PRIMS Full-text transcription (HTML)
Clariſſa, Die Geſchichte eines vornehmen Frauenzimmers,
Zweyter Theil.
GOETTJNGEN,Verlegts Abram Vandenhoeck, Univerſitaͤts-Buchh.1748.
Mit Koͤnigl. Pohln. und Churf. Saͤchß. allergnaͤdigſten Privilegio
[1]

Clariſſa der zweyte Theil.

Erſter Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch ungehalte[n]? Warum ſolte ich ungehal - ten ſeyn? Die von Jhnen genommene Freyheit, nie Sie es heiſſen, iſt mir ſehr angenehm. Jch wu[n]dere mich nur uͤber Jhre Ge - duld gegen mich: diß iſts alles: und mir thut leyd, daß ich Jhnen die Muͤhe verurſachet habe, einen ſo weitlaͤuftigen Brief zu ſchreiben; der mich doch im durchleſen ſo ſehr vergnuͤgt hat. (*)Siehe den 37. Brief des erſten Theils, der hiezu die Gelegenheit gegeben; und den 38. und 40. in welchen die vermeinten Freyheiten vorkommen.

Jch glaube gern, daß Sie nicht gegen mich mit Wiſſen und Willen verſteckt ſind. Zwey Gruͤnde uͤberzeugen mich hievon: Einmal, Sie verſichern es ſelbſt, daß Sie mir nich[t] s verhelen. Zum andern, Sie ſind bisher nicht im Stande geweſen, wegen ihres kuͤnftigen Schickſaals zu ei -nerZweyter Theil. A2Die Geſchichtener Gewißheit zu gelangen, noch auch unter ſo vielen erduldeten Widrigkeiten die Wuͤrckungen zwey ſehr verſchiedener Dinge zu unterſcheiden, (ich meyne die Wuͤrkungen der Jhnen angetha - nen Wiedrigkeiten und der Liebe) umgleichſam je - der ihre Gebuͤhr zu geben. So viel ich mich er - innere, habe ich Jhnen ſchon ſonſt einmal hievon einen Winck gegeben: Darum will ich jetzt nichts weiter davon gedencken.

Robin ſaget: Sie muͤſten Jhre Briefe kaum hingelegt haben, als er ſie weggenommen; denn er ſey eine halbe Stunde vorhinda geweſen, ohne etwas zu finden: Weil er aber geſehen, mit wie vieler Ungeduld ich auf Nachrichten wartete, habe er ſich laͤnger in der Gegend aufgehalten, um, (wo moͤglich) etwas von Jh[n]en mitzubringen.

Meine Baaſe Jenny Fyinet iſt jetzt hier, und verlanget bey mir zu uͤbernachten. Vermuthlich werde ich daher nicht Zeit haben, mich mit der er - foderten Ernſthaftigkeit und Sammlung der Ge - dancken an meinen Schreib-Tiſch zu ſetzen. Sie iſt, wie ſie wiſſen, dem Geſchwaͤtz ſehr ergeben, und hat es gern, wenn ich viel mit ihr rede. Doch kommt ſie jetzt wegen einer wichtigen Angelegen - heit zu uns: nehmlich meine Mutter zu bewegen, daß ſie mit ihr zu ihrer Groß-Mutter, der Frau Larkin reiſen ſoll. Dieſe iſt lange bettlaͤgerig ge - weſen; endlich faͤllt ihr ein, daß ſie ſterblich ſey, und Urſachen habe ein Teſtament zu machen: eine Arbeit, die ihr bisher ſehr fuͤrchterlich vorgekom - men iſt. Doch will ſie dieſes nur unter der Be -dingung3der Clariſſa. dingung thun, daß meine Mutter, als eine weit - laͤuftige Anverwandtin, zu ihr kommen, und ihr wegen des Jnnhalts ihres Teſtaments guten Rath geben ſolle. Denn ſie trauet dem Urtheil meiner Mutter in Abſicht auf Teſtamente, Familien, Verordnungen, und andere Sachen von gleicher Art, eben ſo vieles zu, als bey nahe alle zu thun pflegen.

Die Frau Larkin wohnet ungefaͤhr 4. Meilen von hier, und da meine Mutter nicht wohl auſſer Hauſe uͤbernachten kann, ſo gedenckt ſie des Mor - gens ſehr fruͤh auszufahren, um des Abends wie - der hier zu ſeyn. Der morgende Tag iſt Jhnen demnach vom Morgen bis an den Abend gewid - met, und ich werde fuͤr niemand, der ſich melden laͤßt, zu Hauſe ſeyn.

Den abgeſchmackten Cavalier ſchicke ich auch weg. Er ſoll die beyden Frauenzimmer beglei - ten, damit ich meine Mutter des Abends zu Hau - ſe empfangen koͤnne. Dergleichen Bemuͤhungen, und daß die Einbildung und Dreiſtigkeit unſers Geſchlechts bey gewiſſen Gelegenheiten und an oͤf - fentlichen Oertern vermehret werde, iſt doch der eintzige Nutzen, den man von dieſen herumſchweif - fenden Geſchoͤpfen GOttes haben kann.

Jch habe ſchon ſonſt zu verſtehen gegeben, daß ich gern meine Mutter und Herrn Hickman mit einander verheyrathet ſehen moͤchte, und hier wie - derhole ich meine Wuͤnſche. Was kann der Un - terſcheid von 15. oder 20. Jahren bedeuten? Jnſonderheit wenn der muntere Geiſt desA 2Frauen -4Die GeſchichteFrauenzimmers ſie auf lange Zeit jung macht; und die Manns-Perſon ſehr ſittſam iſt. Jn der That, er ſollte mir beſſer anſtehn, wenn er mein Vater wuͤrde, als wenn ich ihn fuͤr einen noch naͤhern Freund halten muͤßte: uͤber dieſes beten die beyden Leute einander ſehr an.

Aber erlauben Sie mir einen Vorſchlag zu thun, der noch beſſer und den Jahren gemaͤſſer iſt, und wenigſtens dem Cavalier vortheilhafter waͤre. Wie? wenn Sie ſich mit Jhren Freunden ver - glichen, daß Sie ihre beyden Freyer ausſchlagen wollten, meinem aber Erlaubniß geben zu hoffen. Jſt Jhre Neigung gegen den einen von beyden nur bedingt, ſo glaube ich, daß dieſer Vorſchlag nicht zu verachten waͤre. O ein gluͤcklicher Ein - fall falls er Jhren Beyfall findet! Darf ich Herrn Hickman als den Jhrigen anſehen, ſo werde ich ungemein viel Ehrerbietung gegen ihn haben: mehr als noch einmal ſo viel, als wenn ich ihn in einem andern Verhaͤltniß betrachte. Die Quelle iſt ge - oͤfnet! ſoll ich ſie nun ferner flieſſen laſſen? Wie ſchwer iſt es doch, angebohrnen Fehlern zu widerſtehen?

Hickman iſt wenigſtens vielmehr nach Jhrem Geſchmack, als alle, die Jhnen bisher ihre Auf - wartung gemacht haben. Er iſt ſehr ſittſam: ſehr ernſthaft: und hat ſonſt noch ſehr viel gutes. Sie ſelbſt haben mir erzaͤhlt, daß Sie viel von ihm halten: vielleicht nur deswegen, weil meine Mutter viel von ihm haͤlt. Er wuͤrde ſich wenig - ſtens ſehr uͤber den Tauſch freuen, oder er muͤßteein5der Clariſſa. ein groͤſſerer Narr ſeyn, als ich mir es einbilden kann.

Aber Jhr ergrimmter Liebhaber wuͤrde ihm den Hals brechen. Daran dachte ich nicht! Jch weiß nicht woher es kommt, daß ich nie ernſthaft ſeyn kann wenn ich von Herrn Hickman ſchreibe? und doch iſt er in der Haupt-Sache ein recht guter und ehrlicher Mann! aber wer iſt vollkommen? Dieſes iſt eine meiner Schwachheiten, und eine Gelegen - heit fuͤr Sie, mir Verweiſe zu geben.

Sie ſehen mich wegen ſeiner Neigung gegen mich fuͤr gluͤcklich an Aber Sie ſind nur deshalb geneigt, einen Zuſtand fuͤr ertraͤglich zu halten, der Jhnen ſonſt unertraͤglich ſcheinen wuͤrde, weil Jhr Ungluͤck ſo groß iſt, und man ſo wunderlich mit Jhnen umgehet. Jch getraue mir zu behaupten, Sie wuͤrden ihrer Ernſthaf - tigkeit ohngeachtet dieſen Mann doch nicht haben wollen, es waͤre denn, daß Solme, und er zu - gleich um Sie anhielten, und Sie einen von bey - den nothwendig nehmen muͤßten. Hier iſt der Probier-Sein! Jch will ſehen was Sie nun ſa - gen werden.

Was mich betrift, ſo muß ich Jhnen bekennen, daß ich ſehr viel gegen Hickman einzuwenden ha - be. Er und Hochzeit ſind mir noch nie zugleich in die Gedancken gekommen. Soll ich Jhnen freymuͤthig meine Meinung von ihm melden? von ſeiner guten und ſchlimmen Seite? und zwar ſo, als ſchriebe ich an eine Perſon, die ihn nicht kennete? Wohlan ich will es thun: nur iſt es mirA 3ohn -6Die Geſchichteohnmoͤglich ernſthaft dabey zu bleiben, und die Sache leidet auch meiner Meynung nach, keine Ernſthaftigkeit. Wir ſind noch bisher nie ſo weit mit einander gekommen: falls es ia jemahls ge - ſchehn ſoll. Jndeſſen ſchicket ſich doch zu meiner Bekuͤmmerniß fuͤr Sie keine andere, als eine ernſt - hafte Schreib-Art.

Hier mußte ich um des guten Mannes willen abbrechen. Er hat meiner Mutter 2. Stunden lang aufgewartet, und geſchmeichelt, wie ich glau - be, um die Tochter zu haben. Bey ihr braucht es keine Schmeicheleyen. Es iſt gut, daß er ſich bey einer von beyden Muͤhe geben muß, ſonſt wuͤrde er lauter Freuden-Tage haben, und daher nachlaͤßig, und endlich gar trotzig werden.

Er wolte abreiſen. Die Pferde ſtunden ſchon vor der Thuͤr. Meine Mutter ließ mich herab rufen. unter dem Vorwande, Sie habe mir etwas zu ſagẽ. Als ich kam, ſagte Sie mir einiges Nichts. Es war klar, Sie hatte mich aus keiner andern Abſicht rufen laſſen, als daß ich ſeinen ſchoͤnen Buͤckling ſehen, und von ſeinem Wunſch eine gute Nacht annehmen moͤchte. Sie weiß, daß ich nicht uͤber - maͤßig willig bin, ihm mit meiner Gegenwart zu dienen, wenn ich mich irgends ſonſt wo beſchaͤfti - gen kann. Jch hatte mein Geſicht nicht ſo ſehr in meiner Gewalt, daß ich nicht haͤtte ſollen etwas verdrießliches blicken laſſen, als ich ſahe, daß ſie nichts zu ſagen hatte, und ich ihre Abſicht errieth.

Sie7der Clariſſa.

Sie laͤchelte meine gar zu merckliche Verdrieß - lichkeit zu rechte, damit mein Freyer vergnuͤgt und mit ſich ſelbſt zufrieden weggehen koͤnnte.

Er buͤckte ſich bis auf die Erde: in der einen Hand hielt er die Peitſche, und die andere both er mir. Jch hatte zu ſolcher Begleitung keine Luſt, und zog die Hand zuruͤck: ich ſtieß ihn aber ſtarck an den Ellbogen, als wenn ich wegen des tiefen Buͤck - lings befuͤrchtete, er moͤchte fallen, und ihm auf - helfen wolte. Ein ſchlimmer Fall / ſagte ich, haͤtte es werden koͤnnen!

Meine Mutter wolte es wieder gut machen, und ſprach: das alberne Maͤdgen!

Er ſchien verwirrt: nahm den Zaum und ging gantz ſchwerfaͤllig immer ruͤckwaͤrts, bis er gegen ſeinen Diener lief. Hier lachte ich. Er ſtieg zu Pferde und ritt weg, und ich gieng nach erhal - tenen kleinen Verweiſe die Treppe hinauf. Der Kopf iſt mir ſo voll von ihm, daß ich meinen Vorſatz erfuͤllen muß, Sie auf einige Augen - blicke zum lachen zu bewegen.

Hoͤren Sie denn ſein gutes und ſein ſchlimmes.

Hickman iſt ein laͤppiſcher, ſehr beſchaͤftiger, und (falls ich von Jhnen ein Wort borgen darf) dennoch unbeſchaͤftiger Menſch. Er hat viel zu thun, und ſcheint mir doch nichts zu Stande zu bringen. Er iſt ohne Entſchlieſſung und veraͤnderlich in allen Dingen, nur in dieſem nicht, daß er mich mit ſeinen Thorhei ten ermuͤdet. Doch es iſt deut - lich, daß er dieſes mehr auf Veranlaſſung meinerA 4Mutter8Die GeſchichteMutter als aus eigener Hofnung thue: denn ich habe ihm nie erlaubt zu hoffen.

Mit ſeinem Geſichte habe ich auch einen Krieg, ob er gleich in Abſicht auf die Leibes-Bildung groß genug, und mittelmaͤßig artig iſt. Nicht eigent - lich ſeine Geſichts-Zuͤge beleidigen mich: denn was kommt (wie Sie oft zu ſagen pflegen) auf dieſe bey einer Manns-Perſon an? aber Hickman hat bey ſtarcken Lineamenten, und ungeſtalt dicken Kinnbacken, doch nicht das Maͤnnliche in ſeinem Anſehen, das Lowelace mit der aller ordentlichſten und angenehmſten Geſichts-Bildung verbindet.

Was iſt er ferner in Sitten und Kleidung fuͤr ein Pedant? Jch habe das lange Geifer-Tuch, das Paternoſter ſo er am Halſe traͤgt, noch nie recht auslachen koͤnnen, weil meine Mutter ſich einbil - det, es kleide ihn gut; und ich nicht gern gegen ihn ſo frey ſeyn will, ihm zu geſtehen, daß er mir eine Gefaͤlligkeit thaͤte, wenn er es ablegte. Tha - te er dieſes auch, ſo wuͤrde er gewiß nach ſeiner ſonderbahren Art auf ein Hals-Tuch von Koͤnig Wilhelms Tracht, oder auf eine ſolche Art von Kinnkuͤſſen verfallen, als ſich in alten Gemaͤhlden zeiget.

Jn der Kleidung kann man ihn nicht nachlaͤßig nennen: aber bisweilen iſt er zu zierlich, und ein anderes mahl zu ſehr ohne Zierrath, als daß man ſagen koͤnnte, er ſey nett, und ſich ſelbſt beſtaͤndig gleich. Mit ſeinen Sitten macht er ein ſolches Geraͤuͤſch, daß man faſt dencken ſolte, ſie waͤren Gaͤſte bey ihm, mit denen er fremde thun muͤſte. Sie9der Clariſſa. Sie entſchuldigen dieſes mit ſeiner Furchſamkeit, jemand zu beleidigen oder zu mißfallen. Aber die - ſe Jhre uͤbertrieben-gefaͤllige / pflegen am wenigſten zu gefallen.

Er iſt uͤbrigens aufrichtig, von guter Familie, hat ſchoͤne und unverſchuldete Guͤter, und koͤnnte wohl dereinſt Varon werden, und Jhnen gefallen. Er iſt freundlich, guthertzig, und mittelmaͤßig frey - gebig. Dies letzte ſagen die Leute, und ich muͤßte es auch ſagen, wenn ich ſeine Beſtechungen ange - nommen haͤtte, die er bloß deswegen anbiethet, um ſie wieder zuruͤck, und die beſtochene in den Kauff zu bekommen: Eine Liſt, deren ſich alle Betrieger von dem Ertz-Vater dem Satan an bis auf ſeine niedrigſten Diener gebraucht haben. Soll ich die Sprache einer Perſon ſprechen, welche ich zu ver - ehren ſch uldig bin, ſo haͤlt man ihm fuͤr einen klu - gen Mann und guten Hauß-Wirth.

Jch kan auch ſagen, daß mir jetzt niemand beſſer gefaͤllt als er, wenn ich auch gleich ehemahls an - ders geſinnet geweſen waͤre.

Er iſt kein Jaͤger, haͤlt zwar Jagd-Hunde, zie - het ſie aber ſeinen Neben-Menſchen nicht vor. Wahrhaftig ein gutes Zeichen vor ſeine kuͤnftige Liebſte! Er macht viel aus ſeinem Pferde, aber er haͤlt nichts von Wett-Laͤufen, und allen ſolchen Ar - ten der Spiele. Er iſt maͤßig, ſittſam, und nach einiger Berichten tugendhaft. Kurtz er beſitzt alle Eigenſchaften, welche Muͤtter bey einem Freyer ihrer Toͤchter verlangen koͤnnen, und durch die viel - leicht die Toͤchter moͤchten gluͤcklich werden, wennA 5ſie10Die Geſchichteſie zum voraus fuͤr ſich ſo richtig urtheilen koͤnten, als ſie dereinſt nach gemachter Probe, fuͤr ihre kuͤnftigen Toͤchter urtheilen werden.

Und doch kann ich ihn in Wahrheit nicht leiden; ich glaube nicht, daß ich ihn jemahls werde leiden koͤnnen.

Es iſt wunderlich, daß dieſe ſittſamen Leute nie - mahls eine anſtaͤndige Munterkeit und wohlgezo - gene Dreiſtigkeit mit jener guten Eigenſchaft paa - ren: daß ſie nichts angenehmes und froͤliches an - nehmen koͤnnen, welches von der Ehrfurcht nicht braucht getrennet zu werden, mit der ſie billig das Hertz eines Frauenzimmers zu gewinnen ſuchen, und die nur die Groͤſſe ihrer Ergebenheit, nicht aber die ſchaafmaͤßige Einfalt ihres Geiſtes verrathen ſoll. Denn wer weiß nicht, daß ſich die Liebe alsdenn gefaͤllt, wenn ſie Loͤwen zaͤhmen kan? Daß dasjenige Geſchlecht, welches des eig. nen Mangels der Herzhaftigkeit ſich am meiſten bewuſt iſt, natuͤrlicher Weiſe den ſuche und vorziehe, der dieſe Eigenſchaft in hoͤhern Grad beſitzt, und von dem es daher den meiſten Schutz erwarten kann? und daß je feiger ſie ſelbſt ſind (denn ſo wuͤrde man ihre Bloͤdigkeit nennen, wenn ſie ſich bey Manns-Perſonen befaͤnde) ſie ſich deſto mehr an allem vergnuͤgen, was den Anſchein des Helden - muͤthigen hat. Mann kann dieſes ſo gar an ihren liebſten Buͤchern mercken, welche gemeiniglich von uͤberſtiegenen Schwuͤrigkeiten handeln, oder von Schlachten, oder von Helden, die 4 bis 500 auf einmal uͤberwunden haben. Je unglaubiger dieSache11der Clariſſa. Sache iſt, deſto beſſer gefaͤllt ſie ihnen. Kurtz, wer weiß nicht, daß ſie wuͤnſchen, ihr Anbeter ſoll ge - gen jederman, ſie ſelbſt ausgenommen, ein Held ſeyn: und ſeine demuͤthige Unterwerfung gegen ſie, ſoll keine Grentzen kennen. Hertzen zu bezwingen, iſt ein Vorrecht des Frauenzimmers, an welches ſonſt niemand Anſpruch machen kan; daher pflegt es oft dem Hertzhaften, der die Perſon eines Hel - den ſpielet, bey ihnen ſo zu gelingen, als es Hel - den, und nur Helden allein gelingen ſoll.

Was den ehrlichen Hickman anbetrift, ſo iſt er uͤberall ſo ſanftmuͤthig und demuͤthig, daß ſeine Unterweiſung kein beſonderes Vorrecht fuͤr mich bleibet. Wenn ich ihm einen Verweiß gebe, ſo ſcheint er von Natur fuͤr einen Verweiß gemacht zu ſeyn, und ihn ſich dergeſtalt zum voraus vor - zuſtellen, daß ich ihn nie mit einem unerwarteten Verweiſe, er mag ihn verdient haben oder nicht, uͤbereilen und verunruhigen kan, Er hat mich manches mahl in Verwirrung geſetzt, wenn er ſich wegen nie begangener Fehler ſo bußfertig angeſtel - let hat, daß ich nicht wuſte, ob ich Mitleiden mit ihm haben, oder ihn auslachen ſolte.

Wir haben oͤfters mit einander auf das ehmah - lige Geſicht und Gemuͤth erwachſener Perſonen zu - ruͤck geblicket: das iſt, aus ihrer jetzigen Geſtalt und Neigung uns von ihnen in Abſicht auf das aͤuſſere und innere (ſofern man dieſes aus den Sit - ten errathen kan) ein Bild gemacht, wie ſie in ihren Kinder-Jahren moͤchten ausgeſehen haben. Jch muß Jhnen doch ſchreiben wie mir Hickman,Sol -12Die GeſchichteSolmes / und Lowelace, unſere 3. Ritter vor - kommen, wenn ich Sie mir in ihren Schuljah - ren vorſtelle.

Jch dencke, Solmes muß ein kleiner geitziger, niedertraͤchtiger Spitzbube geweſen ſeyn, der jedem etwas mauſete, und jedem Jungen das Butter - Brod abbettelte: er ſelbſt aber ſpuckte, wenn es des Winters kalt war, in die Haͤnde, um ſein eigen Butter-Brod ſo eckelhaft zu beſchmieren, daß niemand Luſt kriegen moͤchte es ihm abzuneh - men, wie ich wohl von andern niedertraͤchtigen Buben gehoͤret habe.

Hickman war ein uͤbergroſſer ungeſchickter Junge, dem die Haare lang am Kopfe nieder hingen, und den jederman ſtieß und ſchuppte. Er rieb ſich die Augen und gieng mit heulen nach Hauſe, um es ſeiner Mutter zu ſagen.

Lowelace / war (wie ich ihn mir vorſtelle) ein kraußkoͤpfigter Ertzſchelm, voll Feuer, Einbildung und Muthwillen: Ein Garten-Dieb, ein Mau - ren Kletterer, ein Reuter ohne Sattel und Zaum, ein eigenſinniger Bengel: kurtz der alle andere ſtieß und ihnen eins verſetzte, der nie gut that, und nie Unrecht litte. Oft kam er mit zerbroche - nem Kopf zu Hauſe, hatte ein Pflaſter vor der Stirn, oder lies es von ſelbſt wieder zuheilen: unterdeſſen fuhr er fort, mehr Muthwillen aus - zuuͤben, um entweder ein Kruͤppel zu werden, oder doch zu verdienen, daß er es wuͤrde.

Alle dieſe Eigenſchften ſind mit ihnen aufge - wachſen, und machen mit einer kleinen Veraͤnde - rung ihren jetzigen Charackter aus.

Wie13der Clariſſa.

Wie verdrießlich iſt es, mein Hertz, daß alle Manns-Perſonen ſolche Meer-Katzen ſiud, oder daß wenigſtens wir beyde nur unter ſolchen Affen die Auswahl haben.

Jch erkenne, daß ich etwas zur Unzeit, da Sie in ſo ungluͤcklichen Umſtaͤnden ſind, mich uͤber die - ſe Sache luſtig mache. Falls ich Jhnen nicht hiedurch ein kleines Vergnuͤgen erwecke, wie ſonſt meine fluͤchtigen Einfaͤlle zu thun pflegen; ſo habe ich weder vor Jhnen, noch vor meinem eigenen Hertzen einige Entſchuldigung, welches letztere, wie ich verſichern kan, ohngeachtet meiner anſcheinen - den Leichtſinnigkeit ſich jetzo gantz an Jhre ſo be - truͤbte Stelle ſetzet.

Weil dieſer Briefe gar zu wunderlich iſt, ſo ſchi - cke ich ihn nicht ab, bis ich ihn mit etwas anders begleiten kan, ſo ſich beſſer zu ihren traurigen Um - ſtaͤnden, als der Veranlaſſung unſers jetzigen Brief-Wechſels, reimet. Morgen, wie ſchon gemeldet, bin ich gantz die Jhre, folglich

Dero

Anna Howes.

Der14Die Geſchichte

Der zweyte Brief. von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Meine Mutter und Baaſe ſind in unſerm Wa - gen mit 4. Pferden weggefahren. Jhr tapferer Ritter begleitet Sie zu Pferde, nebſt[2]. von ſeinen und einem von meiner Mutter Dienern. Beyde machen gern etwas Staat, wenn ſie ver - reiſen: wenigſtens halten Sie dieſes fuͤr eine Hoͤf - lichkeit, die einer dem andern ſchuldig ſey, und geben dadurch zu erkennen, daß Sie ſich unterein - ander fuͤr Liebhaber des Staats anſehen. Ro - bert / iſt nur Jhr und mein Diener, ſonſt nie - mandes, und der Tag iſt gantz mein eigen.

Jch muß ſie gleich Anfangs tadeln, mein Kind, daß Sie nicht bey gegebener Gelegenheit fuͤr Jhr Recht ſtreiten wollen. Gerechtigkeit iſt man ſich eben ſo ſehr ſchuldig, als andern. Noch mehr muß ich Sie tadeln, daß Sie ſich gegen ihre Ba - ſe und Schweſter alſo erklaͤren: Sie wollen nicht proceſſi ren. Denn da dieſe ihren Vater und Bruder hievon benachrichtigen werden; ſo muß eine ſolche Erklaͤrung nothwendig dergleichen Ge - muͤther dreiſter und frecher machen, die ſo wenig von Edelmuͤthigkeit, als Jhrer recht unterſcheiden - den Tugend, beſitzen.

Alle15der Clariſſa.

Alle Gemuͤther, welche veraͤchtlich und hart ſind, wo ſie ſich es unterſtehen duͤrfen, werden kriechend und ſchmiegen ſich, wo ſie flch nichts un - terſtehen duͤrfen. Erinnern Sie ſich doch einer Anmerckung, die Sie ſelbſt, ich weiß nicht mehr bey welcher Gelegenheit machten: Daß kleine Geiſter ſich immer nach dem richten / mit dem ſie zuthun haben: daß ſie gegen eigen - ſinnige und harte Koͤpfe ſchmeicheln / ſanft - muͤthige aber unter die Fuͤſſe treten. Die Gelegenheit einer andern Anmerckung, welche Sie gegen Fraͤulein Biddulph machten, werden Sie nie vergeſſen koͤnnen: Wenn man in Worten und Handlungen eine gewiſſe Hoheit an - nimmt / und ſich nur huͤtet ſie nicht durch Hochmuth zu verſtellen / ſo wird man von jederman Ehrfurcht zu erwarten haben.

Jch erinnere mich noch einer Anmerckung, wel - che Sie, wie Sieſagten, der Fraͤulein Norton zu dancken hatten, und dieſe ihrem Vater, der von einem Geiſtlichen, deſſen Predigten vortreflich, und ſein Leben ſehr mittelmaͤßig war, zu ſagen pflegte: Wiſſen und thun iſt eine ſehr ver - ſchiedene Gabe: Selten hat ſie Eine Perſon beyde beyſammen. Bey Jhnen mein Kind, iſt ſonſt wiſſen und thun nur eine eintzige Sache. Allein in ihrem jetzigen Umſtaͤnden muß ich Sie bitten die Anwendung dieſer Anmerckung auf ſich ſelbſt zu machen. Es wird Muth und Hertzhaf - tigkeit erfodert, und die Frage iſt: ob dem Willen eines Verſtorbenen nachgelebet werden ſolle? Die -ſen16Die Geſchichteſen Willen duͤrfen Sie ſelbſt ſo wenig aͤndern als irgend ſonſt jemand, der ihn aus gewinnſuͤchtigen Abſichten durchloͤchern will.

Jch weiß, wie ſehr Sie uͤberhaupt den Reich - thum verachten. Aber erinnern Sie ſich, daß Sie ihn ſelbſt in einer Abſicht fuͤr ſchaͤtzbar erklaͤret ha - ben: Nehmlich weil er uns in den Stand ſetzt / andere durch Wohlthaten zu verbin - den: dahingegen der Mangel uns zwinget / Wohlthaten anzunehmen, und ſie vielleicht von ſolchen muͤrriſchen und kleinen Gemuͤ - thern anzunehmen / die ſie nicht mit derje - nigen Anſtaͤndigkeit geben koͤnnen / welche eine Wohlthat eigentlich zur Wohlthat macht. Ueberlegen Sie dieſes, Kind, und ver - gleichen es mit der gegen Jhre Tante und Schwe - ſter gethanen Erklaͤrung, ihr Guth nicht in ih - er eigene Gewalt zu nehmen / wenn man Sie auch aus den Hauſe ſtieſſe / und in die aͤuſſerſte Armuth und Beduͤrfniß ſetzte. Selbſt die Furcht ihrer Geſchwiſter, daß Sie Luſt bekommen koͤnten, Sich als Eigenthuͤmerin des Jhrigen aufzufuͤhren, beweiſen Jhnen die Nothwendigkeit dieſes zu thun, nachdem man Jh - nen ſo uͤbel begegnet.

Jch geſtehe, der Brief ihrer Mutter mit den Proben von Stoffen, ruͤhrete mich ſehr bey erſter Durchleſung. Ein wunderlicher Schritt, den dennoch eine Mutter thut! und doch hat Sie nicht die Abſicht gehabt, Jhrer zu ſpotten. Jch be - daure, daß eine ſo zaͤrtlich geſinnete und artigeDame17der Clariſſa. Dame ſich zu ſolchen Raͤncken herunter laſſen koͤn - nen, als ich in dieſem Briefe, und in einigen Unter - redungen, von denen Sie mich benachrichtigen, finde. Sehen Sie nicht, was ein ungeſtuͤmer Kopf durch Plagen und muͤrriſches Weſen von einem guͤtigen Hertzen erzwingen kann?

Jch kenne den Hochmuth, den ſie darin bli - cken laſſen, daß ſie Sie ſtets mit Jhrem Ge - ſchlechts-Nahmen, Harlowe benennen. Cla - riſſa Harlowe! So voll Complimente, und ſo geſetzt in jedem Worte, wenn ſie ernſthaft oder viel - mehr ſtoltz, und praͤchtig ſind. Dies hat Jhre Frau Mutter von ihnen angenommen. Sie hat ſich ge - woͤhnen muͤſſen, wie in der Ehe alſo auch in Wil - len und Anſchlaͤgen ihren eigenen Geſchlechts-Na - men unter jenen zu vergraben. Oft iſt es mir vor - gekommen, als wenn eben derſelbe Geiſt die Jh - rigen bey ſo gezwungenen Reden, und anderen von gleicher Art (z. E. Harlow-Burg, ob es gleich kein Gut des aͤlteſten Bruders, auch kein vom Vater kommendes Gut iſt) regierte, der ehe - mals den Tyrann Tudor(*)Heinrich den VII. beſaß. Da dieſer die Erbin des Hauſes Jorck / Eliſabeth, hey - rathete, bahnte er ſich hiedurch einen Weg zur Crone, den er als ein bloß natuͤrllcher Zweig der Li - nie Lancaſter ſonſt nicht gehabt haͤtte: dabey war er gegen ſie ein muͤrriſcher und uͤbelgeſiñeter Gemahl: bloß weil er ihr ein Gluͤck zu dancken hatte, welches jemanden ſchuldig zu ſeyn ſeinem Hochmuth uner -traͤglichZweyter Theil. B18Die Geſchichtetraͤglich vorkam. Auch wollte dieſer Koͤnig ohne Koͤnigliche Großmuth die Heyrath nicht vollziehen, bis er ſich auf dem Thron ſahe, damit niemand dencken moͤchte, das Recht zu dem Throne ſtam - me von ihrer Seite her.

Jch habe ſchon ſonſt Verweiſe bekommen, und befuͤrchte dergleichen von neuen, wegen der Frey - heit die ich mir in Beurtheilung Jhrer Anver - wandten herausnehme. Muß ich Jhnen aber erſt ſagen, mein Hertz, daß Hochmuth nothwendig die Verachtung anderer reitzet, und uns in anderer Urtheil herunter ſetzet? Haben wir nicht bey den Umſtaͤnden eines beruͤhmten Dichters be - merckt, daß diejenigen, welche mehr Ehre verlan - gen, als ſie mit Recht haben koͤñen, auch die verdien - te Ehre verſchertzen? Jch mag ſie nicht gern be - truͤben: ich kan aber von jenen eben ſo wenig, als von andern anders reden, als ſie es verdienen. Ruhm und Verachtung iſt der Lohn und die Straffe, welche die Welt auf Verdienſte und Mangel des Verdienſtes ſetzet: ich meines Theils will und kann beyde nicht miteinander ver - wechſeln. Jch dencke an die Jhrigen mit Verach - tung, nur Jhre Mutter ausgenommen: Warlich, ſo dencke ich! und was ſie anlanget doch aus Liebe zu Jhnen will ich dieſe arme Dame mit mei - nen Urtheilen verſchonen. Eins iſt, welches bey der jetzigen Zwiſtigkeit ſie entſchuldigen muß. Sie hat ſo viel Jahre, und mit ſo gaͤntzlicher Verlaͤug - nung das getragen, was ſie getragen hat, und ihren Willen aufgeopfert: daher kommt esihr19der Clariſſa. leichter als andern vor, daß ihre Tochter auch ih - ren Willen aufopfern ſolle. Aber wenn ich den - cke, auf weſſen Anreitzung alles dieſes geſchehen iſt GOtt vergebe mir! Waͤre man mit mir ſo umge - gangen, ſo waͤre ich ſchon laͤngſtens bey Herrn Lo - welace. Aber erinnern Sie ſich, daß ein Schritt, uͤber den man ſich bey einem ſo heftigen Gemuͤthe, als das meinige iſt, nicht wundern wuͤrde, an ei - nem ſo bedaͤchtlichen Frauenzimmer, als Sie ſind, nicht zu entſchuldigen waͤre.

Nachdem Jhre Frau Mutter wider Willen mit in die Sache gezogen iſt, wundere ich mich gar nicht, daß Jhre Baaſe Hervey, Einen Weg mit ihr gehet: denn die beyden Schweftern halten im - mer zuſammen. Jch habe mich erkundiget, von was fuͤr Art die Verpflichtung iſt, in die Herr Hervey wegen ſchlechter Haußhaltung gerathen iſt. Es ſcheinet weiter nichts zu ſeyn, als daß Jhr Bruder eine Schuld bezahlet, fuͤr welche eins ſei - ner Guͤter zur Hypotheck geſetzt war, ſo in Ge - fahr ſtand dem Schuld-Herrn zugeeignet zu wer - den. Dieſes Gut hat er ſich davor wieder zur Hy - potheck verſchreiben laſſen. Eine kleine Wohl - that unter Anverwandten, ſonderlich bey ſo zulaͤng - licher Sicherheit! und dennoch ſo groß, daß da - durch die gantze Herveyiſche Familie dem nieder - traͤchtigen Wohlthaͤter verpflichtet iſt, welcher ge - gen ihn und ſeine Baaſe ſeit der Zeit vielweniger Umſtaͤnde macht, wie Fraͤulein Dolly Hervey guten Freunden geklaget hat.

B 2Soll20Die Geſchichte

Soll ich ſo einen Menſchen Jhren Bruder nen - nen! Ja! ich muß es thun: denn er iſt Jhres Vaters aͤchter Sohn. Dies wird doch nicht zu viel geſagt ſeyn?

Es thut mir leyd, daß Sie je an ihn geſchrie - ben haben. Es iſt dieſes ſchon ſich zu viel um ihn bekuͤmmern: er wird ſich ſelbſt dadurch betraͤcht - licher, und kriegt gleichſam einen Beruff, unbe - ſcheiden gegen Sie zu ſeyn: ein Beruff, dem er gewiß gemaͤß handeln wird.

Ein treflicher Kerl, der ſeiner ſelbſt gegen Lo - welace ſo vergeſſen kan, welcher ihn doch gelehret, den Degen in die Scheide zu ſtecken, als er ihn zum Ungluͤck gezogen. Aber dieſe Hauß-Wuͤtte - riche, die ſich in lauter Schreck-Bilder verwan - deln, wenn ſie Frauenzimmer, Kinder, und Ge - ſinde in Furcht jagen wollen, ſind meiſtentheils feige Memmen, wenn ſie es mit Maͤnnern zu thun haben. Kaͤme er mir in den Weg, und ſagte mir dergleichen etwas ins Geſichte, als er hinter meinem Ruͤcken ſoll geredet haben, oder ſolche An - zuͤglichkeiten gegen unſer Geſchlecht, als er aus Liebe zu Jhnen bisweilen hervor gebracht hat: ſo wuͤrde ich mich unterſtehen Jhm ein paar Fragen vorzulegen, wenn er mich auch gleich deshalb her - aus fodern wollte.

Jch ſage abermals, Sie wiſſen, daß ich meine Gedancken frey ſchreibe. Mein Bruder iſt er nicht. Koͤnnen Sie ſagen, das er Jhr Bruder ſey? Sie koͤnnen demnach auf mich nicht un - gehalten ſeyn. Wollten Sie wohl die Parthey ei -nes21der Clariſſa. nes falſchen Bruders gegen einen wahren Freund halten? Ein Bruder kann bisweilen kein Freund ſeyn: Aber ein Freund iſt ſtets ein Bruder. Mer - cken Sie ſich das! Wie Jhr Vetter Anton zu ſagen pflegt.

Jch kan mich nicht ſo tief erniedrigen, ins be - ſondere an die Briefe der ſchwachen Leute zu den - cken, welche Sie Vettern nennen. Und doch ma - che ich mich gern luſtig, und zwar am liebſten uͤber ſo ſeltſamen Abbildungen von Menſchen. Aber ich kenne Jene, und liebe Sie: Dieſes hindert mich allen Spott uͤber jene auszulaſſen, den ihre Thorheiten verdienen.

Da ich ſo vieles empfindliche (ſo kommt es Jh - nen wenigſtens vor) bereits geſchrieben, muß ich noch einen Gedancken einflieſſen laſſen, der mir Recht giebt, Jhnen Jhr Verſehen, ein vor alle - mal vorzuhalten. Er betrift die Auffuͤhrung ſolcher Frauenzimmer (uns beyden iſt doch derer mehr als Eine bekannt) die ſich durch laͤrmen oder muͤrriſches Weſen ſo weit in Furcht jagen laſſen, daß ſie endlich ſelbſt, gar keinen Willen haben: an ſtatt, daß ſie ſich lieber durch Zaͤrtlichkeit und Hoͤflichkeit um dieſes Eigenthum ſollten betrie - gen laſſen. Jch wuͤnſche, daß dieſes kein Beweiß des Satzes ſeyn moͤge: daß man durch Unbeſchei - denheit einen gewiſſern Sieg uͤber manche unſers Geſchlechts erhalten koͤnne, als durch Freundlich - keit und Nachgeben. Warlich, mein Hertz, oft faͤllt mir ein, daß einige von uns ſich im Eheſtan - de als Kinder auffuͤhren: giebt man ihren Nei -B 3gungen22Die Geſchichtegungen zu viel nach, ſo werden ſie unbaͤndig und albern: gehet man rauh mit ihnen um, ſo ſind ſie kriechende Sclavinnen. Sollte uns nachge - ſagt werden, daß uns die Furcht willfaͤrthiger, als die Liebe mache? Da ſey Ehre, Danckbarkeit und Gerechtigkeit vor! daß ein verſtaͤndiges Frauen - zimmer eine ſolche Nachrede veranlaſſen ſollte.

Wenn ich glaubte, daß der Jnhalt und die Schreib-Art dieſes Briefes Jhnen diejenige nicht genug verriethen, deren Feder ſo ausſchweifft, ſo wollte ich meinen Nahmen gantz ausſchreiben. Denn ich ſchreibe zu ſehr von Hertzen, als daß ich ihn verhelen moͤchte. So aber moͤgen die An - fangs-Buchſtaben genug ſeyn, und ich ſchreibe gleich noch mehr.

A. H.

Der dritte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch will manches uͤbergehen, was ich in Ab - ſicht auf andere Stuͤcke Jhres Briefes zu ſchreiben hatte: um Jhnen von der Erkundigungvoll -23der Clariſſa. vollſtaͤndigere Nachricht zu geben, die Herr Hick - man wegen der Lebens-Art und Bekanntſchaft Herrn Lowelaces zu Londen eingezogen, als er ſelbſt neulich dort geweſen.

Jn dem Wirths-Hauſe zum Cacao-Baum in Pall-Mall gerieth er mit zwey ſeiner beſten Geſel - len, Belton und Mowbray ins Geſpraͤch. Bey - de waren ſehr frey von Munde, und gottloſe Hoͤl - len-Kinder: er inzwiſchen wie es ſcheint, gieng ſehr ehrerbietig mit ihnen um, und nannte ſie, nachdem er ſich ihrenthalben weiter erkundiget, Leute von Mitteln und Stande.

Sie brachten die Unterredung von ſelbſt auf Herr Lowelace: und da ein anderer Herr in der Stube ſich erkundigte, wenn ſie ihn in der Stadt erwarteten, antworteten ſie: Noch denſelben Tag! Als ſie in ihrer Lobes-Erhebung fortfuhren, ſagte Hickman: Er habe ſelbſt gehoͤrt, Lowela - ce ſolle ein ſehr artiger Herr ſeyn. Er wollte noch fortreden, ſo unterbrach ihn der eine: mein Herr, der artigſte Cavallier in der Welt, das iſt genug.

Er lenckte die Unterredung, daß ſie etwas be - ſonders von ſeinen ſo geruͤhmten Vorzuͤgen ſagen moͤchten, welches Sie zu thun ſehr willig wa - ren. Aber es war nicht ein Wort zum Lobe ſeiner Tugend. Auch dies mercken Sie ſich, nach Jhres Vetters Art zu reden.

Herr Hickman ſagte: er habe gehoͤrt Lowe - lace ſey ſehr gluͤcklich die Achtung des ſchoͤnen Ge - ſchlechts zu gewinnen, und ſetzte mit laͤchelnB 4hinzu24Die Geſchichtehinzu (um ſie glaubend zu machen, daß er dieſes eben nicht verabſcheue) man ſage, er ſolle biswei - len ſein Gluͤck ſo weit als moͤglich treiben.

Jch dachte bey mir ſelbſt: gut, Hickman! ernſt - haft und weiſe genug! du ſcheinſt kein Fremdling in ihrer Sprache zu ſeyn; ich dencke du redeſt ſie jetzt eben. Jch ſagte aber nichts, denn ich habe mich ſchon oft bemuͤhet, dieſen ſo ſehr wohlgeſitte - ten Guͤnſtling meiner Mutter auszuforſchen: und habe bisher noch kein ander Urtheil faͤllen koͤnnen, als dies: er muͤſſe eutweder ſehr tugendhaft, oder ſehr liſtig ſeyn.

Der eine von ihnen antwortete: Wer wollte daranzweifeln? darauf folgete ein Fluch, und: Wer wollte es nicht ſo machen: Er handelt / wie ein jeder junger Herr.

Das iſt wahr! ſagte meiner Mutter Heiliger: aber ich hoͤre / er hat ſich mit einem artigen Frauenzimmer eingelaſſen.

Das hat er gethan, antwortete Belton: der Teufel hole / ſie! (ein niedertraͤchtiger Menſch!) denn er wendet alle ſeine Zeit auf ſie. Aber ihre Familie muß ſeyn, (hier bath Herr Hickman um Erlaubniß einige Worte auszulaſ - ſen, ob er gleich vorhin ſchlimmere in den Mund genommen) und moͤchte vielleicht dereinſt bereuen, daß ſie einen Mann von ſei - nem Stande und Vorzuͤgen ſo ſchlecht be - gegnet hat.

Vielleicht, antwortete Hickman / halten ſie ihn fuͤr zu wild und ihre Familie ſoll ſehr tugendhaft ſeyn.

Tu -25der Clariſſa.

Tugendhaft! ſagte einer von Jhnen. Ein gutes frommes Wort! Himmel wo hat es ſo lange gelegen? Der Teufel hole mich / wenn ich es je in dem Zuſammenhang gehoͤrt habe / ſeit dem ich auf der Univerſitaͤt gewe - ſen bin. Zwantzig unter uns haben ſich oft darum geſtritten / ob es nicht ein verjaͤhrtes altfraͤnckiſches Wort ſey.

Das iſt fuͤr Sie, mein Hertz. Von der Art ſind Lowelaces Freunde. Belieben Sie ſich dieſes zu mercken.

Hickman ſagte, dieſe Ausdruͤcke haͤtten ihn auſſer ſich geſetzt.

Jch ſahe ihn ſtarre an, und meine Augen ga - ben ihm etwas zu verſtehn, daß er wohl verſtand. Er ward von neuen auſſer ſich geſetzt.

Faͤllt Jhnen die Perſon nicht bey, die einen jungen Herrn, der ſich der Kirche gewidmet hatte, und geſtand, man koͤnne ihn leicht in Verwirrung ſetzen, wenn er eben in freyer Geſellſchaft geweſen, antwortete: Es ſey dies ein ſchlechtes Zeichen; und ſcheine von einer nicht genugſam be - waͤhrten Tugend her zu ruͤhren. Das an ihm befindliche Gute, moͤge vielleicht mehr die Frucht einer guten Erziehung / als die Wuͤrckung einer wohl uͤberlegten Wahl und tief eingewurtzelten Einſicht ſeyn. Wiſſen Sie noch, daß eben dieſes Frauenzimmer ihm die Lehre gab: Er ſolle dem Laſter wider - ſtehn / und es zu beſchaͤmen ſuchen: Hinge - gen in allen Geſellſchaften der VormundB 5der26Die Geſchichteder Tugend ſeyn. Man pflege nur das huͤlfloß und unvertheidigt zu laſſen / deſſen man ſich ſchaͤme: und dieſes wolle Sie nicht gern von ihm hoffen. Das Laſter ſey feige und verberge ſich, wenn es eine ſolche Tugend vor ſich finde / die durch Er - kaͤnntniß eigener Schoͤnheit und Vorzuͤge muthig ſey. Sie wiſſen, dieſes Frauenzimmer legte ihre Gedancken in des Herrn Doctor Lewins Mund, wie ſie zu thun pflegt, wenn ſie nicht gern fuͤr das angeſehen ſeyn will, was ſie doch ſchon in ſo jungen Jahren iſt: und um ihren mittelmaͤßigen Gedancken, wie ſie ihr demuͤthiger Mund nennet, ein mehreres Gewicht zu geben.

Ueberhaupt ſagte Herr Hickman / nachdem er ſich wieder erholt hatte, er koͤnne von Lowelaces Tugend keine gute Meinung haben, nachdem er dergleichen in der Stadt gehoͤrt habe. Doch haͤt - ten ſeine beyden Bekannten vorgegeben, er ſey jetzt viel ordentlicher als ſonſt, und habe einen ſehr gu - ten Entſchluß gefaſſet, den der alte Tom Wahr - ton alſo ausgedrucket: niemand heraus zu fodern, und niemanden auszubleiben, der ihn herausfodert. Er ſey uͤberhaupt ein braver Kerl, und die an - genehmſte Geſellſchaft von der Welt. Er koͤnnte vielleicht dereinſt eine ſehr vornehme Perſon im Koͤ - nigreiche ſpielen: denn nichts ſey, das man nicht von ſeinem Gemuͤthe erwarten duͤrffe.

Jch fuͤrchte, dieſes ſey mehr als zu wahr. Mehr konnte Hickman nicht von ihm in Erfah - rung bringen: iſt aber dieſes nicht genug, meinHertz,27der Clariſſa. Hertz, ein ſolches Gemuͤth als das Jhrige iſt zu ei - ner voͤlligen Entſchlieſſung zu bringen, falls es ſich auch bisher noch nicht entſchloſſen haͤtte?

Jndeſſen muß ich geſtehen: iſt ein Frauenzim - mer in der Welt, das ihn auf den rechten Weg bringen kann, ſo ſind Sie es. Die Nachricht von der mit Jhnen gehabten Unterredung macht mir einige Hofnung von ihm. Wenigſtens wa - ren alle ſeine Bewegungs-Gruͤnde gerecht und billig: und ſollten Sie die ſeinige werden, ſo doch nichts mehr hievon. Alles uͤberlegt, kann er Jhrer nie werth werden.

Der vierte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Ein unerwarteter Zuſpruch hat meine Gedan - cken unterbrochen, und befiehlt mir in der Sache von der ich zu ſchreiben gedachte eine Aen - derung zu machen. Es war der eintzige, um deſſen Willen ich meinen Vorſatz brechen konnte, an dieſen gantzen Jhnen gewidmeten Tage keinen Beſuch anzunehmen: eine Perſon, welche ich nach Herr Hickmans Erzaͤhlung und der Erwartung ihrer luſtigen Freunde bey mir zu ſehen, nie vermu -thete,28Die Geſchichtethete, ſondern glaubte, ſie muͤſſe jetzt in London ſeyn. Jch habe nun nicht noͤthig Jhnen zu mel - den, daß es Jhr nur allzuliebenswuͤrdiger Boͤſe - wicht ſey. Man ſchreibt unſerm Geſchlecht eine Neigung zu, ſich mit dem unerwarteten zu be - ſchaͤftigen. Da ich aber zu eilfertig bin, verra - the ich ſelbſt auf eine mir unerwartete Weiſe meine unerwartete Neuigkeit. Sie ſollten, war meine Meynung, noch einmahl ſo viel von meinem Briefe geleſen haben, ohne errathen zu koͤnnen, wer? oder von welchem Geſchlechte die beſuchende Perſon geweſen ſey? doch ich goͤnne Jhnen, daß Sie es ſo leicht entdeckt haben.

Der Zweck ſeines Beſuchs war, mich zur Vor - ſprecherin bey meiner liebenswuͤrdigſten Freun - din zu gebrauchen: und von mir zu erfahren, wor - auf er noch hoffen koͤnne, indem er ſich gewiß ver - ſichert hielt, ich muͤſſe Jhr gantzes Hertz wiſſen. Er erzaͤhlte mir alles, was in der bewuſten Un - terredung vorgefallen war: er war aber wegen des Ausgangs und wegen der ſo wenig vergnuͤglichen Antworten, welche er von Jhnen erpreſſen koͤnnen, beſtuͤrtzt: da die Jhrigen gegen ihn von Tage zu Tage boßhafter, und dennoch gegen Sie nicht beſſer und gelinder wuͤrden. Er ſagte, ſein Ge - muͤth ſey voll Unruhe: er fuͤrchte, Sie moͤchten ſich uͤbertaͤuben laſſen, einen Mann zu waͤhlen, der bey jederman veraͤchtlich ſey. Er erwaͤhnte eini - ger gantz neulich vorgefallenen unanſtaͤndigen Begegnungen Jhrer Vettern und Bruders gegen jhn: mit der hinzugefuͤgten Erklaͤrung: wenn Sieſich29der Clariſſa. ſich in die Arme des Mannes zwingen lieſſen, um deſſen willen man ihm ſo ungeziemend begegne; ſo wuͤrden Sie eine der juͤngſten Witwen in Eng - land werden, ſo wie ſie gewiß die Liebenswuͤrdig - ſte ſeyn wuͤrden. Er wollte auch alsdenn Jhren Bruder wegen der unbeſcheidenen Reden die er in jedermans Gegenwart gegen ihn ausſtoͤßt, zur Rechenſchaft fodern.

Er that einige Vorſchlaͤge, aus welchen Sie ei - nen waͤhlen moͤchten, um Jhren jetzigen Drang - ſalen zu entgehen. Denn einen will ich Jhnen melden: Sie ſollen Jhr Land-Guth ſelbſt anneh - men und verwalten; und falls Sie hiebey Schwie - rigkeiten finden, ſo nicht auf andere Weiſe koͤnnen uͤberſtiegen werden, ſollen Sie entweder oͤffentlich oder insgeheim die Beyhuͤlffe ſeiner Vaters - Schweſter Lawrance oder des Lord M. anneh - men, um in den Beſitz des Jhrigen geſetzt zu wer - den. Er erklaͤrte ſich: wenn Sie dieſes thaͤten, ſo wolle er nachher es Jhrem eigenen Belieben und dem Rath Jhres Vetters Morden gaͤntzlich uͤberlaſſen, ob Sie ſeiner Bitte Gehoͤr geben woll - ten, oder nicht, wenn Sie von ſeiner aufrichtigen Beſſerung, die ihm ſeine Feinde ſo ſehr abſpre - chen, uͤberzeuget ſeyn wuͤrden.

Jch hatte eine gute Gelegenheit, mich bey ihm zu erkundigen, ob die Geneigtheit ſeiner Anver - wandtiñen und ſeines Vaters Bruders gegen Sie noch einerley bleibe, oder verringert ſey, nach - dem ſie von dem heftigen Betragen Jhrer Anver - wandten gegen Sie ſelbſt und gegen ihren VetterNach -30Die Geſchichtericht bekommen? als welches nach Jhrem Wunſch Herr Hickman bey dem Lord M. ausforſchen ſoll - te. Jch gebrauchte mich der Gelegenheit, und er beantwortete meine Frage hinlaͤnglich, indem er mir aus einem mitgebrachten Briefe von Lord M. vorlaß: Eine Verbindung mit Jhnen wuͤr - de auch bloß um Jhrer eigenen Vorzuͤge und Verdienſte willen ihnen die erwuͤnſch - teſte Sache ſeyn. Ja ſo weit gehen Seine Gnaden in Dero Schreiben: daß ſie ihn verſichern: wenn Sie um ſeinetwillen einigen Verluſt des Vermoͤgens uͤbernehmen muͤſten / und die Bitterkeit Jhrer Anverwandten ſo weit ginge / ſo wolle er ſelbſt und ſeine Schwe - ſtern geſam̃ter Hand ihm dieſen Verluſt wie - der gut thun. Jndeſſen wird ohne Zweifel das Anſehen einer ſo vornehmen Familie machen, daß man in dieſer Sache, welche die Ehre beyder Fa - milien angehet, eine allgemeine Genehmhaltung der Jhrigen ſehr wuͤnſchet.

Jch ſagte ihm, was Sie auch ſelbſt bereits ihm geſagt haben: Sie waͤren dem Herrn Solmes aufs aͤuſſerſte abgeneigt: und wuͤrden unverhey - rathet bleiben, falls Sie Jhrer eigenen Wahl fol - gen duͤrften. Gegen ihn, ſagte ich deutlich, haͤt - ten Sie wegen ſeiner Lebens-Art ſehr ſtarcke und gerechte Einwendungen. Es ſey billig zu verwun - dern, daß junge Herren, die ſich ſelbſt ſo viele Freyheit erlaubten, als man ihm Schuld gaͤbe, ſich einbilden koͤnnten, es muͤſſe ihnen das tugend - hafteſte Frauenzimmer zu Theil werden, ſo bald ſiees31der Clariſſa. es ſich in dem Kopf kommen laſſen zu heyrathen. Jch haͤtte ſelbſt ſehr darauf gedrungen, und wuͤr - de noch ferner darauf dringen, daß Sie ſich in den Beſitz Jhres Guts ſetzen ſollten: Sie waͤren a - ber bisher ſehr abgeneigt hievon. Sie ſetzen Jhre meiſte Hoffnung auf Jhren Vetter Morden: und ich glaubte es ſey Jhre Haupt-Abſicht, Zeit zu gewinnen bis dieſer ankommen wuͤrde.

Jch ſtellete ihm vor, daß weder ſeine Drohun - gen, noch die Vollziehung derſelben, Mittel zu ſei - nem Zweck, ſondern vielmehr Mittel zu den Ab - ſichten Jhrer Verfolger ſeyn wuͤrden: denn dieſen gaͤben ſie einen Vorwand, Sie mit Gewalt zu zwingen, ohne ſich dem Tadel der Welt bloß zu ſtellen. Denn er muͤſte nicht meynen, daß das Urtheil der Welt vortheilhaft fuͤr einen hitzigen jun - gen Herrn ausfallen werde, von deſſen Lebens - Wandel man nicht die allerbeſte Meynung habe, wenn er ſich unterſtuͤnde einer vornehmen Familie ein ſo ſchaͤtzbares Kind zu rauben, und dabey dro - hete, ſich durch Gewaltthaͤtigkeiten an ihnen allen zu raͤchen, wenn man ihn nicht einem andern Freyer vorzoͤge, den jene ſelbſt gewaͤhlet haͤtten.

Hiezu fuͤgte ich noch, er irre ſich ſehr, wenn er hoffe durch ſolche Drohungen Jhnen eine Furcht einzujagen. Denn ob Sie gleich einen ſehr ſanf - ten Sinn haͤtten, ſo kennete ich doch kein beſtaͤndi - geres Gemuͤth als das Jhrige, und kein Hertz das ſich weniger zwingen und uͤberwinden laſſe, wenn es glaube Recht zu haben, und von andern in wichtigen Dingen eine niedertraͤchtige Begegnungerdul -32Die Geſchichteerdulden muͤſſe: dieſes haͤtten Jhre Verwand - ten bisher erfahren, und wuͤrden es noch ferner er - fahren, wann ſie Jhnen noch ferner Gelegenheit geben Jhre Gemuͤths-Art zu zeigen.

Fraͤnlein Harlowe ſagte ich, kann vielleicht aus Sorgfalt und Klugheit bisweilen furchtſam ſeyn, wenn ſie diejenigen die ſie liebet in Gefahr ſiehet: aber ſie hat keine Furcht / wenn ihre Ehre und die Ehre unſeres Geſchlechts leiden ſoll. Mit einem Worte, ſie muͤſſen ſich nicht einbil - den / Fraͤulein Harlowe durch Furcht zu ei - ner niedertraͤchtigen Auffuͤhrung zu bewe - gen / die nur in ſchwachen und unbe - ſtaͤndigen Gemuͤthern aufſteigt.

Er antwortete: er ſey ſo wenig geſinnet Jhnen eine Furcht einzujagen / daß er mich vielmehr erſuche / Jhnen kein Wort von unſerer Unterredung zu melden: was er bedrohliches vorgebracht / ſey ihm bloß aus Hitze entfahren / da er befuͤrchtet habe / alle Hoffnung durch Sie gluͤcklich zu werden auf ewig zu verlieren / und in der Mey - nung geſtanden / Sie wuͤrden ſich in die Arme eines Jhnen verhaßten Freyers zwin - gen laſſen: und ſollte dieſes geſchehen / ſo wuͤrde er nach dem Urtheil der Welt wenig fragen: ja / es wuͤrden die jetzigen Dro - hungen einiger von Jhrer Familie / und ihr Frolocken / wenn ſie ihn abgewieſen haͤtten /alle33der Clariſſa. alle Rache nicht nur reitzen / ſondern auch entſchuldigen. Er ſetzte hinzu: alle Laͤnder in der Welt waͤren ihm gleich / wann er nicht auf Sie daͤchte: er habe daher vor den Geſetzen ſeines Landes ſich nicht zu fuͤrch - ten / was er auch irgend thun moͤchte nach - dem er Sie verlohren haͤtte.

Das unerſchrockne Geſicht, womit er dieſes ausſprach, macht mir Sorge. Gewiß er iſt im Stande ſehr uͤbereilte Handlungen vorzunehmen.

Seine Verwegenheit, welche ich ihm biswei - len ſehr nachdruͤcklich verwieß, ſuchte er durch die - ſen Zuſatz zu bemaͤnteln: ſo lange ſie unverheyra - thet blieben, ſey er bereit allen Schimpf zu ertra - gen, den Jhre Familie ihm anthaͤte. Wollten Sie ſich, falls man Sie noch weiter triebe, an einen dritten Ort in Sicherheit begeben, wo nicht bey ſeinem Vatters-Bruder oder bey ſeinen Anver - wandtinnen, dennoch an einen andern zuverlaͤßigen Ort: (ich glaube er wollte meiner Mutter Haus beſchreiben) oder wollten Sie nach Londen gehen und ein eignes Haus miethen, in welchem er Sie nie ohne gegebene Erlaubnis beſuchen wuͤrde, und wo Sie ſich mit Jhren Anverwandten voͤllig nach eignem Willen ſetzen koͤnnten: ſo wolle er gantz zu - frieden ſeyn, und erwarten was Jhres Vetters Ankunft, und Jhr eigner freyer Wille ihm fuͤr ein Schickſahl beſtimmen wuͤrde. Er kenne uͤbri - gens die Familie allzu wohl, er wiſſe wie wenig ſie von Jhrem Eigenſinn abweichen koͤnnten, und wie ſehr ſie ſich auf Jhr lenckſames Gemuͤth ver -Zweyter Theil. Cließen:34Die Geſchichteließen: er muͤſte daher das allerſchlimmſte befuͤrch - ten ſo lange Sie an einem Ort blieben, wo Sie den Drohungen und Uberredungen der Jhrigen uͤberlaſſen ſind.

Wir redeten ſonſt noch vieles, deßen Erzaͤh - lung nur eine Widerhohlung desjenigen ſeyn wuͤrde, was zwiſchen Jhnen und ihm bey dem Holtz-Stall vorgegangen iſt. Jch beziehe mich alſo deshalb auf das was Sie mir ſelbſt geſchrie - ben haben.

Wenn ich alles uͤberlege, ſo ſcheint mir das beſte, daß Sie ſich unabhaͤngig machen, denn wird alles gut gehen. Lovelace iſt ein hitziger Kopf: ich wollte weder ihn noch Solmes Jhnen wuͤnſchen. Wenn Sie von Jhrem Bruder und Schweſter loß ſind, ſo koͤnnen Sie reiflich uͤber - legen, was Jhnen in Abſicht auf einen von bey - den moͤglich oder unmoͤglich ſey. Wenn Jhre Verwandten in ihrer Thorheit fortfahren, ſo will ich mir den von ihm gegebenen Winck zu Nutze machen, und mich unter der Hand bey meiner Mutter erkundigen, ob Sie in unſerm Hauſe ei - nen Aufenthalt bekommen koͤnnen. Unterdeſſen ſchreiben Sie mir deutlich Jhre Meynung: ob ſie Jhr Landgut wieder fodern wollen? nebſt den Entſcheidungs-Gruͤnden. Jch rathe es an und trete hierin Lovelace bey. Wieder - fodern iſt ja noch nicht proceßiren. Jhre Entſchlieſſung mag endlich hierin ſeyn welche ſie wolle, ſo bitte ich Sie dennoch, verſprechen Sie nie wieder, Jhr Recht nicht zu behaupten. Man kanfort -35der Clariſſa. fortfahren, Sie zu reitzen und zu beleidigen, und Sie koͤnnen Urſache bekommen, Jhren Vorſatz zu aͤndern. Laſſen Sie demnach jene in der Furcht, daß Sie Jhren Sinn aͤndern moͤchten. So viel Großmuth haben die Jhrigen nicht, daß ſie beſſer mit Jhnen umgehen ſollten, wenn Sie ein un - ſtreitiges Recht aufgeben: Sie werden dieſes oh - ne meine Erzaͤhlung wiſſen. Jch bin und werde ewig bleiben

Jhre ergebenſte und treue Dienerin, Anna Howe.

Der fuͤnfte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Nachdem meine Baſe und Schweſter von mei - nem Eigenſinn Bericht abgeſtattet haben, ſo iſt von meinen Verwandten in voller Verſamm - lung ein einmuͤthiger Schluß gegen mich gefaſſet, wie mir Jungfer Eliſabeth erzehlet. Dieſen Entſchluß enthaͤlt beyliegender Brief meines Bru - ders, welchen ich eben empfangen habe, ich bitte, ihn mir, wann ſie ihn durchgeleſen haben, wieder zu ſchicken: dann vielleicht bin ich ſeiner bey un - ſerm Streit benoͤthiget.

C 2Fraͤu -36Die Geſchichte
Fraͤulein Claͤrchen!

Mir iſt aufgetragen, Euch zu wiſſen zu thun, daß, nachdeme mein Vater und meines Vaters Bruͤder von Eurer Baſe Hervey gehoͤret, was zwiſchen Euch und Jhr vorgegangen iſt: nachdem ſie von meiner Schweſter erfahren, wie ihr von Euch begegnet iſt: nachdem ſie alles wiederum uͤberdacht, was zwiſchen Eurer Mutter und Euch vorgegangen iſt: nachdem ſie Eure Einwendun - gen und Vorſchlaͤge erwogen: nachdem ſie in Be - trachtung gezogen, ihre Verſprechen gegen Herrn Solmes, die Gedult dieſes Herrn und ſeine groſſe Neigung gegen Euch, und die wenige Gelegen - heit, die Jhr angewandt habt ſeine Eigenſchaff - ten kennen zu lernen, und ſeine Vorſchlaͤge zu er - fahren: nachdem ſie auſſer dieſen noch zwey Stuͤ - cke behertziget: nemlich die verletzten Rechte eines Vaters, und Herrn Solmes unablaͤßige Bitte, (ſo wenig Jhr auch ſeiner Guͤtigkeit wuͤrdig ſeyd) daß man Euch Eures Arreſtes erlaſſen ſolle, wel - chem er gern Eure Verkertheit gegen ihn (Ab - gekertheit wollte ich ſchreiben, aber jenes Wort mag ſtehen) zuſchreiben wollte, als welche er ſonſt auf keine Weiſe begreiffen und faſſen kan, falls Jhr anders Eurer Mutter die Wahrheit geſagt habt, da Jhr Euer Hertz fuͤr frey ausgegeben: welches zu glauben Herr Solmes guthertzig ge - nug iſt, ob es gleich ſonſt kein Menſch glaubet Jn Betrachtung aller dieſer Urſachen iſt be - ſchloſſen worden, daß Jhr nach Eures Vaters Bruders Antons Gut reiſen ſollet: und Jhrhabt37der Clariſſa. habt Euch anzuſchicken, ſolches zu bewerckſtelligen. Den Tag der Abreiſe werdet ihr nicht lange vorher erfahren. Die Urſachen hievon ſind leicht zu er - rathen.

Jch will Euch aufrichtig die Urſache hievon mel - den. Sie iſt zwiefach: zuerſt will man verſichert ſeyn, daß ihr mit niemanden Briefe wechſelt die uns unangenehm ſeyn koͤnnten; denn man merckt an Frau Howe / daß Jhr auf ein - oder andere Weiſe Briefe an ihre Tochter, und vielleicht durch dieſe Beyhuͤlfe noch ſonſt an jemand brin - get: zum andern, ſucht man es hiedurch in die Wege zu richten, daß Jhr Herrn Solmes Be - ſuch annehmen ſollet, welches Jhr in dieſem Hau - ſe guͤtigſt abzuſchlagen beliebet habet; und da - durch Euch ſelbſt auſſer Stand geſetzet habet zu wiſſen, was fuͤr eine Parthey Jhr ausgeſchlagen. Wenn nach einem Umgang von 14. Tagen, und nach Uberlegung deſſen, was Eure Freunde Euch noch ſonſt ſeinethalb zu ſagen haben, und nach - dem Jhr in dieſer Zeit durch keinen heimlichen Brief-Wechſel verhaͤrtet ſeyd, Jhr dennoch die Eurigen von der Wahrheit deſſen uͤberzeuget wer - det, was Virgil ſchreibet: Amor omnibus idem. (Die Deutung dieſer Worte koͤnnt Jhr aus Drv - dens Ueberſetzung der Georgicorum lernen) wenn dieſes Wort bey Euch ſowohl als bey allen Thie - ren eintrifft; und wenn ſie gewahr werden, daß Jhr Eure Neigung gegen den wohlgeſitteten, den tugendhafften, den frommen Lovelace (ichC 3ſchreibe38Die Geſchichteſchreibe gern ſo, wie es Euch gefaͤllt) nicht uͤber - winden koͤnnt oder wollt: ſo wird man uͤberlegen, ob man Euren Einfaͤllen zu Willen ſeyn, oder Euch gantz fahren laſſen ſolle?

Man hoffet, daß Jhr mit Freuden abreiſen werdet, weil Jhr abreiſen muͤſſet. Euer Vaters Bruder Anton wird Euch alles in ſeinem Hau - ſe angenehm zu machen ſuchen. Das aber will er nicht verſprechen, daß er nicht wolle die Zug - Bruͤcke aufziehen laſſen, wenn es Zeit und Um - ſtaͤnde erfodern werden.

Beſuch werdet Jhr auſſer Herrn Solmes noch zu gewarten haben, von mir, falls Jhr mir dieſe Ehre goͤnnet, von Eurer Schweſter, und wenn Jhr Herrn Solmes wohl begegnet von Eu - rer Baſe Hervey, und Eurem Vaters Bruder Harlowe. Doch werden die beyden letztern ſchwerlich kommen, wenn ſie in Sorgen ſtehen muͤſſen Eure winſelnden Vocativos anzuhoͤren. Eliſabeth Barnes wird Euch zur Aufwartung mitgegeben: denn, gnaͤdige Fraͤulein, ich muß Euch melden, daß wir das ehrliche Maͤdgen deß - wegen nicht geringer achten, weil Jhr ſchlecht mit Jhr zufrieden ſeyd. Nur ſie betruͤbt ſich hieruͤber, als waͤre es ein groſſes Ungluͤck, weil ſie gern das Gluͤck haben wollte Euch zu gefallen.

Man begehret Antwort von Euch, ob Jhr mit Freuden in dieſe Reiſe williget? Eure allzu - guͤtige Mutter hat mir aufgetragen, Euch zu Ge - muͤthe zu fuͤhren, daß man jetzt weiter nichts von Euch begehre, als einen Umgang von 14. Tagenmit39der Clariſſa. mit Herrn Solmes; ich verharre, falls es Euch belieben wird, es zu verdienen

Euer ꝛc. Jacob Harlowe.

Hier iſt das Meiſterſtuͤck der Argliſtigkeit mei - nes Bruders! Jch ſoll mich in meines Vaters Bruders Haus begeben: und zwar mit dem aus - druͤcklich vorgegebenen Endzweck Herrn Solmes Viſiten anzunehmen! Dort iſt eine Capelle! das Haus iſt mit Graben umgeben! Alle Gelegenheit wird mir abgeſchnitten Briefe mit Jhnen zu wechſeln; und es iſt unmoͤglich zu entkommen, wenn man Gewalt gebrauchen will, mich zur Lie - be gegen einen ſo verhaßten Mann zu zwingen.

So ſpaͤt es auch war als ich dieſen ſpoͤttiſchen Brief empfing, ſchrieb ich doch gleich eine Ant - wort, damit ſie moͤchte fertig ſeyn, ſo bald mein Bruder des Morgens aufzuſtehen pflegt. Jch lege den erſten Aufſatz davon bey. Sie werden ſehen, wie ſehr mich ſein niedertraͤchtiger Spaß aus dem Virgil, und baͤuriſche Spaß von meinen winſelnden vocativis erzuͤrnet hat. Da uͤbrigens der Befehl mich zur Reiſe anzuſchicken, in meines Vaters und ſeiner Bruͤder Nahmen an mich gebracht wird: ſo habe ich einen von denen Kunſt-Griffen deren ich beſchuldiget werde, ge - braucht, und den niedertraͤchtigen und unertraͤg - lichen Spaß in meinem Antwort-Schreiben ſehr hoch empfunden, um diejenige abſchlaͤgige Ant -C 4wort40Die Geſchichtewort zu bemaͤnteln, welche meine Bruͤder und Schweſter ſonſt fuͤr eine Auflehnung gegen mei - ne Eltern ausgeben wuͤrden, denn ich glaube ihr Endzweck wuͤrde nur halb erreichet werden, wenn ſie mir das Hertz meines Vaters und ſeines Bru - ders nicht gaͤntzlich rauben koͤnnen, falls ich auch ihren Willen erfuͤllete den ich doch unmoͤglich er - fuͤllen kan.

Mein Bruder,

Jhr koͤnntet mir in 3. Zeilen Nachricht von dem Willen der Meinigen gegeben haben: nur haͤtte es Euch denn an Gelegenheit gefehlet in einer ſo garſtigen Anfuͤhrung der Worte des Virgils Eu - re ausnehmende Gabe in der Pedanterey zu zeigen. Jch darf Euch doch wohl ſchreiben, daß wenn Jhr Euch auf der Hohen Schule unter andern auf die ſogenannten Humaniora(*)Jm Engliſchen ſtehet das Wort Humanity: welches ſowohl die ſogenannten Humaniora, als auch die Freundlichkeit und Leuiſeeligkeit anzeiget. Da wir im Teutſchen kein Wort von gleicher Zweydeutigkeit haben, ſo iſt es dem Ueberſetzer unmoͤglich geweſen dieſes Wortſpiel auszudrucken. ſollet gele - get haben, dieſe Wiſſenſchafften gar nicht den Geiſt bey Euch gefunden haben, der ſie faſſen konnte. Es ſcheint, daß weder mein Geſchlecht, noch meine Perſon ob ich gleich Eure Schweſter bin, Euch, meinen Bruder, nur zu einiger an - ſtaͤndigen Schreib-Art haben verbinden koͤnnen: und Jhr muͤſſet nur darum auf die Univerſitaͤt ge - gangen ſeyn, daß Jhr Eure natuͤrliche Bosheitrecht41der Clariſſa. recht ausarbeiten moͤchtet; nicht aber in den Nei - gungen zuzunehmen, die man bey Eurem Blute vermuthen ſollte, wenn ich auch von der Erzie - hung nichts gedencken will.

Jch zweifele gar nicht daran, daß ihr meine Freyheit uͤbel nehmen werdet. Aber da Jhr alles verdient habet, ſo werde ich deſtoweniger deshalb bekuͤmmert ſeyn, jemehr ich ſehe, daß Jhr der Billigkeit und dem Mitleiden zum Trotz, Eure witzigen Einfaͤlle anzubringen ſuchet.

Jch kann ohnmoͤglich laͤnger die Verachtung und die Spoͤttereyen erdulden, die ſich am wenig - ſten fuͤr einen Bruder ſchicken. Nur eine Gefaͤllig - keit, mein dienſtfertiger Goͤnner! Geben Sie ſich eher keine Muͤhe, mir einen Mann zu ver - ſchaffen, bis meine zuvor kommende Hoͤflichkeit Jhnen eine Frau aufdringet. Mit guͤtigſter Er - laubniß! Jch ſollte dencken, daß ich eben ſo viel Recht haͤtte Euch das Frauenzimmer vorzuſchrei - ben, das Jhr heyrathen ſollet, wenn ich nur Argliſtigkeit genug beſaͤße das Hertz meines Va - ters zu gewinnen, als Jhr jetzt Recht habt, mich mit einem Manne zu beſchencken.

Was den an mich gebrachten Befehl anlanget, ſo nehme ich es auf mich dieſe Antwort zu erthei - len: obgleich ich alle Befehle meines Vaters ſo verehren werde, wie es ſich fuͤr ein Kind geziemet: ſo halte ich mich dennoch berechtiget zu glauben, daß er von dieſem Eurem Briefe nichts wiſſe, in - dem mir dieſe Anzeige bloß durch einen Bruder geſchehen iſt, der ſeit einiger Zeit das Hertz einesC 5Bru -42Die GeſchichteBruders ſo ſehr abgeleget und mir ſo viel Widrig - keit erzeiget hat, davon ich keine Urſache zu erra - then weiß, es muͤſte denn dieſe ſeyn, daß er in mir eine Schweſter mehr zu haben vermei - net, als ſeinem Eigennutz ertraͤglich iſt. Und weil ich dieſes glaube, ſo erklaͤre ich mich auch, daß ich nicht mit Willen, ja auch alsdenn nicht, wenn man Gewalt gebrauchen wollte, entſchloſ - ſen bin an einen andern Ort zu reiſen, um daſelbſt Herrn Solmes Beſuch anzunehmen.

Jch halte mich ſo ſehr berechtiget, gegen Euren ehren - ruͤhrigen und niedertraͤchtigen Spaß um mein ſelbſt und um meines Geſchlechts willen em - pfindlich zu ſeyn, daß ich Euch hiemit anzeige: ich werde keine Briefe von Euch ferner annch - men. Nur denn werde ich eine Ausnahme hie - von machen, wenn es mir von ſolchen befohlen wird, gegen deren Befehl ich nie etwas einzuwen - den haben werde, wenn er nur nicht eine Sache be - trifft auf welche meine jetzige und kuͤnftige Gluͤck - ſeeligkeit ankoͤmmt. Sollten je dergleichen Be - fehle mir gegeben werden, ſo wuͤrde ich die Haͤr - te meines Vaters nicht ſo wohl ihm ſelbſt, als Euch, und Euren ſcheinbaren und dennoch abge - ſchmackten Abſichten die voller Eigenliebe und Hochmuth ſind zuzuſchreiben haben. Dis iſt die lautere Wahrheit.

So ſehr ich auch erzuͤrnt bin, will ich doch noch ein Wort hinzu thun. Haͤtte man mich in der That fuͤr ſo hartnaͤckig gehalten, als man michſeit43der Clariſſa. ſeit einiger Zeit ausſchreiet, ſo wuͤrde man nicht mit mir ſo uͤbel, als geſchehen iſt, umgegangen ſeyn. Schlaget an Eure Bruſt(a)Jm Engliſchen ſteht leget die Hand auf die Bruſt. Man pflegt dieſen Ausdruck bey Betheuerungen und Verſicherungen zu gebrauchen, Wenn z. E. einer bey ſeiner Ehrlichkeit etwas verſichern will, ſo ſagt er, ich lege meine Hand auf meine Bruſt. Da wir im Deutſchen keinen voͤlligen gleichen Ausdruck haben, ſo hat es der Ueberſetzer geben muͤſſen, ſo gut er ge - konnt. mein Bru - der, und ſaget, wer an allem dieſen Schuld gewe - ſen. Unterſuchet, was ich gethan habe, dadurch ich verdiene, ſo ungluͤcklich gemacht und gezwun - gen zu werden, mich zu nennen

Eure beleidigte Schweſter Clariſſa Harlowe.

ich bin begierig zu wiſſen, was Sie nach Leſung dieſer meiner Antwort von mir dencken.

Der ſechſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Mein Brief hat unſer gantzes Haus in Un - ruhe geſetzet: Es ſcheint, daß ſie dieſe Nacht alle beyſammen geblieben ſind, um einenRath44Die GeſchichteRath zu geben, was zu thun ſey, wenn ich einem Befehl, den ſie insgeſamt fuͤr billig hielten, keine Folge leiſten wollte.

Jch habe von Eliſabeth gehoͤret, daß mein Va - ter in der erſten Hitze ſich entſchloſſen habe, ſogleich ſelbſt zu mir zu gehen, und mich aus dem Hauſe zu ſtoſſen. Er war auch von ſeinem Sinne nicht ab - zubringen, bis man ihm zu verſtehen gab, daß ich vermuthlich ihn zu reitzen ſuchte, dieſes zu thun, und daß er mir zu meinen verkehrten Abſichten eben hiedurch befoͤrderlich ſeyn wuͤrde. Endlich be - ſchloß man, daß mein Bruder, der allerdings die unrechten Mittel gebraucht haͤtte, (wie meine Mutter und Mutter Schweſter behaupteten) von neuem an mich einen gelindern Brief ſchreiben ſoll - te: denn keinem andern wollte man erlauben, oder kein anderer hatte Luſt an mich zu ſchreiben, weil ich im Antworten ſo fertig war. Da ich mich aber erklaͤret hatte, keine Briefe fernerhin ohne Befehl meiner Obern von ihm anzunehmen, ſo ſollte mei - ne Mutter ihren Namen dazu hergeben. Sie hat auch dieſes in folgenden Zeilen gethan, welche ſie auf die aͤuſſere Seite des Briefes geſchrieben. Jch lege den Brief und die Antwort mit bey.

Clariſſa Harlowe.

Erbrich dieſen Brief, und leſe ihn mit derjenigen Gemuͤths-Faſſung, welche deinem Geſchlecht, deinem Gemuͤth, deiner Erziehung und deiner Pflicht gemaͤß iſt. Sende die Antwort an dei - nen Bruder.

Charlotte Harlowe.

45der Clariſſa.
An Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch ſchreibe noch einmahl, obgleich es mir mei - ne juͤngere Schweſter nachdruͤcklich verbo - ten hat. Eure Mutter hat mir befohlen es zu thun, damit Jhr bey Eurer Obſtination ohne Ent - ſchuldigung ſeyn moͤget. Macht mich etwa dis Wort zum Pedanten gnaͤdige Fraͤulein? Sie will Euch gern in allen nachgeben, was nur den Schein der Artigkeit hat, welche ſie und alle ande - re ehemals an Euch bewunderten. Ehe Jhr mit Lovelace bekannt wurdet, muß ich auch zu Eurem Ruhm ſagen, daß Jhr artig geweſen ſeyd. Sie und ihre Schweſter Hervey (welche beyde ſo ge - neigt ſind Euch das Wort zu reden, wenn ſie nur koͤnten) wollen es ein-vor allemal haben, daß die Schuld Eurer harten Antwort an mir liege. Sie koͤnnen aber dabey nicht laͤugnen, daß die Ant - wort ſelbſt ſehr ungeziemend ſey. Jhr ſehet in - deſſen, daß ich nun anfange zu lernen, und eine ſanftere Sprache annehme, da Jhr ſie ableget. Die Sache ſtehet ſo:

Sie erſuchen, ſie bitten, ſie flehen, (iſt einer von dieſen Ausdruͤcken ſtarck genug Fraͤulein Claͤrchen?) daß Jhr Euch nicht wegern wollet, nach Eures Vaters Bruders Antons Gute zu reiſen. Jch ſoll Euch anbey deutlich zu verſtehen ge - ben, daß den Jnhalt meines letzten Briefes betref - fend, doch man ſollte dencken, ſie haͤtten eben nicht noͤthig zu erſuchen, zu bitten und zu flehen. So46Die GeſchichteSo viel iſt Herrn Solmes verſprochen, der ſtets Euer Wort redet, und wegen Eurer Einſchraͤn - ckung ſehr beunruhiget iſt, die er als die Quelle Eurer Widrigkeit gegen ihn anſiehet. Wenn er aber finden wird, daß Jhr Euer Hertz nicht zu ihm lencken wollet, nachdem Jhr von allem ſoge - nannten Zwange befreyet ſeyn werdet, ſo wird er aufhoͤren, an Euch zu dencken, ſo ſchwer ihm auch dieſer Entſchluß ankoͤmmt. Er liebt Euch gar zu ſehr: und dieſes ſehe ich allerdings fuͤr einen Fehler ſeines Verſtandes an, gegen welchen Jhr ſonſt ſo viel einzuwenden habt.

Erlaubet ihm demnach nur 14. Tage lang, daß er Euch beſuchen duͤrfe. Jhr erinnert mich meiner Erziehung, ich hoffe, daß die Eurige Euch nicht erlauben wird, irgend jemand grob zu begegnen. Er wird doch nicht der erſte ſeyn ſollen, (mich muß ich ausnehmen) dem bloß unſere Hochachtung Grobheiten von Eurer Seite zuziehet. Jch bin nach Eurem Belieben und Befehl, entweder Euer Freund oder Bruder, oder Diener. Jch wuͤnſch - te, daß ich gegen eine ſo hoͤfliche und artige Schwe - ſter mich noch hoͤflicher bezeigen koͤnnte.

Jacob Harlowe.

P.S. Falls Jhr Euch ſo weit herab laſſet, zu ant - worten, ſo werdet Jhr abermahl an mich ſchrei - ben muͤſſen. Man kan nicht zugeben, daß Jhr die Ruhe Eurer Mutter durch Eure nichts - be - deutende Vocativos ſtoͤrt. Vocativos (merckt es Fraͤulein Claͤrchen) ſetzt Euer pedantiſcher Bruder abermahls.

An47der Clariſſa.
An den jungen Herrn Jacob Harlowe.

Erlauben Sie mir, meine wertheſten Eltern, daß mich auf eine unerwartete Weiſe mit einem Schreiben zu Jhnen draͤnge, da ich die Ehre nicht haben ſoll, unmittelbar an Sie zu ſchreiben. Denn ich hoffe, daß dieſer Brief Jh - nen vorgeleſen werden wird. Jch bitte Sie, glau - ben Sie, daß nichts als ein gantz unuͤberwindlicher Widerwille im Stande ſeyn wuͤrde, mich von et - was abgeneigt zu machen, das Jhnen zum Ver - gnuͤgen gereicht. Was iſt Reichthum, was ſind die ſchoͤnſten Verſchreibungen, wenn man ſie mit wahrer Gluͤckſeeligkeit in Vergleichung ſetzt? Ge - ben Sie nicht zu, daß ich auf eine ſo grauſame Weiſe einem Mann aufgeopfert werde, gegen den mein Jnnerſtes einen unausſprechlichen Eckel hat. Jch muß das wiederhohlen, was ich ſchon ſonſt geſagt habe, daß es mit der Ehre und Tugend ſtreitet, wenn ich ihn nehmen ſollte. Vielleicht wuͤr - de ich einen andern Entſchluß gefaſſet haben, wenn ich einen unvollſtaͤndigern Begriff von den Pflich - ten des Eheſtandes haͤtte. Da ich alles Elend, das aus einer ungluͤcklichen Ehe entſtehen koͤnnte, ſelbſt zu tragen haben wuͤrde, und zwar ſo lange ich lebe: da nicht blos meine Neigungen, ſondern das innerſte meiner Seelen ſich gegen ihn empoͤ - ret: da vielleicht mein ewiges Wohl in noch groͤſ - ſerer Gefahr ſtehet, als mein zeitliches: ſo iſt es hart, wenn mir die Freyheit, Nein zu ſagen,nicht48Die Geſchichtenicht einmahl zugeſtanden wird. Mehr als dieſe Freyheit verlange ich nicht.

Jch koͤnnte mich ſoweit wohl uͤberwinden, daß ich Herrn Solmes Reden vierzehen Tage lang anhoͤrte: ob ich gleich zum voraus bekennen muß, daß ich meine Abneigung ohnmoͤglich werde uͤber - winden koͤnnen, er mag ſagen was er will. Allein der Graben um das Haus, die Capelle, die in dem Hauſe iſt, und das wenige Mitleyden, das mein Bruder und meine Schweſter, als die mir dort zugedachte Geſellſchafft, bisher gegen mich bewie - ſen haben, ſetzen mich in die aller groͤſſeſte Beſorg - niß. Wie kan mein Bruder ſagen, daß man mich auf Herrn Solmes Bitte weniger einſchraͤn - cken will: da ich in der That in ein noch engeres Gefaͤngniß eingeſperret werden ſoll, deßen Zug - Bruͤcke man ſogar aufzuziehen drohet, und das mich von einem lieben Vatter und Mutter abſon - dert, damit ich nicht zu ihrer Guͤtigkeit meine Zu - flucht nehmen koͤnne, wenn die Sachen auf das aͤuſſerſte kommen ſollten.

Uebertragen Sie doch nicht Jhr Recht uͤber ihr eigenes Kind an einen Bruder oder Schweſter! An einen Bruder und Schweſter, die unguͤtig und hart mit mir umgehen, und von denen ich be - fuͤrchte, daß ſie mein Betragen Jhnen auf der unrechten Seite vorſtellen. Denn geſchaͤhe die - ſes nicht, ſo waͤre es nicht moͤglich, daß ein Kind, das bisher ſo auſſerordentliche Liebe von Jhnen genoſſen hat, auf einmahl Jhre Liebe und gute Neigung ſo ſehr verlieren ſollte, als ich ſie bisher leyder verlohren habe.

Ma -49der Clariſſa.

Machen Sie vor jetzund nur meiner beſchwer - lichen Gefangenſchaft ein Ende! Vergoͤnnen Sie mir, liebſte Mutter, vor Jhren Augen ſo gut als ein anderes Dienſt-Maͤdgen mich mit Naͤhen und Sticken zu beſchaͤftigen: ſo werden Sie ſe - hen, daß ich von keinem Eigenſinn und vorgefaß - ten Meinungen regiert werde. Stoſſen Sie mich nur nicht aus Jhrem Hauſe! Herr Sol - mes mag aus und eingehen wie es mein Vater fuͤr gut findet: wenn mir nur erlaubt iſt, zu bleiben oder wegzugehen, und den Ausgang der Sache der Vorſehung zu uͤberlaſſen.

Vergebt es mir, mein Bruder, daß ich auf eine gekuͤnſtelte Art mich wage, durch Euch, mei - nen Eltern ein an ſie ſelbſt gerichtetes Schrei - ben in die Haͤnde zu ſpielen, da mir verboten iſt, mich mit ihnen muͤndlich oder ſchriftlich zu un - terreden. Es iſt etwas hartes fuͤr mich, daß man mich zwinget, auf eine Liſt zu dencken. Vergebt mir auch, daß ich von dem edlen Her - tzen, in welchen Euer adliches Gebluͤte flieſſet, und von der Gefaͤlligkeit, die ich von einem Bruder genieſſe, oben nach der Wahrheit geſchrieben ha - be. Jhr habt mir zwar in der lezten Zeit we - nig Anlaß gegeben, Liebe oder Mitleiden von Euch zu erwarten: allein, ich mache doch hier - mit einen Anſpruch an beydes, weil ich mir nicht bewuſt bin, eins von beyden durch meine Schuld verſchertzt zu haben. Da, GOtt ſey Danck, meine beyden Eltern noch am Leben ſind, ſo erkenne ich dennoch wohl, daß es in den Haͤn -Zweyter Theil. Dden50Die Geſchichteden eines, der nur mein Bruder, ſtehet, die Gemuͤths-Ruhe und Gluͤckſeligkeit derjenigen wieder herzuſtellen, die ſich mit betruͤbten Her - tzen unterſchreibt,

Eure ungluͤckliche Schweſter Clariſſa Harlowe.

