤ - thigen Leuten vor mir haben, mich im Zaume zu halten?
Es iſt bey einigen eine feſtgeſetzte Regel, daß, wenn ſie mit einem Frauenzimmer alleine ſind, und keinen Verſuch an ihr wagen, ſie ſich ſelbſt fuͤr beſchimpft halten werden. ‒ ‒ Sind ſolcheLeute51Leute nicht aͤrger, als ich bin? ‒ Was muͤſſen dieſe fuͤr eine Meynung von dem ganzen ſchoͤnen Geſchlechte hegen?
Erlaube mir, daß ich dieß Geſchlecht, welches ich ſo herzlich liebe, auch vertheidige. Wenn dieſe von unſern aͤltern Bruͤdern fuͤr ihre Mey - nung uͤberhaupt und ohne Ausnahme Grund zu haben glauben: ſo muͤſſen ſie in ſehr boͤſe Geſell - ſchaft gerathen ſeyn oder von dem Herzen der Frauenzimmer nach ihrem eignen urtheilen. Es muß ſchon eine recht luͤderliche Weibsperſon ſeyn, die ſich bey einem groben und ploͤtzlichen Verſuche auf ihre Keuſchheit nicht, wie eine Schnecke in ihr Haus, zuruͤckziehen ſoll. Ein beſcheidnes Frauenzimmer muß natuͤrlicherweiſe kaltſinnig, fremd, und ſchuͤchtern ſeyn. Es kann nicht ſo ſehr und ſo bald geruͤhret werden, als Leute von freyer Lebensart ſich einzubilden im Stande ſind. Es muß wenigſtens einiges Vertrauen auf die Ehre und Verſchwiegenheit einer Mannsperſon haben, ehe es moͤglich iſt, daß in demſelben ein Verlangen Platz finde, die Flamme dieſer Perſon zu reizen und zu vergnuͤgen. Meines Theils bin ich allezeit in Geſellſchaft von Frauenzimmern bey den Regeln des Wohlſtandes geblieben, bis ich mich ihrer verſichert hatte. Jch habe auch nie - mals einen groͤßern Anſtoß zu geben gewaget, als bis ich gefunden, daß ſie die kleinern uͤberſe - hen, und, wenn ſie meine Lebens - und Gemuͤths - art gewußt, mich nicht zu vermeiden geſucht.
D 2Meine52Meine goͤttliche Clariſſa hat mich in Verwir - rung geſetzet, und aus meiner Rolle gebracht. Einmal hoffte ich ſie durch eingejagte Furcht, ein andermal durch Liebe, durch eine Liebe, die beſtaͤndig ihre Geſtalt veraͤndert, wie ich mich ausgedruͤckt habe(*)Siehe Th. III. S. 160., zu uͤberwaͤltigen. Nun habe ich nur noch den Verſuch, ſie zu uͤber - rumpeln, den andern beyden Mitteln an die Seite zu ſetzen, und muß ſehen, was durch alle drey auszurichten ſteht.
Und in weſſen Eigenthum, ich bitte dich, wer - de ich einen Eingriff thun: wenn ich meinen Ab - ſichten der Liebe und Rache nachgehe? Haben nicht diejenigen, welche ein Recht auf ſie haben, ſich dieſes Rechts begeben? Haben ſie dieſelbe nicht freywillig der Gefahr bloßgeſtellet: da ſie doch wiſſen mußten, daß ein ſolches Frauenzim - mer von allen, die nur eine bequeme Gelegenheit, ſich an ſie zu machen, haben koͤnnten, fuͤr eine preisgegebne und erlaubte Beute wuͤrde angeſehen werden? Aber geſetzt auch, jene haͤtten ſie nicht ſo grauſam aller Gefahr uͤberlaſſen: iſt ſie denn nicht ein lediges Frauenzimmer? Muß ich dir noch erſt ſagen, Bruder, daß Leute von unſerm Schlage, und zwar die beſten unter denſelben; die aͤrgſten machen ſich aus nichts etwas; es fuͤr eine große Gnade und Gewogenheit gegen die verheyratheten Maͤnner anſehen, wenn ſie ihnen ihre Weiber laſſen und mit ihren Schweſtern, Toͤchtern, anvertrauten Minderjaͤhrigen und Ba -ſen53ſen zufrieden ſind? So anſtoͤßig dieſe Grund - ſaͤtze einem bedaͤchtlichen Gemuͤthe ſeyn muͤſſen: ſo ſind es doch die Grundſaͤtze von Tauſenden, die mit dem andern Geſchlechte nicht ſo umgehen wuͤrden, als ich gethan habe, ſelbſt wenn ich es in meiner Gewalt gehabt. Es ſind Grundſaͤtze, die von denſelben ſo oft zur Uebung gebracht werden, als es die Gelegenheit oder ihr Muth erlauben will ‒ ‒ Dergleichen Leute haben alſo kein Recht mich zu beſchuldigen.
