Wenn man mir es nicht als eine Thorheit auslegen will, daß ich mich unterſtehe, den Geſchmack der Welt in Abſicht auf die Schriften, die allein ver - gnuͤgen ſollen, zu beurtheilen; und wenn es nicht allzu dreiſte iſt, daß ich andern vorſchrei - be, wie ihnen das gefallen ſoll, was ihnen zum Zeitvertreib uͤbergeben wird: ſo bitte ich mir Erlaubniß aus, einige wenige An - merckungen zu machen, die dem Leſer einen mittelmaͤßigen Begriff von dieſer Schrifft, und von dem Zweck ihres Urhebers machen koͤnnen.
Alles was Menſchlich iſt, gehet uns am naͤchſten an: daher haben wir einen ſtar - cken Trieb, uns um alle Zufaͤlle des menſch - lichen Lebens zu bekuͤmmern, und ihren Fort - gang und Ausgang mit einer angenehmen) (2Un -Vorrede. Ungeduld zu erwarten. Allein die menſch - lichen Zufaͤlle entwickeln ſich zu langſahm, als daß unſere muntere Neugierde dadurch ſollte befriediget werden koͤnnen. Es haben deswegen aufmerckſahme Leute Geſchichte ge - ſchrieben, und die Erkenntniß des - jenigen, was in vielen Jahren geſchehen iſt, ſo kurtzen Buͤchern anvertrauet, daß die hi - tzige Begierde der Menſchen dadurch kann befriediget werden.
Allein es ging hier, wie es gemeiniglich zu gehen pfleget, daß diejenigen, die uns ver - gnuͤgen wollen, die Sache uͤbertreiben. Wahre Geſchichte, wenn ſie noch ſo lebhaft vorge - tragen wurden, ruͤhrten unſern Geſchmack nicht mehr, der gleichſahm durch die Kunſt allzu lecker geworden war: wir foderten et - was, deſſen uͤber aus ſcharfer Geſchmack un - ſern Hunger erweckte, den wir wie ſieche Leu - te verlohren hatten. Dieſes war der Urſprung der erſten barbariſchen Romainen, in denen das ungewoͤhnliche, das wunderbahre und das unglaubliche herrſchete.
Allein das, was unnatuͤrlich iſt, ſaͤttiget uns ſehr bald ſo, daß ein Eckel darauf folget. Der Leſer ward endlich gewahr, daß ſeineLiebeVorrede. Liebe zu unerwarteten Geſchichten ihn von dem abgebracht hatte, was er ſuchte, nehm - lich von dem Menſchen und von den Zufaͤllen des menſchlichen Lebens, und daß er ſich in den bezauberten Gaͤngen der Ungeheuer verirret hatte. Diejenigen ſuchten den rechten Weg am erſten wider, die ſich am weiteſten verirret hatten. Die naͤchſte Art der Erdichtungen, die den Nahmen der neuen Romainen trugen, war von den Spaniern erfunden. Hier fand man etwas menſchliches, allein in einer allzu ſteifen und muͤrriſchen Geſtalt. Vorhin ging alles durch Zauberey zu, und nunmehr alles durch die ſo genannte Intrigue. Ein Leben war da, aber doch nichts lebhaftes, und den Sitten gemaͤſſes: Dieſe Erdichtun - gen waren noch in ihrer Kindheit. Manche, die nicht ſahen, wo der Fehler eigentlich ſteckte, wurden dennoch misvergnuͤgt, daß alles ſo trocken ausſahe, und die Entwicke - lung ſo ſchwer und unangenehm war.
Die Frantzoſen ſuchten dieſen Fehler zu verbeſſern, und erſannen ihre Helden Ge - ſchichte: darin ſie einige alte und wahre Geſchichte mit Erdichtungen, die ſich blos fuͤr unſere Zeit ſchicken, ſo verſtelleten, daß man wohl ſahe, ſie verſtuͤnden nicht recht zu) (3luͤgenVorrede. luͤgen, und koͤnnten doch auch nichts wahres ſagen. Anſtatt des Lebens und der Sit - ten fand man in ihren Ausſchweifungen, die viele Baͤnder fuͤlleten, nichts als Liebe und Ehrbegierde. Allein wenn man die Platoniſche Liebe zu weit treibt, ſo pflegt ſie gemeiniglich ſich am meiſten zu erniedri - gen, und ſich in den Abſchaum der Liebe zu verwandeln. Die kleineren Liebes-Ge - ſchichte, die auf jene dicken Baͤnde von Hel - den-Geſchichten folgeten, vermieden die vo - rigen Fehler der Spanier und Frantzoſen: allein ſie ſtelleten ihre Geſchichte allzu na - tuͤrlich vor, und verdarben das Hertz, anſtatt daß jene den Geſchmack verdorben hatten.
Unſer groſſes Volck, dem alle Wiſſenſchaf - ten einen unendlichen Danck ſchuldig ſind, traf endlich die rechte Mittelſtraſſe, und er - fand das Geheimniß, eineerdichtete Geſchich - te ſo zu erzaͤhlen, daß der gute Geſchmack vergnuͤget, und der verdorbene Geſchmack gebeſſert ward. Man ſuchte dem Leben und den Sitten der Menſchen auf eine treue aber dabey zuchtige Art nach zu folgen. Ei - nige unſerer neueſten Schriftſteller haben ſich hiedurch groſſen Ruhm erworben.
DieſenVorrede.Dieſen Weg betrat der Urheber der Cla - riſſa als er ſich die Ehre wuͤnſchte, die Welt zu veranuͤgen. Er war ſo gluͤcklich, daß ſeine erſte Arbeit andern gefiel, und die - ſes machte ihm Muth, die Geſchichte der Clariſſa zu liefern. Er ſucht nichts, als das menſchliche Hertz zu ſchildern: er glaubte deswegen, daß er die Art der Vorſtellung erwaͤhlen duͤrfte, die am meiſten und ſtaͤrck - ſten mahlet, obgleich die aneinander haͤn - gende Erzaͤhlung wegfaͤllt, welche einigen unentbehrlich ſcheinen moͤchte, weil ſie nichts thun wollen, als ſich vergnuͤgen.
Er kleidet ſeine Geſchichte in Briefe ein, und eignet die Briefe den Perſonen zu, de - ren Geſchichte er erzaͤhlet. Hiedurch ward er in den Stand geſetzet, auf eine ungezwun - gene Weiſe den Eindruck vorzuſtellen, den ein jeder Zufall in die Gemuͤther der Perſonen macht, welche er am naͤchſten angehet. Er glaubet, daß wir auf ſolcher Art die verſteck - ten Tiefen des menſchlichen Hertzens beſſer, als durch eine bloſſe Erzaͤhlung kennen lernen.
Dieſes iſt die Abſicht unſerer Arbeit, von der ſich vielleicht manche Leſer einen unrich - tigen Begriff machen. Wer unerhoͤhrte Zu - faͤlle, ſaftige Liebes-Geſchichte, oder Unge -) (4heuerVorrede. heuer ſuchet, kurtz wer etwas anderes ſuchet, als die unverfaͤlſchte Natur, und das, was fich wircklich in dem menſchlichen Leben zu begeben pflegt, dem ſagen wir zum voraus, daß er ſich betriegen wird. Wenn ihm aber eine erdichtete Geſchichte, die voͤllig dem gleich iſt, was taͤglich in der Welt geſchiehet, in der die Tugend eine Zeitlang ſeufzet und das Laſter frohlocket, zum Vergnuͤgen dienen kann: wenn er entweder daraus etwas ler - net, oder ein angenehmes und menſchliches Mitleyden empfindet, ſo wird er die muͤßigen Stunden nicht uͤbel angewandt haben, die er ſich durch Leſung dieſer Schrift vertreibet.
ClariſſaJch bin Jhnen den verbindlichſten Danck ſchuldig, daß Sie ſich ſo weit herablaſ - ſen, und ſich um ein Maͤdchen bekuͤm - mern, das Jhnen ein ſo großes Aergerniß gege - ben hat.
Jch bin hieruͤber faſt eben ſo ſehr gebeuget, als uͤber mein Vergehen ſelbſt.
Melden Sie mir, was Jhre Frau Mutter ge - ſagt hat: und dennoch fuͤrchte ich mich, es zu er - fahren, ob ich Sie gleich darum bitte.
Jch wuͤnſche und fuͤrchte zu wiſſen, was die Fraͤuleins geſagt haben, mit denen umzugehen ich das Gluͤck hatte: ein Gluͤck, das nun vielleicht auf ewig verſchertzt iſt.
Sie werden zwar nichts haͤrteres von mir ſagen koͤnnen, als was ich ſelbſt von mir ſage. Eine jede Zeile meiner Erzaͤhlung ſoll eine offenhertzigeDritter Theil. AAnkla -2Anklage wider mich ſeyn, ſo oft ich mich fuͤr ſchul - dig halte. Wenn es moͤglich iſt, daß durch eine um - ſtaͤndliche Nachricht meine Schuld etwas gemaͤßi - get werden kann, alh welches das hoͤchſte iſt, das eine Perſon hoffen darf, die ſich nicht entſchuldigen kann: ſo weiß ich gewiß, daß ich von Jhrer Freundſchaft ein gemaͤßigtes Urtheil erwarten darf. Auf die Liebe anderer darf ich nicht hoffen: ohne Zweifel iſt jetzt jedermann der Mund wider mich geoͤffnet, und alle, die Clariſſa Harlowe gekannt haben, verdammen nun die entlauffene Tochter.
Nachdem ich meinen letzten Brief an Sie, den ich bis auf die letzte Stunde fortgeſetzet hatte, nie - dergeleget, ſo kam ich nach dem Sommer-Hauſe zuruͤck, und nahm nur noch meinen Brief an Lo - velacen zwiſchen den loſen Ziegeln weg. Jch uͤberlegte hier ſo ruhig, als es mir in meinen Um - ſtaͤnden moͤglich war, was zwiſchen mir und meiner Frau Baſe Hervey vorgegangen war, und verglich einen Theil deſſen, was mir Dorthchen geſchrie - ben hatte, damit. Jch ſing zuletzt an Hoffnung zu ſchoͤpfen, daß ich mich vor dem bevorſtehenden Mittewochen nicht ſo ſehr fuͤrchten duͤrfte, als ich that. Dieſes waren die Gruͤnde, welche ich mir vorhielt.
„ Der Mittewochen kann der Tag nicht ſeyn, „ den ſie im Sinne haben, ob ſie gleich wuͤnſchen „ moͤgen, mich durch dieſen Tag in Furcht zu ſe - „ tzen. Die Ehe-Stiftung iſt noch nicht unter -zeich -3„ zeichnet, ja mir noch nicht einmahl zur Unter - „ ſchrifft vorgelegt. Es ſteht bey mir, ob ich ſie „ unterſchreiben will, oder nicht; ob mir gleich ſehr „ ſchwer fallen wird, es abzuſchlagen, wenn mein „ Vater ſelbſt dieſe Forderung an mich bringt. Mei - „ ne Eltern hatten vor, nach meines Onckels Gut „ zu verreiſen, wenn es noͤthig waͤre, Gewalt ge - „ gen mich zu gebrauchen, damit ich ihnen mit „ meinen Bitten nicht moͤchte beſchwerlich fallen „ koͤnnen. Allein dieſen Mittewochen gedencken „ ſie hier gegenwaͤrtig zu ſeyn. So fuͤrchterlich mir „ auch der Gedancke iſt, vor ſie und vor die gantze „ Verſammlung aller der Meinigen geſtellet zu „ werden, ſo iſt dieſes dennoch, wo ich mich nicht „ irre, eine Sache, die ich ſehr zu wuͤnſchen habe. „ Denn mein Bruder und meine Schweſter glau - „ ben, daß ich ſo vieles bey meinen Eltern vermag, „ daß ſie mich eben deswegen von ihrer Gegenwart „ auszuſchließen ſuchten, weil ſie ohne dieſes es fuͤr „ unmoͤglich hielten, ihre Abſichten gegen mich zu „ erreichen. „
„ Was habe ich fuͤr Urſache, daran zu zwei - „ feln, daß ich nicht einen oder den andern unter „ meinen Anverwanten werde gewinnen koͤnnen? „ und daß ich nicht meines Bruders Argliſtigkeit „ vor ſeinen Augen deutlich abmahlen, und hie - „ durch ſein Vermoͤgen bey meinen uͤbrigen Anver - „ wanten ſchwaͤchen ſollte, wenn ich Gelegenheit „ haͤtte, ihm in Beyſeyn anderer unter die Augen „ zu treten. „
A 2Wenn4„ Wenn auch das ſchlimmſte erfolget, ſo will „ ich dem Prediger ſo in das Gewiſſen reden, daß „ er ſich nicht unterſtehen ſoll, die Trauung vor - „ zunehmen: und Herr Solmes ſoll ſich auch „ nicht wagen eine gezwungene Hand anzunehmen, „ die alle Kraͤfte anwendet, ſich von ihm los zu „ reiſſen. Sind alle andere Mittel vergebens an - „ gewandt, und kann ich dadurch keinen Auffchub „ erlangen: ſo kann ich vorgeben, daß ich Gewiſ - „ ſens-Zweiffel habe, und daß ich mein Ja-Wort „ ſchon an einen andern gegeben habe. Denn „ Sie koͤnnen aus den Briefen, die Sie in Ver - „ wahrung haben, ſehen, daß ich Herrn Lovela - „ cen die Hoffnung gegeben habe, daß ich keinen „ andern heyrathen will, ſo lange er noch am Le - „ ben und unverheyrathet iſt, und mich nicht vor - „ ſetzlich beleydiget. Jch ſuchte durch dieſes Ver - „ ſprechen ſeine Rachgier in Schrancken zu halten, „ welche durch die Auffuͤhrung meines Bruders „ und meiner Onckels allzuſehr gereitzet ward.
„ Da ich meine Gewiſſens-Zweifel keinem an - „ dern als dem redlichen D. Lewin entdecken will, ſo „ iſt es ohnmoͤglich, daß meine Mutter und ihre „ Schweſter unbewegt und unerbittlich bleiben ſol - „ len, wenn auch die uͤbrigen ſteinern bleiben.
Nachdem ich dieſes alles meinem Gemuͤth, auf einen Blick vorgeſtellet hatte, ſo freuete ich mich uͤber den gefaßten Entſchluß, nicht mit Herrn Lovelacen wegzugehen.
Jch5Jch habe Jhnen verſprochen, mich ſelbſt in meiner Erzaͤhlung nicht zu ſchonen; und ich erzaͤh - le eben dieſes als Umſtaͤnde, dadurch die Hand - lung, zu welcher ich mich ungluͤcklicher Weiſe ha - be verfuͤhren laſſen, viel ſchwaͤrtzer wird. Allein das, was ich dazu ſetzen muß, macht mich noch weit ſchuldiger: ich war nehmlich zweiffelhaft, ob nicht dasjenige, was Dorthchen von Eliſabeth und von meiner Schweſter meldete, ihr eben deswegen erzaͤhlt waͤre, damit ich es wieder erfahren und das aͤußerſte zu wagen veranlaſſet werden moͤchte? ob man nicht ſuchte, mich zu dem Schritt zu zwin - gen, den ich jetzt wircklich gethan habe, weil man ihn vielleicht fuͤr das kraͤftigſte Mittel anſehen moͤchte, mich auf ewig bey meinem Vater und ſeinen Bruͤ - dern verhaßt zu machen.