Eliſabeth erzaͤhlt mir, mein Bruder habe meinen Brief in Stuͤcken zerriſſen, und ſich ver - lauten laſſen, er wolle eine ſolche Antwort dar - auf ſchreiben, die einen Wanckenden aufrichten koͤnnte. Mein Brief wuͤrde einen jeden andern zum Mitleiden bewogen haben, meinen harten Bruder ausgenommen. GOtt vergebe es ihm.

Der ſiebende Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch ſende Jhnen den Fehde-Brief, den mein Bruder gedrohet hat an mich zu ſchreiben; ich habe ihn jetzt eben bekommen. Mein Bru - der meine Schweſter, mein Onckle Anton, und Herr Solmes ergoͤtzen ſich unten an einer zu - ruͤckbehaltenen Abſchrift deſſelben, und halten ihn fuͤr ein ſolches Meiſterſtuͤck, darauf ich nichts wuͤrde antworten koͤnnen.

An51der Clariſſa.
An Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch ſchreibe noch einmahl an Euch, meine un - bewegliche Schweſter, um Euch zu benachrich - tigen, daß die wohl ausgeſonnene Liſt, deren Jhr Cuch bedient habet, Euer hertzbrechendes Win - ſeln durch mich an Eure Eltern zu bringen, die gehofte Wuͤrckung nicht gehabt hat.

Jch verſichere Euch, daß ich Euer Betragen nicht auf der unrechten Seite vorgeſtellet habe: und ich habe auch nicht noͤthig gehabt, dieſes zu thun. Jhr wiſſet, daß ſelbſt Eure Mutter, ſo geneigt ſie auch iſt, Euch bey aller Gelegenheit zu entſchuldigen, ſo vollkommen von Eurem Un - gehorſam uͤberzeuget iſt, daß ſie gantz von Euch ablaͤßt. Es iſt daher nicht noͤthig, daß Jhr vor ihren Augen Eur Naͤhen und Sticken verrichtet. Eur Winſeln iſt ihr unertraͤglich, und um ihrent willen iſt es geſchehen, daß Euch verboten ward, ihr nicht vor die Augen zu kommen. Sie will ſich von Euch nicht vorſchreiben laſſen, was ſie Euch erlauben oder nicht erlauben ſoll.

Geſtern haͤttet Jhr beynahe Eure Baſe Frau Hervey ſo einfaͤltig gemacht, daß ſie Euch ge - trauet haͤtte. Sie ſprach fuͤr Euch, als ſie von Eurer Stube kam: als wir ſie aber fragten, ob ſie denn eine beſſere Antwort von Euch braͤchte? und worin Jhr gewichen waͤret? ſo ſahe ſie ſich um, und wuſte nichts zu ſagen. Eure Mutter ward auch bey dem Anfang des Briefes, den Jhr unter meiner Aufſchrift an ſie und an meinen Vater geſchrieben habt, uͤbereilt: dennD 2ich52Die Geſchichteich hatte angefangen den Brief vorzuleſen, und dachte auf nichts weniger als auf eine ſo witzige Ausflucht. Sie verlangte von mir, ich ſolte den gantzen Brief vorleſen: ach! ihr liebes Kind! ihr liebes Kind muͤßte zu nichts gezwun - gen werden! Wir fragten ſie aber: ob ſie Luſt zu einem Schwieger-Sohne haͤtte, der der gantzen Familie Trotz boͤte, und der beynahe ih - res Sohnes Moͤrder geworden waͤre? ob ſie von ihrer Tochter etwas haͤtte erhalten koͤnnen? ob ſie ſo viel Zaͤrtlichkeit gegen Euch haben koͤn - ne, nachdem Jhr nach aller Vermuthung ge - ſucht haͤttet, ihr etwas aufzubinden, da Jhr ver - ſichert, Euer Hertz ſey ungebunden? Auf dieſe Fragen ſahe ſie ſich in der Stube um, wie ih - re Schweſter: ſie kam wieder zu ſich ſelbſt, und faſſete von neuen den Schluß, ihre Auctoritaͤt ſehen zu laſſen, nicht aber wie Jhr ſchreibet, wi - tzige Schoͤne, ihr Recht uͤber ein rebelliſches Kind, daß ſich von dem Gehorſam gegen ſeine Eltern losreiſſen wollen, einem andern zu uͤbertragen.

Es ſcheint, Kind, daß ihr ſehr hohe Begriffe von den Pflichten des Eheſtandes habt: ob ich gleich Buͤrge dafuͤr werden wolte, daß Jhr eben ſo gut wie alle Eures Geſchlechts, eine oder zwey Perſonen ausgenommen, welche ich die Ehre ha - be zu kennen, in der Kirche etwas verſprechen werdet, daß Jhr nie geſinnet ſeyd zu halten. Allein, ſuͤſſes Kind! (um Euch eben ſo zu nen - nen, als Eure werthe Mutter Frau Norton Euch nennet) ſo lange Jhr noch nicht verheyrathetſeyd,53der Clariſſa. ſeyd, denckt mehr an die Pflichten der Kinder als an die Pflichten des Eheſtandes.

Wie koͤnnt Jhr ſagen, daß Jhr alles Elend ſelbſt tragen muͤſſet, da Jhr Euren Eltern, Eu - ren Onckles, mir, und Eurer Schweſter einen ſo groſſen Theil davon zutragen gebt? uns, die wir Euch achtzehn Jahr lang ſo zaͤrtlich geliebet haben?

Wenn ich ſeit kurtzem meine Auffuͤhrung ge - gen Euch geaͤndert habe, und Jhr weder Liebe noch Mitleiden von mir habt hoffen koͤnnen, ſo iſt es aus der Urſache geſchehen, weil Jhr keins von beyden verdient habt. Jch weiß wol, wor - auf Jhr zielet, niedertraͤchtige Tadlerin, wenn Jhr ſchreibt: Es ſtehe in den Haͤnden eines der nur Eur Bruder iſt (das ſcheinet Euch ſchon eine weitlaͤuftige Verwandſchaft zu ſeyn) Euch die Gemuͤths-Ruhe und Gluͤckſelig - keit zu verſchaffen, die Jhr Euch ſelbſt, ſo bald es Euch beliebet, verſchaffen koͤnnt.

Die Freyheit, Nein zu ſagen, kann Euch nicht zugeſtanden werden, artige Fraͤulein: Denn wir mercken alle, daß die Freyheit gegen aller Willen Ja zu ſagen bald darauf folgen wird. Der liederliche Kerl, in den Jhr Euch verliebt habt, ſagt das gegen jedermann deutlich, was Jhr nicht ſagen wollt. Er ſagt, Jhr waͤret ſein und Jhr ſoltet ſein bleiben, und es ſollte dem das Le - ben koſten, der ſich unterſtehen wuͤrde, ihm ſein Eigenthum zu rauben. Wir haben Luſt zu probiren, ob er ſein Wort wahr machen wird. D 3Mein54Die GeſchichteMein Vater ſteht in den Gedancken, daß er uͤber ſein Kind zu befehlen habe, und iſt nicht geſon - nen, ſein Recht wegen einer Drohung fahren zu laſſen. Allein was muß das fuͤr ein Kind ſeyn, das einen Taugenichts hoͤher ſchaͤtzt als ſeinen Vater?

Auf dieſer Seite muß man den ganzen Streit anſehen. So lernt denn, roth zu werden, zaͤrt - liches Kind, das ſchon durch die Worte des Poe - ten, Amor omnibus idem; beleidiget wird! Lernt roth zu werden, keuſches Maͤdgen, voll jungfer - licher Bloͤdigkeit: und wenn es noch moͤglich iſt, daß Jhr Euch uͤberzeugen laßt, ſo richtet Eu - ren Willen nach dem Willen derer, denen Jhr Euer Daſeyn zu dancken habt, und bittet die Eu - rigen um Vergebung und Vergeſſung Eures bisherigen Ungehorſams.

Jch habe einen laͤngern Brief an Euch ge - ſchrieben, als ich Anfangs vorhatte zu ſchreiben, nachdem Jhr mir ſo unhoͤflich begegnet ſeyd, und mich ſogar der Ehre an Euch zu ſchreiben unwuͤrdig erklaͤrt habt. Jch habe Befehl, Euch noch zu melden, daß die Eurigen eben ſo uͤberdruͤ - ſig ſind, Euch einzuſperren, als Jhr ſeyn koͤnnt, Euch einſperren zu laſſen. Jhr muͤßt Euch dem - nach in Bereitſchaft halten, der geſchehenen An - deutung zufolge nach Eures Onckels Antons Wohnung zu reiſen. Eure Furchſamkeit wird ihn nicht hindern die Zug-Bruͤcke aufziehen zu laſſen, ſo oft es ihm beliebet, und ſolche Geſell - ſchaft, als ihm gefaͤllt, in ſeinem Hauſe zu haben:ich55der Clariſſa. ich glaube auch nicht, daß er ſeine Capelle nie - derreiſſen laſſen wird, um Euch von der Nie - drigkeit zu heilen, die Jhr ſeit kurtzem gegen al - le zum Gottesdienſt geweihete Gebaͤude gehabt habt: eine Widrigkeit, die deſto thoͤrichter iſt, weil wir uns Eurer Stube zur Vollziehung der Trauung eben ſo gut als eines andern Or - tes bedienen koͤnnten, wenn es unſere Meinung waͤre Gewalt zu gebrauchen.

Eine vorgefaſte Meinung hat Euch gewiß verblendet, daß Jhr die guten Eigenſchaften des Herrn Solmes nicht ſehen koͤnnt: und die Lie - be verpflichtet uns, Euch die Augen zu oͤfnen. Denn niemand, Euch ausgenommen, haͤlt ihn in Abſicht auf das aͤuſſerliche fuͤr ſo ſchlecht und veraͤchtlich: und fuͤr einen Land-Edelmann, der nicht Luſt hat die Perſon eines Stutzers vorzu - ſtellen, iſt ſeine Auffuͤhrung nicht zu tadeln. Von ſeinem Gemuͤth ſolltet Jhr billig alsdenn urthei - len, wenn Jhr Gelegenheit gehabt haͤttet, ihn naͤ - her kennen zu lernen, als bisher geſchehen iſt.

Endlich wuͤrde es wohl gethan ſeyn, wenn Jhr Euch bald zu Eurer Abreiſe anzuſchicken ſuchtet. Es wird dis um Eurer eigenen Bequemlichkeit willen noͤthig ſeyn, und es waͤre auch gut, daß Jhr wenigſtens in einem eintzigen Stuͤck Eu - ren Freunden gefaͤllig zu ſeyn ſuchtet, unter de - nen Jhr, wenn Jhr es anders verdienet, eine Stelle einraͤumen koͤnnt, demjenigen, der weiter nichts als nur Euer Bruder iſt

Jacob Harlowe.

D 4P.S. 56Die Geſchichte

P. S. Herr Solmes iſt bereit Euch ſeine Auf - wartung zu machen, an welchem Orte es Euch beliebet, wenn Jhr begierig ſeyd, ihn zu ſprechen, und Euch gegen ihn wegen der neulichen ziem - lich dreiſten Auffuͤhrung zu entſchuldigen, um ihn an einem andern Orte mit weniger Scham oder Furcht ſprechen zu koͤnnen. Wenn Jhr Luſt habt, den Heyraths-Contract vor deſſen Unterzeichnung zu leſen, ſo will ich ihn Euch ſchicken. Wer weiß, ob Jhr nicht einige neue Einwendungen darin findet! Eur Hertz iſt frey; das ſetzen wir zum voraus. Denn Jhr habt ja Eurer Mutter geſagt, daß es frey ſey: und die fromme Clariſſa Harlowe wird ihrer Mutter nichts weis machen wol - len.

Jch verlange keine Antwort: und die Sache er - fordert auch keine. Doch will ich Euch fragen, Fraͤulein: habt Jhr nicht noch etwan andere neue Vorſchlaͤge zu thun?

Der Schluß dieſes Brieffes (deſſen P. S. ver - muthlich geſchrieben iſt, nachdem die andern den Brief geleſen hatten) verdroß mich ſo ſehr, daß ich ſchon die Feder ergriff, um an meinen Onckle Harlowe zu ſchreiben, und ihm anzukuͤndigen, daß ich mein Gut wieder in Beſitz nehmen woll - te. Jch war alſo entſchloſſen, Jhrem Rath zu folgen: allein es mangelte mir an Muth, als ich uͤberlegte, daß ich niemand auf meiner Seite haͤtte, der meine Anfoderung unterſtuͤtzen koͤnnte,und57der Clariſſa. und daß die Meinigen hiedurch nur deſto mehr erbittert werden wuͤrden. Wie ſehr wuͤnſchte ich, daß der Obriſte Morden ſchon angekom - men waͤre!

Jſt es nicht betruͤbt, daß ich jetzt niemand in der Welt habe, der ſich meiner annimt, oder zu dem ich meine Zuflucht nehmen koͤnnte, wenn ich gezwungen waͤre, eine Zuflucht zu ſuchen; da ich doch noch vor kurtzer Zeit glaubte, daß mich jedermann lieb haͤtte? Jch war vorhin ſo hoch - muͤthig, daß ich jedermann, den ich ſahe, fuͤr meinen Freund hielt, und konnte mir einbilden, daß ich dieſeſes Gluͤck einigermaſſen verdient haͤt - te, weil ich einen jeden, der meines Schoͤpfers Ebenbild an ſich trug, er mochte arm oder reich ſeyn, liebete als mich ſelbſt. Waͤren Sie doch nur verheyrathet! Vielleicht wuͤrden Sie Herrn Hickman uͤberreden koͤnnen, meiner Bitte Ge - hoͤr zu geben, und mich in ſeinem Hauſe zu ſchuͤ - tzen, bis dieſer Sturm voruͤber ginge. Doch hieruͤber koͤnnte er in Gefahr kommen, in die ich ihn nimmer ſtuͤrtzen wollte.

Jch weiß nicht, was ich thun ſoll. Jch bin ſehr ungeduldig: GOtt vergebe es mir! ich wuͤn - ſche, und weiß doch nicht was ich wuͤnſchen ſoll, ohne mich zu verſuͤndigen. Jch wuͤnſche, daß mich GOtt in Gnaden hinnehmen moͤchte! Hier kan ich keine Freude haben. Was iſt dis fuͤr eine Welt! was kan uns hier wohl gefal - len? Selbſt das beſte, was wir hoffen koͤnnen, iſt ſo mit boͤſem vermenget, daß man nicht weiß,D 5was58Die Geſchichtewas man wuͤnſchen ſoll. Die Haͤlfte der Men - ſchen quaͤlet ſich, um die andere Haͤlfte quaͤlen zu koͤnnen. So geht es mit mir: meine Verwand - ten koͤnnen ſelbſt kein wahres Gluͤck ſchmecken, wenn ſie mich ungluͤcklich machen wollen. Jch nehme meinen Bruder und meine Schweſter aus, denn dieſe ſcheinen ihr Gluͤck in andrer Un - gluͤck zu finden.

Jch muß die Feder niederlegen: denn ich fin - de, daß mir die Dinte allzuſehr mit Galle ge - miſcht iſt.

Der achte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jungfer Eliſabeth erzaͤhlt mir, daß unten von nichts als von meiner Reiſe zu mei - nem Onckel Anton geredet wird: und ſie ſelbſt hat Befehl bekommen, ſich in Bereitſchaft zu halten, um mich begleiten zu koͤnnen. Als ich ihr bezeugete, daß ich nicht die geringſte Luſt zu einer ſolchen Reiſe haͤtte, unterſtand ſie ſich, mir zu antworten: ſie haͤtte ſo oft gehoͤrt, daß ich von meines Onckels Wohnung geruͤhmet haͤtte, ſie ſey ſo artig als ſie in einer Romaine erdichtet zu werden pflegte. Sie muͤſte ſich wundern, (Au - gen und Haͤnde hub ſie hierbey in die Hoͤhe (daßich59der Clariſſa. ich jezt ſo viel Weſens machte, nach einem Orte zu reiſen, der voͤllig nach meinem Geſchmack ſey.

Jch fragte ſie, ob ſie ſelbſt unverſchaͤmt genug geweſen ſey, auf dieſen Gedancken zu kommen, oder ob ſie ihn von ihrer Fraͤulein geborgt haͤtte?

Durch ihre Antwort ſeßte ſie mich recht in Verwunderung: Jch bin ungluͤcklich / daß ich nichts artigs anbringen kann / ohne in Verdacht zu kommen / daß ich es geſtoh - len habe.

Das unverſtaͤndige Maͤdgen ſahe aus, als wenn es ſeine Rede in der That fuͤr etwas ar - tiges hielte, und nicht wuͤſte, wie unverſchaͤmt ſie lautete: ich ließ fle deswegen gehen, ohne ihr einen fernern Verweiß zu geben. Sie hat mich bisweilen durch ihre empfindlichen Ausdruͤcke in Verwunderung geſetzt. Seit der Zeit ſie ſich zu meiner Beunruhigung hat gebrauchen laſſen, habe ich in ihrer Dreiſtigkeit viel ſpaßhaftes und witziges gefunden, das ich nicht bey ihr vermu - thet haͤtte. Jch ſehe daraus, daß unverſchaͤmt zu ſeyn ihre eigene Gabe iſt, und daß das Gluͤck, das ſie zum Cammer-Maͤdgen meiner Schwe - ſter gemacht hat, nicht ſo guͤtig gegen ſie gewe - ſen iſt, als die Natur. Denn ſie wuͤrde ſich beſſer geſchickt haben, eine Freundin meiner Schweſter vorzuſtellen: und ich kan nicht anders als glauben, daß ich mich von Natur beſſer ſchickte, ihnen beyden aufzuwarten, als der ei - nen zu befehlen zu haben, und von der anderneine60Die Geſchichteeine Schweſter zu ſeyn. Das Gluͤck hat ſich bisher ſo gegen mich aufgefuͤhrt, als wenn es gleiche Gedancken haͤtte.

Freytags um 10. Uhr.

Jch bin jetzt eben auf dem Huͤner-Hofe ge - weſen. Hier hoͤrte ich, wie mein Bruder, mei - ne Schweſter, und der Solmes mit einander lacheten und frohlockten. Weil die hohe Hecke von Eiben-Baͤumen zwiſchen dem Garten und dem Hofe iſt, ſo konnten ſie mich nicht ſehen.

Mein Bruder muſte ihnen die Abſchrift ſei - nes letzten Briefes entweder gantz oder zum Theil vorgeleſen haben. Eine ſehr kluge Auf - fuͤhrung von denen, welche die Abſicht haben, daß ich ihn heyrathen ſoll. Es waͤre wenigſtens billig, ihm dieſes zu verheelen, wenn ich die Sei - nige werden ſollte, damit ich kuͤnftig vergnuͤgter mit ihm leben koͤnnte. Allein ich zweifele nicht mehr daran, daß ſie mich von Hertzen haſſen.

Meine Schweſter ſagte: ich glaube, Bruder, ihr habt gewonnen. Jhr haͤttet ihr nicht ver - bieten duͤrfen, an euch zu ſchreiben. So wi - tzig ſie auch ſeyn will, wird ſie ſich doch nicht un - terſtehen zu antworten.

Wie? fragte mein Bruder mit einer Mine, in der man leſen konnte, daß er ſich uͤber ſeinen Reichthum an Schul-Witz im Hertzen freuete: ich habe ihr einen Biſſen zu verſchlucken gege - ben, den ſie nicht wird nieder kriegen koͤnnen. Was meinen ſie, Herr Solmes.

Jch61der Clariſſa.

Jch glaube, ſagte dieſer, ſie wird nichts dar - auf antworten koͤnnen. Allein ich fuͤrchte nur, daß es ſie mehr gegen uns erbittert.

Seyn ſie deshalb unbeſorgt, antwortete mein Bruder. Wir wollen die Sache ſchon durch treiben, wenn ſie nur nicht muͤde werden. Wir ſind ſo weit gegangen, daß wir nun nicht mehr zuruͤck koͤnnen. Der Obriſte Morden wird bald eintreffen, und wir muͤſſen ſuchen vor ſei - ner Ankunft fertig zu werden: ſonſt werden wir weiter nichts uͤber ſie zu befehlen haben.

(Das iſt die Urſache, warum ſie die Sache treiben, wie Jehu.)

Herr Solmes erklaͤrte ſich, beſtaͤndig zu blei - ben, ſo lange mein Vater beſtaͤndig bliebe, und mein Bruder ihm noch einige Hoffnung machte.

Meine Schweſter ſagte: mein Bruder haͤtte durch die Urſache mich treflich gefaſſet, die er an - gegeben haͤtte, weswegen ich mit Herrn Solmes mehr Umgang haben ſollte. Jndeſſen haͤtte er um eines verkehrten Maͤdgens willen nicht das gantze Geſchlecht ſo empfindlich durchziehen ſollen.

Jch glaube mein Bruder muß eine munte - re und witzige Antwort gegeben haben: denn er und Herr Solmes fingen an gantz ausgelaſſen zu lachen. Meine Schweſter lachte auch, und nennete ihn, unartig. Jch konnte weiter nichts von ihren Reden hoͤren, weil ſie tieffer in den Garten gingen.

Sie werden ſich irren, wenn Sie meinen, daß ich dieſesmahl nicht hitzig geworden bin. Le -ſen62Die Geſchichteſen Sie nur die beygelegte Abſchrift meines Briefes an meinen Bruder, den ich gleichſam geſchmiedet habe, als das Eiſen heiß war. Jch bitte Sie, nennen Sie mich kuͤnftig nicht mehr ſanftmuͤthig.

An Herr Jacob Harlowe.
Mein Bruder.

Jhr wuͤrdet vielleicht dencken, daß ich mich darein ergeben haͤtte, auf ſolche Bedingungen, als Jhr vorſchlaget, zu meinem Onckle Anton zu reiſen, wenn ich Eurem Verbot zu folge Euren letzten Brief nicht beantwortete. Mein Vater kann freylich mit ſeinem Kinde machen, was er will. Er kan mich aus dem Hauſe ſtoſſen, wenn es ihm beliebet; er kan auch Euch erlauben, mich aus dem Hauſe zu ſtoſſen. Allein, ſo un - gern ich es auch ſage, ſo kan ich doch nicht ver - heelen, daß es unbillig iſt, mich in ein fremdes Haus zu verbannen, ſo lange ich noch ein eige - nes habe.

Es ſey der Gedancke ferne von mir, daß ich ohne Erlaubniß meines Vaters mein Gut zu - ruͤck fordern wollte, obgleich Jhr und meine Schweſter mich auf das aͤuſſerſte gereitzt habt. Warum ſoll ich aber nicht vielmehr dahin reiſen, wenn ich nicht laͤnger hier im Hauſe geduldet werden kan? Jch will verſprechen, denjenigen nie vor mich zu laſſen, wegen deſſen man beſorgt iſt, wenn ich nur dieſe eintzige Guͤtigkeit erhal -ten63der Clariſſa. ten kan. Jch nenne es eine Guͤtigkeit, und will es auch ſo anſehen: obgleich meines Gros - Vaters letzter Wille es zu einem Recht macht.

Jhr fraget mich in Eurem P. S. auf eine ſol - che Art, als ſich gar fuͤr einem Bruder nicht ſchicket; ob ich nicht einige andere neue Vorſchlaͤ - ge zu thun haͤtte? Jch habe drey oder vier zu thun; da Jhr mir die Frage vorleget, ſo melde ich Euch dis zur Antwort. Sie ſind alle gantz neu: wiewohl ich glaube, daß auch meine al - ten Vorſchlaͤge nicht werth ſind abgewieſen und verworfen zu werden; und daß ein jeder unpar - theyiſcher Richter, den Jhr nicht gegen mich ein - genommen habt, eben ſo ſprechen wuͤrde. Jch dencke dieſes, und ich ſcheue mich nicht es Euch auch zu ſchreiben. Jhr habt nicht mehr Recht deshalb auf Eure Schweſter loszuſtuͤrmen, weil ich Euch dieſes deutlich ſchreibe, als ich Recht habe auf meinen Bruder ungehalten zu ſeyn, weil er gar nicht als ein Bruder mit mir um - gehet. Jch ſchreibe es Euch gantz deutlich, weil ich ſehe, daß Jhr in Eurem letzten Brieffe dar - auf trotzet, daß Jhr meine Mutter und ihre Schweſter gegen mich eingenommen habt.

Hoͤrt demnach meine neuen Vorſchlaͤge:

Man hindere mich nicht, auf meines ſeeligen Gros-Vaters Gute unter gewiſſen Bedingun - gen zu wohnen. Jch werde die vorgeſchriebene Bedingungen ſehr heilig halten. Jch will es nicht abermahls mein Gut nennen: denn ich habe Grund zu glauben, daß mein Ungluͤck nurdaher64Die Geſchichtedaher ruͤhret, weil es mein geworden iſt. Sehr ſtarcke Gruͤnde habe ich hiezu.

Wenn mir dieſes nicht erlaubt wird, ſo bitte ich mir Erlaubniß aus, einen Monat lang, oder auf ſo lange als man es fuͤr gut achten wird, zu der Fraͤulein Howe zu reiſen. Jch glaube ich kan davon verſichert ſeyn, daß ihre Frau Mutter es mir erlauben wird, wann es mit meines Vaters Genehmhaltung geſchiehet.

Jſt dieſes auch nicht zu erhalten, und ich ſoll ſchlechterdings aus meines Vaters Hauſe geſtoſ - ſen werden: ſo bitte ich, daß man mir vergoͤnne, zu der Frau Hervey zu reiſen. Jch will in allem gehorchen, was ſie ſelbſt, oder mein Va - ter und meine Mutter mir befehlen wird.

Kan mir auch dieſes nicht nachgelaſſen werden, ſo iſt meine demuͤthige Bitte, daß ich zu mei - nem Onckle Harlowe und nicht zu meinem On - ckle Anton geſchickt werde. Jch ſage dieſes nicht, als wen ich gegen letztgenannten weni - ger Liebe und Ehrerbietung haͤtte: allein die Graben, die Zugbruͤcke, welche er aufzuziehen drohet, und vielleicht die Capelle, ſetzen mich in eine ſolche Furcht, die ich nicht ausdruͤcken kan; ob Jhr gleich durch meine Furcht Gelegenheit bekommt, Euren Witz in luſtigen Einfaͤllen zu zeigen.

Wenn mir alles abgeſchlagen wird, und ich ſchlechterdings nach dieſem beveſtigten Hauſe, das mir ſonſt ſo angenehm zu ſeyn pflegte, abge - fuͤhrt werden ſoll: ſo verlange ich wenigſtens einVer -65der Clariſſa. Verſprechen, daß ich nicht gezwungen werden ſoll, Herrn Solmes Beſuch anzunehmen. Un - ter dieſer Bedingung will ich ſo froͤlich, als ſonſt jemals geſchehen iſt, dahin reiſen.

Dieſes ſind meine neuen Vorſchlaͤge. Wenn keiner darunter nach Eurem Sinne iſt, weil ſie insgeſamt dahin zielen, den Beſuch eines nieder - traͤchtigen Menſchen, der ſich nicht abweiſen laſ - ſen will, zu verweilen: ſo ſollt Jhr wiſſen, daß kein Ungluͤck ſo groß ſeyn kan, dem ich mich nicht lieber unterwerfen wollte, eher ich einem Manne die Hand geben ſollte, dem ich nimmer - mehr mein Hertz werde geben koͤnnen.

Jch gebrauche mich freylich einer gantz an - dern Schreib-Art, als mir ſonſt eigen war: einer Schreib-Art, zu der ich haͤtte wuͤnſchen moͤ - gen niemahls gezwungen zu werden. Allein uiemand wird mir dieſes verdencken, wenn er unpartheyiſch iſt, und das weiß, was ich von ohn - gefaͤhr vor wenigen Stunden ſelbſt gehoͤrt habe. Aus Eurem eigenen und meiner Schweſter und noch eines andern Munde hoͤrte ich, was Jhr fuͤr Urſachen habt, die Sache mit ſo vieler Heftigkeit und Uebereilung zu treiben, nehmlich weil Jhr fuͤrchtet, daß mein Herr Vetter Mor - den bald eintreffen werde. Bedenckt anbey, daß, nachdem mich meine winſelnde Vocatiui ſo veraͤchtlich gemacht haben, es fuͤr mich hohe Zeit iſt, dem vortreflichen Muſter meines Bru - ders und meiner Schweſter aͤhnlicher zu werden, und mir etwas mehr heraus zu nehmen, damitZweyter Theil. EJhr66Die GeſchichteJhr mich kuͤnftig nicht gantz fuͤr eine fremde hal - ten, ſondern uͤberzeuget werden moͤget, daß ich mit Euch beyden naͤher verwandt ſey, als Jhr bisher geglaubt habet.

Damit ich auf einmahl alles ausſchuͤtten moͤ - ge, was ich auf dem Hertzen habe, ſo ſetze ich noch dieſes hinzu: ich kan keine andere Urſache errathen, warum Jhr mir verboten habt, Euch nicht zu antworten, nachdem Jhr alles, was Euch in die Feder kam, an mich geſchrieben hattet, als dieſe; Jhr muͤßt Euch ſelbſt bewußt ſeyn, daß Jhr Eur Verfahren gegen mich vor dem Rich - terſtuhl der Vernunft und Billigkeit nimmer - mehr rechtfertigen koͤnnt.

Wenn dieſes nicht die Urſache iſt, ſo will ich mich unterſtehen, ob ich gleich ein ungelehrtes Maͤdchen bin, und niemahls die Logick gelernt habe, meine Sache, von deren Gerechtigkeit ich vollkommen uͤberzeuget bin, gegen Euch auf das Spiel zu ſtellen. Gegen Euch, ſchreibe ich, ob Jhr gleich auf Univerſitaͤten geweſen ſeyd, und durch Erfahrung und Umgang mit gelehrten Maͤnnern eine mehrere Vollkommenheit habt er - langen koͤnnen; und ob ihr gleich (vergebet es mir, wenn ich mich etwas poͤbelhaft ausdruͤcke) denen, die Jhr eines Briefwechſels wuͤrdiget, Biſſen zu verſchlucken gebt, die ſie nicht uͤberkrie - gen koͤnnen. Ein jeder unpartheyiſcher Mann mag Schieds-Richter zwiſchen uns ſeyn: z. E. Eurgewe -67der Clariſſa. geweſener Tutor*Man hat dieſes zweydeutige Wort lieber beybehal - ten, als ins deutſche uͤberſetzen wollen. Es kann ei - nen Vormund bedeuten: vermuthlich aber wird es hier in dem Verſtande gebraucht, den es auf Uni - verſitaͤten hat. Jeder Student auf den Engliſchen Univerſitaͤten wird einem Magiſter zum Unterricht uͤbergeben: dieſer heißt ſein Tutor. , oder der fromme Dr. Lewin. Wenn mir einer von beyden unrecht giebt, ſo will ich meinem Schickſal nicht ferner widerſtehen: doch unter der Bedingung, daß mein Vater vergoͤnne, daß ich zu dem Manne, der mir aufgedrungen wird, Nein ſagen duͤrfe, wenn mir aller beyder Urtheil guͤnſtig iſt.

Jch hoffe, mein Bruder, daß Euch mein Vor - ſchlag deſto angenehmer ſeyn werde, weil Jhr von Eurer Geſchicklichkeit im Diſputiren ſehr eingenommen zu ſeyn ſcheint, und wenigſtens keine geringe Meynung von der Wichtigkeit der Gruͤnde heget, deren Jhr Euch in Eurem letz - ten Brieffe bedient habt. Da es nicht vermuth - lich iſt, daß ich bey einem Feder-Kriege mit Euch etwas gewinnen werde, wenn meine Sache nicht gerecht iſt; und da Jhr meynet uͤberzeuget zu ſeyn, daß ich in der That unrecht habe: ſo muͤſ - ſet Jhr billig einen unpartheyiſchen Richter da - von zu uͤberzeugen ſuchen, daß ich Unrecht und daß Jhr Recht habet. Wenn Jhr Euch die - ſen Vorſchlag gefallen laßt, ſo iſt es unumgaͤng - lich noͤthig, daß wir unſern Streit ſchriftlich aus - machen. Wir muͤſſen die Sache, daruͤber ge -E 2ſtritten68Die Geſchichteſtritten wird, beyde deutlich auseinander ſetzen, und die Entſcheidung muß nach der Guͤldigkeit oder Unguͤltigkeit deſſen gegeben werden, was jeder Theil zu Vertheidigung ſeiner Meinung vorbringen wird. Denn ich muß mir die Frey - heit nehmen, Euch zu geſtehen, daß ich Eur all - zu maͤnnliches Hertz beſſer kenne, als daß ich mich wagen ſollte, meine Sache muͤndlich mit Euch auszumachen.

Wenn Jhr aber meinen Vorſchlag nicht an - nehmet, ſo muß ich daraus ſchlieſſen, daß Jhr ſelbſt Eure Auffuͤhrung gegen mich nicht recht - fertigen koͤnt: und ich habe weiter keine Bitte an Euch, als daß Jhr kuͤnftig mir ſo begegnen wollt, wie es eine Schweſter von einem Bru - der erwarten kan, der nicht allein gelehrt ſon - dern auch wohl gezogen iſt.

Wenn ich endlich in dieſem Schreiben eine Dreiſtigkeit gezeiget habe, uͤber die man ſich bey mir nicht verwundern darf, weil ich die Ehre habe mit Euch und mit meiner Schweſter ſo nahe verwandt zu ſeyn; und die von meiner vo - rigen Gemuͤths-Art, durch welche ich mich bey jedermann beliebt gemacht habe, ſo ſehr verſchie - den iſt: ſo uͤberleget, wer und was fuͤr Um - ſtaͤnde mich dazu genoͤthiget haben. Bedenckt, daß ich meine vorige Auffuͤhrung und meine ſanftere Gemuͤths-Faſſung nicht ehe geaͤndert ha - be, bis ich ſahe, daß ich dadurch veraͤchtlich wuͤrde, und mir allerhand Beleidigungen und Verachtung dadurch zuzoͤge, die ein Bruder derſelbſt69der Clariſſa. ſelbſt auf die ungebundene Freyheit, die ich ver - leugnet habe, ſo begierig iſt, und ſich darauf ſo vieles einbildet, niemanden haͤtte anthun, und am allerwenigſten eine ſchwache und wehrloſe Schweſter dadurch haͤtte betruͤben ſollen: welche dem ohngeachtet Liebe und Hochachtung gegen ihn behaͤlt und ferner bey aller Gelegenheit be - weiſen will, ſo wie ſie es in ihrem gantzen Leben gethan hat, ob ſie gleich ſeit kurtzem wenig Ge - genliebe hat ſpuͤren koͤnnen.

Cl. Harlowe.

Sie ſehen, wie nachdruͤcklich und beredt der Unwillen iſt. Denn dieſes iſt der erſte Entwurf meines Briefes, in dem ich kein Wort geaͤn - dert habe.

So bald ich meinen Brief abgeſchrieben hat - te, ſchickte ich ihn durch Eliſabeth an meinen Bruder. Das naͤrriſche Thier kam gleich wie - der herauf, und hatte ſich gantz aus dem Athem gelauffen. Um GOttes Willen / Fraͤulein / ſagte ſie, was haben ſie angefangen? Was haben ſie geſchrieben? Sie haben das gantze Haus in eine allerliebſte Unruhe geſetzt.

Jetzt eben geht meine Schweſter von mirE 3weg.70Die Geſchichteweg. Jch muſte vorhin die Feder niederlegen, weil ſie mit groſſem Ungeſtuͤm zu mir auf die Stube kam. Sie lief gleich auf mich zu, und ſagte: Was fuͤr ein harter Kopf! Jſt es endlich ſo weit kommen! Sie griff mir bey - nahe ſo auf den Nacken, wie man ſonſt zu ſchla - gen pflegt.

Wollt ihr mich ſchlagen, Arabelle? ſagte ich.

Nennt ihr das ſchlagen? Jch faſſe euch nur an die Schulter. (Sie that es aber - mahls, jedoch ſanffter.) Wir haben es lan - ge geſagt / daß es noch endlich ſo weit kom - men wuͤrde. Jhr wollt frey und unge - bunden ſeyn. Mein Vatter hat fuͤr euch zu lange gelebet.

Jch wollte ernſtlich reden, allein ſie hielt mir das Schnupftuch auf eine ſehr ungeſtuͤme Wei - ſe vor den Mund. Jhr habt mit eurer Fe - der Ungluͤck genug angefangen / ihr Behor - cherin. Allein wiſſet / daß der Vorſchlag / der euch frey und ungebunden macht / eben ſo wenig bewilligt werden wird / als die uͤbrigen Vorſchlaͤge dieſen oder jenen zu beſuchen. Fahrt nur ferner ſo fort: neh - met euren liederlichen Liebhaber zu Huͤlf - fe / daß er euch von Gehorſam gegen die Eltern los mache / damit ihr ihm gehor - chen koͤnnet. Fangt nur gleich an / ein - zupacken! Ueberlegt / was ihr mitneh - men wollt. Morgen ſollt ihr wegreiſen. Jhr ſollt hier nicht laͤnger bleiben / undin71der Clariſſa. in alle Winckel kriechen / um andere Leu - te zu behorchen. Mein Bruder wollte euch dieſes ſelbſt geſagt haben; allein auf meine Vorbitte iſt er drunten geblieben. Denn ich weiß nicht / was er mit euch an - gefangen haben wuͤrde / wenn er ſelbſt gekommen waͤre. So ein Brief! So ein unverſchaͤmtes und hochmuͤthiges Cartel! du eingebildetes Maͤdchen! Allein ich ſage es euch nochmahls / macht euch rei - ſefertig. Morgen reiſet ihr weg. Mein Bruder will auf eure Herausfoderung er - ſcheinen / aber nicht ſchriftlich / ſondern in Perſon / und in meines Onckles Antons Hauſe / oder vielleicht in Herrn Solmes Hauſe.

Sie fuhr noch immer fort ſo zu reden, und ſchaͤumete beynahe vor Grimm, bis ich endlich die Gedult verlohr, und ſagte: ich will weiter nichts von ſolchen heftigen Reden hoͤren, Ara - belle. Wenn ich zum voraus gewuſt haͤtte, was fuͤr einen Beſuch ihr mir zugedacht habt, ſo haͤt - tet ihr meine Stuben-Thuͤr nicht offen finden ſol - len. Mit euern Maͤdchen koͤnnt ihr ſo reden: von mir aber muͤßt ihr wiſſen, daß ich eure Schweſter bin, ſo wenig ich auch, Gottlob! gleiches von euch an mir habe. Jch will weder morgen, noch uͤbermorgen, noch den darauf fol - genden Tag von hier reiſen: es waͤre denn, daß ich mit Gewalt in den Wagen geſchleppet wuͤrde.

E 4Was72Die Geſchichte

Was ſagt ihr? Auch denn nicht / wenn es eur Vater und Mutter befehlen? Maͤdchen! Dis Wort kam langſam heraus: ſie hatte ein ſchlimmes auf der Zunge.

Wenn es ſo weit kommt, antwortete ich, ſo will ich ſchon wiſſen, was ich ſagen muß. Al - lein ich muß den Befehl aus ihrem eigenen Munde hoͤren, wenn ich folgen ſoll, und nicht von euch oder von eurer Eliſabeth. Sagt mir noch ein ſo ungeſchliffenes Wort, ſo werdet ihr mich auf dem Sinne finden, daß ich mich mit Gewalt zu meinen Eltern draͤnge, und ſie ſelbſt frage, wodurch ich verdient habe, daß man mir ſo begegnet? es mag nun daraus kommen was will.

Kommt mit mir / Kind! kommt mit / ſanftmuͤthige Seele. Sie faſſete mich bey der Hand, und wollte mich nach der Thuͤr zufuͤh - ren. Fragt eure Eltern jetzt darum: ihr werdet ſie eben beyſammen finden. War - um habt ihr kein Hertz? denn ich blieb ſte - hen, als ſie mich ſo hoͤhniſch fuͤhren wollte, und machte meine Hand los.

Jch ſagte: ich brauchte mich nicht fuͤhren zu laſſen. Weil ich mich aber auf euch beruffen kan, ſo will eur Wort erfuͤllen, und mitkom - men. Der Unmuth uͤbernahm mich ſo weit, daß ich nach der Treppe zugehen wollte. Allein ſie ſtellete ſich zwiſchen mich und die Thuͤr, und ſchlug die Thuͤr zu. Verwegene rief ſie mir zu, ich will nur erſt Nachricht geben /daß73der Clariſſa. daß ihr kommen wollt. Jch will es um eures Beſten willen thun: Denn mein Bruder iſt eben bey meinen Eltern. Sie machte die Thuͤr wieder auf, und als ſie ſahe, daß ich zuruͤcke ging, ſagte ſie: komme / wenn ihr wollt. Warum kommt ihr nicht? Sie folgete mir mit ſolchen empfindlichen Re - den bis an mein Cloſet nach; ich aber ging mit ſchwerem Herzen in das Cloſet, und ſchloß die Thuͤr hinter mir zu. Die Thraͤnen konnte ich nicht laͤnger halten.

Jch antwortete ihr kein Wort, da ſie einmahl uͤber das andere verlangte, daß ich aufmachen ſollte. Denn der Schluͤſſel war inwendig an der Thuͤr. Sie ſahe durch das Glaßfenſter, ich kehr - te ihr aber nicht einmahl das Geſicht zu. End - lich zog ich den Vorhang zu, damit ſie mich nicht weinen ſehen moͤchte. Dis ſchien ſie recht innig zu verdrieſſen: ſie ging endlich weg, und ſtieß unter dem Gehen noch allerhand abgebrochene Worte heraus.

Kan dergleichen Auffuͤhrung einen nicht zu Uebereilungen bringen, zu denen man ſonſt nie gekommen waͤre?

Weil es nur alizu wahrſcheinlich iſt, daß ich nach meines Onckles Wohnung geſchleppt wer - den moͤchte, eher ich Jhnen davon etwas zum voraus melden kan: ſo erſuche ich Sie, daß Sie auf die erſte Nachricht davon ſo gleich an den bewuſten Ort ſchicken, und diejenigen Jhrer Brieffe abhohlen laſſen, die vielleicht noch nichtE 5in74Die Geſchichtein meine Haͤnde gekommen ſeyn moͤchten, oder einen Brief von mir an Sie, den ich etwan noch vorher moͤchte geſchrieben haben. Genieſ - ſen ſie nur eines beſtaͤndigen Gluͤcks. Dieſes wuͤnſchet

Jhre Cl. Harlowe.

Jhre vier Brieffe ſind mir zu Haͤnden ge - kommen: allein ich bin in ſolcher Unruhe, daß ich ſie jetzt nicht beantworten kan.

Der neunte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch habe einen unertaͤglichen Brief von mei - ner Schweſter bekommen. Jch glaube, ſie wollte ſich deswegen an mir raͤchen, daß ich mich durch ihre Auffuͤhrung auf meiner Stube habe uͤberwinden laſſen, ihr ſchimpflich zu begeg - nen. Jhr Betragen wird gantz unbegreiflich, wenn man es nicht aus Eiferſucht und aus ver - ſchmaͤheter Liebe herleiten will.

An75der Clariſſa.

An Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch habe Euch zu melden, daß Eure Mutter es durch ihr Bitten ſo weit gebracht hat, daß Jhr morgen dieſes Haus noch nicht verlaſſen ſollt. Allein Eure Auffuͤhrung hat bey ihr eben die Wuͤrckung gehabt, als bey den uͤbrigen ins - geſammt.

Jn Euren Vorſchlaͤgen, und in dem gantzen Brieffe an meinen Bruder, ſeyd Jhr ſo albern und ſo klug, ſo jung und ſo alt, ſo nachgebend und ſo hartnaͤckig, ſo ſanftmuͤthig und ſo unge - ſtuͤm, daß ich nie eine ſo widerſprechende Gemuͤths - Art, ſo eine eingefleiſchte Contradiction, wahr - genommen habe.

Wir wiſſen es insgeſammt, von welcher Per - ſon Jhr dieſe gantz neue Art zu dencken und zu handeln angenommen hat. Jndeſſen muß der Saame dazu ſchon vorhin in Euch geweſen ſeyn, ſonſt wuͤrde er nicht auf einmahl ſo weit um ſich gegriffen und gewuchert haben. Es wuͤrde eine Beſchimpfung fuͤr Herrn Solmes ſeyn, wenn man ihm ein ſo bloͤdes und nicht bloͤdes Maͤdchen wuͤnſchen wollte: dieſes iſt auch eine von Euren widerſprechenden Eigenſchaften. Denckt ſelbſt nach, was ich damit meyne.

Hier im Hauſe koͤnnt Jhr nicht bleiben: das will Eure Mutter nicht zugeben. Sie kan nicht ruhig ſeyn, ſo lange ſie ein ſo widerſpenſtiges Kind um ſich hat. Frau Hervey verbittet ſehr, daß man ihr keine Laſt aufburden ſoll, welche die gantze Familie mit vereinigten Kraͤften nicht hat,tra -76Die Geſchichtetragen und handhaben koͤnnen. Euer Onckle Harlowe will Euch in ſeinem Hauſe nicht wiſ - ſen, bis Jhr verheyrathet ſeyd. Danckt es dem - nach Eurem eigenen Trutz und Eigenſinn, daß Euch niemand haben will, als Eur Onckle An - ton. Zu dem muͤßt Jhr reiſen, und zwar uͤber wenig Tage. Mein Bruder wird auch hinkom - men: und weil Jhr ihn ſo hoͤflich herausgefo - dert habt, wird er es dort mit Euch in meiner Gegenwart ausmachen. Denn er nimmt das Cartel an: das koͤnnt Jhr mir glauben. Der Herr Dr. Lewin wird vermuthlich auch dort ſeyn, weil Jhr ihn ſelbſt gewaͤhlt habt; nebſt noch einem andern Herrn, der Euch wenigſtens zu uͤberzeugen ſuchen wird, daß er ein gantz an - derer Mann iſt, als Jhr bisher geglaubt habt. Es iſt moͤglich, daß Eure beyden Onckles auch dort ſind, um dafuͤr zu ſorgen, daß dir armen wehrloſen Schweſter kein Unrecht geſchehe. Jhr wiſſet nun, Schweſter, was fuͤr eine Ge - ſellſchaft wegen Eurer bittern Herausfoderung auf dem Kampf-Platz erſcheinen wird.

Setzet Euch in Bereitſchaft. Es wird nicht mehr lange waͤhren. Adieu, du ſuͤſſes Kind deiner werthen Mutter Frau Norton.

Arab. Harlowe.

Jch ſchrieb dieſen Brief ab, und ſchickte ihn mit folgenden Zeilen an meine Mutter.

Nur77der Clariſſa.

Nur ein paar Worte / meine allerliebſte und theureſte Mutter.

Wenn meine Schweſter den beyliegenden Brief auf Jhren oder auf meines Vaters Be - fehl an mich geſchrieben hat, ſo muß ich es mir gefallen laſſen, und nur dieſe Anmerckung da - bey machen, daß ſie mir muͤndlich und perſoͤnlich noch weit haͤrter begegnet iſt. Kommt aber al - les aus ihrem eigenen Gehirn, ſo darf ich doch fragen: warum doch ich wuſte ſchon zum voraus, da ich von Jhnen verwieſen und ver - bannet ward. Jedoch, ſo lange bis ich weiß, ob ſie Befehl gehabt hat oder nicht, ſo zu ſchreiben, will ich weiter nichts melden, als daß ich bin

Jhr ungemein ungluͤckliches Kind C. Harlowe.

Jch bekam folgende Antwort auf einem un - verſiegelten Blatte, das an einer Stelle benetzt war. Jch kuͤſſete die Stelle, denn ich hielt es fuͤr eine Thraͤne meiner Mutter. Die allerlieb - ſte Frau muſte dieſe Zeilen (ich hoffe, ſie muſte es thun) wider ihren Willen ſchreiben.

Es iſt eine Verwegenheit, ſeine Zuflucht zu ſolchen Eltern zu nehmen, deren Befehle man verachtet. Weil deine Schweſter in glei - chen78Die Geſchichte chen Umſtaͤnden ſich deines Ungehorſams nicht ſchuldig machen wuͤrde, ſo kan man ſie ent - ſchuldigen, wenn ſie uͤber dich unwillig iſt. Wir haben ihr aber dem ohngeachtet befohlen, daß ſie ihren Eifer fuͤr unſre gekraͤnckten Rech - te maͤßigen ſoll. Bemuͤhe dich, durch deine Auffuͤhrung ein anderes Betragen gegen dich zu verdienen, als dasjenige iſt, das dich jetzt kraͤncket, aber bey weiten nicht ſo ſehr, als die Veranlaſſung deſſelben kraͤncket

Deine noch ungluͤcklichere Mutter.

Wie oft muß ich dir verbieten / nicht an mich zu ſchreiben?

Schreiben Sie mir Jhre Meinung, werthe - ſte Freundin, was ich thun kan und ſoll? Jch verlange nicht zu wiſſen, was Jhnen Rachgier und Ungeduld eingeben wuͤrden, wenn Sie in meinen Umſtaͤnden waͤren. Denn dieſe Ant - wort weiß ich ſchon: Sie wollten laͤngſt bey einer gewiſſen Perſon ſeyn. Auf einen Schritt, zu dem uns die Ungeduld verleitet, pflegt gemeiniglich Reue zu folgen. Geben Sie mir jetzt einen ſolchen Rath, von dem Sie glau - ben, daß ihn eine nachfolgende Uberlegung auch alsdenn rechtfertigen werde, wenn ſich die erſte Hitze abgekuͤhlet hat.

Jch zweifle an Jhrem Mitleiden und an Jh -rer79der Clariſſa. rer Liebe nicht. Allein Sie koͤnnen doch das mir angethane Unrecht nicht ſo lebhafft fuͤhlen, als ich ſelbſt, und deswegen ſind Sie geſchickter als ich mir einen Rath zu geben.

Jch will es auf Jhr Urthel ankommen laſſen. Habe ich genug Geduld geuͤbt, und genug gelit - ten, oder nicht? Und was kan ich thun, wenn die Meinigen fortfahren, wie ſie angefangen haben, wenn der Mann, der mir ſo ſehr eckelhaft iſt, ſich nicht will abweiſen laſſen? Soll ich nach London fluͤchten, und mich ſowohl vor Herrn Lovelace als vor allen meinen Verwandten zu verbergen ſuchen, bis mein Vetter Morden ankommt? Oder ſoll ich mich zu Schiffe ſetzen, um ihn zu Leghorn anzutreffen? Wie gefaͤhr - lich iſt dieſes in Abſicht auf mein Geſchlecht und Jugend? Vielleicht iſt mein Vetter ſchon un - ter Weges nach England, wenn ich ihn dort auf - ſuche. Was kan ich alſo thun? Sagen Sie es mir, allerliebſte Fraͤulein Howe, denn ich kan mir ſelbſt nicht trauen.

Des Abends um 11. Uhr.

Jch habe verſucht, mir die Gedancken durch die Muſik zu vertreiben, nachdem ich Thuͤr und Fenſter zugemacht habe, damit mich niemand unten im Hauſe hoͤren moͤchte. Jch ward hie - bey den Vogel der Minerva gewahr, und er erinnerte mich in dem Liede, welches an die Weis - heit gerichtet iſt; das gewiß unſerm Geſchlechtzur80Die Geſchichtezur Ehre gereicht, weil es von einem Frauen - zimmer verfertigt iſt. Jch habe vor acht Tagen die drey letzten Strophen dieſem Gedichte ange - haͤnget, ſo wie ſie ſich zu meinen betruͤbten Um - ſtaͤnden ſchickten. Dieſe drey Strophen waren jetzt meine Beſchaͤfftigung; und ich kann ver - ſichern, daß mein Hertz eben ſo ſehr als meine Finger bey dieſer Anrede an GOtt beſchaͤftiget waren.

Jch lege die Ode ſo wohl, als meine Nachah - mung derſelben bey. Die Sache, davon ſie handelt, iſt wichtig: meine Umſtaͤnde ſind betruͤbt und ich hoffe, daß mein Anhang zu der Ode nicht gantz verwerflich iſt. Jch werde dieſes noch gewiſſer glauben, wenn er Jhren Beyfall erhaͤlt: inſonderheit aber, wenn ich ſo gluͤcklich ſeyn ſollte, daß ſie durch Jhre Stimme, und durch Jhre Finger meine eigene Arbeit mir an - genehm machten. *Hier folgt im Engliſchen die Ode an die Weisheit, nebſt deren Anhang. Weil der Ueberſetzer kein Poete iſt, ſo wied ſie hier ausgelaſſen. Wenn er einen Freund finden kan, der ſie ſo uͤberſetzt, daß ſie ihr Ori - ginal nicht verunehret, ſo ſoll ſie am Ende dieſes Theils als eine Beylage folgen.

Der81der Clariſſa.

Der zehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch habe jetzt einen ruhigern Augenblick: denn Neid, Ehrgeitz, Rachgier, und andere heftige Gemuͤths-Bewegungen, mit denen ich umzingelt bin, ſind nunmehro vermuthlich einge - ſchlafen; und warum ſollte ſich nicht auch mein Unwille in dieſen ſtillen Stunden zur Ruhe be - geben? Er hat es gethan, und ich habe meine Zeit der Ruhe angewandt, Jhren Brief noch - mahls durchzuleſen. Jch will einige Stellen deſſelben in meiner Antwort beruͤhren, und um mich deſto weniger in Gefahr zu ſetzen, daß mei - ne Ruhe moͤchte geſtoͤrt werden, will ich von dem den Anfang machen, was Sie von Herrn Hick - mann ſchreiben.

Nehmen Sie mir nicht uͤbel, wenn ich Jh - nen melden muß, daß es mir leid thut, daß Sie von dieſem Herrn keine beſſere und richtigere Gedancken faſſen koͤnnen, als man Jhnen zu - ſchreiben ſollte, wenn man das laͤcherliche Bild anſiehet, das Sie von ihm entworfen haben. Wenigſtens wird man durch Jhre von Natur allzuluſtige Schreibart veranlaſſet, zu glauben, daß Sie ſehr ungerechte Gedancken von Herrn Hickmann hegen.

Sie ſelbſt werden nicht behaupten wollen, daßZweyter Theil. Fer82Die Geſchichteer das wahre Original ihres Bildes iſt: dem ohngeachtet iſt es nicht einmahl ein ſehr nach - theiliges Bild. Wenn mein Gemuͤth nicht durch andere Sorgen ſo ſehr beſchaͤftiget und be - ſchwert waͤre, ſo wollte ich mich unterſtehen, ein liebenswuͤrdigeres Gemaͤhlde zu uͤberſenden, das ihm vollkommen gleich ſehen ſollte.

Jſt gleich Herr Hickmann nicht ſo freymuͤ - thig und unerſchrocken, als einige andre Manns - Perſonen, ſo beſitzt er hingegen ein leutſeeliges, freundliches und guͤtiges Hertz, das andern feh - let. Dieſer eintzige Vorzug, nebſt der unendli - chen Hochachtung, die er fuͤr Sie hat, macht, daß er ſich fuͤr ein Frauenzimmer von Jhrer Leb - haftigkeit und Feuer ſo vollkommen ſchicket, als kein anderer Menſch auf der Welt, den ich bis - her habe kennen lernen.

Sie ſagen zwar: ich wuͤrde ſelbſt nicht Luſt haben, ihn zu nehmen. Jch aber verſichere Jh - nen, daß ich nie wegen des Herrn Solmes mit meinen Freunden zerfallen waͤre, wenn ſie mir nicht haͤtten erlauben wollen, daß ich unverhey - rathet bleiben moͤchte, und das aͤuſſerliche, das Gemuͤth und die Auffuͤhrung bey ihm ſo gut geweſen waͤre, als bey Herrn Hickmann. Da Herr Lovelace ein ſchlechtes Lob der Tugend hat, ſo wuͤrde ich ihn nicht einmahl mit ihm auf die Wage gelegt haben. Jch behaupte dieſes deſto freymuͤthiger, weil Herr Lovelace ſich noch unweit mehr Furcht als Liebe zuwege brin -gen83der Clariſſa. gen kan, welches eine ſchlechte Ahndung einer guten Ehe giebt.

Das iſt mir lieb, daß Jhnen wenigſtens nie - mand beſſer gefaͤllt als Herr Hickmann. Jch hoffe, daß Sie in kurtzem bekennen werden, wenn Sie Jhr Hertz recht unterſuchen wollen: er ge - falle Jhnen ſowohl als ſonſt keiner unter der Sonnen. Sie duͤrfen nur uͤberlegen, daß ſelbſt die Fehler, die Sie an Herrn Hickmann finden, ihn ungemein bequem dazu machen, daß Sie vergnuͤgt und gluͤcklich mit ihm leben koͤnnen, wenn anders ein Theil ihrer Gluͤckſeeligkeit dar - inn beſtehen muß, daß Sie in allen Dingen Jh - ren eigenen Willen haben.

Jch muß aber noch eine Anmerckung uͤber Sie und Herrn Hickmann machen. Sie ha - ben eine ſo aufgeweckte und muntere Art, nebſt andern ſo ausnehmenden Eigenſchaften, daß ein jeder Liebhaber, der nicht ein Lovelace iſt, vor Jhnen wie ein Schaaf ausſehen muß.

Vergeben Sie mir, mein Schatz, daß ich ſo offenhertzig ſchreibe: vergeben Sie mir aber auch, daß ich ſo bald wieder auf Dinge komme, die mich ſelbſt unmittelbar betreffen.

Sie dringen von neuem darauf, daß ich mein Gut ſelbſt annehmen ſoll; und Herrn Lovela - ces Beyſtimmung macht, daß Sie noch ſtaͤr - cker darauf dringen. Jch habe Jhnen Hoffnung gemacht, daß ich dieſen Vorſchlag in genauere Erwegung ziehen wolle, als bisher geſchehen iſt. Jch kan Jhnen inzwiſchen nicht verheelen, daßF 2meine84Die Geſchichtemeine Gegen-Gruͤnde ſo in die Augen fallend ſind, daß ich geglaubt haͤtte, ſie wuͤrden Jhnen von ſelbſt beygefallen ſeyn, und Sie wuͤrden Jh - ren hitzigen Vorſchlag verworfen haben. Da ich mich aber hierin geirret habe, und ſo wohl Sie als Herr Lovelace darauf dringen, daß ich mein Gut ſelbſt in Verwaltung nehmen ſoll, ſo will ich Jhnen kuͤrtzlich meine Meinung ſchrei - ben.

Zufoͤrderſt erlauben Sie mir, Jhnen die Frage vorzulegen: wen ich habe, der mein Ge - ſuch unterſtuͤtzen koͤnnte, wenn ich Jhrem Rath folgen wollte? Mein Onckle Harlowe iſt der eine von denen, ſo die Gewaͤhr des Teſtaments leiſten ſollen: und der iſt wider mich. Mein Vetter Morden iſt der andere: der iſt in Jta - lien, und man wird ſchon ſuchen, auch ihn wider mich einzunehmen. Jch habe aus meines Bru - ders Munde gehoͤrt, daß er die Sache vor ſei - ner Ankunft durchtreiben wolle: wenn ich alſo auch an ihn ſchreiben wollte, ſo wuͤrde doch alles auf eine oder andere Weiſe ſchon zum Ende ſeyn, ehe ich Antwort erhalten koͤnnte. Wenn auch die Antwort noch in Zeiten ankaͤme, ſo bin ich dergeſtalt eingeſperret, daß ſie nicht in meine Haͤnde gelangen wuͤrde, wenn ſie nicht nach ih - rem Sinne waͤre.

Zum andern, ſo haben die Eltern immer ein gerechtes Vorurtheil der Welt vor ſich, wenn ſie mit einem Kinde zerfallen, das ihren Einſich - ten nicht folgen will. Denn gewiß in zwan -tzig85der Clariſſa. tzig Faͤllen wird kaum einer ſeyn, da das Kind Recht und die Eltern Unrecht haben ſollten.

Sie wuͤrden ſelbſt nicht rathen, daß ich mich des Beyſtandes Herrn Lovelaces in Verfech - tung meines Rechts bedienen ſollte. Wenn ich aber zu einem andern meine Zuflucht nehmen wollte, ſo frage ich Sie, wer auſſer ihm wuͤrde Luſt haben, ſich eines Kindes gegen Eltern an - zunehmen, von denen man weiß, daß ſie es noch vor kurtzem ſo zaͤrtlich geliebt haben? Wenn ich auch endlich jemand faͤnde, der meine Sache fuͤhr - te, ſo wuͤrde es doch eine ſehr lange Zeit erfo - dern, ehe der Streit zu Ende kaͤme. Die Mei - nigen ſagen, das Grosvaͤterliche Teſtament habe Maͤngel: mein Bruder redet davon, daß er nach meinem Gute reiſen und darauf wohnen wolle. Vermuthlich hat er hiebey die Abſicht, daß man ihn erſt gewaltſam heraus zu werfen genoͤthi - get werden moͤge, wenn ich mein Gut verwal - ten wollte; oder daß er ſich, wenn ich Herrn Lovelace heyrathete, deſto beſſer aller Kruͤm - men und Verdrehungen, die einem das Recht an die Hand giebt, bedienen koͤnne.

Jch habe mir dieſe Faͤlle als moͤglich vorge - ſtellet, um Jhnen deſto wichtigere Gruͤnde ent - gegen zu ſetzen. Allein ich kan nicht einmahl auf ſie als moͤglich dencken, wenn auch jemand waͤ - re, der meine Rechte verfechten wollte. Denn, ich verſichere Jhnen, ich wollte lieber mein Brodt vor den Thuͤren ſuchen, als mich mit meinem Vater in einen Proceß einlaſſen. Denn ichF 3bin86Die Geſchichtebin gewiß verſichert, daß die Kinder ihrer Pflich - ten gegen die Eltern dadurch nicht erlaſſen wer - den, wenn die Eltern unbillig gegen ſie handeln. Wie klingt das, wenn mir nachgeſagt wird, ich haͤtte einen Proceß mit meinem Vater? Jch ha - be daher meinen Wunſch nur als eine Bitte vorgebracht, daß man mir erlauben moͤchte, mich nach meinem Gute zu begeben, wenn ich das Haus meines Vaters ja raͤumen muͤſte. Jch kann keinen Schritt weiter gehen. Und Sie ſehen, was ſchon dieſer Wunſch fuͤr Unwillen erweckt hat.

Was bleibt mir alſo uͤbrig, darauf ich hoffen koͤnnte, als dieſes, daß mein Vater ſeinen Ent - ſchluß aͤndern moͤchte? Jſt es aber wohl wahr - ſcheinlich, daß dieſes geſchehen werde, da mein Bruder und meine Schweſter, jetzt einen ſo groſ - ſen Einfluß in die gantze Familie haben, und da ihr Eigennutz ſie antreibt, die Feindſchaft gegen mich, die ſie nicht mehr verheelen, ohnverſoͤhnlich fortzuſetzen?

Daruͤber wundere ich mich nicht, daß Herr Lovelace Jhren Vorſchlag billiget: denn er ſiehet ohne Zweiffel ein, daß es mir faſt ohn - moͤglich iſt, ihn ohne ſeine Beyhuͤlffe zu bewerck - ſtelligen. Wenn ich ſo frey und ungebunden waͤre, als ich es mir wuͤnſchen wollte, ſo wuͤrde Herr Lovelace einen haͤrterern Stand mit mir haben, als er aus Eigenliebe glauben wird, ohngeachtet Sie mich mit ihm aufzuziehen belie - ben. Sie koͤnnen nicht wiſſen, was er bey al -len87der Clariſſa. len ſeinen billigſcheinenden Anerbietungen fuͤr eine Abſicht hat: z. E. daß es mir frey ſtehen ſolle, ihm ein Ja oder Nein zu geben, wenn ich nur erſt ungebunden ſeyn wuͤrde; (wo ich mich dieſes Ausdrucks bedienen darf: unter dem ich weiter nichts verſtehe, als die Freyheit zu einem Manne Nein zu ſagen, an den ich nicht dencken kan, ohne daß mein Hertz einen Stich empfin - det) daß er mich nie ohne meine Erlaubniß beſuchen wolle: daß er erwarten wollte, bis Herr Morden kaͤme, und bis ich von ſeiner Beſſe - rung uͤberzeugt waͤre. Woher wiſſen Sie, daß dieſes alles nicht eine Maſque iſt, die er an - nimmt, um ſich bey Jhnen und bey mir einzu - ſchmeicheln? und daß er nicht dieſe guten Be - dingungen nur deßwegen von freyen Stuͤcken an - bietet, weil er zum voraus ſiehet, daß ich ſie ſelbſt fodern wuͤrde, ehe ich mich zu etwas ent - ſchloͤſſe?

Jch bin auch mit ihm ſehr ſchlecht zufrieden. So zu drohen wie er drohet; dabey vorzuge - ben, daß er mich nicht in Furcht jagen wolle; Sie zu bitten, daß Sie mir nichts davon ſchrei - ben moͤchten, da er zum voraus ſiehet, daß Sie es ſchreiben werden, und da er es vermuthlich blos in dieſer Abſicht zu Jhnen geſagt hat: ſind das nicht niedertraͤchtige Raͤncke? der Menſch muß dencken, daß er mit einem furchtſamen Narren zu thun hat. Sollte ich einem meine Hand ge - ben, dem der Mund von lauter Gewaltthaͤtig - keiten uͤberfließt? Der meinem eigenen BruderF 4dro -88Die Geſchichtedrohet? und dem armen Solmes? Was hat ihm Solmes gethan? darf er um eine Perſon nicht anhalten, zu der er Luſt hat? Ach wenn mich die Meinigen nur in dieſem eintzigen Stuͤ - cke nach meinen Einſichten handeln lieſſen. Jch habe ja dem Menſchen nicht die geringſte Hoff - nung gegeben, darauf er ſeine Drohungen gruͤn - den koͤnnte. Wenn mir Herr Solmes nur halb ertraͤglich waͤre, ſo moͤchte es ſich vielleicht zeigen, daß jener hitzige Kopf ſich ſelbſt dadurch geſchadet haͤtte, daß er Herrn Solmes Gele - genheit giebt um meinet willen etwas zu leiden, und ſich dadurch um mich verdient zu machen. Mein Bruder geht mit mir um, als wenn ich eine einfaͤltige Naͤrrin waͤre: allein Herr Love - lace ſoll finden doch ich will ihm ſelbſt mei - ne Meinung ſchreiben, und denn werden Sie alles von ihm auf eine mir anſtaͤndigere Weiſe erfahren.

Erlauben Sie mir noch, daß ich Jhnen mel - den muß, daß ich es mir ſelbſt in meinen kuͤhlern Stunden anziehe, wenn Sie, die ich fuͤr mich ſelbſt und fuͤr mein Hertz anſehe, gegen meinen Bruder allerhand empfindliche Anmerckungen machen, und nachtheilige Vergleichungen zwi - ſchen ihm und Lovelace anſtellen, er mag auch ſonſt ſeyn, wer er will. Er iſt zwar nicht Jhr Bruder: allein vergeſſen Sie nicht, daß Sie an ſeine Schweſter ſchreiben. Jn der That, ſie tuncken Jhre Feder in lauter Galle, wenn Sie aufgebracht ſind. Wenn ich einige Ausdruͤckeleſe,89der Clariſſa. leſe, deren Sie ſich zwar aus Liebe zu mir von meinen Anverwandten gebrauchen, ſo moͤchte ich Sie bisweilen befragen, ob Sie ſelbſt eine ſo groſſe Gabe der Geduld beſitzen, daß Sie andern Ungeduld und Hitze vorwerffen koͤnnen? Sollten wir uns nicht vor den Fehlern mit doppelter Sorgfalt huͤten, die wir an andern tadeln? Jch bin auf meinen Bruder und auf meine Schwe - ſter ſo ungehalten, daß ich mir nicht wuͤrde die Freyheit genommen haben, einer ſo werthen Freundin zu ſchreiben, was ich ſchreibe, ohnge - achtet ich weiß, daß Sie niemahls Liebe fuͤr die Meinigen gehabt haben; wenn Sie nicht ſo leicht und ſo luſtig von einer hoͤchſt-empfindlichen Sa - che geſchrieben haͤtten, in welcher meines Bru - ders Leben in Gefahr war, und ſeine Ehre in den Augen des verderblichen Geſchlechts eine tieffere Wunde bekam, als er ſelbſt; noch darzu, da ei - ne neue Rache, die ſich noch ſchlimmer endigen kan, gedrohet wird.

Jch nenne es mit Recht, ſeine Ehre in den Augen des verderblichen Geſchlechts. Kan man es nicht mit dieſem Nahmen mit Recht be - legen; da es unter Mannsperſonen fuͤr eine ſo auſſerordentliche Selbſt-Verleugnung gehalten wird, wie ſeine Geſellſchafft geruͤhmt hatte, wenn man ſich entſchlieſſet, niemanden heraus zu fodern? Und da die Schlaͤgereyen ein ſo un - umgaͤngliches Stuͤck ihrer unmenſchlichen Ta - pferkeit ſind, daß ein verſtaͤndiger Mann, bey dem allein doch die wahre Tapferkeit meiſten -F 5theils90Die Geſchichtetheils anzutreffen ſeyn wird, ſelbſt nicht weiß, wie er ſich bey manchen Gelegenheiten auffuͤhren ſoll, um ſich vor Blut-Schulden und vor einer allgemeinen Verachtung zu huͤten. Muͤſſen die Leute, die einen verſtaͤndigen Mann, und der Herr uͤber ſich ſelbſt, deswegen verachten, weil er ein groͤſſeres Ubel vermeidet, nicht gantz und gar unwiſſend ſeyn, worin die wahre Grosmuth beſtehet? und daß es viel edler iſt, zu vergeben, und viel maͤnnlicher eine Beleidigung zu verach - ten, als ſie zu raͤchen? Wenn ich eine Manns - perſon waͤre, ſo wollte ich einen, der mich nie - dertraͤchtig beleidigte, ſo ſehr verachten, daß ich nie ſein und mein Leben von gleichem Werth halten und gegen einander aufſetzen koͤnnte. Wie abgeſchmackt iſt dis? Es hat mir einer eine ge - ringe Beleidigung angethan; darum ſetze ich es in ſeine Gewalt, (wenigſtens iſt die Gefahr auf beyden Seiten gleich) mir und allen denen, die mich lieben, einen unerſetzlichen Schaden zu - zufuͤgen. Wenn die Beleidigung nicht muth - willig waͤre, und nicht von denen andern fuͤr ei - ne Beleidigung ausgegeben wuͤrde, ſo duͤnckt mich haͤtte ich nicht einmahl Urſache, empfind - lich und rachgierig zu ſeyn.

O wie gern entferne ich mich von mir, und von meinen Umſtaͤnden! Aber ſelbſt dieſe Aus - ſchweiffung bringt mich doch wieder zu dem zu - ruͤck, was die Veranlaſſung dazu war, und die - ſe Veranlaſſung macht mich wieder eben ſo un - ruhig, als ich bey dem Beſchluß meines vorigenBrie -91der Clariſſa. Briefes geweſen bin. Denn meine Umſtaͤnde haben ſich noch nicht gebeſſert. Da der naͤchſte Tag anzubrechen beginnet, und vielleicht neue Verſuchungen mit ſich bringen wird, ſo erneure ich meine vorige bitte, daß Sie Gunſt und Rach - gier auf die Seite legen, und mir melden wol - len, was Sie in meinen Umſtaͤnden thun wuͤr - den. Denn ich befuͤrchte, daß ich gantz verlohren ſeyn werde, wenn ich in meines Onckles An - tons Haus gebracht werde. Die Hauptfrage iſt demnach, wie ich dieſe Reiſe vermeiden koͤn - ne?

Jch will dieſen Brief ſo bald ich kan an den bewuſten Ort legen. Wann ihr Rath nicht zu ſpaͤte kommen ſoll, ſo verlieren ſie keine Zeit ihn ſogleich zu geben

Jhrer ewig verbundenen Clariſſa Harlowe.

Der eilfte Brief von Fraͤulein Howe, an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Was ſoll ich Jhnen fuͤr einen Rath geben, allzu edles Gemuͤthe! Jhre vortreflichenEigen -92Die GeſchichteEigenſchaften ſind Jhr eintziges Verbrechen. Sie koͤnnen Jhre Natur eben ſo wenig aͤndern, als Jhre Verfolger. Alles Jhr Ungluͤck ent - ſtehet aus der Ungleichheit zwiſchen Jhnen und den Jhrigen. Dieſe handeln ihrem Hertzen und ihrer Natur gemaͤß: wer will ihnen das verden - cken? Und gegen wen handeln ſie ſo? Gegen eine Fremde! denn Sie ſind keine Verwandtin von jenen! Zwey Dinge ſind es, darauf ſie ſich verlaſſen. Das eine iſt, daß ſie tief und uner - gruͤndlich ſind: (ich wuͤrde mich eines andern Ausdrucks bedient haben, wenn ich es thun duͤrf - te) und das andere iſt Jhre eigene Gemuͤths - Art, wie ſie Jhnen mit andern Worten ſchon ge - ſtanden haben, und daß Sie ſich vor Herrn Lo - velaces uͤblem Character fuͤrchten, und von ihm keine Huͤlffe annehmen werden, um nicht ſelbſt durch ihn in ſchlimme Nachrede zu kommen. Sie wiſſen ferner, daß Jhnen die Rachgier und der Eigenſinn nicht natuͤrlich iſt, daß der Zorn, zu dem Sie aufgebracht ſind, ſich bald legen werde, wie alle Leidenſchaften zu thun pflegen, die uns nicht natuͤrlich ſind, und daß Sie, wenn Sie nur einmahl getrauet waͤren, ſich ſo gut als moͤglich in Jhren Zuſtand ſchicken wuͤrden.

Allein Jhres Vaters aͤlteſter Sohn und ſeine aͤlteſte Tochſter haben wahrhaftig noch eine ſchlimmere Abſicht gegen Sie. Sie ſuchen Sie auf ihr Lebenlang ungluͤcklich zu machen: wenn Sie ein Eigenthum des Mannes werden ſollten, der jenen ſchon jetzt viel naͤher verwandt iſt, alser93der Clariſſa. er Jhnen jemahls verwandt werden kan; wenn Sie ſich zwingen lieſſen; ſo wuͤrden jene ihm alles beyzubringen ſuchen, was ſie von Jhrem gerechten Widerwillen gegen ihn wiſſen.

Ueber die Beſtaͤndigkeit des Mannes in ſei - nem Geſuch wird ſich niemand wundern, der ihn kennet. Er hat nicht die geringſte Zaͤrtlich - keit: und bey ſeiner Verheyrathung wird er nie einige Abſicht auf das Gemuͤth machen. Wie koͤnnte er dieſes thun, da er ſelbſt keine Seele hat? Man ſucht nur ſeines gleichen: und was ſo ſehr uͤber einen iſt, daß man ſich keinen Be - griff davon machen kan, das kan man auch nicht werth ſchaͤtzen. Wenn Sie die ſeinige werden ſollten, und man koͤnnte es genugſam an Jhnen mercken, daß Sie keine Liebe gegen ihn haͤtten, ſo glaube ich nicht, daß er viel darnach fragen wuͤrde. Denn deſto mehr wuͤrde er Freyheit haben, ſich mit den niedertraͤchtigen Verrichtun - gen zu beſchaͤftigen, die ſeiner herrſchenden Nei - gung die liebſten und angenehmſten ſind. Die Anmerckung iſt richtig, die Jhre Frau Norton zu machen pflegte: daß, wer eine herrſchende Neigung hat, gern zwantzig beſſere Vergnuͤgun - gen, die ihm nicht die allerliebſten ſind, fahren laſſen wird, um nur ſeine allerliebſte Luſt unge - ſtoͤrt zu genieſſen.

Weil ich Jhnen doch keinen ſchlimmern Be - grif von ihm beybringen kan, als Sie allbereits haben, ſo will ich Jhnen Nachricht von einer Unterredung geben, die erſt vor drey Tagen zwi -ſchen94Die Geſchichteſchen dem Ritter Harry Downeton und die - ſem Solmes vorgefallen iſt. Der Ritter Har - ry hat den Jnhalt derſelben geſtern meiner Mut - ter und mir mitgetheilet. Sie werden daraus ſehen, daß die unverſchaͤmte Eliſabeth es nicht aus dem Finger geſogen hat, daß er ſich in Furcht zu ſetzen wiſſen wollte.

Der Ritter ſagte zu ihm: er wunderte ſich, daß er noch hoffete ſeine Sache durchzutreiben, da doch bekannt waͤre, daß Sie gar nicht da - zu geneigt waͤren.

Er antwortete: Da fragte er nichts nach. Scheue Maͤdchens wuͤrden die beſten Wei - ber. (Ein alberner Kerl!) Er wuͤrde nicht daruͤber bekuͤmmert ſeyn, daß eine huͤbſche Frau ein ſaures Geſicht machte, wenn ſie ihn veranlaſſete, ſie zu plagen. Jhr Gut laͤge ihm ſo bequem, daß er genugſam vor allen Verdruß bezahlt wuͤrde, den ihm Jhre Bloͤdigkeit verurſachte. Wenn er Sie nur eine Zeit gehabt haͤtte, ſo waͤre er gewiß verſichert, daß Sie gegen ihn ſollten gefaͤllig ſeyn, wenn Sie ihn auch im Hertzen nicht liebeten. Dis ſey ſchon ein Gluͤck, das kaum der zehnte Ehemann, den er kennete, genoͤſſe. (Was fuͤr ein nieder - traͤchtiger Unmenſch!) Jhre bekannte Tugend wuͤrde ihm genugſame Sicherheit geben, daß Sie ſich nicht an ihm raͤchen wuͤr - den.

Der Ritter Harry, der ein ſehr beleſenerHerr95der Clariſſa. Herr iſt, erwiederte: ſie wird ſie demnach ſo anſehen, wie die Frantzoͤſiſche Printzeßin Eli - ſabeth den Koͤnig von Spanien, Philipp den andern, als er ſie an der Graͤntze empfing, und ſich aus einem Schwieger-Vater in einen Ge - mahl verwandelte. Furcht und Schrecken wird ſie vor ihnen haben, aber keine Gefaͤllig - keit oder Liebe; und ſie werden ihr eben ſo muͤrriſch begegnen, als jener Monarch ſeiner Braut.

Furcht und Schrecken, antwortete der ab - ſcheuliche Menſch, kleideten eine artige Braut und eine artige Frau, artig. Er ſetzte mit einem recht ausgelaſſenen Gelaͤchter hinzu: er wollte ſchon dafuͤr ſorgen, daß er ſich im - mer von neuem Furcht zuwege braͤchte, wenn er merckte, daß er keine Liebe erlan - gen koͤnnte. Er vor ſein Theil ſey der Meinung, daß, wenn man im Eheſtande nicht Furcht und Liebe zugleich erhalten koͤnnte, der Mann am beſten fuͤhre, vor dem ſich die Frau fuͤrchten muͤßte.

Wenn meine Augen eben die Wirckung haͤt - ten, die man dem Anblick des Baſilisken zu - ſchreibt, ſo wollte ich mich bemuͤhen, daß ich Herrn Solmes bald zu ſehen bekommen moͤchte.

Meine Mutter iſt indeſſen der Meinung, daß es ein recht ausnehmend gutes Werck ſeyn wuͤr - de, wenn Sie Jhre Abneigung von Herrn Sol - mes uͤberwinden koͤnnten. Sie fragt eben ſo, wie Sie ſchon gefragt ſind: ob der Gehor -ſam96Die Geſchichteſam auch ein Lob verdiene, wenn man nichts da - bey zu verleugnen haͤtte?

Was fuͤr ein Ungluͤck iſt es, daß Sie keine beſſere Wahl haben, als zwiſchen Scylla und Charybdis? Wenn Sie es nicht waͤren, ſo wuͤſte ich wohl, was ich fuͤr einen Rath geben wollte, nachdem man Jhnen ſo unmenſchlich be - gegnet hat. Allein es waͤre eine Unehre fuͤr unſer gantzes Geſchlecht, wenn ein ſo unvergleichliches Gemuͤth ſich auch nur durch den Schein einer Uebereilung und Heftigkeit beflecken ſollte.

So lange ich noch hoffete, daß Sie ſich helf - fen koͤnnten, wenn Sie auf Jhr Recht draͤngen, ſo lange freuete ich mich, daß ich wenigſtens ei - nen Ausweg fuͤr Sie entdecken koͤnnte. Nach - dem Sie aber hinlaͤnglich erwieſen haben, daß Jhnen ein ſolcher Schritt nichts helfen wuͤrde, ſo weiß ich nicht was ich ſagen ſoll. Jch muß die Feder niederlegen, und weiter nachdencken.

Jch habe alles uͤberdacht, und abermahls - berdacht: allein ich weiß nichts mehr zu ſagen. Dis eintzige weiß ich, daß ich noch jung bin wie Sie ſind, und daß ich viel weniger Gemuͤths - Kraͤfte und viel ſtaͤrckere Leidenſchaften habe, als Sie.

Jch habe ſchon ſonſt geſagt, daß Sie ſich zu nichts mehreres erbieten koͤnnten, als wozu Sie ſich wuͤrcklich erboten haben, nehmlich, daß Sie Zeitlebens unverheyrathet bleiben woll - ten. Es wuͤrde alsdenn das Gut vermuthlichmit97der Clariſſa. mit der Zeit an Jhren Bruder oder an ſeine Erben wieder zuruͤck fallen, wegen deſſen ſie ſo bekuͤmmert ſind, daß es einem andern Geſchlechte in die Haͤnde gerathen moͤchte. Er oder ſeine Erben wuͤrden es auf dieſe Weiſe viel gewiſſer bekommen, als durch Herrn Solmes Heyraths - Contract, der doch nachher geaͤndert werden koͤnn - te. Haben Sie dieſes den Leuten nicht in ih - ren abgeſchmackten Kopf ſetzen koͤnnen? Es bleibt wenigſtens gegen ein ſolches Anerbieten keine Einwendung uͤbrig, als blos das gebieteriſche Wort: Auctoritaͤt.

Eins muͤſſen Sie noch uͤberlegen. Wenn Sie Jhre Eltern verlaſſen ſollten, ſo werden Sie gewiß die Pflichten des Gehorſams und der Liebe ſo weit treiben, daß Sie ſich nicht wer - den mit Beſchuldigung Jhrer Eltern rechtferti - gen wollen: folglich werden Sie das Urtheil der Welt gegen ſich haben. Und wenn Lovelace ſeine wilde Lebens-Art fortſetzte, und gegen Sie undanckbar waͤre, ſo wuͤrde er hiedurch die Auf - fuͤhrung der Jhrigen gegen Sie, die ſich ſonſt gar nicht entſchuldigen laͤßt, und ihre Rachbe - gierde gegen ihn vor aller Augen rechtfertigen.

GOtt regiere Jhre Wege! Jch fuͤr meinen Theil wuͤrde lieber alles thun, und ich weiß nicht wohin fliehen, ehe ich mich bewegen ließ, eine mir verhaßte Perſon zu heyrathen. Herr Sol - mes aber koͤnnte ich nicht anders als haſſen. So viel als Sie ausgeſtanden haben, haͤtte ich nicht gelitten: es moͤchte der beleidigende TheilZweyter Theil. Gauch98Die Geſchichteauch Vater, Onckles, Bruder, Schweſter, oder wie er wollte, geheiſſen haben.

Meine Mutter meint, die Jhrigen wuͤrden endlich die gantze Sache aufgeben, wenn ſie al - les verſucht haͤtten, und befaͤnden, daß ſie nichts bey Jhnen ausrichten koͤnnten. Jch bin aber ihrer Meinung nicht. Sie giebt nicht vor, daß ſie dieſes von jemand gehoͤrt habe, ſondern ſie bringt es nur als eine Vermuthung an: ſonſt wollte ich mir die Hofnung machen, daß es viel - leicht ein fuͤr Sie erfreuliches Geheimniß zwi - ſchen meiner Mutter und Jhrem Onckle An - ton ſeyn moͤchte. Aber wehe Jhrem Onckle, wenn er noch ein andres Geheimniß mit mei - ner Mutter hat.

Wenn es irgends moͤglich iſt, ſo muͤſſen Sie zu vermeiden ſuchen, daß Sie nicht nach ſeinem Gute reiſen doͤrfen. Solmes ſoll zugegen ſeyn! der Prediger! Jhr Bruder! Jhre Schweſter! Es iſt eine Capelle auf dem Hofe! Sie werden dort gantz gewiß Herrn Solmes angetrauet. Jhr Muth, den Sie erſt von geſtern her gefaſ - ſet haben, wird bey einer ſolchen Gelegenheit nichts helfen. Sie werden wieder ſanftmuͤthig werden, und keine andere Waffen haben, als Thraͤnen, Bitten und Wehklagen, daruͤber Jhre Angehoͤrigen lachen. So bald der Segen ge - ſprochen iſt, muͤſſen Sie Jhre Thraͤnen vertrock - nen laſſen, und eine ſo demuͤthige Auffuͤhrung annehmen, als hinlaͤnglich iſt, Sie mit Jhrem neuen Oberherrn auszuſoͤhnen, und das Anden -cken99der Clariſſa. cken Jhrer vorigen Abneigung bey ihm in Ver - geſſenheit zu bringen. Sie werden alsdenn die ſchmeichelhafte Unwahrheit ſo wahrſcheinlich, als Sie koͤnnen, vorbringen muͤſſen, daß alles Jhr voriges Betragen blos eine bey Maͤdgens nicht ungewoͤhnliche Verſtellung geweſen ſey. Sie werden ihn zu uͤberzeugen ſuchen muͤſſen, daß ſein unverſchaͤmter Spott wahr ſey, und aus ſcheu - en Maͤdgens die beſten Frauen werden. Sie werden Jhren Eheſtand mit einer gebeugten Er - kentniß ſeiner Guͤtigkeit und Geneigtheit, Jhre Fehler zu vergeben, anfangen muͤſſen. Jch muͤßte mich ſehr irren, oder die Furcht, die er Jhnen einpraͤgen will, wird Sie zwingen ſo zu handeln.

Jch muß die gantze Sache unentſcheiden und zweiffelhaft laſſen, bis daß ſie dadurch entſchie - den wird, daß entweder die Jhrigen ihren Vor - ſatz aͤndern, oder ſtch entſchlieſſen, Sie wuͤrck - lich nach Jhres Onckels Gute zu bringen. Jch wuͤnſche, daß keiner von beyden Freyern Sie dereinſt die ſeinige moͤge nennen koͤnnen, und daß Sie ſo lange unverheyrathet bleiben duͤrfen, bis die wuͤrdigſte Parthey, die nur unter Manns - Perſonen gefunden werden mag, durch Sie gluͤcklich werde.

Das kan ich ohnmoͤglich wuͤnſchen, daß eine Perſon, die ſo unvergleichliche Eigenſchaften an ſich hat, dadurch ſie einen Liebhaber gluͤcklich ma - chen kan, Zeitlebens unverheyrathet bleiben ſoll - te. Sie wiſſen, daß ich nicht ſchmeicheln kan,G 2und100Die Geſchichteund daß ich nie etwas andres ſchreibe, als was mir mein Hertz eingiebt: und Sie muͤſſen von Jhren Vorzuͤgen vor andern nothwendig ſo viel einſehen, daß Sie an der Aufrichtigkeit dieſer meiner Erklaͤrung nicht zweiffeln koͤnnen. Denn wie iſt es moͤglich, daß eine Perſon, die an an - dern das Lobenswuͤrdige ſo wohl zu erkennen und zu ſchaͤtzen weiß, eben daſſelbe Lobenswuͤrdige an ſich nicht ſolte ſehen koͤnnen? Sie koͤnnte es ge - wiß an andern nicht ſo ſehr bewundern, wenn ſie es nicht ſelbſt beſaͤſſe. Warum ſoll man Jh - nen nicht das Lob beylegen, damit Sie andere erheben wuͤrden, die nur halb ſo viel Vollkom - menheiten, als Sie, an ſich haben moͤchten? Sonderlich, da Sie von Hochmuth und eitelm Ehrgeitz gantz entfernt ſind, und weder ſich Jh - rer Vorzuͤge wegen zu hoch achten, noch andere verachten, die Jhnen ungleich ſind? Was ſchrei - be ich, zu hoch achten? Wie iſt dieſes moͤg - lich?

Vergeben Sie mir, allerliebſte Freundin, daß ich mein Hertz habe reden laſſen. Meine Be - wunderung eines ſo vortre flichen Frauenzimmers wird durch jeden Brief, den ich von Jhren Haͤn - den bekomme, vermehrt, und kan nicht immer ſtilleſchweigend bleiben: ob ich mich gleich aus Furcht, Sie zu beleidigen, huͤte, daß meine Fe - der und meine Lippen nicht gegen Sie ſelbſt da - von uͤberflieſſen moͤgen.