Du ſtelleſt abermal vor, was ſie von ihren Angehoͤrigen leiden muͤſſen. Allein auf die Vor - ſtellung habe ich ſchon zu oft geantwortet, daß ich noͤthig haben ſollte, itzo mehr zu ſagen, als daß ſie nicht um meinentwillen gelitten hat. Denn hat ſie nicht der Bosheit ihres raubſuͤchtigen Bru - ders und ihrer neidiſchen Schweſter zum Opfer werden muͤſſen, die bloß auf eine Gelegenheit ge - wartet, ſie bey ihren andern Verwandten gaͤnz - lich auszuthun und dieſe, als die erſte, ergriffen haben, ſie aus dem Hauſe, und, wie es ſich fuͤgte, mir in die Armen zu treiben? Du weißt, wie wenig Neigung ſie dazu gehabt.
Was ihre eigne Suͤnden betrifft: o! fuͤr wie viele hat dieß ſchoͤne Kind der Liebe und mir Rechenſchaft zu geben! Hat ſie mir nicht zwan - zigmal und abermal zwanzigmal ins Geſicht ge - ſaget, daß ſie nicht aus Gunſt gegen mich den verhaßten Solmes abgewieſen habe? Und wie oft hat ſie ſich nicht erboten, ſich meiner fuͤr ein lediges Leben zu begeben, wenn die unverſoͤhnli -D 3chen54chen Leute ſie auf dieſe Bedingung wieder haͤtten annehmen wollen? ‒ ‒ Siehe, wie mancher Wiederholung, ich mich deines weibiſchen Mit - leidens wegen ſchuldig machen muß!
Laß uns aber ein wenig weiter zuruͤckſehen. Kannſt du das vergeſſen, was ich von dieſer hoch - muͤthigen Schoͤnheit alle die Zeit herdurch gelit - ten, da ich in den Jagdgehegen bey Harloweburg und im kleinen weißen Hirſchen zu Neale, wie wir es zu nennen pflegten, auf ihre ſtolze Bewe - gungen Acht geben mußte? Drohete ich ihr da - mals nicht Rache? Und hatte ich es nicht Urſache, weil ſie, daß ich nur dieſen einzigen Fall anfuͤh - re; mir ihr Wort, nicht gehalten, das ſie mir zu einer Unterredung gegeben hatte?
O Bruder, was hatte ich fuͤr eine Nacht dar - uͤber, in dem ſcheuslichen Waͤldchen, das an ih - res Vaters Thiergarten ſtoͤßet! Da meine Waͤ - ſche und Parucke gefroren, meine Glieder ganz vor Kaͤlte erſtarret und meine Finger nur noch eben von ſo vieler Waͤrme zum Gefuͤhl geſchickt waren, daß ich eine Feder halten konnte; und dieß bloß daher, weil ich die Haut davon abrieb und meine Haͤnde oft um meine bebenden Seiten ſchlug; da ich mit dem einen Knie auf das be - reifte Mooß kniete und auf dem andern ſchrieb, wofern ein Gekratze mit ſteifen Fingern ſchreiben heiſſen kann; da meine Fuͤſſe, als ich fertig war, Wurzeln geſchlagen zu haben ſchienen, und in der That auf einige Minuten mich nicht tragen konn - ten! ‒ ‒ Liebe und Rache erhielten damals meinHerz55Herz in Bewegung; und bloß Liebe und Rache konnten es thun: oder wie viel mehr muͤßte ich gelitten haben, als ich in der That litte!
Jch erzaͤhlte dir, als ich niedergeſchlagen und verdrieslich zuruͤck kam, den Jnhalt meines ab - gelaſſenen Briefes(*)Siehe Th. II. S. 200.. Nachher zeigte ich dir auch eine tyranniſche Antwort auf denſelben(**)Siehe Th. II. S. 203.. Damals Bruder, lobteſt du deinen Freund und beklagteſt deinen armen leidenden Lovelace. Selbſt der beleidigte Gott der Liebe billigte die von mir gedrohete Rache an der freyen Verſpre - cherinn: ob er gleich itzo, da ich die Gewalt in Haͤnden habe, ohne ſich der Nacht meines Leidens zu erinnern, durch dich ein Fuͤrſprecher fuͤr ſie geworden iſt.
