PRIMS Full-text transcription (HTML)
Clariſſa, Die Geſchichte eines vornehmen Frauenzimmers,
Dritter Theil.
GOETTJNGEN,Verlegts Abram Vandenhoeck, Univerſitaͤts-Buchh.1749.
Mit Roͤm. Kayſerlichen, Koͤnigl. Großbrit. und Churf. Braunſchw. wie auch Koͤnigl. Pohln. und Churf. Saͤchſ. allergnaͤdigſten Privilegiis.

Vorrede des Engliſchen Herausgebers.

Wenn man mir es nicht als eine Thorheit auslegen will, daß ich mich unterſtehe, den Geſchmack der Welt in Abſicht auf die Schriften, die allein ver - gnuͤgen ſollen, zu beurtheilen; und wenn es nicht allzu dreiſte iſt, daß ich andern vorſchrei - be, wie ihnen das gefallen ſoll, was ihnen zum Zeitvertreib uͤbergeben wird: ſo bitte ich mir Erlaubniß aus, einige wenige An - merckungen zu machen, die dem Leſer einen mittelmaͤßigen Begriff von dieſer Schrifft, und von dem Zweck ihres Urhebers machen koͤnnen.

Alles was Menſchlich iſt, gehet uns am naͤchſten an: daher haben wir einen ſtar - cken Trieb, uns um alle Zufaͤlle des menſch - lichen Lebens zu bekuͤmmern, und ihren Fort - gang und Ausgang mit einer angenehmen) (2Un -Vorrede. Ungeduld zu erwarten. Allein die menſch - lichen Zufaͤlle entwickeln ſich zu langſahm, als daß unſere muntere Neugierde dadurch ſollte befriediget werden koͤnnen. Es haben deswegen aufmerckſahme Leute Geſchichte ge - ſchrieben, und die Erkenntniß des - jenigen, was in vielen Jahren geſchehen iſt, ſo kurtzen Buͤchern anvertrauet, daß die hi - tzige Begierde der Menſchen dadurch kann befriediget werden.

Allein es ging hier, wie es gemeiniglich zu gehen pfleget, daß diejenigen, die uns ver - gnuͤgen wollen, die Sache uͤbertreiben. Wahre Geſchichte, wenn ſie noch ſo lebhaft vorge - tragen wurden, ruͤhrten unſern Geſchmack nicht mehr, der gleichſahm durch die Kunſt allzu lecker geworden war: wir foderten et - was, deſſen uͤber aus ſcharfer Geſchmack un - ſern Hunger erweckte, den wir wie ſieche Leu - te verlohren hatten. Dieſes war der Urſprung der erſten barbariſchen Romainen, in denen das ungewoͤhnliche, das wunderbahre und das unglaubliche herrſchete.

Allein das, was unnatuͤrlich iſt, ſaͤttiget uns ſehr bald ſo, daß ein Eckel darauf folget. Der Leſer ward endlich gewahr, daß ſeineLiebeVorrede. Liebe zu unerwarteten Geſchichten ihn von dem abgebracht hatte, was er ſuchte, nehm - lich von dem Menſchen und von den Zufaͤllen des menſchlichen Lebens, und daß er ſich in den bezauberten Gaͤngen der Ungeheuer verirret hatte. Diejenigen ſuchten den rechten Weg am erſten wider, die ſich am weiteſten verirret hatten. Die naͤchſte Art der Erdichtungen, die den Nahmen der neuen Romainen trugen, war von den Spaniern erfunden. Hier fand man etwas menſchliches, allein in einer allzu ſteifen und muͤrriſchen Geſtalt. Vorhin ging alles durch Zauberey zu, und nunmehr alles durch die ſo genannte Intrigue. Ein Leben war da, aber doch nichts lebhaftes, und den Sitten gemaͤſſes: Dieſe Erdichtun - gen waren noch in ihrer Kindheit. Manche, die nicht ſahen, wo der Fehler eigentlich ſteckte, wurden dennoch misvergnuͤgt, daß alles ſo trocken ausſahe, und die Entwicke - lung ſo ſchwer und unangenehm war.

Die Frantzoſen ſuchten dieſen Fehler zu verbeſſern, und erſannen ihre Helden Ge - ſchichte: darin ſie einige alte und wahre Geſchichte mit Erdichtungen, die ſich blos fuͤr unſere Zeit ſchicken, ſo verſtelleten, daß man wohl ſahe, ſie verſtuͤnden nicht recht zu) (3luͤgenVorrede. luͤgen, und koͤnnten doch auch nichts wahres ſagen. Anſtatt des Lebens und der Sit - ten fand man in ihren Ausſchweifungen, die viele Baͤnder fuͤlleten, nichts als Liebe und Ehrbegierde. Allein wenn man die Platoniſche Liebe zu weit treibt, ſo pflegt ſie gemeiniglich ſich am meiſten zu erniedri - gen, und ſich in den Abſchaum der Liebe zu verwandeln. Die kleineren Liebes-Ge - ſchichte, die auf jene dicken Baͤnde von Hel - den-Geſchichten folgeten, vermieden die vo - rigen Fehler der Spanier und Frantzoſen: allein ſie ſtelleten ihre Geſchichte allzu na - tuͤrlich vor, und verdarben das Hertz, anſtatt daß jene den Geſchmack verdorben hatten.

Unſer groſſes Volck, dem alle Wiſſenſchaf - ten einen unendlichen Danck ſchuldig ſind, traf endlich die rechte Mittelſtraſſe, und er - fand das Geheimniß, eineerdichtete Geſchich - te ſo zu erzaͤhlen, daß der gute Geſchmack vergnuͤget, und der verdorbene Geſchmack gebeſſert ward. Man ſuchte dem Leben und den Sitten der Menſchen auf eine treue aber dabey zuchtige Art nach zu folgen. Ei - nige unſerer neueſten Schriftſteller haben ſich hiedurch groſſen Ruhm erworben.

DieſenVorrede.

Dieſen Weg betrat der Urheber der Cla - riſſa als er ſich die Ehre wuͤnſchte, die Welt zu veranuͤgen. Er war ſo gluͤcklich, daß ſeine erſte Arbeit andern gefiel, und die - ſes machte ihm Muth, die Geſchichte der Clariſſa zu liefern. Er ſucht nichts, als das menſchliche Hertz zu ſchildern: er glaubte deswegen, daß er die Art der Vorſtellung erwaͤhlen duͤrfte, die am meiſten und ſtaͤrck - ſten mahlet, obgleich die aneinander haͤn - gende Erzaͤhlung wegfaͤllt, welche einigen unentbehrlich ſcheinen moͤchte, weil ſie nichts thun wollen, als ſich vergnuͤgen.

Er kleidet ſeine Geſchichte in Briefe ein, und eignet die Briefe den Perſonen zu, de - ren Geſchichte er erzaͤhlet. Hiedurch ward er in den Stand geſetzet, auf eine ungezwun - gene Weiſe den Eindruck vorzuſtellen, den ein jeder Zufall in die Gemuͤther der Perſonen macht, welche er am naͤchſten angehet. Er glaubet, daß wir auf ſolcher Art die verſteck - ten Tiefen des menſchlichen Hertzens beſſer, als durch eine bloſſe Erzaͤhlung kennen lernen.

Dieſes iſt die Abſicht unſerer Arbeit, von der ſich vielleicht manche Leſer einen unrich - tigen Begriff machen. Wer unerhoͤhrte Zu - faͤlle, ſaftige Liebes-Geſchichte, oder Unge -) (4heuerVorrede. heuer ſuchet, kurtz wer etwas anderes ſuchet, als die unverfaͤlſchte Natur, und das, was fich wircklich in dem menſchlichen Leben zu begeben pflegt, dem ſagen wir zum voraus, daß er ſich betriegen wird. Wenn ihm aber eine erdichtete Geſchichte, die voͤllig dem gleich iſt, was taͤglich in der Welt geſchiehet, in der die Tugend eine Zeitlang ſeufzet und das Laſter frohlocket, zum Vergnuͤgen dienen kann: wenn er entweder daraus etwas ler - net, oder ein angenehmes und menſchliches Mitleyden empfindet, ſo wird er die muͤßigen Stunden nicht uͤbel angewandt haben, die er ſich durch Leſung dieſer Schrift vertreibet.

Clariſſa
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Clariſſa der dritte Theil.

Der erſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch bin Jhnen den verbindlichſten Danck ſchuldig, daß Sie ſich ſo weit herablaſ - ſen, und ſich um ein Maͤdchen bekuͤm - mern, das Jhnen ein ſo großes Aergerniß gege - ben hat.

Jch bin hieruͤber faſt eben ſo ſehr gebeuget, als uͤber mein Vergehen ſelbſt.

Melden Sie mir, was Jhre Frau Mutter ge - ſagt hat: und dennoch fuͤrchte ich mich, es zu er - fahren, ob ich Sie gleich darum bitte.

Jch wuͤnſche und fuͤrchte zu wiſſen, was die Fraͤuleins geſagt haben, mit denen umzugehen ich das Gluͤck hatte: ein Gluͤck, das nun vielleicht auf ewig verſchertzt iſt.

Sie werden zwar nichts haͤrteres von mir ſagen koͤnnen, als was ich ſelbſt von mir ſage. Eine jede Zeile meiner Erzaͤhlung ſoll eine offenhertzigeDritter Theil. AAnkla -2Anklage wider mich ſeyn, ſo oft ich mich fuͤr ſchul - dig halte. Wenn es moͤglich iſt, daß durch eine um - ſtaͤndliche Nachricht meine Schuld etwas gemaͤßi - get werden kann, alh welches das hoͤchſte iſt, das eine Perſon hoffen darf, die ſich nicht entſchuldigen kann: ſo weiß ich gewiß, daß ich von Jhrer Freundſchaft ein gemaͤßigtes Urtheil erwarten darf. Auf die Liebe anderer darf ich nicht hoffen: ohne Zweifel iſt jetzt jedermann der Mund wider mich geoͤffnet, und alle, die Clariſſa Harlowe gekannt haben, verdammen nun die entlauffene Tochter.

Nachdem ich meinen letzten Brief an Sie, den ich bis auf die letzte Stunde fortgeſetzet hatte, nie - dergeleget, ſo kam ich nach dem Sommer-Hauſe zuruͤck, und nahm nur noch meinen Brief an Lo - velacen zwiſchen den loſen Ziegeln weg. Jch uͤberlegte hier ſo ruhig, als es mir in meinen Um - ſtaͤnden moͤglich war, was zwiſchen mir und meiner Frau Baſe Hervey vorgegangen war, und verglich einen Theil deſſen, was mir Dorthchen geſchrie - ben hatte, damit. Jch ſing zuletzt an Hoffnung zu ſchoͤpfen, daß ich mich vor dem bevorſtehenden Mittewochen nicht ſo ſehr fuͤrchten duͤrfte, als ich that. Dieſes waren die Gruͤnde, welche ich mir vorhielt.

Der Mittewochen kann der Tag nicht ſeyn, den ſie im Sinne haben, ob ſie gleich wuͤnſchen moͤgen, mich durch dieſen Tag in Furcht zu ſe - tzen. Die Ehe-Stiftung iſt noch nicht unter -zeich -3 zeichnet, ja mir noch nicht einmahl zur Unter - ſchrifft vorgelegt. Es ſteht bey mir, ob ich ſie unterſchreiben will, oder nicht; ob mir gleich ſehr ſchwer fallen wird, es abzuſchlagen, wenn mein Vater ſelbſt dieſe Forderung an mich bringt. Mei - ne Eltern hatten vor, nach meines Onckels Gut zu verreiſen, wenn es noͤthig waͤre, Gewalt ge - gen mich zu gebrauchen, damit ich ihnen mit meinen Bitten nicht moͤchte beſchwerlich fallen koͤnnen. Allein dieſen Mittewochen gedencken ſie hier gegenwaͤrtig zu ſeyn. So fuͤrchterlich mir auch der Gedancke iſt, vor ſie und vor die gantze Verſammlung aller der Meinigen geſtellet zu werden, ſo iſt dieſes dennoch, wo ich mich nicht irre, eine Sache, die ich ſehr zu wuͤnſchen habe. Denn mein Bruder und meine Schweſter glau - ben, daß ich ſo vieles bey meinen Eltern vermag, daß ſie mich eben deswegen von ihrer Gegenwart auszuſchließen ſuchten, weil ſie ohne dieſes es fuͤr unmoͤglich hielten, ihre Abſichten gegen mich zu erreichen.

Was habe ich fuͤr Urſache, daran zu zwei - feln, daß ich nicht einen oder den andern unter meinen Anverwanten werde gewinnen koͤnnen? und daß ich nicht meines Bruders Argliſtigkeit vor ſeinen Augen deutlich abmahlen, und hie - durch ſein Vermoͤgen bey meinen uͤbrigen Anver - wanten ſchwaͤchen ſollte, wenn ich Gelegenheit haͤtte, ihm in Beyſeyn anderer unter die Augen zu treten.

A 2Wenn4

Wenn auch das ſchlimmſte erfolget, ſo will ich dem Prediger ſo in das Gewiſſen reden, daß er ſich nicht unterſtehen ſoll, die Trauung vor - zunehmen: und Herr Solmes ſoll ſich auch nicht wagen eine gezwungene Hand anzunehmen, die alle Kraͤfte anwendet, ſich von ihm los zu reiſſen. Sind alle andere Mittel vergebens an - gewandt, und kann ich dadurch keinen Auffchub erlangen: ſo kann ich vorgeben, daß ich Gewiſ - ſens-Zweiffel habe, und daß ich mein Ja-Wort ſchon an einen andern gegeben habe. Denn Sie koͤnnen aus den Briefen, die Sie in Ver - wahrung haben, ſehen, daß ich Herrn Lovela - cen die Hoffnung gegeben habe, daß ich keinen andern heyrathen will, ſo lange er noch am Le - ben und unverheyrathet iſt, und mich nicht vor - ſetzlich beleydiget. Jch ſuchte durch dieſes Ver - ſprechen ſeine Rachgier in Schrancken zu halten, welche durch die Auffuͤhrung meines Bruders und meiner Onckels allzuſehr gereitzet ward.

Da ich meine Gewiſſens-Zweifel keinem an - dern als dem redlichen D. Lewin entdecken will, ſo iſt es ohnmoͤglich, daß meine Mutter und ihre Schweſter unbewegt und unerbittlich bleiben ſol - len, wenn auch die uͤbrigen ſteinern bleiben.

Nachdem ich dieſes alles meinem Gemuͤth, auf einen Blick vorgeſtellet hatte, ſo freuete ich mich uͤber den gefaßten Entſchluß, nicht mit Herrn Lovelacen wegzugehen.

Jch5

Jch habe Jhnen verſprochen, mich ſelbſt in meiner Erzaͤhlung nicht zu ſchonen; und ich erzaͤh - le eben dieſes als Umſtaͤnde, dadurch die Hand - lung, zu welcher ich mich ungluͤcklicher Weiſe ha - be verfuͤhren laſſen, viel ſchwaͤrtzer wird. Allein das, was ich dazu ſetzen muß, macht mich noch weit ſchuldiger: ich war nehmlich zweiffelhaft, ob nicht dasjenige, was Dorthchen von Eliſabeth und von meiner Schweſter meldete, ihr eben deswegen erzaͤhlt waͤre, damit ich es wieder erfahren und das aͤußerſte zu wagen veranlaſſet werden moͤchte? ob man nicht ſuchte, mich zu dem Schritt zu zwin - gen, den ich jetzt wircklich gethan habe, weil man ihn vielleicht fuͤr das kraͤftigſte Mittel anſehen moͤchte, mich auf ewig bey meinem Vater und ſeinen Bruͤ - dern verhaßt zu machen.

Gott vergebe es mir, wenn ich von den Ab - ſichten meiner leiblichen Geſchwiſter allzu hart ur - theile. Wenn mein Urtheil richtig iſt, ſo haben ſie mir mit der groͤßeſten Argliſtigkeit Schlingen ge - legt, und ich habe mich fangen laſſen. Sie moͤ - gen nun doppelt frohlocken, wenn ſie anders uͤber das Ungluͤck einer Schweſter, die nie einen Vorſatz oder Wunſch zu ihrem-Nachtheil gehabt hat, froh - locken koͤnnen.

Dieſe Betrachtungen, die ich anſtellete, verur - ſacheten, daß ich mich mehr vor der bevorſtehen - den Unterredung, und weniger vor dem Mittewo - chen fuͤrchtete. Jene hielt ich nicht allein fuͤr das naͤheſte ſondern auch fuͤr das groͤſſeſte Uebel. Wiewohl! vielleicht ſchien es mir nur des -A 3wegen6wegen ein großes Uebel zu feyn, weil es nahe be - vor ſtand. Denn ich unverſtaͤndiges Kind ſtelle - te mir nicht einmahl traͤumend vor, was der Aus - gang unſerer Unterredung ſeyn wuͤrde. Das glaubte ich, daß ich einen Zanck mit ihm haben wuͤrde, weil er meinen Brief nicht bekommen hatte. Allein nach meiner damahligen Art zu dencken wuͤr - de es ſehr wunderlich ſeyn, (wie ich Jhnen in mei - nem letzten Briefe meldete) wenn ich in einer ſol - chen Verſuchung unterliegen ſollte, nachdem ich mich gegen das Gebot derer die ſo viel Ehrfurcht von mir fodern koͤnnen, und deren Nahmen mir billig heilig ſind, ſo ſtandhaft bewieſen hatte, da ich glaub - te, daß ſie ihre Rechte misbrauchten; und nachdem er mir durch ſeine Nachlaͤßigkeit in Abhohlung mei - nes Briefes ſo viele Urſache gegeben hatte, mis - vergnuͤgt gegen ihn zu thun.

Wie kurtz iſt oft der Augenblick, der unſer Schickſaal entſcheidet! Haͤtte ich nur noch zwey Stunden gehabt, die Sache zu uͤberlegen, und mir dieſe neuen Einſichten (wenn ich ſie ſo nennen ſoll) zu Nutze zu machen! Allein vielleicht haͤtte ich mich dennoch bewegen laſſen, ihn zu ſprechen! Wie thoͤricht habe ich darin gehandelt, daß ich ihm einige Hoffnung machte, ihm muͤndlich die Urſachen zu ſagen, wenn ich meinen Vorſatz aͤn - dern muͤßte!

Ach mein Schatz, ein allzu gutes und ein allzu gefaͤlliges Gemuͤth iſt eine ſehr gefaͤhrliche Sache, und es pflegt ſich ſelbſt zu beleydigen, weil es ſich ſcheuet andere zu beleydigen.

Als7

Als geklingelt ward, daß die Bedienten zu Ti - ſche gehen ſollten, ſo kam Eliſabeth und fragte mich, ob ich noch etwas zu befehlen haͤtte? Sie gab mir hiebey abermahls zu verſtehen, daß ſie zu thun haben wuͤrde, und daß ſie glaubte, man er - warte mich nicht eher wieder in dem Hauſe, als bis ſie zu mir kaͤme, oder bis mich meine Mutter Schweſter oder die Fraͤulein Hervey abrieffe.

Jch fragte Sie allerhand von der Cascade, die etwas verfallen und erſt kuͤrtzlich wieder ausgebeſſert war. Jch war ſo kuͤnſtlich mich ſelbſt zu fangen, daß ich mich ſtellete, als waͤre ich ſehr begierig, die Waſſer-Kunſt ſpringend zu ſehen, damit ſie mich bey der Waſſer-Kunſt ſuchen moͤchte, wenn ſie mich nicht faͤnde, indem dieſer Theil des Gar - teus am weiteſten von dem Sommer-Hauſe ent - fernet iſt.

Sie konnte kaum in das Haus getreten ſeyn, als ich das erſte Zeichen hoͤrete. Wie ſchlug mir das Hertz! Allein es war keine Zeit zu verlieren. Jch ging nach der Garten-Thuͤr, und weil ich mich ſicher ſahe, ſo riegelte ich die ſchon aufge - ſchloſſene Garten-Thuͤr auf. Hier ſtand er, und erwartete mich voller Ungeduld.

Jch empfand bey ſeinem Anblick das aͤußerſte Schrecken, daß ich mich kaum halten konnte. Mein Hertz war voller Verwirrung, und ich be - bete ſo, daß ich nicht auf den Fuͤßen wuͤrde haben ſte hen koͤnnen, wenn er mich nicht gehalten haͤtte.

Fuͤrchten Sie ſich nicht, liebſtes Kind. (ſagte er zu mir) Laſſen ſie uns eilen! der Wagen ſtehetA 4ſchon8ſchon da. Sie haben mich durch ihre liebens - wuͤrdige Guͤtigkeit ſo verpflichtet, daß ich es Jh - nen nie in der That verdancken kann, und daß mir ſo gar die Worte fehlen Jhnen zu dancken.

Jch kam unterdeſſen, daß er mich mit ſich fort - zog, wieder zu mir ſelbſt, und ſagte: o Herr Lo - velace, ich kann ohnmoͤglich mit ihnen gehen. Jch kann es wahrhaftig nicht thun. Jch habe es ihnen auch geſchrieben. Laſſen ſie nur meine Hand los, ſo will ich ihnen den Brief zeigen. Er hat ſeit geſtern Morgen bis vor einer halben Stunde da gelegen. Jch habe ſie ja gebeten, bis auf die letzte Stunde zuzuſehen, ob ich von neuen ſchrei - ben wuͤrde, weil ich vielleicht gezwungen werden koͤnnte, meinen Vorſatz zu aͤndern: und ſie wuͤr - den meinen Brief gefunden haben, wenn ſie ge - folget waͤren.

Er behielt faſt keinen Athem mehr, und ſagte: ich bin belauret worden. Auf alle meine Tritte und Schritte iſt gelauret worden. Auch iſt auf meinen Bedienten, auf den ich mich verlaſſen kann, ſeit Sonnabends, ſo genau Achtung gege - ben, daß er ſich nicht unterſtanden hat, ſich ihrer Garten-Mauer zu naͤhern. Auch hier werden wir ſo gleich entdeckt werden. Eilen ſie von hier, mein eintziges Vergnuͤgen. Dis iſt der Augenblick, in dem ſie befreyet werden koͤnnen: wenn ſie den verſaͤumen, ſo werden ſie ihn niemahls wieder haben.

Was wollen Sie, Herr Lovelace? laſſen Sie meine Hand los! Jch will eher ſterben, als mitih -9ihnen gehen! (ſagte ich, und ſuchte die Hand los - zureiſſen).

Er brach mit einem verwilderten Blick und als voller Verwunderung aus: o Gott! was hoͤre ich! Aber es iſt keine Zeit, viel Worte zu machen. Jch ſchwoͤre ihnen ſo hoch als ich kann: ſie muͤſ - ſen fliehen. Sie werden hoffentlich an meinem Worte und Ehre nicht zweifeln, und nicht wollen, daß ich an ihrem Worte zweifeln ſoll. Unterdeſ - ſen, daß er dieſes ſagte, entfernte er ſich immer weiter von der Thuͤre, und zog mich mit ſich fort.

Wenn ſie mich lieb haben, Herr Lovelace, ſo dringen ſie nicht weiter in mich. Jch habe meine Entſchließung ſchon mitgebracht. Laſſen ſie mich nur ſo viel los, daß ich ihnen den Brief ge - ben kann, den ich geſchrieben hatte: meine Urſa - chen ſollen ſie hernach auch hoͤren, und dieſe wer - den ſie uͤberzeugen, daß ich unrecht daran thun wuͤrde, jetzt zu fliehen.

Nichts nichts kann mich uͤberzeugen, Fraͤulein. So wahr Gott lebt, ich kann ſie nicht verlaſſen. Sie jetzt verlaſſen, und ſie auf ewig verlohren ge - ben iſt einerley.

Soll ich gezwungen werden? (ſagte ich mit gleicher Heftigkeit und Ungeduld) laſſen ſie mir die Hand los. Jch bin voͤllig entſchloſſen nicht mit ihnen zu gehen; und ich will ſie uͤberzeugen, daß es Unrecht ſeyn wuͤrde.

Alle meine Verwanten erwarten ſie, meine liebe Fraͤulein. Alle ihre Verwanten haben ih -A 5ren10ren Schluß ſchon gefaſſet, ſie zu zwingen. Der Mittewochen iſt der Tag: der gefaͤhrliche Tag. Vielleicht der ungluͤckliche Tag? wollen ſie ſo lan - ge warten, daß ſie Frau Solmes werden? kann dieſes doch noch zu guter letzte ihr Entſchluß ſeyn?

Nein! nimmer nimmermehr will ich mich an den Mann geben. Aber ich will auch jetzt nicht mit ihnen gehen. Schleppen ſie mich doch nicht ſo. Was unterſtehen ſie ſich? Jch wuͤrde ſie gar nicht geſprochen haben, wenn es nicht geſchehen waͤre, ihnen dieſes zu ſagen. Jch waͤre nicht her - gekommen: allein ich furchte, daß ſie ſich verge - hen moͤchten. Ein vor alle mahl, ich will nicht mit ihnen gehen. Was wollen ſie? unter dieſer gantzen Unterredung wandte ich alle Kraft an, mich loszureiſſen.

Er ließ endlich meine Hand gehen, und ſprach mit einer gelindern Stimme: iſt mein Engel be - zaubert? nach ſo viel Kraͤnckungen, die ihnen ih - re Anverwanten angethan haben; noch ſo heili - gen Verſicherungen, nach einer ſo zaͤrtlichen Liebe, die ich gegen ſie gezeiget habe, koͤnnen ſie es uͤber das Hertz bringen, mich durch einen ſolchen Bruch ihrer Worte zu toͤdten?

Alles das Reden hilft nichts, Herr Lovelace. Wenn ich mehr Zeit habe, ſo ſollen ſie die Urſa - chen erfahren. Jch kann nicht mitgehen. Jch ſage es noch einmahl, dringen ſie nicht weiter in mich. Jch kann mich ja nicht von allen Leuten zwingen laſſen.

Jch11

Jch ſehe wol, was die Meinung iſt, ſagte er mit einer niedergeſchlagenen und empfindlichen Gebeerde. Wie hart iſt mein Schickſaal! Sie haben ſich endlich uͤberwinden laſſen. Jhr Bru - der und ihre Schweſter ſind Sieger geblieben; und ich muß alle meine Hoffnung einem ſolchen Koth von Menſchen uͤberlaſſen.

Jch ſage es ihnen nochmahls, ich werde nie die ſeinige werden. Vielleicht nimmt die gantze Ge - ſchichte auf den Mittewochen ein gantz anderes Ende als ſie dencken.

Und vielleicht nicht! Und denn Himmel

Jch habe Grund zu glauben, daß dieſes nur der letzte Verſuch iſt.

Auch ich habe Grund eben das zu glauben. Denn wenn ſie nicht eilen, ſo ſind ſie Frau Sol - mes.

Nicht alſo! (ſiel ich ihm in die Rede) Jn ei - nem Stuͤck bin ich gefaͤllig geweſen: die meinigen werden doch auch ein wenig gefaͤlliger ſeyn. Wenn alle Hoffnung fehl ſchlaͤgt, ſo will ich doch Zeit gewinnen. Jch habe mehr als einen Ausweg: ſeyn ſie deſſen verſichert.

Aber, meine liebe Fraͤulein, was hilft das, wenn ſie Zeit gewinnen? Jch ſehe, daß ſie ſelbſt nichts mehreres hoffen. Jch ſehe es: ſonſt wuͤrden ſie den elenden Vorwand nicht gebrauchen. Lieb - ſtes liebſtes Kind, darf ich ſie nicht bitten, ſich nicht in eine Gefahr zu begeben, davon die Folgen ewig ſeyn werden? Jch kann ſie uͤberzeugen, daß es nicht eine bloße Gefahr ſeyn wird, ſondern daßſie12ſie auf den Mittewochen gewiß ihren Nahmen nicht mehr haben, wenn ſie jetzt zuruͤcke gehen. Jetzt haben ſie es in ihrer Gewalt: ſuchen ſie jetzt den ungluͤcklichen den allzugewiſſen Folgen vorzu - beugen.

Herr Lovelace! wenn ihr Hertz mich ſo werth ſchaͤtzet als ihr Mund, ſo haͤngt ihre eigene Ehre mit daran, daß ich keinen unuͤberlegten Schritt thue, ſo lange ich noch einige Hoffnung habe: keinen Schr[it]t, den die Klugheit verdammen muͤßte.

Jhre Klugheit, Fraͤulein? Wer hat die je in Zweifel gezogen? Allein was hat ihre Klugheit oder Gehorſam bey ſo wunderlichen und unerbitt - lichen Koͤpfen bisher ausgerichtet?

Er wiederhohlte hierauf ſehr nachdruͤcklich, mit wie vieler Haͤrte man mir begegnet ſey, und gab alle dieſe Haͤrte der Bosheit und dem Eigenſinn mei - nes Bruders ſchuld, der jedermann gegen ihn ver - hetzte. Er beſtand darauf: es ſey kein anderer Weg der Verſoͤhnung mit meinem Vater und mit ſeinen Bruͤdern moͤglich, als daß ich der eingewurtzelten Bosheit meines Bruders zu entgehen ſuchte.

Jhr Bruder, (fuhr er fort) ſetzt ſeine gantze Hofnung darauf, daß ihn die Erfahrung bisher gelehrt hat, wie geduldig ſie alle Beleidigungen hinnehmen. Wenn ſie einmahl den ſchimpflichen Gewaltthaͤtigkeiten entgangen ſind, ſo wird ihre gantze Familie ſie ſelbſt ſuchen: Sie werden ihnen ihr Gut einraͤumen, ſo bald ſie wiſſen, daß ſie bey Leuten ſind, die ihr Recht vertheidigen koͤnnen und wollen. Warum warten ſie noch einen Augenblick? (Hie -13(Hiebey umfaſſete er mich, und zog mich gelinder mit ſich fort.) Jetzt iſt die Zeit. Jch bitte ſie, allerliebſter Schatz, entfliehen ſie mit mir. Se - tzen ſie in ihren ungluͤcklichen und verfolgten An - beter kein Mistrauen. Haben wir nicht mit ein - ander in einer Sache gelitten? Wenn der Leute Nachrede etwas an ihren Betragen zu tadeln findet, ſo goͤnnen ſie mir, ſo bald ich anfange es zu ver - dienen, die Ehre, ſie die Meinige zu nennen. Solte ich alsdann nicht im Stande ſeyn, ihre Per - ſon und ihren guten Nahmen zu vertheidigen?

Dringen ſie nicht weiter in mich, Herr Love - lace, ich bitte ſie um Gottes willen. Sie ſelbſt haben mir jetzt einen Winck gegeben; und ich will deutlicher reden, als es mir die Klugheit in andern Umſtaͤnden erlauben wuͤrde. Jch bin voͤllig ver - ſichert, und ich wolte ſie auch uͤberzeugen, wenn ich nur Zeit haͤtte, daß der bevorſtehende Mitte - wochen nicht der Tag iſt, vor dem wir beyde uns fuͤrchten. Wenn dieſer Tag voruͤber iſt, und ich finde, daß meine Freunde noch entſchloſſen ſind, des Herrn Solmes Geſuch durchzutreiben: ſo will ich einen Weg machen, daß ich ſie bey der Fraͤu - lein Howe ſprechen kann, die gewiß ihre Feindin nicht iſt. Wenn erſt die noͤthige Cerimonie vor - her gegangen iſt, ſo will ichs fuͤr meine Schuldig - digkeit anſehen, den Schritt zu thun, der vorhin unrechtmaͤßig ſeyn wuͤrde: weil ich alsdenn einen Gehorſam ſchuldig bin, der den Gehorſam gegen die Eltern billig aufhebt.

Allerliebſte Fraͤulein

Ja14

Ja Herr Lovelace, wenn ſie nun noch ein Wort einwenden Wenn ſie nun nicht zufrie - den ſind, da ich mich ſo erklaͤret habe, als es ge - wiß mein Vorſatz nicht war, mich zu erklaͤren: ſo weiß ich nicht, was ich von ihrer Danckbarkeit und von ihren Gemuͤth dencken ſoll.

Es laͤſt ſich bey der Sache nichts uͤberlegen, Fraͤulein. Jch bin voller Danckbarkeit. Es feh - len mir nur die Worte, die Freude auszudruͤcken, die ich uͤber die entzuͤckend-angenehme Hoffnung, die ſie mir machen, empfinden muͤßte, wenn ſie nicht auf den Mittewochen gantz gewiß die Beute eines andern Mannes werden ſollten, im Fall ſie hier bleiben. Dencken ſie nur, allerliebſtes Kind, uͤberlegen ſie ſelbſt, wie meine Angſt eben dadurch vermehret werden muß, daß ſie mir erlauben zu hoffen.

Verlaſſen ſie ſich auf mein Wort. Ehe will ich ſterben, als mich an den Solmes ergeben. Jch ſoll mich auf ihre Ehre verlaſſen, und ſie wollen an meiner Ehre zweiffeln.

Wer zweiffelt denn an ihrer Ehre, Fraͤulein! An ihrem Vermoͤgen zweiffele ich. Sie werden keine ſolche Gelegenheit wieder haben. Unver - gleichliches Kind, nehmen ſie es mir nicht uͤbel Hierauf zog er mich abermahl mit ſich fort.

Wohin wollen ſie mich ziehen? Laſſen ſie mich den Augenblick los. Jch glaube, ſie ſuchen mich ſo lange aufzuhalten, bis es unmoͤglich oder ge - faͤhrlich fuͤr mich iſt, zuruͤck zu kehren. Jch bin ſchlecht mit ihnen zufrieden. Sehr ſehr ſchlecht! Laſ -15Laſſen ſie mich den Augenblick gehen, wenn ich nur eine mittelmaͤßige gute Meinung von ihnen behal - ten ſoll.

Auf dem Augenblick aber beruhet meine jetzige und kuͤnftige Gluͤckſeligkeit, und die Sicherheit, aller ihrer unverſoͤhnlichen Angehoͤrigen.

Die Sicherheit meiner Freunde, Herr Lovela - ce, will ich der Vorſicht Gottes und dem Schutz der Geſetze uͤberlaſſen. Durch Drohungen ſollen ſie mich zu keiner Ubereilung bringen, die mein Ge - wiſſen fuͤr Suͤnde haͤlt. Soll ich alle Ruhe des Gemuͤths auf Lebens lang verleugnen, um das zu befoͤrdern, was ſie ihre Gluͤckſeligkeit nennen?

Sie zancken ſich uͤber Kleinigkeiten mit mir, mein Leben, da der Augenblick iſt, der uns gluͤck - lich ſeyn koͤnnte. Der Weg iſt ſicher. Jetzt iſt er ſicher. Allein in einem Augenblick koͤnnen ſie uͤberfallen werden. Was haben ſie noch fuͤr Zweif - fel? Ewig ewig will ich verdammet ſeyn, wenn ihr Wort nicht kuͤnftig mein Geſetz ſeyn ſoll. Alle meine Anverwanten erwarten ſie. Jhr eigenes Verſprechen ruft ſie von dieſem unſichern Orte weg, der Mittewochen! allerliebſtes Kind, dencken ſie an den Mittewochen! Worauf dringe ich? Jſt es nicht das eintzige, das beſte Mittel, ſie mit denen in ihrer Familie auszuſoͤhnen, denen ſie die meiſte Liebe ſchuldig ſind?

Jn meiner Sache will ich mit meinen eigenen Augen ſehen. Sie ſchelten auf die Meinigen, weil die mich zwingen wollen: und ſie zwingen mich ſelbſt. Jch will nichts hoͤren. Weil ſie ſohart16hart auf ihrem Sinne beſtehen, ſo werde ich noch furchtſamer, und ungeneigter mit zu gehen. Laſſen ſie mich alſo nur umkehren! Laſſen ſie mich umkeh - ren, ehe es zu ſpaͤte iſt: damit wir beyde unſre Sache nicht verſchlimmern moͤgen. Was ſoll der Zwang bedeuten? ſoll ich etwan daraus lernen, wie ſehr mein Wille ihr Geſetz ſeyn ſoll? Ziehen ſie den Augenblick die Hand ab, oder ich ſchreye.

Jch gehorche ihnen liebes Kind! ſagte er, und ließ meine Hand mit einem Geſicht fahren, wel - ches eine zaͤrtliche Verzweiffelung ſo vollkommen auszudruͤcken ſchien, daß ich ſeinetwegen in Sor - gen gerieth, weil mir ſein heftiges Gemuͤth bekannt war. Jch eilete aber doch noch weg, als er mit einer ernſthaften Mine auf ſeinen Degen ſahe, und (wie es ſchien) die Hand wieder zuruͤck zog, und beyde Haͤnde in einander ſchlug, nicht anders als wenn er ſich eben beſſer beſonnen haͤtte.

Noch einen Augenblick! Warten ſie nur noch einen Augenblick, meine eintzige Freude. Der Ruͤckweg iſt ſicher, wenn ſie zuruͤcke gehen wollen: der Schluͤſſel lieget bey der Thuͤr. Aber, o Fraͤu - lein, auf den Mittewochen ſind ſie Frau Solmes. Fliehen ſie nicht ſo ſehr vor mir! hoͤren ſie nur noch wenige Worte von mir.

Als ich bey der Garten-Thuͤr war, buͤckte ich mich und war deſto beſſer mit ihm zufrieden, weil ich ſahe, daß wircklich der Schluͤſſel da lag, da - mit ich zuruͤck kommen koͤnnte wenn ich wolte. Nur das machte mich unruhig, daß man mich vielleicht vermiſſen wuͤrde, und deswegen ſagteich17ich ihm: ich koͤnnte ohnmoͤglich laͤnger warten. Jch haͤtte ſchon allzulange gewartet; und ich wollte ihm alle meine Urſachen ſchriftlich geben. Und ſeyn ſie verſichert Herr Lovelace (ſagte ich, da ich mich eben nach dem Schluͤſſel buͤckte) ich will ehe ſterben, als den Mann nehmen. Sie wiſſen, was ich verſprochen habe. Jch bin in Gefahr.

Aber doch noch ein Wort, Fraͤulein. Noch ein Wort, (ſagte er, und nahete ſich mir mit in einander geſchlagenen Armen, recht als wenn er ſich fuͤrchtete, daß er ſie ſonſt misbrauchen moͤch - te) bedencken ſie doch, daß ich auf ihr Wort mit Gefahr meines eigenen Lebens gekommen bin, um ſie von ihren Verfolgern und Buͤtteln zu erretten, und um an jener Stelle ihr Vater (Gott verdam - me mich ewig, wenn das nicht mein aufrichtiger Zweck geweſen iſt) ihr Onckle, ihr Bruder, und ſo bald ſie meine demuͤthige Hoffnung wahr ma - chen wuͤrden, ihr Mann zu werden. Da ich aber finde, daß ſie ſo fertig ſind, Huͤlfe gegen mich zu ſchreyen, und dadurch ihre gantze Familie zur Ra - che gegen mich aufzubringen: ſo habe ich mich ent - ſchloſſen, aller Gefahr entgegen zu gehen. Jch will ſie nicht weiter bitten, mit mir zu fluͤchten; ſondern ich will ſie in den Garten begleiten, ja in das Haus ſelbſt, wenn ich nicht mit Gewalt ab - gehalten werde. Erſchrecken ſie nicht, Fraͤulein: ich will ſie zu den Helfern begleiten, die ſie gegen mich heraus ruffen wollten. Jch will ihnen allen unter die Augen gehen, nicht um mich an ihnen zu raͤchen, wenn ich nicht uͤber alle Maaße zurDritter Theil. BRache18Rache gereitzet werde. Sie ſollen ſehen, wie viel ich um ihrentwillen erdulden kann. Wir wollen beyde ſehen, ob eine vernuͤnftige Vorſtellung, und eine ſolche Auffuͤhrung, wie man ſie irgend von einem Cavallier fodern kann, ſie nicht zwingen ſoll, mir ſo zu begegnen, wie man einem Caval - lier begegnen muß.

Wenn er gedrohet haͤtte, ſich ſelbſt Leyd anzu - thun, ſo hatte ich mir ſchon vorgenommen, ihn damit hoͤhniſch aufzuziehen, daß er mich fuͤr ſo tumm anſehe, und mit einer ſo gewoͤhnlichen Drohung ſchrecken wollte. Allein dieſe Entſchließung, die ſein gantzes Geſicht zu bekraͤftigen ſchien, machte daß ich aus Schrecken kaum Athem hohlen konnte.

Was iſt ihr Endzweck, Herr Lovelace? Jch bitte ſie, gehen ſie von mir. Gehen ſie weg, ich bitte ſie recht ſehr.

Jch bitte ſie, Fraͤulein, entſchuldigen ſie mich, wenn ich dieſes mahl nicht Gehorſam leiſte. Lan - ge, lange genug bin ich um dieſe einſamen Mau - ren herumgeſchlichen. Mehr als zu lange habe ich alle Beſchimpfungen von ihrem Bruder, und von ihren uͤbrigen Anverwanten ertragen. Allein oft wird die Bosheit giftiger, wenn man ihr nicht unter die Augen tritt. Jch habe nichts mehr zu verlieren; ich bin deſperat. Jch habe weiter nichts zu hoffen, als dieſen Tag. Denn iſt nicht uͤbermorgen der Mittewochen. Jch habe durch Geduld die Bosheit dreiſte gemacht. Aber den - noch will ich geduldig ſeyn. Sie ſollen ſehen wieviel19viel ich ihrentwegen leyden kann. Sie ſollen meinen eingeſteckten Degen in den Haͤnden haben: (er wollte ihn mir hierauf geben, wie er in der Scheide war) und die ihrigen ſollen ihren Degen in mein Hertz ſtecken, wenn es Jhnen beliebet. Nach dem Leben frage ich nichts, wenn ich ſie ver - lieren ſoll. Seyn ſie nur ſo guͤtig, und gehen ſie voran in den Garten: ich will ihnen zu meinem Tode folgen. Jch bin gluͤcklich, wenn ich mein Verhaͤngniß, wie hart es auch immer iſt, vor ih - ren Augen uͤberſtehe. Gehen ſie voran, unver - gleichliches Kind: ſie ſollen ſehen, was ich fuͤr ſie leyden kann. Hierauf buͤckte er ſich nach dem Schluͤſſel und wollte aufſchließen: allein auf mei - ne ernſtliche Bitte unterließ er es, und ließ den Schluͤſſel wieder fallen.

Jch ſagte: was iſt doch ihr Endzweck bey allen dieſem? Wollen ſie ſich muthwillig in Gefahr be - geben? Wollen ſie mich mit in Gefahr ſtuͤrtzen? Soll das die Probe von ihrer Art zu dencken ſeyn? Darf ſich jedermann meine Weichhertzigkeit zu Nutze machen?

Jch konnte mich der Thraͤnen ohnmoͤglich ent - halten. Er warf ſich vor mir auf die Knie, und ſagte mit brennenden Augen und mit einem ſolchen Eifer, den die Verſtellung ſchwerlich nach - machen kann: wer kann eine ſo liebenswuͤr - dige Gemuͤths-Bewegung ſehen, ohne geruͤhret zu werden? O mein eintziger Wunſch und Freude (fuhr er kniend fort, und druͤckte mei - ne Hand mit beyden Haͤnden an ſeine Lippen) be -B 2fehlen20fehlen ſie mir bey ihnen zu bleiben oder von ihnen zu gehen, ſo werde ich blindlings gehorſam ſeyn. Allein ich beziehe mich auf das, was ſie ſelbſt von der Grauſamkeit der ihrigen gegen ſich wiſſen, und von ihrem eingewurtzelten Groll gegen mich, und von ihrer unuͤberwindlichen Zuneigung gegen die Perſon, die ſie ihrem Vorgeben nach haſſen. Und wahrlich, wenn ſie den Kerl nicht haſſeten Fraͤulein, ſo wuͤrde ich ihr Wohlwollen ſchwerlich fuͤr eine Ehre halten koͤnnen, wenn ſie mich auch damit begluͤckten. Jch beziehe mich auf alle die Umſtaͤnde, die ihnen ſelbſt am beſten bekannt ſind; auf alles was ſie ausgeſtanden haben; und frage ſie, ob ſie noch keine Urſache finden, ſich vor dem Mit - tewochen zu fuͤrchten, an den ich mit Zittern ge - dencke? Ob ſie dieſe jetzige Gelegenheit wuͤrden hof - fen koͤnnen? Da der Wagen bereit iſt? Da alle mei - ne Anverwanten mit Ungeduld auf den Erfolg der Anſtalten warten, die ſie ſelbſt angeordnet haben? Da ſie einen Anbeter auf ſeinen Knien vor ſich haben, der gar keinen Willen haben will, und der ſie auf den Knien bittet, daß ſie ſich in Frey - heit ſetzen wollen? Das iſt alles, darum ich bitte. Jch will um keine Gegen-Liebe bitten, ehe ich nicht meine Pruͤfungs-Zeit ausgeſtanden habe, und Ge - genliebe verdiene. Gegen mein Vermoͤgen und Familie ſind keine Einwendungen zu machen. O liebſtes Kind (mit einen abermahligen Hand - Kuß) verſaͤumen ſie eine ſolche Gelegenheit nicht. Niemahls, niemahls wird ſie wieder kommen.

Jch21

Jch bat ihn aufzuſtehen, und er er ſtand auf. Jch ſagte: wenn er mich nur nicht durch ſeine Un - geduld uͤbertaͤubete, ſo hoffte ich ihn gewiß zu uͤber - zeugen, daß wir beyde eine unnoͤthige Furcht vor dem Mittewochen gehabt haͤtten. Jch wolte fort - fahren, und ihm meine Gruͤnde erzaͤhlen: allein er fiel mir in die Rede.

Wenn ich nur einigen Schatten der Wahr - ſcheinlichkeit bey ihrer Hoffnung ſehen koͤnnte, ſo wollte ich der Gehorſam und die Verleugnung ſelbſt ſeyn. Aber der Trau-Schein iſt ſchon aus - gefertiget: es iſt ſchon der Prediger beſtellet: der Pedante der Brand ſoll ſie trauen. O allerlieb - ſtes Kind, ſind das Anſtalten, die zu einem bloſ - ſen Verſuch gemacht werden?

Sie wiſſen nicht, Herr Lovelace, wie viel Muth ich habe, wenn auch das allerſchlimmeſte be - vorſtuͤnde. Sie ſehen mich fuͤr allzu ſchwach an. Sie kennen mich noch nicht, was ich vor Wider - ſtand leiſten kann, wenn ich glaube, daß andere niedertraͤchtig und unbillig mit mir umgehen. Sie wiſſen auch nicht, was ich ſchon wuͤrcklich ausge - ſtanden und uͤberſtanden habe, davon ich den Ur - heber wohl weiß, der keine Ader von einem wah - ren Bruder uͤbrig hat.

Jch koͤnnte von ihrer erhabenen Seele alles er - warten, die an einen unrechtmaͤßigen Zwang ohn - moͤglich anders als mit Verachtung dencken kann: allein ihr Muth kann ſincken. Was iſt nicht von einem ſo heftigen und unerbittlichen Vater zu be - fuͤrchten, wenn er eine gehorſame Tochter vorB 3ſich22ſich hat? keine Ohnmachten werden ſie retten: viel - leicht iſt es den ihrigen nicht ungelegen, wenn ihre Grauſamkeit gegen ſie eine ſolche Wirckung hat. Was werden alle Vorſtellungen helfen, wenn die Trauung einmahl geſchehen iſt? Muß nicht alles, alles das fuͤrchterliche darauf folgen, daran mein Hertz nicht ohne Entſetzen dencken kann? Wenn ſie ſich an niemand wenden koͤnnen, werden denn nicht alle ihre Vorſtellungen viel zu ſchwach ſeyn, die Folge einer Ceremonie abzuhalten, bey der die, welche ſie dazu zwungen, und noch dazu ihre naͤch - ſten Anverwanten, Zeugen ſind?

Jch ſagte: ich waͤre zum wenigſten verſichert, daß ich einige Zeit gewinnen wolte. Fuͤr uns bey - de koͤnnte nichts ſchlimmer ſeyn, als wenn ich hier mit ihm entdeckt werden ſolte. Meine Furcht waͤre deswegen ſo groß, daß ich ſie nicht laͤnger ertragen koͤnnte: und ich wuͤrde eine ſehr uͤble Meinung von ihm bekommen, wenn er mich noch laͤnger aufzuhalten ſuchte. Wenn er ſich aber mein Weggehen gefallen ließe, ſo wuͤrde ich danck - bar dafuͤr ſeyn.

Als ich mich hierauf nach dem Schluͤſſel buͤckte, ſo ſtutzte er auf einmahl, und that, als wenn er gehoͤrt haͤtte, daß jemand in dem Garten mit der Hand auf den Degen geſchlagen haͤtte. Jch entſetzte mich hieruͤber ſo, daß ich den Augenblick nieder - ſincken wollte. Allein er machte mir gleich einen beſſern Muth, und ſagte: es waͤre nur ein Stoß gegen die Thuͤr geweſen. Doch nein! das koͤnnte auch nicht ſeyn, ſonſt muͤßte der Schall ſtaͤrckergeweſen23geweſen ſeyn. Er haͤtte ſich alles aus Beſorgniß fuͤr mich nur eingebildet.

Er nahm darauf ſelbſt den Schluͤſſel auf, und uͤberreichte ihn mir. Wenn ſie denn gehen wollen, Fraͤulein! allein ich kann ſie nicht verlaſſen: ich muß mit ihnen in den Garten ge - hen. Vergeben ſie es mir, wenn ich doch mit hinein gehe.

Wollen Sie denn auf eine ſo unanſtaͤndige Weiſe ſich meine Furcht zu Nutze machen? Wol - len ſie ſelbſt meine Begierde, Ungluͤck zu verhuͤ - ten, wider mich gebrauchen? Jch tummes ein - faͤltiges Kind muß mich um jedermann bekuͤm - mern, allein wie es mit mir gehet, darnach fragt niemand!

Er hielt meine Hand zuruͤck, als ich mit Zit - tern den Schluͤſſel einſtecken wollte: allerlieb - ſtes Kind, laſſen ſie mich aufſchlieſſen, wenn ſie ja weggehen wollen. Allein uͤberlegen ſie noch einmahl, wenn Sie auch Zeit gewinnen, (denn weiter gehet doch ihre Hofnung nicht) ob die Jh - rigen ſie nicht enger einſperren werden. Jch weiß, daß dieſes ſchon in Ueberlegung gezogen iſt. Wuͤrden ſie alsdenn mit mir, oder mit der Fraͤu - lein Howe Briefe wechſeln koͤnnen? Wer wird ihnen alsdenn bey ihrer Flucht Huͤlfe leiſten koͤn - nen, wenn ſie endlich ſo ſpaͤte an die Flucht gedaͤch - ten? Sie wuͤrden blos aus ihrem Fenſter den Garten ſeheen, ohne Erlaubniß zu haben, hin - ein zu gehen: und wie werden ſie ſich alsdenn die Gelegenheit wuͤnſchen, die ſie jetzt verſchertzen,B 4wenn24wenn ihr Haß gegen Solmes fortdauret? doch der kann von keiner Dauer ſeyn. Wenn ſie zu - ruͤck gehen, ſo iſt ſchon ihr nachgebendes Gemuͤth, das ſich endlich ermuͤden und uͤberwinden laͤſſet, die Urſache davon. Sie werden es wol ein kind - liches, ein gehorſames Gemuͤth nennen.

Jch kann ohnmoͤglich Geduld bey ihrem Zwan - ge behalten, Herr Lovelace. Darf ich nie die Freyheit haben, meinen Einſichten zu folgen: Es mag auch daraus kommen, was will, ſo will ich mich von ihnen nicht zwingen laſſen. Jch mach - te hiermit meine Hand los, und wollte wieder auf - ſchließen.

Er fiel von neuen auf ſeine beugſamen Knie, und ſagte: koͤnnen ſie, Fraͤulein, koͤnnen ſie, (ich frage ſie nochmahls auf den Knien) mit kaltem Blut an die ungluͤcklichen Folgen gedencken. Jch bin ſo gereitzt, man hat ein ſolches Hohngelaͤchter uͤber mich gehabt, daß mir das Hertz im Leibe zit - tert, ſo oft ich an die Folgen gedencke, wenn ihr Bruder ſeine Abſicht erreichete. Koͤnnen ſie dabey ohne Empfindung ſeyn? Jch bitte ſie lieb - ſtes Leben, uͤberlegen ſie dieſes alles, und ver - lieren ſie dieſe eintzige Gelegenheit nicht. Mein Spion

Seyn ſie doch nicht ſo leichtglaͤubig, wenn ihnen ein Betruͤger etwas weiß macht. Jhr nie - dertraͤchtiger Spion iſt doch nur ein Bedienter. Vielleicht giebt er mehr zu wiſſen vor, als er in der That weiß, um ein beſſeres Trinckgeld zu be - kommen. Sie wiſſen nicht, was ich fuͤr Ausfluͤchte habe.

Eben25

Eben wollte ich aufſchließen, ſo ſprang er mit einem fuͤrchterlichen Geſicht und Stimme von den Knien auf, und wiſperte gantz laut: ſie ſind in - wendig vor der Thuͤr, mein Hertz! Er nahm mir den Schluͤſſel, lief nach der Thuͤr zu, und handthierte damit, als wenn er ihn in das Schluͤſ - ſel Loch ſtecken wollte, damit niemand von innen aufſchließen koͤnnte. Den Augenblick ließ ſich in - wendig eine Stimme hoͤren, und es ſtieß jemand gegen die Thuͤr, als wenn er ſie aufſprengen woll - te und rief mit einigen harten Stoͤßen: ſeyd ihr da? den Augenblick her! Geſchwind! da ſind ſie bey einander! Piſtole! Flinte her! darauf geſchahen noch einige Stoͤße. Er zog den Degen, nahm ihn blos unter den Arm, ergriff meine beyden zitternden Haͤnde, und zog mich ge - ſchwind nach ſich mit den Worten: fliehen ſie, Kind. Dieß iſt der letzte Augenblick, den ſie ha - ben. Jhr Bruder! ihre Onckles! oder der Sol - mes! Sie werden die Thuͤr den Augenblick ſpren - gen. Fliehen ſie, wenn ſie nicht haͤrter als vor - hin gemißhandelt werden wollen. Wenn ſie nicht zwey oder drey Mord-Thaten mit ihren Augen anſehen wollen, ſo muͤſſen ſie fliehen.

Ach GOtt hilf! das war es alles, was Jhre arme Thoͤrin voller Beſtuͤrtzung rief, ohne von ſich ſelbſt etwas zu wiſſen.

Jch kehrte meine Augen voller Schrecken vor und hinter mich, auf dieſe und auf jene Seite: und erwartete einen unſinnigen Bruder, gewaffnete Knechte, eine Schweſter die Zetter und Weh ausB 5vol -26vollem Halſe rufen wuͤrde, und einen Vater, deſ - ſen Geſicht fuͤrchterlicher ſeyn wuͤrde, als der blan - cke Degen den ich ſahe und zu ſehen befuͤrchtete. Jch lief vollkommen ſo geſchwind als er, ohne zu wiſſen, daß ich lief: denn die Furcht benahm mir alle Gedancken, und machte meinen Fuͤßen Fluͤ - gel; eben die Furcht, die mir nicht ſo viel bewuſt - ſeyn uͤbrig ließ, daß ich einen Weg wuͤrde haben waͤhlen koͤnnen, wenn er mich nicht mit fortgezo - gen haͤtte. Allein dieſe Furcht mehrete ſich noch, als ich einen Kerl aus der Thuͤr heraus kommen ſahe, der uns mit den Augen wahrete und ruͤck - waͤrts und vorwaͤrts lief, und immer andere her - bey rief, von denen ich glaubete, daß er ſie ſehen muͤßte, ob ich ſie gleich vor der Garten-Mauer nicht ſehen konnte, und ſie fuͤr meinen Vater, Bru - der oder ihre Bedienten hielte.

Unter dieſem Schrecken verlohr ich in wenigen Minuten die Garten-Thuͤr aus dem Geſichte: und ob mich gleich Furcht und Laufen faſt außer Athem gebracht hatte, ſo mußte ich doch noch geſchwin - der laufen, nachdem er meine Hand unter ſeinen Arm nahm, und den Degen in der andern Hand hielt. Worte und Handlungen waren einander ſehr ungleich. Jch rief: nein! nein! und keh - rete mich immer um, zuruͤckzuſehen, ſo lange mir die Mauer von dem Luſt - und Thier-Garten noch im Geſichte war. Er brachte mich zu dem Wa - gen ſeines Onckels, bey dem ich zwey von ſeinen und zwey von des Lord M. Bedienten gewaf - net und zu Pferde fand.

Hier27

Hier muß ich in meiner Erzaͤhlung innen halten: denn jetzt komme ich auf die ungluͤcklichen Augen - blicke, bey denen mir meine Unbedachtſamkeit all zu mercklich wird, und bey denen ich ſo viel Schaam und Reue empfinde, die mir empfindli - cher iſt, als wenn mir ein Dolch durch das Hertz geſtochen wuͤrde. Jſt es nicht betruͤbt, nach voll - brachter Thorheit erſt zu bedencken, daß ich haͤtte vorher wiſſen koͤnnen, daß ich in ſeiner Gewalt ſeyn, und nicht im Stande ſeyn wuͤrde, meiner Vernunft zu folgen, fals ich nur mich, oder ihn, oder unſere Umſtaͤnde einigermaßen gekannt haͤtte.

Haͤtte ich nicht zum voraus denken ſollen, daß Lovelace alles anwenden wuͤrde, damit ich nicht zuruͤck kehrete, da er fuͤrchten mußte, eine Per - ſon zu verlieren die ihm ſo viele Muͤhe gekoſtet hatte? Konnte ich glauben, daß er es mit gutem Hertzen in meiner Macht laſſen wuͤrde, mich ſei - ner auf ewig zu begeben, nachdem er wuſte, daß ich dieſe Bedingung eingehen wuͤrde, wenn ich ſonſt mich mit den Meinigen nicht ſetzen koͤnnte? warum uͤberlegte ich nicht, daß der, der aus Liſt meinen Brief nicht abgehohlt hatte (denn alle Stunden konnte er doch gewiß nicht belauret ſeyn) damit er nicht einen Wiederruff meines Verſprechens finden moͤchte, mich durch eine Liſt wuͤrde ſo lange auf - halten koͤnnen, bis ich in Gefahr ſtuͤnde entdeckt zu werden, und eben hiedurch voͤllig in ſeine Ge - walt geriethe, wenn ich die allerhaͤrteſte Begegnung und das aͤußerſte Ungluͤck vermeiden wollte, das ſonſt vor meinen Augen haͤtte vorgehen koͤnnen.

Wenn28

Wenn es aber heraus kaͤme, daß die Perſon vor der Thuͤr, eben ſein Spion geweſen iſt, der mich nur hat in Furcht ſetzen, und zur Flucht zwingen wollen; was meinen ſie, habe ich denn nicht Urſache, ihn und mich gedoppelt zu haſſen? Jch kann ihn nicht fuͤr ſo liſtig und niedertraͤchtig anſehen. Allein wie gieng es zu, daß Einer und nicht mehr als Einer aus dem Garten herauskom - men konnte? daß der eine Mann ſich uns nicht naͤherte, und uns nicht verfolgte, und doch auch nicht zuruͤck lief, um Lermen im Hauſe zu machen? Jch war zu erſchrocken, und zu weit entfernt, als daß ich etwas gewiſſes ſagen koͤnnte, allein ſo viel ich mich beſinne, hatte derſelbe Eine Kerl die Ge - ſtalt des Betruͤgers, des Lehmans.

Ach warum! warum, meine Anverwanten! doch ich darf denen die Schuld nicht geben, nachdem es mir ſelbſt bey ſtiller Ueberlegung ver - muthlich geworden war, daß der nahe bevorſte - hende fuͤrchterliche Tag ſich gluͤcklicher fuͤr mich endigen moͤchte, als dieſer Tag, an dem ich auf einmahl von meinen ehemahls ſo guͤtigen Eltern entfernt und entfuͤhrt ward, die vielleicht nichts weiter im Sinne hatten, als den letzten Verſuch zu thun, ob ich nicht nachgeben wuͤrde. Wenn ich doch nur dieſen Verſuch ausgeſtanden haͤtte! denn wenn ich hernach gethan haͤtte, was ich mich jetzt habe bewegen oder durch eine thoͤrichte Furcht zwingen laſſen zu thun, ſo wuͤrde mir mein eige - nes Gewiſſen nicht ſo viel vorwerfen koͤnnen, und ich wuͤrde ein ſehr großes Uebel weniger haben.

Sie29

Sie wiſſen, daß ihre Clariſſa ſtets zu aufrich - tig dazu geweſen iſt, ihre Fehler durch anderer Fehler zu bedecken. GOtt vergebe es den Mei - nigen, daß ſie mit mir ſo grauſam umgegangen ſind! Allein ihre Fehler ſind ihre Fehler, und kei - ne Feigenblaͤtter fuͤr meine Vergehungen: und ich habe fruͤher angefangen zu ſuͤndigen, als ſie; denn ich haͤtte den Brief-Wechſel mit ihm nicht fortſe - tzen ſollen.

O des boshaften und liſtigen Menſchen! wie unwillig muß ich bisweilen heimlich uͤber ihn wer - den! daß er ein junges unerfahrnes Kind, das ſich zu viel zutrauete, von einem Uebel zum andern gefuͤhret hat. Denn dieſes letzte Uebel iſt doch gewiß die Folge jenes fruͤhen Uebels, des verbo - tenen Briefwechſels! des Briefwechſels der mir zum wenigſten von meinem Vater fruͤh unterſagt wurde.

Wie viel kluͤger haͤtte ich gehandelt, wenn ich von dem Augenblick an, da ihm unſer Haus und mir ſein Umgang verboten ward, mich ein vor al - lemahl auf das Verbot meines Vaters berufen und ihm gar nicht mehr geantworter haͤtte! Jch meinte, es wuͤrde in meiner Macht ſtehen, fort - zufahren und abzubrechen, wie ich ſelbſt wollte. Jch bildete mir ein, es geziemete mir mehr als an - dern, die Schiedsrichterin zwiſchen ſo unruhigen Koͤpfen zu ſeyn. Dieſer Hochmuth iſt jetzt ge - ſtraft: er hat ſich ſelbſt geſtraft, wie die meiſten Suͤnden zu thun pflegen.

Jch30

Jch ſehe nunmehr, da es zu ſpaͤte iſt, wie ich mich gegen ſeine letzten ungeſtuͤmen Foderungen haͤtte auffuͤhren ſollen. Da er wußte, daß ich nur ein Mittel haͤtte ihm von meinen Umſtaͤnden Nachricht zu geben, und daß mein Schickſaal eben entſchieden werden ſollte; da ich noch uͤber dieſes mir die Freyheit in meinem Briefe vorbehalten hatte, mein Verſprechen zuruͤck zu nehmen: ſo haͤtte ich mich gar nicht darum bekuͤmmern ſollen, ob ihm mein Brief zu Haͤnden gekommen waͤre, oder nicht. So bald er ſein Zeichen gegeben und keine Antwort darauf bekommen haͤtte, ſo wuͤrde er an den Ort der Garten-Mauer, da die Ziegeln los ſind, gegangen ſeyn, und der Tag der uͤber meinem Briefe ſtand, wuͤrde ihn uͤberzeuget ha - ben, daß es ſeine eigene Schuld ſey, daß er ihn nicht fruͤher bekommen haͤtte. Allein eben die all - zuweiſen Abſichten die mich zuerſt in den Brief - Wechſel gezogen haben, beherrſcheten mich noch. Meine thoͤrichte und allzu geſchaͤftige Ueberlegung kuͤnftiger moͤglicher Faͤlle machte mich beſorget, daß mein Auſſenbleiben ihn zu einem uͤbereilten Gang vermoͤgen moͤchte, auf dem er um meinet willen durch neue Beſchimpfungen beleydiget und zur Rache gezwungen werden moͤchte. Er giebt auch jetzt vor, daß ich Urſache gehabt habe, dieſes zu befuͤrchten; wie ich an ſeinem Orte berichten werde. Allein damahls war es doch nur eine Furcht eines ſehr ungewiſſen Uebels. Jndeſſen um zu verhuͤten, daß er ſich nicht uͤbereilen moͤch - te, habe ich die alleruͤbereilteſte Handlung vorge -nommen.31nommen. Nichts verdrießt mich mehr, als daß ich jetzt gewahr werde, daß er ſich eben ſo viel auf meine Schwachheit verlaſſen hat, als ich mich auf meine eigenen Kraͤfte verließ. Nicht er, ſondern ich habe mich betrogen; und er hat einen Sieg uͤber mich erlanget, der eben um dieſer Urſache willen meiner Ehre am nachtheiligſten iſt. Wie kann ich ihn mit Geduld vor Augen ſehen!

Nun ſchreiben Sie mir, liebſte Fraͤulein, ob Sie mich nicht in Jhrem Hertzen verachten, wenn Sie Jhrem Hertzen keine Gewalt anthun? Sie muͤſſen mich gewiß verachten, denn ich komme mir ſelbſt veraͤchtlich vor: und ehemahls waren wir beyde beſtaͤndig von einerley Sinn und Meinung. Mit Recht komme ich mir veraͤchtlich vor. Denn haͤtte das liederlichſte Maͤdchen in England eine That vornehmen koͤnnen, die ſchwaͤrtzer vor den Augen der Welt ausſehen muß, als meine Flucht? denn was ich gethan habe, das wird jedermann erfahren, ohne zu wiſſen, was mir die Meinigen fuͤr Anlaß dazu gegeben haben, und wie liſtig er mich verleitet hat: (denn fuͤr liſtig und unergruͤnd - lich muß ich ihn jetzt wahrhaftig anſehen) und eben dadurch wird meine Schuld vergroͤſſert werden, daß man ſich von mir eine beſſere Vorſtellung als von vielen andern Frauenzimmern gemacht hat.

Sie rathen mir, die Trauung bey der erſten Gelegenheit zu beſchleunigen. Allein eine neue Frucht meiner Thorheit! Jch habe dieſes jetzt eben ſo wenig in meiner Gewalt, als ich ſelbſt in mei - ner Gewalt bin. Denn wie kann ich ſeinen arg -liſti -32liſtigen Betrug ſogleich rechtfertigen und beloh - nen? kann ich anders als ungehalten ſeyn, da er mich gleichſam um mich ſelbſt betrogen hat? (eben den Ausdruck zu gebrauchen, den ich gegen ihn ſelbſt gebraucht habe) da er mich gezwungen hat, gantz wider meinen Vorſatz, und wider die Verſicherungen, die ich Jhnen gegeben hatte, zu handeln? mich ſelbſt in ſolche Noth zu ſtuͤrtzen? und, wenn ich an ſonſt niemand dencken will, mei - ne Mutter ſo empfindlich zu betruͤben? Sie koͤn - nen ohnmoͤglich glauben, noch es ſich vorſtellen, wie ich mich uͤber dieſes alles graͤme, und wie ge - ringe und veraͤchtlich ich mir jetzt vorkomme, da ich vorhin andern zum Muſter vorgeſtellet zu werden pflegte. Ach wenn ich doch wieder in meines Va - ters Hauſe waͤre, und mich in den Garten ſtehlen koͤnnte, um einen Brief fuͤr Sie hinzulegen, zwi - ſchen Furcht und Hofnung, ob ich etwan ein Schreiben von Jhnen finden moͤchte!

Jetzt bricht der Mittewochen an, vor dem ich mich ſo ſehr fuͤrchtete, und den ich noch vor kur - tzen, als die Zeit anſahe, die mein Schickſaal ent - ſcheiden wuͤrde. Allein vor dem Montage haͤtte ich mich fuͤrchten ſollen. Wenn ich gewartet haͤt - te, und es waͤre das allerſchlimmeſte erfolget, das ich befuͤrchten koͤnnte, ſo haͤtten die Meinigen alle ungluͤcklichen Folgen davon auf ihrem Gewiſſen gehabt: da ich jetzt keinen andern Troſt habe als dieſen, der Jhnen ſchlecht genug vorkommen wird:daß33daß ich die Meinigen in den Augen der Welt ge - rechtfertiget, und mich ſelbſt ſchwartz gemacht habe.

Sie werden ſich nicht daruͤber wundern, daß meine Erzaͤhlung ſo wunderlich geſchmiert iſt. Jch habe ſie mit mehrerley Feder und Dinte, die zu - ſammen ſchlecht waren, ſchreiben, und mehrere mahl ablaſſen und anfangen muͤſſen. Die Hand bebet mir vor Kummer und Muͤdigkeit. Jch will meinen dismahligen Brief nicht durch Erzaͤh - lung deſſen verlaͤngern, wie er ſich gegen mich betraͤget, und was zu St. Albans und nachher zwiſchen uns vorgegangen iſt. Denn alles dieſes wird in der Fortſetzung meiner Geſchichte vorkom - men, die Sie ohne Zweifel erwarten werden.

Jch will jetzt nur ſo viel melden, daß er jetzt ſehr hoͤflich und ehrerbietig, ja ſo gar ſehr folg - ſahm gegen mich iſt, ob ich gleich uͤber ihn und uͤber mich ſo misvergnuͤgt bin, daß er meine Guͤ - tigkeit ſehr wenig wird ruͤhmen koͤnnen. Jch kann bisweilen meinen Verfuͤhrer kaum vor den Augen dulden.

Das Haus, in dem ich mich aufhalte, iſt ſehr unbequem. Jch werde nicht lange hier bleiben; und deswegen brauche ich Jhnen nicht zu melden, wie Sie Briefe hieher ſchicken koͤnnen. Wo mein kuͤnftiger Aufenthalt ſeyn wird weiß ich noch nicht.

Er weiß, daß ich an Sie ſchreibe, und hat ſich erboten, meinen Brief durch einen von ſeinen Be - dienten beſtellen zu laſſen. Allein ich glaubte, daßDritter Theil. Cich34ich in meinen jetzigen Umſtaͤnden mit einem Briefe von ſo wichtigem Jnhalt nicht zu ſorgfaͤltig um - gehen koͤnnte. Wer weiß, was ein ſo argliſtiger Menſch anfangen koͤnnte! ein ſo gottloſer Betruͤ - ger! deſſen Betrug (wo anders ein Betrug bey meiner Flucht vorgegangen iſt) ſo niedertraͤchtig iſt. Jedoch ich hoffe es iſt kein Betrug, keine abgeredete Charte geweſen. Wenn aber auch dieſes nicht iſt, ſo iſt doch das allerbeſte, was ich von ihm und von meinen kuͤnftigen Umſtaͤnden dencken muß, ſehr ſchlecht. Wer wird mit mir Mitleyden haben, da ich zu der Zahl derer gehoͤre, die ihre Thorheit zu ſpaͤte bereuen!

Jch hoffe dem ohngeachtet, daß Sie noch Liebe fuͤr mich behalten, und meiner in Jhrem Gebet taͤglich gedencken werden. Wollen Sie mir aber Jhr Hertz auch verſagen, ſo iſt mein Ungluͤck un - ertraͤglich. Jch bin, allerbeſte Freundin,

Jhre ſtets ergebene Cl. Harlowe.

Der zweyte Brief von Herrn Lovelace an Joſeph Lehman.

Ehrlicher Joſeph,

Endlich hat ſich eure ſchoͤne Fraͤulein entſchloſ - ſen, ſich in Freyheit zu ſetzen, und der bis -herigen35herigen Haͤrtigkeit der Jhrigen zu entgehen, die ſie ſo lange geduldet hat. Sie wird auf den Montag Nachmittag um vier Uhr zu mir vor die Garten-Thuͤr hinaus kommen; wie ich euch ſchon neulich geſagt habe. Sie hat ihr Verſprechen wie - derhohlet: GOtt lob! ſie hat es wiederhohlt.

Auf dem Neben-Wege, der an den Fuß-Steig nach dem Thier-Garten ſtoͤßt, wird eine Kutſche mit ſechs Pferden bereit ſtehen, und nicht weit davon einige Freunde und Bedienten von mir, ſie im Fall der Noth mit Gewalt zu retten oder zu be - ſchuͤtzen. Es iſt ihnen aber allen eingeſchaͤrft, ſich zu huͤten, daß kein Ungluͤck vorgehen moͤge. Jhr wißt, daß ich immer ſorgfaͤltig geweſen bin, Un - gluͤck zu vermeyden.

Meine eintzige Furcht iſt, daß wenn die Zeit herankommt, ſie aus allzu juͤngferlicher Behutſam - keit wieder zweifelhaft werden und zuruͤck gehen moͤchte: obgleich ihre Ehre meine Ehre, und mei - ne Ehre ihre Ehre iſt, wie ihr wohl wiſſet. Wenn meine Furcht eintrift, und ich ſie nicht bereden kann mit zu gehen, ſo helfen mir alle eure vorigen Dienſte nichts, und ich habe ſie auf ewig einge - buͤßet. Denn wird ſie doch eine Beute des ver - fluchten Solmes, der nach ſeinem ſchaͤndlichen Geitz keinem Bedienten im gantzen Hauſe einige Wohlthat erzeigen kann.

Jch habe an eurer Ehrlichkeit gar keinen Zwei - fel, mein guter Joſeph; ich habe auch das Ver - trauen zu euch, daß ihr von ſelbſt bereit und eifrig ſeyd, einem ſo ſehr beleydigten Cavallier und einemC 2unter -36unterdruͤckten Frauenzimmer zu dienen. Wenn ich nicht eine ſo gute Meinung von euch haͤtte, ſo wuͤrde ich euch gewiß nicht ſo viel anvertrauen: daraus koͤnnt ihr wol ſehen, wie viel ich von euch halte, und was ich von euch hoffe, ſonderlich bey dieſer Gelegenheit, da ihr allen euren vorigen Dienſten die Crone aufſetzen koͤnnet. Denn wenn ſie wieder zweifelhaft wird, ſo iſt eine kleine unſchul - dige Liſt noͤthig.

Mercket euch das ja genau, was ich euch ſchrei - ben werde: faſſet es recht in das Gemuͤthe. Es wird hoffentlich die letzte Muͤhe ſeyn, die ich euch vor unſerer Hochzeit mache: und hernach wollen wir beyde gewiß fuͤr euch ſorgen. Jhr wiſſet, was ich euch verſprochen habe. Noch niemand hat mir jemahls Schuld gegeben, daß ich mein Wort ge - brochen haͤtte.

Hier iſt denn eure Vorſchrift:

Verkleidet euch, und ſucht in dem Garten zu ſeyn, ohne daß eure Fraͤulein euer gewahr wird. Wenn die Garten-Thuͤr aufgeriegelt iſt, ſo koͤnnt iſt daran mercken, daß ſie mit mir drauſſen redet, wenn ihr ſie gleich nicht hinausgehen ſehet. Die Thuͤr wird zugeſchloſſen ſeyn: und damit ihr im Fall der Noth von innen aufſchlieſſen koͤnnet, ſo will ich meinen Schluͤſſel ausziehen, und ihn drauſſen vor die Thuͤr hinlegen.

Wenn ihr uns reden hoͤrt, ſo bleibt an der Thuͤr inwendig ſtehen: bis ich zweymahl ach! ach! rufe. Allein ihr muͤßt ſehr genau aufmer - cken, denn ich darf nicht allzu laut rufen, ſonſtmoͤch -37moͤchte ſie es fuͤr ein abgeredetes Zeichen halten. Vielleicht kann ich indem, daß ich mich bemuͤhe meine angenehme Freude mit mir fort zu ziehen, mit dem Ellbogen oder Fuͤſſen hart an die Thuͤr ſtoßen, um euch ein deſto gewiſſeres Zeichen zu ge - ben. Alsdenn muͤßt ihr ſtarck gegen die Thuͤr ren - ren, als wenn ihr ſie aufſprengen wolltet, und an dem Schloſſe arbeiten: denn ſtoßet noch einmahl gegen die Thuͤr, aber ſo daß es mehr Lerm macht als Gewalt angewandt wird, damit das Schloß nicht ſpringen moͤge. Denn ſchreyet, als wenn ihr einige aus dem Hauſe ſehet: hier ſind ſie. Kommt geſchwind! den Augenblick. Geht beſſer zu. Sagt auch etwas von Degen, Flin - ten, Piſtolen, und ruft ſo fuͤrchterlich als ihr nur koͤnnt. Wenn ſie vorhin noch zweifelhaft gewe - ſen iſt, ſo wird ſie ſich hiedurch gewiß bewegen laſſen zu fliehen. Wenn ich aber doch nichts aus - richten kann, ſo will ich mit ihr in den Garten ja in das Haus ſelbſt gehen: es mag auch daraus entſtehen, was will. Doch in dem Schrecken wird ſie gewiß fliehen.

Wenn ihr glaubt, daß wir ſchon etwas weit weg ſind, und wenn ich, um euch ein Zeichen zu geben, lauter rede und in ſie dringe, geſchwind zu laufen: ſo ſchließt ihr inwendig die Thuͤr auf. Allein das muͤßt ihr ſorgfaͤltig thun, daß ihr nicht von ihr erkannt werdet, wenn wir noch nicht weit genug weg ſeyn ſollten. Aus Gutheit fuͤr euch wollte ich nicht gern, daß ſie glaubte, ihr haͤttet einigen Antheil an dem was vorgehet.

C 3Zie -38

Ziehet einen Schluͤſſel wieder aus dem Schluͤſ - ſel-Loche heraus und ſteckt ihn bey: an deſſen Stel - le aber ſteckt meinen, der vor der Thuͤr liegen wird, von innen in das Schloß, daß es ſcheinen moͤge, als haͤtte ſie ſelbſt inwendig aufgemacht, und die Thuͤr offen gelaſſen. Sie werden wohl glauben, daß ich ihr den Schluͤſſel haͤtte machen laſſen, weil er neu iſt.

Jch wollte gern, daß die Jhrigen glauben moͤchten, ſie ſey von freyen Stuͤcken mit mir da - von gegangen, damit es ihnen nicht in den Sinn komme, uns zu verfolgen, oder zu verſuchen, ob ſie ſie nicht uͤberreden koͤnnen, wieder zuruͤck zu kommen. Jhr wißt, daß hieraus Ungluͤck entſte - hen koͤnnte.

Eins muͤßt ihr wohl mercken: Jhr ſollt die Thuͤr nur in dem Fall aufſchließen, wenn niemand aus dem Hauſe uns zu fruͤh uͤber den Hals kommt ehe wir gantz weg ſind. Denn wenn dieſes ge - ſchehen ſollte, ſo werdet ihr aus dem folgenden ſehen, daß ihr gar nicht aufſchließen muͤßt. Sie moͤgen in ſolchem Fall die Thuͤr aufbrechen oder uͤber die Mauer ſteigen, und meinen Schluͤſſel vor der Thuͤr auf der Erde finden.