Jch[101]
〈…〉〈…〉
[102]
〈…〉〈…〉
103der Clariſſa.

ein edles und offenes Hertz, da ihm Menſchen - Liebe, gute Sitten, und alles das, was einen Mann macht, gaͤntzlich mangelt. Wie viel Ge - duld, wie viel Großmuth muͤßte ein Frauenzim - mer haben, wenn ſie ihren Mann nicht verach - ten ſollte, der noch unwiſſender, noch unbeleſener, und noch niedertraͤchtiger waͤre, als ſie ſich ſelbſt ſchaͤtzen kan? Der elende Tropf ſoll Herr im Hauſe heiſſen, und hat das Recht, das Haupt der gantzen Familie zu ſeyn! Wenn die Frau ſeine Rechte kraͤncket, ſo bringet es der herſch - ſuͤchtigen Frau eben ſo wenig Ehre als dem ge - horſamen Manne! Wie kann ein ſolcher Mann einer vernuͤnftigen Frauen ertraͤglich ſeyn, wenn ſie auch aus Abſicht auf ihren Vortheil ihn ſelbſt gewaͤhlet haͤtte? Allein, wenn man gar gezwun - gen, und noch dazu aus ſolchen Urſachen, deren ſich der zwingende und der leidende Theil ſchaͤ - men muͤſſen, gezwungen wird einenſolchen Mann zu nehmen; ſo iſt es gantz ohnmoͤglich, einen ſo gerechten Widerwillen zu uͤberwinden. Wie viel leichter iſt es mir, die uͤberhingehenden Widrig - keiten zu ertragen, die ich jetzt auszuſtehen habe, als mein gantzes Leben einem ſolchen Manne auf - zuopfern! Wenn ich mich bequemen wollte, ſo muͤſte ich die Geſellſchaft der Meinigen verlaſſen, und mich mit ſeinem Umgange befriedigen. Ein eintziger betruͤbter Monath ſteht mir etwan be - vor, wenn ich auf der abſchlaͤgigen Antwort be - harre: allein wenn ich Ja ſage, ſo ſehe ich ein gantzes Leben voll Wehe und Ungluͤck vor mir;G 4und104Die Geſchichteund ich muͤßte fuͤrchten, daß ich mit jedem an - brechenden Tage von neuen in meinem Hertzen einen Bund brechen wuͤrde, den ich vor dem Al - tar gemacht haͤtte.

Es ſcheint ſo gar, als wenn der Mann auf Rache wegen meiner Abneigung dencket, ob ich es gleich nicht in meiner Gewalt habe, geneig - ter gegen ihn zu ſeyn. Geſtern verſicherte mir meine abgeſchmackte Waͤchterin, daß alle meine Widerſpenſtigkeit nicht ſo viel bedeuten wuͤrde / als der Schnupftoback, den ſie zwiſchen ihrem artigen Fingerchen und dem Daumen haͤtte; ich wuͤrde doch Herrn Solmes nehmen muͤſſen. Es wuͤrde daher das beſte ſeyn, wenn ich den Spaß nicht zu weit triebe: Denn Herr Solmes ſey ein verſtaͤndiger Mann / und haͤtte ihr ſelbſt geſagt: ich handelte ſehr unverſtaͤndig / da ich doch endlich ſein Eigenthum werden muͤſte. Denn wenn er nicht mehr Erbarmen haͤtte (dis war ihr Ausdruck. Jch will nicht gewiß ſagen, ob er ſich eben deſſelben Wortes bedient hat) als ich / ſo wuͤrde ich Urſache haben / bis aͤnmeinen Tod zu bereuen, daß ich ihm ſo uͤbel begegnete.

Genug von dieſem Menſchen! Aus demjeni - gen, was Sie von dem Ritter Harry Dow - neton gehoͤrt haben, iſt klar genug, daß er allen Hochmuth und Grobheit beſitzt, die man bey Manns-Perſonen vermuthen kan, ohne eine ein -tzige105der Clariſſa. tzige Eigenſchaft an ſich zu haben, welche dieſe maͤnnlichen Laſter bey ihm ertraͤglich machen koͤnnte.

Jch habe von Herrn Lovelace ſeit der Zeit, daß er Sie beſucht hat, zwey Briefe bekommen: es ſind alſo nunmehr drey ſeiner Briefe unbe - antwortet. Jch konnte ſchon vorher dencken, daß er unruhig ſeyn wuͤrde. Jn ſeinem letzten Briefe beklagt er ſich heftig uͤber mein Still - ſchweigen: und zwar nicht mehr mit der ſanften Stimme, oder vielmehr in der ſanften Schreib - Art eines demuͤthigen Liebhabers, ſondern ſo als wenn er mein Beſchirmer waͤre, deſſen Wohltha - ten ich nicht genugſam erkannt haͤtte. Der hochmuͤthige Menſch iſt daruͤber empfindlich, daß er in Hofnung, einen Brief zu finden, wie ein Dieb und Nachtſchleiger ſich herſtehlen muͤßte, und denn doch wohl wieder mehr als eine deut - ſche Meile nach einem unbequemen Wirths - Hauſe ohnverrichteter Sach zuruͤck wanderte. Jch will Jhnen ſeine Brieffe, und den Entwurf meiner Antwort naͤchſtens uͤberſenden: unter - deſſen melde ich Jhnen den kurtzen Jnhalt deſſen, was ich geſtern an ihn geſchrieben habe.

Jch verweiſe ihm zufoͤrderſt ſehr ernſtlich, daß er ſich ſo viel heraus genommen, mir durch Sie zu drohen, daß er mit Herrn Solmes oder mit meinem Bruder meinetwegen ſprechen woll - te. Jch ſchreibe: ich ſey ſo ungluͤcklich, daß man glaubte, ich koͤnnte alles ertragen, was man nur Luſt haͤtte mir aufzulegen. Es waͤre nichtG 5 genug,106Die Geſchichte genug, das ich von den Meinigen ſo vieles dul - den muͤßte, dadurch ſie es mir ohnmoͤglich ma - chen wollten, ihn zu nehmen: es kaͤme noch da - zu, daß er mir auch etwas zu tragen auflegte, und zwar blos aus Argwohn, daß ich denen ei - ne Gefaͤlligkeit erzeigen wollte, denen ich ſchul - dig waͤre und wuͤnſchete in allen billigen Fo - derungen gefaͤllig zu ſeyn.

Wenn ein hitziger Kopf ſich unterſtuͤnde mir zu drohen, daß er zu wunderlichen und uner - laubten Entſchlieſſungen gezwungen werden duͤrfte, (die doch ihn mehr als mich in das Un - gluͤck ſtuͤrtzen wuͤrden) ſo moͤchte von mir in Abſicht auf meine Gemuͤths-Art und mein Ge - ſchlecht nicht ſehr zu verwundern ſeyn, wenn ich auch zu wunderlichen Mitteln griffe, ihn von jenen Entſchlieſſungen abzuhalten.

Jch gebe ihm ſogar zu verſtehen: es wuͤr - de mich zwar ſehr betruͤben, wenn um meinet - willen ein Ungluͤck vorgehen ſollte. Allein wenn ich manche andere an meine Stelle ſetzte, ſo wuͤrden ſie uͤber ſeinen Drohungen, ſich an Herrn Solmes zu raͤchen, nur mittelmaͤßig erſchrecken. Denn ſie wuͤrden dencken, wenn er auch ſein Wort wahr machte, ſo waͤren zwey Leute weniger in England, die ſie wuͤnſchen moͤch - ten nie geſehen zu haben.

Das iſt ehrlich und aufrichtig geſchrieben: und wenn noch etwas zweydeutiges darinn iſt, ſo wird er ſich hoffentlich an meiner Statt die Muͤhe geben, es in noch deutlichers Engliſche zu uͤberſetzen.

Jch107der Clariſſa.

Jch decke ihm ferner ſeinen Hochmuth etwas auf, da er es ſich fuͤr ſchimppflich haͤlt, auf meine Brieffe zu warten, und von Nachtſchleigern redet. Jch melde ihm: er habe nicht Urſache, hieruͤber unzufrieden und empfindlich zu ſeyn. Seine uͤble Lebens-Art, und ſonſt nichts, ſey Schuld daran: denn laſterhafte Sitten uͤber - woͤgen alle Vorzuͤge des Standes und der Ge - burt, und machten den Adel dem allerveraͤcht - lichſten Paͤbel und der Canaille gleich. Sie zwuͤngen einen, wenn ich es in ſeiner Sprache ausdruͤcken ſollte, ſich wie ein Dieb und Nacht - ſchleicher an den Waͤnden her zu ſtehlen. Er moͤchte uͤbrigens die Guͤtigkeit fuͤr mich haben, ferner keinen Brief von mir zu erwarten, den er auf eine ſo unangenehme und veraͤchtliche Weiſe aufſuchen muͤßte.

Seine vielen Verſicherungen und ſeine Eyd - Schwuͤre, damit er bey aller Gelegenheit ſo fertig waͤre, goͤlten bey mir deſto weniger, weil ich daraus ſchlieſſen muͤßte, er ſey ſelbſt von ſich uͤberzeugt, daß man einem Herrn von ſeiner Art ohne ſehr viele Verſicherungen nicht trauen koͤnnte. Jch pflegte eines Mannes Abſichten nicht nach ſeinen Worten, ſondern nach ſeinen Handlungen zu beurtheilen. Jch wuͤrde immer mehr uͤberzeuget, daß ich allen Briefwechſel mit ihm abbrechen muͤßte, da ich ſehe, daß meine Freunde ohnmoͤglich dahin zu bringen waͤren, ihm ihr Ja-Wort zu geben, und daß er es auch niemahls verdienen wuͤrde.

Jch108Die Geſchichte

Jch wiederhohle alſo meine Bitte: daß er ferner gar nicht mehr an mich gedencken moͤch - te: da ja ſein Herkommen, ſeine Anverwandten, und ſeine noch zu erwartenden Erbſchaften, ſo anſehnlich waͤren, daß er, wenn ihm nur ſeine Lebens-Art nicht im Wege ſtuͤnde, ſich zu der al - ler vortheilhafteſten Parthey Hofnung machen, und durch ein Frauenzimmer gluͤcklich werden koͤnnte, deren Gemuͤth ſich zu dem ſeinigen beſ - ſer ſchickte. Jch muͤßte dieſes deſto ernſtlicher von ihm verlangen, nachdem er durch ſein un - hoͤfliches Betragen gegen die Meinigen und durch ſeine nachtheiligen Reden von ihnen, den Verdacht erweckt habe, als hielte er nicht aus Zuneigung zu mir, ſondern aus Bitterkeit gegen jene ſo unablaͤßig um mich an.

Dieſes iſt der Jnhalt meines Briefes an ihn. Jch traue dem Manne ſo viel Verſtand zu, daß er begreiffen wird, daß nicht meine Neigung gegen ihn, ſondern meine bedraͤngten Um - ſtaͤnde die Fortſetzung unſers Briefwechſels veranlaſſet haben. Jch wuͤnſche auch, daß er dieſes begreiffen moͤge. Dem Moloch opfer - te man nichts mehr als den Leib der Kinder auf: allein der Goͤtze wuͤrde noch abſcheulicher ſeyn, dem Vernunft, Gehorſam und alles was wir ſind, aufgeopfert werden muß.

Jhre Frau Mutter meynt, daß die Meini - gen endlich nachlaſſen werden. GOtt gebe, daß es geſchehe. Allein mein Bruder und meineSchwe -109der Clariſſa. Schweſter vermoͤgen bey allen ſo viel, und ſind ſo unbeweglich, ja ſie machen ſich eine ſolche Ehre daraus mich unter zu kriegen, und die Sache durchzutreiben: daß ich beynahe die Hofnung an - derer und gelinderer Entſchlieſſungen der Meini - gen aufgeben muß. Allein das geſtehe ich ſrey heraus; wenn ich dieſe Hofnung gantz fahren laſſen muß, ſo will ich lieber bey einem Frem - den, von dem ich nur keine Schande habe, Schutz ſuchen, wo es anders ſo geſchehen kan, daß ich meiner jetzigen Verfolgung entgehe, und den - noch Herrn Lovelace keinen Vortheil uͤber mich gebe. Jch verſtehe dieſes aber nur von dem Falle, wenn offenbahr keine andere Huͤlfe fuͤr mich uͤbrig iſt: denn ſonſt wuͤrde ich es fuͤr eine Handlung anſehen, die ſich gar nicht entſchuldi - gen lieſſe, daß ich aus meines Vaters Haus oh - ne ſein Vorwiſſen fluͤchtete, wenn auch gleich gegen die Perſon, bey der ich Schutz ſuchte, nichts einzuwenden waͤre. Daß mir mein Grosvater ein gantz freyes Eigenthum vermacht hat, aͤndert nichts in meinen Einſichten. Jch habe oft mit Verachtung und Widerwillen uͤberlegt, was das fuͤr ein niedertraͤchtiges und eigennuͤtziges Kind ſeyn muͤßte, daß ſich nur durch die Hofnung deſ - ſen, was es von ſeinen Eltern zu erwarten haben moͤchte, regieren laͤßt.

Jedoch die genaue Freundſchaft zwiſchen uns beyden zwinget mich, Jhnen frey zu geſtehen, daß ich nicht weiß, was ich gethan haben moͤchte, wenn Sie mir einen unbedungenen und entſchei -denden110Die Geſchichtedenden Rath gegeben haͤtten. Wenn Sie nur geſehen haͤtten, mit was fuͤr Gemuͤths-Bewegun - gen ich Jhren Brief geleſen habe, wenn Sie mir bald die Gefahr vorſtelleten, die in meines On - ckles Hauſe auf mich wartete: an einem an - dern Orte bekennen, Sie haͤtten ſo viel nicht tragen koͤnnen, als ich getragen habe, und Sie wollten lieber, Sie wuͤßten ſelbſt nicht was, thun, als einen Jhnen verhaßten Mann nehmen: an einem andern hingegen mich erinnern, daß meine Ehre in den Augen und nach dem Urtheil der Welt leiden werde, und daß ich einen uͤbereilten Schritt nicht anders als mit Verunglimpfung der Meinigen wuͤrde retten koͤnnen: wenn Sie mir zum voraus vormahlen, was ich fuͤr eine niedertraͤchtige Perſon wuͤrde ſpielen muͤſſen, wo ich Herrn Solmes heyrathete, wie ich mich wuͤr - de bemuͤhen muͤſſen, ihm zu ſchmeicheln und zu liebkoſen, und einem Manne zu heucheln, der mir bis in den Tod zuwider iſt, und der noch dazu meine Heucheley mercken muͤßte, wenn er auf meine jetzige Auffuͤhrung zuruͤck daͤchte, oder auch nur die Ueberbleibſel ſeiner Vernunft, (wo er anders einige hat) anwendete zu uͤberlegen, wie wenig Zaͤrtlichkeit er verdienet: wenn Sie mir predigen, ich wuͤrde deſto verliebter gegen ihn thun muͤſſen, je unertraͤglicher er mir waͤre, und daß dieſe vorgegebene Liebe von andern aus einer ſehr verworffenen und unreinen Quelle muͤßte hergeleitet werden, weil es augenſcheinlich waͤre, daß ich weder ſeine Geſtalt noch ſein Gemuͤthlieben[111]〈…〉〈…〉[112]〈…〉〈…〉113der Clariſſa. wol nunmehr alle meine Weisheit zur Thorheit machen.

Jhre guͤtige und partheyiſche Feder ſchmei - chelt mir endlich, daß man von mir mehr er - warte als von andern. Dis iſt eine Warnung fuͤr mich. Die Urſachen meiner Endſchlieſſun - gen wird die Welt nicht erfahren. Ueber mei - nes Bruders Haͤrte koͤnnte ich noch klagen, denn hievon ſind die Exempel allzugewoͤhnlich, ſonder - lich wo es den Eigennutz betrift. Wenn man aber den ungerechten Bruder nicht anklagen kan, ohne zugleich den harten Vater zu beſchuldigen, ſo wird kein wohlgerathenis Kind die Schuld von ſich auf ihn waͤltzen wollen. Jn dem mich betreffenden Falle muß ſich ohnehin jedermann daran ſtoſſen, daß Herr Lovelace einen ſo un - ausloͤſchlichen Haß gegen meine gantze Familie bezeiget, ob er gleich eigentlich nichts anders thut, als Haß mit Haß vergelten. Man ſieht daraus wenigſtens, daß er ein unverſoͤhnliches und un - gezogenes Gemuͤthe hat. Und wer kan ſich zu einer ſolchen Heyrath entſchlieſſen, die den Grund zu einer ewigen Feindſchaft mit allen Anver - wandten legen wuͤrde?

Jch habe mich gantz muͤde geſchrieben: und ich will die Feder niederlegen.

Herr Solmes iſt faſt beſtaͤndig hier, des - gleichen meine beyden Onckles und Frau Her - vey. Jch fuͤrchte, daß man etwas neues ge - gen mich ſchmiedet. Wie ſehr kan einen Zweif -Zweyter Theil. Hfel114Die Geſchichtefel und Ungewißheit beunruhigen, ſonderlich wenn man das entbloͤßte Schwerd uͤber ſeinem Haup - te haͤngen ſiehet!

Jch bekomme keine andere Nachricht, als die - jenige, die meine zuverſichtliche und dreiſte Eli - ſabeth ſich entfallen laͤßt, wenn ſie nichts zu thun hat. Bald ſagt ſie: wie iſt es, Fraͤulein, wollen ſie ihre Sachen nicht in Ordnung brin - gen? Glauben ſie gewiß, es wird ihnen ein Tag zur Abreiſe beſtimmet werden, ehe ſie es dencken. Ein anderes mahl giebt ſie mir in gebrochenen Worten zu verſtehen, was dieſer oder jener ge - ſagt hat; und es laͤßt bisweilen, als wenn ſie mich nur damit plagen wollte. Sie erzaͤhlt mir, daß ſich andere erkundigen, wie ich meine Zeit an - wende: und die unverſchaͤmte Frage meines Bruders wird mir oft vorgebetet: ob ich et - wan meine Leidens-Geſchichte ſchreiben wollte?

Jch bin ihrer Verwegenheit nun ſchon ge - wohnt. Und da dieſes mein eintziges Mittel iſt, anderer Anſchlaͤge gegen mich zu erfahren, ehe ſie ausgefuͤhrt werden, und ſie ſich darauf beruft, daß ſie nichts ohne Befehl thue, wenn ſie am allerunverſchaͤmteſten iſt: ſo habe ich Geduld mit ihr. Mein Hertz aber iſt dabey nicht im - mer unempfindlich.

Jch ſchlieffe dieſen Brief, um ihn an Ort und Stelle zu bringen. Leben Sie wohl!

Cl. Horlowe.

Auf115der Clariſſa.

Auf dem Umſchlage war noch mit Bley - ſtift geſchrieben:

Da ich dieſen Brief herunter bringe, finde ich Jhren Brief vom 25 ſten. Jch habe ihn ſchon geleſen: und der Jnhalt dieſes meines Briefes wird groſſentheils ſo ſeyn, wie es Jhre Frau Mutter wuͤnſcht und hoffet. Bezeugen Sie Jhr meine ergebenſte Danckbarkeit fuͤr ihre gu - te Hofnung und guͤtigen Errinnerungen. Sie werden ſchon wiſſen, wie viel Sie Jhr von dem Jnhalt meines Briefes vorleſen duͤrfen.

Der dreyzehende Brief. von Fraͤulein Howe, an Fraͤulein Clariſſa Harlowe

Auf Befehl meiner Mutter ſchreibe ich ſchon wieder, ohngeachtet ich heute ſchon einen Brief an Sie uͤberſandt habe. Jch meldete Jh - nen darinn, daß es meine Mutter fuͤr ein auſ - ſerordentliches gutes Werck halten wuͤrde, wenn Sie ihren Freunden auch wider Jhre eigene Neigung gefaͤllig ſeyn koͤnnten. Unſere Unter - redung mit dem Ritter Harry Downeton war die Gelegenheit, daß ich mit meiner Mut - ter Jhrentwegen weitlaͤuftiger redete: und mei -H 2ne116Die Geſchichtene Mutter haͤlt das, was ſie zu mir geſagt hat, fuͤr ſo wichtig, daß ſie mir befiehlt, es Jhnen ſchriftlich zu melden. Jch folge deſto williger, weil ich ſelbſt in meinem vorigen Schreiben nicht wußte, wozu ich Jhnen rathen ſollte. Sie werden dieſesmahl wenigſtens den Rath meiner Mutter hoͤren; und vielleicht wuͤrden ihre Ge - dancken zugleich die Gedancken der Welt ſeyn, wenn dieſe von Jhren Umſtaͤnden nicht alles, was mir bekannt iſt, ſondern ſo viel und nicht mehr wiſſen ſollte als meine Mutter weiß.

Meine Mutter bringt hiebey ſolche Gruͤnde an, die einem Frauenzimmer, das mit einem ſelbſtgewaͤhlten Freyer gluͤcklich und vergnuͤgt zu leben hoft, ſchlechterdings allen Muth und Hof - nung benehmen.

Jch wuͤrde ihre Reden mehr zu Hertzen neh - men, wenn ich nicht wuͤßte, daß ſie eine Neben - Abſicht dabey hat, ihrer Tochter eine Ermah - nung zu geben, die zwar jetzund auf niemand an - ders eine Abſicht hat, aber doch den Freyer, den ihre Mutter ſo ſehr anpreiſet, nicht zwey Pfen - nige werth ſchaͤtzet.

Sie ſagt: woruͤber wird denn ſo viel Lerms gemacht? Jſt es eine ſo groſſe Sache, daß ein junges Frauenzimmer ihren Neigungen zuwider handeln ſolte, um allen ihren Verwandten einen Gefallen zu thun?

Jch dachte dabey: es iſt gut genug. Jetzt geht die Frage an, nachdem ſie viertzig Jahrſind.117der Clariſſa. ſind. Allein wie wuͤrde die Antwort in einem Alter von achtzehn Jahren ausgefallen ſeyn?

Sie ſagt: man muͤſſe entweder glauben, daß die Neigungen eines ſolchen Frauenzimmers, die es nicht verleugnen koͤnnte, ungemein heftig waͤren? (und das wuͤrde ſich keine wohlgezoge - ne und artige Perſon gern nachſagen laſſen) oder, daß es ſehr eigenſinnig waͤre, und ſich nicht ver - leugnen wollte: oder es muͤßte ihm nicht viel daran gelegen ſeyn, ob es ſeinen Eltern eine Ge - faͤlligkeit erzeigte.

Sie wiſſen, daß meine Mutter bisweilen ſehr ſtarck oder wenigſtens ſehr hitzig ſchlieſſet. Wir ſind ſehr oft von verſchiedener Meinung; und ein jeder hat ſeinen eigenen Beweiß ſo lieb, daß wir ſelten ſo gluͤcklich ſind, einander zu uͤber - zeugen. Es pflegt wohl, wie ich glaube, bey al - lem Streit ſo zu gehen, in den ſich unſere Hef - tigkeit einmiſchet. Sie ſagt alsdenn: ich waͤ - re gar zu witzig. Es wird wol eben ſo viel bedeuten, als vorwitzig in unſerer Land-Spra - che bedeutet. Jch antworte: ſie ſey gar zu verſtaͤndig. Das iſt in einer deutlichen Ue - berſetzung ſo viel, als: ſie ſey nicht mehr ſo jung / als ſie geweſen iſt: und nachdem ſie Mutter geworden, habe ſie vergeſſen, wie ihr zu Muthe geweſen, da ſie noch Tochter war. Wir vertragen uns gleichſam daruͤber, eine an - dere Quelle zu nennen, und eine andere im Her - tzen zu meinen: aber ohne uns daruͤber zu ver - tragen, laſſen wir doch die wahre Quelle biswei -H 3len118Die Geſchichtelen zu reichlich flieſſen. Wir hoͤren auf und fangen von neuen mit einem halbunwilligen Ge - ſichte an, dabey wir uns zum laͤcheln zwingen, damit wir deſto eher wieder eins werden moͤgen. Des Abends gehen wir ein wenig muͤrriſch zu Bette: oder wenn wir ja reden, ſo unterbricht ſie ihr Stillſchweigen nur mit einem Seufzer: ach! Ennichen, du biſt allzulebhaft, allzumunter! Jch wollte daß du nicht ſo ſehr deines Vaters Tochter waͤreſt.

Jch dencke davor in meinem Hertzen, daß mei - ne Mutter genug von ſich ſelbſt an ihrer Toch - ter finden koͤnnte. Wenn ſie aber zu ernſthaft und ſtrenge fuͤr mich iſt, ſo muß es ihr armer Hickman des naͤchſten Tages entgelten.

Sie wiſſen, daß ich eine unartige Tochter bin, und Sie wuͤrden dis von mir dencken, wenn ich es gleich nicht ſagte: ich will daher weiter nichts von meiner Unart melden. Jch erwaͤhne auch jetzt meine Unart nur, um Jhnen zum Voraus ſagen zu koͤnnen, daß ich in meiner Erzaͤhlung alles auslaſſen will, worinn ich allzuklug und meine Mutter allzuhitzig geweſen zu ſeyn ſcheint, und nur das aus unſerer Unterredung berichten, was gruͤndlich und uͤberzeugend iſt.

Ueberdencke einmahl, (ſagte ſie zu mir) alle die Familien, von denen man ſagt, daß ſich Mann und Frau aus Liebe genommen haben. Es heißt, aus Liebe, und mit dieſem Nahmen benennet man eine Leidenſchaft, die aus Thorheit und Unbedachtſamkeit entſtanden, und durch Wider - ſpen -119der Clariſſa. ſpenſtigkeit und Ungehorſam genaͤhrt und groß geworden iſt. (Hier fiel ein kleiner Neben - Streit vor, den ich auslaſſe, weil er Jhre Sa - che nicht betrift.) Ueberlege einmahl, ob die - ſe Perſonen gluͤcklicher ſind, als andere, die aus Abſichten oder aus Gehorſam geheyrathet ha - ben; oder ob ſie nur eben ſo gluͤcklich ſind? denn wenn man etwas nach vernuͤnftigen Ab - ſichten oder aus Gehorſam thut, ſo empfindet man dabey eine Zufriedenheit, die nicht ab, ſon - dern zunimmt, wenn man auch die Sache nach - her uͤberleget. Vernuͤnftige Abſichten und Ge - horſam werden nicht leicht unbelohnt bleiben. Die Liebe hingegen iſt ein Nichts! (Jch dach - te bey mir ſelbſt, das iſt wenigſtens in ei - ner Abſicht zuviel geredet. Die Liebe iſt ſo geſchaͤftig wie ein Affe / und ſo muth - willig als ein Junge in der Schule) Sie iſt eine Hitze, die bald verfliegt; und kommt mir vor wie ein allzuſtarck geſpanneter Bogen, der bald wieder ſo wird wie er von Natur war.

Sie gruͤndet ſich gemeiniglich auf lauter ſol - che Vorzuͤge, die nirgends als in dem Gehirn der Verliebten zu finden ſind, und die ihr Be - ſitzer ſelbſt nicht kannte, bis ſie ihm von der andern Parthey zuerkannt wurden. Zwey oder drey Monathe ſind genug, beyden Theilen die Augen zu oͤfnen: und denn hat einer in des andern Augen nicht mehr Vorzuͤge, als er vor -H 4 hin120Die Geſchichte hin in den Augen der kaltſinnigen Welt be - ſaß.

Die eingebildeten Vorzuͤge der verliebten Perſonen verſchwinden mit der Zeit: die Natur und Gewohnheit laſſen ſich nicht immer zuruͤck halten, ſondern kommen endlich an den Tag. Wenn die Vorſtellung aufhoͤrt, ſo ſieht man alle Flecken aneinander: und es iſt noch ſehr gut, wenn einer in den Augen des andern nicht um eben ſo viel ſchlechter und veraͤchtlicher iſt, als er in den Augen der Welt iſt, um ſo viel vorhin ſeine Vorzuͤge dem Verliebten groͤſſer als andern Leuten geſchienen hatten. Das verliebte Paar, das ſonſt kein Vergnuͤgen fin - den konnte, als in dem Umgange mit dem Ge - liebten, das niemahls aus einander gieng, ohne daß es ſich nicht noch etwas ſollte zu ſagen ha - ben, das niemahls ausredete, und immer etwas zu ſagen vergaß: findet nun die angenehme Veraͤnderung in ſeinem Umgange bey weiten nicht, auf die es ſich Hofnung machte, da es dieſes Gluͤck noch ſelten genoß, und ſich nur wuͤnſchte, es unausgeſetzt zu genieſſen. Es ſucht nun lauter andere Ergoͤtzungen, unter denen oͤf - ters die die angenehmſten ſind, die der andere Theil nicht mit genieſſet. Haͤtten Sie wohl geglaubt, daß meine Mutter ihren Unterricht mit einer ſo neumodiſchen Anmerckung beſchlieſ - ſen wuͤrde?

Jch ſagte ihr: wenn Sie einen uͤbereilten Schritt thaͤten, ſo waͤren die Jhrigen durch ihreHef -121der Clariſſa. Heftigkeit und Unbeſonnenheit Schuld daran. Jch fuͤrchtete freylich, daß ihre Anmerckungen von ungluͤcklichen Ehen, die mit ſo vieler Hof - nung eines beſtaͤndigen Vergnuͤgens angefangen waͤren, nur allzuvielen Grund haͤtten. Allein man koͤnnte doch nicht leugnen, wenn gleich Kin - der nicht alles reiflich uͤberlegten, daß auch bis - weilen die Eltern zu hart waͤren, und fuͤr ihre Jugend, fuͤr ihre Neigungen und Unerfahren - heit nicht die tragende Gedult bewieſen, die doch ihre Eltern gegen ſie ſelbſt in ihren Jugend - Jahren haͤtten beweiſen muͤſſen.

Jch ſetzte noch hinzu: ich erinnerte mich eines Briefes, den Sie vor wenigen Monathen eben um die Zeit, als Herr Wyerley Sie plagete, an der Fraͤulein Drayton Mutter geſchrieben haͤtten, als dieſe in Gefahr ſtand, durch uͤber - maͤßige Haͤrte und Einſchraͤnckung ihre Tochter zu der Uebereilung zu noͤthigen, davon ſie ſie ab - zuhalten wuͤnſchte. Sie haͤtten, (ſagte ich) Jh - ren Nahmen nicht unter den Brief geſetzt, ſon - dern ſich fuͤr ein Frauenzimmer ausgegeben, das mehr Jahre haͤtte, und Bedencken truͤge ſeinen Nahmen zu nennen. Jch wuͤßte zum voraus der Brief wuͤrde ihr gefallen.

Jch hohlte hierauf die Abſchrift des Briefes, die Sie mir damahls geneigt mitgetheilt haben, und wollte nur das leſen, was zu meinem ZweckH 5diente:122Die Geſchichtediente: allein ſie drang darauf, daß ich ihr den gantzen Brief vorleſen ſollte. *Die Stelle, auf welche ſich die Fraͤulein Howe bezog lautet alſo: Erlauden Sie mir, gnaͤdige Frau, Sie zu erin - nern, daß wenn Perſonen von Jhren Jahren und von Jhrer Erfahrung andern die Regel ge - ben wollen, daß ſie auf die zukuͤnftige Zeit ſehen ſollen, ihre Guͤtigkeit auch billig erfodert, daß ſie in die vergangene Zeit zuruͤck ſehen, und den muntern Jugend-Jahren ihrer Kinder etwas zu gute halten, und mit ihrer allzu lebhaften Hoff - nung, der die Ueberlegung noch nicht die gebuͤh - renden Schrancken geſetzt, und die ſich noch nie betrogen geſehen hat, Geduld haben. Alle Dinge ſcheinen uns zu Anfang, wenn wir guͤldene Ber - ge erwarten, und voller Hoffnung am Morgen unſerer Tage aufgehen, viel anders, als wenn wir uns am Ende nach dem was vergangen iſt um - ſehen, und, nachdem wir uns in dieſem Leben genug ermuͤdet haben, uns nach unſerm ewigen Vaterlande ſehnen. Alsdenn uͤderlegen wir erſt, was fuͤr Hoffnungen uns fehl geſchlagen ſind, was fuͤr Muͤhe, was fuͤr Verdruß, was fuͤr Ge - fahr wir haben uͤbernehmen muͤſſen: wir machen alsdenn gleichſam emen richtigen Anſchlag von dem wahren Werth des Vergnuͤgens, das wir in viel geringerem Maaß genoſſen als gehoffet ha - ben. Blos die Erfahrung kan uns von dem groſſen Unterſcheid unſerer vorher und nachher gemachten Rechnung uͤberzeugen. Wenn wir nun das, was wir aus Erfahrung gelernt, denen die wir lieben beyzubringen wuͤnſchen, obgleich ihr Leben noch zu kurtz iſt, als daß ſie ſelbſt die - ſe Erfahrung erlanget, und die Bitterkeit des Ver - gnuͤ -

Meine123der Clariſſa.

Meine Mutter war mit dem gantzen Brief ſehr wohl zu frieden, und ſagte, der Brief haͤt - te verdient, das auszurichten, was er wircklich ausgerichtet hat. Sie fragte mich aber dabey: was man zur Entſchuldigung eines jungen Frauenzimmers vorbringen koͤnnte, das ſo un - vergleichliche Gedancken haͤtte, und in ſo jungen Jahren Brieffe ſchrieb, die ſich fuͤr das reiffe - ſte Alter vollkommen ſchickten; wenn es ſich dennoch uͤbereilen und ſein eigenes Ungluͤck waͤh - len ſollte?

Sie

* gnuͤgens das ſie ſuchen geſchmecket haben ſollten: wenn wir verlangen, daß unſer Rath bey ihnen ſo viel gelten ſoll, als die Erfahrung bey uns, und daß ſie uns mehr folgen ſollen, als wir viel - leicht unſern Eltern moͤgen gefolget haben: ſo iſt es billig, daß wir Gelindigkeit und Geduld ge - brauchen, ſonſt werden wir ſie eher verhaͤrten als uͤberzeugen. Denn, gnaͤdige Frau, die zaͤrt - lichſten und artigſten Gemuͤther werden deſto unbeugſamer, wenn man hart mit ihnen umge - het. Wenn die Fraͤulein weiß, daß ſie es gut meinet, ſo wird ſie nicht leicht nachgeben, ob gleich aus Mangel der Jahre und Erfahrung ein wuͤrck - licher Jrrthum in ihrem Verſtande iſt. So bald ſie glaubt, daß ihre Freunde unrecht haben, wenn ſie auch gleich in der Sache ſelbſt Recht haͤtten, und nur zu hart mit ihr verfuͤhren: ſo wird ein jeder harter Schritt, den die Eltern vornehmen, und eine jede Unvorſichtigkeit und Jrrung der Tochter die Trennung zwiſchen Eltern und Kind groͤſſer machen. Je mehr die Eltern Borurthei - le gegen die Perſon haben, deſto mehr Vollkom - menhei -

124Die Geſchichte

Sie erwaͤhnte hierauf Herrn Lovelaces uͤble Lebens-Art; und ſagte, Jhre Angehoͤrigen ver - abſcheueten einen Mann mit Recht, der ein ſo freyes und zuͤgelloſes Leben fuͤhrete, als man ihm Schuld giebt, ohne daß er ſuchte ſich zu entſchuldigen. Mann haͤtte ſo gar aus ſeinem Munde die Erklaͤrung gehoͤrt, daß er ſo viel Frauenzimmer betruͤben wolle, als er nur koͤn - ne, um ſich wegen der uͤbeln Auffuͤhrung und wegen der Untreue eines Frauenzimmers zu raͤchen, das ſeine erſte Liebe gehabt haͤtte, als er zu Verſtellung und Untreue noch zu jung geweſen ſey. (Der letzte Ausdruck ſiehet ihm in der That gleich.)

Jch antwortete: ich haͤtte von jedermann ge - hoͤrt, daß ihm das Frauenzimmer in der That ſehr uͤbel begegnet ſey, und daß er damahls aus Verdruß eine Reiſe habe antreten muͤſſen, undum* menheiten werden ihr die Vorurtheile der Toch - ter zuſchreiben: und die ſtaͤrckſten und wichtigſten Gruͤnde, die von dem einen Theil vorgebracht werden, wird der andere Theil mit unter ihre Vorurtheile rechnen. Keiner von beyden Thei - len wird ſich uͤberzeugen laſſen wollen, der Streit und Widrigkeit wird kein Ende haben; die El - tern werden endlich ungeduldig und das Kind de - ſperat werden. Von allem dieſen wird eben das die Folge ſeyn, wovor die guͤtige Mutter ſo be - ſorgt iſt, was ſie zu verhuͤten ſuchet, und was auch haͤtte koͤnnen verhuͤtet werden, wenn man die Leidenſchafften der Tochter auf eine ſanfte Weiſe gelenckt, und ihnen nicht mit Gewalt widerſtan - ſtanden haͤtte. 125der Clariſſa. um ſie zu vergeſſen in allerhand Ausſchweiffungen gerathen ſey, die er jetzt freymuͤthig erkenne und verabſcheue. Allein er haͤtte ſchlechterdings ge - leugnet, daß ihm eine ſolche Drohung gegen un - ſer gantzes Geſchlecht jemahls entfahren ſey, als ich ſie ihm in Jhrer Gegenwart vorgehalten haͤtte. Er habe noch die Worte gebraucht: ei - ne ſolche Bosheit ſey ihm gantz ohnmoͤ - glich / daß er die Untreue einer eintzigen Perſon auf eine ſo ungerechte und nie - dertraͤchtige Art an allen raͤchen wollte.

Sie werden ſich vermuthlich der unſchuldi - gen Anmerckung erinnern, die Sie hiebey mach - ten: nehmlich: Sie hielten ſeine ernſtliche Verſicherung / daß er dieſes nicht geſagt haͤtte / fuͤr glaubwuͤrdig. Denn eben der - jenige, der eine ihm ſchuld gegebene muth - willige und uͤberlegte Luͤge / fuͤr die aller - aͤrgſte Beſchuldigung angeſehen haͤtte, und deswegen ſo rachgierig geweſen waͤre; wuͤrde ſich jetzt keiner uͤberlegten Luͤge ſchuldig machen wollen.

Jch ſtellete meiner Mutter die auſſerordent - lichen Umſtaͤnde vor, darin Sie ſich befaͤnden: ich bat ſie, zu bedencken, daß ehemahls Herr Lovelaces uͤble Lebens-Art von Jhren Anver - wandten nicht als ein Einwurf gegen ihn ange - ſehen waͤre, da er um Jhre Fraͤulein Schweſter angehalten haͤtte: daß man ſo gar damahls von ſeiner Familie, und ſonderlich von ſeiner Ge - ſchicklichkeit und Wiſſenſchaft viel Wercks ge -macht,126Die Geſchichtemacht, und ihm ſo viel Verſtand zugeſchrieben haͤtte, daß ihn eine tugendhafte und verſtaͤndige Gemahlin leicht auf beſſere Wege wuͤrde brin - gen koͤnnen. Allein hier muß ich Sie um Ver - gebung bitten: ich unterſtand mich ſo gar zu ſagen, wenn gleich Jhre Anverwandten nach dem gemeinen Lauf der Welt gantz gute Leute waͤ - ren, ſo waͤre doch auſſer Jhnen niemand aus der gantzen Familie in Verdacht, daß er zu viel aus der Religion machte. Deſtoweniger haͤt - ten ſie Recht, andern einen ſolchen Mangel ſo ſtraͤflich vorzuruͤcken. Endlich, ſagte ich, was fuͤr einen eckelhaften Menſchen haben ſie ausge - ſucht, einen der allerangenehmſten Leute ſo in England gefunden werden kan, auszuſtechen? Einen Herrn, der ſehr in die Augen fallende Vorzuͤge des Verſtandes und andere gute Ei - genſchaften beſitzt, wenn gleich ſeine Tugend kein groſſes Lob verdient? Es laͤßt recht, als wenn ſie ohne weitern Grund zu haben nur blos Luſt haͤtten einen Macht-Spruch zu thun, und ihre Gewalt und Oberherrſchaft zu zeigen.

Meine Mutter beſtand noch darauf, daß es ein deſto loͤblicheres Werck des Gehorſams waͤ - re, je mehr Sie ſich ſelbſt verleugneten. Ein recht artiger und lebhafter junger Herr werde ſelten ein guter Gemahl ſeyn; denn ſolche Herrn ſpielten meiſtentheils mit ſich ſelbſt die allerlieb - ſte Perſon, und meinten, es muͤſſe ein jedes Frauenzimmer eben ſo verliebt in ſie ſeyn, als ſie in ſich ſelbſt verliebt waͤren.

Jch127der Clariſſa.

Jch antwortete: dergleichen ſey in dieſem Falle nicht zu befuͤrchten. Denn obgleich die Manns-Perſon ſo viel Artigkeit an ſich haͤtte, daß man nicht leicht ihres gleichen unter Manns-Leu - ten finden wuͤrde, ſo ſey ihr doch dieſes Frauen - zimmer ſo wohi in Abſicht auf die Bildung des Leibes, als wegen ihres Gemuͤths und Verſtan - des allzu ſehr uͤberlegen.

Es iſt meiner Mutter unertraͤglich, wenn ich jemand anders lobe, als Herrn Hickman: und ſie macht mir dieſen durch ihr allzu vieles Lob veraͤchtlicher, als er mir ſonſt ſeyn wuͤrde, wenn ſie das wenige Gute, das er an ſich hat nicht da - durch herunter ſetzte, daß ſie es bey aller Gele - genheit vergroͤſſern will, und ihn mit andern ver - gleicht, in deren Vergleichung er noch ſchlechter ſcheint als er wuͤrcklich iſt. Dieſesmahl gieng ihre wunderliche Partheylichkeit ſo weit, daß ſie behauptete, Herr Hickmann ſey alle Tage ſo gut als Herr Lovelace, ausgenommen, daß ſein Geſicht nicht ſo ſchmeichelnd waͤre, und er nicht ſo viel lebhafte Farbe haͤtte, und weniger Hoch - muth und Dreiſtigkeit beſaͤſſe: welches aber ein ſitſames Frauenzimmer fuͤr keinen Fehler halten wuͤrde.

Damit ich nichts mehr von ſolchen ungleichen Vergleichungen hoͤren moͤchte, ſagte ich: ich glaubte, Sie wuͤrden nie daran gedacht haben, dieſem ſo verhaſſeten Mann einige Hofnung zu geben, wenn man wohl mit Jhnen umgegangenwaͤre,128Die Geſchichtewaͤre, und Jhnen erlaubt haͤtte, nach Jhren ei - genen Einſichten zu handeln.

Hier meinte ſie mich gefangen zu haben, und ſagte: die Entſchuldigung iſt ſchlecht, meine Tochter! Wenn dem ſo iſt, wie du ſageſt, ſo iſt nicht die Liebe, wohl aber der Widerſprechungs - Geiſt Schuld an allem.

Auch dieſes nicht, antwortete ich: denn ich weiß, daß Fraͤulein Harlowe Herrn Lovelace allen andern vorziehen wuͤrde / wenn ſeine Lebens-Art

Wenn! wenn! (ſagte ſie) kommt aber nicht alles auf dieſes Wenn an? Glaubſt du in der That, daß ſie eine Neigung gegen Herrn Lovelace hat?

Was wollen Sie, mein Schatz, was haͤtte ich antworten ſollen? Jch mag Jhnen nicht ſchreiben, was ich wuͤrcklich ſagte. Aber wer wuͤrde mir geglaubt haben, wenn ich anders ge - antwortet haͤttet? Jch weiß uͤber dieſes gewiß, daß Sie eine Neigung gegen ihn haben. Neh - men Sie es mir nicht uͤbel. Wenn Sie Jhre Neigung zu leugnen ſuchen, ſo tadeln Sie ſich in der That, denn Sie geben dadurch zu ver - ſtehen, daß Sie dieſe Neigung fuͤr etwas tadel - haftes anſehen.

Jch ſagte ferner: der Herr verdiente, bey ei - nem jeden Frauenzimmer beliebt zu ſeyn: (das Wenn kam mir ſchon wieder auf die Zunge) allein ihre Eltern .

Jhre Eltern meine Tochter (MeineMutter129der Clariſſa. Mutter tadelt mich gemeiniglich, daß ich zu hi - tzig bin. Und doch faͤllt niemand andern ſo oft in die Rede, als ſie.)

Koͤnnten die Sache unrecht anfangen ſagte ich.

Koͤnnen kein Unrecht thun! Sie haben ihre guten Urſachen / dafuͤr will ich ſtehen.

Und dadurch (fuhr ich fort) ein junges Gemuͤth zu einer unbeſonnenen Entſchlieſſung bringen, dazu es ſonſt nie gekommen waͤre.

Wenn es eine unbeſonnene Entſchlieſſung iſt, antwortete ſie, ſo muß ſie ſich nicht dazu brin - gen laſſen. Eine verſtaͤndige Tochter wird nicht muthwillig fehlen, weil ihre Eltern fehlen, wenn es auch moͤglich ware, daß dieſe fehlen koͤnnten: und wenn ſie es thut, ſo wird es ihr die Welt eben ſo ſehr verdencken, als ihren Eltern. Al - les was man zur Entſchuldigung eines ſolchen Verſehens vorbringen koͤnnte, iſt dieſes, daß man mit den Jahren und dem Mangel der Er - fahrung viel Gedult haben muͤſſe, welches die Fraͤulein in ihrem Brieffe an die Frau von Drayton vorſtellet. Allein ſollte wohl ein ſo unvergleichliches Frauenzimmer als die Fraͤulein Harlowe, die ſo viel Verſtand hat, daß ſie Leuten von mehreren Jahren mit ihrem Rath zu ſtatten kommen kan, ſich mit einer ſo elenden Ausflucht behelfen? Schreibe ihr ſo gleich, mei - ne Tochter, was ich mit dir geredet habe, und ſtelle ihr vor, daß man von einem Frauenzim - mer, deſſen edles und grosmuͤthiges Hertz be -Zweyter Theil. Jkannt130Die Geſchichtekannt iſt, ſchlechterdings erwartet, daß es ſich ſeinen Freunden zu Liebe verleugnen werde, wenn es auch noch ſo viel Zuneigung zu der einen und Abneigung von der andern Perſon haben ſollte. Es ſind ja zehn bis zwoͤlff der naͤchſten und lieb - ſten Freunde, die ſie durch eine ſolche Verleug - nung erfreuen wird, und inſonderheit ein lieb - reicher Vater und eine guͤtige Mutter. Viel - leicht iſt alles nur Einbildung / was ſie einzu - wenden hat, und ihre Eltern ſehen etwan die Sache tieffer ein. Sollen bey der Fraͤulein Harlowe ihre Einfaͤlle mehr gelten, als das reiffe Urtheil ihrer Eltern?

Jch redete ſehr viel von dieſem ſo genannten reiffen Urtheil: nehmlich alles was Sie nur wuͤnſchen koͤnnen, und was die Sache ſelbſt mit ſich bringet, und ich nur ſagen durfte. Meine Mutter empfand die Kraft meiner Ein - wuͤrfe ſo ſehr, daß ſie mir verbot, nichts da - von an Sie zu ſchreiben, damit es Sie nicht bey ſo mißlichen Umſtaͤnden zu einer Entſchlieſ - ſung braͤchte, uͤber die wir beyde (die Rathge - berin, und die ſo den Rath annaͤhme) Zeit Lebens Ach und Weh wuͤrden ſchreyen muͤſſen.

Jch folge dieſem Befehl, und lege Jhnen die Gruͤnde meiner Mutter vor: und dis thue ich deſto lieber, weil ich nicht weiß, wozu ich Jh - nen rathen ſoll. Sie kennen Jhr eigenes Hertz am deſten, und wiſſen, was ihm moͤglich oder unmoͤglich iſt.

Ro -131der Clariſſa.

Robert verſpricht mir, dieſen Brief ſehr fruͤh zu uͤberbringen, damit er Jhnen bey dem erſten Spatzier-Gang, den Sie morgen thun werden, zu Haͤnden komme.

GOtt laſſe Sie den beſten Weg waͤhlen! dis iſt das unablaͤßige Gebet

Jhrer ergebenſten Anna Howe.

Der vierzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch bin voller Furcht: ich kan aber doch nicht unterlaſſen, meinen gehorſamſten Danck an Jhre Frau Mutter, wegen Jhrer neulichen Guͤtigkeit gegen mich abzuſtatten. Jch hoffe, daß der Jnhalt meines letzten Brieffes ihren lieb - reichen Wuͤnſchen gemaͤß geweſen ſeyn wird. Allein es iſt nicht genug, daß ich mich blos mit ein paar Worten, die auf einen zugeſiegelten Brief mit Bleyſtifft geſchrieben ſind, gegen ſie bedancke.

J 2We -132Die Geſchichte

Wegen des Brieffes, den ich ohne Unter - ſchrifft an die Frau von Drayton geſchrieben habe, muß ich nur melden, daß mir Frau Norton dabey geholffen hat. Jch habe es Jhnen damahls nicht geſagt, allein ich bekenne es hiemit, und ich bitte Sie, es Jhrer Frau Mutter zu ſagen, damit ſie nicht dencken moͤ - gen, daß ich mich unterſtehe einer Perſon mit meinem Rath zu dienen, die deſſen nicht benoͤ - thigt iſt, und damit ich deſto weniger durch den harten aber doch gerechten Schluß, den ſie bey meinem Brieffe gemacht hat, leiden, und mein Verſehen nicht vergroͤſſern moͤge. Denn dieſes wuͤrde gewiß geſchehen, wenn ich durch meine Auffuͤhrung einen guten Rath gleichſam beſchaͤmete, den ich gegeben haben ſoll.

Ehe ich auf das komme, was mich am naͤch - ſten angehet, muß ich Jhnen die harten, die allzuharten Beſchuldigungen verweiſen, damit Sie meine Familie angreiffen, und den Mei - nigen ein ſehr ſchlechtes Zeugniß der Tugend und Froͤmmigkeit geben. Jch wundere mich in der That uͤber Sie. Bey einer andern Gele - legenheit, die weniger zu bedeuten haͤtte, wuͤrde ich nicht gethan haben, als wenn ich Jhre et - was loſe Tadelſucht bemerckt haͤtte, nachdem ich Jhnen deshalb ſchon ſo oft vergeblich geſchrieben habe. Allein ſo ſehr mir auch mein eignes Un - gluͤck zu Hertzen gehet, ſo kan ich doch ohne Verletzung meiner kindlichen Pflicht die Beſchul - digung, die ich nicht gern von Wort zu Wortwi -133der Clariſſa. widerholen moͤchte, ohnmoͤglich gantz ungeahn - det laſſen.

Jch kenne keine rechtſchaffenere Frau in Eng - land, als meine Mutter iſt. Und mein Va - ter iſt auch gar nicht der Mann, fuͤr den Sie ihn bisweilen anſehen. Wenn ich ein eintziges Stuͤck ausnehme, ſo weiß ich keine Familie, die ihre Pflichten ſo genau zu erfuͤllen ſucht, als die Haͤupter unſerer Familie: nemlich dieſes eintzige nehme ich aus, daß ſie den Armen we - niger Gutes thun, als ſie koͤnnten. Jſt es ih - nen denn zu verdencken, daß ſie eine untadel - hafte Lebens-Art von einem Manne verlangen, deſſen Geſuch, ſich mit ihnen zu verſchwiegern, ſie abſchlagen oder bewilligen koͤnnen: ein Recht, das ich ihnen nie ſtreitig machen werde!

Erlauben Sie noch ein paar Worte, ehe mei - ne Feder mit andern Dingen beſchaͤfftiget iſt. Es betrifft Jhr Betragen gegen Herrn Hick - mann. Jſt es artig, daß Sie ſich an einem unſchuldigen wegen des Verdruſſes raͤchen, der gantz von einer andern Seite herkommt, und noch dazu vielleicht verſchuldet iſt? doch ich koͤnnte ihm einen Troſt geben, und zwingen Sie mich ja nicht, es zu thun! kein Frauenzimmer wird einer Manns-Perſon uͤbel begegnen, wel - che es ſchlechterdings unter die Verworfenen ſetzt. Man kan hoffen, daß ein ſolches Frauenzim - mer es ſich vorbehaͤlt, das vergangene wieder gut zu machen, wenn es lange genug hart ge - weſen iſt, und ihr Anbeter Geduid genug ge -J 3uͤber134Die Geſchichteuͤbet hat. Mein Hertz iſt mir zu ſchwer, als daß ich mehr hievon ſchreiben ſollte.

Jch will Jhnen nun melden, was fuͤr Urſa - chen ich habe, voller Furcht zu ſeyn.

Jch habe ſchon in dem Brieffe, den ich heute fruͤh ſchrieb, zu erkennen gegeben, daß ſich ein Sturm zuſammen zoͤge. Dieſen Nachmittag kam Herr Solmes mit meinem Bruder aus der Kirche; und bald nachher brachte mir Eli - ſabeth einen Brief, ohne zu ſagen, von wem er kaͤme. Die Aufſchrifft hatte eine mir unbe - kannte Hand gemacht: man muſte etwan glau - ben, daß ich den Brieff nicht annehmen und erbrechen wuͤrde, wenn ich zum voraus wuͤſte, wer ihn geſchrieben haͤtte. Jch ſende Jhnen die Abſchrifft:

An Fraͤulein Clariſſa Harlowe. Wehrteſte Froͤlin

Jch halte mich fuͤr einen ſeer ungluͤcklichen Mahn zu ſein, daß ich noch niemahls ſo gluͤck - lich geweſt bin, ihnen meine Aufwartung ei - ne halbe Stunde lang zu machen. Jch ha - be Jhnen etwas zu ſagen, daran ihnen viel gelegen iſt, wenn ſie mich nur vor ſich laſſen wollen. Es betrifft ihre Ehre, und die Ehre der ganſen Familie. Es betrifft die Abſichten der Perſchon, von der Sie mehr halten ſol - len, als ſie wert iſt, und es betrifft einigegott -135der Clariſſa. gottloſe Streiche, die er geſpielt hat, die ich zu erweiſen bereid bin. Jch koͤnnte intereſirt ſcheinen dabey, aber ich bin bereid zu ſchwaͤren, daß kein Buchſtab davon falſch iſt. Sie ſol - len ſehen, was das vor ein Man iſt, von dem ſie was halten ſollen. Aber ich hoffe aus Geneigtheit gegen Jhre Ehre, das daß Ge - ruͤcht falſch iſt. Jch bitte Sie, hoͤren Sie mich nur, ſo lieb ihnen ihre Ehre und Fami - lie ſeyn. Dadurch wird Jhnen verbunden werden

Werteſte Froͤlin Jhr gehorſahmer und treier Diner Roger Solmes.

Jch warte unten auf Audientze.

Jch zweiffele gar nicht daran, daß dieſes nur ein Vorwand iſt, ihm einen Umgang mit mir zu verſchaffen. Jch wollte ihm muͤndlich Ant - wort ſagen laſſen: allein Eliſabeth entſchul - digte ſich, ſie duͤrffte keine abſchlaͤgige Antwort beſtellen. Jch muſte ihn alſo entweder ſprechen, oder an ihn ſchreiben. Jch ſende Jhnen den erſten Entwurf meiner Antwort. Das Hertz ſchlaͤgt mir vor Furcht, wegen der Folgen, die meine Antwort haben wird.

J 4Mei -136Die Geſchichte
Mein Herr

Alles was Sie mir mitzutheilen haben, das meine Ehre betreffen ſoll, kan eben ſo gut ſchrifft - lich als muͤndlich ausgerichtet werden. Wenn Herr Lovelace mich angehet, ſo ſehe ich doch keine Urſache, die Sie dringen koͤnnte, ſich des - halb um ihn zu bekuͤmmern: denn das, was er Jhrentwegen erdulden muß, und niemand anders als Jhnen zuſchreiben kan, iſt ſo uner - traͤglich, daß wenn auch kein Lovelace in der Welt waͤre, ich doch Herrn Solmes auf die Weiſe, wie Sie mich zu ſprechen begehren, nicht gern eine halbe Stunde bey mir ſehen wollte. Jch kan wegen des Herrn Lovelace in keiner Gefahr ſeyn; es gehen mich alſo die Nach - richten, die Sie geben wollen, gar nicht an, wenn der Vorſchlag angenommen wird, den ich gethan habe. Jch zweiffele nicht daran, daß Jhnen dieſer Vorſchlag bekannt ſeyn wird. Wenn man ſich noch nicht entſchloſſen hat, ihn anzunehmen, ſo erſuche ich Sie, die Meinigen zu bedeuten, daß ich ſie von aller Furcht, wegen dieſes Herrn, befreyen will, wenn ſie mich eben - falls von meiner Furcht, wegen eines andern Herrn, befreyen wollen: und was geht es als - denn mich oder die Meinigen an, ob Herr Lo - velace tugendhaft oder laſterhaft iſt? Wenn es uns aber nichts angehet, ſo brauchen Sie ſich noch viel weniger deshalb zu bemuͤhen. Sind Sie aber dem ohngenchtet, ſeinetwegen bekuͤm -mert137der Clariſſa. mert, ſo habe ich nichts dagegen zu ſagen. Es wird ein Werck der chriſtlichen Liebe ſeyn, wenn Sie wegen ſeiner Vergehungen, mit ihm ſelbſt reden, und ihn eben ſo tugendhafft zu machen ſuchen, als Sie ſind. Denn wenn Sie nicht ſelbſt tugendhaft waͤren, ſo wuͤrden Sie nicht ſo fertig ſeyn, ſeine Fehler zu entdecken.

Halten Sie mir zu gute, was ich ſchreibe. Nachdem ich neulich ſchon an Sie geſchrieben habe, und Sie doch nicht ablaſſen wollen, und ſich ſogar durch Herunterſetzung anderer und nicht durch eigene Vorzuͤge bey mir einzuſchmei - cheln ſuchen; ſo haben Sie kein Recht mehr, die Perſon wegen ihrer Empfindlichkeit oder Grobheit zu tadeln, zu deren Ungluͤck Sie bis - her ſo vieles beygetragen haben.

Cl. Harlowe. Sonntag Abends.

Mein Vater hat im Zorn zu mir herauf kom - men wollen; allein er ließ ſich von den andern noch abrathen, und der Frau Hervey ward aufgetragen, den Brief, von dem ich eine Ab - ſchrifft mittheile, an mich zu ſchreiben. Alles ſehr hitzig, und ſehr uͤbereilt!

An Fraͤulein Clariſſa Harlowe. Fraͤulein Baſe /

Jedermann iſt daruͤber betruͤbt, daß guͤtige Ueberredungen bey Jhnen nichts fruchten wol -J 5len.138Die Geſchichtelen. Jhre Mutter will Sie nicht laͤnger im Hauſe wiſſen, weil Jhr Vater uͤber Jhren Brief an ſeinen guten Freund ſo aufgebracht iſt, daß ſie wegen der Folgen beſorgt iſt, die daraus, bey laͤngerm Aufenthalt in dieſem Hauſe, entſte - hen koͤnnten. Sie befiehlt Jhnen deshalb, daß Sie ſich augenblicklich zur Abreiſe nach Jhres Onckles Antons Guͤtern anſchicken ſollen.

Jhr Onckle meint es um Sie nicht verdient zu haben, daß Sie ſich ſo unwillig ſtellen, ihn zu beſuchen.

Sie wiſſen nicht, was es fuͤr ein gottloſer Mann iſt, den Sie ſo hoch ſchaͤtzen, daß Sie ſich um ſeinetwillen mit allen Jhren Anverwand - ten uͤberwerfen.

Auf dieſen Brief ſollen Sie nicht antworten. Es wuͤrde ſonſt das hin - und wiederſchreibens kein Ende ſeyn. Sie glauben nicht, wie em - pfindlich Sie uns alle betruͤben, und am aller - meiſten

Jhre treue Baſe Dorothea Hervey.

Weil meiner Mutter Schweſter mir verbo - ten hat, an ſie zu ſchreiben, ſo nahm ich eine noch dreiſtere Entſchlieſſung. Jch ſchrieb einige Zeilen an meine Mutter ſelbſt, und bat ſie, daß ſie mir Erlaubniß verſchaffen moͤchte, wenn ich ja wegreiſen ſolte und muͤßte, mich noch vorher meinem Vater und ihr zu Fuͤſſen zu werfen, undwe -139der Clariſſa. wegen des vergangenen Vergebung zu bitten, und ihren Seegen zu empfangen, desgleichen, daß ich alsdenn von ihnen ſelbſt den Befehl we - gen meiner Abreiſe hoͤren und ſie mir den Tag derſelben muͤndlich beſtimmen moͤchte. Jch bat aber, daß dieſes alles blos in ihrer beyder Gegen - wart geſchehen moͤchte.

Meine Mutter ſchickte mir dieſen Brief un - erbrochen zuruͤck, und ſagte ſehr unwillig zu E - liſabeth: was iſt das fuͤr eine neue Verwe - genheit! Nehmt den Brief wieder mit / und ſagt ihr, ſie ſolte Gehorſam uͤben ler - nen.

Um nichts, was in meinem Vermoͤgen ſtehet, zu unterlaſſen, dadurch ich meinen Gehorſam und Unterwerfung bezeigen koͤnnte, ſchrieb ich ein paar Zeilen gleiches Jnhalts an meinen Vater ſelbſt; und bat ihn, er moͤge mich nicht ohne ſeinen See - gen von Hauſe wegreiſen laſſen. Eliſabeth brachte mir auch dieſen Brief unerbrochen und in zwey Stuͤcke zerriſſen wieder; ſie hielt die ei - ne Hand in die Hoͤhe, und in der andern flachen Hand wieß ſie mir den zerriſſenen Brief: Se - hen ſie hier Fraͤulein! das ſieht betruͤbt aus. Es wird nichts gelten / als Gehor - ſam. Jhr Herr Vatter lagte: ich will kei - ne Worte von ihr annehmen. Wie ſteht es um die That? Und damit ſchmiß er mir den zerriſſenen Brief um den Kopf.

So verzweifelt ſieht meine Sache aus. Al - lein ich wolte mich auch durch dieſe abſchlaͤgigeAnt -140Die GeſchichteAntwort noch nicht abſchrecken laſſen, ſondern ich wandte mich ſchriftlich an meinen Onckle Harlowe, und legte die beyden unerbrochenen Brieffe an meinen Vater und an meine Mutter ter mit bey, nachdem ich vorhin eine Abſchrift davon genommen, um Sie Jhnen zuzuſenden, ſo viel ich durch das Papier leſen konnte.

Mein Onckle wollte eben nach Hauſe fah - ren, und der Brief ward ihm uͤbergeben, da er in den Wagen trat. Jch kan daher nicht eher als Morgen wiſſen, was dieſer Brief vor ein Schickſal haben wird. Hier ſende ich Jhnen eine Abſchrift davon.

Wertheſter und Hochgeehrteſter Herr Vetter /

Jch habe nunmehr niemand als Sie allein, an den ich mich wenden koͤnnte, um meinen de - muͤthigen Briefen das Gluͤck zu verſchaffen, daß ſie eroͤfnet und geleſen werden moͤgen. Meine Frau Baſe Hervey hat mich von einem Be - fehl benachrichtiget, uͤber den ich einige Erlaͤu - terungen brauche: ſie hat mir aber verboten, an ſie zu ſchreiben. Jch habe mir darauf die Frey - heit genommen, an meinen Vater und an mei - ne Mutter zu ſchreiben: Allein die zerriſſene und die unerbrochene Einlage wird Jhnen von ſelbſt ſagen, wie es abgelauffen iſt. Sie wiſſen dieſes vielleicht ſchon; da Sie aber den Jnhaltdie -141der Clariſſa. dieſer verſchmaͤheten Brieffe noch nicht wiſſen, ſo bitte ich Sie, daß Sie beyde einer Durch - leſung wuͤrdigen wollen, damit Sie zu meiner Entſchuldigung bezeugen koͤnnen, daß keine Kla - gen und Beſchwerden, und uͤberhaupt nichts, daß den Schein eines Ungehorſams haben koͤnn - te, darinn enthalten ſey. Nehmen Sie mir nicht unguͤtig, daß ich mich unterſtehe zu dencken; daß vielleicht in einiger Zeit auf die Haͤrtigkeit eine Reue folgen kann, wenn jetzt der taube Unwille mich nicht hoͤren, und nicht einmahl leſen will, was ich ſchreibe. Jch bitte Sie, geben Sie mir nur zu erkennen, aus was fuͤr ei - ner Abſicht ich eben nach meines Onckles An - tons Gute, und nicht zu Jhnen oder zu Frau Hervey oder anders wohin reiſen ſoll? Wenn ich die wahre Urſache errathen habe, ſo wird mir das Leben nicht ertraͤglich ſeyn. Jch bitte auch um Nachricht, wenn ich aus dem Hauſe geſtoſ - ſen werden ſoll? Mein Hertz ſagt mir ſchon zum voraus, daß ich dieſes Haus nie wieder zu ſehen bekommen werde, wenn ich es einmahl zu verlaſſen gezwungen bin.

Jch erklaͤre mich hiebey, daß ich dieſes nicht aus Trotz und Empfindlichkeit ſchreibe. GOtt, der mein Hertz kennet, iſt mein Zeuge. Allein ich erwarte eine ſolche Begegnung, wenn ich nach meines andern Onckles Gute abreiſen muß, die das Ungluͤck, das unverdiente Elend (wennich142Die Geſchichte ich ſo frey ſchreiben darf) endigen wird, darun - ter bisher geſeuffzt hat,

Jhre ehemahls ſo zaͤrtlich geliebte und nun ungluͤckliche Baſe Clariſſa Harlowe.

Der funfzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Dieſen Morgen kam mein Onckle Harlowe ſehr fruͤh hier an, und ſandte mir das beygelegte Schreiben. Es hat bey mir den Wunſch erreget, daß ich ihm moͤchte koͤnnen ge - faͤllig ſeyn. Sie werden ſehen, was fuͤr Anmer - ckungen er uͤber Herrn Solmes uͤble Eigenſchaf - ten zu ſeiner Entſchuldigung gemacht hat. Wie viel Fehler kan ſonſt die Liebe zudecken? Vielleicht dencken nun die Meinigen auch von mir: wie viel Fehler kan der Widerwille entdecken? Seyn Sie ſo guͤtig, und ſenden Sie mir meines Onckles Brief gleich zuruͤck. Jch143der Clariſſa. Jch werde ſuchen mich deshalb zu entſchuldigen, daß ich allen meinen Anverwandten ſo furchter - lich geworden bin, als er behauptet; und ich wuͤnſchte, daß ich es nicht blos entſchuldigen ſon - dern auch aͤndern koͤnnte.

Jch muß Jhnen antworten, ſo ungern ich es auch thue. Jedermann liebet Sie, und das wiſſen Sie. Ein jeder Platz iſt uns an - genehm, auf den Sie nur Jhren Fuß geſetzt ha - ben. Allein wie koͤnnen wir uns entſchlieſſen, Sie zu ſprechen? Denn Jhren Augen und Jh - ren Worten kan niemand widerſtehen: und die Groͤſſe unſerer Liebe macht es, daß wir uns nicht trauen duͤrfen, Sie zu ſprechen. Wie koͤnnen wir dieſes wagen, ſo lange Sie enſchloſ - ſen ſind, das nicht zu thun, was wir begehren, daß Sie es thun ſollen? Jch hab noch niemand ſo ſehr als Sie von Kindesbeinen an bis jetzt ge - liebet: und, wie ich oft geſagt habe, ich ken ne auch kein ſo liebenswuͤrdiges Frauenzimmer, als Sie ſind. Was iſt Jhnen aber jetzt wie - derfahren? Was hat Sie ſo ſehr veraͤndert. Ach! GOtt erbarme es, mein Kind! wie be - ſtehen Sie in der Probe ſo ſchlecht!

Jch habe die eingeſchloſſenen Brieffe geleſen. Wenn ich eine bequeme Zeit finde, ſo will ich ſie meinem Bruder und meiner Schweſter zei - gen:144Die Geſchichte gen: allein jetzt werden ſie nichts von Jhrer Hand annehmen.

Jch habe Jhren Brief an mich nicht leſen koͤnnen, ohne gleichſam entwafnet und aller mei - ner Standhaftigkeit beraubet zu werden. Wie iſt es moͤglich, daß Sie ſelbſt ſo unbeweglich ſind, und doch andere ſo ſehr bewegen koͤnnen? Wie haben Sie ſo einen Brief an Herrn Sol - mes ſchreiben koͤnnen? Phi! ſchaͤmen Sie ſich! Wie ſehr haben Sie ſich geaͤndert?

Koͤnnen Sie Jhrem Bruder und Jhrer Schweſter ſo begegnen, als Sie bisher gethan haben, daß dieſen endlich alle Luſt vergehet, mit Jhnen zu reden oder an Sie zu ſchreiben? Wiſſen Sie den Spruch nicht mehr: eine ge - linde Antwort ſtillet den Zorn[[? ]]Wenn Sie ſich auf die Schaͤrffe Jhres Witzes ver - laſſen wollen, ſo muß ich geſtehen, daß Sie an - dere verwundern koͤnnen: allein bedencken Sie, daß man mit der Keule wider den Degen gut Fechten hat. Woher wiſſen Sie, daß die, de - nen Sie empfindliche Stiche geben, Jhnen nicht hinwiederum einen empfindlichen Streich verſetzen werden? Waren dieſes die Mittel, dadurch Sie uns allen ehemahls das Hertz ſo geraubet hatten, daß wir Sie beynahe anbete - ten? War es nicht vielmehr Jhr ſanfter Sinn und Jhr wohlgezogenes Weſen, die Jhnen auch eines jeden Fremden Ehrfurcht erwurben, ſo daß Jhnen jeder begegnete, als wenn Sie eine Lady waͤren, und Sie My Lady anredete,ob145der Clariſſa. ob Sie gleich eben ſo wenig als Jhre Schwe - ſter von Geburt keine Lady waren, und nicht gleiche Vorzuͤge des Herkommens hatten, als Jhre Mutter! Wenn Sie meinen, daß Sie beneidet werden, ſo muͤſſen ſie ja dieſen Neid nicht noch mehr erwecken, und ihm gleichſam die Zaͤhne ſchaͤrffen. Sie ſehen, daß ich un - partheyiſch ſchreibe, und Sie ohne Veraͤnde - rung liebe.

Sie haben uns dadurch nur mehr vereini, get, daß Sie uns Jhre Geſchicklichkeit haben mercken laſſen, niemandes zu ſchonen, und doch alle zum Mitleiden zu bewegen, ohne daß wir Sie im geringſten haben bewegen koͤnnen. Wir ſind nun gezwungen, ſo veſt zuſammen zu halten, als wir in den alten Buͤchern den Phalanx der Griechen beſchrieben finden. Jh - rer Frau Mutter Schweſter verbietet Jhnen aus eben der Urſache, nicht zu antworten, die mich zwinget, keine Gelegenheit zum Briefwech - ſel zu geben. Wir alle ſcheuen uns davor, Sie zu ſehen: denn wir ſind verſichert, daß Sie nur mit uns ſpielen und Jhre Luſt daran haben werden, wenn Sie uns ein wenig hin - ter das Licht fuͤhren. Jhre Mutter ſcheuet ſich ſo vor Jhnen, daß ſie ſich ein paarmahl einge - ſchloſſen hat, als ſie meinete, Sie kaͤmen und wollten ſie wider ihren Willen ſprechen: denn ſie wuͤſte zum voraus, daß ſie Sie nicht ſpre - chen duͤrfte, wie und wenn es Jhnen beliebte,Zweyter Theil. K und146Die Geſchichte und daß Sie nicht mit ihr aus dem Ton, als es ihr beliebte, ſprechen wuͤrden.

Entſchlieſſen Sie ſich doch, wertheſte Fraͤu - lein Claͤrchen, uns eine Wohlthat zu erzeigen: wir insgeſammt wollen Sie alsdenn mit of - fenen Armen empfangen, und an unſere erfreue - te Bruſt druͤcken. Wenn der eine Freyer nicht ſo viel natuͤrlichen Witz, Geſchicklichkeit, und Annehmlichkeit beſitzt als der andere, ſo muͤſſen Sie dagegen bedencken, daß in keiner Bruſt ein gottloſeres Hertz ſchlaͤgt, als das Hertz dieſer mit ſo vielen Vorzuͤgen begabten Perſon. Sol - ten Sie nicht die Liebe aller Jhrer Freunde, und einen tugendhaften Mann, wenn er gleich in der Auffuͤhrung nicht ſo artig iſt, einem an - genehmen Ertz-Boͤſewicht vorziehen? Jhre un - vergleichlichen Eigenſchaften werden machen, daß der eine Sie anbeten wird: dahingegen der andere dieſe Vorzuͤge ſelbſt beſitzt, und Sie an Jhnen ſo hoch nicht ſchaͤtzen wird. Denn bisweilen ſind herrſchſuͤchtige Ehemaͤnner auf den Verſtand ihrer Weiber eiferſuͤchtig. Sie werden gewiß an dem einen Freyer einen tu - gendhaften Mann bekommen: und wenn Sie ihn nicht ſo hart abgewieſen haͤtten, ſo wuͤrde er Jhnen von dem andern Nachrichten gegeben haben, daß Jhnen die Ohren haͤtten ſchallen moͤgen.

Seyn Sie guͤtig gegen mich, meine aller - liebſte Fraͤulein Baſe. Goͤnnen Sie mir die Ehre, daß ich bey Jhnen ausrichten moͤge, wasſonſt147der Clariſſa. ſonſt niemand hat ausrichten koͤnnen. Jch will dieſe Ehre (wie ich es nochmahls nenne) mit Jhren Eltern theilen. Alles vergangene ſoll vergeſſen und vergeben ſeyn; und wir wollen fuͤr Herrn Solmes Buͤrgen werden, daß er auch kuͤnftig nicht mehr daran gedencken ſoll. Er ſelbſt ſagt: er wiſſe wohl, was der fuͤr ein Kleinod erlanget habe, der ſo gluͤcklich ſey, Jhr Hertz zu beſitzen: und er wuͤrde alles, was er ha - be ausſtehen muͤſſen, oder was ihm noch bevor ſtuͤnde, ehe er Jhr Jawort erhielte, fuͤr ein Lei - den achten, das gegen ſeine Belohnung in kein Verhaͤltniß gebracht werden koͤnne.

Thun Sie uns, mein allerliebſtes Kind, die - ſe Gefaͤlligkeit, und zwar auf eine artige und ungezwungene Weiſe. Es muß doch geſchehen: das verſichere ich Jhnen zum voraus. Sie werden nicht uͤber Vater, Mutter, Onckles und uͤber alle die ſonſt zu der Familie gehoͤren, den Meiſter ſpielen duͤrfen: das wiſſen Sie zum voraus.

Jch bin die halbe Nacht aufgeblieben, um an Sie zu ſchreiben. Sie glauben nicht, wie ſehr ich bey Leſung und Beantwortung Jhres Briefes geruͤhrt geweſen bin. Jch will dem ohngeachtet morgen mit anbrechendem Tage wieder zu Harlowe-Burg ſeyn. Wenn Sie uns alle erfreuen wollen, ſo erwarte ich Jhren Befehl nach Durchleſung dieſes Briefes, daß ich zu Jhnen hinauf kommen, und Sie zu den Jhrigen herunter fuͤhren ſoll, die Sie mit of -K 2 fenen148Die Geſchichte fenen Armen empfangen und umfangen wer - den. Sie werden gewahr werden, daß Sie einen andern Bruder und Schweſter haben, als Jh - nen dieſe lieben Perſonen bisher vorgekommen ſind, da Sie ſie mit allerhand Vorurtheilen angeſehen haben. Bedencken Sie, dieſer Brief kommt von dem, der ſich ſonſt ſo gern zu nen - nen pflegte,

Jhren Onckle und Vater Johann Harlowe.

Eine Stunde nach Ueberſendung dieſes guͤti - gen Briefes ließ mich mein Onckle fragen, ob er bey mir willkommen ſeyn wuͤrde, wenn er mich auf die in dem Briefe verabredete Bedingun - gen beſuchte. Er befahl der Eliſabeth / ſie ſol - te ihm eine muͤndliche Antwort bringen, denn eine ſchriftliche wuͤrde ein uͤbles Zeichen ſeyn, ſie ſolte demnach ja keinen Brief bringen. Jch hatte eben die Antwort, die ich in Abſchrift bey - fuͤgen werde, geendigt. Eliſabeth machte Schwierigkeit, ſie zu uͤberbringen: allein ein ge - wiſſer Winck, dem dieſe Cammer-Kaͤtzchens ſel - ten widerſtehen koͤnnen, brachte ſie ſo weit, daß ſie mir dieſe Gefaͤlligkeit erzeigte.

Allertheureſter Onckle,

Sie erfreuen mich durch Jhre Guͤtigkeit und Herab -149der Clariſſa. Herablaſſung zu mir. Ein ſo guͤtiger und vaͤ - terlicher Brief! Ein Brief, der meinem ver - wundeten Hertzen ſo angenehm geweſen iſt, ſon - derlich nachdem ich ſeit einiger Zeit einer zaͤrt - lichen Begegnung gantz ungewohnt geworden bin! Wie ſehr bin ich dadurch geruͤhret wor - den! Ruͤhmen Sie meine Schreibart nicht: Jhre Ausdruͤcke haben mich viel ſtaͤrcker bewe - get, als ich jemahls im Stande bin andere zu bewegen. Sie haben bey mir den ſehnlichſten Wunſch erwecket, daß es moͤglich ſeyn moͤchte Jhren Beſuch unter den von Jhnen vorgeſchla - genen Bedingungen zu erwarten, und mich von einem ſo liebreichen Onckle meinen Eltern wie - der zufuͤhren zu laſſen.

Jch will mich gegen Sie erklaͤren, was ich um des Friedens willen zu thun entſchloſſen bin. Jch kan ohnmoͤglich daran zweiffeln, daß Herr Solmes nicht vielmehr Neigung zu meiner Schweſter haben ſolte, als mir, nachdem ich mich ſo abgeneigt und wunderlich gegen ihn be - wieſen habe; und daß nicht ſeine Anwerbung um mich hauptſaͤchlich in der Abſicht ſolte an - gebracht ſeyn, weil ihm mein Grosvaͤterliches Gut ungemein bequem liegt. Jch habe beſon - dere Urſachen dieſes zu glauben. Jch will mich deshalb dieſes Gutes auf ewig begeben; und mein Wille wird deſto weniger umgeſtoſſen werden koͤnnen, weil ich gar nicht zu heyrathen gedencke. Jch will demnach dieſes Gut an mei - ne Schweſter und an ihre Erben uͤbertragenK 3 und150Die Geſchichte und verſchencken. Jch werde keine andere Er - ben haben, als meinen Bruder und meine Schweſter: und ich will mir von meinem Va - ter nur ein jaͤhrliches Einkommen, ſo viel ihm beliebig iſt zu geben ausbitten, und zwar dieſes nicht als eine Schadloshaltung fuͤr das Gut, ſondern als eine bloſſe Guͤtigkeit, die er auch wieder ſoll zuruͤcknehmen koͤnnen, ſo bald ich ihm Urſache gebe, mit mir uͤbel zufrieden zu ſeyn.

Solte man dieſen Vorſchlag wohl misbilli - gen koͤnnen? Jch hoffe es warlich nicht! Jch bitte Sie, allertheureſter Onckle, ihn vorzutra - gen, und ſo viel als moͤglich iſt zu unterſtuͤtzen. Ein jeder wird hiebey ſeinen Endzweck errei - chen. Meine Schweſter hat eine ſehr gute Meinung von Herrn Solmes / die ich niemals von ihm faſſen kan, wenn er mein Braͤutigam werden ſoll. Wenn er aber in eine Verbin - dung mit meiner Schweiſter tritt, ſo gebuͤhret ihm Ehrerbietung von meiner Seite, und dieſe ihm zu erzeigen, werde ich nie ermangeln.

Wenn dieſer Vorſchlag angenommen wird, ſo beehren Sir mich mit Jhrem Beſuch, und begluͤcken Sie mich dadurch, daß Sie mich zu meiner unausſprechlichen Freude, meinen lieben Eltern wiederum zufuͤhren, damit ich ihnen zu Fuſſe fallen, und ſie an mir das allergehorſam - ſte Kind haben moͤgen. Fuͤhren Sie mich wie - der in die Arme meines Bruders und meiner Schwe -151der Clariſſa. Schweſter, ſie ſollen an mir kuͤnftig die zaͤrt - lichſte und gefaͤlligſte Schweſter haben.

Jch warte auf die Beantwortung dieſes Vor - ſchlags, den mit aufrichtigem Hertzen thut,

Jhre gehorſamſte und hoͤchſt - verpflichtete Baſe Cl. Harlowe.

Montag Abends.

Jch hoffe, dieſes Mittel wird angenommen werden, denn Eliſabeth erzaͤhlt mir, daß mein Onckle Anton und meiner Mutter Schweſter hieher geruffen ſind, ohne Herrn Solmes zu bitten. Dieſes iſt ein hoffnungsvoller Umſtand. Mit wie groſer Freude will ich mich von dem, was mir nichts als Neid zugezogen hat, los - machen! Jch muͤßte ſonſt etwas viel beſſers und ſchaͤtzbarers verlieren, nehmlich die Liebe aller meiner Anverwandten, die ich achtzehn Jahr lang auf eine ſo beſondere Art und zu meinem eintzigen Vergnuͤgen genoſſen habe. Was giebt mir dieſes fuͤr einen unvergleichlichen Vorwand, mit Herrn Lovelace gaͤntzlich zu brechen! und wie gern wird er alsdenn von ſelbſt von mir ablaſſen!

K 4Jch152Die Geſchichte

Jch habe dieſen Morgen an dem gewoͤhnli - chen Orte einen Brief von ihm gefunden. Jch glaube, daß es eine Antwort auf mein letztes Schreiben vom Freytage iſt, das ich erſt am Sonnabend hingelegt habe. Jch habe ihn aber noch nicht erbrochen, denn ich will erſt abwar - ten, was mein neues Anerbieten wircket.

Wenn ich nur den Mann nicht nehmen darf, den ich haſſe, ſo will auch gern dem entſagen, den ich ſonſt vorziehen koͤnnte. Wenn ich auch wircklich eine Neigung zu ihm haͤtte, wie Sie noch immer meinen, ſo wuͤrde dieſes Entſagen doch nur mit einem kurtzen und voruͤbergehen - den Berdruß verknuͤpft ſeyn, der mit der Zeit und bey mehrerem Verſtande von ſelbſt verflie - gen wuͤrde. Ein ſolches Opfer iſt ein Kind ſei - nen Eltern und ſeinen Freunden ſchuldig, wenn ſie es begehren. Allein das andre, nehmlich einen Mann zu nehmen, der einem unertraͤglich iſt, iſt nicht allein in Abſicht auf den Mann ſchaͤndlich, ſondern kan auch aus einer, die den Vorſatz hat, eine gute Frau zu ſeyn, eine ſchlimme oder ſehr mittelmaͤßige Frau machen, wie ich an Herrn Solmes ſelbſt geſchrieben habe. Und alsdenn wird ſie gewiß ihrem Hau - ſe nicht wohl vorſtehen, ſie wird keine treue Freundin ſeyn, ſie wird ihrer Familie Schande machen, und andern ein boͤſes Exempel geben.

Da mir jetzt der Ausgang noch zweiffelhafft iſt, ſo habe ich Luſt, dieſen Brief gleich fuͤr Sie niederzulegen, damit Sie nach deſſen Durchle -ſung153der Clariſſa. ſung eben ſo zweiffelhaft als ich ſeyn moͤgen. Zweymahl hat mich Eliſabeth durch ihre uͤber - triebene Dienſtfertigkeit gehindert; nun aber will ich ſogleich nach dem Huͤner-Hofe gehen, und den Brief hinlegen, wenn ich Gelegenheit habe. Jch hoffe aber auch etwas von Jhrer Hand zu finden.

Der ſechszehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch habe die Erzaͤhlung meiner Geſchichte bis auf den Mittag gluͤcklich hingelegt, und ich hoffe bald noch einen Brief zu ſchreiben, um Sie ſo kurze Zeit als moͤglich in einem Zweif - fel zu laſſen, der mich ietzt ſo ſehr verunruhiget. Denn ſo oft ich hoͤre, daß jemand zutrit, oder daß unten eine Thuͤr aufgehet, ſo oft zittert mir das Hertz.

Die Meinigen ſind lange beyſammen gewe - ſen, und es ſcheint, daß ſie ſich in der groͤſſeſten Heimlichkeit mit einander berathſchlagen. Allein - was haben ſie Urſache, einen ſo langen RathK 5zu154Die Geſchichtezu halten, da mein Vorſchlag nach eines jeden unter ihnen ſeinem Endzweck iſt? koͤnnen ſie noch einen Augenblick darauf dringen, daß ich Herrn Solmes nehmen ſoll, nachdem ſie ge - ſehen haben, durch was fuͤr ein wichtiges Opfer ich dieſe Strafe abzukauffen wuͤnſche? Viel - leicht hat man erſt viel Ueberredungen bey Ara - bellen noͤthig, damit ihr allzu zaͤrtliches Gewiſſen es ihr erlaube, mein Gut und meinen Freyer anzunehmen, und damit ſie es ſich nicht fuͤr ei - ne Schande halte, zu nehmen was ihre Schweſter nicht will / wie ihr Ausdruck ehe - mahls lautete. Oder vielleicht verlangt mein Bruder eine Schadloshaltung, weil das Gut nun nicht an ihn zuruͤck faͤllt: und dergleichen Zweiffel liegen einigen in der Familie ſehr am Hertzen, und ſcheinen ihnen der allerernſtlichſten Berathſchlagungen werth zu ſeyn. Eine oder beyde dieſe Zweiffel muͤſſen wohl die wahren Ur - ſachen davon ſeyn, daß es ſo lange waͤhrt, ehe ſie zu einer Endſchlieſſung kommen. Jch bin zwar begierig zu wiſſen, was Herr Lovelace ſchreibt: allein ich will meine Neubegierde ſo lange verleugnen, bis ich erfahre, wie es unten abgelauffen iſt. Nehmen Sie mir nicht uͤbel, mein Schatz, daß ich Sie ſo gar durch Erzaͤh - lung meiner Ungewißheit und meiner Zweiffel beunruhige: ich habe keine Arbeit, damit ich mir die Zeit vertreiben kan, als blos mit der Feder, und wenn ich mir ja noch eine andere Beſchaͤff - tigung machen koͤnnte, ſo fehlt mir doch Luſt und Muth dazu.

Koͤn -155der Clariſſa.

Montag Abends.

Koͤnnen Sie es glauben? Eliſabeth bringt mir ſchon zum voraus die Nachricht, daß ich abermahls eine abſchlaͤgige Antwort zu gewar - ten habe. Es heißt nunmehr von mir: ich ſey ein niedertraͤchtiges und argliſtiges Gemuͤth. Jedermann iſt gegen mich allzuguͤtig geweſen. Mein Onckle iſt von mir hintergangen worden. Die andern haben ſchon zum voraus gewuſt, was daraus kommen wuͤrde, wenn er an mich ſchriebe, oder mich ſpraͤche. Er ſchaͤmt ſich jetzt, daß er ſich ſo hat hintergehen laſſen. Es wuͤrde warlich in den Augen der Welt ein arti - ges Anſehen haben, wenn ſie mich bey meinem Worte hielten. Man wuͤrde dencken, ſie waͤ - ren nur darum ſo hart mit mir umgegangen, damit ſie dieſes von mir erpreſſen moͤchten. Meine guten Freunde und ſonderlich die Fraͤu - lein Howe wuͤrden nicht ermangeln, dieſe Aus - legung daruͤber zu machen: und ich ſelbſt koͤnn - te keinen andern Zweck dabey haben, als die - ſen, daß ich ſehe, ob ſie ſich fangen lieſſen, um hernach eine deſto ſtaͤrckere Einwendung gegen Herrn Solmes machen zu koͤnnen. Sie ver - wundern ſich uͤber ſich ſelbſt, daß ſie ſo einfaͤl - tig geweſen ſind, es nur einen Augenblick zu uͤberlegen, und daß ſie gemeint haͤtten, es lieſe ſich vielleicht einigermaſſen thun. Es ſtritte ja mit der Gerechtigkeit ſowohl als mit der Billigkeit: und Fraͤulein Arabelle ſowohl als Herr Solmes wuͤrden eine feine Sicher -heit156Die Geſchichte heit dabey haben, da ich das Gut wieder fo - dern koͤnnte, ſo bald ich wollte. Mein Bru - der und meine Schweſter ſollten meine Erben ſeyn! Was fuͤr ein argliſtiges Maͤd - chen! koͤnnte man das wol glauben, daß ich unverheyrathet bleiben wollte, da Herr Love - lace genugſame Verſicherungen von mir haͤtte, und ſich deren uͤberall ruͤhmte? So bald er mir angetrauet waͤre, wuͤrde er alle meine Schenckungen wieder umſtoſſen koͤnnen. Was fuͤr eine Unverſchaͤmtheit / was fuͤr eine Dreiſtigkeit (ſoll jemand geſagt haben. Sie werden leicht rathen, wer der jemand geweſen iſt) daß eine Tochter, die ſich durch ihre Wider - ſpenſtigkeit verhaſſt gemacht hat, ſich unter - ſteht, der gantzen Familie Geſetze vorzuſchrei - ben! daß ſie ihrer aͤlteſten Schweſter einen Mann geben will! Wie wuͤrde dieſes verſtock - te Maͤdchen triumphiren, wenn ſie Leuten, die aͤlter und verſtaͤndiger ſind als ſie, ja ſo gar ihrem Vater und ihrer Mutter aus der Stube, in die ſie eingeſperret iſt, Befehle zuſchicken koͤnnte! Sie wuͤrde meynen, ihr Gefaͤngniß haͤtte ſich in einen Thron verwandelt. Es waͤre gantz unglaublich, daß ſich jemand auf einen ſolchen Vorſchlag nur eingelaſſen und be - ſonnen haͤtte. Es waͤre dis ein rechtes Mei - ſter-Stuͤck von leichtfertigen Raͤncken: kurtz, es ſaͤhe Claͤrchen vollkommen aͤhnlich. Wahr - haftig mein Onckle Harlowe wuͤrde ſich nicht wieder ſo fangen laſſen.