Ja, brachte er nicht ſelbſt meine anbetens - wuͤrdige Nemeſis zu mir, und lenkten mich zu eben dem Geluͤbde: „ daß ich nicht eher ruhen „ wollte, bis ich dieſe Goͤttinn-Tochter der Harlo - „ wes zu meiner Beyſchlaͤferinn gemacht haͤtte, „ und das vor den Augen ihrer ganzen aufgebla - „ ſenen Familie? „ Auch dir kann dieß Geluͤbde nicht vergeſſen ſeyn. Eben dieſen Augenblick habe ich dich vor mir, ſo traurig, als du damals ausſaheſt.
Deine ſtarken Geſichtszuͤge gluͤeten von Mit - leiden gegen mich. Deine Lippen waren zuſam - men gepreßt; deine Stirne voll tiefer Runzeln;D 4dein56dein ganzes Geſicht aus der einfaͤltigen Run - dung in die ſcheuslichte laͤnglichte Geſtalt verzo - gen. Eine jede Sehne trug das ihrige bey, das graͤuliche Anſehen vollkommen zu machen. Und nicht ein Wort konnteſt du von dir geben, als Amen zu meinem Geluͤbde.
Was habe ich nach der Zeit fuͤr vorzuͤgliche Liebe, oder Gunſt, oder Zuverſicht von ihr erhal - ten, daß ich meine Geluͤbde deswegen brechen moͤchte?
Es iſt wahr, ich habe es nachher nicht wie - der erneuet, und bin wirklich eine lange Zeit willens geweſen, es zu vergeſſen: bis wiederholte Vergehungen von eben der Art das Andenken der vorigen wiederum erwecket haben. Wenn du nun zu dieſen den Jnhalt von einigen giftigen Briefen der Fraͤulein Howe ſetzeſt, die mir erſt ſo neulich in die Haͤnde gekommen ſind: was kannſt du denn fuͤr die aufruͤhriſche Schoͤne ſa - gen, das mit deiner Treue gegen deinen Freund beſtehen koͤnnte?
Ein jeder nach ſeiner Neigung und Beſchaf - fenheit. Hannibal ward der Vater der Krie - gesliſt genannt. Waͤre Hannibal eine Privat - perſon geweſen, und haͤtte ſeinen durchtriebenen Kopf gegen das andre Geſchlecht gewandt, oder waͤre ich ein General geweſen und haͤtte meinen gegen ſolche von meinen Nebengeſchoͤpfen mei - nes eignen Geſchlechts gewandt, die ich mich als meine Feinde anzuſehen, fuͤr berechtigt gehal - ten, weil ſie in einer andern Gegend gezeugetworden57worden und gelebet haͤtten: ſo wuͤrde Hannibal weniger, Lovelace mehr Ungluͤck angerichtet ha - ben. Das wuͤrde der ganze Unterſchied geweſen ſeyn.
Es iſt kein großer Herr in der Welt, wofern er nicht Froͤmmigkeit liebet, der nicht tauſendmal mehr boͤſes veruͤben muß, als ich, wenn er eine krie - geriſche Neigung hat. Und warum das? Weil er es in ſeiner Macht hat, mehr zu thun.
Ein rechtſchaffener Mann, wirſt du viel - leicht ſagen, wird ſich die Gewalt nicht wuͤnſchen, Schaden zu thun. Er muß es nicht thun, will ich dir ſagen: denn, wenn er ſie hat, ſo ſetze ich tauſend gegen eins, es machte ihn ſowohl uͤbermuͤthig, als gottlos.
Worinn bin ich denn ſo außerordentlich boͤſe?
Jn meinen liſtigen Anſchlaͤgen, wo nicht in dem mir dabey vorgeſetzten Zwecke. Das wird deine Antwort ſeyn: denn du biſt mein Echo.
Wie ſchwer befindet es ein jeder, eben ſowohl als ich, eine herrſchende Leidenſchaft zu uͤberwaͤl - tigen? Jch habe drey Leidenſchaften, die mich wechſelsweiſe regieren; alle mit gebieteriſcher Ge - walt: Liebe, Rache, Ehrgeiz oder eine Begierde Eroberungen zu machen.