Gott vergebe es mir, wenn ich von den Ab - ſichten meiner leiblichen Geſchwiſter allzu hart ur - theile. Wenn mein Urtheil richtig iſt, ſo haben ſie mir mit der groͤßeſten Argliſtigkeit Schlingen ge - legt, und ich habe mich fangen laſſen. Sie moͤ - gen nun doppelt frohlocken, wenn ſie anders uͤber das Ungluͤck einer Schweſter, die nie einen Vorſatz oder Wunſch zu ihrem-Nachtheil gehabt hat, froh - locken koͤnnen.
Dieſe Betrachtungen, die ich anſtellete, verur - ſacheten, daß ich mich mehr vor der bevorſtehen - den Unterredung, und weniger vor dem Mittewo - chen fuͤrchtete. Jene hielt ich nicht allein fuͤr das naͤheſte ſondern auch fuͤr das groͤſſeſte Uebel. Wiewohl! vielleicht ſchien es mir nur des -A 3wegen6wegen ein großes Uebel zu feyn, weil es nahe be - vor ſtand. Denn ich unverſtaͤndiges Kind ſtelle - te mir nicht einmahl traͤumend vor, was der Aus - gang unſerer Unterredung ſeyn wuͤrde. Das glaubte ich, daß ich einen Zanck mit ihm haben wuͤrde, weil er meinen Brief nicht bekommen hatte. Allein nach meiner damahligen Art zu dencken wuͤr - de es ſehr wunderlich ſeyn, (wie ich Jhnen in mei - nem letzten Briefe meldete) wenn ich in einer ſol - chen Verſuchung unterliegen ſollte, nachdem ich mich gegen das Gebot derer die ſo viel Ehrfurcht von mir fodern koͤnnen, und deren Nahmen mir billig heilig ſind, ſo ſtandhaft bewieſen hatte, da ich glaub - te, daß ſie ihre Rechte misbrauchten; und nachdem er mir durch ſeine Nachlaͤßigkeit in Abhohlung mei - nes Briefes ſo viele Urſache gegeben hatte, mis - vergnuͤgt gegen ihn zu thun.
Wie kurtz iſt oft der Augenblick, der unſer Schickſaal entſcheidet! Haͤtte ich nur noch zwey Stunden gehabt, die Sache zu uͤberlegen, und mir dieſe neuen Einſichten (wenn ich ſie ſo nennen ſoll) zu Nutze zu machen! Allein vielleicht haͤtte ich mich dennoch bewegen laſſen, ihn zu ſprechen! Wie thoͤricht habe ich darin gehandelt, daß ich ihm einige Hoffnung machte, ihm muͤndlich die Urſachen zu ſagen, wenn ich meinen Vorſatz aͤn - dern muͤßte!
Ach mein Schatz, ein allzu gutes und ein allzu gefaͤlliges Gemuͤth iſt eine ſehr gefaͤhrliche Sache, und es pflegt ſich ſelbſt zu beleydigen, weil es ſich ſcheuet andere zu beleydigen.
Als7Als geklingelt ward, daß die Bedienten zu Ti - ſche gehen ſollten, ſo kam Eliſabeth und fragte mich, ob ich noch etwas zu befehlen haͤtte? Sie gab mir hiebey abermahls zu verſtehen, daß ſie zu thun haben wuͤrde, und daß ſie glaubte, man er - warte mich nicht eher wieder in dem Hauſe, als bis ſie zu mir kaͤme, oder bis mich meine Mutter Schweſter oder die Fraͤulein Hervey abrieffe.
Jch fragte Sie allerhand von der Cascade, die etwas verfallen und erſt kuͤrtzlich wieder ausgebeſſert war. Jch war ſo kuͤnſtlich mich ſelbſt zu fangen, daß ich mich ſtellete, als waͤre ich ſehr begierig, die Waſſer-Kunſt ſpringend zu ſehen, damit ſie mich bey der Waſſer-Kunſt ſuchen moͤchte, wenn ſie mich nicht faͤnde, indem dieſer Theil des Gar - teus am weiteſten von dem Sommer-Hauſe ent - fernet iſt.
Sie konnte kaum in das Haus getreten ſeyn, als ich das erſte Zeichen hoͤrete. Wie ſchlug mir das Hertz! Allein es war keine Zeit zu verlieren. Jch ging nach der Garten-Thuͤr, und weil ich mich ſicher ſahe, ſo riegelte ich die ſchon aufge - ſchloſſene Garten-Thuͤr auf. Hier ſtand er, und erwartete mich voller Ungeduld.
Jch empfand bey ſeinem Anblick das aͤußerſte Schrecken, daß ich mich kaum halten konnte. Mein Hertz war voller Verwirrung, und ich be - bete ſo, daß ich nicht auf den Fuͤßen wuͤrde haben ſte hen koͤnnen, wenn er mich nicht gehalten haͤtte.
Fuͤrchten Sie ſich nicht, liebſtes Kind. (ſagte er zu mir) Laſſen ſie uns eilen! der Wagen ſtehetA 4ſchon8ſchon da. Sie haben mich durch ihre liebens - wuͤrdige Guͤtigkeit ſo verpflichtet, daß ich es Jh - nen nie in der That verdancken kann, und daß mir ſo gar die Worte fehlen Jhnen zu dancken.
Jch kam unterdeſſen, daß er mich mit ſich fort - zog, wieder zu mir ſelbſt, und ſagte: o Herr Lo - velace, ich kann ohnmoͤglich mit ihnen gehen. Jch kann es wahrhaftig nicht thun. Jch habe es ihnen auch geſchrieben. Laſſen ſie nur meine Hand los, ſo will ich ihnen den Brief zeigen. Er hat ſeit geſtern Morgen bis vor einer halben Stunde da gelegen. Jch habe ſie ja gebeten, bis auf die letzte Stunde zuzuſehen, ob ich von neuen ſchrei - ben wuͤrde, weil ich vielleicht gezwungen werden koͤnnte, meinen Vorſatz zu aͤndern: und ſie wuͤr - den meinen Brief gefunden haben, wenn ſie ge - folget waͤren.
Er behielt faſt keinen Athem mehr, und ſagte: ich bin belauret worden. Auf alle meine Tritte und Schritte iſt gelauret worden. Auch iſt auf meinen Bedienten, auf den ich mich verlaſſen kann, ſeit Sonnabends, ſo genau Achtung gege - ben, daß er ſich nicht unterſtanden hat, ſich ihrer Garten-Mauer zu naͤhern. Auch hier werden wir ſo gleich entdeckt werden. Eilen ſie von hier, mein eintziges Vergnuͤgen. Dis iſt der Augenblick, in dem ſie befreyet werden koͤnnen: wenn ſie den verſaͤumen, ſo werden ſie ihn niemahls wieder haben.
Was wollen Sie, Herr Lovelace? laſſen Sie meine Hand los! Jch will eher ſterben, als mitih -9ihnen gehen! (ſagte ich, und ſuchte die Hand los - zureiſſen).
Er brach mit einem verwilderten Blick und als voller Verwunderung aus: o Gott! was hoͤre ich! Aber es iſt keine Zeit, viel Worte zu machen. Jch ſchwoͤre ihnen ſo hoch als ich kann: ſie muͤſ - ſen fliehen. Sie werden hoffentlich an meinem Worte und Ehre nicht zweifeln, und nicht wollen, daß ich an ihrem Worte zweifeln ſoll. Unterdeſ - ſen, daß er dieſes ſagte, entfernte er ſich immer weiter von der Thuͤre, und zog mich mit ſich fort.
Wenn ſie mich lieb haben, Herr Lovelace, ſo dringen ſie nicht weiter in mich. Jch habe meine Entſchließung ſchon mitgebracht. Laſſen ſie mich nur ſo viel los, daß ich ihnen den Brief ge - ben kann, den ich geſchrieben hatte: meine Urſa - chen ſollen ſie hernach auch hoͤren, und dieſe wer - den ſie uͤberzeugen, daß ich unrecht daran thun wuͤrde, jetzt zu fliehen.
Nichts nichts kann mich uͤberzeugen, Fraͤulein. So wahr Gott lebt, ich kann ſie nicht verlaſſen. Sie jetzt verlaſſen, und ſie auf ewig verlohren ge - ben iſt einerley.
Soll ich gezwungen werden? (ſagte ich mit gleicher Heftigkeit und Ungeduld) laſſen ſie mir die Hand los. Jch bin voͤllig entſchloſſen nicht mit ihnen zu gehen; und ich will ſie uͤberzeugen, daß es Unrecht ſeyn wuͤrde.
Alle meine Verwanten erwarten ſie, meine liebe Fraͤulein. Alle ihre Verwanten haben ih -A 5ren10ren Schluß ſchon gefaſſet, ſie zu zwingen. Der Mittewochen iſt der Tag: der gefaͤhrliche Tag. Vielleicht der ungluͤckliche Tag? wollen ſie ſo lan - ge warten, daß ſie Frau Solmes werden? kann dieſes doch noch zu guter letzte ihr Entſchluß ſeyn?
Nein! nimmer nimmermehr will ich mich an den Mann geben. Aber ich will auch jetzt nicht mit ihnen gehen. Schleppen ſie mich doch nicht ſo. Was unterſtehen ſie ſich? Jch wuͤrde ſie gar nicht geſprochen haben, wenn es nicht geſchehen waͤre, ihnen dieſes zu ſagen. Jch waͤre nicht her - gekommen: allein ich furchte, daß ſie ſich verge - hen moͤchten. Ein vor alle mahl, ich will nicht mit ihnen gehen. Was wollen ſie? ‒ ‒ unter dieſer gantzen Unterredung wandte ich alle Kraft an, mich loszureiſſen.
Er ließ endlich meine Hand gehen, und ſprach mit einer gelindern Stimme: iſt mein Engel be - zaubert? nach ſo viel Kraͤnckungen, die ihnen ih - re Anverwanten angethan haben; noch ſo heili - gen Verſicherungen, nach einer ſo zaͤrtlichen Liebe, die ich gegen ſie gezeiget habe, koͤnnen ſie es uͤber das Hertz bringen, mich durch einen ſolchen Bruch ihrer Worte zu toͤdten?
Alles das Reden hilft nichts, Herr Lovelace. Wenn ich mehr Zeit habe, ſo ſollen ſie die Urſa - chen erfahren. Jch kann nicht mitgehen. Jch ſage es noch einmahl, dringen ſie nicht weiter in mich. Jch kann mich ja nicht von allen Leuten zwingen laſſen.
Jch11Jch ſehe wol, was die Meinung iſt, ſagte er mit einer niedergeſchlagenen und empfindlichen Gebeerde. Wie hart iſt mein Schickſaal! Sie haben ſich endlich uͤberwinden laſſen. Jhr Bru - der und ihre Schweſter ſind Sieger geblieben; und ich muß alle meine Hoffnung einem ſolchen Koth von Menſchen uͤberlaſſen. ‒ ‒
Jch ſage es ihnen nochmahls, ich werde nie die ſeinige werden. Vielleicht nimmt die gantze Ge - ſchichte auf den Mittewochen ein gantz anderes Ende als ſie dencken. ‒ ‒
Und vielleicht nicht! ‒ ‒ Und denn Himmel ‒ ‒
Jch habe Grund zu glauben, daß dieſes nur der letzte Verſuch iſt.
Auch ich habe Grund eben das zu glauben. Denn wenn ſie nicht eilen, ſo ſind ſie Frau Sol - mes.
Nicht alſo! (ſiel ich ihm in die Rede) Jn ei - nem Stuͤck bin ich gefaͤllig geweſen: die meinigen werden doch auch ein wenig gefaͤlliger ſeyn. Wenn alle Hoffnung fehl ſchlaͤgt, ſo will ich doch Zeit gewinnen. Jch habe mehr als einen Ausweg: ſeyn ſie deſſen verſichert.
Aber, meine liebe Fraͤulein, was hilft das, wenn ſie Zeit gewinnen? Jch ſehe, daß ſie ſelbſt nichts mehreres hoffen. Jch ſehe es: ſonſt wuͤrden ſie den elenden Vorwand nicht gebrauchen. ‒ ‒ Lieb - ſtes liebſtes Kind, darf ich ſie nicht bitten, ſich nicht in eine Gefahr zu begeben, davon die Folgen ewig ſeyn werden? Jch kann ſie uͤberzeugen, daß es nicht eine bloße Gefahr ſeyn wird, ſondern daßſie12ſie auf den Mittewochen gewiß ihren Nahmen nicht mehr haben, wenn ſie jetzt zuruͤcke gehen. Jetzt haben ſie es in ihrer Gewalt: ſuchen ſie jetzt den ungluͤcklichen den allzugewiſſen Folgen vorzu - beugen.
Herr Lovelace! wenn ihr Hertz mich ſo werth ſchaͤtzet als ihr Mund, ſo haͤngt ihre eigene Ehre mit daran, daß ich keinen unuͤberlegten Schritt thue, ſo lange ich noch einige Hoffnung habe: keinen Schr[it]t, den die Klugheit verdammen muͤßte.
Jhre Klugheit, Fraͤulein? Wer hat die je in Zweifel gezogen? Allein was hat ihre Klugheit oder Gehorſam bey ſo wunderlichen und unerbitt - lichen Koͤpfen bisher ausgerichtet?
Er wiederhohlte hierauf ſehr nachdruͤcklich, mit wie vieler Haͤrte man mir begegnet ſey, und gab alle dieſe Haͤrte der Bosheit und dem Eigenſinn mei - nes Bruders ſchuld, der jedermann gegen ihn ver - hetzte. Er beſtand darauf: es ſey kein anderer Weg der Verſoͤhnung mit meinem Vater und mit ſeinen Bruͤdern moͤglich, als daß ich der eingewurtzelten Bosheit meines Bruders zu entgehen ſuchte.
Jhr Bruder, (fuhr er fort) ſetzt ſeine gantze Hofnung darauf, daß ihn die Erfahrung bisher gelehrt hat, wie geduldig ſie alle Beleidigungen hinnehmen. Wenn ſie einmahl den ſchimpflichen Gewaltthaͤtigkeiten entgangen ſind, ſo wird ihre gantze Familie ſie ſelbſt ſuchen: Sie werden ihnen ihr Gut einraͤumen, ſo bald ſie wiſſen, daß ſie bey Leuten ſind, die ihr Recht vertheidigen koͤnnen und wollen. Warum warten ſie noch einen Augenblick? (Hie -13(Hiebey umfaſſete er mich, und zog mich gelinder mit ſich fort.) Jetzt iſt die Zeit. Jch bitte ſie, allerliebſter Schatz, entfliehen ſie mit mir. Se - tzen ſie in ihren ungluͤcklichen und verfolgten An - beter kein Mistrauen. Haben wir nicht mit ein - ander in einer Sache gelitten? Wenn der Leute Nachrede etwas an ihren Betragen zu tadeln findet, ſo goͤnnen ſie mir, ſo bald ich anfange es zu ver - dienen, die Ehre, ſie die Meinige zu nennen. Solte ich alsdann nicht im Stande ſeyn, ihre Per - ſon und ihren guten Nahmen zu vertheidigen?