Wenn uns niemand zu fruͤh uͤberfaͤllt, und ihr herauskommt, ſo folget uns in der Ferne nach, lauft mit aufgehabenen Haͤnden und ſo ungebaͤrdig ihr koͤnnt hin und wieder, als wenn ihr auf Huͤlfe wartetet, damit ihr uns nicht ſo nahe kommt. Ruft: Huͤlfe! Huͤlfe! Geſchwind! Unterdeſ - ſen werden wir ſchon bey dem Wagen ſeyn.

Jn39

Jn dem Hauſe ſaget: ihr haͤttet geſehen, daß ich mit ihr in den Wagen geſtiegen ſey, und ein Dutzend oder mehr bewaffnete Leute um mich ge - habt haͤtte. Einige unter ihnen ſchienen große Musketen gehabt zu haben. Sagt ihnen daß wir einen gantz andern Weg genommen haͤtten, als ihr uns werdet nehmen ſehen.

Jhr ſeht, ehrlicher Joſeph, daß ich eben ſo ſorgfaͤltig bin als ihr, Ungluͤck zu verhuͤten:

Bleibt ja ſo weit von uns, daß ſie euch nicht erkennet. Thut große Schritte, damit ſie euch nicht am Gange kennet, und haltet den Kopf in die Hoͤhe, ehrlicher guter Joſeph: ſo wird ſie nicht darauf dencken, daß ihr es ſeyd. Gang und Geberden ſind ſo verſchieden, und ſo kenntlich, als immer das Geſichte ſeyn mag. Ziehet einen Pfal irgend wo aus, und wenn er gleich leichte gehet, ſo zerret doch lange daran: wenn ſie ſich umſiehet, ſo wird das in der Ferne ſchrecklich laſſen, und ſie wird dencken, daß euch blos das Ausziehen des Pfals abgehalten haͤtte, uns geſchwinder nachzu - folgen. Gehet mit dem Pfal auf der Schulter zuruͤck in das Haus und prahlt, was ihr haͤttet thun wollen, wenn ihr uns nur haͤttet einhohlen koͤnnen. Lieber alles (ſagt) haͤttet ihr wagen wol - len, als eure Fraͤulein von einem ſolchen - (ſchimpft mich und flucht ſo viel als ihr wollt) entfuͤhren laſſen. Das wird grauſam ausſehen, und die Leute werden glauben, daß euch alles von Hertzen gehe. Jhr ſeht, Joſeph, wie ich alles ſo einrichte, daß ihr noch einen guten Nahmen da -C 4durch40durch bekommet. Niemand, der mir dient, wird Schaden von mir haben.

Wenn aber unſere Unterredung laͤnger waͤhren ſollte, als ich wuͤnſche, und es kommen einige von den Jhrigen in den Garten noch ehe ich euch das Zeichen gegeben habe, ſo ſucht euch ſelbſt zu retten; daran iſt mir ſehr viel gelegen. Macht deswegen eben ſo viel Lerm: nur oͤfnet die Thuͤr nicht. Wuͤnſcht vielmehr, ſo ſehr ihr koͤnnt, daß doch nur ein Schluͤſſel da ſeyn moͤchte. Weil aber je - mand zum Ungluͤck einen Schluͤſſel bey ſich haben koͤnnte, ſo habt einige gantz kleine Steine wie ei - ne Erbſe in Bereitſchaft, und ſtecket gleich zwey oder drey davon in das Schluͤſſel-Loch, daß der Schluͤſſel nicht ſchließen koͤnne. Jhr wiſſet, Jo - ſeph, man muß ſich auf alle Faͤlle gefaßt machen, wenn ſo viel an der Sache gelegen iſt. So bald ihr einen von meinen Feinden ſehet, ſo ſtellet euch als wenn ihr die Thuͤr ſprengen wolltet; und ruft: Gnaͤdiger Herr oder Fraͤulein, (wer es eben iſt) o um Gottes willen kommen ſie bald! um Gottes willen geſchwinder! Herr Lovelace iſt da! Ruft das recht laut. Es ſoll mich ge - ſchwinder machen, als jene, denen ihr es zuruft. Wenn aber niemand anders als Eliſabeth kommt, ſo wuͤrde ich von eurer Geſchicklichkeit mit den Maͤd - chens umzugehen weniger als von eurer Treue ge - gen mich halten, fals ihr ſie nicht wegbringen und April ſchicken koͤnntet.

Jhr41

Jhr muͤßt ſagen, die Fraͤulein waͤre eben ſo geſchwind gelaufen als ich. Das wird ihnen die Luſt zum Nachſetzen benehmen. Herrn Solmes wird dadurch alle Hoffnung vergehen; und die Jhrigen werden ſich nach einer kleinen Bedenck - Zeit mehr bemuͤhen, ſich mit ihr zu verſoͤhnen, als ſie wieder zuruͤck zu bekommen. Auf die Wei - ſe werdet ihr viel Gutes zu wege bringen helfen; und das werden kuͤnftig beyde Familien erkennen. Jhr werdet bey allen wohl angeſchrieben ſeyn: und ein jeder rechtſchaffener Bedienter wird ſich eine Ehre daraus machen, Joſeph Lehman verglichen zu werden.

Wenn ſie einen Verdacht auf euch werfen, oder die Sache erfahren ſollte, ſo habe ich ſchon auf ei - nen Brief gedacht, den ihr abſchreiben koͤnnt. Wenn ich ihr den zu rechter Zeit vorzeige, ſo ſoll ſie euch ſchon vergeben.

Seyd nur noch dieſes eine mahl munter und aufmerckſam. Dies iſt die Crone eurer uͤbrigen Dienſte. Wegen der Belohnung verlaſſet euch auf die Ehre und auf das Wort

Eures wahren Freundes R. Lovelace.

P. S. Jhr braucht mit Eliſabeth nicht ſo furchtſam zu ſeyn. Wenn ihr auch gleich einen Schritt weiter gehet, ſo ſoll es euch doch kein Schade ſeyn. Wenn ihr ſie nehmet, ſo iſt ſie doch ein angenehmes Maͤdchen, ob ſie gleich etwasC 5bei -42beißig iſt, wie ihr es nennet. Jch habe eine un - vergleichliche Artzney fuͤr Weiber die nach dem Hu - the greiffen. Fuͤrchtet euch nicht, Joſeph; ihr ſollt gewiß Herr in eurem Hauſe bleiben. Hoͤre Kerl! wenn ſie gar zu arg iſt, ſo will ich dir ler - nen, wie du ſie innerhalb Jahr und Tag zu Tode quaͤlen kannſt: und es ſoll alles ehrlich zugehen: ſonſt muͤſte der Rath nicht von mir ſeyn.

Jch lege ein kleines Angeld deſſen bey, was ich kuͤnftig reichlicher zu geben gedencke.

Der dritte Brief An Juncker Robert Lovelace, ſeine Knaden.

Huchgeherteſter Herr,

D mus ich geſtehen, ich bin ihrer Knaden ſehr verbunden vor ihre große Generoſigkeit. Aber aber, die letzte Urdre! Wie intrikat iſt die! das Gutt erbarme, wie bin ich vom kleinen zum großen verfieret worden. Wenn ich entdeckt wuͤrde, das waͤre ja nichts als mein Urin. Aber eure Kna - den verſprechen, vuͤr mich zu ſurgen, und mich in ihre Dienſte zu nehmen, und mich zu protechi - ren, wenn mir meine Herrſchaft auf die Sprunge kaͤmme, und noch ſo gar mir mer Lohn zu anger -diren,43diren, oder mich in ein Wirtz-Haus zu ſetzen, wel - ches ich eben fuͤr mein kroͤſtes Kluͤcke halten wuͤr - de. Und mit meiner lieben ſcharmanten Fraͤu - lein wollen ihre Knaden gut umgehen: und wer kann mit ihr uͤbel umgehen?

Jch wil ales tuhne was ich kan, weil ihre Kna - den im Stande ſind ſie gar zu verlieren, wie ihre Knaden ſagen, wenn ich neklichant bin: und ſo ein Filtz Kerl im Stande iſt, ſie alsdenn zu krie - chen. Aber wer weiß, meine Fraͤulein iſt wohl ſo willig, daß alle Muͤhe nicht nuͤthig iſt. Hat ſie was verſprochen, ſo wird ſie es halten: da will ich eurer Knaden Mann fuͤr ſeyn.

Jch bin ihrer Knaden recht gut, daß ſie alle verdeufelte Streiche doch ſo gut ſpielen, das kein Un - kluk daraus entſtehen ſol. Bis ich mit ihrer Kna - den bekannt wurd, ſo hielt ich ihre Knaden im - mer vor einen Unkluks-Fogel, ihre Knaden wul - len mir das zu gute halten. Aber ich habe mich graͤulich betrogen. Jhre Knaden haben eine ſer gut Indenſion gegen jedermann; und ſind recht ſo wie ich. Denn mir niſcht dir niſcht, ob ich gleich ein gemeiner Kerl bin, ſo bin ich doch Gutt Lub un Danck ein recht ehrlicher Kerl. Jch habe ein ku - des Hertz, und ich dencke immer an meiner Froͤlen ihre Reden. Den wo ſie geht und ſteht, da pre - digt ſie, und die Leute die muͤßen ſeelig werden.

Jch recumpandire mich alſo in ihrer Knaden firnere Knade, inſunderheit das Wirz-Hus nit zu vergeſſen, wenn ihre Kuaden ſo gut ſin wullen, und ein Wirz-Huus zu vinden iſt. Denn einDinſt44Ding iſt doch heut zu Dage nich mer erblich. Jch hovve nicht, daß mich ihre Knaden vor ein Schelm halten werden, wil ich ihren Knaden wi - der mein Flicht dien, wie man es nehmen kuͤnte; aber ein kut kebißen habe.

Aber ihre Knaden mußen mich nicht ſo oft ehr - licher Joſeph, und ehrlicher Joſeph nennen. Jch weiſ wol das ich es bin; aber es kribbelt mich doch ſo, wenn mir derbey infaͤllt, daß ich nicht ſo handele, wie ich ſullte. Und ihre Knaden ſin ſo ein ſpashafter Her, daß ich nicht recht weiß, ob es Spaß oder Jrnſt is, wenn ſie mich ſo oft ehr - lich nennen.

Jch bin ein einfeltiger Man, und habe ſelten mit ſo einem grußen Herrn Briefe gewechſelt: aber ſie ſind gut ſatt, das ſie fuͤnde gerade ſin laßen, wie ich ſchon ſo uft geſagt habe, und nicht mehr ſagen darf.

Mamſelle Lischen kahm mir ſonſt for, als wenn ſie die Nahſe uͤber mich tragen wollte. Aber ſie giebt ſich. Jch haͤtte ſie noch lieber, wenn ſie ge - gen meine Froͤlen beſſer were. Aber ſie iſt ſu kluk, vor ſo einen einfeltigen Mann. Aber wenn ſie mich ergerte, es ſchickt ſich wol nicht, das der Mann die Frau pruͤgelt, aber ſo koͤnnte mein Brauner wol regieren, nich ſo ihre Knaden?

Aber das Rezebt, das ihre Knaden fuͤr ein boͤs Weib haben? Denn wuͤrde ich noch mehr Luſt zu heiraden haben, wenn ichs vorher wuͤſte. Und inſonderheit, wen ich wuͤſte wie man eine in Jahrund45und Dag, und das es rech ehrlich zuginge, und unſers Herrn Kutts Verhaͤngniß waͤre

Aber ich bin einem ſo grußen Herrn beſchwerich: und das kan hernacher geſchehen, nachdem ſie ſich anlaͤſt. Denn vielleicht moͤchte ich ſie gern laͤnger behalten wullen, ſonderlich wenn ſie ſich ſo kut zu einer Wirtz-Frau ſchickt, als mir ihre Knaden einpilden.

Aber nochmahls recumpandire ich mich, und bitte ihre Knaden, ſich nit uͤber meine Freyheit zu artilleriren: der ich Gros-Geneigt verharre,

ihrer Knaden ſu allen Duͤnſten bereuter Joſef Lehman.

Der vierdte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford.

Jch kann eben einige Augenblicke ſtehlen, mein Verſprechen zu erfuͤllen, da ſich meine Ge - liebte (wie ich hoffe) zur Ruhe begeben hat. Man hoͤrt von keinem Nachſetzen. Jch habe auch auf das kuͤnftige keine Sorge deshalb, ob ich mich gleich gegen mein ſchoͤnes Kind beſorgt ſtellen muß, daß wir verfolget werden moͤchten.

Nie -46

Niemahls iſt meine Freude ſo vollſtaͤndig ge - weſen als jetzt. Allein ich muß zuſehen, ob ich meinen Schatz noch beſitze.

Ja wahrlich: Er iſt in der andern Stube, und ich bin meines Beſitzes wegen auſſer Sorgen.

Entzuͤckend ſchoͤnes Gluͤck! Wird nicht mein
frohes Hertz
Durch meine Bruſt in ihren Buſen brechen?

Jch wußte, daß die gantze tumme Familie fuͤr mich arbeitete. Jch ſagte dir, daß ich ſie insge - ſammt gebrauchte die Standhaftigkeit meiner Schoͤ - nen ohne ihr Wiſſen den Maulwuͤrfen gleich zu untergraben. Blinder waren ſie als die Maul - wuͤrfe ſeyn ſollen. Jch lenckte alle ihre Bewegun - gen: allein weil dieſe mit ihrem niedertraͤchtigen Hertzen ſo genau uͤberein kamen, ſo hielten ſie al - les was ſie thaten fuͤr ihre eigenen Entſchließun - gen und nicht fuͤr die Eingebungen einer feindli - chen Gottheit.

Allein was ſage ich dir? meine Freude ſoll voll - kommen ſeyn? Gewiß nicht. Mein Hochmuth iſt all zu wenig vergnuͤget worden. Wie kann ich ohne Misvergnuͤgen wahrnehmen, daß ich ſie nicht ihrer Zuneigung zu mir, ſondern den Verfolgungen der Jhrigen zu dancken habe? ja daß ſie mich nicht einmahl, ſo viel ich weiß, andern vor - ziehet?

Jch darff dem Gedancken nicht nachhaͤngen: er koͤnnte meinem ſchoͤnen Kinde theuer zu ſtehenkom -47kommen. Jch will mich vielmehr freuen, daß ſie einmahl uͤber den Rubicon gegangen iſt: Daß ſie jetzt nicht wieder zuruͤck kann: daß ihre unver - ſoͤhnlichen Anverwanten glauben werden, ſie habe nach eigener Wahl die Flucht ergriffen; um daß ich ſie auf eine ihr empfindliche und meinem Stoltz ſehr angenehme Art auf die Probe ſetzen kann, wenn ich Urſach finde, an ihrer Liebe zu mir zu zweifeln. Denn glaube mir, ſo zaͤrtlich ich ſie liebe, ſo woll - te ich ihrer doch nicht ſchonen, wenn ich in ihrem Gemuͤth nur einen Schatten des Zweiffels faͤnde, ob ſie mich allen andern meines Geſchlechts vor - zoͤge.

Dienſtages, um Tages Anbruch.

Auf den Fluͤgeln der Liebe fliege ich eben zu mei - nem Entzuͤcken hin, zu dem ſchoͤnen Kinde, das vielleicht eben aufſteht, um die traͤge Morgenroͤthe zum Eylen zu bewegen. Jch habe in den andert - halb Stunden, in welchen ich mich niederlegte, den Gott des Schlaafs anzuruffen, kein Auge zuge - than. Jch ſcheine nicht mehr ſo materiel zu ſeyn, daß ich die abgehende Kraͤffte des Leibes durch den Schlaaf zu erſetzen noͤthig habe.

Allein mein unvergleichliches Kind, warum ſehe ich an dir nichts als hertzbrechenden Kummer? in dem Wagen? in dem Wirthshauſe? bey dem Aus - ſteigen? da du doch ſo heftig gedruͤcket biſt? da du in ſo groſſer Gefahr ſtandeſt zu dem gezwungen zu werden, was dein groͤſſeſter Abſcheu war? War - um laͤſſeſt du dich deine Flucht, die eben in dem ent -ſchei -48ſcheidenden Augenblick geſchahe, ſo heftig, ſo aufrichtig gereuen? Nimm dich in Acht, meine Schoͤne. Denn das Hertz, in dem dir die Liebe einen Tempel geweyhet hat, brennet von Eifer - ſucht.

Jch kann es ihr zwar nicht uͤbel nehmen, daß ihr eine ſo ploͤtzliche Veraͤnderung empfindlich iſt, und ihre Zuneigung zu mir abkuͤhlet. Wenn ſie ſiehet, wie heilig ich alle ihre Befehle beobachte, ſo wird ſie hoffentlich zwiſchen ihrem vorigen Ge - faͤngniß und ihrer jetzigen Freyheit einen Unter - ſcheid finden, und einige Triebe der Danckbarkeit gegen mich empfinden.

Sie kommt, ſie kommt. Eben gehet die Son - ne auf, ſie zu empfangen. Lebe wohl! ſey halb ſo gluͤcklich als ich, (denn alle meine Zweiffeln ver - ſchwinden jetzt, wie ein Nebel vor der Sonne) ſo wirſt du naͤchſt mir der gluͤcklichſte Menſch in der Welt ſeyn.

Der fuͤnfte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch will meine betruͤbte Erzaͤhlung fortſetzen.

Nachdem ich in der Uebereilung bis an den Wagen gekommen war, ſo wuͤrde es ver -geblich49geblich geweſen ſeyn, wenn ich mich gewegert haͤt - te, mich hinein zu ſetzen. Allein er hub mich auch hinein, als ich noch vor Schrecken außer mir war. Der Wagen fuhr ſogleich in vollem Gallop weg, und hielt nicht ſtille, bis daß wir eben bey Tages - Anbruch zu S. Albans ausſtiegen.

Unter Weges meinte ich einigemahl, ich ſolte in Ohnmacht fallen. Oft ſagte ich mit aufgeha - benen Haͤnden und Augen zu mir: Gott behuͤte! iſt es moͤglich, daß ich hier bin! die Augen gin - gen mir uͤber; und ich konnte die Seufzer nicht verhalten, die mir bey nahe eben ſo ſehr wider mei - nen Willen entfuhren, als meine Flucht wider Wil - len geſchahe.

Wie groß, wie augenſcheinlich war der Unter - ſcheid zwiſchen mir, und meinem froͤlichen Ver - fuͤhrer, der das Vergnuͤgen wegen ſeines argliſti - gen Sieges uͤber mich nicht verbergen konnte. Jch konnte zum wenigſten ſeine halb-unſinnige Freude nicht anders auslegen. Dem ohngeachtet ging ſein Mund von lauter Hoͤflichkeit und Ergebenheit uͤber; und ſo lange wir flogen (denn fliegen muß ich es nennen, und nicht gallopiren) war er in ſei - nem Betragen gegen mich ſehr ſcheu und furcht - ſahm.

Es kam mir vor, daß wir nicht den geraden Weg fuhren, ſondern einen Umſchweiff nahmen, damit man uns deſto weniger moͤchte nachſetzen koͤn - nen. Es ſchienen mir auch die Bey-Reuter ver - aͤndert zu werden. Drey oder vier Leute, die ich nicht vor Bediente halten konnte, ritten dannDritter Theil. Dund50und wann auf dieſer und jener Seite der Kutſche. Er verhielt ſich aber nicht anders gegen ſie, als wenn es gemeine Bedienten waͤren, und ich war ſo betruͤbt, und ohngeachtet aller ſeiner Schmeiche - leyen ſo ungehalten, daß ich mich nicht uͤberwin - den konnte, ihn zu fragen, wer ſie waͤren, eben ſo wenig als ich ihn ſonſt etwas fragen konnte.

Ueberlegen Sie, wie mir zu Muthe geweſen ſeyn muß, als ich aus dem Wagen ſtieg, ohne eine Perſon meines Geſchlechts bey mir zu haben; ohne einige andere Kleidung, als die ich auf dem Leibe hatte, die ſich ſchlecht zu meiner bis - herigen und noch bevorſtehenden Reiſe ſchickte: ohne Kappe, ohne Reiſe-Hut, ohne alle andere noͤ - thige Kleidung, ein Hals-Tuch ausgenommen. Jch war ſo muͤde, daß ich haͤtte ſterben moͤgen; und mein Gemuͤth war noch mehr ermuͤdet, als mein Leib. Die Pferde ſchwitzten und rauchten dermaſ - ſen, daß jedermann in dem Wirts-Hauſe glaubte, ich muͤßte ein leichtfertiges Maͤdchen ſeyn, das ſei - nen Anverwandten davon gegangen waͤre. Man konnte ihnen dieſes an den Gebeerden und an ihren heimlichen Reden anmercken: und daran, daß mehr Leute aus dem Hauſe als zur Bedienung noͤ - thig waren, ſich nach einander einen Weg machten, uns zu ſehen.

Die Wirthin, die Lovelace zu mir herein ſchickte, wieß mir ein beſonderes Zimmer an, brachte mir Hirſchhorn und kaltes Waſſer, als ſie ſahe, daß mir uͤbel werden wollte; und ließ mich hierauf allein, als ich verlangte, eine halbe Stundefuͤr51fuͤr mich zu ſeyn. Denn ich konnte mich ohn - moͤglich laͤnger halten, als ich alles uͤberlegte, was vorgegangen war: und ſo bald ſie weggegangen war, ſchloß ich die Thuͤr zu, und warf mich auf einen alten Gros-Vaters-Stuhl nieder. Hier ließ ich den Thraͤnen den Lauff, und weinete mir das Hertz leichter.

Herr Lovelace ſchickte die Wirthin fruͤher als ich es wuͤnſchte zu mir herauf; die mich in ſeinem Nahmen bat, daß ich meinem Bruder erlauben moͤchte zu mir herauf zu kommen, oder daß ich zu ihm hinunter kommen moͤchte. Denn er hatte der Wirthin geſagt: ich ſey ſeine Schweſter, und haͤt - te mich dieſen Winter bey einem Verwandten auf - gehalten. Weil ich nun eine Heyrath wider der Meinigen Willen haͤtte vornehmen wollen, ſo hohle er mich ungewarnter Sache und wider meinen Willen ab, und bringe mich zu meinen Eltern zu - ruͤck. Jch waͤre deswegen ungehalten auf ihn, daß er mir nicht ſo viel Zeit gelaſſen haͤtte, mich zur Reiſe zu kleiden.

So ſehr ich ſonſt die Wahrheit liebe, ſo fand ich mich doch gezwungen, dieſer Erdichtung den Schein der Wahrheit zu geben: einer Erdichtung, die ſich zu meinen Umſtaͤnden deſto beſſer ſchickte, weil ich eine Zeitlang weder reden noch die Augen aufſchlagen konnte. Dieſen Kummer und Still - ſchweigen konnte die Wirthin leicht fuͤr Trotz und Eigenſinn halten.

Weil ein Bette in meiner Stube ſtand, ſo ent - ſchloß ich mich lieber hinunter zu gehen, nachdemD 2er52er zum zweiten mahl heraufgeſchickt hatte. Die Wirthin begleitete mich in ſeine Stube. Er kam mir ſehr hoͤflich entgegen, doch ſo, daß ein hoͤflicher Bruder eben ſo hoͤflich haͤtte ſeyn koͤnnen, und die Wahrſcheinlichkeit nicht verletzt ward. Er nannte mich ſeine liebe Schweſter, fragte mich ob ich mich zuſrieden gaͤbe, und bat mich um Ver - gebung, mit dem Zuſatz, daß kein Bruder eine Schweſter ſo lieben koͤnnte, als er mich liebete.

Ein loſer Schelm! Wie natuͤrlich konnte er die Perſon ſpielen, die er ſpielen wollte, da ich mich meiner Perſon ſo wenig gemaͤß auffuͤhren konnte?

Unbedaͤchtige Leute finden darin einen Troſt, daß ſie nicht weit in das kuͤnftige ſehen, daß ſie nichts befuͤrchten, und ſich wegen eines entfernten Uebels nicht graͤmen. Kurtz, ihre Unbedaͤchtigkeit iſt ihre Gluͤckſeeligkeit. Allein was fuͤr Troſt kann ein Gemuͤth in meinen Umſtaͤnden haben, das ſich gewoͤhnt hat in die folgende Zeit hinein zu ſehen, und das moͤgliche ſo wohl als das wahrſchein - liche zu uͤberlegen?

Jch muß Jhnen einen Auszug aus unſerer Un - terredung vor und nach dem Abendeſſen geben, die ich mit einander in der Erzaͤhlung verbinden will.

So bald mir allein waren, bat er mich mit al - len Merkmahlen einer ergebenen und wahren Zaͤrt - lichkeit (wie ich ihm Zeugniß geben muß) beſſer mit ihm und mit mir ſelbſt zu frieden zu ſeyn. Er wi - derhohlte alle Geluͤbde, mit denen er mir ehemahls ſeine unaufhoͤrliche Zuneigung geſchworen hatte: er verſprach. mir kuͤnftig in allen Dingen ſchlech -ter -53terdings zu folgen: und bat ſich Erlaubniß aus zu fragen, ob ich befaͤhle, den naͤchſten Tag zu einer von ſeinen beyden Baſen zu reiſen:

(Jch ſchwieg ſtille. Jch wußte nicht was ich ſagen oder thun ſollte.)

Ob ich eine eigene Wohnung in der Nachbar - ſchaft dieſer Frauenzimmer beziehen wollte, wie ich ehemahls vorgehabt haͤtte?

(Jch ſchwieg noch ſtille.)

Ob ich auf eins der Guͤter des Lord M. reiſen wollte? Nach Berck? oder auf das naͤchſte Gut?

Jch ſagte: eine Wohnung, welche es waͤre, da er nur nicht mit zugegen waͤre, wollte ich be - ziehen.

Er geſtand, daß er mir dieſes verſprochen haͤt - te. Er wollte ſein Wort halten, ſo bald ich nur außer Gefahr waͤre, daß mir die Meinigen nicht nachſetzeten, und ſo bald ich mich zu beruhigen an - finge. Wenn mir es uͤbrigens einerley waͤre, wo ich mich aufhielte, ſo ſey London der ſicherſte Ort, und da ich mich am beſten verborgen halten koͤnnte. Alle ſeine Verwandten wuͤrden mich beſu - chen, ſo bald ſie Erlaubniß dazu von mir bekaͤ - men. Jnſonderheit wuͤrde ſeine Baſe Charlotte mir zur Geſellſchaft nach London kommen, ſo bald ſie ſich wieder in die Luft wagen duͤrfte; wenn ich ſie zur Geſellſchaft annehmen wollte. Wenn ich aber auch Luſt haͤtte, zu der Frau Lawrance zu reiſen, ſo wuͤrde ich ihr ſehr angenehm ſeyn: von der Frau Sadleir wollte er nichts ſagen, weil ſie von finſterem Gemuͤthe und Umgange ſey.

D 3Jch54

Jch antwortete: in der Gemuͤths-Faſſung, in der ich mich jetzt befaͤnde, und die ſich ſo bald nicht aͤndern wuͤrde, gedaͤchte ich zu keiner von ſeinen Anverwandtinnen zu reiſen. Meine Ehre erfordere es, daß er ſich von mir entferne. Fuͤr mein Ge - muͤth und Umſtaͤnde wuͤrde ſich ein eigener und et - was ſtiller Aufenthalt am beſten ſchicken; und zwar deſto beſſer, je wohlfeiler und ſchlechter er ſey, weil man mich daſelbſt nicht ſuchen, ſon - dern vermuthen wuͤrde, daß mir die Perſon alle Bequemlichkeit verſchaffen wuͤrde, die an meiner Uebereilung ſchuld ſey. Mir ſchiene ein Aufenthalt auf dem Lande fuͤr mich, und zu London fuͤr ihn das zutraͤglichſte zu ſeyn. Es ſey nichts daran ge - legen, wie bald man wiſſe, daß er zu London ſey.

Wenn er ſeine Meinung ſagen duͤrfte (erwiederte er) ſo ſey London der beſte Ort in der Welt, mich verborgen zu halten, wenn ich nicht Luſt haͤtte, zu ſeinen Verwandten zu reiſen. Jn kleinen Staͤdten, oder in Doͤrfern, mache jeder Fremde ſo gleich ein Aufſehen: welches bey einer ſolchen Perſon wie ich (hier fielen einige Schmeicheleyen vor) unge - mein groß ſeyn wuͤrde. Selbſt das wuͤrde Nachfra - ge erwecken, wenn Briefe an Orte gebracht wuͤrden, wo ſie vorhin nicht gewoͤhnlich geweſen waͤren. Er haͤtte bisher fuͤr keine Wohnung fuͤr mich ge - ſorgt, weil er geglaubt haͤtte, ich wuͤrde entweder nach London gehen, da man alle Stunden beque - me Miethen finden koͤnnte, oder zu einer ſeiner Baſe, oder auf ſeines Onckels Gut in der Graf -ſchaft55ſchaft Hertford, auf welchem eine ſolche Haus - haͤlterin waͤre, als meine Frau Norton, nehm - lich Frau Greme.

Jch ſagte: wenn man mir ja nachſetzte, ſo wuͤrde es in der erſten Hitze geſchehen; und der naͤchſte Verdacht wuͤrde auf die Haͤuſer ſeiner Ver - wandten fallen. Jch wuͤßte warlich nicht, was ich anfangen ſollte.

Er ſagte: es kaͤme alles blos auf mein Belieben an, wozu ich mich auch entſchloͤſſe. Nur dafuͤr muͤſſe er ſorgen, daß ich ſicher ſeyn moͤchte. Er haͤtte einige Miethen in London, allein er ſagte nicht davon, um ſie mir anzutragen. Denn er koͤnne leicht dencken, daß ich dagegen noch mehr wuͤrde einzuwenden haben, als gegen ſeines Onckels oder Baſen Haͤuſer.

Allerdings! ſagte ich mit der ſtraͤflichen Mine, die Sie mein Amts-Geſichte zu nennen pflegen. Er fing deswegen an, ſich ſehr zu entſchuldigen: er habe weder gewuͤnſcht noch gehofft, daß ich die - ſen Vorſchlag annehmen moͤchte. Er ſey fuͤr nichts, als fuͤr meine Ehre und Sicherheit beſorget; und mein Wille ſollte in allem, in allen Kleinig - keiten, ſein Geſetz ſeyn.

Jch war zu muͤrriſch, zu betruͤbt, und in der That all zu ſehr gegen ihn erbittert, als daß ich etwas von dem, was er ſagte, haͤtte wohl aufneh - men koͤnnen.

D 4Jch56

Jch ſagte nur: ich hielte mich vor ſehr ungluͤck - lich. Jch wuͤßte gar nicht, wozu ich mich ent - ſchließen ſollte. Mein guter Nahme muͤßte ohne Zweiffel voͤllig verlohren ſeyn. Es fehle mir an Kleidung, mich vor jemand ſehen zu laſſen. Selbſt mein Mangel muͤßte allen die mich ſehen, ein Zeugniß meines Unverſtandes ſeyn. Jeder - mann wuͤrde glauben, daß ich uͤbervortheilt ſey, oder ihm einen unerlaubten Vortheil uͤber mich ge - geben haͤtte, und weder von meinen Entſchließun - gen noch von meinen Handlungen Meiſter waͤre. Jch koͤnnte nicht anders dencken, als daß er arg - liſtig mit mir umgegangen ſey. Er ſchiene ſich nach meiner Schwaͤche, Unerfahrenheit und Ju - gend in Erdenckung eines Kunſtſtuͤcks gerichtet zu haben. Jch koͤnnte es mir ſelbſt ohnmoͤglich ver - geben, daß ich zu der Unterredung mit ihm ge - kommen ſey. Mein Hertz blutete mir im Leibe, wenn ich an den Kummer meiner Eltern gedaͤchte. Jch wollte gern die gantze Welt und alles was ich in der Welt hoffete, dafuͤr geben, daß ich jetzt in meines Vaters Hauſe ſeyn moͤchte, es moͤchten auch die Folgen noch ſo ſchlimm ge - weſen ſeyn. Er moͤchte ſagen was er wollte, ſo faͤnde ich doch in ſeiner Liebe etwas niedriges und eigennuͤtziges, da er ſich haͤtte entſchließen koͤnnen, ein junges Kind zu verleiten, daß es ſeine Pflicht und Gewiſſen verletzte. Eine edle Liebe muͤſſe ſu - chen zu der Ehre und Gemuͤths-Ruhe der Ge - liebten alles moͤgliche beyzutragen.

Er57

Er hoͤrte ſehr aufmerckſam zu, ohne mich in der Rede zu ſtoͤhren: und er beantwortete alles was ich geſagt hatte ſo ordentlich und von Stuͤck zu Stuͤck, daß es eine Probe ſeines unvergleich - lichen Gedaͤchtniſſes ſeyn konnte.

Meine gantze Rede (ſagte er) haͤtte bey ihm ei - nen tiefen Eindruck gemacht, daß er nothwendig ernſthaft ſeyn und ernſthaft antworten muͤßte. Es kraͤnckte ihn in der Seele, daß er bisher noch ſo wenig Zuneigung und Vertrauen bey mir haͤtte erwecken koͤnnen, als er in der That faͤnde.

Was meine Ehre und guten Nahmen anbe - langte, ſo wollte er ſich die Freyheit nehmen, ſehr aufrichtig davon zu reden. Mein guter Nahme koͤnnte durch meine Flucht ohnmoͤglich ſo viel ley - den, als durch die vorhergegangene Einſperrung und eben ſo abgeſchmackte als ungerechte Auffuͤh - rung der Meinigen gegen mich. Jedermann re - dete von ihnen, und tadelte ſie, inſonderheit mei - nen Bruder und meine Schweſter: uͤber meine Geduld aber verwunderten ſich alle Leute. Er muͤſſe das wiederhohlen, was er mir mehr als ein - mahl geſchrieben haͤtte: meine Freunde muͤßten ſelbſt geglaubt haben, daß ich eine Gelegenheit er - greiffen wuͤrde, mich in Freyheit zu ſetzen: ſonſt wuͤrden ſie mich nicht eingeſperret haben. Mein vortrefflicher Character wuͤrde ohnehin meine beſte Vertheidigung bey allen denen ſeyn, die mich und die meinen Bruder und Schweſter kenneten, in - ſonderheit wenn ſie auch den Kerl kenneten, den man mir haͤtte aufdringen wollen.

D 5Was58

Was die Kleidung anlangte, ſo wuͤrde niemand erwarten koͤnnen, daß ich bey ſolchen Umſtaͤnden mehr Kleidung mitnehmen ſollte, als diejenige wel - che ich an gehabt haͤtte. Seine Baſen wuͤrden ſich eine Ehre daraus machen, zu meinem jetzigen Ge - brauch mir Kleidung zu leyhen: und auf das kuͤnftige duͤrfte ich nur befehlen, ſo ſollte mir das beſte und koſtbarſte zu Dienſte ſtehen, was in oder außer England zu finden ſey.

Wenn es mir (wie er leicht dencken koͤnnte) an Gelde mangelte, ſo wuͤrde er recht ſtoltz uͤber die Ehre ſeyn, wenn er mir damit dienen duͤrfte. Er wuͤnſchte nichts mehr, als daß er hoffen koͤnnte, daß wir dereinſt gemeinſchaftliche Guͤter haben wuͤrden.

Hierauf ſetzte er mir ſehr zu, daß ich 100 Pfund in Banck-Zetteln von ihm annehmen moͤch - te: und er ſteckte mir den Zettel ohnvermerckt in die Hand, Sie werden, ohne daß ich es melde, glauben, daß ich dieſes Geſchenck mit Heftigkeit abgewieſen habe.

Er ſagte: er ſey voller Verwunderung und Kummer, daß ich ihn einer Argliſtigkeit in ſeiner Auffuͤhrung gegen mich beſchuldigen koͤnnte. Er ſey auf meinen eigenen Befehl (was fuͤr ein Menſch! daß er mir das vorwerfen darf) gekom - men, und habe das noͤthige veranſtaltet, mich in Freyheit zu ſetzen. Er haͤtte gar nicht vermuthet, daß ich meinen Entſchluß aͤndern, und daß er viel Muͤhe haben wuͤrde, mich zu dem zu uͤberreden, was ſchon vorhin mein Vorſatz geweſen waͤre. Viel -59Vielleicht hielte ich das fuͤr ein Kunſt-Stuͤck, daß er haͤtte mit mir in den Garten, ja zu meinen ver - ſammleten Anverwandten gehen wollen. Allein ich thaͤte ihm hierin Unrecht. Bis auf dieſe Stunde wuͤnſchte er, daß ich ihm erlaubt haben moͤchte, mich zu begleiten, weil er meine große Unruhe merckte. Es ſey immer ſeine Weiſe geweſen, der gedroheten Gefahr zu trotzen: denn man haͤtte nicht leicht Urſache ſich vor denen zu fuͤrchten, die viel droheten, wenn ſie Gelegenheit haͤtten ihre Drohungen in das Werck zu richten. Wenn er aber auch gewiß gewuſt haͤtte, daß man ihn meu - chelmoͤrderiſcher Weiſe erſtechen wuͤrde, oder daß er von jedem in meiner Familie eine toͤdtliche Wunde zu gewarten haͤtte, ſo haͤtte er mich doch begleiten wollen: denn meine Ruͤckkehr wuͤrde ihn auf das aͤußerſte getrieben haben, daß er nach nichts weiter gefragt haͤtte.

Auf die Weiſe, mein Schatz, muß ich mich oh - ne Entſchuldigung verdammen, daß ich mich zu ei - ner Unterredung mit einem ſo unerſchrockenen und verwegenen Menſchen verſtanden habe. Das iſt das Ende. Jch kann nun nicht daran zweifeln, daß er Mittel gehabt haben wuͤrde, mich zu ent - fuͤhren, wenn ich die Unterredung um Mitternacht angeſtellet haͤtte, wie ich ein Paar mahl im Sin - ne hatte. Und dieſer Erfolg wuͤrde fuͤr mich noch fuͤrchterlicher geweſen ſeyn.

Er beſchloß dieſe Materie mit den Worten: wenn ich ihm erlaubt haͤtte, mit in das Haus zu gehen, ſo ſey er verſichert, daß er bey allen eine ſogute60gute Meinung von ſich haͤtte erwecken wollen, daß ihm von neuen mit aller Beyſtimmung erlaubt ſeyn wuͤrde, unſer Haus zu beſuchen, und mir ſeine Aufwartung zu machen.

Er fuhr fort: er muͤſſe ſo frey ſeyn, mir zu ge - ſtehen, daß er in Begleitung einiger Freunde, auf die er ſich verlaſſen koͤnnte, einen ſolchen Beſuch abgelegt haben wuͤrde, wenn ich ihn nicht geſpro - chen haͤtte. Eben dieſer Nachmittag ſey dazu ausgeſetzt geweſen: denn er haͤtte den fuͤrchterlichen Mittewochen nicht anbrechen laſſen koͤnnen, ohne den letzten Verſuch zu thun, ob er die Meinigen auf andere Gedancken bringen koͤnnte.

(Was konnte ich mit einem ſolchen Mann an - fangen? Wie ſollte ich mich gegen ihn verhalten?)

Um meinet und um ſeinetwillen haͤtte er gewuͤnſcht, daß eine ſo ſchwere und verzwei - felte Kranckheit durch eine verzweifelte Artzeney ge - hoben werden moͤchte. Jedermann wiſſe, daß ein wichtiger Endzweck oft durch die Mittel erreichet wuͤrde, die andere als Hinderniſſe in den Weg ge - leget haͤtten.

Jch dachte bey mir ſelbſt: wie ein trauriger Beweiß dieſer Wahrheit ſind meine jetzigen Um - ſtaͤnde? Jch ſchwieg indeſſen ſtille, ſo lange er re - dete, und verdammete mich nur in der Stille und in meinem Hertzen. Bisweilen jagte mir ſeine Dreiſtigkeit eine Furcht ein: und ein andermahl fand ich mich allzu matt, und allzu betruͤbt, ihm in die Rede zu fallen. Denn aller Muth verging mir, wenn ich uͤberlegte, wie ſchlecht auch meinebe -61beſte Hoffnung bey einem ſolchen Menſchen waͤre. Er bekam hiedurch Zeit fortzureden: und das that er mit einer Gebeerde, die immer ernſthafter ward.

Er hoffete, ich wuͤrde ihm das vergeben, was er jetzt ſagen muͤßte. Es gehe ihm, bey ſeiner Seele! nahe, ſehr nahe (ſagte er nochmahls, mit veraͤnderter Farbe und Sprache) daß er nicht an - ders koͤnnte als wahrnehmen, daß ich mich viel lieber haͤtte in die Gefahr begeben wollen, des Solmes Frau zu werden, als mich in Freyheit ſetzen, und es mir moͤglich machen, einen Mann zu belohnen, der um meinet willen, (wenn ich ihm erlauben wollte dis zu ſagen) eben ſo viel ge - litten haͤtte, als ich um ſeinet willen, und der auf alle meine Befehle auf (ich bitte um Vergebung) auf alle veraͤnderlichen Zuͤge meiner Feder gelaurt, zu allen Stunden, und bey allem Wetter gelaurt haͤtte, und zwar dieſes mit ſolcher Willigkeit und Eifer, die das untruͤglichſte Zeichen der allerzaͤrt - lichſten Ergebenheit waͤren.

(Hier fing ich an, mit mehrerer Empfindung auf ſeine Rede zu mercken; er fuhr fort:)

Und warum habe ich dieſes alles gethan, Fraͤu - lein? (Jch ſahe ihn ſtarre an) blos, um ſie zu be - wegen, daß ſie ſich von einer ſo niedertraͤchtigen Sclaverey und Unterdruͤckung befreyen moͤchten.

Herr Lovelace! ſagte ich mit einer merckli - chen Empfindlichkeit.

Hoͤren ſie mich nur aus, meine liebe Fraͤulein. Mein Hertz iſt allzuvoll: ich muß es vor Jhnenaus -62ausleeren. Sie ſagen mir, (denn ihre Worte klingen mir noch in den Ohren, und mein Hertz fuͤhlt ſie noch) daß ſie gern die gantze Welt und al - les, was ſie in der Welt zu hoffen haben, dafuͤr geben wollten, wenn ſie noch in ihres finſtern und harten Vaters Hauſe waͤren,

Kein Wort gegen meinen Vater, Herr Love - lace! das werde ich nicht leyden

Es moͤchte auch erfolger ſeyn, was da wollte, haben ſie geſagt. Fraͤulein, ſie haben ei - ne gantz unwahrſcheinliche Leichtglaͤubigkeit, daß ſie dem Solmes nicht wuͤrden angetrauet ſeyn. Jch muß von ihnen hoͤren, daß ich ſie verleitet habe, ihre Pflicht und Gewiſſen zu verletzen. Allein mercken ſie nicht, liebſtes Kind, wie ſie ſich ſelbſt widerſprechen? Mercken ſie nicht, daß die Hitze ſie uͤbernimt? Sie haben ihr Gefaͤngniß und ihre Verfolger ſo unwillig und mit ſo genauer Noth verlaſſen, daß ihr Gewiſſen ihnen deshalb nicht den allergeringſten Vorwurf machen kann.

O Herr Lovelace, ſind ſie ein ſolcher Wort - Klauber? Sind ſie bey ihrem Zorn noch von ſo ſreyem Gemuͤthe, daß ſie Worte auffangen koͤn - nen?

Jch habe in der That ſeit der Zeit einen Ver - dacht, daß ſein Zorn keine Leidenſchaſt iſt, die ihn uͤberfaͤllt; ſondern daß er Herr uͤber ſeinen Zorn iſt, und ihm nur bisweilen den Zuͤgel ſchießen laͤßt, um ſich bey mir in Furcht zu ſetzen. Er fuhr in - deſſen fort:

Ver -63

Vergeben ſie mir Fraͤulein! Jch habe nur noch ein Wort zu reden. Sagen ſie nicht ſelbſt, daß ich mein Leben gewaget habe, ſie aus ihrer Scla - verey zu befreyen? Und unterſtehe ich mich den Lohn dafuͤr anders als Bittweiſe zu verlangen? Denn haben ſie mir nicht die Bedingung, die har - te Bedingung vorgeſchrieben, die ich aber dennoch heilig halten will: daß ich nur eine entfernte Hoff - nung haben ſoll: und daß ſie die Freyheit haben wollen, Ja oder Nein zu meiner Bitte ſagen zu duͤrfen?

(Sehen Sie, mein Schatz, wie ſich meine Um - ſtaͤnde in allen Stuͤcken verſchlimmert haben. Stehet es nun noch bey mir, Jhtem Rath zu fol - gen, wenn ich gleich einſehe, daß ich ihm folgen ſollte?)

Haben ſie ſich nicht ſo gar erklaͤret, daß ſie mir auf ewig abſagen wollen, wenn ihre Freunde die - ſe grauſahme Abſagung als eine Bedingung ihrer Ausſoͤhnung fodern?

Allein, Fraͤulein, ich will den Ruhm allein und ungetheilt haben, daß ich ſie von einem harten Zwang erloͤſet habe. Jch will mich dieſer That ruͤhmen, wenn ich ſie auch verlieren ſollte, wie ver - muthlich geſchehen wird, da ſie jetzt mit mir ſo uͤbel zufrieden ſind, und gewiß geſchehen wird, wenn ihre Freunde auf die Bedingungen dringen, die ſie einzugehen willig ſind. Daß ſie uͤber ſich ſelbſt zu befehlen haben, daß iſt mein Werck und mein Ruhm: daß ſage ich nochmahls. Und ich bitte ſie um ihr Hertz und Zuneigung, als einevoͤl -64voͤllig freye Perſon, die ihr Hertz verſchencken kann. Jch thuhe dieſe Bitte blos unter den Be - dingungen, die ich ſchon eingegangen habe. Eben - falls bitte ich auch demuͤthig (hiebey fiel der hoch - muͤthige Menſch auf die Kniee) um Vergebung daß ich ihnen ſo lange mit meinen Reden beſchwer - lich gefallen bin, und daß ich ihnen manches ſo deutlich geſagt habe, als es mein allzu aufrichti - ges Hertz heraus ſagen mußte.

O Herr Lovelace, ich bitte ſie, ſtehen ſie auf. Erlauben ſie der Perſon zu knieen, der die Wohl - that widerfahren iſt. Allein fahren ſie nicht fort, in eben dem Ton zu reden; darum will ich gebe - ten haben. Sie haben meinetwegen ſehr viel Muͤ - he gehabt: allein ich wollte ſie eines großen Theils dieſer Muͤhe uͤberhoben haben, wenn ſie mir vor - her geſagt haͤtten, daß ſie eine Belohnung ihrer Muͤhe als eine Schuldigkeit erwarteten. Es ſey weit von mir entfernet, ſo außerordentlich große Verdienſte, die ſie um mich haben, herunter zu ſetzen. Allein vergoͤnnen ſie mir zu ſagen, daß man mich weder eingeſperret noch ſonſt ſo hart gehalten haben wuͤrde, wann nicht der verbotene Briefwechſel Anlaß dazu gegeben haͤtte, zu dem ſie mich gezwungen haben, und den ich gewiß nicht wuͤrde fortgeſetzt haben, (wie denn faſt jeder Brief der letzte ſeyn ſollte) wenn ich nicht geglaubt haͤtte daß ihnen von den Meinigen zu viel geſchehen ſey. Meines Bruders niedertraͤchtiger Bosheit wuͤrde es an einen Vorwand gefehlt haben, wenn dieſer Briefwechſel nicht geweſen waͤre.

Jch65

Jch glaube gantz und gar nicht, daß meine Sachen ſo ſchlimm als ſie meinen, ausgeſehen haben wuͤrden, wenn ich in meines Vaters Hauſe geblie - ben waͤre. Mein Vater hatte mich doch heimlich lieb; und ich durfte ihn nur ſehen, und Gelegenheit haben mit ihm ſelbſt zu reden; ſo wuͤrde ich zum wenigſten einen Aufſchub meines harten Urtheils erhalten haben.

Sie ruͤhmen ſich ihrer Verdienſte, und ſie thun wohl daran. Denn ich werde auf nichts als auf Verdienſte ſehen. Jch wuͤrde mich ſelbſt verach - ten, wenn ich um des Geſichts und aͤuſſerlichen Anſehens willen ihnen zugethan oder Herrn Sol - mes abgeneigt waͤre. Und wenn ſie ſich blos um des aͤuſſerlichen willen dem armen Solmes vor - ziehen, ſo ſind ſie mir auch veraͤchtlich. Sie moͤ - gen ſich ihrer eingebildeten Verdienſte um mich ruͤhmen: allein ich halte das fuͤr meine Schande, was ſie fuͤr ihre Ehre anſehen. Bekuͤmmern ſie ſich um einen Anſpruch an meine Zuneigung, den ich ſelbſt billigen kann: ſonſt werde ich ihnen nicht verhalten koͤnnen, daß ſie in ihren eigenen Augen groͤſſere Verdienſte haben, als in meinen.

Doch wir fangen an mit den erſten Suͤndern einer den andern zu verklagen: zum wenigſten wer - de ich ihnen in dieſem Stuͤck gleich, nachdem ich aus meinen Paradies vertrieben bin. Sie ſollen nicht laͤnger die Muͤhe haben, mir von ihrem Ley - den um meinet willen, von ihren Verdienſten, von dem was ſie alle Stunden und bey allem Wetter gethan haben, zu erzaͤhlen. Wenn esDritter Theil. Emir66mir ohnmoͤglich iſt, alle dieſe Wohlthaten zu be - lohnen, ſo will ich doch daran gedencken ſo lange ich lebe, und ſtets bekennen, wie hoch ich ihnen verpflichtet bin. Meine gantze Bitte an ſie iſt vor jetzund, daß ſie mir erlauben wollen ſelbſt fuͤr mich zu ſorgen, und mir einen verborgenen Auf - enthalt auszumachen; und daß ſie die Kutſche nach London, oder wohin ſie ſonſt belieben mit nehmen. Wenn ich ihrer Huͤlfe und ihres Schu - tzes kuͤnftig bedarf, ſo will ich mich melden, und will ihnen alsdenn noch mehr verpflichtet ſeyn.

Sie ſind ſehr hitzig, meine allerliebſte Fraͤulein. Aber ſie haben in der That keine Urſache dazu. Wenn ich einige Abſichten haͤtte, die mit meiner aufrichtigen Liebe nicht beſtehen koͤnnten, ſo haͤtte ich in meinen Erklaͤrungen nicht ſo offenhertzig ge - gen ſie herausgehen duͤrfen.

Er fing von neuen an, mir auf das heiligſte Treue zu ſchwoͤren. Jch fiel ihm aber bald in die Flanque, und ſagte: ich will ihnen gern glauben, Herr Lovelace. Es waͤre gantz unertraͤglich, wenn ich ſo argwoͤhniſch ſeyn wollte, zu glauben, daß ſo heilige Verſicherungen noͤthig waͤren. (Hier ſchien er ſich zu beſinnen, und behutſamer zu wer - den.) Wenn ich das glaubte, ſo ſeyn ſie verſichert, daß ich keine Stunde in einem oͤffentlichen Wirths-Hauſe bey ihnen bleiben wollte, ob ſie mich gleich, ſo viel ich weiß, durch allerhand Kuͤnſte hieher gebracht haben. (Sie muͤſſen mich entſchuldiget halten) Selbſt der Gedancke, daß dergleichen ſeyn koͤnnte, iſt mir ſo empfindlich, daßich67ich keine Geduld weder gegen ſie noch gegen mich behalte. Doch nicht mehr hievon. Sagen ſie mir nur, ich bitte ſie demuͤthig (mein Unwille machte, daß ich mich hoͤhniſch buͤckte) ob ſie ſo guͤtig ſeyn wollen, mich allein zu laſſen, oder ob ich aus einem Gefaͤngniß in ein anderes Gefaͤngniß gefluͤchtet bin.

Durch Kuͤnſte hieher gebracht? Fraͤulein. Jch ſoll ihnen ſagen, ob ſie aus einem Gefaͤng - niß in ein anderes Gefaͤngniß gefluͤchtet ſind? Und das ſagen ſie mit den artigen liebens - wuͤrdigen Gebeerden, die mir durch das Hertz gehen muͤſſen! das iſt ſonderbahr! unbegreiflich! brauche ich darauf zu antworten? Sie ſind gantz frey, und koͤnnen voͤllig befehlen, was geſchehen ſoll. Es wuͤrde ungereimt ſeyn, wenn ſie nicht frey waͤren. Jch will ſie den Augenblick allein laſſen, wenn wir an einem ſichern Orte ſind. Eine eintzige Bedingung will ich mir aber nur von ihnen ausbitten; nehmlich dieſe: nachdem ſie frey ſind, ſo erneuren ſie das Verſprechen, das ſie vor - hin freywillig gethan haben: freywillig, ſage ich, ſonſt wuͤrde ich mich nicht unterſtehen, dieſe Bit - te zu thun. So wenig ich aus einem jeden Daum - Breit der mir zugeſtanden wird eine Hand-Breit machen will, ſo unertraͤglich iſt es mir, das zu verlieren, was ich vorhin erlangt zu haben hoffen durfte. Verſprechen ſie mir alſo: ſie moͤgen ſich mit den Jhrigen vergleichen wie ſie wollen, daß ſie dennoch keinen andern als mich nehmen wol - len, ſo lange ich am Leben und unverheyrathetE 2bin,68 bin, und ihnen nicht neue Urſache gebe, ſehr misvergnuͤgt mit mir zu ſeyn.

Jch ſtehe keinen Augenblick an, Herr Lovela - ce, mein Verſprechen unter der Bedingung zu wiederhohlen, die ſie ſelbſt dazu ſetzen. Wie ſoll ich es ihnen bekraͤftigen?

Blos durch ihr Wort, Fraͤulein.

Wohlan! niemahls will ich einen andern neh - men.

Er hatte die Dreiſtigkeit, weil ich in ſeinen Haͤnden war, ſich eine ſo genannte Verſiegelung dieſes Verſprechens zu nehmen. Es war geſche - hen, ehe ich mich dafuͤr huͤtete. Es wuͤrde al - bern gelaſſen haben, wenn ich haͤtte boͤſe thun wol - len: indeſſen konnte mir ſein Betragen nicht ſon - derlich gefallen. Jch ſahe dieſes fuͤr den erſten Anfang mehrerer Freyheit an, weil ich mit einem dreiſten Menſchen zu thun hatte, der immer wei - ter zu gehen pflegte. Er konnte auch mein Mis - vergnuͤgen wol mercken.

Er verſchmertzte das mit ſeiner eigenen Mine. Genug! genug! Fraͤulein. Darf ich ſie nur bit - ten, ſich der fuͤrchterlichen Traurigkeit zu entſchla - gen, die ihr Gemuͤth verunruhiget, und die mei - ner eiferſuͤchtigen Zaͤrtlichkeit unertraͤglich iſt? Jch will mich auf das aͤuſſerſte beſtreben, ihre Zunei - gung zu verdienen, und ſie zu dem gluͤcklichſten Frauenzimmer in der Welt zu machen, wenn ſie mich zu der gluͤcklichſten Manns-Perſon zu ma - chen wuͤrdigen.

Jch69

Jch riß mich von ihm los, damit ich dieſen Brief an Sie ſchreiben koͤnnte; ich ſchlug ihm aber ab, ihn durch ſeinen Bedienten beſtellen zu laſſen. Die Wirthin verſchaffte mir einen Boten, der ihre Antwort nach des Lord M. ſeinem Gute in der Grafſchaft Hertford bringen, und an Frau Greme, die dort Haushaͤlterin iſt, beſtellen ſoll. Wir werden morgen ſehr fruͤh dieſen Weg neh - men, weil wir uns fuͤrchten, daß mir die Meini - gen nachſetzen moͤchten. Er will dort des Lord M. Kutſche und ſechs Pferde laſſen, und dafuͤr ſeine eigene Chaiſe mit zwey Pferden gebrauchen, die weniger Aufſehen machen wird.

Jch habe mein weniges Geld uͤbergezaͤhlt, und ich finde, daß ich nicht mehr als ſieben Guineas und etwas an Silber bey mir habe. Mein uͤbri - ges Geld belief ſich auf funfzig Guineas, alſo fuͤnf Guineas hoͤher als ich meinete, da mich meine Schweſter befragte, wie viel ich Geld haͤtte. Die - ſes habe ich zuruͤck gelaſſen, weil ich mir gar nicht einbildete, daß er mich uͤberreden koͤnnte, mit ihm davon zu gehen.

Jch habe mich in der That in ſchrecklich viel unangenehme Umſtaͤnde geſetzt. Jch fand mich unter andern genoͤthiget, ihm zu ſagen, wie es zu - ginge, daß ich Waͤſche bey Jhnen haͤtte: denn er konnte wohl ſehen, daß ich keine andere Kleidung mitgebracht haͤtte, als was ich am Leibe trug; und er mußte es mercken, daß ich von Jhnen Waͤſche hohlen ließ. Wenn ich ihm nun nicht alles erzaͤhlt haͤtte, ſo wuͤrde er auf die Einbildung gerathen ſeyn,E 3daß70daß ich ſchon lange den Vorſatz gehabt haͤtte, mit ihm davon zu gehen, und daß dieſes eine Zuberei - tung geweſen waͤre.

Er ſagte: er wuͤnſchte um meiner Gemuͤths - Ruhe willen, daß ihre Frau Mutter mir eine Zu - flucht verſtattet haben moͤchte: und redete hiervon ſo offenhertzig als zaͤrtlich.

Es ſind eine Menge Kleinigkeiten, die doch zum Wohlſtande gehoͤren, welche ein junges Frauen - zimmer verleugnen muß, ſo bald es eine Manns - Perſon beſtaͤndig um ſich haben und mit ihr in ei - ner ſolchen Vertraulichkeit leben muß. Mich duͤnckt, ich wollte jetzt zwantzig viel ſtaͤrckere Gruͤn - de anfuͤhren, als die ſind, die ich vorhin erwaͤhnt habe, die ein Frauenzimmer, das noch etwas auf ſich haͤlt, abſchrecken ſollten, ſich nicht in die Ge - fahr zu begeben, das zu wagen, was ich mit Schrecken und Widerwillen gewagt habe, und um deren willen es einen jungen Menſchen, der es dazu verleiten will, fuͤr den allerniedertraͤchtigſten und eigennuͤtzigſten Verfuͤhrer anſehen ſollte.

Den Dienſtag Morgens vor fuͤnf Uhr kam die Magd zu mir herauf, und ſagte: mein Bruder waͤre reiſefertig, und das fruͤhſtuͤck wartete nur auf mich. Jch ging mit ſchweren Hertzen und truͤben Augen hinunter: er empfing mich mit Hoͤf - lichkeiten und Danckſagungen, daß ich ſo fruͤh an - gekleidet und (wie er es auslegte) reiſefertig waͤre.

Er71

Er hatte die Vorſichtigkeit gehabt, auf die ich nicht gedacht hatte, (denn was ſollte ich jetzt vor - ſichtig ſeyn, nachdem ich es in der wichtigern Sache nicht geweſen war) mir eine ſammtene Kappe, und ein artiges Maͤntelchen mit Silber beſetzt ohne mein Wiſſen einzukauffen. Der liſtige Menſch ſagte in Gegenwart der Wirthin, einer Verwan - tin von ihr, und der Maͤgde: er wollte ſich die Belohnung vor ſeine Vorſorge nehmen, und ſeiner ſchoͤnen muͤrriſchen Schweſter ein Maͤulchen ſteh - len. Er nahm ſich auch in der That ſeinen Lohn, und (wie er ſagte) mit demſelben eine Thraͤne. Er verſicherte mir in aller Gegenwart (der garſtige Menſch!) ich duͤrfte mich nicht vor meinen Eltern fuͤrchten, die mich hertzlich liebeten. Wie war es mir moͤglich, mein Schatz, einem ſolchen Mann freundlich zu begegnen, dem kein wahres Wort auf der Zunge ſchwebte?

Als der Wagen vorfuhr, fragte er mich: ob ich etwas dagegen haͤtte, daß wir auf das Gut in der Grafſchaft Hertford fuͤhren? der Lord M. halte ſich jetzt in der Grafſchaft Berck auf.

Jch antwortete: vor jetzt wollte ich zu keinem von ſeinen Verwanten reiſen; denn das wuͤrde of - fenbar laſſen, als wenn ich in meine Verwanten ein Mistrauen ſetzte. Wenn ich meiner eigenen Wahl folgen duͤrfte, ſo ſehnete ich mich nach einem Aufenthalt, da ich verborgen und fuͤr mich ſeyn koͤnnte, und er ſollte mich ſo lange verlaſſen, bis ich hoͤrte, wie es bey meinen Freunden ausſaͤhe. Jch haͤtte zwar ohnehin wenige Hoffnung zu einerE 4Aus -72Ausſoͤhnung mit ihnen: allein dieſe wenige Hoff - nung muͤſſe gantz verſchwinden, wenn ſie erfuͤhren, daß ich mich bey ihm oder bey ſeinen Anverwan - ten aufhielte. Das eine wuͤrden ſie eben ſo uͤbel deuten als das andere.

Er gelobete mir heilig: mein Wille ſollte ſein Geſetz ſeyn. Er daͤchte aber noch; London ſey fuͤr mich der ſicherſte Ort. Wenn ich dort in Si - cherheit waͤre, ſo wollte er ſich von mir entfernen. Allein er wollte nicht in mich dringen, da er ſaͤhe daß ich keine Luſt zu dieſem Vorſchlage haͤtte.

Er that mir den Vorſchlag, und ich bewilligte ihn: daß ich in einem Wirts-Hauſe nicht weit von der Forſt (ſo nannte er ſeines Onckels Gut in die - ſer Grafſchaft) bleiben ſollte. Hier erhielt ich zwey Stunden von ihm, die ich allein ſeyn konn - te. Jch ſagte ihm: ich wollte ſie anwenden an Sie, und an meine Schweſter zu ſchreiben, um den Meinigen von meinem Befinden Nachricht zu geben, wenn ſie gleich nicht viel darnach fragten, und um meine Kleidung, um einige Buͤcher und die funfzig Guineas zu bitten, die ich zuruͤck ge - laſſen haͤtte.

Er fragte mich: ob ich auch auf die Addreſſe gedacht haͤtte, unter der ſie mir antworten ſollten?

Nein! in Wahrheit nicht! Jch waͤre noch gar zu ſehr ein Neuling in dergleichen

Er auch! allein es ſey ihm nur zu gutem Gluͤck beygefallen. (Ein gottloſer Luͤgner!) Jch will ih - nen aber (fuhr er fort) wol einen Rath geben, wieſie73ſie es anfangen koͤnnen. Wenn ſie, gleich nicht nach London reiſen wollen, ſo iſt es doch am be - ſten, daß die Jhrigen glauben, ſie waͤren zu Lon - don: alsdenn werden ſie alle Hoffnung aufgeben, ſie auszufinden. Wenn ſie ſchreiben, ſo legen ſie dieſe Addreſſe ein: in Osgods Hauſe, nicht weit von Soho-Square. Osgod iſt ein ehr - licher Mann: die Briefe gehen ſicher: und ſie wer - den jene dadurch April ſchicken.

April ſchicken! Wen? Meinen Vater? meine Onckles? Allein nun iſt es nicht mehr zu aͤndern. Sehen ſie: er hat alle ſeine Kunſtſtuͤckchen im Griffe.

Jch hatte nichts einzuwenden, und ich habe ſie ſo geſchrieben. Allein was vor Antwort ich bekom - men werde, und ob ich uͤberall Antwort zu hoffen habe, das ſind Fragen die mir vielen Kummer ma - chen. Dieſes iſt mein Troſt: wenn ich eine Ant - wort bekomme, ſo kann ſie, ſollte ſie auch mein Bruder aufſetzen, dennoch nicht haͤrter ſeyn, als die Begegnung, die ich mir zuletzt von ihm und meiner Schweſter habe gefallen laſſen muͤſſen.

Herr Lovelace ging auf anderthalb Stunden aus. So bald er nach Hauſe kam, ſchickte er vier - mahl mit großer Ungeduld an mich, und bat ſich meine Geſelſchaft aus. Jch ließ ihm allemahl antworten: ich ſey beſchaͤftiget: und das letzte mahl ſetzte ich dazu; ich wuͤrde zu thun haben, bis das Eſſen fertig waͤre. Er trieb daher ſehr, daß alles geſchwind zubereitet werden ſollte, wie ich einige mahl hoͤrte. Der Koch und die Bedienten beka -E 5men74men einige Fluͤche dabey zum beſten. Dieſes iſt auch eine von ſeinen Tugenden. Bey Tiſche ſuch - te ich ihn wegen ſeiner unbedachtſamen Reden ſchamroth zu machen.

Jch hatte gehoͤrt, daß er unten uͤber ſeinen Die - ner geflucht hatte, dem er doch ſelbſt das Lob giebt, daß er ein guter Bedienter ſey. Jch ſagte daher zu ihm: das iſt ein elendes Leben, wenn einer ein Wirthshaus haͤlt.

Ey nein! die Leute haben es gut genug. War - um bedauren ſie aber die Kerls, die ſich auf an - derer Unkoſten etwas zu gute thun?

Wegen der Einquartirung. (†)Jn England pflegen die Soldaten blos in die Wirths-Haͤnſer eingelegt zu werden.Jch glaube, die meiſten Soldaten ſind Boͤſewichter. Gott be - huͤte, wie habe ich einen vor einer Viertheil-Stun - de fluchen hoͤren. Aus der Antwort die ihm der Bediente mit einer ſanften Stimme gab merckte ich, daß er einen guten geduldigen Menſchen vor ſich haben muͤßte. Das Sprichwort hat Grund, wenn man ſagt: er ſchwoͤrt wie ein Landes - Knecht.

Er biß ſich auf die Lippen: ſtand auf, kehrte ſich um, trat vor den Spiegel, und ſchaͤmte ſich recht dreiſte. Ja! (ſagte er) Fraͤulein, die Sol - daten ſind ſchlimme Kerls. Die Officiers ſollten ſie ſtraffen.

Das iſt wahr! Straffe verdienen ſie. Schwoͤ - ren iſt ein Laſter, das gar nicht maͤnnlich laͤſt,und75und Fluchen iſt eine eben ſo niedertraͤchtige und armſeelige Gewohnheit. Der liederliche Menſch verraͤth dadurch ſeine Ohnmacht und ſeine Bos - heit. Wenn er ſo ſchaden koͤnnte als er flucher, ſo wuͤrde er ein Teuffel ſeyn.

Eine artige Anmerckung, Fraͤulein! bey mei - ner Seele. Dem erſten Soldaten, den ich flu - chen hoͤre, will ich wieder ſagen, was er vor ein armſeeliger Tropf ohne Hertz iſt.

Frau Greme kam, mir ihre Aufwartung zu machen, wie es Herr Lovelace nennet. Sie bat mich ſehr, daß ich mich auf ſeiner Gnaden Gut begeben moͤchte. Sie erzaͤhlte mir, wie viel Gutes ſie von dem Lord ſelbſt, und den beyden Baſen, ja von allen in der Familie von mir ge - hoͤret haͤtte; und wie ſehr ſie ſeit einigen Mona - then die Ehre gewuͤnſcht haͤtten, von der ſie hoffe - te, daß ich ſie ihnen nun goͤnnen wuͤrde.

Dieſes machte mich vergnuͤgt; weil ich aus dem Munde einer ehrlichen Frau hoͤrte, daß mir Herr Lovelace die Wahrheit geſagt hatte.

Jch fragte ſie, ob ſie nicht eine Wohnung fuͤr mich wuͤßte. Sie ſchlug mir hierauf das Haus ihrer Schwiegerin vor, welches zwey deutſche Mei - len von dem Gute laͤge. Hier befinde ich mich jetzt. Am allerbeſten gefiel mir daß Herr Lovelace, (auf deſſen Winck ſie Acht gab) ſie von freyen Stuͤcken erſuchte, ſich zu mir in die Kutſche zu ſetzen, und mich hieher zu begleiten. Er ſelbſt rit - te mit zwey ſeiner eigenen Bedienten, und einem Bedienten des Lord M. neben der Kutſche her.

Jch76

Jch habe Jhnen ſchon in meinem vorigen Brief gemeldet, daß das Haus ſehr unbequem iſt. Herr Lovelace war misvergnuͤgt daruͤber; und obgleich Frau Greme ſelbſt zum voraus geſagt hatte, die Zimmer ſchickten ſich nicht fuͤr uns, ſo warf er ihr doch vor, ihre Beſchreibung davon ſey beſſer geweſen, als er ſie in der That finde. Das Haus ſey eine Viertheil-Meile von der Stadt ab - gelegen: es ſey noch ſo viel Gefahr vorhanden, als daß er ſich ſo weit von ihr entfernen koͤnnte. Die Zimmer waͤren auch nicht ſo abgeſondert von ein - ander, daß ich ihm erlauben koͤnnte, eines davon zu bewohnen.

Daß mir dieſes wohl gefiel, brauche ich Jhnen nicht zu berichten.

Unterweges habe ich mit Frau Greme viel von ihm geredet. Sie beantwortete alles frey und oh - ne Furcht, was ich ſie fragte. Sie hat eine Ernſt - haftigkeit an ſich, die mir wohl gefaͤllt.

Jch brachte ſie ſo weit, daß ſie mir folgende Beſchreibung von ihm machte, die mit der Nach - richt des abgedanckten Haushalters ziemlich uͤberein koͤmmt; und daraus ich ſehe, daß alle Bediente gleiche Gedancken von ihm haben.

Herr Lovelace ſey ein freygebiger Herr. Man koͤnnte faſt nicht ſagen, ob ihres Herrn Bediente mehr Furcht oder mehr Liebe gegen Herrn Lovelace haͤtten. Seine Gnaden hielten ungemein viel auf ihn, und bey ſeinen beyden Tan - ten ſtehe er ſehr wohl. Die beyden Fraͤuleins Montague waͤren von ſo gutem Gemuͤth, daßman77 man ſie ſich nicht beſſer wuͤnſchen koͤnnte. Sein Onckle und Tanten haͤtten ihm einige Partheyen vor meiner Zeit vorgeſchlagen: ſie haͤtten ihm auch nachher noch einige Vorſchlaͤge gethan, weil ſie die Hoffnung verlohren gegeben haͤtten, mich und meine Freunde zu gewinnen. Sie haͤtte aber wol gehoͤrt, daß er geſagt: er habe gar nicht Luſt zu heyrathen, wenn er mich nicht erhalten koͤnnte. Sein Onckle und ſeine Tan - ten haͤtten ſich die Beſchimpfungen ſehr angezo - gen, die ihm von den Meinigen wiederfahren waͤren. Sie bewunderten mich aber und ſchaͤtz - ten mich ſehr hoch: und deswegen wuͤnſchten ſie, daß er mich heyrathen moͤchte, wenn ich auch keinen Groſchen mit bekommen ſollte, weil ſie glaub - ten, daß ich viel bey ihm ausrichten wuͤrde. Es ſey wahr, Herr Lovelace ſey ein wilder Herr: allein das werde ſich mit der Zeit geben. Der Lord M. finde in ſeinem Umgange viel Vergnuͤ - gen, ſo oft er ſeiner habhaft werden koͤnnte: ſie zerfielen bisweilen mit einander, und alsdenn muͤßte ſein Onckle immer nachgeben. Es kaͤme ihr bey nahe vor, als wenn er ſich vor ihm fuͤrch - tete, denn er thaͤte alles, was Lovelace ha - ben wollte. Sie bedauerte ſehr oft, daß er ſei - ne Gaben nicht beſſer anwendete! allein ſie mein - te er habe gute Eigenſchaften, die den Grund einer dauerhaften Beſſerung enthielten: und er wuͤrde alles gut machen, wenn der gluͤckliche Tag kaͤme, den er wuͤnſchte. Alle ſeine An - verwanten waͤren hievon ſo uͤberzeuget, daß ſie nichts78 nichts ernſtlicher wuͤnſcheten, als ihn verheyra - thet zu ſehen.

So mittelmaͤßig dieſes Lob iſt, ſo iſt es doch beſſer als das, was mein Bruder von ihm ſaget.

Die Leute in dieſem Hauſe ſcheinen dem Anſehen nach ehrliche und arbeitſame Leute zu ſeyn: die Wirthin heißt, Frau Sorlings. Die Haushal - tung ſiehet nicht duͤrftig aus: es ſcheint alles nach der Art voll auf zu ſeyn. Sie iſt eine Wittwe, und hat zwey erwachſene Soͤhne, die mit einander um die Wette arbeiten. Beyde begegnen ihren zwey Schweſtern, die ſtille wohlgezogene Maͤdchens ſind, viel hoͤflicher, als mein Bruder ſeiner Schwe - ſter zu begegnen pflegte. Mir gefaͤllt alles ſo wohl, das ich laͤnger zu bleiben wuͤnſche, als ich zu An - fang vorhatte.

Billig haͤtte ich ſchon meinen Danck abſtatten ſollen, daß ich Jhren guͤtigen Brief vor meiner Abreiſe von St. Albans erhalten habe. Es iſt alles guͤtig, was von einer ſo werthen Freundin kommt. Jch geſtehe es, daß Sie Urſache haden, ſich zu wundern, nachdem ich mich ſo veſt entſchloſ - ſen hatte, meines Vaters Haus nicht zu verlaſſen. Sie werden ſehen, daß ich mich ſelbſt uͤber mich gewundert habe.

Herrn Lovelaces viele und uͤbertriebene Wor - te bringen mir keinen beſſern Begriff von ihm bey. Er verſpricht gar zu viel; und lobet mich abweſend und gegenwaͤrtig all zu ſehr. Die wahre Hoch - achtung beſtehet nicht in Worten: die Worte ſind nicht im Stande ſie auszudruͤcken. Eine ſtilleEhr -79Ehrerbietung, ein furchtſames Auge, eine abge - brochene und unvollkommene Rede, ſind beſſere Zeugniſſe davon, als (nach Schakeſpears Aus - druck.)

Des dreiſten Redners fluͤchtge Zunge.

Bisweilen iſt der Menſch nach ſeiner eigenen Redens-Art gantz entzuͤckt und außer ſich: allein eben dieſes dienet zu meiner Beſchaͤmung, weil ich die Urſachen gar zu wohl weiß, denen ſei - ne Entzuͤckung groͤßeſten-Theils zuzuſchreiben iſt. Sein Sieg uͤber mich macht ihn ſo vergnuͤgt: ich brauche nicht mehr zu ſagen, das eine Wort druͤckt meinen Hochmuth und meine Thorheit vollſtaͤn - dig aus.

Wir ſind durch Nachrichten von ſeinem Spion verunruhiget worden, als verfolgete man uns.

Wie viel tragen doch die veraͤnderten Umſtaͤnde in denen wir uns befinden zu unſerem Urtheil uͤber das was recht oder unrecht ſeyn ſoll bey? Wie ſehr muͤſſen wir uns huͤten, den ewigen Unterſcheid des Nechts und Unrechts nicht aufzuheben, wenn die Sache uns ſelbſt betrifft. Ehemahls ſahe ich es fuͤr niedertraͤchtig an, daß er einen Bedienten mei - nes Vaters beſtochen hatte. Allein nun billige ich bey nahe dieſe Niedertraͤchtigkeit, indem ich mich oͤfters bey ihm erkundige, ob er gar nicht erfah - ren koͤnne, was die Meinigen zu meiner Flucht ſagen. Sie muͤſſen es ohne Zweiffel fuͤr eine vor - ſaͤtzliche, angeſtellete und wohl uͤberlegte Flucht hal - ten. Dieſes iſt fuͤr mich ein Ungluͤck. Wie kannich80ich ihnen aber in meinen jetzigen Umſtaͤnden eine beſſere Meinung beybringen?

Er ſagt: Sie naͤhmen meine Flucht ſehr uͤbel auf; allein ſie ſchienen nicht ſo wohl betruͤbt als erbittert und raſend zu ſeyn. Er koͤnnte kaum die Geduld haben, alle giftige Reden und Drohungen meines Bruders gegen ſich zu dulden. Alle dieſe Geduld wird mir als ein neues Verdienſt um mich auf die Rechnung geſchrieben.

Was fuͤr einen Troſt habe ich durch dieſe eintzi - ge Uebereilung verlohren! zu ſpaͤte ſehe ich, was es fuͤr eine verſchiedene Sache iſt, der beleydi - gende und der beleydigte Theil zu ſeyn. Wie viel wollte ich geben, wenn ich dadurch das Gluͤck erkauffen koͤnnte, daß ich noch jetzt ſagen koͤnnte, ich litte Unrecht, ohne Unrecht zu thun! und daß andere mir lieblos begegneten, ohne daß ich meine Pflicht gegen die, denen ich Pflicht und Gehor - ſam ſchuldig bin, aus den Augen ſetzte!

Mir eckelt vor mir ſelbſt, daß ich den Verfuͤh - rer einer Unterredung gewuͤrdiget habe. Wenn ſich gleich alles gluͤcklich endiget, ſo habe ich doch fuͤr mein Gewiſſen einen Schatz des Kummers ge - ſammelt, der ſich nicht eher als mit meinem Tode endigen wird.

Am meiſten bekuͤmmert mich dieſes; je oͤfter ich den Menſchen ſehe, deſto zweifelhafter werde ich, was ich aus ihm machen ſoll. Jch belaure alle ſeine Geſichts-Zuͤge; allein ſie kommen mir je laͤnger deſto unerforſchlicher vor. Man kann an ſeiner Stirne leſen, daß er Abſichten haben muß:er81er ſiehet nicht ernſthafter aus; er iſt noch eben ſo munter; ich weiß ſelbſt nicht, wie er ausſiehet. Dieſes eine weiß ich, er hat jetzt viel mehr Drei - ſtigkeit als ſonſt in ſeinem Anſehen: eine Gabe, an der es ihm vorhin nicht gefehlet.

Doch hier iſt der Schluͤſſel! Jch ſehe ihn jetzt mit Furcht, weil ich mir bewuſt bin, daß ich ihm durch meine Unvorſichtigkeit allzu viele Gewalt uͤber mich gegeben habe. Er kann mit Recht ein dreiſtes und vornehmes Geſicht annehmen, nach - dem ich aufgehoͤrt habe, das zu ſeyn, was ich mir ſonſt einbildete zu ſeyn, (eine Einbildung, die Leu - ten wohl anſtehet, ſo lange ſie von andern geeh - ret werden) und nachdem mir mein Gewiſſen ſaget, daß ich von ihm uͤberwunden und ihm jetzund als meinen Beſchuͤtzer verpflichtet bin.