Was inſonderheit die Erfindung mit Tom - linſon und dem Onkel betrifft, die du vielleicht fuͤr eine ſchwarze Liſt halten wirſt: ſo wuͤrde die geſparet ſeyn, wenn mich dieſe beyden unſchuldi -D 5gen58gen Fraͤulein nicht ſo weit gebracht haͤtten, daß ich fuͤr ihre Frau Townſend einen Mann finden muͤſſen. Der Anſchlag dient alſo bloß einem andern vorzubeugen. Meynſt du, daß es mir ertraͤglich ſeyn koͤnnte, meinen Witz durch anderer Witz beruͤcken zu laſſen? Und kann nicht vielleicht eben dieſer Kunſtgriff eine ganze Welt voll Un - gluͤck verhuͤten? Denn darfſt du wohl denken, daß ich die Fraͤulein dem Handel der Frau Town - ſend ganz gelaſſen hingegeben haben wuͤrde?
Was haſt du fuͤr eine Abſicht; es waͤre denn, deine eigne Vorſtellung umzuſtoſſen: wenn du ſageſt, daß Leute von unſerm Schlage keine andern Schranken fuͤr ihre Bosheit kennen, als den Mangel an Vermoͤgen; da du doch weißt, daß die Fraͤulein in meiner Gewalt iſt?
Genug, ſchreibſt du, habe ich dieſes Mu - ſter der Tugend auf die Probe geſtellet. Nicht alſo: denn ich habe ſie noch gar nicht auf die Probe geſetzet. Alles, was ich gethan habe, iſt nichts als nur eine Vorbereitung zu einer Probe.
Aber du biſt wegen der Mittel, zu denen ich bey der Probe Zuflucht nehmen moͤchte, und we - gen meiner Wahrheitsliebe beſorgt.
Elender Bruder! Denkſt du denn, daß je - mals irgend ein Mann ein Maͤdchen anders, als auf die Rechnung ſeiner Wahrheitsliebe betrogen habe? Wie kann man ſonſt ſagen, daß er be - truͤge?
Was59Was die Mittel anlangt: ſo bildeſt du dir doch nicht ein, daß ich eine ausdruͤckliche Einwilli - gung erwarte. ‒ ‒ Meine vornehmſte Hoffnung iſt bloß auf ein nachgebendes Widerſtreben gerich - tet. Ohne daſſelbe, will ich ſchwoͤren, iſt nie - mals eine einzige Eroberung eines Frauenzim - mers geſchehen, wenn eine Perſon mit einer zu thun gehabt: ſo viel auch immer verſucht ſeyn moͤgen. Die gute Koͤniginn Eliſabeth von England wuͤrde ſich ſelbſt fuͤr meine Meynung erklaͤrt haben, wenn ſie am Leben geweſen waͤre, und man ſich auf ſie berufen haͤtte.
Es wuͤrde dem andern Geſchlechte nicht un - dienlich zu wiſſen ſeyn, was wir von dieſer Sa - che fuͤr Gedanken hegen ‒ ‒ Jch mag ſie gerne warnen ‒ ‒ Jch wuͤnſche keinem ſeinen Zweck bey ihnen zu erreichen, als mir ſelbſt. Jch habe dir ſchon vordem zu verſtehen gegeben, daß ich zwar luͤderlich, aber darum doch kein Freund von luͤderlichen Leuten ſey. (*)Siehe Th. III. S. 178.
Du ſchreibſt, ich ſey dem Ehebette allezeit feind geweſen. Darinn ſchreibſt du wahr: und doch eben ſo wahr, wenn du mir vorhaͤltſt, daß ich dieſe Fraͤulein lieber zur Ehe nehmen als fahren laſſen wollte. Denkſt du aber, ſie werden mich auf ewig verabſcheuen: wenn ich ſie auf die Probe ſetze und es mir nicht gelinget? ‒ ‒ Nimm dich in Acht ‒ Nimm dich in Acht, Bruder! ‒ ‒ Merkſt du nicht, daß dumich60mich dadurch warneſt, die Probe nicht anders an - zuſtellen, als mit dem Vorſatze zu ſiegen?
Jch muß beyfuͤgen, daß ich eine Zeitlang uͤberzeugt geweſen, es ſey uͤbel von mir gethan, alles ſo frey an dich hinzuſchmieren, als geſchehen iſt; und das um ſoviel mehr, wenn ich die Fraͤu - lein nach den Landesgeſetzen zu der meinigen machen ſollte: denn iſt nicht ein jeder Brief, den ich an dich geſchrieben habe, eine ſchriftliche An - klage wider mich ſelbſt geweſen? Jch mag mei - ne Eitelkeit zum Theil dafuͤr verfluchen; und ich denke, ich will das kuͤnftige zuruͤckhalten: denn du biſt wirklich ſehr unverſchaͤmt.