Dringen ſie nicht weiter in mich, Herr Love - lace, ich bitte ſie um Gottes willen. Sie ſelbſt haben mir jetzt einen Winck gegeben; und ich will deutlicher reden, als es mir die Klugheit in andern Umſtaͤnden erlauben wuͤrde. Jch bin voͤllig ver - ſichert, und ich wolte ſie auch uͤberzeugen, wenn ich nur Zeit haͤtte, daß der bevorſtehende Mitte - wochen nicht der Tag iſt, vor dem wir beyde uns fuͤrchten. Wenn dieſer Tag voruͤber iſt, und ich finde, daß meine Freunde noch entſchloſſen ſind, des Herrn Solmes Geſuch durchzutreiben: ſo will ich einen Weg machen, daß ich ſie bey der Fraͤu - lein Howe ſprechen kann, die gewiß ihre Feindin nicht iſt. Wenn erſt die noͤthige Cerimonie vor - her gegangen iſt, ſo will ichs fuͤr meine Schuldig - digkeit anſehen, den Schritt zu thun, der vorhin unrechtmaͤßig ſeyn wuͤrde: weil ich alsdenn einen Gehorſam ſchuldig bin, der den Gehorſam gegen die Eltern billig aufhebt.
Allerliebſte Fraͤulein ‒ ‒
Ja14Ja Herr Lovelace, wenn ſie nun noch ein Wort einwenden ‒ ‒ Wenn ſie nun nicht zufrie - den ſind, da ich mich ſo erklaͤret habe, als es ge - wiß mein Vorſatz nicht war, mich zu erklaͤren: ſo weiß ich nicht, was ich von ihrer Danckbarkeit und von ihren Gemuͤth dencken ſoll.
Es laͤſt ſich bey der Sache nichts uͤberlegen, Fraͤulein. Jch bin voller Danckbarkeit. Es feh - len mir nur die Worte, die Freude auszudruͤcken, die ich uͤber die entzuͤckend-angenehme Hoffnung, die ſie mir machen, empfinden muͤßte, wenn ſie nicht auf den Mittewochen gantz gewiß die Beute eines andern Mannes werden ſollten, im Fall ſie hier bleiben. Dencken ſie nur, allerliebſtes Kind, uͤberlegen ſie ſelbſt, wie meine Angſt eben dadurch vermehret werden muß, daß ſie mir erlauben zu hoffen.
Verlaſſen ſie ſich auf mein Wort. Ehe will ich ſterben, als mich an den Solmes ergeben. Jch ſoll mich auf ihre Ehre verlaſſen, und ſie wollen an meiner Ehre zweiffeln.
Wer zweiffelt denn an ihrer Ehre, Fraͤulein! An ihrem Vermoͤgen zweiffele ich. Sie werden keine ſolche Gelegenheit wieder haben. Unver - gleichliches Kind, nehmen ſie es mir nicht uͤbel ‒ ‒ Hierauf zog er mich abermahl mit ſich fort.
Wohin wollen ſie mich ziehen? Laſſen ſie mich den Augenblick los. Jch glaube, ſie ſuchen mich ſo lange aufzuhalten, bis es unmoͤglich oder ge - faͤhrlich fuͤr mich iſt, zuruͤck zu kehren. Jch bin ſchlecht mit ihnen zufrieden. Sehr ſehr ſchlecht! Laſ -15Laſſen ſie mich den Augenblick gehen, wenn ich nur eine mittelmaͤßige gute Meinung von ihnen behal - ten ſoll.
Auf dem Augenblick aber beruhet meine jetzige und kuͤnftige Gluͤckſeligkeit, und die Sicherheit, aller ihrer unverſoͤhnlichen Angehoͤrigen.
Die Sicherheit meiner Freunde, Herr Lovela - ce, will ich der Vorſicht Gottes und dem Schutz der Geſetze uͤberlaſſen. Durch Drohungen ſollen ſie mich zu keiner Ubereilung bringen, die mein Ge - wiſſen fuͤr Suͤnde haͤlt. Soll ich alle Ruhe des Gemuͤths auf Lebens lang verleugnen, um das zu befoͤrdern, was ſie ihre Gluͤckſeligkeit nennen?
Sie zancken ſich uͤber Kleinigkeiten mit mir, mein Leben, da der Augenblick iſt, der uns gluͤck - lich ſeyn koͤnnte. Der Weg iſt ſicher. Jetzt iſt er ſicher. Allein in einem Augenblick koͤnnen ſie uͤberfallen werden. Was haben ſie noch fuͤr Zweif - fel? Ewig ewig will ich verdammet ſeyn, wenn ihr Wort nicht kuͤnftig mein Geſetz ſeyn ſoll. Alle meine Anverwanten erwarten ſie. Jhr eigenes Verſprechen ruft ſie von dieſem unſichern Orte weg, der Mittewochen! allerliebſtes Kind, dencken ſie an den Mittewochen! Worauf dringe ich? Jſt es nicht das eintzige, das beſte Mittel, ſie mit denen in ihrer Familie auszuſoͤhnen, denen ſie die meiſte Liebe ſchuldig ſind?
Jn meiner Sache will ich mit meinen eigenen Augen ſehen. Sie ſchelten auf die Meinigen, weil die mich zwingen wollen: und ſie zwingen mich ſelbſt. Jch will nichts hoͤren. ‒ ‒ Weil ſie ſohart16hart auf ihrem Sinne beſtehen, ſo werde ich noch furchtſamer, und ungeneigter mit zu gehen. Laſſen ſie mich alſo nur umkehren! Laſſen ſie mich umkeh - ren, ehe es zu ſpaͤte iſt: damit wir beyde unſre Sache nicht verſchlimmern moͤgen. Was ſoll der Zwang bedeuten? ſoll ich etwan daraus lernen, wie ſehr mein Wille ihr Geſetz ſeyn ſoll? Ziehen ſie den Augenblick die Hand ab, oder ich ſchreye.
Jch gehorche ihnen liebes Kind! ſagte er, und ließ meine Hand mit einem Geſicht fahren, wel - ches eine zaͤrtliche Verzweiffelung ſo vollkommen auszudruͤcken ſchien, daß ich ſeinetwegen in Sor - gen gerieth, weil mir ſein heftiges Gemuͤth bekannt war. Jch eilete aber doch noch weg, als er mit einer ernſthaften Mine auf ſeinen Degen ſahe, und (wie es ſchien) die Hand wieder zuruͤck zog, und beyde Haͤnde in einander ſchlug, nicht anders als wenn er ſich eben beſſer beſonnen haͤtte.
Noch einen Augenblick! Warten ſie nur noch einen Augenblick, meine eintzige Freude. Der Ruͤckweg iſt ſicher, wenn ſie zuruͤcke gehen wollen: der Schluͤſſel lieget bey der Thuͤr. Aber, o Fraͤu - lein, auf den Mittewochen ſind ſie Frau Solmes. Fliehen ſie nicht ſo ſehr vor mir! hoͤren ſie nur noch wenige Worte von mir.
Als ich bey der Garten-Thuͤr war, buͤckte ich mich und war deſto beſſer mit ihm zufrieden, weil ich ſahe, daß wircklich der Schluͤſſel da lag, da - mit ich zuruͤck kommen koͤnnte wenn ich wolte. Nur das machte mich unruhig, daß man mich vielleicht vermiſſen wuͤrde, und deswegen ſagteich17ich ihm: ich koͤnnte ohnmoͤglich laͤnger warten. Jch haͤtte ſchon allzulange gewartet; und ich wollte ihm alle meine Urſachen ſchriftlich geben. Und ſeyn ſie verſichert Herr Lovelace (ſagte ich, da ich mich eben nach dem Schluͤſſel buͤckte) ich will ehe ſterben, als den Mann nehmen. Sie wiſſen, was ich verſprochen habe. Jch bin in Gefahr.
Aber doch noch ein Wort, Fraͤulein. Noch ein Wort, (ſagte er, und nahete ſich mir mit in einander geſchlagenen Armen, recht als wenn er ſich fuͤrchtete, daß er ſie ſonſt misbrauchen moͤch - te) bedencken ſie doch, daß ich auf ihr Wort mit Gefahr meines eigenen Lebens gekommen bin, um ſie von ihren Verfolgern und Buͤtteln zu erretten, und um an jener Stelle ihr Vater (Gott verdam - me mich ewig, wenn das nicht mein aufrichtiger Zweck geweſen iſt) ihr Onckle, ihr Bruder, und ſo bald ſie meine demuͤthige Hoffnung wahr ma - chen wuͤrden, ihr Mann zu werden. Da ich aber finde, daß ſie ſo fertig ſind, Huͤlfe gegen mich zu ſchreyen, und dadurch ihre gantze Familie zur Ra - che gegen mich aufzubringen: ſo habe ich mich ent - ſchloſſen, aller Gefahr entgegen zu gehen. Jch will ſie nicht weiter bitten, mit mir zu fluͤchten; ſondern ich will ſie in den Garten begleiten, ja in das Haus ſelbſt, wenn ich nicht mit Gewalt ab - gehalten werde. Erſchrecken ſie nicht, Fraͤulein: ich will ſie zu den Helfern begleiten, die ſie gegen mich heraus ruffen wollten. Jch will ihnen allen unter die Augen gehen, nicht um mich an ihnen zu raͤchen, wenn ich nicht uͤber alle Maaße zurDritter Theil. BRache18Rache gereitzet werde. Sie ſollen ſehen, wie viel ich um ihrentwillen erdulden kann. Wir wollen beyde ſehen, ob eine vernuͤnftige Vorſtellung, und eine ſolche Auffuͤhrung, wie man ſie irgend von einem Cavallier fodern kann, ſie nicht zwingen ſoll, mir ſo zu begegnen, wie man einem Caval - lier begegnen muß.
Wenn er gedrohet haͤtte, ſich ſelbſt Leyd anzu - thun, ſo hatte ich mir ſchon vorgenommen, ihn damit hoͤhniſch aufzuziehen, daß er mich fuͤr ſo tumm anſehe, und mit einer ſo gewoͤhnlichen Drohung ſchrecken wollte. Allein dieſe Entſchließung, die ſein gantzes Geſicht zu bekraͤftigen ſchien, machte daß ich aus Schrecken kaum Athem hohlen konnte.
Was iſt ihr Endzweck, Herr Lovelace? Jch bitte ſie, gehen ſie von mir. Gehen ſie weg, ich bitte ſie recht ſehr.
Jch bitte ſie, Fraͤulein, entſchuldigen ſie mich, wenn ich dieſes mahl nicht Gehorſam leiſte. Lan - ge, lange genug bin ich um dieſe einſamen Mau - ren herumgeſchlichen. Mehr als zu lange habe ich alle Beſchimpfungen von ihrem Bruder, und von ihren uͤbrigen Anverwanten ertragen. Allein oft wird die Bosheit giftiger, wenn man ihr nicht unter die Augen tritt. Jch habe nichts mehr zu verlieren; ich bin deſperat. Jch habe weiter nichts zu hoffen, als dieſen Tag. Denn iſt nicht uͤbermorgen der Mittewochen. Jch habe durch Geduld die Bosheit dreiſte gemacht. Aber den - noch will ich geduldig ſeyn. Sie ſollen ſehen wieviel19viel ich ihrentwegen leyden kann. Sie ſollen meinen eingeſteckten Degen in den Haͤnden haben: (er wollte ihn mir hierauf geben, wie er in der Scheide war) und die ihrigen ſollen ihren Degen in mein Hertz ſtecken, wenn es Jhnen beliebet. Nach dem Leben frage ich nichts, wenn ich ſie ver - lieren ſoll. Seyn ſie nur ſo guͤtig, und gehen ſie voran in den Garten: ich will ihnen zu meinem Tode folgen. Jch bin gluͤcklich, wenn ich mein Verhaͤngniß, wie hart es auch immer iſt, vor ih - ren Augen uͤberſtehe. Gehen ſie voran, unver - gleichliches Kind: ſie ſollen ſehen, was ich fuͤr ſie leyden kann. Hierauf buͤckte er ſich nach dem Schluͤſſel und wollte aufſchließen: allein auf mei - ne ernſtliche Bitte unterließ er es, und ließ den Schluͤſſel wieder fallen.
Jch ſagte: was iſt doch ihr Endzweck bey allen dieſem? Wollen ſie ſich muthwillig in Gefahr be - geben? Wollen ſie mich mit in Gefahr ſtuͤrtzen? Soll das die Probe von ihrer Art zu dencken ſeyn? Darf ſich jedermann meine Weichhertzigkeit zu Nutze machen?
Jch konnte mich der Thraͤnen ohnmoͤglich ent - halten. Er warf ſich vor mir auf die Knie, und ſagte mit brennenden Augen und mit einem ſolchen Eifer, den die Verſtellung ſchwerlich nach - machen kann: wer kann eine ſo liebenswuͤr - dige Gemuͤths-Bewegung ſehen, ohne geruͤhret zu werden? O mein eintziger Wunſch und Freude (fuhr er kniend fort, und druͤckte mei - ne Hand mit beyden Haͤnden an ſeine Lippen) be -B 2fehlen20fehlen ſie mir bey ihnen zu bleiben oder von ihnen zu gehen, ſo werde ich blindlings gehorſam ſeyn. Allein ich beziehe mich auf das, was ſie ſelbſt von der Grauſamkeit der ihrigen gegen ſich wiſſen, und von ihrem eingewurtzelten Groll gegen mich, und von ihrer unuͤberwindlichen Zuneigung gegen die Perſon, die ſie ihrem Vorgeben nach haſſen. Und wahrlich, wenn ſie den Kerl nicht haſſeten Fraͤulein, ſo wuͤrde ich ihr Wohlwollen ſchwerlich fuͤr eine Ehre halten koͤnnen, wenn ſie mich auch damit begluͤckten. Jch beziehe mich auf alle die Umſtaͤnde, die ihnen ſelbſt am beſten bekannt ſind; auf alles was ſie ausgeſtanden haben; und frage ſie, ob ſie noch keine Urſache finden, ſich vor dem Mit - tewochen zu fuͤrchten, an den ich mit Zittern ge - dencke? Ob ſie dieſe jetzige Gelegenheit wuͤrden hof - fen koͤnnen? Da der Wagen bereit iſt? Da alle mei - ne Anverwanten mit Ungeduld auf den Erfolg der Anſtalten warten, die ſie ſelbſt angeordnet haben? Da ſie einen Anbeter auf ſeinen Knien vor ſich haben, der gar keinen Willen haben will, und der ſie auf den Knien bittet, daß ſie ſich in Frey - heit ſetzen wollen? Das iſt alles, darum ich bitte. Jch will um keine Gegen-Liebe bitten, ehe ich nicht meine Pruͤfungs-Zeit ausgeſtanden habe, und Ge - genliebe verdiene. Gegen mein Vermoͤgen und Familie ſind keine Einwendungen zu machen. O liebſtes Kind (mit einen abermahligen Hand - Kuß) verſaͤumen ſie eine ſolche Gelegenheit nicht. Niemahls, niemahls wird ſie wieder kommen.
Jch21Jch bat ihn aufzuſtehen, und er er ſtand auf. Jch ſagte: wenn er mich nur nicht durch ſeine Un - geduld uͤbertaͤubete, ſo hoffte ich ihn gewiß zu uͤber - zeugen, daß wir beyde eine unnoͤthige Furcht vor dem Mittewochen gehabt haͤtten. Jch wolte fort - fahren, und ihm meine Gruͤnde erzaͤhlen: allein er fiel mir in die Rede.
Wenn ich nur einigen Schatten der Wahr - ſcheinlichkeit bey ihrer Hoffnung ſehen koͤnnte, ſo wollte ich der Gehorſam und die Verleugnung ſelbſt ſeyn. Aber der Trau-Schein iſt ſchon aus - gefertiget: es iſt ſchon der Prediger beſtellet: der Pedante der Brand ſoll ſie trauen. O allerlieb - ſtes Kind, ſind das Anſtalten, die zu einem bloſ - ſen Verſuch gemacht werden?