Jch werde dieſen Brief, wie den vorigen, durch einen armen Mann beſtellen laſſen, der mit ſei - nem kleinen Kram taglich herum gehet. Er ſoll ihn nach ihrem Befehl in dem Hauſe der Frau Knol - lys abgeben.

Wenn ſie etwas von meinen Eltern und von ih - rem Befinden, oder von der Geſinnung meiner Freunde gegen mich wiſſen; ſo ſeyn Sie ſo guͤtig, mich durch ein paar Zeilen zu benachrichtigen, und ſie dem Ueberbringer dieſes Briefes mit zu geben, wenn ſie anders wiſſen koͤnnen, daß er auf Ant - wort wartet.

Jch fuͤrchte mich, noch die Frage hinzuzuſetzen, ob ſie nach Durchleſung meiner vorigen Erzaͤh -Dritter Theil. Flung82lung etwas finden, das einiger Maaßen entſchul - digen kann

Jhre ungluͤckliche Clariſſa Harlowe.

Der ſechſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Du mahneſt mich wegen meines Verſprechens, daß ich alles genau erzaͤhlen will, was zwi - ſchen mir und meiner Goͤttin vorgehet. Jch habe nie eine beſſere Materie unter der Feder gehabt: ich habe auch Zeit genug, denn wenn es nach ihrem Willen gehet, ſo ſoll mir der Zugang zu ihr nicht leichter werden, als dem unterthaͤnigſten Sclaven die Ehre einen morgenlaͤndiſchen Monarchen zu ſe - hen. Es kann alſo die Saumſeeligkeit im Schrei - ben durch nichts entſchuldiget werden; ſie wuͤrde dem Mangel des guten Willens zuzuſchreiben ſeyn. Weil aber dieſer Mangel in Betrachtung unſerer Freundſchaft und deiner Dienſtfertigkeit, auf mei - nen Winck nach dem weißen Hirſch zu mir zu kom - men, gar nicht entſchuldiget werden koͤnnte; ſo will ich ſuchen mein Wort zu halten.

Du weiſſeſt mit was fuͤr einem Entſchluß ich von dir und deinen Bruͤdern Abſchied nahm, daßwir83wir uns einander wiederſehen wollten, wenn ſie ihr Wort nicht hielte, und daß wir gemeinſchaftlich in Begleitung unſerer Bedienten, zu ihrem finſtern Vater gehen, und uns von dem Tyrannen ein geneig - tes Gehoͤr ausbitten wolten, uns wegen der Freyheit zu beſchweren, mit welcher er und die ſeinigen von uns geredet haben: daß wir endlich ſuchen wollten, durch guͤtliche Mittel (wenn guͤtliche Mittel hin - reichend waͤren) ihn und ſeine Familie zu bewegen, daß ſie ihre Entſchlieſſungen aͤndern, daß ſie der Schoͤnen menſchlicher und mir hoͤflicher be - gegnen moͤchten.

Jch ſagte dir, was ich vor Urſachen haͤtte, nicht nachzuſehen, ob ſie einen Brieff fuͤr mich hin - gelegt haͤtte. Jch hatte Recht. Wenn ich geſucht haͤtte, ſo wuͤrde ich gefunden haben, was ich be - fuͤrchtete, und alsdenn wuͤrde ſie ihr Wort nicht ge - halten haben, mich zu ſprechen. Konnte ſie glau - ben, daß ich nicht ſuchen wuͤrde ſie bey ihrem Wor - te zu halten, nachdem ſie es mehr als einmahl ge - aͤndert hatte? daß ich ſie nicht halten wuͤrde, nach - dem ſie ſich ſo weit mit mir eingelaſſen hatte?

So bald ich hoͤrte, daß ſie aufriegelte, hielt ich mich ihrer ſchon verſichert. Mein Hertz fing mir gleich vor Freude an bis an den Hals zu ſchwellen. Allein als ich meine Goͤttin ſelbſt ſahe, die ſich meinen Augen in ihrem voͤlligen Glantze zeigete, als ich ſie in ihrer artigen obgleich nicht reiſefertigen Kleidung vor mir ſtehen ſahe: da hatte ich Wolcken und Mond unter mir, und ich konnte kaum glau - ben, daß ich noch ein Sterblicher waͤre.

F 2Ur -84

Urtheile du von ihrer Kleidung, ſo wie ſie mir gleich in die Augen fiel, und wie ich ſie fand als ich Zeit hatte, auf alles genauer zu mercken. Du weißt, daß dein Freund ein Kunſtrichter in der Tracht des Frauenszimmers iſt. Jch habe manche ge - lehrt, wie ſie ſich ankleiden ſoll, und manche habe ich auskleiden helfen. Allein bey dieſer Schoͤnen iſt ein natuͤrlicher Schmuck, der alles uͤbertrifft was ich mir unvergleichliches einbilden konnte. Sie gibt ihrem Schmuck die Schoͤnheit, und borget ſie nicht von ihm: das iſt ihr Vorzug.

Erwarte denn einen ſchwachen Entwurff eines Gemaͤhldes ihrer wundernswuͤrdigen Perſon und Kleidung.

Jhr Fleiſch, (Denn ich bin doch endlich der Meinung, daß ſie Fleiſch und Blut hat) welches aus Wachs pußirt zu ſeyn ſcheint, zeiget durch ſeine Zaͤrtlichkeit und Dichtigkeit die Geſundheit ih - res der Unſterblichkeit wuͤrdigen Leibes an. Du haſt oft gehoͤrt, daß ich ihre Farbe geruͤhmt habe. Niemahls habe ich eine ſo unvergleichlich ſchoͤne und faſt ſcheinende Haut geſehen. Thorheit iſt es, von dem Schnee der Wangen und von Lilien zu reden. Auf ihre Waͤſche und Spitzen wuͤrde ſich die Vergleichung ſchicken: allein wenn die Ver - gleichung in Abſicht auf das Geſicht richtig ſeyn ſollte, ſo wuͤrde das Frauenzimmer eine uͤbertuͤnchte Wand ſeyn muͤſſen. Dieſes Kind iſt gantz leben - dig, gantz gluͤend, gantz Fleiſch und Blut, und doch ſo zart, daß eine jede ſchlaͤngelnde Ader durchdie85die Haut ſcheinet, ſo weit es die Gewohnheit er - laubet dieſen liebenswuͤrdigen Leib zu ſehen.

Du haſt gehoͤrt, was ich ſonſt von ihren fliegen - den Locken und hell-blonten Haaren geſagt habe, die weder der Kunſt noch dem Puder etwas ſchul - dig ſind. Sie ſind ſelbſt ein Zierrath; aller ande - re Zierrath muß ſich vor ihnen ſchaͤmen, wenn ſie um einen Hals ſpielen, deſſen Schoͤnheit ich nicht beſchreiben kann.

Jhr Kopf-Schmuck war von Bruͤſſeliſchen Spi - tzen, und ſchickte ſich unvergleichlich zu ihrer Mine und Geſichts-Bildung: ein Himmel-blaues Band erhob die Schnee-weiße Reinlichkeit derſel - ben. Ob das Wetter gleich etwas unfreundlich war, ſo hatte ſie doch weder Hut noch Kappe: denn es auſſer dem, daß ſie ſich gern hart gewoͤh - net, und hiedurch ſo wohl als durch ihre ungemei - ne Maͤßigkeit den beſten Grund zu der Geſundheit eines ſonſt zaͤrtlichen Leibes leget, ſo ſchien es, daß ſie mir ſelbſt durch ihre Kleidung zeigen wollte, ſie werde nicht mit mir gehen. Was meinſt du Bru - der, daß ſo ein Engel ſo ein untreues Hertz haben kann?

Jch habe dir ſchon gemeldet, in was fuͤr Ent - zuͤckung ich geweſen bin, als die aufgeriegelte Thuͤr mich meine Goͤttin ſehen ließ, die ich ſo lange er - wartet hatte. Die Gemuͤths-Bewegungen, die ich in ihrem Geſichte wahrnahm, waren angeneh - mer und hatten mehr von dem an ſich, was dem Frauenzimmer eigen iſt, als die erſten Augen - blicke uͤberſtanden waren. Denn nun fing ſich dasF 3Feuer86Feuer an aus ihren Augen zu verlieren, daß man durch ihre ſanfteren Blicke nicht mehr geblendet ward. Sie zitterte, und konnte die Bewegung eines Hertzens nicht ertragen, das ihr noch nie ſo unge - horſam geweſen war. Sie wollte niederſincken, als ich meine gluͤcklichen Arme um ſie ſchlug, ſie zu halten. Was war das fuͤr ein unſchaͤtzbarer Au - genblick! Wie nahe, wie empfindlich nahe waren einander damahls die zwey ſchlagenden Freunde, die unſere Bruſt bedecket!

An ihrer Kleidung merckte ich, daß ſie ſich gar nicht zur Reiſe geſchickt haͤtte. Weil ich leicht merckte, daß ſie den Vorſatz hatte mich noch ein - mahl vergeblich kommen zu laſſen, ſo wollte ich ſie mit mir fortziehen. Hier erhub ſich ein Streit, ſo hart, als ich ihn nie mit einem Frauenzimmer ge - habt habe. Dein freundſchaffts-volles Hertz wuͤr - de ſich nur betruͤben, wenn ich dir weitlaͤuftig mel - den ſollte, was dein Freund fuͤr ſaure Muͤhe hat anwenden muͤſſen. Jch bat, ich flehete: auf meinen Knieen bat und flehete ich, daß ſie ihr eige - nes Verſprechen erfuͤllen moͤchte: allein alles war vergeblich. Wenn ich nicht zum Voraus auf die - ſen Fall gedacht haͤtte, weil ich wol wußte, mit wem ich zu thun haͤtte, ſo wuͤrde ich gewiß meine Ab - ſicht nicht erreichet haben: und eben ſo gewiß haͤt - te ich ſie auch ohne dich und deine Bruͤder in ihres Vaters Haus begleiten wollen; und wer weiß, was die Folgen hievon geweſen ſeyn wuͤrden?

Der treue Kerl, den ich in der gantzen Sache gebraucht habe, verſtand endlich, obwohl ein wenigſpaͤter87ſpaͤter als ich es wuͤnſchete, mein Zeichen. Du weißt, was ich ihm aufgetragen hatte. Sie kom - men, ſie kommen! fliehen ſie! rieff ich, und zog den Degen ſo fuͤrchterlich aus, als wenn ich ihrer auf einmahl ein halb hundert niederſaͤbeln wollte. Jch ergriff ihre bebenden Haͤnde, und zog ſie ſo geſchwind mit mir fort, daß ich kaum mit ihr gleich lauffen konnte, ob gleich meine Fuͤſſe von der Liebe und ihre von der Furcht hurtig ge - macht wurden. So ward ich ihr Ober-Herr, ihr Gros-Fuͤrſt; oder wie du es nennen willſt.

Jch will dir alles umſtaͤndlich erzaͤhlen, wenn ich dich ſpreche: und denn ſollſt du urtheilen, wie verkehrt ihr Hertz ſeyn muß, und wie viele Hin - derniſſe ich gefunden habe. Du wirſt mit mir uͤber den Sieg froͤlich ſeyn, den ich uͤber eine ſo wach - ſame und ſcharffſichtige Schoͤne erhalten habe.

Siehſt du aber nicht ſchon, (mich duͤnckt zum wenigſten, ich ſehe es) daß die Schoͤne geſchwin - der als der Wind von Liebe zu Liebe flieget? Hat man nicht ein ſolches Spiel? Sieheſt du nicht, daß ſie von Freunden, die ſie nicht zu verlaſſen ent - ſchloſſen war, zu einem flieget, mit dem ſie nicht wegzugehen den Vorſatz hatte? Es bleiben Frau - ens-Leute doch Frauens-Leute. Ein angeneh - mer, ein ſchoͤner Widerſpruch! Hah! Ha! Ha! Ha! Jch muß die Feder hinlegen, um die Haͤnde in die Seite zu ſetzen, daß ich nicht vor Lachen berſte. Denn jetzt muß ich recht auslachen, da mich das Lachen wie ein Fieber uͤberfaͤllt.

F 4Jch88

Jch glaube! ich glaube Ha! Ha! Ha! Ha! ich glaube, Kerl, meine Hunde halten mich fuͤr unſinnig. Eben war einer von ihnen da, kuckte herein, als wenn er ſehen wollte, was mir fehlte, oder mit wem ich lachte. Der Teuffels-Kerl kriegte das Lachen auch, als er wegging. Ha! Ha! Ha! Ein unverſchaͤmter Hund! O Bruder, wenn du wuͤßteſt, was ich mir jetzt einbilde, und wenn du nur mit mir lachteſt; ſo wollte ich das Lachen noch eine Stunde fortſetzen.

Allein unvergleichliche Schoͤne, murre nicht uͤber die Kuͤnſte, durch welche (wie du argwohneſt) deine unnuͤtze Wachſamkeit zu nichte gemacht iſt. Huͤte dich, daß du mich nicht zu neuen Kuͤnſten zwingeſt, die wuͤrdiger ſind gegen dich gebraucht zu werden. Wenn dein Beherrſcher deinen Fall einmahl beſchloſſen hat, ſo ſollſt du ſehr fallen. Du ſollſt Urſache haben, wenn das geſchiehet, was geſchehen moͤchte, (denn warum haſt du unſere Verbindung ſo weit hinausgeſetzt, bis du erſt von meiner Beſſerung uͤberzeuget ſeyn koͤnnteſt?) du ſollſt Urſache haben, mehr uͤber dein Ungluͤck als uͤber dich ſelbſt misvergnuͤgt zu ſeyn. Wenn es auch auf das ſchlimmſte kommt, ſo will ich dir ſolche Bedingungen machen, davon du Ehre haſt. Jch will deiner Guarniſon verſtatten, daß ſie mit allen Ehren-Zeichen die eine tapfre Gegenwehr verdienet, ausziehe; die Klugheit ſoll als Ge - neral voran, und die Wachſamkeit als Gouver - neur hintennach zum Thore hinaus gehen. Allevon89von deinem und meinem Geſchlecht, die von mei - ner Krieges-Liſt und deinem Widerſtande hoͤren, ſollen bekennen, daß die Vertheydigung und Ero - berung der Veſtung gleiche Ehre bringet.

Hoͤre ich dich nicht ſagen, Bruder: du wirſt dich doch nicht unterſtehen, mit einer ſolchen Goͤttin ſo poͤbelhafft zu verfahren! Es iſt ohnmoͤglich, Lovelace, daß du ſo heilige Verſicherungen, ſol - che Eydſchwuͤre brechen ſollteſt.

Es iſt gewiß, daß ich dieſen Vorſatz nicht ge - habt habe. Jch kann nicht, ich darf wegen mei - nes eigenen Hertzens und wegen meiner Ehrfurcht vor ihr nicht ſagen, daß ich ihn jetzt habe. Allein du kenneſt meine Abneigung vor Feſſeln: und habe ich ſie nicht in meiner Gewalt?

Aber, Lovelace, willſt du eine Gewalt mis - brauchen, die

Die was, alberner Kerl? die ich wider ihren Willen bekommen habe.

Die du aber nie bekommen haben wuͤrdeſt, wenn ſie dich nicht allen andern vorgezogen haͤtte.

Und die ich nie wuͤrde erlanget haben, wenn ich ſie nicht allen ihres Geſchlechts vorgezogen haͤtte. So fern iſt gleich gegen gleich. Willſt du von Wort und Ehre reden, ſo frage ich, ob dieſes kei - ne Pflichten ſind, die beyde Theile auf gleiche Art erzeigen muͤſſen? Jſt dieſes, ſo folget daraus, daß beyde Theile ein Zutrauen in einander ſetzen muͤſ - ſen. Was kann ich aber von ihrem Zu - trauen gegen mich ruͤhmen? du weißt die gantze Geſchichte unſeres Krieges, (einen Krieg kann ichF 5es90es mit Recht nennen, ob es gleich noch bey wei - ten kein Krieg in dem Reiche der Liebe iſt) was habe ich von ihr erhalten koͤnnen, als Zweifel, Mistrauen, Verweiſe? und ſie hat von mir die allertiefſte Erniedrigung zu erzwingen gewußt. Jch habe mich ſo heilig ſtellen muͤſſen, daß ihr al - le in Sorgen geweſen ſeyd, ob es nicht Ernſt mit meiner Bekehrung werden wuͤrde. Haſt du nicht ſelbſt meiner oft damit geſpottet, daß mich meine vorige Munterkeit gar nicht kleidete, wenn ich von meinen Wallfarthen zuruͤck kam, und ohne ſie zu ſehen in der naͤchſten Viertheil-Meile um ihres Vaters Garten-Mauer herumgeſchweift war.

Soll ſie vor ſo viel Suͤnden nicht buͤſſen? Jſt es nicht eine niedertraͤchtige Bosheit, einen bra - ven Kerl zu zwingen, daß er ein Kopfhaͤnger wer - den muß.

Du weißſt, was ſie fuͤr ein loſes ſchelmiſches Hertz hat, und wie wenig Bedencken ſie trug, mir etwas zu verſprechen, und nachher ihr Wort zu - ruͤck zu nehmen. Du haſt mit deinen Augen ge - ſehen, wie mich ihre Falſchheit verdroſſen hat. Habe ich nicht in der erſten Hitze das Geluͤbde ge - than, mich an meiner Schoͤnen zu raͤchen? Wenn ich denn noch meineydig werde, was iſt daran ge - legen, ob ich den Eyd nach ihrem Wunſch oder nach meiner Neigung breche? (wie Cromwel ſagte: wenn es entweder mein Kopf, oder des Koͤniges Kopf ſeyn ſoll) die Wahl ſtehet bey mir, kann ich einen Augenblick zweifelhaft bleiben, was ich waͤhlen ſoll?

Aus91

Aus ihrer Behutſamkeit und beſtaͤndigen Be - truͤbniß muß ich ſchlieſſen, daß ſie mir nicht viel gutes zutrauet. Mein Grund-Satz aber iſt: niemanden in dem zu betriegen, was er von mir erwartet.

Allein wie erhaben, wie edel iſt dieſes ſchoͤne Kind! Wer kann ſich ohne Zittern entſchlieſſen, ſie zu beleidigen? Wer kann anders als Mitlei - den mit ihr haben.

Wenn ich aber auf der andern Seite bedencke, wie lange ſie ſich bedacht hat, mit mir zu fliehen, ob ſie gleich durch Drohungen und mit Gewalt mit einem ſolchen Kerl zuſammen geſchmiedet wer - den ſollte, an den ich als an meinen Mit Buhler nicht ohne Verachtung meiner ſelbſt gedencken kann; und daß ſie jetzt ſo verdrießlich und bekuͤm - mert daruͤber iſt, daß ſie etwas gewaget hat: ſo weiß ich nicht, was fuͤr Mitleyden ich ihr ſchuldig bin; inſonderheit da ihr Hochmuth es nicht ein - mahl fuͤr ein Mitleiden erkennen wuͤrde.

Jch entſchlieſſe mich zu nichts. Jch will erwar - ten, was ihr Wille endlich hervor bringen wird, und wohin ſich mein Wille lencket. Jch will dem Streite meiner Leidenſchaften unpartheyiſch zuſe - hen. Je mehr ich aber mit dieſer Schoͤnen um - gehe, deſto weniger iſt ſie in meiner und deſto mehr iſt ſie in ihrer eigenen Gewalt.

Jſt ſie aber nicht eine kleine untreue Thoͤrin. Sie verbietet mir an keine naͤhere Verbindung zu gedencken, bis ich mich bekehrt haben, und bis ih - re unverſoͤhnlichen ihre Natur aͤndern, und ver - ſoͤhnlich werden.

Es92

Es iſt wahr, ſie machte dieſe Bedingung, weil ſie ſich fuͤrchtete, ſie moͤchte ſonſt um ſich ſelbſt be - trogen werden: denn dieſe Redens-Art gebraucht die theure Seele, wie du an ſeinem Orte verneh - men wirſt.

Was fuͤr eine Erquickung iſt es fuͤr meinen Hochmuth, daß ich eine ſo liſtige Schoͤne habe fangen koͤnnen. Jch bin jetzt in meinem Sinn eine halbe Elle groͤſſer als vor dieſem: auf alle an - dern Leute ſehe ich jetzt aus der Hoͤhe herab. Ge - ſtern Abend war ich noch mehr auſſer mir. Jch nahm den Hut ab, um zu ſehen ob die Treſſe ver - ſenget waͤre, denn ich bildete mir ein, ich haͤtte an einen Stern geſtoßen: und ehe ich ihn wieder mit luſtigem Hertzen auſſetzte, war ich faſt Sinnes, den Mond Maulſchellen zu geben. Kurtz meine gantze Seele iſt froͤlich. Jch lache mich in den Schlaaf, und ich wache entweder mit Lachen oder mit Singen auf: Und doch habe ich noch keine nahe Hoffnung, denn ich habe mich noch nicht ge - nug gebeſſert.

Jch ſagte dir ehemahls (wenn du dich deſſen noch erinnerſt) wie bequem ich dieſe Bedingung gegen mein allerliebſtes Kind gebrauchen koͤnnte, wenn ich es nur aus dem Hauſe der Eltern heraus locken koͤnnte, und Luſt hatte meine Schoͤne ſo wohl wegen der Suͤnden ihrer Familie als wegen der vielen Muͤhe und Unruhe zu ſtraffen, die ſie mir ſelbſt gemacht hat. Wie wenig mag ſie dencken, daß dieſe doppelte Schuld noch auf meiner Rech - nung ſtehet; und daß wenn auch mein Hertz weichund93und ihr gantz ergeben iſt, ich nur mein Tage-Buch anſehen darf, um es gegen ſie unempfindlich zu machen.

Dencke daran, unvergleichliches Kind. Mache deine hochmuͤthigen Geberden etwas demuͤthiger. Verlaß dich nicht auf deine Unſchuld und Aufrich - tigkeit, wenn du gegen mich kalt biſt. Jch wer - de dieſes nicht laͤnger dulden. Biſt du nicht in meiner Gewalt? Wenn du mich aber heimlich liebeſt, ſo bilde dir nicht ein, daß dir eine gezwun - gene Verſtellung deiner Liebe bey einem ſo hoch - muͤthigen Liebhaber als ich bin zu ſtatten kommen wird. Sey darin kein Frauenzimmer. Beden - cke uͤber dieſes, daß du alle Suͤnden deiner Fami - lie auf dir haſt.

Aber, o Bruder, wenn ich meinen Engel ſehe, wenn ich Erlaubniß bekomme, dieſe blendende Schoͤnheit zu bewundern, ſo werden alle dieſe Ein - faͤlle (fuͤrchte ich) verſchwinden.

Mein Ende mag endlich ſeyn, welches es will. Der ſcharffe Verſtand meiner liebenswuͤrdigen Feindin macht, daß ich die Feſtung nur durch Untergraben angreifen darf. Als eine Frau kann ich ſie doch noch immer bekommen: das wird in meiner Gewalt bleiben.

Wenn man auf die Univerſitaͤt gehet, ſo koͤn - nen die erſten Wiſſenſchaften die man treibt einem zu allen hoͤhern Wiſſenſchaften nuͤtzlich ſeyn. Ob man ein Juriſte, ein Geiſtlicher, ein Mediciner werden ſoll, das muß nicht vorher ausgemacht, ſondern erſt darnach, wie ſich der junge Menſchan -94anlaͤßt, beſtimmet werden. Auf eben die Weiſe wird einerley ſorgfaͤltige und kluge Auffuͤhrung mir aus ihr entweder eine gute Frau oder eine Geliebte die keine Frau iſt ziehen. Wenn ich mich beſſere, ſo will ich heyrathen. Das eine erfordert Zeit, das muß mein Kind geſtehen. Das andere er - fordert auch Zeit: das ſage ich.

Wie ſchwerme ich? So gehet es, wenn man nicht weiß wozu man ſich entſchlieſſen ſoll.

Jch will dir von allen meinen Neigungen Nachricht geben: von allem, was ich vor und wider die Heyrath habe. Weil ich jetzt zu weit von der Spur gekommen bin, ſo will ich ſchlieſſen. Jch ſchreibe vielleicht alle Tage etwas, und uͤberſende es, wenn ich Gelegenheit habe.

Jn allem was ich ſchreibe, werde ich weder fuͤr Zuſammenhang, noch Wort-Fuͤgung, oder ande - re Geſetze die geringſte Achtung hegen, ſondern blos fuͤr meinen Koͤniglichen Willen und Wohl - gefallen.

Der ſiebente Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch habe Jhre Erzaͤhlung erhalten. Sie ſind noch eben dieſelbe edle und erhabene Fraͤu -lein95lein Harlowe, die Sie immer geweſen ſind: zur Verſtellung, zu Kuͤnſten, und zu Verkleinerung Jhrer Fehler viel zu groß. Jhre Familie iſt die eintzige in der Welt, die eine ſolche Tochter ſo auf das aͤuſſerſte treiben konnte.

Allein Sie muͤſſen die Jhrigen nicht all zu ſehr entſchuldigen. Sie geben ſich ſelbſt, und der Un - terredung mit ihm, ſo voͤllig alle Schuld deſſen, was vorgegangen iſt, daß Jhre aͤrgſten Feinde nichts mehreres ſagen koͤnnten, wenn ſie Jhre Er - zaͤhlung ſehen ſollten.

Nachdem ich dieſe Jhre Nachrichten geleſen, ſo wundere ich mich nicht mehr, daß ein ſo dreiſter und argliſtiger Kopf Jch muß ab - brechen.

Sie haben ſich laͤnger und beſſer gewehret. Abermahls kommt meine argwoͤhniſche Mutter.

Zuͤrnen Sie nicht allzuſehr mit ſich ſelbſt. Haben Sie nicht jedesmahl es ſo gut gemacht, als moͤglich war? Sie haben ſeine Briefe beantwor - tet: allein es war bey nahe Jhre Schuldigkeit, der Schutz Engel Jhrer Familie zu werden, nachdem der eiſerne Ritter das Ungluͤck gehabt hatte zu ſchwaͤrmen, und ſich in Gefahr zu ſtuͤrtzen. Denn wer unter den Jhrigen hat Menſchen-Verſtand? Jhre Frau Mutter nehme ich aus: allein die wird unter der Zucht gehalten.

Ver -96

Vergeben Sie es mir, mein Schatz. Jetzt iſt eben Jhr hoͤltzerner Onckle Anton hier: ein lehr - reicher, eingebildeter, weiſer Ehren-Mann. Geſtern kam er in einer fuͤrchterlichen Kleidung an, und bließ, und ſchnob und ſtampfete in unſerem Saal und Gaſt-Stube auf und nieder, unterdeſſen daß er gemeldet ward.

Meine Mutter kleidete ſich eben an. Die Witwen ſind in ihren Sitten eben ſo ſteif als die funfzigjaͤhrigen Junggeſellen. Um aller Welt Wunder wollte ſie ſich nicht von ihm ſehen laſſen, ehe ſie in ihrem Staat war. Was kann ſie vor eine Abſicht dabey haben?

Er kam, damit er meine Mutter gegen Sie einnehmen, und ihr ſagen moͤchte, wie heftig und unerbittlich die Wut der Jhrigen wegen Jhrer Flucht ſey. Der Ausgang zeigete es.

Der wunderbare Mann verlangte, ſie allein zu ſprechen. Jch bin ſonſt nicht gewohnt, ſolche Ausnahmen zu hoͤren, wenn ſich jemand bey mei - ner Mutter melden laͤßt.

So bald meine Mutter ſteiff und geputzt genug war, kam ſie zu ihm herunter. Die Thuͤr ward abgeſchloſſen. Sie ſteckten ihre beyden lehrreichen Haͤupter zuſammen: ich glaube, ſie hielten ſie recht nahe an einander, denn ich horchete, und konnte kein Wort verſtehen, ſo eifrig ſie auch in ihrer Un - terredung zu ſeyn ſchienen.

Jch hatte es ein paar mahl im Sinne, daß ich ſie noͤthigen wollte, die Thuͤr zu oͤfnen. Jch wuͤr - de gewiß verlangt haben, zu ihnen hinein zu kom -men,97men, wenn ich gehofft haͤtte, daß ich mich wuͤrde maͤßigen koͤnnen. Allein ich fuͤrch - te, daß ich in der Stube bey ſeinem Anblick vergeſſen moͤchte, daß ich in meiner Mutter Hau - ſe bin, und ich mich unterſtehen wuͤrde ihm die Thuͤr zu weiſen. Wie konnte er mir ertraͤglich ſeyn? da er blos in der Abſicht kam, auf meine liebſte und unſchuldige Freundin zu laͤſtern? da ſeine wunderlichen Einfaͤlle Gehoͤr fanden? da ſich beyde zu rechtfertigen ſuchten, er deswegen, daß er mit dazu geholfen hatte, ſie aus ihres Vaters Hauſe zu treiben, und meine Mutter, daß ſie ihr eine Zuflucht abgeſchlagen hatte, in der ſie ſich nach dem Triebe ihres gehorſamen Hertzens mit ihren Eltern ausſoͤhnen konnte? eine Ausſoͤhnung, die meine Mutter billig haͤtte vermitteln ſollen, wenn die Hochachtung aufrichtig geweſen waͤre, die ſie beſtaͤndig vorgegeben hatte. Konnte ich bey dieſen Umſtaͤnden Geduld behalten?

Der Erfolg (wie ſchon gemeldet) zeigete, was ſeine Abſicht geweſen war. Kaum war der alte roſtrige Koͤrper weggegangen, (entſchuldigen Sie mich wegen meiner Freyheit im Schreiben) ſo zei - geten ſich die Fruͤchte ſeines Beſuchs in einem fin - ſtern, zuruͤckhaltenden und recht Harlowiſchen We - ſen, das meine Mutter angenommen hatte. Nachdem ich ein paar empfindliche Ausdruͤcke des - wegen hatte fliegen laſſen, ſo erfolgete ein ernſtliches Verbot, keine Briefe mit Jhnen zu wechſeln.

Hierauf folgeten einige Unterredungen, die eben nicht von der angenehmſten Art waren, wie SieDritter Theil. Gſelbſt98ſelbſt leicht dencken koͤnnen. Jch erkundigte mich: ob ich auch keine Erlaubniß haͤtte, des Nachts von Jhnen zu traͤumen? Denn alle meine Stunden, die ich ſchlaffe, ſind Jhnen eben ſo wohl gewid - met, als in denen ich wache.

Jch kann jetzt den Brief-Wechſel, den Sie mit Jhrem loſen Schelm fortgeſetzt haben, beſſer als vorhin entſchuldigen, ſonderlich, da Sie ſo edle Urſachen zu deſſen Fortſetzung hatten. Denn die - ſes Verbot hat gemacht, daß ich Sie noch zaͤrtli - cher liebe, wenn es anders moͤglich iſt, daß meine Liebe zu Jhnen zunehmen kann; und ich bin nur begieriger geworden, Jhres Briefwechſels zu genießen.

Allein ich habe noch beſſere Gruͤnde. Jch wuͤrde mich fuͤr ſehr veraͤchtlich anſehen, wenn ich eine ſo liebe, eine ſo vortrefliche Freundin in ihrer Noth vergeſſen koͤnnte. Lieber will ich ſterben: und das ſagte ich auch meiner Mutter. Jch habe ſie gebe - ten, daß ſie mich in den Stunden, in denen ich vor mich bin, nicht bewachen, noch von mir ver - langen moͤchte, daß ich beſtaͤndig bey ihr ſchlaffen ſoll, darauf ſie jetzt ſehr ſtarck dringet. Sonſt (ſagte ich) moͤchte ſie lieber aus dem Harlowiſchen Hauſe die Eliſabeth hohlen laſſen, und ſie uͤber mich zur Aufſeherin beſtellen.

Herr Hickman, Jhr groſſer Verehrer, hat ohne mein Wiſſen Jhre Parthey ſo ernſtlich bey meiner Mutter genommen, daß er deswegen bey mir ſehr wohl angeſchrieben iſt.

Jch99

Jch kann jetzt nicht weitlaͤuftig auf alles ant - worten, was ſie geſchrieben haben, wenn ich mich nicht offenbahr mit meiner Mutter uͤberwerfen will. Sie kann nichts als mich plagen, und ſagt alle Stunden einerley, wenn ich es gleich funfzig mahl beantwortet habe. Wie ungluͤcklich muß mein Vater bey ihr geweſen ſeyn. Allein ich muß nicht vergeſſen, an wen ich ſchreibe.

Wenn der geſchaͤfftige Ungluͤcks-Vogel der Lo - velace in der That, wie Sie ihn in Verdacht ha - ben, da kommt meine Mutter abermahls. Ey mit Erlaubniß, ein wenig Geduld! ſie koͤn - nen doch weiter nichts thun, als mich in Verdacht haben, daß ich an die Fraͤulein Harlowe ſchrei - be; und mir einen Verweiß geben, daß ich ſie warten laſſe. Und ſchelten werden ſie doch, ich mag machen was ich will, nachdem ſie ſich ein - mahl von dem alten Anton haben einnehmen laſſen.

Behuͤte GOtt! wie ungeduldig iſt ſie. Jch muß abbrechen.

Eine artige Unteredung haben wir gehabt. Jetzt eben erhalte ich noch einen ſehr ſtrengen Be - fehl, gleich herunter zu kommen. Was fuͤr einen uͤbel zuſammenhaͤngenden Brief werden Sie be - kommen, wenn ich ihn ja in Jhre Haͤnde bringen kann. Doch ich weiß wo ich den Brief hinſchicken will: Herr Hickman hat mir verſpro - chen, ihn beſtellen zu laſſen. Es jammert michG 2ſei -100ſeiner, wenn er ſollte entdeckt werden. Meine Mutter wird mit ihm eben ſo Harlowiſch umge - hen, als mit ſeiner geduldigen Anna Howe.

Donnerstages den 13 April.

Jch bin jetzt ſo gluͤcklich, den Verfolg Jhrer Erzaͤhlung zu erhalten, und mich vor meiner hun - dert-aͤugichten Mutter einige Augenblicke verber - gen zu koͤnnen.

Liebes Kind, ich kann mir allen Kummer, der Sie druͤckt, lebendig vorſtellen. Eine Perſon von ſolcher empfindlichen Tugend und Ehr-Liebe, bey einem ſolchen Menſchen! Allein ich muß kurtz ſeyn.

Der Menſch iſt bey allem ſeinem Hochmuth und Hoͤflichkeit, bey aller ſeiner verſtellten Folg - ſamkeit gegen Jhre Befehle, ein Narre. Allein ſeine geſchwinden Einfaͤlle!

Bisweilen dencke ich, Sie ſollten zu der Lady Eliſabeth reiſen. Jch weiß nicht, was ich Jh - nen rathen ſoll. Jch koͤnnte Jhnen wol einen Rath geben, wenn es Jhnen nicht ſo ſehr am Her - tzen laͤge, ſich mit Jhren Anverwanten wieder aus - zuſoͤhnen. Allein ſie ſind doch alle unverſoͤhnlich; Sie haben von ihnen nichts zu erwarten. Der Zweck des Beſuchs, den Jhr Onckle bey meiner Mutter abgelegt hat, kann Sie hievon uͤberzeu - gen: und wenn Jhre Schweſter Jhnen antwor - tet, ſo werden Sie noch mehr von der Wahrheit uͤberzeuget werden.

Sie101

Sie duͤrfen ſich nicht fuͤrchten, mich zu befra - gen: ob ich bey Durchleſung Jhrer Erzaͤhlung einige Umſtaͤnde finde, die Jhre Schuld verrin - gern. Jch habe Jhnen ſchon vorhin meine Mei - nung deshalb geſaget: und ich wiederhohle es noch mahls: in Betrachtung deſſen, wie mit Jhnen umgegangen iſt, und wie Sie faſt gezwungen ſind zu fliehen, halte ich ſie voͤllig außer Schuld: zum wenigſten ſo ſehr außer Schuld, als je ein Kind hat ſeyn koͤnnen, das jemahls dieſen Schritt gethan hat.

Allein Sie haben ihn nicht einmahl ſelbſt ge - than. Sie wurden von der einen Seite fort ge - ſtoßen und gezwungen, und vielleicht von der an - dern Seite betrogen und hintergangen. Wenn irgend ein Frauenzimmer ſich in Jhren Umſtaͤn - den ſo lange gegen ſeine Verfolger und Verfuͤhrer wehret, als Sie: ſo will ich ihm gern alle Fehler vergeben.

Alle ihre Bekannten reden jetzt von nichts als von Jhnen. Einige gebrauchen zwar Jhre Vor - zuͤge vor andern Frauens-Perſonen als eine An - klage gegen Sie: allein niemand kann Jhren Va - ter und Jhre Onckles frey ſprechen.

Es ſcheint, daß die Urſachen, die Jhren Bru - der und Jhre Schweſter zu einem ſo unnatuͤrlichen Verfahren bewogen haben, uͤberall bekannt ſind. Vermuthlich haben ſie durch ihre ſo oft wiederhohl - ten Anfaͤlle nichts anders geſucht, als Sie zu der Entſchließung zu treiben, die Sie endlich genom - men haben: ohne zu befuͤrchten, daß Sie imG 3Stan -102Stande ſeyn wuͤrden, eine ſolche Entſchließung gluͤcklich auszufuͤhren. Sie wußten, daß wenn Sie einmahl wieder das Hertz Jhrer Eltern ge - winnen ſollten, eine verſoͤhnte Liebe zugleich eine zaͤrtlichere Liebe ſeyn wuͤrde, daß Sie ihre Abſichten an den Tag bringen und zernichten, und alle ihre Kuͤnſte durch Jhren Verſtand und uͤbrigen lie - benswuͤrdigen Eigenſchaften beſiegen wuͤrden. Jch hoͤre, daß ſie ſich jetzt uͤber die Fruͤchte ihrer Bos - heit freuen ſollen.

Jhr Vater will vor Grimm faſt von Sinnen kommen. Er moͤchte aber billig den Grimm ge - gen ſich ſelbſt richten. Alle die Jhrigen beſchul - digen Sie, daß Sie liſtig und verſteckt gehandelt haͤtten, und es iſt ihnen weiß gemacht worden, daß Sie jetzt alle Stunden mit Jhrem Liebhaber daruͤber frohlocketen, daß Jhnen Jhr Streich ge - rathen ſey.

Sie geben insgeſammt vor: den Mittewochen haͤtte nur noch der letzte Verſuch geſchehen ſollen.

Meine Mutter geſtehet, man wuͤrde ſich Jhr Nachgeben zu Nutze gemacht haben, wenn Sie nachgegeben haͤtten. Wenn Sie aber ſich nicht bequemet haͤtten, ſo wuͤrden die Jhrigen den gan - tzen Vorſchlag fahren laſſen, und blos begehret ha - ben, daß Sie Lovelacen auf das heiligſte entſa - gen ſollten. Es mag dieſes glauben, wer Luſt dazu hat. Das geſtehen ſie, daß ein Geiſtlicher hat ſollen gegenwaͤrtig, und Herr Solmes auch bey der Hand ſeyn. Jhr Vater hat zuerſt verſu - chen ſollen, was ſein Befehl bey Jhnen ausrichtenwuͤr -103wuͤrde, und ob Sie ſich bewegen ließen, die Ehe - ſtiftung zu unterzeichnen. Jch mercke, daß alles ohne Zweiffel eine nach der Romaine eingerichtete Erfindung des ausſchweiffenden Kopfes Jhres Bruders iſt. - Jſt es glaublich, daß er und Ara - belle den Weg zu Jhrer Ausſoͤhnung gebahnt haben wuͤrden, ohne das zu erhalten, was ſie vor - hin mit ſolcher Hefftigkeit getrieben hatten?

Man kann ſich beſſer vorſtellen, als mit Wor - ten ausdruͤcken, wie ſie ſich bey der erſten Nachricht von Jhrer Flucht gebeerdet haben.

Es ſcheint, daß Jhre Frau Baſe Hervey die erſte geweſen iſt, die nach dem Sommer-Hauſe ging, um Jhnen Nachricht zu geben, daß die Durchſuchung Jhrer Sachen geendiget ſey. Eliſabeth folgete ihr nach; und als Sie nicht zu finden waren, ſo gingen ſie nach der Waſſer-Kunſt, weil Sie ihnen durch das eine Wort Gelegenheit gegeben hatten, Sie daſelbſt zu ſuchen.

Als ſie durch die Garten-Thuͤr zuruͤck gehen wollten, ſo begegnete ihnen ein Bedienter (vermuth - lich Joſeph Lehmann, ob ſie gleich ſeinen Nah - men nicht nennen) der Herr Lovelacen verfolgt hatte, und mit einem großen Pfahl in der Hand gantz außer Athem zuruͤck lieff, um Lerm in dem Hauſe zu machen. Wenn er es geweſen iſt, und Jhr Verfuͤhrer hat ihn gebraucht, Sie und die Jhrigen zu betriegen: was muß ich denn vor Ge - dancken von Jhrer Geſellſchaft faſſen. Wenn dieſes iſt, ſo entfliehen Sie entweder von Love - lacen, (es verſchlaͤgt nichts, wohin Sie fliehen) G 4oder104oder laſſen Sie ſich bald mit ihm trauen, wenn Sie nicht entfliehen koͤnnen.

Jhre Frau Baſe und die gantze Familie wur - den durch dieſen Kerl in die groͤſſeſte Beſtuͤrtzung geſetzt, und zwar offenbahrlich als es zu ſpaͤt war, Sie zu verfolgen. Sie kamen zuſammen, und nach - dem das allgemeine Aufgebot geſchehen war, lieſ - fen ſie an den Ort der Unterredung, und einige bis an die Spuren der Raͤder, wo der Wagen ge - halten hatte. Nachdem ſie die Erzaͤhlung des Kerls angehoͤrt hatten, ſo erfolgte an dem Ungluͤcks-Orte ein allgemeines Weh-Klagen, einer warf dem an - dern etwas vor, Grimm, Betruͤbniß, Kummer ließen ſich von allen Orten nach der verſchiedenen Gemuͤths-Beſchaffenheit der Jhrigen hoͤren. Alle gingen ſo klug zuruͤck, als ſie gekommen waren.

Jhr Bruder befahl zuerſt, daß Pferde geſatt - let werden ſollten: er, Solmes, Anton und ei - nige gewaffnete Bedienten ſollten Jhnen nachſetzen. Allein ihre Mutter und Frau Hervey widerrie - then es, um nicht Ungluͤck mit Ungluͤck zu haͤuffen. Sie ſtelleten vor: Lovelace wuͤrde ohne Zweiffel auf Mittel gedacht haben, das mit Gewalt durch - zuſetzen, was er angefangen haͤtte. Es kam dazu, daß der Bediente vorgab, bewaffnete Leute geſe - hen zu haben, und daß Sie eben ſo geſchwind als Lovelace gelauffen waͤren, ſo daß ſie kaum die Fuͤße auf die Erde geſetzt haͤtten.

Mei -105

Meine Mutter iſt wegen des Argwohns auſſer Hauſe geweſen, daß ich vielleicht durch die Fraͤu - lein Knollys Briefe mit Jhnen wechſeln moͤchte. Sie pflegt alles auf einmahl zu thun: ſie hat dem - nach einen Beſuch abgeſtattet, und das Verſpre - chen erhalten, daß ohne ihr Vorwiſſen kuͤnftig kei - ne Briefe angenommen werden ſollen. Herr Hick - man hat aber einen Nahmens Filmer, der ein Bauer iſt, ausgemacht, der an dem ſo genannten Fincken-Steige wohnet. Dahin ſchicken Sie Jhre Briefe unter der Auſſchrifft, Johann Soberton. Herr Hickman wird ſie ſelbſt abhohlen, und mei - ne Briefe eben daſelbſt beſtellen. Es iſt mein Vor - theil nicht, daß ich ihn in einer Sache gebrauchen muß, an der mir ſo viel gelegen iſt. Er hat ein gantz anderes Geſicht daruͤber bekommen; und er wird ſich bald anfangen vornehm gegen mich zu gebeer - den. Er thaͤte aber beſſer, wenn er bedaͤchte, daß dieſe Gunſt, die er ſo lange gewuͤnſcht und ge - ſucht hat, ihn in kitzliche Umſtaͤnde bringen kann. Wer die Gelegenheit hat, gefaͤllig zu ſeyn, der kann auch leicht mißfaͤllig werden; und mancher ſollte ſich wuͤnſchen, daß es nie in ſeiner Macht geſtan - den haͤtte, es bey andern zu verderben.

Jch will, wenn es mir moͤglich iſt, einige Zeit Geduld haben, und abwarten, ob ſich die unruhi - ge Neugier meiner Mutter legen wird. Al - lein lange werde ich dieſe Begegnung nicht er - tragen.

G 5Es106

Es kommt mir bisweilen vor, als wenn meine Mutter mit Willen ſo wunderlich iſt, damit ich des Lebens in ihrem Hauſe muͤde werden und mich deſto eher veraͤndern moͤge. Wenn ich auf die Spur komme, und finde, daß Hickman einen An - theil an der Schelmerey hat, ſo will ich ihn nicht wieder vor Augen dulden.

So voller Betrug und Argliſtigkeit Jhr Love - lace auch iſt, wuͤnſchte ich doch, daß Sie mit ihm getrauet ſeyn moͤchten: ſo wuͤrden Sie allen die Spitze bieten koͤnnen, und Sie wuͤrden ſich nicht mehr verſtecken noch von einem unbequemen Ort an den andern fluͤchten duͤrffen. Jch bitte Sie, verſaͤumen Sie keine bequeme Gelegenheit, die ſich hiezu zeiget.

Abermahls meine Mutter!

Wir machen einander ſonderbare Geſichter zu. Sie thut nicht wohl, wenn ſie ſo Harlowiſch mit mir umgehen will. Jch werde es nicht leyden.

Jch habe viel zu ſchreiben, und weiß doch nicht, wo ich den Anfang machen ſoll. Mein Hertz iſt ſo voll, daß es uͤberflieſſen will.

Jch bin in einen abgelegenen Winckel im Garten gegangen, um ihr außer den Augen zu ſeyn. Gott gebe den Muͤttern Verſtand! koͤnnen ſie dencken, daß ſie durch Lauren, durch Argwohn, durch Schel - ten eine Tochter abhalten werden, das zu ſchrei - ben, was ſie ſchreiben will? Sie handelten kluͤger, wenn ſie ſich auf ihre Toͤchter verließen: denn einedles107edles Gemuͤth wird keinen hintergehen, der ein Zutrauen zu ihm faſſet.

Sie muͤſſen behutſam, ungemein behutſam mit Jhrem Lovelace umgehen. Er hat jetzt nur noch einen Weg vor ſich. Jch habe Mitleyden mit Jhnen. Allein Sie muͤſſen ſich in das Loos, das Jhnen wider Jhren Willen zugefallen iſt, ſo gut ſchicken, als Sie koͤnnen. Jch erkenne es, was ſie fuͤr Schwierigkeiten finden. Wenn er aber nur Jhr Zutrauen nicht misbrauchet, ſo wuͤnſchete ich, daß Sie ſich ſtellen moͤchten, als wenn Sie ei - niges Zutrauen zu ihm haͤtten.

Wenn es Jhre veſte Entſchließung iſt, ihn nicht ſo bald zu nehmen: ſo billige ich es, daß Sie ſich an einen Ort begeben, da Sie nicht in ſeiner Ge - walt ſind. Noch beſſer waͤre es, wenn er ſelbſt nicht wuͤßte, wo Sie ſich aufhielten. Jch glaube aber auch dieſes, daß Gewalt wuͤrde gebraucht werden, Sie zuruͤck in ihres Vaters Haus zu brin - gen, wenn ſich die Jhrigen nicht vor ihm fuͤrch - ten muͤßten, und ohne Gefahr an Sie kommen koͤnnten.

Mein Rath, den ich ohnmoͤglich aͤndern kann, iſt dieſer. Wenden Sie ſich an Jhre beyden Vet - tern, denen die Ausfuͤhrung des letzten Willens Jhres Groß-Vaters aufgetragen iſt, und ſuchen Sie zu dem Beſitz Jhres Gutes zu gelangen. Un - terdeſſen liegen bey mir ſechzig Guineas zu Jhrem Dienſt bereit. Jch bitte mir Jhren Befehl des - halb aus. Jch will dafuͤr ſorgen, daß Sie mehr bekommen ſollen, ehe dieſes Geld verzehrt ſeynwird.108wird. Jch glaube nicht, daß Sie einen Groſchen an Gelde oder an Geldes-werth in Guͤte von den Jhrigen erhalten werden.

Weil die Jhrigen glauben, daß Sie den Vor - ſatz gehabt haben, zu fliehen, ſo wundern und freuen ſie ſich, daß Sie Jhre Juwelen und Jhr Geld zuruͤck gelaſſen, und ſo wenig fuͤr Jhre Klei - dung geſorget haben. Sie koͤnnen aus dieſer Freude ſchlieſſen, ob Sie Jhre Bitte erhalten werden.

Es muß ſich in der That jedermann, der das nicht weiß, was ich weiß, uͤber Jhre ſogenannte Flucht wundern. Und was kann man von Jhrer Flucht ſagen, das mit Jhrem Character einiger maßen uͤbereinſtimmet? Soll man ſagen: Sie haͤtten nicht fluͤchten wollen, ob Sie ſich gleich zu der beſtimmten Zeit eingefunden haͤtten? Wer wird das glauben? Oder: eine ſo ſtandhafte und un - gemein vorſichtige Perſon habe ſich uͤberreden laſ - ſen? Wie lautet das? Oder: Sie haͤtten ſich um ſich ſelbſt von ihm betruͤgen laſſen? Wie nachthei - lig wuͤrde Jhnen dieſes ſeyn, wenn es auch die Leute glauben wollten? Und wenn Sie bey einem Menſchen, der einen ſo ſchlechten Nahmen hat, bleiben, ohne ſich mit ihm trauen zu laſſen: wie wird die Welt laͤſtern?

Jch bin begierig den Brief zu ſehen, in wel - chem Sie um Jhre Kleidung bitten. Sie koͤnnen indeſſen verſichert ſeyn, daß Sie das nicht erhal - ten werden, darum ſie bitten; ſondern vielmehr alle Verachtung, die die engen Hertzen der Jhri -gen109gen erdencken koͤnnen. Wie weit werden Sie mit ſieben Guineas kommen? Jch will auch eine Ge - legenheit machen, daß ich Jhnen etwas von mei - ner Waͤſche und Kleidung ſchicken kann. Jch bit - te Sie, ſchlagen Sie dieſes Jhrer Anna Howe nicht eben ſo ab, als wenn es Jhnen von Love - lacen angeboten wuͤrde. Wenn Sie mir dieſe Gefaͤlligkeit verweigern, ſo muß ich glauben, daß Sie ſich lieber wollen zwingen laſſen, ihm fuͤr die - ſes Geld verbunden zu werden, und nicht, daß Sie mir die Liebe nicht haͤtten erzeigen wollen. Und wenn ich dieſes finde, ſo weiß ich nicht, wie ich es mit Jhrer uͤbrigen Vorſichtigkeit reimen ſoll.

Geben Sie mir von allem recht genaue Nach - richt, was zwiſchen Jhnen und ihm vorgehet. Meine Sorgfalt fuͤr Sie, ſo unnoͤthig und uͤber - fluͤßig ſie auch wegen Jhrer eigenen Klugheit iſt, macht, daß ich dieſes wuͤnſche. Wenn irgent et - was vorgehet, das Sie mir muͤndlich erzaͤhlen wuͤrden, fals wir uns ſprechen ſollten, ſo tragen Sie kein Bedencken, es auch auſzuſchreiben, ob Sie gleich nach dem Mistrauen, das Sie in ſich ſelbſt zu ſetzen pflegen, es nicht fuͤr werth halten, aufgeſchrieben oder von mir geleſen zu werden. Wer dem Spiel zuſiehet, der merckt oft mehr, als die Spieler ſelbſt. Es ſind Kleinigkeiten, die oft große Leute gluͤcklich oder ungluͤcklich machen: und ſo pflegen auch im gemeinen Leben Kleinigkeiten oft große Folgen zu haben.

Wenn110

Wenn ich alle Umſtaͤnde erwege, ſo glaube ich nicht, daß Sie ſich nach eigenem Belieben von ihm loßmachen koͤnnen. Jch habe Jhnen dieſes zum voraus geſagt. Jch ſchreibe es deswegen noch - mahls: wenn ich an Jhrer Stelle waͤre, ſo wollte ich mich zum wenigſten ſtellen, als wenn ich Ver - trauen zu ihm haͤtte. Dieſes ſollen Sie thun, ſo lange als er den Wohlſtand durch nichts verletzet. Ein ſolches Verſehen, das ihn ſchlechterdings al - les Vertrauens unwuͤrdig machen ſollte, muͤßte nicht geringe ſeyn, und einer Perſon von ſo em - pfindlicher Vorſichtigkeit ſehr deutlich in die Au - gen fallen.

Aus dem, was Jhr Onckle Anton zu meiner Mutter, und ſie zu mir mit der angehaͤngten Dro - hung, daß Sie den Endzweck Jhrer Flucht nicht erhalten ſollten, geſagt hat, ſehe ich, daß die Jh - rigen erwarten, daß Sie Jhre Zuflucht zu der Lady Eliſabeth nehmen, und daß ſich dieſe in das Mittel ſchlagen werde. Sie haben den veſten Vorſatz gefaſſet, keine Vorſchlaͤge zur Verſoͤhnung anzuhoͤren, die von der Seite kommen. Sie ſoll - ten lieber deutlicher heraus ſagen, daß ſie ſich gar nicht verſoͤhnen wollen. Denn dafuͤr will ich wohl ſtehen, daß Jhr Bruder und Schweſter ihnen ſo viel in den Ohren liegen werden, daß ſich ihre Hitze ohnmoͤglich wird abkuͤhlen koͤnnen: zum we - nigſten werden ſie dieſes ſo lange hindern, bis Va - ter und Onckles ſolche Einrichtungen gemacht ha - ben, als ſie ſelbſt wuͤnſchen.

Weil111

Weil Jhnen dieſer Brief von einer Veraͤnde - rung des Orts, an den die kuͤnfftigen Schreiben geſchickt werden koͤnnen, Nachricht giebt, ſo uͤber - ſende ich ihn durch einen zuverlaͤßigen Freund von Herrn Hickman. Er hat in Sorlings Nach - barſchaft etwas zu thun, und er kennet die Sorlings. Dieſen Abend gedenckt er zu Herrn Hickman zuruͤck zu kommen, und kann ei - nen Brief mitnehmen, wenn Sie einen fertig ha - ben oder fertig machen koͤnnen. Es iſt jetzt Mond - Schein, er wird deswegen auf Jhr Schreiben ohne ſeine Beſchwerlichkeit warten koͤnnen. Jch will die Briefe nicht gern (zum wenigſten nicht vor das erſte) durch Herrn Hickmans Bedienten ſchicken. Eine jede Stunde iſt oder kann fuͤr Sie von Wichtigkeit ſeyn, und ſolche Umſtaͤnde her - vor bringen, um welcher willen Sie Jhre Ent - ſchließungen aͤndern muͤſſen.

Jch kann hier in dem Garten hoͤren, daß mei - ne Mutter ſchrecklich rufft, und das gantze Haus in Unruhe ſetzt. Sie wird ſich bald die Muͤhe ge - ben ſich nach mir und meiner Beſchaͤfftigung zu er - kundigen. Leben Sie wohl. Gott bewahre Sie, und ſchencke Sie mit eben ſo unbeflecktem guten Nahmen als Jhr Hertz rein iſt, wieder

Jhrer ergebenſten Anna Howe.

De112

Der achte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Es ſchmertzet mich ungemein, meine beſtaͤndig werthe und beſtaͤndig guͤtige Freundin, daß ich das Ungluͤck habe, die Urſache eines Misver - ſtaͤndniſſes zwiſchen Jhrer Frau Mutter und Jh - nen zu ſeyn. Wie viele Leute habe ich betruͤbet!

Jch wuͤrde die allerungluͤcklichſte Perſon ſeyn, wenn ich mich nicht damit troͤſten koͤnnte, daß bey meiner Uebereilung keine Bosheit geweſen iſt. Jch bin dadurch genug geſtrafft, daß ich meinen guten Nahmen eingebuͤßt habe, der mir lieber als das Leben war, und daß ich auf eine quaͤlende Weiſe zwiſchen Furcht und Hoffnung ſchwebe, die eine um die andere ſtaͤrcker werden, und mein Hertz abwechſelnd nagen.

Jch bin der Meinung, daß Sie Jhrer Frau Mutter gehorchen, und ſich des Briefwechſels mit einer ungluͤcklichen Perſon entſchlagen muͤſſen. Neh - men Sie ſich in Acht, daß Sie nicht in meine Suͤn - de fallen: der Anfang dazu war ein verbotener Briefwechſel, von dem ich glaubte, daß ich ihn nach eigenem Belieben wuͤrde abbrechen koͤnnen. Das Schmieren iſt meine Natur: und ich war deſto leichter zu verfuͤhren, weil ich ein Vergnuͤgen andem113dem Schreiben finde. Jch meinte uͤber dieſes lo - benswuͤrdige Abſichten zu haben; und es war eine Zeit, da alle meine Verwanten meinen Briefwech - ſel billigten.

Jedoch, ſo bereit ich bisweilen bin, meinen an - genehmſten Briefwechſel zur Beruhigung Jhrer Frau Mutter zu verleugnen; ſo ſehe ich doch nicht, was es ſchaden kann, wenn wir bisweilen an ein - ander ſchreiben; ſonderlich da meine Briefe voll Reue und Anklage meiner ſelbſt ſind. Sie haben ſo viel Klugheit und Behutſamkeit, und dabey nicht die geringſte Verſuchung, meinem Beyſpiel nach - zufolgen.

Jch dancke Jhnen von Hertzen fuͤr Jhr guͤtiges Anerbieten. Seyn Sie verſichert, daß ich durch eine ſolche Wohlthat lieber Jhnen, als irgend einem Menſchen unter der Sonnen, verpflichtet ſeyn woll - te: inſonderheit lieber als dem Herrn Lovelace. Wenn ich Jhre Guͤtigkeit verbitte, ſo meinen Sie nicht, daß ich mich in die Umſtaͤnde ſetzen will, in denen ich ſie von ihm annehmen muͤßte.

Ohngeachtet deſſen was Sie ſchreiben, will ich die Hoffnung noch nicht fahren laſſen, mein weniges Geld und Kleidung von Hauſe zu bekommen. Die Meinigen, oder zum wenigſten einige unter Jhnen, ſind zu verſtaͤndig, als daß ſie mich in ſo armſee - lige Umſtaͤnde ſtuͤrtzen werden. Vielleicht werden ſie ſich nicht uͤbereilen, mir dieſe Gefaͤlligkeit zu erzeigen: allein ich werde auch den Mangel nicht ſo gleich empfinden. Jch glaube, Sie ſelbſt wer - den nicht der Meinung ſeyn, daß ich wider ſeinenDritter Theil. HWil -114Willen die Reiſe-Koſten und die Wohnung be - zahlen ſoll, bis ich eine beſtaͤndigere Wohnung ha - be: allein ich hoffe auch dieſe Art der Verpflich - tung nicht lange mehr gegen ihn zu tragen.

Aus Jhrer Nachricht von dem Beſuch meines Onckles kann ich freylich ſehr wenig Hoffnung zur Verſoͤhnung mit den Meinigen ſchoͤpfen, da er ſich Muͤhe gegeben hat, Jhre Frau Mutter gegen ei - ne Perſon aufzubringen, die er ehemahls ſelbſt liebete, und die jetzt faſt von allen Freunden ver - laſſen iſt. Allein iſt es nicht meine Schuldigkeit, einen Verſuch zu thun? Soll ich deswegen, weil ſie empfindlich ſind, auch durch Halſtarrigkeit und Empfindlichkeit den Bruch noch groͤßer machen? Sie haben nach dem, was ſie wiſſen, Recht, empfind - lich gegen mich zu ſeyn, weil ſie meine Flucht fuͤr freywillig und uͤberlegt anſehen, und ſich haben weiß machen laſſen, daß ich noch mit dem ihnen ſo verhaßten Lovelace uͤber ſie frohlocken kann. Jch werde mir weniger vorzuwerfen haben, wenn ich alle moͤgliche Mittel der Verſoͤhnung anwende. Dieſe Betrachtung haͤlt mich zuruͤck, Jhrem Rath zu folgen, und mich mit ihm trauen zu laſſen: inſon - derheit, da er ſich meine Bedingung, oder wie er es nennet, meinen Befehl mit der groͤßeſten Hoͤflichkeit und Unterwerffung gefallen laͤßt. Eben dieſe Urſachen halten mich auch ab, mich zu ſeinen vornehmen Ver - wantinnen zu begeben, deren Vermittelung die Meinigen laut Jhres Briefes ſchon zum voraus verwerfen. Jch ſetze alle meine Hoffnung auf die Ankunft des Obriſten Morden. Denn ich dencke,wenn115wenn ich nur in mittelmaͤßig-ertraͤglichen Umſtaͤn - den ſeine Ankunft abwarten kann, ſo muß alsdenn alles leichter und gluͤcklicher gehen, als vorhin zu erwarten war.

Wie ſoll ich aber meinen Freunden Vorſchlaͤge thun, wenn ich den Lovelace nicht bewegen kann, mich auf einige Zeit zu verlaſſen? wenn er mich aber verlaͤßt, und ſie ſollten mich mit Gewalt wie - der in ihre Haͤnde bekommen, wuͤrden nicht die allerhaͤrteſten Zwangs-Mittel gegen mich gebraucht, und durch meine Flucht in den Augen der Welt ge - rechtfertiget werden? Sie meinen aber, daß mei - ne Freunde Gewalt gebrauchen wuͤrden, wenn die Furcht vor ihm ſie nicht abhielte. So lange wir aber unverheyrathet, und dennoch beyſammen ſind, geben wir (wie Sie richtig bemercken) der Welt Gelegenheit zu laͤſtern. Soll ich alſo um gleichſam die Ueberbleibſel meines guten Nahmens zu retten, auf die gnaͤdigen Lippen dieſes Menſchen Acht ha - ben, wenn es ihnen belieben moͤchte, den Antrag von neuen zu thun?

Jch will Jhr Verlangen erfuͤllen, und Jhnen von allen dem, was zwiſchen uns vorgehet, Nach - richt geben. Bisher habe ich nichts in ſeiner Auf - fuͤhrung bemerckt, daruͤber ich in einem hohen Grad misvergnuͤgt ſeyn koͤnnte. Allein ich glau - be doch nicht, daß ſeine Ehrerbietung gegen mich ungezwungen und eine Frucht ſeines Hertzens ſey; ob ich gleich nicht eigentlich ſagen kann, woran ich das Gegentheil mercke.

H 2Er116

Er iſt ohne Zweifel ein hochmuͤthiger Menſch, und wo er einen Finger breit hat, da nimmt er ſich eine Hand breit. Er iſt nicht ſo artig, als er in Betrachtung ſeiner Erziehung und anderer Vor - theile ſeyn koͤnnte. Er ſcheint einer von denen zu ſeyn, die allzuvielen Willen gehabt und deswegen nie gelernet haben, ſich nach andern zu beque - men.

Was das anlanget, daß ich einiges Vertrauen in ihn ſetzen ſoll, ſo bin ich bereit in dieſem und allen andern Stuͤcken Jhrem Rath zu folgen, wenn er nur anfaͤngt es zu verdienen. Allein nachdem er mich auf eine hinterliſtige Art wider meine Ein - ſicht und Neigung aus meines Vaters Hauſe ge - locket hat, ſo kann weder er noch ſonſt jemand er - warten, daß ich ihm ſo gleich freundlich begegnen ſoll, gleich als wenn ich die Wohlthat erkennete, daß er mich entfuͤhret hat. Wenn ich dieſes thaͤte, ſo muͤßte er glauben, daß ich mich entweder vor - hin ſehr verſtellet haͤtte, oder daß ich mich jetzt ver - ſtellete.

Jch moͤchte mir die Haare ausreißen, wenn ich das uͤberlege, was Sie ſchreiben, daß ich mich vermuthlich vor dem Mittewochen ohne Urſache ge - fuͤrchtet habe, und finde, daß ich von dem Men - ſchen durch ſeinen gottloſen Joſeph Lehman (wie ich faſt nicht mehr zweifeln kann) dergeſtalt betrogen bin. Es iſt eine recht uͤberlegte und kuͤnſt - liche Bosheit. Waͤre es nicht ein Selbſt-Ver - rath, wenn ich bey einem ſolchen Menſchen nicht wachſam und argwoͤhniſch waͤre? Was fuͤr einbe -117betruͤbtes Leben iſt das fuͤr ein Hertz, das ſo wenig zum Argwohn geneigt iſt, als das meinige?

Jch bin dem Herrn Hickman ſehr verbunden, daß er unſern Briefwechſel ſo willig und ſo guͤtig befoͤrdert. Er ſcheint ſo wenig Hoffnung zu ha - ben, daß ihm die Tochter dieſen Dienſt dancke, daß ich ſehr bekuͤmmert bin, wenn er die Gunſt der Mutter daruͤber verlieren ſollte.

Jch bin jetzt in den Umſtaͤnden, daß ich andern muß verbunden ſeyn. Jch muß mich in das ſchi - cken, was ich nicht aͤndern kann. Wo habe ich Gelegenheit, die mir ſonſt ſo angenehme Gelegen - heit, andern eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen? Jch will das ſagen: ich fuͤrchte, daß ich jetzt nicht mehr ſo viel bey Jhnen gelten kann als ſonſt, nachdem ich mich ſo ſehr uͤbereilet habe. Jch will dem ohngeachtet aber mich nicht ſelbſt herunter ſetzen, noch mich freywillig des Rechts begeben, das Sie mir ſonſt zu geſtatten pflegten, Jhnen das zu ent - decken, was ich an Jhnen auszuſetzen habe.

Sie muͤſſen mir erlauben, ſo hart auch Jhre Frau Mutter gegen meine unvorſaͤtzliche Schuld iſt, dennoch zu ſagen, daß ich Sie wegen Jhrer Hef - tigkeit gegen Jhre Frau Mutter nicht entſchuldigen kann. Jch will an eine andere Sache jetzt nicht ein - mahl gedencken, die mir aber dennoch gewiß ſehr na - he gehet, nehmlich wie Sie ſich von den Meinigen faſt ohne einigen Unterſcheid ausdruͤcken.

Wenn Sie um Jhrer ſelbſt willen mit den em - pfindlichen Reden Jhrer Mutter nicht Geduld ha - ben wollen, ſo thun Sie es doch um meinet willen. H 3Denn118Denn ſonſt wird ſie befuͤrchten, daß mein boͤſes Vorbild ein Sauerteig ſey, der in dem Gemuͤth ihrer lieben Tochter gaͤhren koͤnnte. Wuͤrde nicht eine ſolche Furcht mich ihrer Wohlgewogenheit auf ewig berauben.

Jch lege die Abſchrift meines Briefes an meine Schweſter bey, die Sie zu ſehen verlanget haben. Sie werden bemercken, daß ich zwar mein Gut nicht eigentlich wiedergefodert habe, dennoch aber einen Winck gebe, ob mir nicht erlaubt werden moͤchte, mich dahin zu begeben. Mit wie großer Freude wollte ich mein Wort erfuͤllen, wenn mein abermahliges Anerbieten angenommen wuͤrde! Jch glaube, Sie werden mit mir darin einig ſeyn, daß ich in meinem Briefe nichts davon habe mel - den muͤſſen, daß ich wider meinen Willen zu der gewageten That gezwungen bin.

Jch bin, wertheſte Freundin Jhre ſtets verpflichtete und ergebenſte Cl. Harlowe.

Der neunte Brief An Fraͤulein Arabella Harlowe.

(Eine Beylage zu dem vorigen Briefe.)

Liebe Schweſter

Jch bekenne, daß ich etwas unternommen ha - be, welches bey dem erſten Anblick ſehrun -119unbeſonnen und ungehorſam zu ſeyn ſcheinet. Jch wuͤrde es auch gewiß fuͤr eine Handlung ge - halten haben, die ſich gar nicht entſchuldigen ließe, wenn etwas gelinder mit mir verfahren waͤre, als auf die letzte Zeit geſchehen iſt, und wenn ich we - nigere Urſache gehabt haͤtte zu befuͤrchten, daß ich einem mir unertraͤglichen Manne aufgeopfert wer - den ſollte. Allein was einmahl geſchehen iſt, das kann nicht mehr geaͤndert werden. Jch moͤchte ſonſt wol wuͤnſchen, daß es nicht geſchehen waͤre, und daß ich mich auf meine lieben Eltern mehr ver - laſſen haͤtte, die ſich doch endlich wuͤrden haben er - bitten laſſen. Jch habe keine andere Urſache, die - ſes zu wuͤnſchen, als die Triebe eines kindlichen Hertzens gegen meine Eltern. Jch bin auch be - reit unter den Bedingungen, die ich ehemahls vorgeſchlagen habe, zu ihnen zuruͤck zu kehren, wenn ich nicht Erlaubniß erhalten kann, mich nach meinem Gute zu begeben.

Wenn ich nur nicht weiter getrieben werde, ſo werde ich in keine Art der Verpflichtung gegen die Perſon treten, deren Huͤlfe ich mich ungern bedienet habe: in keine Verpflichtung, die mit meinen uͤbrigen Pflichten ſtreitet.

Zwinget mich nicht zu einer Zeit, auf welche ſo vieles ankoͤmmt, zu ſagen, daß ich zwar ſeine Schweſter, aber keine Freundin habe. Meine Eh - re leydet jetzt; und dieſe iſt mir lieber als mein Le - ben, was ihr auch aus meiner letzten Handlung fuͤr Gedancken von mir ſchoͤpfet. Einige Gelin - digkeit wird im Stande ſeyn, meine Ehre zu ret -H 4ten,120ten, und die Welt glaubend zu machen, daß das nur ein kurtzes Misverſtaͤndniß geweſen ſey, was ſonſt leicht ein unausloͤſchlicher Fleck fuͤr eine un - gluͤckliche Perſon ſeyn kann, der die Jhrigen ſeit einiger Zeit ſehr unfreundlich begegnet ſind, wenn ich die Sache mit dem gelindeſten Worte ausdruͤ - cken ſoll.

Wenn Jhr demnach bey Ueberlegung aller Um - ſtaͤnde der Meinung ſeyd, daß ich einen Fehler begangen habe, ſo ſucht ihn nur nicht zu vergroͤſ - ſern. Um Euer ſelbſt willen, um meines Bru - ders willen, um der beyden Perſonen willen, die mich in dieſes Ungluͤck geſtuͤrtzt haben, um der gantzen Familie willen vergroͤßert ihn nicht, und machet den Bruch nicht weiter. Suchet nicht den guten Nahmen einer Schweſter auf ewig zu be - flecken. Dieſes bittet

Eure ergebenſte Cl. Harlowe.

P. S. Jch werde es fuͤr eine große Gefaͤlligkeit anſehen, wenn mir meine Kleider nebſt den funf - zig Guineas, die ich in dem Schreib-Jiſch zuruͤck gelaſſen habe, ſogleich geſchickt werden. Den Schluͤſſel uͤberſende ich hiebey. Jch wuͤnſche auch meine geiſtlichen und gemiſchten Buͤcher zu haben, und (wenn ſich meine Eltern dazu entſchließen koͤnnten) meine Juwelen. Die Addreſſe iſt: abzugeben in Osgoods Hauſe, nicht weit von Soho-Squaͤre: mit Bitte den Brief zu behalten, bis er abgefodert wird.

Der121

Der zehende Brief von Herr Lovelacen an Herrn Joh. Belford.

Herr Lovelace ſetzt zuerſt die Nach - richt fort, die er in dem ſechſten Briefe angefangen hatte zu geben. Es ſind bey nahe eben die Dinge, welche die Fraͤu - lein berichtet hat: es ſollen deswegen zu Vermeydung der Weitlaͤuftigkeit nur die Stellen ſeines Briefes ausgezogen wer - den, die beſondere Umſtaͤnde enthalten, oder ſeine Abſichten zeigen, oder in de - nen er ſeiner muntern Schreib-Art den Zuͤgel laͤßt.

Das Abſteigen zu S. Albans beſchreibt er alſo:

Den Leuten, die herbeykamen, konnte man es an Geſicht und Augen anſehen, daß ſie ſich wunderten, als ſie ein ungemein artiges Frauen - zimmer aus dem Wagen ſteigen ſahen, deſſen An - blick etwas vornehmes hatte, und das bey einer Reiſe ſo ordentlich angekleidet war, bey der die Pferde rauchten und die Bedienten ſchwitzten. Jhre Neugierde, und meines Schatzes Unruhe konnte mir nicht verborgen bleiben. Sie warf bey dem Ausſteigen einen Blick auf ihre Kleidung, die bey nahe gar keine Kleidung war: ſie ließ dieH 5Hand122Hand, die ich ihr bot, bey nahe mit einem Stoß fahren, und eilete ſo geſchwind als ſie konnte in das Haus. ***

Ovidius verſtand die Lehre von den Verwan - delungen nicht ſo gut, als dein Freund. Jch ver - wandelte ſie bey der Wirthin ſogleich in eine Schweſter, die ich unvermuthet von ihren Anver - wanten, bey denen ſie den Winter uͤber geweſen waͤre, abgehohlt haͤtte, damit ſie ſich nicht mit ei - nem liederlichen Menſchen einlaſſen moͤchte, vor dem ihr Vater, Mutter, aͤltere Schweſter, alle ihre lieben Onckels, Baſen und Angehoͤrigen einen Abſcheu gehabt haͤtten. (Jch bleibe ſtets ſo nahe bey der Wahrheit, als ich kann.) Aus dieſer Er - zaͤhlung ließ ſich die Verdrießlichkeit meines loſen Kindes erklaͤren; ſeine Abgeneigtheit mit mir in Geſellſchaft zu ſeyn, wenn ſie auch von laͤngerer Dauer ſeyn ſollte; die Kleidung, die ſich zu der Reiſe nicht ſchickte; kurtz alles Wahre kam mit die - ſer Unwahrheit uͤberein. Zugleich gab dieſe Erzaͤh - lung meiner Schoͤnen zu rechter Zeit einen Beweiß, daß ich keine Abſichten haͤtte, die mit ihrer Ehre nicht beſtehen koͤnnten.

Von dem Streit, der ſich zwiſchen ihr und ihm erhoben hatte, und inſonderheit von dem Vorwurf, den ſie ihm machet, daß er ein junges Kind verleitet habe, wi - der ſeine Pflicht und Gewiſſen zu han - deln, ſchreibt er:

Alles dieſes, und noch viel empfindlichere Din - ge brachte ſie vor. Jch hoͤrte ihr ſtille zu. Als aberdie123die Reihe an mich kam, ſo antwortete, ſo entſchul - digte, ſo klagte ich, ſo gut ich konnte. Als ich durch Unterwerfung nicht ausrichten konnte, was ich wollte, ſo erhob ich meine Stimme, und erlaubte dem Zorn, ſich in den Augen zu zeigen. Denn ich hoffete, daß mir die ſchoͤne Furchtſamkeit, die dieſem Geſchlecht eigen iſt, und die einige Frauen - zimmer ſo gar mit Willen annehmen, zu ſtatten kommen ſollte; weil ich dieſer Furchtſamkeit mei - nen Sieg uͤber ſie groͤßeſtentheils zu dancken hatte.

Allein ſie wollte ſich nicht furchtſam machen laſſen, ſondern fing an das rauhe auswendig zu kehren, und meine Entſchuldigung anzugreiffen. Ein Frauenzimmer mag aus noch ſo einem ho - hen Ton reden, wenn eine Manns-Perſon eine ſolche Materie der Unterredung hat, ſo muͤßte ſie ihre Sache nicht verſtehen, wo ſie keinen Vor - theil uͤber das Frauenzimmer erhalten ſollte; und wenn ſie nicht durch Herausſtoßung anderer Re - den, die eben ſo dreiſte ſind, aber eine beſſere Aus - legung leyden, das Frauenzimmer abhielte, uͤber die erſte Dreiſtigkeit empfindlich zu ſeyn.

Von dem Theil der Unterredung, in welchem ſie ihn erinnert, wie ungern ſie ſich habe bewegen laſſen, Briefe mit ihm zu wechſeln, ſchreibt er alſo.

Wahr genug, du loſes Kind! Unzaͤhliche Schwi - rigkeiten haſt du mir in den Weg geleget. Allein es kann die Zeit kommen, da du wuͤnſchen wirſt, mich durch dieſen Ruhm nie gekraͤnckt, und alle deine artigen ſtoltzen Wahrheiten verſchwiegen zuhaben:124haben: daß du Solmeſen nicht um meinet wil - len abgewieſen haſt daß meine Ehre deine Schande ſey, wenn ich das fuͤr ein Verdienſt ſchaͤ - tzen wollte, daß ich dich in Freyheit geſetzt habe: daß meine Verdienſte in meinen Augen groͤſſer ſind als in deinen und in anderer Leute Augen. (dencke, Bruder, wie laͤcherlich das Maͤdchen mich vorſtellet) daß du wuͤnſcheſt wieder in deines Vaters Hauſe zu ſeyn, es moͤchten auch Folgen dar - aus entſtehen, die nur immer entſtehen koͤnn - ten. Wenn ich dir jemahls, mein Kind, dieſe zweydeutigen Reden, dieſe Wuͤnſche, dieſe Stiche vergebe, ſo bin ich nicht der Lovelace, dafuͤr mich die Leute anſehen, und dafuͤr du mich auch zu hal - ten ſcheineſt, weil du mir ſo ſonderbar begegneſt.

Kurtz ihre gantze Gebeerde druckte, ſo lange der Streit waͤhrete, auf eine recht erhabene Art ihr Mißfallen aus, und man konnte es ihr anſehen, daß ſie ſich Vorzuͤge vor mir zu haben einbildete.

Jch habe oft mit dir davon geredet, wie barm - hertzig ein Mann ausſehen muß, wenn ſeine Frau entweder in der That oder in ihren Gedancken mehr Verſtand hat, als er. Jch habe tauſend Ur - ſachen die Fraͤulein Clariſſa Harlowe nicht zu nehmen; zum wenigſten ſo lange nicht, bis ſie mir den Vorzug in der Liebe vor allen andern giebt, den man billig von ſeiner Frau erwartet.