Ein frommer Mann, ich geſtehe es, moͤchte auf manches von denen Dingen beſtehen, worauf du mich dringeſt: aber, bey meiner Seele, von dir kommen ſie recht unſchicklich heraus. Du mußt dir bewußt ſeyn, daß ich nach denen Grundregeln, die wir lange gehabt und ausgeuͤbet ha - ben, einen jeden Tittel von dem, was du ſchrei - beſt, beantworten koͤnne. Bey der vorhin gege - benen Probe wirſt du ſehen, daß ich es kann.
Jch bitte dich, Bruder, ſage mir; wenn ich niemals von der Sache an dich geſchrieben haͤtte, und nicht mein eigner Anklaͤger geweſen waͤre: was wuͤrde wohl der kurze Begriff von meiner und meiner Geliebten Geſchichte, nachdem wir zehn Jahre bey einander geſchlafen haͤtten, geweſen ſeyn? Was anders, als dieß, was folget?
„ Robert Lovelace, ein beruͤchtigter Weiber - „ ſchlucker, bewirbt ſich auf eine anſtaͤndige Weiſe„ um61„ um Fraͤulein Clariſſa Harlowe, ein junges Frau - „ enzimmer von den erhabenſten Vorzuͤgen ‒ ‒ „ Die aͤußerlichen Umſtaͤnde geben an beyden „ Seiten nicht das geringſte Bedenken.
„ Nachdem man ihm Muth gemacht: wird „ er von ihrem heftigen Bruder ſchimpflich belei - „ diget; der es ſeinen Vortheilen gemaͤß achtet, „ die Heyrath zu hintertreiben, und endlich, da er „ jenen herausfordert, genoͤthigt wird, ſein nichts - „ wuͤrdiges Leben von deſſen Haͤnden anzuneh - „ men.
„ Hieruͤber wird die Familie ſo raſend, als „ wenn er das Leben genommen haͤtte, das er ge - „ geben hatte, beſchimpft ihn perſoͤnlich und macht „ fuͤr die junge Fraͤulein einen haſſenswuͤrdigen „ Freyer ausfuͤndig.
„ Eine gezwungene Ehe zu vermeiden, laͤßt „ dieſe ſich bereden, ſich ſelbſt in Herrn Lovelacens „ Schutz zu begeben.
„ Jedoch leugnet ſie alle Neigung zu ihm, „ und erbietet ſich vielmal, ihm auf ewig zu ent - „ ſagen, wenn ihre Anverwandten ſie auf dieſe „ Bedingung wieder annehmen und von dem „ Anſpruche des gehaͤßigen Freyers losſagen „ wollen.
„ Herr Lovelace, ein Menſch von ſtarken Lei - „ denſchaften, und wie einige ſagen, von großem „ Hochmuthe, achtet ſich ihr deswegen gar wenig „ verpflichtet. Weil er ohne das von Natur nicht „ eben fuͤr den Eheſtand eingenommen iſt und ſo „ viele Urſache hat, ihre Verwandten zu haſſen:„ ſo62„ ſo bemuͤht er ſich, ſie dahin zu bringen, daß ſie „ mit ihm das Leben der Ehre eingehe, wie er „ es nennet; und gewinnet zuletzt durch Raͤnke, „ Kuͤnſte und liſtige Anſchlaͤge.
„ Er entſchließet ſich, niemals ein anderes „ Frauenzimmer zu heyrathen, macht ſich eine „ Ehre daraus, ihr ſeinen Namen gegeben zu „ haben, da zwiſchen ihnen nichts als ein Kir - „ chengebrauch fehlet, und begegnet ihr mit ver - „ dienter Zaͤrtlichkeit. Kein Menſch zweifelt an „ ihrer Verheyrathung, als nur ihre ſtolzen An - „ verwandten, bey denen er den Zweifel wuͤnſchet. „ Alle Jahr ein artiges Knaͤbchen. Vermoͤgen „ genug, die anwachſende Familie mit anſtaͤndi - „ ger Pracht zu unterhalten ‒ ‒ Ein zaͤrtlicher „ Vater. Allezeit ein warmer Freund, ein guͤti - „ ger Hausherr und ein richtiger Bezahler ‒ ‒ „ Doch bisweilen vielleicht von ſo vieler Nachſicht „ gegen ſich ſelbſt, daß er einen neuen Gegenſtand „ waͤhlet, um ihn mit deſto groͤßerm Vergnuͤgen „ zu ſeiner reizenden Clariſſa zuruͤck zubringen ‒ ‒ „ Sein einziger Fehler iſt die Liebe zu dem an - „ dern Geſchlechte ‒ ‒ Der ſich gleichwohl, wie die „ Frauenzimmer ſagen, von ſelbſt beſſern wird ‒ ‒ Jn „ ſo fern iſt er zu vertheidigen, daß er bey ſeinen „ Streifereyen keinen Buͤndniſſen Eingriff thut “‒ ‒
Was iſt denn bey dem gewoͤhnlichen Laufe der Welt ſo gar arges in dem allen?