Sie wiſſen nicht, Herr Lovelace, wie viel Muth ich habe, wenn auch das allerſchlimmeſte be - vorſtuͤnde. Sie ſehen mich fuͤr allzu ſchwach an. Sie kennen mich noch nicht, was ich vor Wider - ſtand leiſten kann, wenn ich glaube, daß andere niedertraͤchtig und unbillig mit mir umgehen. Sie wiſſen auch nicht, was ich ſchon wuͤrcklich ausge - ſtanden und uͤberſtanden habe, davon ich den Ur - heber wohl weiß, der keine Ader von einem wah - ren Bruder uͤbrig hat. ‒ ‒
Jch koͤnnte von ihrer erhabenen Seele alles er - warten, die an einen unrechtmaͤßigen Zwang ohn - moͤglich anders als mit Verachtung dencken kann: allein ihr Muth kann ſincken. Was iſt nicht von einem ſo heftigen und unerbittlichen Vater zu be - fuͤrchten, wenn er eine gehorſame Tochter vorB 3ſich22ſich hat? keine Ohnmachten werden ſie retten: viel - leicht iſt es den ihrigen nicht ungelegen, wenn ihre Grauſamkeit gegen ſie eine ſolche Wirckung hat. Was werden alle Vorſtellungen helfen, wenn die Trauung einmahl geſchehen iſt? Muß nicht alles, alles das fuͤrchterliche darauf folgen, daran mein Hertz nicht ohne Entſetzen dencken kann? Wenn ſie ſich an niemand wenden koͤnnen, werden denn nicht alle ihre Vorſtellungen viel zu ſchwach ſeyn, die Folge einer Ceremonie abzuhalten, bey der die, welche ſie dazu zwungen, und noch dazu ihre naͤch - ſten Anverwanten, Zeugen ſind?
Jch ſagte: ich waͤre zum wenigſten verſichert, daß ich einige Zeit gewinnen wolte. Fuͤr uns bey - de koͤnnte nichts ſchlimmer ſeyn, als wenn ich hier mit ihm entdeckt werden ſolte. Meine Furcht waͤre deswegen ſo groß, daß ich ſie nicht laͤnger ertragen koͤnnte: und ich wuͤrde eine ſehr uͤble Meinung von ihm bekommen, wenn er mich noch laͤnger aufzuhalten ſuchte. Wenn er ſich aber mein Weggehen gefallen ließe, ſo wuͤrde ich danck - bar dafuͤr ſeyn.
Als ich mich hierauf nach dem Schluͤſſel buͤckte, ſo ſtutzte er auf einmahl, und that, als wenn er gehoͤrt haͤtte, daß jemand in dem Garten mit der Hand auf den Degen geſchlagen haͤtte. Jch entſetzte mich hieruͤber ſo, daß ich den Augenblick nieder - ſincken wollte. Allein er machte mir gleich einen beſſern Muth, und ſagte: es waͤre nur ein Stoß gegen die Thuͤr geweſen. Doch nein! das koͤnnte auch nicht ſeyn, ſonſt muͤßte der Schall ſtaͤrckergeweſen23geweſen ſeyn. Er haͤtte ſich alles aus Beſorgniß fuͤr mich nur eingebildet.
Er nahm darauf ſelbſt den Schluͤſſel auf, und uͤberreichte ihn mir. ‒ ‒ Wenn ſie denn gehen wollen, Fraͤulein! ‒ ‒ allein ich kann ſie nicht verlaſſen: ich muß mit ihnen in den Garten ge - hen. Vergeben ſie es mir, wenn ich doch mit hinein gehe.
Wollen Sie denn auf eine ſo unanſtaͤndige Weiſe ſich meine Furcht zu Nutze machen? Wol - len ſie ſelbſt meine Begierde, Ungluͤck zu verhuͤ - ten, wider mich gebrauchen? Jch tummes ein - faͤltiges Kind muß mich um jedermann bekuͤm - mern, allein wie es mit mir gehet, darnach fragt niemand!
Er hielt meine Hand zuruͤck, als ich mit Zit - tern den Schluͤſſel einſtecken wollte: ‒ ‒ allerlieb - ſtes Kind, laſſen ſie mich aufſchlieſſen, wenn ſie ja weggehen wollen. Allein uͤberlegen ſie noch einmahl, wenn Sie auch Zeit gewinnen, (denn weiter gehet doch ihre Hofnung nicht) ob die Jh - rigen ſie nicht enger einſperren werden. Jch weiß, daß dieſes ſchon in Ueberlegung gezogen iſt. Wuͤrden ſie alsdenn mit mir, oder mit der Fraͤu - lein Howe Briefe wechſeln koͤnnen? Wer wird ihnen alsdenn bey ihrer Flucht Huͤlfe leiſten koͤn - nen, wenn ſie endlich ſo ſpaͤte an die Flucht gedaͤch - ten? Sie wuͤrden blos aus ihrem Fenſter den Garten ſeheen, ohne Erlaubniß zu haben, hin - ein zu gehen: und wie werden ſie ſich alsdenn die Gelegenheit wuͤnſchen, die ſie jetzt verſchertzen,B 4wenn24wenn ihr Haß gegen Solmes fortdauret? doch der kann von keiner Dauer ſeyn. Wenn ſie zu - ruͤck gehen, ſo iſt ſchon ihr nachgebendes Gemuͤth, das ſich endlich ermuͤden und uͤberwinden laͤſſet, die Urſache davon. Sie werden es wol ein kind - liches, ein gehorſames Gemuͤth nennen.
Jch kann ohnmoͤglich Geduld bey ihrem Zwan - ge behalten, Herr Lovelace. Darf ich nie die Freyheit haben, meinen Einſichten zu folgen: Es mag auch daraus kommen, was will, ſo will ich mich von ihnen nicht zwingen laſſen. Jch mach - te hiermit meine Hand los, und wollte wieder auf - ſchließen.
Er fiel von neuen auf ſeine beugſamen Knie, und ſagte: koͤnnen ſie, Fraͤulein, koͤnnen ſie, (ich frage ſie nochmahls auf den Knien) mit kaltem Blut an die ungluͤcklichen Folgen gedencken. Jch bin ſo gereitzt, man hat ein ſolches Hohngelaͤchter uͤber mich gehabt, daß mir das Hertz im Leibe zit - tert, ſo oft ich an die Folgen gedencke, wenn ihr Bruder ſeine Abſicht erreichete. Koͤnnen ſie dabey ohne Empfindung ſeyn? Jch bitte ſie lieb - ſtes Leben, uͤberlegen ſie dieſes alles, und ver - lieren ſie dieſe eintzige Gelegenheit nicht. Mein Spion ‒ ‒
Seyn ſie doch nicht ſo leichtglaͤubig, wenn ihnen ein Betruͤger etwas weiß macht. Jhr nie - dertraͤchtiger Spion iſt doch nur ein Bedienter. Vielleicht giebt er mehr zu wiſſen vor, als er in der That weiß, um ein beſſeres Trinckgeld zu be - kommen. Sie wiſſen nicht, was ich fuͤr Ausfluͤchte habe.
Eben25Eben wollte ich aufſchließen, ſo ſprang er mit einem fuͤrchterlichen Geſicht und Stimme von den Knien auf, und wiſperte gantz laut: ſie ſind in - wendig vor der Thuͤr, mein Hertz! Er nahm mir den Schluͤſſel, lief nach der Thuͤr zu, und handthierte damit, als wenn er ihn in das Schluͤſ - ſel Loch ſtecken wollte, damit niemand von innen aufſchließen koͤnnte. Den Augenblick ließ ſich in - wendig eine Stimme hoͤren, und es ſtieß jemand gegen die Thuͤr, als wenn er ſie aufſprengen woll - te und rief mit einigen harten Stoͤßen: ſeyd ihr da? den Augenblick her! Geſchwind! da ſind ſie bey einander! Piſtole! Flinte her! darauf geſchahen noch einige Stoͤße. Er zog den Degen, nahm ihn blos unter den Arm, ergriff meine beyden zitternden Haͤnde, und zog mich ge - ſchwind nach ſich mit den Worten: fliehen ſie, Kind. Dieß iſt der letzte Augenblick, den ſie ha - ben. Jhr Bruder! ihre Onckles! oder der Sol - mes! Sie werden die Thuͤr den Augenblick ſpren - gen. Fliehen ſie, wenn ſie nicht haͤrter als vor - hin gemißhandelt werden wollen. Wenn ſie nicht zwey oder drey Mord-Thaten mit ihren Augen anſehen wollen, ſo muͤſſen ſie fliehen.
Ach GOtt hilf! das war es alles, was Jhre arme Thoͤrin voller Beſtuͤrtzung rief, ohne von ſich ſelbſt etwas zu wiſſen.
Jch kehrte meine Augen voller Schrecken vor und hinter mich, auf dieſe und auf jene Seite: und erwartete einen unſinnigen Bruder, gewaffnete Knechte, eine Schweſter die Zetter und Weh ausB 5vol -26vollem Halſe rufen wuͤrde, und einen Vater, deſ - ſen Geſicht fuͤrchterlicher ſeyn wuͤrde, als der blan - cke Degen den ich ſahe und zu ſehen befuͤrchtete. Jch lief vollkommen ſo geſchwind als er, ohne zu wiſſen, daß ich lief: denn die Furcht benahm mir alle Gedancken, und machte meinen Fuͤßen Fluͤ - gel; eben die Furcht, die mir nicht ſo viel bewuſt - ſeyn uͤbrig ließ, daß ich einen Weg wuͤrde haben waͤhlen koͤnnen, wenn er mich nicht mit fortgezo - gen haͤtte. Allein dieſe Furcht mehrete ſich noch, als ich einen Kerl aus der Thuͤr heraus kommen ſahe, der uns mit den Augen wahrete und ruͤck - waͤrts und vorwaͤrts lief, und immer andere her - bey rief, von denen ich glaubete, daß er ſie ſehen muͤßte, ob ich ſie gleich vor der Garten-Mauer nicht ſehen konnte, und ſie fuͤr meinen Vater, Bru - der oder ihre Bedienten hielte.
Unter dieſem Schrecken verlohr ich in wenigen Minuten die Garten-Thuͤr aus dem Geſichte: und ob mich gleich Furcht und Laufen faſt außer Athem gebracht hatte, ſo mußte ich doch noch geſchwin - der laufen, nachdem er meine Hand unter ſeinen Arm nahm, und den Degen in der andern Hand hielt. Worte und Handlungen waren einander ſehr ungleich. Jch rief: nein! nein! und keh - rete mich immer um, zuruͤckzuſehen, ſo lange mir die Mauer von dem Luſt - und Thier-Garten noch im Geſichte war. Er brachte mich zu dem Wa - gen ſeines Onckels, bey dem ich zwey von ſeinen und zwey von des Lord M. Bedienten gewaf - net und zu Pferde fand.
Hier27Hier muß ich in meiner Erzaͤhlung innen halten: denn jetzt komme ich auf die ungluͤcklichen Augen - blicke, bey denen mir meine Unbedachtſamkeit all zu mercklich wird, und bey denen ich ſo viel Schaam und Reue empfinde, die mir empfindli - cher iſt, als wenn mir ein Dolch durch das Hertz geſtochen wuͤrde. Jſt es nicht betruͤbt, nach voll - brachter Thorheit erſt zu bedencken, daß ich haͤtte vorher wiſſen koͤnnen, daß ich in ſeiner Gewalt ſeyn, und nicht im Stande ſeyn wuͤrde, meiner Vernunft zu folgen, fals ich nur mich, oder ihn, oder unſere Umſtaͤnde einigermaßen gekannt haͤtte.
Haͤtte ich nicht zum voraus denken ſollen, daß Lovelace alles anwenden wuͤrde, damit ich nicht zuruͤck kehrete, da er fuͤrchten mußte, eine Per - ſon zu verlieren die ihm ſo viele Muͤhe gekoſtet hatte? Konnte ich glauben, daß er es mit gutem Hertzen in meiner Macht laſſen wuͤrde, mich ſei - ner auf ewig zu begeben, nachdem er wuſte, daß ich dieſe Bedingung eingehen wuͤrde, wenn ich ſonſt mich mit den Meinigen nicht ſetzen koͤnnte? warum uͤberlegte ich nicht, daß der, der aus Liſt meinen Brief nicht abgehohlt hatte (denn alle Stunden konnte er doch gewiß nicht belauret ſeyn) damit er nicht einen Wiederruff meines Verſprechens finden moͤchte, mich durch eine Liſt wuͤrde ſo lange auf - halten koͤnnen, bis ich in Gefahr ſtuͤnde entdeckt zu werden, und eben hiedurch voͤllig in ſeine Ge - walt geriethe, wenn ich die allerhaͤrteſte Begegnung und das aͤußerſte Ungluͤck vermeiden wollte, das ſonſt vor meinen Augen haͤtte vorgehen koͤnnen.
Wenn28Wenn es aber heraus kaͤme, daß die Perſon vor der Thuͤr, eben ſein Spion geweſen iſt, der mich nur hat in Furcht ſetzen, und zur Flucht zwingen wollen; was meinen ſie, habe ich denn nicht Urſache, ihn und mich gedoppelt zu haſſen? Jch kann ihn nicht fuͤr ſo liſtig und niedertraͤchtig anſehen. Allein wie gieng es zu, daß Einer und nicht mehr als Einer aus dem Garten herauskom - men konnte? daß der eine Mann ſich uns nicht naͤherte, und uns nicht verfolgte, und doch auch nicht zuruͤck lief, um Lermen im Hauſe zu machen? Jch war zu erſchrocken, und zu weit entfernt, als daß ich etwas gewiſſes ſagen koͤnnte, allein ſo viel ich mich beſinne, hatte derſelbe Eine Kerl die Ge - ſtalt des Betruͤgers, des Lehmans.
Ach warum! warum, meine Anverwanten! ‒ ‒ ‒ doch ich darf denen die Schuld nicht geben, nachdem es mir ſelbſt bey ſtiller Ueberlegung ver - muthlich geworden war, daß der nahe bevorſte - hende fuͤrchterliche Tag ſich gluͤcklicher fuͤr mich endigen moͤchte, als dieſer Tag, an dem ich auf einmahl von meinen ehemahls ſo guͤtigen Eltern entfernt und entfuͤhrt ward, die vielleicht nichts weiter im Sinne hatten, als den letzten Verſuch zu thun, ob ich nicht nachgeben wuͤrde. Wenn ich doch nur dieſen Verſuch ausgeſtanden haͤtte! denn wenn ich hernach gethan haͤtte, was ich mich jetzt habe bewegen oder durch eine thoͤrichte Furcht zwingen laſſen zu thun, ſo wuͤrde mir mein eige - nes Gewiſſen nicht ſo viel vorwerfen koͤnnen, und ich wuͤrde ein ſehr großes Uebel weniger haben.
Sie29Sie wiſſen, daß ihre Clariſſa ſtets zu aufrich - tig dazu geweſen iſt, ihre Fehler durch anderer Fehler zu bedecken. GOtt vergebe es den Mei - nigen, daß ſie mit mir ſo grauſam umgegangen ſind! Allein ihre Fehler ſind ihre Fehler, und kei - ne Feigenblaͤtter fuͤr meine Vergehungen: und ich habe fruͤher angefangen zu ſuͤndigen, als ſie; denn ich haͤtte den Brief-Wechſel mit ihm nicht fortſe - tzen ſollen.
O des boshaften und liſtigen Menſchen! wie unwillig muß ich bisweilen heimlich uͤber ihn wer - den! daß er ein junges unerfahrnes Kind, das ſich zu viel zutrauete, von einem Uebel zum andern gefuͤhret hat. Denn dieſes letzte Uebel iſt doch gewiß die Folge jenes fruͤhen Uebels, des verbo - tenen Briefwechſels! des Briefwechſels der mir zum wenigſten von meinem Vater fruͤh unterſagt wurde.