Jch fange an in meinen Entſchließungen zu wancken. Jch bin ſonſt nicht geneigt geweſen, Feſſeln zu tragen: wie leicht werden dieſe alten Vorurtheile wiederkommen. Der Himmel machemein125mein Hertz gegen ſie ehrlich! da iſt einmahl ein Seufzer, Bruder! wenn er nicht erhoͤrt wuͤrde, ſo waͤre das unvergleichliche Maͤdchen zu bedauren. Doch, da ich dem Himmel nicht ſo oft mit einem Gebet beſchwerlich falle, ſo iſt Hoffnung, daß die - ſer Seufzer erhoͤrt werden wird.

Jch ſehe aber bey ihr ſo angenehme, ſo reitzende Hinderniſſe vor mir; ein ſolches Feld, auf dem ich alle Liſt, die ich beſitze, anwenden kann; ſo viel Gelegenheit etwas mißliches zu wagen. Was fuͤr ein Ungluͤck, daß alle meine Neigungen und Gaben gerade auf dieſe Seite gehen! da ich doch weiß, was Ehre und Gerechtigkeit iſt, und da ich in großer Verſuchung bin, aufrichtig zu wuͤnſchen, daß ich ein ehrliches Hertz haben moͤchte. Jn großer Verſuchung bin ich: denn voͤllig kann ich den Wunſch nicht thun, dazu bin ich zu ſchelmiſch. Dencke, was fuͤr ein Sieg uͤber das gantze Ge - ſchlecht, wenn ich ſie beſiegen koͤnnte! dencke an mein Kloſter-Geluͤbde, wie ich es nennen mag. Haben nicht die Frauenzimmer den Anfang ge - macht, mich zu beleidigen? und ſchont dieſes Kind meiner? Glaubſt du, Bruder, daß ich mein Ro - ſenknoͤſpgen geſchont haben wuͤrde, wenn es mir ſo getrotzt haͤtte? die Grosmutter bat mich, es zu ſchonen: und wenn ein Maͤdchen einmahl in unſere Gewalt uͤbergeben wird, oder ſich ſelbſt darein - bergibt, ſo kann man nichts weiter zu erlangen wuͤnſchen: hingegen Widerſtand und Wachſam - keit habe ich immer fuͤr eine Verſuchung angeſehen, es aͤrger zu machen.

Warum,126

Warum, ach warum bemuͤhet ſich das aller - liebſte Kind, ſich gegen mich eiskalt zu ſtellen? Warum will es meinen Hochmuth durch ſeinen Hochmuth reitzen? Haſt du nicht in meiner Erzaͤh - lung angemerckt, wie veraͤchtlich es mir begegnet? Wie viel habe ich um ihret Willen ja von ihr ſelbſt verſchmertzet? Jſt es auszuſtehen, daß ſie mir ſa - get, ich waͤre ihr veraͤchtlich, wenn ich mich dem Abſcheu vom Menſchen dem Solmes vorziehe.

Alle Triebe meiner zaͤrtlichſten Zuneigung er - ſticket ſie in der erſten Bluͤte. Wenn ich ihr Treue ſchwoͤre, ſo macht ſie die verdammte Auslegung daruͤber, ich muͤßte ſelbſt glauben, daß ſie Urſache habe, an meiner Treue zu zweifeln. Eben das hat ſie ſchon ehemahls gethan. Sie iſt in mei - ner Gewalt nicht anders geworden, als ſie auſſer meiner Gewalt geweſen iſt. Meine armſeeligen Geluͤbde muͤſſen bey den Umſtaͤnden wieder zum Halſe hinunter, ehe ſie die Lippen erreicht haben. Was ſoll ein Liebhaber mit ſeiner Geliebten reden, wenn er weder luͤgen noch ſchwoͤren darf.

Ein kleines Kunſt-Stuͤck habe ich gebraucht. Als ſie gar zu ſehr in mich drang, daß ich mich von ihr entfernen ſollte, ſo bat ich ſie mir eine Be - dingung zu bewilligen, zu der ſie ohnmoͤglich Nein ſagen konnte; und als ſie mir meine Bitte einge - ſtand, ſo gab ich ſo viel Danckbarkeit vor, als wenn es eine Sache von der groͤßeſten Wichtigkeit waͤre.

Und was war es denn? ſagſt du. Sie ſollte mir verſprechen, was ſie mir laͤngſtens verſpro -chen127chen hatte, daß ſie nie einen andern heyrathen wollte, ſo lange als ich am Leben und unverhey - rathet waͤre, und ſie durch keine Tod-Suͤnde be - leydigte. Dis war ſo viel als nichts verſprochen: denn ſie konnte ſich fuͤr beleydiget halten, ſo bald ſie wollte, und war in ihrer eigenen Sache Rich - terin. Allein ſie konnte hieraus ſehen, wie billig ich in meinen Wuͤnſchen ſey, und daß ich nicht (wie ſie mir Schuld giebt) eines Daumens breit in einer Hand Breit verwandelte.

Sie bewilligte das, was ich bat: und fragte: von welcher Art die Verſicherung ſeyn ſollte, die ſie mir daruͤber gaͤbe.

Muͤndlich! ſagte ich.

Sie that mir hierauf ein muͤndliches Verſpre - chen. Jch bat mir die Freyheit aus es zu verſie - geln, und that es auch ohne zu warten bis ſie ant - worten konnte: weil ich nicht Luſt hatte ihr Nein zu hoͤren.

Du magſt es mir glauben oder nicht: dieſes war das erſte mahl, das ich mich unterſtand ihre ſanften Lippen mit den meinigen zu beruͤhren. Jch kann dir verſichern, Belford, der eintzige Druck, den ich ihren Lippen ſo gelinde gab, als wenn ich ſelbſt eine Jungfer waͤre, damit ſie ſich kuͤnftig deſto weniger fuͤrchten moͤchte, hat mir mehr Ver - gnuͤgen verurſachet, als jemahls die letzten Pro - ben der Liebe bey irgend einem andern Frauenzim - mer. So koſtbar kann die Ehrfurcht gegen eine Perſon uns dasjenige Vergnuͤgen machen, das ſie uns verbietet.

Jch128

Jch fuͤrchte nur, daß ich allzu kuͤnſtlich zu Wercke gegangen bin. Denn ſie redet jetzt allzu - wenig fuͤr mich. Jch weiß nicht, was ich aus dem lieben Kinde machen ſoll.

Jch ſpielte am Montag Abend die Perſon eines Bruders in Gegenwart der Wirthin zu S. Albans, und bat meine Schweſter um Verzeihung, daß ich ſie ohne ihr Zeit zu laſſen ſo gleich mitgenommen hatte. Jch redete von der Freude, die ihre El - tern haben wuͤrden, wenn ſie ihre liebe Tochter zuerſt wieder ſahen. Jch machte die Erdichtung ſo umſtaͤndlich, daß ich aus einem Blicke, den ſie mir gab, und der mir durch Marck und Bein ging, mercken mußte, daß ich zu viel geredet hat - te. Jch ſuchte mich zu entſchuldigen, ſo bald wir allein waren: allein ich bin noch zweifelhaft, ob ich die Sache beſſer oder ſchlimmer gemacht habe. Jch habe ein gar zu offenes Hertz. Das Kleinod, das ich in dem Beſitz habe, hat meine Bruſt nicht nur aufgeſchloſſen, ſondern die Thuͤren dazu gleich - ſam gantz offen gelaſſen.

Das iſt ein verworrenes und ſchleichendes Ge - ſchlecht. Wenn ſie nur von dem Hertzen weg re - dete, wie ich. Allein ich muß bey ihr lernen ver - ſteckt zu ſeyn.

Sie muß nothwendig von Gelde entbloͤßet ſeyn, und dennoch laͤßt ihr Hochmuth nicht zu, daß ſie etwas von mir annehmen ſollte. Jch haͤtte ſie gern nach London (London, das iſt der Ort, dahin ich ſie zu bringen ſuchen muß) um einige der reich - ſten Stoffen fuͤr ſie zu kauffen, die nur zu habenſind.129ſind. Allein auch hierauf habe ich nichts als ihr Nein! Und dennoch lauffen alle Nachrichten, die ich von meinem Spion erhalte, da hinaus, daß ihre Verwanten unverſoͤhnlich ſind, und den Vor - ſatz haben, ihr allen erſinnlichen Verdruß zu ma - chen.

Es ſcheint, daß dieſe Unmenſchen ſeit ihrer Flucht zu meiner Ehre den bitterſten Verdruß em - pfunden haben, und voller Grimm ſind: in dem naͤchſten Jahre wird ſich ihr Grimm auch nicht abkuͤhlen. Jetzt iſt die Reihe an mir, ſie zu kraͤn - cken.

Das ſchmertzt ſie in der Seele, daß ſie ihr die Freyheit verſtattet haben, nach dem Huͤner-Hofe und in den Garten zu gehen. Sie wiſſen, daß ſie hier Gelegenheit gehabt hat, ihre Flucht (die ſie fuͤr vorſaͤtzlich anſehen) zu veranſtalten: ob ſie gleich nicht wiſſen, wie ſie es angefangen hat, ſich dieſe Gelegenheit zu verſchaffen. Daß ſie ihr er - laubt haben, das letzte mahl in dem Sommer - Hauſe zu ſpeiſen, das geſchahe aus einer tuͤckiſchen Abſicht, wie Lehmann von ſeiner Braut der Eliſabeth gehoͤrt hat.

Sie bedauren, daß ſie einen ſo ſchoͤnen Vor - wand ſie noch enger einzuſchraͤncken, nicht gebraucht haben, den ihnen meine Drohung gab, ſie mit Gewalt in Freyheit zu ſetzen, wenn ſie ſie nach des alten Antons Gut bringen wuͤrden. Jch habe dir dieſes im weißen Hirſch erzaͤhlet, und dem lieben Kinde habe ich es auch ehemahls zu verſtehen gege - ben, daß ein ſolcher Vorſchlag im Wercke geweſen iſt,Dritter Theil. Jweil130weil ſie fuͤrchteten, ich wuͤrde ſie wenn ſie ſpa - tzieren ginge, mit oder wider ihren Willen ent - fuͤhren.

Allein hier hat mir mein ehrlicher Joſeph, durch dem ich alles weiß, trefliche Dienſte geleiſtet. Er hatte den Harlowes weiß machen muͤſſen, daß ich eben ſo ſchwatzhaftig gegen meine Bedienten ſey als ihr Jacob gegen Joſeph Lehmann iſt. Sie glaubten, daß Joſeph durch meinen Wilhelm hinter alle meine Geheimniſſe kaͤme, und alle mei - ne Anſchlaͤge erfuͤhre: weil er nun auch verſprochen hatte auf die Fraͤulein ſelbſt Acht zu geben, ſo war die gantze hochweiſe Familie ſicher; und meine Geliebte und ich, wir waren auch ſicher.

Jch habe einmahl im Sinne gehabt, und dir auch von einem Vorſchlage meinen Winck gegeben, daß ich ſie unverſehens aus dem Holtz-Stalle ent - fuͤhren wollte, wenn es noͤthig waͤre, das aͤußer - ſte zu wagen. Jch wuͤrde dieſes gewiß durch Huͤl - fe der Bruͤderſchaft bewerckſtelliget haben, wenn ich es gewagt haͤtte: es waͤre dieſe That wuͤrdig geweſen von uns allen vollbracht zu werden. Al - lein das Ding ſtand mir im Wege, das Joſeph ſein Gewiſſen nennet; denn er befuͤrchtete, daß er in Verdacht kommen moͤchte, als waͤre die That mit ſeinem Vorwiſſen geſchehen. Jch wuͤrde die - ſen Gewiſſens-Zweiffel ſo wie andere haben uͤber - winden koͤnnen: allein ich verließ mich bald darauf, daß ſie mir verſprochen hatte, ſich mit mir um Mitternacht oder ſpaͤte am Abend zu unterreden; und alsdenn wuͤrde es mir nur einen Fall gekoſtethaben,131haben, wenn ſie haͤtte zuruͤck gehen wollen; bald aber darauf, daß ihre liſtige Familie fuͤr mich ar - beitete, und ſie mir in die Arme trieb.

Jch wußte allzu gewiß, daß Jacob und Ara - belle nie von ihren abgeſchmackten Beleidigungen gegen ſie abſtehen wuͤrden, bis ſie ſie entweder ſo muͤde gemacht haͤtten, daß ſie Solmeſen naͤhme, oder bis ſie ſich zu einer Handlung entſchloͤſſe, da - durch ſie die Liebe ihrer beyden Onckles auf ewig ver - ſchertzte.

Der eilfte Brief Eine Fortſetzung des vorigen von Herrn Lovelace.

Jch habe es mercken koͤnnen, was fuͤr einen angenehmen Gefallen ich meinem lieben Kin - de dadurch erzeiget habe, daß ich Frau Greme mit brachte, ihr Geſellſchaft zu leiſten, und daß ich bey Ausſuchung einer Miethe dem Rath die - ſer braven Frau gefolget bin, als ſie ſich wegerte, nach der Forſt zu ziehen.

Sie konnte ſehen, daß ich lauter gute Abſich - ten haben muͤßte; da ich keine Miethe fuͤr ſie aus - gemacht hatte, ſondern es in ihr Belieben ſtellete, ob ſie in Halls Haus ziehen, oder auf der Forſt bleiben, oder nach London oder zu einer von mei - nen Baſen reiſen wollte.

J 2Sie132

Sie konnte das Vergnuͤgen auch im Geſichte nicht verbergen, das ſie empfand, als ich Frau Greme bat, ſich zu ihr in die Kutſche zu ſetzen, und ich ſelbſt bey dem Wagen her ritte.

Ein anderer wuͤrde ſich gefuͤrchtet haben, daß einige Reden zum Nachtheil des Endzwecks, den ich hatte, zwiſchen ihr und der Frau Greme vor - fallen moͤchten. Jch war unbeſorgt, denn alle meine Verwanten wiſſen, daß ich redliche Abſich - ten gegen ſie habe. Jch bin immer uͤber die Heu - cheley hinweg geweſen, und ich verlange nicht fuͤr beſſer angeſehen zu werden, als ich in der That bin. Was kann einer fuͤr Luſt haben ein Heuchler zu werden, dem bisher ſeine Abſichten bey dem ſchoͤ - nen Geſchlechte beſſer gelungen ſind, weil man ihn fuͤr liederlich gehalten hat? Selbſt meine Ge - liebte hat ſich gewagt, Briefe mit mir zu wechſeln, ob ihr gleich die Jhrigen den aͤrgſten Begriff von mir beygebracht haben. Wer wollte denn eine neue und ſchlimmere Perſon zu ſpielen anfangen?

Frau Greme iſt eine fromme Frau, die ſich durch nichts wuͤrde bewegen laſſen, die Wahrheit zu verletzen. Ehemahls, als noch Hoffnung zu meiner Beſſerung uͤbrig war, pflegte ſie fuͤr mich zu beten. Jch glaube nicht, datz ſie dieſe gute Gewohnheit noch hat: denn der alte gnaͤdige Herr macht ſich kein Bedencken, bey Gelegenheit ſeinen Kummer uͤber mich vor Mann, Weib, und Kind, wie ſie ihm in den Weg kommen, auszuſchuͤtten. Du weißt, daß er oft ſeiner Pflicht vergißt: ich kann den Ausdruck ſehr eigentlich gebrauchen, denn werPflichten133Pflichten von dem andern fodern will, der iſt ihm hinwiederum Pflichten ſchuldig. Aber wieder auf Frau Greme zu kommen: die arme Frau! ſo oft mein Onckle das Podagra auf ſeinem Gute hat, und der Prediger nicht zu finden iſt, ſo betet ſie ihm vor, oder lieſet etwas aus der Bibel und andern guten Buͤchern.

War es nicht wohl gethan, daß ich eine ſo fromme Frau mit meiner Geliebten bekant zu machen ſuchte, und daß ich ſie ſo frey mit einander reden ließ, als ſie ſelbſt es wuͤnſcheten? Jch ſahe, daß ſie in ihrem Geſpraͤch ſehr geſchaͤftig in der Kut - ſche waren. Jch konnte es fuͤhlen, daß ſie von mir redeten: denn beyde Backen fingen mir an zu gluͤen.

Jch ſage es noch einmahl, ich hoffe, daß ich ehrlich gegen das liebe Kind ſeyn werde. Allein da wir ſchwachen Menſchen nicht immer Herren uͤber uns ſelbſt ſind, ſo muß ich vorbeugen, daß mein unvergleichlicher Schatz keinen Argwohn gegen mich ſchoͤpfe, bis ich ihn zu einem unſerer Bekann - ten in London oder ſonſt an einen ſichern Ort brin - gen kann. Wenn ich mich vorher in Verdacht bey ihr ſetzte, oder ihr nicht voͤllig ihren eigenen Willen ließe; ſo koͤnnte ſie Fremde, und das gantze Land zu Huͤlfe ruffen, oder auch ſich an die Jhri - gen wenden, und ſich auf ſelbſt-gewaͤhlte Bedin - gungen mit ihnen vergleichen. Sollte ich ſie aber jetzt verlieren, ſo waͤre ich unwuͤrdig, das Haupt und der Fuͤrſt einer ſolchen Bruͤderſchaft zu ſeyn. Wie wuͤrde ich unter Maͤnnern das Haupt emporJ 3heben,134heben, oder mich vor einem Frauenzimmer wieder ſehen laſſen koͤnnen? So wie die Sachen jetzt ſte - hen, darf ſie nicht ſagen, daß ſie wider ihren Wil - len geflohen iſt: und ich habe veranſtaltet, daß alle ihre unverſoͤhnlichen Verwanten glauben, daß ſie mit guten Bedacht davon gegangen iſt.

Sie hat von der Fraͤulein Howe eine Antwort auf den Brief erhalten, den Sie von S. Albans geſchrieben hat. Jch weiß den Jnhalt nicht: nur dieſes: ſie weinete hefftig, und ich muß fuͤr den Jnhalt des Briefes buͤßen.

Die Fraͤulein Howe iſt ein wackeres Maͤdchen: allein ſie iſt gar zu empfindlich und muthig. Jch fuͤrchte mich faſt vor ihr. Sie will ihrer Mutter kaum gehorchen. Jch muß fortfahren, den alten Anton durch meinen Joſeph aufzuhetzen, daß er der Mutter in den Ohren liegt, und dadurch der Tochter die Haͤnde bindet, damit mein Kind keinen Freund auſſer mir haben moͤge.

Die Frau Howe kann keine Widerrede lei - den; und die Fraͤulein iſt hierin ihr Ebenbild. Wenn ein Frauenzimmer fuͤhlt, daß es alles an ſich hat, was erfodert wird, eine Haus-Mutter zu ſeyn; und es muß unter einer Mutter ſtehen: ſo kann ein munterer Kopf ſeine Dinge ſchon machen. Die Mutter iſt all zu voll von Erinnerungen; die Tochter allzu empfindlich: und ihr Hickmann iſt keines von beyden. Er verhaͤlt ſich blos leidend.

Allein ich habe ein Ziel, nach welchem ich mich mehr ſehne.

Wie135

Wie ungluͤcklich iſt es, daß dieſe beyden Frauen - zimmer ſo nahe Nachbarinnen und ſo vertraute Freundinnen geweſen ſind! Wie artig haͤtte ich ſonſt mit ihnen beyden ſpielen wollen!

Allein einer kann nicht alle Frauenzimmer ha - ben, die einer boͤſen Luſt werth ſind: Gott erbar - me das, wenn es einen muntern und braven Kerl betruͤbet.

Der zwoͤlfte Brief. Lovelaces Fortſetzung.

Zwey verliebte Leute, die beyde ſolche Liebha - ber von dem Schreiben ſind, als wir, hat die Sonne noch nicht geſehen! Zwey Leute, die vor einander das, was ſie ſchreiben, ſo ſorgfaͤltig verbergen muͤſſen, als wir!

Sie will ſonſt nichts zu thun haben. Jch woll - te ihr wol andere Arbeit machen: allein ſie hat nicht Luſt dazu: ich bin noch nicht bekehrt, noch nicht heilig genug, ſie nach mir umzutauffen. Geduld iſt eine große Tugend: ſpricht mein Onckle. Jch trete leiſe und ſicher: das iſt ein anderer Spruch des weiſen Mannes. Wenn ich dieſe Tugend nicht〈…〉〈…〉 einem reichen Maaß beſaͤße, ſo haͤtte ich ohnmoͤglich die Zeit erwarten koͤnnen, die mir die Harlowes ſelbſt gegeben haben, ſie und ihre Goͤttin Tochter zu beruͤcken.

J 4Meine136

Meine Geliebte hat an ihre wunderliche Freun - din geſchrieben. Jch glaube, daß alles ihr Un - gluͤck, und alles was zwiſchen uns vorgefallen iſt, in ihrem Briefe ſtehet. Wenn ſie ſo umſtaͤndlich ſchreibet, als ich, ſo wird es ihr an artiger Ma - terie nicht mangeln.

Jch wuͤrde nicht ſo grauſam ſeyn, daß ich den alten Anton aufhetzte, die alte Mutter Howe aufzuhetzen, wenn mir nicht vor den Folgen dieſes Briefwechſels grauete. Dencke Bruder: zwey Maͤdchens! das eine ſo lebhaft! das andere ſo vor - ſichtig! beyde ſo verſchmitzt! Wer wollte nicht wuͤn - ſchen, die betriegen zu koͤnnen, und ſie wie einen Drath um ſeinen kleinen Finger zu winden.

Mein Kind hat an ſeine Schweſter geſchrieben, und um Kleidung, und einiges Geld und Buͤcher gebeten. Was hat es doch vor Buͤcher, dar - aus es mehr lernen kann, als es ſchon weiß? Jch wollte dem Maͤdchen noch etwas neues lernen! Bey mir ſollte das loſe Ding in die Schule gehen!

Sie mag ſchreiben! Endlich wird ſich doch ihr Hochmuth uͤberwinden muͤſſen, mir gute Worte zu geben. Die Fraͤulein Howe wird ihr zwar gern mit Geld an die Hand gehen: allein ich glau - be nicht, daß ſie es ohne ihre Mutter thun kann.

Und die iſt geitziger als die Hoͤlle. Meines Ab - geſandtens Abgeſandter, der alte ehrwuͤrdige An - ton, hat der Mutter ſchon einen Winck gegeben, der ſie veranlaſſen wird, ein Auge auf das Geld zu haben.

Hat137

Hat die Fraͤulein Howe Geld fuͤr ſich, ſo kann ich machen, daß ihre Mutter es von ihr bor - get. Du wirſt mir doch keine Schelmerey verden - cken, dadurch ich mir Gelegenheit verſchaffe, frey - gebig zu ſeyn. Du kenneſt mich: ich wuͤrde mei - ner Geliebten gern Gefaͤlligkeiten erzeigen, wenn es auch die Helfte meiner Guͤter koſten ſollte. Mein Onckle hat mehr, als ich begehre. Ein Maͤdchen, nicht Geld, iſt mein Abgott. Nach dem Gelde frage ich nichts, als nur in ſo fern es mir zu dem Maͤdchen hilft, und macht, daß ich niemanden verpflichtet ſeyn darf.

Damit man uns nicht ausſpuͤhren koͤnnte, mußte ich dem jungen unerfahrnen Kinde um ihret und um meinet willen, ein Addreſſe in ihre lieben Haͤnde geben, darunter die Jhrigen ihre Kleider ſchicken koͤnnten, wenn ſie etwan geſinnet ſeyn ſollten, die - ſe kleine Billigkeit zu beweiſen.

Thun ſie das, ſo fuͤrchte ich, daß eine Verſoͤh - nung moͤglich iſt. Alsdenn muß ich auf eine neue Liſt ſinnen, dieſes zu hintertreiben, und Ungluͤck zu verhuͤten. Denn das ſuche ich immer zu ver - huͤten, wie Joſeph Lehmann ſaget.

Du wirſt glauben, daß ich ein arger Kerl bin. Sind nicht alle liederliche Leute arge Kerls? Biſt du bey deiner kleinen Kraft nicht einer der aͤrgſten? Wenn du alles thuſt, was in deinem Kopfe und in deinem Hertzen iſt, ſo biſt du aͤrger als ich: denn ich thue weniger, als in meinem Kopfe iſt.

Jch ſchlug vor, und ſie gab ihr gnaͤdiges Ja dazu, daß ihre Kleider, und was ihre Anverwan -J 5ten138ten ihr ſonſt ſchicken wuͤrden, an dich in deines Vetters Osgoods Hauſe abgegeben werden ſollen. Beſtelle auf meine Koſten einen eigenen Boten, der mir den Brief, oder das Packet bringet. Jſt es ſo groß, daß er es nicht tragen kann, ſo gib mir Nachricht. Jch ſchwoͤre dir aber: ihre An - verwanten werden dir die Muͤhe nicht machen. Weil ich davon verſichert bin, ſo will ich ſie nach ihrem eigenen Kopfe handeln laſſen. Wer wird ſich gern unnoͤthige Verantwortung machen?

Eins faͤllt mir ein, das darf ich nicht vergeſſen. Jhr muͤßt kuͤnftig alle mit unſern geheimen Buch - ſtaben an mich ſchreiben: ich werde es auch thun. Wer weiß, wem unſere Briefe in die Haͤnde fallen! Man muͤßte ſich ſchaͤmen, wenn man ſein eigenes Werck in die Luſt ſprengen ſollte.

Noch eines iſt, das mußt du nicht vergeſſen. Jch habe meinen Nahmen geaͤndert, dem Parla - ment habe ich kein gutes Wort gegeben. Robert Huntingford heiße ich jetzt. Das Wort, Jun - cker, kannſt du dazu ſetzen, wie gewoͤhnlich. Es iſt ein guter Nahme, ob ihn gleich ein jeder ſchmaͤch - tiger Berenhaͤuter jetzt misbraucht; ſo daß man faſt keinen mehr Landsmann nennen will. (*)Jm Engliſchen ſtehet: Capitain Dieſes Wort ge - brauchen die Englaͤnder gegen einen jeden den ſie nicht anders nennen koͤnnen. Das Wort Esquire wird faſt in allen Aufſchriften der Briefe gebraucht, wo wir kaum Monſieur ſetzen.Schrei - be dazu: im Poſt-Hauſe zu Hertford bis auf Nachfrage abzugeben.

Als139

Als ich dich nennete, erkundigte ſie ſich was du fuͤr eine Art Kerls waͤreſt. Jch beſchrieb dich beſſer, als du es verdieneſt, um mich in dir zu lo - ben. Jch ſagte ihr aber zugleich, daß du ein wunderlicher Kerl im aͤußerlichen waͤreſt; damit ſie nicht einen allzu artigen Kerl erwarten, und ſich hernach gar zu ſehr vor dir ſcheuen moͤge, wenn ſie dich zu ſehen bekoͤmmt. Daß du ein halbes Unge - heuer biſt, iſt fuͤr dich ein Vortheil. Wenn du ein angenehmeres Anſehen haͤtteſt, ſo wuͤrden die Leute in deinem Umgange nichts beſonderes, nichts angenehmes finden. Jetzt ſehen ſie an dir einen Baͤ - ren: wenn ſie dich aber ſprechen, ſo wollen ſie vor Verwunderung auſſer ſich kommen, weil ſie etwas gleiches mit einem Menſchen an dir gewahr wer - den. Freue dich uͤber deine Maͤngel, die deine groͤßeſten Vollkommenheiten ſind, und die dir Vorzuͤge verſchaffen, welche du ſonſt nie erlangen wuͤrdeſt.

Die Miethe, in der wir uns befinden, iſt nichts weniger als bequem. Jch habe das inſonderheit auszuſetzen gefunden, daß die Zimmer einen Durch - gang haben: weil ich zum voraus ſahe, daß ihr dieſer Umſtand mißfaͤllig ſeyn wuͤrde. Jch ſagte ihr, wenn ich nur gewiß wuͤßte, daß man uns nicht nachſetzen wuͤrde, ſo wollte ich mich von ihr entfernen, weil ſie dieſes ernſtlich begehrete. Der Teufel muß dem Maͤdchen im Hertzen ſtecken, wenn ich ihr nicht allen Schatten des Argwohns benehmen kann. Sie muß wider alle Vernunftund140und Wahrſcheinlichkeit unglaͤubig ſeyn, wenn ſie nicht an meine Ehrlichkeit glauben will.

Hier im Hauſe ſind ein paar artige Toͤchter von der Wittwe Sorlings, unſerer Haus-Wirthin.

Bisher habe ich nur ihre Arbeit bewundert. Wie begierig iſt doch dieſes gantze Geſchlecht auf Ruhm. So vergnuͤgt war ich uͤber die Arbeit der juͤngſten, daß ich ſie dafuͤr kuͤſſete: ſie machte mir einen tiefen Knicks fuͤr meine Herablaſſung zu ihr, ward dabey gantz roth, und ſchien den Kuß zu fuͤhlen. Voller Unſchuld gab ſie mir noch mehr Gelegen - heit: ſie machte ihr Halstuch zurechte, und ſahe abwerts nach der Thuͤr zu, als wollte ſie es nicht ſehen, wenn ich ſie noch einmahl kuͤſſen wollte.

Die aͤltere Schweſter kam dazu; und das arme Maͤdchen ward abermahls gantz roth, und ſahe ſo verwirret aus, daß ich ein Wort zur Entſchuldi - gung und zu beyder Vergnuͤgen ſagen mußte. Jch ſagte: Jungfer Eliſabeth, ihrer Schweſter Arbeit gefaͤllt mir ſo wohl, daß ich ihr einen Kuß geben mußte. Jch glaube, ſie haben viel dazu beyge - tragen, daß ſie ſo wohl unterwieſen iſt. Erlauben ſie mir auch

Die guten Kinder! Jch mag ſie beyde gern leyden. Sie machte mir auch einen Knicks. O! wie gefaͤllt mir ein danckbares Gemuͤth! Wenn doch meine Fraͤulein Harlowe nur halb ſo danckbar waͤre!

Jch muß eins von dieſen beyden Maͤdchens zur Aufwartung fuͤr meine Geliebte mitnehmen, wenn ich wegziehe. Die Mutter ſcheint all zu wachſamzu141zu ſeyn. Sie thaͤte aber am beſten, wenn ſie nicht all zu wachſam waͤre. Denn wenn ſie mir die Sa - che aus Argwohn ſchwer macht, ſo wuͤrde ich Luſt bekommen, mich an eine oder an beyde Toͤchter zu machen.

Erlaube mir, daß ich ein wenig aufſchneiden darf! Doch was will ich ſagen: mein Hertz ſcheint in der That gefeſſelt zu ſeyn. Jch kann an kein anderes Frauenzimmer dencken, als an meine Gloriana.

Der dreyzehente Brief. Eine Fortſetzung des vorigen, von Herrn Lovelacen.

Heute iſt der Mittewochen, der Tag, an wel - chem ich meine eintzige Freude auf ewig ver - lieren ſollte. Mit wie leichtem Hertzen kann ich jetzt ſitzen, und meine Stroh-Maͤnner in Har - lowe-Burg auslachen! Vielleicht iſt es der Leute ihr Gluͤck, daß ſie ſo gut aus dem Hauſe entkom - men iſt. Wer weiß, was es fuͤr Folgen gehabt haͤtte, wenn ich ſie in das Haus hinein begleitet haͤtte: oder wenn ich mit meinem Heer-Lager in ihres Vaters Haus gegangen waͤre, falls ſie ſich nicht um die beſtimmte Zeit eingeſtellet haͤtte.

Wenn ich aber auch ohne eure Begleitung mit ihr in das Haus gegangen waͤre, ſo wuͤrde ich ſo ſehr viel nicht zu befuͤrchten gehabt haben. Du weißſt, daß furchtſame, ſtille Gemuͤther, die ihre Ehrezu142zu ſchaͤtzen wiſſen, und ſich blos aus gewiſſen Ab - ſichten in den Schrancken der Geſetze halten, mit einer giftigen Spinne verglichen werden koͤnnen. Dieſe kriechet ſo gleich bey, wenn der aͤußerſte Fa - den ihres Gewebes von einem Finger beruͤhret wird der ſie zerdruͤcken koͤnnte, und uͤberlaͤßt ihr gantzes Gewebe dem Feinde. So bald aber eine unver - ſtaͤndige Fliege, die weder Muth noch Vermoͤgen hat ihr zu widerſtehen, durch ihr Zerren dem Raͤu - ber ſeinen gefangenen Raub zu erkennen giebt, ſo geht der Tyrann aus ſeiner Burg heraus, und be - ſtricket das arme Thier mit ſeinem Gewebe. Wenn es weder Fuß noch Fluͤgel ruͤhren kann, ſo haͤnget er es im Triumph auf; und ſchreitet nach ſeiner Behauſung zuruͤcke. Aus dieſer betrachtet er ſei - nen Sieg, und verlaͤßt ſie bisweilen um ſeinen Raub ruhig zu verzehren.

Eben faͤllt es mir ein! Kann nicht das Gleich - niß eben ſo wohl von gefangenen Maͤdchen als von furchtſamen Leuten ausgelegt werden? Schweig Gewißen! Uns brave Kerls muß man nur denn mit der Spinne vergleichen, ſo wird das Gleich - niß richtig ſeyn.

Was in unſerm Hertzen iſt, das wird unſer Kopf uͤberall finden. Man dencke an Spinnen, an Fliegen, an was man will. Zuletzt wird doch ein Maͤdchen daraus. Das Maͤdchen iſt der Mittel-Punct, nachdem wir alle eine Richtung haben.

Allein wieder auf das vorige zu kommen. Jch finde, daß dieſe ſtillen Gemuͤther ſchlecht ankom -men,143men, wenn ſie mit uns unſinnigen Kerls, die wir uͤber die Geſetze ſind, und uns nicht unter der Larve der Tugend verſtecken wollen, in einen offen - baren Krieg gerathen.

Du weißeſt, daß ich mich nie geſcheut habe, mich unter eine Menge von Feinden zu wagen. Je mehr ihrer waren, deſto ſicherer bin ich geweſen. Einer oder ein paar werden gewiß die Parthey des eintzelnen irrenden Ritters nehmen: ſie dencken es ſelbſt nicht, und nehmen ſie doch in der That. Sie halten ihn ab, nichts zu unternehmen; und unter - deſſen halten andere ſeinen vornehmſten Widerſa - cher auch ab. Beyden waͤchſt unterdeſſen der Muth, bis ſie ſich beyde uͤberreden laſſen ſich zu vertragen, oder einer auf Bitte der uͤbrigen weggehet. Der, welcher die Geſetze bricht, hat ordentlich eben die Vortheile als der Beobachter der Geſetze: das waͤh - ret wenigſtens eine Zeit lang, bis er ſeinen Lauf vollendet hat. Bedencke noch uͤber dieſes, daß die gantze Harlowiſche Familie weiß, daß ſie mich angegriffen und beleidiget hat. Krochen ſie nicht in ihrer eigenen Kirche zuſammen, wie die Bie - nen, als ſie mich hinein kommen ſahen? Keiner wollte der erſte ſeyn, der ſich wagete heraus zu ge - hen, als der Gottes-Dienſt voruͤber war.

Jacob Harlowe war zwar damahls nicht mit in der Kirche. Der wuͤrde ſich vielleicht gezwun - gen haben, bravauszuſehen. Allein es giebt eine Dreiſtigkeit des Geſichts, die allzu wild iſt, und eben dadurch eine geheime Furcht verraͤth. Das wuͤrde Jacob Harlowes Geſicht geweſen ſeyn,wenn144wenn ich ihnen meine Aufwartung gemacht haͤtte.

So oft ich mit dergleichen Leuten zu thun gehabt habe, habe ich ein ruhiges und heiteres Geſicht an - genommen, und es den Freunden meines Feindes (ſo wie dieſes mahl der Harlowiſchen Familie in Abſicht auf ihre Tochter) uͤberlaſſen, ſich fuͤr mich zu bemuͤhen.

Jch laſſe jetzt alle lobenswuͤrdigen und mittel - maͤßig-gute Handlungen, die ich jemahls in mei - nem Leben verrichtet habe, zur Muſterung vor meinem Gedaͤchtniß erſcheinen. Du wirſt mich nicht an viel ſolche Thaten erinnern koͤnnen, die ich vergeſſen haben moͤchte: denn ich bin nicht ſo gottlos vorhin geweſen, als ſeit der Zeit da ich dich gekannt habe.

Kannſt du dich nicht beſinnen, daß ich den Vor - ſatz gehabt habe, etwas gutes zu thun? dencke einmahl an meiner Stelle nach, und uͤberhebe mich der Arbeit. Jch erinnere mich einiger ſol - cher Entſchließungen, die in der Rechnung beſtehen werden. Vielleicht aber kannſt du ihre Anzahl noch mit mehr guten Wercken vermehren, die ich vergeſſen habe.

Das unterſtehe ich mich zu ſagen, daß an dem ſchlimmeſten Flecke, der meine Thaten verſtellen kann, blos die Maͤdchens, die albernen Maͤdchens Schuld ſind. Wenn die nicht waͤren, ſo koͤnnte ich mit gutem Gewiſſen in die Kirche gehen: allein wenn ich meinen Fuß in das Haus Gottes ſetze, ſo finde ich Maͤdchens darin. Ueberall hat mir Sa - tanas ſeine Schlinge geleget.

Es145

Es faͤllt mir ein: wuͤrde es nicht rathſam ſeyn, daß unſere Obrigkeit andere Kirchen fuͤr die Manns-Perſonen und wiederum andere fuͤr das Frauenzimmer verordnete? Sie wuͤrden zu Befoͤr - derung der wahren Froͤmmigkeit beyder Geſchlech - ter eben ſo nuͤtzlich ſeyn, als die abgeſonderten(†)Boarding - Schools ſind bey den Englaͤndern Schu - len in den junge Leute nicht allein unterrichtet werden, ſondern auch in Haus und Koſt ſind. Dergleichen Schulen werden von Privat-Perſonen haͤufig errichtet, und zwar nicht allein fuͤr Knaben, ſondern auch fuͤr Jungfern: Doch (wie der Leſer vermuthen wird, ohne daß ich eine gelehrte Anmerckung mache) fuͤr jedes Ge - ſchlecht beſonders. Koſt-Schulen zu ihrer Erziehung ſind. Jch ziehe ſie in dieſem Stuͤcke den Gegittern in der Synagoge noch vor.

Einige Kirchen ſind ſchon den heiligen Weibern gewidmet. Wir haben S. Swithins, S. Ste - phans, S. Thomas, und des Ritters St. Ge - orgens Kirche: in dieſe koͤnnten die Manns - Perſonen gehen. Die Kirche der H. Katharine, der H. Anne, die zur lieben Frauen u. ſ. w. wuͤrden den Frauens-Leuten verbleiben.

Wenn aber dieſes auch geſchaͤhe, und der Tod darauf ſtuͤnde, daß man ſich in einer Kirche der Schoͤnen betreten ließe, ſo wuͤrde ich dennoch als ein zweyter Clodius handeln und mich verkleiden, um meine Portiam und Calpurniam zu finden, wenn gleich die eine des Cato Tochter, und die an - dere eine Gemahlin des Caͤſars waͤre.

WieDritter Theil. K146

Wie ſchweiffe ich aus? du ſagteſt zwar ſonſt, daß du Vergnuͤgen an meinen Ausſchweiffungen faͤndeſt. Wenn das wahr iſt, ſo ſoll deine Luſt geſaͤttiget werden: denn niemahls habe ich ein Ge - maͤhlde zu entwerffen gehabt, das ich ſo anbetete, und mit dem ich ſo lange Geduld haben muß, ehe ich etwas wage; wenn ich es anders jemahls in mei - nem Leben wage.

Jch muß wieder auf die guten Wercke kommen, deren ich mich erinnern wollte. An mein Roſen - Knoͤſpchen dencke du ja nicht! [das]habe ich laͤng - ſtens in den Gedancken. Jch habe die Sache ſo geſpielt, daß meine Goͤttin durch meinen Engel Joſeph Lehmann etwas davon erfahren ſollte. Allein ich habe mich darin betrogen, wenn ich hoffete, daß ſie deswegen ein voͤlliges Vertrauen in mich ſetzen wuͤrde.

Das iſt der Teuffel! So ungluͤcklich bin ich im - mer. Wenn ich etwas gutes thue, ſo heiſt es: ich haͤtte gethan, was ich zu thun ſchuldig war. Thue ich was boͤſes, ſo wird es an das Licht gezogen, und ſo boͤſe vorgeſtellet, als es nur moͤglich iſt. Jſt das recht? Sollte man nicht gutes und boͤſes gegen einander abwaͤgen? Sollte ſich nicht die Zunge auf meine Seite lencken? Allein Bruder, ich muß dir bekennen, ich bin halb boͤſe auf meine Froͤmmig - keit, daß ich das bluͤhende Maͤdchen nicht genoſſen habe. Denn in Wahrheit ich glaube, ein allerlieb - ſtes Maͤdchen iſt vlel zu eine koſtbare Perle, als daß ſie an dem Halſe eines armen Lumpenhundes hangen ſollte.

Wenn147

Wenn ich mich darin verſuͤndige, daß ich aus allen ſchoͤnen Kindern Goͤttinnen mache und ſie an - bete: ſo ſollte billig das gantze ſchoͤne Geſchlecht mich deſto mehr lieben.

Doch das thun ſie. Jch ſage ihnen von Her - tzen Danck. Nur ſelten geſchiehet es, daß mir ein geitziges ſchelmiſches Maͤdchen zuwider iſt, das unter dem Vorwand der Tugend mich allein be - ſitzen und andern ſchoͤnen Kindern nicht goͤnnen will.

Genung Thorheiten. Lebe jetzund wohl.

Der vierzehente Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch habe ſtets Luſt zu dem Schreiben gehabt - Meine ungluͤcklichen Umſtaͤnde geben mir jetzt genug und Jhnen zu viel Anlaß dazu. Jch habe abermahls einen harten Satz mit Herrn Lo - velace gehabt. Dieſes gab Gelegenheit, auf das zu ſprechen zu kommen, was ich nach Jhrem Rath nicht aus den Haͤnden laſſen ſollte, wenn ſich eine gute Gelegenheit dazu zeigete. Jch wuͤnſche von Jhnen deswegen entweder losgeſprochen oder ver -K 2urthei -148urtheilet zu werden, daß ich dieſe Gelegenheit aus den Haͤnden gelaſſen habe.

Unterdeſſen, daß ich meinen letzten Brief an Sie ſchrieb, ſchickte der ungeſchliffene Menſch ei - nige mahl zu mir, und bat ſich meine Geſellſchaft aus. Er hatte nichts beſonders mit mir zu ſpre - chen: ich ſollte ihm nur das Vergnuͤgen machen, und ihn ſprechen hoͤren. Er ſcheint in ſeine Schwatz - haftigkeit ſehr verliebt zu ſeyn. Er hat eine feine Sammlung von artigen Schmeicheleyen: und verlanget, daß ich ihm meine Ohren dazu leyhen ſoll. Er brauchte ſich dieſe Muͤhe nicht zu geben. Denn ſelten gebe ich ihm ſein gebuͤhrendes Lob, und ſelten bezeige ich mein Vergnuͤgen uͤber ſeine beredte Zunge nach ſeinem Wunſch.

Als ich den Brief geſchrieben und dem guten Freunde des Herrn Hickmanns uͤbergeben hatte, ſo wollte ich wieder hinauf gehen. Allein er bat mich, unten zu bleiben, weil er etwas mit mir zu reden haͤtte.

Es war (wie ich gleich zum voraus ſagte) nichts neues oder nothwendiges, ſondern Klagen, die auf eine beynahe unverſchaͤmte Art angebracht wurden. Er ſagte mir: er koͤnnte nicht leben, wenn ich ihm meine Geſellſchaft entziehen, und nicht etwas mehr Geduld mit ihm haben wollte, als ich bis - her gehabt haͤtte.

Jch ging hierauf nicht ohne Unwillen mit ihm in den Saal. Jch war deſto verdrießlicher, weil er ohne von einer Aenderung zu reden ſich in dieſem Hauſe ruhig niedergelaſſen hatte.

Unſe -149

Unſere verdrießliche Unterredung nahm ſogleich ihren Anfang. Er machte mich verdrießlich, und ich wiederholte einige ſehr verſtaͤndliche Wahrhei - ten, die ich ihm ſchon vorhin geſagt hatte. Jn - ſonderheit verſicherte ich ihm, daß mein Misver - gnuͤgen gegen ihn und gegen meine eigene Ueberei - lung alle Stunden zunaͤhme. Er ſchiene mir kein Menſch zu ſeyn, der durch den Umgang mit andern etwas lernete. Jch wuͤrde nicht vergnuͤgt ſeyn, bis daß ich allein waͤre.

Vielleicht befremdete ihn meine Heftigkeit. Al - lein er ſahe ſo armſeelig aus, und wußte ſo wenig zu ſeiner Entſchuldigung vorzubringen, daß er mit ſolchem Ungeſtuͤm verlangt hatte, mich zu ſpre - chen, da er doch wußte, daß ein fremder Herr auf meinen Brief wartete: daß ich ihn ſtehen ließ, und ihm nur noch ſagte, ich wollte meine Zeit nach mei - nem Willen eintheilen, und ihm weder von meiner Zeit noch von meinem Thun und Laſſen Rechen - ſchaft geben.

Er war ſehr unruhig, bis er mich endlich wieder zu ſprechen bekam. Niemand konnte eine demuͤ - thigere Gebeerde annehmen als er, da ich wieder zu ihm herunter kam: welches ich fruͤher thun mußte, als mir es lieb war.

Er ſagte mir: er haͤtte bey dieſer Gelegenheit angefangen, ſich genauer und ſchaͤrfer zu unterſu - chen, und ſich beſſer kennen zu lernen. Er faͤnde große Urſache, ſeine Ungeduld und Unbedachtſam - keit zu tadeln, die, ob ſie gleich aus keinem boͤſen Hertzen entſtuͤnden, mir dennoch ohnmoͤglich an -K 3genehm150genehm ſeyn koͤnnten. Er haͤtte ſich immer nach einer maͤnnlichen Aufrichtigkeit und Offenhertzig - keit beſtrebet: allein jetzt finge er erſt an zu mercken, daß dieſe Eigenſchaften ſehr wohl mit einer gewiſ - ſen Hoͤflichkeit und artigen Auffuͤhrung beſtehen koͤnnten, die er bisher aus den Augen geſetzt haͤt - te, und zwar aus Furcht in das damit verwante Laſter zu verfallen; und weil er wuͤßte, daß er mit einer Feindin aller Heucheley, die viel zu erhaben waͤre einige Schmeicheleyen anzuhoͤren, zu thun haͤtte. Jch ſollte aber von dieſer Zeit an eine ſolche Veraͤnderung in ſeiner Auffuͤhrung wahrnehmen, als man von einem Mann erwarten koͤnnte, der die Ehre haͤtte mit der allerartigſten und wohl - gezogenſten Perſon in der Welt umzugehen. (Das war ſein Kunſt-Stuͤck eines artigen Aus - druckes!)

Jch antwortete: er erwartete vielleicht, daß ich ihm zu der neuen Entdeckung Gluͤck wuͤnſchen ſoll - te, die ihn gelehrt haͤtte, daß Hoͤflichkeit und Auf - richtigkeit ſehr wohl mit einander beſtehen koͤnnten. Jch haͤtte groſſe Urſache, zu bedauren, daß er die - ſe Wahrheit nicht fruͤher erkannt haͤtte, nachdem ich durch mein ungluͤckliches Schickſaal in ſeine Ge - ſellſchaft gerathen waͤre. Jch glaubte, daß dieſe Wahrheit wenigen Perſonen von gutem Stande und Erziehung unbekannt oder neu ſey.

Er ſagte: er wiſſe nicht, ob er ſich ſo uͤbel auf - gefuͤhrt habe, daß er einen ſo ernſtlichen Verweiß verdiene.

Viel -151

Vielleicht iſt das nicht! (ſagte ich) Allein ſo machen ſie noch eine Entdeckung, die zu meinem eigenen Nachtheil gereichen wird. Da ſie ſo we - nige Urſache haben mit ſich ſelbſt misvergnuͤgt zu ſeyn, ſo lernen ſie daraus, an was fuͤr eine unedle und niedertraͤchtige Seele ſie die demuͤthigen Worte verſchwendet haben, die vielleicht ihrer Meinung nach fuͤr ſie allzu demuͤthig waren: an eine Per - ſon, die ihre hoͤfliche Unwarheiten nicht mit Hoͤf - lichkeit belohnt, ſondern ſich ſo weit vergißt, daß ſie ihren Worten Glauben zuſtellet.

Der Menſch, der ſo entfernt von allen Schmei - cheleyen iſt, erwiederte: er haͤtte laͤngſtens die Vorzuͤge, die ich in Abſicht auf den Verſtand vor ihm haͤtte, und die Klugheit, die bey einer ſo jun - gen Lady gantz auſſerordentlich ſey, mit ſehr groſ - ſem Vergnuͤgen bewundert.

Lady pflegt er mich faſt in jeder Zeile, die er ausſpricht, zu nennen. Vielleicht iſt dieſes eine von ſeinen Hoffnungs-vollen Schmeicheleyen ge - gen ſich ſelbſt. Jch wiederhohle ſonſt ſeine Reden genau: allein Sie werden mich entſchuldigen, wenn ich dieſes Wort auslaſſe. Jch weiß, daß der Nahme mir nicht gebuͤhret. Jch bin jetzt all zu ſehr gedemuͤthiget, als daß mich dieſes Wort, oder andere Schmeicheleyen, damit er mich uͤberhaͤuffet, hochmuͤthig machen koͤnnten.

Er fuhr fort: ich moͤchte noch ſo wenig von ihm halten, ſo glaubte er, daß ich Recht darzu haͤtte: kuͤnftig wolle er ſich durch meinen Vorgang zu beſſern ſuchen.

K 4Jch152

Jch antwortete: ich kennete mich beſſer, als daß ich mich durch ſeine fließende Rede wuͤrde hochmuͤ - thig machen laſſen. Weil er doch vorgaͤbe, ein ſo ungemeiner Freund von der Aufrichtigkeit zu ſeyn; ſo moͤchte er nichts als die allerſtrengſte Wahrheit reden, wenn er von mir etwas und zwar mir in das Geſicht ſagen wollte. Wenn er gleich aus herabgelaſſener Gutigkeit glaubete, daß er Urſache haͤtte, mir etwas ſchmeichelndes zu ſagen; ſo wuͤrde er doch dabey deſto mehr Vergnuͤgen em - pfinden, wenn er bedaͤchte, daß er ein ſo auſſeror - dentlich kluges Frauenzimmer zu einer ſo groſſen Thoͤrin haͤtte machen koͤnnen. Mein Verſtand erhebe nur ſein Kunſt-Stuͤck.

Der Menſch verdient in der That nicht, daß ich ihm hoͤflicher begegne. Hat er mich nicht zur Thoͤrin, zur allerlaͤcherichſten Thoͤrin gemacht? Jch fuͤrchte, daß dieſes ſeine eigenen Gedancken ſind.

Er wunderte ſich er erſtaunete gantz, daß ich alle ſeine Worte ſo wider ihn gebrauchte. Er waͤre ungluͤcklich, daß mich nichts was er redete oder thaͤte bewegen koͤnnte, eine gute Meinung von ihm zu faſſen. Er baͤte mich, ich moͤchte ihm nur zu erkennen geben, was er thun ſollte, um ſich einiges Zutrauen bey mir zu erwerben.

Vor allen Dingen (ſagte ich) ſey mein Wunſch, daß er mich verlaſſen moͤchte. Jch faͤnde nicht, daß ſich meine Freunde die Muͤhe gaͤben, mich zu beunruhigen. Wenn er nach London, nach der Grafſchaft Berck, oder wohin er ſonſt beliebte,reiſen153reiſen wuͤrde, ſo wuͤrde es mir viel angenehmer, und auch meinem guten Nahmen vortheilhafter ſeyn.

Das wollte er thun: Er haͤtte den Vorſatz (hieß es) ſchon gefaſſet, das zu thun, wenn ich nur an einem anſtaͤndigen Orte, in einem bequemen Hau - ſe waͤre.

Jch ſagte ihm: dieſes Haus wuͤrde mir anſtaͤn - dig und bequem ſeyn, ſo bald er es verlieſſe, und mich weder beunruhigte, wenn ich zu thun haͤtte, noch auch die Zimmer fuͤr mich unbequem machte.

Er glaubte nicht, daß dieſer Ort ſicher ſey. Weil ich zu Anfang nicht Luſt gehabt haͤtte, lange hier zu bleiben, ſo waͤre er nicht ſo ſorgfaͤltig geweſen, als er ſonſt haͤtte ſeyn wollen, ſeinen Bedienten ſo wohl als der Frau Greme einzuſchaͤrfen, daß ſie nichts ausplaudern ſollten. Es waͤren einige Edel-Leute in der Nachbarſchaft mit deren Bedienten die lie - derlichen wilden Kerls herum zu ſauffen pflegten. Er koͤnnte mich deswegen ohnmoͤglich hier verlaſſen, ohne ein Auge auf meine Sicherheit zu haben. So bald ich einen Ort in England nennen wollte, da ich mich ohne Gefahr und unbemerckt aufhalten koͤnnte, ſo wollte er bis an das aͤuſſerſte Ende des Landes gehen, wenn dieſes zu meiner Gemuͤths - Ruhe etwas beytragen koͤnnte.

Jch geſtand ihm gantz deutlich: ich wuͤrde es mir nie vergeben, daß ich ihn zu der beſtimmten Zeit geſprochen haͤtte; und ihm eben ſo wenig, daß er mich verfuͤhret haͤtte, davon zu gehen. Meine Reue naͤhme von Tage zu Tage zu. Meine EhreK 5und154und guter Nahme ſey einmahl verletzt: und ich moͤchte thun was ich wollte, ſo wuͤrde ich dennoch die Scharte nicht wieder auswetzen. Er muͤſſe ſich nicht wundern, daß ich alle Stunden misvergnuͤg - ter uͤber ihn und uͤber mich wuͤrde. Kurtz, ich woll - te kuͤnftig fuͤr mich ſelbſt ſorgen; und ſo bald er mich verlaſſen haͤtte, wuͤrde ich ſelbſt am beſten wiſ - ſen, was ich thun und wohin ich mich wenden ſollte.

Er antwortete, er wuͤnſche ſich nichts mehr, als daß er die Erlaubniß haben moͤchte, mir einen de - muͤthigen Vorſchlag zu thun, und daß ich daruͤber nicht ungehalten werden, noch es fuͤr einen Bruch der Bedingungen anſehen moͤchte, die ich ihm vor - geſchrieben haͤtte. Er ſey aber ſo veſt, ſo heilig entſchloſſen, gegen alle meine Befehle die groͤſſeſte Folgſamkeit zu beweiſen, auch ſeit dem ich ihm am Montage ungern erlaubt haͤtte mir zu dienen, daß er ſich nicht unterſtuͤnde das zu ſagen, was er auf dem Hertzen haͤtte, es waͤre denn, daß ich ihm zum voraus Vergebung verſpraͤche, wenn ich ſeinen Vortrag nicht billigen koͤnnte.

Jch fragte ihn mit einiger Verwirrung: was er anzubringen haͤtte.

Er machte eine lange Vorrede, und ſehr viel Umſtaͤnde. Endlich brachte er auf eine furchtſa - me und ſcheue Art, die ihn gar nicht kleiden wollte, die Bitte an: daß wir uns bald moͤchten trauen laſſen. Hiedurch wuͤrden alle Umſtaͤnde zu unſerm Vortheil geaͤndert werden. Die naͤchſten drey oder vier Monathe, die ich ſonſt in der Stille und in der groͤſſeſten Furcht zubringen muͤßte, wuͤrdeich155ich auf eine vergnuͤgtere Weiſe anwenden koͤnnen, bey ſeinen Verwanten meinen Beſuch abzuſtatten, und von ihnen Beſuch anzunehmen. Mit der Fraͤulein Howe, mit wem ich beliebte, wuͤrde ich einen angenehmen Umgang haben koͤnnen. Eben hiedurch wuͤrde die Ausſoͤhnung mit meinen Anverwanten, die mir ſo ſehr am Hertzen liege, am beſten befoͤrdert werden.

Jch dachte eben an Jhren Rath, und er mach - te einen ſtarcken Eindruck bey mir. Seine Gruͤnde, und die Betrachtung meiner eigenen Umſtaͤnde, haͤtten bey nahe ein Ja erzwingen koͤnnen. Al - lein was ſollte ich ſagen? Jch haͤtte einen Vor - mund noͤthig gehabt. Jch konnte mich nicht uͤber - winden, ſo zu handeln, als wenn auf einmahl al - les das, was man juͤngferliche Zaͤrtlichkeit nen - net, vergeſſen ſeyn ſollte. Es that mir Leyd, daß dieſe ſo bald am Ende ſeyn ſollte.

Er ſahe, daß ich ſeinen Antrag nicht uͤbel nahm, Jch ward zwar feuer-roth, das weiß ich gewiß: und ſahe ſo aus, als wenn ich nicht wuͤßte wozu ich greiffen ſollte.

An Muthe fehlt es ihm nicht. Verlangt er, daß ich ſein allererſtes gnaͤdiges Wort bey den Haren ergreiffen ſoll? Jch ſchwieg ſtille! Pflegt nicht das dreiſte Geſchlecht hieraus ein Ja zu machen? Jch war nicht lange aus meines Vaters Hauſe weg. Jch hatte ihm vor Empfang Jhrer Briefe in meinen Briefen gemeldet, daß ich ihn nicht ver - langte, ehe er nicht gleichſam eine Probe-Zeit ausgeſtanden haͤtte. Wie konnte ich bey einem ſounver -156unvermutheten Antrage deutlichere Zeichen geben, daß mein Ja-Wort erfolgen ſollte? inſonderheit, nachdem er mich eben gezwungen hatte, ihm ſo derbe Warheiten in das Geſicht zu ſagen? Wenn mein Leben darauf geſtanden haͤtte, ſo haͤtte ich es nicht thun koͤnnen.

Er ſahe mir ſehr zuverſichtiglich in das Geſichte, nicht anders als wenn er mich, ungeachtet aller angenommenen Schuͤchternheit, bis auf den inner - ſten Grund des Hertzens ausforſchen wollte. Jch konnte ihn aus wahrer Schuͤchternheit kaum von der Seite anſehen. Mit vieler Unterthaͤnigkeit bat er mich um Vergebung; es ſchien faſt, als wenn ihm ſein Gewiſſen ſagte, daß er keine andere Ant - wort verdiente, als eine ſtillſchweigende Verach - tung. Die wahre Liebe (ſagte er) fuͤrchtete ſich im - mer, daß ſie die Geliebte beleidigen moͤchte. (Er mag ſich huͤten, daß ich ſeine Liebe nicht nach dieſer Regel unterſuche!) So heilig wollte er (der al - berne Menſch!) alle meine Befehle beobachten, die ich ihm gegeben haͤtte, ehe ich ihm die Ehre erzeigte

Jch konnte ihn nicht laͤnger anhoͤren, ſondern verließ ihn, (wiewohl in einer allzumercklichen Verwirrung,) damit er ſich in der Stille an ſeinen herrlichen Redens-Arten erquicken moͤchte.

Wenn es ihm ein wahrer Ernſt waͤre, daß ich ihm bald meine Hand geben ſollte, ſo war dieſes die gluͤcklichſte Zeit fuͤr ihn weiter in mich zu drin - gen. Allein er hat dieſe Gelegenheit aus den Haͤn -den157den gelaſſen: und jetzt iſt alle meine vorige geneigte Geſinnung in Unwillen verwandelt worden. Es iſt meine eintzige Sorge, wie ich mich von ſeiner Geſellſchaft los machen ſoll.

Jch verharre indeſſen Dero ergebenſte und treueſte Dienerin Cl. Harlowe.

Der funfzehente Brief von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford.

Was kann man mit einem Frauenzimmer an - fangen, das die Schmeicheley verachtet, und kein Lob annimt, welches ihr nicht von ihrem eige - nen Hertzen gegeben wird?

Warum will aber das liebe Kind ſein Ungluͤck gleichſam erzwingen? Warum trotzt es der Ge - walt, darunter es doch voͤllig ſtehet? Warum kraͤnckt es mich noch durch den Wunſch, daß es ſei - nes Vaters Haus niemahls verlaſſen haben moͤchte? Warum ſchlaͤgt es mir ſeine Geſellſchaft ſo lange ab, bis ich endlich die Geduld verliere, und mich ſo weit vergehe, daß es uͤber mich zuͤrnen kann? Warum zuͤrnt es uͤber meine Beleidigungen ſo ſehr, und treibt ſeine Empfindlichkeit ſo weit, als es die hochmuͤthigſte Schoͤne, die alle Gewalt in Haͤnden hat, wuͤrde thun koͤnnen?

Was158

Was meinſt du! Jſt es in ihren Umſtaͤnden klug, mir beſtaͤndig die Ohren mit der unangeneh - men Warheit zu reiben, daß ſie alle Stunden mis - vergnuͤgter uͤber mich iſt? daß ich gar nicht der Menſch bin, der in ihrem Umgange etwas lernt, und ſich beſſert? (Wuͤrdeſt du das einer Gefange - nen zu gute halten?) daß ſie nicht vergnuͤgt ſeyn kañ, ſo lange ich bey ihr bin? daß ſie ſich nicht nach dem Ausſpruch meiner fluͤchtigen Zunge beurtheilen wuͤrde? daß ich mir in meinen Kuͤnſten ſehr wohl gefallen muͤßte; durch die ich eine ſo auſſerordentli - che Perſon zu einer ſo groſſen Thoͤrin gemacht haͤtte, wenn ich glaubte, daß ſie das Lob wircklich ver - diente, das ich ihr gaͤbe? daß ſie ſich nie verge - ben koͤnnte, daß ſie ſich zu der beſtimmten Zeit eingefunden, und mir, daß ich ſie verfuͤhret haͤt - te? (die ſelbigen Worte ſind dieſes, die ſie gebrauch - te. ) daß ihre Reue von Stunde zu Stunde zunimt? daß ſie vor ſich ſelbſt ſorgen will, und unter keiner Vormundſchaft ſtehen will, weil es ihre Freunde der Muͤhe nicht werth hielten ihr nachzuſetzen? daß ihr Sorlings Haus alsdenn anſtaͤndig und be - quem ſeyn wuͤrde, wenn ich nicht mit darinnen waͤ - re? daß ich nach der Grafſchaft Berck, nach London oder wohin ich ſonſt wollte (vermuthlich zum Teuffel) gehen moͤchte, und von ihr einen willigen Abſchied bekommen ſollte?

Das unverſtaͤndige liebe Kind! dergleichen ſagt meine Schoͤne zu einem ſo rachgierigen Gemuͤthe, als das meinige in ihren Gedancken iſt: zu einem Menſchen von der freyeſten Lebens-Art, der ſiejetzt159jetzt in ſeiner Gewalt hat. Du weißſt, daß ich ſchon vorhin zweifelhaftig war, und die Wage - Schale bald auf dieſe bald auf jene Seite den Aus - ſchlag gab. Jch wollte nur ſehen, was ihr Hertz wircken und wie mich mein Hertz fuͤhren wuͤrde. Du ſieheſt wohin ſich ihr Hertz lencket; kannſt du zweifeln, ob ſich das meinige eben ſo entſchlieſſen werde? hatte ſie nicht vorher eine genugſame Laſt der Suͤnden? Warum zwinget ſie mich, daß ich an das vergangene zuruͤck dencken muß.

Jch will die Sache bey mir uͤberlegen, und dir meine Entſchlieſſung berichten.

Wenn du nur wuͤßteſt, wenn du nur mit Augen geſehen haͤtteſt, wie ſie mit mir als mit dem aller - niedrigſten Sclaven umgegangen iſt. Jch hatte mir zu viel herausgenommen; wie ſie es nennete: allein es zeigete dieſes blos meine Liebe zu ihr an, und daß ich ohne ihre Geſellſchaft nicht leben koͤnn - te. Sie raͤchete ſich an mir, und erniedrigte mich recht. Jch mußte mich umſehen, ohne daß ich ein Wort ſagen konnte. Wahrlich ſie hatte ſo vielen Vortheil uͤber mich, und gab mir ſo empfindliche Antworten, daß ich mich kaum mit einem Worte verantworten konnte. Jch ſchaͤme mich es dir zu ſagen, wie armſeelig ich ausſahe. Allein, wenn ſie nur an einem andern Orte und in anderer Ge - ſellſchaft geweſen waͤre, ſo haͤtte ich ihr etwas ſagen koͤnnen, das ihren Stoltz gedemuͤthiget ha - ben wuͤrde.

An einen ſolchen Ort muß ich ſie bringen; an ei - nen Ort, da ſie mich nicht fliehen kann. Damuß160muß ich ſehen, wohin ſich mein Hertz neiget, und was durch die Liebe, die immer ihre Geſtalt ver - aͤndert, ausgerichtet werden kann. Meine Liebe wird bald hochmuͤthig, bald demuͤthig ſeyn, bald warten, bald fodern, bald ſich in ihrem Willen be - ruhigen muͤſſen, bis ich ſie ermuͤdet habe, mir laͤn - ger zu widerſtehen. Deutlicher will ich jetzt nicht ſeyn: ich werde aber kuͤnftig mehr ſchreiben, wenn ich mehr thue, und mich in meinen Entſchlieſſun - gen beſtaͤrcke oder ſie wieder fahren laſſe. Wenn ſie den vorigen Verdruß erneuren will wenn ſie das thun will Doch ſtille! Vor jetzt keine weite - re Drohungen!

Der ſechzehente Brief. Herrn Lovelaces Fortſetzung von dem vorigen Briefe.

Sehe ich nicht deutlich, daß ich weiter nichts noͤthig habe, als Geduld, wenn ich alles in Haͤnden haben will? Wie? wenn alle Klagen uͤber die Nachrede, die ſie ſich zugezogen hat; alle taͤglich zunehmende Reue uͤber die Unterredung mit mir; alle Unmoͤglichkeit, mir es zu vergeben, daß ich ſie verfuͤhret habe; alle zornige Befehle, ſie zu verlaſſen; keinen andern Endzweck haͤtten, als et - ne baldige Trauung? Wie? wenn alles ihr Misvergnuͤgen und ſpitzige Worte keinen andern Grund haͤtten, als dieſen, daß ich von der Ma - terie nicht mehr und deutlicher geredet habe?

Jch161

Jch habe ſchon einmahl in der Ferne etwas ge - redet, dadurch das unwiderrufliche Verſprechen, das ich ihr ehemahls gegeben habe, verletzet ward: allein nur dunckel, und ſo, daß ich gleich abbrach, ſo bald ſie meine Meinung faſſete, damit ſie nicht dencken moͤchte, daß ich mir meine Gewalt, in der ſie ſich befand, zu Nutze machen wollte: nachdem ſie mir vorhin ſo ſcharf unterſaget hatte; keine Bitte von der Art anzubringen, bis meine Beſſe - rung ihr in die Augen leuchtete, und bis es ſich zur Verſoͤhnung mit den Jhrigen naͤher anlieſſe.

Allein da ſie in unſerm Streit ſo ſehr die Ober - hand uͤber mich bekam, und mich ſo ſehr drang, daß ich ſie verlaſſen ſollte; da ich keinen guten Vor - wand hatte, ſie wider ihren Willen zuruͤck zu hal - ten, und ſie bey dem mindeſten Argwohn ſich ſo leicht in andern Schutz haͤtte begeben, oder nach Harlowe-Burg und zu dem Solmes zuruͤck keh - ren koͤnnen: ſo ſprach ich freyer von der Sache, und hielt ihr Gruͤnde vor, um welcher willen ſie ſich nach den Geſetzen der Kirche mit mir verbin - den, und mich zu zu dem gluͤcklichſten Menſchen machen moͤchte. Allein ich that dieſes mit un - endlicher Furcht und Bloͤdigkeit, damit ich ſie nicht erzuͤrnen moͤchte. Und o wie deutlich bezeugeten die ſich verfaͤrbenden Wangen, die nie - dergeſchlagenen Augen, die ſtillen und ſich doch be - wegenden Lippen, der aufſchwellende Buſen, die insgeſammt doppelt ſchoͤn waren, daß meine zaͤrt - liche Schoͤne den Antrag nicht fuͤr eine Tod-Suͤn - de anſahe.

Dritter Theil. LUn -162

Unvergleichliches Kind, dachte ich, iſt es ſo bald dahin gekommen? (Allein, Belford, daß kein Frauenzimmer von meinem Stoltz uͤber dieſen Sieg Nachricht bekommt!) Bin ich ſchon Herr uͤber Clariſſa Harlowe, und uͤber ihr Schickſaal? Bin ich ſchon der bekehrte Mann, den du ver - langeteſt, ehe du mir noch die geringſte Erlaubniß gabeſt zu hoffen? Jſt es ſo richtig, was du ge - ſtanden haſt, daß du, je laͤnger du mich ken - neſt, deſto weniger Urſache findeſt mit mir zu frieden zu ſeyn? Kann Luſt und Verſtellung auch in einer ſolchen himmliſchen Bruſt Platz finden? Du verweiſeſt und verbanneſt mich von dir, du dringeſt recht ernſtlich auf meine Entfernung, um mich deſto naͤher mit dir zu verbinden, und um mir die Wohlthat recht groß und dein Ja deſto ange - nehmer zu machen? Es iſt gut! Deine Liſt berech - tiget mich, auch Liſt zu gebrauchen, und reitzet mich, meinen ſchelmiſchen Kopf an dir zu ver - ſuchen.

Allein wiſſe, allerliebſtes Maͤdchen, wenn dei - ne Wuͤnſche erfuͤllet werden ſollen, ſo mußt du mir erſt Rechenſchaft geben, warum du ſo ungern mit mir davon gegangen biſt, da doch deine Flucht ſchlechterdings nothwendig war, fals du dich nicht wolteſt mit dem elendeſten Kerl zuſammen ſchmie - den laſſen: mit einem Kerl, vor dem du einen Abſcheu haben mußteſt, wenn du nicht eben ſo ungerecht gegen dich ſelbſt ſeyn wollteſt, als du ge - gen mich geweſen biſt.

Jch163

Jch bin es ſchon wohnt geworden, von ſol - chen vorgezogen zu werden, die dir am Stande gleich ſind, ob ſie dir gleich an eigenen Vorzuͤgen nicht gleich gekommen ſind. Wo iſt aber ein Erauenzimmer, das hierin von dir nicht uͤbertroffen wird? Soll ich nun eine ſolche Schoͤne heyrathen, von der ich nicht verſichert bin, ob ihr Hertz mir ei - nen Vorzug vor allen andern Freyern giebet?

Nein, ſchoͤnes Kind! Jch bin deinen Befehlen viel zu gehorſahm, als daß ich ſollte zugeben, daß ſie ſelbſt von dir gebrochen wuͤrden. Jch will mir deine Meinung nicht blos durch ein ſchuͤchternes Stillſchweigen ſagen laſſen. Jch will nicht im Zweifel bleiben, ob du dich aus Liebe oder aus Noth ſo weit heruntergelaſſen haſt, auf meinen An - trag nicht allzu viele Ungnade zu werfen.

Nach dieſen Regeln handelte ich; und legte ihr Stilleſchweigen als eine Folge ihrer Verachtung und ihres Misvergnuͤgens aus. Jch bat ſie um Vergebung, daß ich einen Antrag gethan haͤtte, von dem ich mit ziemlicher Wahrſcheinlichkeit zum voraus ſehen konnte, daß er ihr unangenehm ſeyn wuͤrde. Jch wuͤrde kuͤnftig allen ihren ehemaligen Befehlen die genaueſte Folge leiſten, und ſie ſollte in meiner gantzen Auffuͤhrung die Wahrheit des Satzes ſpuͤren: daß die wahre Liebe ſehr furchtſahm iſt, die Geliebte zu beleidigen.

Mich duͤnckt, du frageſt: was konnte die Fraͤu - lein hierzu ſagen?

Sagen? Sie ſahe misvergnuͤgt, ver - ſtoͤrt, verwirret aus, und als wenn ſie nicht rechtL 2wuͤßte,164wuͤßte, ob ſie mit ſich oder mit mir boͤſer ſeyn ſol - te. Sie ſahe weg, wie es ſchien, eine Thraͤne zu verbergen, die ihr in die Augen trat; und ich konn - te kaum hoͤren, daß ihr ein Seufzer aufſtieg, den ſie zu unterdrucken ſuchte. Sie ging hiemit weg, und uͤberließ mir das Feld.

Sage mir nichts von Hoͤflichkeit! nichts von Grosmuth! nichts von Mitleiden! Jſt ſie mir nicht ſelbſt gewachſen? Noch mehr als gewachſen! Hat ſie nicht den Vortheil uͤber mich, ſo oft wir rechtmaͤßige Waffen gebrauchen? Hat ſie mich nicht gezwungen, an ihrer Liebe zu zweiffeln? Hat ſie ſich nicht recht bemuͤhet, mir die Erklaͤrung zu thun, daß ſie dem Solmes nicht aus Zuneigung zu mir abgeneigt geweſen iſt? und daß es ſie gereue, daß ſie ſich vor ihm in Sicherheit geſetzt habe, d. i. daß ſie mir Wort gehalten habe?

Was wuͤrde es dem Harlowiſchen Hochmuth fuͤr eine Nahrung ſeyn, wenn ich ſie jetzt heyrathe - te? Die Familie iſt meiner in Abſicht auf den Rang ungleich: keiner in der gantzen Familie, nur die Fraͤulein ausgenommen, iſt einer ſolchen Ver - bindung werth! Meine eigene Guͤter ſind nicht zu verachten. Jch behelffe mich mit meinen Ein - kuͤnften, um denen nicht Danck ſagen zu duͤrfen, die beſſer ſind als alle Harlowes, und bin keinem Menſchen in der Welt verpflichtet. Jch habe noch mehr zu erwarten. Meine Perſon, meine Gemuͤths-Gaben, meine Geſchicklichkeit ſind zum wenigſten nicht zu verachten. Dennoch haben ſie mich hoͤhniſch abgewieſen. Jch bin gezwungenwor -165worden, einen heimlichen verſtohlenen Brief-Wech - ſel mit der Tochter zu unterhalten; und zwar dieſes zu einer Zeit, da ſich zwey von den vornehmſten Fa - milien im Koͤnigreiche guͤnſtig geaͤuſſert haben, ohne daß ich mich einließ, ſo wohl aus Liebe zu ihr, als auch weil ich entſchloſſen bin, gar nicht zu heyra - then, wenn ich ſie nicht bekommen kann. Jch bin gezwungen worden, ſie ihnen, ja ihr ſelbſten zu ſtehlen. Und ich ſollte mich noch ſo weit bringen laſſen, daß ich die Harlowes um Vergebung baͤte? Jch ſollte darum bitten, daß ich fuͤr einen Sohn des finſtern Unmenſchen angeſehen werden moͤchte, der ſich nichts als ſeines Reichthums ruͤhmen kann? fuͤr einen Bruder eines Kerls, der einen toͤdlichen Haß gegen mich hat? und einer Schweſter, die nicht werth war ſie zu verfuͤhren, und die ich ſonſt haͤtte haben koͤnnen, wie ich wollte? (Nicht den zehnten Theil der Muͤhe ſollte es mir gekoſtet ha - ben, die ich bey ihrer Schweſter habe anwenden muͤſſen, ohne etwas zu erhalten, ob ſie gleich die - ſer Schweſter ſo grauſam und hoͤhniſch begegnet hat.) Jch ſollte gute Worte darum geben, daß ich ſolche Leute Onckles nennen duͤrfte, die keine Ehre haben, als daß ſie Geld erworben haben, die mir veraͤchtlich begegnen, und glauben wuͤrden, daß ich mir blos einen Weg zu ihrem Gelde zu bahnen ſuchte? Das waͤre dem Blute der Lovelaces ei - ne Schande, wenn der letzte und (ich darf wohl ſagen) nicht der ſchlechteſte von der Familie ſo um eine Frau betteln ſollte.

Jch will bald mehr ſchreiben.

L 3Der166

Der ſiebenzehnte Brief. Eine Fortſetzung des vorigen von Herrn Lovelacen.

Allein iſt es nicht die Goͤttin Clariſſa, (Har - lowe will ich ſie nicht nennen. Mein Hertz empoͤret ſich mit Verachtung dagegen, und ehret nichts Harlowiſches, als ſie) der ich jetzund drohe? Wie edel iſt ſie, wenn der wahre Adel in der Tu - gend beſtehet? und wie wuͤrde man durch eine Ver - bindung mit ihr geadelt werden, wenn nicht die Familie, von der ſie entſprungen iſt, und die ſie mir vorziehet, auch ihren wahren Adel entehrete?

Doch wie uͤbereile ich mich? Jſt nicht etwas an dieſem goͤttlichen Kinde auszuſetzen, oder auszuſe - tzen geweſen? Wenn auch dieſer Fehler fuͤr mich guͤnſtig und gluͤcklich geweſen waͤre, ſo frage ich dich, ob nicht die Erinnerungen dieſes Fehlers mich kuͤnftig wuͤrde ungluͤcklich machen koͤnnen, wenn ſie gantz mein Eigenthum iſt, und die Neuigkeit auf - hoͤrt meine Liebe zaͤrtlicher zu machen? Wenn es Leute von freyem Leben mit dem Frauenzimmer ge - nau nehmen, ſo nehmen ſie es ſehr genau: denn ſelten pflegt die Tugend der Schoͤnen, die ſie auf die Probe ſetzen, bewaͤhrt zu ſeyn; und nach dem Beyſpiel dieſer gefallenen beurtheilen ſie das gantze ſchoͤne Geſchlecht. Gegen gute Gelegenheit und gegen Dreiſtigkeit kann ſich kein Frauenzimmer wehren, wenn der Liebhaber nur nicht ablaͤſſet, und ſeine Verſuchungen nach deſſen herrſchender Leyden -ſchaft167ſchaft einrichten kann. So lautet, wie du weißeſt, der erſte Artickel unſeres Frauenzimmer-Glaubens.

Mich duͤnckt, ich hoͤre dich ſchon voller Verwun - derung fragen: wie? zweiffelſt du auch noch an die - ſem unvergleichlichen Frauenzimmer? Willſt du die Tugend einer Clariſſa in Zweifel ziehen?