Jch157der Clariſſa.

Jch konnte alles dieſes deſto leichter von ihr heraus kriegen, weil es wider mich war, und mir nothwendig Verdruß machen mußte. Da ich aber die artige Erzaͤhlung bey mir weiter uͤberlegte, und daraus merckte, daß jemand fuͤr mich geſprochen haben muͤßte, ſo war ich be - gierig zu wiſſen, wer auf meiner Seite gewe - ſen waͤre. Allein das wollte mir Eliſabeth nicht ſagen, damit es mir nicht zum Troſt ge - reichen moͤchte, daß nicht alle wider mich gewe - ſen waͤren.

Sehen Sie aber nun nicht ein, was das fuͤr eine wunderliche Misgeburt iſt, die Sie Jhrer Freundſchafft wuͤrdigen? Sie wiſſen, wie viel Sie bey mir vermoͤgen: warum haben Sie denn dieſe Laſter an mir nicht laͤngſtens beſtrafft? Warum haben Sie nicht mit eben der Freymuͤ - thigkeit, die ich gegen Sie gebrauche, mir vor - gehalten, daß ich eine Heuchlerin bin? Da die - ſes mein Bruder und meine Schweſter haben mercken koͤnnen, ſo wundere ich mich, wie es Jhren Augen hat verborgen bleiben koͤnnen, die doch Fehler von einer viel geheimeren Art an mir entdeckt zu haben glauben?

Jetzt ſcheinen ſie zu uͤberlegen, wer mir ant - worten ſoll? Und wie die Antwort eingerichtet werden muͤſſe? Denn ſie wiſſen nicht, und ſie muͤſſen auch nicht wiſſen, daß ich dieſes von Eliſabeth gehoͤrt habe. Es ſcheint, der eine will ſich gern entſchuldigen: der andere will lie - ber nichts mit mir zu thun haben: wieder einan -158Die Geſchichteanderer ſtoͤßt ſich an die Antwort, die er ſchon bekommen hat: und ſie ſehen des Schreibens an mich kein Ende, weil ich ſo fertig bin zu antworten.

Was man ſonſt an mir Vorzuͤge nennete, und ruͤhmte, das iſt nun mein Verbrechen geworden. So ſehr kan Zorn und Unwillen den Sachen eine andere Geſtalt geben.

Jch werde den Schluß den ſie faſſen bald auf eine oder andere Weiſe erfahren. Jch bin da - bey ſo auſſer mir, daß ich mich ſcheue Herrn Lovelaces Brief zu erbrechen, damit ich nicht durch den Jnhalt bewogen werde etwas vorzu - nehmen, das mich Zeit Lebens gereuen moͤchte.

Montag Abends.

Dieſen Augenblick bringt mir Eliſabeth folgenden Brief.

Fraͤulein Argliſtig.

Eur artiger neuer Vorſchlag iſt keiner Ant - wort wuͤrdig. Eur Onckle Harlowe ſchaͤmt ſich, daß er ſich ſo hat fangen laſſen. Habt ihr nichts neues fuͤr euren Onckle Anton? Jhr muͤßt nun an der Reihe bleiben, Kind, da ihr einmahl angefangen habt. Doch es iſt eigentlich nur eine Zeile, die ich Euch zu ſchreiben habe, da - mit Jhr Euch kuͤnfftig nicht mehr uͤber Eure redliche Schweſter beſchweren moͤget, daß ſie ſich einige Freyheit bey Euch heraus genommen hat, darzu Jhr ſie gezwungen habt. Es iſtdie -159der Clariſſa. dieſes: macht Euch fertig. Morgen reiſet Jhr zu meinem Onckle Anton. Das iſts al - les, Kind, was ich zu melden habe.

Jacob Harlowe.

Dieſer Brief verdroß mich recht hertzlich. Da ich eben am meiſten aufgebracht war, ſetzte ich mich nieder, um beyfolgenden Brief an meinen Onckle Harlowe zu ſchreiben, welcher dieſe Nacht hier zu bleiben ſcheint.

Hochgeehrteſter Herr Vetter /

Jch finde, daß ich in anderer Augen viel ver - aͤchtlicher ſeyn muß, als ich geglaubt haͤtte. Jch habe an Sie und nicht an meinen Bruder ge - ſchrieben. An Sie, ſage ich, ſchrieb ich, und erwartete auch von Jhnen mit einer Antwort beehrt zu werden. Niemand kan ſeinen Onckle mehr ehren als ich: allein ich glaube doch nicht, daß zwiſchen einem Onckle und eines Bruders Tochter eine ſolche Entfernung ſey, daß die letztere auf keine Antwort von ihm hoffen duͤrfe: und ich glaube einen ſolchen Vorſchlag gethan zu haben, der nicht verdiente mit Verachtung abgewieſen zu werden.

Verzeihen Sie mir meine Dreiſtigkeit. Mein Hertz iſt ſo voll Kummer, daß es uͤber - flieſſen muß. Es ſcheint, daß Sie einmahl einen Tag lang uͤberlegt haben, daß Sie ſichvon160Die Geſchichte von andern haben aufbringen laſſen, mir an - ders, als ich verdiente, zu begegnen. Denn das iſt offenbahr, daß Sie von andern aufge - bracht ſind. Wenn Sie ſich nun ſchaͤmen, (wie mir mein Bruder zu verſtehen giebt) daß Sie angefangen haben, gelinder und guͤti - ger gegen mich geſinnet zu ſeyn; ſo habe ich kuͤnfftig von keiner Seele Mitleiden zu gewar - ten. Jch bitte Sie demuͤthigſt: laſſen Sie mich nur von Jhrer eigenen Hand, eine Ant - wort haben. Jch will von meinem Bruder keine Antwort auf meine an Sie gerichteten Briefe, und keine Befehle annehmen, bis er ſich darauf beſonnen hat, was er einer Schweſter ſchuldig iſt.

Jch ſoll jedermann bewegen! Das ha - ben Sie beliebt zu ſchreiben. Allein wen ha - be ich beweget? Jſt es nicht klar, daß ſonſt jemand viel beweglichere Vorſtellungen muß thun koͤnnen? Sonſt haͤtte er gewiß nicht alle in der Familie ſo weit gebracht, daß ſie ſich ſchaͤmten, einem armen und ungluͤcklichen Kin - de aus eben der Familie die geringſte Liebe zu erzeigen.

Schicken Sie mir dieſen Brief nicht mit Verachtung, nicht unerbrochen, nicht zerriſſen wieder zuruͤck. Mein Vater hat freylich Recht, ſo, und noch haͤrter, mit ſeinem Kinde zu ver - fahren. Allein keine Mannsperſon in der Welt, jhn ausgenommen, darf einem jungen Frau -en -161der Clariſſa. enzimmer, ſo lange es nichts anders thut als bitten, auf gleiche Art begegnen.

Da das ſo uͤbel ausgelegt iſt, was ich vor - hin in den demuͤthigſten Ausdruͤcken geſchrie - ben habe, ſo befuͤrchte ich deſto mehr, daß die - ſe in der Eile zuſammen geſchmirte Zeilen ſehr ſchlecht aufgenommen werden duͤrften. Dem ohngeachtet bitte ich Sie um eine Antwort auf meinen Antrag, ſollte ſie auch noch ſo hart ſeyn, und blos in einer einzigen Zeile beſtehen. Jch dencke noch immer, daß er einiger Aufmerck - ſamkeit werth geweſen waͤre. Jch will mich auf die guͤltigſte und unumſtoͤßlichſte Art ver - pflichten, nie zu heyrathen, damit meine Schen - ckung nie Gefahr lauffen moͤge, zuruͤckgenom - men zu werden. Kurtz, alles was ich thun kan, das will ich thun, um Jhrer aller Gewogen - heit wieder zu erlangen. Mehr kan ich nicht ſchreiben, als daß ich ohne verdient zu haben, dennoch bin

das allerungluͤcklichſte Kind.

Eliſabeth weigerte ſich auch dieſen Brief zu uͤberbringen, und ſagte, ſie wuͤrde nur ſaure Ge - ſichter davon tragen, und mir den Brief in Stuͤcken wieder zuruͤck bringen muͤſſen.

Jch ſagte: das letzte muͤſſe ich mir gefallen laſſen. Sie ſollte nur den Brief richtig be - ſtellen.

Zweyter Theil. LEs162Die Geſchichte

Es iſt ſchlimm! es iſt verdrießlich, (antwor - tete ſie) wenn ſich artige Fraͤuleins ſo hefftig wider ihre Pflicht ſtraͤuben.

Jch antwortete: ſie ſollte Erlaubniß haben, zu reden was ſie wollte, wenn ſie nur dieſes ein - tzige mahl ausrichtete, was ich ihr auftruͤge.

Sie nahm endlich den Brief, und gieng hin - unter. Jch befahl ihr noch, den Brief ſo un - vermerckt, als moͤglich, meinem Onckle zuzuſte - cken. Wenigſtens ſollte ſie es thun, wenn es mein Bruder und meine Schweſter nicht ſehen, damit dieſe es nicht durch ihre Dienſtfertigkeit dahin braͤchten, daß ich ihn ſo wieder bekaͤme als ſie geweiſſaget haͤtte.

Sie ſagte: dafuͤr wollte ſie nicht Buͤrge wer - den.

Jch warte nun auf den Ausgang der Sa - che. Da ich aber ſo wenig Urſache habe, auf Mitleiden zu hoffen, ſo eroͤfnete ich Herrn Lo - velaces Brief. Jch wollte Jhnen denſelbigen jetzt gleich mitſchicken. Da ich aber noch nicht entſchloſſen bin, was ich ihm antworten ſoll, ſo will ich unterdeſſen, daß ich auf Antwort von meinem Onckle warte, einen Auszug aus ſeinem Briefe zu Jhrer Nachricht machen.

Er beklagt ſich, wie ſonſt, daß er bey mir ſo ſchlecht angeſchrieben ſey, und daß ich alles ſo leicht glaubets, was zu ſeinem Nachtheil ge - reichet. Was ich verbluͤmt geſchrieben habe, das uͤberſetzt er in deutliches und verſtaͤndliches Engliſch: daß ich gluͤcklicher ſeyn wuͤrde /wenn163der Clariſſa. wenn er durch eine verwegene That Herrn Solmes aus dem Wege raͤumen / und zugleich ſeine eigene Tage verkuͤrtzen wuͤrde.

Er ſagt: es ſchmertze ihn ſehr, daß ſeine Furcht mich auf ewig zu verlieren, ihn zu ſol - chen Ausdruͤcken verleitet haͤtte, die ich mit ſo vielem Recht ahnden koͤnnte.

Er bekennet, daß er hefftig ſey: er ſagt aber, alle Leute, die ein gutes Gemuͤth haben, waͤren hefftig: denn ein ehrlicher Mann hielte nicht hinter dem Berge. Er uͤberlaͤſſt mir ſelbſt zu beurtheilen, ob ſeine hefftigen Ausdruͤcke nicht einigermaſſen durch die ſuͤrchterlichen Um - ſtaͤnde entſchuldiget wuͤrden, in die ihn meine Kaltſinnigkeit und die Bosheit ſeiner Feinde geſetzt haͤtte: wo anders etwas in der Welt im Stande waͤre ihn zu entſchuldigen.

Er meint in dem Jnhalt meines letzten Briefes genugſame Urſache zu finden, zu fuͤrch - ten, daß ich mich durch Guͤte oder Gewalt moͤchte bewegen laſſen, meines Bruders Ab - ſichten Gehoͤr zu geben: und er merckte, daß ich ihn ſchon auf dieſen Fall gleichſam zuzube - reiten ſuchte, damit er ihn deſto geduldiger er - tragen moͤchte.

Zum vorausgeſetzt, daß dieſe Furcht nicht gantz ungegruͤndet ſey, bittet er mich ernſtlich, der Bosheit ſeiner Feinde kein Gehoͤr zu ge - ben.

L 2Er164Die Geſchichte

Er gelobet Beſſerung, Danckbarkeit, Treue, auf das heil, gſte an, und zwar alles mit Wor - ten voller Demuth und Unterwerffung. Allein das giebt er fuͤr eine Grauſamkeit aus, daß ich aus ſeinen Verſicherungen der Treue den Schluß mache, daß ihm ſein Gewiſſen ſage, wie ſehr er noͤthig habe Eydſchwuͤre und Verſicherungen zu verſchwenden, wofern man ihm glauben ſolle.

Er empfindet gegen ſich ſelbſt die innigſte Verachtung und Unwillen, wegen ſeiner vori - gen Thorheiten. Allein er danckt Gott, der ihn zur Erkaͤntniß ſeiner Fehler gebracht hat: und es fehlt nun weiter nichts, als daß ich durch meinen Umgang und naͤheren Unterricht ſeine Beſſerung befoͤrdere.

Er verſpricht alles zu thun, was er mit Eh - ren thun koͤnne, um eine Ausſoͤhnung mit mei - nem Vater moͤglich zu machen. Wenn ich darauf beſtehe, ſo will er ſo gar meinen Bru - der den erſten Antrag zur Verſoͤhnung thun, und ihn fuͤr ſeinen Bruder anſehen, weil er mein Bruder iſt, wenn er nur das Andencken des vorigen nicht durch neue Beleidigungen erneuert.

Er bittet ſo ernſtlich als demuͤthig um Er - laubniß, mich auf eine halbe Stunde zu ſpre - chen. Er will vermittelſt eines Schluͤſſels zu der Garten-Thuͤr nach dem Walde zu, den er ſich habe machen laſſen, des Nachts in unſern Garten kommen, wenn ich nur die Garten - Thuͤr inwendig aufriegeln wolte. Und er willin165der Clariſſa. in dem Garten warten, bis ich Gelegenheit habe, zu ihm zu kommen, damit er mich muͤnd - lich von der Wahrheit alles deſſen, was er geſchrieben, verſichern, und mir die Liebe aller der Seinigen zu mir bezeugen, ja ſo gar ihren Schutz anbieten koͤnne, wenn ich deſſen benoͤ - thigt ſeyn ſollte.

Er unterſtuͤnde ſich nicht, ſagt er, mir zu drohen. Allein wenn ich ihm meine Liebe und mein Hertz abſchluͤge, ſo wiſſe er nicht, wozu ihn die Verzweiffelung antreiben koͤnnte. Ei - nige Streiche, die ich ihm in meinem Briefe gebe, haͤtten ihn gantz verzweiffelt und wild gemacht.

Er fragt mich: was ich fuͤr Mittel uͤbrig haͤtte, zu verhindern, daß ich Herrn Solmes nicht angetrauet werde, wenn ich wircklich zu meinem Onckle Anton reiſen muͤſſte: nachdem die Meinigen ſo weit gegangen waͤren, und ſich genugſam daruͤber erklaͤrten, daß ſie noch weiter zu gehen gedaͤchten? Ob ich noch einen andern Ausweg wuͤſſte, als entweder zu denen meine Zuſt[u]cht zu nehmen, deren Schutz er mir angetragen habe: oder nach London oder ei - nem andern Orte zu fluͤchten, ſo lange es noch Zeit iſt?

Er giebt mir den Rath, ich ſoll verſuchen Jhre Frau Mutter zu bewegen, daß ſie mich in ihr Haus aufnehme, bis ich wieder in den Beſitz meines Guts geſetzt und mit den Mei - nigen ausgeſoͤhnt bin. Dieſe, meint er, wuͤr -L 3den166Die Geſchichte den die Haͤnde ſogleich zur Verſoͤhnung dar - bieten, wenn ſie mich nicht mehr in ihrer Ge - walt haͤtten.

Er benachrichtiget mich: (und ich muß mich wundern, wie er alles erfahren kann) daß mei - ne Anverwanten an meinen Vetter Morden geſchrieben, und mein Betragen auf der ſchlim - men Seite vorgeſtellet haben. Auch hoffeten ſie ſtarck, ihn zu gewinnen. Hieraus koͤnnte ich deutlich ſehen: daß mir nicht mehr als Ein Weg offen ſtehe, wenn mich meine Verwanten oder meine beſten Bekannten aufzunehmen nicht geſonnen waͤren.

Wenn ich ihm dieſe Ehre erzeigen will, die ihn vor Vergnuͤgen gantz auſer ſich ſetzen wuͤr - de, daß ich den einen moͤglichen Weg erwaͤhle: ſo ſoll ein Aufſatz von Ehe-Pacten gemacht, und an gehoͤrigen Orten leerer Raum gelaſſen werden, den ich ſelbſt nach eigenem Belieben fuͤllen ſoll. Er wuͤnſcht nur meine Befehle nebſt allen meinen Zweiffeln und Einwendun - gen aus meinem eigenen Munde zu hoͤren: und denn eine wiederholte muͤndliche Verſiche - rung zu haben, daß ich Herrn Solmes nim - mermehr und in keinem Falle, der ſich zutra - gen koͤnnte, nehmen will. Denn will er zu - frieden ſeyn. Nichts anders kan ihn zufrieden ſtellen, nachdem ich ihm einen ſolchen Brief geſchrieben habe. Er bittet mich demnach, noch dieſelbe Nacht die Thuͤr aufzuriegeln, oder wenigſtens die folgende Nacht, wenn mir derBrief167der Clariſſa. Brief nicht fruͤh genug zu Haͤnden kommen ſol - te. Er will ſich ſo verkleiden, daß niemand auf ihn einen Argwohn haben ſoll. Er will bey - de Naͤchte in dem Walde bleiben, und unauf - hoͤrlich darauf acht geben, ob die Thuͤr aufge - riegelt werde, wenn er nicht von mir einen Brief bekommt, darinn ich ihm dieſes verbiete, und eine andere Gelegenheit beſtimme, ihn zu ſprechen.

Der Brief war geſtern geſchrieben. Er iſt demnach die vergangene Nacht da geweſen, und wird ſich dieſe Nacht wieder einfinden: und ich habe noch keine Zeile an ihn geſchrieben. Jetzt iſt es zu ſpaͤt, wenn ich auch ſchreiben wolte.

Jch hoffe nicht, daß er zu Herrn Solmes gehet: ich hoffe auch, er wird nicht in unſer Haus kommen. Thut er eins von beyden, ſo will ich ihm auf ewig gute Nacht geben.

Was habe ich doch mit ſolchen Starr-Koͤpfen zu thun? Jch wuͤnſchte, daß ich ſie nie haͤtte kennen lernen! Allein was hilft Wuͤnſchen? Jch bin voller Unruhe und Verwirrung. Doch das brauche ich Jhnen nicht zu ſchreiben, nach - dem ich Jhnen ſolche Umſtaͤnde gemeldet habe.

L 4Der168Die Geſchichte

Der ſiebzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe / an Fraͤulein Howe.

Mein Onckle hat mich einer Antwort ge - wuͤrdiget. Hier iſt ſein Brief, der geſtern Abend ſchon geſchrieben, aber jetzt erſt an mich beſtellet iſt. Vielleicht hat er ihn zu ſpaͤte ge - ſchrieben, als daß er geſtern haͤtte koͤnnen uͤber - bracht werden.

Fraͤulein Claͤrchen /

Da Sie ſo dreiſte ſind, andere heraus zu fodern, und uns insgeſammt unſerer Pflicht erinnern wollen, ohne an Jhre eigene zu ge - dencken, ſo muß ich Jhnen antworten. Nie - mand verlangt Jhr Gut von Jhnen. Aber wie ſchickt es ſich, daß Sie keinen Rath von andern annehmen, und doch Jhrer Schweſter vorſchreiben wollen, wen ſie heyrathen ſoll? Jhr Brief an Herrn Solmes laͤßt ſich gar nicht entſchuldigen: das habe ich Jhnen ſchon vorhin nicht verhalten. Jhre Eltern wollen einmahl, daß Sie Gehorſam beweiſen: und es iſt billig, daß ſie es thun. Jedoch hat Jhre Frau Mutter ſo viel ausgewirckt, daß Jhre Ab -rei -169der Clariſſa. reiſe zu Jhrem Onckle Anton bis auf den Donnerſtag ausgeſetzt iſt: ſie ſagt aber dabey, daß Sie weder dieſe noch einige andere Gefaͤl - ligkeit um ſie verdient haͤtten. Jch werde kei - ne fernere Brieffe von Jhnen annehmen: denn Sie ſind mir allzuliſtig. Sie ſind ein un - danckbahres und unartiges Kind. Jhr Wille ſoll dem Willen aller andern vorgehen. Wie ſehr haben Sie ſich geaͤndert!

Jhr misvergnuͤgter Onckel Johann Harlowe.

So ſoll ich denn doch auf den Donnerſtag weggebracht werden, und zwar nach einem mit Grabens verwahrten Hauſe! da eine Capelle iſt! da Solmes hinkommen will! Wie kan ich daran dencken, ohne daß mich die Verzweife - lung wild und unbaͤndig macht!

Um 8 Uhr.

Jch habe einen neuen Brief von Herrn Lo - velace. Jch erbrach ihn, und war mir nichts anders als freyer und bitterer Klagen gewaͤrtig, weil ich nicht geſchrieben und dadurch veranlaſ - ſet hatte, daß er zwey Naͤchte bey unangeneh - men Wetter unter freyem Himmel hat bleiben muͤſſen. Allein anſtatt ſolcher Klagen redet der Brief von nichts als von einer zaͤrtlichen Be - ſorgniß, daß entweder eine Unpaͤßlichkeit, oder eine noch engere Gefangenſchaft, die er ſchonL 5zum170Die Geſchichte zum voraus befuͤrchtet und mich auch deshalb gewarnt haͤtte, die Beantwortung ſeines Brie - fes hintertrieben haben moͤchte.

Er meldet mir: Er haͤtte ſich auf verſchie - dene Weiſe verkleidet, und waͤre des Sonntags an unſerer Garten-Mauer, und hinter dem Thiergarten herum geſtreift: und die gantze Nacht darauf waͤre er in dem Walde nahe bey der Hinterthuͤr auf und nieder gegangen. Es haͤtte ſtarck geregnet: und er haͤtte ſich verkaͤl - tet. Er koͤnnte kaum reden, ſo heiſerig waͤre er: und er haͤtte dabey allerhand fieberhafte Zufaͤlle.

Warum ſchreibt er nicht hitziger? da mich meine Anverwanten ſo uͤbel angelaſſen haben, ſo iſt es wahrhaftig gefaͤhrlich fuͤr mich, wenn ich weiß, daß ich einem andern fuͤr ſeine Geduld verbunden bin, der ſich noch dazu um meinetwil - len an der Geſundheit Schaden gehan hat.

Er ſagt: Er habe kein anders Obdach ge - habt, als die natuͤrliche Laube von Epheu, mit der einige junge Eichen-Baͤume durchwach - ſen ſind. Allein der Regen ſey bald durch - gedrungen.

Jch erinnere mich, daß wir beyde ihren Schat - ten ſonſt bey ſchwuͤlen Tagen genoſſen haben. Jch muß indeſſen bekennen; es thut mir leid, daß er um meinetwillen Ungelegenheit gehabt hat. Allein es iſt ſein eigener Wille.

Seinen letzten Brief hat er geſtern Abend um 8 Uhr unterſchrieben. Er meldet, daß er noch171der Clariſſa. noch bis um zehn Uhr warten wolle, ob ich ſein Verlangen erfuͤllen, und ihm Gelegenheit geben wuͤrde, mich zu ſprechen. Er muͤſſe noch eine Vierthel Meile gehen, ehe er ſeinen Diener mit dem Pferde antraͤffe: und denn haͤtte er eine deutſche Meile bis zu ſeinem Wirths - Hauſe zu reiten.

Er bekennet: daß er ſich mit jemand in unſerm Hauſe verſtehe; allein dieſer ſey ihm nun bis in den dritten Tag ausgeblieben. Er ſey in der groͤſſeſten Angſt, weil er nicht wiſſe, was ich machte, und wie mir begegnet wuͤrde.

Jch kan faſt rathen, wer der Schelm iſt, den er gedungen hat. Wir haben einen Kerl, der ſich Joſeph Lehmann nennet, und auf den ſich mein Bruder gaͤntzlich verlaͤßt. Herr Lovelace hat in der That von dieſer Auffuͤhrung viel Ehre! Er iſt lange zu Paris geweſen. Hat er et - wan an dem Frantzoͤſiſchen Hofe die Kunſt ge - lernt, fremde Bediente zu beſtechen?

Jch habe mich oft uͤber dieſen Lehmann ge - aͤrgert, wenn ich ein wenig in die Luft gegangen bin, oder das Feder-Vieh beſehen habe. Weil er immer ungemein bequem gegen mich war, habe ich oͤfters geglaubt, daß er meines Bru - ders Spion ſeyn moͤchte: und ich habe mich ge - wundert, daß er ſich ſo gleich aus dem Garten und aus dem Huͤner-Hofe wegmachte, wenn ich hinein trat, und meine Freyheit, dieſe Oerter zu beſuchen, doch gar nicht eingeſchraͤnckt ward. Vielleicht laͤßt ſich der Kerl von beyden beſtechen,um172Die Geſchichteum beyde zu betriegen. Sie wuͤrden aber bey - derſeits keine krumme Wege zu betreten noͤthig haben, wenn ſie rechtmaͤßige Abſichten haͤtten. Ein aufrichtiges Gemuͤth kan den Beſtecher eben ſo wenig dulden als den Betruͤger.

Er dringet ſehr ernſtlich darauf, daß ich ihn ſprechen ſoll. Er wolle ſich nicht unterſtehen, meinem muͤndlichen Befehl ungehorſam zu ſeyn, da ich ihm verboten hatte, mich nie wieder in unſerm Holtz-Stall aufzuſuchen. Er wollte nicht einmahl einen ſolchen Vorſchlag thun. Allein er hoffe mir ſolche Gruͤnde, die ich ſelbſt billigen wuͤrde, vorzulegen, um derenwillen ich ihm erlauben ſollte, meinem Vater und mei - nen Onckles aufzuwarten. Denn er koͤnnte nicht unterlaſſen, mir zur Ueberlegung anheim zu ſtellen, wie wenig es ſich fuͤr ihn und fuͤr mich ſchicke, daß ein Mann von ſeinen Umſtaͤn - den und Herkommen ſich ſo heimlich um mich bewerben ſolte, als wenn er ein Landlaͤuffer waͤ - re. Wenn ich ihm nur erlauben wollte, mir die Aufwartung ſo zu machen, wie es ſich fuͤr einen Cavallier ſchickt, ſo ſolte auch die aller - groͤbſte Begegnung ſeine Geduld und Gelaſſen - heit nicht uͤberwinden. Wenn es mir gefaͤllig waͤre, ſo ſolte ſein Onckle mit ihm kommen: oder ſeines Onckles Schweſter, Frau Law - rance ſolte vorher bey meiner Muttrr, oder bey Frau Hervey oder bey meinen Onckles einen Beſuch abſtatten: alles, wie ich es anzuordnen beliebete. Es ſolten ſolche Bedingungen an -getra -173der Clariſſa. getragen werden, die gewiß bey den Meinigen einen Eindruck machen wuͤrden.

Er bittet ſich aus, daß ich ihm nicht ver - wehren moͤchte, Herrn Solmes zu beſuchen. Er gelobet, ſo hoch er geloben kan, daß er nicht die geringſte Gewalt gegen ihn gebrauchen will. Er will ihm nur alles gantz vernuͤnftig vorſtel - len, was die Folgen ſeiner unnuͤtzen Beſtaͤndig - keit ſeyn koͤnnten, und wie unverſtaͤndig und thoͤricht dieſes gehandelt ſey, wenn man es mit einem ſo edel geſinneten Frauenzimmer zu thun habe. Er wiederhohlt endlich ſein Verſprechen: daß er die Belohnung ſeiner Geduld und Be - ſtaͤndigkeit nach meines Vetters Morden An - kunft erwarten, und auf meinen eigenen Aus - ſpruch ankommen laſſen wolle.

Er meint, einer ſeiner Vorſchlaͤge muͤßte doch wenigſtens angenommen werden. Wenn man mit einer unangenehmen und verhaßten Perſon umginge, ſo wuͤrde dadurch der Wider - wille gleichſam ſtumpf, der durch die Entfer - nung geſchaͤrft wuͤrde. Und deſto ernſtlicher und ungeſtuͤmer wuͤnſcht er, mich zu ſprechen. Er ſagt, er habe zwar jetzt in London noͤthige Ge - ſchaͤfte. Allein er koͤnne die unbequeme Herberge, in welcher er ſich bisher in einer Verkleidung, deren er ſich ſelbſt ſchaͤmen muͤßte, aufgehalten haͤtte, nicht eher verlaſſen, als bis er voͤllig ver - ſichert ſey, daß ich mich weder durch Gewalt noch durch gute Worte uͤberwinden laſſen wol - te, und bis ich von der Tyrann〈…〉〈…〉, neines Bru -ders174Die Geſchichte ders voͤllig befreyet waͤre. Es koͤnnte ihm die - ſes ohnmoͤglich gleichguͤltig ſeyn, da alle Welt ſagte, daß man um ſeinetwillen ſo hart mit mir umginge. Allein er muͤſſe hiebey eine An - merckung machen: wenn die Meinigen wuͤß - ten, wie fremde ich mit ihm umginge, ſo wuͤr - de bey ihnen die Urſache wegfallen, um de - rentwillen ſie mich einſperreten: und noch ei - ne Anmerckung: Die Meinigen muͤßten ge - wiß glauben, daß er verdiene etwas guͤnſtiger von mir angeſehen zu werden, und daß ich ihm auch in der That geneigter ſey. Denn ich be - gegnete ihm wahrhaftig ſo, wie es meine An - verwanten aus Rachbegierde gegen ihn wuͤnſch - ten, das eintzige ausgenommen, daß ich noch die Guͤtigkeit haͤtte, Briefe mit ihm zu wech - ſeln. Er ſchaͤtze dieſe Guͤtigkeit unendlich hoch, und es kaͤme ihm nichts zu geringe, nichts zu ſchimpflich vor, das er nicht gern uͤbernehme, um dieſes Vortheils noch laͤnger zu genieſ - ſen.

Er gelobt aufs neue Beſſerung an. Er ſchreibt, er ſey uͤberzeuget, daß er ſchon lange auf einem gefaͤhrlichen Wege gewandelt habe, und ſehr weit darauf gekommen ſey: und daß er nun hohe Zeit habe, auf eine Ruͤckkehr zu dencken. Wer ein allzuluſtiges Leben gefuͤhrt habe, und es aͤndere, ehe ihn Alter oder Ungluͤck dazu noͤthigten, bey dem muͤſſe gewiß eine wahre Ueberzeugung von der Thorheit ſeiner Aus - ſchweifungen zum Grunde liegen.

Er175der Clariſſa.

Er bemerckt, daß ein jedes edles Gemuͤth allen Zwang haſſe. Er gehet dieſer Betrach - tung weiter nach, und bedauert endlich, daß es ſcheine, als wenn er alle Hoffnung auf mich blos dem Zwang der Meinigen zu dancken ha - be, dem gantz unvernuͤnftigen Zwange, wie er ihn mit Recht nennet, und gar nicht meiner Hochachtung fuͤr ihn. Und dennoch meint er einige Verdienſte zu haben, nemlich einen blin - den Gehorſam gegen meinen Willen: eine an - haltende Geduld, bey den taͤglichen Beleidi - gungen meines Bruders, die nicht blos auf ihn ſelbſt, ſondern auch auf ſeine Anverwanten giengen: und die vielen Naͤchte, die er meinet - wegen gewachet haͤtte, nebſt der Gefahr und allen Beſchwerlichkeiten des Wetters, die er da - bey auszuſtehen haͤtte. Seine jetzige Unpaͤß - lichkeit erinnere ihn hieran, ſonſt wuͤrde er durch eine Erzaͤhlung, die nach der Eigenliebe ſchme - cke, die recht edle Liebe, die er gegen mich em - pfinde, nicht entehret haben.

Jch kan nicht leugnen, es daurt mich, daß er unpaͤßlich iſt. Jch ſcheue mich, Sie zu fragen, was Sie in gleichen Umſtaͤnden thun wuͤrden. Was ich gethan habe, das habe ich gethan! Kurtz! ich habe geſchrieben: ich wollte mich wenn es moͤglich waͤre Morgen Abend zwiſchen neun und zwoͤlff Uhr mit ihm unterreden. Es ſollte bey oder in der Laube geſchehen, oder bey der groſ - ſen Cascade am Ende des Gartens. Die Thuͤr wollte ich aufriegeln, damit er nur auf -ſchlieſ -176Die Geſchichteſchlieſſen duͤrfte. Wenn ich aber faͤnde, daß unſere Unterredung nicht thunlich waͤre, oder wenn ich meinen Entſchluß aͤnderte, ſo wollte ich ihm noch ein paar Zeilen ſchreiben. Auf dieſe muͤßte er aber warten, bis es finſter waͤre.

Dienſtags um 11 Uhr.

Jch kom̃e eben zuruͤck, und habe meinen Brief hingelegt. Wie wachſam iſt der Menſch! Er mußte gewiß eben darauf gewartet haben. Nach - dem ich ein paar Schritte weggegangen war, ſo ſchlug mir das Hertz; ich gieng zuruͤck um mei - nen Brief wieder weg zu nehmen, damit ich ihn im Gehen weiter uͤberlegen, und mich bedencken koͤnnte, ob ich es thun ſollte, oder nicht. Al - lein er war nicht mehr da. Vermuthlich war um die Zeit, da ich den Brief in die Oeffnung der Ziegelſteine ſchob, nur eine duͤnne Ziegel - wand von wenig Zollen zwiſchen Herrn Love - lace und mir.

Jch gieng unzufrieden mit mir ſelbſt aus dem Garten zuruͤck. Jch dencke aber doch, es kan kein groß Ungluͤck ſeyn, wenn ich ihn ein - mahl ſpreche: und wenn ich es nicht thue, ſo kan er zu gewaltthaͤtigen Mitteln greiffen, und daruͤber deſperat werden, daß man aus Feind - ſchafft gegen ihn und um ſeine Hoffnung zu nichte zu machen, ſo hart mit mir verfaͤhrt. Sein Betragen, da ich ihn das vorige mahl ſprach, da Zeit und Ort mir zuwider und ihm vortheilhafft war, hat gar keine Furcht bey mirzu -177der Clariſſa. zuruͤck gelaſſen, als nur dieſe, daß wir moͤchten entdeckt werden. Seine Forderung iſt nicht unbillig, und meine kuͤnftige Wahl in Abſicht auf ihn und andere bleibt dabey ungebunden: er verlangt nur aus meinem eigenen Munde die Verſicherung zu hoͤren, daß ich den Mann, den ich haſſe, niemahls nehmen will. Wenn ich ihn nicht ohne Gefahr entdeckt zu werden ſprechen kan, ſo muß er mir nicht uͤbel nehmen, daß ich ihn noch einmahl vergebens gehen laſſe. Der uͤble Ruf in dem er ſtehet, iſt die eintzige Urſache ſeiner und meiner Unruhe. Jch haſſe ſonſt Ty - ranney und Hochmuth, allein dieſer Umſtand macht, daß die Gefahr und Beſchweerden die er uͤbernehmen muß mir weniger zu Hertzen gehen, als ſonſt geſchehen wuͤrde; ſonderlich, da ich noch mehr zu leiden habe als er, und ſein uͤbler Ruf mit an meinem Leiden Schuld iſt.

Eliſabeth bekraͤfftigt die Nachricht, daß ich auf den Donnerſtag zu meinem Onckle reiſen muß. Sie war heraufgeſchickt, um mir zu ſa - gen, daß ich mich zur Reiſe anſchicken moͤchte, und um mir bey Einpackung meiner Sachen be - huͤlfflich zu ſeyn.

Zweyter Theil. MDer178Die Geſchichte

Der achtzehende Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch habe Jhnen einige mahl geſchrieben, daß Eliſabetb ſehr dreiſte und naſeweiß ſey. Da ich jetzt ein wenig Zeit habe, ſo will ich Jh - nen eine Probe davon geben, und eine Unterre - dung, die wir eben mit einander gehabt haben, aufzeichnen. Vielleicht dient es Jhnen zur Er - leichterung, da ich Sie ſonſt immer mit ſo un - angenehmen Nachrichten ermuͤde.

Als ſie mir bey Tiſche aufwartete, merckte ſie an, daß die Natur mit wenigem zufrieden ſey. Sie wollte einmahl ein hoͤfliches Wort ſagen, und ſetzte deshalb als einen Beweis hinzu: Denn / Fraͤulein / ſie eſſen jetzt faſt nichts / und haben doch in ihrem Leben nie char - manter ausgeſehen.

Jch antwortete: Eur erſter Satz iſt rich - tig, Eliſabeth: und wenn ich bisweilen geſehen habe, wie geſund die Kinder der armen Tage - loͤhner ausſehen und auch in der That ſind, ob - gleich ihr Magen leer iſt, und ſie ſich kaum ein - mahl in der Woche ſatt eſſen koͤnnen, ſo habe ich oft bedacht, daß die Vorſicht ſehr guͤtig ge - gen die Geſchoͤpfe geweſen ſey, da ſie eine ſol - che179der Clariſſa. che Einrichtung gemacht hat, daß zu Erhaltung des Lebens nicht viel erfordert wird: denn ſonſt wuͤrden drey Viertheile unter ihnen nicht das nothwendige zu ihrem Unterhalt haben. Es fallen mir dabey zwey Spruͤchwoͤrter ein, in denen ſehr viel geſunder Verſtand iſt.

Darf ich mir dieſe Spruͤchwoͤrter wohl ausbitten? Jch mag ſie gern reden hoͤren / wenn ſie ſo verſtaͤndig ſind / als jetzt.

Das eine kommt gantz nahe zur Sache: Armuth iſt die Mutter der Geſundheit. Wenn ich jetzt mehr Appetit haͤtte, und bey ſo wenigem Schlaf und vielen Kummer ſtaͤrcker aͤſſe, ſo wuͤrde ich nicht ſo bey mir ſelbſt ſeyn, als ich jetzt bin, ſondern ich wuͤrde am Ver - ſtande Schaden leiden.

Es iſt nichts ſo ſchlimm / dabey nicht etwas gutes iſt! ſagte Eliſabeth, als wollte ſie mir Spruͤchwort fuͤr Spruͤchwort geben. Allein / wie heißt das andere? Fraͤulein!

Dafuͤr daß die Reichen lachen / muͤſſen die Armen weinen. Es iſt daher billig, daß der Ueberfluß der Reichen Kranckheiten und Ungemach nach ſich ziehet: und daß mit der Armuth gemeiniglich ein geſunder Leib verbun - den iſt, der alle andere Truͤbſal erleichtert. Und hiebey faͤllt mir noch ein drittes Spruͤchwort ein, weil ihr doch eine ſo groſſe Freundin von Spruͤchwoͤrtern ſeyd: beſſer barfuß / als ohne Fuͤſſe. Die Meinung iſt, es ſey beſſer barfuß zu gehen, als gar nicht gehen zu koͤnnen.

M 2Was180Die Geſchichte

Was ich ihr ſagte, hatte das Gluͤck ihren vollkommenen Beyfall zu finden. Sie ſagte: Ey was es doch fuͤr eine huͤbſche Sache iſt / gelehrt zu ſeyn. Jch habe ſchon als ein kleines Maͤdchen die Buͤcher gern lei - den moͤgen. Wenn es auch nur Mother Gooſe oder eine andere Kinder-Geſchichte war. (Sie nahm mit vieler Artigkeit eine Priſe Schnupftoback.) Wenn meine Eltern ſo gekonnt haͤtten / wie ich wollte / o wie gluͤcklich waͤre ich jetzt!

Jch glaube, daß ihr es euch ſehr wuͤrdet zu Nutze gemacht haben, Eliſabeth. Jndeſſen muß ich doch ſagen, daß ich in der Zeit, da ihr ſo vertraut mit mir geweſen ſeyd, beiſſendere Ausdruͤcke von euch gehoͤrt habe, als jemahls von den Studenten, die mein Bruder biswei - len mit zu Tiſche gebracht hat.

Jhre Dienerin / meine liebe Fraͤulein / ſagte ſie, mit einem ſehr hoͤflichen Knicks, ſie koͤnnen ſehr gut von einer Sache urthei - len. Sie ſolten einen faſt hochmuͤthig machen. Sie nahm noch einmahl Schnupf - toback. Jch kan nicht leugnen / daß ich oft beruͤhmte hochverſtudirte Leute ge - ſehen habe / die ſehr dumm Zeug redeten / daß ich mich ſchaͤmen wuͤrde ihre Worte in meinen Mund zu nehmen Aber ich glaubte immer / ſie thaͤten es aus Demuth und Herablaſſung zu den Ungelehrten.

Damit ſie ſich nicht allzuviel einbilden moͤch -te,181der Clariſſa. te, ſagte ich ihr: Die Munterkeit des Witzes, die ſie bey ſich faͤnde, ſey nicht ihr perſoͤnlicher Vorzug, ſondern ein Vorzug unſers gantzen Geſchlechts, welches in allem dem, was die Einbildungskraft anginge, es dem andern Ge - ſchlechte zuvor thaͤte. Daher, ſagte ich, kommt es, Jungfer Lisgen, daß eure Gabe beiſſend und empfindlich zu reden bey gegebener Gelegen - heit vielmehr in die Augen faͤllt, als man es ſonſt von einer erwarten ſollte, deren Eltern / nach eurer Redensart, nicht ſo gekonnt ha - ben / als ſie gewollt hat.

Sie gab mir eine Probe von dem was ich ge - ſagt hatte, die ich mir nicht vermuthen war. Sie ſagte: wenn unſer Geſchlecht einen ſo groſſen Vorzug in beiſſenden Reden hat / ſo kan man ſich deſto weniger verwun - dern / daß ſie bey einer ſolchen Erziehung jedermann / und ſogar alle Frauenzimmer / die ihnen nahe kommen / darinn uͤber - treffen.

GOtt behuͤte! antwortete ich: was fuͤr eine Probe eures Witzes und eurer Dreiſtigkeit gebt ihr mir? Jhr uͤbertreft euch dieſesmahl ſelbſt. Frauenzimmer von meinen Jahren wuͤrden weniger Verſuchung von Hochmuth haben und vorſichtiger werden, wenn ſie alle ſolche Cammer-Jungfern haͤtten, denen der Mund eben ſo geoͤfnet waͤre, als euch. Nehmt das Eſſen ab!

Wie? Fraͤulein / ſie haben ja gar nichtsM 3gegeſ -182Die Geſchichtegegeſſen. Jch hoffe nicht / daß ich etwas geſagt habe / das ihnen den Appetit ver - dorben hat.

Nein, Jungfer, ihr wißt, daß ich es ſchon gantz gewohnt bin, daß ihr euch einige Freyheit gegen mich heraus nehmt. Jch freue mich, daß, wenn alle Fraͤuleins, die man nach der Mode fuͤr artig haͤlt, ausſterben ſollten, man den Ver - luſt durch ihre Cammermaͤdchens und Vertrau - ten erſetzen koͤnnte. Eure Fraͤulein hat viel dazu beygetragen, daß ihr ſo munter gewor - den ſeyd: denn ſie iſt immer lieber mit euch als mit mir umgegangen. Sie ließ es gehen wie ihr wolltet; und ſo habt ihr durch ihren Umgang erlangt, was ich verlohren habe.

Ja / Fraͤulein / wenn ſie darauf kommen / ſo muß ich bekennen / daß niemand artiger ſpaſſen kan / als Fraͤulein Harlowe. Jch koͤnnte ihnen / wenn ich wollte / einen Spaß erzaͤhlen / den ſie vorbrachte / als ich ihr ſagte, daß ſie ſeit einiger Zeit vom Winde lebten / und zu nichts Appetit haͤtten / und doch ſo charmant ausſehen als je - mahls.

Jch kan ſchon zum voraus dencken, daß es ein recht guͤtiger Spaß geweſen ſeyn wird. Wollt ihr denn ſo gut ſeyn, und ihn mir wie - der erzaͤhlen?

Sie ſagte: ihr Eckel haͤtte allen Ap - petit verſchlungen: und der Eigenſinnwaͤre183der Clariſſa. waͤre Eſſen und Trincken und Klei - dung fuͤr ſie.

Ja! Jungfer Eliſabeth: ſagte ſie das? Sie lachte doch wohl hoffentlich, als ſie es ſag - te; wie ſie immer zu thun pflegt, wenn ſie et - was vorbringt, das ſie einen Spaß nennet? Es war gewiß ein ſehr beiſſender Spaß. Jch wollte mir wuͤnſchen, ſo aufgeraͤumt zu ſeyn, daß ich auch auf einen Spaß dencken koͤnnte. Wenn ihr aber ein beſonders Vergnuͤgen an ſolchen weiſen Spruͤchen findet, ſo kan ich euch noch mit einem dienen: Aufmunterung macht den Leuten Gaben / die man nie bey ihnen geſucht haͤtte. Dis wird ſich auf eure Fraͤulein und auf ihre Cammer-Jung - fer ſchicken. Jch kan euch noch ein ſolches Spruͤchwort ſagen, das gerade das Widerſpiel von dem vorigen iſt: Verfolgung und Druck nehmen einem freyen Gemuͤthe den Muth, und machen die Einbildungs-Kraft ſtumpf. Hieraus werdet ihr erklaͤren koͤnnen, wie es kommt, daß meiner Schweſter Witz ſo viel Bewunderung erwecket, und daß ich ſo ein - faͤltig bin. Jhr muͤßt aber wiſſen, daß frey und witzig nicht einerley iſt: und ich darf mich nicht unterſtehen, dieſe letztere Tugend mir zu - zueignen.

Um Gottes Willen / Fraͤulein / ſagte das tumme Maͤdchen, ſie wiſſen vor ihre Jahre ſehr viel. Sie ſind ein recht gelehrtesM 4Frau -184Die GeſchichteFrauenzimmer. Es iſt Jammer-Scha - de

Bejammert mich nicht, Eliſabeth. Jch weiß ſchon was ihr ſagen wollt. Aber ſagt mir das, ob ich auf den Donnerſtag wircklich nach mei - nem Onckle Anton reiſen ſoll?

Jch wollte mich nehmlich wegen meiner Ge - duld in Anhoͤrung ihrer Thorheiten dadurch be - zahlt machen, daß ich einige Nachricht durch ſie bekaͤme.

Wie? Fraͤulein! (Nehmen ſie es nicht uͤbel / daß ich mich niederlaſſe.) Sie ſetzte ſich nieder, und nahm ein wenig Schnupftoback mit ihrem artigen Fingerchen und dem Daumen. Die andern drey Finger ſperrete ſie weit von einander, und machte einen zierlichen Schwung mit der Hand. Jch kan nicht anders ſagen, als daß ſie meiner Meinung nach auf den Donnerſtag gewiß wegreiſen werden / und zwar nolesſ folesſ, wie meine Fraͤulein auf Frantzoͤſiſch ſagte.

Das ſoll vermuthlich ſo viel ſeyn, als, ich mag wollen oder nicht? Nicht ſo Jungfer?

Ja / ſie haben es gerathen: Fraͤulein.

Gut! aber, Eliſabeth, ich habe nicht Luſt mich ſo geſchwind aus dem Hauſe ſtoſſen zu laſſen. Meint ihr nicht, daß ich noch eine Woche laͤn - ger hier bleiben koͤnnte?

Wie kan ich das ſagen / Fraͤulein!

Wenn ihr wollet, ſo koͤnntet ihr mir genug davon ſagen. Jch darf an niemand ſchreiben,nie -185der Clariſſa. niemand beſucht mich, und ich darf niemand beſuchen. Wie ſoll ich meine Bitte, um eine Woche oder vierzehn Tage lang Aufſchub, an - bringen?

Jch dencke / Fraͤulein / wenn ſie etwas nachgeben wollten / ſo wuͤrden die Jhri - gen auch nachgeben - Wollen ſie Gefaͤllig - keiten von andern erwarten / und andern keine erzeigen?

Jhr gebt wieder ſehr empfindliche Reden. Allein wer weiß, was die Folge davon iſt, wenn ich nach meines Onckles Gut abgefuͤhrt werde?

Wer weiß? Ey Fraͤulein jedermann kan errathen / was die Folge davon ſeyn wird.

Welche denn, Eliſabeth?

Welche denn? Sie werden wieder eben ſo guten Ruhm haben / als ſie immer ge - habt haben: und ihre Eltern werden von ihnen Gehorſam verlangen / den ſie ihren lieben Eltern ſchuldig ſind.

Wenn ich nicht ſchon gewohnt waͤre, Jung - fer Eliſabeth / daß ihr von Schuldigkeit mit mir redetet, ſo wuͤrde ich mich uͤber die Freyheit die ihr euch heraus nehmt, verwun - dern.

Es ſcheint / daß Sie ungehalten ſind / Fraͤulein. Jch will nicht hoffen / daß ich mir eine unanſtaͤndige Freyheit herausge - nommen habe.

M 5 Wenn186Die Geſchichte

Wenn du das in der That meineſt, ſo muß ich mehr mit deiner Unwiſſenheit Mitleiden haben, als daß ich uͤber deine Frechheit unge - halten werden ſollte. Jch wuͤnſchte aber, daß du mich allein laſſen wollteſt.

Wenn Fraͤuleins ihre eigene Pflicht ver - geſſen / ſo iſt es kein Wunder / daß ſie auf die boͤſe ſind / die ihre Pflicht beobachten.

Das iſt ein ſehr artiger Ausdruck, Eliſa - beth. Jch ſehe wohl, was du fuͤr Begriffe von deiner Pflicht haſt: und ich bin denen verbunden, die dich ſo wohl unterrichtet ha - ben.

Es iſt eine Anmerckung / Fraͤulein / die alle im Hauſe machen / daß ſie auf eine gelaſſene Artrecht ſchneidende Worte vor - bringen koͤnnen / ohne dabey zu ſchim - pfen / wie ſonſt vornehme Leute eben ſo gut als gemeine im Affect zu thun pfle - gen. Jch wuͤnſchte nur / daß ſie Juncker Solmes vor ſich gelaſſen haͤtten: er wuͤr - de ihnen ſolche Sachen von Juncker Love - lace erzaͤhlt haben / daß ſie ihm nimmer wieder wuͤrden gut geworden ſeyn.

Wiſſt ihr, was das eigentlich fuͤr Sachen geweſen ſind?

Nein! wahrhaftig nicht. Sie werden aber alles in ihres Onckles Hauſe hoͤren; und vielleicht mehr davon, als ſie zu hoͤ - ren Luſt haben.

Jch mag hoͤren was ich will, ſo bin ich dochein -187der Clariſſa. einmahl entſchloſſen, Herrn Solmes nicht zu nehmen, wenn es mir auch das Leben koſten ſollte.

Wenn ſie ſo veſt entſchloſſen ſind / ſo mag ihnen Gott gnaͤdig ſeyn / Fraͤulein. We - gen ihres letzten Briefes an Juncker Sol - mes, auf den alle im Hauſe ſo viel haiten / und wegen ihres Widerwillens gegen Juncker Lovelace, werden ſie keine Geduld mit ihnen haben.

Was wollen ſie denn anfangen? Sie wer - den mich ja nicht umbringen! was wollen ſie machen?

Sie umbringen? Nein! Sie werden aber nicht aus dem Hauſe kommen / ehe ſie Gehorſam geuͤbt haben. Feder und Din - te werden ſie dort nicht haben / wie hier / da ſie noch dazu in Verdacht ſind / daß ſie keinen guten Gebrauch davon machen. Sie wuͤrden auch hier keine Federn und Dinte haben / wenn man nicht daͤchte / daß ſie ſo bald wegreiſen ſollten. Niemand wird ſie ſprechen oder an ſie ſchreiben duͤr - fen. Was noch weiter geſchehen moͤch - te / weiß ich nicht zu ſagen: und wenn ich es wuͤßte / ſo duͤrfte es doch nicht zu - traͤglich ſeyn. Allein ſie koͤnnen allem Un - gluͤck durch ein einziges Wort abhelfen: und wie wuͤnſchte ich, daß ſie es thun wollten. Denn waͤren wir alle gluͤcklich und vergnuͤgt. Und wenn ich frey meineGe -188Die GeſchichteGedancken ſagen darf / ſo weiß ich nicht / warum ein Mann nicht ſo gut ſeyn ſollte als der andere: und warum ein tugend - hafter Mann nicht ſo gut iſt / als ein Boͤ - ſewicht.

Gut! Eliſabeth, (ſagte ich ſeufzend) alle deine unverſchaͤmten Reden ſind vergebens. Jch ſehe aber wohl, daß ich dazu beſtimmet bin, ungluͤcklich gemacht zu werden. Jch will es noch einmahl wagen, zu bitten.

Jch war des naſeweiſen Maͤdchens eben ſo uͤberdruͤßig, als meiner ſelbſt. Jch ging daher in mein Cloſet / und ſchrieb, ungeachtet des Ver - bots, ein paar Zeilen an meinen Onckle Har - lowe / um ihn zu bitten, daß er einen Aufſchub meiner Abreiſe auswuͤrcken moͤchte. Jch habe dabey den Zweck, meine verſprochene Unterre - dung mit Herrn Lovelace aufzuſchieben, wenn mein Onckle etwas ausrichten kan. Denn mein Hertz giebt es mir je mehr und mehr, daß ich ihn nicht ſprechen ſoll. Jch weiß nicht, woher meine Furcht ruͤhret.

Auf die Ueberſchrifft des Brieffes ſetzte ich die Worte: Jch bitte ſie / wuͤrdigen ſie die - ſen Brief einer Durchleſung. Der Brief ſelbſt lautete alſo:

Theureſter Onckle

Nehmen Sie noch dieſe eintzige Bitte vonmir189der Clariſſa. mir an, und wuͤrdigen Sie einer Erhoͤrung. Jch verlange nur, daß ich nicht den naͤchſten Donnerſtag ausgeſtoſſen werden moͤge.

Warum ſoll Jhr armes Maͤdchen ſo ge - ſchwind, ſo ſchimpflich aus dem Hauſe gejagt werden? Jch bitte Sie, verſchaffen Sie mir nur eine Friſt von vierzehn Tagen. Jn dieſer Zeit werden Sie hoffentlich alle gelinder wer - den. Meine Mutter ſoll nicht noͤthig haben, ihre Thuͤr zuzuſchlieſſen, um ihr Kind, mit dem ſie zuͤrnt, nicht zu ſehen: denn ich will mich nicht unterſtehen, ihr oder meinem Vater ohne Erlaubniß unter die Augen zu komen. Ein Aufſchub von vierzehn Tagen iſt ja nur eine Kleinigkeit, die leicht verwilligt werden kan; es waͤre denn, daß man einmahl den Schluß ge - faſſet haͤtte, nichts von allem zu thun, darum ich bitte: und zur Beruhigung meines Gemuͤths traͤgt doch dieſer Aufſchub ſehr viel bey. Wir - cken Sie dieſes fuͤr mich aus, ſo werden Sie durch dieſe Wohlthat ungemein verpflichten

Jhre gehorſamſte, aber ſehr betruͤbte Baſe Clariſſa Harlove.

Jch habe dieſen Brief hinunter geſchickt. Mein Onckle war noch nicht weggegangen, und noch jetzt erwartet er meine Antwort auf eineFra -190Die GeſchichteFrage, die er mir in ſeinem Antworts-Schrei - ben vorgelegt hat. Dieſes lautet alſo:

Jhre Abreiſe nach Jhres Onckels Gut auf den Donnerſtag war zwar ſchon voͤllig veſt geſtellt. Dem ohngeachtet war ihre Frau Mutter, welcher Herr Solmes hierin beytrat, ſo geneigt, Jhnen eine Liebe zu erzeigen, daß Jhre Bitte unter einer Bedingung bewilliget iſt: und es wird auf Sie ſelbſt ankommen, ob der Aufſchub vierzehn Tage oder eine kuͤrtzere Zeit waͤhren ſolle. Wenn Sie die eine Be - dingung nicht eingehen wollen, ſo erklaͤrt ſich Jhre Frau Mutter dahin, daß ſie niemahls wieder fuͤr Sie bitten will. Sie verdienen auch nicht einmahl dieſe Gefaͤlligkeit, die Sie nur dazu anwenden wollen, daß wir gelinder werden moͤgen, nicht aber daß Sie ſich uͤber - winden lernen.

Die Bedingung iſt, daß Sie einen Beſuch von Herrn Solmes annehmen, der eine Stunde dauren ſoll; und dabey Jhr Bruder, oder Jhre Schweſter, oder Jhr Onckle An - ton / mit zugegen ſeyn wird. Sie haben die Wahl unter dieſen dreyen.

Wenn Sie dieſe Bedingung nicht anneh - men; ſo reiſen Sie auf den Dienſtag nach dem Hauſe, dagegen Sie ſeit einiger Zeit eine ſo be - fremdende Widrigkeit gehabt haben, Sie moͤ - gen reiſefertig ſeyn oder nicht. Antworten Sie mir gerade zu: brauchen Sie keine Ausfluͤchte. Herr Solmes wird Sie nicht verſchlingen. Laſſen191der Clariſſa. Laſſen Sie uns ſehen, ob wir in einer eintzigen Sache Gehoͤr finden ſollen, oder nicht.

Johann Harlowe.

Nach einer kurtzen Ueberlegung entſchloß ich mich zu Uebernehmung dieſer Bedingung. Jch fuͤrchte nur, daß Herr Lovelace durch ſeinen Kundſchaffter Nachricht davon erhalten, und dadurch zu einer verzweiffelten Entſchlieſſung be - wogen werden moͤchte: inſonderheit, da ich an ihn ſchreiben und die Unterredung, die er ſchon im Geiſte mit mir haͤlt, weiter hinaus ſetzen will, nachdem ich mehr Zeit gewonnen habe. Fol - genden Brief habe ich an meinen Onckle ge - ſchrieben:

Hochgeehrteſter Herr Vetter

Ob ich gleich ſehe, was die vorgeſchlagene Bedingung fuͤr einen Zweck haben kan, ſo will ich mich ihr dennoch unterwerfen: und ich wuͤnſchte, daß ich dieſes in Abſicht auf alles uͤbrige, das von mir verlanget wird, auch thun koͤnnte. Wenn ich einen nennen ſoll, in deſſen Gegenwart ich dieſen Herrn ſprechen will, und ich meine Mutter nicht nennen darf, deren Gegenwart ich mir ſonſt am liebſten dabey aus - bitten wollte, ſo ſey es mir erlaubt, meinen Onckle zu nennen, wo es ihm gefaͤllig iſt. Wenn ich auch einen Tag beſtimmen ſoll, und hoffen darf, daß mir erlaubt ſey, einen etwas entfernten Tag zu waͤhlen: ſo ſey es der kuͤnf - tige192Die Geſchichte tige Dienſtag, des Nachmittags um vier Uhr. Soll ich auch den Ort nennen, ſo wuͤnſchte ich daß es in dem Garten-Hauſe geſchehen moͤ - ge, oder in dem kleinen Saal, den ich ſonſt Erlaubniß gehabt habe, den meinigen zu nennen.

Haben Sie noch uͤber dieſes Eine Guͤtig - keit. Suchen Sie meine Mutter zu uͤberreden, daß ſie mich bey dieſer Gelegenheit ihrer Ge - genwart wuͤrdigen wolle. Jch bin

Jhre ſtets gehorſame Cl. Harlowe.

Eben bekomme ich eine Antwort. Jch nannte einen entfernten Tag, weil ich meynte, dieſes ſchicke ſich zu meiner Abgeneigtheit von der vorſeyenden Unterredung am beſten. Jch hoffete aber nicht einmahl, daß dieſes angenom - men werden wuͤrde. Von neuen eine Woche gewonnen! Hier folgt die Antwort.

Sie haben wohl gethan, daß Sie gehorſam geweſen ſind. Eine jede kleine Probe Jhres Gehorſams iſt uns ſchon erfreulich. Sie ſchei - nen zwar den Tag des Beſuchs deswegen ſo weit hinaus zu ſetzen, weil Sie ihn fuͤr einen ungluͤcklichen Tag anſehen: allem auch dieſes iſt Jhnen zugeſtanden worden, und man ſieht es fuͤr kein Zeit-Verluſt an, wenn Sie nach dem beſtimmten Tage ſo artig und ſo danckbar ſeyn193der Clariſſa. ſeyn wollen, als wir vor demſelben nachgebend und gelinde geweſen ſind. Nehmen Sie von mir den Rath an, daß Sie keine Entſchlieſſung zum voraus faſſen. Herr Solmes empfindet mehr Scheu und ſo gar mehr Schrecken, wenn er daran denckt, daß er Sie ſprechen ſoll; als Sie ſelbſt dabey empfinden koͤnnen: allein bey ihm entſtehet dieſes aus Liebe; laſſen Sie nicht Haß die Quelle ſeyn, aus der bey Jhnen eben dieſe Leidenſchafften enſpringen. Mein Bruder Anton wird zugegen ſeyn, und er hoffet, Sie werden ſich dadurch hinwiderum um ihn verdient machen, daß Sie einem Freun - de der gantzen Familie wohl begegnen. Ver - halten Sie ſich doch ſo gegen ihn, wie es ſich gegen einen Freund der Jhrigen geziemt. Jhre Frau Mutter hat Erlaubniß, auch dabey zu ſeyn, wenn ſie es fuͤr zutraͤglich haͤlt: allein ſie ſagt, ſie moͤchte es nicht thun. Wenn ſie auch tauſend Pfund damit verdienen koͤnnte, es waͤ - re denn, daß Sie ihr auf die Weiſe als ſie es wuͤnſchet, ein Hertz dazu machten.

Einen Winck muß ich Jhnen noch geben: nehmlich, von Dinte und Feder keinen unge - ziemenden Gebrauch zu machen. Mich duͤnckt, ein ſo wohlgeſittetes Frauenzimmer ſollte ſehr behutſam ſeyn an eine Mannsperſon zu ſchrei - ben, wenn es fuͤr eine andere beſtimmet iſt.

Dieſer Gehorſam wird hoffentlich neuen Gehorſam nach ſich ziehen, und es wird dieZweyter Theil. NRuhe194Die Geſchichte Ruhe unſerer Familie wieder hergeſtellet wer - den: welches hertzlich wuͤnſchet.

Jhr liebreicher Onckle Johann Harlowe.

Sie brauchen nicht weiter zu ſchreiben, wenn Sie uns nicht etwan berichten wollen, daß Sie unſer aller Wunſch zu erfuͤllen geneigt ſind.

Soll der Solmes mehr Schrecken, als ich / empfinden / wenn er daran denckt / daß er mich ſprechen ſoll? Jſt das moͤglich? Wenn er nur halb ſo viel empfaͤnde, ſo wuͤrde er nicht verlangen mich zu ſehen. Soll dieſes bey ihm aus Liebe kommen? Jch glaube es: aus Eigenliebe! Denn eine andere Liebe ken - net er nicht. Die wahre Liebe ſucht mehr das Vergnuͤgen deſſen, was man liebet, als ſein eige - nes. Wie ſehr entheiligt er den Nahmen der Liebe, wenn ich ihn nach dieſem Satz beurthei - len ſoll.

Jch ſoll keine Entſchlieſſ〈…〉〈…〉 n〈…〉〈…〉 zum vor - aus faſſen! Der Rath kommt zu ſpaͤte.

Von Feder und Dinte ſoll ich keinen ungeziemenden Gebrauch machen! Jn dem Verſtande, wie es die Meinigen nehmen, haben ſie mir dieſes durch ihr Betragen gegen mich eben ſo ohnmoͤglich gemacht, als den vorherge - henden Rath.

An195der Clariſſa.

An eine Mannsperſon ſchreiben / wenn man fuͤr eine andere beſtimmet iſt! Was fuͤr ein anſtoͤßiger Ausdruck in meinen Ohren!

Nachdem ich dieſen Aufſchub erhalten habe, ſo gereuet mich die mit Herrn Lovelace verab - redete Zuſammenkunfft. Sie koͤnnen leicht den - cken, daß ich keinen Augenblick bey mir ange - ſtanden habe, ob ich bey ſo veraͤnderten Umſtaͤn - den mein Verſprechen widerruffen ſollte? Jch ſchrieb ihm deswegen: ich befaͤnde es nicht vor gut, meinen Vorſatz wegen einer muͤndlichen Unterredung mit ihm zu erfuͤllen. Der Vor - theil von einer ſolchen Zuſammenkunfft koͤnnte ſo groß nicht ſeyn, als die Gefahr entdeckt zu werden, und der Schade der hieraus entſtehen koͤnnte. Wenn ich des Morgens und Abends etwas friſche Lufft ſchoͤpfen wollte, ſo traͤffe ich ſonderlich einen gewiſſen Bedienten ſehr oft an. Er koͤnne nicht wiſſen, ob nicht eben der, der ſich entſchlieſſen koͤnnte, ihm die Geheimniſſe unſers Hauſes zu verrathen, eben ſo wachſam waͤre, um denen zu Gefallen zu ſeyn, denen er dieſes ſchuldig ſey; und ob er nicht bey Ge - legenheit ihn und mich verrathen moͤchte. Jch waͤre nicht gewohnt mich ſo aufzufuͤhren, daß ich der Gnade der Bedienten leben muͤßte: und ich befuͤrchtete, daß er bisweilen Abſichten haͤtte, zu deren Erhaltung er es fuͤr noͤthig hiel - te gewiſſe Wege zu betreten, die ich nie billigen koͤnnte, und die auch durch die beſte Abſicht nicht koͤnnten gerechtfertiget werden. Die Sa -N 2 chen196Die Geſchichte chen lieſſen ſich zwiſchen den Meinigen und mir zu einer Entſcheidung an; und ſo koͤnnte die Zuſammenkunfft nichts nutzen; beſonders da niemand auf die Gelegenheit, deren wir uns bedienen Briefe zu wechſeln, einigen Verdacht wuͤrfe, und er mir folglich alles frey ſchreiben koͤnnte, was er auf dem Hertzen haͤtte. Jch hoffete, daß er mir erlauben wuͤrde, ſelbſt zu be - urtheilen, was bey dieſer Sache rathſam ſey: und dieſes deſto mehr, da ich ihn verſichern koͤnnte, daß ich eher den Tod waͤhlen wuͤrde, als Herrn Solmes.

Jch habe meinen Brief fuͤr Herrn Lovelace hingelegt. So bedrohend und fuͤrchterlich auch meine Umſtaͤnde ausſehen, ſo bin ich doch nun - mehr mit mir ſelbſt beſſer zufrieden als vorhin. Jch zweiffele nicht, daß er etwas verdrießlich daruͤber ſeyn wird. Allein da ich mir die Frey - heit vorbehalten hatte, meinen Vorſatz zu aͤn - dern, und da er dencken muß, daß im Hauſe ei - ne Verhinderung vorfallen kan, die einer auſſer dem Hauſe nicht weiß, und ich ſelbſt auf einige Hinderungen, die mich abhielten, gezielet habe: ſo wuͤrde mir es wunderlich vorkommen, wenn er ſich dieſesmahl meinen Willen nicht mit Freu - den gefallen lieſſe, um mir zu zeigen, daß ſein letzter Brief eine unverfaͤlſchte Ausgeburt ſeines Hertzens und nicht ſeiner Erfindungskraft ge - weſen ſey. Denn wenn es wahr iſt, daß er ſei - ne vorigen Vergehungen ſo ernſtlich bereuet, als er ſeit einiger Zeit vorgegeben hat: muß er dennnicht197der Clariſſa. nicht auch ſeine natuͤrliche Hefftigkeit wenigſtens einigermaſſen uͤberwunden haben? Es iſt mei - ner Einſicht nach der Anfang zur Beſſerung, daß man uͤber die ploͤtzlichen Anfaͤlle ſeiner Lei - denſchafften, aus denen oft das groͤſſeſte Unheil entſteht, Meiſter werde, und daß man lerne es zu ertragen, wenn Dinge anders lauffen als man hoffete und wuͤnſchete. Was ſoll man von ei - nem, der noch nicht ſeinen Zorn baͤndigen kan, in Abſicht auf diejenigen Leidenſchafften fuͤr Hoff - nung haben, deren Verſuchung noch ſtaͤrcker zu ſeyn pflegt, und die durch die Gewohnheit und lange Uebung maͤchtiger geworden ſind?

Jch bitte Sie, mein Schatz, haben Sie die Guͤtigkeit, ſich nach den Verkleidungen zu er - kundigen, durch die ſich Herr Lovelace in ſei - nem Wirthshauſe unkenntlich zu machen ſucht. Es ſoll in einem ſchlechten Dorfe liegen, wel - ches er Neale nennet. Wenn es das Dorf iſt, dafuͤr ich es halte, ſo habe ich immer geglaͤubt, es waͤre ſo klein, daß es nicht einmahl einen Nah - men haͤtte, und ich habe nie von einem Wirths - hauſe, das darin ſeyn ſollte, gehoͤrt. Da er ſich viel dort aufhalten muß, um immer in der Naͤ - he zu ſeyn, ſo moͤchte ich gern einige Nachricht von ſeiner Auffuͤhrung haben, und was die Leute dort von ihm halten. Jn ſo langer Zeit muß er ſich entweder durch aͤrgerliche Handlungen blos geben, oder man muß ſeine Beſſerung mer - cken koͤnnen. Jch bitte Sie, ſeyn Sie mir ſo viel zu Willen, und erkundigen Sie ſich genauN 3nach198Die Geſchichtenach ihm. Jch habe Urſachen, die ich Jhnen kuͤnftig melden will, wenn die Nachrichten, ſo Sie bey der Unterſuchung erfahren, nicht von ſelbſt die Urſachen meiner Neubegierde ent - decken.

Der neunzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch bin eben von meinem Spatzier-Gang zuruͤck gekommen, und habe ſchon eine Antwort von Herrn Lovelace auf meinen Brief von geſtern Abend. Er muß Feder, Dinte und Papier bey ſich fuͤhren: denn der Brief iſt in dem Walde geſchrieben, noch dazu mit dem Umſtande, daß er mit einem Knie gekniet und auf dem andern geſchrieben hat. Daß aber ſein Knien keine Ehrerbietung gegen mich geweſen ſey, zeigt der Jnhalt des Briefes.

Man giebt uns billig fruͤhzeitig die Regel, gegen dieſes Geſchlecht fremde und vornehm zu thun. Ein offenes Hertz ohne Kunſt und Ver - ſtellung, das geneigt iſt andern gefaͤllig zu ſeyn, wird leicht unvermerckt ſo weit hinein gezogen,daß199der Clariſſa. daß es auch wider ſeinen Willen gefaͤllig ſeyn muß. Es richtet ſich gar zu lejcht nach dem Verlangen eines dreiſten Menſchen, der mehr bittet als geziemend iſt ihm zu gewaͤhren. Ein junges Frauenzimmer von gutem Gemuͤth findet eine Schwierigkeit darin, einem, den es nicht veraͤchtlich haͤlt, etwas abzuſchlagen.

Unſer Hertz wird ſich wol durch die Erfah - rung und durch die uͤbeln Folgen unſers gut - hertzigen Unverſtandes nach und nach verhaͤrten, und gleichſam karger in ſeiner Dienſtfertigkeit werden. Das muß es thun, ſonſt wuͤrde die uͤbrige Welt einen groſen Vortheil uͤber uns haben.

Nehmen Sie mir dieſe ernſthaften Gedan - cken nicht uͤbel. Der Menſch hat mich von Hertzen unwillig gemacht. Jch ſehe, daß alle ſeine Artigkeit nur Verſtellung geweſen iſt: die - jenige Haͤrte, die ich zu Hauſe allzuviel habe kennen lernen, iſt ihm natuͤrlich. So wie ich jetzt geſinnet bin, will ich mich niemahls bewe - gen laſſen, ihm zu vergeben. Denn er kan nichts vorbringen, ſeine Ungeduld zu entſchuldi - gen, da ich ihm etwas abſchreibe, daß ich nur Bedingungsweiſe verſprochen, und mir das Recht vorbehalten hatte, es abzuſchreiben. Jch habe ſo viel um ſeinetwillen gelitten, und er geht mit mir um, als wenn ich ſchuldig waͤre, noch dazu von ihm Grobheiten anzunehmen. Seyn Sie ſo guͤtig, und leſen Sie hiebey ſeinen Brief ſelbſt, den ich beyſchlieſe.

N 4An200Die Geſchichte
An Fraͤulein Clariſſa Harlowe. Lieber Gott!

Was iſt nun aus mir geworden? Wie ſoll ich es ausſtehen, daß ich mich in meiner Hoff - nung betrogen ſehe: Es iſt nicht einmahl eine neue Hinderniß vorhanden! Mit dem einen Knie knie ich, um auf dem andern zu ſchreiben. Meine Fuͤſſe ſind gantz ſtarr, weil ich um Mit - ternacht durch den ſtaͤrckſten Thau, der jemahls gefallen iſt, habe gehen muͤſſen: die Peruͤcke und Waͤſche druͤppelt von geſchmoltzenem Rohr - Reiff. Der Tag will eben anbrechen, und die Sonne iſt noch nicht aufgegangen. O moͤch - te ſie niemahls wider aufgehen, wenn ſie einem Gemuͤth, das noch mit finſterer Nacht umgeben bleibt, kein Licht bringen kan! So groß die Freude war, die Sie mir verurſacht hatten, ewig liebenswuͤrdige Zuſagerin, eben ſo groß iſt jetzt mein Kummer.

Laſſen ſich die Sachen zwiſchen Jhnen und den Jhrigen zu einer Entſcheidung an? Jſt nicht dis eine neue Urſache fuͤr mich, die verſprochene Zuſammenkunft zu wuͤnſchen und zu erwarten?

Kan ich Jhnen alles ſchreiben / was ich ſagen wollte? Es iſt ohnmoͤglich. Nicht den hundertſten Theil von dem, was ich in mei - nem Hertzen habe, oder befuͤrchte, kan ich Jh - nen ſchreiben.

O das201der Clariſſa.

O das veraͤnderliche wanckelmuͤthige Ge - ſchlecht! kan aber Fraͤulein Clariſſa Har - lowe Vergeben Sie mir, ich weiß nicht was ich ſchreibe.

Jch beruffe mich auf Jhr Verſprechen: ich muß mich darauf beruffen: oder Sie muͤſſen wenigſtens die Guͤtigkeit haben, beſſere Urſa - chen zu erfinden, warum Sie es brechen wol - len; und mich uͤberzeugen, daß Sie beſſere Gruͤnde gehabt als gemelder haben. Ein ein - mahl gegebenes Verſprechen, das mit gutem Bedacht gegeben iſt, kan nur der erlaſſen, dem es gegeben iſt: oder es muß eine offenbahre Hinderniß dazwiſchen kommen, die dem verſpre - chenden Theile die Erfuͤllung ohnmoͤglich macht.

Dies war das allererſte Verſprechen, ſo ich in meinem Leben von Jhnen empfangen habe: an dem vielleicht Leben und Tod haͤngen kan. Denn ich verzweiffele faſt, wenn ich an die un - menſchliche Haͤrte gedencke, damit Jhnen zu Hauſe begegnet wird.

Sie wollen lieber den Tod waͤhlen / als Herrn Solmes! (Wie verachte ich in mei - nem Hertzen einen ſolchen Mitbuhler!) Mei - ne allerliebſte Fraͤulein, was ſind das anders, als Worte? Weſſen Worte? Worte ei - ner liebenswuͤrdigen und unſchaͤtzbaren bundbruͤchigen? Soll ich Sie ſo nennen? Wie ſoll ich Jhrem Verſprechen Glauben zuſtellen? N 5ſon -202Die Geſchichte ſonderlich wo Sie meynen, daß das Verſpre - chen mit dem Worte Gehorſam ſtreite? da man Sie ſo ſehr druͤckt? da man ſeinen Haß gegen mich gar nicht verbirget? Wie ſell ich hier glauben, nachdem ich eben geſehen habe, wie leicht Sie Jhr Wort zuruͤck nehmen?

Wenn Sie, mein allerliebſtes Leben, geſinnet ſind, meiner Verwirrung oder den Folgen, die meine Verwirrung haben koͤnnte, abzuhelfen: ſo erneuren Sie Jhr Verſprechen. Jetzt iſt die gefaͤhrliche Zeit, da mein Schickſal entſchie - den werden wird.

Vergeben Sie mir: allerliebſtes Kind, ver - geben Sie mir. Jch weiß, daß mir Kummer und Angſt allzuſehr die Feder gefuͤhrt hat. Denn ich ſchreibe dis den Augenblick, da das anbrechende Tages-Licht mir mein unertraͤgli - ches Ungluͤck entdecket hat.

Jch unterſtehe mich nicht, das, was ich ge - ſchrieben habe, zu uͤberleſen. Jch will es ſo - gleich hinlegen. Sie werden daraus meine Verwirrung ſehen koͤnnen, in welche mich die Furcht ſetzet, daß dieſe mir fehl geſchlagene Hoffnung vielleicht ein Vorbote eines noch groͤ - ſern Ungluͤcks fuͤr mich ſeyn moͤchte. Jch ha - be auch kein Papier mehr, und ich wuͤrde kei - nen andern Brief an dieſem finſtern Orte ſchrei - ben koͤnnen, wenn ich gleich gern wollte. Mein Gemuͤthe iſt finſter, und es ſcheint die gantze Natur um mich herum zu verfinſtern. Jch verlaſſe mich auf Jhre Guͤtigkeit. Wenn Siebey203der Clariſſa. bey meinem hefftigen Briefe, an ſtatt Mitlei - den zu haben, ungeduldig werden, ſo thun Sie mir unrecht, und ich werde anfangen zu befuͤrch - ten, daß ich das Opfer mehr als Einer Ab - truͤnnigen zu werden beſtimmt bin. Haben Sie Geduld mit mir. Jch meine Sie nicht: ich meine nur Solmes und Jhren Bruder. Wollen Sie aber Jhr edles Hertz zeigen, wol - len ſie meinen Brief entſchuldigen, und mir eine andere Zeit zur Unterredung anſetzen, ſo ſeegne Sie der Gott, dem Sie bekennen zu dienen, und der ein Gott der Wahrheit und der Treue iſt, dafuͤr daß Sie Jhr Verſprechen erfuͤllen, und daß Sie wieder zu ſich ſelbſt brin - gen, und hoffen laſſen

Jhren ewigen treuen ob - gleich jetzt muthloſen Verehrer und Anbeter Jm Walde, in der Laude, eben bey Tages Anbruch. Lovelace.

Jch gedencke ihm folgende Antwort zu ſchrei - ben:

Jch wundere mich / mein Herr / uͤber die ungeheuchelten Verweiſe / die ſie mir geben. Jſt es billig / da ſie mich durch ihre Bitten um eine Zuſammenkunft er - muͤdet und uͤberwunden hatten / daß ſie mich nun ſo angreiffen / mir Untreue vor -wer -204Die Geſchichtewerfen / und von unſerm gantzen Geſchlecht anzuͤglich reden / weil ich es der Klugheit gemaͤß hielt / meinen Vorſatz zu aͤndern[?]Jch hatte mir dieſe Freyheit vorbehalten / als ich ihnen das ſo genannte Verſpre - chen gab. Jch hatte Proben ihrer Un - geduld gegen andere geſehen: es kan ein Gluͤck fuͤr mich ſeyn / daß ſie mir noch ei - ne Probe ertheilt haben / aus der ich mer - cken muß / daß ſie meiner eben ſo wenig als anderer ſchonen koͤnnen / wenn ich meinen Einſichten gemaͤß handele. Jhre Hefftig - keit ſcheint mir eine doppelte Quelle zu haben: meine Willigkeit ihnen eine Ge - faͤlligkeit zu erzeigen / und ihre gute Mei - nung von ſich ſelbſt. Da ſie jene zu ſehr ausgemerckt haben / und mich von dieſer ihrer Eigenſchaft zu viel haben mercken laſſen / ſo bin ich daruͤber ſo beſtuͤrtzt / daß ich wuͤnſche / es moͤge mein heutiger Brief alle Unruhe endigen / die ſie jemahls uͤber - nommen haben fuͤr

Jhre gehorſamſte Dienerin Cl. Harlowe.

Jch verſpreche mir Jhr Lob zum voraus, wenn ich muthig rede oder ſchreibe, es ſey ge - gen wen es wolle. Jch ſehe, daß ich es ſo ma - chen muß, weil ich mit Leuten zu thun habe, die ihr Betragen gegen mich nicht nach den Re -geln205der Clariſſa. geln der Billigkeit oder des Wohlſtandes ein - richten, ſondern nach der guten Meinung, die ſie von meiner Geduld haben. Wenn ich nur die letzten Wochen ausnehme, ſo haben mich viele wegen meiner Geduld geruͤhmt: ſie haben mir aber nie Gelegenheit gegeben, den Ruhm auf ſie ſelbſt umzukehren. Einige ſind ſo mit mir um - gegangen, als wenn eine einſeitige Geduld fuͤr ſie und fuͤr mich ſchlechterdings nothwendig waͤre, damit wir gute Freunde bleiben moͤchten: und ſie ſind ſehr ſorgfaͤltig geweſen, ſtets in mei - ner Schuld zu bleiben, und mich ihnen nie ver - pflichtet zu machen. Sie haben mit neulich ge - ſchrieben, daß mir Empfindlichkeit und Rachgier nicht natuͤrlich waͤren, und deswegen nicht lange bey mir waͤhren koͤnnten: das kan in Abſicht auf die Meinigen richtig ſeyn, aber nicht in Ab - ſicht auf Herrn Lovelace.

Mittewocheus Mittags den 29 Maͤrz.

Wir koͤnnen nie vor unſere kuͤnftigen Hand - lungen zum voraus Buͤrge werden. Um Sie aber zu uͤberzeugen, daß ich bey meinem Vorſatz bleiben kan, den ich wegen Herrn Lovelaces ge - faſſet habe, ſo melde ich Jhnen, daß, ſo bitter auch mein Brief iſt, und obgleich drey Stunden ſchon vorbey ſind, es mich doch nicht gereuet, daß ich ihn geſchrieben habe. Jch will ihn auch nicht gelinder einrichten, wenn er gleich noch nicht weggenommen iſt. Jch habe ſonſt nicht leichtet -206Die Geſchichteetwas im Unwillen gethan, das mich nicht in ei - ner halben Stunde gereuet hat: und gemeinig - lich iſt es mir noch in kuͤrtzerer Zeit auf das Hertz gefallen, ob ich recht oder unrecht daran ge - than haͤtte.

Die Friſt bis auf den Dienſtag kan ich dazu anwenden, daß ich recht um mich ſehe, und uͤber - lege, was ich thun kan und ſoll: und Herrn Lo - velaces Dreiſtigkeit wird vieles dazu beytragen, daß ich deſto mehr bey mir ſelbſt bin. Jch glau - be zwar nicht, daß ich meinen Abſcheu vor Herrn Lovelace uͤberwinden kan: ich bin zum voraus vom Gegentheil verſichert. Allein wer weiß, ob mich die Meinigen nicht wieder lieb gewinnen, und ihre Abſichten wegen Herrn Solmes nach und nach fahren laſſen, wenn ich gaͤntzlich mit Herrn Lovelace breche, und ihnen davon augen - ſcheinliche Proben gebe? Solte ich nicht wenig - ſtens ſicher ſeyn, bis der Obriſte Morden an - koͤmmt? Jch gedencke nun um deſto mehr an ihn zu ſchreiben, weil die Meinigen (wie Herr Lo - velace verſichert) an ihn geſchrieben haben, und ihn einzunehmen ſuchen.

Allein bey allem Muth fuͤrchte ich mich ſehr vor den kuͤnftigen Dienſtag, und vor den Fol - gen, die meine Standhaftigkeit an dieſem Tage haben kan. Denn ſtandhaft will ich gewiß ſeyn! Jch hoͤre ſie wollen alle Mittel verſuchen, um mich zum Weichen zu bringen: und ich will auch alle Mittel anweuden, dem zu entgehen, wozu ſie mich zwingen wollen. Ein unangenehmer Streitzwi -207der Clariſſa. zwiſchen Eltern und Kind: da jeder Theil ſucht, daß der andere ohne Entſchuldigung ſeyn moͤge, wenn ungluͤckliche Folgen daraus kommen ſol - ten!

Was kan ich anfangen? Geben Sie mir ei - nen guten Rath. Es iſt ein recht ſonderbah - res Ungluͤck, das mich betroffen hat. Die allerguͤtigſten Eltern ſcheinen in den Augen des Kindes grauſam; und eine Tochter, die man noch vor wenig Wochen fuͤr vollkommen gehor - ſam hielt, iſt in den Augen ihrer Eltern ein wi - derſpenſtiges Kind geworden. Omein eigennuͤ - tziger und unbaͤndiger Bruder! Wie kan er die - ſes doppelte Unrecht entſchuldigen!

Belieben Sie ſich zu erinnern, daß Jhr letz - ter Brief am Sonnabend geſchrieben war. Heu - te iſt es Mittewochen: und ſeit der Zeit ſind meine Briefe nicht weggenommen. Entziehen Sie mir Jhren Rath nicht: denn ich bin in ſehr mißlichen Umſtaͤnden. Jch bin aber gewiß, Sie lieben mich nech: und Sie lieben mich um mei - nes Ungluͤcks willen nicht weniger. A Dieu, meine beſte Freundin

Cl. Harlowe.

Der208Die Geſchichte

Der zwanzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Ein bloſſer Zufall hat meine Traͤgheit veran - laſſet: denn mit dieſem Nahmen werden Sie den Aufſchub meiner Antwort ſo lange mit Recht belegen, bis ich Jhnen die wahre Urſache gemeldet haben werde.

Des Sonntags Abends ward meine Mutter in groͤſſeſter Eil zu der Frau Larckin gebeten. Die Urſache habe ich Jhnen ſchon ſonſt gemeldet. Die arme Frau hat ſich immer vor dem Tode gefuͤrchtet, und ſie ſteckte mit andern in dem A - berglauben, daß das Teſtament der Vorbote des Todes ſey. So oft ſie erſucht ward, dieſe hoͤchſt - noͤthige Arbeit nicht zu lange aufzuſchieben, ſagte ſie: ſie wuͤrde nicht lange mehr leben, wenn ſie erſt ein Teſtament gemacht haͤtte. Man ſollte beynahe glauben, daß ſie ihr Wort haͤtte halten wollen: denn ob ſie gleich lange bettlaͤgrig ge - weſen war, und ſchon mit einem Fuſſe im Gra - be ſtand, ſo meinte ſie doch, ſie faͤnde ſich in der Beſſerung, bis ſie das Teſtament gemacht hatte. Allein von dem Augenblick an, ward ſie ſchlim - mer, weil ſie ſich ihrer Weiſſagung erinnerte: ihre Furcht machte, daß ſie Urſache bekam ſichzu209der Clariſſa. zu fuͤrchten, wie es ſonſt bey den Pocken zu ge - hen pflegt. Ein paar mahl nahm ſie ſich vor, ihr Teſtament zu verbrennen, um beſſer zu wer - den.

Sie ließ meiner Mutter ſagen, daß der Do - ctor ſie aufgegeben haͤtte; allein ſie koͤnnte nicht ſterben, ohne ſie zu ſehen. Jch bat meine Mut - ter, ſie moͤchte nicht hinreiſen, ihr gute Beſſerung zu wuͤnſchen. Allein ſie wollte ſie ſchlechterdings beſuchen, und verlangte ſogar zu meinem groͤſ - ſern Verdruß, daß ich mit ihr reiſen ſolte. Sie gab mir nur eine Stunde Zeit zum Einpacken: Haͤtte ich mehr Zeit gehabt, es ihr vorzuſtellen, ſo waͤre ich gewiß zu Hauſe geblieben. Allein, ſie ſagte mir nichts davon, als da ſie des Mor - gens ſehr fruͤh aufftand; und ſie hatte vor, des Abends wieder zu Hauſe zu ſeyn. Jch mußte mich alſo nothwendig in Bereitſchaft ſetzen, ih - rem Befehl zu gehorchen. Vergeblich ſtellete ich ihr vor, daß dieſer Befehl ſich zu einer ſo ernſt - haften Gelegenheit nicht ſchickte. Es hieß, ſie haͤtte kein Maͤdchen in der Welt geſehen, daß ſo von dem Geiſte des Widerſpruchs beſeſſen waͤ - re. Jch waͤre immer ſo weiſe, daß ich ſie fuͤr eine Thoͤrin halten wollte. Allein ich ſollte ihr dieſesmahl folgen, es moͤchte ſich ſchicken oder nicht.