Wie viel kluͤger haͤtte ich gehandelt, wenn ich von dem Augenblick an, da ihm unſer Haus und mir ſein Umgang verboten ward, mich ein vor al - lemahl auf das Verbot meines Vaters berufen und ihm gar nicht mehr geantworter haͤtte! Jch meinte, es wuͤrde in meiner Macht ſtehen, fort - zufahren und abzubrechen, wie ich ſelbſt wollte. Jch bildete mir ein, es geziemete mir mehr als an - dern, die Schiedsrichterin zwiſchen ſo unruhigen Koͤpfen zu ſeyn. Dieſer Hochmuth iſt jetzt ge - ſtraft: er hat ſich ſelbſt geſtraft, wie die meiſten Suͤnden zu thun pflegen.
Jch30Jch ſehe nunmehr, da es zu ſpaͤte iſt, wie ich mich gegen ſeine letzten ungeſtuͤmen Foderungen haͤtte auffuͤhren ſollen. Da er wußte, daß ich nur ein Mittel haͤtte ihm von meinen Umſtaͤnden Nachricht zu geben, und daß mein Schickſaal eben entſchieden werden ſollte; da ich noch uͤber dieſes mir die Freyheit in meinem Briefe vorbehalten hatte, mein Verſprechen zuruͤck zu nehmen: ſo haͤtte ich mich gar nicht darum bekuͤmmern ſollen, ob ihm mein Brief zu Haͤnden gekommen waͤre, oder nicht. So bald er ſein Zeichen gegeben und keine Antwort darauf bekommen haͤtte, ſo wuͤrde er an den Ort der Garten-Mauer, da die Ziegeln los ſind, gegangen ſeyn, und der Tag der uͤber meinem Briefe ſtand, wuͤrde ihn uͤberzeuget ha - ben, daß es ſeine eigene Schuld ſey, daß er ihn nicht fruͤher bekommen haͤtte. Allein eben die all - zuweiſen Abſichten die mich zuerſt in den Brief - Wechſel gezogen haben, beherrſcheten mich noch. Meine thoͤrichte und allzu geſchaͤftige Ueberlegung kuͤnftiger moͤglicher Faͤlle machte mich beſorget, daß mein Auſſenbleiben ihn zu einem uͤbereilten Gang vermoͤgen moͤchte, auf dem er um meinet willen durch neue Beſchimpfungen beleydiget und zur Rache gezwungen werden moͤchte. Er giebt auch jetzt vor, daß ich Urſache gehabt habe, dieſes zu befuͤrchten; wie ich an ſeinem Orte berichten werde. Allein damahls war es doch nur eine Furcht eines ſehr ungewiſſen Uebels. Jndeſſen um zu verhuͤten, daß er ſich nicht uͤbereilen moͤch - te, habe ich die alleruͤbereilteſte Handlung vorge -nommen.31nommen. Nichts verdrießt mich mehr, als daß ich jetzt gewahr werde, daß er ſich eben ſo viel auf meine Schwachheit verlaſſen hat, als ich mich auf meine eigenen Kraͤfte verließ. Nicht er, ſondern ich habe mich betrogen; und er hat einen Sieg uͤber mich erlanget, der eben um dieſer Urſache willen meiner Ehre am nachtheiligſten iſt. Wie kann ich ihn mit Geduld vor Augen ſehen!
Nun ſchreiben Sie mir, liebſte Fraͤulein, ob Sie mich nicht in Jhrem Hertzen verachten, wenn Sie Jhrem Hertzen keine Gewalt anthun? Sie muͤſſen mich gewiß verachten, denn ich komme mir ſelbſt veraͤchtlich vor: und ehemahls waren wir beyde beſtaͤndig von einerley Sinn und Meinung. Mit Recht komme ich mir veraͤchtlich vor. Denn haͤtte das liederlichſte Maͤdchen in England eine That vornehmen koͤnnen, die ſchwaͤrtzer vor den Augen der Welt ausſehen muß, als meine Flucht? denn was ich gethan habe, das wird jedermann erfahren, ohne zu wiſſen, was mir die Meinigen fuͤr Anlaß dazu gegeben haben, und wie liſtig er mich verleitet hat: (denn fuͤr liſtig und unergruͤnd - lich muß ich ihn jetzt wahrhaftig anſehen) und eben dadurch wird meine Schuld vergroͤſſert werden, daß man ſich von mir eine beſſere Vorſtellung als von vielen andern Frauenzimmern gemacht hat.
Sie rathen mir, die Trauung bey der erſten Gelegenheit zu beſchleunigen. Allein eine neue Frucht meiner Thorheit! Jch habe dieſes jetzt eben ſo wenig in meiner Gewalt, als ich ſelbſt in mei - ner Gewalt bin. Denn wie kann ich ſeinen arg -liſti -32liſtigen Betrug ſogleich rechtfertigen und beloh - nen? kann ich anders als ungehalten ſeyn, da er mich gleichſam um mich ſelbſt betrogen hat? (eben den Ausdruck zu gebrauchen, den ich gegen ihn ſelbſt gebraucht habe) da er mich gezwungen hat, gantz wider meinen Vorſatz, und wider die Verſicherungen, die ich Jhnen gegeben hatte, zu handeln? mich ſelbſt in ſolche Noth zu ſtuͤrtzen? und, wenn ich an ſonſt niemand dencken will, mei - ne Mutter ſo empfindlich zu betruͤben? Sie koͤn - nen ohnmoͤglich glauben, noch es ſich vorſtellen, wie ich mich uͤber dieſes alles graͤme, und wie ge - ringe und veraͤchtlich ich mir jetzt vorkomme, da ich vorhin andern zum Muſter vorgeſtellet zu werden pflegte. Ach wenn ich doch wieder in meines Va - ters Hauſe waͤre, und mich in den Garten ſtehlen koͤnnte, um einen Brief fuͤr Sie hinzulegen, zwi - ſchen Furcht und Hofnung, ob ich etwan ein Schreiben von Jhnen finden moͤchte!
Jetzt bricht der Mittewochen an, vor dem ich mich ſo ſehr fuͤrchtete, und den ich noch vor kur - tzen, als die Zeit anſahe, die mein Schickſaal ent - ſcheiden wuͤrde. Allein vor dem Montage haͤtte ich mich fuͤrchten ſollen. Wenn ich gewartet haͤt - te, und es waͤre das allerſchlimmeſte erfolget, das ich befuͤrchten koͤnnte, ſo haͤtten die Meinigen alle ungluͤcklichen Folgen davon auf ihrem Gewiſſen gehabt: da ich jetzt keinen andern Troſt habe als dieſen, der Jhnen ſchlecht genug vorkommen wird:daß33daß ich die Meinigen in den Augen der Welt ge - rechtfertiget, und mich ſelbſt ſchwartz gemacht habe.
Sie werden ſich nicht daruͤber wundern, daß meine Erzaͤhlung ſo wunderlich geſchmiert iſt. Jch habe ſie mit mehrerley Feder und Dinte, die zu - ſammen ſchlecht waren, ſchreiben, und mehrere mahl ablaſſen und anfangen muͤſſen. Die Hand bebet mir vor Kummer und Muͤdigkeit. Jch will meinen dismahligen Brief nicht durch Erzaͤh - lung deſſen verlaͤngern, wie er ſich gegen mich betraͤget, und was zu St. Albans und nachher zwiſchen uns vorgegangen iſt. Denn alles dieſes wird in der Fortſetzung meiner Geſchichte vorkom - men, die Sie ohne Zweifel erwarten werden.
Jch will jetzt nur ſo viel melden, daß er jetzt ſehr hoͤflich und ehrerbietig, ja ſo gar ſehr folg - ſahm gegen mich iſt, ob ich gleich uͤber ihn und uͤber mich ſo misvergnuͤgt bin, daß er meine Guͤ - tigkeit ſehr wenig wird ruͤhmen koͤnnen. Jch kann bisweilen meinen Verfuͤhrer kaum vor den Augen dulden.
Das Haus, in dem ich mich aufhalte, iſt ſehr unbequem. Jch werde nicht lange hier bleiben; und deswegen brauche ich Jhnen nicht zu melden, wie Sie Briefe hieher ſchicken koͤnnen. Wo mein kuͤnftiger Aufenthalt ſeyn wird weiß ich noch nicht.
Er weiß, daß ich an Sie ſchreibe, und hat ſich erboten, meinen Brief durch einen von ſeinen Be - dienten beſtellen zu laſſen. Allein ich glaubte, daßDritter Theil. Cich34ich in meinen jetzigen Umſtaͤnden mit einem Briefe von ſo wichtigem Jnhalt nicht zu ſorgfaͤltig um - gehen koͤnnte. Wer weiß, was ein ſo argliſtiger Menſch anfangen koͤnnte! ein ſo gottloſer Betruͤ - ger! deſſen Betrug (wo anders ein Betrug bey meiner Flucht vorgegangen iſt) ſo niedertraͤchtig iſt. Jedoch ich hoffe es iſt kein Betrug, keine abgeredete Charte geweſen. Wenn aber auch dieſes nicht iſt, ſo iſt doch das allerbeſte, was ich von ihm und von meinen kuͤnftigen Umſtaͤnden dencken muß, ſehr ſchlecht. Wer wird mit mir Mitleyden haben, da ich zu der Zahl derer gehoͤre, die ihre Thorheit zu ſpaͤte bereuen!
Jch hoffe dem ohngeachtet, daß Sie noch Liebe fuͤr mich behalten, und meiner in Jhrem Gebet taͤglich gedencken werden. Wollen Sie mir aber Jhr Hertz auch verſagen, ſo iſt mein Ungluͤck un - ertraͤglich. Jch bin, allerbeſte Freundin,
Jhre ſtets ergebene Cl. Harlowe.
Endlich hat ſich eure ſchoͤne Fraͤulein entſchloſ - ſen, ſich in Freyheit zu ſetzen, und der bis -herigen35herigen Haͤrtigkeit der Jhrigen zu entgehen, die ſie ſo lange geduldet hat. Sie wird auf den Montag Nachmittag um vier Uhr zu mir vor die Garten-Thuͤr hinaus kommen; wie ich euch ſchon neulich geſagt habe. Sie hat ihr Verſprechen wie - derhohlet: GOtt lob! ſie hat es wiederhohlt.
Auf dem Neben-Wege, der an den Fuß-Steig nach dem Thier-Garten ſtoͤßt, wird eine Kutſche mit ſechs Pferden bereit ſtehen, und nicht weit davon einige Freunde und Bedienten von mir, ſie im Fall der Noth mit Gewalt zu retten oder zu be - ſchuͤtzen. Es iſt ihnen aber allen eingeſchaͤrft, ſich zu huͤten, daß kein Ungluͤck vorgehen moͤge. Jhr wißt, daß ich immer ſorgfaͤltig geweſen bin, Un - gluͤck zu vermeyden.
Meine eintzige Furcht iſt, daß wenn die Zeit herankommt, ſie aus allzu juͤngferlicher Behutſam - keit wieder zweifelhaft werden und zuruͤck gehen moͤchte: obgleich ihre Ehre meine Ehre, und mei - ne Ehre ihre Ehre iſt, wie ihr wohl wiſſet. Wenn meine Furcht eintrift, und ich ſie nicht bereden kann mit zu gehen, ſo helfen mir alle eure vorigen Dienſte nichts, und ich habe ſie auf ewig einge - buͤßet. Denn wird ſie doch eine Beute des ver - fluchten Solmes, der nach ſeinem ſchaͤndlichen Geitz keinem Bedienten im gantzen Hauſe einige Wohlthat erzeigen kann.
Jch habe an eurer Ehrlichkeit gar keinen Zwei - fel, mein guter Joſeph; ich habe auch das Ver - trauen zu euch, daß ihr von ſelbſt bereit und eifrig ſeyd, einem ſo ſehr beleydigten Cavallier und einemC 2unter -36unterdruͤckten Frauenzimmer zu dienen. Wenn ich nicht eine ſo gute Meinung von euch haͤtte, ſo wuͤrde ich euch gewiß nicht ſo viel anvertrauen: daraus koͤnnt ihr wol ſehen, wie viel ich von euch halte, und was ich von euch hoffe, ſonderlich bey dieſer Gelegenheit, da ihr allen euren vorigen Dienſten die Crone aufſetzen koͤnnet. Denn wenn ſie wieder zweifelhaft wird, ſo iſt eine kleine unſchul - dige Liſt noͤthig.
Mercket euch das ja genau, was ich euch ſchrei - ben werde: faſſet es recht in das Gemuͤthe. Es wird hoffentlich die letzte Muͤhe ſeyn, die ich euch vor unſerer Hochzeit mache: und hernach wollen wir beyde gewiß fuͤr euch ſorgen. Jhr wiſſet, was ich euch verſprochen habe. Noch niemand hat mir jemahls Schuld gegeben, daß ich mein Wort ge - brochen haͤtte.
Hier iſt denn eure Vorſchrift:
Verkleidet euch, und ſucht in dem Garten zu ſeyn, ohne daß eure Fraͤulein euer gewahr wird. Wenn die Garten-Thuͤr aufgeriegelt iſt, ſo koͤnnt iſt daran mercken, daß ſie mit mir drauſſen redet, wenn ihr ſie gleich nicht hinausgehen ſehet. Die Thuͤr wird zugeſchloſſen ſeyn: und damit ihr im Fall der Noth von innen aufſchlieſſen koͤnnet, ſo will ich meinen Schluͤſſel ausziehen, und ihn drauſſen vor die Thuͤr hinlegen.
Wenn ihr uns reden hoͤrt, ſo bleibt an der Thuͤr inwendig ſtehen: bis ich zweymahl ach! ach! rufe. Allein ihr muͤßt ſehr genau aufmer - cken, denn ich darf nicht allzu laut rufen, ſonſtmoͤch -37moͤchte ſie es fuͤr ein abgeredetes Zeichen halten. Vielleicht kann ich indem, daß ich mich bemuͤhe meine angenehme Freude mit mir fort zu ziehen, mit dem Ellbogen oder Fuͤſſen hart an die Thuͤr ſtoßen, um euch ein deſto gewiſſeres Zeichen zu ge - ben. Alsdenn muͤßt ihr ſtarck gegen die Thuͤr ren - ren, als wenn ihr ſie aufſprengen wolltet, und an dem Schloſſe arbeiten: denn ſtoßet noch einmahl gegen die Thuͤr, aber ſo daß es mehr Lerm macht als Gewalt angewandt wird, damit das Schloß nicht ſpringen moͤge. Denn ſchreyet, als wenn ihr einige aus dem Hauſe ſehet: hier ſind ſie. Kommt geſchwind! den Augenblick. Geht beſſer zu. Sagt auch etwas von Degen, Flin - ten, Piſtolen, und ruft ſo fuͤrchterlich als ihr nur koͤnnt. Wenn ſie vorhin noch zweifelhaft gewe - ſen iſt, ſo wird ſie ſich hiedurch gewiß bewegen laſſen zu fliehen. Wenn ich aber doch nichts aus - richten kann, ſo will ich mit ihr in den Garten ja in das Haus ſelbſt gehen: es mag auch daraus entſtehen, was will. Doch in dem Schrecken wird ſie gewiß fliehen.