Jch verſichere, daß es tauſend und abermal tauſend giebt, die aͤrgere Hiſtorien zu erzaͤhlen haben, als dieſe ſcheinen wuͤrde, wenn ich dichnicht63nicht ſelbſt auf den Fortgang zu meinem letzten Zwecke aufmerkſam gemacht haͤtte. Außer dem weißt du, daß die Beſchreibung, wie ich meinen Geliebten zu begegnen pflege, welche ich in einem Briefe an Joſeph Lehmann ſelbſt von mir ma - che(*)Siehe Th. III. S. 360., der Wahrheit ziemlich nahe komme.
Wollte ich in meiner Vertheidigung ſo ernſt - lich ſeyn, als du in meiner Anklage hitzig biſt: ſo koͤnnte ich dich durch andere Gruͤnde, Betrach - tungen und Vergleichungen uͤberfuͤhren; denn iſt nicht im menſchlichen Leben alles Gut und Uebel vergleichungsweiſe ſo zu nennen? Jch koͤnnte dich uͤberzeugen, daß ich zwar nach meiner offenherzi - gen Gemuͤthsart, wenn ich bloß an dich ſchreibe, dem alle Geheimniſſe meines Herzens entdeckt ſind, ſehr bereit ſey, mich in meinen Erzaͤhlungen ſelbſt anzuklagen, aber dennoch mir ſelbſt fuͤr mich ſelbſt etwas zu ſagen habe, wie ich meine Sache nach der Laͤnge anſtelle. Jnzwiſchen geſtehe ich, daß vielleicht keiner, der nicht ſelbſt luͤderlich iſt, eini - ges Gewicht darinn finden wuͤrde. ‒ ‒ Jch moͤch - te wohl tauſend andern, die ſich etwa buͤcken woll - ten, einen Stein auf mich zu werfen, dieſe War - nung geben: „ Sehet zu, daß euch eure eigne „ herrſchende Leidenſchaften, ſie moͤgen Na - „ men haben, wie ſie wollen, nicht zu eben ſo „ vielem Boͤſen verleiten, als mich mein ‒ ‒ „ Sehet zu, wenn ihr etwa in einigen Stuͤcken „ beſſer ſeyn ſolltet, als ich, daß ihr nicht in an - „ dern aͤrger ſeyn moͤget, und daß wohl gar in„ ſol -64„ ſolchen Dingen, wovon ſich die uͤbeln Folgen „ weit mehr ausbreiten, als von der Verfuͤhrung „ (und nachmaligen Verſorgung) eines Maͤdchens „ welches von der Wiegen an mit Fuͤrſichtigkeit „ gegen die Raͤnke der Mannsperſonen gewaffnet „ iſt. “ Und dennoch bin ich nicht ſo partheyiſch gegen meine eigne Fehler, daß ich von dieſem geringe denken ſollte, wenn ich mir ſelbſt zu den - ken erlaube.
Noch ein wichtiges Stuͤck will ich hinzuſetzen: da ich doch einmal bey der Sache bin. „ Jch „ liebe das ſchoͤne Geſchlecht ſo herzlich, daß ich „ weit mehr auf die ſittlichen Grundſaͤtze fuͤr die „ Frauenzimmer geſehen haben wuͤrde, als ich „ wirklich gethan habe, wenn ich einen tugend - „ haften Character uͤberhaupt und ohne Ausnah - „ me noͤthig gefunden haͤtte, mich bey ihnen beliebt „ zu machen. “
Alles kurz zuſammen zu faſſen ‒ ‒ Jch bin uͤberzeugt, daß Leute von edlen und ehrlichen Herzen, die ſich niemals, mit Vorbedachte boͤſes zu thun, erlaubt haben, und die ausnehmenden Vorzuͤge dieſes artigen Frauenzimmers zugleich in Betrachtung ziehen, mich nicht allein verdam - men ſondern auch verabſcheuen wuͤrden und muͤß - ten: wenn ſie ſo viel, als du; von mir wiſſen ſollten. Aber mich deucht, ich duͤrfte doch wohl zu meinem Vergnuͤgen dem Tadel derjenigen Maͤnner und auch ſelbſt derjenigen Weibsperſo - nen entgehen, die niemals erfahren haben, was Hauptproben und Hauptverſuchungen ſind; der -jenigen,65jenigen, die zu waglichen Unternehmungen nicht Witz genug haben; und am allermeiſten derjeni - gen, die bloß ihr Geheimniß beſſer verborgen ge - halten, als ich meines gehalten oder zu halten gewuͤnſcht habe.