Jch kan nicht begreiffen, wie meine Mutter auf dieſen Einfall koͤmmt, wenn nicht folgendes die wahre Urſache iſt. Sie wollte Herrn Hick - manns Anerbieten, ſie zu begleiten, annehmen:Zweyter Theil. Ound210Die Geſchichteund ich glaube, (ich wuͤnſchte nur es gewiß zu wiſſen) daß ſie ihn durch meine Gegenwart er - freuen, und mich vielleicht hiedurch von ſchlim - merer Geſellſchaft abzuhalten ſuchte.

Denn, koͤnnen Sie es glauben? ſie iſt ſchon wegen ihres lieben Hickmanns beſorgt. So wahr Sie leben, der lange Beſuch ſteckt ihr im Kopfe, den Jhr Lovelace aus gantz andern Ur - ſachen bey mir abgeſtattet hat, als ſie das letzte mahl der Frau Larckin zu Gefallen auſſer Hau - ſe war. Jch hoffe nicht, daß Sie auch eifer - ſuͤchtig werden! Es iſt wahr, wenn ſie mich bis - weilen mit dem Lobe ermuͤdet, das Herr Hick - mann ohnmoͤglich verdienen kan, ſo quaͤle ich ſie damit, daß ich Herrn Lovelace wegen der - jenigen aͤuſſerlichen Vorzuͤge bewundere, die je - ner nimmer erlangen kan. Jch quaͤle ſie gern auch ein wenig, und ich moͤchte faſt ſagen: ich bin meiner Mutter Tochter.

Sie wiſſen, daß meine Mutter ſo empfindlich iſt, als ich dreiſte und frey bin. Wir zerfallen alſo gemeiniglich bey ſolchen Gelegenheiten. Als - denn entzieht ſie ſich meiner ſo viel ſie kan: und weil es nicht wohl ſtuͤnde, wenn ich mich ihrer Geſellſchafft von ſelbſt entzoͤge, ſo wende ich die Zeit, die ſie mir von freyen Stuͤcken giebt, zum Briefwechſel mit Jhnen an.

Da ich einmahl ſo frey im Schreiben gewor - den bin, ſo muß ich Jhnen nur melden, daß unſer Briefwechſel aus zwey Urſachen ihr nur halb gefaͤllt: einmahl / weil ich ihr nicht alleBrieffe211der Clariſſa. Brieffe zeige: zum andern / weil ſie glaubt, daß ich Jhr Hertz nur verhaͤrte, und Sie unge - horſam mache. Hiezu kommt ein Grundſatz, in dem Haus-Staat meiner Mutter, den ich Jh - nen ſchon gemeldet habe. Er lautet alſo: es iſt nicht moͤglich / daß die Eltern Unrecht haben; und wie koͤnnen die Kinder Recht haben / wenn ſie ſich ihnen widerſetzen. So bin ich gezwungen, dann und wann eine Stunde zu ſtehlen, ohne daß ſie weiß, wie ich ſie anwende.

Sie koͤnnen hieraus den Schluß machen, wie geneigt ich geweſen bin, einem bloſſen Befehl meiner Mutter, der ſo wenig vernuͤnfftigen Grund hatte, Folge zu leiſten. Allein es ſollte eine Probe meines Gehorſams ſeyn, darum mußte ich nachgeben, ob ich gleich wußte, daß ich Recht hatte.

Sie haben mir ſtets bey ſolchen Gelegenhei - ten Lehren gegeben: und Jhr letzter Brief iſt ſtrenger, als Sie jemahls ſonſt geweſen ſind. Sie werden dazu ſetzen: und dieſes von Rechts - wegen / weil ich es verdient habe. Jch dancke Jhnen zwar fuͤr Jhre Erinnerung: allein ich hoffe eine Erinnerung dagegen machen zu koͤnnen. Jedoch ihre verdienten oder unverdienten Schlaͤ - ge hat nicht blos meine Haut, ſondern mein Hertz empfunden. Ein anderes mahl hievon!

Es war ſchon Nachmittag, als wir auf dem Gute der gnaͤd. Frau ankamen. Der geputzte galante Herr, (Sie wiſſen wen ich meine) ließO 2uns212Die Geſchichteuns zwey Stunden warten, um ſeine Schabra - cke noch mit neuem Staat auszuſchmuͤcken. Mir war es warlich ſehr gelegen, daß uns dieſer Verzug noͤthigte, uͤber Nacht auſſer Hauſe zu bleiben! Der Sattler hatte volle Arbeit gehabt, ſie fertig zu ſchaffen, damit es ihm wohl zulieſſe, wenn er Frau Howe und ihre ſchoͤne Tochter begleitete. Jch fragte ihn: ob er ſich etwan gefuͤrchtet haͤtte, daß er bey einer ſo ernſthafften Gelegenheit, da wir eine ſterbende Frau beſu - chen wollten, wegen ſeines ernſthafften Geſichts, wie ein verungluͤckter Paͤchter ausſehen wuͤrde? und ob er ſich deswegen als ein Marcktſchreyer gekleidet haͤtte, damit er jenem Vorwurf ent - gehen moͤchte?

Er ſahe gantz verwirrt aus: und er nahm meine Frage ſo hoch auf, daß man mercken kon - te, daß ſein Gewiſſen ſie bekraͤfftigte. Er wuͤr - de ſonſt nicht empfindlich daruͤber geworden ſeyn, denn er iſt es ſchon gewohnt, daß ich ihm nicht beſſer begegne. Er haͤtte faſt angefangen zu weinen. Jch habe ſchon ſonſt bemerckt, daß er einem ledigen Frauenzimmer wie ein Schaaf vor - kommen muß: ſo angenehm mir kuͤnfftig dieſe Gemuͤthsfaſſung ſeyn moͤchte, ſo muß ich ihn doch jetzt deswegen ein wenig in meinem Hertzen verachten. Mich duͤnckt, ein dreiſter Menſch gefaͤllt uns allen am beſten, wenn wir ihn nur koͤnnten zu gewiſſer Zeit, und gegen gewiſſe Per - ſonen nach unſerm Wunſch furchtſam und ſanſt - muͤthig machen.

Der213der Clariſſa.

Der arme Mann ſahe meine Mutter an. Sie ward ſo boͤſe, daß ſie den halben Weg uͤber nicht ſprechen wollte; denn mein heimliches Hohn - gelaͤchter uͤber ihn, und mein Verdruß uͤber die Reiſe machte ſie noch empfindlicher. Wenn ſie ja ein Wort heraus brachte, ſo war es weiter nichts, als: ich wollte / daß ich dich zu Hauſe gelaſſen haͤtte! Du kanſt niemand einen Gefallen erzeigen! Herr Hickmann iſt unſchuldig an der Reiſe: ich habe dich blos vor mich mitgenommen. Haſt du gar keine Augen vor dieſe Seite des Wa - gens? u. ſ. w.

Sie war deſto freundlicher gegen ihn, wie ſie gemeiniglich iſt, wenn ich muͤrriſch bin. Alle Augenblick fragte ſie ihn: wie er ſich befaͤn - de? und wenn er von einer Seite zur andern ritt, und mir mit ſteiffen Geſichte einen Blick ſtehlen wollte, ſo kuckte ſie herum, und ſahe mit ſolchem Laͤcheln aus dem Wagen heraus, als wenn ſie ſelbſt ihm vor vierzehn Tagen angetrauet waͤre. Jch ſahe immer etwas auf der andern Seite des Wagens, daß mich vergnuͤgte, wenn es auch weiter nichts war, als der alte Rober[t]auf ſeinem Roth-Schimmel.

Man ſagt, daß das die beſte Zeit in unſerm Leben ſey, wenn die Freyer ſich um unfere Gunſt bewerben. So bald wir ihnen guͤnſtig ſind, ſo bald hoͤrt ihr Bewerben auf, deſſen Weſen in ei - ner gewiſſen Entfernung beſtehet. Wer wollte nicht ein wenig vornehm thun, wenn man ſiehetO 3wie214Die Geſchichtewie hochmuͤthig unſere Diener uͤber einen freund - lichen Blick werden, und wie ſie ſich vor einem ſauren Geſichte fuͤrchten? Wer wollte ſich nicht einer Gewalt voͤllig gebrauchen, die ſo kurtze Zeit waͤhret?

Schelten Sie mich deswegen nicht ein Bis - gen. Die Sache iſt natuͤrlich: ich kan dieſe Empfindung nicht aͤndern, und ich mag ſie auch nicht aͤndern; denn ich finde mein Vergnuͤgen darin. Verſchwenden Sie alſo bey dieſer Ge - legenheit Jhre lehrreichen Erinnerungen nicht. Jch verlange nicht vollkommen zu ſeyn. Der Mann hat Geduld, meine Fehler zu tragen. Was brauchen Sie Mitleiden mit ihm zu haben? Meine Mutter erquickt ihn genugſam davor, daß ich ihn plage: und wenn er ſich uͤber mich be - klagt, ſo verdient er nicht einmahl, daß ich es beſſer mache.

War er nicht werth, daß ich ihm muͤrriſch be - gegnete, da er durch ſeinen Staat uns um das Mittags-Eſſen brachte? Denn wer wollte auf einer ſo kurtzen Reiſe in das Wirths-Haus ein - kehren, und da die Zeit verderben? Wir wuͤnſch - ten des Abends wieder zu Hauſe zu ſeyn, wenn es die Umſtaͤnde der krancken Frau zngelaſſen haͤtten. Jch will nicht einmahl daran geden - cken, daß meine Mutter, blos um ſeinetwillen den gantzen Weg uͤber gegen ihre arme Toch - ter boͤſe that.

Bey dem Ausſteigen verſetzte ich ihm noch ei - nen Streich, aber nur einen gantz kleinen, denmeine215der Clariſſa. meine Mine empfindlich machte. Meine Mut - ter gab ihm ihre Hand, und laͤchelte und ſchmun - tzelte wie eine Braut: wie befinden ſie ſich jetzt / Herr Hickmann? Alle ſeine plumpen Muskeln waren in Bewegung, und eine verdop - pelte Artigkeit belebte alle ſeine Glieder, als er mir ſeine dienſtfertige Hand bot. Da ich noch ein Kind war, hat mir meine Mutter oft befoh - len, den Kopf in die Hoͤhe zu halten. Jch er - innerte mich jetzt ihres Befehls, und war recht gehorſam: mein Lebtage habe ich den Kopf nicht ſo in die Hoͤhe gehalten, als dieſesmahl. Mit hohen Augen, und mit einer abweiſenden Hand, ſprang ich faſt aus dem Wagen, und ſagte: ich brauche ihrer Huͤlffe nicht: Sie ſtehen mir nur im Wege.

Er ging mit einem ſehr betruͤbten Geſicht zu - ruͤck, als wenn ihn der Wind wegfuͤhrte: ich wuͤrde ihm ſonſt noch geſagt haben, daß ich eben ſo viel Haͤnde und Fuͤſſe haͤtte, als er. Allein, dieſes wuͤrde fuͤr ihn eine Neuigkeit geweſen ſeyn, deren letzte Helfte zu wiſſen er hoffentlich zu furchtſam iſt.

Wir funden die arme Frau in den letzten Zuͤgen, wie wie es uns ſchon zum voraus vor - geſtellet hatten. Wenn wir auch fruͤher ange - kommen waͤren, ſo haͤtten wir doch unſern Vor - ſatz nicht erfuͤllen koͤnnen, denſelben Abend wie - der nach Hauſe zu kommen. Sie ſehen, daß ich Herrn Hickmann entſchuldige, ſo gut ich kan,O 4ob216Die Geſchichteob ich Jhnen gleich verſichern kan, daß ich auch nicht einmahl eine bedungene Neigung gegen ihn habe. Meine Mutter blieb faſt die gantze Nacht auf, weil ſie jede Stunde das Ende ihrer armen Touſine erwartete. Bis um zwey Uhr blieb ich mit ihr auf, und leiſtete ihr Geſellſchaft.

Weil ich noch keine erwachſene Perſon ſter - bend geſehen hatte, ſo ruͤhrte mich dieſer Anblick ſehr. Fuͤr Geſunde iſt der Todt erſchrecklich. Wir fuͤhlen dabey die Noth der Sterbenden, und unſre eigene Noth, die wir kuͤnftig zu gewar - ten haben, wenn wir eben dieſen Weg gehen ſol - len. Wir empfinden alſo den Tod doppelt, wenn wir ihn an andern ſehen.

Sie lebte noch bis des Dienſtags Morgens um eilf Uhr. Sie hatte meiner Mutter noch auf dem Todten-Bette geſagt, daß ſie ſie beſtim - met haͤtte, uͤber die Erſuͤllung ihres Teſtaments zu halten, und daß ſie ihr und mir, Ringe und Trauer vermacht haͤtte. Wir hatten alſo den gantzen Tag mit Dingen zu thun, die zu ihrem letzten Willen gehoͤrten, durch welchen meine Ba - ſe Jenny Finnet reichlich verſorget iſt: und es ward Mittewochen, ehe wir an die Ruͤckreiſe ge - dencken konnten.

Weil wir auf keine Schabracken warten durf - ten, ſo kamen wir um Mittag nach Hauſe. Jch ſchickte zwar Robert noch ehe er abſtieg nach Jhren Briefen, und er brachte mir eine gantze Taſche voll von etlichen Tagen bis auf den Mit - tewochens Mittag. Allein ich war ſo muͤde, unddurch217der Clariſſa. durch den Tod der ſeeligen Frau ſo geruͤhrt; und meine Mutter, die noch keine Urſache hat, ſich aus der Welt weg zu ſehnen, war durch dieſen Anblick ſo unpaß geworden; daß ich ohnmoͤglich fruͤh genug ſchreiben konnte, daß Robert den Brief noch vor Abends haͤtte beſtellen koͤnnen.

Jch habe mich nun wieder erhohlt, und mei - ne Mutter hat gleichfalls eine gute Nacht ge - habt. Jch bin daher mit dem Tage aufgeſtan - den, dieſen Brief ſo fruͤh zu ſchreiben, daß Sie ihn ſchon finden moͤchten, wenn Sie nach dem Fruͤh-Stuͤck ein wenig in die Luft gehen. Denn ich wollte Sie gern ſo wenig als moͤglich iſt war - ten laſſen.

Jch gedencke bald noch einen Brief zu ſchrei - ben. Jch will jemand auszufinden ſuchen, durch den ich Herrn Lovelaces Auffuͤhrung in ſei - nem Wirths-Hauſe unmittelbar und aus der er - ſten Hand erfahre. Einen ſo muntern Geiſt muß man leicht ausforſchen koͤnnen.

Sie moͤgen zwar jetzt in Abſicht auf ſeine Auf - fuͤhrung wohl gleichguͤltig ſeyn: denn Sie ba - ten mich um Nachricht von ihm, ehe er noch ſei - ne Tod-Suͤnde gegen Sie begangen hatte. Jch will mich aber dennoch erkundigen, und ich glaube, daß dasjenige, was ich in Erfahrung bringen werde, Sie in Jhrer Unverſoͤhnlichkeit beſtaͤrcken wird. Allein, wenn der arme Mann (ſoll ich ihn nicht um Jhrentwillen ein we - nig beklagen?) ſich des groͤſſeſten Gluͤcks berau - bet ſehen muß, das ſich ein Menſch auf dem Erd -O 5boden218Die Geſchichteboden wuͤnſchen kan; eines Gluͤcks, auf das er, bey ſo weniger Wuͤrdigkeit Anſpruch gemacht hat: ſo iſt alle ausgeſtandene Gefahr, alle Ver - kaͤltung, die fieberhaften Zufaͤlle, der ertragene Schimpf, das ſchlimme Wetter, alles iſt umſonſt. Kann das nicht Jhr grosmuͤthiges Hertz bewegen, falls es ſonſt nichts in Jhrem Hertzen zu bewegen findet? der arme Love - lace!

An keinem Schlagen des Hertzens, an kei - nem halben Schlage will ich Schuld ſeyn: nicht einmahl an einer ſchnellen ſinnlichen Empfindung, die wie ein Blitz entſtehet und vergehet, weil ſie alsbald durch die Ueberlegung unterdruͤckt wird, von welcher Tugend Sie Jhrem gantzen Ge - ſchlecht ein Beyſpiel geben, das vorhin noch nie - mahls gegeben iſt. Jch will das nicht thun, ſa - ge ich: und dennoch muß ich Sie nicht aus ei - ner unverſchaͤmten und allzu luſtigen Spaßhaf - tigkeit, ſondern nur blos mit dem Zweck, daß Sie ſich ſelbſt moͤgen kennen lernen, durch den widerhohlten Schall probiren: der arme Love - lace! ſo wie man ſonſt das Geld an dem Schall zu probiren pflegt, um die aͤchten und nach - gemuͤntzten Guldens von einander zu unterſchei - den. Der arme Lovelace!

Wie iſt Jhnen jetzt zu Muthe? Wie finden Sie ſich? um die Frage bey Jhnen anzuwen - den, die meine Mutter an Herrn Hickmann that, als ihn ihre naſeweiſe Tochter betruͤbet hatte.

Der219der Clariſſa.

Der ein und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch fange nun an, Jhre lieben Zeilen zu be - antworten: ich muß aber kurtz ſeyn, weil ich in einer allzugroſen Schuld ſtecke.

Was zufoͤrderſt Jhre Verweiſe anlanget, ſo habe ich dieſe Entſchuldigung: ſollte ich denn gaͤntzlich aufhoͤren, Verweiſe von Jhnen zu ver - dienen, da ich Jhre Art ſie zu geben ſo ſehr be - wundere, und Sie immer lieber kriege, ſo oft Sie mir etwas verweiſen? und da Sie ſo voll - kommen dazu berechtiget ſind? denn was koͤnn - ten Sie vor eigene Fehler haben, wenn nicht Jhre Anverwanten ſo guͤtig waͤren, an Jhnen einige Splitter zu entdecken, um dadurch die Menge ihrer eigenen Suͤnden gegen Sie zu entſchuldigen? Allein ich hoffe, daß dieſe hierin gegen mich eben ſo guͤtig geſinnet ſind als gegen Sie. Denn wer unſere Brieffe laͤſe, und Jh - nen Recht gaͤbe, wuͤrde mir dennoch das groͤſſeſte Unrecht geben.

Sie thun recht daran, daß Sie Jhres Va - ters Haus nicht verlaſſen wollen, wenn Sie nur darin bleiben koͤnnen, ohne daß Sie Herrn Sol - mes angetrauet werden.

Mich220Die Geſchichte

Mich duͤnckt, Sie haben auf Herrn Solmes Brief eben ſo geantwortet, wie ich geantwortet haben wuͤrde. Seyn Sie doch nun gegen mich und ſich ſo hoͤflich, und bekennen Sie, daß es eben recht geweſen ſey.

Sie haben in ihren Brieffen an Jhren Onckle und an Jhre uͤbrigen Angehoͤrigen alles gethan, was Sie thun konnten: und es mag erfolgen was da will, ſo haben Sie ſich keine Schuld beyzumeſſen. Sie bieten Jhnen ſo gar Jhr Gut an! das haͤtte ich gewiß nicht gethan! Sie ſehen auch, daß dieſes Anerbieten ſie ſtutzig machte; ſie nahmen ſich Zeit es in Ueberlegung zu ziehen. Mir war das Hertz beklommen, ſo lan - ge dieſe Zeit in Jhren Brieffen waͤhrete, und ich befuͤrchtete, daß ſie Sie bey Jhrem Worte halten moͤchten. Das wuͤrden ſie auch gethau haben, wenn ſie ſich nicht vor Herrn Lovelace beydes geſchaͤmt und gefuͤrchtet haͤtten. Sie haben eine allzuedle Seele fuͤr die Jhrigen: und ich widerhohle es, daß ich ſo viel nie ange - boten haͤtte. Gewaͤhren Sie mich Einer Bitte, und fuͤhren Sie die Jhrigen nicht zum zweyten mahl in Verſuchung.

Jch geſtehe Jhnen frey, daß die wunderliche Auffuͤhrung der Jhrigen hiebey, und das gantz andere Betragen Herrn Lovelaces in dem Briefe, den Sie eben damahls erbrachen, mich zu einem Schritt wuͤrde verleitet haben, den ich nie haͤtte zuruͤck thun koͤnnen. Der Hencker hohle ihn, moͤchte ich bald fluchen, daß er nicht ſorg -faͤlti -221der Clariſſa. ſaͤltiger geweſen iſt, ſeinen guten Nahmen ſo unbefleckt zu bewahren, daß man dieſen Schritt auch ſo gar an Fraͤulein Clariſſa Harlowe in ihren bedraͤngten Umſtaͤnden haͤtte billigen koͤnnen.

Jch wundere mich nicht daruͤber, daß Sie ſich zu einer Zuſammenkunft mit ihm verſtanden ha - ben. Jch werde bey Gelegenheit meine Gedancken hievon im folgenden melden.

Jch bitte Sie hertzlich, dencken Sie auf eine Liſt, daß Sie Jhre Eliſabeth Barnes zu mir ſchicken koͤnnen. Geht die Acte von Toventry auch auf das Frauenzimmer? Jch wollte ſie recht eingeweicht nach Hauſe ſchicken, und ſie ſollte zum wenigſten durch unſere Pferde-Schwemme, wo ſie am tiefſten iſt, gezogen werden. Wenn ich ſie nur hieher kriegen kan, ſo ſoll ſie ihre Erloͤ - ſung aus meinen Haͤnden jaͤhrlich feyren, ſo lan - ge ſie lebet.

Ueber Lovelaces hitzige Antwort wundere ich mich nicht, ob ich gleich nicht leugne, daß ſie hitzig iſt. Wenn er Sie ſo liebet, als er vorgiebt, ſo muſte es ihn ſehr verdrieſſen, daß er ſich in ſeiner Hoffnung betrogen ſahe; und er wuͤrde in meinen Augen ein abſcheulicher Heuchler ſeyn, wenn er dieſen Verdruß haͤtte verbergen koͤn - nen. Sie kommen bey nahe um ein halbes Jahrhundert zu fruͤh, wenn Sie bey einem Man - ne, wie er iſt, dem eine ſolche Hoffnung fehl ſchlaͤgt, ſo viel chriſtliche Faſſung und Verleugnung er -war -222Die Geſchichtewarten. Jch verdencke es Jhnen aber doch nicht, daß Sie wieder boͤſe gethan haben.

Jch bin voller Ungeduld, bis ich hoͤre, wie ſich dieſer Krieg zwiſchen Jhnen und ihm endi - gen wird. Vor einigen Tagen waren nur eini - ge Zoll dicke Ziegeln, zwiſchen Jhnen beyden, und nun ſind es ſolche Berge! Und Sie dencken, daß es ſo bleiben ſolle! Wohlan es ſey alſo!

Sie ſagen, ſie erkenneten nun, daß ihm die Gemuͤths-Faſſung nicht natuͤrlich geweſen ſey, in welcher er ſeinen vorigen Brief geſchrieben habe. Haben Sie denn dieſes jemahls geglaubt? Wer allzukriechend und ſchmeichelnd iſt, der wird un - verſchaͤmt, und man darf ihm nur einen Finger breit einraͤumen, ſo nimt er eine gantze Hand breit. Jch bin gewiß verſichert, daß eben mein Hickmann ſo dreiſte werden wuͤrde als Love - lace / wenn er es ſich jemahls unterſtehen duͤrfte. Er prahlt nur nicht ſo mit ſeiner Dreiſtigkeit, wie der andere, und kan die Klauen beſſer ver - ſtecken: das iſt der gantze Unterſcheid. Man gebe ihm aber Gelegenheit dazu, ſo wird er ſie eben ſo gut zeigen, als der andere.

Wenn ich mich jemahls uͤberreden laſſe, ihn zu nehmen, ſo will ich genau darauf Acht ge - ben, wie er nach und nach aus einem verliebten Diener ein ſtrenger Haus-Herr wird: wie er gleichſam in dem Rade aufſteiget, wenn ich nie - dergehe, und nie wieder ſo hoch komme, als ich jetzt bin, es muͤßte denn bisweilen auf einen Au - genblick geſchehen, wie ein untergehendes Reich,daß223der Clariſſa. daß ſeine letzte Macht zu Erhaltung ſeiner Frey - heit anwendet, ſich noch wohl zu guter letzt auf eine kurtze Zeit zu erhohlen ſcheint.

Wer ein gutes Gemuͤth hat, der iſt hitzig, ſagt Lovelace[?]Eine trefliche Entſchuldigung gegen ſeine Schoͤne, die noch frey und ungebun - den iſt! Es iſt eben ſo viel geſagt, als: ſo hoch ich ſie auch ſchaͤtze, Fraͤulein, ſo werde ich mir doch die Muͤhe nicht nehmen, um ihrentwillen meine Hitze zu maͤßigen. Jch wuͤrde mich freuen, wenn ich meinen Hickmann eben auf dieſe Art von ſeinem guten Gemuͤth reden hoͤrte.

Wir ſind in der That allzu geneigt, einem eigenſinnigen Kopfe etwas zu gut zu halten, der in der erſten Erziehung ſo verdorben iſt, daß kei - ne Hoffnung uͤbrig iſt, daß er eine ſo ſtarck ge - wordene Gewohnheitsſuͤnde werde uͤberwinden koͤnnen. Allein was haben wir kuͤnftig zu er - warten, wenn wir ein ſo ungeſtuͤmes Wefen ſchon jetzt an einem Freyer entſchuldigen ſollen, da er uns noch gute Worte geben muß. Jch glaube, Sie kennen ſelbſt einen Ehemann, dem auch allzufruͤh etwas zu gute gehalten ward: und Sie ſehen, daß jetzund weder er ſelbſt noch andere Urſache haben, ſich zu freuen, daß es ge - ſchehen iſt.

Es iſt allerdings noͤthig, daß ſich Perſonen in einander zu ſchicken ſuchen, die ihr gantzes Le - ben mit einander zuzubringen gedencken. Allein es ſollten doch gewiſſe Graͤntzen bleiben, und man ſollte daruͤber gleichſam eins werden, dieſeGraͤn -224Die GeſchichteGraͤntzen nie zu uͤbertreten. Ein jeder ſollte auf den andern genau ſehen, daß er ſich nicht mehr heraus nehme als ihm zuſtaͤnde. Was wuͤrde in dem Grosbrittanniſchen Staat fuͤr Unheil ent - ſtehen, wenn die Rechte der drey groſſen Glieder, aus denen unſer Staatscoͤrper beſtehet, nicht be - kannt und bey Gelegenheit verfochten waͤren? Die beyden Haͤuſer, die das Recht haben Geſetze zu machen, wuͤrden eins das andere druͤcken, und ihm etwas abzuzwacken ſuchen: bis daß derjeni - ge, dem es obliegt uͤber die Geſetze zu halten, ſie beyderſeits verſchlingen wuͤrde. *Um ſolcher Leſer willen, die hier eine Dunckelheit fin - den, und wohl gar auf die drey Koͤnigreiche Eng - land, Schottland und Jrrland dencken moͤchteu, iſt zu erinnern, daß der Koͤnig und die beyden Haͤuſer des Parlaments, nehmlich das Ober - und Unter-Haus verſtanden werden.

Sie werden ſagen: wenn aber zwey verſtaͤn - dige Perſonen zuſammen kommen

Ja, mein Schatz; darin haben Sie recht. Allein wenn keine andere als verſtaͤndige Perſo - nen heyrathen ſollten, Wie? wenn ich mich gar unterſtuͤnde zu behaupten, daß die mei - ſten verſtaͤndigen Perſonen unverheyrathet zu bleiben pflegten, weil ſie allzu vieles zu bedencken finden, ehe ſie einen Entſchluß faſſen koͤnnen? Wuͤrde eine von uns beyden an das Heyrathen dencken, wenn dieſe Leute oder die Unſrigen uns nur zufrieden lieſſen?

Doch225der Clariſſa.

Doch um wieder auf das vorige zu kommen; wenn Lovelace mein Freyer waͤre, und meine Neigung gegen ihn ginge nicht weiter, als daß ich ihn nur einem Solmes vorzoͤge, ſo wuͤrde ich ihm das erſtemahl, da er mir ſein gutes Ge - muͤth durch ungeſtuͤme Hefftigkeit zu erkennen gegeben haͤtte, verboten haben, mir je wieder un - ter die Augen zu kommen. Du mußt noch hundertmahl mit mir Gedult haben / Freund / wuͤrde ich ihm geſagt haben, wenn ich ihn ja noch einer Antwort gewuͤrdigt haͤtte: be - kuͤmmere dich ferner nicht mehr um mich. Jch kan keine Leidenſchafft bey dir dul - den / die noch ſtaͤrcker iſt / als deine vor - gegebene Neigung gegen mich.

Allein bey einer ſo ſanftmuͤthigen Perſon, als Sie ſind, iſt es einerley, ob Sie einen Lo - velace oder einen Hickman kriegen. Der Ge - horſam iſt bey Jhnen ein ſolcher Grundſatz, daß Sie wohl gar einem ſanftmuͤthigen Manne ſa - gen wuͤrden, er muͤſſe nicht bitten ſondern be - fehlen / und es wuͤrde niedertraͤchtig ſeyn, wenn er den Gehorſam nicht von Jhnen fodern woll - te, den Sie vor dem Altar verſprochen haͤtten. Jch weiß mich wohl zu erinnern, wie demuͤthig Sie ſonſt die kleine wunderliche Zeile verehret haben, die ein herrſchſuͤchtiger Mann in die Trau - formul geruͤcket hat, um durch ein Verſprechen das zur Schuldigkeit zu machen, was er ſonſt nie fuͤr ein Recht haͤtte halten koͤnnen.

Zweyter Theil. PSie226Die Geſchichte

Sie meinen, daß die Art wie wir erzogen werden uns des Schutzes eines muthigern Geſchlechts beduͤrftig mache. Es iſt wahr! und es iſt wahrlich recht muthig und heldenmuͤ - thig gehandelt, daß der muthige Beſchirmer uns vor allen Beleidigungen in Sicherheit zu ſtellen verſpricht, die allein ausgenommen, die uns am naͤchſten gehen werden, ich meine die, damit er ſelbſt uns zu kraͤncken gedencket.

Wie kuͤnſtlich hat Lovelace in dem einen Brieffe, den Sie mir mittheilen, Jhre eintzige ſchwache Seite zu treffen gewußt! Wie liſtig beobachtet er Jhren Hauptſatz, daß ein edles Gemuͤth allen Zwang haſſet. Er iſt gewiß viel unergruͤndlicher, als wir bisweilen geglaubt haben. Er weiß wohl, wie Sie ſelbſt zu ver - ſtehen geben, daß er ſeine wilden Streiche nicht vertuſchen kan; er giebt ſich alſo ſelbſt ſchuldig, um alles Boͤſe, daß Sie noch kuͤnftig von ihm hoͤren moͤchten, zum voraus zu bemaͤnteln, in - dem es Jhnen wie neu und unerwartet iſt. Al - lein wahrhaftig, was er auch ſonſt vor Laſter hat, ſo iſt er doch ſehr anfrichtig, und hat keine Ader vom Heuchler; weil bey unſerm Geſchlecht kein Laſter ſo verhaſt iſt, als die entdeckte Heu - cheley des andern Geſchlechts, vielleicht deswe - gen, weil ſie uns hindert unſer eigenes Lob in deſſen Munde zu glauben, das wir doch hertz - lich gern glauben moͤchten.

Durch dieſe vorgegebene Aufrichtigkeit be - kommt Herr Lovelace ein Lob, ſo oft er Schan -de227der Clariſſa. be verdienet: und er faͤngt wie ein entſuͤndigtes Beichtkind ein neues Kerbholtz an, nachdem er das vorige abgethan hat. Denn ein Auge, das ihm einmahl ſo guͤnſtig iſt, wird ſeine Fehler nicht vergroͤſſeren, und ein Frauenzimmer, das ſtets geneigt iſt das beſte zu hoffen / wird alle Be - ſchuldigungen fuͤr Verlaͤumdungen oder vorge - ſaßte Meinungen halten, denen die chriſtliche Liebe nur irgends dieſen Nahmen geben kan. Sind ja einmahl die Nachrichten gar zu gewiß, als daß man ſie in Zweiffel ziehen koͤnnte, ſo wird doch die Hoffnung kuͤnftiger Beſſerung vor ihn ſprechen. Er predigt ſelbſt genug von die - ſer Hoffnung, und die Frauensperſon darf nicht unglaͤubig ſeyn, ſonſt waͤre es eben ſo viel, als zweiffelte ſie an der Macht, die ihre eigene Vor - zuͤge uͤber das andere Geſchlecht haben. So kan man eine Frauensperſon lencken, daß ſie um ei - ner kleinen und wol noch dazu eingebildeten Tu - gend willen ein offenbahres und ſchreiendes La - ſter uͤberſiehet.

Jch habe jetzt eine neue Veranlaſſung, uͤber Jhren Brief dieſe Predigt zu halten. Jch will nichts davon ſchreiben, bis ich alles mit Gewiß - heit weiß. Jſt die Sache wahr, wie ich ſtarck glaube, ſo iſt der Menſch ein eingefleiſchter Teuf - fel, und Sie haben Urſache, noch eher auf (bald ſagte ich, auf Herrn Solmes / allein vergeben Sie mir dieſes Wort!) zu dencken, als auf ihn.

Doch dem ſey wie ihm wolle: ich will JhnenP 2zum228Die Geſchichtezum voraus ſagen, wie er ſich nach allen vor - hergegangenen Beleidigungen wieder bey Jhnen einſchmeicheln kan.

Er muß es alſo anfangen: er muß ſich nur darauf beruffen, daß er ein gutes Gemuͤth hat; dadurch wird das ſchon entſchuldiget, daß er un - geſtuͤm und unbeſcheiden geweſen iſt. Er wird nichts weiter zu thun haben, als daß er Sie die eine Stunde dazu gewoͤhne, ihn bisweilen grob und unverſchaͤmt zu ſehen; und die ſolgende Stunde, ihm alles zu vergeben, ſo bald er es ab - bittet. Wenn er dieſes einige mahl gethan hat, ſo wird er es endlich dahin bringen, daß Sie gar nicht mehr gegen ihn empfindlich ſeyn koͤn - nen: bald werden Sie etwas mehr Grobheit verſchmertzen koͤnnen, wenn er nur eine kleine Abbitte thut, bis endlich nichts als Grobheit uͤbrig bleibt, und das Abbitten gaͤntzlich weg - faͤllt. Sie werden ſich zuletzt ſcheuen, einen ſo hitzigen Kopf zu beleidigen, und Sie werden das kleine niedertraͤchtige Wort, Gehorſam / ſo deutlich und vernehmlich ſprechen lernen, daß man ſeine Luſt daran haben wird, es zu hoͤren. Aus der Beherrſcherin des Hertzens wird endlich eine moscovitiſche Frau werden: und wenn Sie nicht glauben wollen, daß es ſo weit kommen koͤnne, ſo belieben Sie ſich Jhrer Frau Mutter Urtheil daruͤber auszubitten.

Allein nichts weiter hievon. Jhre Sachen ſehen zu ernſthafft aus, als daß ich von ſolchen Dingen auf eine ſo luſtige Weiſe reden darf:und229der Clariſſa. und meine Leichtſinnigkeit iſt mir jetzt nicht na - tuͤrlich, ſondern etwas angenommenes. Mein Hertz theilet mit Jhnen aufrichtig allen Kum - mer, wie ich Jhnen ſchon ſonſt gemeldet habe, und die Sonne ſcheinet ſelten bey mir, und nur durch dicke Wolcken. Meine Augen, die Jh - nen ſo munter vorkommen, koͤnnen ſich der Thraͤ - nen kaum enthalten, ſelbſt wenn ich das ſchreibe, wobey Sie mir eine uͤbertriebene und allzu luſtige Munterkeit zuſchreiben.

Jnſonderheit aber ſcheinen mir jetzund die Grauſamkeit und wunderliche Haͤrte einiger un - ter Jhren Freunden (Anverwanten ſollte es heiſſen! ich verſchreibe mich immer) die eben ſo wunderbahre und unbewegliche Standhaftigkeit anderer; Jhr Streit mit Herrn Lovelace; Jh - re herannaͤhernde Unterredung mit Solmes / davor Sie ſich mit Recht fuͤrchten: alle dieſe Dinge, ſage ich, ſcheinen mir in Jhren Umſtaͤn - den ſo wichtig, daß ſie alle meine Aufmerckſam - keit erfodern.

Sie fragen mich um Rath, wie Sie ſich auf - fuͤhren ſollen, wenn Herr Solmes Sie beſuchen wird? Jch weiß keinen Rath zu geben, wenn es mir auch das Leben koſten ſolte. Gewiß die Jh - rigen muͤſſen von dieſem Beſuch groſſe Folgen erwarten, ſonſt haͤtten ſie Jhnen keine ſo lange Friſt zugeſtanden. Alles was ich ſagen kan, iſt dieſes: wenn Herr Solmes jetzt nichts ausrich - tet, nachdem Sie von Herrn Lovelace ſo ſehr beleidiget ſind, ſo wird er nie etwas ausrichten. P 3Jch230Die GeſchichteJch zweiffele nicht, daß ich nach uͤberſtandenen Beſuche werde bekennen muͤſſen, daß alles recht geweſen iſt, was Sie gethan oder geſagt haben, und daß es nicht haͤtte beſſer ſeyn koͤnnen. Al - lein ich verſpreche Jhnen, daß ich dieſes nicht ſagen will, wenn ich nicht im Hertzen ſo dencke.

Der eintzige Rath, den ich Jhnen geben kan, iſt, daß Sie ein Hertz auch ſelbſt gegen Jhren On - ckle faſſen muͤſſen. Stellen ſie ſich nur uͤber die abgeſchmackte Auffuͤhrung empfindlich, an der er ſo groſſen Theil genommen hat, und ſuchen Sie ihn, wenn Sie es koͤnnen, ſchamroth zu machen.

Bey weiterer Ueberlegung dencke ich faſt, daß der Beſuch, den die Jhrigen mit ſo groſſem Fleiß veranſtalten, dennoch zu Jhrem Vortheil aus - ſchlagen koͤnne. Denn wenn Solmes ſiehet, daß er ohnmoͤglich etwas bey Jhnen ausrichten kan, (wo dieſes anders noch Jhre Meinung iſt) und Jhre Anverwandten es auch ſehen: ſo wird jener ablaſſen, und dieſe werden ſich mit Jhnen vergleichen. Jch glaube zwar, daß die Bedin - gungen Jhnen hart vorkommen werden; allein ſie werden doch angenommen werden, wenn jene das fahren laſſen, was Jhnen noch haͤrter und unertraͤglicher ſcheinet.

Einige Stellen Jhrer letzten und vorigen Brieffe beſtaͤtigen das, was ich ſchreibe. Allein es ſchickt ſich zu dieſer Zeit, und zu Jhren Um - ſtaͤnden nicht, etwas mehreres hievon einflieſſen zu laſſen.

Mir231der Clariſſa.

Mir vergehet alle Geduld, wenn ich ſehen muß, daß Sie der Ball werden ſollen, mit wel - chem Jhres Bruders und Jhrer Schweſter Grauſamkeit ſpielet. Denn was koͤnnen dieſe noch fuͤr Hofnung haben, nachdem Sie bey aller Gelegenheit ſo viel Standhaftigkeit und Behar - rung bey Jhrem Endſchluß gezeiget haben.

Jch billige Jhren Vorſatz, alle Papiere und Briefſchaften in Sicherheit zu bringen, die nicht ſo beſchaffen ſind, daß ſie von ihnen ohne Nach - theil geleſen werden koͤnnen. Jch hielte es auch fuͤr gut, daß Sie etwas von Kleidung und Waͤ - ſche an ſichern Ort braͤchten, noch ehe Sie Herrn Solmes ſprechen, denn ich fuͤrchte, daß Sie nachher keine Gelegenheit dazu haben werden. Robert ſoll dieſes Buͤndel auf Dero erſten Be - fehl abhohlen, es ſey bey Tage oder bey Nacht.

Jch hoffe meine Mutter ſo weit zu bringen, daß Sie ſich insgeheim in unſerm Hauſe auf - halten koͤnnen, wenn es auf das aͤuſſerſte kom - men ſolte. Jch will gern die Bedingung ein - gehen gegen ihrem Liebling aufgeraͤumt, ja ſo gar freundlich zu ſeyn, wenn ſie mir eine Gefaͤl - ligkeit erzeigen will, dadurch ich meinem Liebling dienen kan. Jch habe dieſes ſchon eine gute Zeit im Sinne gehabt: ich kan aber noch nicht vor den Ausgang ſtehen.

Geben Sie nicht alle Hoffnung auf, mein Schatz, Jhr Streit mit Herr Lovelace kan ein Huͤlffs-Mittel zu unſerm Zweck ſeyn; und Jhr Anerbieten in dem Brieffe an Jhren OnckleP 4kan232Die Geſchichtekan auch etwas dazu beytragen. Jch verlaſſe mich darauf, daß Sie alle zu wilden Ausdruͤcke vergeben werden, die Sie ſonſt mit Recht to - deln koͤnnen an Jhrer allzufreyen allein dennoch mitleidigen

Anna Howe.

Der zwey und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe / an Fraͤulein Howe.

Sie haben Jhr Stilleſchweigen ſehr guͤtig entſchuldiget. Wer in Ungluͤck ſteckt, der iſt immer voller Argwohn, und macht leicht aus einem bloſen Zufall eine vorſetzliche Nach - laͤßigkeit und Verachtung, ſonderlich in Abſicht auf diejenigen, an deren guter Geſinnung ihm am meiſten gelegen iſt.

Jch ſehe taͤglich mehr, daß ich meine Anna Howe von der Zahl dererjenigen ausnehmen muß, die nur Freunde bey guten Tagen ſind. Dem ohngeachtet iſt mir Jhre Freundſchafft ſo theuer, daß ich immer daran zweiffele, ob ich ſie verdiene, und deshalb beſorgt bin, daß ſie mir vielleicht entzogen werden koͤnnte.

Sie geben mir auf eine edle Art die Frey -heit,233der Clariſſa. heit, Jhnen etwas zu verweiſen, daß ich mich ſcheuen muß, ſie anzunehmen. Denn die Rich - tigkeit meiner eignen Urtheile iſt mir zweifel - hafter, als die Urtheile meiner liebſten Freun - din, welche durch ein freymuͤthiges Bekentniß ſolcher Fehler, deren ich ſie beſchuldige, genug - ſam anzeiget, daß ſie keinen Fehler mit Wiſſen und Willen begehen werde. Jch fuͤrchte mich deshalb bey nahe, Sie zu fragen, ob Sie nicht zu grauſam in Jhrem Betragen gegen einen Mann ſind, der Sie ſo zaͤrtlich liebet, und der ein ſo braver und ehrlicher Mann iſt.

Wenn Sie es nicht waͤren, ſo wuͤrde ich mich ſchaͤmen, die wahrhafte Grosmuth bey einer an - dern in mehreren Maaß anzutreffen, aus der es herruͤhret, daß man die Schlaͤge eines wahren Freundes geduldig leidet. Jch glaube, daß ich mich einer Tadelſucht ſchuldig gemacht habe, die durch nichts als durch meine verdrießlichen Um - ſtaͤnde entſchuldiget werden kan, wenn ſie anders nicht fuͤr alle Entſchuldigung zu groß und zu un - zeitig iſt. Jch fuͤrchte mich faſt Sie zu bitten, und dennoch bitte ich Sie, Jhrem Geiſte den ſreyen Lauf zu laſſen, wenn er mit Laͤcheln und dennoch ſehr empfindlich anderer Fehler ta - delt. Welche Wunde ſoll bey dem Eiſen zucken, das ſich in ſo behutſamen Haͤnden befindet? Jch fuͤrchte mich, ſage ich, Sie zu bitten, daß Sie Jhrem Geiſte freyen Lauf laſſen moͤgen: denn ich beſorge, daß eben dieſe Bitte eine ge - genſeitige Wirckung bey Jhnen haben wird. P 5Sie234Die GeſchichteSie koͤnnten vielleicht die Stacheln Jhres Ta - dels gleichſam weniger ſchaͤrffen, wenn ich ſie nicht mehr fuͤhlete: ja ein großmuͤthiger Tade - ler verwandelt die Satyre leicht in eine Lob-Re - de, wenn er weiß, daß man ſich gern tadeln laͤßt. Jhre Satyren ſind voller Lehren, und ſie ſind eben ſo angenehm als beiſſend: Sie geben ſo unmercklich-zarte Stiche, und die ſo ohne Gift eines Widerwillens und Hohn-Gelaͤchters ſind, daß die Wunden gewiß nicht eitern werden. Diejenigen, die zu unſerer Zeit wegen ihres Witzes am beruͤhmteſten ſind, verſtehen dieſe Kunſt nicht: denn ſie entſteht aus der wahren Menſchen-Liebe, und wird nirgends gefunden werden, als wo ein aufrichtiges Hertz die Feder fuͤhret. Unſere witzigen Schrifft-Steller lachen uͤber die Men - ſchen und nicht uͤber ihre Fehler: und wenn ihre Satyre der Billigkeit gemaͤß ſeyn ſollte, ſo wuͤrde ſie ihrem Endzweck nicht gemaͤß ſeyn. Wie kan ſie zur Beſſerung anderer dienen, da jede Nar - be die ſie giebt, nur darauf abzielet, andere laͤcher - lich zu machen: und da ſie verwundet, an ſtatt daß ſie heilen ſollte. Schonen Sie demnach meiner um unſerer Freudſchafft willen nicht: eben dieſe unſere Freundſchafft ſoll Sie unbarm - hertziger machen. Jch werde zwar Jhre Stiche fuͤhlen, ſo zart, ſo unmercklich ſie auch ſind; es wird mich ſchmertzen, und Jhr Endzweck wuͤrde nicht erreicht werden, wenn ich unempfindlich bliebe: allein ſo bald die erſte Empfindung vor - uͤber iſt, werde ich Sie lieber gewinnen, und meindurch235der Clariſſa. durch Sie gebeſſertes Hertz wird Jhnen gantz er - geben ſeyn. Es wird wuͤrdig werden, Jhnen ergeben und Jhr Eigenthum zu ſeyn.

Sie haben mich zum voraus unterrichtet, wie ich Herrn Lovelace antworten und was ich von ihm dencken ſoll: Sie haben mir auf eine ange - nehme Weiſe vorhergeſagt, wie er ſich zu ent - ſchuldigen ſuchen wird. Wenn er dieſes thut, ſo ſollen Sie alle Blaͤtter ſehen, die gewechſelt werden, damit ich Jhren Rath folgen koͤnne, wo ich ihn fruͤh genug bekomme, oder wenigſtens mein Verhalten von Jhnen nach Verdienſt ge - billiget oder getadelt werden moͤge. Dieſe ein - tzige Entſchuldigung aber bitte ich mir aus: die Sache mag lauffen wie ſie will, ſo muß man be - dencken, daß ich nicht nach meinen eigenen Ein - ſichten habe handeln koͤnnen. Jch werde von allen Seiten geſtoſſen, und durch anderer uͤber - maͤßige Hitze und unvernuͤnftige Haͤrte gleich - ſam als durch einen Sturmwind von meiner Bahn verſchlagen. Den ledigen Stand ſehe ich fuͤr den Hafen an, dem ich zueile: allein der Neid meiner Geſchwiſter ſind die ſchaͤumenden Wellen, und die dem Vorgeben nach verletzten Rechte meines Vaters ſind der Surmwind, durch welche ich von dieſem Hafen abgehalten werde. Jch ſehe Lovelace als eine Klippe auf der einen Seiten, und Solmes als eine Sand - Vanck auf der andern an; und zittere vor Furcht, an jener zu zerſcheitern, oder auf dieſer ſitzend zu bleiben.

Sie236Die Geſchichte

Sie ſind mein Pilote bey dieſem Ungluͤcks - Sturm: und o wie angenehm iſt mir die Hoff - nung, die Sie mir von ferne zeigen. Jch will zwar Jhre Warnung beobachten, und mir keine gewiſſe Hoffnung machen, daß Sie Jhre Frau Mutter werden uͤberreden koͤnnen, mich aufzuneh - men, denn ich weiß wohl, wie weit ſie die Pflichten des vierten Gebots ausdaͤhnt. Allein ich will doch hoffen, ſonderlich aus dem Grunde, weil ſie ſuchen kan, mich durch ihre guͤtige Aufnahme von einer noch groͤſeren Ubereilung zuruͤck zu halten. Sie ſoll mir alsdenn alle meine Wege vorſchreiben: ich will nichts vornehmen, als nur nach ihrem Be - fehl, und nach dem Rath, den Sie mir beyderſeits ertheilen werden: ich will niemand ſprechen und an niemand ſchreiben, und keine Seele ſoll wiſſen, wo ich mich aufhalte. Jn was vor einen Winckel Sie wollen, will ich mich verbergen, und nicht her - auskommen, als wenn ich mich bisweilen wie eine Magd von Jhnen verkleide, um mit Jhnen aus - gehen zu koͤnnen. Jch verlange auch dieſen gehei - men Aufenthalt nicht laͤnger, als bis auf die An - kunft meines Vetters Morden / welche nicht mehr weit entfernt ſeyn kan.

Jch ſcheue mich Jhrem Rath zu folgen, und ei - nige von meinen Kleidern in Sicherheit zu brin - gen: ich will es blos mit der Waͤſche u. Briefſchaf - ten verſuchen. Jch will Jhnen auch die Urſache melden. Eliſabeth hat auf meinen Kleiderſchranck bisher genau Achtung gegeben, wenn ich etwas in ihrer Gegenwart herausgenommen habe. Alsich237der Clariſſa. ich dieſes merckete, ſo ließ ich einmahl unter der Zeit, da ich ſpatzieren gieng, den Schluͤſſel ſtecken; und fand ſie bey meiner Zuruͤckkunft, daß ſie den Schluͤſſel noch in der Hand hatte, als wollte ſie die Thuͤr zuſchlieſſen, Sie erſchrack ſich daruͤber, daß ich ſo bald zuruͤck kam, ich aber ließ mir nichts mercken. Allein ich fand, daß meine Kleider nicht in ihter Ordnung lagen.

Jch zweiffelte nunmehr nicht daran, daß ihre Neugierde nicht von einem ihr gegebenen Befehl herruͤhren ſollte: und weil ich befuͤrchtete, daß mir das Spatzierengehen im Garten verboten werden moͤchte, wenn ich nicht allen Argwohn zu vermei - den ſuchte, ſo habe ich ſeit der Zeit unter andern Kunſtgriffen auch dieſen gebraucht, daß ich die Schluͤſſel oft ſtecken laſſe, und das Maͤdchen ſo gar gebrauche, die Kleider heraus zu nehmen, aus Bey - ſorge, (wie ich vorgebe) daß ſie voll Falten werden, oder ſonſt Schaden leiden moͤchten, und um zu ver - huͤten, daß das Silber nicht ſchmutzig werde. Jch gebe dieſes wohl bisweilen fuͤr meinen Zeit-Ver - treib aus, den ich waͤhlen muͤßte, weil ich ſonſt nichtszu thun habe. Mich duͤnckt, daß ſie bey die - ſer Beſchaͤfftigung immer ſo vergnuͤgt ausſahe, als wenn ſie dadurch einen Zweck erreichet haͤtte, der ihr mit aufgetragen waͤre. Vielleicht hat die Ei - telkeit unſers Geſchlechts, die ſich bey hohen und niedern findet, daß ſie gern ſchoͤne Kleider ſehen, auch einen Theil an ihrem Vergnuͤgen gehabt.

Jch mag wohl die Freyheit, ſpatzieren zu gehen, nur deswegen behalten haben, weil ſich meine Ge -ſchwi -238Die Geſchichteſchwiſter auf eine ſo getreue Kundſchafterin ver - laſſen, und weil ſie wiſſen, daß ich mich niemanden im gantzen Hauſe anvertraue, und nicht einmahl verſucht habe, jemanden zu gewinnen, ob ich gleich glaube, daß ich von allen Bedienten geliebet werde. Da ich auch nicht die geringſte Anſtalt mache, da - von zu gehen, ſo moͤgen ſie deſto ſicherer ſeyn, und etwan dencken, daß ich mich endlich uͤberreden laſ - ſen werde; denn ſonſt koͤnnen ſie nicht anders als glauben, daß ihr hartes Verfahren hinlaͤnglich ſey, mich ſo weit zu bringen, daß ich mich durch einen uͤbereilten Schritt davon zu befreyen ſuch - te: und, GOtt vergebe es mir! ich habe faſt den Argwohn, daß mein Bruder und meine Schwe - ſter nicht misvergnuͤgt daruͤber ſeyn wuͤrden, wenn ich dieſen uͤbereilten Schritt thaͤte.

Wenn es alſo dereinſt noͤthig ſeyn ſollte, die - ſen Schritt zu thun, (das ich doch nicht hoffen will) ſo muß ich mich bequemen, mit den Klei - dern die ich am Leibe habe davon zu gehen. Weil ich mich des Morgens, ſo bald ich das Fruͤhftuͤck zu mir genommen habe, voͤllig anzu - kleiden pflege, ſo oft ich nicht durch Haushal - tungs-Geſchaͤfte abgehalten werde, ſo wird man deſto weniger Argwohn ſchoͤpfen. Die Waͤſche aber, die ich nach Jhrem guͤtigen Rath wegſchaf - fen will, kan niemand vermiſſen.

Jch bleibe noch immer in meiner Gefangen - ſchaft bey dieſer Gewohnheit, ob ich gleich we - der Beſuch gebe noch annehme. Wir ſind uns und unſerm Geſchlecht ſo viel ſchuldig, uns rein -lich239der Clariſſa. lich zu halten, und nie ſo angekleidet zu ſeyn, daß wir uns ſchaͤmen muͤßten, wenn uns jemand uͤberfiele. Jnſonderheit iſt es gut, im Ungluͤck alle loͤbliche Gewohnheiten beyzubehalten, damit man nicht durch die Verſuchung verſchlimmert zu ſeyn ſcheine, wenn das Gluͤck uns wieder guͤnſtiger wird.

Zeiget es nicht auch ein ſtandhaftes Gemuͤth an, wenn man im Ungluͤck doch die Hoffnung nicht fahren laͤßt? Auf beſſere Zeiten hoffen, iſt beynahe ſchon ſo viel als beſſere Zeiten verdie - nen: denn wir wuͤrden nicht hoffen koͤnnen, wenn wir nicht den Vorſatz haͤtten, uns des gehoffeten Guten wuͤrdig zu machen. Wer will ſich deſ - ſen annehmen, der ſich ſelbſt verlohren giebt? Dieſes ſind die Betrachtungen, dadurch ich mich zuweilen aufzurichten ſuche.

Jch weiß, daß Jhnen meine Ernſthaftigkeit nicht veraͤchtlich iſt, ob Sie gleich dann und wann daruͤber ſpotten, um mein Gemuͤth durch Jhren artigen Schertz aufzuheitern. Es hat nicht jedermann die Gabe, von ernſthaften Sa - chen ſo gluͤcklich zu reden, daß er zuglcich lehret und vergnuͤget.

Auf wie viel Raͤncke verfaͤllt man nicht in jungen Jahren, wenn unſer Hertz nicht durch Guͤtigkeit und Herablaſſung gewonnen wird! Meine Freunde ſind bisher nicht ſo gut mit mir umgegangen, als ich mit ihren Bedienten umzu - gehen pflegte.

So lange ich die Haushaltung fuͤhrte, hieltich240Die Geſchichteiſt es immer fuͤr edelmuͤthig und auch fuͤr eine Schuldigkeit, ein Vertrauen auf andere zu ſetzen. Wenn man von ihnen keine Ehrlichkeit und Treue erwartet, ſo berechtigt man ſie beynahe bey Gelegenheit untreu zu ſeyn.

Herr Solmes (um noch ein Wort von die - ſen nicht unnutzen Kleinigkeiten zu reden) wuͤr - de bey ſeinen noch geringeren Sorgen, an mir eine ſchlechte Schluͤſſel-Verwahrerin gehabt ha - ben. Wenn ich Frau in einem Hauſe waͤre, ſo wollte ich mir die Muͤhe nicht geben, und ſie nicht einmahl den Bedienten machen, auf die Achtung zu geben, die ſich bey mir verdaͤchtig ma - chen wuͤrden. Leute von niedrigem Stande, ha - ben deshalb nicht immer ein niedertraͤchtiges Ge - muͤth. Oft komme ich faſt auf die Gedancken, daß ſich unter den armen und niedrigen mehr ehrliche und erhabene Gemuͤher finden, als un - ter den vornehmen: Denn jene halten die Ehr - lichkeit fuͤr ihre eintzige Ehre, allein dieſe wer - den durch die Herrfchſucht, durch Ehrgeitz, durch Wohlluſt verfuͤhret. Es entſtehet hieraus eine ſo ſeltſame Ruhm-Begierde, die oft die Begier - de nach wahrer Ehre erſticket.

Viele gemeine Leute wuͤrden es fuͤr allzu nie - dertraͤchtig halten, den zu betriegen, der ſich auf ſie verlaͤßt: und bey denen unter ihnen, die ſonſt die dummeſten zu ſeyn ſchienen, habe ich oft ei - ne groſſe Empfindlichkeit wahrgenommen, ſo bald man in ihre Ehrlichkeit ein Mistrauen ſetz - te. Jch habe oͤfters den Maͤgden Vorſtellungthun241der Clariſſa. thun muͤſſen, wenn ſie ſich verlauten lieſſen: ſie haͤtten zwar ſonſt immer den Ruhm gehabt / daß ſie ehrlich waͤren. Da aber ihre Herrſchaft argwoͤhniſch ſey / ſo woll - ten ſie ihr Urſache zum Argwohn geden.

Wie weit hat mich die Vergleichung zwiſchen dem Betragen meiner Freunde gegen mich, und meinem Betragen gegen ihre Bediente von mei - nem Zweck abgefuͤhret! Allein wir haben es uns einander nie uͤbel genommen, weitlaͤuftig in ſol - chen Dingen zu ſeyn, die unſer Gemuͤth abmuͤſ - ſigen, und unſere Einſichten oder Sitten beſſern konnten, es ſey nun daß ſie ſich zu unſern jetzi - gen oder kuͤnftigen Umſtaͤnden ſchickten.

Meine eigentliche Abſicht war, Jhnen zu zei - gen, wie kuͤnſtlich ich meiner Waͤchterin die Au - gen zu verkleiſtern ſuche, und zugleich denen, die ſie uͤber mich geſetzt haben, alle Sorge und Arg - wohn benehme, ſo uͤber meinen oͤfteren Aufent - halt in dem Garten und Huͤnerhofe geſchoͤpft werden koͤnnte. Auf wen man argwoͤhniſch iſt, der wird an Erfindung nicht arm ſeyn. Bald fehlt mir nichts als friſche Luſſt, und ich bin den Augenblick beſſer, wenn ich aus der Stube ge - treten bin. Ein anderesmahl bin ich niederge - ſchlagen, und denn richte ich mich bey meinen Phaſanen und bey der Cascade auf, denn jene ſind ſo lebhaft, daß ſie einen mit aufmuntern, und dieſe thut es durch ihren brauſenden Fall und hohles Geraͤuſch. Bisweilen ſuche ich nichts als die Einſamkeit, und die fuͤrchterliche StilleZweyter Theil. Qder242Die Geſchichteder Nacht, das kraͤuſelnde Waſſer, die aufgehen - de und untergehende Sonne, ſind mir ſo erbau - lich, wenn ich in Gedancken bin. Wenn ich aber keinen Zweck habe, und keine Brieffe erwarte, ſo bin ich freundlich und nehme Eliſabeth mit: ein anderesmahl beſtelle ich ſie, daß ſie zu mir kommen ſoll, wenn ich zum voraus weiß, daß ſie andere Verrichtungen hat.

Dieſes ſind meine Hauptkuͤnſte, daraus ich un - zaͤhlig kleine Kunſtgriffe mache. Sie ſeheu nicht allein alle der Wahrheit aͤhnlich, ſondern ſie ſind auch insgeſamt buchſtaͤblich wahr: nur nenne ich nicht eben meine Haupturſachen, warum ich dis oder jenes thue. Wie willfaͤrtig iſt der Wille! und wie viel Hinderniſſe weiß die Ab - geneigtheit zu erfinden! Wenn wir wollen / ſo ſind alle Hinderniſſen nichts: und wenn wir nicht wollen / ſo geht alles langſam. Jede kleine Einwendung wird ein Gewicht an unſern Fuͤſſen.

Freytag Morgens um eilf Uhr.

Meine Waͤſche iſt ſchon eingepackt. Wie bekuͤmmert war mein Hertz waͤhrender Arbeit; und wie bekuͤmmert iſt es noch, ſo oft ich an dieſe noͤthige Vorſichtigkeit gedencke.

Wenn das Buͤndel gluͤcklich zu Jhren Haͤn - den kommt, ſo bitte ich Sie es zu eroͤffnen. Sie werden darunter zwey verſiegelte Packete finden. Jn dem einen ſind diejenigen Brieffe die Sie noch nicht geleſen haben, indem ſie erſt ſeit mei -ner243der Clariſſa. ner Abreiſe aus Jhrem Hauſe geſchrieben ſind: in dem andern werden ſie alle Jhre Brieffe an mich und die Abſchrifften meiner Brieffe an Sie finden, nebſt einigen andern Papieren, auf de - nen ich Gedancken von Dingen entworfen habe, die allzuhoch fuͤr mich ſind. Jch wollte nicht gern, daß ſie jemand ſehen moͤchte, von deſſen Guͤtigkeit ich nicht ſo verſichert bin, als von der Jhrigen. Wenn mein Verſtand mit den Jah - ren waͤchſt, ſo moͤchte ich ſie etwan noch einmahl uͤberſehen.

Frau Norton hat mir die Anmerckung ih - res ſel. Vaters beygebracht: daß eine eigene Zeit in dem menſchlichen Leben ſey, in der ſich die Ein - bildungskrafft geſchaͤfftig erweiſe. Dieſe Zeit ſey bequem etwas ſchriftlich abzufaſſen, allein man muͤſſe es hinlegen, bis die reiffern Jahre und die Erfahrung unſer Feuer ſo maͤßigten, daß es mehr gluͤete, als Flammen ſchluͤge. Als - denn koͤnnte ein gewiſſes Mittel zwiſchen bey - den getroffen werden, das einem verſtaͤndigen Le - ſer angenehm ſey.

Jn dem dritten Packetchen, das ich beſonders gelegt habe, ſind alle Brieffe, die Herr Lovela - ce an mich geſchrieben hat, nachdem ihm dieſes Haus verboten iſt, nebſt meiner Antwort darauf. Jch erwarte von Jhnen, daß Sie auch dieſes Packet erbrechen, und mir frey Jhre Meinung von meiner Auffuͤhrung melden, wenn Sie es durchgeleſen haben.

Jch habe vorjetzt noch keine Zeile von ihmQ 2erhal -244Die Geſchichteerhalten. Nein, nicht eine Zeile! Am Mitte - wochen habe ich meinen Brief fuͤr ihn hingelegt, und er blieb bis gegen Abend liegen. Jch weiß nicht um welche Zeit er geſtern weggenommen iſt, denn ich habe nicht eher als gegen Abend darnach geſehen, und da fand ich ihn nicht mehr. Heute um zehn Uhr habe ich noch keine Antwort. Jch glaube, daß er eben ſo verdrießlich iſt, als ich. Es ſey denn ſo! ich bin damit zufrieden.

Er kan wohl ſo niedertraͤchtig ſeyn, daß er Luſt hat, ſich kuͤnftig wegen alles Verdruſſes, den ich ihm gemacht habe, an mir zu raͤchen, wenn ich ihm eine Rache moͤglich machte. Allein die - ſes ſoll nimmer geſchehen: den Vorſatz habe ich nun gefaſſet.

Jch ſehe es, was fuͤr eine Art Mannes die - ſer immer weiter greiffende Menſch iſt. Jch hoffe wir ſind einander beyde muͤde. Mein Hertz iſt jetzt bekuͤmmert-ruhig / wenn ich anders ein ſolches Wort machen darf. Bekuͤmmert iſt es uͤber die bevorſtehende Unterredung mit Herrn Solmes und uͤber die Folgen ſo daraus entſtehen koͤnnen. Sonſt wuͤrde ich gantz ruhig ſeyn. Denn ich habe die uͤble Begegnung der Meinigen nicht verdient: und wenn ich mich nur ſo gut von Solmes losmachen koͤnnte, als ich glaube von Lovelacen los zu ſeyn, ſo wuͤr - den meine Geſchwiſter nicht lange meinen Va - ter, Mutter und Onckles mir abgeneigt und zu - wider machen koͤnnen.

Jn der einen Ecke des Buͤndels ſind fuͤnfGui -245der Clariſſa. Guineas in einem Schnupftuch eingewickelt. Jch hoffe, daß Sie mir erlauben werden, dieſe Jh - rem Bedienten als ein Zeichen meiner Danck - barkeit fuͤr ſeine Muͤhe zuzuwenden. Sie muͤſ - ſen nicht hieruͤber mit mir ſchelten, mein Schatz. Sie wiſſen, daß ich nicht ruhig ſeyn kan, wenn ich gehindert werde, meinem Kopfe in dieſen Klei - nigkeiten zu folgen.

Jch wollte auch mein uͤbriges Geld und eini - gen Schmuck mit einpacken? allein dieſe Sa - chen kan ich leicht tragen, und werde ſie nicht ver - geſſen. Sollte auch etwan aus Verdacht Nach - frage nach einigen Juwelen entſtehen, und ich koͤnnte ſie nicht vorzergen, ſo wuͤrde es fuͤr einen gewiſſen Beweiß angeſehen werden, daß ich ei - nen Vorſatz gefaſſet haͤtte, der in den Augen der Meinigen ſehr verdammlich iſt.

Freytags um 1. Uhr im Holtz-Stalle.

Es iſt noch kein Brief von dem Menſchen zu finden. Jch habe mein Buͤndel gluͤcklich hin - gelegt, und ich habe zugleich Jhren geſtrigen Brief empfangen. Solte Robert bieſen Brief ohne das Buͤndel bringen, ſo ſchicken Sie ihn gleich zuruͤck. Allein ich glaube, er kan es nicht uͤber - ſehen, und er muß nothwendig dencken, daß es fuͤr ihn hingelegt iſt. Der Jnhalt Jhres Brie - fes iſt ſo beſchaffen, daß Sie ſelbſt von mir ver - muthen muͤſſen, daß ich gleich wieder ſchreiben werde.

Cl. Harlowe.

Q 3Der246Die Geſchichte

Der drey und zwanzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Machen Sie ſich gefaßt, die Neuigkeiten zu vernehmen, die ich von der Auffuͤhrung von der niedertraͤchtigen Auffuͤhrung Jhres ab - ſcheulichen Menſchen in dem elenden Bier-Hau - ſe erfahren habe.

Sperlinge und Miß-Fincken ſind fuͤr dieſen Habicht nicht zu geringe, ſie als einen Raub zu ſuchen. Sie muͤſſen ſeine Emſigkeit, ſein Wa - chen, ſeine Gefahr bey naͤchtlicher Zeit, das uͤble Wetter dem er trotzet, nicht alles auf ihre Rech - nung ſchreiben. Er hat ein Mittel, ſich alles die - ſes leicht und ertraͤglich zu machen: nehmlich ein artiges angenehmes Maͤdchen, (wie man mir ſagt) das unſchuldig geweſen iſt, bis er in das Haus kam, nun aber Wer weiß, was nun aus dem armen Maͤdchen geworden iſt!

Das Maͤdchen iſt kaum ſiebzehn Jahr alt! Sein Freund und Bruder in der Bosheit, ein luſtiger und verſchmitzter Kopf, haͤlt ſich bey ihm auf, den bruͤderlichen Sauf-Becher mit ihm zu theilen. Bisweilen iſt noch ein oder zwey Boͤ - ſewichter bey ihnen. Kein Kummer naͤhert ſich ihrem Hertzen; ſeyn Sie auch nur wegen ſei -ner247der Clariſſa. ner Heiſerkeit auſſer Sorgen. Sein artiges Lischen, ſein Roſen-Knoͤſpgen / wie der Boͤ - ſewicht es nennet, kan noch alle Worte hoͤren die er ſagt.

Er iſt ſterblich-verliebt in ſie. Man ſagt, daß ſie noch unſchuldig ſey, und das glaubt auch ihr Vater und ihre Gros-Mutter. Er will ſie ausſteuren, daß ſie einen jungen Braͤutigam nehmen kan. Der arme Braͤutigam! das ar - me einfaͤltige Maͤdchen!

Herr Hickmann erzaͤhlt mir, er habe zu Lon - den gehoͤrt, daß er oft mit Frauenzimmer in die Comoͤdien und Opern gehe, und zwar immer mit andern. Ach meine allerliebſte Freun - din! Jch hoffe nicht, daß Sie an ihn dencken werden, wenn alles dieſes wahr iſt. Wenn Sie auch ſonſt ihm noch ſo guͤnſtig geweſen ſeyn ſol - ten, ſo wird doch dieſe Nachricht ihre Wirckung haben.

Ein niedertraͤchtiger Boͤſewicht! kan das le - bendige Bild der Tugend, deſſen Hertz er zu ge - winnen ſuchet, keinen tiefern Eindruck bey ihm machen? Jch uͤberlaſſe ihn Jhrem Urtheil! von ihm kan man keine Beſſerung hoffen. Jch will noch mehr gutes von einem Narren, als von ei - nem ſolchen Menſchen hoffen. Jch wuͤnſchte nur, daß ich das arme junge Ding aus ſeinen Klauen retten koͤnnte: und ich habe ſchon An - ſtalt dazu gemacht, wenn ſie anders noch unſchul - dig iſt, und ihr Hertz nicht hat einnehmen laſſen.

Die Leute ſehen ihn fuͤr einen Soldaten an,Q 4der248Die Geſchichteder ſich verkleidet hat, und gefluͤchtet iſt, weil er einen verwundet hat, der noch nicht auſſer Ge - fahr iſt. Sie glauben, daß er ein vornehmer Herr ſey, und halten ſeinen Freund fuͤr einen Of - ficier von geringerm Range, dem er einen frey - en Umgang verſtatte. Es iſt noch iemand bey ihnen, den man fuͤr einen Gefehrten dieſes Offi - ciers haͤlt, und wiederum eine Stuffe weiter her - unter ſetzt. Der Boͤſewicht ſelbſt hat nur einen Bedienten bey ſich. Wie vergnuͤgt moͤgen die - ſe Teuffels, wie ich ſie mit Recht nennen kan, ihre Zeit zubringen, wenn unſere allzuguͤtige Bruſt voller Mitleiden wegen der Ungemaͤchlichkeit iſt, die ſie um unſert willen uͤbernehmen.

Jch bekomme eben Nachricht; daß ich dieſes Maͤdchen und ihren Vater zu ſprechen bekom - men ſoll. Jch will ſie ſchon ausforſchen. Jch werde doch ein ſo einfaͤltiges Maͤdchen noch er - gruͤnden koͤnnen, wenn er es anders nicht ſchon verdorben hat: und auch das will ich leicht mer - cken, wenn es geſchehen iſt. Wenn ich bey ihr oder ihrem Vater mehr Kunſt als Natur fin - de, ſo muß ich ſie verlohren geben. Jedoch ich mercke es ſchon: glauben Sie gewiß, das Maͤd - chen iſt verdorben.

Er ſoll ſehr verliebt in ſie ſeyn: er ſetzt ſie bey Tiſche oben an, macht daß ſie viel reden und plau - dern muß, und laͤßt ſeinen Freund nicht genau mit ihr bekannt werden. Sie plaudert, was ihr in den Mund kommt, und er bewundert al - les, und ruͤhmt ihren ſchoͤnen natuͤrlichen Ver -ſtand249der Clariſſa. ſtand. Einmahl hat er ſie ein charmantes junges Maͤdchen genannt, daß es andere ge - hoͤrt haben; und vielleicht hundertmahl, wenn niemand dabey war. Sie muß ihm vorſingen, und er lobt ihre wilde Muſick. Sollte das Maͤdchen nicht ſchon verfuͤhrt ſeyn? Es iſt wahr - lich verfuͤhrt! Sie wiſſen es ſchon, Lovelace iſt dort. Ach wenn man Jhnen nur Herrn Wyerley aufdruͤnge, und Sie mit Solmes und Lovelace verſchont blieben! dieſes iſt der Rath

Jhrer Anna Howe.

P. S. Stellen Sie ſich dieſes Bier-Haus als eine von ihm beſetzte Veſtung vor, ihn als einen Feind; ſeine Bruͤder in der Bosheit als ſeine Helffer und Mitverſchwornen. Wuͤrde nicht Jhr Bruder, wuͤrden nicht Jhre Onckels zittern, wenn ſie es wuͤſten, wie nahe er ihnen iſt, ſo oft ſie vor dieſem Hauſe vorbey gehen muͤſſen. Jch hoͤre, er hat den Vorſatz, es ſchlechterdings zu hindern, daß Sie nicht zu Jhrem Onckle Anton reiſen ſollen. Was koͤnnen Sie mit oder ohne einen ſolchen dreiſten anfangen. Jch laſſe einen leeren Raum, ſetzen Sie das ſchlimm - ſte Wort hinein, das Sie finden koͤnnen.

Q 5Der250Die Geſchichte

Der vier und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Sie machen mich voll Unwillen, Unruhe und Schrecken. Laſſen Sie mir ja alle Nach - richten bald zukommen, die Sie von dem lieder - lichen Menſchen erhalten koͤnnen.

Sagen Sie aber nichts von Unſchuld oder Einfalt des ungluͤcklichen Maͤdchens. Sollte ſie nicht wiſſen, daß das zu viel zu bedeuten hat, wenn einer, dem man ſein vornehmes Herkom - men gleich bey dem erſten Anblick aus dem Ge - ſicht leſen kan, er mag ſich verkleiden wie er will, ſie bey Tiſche oben an ſetzt, und ſie auf eine ſo zaͤrtliche Weiſe anredet? Wuͤrde ein eingezoge - nes und einfaͤltiges Maͤdchen, das ſchon ſiebzehn Jahr alt iſt, einem ſolchen Manne zu gefallen ſingen, der ihr fremde iſt, und es nicht leugnet, daß er ſich verkleidet habe? Wuͤrden ihr Vater und ihre Gros-Mutter ſolche Freyheiten geſtat - ten, wenn ſie ſelbſt ehrliche Leute waͤren?

Seinen guten Freund laͤßt er ihr nicht zu na - he kommen! Gewiß er muß eine boͤſe Abſicht haben, wenn er ſie nicht ſchon erreicht hat.

Wenn es nicht ſchon zu ſpaͤte iſt, ſo warnen Sie doch den unbedachtſamen Vater wegen der Gefahr, darin ſich ſein Kind befindet. Jch kannicht251der Clariſſa. nicht glauben, daß ein Vater in der Welt iſt, der die Unſchuld ſeiner Tochter vor Geld ver - kauffen wollte. Allein keine Mutter iſt da! o des armen Kindes!

Jch bin begierig das Ende von Jhren Nach - richten zu hoͤren. Sie ſollen, wie Sie melden, das einfaͤltige Maͤdchen zu ſehen bekommen. Schreiben Sie mir, was es fuͤr ein Maͤdchen iſt. Sie haben es als ein artiges angeneh - mes Maͤdchen beſchrieben. Artig und ange - nehm / das ſind artige und angenehme Worte aus Jhrer Feder. Allein ſind es Jhre eigene oder Lovelaces Worte? Wenn eine natuͤrliche Artigkeit in ihrer Auffuͤhrung und Reden iſt, wenn ihre wilde Muſick (die Sie mit einem Worte ſo ruͤhrend vorſtellen koͤnnen) noch ſo ziemlich reitzend iſt: ach warum muß ſie ſich denn mit einem ſolchen liederlichen Menſchen einlaſſen, wie mir dieſer gewiß zu ſeyn ſcheint, der ſich bisher mit den Stadt-Nymphen beholfen, und ihre zuverſichtliche Art zu lieben gelernt hat! Sie mag ihn ja wohl feſſeln, und lange Zeit in ihren Seilen behalten! denn, wenn die Annehm - lichkeit ihrer Unſchuld geraubet iſt, ſo wird ſie dieſen Mangel durch kuͤnſtlich angenommene An - nehmlichkeiten erſetzen muͤſſen.

Jch kan groſſe Hoffnung zu der Beſſerung eines ſolchen Boͤſewichts haben! Um aller Welt Guͤter mag ich nicht doch ich brauche nicht erſt meinen Entſchluß zu faſſen. Jch habe ſei - nen Brief noch nicht erbrochen, und will ihn auchnicht252Die Geſchichtenicht erbrechen. Der luͤgenhafte Menſch! der uͤber Heiſrigkeit klagen darf! Vielleicht hat er um Mitternacht zu viel mit ſeiner wilden Saͤn - gerin geſungen; und der Gang durch den Wald hat die Heiſrigkeit nur vermehret.

Nun hat er ſchon eine, die er mit mir auf die Wage ſetzt. Jch verachte ihn ſo viel ich kan; und ich bin auf mich ſelbſt unwillig, daß ich ſo viel von ihm und von dem einfaͤltigen artigen angenehmen Maͤdchen ſchreibe. Kan ein Maͤd - chen auch wol ohne Tugend artig und ange - nehm ſeyn?

Der niedertraͤchtige Jacob Lehmann hat Eliſabeth unter der Hand geſagt, und ſie hat mir es wieder erzaͤhlt: Lovelace habe ſich ſeit eini - ger Zeit an einem benachbarten Orte in Ver - kleidung ſehen laſſen, und man wuͤrde auf die Spur kommen, daß er ein ſehr liederlicher Menſch waͤre. Er wollte ſich weiter erkundigen, ehe er ihr mehr ſagte. Und ſie verſprach, es heimlich zu halten, in Hoffnung, daß er noch mehr er - fahren wuͤrde. Jch hielt daher fuͤr zutraͤglich, Sie zu erſuchen, daß Sie ſo viel Nachrichten, als moͤglich iſt, einziehen moͤchten. Jch ſehe nun, daß ſeine Feinde mehr als zu viel Recht haben, uͤbel von ihm zu reden. Wenn er dieſes arme Kind zu verfuͤhren ſucht, und es vorhin noch nicht gekannt hat, ſo habe ich doppelte Urſache, das Maͤdchen zu bedauren und ihn zu verabſcheuen. Jch dencke, daß ich ihn noch aͤrger haſſe als ſelb - ſten Solmes. Jch will aber kein Wort wei -ter253der Clariſſa. ter von ihm ſchreiben, bis ich hoͤre, was Sie noch heraus kriegen. Denn eher will ich ſeinen Brief nicht erbrechen: und wenn Jhre Nach - richten beſtaͤtiget werden, ſo will den Brief als - denn unerbrochen wieder an den Ort hinlegen, wo ich ihn gefunden habe, und mir nie wieder einen Gedancken von Lovclace in den Sinn kommen laſſen.

Cl. Harlowe.

Der fuͤnf und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Die Billigkeit erfodert von mir, Jhnen die - ſen Brief gleichſam auf den Fluͤgeln der Winde zuzuſchicken. Jch halte Herrn Lovela - ce in der That fuͤr unſchuldig. Von dieſer Ei - nen Anklage muß er zum wenigſten losgeſpro - chen werden; und ich werfe es mir jetzt ſelbſt vor, daß ich halbe Nachrichten mit ſolcher Uber - eilung an Sie gebracht habe.

Jch habe das Maͤdchen geſehen. Sie iſt in der That ein recht artiges und reinliches Maͤd - chen, und ihre groͤſſeſte Schoͤnheit iſt ihre Unſchuld. Wer254Die GeſchichteWer ein ſolches Kind, das nicht aus dem Hauſe gekommen iſt, und in dem nicht eine falſche Ader ſchlaͤgt, haͤtte verfuͤhren wollen, der muͤßte noch gottloſer geweſen ſeyn, als der Teufel ſelbſt. Der Vater iſt ein guter einfaͤltiger Mann; und iſt mit ſeiner Tochter und mit ihrer neuen Be - kantſchaft recht wohl zufrieden.

Jch bin fuͤr Jhr Hertz beſorgt, daß es allzu heftig ſchlagen moͤchte, wenn ich Jhnen melde, daß Lovelaces Liebe gegen dieſes Maͤdchen in der That ein recht edle Liebe iſt. Denn das zei - get ſich, wenn man alles genau unterſuchet.

Es ſoll nemlich das Maͤdchen die kuͤnftige Woche Hochzeit halten, und er hat die Sache befoͤrdern helfen. Er hat ſich, wie des Kindes Vater erzaͤhlt, des Ausdrucks bedienet, er wol - le die Gelegenheit ergreiffen / Ein Paar gluͤcklich zu machen; und er wuͤnſchte nur, mehrere gluͤcklich machen zu koͤnnen. (Das geht auf Sie, Kind.) Weil er den jungen Menſchen gern leiden mag, den ſie lieb gewon - nen hat, ſo hat er ihr hundert Pfund geſchenckt, welche die Groß-Mutter wircklich in Haͤnden hat. Sie ſollen dem Braͤutigam gegen andere hundert Pfund verſchrieben werden, die er mit bringt, und die ihm ein Anverwander geſchenckt hat, um ſich zu ſetzen. Herrn Lovelaces gu - ter Freund hat ſich durch ſein Exempel auch zur Freygebigkeit reitzen laſſen, und hat dem Vater, der ein armer Mann iſt, fuͤnf und zwantzig Gui -neas255der Clariſſa. neas zur Kleidung ſeines artigen Bauermaͤdchens geſchenckt.

Der arme Mann ſagt, ſeine Fremden haͤtten zu Anfang fuͤr geringer angeſehen ſeyn wollen, als ſie in der That waͤren. Allein nun wuͤßte er, und koͤnnte es wohl im Vertrauen ſagen, daß der eine der Obriſte Barrow und der an - dere der Capitain Sloane waͤre. Der Obriſte waͤre zu Anfang ſehr freundlich gegen ſein Maͤd - chen geweſen; allein des Kindes Grosmutter haͤtte ihn gebeten, ſie nicht um ihre Unſchuld zu bringen, und er haͤtte ihr heilig verſprochen, kei - nen weitern Umgang mit dem Maͤdchen zu ha - ben, als daß er ihr guten Rath gaͤbe. Er haͤt - te auch ſein Wort gehalten. Das artige Naͤr - richen that das Bekenntniß: kein Prediger haͤt - te ſie beſſer aus der Bibel unterrichten koͤnnen, als er. Das Maͤdchen gefiel mir ſo wohl, daß ich ihr die Muͤhe bezahlte, mich beſucht zu ha - ben.

Allein was wird nun aus uns werden? Lo - velace beſſert ſich nicht nur, ſondern wird ſo gar ein Prediger! Was wird nun aus uns werden? Jſt ihm nicht Jhr edles Hertz nun - mehr aus Grosmuth guͤnſtig? Jch bin recht un - gehalten auf dieſe Grosmuth, weil ſie edle Ge - muͤther zu allem dem verfuͤhret, wozu ein ge - meines Hertz durch die Liebe verleitet wird. Jch fuͤrchte daß Jhre ehemahlige bedingte Neigung nun eine unbedingte Neigung werden wird.

Es war mir nicht moͤglich, mein Schelten ge -gen256Die Geſchichtegen Lovelace ſo gleich in eine Lobrede zu ver - wandeln. Wir (oder wenigſtens ſolche, als ich bin) vertheidigen gern ein uͤbereiltes Urtheil ei - ne Zeitlang, wenn wir gleich wiſſen, daß wir uns uͤbereilt haben: und nicht ein jedweder hat Jhre Grosmuth, einen begangenen Fehler zu er - kennen. Es erfodert in der That einen groſſen Geiſt, wenn man dieſes thun ſoll. Jch habe mich deswegen noch genauer nach ſeiner dortigen Lebensart erkundiget, in der Hoffnung, daß ich etwas boͤſes erfahren wuͤrde. Allein alle Nach - richten ſtimmen uͤberein, und lauten vortheilhaft fuͤr ihn.

Herr Lovelace hat von allem meinem Nach - fragen ſo viel Ehre, daß wenn es moͤglich waͤre ich faſt argwohnen moͤchte, es ſey die gantze An - klage eine angeſtiftete Sache, dadurch man ei - nen Mohren weiß waſchen will.

Anna Howe.

Der ſechs und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Wer allzu fertig iſt, andere zu tadeln, der wird ſich dadurch den Vorwurf zuziehen, daß er veraͤnderlich und unbeſtaͤndig in ſeinenUr -257der Clariſſa. Urtheilen ſey. Sie muͤſſen ſich ſelbſt dieſer Be - ſchuldigung unterwerfen: denn wenn Sie, ich ſa - ge, ſelbſt Sie in der That Jhren Fehler ſo un - gern bekenneten, als Sie es vorgeben; ſo wuͤrde ich Sie nur halb ſo lieb haben, als jetzt. Sie wuͤrden ſich ſelbſt auch den Vorwurf, deſſen ich Erwaͤhnung that, nicht auf eine ſo freymuͤthige Art gemacht haben, wenn Sie nicht ein ſo edles und groſſes Hertz haͤtten, als ſich jemahls ein Frauenzimmer hat ruͤhmen koͤnnen.

Herr Lovelace hat ſonſt Fehler genug, mich misvergnuͤgt zu machen, wenn er auch hierin unſchuldig iſt. Wenn ich ſo gut mit ihm ſtuͤn - de, als er es wuͤnſcht, ſo wollte ich ihm zu ver - ſtehen geben, daß der betruͤgriſche Jacob Leh - man nicht ſo gegen ihn geſinnet iſt, als er den - cket: ſonſt wuͤrde er nicht ſo fertig geweſen ſeyn, die unſchuldige Geſchichte von dem Mauermaͤd - chen mit ſo uͤbeln Umſtaͤnden zu verbeſſern, und noch dazu der Eliſabeth Barnes zu erzaͤhlen. Er befahl ihr, es heimlich zu halten, und ver - ſprach ihr, daß er ihr und threm Herren mehr ſa - gen wollte, wenn er alles ausgekundſchafftet ha - ben wuͤrde. Und dieſes allein hat ſie zuruͤck ge - halten, meinem Bruder und meiner Schweſter nicht davon zu ſagen, dazu ſie ſonſt groſſe Luſt hatte. Sie will es auch mit dem Joſeph nicht gern verderben: denn ob ſie gleich in ihrem Her - tzen vielmehr iſt, als er, ſo ſcheint es doch, daß ſie ihn gern von Liebe reden hoͤrt. Es kommt mir vor, als wenn manches Frauenzimmer diezweyter Theil. ROhren258Die GeſchichteOhren oͤffnet, wenn das Hertz gleich noch ver - ſchloſſen bleibt; weil es nicht in ihrer Macht ſte - het, den Anfang zu Liebeshaͤndeln zu machen, wo ſie es wuͤnſchen.

Nichts mehr von dieſen niedertraͤchtigen Leu - ten, von denen ich nicht einmahl mittelmaͤßig-gut dencken kan! Allein in Abſicht auf Lovelace muß ich geſtehen: gleichwie ich ihn voͤllig ver - achtet und verabſcheuet haben wuͤrde, wenn er ſich auf ſeinem Wege nach Harlowe-Burg mit ſo niedertraͤchtigen Streichen aufgehalten haͤtte, die ich Anfangs wahr zu ſeyn glaubte: ſo hat mich das, was Sie Grosmuth nennen, ihm deſto guͤnſtiger gemacht; und vielleicht guͤn - ſtiger, als es gut fuͤr mich iſt. Sie moͤgen meiner deshalb ſpotten, ſo viel Sie wollen: ich frage Sie nur, ob es bey Jhnen nicht eine glei - che Wirckung hervorgebracht haben wuͤrde.

Wie edel iſt ſeine Freygebigkeit! Jch verſiche - re Jhnen, wenn er ſich ſonſt nur wahrhaftig und auf Lebenslang beſſern wollte, ſo wuͤrde ich ihm blos deswegen ſehr viel vergangene Fehler verge - ben koͤnnen, weil er gezeiget hat, daß ſo guͤtige und reine Gedancken in ſeinem Hertzen wohnen koͤñen.

Sie werden ſich leicht embilden, daß ich mich nicht lange bedacht habe, ſeinen Brief zu erbre - chen, nachdem ich Jhren letzten Brief erhalten hatte: und eben ſo wenig werde ich Bedencken tragen, ihm zu antworten, da ich ohnehin an ſeinem Brieffe nichts auszuſetzen habe. Ein neuer Vortheil fuͤr ihn, der ihm dadurch deſto leich -ter259der Clariſſa. ter wird, weil ich ihm eine Vergeltung meines uͤbereilten Unwillens geben will, ob er gleich von dieſem Unwillen nichts erfahren hat.

Es iſt ein Gluͤck, daß Jhr ſo guͤtig bemuͤheter Fleiß mir in dieſer Sache bald ein Licht gege - ben hat. Haͤtte ich ehe an ihn geſchrieben, als ich Jhre letzte Nachricht erhielt, ſo wuͤrde ich ihm von neuen Abſchied gegeben, und wohl gar die Urſache mit angefuͤhret haben. Denn ſie ging mir naͤher zu Hertzen, als ſie billig haͤtte thun ſollen. Jn was fuͤr Vortheil wuͤr - de ihn dieſe meine Ubereilung geſetzt haben, wenn er ſich ſo vollkommen haͤtte rechtfertigen koͤnnen?