Wenn ihr glaubt, daß wir ſchon etwas weit weg ſind, und wenn ich, um euch ein Zeichen zu geben, lauter rede und in ſie dringe, geſchwind zu laufen: ſo ſchließt ihr inwendig die Thuͤr auf. Allein das muͤßt ihr ſorgfaͤltig thun, daß ihr nicht von ihr erkannt werdet, wenn wir noch nicht weit genug weg ſeyn ſollten. Aus Gutheit fuͤr euch wollte ich nicht gern, daß ſie glaubte, ihr haͤttet einigen Antheil an dem was vorgehet.
C 3Zie -38Ziehet einen Schluͤſſel wieder aus dem Schluͤſ - ſel-Loche heraus und ſteckt ihn bey: an deſſen Stel - le aber ſteckt meinen, der vor der Thuͤr liegen wird, von innen in das Schloß, daß es ſcheinen moͤge, als haͤtte ſie ſelbſt inwendig aufgemacht, und die Thuͤr offen gelaſſen. Sie werden wohl glauben, daß ich ihr den Schluͤſſel haͤtte machen laſſen, weil er neu iſt.
Jch wollte gern, daß die Jhrigen glauben moͤchten, ſie ſey von freyen Stuͤcken mit mir da - von gegangen, damit es ihnen nicht in den Sinn komme, uns zu verfolgen, oder zu verſuchen, ob ſie ſie nicht uͤberreden koͤnnen, wieder zuruͤck zu kommen. Jhr wißt, daß hieraus Ungluͤck entſte - hen koͤnnte.
Eins muͤßt ihr wohl mercken: Jhr ſollt die Thuͤr nur in dem Fall aufſchließen, wenn niemand aus dem Hauſe uns zu fruͤh uͤber den Hals kommt ehe wir gantz weg ſind. Denn wenn dieſes ge - ſchehen ſollte, ſo werdet ihr aus dem folgenden ſehen, daß ihr gar nicht aufſchließen muͤßt. Sie moͤgen in ſolchem Fall die Thuͤr aufbrechen oder uͤber die Mauer ſteigen, und meinen Schluͤſſel vor der Thuͤr auf der Erde finden.
Wenn uns niemand zu fruͤh uͤberfaͤllt, und ihr herauskommt, ſo folget uns in der Ferne nach, lauft mit aufgehabenen Haͤnden und ſo ungebaͤrdig ihr koͤnnt hin und wieder, als wenn ihr auf Huͤlfe wartetet, damit ihr uns nicht ſo nahe kommt. Ruft: Huͤlfe! Huͤlfe! Geſchwind! Unterdeſ - ſen werden wir ſchon bey dem Wagen ſeyn.
Jn39Jn dem Hauſe ſaget: ihr haͤttet geſehen, daß ich mit ihr in den Wagen geſtiegen ſey, und ein Dutzend oder mehr bewaffnete Leute um mich ge - habt haͤtte. Einige unter ihnen ſchienen große Musketen gehabt zu haben. Sagt ihnen daß wir einen gantz andern Weg genommen haͤtten, als ihr uns werdet nehmen ſehen.
Jhr ſeht, ehrlicher Joſeph, daß ich eben ſo ſorgfaͤltig bin als ihr, Ungluͤck zu verhuͤten:
Bleibt ja ſo weit von uns, daß ſie euch nicht erkennet. Thut große Schritte, damit ſie euch nicht am Gange kennet, und haltet den Kopf in die Hoͤhe, ehrlicher guter Joſeph: ſo wird ſie nicht darauf dencken, daß ihr es ſeyd. Gang und Geberden ſind ſo verſchieden, und ſo kenntlich, als immer das Geſichte ſeyn mag. Ziehet einen Pfal irgend wo aus, und wenn er gleich leichte gehet, ſo zerret doch lange daran: wenn ſie ſich umſiehet, ſo wird das in der Ferne ſchrecklich laſſen, und ſie wird dencken, daß euch blos das Ausziehen des Pfals abgehalten haͤtte, uns geſchwinder nachzu - folgen. Gehet mit dem Pfal auf der Schulter zuruͤck in das Haus und prahlt, was ihr haͤttet thun wollen, wenn ihr uns nur haͤttet einhohlen koͤnnen. Lieber alles (ſagt) haͤttet ihr wagen wol - len, als eure Fraͤulein von einem ſolchen - (ſchimpft mich und flucht ſo viel als ihr wollt) entfuͤhren laſſen. Das wird grauſam ausſehen, und die Leute werden glauben, daß euch alles von Hertzen gehe. Jhr ſeht, Joſeph, wie ich alles ſo einrichte, daß ihr noch einen guten Nahmen da -C 4durch40durch bekommet. Niemand, der mir dient, wird Schaden von mir haben.
Wenn aber unſere Unterredung laͤnger waͤhren ſollte, als ich wuͤnſche, und es kommen einige von den Jhrigen in den Garten noch ehe ich euch das Zeichen gegeben habe, ſo ſucht euch ſelbſt zu retten; daran iſt mir ſehr viel gelegen. Macht deswegen eben ſo viel Lerm: nur oͤfnet die Thuͤr nicht. Wuͤnſcht vielmehr, ſo ſehr ihr koͤnnt, daß doch nur ein Schluͤſſel da ſeyn moͤchte. Weil aber je - mand zum Ungluͤck einen Schluͤſſel bey ſich haben koͤnnte, ſo habt einige gantz kleine Steine wie ei - ne Erbſe in Bereitſchaft, und ſtecket gleich zwey oder drey davon in das Schluͤſſel-Loch, daß der Schluͤſſel nicht ſchließen koͤnne. Jhr wiſſet, Jo - ſeph, man muß ſich auf alle Faͤlle gefaßt machen, wenn ſo viel an der Sache gelegen iſt. So bald ihr einen von meinen Feinden ſehet, ſo ſtellet euch als wenn ihr die Thuͤr ſprengen wolltet; und ruft: Gnaͤdiger Herr oder Fraͤulein, (wer es eben iſt) o um Gottes willen kommen ſie bald! um Gottes willen geſchwinder! Herr Lovelace iſt da! Ruft das recht laut. Es ſoll mich ge - ſchwinder machen, als jene, denen ihr es zuruft. Wenn aber niemand anders als Eliſabeth kommt, ſo wuͤrde ich von eurer Geſchicklichkeit mit den Maͤd - chens umzugehen weniger als von eurer Treue ge - gen mich halten, fals ihr ſie nicht wegbringen und April ſchicken koͤnntet.
Jhr41Jhr muͤßt ſagen, die Fraͤulein waͤre eben ſo geſchwind gelaufen als ich. Das wird ihnen die Luſt zum Nachſetzen benehmen. Herrn Solmes wird dadurch alle Hoffnung vergehen; und die Jhrigen werden ſich nach einer kleinen Bedenck - Zeit mehr bemuͤhen, ſich mit ihr zu verſoͤhnen, als ſie wieder zuruͤck zu bekommen. Auf die Wei - ſe werdet ihr viel Gutes zu wege bringen helfen; und das werden kuͤnftig beyde Familien erkennen. Jhr werdet bey allen wohl angeſchrieben ſeyn: und ein jeder rechtſchaffener Bedienter wird ſich eine Ehre daraus machen, Joſeph Lehman verglichen zu werden.
Wenn ſie einen Verdacht auf euch werfen, oder die Sache erfahren ſollte, ſo habe ich ſchon auf ei - nen Brief gedacht, den ihr abſchreiben koͤnnt. Wenn ich ihr den zu rechter Zeit vorzeige, ſo ſoll ſie euch ſchon vergeben.
Seyd nur noch dieſes eine mahl munter und aufmerckſam. Dies iſt die Crone eurer uͤbrigen Dienſte. Wegen der Belohnung verlaſſet euch auf die Ehre und auf das Wort
Eures wahren Freundes R. Lovelace.
P. S. Jhr braucht mit Eliſabeth nicht ſo furchtſam zu ſeyn. Wenn ihr auch gleich einen Schritt weiter gehet, ſo ſoll es euch doch kein Schade ſeyn. Wenn ihr ſie nehmet, ſo iſt ſie doch ein angenehmes Maͤdchen, ob ſie gleich etwasC 5bei -42beißig iſt, wie ihr es nennet. Jch habe eine un - vergleichliche Artzney fuͤr Weiber die nach dem Hu - the greiffen. Fuͤrchtet euch nicht, Joſeph; ihr ſollt gewiß Herr in eurem Hauſe bleiben. Hoͤre Kerl! wenn ſie gar zu arg iſt, ſo will ich dir ler - nen, wie du ſie innerhalb Jahr und Tag zu Tode quaͤlen kannſt: und es ſoll alles ehrlich zugehen: ſonſt muͤſte der Rath nicht von mir ſeyn.
Jch lege ein kleines Angeld deſſen bey, was ich kuͤnftig reichlicher zu geben gedencke.
Daß mus ich geſtehen, ich bin ihrer Knaden ſehr verbunden vor ihre große Generoſigkeit. Aber aber, die letzte Urdre! Wie intrikat iſt die! das Gutt erbarme, wie bin ich vom kleinen zum großen verfieret worden. Wenn ich entdeckt wuͤrde, das waͤre ja nichts als mein Urin. Aber eure Kna - den verſprechen, vuͤr mich zu ſurgen, und mich in ihre Dienſte zu nehmen, und mich zu protechi - ren, wenn mir meine Herrſchaft auf die Sprunge kaͤmme, und noch ſo gar mir mer Lohn zu anger -diren,43diren, oder mich in ein Wirtz-Haus zu ſetzen, wel - ches ich eben fuͤr mein kroͤſtes Kluͤcke halten wuͤr - de. Und mit meiner lieben ſcharmanten Fraͤu - lein wollen ihre Knaden gut umgehen: und wer kann mit ihr uͤbel umgehen?
Jch wil ales tuhne was ich kan, weil ihre Kna - den im Stande ſind ſie gar zu verlieren, wie ihre Knaden ſagen, wenn ich neklichant bin: und ſo ein Filtz Kerl im Stande iſt, ſie alsdenn zu krie - chen. Aber wer weiß, meine Fraͤulein iſt wohl ſo willig, daß alle Muͤhe nicht nuͤthig iſt. Hat ſie was verſprochen, ſo wird ſie es halten: da will ich eurer Knaden Mann fuͤr ſeyn.
Jch bin ihrer Knaden recht gut, daß ſie alle verdeufelte Streiche doch ſo gut ſpielen, das kein Un - kluk daraus entſtehen ſol. Bis ich mit ihrer Kna - den bekannt wurd, ſo hielt ich ihre Knaden im - mer vor einen Unkluks-Fogel, ihre Knaden wul - len mir das zu gute halten. Aber ich habe mich graͤulich betrogen. Jhre Knaden haben eine ſer gut Indenſion gegen jedermann; und ſind recht ſo wie ich. Denn mir niſcht dir niſcht, ob ich gleich ein gemeiner Kerl bin, ſo bin ich doch Gutt Lub un Danck ein recht ehrlicher Kerl. Jch habe ein ku - des Hertz, und ich dencke immer an meiner Froͤlen ihre Reden. Den wo ſie geht und ſteht, da pre - digt ſie, und die Leute die muͤßen ſeelig werden.
Jch recumpandire mich alſo in ihrer Knaden firnere Knade, inſunderheit das Wirz-Hus nit zu vergeſſen, wenn ihre Kuaden ſo gut ſin wullen, und ein Wirz-Huus zu vinden iſt. Denn einDinſt44Ding iſt doch heut zu Dage nich mer erblich. Jch hovve nicht, daß mich ihre Knaden vor ein Schelm halten werden, wil ich ihren Knaden wi - der mein Flicht dien, wie man es nehmen kuͤnte; aber ein kut kebißen habe.
Aber ihre Knaden mußen mich nicht ſo oft ehr - licher Joſeph, und ehrlicher Joſeph nennen. Jch weiſ wol das ich es bin; aber es kribbelt mich doch ſo, wenn mir derbey infaͤllt, daß ich nicht ſo handele, wie ich ſullte. Und ihre Knaden ſin ſo ein ſpashafter Her, daß ich nicht recht weiß, ob es Spaß oder Jrnſt is, wenn ſie mich ſo oft ehr - lich nennen.
Jch bin ein einfeltiger Man, und habe ſelten mit ſo einem grußen Herrn Briefe gewechſelt: aber ſie ſind gut ſatt, das ſie fuͤnde gerade ſin laßen, wie ich ſchon ſo uft geſagt habe, und nicht mehr ſagen darf.
Mamſelle Lischen kahm mir ſonſt for, als wenn ſie die Nahſe uͤber mich tragen wollte. Aber ſie giebt ſich. Jch haͤtte ſie noch lieber, wenn ſie ge - gen meine Froͤlen beſſer were. Aber ſie iſt ſu kluk, vor ſo einen einfeltigen Mann. Aber wenn ſie mich ergerte, es ſchickt ſich wol nicht, das der Mann die Frau pruͤgelt, aber ſo koͤnnte mein Brauner wol regieren, nich ſo ihre Knaden?
Aber das Rezebt, das ihre Knaden fuͤr ein boͤs Weib haben? Denn wuͤrde ich noch mehr Luſt zu heiraden haben, wenn ichs vorher wuͤſte. Und inſonderheit, wen ich wuͤſte wie man eine in Jahrund45und Dag, und das es rech ehrlich zuginge, und unſers Herrn Kutts Verhaͤngniß waͤre ‒ ‒
Aber ich bin einem ſo grußen Herrn beſchwerich: und das kan hernacher geſchehen, nachdem ſie ſich anlaͤſt. Denn vielleicht moͤchte ich ſie gern laͤnger behalten wullen, ſonderlich wenn ſie ſich ſo kut zu einer Wirtz-Frau ſchickt, als mir ihre Knaden einpilden.
Aber nochmahls recumpandire ich mich, und bitte ihre Knaden, ſich nit uͤber meine Freyheit zu artilleriren: der ich Gros-Geneigt verharre,
ihrer Knaden ſu allen Duͤnſten bereuter Joſef Lehman.
Jch kann eben einige Augenblicke ſtehlen, mein Verſprechen zu erfuͤllen, da ſich meine Ge - liebte (wie ich hoffe) zur Ruhe begeben hat. Man hoͤrt von keinem Nachſetzen. Jch habe auch auf das kuͤnftige keine Sorge deshalb, ob ich mich gleich gegen mein ſchoͤnes Kind beſorgt ſtellen muß, daß wir verfolget werden moͤchten.
Nie -46Niemahls iſt meine Freude ſo vollſtaͤndig ge - weſen als jetzt. Allein ich muß zuſehen, ob ich meinen Schatz noch beſitze.
Ja wahrlich: Er iſt in der andern Stube, und ich bin meines Beſitzes wegen auſſer Sorgen.
Jch wußte, daß die gantze tumme Familie fuͤr mich arbeitete. Jch ſagte dir, daß ich ſie insge - ſammt gebrauchte die Standhaftigkeit meiner Schoͤ - nen ohne ihr Wiſſen den Maulwuͤrfen gleich zu untergraben. Blinder waren ſie als die Maul - wuͤrfe ſeyn ſollen. Jch lenckte alle ihre Bewegun - gen: allein weil dieſe mit ihrem niedertraͤchtigen Hertzen ſo genau uͤberein kamen, ſo hielten ſie al - les was ſie thaten fuͤr ihre eigenen Entſchließun - gen und nicht fuͤr die Eingebungen einer feindli - chen Gottheit.
Allein was ſage ich dir? meine Freude ſoll voll - kommen ſeyn? Gewiß nicht. Mein Hochmuth iſt all zu wenig vergnuͤget worden. Wie kann ich ohne Misvergnuͤgen wahrnehmen, daß ich ſie nicht ihrer Zuneigung zu mir, ſondern den Verfolgungen der Jhrigen zu dancken habe? ja daß ſie mich nicht einmahl, ſo viel ich weiß, andern vor - ziehet?