Jch habe dir oben gedroht, in meinen Brie - fen an dich zuruͤck zuhalten. Aber laß dich das nicht anfechten, Bruder. Jch muß fortſchreiben und kann mir nicht helfen.
Wahrlich, Bruder, du hatteſt mich mit deinem geſchriebenen Unſinn halb untuͤchtig ge - macht; ob ich es gleich in meinem geſtrigen Brie - fe nicht geſtehen wollte: weil mein Gewiſſen ſchon vorher auf deiner Seite geweſen war. Allein nunmehr denk ich, bin ich wieder mein eigner Herr.
So nahe zur Ausfuͤhrung meines durchtrie - benen Anſchlags! So nahe, meine Mine ſprin - gen zu laſſen! Alles zwiſchen den Weibsleuten im Hauſe und mir ſchon verabredet! Sonſt, glaub ich, haͤtteſt du mich uͤberwaͤltiget.
Fuͤnfter Theil. EJch66Jch habe Zeit zu einigen wenigen Zeilen, als einer Vorbereitung zu dem, was in einer oder zwo Stunden vorgehen ſoll, und Luſt bis an den Augenblick zu ſchreiben ‒ ‒
Wir ſind hoͤchſtgluͤcklich geweſen. Wie vie - le angenehme Tage haben wir mit einander zu - gebracht! Was moͤgen die naͤchſten zwo Stun - den zuwege bringen!
Als ich meine reizende Schoͤne verließ; und das that ich mit unendlichem Widerſtreben vor ei - ner halben Stunde: ſo geſchahe es auf ihr Ver - ſprechen, daß ſie nicht aufſitzen und ſchreiben oder leſen wollte. Denn die Unterredung war ſo vor - theilhaft fuͤr mich, daß ich darauf beſtand, wenn ſie ſich nicht alſobald zur Ruhe begaͤbe, ſo ſollte ſie mir außer der vorigen noch eine gluͤckliche Stunde vergoͤnnen. Und in der That war mein Verhalten waͤhrend der ganzen Zeit ihr offenbar angenehm.
Haͤtte ſie die halbe Nacht aufgeſeſſen und ge - ſchrieben oder geleſen, wie ſie bisweilen thut: ſo wuͤrde dadurch meine Abſicht fehlgeſchlagen ſeyn. Das wirſt du ſelbſt bemerken: wenn ſich meine kleine Liſt entwickelt.
Was ‒ Was ‒ Was nun! unruhiger Boͤ - ſewicht! Wollteſt du mich erwuͤrgen? ‒ ‒
Jch ſprach mit meinem Herzen, Bruder. Es war mir eben an der Kehle ‒ ‒ Und wozu hilft dieß alles? Wenn eine Mannsperſon demZiel67Ziel nahe zu ſeyn denket: wie ungeſtuͤm treiben ihn eben alsdenn dieſe ſchuͤchterne Frauenzimmer aus der Bahn!
Jſt alles fertig, Dorcas? Hat meine Ge - liebte mir ihr Wort gehalten? ‒ ‒ Kommen die - ſe wellengleiche Bewegungen mehr von Liebe oder von Furcht? Jch kann nicht ſagen, wenn es auch mein Leben koſten ſollte, wovon ich am meiſten habe. Wenn ich ſie nur uͤbereilen kann, ehe ih - re Furcht, ehe ihre Beredtſamkeit erwach et ‒ ‒
Meine Glieder, warum zuckt ihr ſo! Meine Knie, die bis itzo ſo feſt gehalten, warum ſeyd ihr ſo ſchwankend? Warum ſchlagt ihr ſo zuſammen? Werden mich nicht dieſe zitternde Finger, welche zweymal, die Feder zu fuͤhren, verſagt haben, und das Papier ſo krumm beflecken, auch in dem be - ſchwerlichen Augenblicke verlaſſen?
Noch einmal, warum und wozu alle dieſe Zuͤckungen? Jn Wahrheit, dieſer Anſchlag ſoll nicht auf die Ehe hinauslaufen.
Aber die Folgen muͤſſen wichtiger ſeyn, als ich bis dieſen Augenblick gedacht habe. Meiner Geliebten oder mein eignes Schickſal kann viel - leicht von dem Ausgange der zwo naͤchſten Stun - den abhangen!