Wenn ich Jhnen ſeinen jetzigen Brief ſchicke, ſo werden Sie ſehen, wie demuͤthig er iſt; wie ſehr er ſeine natuͤrliche Ungeduld erkennet; wie er alle ſeine Fehler geſtehet: recht wie Sie es vor - her geſagt haben. Alles dieſes ſieht jetzt in mei - nen Augen gantz anders aus, nachdem ſich die Geſchichte mit der artigen Baͤurin aufgeklaͤrt hat, als es ſonſt gethan haben wuͤrde. Mich duͤnckt auch, daß mir das Maͤdchen jetzt viel ſchoͤ - ner zu ſeyn ſcheint, als vorhin; ob ich es gleich noch niemahls geſehen habe. Denn Unſchuld und Tugend iſt die vollkommenſte Schoͤnheit.

Sie werden ſehen, daß er eine Unpaͤßlichkeit vorſchuͤtzt, die ihn abgehalten habe, meinen Brief ſelbſt abzuhohlen: und er giebt ſich ſo viel Muͤ - he dieſes zu entſchuldigen, als glaubte er, daß ich auf dieſe Unterlaſſung ungehalten ſey. EsR 2ſollte260Die Geſchichteſollte mir leid ſeyn, wenn ich an ſeiner Unpaͤß - lichkeit Schuld haͤtte; und ich glaube gern, daß die Ungewißheit, in der er bisher geweſen iſt, ei - nem ſo muntern Geiſte ſehr unertraͤglich hat ſeyn muͤſſen. Allein er iſt ſelbſt an allem Schuld, wenn ich auf die erſten Urſachen zuruͤck gehe.

Jn der Hoffnung, daß ich ihm vergeben wer - de, iſt er voller Anſchlaͤge, mich zu retten, damit ich nicht moͤge gezwungen werden, Solmes zu nehmen.

Jch habe immer geſagt, daß es der naͤchſte Schritt zur Veſſerung iſt, wenn man ſeine Feh - ler erkennet; denn es iſt keine Beſſerung zu hof - fen, ſo lange man ſein Vergehen noch verthei - diget. Allein in dieſem Brieffe werden Sie ſelbſt in ſeiner Demuth etwas hochmuͤthiges fin - den. Es iſt wahr, ich finde keinen Ausdruck, den ich tadeln koͤnnte: und dennoch kan ich nicht uͤberzeuget werden, daß ſeine Demuth Demuth ſey, wenigſtens eine ſolche Demuth als aus ei - ner wahren Reue, daruͤber ich mich freuen koͤnn - te, entſtehet.

Er iſt warlich kein hoͤflicher und belebter Mann! allein es iſt doch auch die Unhoͤflichkeit nicht ſein herrſchender Fehler. Er hat eine gantz ſonderbahre Art von Hoͤflichkeit, in der Kindheit mag er zu vielen Willen und bey reiffern Jah - ren zu viel Gluͤck gehabt haben, daraus iſt eine gewiſſe Nachlaͤßigkeit in der Auffuͤhrung ent - ſtanden: und da der Hochmuth dazu gekommen iſt, ſo iſt er auf eine ſolche Art zuverſichtlichund261der Clariſſa. und dreiſte geworden, daß es ſeiner Hoͤflichkeit an dem mangelt, was ich eine ſorgfaͤltige Zaͤrt - lichkeit in den Sitten nennen moͤchte.

Sie haben in der Haupt-Sache recht, wenn Sie wollen, daß man dieſem Geſchlecht den Daumen auf das Auge halte. Allzugroſe Ver - traulichkeit iſt der Ehrerbietigkeit zuwieder: allein bey was fuͤr Leuten? Warlich nicht bey denen, die Verſtand, Danckbarkeit und ein edles Hertz beſitzen!

Wer ſich aber huͤten will, auf der einen Seite nicht zu weit zu gehen, der wird leicht in den entgegenſtehenden Fehler verfallen. Viel - leicht haͤlt es Lovelace fuͤr das Kennzeichen ei - nes groſen Geiſtes, jene Zaͤrtlichkeit in der Auf - fuͤhrung ſeinem Hochmuth aufzuopfern. Allein wie ſoll dieſer Mann tief und unergruͤndlich ſeyn, der den Unterſcheid nicht beobachten kan, welchen ſonſt ein mittelmaͤßiger Kopf beobachten wuͤrde?

Er beklagt ſich heftig uͤber mich, daß ich je - des Verſehen gleich zu einer Tod-Suͤnde ma - che, und weiter nichts mit ihm zu thun haben will. Er muͤſſe, ſchreibt er, ſo aufrichtig ſeyn, mir zu bekennen, daß dieſes eine unge - mein vornehme Auffuͤhrung ſey: und daß da - durch ſeine Furcht eher zunehme als gemindert werde, daß ich mich doch noch moͤchte bewegen laſſen, nach den Abſichten der Meinigen zu handeln, und Herrn Solmes zu nehmen.

R 3Sie262Die Geſchichte

Sie werden ſehen, daß er vorgiebt, alle ſeine Gluͤckſeeligkeit in dieſer und in jener Welt kaͤme auf mich an. Er verſpricht und gelobet auf eine ſolche Art, daß ich nicht anders dencken kan, als, ſein Hertz muͤſſe entweder reden; oder es ſey gantz ohnmoͤglich, die Sprache des Hertzens zu erkennen.

Von meiner bevorſtehenden Unterredung mit Solmes hat er ſchon gehoͤrt; und Sie werden ſehen, mit wie vieler Hefftigkeit und Angſt er ſich daruͤber ausdruͤcke. Jch gedencke etwas von den niedertraͤchtigen Mitteln in meine Ant - wort einflieſen zu laſſen, zu denen er ſich herab laͤßt, um die Neuigkeiten unſers Hauſes fruͤh - zeitig zu erfahren. Wenn diejenigen, die ihren Ruhm daraus machen, daß ſie nach der Ver - nunft handeln, ihr Zeugniß gegen ſolche unver - nuͤnftige Handlungen nicht ablegen; wer will ihnen denn Einhalt thun?

Er dringet recht mit Bitten in mich, daß ich ihm vor meiner Unterredung mit Solmes / wenn dieſe ja vor ſich gehen muͤſte, nur ein paar Zeilen ſchreiben ſoll, um ihn zu verſichern, daß mein Mißvergnuͤgen gegen ihn mich nicht ge - neigt mache, Solmeſen die geringſte Hoffnung zu geben. Er ſagt, ich muͤßte ihm nicht unguͤ - tig nehmen, daß er dieſe ſeine Furcht mir noch - mahls zu erkennen gebe, nachdem ich Herrn Solmes etwas zugeſtanden haͤtte, daß er nicht von mir haͤtte erhalten koͤnnen. Die Meinigenwuͤrden263der Clariſſa. wuͤrden auf dieſe Unterreduug nicht ſo heftig ge - drungen haben, wenn ſie keine Folgen davon erwarteten.

Jn meiner Antwort habe ich ihm geſchrieben: ich haͤtte den Vorſatz gefaſſet gehabt, keine Zeile an einen Menſchen zu ſchreiben, der ſich unter - ſtuͤnde, mich und mein gantzes Geſchlecht zu tadeln, weil ich mich unterſtanden haͤtte, mei - nem eigenen Urtheil zu folgen.

Jch haͤtte mir die Unterredung mit Solmes blos deswegen gefallen laſſen, weil ich es fuͤr meine Pflicht gehalten haͤtte, den Meinigen zu zeigen, daß ich ihren Befehlen in allen thunli - chen Sachen Folge leiſten will. Jch hoffete, wenn Herr Solmes meine unbewegliche Standhaftigkeit ſehen wuͤrde, ſo wuͤrde er von einem Geſuch abſtehen, welches mit meinem Willen ohnmoͤglich erfuͤllet werden koͤnnte.

Mein Eckel vor Solmes ſey ſo aufrichtig, daß ich bey dieſer Gelegenheit keinen Zweiffel in meine Standhaftigkeit ſetzen duͤrfte. Er muͤſſe aber nicht dencken, daß ich Solmes aus Zuneigung gegen ihn verwerfe. Wenn meine Freunde mir erlauben wollten, nach meiner Neigung zu handeln, ſo ſey mir meine Frey - heit ſo lieb, daß ich ſie keinem ſo unbeugſamen Manne aufzuopffern gedaͤchte, der mir ſchon zum voraus gezeiget haͤtte, was ich von ihmR 4zu264Die Geſchichte zu erwarten haben wuͤrde, wenn ich in ſeiner Gewalt waͤre.

Jch bezeuge ihm mein aͤuſſerſtes Misfallen, an den Kunſt-Griffen, deren er ſich bedienet, Familien-Geheimniſſe zu erforſchen. Es ſey nur eine ſchlechte Entſchuldigung, wenn man vorgiebt, daß man anderer Leute Bediente nach dem Rechte, der Wieder-Vergeltung beſteche, weil jene Spionen auf uns gehalten haͤtten. Dieſes heiſſe, Niedertraͤchtigkeit durch Nieder - traͤchtigkeit rechtfertigen.

Jede Handlung ſey entweder recht oder unrecht, was vor Auslegungen und Verdre - hungen auch die Leute machen moͤchten. Das Unrecht verdammen, und es durch ein eben ſo groſſes Unrecht vergelten, ſey nichts anders, als das Verderben und das Laſter allgemeiner machen. Es moͤchten noch ſo viele ein Unrecht begangen haben, ſo muͤſſe doch endlich jemand ſeyn, der es nicht weiter fortpflantzete, oder die Tugend und das Recht wuͤrden von dem Erdboden vertilget werden. Ein jedes arti - ges Gemuͤth wuͤrde hiebey dencken: ſoll ich es nicht ſeyn / bey dem das Unrecht ſtille ſtehet?

Jch uͤberlaſſe ihm ſelbſt, daß er ſein Gemuͤth nach dieſer Regel erforſchen moͤge, ob es artig oder unartig ſey? Jch frage ihn; ob es wohl fuͤr mich rathſam ſey, ihm einige Hoffnung zu machen, nachdem ich ſeinen hitzigen Kopf ken - ne, und ſo wenig Wahrſcheinlichkeit vor mir ſe - he,265der Clariſſa. he, daß ſich meine Familie jemahls mit ihm aus - ſohnen wird?

Blos um ſein ſelbſt willen / und aus kei - ner andern Urſache, wuͤnſchte ich ihm eine rich - tigere und edlere Art zu dencken und zu han - deln; denn ich verachtete manche Kuͤnſte von Hertzen, die er ſich fuͤr erlaubt hielte, Unſere Gemuͤther waͤren demnach unendlich verſchie - den. Was ſeine verſprochene Beſſerung anbe - langte, ſo muͤßte ich ihm geſtehen, daß ich das allzuhaͤufige Bekenntniß eigener Fehler ohne Beſſerung blos fuͤr eine Gefaͤlligkeit anſehe, dadurch man andern den Mund zu ſtopfen ſu - che. Jhm moͤchte dieſes vielleicht ungemein leichter ſeyn, als ſich zu beſſern, oder ſich zu vertheidigen.

Jch haͤtte vor kurtzem gehoͤrt (das iſt auch in der That ſo: Eliſabeth hat es mir erzaͤhlt, und die hat es von meinem Bruder gehoͤrt) daß er ſich die thoͤrichte Freyheit herausnehme, von dem Eheſtande veraͤchtlich zu reden. Jch ſpreche hievon ſehr ernſtlich mit ihm, und fra - ge ihn: in welcher Abſicht er ſich eine ſo mat - te, eine ſo veraͤchtliche Freyheit herausnehmen koͤnne, die ſich nur fuͤr die liederlichſten Leute ſchicke? und ſich dennoch unterſtehe, ſich um mich zu bewerben?

Jch ſage ihm, wenn ich auch gleich nach mei - nem Onckle Anton reiſete, ſo folgt daraus noch nicht, daß ich nothwendig Herrn Solmes heyrathen muͤßte. Denn ich waͤre nicht ver -R 5 ſichert266Die Geſchichte ſichert, daß es mir eben ſo ſehr zu verdencken waͤre, wenn ich aus einem Hauſe fluͤchtete, in welches ich mit Gewalt gebracht waͤre, als wenn ich meines Vaters Haus verlieſſe. Wenn es auch auf das hoͤchſte kaͤme, ſo hoffete ich doch die Meinigen noch aufzuhalten, bis mein Vet - ter Morden ankommt, welcher Recht hat, mich in meines Gros-Vaters Gut einzuſetzen, ſo bald ich darauf dringe.

Dieſes letzte ſcheint mir ſelbſt etwas zu kuͤnſt - lich zu ſeyn. Mein Zweck iſt dabey, ihn von ſchlimmern Haͤndeln abzuhalten. Denn in der That habe ich wenig Hoffnung, wenn ich wuͤrck - lich nach meinem Onckle reiſen muß, und dem Willen meines Bruders und meiner Schweſter uͤberlaſſen werde, daß ſie nicht Gewalt gebrau - chen werden, die Trauung zu vollziehen, ich mag nun bey mir ſelbſt ſeyn und von meinen Sinnen etwas wiſſen, oder nicht. Waͤre einige Hoffnung uͤbrig, dieſem Ungluͤck zu entgehen, oder es nur ſo lange zu verzoͤgern, bis mein Vet - ter ankommt, (ſollte ich auch allerhand einneh - men, um mich kranck zu machen:) ſo wuͤrde ich alsdenn nicht einmahl aus meines Onckles Hauſe fluͤchten. Denn zu den Grund-Saͤtzen, nach welchen ich meine Handlungen einzurichten ſuche, will es ſich gar nicht ſchicken den Gehorſam gegen meine Eltern aus den Augen zu ſetzen, es ſey wo es wolle.

Allein ich glaube nicht, daß es auf das aͤuſ - ſerſte gekommen iſt, weil Sie mich hoffen laſ -ſen267der Clariſſa. ſen, daß ich dem einen Menſchen entgehen kan, ohne mich deswegen zu den Anverwanten des andern zu begeben.

Jch ſehe jetzt keinen der Meinigen, und hoͤre auch von keinem unter ihnen etwas, das mir angenehm ſeyn koͤnnte. Dieſes hat faſt das Anſehen, als wenn ſie ſelbſt von dem bevorſte - henden Dienſtage, an den ich nicht ohne Zit - tern dencken kan, wenig Folgen erwarteten.

Daruͤber, daß mein Onckle Anton bey mei - ner Unterredung mit Solmes zugegen ſeyn ſoll, freue ich mich zwar nicht ſonderlich: ich ſehe es aber doch lieber, als wenn mein Bruder oder meine Schweſter mit zugegen waͤren. Mein Onckle hat einen ſehr heftigen Zorn: und ich glaube kaum, daß Herr Lovelace viel hitziger ſeyn kan, als er. Zum wenigſten kan er nicht ſo boͤſe ausſehen / als mein Onckle wegen ſei - ner ſtarcken Bildung. Dieſe Herren, die ihr Gluͤck auf der See gemacht haben, ſind nie ge - woͤhnt worden andern nachzugeben, als nur Wind und Waſſer, und dieſen wollen ſie auch oͤſters trotzen: und ſie brauſen oft eben ſo ſehr als die Winde, auf die ſie unwillig zu ſeyn pfle - gen. Bey meinem Onckle habe ich dieſen Ge - dancken mehr als einmahl gehabt.

Wenn das wahr iſt, was mir mein Onckle Har - lowe ſchreibt, und Eliſabeth erzaͤhlet, daß Sol - mes ſich eben ſo ſehr fuͤrchtet mich zu ſehen, als ich ihn, ſo glaube ich, daß wir beyde einen laͤ -cherli -268Die Geſchichtecherlichen Anblick bey der bevorſtehenden Unter - redung machen werden.

Leben Sie wohl, meine gluͤckliche, meine ſehr gluͤckliche Fraͤulein Howe: Sie koͤnnen Jhrer Pflicht ein Genuͤge leiſten, ohne ſo harte Bedingungen zu erfuͤllen. Sie duͤrffen ſich nur die Wahl Jhrer Frau Mutter gefallen laſſen, dagegen Sie nicht das geringſte einwenden koͤn - nen; es muͤßte denn etwan dieſes ſeyn, daß un - ſerm Geſchlecht Schuld gegeben zu werden pfle - get, mancher Freyer gefalle der Tochter nicht, weil ihn die Mutter fuͤr ſie ausgeſucht hatte. Unſere verderbte Unart haſſet alle Vorſchriften, das iſt bekannt: und dennoch hat die Jugend nicht die Bedachtſamkeit und Erfahrung, fuͤr ſich ſelbſt richtig zu waͤhlen.

Es iſt weiter nichts noͤthig, Jhr Gluͤck voll - kommen zu machen, als daß Sie Jhr Gluͤck er - kennen, und die jetzige Zeit nicht verſaͤumen, da - mit Sie nicht bey reiffern Nachdencken auf die vergangene gluͤckliche Zeit mit Kummer zu - ruͤck ſehen, und ſich ſelbſt anklagen muͤſſen, daß Sie nicht das Beſte gewaͤhlt haben, als Sie es waͤhlen konnten. Dieſe Einſicht, und dieſes Ver - moͤgen richtig zu waͤhlen, wuͤnſcht Jhnen

Jhre Clariſſa Harlowe.

Der269der Clariſſa.

Der ſieben und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch haͤtte Jhnen billig ſchon geſtern von Em - pfang Jhres Buͤndels Waͤſche Nachricht geben ſollen. Robert ſagt mir: der Jacob Lehman / den Sie fuͤr den Verraͤther halten, habe ihn geſehen. Er ſey auf dem Huͤner-Hofe geweſen, und habe ihn uͤber die Mauer nach dem gruͤnen Gange zu angeredet: Wie kommt er hieher Robert? doch ich kanes wol den - cken. Mache er ſich davon / ſo geſchwind als er kan.

Jch zweiffele nun nicht laͤnger daran, daß Sie deswegen mehr Freyheit haben, ſpatzieren zu ge - hen, weil ſich andere auf die Wachſamkeit dieſes Kerls und der Eliſabeth Barnes verlaſſen. Jndeſſen ſind Sie doch das erſte Frauenzim - mer, davon ich gehoͤrt habe, das in ſolchen Um - ſtaͤnden keinen eintzigen Bedienten an der Hand gehabt hat, den es zu einigen kleinen Dienſten haͤtte brauchen koͤnnen. Kein Poet wuͤrde ſich unterſtehen, eine Angelica zu beſingen, wenn er ihr nicht ihre Violetta / ihre Cleanthe / ihre Clelia oder ſonſt ein Maͤdchen mit einem arti - gen Nahmen zu Huͤlffe gaͤbe. Wenigſtens muͤß - te es eine alte Kinder-Waͤrterin ſeyn.

Jch270Die Geſchichte

Jch habe meiner Mutter einige Stellen aus Jhren Brieffen vorgeleſen. Das Ende Jhres geſtrigen Schreibens gefiel ihr ungemein wohl, und ſie ſagt mir: Sie haͤtten ihr Hertz dadurch gewonnen. Unterdeſſen daß dieſer Anfall einer Danckbarkeit, die vielleicht mit Hitze und Froſt kommen moͤchte, noch waͤhrte, wollte ich meine Bitte vorbringen, und ſie ſo beweglich vorſtellen, als ich nur koͤnnte. Gleich trat der Hickmann herein, machte ſeinen Buͤcklin, und griff ſich bald an das Hals-Tuch, bald an die Manchetten.

Jch haͤtte gern mit ihm geſcholten. Jch ſag - te aber weiter nichts, als: konnten Sie keinen Bedienten finden? konnte ſie niemand melden, da ſie ſahen, daß wir allein beyſammen waͤren?

Er bat um Vergebung, und ſahe aus als wuͤßte er nicht, ob er weggehen oder bleiben ſollte; bis endlich meine Mutter ſagte: was denn? meine Tochter, wir haben ja nichts heim - liches mit einander zu reden. Setzen ſie ſich nieder, Herr Hickmann.

Mit Jhrer Erla - ubniß / Fraͤulein. Sie wiſſen, wie er die Worte ziehet, wenn ſich ſeine Muskeln aus Ehrerbietigkeit nicht bewegen koͤnnen.

O / ich bitte laſſen ſie ſich nieder / mein guter Mann / wenn ſie muͤde ſind: allein bey meiner Mutter / wenn es ihnen beliebt. Jch wollte gern Raum genug fuͤr meinen Reifrock haben. Jch weiß doch nicht / was uns der Reifrock nuͤtzt / als daß wirdie271der Clariſſa. die Schuhe daran abwiſchen / und uns ungezogene Leute einige Schritte vom Leibe halten.

Meine Mutter ward ungeduldig, und rieff: das ungezogene Maͤdchen. Allein mit ei - nem ſanftern Ton: ſeyn Sie ſo guͤtig / Herr Hickmann / und nehmen ſie Platz bey mir. Jch habe keine ſolche Thorheit in meiner Kleidung die ſie abhaͤlt. Jch ſahe ernſthaft aus, und freuete mich nur, daß ſie dieſes nicht zu Jhrem Onckle Anton ſagte.

Meine Mutter hatte Luſt mit einer Witwen - maͤßigen Freymuͤthigkeit die Unterredung recht liſtig auf Sie zu lencken, und ich glaube, ſie wollte ihm den Schluß Jhres letzten Brieffes zeigen, darin Sie ſeiner ſo ſehr in Beſten ge - dencken. So viel ſagte ſie: er habe der aller - liebſten Fraͤulein Harlowe mehr zu dan - cken / als er daͤchte.

Jch fragte ihn darauf: was er neues von London haͤtte? Dis iſt die gewoͤhnliche Frage, wenn ich die Materie der Unterredung gern ver - aͤndert ſehen moͤchte: und er verſteht ſie auch ſchon. Jch bin deswegen mit ihm zu frieden, wenn er nur nicht weiter fortredet, ohngeachtet er meine Frage nicht beantwortet.

Jch mag meine Bitte nicht in ſeiner Gegen - wart anbringen, ſo lange ich nicht weiß, was meine Mutter darauf antworten wird. Denn wenn ſie nicht geneigt iſt, mein Verlangen zu erfuͤllen, ſo kan ich ihn noch immer gebrauchen,ſie272Die Geſchichteſie zu uͤberreden: und ich wollte ihm doch nicht gern deswegen verpflichtet ſeyn, wenn ich es an - ders vermeiden kan. Denn wenn Mannsper - ſonen ihre Abſichten haben, ſo bilden ſie ſich ſo viel darauf ein, wenn ein Frauenzimmer ſich herablaͤßt ihnen etwas aufzutragen, daß es gantz unertraͤglich iſt. Sollte ich heute keine gute Ge - legenheit finden, ſo will ich mein Anliegen Mor - gen anbringen.

Jch werde keins von Jhren verſiegelten Pa - cketchens anders als in Jhrer Gegenwart er - oͤffnen. Jch brauche dieſes nicht zu thun: denn es iſt mir unmoͤglich einiges Mißtrauen in Jh - re Auffuͤhrung zu ſetzen; und aus den Auszuͤ - gen ſeiner und Jhrer Brieffe, die Sie mir mit - getheilet haben, ſehe ich doch ſchon alles, was Jhre gegenwaͤrtigen Umſtaͤnde betreffen kan, und wie Sie mit ihm ſtehen.

Jch hatte ſchon eine etwas lebhaffte Anmer - ckung in der Feder. Allein weil Sie gern vor allen unſers Geſchlechts einen Vorzug haben wollten, und ihn in der That zu haben verdie - nen, ſo will ich Jhrer verſchonen. Sie ſcheinen indeſſen bisweilen Jhre Neigungen und Gedan - cken mehr als halb heraus ſagen zu wollen. Daß Sie es nicht voͤllig thun, muß ich blos dem Kampf zwiſchen Jhnen und Jhnen zuſchrei - ben: Jhre Bloͤdigkeit haͤlt Sie ab. Wenn die - ſe erſt uͤberwunden iſt, ſo bin ich verſichert, daß Sie mir Jhre voͤllige Neigung frey geſtehen werden.

Jch273der Clariſſa.

Jch kan es Jhnen nicht vergeben, daß Sie die Bezahlung eines Bedienten meiner Mutter uͤbernehmen wollen, und ihn noch dazu ſo theuer bezahlen. Jch bin deswegen ungehalten, und ich will deswegen ungehalten ſeyn. Es iſt bey nahe der Lohn von einem gantzen Jahre, den Sie ihm geben,*Jn England pflegt ein Diener ſo wohl als eine Magd jaͤhrlich 8 Pfund, d. i. 44. Rthlr. Lohn zu bekommen. Weil aber der Fraͤulein Hove Mut - ter Jhrem Character nach genau war, ſo ſcheint ſie nur 6 Pfund, oder 33 Rthlr. gegeben zu haben. Guinea iſt eine Gold-Muntze, und betraͤgt 7 Gro - ſchen mehr als ein Pfund. wenn ich nicht das was an dem Lohn fehlte meiner Mutter Bedienten ohne ihr Wiſſen verguͤtete, wenn ſie es werth ſind. Wie erſtaunt ſahe der Menſch aus, als ich ihm die fuͤnf Guineas gab! Es kan ſein Ungluͤck ſeyn, wenn ich ihn anders recht kenne. Wenn er ſich einen Ring kauft, und eine alberne Per - ſon in unſerer Nachbarſchafft heyrathet, ſo wer - den wir uͤber das Jahr wuͤnſchen, daß er dieſe Wohlthat nie bekommen haͤtte.

Sie begehren, daß ich Sie hierin nach Jhrem eigenen Kopfe handeln laſſen ſoll: und ich weiß ohnehin wohl, daß Sie ſich nicht einreden laſſen. Denn Sie haben immer die Dienſte, die Jhnen erzeiget werden, zu hoch in Anſchlag gebracht, und die wichtigeren Gefaͤlligkeiten zu tieff her - unter geſetzt, welche ſie andern erwieſen. Jch ge -ſteheZweyter Theil. S274Die Geſchichteſtehe zwar, daß Sie durch das Bewußt-ſeyn Jhrer Wercke ſchon belohnt werden. Allein warum will ein ſo edles Hertz, als das Jhrige iſt, andern einen Vorwurf machen? und warum wollen Sie Jhre eigene ſo wohl als meine Fa - milie beſchaͤmen?

Sie haben mir oft die Regel gegeben: man muͤſſe zwar die Worte anhoͤren / aber nach den Wercken urtheilen. Was ſoll ich dem - nach von Jhnen dencken. Jn Worten ſuchen Sie die Niedertraͤchtigkeit der Leute zu entſchul - digen, die ſie durch Jhre Worte ſtillſchwei - gend-ſcharf an klagen. Erroͤthen Sie nicht daruͤber, daß Sie etwas ſo beſonderes an ſich haben? Wenn Sie mit ſolchen Leuten zu thun haben werden, deren Gemuͤth dem Jhrigen gleich iſt, alsdenn zeigen Sie Jhre vortrefflichen Ei - genſchafften: ſonſt aber haben Sie Mitleiden mit Jhrem Naͤchſten, und handeln nicht voͤllig ſo edel, als Jhr Hertz iſt.

Jch wollte nur wenige Zeilen ſchreiben, um Sie von Empfang der uͤberſandten Waͤſche zu benachrichtigen. Jch ſchrieb deswegen zu An - fang weitlaͤufftig, und ich ſehe, daß ich nun ſchon zwey Bogen gefuͤllet habe. Von Jhrem Lobe, einer mir ſo angenehmen Materie, wollte ich wohl ein Buch Papier voll ſchreiben, ohne ein - zuhalten. Jch bin deswegen nicht geſinnet Jh - re dismahlige Freygebigkeit zu loben, auf die ich recht im Ernſt ungehalten bin. Mein Lob ge - het auf Jhren gantzen Lebenslauf, davon dieſesnur275der Clariſſa. nur ein kleines Stuͤck, und eine gar nicht auſſer - ordentliche Probe Jhres guͤtigen Hertzens iſt. Jch habe weiter nichts hinzuzuthun, als den Wunſch, daß Gott Sie in Jhrer ſchweren Ver - ſuchung den rechten Weg betreten laſſen, und eben ſo gluͤcklich machen wolle, als Jhrer Mei - nung nach iſt

Jhre ergebenſte Anna Howe.

Der acht und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch muß Jhnen dieſesmahl viele Neuigkei - ten berichten. Sie werden ſehen, wie ſehr ſich die Auffuͤhrung der Meinigen in Ab - ficht auf mich geaͤndert hat. Jch haͤtte nie ge - dacht, daß ſo viel Verſtellung in unſerm Hauſe wohnete, als ich jetzt darin finde. Jch wills Jh - nen alles in der Ordnung erzaͤhlen, wie es vor - gefallen iſt.

Unſer gantzes Haus war dieſen Vormittag in der Kirche; und der Herr D. Lewin kam mit ihnen zu Hauſe. Er war nehmlich ſchon vor -S 2hin276Die Geſchichtehin zu Tiſche gebeten. Er ließ ſich bey mir melden, mich auf meiner Stube zu beſuchen. Jch nahm den Beſuch mit Freuden an: und er kam herauf.

Wir unterredeten uns faſt eine Stunde lang vor dem Mittags-Eſſen: und ich verwunderte mich, daß er alles zu vermeiden ſuchte, was un - ſere Unterredung auf diejenige Materie lencken konnte, von der er meiner Meinung nach mit mir reden wuͤrde. Zuletzt fragte ich ihn: ob er ſich nicht verwunderte, daß ich ſo lange Zeit nicht in der Kirche geweſen waͤre? Er beant - wortete dieſe Frage ſehr hoͤflich, und ſetzte hinzu: er habe ſich das Geſetz gemacht, ſich in keine Familien-Sachen zu mengen, wenn es nicht von ihm gefodert wuͤrde.

Jch fand mich in meinen Gedancken ſehr be - trogen. Weil ich aber glaubte, daß man ihn fuͤr allzugerecht gehalten haͤtte, als daß man ſeinen Ausſpruch uͤber unſern Streit zu hoͤren verlang - te, ſo redete ich weiter nichts, das ihn auf dieſe Materie bringen konnte. Als er zum Eſſen ge - ruffen ward, ließ er ſich nichts davon mercken, daß er ohne mich hinunter ging.

Dieſes war das erſte mahl, waͤhrender mei - ner Gefangenſchaft, da es mich betruͤbete, daß ich allein ſpeiſen mußte. Als ich auf der Trep - pe von ihm Abſchied nahm, wollten mir die Au - gen uͤbergehen. Er ging geſchwind fort, allein ſeine guͤtige Augen blieben nicht gantz ſprachlos,als277der Clariſſa. als er meine Thraͤnen merckte. Es ſchien, daß er ſich nicht einmahl getrauete zu reden, damit nicht ſeine Stimme etwas von ſeinem Mitlei - den verrathen moͤchte. Er nahm alſo ſtillſchwei - gend, obgleich nach ſeiner Art, ſehr hoͤflich Ab - ſchied von mir.

Jch habe wider erfahren, daß er mich unten geruͤhmet hat, und mit meinen Reden ſehr wohl zufrieden geweſen iſt. Jch glaube, daß er nur deshalb unſerer Unterredung gedacht hat, damit man nicht Argwohn ſchoͤpfen moͤchte, als haͤtte ſie den Augapfel der Meinigen betroffen: denn es iſt ihm vermuthlich vorhin ein Winck gege - ben worden, nichts davon mit mir zu reden.

Jch war ſo betruͤbt und ſo voll Beſtuͤrtzung uͤber dieſe neue Art, mit mir umzugehen, als ich noch nie geweſen bin. Allein dieſes war nur der Anfang zu mehrerer Beſtuͤrtzung. Der heu - tige Tag ſcheint fuͤr mich ein Tag der Verwir - rung zu ſeyn. Es ſcheint auf jede unerwartete Sache etwas eben ſo unerwartetes zu folgen: denn es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß die Meinigen bey allem dieſen ihre Abſichten haben.

Des Nachmittags ging mein Bruder und meine Schweſter mit dem Herrn Doctor in die Kirche; und er ließ mir ſeine Empfehlung ma - chen. Jch ging in den Garten; mein Bruder und meine Schweſter gingen auch hinein, und machten, daß ich ſie ſehen mußte. Jhre Abſicht ſchien zu ſeyn, daß ich bemercken ſollte, wie ver - gnuͤgt ſie waͤren. Endlich kamen ſie mir in demS 3Gan -278Die GeſchichteGange, in dem ich mich befand, mit geſchloſſe - nen Haͤnden als ein paar verliebte Leute entge - gen.

Eur Diener! Eure Dienerin! wa - ren die Worte, die zwiſchen mir und meinem Bruder vorfielen.

Meine Schweſter ſtand ſtille, und ſagte mit einer ungewoͤhnlichen Freundlichkeit: ſeyd ihr nicht ein wenig kaltſinniger / als ſonſt / Claͤrchen? Jch ſtand auch ſtille, neigete mich, und ſagte: ich hoffe es nicht / meine liebe Schweſter.

Sie ging weiter fort. Jch neigete mich, oh - ne daß ſie es erwiderte, und ging nach meinem Huͤner-Hofe.

Es waͤhrete nicht lange, ſo fand ich beyde wie - der vor mir. Sie hatten ſich einander umar - met, und waren einen kuͤrtzern Weg gegangen.

Mein Bruder ſagte: Claͤrchen / ihr muͤßt mir etwas von eurem Feder-Vieh ſchen - cken / daß ich es nach Schottland ſchi - cken kan.

Wie ihr befehlt: ſagte ich.

Meine Schweſter ſagte: ich will fuͤr Euch ausſuchen. Als ich das Feder-Vieh fuͤtterte, ſuchten ſie ein halbes Dutzend aus. Es ſchien a - ber, daß ihre eintzige Abſicht dabey war, mir zu zeigen, wie lieb ſie einander haͤtten.

So bald nach der gemeinen Redens-Art der Gottesdienſt zu Ende war, erzeigten mir meine beyden Onckles die Ehre, ſich bey mir durch Eli -ſa -279der Clariſſa. ſabeth melden zu laſſen, daß ſie auf meiner Stu - be eine Taſſe Thee trincken wollten. Jch glaub - te nun gewiß, daß ich durch nachdruͤckliche Er - mahnungen auf den kuͤnftigen Dienſtag zuberei - tet werden wuͤrde.

Der Befehl, den Thee in Bereitſchafft zu halten, ward wieder zuruͤck genommen, und mein Onckle Harlowe kam allein.

Er war halb fremde und halb liebreich gegen ſeine Tochter; denn mit dieſem Nahmen pfleg - te er mich ſonſt immer zu beehren. Jch warf mich zu ſeinen Fuͤſſen, und bat ihn, guͤtig gegen mich geſinnet zu ſeyn.

Keine ſolche wunderlichen Geberden, mein Kind, (ſagte er) keine ſolche Furcht: Ein jeder iſt guͤtig gegen ſie geſinnet. Es kommt nun alles wieder in Ordnung, mein Hertz. Jch bin recht ungedultig geweſen, ſie einmahl wieder zu ſehen; und ich konnte mich dieſes Vergnuͤgens nicht laͤnger berauben.

Mit dieſen Worten hub er mich auf, kuͤſſete mich, und nannte mich ein allerliebſtes Kind.

Er huͤtete ſich recht mit Fleiß, nicht auf die Frage zu kommen, die mich ſo nahe anging. Es hieß nur: es wird alles gut werden! keine weitere Klagen! Jedermann hat ſie lieb. Jch komme blos deswegen / weil ich gern der erſte ſeyn wollte / der ihnen ſeine Aufwartung macht / (dis waren ſeine allzuhoͤflichen Ausdruͤcke) und damit ich nach meiner Art von hundert angenehmen din -S 4gen280Die Geſchichtegen mit ihnen ſprechen koͤnne. Laſſen ſie alles vergangene / das ihnen empfindlich iſt / vergeſſen ſeyn / und dencken ſie ſo we - nig daran / als wenn es nie geſchehen waͤre.

Als er merckte, daß ich mich uͤber meine ſchimpfliche Gefangenſchaft beklagen wollte, ſag - te er: ihnen kan nichts ſchimpflich ſeyn. Jhre Ehre iſt allzuwohl beveſtiget. Jch wollte ſie nur gern einmahl ſprechen. Jch habe in aller der Zeit nichts geſehen, das nur halb ſo liebenswuͤrdig iſt / als ſie.

Hierauf kuͤſſete er meine gluͤenden Backen noch einmahl. Denn ich war voller Unmuth und Ungeduld, weil ich glaubte, daß dieſes in der That ein liſtiger Kunſtgrif waͤre. Wie konnte ich einen ſolchen Beſuch mit Danck er - kennen, der weiter nichts als eine niedertraͤchti - ge Liſt war, mich entweder auf den kuͤnftigen. Dienſtag zu feſſeln, oder mich bey allen ohne Entſchuldigung zu machen, wenn ich mich nicht feſſeln laſſen wollte?

O mein liſtiger Bruder! dieſes iſt gewiß ei - ne Anſtalt von ihm. Der Unwille, den ich hie - bey empfand, brachte mir wider in das Gedaͤcht - niß, wie er vorhin mir zum Trotz ſo freundlich mit meiner Schweſter umgegangen war; und wie ihnen beyden der Unwille aus den Augen leuchtete, ſo bald ſie mich erblickten, und die Worte, Claͤrchen und Schweſter aus Ver - ſtellung von ihren Lippen fallen lieſſen.

Konn -281der Clariſſa.

Konnte ich nun den Beſuch meines Onckles wol als ein Zeichen ſeiner Liebe gegen mich und als eine Wohlthat anſehen? So begierig ich auch war, dieſes zu thun, ſo ohnmoͤglich war es mir. Als ich ſahe, daß er alle Gelegenheit ver - mied, ſich uͤber meine bisherige Auffuͤhrung zu beſchweren, ſo that ich dieſes gleichfalls, und un - terhielt mich mit ihm von lauter Dingen die uns nicht angiengen. Er ſchien bald dieſes bald jenes zu bewundern, als wenn er es noch niemahls geſehen haͤtte: und ließ ſich bisweilen ſo weit her - ab, die Hand zu kuͤſſen, auf deren Arbeit ſeine Augen gerichtet waren, um eine Materie der Unterredung zu finden, die uns die Sache aus dem Sinne bringen moͤchte, die er im Kopfe und ich im Hertzen hatte.

Als er wegging, ſagte er: wie kan ich ſie hier allein laſſen, meine liebſte Baſe! Sie pflegten uns alle durch ihre Geſellſchaft aufzumuntern. Niemand iſt ſich jetzt vermuthen, daß ſie herun - ter kommen werden; allein ich habe groſſe Luſt, ihre Eltern auf eine angenehme Weiſe zu uͤber - fallen! Wenn ich nur wuͤßte, daß nichts unan - genehmes daraus erfolgen moͤchte! O mein Kind! mein Hertz! (Wie konnte ſich mein Onckle, mein lieber allzukuͤnſtlicher Onckle, ſo verſtellen!) Was ſagen ſie? Wollen ſie mir ihre Hand geben? Wollen ſie ihren Vater ſprechen? Sind ſie im Stande, ſeine erſte Hitze zu ertragen, wenn er das liebenswuͤrdige Kind ſehen wird, das ihmS 5und282Die Geſchichteund uns allen bisher ſo viel Unruhe gemacht hat? Wollen ſie verſprechen, daß ſie kuͤnftig

Er ſahe, daß ich anfieng unwillig zu werden. Nein / ſagte er, wenn ſie nicht die Ver - leugnung und Gelaſſenheit ſelbſt ſeyn wollen / ſo will ich ihnen nicht rathen mitzugehen.

Mein Hertz empfand allen Kampf der kind - lichen Liebe, und des erhitzten Gebluͤtes. Sie wiſſen, daß es mir unertraͤglich iſt, wenn man niedertraͤchtig und argliſtig mit mir umgehet. Wie? ſagte ich? wie koͤnnen ſie / wie kan mein ſonſt ſo vaͤterlich geſinneter On - ckle? Wie koͤnnen ſie dencken ſie; ein ſo armes Maͤdchen. Ja konnte nichts im Zuſammenhange vorbringen.

Er antwortete nochmahls: wenn ſie nicht der kindliche Gehorſam ſelbſt ſeyn wollen, ſo iſt es beſſer / daß ſie bleiben wo ſie ſind. Allein / nachdem ſie eine ſolche Probe ge - geben hatten.

Eine Probe gegeben! fiel ich ihm in die Rede. Was iſt das fuͤr eine Probe?

Gut! mein Kind. Es iſt beſſer / ſie blei - ben hier / wenn ihnen die bisherige Ein - ſchraͤnckung noch ſo empfindlich iſt. Sie wird doch ohnehin bald zu Ende ſeyn. Adieu, mein Hertz! Nur noch dieſe drey Worte: ſeyn ſie mit aufrichtigem Hertzen gehorſam! und lieben ſie mich ſo / wie ſie mich ſonſt geliebt haben. Jhr ſeel. Gros -Va -283der Clariſſa. Vater hat weniger zu ihrem Beſten ge - than / als ich zu thun geſinnet bin.

Er ließ mir nicht Zeit, hierauf zu antwor - ten, und ging ſo geſchwind von mir weg, als wenn er davon fliehen muͤßte, und froh waͤre, daß er ſeine Perſon ausgeſpielt haͤtte.

Sehen Sie wohl, wie unbeweglich die Mei - nigen in ihrer Entſchlieſſung ſind. Habe ich nicht Urſache, mich vor dem kuͤnftigen Dienſta - ge zu fuͤrchten?

Meine Schweſter kam gleich nachher herauf. Jch glaube, ſie wollte auskundſchaften, was der vorige Beſuch fuͤr Wuͤrckungen bey mir gehabt haͤtte. Sie fand mich in Thraͤnen.

Mit einer ſteiffen Mine ſagte ſie: Habtihr keinen Thomas a Kempis / Schweſter?

Ja ich habe einen, Fraͤulein!

Fraͤulein! Wie lange wollen wir noch fremde mit einander thun / Claͤrchen?

Keinen Augenblick laͤnger, wenn ihr mir nur erlauben wollt, euch Schweſter! und meine liebe Arabelle zu nennen. Jch ergrif ihre Hand.

Nichts gethaltes / Maͤdchen!

Jch zog meine Hand ſo geſchwind zuruͤck, als wenn mich eine Schlang geſtochen haͤtte.

Jch bitte um Vergebung. Jch mache mich gemeiniglich dadurch veraͤchtlich, daß ich an - dern allzubald mit Freundlichkeit zuvorkom - me.

Leute / die die Mittelſtraſſe nicht hal -ten284Die Geſchichteten koͤnnen / erwiderte ſie, werden ſich im - mer veraͤchtlich machen.

Jch will euch den Kempis hohlen. Hier iſt er. Jhr werdet ſehr viel gutes in dem klei - nen Buche finden, Arabelle.

Jch wuͤnſchte / daß ihr euch daraus ge - beſſert haͤttet.

Und ich wollte euch dieſes wuͤnſchen. Der gute Vorgang einer aͤltern Schweſter wuͤrde mir ſehr nuͤtzlich ſeyn.

Aelter! Abgeſchmackte kleine Naͤrrin! Mit den Worten flog ſie weg.

Wie empfindlich wird meine Schweſter ſeyn, wenn ſie ſo lange lebet, daß man ſie eine alte Frau nennen kan. Wie wunderlich iſt es: Ehr - erbietung von andern begehren, die man nicht zu verdienen ſuchet; und ſich noch dazu ſeines Vorzuges an Jahren ſchaͤmen, der die eintzige Eigenſchaft iſt, durch die man berechtiget iſt, Ehrerbiethung zu fodern.

Aus dem, was ich Jhnen berichte, iſt klar ge - nug, daß die Meinigen glauben einen Vortheil uͤber mich erhalten zu haben, weil ich die Zu - ſammenkunft mit Herrn Solmes bewilliget ha - be. Aus den unverſchaͤmten Reden der Eliſa - beth wird dieſes noch handgreiflicher. Sie hat mir zu dieſer Zuſammenkunft ſowohl, als zu dem Beſuch Gluͤck gewuͤnſcht, den mein Onckle Harlowe bey mir abgeſtattet hat. Sie meint, die Schwierigkeit ſey nun ſchon uͤber die Haͤlfte aus dem Wege geraͤumt: denn ich wuͤrde HerrnSol -285der Clariſſa. Solmes nicht zu ſprechen verlangen, wenn ich ihn nicht nehmen wollte. Sie hoffet bald mehr zu thun zu kriegen, als ſie bisher gehabt hat: denn nun wird es Arbeit genug geben. Sie ſieht es gerne, wenn es mit Hochzeiten geſchwin - de zugehet: und wer weiß, an wen die Reihe zunaͤchſt kommen wird?

Dieſen Nachmittag fand ich Herrn Lovela - ces Antwort, auf meine letzte Antwort, die voll von guten Verheiſſungen iſt, voll von Danckbar - keit, voll von ewiger Danckbarkeit, wenn ich von ihm ein uͤbertriebenes Wort unter vielen er - borgen ſoll. Jch muß ihm aber doch zum Ruhm nachſagen, daß er unter allen Manns-Perſonen, deren Brieffe mir bekannt geworden ſind, am wenigſten in dieſe erhabenen Thorheiten verfallen iſt: und er wuͤrde mir ſehr veraͤchtlich ſeyn, wenn es mehr geſchehen waͤre. Jch befuͤrchte bey einer ſolchen Schreibart immer, daß die Mannsperſon das Frauenzimmer fuͤr eine Thoͤ - rin gehalten habe, oder zur Thoͤrin zu machen ſuche.

Er bedauert, daß ich ſo kaltſinnig gegen ihn bin, und daß er weiter keine Hoffnung hat, mein Hertz zu gewinnen, als die, welche ihm die unertraͤgliche Auffuͤhrung der Meinigen ge - gen mich giebt.

Er geſteht, daß er ſich nicht zu entſchul - gen wiſſe, wenn ich ihn anklage, daß er unhoͤflich ſey, und einen ungebrochenen Sinn habe. Er iſt allzuehrlich, als daß er nur auf eine Ent -ſchul -286Die Geſchichte ſchuldigung dencken ſollte. Allein die harte Auslegung uͤbertaͤubet ihn gantz, wenn ich dar - aus, daß er ſeine Fehler geſtehet, erzwingen will, daß er nicht ſo wohl Luſt habe ſich zu beſſern, als vielmehr keine Luſt habe ſich zu entſchuldi - gen. Niemand hat ihm dieſes bisher vorge - worfen, was ich ihm vorgeworfen, und noch da - zu mit Recht vorgeworfen habe. Er wolle ſuchen dieſen Vorwurf aus dem Wege zu raͤu - men. Er habe nichts verſprochen, als daß er meinen Vorgang zu ſeiner Beſſerung anwen - den wolle. Er koͤnnte dieſes Verſprechen nicht einmahl ins Werck richten, wenn er keine Feh - ler an ſich haͤtte, die eine Verbeſſerung erfo - derten. Jndeſſen hoffet er, daß es kein ſchlim - mes Zeichen ſey, wenn man ſeine Fehler erken - net, obgleich meine allzutugendhafte Tugend auch hieruͤber zuͤrnet.

Er glaubt, daß ich Recht, das ſtrengeſte Recht habe, wenn ich nicht zugeben will, daß er das Recht der Wiedervergeltung ſo weit ausdaͤhnen ſoll, einen Kundſchafter in meines Vaters Hau - ſe zu halten. Er duͤrffe ſich zwar ſonſt nicht anklagen, daß er ſich um die Familien-Umſtaͤnde anderer Leute auf eine vorwitzige Weiſe bekuͤm - mere. Allein er hoffet, daß ihn die Umſtaͤnde und die wunderliche Auffuͤhrung der Meinigen dieſesmahl entſchuldigen werden: da ihm ſo viel daran gelegen iſt, alles fruͤhzeitig zu wiſſen, was in einer Familie vorgehet, die es einmahl dar - auf geſetzt hat, aus Haß gegen ihn ihre Sachedurch287der Clariſſa. durch rechtmaͤßige oder unrechtmaͤßige Mittel durchzutreiben. Es waͤre billig, daß Perſonen, die ſo handeln als Engels, auch mit Engeln zu thun haͤtten. Er vor ſein Theil habe bisher noch nicht gelernt, gutes fuͤr boͤſes zu ver - gelten: und er habe deſtoweniger Luſt es kuͤnf - tig zu lernen, weil er ſaͤhe, was ich mir da - durch fuͤr eine Auffuͤhrung von eben den Leu - ten zugezogen haͤtte, die auch ihn gern (ſo wie mich) mit Fuͤſſen treten wuͤrden, wenn er ſich ihnen zu Fuͤſſen wuͤrffe.

Er entſchuldiget ſich hierauf wegen der freyen Reden, die er nicht leugnet bisher wider den Eheſtand ausgeſtoſſen zu haben. Er ſchreibt, er habe ſich in der letzten Zeit nicht mehr ſo luſtig mit dieſer Materie gemacht. Es ſey die gewoͤhnliche, die ſo abgedroſchene Materie aller Leute von freyer Lebensart, die ihren Witz gern zeigen wollen: und doch eine ſo froſtige, ſo matte, ſo nichts-ſagende, ſo erſchoͤpfte Materie, daß er ſich von Hertzen ſchaͤmete, daß ſeine Re - den jemahls davon gehandelt haͤtten. Es ſey in der That eine tumme Laͤſterung gegen die Landesgeſetze, gegen die Ordnung, ohne welche die menſchliche Geſellſchafft nicht beſtehen koͤn - ne, und gegen unſere eigene Vorfahren. Je mehr er Utſache habe, ſich ſeines Herkommens und ſeiner Verwandtſchafften zu ruͤhmen, deſto ſtrafbarer ſey es, wenn er ſolche Reden fuͤhrte: ſtrafbarer, als wenn es andere thaͤten, die ſich ſolcher Vorzuͤge nicht ruͤhmen koͤnnten, Er ver -288Die Geſchichte verſpricht, kuͤnftig immer vorſichtiger in Reden und Handlungen zu werden, damit beyde ver - dienen moͤgen, daß ich ſie billige; und damit ich hiedurch eine vorlaͤuffige Verſicherung be - kommen moͤge, daß ein Grund der Beſſerung bey ihm gelegt ſey, die kuͤnftig durch meinem Vorgang und Beyſpiel vollſtaͤndiger werden ſollte, wenn er anders ſo gluͤcklich wird, mich die Seinige zu nennen.

Wenn ich zu meinem Onckle Anton reiſe, ſo giebt er mich gantz verlohren. Meine dor - tige Einſchraͤnckung, das verſchantzte Haus, die Capelle, die Unverſoͤhnlichkeit meines Bruders und meiner Schweſter, der Einfluß, den ſie in die gantze Familie haben, ſind ihm lauter ge - faͤhrliche Umſtaͤnde, die er mir ſehr fuͤrchterlich vorſtellet. Er giebt mir zu erkennen, er wuͤr - de etwas wagen muͤſſen, um es zu hindern, daß ich nicht dorthin gefuͤhret wuͤrde.

Jch hoffe, daß Jhre guͤtige und edle Vor - bitte fuͤr mich bey Jhrer Frau Mutter verhuͤten wird, daß es mit mir nicht auf das aͤuſſerſte komme. Zu Jhnen will ich fliehen, wenn es mir erlaubt iſt, und alles heiliglich halten, was ich verſprochen habe, an niemanden zu ſchreiben, und niemand zu ſprechen, ohne Jhren und Jhrer Frau Mutter Rath daruͤber zu hoͤren und zu befolgen. Jch ſchlieſſe, und will dieſen Brief fuͤr Sie hin -legen.289der Clariſſa. legen. Jch brauche nicht mehr zu melden, wie aufrichtig ich bin,

Jhre ewig ergebene und ewig verpflichtete Cl. Harlowe.

Der neun und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch freue mich, daß meine Papiere Jhnen wohl zu Haͤnden gekommen ſind. Jch werde mich bemuͤhen, mich ſo zu verhalten, daß Sie meine Handlungen billigen koͤnnen, damit ich nicht Jhren Ausſpruch und dem Ausſpruch meines eigenen Hertzens gegen mich habe.

Jch habe von neuen einen Brief von Herrn Lovelace erhalten. Er iſt wegen der morgen bevorſtehenden Unterredung mit Herrn Solmes ſehr beſorgt. Er ſchreibt: der elende Kerl ge - berdete ſich ſo hochmuͤthig, daß er deswegen neue Urſache haͤtte, beſorgt zu ſeyn. Es koſte ihn unendlich vielen Kampf, daß er ihn nicht beſuchen noch ihn bedeuten duͤrfte, was die Folge davon ſeyn wuͤrde, wenn er oder die MeinigenZweyter Theil. T Ge -290Die Geſchichte Gewalt gebrauchten. Er berichtet mir, daß Solmes wircklich mit einigen Kauffleuten we - gen neuer Montirung und Equippage in Han - del ſtehet: er nennet mir auch die Nahmen der Kauffleute in London, an die er geſchrieben hat. Er hat ſo gar, (der haͤßliche Menſch) gewiſſe Zimmer ſeines Hauſes zur Kinderſtube, und zu anderen in der Haushaltung noͤthigen Gebrauch beſtimmet.

Wie kan ich es dulden, daß ein ſolcher Menſch von Liebe zu mir ſchwatzen will. Jch kan laͤnger keine Geduld mit ihm haben. Jch haͤtte nicht geglaubet, daß er ſich unterſtuͤnde, ſolche Zuberei - tungen zu machen, oder davon zu reden, die mit meines Bruders Abſichten ſo wenig uͤberein - ſtimmen. Allein ich mag nicht weiter an eine Sache gedencken, daruͤber ich mich nur aͤrgern muß.

Da Solmes ſo viel gute Hoffnung hat, ſo werden Sie ſich nicht wundern, daß Lovelace eben ſo zuverſichtlich iſt. Er bittet mich im Nahmen ſeiner gantzen Familie, mich durch ei - ne fruͤhzeitige Flucht vor den Gewaltthaͤtigkeiten zu ſichern, die in meines Onckles Hauſe auf mich warten. Er iſt ſo voreilig, mir ſeines Onckles Wagen mit ſechs Pferden anzubieten, der mich am Ende des einſamen Waͤldchens erwarten ſoll, das an unſern Thiergarten ſtoͤßt. Sie werden mit Verwunderung ſehen, daß er ſo dreiſte iſt, eines Entwurffs der Ehepacten zu gedencken; und mir zu verſprechen, daß ei -nige291der Clariſſa. nige Leute zu Pferde bereit ſeyn, und eine von ſeinen Baſen Montague mit in dem Wagen oder in dem benachbarten Dorf ſeyn ſolle, um mich zu ſeines Onckels des Lord M. Hauſe, oder zu einer ſeiner andern Baſen, oder bis nach London zu begleiten. Es ſolle, ſchreibt er, alles dieſes in meinem Belieben ſtehen, und ich ſoll ihm alle Bedingungen vorſchreiben, und ihn einſchraͤncken koͤnnen, ſo viel ich will.

Er drohet, unterwegens aufzulauren und mich aus den Haͤnden der Meinigen mit Huͤlffe ei - niger bewaffneten Freunde und Bedienten zu befreyen, (wie er es nennet) wenn ſie mich wi - der meinen Willen nach meines Onckels Woh - nung fuͤhren wollen; ich mag nun in ſeinen Vorſchlag willigen oder nicht. Denn, ſetzt er hinzu, er habe alle Hoffnung verlohren, wenn ich einmahl in jenem Hauſe waͤre.

Wer kan ſolche Umſtaͤnde uͤberlegen, ohne den tiefſten Kummer zu empfinden?

O des ſchaͤdlichen Geſchlechts! Was habe ich damit zu thun gehabt? oder was gehe ich dieſe Leute an? Wenn ich mich durch mein eigenes Lauffen oder durch Unvorſichtigkeit in ſolche Um - ſtaͤnde gebracht haͤtte, ſo wollte ich ſagen, es ſey mein verdienter Lohn. Jch wuͤnſchte von Her - tzen doch was fuͤr thoͤrichte Wuͤnſche ent - fahren uns, wenn wir unſer Ungluͤck fuͤhlen, und uns nicht zu helfen wiſſen!

Jch ſetze meine eintzige Hoffnung auf die Guͤ - tigkeit Jhrer Frau Mutter. Wenn ich michT 2nur292Die Geſchichtenur nicht uͤbereilen darf, ehe mein Vetter Mor - den ankommt, ſo wird hoffentlich eine Ausſoͤh - nung erfolgen, und es wird alles gut gehen.

Jch habe fuͤr Herrn Lovelace einen Brief hingelegt, darin ich auf das ernſtlichſte von ihm verlange, daß er ſich nicht uͤbereilen, und Herrn Solmes nicht beſuchen ſoll, weil dieſes aller - hand ſchlimme Folgen haben koͤnnte. Er wuͤr - de mich ſonſt ſo beleidigen, daß ich es nimmer vergeben wollte.

Jch verſichere ihn aufs neue, daß ich lieber ſterben will, als den Menſchen nehmen.

Wie ſchlimm man auch immer mit mir um - gehet, und wie ſich meine Unterredung mit Solmes auch endigen moͤchte, ſo begehre ich dennoch von ihm, keine Gewalt gegen irgend einen meiner Anverwandten zu gebrauchen. Jch bezeuge ihm mein Misvergnuͤgen daruͤber, daß er ſich unterſteht, mich fuͤr eine ihm ſo na - he angehende Perſon anzuſehen, daß er meinem Vater es verwehren duͤrfte, mich auf meines Onckles Gut zu ſchicken: ob ich gleich weder an meinem Bitten noch an andern Mitteln es ermangeln laſſen wuͤrde, um dieſes zu verhuͤten; ſollte es auch ſo weit gehen, daß ich mich kranck machte.

Morgen iſt es Dienſtag. O wie bald uͤber - faͤllt mich dieſer fuͤrchterliche Tag. Koͤnnte ich doch in einen Todten-Schlaf von vier und zwan - tzig Stunden fallen! Allein denn wuͤrde doch der folgende Tag wieder mein Dieuſtag ſeyn, undalle293der Clariſſa. alle die ungluͤcklichen Folgen haben, die ich heu - te von dem morgenden Tage befuͤrchte. Wenn Sie dieſen Brief eher leſen, als Sie den Aus - gang der fuͤrterlichen Unterredung wiſſen, ſo ſchlieſſen Sie in Jhr Gebet ein,

Jhre Clariſſa Harlowe.

Der dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Nunmehr iſt der Tag gekommen. Jch wuͤnſch - te, daß er ſchon gluͤcklich voruͤber ſeyn moͤchte. Jch habe eine ſehr ſchlechte Nacht ge - habt: ich konte kaum einen Augenblick ſchlafen, weil mir immer die bevorſtehende Unterredung im Sinne lag. Es iſt mir dieſe Unterredung eben dadurch wichtiger und fuͤrchterlicher geworden, weil ſie mit Bewilligung meiner Freunde ſo lan - ge aufgeſchoben iſt.

Man muß ſich nicht allzuviel Ueberlegung wuͤnſchen, wenn ſie nicht mit Jhrer Lebhaftig - keit verbunden iſt. Denn dieſe Jhre Lebhaftig - keit verurſachet, daß Sie eine gegenwaͤrtige Freu -T 3de294Die Geſchichtede ſchmecken koͤnnen, ohne wegen des kuͤnftigen allzubeſorgt zu ſeyn.

Um 11 Uhr.

Meine Baſe Hervey hat mich beſucht. E - liſabeth ſagte mir mit der ihr gewoͤhnlichen laͤr - menden Art: es wuͤrde ein Frauenzimmer, das ich gewiß nicht erwartete, auf ein Fruͤhſtuͤck zu mir kommen. Jch meinte gewiß, es waͤre mei - ne Mutter; und dieſer Gedancke ſetzte mich in ſolche Unruhe, weil ich die Urſachen dieſes Be - ſuchs nicht errathen konnte, nachdem ich ſo lan - ge ihrer Gegenwart hatte entbehren muͤſſen, daß meine Baſe meine Verwirrung bemerckte, nach - dem wir kaum die erſten Worte, welche die Hoͤf - lichkeit erfoderte, mit einander geredet hatten.

Wie? Fraͤulein: ſagte ſie: ſie ſcheinen beſtuͤrtzt zu ſeyn. Jhr allzuſorgfaͤltige jun - ge Kinder macht euch bisweilen ohne Urſache allerhand Gedancken. Was fehlt ihnen? ſagte ſie, und ergriff meine Hand. Mein Hertz / warum zittern / zittern / zit - tern ſie ſo? Sie ſind nicht im Stande / je - mand zu ſprechen. Kommen ſie / meine Liebe (mit einem Kuß) faſſen ſie ein Hertz. Jhre uͤberfluͤßige Furcht vor der bevor - ſtehenden Unterredung wird ſie nach En - digung dieſer Unterredung uͤberzeugen / von was fuͤr Art ihr gantzer Widerwil - le gegen eine gewiſſe Perſon iſt. Sie wer - den uͤber ſich ſelbſt lachen muͤſſen / daß ſieſich295der Clariſſa. ſich ſo fuͤrchterliche Vorſtellungen gemacht haben.

Jch antwortete: wenn man ſich etwas vor - ſtellete, ſo haͤtte es eben die Wirckung, als wenn es lauter Wahrheit waͤre, ob es gleich andere nur fuͤr Einbildung hielten. Jch haͤtte die gan - tze Nacht hindurch nicht eine Stunde geſchlafen. Meine unverſchaͤmte Aufſeherin waͤre Schuld an meiner Beſtuͤrtzung, weil ich aus ihren Wor - ten haͤtte ſchlieſſen muͤſſen, daß meine Mutter zu mir kaͤme. Jch geſtuͤnde indeſſen, daß ich gar nicht im Stande waͤre, eine gewiſſe Perſon zu ſprechen, die ich nicht gern ſprechen wollte.

Sie erwiederte! niemand koͤnte aus uns klug werden. Herr Solmes ſey die vergange - ne Nacht eben ſo unruhig geweſen als ich.

Allein, ſagte ich, wem ſoll denn durch unſere Unterredung ein Gefalle geſchehen?

Jch hoffe ihnen beyden / wenn die er - ſte Unruhe voruͤber ſeyn wird. Ein fuͤrch - terlicher Anfang hat oft ein vergnuͤgtes Ende. Das weiß ich aus Erfahrung.

Nur Ein gluͤckliches Ende, ſagte ich, kan die - ſe Unterredung haben, wenn nemlich beyde Thei - le damit zufrieden ſind, daß es die letzte Unter - redung ſeyn ſoll.

Sie ſtellete mir hierauf alles Ungluͤck vor, das mich befallen wuͤrde, wenn ich mich nicht lencken lieſſe. Sie bat mich, ich moͤchte ihm doch we - nigſtens ſo begegnen, wie es meiner Erziehung gemaͤß waͤre. Seine Furcht vor mir haͤtte kei -T 4ne296Die Geſchichtene andere Urſache als Liebe und Ehrerbietung; und die Furcht und Ehrerbietung ſey immer das ſicherſte Zeichen der Liebe. Einen dreiſten und wilden Liebhaber muͤſſe man nie dreiſter machen, noch ihm einige Hoffnung geben.

Jch antwortete: man muͤſſe dem Tempera - ment etwas zu gute halten. Ein muthiger Geiſt wuͤrde immer muthig handeln, und in keinem Stuͤcke niedertraͤchtig ſeyn; hingegen wuͤrde ein kriechendes Gemuͤth ſich uͤber all kriechend bewei - ſen, wo es einen Vortheil ſehe, und trotzig thun, wenn es keine Abſichten haͤtte. Es ſey dieſes eine Sache, die jetzt nicht mit mir ausgemacht werden koͤnnte. Jch haͤtte ſchon genug davon geſaget. Die gantze Unterredung ſey mir von denen aufgedrungen, welche Recht haͤtten, mir zu befehlen; allein ſie gehe gaͤntzlich wider mei - ne Neigung vor ſich, weil ich bisher nicht aus Vorſatz, ſondern aus unuͤberwindlicher Abneigung Herrn Solmes ausgeſchlagen haͤtte, daher ich zum voraus ſehe, daß dieſe Unterredung keinen andern Nutzen haben wuͤrde, als den Meinigen einen neuen Vorwand zu verſchaffen, daß ſie noch haͤrter mit mir umgehen koͤnnten.

Sie gab mir aufs neue Vorurtheile und ein von Lovelace eingenommenes Hertz Schuld. Sie redete weitlaͤuftig von der Pflicht eines Kindes, ſchrieb mir eine Menge guter Eigen - ſchafften zu, denen aber dieſes mahl die Crone fehlte, nemlich ein folgſamer Sinn. Sie ſtelle - te mir den Gehorſam, dabey ich meine eigeneEin -297der Clariſſa. Einſichten verleugnete, als ein ſehr groſes gutes Werck vor. Weil ich mir hatte mercken laſſen, daß ich wegen meiner bisherigen freyen Auffuͤh - rung gegen Herrn Solmes mich deſto weniger entſchlieſſen koͤnne, ihn zu nehmen; ſo redete ſie viel von der Verſoͤhnlichkeit dieſes Mannes, von ſeiner unendlichen Hochachtung fuͤr mich, und von andern Dingen gleicher Art.

Jch bin in meinem Leben nicht ſo aͤrgerlich geweſen, als dieſes mahl: ich ſagte es meiner Baſen, und bat ſie um Vergebung. Sie ant - wortete, wenn ich in der That ſo aͤrgerlich waͤre, ſo muͤßte ich mich gewiß treflich verſtellen koͤn - nen. Sie merckte nichts davon, und faͤnde nichts an mir als eine kleine wunderliche Furcht - ſamkeit, die das Frauenzimmer anzunehmen pflegte, wenn ihnen ihr Bewunderer, (wie ſie Herrn Solmes mit Recht nennen koͤnnte) das erſte mahl aufwartete. Denn dieſes ſey das erſte mahl, da ich verwilliget haͤtte, ihn als ei - nen Bewunderer von mir zu ſprechen. Allein das naͤchſte mahl

Jch fiel ihr in das Wort: alſo bildet man ſich ein, daß ich ihn auf die Weiſe zu ſprechen ge - dencke?

Allerdings / mein Kind!

Allerdings? So bitte ich ſie, ſuchen ſie die - ſe Unterredung noch zu hintertreiben. Jch will und ich kan ihn nicht ſprechen, wenn es die Meinung haben ſoll.

Taͤndeley! Puͤnctlichkeit! nichts als uͤbertriebene Puͤnctlichkeit / mein Kind! T 5Konn -298Die Geſchichtekonnten ſie dencken / wenn ſie Tag / Ort und Stunde ihrer Zuſammenkunft mit ihm beſtimmeten / und ſeine Abſicht zum voraus wußten / daß man dieſes fuͤr einen gemeinen Hoͤflichkeits-Beſuch halten kan, und daß es weiter nichts zu bedeuten ha - ben ſolle? Jhr Vater / ihre Mutter / ihre Onckles / und jedermann ſiehet dieſe Zu - ſammenkunft als den Anfang ihres Ge - horſams und Nachgebens an: ich bitte ſie demnach / treten ſie nun nicht zuruͤck / ſon - dern thun ſie das auf eine angenehme und ihren Eltern wohlgefaͤllige Weiſe, was ſie doch thun muͤſſen.

O der eckelhafte Abſcheu vom Menſchen! Vergeben ſie mir den Ausdruck. So glaubt man doch, daß ich einen ſolchen Menſchen in der Abſicht ſpreche? und er wird durch derglei - chen Hoffnung muthiger gemacht? Allein es iſt ohnmoͤglich, daß er die geringſte Hoffnung hat, wenn ſie auch andere wircklich haben ſoll - ten. Er kan keine Hoffnung haben; das iſt daraus klar, weil er ſich vor unſerer Zuſam - menkunft fuͤrchtet. Wenn ſeine Hoffnung ſo dreiſte waͤre, ſo brauchte er ſich nicht zu fuͤrch - ten.

Jn der That / er hat Hoffnung: wohl - gegruͤndete Hoffnung! Seine Furcht ent - ſtehet aus Ehrerbietigkeit / das habe ich ihnen ſchon geſagt.

Aus Ehrerbietigkeit? nein! ausUn -299der Clariſſa. Unwuͤrdigkeit. Dieſe faͤllt ſo in die Augen, daß er ſie ſelbſt einſehen muß, wie ſie alle an - dere gewahr werden. Darum will er mich auch kauffen. Darum kommen die treflichen Verſchreibungen, durch welche er den Mangel eigener Vorzuͤge erſetzen will.

Aus Unwuͤrdigkeit! ſagen ſie? Nicht ſo hefftig mein Kind[?]Laͤßt das nicht, als wenn ſie ſich einen allzugroſen Werth zuſchreiben? Wir haben insgeſamt ſehr hohe Begriffe von ihnen; allein ſie wuͤr - den wohl thun / nicht ſelbſt von ſich all - zuviel zu halten; wenn ſie auch noch vor - treflichere Eigenſchafften an ſich haͤtten, als die Jhrrgen an ihnen erkennen.

Es thut mir leid, daß es mir zum Hoch - muth ausgelegt wird, wenn ich glaube einen beſſern Mann zu verdienen, als Herr Sol - mes in Abſicht auf Leib und Gemuͤth iſt. Was ſein Vermoͤgen anbetrifft, ſo dancke ich Gott von Hertzen, daß ich alle daher genommene Gruͤnde von Hertzen verachten kan.

Sie ſagte: unſer Reden von der Sache habe nicht viel zu bedeuten. Jch wuͤßte ohnehin / was ein jeder von mir erwar - tete.

Das weiß ich gewiß nicht. Es war mir ohnmoͤglich, andern eine ſo ungegruͤndete und wunderliche Erwartung anzudichten; da ich weiter nichts gethan habe, als daß ich in einer Sache nachgab, um dadurch meine Bereitwil -lig -300Die Geſchichte ligkeit zum Nachgeben in allen moͤglichen Din - gen zu zeigen.

Jch haͤtte / antwortete ſie, leicht dencken koͤnnen / daß dieſes jedermann fuͤr einen Anfang zu mehrerem Gehorſam und Ge - faͤlligkeiten halten wuͤrde. Jch haͤtte den Schluß aus dem freundlichen Betragen meines Bruders und meiner Schweſter gegen mich machen muͤſſen: aus dem Beſuch meiner Schweſter / den ſie mir auf meiner Stube gegeben haͤtte / ob ich ihr gleich kaltſinniger begegnet waͤre, als ſie gehoffet haͤtte: aus dem guͤtigen Zu - ſpruch meines Onckles Harlowe / an eben dem Nachmittage / den ich zwar auch nicht mit ſolchem Danck erwidert haͤtte / als ich ſonſt ſeine Guͤtigkeit gegen mich zu erwiedern pflegte. Allein er haͤtte die guͤtige Auslegung daruͤber gemacht / daß es nur aus Verdruß uͤber meine bisheri - ge Gefangenſchafft herruͤhrete / und weil ich etwan von meiner Widerſpaͤnſtigkeit nur Stuffenweiſe herab ſteigen wollte / um mich wegen meiner vorigen Verge - hungen bey Ehren zu erhalten.

Sie ſehen nun alle die niedrigen Raͤncke, de - ren man ſich am letzten Sonntage gegen mich bedient hat: und die Urſache, warum dem D. Lewin erlaubt werden mußte, mich zu beſuchen, allein ohne von der Sache reden zu duͤrffen, die ich Anfangs fuͤr die Abſicht ſeines Beſuchs hielt. Denn301der Clariſſa. Denn es wollte ſich nicht ſchicken, daß man mich zu etwas zu uͤberreden ſuchte, darein ich ſchon gewilliget haben ſollte. Sie ſehen auch, wie ſonderbahr die Erzaͤhlung meines Bruders und meiner Schweſter von ihren vorgegebenen freundlichen Betragen gegen mich geweſen ſeyn muͤſſe. Selbſt ihre zum Schein ange - nommene Freundlichkeit hatte Abſichten zum Grunde: und doch war ihr Widerwille gegen mich ſo ſtarck, daß ſie meiner durch ihr recht ver - liebtes Anfaſſen und umarmen ſpotten mußten, und daß meine Schweſter ſich auch damahls nicht enthalten konnte hoͤhniſch gegen mich zu thun, als ſie den Thomas a Kempis von mir borgen wollte.

Jch hub Haͤnde und Augen in die Hoͤhe, und ſagte: ich wuͤßte gar nicht, welchen Nahmen ich fuͤr dieſe Auffuͤhrung ausfindig machen ſollte? Wie wenig iſt es doch vermuthlich, daß der Endzweck durch ſo niedertraͤchtige Mittel erreicht werden wird? Jch weiß, von wem alle dieſe Kuͤnſte herkommen! Wer meinen Onckle Harlowe bewegen konnte, die Perſon zu ſpie - len, die ihm aufgetragin ward, und meine uͤbri - gen Freunde dahin bringen kan, daß ſie muͤßi - ge Zuſchauer abgeben, und ſich alles gefallen laſſen; der muß im Stande ſeyn, alles was er will gegen mich zu unternehmen, und meine Verwanten mit hinein zu ziehen.

Meine Baſe ſagte mir abermahls: Schwa - tzen und Schelten wuͤrde nun nichts aus -rich -302Die Geſchichterichten / nachdem ich einmahl ſo viel Hof - nung gemacht haͤtte. Jch wuͤrde doch nicht alle meine Anverwante uͤberzeugen wollen / daß ſie zu voreilig geweſen waͤren / eine guͤtige Auslegung uͤber mein Verſpre - chen zu machen / und es zu geſchwind aus einem Verlangen ihnen gefaͤllig zu ſeyn hergeleitet haͤtten. Sie koͤnte mir verſi - chern / daß es ſchlimmer fuͤr mich ſeyn wuͤr - de / wenn ich jetzt zuruͤck gehen wolte / als wenn ich nie ſo weit gegangen waͤre.

So weit gegangen! Wie koͤnnen ſie von ſo weit gegangen reden? Was? Das iſt ei - ne Schlinge! eine armſeelige niedertraͤchtige Schlinge! Nehmen ſie mir den Ausdruck nicht unguͤtig. Jch gebe ihnen nicht Schuld, daß ſie Antheil daran nehmen. Allein wiſſen ſie nicht, ob meine Mutter bey dieſer fuͤrchterlichen Unterredung mit zu gegen ſeyn will? Wird ſie mir nicht dieſe Guͤtigkeit erzeigen? Wenn es auch nur um der Leute willen geſchehe.

Um der Leute willen? fiel ſie mir in die Rede. Jhre Mutter und ihr Onckle Harlowe wollen nicht dabey zugegen ſeyn / wenn ſie auch die gantze Welt dadurch verdienen koͤnnten.

Allein wie koͤnnen ſie denn ſagen, daß ich ſo weit gegangen bin: wenn man von der Unterredung ſo ſchlechte Hoffnung hat?

Meine Baſe ward gantz ungehalten daruͤber, daß ich ſie ſo abgefuͤhrt hatte. Fraͤulein Claͤr -chen303der Clariſſa. chen / ſagte ſie, mit ihnen iſt kein Auskom - men. Wenn ſie ſo gehorſam als witzig waͤren / ſo wuͤrde es ein Gluͤck fuͤr ſie und fuͤr andere ſeyn. Jch will von ihnen ge - hen

Allein doch nicht in Unwillen? Das will ich nicht hoffen! Jch wollte nur ſo viel zu verſte - hen geben: unſere Unterredung mag ausfal - len, wie ſie will, ſo hat ſich niemand zu bekla - gen, daß er ſich in ſeiner Hoffnung betrogen ſehe.

Ach Fraͤulein / ſie ſind jung aber ſehr unbeweglich. Herr Solmes wird ſich um die geſetzte Zeit einfinden. Bedencken ſie, daß die Ruhe unſerer Familie und ihre eigene Gluͤckſeligkeit auf dieſen Nachmit - tag ankommt.

Mit dieſen Worten gieng ſie geſchwind hin - unter. Jch ſchlieſſe hier meinen Brief. Jch kan nicht einmahl rathen, vielweniger mit Ge - wißheit zum voraus beſtimmen, wenn oder auf was fuͤr Art ich meinen Briefwechſel werde fort - ſetzen koͤnnen. Jch bin ſehr unruhig! Haben Sie keine gute Nachricht, die Sie mir von Jhrer Frau Mutter Antwort geben koͤnnen? Aus Furcht vor etwas noch ſchlimmern will ich die - ſen Brief gleich hinlegen.

A dieu, meine beſte, meine eintzige Freundin.

Der304Die Geſchichte

Der ein und dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Wohlan! ich lebe noch, und ich bin noch hier. Allein ich weiß nicht, wie lange beydes waͤhren wird. Jch habe ſehr viel zu ſchreiben, und vielleicht habe ich nur wenige Zeit dazu uͤbrig. Jch kan aber doch den Umſtand nicht vorbey laſſen, daß mich die alberne Eliſabeth durch ihr ungeſtuͤmes Weſen in ein neues Schre - cken ſetzte, als ſie Herrn Solmes bey mir an - meldete, ob ich mich gleich ſchon vorhin in ſolcher Unordnung befand, daß es nicht noͤthig gewe - ſen waͤre, mich von neuen zu erſchrecken.

Fraͤulein! Fraͤulein! Fraͤulein! ſchrye ſie, ſo geſchwind ſie konnte, mit auseinander geſper - reten Armen; alle Finger ſperrete ſie auch von einander: wollen ſie ſo guͤtig ſeyn / und in ihren Saal gehen. Alle im Hauſe ſind ſchon drinnen. Es iſt eine recht groſſe Verſammlung. Herr Solmes iſt auch da. Er ſieht ſo artig aus als ein Graf. Er hat eine charmante gepuderte Peruque auf; ſchoͤne Spitzen-Manchetten; einen beſetz - ten Rock; und eine Weſte die gantz von ſilbernen Spitzen ſtarret. Er ſieht recht artig aus, das koͤnnen ſie mir zuglauben. Sie305der Clariſſa. Sie haben noch nie eine ſo groſſe Veraͤn - derung geſehen. Ach Fraͤulein / (hier ſchuͤt - telt ſie den Kopf) es iſt Jammer Schade / daß ſie ſo viel wider ihn geredet haben. Allein ſie koͤnnen doch noch gut davon kommen. Jch hoffe / daß es noch nicht zu ſpaͤte ſeyn wird.

Was fuͤr Unverſchaͤmtheit? (ſagte ich) Jch hoffe nicht, daß dlr befohlen iſt, es mir mit ſol - chem Ungeſtuͤm anzubringen. Jch nahm hierauf den Fechtel und wehete mich.

GOtt behuͤte! antwortete ſie. Wie bald kan man ſolche junge Fraͤuleins erſchrecken? Jch wollte ihnen nichts zu leide thun; ich wollte ſie nicht erſchrecken.

Jhr ſagt: alle im Hauſe ſind drunten? Wen verſteht ihr, unter allen im Hauſe?

Ey Fraͤulein! (antwortete ſie mit aufgeſper - reten Haͤnden, und mit einem hoͤniſchen alber - nen Geſicht. So oft ſie jemand nannte, zaͤhlte ſie einen Finger weiter) ihr Vater iſt da, ihre Mutter iſt da, ihr Onckle Harlowe iſt da, ihr Onckle Anton iſt da, ihre Baſe Hervey iſt da, meine junge Fraͤulein iſt da, mein junger Herr iſt da, Herr Solmes iſt da, und ſieht wie ein Hof-Cavallier aus, er ſtand auf als er ſie nen - nete: Jungfer Eliſabeth ſagte er (hiebey mach - te die Affe einen Buͤckling und Kratzfuß; ſo al - bern, als wenn es Solmes leibhaftig waͤre) ge - he ſie doch hinauf und mache ſie der FraͤuleinZweyter Theil. Umeine306Die Geſchichtemeine Empfehlung, und ſage ſie ihr, daß ich ihr aufzuwarten wuͤnſchte.

Jſt das nicht ein gottloſes Menſch! Jch zit - terte ſo, daß ich kaum ſtehen konnte. Jch war aber doch noch ſo hoͤhniſch, daß ich ſagte: ich glaubte, ihre Fraͤulein haͤtte ihr befohlen, ſol - che wunderliche Geberden anzunehmen, damit ſie mich mehr verunruhigen und auſſer Stand ſetzen moͤchte, durch eine bedaͤchtliche Auffuͤhrung meinen Onckle zum Mitleiden zu bewegen.

Wie ſtellen ſie ſich an, Fraͤulein? ſagte das unverſchaͤmte Maͤdchen. Kommen ſie doch (ſie nahm meinen Fechtel, den ich eben hingelegt hat - te, und brachte ihn mir) ſoll ich

Nichts von ſolcher unverſchaͤmten dreiſten Auf - fuͤhrung! Allein ſagt mir, ſind alle meine Ver - wanten drunten? Soll ich vor ihnen allen er - ſcheinen?

Jch weiß nicht, antwortete ſie, ob ſie bleiben werden, wenn ſie kommen. Es kam mir vor, als wollten ſie aufſtehen, da mir Herr Solmes das Compliment auftrug. Aber was ſoll ich dem Juncker fuͤr Antwort bringen?

Sagt, ich koͤnnte nicht kommen. Doch, wenn es einmahl uͤberſtanden iſt, ſo iſt es uͤber - ſtanden! Sagt, ich wuͤrde meine Aufwartung machen: ich wollte gleich herunter kommen. Sagt nur, was ihr wollt: ich frage nichts dar - nach. Gebt mir aber meinen Fechtel, und hohlt mir ein Glas Waſſer.

Sie ging weg, und ich wehete immer mit demFech -307der Clariſſa. Fechtel, denn ich war feuerroth. Jch ſuchte mich zu faſſen und zu uͤberwinden, ſo gut ich konn - te, und trunck das Glas aus, das ſie mir brach - te. Weil ich keine Hoffnung hatte, mich noch beſſer zu faſſen, ſo ſchickte ich ſie hinunter, und folgte ihr gleich nach: ich zitterte aber ſo, daß ich glaube, ich haͤtte nicht hinunter gehen koͤnnen, wenn ich nicht ſo geeilet haͤtte. Was fuͤr ein elendes ſchwaches Werckzeug iſt unſer Leib, wenn das Gemuͤrh beunruhiget iſt?

Mein Saal (wie ich ihn zu nennen pflegte) hat doch zwey Thuͤren, als ich zu der einen hin - ein trat, ſo flogen meine Verwanten zu der an - dern hinaus. Jch konnte noch den Rock mei - ner Schweſter ſehen, welche im Weggehen die letzte war. Mein Onckle Anton ging auch mit ihnen hinaus, allein er blieb nicht lange drauſ - ſen, wie ich ihnen hernach erzaͤhlen werde. Sie blieben zuſammen in dem naͤchſten Saal, der nur durch eine Bretter-Wand von meinem ab - geſondert iſt. Es war ſonſt nur ein Saal: als wir Maͤdchens aber groß wurden, ſo ward die Abtheilung gemacht, damit eine jede ihren Beſuch beſonders annehmen koͤnnte.

So bald ich herein trat, nahete ſich mir Herr Solmes / und beugete ſich beynahe bis auf die Erde. Man ſahe die Verwirrung in allen ſei - nen Geſichts-Zuͤgen. Nachdem er ſechs bis ſie - ben mahl nichts als, Fraͤulein / Fraͤulein her - aus gewuͤrget hatte, ſo bedaurte er / es that ihm ſehr leid / er war ſehr ungluͤcklich;U 2und308Die Geſchichteund niemand wußte was er bedaurte. Er hielt immer inne, und konnte nicht einen verſtaͤndli - chen Satz zur Welt bringen.

Hiedurch kam ich wieder zu mir ſelbſt: denn wenn man ſiehet, daß der Feind furchtſam iſt, ſo pflegt man ſelbſt mehr Muth zu bekommen. Vielleicht aber iſt die neue Heldin noch furchtſa - mer als ihr furchtſamer Feind.

Jch wandte mich von ihm, ſetzte mich auf ei - nen Stuhl an dem Camin, und fing mich an mit dem Fechtel zu wehen. Jch habe nachher bedacht, daß ich ſehr wunderlich ausgeſehen ha - ben muß. Jch wuͤrde mir ſelbſt veraͤchtlich vor - gekommen ſeyn, wenn ich nur einen Gedancken haͤtte haben koͤnnen, der ihm guͤnſtig geweſen waͤ - re. Allein was kan man weiter ſagen, wenn man eine ſo hertzliche Abneigung von einer Per - ſon hat?

Er huſtete etliche mahl, wie ich vorhin gethan hatte; und endlich kam ein begreiflicher Satz heraus: ich muͤßte ſeine Verwirrung noth - wendig mercken. Auf dieſen Satz folgeten zwey oder drey andere Saͤtze. Jch glaube, mei - ne Baſe hatte ihn auswendig gelernt, was er ſagen ſolte: denn ich hoͤrte von nichts als von Ehrerbietung gegen ein ſo allervorzuͤg - lichſtes Frauenzimmer / (dergleichen Worte brachte er vor) und er hoffete / er hoffete / dreymahl hoffete er, (ohne mir zu ſagen was er hoffete) daß ich allzu edelmuͤthig ſeyn wuͤrde (Edelmuͤthigkeit waͤre meine rechteige -309der Clariſſa. eigene Tugend) ihn deshalb zu verachten / weil er ſolche / ſolche / ſolche wahre Zei - chen der Liebe blicken lieſſe.

Jch antwortete: ich nehme freylich an ihnen wahr, mein Herr, daß ſie etwas verwirret ſind: und ich ſchoͤpfe deswegen einige Hoffnung, daß dieſe Unterredung, dazu ich faſt gezwungen bin, gluͤcklichere Folgen haben moͤchte, als ich An - fangs geglaubet haͤtte.

Er huſtets endlich etwas mehr Hertz herauf.

Sie koͤnnen ſich, ſagte er, niemand vorſtellen, der gegen ihre Treflichkeiten ſo blind iſt, und ſo wenig dadurch geruͤhrt wird, daß er die guͤtige Geſinnung und das Ja-Wort ihrer gantzen Fa - milie verſchertzen ſolte, ſo lange er noch die An - wartſchaft hat, durch ſein Anhalten und Jnbrunſt der Liebe ihre Gegenliebe zu meritiren.

Jch mercke es genug, mein Herr, daß ſie ihre Hoffnung auf die Geſinnung und auf das Ja - Wort der Meinigen gruͤnden. Es waͤre ſonſt ohnmoͤglich, daß ein Herr der ſich ſelbſt nicht haſ - ſet, noch bey ſeiner Bitte beharren ſolte, nachdem ihm ſolche Erklaͤrungen geſchehen ſind, als ich ge - than habe, und fuͤr eine Pflicht gegen ſie und gegen mich gehalten habe, zu thun.

Er belehrte mich, daß er manche Frauenzim - mer geſehen und noch von mehreren gehoͤrt haͤtte, die eben ſo abgeneigt geweſen waͤren, und ſich doch endlich haͤtten herumlencken laſſen; einige durch Mitleiden, andere aus Gefaͤlligkeit gegen die Jhrigen: und es waͤre dieſer Perſonen ihrU 3Gluͤck310Die GeſchichteGluͤck geweſen. Er hoffete ein gleiches Gluͤck in ſeinen Umſtaͤnden.

Jch kan (erwiederte ich) in einer ſo wichtigen Sache aus Hoͤflichkeit nicht anders reden, als ich es meine: indeſſen thut es mir leid, daß ich ſo deutlich reden muß. Sie muͤſſen wiſſen, daß ich unuͤberwindliche Einwendungen gegen ſie ha - be. Jch habe dieſes ſchon ſo ernſtlich bezeuget, daß ich nicht weiß, ob jemahls eine abſchlaͤgige Antwort deutlicher geweſen iſt: weil ich glaub - te, daß niemahls eine junge Perſon in meinen Umſtaͤnden ſo viel Grobheit hat erdulden muͤſ - ſen, als ich um ihrentwillen erduldet habe.

Man hoffet aber, Fraͤulein, daß ſie ihr Ja - Wort mit der Zeit geben werden. Das hoffet man: und ich bin ein ungluͤcklicher Menſch, wenn ich mich in dieſer Hoffnung betrogen ſehe.

Vergoͤnnen ſie mir zu ſagen, mein Herr, daß es beſſer iſt, wenn ſie allein ungluͤcklich ſind, als wenn ſie noch jemand neben ſich ungluͤcklich ma - chen.

Sie moͤgen vielleicht etwas widriges von mir gehoͤrt haben, Fraͤulein. Ein jeder Menſch hat ſeine Feinde. Laſſen ſie mich nur erfahren, was ſie gehoͤrt haben, ſo will ich entweder meine Feh - ler bekennen und mich beſſern, oder ich will ih - nen beweiſen, daß man mich auf eine niedertraͤch - tige Weiſe mit Dreck beſpruͤtzt hat. Jch hoͤre, daß ſie etwas halb gehoͤrt haben ſollen, das ich geſagt haben ſoll: ich bin vielleicht unbe - hutſam im Reden geweſen, aber ich habe nichtsgeſagt,311der Clariſſa. geſagt, als daraus man meine Werthachtung ge - gen ſie wahrnehmen kan, daß ich nemlich nicht nachlaſſen wollte, ſo lange ich mir noch die ge - ringſte Hoffnung machen koͤnnte.