Nein! Jch unterſtehe mich nicht, daran zu zweif - feln! Meine Ehrfurcht erlaubt mir nicht, einen ei - gentlichen Zweifel zu haben. Allein ich will dich wie - der fragen: iſt es nicht moͤglich, daß ihre Tugend eine Frucht des Hochmuths iſt? Weſſen Tochter iſt ſie? Jſt ſie nicht eine Tochter? Wenn ſie ohne Suͤn - de iſt, wie kam ſie dazu, daß ſie ohne Suͤnde empfangen und gebohren ward? Sie hat ſich bis - her von dem Hochmuth regieren laſſen. Die Hofnung, ein Muſter aller Frauenzimmer zu wer - den, hat ſie bisher unuͤberwindlich gemacht. Jſt aber nicht dieſer Hochmuth jetzund geſtuͤrtzt? Wozu laſſen ſich Frauenzimmer und Manns-Per - ſonen bringen, wenn ſie in betruͤbten Umſtaͤnden ſind? Welches Gemuͤth kann dem Ungluͤck wi - derſtehen? Der Hochmuth iſt das vornehmſte Auſſenwerck der Tugend des Frauenzimmers. Man erniedrige eine Schoͤne, ſo wird ſie mit Nachdruck erniedriget werden.

Weiter! Wer ſagt es, daß die Fraͤulein Cla - riſſa Harlowe das Muſter der Tugend, ja die Tugend ſelbſt ſey?

Du wirſt antworten: alle die ſie kennen, und die von ihr gehoͤrt haben.

L 4Das168

Das iſt ſo viel, als: die gemeine Sage! Soll man die Tugend an der gemeinen Sage erkennen? Jſt ihre Tugend jemahls auf die Probe geſtellet? Wer hat ſich das bisher unterſtanden?

Jch habe dir gemeldet, daß ich alles uͤberlegen, und gleichſam mit mir ſelbſt ſtreiten wollte. Jch habe angefangen dieſes zu thun, ehe ich daran gedachte.

Laß mich alles genau unterſuchen!

Jch weiß, wie uͤbel das lautet, was ich bisher geſagt habe, und noch ferner ſagen werde. Allein was thue ich anders, als daß ich die Tugend auf den Probier-Stein bringe, um ſie deſto mehr zu ehren, wenn es wahre Tugend iſt? Weg demnach mit al - len Einwendungen, welche aus der Schwachheit entſtehen koͤnnen, die man faͤlſchlich Danckbarkeit nennet, und die oͤfters ein edles Hertz verfuͤhret!

Zur Probe! dieſes unvergleichliche Kind ſoll die allerſchaͤrfſte Probe ausſtehen: damit das gan - tze ſchoͤne Geſchlecht, ſo viel ihrer etwas aus mei - nen Briefen leſen duͤrfen. (Denn ich weiß doch, daß du die Hertzen deiner Bekannten bisweilen mit ei - nigen Stellen aus meinen Briefen erquickeſt, die niemanden zum Nachtheil gereichen, und keinen Nahmen verrathen. Deſto mehr habe ich Luſt, dir aufzuwarten.) Damit, ſage ich, alle ſchoͤne Kinder ſehen moͤgen, wie ſie beſchaffen ſeyn ſollen, und was man von ihnen erwartet; inſonderheit, wie ſorgfaͤltig ſie ſeyn ſollen, wenn ſie mit einem nachdenckenden (hochmuͤthigen, wirſt du dazu ſetzen) Liebhaber zu thun haben, daß er nichtſchlech -169ſchlechtere Gedancken von ihnen faſſen moͤge, wenn ſie ihm einige Gunſt erzeigen, die aus der Schwaͤ - che ihres Hertzens hergeleitet werden koͤnnte. Denn haͤnget nicht des Mannes Ehre von der Frau ab? Beſchimpfen ihre Vergehungen nicht den Mann mehr, als ſie ſelbſt.

Habe ich ohne Urſache eine Abneigung gehabt, Feſſeln zu tragen?

Wohlann denn, auf die Probe! denn ich lege mir jetzt im Ernſt die Frage vor, ob ich heyrathen ſoll? und ob ſie meine Liebſte von dem erſten oder von dem zweyten Range ſeyn ſoll?

Jch will billig verfahren. Jch will dem lieben Kinde alle Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, ja ich will recht guͤtig, recht edel handeln. Jch will mei - ne Clariſſa ſo wohl nach ihren eigenen Urtheilen uͤber ſich, als nach unſern Grund-Saͤtzen pruͤfen.

Sie verweiſet es ſich, daß ſie mit mir Briefe gewechſelt hat, da bekannt war, daß ich eine freye Lebens-Art fuͤhrte. Es war in der That meine erſte Abſicht, ſie in einen geheimen Briefwechſel zu ziehen: und ich erhielt meinen Zweck durch Mittel, die ihr ſelbſt unbekannt waren.

Was hatte ſie fuͤr Urſachen, die ſie bewogen, mit mir Briefe zu wechſeln? Sind es keine Urſachen, die ihrer uͤbertriebenen Tugend verdaͤchtig ſind; warum verweiſet ſie ſich den Briefwechſel?

Jſt es moͤglich geweſen, daß ſie fehlete? und daß ſie ſo lange fortfuhr zu fehlen?

Jch frage nicht, wer der Verſucher, oder wie ſtarck und ſcheinbar die Verſuchung geweſen ſey. L 5Auf170Auf die That, auf den Jrrthum ſelbſt kommt es an.

Fuhr ſie nicht wider ihrer Eltern Verbot fort, Briefe mit mir zu wechſeln?

Das geſtehet ſie ſelbſt.

Hat jemahls eine Tochter einen ſtaͤrckern Ein - druck von dem Umfang der Pflichten des vierten Gebotes gehabt, als ſie?

Niemahls!

Wie ſtarck muͤſſen denn die Triebe geweſen ſeyn, die eine ſo gehorſame Tochter zum Ungehorſam verleitet haben? Was mußte ich vor Gedancken von ihnen hegen? Was fuͤr Hofnung mußte ich darauf bauen, ſo lange ich alles von dieſer Seite anſahe?

Allein hier kann eingewandt werden, daß ihre vornehmſte Abſicht war, ein Ungluͤck zu verhuͤten, das zwiſchen ihrem Bruder und Verwanten, und dem Manne, dem jene ſo baͤuriſch begegneten, vorgehen moͤchte.

Warum bekuͤmmerte ſie ſich aber um andere, die ſich um ſie nicht bekuͤmmern? War nicht ihrer Sorgfalt ohngeachtet die Schlaͤgerey vorgegangen? Welche tugendhafte Perſon wird ihre Schein - Pflicht, die ſie ſelbſt fuͤr Pflicht erkennet, um ir - gend einer Urſache willen uͤbertreten? Vielweniger haͤtte ſie ſich durch die Begierde, ein ungewiſſes Uebel zu verhuͤten, ſollen verleiten laſſen.

Faͤllſt du mir nicht ſchon wieder in die Rede, und ſprichſt: du Lovelace warſt vorhin der Verfuͤhrer? und jetzt wirſt du der Anklaͤger?

Jch171

Jch bin nicht ihr Anklaͤger. Jch uͤberlege die Sache nur von beyden Seiten, und in meinem Hertzen ſpreche ich mein himmliſches Kind los, und verehre es. Allein ich will genau unterſuchen, ob ich ſie nach Verdienſt oder aus der Schwachheit, die man Liebe nennet, losſpreche.

Wir wollen einmahl ſetzen, daß ſie einen an - dern Bewegungs-Grund gehabt, dieſes zu thun: ſo iſt es die Liebe geweſen. Die gantze Welt wuͤrde ſie deswegen entſchuldigen. Allein ich will auch der gantzen Welt ſagen, daß ſie dieſes thut, nicht weil es Recht iſt, ſondern weil ſie ſich gern verleiten laͤßt.

So ſey denn die Liebe ihr Bewegungs-Grund! Die Liebe zu wem?

Zu einem Lovelace!

Jſt aber nur Ein Lovelace in der Welt? koͤnnen nicht mehrere Lovelacen ſeyn, die ſich in ihre Geſtalt und in ihre unvergleichlichen Eigen - ſchaften verlieben? Jhre Tugend zog mich zuerſt; ihre Schoͤnheit und Verſtand machten meine Ket - ten ſtaͤrcker: alle dieſe Eigenſchaften zuſammen ge - nommen, machen, daß ich ſie jetzt fuͤr wuͤrdig an - ſehe, mich im Ernſt um ſie zu bewerben.

Hat ſie aber ſo viel Aufrichtigkeit, hat ſie ein ſo offenes Hertz, daß ſie ihre Liebe geſtehet?

Nein! das hat ſie nicht.

Wenn es denn im Grunde doch Liebe iſt, ſo frage ich, iſt nicht noch ein Laſter unter dem Schatten der Liebe verſteckt? Hat ſie etwas gezwungenes? Oder iſt es Hochmuth?

Was172

Was iſt endlich der Schluß? Jſt die goͤttliche Clariſſa Harlowe im Stande, einen zu lieben, den ſie nicht lieben ſollte? kann ſie etwas gezwungenes und unnatuͤrliches an ſich haben? Jſt ihre Tugend auf Hochmuth gegruͤndet? Wenn ein Ja hierauf zur Antwort faͤllt; muß ſie denn nicht eine Frau - ens-Perſon ſeyn?

Kann ſie einen ſolchen Liebhaber im Zaum hal - ten? Muß der vor ihr zittern, der ſonſt lauter Sieges-Lieder uͤber die ſchoͤnen Kinder ſang? Kann ſie ſich ſo verſtellen, daß er bisweilen zweifelhaftig iſt, ob ſie ihn, ob ſie irgend eine Manns-Perſon in der Welt liebet? und hat ſie dennoch nicht die voͤllige Herrſchaft uͤber ſich in ſolchen Stuͤcken, auf denen ihrer Meinung nach ihre Ehre beruhet? (Jch verdamme ſie noch nicht: ich unterſuche die Sache nur.) Laͤßt ſie ſich ſo weit treiben, daß ſie verſpricht, ihres Vaters Haus zu verlaſſen und mit ihm davon zu gehen, da ſie ihn doch kennet? und zwar dieſes unter der Bedingung, daß er ſie nicht heyrathen ſoll, bis eine ſehr zufaͤllige, eine unwahrſcheinliche Veraͤnderung erfolget ſeyn wird? Man gebe zu, daß ihre Umſtaͤnde ein jedes anderes Frauenzimmer entſchuldigen koͤñten. Solte aber eine Clariſſa durch Umſtaͤnde verfuͤhret werden koͤnnen, wenn ſie ſelbſt ſich daruͤber anklaget, daß dieſe Um - ſtaͤnde einen Einfluß in ihr Gemuͤth gehabt haben?

Was iſt dazu zu ſagen, daß das liebe Kind ſich entſchließt, ſein Verſprechen zuruͤck zu nehmen; und ſich dennoch zu der beſtimmten Stunde einſtel - let mit ſeinem Liebhaber zu ſprechen? mit einemdrei -173dreiſten und verwegenen Mann, dem es einige mahl vorhin nicht Wort gehalten hatte? Mußte meine Schoͤne nicht dencken, daß dieſer Mann kaͤ - me, die Fruͤchte ſeiner Arbeit einzuernten, und ſie zu entfuͤhren? Wir ſehen, daß er ſie wuͤrcklich ent - fuͤhret, und ſie in ſeine Gewalt bekommt? koͤn - nen nicht mehr Lovelacen, nicht mehr dreiſte und unermuͤdete Wagehaͤlſe in der Welt ſeyn; wenn ſie gleich nicht eben denſelben Weg nehmen zu ihrem Endzweck zu gelangen?

Hat eine Clariſſa fehlen koͤnnen? Verurtheilet ſie ſich ſelbſt? Hat ſie einen ſo wichtigen Fehltritt gethan? Kann ſie nicht kuͤnftig fehlen? Kann ſie nicht in der groͤſſeſten Sache fehlen, auf die alle ihre uͤbrigen Fehltritte zielen?

Sage du nicht, daß die Tugend nach dem Urtheil des Himmels eben ſo wohl ein Schmuck des maͤnn - lichen als des ſchoͤnen Geſchlechtes ſey. (Durch Tugend verſtehe ich jetzt die Keuſchheit, und eine Unuͤberwindlichkeit gegen alle Verſuchungen. Von meiner Clariſſa iſt jetzt die Frage nicht.) Frage mich nicht, ob die Manns-Perſon Recht hat ein unſchuldiges, ein uͤber allen Verdacht reines Frauen - zimmer zu fodern, wenn ſie ſelbſt unordentlich ge - lebet hat? Nichts von dieſen Dingen. Denn die Frau thut durch ihren Fehltritt dem Manne ein viel groͤſſeres Unrecht, als der Mann ihr thun kann: ein Unrecht, das nicht blos den Mann, ſondern die gantze Familie betrifft. Sie raubet ſein Eigenthum, und giebt es eines andern Mannes Kindern, da ſeine eigenen Kinder entweder gantzaus -174ausgeſchloſſen, oder doch ihr Erbtheil geſchmaͤh - lert wird; indem er glaubt, daß es insgeſammt ſeine eigene Kinder ſind. Jn den Augen Gottes koͤnnen dieſe beyden Verſuͤndigungen gewiß nicht gleich ſeyn. Jch habe auch an einem Orte in der Bibel geleſen, daß das Weib um des Mannes willen gemacht iſt, und nicht der Mann um des Weibes willen. Der Mangel der Tugend iſt folglich bey dem Frauenzimmer weniger als bey uns zu entſchuldigen.

Wie iſt mir? Wuͤrde nicht einer, der froͤmmer iſt als du, ſagen: und du Lovelace forderſt eine ſolche Vollkommenheit von dem Frauenzimmer?

Ja! will ich antworten. War nicht der groſſe Caͤſar ein Verfuͤhrer der Frauens-Leute? Nenne - ten ihn nicht ſeine Soldaten bey dem Triumph ei - nen kahlkoͤpfigten Ehebrecher? Warneten ſie nicht oͤffentlich die Weiber und Toͤchter ſeiner Mit - buͤrger? Und dennoch gab Caͤſar ſeiner Frau einen Scheide-Brief, weil ſie mit dem Clodius in Ge - ſellſchaft geweſen war, oder vielmehr weil Clodius ſich in ihre Geſellſchaft eingeſchlichen hatte, und entdeckt ward. Was war die Urſache, die er an - gab: Caͤſars Frau muß in keinem uͤbeln Ver - dacht ſtehen!

Caͤſar hatte keine hochmuͤthigere Seele als Lo - velace.

Gehe damit hin, Bruder, und tadele Love - lacen nicht, laß ihn auch nicht von andern geta - delt werden. Sage nicht, daß einer, der ſich ſeiner Vorfahren ruͤhmen kann, zu viel verlanget, wenner175er eine recht himmliſch keuſche Frau verlanget, ob ihm gleich der Himmel die Gabe der Keuſchheit nicht verliehen hat.

Was meine Clariſſa anlanget, ſo kann ich kaum glauben, daß jemahls ein ſolcher Engel un - ter den Schoͤnen geweſen iſt. Allein hat ſie nicht nach ihrem eigenen Urtheil geſuͤndiget? Hat ſie nicht Dinge unternommen, die weder die Welt noch ihre Familie jemahls von ihr erwartet haͤtten? und die ihr die Jhrigen nicht vergeben wollen?

Verwundere dich nicht, daß ich keine Entſchul - digung anhoͤren will, wenn die Rede von einem Muſter der Tugend iſt. Alsdenn gelten alle Ver - anlaſſungen nicht, dadurch ſie gezwungen, da - durch ſie auf das aͤuſſerſte getrieben zu ſeyn ſcheinet. Verſuchungen ſind eben der Probier-Stein der Tugend. Ein Muſter der Tugend muß ſich durch nichts ſo weit treiben laſſen, daß es aufhoͤre ein Muſter zu ſeyn.

Kann mein bisheriges Gluͤck mich nicht reitzen, mein Gluͤck noch weiter zu wagen? Es iſt nur ein Verſuch, Bruder. Wer will fuͤr dieſe goͤttliche Clariſſa beſorgt ſeyn, wenn ſie in Verſuchung ge - fuͤhret wird? Du weißt, daß ich einige mahl einen ſolchen Verſuch bey Frauenzimmern von gutem Stande gewagt habe; und keine hat mir einen Monath lang widerſtehen koͤnnen, keine hat meine Erfindungen erſchoͤpft. Jch habe daraus einen Schluß gemacht, und das gantze Geſchlecht verur - theilet. Weil ich noch keine unuͤberwindliche Tu - gend angetroffen habe, ſo habe ich ſchwoͤren wollen,daß176daß alle Tugend aller Frauenzimmer uͤberwindlich ſey. Es iſt dem gantzen Geſchlechte daran gele - gen, daß dieſer Verſuch angeſtellet wird. Wer kennet aber meine Clariſſa, und hat noch einiges Bedencken, ihr die Ehre des gantzen Geſchlechtes anzuvertrauen? Wenn ein Frauenzimmer iſt, das eine Einwendung gegen ſie machen will, ſo wage es ſich, und trete an ihre Stelle.

Jch verſichere dir, daß ich mir ungemein hohe Gedancken von der Tugend mache; wie ich ſie mir von allen den Vollkommenheiten mache, die ich zu erlangen nicht im Stande geweſen bin. Es wuͤrde nicht ein jeder Menſch, der frey gelebet hat, ſo reden oder dencken: weil er ſich ſelbſt da - durch verdammen wuͤrde. Allein die Freymuͤ - thigkeit in dem Bekennen meines Unrechts iſt mir angebohren, und eine unterſcheidende Eigenſchaft von mir.

Der Satan, (dem du vielleicht Schuld geben wirſt, daß er mich jetzt anreitzet. Du kannſt da - von dencken, was du willſt) der Satan ſage ich verſuchte unſern frommen Stamm-Vater auf die gefaͤhrlichſte Weiſe. Die Ehre und die Beloh - nung unſers erſten Vaters hing von ſeinem Ver - halten bey dieſer Verſuchung ab. Wenn eine un - ſchuldige Perſon noch einigem Verdachte unterwor - fen iſt, ſo muß ſie wuͤnſchen, auf eine unpartheyi - ſche Probe geſetzt zu werden.

Es iſt wahr, Rinaldo verbittet bey Arioſto den Becher des Mantuaniſchen Ritters, durchden177den der Hahnrey entdecket ward. (*)Ein jeder Hahnrey, der aus dieſem Becher tranck, mußte ſich begieſſen. Siehe des Arloſto drey und viertzigſtes Buch in dem Orlando Furioſo. Er dachte alſo: warum ſoll ich mich bemuͤhen, etwas zu finden, das ich nicht gern finden wollte? Mei - ne Frau iſt eine Frau! Sie iſt ein ſchwaches Werckzeug! Jch kann doch ohnmoͤglich eine beſſere Meinung von ihr bekommen, als ich ſchon jetzt ha - be: und es wuͤrde mein eigener Schade ſeyn, wenn ich meine gute Meinung fahren laſſen muͤßte. Allein Rinaldo wuͤrde gewiß aus dem Becher ge - truncken haben, wenn ſie ihm noch nicht angetrauet geweſen waͤre, weil ihm die Entdeckung haͤtte nuͤtz - lich ſeyn koͤnnen.

Jch wuͤrde den Becher nicht haben voruͤbergehen laſſen, wenn ich gleich verheyrathet geweſen waͤre. Denn vielleicht waͤre ich meiner guten Meinung beſtaͤrcket worden; und zum wenigſten haͤtte ich er - fahren, ob ich eine Schlange oder eine Taube in meinem Buſen hegete.

Wieder auf die Sache zu kommen! Jſt das ei - ne wahre Tugend, die keine Probe ausſtehen kann? Was muß das fuͤr ein Frauenzimmer ſeyn, das keine Probe ſeiner Jungferſchaft oder Keuſch - heit ausſtehen will?

Der Satz ſtehet veſt: die Ehre meines Kindes erfodert, daß es eine Probe ausſtehe.

Wer ſoll es aber auf die Probe ſetzen? Soll es nicht eben der thun, von dem die Fraͤulein vor -giebt,Dritter Theil. M178giebt, daß er ſie ſchon zu geringeren Fehlern ver - leitet habe? und zwar eben dieſe Perſon muß es ſeyn, um ihrentwillen. Jn einem doppelten Ver - ſtande um ihrentwillen. Sie hat bey ihr einen an - genehmen Eindruck gemacht: Die Fraͤulein weiß und bedauret dieſes, folglich iſt ſie gegen neue Verſuchungen mehr geruͤſtet.

Man muß geſtehen, daß ſie ſich jetzt nicht in vor - theilhaften Umſtaͤnden befindet: allein deſto groͤſſer wird die Ehre des Sieges ſeyn.

So fuͤrchte dich denn nicht, artiges Kind, vor neuen Verſuchungen; und haſſe mich nicht, weil ich dein Verſucher bin. Welches Frauenzimmer kann man tugendhaft nennen, ehe es verſucht iſt? Eine eintzige Verſuchung iſt nicht hinlaͤnglich: denn ein ſchoͤnes Hertz iſt bisweilen dieſe Stunde wie Demant, und die folgende Stunde wie Wachs. Jch habe es oft erfahren: und dir wird dieſe Wahr - heit auch nicht neu ſeyn.

Mich duͤnckt du ſageſt: das wuͤrde eine artige Sache fuͤr das Frauenzimmer ſeyn, wenn ſie alle auf die Probe geſtellet werden ſollten!

Das ſey ferne, Bruder! Jch bin liederlich: Allein ich bin kein Freund von liederlichen Leuten, dich und deine Geſellſchaft ausgenommen.

Hoͤre demnach einen lehrreichen Satz, den ich durch ſo viele Schluͤſſe herausbringe: Die loſen Schoͤnen, die nicht nach meiner Redens-Art auf die Probe geſtellet werden wollen, moͤgen ver - nuͤnftig waͤhlen. Laß ſie gute, ehrliche, tugend - haſte Maͤnner waͤhlen, die keine Schelmhaͤndelim179 im Kopfe haben, ſondern ſie nehmen wie ſie ſie finden, und von andern dencken, daß ſie eben ſo gut ſind als ſie ſelbſt.

Allein du frageſt: was ſoll aus der Fraͤulein werden, wenn ſie einen Fehltritt thut?

Was? Wenn ſie einmahl uͤberwun - den iſt, ſo muß ſie ſich oͤfter uͤberwinden laſſen. Ein Grundſatz in unſerer Sitten-Lehre! Was fuͤr ein himmliſches Vergnuͤgen wuͤrde dieſes einem Feinde des Eheſtandes ſeyn, was fuͤr ein entzuͤckender Gedancke, wenn er eine Clariſſa Har - lowe bewegen koͤnnte ein Bette und doch nicht ei - nen Nahmen mit ihm zu haben.

Wie aber, wenn ſie widerſtehet? wenn ſie in ihrer Verſuchung auf eine edle Weiſe ſieget?

Denn will ich ſie ohne Zweiffel heyrathen, und ich will mich unendlich freuen, daß mir das Gluͤck einen ſolchen Engel beſcheeret hat.

Wird ſie dich aber nicht haſſen? Wird kein Korb vorfallen?

Nein Bruder, gewiß nicht. Jn unſern Um - ſtaͤnden iſt das mein allergeringſter Kummer. Mich haſſen? Warum ſollte ſie den haſſen, der ſie vernuͤnftig liebet, nachdem er ihre Tugend hat kennen lernen?

Kann ich nicht das Recht der Wieder-Vergel - tung brauchen? Sie will meine Beſſerung auf die Probe ſetzen: warum ich nicht ihre Tugend? Sie hat mir einmahl die Erklaͤrung gethan, daß ſie mich nicht heyrathen will, bis ſie Hoffnung hat, daß ich mich beſſern werde.

M 2Jch180

Jch habe dich immer bisher als ihren Verthey - diger vorgeſtellet, weil ich wohl weiß, daß mein Onckle dich erſucht hat, mich nach allem Vermoͤ - gen, das er dir zuſchreibt, zum Heyrathen zu bere - den. Um aber unſerem ernſthaften Streit ein Ende zu machen, ſo frage ich dich: willſt du mir nicht ſelbſt erlauben, daß ich ſie auf die Probe ſetze, ob ſie ein Frauenzimmer ſey? daß ich verſuche, ob ſie bey ſo gluͤenden Wangen, bey ſo artigen Gliedern, bey einer ſolchen Bluͤthe von Schoͤnheit und Jah - ren, dadurch ſie aller Augen an ſich ziehet, dennoch in der Haupt-Sache unbeweglich iſt?

Jch will den Anfang hiezu machen, wie ſich die Gelegenheit zeigen wird. Jch will auf alle Schritte Acht geben; vielleicht wird einer ſeyn, bey dem ſie gleiten koͤnnte: auf alle Augenblicke, denn vielleicht wird einer gefaͤhrlich fuͤr ſie ſeyn. Jch will dieſes deſto mehr thun, weil ſie meiner nicht ſchonet, weil ſie ſich auf meine Ehrlichkeit nicht verlaͤßt, ſondern alle Gelegenheit mich zu plagen und mir Verweiſe zu geben wahrnimt. Wenn ſie von der Art iſt, wie andere Frauenzimmer, und ſie liebet mich, ſo will ich ſie gewiß einmahl fan - gen. Die Liebe verraͤth ſich immer ſelbſt. Wenn Liebe in ihrem Hertzen iſt, und Liebe ihr Hertz be - lagert, ſo muͤßte entweder ſie (wie der Poet ſagt) mehr ſeyn als ein Frauenzimmer, oder ich weniger als ein Mann, wenn ich ihr Hertz nicht beſiegen ſollte.

Alles iſt am Ende, Belford. Die Fraͤulein iſt mein, und ſie ſoll noch in einem ſtaͤrckeren Ver -ſtande181ſtande mein werden. Zum wenigſten iſt jetzt ihr Ja vor dem Altar in meiner Gewalt. (Ehemahls und in andern Umſtaͤnden moͤchte dieſes vielleicht nicht geweſen ſeyn.) Kann ich ſie ohne derglei - chen Umſtaͤnde haben, ſo wird mir niemand ver - dencken, daß ich es verſucht habe. Schlaͤgt mein Verſuch fehl, ſo iſt ihre Ehre deſto groͤſſer, und ich werde ein deſto voͤlligeres Zutrauen in ſie ſetzen koͤnnen. Alsdenn wird ſie verdienen, daß ich ihr meine Freyheit aufopfere, und daß ihr gan - tzes Geſchlecht ſie bey nahe als eine Goͤttin vereh - ret, weil ſie gezeiget hat, daß ein Frauenzim - mer gegen alle Verſuchungen, gegen alle Raͤncke eines Mannes, den es nicht haſſete, unuͤber - windlich ſeyn kann.

Nun wirſt du uͤberſehen koͤnnen, wohin meine Umwege zielen. Allein Cabala! (*)Dieſes Wort war bey Lovelacen und ſeiner Geſellſchaft ein Zeichen der groͤſſeſten Heim - lichkeit.Laß dir nicht einmahl von meinem Geheimniß traͤumen.

Niemand zweifelt daran, daß ſie meine Frau werden ſolle. Sie mag es ſeyn, wenn ich ihr mein Wort gebe. Durch meine aufgeſchobene Beſſerung will ich ſie nach dem Netz treiben, und wenn ich ſie nach London bringen kann, ſo ſoll ein Frauenzimmer in London der Lockvogel ſeyn. So viel vor dieſes mahl.

M 3Der182

Der achtzehente Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

  • (Eine Antwort auf den achten und vierzehenten Brief.)

Seyn Sie deswegen nicht ſo ſehr bekuͤmmert, daß bisweilen zwiſchen meiner Mutter und mir ein Streit entſtehet. Wir haben uns den - noch hertzlich lieb. Wenn meine Mutter mit mir nicht keifen koͤnnte, ſo muͤßte ſie ſonſt mit jemand keifen: und ich bin auch ein eigenſinniges Maͤdchen; haͤtte ich dieſe Gelegenheit nicht, ſo muͤßte ich den Eigenſinn auf eine andere Art auslaſſen.

Jch habe Jhnen ſonſt erzaͤhlet, daß dieſes nichts ungewoͤhnliches zwiſchen uns ſey: Sie ſelbſt koͤnnten es nicht wiſſen, wenn Sie es nicht von mir gehoͤrt haͤtten. Denn ſo oft Sie bey uns ge - weſen ſind, haben Sie den Frieden und die Einig - keit zwiſchen uns beyden erhalten, und ich habe mich in der That mehr vor Jhnen als vor meiner Mutter gefuͤrchtet. Allein dieſe Furcht war mit Liebe verknuͤpft. Jhre Verweiſe ſind beſtaͤndig ſanft, und mehr ein Unterricht als ein Verweiß zu nennen: es iſt ſo offenbar, daß ſie zur Beſſerung abzielen, daß ein aufrichtiges Gemuͤth ſich durch ſie beſſern laſſen muß. Allein erinnern Sie ſich, wie meine Mutter zu reden pflegte. Hieß es nicht ſelbſt in Jhrer Gegenwart: Du mußt das thun, meineToch -183Tochter: ich ſage dirs. Jch will es ſo ha - ben! Muß ich nicht kluͤger ſeyn als du? Du ſollſt Gehorſam leiſten. Wie kann eine mun - tere Tochter eine ſolche Sprache ertragen? Wie kann ſie ſolche ſtraͤfliche Geſichter ſehen, ohne Luſt zum Ungehorſam zu bekommen?

Geben Sie mir ja den Rath nicht, daß ich meiner Mutter gehorchen, und den Briefwechſel mit Jhnen abbrechen ſoll. Sie hat keine Urſache ihn mir zu verbieten; und ſie wuͤrde ihn mir auch nicht von ſelbſt verboten haben, wenn nicht Jhr alter muͤßiger Onckel, der jetzt oͤfter als ſonſt kommt, auf Anſtiften Jhrer boshaften Geſchwi - ſter dieſes Verbot veranlaſſet haͤtte. Dieſe be - dienen ſich nur des Mundes meiner Mutter als eines Sprach-Rohrs, um Jhnen bey Jhrer Ent - fernung empfindlich ſeyn zu koͤnnen. Jch ſage es noch einmahl: Dieſes Verbot kommt nicht von meiner Mutter. Geſetzt aber, daß es von ihr kaͤ - me, ſo frage ich, kann damit, wenn ich an ein Frauenzimmer ſchreibe, eben die Gefahr verknuͤpft ſeyn, als wenn ich mit einer Manns-Perſon Brie - fe wechſelte? Geben ſie nicht zu, mein Schatz, daß die Traurigkeit und das viele Ungluͤck, wel - ches ſie betroffen hat, Jhre Kraͤffte ſchwaͤchet, und Jhnen die unſchuldigſten Dinge ſchwartz und ge - faͤhrlich vorſtellet. Wenn das Schmieren, wie Sie es nennen, Jhre Gabe iſt: ſo iſt es meine Gabe gewiß auch. Jch will nicht aufhoͤren zu ſchreiben, und zwar an Sie zu ſchreiben, andere moͤgen auch dazu ſagen, was ſie wollen. FuͤllenM 4Sie184Sie Jhre Briefe nicht mit lauter Beſchuldigungen gegen ſich ſelbſt an: Dieſe Beſchuldigungen ſind ohne Grund. Jch wuͤnſchte, daß Jhre Anna Howe, die ſich in ihrer Mutter Hauſe befindet, halb ſo viel Lob verdiente, als die Fraͤulein Cla - riſſa Harlowe, die aus ihrer Eltern Hauſe getrie - ben iſt.

Jch will uͤber den Brief an Jhre Schweſter keine Anmerckungen machen, bis ich ſehe, was er ausrichtet. Sie ſchreiben mir, ſie hoffeten den - noch, daß man Jhnen Jhre Kleidung und Geld ſchicken werde, ob ich gleich das Gegentheil befuͤrch - tet habe. Es thut mir leyd, daß ich Jhnen eine unangenehme Zeitung melden muß. Jch habe eben gehoͤrt, daß groſſer Rath uͤber Jhren Brief gehalten iſt. Jhre Frau Mutter, die begehrte, daß man Jhnen das Jhrige ſchicken moͤchte, ward uͤberſtimmet. Jch bitte Sie deswegen inſtaͤndigſt, nehmen Sie mein Anerbieten, das ich in dem vori - gen Briefe gethan habe, an; und geben Sie mir Nachricht, was fuͤr Kleidung Jhnen mangelt, da - mit ich ihnen das rechte ſchicken koͤnne.

Dencken Sie nicht ſo ſehr an eine Ausſoͤhnung, verſaͤumen Sie deswegen keine Gelegenheit, da - durch Sie einen ſolchen Beſchuͤtzer erlangen koͤnnen als Lovelace iſt, der als ein wahrer Ehemann nicht zugeben wird, daß Jhnen jemand Unrecht thue, ihn ſelbſt ausgenommen.

Wie war es moͤglich, daß Sie eine ſo gute Ge - legenheit aus den Haͤnden lieſſen? Jch kann Sie zwar nicht tadeln. Denn wie konnten Sie etwasmehre -185mehreres thun, als ſtilleſchweigen, als der alber - ne Menſch mit den Verſprechungen angeſtiegen kam, die ſie in gantz andern Umſtaͤnden von ihm ge - fodert hatten? Allein ich habe Jhnen ſonſt ſchon geſagt: Jhr Anſehen befiehlt jedermann Ehrerbie - tung; Die Leute fuͤrchten ſich vor Jhnen. Sie haben ſeiner auch nicht geſchonet.

Jch wiederhole es noch einmahl: Sie haben ei - ne ſehr mißliche Perſon zu ſpielen: und Jhr Ge - muͤth iſt ſo artig, daß es ſich zu dieſer Perſon gar nicht ſchickt. Je mehr der Liebhaber erhoͤhet wird, deſto niedriger wird ſeine Geliebte. Er hat ohne - hin von Natur einen hochmuͤthigen und halsſtar - rigen Sinn. Jch fuͤrchte, Sie haben keinen an - dern Weg vor ſich, als daß Sie ihn bey ſeinem Hochmuth, oder wie er es nennet, bey ſeiner Ehre zu faſſen ſuchen, und etwas weniger fremde gegen ihn thun. Dergleichen Wuͤnſche, daß Sie ſich nicht zu der geſetzten Stunde moͤchten eingefunden haben, muͤſſen Sie ſich in ſeiner Gegenwart nicht entfahren laſſen. Was hilft es Jhnen, Wuͤnſche von geſchehenen Dingen auszuſprechen? ihm aber ſind dieſe Wuͤnſche unertraͤglich. Sie haben gar keinen Grund, zu hoffen, daß ihm dergleichen Re - den nicht empfindlich ſeyn ſollten.

Mich verdrießet es indeſſen bis auf den Grund meines hochmuͤthigen Hertzens, daß eine Manns - Perſon ſich eines ſolchen Sieges uͤber ein ſo unver - gleichliches Frauenzimmer ruͤhmen ſoll.

Jn den Muth und Hertzhaftigkeit, die Sie be - weiſen, habe ich mich recht verliebt. Ein ſo nach -M 5geben -186gebendes Hertz, wo es billig iſt nachzugeben, und dennoch ſo viel Muth, wo Muth erfodert wird: das iſt eben die Miſchung von Tugenden, die den Nahmen der Grosmuth verdienet.

Allein in Jhren jetzigen Umſtaͤnden muͤſſen Sie etwas verſteckter handeln. Die Demuth iſt ihm nicht natuͤrlich, die er annimt, wenn Sie ihn Jh - ren Unwillen mercken laſſen.

Mich duͤnckt ich ſehe den Menſchen vor mir, wie er ſtammert, und durch die Verweiſe eines ihm uͤberlegenen Frauenzimmers ſo in die Enge getrie - ben wird, daß er wie ein Schaafs-Kopf ausſiehet. Allein in der That wird er doch nie einen Schaafs - Kopf haben. Huͤten Sie ſich, daß er nicht Rache und Liebe mit einander verbindet.

Jn dem erſten von Jhren beyden Briefen, die ich jetzt vor mir habe, ſind Sie allzu ernſthaft, wenn ſie von Hickman, meiner Mutter und mir ſchreiben. Allein was meine Mutter anbetrift, ſo iſt ihre groſſe Ernſthaftigkeit, damit Sie mich erin - nern, uͤberfluͤßig. Wenn wir zuweilen nicht all - zuwohl mit einander ſtehen, ſo ſtehen wir doch zu anderer Zeit nicht uͤbel. Jch bin noch immer im Stande geweſen, meine Mutter auch alsdenn zum Laͤcheln zu bewegen, wenn ſie ſich bey unſerm neulichen Streit am meiſten in ihrem Unwillen ver - ging: ob ſie ſich gleich bisweilen Muͤhe gab, das Lachen zu verbeiſſen. Dieſes iſt kein ſchlimmes Zeichen: ein Zeichen, daß ihr Unwille nicht tief gewurtzelt ſey, und von keiner langen Dauer ſeyn werde. Ein freundliches Wort oder Blick gegenihren187ihren lieben Hickman, verſetzt ihn in den Him - mel, und macht, daß ſie ſich einigermaßen faſſet.

Jndeſſen geht mir Jhr Ungluͤck ſehr zu Hertzen, und meiner Leichtſinnigkeit ohngeachtet haben doch beyde etwas von meiner Verdrießlichkeit zu empfin - den, die ſo lange waͤhren wird, als Sie zwiſchen Furcht und Hoffnung ſchweben. Es vermehrt meine Verdrießlichkeit, daß ich nicht im Stande ge - weſen bin, Jhnen die verlangte Zuflucht in unſerm Hauſe zu verſchaffen, und dadurch den gefaͤhrlichen Schritt unnoͤthig zu machen, den Sie endlich zu unſerer beyder Betruͤbniß haben wagen muͤſſen.

Jch habe nichts weiter zu ſchreiben, als dieſe Jhnen bekannte und uͤberfluͤßige Wahrheit, daß ich bin, und ewig ſeyn werde

Jhre ergebenſte Freundin und Dienerin Anna Howe.

Der neunzehente Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Sie benehmen mir alle Hofnung, meine Kleider und das wenige Geld zu erhalten: allein ich will dennoch meine Hofnung nicht fahren laſſen. Die Sache iſt noch zu neu. Wenn der erſte Zorn voruͤber iſt, ſo werden ſie die Sache beſſer uͤberle -gen,188gen, ſonderlich da ich meine liebe und unvergleich - liche Mutter in dieſer Bitte zur Vorſprecherin habe. O dieſe liebe und guͤtige Mutter! wie blu - tet mir das Hertz, wenn ich an ſie gedencke, und wie wird es mir noch ferner bluten.

Sie verbieten mir, eine Ausſoͤhnung mit den Meinigen zu hoffen. Jch hoffe auch nicht darauf, allein ich wuͤnſche ſie von Hertzen. Was kann ich aber in Abſicht auf den Lovelace thun? Sie ſehen ſelbſt, daß eine naͤhere Verbindung mit ihm nicht mehr in meiner Gewalt ſtehet, wenn ich ſie auch waͤhlen, und den Verſuch zu einer Ausſoͤhnung, den ich zu machen von Hertzen entſchloſſen bin, hintan ſetzen wollte.

Sie ſagen, er ſey ſtoltz und trotzig. Sie haben Recht. Jch moͤchte aber wiſſen, ob es ſeine Ab - ſicht ſeyn kann, mich ſo zu demuͤthigen, daß ich mich vor ſeinem niedertraͤchtigen Hochmuth buͤcken ſoll?

Was verſtehen Sie aber darunter, wenn Sie mir anrathen, etwas freyer gegen ihn zu ſeyn? Jch weiß noch nicht, daß ich jemahls zuruͤckgehalten ha - be. Seyn Sie verſichert, wenn ich etwas an Lo - velacen gewahr werde, das einer Abſicht mich zu demuͤthigen aͤhnlich iſt; ſo ſoll er mich doch nicht ſo weit bringen, daß ich eine niedertraͤchtige Auf - fuͤhrung annehme, die ſich fuͤr eine Freundin von Jhnen nicht ſchicken, und dadurch ich mein Ge - ſchlecht beſchaͤmen, und mir ſelbſt ungleich werden wuͤrde.

Jch189

Jch will aber nicht hoffen, daß er ein ſo garſti - ges Gemuͤth hat, ſich an einer von allem Schutz entbloͤßten Perſon auf eine ſo niedrige Art zu raͤ - chen. Daß ich ihm ſo viel Muͤhe vrrurſachet habe, das mag er ſich ſelbſt dancken, und es fuͤr eine Fol - ge der uͤbeln Nachrede anſehen, die meinem Bruder einen Vorwand gab, ſeinen Groll zu beſchoͤnigen. Habe ich ihn jemahls etwas verſprochen? Habe ich einigen Wunſch gehabt, daß er in ſeiner Nei - gung gegen mich beſtaͤndig ſeyn moͤchte? Wuͤrde ich nicht meine Abſicht erreichet haben, ihn durch meine Kaltſinnigkeit ſo zu ermuͤden, und den hoch - muͤthigen Menſchen ſo zum Verdruß zu reitzen, daß er ſich nach London wuͤrde begeben haben, wenn mir nur die Hitze meines Bruders nicht das Spiel verdorben haͤtte? Wuͤrden nicht alle ſeine Anſpruͤche und Hoffnung ein Ende gehabt haben, wenn er einmahl in London geweſen waͤre? denn ich wuͤrde ihm nicht die geringſte Hoffnung gemacht haben; wie ich denn auch dazumahl keine Briefe mit ihm wechſelte. Jch wuͤrde auch keinen An - fang gemacht haben Briefe von ihm anzunehmen, oder an ihn zu ſchreiben, wenn nicht die ungluͤckli - che Schlaͤgerey vorgegangen waͤre, die mich thoͤ - richtes unverſtaͤndiges Kind nicht um meinet ſon - dern um anderer willen zu dem verbotenen Brief - wechſel brachte. Glauben Sie wohl, daß dieſer Briefwechſel, der nur von kurtzer Dauer ſeyn ſoll - te, und zu dem ich meiner Mutter Verguͤnſtigung hatte, ein ſolches Ende genommen haben wuͤrde, wenn ich nicht von beyden Seiten gezwungen waͤre,ihn190ihn ſo lange fortzuſetzen, als die Veranlaſſung da - zu nicht gehoben war? Was kann er ſich bey die - ſen Umſtaͤnden fuͤr ein Recht zu haben einbilden, mich fremde Suͤnden, die mir mehr als ihm ge - ſchadet haben, entgelten zu laſſen, wenn ich auch voͤllig in ſeiner Gewalt waͤre. Es iſt ohnmoͤglich, daß er ein ſo niedertraͤchtiges, ein ſo abſcheuliches Hertz haben ſollte.

Sie verlangen, daß ich mich uͤber den kleinen Haus-Krieg zwiſchen Jhnen und Jhrer Frau Mut - ter nicht aͤngſtigenſoll. Allein wie kann ich deswegen unbekuͤmmert ſeyn, da ich die Urſache dieſes Streites bin? Dadurch muß meine Bekuͤmmerniß nothwen - dig wachſen, daß mein Ouckle und meine uͤbrigen Anverwanten einen Antheil daran haben.

Vielleicht iſt mein Urtheil ſchaͤrfer, als es ſich zu meinen jetzigen Umſtaͤnden ſchicket. Jndeſſen kommt es mir vor, als wenn die Ausdruͤcke Jhrer Frau Mutter, derer Sie in Jhrem Briefe geden - cken, eine richtige und ſcharfe Anklage gegen Sie ſelbſt ſeyn koͤnnten. Wenn ſie z. E. ſagt: du ſollſt das thun, meine Tochter; ich ſage es dir: ſo ſchließt man aus dieſem Ausdruck, daß Sie ſich ihrem Willen widerſetzt haben muͤſſen: und eine gleiche Bewandniß hat es auch mit den uͤbrigen Ausdruͤcken.

Was das anlanget, daß Sie meinen, bey un - ſerem Briefwechſel ſey nicht eben die Gefahr, als bey meinem Briefwechſel mit Lovelacen: ſo belie - ben Sie zu bedencken, daß ich zu Anfang eben ſo wenig uͤble Folgen befuͤrchtete, als Sie jetzt be -fuͤrch -191fuͤrchten koͤnnen. So lange wir aber zum Gehor - ſam verpſlichtet ſind, ſo lange wird auch der Un - gehorſam in den allerbeſten und ſicherſten Um - ſtaͤnden dennoch ein Fehltritt ſeyn. Es kann gewiß nicht loͤblich ſeyn, wenn wir mit Hintanſetzung des Raths unſerer Eltern unſerm eigenen Kopfe folgen: und wenn dieſe Suͤnde ſtraf-faͤllig iſt, ſo meine ich, daß ich genug dafuͤr geſtraft bin. Deswe - gen wollte ich gern, daß Sie ſich durch mein Bey - ſpiel warnen ließen.

Was mache ich aber? Bin ich auch bey Ver - ſtande? Jch gebe Jhnen einen Rath wider mich ſelbſt! Jch thue es mit großem Widerwillen; und doch habe ich nicht ſo viel Entſchlieſſung, daß ich unterlaſſen koͤnnte dieſen Rath zu geben. Wenn aber der Brief noch einige Zeit liegen bleibet, ſo will ich alles beſſer uͤberlegen.

Sie geben mir in Abſicht auf Lovelacen einen ſehr verſtaͤndigen Rath, dafuͤr ich Jhnen verbun - den bin. Sie wollen, daß ich behutſamer gegen ihn ſeyn ſoll: ich will es verſuchen Jhrem Rath zu folgen. Allein eine Verſtellung findet nicht ſtatt, bey

Jhrer ergebenſten Dienerin Cl. Harlowe.

Der zwantzigſte Brief, von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Sie koͤnnen ſicherlich glauben, daß ich uͤber das Geſchrey an der Garten-Thuͤr, dadurchmeine192meine Flucht befoͤrdert ward, nicht wenig Unruhe empfunden habe: weil ich dencken muß, daß ich mich in den Haͤnden eines Mannes befinde, der mich durch eine ſo ſchaͤndliche Liſt um mich ſelbſt hat betriegen koͤnnen: ein Ausdruck, der mir oͤf - ters in Gedancken und Munde iſt. So oft er mir unter die Augen gekommen iſt, machte mir dieſe Vorſtellung ſeine Gegenwart unangenehm; je mehr ich in ſeinen Augen eine Freude daruͤber, daß er ſich meiner Schwaͤche zu bedienen gewußt hatte, wahrzunehmen glaubte. Wiewohl es moͤg - lich iſt, daß das, was ich ein Frohlocken nenne, blos die ihm natuͤrliche froͤliche Lebhaftigkeit iſt.

Jch hatte mir laͤngſtens vorgenommen, uͤber dieſe Sache mit ihm zu reden, ſo bald ich die noͤ - thige Geduld dazu wuͤrde haben koͤnnen. Mein Verdacht machte mich ohnehin aufſaͤtzig genug: und uͤber dieſes glaubte ich, wenn er ſchuldig waͤre, ſo wuͤrde er ſich mit einer unzulaͤnglichen Antwort zu helfen ſuchen, und eben hiedurch meinen Wider - willen gegen ſich vergroͤßern; und wenn ich ihn gleich nicht ſo weit bringen koͤnnte, daß er ſeine Schuld geſtaͤnde, ſo wuͤrde er mich dennoch durch ſeine nichts-bedeutende Antwort ſo zweifelhaft und mißtrauiſch machen, daß ich bey der erſten Gelegenheit meinen Unwillen gegen ihn deſto deut - licher zeigen wuͤrde.

Jch habe endlich die Gelegenheit gehabt, die ich mir gewuͤnſcht hatte: und Sie ſollen den Aus - gang meiner Unterſuchung umſtaͤndlich erfahren.

Er193

Er bat ſich auf eine ſehr hoͤfliche Weiſe aus, daß ich beſſere Gedancken von ihm faſſen moͤchte, und that ſehr klaͤglich daruͤber, daß ich eine ſo ſchlechte Meinung von ihm, und, wo nicht ein Vorurtheil, doch wenigſtens eine Kaltſinnigkeit gegen ihn haͤtte, welche alle Stunden zunaͤhme. Er bat mich: ich moͤchte einmahl gegen ihn frey her - ausgehen, damit er Gelegenheit haͤtte, entweder ſeine Schuld zu bekennen, oder ſich zu rechtfertigen, und ſich ein guͤnſtigeres Urtheil von mir zu erwer - ben.

Jch antwortete ihm mit einer Heftigkeit: ſo will ich ihnen denn mit einer Offenhertzigkeit, die mir und nicht ihnen eigen iſt (das will ich nicht hoffen! fiel er mir in die Rede) ein Stuͤckchen er - zaͤhlen, daraus ich mercke, daß ſie mit mir tuͤckiſch umgehen.

Jch will genau acht geben, Fraͤulein. Reden ſie.

Jch kann ohnmoͤglich eine gute Meinung von ihnen hegen, ſo lange ich nicht errathe, wer mich durch den Lerm an der Garten-Thuͤr in ein ſo groſſes Schrecken ſetzte, deſſen ſie ſich meiſterlich zu bedienen wuſten. Sagen ſie mir aufrichtig, wie dieſes zuſammenhaͤnget, und in was fuͤr einem Verſtaͤndniß ſie mit Joſeph Leh - mann geſtanden haben. Nach ihrer Offenhertzig - keit in Erzaͤhlung dieſes Theils meiner Geſchichte werde ich ſie und alle ihre Verſprechungen beur - theilen.

Jch will Jhnen, mein allerliebſtes Leben, alles offenhertzig erzaͤhlen; und ich hoffe, daß ſie umDritter Theil. Nmeines194meines aufrichtigen Bekaͤnntniſſes willen alles uͤber - ſehen werden, was ihnen ſonſt mißfaͤllig ſeyn koͤnnte.

Jch kannte dieſen Joſeph Lehmann gar nicht, und ich wuͤrde mich geſchaͤmt haben, mich eines ſo niedertraͤchtigen Mittels zu bedienen, und einen Bedienten zu beſtechen, damit ich die Heimlichkei - ten des Hauſes erfahren moͤchte; wenn ich ihn nicht daruͤber ertappet haͤtte, daß er einen meiner Bedienten beſtechen wollte, um von allen meinen Thun und Laſſen, von allen meinen vermeinten krummen Wegen, von meinen Umſtaͤnden, kurtz von allem was mich allein anging Nachrichten zu bekommen. Was die Abſicht hiebey war, brau - che ich nicht zu ſagen.

Mein Bedienter gab mir hiervon Nachricht, und ich befahl ihm, daß er mir Gelegenheit verſchaffen ſollte, ihn bey dem naͤchſten Zuſpruch zu behorchen, ohne daß es jener wußte.

Mitten in der Unterredung, da Lehmann eben Geld bot, um eine gewiſſe Zeitung zu erfahren, und noch mehr Geld verſprach, wenn er erſt die ge - wuͤnſchte Nachricht erfahren haben wuͤrde, uͤber - fiel ich ſie, und rief, es ſollte mir jemand ein Meſ - ſer bringen, dem Kerl die Ohren abzuſchneiden, damit ich ſie an die Leute, die ihn zum Spion ge - brauchten, uͤberſchicken koͤnnte. Jch hielt ein Ohr veſte, und ließ ihn nicht eher loß, bis er mir geſtand, wer ihn geſchickt haͤtte.

Er nannte ihren Bruder und ihren Onckle An - ton. So bald er dieſes bekannt hatte, vergab ichihm195ihm ſeine Schelmerey: und es war mir leicht ihn durch Anbietung mehreres Geldes, und durch Vor - ſtellung meiner aufrichtigen Liebe gegen ſie, zu bewe - gen, daß er ſich von mir gebrauchen ließ; ſonder - lich da er nicht noͤthig hatte es um meinet willen mit ihrem Onckle und Bruder zu verderben, und ich nichts zu wiſſen verlangte, als was ſie, Fraͤu - lein, und mich anbetraf, um uns gegen den Groll der Jhrigen in Sicherheit zu ſetzen, deſſen Unbil - ligkeit er einſahe, und geſtand, daß ihn die uͤbri - gen Bedienten auch fuͤr unbillig hielten.

Jch geſtehe ihnen, daß ich die Jhrigen[]fters durch ihn nach meinem Willen gelenckt habe, ohne daß ſie wußten, was die Folgen ihrer Handlungen waren: der Kerl pflegte ſich immer einen einfaͤlti - gen Mann zu nennen, und auf ſein Gewiſſen zu beruffen, und war deſto ruhiger, weil ich ihm oͤf - ters die Verſicherung gab, daß ich es aufrichtig mit ihnen meinete; und er ſelbſt merckte, daß durch ſeine Nachrichten manchem Ungluͤck vorge - beuget ward.

Jch hatte deſto mehr Urſache, mit ſeinen Dien - ſten zufrieden zu ſeyn, weil er ihnen ohne ihr Wiſ - ſen die Freyheit zu wege brachte, und erhielt, nach ihrem Willen in den Garten und nach dem Holtz - ſtall zu gehen: eine Freyheit, die ihnen ſonſt ſchwer - lich ſo lange wuͤrde gelaſſen ſeyn. Denn er ver - ſprach, auf alle ihre Gaͤnge ein wachſames Auge zu haben; und das that er deſto lieber, weil andere dadurch gehindert wurden, ſich allzu viel um ſie zu bekuͤmmern. Denn der Kerl hat ſie lieb.

N 2(Auf196

(Auf die Weiſe bin ich dem argliſtigen Men - ſchen noch einen Danck ſchuldig. Jch hoͤrete vol - ler Verwunderung zu; und er fuhr in ſeiner Er - zaͤhlung fort:)

Was den letzten Umſtand anbetrift, der ihnen ſo uͤble Gedancken von mir beygebracht hat, ſo be - kenne ich ihnen frey, daß ich zum voraus befuͤrch - tete, ſie moͤchten ihr Wort zuruͤck nehmen, und nicht mit mir davon gehen wollen. Weil ich nun entſchloſſen war, alle moͤgliche Mittel und Ueberre - dungen anzuwenden, und glaubte, daß mir dieſes Zeit koſten wuͤrde, ſo hatte ich ihm aufgetragen, andere abzuhalten, die uns verſtoͤren koͤnnten, und ſich nicht all zu weit von der Garten-Thuͤr zu entfernen.

Hier fiel ich ihm in die Rede, und fragte: al - lein wie konnten ſie befuͤrchten, daß ich mein Wort zuruͤck nehmen moͤchte? Jch hatte zwar einen Brief fuͤr ſie hingelegt, indem dieſes geſchahe, allein ſie hatten den Brief nicht bekommen. Da ich mir vorbehalten hatte, daß ich mein Wort zuruͤckneh - men duͤrfte, ſo konnten ſie nicht wiſſen, ob ich nicht bey meinen Freunden etwas ausrichten, und aus hinlaͤnglichen Urſachen mich anders entſchlieſſen koͤnnte.

Jch will (antwortete er) ſehr aufrichtig zu Wer - cke gehen. Sie hatten mir die Hoffnung gemacht, daß ſie mir muͤndlich die Urſachen ſagen wollten, wenn ſie ſich anders entſchlieſſen muͤßten. Jch ging an den gewoͤhnlichen Ort, und ich ſahe den Brief liegen. Jch wußte, daß ihre Freunde unbeweg -lich197lich waren. Jndeſſen zweifelte ich doch faſt nicht daß ſie in dem Briefe ihren Entſchluß aͤnderten oder aufſchoͤben, und daß ſie mich nicht ſprechen wolten, ſondern an deſſen Stat geſchrieben haͤtten. Jch ließ deswegen den Brief liegen, damit ich ſie zum wenigſten noͤthigen moͤchte, mich ihrer Zuſage gemaͤß ſelbſt zu ſprechen. Weil ich mich auf alle moͤgliche Faͤlle geſchickt hatte, ſo war dieſes mein Vorſatz, ſie nicht zuruͤckgehen zu laſſen, (vergeben ſie mir, was ich jetzt ſage) ſie moͤchten wollen oder nicht. Wenn ich ihren Brief weggenommen haͤt - te, ſo haͤtte ich mich zum wenigſten fuͤr das erſte mit dem Jnhalt deſſelben befriedigen muͤſſen. Al - lein da ich den Brief nicht empfangen hatte, und ſie verſichert waren, daß es mir nicht an Muth feh - lete, bey ſo mißlichen Umſtaͤnden ihren Anverwan - ten meine Aufwartung zu machen, ſo verließ ich mich darauf, daß ſie mich nach ihrer Zuſage ſpre - chen wuͤrden.

Boshafter Menſch, (ſagte ich) es thut mir leyd, daß ich ihnen ſo viel Gelegenheit gegeben ha - be, ſich meine Schwaͤche zu Nutze zu machen, und ihre Mittel ſo genau nach ihrem Endzweck abzuzirckeln. Allein wuͤrden ſie es denn in der That gewaget haben, in unſer Haus zu kommen, wenn ich ausgeblieben waͤre?

Ja! das haͤtte ich gewiß gewaget. Einige meiner guten Freunde wuͤrden mich begleitet haben. Wenn ihre Anverwanten ſich geweigert haͤtten, mich vor ſich zu laſſen, ſo wuͤrde ich mit meinen Freun - den zu Solmeſen gegangen ſeyn.

N 3Was198

Was wollten ſie denn bey Solmeſen ma - chen?

Jch haͤtte ihm nicht den geringſten Schaden zufuͤgen wollen, wenn er ſich leidentlich verhalten haͤtte.

Wie aber, wenn er ſich nicht leidentlich (wie ſie es nennen) verhalten haͤtte? was wuͤrden ſie denn angefangen haben?

Er ſagte: das moͤchte er mir nicht gern deut - lich machen. Allein an ſeinem Leibe haͤtte ihm kein Schade zugefuͤget werden ſollen.

Jch wiederhohlte meine Frage.

Er antwortete: wenn er es ja ſagen ſollte, ſo haͤtte er den Baͤrenheuter auf ein paar Monathe uͤber die Seite bringen wollen: es moͤchte auch dar - aus erfolget ſeyn, was nur wollte.

Wer hat je von ſolcher Bosheit gehoͤrt, mein Schatz? Jch konnte mich nicht halten, daß mir nicht ein tiefer Seuſzer entfahren waͤre: bat ihn aber dabey, er moͤchte in der Erzaͤhlung fortfahren, die ich unterbrochen haͤtte. Er that dieſes, und ſagte: ich befahl dem Lehmann, daß er ſich nicht allzuweit von der Garten-Thuͤr entfernen ſollte. Wenn er merckte, daß wir mit einander in einigen Wortwechſel geriethen, und es kaͤme eine uns ge - faͤhrliche Perſon in die Naͤhe, ehe ſie unentdeckt zu - ruͤck kommen koͤnnten, ſo ſollte er laut ſchreyen, um ſich zu retten, mich zu warnen, und zugleich ſie, meine liebe Fraͤulein, (wie ich gern geſtehe) zu be - wegen, daß ſie nach ihrer Zuſage mit mir fliehen moͤchten. Wenn ſie alle Umſtaͤnde, und inſon -derheit199derheit meine Gefahr, ſie auf ewig zu verlieren in Erwegung ziehen, ſo hoffe ich, daß ſie mi〈…〉〈…〉 wegen dieſer Liſt ſo wenig, als wegen meines Vor - habens gegen den Solmes haſſen werden. Denn was fuͤr ein elender Kerl mußte ich feyn, wenn uns jemand entdeckt haͤtte, und ich haͤtte ſie der Tyran - ney ihres Bruders und anderer, deren Barmher - tzigkeit Grauſamkeit war, ehe ſie noch dieſen Vor - wand hatten, uͤberlaſſen?

Wie boshaft! (ſagte ich) allein wenn ich ihre Erzaͤhlung fuͤr lauter Wahrheit annehmen, und glauben will, daß jemand in den Garten gekom - men iſt, ſo moͤchte ich wiſſen, wie es zuging, daß niemand aus der Thuͤr heraus kam, als der Jo - ſeph Lehmann,) denn dieſen meine ich erkannt zu haben) und daß er uns bloß in der Ferne nachſahe?

Es iſt mein Gluͤck, daß (ſagte er, und grif in eine Taſche nach der andern) Jch will nicht hoffen, daß ich den Brief weggeſchmiſſen habe. Vielleicht ſteckt er in dem Rock, den ich geſtern anhatte. Jch habe nie gedacht, daß an dem Briefe etwas gelegen ſeyn koͤnnte: allein ich mag gern alles erweiſen und belegen, wenn ich kann. Unordentlich und unbedachtſam bin ich: aber ein aufrichtigeres Hertz als ich kann niemand gegen ſie haben.

Er rief darauf ſeinen Diener, und ließ den Rock bringen, den er geſtern angehabt hatte. Jn deſſen Taſche fand er einen uͤbelverwahrten Brief von Jo - ſeph Lehmann, welchen er denſelben Montag Abends geſchrieben hatte: des Jnhalts: er baͤte umN 4Ver -200 Verzeyhung, daß er zu fruͤh Lerm gemacht haͤtte. Er haͤtte immer in Sorgen geſtanden, entdeckt zu werden: daher haͤtte er ſich geirret, und da ſein kleiner Hund unter der Hecke durch gekro - chen waͤre, ſich aus dem bloßen Schall eingebil - det, Eliſabeth oder ſonſt jemand moͤchte kom - men. Als er ſeinen Jrrthum gemerckt haͤtte, ſo haͤtte er die Thuͤr aufgeſchloſſen, (mein liſtiger Verfuͤhrer geſtehet, daß er ihm den Schluͤſſel verſchaffet hat) und waͤre in der Eyle hinausge - laufen, um ihm Nachricht zu geben, daß er aus unzeitiger Furcht Lerm gemacht haͤtte. Als er aber zuruͤck gekommen waͤre, haͤtten die Meini - gen mich ſchon geſuchet.

Jch ſchuͤttelte den Kopf, und ſagte: liſtig, li - ſtig, liſtig genug: wenn ich es nicht ſchlimmer aus - druͤcken will. O Herr Lovelace, Gott bekehre ſie und gebe ihnen ein beſſeres Hertz. Aus ihrer eigenen Erzaͤhlung ſehe ich, daß ſie voll von An - ſchlaͤgen ſind, und ſehr von Ferne auf ihre Abſich - ten zielen.

Die Liebe (antwortete er) iſt reich an Erfindun - gen. Nacht und Tag habe ich mir meine dumme Stirn gerieben, (gewiß nicht dumm, dachte ich: es wuͤrde fuͤr mich beſſer ſeyn, wenn etwas weni - ger Witz dahinter ſteckte) um ein Mittel ausfindig zu machen, dadurch ich ihre ungluͤckliche Aufopfe - rung an den Solmes und deren ſchlimme Folgen verhuͤten koͤnnte. Jch wußte, daß ich ſo wenig An - theil an ihrem Hertzen haͤtte, und daß die Jhrigen einen ſo unverdienten Haß auf mich warffen: ichſahe201ſahe die Gefahr, die aͤuſſerſte Gefahr vor Augen, ſie auf ewig zu verlieren. Die letzten vierzehn Ta - ge vor dem Montage habe ich keine Nacht eine halbe Stunde an einander fchlafen koͤnnen. Jch geſtehe es ihnen, ich wuͤrde mir es in Ewigkeit nicht vergeben haben, wenn ich unterlaſſen haͤtte die noͤ - thigen Anſtalten zu machen, damit ſie nicht ohne mich zuruͤckkehren moͤchten.

Jch bedauerte auf das neue, daß ich zu der ge - ſetzten Zeit erſchienen waͤre: und mit Recht bedau - erte ich es, da es ſo nahe dabey war, daß ich ihn nicht geſprochen haͤtte. Jn ſolchem Falle wuͤrde alles ſein Nacht-wachen, alle ſeine in vierzehen Tage ausgedachte Liſt vergeblich geweſen ſeyn, und ich waͤre doch vielleicht von Solmeſen befreyet wor - den.

Allein was fuͤr Ungluͤck wuͤrde erfolget ſeyn, wenn er ſeinem Vorſatz zu Folge mit ſeinen Freunden nach Harlowe-Burg gekommen, und daſelbſt be - ſchimpft waͤre? Denn dieſes wuͤrde gewiß nicht un - terblieben ſeyn.

Dencken Sie aber einmahl, was das fuͤr ein verruchter Menſch iſt, der Solmeſen auf ein paar Monathe mit ſich fortſchleppen wollte! Was fuͤr ein Boͤſewicht hat mich an jenes Stelle fortge - ſchleppet.

Jch fragte ihn: ob er denn glaubte, daß ſolche Thaten, ſolche offenbare Verachtung aller Geſetze haͤtten koͤnnen ungeſtraft bleiben?

Er antwortete mit der ihm eigenen freymuͤthigen Munterkeit: er wuͤrde hiedurch die Anſchlaͤge ſeinerN 5Feinde202Feinde vernichtet und mich gerettet haben. Er haͤtte ſonſt gar nicht Luſt, das aͤuſſerſte zu wagen: dem Solmes haͤtte auch weiter kein Haar gekruͤm - met werden ſollen. Er wuͤrde haben muͤſſen ſein Vater-Land meiden, zum wenigſten wuͤrde dieſes auf eine Zeit noͤthig geweſen ſeyn. Wenn das ge - ſchehen waͤre, ſo waͤre alle meine Hoffnung auf mich zum Ende geweſen: allein er haͤtte wollen einen Reiſe-Gefaͤhrten aus unſerer Familie mitnehmen, von dem ich es am wenigſten vermuthete.

Was fuͤr ein Menſch. Es war gewiß mein Bru - der, den er meinete.

Und das (erwiederte ich) iſt der Gebrauch, den ſie von den erkauften Nachrichten aus unſerm Hau - ſe zu machen gedachten?

Erkaufte Nachrichten? (ſagte er) Meine liebe Fraͤulein, der Kerl iſt bis auf dieſen Tag eben ſo wohl ihres Bruders Spion, als meiner. Aus meiner aufrichtigen Erzaͤhlung koͤnnen ſie ſehen, wer ihn zuerſt erkauft hat. Jch habe manche et - was freye Handlung nach dem Recht der Wieder - vergeltung unternommen, die ich mich geſcheuet haben wuͤrde zuerſt zu unternehmen.

Jch habe hiebey nichts weiter zu ſagen, Herr Lovelace, als dieſes. Da der zweyzuͤngige Be - truͤger bisher die Urſache manches Ungluͤcks gewe - ſen iſt, und noch iſt, weil er ſeine garſtigen Strei - che noch jetzt fortſetzt, wie ſie ſelbſt geſtehen; ſo iſt es meine Schuldigkeit, daß ich meinen Freunden Nachricht gebe, was ſie fuͤr eine Schlange in dem Buſen hegen.

Wie203

Wie es ihnen beliebet, Fraͤulein! Sein Amt von meiner und von ihres Bruders Seite laͤuft jetzt zum Ende. Er hat keinen Schaden davon gehabt. Er gedenckt auch nicht lange mehr in dem Dienſt zu bleiben, ſondern will einen Kauf wegen eines Wirths-Hauſes ſchließen, davon er zu leben haben wird. Jch kann ihnen auch ſagen, daß er ſich auf meinen Rath mit der Eliſabeth eingelaſ - ſen hat. So bald er ſich geſetzt hat, werden ſich die beyden Leute heyrathen. Eine Gaſt-Wirthin iſt gemeiniglich gegen die Gaͤſte guͤtig: und ich ha - be ſchon die Mittel ausgeſonnen, ſie ſo fuͤr ihre uͤble Auffuͤhrung gegen ſie zu ſtrafen, daß es ſie ihr Le - be-Tage gereuen ſoll, daß ſie ihnen nicht beſſer be - gegnet iſt.

Was vor abſcheuliche Anſchlaͤge haben ſie im Kopfe? Wer wird ſie denn fuͤr ihre Uebelthaten ſtrafen, die groͤſſer ſind, als alles was Eliſabeth boͤſes gethan hat? Jch vergebe der Eliſabeth al - les von Hertzen. Sie war nicht in meinen Dien - ſten: und vermuthlich iſt ſie in allem was ſie that, derjenigen, die ihr zu befehlen hatte, gehorſamer geweſen, als ich meinen Vorgeſetzten, denen ich noch viel mehreren Gehorſam ſchuldig war.

Daran liegt nichts, antwortete er. (Jch glau - be faſt, er ſucht mir eine Furcht vor ſich beyzubrin - gen.) Der Ausſpruch iſt einmahl geſchehen. Eli - ſabeth muß buͤſſen: buͤſſen muß ſie, und noch da - zu ſelbſt durch eigene Wahl ihre Strafe veranſtal - ten. Jch habe mein Vergnuͤgen daran, wenn boͤ - ſe Leute ſich ſelbſt ſtrafen. Ja, meine liebe Fraͤu -lein,204lein, wenn ſie glauben, daß Joſeph auch eine Strafe verdienet, (vergeben ſie was ich zu ſagen habe) ſo iſt mein Vorſchlag auf ihn mit gerichtet. Die Frau kann ſelten ungluͤcklich ſeyn, ohne daß auch der Mann ungluͤcklich werde.

Jch konnte laͤnger nicht mit Geduld zuhoͤren. Jch ſagte ihm dieſes, und ſetzte hinzu: ich ſehe, in weſſen Haͤnden ich bin. Was meine Ohren hoͤ - ren, das warnet mich vor der Schlange. Jch ging weg, und ließ ihn in einer mercklichen Verwirrung allein.

Der ein und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Die deutlichen Wahrheiten, die ich ihm bey un - ſerer abermahligen Zuſammenkunft in das Geſicht geſagt habe, und das Misvergnuͤgen uͤber ſeine Auffuͤhrung, Reden und Anſchlaͤge, das ich habe blicken laſſen, haben ihn genoͤthiget ein wenig in ſich zu gehen. Er giebt vor, ſeine Drohungen gegen meinen Bruder und Solmes waͤren ein bloſſer Spaaß geweſen. Er haͤtte zu viel in ſeinem Vater-Lande zu verlieren, als daß er Dinge un - ternehmen ſollte, die ihn auf ewig aus ſeinem Va - terlande treiben koͤnnten. Er waͤre damit zufrie - den geweſen, daß Joſeph Lehmann aufgeſchnitten und eine Menge Unwarheiten von ihm geſagt haͤtte,um205um ſich einigen Leuten fuͤrchterlich zu machen, und Ungluͤck zu vermeiden. Er ſey oft darin ungluͤck - lich geweſen, daß er einige geſchwinde Einfaͤlle gleich heraus geſagt haͤtte: es wuͤrde ihm vieles nachge - redet, das er nie geſagt, und noch mehreres, das er nie gethan haͤtte. Manches gebe man ihm als eine That ſchuld, davon er nur (wie eben jetzt) ge - redet, und in einer Viertheil-Stunde nichts mehr davon gewußt haͤtte.

Es kann etwas hievon wahr ſeyn. Ein ſo junger Menſch kann nicht vollkommen ſo gottlos ſeyn, als man ihn abzumahlen pflegt. Allein was muß man nicht von einem ſolchen Mann gewaͤrtig ſeyn, der der Anfuͤhrer einer ſolchen Bande von drei - ſten und bemittelten jungen Herren iſt, und derglei - chen Dinge auszufuͤhren im Stande iſt, als ich ſchon leyder erfahren habe?

Eine ſeiner Entſchuldigungen war, daß er ſich nicht darum bekuͤmmere, was andere Leute von ihm daͤchten. Gewiß eine ſchlechte Entſchuldigung! Was fuͤr Zutrauen kann ein Frauenzimmer zu ei - nem Manne haben, der nichts auf ſeine Ehre haͤlt? Dieſe muntern Koͤpfe koͤnnen uns wol einmahl eine vergnuͤgte Stunde machen: allein der, mit dem man wuͤnſchen kann ſeine Lebens-Zeit zuzubrin - gen, muß ein redliches und tugendhaftes Hertz ha - ben. Welche Frauens Perſon, die es aͤndern kann, wird es auf die bloße Hoͤflichkeit eines ſolchen Man - nes, der allen Pflichten der Sitten-Lehre Trotz bie - tet, ankommen laſſen, ober ſeine Pflicht gegen ſie er - fuͤllen, und ihr nicht gar zu uͤbel begegnen wolle?

Was206

Was iſt es fuͤr ein Ungluͤck, ſolche Gedancken von einem Manne zu haben, und ſich dennoch in ſeiner Gewalt zu befinden? Wollte GOtt doch die Wuͤnſche ſind zu ſpaͤte und unnuͤtz. Wohin kann ich mich jetzt wenden, wenn ich von ihm fliehen wollte?

Der zwey und zwantzigſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford.

Von einer ſolchen Heerde thoͤrichter Leute, als die Harlowes ſind, habe ich mein Lebelang nicht gehoͤrt. Die Fraͤulein muß uͤberwunden werden, wenn auch jedes Haar ihres Hauptes ein Schutz-Engel waͤre; ſie muͤßten denn ſichtbar er - ſcheinen, um ſie aus meinen Haͤnden zu entreiſſen und unter die Sterne zu verſetzen.

Alles was ich befuͤrchtete, war, daß eine Toch - ter, die wider ihren Willen zu fliehen gezwungen war, ihren Eltern Bedingungen antragen und auf dieſe Bedingungungen wieder angenommen werden wuͤrde, daß man ihr nehmlich Solmeſen nicht auf - dringen, und daß ſie mir entſagen wollte. Jch ſuchte alſo alle moͤgliche Mittel anzuwenden, die zweyte Bedingung zu hintertreiben. Allein es ſcheint, daß die Harlowes ihrer Arbeit die Crone aufſetzen wollen.

Was vor tumme Geſchoͤpfe giebt es nicht in der Welt! Der junge Harlowe mag ein liſtiger Hund ſeyn. Konnte er nicht dencken, daß ein Kerl, derſich207ſich von ihm beſtechen laͤßt, etwas niedertraͤchtiges vorzunehmen, ſich von dem mehrbietenden aber - mahls werde beſtechen laſſen, ihm einen eben ſo nie - dertraͤchtigen Streich zu ſpielen: ſonderlich, wenn er dabey Gelegenheit haͤtte, beyde zu Freunden zu be - halten? Hoͤre Bruder, nicht die Haͤlfte von mei - nen Streichen wird dein Kopf errathen koͤnnen.

Hier erzaͤhlt er die gantze zwiſchen der Fraͤulein und ihm vorgefallene Unterredung wegen des Joſeph Lehmanns, eben ſo als ſie in dem zwantzigſten Briefe befindlich iſt.

Was fuͤr eine Geſchicklichkeit hat dein Freund zu recht ruhmwuͤrdigen Uebelthaten! Wie nahe bleibt alles dieſes bey der Wahrheit! Die eintzige Abwei - chung von der Wahrheit iſt, daß ich vorgab, Leh - mann habe aus Verſehen Lerm gemacht, da ich es ihm doch zum voraus befohlen hatte. Wenn ſie die gantze Wahrheit wuͤßte, ſo wuͤrde ſie es mir nach ihrem Hochmuth nicht vergeben koͤnnen, daß ich ſie ſo uͤberliſtiget habe.

Wenn ich ein Soldat geworden waͤre, ſo haͤtte ich das Schieß-Pulver unnuͤtz gemacht. Denn ich wuͤrde alle meine Feinde durch Liſt geſchlagen, und ihre eigenen Kuͤnſte zu ihrem Verderben angewandt haben.

Aber o GOtt, was ſind das vor Vaͤter und Muͤtter! der Himmel gebe ihnen die edle Gabe des Verſtandes! Wenn ihre Natur nicht beſſer waͤre, als ihr Verſtand, und wenn die geſchaͤftige Goͤttin die Bona Dea ihnen ihre Huͤlfe zur Fruchtbarkeit ſo lange verſagete, bis ſie im Stande waͤren Kinder zu erziehen: o wie wenige Leute wuͤrden denn Kin - der haben?

Jacob208

Jacob und Arabella moͤgen vielleicht ihre gu - ten Urſachen haben. Allein was hat den Vater bewogen, ſo zu handeln als er gehandelt hat? Was die Mutter? die Baſe? die Onckles? Wer kann mit ſolchen unverſtaͤndigen Halb-Menſchen Mitley - den haben?

Meine Schoͤne wird bald hoͤren, wie weit ihre thoͤrichte Rache gegen ſie gehet: alsdenn wird ſie hoffentlich ein mehreres Zutrauen zu mir faſſen. Denn will ich mercken laſſen, daß ich eiferſuͤchtig bin, wenn mir ihre Liebe nicht den gewuͤnſchten Vor - zug vor allen andern in der Welt giebt: denn ſoll ſie mir bekennen, daß ſie Liebe und Danckbarkeit gegen mich fuͤhlet: denn will ich ſie kuͤſſen, ſo oft ich Luſt habe, und nicht mehr als ein hungriger Hund ſtehen, der einen Biſſen vor ſich ſiehet, und ob ihm gleich der Schaum von dem Munde flieſſet, ſich doch nicht unterſtehen darf, darnach zu ſchnappen.

Von Natur bin ich ein bloͤder Hund. Jch bin noch bloͤde, wenn ich dieſes Frauenzimmer vor mir habe. Bloͤde bin ich, und ich kenne doch das an - dere Geſchlecht von auſſen und von innen. Allein meine Bloͤdigkeit hat mir eben dieſe Bekanntſchaft erworben. Denn, Bruder, bey einer genauen Pruͤ - fung meiner ſelbſt, dabey ich eine Vergleichung zwi - ſchen mir und jenem Geſchlecht angeſtellet habe, habe ich gefunden, daß eine bloͤde Manns-Perſon etwas von einer weiblichen Seele hat, und daher eben ſo geſchickt iſt, die Abſichten und Gedancken der Schoͤnen zu errathen, als die Schoͤnen ſelbſt.

Die209

Die wahren Junggeſellen, und ich, wir ſind einander ziemlich gleich. Der gantze Unterſcheid beſtehet darin: ich thue das, was ſie dencken. Allein die, die man liederlich nennt, uͤbertreffen uns im dencken und thun ohngefaͤhr eines Weber - baums lang.

Jch muß meinen Satz erweiſen: hoͤre groß-guͤn - ſtig zu. Wir luſtigen Bruͤder lieben Zucht und Ehr - barkeit an dem Frauenzimmer: hingegen das ſo ge - nannte tugendhafte Frauenzimmer, oder, mit ei - gentlichen Worten zu reden, die liſtigſten, pflegen eine unverſchaͤmte und dreiſte Manns-Perſon an - dern vorzuziehen. Was kann die Urſache dieſer Zu - neigung ſeyn, als eine Gleichheit zwiſchen denen, die ſich einander lieben? Dieſes zwang jenen Dich - ter, zu ſagen:

Wenn ſchoͤne Kinder auch die Augen nie -
derſchlagen,
So ſchlaͤgt ihr loſes Hertz doch nur von
Schelmerey.

Sie moͤgen ſich bemuͤhen, durch ihre Handlungen das Gegentheil zu beweiſen.