Jch danke, ich werde zuruͤckgehen ‒
Sanft, o heilige Jungfer, und eben ſo ſicher als ſanfte ſey dein Schlummer!
E 2Jch68Jch will nun noch einmal zu meines Freun - des Belfords Briefe kehren. Du wirſt freye Haͤnde haben, meine reizende Schoͤne. Jch will noch einmal durchſehen, was dein Fuͤrſprecher fuͤr dich zu ſagen hat. Es koͤnnen es ſchwache Gruͤnde thun, in der Verfaſſung, worinn ich ſtehe.
Allein was ſoll das! ‒ Was ſoll das! ‒ ‒ Was fuͤr ein zweyfaͤltiger ‒ Doch der Aufruhr legt ſich! ‒ ‒ Was fuͤr ein zweyfaͤltiger fei - ger Kerl bin ich! ‒ ‒ Oder uͤberfaͤllt mich et - wa eben meine feige Zeit? Denn Helden haben ihre Anfaͤlle von Furcht, feige Memmen ihre herzhaften Stunden, und tugendhaſte Frauen - zimmer, alle, außer meiner Clariſſa, ihren ent - ſcheidenden Augenblick ‒ ‒
Nun da ich in Geſchwindigkeit mit ſo kaltem Blute mir deine Betrachtungen zu Nutze ma - chen will. ‒ ‒ Erhebt ſich die Verwirrung wieder von neuem!
Was? Wo? ‒ Wie kam es?
Jſt meine Geliebte in Sicherheit? ‒
O! wecket meine Geluͤbde nicht ſo unge - ſtuͤm auf! ‒
Nun iſt meine Beſſerung gewiß: denn ich werde niemals ein anderes Frauenzimmer lieben! ‒ O ſie iſt lauter Abwechſelung! Sie muß mir allezeit neu ſeyn ‒ Einen ſo ausneh - mend, ſo anſtaͤndig liebreizenden Engel kann kei - ne Einbildungskraft vorſtellen, viel weniger ein Pinſel ſchildern, noch die Seele der Mahlerey, die Dichtkunſt, beſchreiben! ‒ ‒ Jedoch ich will deine Ungeduld nicht zum voraus ſtillen. Ob die Sache gleich fuͤr ungeheiligte Augen zu heilig iſt: ſo ſollſt du ſie doch ganz vor dir ſehen, wie ſie zu - gegangen iſt; und das nicht von einem witzigen Kopf, der ſeine Kunſt zu beſchreiben bey einem ſo reichen Stoffe ſehen laſſen will, ſondern mit ei - nem Vorſatze deinen ſchwaͤrmenden Gedanken ein Ziel zu ſtecken. Sie weiter gehn zu laſſen, als ich geſtehen werde, wuͤrde eine groͤßere Bosheit ſeyn, als ſich ein Lovelace jemals ſchuldig ge - macht hat.
So fuͤhre ich dich denn zur Sache: indem ich mein letztes Schreiben mit dem gegenwaͤrti - gen verbinde.
E 3Haſt70Haſt du bey dem Schluſſe meines vorigen Briefes nicht die Beſtuͤrzung gemerket, worinn ich mich eben damals befand, als ich deinen Brief noch einmal durchgehen wollte, damit ich ſo viel uͤber mich ſelbſt vermoͤgen moͤchte, daß ich den Vorſatz, meine ſchlummernde Schoͤne mit Schre - cken zu erwecken, fahren ließe? Und worauf, meynſt du, kam es an?
Jch wills dir ſagen ‒ ‒
Es war ein wenig nach zwey. Das ganze Haus war ſtill, oder ſchien es zu ſeyn, und mei - ne Clariſſa, wie der Erfolg zeigte, zu Bette und in feſtem Schlafe. Jch hatte mich auch eine Stunde vorher einigermaßen ausgezogen und war in meinem Schlafrocke und in Pantoffeln: ob ich gleich dir zu Gefallen fortſchrieb. Auf ein - mal ſchreckte mich ein Lerm von ſtarkem Treten uͤber meinem Kopfe, und ein verworrenes Geraͤuſch von vermiſchten Stimmen, einige lauter als die andern, wie ein Keifen, und nicht viel anders als ein Klaggeſchrey, alles mit Vocativis, wie bey ei - ner ſchrecklichen Furcht. Jndem ich mich wun - derte, was da zu thun ſeyn moͤchte: rannte Dor - cas die Treppe herunter, kam an meine Thuͤr und rief, mit einem mehr von Schrecken und Heiſerkeit dumpfigten als helle ſchreienden Tone, Feuer! Feuer! Dieß ſchreckte mich deſto mehr, weil es ſchien,