Jch habe in der That vieles zu ihrem Nach - theil gehoͤrt, Herr Solmes; und die Worte gefielen mir auch nicht, die ich im vorbeygehen aus ihrem eigenen Munde hoͤrte. Allein da ſie mich nichts angehen, und mich nie etwas an - gehen werden, ſo habe ich mich um das eine ſo wenig als um das andere bekuͤmmert.

Jch bin betruͤbt, dergleichen von ihnen zu hoͤ - ren. Sie ſollten mir nichts von Fehlern ſagen, gnaͤdige Fraͤulein, wenn ſie mich nicht lehren wollen, ſie zu verbeſſern.

Wohlan, mein Herr, verbeſſern ſie dieſen ei - nen Fehler: verlangen ſie nicht, daß ein junges Frauenzimmer um ſolcher Urſachen willen, die ihr veraͤchtlich vorkommen, in der allerwichtig - ſten Sache ihrer Freyheit beraubet, und gezwun - gen wird eine Perſon zu lieben, die ſie nimmer leiden kan: ein Frauenzimmer, das wenigſtens das Recht hat, ſich hoͤher zu ſchaͤtzen als alle die vortheilhafften Bedingungen, dafuͤr man ſie ver - kauffen will; und die ein Hertz hat, das nicht mehr verlanget als was noͤthig iſt in dieſem Le - ben vergnuͤgt und gluͤcklich zu ſeyn.

Jch kan nicht begreiffen, Fraͤulein, wie ſie gluͤcklich ſeyn koͤnnten, wenn ich von meiner Bit - te abſtehen wollte. Denn

Das gehet ſie nichts an, (unterbrach ich ihn) U 4geben312Die Geſchichtegeben ſie nur ihr Geſuch auf. Wenn die Mei - nigen einen andern Freyer zu meiner Straffe auftreiben, ſo ſind ſie doch ohne Schuld. Sie werden mich dadurch zur Schuldnerin machen, und mein gantzes Hertz wird ihnen dafuͤr dan - cken.

Er hielt ein wenig ein, und wuſte nicht, was er antworten ſollte. Jch wollte ihm eben noch deutlichere und ſtaͤrckere Proben meiner Offen - hertzigkeit geben, die ſeine Perſon betroffen ha - ben wuͤrden, als mein Onckle Anton herein trat.

So? ſagte er zu mir: ſie ſitzen wie eine Koͤ - nigin? die Audientz giebet! eine hochmuͤthige Audientz! Warum ſtehen ſie dort ſo demuͤthig, Herr Solmes? Was ſoll dieſe Furchtſamkeit, mein guter Mann? Jch hoffe, ſie ſollen ſich ein - ander beſſer kennen, ehe wir aus einander ge - hen.

Jch war aufgeſtanden, ſo bald er herein trat, und nahete mich ihm mit gebeugten Knien, und mit den Worten: ich bitte um Erlaubniß, mei - nem Onckle, den ich ſo lange nicht geſehen habe, meine Ehrerbietung zu bezeugen, und mir von ihm Liebe und Mitleiden auszubitten.

Sie werden, ſagte er, bey jedermann Liebe und Mitleiden finden, meine Baſe, wenn ſie Lie - be und Mitleiden verdienen lernen.

Wenn ich es jemahls verdient habe, antwor - tete ich, ſo verdiene ich es jetzt. Jch habe viel hartes ertragen muͤſſen. Jch habe Vorſchlaͤgege -313der Clariſſa. gethan, die man wohl haͤtte annehmen koͤnnen, und die ſich niemand wuͤrde unterſtanden haben, von mir zu fodern. Was habe ich gethan, da - durch ich verdiene, auf eine ſo ſchimpfliche Art aus aller Geſellſchaft verwieſen, und auf meine Stube eingeſperret zu werden? und warum ſucht man mir meine Freyheit in einer Sache zu rau - ben, auf der meine jetzige und kuͤnftige Gluͤck - ſeeligkeit beruhet?

Fraͤulein Claͤrchen / ſie haben bisher in allen Dingen ihren eigenen Willen gehabt: darum iſt ihnen jetzt der Wille ihrer Eltern ſo beſchwer - lich.

Meinen Willen? Erlauben ſie mir, mein lieber Onckle, ſie zu fragen, was bisher mein Wille geweſen iſt, als blos meines Vaters, und ihr, und meines Onckles Harlowes Wille? Habe ich nicht ſtets meine Ehre darin geſucht, gehorſam und gefaͤllig zu ſeyn? Jch habe nie um etwas gebeten, ohne vorher wohl zu uͤberle - gen, ob es mir auch koͤnnte zugeſtanden werden. Habe ich nicht noch jetzt darin eine Probe mei - nes Gehorſams gegeben, da ich mich erboten ha - be, unverheyrathet zu bleiben? Habe ich mich nicht erboten, mich des groß-vaͤterlichen Ver - maͤchtniſſes zu begeben, und blos der Gnade und Guͤte meines Vaters zu leben, der mir alles ent - ziehen koͤnnte, wenn ich ihn in irgend einer Sa - che beleidigte? Warum ſoll ich, mein lieber Onckle, in dem Stuͤcke ungluͤcklich gemacht wer - den, auf das alles mein wahres Gluͤck ankommt?

U 5Nie -314Die Geſchichte

Niemand verlangt ihres Gros-Vaters Gut von ihnen, Fraͤulein. Niemand begehrt es, daß ſie unverheyrathet bleiben ſollen. Sie wiſſen, was fuͤr Urſachen wir haben: und ihre Urſachen koͤnnen wir errathen: und, ſo lieb wir ſie auch haben, ſo muß ich ihnen doch bezeugen, daß wir ſie lieber zum Grabe begleiten wollten, als zugeben, daß ihre Abſichten erreicht wuͤrden.

Jch will mich aber verbindlich machen, nie - mand ohne meines Vaters, und ihren, und aller uͤbrigen willen zu heyrathen. Habe ich ihnen jemahls Anlaß gegeben, in meine Zuſage ein Mistrauen zu ſetzen? Jch will den allertheure - ſten Eyd abſchweren, der ausgefunden werden kan

Das iſt (unterbrach er mit ſtarcker Stimme) der Eyd der Ehe, und den ſollen ſie dieſem Herrn leiſten. Es ſoll, es ſoll ſo ſeyn, Claͤrchen. Je mehr ſie ſich dagegen ſetzen, deſto ſchlimmer wird es fuͤr ſie ſeyn.

Dieſe Ausdruͤcke, die in Gegenwart eines Mannes vorfielen, welcher dadurch mehr Hertz zu faſſen ſchien, brachten mich ſehr auf. Jch ſagte: nun ſo ſollen ſie mich denn auch eher zum Grabe geleiten, als daß ich dieſes thun ſollte. Jch will lieber den grauſamſten Tod uͤberneh - men, lieber in das fuͤrchterliche Grab meiner Vorfahren hineingehen, und mich darin vermau - ren laſſen, als mit meinem Willen auf Lebens - lang ungluͤcklich werden. Und ſie, Herr Sol - mes / mercken ſie was ich ſage: ich will lieberdie -315der Clariſſa. dieſe, oder irgend eine andere Art des Todes uͤbernehmen, die doch bald uͤberſtanden ſeyn wird, als die ihrige ſeyn, und durch ſie ewig ungluͤcklich werden.

Mein Onckle kam hieruͤber in eine ausneh - mende Wuth. Er faſſete Herrn Solmes / der ſehr beſtuͤrtzt zu ſeyn ſchien, bey der Hand, und fuͤhrete ihn an das Fenſter. Verwundern ſie ſich nicht Herr Solmes / ſagte er zu ihm, ſeyn ſie auſer Sorgen. Wir wiſſen (mit einem gar - ſtigen Fluch) was Weiber-Geſchwaͤtz zu bedeu - ten hat: der Wind iſt nicht ſo ſtuͤrmiſch und nicht ſo veraͤnderlich. (Er fluchte noch einmahl dazu.) Wenn ſie es der Muͤhe werth achten, noch einige Geduld zu haben und dem undanck - baren Maͤdchen Zeit zu laſſen, ſo werde ich Buͤr - ge dafuͤr, ſie wird bald umkehren. Jch werde Buͤrge fuͤr ſie. (Er bekraͤfftigte dieſes zum drit - ten mahl mit einem Fluche.)

Jch hatte mich unterdeſſen voller Unruhe und Unordnung gegen uͤber in das Fenſter geſtellet. Er kam auf mich zu, als wenn er mich ſchla - gen wollte: ſein Geſicht war in voller Arbeit, ſeine Haͤnde waren in einander gerungen, und die Zaͤhne biß er zuſammen. Ja! ja!! ja! ſie muͤſſen, ſie muͤſſen, ſie muͤſſen (ziſchete der arme Mann heraus) Herrn Solmes nehmen. Es ſoll nicht uͤber eine Woche lang mehr waͤhren. (Er ſetzte noch die vierte Betheurung hinzu. Der arme Mann! wie ſchwor und fluchte er doch! Jſt es nicht ſonderlich, daß Leute, die inihrem316Die Geſchichteihrem Leben ſo viel bey dem Sturm ausgeſtan - den haben, ſelbſt ſo ſtuͤrmiſch ſind!)

Jch ſagte: es thut mir leid, daß ich ſie ſo zornig ſehe. Jch mercke allzuwohl, daß alles dieſes meines Bruders Anſtifften iſt, der doch ſelbſt die Probe des Gehorſams nicht geben wuͤr - de, die jetzt von mir erwartet wird. Es wird fuͤr mich am beſten ſeyn, daß ich weggehe: denn ich fuͤrchte, ich werde ſie nur noch mehr erbittern. Denn ſo gern ich ihnen auch Gehorſam leiſten wollte, wenn ich koͤnnte, ſo iſt doch hierin meine Entſchlieſſung allzuveſt gefaßt, und ich kan nicht einmahl wuͤnſchen ſie zu aͤndern.

Wie konnte ich mich gelinder erklaͤren, da Solmes bey allem gegenwaͤrtig war, was er ſagte?

Jch wollte zu der Thuͤr hinaus gehen, zu der ich herein gekommen war. Die beyden Leute ſahen einander an, als wuͤſten ſie nicht, was ſie thun ſollten, ob ſie mich ſollten aufhalten, oder gehen laſſen. Aber wen traf ich vor der Thuͤr an, als meinen Bruder, der alles gehoͤrt hatte, was vorgegangen war?

Urtheilen ſie ſelbſt von meiner Verwunderung, als ich ihn ſo unvermuthet vor mir ſtehen ſahe. Er faſſete mich, ſo ſtarck er konnte, an die Hand, und ſagte: kehren ſie doch wieder um: artige Fraͤulein. Kehren ſie um, wenn es gefaͤllig iſt! Eingemaurt ſollt ihr nicht werden. Euer Bru - der, der die gantze Familie aufhetzt, wird das nicht zugeben. O du gefallener Engel! (ſagteer,317der Clariſſa. er, und richtete mein niedergeſchlagenes Geſichte auf.) Hier ſo viel Annehmlichkeit, und da (er faſſete auf meinen Nacken) ſo viel Hartnaͤckig - keit! du haſt recht das Hertz der Weiber, ob du gleich noch ſo jung biſt. Allein wiſſet es, euren Boͤſewicht ſolt ihr nicht haben: (dis wiſper - te er mir laut in die Ohren, als wenn er in Gegenwart des Solmes halb anſtaͤndig und halb unanſtaͤndig zu handeln ſuchte.) Jhr ſolt von ihm errettet werden, und dieſer rechtſchaf - fene Herr (mit lauter Stimme) will eur Schutz - Engel ſeyn, und euch vor eurem Verderben be - wahren. Jhr werdet ihm noch dancken, oder doch Urſache haben dafuͤr zu dancken, daß er ſich ſo herabgelaſſen hat. (Der artige Ausdruck meines unmenſchlichen Bruders!)

Er hatte mich indeſſen bis zu Herrn Sol - mes gefuͤhret. Er ergrif dieſes ſeine Hand, und behielt die meinige: hier, mein Herr, neh - men ſie die Hand der rebelliſchen Tochter an. Jch gebe ſie ihnen heute, und binnen einer Wo - che ſoll ſie ſelbſt dieſe Schenckung bekraͤfftigen; oder ſie ſoll weder Vater, noch Mutter noch Onckles haben.

Jch entriß ihm die Hand.

Wie nun Fraͤulein.

Wie nun, Juncker? Was habt ihr fuͤr Recht, meine Hand zu verſchencken? Wenn ihr ſonſt allen befehlet, ſo ſollt ihr mir doch nicht befehlen; und zwar am wenigſten in einer Sache, die michun -318Die Geſchichteunmittelbar betrifft, damit ihr nichts zu thun habt, und nie etwas zu thun haben ſollt.

Jch wollte mich von ihm losgeriſſen haben: allein er hielt meine Hand allzu veſte.

Laßt mich gehen Warum begegnet ihr mir ſo? Jch glaube, ihr thut es mit dem Vorſatz, mir die Hand wund zu druͤcken: das ſind Hoͤflichkeiten, deren das Frauenzimmer ſonſt von Mannsperſonen nicht gewohnt iſt. Jch frage euch nochmahls, was ich gethan habe, des - wegen ihr mir ſo begegnen duͤrfft!

Er warf hierauf meine Hand mit einem Stoß von ſich, der mir bis in die Schulter wehe that. Jch weinete, und hielt meine andere Hand auf die Stelle, da ich den meiſten Schmertz empfand. Herr Solmes ſo wohl als mein Onckle ver - wieß ihm ſeine Auffuͤhrung.

Er ſagte, er koͤnnte bey einer ſolchen Unart ohnmoͤglich Geduld behalten; und was ich vor - hin geſagt haͤtte, ehe er noch in die Stube ge - treten ſey, verdroͤſſe ihn allzuſehr. Er haͤtte mir nur meine Hand wiedergegeben, die nicht ver - dienete, von ihm angefaſſet zu werden. Allein es ſey eine meiner Kuͤnſte, daß ich mich ſtellen koͤnnte, als thaͤte mir etwas wehe.

Herr Solmes ſagte: er wollte lieber alle ſei - ne Anfoderung aufgeben, als daß mir ſo uͤbel ſollte begegnet werden. Er wollte darauf bey ihnen beyden fuͤr mich ſprechen: und neigete ſich gegen mich, als wollte er ſich meine Erlaubniß dazu ausbitten.

Jch319der Clariſſa.

Jch ſagte: ich dancke ihnen zwar fuͤr ihren guten Willen, mich von den Grobheiten meines Bruders zu befreyen. Allein ich wuͤnſche doch eben nicht, durch eine ſo kleine Wohlthat einem Manne verpflichtet zu werden, deſſen unguͤtige Beſtaͤndigkeit die Urſache oder wenigſtens der Vorwand dieſer Grobheiten und alles des uͤbri - gen unangenehmen und ſchimpflichen iſt, das ich zu leiden habe.

Wie guͤtig ſind ſie, Herr Solmes (ſagte mein Bruder) daß ſie fuͤr ein ſo unbeugſames Ge - muͤth bitten wollen. Jch bitte ſie hinwiederum, beſtaͤndig zu ſeyn. Thun ſie dieſes aus Werth - Achtung gegen unſere Familie, und um meiner Schweſter eigenes Beſtens willen, wenn ſie ſie wahrhaftig lieb haben. Laſſen ſie uns das Maͤd - chen von ihrem Verderben retten, wenn es an - ders noch moͤglich iſt. Sehen ſie ſie einmahl an: bedencken ſie alle ihre artigen Eigenſchafften. Jedermann erkennet dieſe, und wir ſind vorhin recht hochmuͤthig darauf geweſen. Sie iſt es werth, daß ſie gerettet wird. Wenn noch zwey oder drey Saͤtze voruͤber ſind, ſo wird ſie ſich geben; ſie wird die ihrige werden, und ihnen ihre Muͤhe belohnen. Sagen ſie nichts davon, daß ſie ihre Anſpruͤche wegen ihres albernen Winſelns fahren laſſen wollen. Sie hat ein - mahl angefangen eine Perſon zu ſpielen, und ſie weiß noch nicht mit der Artigkeit zuruͤck zu tre - ten, darin ſich das Frauensvolck zu gefallen pflegt. Wenn ſie nur einmahl ihren Hochmuth und ih -re320Die Geſchichtere Hartnaͤckigkeit uͤberwunden haben, ſo will ich ihnen verſichern, daß ſie in vierzehn Tagen ſo vergnuͤgt ſeyn ſollen, als bey einem verheyrathe - ten Mann moͤglich iſt.

Jch habe Jhnen ſonſt ſchon geſagt, daß ſich mein Bruder die Freyheit nimt, ſeinen Spott uͤber unſer Geſchlecht und uͤber den Eheſtand auszulaſſen. Er wuͤrde es nicht thun, wenn er es nicht fuͤr witzig und artig hielte: ſo wie der arme Herr Wyerley und andere uns nicht un - bekannte Perſonen uͤber die heilige Schrifft zu ſpotten pflegen, um nicht arm an Witz zu ſchei - nen, und damit ſie andere uͤberfuͤhren moͤgen, daß ſie allzu klug ſind tugendhafft und fromm zu ſeyn.

Herr Solmes gab mit einer in ſich ſelbſt vergnuͤgten Mine die nicht allzu demuͤthige Ant - wort: er wollte alles ausſtehen, um mich zu ge - winnen und zu retten. Er hoffete gewiß reich - lich belohnt zu werden, wenn er ſo gluͤcklich waͤ - re, ſeine Abſicht zu erreichen.

Jch antwortete: Herr Solmes / ich rathe ih - nen ihr gantzes Geſuch fahren zu laſſen, wenn ſie noch einiges Verlangen haben, gluͤcklich zu ſeyn. Von meiner Gluͤckſeeligkeit iſt jetzt die Frage nicht: ſie haben kein ſolches Gemuͤth, daß dieſe einen Einfluß in ihre Entſchlieſſungen haben koͤnnte. Jch kan und muß ihnen bezeu - gen, daß es mir ohnmoͤglich geweſen iſt, ohne den aͤuſſerſten Widerwillen an ſie zu gedencken, ehe ich noch um ihrentwillen ſo viel habe leiden muͤſ -ſen,321der Clariſſa. ſen, koͤnnen ſie denn wohl vermuthen, daß ich eine ſolche Sclavin, eine ſo armſeelige Sclavin bin, die durch dergleichen Mittel ihnen geneigt gemacht werden koͤnnte?

Und ihr (zu meinem Bruder) wenn ihr denckt, daß ſich alle ſanftmuͤthigen Leute leicht zwingen laſſen, und daß niemand großmuͤthig ſeyn kan, der nicht laͤrmt und pochet; ſo glaubt gewiß, daß ihr euch bisher betrogen habt. Denn ihr ſollt von nun an erfahren, daß man bey einem erhabenen Gemuͤthe keine Zwangmittel gebrau - chen duͤrfe, und daß

Er hub Haͤnde und Augen in die Hoͤhe: kan Wort weiter, (ſagte der herrſchſuͤchtige Tyrann) kein Wort weiter! ich befehle es euch! hoͤren ſie die Reden wohl? (zu meinem Onckle) das iſt die Stimme ihrer Baſe, die ſonſt keine Feh - ler haben ſollte! Das iſt die, von der ſie ſonſt ſo viel hielten!

Herr Solmes ſahe aus, als wenn er nicht wuͤßte, was er endlich zu der Sache dencken ſoll - te. Wenn ich mit ihm allein geweſen waͤre, ſo haͤtte ich ſeiner gewiß los werden koͤnnen.

Mein Onckle kam auf mich zu, und ſahe mich von Haupt bis auf die Fuͤſſe an: iſt es moͤg - lich, daß ſie das ſind, Claͤrchen? kommen alle dieſe ausſchweiffenden Reden von ihnen?

Ja! (ſagte ich) es iſt moͤglich! Und ich ge - traue mich zu ſagen, daß alle dieſe Hefftigkeit die natuͤrliche Folge der Haͤrte, und der Grob - heit iſt, die ich ſelbſt in ihrer Gegenwart habeZweyter Theil. Xer -322Die Geſchichteerdulden muͤſſen: und noch dazu von einem Bruder habe erdulden muͤſſen, der eben ſo we - nig Recht hat, mir zu befehlen, als ich ihm!

Man hat nicht eher angefangen, ihnen ſo zu begegnen, Claͤrchen / als bis man alles ande - re verſucht hatte.

Verſucht? Jn welcher Abſicht verſucht? Jch verlange ja nichts weiter, als die Freyheit, Nein zu ſagen. Sie, mein Herr (zu Herrn Solmes) moͤgen vielleicht jetzt neue Luſt bekom - men, bey ihrem Antrage zu beharren, da ihr nie - dertraͤchtiges Gemuͤth wahrnimt, was ich um ih - rentwillen erduldet habe, und was ſich mein Bruder gegen mich unterſtehet. Denn ſie ſe - hen daraus, wie viel ich ertragen koͤnnte, wenn mein ſchwartzes Schickſaal mich zu der Jhrigen machte.

Um Gottes willen! was iſt das fuͤr ein Gedancke! ſchrie Solmes / und kruͤmmete ſich und nahm zwantzig gichtbruͤchige Leibes-Stellun - gen an. Mein Bruder und mein Onckle creu - tzigten und ſegneten ſich einander, und ſprachen durch Augen und Geberden.

Jch fiel Herrn Solmes in die Rede: ein ſehr richtiger Gedancke! derjenige, der vorgibt Werthachtung fuͤr eine Perſon zu haben, und es zugeben kan: daß ſie in ſeiner Gegenwart ſo ge - mißhandelt wird, der wird im Stande ſeyn, ihr eben ſo ſchlimm zu begegnen. Daß ſie aber alle Mißhandlungen der Meinigen gegen mich billigen, iſt daraus klar, daß ſie auf ihrem Ge -ſuch323der Clariſſa. ſuch beharren, da ſie doch wiſſen, daß ich um ih - rentwillen eingeſperret, und aus meiner Eltern Gegenwart verwieſen bin, und daß mir alles Hertzeleid angethan wird, um mich zu zwingen das zu werden, was ich doch niemals werden kan. Und dieſe Ohnmoͤglichkeit ruͤhrt nicht aus Eigenſinn, ſondern aus einer unuͤberwindlichen Abneigung her. Jch ſagt ihnen jetzt, was ich andern ſchon oft geſagt habe.

Halten ſie mich entſchuldiget? (zu meinem Onckle) Jch weiß, daß ich ihnen als meines Va - ters Bruder Gehorſam ſchuldig bin. Jch bitte ſie um Vergebung, daß ich nicht gehorchen kan. Mein Bruder aber iſt nur mein Bruder; der ſoll nicht uͤber mich herrſchen. Zieht nur (gegen meinen Bruder) ſo viel Runtzeln als ihr wollt, und macht noch ſo ein gefaͤhrlich Geſichte: ich frage euch, ob ihr bereit ſeyn wuͤrdet, eben ſo viel anfzuopfern, als ich habe aufopfern wollen, um die Liebe der eurigen beyzubehalten? Wenn ihr nicht Luſt dazu habt, ſo moͤchte ich wiſſen, was ihr fuͤr Recht zu haben meynt, mir ſo zu begegnen, und andere ſo gegen mich zu erbit - tern?

Jch war bey dieſen Reden in groſe Unord - nung gerathen, und jene ſchwiegen endlich ſtille. Aus ihrem Geſichte mußte ich ſchlieſen, daß ſie mit einander reden wollten: ſie gingen biswei - len auf und nieder, und ſahen ſehr verwirret aus. Jch ſetzte mich nieder und wehete mich mit dem Fechtel. Weil ich von ohngefehr dem SpiegelX 2ge -324Die Geſchichtegegen uͤber zu ſitzen kam, ſo konnte ich ſehen, daß ich mich etliche mahl verfaͤrbete. Mir war recht uͤbel, und ich befuͤrchtete eine Ohnmacht: darum klingelte ich, ließ mir von Eliſabeth ein Glaß Waſſer bringen, und tranck es aus, ohne daß es jemand beobachtete, als mein Bruder. Die - ter ſagte zu Herrn Solmes: lauter Liſt! lau - ter verdammte Liſt! dieſes, und die Furcht, daß er bey mir nicht willkommen ſeyn moͤchte, hielt Solmeſen zuruͤck: ſonſt merckte ich wol, daß er mehr geruͤhret war, als mein Bruder. Jch war doch noch beſorgt, daß ich eine Ohnmacht bekommen moͤchte, darum hielt ich mich an Eli - ſabeth / und taumelte gantz unordentlich zum Saal hinaus. Jch machte nur noch einen Re - verentz gegen meinen Onckle, und bat um Er - laubniß, ein wenig wegzugehen, und Eliſa - beth mit zu nehmen, damit ich mich an ſie an - halten koͤnnte.

Wohin wollen ſie gehen? ſagte mein Onckle. Wir haben noch nicht mit ihnen ausgeredet. Jch befehle ihnen, hier zu bleiben. Herr Solmes hat ihnen etwas zu eroͤffnen, daruͤber ſie erſtau - nen werden: und ſie ſollen es anhoͤren.

Nur auf eine halbe Viertheil-Stunde (ſagte ich) will ich mit ihrer Erlaubniß in die Lufft ge - hen. Jch werde wieder kommen, wenn ſie es befehlen, und alles anhoͤren, was ich hoͤren ſoll, damit es ein vor allemahl uͤberſtanden ſeyn moͤge. Geht mit mir, Eliſabeth!

Jch ging alſo ungehindert in den Garten,ſetz -325der Clariſſa. ſetzte mich auf die erſte Banck nieder, und ſchlug meiner Eliſabeth Schuͤrtze uͤber das Geſicht. Jch lehnte mich an ſie, ſchlug meine Haͤnde in ihre Haͤnde, und ließ darauf meine Betruͤbniß, oder Unwillen, oder beydes zuſammes, in haͤuffi - ge Thraͤnen ausbrechen. Dieſes erhielt mich vielleicht, daß ich nicht in Ohnmacht ſanck: denn ich fand ſo gleich, daß mir das Hertz leichter ward.

Jch habe Jhnen ſchon ſonſt Proben von der Dreiſtigkeit meiner Eliſabeth erzaͤhlt, und ich will ſie jetzt nicht von neuen damit aufhalten. Ob gleich die Hexe meinen Kummer ſahe, ſo war ſie doch ſo frey gegen mich, als ſie ſahe, daß ich wieder ein wenig zu mir ſelbſt gekommen war, daß ich ihr ſchlechterdings das Reden verbieten muſte. Darauf ging ſie mit einem eigenſinni - gen und truͤben Geſichte hinter mir her.

Es waͤhrte faſt eine Stunde, ehe ich wieder geruffen ward. Meine Baſe, Froͤulein Dorth - gen Hervey / ward darauf an mich geſchickt, die mir mit einer mitleidigen und hoͤflichen Mi - ne ſagte, daß man ſich nach meiner Geſellſchaft ſehnete. Denn, wie Sie wiſſen, hat mich Fraͤu - lein Hervey ſehr lieb, und pflegt ſich meine Schuͤ - lerin zu nennen.

Eliſabeth ließ uns allein. Jch fragte: wer ſehnt ſich denn nach meiner Geſellſchafft? Ha - ben ſie nicht geweint, Fraͤulein?

Wer kan ſich des Weinens enthalten? ant - wortete ſie.

X 3Wie?326Die Geſchichte

Wie? Was iſt die Sache? Jch daͤchte, hier im Hauſe haͤtte niemand Urſache zu weinen, als ich.

Ja, (ſagte ſie) ich habe auch geweint, weil ich ſie lieb habe.

Jch kuͤſſete ſie: ſo haben ſie um meinetwillen Thraͤnen vergoſſen, meine liebe Fraͤulein Baſe? Wir haben uns immer geliebet. Sagen ſie doch aber, was hat man mit mir vor, deswegen ſie ihre Liebe gegen mich durch Thraͤnen bezeugen muͤſſen?

Sie muͤſſen ſich nichts davon mercken laſſen, was ich ihnen ſagen will. Meine Mutter hat mit mir uͤber ſie geweint, allein ſie unterſtand ſich nicht, ſich vor jemand ſehen zu laſſen: ſie ſagte nur zu mir: Dorthgen ich habe noch nie ſo viel uͤberlegte Bosheit angetroffen / als bey deinem Vetter / Jacob Harlowe. Sie wollen die Crone ihrer Familie ver - derben.

Wie denn das? Fraͤulein Dorthgen. Er - klaͤrte ſie ſich nicht naͤher, wie ſie es machen woll - ten?

Ja! Sie ſagte, Herr Solmes haͤtte von ſei - ner Bewerbung abſtehen wollen, denn er haͤtte geſagt, ſie haſſeten ihn, und es waͤre keine Hoff - nung uͤbrig, ſie zu gewinnen. Jhre Mutter war auch damit zufrieden, und meinte, man ſoll - te ſie bey ihrem Verſprechen faſſen, Herrn Lo - velace zu entſagen, und unverheyrathet zu blei - ben. Meine Mutter war eben der Meinung:denn327der Clariſſa. denn ſie hatten alles mit angehoͤrt, was zwiſchen ihnen und ihrem Onckle und Bruder vorgefallen war. Sie ſagten alle, es waͤre ohnmoͤglich ſie dahin zu bewegen, daß ſie Herrn Solmes naͤh - men. Mein Onckle Harlowe ſchien eben ſo zu dencken, zum wenigſten ſagte meine Mutter, daß er nicht widerſprochen habe. Allein ihr Va - ter war nicht zu bewegen, und ward noch dazu auf ihre und meine Mutter boͤſe. Darauf trat ihr Bruder und ihr Onckle Anton darzu, und die gantze Sache gewann ein anderes Anſehen. Kurtz ſie erzaͤhlt, es waͤre Herrn Solmes ſehr viel verſprochen. Er ſoll ſagen: ſie waͤren das artigſte Frauenzimmer in England; und wenn er auch nach der Trennung ihr Hertz nicht ge - winnen koͤnnte, ſo wollte er doch mit der Ehre zufrieden ſeyn, ſie ein Jahr lang die Seinige nennen zu duͤrffen. Jch dencke, er will ſie im zweyten Jahr zu tode quaͤlen: denn, glauben ſie mir, er hat ein ſehr hartes Hertz.

Die Meinigen (antwortete ich) moͤgen mich wol zu todte quaͤlen, Fraͤulein Dorthgen: allein Herr Solmes ſoll nie in den Stand kommen, es thun zu koͤnnen.

Das weiß ich nicht, Fraͤulein. So wie ich die Sache anſehe, muͤßte es ein groſes Gluͤck ſeyn, wenn ſie dieſes verhuͤten koͤnnten. Denn meine Mutter ſagt, alle ihre Anverwanten, ſie allein ausgenommen, waͤren jetzt eines Sinnes; und ſie muͤßte ſtille ſchwei〈…〉〈…〉 weil ihr Vater und Bruder gar zu hitzig und ungeſtuͤm waͤren.

X 4Jch328Die Geſchichte

Jch bin ſchon daruͤber hin, Fraͤulein Dorth - gen / ich frage nach meinem Bruder nichts mehr. Meinem Vater bin ich ſchuldig zu gehorchen, wenn ich gehorchen kan.

Wir ſind insgeſammt geneigt, die zu lieben, die es mit uns halten; wenn uns Unreeht ge - ſchiehet. Jch habe meine Baſe Dorthgen im - mer lieb gehabt, allein jetzt habe ich ſie noch zehn mahl ſo lieb gewonnen, da ich ein ſo liebreiches Mitleiden gegen mich bey ihr finde. Jch fragte ſie, was ſie thun wollte, wenn ſie in meinen Um - ſtaͤnden waͤre?

Was ich? (ſagte ſie, ohne ſich zu bedencken) Gleich wollte ich Herrn Lovelace nehmen, und mich auf mein Gut ſetzen; denn waͤre die gantze Sache zum Ende. Herr Lovelace iſt ein ar - tiger Herr, und Solmes iſt nicht werth, ſein Schuh-Putzer zu ſeyn.

Fraͤulein Hervey erzaͤhlte mir noch ferner: ihre Mutter haͤtte mich ſelbſt herein ruffen ſol - len, ſie haͤtte ſich aber entſchuldiget. Sie glaub - te, daß alle meine Anverwanten uͤber mich Ge - richt halten ſollten.

Jch wuͤnſchte, daß dieſes geſchehen moͤchte. Jch habe aber nachher erfahren, daß ſich mein Va - ter und meine Mutter nicht wagen wollen, mich zu ſehen: er, wie es ſcheint, weil er allzu heftig iſt; und meine Mutter aus einer guͤtigern und mehr muͤtterlichen Urſache.

Unter dieſen Reden kamen wir in das Haus. Die Fraͤulein begleitete mich bis an den Saal,und329der Clariſſa. und verließ mich da, als eine Perſon die zum Opfer erſehen iſt.

Es war niemand da: ich ſetzte mich nieder und hatte Zeit zu weinen, da ich das mit betruͤb - tem Hertzen uͤberdachte, was mir Fraͤulein Dorthgen geſagt hatte.

Die gantze Geſellſchaft hielt ſich in dem be - nachbarten Saal meiner Schweſter auf: denn ich hoͤrte ein reden unter einander. Einige ſpra - chen ſo laut, daß man die mitleidige Stimme anderer nicht hoͤren konnte: ſo viel aber konnte ich wol mercken, daß dieſe letztern Frauens - Stimmen waren. Ach, mein Kind, was fuͤr harte Hertzen hat das andere Geſchlecht! Wie kommen Kinder von einerley Eltern dazu, daß der Sohn grauſam iſt, wenn die Schweſter ein mitleidiges Hertz hat? Lernen ſie das auf Rei - ſen? oder gewoͤhnen ſie ſich in dem Umgang un - tereinander dazu? Wie werden ſie doch ſo hart - hertzig? Wiewohl, meine Schweſter hat eben ein ſolches Hertz, als die uͤbrigen. Allein das macht doch keine Ausnahme, denn ſie ſoll in ihrem Ge - ſicht und Gemuͤth viel maͤnnliches an ſich haben. Vielleicht hat ſie eine Manns-Seele in einem weiblichen Leibe. Dieſes ſoll kuͤnftig aus Liebe zu der Ehre unſers Geſchlechts mein Urtheil von einem jeden Frauenzimmer ſeyn, das die rauhen Sitten der Manns-Perſonen annimt, und ſich auf eine unſerm Geſchlechte unanſtaͤndige Art auffuͤhret.

X 5Neh -330Die Geſchichte

Nehmen Sie mir nicht uͤbel, daß ich meine Geſchichte durch dieſe Gedancken unterbreche. Wenn ich in meiner Erzaͤhlung immer fortfah - ren ſollte, ohne mich durch dergleichen Anmer - ckungen wieder zu erhohlen, ſo glaube ich kaum, daß ich wuͤrde bey mir ſelbſt bleiben koͤnnen. Die heftigen Gemuͤths-Bewegungen wuͤrden die Oberhand gewiß behalten. Wenn ich aber unter dem Schreiben dencke / ſo kuͤhlt und legt ſich meine Hitze wieder.

Jch glaube, es waͤhrte uͤber eine Viertheil - Stunde, daß ich meinen troſtloſen Gedancken nachhing, ehe jemand zu mir kam: denn ſie ſchie - nen alle uneins zu ſeyn. Meine Baſe ſahe zu - erſt in den Saal: o mein liebes Kind, ſind ſie da? ſagte ſie, und ging gleich zuruͤck, um den andern Nachricht zu geben.

Hierauf trat (wie es vorher ausgemacht zu ſeyn ſchien) mein Onckle Anton herein, und fuͤhr - te Herrn Solmes bey der Hand herein, mit den Worten: Geben ſie mir ihre Hand / mein werther Freund / und erlauben ſie mir / ſie herein zu fuͤhren. Der neugemachte artige Stutzer folgete ihm in einer ſchwerfaͤlligen und laͤcherlichen Leibes-Stellung nach; allein er ging ſchon galanter, und ſetzte die Fuͤſſe recht juͤngfer - lich nieder, um dem, der ihn fuͤhrete, nicht auf die Fuͤſſe zu treten. Entſchuldigen Sie dieſes, was den Schein einer Leichtſinnigkeit hat, in mei - nem Brieffe; gegen wen wir einmahl eingenom -men331der Clariſſa. men ſind, der kan uns freylich gar nichts recht machen.

Jch ſtand auf. Mein Onckle ſahe ſehr tro - tzig und drohend aus: bleib ſitzen Maͤdchen! bleib ſitzen! Er zog einen Stuhl nahe an mei - nen, und noͤthigte ſeinen werthen Freund dar - auf. Mein Onckle ſetzte ſich mir auf die ande - re Seite.

Gut, Fraͤulein Baſe (ſagte er, und ergrif mich bey der Hand) wir werden von der Sache, die ihnen ſo unangenehm iſt, nicht viel mehr mit ih - nen zu reden haben, als was ſchon geredet iſt, es waͤre denn, daß ſie ſich beſſer beſonnen haͤtten. Jſt das geſchehen, ſo ſagen ſie es mir.

Die Sache braucht kein weiteres Beſinnen, mein lieber Onckle.

Es iſt gut! es iſt gut Fraͤulein! (Er zog die Hand zuruͤck) Haͤtte ich das jemahls von ihnen dencken koͤnnen?

Um Gottes Willen Fraͤulein! ſagte Solmes mit gefaltenen Haͤnden. Weiter wollte kein Wort heraus.

Um Gottes Willen[?]Was denn um Got - tes Willen, mein Herr? Sind ſie und Gott ſo gute Freunde?

Dis brachte ihn zum Stilleſchweigen. Mein Onckle konnte weiter nichts thun, als boͤſe ſeyn, und das war er ſchon vorhin.

Gut! Gut! Gut! Herr Sol - mes, (ſagte mein Onckle) keine Bitten weiter! Sie332Die GeſchichteSie ſind nicht dreiſte genug, ſich bey einem Frauenzimmer einzuſchmeicheln.

Er gab mir darauf einen Winck, was er im Sinne gehabt haͤtte, fuͤr mich zu thun; und daß er mehr um meinetwillen, als andern in der Fa - milie zu Liebe, nach ſeiner Zuruͤckkunft aus Jn - dien unverheyrathet geblieben waͤre. Allein nunmehro, da ich ſehe, daß das verkehrte Maͤd - chen alles fuͤr nichts haͤlt, was ich fuͤr ſie haͤtte thun koͤnnen und wollen, ſo will ich meinen Vor - ſatz auch aͤndern, und andere Maßregeln erwaͤh - len.

Jch antwortete ihm, ich dancke ihm von Her - tzen fuͤr ſeine guͤtige Abſichten, die er gegen mich gehabt haͤtte. Jch waͤre aber bereit, mich alles Anſpruchs auf alle uͤbrigen Zeichen ſeiner Ge - wogenheit zu begeben, die ausgenommen, die in guͤtigen Worten und einem freundlichen Geſich - te beſtuͤnden.

Er ſahe ſich auf allen Seiten um. Herr Solmes ſahe wie ein armer Suͤnder auf die Erde.

Als ſie beyde ſtille ſchwiegen, ſetzte ich hinzu: es thaͤte mir leid, daß ich etwas ſagen muͤßte, welches ſehr widrig klingen moͤchte. Wenn er nur die Gewogenheit haben wollte, meinen Bru - der und meine Schweſter davon zu uͤberzeugen, daß er voͤllig entſchloſſen ſey, ſeine guͤtigen Ab - ſichten fuͤr mich zu aͤndern, ſo hoffete ich, daß ſie gelinder mit mir umgehen wuͤrden, als ich ſonſt hoffen koͤnnte.

Meinen333der Clariſſa.

Meinen Onckle verdroß dieſes ſehr: allein er hatte nicht Zeit, mir ſein Mißfallen zu erkennen zu geben, denn mein Bruder kam gleich mit groſ - ſem Grimm herein, und ſtieß einige garſtige Schimpf-Woͤrter aus. Weil ihm bisher al - les gelungen iſt, ſo hat er auch ſo gar die aͤuſ - ſerliche Hoͤflichkeit und Wohlanſtaͤndigkeit ver - geſſen.

Er fragte: ob das meine hoͤhniſche Auslegung waͤre? Ob ich ſeine bruͤderliche Liebe und Vor - ſorge fuͤr mich ſo naͤhme, da er mein Verder - ben zu verhuͤten ſuchte?

Ja, ſagte ich, das iſt meine Auslegung in gantzem Ernſt. Jch weiß uͤber eur bisheriges Betragen keine andere Auslegung zu machen. Jch wiederhohle jetzt in eurer Gegenwart meine Bitte an meinen Onckle, und ich will ſie auch an meinen audern Onckle thun, ſo bald ich Er - laubniß bekomme ihn zu ſehen, daß ſie alles das Jhrige euch und meiner Schweſter zuwenden, und mich nur durch ein freundliches Geſicht und gute Worte gluͤcklich machen wollen. Das iſt alles, was ich mir wuͤnſche.

Wie ſahen die Leute einander an! konnte ich aber in Gegenwart des Mannes gelinder reden?

Und (zu meinem Bruder) was eure Vorſor - ge anbetrift, ſo verlange ich dieſelbe nicht. Jhr ſeyd nur mein Bruder, und meine Eltern ſind gottlob noch beyderſeits am Leben. Wenn aber das auch nicht waͤre, ſo finde ich in eurer Auffuͤhrung gegen mich Urſachen genug, zu ſagen,daß334Die Geſchichtedaß ihr der letzte ſeyn ſolt, deſſen Vorſorge ich mir ausbitten oder wuͤnſchen wuͤrde.

Wie? meine Baſe, (ſagte mein Onckle) ach - ten ſie einen Bruder, einen eintzigen Bruder, ſo wenig? Soll er ſo wenig recht haben, fuͤr die Ehre ſeiner Schweſter und ſeiner Familie zu ſorgen?

Meine Ehre! Nein, mein lieber Onckle, ich verlange nicht, daß er fuͤr meine Ehre ſorget. Die iſt noch nie in Gefahr geweſen, ehe er ſie durch ſeine ungebetene Vorſorge beflecket hat. Halten ſie mir es zu gute: wenn mein Bruder ſich als ein Bruder auffuͤhret, oder ſich ſo betraͤgt wie es einem Cavallier geziemet, ſo werde ich mehr Werthachtung gegen ihn haben, als er je - tzund meiner Meinung nach verdient.

Jch glaube, daß mein Bruder faſt Luſt hatte mich zu ſchlagen: allein mein Onckle ſtand zwi - ſchen uns. Er nannte mich aber doch ein gif - tiges Maͤdchen / in dem niemand geſucht haͤtte / was doch jetzt darin ſteckte. Hier - auf ward Herrn Solmes geſagt, ich ſey nicht werth, daß er weiter um mich anhielte.

Herr Solmes nahm meine Parthey ſehr ernſtlich, und ſagte: es ſey ihm unertraͤglich, daß man ſo hart mit mir umginge.

Er ſagte ſo viel hievon, und mein Bruder nahm ſeine heftige Einrede ſo geduldig an, daß ich Argwohn bekam, es ſey eine abgeredete Car - te: man wolle mich dahin bringen, ihm Danck ſchuldig zu ſeyn; und es koͤnnte dieſes wol garein335der Clariſſa. ein Endzweck der mir aufgedrungenen Zuſam - menkunft ſeyn.

Selbſt der Verdacht den ich hatte, daß man einen ſo niedertraͤchtigen Kunſtgriff gebrauchen wollte, benahm mir vollends alle Geduld. Als mein Onckle und mein Bruder Herrn Solme - meſens Grosmuth ruͤhmten, nach der er boͤſes mit gutem vergelte, ſagte ich: Herr Solmes, ſie ſind ein gluͤcklicher Mann, daß ſie alle im gantzen Hauſe ſich ſo leicht verbindlich machen koͤnnen, eine eintzige undanckbare Perſon ausgenommen, welche ſie am meiſten zu verbinden ſuchen. Allein dieſe wird durch durch ihre Gewogenheit ungluͤck - lich, und verdient es nicht, daß ſie ſich ihrer ge - gen einen ungeſtuͤmen Bruder annehmen.

Ein grobes, ein undanckbahres, ein unwuͤr - diges Maͤdchen, war ich hierauf.

Jch will das alles geſtehen! (ſagte ich) was ihr nur fuͤr Nahmen finden koͤnnt, mich damit zu beſchimpfen, die will ich alle auf mir ſitzen laſ - ſen. Jch bekenne meine Unwuͤrdigkeit in Ab - ſicht auf dieſen Herrn: ich glaube euch alle ſei - ne Vorzuͤge auf eur Wort zu, und habe weder Zeit noch Luſt, ſie ſelbſt zu unterſuchen. Sie moͤgen wol gar ſo groß ſeyn, als eure eigenen. Allein ich kan ihm dafuͤr nicht dancken, daß er mein Mitler werden will: denn wer ſieht nicht (zu meinem Onckle) daß dieſes ihn in aller Au - gen erhebet, und mich herunter ſetzt?

Jch wandte mich hierauf zu meinem Bruder, der durch meine Hitze zum Stilleſchweigen ge -bracht336Die Geſchichtebracht zu ſeyn ſchien! eure uͤberfluͤßige Sorg - falt fuͤr mich muß ich billig mit vielem Danck erkennen. Jch will euch aber jetzt dieſer Be - muͤhung wenigſtens ſo lange erlaſſen, als ich noch naͤhere und liebere Anverwanten habe. Jhr habt mir bisher noch keine Urſache gegeben, von eurem Verſtande eine vortheilhaftere Meinung zu faſſen, als von meinem eigenen. Von euch bin ich frey, ob ich gleich mir nie in den Sinn kommen laſſen will frey und unabhaͤngig von meinem Vater zu leben. So ſehr ich wuͤnſche, daß mein Onckles eine gute Meinung von mir hegen moͤgen; ſo iſts doch dieſes alles, was ich von ihnen wuͤnſche: und ich wiederhohle dieſe Erklaͤrung, um euch und meine Schweſter zu beruhigen.

Faſt denſelben Augenblick kam Eliſabeth ſehr eilfertig herein gelauffen, und ſahe mich ſo hoͤh - niſch an, als wenn ſie meine Schweſter waͤre. Sie ſagte zu meinem Bruder: der gnaͤdige Herr verlangt ſie dieſen Augenblick zu ſprechen: er ſteht ſchon vor der Thuͤr.

Er ging zu der Thuͤr hinaus, die in meiner Schweſter Saal fuͤhret, und ich hoͤrte dieſe Don - ner-Worte aus einem Munde, dem ich alle Ehr - erbietung ſchuldig bin: mein Sohn Jacob / daß die widerſpenſtige Tochter den Augen - blick nach meines Bruders Gute gebracht wird. Den Augenblick: Sie ſoll keine Stunde laͤnger unter meinem Da - che bleiben.

Jch337der Clariſſa.

Jch zitterte, und wollte gleich in Ohnmacht ſincken: und ohne zu wiſſen, was ich vornahm oder redete, flog ich nach der Thuͤr zu, und woll - te ſie eroͤffnen, wenn ſie nicht mein Bruder zu - geſchlagen und feſt an dem Schluͤſſel gehalten haͤtte. Jch fiel vor der Thuͤr auf die Knie, und tieff: O mein Vater, mein liebſter Vater, laſ - ſen ſie doch ihr armes Kind vor ſich. Erlau - ben ſie mir, daß ich mich vor ihren Fuͤſſen ver - antworten darf. Verſtoſſen ſie ihre betruͤbte Tochter nicht voͤllig.

Mein Onckle hielt das Schnupftuch vor die Augen: Herr Solmes ſahe noch betruͤbter aus, als vorhin. Nur das ſteinerne Hertz memes Bruders blieb unbeweglich.

Jch will nicht aufſtehen, (fuhr ich fort) bis ſie mich vor ſich laſſen. Jch liege vor dieſer Thuͤr und bitte. Laſſen ſie es doch eine Gna - denthuͤr ſeyn, und eroͤffnen ſie mir, nur dieſes nur dieſes eine mahl, wenn ſie ſie auch hernach mir auf ewig verſchlieſſen wollten.

Es ſuchte jemand inwendig die Thuͤr aufzu - machen, und mein Bruder ließ den Schluͤſſel augenblicklich fahren. Weil ich mich nun, wie ich auf meinen Knien lag, gegen die Thuͤr ge - lehnet hatte, ſo fiel ich ſo lang ich war in den andern Saal hinein, jedoch ohne mich zu beſchaͤ - digen. Es war aber niemand mehr da, als Eliſabeth / die mir aufhalf. Als ich mich nun in dem Saal umgeſehen hatte, und niemand mehr darin fand, ſo gieng ich wieder an der Eli -Zweyter Theil. Yſa -338Die Geſchichteſabeth Hand zuruͤck, und ſetzte mich auf den Stuhl, auf dem ich vorhin geſeſſen hatte. Zu meiner groſſen Erleichterung gingen mir die Au - gen uͤber; mein Onckle Anton / mein Bruder, und Herr Solmes lieſſen mich allein, und gin - gen zu meinen uͤbrigen Anverwanten.

Jch weiß nicht, was in dieſer Verſammlung vorgegangen ſeyn mag. Allein als ich mich wie - der etwas erhohlt hatte, trat mein Bruder herein, und ſeine eigenſinnige Augen-Brauen kuͤndig - ten mir zum voraus an, daß er gebieteriſch und unerbittlich zu ſeyn beſchloſſen hatte. Eur Vater und eure Mutter ſagte er, befehlen, daß ihr euch unverzuͤglich anſchicken ſollt, nach eures Onckles Gute zu reiſen. Jhr braucht nicht viel darauf zu dencken, was ihr mitnehmen wollt, ihr koͤnnt die Schluͤſſel nur an Eliſabeth ge - ben. Eliſabeth / nehmt die Schluͤſſel hin, wenn der Eigenſinn die Schluͤſſel bey ſich hat, und uͤberbringt ſie meiner Mutter. Sie wird ſchon Sorge tragen, daß euch alles nachgeſchickt wird, was ihr brauchet. Allein es iſt euch nicht erlaubt, noch eine Nacht in dieſem Hauſe zu bleiben.

Jch ſagte: ich gedencke meine Schluͤſſel nie - manden als meiner Mutter zu uͤbergeben, und ich will ſie ihr ſelbſt in die Haͤnde liefern. Jhr ſehet, in was fuͤr Unruhe ich mich befinde: es kan mir das Leben koſten, wenn ich ſo ploͤtzlich wegreiſen muß. Jch bitte mir zum wenigſten eine Friſt bis auf den kuͤnftigen Montag aus.

Die339der Clariſſa.

Die Friſt werdet ihr nicht erhalten. Macht euch bereit, dieſen Abend wegzureiſen. Uebergebt die Schluͤſſel. Gebt ſie mir, ich will ſie eurer Mutter bringen.

Entſchuldigt mich, mein Bruder. Jch thue es gewiß nicht!

Jhr muͤßt es gewiß thun! Jn keinem eintzi - gen Stuͤcke nachzugeben! Fraͤulein Claͤrchen.

Jn dieſem nicht.

Habt ihr etwas, das eure Mutter nicht ſe - hen ſoll.

Nein nichts! wenn ich nur meiner Mutter ſelbſt aufwarten darf.

Jch will Nachricht davon geben.

Er ging hinaus, Fraͤulein Dorthgen kam bald darauf herein, und ſagte: es thut mir leid, daß ich eine ſolche Botſchaft ausrichten ſoll. Jh - re Frau Mutter beſtehet darauf, daß ſie alle Schluͤſſel, zur Stube, Buͤchervorrath und Schubladen ſchicken ſollen.

Sagen ſie meiner Mutter, daß ſie ihrem Be - fehl zu Dienſte ſtehen, und daß ich ihr keine Bedingungen vorſchreiben will: wenn ſie aber nichts verdaͤchtiges findet, ſo bitte ich mir nur einige Tage Friſt aus. Verſuchen ſie es, Dorth - gen (das liebe Kind ſtutzte aus Mitleiden) verſuchen ſie es, ob ſie durch ihr freundliches Bitten etwas gutes fuͤr mich auswircken koͤn - nen.

Sie meinte noch mehr, und ſagte; es iſt be - truͤbt, betruͤbt genug, daß es ſo gehet.

Y 2Sie340Die Geſchichte

Sie nahm die Schluͤſſel hin, umarmete mich, und bat mich um Vergebung. Sie wollte noch mehr ſagen, allein ich merckte, daß ſie ſich ſcheue - te, es in Gegenwart der Eliſabeth zu thun.

Jch ſagte: bedauren ſie mich nicht. Es wird ihnen als eine Suͤnde angerechnet werden. Sie ſehen ja, wer nicht weit von uns iſt.

Das unverſchaͤmte Thier laͤchelte, und unter - ſtand ſich zu ſagen: wenn eine Fraͤulein mit der andern in ſolchen Umſtaͤnden Mitleiden hat, ſo kan man von der juͤngern Fraͤulein auch gute Hoffnung auf das kuͤnftige haben.

Jch nennete ſie ein abgeſchmacktes Ding, und befahl ihr, ſie ſollte mir vor den Augen wegge - hen.

Sie ſagte: von Hertzen gern wollte ſie das thun, wenn ihr nur meine Mutter nicht befoh - len haͤtte, bey mir zu bleiben.

Die Urſache hievon erfuhr ich bald. Denn als ich hinauf auf meine Stube gehen wollte, nachdem mich Dorthgen verlaſſen hatte, ſo ſag - te ſie mir: ſie haͤtte Befehl (ſo leid es ihr auch thaͤte) mich zu bitten, daß ich nicht hinauf ge - hen moͤchte.

Jch antwortete ihr: ſo eine dreiſte Magd als ſie ſollte mir das nicht verbieten.

Sie klingelte, und mein Bruder kam gleich herein, und begegnete mir in der Thuͤr.

Zuruͤck! zuruͤck! Fraͤulein (ſagte er) jetzt koͤnnt ihr nicht auf die Stube gehen.

Jch341der Clariſſa.

Jch ging wieder hinein, ließ mich auf den Sitz am Fenſter nieder, und weinete bitterlich.

Soll ich Jhnen ein kurtzes aber laͤcherliches Geſpraͤch erzaͤhlen, das ich mit meinem Vruder gehalten habe, als er und Eliſabeth mich be - wahren mußten! weil meine Stube durchſucht ward? Doch nein! Es wuͤrde keinen Nutzen haben.

Jch bat ihn einige mahl um Erlaubniß, auf meine Stube zu gehen; allein umſonſt. Jch glaube die Durchſuchung war noch nicht zu En - de. Meine Schweſter war mit dabey beſchaͤfti - get, und niemand wuͤrde fleißiger und ernſtlicher haben ſuchen koͤnnen, als ſie. Es war ein Gluͤck fuͤr mich, daß ſie nichts fanden.

Als meine Schweſter nichts von den Schrif - ten des liſtigen Maͤdchens finden konnte, ſo ward beſchloſſen, daß ich noch einen Beſuch von Herrn Solmes auszuſtehen haben ſollte. Mei - ne Baſe Hervey muſte mit dabey ſeyn; und ich konnte ihr an den Augen abſehen, daß es wi - der ihren Willen geſchahe. Allein mein Onckle Anton war ihr zugeordnet, damit ſie ſich nicht moͤchte erweichen laſſen.

Jch bin jetzt etwas muͤde, denn es iſt ſchon des Morgens um zwey Uhr. Jch will mich des - wegen in meinen Kleidern niederlegen, und ver - ſuchen ob ich einſchlaffen kan.

Y 3Jch342Die Geſchichte

Mittewochens Morgens um 3 Uhr.

Jch konnte nicht einſchlaffen; Jch habe nur eine halbe Stunde geſchlummert.

Jn meiner vorigen Erzaͤhlung fortzufahren, ſo redete mich meine Baſe Hervey mit den Wor - ten an; mein liebes Kind, was machen ſie ih - ren lieben Eltern und allen im Hauſe fuͤr Un - ruhe: Jch wundere mich uͤber ſie.

Das thut mir leid!

Das thut ihnen leid, Kind? Warum ſind ſie denn ſo unbeweglich? kommen ſie, ſetzen ſie ſich nieder; ich will mich bey ſie ſetzen. (Sie nahm meine Hand!

Mein Onckle noͤthigte Herrn Solmes, ſich mir auf die andere Seite zu ſetzen. Er ſelbſt nahm den Platz gegen mir uͤber ein, und ruͤckte gantz nahe auf mich zu. War ich nicht hart genug belagert?

Meine Baſe ſagte: ihr Bruder iſt zu hitzig, mein Kind. Sein Eifer fuͤr ihr Beſtes macht, daß er bisweilen aus den Schrancken ſchreite[n].

Das iſt wahr, ſagte mein Onckle; allein nichts weiter hievon. Wir wollten uns freuen, wenn gelindere Mittel etwas bey ihnen ausrichten koͤnn - ten: wiewohl auch dieſe ſchon vorhin verſucht ſind.

Jch fragte meine Baſe: ob der Herr noth - wendig mit zugegen ſeyn muͤſte?

Sie ſagte: es hat ſeine Urſache, daß er mit zugegen iſt, wie ſie bald hoͤren werden. Zu - foͤrderſt aber muß ich ihnen ſagen, daß ihre Mut -ter343der Clariſſa. ter glaubt, ihr Bruder ſey zu hart mit ihnen ver - fahren. Sie verlanget deswegen, daß ich ver - ſuchen ſoll, was durch Gelindigkeit bey einem ſo wohlgeartheten Gemuͤth, als das ihrige unſerer Meinung nach iſt, auszurichten ſtehe.

Jch muß mich unterfangen zu ſagen, daß nichts auszurichten ſtehet, wenn ihre Abſicht noch auf das gerichtet bleibt, was dieſer Herr anzubringen hat.

Sie ſahe meinen Onckle an, der ſich auf die Lippen biß, und Herrn Solmeſen / der ſich die Backen rieb. Sie ſchuͤttelte den Kopf, und ſag - te endlich: Gut! mein liebes Kind, ſeyn ſie nur ruhig. Beantworten ſie mir nur die Frage, ob ſie glauben, daß wir mehr wuͤrden ausgerich - tet haben, wenn gelinder mit ihnen verfahren waͤre, als ihrer Meinung nach geſchehen iſt?

Nein! zum Vortheil dieſes Herrn wuͤrden ſie nicht mehr ausgerichtet haben. Sie wiſſen, und mein Onckle weiß auch, daß ich immer den Ruhm der Aufrichtigkeit und Wahrheit geſucht habe. Es iſt auch eine Zeit geweſen, da man dieſe Ei - genſchafften an mir erkannt hat.

Mein Onckle nahm Herrn Solmes auf die Seite. Jch hoͤrte ihn die Worte fliſtern: ſie muß, ſie ſoll dennoch die ihrige werden. Wir wollen ſehen wer gewinnet? Eltern und Onckels? oder meines Bruders Kind? Jch hoffe es noch zu erleben, daß alles dieſes uͤberſtanden ſeyn wird, und daß mancher artige Spaaß uͤber die Thor - heiten vorfallen ſoll.

Y 4Jch344Die Geſchichte

Jch war von Hertzen betruͤbt.

Ob wir gleich nicht auf die Spur kommen koͤnnen, (fuhr er fort) ſo koͤnnen wir doch wohl rathen, was ſie ſo hartnaͤckig macht. Von Na - tur iſt ſie es ſonſt nicht, guter Freund. Jch wuͤrde mich nicht ſo viel um ſie bekuͤmmern, wenn ich nicht wuͤßte, daß dieſes die Wahrheit iſt, und vorhaͤtte, groſe Sachen zu ihrem Vortheil zu thun.

Herr Solmes ſagte ihm laut genug in die Ohren: ich will ſtuͤndlich darum beten, daß dieſe gluͤckliche Zeit erſcheinen moͤge. An das, was mir jetzt ſo ſchmertzlich iſt, will ich Zeit Lebens nicht wieder gedencken.

Meine Baſe wandte ſich darauf wieder zu mir: ich muß ihnen doch ſagen; ſie haben dadurch, daß ſie die Schluͤſſel ohne einige Bedingung uͤbergeben haben, etwas erlanget, das ſonſt ohn - moͤglich ſchien zu erhalten. Dieſer Gehorſam, und das man nichts verdaͤchtiges gefunden hat, nebſt Herrn Solmes Vorbitte

Machen ſie nicht, daß ich Herrn Solmes verpflichtet ſeyn muß. Jch kan ihm meine Schuld nicht anders als mit einem Danck be - zahlen, und zwar unter der Bedingung, daß er von ſeinem Geſuch abſtehen will. Jch bitte ſie, mein Herr, wenn ſie noch ein menſchliches Hertz, wenn ſie noch einige Werthachtung fuͤr mich ha - ben, ſo ſuchen ſie meinen Danck zu verdienen. Jch bitte ſie inſtaͤndigſt.

O Fraͤulein (ſchrie er) glauben, glauben,glau -345der Clariſſa. glauben ſie mir, es iſt ohnmoͤglich. So lange ſie unverheyrathet ſind, will ich noch hoffen. So lange mir noch alle dieſe werthen Freunde Hoffnung machen, will ich anhalten. Jch muß dieſer ihre Guͤtigkeit deswegen nicht verachten, weil ſie mich verachten.

Jch antwortete ihm nur mit einem veraͤcht - lichen Blicke, und wandte mich von ihm: was habe ich denn, ſagte ich zu meiner Baſe, durch meinen Gehorſam erhalten?

Jhre Mutter (antwortete ſie) und Herr Sol - mes haben es ſo weit gebracht, daß ſie ihrer Bitte gewaͤhret ſind, und bis auf den kuͤnftigen Montag hier bleiben ſollen, wenn ſie anders ver - ſprechen, alsdenn mit Freuden zu reiſen.

Mit Freuden will ich es thun, wenn ich nur die Perſonen auswaͤhlen darf, von denen ich Be - ſuch annehmen will.

Gut! ich ſehe wir muͤſſen dieſe Materie fah - ren laſſen. Jch will auf eine andere kommen, die aber ihre groͤſſeſte Aufmerckfamkeit erfodert: Sie werden ſehen, weswegen Herr Solmes hat muͤſſen zugegen ſeyn,

Ja! (fuhr mein Onckle fort) und ſehen, was ſie an jemand haben, von dem ſie ſo viel halten. Herr Solmes, ſeyn ſie ſo guͤtig, und leſen uns den Brief vor, den ſie von ihrem ungenannten Freunde bekommen haben.

Jch will es thun. Er zog ein kleines Brief - Futteral aus der Taſche, und nahm den Brief heraus. Es iſt eine Antwort (ſagte er) aufY 5mei -346Die Geſchichtemeinen Brief an dieſen Mann. Die Aufſchrift iſt, An Juncker Roger Solmes: der Anfang: Hochzuehrender Herr

Mit Erlaubnis, mein Herr, (ſagte ich) war - um ſoll mir der Brief vorgeleſen werden?

Damit ſie erfahren, in was fuͤr einen abſcheu - lichen Menſchen man ſie fuͤr verliebt haͤlt: ſagte mir mein Onckle laut genug in die Ohren.

Wenn man glaubt, daß ich in einen andern verliebt bin, was hat ſich denn Herr Solmes noch fuͤr Muͤhe meinetwegen zu geben?

Hoͤren ſie doch nur, (ſagte meine Baſe) ſie koͤnnen ja anhoͤren, was ihnen Herr Solmes vorzuleſen und zu ſagen hat.

Wenn Herr Solmes ſo guͤtig ſeyn will, eine Erklaͤrung von ſich zu ſtellen, daß er hiebey kei - ne Abſicht hat die ihn ſelbſt anbetrift, ſo will ich alles anhoͤren. Wenn er aber eigene Abſichten hat, ſo werden ſie mir nicht leugnen koͤnnen, daß alles, was er vorbringen moͤchte, ein groſ - ſes an der Glaubwuͤrdigkeit verliehret.

Hoͤren ſie es nur an: ſagte meine Baſe.

Hoͤren ſie es nur an: ſagte mein Onckle: ſie ſind allzugeneigt, die Parthey eines gewiſſen Menſchen zu nehmen, der

Eines jeden Menſchen, der aus eigennuͤtzigen Abſichten angeklagt wird, und deſſen Anklaͤger ſich nicht nennen will.

Er fing an zu leſen: und es ſchien der Brief eine gantze Laſt von Beſchuldigungen gegen den armen Beklagten zu enthalten. Jch fiel ihmaber347der Clariſſa. aber in das Leſen und ſagte: es wuͤrde meine Schuld nicht ſeyn, wenn die Perſon, die man ſo herunter ſetzte, mir nicht ſo gleichguͤltig bliebe, als irgend ein Menſch in der Welt ſeyn kan, den ich nie geſehen habe. Wenn ich ihn jetzt mit andern Augen anſehe, (welches ich weder be - jahen noch leugnen will) ſo ſind die ſonderbahren Mittel Schuld daran, die man gebraucht hat, ihn mir verhaßt zu machen. Laſſen ſie uns nicht durch ein gemeinſchaftliches Leiden verbunden werden, ſo wird nie eine andere Verbindung ſtatt haben. Wenn mein Anerbieten, unverheyra - thet zu bleiben, angenommen wird, ſo will ich gegen ihn eben ſo gleichguͤltig ſeyn, als gegen dieſen Herrn.

Stille! Fahren ſie fort zu leſen Herr Sol - mes: und hoͤren ſie zu: ſchrie mein Onckle.

Aber zu welchem Nutzen? ſagte ich. Hat nicht Herr Solmes ſeine Abſichten dabey? Kan auch noch etwas ſchlimmers von Herrn Lovelace geſagt werden, als was ich ſeit eini - gen Monathen von ihm gehoͤrt habe?

Mein Onckle antwortete: der Brief, den Herr Solmes vorleſen wird, und was er ihnen noch ſonſt ſagen kan, iſt ein vollſtaͤndiger Beweiß von allen dem, was ſie bisher gehoͤret haben.

Jſt denn der arme Mann vorhin ohne voll - ſtaͤndigen Beweiß ſo ſchwartz abgemahlt wor - den? Jch bitte ſie, bringen ſie mir nicht eine gar zu gute Meinung von Herrn Lovelace bey. Jch muß nach und nach beſſer von ihm zu den -cken348Die Geſchichtecken anfangen, wenn ſich jemand ſo viel Muͤhe giebt, ihn anzuklagen, der gewiß nicht im Sin - ne hat, ſeine Beſſerung dadurch zu befoͤrdern, oder jemanden dadurch zu nutzen, als ſich ſelbſt, wenn ich anders ſo hochmuͤthig ſeyn darf, mich dieſes Ausdrucks zu bedienen.

Jch ſehe (ſagte mein Onckle) ſie ſind voller vorgefaßten Meinungen, voll von verliebten Vor - urtheilen fuͤr eine Perſon, die gar keinen Anſatz zur Tugend hat.

Meine Baſe ſagte, ſie ſtaͤrcken uns in unſerm Argwohn nur allzuſehr! Es iſt zu verwundern, daß ein tugendhaftes und ehrliebendes Frauen - zimmer eine Perſon ſo hoch ſchaͤtzen kan, die ge - rade das Widerſpiel von ihr iſt.

Jch bitte ſie, ſchlieſſen ſie nicht allzugeſchwind zu meinem Nachtheil. Jch bin weit davon ent - fernt, Herr Lovelace fuͤr denjenigen zu halten, der er ſeyn ſolte. Allein weſſen guter Nahme wuͤrde ungekraͤnckt bleiben, wenn man ſich um alle ſeine Haus-Umſtaͤnde bekuͤmmern wollte, und wenn Leute, die ein Vorurtbeil gegen ihn haben, alles ſein Thun und Laſſen ausſpuͤren und unterſuchen wollten. Jch liebe die Tugend an Mannsperſonen eben ſo ſehr, als an Frauenzim - mer: ich halte ſie bey einem Geſchlecht ſo hoch, und ſo unentbehrlich, als bey dem andern. Wenn ich mir ſelbſt gelaſſen handeln duͤrfte, ſo wuͤrde ich einen tugendhaften Mann ſelbſt einem laſter - haften Koͤnige vorziehen.

War -349der Clariſſa.

Warum aber? fing mein Onckle an. Jch fiel ihm in das Wort! ich unterſtehe mich zu behaupten, daß manche, die nicht allen Tadel verdienen, doch auch nicht viel lobenswuͤrdiges an ſich haben. Jch glaube, daß Herr Solmes auch ſeine Fehler haben mag. Von ſeinen Tugen - den habe ich noch nie ein Wort gehoͤrt; aber wohl von einigen Untugenden. Vergeben ſie mir dieſes, Herr Solmes: ich rede es ihnen nicht hinter dem Ruͤcken nach. Der Spruch: wer ohne Suͤnde iſt / der werfe den erſten Stein auf ſie: ſcheint eine Lehre zu enthalten, die ihnen ſehr nuͤtzlich waͤre.

(Er ſahe ſtilleſchweigend vor ſich nieder.)

Es kan ſeyn, daß Herr Lovelace Fehler an ſich hat, die ſie nicht haben: und vielleicht haben ſie einige, die er nicht hat. Jch will weder ihn vertheidigen, noch ſie anklagen. Niemand hat allein eine gute, oder allein eine ſchlimme Sei - te. Man ſagt z. E. daß Herr Lovelace unver - ſoͤhnlich ſeyn und die Meinigen haſſen ſoll: das kan gewiß keine Werthachtung gegen ihn bey mir erwecken. Allein ich muß bekennen, daß die Meinigen eben ſo feindſelig gegen ihn geſin - net ſind. Herr Solmes hat auch Leute, denen er feind iſt: denen er gewiß ſehr feind iſt, und das ſind ſeine eigene Anverwanten. Das iſt des andern Fehler nicht; der ſteht mit ſeinen Verwanten wohl. Er kan vielleicht andere eben ſo ſchlimme Fehler an ſich haben: noch ſchlim - mer koͤnnen ſie meiner Meinung nach nicht ſehn;denn350Die Geſchichtedenn was muß das fuͤr ein Menſch ſeyn, der ſein eigenes Fleiſch haſſet?

Jch weiß nicht, Fraͤulein,

Jch weiß nicht, meine Baſe,

Jch weiß nicht, Claͤrchen rieffen ſie alle in einem Athem.

Jch ſagte: es kan ſeyn, daß ich nicht weiß, was er fuͤr Urſachen dazu hat; ich verlange ſie auch nicht zu wiſſen: allein die Welt, die un - partheyiſche Welt, ſpricht uͤbel von ihm. Wenn ſich die Welt in ihrem Urtheil in Abſicht auf den einen uͤbereilt, ſo kan ſie das auch bey dem an - dern thun. Weiter will ich nicht ſagen! Es iſt ein ſchlechtes Zeichen, wenn man andere herun - ter ſetzen muß, um ſich einzuſchmeicheln.

Das Geſicht des armen Mannes war voller Verwirrung. Er ſahe aus, als wenn er heulen wollte; das gantze Geſicht war verzogen und ver - drehet, weder Mund noch Naſe war in der Mit - te. Waͤre es mir moͤglich geweſen, Mitleiden mit ihm zu haben, ſo haͤtte ich es dieſesmahl verſuchen wollen.

Einer ſahe den andern an, und niemand woll - te reden. Es kam mir vor, als wenn meine Baſe das, was ich geſagt hatte, gern ſtillſchwei - gend billigen wollte: denn als ſie anfing zu ſpre - chen, verwieß ſie es mir ſehr gelinde, daß ich Herrn Solmeſens Brief nicht anhoͤren wollte. Es ſchien, daß er ſelbſt nicht mehr Luſt hatte, ſtarck darauf zu dringen, daß ich mich von ihm moͤchte belehren laſſen. Mein Onckle ſagte: eswaͤre351der Clariſſa. waͤre kein Auskommen mit mir. Jch wuͤrde gewiß dieſe beyde Herren gaͤntzlich zum Stille - ſchweigen gebracht haben, wenn mein Bruder ihnen nicht zu Huͤlfe gekommen waͤre.

Dieſes war ſeine wunderliche Anrede, ſo bald er mit funckelnden Augen in die Stube trat: ich ſehe, daß das plauderhafte Maͤdchen euch al - le ſtumm gemacht hat. Fahren ſie fort zu leſen, Herr Solmes. Jch habe alle Worte gehoͤrt, die meine Schweſter ſagte. Jch weiß kein an - deres Mittel mit ihr auszukommen, als daß ſie meiner Schweſter, wenn ſie ihnen angetrauet iſt, ihre Herrſchaft uͤber ſie eben ſo empfindlich zu fuͤhlen geben, als ſie jetzt ihre Unverſchaͤmtheit und Grobheit empfinden muͤſſen.

Phy, Vetter! ſagte meine Baſe. Wer ſol - te glauben, daß ein Bruder von ſeiner Schwe - ſter ſo zu einem andern Herrn reden wuͤrde.

Er antwortete: ſie machen meine rebelliſche Schweſter nur trotziger. Es ſcheint, daß ſie den Hochmuth ihres Geſchlechts allzuguͤtig ent - ſchuldigen. Sie wuͤrde ſich ſonſt nicht unter - ſtanden haben, ihrem Onckle durch empfindliche Reden den Mund zu ſtopfen; oder es einem Cavallier zu verbieten, daß er ſie vor der Gefahr warnete, in der ſie ſich befindet, da ſie (wie es nunmehr am Tage liegt) einen Boͤſewicht zum Beſchuͤtzer gegen ihre Anverwanten annehmen will.

Habe ich meinem Onckle den Mund durch empfindliche Reden geſtopft / Bru -der?352Die Geſchichteder? Wie duͤrft ihr euch unterſtehen, das zu er - dencken?

Meine Baſe weinte uͤber ſeine empfindlichen Reden gegen ſie, und ſagte: Vetter wenn das der Danck fuͤr meine Muͤhe ſeyn ſoll, ſo habe ich weiter nichts damit zu thun. Jhr Herr Va - ter wird mir ſo nicht begegnen. Gewiß, der Rath den ſie gaben, ſchickte ſich nicht fuͤr einen Bruder.

Jch ſagte, er ſchickte ſich fuͤr einen Bruder ge - rade ſo gut, als ſeine gantze bisherige Auffuͤhrung gegen mich. Jch ſehe aus dieſer Probe, wie er durch Heftigkeit und Grobheit alle auf ſeine Sei - te gebracht hat. Wenn ich den geringſten Ge - dancken haͤtte, jemahls in Herrn Solmes Ge - walt zu kommen, ſo muͤßte mir ſein Rath zu Her - tzen gehen. Allein ſie ſehen, Herr Solmes / was fuͤr Mittel man zu ihrem eigennuͤtzigen Zweck fuͤr noͤthig haͤlt. Sie ſehen, was fuͤr ei - nen artigen Freywerber ſie an meinem Bruder haben.

Jch proteſtire von gantzem Hertzen gegen al - les heftige, das Herr Harlowe ſaget, (fing er an) ich will es ihnen nie gedencken, daß

Nur ſtille, mein werther Herr. Jch will ſchon dafuͤr ſorgen, daß ſie es mir nicht ſollen gedencken koͤnnen.

Nicht ſo hitzig, Claͤrchen! (ſagte mein On - ckle) Herr Vetter, ſie haben eben ſo viel Un - recht, als ihre Schweſter.

Meine Schweſter kam herein: Bruder, ihrhal -353der Clariſſa. haltet eur Wort nicht. Man giebt euch drauſ - ſen eben ſo ſehr Unrecht, als hier in der Stube. Herrn Solmeſens guͤtiges Gemuͤth und ſeine Liebe zu dem Maͤdchen iſt bekant genug: ſonſt wuͤrde das gar nicht zu enſchuldigen ſeyn, was ihr geſagt habt. Mein Vater verlanget euch zu ſprechen, und ſie Frau Baſe, und ſie mein On - ckle, und ſie Herr Solmes. Beliebt es ihnen mitzukommen?

Sie giengen alle vier in die andere Stube. Jch ſtand gantz ſtille, und wußte nicht, was ich daraus machen ſolte, daß meine Schweſter da - zwiſchen gekommen war, bis ſie ſelbſt anfing zu reden. Du verkehrtes Ding! (ſagte ſie mlt einer veraͤchtlich-leiſen Stimme, und hielt mir ihr erbittertes Geſicht recht vor die Augen) was fuͤr Unruhe machſt du uns allen?

Jch ſagte: ihr und mein Bruder machet euch ſelbſt Unruhe. Jhr habt gar keine Urſach euch um mich zu bekuͤmmern.

Sie ließ einige ſpoͤttiſche Reden fahren, allein ſie ſprach noch gantz leiſe, als wenn ſie nicht gern wollte, daß jemand vor der Thuͤr es hoͤren moͤch - te, was ſie redete. Jch hielt deswegen fuͤr rath - ſam, ſie etwas lauter reden zu machen, wenn ich koͤnnte. Wenn ich koͤnnte? ſage ich? Was kan man nicht bey einem Gemuͤthe aus - richten, das ſeiner ſelbſt nicht mehr maͤchtig iſt.

Sie zeigete dieſes. Sie brach bald mit einer ſtaͤrckeren Stimme aus, und ich erreichte da - durch, daß Fraͤulein Dorthgen mit der Bot -Zweyter Theil. Zſchaft354Die Geſchichteſchaft herein kam: Fraͤulein Harlowe / man ver - miſſet ſie in der Geſelſchaft.

Jch will gleich kommen, Fraͤulein Dorthgen: ſagte ſie.

Als ich ſie noch einmahl ſo boͤſe machte, daß ſie Schimpf-Worte von ſich hoͤren ließ, kam Dorthgen nochmahls mit eben der Botſchaft.

Jch antwortete: ich werde wol nicht in der Geſelſchaft vermiſſet / Dorthgen?

Das guthertzige Kind konnte die Thraͤnen nicht halten, und ſchuͤttelte mit dem Kopfe.

Gehen ſie voran, mein Kind (ſagte Arabel - le / mit einem mercklichen Verdruß, daß jene Mit - leiden mit mir hatte) mit dem ſpitzigen. Geſichte, wie ein halber Mond. Woruͤber weinen ſie: ſoll ihr ſpitziges Geſicht noch ſpitziger ausſehen?

Jch glaube, daß Arabelle einen Verweiß an - hoͤren mußte: denn die Worte hoͤrte ich von ihr: das abgeſchmackte Ding gab ſo empfindliche Reden, daß man keine Geduld behalten konnte.

Nach einiger Zeit kam Herr Solmes allein wieder, um Abſchied von mir zu nehmen. Er war reich an Kratzfuͤſſen und Complimenten: allein es war ihm ſo viel Hoffnung gemacht, und das was er ſagen ſolte, ſo fleißig vorgebetet worden, daß ich keine Hoffnung haben konte, daß er ſich von ſeinem Geſuch abbringen laſſen wuͤr - de. Er verlangte: ich moͤchte ihm die unange - nehmen Dinge nicht zurechnen, die er mit Be - truͤbniß haͤtte anſehen und anhoͤren muͤſſen. Er bat mich um Mitleiden / wie er es nannte.

Er355der Clariſſa.

Er ſagte: man habe ihm von neuen Hoff - nung gemacht. Ob ich ihn gleich faſt zwuͤnge zu verzweifeln, ſo wollte er doch nicht ablaſſen, ſo lange ich unverheyrathet bliebe. Er redete von ſo langem und muͤhſamen Anhalten und Warten, das gantz ohne Exempel ſeyn ſolte.

Jch ſagte ihm in nachdruͤcklichen und deutli - chen Worten, was er zu erwarten haͤtte.

Dem ohngeachtet wollte er beſtaͤndig ſeyn. Denn er hoffte doch nicht, daß ich mein Hertz einem andern zugeſagt haͤtte.

Wollen ſie denn aber (erwiederte ich) doch be - ſtaͤndig bleiben, wenn ich ihnen bezeuge, wie ich es hiemit thue, daß mein Hertz vergeben ſey? Mein Bruder mag es ſich ſelbſt zuſchreiben!

Er ſagte: er wuͤßte, nach was fuͤr edlen Grund - ſaͤtzen ich handelte, und er betete mich deswegen an. Er hoffete, daß er mich koͤnnte gluͤcklich machen: und ich wuͤrde es ihm nicht abſchlagen, durch ihn gluͤcklich zu werden.

Jch verſicherte ihn, daß es nichts fruchten wuͤr - de, wenn ich nach meines Onckles Gut gebracht wuͤrde: denn ich wuͤrde ihn nie wieder ſprechen, und keine Zeile von ihm annehmen, ja kein Wort anhoͤren, das fuͤr ihn geredet wuͤrde, es moͤchte auch ſeyn von wem es wollte.

Es that ihm dieſes leid. Er muͤßte ewig ein ungluͤcklicher Menſch ſeyn, wenn ich bey dem Sinne bliebe. Allein er hoffete, mein Vater und Onckles wuͤrden mich zu Aenderung meines Entſchluſſes vermoͤgen koͤnnen.

Z 2Nie -356Die Geſchichte

Niemahls! niemahls! (antwortete ich ihm) darauf koͤnnte er ſich verlaſſen.

Er ſagte: ſeine Geduld, ſein Warten, ſein Leiden wuͤrde reichlich genug belohnet ſeyn.

Und das (ſprach ich) auf meine Unkoſten[?]und mit dem Verluſt alles deſſen, was ich Gluͤck - ſeeligkeit nennen kan?

Er hoffete, ich wuͤrde mich zu andern Gedan - cken bringen laſſen. Er wollte von ſeinem Ver - moͤgen, von den Verſchreibungen, von ſeiner Lie - be zu mir reden, und verſichern, daß noch nie eine Mannsperſon ein Frauenzimmer aufrichti - ger geliebet haͤtte, als er mich.

Von dem erſten Stuͤck verbat ich etwas zu hoͤren. Jn Abſicht auf ſeine aufrichtige Liebe antwortete ich: was kan aus ihrer Liebe zu einem jungen Frauenzimmer heraus kommen, das ih - nen die Verſicherung giebt, daß es niemand mit groͤſſerem und aufrichtigerm Misvergnuͤgen und Abneigung anſehen kan, als eben ſie? Was koͤn - nen ſie fuͤr Gruͤnde anfuͤhren, die ich nicht in dieſer der Wahrheit gemaͤſſen Erklaͤrung ſchon zum voraus beantwortet habe?

Liebſte Fraͤulein, was kan ich ſagen? Jch bit - te ſie auf meinen Knien Hiemit fiel der gar - ſtige Menſch auf die Knie.

Laſſen ſie mich nicht vergeblich knien. Ver - achten ſie mich nicht ſo ſehr Er ſahe recht eckelhaft betruͤbt aus.

Jch habe auch gekniet, Herr Solmes. Sehr oft habe ich gekniet. Jch will noch einmahlknien357der Clariſſa. knien, und ſelbſt vor ihnen will ich auf die Knie fallen, wenn das Knien ein ſo ſehr verdienſtli - ches Werck iſt. Ergaͤntzen ſie das nur nicht, was noch an den Verfolgungen meines grauſa - men Bruders fehlet.

Wenn alle Knechtſchaft, wenn alle Anbetung, die ich ihnen Lebenslang verſpreche Ach Fraͤu - lein, ſie verlangen von andern Mitleiden, und erzeigen doch ſelbſt kein Mitleiden.

Soll ich gegen mich grauſam ſeyn, um mit - leidig gegen ſie zu heiſſen? Mein Herr, neh - men ſie mein Gut hin, weil ſie hier im Hauſe ſo gut angeſchrieben ſind; ich will es von Hertzen gern zugeben. Laſſen ſie mir nur mich ſelbſt. Erzeigen ſie andern das Mitleiden, das ſie von andern verlangen.

Meinen ſie meine Anverwanten, Fraͤulein? So unwuͤrdig dieſe meines Mitleidens ſind, ſo ſoll doch alles geſchehen, was ſie befehlen wer - den.

Jch? Soll ich ſie wider ihre Natur mitlei - dig machen? Soll ich durch Verluſt meiner ei - genen Gluͤckſeeligkeit ihren Verwanten ein Gluͤck erkauffen? Was ich aber jetzt meinte, iſt ihr Mit - leiden gegen mich. Da ſie bey den Meinigen ſo viel ausrichten koͤnnen, ſo beweiſen ſie darin ihr Mitleiden gegen mich: ſagen ſie den Meinigen, ſie faͤnden, daß ich meine Abneigung nicht uͤber - winden koͤnnte. Wenn ſie ein verſtaͤndiger Mann ſind, ſo ſetzen ſie hinzu, daß ihnen ihre Zufriedenheit zu lieb iſt, als daß ſie ſich wagenZ 3wol -358Die Geſchichtewollten, ſich mit einer auf ewig zu verbinden, die einen ſolchen Widerwillen gegen ſie hat. Sa - gen ſie, ich ſey ihrer nicht werth, und daß ſie aus Liebe zu ſich und zu mir ihr Geſuch fahren laſſen wollen, deſſen Gewaͤhrung ſie ohnehin nicht fuͤr moͤglich anſehen.

Jch will es darauf wagen! (ſagte der grau - ſame Menſch mit einem blaſſen boshaften Ge - ſicht, und mit tieffen funckelnden Augen, und biß ſich auf die Lippen, mir ſeine maͤnnliche Bosheit zu zeigen.) Jhr Haß ſoll mich nicht hindern. Jch hoffe es in wenig Tagen in meiner Macht zu haben, ihnen zu zeigen

Sie haben es ſchon jetzt in ihrer Macht, mein Herr!

(Er kam noch gut genug davon) ihnen zu zei - gen, (fuhr er fort) daß ich beſſer gegen ſie geſin - net bin, als ſie gegen mich; ob man gleich ihr edles Gemuͤth ſo ſehr ruͤhmet.

Sein Geſicht ſchickte ſich recht zu ſeinem Zorn. Es ſcheint recht von der Natur dazu gebildet zu ſeyn, dieſe Leidenſchaft vorzuſtellen.

Den Augenblick kam mein Bruder herein. Er biß die Zaͤhne zuſammen, und ſagte: fahret nur fort, eine ſolche Amazonin zu ſeyn, als bis - her; es kleidet euch recht allerliebſt. Es ſoll aber nicht lange waͤhren. Jetzt iſt die Reihe an euch, zu tyranniſiren. Klaget andere nur brav an! Laſſen ſie ſie allein, Herr Solmes: ihre Zeit wird bald voruͤber ſeyn. Jn wenigen Ta - gen werden ſie ſie demuͤthig und wehmuͤthig ge -nug359der Clariſſa. nug finden. Denn wird ſie ausſehen, wie eine arme ſchuͤchterne Naͤrrin; und wenn ihr Ge - wiſſen ihr ſagt, was ſie vorhin geſuͤndiget hat, ſo wird ſie ſie mit einer weinenden Stimme um Vergebung und um Vergeſſung bitten. (So druckte ſich mein unmenſchlicher Bruder aus.)

Er ſagte noch mehr, und flog mit einem Ge - ſicht ſo roth wie Scharlack zur Thuͤr hinaus, als ihn Schorey herausruffen muſte.

Jch ſetzte mich von einem Stuhl auf den an - dern, und war uͤber eine ſolche Art mit mir um - zugehen voller Beſtuͤrtzung und Unruhe.

Herr Solmes ſuchte ſich zu entſchuldigen, als wenn es ihm leid thaͤte, daß mein Bruder ſo ungeſtuͤm waͤre.

Jch wehete mich mit dem Fechtel, und ſagte: laſſen ſie mich ungeſtoͤrt, oder ich werde wahr - haftig ohnmaͤchtig. (Jch erwartete dieſes ge - wiß.)

Er empfohl ſich meiner Wohlgewogenheit mit einem zuverſichtlichen Geſicht, das vielleicht deſto dreiſter ward, je weniger ich meine Angſt verber - gen konnte. Denn er ergriff ſo gar meine zit - ternde und widerſpenſtige Hand, und ſchaͤndete ſie durch ſeinen eckelhaften Kuß.

Jch ging mit Widerwillen und Verachtung von ihm weg. Er buͤckete und kratzete ſich zum Saal hinaus: und ſchien ſich ſelbſt deswegen recht wohl zu gefallen, daß er mich in ſolcher Verwirrung verließ.

Mich duͤnckt, er ſteht mir noch immer vorZ 4den360Die Geſchichteden Augen, und ich ſehe ihn noch immer, wie er bey dem Weggehen ſeine ungeſchickten Fuͤſſe ruͤckwaͤrts ſetzte, bis er ſich endlich an die offen - ſtehende Thuͤr ſtieß, und dadurch erinnert ward, mir ſeinen ſo willkommenen Ruͤcken zuzukehren.

Eliſabeth brachte mir hierauf Nachricht, daß ich auf meine Stube gehen duͤrfte, und daß ich alles wohl uͤberlegen ſollte, weil ich nicht viel Zeit mehr haͤtte. Sie glaubte aber dennoch, daß ich bis auf den Sonnabend wuͤrde bleiben koͤnnen.

Sie erzaͤhlte mir, mein Bruder und meine Schweſter haͤtten zwar wegen ihrer uͤbermaͤßigen Hitze einen Verweiß bekommen. Da aber ſie beyde und mein Onckle erzaͤhlt haͤtten, wie em - pfindlich ich ihnen begegnet waͤre, ſo waͤren alle mehr als jemahls der Meinung geworden, daß ich Herrn Solmes haben muͤſte.