Jch habe, ich weiß nicht wo, in einem Sitten - Lehrer geleſen, alle Bosheit ſey geringe gegen der Weiber Bosheit. (*)Der muntere Herr irret ſich. Socrates und Sa - lomon duͤrfen von den Schoͤnen nicht angeklaget wer - den. Siehe vielmehr Jeſus Syrach XXV. 25.Kenneſt du den Kloß nicht, der das geſchrieben hat? War es etwa So - crates? der Hencker hohle! der hatte ja eine Frau! Oder Salomon? Koͤnig Salomon? Du erin -Dritter Theil. Onerſt210nerſt dich doch, daß du etwas von einem ſolchen Koͤ - nige gehoͤrt haſt. Salomon! den Nahmen lernte ich als ein Kind: (denn meine Mutter war entſetz - lich fromm) ich mußte den Nahmen immer auf die Frage antworten: wer iſt der weiſeſte Mann geweſen? Allein meine guͤtige Lehrerin be - muͤhete mich nie mit der Frage: woher er den Theil ſeiner Weisheit, den ihm der heilige Geiſt nicht ein - gab, gelernt haͤtte?

O Bruder, wir ſind noch nicht allzu gottlos. Halbe Pietiſten! Laß uns nur nicht ſchlimmer wer - den, als wir ſind!

Hier folget eine Erzaͤhlung deſſen, was er von ſeinem Vorha - ben, den jungen Harlowe, und Solmes abzuhohlen, und die Eliſabeth Barnes zu ſtrafen, geredet hat.

Der drey und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jetzt eben habe ich eine nicht unangenehme Stunde mit Herrn Lovelace gehabt: ich will Jhnen alles genau melden, was zwiſchen uns vorgefallen iſt.

Er ſagte mir: er habe jetzt eben Nachricht bekom - men, daß meine Anverwanten nicht mehr geſonnen waͤren, mir nachzuſetzen, oder ſich zu bemuͤhen, daß ſie mich zuruͤck bekommen moͤchten. Er wartete deshalb auf meinen Befehl, was er thun ſollte?

Jch antwortete: er moͤchte ſich ſogleich von mir entfernen. So bald es kund wuͤrde, daß ich mitihm211ihm in keiner Verbindung ſtuͤnde, ſo wuͤrde jeder - mann glauben, daß ich meines Vaters Haus in keiner andern Abſicht verlaſſen haͤtte, als damit ich meinem groben Bruder entgehen moͤchte. Es waͤ - re dieſes ein gerechter Vorwand, der ſowohl zu mei - ner als zu meines Vaters Entſchuldigung gereichen wuͤrde.

Er antwortete gantz gelaſſen: wenn er nur gewiß wuͤßte, daß die Meinigen bey ihrem guten Vorſatz bleiben wollten, ſo haͤtte er nichts gegen dieſen Be - fehl einzuwenden, weil es mein Befehl waͤre. Al - lein er wuͤßte auch dieſes, daß ſie ihren Entſchluß nur aus Furcht gefaſſet haͤtten. Denn da mein Bruder mit lauter Rache ſchwanger ginge, ſo be - fuͤrchteten ſie, daß eine jede andere Entſchlieſſung fuͤr ihn ungluͤcklich ſeyn koͤnnte. Man muͤſſe daher be - fuͤrchten, daß ſie ſich umſetzten, ſo bald es ohne Ge - fahr geſchehen koͤnnte. Dieſe Gefahr ſey allzu groß, als daß er ihr nicht vorbeugen ſollte. Es wuͤrde mir ſelbſt einige Gedancken verurſachen, wenn er anders geſinnet waͤre. Er haͤtte es aber doch mir ſagen, und meine Befehle erwarten wollen, ſo bald er erfahren haͤtte, daß die Meinigen dieſes vorgaͤben.

Jch wuͤnſchte zu erfahren, ob er eine beſondere Abſicht dabey haͤtte, und bat ihn, mir ſeinen Rath zu geben.

Er antwortete: den koͤnnte er leicht geben, wenn er ſich unterſtehen duͤrfte zu reden, und ich nicht ungehalten werden wollte: wenn ich es nicht als einen Bruch ſeines Verſprechens auslegen wollte.

O 2So212

So ſagen ſie denn, was ſie auf dem Hertzen ha - ben. Jch kann es ja billigen oder abſchlagen, wie ich es noͤthig finde.

Jch muß erſt mehr Muth haben, das zu ſagen, was ich auf dem Hertzen habe. (Dencken Sie ein - mahl, Herr Lovelace muß mehr Muth haben!) Jch will unterdeſſen den Vorſchlag thun, der ihnen vielleicht angenehm ſeyn moͤchte. Wie? wenn ſie nach der Lady Eliſabeth reiſeten, und einen Um - weg durch Windſor naͤhmen.

Warum denn durch Windſor?

Es iſt ein angenehmer Ort! Es liegt nicht allzu weit von Berck, von Oxford, von London! Es liegt nahe bey den Guͤtern der Lady Eliſabeth. Dieſe hat ihre Guͤter nahe bey Oxford, und der Lord M. haͤlt ſich in der Grafſchaft Berck auf. So bald ſie belieben, koͤnnen ſie nach London reiſen: oder ich kann mich dahin begeben, wenn ſie zu Windſor bleiben wollen. Wir ſind alsdenn auf allen Fall doch nicht gar zu weit von einander, wenn die Jhrigen von neuen Krieg im Sinne haben ſollten.

Dieſer Vorſchlag gefiel mir: allein (ſagte ich) mein eintziger Zweiffel ſey dieſer, daß ich mich gar zu weit von der Fraͤulein Howe entfernen wuͤrde. Jch wuͤnſchte ſo nahe bey Jhnen zu ſeyn, daß ein Bote den Weg in 2. oder 3. Stunden endigen koͤnnte.

Er antwortete, wenn ich einen beſſern Ort wuͤßte, als Windſor, oder der naͤher bey der Fraͤu lein Howe waͤre, ſo kaͤme es blos auf meinen Befeh213fehl an. Er wollte ſich bemuͤhen, mir alle Be - quemlichkeit zu verſchaffen. Jndeſſen moͤchte ich waͤhlen, welchen Ort ich wollte, in der Naͤhe oder in der Ferne: ſo haͤtte er Bedienten, und dieſe ſollten nichts zu thun haben, als was ich ihnen be - fehlen wuͤrde.

Hierauf folgete ein angenehmes Erbieten. So bald ich einen gewiſſen Ort erwaͤhlet haͤtte, wollte er ſich nach meiner Hannichen erkundigen und ſie hohlen laſſen, wenn es mir nicht beliebig waͤre, eine von den beyden Jungfern Sorlings zur Aufwar - tung zu nehmen, von denen ich geſagt hatte, daß ſie artige und dienſtfertige Maͤdchens waͤren. Er ſey verſichert, daß ich ihnen ihre Dienſte ſo belohnen wuͤrde, daß ſie keinen Schaden davon haͤtten.

Jch glaube, daß er an meinem Geſicht hat ſehen koͤnnen, wie angenehm mir der Antrag wegen mei - ner Hannichen war. Jch antwortete: ich haͤtte ſchon darauf gedacht, ſie hohlen zu laſſen, ſo bald ich in einer bequemen Miethe waͤre. Es wuͤrde Schade ſeyn, eine von den beyden Sorlings zu nehmen, und der uͤbrigen Familie zu rauben, weil keine in dem Hauſe entbehret werden koͤnnte. Jch merckte mit Vergnuͤgen, wie eine jede ihre eigene und nuͤtzliche Arbeit haͤtte: und die Leute gefielen mir ſo wohl daß ich Luſt haͤtte laͤnger hier zu bleiben, wenn er mich nur verlaſſen wollte. Hiedurch wuͤrde ich zugleich mehr Raum bekommen.

Er ſagte: es waͤre unnoͤthig, daß er mir noch - mahls ſagte, was er gegen dieſen Aufenthalt einzu - wenden haͤtte. Wenn ich aber nach Windſor,O 3oder214oder an einen andern Ort reiſen wollte, und alsdenn verlangte, daß er mich verlaſſen ſollte, ſo wuͤrde ich nichts befehlen koͤnnen, was entweder um der Rede der Leute willen, oder auch wegen meiner Furcht - ſamkeit noͤthig waͤre, das er nicht mit Freuden er - fuͤllen wollte. Weil er auch ſehe, daß ich mit Schreiben beſchaͤftiget waͤre, ſo wollte er gleich ſein Pferd ſatteln laſſen und ausreiten.

Haben ſie aber einige Bekantſchaft zu Wind - ſor? Wiſſen ſie einige bequeme Miethen?

Den nahe gelegenen Wald ausgenommen, in dem ich bisweilen gejaget habe, iſt Windſor die eintzige beruͤhmte und artige Stadt in England, davon ich bey nahe gar nichts weiß. Jch habe nicht einen eintzigen Bekannten daſelbſt.

Jch antwortete: ſein Vorſchlag wegen Wind - ſor gefiele mir ziemlich wohl: ich wollte dahin zie - hen, wann ich nur eine Wohnung fuͤr mich, und eine Stube oben im Hauſe fuͤr meine Hannichen bekommen koͤnnte. Denn er koͤnnte ſich leicht vor - ſtellen, daß ich mit wenigem haushalten muͤßte, und ich wuͤrde ſehr ungern Wohlthaten von andern an - nehmen. Je eher ich nach Windſor reiſen koͤnnte, deſto lieber ſollte es mir ſeyn; weil dadurch aller Vor - wand wegfiele, den er jetzt haͤtte, um mich zu ſeyn, und er ſich nach London, nach der Grafſchaft Berck, oder wohin er ſonſt Luſt haͤtte, wenden koͤnn - te. Dieſes wuͤrde in den Augen der Welt der beſte Beweiß ſeyn, daß ich in keiner Art der Verpflich - tung ſtehe.

Er215

Er erbot ſich abermahls auf eine ſehr hoͤfliche Weiſe, mir mit Gelde zu dienen: allein ich verbat es eben ſo hoͤflich.

Dieſe Unterredung ſollte lauter angenehmes fuͤr mich haben. Er fragte mich, ob ich in dem Be - zirck der Stadt Windſor oder auſſer der Stadt wohnen wollte?

So nahe bey dem Schloſſe, als moͤglich: (ſagte ich) damit ich mich des oͤffentlichen Gottes-Dien - ſtes deſto beſſer bedienen kann; einer Wohlthat, der ich ſo lange habe entbehren muͤſſen.

Er antwortete mir: es wuͤrde ihm am liebſten ſeyn, wenn er mich bey einem von den Dom-Her - ren einmiethen koͤnnte; weil er glaubte, daß ich ſelbſt eine ſolche Wohnung aus mehreren Urſachen vor - ziehen wuͤrde. Er wuͤrde vergnuͤgt und ruhig ſeyn, weil er ſich durch mein Verſprechen genugſam ge - ſichet halte, daß ich keinen andern als ihn nehmen wuͤrde, ſo lange er die Bedingung hielte, die er mit ſo vielem Vergnuͤgen eingegangen haͤtte. Es liege ihm ſelbſt nur ob, ſich auf die eintzige moͤgliche Weiſe um meine Werthachtung und um mein Hertz zu bewerben. Er ſetzte mit einem ernſthaften Ge - ſichte hinzu: meine liebe Fraͤulein, ich bin zwar noch jung, allein ich habe eine lange Bahn des Unrechts zuruͤckgeleget. Jch hoffe nicht, daß mich ihr tu - gendhaftes Hertz um dieſes Geſtaͤndniſſes willen ver - achten wird. Es iſt jetzt fuͤr mich die hoͤchſte Zeit, an eine Beſſerung zu gedencken, nachdem ich ſchon mit Salomon ſagen kann, daß mir nichts unter der Sonnen neu iſt. Allein ich glaube, daß dieO 4Tugend216Tugend ein immer neues und unverwelckliches Ver - gnuͤgen geben kann.

Jch gerieth uͤber ſeinen Reden in eine angenehme Verwunderung. Jch ſahe ihn mit einem ſolchen Blicke an, als wenn ich meinen Augen und Ohren kaum trauete. Allein ſein gantzes Geſicht bekraͤftig - te ſeine Rede.

Jch druͤckte das Vergnuͤgen, das ich empfand, in ſolchen Worten aus, daß er ſagte: er fuͤhle eine gantz neue Art von Freude in ſeinem Gemuͤth, weil es ſchiene, daß ſein ungluͤcklicher Tag ſo bald anbre - chen wollte, und weil ich etwas billigte, das er ge - ſagt haͤtte. Das groͤſſeſte Gluͤck, daß er je bey ei - nem Frauenzimmer genoſſen, habe ihn noch nie - mahls ſo auſſer ſich geſetzt.

Gewiß, mein Schatz, es muß dem Manne ein Ernſt ſeyn: ſonſt haͤtte er nicht ſo reden koͤnnen: ja er haͤtte nicht einmahl ſolche Gedancken faſſen koͤn - nen. Der folgende Theil unſerer Unterredung zwang mich, ihm noch mehr Glauben beyzumeſſen.

Jn meinem wilden Leben (ſagte er) habe ich nie die Ehrfurcht vor der Religion und vor frommen Leuten verlohren. Jch ſuchte ſtets die Rede auf et - was anderes zu lencken, wenn meine Freunde die Sprache des Lord Schaftesbury (die ein Glaubens - Artickel der Boͤſewichter iſt) annahmen, und uͤber heilige Wahrheiten ſpotten wollten. Einige from - me Geiſtlichen haben deswegen geſagt: ich ſey ein Boͤſewicht, ohne gegen den Wohlſtand zu ſuͤndigen: oder, ich ſey nur in Wercken und nicht in Worten em Boͤſewicht. Jch binfreylich217freylich ſo hochmuͤthig uͤber meine Schande gewe - ſen, daß ich dieſem Urtheil nie widerſprochen ha - be. Jch thue ihnen dieſes Bekaͤnntniß deſto lie - ber, weil ich hoffe, daß ſie an meiner Beſſerung kuͤnftig arbeiten, und hieraus ſehen werden, daß die Arbeit ſo ſchwer nicht ſey, als ſie ſich vielleicht vorgeſtellet haben. Wenn ich in die Stille gekom - men bin, und mein Gewiſſen auf eine kurtze Zeit aufgewacht iſt, habe ich ein geheimes Vergnuͤgen daruͤber empfunden, daß ich dereinſt bey einem tu - gendhaften Leben eine wahre Ruhe wuͤrde ſchmecken koͤnnen. Denn, Fraͤulein, ohne ein ſolches koͤn - nen (wie ich es nennen mag) wuͤrde alle Bemuͤ - hung ſich zu beſſern vergeblich ſeyn. Jhr Vorgang wird alle meine guten Vorſaͤtze beveſtigen muͤſſen.

Die goͤttliche Gnade iſt es, Herr Lovelace, die alles wircken und alles beveſtigen muß. Sie glauben nicht, wie ich mich uͤber ſie freue, daß ich einmahl in dieſer Sprache mit ihnen reden kann.

Jch dachte hiebey an ſeine artige Auffuͤhrung ge - gen das ſchoͤne Bauer-Maͤdchen, und an ſeine Guͤtigkeit gegen die beyden Paͤchter.

Allein, Fraͤulein, (fuhr er fort) bedencken ſie, daß die Bekehrung nicht eines Tages Werck iſt. Jch habe ungemein viel Lebhaftigkeit, dadurch laſſe ich mich uͤbereilen. Jch will ein Bekaͤnntniß ablegen, daraus ſie ſehen koͤnnen, was fuͤr einen weiten Weg ich vor mir habe, ehe eine tugendhaf - te Perſon nur mittelmaͤßig mit mir zufrieden feyn kann. Von der Gnade, die ſie erwaͤhnen, habe ich in einigen Buͤchern, die eine allzugroſſe Voll -O 5kom -218kommenheit fodern, ſo viel geleſen, daß wol ein froͤmmerer Mann als ich bin, daruͤber unſinnig wer - den oder verzweifeln koͤnnte: Allein das Wort, Gnade, iſt mir noch gantz unverſtaͤndlich, ich kann mir keinen Begrif davon machen, wie die Gnade wircken ſoll. Verdencken ſie es mir alſo nicht, wenn ich mir ihr Vorbild als ein ſichtbares Huͤlfs-Mit - tel meiner Beſſerung ausbitte. So lange bis ich dergleichen geiſtlichere Ausdruͤcke beſſer verſtehen kann, ſoll alles das, was ſie damit ſagen koͤnnen, bey mir unter dem Nahmen ihres Vorganges begriffen ſeyn.

Jch ſagte: ſein Ausdruck ſey mir zwar etwas betruͤbt, und ich muͤßte mich billig wundern, bey einem ſo muntern und beleſenen Kopfe ſo viel Dun - ckelheit anzutreffen, die ich mit keinem andern Nah - men nennen moͤchte, als Dunckelheit. Jndeſſen gefiele mir ſeine Aufrichtigkeit wohl. Jch wuͤnſchte, daß er bey ſeinen guten Gedancken bleiben moͤchte: ſeine Anmerckung ſey ſehr richtig, daß man keine dauerhafte Beſſerung hoffen koͤnnte, wenn das Hertz nicht ein Vergnuͤgen an der Tugend faͤnde. Allein dieſes Vergnuͤgen entſtehe nicht ſo gleich, ſondern erſt alsdenn, wenn man mit der Tugend bekannt geworden ſey.

Jch hielt ihm bey nahe eine Predigt, und ſagte ihm wohl zwantzig ſolcher Lehren: ich nahm mich aber in Acht, daß er nicht verdrießlich werden, und uͤber meine lehrreiche Predigt eine krauſe Stirn ziehen moͤchte. Allein ſelbſt ſein Geſichte zeigete mir, daß er an dieſer Unterredung Vergnuͤgen faͤnde, dieer219er von ſelbſt wieder fortſetzte, als ich ein paarmahl abbrach, zu verſuchen, ob er mir blos aus Gefaͤl - ligkeit zuhoͤrete. Er erzaͤhlte mir noch eine doppelte Probe, daß er im Stande ſey bisweilen ernſtlichere Gedancken zu faſſen.

Er bekam nehmlich einmahl in einer Schlaͤgerey eine gefaͤhrliche Wunde an dem lincken Arm, da - von er mir noch die Narbe zeigete. Ohngeachtet er ſehr viel Blut verlohren haͤtte, weil eine der groͤ - ſten Adern getroffen ſey, ſo habe ihn dennoch ein ſchweres Fieber befallen. Es ſey ſo weit gekom - men, daß er ſeine Geneſung nicht mehr gewuͤnſcht, und ſeine Freunde ſie nicht mehr gehoffet haͤtten. Sein Hertz ſey einen Monath lang ſo geaͤndert wor - den, daß er einen Abſcheu an ſeinem vorigen Leben und inſonderheit an dem Zorn gehabt haͤtte, da - durch er in dieſe uͤbeln Umſtaͤnde, und ſein Gegen - theil, welcher der angreiffende Theil geweſen, in noch viel ſchlimmere Umſtaͤnde gerathen ſey. Er habe in der Zeit Gedancken gehabt, deren er ſich jetzt noch mit Vergnuͤgen erinnere. Es ſey zwar mit ſeiner leiblichen Beſſerung der gute Anfang ſei - ner Gemuͤths-Beſſerung wieder verſchwunden: al - lein er habe den guten Vorſatz mit ſolchem Wider - willen fahren laſſen, daß er ſich nicht haͤtte enthalten koͤnnen, dieſen Verluſt in einem ungereimten Gedich - te zu bedauren, welches ohne Kunſt und Verſtellung ſey. Er ſagte mir einige Verſe deſſelben vor, die durch ſeine Ausſprache ſchoͤner wurden, als ſie an ſich ſelbſt waren; ob ſie gleich nicht von den ſchlech - teſten waren. Die Gedancken, die er in Verſeein -220eingekleidet hatte, waren ernſthafter, als ich ich ſie von ihm erwartet haͤtte.

Er hat mir eine Abſchrift davon verſprochen: wenn ich die erhalten habe, ſo werde ich, und ſo werden Sie beſſer von der Guͤte des Gedichtes ur - theilen koͤnnen. Der Jnhalt war dieſer: Da ihm die Kranckheit eine richtigere Art zu dencken gegeben, und die Geſundheit ſie ihm genommen habe, ſo ſey er bereit, die Vollkommenheiten des Leibes zu verlieren, um die edleren Vollkommen - heiten des Gemuͤthes zu erlangen.

Er ſetzte hinzu: ob gleich aller gute Vorſatz bey ſeiner Beſſerung verſchwunden ſey, ſo habe er doch jetzt die Hoffnung, daß mein Beyſpiel einen tiefern und dauerhaftern Eindruck bey ihm machen werde, ſonderlich, da er eine ſo ſichtbare Belohnung ſeiner Beſſerung vor den Augen haͤtte. Seine Hoffnung wuͤchſe dadurch, daß er dieſen guten Vorſatz bey voller Geſundheit gefaſſet haͤtte; zu einer Zeit, da er weiter nichts zu wuͤnſchen haͤtte, als Beſtaͤndig - keit, die das eintzige Mittel ſeyn wuͤrde, mein Hertz zu gewinnen.

Jch will (antwortete ich) das eben anglimmen - de Feuer nicht ausloͤſchen, ſondern vielmehr alle Sorgfalt anwenden, daß es eine Flamme werden moͤge. Jch werde mich bemuͤhen, ſie bey dieſen Entſchlieſſungen zu erhalten. Jch will ihre gantze Hochachtung gegen mich nach ihrem Eifer in der Ausbeſſerung ihres Gemuͤthes abmeſſen. Behalten〈…〉〈…〉 dieſe ſchoͤnen Zeilen des Rowe ſtets in ihrem Gemuͤthe, da ſie ſelbſt bekennen, daß ſie ſo vieleszu221zu bereuen haben, und da die Narbe auf ihrem Arm ſie ihrer Sterblichkeit lebhaft erinnern kann.

Die Zeilen die ich ihm ſagte, waren aus dem Ulyſſes dieſes Dichters genommen; und Sie wiſſen, daß ich dieſe Ausdruͤcke ſehr oft bewundert habe:

Das Laſter, das Gewohnheit langer Jahre
Schon zur Natur gemacht, iſt alten Schaͤden
gleich.
Dem friſchen Vorſatz einer Stunde
Weicht ſein betagtes Uebel nicht:
Man fuͤhlt vorher die aufgerißne Wunde,
Man zucket, wenn die traͤge Beule bricht.
Man ſpuͤrt ein innres Weh, man muß das ſchel -
ten hoͤren
Vor dem das ſtaͤrckſte Hertz erbebt:
Gewiſſens-Angſt muß uns uns ſelbſt beherr -
ſchen lehren,
Sie toͤdtet unſre Luſt, bis daß ein neues Hertz
Jn unſerm buſen ſchlaͤgt, und eine Seele lebt
Die wahre Tugend liebt. Die Tugend iſt ein
Schertz
Des traͤumenden Gehirns, ſie iſt nur Heucheley,
Wenn ſie bey Schertz und Luſt entſtehet.

Er ſagte: er habe zwar dieſe Verſe oft geleſen, al - lein er haͤtte ihre Schoͤnheit noch niemahls bemerckt. Bey ſeiner Seele (ſagte der unbußfertige Menſch) und ſo wahr er wuͤnſchte ſeelig zu werden, es ſey ihm nun ein Ernſt mit ſeinem guten Vorſatz. Er haͤtte ſchon vorhin geſagt, ehe ich dieſe Verſe de〈…〉〈…〉 Kowe angefuͤhret haͤtte, daß ein eingewurtze〈…〉〈…〉 sLaſter222Laſter in einer Stunde nicht ausgerottet werden koͤnnte. Er hoffete, ich wuͤrde ihn nicht fuͤr einen Heuchler halten, wenn er ſeinen guten Vorſatz nicht erfuͤllete. Denn Undanckbarkeit und Heucheley waͤ - ren die Laſter, vor denen er ſtets den allergroͤſſeſten Abſcheu gehabt haͤte.

Jch wuͤnſche, (ſagte ich) daß dieſer Abſcheu ſtets bey ihnen bleiben moͤge. Es ſind gewiß die ſchaͤnd - lichſten Laſter.

Jch hoffe, meine liebſte Freundin, daß er mir keine Urſachegeben wird, in den folgenden Briefen die Hoffnung, die ich Jhnen jetzt von ihm gebe, nieder zu ſchlagen. Mein Gluͤck wuͤrde doch noch ſehr unvollſtaͤndig ſeyn, wenn ich gleich nichts an ihm zu erdulden haͤtte, weil mein eigenes Gewiſſen und der Zorn aller meiner Anverwanten mir Unru - he genug machen wird. Jch werde immer dadurch geſtraft ſeyn, daß mir mein eigenes Hertz wegen des vergangenen Verweiſe giebt, und daß mein guter Nahme ſo viel gelitten hat.

Seyn Sie inzwiſchen verſichert, daß alle Hoff - nung der Beſſerung mich nicht verleiten wird gegen ihn unvorſichtig zu ſeyn. Jch glaube zwar eben ſo wenig als Sie, daß er ſich unterſtehen ſollte, eine unanſtaͤndige Abſicht gegen mich zu hegen. Allein er iſt ſehr veraͤnderlich: und ſeine Veraͤnderlichkeit iſt nicht allein mercklich, ſondern er ſelbſt ſcheint auch dieſes Laſter nicht zu verheelen. Deswegen will ich ihn in einer gewiſſen Entfernung zu halten ſuchen, und mir ihn nicht einmahl in meinen Gedancken als eine Perſon, die mich angehet, vorſtellen: denn,wenn223wenn ich auch nicht alle Manns-Perſonen anklagen will, daß ſie eine verſtattete Freyheit misbrauchen, ſo kann ich doch den Herrn Lovelace von dieſer Beſchuldigung nicht frey ſprechen.

Jch will daher immer, ſo wie bisher geſchehen iſt, uͤberlegen, was er fuͤr geheime Endzwecke bey dem was er vorſchlaͤgt, oder redet, haben koͤnnte. Jch will bey allem, was einigem Zweiſfel unterwor - fen iſt, das beſte hoffen, und das ſchlimmſte fuͤrch - ten. Denn in meinen Umſtaͤnden iſt es beſſer, allzu - furchtſam zu ſeyn, als ſich durch Unbedachtſamkeit in Gefahr zu ſtuͤrtzen.

Herr Lovelace iſt nach Windſor geritten, und hat zwey Bedienten zu meiner Aufwartung zuruͤck gelaſſen. Morgen gedenckt er wieder hier zu ſeyn.

Jch habe an die Frau Hervey geſchrieben, und ſie gebeten fuͤr mich zu ſprechen, damit ich meine Kleider, Buͤcher und Geld bekommen moͤchte. Jch habe mich gegen ſie erklaͤret, daß ich bis auf dieſe Stunde weiter nichts begehrte, als die billige Er - laubniß, Nein zu ſagen, und unverheyrathet blei - ben wollte: wenn mich die Meinigen wieder anneh - men, und mir ſo begegnen wollten, wie ich es von Eltern, Onckles und Geſchwiſtern erwarten ſollte. Jch habe aber dabey zu verſtehen gegeben, daß es vielleicht fuͤr mich und meine Geſchwiſter beſſer ſeyn moͤchte, wenn wir uns nicht an einem Orte auf - hielten, nachdem ſie mir ſo ſehr uͤbel begegnet waͤ - ren. Jch hoffe, daß ſie dieſes von meinem Gute auslegen wird. Dabey habe ich mich erboten, mei - ne gantze Einrichtung nach meines Vaters Gutbe -finden224finden zu machen, keine andere Bedienten anzu - nehmen, als die ihm gefaͤllig waͤren, und mich in allen Stuͤcken als eine gehorſahme Tochter zu be - zeigen.

Aus dem Briefe an meine Schweſter wird mei - ne Baſe wiſſen, wie ſiean mich ſchreiben kann, wenn es ihr anders erlaubet wird, daß ſie mir dieſe Guͤtigkeit erzeigen darf.

Jch bitte in dieſem Briefe eben ſo ernſtlich, als in dem, welchen ich an meine Schweſter geſchrie - ben habe, daß ſie ſuchen moͤge mir eine baldige Aus - ſoͤhnung auszuwircken, damit ich nicht tiefer in das Ungluͤck hinein geſtuͤrtzt werden moͤge. Jch ſtelle ihr vor: daß eine zu rechter Zeit erwieſene Gelin - digkeit die Welt bereden wuͤrde, daß alles was ihnen und mir ſonſt nachtheilig ſcheinen koͤnnte, nur ein kurtzes Misverſtaͤndniß geweſen ſey; und ſie ſelbſt wiſſe, daß ich zu dem gezwungen ſey, was ich gewaget habe.

Jch ſchlieſſe hiemit dieſen Brief, und verſichere, daß ich bin

Jhre ewig ergebene Cl. Harlowe.

Der vier und zwantzigſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Wie oft haſt du mir meinen Hochmuth vorge - worfen! du bedenckeſt nicht, was fuͤr eineartige225artige Wendung ich meinem Eigenlobe zu geben weiß: du bewunderſt dieſe Geſchicklichkeit zwar, al - lein du vergiſſeſt ſie, ich weiß nicht wie? mir in Rechnung zu bringen. Dein Neid iſt die Urſache dieſer Vergeßlichkeit, wenn dich die Natur zur Be - wunderung zwinget. Du biſt ein viel ſo kurtzſich - tiger Kerl, alß daß du deine eigene Seele und die wahren Quellen deiner Leidenſchaften kennen ſollteſt.

Du redeſt ſchon wieder! Mich duͤnckt, du ant - worteſt mir: deine Beſchuldigung gegen mich ſpricht dich, Lovelace, nicht von der Anklage frey, daß du hochmuͤthig ſeyſt.

Du ſagſt die Wahrheit. Jch glaube ſelbſt, daß mir die Natur nicht wenig Einbildung gegeben hat. Allein wenn es meines gleichen verarget wird, daß wir uns etwas einbilden, ſo weiß ich nicht, bey wem man dieſe Schwachheits-Suͤnde entſchuldigen will. Und dennoch finde ich bey mehrerer Uberlegung, daß meines gleichen am wenigſten Urſache habe, ſich et - was einzubilden, und hochmuͤtig zu ſeyn: denn die Welt wird ſie ſelbſt kennen und ehren, weil ihrer ſo wenige in der Welt ſind. Wenn man einen Narren uͤberzeugen kann, daß ein Menſch in der Welt mehr Verſtand hat als er, ſo wird er von ſelbſt glauben, daß dieſer Menſch ein Wunder des Verſtandes ſeyn muͤſſe.

Was wird die allgemeine Lehre fuͤr alle Men - ſchen ſeyn, die hieraus folget? nicht wahr, dieſe: daß niemand hochmuͤthig ſeyn ſolle? Wie aber, wenn es uns ohnmoͤglich iſt, nicht hochmuͤthig zu ſeyn? Vielleicht bin ich in ſolchen Umſtaͤnden! Jch bildeDritter Theil. Pmir226mir auf nichts ſo viel ein, als auf meine gluͤcklichen Einfaͤlle und Erfindungen: und, bey meiner See - le, ich kann dieſes ohnmoͤglich verbergen. Dieſe Einbildung kann bey einem ſo ſcharfſichtigen Frauenzimmer ſehr leicht mein Ungluͤck ſeyn.

Es ſcheint, daß ſie ſich vor mir fuͤrchtet. Jch ha - be mich ſonſt immer bemuͤhet, ihr und der Fraͤulein Howe als ein leichtſinniger Menſch ohne Gedan - cken und Vorſicht vorzukom̃en. Habe ich nicht thoͤ - richt gehandelt, daß ich ihre Gewiſſens-Frage we - gen des Lerms in dem Garten ſo weitlaͤuftig und mit ſo vieler Aufrichtigkeit beantwortet habe? Al - lein weil dieſes gluͤcklich ablief, ſo machte mich mein Gluͤck verwegen. Du weißt es ſelbſt, Bruder, wie einem das Hertz zum Kopf heraus will, wenn man gluͤcklich iſt. Mein Hochmuth uͤbereilte meine Bedachtſamkeit. So bald ich meine Drohungen vorgebracht hatte, Solmeſen auf die Seite zu bringen, mit ihrem dummen Bruder davon zu gehen, und an beyden Bedienten Rache zu uͤben: gerieth meine Geliebte in ein ſolches Schrecken, daß ich darauf dencken mußte, wie ich die Schar - te auswetzen konnte.

Zu rechter Zeit bekam ich von meinem Abgeſan - ten in ihrem Hauſe eine gluͤckliche Nachricht; die ich zum wenigſten gluͤcklich gebrauchen konnte. Jch bat deswegen, daß ich moͤchte vor ſie gelaſſen wer - den, ehe ſie einen Entſchluß gegen mich faſſen konn - te, das iſt, unterdeſſen daß ſie meine entſchloſſene Dreiſtigkeit bewunderte, und ſelbſt dadurch un - ſchluͤßig ward.

Jch227

Jch war gantz beſcheiden, gantz ergeben und hoͤflich, gantz freundlich. Jch laſſe bisweilen eini - gen guten Gedancken einen Platz in meinem Her - tzen, und ich habe ſie nie gaͤntzlich ausgeſchloſſen: alle dieſe gute Gedancken, die ich von meinen un - ſchuldigen Jahren an bis auf das Alter eines reiffen Suͤnders geheget habe, ſammlete ich, ohne daß ich mich lange beſinnen durfte, um bey ihr ein heiteres Geſicht zu verdienen. Vielleicht (dachte ich) kann ich es aushalten, die guten Vorſaͤtze laͤnger in dem Munde zu haben, und mir auf die Art den Weg zu meiner Haupt-Abſicht bahnen. Nicht die Liebe, ſondern die Furcht iſt von Natur mistrauiſch. Jch will ſuchen die Furcht zu verbannen: ſo wird nichts als Liebe uͤbrig bleiben. Die Leichtglaͤu - bigkeit iſt der Geheimte Rath des Gottes der Lie - be, und laͤßt ſich nie von ihm trennen.

Von den aus Harlowe-Burg erhaltenen Nachrichten, und den Vorſchlaͤgen wegen eines kuͤnftigen Aufenthalts, ſchreibt er in der Haupt-Sache nichts, das nicht in dem Briefe der Clariſſa ſchon angemerckt waͤre.

Von ſeinem Vorſchlage, nach Windſor zu ziehen, druͤ - cket er ſich alſo aus.

Was meinſt du, Belford, kann dir die Abſicht, die ich bey dieſem Vorſchlage hatte, in deinen Gruͤtz - Kopf kommen? Nein gewiß nicht! und darum ſollſt du ſie von mir erfahren.

Wenn ich mich auf ein paar Tage von ihr entfer - nete, um ihr an einem andern Orte zu dienen, ſo haͤtte es das Anſehen, als verlieſſe ich mich auf ihre Gunſt. Du weiſſeſt wol, daß ich ſie nicht verlaſſen durfte, ſo lange ich noch befuͤrchten mußte, daß die Jhrigen ihr nachſetzen koͤnnten. Jetzt ward ich be -P 2ſorgt,228ſorgt, daß ſie argwohnen moͤchte, ich ſuchte mich des Nachſetzens der Jhrigen blos als eines Vor - wandes zu bedienen, ihre Geſellſchaft laͤnger zu ge - nieſſen. Was konnte mich aber nun noch hindern, ihr dieſe Probe meines Gehorſams zu geben, nach - dem die Jhrigen dieſen Vorſatz fahren laſſen, und ſogar ſich erklaͤret hatten, ſie nicht wieder anzuneh - men, wenn ſie auch von freyen Stuͤcken wieder zu ihnen kaͤme. Eine Entſchlieſſung, die ſie von mir, und nicht von der Fraͤulein Howe oder von andern erfuhr und erfahren ſollte.) Dieſer Gehorſam ward mir leichter, weil ich unter dem Nahmen der noͤthigen Bedienung) dencke ja an keine Waͤchter!) meinen Wilhelm und meines Onckles Johann bey ihr laſſen koͤnnte. Jener iſt ein braver Kerl: er kann alles, nur nicht ſchreiben und leſen; und ich kann ihm einen umſtaͤndlichern Befehl anvertrauen: den Johann kann er, wenn es noͤthig iſt, an mich ſchicken.

Jch war auch begierig, Nachricht einzuziehen, weswegen ich von meinen Baſen und von den Fraͤu - leins Montague noch kein Gluͤckwuͤnſchungs - Schreiben erhalten haͤtte, da ich ihnen doch meine Helden-That und die Errettung meiner Geliebten berichtet hatte. Es konnten Umſtaͤnde vorfallen, die kuͤnftig die Vorzeigung dieſer Briefe noͤthig machten: daher war mir nicht einerley, was in den Briefen geſchrieben wurde.

Bey Windſor hatte ich keine beſondere Abſicht, deswegen ich dieſen Ort andern haͤtte vorziehen ſol - len. Allein, da ſie ſo guͤtig war, meinen Rath zubegehren,229begehren, ſo mußte ich doch einen Ort nennen. London durfte ich nicht nennen: zum wenigſten nicht ohne viele Behutſamkeit, und ſo daß es mehr ſchien ihre eigene Wahl zu ſeyn. Denn du mußt wiſſen, wie verkehrt dieſes Geſchlecht iſt: wenn es uns um Rath fraget, ſo will es nur unſere Mei - nung ausforſchen, um ſich ihr zu widerſetzen; da es doch vielleicht eben das wuͤrde gewollt haben, wenn wir es nicht gewollt haͤtten.

Jch durfte nur vorgeben, daß ich nach Wind - ſor gereiſet waͤre, ſo konnte ich bey meiner Zuruͤck - kunft ſchon etwas finden ihr eine Abneigung vor die - ſem Orte zu machen. Weil ich die Stadt ſelbſt in Vorſchlag gebracht hatte, ſo ließ dieſes ehrlicher, und ſie mußte daraus ſchlieſſen, daß ich keine Ab - ſichten haͤtte. Jch habe noch nie eine ſo muntere, lebendige und kluge Vorſichtigkeit bey einem Frau - enzimmer angetroffen, als bey dieſem. Wie betruͤbt es einen ehrlichen Mann, wenn er fuͤr ei - nen Schelm gehalten wird?

Auf meiner Hin-Reiſe oder Ruͤck-Reiſe kann ich bey der Frau Greme anſprechen. Sie und meine Geliebte hatten ein ſehr eifriges Geſpraͤch. Wenn ich nur wuͤßte, wovon ſie geredet haͤtten. Will die ei - ne ihre Umſtaͤnde durch Huͤlfe der andern verbeſſern, und zwar dieſes bey ihrer erſten Bekantſchaft: ſo kañ ich ihnen beyden ohne meinen Schaden dienen. Denn dieſes ſind die kluͤgſten Wohlthaten, auf wel - che nie eine Reue folget, wenn gleich der empfan - gende Theil undanckbar bleibt. Frau Greme wechſelt auch mit ihrer Schweſter, in deren HauſeP 3wir230wir wohnen, Briefe. Dieſes kann mir zum Vor - theil oder zum Schaden gereichen; jenen will ich bey meiner Reiſe zu gebrauchen, und dieſen zu ver - meyden ſuchen.

Bey allen meinen Unternehmungen dencke ich immer an den Ruͤckweg. Niemand haͤlt mich fuͤr ſtoltz, der mich kennet: ich kann mit den Bedienten ſo vertraut als mit meines gleichen reden, wenn ich ſie zu meinen Abſichten gebrauchen, und ihnen ihre Gefaͤlligkeit verguͤten will. Die Bedienten gleichen den gemeinen Soldaten: ſie thun oft ohne Bosheit allen moͤglichen Schaden. Die guten Kerls haben keine weitere Abſicht dabey, als daß ſie Schaden thun moͤgen.

Vor niemand fuͤrchte ich mich mehr, als vor der Fraͤulein Howe. Sie hat einen leichtfertigen Kopf, und es fehlt ihr an nichts, als an Gelegenheit zur Schelmerey. Erſchieſſen, erhaͤngen oder erſaͤuffen will ich mich, wenn mich das Maͤdchen bey aller meiner Einbildung und Ruhm von meiner no - ſtrum-Kraͤmerey (du biſt eine Art von Pedanten, ein Kerl, der die Oberflaͤche der Gelehrſamkeit ge - ſchickt abzuſchaͤumen weiß. Darum aͤrgere ich dich mit ungewoͤhnlichen Worten, bey denen du ein ver - dammtes Kunſtrichter-Geſichte machen wirſt. Noch einmahl ließ es) von meiner noſtrum - Kraͤ - merey betrieget.

Der arme Hickmann! Jch bedaure ihn. Was will er mit der Amazonin anfangen. So wahr GOtt im Himmel lebet, Hickmann iſt ein Narre. Eben faͤllt es mir bey: keine Ehe kann gluͤcklich ſeyn,wenn231wenn nicht der eine Theil ein Narre iſt. Jch habe ehemahls dieſen Satz gegen die Fraͤulein Howe vertheidiget. Nur muß der Narre wiſſen, daß er ein Narre iſt, ſonſt wird er aus Halsſtarrigkeit die Weisheit in ihrer Hoffnung betriegen.

Mein Abgeſandter, Joſeph, ſetzet mich in Si - cherheit.

Der fuͤnf und zwantzigſte Brief. Eine Fortſetzung des vorigen von Herrn Lovelace.

Jſt es nicht ein wunderlich Ding, daß ich von dieſer hochmuͤthigen Schoͤnen keine Erlaub - niß erhalten kann, ihr eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen, und ſie mir dadurch verbunden zu machen? Zwey Urſachen habe ich, zu wuͤnſchen: daß ſie ſich gefal - len laſſen moͤchte, Geld und Kleidung von mir anzunehmen. Erſtlich finde ich ein wahres Ver - gnuͤgen darin, wenn ich dieſem ſtoltzen Maͤdchen aufwarten, und etwas an ihrem Leibe mein eigen nennen duͤrfte. Zum andern wollte ich gern ihre ſtraͤſliche Ehrbarkeit mindern, und ſie ein wenig de - muͤthigen. Denn nichts kann einen hochmuͤthigen Geiſt tieffer erniedrigen, als die Erinnerung ge - machter Schulden. Aus dieſer Urſache habe ich mich immer gehuͤtet, keine Schulden zu machen. Ehemahls bin ich wohl dazu gezwungen worden: und denn verfluchte ich das Viertheil-Jahr, daß es ſo langſahm zum Ende lief. Denn niemahls ließ ich mir die Pacht zum voraus bezahlen: nie ichP 4(mei -232(meines Onckles Spruͤch-Wort zu borgen) das Kalb in der Kuh auf: denn das hieſſe, von des Paͤchters Gnaden Herr uͤber ſeine Guͤter ſeyn. Kei - ne niedertraͤchtigere Lehnbarkeit kann erdacht wer - den. Soll mir der Paͤchter etwan das Jagen verbie - ten duͤrfen, damit ich keinen Zaun auf meinen Guͤ - tern verderbe? Soll er darauf ſinnen, wie er ohne Noth von Bau und Beſſerung ſchwatzen koͤnne? Soll der Erdſchwamm die Arme in einander ſchla - gen, und mit dem Toͤlpel auf ſeinem Gruͤtz-Behaͤlt - niß mit mir reden? den Fuß feſt hinpflantzen, als wenn es ſein Grund und Boden waͤre? ich ſeine un - geſtuͤm-dummen Reden hoͤren, und ſeine Schelm - Blicke vertragen? Soll er thun, als wollte er mir zu verſtehen geben, er habe mir eine Wohlthat er - zeiget, und koͤnne ſie mir kuͤnftig wieder erzeigen, wenn ich hoͤflich waͤre? Wer vor mir voruͤber ge - het, und ſiehet mich nicht an wie ich will, dem darf ich meiner Meinung nach den Hals brechen: und ich ſoll das von dem Koth-Gewaͤchſe leyden? Eben ſo wenig konnte ich das thun, als bey einem groben Onckle und bey Tanten, die ſich um meine Geheim - niſſe bekuͤmmern, borgen; die ſich berechtiget gehal - ten haͤtten, das Leben und den Wandel ihres Vet - ters und Schuldners die Muſterung paßiren zu laſſen.

Meine unvergleichliche Schoͤne iſt eben ſo ehrbe - gierig als ich. Allein ſie unterſcheidet die Perſo - nen nicht, und das liebe unſchuldige Kind merckt nicht, daß nichts edlers, nichts angenehmers iſt, als wenn Verliebte Gefaͤlligkeit fuͤr Gefaͤlligkeit erzei -gen.233gen. Dir dummen Teuffel muß ich das durch ein Beyſpiel aus der Haushaltung begreiflich machen, das ich hier auf dem Hofe geſehen habe. Ein ſtoltzer Haus-Hahn lockte ſeine zweybeinigte Zuneigung, da er ein Gerſten-Korn gefunden hatte. Sechs - mahl nahm er es auf, ſechsmahl ließ er es fallen: und lockete. Etliche gefederte Frauenzimmer eifer - ten darum, welche zuerſt das Korn erhaſchen wuͤr - de. (O Bruder, der Hahn iſt ein großer Herr. Ein beneydens-werther Chapeau-Baſiſt unter den Feder-Stutzern!) Er reichte den Schnabel der vorderſten Geliebten, und ſo bald ſie die ſchmutzige Perle bekommen hatte, empoͤrte ſich ſein Kamm, und halb lockend halb frolockend ging er um ſie her - um, und ließ die Fluͤgel aus liebreicher Demuth bis auf die Erde haͤngen. Das den uͤbrigen vor - gezogene gefiederte Kind war halb ſcheu und halb willig. Jch weiß nicht, wie es ſich anſtellete. Es war etwas furchtſames in den Augen: halb ſtreckte es die Fluͤgel aus, es zog den Hals ein. Kurtz, Bruder, ich konnte mercken, das Huhn merckte, daß das Gerſten-Korn nicht alles ſey, wozu der Hahn gelocket habe.

Von dem, was wegen Hannichen, oder einer der Toͤch - ter im Hauſe vorgefallen war, ſchreibt er:

Faͤllt dir das ein, Belford, in welcher Abſicht ich ihr die Hannichen, oder eine von den Jungfern in dieſem Hauſe zur Aufwartung vorſchlug! Jch will dir einen Monath Zeit laſſen, es zu errathen.

Du geſteheſt es, daß du es nie errathen wirſt.

Du thuſt wohl daran. Jch will es dir ſagen.

P 5Jch234

Jch vermuthete zum voraus, daß ſie das liebe Hannichen wuͤrde um ſich haben wollen, ſo bald ſie nur in Ordnung waͤre. Jch erkundigte mich des - halb nach ihrem Aufenthalt, in der Abſicht, es da - hin zu bringen, daß ihr Herr oder Frau oder ſonſt jemand ſie nicht eher als einen Monath nach der Aufkuͤndigung moͤchte ziehen laſſen; damit ſie nicht in meiner Clariſſe Dienſte treten koͤnnte. Der Him - mel iſt mir guͤnſtig. Zum Gluͤck iſt die kleine Hexe kranck. Sie hat ein heftiges Fluß-Fieber, wel - ches ſie gezwungen hat aus dem Dienſte zu gehen, und ſich zu legen. Das arme Hannichen! Jch habe Mitleyden mit den armen Madchen. Das ſind harte Umſtaͤnde vor treue Bedienten. Jch will ihr eine Kleinigkeit ſchencken: daß wird meiner Schoͤ - nen in dem Hertzen wohl thun.

Jch ließ mich nicht mercken, daß ich etwas hier - von wuͤßte: und war recht eifrig, mich nach der kleinen Hure zu erkundigen. Meine Clariſſe wuſte daß ich dieſes Kammer-Kaͤtzgen wegen ſeiner Treue ſtets hoch geſchaͤtzt habe: jetzt aber ſchaͤtze ich es noch hoͤher, als jemahls. Das Ungluͤck, wenn es gleich die niedrigſten betrift, zwingt uns dennoch mitley - dig und wohlgeſinnet zu ſeyn, wenn wir kein ſcla - viſches Hertz haben.

Die beyden Jungfern Sorlings brachte ich blos des Fragens wegen in Vorſchlag. Geſetzt, ſie haͤtte eine gewaͤhlt, und die Mutter haͤtte es erlaubt (beydes war zweifelhaft) ſo wuͤrde es doch nicht laͤnger gewaͤhret haben, als bis ich eine andere aus - geſucht haͤtte. Haͤtten ſie nachher keine Luſt gehabt,ſich235ſich von einander zu ſcheiden, ſo kann ich entweder meiner Geliebte Gelegenheit zum Verdacht geben, oder den Land-Maͤdchen London ſo angenehm machen, daß es ſich mit meinem Wilhelm einlaͤßt. Jch kann es noch beſſer machen, und ſie an meines Onckles Capellan bringen, der ſich ein Vergnuͤgen daraus machen wuͤrde, mit dem vermuthlichen Er - ben ſeines Patrons wohl zu ſtehen.

GOtt ſeegne dein ehrliches Hertz, Lovelace! (wirſt du dencken) du verſorgeſt jederman.

Hier folget einige Nachricht von den frommen Unterredun - gen, die zwiſchen ihm und der Clariſſe vorgefallen ſind. Bey Erzaͤhlung deſſen, was von den Maͤngeln einer allzu ſchleu - nigen Beſſerung geredet war, ſchreibt er:

Jſt das nicht aufrichtig zu Wercke gegangen? Der Satz, den ich vorbrachte, gruͤndet ſich auf die Erfahrung und auf die Natur der Sache. Es war eine kleine Liſt dabey: ich ſuchte zu verhuͤten, daß mich das artige Kind nicht bey der erſten Ausſchweif - fung fuͤr einen groben Heuchler erklaͤren moͤchte: Denn ich habe ihr nicht verhalten, daß mich die Beſſerung und der gute Vorſatz nur mit Hitze und Froſt uͤberfaͤllt; ob ich gleich hoffete, daß er durch ihr Vorbild in eine geſetzte Gemuͤths-Faſſung ver - aͤndert werden koͤnnte. Das benimt mir den Muth am meiſten, daß meine Lehrerin gar zu fromm iſt. Jch weiß nicht, wie ich ihr unter die Augen treten ſoll. Wenn ich ſie mir etwas gleicher machen, wenn ich ſie bewegen koͤnnte, etwas vorzunehmen, dadurch eine Reue moͤglich wird; ſo wuͤrden wir auf dem Wege der Tugend einen Schritt gehen, und ein - ander beſſer als bisher verſtehen koͤnnen. Dennwuͤr -236wuͤrden wir uns einander troͤſten, und die Anklage des Gewiſſens wuͤrde nicht einen Theil allein treffen.

Jn dem was hier ausgelaſſen iſt, bekennet er, daß ihm die Ermahnungen der Clariſſe, auf eine angenehme und ſcharfe Art zu Hertzen gegangen ſind: zweiffelt aber an ſeiner Beſtaͤndigkeit.

Mein Kind weiß die ernſthafteſten Lehren ſehr angenehm vorzutragen: ihre Stimme erhebet ſich, und wird recht reitzend, wenn ihr die Materie ge - faͤllt, davon ſie redet. Jch wollte ihr wol einen hal - ben Tag zuhoͤren. Wenn ſie aber faͤllt, ſo wird ſie viel von ihrem Eifer, und von der Zuverſicht, die eine Fruchtdes guten Gewiſſens iſt, und dadurch ſich die Unſchuld ſo ſehr uͤber die Schuldigen erhe - bet, verlieren.

Jch moͤchte wiſſen, Belford, warum die Leute dein und meines gleichen Heuchler nennen. Jch haſſe den Nahmen, und es ſollte mich ſehr verdrieſ - ſen, wenn er mir gegeben wuͤrde. Jch habe ſo oft gute ja die beſten Vorſaͤtze, als ſie jemand ha - ben kann: allein ſie verfliegen ſo bald wieder; oder (um es auf eine mir anſtaͤndigere Art auszudruͤcken) ich bin ſorgloſer als andere, meine Suͤnden-Faͤlle zu verbergen.

Der ſechs und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

So wenig ich Zeit habe, und ſo genau die Auf - ſicht meiner Mutter auf mich iſt, kann ichdoch237doch nicht unterlaſſen, in einigen Zeilen meine Ge - dancken von dem neuen Lichte, das in Jhrem Lo - velace aufgegangen iſt, zu entdecken, und den Brief durch eine beſondere Gelegenheit an Sie zu uͤberſenden.

Jch weiß ſelbſt nicht, was ich von ihm dencken ſoll. Seine Sprache iſt gut: allein wenn Sie ihn nach dem Ausſpruch des Rowe pruͤfen, ſo iſt er ein Heuchler, ob er gleich ſaget, daß er keine Suͤnde mehr haſſet, als Heucheley und Undanckbarkeit.

Wuͤrde er im Stande geweſen ſeyn, ſo viele Frau - enzimmer, als man von ihm ſaget, zu beſiegen, wenn er ein Neuling in dieſen Suͤnden waͤre?

Sein offenhertziges Bekaͤnntniß iſt das eintzige, ſo mich zweifelhaft macht. Allein er iſt ſchlau ge - nug, und weiß vielleicht, daß die Anklage der Wi - derſacher durch ein freywilliges Bekaͤnntniß ihren Stachel verliert.

Das iſt ohnſtreitig, daß er Verſtand hat: und deswegen kann man eine beſſere Hoffnung von ihm faſſen, als wenn er zum Aufrennen der Thuͤren er - ſchaffen waͤre. Auch dieſes iſt wahr, daß die Beſ - ſerung einen Anfang haben muͤſſe. Alles dieſes will ich ihm gern zugeben.

Allein dieſes iſt der Probier-Stein aller ſeiner Bekaͤntniſſe und Anklagen wider ſich ſelbſt: geſtehet er Jhnen etwas boͤſes von ſich, das Sie nicht ſchon vorhin gewußt haben oder leicht von andern erfah - ren koͤnnen? Thut er dieſes nicht, ſo frage ich, ob er etwas zu ſeinem Nachtheil geſtehet? Von ſeinen Schlaͤgereyen, von ihm als einem Verfuͤhrer man -cher238cher unſchuldigen Maͤdchens haben Sie vorhin ge - hoͤrt; und die gantze Welt redet davon. Er ge - ſtehet alſo nichts, als was ihm zu leugnen unmoͤg - lich iſt. Sein Geſtaͤndniß ſoll ihm blos zur Aus - flucht und Entſchuldigung dienen. Es ſoll heiſſen: alles das, was Lovelacens Feinde ihm Schuld geben, iſt nichts mehr, als was er ſelbſt bekennet.

Das iſt ſchlimm genug. Was aber nun zu thun? Jch glaube, Sie muͤſſen ſich in Jhre Umſtaͤnde ſchicken, und ſie gebrauchen, ſo gut als es moͤglich iſt. Jch will mit Jhnen hoffen, daß er keine boͤſe Abſicht hat: denn ſein Vorſchlag wegen Windſor, und was er davon geſagt hat, daß er Sie bey einem Dom-Herrn einmiethen wolle, gefaͤllt mir wohl. Seine Bereitwilligkeit, ſich von Jhnen zu entfer - nen, und ſich ſelbſt nach einer bequemen Miethe umzuſehen, hat ebenfalls einen guten Schein. Jch wuͤßte keinen beſſern Orth zu geben, Sie kommen nun in eines Dom-Herren Haus, oder nicht, als daß der Dom-Herr uͤber Sie beyderſeits bald einen Seegen aus dem Kirchen-Buche ſpreche.

Jch billige Jhre Wachſamkeit, Jhre Vorſich - tigkeit, kurtz alles was Sie gethan haben; die Un - terredung mit ihm iſt das eintzige, welches ich aus - nehme. Wenn ich aber dieſe Ausnahme mache, ſo urtheile ich blos aus dem Erfolg: denn wer wuͤrde ſich zum voraus einen ſolchen Ausgang dieſer Un - terredung vorgeſtellet haben? Allein er iſt ein Teu - fel, wenn man ihn blos nach dem beurtheilen will, was er ſelbſt von ſich ſaget. Wenn er den verfluch - ten Solmes und Jhren noch mehr verfluchtenBru -239Bruder weggeſchleppet haͤtte, und ſelbſt zur Strafe auf Lebens-lang nach Weſt-Jndien gefuͤhret waͤre: ſo wollte ich mein hertzliches Ja zu dieſem dreyfa - chen Verluſte unſeres Vaterlandes geben.

Hilf Himmel! wie gebraucht, wie misbraucht er den Joſeph Lehmann? Sein offenhertziges Bekaͤntniß macht mich abermahls in meinem Ur - theil zweyfelhaft. Wenn es Jhnen aber moͤglich iſt, Jhrem Bruder zu vergeben, daß er den Lehmann gemißbrauchet hat, ſo weiß ich nicht, warum Sie mit Lovelacen zuͤrnen wollen? Jndeſſen habe ich wol hundertmahl gewuͤnſchet, daß Sie ſeiner los ſeyn moͤchten, ehe Sie ſchuldig waͤren ihn zu betrau - ren; es ſey nun, daß er an einem hitzigen Fieber ſterbe, oder ſich erhaͤnge, ſich erſaͤuffe, oder ſonſt auf eine gute Art den Hals breche.

Jch wiederhohle nochmahls meinen ehemahli - gen Antrag. Jſt es mir erlaubt, das bewußte durch unſern alten Boten-Gaͤnger zu ſchicken? Jch mag es Stillen Hickmanns Bedienten nicht in die Haͤn - de geben, wenn ich es nicht in einen Banco-Zettel verwandeln kann; und dieſes kann ich nicht, ohne Verdacht zu erwecken. Denn meine Mutter iſt jetzt ſehr geſchaͤftig, und bekuͤmmert ſich um alles. Nichts iſt mir verdrießlicher als ein argwoͤhniſches Hertz.

Sie gehet faſt beſtaͤndig bey mir aus und ein: und ich bin gezwungen meinen Brief zu ſchließen. Herr Hickmann hat mich erſucht, ſeine gehorſam - ſte Empfehlung an Sie zu vermelden, und Jhnen ſeine Dienſte anzubieten. Jch antwortete ihm: ich wollte ihm dieſes zu Gefallen thun; weil ein ver -unruhig -240unruhigtes Gemuͤth eine jede Hoͤflichkeit wohl auf - zunehmen pflegte. Jndeſſen muͤſſe er mir dieſes nicht als eine Gefaͤlligkeit anrechnen: denn ich wuͤr - de die Manns - oder Frauens-Perſon fuͤr blind hal - ten, die eine ſo vortrefliche Fraͤulein nicht um ihrer eigenen Vorzuͤge willen bewunderte, und ihr nicht blos in der Abſicht gern dienete, um die Ehre gehabt zu haben ihr dienen zu koͤnnen.

Er antwortete mit aller ihm moͤglichen Artigkeit: es ſey dieſes ſeine Haupt-Abſicht. Er kuͤſſete hierauf ſeine eigene Hand, und neigete ſich bis zu meinen Fuͤſſen. Er hoffete dennoch, daß ſeine Ehr - erbietung gegen die Fraͤulein Harlowe dadurch nichts von ihrem Werth verlieren wuͤrde, weil die - ſes unvergleichliche Frauenzimmer eine Freundin von mir ſey.

Jch bitte Sie, mich fuͤr diejenige anzunehmen, die ich immer ſeyn werde, nehmlich fuͤr Jhre treueſte und ergebenſte Anna Howe.

Der ſieben und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch halte Jhren Boten etwas auf, damit er Jhnen meine Antwort uͤberbringen koͤnne; denn mein alter Brieftraͤger befindet ſich nicht wohl. Sie241Sie machen mir wenigen Muth zu dem Menſchen, in deſſen Haͤnden ich mich befinde: und vielleicht ſind blos meine ungluͤcklichen Umſtaͤnde Urſache dar - an, daß ich geneigt bin, das beſte von ihm zu den - cken. Was muß er fuͤr Abſichten haben, wenn ſeine guten Vorſaͤtze ein bloßer Vorwand ſind? Jſt es moͤglich, daß ein Menſch ein ſo abſcheuliches Hertz haben ſollte? kann er den allmaͤchtigen GOtt be - triegen? kann er ſich dieſes nur vornehmen? Habe ich nicht einige Urſache ſelbſt wegen meiner Umſtaͤn - de eine beſſere Hoffnung von ihm zu faſſen? Jch bin ja dermaßen in ſeiner Gewalt, daß er nicht noͤ - thig haͤtte, gegen mich ein ſo graͤulicher Heuchler zu ſeyn, er muͤßte denn eben das allerabſcheulichſte Bubenſtuͤck, daß ich ihm nicht zutraue, vorhaben. Er muß es zum wenigſten um die Zeit, wenn er mir gute Hoffnung macht, im Ernſt meinen. Die - ſes iſt wol ohnſtreitig, und Sie ſelbſt ſcheinen es zu glauben, ſonſt wuͤrden Sie mir nicht wuͤnſchen un - ter ein ſo hartes Joch zu gerathen.

Dem ohngeachtet waͤre es mir ungemein viel lie - ber, wenn ich von ihm und von den Seinigen gantz frey ſeyn koͤnnte, ob ich gleich von ſeinen Anver - wanten eine ſehr hohe Meinung habe: ich wuͤnſchte mir dieſe Unabhaͤngigkeit zum wenigſten ſo lange, bis ich ſehe, wozu ſich meine Anverwanten entſchlieſ - ſen. Wenn dieſe Hoffnung voͤllig ohnmoͤglich wird, ſo ſcheint mir das beſte zu ſeyn, daß ich meine Zu - flucht zu der Lady Eliſabeth nehme: alsdenn wuͤr - de alles unanſtaͤndige wegfallen, und ich wuͤrde viel - leicht manchen Verdruß weniger haben; nur wuͤr -Dritter Theil. Qde242de ich nicht vermeyden koͤnnen, die ſeinige zu wer - den, und ich wuͤrde meiner eigenen Familie zu tro - tzen ſcheinen. Soll ich mich nicht an die Meinigen wenden, und den Ausgang abwarten, ehe ich dieſes aͤußerſte verſuche? Und dennoch kann ich nicht ein - mahl den Meinigen Vorſchlaͤge thun, ehe ich aus ſeinen Haͤnden bin.

Frau Sorlings zeigete mir heute fruͤh einen Brief, den ſie geſtern Abend von ihrer Schweſter der Frau Greme erhalten hatte. Das erſte in dieſem Briefe iſt eine Entſchuldigung gegen mich. Sie hoffet, ich wuͤrde ihr eine unverlangte Dienſt - fertigkeit zu gute halten, wenn ihre Schweſter ſich unterſtuͤnde, mir ihren Brief zu zeigen. Sie wuͤnſche um der vornehmen Familie willen, ja ſie unterſtehe ſich auch zu ſagen, um meinet willen, daß ich mich bewegen ließe, ſeine Gnaden (ſo nennet ſie Lovelacen) gluͤcklich zu machen. Sie ſey zu dieſem Briefe und Wunſch durch das bewogen wor - den, was er die Gnade gehabt habe, gegen ſie fal - len zu laſſen, da er auf ſeiner Reiſe nach Windſor bey ihr angeſprochen und ſie ſich die Freyheit genom - men habe, ihn zu fragen, ob es ihr erlaubt ſey, ihm zu gratuliren? Er habe nie ein Frauenzimmer ſo lieben koͤnnen, als mich: kein Frauenzimmer ſey ſo wuͤrdig geweſen geliebt zu werden: ſo oft er mit mir umzugehen das Gluͤck haͤtte, wachſe auch ſeine Bewunderung und Ehrfurcht gegen mich. Seine Liebe gegen mich ſey ſo rein, daß er ſich vorhin nie etwas ſo reines habe vorſtellen koͤnnen, und nie ge - dacht haͤtte, daß etwas auf Erden einen ſo himmli -ſchen243ſchen Trieb in ihm erwecken wuͤrde. Er ſehe mich faſt nicht als Leib ſondern blos als Geiſt, als einen Engel an, der Menſch geworden ſey, um ihn ſeelig zu machen: (und was dergleichen Ausdruͤcke mehr waren) Er fuͤrchte nur, daß mein Ja-Wort all - zuweit entfernt ſey. Ehe ich ihn noch einiges Ver - trauens gewuͤrdiget haͤtte, haͤtte ich einige Bedin - gungen ausgemacht, die er eben ſo heilig halten muͤßte, als wenn ſie ein Theil der Ehe-Pacten waͤren.

Was ſoll ich hiezu ſagen oder dencken? Wie ſoll ich es nehmen? Frau Greme iſt eine gute Frau: und ihre Schweſter, die Frau Sorlings, iſt auch untadelhaft. Der Brief kommt mit dem Jnhalt der mir ſo angenehmen Unterredung uͤberein. Allein warum laͤſſet der Menſch die Gelegenheiten vorbey, mir ſeine Geſinnung ſelbſt zu erkennen zu geben? Warum klagt er gegen die Frau Greme uͤber die Bedingungen, die ich ihm vorgeſchrieben habe? Er iſt ſonſt nicht bloͤde. Sie behaupten zwar, daß ich den Leuten eine Furcht einjage. Wie mein Hertz? eine Furcht? wie fange ich das an?

Zuweilen entſtehet in mir eine recht leichtfertige Rachbegierde, wenn ich dieſen loſen, dieſen ſchelmi - ſchen Geiſt ertappe, und doch nicht recht ertappe.

Wie ſehr iſt mein Hochmuth geſtraft? Jch wollte ein Vorbild anderer Frauenzimmer von mei - nem Alter werden! Jetzt bin ich zufrieden, wenn ich ihnen nur zur Warnung gereichen kann. Denn ich werde mich doch nie unterſtehen duͤrfen, anderen meines Geſchlechtes unter die Augen zu gehen, mein Schickſal mag ſeyn, welches es will.

Q 2Es244

Es iſt einer der betruͤbteſten Umſtaͤnde, in den man ſich durch Unbedaͤchtlichkeit ſetzet, daß man al - len die uns lieben, Kummer, und allen die uns und unſere Familie haſſen, Freude verurſachet.

Wie nuͤtzlich koͤnnte dieſe Betrachtung ſeyn, wenn man zu rechter Zeit, da eben der Ausſchlag unſeren Entſchlieſſungen zu geben iſt, darauf gefuͤhret wuͤrde!

Sie erkennen den Werth der Tugend bey einer Manns-Perſon nicht genug. So edel auch ſonſt Jhr Gemuͤth iſt, ſo ſind Sie doch von dem Fehler nicht voͤllig rein, daß Sie das geringe ſchaͤtzen, was Sie haben. Es wuͤrde Jhnen gewiß nicht in den Sinn kommen, wenn Herr Lovelace Jhr Anbeter waͤre, ihm auf eben die Art zu begegnen, wie ſich der ihm weit vorzuziehende Herr Hickmann es ge - fallen laſſen muß. Sie kennen doch die Perſon, die von meiner Mutter an mich ſchrieb: wer viel ertragen koͤnne, dem werde auch gemeinig - lich viel zu tragen aufgelegt. Jch glaube Herr Hickmann wuͤrde begierig ſeyn, den Nahmen die - ſes Frauenzimmers zu wiſſen; in der gewiſſen Hoff - nung, daß es ſeinen eigenen Satz zur Uebung brin - gen werde: und er wuͤrde wuͤnſchen, daß dieſes Frauenzimmer mit der Fraͤulein Howe bekannt ſeyn moͤchte.

Ein artiges und edles Hertz iſt gewiß keine ver - aͤchtliche Eigenſchaft einer Manns-Perſon. War - um bekaͤme ſonſt der vornehmſte Stand den Nah - men des Adels? einen Nahmen, den oft Fuͤrſten nicht verdienen: weil uns nicht ſo wohl Geburt undGuͤter245Guͤter als vielmehr die Eigenſchaften unſeres Ge - muͤths und unſerer Tugend dieſes Nahmens wuͤr - dig machen muͤſſen, und das Weſen des Adels ſind. Soll der Satz, den Sie auch einmahl in Jhre Fe - der flieſſen laſſen, allgemein ſeyn, und ſoll man auch bey der Fraͤulein Howe keine Ausnahme machen: daß es dem wildern und ungeſtuͤmern Theil der Manns-Perſonen am beſten bey uns zu gelingen pflegt.

Vergeben Sie mir dieſe Anmerckungen, und ent - ziehen Sie mir derenthalben Jhre Liebe nicht. Denn obgleich mein Gluͤck und aͤuſſere Umſtaͤnde ſich ge - aͤndert haben, ſo iſt doch mein Hertz noch einerley, und dieſes fuͤhret mir die Hand, wenn ich Jhnen ſchreibe, daß es aufhoͤren muͤßte zu ſchlagen, wenn es Jhnen nicht eben ſo ergeben waͤre, als

Jhre Clariſſa Harlowe.

Der acht und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Herr Lovelace hat einige Gelegenheiten zu Windſor beſehen, allein nicht eine eintzige anſtaͤndige gefunden, die mit meiner Beſchreibung uͤberein gekommen waͤre.

Q 3Er246

Er ſagt: er ſey ſehr ſorgfaͤltig geweſen, meinem Befehl buchſtaͤblich nachzukommen. Dieſes kommt mir artig gehandelt vor: und es gefiel mir deſto beſſer, weil er ſelbſt dieſe Stadt in Vorſchlag ge - bracht hat, und mir dennoch nachher wiederrieth, mich dahin zu begeben; denn er ſagte: nachdem er dort geweſen waͤre, ſaͤhe er, daß er gantz die un - rechte Stadt vorgeſchlagen haͤtte. Jch ſehnete mich nach der Stille und Einſamkeit: Windſor aber werde wegen ſeiner Annehmlichkeit ſehr viel beſuchet und bewundert.

Jch antwortete ihm: wenn ich der Frau Sor - lings nicht zur Laſt gereichete, ſo wollte ich noch laͤn - ger bey ihr bleiben, allein unter der Bedingung, daß er mich verließe, und nach London, oder nach ſeines Onckles Guͤtern, oder wohin es ihm ſonſt beliebte, reiſete.

Er ſagte: er heffe zwar, daß ich vor meinem Bruder voͤllig ſicher waͤre, und darum wolle er mir, zum wenigſten auf einige Tage hierin gehorchen, wenn es mir zum Vergnuͤgen gereichete. Er that mir von neuen den Vorſchlag, daß er ſich nach Han - nichen erkundigen wollte. Jch ſagte: ich haͤtte ſelbſt vor, dieſes durch Jhre Vermittelung zu thun. Darf ich Sie demnach bitten, daß Sie an das gute Maͤdchen ſchicken? Jhr Robert wird wohl wiſſen, wo es ſich aufhaͤlt. Wenn ſie einen Monath Lohn fahren laͤßt, ſo wird ihr vielleicht erlaubet, ſogleich aus dem Dienſte zu gehen: und dieſen Monath will ich ihr gut thun.

Er247

Er bemerckte hierauf meine Ernſthaftigkeit, und meine rothen Augen. Jch hatte eben Jhren Brief beantwortet, und ich wuͤrde ihm einen ſehr ſchlechten Willkommen gegeben haben, ohngeachtet wir bey ſeiner Abreiſe einen beſſeren Abſchied nahmen, wenn er nicht bey ſeiner Wiederkunft ſehr hoͤflich geweſen waͤre, und mir eine ſolche Nachricht von ſeinen Be - muͤhungen gegeben haͤtte, an der ich nichts auszu - ſetzen fand, und auf mein erſtes Wort erboͤtig ge - weſen waͤre, mich zu verlaſſen. Denn Jhr Brief hatte einen ſolchen Eindruck bey mir gemacht, daß ich meinen Verfuͤhrer, der an allem meinem Ungluͤck Schuld iſt, nicht ohne Widerwillen erblickte, ſobald er von der Reiſe zuruͤcke kam.

Er gab mir zu erkennen, daß er ein Schreiben von der Lady Eliſabeth und ein anderes von der einen Fraͤulein Montague erhalten haͤtte. Wenn ſie meiner in dieſen Schreiben gedencken, ſo wun - dere ich mich ſehr, daß ich nichts von dem Jnhalt erfahre. Jch fuͤrchte, daß ſeine Anverwanten mit andern der Meinung ſind, daß ich einen uͤbereilten Schritt gewaget habe. Es wuͤrde mir zu ſchlechter Ehre gereichen, wenn ſie erfahren ſollten, daß eine unnoͤthige Furcht mich aller Ueberlegung beraubet hat: vielleicht aber halten ſie mich nicht wuͤrdig in eine Verbindung mit ihn zu treten, wenn ſie mei - ne Flucht voͤllig fuͤr meine eigene, Wahl anſehen. Wie koͤnnen uns nicht unſere Gedancken bey einem jeden zweiſelhaften Falle beunruhigen, ſo bald wir uns bewußt ſind, daß wir nicht recht gehandelt haben.

Q 4Sonn -248

Sonntags fruͤh.

Wie ſehr wird meine Unruhe und Misvergnuͤ - gen dadurch vermehret, daß Herr Lovelace ein Feind aller meiner Verwanten iſt! Er giebt ih - nen Schuld, daß ſie unverſoͤhnlich ſind: ich befuͤrch - te aber, daß dieſes Laſter eben ſo tief in ſeinem Her - tzen eingewurtzelt iſt.

Jch konnte nicht unterlaſſen, mein aufrichtiges Verlangen nach einer Verſoͤhnung mit ihnen ſehr nachdruͤcklich zu bezeugen, und von neuen auf ſeine baldige Entfernung von mir zu dringen, damit ich mir den Weg zu der Ausſoͤhnung, die ich ſo ſehn - lich wuͤnſchte, bahnen koͤnnte. Er fing hierauf an, aus einem gantz anderen Ton zu reden: er beklagte ſich, daß er gewiß das Verſoͤhn Opfer werden wuͤr - de; und hielt ſich in ſehr freyen Ausdruͤcken uͤber meinen Bruder, ja ſo gar uͤber meinen Vater auf.

So wenige Gefaͤlligkeit hat er gegen mich! Al - lein es iſt ſtets (wie ich ihm ſagte) ſeine hoͤfliche Art geweſen, meiner gantzen Familie veraͤchtlich zu begegnen. Wie gottlos war es von mir gehandelt, daß ich mit ihm Briefe wechſelte, da ich dieſes wußte.

Jch ſetzte hinzu: allein erlauben Sie mir, ihnen frey zu ſagen: ihre Heftigkeit und Verachtung gegen mich mag ſie verfuͤhren noch ſo viel Boͤſes von mei - nem Bruder zu ſagen; ſo werde ich doch nicht zu - geben, daß von meinem Vater uͤbel geredet wird. Es iſt genug, daß ich ſein vaͤterliches Hertz durch meinen Ungehorſam betruͤbet habe, und daß ſeine ehemahls ſo geliebte Tochter ihm durch allerhandKuͤnſte249Kuͤnſte geraubt iſt! das aber iſt gantz unertraͤglich, wenn eben der, welcher an allen dieſen die Schuld hat, ſich noch uͤber ihn aufhalten will.

Er brachte mancherley zu ſeiner Entſchuldigung vor: allein (wie ich ihm ſagte) keine ſolche Ent - ſchuldigung, die eine Tochter berechtigen konnte das anzuhoͤren, oder eine Manns-Perſon, die ſich um die Tochter bewuͤrbe, das zu reden, was ich von ihm anhoͤren mußte.

Als er ſahe, das ich im Ernſt ungehalten war, bat er um Verzeyhung: wiewohl ſeine Bitte nicht von der demuͤthigſten Art war. Um aber die un - angenehme Unterredung abzubrechen kam er auf die beyden Briefe der Lady Eliſabeth Lawrance und der Fraͤulein Montague, und las mir einige Stellen daraus vor. Allein warum zeigete er ſie mir nicht geſtern Abend? War er beſorgt, daß ſie mir allzu vieles Vergnuͤgen verurſachen wuͤrden?

Die Lady Eliſabeth drucket ſich gegen mich auf die verbindlichſte Art aus. Sie wuͤnſchet ihm eine ſolche Aenderung an, die mir Muth geben koͤnne, ihn gluͤcklich zu machen. Sie laͤßt ihre Empfeh - lung an mich machen, und wuͤnſchete ein ſo aus - nehmendes und ruhmvolles Frauenzimmer (dieſes ſind ihre eigene Worte) bald als ihre Baſe zu ſehen. Sie will es ſich fuͤr eine Ehre ſchaͤtzen, wenn ſie Gelegenheit hat, mir einige Gefaͤlligkeit zu erzeigen. Sie hoffet, ich wuͤrde den gluͤcklichen Tag unſerer naͤhern Verbindung nicht allzulange aufſchieben: denn dieſes werde ſie und der Lord M. nebſt der Lady Sarah fuͤr das ſicherſte Merckmahl der Beſ -Q 5ſerung250ſerung ihres Vetters anſehen. Sie habe ſtets mit vielen Kummer gehoͤrt, was ich um ſeinetwillen ha - be ausſtehen muͤßen. Er wuͤrde der undanckbar - ſte Menſch von der Welt ſeyn, wenn er mir dieſes nicht erſetze; und ſie halte es fuͤr eine Schuldigkeit ihrer gantzen Familie, mir in allen Stuͤcken ſo zu begegnen, daß mir die verlohrne Freundſchaft mei - ner eigenen Familie erſetzt werde. Sie traͤgt ihm auf, mir zu verſichern, daß ſie an ihrem Theil nichts wolle mangeln laſſen, dieſes zu thun.

Sie erinnert: daß die harte Auffuͤhrung der Meinigen gegen mich unbegreiflicher geweſen ſeyn wuͤrde, da er ſo viele eigene und von dem Gluͤck ihm geliehene Vorzuͤge beſitze, wenn er nicht ſelbſt durch ſeine Auffuͤhrung einige Urſache darzu gege - ben haͤtte. Allein ſie hoffe, er werde die Harlowi - ſche Familie uͤberzeugen, daß ſie ihn fuͤr ſchlimmer angeſehen haͤtten, als er in der That waͤre; indem es nun in ſeiner Macht ſtehe, einen beſſeren Ruhm auf Lebenslang zu erhalten. Sie betete zu Gott, daß er ihm Gnade geben moͤge, dieſes zu thun, ſo wohl zu ſeiner eigenen, als zu des gantzen Hauſes Ehre. (So lautete der vornehme Seuffzer) Sie verlanget von unſerer Hochzeit die erſte Nachricht zu haben, damit ſie ihre Wuͤnſche bey einer ſo an - genehmen Gelegenheit ſo fruͤh als es moͤglich ſey zu uͤberſchreiben die Freude habe.

Jndeſſen finde ich in dem gantzen Briefe gar kei - ne Einladung fuͤr mich, zu ihr zu kommen, ehe wir getrauet ſind: die ich doch nach ſeinen Reden haͤtte erwarten ſollen.