Jch darff dem Gedancken nicht nachhaͤngen: er koͤnnte meinem ſchoͤnen Kinde theuer zu ſtehenkom -47kommen. Jch will mich vielmehr freuen, daß ſie einmahl uͤber den Rubicon gegangen iſt: Daß ſie jetzt nicht wieder zuruͤck kann: daß ihre unver - ſoͤhnlichen Anverwanten glauben werden, ſie habe nach eigener Wahl die Flucht ergriffen; um daß ich ſie auf eine ihr empfindliche und meinem Stoltz ſehr angenehme Art auf die Probe ſetzen kann, wenn ich Urſach finde, an ihrer Liebe zu mir zu zweifeln. Denn glaube mir, ſo zaͤrtlich ich ſie liebe, ſo woll - te ich ihrer doch nicht ſchonen, wenn ich in ihrem Gemuͤth nur einen Schatten des Zweiffels faͤnde, ob ſie mich allen andern meines Geſchlechts vor - zoͤge.
Dienſtages, um Tages Anbruch.
Auf den Fluͤgeln der Liebe fliege ich eben zu mei - nem Entzuͤcken hin, zu dem ſchoͤnen Kinde, das vielleicht eben aufſteht, um die traͤge Morgenroͤthe zum Eylen zu bewegen. Jch habe in den andert - halb Stunden, in welchen ich mich niederlegte, den Gott des Schlaafs anzuruffen, kein Auge zuge - than. Jch ſcheine nicht mehr ſo materiel zu ſeyn, daß ich die abgehende Kraͤffte des Leibes durch den Schlaaf zu erſetzen noͤthig habe.
Allein mein unvergleichliches Kind, warum ſehe ich an dir nichts als hertzbrechenden Kummer? in dem Wagen? in dem Wirthshauſe? bey dem Aus - ſteigen? da du doch ſo heftig gedruͤcket biſt? da du in ſo groſſer Gefahr ſtandeſt zu dem gezwungen zu werden, was dein groͤſſeſter Abſcheu war? War - um laͤſſeſt du dich deine Flucht, die eben in dem ent -ſchei -48ſcheidenden Augenblick geſchahe, ſo heftig, ſo aufrichtig gereuen? Nimm dich in Acht, meine Schoͤne. Denn das Hertz, in dem dir die Liebe einen Tempel geweyhet hat, brennet von Eifer - ſucht.
Jch kann es ihr zwar nicht uͤbel nehmen, daß ihr eine ſo ploͤtzliche Veraͤnderung empfindlich iſt, und ihre Zuneigung zu mir abkuͤhlet. Wenn ſie ſiehet, wie heilig ich alle ihre Befehle beobachte, ſo wird ſie hoffentlich zwiſchen ihrem vorigen Ge - faͤngniß und ihrer jetzigen Freyheit einen Unter - ſcheid finden, und einige Triebe der Danckbarkeit gegen mich empfinden.
Sie kommt, ſie kommt. Eben gehet die Son - ne auf, ſie zu empfangen. Lebe wohl! ſey halb ſo gluͤcklich als ich, (denn alle meine Zweiffeln ver - ſchwinden jetzt, wie ein Nebel vor der Sonne) ſo wirſt du naͤchſt mir der gluͤcklichſte Menſch in der Welt ſeyn.
Jch will meine betruͤbte Erzaͤhlung fortſetzen.
Nachdem ich in der Uebereilung bis an den Wagen gekommen war, ſo wuͤrde es ver -geblich49geblich geweſen ſeyn, wenn ich mich gewegert haͤt - te, mich hinein zu ſetzen. Allein er hub mich auch hinein, als ich noch vor Schrecken außer mir war. Der Wagen fuhr ſogleich in vollem Gallop weg, und hielt nicht ſtille, bis daß wir eben bey Tages - Anbruch zu S. Albans ausſtiegen.
Unter Weges meinte ich einigemahl, ich ſolte in Ohnmacht fallen. Oft ſagte ich mit aufgeha - benen Haͤnden und Augen zu mir: Gott behuͤte! iſt es moͤglich, daß ich hier bin! die Augen gin - gen mir uͤber; und ich konnte die Seufzer nicht verhalten, die mir bey nahe eben ſo ſehr wider mei - nen Willen entfuhren, als meine Flucht wider Wil - len geſchahe.
Wie groß, wie augenſcheinlich war der Unter - ſcheid zwiſchen mir, und meinem froͤlichen Ver - fuͤhrer, der das Vergnuͤgen wegen ſeines argliſti - gen Sieges uͤber mich nicht verbergen konnte. Jch konnte zum wenigſten ſeine halb-unſinnige Freude nicht anders auslegen. Dem ohngeachtet ging ſein Mund von lauter Hoͤflichkeit und Ergebenheit uͤber; und ſo lange wir flogen (denn fliegen muß ich es nennen, und nicht gallopiren) war er in ſei - nem Betragen gegen mich ſehr ſcheu und furcht - ſahm.
Es kam mir vor, daß wir nicht den geraden Weg fuhren, ſondern einen Umſchweiff nahmen, damit man uns deſto weniger moͤchte nachſetzen koͤn - nen. Es ſchienen mir auch die Bey-Reuter ver - aͤndert zu werden. Drey oder vier Leute, die ich nicht vor Bediente halten konnte, ritten dannDritter Theil. Dund50und wann auf dieſer und jener Seite der Kutſche. Er verhielt ſich aber nicht anders gegen ſie, als wenn es gemeine Bedienten waͤren, und ich war ſo betruͤbt, und ohngeachtet aller ſeiner Schmeiche - leyen ſo ungehalten, daß ich mich nicht uͤberwin - den konnte, ihn zu fragen, wer ſie waͤren, eben ſo wenig als ich ihn ſonſt etwas fragen konnte.
Ueberlegen Sie, wie mir zu Muthe geweſen ſeyn muß, als ich aus dem Wagen ſtieg, ohne eine Perſon meines Geſchlechts bey mir zu haben; ohne einige andere Kleidung, als die ich auf dem Leibe hatte, die ſich ſchlecht zu meiner bis - herigen und noch bevorſtehenden Reiſe ſchickte: ohne Kappe, ohne Reiſe-Hut, ohne alle andere noͤ - thige Kleidung, ein Hals-Tuch ausgenommen. Jch war ſo muͤde, daß ich haͤtte ſterben moͤgen; und mein Gemuͤth war noch mehr ermuͤdet, als mein Leib. Die Pferde ſchwitzten und rauchten dermaſ - ſen, daß jedermann in dem Wirts-Hauſe glaubte, ich muͤßte ein leichtfertiges Maͤdchen ſeyn, das ſei - nen Anverwandten davon gegangen waͤre. Man konnte ihnen dieſes an den Gebeerden und an ihren heimlichen Reden anmercken: und daran, daß mehr Leute aus dem Hauſe als zur Bedienung noͤ - thig waren, ſich nach einander einen Weg machten, uns zu ſehen.
Die Wirthin, die Lovelace zu mir herein ſchickte, wieß mir ein beſonderes Zimmer an, brachte mir Hirſchhorn und kaltes Waſſer, als ſie ſahe, daß mir uͤbel werden wollte; und ließ mich hierauf allein, als ich verlangte, eine halbe Stundefuͤr51fuͤr mich zu ſeyn. Denn ich konnte mich ohn - moͤglich laͤnger halten, als ich alles uͤberlegte, was vorgegangen war: und ſo bald ſie weggegangen war, ſchloß ich die Thuͤr zu, und warf mich auf einen alten Gros-Vaters-Stuhl nieder. Hier ließ ich den Thraͤnen den Lauff, und weinete mir das Hertz leichter.
Herr Lovelace ſchickte die Wirthin fruͤher als ich es wuͤnſchte zu mir herauf; die mich in ſeinem Nahmen bat, daß ich meinem Bruder erlauben moͤchte zu mir herauf zu kommen, oder daß ich zu ihm hinunter kommen moͤchte. Denn er hatte der Wirthin geſagt: ich ſey ſeine Schweſter, und haͤt - te mich dieſen Winter bey einem Verwandten auf - gehalten. Weil ich nun eine Heyrath wider der Meinigen Willen haͤtte vornehmen wollen, ſo hohle er mich ungewarnter Sache und wider meinen Willen ab, und bringe mich zu meinen Eltern zu - ruͤck. Jch waͤre deswegen ungehalten auf ihn, daß er mir nicht ſo viel Zeit gelaſſen haͤtte, mich zur Reiſe zu kleiden.
So ſehr ich ſonſt die Wahrheit liebe, ſo fand ich mich doch gezwungen, dieſer Erdichtung den Schein der Wahrheit zu geben: einer Erdichtung, die ſich zu meinen Umſtaͤnden deſto beſſer ſchickte, weil ich eine Zeitlang weder reden noch die Augen aufſchlagen konnte. Dieſen Kummer und Still - ſchweigen konnte die Wirthin leicht fuͤr Trotz und Eigenſinn halten.
Weil ein Bette in meiner Stube ſtand, ſo ent - ſchloß ich mich lieber hinunter zu gehen, nachdemD 2er52er zum zweiten mahl heraufgeſchickt hatte. Die Wirthin begleitete mich in ſeine Stube. Er kam mir ſehr hoͤflich entgegen, doch ſo, daß ein hoͤflicher Bruder eben ſo hoͤflich haͤtte ſeyn koͤnnen, und die Wahrſcheinlichkeit nicht verletzt ward. Er nannte mich ſeine liebe Schweſter, fragte mich ob ich mich zuſrieden gaͤbe, und bat mich um Ver - gebung, mit dem Zuſatz, daß kein Bruder eine Schweſter ſo lieben koͤnnte, als er mich liebete.
Ein loſer Schelm! Wie natuͤrlich konnte er die Perſon ſpielen, die er ſpielen wollte, da ich mich meiner Perſon ſo wenig gemaͤß auffuͤhren konnte?
Unbedaͤchtige Leute finden darin einen Troſt, daß ſie nicht weit in das kuͤnftige ſehen, daß ſie nichts befuͤrchten, und ſich wegen eines entfernten Uebels nicht graͤmen. Kurtz, ihre Unbedaͤchtigkeit iſt ihre Gluͤckſeeligkeit. Allein was fuͤr Troſt kann ein Gemuͤth in meinen Umſtaͤnden haben, das ſich gewoͤhnt hat in die folgende Zeit hinein zu ſehen, und das moͤgliche ſo wohl als das wahrſchein - liche zu uͤberlegen?
Jch muß Jhnen einen Auszug aus unſerer Un - terredung vor und nach dem Abendeſſen geben, die ich mit einander in der Erzaͤhlung verbinden will.
So bald mir allein waren, bat er mich mit al - len Merkmahlen einer ergebenen und wahren Zaͤrt - lichkeit (wie ich ihm Zeugniß geben muß) beſſer mit ihm und mit mir ſelbſt zu frieden zu ſeyn. Er wi - derhohlte alle Geluͤbde, mit denen er mir ehemahls ſeine unaufhoͤrliche Zuneigung geſchworen hatte: er verſprach. mir kuͤnftig in allen Dingen ſchlech -ter -53terdings zu folgen: und bat ſich Erlaubniß aus zu fragen, ob ich befaͤhle, den naͤchſten Tag zu einer von ſeinen beyden Baſen zu reiſen: ‒ ‒
(Jch ſchwieg ſtille. Jch wußte nicht was ich ſagen oder thun ſollte.)
Ob ich eine eigene Wohnung in der Nachbar - ſchaft dieſer Frauenzimmer beziehen wollte, wie ich ehemahls vorgehabt haͤtte? ‒ ‒
(Jch ſchwieg noch ſtille.)
Ob ich auf eins der Guͤter des Lord M. reiſen wollte? Nach Berck? oder auf das naͤchſte Gut?
Jch ſagte: eine Wohnung, welche es waͤre, da er nur nicht mit zugegen waͤre, wollte ich be - ziehen.
Er geſtand, daß er mir dieſes verſprochen haͤt - te. Er wollte ſein Wort halten, ſo bald ich nur außer Gefahr waͤre, daß mir die Meinigen nicht nachſetzeten, und ſo bald ich mich zu beruhigen an - finge. Wenn mir es uͤbrigens einerley waͤre, wo ich mich aufhielte, ſo ſey London der ſicherſte Ort, und da ich mich am beſten verborgen halten koͤnnte. Alle ſeine Verwandten wuͤrden mich beſu - chen, ſo bald ſie Erlaubniß dazu von mir bekaͤ - men. Jnſonderheit wuͤrde ſeine Baſe Charlotte mir zur Geſellſchaft nach London kommen, ſo bald ſie ſich wieder in die Luft wagen duͤrfte; wenn ich ſie zur Geſellſchaft annehmen wollte. Wenn ich aber auch Luſt haͤtte, zu der Frau Lawrance zu reiſen, ſo wuͤrde ich ihr ſehr angenehm ſeyn: von der Frau Sadleir wollte er nichts ſagen, weil ſie von finſterem Gemuͤthe und Umgange ſey.
D 3Jch54Jch antwortete: in der Gemuͤths-Faſſung, in der ich mich jetzt befaͤnde, und die ſich ſo bald nicht aͤndern wuͤrde, gedaͤchte ich zu keiner von ſeinen Anverwandtinnen zu reiſen. Meine Ehre erfordere es, daß er ſich von mir entferne. Fuͤr mein Ge - muͤth und Umſtaͤnde wuͤrde ſich ein eigener und et - was ſtiller Aufenthalt am beſten ſchicken; und zwar deſto beſſer, je wohlfeiler und ſchlechter er ſey, weil man mich daſelbſt nicht ſuchen, ſon - dern vermuthen wuͤrde, daß mir die Perſon alle Bequemlichkeit verſchaffen wuͤrde, die an meiner Uebereilung ſchuld ſey. Mir ſchiene ein Aufenthalt auf dem Lande fuͤr mich, und zu London fuͤr ihn das zutraͤglichſte zu ſeyn. Es ſey nichts daran ge - legen, wie bald man wiſſe, daß er zu London ſey.
Wenn er ſeine Meinung ſagen duͤrfte (erwiederte er) ſo ſey London der beſte Ort in der Welt, mich verborgen zu halten, wenn ich nicht Luſt haͤtte, zu ſeinen Verwandten zu reiſen. Jn kleinen Staͤdten, oder in Doͤrfern, mache jeder Fremde ſo gleich ein Aufſehen: welches bey einer ſolchen Perſon wie ich (hier fielen einige Schmeicheleyen vor) unge - mein groß ſeyn wuͤrde. Selbſt das wuͤrde Nachfra - ge erwecken, wenn Briefe an Orte gebracht wuͤrden, wo ſie vorhin nicht gewoͤhnlich geweſen waͤren. Er haͤtte bisher fuͤr keine Wohnung fuͤr mich ge - ſorgt, weil er geglaubt haͤtte, ich wuͤrde entweder nach London gehen, da man alle Stunden beque - me Miethen finden koͤnnte, oder zu einer ſeiner Baſe, oder auf ſeines Onckels Gut in der Graf -ſchaft55ſchaft Hertford, auf welchem eine ſolche Haus - haͤlterin waͤre, als meine Frau Norton, nehm - lich Frau Greme.
Jch ſagte: wenn man mir ja nachſetzte, ſo wuͤrde es in der erſten Hitze geſchehen; und der naͤchſte Verdacht wuͤrde auf die Haͤuſer ſeiner Ver - wandten fallen. Jch wuͤßte warlich nicht, was ich anfangen ſollte.