Er251

Er zeigte mir auch einen Theil von dem was die Fraͤulein Montague mit einer mehr munteren Feder geſchrieben hatte. Sie wuͤnſchten ihm Gluͤck zu dem Vertrauen, das ein ſo unvergleichliches Frau - enzimmer in ihn geſetzt habe. (Dieſes ſind ihre ei - genen Worte. Wie gefaͤllt Jhnen der Ausdruck: Vertrauen? Niemand wuͤrde es anders glauben, wenn ich ihm gleich die reine Wahrheit ſagen duͤrfte. Sie ſehen, daß meine Flucht mit ihm der Fraͤulein Montague, und vermuthlich ſeiner gantzen Fami - lie, etwas ſonderbares und etwas unerwartetes zu ſeyn ſcheinet.) Sie wuͤnſchet, daß er bald Hochzeit halten, und ihre neue Baſe nach M. Hall brin - gen moͤge. Eben dieſes wuͤnſche der Lord M. ihre Schweſter, und alle Freunde der Familie. So bald dieſer gluͤckliche Tag voruͤber iſt, verſpricht ſie mich nach M. Hall abzuhohlen, wenn der Lord M. das Podagra noch eben ſo heftig haben ſollte. Wenn es ſich aber mit ihm beſſert, ſo haͤlt ſie ſich verſichert, daß er mich ſelbſt abhohlen, und uns eins von ſeinen Guͤtern uͤberlaſſen werde, bis wir uns voͤllig eingerichtet haͤtten.

Allein die Fraͤulein ſagt nichts zu ihrer Entſchul - digung, daß ſie nicht unterweges oder zu St. Alban mir Geſellſchaft geleiſtet hat, dazu er mir doch Hoff - nung gemacht hatte. Doch meldet ſie, daß ſie un - paß geweſen iſt. Auch bekraͤftiget ihr Brief ſeine Erzaͤhlung in dem Stuͤck, daß der Lord M. das Podagra heftig gehabt habe.

Der252

Der neun und zwantzigſte Brief. Eine Fortſetzung des vorigen.

Dieſe Briefe machten mich, wie Sie leicht den - cken koͤnnen, aufgeraͤumter gegen ihn. Er ſahe die Veraͤnderung an meinem Geſicht, und gab mir ſeine Freude daruͤber zu erkennen. Allein das wundert mich, daß ich den Jnhalt dieſer Briefe nicht ſchon geſtern Abend erfahren habe.

Er verlangte hierauf von mir, gleich zu der Lady Eliſabeth zu reiſen.

Jch ſagte: wie kann ich aber das thun, wenn ich auch nicht die geringſte Hoffnung zur Ausſoͤhnung mit den Meinigen haͤtte, dazu ich doch einige Mit - tel anwenden und es verſuchen muß, ob ſie ihren Zweck erreichen? Wie kann ich es thun, da ich keine naͤhere Erlaubniß ihrer Gnaden vor mir habe?

Er ſagte: er wiſſe gewiß, die Einladung ſey nur deshalb ausgelaſſen, weil ſie befuͤrchtet haͤtte, ich moͤchte eine abſchlaͤgige Antwort geben: ſonſt wuͤr - de ſie mich mit dem groͤſſeſten Vergnuͤgen von der Welt gebeten haben, ihr dieſe Ehre zu erzeigen.

Selbſt dieſer Zweiffel der Lady Eliſabeth (ant - wortete ich) ſey ſchon hinlaͤnglich mich abzuſchre - cken. Sie wiſſe ſo wohl, was ſich ſchicke und nicht ſchicke: da ſie nun befuͤrchtet habe, daß ich eine ab - ſchlaͤgige Antwort geben wuͤrde, ſo muͤßte ſie es mir als einen Fehler auslegen, wenn ich die Einladung angenommen haͤtte. Allein dieſer Fehler wuͤrde noch groͤſſer ſeyn, wenn ich ohne eine Einladung kaͤme. Endlich (ſagte ich) habe ich es Jhnen zu dancken, mein Herr, daß ich nicht einmahl mit anſtaͤndiger Kleidung verſehen bin.

Er253

Er antwortete: ich koͤnnte in einem jeden koͤnig - lichen Vorgemach ohnbeſchaͤmt erſcheinen: und ich wuͤrde gewiß die liebenswuͤrdigſte (vielleicht die ſon - derbarſte) Perſon darin ſeyn. Er verwunderte ſich uͤber meine ungekuͤnſtelte und dennoch zierliche Klei - dung. Er wiſſe nicht wie ich es anfinge; allein mei - ne Kleidung ſehe jedesmahl ſo neu aus, als wenn ich ſie alle Tage veraͤnderte. Es wuͤrden aber uͤber dieſes die Fraͤuleins von Montague mir mit allen Arten von Kleidung, die ich brauchte, aufzuwarten ſuchen. Er wolle deshalb an Fraͤulein Lottgen ſchreiben, wenn ich es ihm erlaubete.

Meinen ſie, (ſagte ich) daß ich die Dohle des Aeſopus bin? Soll ich fremde in den Kleidern, die ich von ihnen ſelbſt geborgt habe, beſuchen? Sie muͤſſen mich entweder fuͤr ſehr niedertraͤchtig, oder fuͤr ſehr zuverſichtlich anſehen.

Er fragte: ob es mir denn gefaͤllig waͤre, auf einige Tage nach London zu reiſen, um mich mit Kleidung zu verſorgen?

Nicht auf ſeine Koſten: antwortete ich. Jch haͤtte noch nicht die Gemuͤths-Faſſung, daß ich in ſeiner Liverey gehen koͤnnte.

Gewiß, mein Schatz, er wuͤrde allen meinen Unwillen uͤber ſeine Kuͤnſte fuͤr Verſtellung gehal - ten haben, wenn ich nicht bey Gelegenheit meinen Verdruß uͤber die Unbequemlichkeiten, die ich ihm zu dancken habe, haͤtte mercken laſſen. Wenn Leute im Zanck zuſammen kommen, ſo iſt nachher der fortdaurende Zanck nicht wohl zu vermeiden.

Er wuͤnſchte, daß er nur meine wahre Meinungwuͤßte.254wuͤßte. Die ſollte ſein Geſetz ſeyn, ſie moͤchte auch ausfallen, wie ſie wollte.

Meine Meinung iſt, daß ſie mich den Augenblick verlaſſen ſollen. Wie oft ſoll ich ihnen das ſagen?

Er wollte mir gehorchen, wenn ich nur an einem andern Orte waͤre. Er wuͤrde es allen andern Vorſchlaͤgen vorziehen, (einen eintzigen ausgenom - men, den er nicht nennen duͤrfte,) wenn ich auf mein Recht dringen wollte. Alsdenn wuͤrde ich Freyheit haben, ſeinen Beſuch anzunehmen oder abzuſchlagen: ich wuͤrde bloß den Briefwechſel mit ihm fortſetzen: und die gantze Welt wuͤrde erkennen, daß der eintzige Endzweck meiner bisherigen Hand - lungen geweſen ſey, mich in Freyheit zu ſetzen.

Wie oft ſoll ich ihnen ſagen, (antwortete ich) daß ich mit meinen Vater nicht vor Gericht gehen will? Meinen ſie daß mein Ungluͤck mir eine andere Erklaͤrung des vierten Gebots beybringet, in ſo fern mir es noch moͤglich, meine Pflicht gegen meine El - tern zu erfuͤllen? Wie kann ich ohne Proceß zum Beſitz meines Gutes gelangen? oder ohne Huͤlffe der in dem Teſtament benanten Perſohnen, die vor die Erfuͤllung zu ſorgen haben? der eine von dieſen iſt auſſer Landes, und der andere iſt mir zuwider. Alles dieſes wuͤrde Zeit erfodern, wenn ich auch ih - ren Rath folgen wollte. Jch verlange weiter nichts, als daß Sie ſich alſobald entfernen, und mich in voͤl - liger Freyheit laſſen.

Der unartige Menſch fing an bey ſeiner Seele zu ſchwoͤren, daß es jetzt nicht ſicher ſey, ſich von mir zu entfernen. Er haͤtte mir die Urſachen ſchongeſagt,255geſagt. Er hoffete, ich wuͤrde auf einen Ort den - cken, nach dem ich mich begeben koͤnnte, und der nach meinem Sinne waͤre. Er muͤſſe ſich indeſſen die Freyheit nehmen zu ſagen, daß er nicht glaube durch ſeine Auffuͤhrung es verdient zu haben, daß ich ſo ernſtlich auf ſeine Entfernung draͤnge, ſon - derlich, da ich mich faſt ewig einſchloͤſſe, ob er gleich nie unerbauet und ohne einen neuen Vorſatz ſich zu beſſern von mir ginge.

Jch ſchließe mich ewig ein? (ſagte ich.) Jch hoffe doch, ſie werden es mir nicht unguͤtig deu - ten, daß ich mich nicht will uͤberfallen laſſen, wenn ich vor mich bin. Sie werden mich doch nicht vor ſo ſchwach anſehen, (ohngeachtet ich mich in einer wichtigen Sache ſo jung aufgefuͤhrt habe) daß ſie glauben, ich ſey begierig ihre artigen Reden zu hoͤren, wenn keine neue Umſtaͤnde den oͤftern Be - ſuch noͤthig machen. Wollen ſie etwan ſo mit mir umgehen, als hielte ich fuͤr unentbehrlich, daß mir ihre Ehrlichkeit alle Stunden durch neue Eidſchwuͤ - re verſichert werde?

Er ſchien nicht recht zu wiſſen, was er ſagen ſollte.

Jch fuhr fort, ſie wiſſen die Urſache wohl, wes - wegen ich ſo ernſtlich auf ihre Entfernung dringe: damit nehmlich die Welt glauben moͤge, daß ich ihnen nicht verpflichtet ſey; und es mir leichter wer - de, mich mit meinen Freunden auszuſoͤhnen. Damit ihnen dieſe Verſoͤhnung nicht ſo fuͤrchterlich vorkom - men moͤge, ſo verſpreche ich ihnen, nachdem ich das Gluͤck genieße, bey ihren vornehmen Anver -wanten256wanten ſo wohl angeſchrieben zu ſeyn, daß ich ihnen ſchriftlich von allem was ich in der Sache vornehme und von allen Antraͤgen Nach - richt geben will, ſo bald ſie ſich von mir ent - fernen. Die Meinigen wiſſen, daß ich Recht habe mit meinem großvaͤterlichen Vermaͤchtniß auf eine ſolche Weiſe zu ſchalten und zu walten, die ihnen an - genehm oder unangenehm ſeyn kann, ob ich es gleich der Familie nicht gantz entziehen kann. Wenn ſich die erſte Hitze geleget hat, ſo werden ſie zum wenig - ſten in dieſer Abſicht ſich nicht gar zu unvernuͤnftig gegen mich betragen; ſo bald ſie wiſſen, daß ich in keiner Verbindung mit ihnen ſtehe.

Er fing an meine richtigen Schluͤſſe zu bewun - dern. Mein Verſprechen war alles was er nur hof - fen oder wuͤnſchen konnte. Es war mehr, als er ſich wuͤrde unterſtanden haben zu bitten. Was fuͤr eine Gluͤckſeeligkeit, wenn man ſich auf das Wort eines edelmuͤthigen Frauenzimmers verlaſſen darf? Wenn er gleich zu Anfang ein Frauenzimmer von ſolchem Gemuͤthe angetroffen haͤtte, ſo wuͤrde er nie von der Bahn der ſtrengeſten Tugend abgewichen ſeyn. Jedoch auch das Ungluͤck moͤchte zu ſeinem Beſten verhaͤnget ſeyn: denn er wuͤrde ſonſt nie zu dem Gluͤck gelanget ſeyn, auf welches er jetzt hoffen duͤrfte, weil ihm ſeine Anverwanten ſtets angelegen haͤtten, ſich zu verheyrathen, ehe er mich noch ge - kannt haͤtte. Da er nicht voͤllig ſo ſchlimm ſeye, als ihn einige Leute machten, ſo habe er vielleicht mehr Ruhm von ſeiner Beſſerung, als wenn er nie ſchlimm geweſen waͤre.

Jch257

Jch ſagte: ich ſetzte zum voraus, daß er mei - nen richtigen Schluͤſſen beypflichtete, und entſchlos - ſen waͤre, mich allein zu laſſen. Hierauf fragte ich: was er bey ernſthafter Ueberlegung in meinen jetzi - gen Umſtaͤnden fuͤr einen Rath geben wollte? Er koͤnnte leicht mercken, daß ich unentſchloſſen waͤre. Jch ſey gantz fremde in London, und haͤtte jetzt weder Freunde noch Rathgeber. Was ihn anlan - ge, ſo fehle es ihm (falls ich die Wahrheit ſagen duͤrfte) noch ſehr, nicht an der Erkentniß, doch zum wenigſten an der Ausuͤbung deſſen, was man zu der Lebensart rechnete, die ich an einem Cavallier ſuchte.

Er glaubt, ſo viel ich mercke, von ſich, daß er ſehr viel Lebens-Art habe; und es iſt ihm unertraͤg - lich, wenn ihm dieſer Vorzug abgeſprochen wird. Er warf den Mund in die Hoͤhe: es thut mir leyd, Fraͤulein. Ein Cavallier, ein wohlgezogener Menſch iſt mit ihrer Verguͤnſtigung (er verfaͤrbete ſich einmahl uͤber das andere) bey ihnen mehr als bey anderen Frauenzimmern, ein ſolches Wunder - Thier, das man auf Erden kaum antreffen wird.

Das iſt ein Ungluͤck fuͤr ſie, Herr Lovelace, und auch fuͤr mich, ſo lange ich in meinen jetzigen Um - ſtaͤnden bin. Ein jedes Frauenzimmer, das ſo viel von ihnen wuͤßte, als ich nunmehr weiß, wuͤrde ſagen, daß ihre Hoͤflichkeit ſehr unbeſtaͤndig iſt. (Jch nahm mir vor, ſeinem Hochmuth wehe zu thun, wie er es verdienet.) Sie iſt ihnen ungewoͤhnlich. Jhre Lebens-Art uͤberfaͤllt ſie nur mit Hitze und Froſt. Man muß ſie erſt daran erinnern, daß ſie hoͤflich ſeyn ſollen.

Dritter Theil. RO258

O GOtt! o GOtt! ich ungluͤckſeeliger! (Dieſes war ſein leichter Stoß-Seufzer uͤber meinen Ver - weiß.)

Jch fuhr fort: gewiß, Herr Lovelace, ſie ſind nicht der vollkommen-artige Cavallier, der ſie ſeyn koͤnnten, wenn ſie ihre Natur und die viele Gele - genheit, die ſie gehabt haben, recht angewandt haͤt - ten. Jn allen loͤblichen Eigenſchaften ſind ſie noch ein Neuling. (Jch erinnerte mich, daß er oft von Neulingen und Fuͤchſen zu reden pflegt.)

Der dreißigſte Brief. Eine Fortſetzung des vorigen von der Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch wollte ihm noch mehr unangenehme Wahr - heiten beichten, weil es ſchien, daß ihm die bisherigen nicht ſehr zu Hertzen gingen. Allein er unterbrach mich: meine allerliebſte Fraͤulein, ſcho - nen ſie meiner. Es thut mir leyd, daß ich ſo lange in der Welt gelebet habe, ohne zu lernen, wie ich le - ben ſoll. Sie wuͤrden aber eine viel angenehme - re und noͤthigere Unterredung nicht ſobald abgebro - chen haben, wenn ſie nicht eine grauſame Art von Vergnuͤgen darin faͤnden, daß ſie einen Mann kraͤn - cken koͤnnen, der ſchon vorhin ſo viel Mistrauen in ſich ſelbſt ſetzte, daß er ſich nie unterſtand, ihnen die Haͤlfte deſſen deutlich zu ſagen, was er auf dem Hertzen hat. Seyn ſie doch ſo guͤtig, und ſetzen ſie die vorige Unterredung fort. Auf ein anderes mahlwill259will ich mit Freuden alle Verweiſe von einer Perſon annehmen, die in der gantzen Welt die geſchickteſte iſt, mich durch Verweiſe zu beſſern.

Sie reden bisweilen von Beſſerung, Herr Lo - velace, und bekennen dadurch, daß ſie Fehler ha - ben. Allein ich ſehe doch, daß es ihnen unertraͤg - lich iſt, wenn man ihnen etwas verweiſet; ſo ſehr ſie auch Gelegenheit dazu geben. Es ſey ferne von mir, daß ich ein Vergnuͤgen in dem Tadeln finden ſollte: vielmehr wuͤrde ich um ihrent und um mei - nent willen bey jetzigen Umſtaͤnden froh ſeyn, wenn ich blos Urſache haͤtte ſie zu ruͤhmen. Allein ſolche Verſehen, uͤber die auch ein nicht allzu empfindli - ches Gemuͤth empfindlich werden muß, koͤnnen von einer Perſon nicht mit Stillſchweigen uͤbergangen werden, die nicht ſelbſt das Anſehen haben will, als ſpreche ſie ſich bisweilen von ihren Pflichten los.

Jch bewundere ihre ſehr genauen Begriffe von dem was geziemend und unanſtaͤndig iſt. Ob ſie gleich zu meinem Nachtheil gereichen, ſo wollte ich doch gewiß nicht, daß ſie andere Begriffe haͤtten. So bald ich es recht uͤberlege, ſo freue ich mich uͤber ſie. Sie ſind ihrem Gemuͤthe nach ein rechter En - gel, und uͤber alle von ihrem und unſerem Geſchlech - te erhaben. Dieſes iſt ihre Natur, Fraͤulein: daher verwundern ſie ſich, wenn Allein ſie haben auf Erden ihres gleichen nicht.

(Jn was fuͤr Geſellſchaft hat der Schmeichler meines gleichen geſucht?

Allein wieder auf die vorige Sache zu kommen: ſo waren ſie ſo guͤtig, mich zu fragen, was ich ihnenR 2rathen260rathen wollte. Jch wollte ſie gerne vergnuͤgt und in einem ihnen ſelbſt anſtaͤndigen Hauſe ſehen, da ſie ihre treue Hannichen bey ſich haben koͤnnte. Jch wuͤnſchte, daß ſie einige Hoffnung zu der ſo ſehr ge - wuͤnſchten Verſoͤhnung haben moͤchten. Jch will ihnen einige Vorſchlaͤge thun: vielleicht iſt einer darunter ſo gluͤcklich, ihnen nicht zu misfallen.

Jch will mit der Frau oder Fraͤulein Howe ſprechen, oder mit wem ſie mir befehlen, und aus - zuwuͤrcken ſuchen, daß ſie ſich bey ihnen aufhalten koͤnnen.

Oder wollen ſie lieber nach Florentz zu dem Obri - ſten Morden reiſen? Jch will ihnen alle Be - quemlichkeit verſchaffen, die zu dieſer Reiſe noͤthig iſt: es ſey nun daß ſie zu Waſſer nach Livorno zu gehen, oder zu Lande durch Franckreich zu reiſen Luſt haben. Vielleicht kann ich eine von meinen Baſen bereden, daß ſie ihnen Geſellſchaft leiſtet. Beyde Fraͤuleins von Montague wuͤrden eine ſol - che Gelegenheit, Franckreich und Jtalien zu ſehen, mit Freuden annehmen. Jch will ſie blos zu ih - rer Sicherheit begleiten: ich will mich verkleiden, wenn ſie es befehlen, ich will Livrey tragen, und mich fuͤr ihren Bedienten ausgeben, damit meine Geſellſchaft ihrer Ehre auf keine Weiſe nachtheilig ſeyn koͤnne.

Jch antwortete ihm: ich wollte alles dieſes uͤber - legen. Jch hoffete jetzt auf Briefe, wo nicht von meiner Schweſter, dennoch von meiner Baſe Her - vey, indem ich an beyde geſchrieben haͤtte. Wenn ich dieſe erhielte, ſo wuͤrden ſie einen groſſen Einflußin261in meine Entſchlieſſungen haben koͤnnen. Jndeſſen wollte ich jetzt allein ſeyn, und das uͤberlegen, was er von dem Obriſten Morden geſagt haͤtte. Wenn dieſer Vorſchlag mir thunlich vorkaͤme, und wuͤrdig ſchiene Jhren Rath daruͤber einzuhohlen, ſo ſollte er vor Verflieſſung einer Stunde Nachricht davon haben.

Er verließ mich ſehr ehrerbietig, und kam nach einer Stunde wieder. Jch meldete ihm: es waͤre nicht noͤthig, daß ich Sie bemuͤhete, und Sie um Jhre Meinung fragte. Mein Vetter werde in kur - tzem von Florentz zuruͤck erwartet. Jch koͤnnte auch nicht zugeben, daß er in irgend einiger Verkleidung in meiner Geſellſchaft waͤre. Es ſey gar nicht wahr - ſcheinlich, daß eine von ſeinen Baſen mit mir reiſen wuͤrde: und wenn ſie mir auch dieſe Guͤtigkeit er - zeigeten, ſo wuͤrde es doch die Welt nicht anders anſehen, als wenn er ſelbſt mitreiſete.

Dieſes gab Gelegenheit zu einer andern Unterre - dung, deren Jnhalt ich bis auf den naͤchſten Brief verſpare.

Der ein und dreißigſte Brief Eine Fortſetzung des vorigen von der Fraͤulein Cl. Harlowe.

Herr Lovelace ſagte mir: weil er zum voraus befuͤrchtet haͤtte, daß ich Schwierigkeiten bey einer Reiſe nach Florentz finden wuͤrde, ſo haͤtte er zum voraus auf einen anderen mir angenehmenR 3Vor -262Vorſchlag gedacht, durch den er mich uͤberzeugen koͤnnte, daß er meine Beruhigung ſeinem allergroͤſ - ſeſten Vergnuͤgen vorzoͤge.

Er erbot ſich hierauf, ſich perſoͤhnlich zu bemuͤ - hen, daß ich meine Hannichen zur Auffwartung be - kommen moͤchte. Weil ich keine von den beyden Jungfern Sorlings in meine Dienſte nehmen wolte, ſo koͤnnte er nicht eher ruhig ſeyn, bis ich ein anderes Cammer-Maͤdchen haͤtte, auf deſſen Treue ich mich vollkommen verlaſſen koͤnnte.

Jch antwortete: Sie wuͤrden die Guͤtigkeit ha - ben, Hannichen wieder zu miethen, wenn es moͤg - lich waͤre.

Er ſchlug vor: wenn es nicht moͤglich waͤre, ſo wollte er Jhnen ſeine Aufwartung machen, und Sie um Jhr eigenes Cammer-Maͤdchen anſpre - chen, bis ich ſonſt nach Wunſch verſorget waͤre.

Jch antwortete: Jhre Frau Mutter ſey mit meiner Flucht, die ſie fuͤr vorſaͤtzlich hielte, ſo uͤbel zufrieden, daß Sie es nicht wagen duͤrften, ſich mei - ner oͤffentlich anzunehmen.

Er erſtaunete gantz hieruͤber, weil Jhre Frau Mutter ſonſt immer ſo viel auf mich gehalten haͤtte, und Sie ſo viel bey ihr vermoͤchten, wie Sie denn auch werth waͤren, viel bey ihr zu vermoͤgen. Er wuͤnſcht, daß nur nicht eben die Perſon mit im Spiel waͤre, die ſich ſo viele Muͤhe gebe, meinen Vater und ſeine Bruͤder aufzuhetzen.

Jch ſagte: ich fuͤrchtete allerdings, daß mein Bruder Schuld daran haben moͤchte. Mein Onckle Anton wuͤrde ſich aus eignem Triebe nicht ſo vieleMuͤhe263Muͤhe gegeben haben, die Frau Howe gegen mich einzunehmen, als ich hoͤrte, daß er gethan haͤtte.

Er fragte mich: da ich nicht zu der Lady Eliſa - beth reiſen wollte, ob ich dennoch einen Beſuch von der Fraͤulein Montague annehmen, oder es genehm halten wollte, wenn ſie mir ihr Cammer - Maͤdchen uͤberließe?

Jch ſagte: dieſer Vorſchlag waͤre mir angenehm. Jch wollte nur erſt erwarten, ob mir meine Freunde meine Kleidung ſchicken wuͤrden, damit ich nicht gar zu liederlich ausſehen moͤchte.

Wenn es mir beliebig waͤre ſo wollte er noch - mahls nach Windſor reiſen, und ſich erkundigen, ob ich bey einem der Dom-Herren, oder in einem an - dern feinen Hauſe eine anſtaͤndige Miethe bekom - men koͤnnte.

Jch fragte: ob ſeine Einwendungen, die er gegen Windſor gemacht haͤtte, nicht eben ſo ſtarck waͤren, als vorhin? Ob nicht noch eben ſo viele Fremde da - hin zu kommen pflegten?

Jch erinnerte mich, daß ſie in einem Jhrer vo - rigen Briefe London als den bequemſten Ort, ſich verborgen zu halten, vorgeſchlagen haben. Jch antwortete deswegen: weil er ſo viel Einwendun - gen dagegen machte, mich hier allein zu laſſen, daß ich zum voraus ſaͤhe, es wuͤrde nie etwas daraus werden; und mir verſpraͤche, mich zu verlaſſen, ſo - bald ich an irgend einem andern Orte waͤre; und ſich ſeine Gegenwart gar nicht fuͤr mich ſchickte: ſo haͤtte ich Luſt, nach London zu reißen, wenn ich je - mand in der Stadt kennete.

R 4Weil264

Weil er mir London einige mahl vorgeſchlagen hatte, ſo erwartete ich, daß er dieſen Vorſchlag alſobald ergreiffen wuͤrde. Er ſtellete ſich aber gantz kaltſinnig: ob gleich ſein Auge zu verrathen ſchien, daß mein Vorſchlag ihm gefiele. Wir ge - ben einander beyde ſehr genau auf die Augen Acht; und ſcheinet faſt, daß wir uns vor einander fuͤrchten.

Er that mir hierauf den angenehmen Vorſchlag, die Frau Norton zu erſuchen, daß ſie mir Ge - ſellſchafft leiſten moͤchte. Er ſetzte dazu, nun ſaͤhe er doch endlich an meinen Augen, daß er etwas ge - troffen haͤtte, das mir und ihm angenehm ſey. War - um ich doch vorhin nicht von freyen Stuͤcken dar - auf gefallen waͤre? Er ergriff meine Hand! ſoll ich ſchreiben? ſoll ich jemand hinſchicken? ſoll ich ſelbſt hinreiſen und die Frau hohlen?

Nachdem ich mich ein wenig bedacht hatte, ant - wortete ich ihm: der Vorſchlag ſey mir zwar an - genehm. Allein ich befuͤrchtete, die gute Frau moͤchte dadurch in verdrießliche Umſtaͤnde gerathen. Denn es wuͤrde ſich fuͤr eine Witwe der man ſo viele Ueberlegung zutrauet, nicht ſchicken, ſich mit einer entlauffenen Tochter gleichſam gegen ihre Eltern zu vereinigen. Ueber dieſes wuͤrde ſie hie - durch gaͤntzlich mit meiner Mutter zerfallen, ohne daß ich in dem Stande waͤre, ihr den Schaden, den ſie dabey litte, gut zu thun.

Seine Antwort war artig und edelmuͤthig genug: o mein Hertzens-Kind, das letzte muß keine Hin - derniß ſeyn. Jch will alles fuͤr die Frau thun, was ſie wuͤnſchen koͤnnen. Erlauben ſie mir, daß ich ſie hohle.

Jch265

Jch erwiederte, vielleicht mit einer Kaltſinnig - keit, die ſich zu ſeinem artigen Anerbieten nicht ſchick - te: ich hoffete gantz gewiß auf eine baldige Nach - richt von meinen Freunden. Waͤhrender Zeit wollte ich niemanden die Feindſchaft der Meinigen zuzie - hen; und am allerwenigſten der Frau Norton, von der ich hoffete, daß ſie mir durch ihre Vermit - telung zu ſtatten kommen koͤnnte, wenn ſie ſich nicht allzufruͤh offenbar zu meiner Parthey ſchluͤge. Die gute Frau hat auch ein ſo vornehmes Gemuͤth, ohn - geachtet ihrer wenigen Mittel, daß ſie ungern jemanden auf eine bedenckliche Art verbunden ſeyn wuͤrde.

Auf eine bedenckliche Art? ſagte er. Haben nicht tugendhafte Perſonen ein Recht, jedermanns Wohlthaten anzunehmen? Die Frau Norton hat ſolche Eigenſchaften an ſich, daß ich mich verpflich - tet halten wuͤrde, ihr zu dienen, ſo bald ſie mir die - ſe Erlaubniß giebet; wenn ſie auch meine Verpflich - tung nicht dadurch vermehrete, daß ſie mir es moͤg - lich macht, ihnen ein Vergnuͤgen zu verſchaffen.

Wie iſt es moͤglich, daß ein Menſch, der im Stande iſt ſo richtig zu dencken, dennoch durch uͤbele Gewohnheiten ſo verdorben wird, daß er die Gaben, die ihm die Natur verliehen hat, durch Laſter ver - ſtellet! Jch dachte bey mir ſelbſt: ſollte bey einem ſolchen Menſchen die Hoffnung, die er mir neulich machte, ungegruͤndet ſeyn, daß er durch ein Vorbild, das ich ihm um ſein ſelbſt und um meinet willen zu geben ſchuldig bin, ſollte koͤnnen zu ſeinem und zu meinem Beſten geaͤndert werden!

R 5Jch266

Jch ſagte: mit ihrer Erlaubniß, Herr Lovela - ce, ich finde ſehr viel widerſprechendes in ihrem Gemuͤthe. Sie muͤſſen ſich recht Muͤhe gegeben haben, einige gute Gedancken zu unterdruͤcken, ſo bald ſie zu keimen angefangen haben: oder ſie muͤſ - ſen auſſerordentlich leichtſinnig ſeyn. Jndeſſen bin ich nicht im Stande, wegen der Frau Norton eine andere Entſchlieſſung zu faſſen, bis ich Nach - richt von Hauſe bekomme.

Jch kann weiter nichts ſagen, Fraͤulein, (ant - wortete er) als: ich war begierig, etwas auszufin - den, das ihnen angenehm ſeyn koͤnnte. Da ich aber ſo gluͤcklich nicht bin, ſo bitte ich ſie recht ſehr, ſagen ſie mir ſelbſt, was ſie wuͤnſchen? Jch will alles in der Welt eingehen, dieſes eintzige ausgenommen, daß ich ſie in dieſem Hauſe nicht allein laſſen kann, da ich meine Wohnung allzu weit abnehmen muͤßte, und nicht im Stande waͤre, gleich bey der Hand zu ſeyn, wenn es die Umſtaͤnde erfordern ſollten, ſon - derlich nachdem aus Mangel der noͤthigen Vorſich - tigkeit von meiner Seite die Schmarutzers, meine Diener, es uͤberall bekannt gemacht haben, daß wir hier ſind. Dieſes Geſchmeiß kann ohnmoͤglich un - terlaſſen zu prahlen, wenn es bey einem Cavallier von guter Familie in Dienſten iſt. Sie ruͤhmen ſich der Ahnen und Herkunft ihres Herren, nicht an - ders, als wenn ſie mit ihm verwandt waͤren. Nichts was ſie von ſeinen Umſtaͤnden wiſſen, bleibt in ihren Gelagen verſchwiegen, wenn es auch den Herrn um den Hals bringen koͤnnte.

Wie267

Wie ſorgfaͤltig, (dachte ich bey mir ſelbſt) ſoll - ten die Herren ſeyn, ihren Bedienten Gelegenheit zu geben, daß ſie etwas loͤbliches von ihnen ſagen koͤnnten! Zu ihm ſagte ich: ich bin gantz und gar unſchluͤßig, was ich thun ſoll. Wollten ſie mir wohl im Ernſt rathen, nach London zu gehen?

Jch gab hiebey genau auf ſeine Augen Achtung, allein dieſesmahl wurden ſie ſeine Verraͤther nicht.

Zu Anfang (ſagte er) brachte ich London in Vorſchlag, weil ich befuͤrchtete, daß die Jhrigen uns nachſetzen moͤchten. Da ſich aber die erſte Hitze abgekuͤhlt zu haben ſcheint, ſo iſt mir jetzt weniger daran gelegen, welchen Ort ſie waͤhlen. Machen ſie es wie es ihnen beliebet. Wenn ſie vergnuͤgt ſind, ſo bin ich gluͤcklich.

Weil er ſo gelaſſen antwortete, ſo bekam ich wirck - lich einige Luſt, nach London zu gehen. Um ihn auszuforſchen fragte ich: ob er mir eine Wohnung in London vorſchlagen koͤnnte.

Nein! keine die ſich fuͤr mich ſchickte, oder die mir angenehm ſeyn wuͤrde. Sein guter Freund, der Belford haͤtte zwar eine artige Wohnung ohn - weit Soho-Squaͤre bey einer Verwantin, die ei - ne Witwe ſey, und einen ſehr guten Nahmen ha - be. Weil ſich Herr Belford gemeiniglich auf dem Lande aufhielt, ſo koͤnnte er ihm die Zimmer ſo lange abborgen, bis ich beſſer verſorget waͤre.

Jch war gleich entſchloſſen, da er das Wort aus - geſprochen hatte, Nein! zu dieſem und zu allen uͤbrigen Vorſchlaͤgen zu ſagen, die er ſelbſt auf die Bahn bringen wuͤrde. Jndeſſen dachte ich: ichwill268will ihn auslocken, ob er mir dieſe Zimmer in ſeinem Gemuͤth beſtimmet hat. Wenn ich jetzt die Unter - redung abbreche, und er faͤnget ſie morgen fruͤh mit einiger Hitze wieder an: ſo fuͤrchte ich, daß er ſich verſtellet hat, als er bey dem Vorſchlage wegen London gleichguͤltig zu ſeyn ſchien, und daß ich eine vorher beſtimmte Wohnung zu beziehen genoͤ - thiget werden ſoll. Alsdenn will ich gar nicht nach London reiſen.

Es kommt mir zwar ſelbſt etwas grauſam vor, ihn nach ſo vielen artigen und edelmuͤthigen Erklaͤ - rungen in meinem Gemuͤth der ſchwaͤrtzeſten und niedertraͤchtigſten Argliſt zu beſchuldigen. Allein in was fuͤr einem Ruff ſtehet er? wie viel iſt an den Grund-Saͤtzen zu tadeln, nach denen er handelt? Er iſt ſo leichtſinnig, ſo veraͤnderlich, ſo ſtoltz, daß er ſich ſelbſt in zwey verſchiedenen Stunden nicht aͤhnlich iſt. Jch habe jetzt keine Schutz-Engel um mich, keinen Vater, keine Mutter: und muß mich blos auf GOtt und auf meine Vorſichtigkeit ver - laſſen. Auf Wunder-Wercke darf ich nicht hoffen.

Jch ſtand mit den Worten auf, um wegzugehen: zu etwas muß ich mich entſchlieſſen, Herr Lovela - ce. Jch will inzwiſchen den Entſchluß bis morgen fruͤh ausſetzen.

Er haͤtte mich gern laͤnger aufgehalten. Jch verſprach ihm aber, ihn morgen ſo fruͤh zu ſprechen als er es ſelbſt beliebte. Er moͤchte auf eine beque - me Miethe in oder bey London dencken. Hierauf verließ ich ihn, gleichwie jetzt mein Schreib-Zeug, in der Hoffnung, daß die wenigen uͤbrigen Stundender269der Nacht mir zu der Ruhe dienen werden, die ich ſeit langer Zeit nicht genoſſen habe.

Cl. Harlowe.

Der zwey und dreißigſte Brief Eine Fortſetzung des vorigen von Fraͤulein Cl. Harlowe.

Ob ich gleich ſpaͤte zu Bette ging, ſo iſt mir doch wenig Schlaf in die Augen gekommen: ſo viel ich dem Schlaaf gute Worte gebe, ſo iſt er doch unverſohnlich und will mein Freund nicht wer - den: Jch hoffe, meine eben ſo unverſoͤhnlichen An - verwanten zu Harlowe-Burg genieſſen dieſes an - genehme Geſchenck der Nacht. Es wuͤrde eine Vergroͤſſerung meiner Suͤnde ſeyn, wenn ich auch ihren Schlaaf durch das Andencken derſelben ſtoͤre - te. Wegen meines Bruders und meiner Schweſter kann ich wol auſſer Sorgen ſeyn.

Herr Lovelace, der eben ſo fruͤh aufzuſtehen pflegt, als ich, kam des Morgens um ſechs Uhr zu mir in den Garten. Nachdem er mir einen gu - ten Morgen gewuͤnſcht hatte, bat er mich unſere geſtrige Unterredung fortzuſetzen. Wir haͤtten zu - letzt von Wohnungen in London geredet.

Mich duͤnckt, ſie thaten deswegen einen Vor - ſchlag, Herr Lovelace.

Ja Fraͤulein: allein es war ein Haus, das ih - nen ſchwerlich gefallen konnte, ob ſie gleich ein ſehrwill -270willkommener Gaſt darin geweſen ſeyn wuͤrden. (Hiebey laurete er mir auf die Augen.)

Jch ſagte: das ſind meine Gedancken auch. Es iſt zwar unangenehm, auf das ungewiſſe nach Lon - don zu reiſen. Aber wie ungereimt wuͤrde es ſeyn, daß eine Perſon, die fuͤr voͤllig frey von ihm angeſe - hen ſeyn will, einem ihrer Bekannten eine ſolche Verbindlichkeit haben ſolte? noch dazu eben demje - nigen Herrn deſſen Nahmen die Meinigen auf die Aufſchrifft meiner Briefe ſetzen muͤſſen, wenn ſie mich einer Antwort wuͤrdigen? Sie haͤtten den Vor - ſchlag nicht einmahl thun ſollen.

Er ſagte: er haͤtte ihn gar nicht in der Abſicht gethan, daß ich ihn billigen ſolte, ſondern nur um mir zu zeigen, wie verlegen er wegen eines beſſern Vorſchlages ſey.

Handelt ihre Familie (ſagte er) mit keinem Kauffmann, der eine bequeme Gelegenheit hat? Jch wollte es einen ſolchen ſchon bezahlen, daß er ihren Aufenthalt geheim haͤlt. Die Kauff-Leute ſind zwar rechte Nadeln-Kraͤmer: wer ihnen vor einen Groſchen Waare abnimt, der gilt mehr bey ihnen, als wer ihnen einen Thaler ſchencket, weil ſie es ein - mahl ſo gewohnt ſind. Allein ſie werden auch den Thaler nicht ausſchlagen.

Jch antwortete: an niemanden wuͤrde eher ge - ſchrieben werden, als an die Kauff-Leute, mit de - nen mein Vater handelte, wenn man meinen Auf - enthalt auskundſchafften woͤllte. Dieſer Vorſchlag ſey eben ſo ungereimt, als der erſte.

Wir271

Wir hatten mehr ſolche Unterredungen. Das Ende war; er ſchrieb an einen, Nahmens Dole - mann, welches ein verheyratheter Mann ſey, der einen guten Nahmen und feine Mittel habe, (denn an Belford zu ſchreiben verbat ich) und erſuchte ihn, ſolche Zimmer, als ich verlangt haͤtte, fuͤr mich auszumachen; nehmlich, eine Stube fuͤr mich, eine fuͤr mein Cammermaͤdchen, und ei - nen Saal oder Speiſe-Stube, deren ich mich be - dienen duͤrfte. Den Brief zeigete er mir, ſiegelte ihn in meiner Gegenwart zu und ſchickte ihn durch einen ſeiner Bedienten nach London, welcher noch andere Geſchaͤffte in London hat, und die Ant - wort zuruͤck bringen ſoll.

Jch erwarte den Ausgang der Sache, und halte mich bereit, nach London zu reiſen, wenn Sie mir es nicht misrathen. Jch habe nichts wei - ter zu ſchreiben, als daß ich bin

Jhr ſtets-ergebenſte Cl. Harlowe.

Der drey und dreißigſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Er berichtet in einigen Briefen dasjeni - ge, was ſchon aus den Briefen der Fraͤulein bekannt iſt.

Er272
  • Er meldet ſeinem Freunde, daß er die Brie - fe ſeiner Verwantinnen bey Frau Greme vorgefunden habe, als er auf ſeiner Reiſe nach M hall bey ihr angeſprochen haͤtte. Sie ſey ſonſt eben im Begriff geweſen, ihm dieſe Briefe durch einen eigenen Boten zuzuſchicken.
  • Er ſchreibet: Frau Greme habe ihm erzaͤhlt, was ſie in der Kutſche mit der Fraͤulein ge - redet habe: er habe ſeine Hochachtung und aufrichtige Liebe gegen die Fraͤulein in ſolchen Worten gegen Frau Greme ge - aͤußert, daß ſie ſich entſchloſſen habe, den aus dem vorigen bekannten Brief an ihre Schweſter die Frau Sorlings zu ſchrei - ben.
  • Von dem unfreundlichen Geſichte, daß er bey ſeiner Ruͤckkunft bekommen hat, laͤßt er ſich alſo heraus.

Da wir einen ſo vergnuͤgten Abſchied genommen hatten, ſo wunderte ich mich, daß ich ſie bey meiner Zuruͤckkunft ſo ſehr ernſthaft und ihre Augen von Thraͤnen roth fand. Als ich aber erfuhr, daß ſie ei - nen Brief von der Fraͤulein Howe erhalten hatte, ſo konnte ich leicht rathen, daß der kleine Teuffel ſie verfuͤhrt hatte, muͤrriſch gegen mich zu ſeyn.

Jch habe ein unendlich-groſſes Verlangen, den Jnhalt ihres Briefwechſels zu erfahren. Allein ich darf jetzt noch nicht ſo viel wagen. Wenn ich mich an dergleichen Heiligthuͤmer machte, ſo wuͤrde ich ihre Gnade auf ewig verſchertzen. Es verdrießt michaber273aber doch in der Seele, daß ſie faſt alle Stunden das ſchreibt, was ſie auf den Hertzen hat; daß ich mit ihr unter einem Dache bin, und mich doch nicht unterſtehen darf, einen Blick in die Briefe zu thun, die vielleicht alle meine Liſt fruchtloß machen.

Sollte es wol eine große Suͤnde ſeyn, den alten Kerl von der Welt zu helfen, der ihre Briefe traͤgt, und ihm ſein Geheimniß abzunehmen. Wenn ich ihn mit Gelde beſtechen wollte, ſo koͤnnte ich gantz bey ihr ausgethan werden, wo er mein Anbieten ver - riethe. Er ſcheint der Armuth ſo gewohnt zu ſeyn, daß er gantz vergnuͤgt dabey iſt, wenn er nur von der Hand in den Mund hat. Er ſcheint nicht einmahl ein Verlangen zu haben, kuͤnftig beſſer leben zu koͤn - nen, als er es gewohnt iſt. Einen ſolchen Kerl kann man nicht beſtechen? oder man muß ſich ſtel - len, als machte man ihn zu ſeinem vertrauten Freun - de. Die Beſtechung muß ſich in Ehrlichkeit bey ihm verkleiden, wenn ſie nicht abgewieſen werden will. Was hat man ſonſt fuͤr Hoffnung, den zu beſtechen, der nichts hoffet und nichts wuͤnſchet.

Der Kerl hat nur ein halbes Leben, das fuͤr ihn eine Laſt und keine Gluͤckſeeligkeit iſt. Koͤnnte man mich zu einem gantzen Moͤrder machen, wenn ich es ihm naͤhme? Er mag leben! Wenn ich ein Koͤ - nig, ein Staats-Miniſter, ein Anton Perez(†)Anton Perez war der erſte Staats-Miniſter Philip des zweyten, Koͤniges von Spanien, auf deſſen Befehl er den Don Iuan de Eſcouedo er - morden laͤßt, ſich aber dadurch ſelbſt ins Un - gluͤck ſtuͤrtzete.waͤre:Dritter Theil. S274waͤre: ſo waͤre es eine andere Sache. Jch uͤber - lege es jetzt: ich kann gewiß kein Boͤſewicht ſeyn. Ein Boͤſewicht bedenckt ſich uͤber keine Bosheit. Du weißt wohl, daß meine meiſte Gottloſigkeit nur in Einfaͤllen beſtehet, dadurch ich meinen Ver - ſtand zeigen, und erweiſen will, daß ich Ungluͤck an - richten koͤnnte, wenn ich wollte.

  • Er fuͤhrt hierauf die Ausdruͤcke der Fraͤulein an, die ihm unertraͤglich ſind.
  • Wegen ſeiner Antworten und Vorſchlaͤge, die er auch erzaͤhlt, iſt er mit ſich ſelbſt ſehr wohl zufrieden.
  • Bey dem Vorſchlage, das Cammer-Maͤdchen der Fraͤulein Howe zu nehmen, wenn Han - nichen nicht zu haben waͤre, ſchreibt er:

Hier ſieheſt du, Belford, daß mein Kind gar nicht darauf dencket, daß die Fraͤulein Howe blos eine Marionette iſt, die ich auf eine verborgene Art regiere. Was iſt es fuͤr eine angenehme Rache, wenn man zwey ſolche Maͤdchens uͤberliſtigen kann, die ſich einbilden, daß ſie alles wiſſen: und wenn man ſich des Hochmuths und wunderlichen Ge - muͤthes der Alten ſo zu bedienen weiß, daß ſie unſere Abſichten erfuͤllen, wenn ſie uns den groͤſſeſten Ver - druß anzuthun meinen. Das unvergleichliche liebe Kind antwortete mir, als ich wuͤnſchte, daß ihr Bruder nicht mit der Fraͤulein Howe im Spiel ſeyn moͤchte: ja! das befuͤrchtete ſie ſelbſt, ſonſt wuͤrde ihr Onckle nicht taͤglich gegen ſie re - den. So unſchuldig!

Jndeſſen275

Jndeſſen ſollſt du mich doch nicht fuͤr die Urſache der Bosheit der Jhrigen halten. Sie kommt aus ihrem eigenen Hertzen, und ich gebrauche mich nur des Schatzes, der in ihnen ſelbſt verborgen liegt. Waͤren ſie ſich ſelbſt gelaſſen, ſo wuͤrden ſie zu Feuer und Schwerdt greiffen; das iſt, ſie wuͤrden Meuchel-Moͤrder oder die Obrigkeit gebrauchen. Jch lencke nur ihren Blitz, wohin er ſchlagen ſoll, ohne einzuſchlagen. Die Urſache iſt in ihrem Her - tzen; ich regiere die Wirckungen. Jch verhuͤte groͤſſeren Schaden durch geringeren.

  • Daruͤber, daß die Fraͤulein ſelbſt London ge - nennet hat, bricht er in dieſe Worte aus:

Jch ſuchte nichts, als daß ſie ſelbſt London nennete: darum erwaͤhnte ich Windſor aber - mahls. Wenn man haben will, daß ein Frauenzim - mer etwas thun ſoll, ſo muß man das Gegentheil da - von in Vorſchlag bringen. Alle Frauens-Leute ſind hierin Frauens-Leute, ſo wahr ich ſeelig werden will. Sie zwingen uns, ſchalckhaft mit ihnen umzugehen: ſo bald ſie ſich uͤberliſtiget finden, erheben ſie ein Mord-Geſchrey uͤber einen ehrlichen Kerl, der ſie mit ihren eigenen Waffen geſchlagen hat.

Jch konnte mich vor Freuden kaum halten; das Hertz ſchwoll mir auf bis an den Hals. Jch befahl der uͤbermaͤßigen Freude, ſich zu verbergen, und eben that mir ein ſehr gelegener Huſten die Gefaͤllig - keit, bey mir anzuſprechen. Jch wandte mich wider ſo gleichguͤltig als jemahls zu ihr, wie ein Maͤdchen bey der erſten lange erwarteten Frage zu thun pflegt, das ſich gern noch ein paar mahl wollteS 2fragen276fragen laſſen. Jch ließ ſie ausreden, und anſtatt von London zu ſprechen, brachte ich in Vorſchlag, die Frau Norton ihr zur Geſellſchaft zu verſchaffen.

Weil ich zum voraus wußte, daß ſie mir durch - aus nicht verpflichtet ſeyn wollte, ſo konnte ich, wenn ſie mein Erbieten angenommen haͤtte, verſprechen, ſo viel fuͤr dieſe Frau und ihren Sohn zu thun, daß ſie alles wuͤrde verbeten haben. Dieſes wuͤrde ich nicht ſo wohl aus Sparſamkeit gethan haben, als weil mir ſonſt die Gegenwart der Norton nicht gelegen geweſen waͤre. Es waͤre eben ſo ſchlimm geweſen, als wenn ſie ihre Mutter, oder ihre Han - nichen bey ſich gehabt haͤtte. Mit Hannichen haͤtte ich zwar ſchon fertig werden wollen, wenn ſie haͤtte kommen koͤnnen: denn wozu unterhalte ich Muͤßiggaͤnger auf dem Lande, als daß ſie ſich nach meinem Willen in Maͤdchens verlieben, und ſie hey - rathen ſollen.

Wie ungluͤcklich iſt ein wohl-erzogenes Frauen - zimmer, wenn es unſer einem in die Haͤnde faͤllt. Die juͤngferlich-zuͤchtige und bloͤde Sittſamkeit iſt ihr gar zu heilig; ſie darf deren Geſetze nicht uͤber - treten. Die kleinen unverſchaͤmten Loſen haben es beſſer, welche von Kirche und Prediger reden koͤn - nen, ehe uns dieſe Nahmen in den Mund gekom - men ſind, und die ſich in unſerer Gegenwart aus - ziehen und zu Bette gehen koͤnnen. Keine andere als ſolche ſolten es ſich in den Sinn kommen laſſen, mit einem Manne davon zu gehen. ***

Jch bin nun auf dem rechten Wege: Eine jede Stunde wird mir ein neues Haͤckchen an den. Her -tzen277tzen dieſer hochmuͤthigen Schoͤne verſchaffen. Jch bin in der Unhoͤflichkeit ſchon ſo weit gegangen, daß ſie ſiehet, ich bin keine alte Hure, und ſich vor mir fuͤrchtet. So oft ich jetzt hoͤflich bin, ſo macht es einen Eindruck bey ihr. Das naͤchſte iſt, daß ich ſie zwingen muß, mir ihre geheime Kranckheit, und eine vorzuͤgliche Liebe vor allen andern Manns-Per - ſonen zu geſtehen: wenn das geſchehen iſt, ſo wird meine gluͤckliche Stunde nicht lange ausbleiben koͤn - nen. Wenn die Schoͤne ihre Liebe geſtanden hat, ſo darf ich mir ſchon mehrere Freyheiten herausneh - men. Eine Freyheit wird immer die andere ge - baͤhren. Wenn ſie mich unerkentlich und un - danckbar nennet, ſo will ich ſie grauſam nennen. Das iſt ein Beywort, welches die Schoͤnen lieben. Jch habe mich oft uͤber Grauſamkeit beklaget, wenn mir alles erlaubet ward, weil ich wußte, daß dieſes Wort dem Hochmuth des andern Geſchlechts ein Balſam war.

  • Er erwaͤhnet ferner, daß er Belfords Woh - nung in Vorſchlag gebracht habe; allein blos, um zu zeigen, daß er ſelbſt verlegen ſey, und keine Wohnung in London fuͤr die Fraͤulein wiſſe. Es heißt hierauf:

Jch wollte ſie mit einem Vorſchlage beunruhi - gen, der mit meiner Abſicht nicht die geringſte Ver - wandſchaft haͤtte. Sie war ſehr misvergnuͤgt uͤber meinem Einfall, der weiter keine Abſicht hatte. Die Frau Osgood iſt viel zu fromm; und ſie wuͤrde es mehr mit der Fraͤulein als mit mir gehalten haben.

S 3Jch278

Jch hatte noch den Endzweck, ihr einen hohen Begriff von ihrer Klugheit und Vorſichtigkeit bey - zubringen. Wenn ich eine Grube grabe, ſo wuͤn - ſche ich, daß mein Raub gantz ſicher und ohne Furcht in die Grube gehen moͤge. Alsdenn kann man auf ſein ſchoͤnes Kind einen loſen Blick thun: in aller Welt, mein Hertzgen, wie biſt du ſo gefan - gen worden?

Montag den 17. April.

Jetzt eben habe ich von dem ehrlichen Joſeph Lehmann neue Nachricht erhalten. Du kenneſt Mademoiſelle Betterton und Notting - ham. Jacob Harlowe ſucht jetzt dieſe Fami - lien wider mich zur Rache zu reitzen. Vor einiger Zeit gaben ſich die Harlowes ſehr viel Muͤhe, dieſe Geſchichte umſtaͤndlich zu erfahren. Sie ſind jetzt entſchloſſen (die tummen Teuffels) Lerm zu blaſen, wenn ſie es anders koͤnnen. Mein Kopf iſt jetzt ſehr beſchaͤftiget, den tummen Juncker zu meinem Vortheil zum Schelm, zum Rechts-Verdreher, zum Angeber zu machen, weil ich glaube, daß die Fraͤulein mir in London ſagen wird: drey Schrit - te vom Leibe, oder gar weg! Du ſollſt zu ſeiner Zeit Joſephs Brief, und meine Antwort zu ſehen be - kommen. (*)Siehe den 45ſten und 46ſten Brief dieſes Bandes.Wenn ich eine Schelmerey fruͤh ge - nug weiß, ſo habe ich ſie ſchon zu nichte gemacht, und den Schelm ſelbſt betrogen.

Joſeph iſt voll von hypocondriſchen gewiſſen - haften Thorheiten. Seine gantze Hypocondrie kannvor279vor Geld curirt werden. O Belford, was fuͤr ein Schelm iſt das Hertz des Menſchen, er mag reich oder arm ſeyn.

Der vier und dreißigſte Brief. von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe. Eine Antwort auf den 27ſten und 32ſten Brief.

Jhre Familie iſt gantz unverſoͤhnlich. Der alte Anton hat bey einem abermahligen Beſuch nicht allein meine Mutter in ihrem Widerwillen gegen unſern Briefwechſel beſtaͤrcket, ſondern ſie auch beynahe voͤllig zu einer Harlowin gemacht.

Doch ich muß dieſe verdrießliche Sache uͤber - gehen.

Sie verlangen, daß ich dem Herrn Hickmann artiger begegnen ſoll. Vielleicht mache ich es bey ihm eben ſo, als ich bey dem Singen oder Spie - len zu thun pflege. Wenn ich eine Nothe zu hoch angefangen habe, ſo verdrießt es mich, daß ich wider von vorn anfangen ſoll, ich uͤberſchreye lieber meine Stimme. Jnzwiſchen iſt doch dieſes gewiß, daß der Mann hiedurch nur hoͤflicher wird; und Sie haben ehemahls die Anmerckungen gemacht, daß die Gemuͤther, die kriechend werden, wenn man hart mit ihnen umgehet, ſich erheben und un - ertraͤglich werden, ſo bald man beſſer mit ihnen um -S 4gehet.280gehet. Darum magſt du, ehrlicher ernſthafter Hickmann, noch eine Zeitlang es dir gefallen laſſen, daß ich dir vornehm begegne. Du haſt mir einen Altar aufgerichtet: und nun wirſt du dich hoffent - lich nicht wegern, vor deinem Altar zu beten.

Sie fragen mich, ob ich eben ſo mit Herrn Love - lace umgehen wuͤrde, wenn er an Hickmanns Stel le waͤre? Jch muß geſtehen, ich wuͤrde mit ihm vermuthlich gantz anders umgehen. Jch habe die gantze hochwichtige Lehre von der Liebe und Freyerey uͤberdacht, und ich will Jhnen meine Erfindungen offenhertzig mittheilen. Jch glaube, daß eine gantz außerordentlich-demuͤthige Erniedrigung der Manns-Perſon erfodert werde, uns dahin zu brin - gen, daß wir ihrer erſten Bitte Gehoͤr geben, und unſern Hals unter ein ſo niedertraͤchtiges Joch beu - gen. Allein ich glaube auch beynahe, daß die Mañs - Perſon einige Dreiſtigkeit beſitzen muß, wenn ſie das einmahl erlangte Anrecht an unſerm Hertzen beybehalten will: ſie muß uns nicht mercken laſſen, daß wir ſie als unſer Naͤrrichen gebrauchen duͤrfen. Eine gar zu ſanfte Liebe, bey der es keine Stoͤße giebt, ein Affect, ohne Affect, iſt wie ein langſahmer und ſumpfiger Bach, auf dem man einen Stroh - Halm faſt nicht fortflieſſen ſiehet. Wenn die Manns - Perſon machen kann, daß wir uns bisweilen vor ihr fuͤrchten, und ſie wol gar auf einige Tage haſſen, ſo pflegt eben hiedurch die Liebe hitziger zu werden.

Wenn dieſe Regeln richtig ſind, ſo iſt Lovelace auf dem rechten Wege. Zu Anfang war er ſo de - muͤthig und ergeben, als man es nicht wuͤnſchenſondern281ſondern ſich nur einbilden kann. Daß er nachher ungeſtuͤmer geworden iſt, und ſich kein Bedencken gemacht hat, Sie zu beleydigen, und wieder ſehr demuͤthig um Vergebung zu bitten, iſt bey ihm (da man ihm weder Muth noch Verſtand abſprechen kann) ein Mittel, die Neigung des Frauenzim - mers vor dem Schlaaf zu bewahren, und es nach und nach ſo zu ermuͤden, daß es ſich ihm nicht fer - ner wiederſetzt, ſondern ſo gelaſſen wird, als ein Haus-Tyrann ſeine Frau wuͤnſchen moͤchte.

Die verſchiedene Auffuͤhrung unſerer zwey Rit - ter gegen ihre Dulcineen, iſt bey nahe ein mathema - tiſcher Erweiß meines Satzes. Jch bin ſchon ge - wohnt, Hickmanns winſelnde Demuth vor mir zu ſehen, daß ich nichts von ihm erwarte, als daß er ſich ſchmiegen und biegen ſoll. Sein wehmuͤthiger Unverſtand macht bey mir ſo wenigen Eindruck, daß ich mich oft durch die Muſik des Schlaafs er - wehren muß, in den er mich ſinget oder weinet. Lovelace hingegen weiß das Spiel zu unterhalten: wenn man mit ihm umgehet, ſo iſt es nicht anders, als wenn man ein Feuer-Werck ſiehet.

Jhr haͤufiger Zanck und Verſoͤhnung ſind der richtigſte Erweiß meiner Anmerckung. Wenn Hickmann Lovelace waͤre, (blos Lovelaces La - ſter ausgenommen) ſo haͤtte ich ihn laͤngſtens ge - nommen. Allein er haͤtte den Anfang auf eine an - dere Art machen muͤſſen. Er wird niemahls das wieder erlangen, was er verlohren hat, ſondern bis an das Ende ſeiner Freyerey, ja bis an das Ende ſeines Lebens muß er die ſchuͤchterne Perſon in dem Luſt-Spiele ſeyn.

S 5Der282

Der arme Hickmann! werden Sie ſagen. Man giebt mir Schuld, daß ich ihr Echo ſeyn ſoll: Darum ſage ich auch: der arme Hickmann!

Sie wundern ſich, daß Lovelace den Abend nichts von den empfangenen Briefen gegen Sie hat kund werden laſſen. Es gefaͤllt mir gar nicht an ihm, daß er einen ſo wichtigen Umſtand einen Au - genblick verſchwiegen hat. Da er den folgenden Tag ihnen die Nachricht gab, nachdem er Sie ver - drießlich gemacht hatte, ſo ſcheint es faſt, als haͤtte er vorher vermuthet, daß Sie verdrießlich werden wuͤrden, und haͤtte dieſe Nachricht darauf geſparet. Unter allem, was bisher vorgegangen iſt, gefaͤllt mir dieſes am wenigſten: und ſo geringe es andern vorkommen moͤchte, ſo rechtfertiget es doch meiner Meinung nach alle ihre Vorſichtigkeit und ſelbſt Jhr Mistrauen gegen ihn. Jndeſſen ſind der Brief der Frau Greme an ihre Schweſter, ſein aber - mahliger Antrag, Hannichen oder eine der Sor - lingiſchen Toͤchter Jhnen zur Aufwartung und die Frau Norton zum Umgang zu verſchaffen, an - genehme Gegen-Gruͤnde, die mich abhalten, mehr von jenem verdrießlichen Umſtande von dem Hertzen wegzuſchreiben. Jſt es nicht ein alberner Streich von ihm, daß er Jhnen des Abends ſagte, er habe Briefe, ohne des Jnhalts zu gedencken! Jch weiß nicht, was ich aus ihm machen ſoll!

Was ſeine Baſen ſchreiben, gefaͤllt mir vollkom - men. Jch habe nochmahls jemand aufgetragen, ihre Gedancken auszuforſchen, und ich finde, daß ſich die gantze Familie jetzund mehr als jemahls nach einer Verbindung mit Jhnen ſehnet.

Jch283

Jch weiß gegen ihre Reiſe nach London nicht das geringſte einzuwenden. Sie werden dort gleich - ſam in dem Mittel-Punct von England ſeyn, und Gelegenheit haben, von jedermann zu hoͤren und an jedermann zu ſchreiben. Dort werden Sie ſeine Treue auf die Probe ſtellen koͤnnen, ob er z. E. ſein Wort haͤlt, und Sie allein laͤßt.

Allein weiter erhalten Sie doch nichts dadurch: Sie muͤſſen ihn doch endlich heyrathen. Sie moͤ - gen verſuchen (oder Sie haben vielmehr verſucht) was bey Jhren Freunden auszurichten ſey: nun bitte ich Sie, den erſten Augenblick, da Jhre Freun - de Jhre Antraͤge verwerfen, unterwerfen Sie ſich dem Joche, und machen Sie es ſo gut als Sie koͤnnen. Jch halte ihn fuͤr einen Barbaren, wenn er Sie zwinget, ſelbſt davon zu reden: allein ich glaube, Sie werden etwas nachgeben muͤſſen, denn es iſt ihm unertraͤglich verachtet zu werden.

Dieſes waren bey einem ehemahligen Beſuch ſei - ne Reden, die ihre Abſicht auf mich haben mochten: wenn ein Frauenzimmer gewillet iſt, eine Manns - Perſon jemahls durch ein Ja zu erfreuen; ſo ſollte es billig um ſein ſelbſt willen der Welt zei - gen, daß es ſeinen Anbeter allen andern vorziehet.

Soll ich ihnen noch einen andern Spruch ſeines tugendhaften Mundes melden, der in der Sprache dieſer freyen jungen Herren und mit ausgeſtreckter Hand vorgebracht ward? Der Teuffel ſollte ihn hohlen, wenn er die groͤſſeſte Printzeßin von der Welt heyrathen wollte, und nur noch einen Ge - dancken uͤbrig haͤtte, daß ſie ſich einen Augenblick be -284 bedacht haͤtte, ob ſie ihn einem Kayſer vorziehen wollte.

Jedermann erwartet, daß Sie ihn heyrathen werden, und glaubt, daß Sie in dieſer Abſicht Jh - res Vaters Haus verlaſſen haben. Je laͤnger die Trauung aufgeſchoben wird, deſto mehr hat die Welt zu tadeln und zu laͤſtern, und es wird gewiß die Schuld nicht an den Jhrigen liegen, wenn Jhr guter Nahme unverletzt bleibt. Jhr Onckle Anton fuͤhret die haͤßlichſten Reden, die ſich auf die Ge - muͤths-Beſchaffenheit ſeines Bruders in den Laſtern gruͤnden. Allein bisher hat die Meinung, welche die Welt von Jhnen hat, alle dieſe Geſpraͤche uͤber - wunden: jedermann verachtet und haſſet den, wel - cher ſie fuͤhret.

Jch bin oft in Schreibung dieſes Briefes geſtoͤ - ret worden: Sie werden es daran ſehen, daß das erſte Blat zerdruͤckt iſt, das ich in den Buſen ſte - cken mußte, weil mich meine Mutter uͤberfiel. Wir haben wieder einen ziemlich artigen Streit gehabt; es verlohnt ſich aber nicht der Muͤhe, Sie durch Er - zaͤhlung deſſen, was vorgegangen iſt, zu verunruhi - gen. Allein wahrhaftig Jch frage nichts dar - nach, wenn auch

Jhre Hannichen koͤnnen Sie nicht zur Auf - wartung bekommen. Das arme Maͤdchen hat we - gen eines Fluß-Fiebers ſchon vor 14 Tagen aus dem Dienſte gehen muͤſſen, und kann noch nicht aus der Stube kommen. Sie hat geweint, als ihr meine Kitty den Antrag gethan hat, und geſagt: ſie hielteſich285ſich fuͤr doppelt ungluͤcklich, weil ſie ihrer lieben Fraͤulein nicht aufwarten koͤnnte.

Wenn meine Mutter mir es nicht ohnmoͤglich machte, Jhnen nach meinem Willen zu dienen, ſo ſollte es mir ſehr leyd thun, daß Herr Lovelace fruͤher als ich meine Kitty in Vorſchlag gebracht haͤtte, Jhnen aufzuwarten. Jmmer unter frem - den zu ſeyn, und ſich bey jeder Reiſe von einem fremden begleiten zu laſſen, iſt in der That etwas unangenehmes: dennoch aber wird Jhre Vorſich - tigkeit und Guͤtigkeit Jhnen uͤberall Leute zu ver - ſchaffen, auf deren Treue Sie ſich verlaſſen koͤnnen.

Jch muß Sie handeln laſſen, wie es Jhre Ein - ſichten mit ſich bringen: ſollte es Jhnen aber an Kleidern oder Gelde oder irgend an etwas fehlen, das ich zu erſetzen im Stande bin, und Sie nehmen meine Dienſte nicht an, ſo kann ich es Jhnen nie vergeben. Meine Mutter braucht nichts davon zu wiſſen.

Jhr naͤchſter Brief wird vermuthlich zu Lon - don geſchrieben ſeyn. Schicken Sie kuͤnftig Jhre an mich gerichteten Briefe nach Herrn Hickmanns Hauſe, daß ſie da bis auf Nachfrage liegen bleiben. Er iſt Jhnen voͤllig ergeben. Machen Sie nicht ſo viel aus den eigenſinnigen Vorurtheilen meiner Mutter: ich bin ja kein kleines Kind mehr.

Der Himmel behuͤte Sie, und mache Sie ſo gluͤcklich, als Sie es verdienen; dieſes wuͤnſchet

Jhre ergebenſte Anna Howe.

Der286

Der fuͤnf und dreißigſte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch freue mich, daß Sie mit meiner Reiſe nach London zufrieden ſind.

Ueber das Misvergnuͤgen, welches zwiſchen Jh - nen und ihrer Frau Mutter obwaltet, bin ich ſehr bekuͤmmert. Jch hoffe, daß Sie beyde nicht voͤl - lig ſo ungluͤcklich ſind, als ich es mir vorſtelle. Allein laſſen Sie mich doch etwas mehr von dem Streit mit Jhrer Mutter erfahren: ich kenne Jhre Ausdruͤcke, und Sie nennen es, einen ziemlich artigen Streit. Jhre Frau Mutter mag noch ſo hart gegen mich geweſen ſeyn, ſo wird es mir dennoch zur Erleichterung gereichen, wenn ich alle Umſtaͤnde weiß. Wer gefehlet hat, der muß ſeine Fehler bereuen, und nicht uͤber das Misfallen, das andere daruͤber bezeugen, ungehalten ſeyn.

Wenn ich jemanden in England Geld ſchuldig ſeyn will, ſo will ich es Jhnen ſchuldig ſeyn. Sie ſchreiben, Jhre Frau Mutter braucht nichts da - von zu wiſſen. Sie muß es aber wiſſen. Wie, wenn Jhre Frau Mutter Sie fraget, ob Sie mir Geld geliehen haben? Wollen Sie ſie betriegen oder ihr eine Unwahrheit ſagen? Jch wuͤnſchte, daß ſich Jhre Frau Mutter in dem Stuͤck beruhigen koͤnnte. Vergeben Sie mir, ich weiß Ehemahls hatte ſie eine beſſere Meinung von mir. O meine Ueber -eilung!287eilung! Der angebohrne Hochmuth pflegt uns nicht gantz zu verlaſſen, wenn er auch noch ſo ſehr ge - kraͤnckt wird: allein ich kann jetzt alles verſchmer - tzen und uͤber mich ergehen laſſen.

Es iſt fuͤr mich ein Ungluͤck, daß ich meine Han - nichen nicht haben kann: ihre Unpaͤßlichkeit gehet mir nicht weniger zu Hertzen, als mein Verluſt da - bey. Weil Sie doch wollen, daß ich Jhnen ver - pflichtet ſeyn ſoll, und es mir zum Hochmuth aus - legen wuͤrden, wenn ich alle Jhre Guͤtigkeit aus - ſchluͤge, ſo haben Sie die Gewogenheit, ihr in mei - nem Nahmen zwey Guineas zu ſchicken.

Wenn ich nichts anders vor mir habe, als ihn zu nehmen, ſo iſt es mir doch einiger Troſt, daß ſeine Anverwanten mich verlauffenes Maͤdchen nicht verachten, wie man es von Perſonen von ih - rem Stande befuͤrchten moͤchte.

Kann mein grauſamer Onckle argwohnen, daß Mein Hertz erlaubt meiner Feder nicht, mehr zu ſchreiben, weil mich ſein Verdacht allzu ſehr verdrieſſet. Wenn die Meinigen dergleichen von mir glauben, ſo hoͤre ich auf, mich uͤber ihre Unverſoͤhnlichkeit zu wundern. Das iſt alles das Anſtiften meines unmenſchlichen Bruders. GOtt vergebe es ihm, das wuͤnſchet ſeine Schweſter, und

Jhre ergebenſte Freundin Cl. Harlowe.

Der288

Der ſechs und dreißigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Herr Lovelaces Bedienter iſt ſchon wieder zu - ruͤck gekommen, und hat eine ſehr umſtaͤndli - che Antwort von Herrn Dolemann mitgebracht. Er hat ſich ſehr viel Muͤhe gegeben, ſich nach allem genau zu erkundigen. Herr Lovelace brachte mir den Brief, ſo bald er ihn geleſen hatte; und weil er weiß, daß ich alles mit Jhnen uͤberlege, ſo bat ich ihn um Erlaubniß, den Brief an Sie zu uͤber - ſenden. Jch bitte ihn mir aber zuruͤck aus. Sie wer - den daraus ſehen, daß ſeine Freunde in London glauben, wir waͤren bereits ein Paar geworden.

An Herrn Robert Lovelace.
Hochwohlgebohrner Herr!

Jch freue mich ungemein, daß wir die Ehre ha - ben ſollen, Euer Hochwohlgebohrnen nach ei - ner ſo langen Entfernung wieder in London zu ſehen. Sie werden uns noch mehr willkommen ſeyn, wenn die Nachricht richtig iſt, daß Sie das artige Frau - enzimmer als eine Gemahlin mitbringen; welches Sie oft ſo ſehr gelobet haben. Meine Frau und meine Schweſter gratuliren Jhnen, wenn dieſes ſich ſo verhaͤlt: iſt aber die Trauung noch nicht voll -zogen,289zogen, ſo koͤnnen ſie doch nicht unterlaſſen, Euer Hochwohlgeb. zu einer ſo nahen Hoffnung Gluͤck zu wuͤnſchen. Jch habe mich acht Tage lang in Lon - don aufgehalten, um mich von der Gicht curiren zu laſſen, und es ſcheint, daß ſich ein Anfang der Beſ - ſerung zeiget. Jndeſſen habe ich mich von Einzie - hung der verlangten Nachricht nicht abhalten laſſen.

Jn Bedford-Street bey Covent-Garden koͤnnen Eure Hochwohlgeb. das erſte Stock-Werck in eines Kauffmanns, der mit Seyden-Waare han - delt, Behauſung bekommen. Es iſt wohl meu - blirt; und fuͤr Jhre Bedienten ſind auch Zimmer zu bekommen. Um den Preis werden die Leute ei - nig werden, wenn ſie wiſſen, wie viele Zimmer er - fodert werden.

Meine Frau hat eine Miethe in Norfolck-Street, und andere in Cecil-Street beſehen. Die Ausſicht iſt artig, weil ſie auf die Thems und die ange - nehme Landſchaft jenſeits der Thems gehet. Allein es iſt gar zu nahe an der Stadt. (*)London theilt ſich, wie bekannt in mehrere Staͤdte, hier wird das eigentliche London gemeint, welches volckreicher iſt als Weſt-Muͤnſter, und meiſtentheils von Kauff-Leuten bewohnt wird.

Der Mann, dem das Haus in Norfolck-Street gehoͤrt, wollte nicht weniger als die Haͤlfte des Hau - ſes zuſammen vermiethen: alles dieſes wuͤrde nach der von Euer Hochwohlg. gemachten Beſchreibung zu viel ſeyn. Jch kann auch kaum glauben, daß Sie zur Miethe werden wohnen wollen, wenn SieesDritter Theil. T290es erſt rathſam finden, Jhre angenehme Veraͤnde - rung oͤffentlich bekannt zu machen.

Die Wohnung in Cecil-Street iſt ſauber und bequem. Eine Witwe, die einen guten Nahmen hat, iſt die Eigenthuͤmerin: ſie gedenckt ſie aber nicht auf kuͤrtzere Zeit als auf ein gantzes Jahr zu ver - miethen.

Jn Dower-Street ſind auch bey einer Witwe artige Zimmer zu bekommen. Sie hat einen Of - ficier von der Guarde gehabt, der ſeine Stelle, zu der er ſonſt ſchon ein gutes Recht hatte, theuer hat kauffen muͤſſen, und bald darauf verſtorben iſt. Hie - durch iſt ſie in die Umſtaͤnde gerathen, daß ſie Zim - mer vermiethen muß. Vielleicht iſt Jhnen dieſes ungelegen. Allein ſie ſagt, ſie ſey ſehr ſorgfaͤl - tig, keine andere Mieths. Leute einzunehmen, als die von gutem Stande ſind, und in keiner uͤbeln Nachrede ſtehen. Sie hat zwey feine Haͤuſer zu vermiethen, die blos durch einen Durchgang mit einander verbunden ſind. Das Hinter Gebaͤude iſt das artigſte, und ſehr wohl meublirt: wenn Sie aber die Ausſicht auf die Straffe haben wollen; ſo koͤnnen Sie ſich eines Saals in dem Vorder - Hauſe bedienen. Zu dem Hinter-Hauſe gehoͤrt ein kleiner Garten, den ſie ſehr artig angeleget, und mit Blumen-Toͤpfen, Bildern und andern Zierra - then geſchmuͤcket hat.

Weil mir dieſe Miethe die anſtaͤndigſte zu ſeyn ſchien, ſo habe ich mich genauer nach allen Umſtaͤn - den erkundiget. Die Zimmer, die in dem Hinter - Hauſe vermiethet werden koͤnnen, ſind: ein Speiſe -Zim -291Zimmer, zwey artige Saͤle, ein Vorgemach, und drey Wohn Zimmer. Bey dem einen iſt ein fei - nes Cloſet, aus dem man in den Garten ſiehet. Alles iſt ſehr artig meublirt.

Die letzten Mieths-Leute waren ein angeſehener Geiſtlicher nebſt ſeiner Frau und Tochter. Sie ſind vor kurtzem ausgezogen, da der Geiſtliche eine anſehnliche Befoͤrderung in Jrrland erhielt. Die Wirthin ſagt: er habe zuerſt nur auf ein Viertheil - Jahr gemiethet, allein es haͤtte ihm ſo wohl bey ihr gefallen, daß er zwey Jahr geblieben ſey, und ſie mit Betruͤbniß verlaſſen haͤtte, ob es gleich zu ſei - nem Vortheil gereichete. Sie ruͤhmete, alle ihre Mieths-Leute waͤren viermahl ſo lange bey ihr ge - blieben, als ſie ſich eingemiethet haͤtten.

Jch habe den ſeeligen Obriſten gekannt: man hat ihn ſtets fuͤr einen braven Mann gehalten. Seine Witwe habe ich nie vorhin geſehen. Sie hat etwas allzu maͤnnliches an ſich, wenn man ſie das erſtemahl ſiehet: als ich aber auf ihre Auffuͤh - rung gegen zwey artige Verwantinnen ihres ſeeligen Mannes merckte, die ſie aus Liebe zu ihm zwie - fach die Jhrigen nannte, und hoͤrte wie dieſe von ihr vergnuͤgt waren; ſo glaubte ich, daß ihr gutes und vergnuͤgtes Hertz ſie ſo fett machte, weil ich ſelten geſehen habe, daß boͤſe und zaͤnckiſche Leute bey Fleiſche ſind. Sie hat ſonſt einen guten Nah - men, und hilft ſich wohl in der Welt fort.

Wenn eine von dieſen Miethen der Gemahlin Eurer Hochwohlgeb. nicht voͤllig anſtaͤndig iſt, ſoT 2koͤnnen292koͤnnen Sie dieſelbe nur auf kurtze Zeit miethen, und ſich nach andern umſehen.

Dieſe Witwe iſt zufrieden, daß Sie ſie auf ei - nen Monath miethen, und nur die Zimmer nehmen die Sie ſelbſt belieben. Ueber den Preis hoffet ſie mit Jhnen einig zu werden, wenn ſie erſt weiß, welche Zimmer verlanget werden, was ihre eigene Bedienten, und was Eurer Hochwohlgeb. Bedien - ten thun ſollen. Denn ſie ſagte, man habe gemei - niglich mit den Bedienten mehr Verdruß als mit der Herrſchaft.

Das Frauenzimmer kann hier in dem Hauſe ſich ſpeiſen laſſen oder nicht; wie es ihr gefaͤllig iſt.

Weil wir glauben, daß Sie verheyrathet ſind, und nur um einer Zwiſtigkeit willen mit der Fami - lie es geheim halten, ſo habe ich mich unterſtanden, es der Frau, doch als etwas ungewiſſes zu verſtehen zu geben. Jch fragte ſie, ob ſie in ſolchem Falle Sie und Jhre Bedienten, nebſt Jhrer Gemahlin und deren Bedienten beherbergen koͤnnte? Sie ſagte: Ja! und ſie wuͤnſchtte daß Sie verheyra - thet ſeyn moͤchten. Denn ſie pflegte ſich ſonſt ei - niges Bedencken zu machen, lediges Frauenzimmer einzunehmen, welches zwar hier wegfiele, weil ich ihr ſo vieles zum Ruhm dieſer Perſon erzaͤhlete.