Er ſagte: es kaͤme alles blos auf mein Belieben an, wozu ich mich auch entſchloͤſſe. Nur dafuͤr muͤſſe er ſorgen, daß ich ſicher ſeyn moͤchte. Er haͤtte einige Miethen in London, allein er ſagte nicht davon, um ſie mir anzutragen. Denn er koͤnne leicht dencken, daß ich dagegen noch mehr wuͤrde einzuwenden haben, als gegen ſeines Onckels oder Baſen Haͤuſer.
Allerdings! ſagte ich mit der ſtraͤflichen Mine, die Sie mein Amts-Geſichte zu nennen pflegen. Er fing deswegen an, ſich ſehr zu entſchuldigen: er habe weder gewuͤnſcht noch gehofft, daß ich die - ſen Vorſchlag annehmen moͤchte. Er ſey fuͤr nichts, als fuͤr meine Ehre und Sicherheit beſorget; und mein Wille ſollte in allem, in allen Kleinig - keiten, ſein Geſetz ſeyn.
Jch war zu muͤrriſch, zu betruͤbt, und in der That all zu ſehr gegen ihn erbittert, als daß ich etwas von dem, was er ſagte, haͤtte wohl aufneh - men koͤnnen.
D 4Jch56Jch ſagte nur: ich hielte mich vor ſehr ungluͤck - lich. Jch wuͤßte gar nicht, wozu ich mich ent - ſchließen ſollte. Mein guter Nahme muͤßte ohne Zweiffel voͤllig verlohren ſeyn. Es fehle mir an Kleidung, mich vor jemand ſehen zu laſſen. Selbſt mein Mangel muͤßte allen die mich ſehen, ein Zeugniß meines Unverſtandes ſeyn. Jeder - mann wuͤrde glauben, daß ich uͤbervortheilt ſey, oder ihm einen unerlaubten Vortheil uͤber mich ge - geben haͤtte, und weder von meinen Entſchließun - gen noch von meinen Handlungen Meiſter waͤre. Jch koͤnnte nicht anders dencken, als daß er arg - liſtig mit mir umgegangen ſey. Er ſchiene ſich nach meiner Schwaͤche, Unerfahrenheit und Ju - gend in Erdenckung eines Kunſtſtuͤcks gerichtet zu haben. Jch koͤnnte es mir ſelbſt ohnmoͤglich ver - geben, daß ich zu der Unterredung mit ihm ge - kommen ſey. Mein Hertz blutete mir im Leibe, wenn ich an den Kummer meiner Eltern gedaͤchte. Jch wollte gern die gantze Welt und alles was ich in der Welt hoffete, dafuͤr geben, daß ich jetzt in meines Vaters Hauſe ſeyn moͤchte, es moͤchten auch die Folgen noch ſo ſchlimm ge - weſen ſeyn. Er moͤchte ſagen was er wollte, ſo faͤnde ich doch in ſeiner Liebe etwas niedriges und eigennuͤtziges, da er ſich haͤtte entſchließen koͤnnen, ein junges Kind zu verleiten, daß es ſeine Pflicht und Gewiſſen verletzte. Eine edle Liebe muͤſſe ſu - chen zu der Ehre und Gemuͤths-Ruhe der Ge - liebten alles moͤgliche beyzutragen.
Er57Er hoͤrte ſehr aufmerckſam zu, ohne mich in der Rede zu ſtoͤhren: und er beantwortete alles was ich geſagt hatte ſo ordentlich und von Stuͤck zu Stuͤck, daß es eine Probe ſeines unvergleich - lichen Gedaͤchtniſſes ſeyn konnte.
Meine gantze Rede (ſagte er) haͤtte bey ihm ei - nen tiefen Eindruck gemacht, daß er nothwendig ernſthaft ſeyn und ernſthaft antworten muͤßte. Es kraͤnckte ihn in der Seele, daß er bisher noch ſo wenig Zuneigung und Vertrauen bey mir haͤtte erwecken koͤnnen, als er in der That faͤnde.
Was meine Ehre und guten Nahmen anbe - langte, ſo wollte er ſich die Freyheit nehmen, ſehr aufrichtig davon zu reden. Mein guter Nahme koͤnnte durch meine Flucht ohnmoͤglich ſo viel ley - den, als durch die vorhergegangene Einſperrung und eben ſo abgeſchmackte als ungerechte Auffuͤh - rung der Meinigen gegen mich. Jedermann re - dete von ihnen, und tadelte ſie, inſonderheit mei - nen Bruder und meine Schweſter: uͤber meine Geduld aber verwunderten ſich alle Leute. Er muͤſſe das wiederhohlen, was er mir mehr als ein - mahl geſchrieben haͤtte: meine Freunde muͤßten ſelbſt geglaubt haben, daß ich eine Gelegenheit er - greiffen wuͤrde, mich in Freyheit zu ſetzen: ſonſt wuͤrden ſie mich nicht eingeſperret haben. Mein vortrefflicher Character wuͤrde ohnehin meine beſte Vertheidigung bey allen denen ſeyn, die mich und die meinen Bruder und Schweſter kenneten, in - ſonderheit wenn ſie auch den Kerl kenneten, den man mir haͤtte aufdringen wollen.
D 5Was58Was die Kleidung anlangte, ſo wuͤrde niemand erwarten koͤnnen, daß ich bey ſolchen Umſtaͤnden mehr Kleidung mitnehmen ſollte, als diejenige wel - che ich an gehabt haͤtte. Seine Baſen wuͤrden ſich eine Ehre daraus machen, zu meinem jetzigen Ge - brauch mir Kleidung zu leyhen: und auf das kuͤnftige duͤrfte ich nur befehlen, ſo ſollte mir das beſte und koſtbarſte zu Dienſte ſtehen, was in oder außer England zu finden ſey.
Wenn es mir (wie er leicht dencken koͤnnte) an Gelde mangelte, ſo wuͤrde er recht ſtoltz uͤber die Ehre ſeyn, wenn er mir damit dienen duͤrfte. Er wuͤnſchte nichts mehr, als daß er hoffen koͤnnte, daß wir dereinſt gemeinſchaftliche Guͤter haben wuͤrden.
Hierauf ſetzte er mir ſehr zu, daß ich 100 Pfund in Banck-Zetteln von ihm annehmen moͤch - te: und er ſteckte mir den Zettel ohnvermerckt in die Hand, Sie werden, ohne daß ich es melde, glauben, daß ich dieſes Geſchenck mit Heftigkeit abgewieſen habe.
Er ſagte: er ſey voller Verwunderung und Kummer, daß ich ihn einer Argliſtigkeit in ſeiner Auffuͤhrung gegen mich beſchuldigen koͤnnte. Er ſey auf meinen eigenen Befehl (was fuͤr ein Menſch! daß er mir das vorwerfen darf) gekom - men, und habe das noͤthige veranſtaltet, mich in Freyheit zu ſetzen. Er haͤtte gar nicht vermuthet, daß ich meinen Entſchluß aͤndern, und daß er viel Muͤhe haben wuͤrde, mich zu dem zu uͤberreden, was ſchon vorhin mein Vorſatz geweſen waͤre. Viel -59Vielleicht hielte ich das fuͤr ein Kunſt-Stuͤck, daß er haͤtte mit mir in den Garten, ja zu meinen ver - ſammleten Anverwandten gehen wollen. Allein ich thaͤte ihm hierin Unrecht. Bis auf dieſe Stunde wuͤnſchte er, daß ich ihm erlaubt haben moͤchte, mich zu begleiten, weil er meine große Unruhe merckte. Es ſey immer ſeine Weiſe geweſen, der gedroheten Gefahr zu trotzen: denn man haͤtte nicht leicht Urſache ſich vor denen zu fuͤrchten, die viel droheten, wenn ſie Gelegenheit haͤtten ihre Drohungen in das Werck zu richten. Wenn er aber auch gewiß gewuſt haͤtte, daß man ihn meu - chelmoͤrderiſcher Weiſe erſtechen wuͤrde, oder daß er von jedem in meiner Familie eine toͤdtliche Wunde zu gewarten haͤtte, ſo haͤtte er mich doch begleiten wollen: denn meine Ruͤckkehr wuͤrde ihn auf das aͤußerſte getrieben haben, daß er nach nichts weiter gefragt haͤtte.
Auf die Weiſe, mein Schatz, muß ich mich oh - ne Entſchuldigung verdammen, daß ich mich zu ei - ner Unterredung mit einem ſo unerſchrockenen und verwegenen Menſchen verſtanden habe. Das iſt das Ende. Jch kann nun nicht daran zweifeln, daß er Mittel gehabt haben wuͤrde, mich zu ent - fuͤhren, wenn ich die Unterredung um Mitternacht angeſtellet haͤtte, wie ich ein Paar mahl im Sin - ne hatte. Und dieſer Erfolg wuͤrde fuͤr mich noch fuͤrchterlicher geweſen ſeyn.
Er beſchloß dieſe Materie mit den Worten: wenn ich ihm erlaubt haͤtte, mit in das Haus zu gehen, ſo ſey er verſichert, daß er bey allen eine ſogute60gute Meinung von ſich haͤtte erwecken wollen, daß ihm von neuen mit aller Beyſtimmung erlaubt ſeyn wuͤrde, unſer Haus zu beſuchen, und mir ſeine Aufwartung zu machen.
Er fuhr fort: er muͤſſe ſo frey ſeyn, mir zu ge - ſtehen, daß er in Begleitung einiger Freunde, auf die er ſich verlaſſen koͤnnte, einen ſolchen Beſuch abgelegt haben wuͤrde, wenn ich ihn nicht geſpro - chen haͤtte. Eben dieſer Nachmittag ſey dazu ausgeſetzt geweſen: denn er haͤtte den fuͤrchterlichen Mittewochen nicht anbrechen laſſen koͤnnen, ohne den letzten Verſuch zu thun, ob er die Meinigen auf andere Gedancken bringen koͤnnte.
(Was konnte ich mit einem ſolchen Mann an - fangen? Wie ſollte ich mich gegen ihn verhalten?)
Um meinet und um ſeinetwillen haͤtte er gewuͤnſcht, daß eine ſo ſchwere und verzwei - felte Kranckheit durch eine verzweifelte Artzeney ge - hoben werden moͤchte. Jedermann wiſſe, daß ein wichtiger Endzweck oft durch die Mittel erreichet wuͤrde, die andere als Hinderniſſe in den Weg ge - leget haͤtten.
Jch dachte bey mir ſelbſt: wie ein trauriger Beweiß dieſer Wahrheit ſind meine jetzigen Um - ſtaͤnde? Jch ſchwieg indeſſen ſtille, ſo lange er re - dete, und verdammete mich nur in der Stille und in meinem Hertzen. Bisweilen jagte mir ſeine Dreiſtigkeit eine Furcht ein: und ein andermahl fand ich mich allzu matt, und allzu betruͤbt, ihm in die Rede zu fallen. Denn aller Muth verging mir, wenn ich uͤberlegte, wie ſchlecht auch meinebe -61beſte Hoffnung bey einem ſolchen Menſchen waͤre. Er bekam hiedurch Zeit fortzureden: und das that er mit einer Gebeerde, die immer ernſthafter ward.
Er hoffete, ich wuͤrde ihm das vergeben, was er jetzt ſagen muͤßte. Es gehe ihm, bey ſeiner Seele! nahe, ſehr nahe (ſagte er nochmahls, mit veraͤnderter Farbe und Sprache) daß er nicht an - ders koͤnnte als wahrnehmen, daß ich mich viel lieber haͤtte in die Gefahr begeben wollen, des Solmes Frau zu werden, als mich in Freyheit ſetzen, und es mir moͤglich machen, einen Mann zu belohnen, der um meinet willen, (wenn ich ihm erlauben wollte dis zu ſagen) eben ſo viel ge - litten haͤtte, als ich um ſeinet willen, und der auf alle meine Befehle auf (ich bitte um Vergebung) auf alle veraͤnderlichen Zuͤge meiner Feder gelaurt, zu allen Stunden, und bey allem Wetter gelaurt haͤtte, und zwar dieſes mit ſolcher Willigkeit und Eifer, die das untruͤglichſte Zeichen der allerzaͤrt - lichſten Ergebenheit waͤren.
(Hier fing ich an, mit mehrerer Empfindung auf ſeine Rede zu mercken; er fuhr fort:)
Und warum habe ich dieſes alles gethan, Fraͤu - lein? (Jch ſahe ihn ſtarre an) blos, um ſie zu be - wegen, daß ſie ſich von einer ſo niedertraͤchtigen Sclaverey und Unterdruͤckung befreyen moͤchten.
Herr Lovelace! ſagte ich mit einer merckli - chen Empfindlichkeit.
Hoͤren ſie mich nur aus, meine liebe Fraͤulein. Mein Hertz iſt allzuvoll: ich muß es vor Jhnenaus -62ausleeren. Sie ſagen mir, (denn ihre Worte klingen mir noch in den Ohren, und mein Hertz fuͤhlt ſie noch) daß ſie gern die gantze Welt und al - les, was ſie in der Welt zu hoffen haben, dafuͤr geben wollten, wenn ſie noch in ihres finſtern und harten Vaters Hauſe waͤren, ‒ ‒
Kein Wort gegen meinen Vater, Herr Love - lace! ‒ das werde ich nicht leyden ‒
Es moͤchte auch erfolger ſeyn, was da wollte, haben ſie geſagt. Fraͤulein, ſie haben ei - ne gantz unwahrſcheinliche Leichtglaͤubigkeit, daß ſie dem Solmes nicht wuͤrden angetrauet ſeyn. Jch muß von ihnen hoͤren, daß ich ſie verleitet habe, ihre Pflicht und Gewiſſen zu verletzen. Allein mercken ſie nicht, liebſtes Kind, wie ſie ſich ſelbſt widerſprechen? Mercken ſie nicht, daß die Hitze ſie uͤbernimt? Sie haben ihr Gefaͤngniß und ihre Verfolger ſo unwillig und mit ſo genauer Noth verlaſſen, daß ihr Gewiſſen ihnen deshalb nicht den allergeringſten Vorwurf machen kann.
O Herr Lovelace, ſind ſie ein ſolcher Wort - Klauber? Sind ſie bey ihrem Zorn noch von ſo ſreyem Gemuͤthe, daß ſie Worte auffangen koͤn - nen?
Jch habe in der That ſeit der Zeit einen Ver - dacht, daß ſein Zorn keine Leidenſchaſt iſt, die ihn uͤberfaͤllt; ſondern daß er Herr uͤber ſeinen Zorn iſt, und ihm nur bisweilen den Zuͤgel ſchießen laͤßt, um ſich bey mir in Furcht zu ſetzen. Er fuhr in - deſſen fort:
Ver -63Vergeben ſie mir Fraͤulein! Jch habe nur noch ein Wort zu reden. Sagen ſie nicht ſelbſt, daß ich mein Leben gewaget habe, ſie aus ihrer Scla - verey zu befreyen? Und unterſtehe ich mich den Lohn dafuͤr anders als Bittweiſe zu verlangen? Denn haben ſie mir nicht die Bedingung, die har - te Bedingung vorgeſchrieben, die ich aber dennoch heilig halten will: daß ich nur eine entfernte Hoff - nung haben ſoll: und daß ſie die Freyheit haben wollen, Ja oder Nein zu meiner Bitte ſagen zu duͤrfen?
(Sehen Sie, mein Schatz, wie ſich meine Um - ſtaͤnde in allen