Sollte keine von dieſen Miethen anſtaͤndig ſeyn, ſo verſpreche ich bey nahe gewiß, daß ſich auf Ha - nover-Squaͤre, Soho-Squaͤre, Golden-Squaͤre, oder nahe bey Grosvenor-Squaͤre, artige Woh - nungen finden ſollen. Meine Frau, meine Schwe - ſter und ich ſelbſt ſind erboͤtig, dieſes Frauenzimmernebſt293nebſt Jhnen, wenn Sie bereits durch ſie gluͤcklich gemacht ſind, zu Urbridge ſo gut wir koͤnnen zu bewirthen, bis ſich eine Gelegenheit findet.

Jch muß noch melden, daß die Zimmer bey dem Kauffmann, bey der Witwe, und die in Cecil - Street den naͤchſten Tag nachdem ſie gemiethet ſind bezogen werden koͤnnen.

Jch verbleibe Eurer Hochwohlgebohrnen gehorſamſter Diener und ergebenſter Freund. Thomas Dolemann.

Sie werden leicht errathen, welche Miethe ich waͤhlete. Um ihn aber in einer ſo wichtigen Sache, dabey ich nicht allzuſorgfaͤltig ſeyn kann, auszu - forſchen; ſtellete ich mich, als wenn ich am meiſten Neigung zu der Miethe in Norfolck-Street haͤtte, und als wenn mir eben das gefiele, was Dole - mann fuͤr einen Einwurf anſahe, nehmlich, daß dieſes Haus nahe bey einer ſo wohl eingerichteten Stadt, als London ſeyn ſoll, laͤge. Mir wuͤrde in der That ein Haus mitten in London nicht unan - genehm geweſen ſeyn; weil ich allzuviel von den un - erlaubten Freyheiten gehoͤrt habe, die man ſich bis - weilen in Weſtmuͤnſter herauszunehmen pflegt. Bald bekam ich dem Anſchein nach Luſt zu Cecil - Street, bald zu des Kauffmanns Hauſe. Allein er ließ ſich nicht mercken, daß er eine Wohnung der andern vorzog. Als ich ihn um ſeine Meinung von dem Hauſe der Witwe fragte, ſo ſagte er: er glaubte, das Haus ſey am beſten nach meinem GeſchmackT 3und294und zu meiner Bequemlichkeit eingerichtet. Weil er aber hoffete, daß ich nicht lange in gemietheten Haͤuſern wohnen wuͤrde, ſo wuͤßte er kaum, welches Haus er dem andern vorziehen ſollte.

Jch waͤhlete hierauf das Haus der Witwe: und er hat an Herrn Dolemann geſchrieben, und von mir eine Danckſagung an ihn, ſeine Frau und Schweſter, wegen ihres guͤtigen Anerbietens be - ſtellet.

Jch bekomme das Speiſe-Zimmer, das Wohn - Zimmer mit dem Cloſet (deſſen ich mich wohl be - dienen will, wenn ich lange in dieſer Miethe bleibe) nebſt einem Zimmer fuͤr ein Cammer-Maͤdchen. Auf den Sonnabend fruͤh gedencken wir abzureiſen. Da Hannichen kranck iſt, ſo bin ich wegen eines Cammer-Maͤdchen bekuͤmmert: er meint aber ich koͤnnte eine von denen Verwantinnen der Witwe nehmen, bis ſich eine andere zeigete, die voͤllig nach meinem Sinn ſey. Sie wiſſen, daß ich nicht viel Aufwartung gebrauche.

Jetzt eben hat mir Herr Lovelace von freyen Stuͤcken fuͤnf Guineas fuͤr Hannichen gegeben, die ich beylege. Jch bitte, ſie an Hannichen zu be - ſtellen, nebſt Meldung deſſen der ſie ſchickt. Die - ſes Zeichen ſeiner Hochachtung fuͤr mich hat mir ſehr wohl gefallen. Seit dem er mir vorgeſchlagen hat, daß ich das Maͤdchen in meine Dienſte nehmen moͤchte, habe ich eine beſſere Meinung von ihm ge - faſſet.

Jch295

Jch habe eine neue Probe ſeiner Werthachtung gegen mich. Er kam zu mir und ſagte: er habe wei - ter nachgedacht, und koͤnnte es ohnmoͤglich zugeben, daß ich ohne einige Aufwartung nach London rei - ſete. Es ſchickte ſich ſelbſt um der Witwe und ih - rer beyden Baſen willen nicht, da ſich dieſe nach Herrn Dolemans Erzaͤhlung ſo artig und anſtaͤn - dig halten. Jch verlangte, daß er ſich gleich nach meiner Ankunft entfernen ſollte; und ſo wuͤrde ich ja gantz unter Fremden ſeyn. Er haͤtte darauf ge - dacht, ob ich nicht Frau Sorlings bewegen koͤnnte, daß ſie mir eine von ihren Maͤdchen oder Toͤchtern mit gaͤbe, bis ich auf andere Art verſorgt waͤre. Wenn es eine von den beyden Toͤchtern waͤre, ſo zweifele er nicht, daß die Jungfer mit Freuden die Gelegenheit ergreiffen wuͤrde, das merckwuͤrdig - ſte in der Stadt zu ſehen; und daß ſie eine anſtaͤn - dige Begleitung fuͤr mich bey oͤffentlichen Gelegen - heiten ſeyn werde.

Jch antwortete ihm, was ich ſchon ehemals geſagt hatte: ſowohl die Maͤgde als die beyden Jungfern ſchienen in der Haushaltung allzu nuͤtzlich und bey nahe unentbehrlich zu ſeyn. Es wuͤrde mir leyd ſeyn, wenn eine Pachtung, dabey ſo viel zu thun ſey, ihrer um meinetwillen entbehren ſollte. Jch wuͤr - de auch die erſte Zeit wenig darauf dencken koͤnnen, mir ein Vergnuͤgen zu machen, und wuͤrde einer Aufwartung auſſer Hauſe weniger benoͤthiget ſeyn.

Ehe wieder neue Wolcken aufſteigen, und mir die heiteren Stunden die ich jetzt habe, und ſeit meiner Entfernung von Harloweburg noch nie ſo heiter ge -T 4noſſen296noſſen habe, verdunckeln, will ich ſo gleich die Gele - genheit ergreiffen, mich zu unterzeichnen, als

Jhre nicht gantz Hoffnungs-loſe und ſtets ergebene Dienerin und Freundin Clariſſa Harlowe.

Der ſieben und dreyßigſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford.

  • Er giebt zuerſt Nachricht von ſeinem Briefe an Herrn Dolemann, den er mit Genehmhaltung der Fraͤulein geſchrieben habe, und legt eine Abſchrifft von der Ant - wort bey. Hierauf faͤhrt er alſo fort.

Die Witwe kenneſt du! ihre Baſen kenneſt du! das Haus kenneſt du auch. Haͤtte ein geſchickterer Brief geſchrieben werden koͤnnen, als Dolemanns Brief iſt? Alle Einwuͤrffe ſind zum voraus beant - wortet! Es iſt vor alle Faͤlle geſorget? Es iſt keine Luͤgen darin, die ſich nicht als Wahrheit erwei - ſen laͤßt.

Wer konnte das Lachen unterlaſſen, als mein Kind es eben ſo machte, wie ein Dechant mit ſeinem Capitel, die eine heilige Comoͤdie zu ſpielen Befehl haben und waͤhlen ſollen, was ſchon gewaͤhlt iſt; die Gott um ſeine Regierung und Geiſt anflehen. Sie uͤberlegte alle Vorſchlaͤge, um mir weiß zu machen, daß ſie Neigung zu einem der andern haͤt - te. Jhr kleines ſchelmiſches Auge warf ſie aufmich,297mich, um zu entdecken was in meinem Gemuͤthe vorging. Meine Freude war tiefer verſtecket, als daß ihr Auge ſie haͤtte entdecken koͤnnen, wenn es auch ein Sonnen-Strahl geweſen waͤre.

Das ſchoͤne Kind ſetzt nicht das geringſte Zu - trauen auf mich. Wenn ich meine Abſichten aͤndern ſolte, ſo wirſt du mich doch nie durch Vorhaltung ihres Vertrauens, das ſie auf mich und auf meine Ehre ſetzt, dazu bewegen. Soll ein ſolcher geuͤbter Kunſtverſtaͤndiger in der Kunſt verſchmitzt zu lie - ben von einem unerfahrnen Kinde uͤbervortheilet werden?

Wie ward mir? als ich ſahe, daß mein Kind ſich die ausgekuͤnſtelten Briefe ſo gefallen ließ, daß es mich um Dolemanns Brief bat, um ihn an die Fraͤulein Howe zu ſenden, damit die ihn ſich gleichfalls gefallen laſſen moͤchte.

Sind das nicht einfaͤltige Schelm-Kinder, die ſich ſo viel auf ihr eignes Urtheil verlaſſen, und den - noch mit offenen Augen Fehltritte thun! Nichts als die Erfahrung kann ihnen die Weisheit der alten Muͤtter beybringen, und ſie in den Stand ſetzen, unſere Liſt zu nichte zu machen. Alsdenn koͤnnen ſie als Caßandren ſitzen, und andern predigen, was jene ihm eben ſo wenig glauben werden, als ſie es jetzt von ihren Muͤttern annehmen, wann ih - nen ein artiger und dreiſter Kerl, (wie du einen ken - neſt) in den Weg kommt.

Aber, Belford, iſt dir das nicht auf das Hertz gefallen, daß der ſchlaue Kerl der Dolemann die Straſſe, in der die Wittwe wohnet, DoverſtreetT 5nennet?298nennet? Was meineſt du, was iſt der Endzweck hievon? Jn Ewigkeit wirſt du den nicht errathen; ich will dir die Muͤhe nicht einmahl machen. Wie, wenn eine allzudienſtfertige Freundin ſich nach Do - ver-Street erkundigte, um mehr Nachricht von der Witwe einzuziehen, (Die Fraͤulein Howe iſt ſo liſtig als der Teufel, und nicht weniger geſchaͤf - tig als dieſer boͤſe Geiſt, und es findet ſich weder ein ſolcher Nahme noch ein ſolches Haus in der Straſſe; wird nicht der beſte Spuͤr-Hund die Spur verlieren?

Allein du fragſt mich: wie willſt du es anfan - gen, Lovelace, daß die Fraͤulein dich nicht haſſet, und noch mehreren Verdacht auf dich wirfft, wenn ſie erfaͤhrt, daß ſie in einer andern Straſſe iſt.

Dafuͤr ſey unbeſorgt. Jch will ihr das ſchon verbergen: oder wir werden uns um die Zeit beſſer verſtehen: oder, wenn wir uns nicht beſſer verſte - hen, ſo ſoll ſie ſoviel von mir wiſſen, daß ſie ſolche Kleinigkeiten von Suͤnden nicht mehr auſmutzet.

Allein wie willſt du die Fraͤulein hindern, daß ſie der Howe nicht den rechten Nahmen ſchreibt?

Wie? muß ſie nicht den Nahmen erſt ſelbſt wiſ - ſen, ehe ſie ihn ſchreiben kann? Biſt du nicht ein Schlaraffe?

Wie willſt du es aber machen, daß ſie den Nah - men der Straſſe nicht erfaͤhrt; und daß ihre Freun - din die Briefe nicht in das Haus ſchicket, welches eben ſo ſchlimm ſeyn wuͤrde, als wenn ſie den Nah - men ſelbſt wuͤſte?

Laß mich ſelbſt dafuͤr ſorgen.

Du299

Du machſt mir noch den Einwurff: Dolemann ſey nicht geſchickt einen ſolchen Brief zu ſchreiben. Kannſt du denn nicht dencken, daß ich ihm die Muͤhe erſpart, und da ich London ſo gut kenne ei - nen Brief vorgeſchrieben habe, den er abſchreiben mußte?

Was ſagſt du nun von mir, Belford?

Was meineſt du, wenn ich dir das Amt, dich nach Zimmern zu erkundigen, zu Anfang zuge - dacht habe? und die Fraͤulein hat dich verworfen? ohne eintzige Urſache verworfen, als weil ich dich werth ſchaͤtze? Was ſagſt du nun von der Fraͤulein?

Nie muß es einem an Gelegenheit, an Raͤncken mangeln. Was fuͤr ein Ober-Schelm iſt dein Freund! komm Belford, ſiehe mir zu, ich will auf - ſchwellen. Jch bin ſchon ſo groß als ein Elephan - te. Habe ich nicht Urſache, dem Monde einen Stoß mit meinen Ruͤſſel zu geben? Gott erbarme ſich ſeiner armſeeligen Geſchoͤpfe. Wundre dich nicht, wenn ich dich von Hertzen verachte; denn wer ſich ſelbſt recht erhoͤhen will, der muß andere nothwendig verachten.

Davon, daß Dolemann einen Winck in dem Hauſe der Witwe gegeben hat, als waͤren wir verheyrathet, will ich guten Gebrauch machen. Jch will dir aber nicht alles auf einmahl erzaͤhlen; und ich habe dieſes Stuͤck noch nicht genug durchge - dacht. Wenn man ſich nach den Bewegungen ei - nes wachſamen Feindes richten muß, ſo kann man nicht zum voraus ſagen, was man thun wird.

Die300

Die Witwe Sinclair! Sagteſt du nicht ſo, Lovelace!

Ja Bruder: Sinclair! Behalte den Nah - men. Sinclair: ſo ſoll ſie heiſſen. Sie hat keinen andern Nahmen. Weil ihre Bildung maͤnn - lich und ſtarck iſt, ſo will ich ſie fuͤr eine aus dem Hochlande ausgeben. Jhr Mann, der ſeelige O - briſte (behalte das auch) war ein Schotte: ein ehrlicher Mann und ein tapferer Soldat.

Jch vergeſſe die Kleinigkeiten niemahls. Wenn man bey Unwahrheiten, an denen der andere Zwei - fel bekommen koͤnnte, zum voraus die Kleinigkeiten wohl durchgedacht hat, und bey einerley Rede blei - bet; ſo hilft das mehr als tauſend Schwuͤre oder Geluͤbde, dadurch der Unachtſame ſeine Fehler erſe - tzen will, und die nichts helfen, wenn einmahl der Verdacht erreget iſt.

Wenn du die Haͤlfte von dem wuͤßteſt, was mei - ne Vorſicht beſchloſſen hat, ſo wuͤrdeſt du dich wundern. Hoͤre nur eins. Jch habe ſchon ein Ver - zeichniß von Buͤchern nach London geſchickt, welche meiſtentheils alt gekauft werden ſollen. Du weißt, daß alles Frauenzimmer in dem Hauſe beleſen iſt. Doch ich will nichts vorher ſagen. Es laͤßt auch, als wollte ich meinem alten Freunde, dem Zufall, der mir ſo oft beygeſtanden hat, keine Arbeit uͤber - laſſen: er hat dieſes nicht um mich verdient, um mich am wenigſten, der ich alle Zufaͤlle zu gebrau - chen weiß.

Der301

Der acht und dreißigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch muß Jhnen etwas berichten, daran Jhnen ſehr viel gelegen iſt.

Nachdem Jhr Bruder mit Gewißheit erfahren hat, daß Sie noch nicht getrauet ſind; ſo hat er ſich vorgenommen, Sie auszukundſchaften, Jhnen aufzulauren, und Sie mit Gewalt zu entfuͤhren. Ein guter Freund von ihm, der ein Schiff-Capi - tain iſt, ſoll Sie an Bord nehmen und mit Jhnen davon ſeegeln, um Sie zu Leith oder zu Hull an das Land zu ſetzen, damit Sie auf eines der Haͤu - ſer Jhres Bruders gebracht werden koͤnnen.

Die Jhrigen ſind ſehr gottlos. Jhre bekannte Tugend hindert ſie nicht, den allerſchlimmſten Ver - dacht von Jhnen zu faſſen. Wenn ſie aber von dem Ungrunde dieſes Verdachtes uͤberzeuget ſeyn koͤnnen, ſo wollen ſie Sie verbergen, bis ſie Sie als Frau Solmes der Welt zeigen koͤnnen. Um aber Herrn Lovelacen beyde Haͤnde voll zu thun zu ge - ben, ſoll ihm wegen eines Verbrechens, davon ſie et - was wiſſen wollen, ein Proceß an den Hals gewor - fen werden, der ihn zum wenigſten aus dem Lande treibet, wenn er ihm nicht das Leben koſtet.

Dieſe Neuigkeit iſt noch gantz warm. Jhre Schweſter erzaͤhlte ſie mit groſſem Frohlocken uͤber Lovelacen der Fraͤulein Lloyd, die jetzt ſehr wohlbey302bey ihr angeſchrieben iſt, ob ſie gleich eine eben ſo groſſe Anbeterin von Jhnen bleibt, als ſie ſonſt gewe - ſen iſt. Die Fraͤulein Lloyd erzaͤhlte es mir, aus Beyſorge, daß Ungluͤck daraus entſtehen koͤnnte, und bat mich, Jhnen insgeheim Nachricht davon zu ge - ben. Sonſten wuͤrde weder ſie noch ich uns die Au - gen ausweinen, wenn Lovelace mit guter Manier an den Galgen kaͤme: falls nehmlich Sie nichts da - gegen einzuwenden haben. Wir koͤnnen aber nicht anſehen, daß ein ſo unvergleichliches Gemuͤth gleich - ſam der Ball ſolcher Haͤnde werden ſoll; oder daß Sie gar aufgefangen und der Barmhertzigkeit der unbarmhertzigſten Leute Preis gegeben werden ſollen.

Wenn Sie ſo viel uͤber Herr Lovelacen zu ſa - gen haben, daß er in Schrancken bleibt, ſo wuͤnſchte ich, daß Sie ihm, ohne die Fraͤulein Lloyd zu nen - nen, einige Nachricht geben moͤchten. Vielleicht erfaͤhrt er es auch durch ſeinen gottloſen Spion. Jch uͤberlaſſe aber alles Jhrem eigenen Gutbefinden. Jch befuͤrchte nur, daß dieſer tollkuͤhne Anſchlag Jh - res Bruders Sie noch mehr in Lovelaces Gewalt liefert. Da meine Nachricht Sie aber uͤberzeuget, daß keine Hoffnung zur Verſoͤhnung uͤbrig iſt, ſo wuͤnſchte ich, Sie verheyrathet zu ſehen, es mag je - nes Verbrechen ſeyn was es will, Mord und Noth - zucht ausgenommen.

Jhre Hannichen iſt ſehr danckbar fuͤr Jhre Guͤ - tigkeit geweſen, und hat Jhnen tauſendfachen See - gen gewuͤnſcht. Sie hat nun auch Herrn Lovela - ces Geſchenck bekommen.

Jch303

Jch bin recht vergnuͤgt uͤber Herrn Hickmann. Er hat der Perſon, die Herrn Lovelaces fuͤnf Gui - neas uͤberbrachte, noch zwey Guineas mitgegeben, die als von einem Unbekannten beſtellet ſind. Auch ſoll weder ich noch Sie davon wiſſen. Die Art das Geſchenck zu geben gefaͤllt mir beſſer als das Geſchenck ſelbſt. Er erzeiget mehr dergleichen Wohl - thaten, und iſt dabey ſo verſchwiegen als die Nacht: niemand erfaͤhrt etwas davon, bis die Danckbar - keit derer ihn verraͤth, welche die Wohlthat genoſ - ſen haben. Er theilt bisweilen meine Almoſen aus, und ich glaube, daß er ſie insgeheim vermehret.

Allein die Zeit iſt noch nicht gekommen, da ſein Gutes gelobet werden ſoll: und er ſcheint auch nicht noͤthig zu haben, daß er durch Lobes-Erhebungen aufgemuntert werde, Gutes zu thun.

Sein Hertz iſt in der That gut: und es waͤre unbarmhertzig gehandelt, wenn man von einem ein - tzigen alle gute Eigenſchaften fodern wollte. Allein er handelt nicht klug fuͤr ſich, daß er ſich meinetwe - gen Muͤhe giebt, da er ſiehet, wie veraͤchtlich mir alle Manns-Perſonen ſind, daher ich eine jede Manns - Perſon von mittelmaͤßigen Eigenſchaften nur zu meinem Zeit-Vertreib gebrauchen werde, nicht zu gedencken, daß er ſelbſt ſich zu der laͤcherlichen Per - ſon macht, weil er ſeine Sache ſo wunderlich anfaͤngt. Unſere Zuneigung und Abneigung pflegt ſelten ver - nuͤnftig zu ſeyn, und auf unſere wahre Gluͤckſeelig - keit abzuzielen. Die leichtfertigen Augen haben ein all zu genaues Buͤndniß mit dem Hertzen, und dieſes Buͤndniß ſcheint bey nahe gegen die Vernunftgemacht304gemacht zu ſeyn. Wie ungleich wuͤrde eine Ver - bindung zwiſchen Leib und Geiſt ſeyn? Alles was ſinnlich iſt macht, eben wie die Leute zu Harlowe - Burg, eine Verſchwoͤrung wider den edlern Theil, der dem uͤbrigen zur Ehre gereichen und ihn beſeelen wuͤrde, wenn ihm ſeine rechtmaͤßigen Vorzuͤge nicht ſtreitig gemacht wuͤrden.

Erlauben Sie mir, daß ich Jhnen vor Jhrer Abreiſe nach London 48. Guineas uͤberſenden darf. Jch habe dieſe Zahl aus Gefaͤlligkeit gegen Sie ge - waͤhlet: ich rechne alsdenn die 2. Guineas fuͤr Hannichen an, ſo ſind Sie mir gerade funfzig ſchul - dig. Jch hoffe, daß dieſe Bitte nicht fruchtlos bey Jhnen ſeyn wird. Sie wiſſen, daß ich das Geld nicht brauche: daß ich mehr als noch einmahl ſo viel vorraͤthig habe, und alſo um die Haͤlfte mehr als meine Mutter weiß. Was werden Sie mit ſo wenigem Gelde in einer ſolchen Stadt als London iſt anfangen koͤnnen? Sie bedencken nicht, daß Sie geheime Boten und Nachrichten gebrauchen koͤnnen. Wenn Sie mir dieſe Gefaͤlligkeit nicht erzeigen, ſo glaube ich nicht, daß Sie ſo demuͤthig geworden ſind, als Sie ſich in Jhrem Briefe be - ſchreiben, und zum wenigſten in dieſem Stuͤcke ſeyn ſollten.

Was meine und meiner Mutter Umſtaͤnde an - langet, ſo wiſſen Sie ſchon, daß meine Mutter we - der in ihrem Streit noch Freundſchaft Maaße zu halten weiß. Sie denckt nie daran, daß ich ihre Tochter bin. Doch nein! Jch bin meines Vaters Tochter.

Die305

Die Heftigkeit meines Vaters iſt ihr ſo empfind - lich geweſen, daß ſie noch jetzt daran gedenckt, nach - dem ſie alle ehemahlige Liebe und Zaͤrtlichkeit laͤng - ſtens vergeſſen zu haben ſcheinet. Sollten nicht manche Toͤchter glauben, daß ihren Muͤttern das Gebot des Gehorſams ſehr unertraͤglich geweſen ſey, wenn ſie aller Gelegenheit wahrnehmen, ihre Herrſchaft uͤber ihre Kinder zu zeigen, und nachdem ſie lange Witwen ſind, es bedauren, daß ſie ihre Maͤnner nicht eben ſo beherrſchet haben?

Wenn es ſich fuͤr mich nicht allzu wohl ſchicket, dergleichen Ausdruͤcke von meiner Mutter zu ge - brauchen, ſo wird doch meine Suͤnde durch meine zaͤrtliche Liebe und beſtaͤndige Ehrfurcht gegen mei - nen Vater verringert werden. Er war fuͤr mich ein guͤtiger Vater: und vielleicht waͤre er auch ein freundlicher und leutſeeliger Ehemann geweſen, wenn meine Mutter nicht mehr von ſeinem Geiſte gehabt haͤtte, als zu einer vergnuͤgten Verbindung zwiſchen ihnen noͤthig war.

Es war ein Ungluͤck, daß, ſobald der eine Theil verdrießlich war, der andere auch ſogleich verdrieß - lich ward. Sonſt hatte keiner von beyden ein ſchlim - meres Hertz als der andere. Jndeſſen, ob ich gleich nur ein kleines Maͤdchen war, als mein Vater ſtarb, ſo kam es mir doch niemahls vor, daß das Joch meiner Mutter ſo beſchwerlich geweſen ſey, als ſie mir es bisweilen vorzuſtellen pflegt, wenn ſie mir vorwirft, daß ich nicht ihre, ſondern meines Va - ters Tochter ſey. Jch habe oft bey mir ſelbſt gedacht: wenn Eltern von ihren Kindern eine un -Dritter Theil. Ugetheilte306theilte Liebe fodern, ſo ſollten ſie mit der aͤuſerſten Sorgfalt dergleichen fortdaurenden Zwieſpalt zu vermeiden ſuchen, der ihre Kinder zwinget, ihre Ehr - furcht und Liebe zu theilen, und einen von beyden auszuwaͤhlen, dem ſie dieſe natuͤrlichen und uner - laͤßlichen Pflichten erzeigen wollen.

Allein die Urſache alles Ungluͤcks iſt dieſe: meine Mutter iſt eine unvergleichliche Haushaͤlterin, und recht dazu gebohren etwas auszurichten: eine mun - tere und aufmerckſame Frau aber wird ſich nicht gern ſo viel einreden laſſen, als eine Schlaf-Muͤtze. Dieſe iſt ſich bewuſt, daß ihr vieles zu gute gehal - ten werden muß: allein jene weiß gar zu viel von ihrer Geſchicklichkeit und guten Eigenſchaften, als daß ſie von jemand auſſer ſich eine gute Meinung haben ſollte. Eine jede hat ihren Wurm: und den gewiß. Weil ſie ſieht, daß ſie in der Haushaltung brauchbar iſt, ſo will ſie noch mehr als brauchbar ſeyn.

Jch verſichere Jhnen, wenn ich eine Manns - Perſon waͤre, und ruhig zu leben wuͤnſchte, ſo wollte ich keine von den klugen Haushaͤlterinnen nehmen, wenn ſie auch guͤldene Eyer legen koͤnnte. Wenn ich von meiner Geliebten hoͤrete, daß ſie nach dem Urtheil der Leute Verſtand haͤtte, und auf alles merckte, ſo wollte ich mich zufoͤrderſt erkundigen, ob ſie Verſtand nach Art der Frauenzimmer oder der Manns-Leute habe. Wenn ich ein ſchlaf-truncke - ner traͤger Schweimeler waͤre, der vielleicht ſeines Verwalters Bauer werden koͤnnte: ſo wollte ich mir eine Parthey ausſuchen, vor der ſich mein Verwal - ter fuͤrchten muͤßte.

Jch307

Jch will jetzt an meine Mutter nicht gebencken, weil ſie meine Mutter iſt. Allein wie viel Vorzuͤge vor anderen Frauenzimmer bildet ſich die Lady Hart - ley ein, weil ſie ſich auf Geſchaͤfte verſtehet, die das Frauenzimmer gar nicht angehen! Auf ſolche Ge - ſchaͤfte, ſage ich, die einem Frauenzimmer nie Ehre bringen koͤnnen! denn ob es gleich keine Schande iſt, wenn wir etwas davon verſtehen, ſo iſt es doch keine Ehre fuͤr uns, wenn wir uns darein mengen.

Mich duͤnckt uͤberhaupt, daß ein allzu maͤnnli - ches Frauenzimmer ein Widerſpruch iſt, der wenig Liebe verdienet. Waͤre ich eine Manns-Perſon, ſo wollte ich mir lieber eine einfaͤltige Taube aus - ſuchen, die zu Neſte gehet und bruͤtet, als eine allzu geſchaͤftige Frau (vielleicht gebe ich mir ſelbſt den Korb) die meinen Bedienten ſtets alle Haͤnde voll zu thun gaͤbe, und mit dem Beſen in der Hand mir ſelbſt bey nahe zu drohen ſchie - ne, daß ſie mich als einen unnoͤthigen Hausrath aus dem Hauſe kehren wolle.

Wenn die Frau im Hauſe die Eigenſchaften an ſich haͤtte, die ich an einem gewiſſen unvergleichlichen Frauenzimmer ſo ſehr bewundern muß; wenn ſie ſich ihre Graͤntzen zu ſetzen weiß, und bey Nadel, Feder, Rechnungen und Haushaltungs-Sachen bleibt; wenn ſie ſich ein Vergnuͤgen daraus macht, zu ſehen, wie die Armen von dem Ueberfluß geſaͤt - tiget werden, der ſonſt umkommen wuͤrde; wenn ſie ſich mit allen nuͤtzlichen Sorgen der Haushaltung zu thun macht: ſo wuͤrde ſie Liebe und Ehrerbietung verdienen, ſie wuͤrde das vornehmſte Trieb-Rad derU 2Familie308Familie ſeyn, (dencken Sie ja nicht hiebey an Jhre Anna Howe. Sie moͤgen noch ſo guͤtig gegen dieſe geſinnet ſeyn, ſo iſt ſie doch die Perſon gar nicht, die ich hier beſchreibe) jedermann wuͤrde ſie lieben, ſo wie jedermann Sie liebete, ehe Jhr un - gerathener Bruder, der ſich auf ſeinen unverdienten Reichthum viel einbildete, das oberſte in Jhrem Hauſe zu unterſt kehrete.

Sie wollen genauere Nachricht von meinem Streit mit meiner Mutter haben, weil Sie wiſſen, daß Jhre Sache die Gelegenheit dazu geweſen iſt. Jch kann demnach nicht unterlaſſen, Jhnen einige Nachricht zu geben. Wie kann ich aber dieſes thun? Die Backen werden mir von Scham und Verdruß roth, wenn ich daran gedencke. Meine Mutter hat mich ſo zu reden geſchlagen. Es iſt die reine Wahrheit. Sie unterſtand ſich, mich auf die Hand zu ſchlagen, um ein Blat des Briefes zu bekommen, den ich an Sie ſchrieb, welches ich zerriß, und in ihrer Gegenwart verbrannte.

Jch weiß, daß dieſe Nachricht Jhnen Unruhe machen wird. Machen Sie ſich alſo nur nicht die Muͤhe, mir Jhre Unruhe zu melden.

Herr Hickmann kam gleich nachher in unſer Haus: ich wollte ihn aber nicht ſprechen, ſondern ſagte meiner Mutter: ich ſey entweder ſo weit er - wachſen, daß ich mich mit Schlaͤgen nicht vertragen koͤnnte; oder ich ſey ein Kind, welches noch keine Anbeter haben muͤßte. Was kann man weiter thun, als muͤrriſch ſeyn, wenn man keinen Finger aufhe - ben darf, ohne eine Tod-Suͤnde zu begehen?

Sie309

Sie nahm die Harlowiſche Sprache an, und ſagte, ich ſollte und muͤßte ihr gehorchen. Sie wollte ſelbſt Herrn Hickmann das Haus verbie - ten, wenn er der Brieftraͤger bey einem verbotenen Brief-Wechſel waͤre.

Der arme Menſch hat uͤble Zeit bey uns. Je - doch er weiß wie er mit meiner Mutter, und er weiß nicht wie er mit mir ſtehet: daher kann er, ohne ſich lange zu bedencken, waͤhlen, mit wem er es hal - ten muß, wenn er auch nicht aus eigenem Triebe begie〈…〉〈…〉 ig waͤre Jhnen zu dienen, das ich ihm doch nach〈…〉〈…〉 hmen muß. Dieſes giebt ihm in meinen Auge[n]einen Werth, den er ſonſt ohngeachtet aller ſeiner guten Eigenſchaften nie erhalten wuͤrde. Dem wenn ich gleich ſonſt noch ſo viele Fehler habe, ſo weiß ich doch, ohne mich zu erheben, daß ich die guten Eigenſchaften, die ich vorhin an ihm lobete, auch beſitze: deſto eher koͤnnte er ihrer entbehren, wenn wir ein Paar werden ſollen. Wenn jemand eine gitige und freygebige Frau hat, und nur ſelbſt kein Knicker iſt, und ſie nicht abhaͤlt gutes zu thun; ſo ge[ſ]chiehet ſchon genug. Hat ein freygebiger Mann eine gute Haushaͤlterin, ſo iſt es fuͤr beyde am beſten. Denn wenn beyde Theile geben und ſchen - cken, und ſich doch einander nicht ſo wohl verſtehen, daß der eine um die Wohlthaten des andern Theils weiß, ſo werden ſie ſo viel verſchencken, daß die Ge - rechtigkeit darunter leiden wird. Sind das nicht Saͤtze aus der ſtrengſten Haushaltungs-Weisheit? Sie ſind aber in der That die Mittel-Straſſe, zwi - ſchen der uͤbertriebenen Weisheit meiner MutterU 3und310und Jhrer uneingeſchraͤnckten Menſchen-Liebe. Doch ich ſoll den Lehr-Stuhl verlaſſen, und von dem etwas melden, was in unſerm Hauſe vorgefallen iſt.

Jch ſchloß mich den gantzen Tag ein: und was ich von Speiſe koſtete, das mußte auf meine Stube gebracht werden. Des Abends ließ meine Mutter mir durch Kitty ſagen, ich ſollte zum Abend-eſſen hinunter kommen, oder ſie wuͤrde es fuͤr einen unge - horſam anſehen. Jch ging hinunter, und ſuchte alle meine Ehre darin, daß ich muͤrriſch war. Jch redete ſchon viel, wenn mir Ja und Nein en〈…〉〈…〉 fiel.

Sie ſagte: mit einer ſolchen Auffuͤhrung wuͤrde ich wenig bey ihr ausrichten.

Jch: und ſie wenig bey mir mit Schlaͤger.

Sie ſagte: meine dreiſte Widerſetzung haͤte ſie ſo verdroſſen, daß ſie mich auf die Hand geſchagen haͤtte. Es thaͤte ihr leid, daß ich ſie dazu ge - zwungen haͤtte. Sie drang von neuen darauf, ich ſollte entweder gar nicht an Sie ſchreiben, oder ich ſollte ihr alle Briefe zeigen.

Keins von beyden! (antwortete ich.) Eſwuͤr - de wider meine Ehre und Neigung ſeyn, auf An - ſtiften niedertraͤchtiger Leute meiner beſten Freundin in ihrem Ungluͤck die Freundſchaft aufzukuͤndigen.

Was eine Mutter von Gehorſam, Pflicht, Kindern, Muͤttern, predigen kann, das kam alles zum Vorſchein.

Jch antwortete: wenn ich Sie ungluͤcklich nen - nen ſollen, ſo ſey die eintzige Urſache Jhres Ungluͤcks, daß man die kindliche Pflicht allzu weit ausgedaͤh - net haͤtte. Wenn ich ſo fern erwachſen waͤre, daßſie311ſie auf meine Verheyrathung dencken koͤnnte, ſo muͤßte ſie mir auch ſo viel Verſtand zutrauen, daß ich meine Freundſchaften waͤhlen koͤnnte. Das muͤſſe inſonderheit in Abſicht auf ein ſolches Frau - enzimmer gelten, deſſen Freundſchaft ſie ſelbſt fuͤr die nuͤtzlichſte und anſtaͤndigſte unter allen gehalten haͤtte, ehe dieſes Frauenzimmer ohne Verſchulden ungluͤcklich geworden waͤre.

Je groͤſſer der vorige Ruhm ſey, (ſagte ſie) deſto aͤrgerlicher ſey die Vergehung. Je kluͤger Sie waͤ - ren, deſto ſchaͤdlicher ſey Jhr Exempel.

Jch ſagte: es gebe noch andere Pflichten auſſer der Pflicht der Kinder gegen die Eltern; und ich glaubte nicht, daß ich ſchuldig waͤre, eine ungluͤck - liche Freundin zu verlaſſen, weil es die Uhrheber ihres Ungluͤcks verlangeten. Es waͤre ſehr hart, wenn dieſes ein Stuͤck meiner kindlichen Pflicht ſeyn ſollte, da doch beyderley Arten von Pflichten wohl mit einander beſtehen koͤnnten. Unbillige Be - fehle und Verbote waͤren eine Art der Tyranney: ich muͤßte ihr dieſes frey ſagen, wenn ſie mich gleich noch einmahl deswegen ſchlagen wollte. Jch haͤtte nie gedacht, daß man mir in dieſen Jahren verbie - ten wuͤrde einigen Willen und freye Wahl zu ha - ben, mit was vor Frauenzimmer ich umgehen ſollte: denn von den verdammten Manns-Leuten ſey jetzt im geringſten die Rede nicht.

Das wichtigſte, was ſie vorbringen konnte, gruͤn - dete ſich darauf, daß ich ihr nicht alle unſere Brieffe zeigen wollte. Sie machte viel Weſens hieruͤber, und ſagte: Sie befaͤnden ſich in der Gewalt desU 4groͤſ -312groͤſſeſten Schelms, der in der Welt ſeyn koͤnnte, und der ſich uͤber Herrn Hickmann nicht wenig aufgehalten haͤtte: aus meinem Brief-Wechſel koͤnnten alſo Folgen entſtehen, die weder Sie noch ich vorher ſehen koͤnnten.

Sie ſehen, daß ich um Herr Hickmanns wil - len mehr eingeſchraͤnckt werde. Jch haͤtte nichts dawider meiner Mutter alle unſere Briefe zu zei - gen: wenn ich nicht zum voraus wuͤßte, daß wir bey - derſeits uns alsdenn nicht unterſtehen duͤrften, ſo frey von dem Hertzen wegzuſchreiben. Sie iſt uͤber dieſes Jhren Widerſachern ſo ſehr zugethan, daß ich nichts als Folgerungen, weit geholte Schluͤſſe, Cantzelmaͤßige Auslegungen und Anmerckungen wuͤrde anhoͤren, und mich daruͤber zancken muͤſſen.

Es ſollte mir endlich ſehr leid thun, wenn ich ihr erzaͤhlen muͤßte, wie ſehr Herr Lovelace ein Frau - enzimmer uͤberliſtiget hat, das ſo viele Vorzuͤge vor ihm beſitzet.

Jch kenne Jhr edles und grosmuͤthiges Hertz, welches zur Eigen-Liebe allzu erhaben iſt: es ahndet mir ſchon was Sie ſchreiben wollen. Allein ich bitte Sie, rathen Sie mir nicht an, meinen Brief - Wechſel mit Jhnen aufzugeben.

So bald unſer Streit geendiget war, bot mir Herr Hickmann von neuen ſeine Dienſte an, und aus meinem letzten Briefe werden Sie erſehen ha - ben, daß ich ſie angenommen habe. So viel Ehrer - bietung er gegen meine Mutter hat, ſo glaubt er den - noch, daß ſie zu hart gegen uns beyde ſey. Er bil - ligte nicht allein mit einer Mine, die mir ein wenigzu313zu lehrreich zu ſeyn ſchiene, unſern Brief-Wechſel, ſondern bewunderte auch meine Beſtaͤndigkeit in der Freundſchaft. Weil er ſie ungemein hoch ſchaͤ - tzet, und von Herrn Lovelace eine ſehr ſchlechte Meinung hat, ſo glaubt er, daß mein Rath und Nachrichten Jhnen bisweilen nuͤtzlich ſeyn koͤnnen: deswegen, ſagt er, ſollte es ihm ſehr leid thun, wenn Sie meiner Zuſchriften entbehren muͤſten.

Die Haupt-Sache von dem, was Herr Hick - mann ſagte, gefiel mir wohl; und das war gewiß ſein Gluͤck: denn ſonſt wuͤrde mir das ſehr misfaͤllig geweſen ſeyn, was er ſich unterſtand von billigen zu ſagen. Jch habe ihm noch nie erlaubt, dieſe Sprache gegen mich zu gebrauchen. Sie ſehen, mein Schatz, wie die Manns-Leute ſind: giebt man ihnen die Erlaubniß uns einige angenehme Dienſte zu thun, ſo unterſtehen ſie ſich gleich, unſere Hand - lungen zu billigen, gerade als wenn ſie ein Recht haͤtten, ſie auch bisweilen zu misbilligen.

Jch habe meiner Mutter geſagt, daß Sie eine Verſoͤhnung mit den Jhrigen hertzlich wuͤnſchten, und von Herrn Lovelace vollkommen frey waͤren.

Sie antwortete: bedencke wohl, meine Tochter, was der Endzweck dieſes Vorgebens ſeyn kann. Wegen einer Ausſoͤhnung meint ſie ſo viel Nach - richt zu haben, daß ſie ohnmoͤglich ſeyn wuͤrde, wenn Sie nicht ohne einige Bedingungen zu ma - chen nach Jhres Vaters Haus zuruͤck kehren. Sie haͤlt dieſes vor billig, und meint, daß man hieraus am ſicherſten ſchlieſſen koͤnne, daß Sie in keiner Ver - bindung mit Herrn Lovelace ſtehe. Sie ſtehenU 5hieraus314hieraus, was nach meiner Mutter Meinung ihre Pflicht iſt.

Jch erwarte, daß ihr naͤchſter Brief zu London geſchrieben ſeyn, und in Herrn Hickmanns Hauſe abgegeben werde. Mein Wunſch iſt dabey, daß der Himmel Sie bewahren wolle.

Jch kann nicht begreiffen, wie Sie es in Abſicht auf die Kleidung machen, weil Sie gar nicht um - wechſeln koͤnnen. Es iſt zu verwundern, warum die Jhrigen Jhnen hierin Ungelegenheit machen. Sie zwingen Sie gleichſam wider Jhren Wil - len in Lovelacens Arme.

Jch uͤberſchicke dieſen Brief durch unſern Ro - bert, damit er deſto eher in Jhre Haͤnde kommen moͤge. Bey dem Beſchluß wiederhole ich noch - mahls mein ehemahls verſchmaͤhetes Anerbieten. Hoͤren Sie nie auf mich zu halten fuͤr

Jhre ergebenſte und getreue Anna Howe.

Der neun und dreißigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch wuͤrde nicht werth ſeyn, Jhre Freundin zu heiſſen, wenn mich mein eigenes ſchweres Un - gluͤck ſo uͤbertaͤubete, daß ich meiner liebenswuͤrdigen Freundin nicht meldete, wie ſehr ich ihre Auffuͤh -rung315rung misbillige, da ihr edles Hertz ſie zu einer ſol - chen Vergehung verleitet hat, die ſie vielleicht des - wegen nicht fuͤr eine Vergehung erkennet, weil es eine ſo edle Vergehung iſt. Niemand hat mehr Grund als ich, dieſe Uebereilung zu bereuen, weil ich die ungluͤckliche Urſache davon bin.

Sie ſchreiben: Sie wuͤßten zum voraus, daß mich dieſe Nachricht beunruhigen wuͤrde. Sie wollen mich deswegen der Muͤhe uͤberheben, Jh - nen Nachricht von meiner Unruhe zu geben.

Sonſt waren Sie nicht gewohnt, mit dergleichen Verbote zum voraus zu geben, ſondern ſagten viel - mehr: Sie liebeten mich deſtomehr, weil ich Jhnen Jhre Hitze zuweilen verwieſe, von der Sie ſelbſt ein - ſahen, daß Sie Urſache haͤtten ſich davor als vor einem gefaͤhrlichen Feinde zu huͤten. Wenn ich aber gleich auf eine ſo ungluͤckliche Weiſe gefallen bin, ſo glaube ich dennoch, daß meine Urtheile, (wenn ſie anders jemahls geſund geweſen ſind) noch eben ſo geſund ſind als ehemahls, weil ſie gegen mich nicht gelinder ſind als gegen andere. Da meine Suͤnde gleichſam anſteckend iſt, und auch Sie zu einem verbotenen Brief-Wechſel verleitet, und da alle uͤble Folgen Jhres Ungehorſams meine Suͤnde nur ſchwerer machen wuͤrden: ſo bin ich ja ſchuldig, Jh - nen mein Misfallen zu erkennen zu geben.

Ein ſolches Gemuͤth, als das Jhrige iſt, das ſich einer ſo unveraͤnderlichen Freundſchaft ruͤhmen kann, einer Freundſchaft, die durch Zufaͤlle und Ungluͤck nicht ab, ſondern zunimmt, kann die wohl - gemeinten Erinnerungen der allerbeſten Freundinohnmoͤg -316ohnmoͤglich uͤbel nehmen. Jch will mich desfals wegen der Freyheit, die ich mir nehme, nicht ent - ſchuldigen; ja ich brauche mich auch nicht zu ent - ſchuldigen. Denn meine Erinnerung iſt ſo von allem Schein des Eigennutzes entfernet, daß Sie mich vielmehr des einzigen Troſtes beraubet, den ich bisher genoſſen habe.

Jhr muͤrriſches Betragen gegen Jhre Mutter, das Sie ſelbſt nicht leugnen; daß Sie ihr einen Brief aus der Hand geriſſen haben, welchen zu ſehen Sie ihrer Meinung nach berechtiget war; daß Sie ihn vor ihren Augen verbrannt haben; daß Sie ſich wegern, einen Herrn zu ſprechen, der aus Geneigt - heit gegen ihre ungluͤckliche Freundin Jhnen ſo ge - horſam geweſen iſt, blos damit Sie Jhrer Frau Mutter Verdruß machen moͤchten: alles dieſes ſind Dinge, (und es iſt doch nur die Haͤlfte von dem, was an Jhrer Auffuͤhrung zu tadeln ſeyn koͤnnte) die ſchwerlich an einer Perſon zu entfchuldigen ſind, welche von ihrer Pflicht ſo vollſtaͤndig unterrichtet iſt.

Jhre Frau Mutter hatte ehemahls eine beſſere Meinung von mir: eben deswegen iſt Jhrem Ur - theil mehr zu trauen, da ſie glaubet, daß ich mich ihrer guten Meinung unwuͤrdig gemacht habe. Denn eine Zuneigung iſt ſonſt eben ſo ſchwer zu - berwinden und ein eben ſo ſtarckes Vorurtheil, als eine Abneigung. Wie ſchwartz muß ihr demnach meine Handlung vorkommen, da ſie ihr gantzes Hertz von mir abwendet, ob ſie gleich nicht ſelbſt durch meine Uebereilung beleidiget iſt?

Sie317

Sie ſagen: es waͤren auſſer der Pflicht gegen die Eltern noch andere Pflichten. Allein dieſes iſt doch die vornehmſte Pflicht, die ſo zu reden aͤlter iſt, als wir ſelbſt und als unſere Geburt. Welche Pflicht wird dieſer nicht weichen muͤſſen, wenn ein Widerſpruch der Pflichten entſtehet?

Sie glauben, daß beyde Pflichten wohl mit ein - ander beſtehen koͤnnen. Allein ihre Frau Mutter glaubt das nicht. Was wird hieraus fuͤr ein Schluß folgen.

Wie wichtige Urſachen hat Jhre Frau Mutter, uͤber Sie zu wachen, da ſie ſiehet, wie ſehr mein gu - ter Nahme durch eine unbeſonnene Handlung leidet, die ſie und andere nie von mir erwartet haͤtten. Ein Uebel pflegt das andere nach ſich zu ziehen: und weder ſie, noch ſonſt jemand kann wiſſen, wo das Ungluͤck aufhoͤren wird.

Muß man nicht entweder den Willen oder die Beurtheilungs-Krafft einer Perſon verdaͤchtig hal - ten, die offenbahre Fehler rechtfertigen oder entſchul - digen will? und ſo muß Jhre Frau Mutter Sie nothwendig anſehen. Muß ſie nicht befuͤrchten, daß ein jeder, der Luſt zu tadeln hat, ſagen wird: wer den Fehler entſchuldiget, der wuͤrde ihn in glei - chen Umſtaͤnden und bey eben den Reitzungen auch begangen haben? Jch bediene mich einiger Ausdruͤcke, die ſelbſt in Jhren ehemahligen Brief - fen befindlich ſind.

Kann ein ſtaͤrckerer Erweiß von der Wahrheit, daß die Eltern hohe Urſache haben uͤber ihre Kin - der ſehr ſorgfaͤltig zu wachen, wenn gleich jedermanndie318die beſte Meinung von der Klugheit der Toͤchter hat, gefuͤhret werden, als der iſt, der aus meinem eignen Beyſpiel fließet?

Sind nicht die Jahre von dem ſechszehenten zu dem ein und zwantzigſten die gefaͤhrlichen Jahre, die einer ſolchen Aufſicht am meiſten benoͤthiget ſind? Jn dieſen Jahren pflegen wir die Augen der Manns-Perſonen am meiſten an uns zu ziehen: und wir ſind ihren Bitten und oft ihren Verſu - chungen in der Zeit am meiſten unterworfen. Jſt nicht dieſes die Zeit, in welcher uns unſre Auffuͤh - rung Ehre oder Schande erwirbet, die uns unſer gantzes Leben hindurch nachzufolgen pfleget.

Sind wir nicht in der Zeit unſerer ſelbſt wegen in der groͤſſeſten Gefahr, weil unſere Augen einige unſerer Anbeter den andern vorzuziehen pflegen?

Wenn nun unſere Gefahr von innen und von auſſen gedoppelt iſt, ſollen nicht billig unſere Eltern ihre Sorgfalt verdoppeln? Soll uns dieſe nothwen - dige Verdoppelung ihrer Sorgfalt deswegen ver - drießlich ſeyn, weil wir erwachſen ſind?

Sagen Sie mir doch, wie groß, wie alt muß eine Tochter ſeyn, die mit Recht glauben kann, daß ſie dem Gehorſahm gegen ihre Eltern entwachſen ſey? und vor die ihre Eltern eben ſo wenig Sorge tragen ſollen, als die Thiere vor ihre erwachſene Junge tragen?

Es kommt Jhnen hart vor, daß Jhre Frau Mutter mit Jhnen umgehet, als mit einem Kinde? Muß es aber der Mutter nicht eben ſo unangenehmſeyn,319ſeyn, daß ſie ihrer Meinung nach genoͤthiget iſt, mit einer erwachſenen Tochter ſo umzugehen?

Was meinen Sie? wenn Sie die Mutter ge - weſen waͤren, und Jhre Tochter haͤtte ſich Jhnen auf eben die Art widerſetzt, wuͤrden Sie ſich nicht auch haben uͤbernehmen laſſen, Jhre Tochter auf die Haͤnde zu ſchlagen, damit ſie Jhnen das ſo geheim gehaltene Blat geben moͤchte?

Es iſt wahr, was Jhnen Jhre Frau Mutter ſagte: daß Sie ſie zu dieſer Uebereilung gezwun - gen haben: und es iſt eine Herablaſſung von ihr, die Sie nicht bemerckt haben, daß ſie dazu ſetzte: es thaͤte ihr leid.

So lange wir unverheyrathet ſind, (denn nach - her kommen wir freylich unter einen andern Schutz, der aber dennoch die kindliche Pflicht nicht aufhebet) ſind die Fluͤgel unſerer Eltern unſer unentbehrli - cher und beſter Schutz vor den Raub-Voͤgeln, die uns nachſtellen, und uns fuͤr ihre gewiſſe Beute an - ſehen, ſo bald wir uns von dieſen natuͤrlichen und wachſamen Beſchuͤtzern entfernen.

So hart es Jhnen ſcheinet, daß Jhnen Jhre Frau Mutter einen Brief-Wechſel verbietet, den ſie ſonſt ſo ſehr billigte, ſo muͤſſen Sie ſich dennoch dieſes harte Verbot gefallen laſſen, wenn Jhre Frau Mutter glaubt, daß ein Brief-Wechſel mit mir Jh - rem guten Nahmen nachtheilig ſeyn koͤnnte, nach - dem mich alle die Meinigen veꝛlohren gegeben haben. Muß ſie nicht in ihrer Meinung beſtaͤrcket werden, wenn ſie ſolche Fruͤchte Jhres Brief-Wechſels wahr - nimmt, daß Sie ſich eine Ehre daraus machen,muͤrriſch320muͤrriſch zu ſeyn, und ſich ihren Befehlen wider - ſetzen?

Jch weiß, mein Schatz, es ſollte dieſes ein luſti - ger Ausdruck ſeyn, dadurch unſer Umgang und Brief-Wechſel gemeiniglich gewuͤrtzt und ſchmack - haft gemacht zu werden pfleget. Allein dieſe Sache iſt zu ernſthaft.

Erlauben Sie mir, zu meiner verdrießlichen Straf-Predigt noch hinzuzuſetzen, daß mir Jhre Erzaͤhlungen gar nicht gefallen, wenn Sie darauf kommen, wie Jhre Eltern bisweilen (bisweilen, ſage ich, ob es gleich zu oft mag geſchehen ſeyn,) mit einander geſtanden haben.

Niemand hat weniger Recht, als Sie, Jhrer Mutter das zu verdencken, was an ihrer Auffuͤh - rung gegen den ſeel. Herrn Howe zu tadeln gewe - ſen ſeyn moͤchte: von deſſen Andencken ich nur die - ſes ſagen will, daß es von Jhnen nie ohne Ehr - furcht fuͤr ihn darf erneuert werden. Allein pruͤfen Sie ſich wohl, ob das Misvergnuͤgen gegen Jhre Mutter nicht vieles dazu beytrug, daß bey Schrei - bung Jhres letzten Briefes Jhr Hertz ſo viel Ehr - furcht gegen Jhren ſeel. Vater fuͤhlete?

Niemand iſt vollkommen: vielleicht iſt es auch an Jhrer Mutter nicht zu loben, daß ſie ſich man - ches unangenehmen noch nach ſeinem Tode erinnert. Sie ſollten doch billig nicht vergeſſen, wer die Ge - legenheit zu dieſer Erinnerung gab. Sie koͤnnen und duͤrfen ſich nicht zur Richterin aufwerfen, um auszumachen, was zwiſchen Jhren beyden Elternehe -321ehemahls vorgegangen ſeyn moͤchte, dadurch nur bey dem lebenden Theil die unangenehmen Erinne - rungen erneuert und empfindlicher gemacht werden.

Der viertzigſte Brief Eine Fortſetzung des vorigen von der Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch muß nicht mehr von jener Sache ſchreiben. Eine angenehmere Materie wuͤrde es ſeyn, wenn ich uͤber eine Jhrer lebhaften Neben-Anmer - ckungen wiederum eine Anmerckung machen duͤrfte: wenn ſie nehmlich bey dem Hickmanniſchen Aus - druck, billigen, ſo vornehm thun.

Wie gehet es doch zu, daß ein Frauenzimmer, welches wegen ſeiner Edelmuͤthigkeit uͤberall bekannt iſt, ſich ſelbſt bisweilen nicht gleichet, und nicht ge - gen jedermann eben ſo edelmuͤthig iſt? Daß es bey einer ſolchen Gelegenheit nicht edelmuͤthig iſt, bey der Artigkeit, Klugheit, und Danckbarkeit ihm neue Bewegungs-Gruͤnde zu dieſer Tugend geben? Herr Hickmann hat, wie Sie ſelbſt geſtehen ein artiges und liebenswuͤrdiges Hertz. Wenn ich dieſes nicht laͤngſtens gewußt haͤtte, ſo wuͤrde ich niemahls gleich - ſam ſeine Freywerberin bey der Fraͤulein Howe geweſen ſeyn. Wie oft habe ich ihn bedauret, wenn ich das Gluͤck hatte, Sie zu beſuchen, und ſahe, daß er, nachdem er eine Zeitlang die gantze Geſell - ſchaft in Jhrer Abweſenheit auf eine angenehme ArtDritter Theil. Xunter -322unterhalten hatte, ſogleich ſtumm ward, ſo bald Sie in die Stube traten!

Jch habe Jhnen dieſes ſchon ſonſt geſaget, und Jhnen dabey zu verſtehen gegeben, daß die veraͤcht - liche und etwas hochmuͤthige Unfreundlichkeit, die Sie gegen ihn, und zwar gegen ihn allein bewieſen, eine gantz andere Auslegung litte, als Sie daruͤber gemacht haben wollten: eine Auslegung, die vor ihn und wider Sie geweſen ſeyn wuͤrde.

Herr Hickmann iſt ein wohlgeſitteter und be - ſcheidener junger Herr. Wo ich dieſe Tugend an - treffe, und es hat der Perſon nicht an Gelegenheit gefehlet, ihr Gemuͤth zu beſſern und zu bereichern; da vermuthe ich immer einen Schatz in dem Ge - muͤthe der dem Beſitzer Ehre bringen wuͤrde, wenn ihm Muth gemacht wuͤrde, den Schatz auch andern bekannt zu machen. Hingegen ein Mann, der ſich ſelbſt gefaͤllt, und ſich doch gewiß nicht gefallen koͤnnte, wenn er nicht von andern Leuten ſehr mit - telmaͤßige Gedancken hegete, wird in jeder Geſell - ſchaft bey allen Unterredungen ſeinen Lehr-Stuhl aufſchlagen. Finden andere ſeine Schwaͤche aus, ſo wird er im Vertrauen auf ſich ſelbſt mehr ſagen als er weiß, um ſeine Unwiſſenheit nicht zu bekennen.

Sollte nicht ein beſcheidenes Frauenzimmer auch eine beſcheidene Manns-Perſon hoch ſchaͤtzen, und ſich keine andere als eine ſolche Geſellſchaft auf ewig wuͤnſchen? Einen ſolchen Mann, in deſſen Gegenwart und gegen welchen ſie den Mund oͤffnen darf, und verſichert ſeyn kann, daß er kein veraͤcht - liches Vorurtheil gegen das hat, was ſie ſaget, ſon -dern323dern fuͤr ihre Ausdruͤcke und Urtheile eine liebreiche und hoͤfliche Werthachtung heget? Muß das Frau - enzimmer ſich nicht billig bemuͤhen, einer ſolchen Manns-Perſon Muth zu machen und gleichſam die Lippen aufzuſchließen?

Was fuͤr ein Loos habe ich hingegen bekommen? Wir alle haben die Schwachheit, daß wir andere lehren wollen: ſo viel iſt aber doch gewiß, daß ich jetzt weit geſchickter bin hievon zu reden oder zu ſchreiben, als ich ehemahls war. Allein ich will meine Umſtaͤnde und mich ſelbſt gantz aus einem Briefe verbannen, der meinem erſten Vorſatz nach blos von Jhnen handeln ſollte.

Meine liebſte, meine allerliebſte Freundin, wie fertig ſind Sie, zu beſtimmen, was andere thun ſol - len, und was ſelbſt Jhre Frau Mutter gethan haben ſollte! Mich duͤnckt, ich erinnere mich, daß Sie ehemahls behaupteten, daß zu jeder Art der Geſchicklichkeit ein eigener Kopf erfodert wuͤrde, und z. E. einer ſehr geſchickt ſeyn koͤnnte, die Fehler der Schreib-Art anderer zu entdecken, ohne daß er ſelbſt in der Schreib-Art es anderen zuvor thaͤte. Wollen Sie mir erlauben, die wahre Ur - ſache hievon aufzuſuchen, daß wir ſo leicht die Feh - ler anderer entdecken? Die menſchliche Natur iſt ſich der Maͤngel denen ſie unterworfen iſt (d. i. de - nen wir ſelbſt unterworfen ſind) bewuſt, und will deswegen ein Straf-Amt uͤben: ſie wendet aber die Augen bey dem Strafen nicht einwaͤrts, ſon - dern auswaͤrts. Sie hat mehr Luſt ſich um denX 2Nachbar324Nachbar zu bekuͤmmern, als ſich ſelbſt zu pruͤfen und zu beſſern.

Noch eins erlauben Sie mir hinzu zu thun, ob ich es gleich ungern ſchreibe. Sie ſagen ſehr viel richtiges von den allzu klugen Frauens, und ich gebe Jhnen gern zu, daß ein Mann an einer ſolchen Frau leicht ſo viel zu dulden haben mag, als er Nu - tzen und Vortheil von ihr hat: allein vielleicht waͤre die Lady Hartley etwas beſſer davon gekommen, wenn Sie Jhre Feder nicht eben in Galle getunckt haͤtten, weil Sie an Jhre Frau Mutter gedachten.

Der ein und viertzigſte Brief. Eine abermahlige Fortſetzung des vorigen von der Fraͤulein Cl. Harlowe.

Nun noch ein Paar Worte, mein Schatz, von dem Verbot, nicht an mich zu ſchreiben. Jch habe mich nicht unterſtanden vorhin anders als gleichſam im Vorbeygehen dieſes Verbotes zu er - waͤhnen, weil ich ſahe, daß meine Lehre meine ei - genen Handlungen und die Briefe die ich ſchrieb verdammen wuͤrde.

Sie verbieten mir, Jhnen dieſen Briefwechſel zu widerrathen. Herr Hickmann, ſagen Sie, billiget ihn, und iſt ſo guͤtig ſelbſt auf einige Weiſe der Brieftraͤger zu werden. Allein dieſes thut mir noch kein Genuͤgen.

Jch bin gantz ungeſchickt, Gewiſſens-Fragen zu beantworten. Das Vergnuͤgen, das ich empfinde,wenn325wenn ich an Sie ſchreibe, nachdem Sie die eintzige in der Welt ſind, der ich mein Hertz entdecken darf, macht mich ſehr partheyiſch und meine Ausſpruͤ - che ſehr verdaͤchtig. Wenn es nicht eine bloſſe Aus - flucht und Kunſt-Stuͤck waͤre, ſo ſich fuͤr ein offenes und aufrichtiges Hertz nicht ſchickt, ſo wuͤnſchte ich, daß mir erlaubt ſeyn moͤchte, noch ferner an Sie zu ſchreiben, und daß nicht Sie ſelbſt, ſondern Herr Hickmann bisweilen Jhre Gedancken an mich - berſchriebe, wenn ich wegen eines Jrrthums zu erin - nern bin, wenn ich mich auf dem rechten Wege be - finde, und Sie noͤthig finden mich auf demſelben zu befeſtigen, oder wenn ich in zweifelhaften Faͤllen Jh - re Entſcheidung verlange. Dieſes wuͤrde mich in den Stand ſetzen, meinen Weg mit mehrerer Drei - ſtigkeit und guten Hoffnung zu gehen. Denn wie ſehr mich auch andere tadeln, und was mir in der Welt begegnet, ſo werde ich mich doch nicht gaͤntz - lich ungluͤcklich ſchaͤtzen, wenn Sie meine Hand - lungen billigen.

Jch weiß in der That nicht, wie ich das Schrei - ben unterlaſſen ſoll. Jch habe jetzt keine andere Beſchaͤftigung oder Zeit-Vertreib. Jch muß fort - fahren zu ſchreiben, wenn ich auch die Briefe an niemand zu ſchicken wuͤßte. Jch habe Jhnen oft erzaͤhlet, was ich fuͤr Vortheil davon habe, daß ich alles wichtige was mir begegnet, ja alles was ich dencke oder thue, das mir kuͤnftig nuͤtzlich ſeyn koͤnn - te, aufzeichne. Man verbeſſert nicht allein durch dieſe Uebung die Schreib-Art, und erweitert gleich - ſam ſein Gemuͤth: ſondern es wird auch ein jederX 3finden,326finden, daß mancher gute Gedancken unter dem Dencken verflieget, und daß mancher lobenswuͤrdi - ge Vorſatz vergeſſen wird, wenn ein anderer Vorſatz von geringerem Werthe ihn aus unſern Gedaͤcht - niß treibet. Wenn ich aber aufzeichne, was ich ge - than habe oder mir zu thun vornehme, ſo habe ich den Entſchluß oder die Handlung immer vor mir, und muß entweder dabey beharren, oder meine Mei - nung aͤndern, und ehemahlige Fehler verbeſſern: ich habe alsdenn gleichſam einen Bund mit mir ge - macht, weil ich meine Vorſaͤtze niedergeſchrieben habe, und je laͤnger ich lebe weiter vor mich gehen und nicht zuruͤckgehen will.

Jch wollte daher gern an Sie ſchreiben, wenn ich duͤrfte, weil mir das mehr Anreitzung zum Schreiben giebt, wenn ich nicht ohne Zweck ſchreibe, und einer Freundin einen Gefallen erzeige, nicht aber allein meiner Schreib-Sucht nachhaͤnge.

Wie aber? wenn Jhre Frau Mutter erlauben wollte, daß ich an Sie ſchriebe, und Sie ihr alle meine Briefe zeigeten? wenn ſie nur die Guͤtigkeit haben wollte, eine eintzige Bedingung einzugehen? Was meinen Sie, wuͤrde ſie ſich nicht bewegen laſ - ſen, zu verſprechen, daß der Jnhalt meiner Briefe bey ihr bleiben ſollte?

Wenn ich einige Hoffnung zur Ausſoͤhnung mit meinen Freunden haͤtte, ſo wollte ich meinen Hoch - muth nicht ſo haͤtſcheln und verziehen, daß ich es vor irgend jemand geheim hielte, wie thoͤricht ich ge - weſen bin, und wie ſehr ich mich habe hinter das Licht fuͤhren laſſen. Jch wollte in ſolchem Falle,ſobald327ſobald ich von Herrn Lovelacen waͤre, Jhrer Frau Mutter und den Meinigen von meiner gantzen Ge - ſchichte Nachricht geben: denn ich ſehe dieſe Nach - richt zu Beruhigung meiner Freunde und zu Ret - tung meiner Ehre fuͤr unentbehrlich an.

Jm Fall ich aber gar keine ſolche Hoffnung habe, ſo wird es zu nichts nuͤtzen, wenn ich bekannt ma - che, daß ich wider meinen Willen meines Vaters Haus verlaſſen habe, und von Herrn Lovelacen betrogen bin. Jhre Frau Mutter hat ſich mercken laſſen: die Meinigen verlangten, daß ich ohne ei - nige Bedingung zuruͤck kommen, und mir alles ge - fallen laſſen ſollte, und ſie wollten eben hieraus von der Wahrheit meines Vorgebens urtheilen. Wenn ich den geringſten Einwurf hiegegen machte, ſo wuͤr - de mein Bruder die mitgetheilten Nachrichten mit Frohlocken ausbreiten. Herr Lovelace, der es ohnehin nicht verſchmertzen kann, daß mich die mit ihm gehabte Unterredung gereuet, weil er meint, ich haͤtte ſonſt nothwendig den Solmes nehmen muͤſſen, koͤnnte mir gar alsdenn anfangen uͤbel zu begegnen. Jch wuͤrde aller Zuflucht beraubet ſeyn, das Gelaͤchter verſchlagener Koͤpfe werden, und meinem Geſchlechte mehr noch als vorhin zur Schande gereichen. Denn die Liebe, wenn ſie ſich in eine Ehe endiget, pflegt gemeiniglich mehr Ent - ſchuldiger zu finden, als ſie ſollte, wenn gleich die Vergehungen vorſaͤtzlich geweſen ſind.

Wenn Jhre Frau Mutter die anvertraueten Nachrichten bey ſich behalten will, ſo bitte ich Sie, zeigen Sie ihr alle meine jetzigen und kuͤnftigenX 4Briefe.328Briefe. Wenn ihr meine Auffuͤhrung nicht gar zu ſchwartz vorkommt, ſo bin ich vielleicht ſo gluͤck - lich, nicht allein Jhren Rath, ſondern auch den Rath Jhrer Frau Mutter zu genießen. Werde ich aber kuͤnftig mir durch vorſaͤtzliche Verſehungen ihren Unwillen zuziehen, ſo will ich mir zum voraus dieſe Strafe ſetzen, daß ich Jhres beyderſeitigen Raths auf ewig entbehren will.

Sie meinen es wuͤrde mir den Muth im ſchreiben nehmen, wenn ich wuͤſte, daß Jhre Mutter mei - ne Brieffe zu ſehen bekaͤme. Der Muth iſt mir oh - nehin ſchon genug genommen. Jch bitte Sie aber, haben Sie nicht ſolche Gedancken von Jhrer Mut - ter, als wenn Sie partheyiſche und unrichtige An - merckungen uͤber meine Brieffe machen wuͤrde. Koͤnnen wir zweifeln, daß ſie nicht wuͤrde guͤtig ge - gen mich geweſen ſeyn, wenn ſie nicht von andern eingenommen waͤre? Eben das muß ich ſelbſt von meinem Onckle Anton dencken. Ja meine Liebe erſtrecket ſich noch weiter und kann noch von andern alles hoffen: ich glaube bisweilen, daß wenn mein Bruder und meine Schweſter voͤllig gewiß wuͤſten, daß ich gaͤntzlich bey meinen Onckles ausgethan waͤ - re und ihrem Vortheil nie im Wege ſtehen wuͤrde, ſie mir nicht hinderlich ſeyn wuͤrden, von meinen Eltern Vergebung zu erlangen, ob ſie gleich keine voͤllige Ausſoͤhnung wuͤnſchen moͤchten. Jnſonder - heit glaube ich dieſes von ihnen in dem Falle, wenn ich ihnen einiges aufopfern wollte: und das wollte ich von Hertzen gerne thun, ſo bald ich voͤllig frey von Herrn Lovelace bin. Sie wiſſen, daß ich michnie329nie uͤber irdiſche Guͤter und uͤber meines Groß-Va - ters Vermaͤchtniß anders gefreuet habe, als in ſo fern ſie mir mehr Vermoͤgen gaben, einige mir an - genehme Handlungen vorzunehmen. Wenn ich dieſes Vermoͤgen verliehre, ſo muß ich mich darein ſchicken, und bisweilen unterlaſſen das zu thun, wozu mich meine Neigung treibet.

Dencken Sie nicht, daß das ein heimlicher Spott ſeyn ſollen, was ich von meinen Geſchwiſtern ge - ſchrieben habe. Es iſt wahr, es iſt ſchlimm genug, wenn ich auch die beſte Auslegung daruͤber mache: und eine jede unpartheyiſche Perſon wuͤrde glauben, daß ſie jetzt vielweniger Urſache haͤtten als jemals mich bey allen meinen Freunden anzuſchwaͤrtzen, wenn ſie auf die Ehre unſerer Familie ſehen wollten.

Doch wieder auf das vorige zu kommen, verſu - chen Sie es, ob Jhre Mutter die Fortſetzung un - ſers Brief-Wechſels geſtatten will, wenn ſie un - ter der oben gemeldeten Bedingung alle unſere Briefe zu ſehen bekommt. Sagt ſie aber dennoch nein, ſo wuͤrde ich meine Liebe zu Jhnen fuͤr nichts als Eigenliebe halten koͤnnen, wenn ich verlangete, daß Sie um meinetwillen Jhre Pflicht aus den Au - gen ſetzen ſollten.

Noch ein Wort zur Entſchuldigung der Frey - heiten, die ich mir in meinem verdrießlichen Straf - Brieffe genommen habe! Jch hoffe zuverſichtiglich auf Jhre Vergebung. Denn wenige Freundſchaf - ten ſind auf einen ſolchen Grund gebaut als die un - ſrige; nemlich daß wir uns freymuͤthig unſere Feh - ler verweiſen und den Verweiß danckbarlich anneh -X 5men330 men ſollen, damit jeder Theil Gelegenheit habe alles Mißverſtaͤndniß zu heben und ſeine Fehler in Worten und Wercken zu verbeſſern und abzu - bitten, und des andern Urtheil uͤber alle Vorfal - lenheiten zu beſtaͤttigen oder zu verbeſſern . Wir bedachten bey Aufrichtung unſerer genauen Freund - ſchaft, daß es beſſer iſt und uns mehr Ehre brin - get, wenn wir von einer aufrichtigen Freundin ge - ſtrafet werden, als wenn wir unſere Fehler beybe - halten, und uns dadurch den Tadel unſerer Neider und uͤbelgeſinneter Leute zuziehen.

Doch es iſt eben ſo unnoͤthig Sie an dieſem Bunde zu erinnern als meine Bitte zu wiederhoh - len, daß Sie ſtets auf eine freundſchaftliche Weiſe ahnten wollen die Thorheiten

Jhrer ewig ergebenen Cl. Harlowe.

Auf einem beſondern Zettel ſtand folgendes.

Jch habe verſprochen, an mich und an meine Umſtaͤnde in dem vorhergehenden Briefe gar nicht zu gedencken, wenn ich es vermeiden koͤnnte. Jch werde Jhnen in einem eigenen Briefe berichten, wie wir mit einander ſtehen. Allein Sie muͤßten er - lauben, daß dieſer Brief, auf welchen mir Jhre Antwort und Jhr Rath noͤthig iſt, nebſt Jhrem Antworts-Schreiben, die letzten ſind, die zwiſchen uns gewechſelt werden, wenn das Verbot Jhrer Mutter nicht aufgehoben wird.

Jch befuͤrchte ſehr, daß ich durch meine ungluͤck - lichen Umſtaͤnde zu allerhand Ausfluͤchten und Ver -dre -331drehungen verleitet werde, welche mit der nackten Wahrheit, der ich mich ehemahls zu ruͤhmen pfleg - te, nicht beſtehen koͤnnen. Allein erlauben Sie mir um Jhrentwillen, und damit ich die Beſorgnis Jh - rer Frau Mutter verringern moͤge, zu ſagen: daß wenn ich jemahls eine ſolche Tuͤcke bey mir mercken ſollte, ich nicht darin fortfahren, ſondern die verlohr - ne Aufrichtigkeit wieder zu erlangen ſuchen will, da - mit die Gewohnheit meine Fehler nicht zur Natur machen moͤge.

Auf Anſuchen der Frau Sorlings habe ich mei - ne Abreiſe nach London bis auf den Montag ver - ſchoben. Jch werde Jhnen die Umſtaͤnde in mei - nem kuͤnftigen Briefe melden, den ich ſchon an - gefangen habe: weil ich aber jetzt eben eine uner - wartete Gelegenheit finde, ſo ſchicke ich blos dieſen Brief, welcher ſchon fertig iſt.

Der zwey und viertzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Meine Mutter will ſich Jhre Bedingung nicht gefallen laſſen. Jch brachte es ihr vor als wenn es mein eigener Vorſchlag waͤre, allein die Harlowes haben ſie gaͤntzlich eingenommen. Sie ſagte: das waͤre eine Liſt von mir, dadurch ich ſie bewegen wollte, mit Jhnen Parthey gegen JhreEltern332Eltern zu machen. Sie iſt wegen ihres eigenen Vortheils ſehr behutſam ſich in ein ſolches Ver - buͤndniß einzulaſſen.

Jch bitte Sie nochmahls, ſeyn Sie meinetwe - gen und meiner Mutter wegen nicht ſo ſehr beſorgt. Wir werden ſchon mit einander auskommen. Wenn wir gleich einmahl zerfallen, ſo vertragen wir uns doch wieder mit einander. Dieſes iſt immer unſere Gewohnheit geweſen, ehe wir noch Jhrent - wegen haben ſtreiten koͤnnen.

Jch dancke Jhnen indeſſen fuͤr eine jede Zeile Jhres Straf-Briefes, den ich von neuen uͤberleſen werde, ſo oft mein Blut in Wallung kommt. Jch leugne nicht, daß ich bey der erſten Durchleſung etwas unruhig war: allein je oͤfter ich ihn uͤberleſe, deſtomehr finde ich Urſache, Sie noch mehr zu lie - ben und zu ehren, wenn es anders moͤglich iſt, daß meine Liebe und Hochachtung gegen Sie noch zu - nehmen kann.

Jch glaube, daß ich einen Vortheil vor Jhnen zum voraus habe, deſſen ich mich in dieſen und in meinen folgenden Briefen bedienen will. Jch wer - de an Sie eben ſo frey ſchreiben als Sie an mich, und werde dennoch niemahls darauf dencken, daß eine Entſchuldigung noͤthig ſey. Es iſt dieſes ein Vortheil, welchen ich der Jhnen natuͤrlichen Guͤtig - keit zu dancken habe: und zugleich iſt es der erſte Entwurf einer kleinen Satyre auf die Heftigkeit meines Gemuͤths. Sie glauben, daß dieſe Guͤtig - keit nie ein Fehler bey einem Frauenzimmer ſey: und ich halte eben nicht eine jede Heftigkeit, zu derwir333wir gereitzet werden fuͤr einen Fehler. Allein was machen wir? wir beyde loben das an uns, was wir nicht aͤndern koͤnnen, und vielleicht nicht aͤndern wollen. Wuͤrde es nicht uns beyden verdrießlich ſeyn unſere Gewohnheit und unſern alten Weg zu verlaſſen? Wir haͤtſcheln beyderſeits die uns ange - bohrne Neigungen. Heiſt das nicht recht aus der Noth eine Tugend machen?

Sollte aber Jhr Bild und mein Bild nach der groͤſſeſten Aehnlichkeit geſchildert werden, ſo werden Sie mir zugeben, daß ein jeder, der die Menſchen kennet, mein Bild fuͤr das natuͤrlichſte halten wuͤr - de. Bey einem ſchoͤnen Gemaͤhlde iſt der Schatten eben ſo unentbehrlich als das Licht. Jhr Bildniß wuͤrde einen ſolchen Schein und Glantz haben, der uns nur blenden und abſchrecken wuͤrde Jhnen nach - zuahmen. Jch wuͤnſche, daß Jhre Guͤtigkeit nie - mahls niedertraͤchtige Leute reitzen moͤge Sie zu beleydigen. Mein dreiſteres und heftigeres Gemuͤ - the ſchrecket manchen hievon ab: und deswegen habe ich nicht eben Luſt mit Jhnen zu tauſchen, ob ich gleich weiß, daß mein Gemuͤth nicht ſo liebens - wuͤrdig iſt als das Jhrige.

Jch wuͤrde ohne Entſchuldigung ſeyn, wenn ich mich unterſtuͤnde einer Mutter zu widerſprechen, die etwas gleiches mit Jhnen haͤtte. Die Wahrheit bleibt Wahrheit: und es waͤre unbillig, wenn ein kleiner Geiſt eben das Lob erhalten ſollte, das einem groſſen Geiſt gebuͤhret. Wenn alle Leute ſo nach der Wahrheit redeten als ich, das iſt, wenn ſie Lob und Tadel nur nach Verdienſten austheileten, ſowuͤrde334wuͤrde die Welt wo nicht tugendhaft werden, den - noch ſich ſchaͤmen und beſſern. Ehe zwey Geſchlech - ter untergegangen waͤren, wuͤrde die Schaam zur Tugend werden. Machen Sie die Anwendung hievon; ich unterſtehe mich nicht es zu thun; denn ich fuͤrchte mich eben ſo ſehr vor Jhnen als ich Sie liebe.

Jch will Jhnen an einem andern Exempel zei - gen, daß man nur recht edeln und erhabenen Ge - muͤthern einen blinden Gehorſam leiſten duͤrfe. Sie wiſſen was ich oben geſagt habe, daß Wahr - heit Wahrheit bleibe.

Man hat bisweilen Ungelegenheit davon, wenn man ſich mit den beſcheidenen und allzu bedaͤchtigen Leuten einlaͤßt. Sie ſagen, Herr Hickmann ſey ein beſcheidener Menſch. Er gab mir Jhren Brief mit einem krummen Ruͤcken, und mit einer