Er ſelbſt ſoll vorgeben, von neuen noch mehr in mich verliebt zu ſeyn, als vorhin; und ſa - gen, ich haͤtte ihn durch die gantze Unterredung mehr gereitzet als abgeſchrecket. Er redet mit Entzuͤckung davon, was ich ſeinem Tiſche ſuͤr eine Zierde geben wuͤrde, und was des Zeuges mehr iſt, das er entweder ſelbſt geſagt hat, oder das ſie ihm andichtet.

Sie beſchloß alles mit der Erinnerung, daß jetzt fuͤr mich die Zeit waͤre, nachzugeben, und mir von ihm auszubedingen, was ich wollte: ſonſt, meint ſie, wuͤrde ich ſchlecht fahren, zum wenigſten wenn Herr Solmes ſo geſinnet waͤre, als ſie. Und welches Frauenzimmer wollte woleinen361der Clariſſa. einen liederlichen Menſchen anbeten, wenn ſie einen tugendhaften Anbeter haben kan.

Sie meint, es waͤre fuͤr mich ein groſes Gluͤck, daß ich meine Papiere ſo liſtig verſteckt haͤtte. Jch koͤnnte leicht dencken, daß ſie es wuͤſte, daß ich die Feder immer gebrauche: und da ich die - ſes vor ihr geheim zu halten ſuchte, ſo duͤrfte ſie es auch nicht als ein anvertrauetes Geheimniß verſchweigen. Sie moͤchte indeſſen ſchlim nicht gern aͤrger machen; ſondern ſuchte lieber alles zum Beſten und zur Verſoͤhnung zu lencken. Frieden ſtifften iſt ihre eigene Gabe, und iſt es immer geweſen. Wenn ſie mir ſo feind gewe - ſen waͤre, als ich glaubte, ſo moͤchte ich wol nicht mehr hier ſeyn. Sie wollte mir dieſes nicht als eine Wohlthat anpreiſen: denn ſie glaubte in der That, es wuͤrde fuͤr mich am beſten ſeyn, wenn nur alles bald voruͤber waͤre; und das wuͤrde auch fuͤr ſie ſelbſt und fuͤr alle im Hauſe das beſte ſeyn. Einen Winck muͤſte ſie mir nur noch geben: ob ich gleich bald wegreiſen wuͤrde, ſo wuͤrde ich doch auch hier im Hauſe Feder und Dinte nicht lange mehr in meiner Gewalt haben. Wenn ich mich damit nicht mehr beſchaͤfftigen koͤnnte, ſo wuͤrde es ſich zeigen, was ſich ein ſo munteres Gemuͤth als das meinige, wuͤrde zu thun machen koͤnnen.

Dieſer Winck hat ſo viel bey mir gewuͤrcket, daß ich Federn, Papier und Dinte an mehr als an einem Orte verſtecken werde; und zwar theils in dem Sommer-Hauſe, wenn ich einen ſichernZ 5Platz362Die GeſchichtePlatz daſelbſt finden kan. Jch habe endlich noch Bleyſtifft und Roͤdel, die ich gebrauche, die Mu - ſter abzuzeichnen: und wenn ich kein anderes Papier habe, ſo will ich die Muſter anwenden.

Was fuͤr ein Gluͤck war es, daß ich meine Brieffe aus dem Wege geſchafft habe. Jch kan an der Unordnung, darin ich alle meine Dinge finde, ſehen, wie genau ſie nachgeſucht haben: denn, wie Sie wiſſen, halte ich ſonſt alles ſo or - dentlich, daß ich Band, Spitzen, oder was es ſonſt iſt, im finſtern finden kan. Meine Buͤcher ſtehen auch ſonſt ordentlich: jetzt aber ſind ſie in voͤlliger Unordnung. Es ſcheint daß man hinter den Buͤchern und ſelbſt in den Buͤchern geſucht hat. Die Kleider ſind auch etwas herum ge - riſſen. Keine Stelle iſt undurchſucht geblieben. Jhrer Erinnerung bin ich deswegen verpflichtet, daß ſie nichts gefunden haben.

Aus Muͤdigkeit entfiel mir die Feder, bey dem Wort, verpflichtet. Jch nehme ſie wieder, um voͤllig zu ſchreiben, was ich noch im Sinne hatte, und ſie zu verſichern, daß ich bin.

Jhre ewig danckbare und ergebenſte Clariſſa Harlowe.

Der363der Clariſſa.

Der zwey und dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch muß nunmehr ſchreiben, ſo gut ich kan, und mich meiner verſteckten Federn und Dinte bedienen. Denn alle meine Schreib-Ge - raͤthſchafft, ſo viel man davon finden konnte, iſt mir weggenommen, davon ich Jhnen die Um - ſtaͤnde hernach erzaͤhlen will.

Vor ohngefehr einer Stunde habe ich mei - nen langen Brief fuͤr Sie hingelegt, und zugleich ein Briefchen fuͤr Herr Lovelace an den ab - geredeten Ort verſteckt, dadurch ich ihn in vier Zeilen Nachricht gebe, daß die Unterredung mit Herrn Solmes uͤberſtanden ſey, und daß ich durch mein beſtaͤndiges und ungeaͤndertes Nein es dahin gebracht zu haben hoffete, daß man ihn mir nicht weiter aufdringen wuͤrde.

Weil ich die gantze Nacht aufgeſeſſen habe, an Sie zu ſchreiben, ſo war ich ſo muͤde, daß ich dieſen Morgen laͤnger als gewoͤhnlich ſchlief: deswegen habe ich dieſen Brief nicht eher hinle - gen koͤnnen. Jch hoffe aber doch, daß Sie ihn fruͤhzeitig genug erhalten werden, mich dieſen Abend oder Morgen recht fruͤh mit einer Ant - wort zu erfreuen. Sie mag ſo kurtz ſeyn, alsſie364Die Geſchichteſie will: ich werde doch zum wenigſten daraus erſehen, was ich von der Guͤtigkeit Jhrer Frau Mutter erwarten darf: denn, wenn es lange waͤhrt, ſo ſoll ich auf den Sonnabend wegge - bracht werden: es kan aber wol gar ſchon mor - gen geſchehen.

Nun will ich Jhnen melden, was vorherge - gangen iſt, ehe mir Federn und Dinte wegge - nommen wurden, und mit welchen Umſtaͤnden man zu dieſer Gewaltthaͤtigkeit (ſo kan ich es mit Recht nennen) geſchritten iſt. Jch will aber gantz kurtz ſeyn.

Meine Baſe (welche, eben ſo wohl als Herr Solmes und meine beyden Onckels, hier zu woh - nen ſcheint) kam zu mir, und ſagte mir, ſie wuͤnſchte ſehr, daß ich die Nachrichten hoͤren moͤch - te, die mir Herr Solmes von Herrn Lovela - ce geben wollte: damit ich zum wenigſten uͤber - zeuget wuͤrde[,]was ſeine kuͤnftige Frau fuͤr ei - nen unertraͤglichen Mann an ihm haben wuͤrde. Jch moͤchte von den Nachrichten glauben was ich wollte, und ich koͤnnte deswegen immer etwas weniger glauben als die Worte ſagten, weil Herr Solmes eine Abſicht bey Mittheilung derſelben haͤtte: Sie koͤnnten mir aber doch nuͤtzlich ſeyn, wenn es auch nur dazu waͤre, Herr Lovelacen uͤber einige Dinge, die mich naͤher betraͤffen, zu befragen.

Jch antwortete: es ſey mir gantz gleichguͤl - tig, was er von mir ſagen moͤchte, denn ich wuͤß - te gewiß, daß er nichts zu meinem Nachtheil ſa -gen365der Clariſſa. gen, noch ſich ruͤhmen koͤnnte, daß ich ihm ſo zugethan geweſen waͤre, als ich nach dem un - guͤtigen Urtheil meiner Freunde ſeyn ſollte.

Sie ſagte: er bilde ſich viel auf ſeine Familie ein, und ſpreche von der unſrigen ſo geringſchaͤ - tzig, als wenn es fuͤr ihn zu niedrig waͤre, eine Perſon aus unſerer Familie zu heyrathen.

Jch antwortete: er muͤßte ſelbſt ein ſehr ver - aͤchtlicher Menſch ſeyn, wenn er in der That von einer Familie geringſchaͤtzig reden wollte, die eben ſo gut als ſeine eigene waͤre, das eintzige ausge - nommen, daß er mit einem Lord verwant ſey. Mich duͤnckte, daß der Adel mehr eine Schande als Ehre fuͤr ſolche ſey, die durch eigene Vor - zuͤge den Adel nicht eben ſo ehren als ſie da - durch geehret werden. Der abgeſchmackte Hoch - muth meines Bruders gereichte unſerer Familie nicht zur Ehre, ſondern ſetze ſie allzu ſehr unter andere herunter, nach welchem er ſich uͤberall ver - lauten lieſſe, daß er in den vornehmen Adel hinein heyrathen wollte. Das aber wuͤßte ich ge - wiß, daß ich von Herr Lovelaces Verſtande eine eben ſo ſchlechte Meinung bekommen wuͤr - de, als andere Leute von ſeiner Tugend haͤtten, wenn ich uͤberzeugt werden koͤnnte, daß er eines ſo niedertraͤchtigen Hochmuths ſchuldig ſey, und ſich auf ſo zufaͤllige und ihm fremde Vorzuͤge etwas einbildete.

Sie beſtand darauf, daß er ſich dergleichen Freyheiten herausgenommen habe, und verſprachmir366Die Geſchichtemir Proben davon zu geben, uͤber die ich mich verwundern wuͤrde.

Jch erwiderte: wenn es auch gewiß waͤre, daß Herr Lovelace ſich ſolche Freyheiten herausge - nommen haͤtte, ſo ſey es doch billig, da er von unſerer Familie ſo ſehr gehaſſet und in allen Ge - ſelſchafften herunter geſetzt wuͤrde, daß man un - terſuchte, was die Veranlaſſung zu dieſen Re - den geweſen ſey: und ob nicht vielleicht einige meiner Verwanten ihn dadurch zu veraͤchtlichen Ausdruͤcken gereitzt haͤtten, daß ſie die Reichthuͤ - mer, die ſie beſitzen, allzu hoch ſchaͤtzen, und alle andern Vorzuͤge verachten, ja wohl ſo gar um ſeine Familie herunter zu ſetzen auch den Adel ihrer eigenen Familie als eine geringe Sache vor - ſtelleten und laͤcherlich zu machen ſuchten. Mit einem Wort: koͤnnen ſie ſagen, Frau Baſe, daß auf unſerer Seite weniger Groll iſt, als auf ſei - ner? kan er von uns geringſchaͤtziger reden, als wir von ihm? Und was das anlanget, daß man ſo oft wiederhohlet, er werde ein ſchlimmer Ehe - mann ſeyn, ſo moͤchte ich doch wiſſen, ob er ſei - ner Frauen noch ſchlimmer begegnen kan, als mir begegnet wird, inſonderheit von meinem Bruder und von meiner Schweſter.

Ach! Fraͤulein Baſe! Ach mein Hertz, wie ſehr hat ſie der gottloſe Mann gefeſſelt!

Vielleicht hat er das noch nicht gethan. Al - lein Eltern, die gern wollen, daß ihre Toͤchter eben ſo dencken ſollen als ſie, haben Urſache ſich ſorgfaͤltig aller ſolcher Reden zu enthalten, dieein367der Clariſſa. ein Kind, das kein niedertraͤchtiges Hertz hat, zwingen, die Parthey des Mannes zu nehmen, dem die Verwanten feind ſind. Allein ohne dieſes auszumachen, ſo weiß ich nicht, warum er mir immer genannt wird, und warum ich etwas von ihm hoͤren ſoll, da ich verſprochen habe, ihm gaͤntzlich zu entſagen.

Allein, mein Hertz, es iſt doch kein ſo groſſes Ungluͤck, wenn ihnen Herr Solmes Nachricht davon giebt, was Herr Lovelace von ihnen ge - ſagt hat. So hart ſie Herrn Solmes begeg - net ſind, ſo will er doch gern die Ehre haben, ih - nen noch einmahl aufzuwarten. Er bittet ſie deswegen, daß ſie hoͤren wollen, was er zu ſa - gen hat.

Wenn es anders fuͤr mich wohl gethan iſt, es zu hoͤren

Das iſt es! ſehr wohl gethan! fiel ſie mir mit Unwillen in die Rede.

Hat ſie das von Herr Lovelaces Nieder - traͤchtigkeit uͤberzeuget, was er geſagt hat!

Ja, mein Kind! und ich glaube, daß ſie ihn auf ewig verabſcheuen muͤſſen.

Wohlan, liebſte Frau Baſe, laſſen ſie es mich denn aus ihrem eigenen Munde hoͤren. Es iſt nicht noͤthig, daß ich Herrn Solmes daruͤber ſpreche: es wird bey mir noch einmahl ſo viel Eindruck machen, wenn ſie es mir erzaͤhlen. Was hat er ſich denn unterſtanden von mir zu ſagen?

Meine Baſe wußte nicht, was ſie antwortenſollte.368Die Geſchichteſollte. Sie ſagte endlich: ich ſehe, wie ſehr ſie gefeſſelt ſind, Fraͤulein. Es thut mir leid. Denn ich verſichere ihnen, daß ſie nichts ausrich - ten werden. Sie muͤſſen doch in wenigen Ta - gen Frau Solmes heiſſen.

Wenn noch Einwilligung des Hertzens und Mundes bey der Trauung erfodert wird, ſo bin ich gewiß, daß ich Herr Solmeſen niemahls kan oder will angetrauet werden. Wie ſchwere Ver - antwortung werden meine Anverwanten haben, wenn ſie meine Hand mit Gewalt in ſeine Hand zwingen, und ſie da ſo lange halten, als der Prie - ſter die Trau-Formul ſpricht, wenn ich vielleicht die gantze Zeit auſſer mir und in Ohnmacht bin.

Was fuͤr ein Bild machen ſie jetzt von einer gezwungenen Trauung! recht als wenn ſie es aus einer Romaine genommen haͤtten. Einige Leute werden ſagen, daß ſie ihren Eigenſinn le - bendig abgemahlt haben.

Mein Bruder und meine Schweſter werden das ſagen: von ihnen aber bin ich verſichert, daß ſie einen Unterſcheid zwiſchen Eigenſinn und natuͤrlicher Abneigung machen werden.

Man kan ſich bisweilen eiue Abneigung ein - bilden, mein Schatz, wenn nichts als Eigenſinn zum Grunde liegt.

Jch kenne mein eigenes Hertz. Jch wuͤnſch - te, daß ſie es auch kennen moͤchten.

Gut: aber ſprechen ſie doch Herrn Solmes nur einmahl: das wird mehr zu ihrem Vor -theil369der Clariſſa. theil beytragen, als ſie dencken, und wird fuͤr eine Gefaͤlligkeit angeſehen werden.

Warum ſoll ich ihn ſprechen. Hat der Mann ſo groſe Luſt, aus meinem Munde zu hoͤren, daß ich ihn nicht leiden kan? Will er, daß ich die Meinigen immer mehr gegen mich erbittern ſoll? O mein liſtiger, mein eigennuͤtziger Bruder.

Ach mein Schatz? (ſagte ſie wehmuͤthig, als wenn ſie meine Meinung wohl verſtuͤnde) allein muͤſſen ſie denn nothwendig die Jhrigen mehr erbittern?

Ja! das mus geſchehen, wenn ſie daruͤber boͤſe werden wollen, daß ich meine Abneigung von Herrn Solmes bezeuge.

Herr Solmes daurt mich. Er betet ſie an. Er wuͤnſcht ſie noch einmahl zu ſprechen. Er liebt ſie deswegen mehr, daß ſie ihm geſtern ſo hart begegnet ſind. Er iſt gantz entzuͤckt.

Der abſcheuliche Menſch! dachte ich bey mir ſelbſt: der ſoll entzuͤckt ſeyn!

Jch ſagte: was muß der fuͤr ein grauſames Hertz haben, der ſich uͤber ein Ungluͤck, daran er Schuld iſt, freuet! Jch mercke es, ich mercke es, daß man mich als ein Thier anſiehet, das fuͤr meinen Bruder und Schweſter und fuͤr Herrn Solmes gefangen werden ſoll. Sie ſind alle zuſammen recht zur Luſt und Vergnuͤgen grau - ſam gegen mich. Sollte ich den Mann von neuen ſprechen! den unbarmhertzigen Mann! Jch will ihn gewiß nicht ſprechen, wenn ich nur vorbey kommen kan.

Zweyter Theil. A aWas370Die Geſchichte

Was fuͤr eine arge Auslegung iſt das, die ihr allzulebhafter Witz daruͤber macht, daß Herr Solmes ſie bewundert! So hefftig ſie geſtern waren, und ſo veraͤchtlich ſie ihn abwieſen, ſo hat er ſich doch ſelbſt in ihre Haͤrte und Sproͤ - digkeit verliebt. Er iſt kein ſo poͤbelhafter Mann, als ſie meinen: er hat kein unempfindliches Hertz, laſſen ſie ſich von mir erbitten, ihn nach ihrer Eltern Verlangen noch einmahl zu ſprechen, und das zu hoͤren, was er zu ſagen hat.

Wie kan ich mich entſchlieſſen, ihn noch ein - mahl zu ſprechen, da ſie, und alle andere die geſtrige Unterredung ſchon ſo auslegen wollten, als wenn ich ihm dadurch Hoffnung gegeben haͤtte? und da ich ſelbſt geſagt habe, daß es die - ſen Schein geben wuͤrde, wenn ich ihn zum zweyten mahl mit meinem guten Willen ſpraͤ - che? Und ich bin doch entſchloſſen, ihm nicht die geringſte Hoffnung zu geben.

Sie koͤnnten mich wol mit dergleichen An - merckungen verſchonen, die mich betreffen. Jch habe von keiner Seiten Danck.

Sie ging weg. Jch ging ihr bis an die Thuͤre nach, und rief ihr nach, allein ſie wollte mich nicht weiter hoͤren. Ein niedertraͤchtiger Horcher ward durch ihren unvermutheten Auf - ſtand in eine kleine Beſtuͤrtzung geſetzt. Jch ward noch eines Fuſſes auf dem Abſatz der Trep - pe gewahr, der ſich eben zuruͤck zog.

Jch hatte mich kaum erhohlet, ſo kam Eliſa - beth herauf, und ſagte: Fraͤulein, man bittetſich371der Clariſſa. ſich ihre Geſellſchafft unten in ihrem eigenen Saal aus.

Wer denn, Eliſabeth?

Wie kan ich das wiſſen, Fraͤulein! Vielleicht, iſt es ihre Schweſter, vielleicht ihr Bruder. Jch weiß wohl, daß ſie nicht wieder zu ihnen in ih - re Stube kommen wollen.

Jſt Herr Solmes weggegangen, Eliſa - beth[?]

Jch glaube es, Fraͤulein! Wollen ſie ihn etwan wieder zuruͤck ruffen laſſen? ſagte das dreiſte Maͤdchen.

Jch ging hinunter: und wer war es anders, der mich hatte ſprechen wollen, als mein Bruder und Herr Solmes? Dieſer hatte ſich wie ein Suͤnder hinter die Thuͤr geſtellet, daß ich ihn nicht ſehen konnte, bis mich mein Bruder auf eine ſpoͤttiſche Weiſe in die Stube gefuͤhret hatte. Jch erſtarrete nicht anders, als ſaͤhe ich ein Ge - ſpenſt.

Jhr ſollt euch niederlaſſen, Claͤrchen!

Und was weiter, mein Bruder?

Was weiter? Jhr ſollt das ſpoͤttiſche Geſich - te ablegen, und hoͤren, was Herr Solmes zu ſagen hat.

Jch dachte bey mir: ſo bin ich wieder her - unter geruffen, um gefangen zu werden.

Herr Solmes ſagte ſo eilig, als glaubte er, daß ich ihm ſonſt keine Zeit laſſen wuͤrde es zu ſagen: (und darin hatte er Recht) Fraͤulein, Herr Lovelace iſt ein offenbahrer Feind des

A a 2Ehe -372Die Geſchichte

Eheſtandes, und hat Abſichten wider ihre Eh - re, wenn er jemahls

Niedertraͤchtiger Anklaͤger! (ſagte ich, da mich der Unwille uͤbernahm) Er hat keine ſolche Ab - ſichten. Er darf ſich nicht unterſtehen, ſie zu haben. Allein ſie haben dergleichen Abſichten: denn ein freyes Gemuͤth ſchaͤtzt es ſich fuͤr keine Ehre, wenn es ſich ſoll zwingen laſſen. (Jch riß auch meine Hand von meinem Bruder los, der ſie Herrn Solmes geben wollte.)

O du ungeſtuͤmes Ding, ſagte mein Bruder. Allein, nur nicht ſo gleich weggegangen! (denn ich war im Begriff wegzugehen.

Jch ſuchte mich von ihm los zu machen, und ſagte: was ſoll das, daß ihr mich wider meinen Willen haltet.

Jhr ſollt nicht weggehen, Ungeſtuͤme? ſagte mein Bruder, und ſchlug ſeine Arme, die ich nicht fuͤr Arme eines Bruders halten konnte, um mich.

So laßt Herrn Solmes weggehen. Was haltet ihr mich ſo? Um euer ſelbſt willen wuͤn - ſche ich, daß er nicht ſehen moͤge, wie unmenſch - lich ein Bruder mit einer Schweſter umgehen kan, ohne daß ſie es verdient.

Jch brauchte alle Kraͤffte mich von ihm los - zureiſſen, und er muſte meine Hand fahren laſ - ſen. Er that es mit den Worten: Lauf hin, du Furie! Wie ſtarck iſt der Wille des Men - ſchen: Es iſt nicht moͤglich, ſie zu halten!

Jch373der Clariſſa.

Jch lief nach meiner Stube hinauf, daß ich auſſer Athem kam, und verſchloß mich.

Jn einer kleinen Viertheil-Stunde kamEli - ſabeth herauf. Jch machte ihr auf, als ſie an - klopfte und zugleich (auch bey nahe auſſer Athem) mich bat, ſie einzulaſſen.

GOtt erbarme ſich unſer! (ſagte ſie) Was vor eine Verwirrung im Hauſe! (auf und nie - der ging ſie, und wehete ſich mit dem Schnupf - tuch.) Solche boͤſe erzuͤrnte Herrſchafft! Sol - che eigenſinnige Fraͤuleins! Solch ein demuͤthi - ger Liebhaber! Solche erbitterte Onckles! Sol - che Ach mein Hertz, mein Hertz! Was fuͤr ein verkehrtes Haus iſt das! Und warum alles das? Als weil eine Fraͤulein gluͤcklich ſeyn koͤnn - te, und nicht gluͤcklich ſeyn will. Was fuͤr Pol - tern iſt hier, wo ſonſt alles ſo ruhig zugieng.

Sie fuhr fort mit ſich ſelbſt zu reden. Jch hoͤrte ſo geduldig zu als ich konnte, und warte - te, wenn ſie ihr einſeitiges Geſpraͤch endigen wuͤr - de, indem ich wohl merckte, daß ſie keine erfreu - liche Votſchafft an mich auszurichten hatte.

Sie kehrte ſich endlich zu mir, und ſagte: ich muß thun, was mir befohlen iſt. Seyn ſie nicht ungnaͤdig, Fraͤulein. Jch muß ihre Fe - dern und Dinte hinunter bringen, und zwar den Augenblick.

Auf weſſen Befehl?

Auf ihrer Eltern Befehl!

Wie ſoll ich das mit Gewißheit wiſſen?

Sie wollte nach meinem Cloſet gehen! ichA a 3ging374Die Geſchichteging aber voran hinein, und ſagte: ruͤhrt etwas an, wenn ihr es euch unterſteht.

Meine Baſe Dorthgen kam dazu. Das liebe guthertzige Kind ſprach weinend und mit gebrochenen Worten: Fraͤulein, Fraͤulein: Sie muͤſſen ſie muͤſſen wahrhaftig es an Eliſabeth geben , ihr Feder und Dinte geben.

Muß ich es thun? meine liebe Fraͤulein Ba - ſe! So will es ihnen geben, und nicht dem drei - ſten Maͤdchen.

Jch gab ihr mein Schreib-Zeug.

Es thut mir leid, ſehr leyd (ſagte die Fraͤu - lein) daß ich es ausrichten muß. Jhr Herr Vater will nicht, daß ſie laͤnger mit ihm in ei - nem Hauſe bleiben ſollen. Sie ſollen morgen, oder hoͤchſtens auf den Sonnabend wegreiſen. Jhr Schreib-Zeug wird ihnen deswegen abge - fodert, damit ſie niemanden Nachricht von die - ſer Entſchlieſſung geben koͤnnen.

Das liebe Kind ging mit Weinen von mir weg, und trug mein Dinten-Fuß mit aller Zu - behoͤr und noch ein Bund Federn herunter, die ſie mir inſonderheit abfodern muſte, weil man ſie bey der groſen Durchſuchung geſehen hat. Jch hatte keine davon gebraucht, weil ich hin und her ein halb Dutzend Raben-Federn verſteckt hat - te: und weil ſie ſie vorhin uͤbergezaͤhlt haben mochten, ſo kan dieſes ein gluͤcklicher Umſtand fuͤr mich ſeyn.

Eli -375der Clariſſa.

Eliſabeth fuhr fort zu reden, und mir zu erzaͤhlen: meine Mutter ſey jetzt eben ſo ſehr ge - gen mich aufgebracht, als irgend ein anderer. Mein Urtheil ſey ſchon geſprochen. Durch mei - ne Hefftigkeit haͤtte ich alle abgeſchreckt, ein Wort fuͤr mich zu reden. Herr Solmes haͤtte ſich auf die Lippen gebiſſen, und etwas heraus ge - murmelt: er ſchiene (nach ihrer Redens-Art) mehr im Kopf gehabt zu haben, als heraus ge - wollt haͤtte.

Dem ohngeachtet gab ſie mir zu verſtehen, daß dieſes harte Hertz ein Vergnuͤgen darin faͤn - de, mich zu ſehen, wenn es gleich wider meinen Willen waͤre: und daß er verlangte mich aber - mahls zu ſehen. Muß das nicht ein Wilder, ein Unmenſch ſeyn?

Mein Onckle Harlowe haͤtte geſagt, er woll - te ſich meiner nicht mehr annehmen. Er haͤtte Mitleiden mit Herr Solmes: er hoffe aber, daß ſich dieſer kuͤnftig des vergangenen nicht zu meinem Nachtheil erinnern moͤchte. Mein Onckle Anton hingegen haͤtte gemeint: ich muͤſte bil - lig dafuͤr buͤſſen, ſo wohl um Herrn Solmes als um ihrer ſelbſt willen. Sie, die Eliſabeth / ſagte, ſie ſey eben der Meinung, nicht anders, als wenn ſie mit zu der Familie gehoͤrte.

Weil ich kein anderes Mittel habe, das zu er - fahren, was unten geredet und beſchloſſen wird, ſo habe ich bisweilen mit ihrer Grobheit mehr Geduld, als ich ſonſt haben wuͤrde. Sie ſcheintA a 4um376Die Geſchichteum alle Heimlichkeiten meines Bruders und meiner Schweſter zu wiſſen.

Fraͤulein Hervey kam nochmahls herauf, und foderte eine kleine Dinten-Bouteille, die ſie in meinem Cloſet geſehen hatten. Jch gab ſie ihr, ohne mich darauf zu bedencken. Wenn ſie gar keinen Verdacht auf mich haben, daß ich ſchrei - ben moͤchte, ſo werden ſie mir vielleicht erlauben laͤnger hier im Hauſe zu bleiben, als ſonſt ge - ſchehen ſeyn wuͤrde.

Jn ſolchen Umſtaͤnden befinde ich mich jetzt. Alle meine Hoffnung beruhet lediglich auf der Guͤtigkeit Jhrer Frau Mutter. Jch weiß nicht was ich nicht thun wollte, dieſe zu erlangen: denn wer weiß was mir zunaͤchſt bevorſtehet?

Der drey und dreißigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe / an Fraͤulein Howe.

Eben komme ich wieder zuruͤck, nachdem ich meinen vorigen Brief und die Brieffe von Herrn Lovelace fuͤr Sie hingelegt habe, die Sie noch nicht haben. Jch finde meinen langen Brief noch: Sie werden alſo beyde auf einmahl bekommen.

Jch377der Clariſſa.

Jch bin etwas unruhig daruͤber, daß Sie ihn noch nicht haben. Allein Jhr Diener hat nicht immer Zeit. Jch will aber doch die Brieffe ſo geſchwind hinlegen, als ich ſie ſchreibe, denn es iſt nicht rathſam, geſchriebene Sachen um mich und bey mir zu haben. Wenn ich ſchreibe, ſo muß ich mich einſchlieſſen, um nicht entdeckt zu wer - den, nachdem ſie glauben, daß ich nicht mehr ſchreiben kan.

Jch habe an dem gewoͤhnlichen Orte aber - mahls einen Brief von dem unermuͤdeten Lo - velace gefunden? und ich ſehe von neuen aus dem Jnhalt, daß nichts in dieſem Hauſe vorge - hen kan, das er nicht weiß, und zwat ſogleich als es geſchehen iſt. Denn dieſer Brief muß vor - her geſchrieben ſeyn, ehe er meine vier Zeilen hat - te erhalten koͤnnen: und er ward vermuthlich zu eben der Zeit hingelegt, als er jene abholte. Er lobet mich, daß ich mich meinen Onckles und Herrn Solmeſen gezeiget haͤtte; wie er es nennet.

Er verſichert mir indeſſen, daß ſie mehr als jemahls entſchloſſen ſind, mich mit Gewalt zu zwingen.

Er richtet eine Empfehlung von ſeiner gan - tzen Familie an mich aus, und meldet mir, daß ſie insgeſamt begierig waͤren, mich bey ſich zu ſehen. Er liegt mir recht heftig an, daß ich dieſes Haus verlaſſen ſoll, weil ich noch kan[,] und bittet aufs neue um Erlaubniß; mich mit ſeines Onckles Wagen und ſechs Pferden anA a 5dem378Die Geſchichte dem ſchmahlen Gange nach dem Holtze zu zu erwarten.

Er bietet mir von neuen einen Ehe-Contract an, wie jch ihn nur haben will. Der Lord M. und deſſen Schweſter ſollen Buͤrgen fuͤr ſeine Ehre und Aufrichtigkeit gegen mich wer - den. Wenn ich nicht Luſt habe, mich zu einer von ſeinen Baſen zu begeben, und ihn noch nicht ſo bald zu dem allergluͤcklichſten Menſchen machen will, welches er doch hoffet: ſo bittet er mich, daß ich zum wenigſten auf mein Gut entfliehen, und ſo lange bis der Obriſte Mor - den ankommen wird, den Lord M. zu meinem Vormund und Beſchuͤtzer annehmen moͤge. Er kan es in die Wege richten, daß ich ohne viele Umſtaͤnde in den Beſitz meines Gutes geſetzt werde; und er will mein Haus mit dem Frau - enzimmer aus ſeiner Familie anfuͤllen, die mich auf die erſte Einladung beſuchen ſollen. Fraͤu - lein Norton und Fraͤulein Howe wuͤrden ſich auch ohne Zweiffel bewegen laſſen, mich eine Zeitlang zu beſuchen. Wenn ich einmahl auf meinem Gute bin, ſo iſt nicht einmahl moͤglich einen Rechts-Streit mit mir anzufangen. Wenn ich es haben will, ſo will er ſich gantz enthalten mich zu beſuchen: er will ſich nicht einmahl unterſtehen von einer ewigen Verbin - dung mit mir zu reden, bis alles wieder ruhig iſt; oder bis er alle Mittel zur Ausſoͤhnung verſucht hat, die ich vorſchreiben werde; oder bis mein Vetter Morden ankommt, und bisein379der Clariſſa. ein ſolcher Ehe-Contract entworffen iſt, den die - ſer billigen wird, und ich deutliche und unwider - ſprechliche Proben ſeiner Beſſerung habe.

Was das anlanget, daß ein Frauenzimmer von meinem Charakter es ſich fuͤr nachtheilig an - ſehen koͤnnte, ihres Vaters Haus zu verlaſſen, bemerckt er, und ich fuͤrchte, daß ſeine Anmer - ckung nur allzurichtig ſey: daß jedermann da - von redet, daß mir ſo uͤbel begegnet wird, und dennoch gebe mir die Welt Recht: ſelbſt mei - ne Anverwanten erwarteten es, daß ich mir (wie er es nennet) Recht verſchaffen wuͤrde; ſonſt wuͤrden ſie mich nicht ſo einſchlieſſen. Bey einer ſolchen Auffuͤhrung wuͤrde mir nie - mand verdencken, wenn ich mich in die Frey - heit ſetzte, dazu ich Recht habe, und aus mei - nes Vaters Hauſe in mein eigenes zoͤge, (wenn ich anders dieſen Vorſchlag billigte) oder mich in fremden Schutz begaͤbe, um in den Beſitz des Meinigen geſetzt zu werden. Allen Schimpf, der auf mich fallen koͤnnte, haͤtten mir die Mei - nigen ſchon angethan. Er und ſeine gantze Familie wuͤrden fuͤr meine Ehre eben ſo beſorgt ſeyn, als ich es ſeyn koͤnnte, wenn er einige Hoff - nung haͤtte, mich dereinſt die Seinige zu nen - nen. Er unterſteht ſich zu behaupten, daß mir keine Familie den Verluſt meiner Bluts-Freun - de beſſer erſetzen kan, als ſeine; auf was fuͤr Weiſe ich ihnen auch die Ehre thue, mich ih - res oder ſeines Schutzes zu bedienen.

Er wiederhohlt das, was er mir ſchon ſonſtge -380Die Geſchichte gemeldet hat, daß er auf allen Fall ſich mit Ge - walt dagegen ſetzen wollte, daß ich nicht in mei - nes Onckels Haus komme. Denn er muͤßte mich gantz verlohren geben, wenn ich des Hau - ſes Schwelle betrete. Mein Bruder und mei - ne Schweſter gedaͤchten gleichfalls dort zu ſeyn, und mich zu empfangen; meine Eltern wuͤrden mich nicht ſprechen, bis die Trauung vorbey ſey. Alsdenn wuͤrden ſie ſuchen, zwiſchen mir und meinem eckelhalten Manne eine Verſoͤhnung zu ſtiften, und mich deswegen meiner gedoppel - ten Pflicht erinnern.

Wie werde ich von beyden Seiten gedraͤnget! dieſe letzte Nachricht iſt ſehr wahrſcheinlich. Al - le Schritte, die ſie thun, ſcheinen hierauf zu zie - len: ja ſie haben ſich beynahe in Worten eben dieſes gegen mich mercken laſſen.

Er ſagt: er haͤtte ſchon ſeine Einrichtung auf dieſen Fall gemacht. Allein um meinet willen (das ſcheint ſo viel zu ſeyn, als: um ihrer ſelbſt willen ſey er ihnen keine Geduld und Nachſicht ſchuldig) um meinet willen wolle er es nicht gern auf das aͤuſſerſte kommen laſſen. Er haͤtte es deswegen zugelaſſen, daß eine ihnen unverdaͤchtige Perſon ſie als aus eigenem Triebe von ſeinem Vorſatz benachrich - tiget haͤtte: und er hoffet, daß ſie aus Furcht und um Ungluͤck zu verhuͤten, ihren Entſchluß aͤndern werden. Er vermehrte zwar hiedurch ſeine Gefahr, und wuͤßte nicht gewiß, ob er ſei - nen Zweck erhielte. Denn er muͤſſe ſich vor -ſtellen381der Clariſſa. ſtellen, daß ſie nun noch einmahl ſo viel bewaf - nete Leute mitnehmen wuͤrden, wenn die Reiſe noch vor ſich gehen ſolte.

(Was fuͤr gefaͤhrliche Dinge unternimmt doch der Mann!)

Er bittet ſich nur einige Zeilen zur Antwort aus; entweder auf dieſen Abend; oder auf mor - gen fruͤh. Wenn ich ihn nicht damit beehre, ſo muß er aus dem, was er von der Unbeweg - lichkeit der Meinigen gehoͤrt hat, den Schluß machen, daß ich noch enger eingeſchraͤnckt bin: und er wird ſeine Maasregeln hiernach zu neh - men haben.

Sie werden aus dieſem Auszuge, und aus ſei - nem letzten Brieffe, der mit dieſem einerley Spra - che fuͤhret, erſehen, wie guͤnſtig ihm meine un - gluͤcklichen Umſtaͤnde ſind, und zu was fuͤr Er - klaͤrungen, Vorſchlaͤgen, und ſogar Drohun - gen, ſie ihm Muth geben, die ich ſonſt gewiß nicht an ihm dulden wuͤrde.

Jch muß mich indeſſen bald zu etwas ent - ſchlieſſen, oder ich werde es nicht mehr in mei - ner Macht haben, zu entkommen.

Jch dencke jetzt erſt daran. Jch will ſeinen Brief ſelbſt mit beylegen, damit Sie beſſer von ſeinen Vorſchlaͤgen und Nachrichten urtheilen koͤnnen, und damit er nicht in fremde Haͤnde ge - rathe. Jch haͤtte die Muͤhe erſparen koͤnnen, ei - nen Auszug daraus zu machen. Den Jnhalt des Briefes werde ich doch nicht vergeſſen, ob ich gleich nich weiß, was ich antworten ſoll.

Jch382Die Geſchichte

Jch kan nicht daran gedencken, mich in den Schutz ſeiner Anverwanten zu begeben. Jch will aber ſeine Vorſchlaͤge nicht genau unterſu - chen, bis ich erſt Jhre Meinung vernommen ha - be. Jch ſehe nichts vor mir, daß ich zugleich hoffen und waͤhlen kan, als daß ich zu Jhrer Frau Mutter fliehe. Jhres Schutzes kan ich mich mit mehrerer Ehre bedienen, als des Schu - tzes irgend einer andern Perſon. Jch wuͤrde auch bereit und im Stande ſeyn, aus ihrem Hauſe wieder nach meines Vaters Hauſe zuruͤck zu kehren, ſo bald mir die Freyheit Nein zu ſa - gen zugeſtanden wuͤrde, und ich daruͤber genugſa - me Sicherheit haͤtte; denn der Bruch mit mei - ner Familie wuͤrde nicht ſo groß ſeyn, als wenn ich zu Lovelaces Anverwanten fliehe. Mehr Bedingungen, z. E. daß ich meine voͤllige Frey - heit haben wollte, verlange ich von meinen El - tern nicht, um Jhre Frau Mutter deſto weni - ger in verdrießliche Umſtaͤnde zu ſetzen; ob ich gleich ein Recht dazu haͤtte. Jch meine ein ſol - ches Recht, als mein Bruder hat ſein Gut ſelbſt in Beſitz zu haben; das ihm niemand ſtreitig macht; denn ſonſt ſoll mich GOtt behuͤten, mich jemahls dem Gehorſam gegen meinen Vater in einer billigen Sache zu entziehen, was fuͤr Recht mir auch der letzte Wille meines Gros - Vaters geben mag. Der gute ſeelige Mann vermachte mir das Land-Guth als eine Beloh - nung meines Gehorſams, und nicht als ein Mit - tel mich von meinem Gehorſam loszureiſſen. Die383der Clariſſa. Die Meinigen haben mir das mit Recht zu ver - ſtehen gegeben: und ich bin deſto ſorgfaͤltiger, dem Endzweck gemaͤß zu handeln, mit welchem mir ein ſo anſehnliches Vermaͤchtniß zugefallen iſt. Ach wenn doch die Meinigen nur mein Hertz kennen moͤchten, und noch eine eben ſo gu - te Meinung als ehemahls davon haͤtten! denn wenn ich mich nicht ſelbſt betriege, ſo iſt mein Hertz noch eben daſſelbe, obgleich ihr Hertz ge - aͤndert iſt.

Wenn Jhnen Jhre Frau Mutter nur ver - goͤnnen wollte, Jhren Wagen oder Chaiſe an den Ab-Ort zu ſchicken, wo Herr Lovelace mich mit ſeines Vetters Wagen abzuhohlen verſpricht: ſo werde ich mich nicht einen Augenblick beden - cken: ſo ſehr bin ich theils aufgebracht, theils furchtſam und beſorgt. Raͤumen Sie mir ein Plaͤtzchen ein, was fuͤr eins Sie wollen: irgends eine Huͤtte, oder eine Kammer unter dem Dache. Geben Sie mich fuͤr eine Magd, oder fuͤr die Schweſter einer Magd aus. Jch bin zum we - nigſten nicht gantz ungluͤcklich, wenn ich Herrn Solmes entgehen kan, und doch nicht bey den Anverwanten des Feindes unſerer Familie Zu - flucht ſuchen darf. Wohin aber kan ich fliehen, wenn mir Jhre Frau Mutter dieſe Bitte ab - ſchlaͤgt? Liebſtes Hertz, geben Sie Jhrer be - draͤngten Freundin einen Rath.

Jch384Die Geſchichte

Jch mußte hier abbrechen, denn ich ward ſo unruhig, daß ich mich nicht getrauen durffte, meinen Gedancken weiter nachzuhaͤngen. Jch ging deswegen in den Garten, um mir eine Ver - aͤnderung zu machen, und mein Gemuͤth zu be - ruhigen. Jch war nur einmahl den Gang zwi - ſchen den Nuß-Baͤumen auf und nieder gegan - gen, ſo kam Eliſabeth zu mir: Fraͤulein, ihr Herr Vater iſt hier, und ihr Onckle Anton, und mein junger Herr, und meine junge Fraͤulein: die wollen alle im Garten ſpatziren gehen: und der gnaͤdige Herr hat mich geſchickt ſie zu ſuchen, damit er ihnen nicht begegnen moͤchte.

Jch ging in einen krummen Gang, und ſtellen - te mich hinter die Hecke, ſo bald ich meine Schwe - ſter ſahe, bis ſie alle voruͤber waren.

Es ſcheint, daß ſich meine Mutter nicht wohl befindet; denn ſie huͤtet die Stube. Wenn ſie wircklich unpaß iſt, ſo iſt dieſes ein neuer Kum - mer fuͤr mich, denn ich muß befuͤrchten, daß ſie ſich uͤber meinen vermeinten Ungehorſam graͤ - met.

Sie koͤnnen ſich nicht vorſtellen, was ich hin - ter der Hecke empfunden habe, als ich meinen Vater in einer ſolchen Naͤhe ſahe. Jch freuete mich, ihn durch die Hecke zu ſehen, als er vorbey ging: allein alle Gelencke zitterten mir, da ich ihn dieſe Worte ausſprechen hoͤrte: dir mein Sohn / und dir meine Tochter / und euch / mein Bruder / uͤberlaſſe ich die gantze Sa - che. Jch konnte nicht daran zweiffeln, daß nichtdie385der Clariſſa. die Rede von mir ſey. Allein warum ruͤhrte mich dieſes ſo ſehr, da ich doch ſchon mehrere Tage unter der Gewalt dieſer Grauſamen ſtehe?

Unterdeffen, daß mein Vater in dem Garten war, ließ ich mich durch Schorey (die ich von ohngefaͤhr auf der Treppe fand) mit einem kind - lichen Compliment nach dem Befinden meiner Mutter erkundigen. Von ohngefehr, ſage ich, fand ich ſie: denn kein Bedienter unterſteht ſich mir zu begegnen, meine Kerckermeiſterin ausge - nommen. Jch bekam eine ſolche Antwort, daß es mich gereuete mich nach ihrem Befinden er - kundiget zu haben, ob mich gleich nie gereuen wird, daß ich in meinem Hertzen begierig ge - weſen bin, Nachricht von ihr zu erfahren. Sie ſoll ſich nicht nach einer Kranckheit er - kundigen / daran ſie Schuld iſt. Jch will keine Boten von ihr annehmen. Das war ihre rauhe Antwort. Hart genug! ach allzu hart!

Jch hoͤre jetzt mit Vergnuͤgen, daß es ſich ſchon mit meiner Mutter beſſert. Es iſt eine Colick geweſen, davon ſie ſonſt oͤfters einen Anfall hat: allein man hoffet, daß es vorbey ſey. GOtt gebe es! alles Ungluͤck in dieſem Hauſe kommt von mir her.

Zweyter Theil. B bDie -386Die Geſchichte

Dieſe gute Zeitung ward mir mit einem un - angenehmen Umſtande erzaͤhlt. Denn Eliſa - beth ſagte: ſie haͤtte Befehl mich zu benach - richtigen, daß mein Spatzirengehen Verdacht erweckte, und verboten werden wuͤrde, wenn ich bis auf den Sonnabend oder Montag hier bliebe.

Vielleicht geſchicht dieſes mit Bedacht, um mich williger zur Abreiſe nach meines Onckels Gut zu machen.

Meine Mutter hatte ihr aufgetragen, mir zu ſagen, wenn ich mich hieruͤber oder uͤber die Ab - foderung meines Schreibgeraͤthes beklagen wuͤr - de: das Leſen ſchicke ſich beſſer zu meinen jetzi - gen Umſtaͤnden, als das Schreiben. Jenes koͤnnte mich von meiner Pflicht unterrichten, und dieſes nur verſtockter machen, wenn ich an diejenigen ſchriebe, an die man glaubte, daß ich ſchriebe. Es waͤre beſſer, wenn ich die Nadel gebrauchte, als ſo viel ſpatziren ginge, welches ich bey guten und ſchlimmen Wetter thaͤte.

Wenn ich mich nun nicht bald zu etwas ent - ſchlieſſe, ſo werde ich dem gedroheten Ungluͤck nicht entgehen, und nicht einmahl ferner an Sie ſchreiben koͤnnen.

Mittewochens Abends.

Es iſt unten alles in Unruhe. Eliſabeth geht aus und ein wie ein Spion. Es muß et - was vor ſeyn, ich weiß aber nicht was. Jch bin kranck an Leibe und Gemuͤth, und mein Hertz iſt gantz wund.

Ob387der Clariſſa.

Ob es gleich finſter iſt, will ich doch unter dem Vorwand hinunter geben, friſche Luft zu ſchoͤ - pfen, und mich ein wenig zu erholen. Jch hoffe, daß Robert meine beyden Brieffe ſchon abge - holet hat, und ich will dieſen und Herrn Lo - velaces Brief hinlegen, weil ich eine neue Durch - ſu chung befuͤrchte.

Jch weiß nicht, was ich anfangen ſoll. Alles iſt ſo auſſerordentlich geſchaͤftig. Die Thuͤren ſind verſchloſſen; aus einer Stube gehen ſie in die andere, und das mit einer ſonderbaren und Geheimnißvollen Eilfertigkeit. Eliſabeth iſt in einer halben Stunde zweymahl bey mir ge - weſen, und hatte ihre gefaͤhrliche Mine, als wenn ein groſſes Ungluͤck vorhanden waͤre; das zwey - te mahl ward ſie von Schorey herunter ge - ruffen, und geberdete ſich bey dem weggehen noch gefaͤhrlicher. Vielleicht iſt alles dieſes ein Nichts, und erreget mir eine unnoͤthige Furcht: Sie kommt ſchon mit ihren tiefgeholten Seufzern wieder.

Das wunderliche Maͤdchen laͤßt ſich einige dunckle Worte entfahren: ſie will aber nichts weiter ſagen. Wie? wenn ſich der artige Han - del gar auf Mord und Todſchlag endigte! Jch werde vielleicht Urſache haben, meine Wider - ſpenſtigkeit zu beweinen, ſo lange ich lebe. El - tern werden ſich ihre Kinder nicht durch unver - ſchaͤmte Freyer abtrotzen laſſen; und es iſt auch recht, daß ſie das nicht thun. Es kanB b 2mir388Die Geſchichtemir noch zu Hauſe kommen, wenn ich es am wenigſten dencke.

Das ſind verworrene und fuͤrchterliche Reden, die das ungezogene Maͤdchen fahren laͤßt. Jch glaube, daß ſie von der Nachricht herruͤhren, die Herrn Lovelace unter der Hand hat geben laſſen, daß er meine Reiſe nach meines Onckles Gut hindern wollte. Eben der zweyzuͤngige Spion wird ſie vermuthlich uͤberbracht haben.

Wenn dieſes iſt, ſo muß es die Meinigen er - bittern. Jch werde auf allen Seiten geſtoſſen und gewehet, wie eine Feder vom Winde: ſo wie es ungeſtuͤme und eigennuͤtzige Leute begehren und wuͤnſchen! Erſt werde ich zu einem heimli - chen Briefwechſel gezwungen! und der unbe - ſonnene Menſch unternimmt doch vor ſeinen Kopf gefaͤhrliche Dinge, ohne mich um Rath zu fra - gen. Jch kan nicht einmahl waͤhlen, was ge - ſchehen ſoll, ob gleich mein Gluͤck und Ungluͤck davon abhaͤnget: Denn der Verluſt unſers gu - ten Namens iſt doch wohl das groͤſſeſte Ungluͤck. Was habe ich fuͤr ein widerſinniſches und unge - reimtes Schickſal!

Wenn ich bey ſo ſpaͤtem Abend dieſe Zeilen nicht beſtellen kan; ſo will ich das noͤthige noch dazu ſetzen. Jndeſſen glauben Sie, daß ich bin

Jhre ewig ergebene und danckbare Clariſſa Harlowe.

Mit389der Clariſſa.

Mit Bleyſtift war unter die Aufſchrift geſchrieben:

Meine beyden vorigen Briefe ſind noch nicht weggenommen! Jch verwundere mich! Jch hoffe nicht, daß Sie kranck ſind. Jch hoffe doch, daß es gut zwiſchen Jhnen und Jh - rer Frau Mutter ſtehet!

Der vier und dreyßigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch habe Jhre drey Brieffe erhalten. Nie - mand kan bey einer quaͤlenden Ungewißheit ungeduldiger ſeyn, als ich war, den Ausgang Jhrer Unterredung mit Herrn Solmes zu ver - nehmen.

Jch bin ſchuldig, einer ſo werthen Freundin in dieſen Umſtaͤnden uͤber alles Rechenſchaft zu geben, was den Schein einer Nachlaͤßigkeit oder eines Mangels der Dienſtfertigkeit hat. Jch ſchickte Robert des Morgens ſehr fruͤh aus, in Hoffnung, Brieffe zu erhalten. Er ſchlich bis um zehn Uhr vergeblich hin und her, und ging darauf weg; denn meine Mutter hatte ihm ei - nen Brief an Herrn Hunt mitgegeben, den erB b 3vor390Die Geſchichtevor drey Uhr uͤberbringen ſolte, weil dieſes die eintzige Stunde des Tages iſt, da man dieſen Herrn zu Hauſe findet; und er ſolte Antwort zuruͤck bringen. Herr Hunt wohnt allzuweit von Harlowe-Burg: Robert mußte die Zeit recht ſtehlen. Er kam ſo ſpaͤt nach Hauſe, daß ich ihn nicht abermahls ſchicken konnte. Jch konte ihm nur ſagen, daß er heute noch vor Ta - ges ausreiten, und wenn er einen Brief haͤtte uͤber Hals und Kopf zuruͤcke eilen ſolte.

Jch ſchlief allein: meine ungeduldige Erwar - tung machte mir eine ſehr unruhige Nacht, des - wegen blieb ich laͤnger liegen, als ich ſonſt ge - wohnt bin. Kaum war ich aufgeſtanden, ſo kam Kitty / und gab mir Jhre drey Brieffe, die Robert mitgebracht hatte. Jch war noch nicht angekleidet, und hatte noch meine Schlen - ter an; allein ich mußte die Brieffe durchleſen, ehe ich mich fertig machte. Oft habe ich inne gehalten, und in meiner Einſamkeit laute auf die teuffeliſchen Leute geſcholten, mit denen Sie zu thun haben.

Mein Hertz kochet, wenn ich an die Leute ge - dencke. Wie niedertraͤchtige Kuͤnſte haben ſie angewandt, Sie zu etwas zu bewegen, das den Schein einer Herrn Solmes gegebenen Hoff - nung haben moͤchte! und wie gebrauchten ſie da - zu die Jhnen aufgedrungene Unterredung! Auf Jhre Baſe Hervey bin ich auch recht ungehal - ten, daß ſie ihre eigene Meinung und Einſich - ten ſo knechtiſch verleugnet, und ſich ſogar vonandern391der Clariſſa. andern als ein thaͤtiges Werckzeug des Betruges gebrauchen laͤßt. Allein das iſt recht die Art der Welt: recht die Art meiner eigenen Mutter. Dieſe hat auſſer ihrem eigenen Kinde niemand in der Welt, den ſie ſo hoch ſchaͤtzt, als Sie. Und dennoch heißt es: was ſollen wir uns um an - derer Leute willen Ungelegenheit machen?

Andere Leute! Wie verhaßt klingen dieſe Worte in meinen Ohren, wenn von einer ſolchen Freundin die Rede iſt, und der Schutz dieſer ſo nuͤtzlich, und uns ſo unſchaͤdlich ſeyn kan?

Jch freue mich daruͤber, daß Sie ſo viel Muth beweiſen: ich erwartete es in Warheit nicht von Jhnen, eben ſo wenig als die Jhrigen. Sie wuͤrden ihn auch ſchwerlich bewieſen haben, wenn nicht Lovelaces Nachricht von Herrn Solmes Kinder-Stube eine ſolche Wirckung gehabt haͤt - te. Jch wundere mich nicht, daß dieſer Kerl immer verliebter in Sie wird. Was fuͤr eine Ehre wuͤrde es ſeyn, eine ſolche Frau zu haben! Und wenn Sie fortfahren ihm ſo zu begegnen, ſo kan er Jhnen gleiches mit gleichem vergelten. Er muß in der That ein Wilder / ein Unmenſch ſeyn, wie Sie ihn nennen. Allein er iſt doch noch eher zu entſchuldigen, wenn er auf ſeiner Bitte beharret, als diejenigen von Jhrer eige - nen Familie, die Sie am meiſten verehren.

Es iſt gut (das habe ich ſchon oft geſagt) daß ich nicht in Jhren Umſtaͤnden bin: ich moͤchte ſchon laͤngſtens den Rath der Fraͤulein Dorth - gen in das Werck geſetzt haben. Allein ichB b 4darf392Die Geſchichtedarf die Seite nicht ruͤhren. Jch werde das gute Kind immer lieb haben, weil es ſo zaͤrtlich gegen Sie geſinnet iſt.

Jch weiß nicht, was ich von Herrn Love - lace ſagen, oder was ich von ſeinen Verheiſſun - gen und Vorſchlaͤgen dencken ſoll. So viel iſt gewiß, daß Sie bey ſeiner gantzen Familie in ſehr groſſer Achtung ſtehen. Das Frauenzim - mer hat einen ſolchen Character, auf den auch die Laͤſterung ſelbſt nichts zu ſagen weiß. Der Lord M. iſt gleichfalls ein Mann von Ehre und Tugend, ſo wie man das Wort bey Manns - perſonen oder bey Lords zu nehmen pflegt. Jch wuͤßte, was ich einem jeden andern rathen wollte und Jhnen doch nicht rathen mag. So viel wird von Jhnen erwartet! Ein ſolches Licht ſind Sie unter Jhrem Geſchlechte! Sollen Sie Jh - res Vaters Haus verlaſſen, und ſich in den Schutz einer noch ſo angeſehenen Familie bege - ben, zu der eine Perſon gehoͤrt, von welcher man alsdenn glauben wird, daß ſie durch ihre Artig - keit, Geſchicklichkeit, Bitten und Betheurungen die Fraͤulein Clariſſa Harlowe verliebt gemacht habe. Jch wollte faſt lieber rathen, daß Sie ſuchen ſolten, heimlich nach London zu fliehen, oh - ne daß er, oder ſonſt jemand es wuͤßte, mich al - lein ausgenommen, und daß Sie dort bis auf die Ankunft des Obriſten Morden bleiben ſolten.

Nach393der Clariſſa.

Nach ihrem Onckle muͤſſen Sie ſchlechter dings nicht reiſen, wenn Sie es vermeiden koͤnnen. Auch muͤſſen Sie Herrn Solmes nicht nehmen, das iſt ausgemacht. Es ſtehet nicht blos ſeine Unwuͤrdigkeit im Wege, ſondern auch dieſes, daß Sie Jhre Abneigung von ihm ſchon gegen jedermann bezeuget haben, und alle es wiſſen und davon reden, daß Sie ihn nicht leiden koͤn - nen, und hingegen Herrn Lovelace zugethan ſind. Sie muͤſſen deswegen, um Jhrer Ehre willen, und damit Sie Ungluͤck vermeiden moͤ - gen, entweder unverheyrathet bleiben, oder Herrn Lovelace nehmen.

Wenn Sie nach London zu gehen gedencken, ſo laſſen Sie mich einige Nachricht davon haben. Jch hoffe, Sie werden ſo viel Zeit haben, mir zu erlauben, daß ich mit dafuͤr ſorgen darf, auf welche Art und Weiſe Jhre Flucht veranſtaltet werden ſoll, und wie Sie eine bequeme und an - ſtaͤndige Wohnung erhalten koͤnnen.

Um dieſe Zeit zu gewinnen muͤſſen Sie den Mantel etwas nach dem Winde haͤngen, und ei - nen Schein-Vertrag eingehen, wenn ſonſt kein Aufſchub zu erhalten iſt. Sie werden ſo in die Enge getrieben, daß es gewiß zu verwundern waͤre, wenn Sie ſich nicht entſchlieſſen muͤſten, einige Kleinigkeiten in Jhrer Sitten-Lehre zu verleugnen.

Aus dem was ich geſchrieben habe, werden Sie von ſelbſt abnehmen, daß ich bey meiner Mutter nichts ausgerichtet habe.

B b 5Jch394Die Geſchichte

Jch bin ſehr verdrießlich daruͤber. Wir ha - ben nachdruͤckliche Worte gewechſelt. Allein auſſer der oben erwaͤhnten elenden Frage: was wir uns um anderer Leute willen Unge - legenheit machen ſollen? will meine Mutter auch behanpten, daß es ihre Schuldigkeit ſey, nachzugeben. Sie ſagt: ſie ſey immer der Meinung geweſen, daß ſich Toͤchter nach den Einſichten ihrer Eltern richten muͤſten. Sie haͤtte ſelbſt meinen Vater nicht ſo wohl aus ei - gener Wahl als nach der Wahl ihres Vaters genommen.

Hieraus macht ſie Schluͤſſe, ſo wohl fuͤr ih - ren lieben Hickmann / als fuͤr Solmes.

Jch darf nicht daran zweiffeln, daß ſich mei - ne Mutter immer nach dem Grundſatz ge - richtet hat. Denn ſie ſagt es, daß ſie es ge - than habe. Jch habe noch eine Urſache es zu glauben, die ich Jhnen nicht verſchweigen will, ſo wenig es ſich auch fuͤr mich ſchicken mag, ſie zu nennen: nehmlich, ſie haben nicht die ver - gnuͤgteſte Ehe mit einander gehabt, wie man es von Leuten vermuthen moͤchte, die einander den uͤbrigen ihres Geſchlechts vorgezogen haben.

Dieſe doppelte Abſicht, die meine Mutter ſo kluͤglich auf einmahl zu erreichen gedenckt, wird einer gewiſſen Perſon keinen Vortheil bringen. Wenn ſie in Beantwortung meiner Bitte, und in den angebrachten Gruͤnden ihr Augenwerck auf ihn und auf ſeine Anwerbung richtet: ſo ſoll er gewiß vor den Verdruß buͤſſen, den ichin395der Clariſſa. in einer Sache, welche mir ſo ſehr am Hertzen lag, empfinden muß.

Ueberlegen Sie es, mein Hertz, ob ich Jhnen worinnen dienen kan. Wenn Sie es mir er - lauben, ſo verſprech ich Jhnen! ich will ins - geheim mit Jhnen davon gehen, und wir wollen zuſammen leben und ſterben. Dencken Sie darauf: uͤberlegen Sie dieſen Vorſchlag, und befehlen Sie mir frey.

Jch muß hier ein wenig abbrechen. Jch ha - be das Fruͤhſtuͤck leicht ſo lange aufſchieben koͤn - nen, da ich von einer ſo wichtigen Sache ſchrei - be.

London ſoll der beſte Ort in der Welt ſeyn, wenn man ſich wo verborgen und in der Stille aufzuhalten gedenckt. Jch habe vorhin nichts geſchrieben, als was ich erfuͤllen will, ſo bald Sie es befehlen. Das Frauenzimmer hat bisweilen eben ſo groſſe Luſt, die irrende Ritterſchaft zu verſuchen, als Mannsperſonen zu dieſer Lebens - art zu bringen. Allein, in dem was ich Jhnen vorſchlage, iſt nichts, das einer irrenden Ritter - ſchaft aͤhnlich ſiehet. Jch werde dadurch in den Stand geſetzet werden, meiner ohne Schuld un - gluͤcklichen Freundin das zu erweiſen, was wei - ter nichts als meine Pflicht in dem ſtrengſten Verſtande iſt, nehmlich ihr zu dienen, und ſie aufzurichten: und Sie werden Jhre Anna Ho -we396Die Geſchichtewe gleichſam adeln, wenn Sie mir erlauben, Sie in Jhrer Truͤbſal zu begleiten.

Jch verſpreche Jhnen, daß alle Schwierig - keiten uͤberſtanden ſeyn ſollen, ehe wir uns ei - nen Monath lang in London aufgehalten haben; und zwar ohne daß wir irgend einiger Manns - perſon den geringſten Danck ſchuldig ſeyn wol - len.

Jch muß mein altes Lied nochmahls anſtim - men: daß ihre Verfolger ſich nie unterſtanden haben wuͤrden, ihre eigennuͤtzigen Abſichten zu erreichen, wenn ſie ſich nicht auf Jhr guͤtiges Hertz verlaſſen haͤtten. Nachdem ſie aber ein - mahl ſo weit gegangen ſind, und nachdem das altvaͤteriſche Wort, Auctoritaͤt / ſich hat hoͤ - ren laſſen: (Schelten Sie mich immerhin, wenn Sie wollen) ſo weiß weder er noch die andern, wie ſie auf eine anſtaͤndige Weiſe wieder zuruͤck gehen ſollen.

Wenn ſie Jhnen nichts mehr anhaben koͤn - nen, und ich bey Jhnen bin: ſo ſollen Sie ſe - hen, wie ſie die Sache naͤhern Kaufs geben werden.

Jch glaube indeſſen, es waͤre wohl gethan ge - we ſen, wenn Sie an Jhren Vetter Morden ſogleich geſchrieben haͤtten, als man anfing, ſo ſchimpflich mit Jhnen umzugehen.

Jch bin gantz ungedultig aus Erwartung deſſen was geſchehen wird: ob es die Jhrigen wagen werden, Sie nach Jhres Onckles Gut zu bringen? Jch erinnere mich, daß der abge -danckte397der Clariſſa. danckte Pachrer des Lord M. erzaͤhlet hat: Herr Lovelace habe ſechs oder ſieben Bruͤder, die eben ſo ſchlimm ſeyn ſollen als er ſelbſt; und die gan - tze Gegend freue ſich, wenn ſie wegreiſeten. Jch hoͤre, daß er jetzt eine ſolche Bande um ſich hat. Seyn Sie verſichert, er wird nicht zugeben, daß Sie ohne Hinderniß nach Jhres Onckles Gut gebracht werden. Und weſſen werden Sie ſeyn muͤſſen, wenn es ihm gluͤcket, Sie aus den Haͤn - den der Jhrigen zu retten?

Jch zittere aus Liebe zu Jhnen, wenn ich an die Folgen gedencke, die eine Schlaͤgerey bey ei - ner ſolchen Gelegenheit haben koͤnnte. Er iſt gewiß einigen von Jhren Anverwanten die Rache noch ſchuldig. Dieſes macht mich noch mehr uͤber die abſchlaͤgige Antwort meiner Mutter, in einer Sache, die mir ſo ſehr am Hertzen lag, verdrießlich.

Meine Mutter will den Thee nicht allein trin - cken: ich ſoll mit dabey ſeyn. Ein kleiner Zanck iſt oft nuͤtzlich: allein gar zu viel Liebe iſt eben ſo beſchwerlich, als gar zu wenig.

Wir haben noch einen Satz mit einander ge - habt. Gewiß, ſie iſt ungemein, (was ſoll ich ſagen?) eigenſinnig. Sie mag dieſesmahl mit einem ſo gelinden Ausdruck ab - kommen.

Was war das doch fuͤr ein alter Grieche, derſag -398Die Geſchichteſagte: er regiere Athen / ſeine Frau beherr - ſche ihn / und ſein Sohn die Frau[?]

Meiner Mutter Fehler hat wahrlich nicht da - rin beſtanden, daß ſie nicht genug uͤber meinen Vater geherrſchet haͤtte. (Jch ſchreibe dieſes an Sie: das werden Sie zu meiner Entſchul - digung bedencken.) Jch bin zwar nur eine Toch - ter. Allein ſonſt hielt man mich doch nicht fuͤr ſo unvermoͤgend, als ich jetzt bin, wenn ich es mir einmahl vorgenommen hatte, eine Sache durchzutreiben.

Leben Sie wohl, mein Schatz. Wir muͤſſen auf beſſere Zeiten hoffen, und die muͤſſen bald erſcheinen. Ein ſo ſtarck geſpanneter Bogen kan nicht lange ſtraf bleiben: er muß nachge - ben oder brechen. Es gehe nun wie es wolle, ſo wird es beſſer ſeyn, wenn man die Folgen erſt uͤberſehen kan, als wenn man in einer quaͤlenden Ungewißheit iſt.

Nur noch ein Wort:

Wenn ich nach meinem beſten Wiſſen und Gewiſſen rathen ſoll, ſo muͤſſen Sie eins von dieſen beyden waͤhlen:

  • 1) entweder, wir beyde muͤſſen insgeheim nach London gehen. Die Fuhre will ich verſchaffen, und ich will Sie an dem Ende des engen Ganges erwarten, an dem Sie Lovelace mit ſeines Vetters Wagen und Pferden erwarten wollte.
  • 2) oder Sie muͤſſen ſich in den Schutz des Lord M. und ſeiner Schweſtern begeben.
Sie399der Clariſſa.

Sie haben noch einen Ausweg vor ſich. Wenn Sie nehmlich voͤllig entſchloſſen ſind, ſich von Herrn Solmes zu befreyen; ſo laſſen Sie ſich ſtehenden Fuſſes mit Herrn Lovelace trauen.

Sie moͤgen waͤhlen, was Sie wollen, ſo wer - den Sie vor Jhrem eigenen Gewiſſen und vor den Augen der Welt dieſe Entſchuldigung haben, daß Sie dem eintzigen Grund - Satz gemaͤß han - deln, dem Sie ſeit der Zwiſtigkeit zwiſchen Jh - rem Bruder und Lovelace gefolget ſind: nem - lich, daß Sie ein geringeres Uebel waͤhlen, um ein groͤſeres zu vermeiden.

A dieu! GOtt gebe ihnen die beſten Gedan - cken ein. Dieſes wuͤnſchet

Jhre Anna Howe.

Der fuͤnf und dreißigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch dancke Jhnen, meine liebſte Freundin, fuͤr Jhre Guͤtigkeit, daß Sie mir ſo um - ſtaͤndlich Rechenſchaft geben, warum meine Brie -fe400Die Geſchichteſe nicht geſtern abgehohlt ſind; und daß Sie ſich bemuͤhet haben, mir eine Zuflucht zu ver - ſchaffen, wenn es nur moͤglich geweſen waͤre.

Dieſe Zuflucht war freylich mein ſehnlicher Wunſch. Allein dieſer Wunſch, der durch Jh - re Liebe und Dienſtfertigkeit lebhafter ward, gruͤndete ſich nicht ſo wohl auf einige vernuͤnf - tige Hoffnung, als vielmehr auf eine gaͤntzliche Verzweiffelung an aller andern Zuflucht, da ich ungeachtet alles Nachdenckens mich nicht ent - ſchlieſſen konnte, was ich bey ſo verworrenen Umſtaͤnden zu thun haͤtte. Denn wie konte ich etwas hoffen? Was ſoll man ſich um anderer Leute willen Ungelegenheit machen, wenn man es vermeiden kan?

Mein eintziger Troſt iſt, wie ich ſchon oft ge - ſagt habe, daß ich nicht durch meine eigene Un - vorſichtigkeit oder Thorheit in ſo ſchlimme Um - ſtaͤnde gerathen bin. Wenn dieſes waͤre, ſo haͤt - te ich mich nicht unterſtanden irgend jemand unter die Augen zu kommen, um mir Zuflucht und Huͤlffe auszubitten. Jch wuͤrde nicht ein - mahl das Hertz haben, Sie wegen der Muͤhe die ich Jhnen mache um Vergebung zu bitten. Mich duͤnckt indeſſen, wir ſollen deswegen auf niemanden ungehalten werden, weil er uns oder unſerm Freunde zum Beſten das nicht thun will, wovon er glaubt daß er es billig nicht thun ſolle, und welches zu thun oder zu laſſen er Recht hat. Vielweniger haben Sie Urſache, ſich uͤber eine ſo vorſichtige Mutter zu beſchweren,weil401der Clariſſa. weil ſie ſich meiner nicht mit ſolcher Hitze anneh - men will, als Sie es wuͤnſchen. Wenn meiner Mutter Schweſter mir ihr Hertz und Huͤlffe ent - ziehen kan, ohne zu glauben, daß ich Unrecht ha - be, (welches ich mich unterſtehen will von ihr zu behaupten.) Wenn mein Vater, meine Mut - ter, mein Onckles, die mich ſonſt ſo zaͤrtlich lieb - ten, jetzt gemeinſchafftliche Sache gegen mich ma - chen koͤnnen: was habe ich denn fuͤr Recht, oder was haben Sie fuͤr Anlaß, zu hoffen, daß Jhre Frau Mutter mir eine Zuflucht zum Verdruß aller dieſer Perſonen verſtatten werde?

Werden ſie nicht verdrießlich, wenn ich all - zu ernſthafft und betruͤbt ſchreibe. Jch fuͤrch - te faſt, mein liebſter Schatz, daß ich um meiner Suͤnden willen, oder zur Zuͤchtigung der Mei - nigen, oder ihnen und mir zur Straffe, dazu aus - erſehen bin, ein Ball des Ungluͤcks zu werden. Jch fuͤrchte, daß ich dieſes auf eine recht aus - nehmende und in die Augen fallende Art werden ſoll. Denn, mercken Sie nicht, daß mich die Wellen des Ungluͤcks ſo geſchwind und ſo hefftig uͤbereilen, daß ich ihnen nicht ausweichen kan?

Wir alle ſind bis auf dieſe letzten Wochen allzu gluͤcklich und allzu vergnuͤgt geweſen. Wir haben nichts von Creutz und Truͤbſal gewußt, als die uns unſer verzaͤrtelter Eigenwille verur - ſachet hat. Weil wir uns gleichſam in den Vor - rath vergraben hatten, den wir beylegten, ſo bald er erworben war; ſo meinten wir, daß wir vor dem Ungluͤck ſicher waͤren. Alle meine Freun -Zweyter Theil. C cde402Die Geſchichtede waren ſtoltz auf mich: und ihr Stoltz mach - te mich hinwiederum ſtoltz; ich ruͤhmete mich meines Wohlſtandes. Vielleicht will uns jetzt die gerechte Vorſicht ſtraffen, um uns zu uͤber - zeugen, daß wir noch nicht allem Ungluͤck ent - kommen ſind, und um uns zu einer beſſeren und gewiſſeren Hoffnung zu leiten, als wir bisher gehabt haben.

Jch muͤßte mir den Umgang, mit dem mich der rechtſchaffene Doctor Lewin beehret hat, und die Lehren, welche mir Frau Norton in der erſten Jugend, als eine Frucht ihrer eigenen Er - fahrung und der Erfahrung ihres Vaters ein - gepraͤget hat, ſchlecht zu Nutze gemacht haben; wenn ich bey ſo auſſerordentlichen Umſtaͤnden nicht zuruͤckdencken, und dergleichen Betrachtun - gen anſtellen wollte. Auſſerordentlich kan ich dieſe Umſtaͤnde mit Recht nennen: denn ſe - hen Sie nicht, daß wir von einem Schickſaal, dem wir nicht widerſtehen koͤnnen, immer tieffer in dieſes verworrene Labyrinth hinein getrieben werden? Und doch kommt alles dieſes von uns ſelbſt her: es hat recht das Anſehen, als wenn wir uns ſelbſt ſtraffen ſollten. Meine Eltern hatte Hoffnungs-volle Kinder, von denen ſie er - warteten, daß ihre durch ſie ausgebreitete Fa - milie alle Art der zeitlichen Gluͤckſeeligkeit ge - nieſſen ſollte. Nun, da dieſe Kinder erwachſen ſind, und die Hoffnung erfuͤllen ſollten, die noch eben ſo weit entfernt bleibt, als da wir Kinder waren, muͤſſen meine Eltern ſehen, daß wirein -403der Clariſſa. einander ein feindſeliges Geſicht zukehren, und gleichſam die Hoffnung mit der Wurtzel aus - rotten, die ſich eben in eine Gewißheit zu ver - wandeln ſchien.

Jhre Liebe gegen mich iſt ſo partheyiſch, daß Sie mich von wiſſentlichen Fehlern und von Tod-Suͤnden frey ſprechen werden. Allein die Truͤbſaal hat mich ſo gedemuͤthiget, daß ich nun - mehr mein hochmuͤthiges Auge beſſer auf mein Jnwendiges richten kan. Wie viel habe ich hier entdeckt! wie viel geheimen Hochmuth und Ei - telkeit, ſo ich nie in meinem Hertzen vermuthet haͤtte, ehe ich mich genau unterſuchte.

Wenn ich dazu ausgeſondert bin, daß ich ſelbſt und meine gantze Familie, deren Stoltz ich ſonſt war, in meiner Perſon geſtrafft werden ſoll: ſo beten Sie fuͤr mich, daß ich mir nicht ſelbſt uͤber - laſſen werden moͤge, und daß ich wenigſtens mei - nem bisherigen Charaeter gemaͤß handeln, und in keinen Verdacht wiſſentlicher Vergehungen bey der Welt kommen moͤge. Das uͤbrige ſey der Goͤttlichen Vorſorge uͤberlaſſen: wie die mich fuͤhrt, ſo will ich geduldig und ohne Mur - ren folgen. Jch werde doch nicht ewig leben, und ich wuͤnſche nur, daß mein Abtritt von der traurigen Schaubuͤhne dieſes Lebens gluͤcklich ſeyn moͤge.

Jch will Sie durch mehr ſolche traurige Ge - dancken nicht betruͤben, ſondern ſie insgeſammt fuͤr mich behalten. Mein Gemuͤth hat Raum genug fuͤr ſie. Meine Truͤbſaal iſt ſo hefftig,C c 2daß404Die Geſchichtedaß ſie nicht lange anhalten kan: ihr Ausgang iſt nahe vor der Thuͤr. Sie befehlen mir, auf beſſere Zeiten zu hoffen. Wohlan! ich will hoffen.

Jch kan mich doch nicht zuruͤckhalten, daß ich nicht zuweilen ungeduldig ſeyn ſolte, nachdem ich ſo weit getrieben und bey andern ſo ſehr her - unter geſetzt bin, daß, wenn auch meine gantze kuͤnftige Lebenszeit gluͤcklich ſeyn ſolte, ich mich der Welt doch nicht wuͤrde zeigen noch mein Geſicht froͤlich empor heben koͤnnen. Alles, alles dieſes iſt das Anſtiften eines eigennuͤtzigen Bruders, und einer neidiſchen Schweſter.

Allein ich muß inne halten, und auf das noch dencken, was ich ſchreibe. Giebt mir das nicht der verborgene Hochmuth ein, den ich eben vor - hin bereuet habe? Bin ich ſchon wieder ſo un - geduldig, da ich den vorigen Augenblick ſo ge - laſſen war, und alles mit ſo kaltem Blute uͤber - legen konnte? Es iſt ſchwer, ach allzuſchwer, den Zorn zu uͤberwinden: inſonderheit alsdenn, wenn man im Leiden iſt. O mein grauſamer Bruder! Allein nun wacht der Zorn ſchon wie - der bey mir auf. Jch will die Feder niederlegen, die ich doch nicht richtig fuͤhren kan: und will meine Ungeduld zu uͤberwinden ſuchen, die mich zu noch ſtrafbareren Vergehungen verleiten kan, wenn mir dieſe Zuͤchtigung zur Beſſerung zuge - ſandt iſt.

Jch395[405]der Clariſſa.

Jch komme wieder auf die Sache, die ich mir keine Viertheilſtunde lang aus dem Sinne ſchla - gen kan: inſonderheit, weil Sie mir durch den dreyfachen Vorſchlag, den Sie mir in Jhrem letzten Briefe thun, einen neuen Beruf geben, dieſer Sache nachzudencken.

Was den erſten anlanget, da Sie mir nehm - lich rathen nach London zu fliehen: ſo ſetzt mich der andere damit verbundene Vorſchlag in das aͤuſſerſte Schrecken. Sie, mein Kind, leben ſo gluͤcklich und vergnuͤgt, und ihre Frau Mut - ter begegnet Jhnen ſo guͤtig: daß ich das, was Sie ſchreiben, kaum fuͤr Jhre wahre Meinung halten kan. Wie gottlos und verrucht muͤßte ich ſeyn, wenn ich meine Ohren zu einem ſolchen Vorſchlage auch nur einen Augenblick leihen koͤn - te! Solte ich verurſachen, daß die Tage einer ſolchen Mutter bis auf den letzten Augenblick ungluͤcklich gemacht und wol noch dazu abgekuͤrtzt wuͤrden? Adeln Sie ſich / mein allerliebſtes Hertz: wie wuͤrde eine ſolche That Sie herun - ter ſetzen, dabey die Ubereilung oͤffentlich und in aller Augen fallend und die Urſache, die Sie ent - ſchuldigen koͤnnte, verborgen waͤre? Jch will mich hiebey nicht laͤnger aufhalten, und zwar um Jh - rer ſelbſt willen.

Jch komme auf den zweyten Vorſchlag mich in den Schutz des Lord M. und ſeiner Schweſtern zu begeben: und ich geſtehe Jh -C c 3nen,406Die Geſchichtenen, wie ich Jhnen ſchon ſonſt geſtanden habe. daß, ohngeachtet dieſes in den Augen der Welt eben ſo wird angeſehen werden, als wenn ich mich in Herrn Lovelaces eigenen Schutz begaͤbe, ich doch dieſes lieber thun wollte, als Herrn Sol - mes heyrathen, wenn offenbahr kein anderer Weg uͤbrig waͤre, dieſem Ungluͤck zu entgehen.

Sie werden geſehen haben, daß Herr Love - lace ein Mittel gefunden zu haben meint, mich in mein Gut einzuſetzen: und daß er mir ver - ſpricht, daß mein Haus mit dem Frauenzimmer von ſeiner Familie, die mich beſuchen werden, an - gefuͤllet werden ſoll; Allein unter der Bedingung, daß ich ſie einlade. Jch halte dieſes fuͤr einen unuͤberlegten Vorſchlag von ihm, daruͤber ich mich nicht gegen ihn erklaͤren kan. Wie unge - bunden befiehlt mir dieſer Vorſchlag mich aufzu - fuͤhren? Wuͤrde ich nicht durch ſchmeichelnde Worte dahin gebracht werden, die alleruͤbereilte - ſten und ungeſtuͤmſten Handlungen vorzunehmen, wenn ich ihm Gehoͤr gaͤbe, und nicht die natuͤr - lichen Folgen ſeines Raths bedaͤchte! denn wie koͤnnte ich zu dem Beſitz meines Gutes gelan - gen, als entweder durch einen Rechts-Streit, der Zeit erfodern wuͤrde, wenn ich mich auch dazu entſchlieſſen koͤnnte, wie ich doch nicht kan: oder durch gewaltſame Auswerfung der Bedienten meines Vaters, die er auf mein Gut geſetzt hat, um auf die Gaͤrtens Gebaͤude und Meublen Acht zu geben! denn dieſe Bedienten haͤngen gantz an meinem Vater, und ich weiß, daß ſieerſt407der Clariſſa. erſt kurtzens neue Verhaltungs-Befehle von mei - nem Bruder bekommen haben.

Es folget endlich Jhr dritter Vorſchlag mich ſtehenden Fuſſes mit Herrn Lovelace trau - en zu laſſen / mit deſſen Leben und Wandel ich doch noch ſo ſchlecht zufrieden bin: ein Vor - ſchlag, bey dem mir nicht die geringſte Hoffnung zur Ausſoͤhnung mit den Meinigen uͤbrig blei - ben wuͤrde, und dagegen ich tauſend andere Ein - wendungen habe. An dieſen Vorſchlag muß gar nicht gedacht werden.

Was mir bey der genaueſten Ueberlegung noch das Beſte ſcheint, iſt, daß ich nach London fluͤchte, wenn ich ja ſo weit getrieben werden ſoll. Allein lieber will ich alle Hoffnung aufge - ben, in meinem Leben gluͤcklich zu ſeyn, als daß Sie Jhr unbedachtſames Verſprechen erfuͤllen und mit mir reiſen ſollten. Wenn ich gluͤcklich an Ort und Stelle kommen, und mich dort ver - borgen halten koͤnnte, ſo daͤchte ich, ich brauch - te mich nicht nach Herrn Lovelaces Willen zu richten, ſondern ich wuͤrde meine Freyheit behal - ten, entweder mich mit den Meinigen zu ſetzen, oder wenn mich dieſe verlohren gaͤben und ich keinen beſſern Weg vor mir ſaͤhe, und mein Vetter Morden ihnen auch beyfiele, mich mit Herrn Lovelace naͤher zu vergleichen. Jch glau - be, daß ſie mir alsdenn erlauben wuͤrden, das unverheyrathete Leben zu waͤhlen, wenn ich ihm nur entſagte. Zum wenigſten wuͤrden ſie uͤber - zeugt werden, daß mein Anerbieten mein voͤlli -C c 4ger408Die Geſchichteger Ernſt geweſen ſey, wenn ich es nochmahls wiederhohlete, nachdem ich mich in Freyheit ſaͤ - he. Auf meine Ehre: ich wollte mein Verſpre - chen halten, ſo ſchwer Sie auch im Spaaß mei - nen oder zu meinen ſcheinen, daß mir dieſes ankommen werde.

Wenn Sie eine Fuhre fuͤr uns beyde auszu - machen wiſſen, ſo werden Sie mir hoffentlich auch, wenn ich allein bin, eine zu verſchaffen wiſ - ſen. Kan es aber auch geſchehen, ohne deshalb mit Jhrer Frau Mutter zu zerfallen, oder ohne dieſer Haß und Ungelegenheit von meinen Ver - wanten zuzuziehen? Es mag eine Kutſche, eine Chaiſe, ein Cariol, ein Bauer-Wagen, oder nur ein Reit-Pferd ſeyn, ſo iſt es mir einerley: wenn Sie nur nicht mit dabey ſind. Wenn es eins von den beyden letztern waͤre, ſo muͤßte ich mir von Jhnen ausbitten, mir eine ordentliche Kleidung eines Bedienten (je ſchlechter je beſſer) zu verſchaffen, weil ich mich mit den Bedienten unſers Hauſes gar nicht verſtehe. Sie duͤrfte nur in den Holtz-Stall geworfen werden, allwo ich ſie anziehen, und an der niedrigen Mauer herab klettern koͤnnte, welche unſer Holtz-Behaͤlt - niß von dem gruͤnen Gange abſondert.

Allein, mein Schatz, ſelbſt dieſer Vorſchlag hat ſeine Schwierigkeiten, die einem Gemuͤth unuͤberwindlich ſcheinen, welches ſo wenig geneigt oder gewohnt iſt, etwas zu wagen. Dieſes ſind die Gedancken, die mir dabey einfallen.

Zufoͤrderſt fuͤrchte ich, daß es mir an der Zeitfeh -409der Clariſſa. fehlen wird, die noͤthigen Veranſtaltungen zum voraus zu machen.

Solte ich ſo ungluͤcklich ſeyn, in Machung dieſer Vorbereitungen entdeckt, oder auf der Flucht eingeholt zu werden: ſo wuͤrden die Mei - nigen glauben, daß ſie hiedurch ein neues Recht er - langet haͤtten mich zu zwingen Herrn Solmeſens zu werden: und wenn mich mein Gewiſſen uͤber mein Vergehen beſtrafte, ſo moͤchte ich vielleicht weniger Standhaftigkeit haben als jetzund.

Wenn ich aber auch gluͤcklich nach London komme, ſo kenne ich doch dort niemand weiter, als dem Nahmen nach; und das ſind noch dazu die Kaufleute mit denen unſere Familie handelt, und an die man zuerſt ſchreibev wuͤrde um mich auszufinden. Solte endlich Herr Lovelace er - fahren wo ich waͤre, und mein Bruder und er traͤffen ſich in London an, was fuͤr Ungluͤck wuͤrde alsdenn unvermeidlich erfolgen, ich moͤch - te nach Harlowe-Burg zuruͤck wollen oder nicht?

Geſetzt aber ich koͤnnte mich dort verborgen aufhalten, wie groß wuͤrde meine Gefahr in Ab - ſicht auf meine Jugend, Geſchlecht und Unerfah - renheit an einem unbekannten Orte ſeyn? Aus Furcht entdeckt zu werden, wuͤrde ich mich kaum in die Kirche wagen koͤnnen. Die Leute wuͤr - den nicht wiſſen wovon ich lebte, und manche moͤchten mich wol gar fuͤr eine Maitreſſe hal - ten, und wenn gleich niemand zu mir kaͤme doch glauben, daß ich an verabredete Oerter gin -C c 5ge,410Die Geſchichtege, ſo oft ich einen Schritt aus dem Hauſe thaͤte.

Sie allein wuͤrden wiſſen, wo ich mich auf - hielte, und wie man Brieffe an mich beſtellen koͤnnte: Sie wuͤrden aber auch in allen Jhren Schritten und Tritten beobachtet werden, und Jhre Frau Mutter, die ſchon jetzt mit unſerm Brief-Wechſel nicht allzuwohl zufrieden iſt, wuͤr - de Urſache haben ſehr misvergnuͤgt daruͤber zu ſeyn. Koͤnnte nicht daraus eine Mishelligkeit zwiſchen Jhnen beyden entſtehen, die mein Un - gluͤck vergroͤſern muͤſte, wenn ich etwas davon erfuͤhre? Wie viel mehr Urſache habe ich, dieſes zu befuͤrchten, da Sie ſich auf eine ſo unverant - wortliche, (und, wenn ich das Wort gebrauchen darf, auf eine ſo niedertraͤchtige) Weiſe vorneh - men, ſich wegen alles des Misvergnuͤgens an Herrn Hickmann zu raͤchen, welches Jhnen Jhre Frau Mutter verurſachet?

Wenn Herr Lovelace den Ort meines Auf - fenthalts ausfuͤndig machte, ſo wuͤrde es in den Augen der Welt eben ſo angeſehen werden, als wenn ich wircklich mit ihm durchgegangen waͤre. Denn wenn ich mich unter Fremden aufhielte, ſo wuͤrde er ſich nichts hindern laſſen mich zu beſuchen: und gewiß der Ruf, in den ſich der un - bedaͤchtliche Menſch geſetzt hat, kan einem jun - gen Frauenzimmer, ſo ſich gern verborgen hal - ten will, nicht zum Vortheil gereichen. Jch mag fliehen wohin ich will und zu wem ich will, ſo wird doch die Welt glauben, daß es um ſei -netwil -411der Clariſſa. netwillen geſchehe, und daß er meine Flucht ver - anſtaltet habe.

Dieſe Schwierigkeiten finde ich bey reifferer Ueberlegung, die vielleicht ein dreiſteres Gemuͤth in meinen Umſtaͤnden nicht fuͤr unuͤberſteiglich anſehen wuͤrde. Wenn ſie Jhnen auch geringer und leichter vorkommen, ſo haben Sie die Guͤ - tigkeit, mir Jhre Meinung recht vollſtaͤndig zu ſchreiben, denn das weiß ich doch zum voraus, daß ich keinen Ausweg waͤhlen kan, der nicht gewiſſe Schwierigkeiten haben ſollte.

Wenn Sie, meine beſte Freundin, ſchon ver - heyrathet waͤren, ſo wuͤrde ich aller dieſer Zwey - fel entuͤbriget ſeyn koͤnnen. Sie und Herr Hick - mann wuͤrden einer ungluͤcklichen Perſon eine Zuflucht gegoͤnnet haben, die ſich ſchon beynahe fuͤr verlohren haͤlt, und das blos aus Mangel eines guͤtigen Freundes der ſie ſchuͤtzen koͤnnte.

Sie ſagen, ich haͤtte ſogleich an den Obriſten Morden ſchreiben ſollen, als man anfing mir ſchimpflich zu begegnen. Konnte ich aber glau - ben, daß die Meinigen ſich nicht nach und nach wuͤrden beſaͤnftigen laſſen, wenn ſie meinen Wi - derwillen gegen Herrn Solmes ſehen wuͤrden? Jch habe in der That einigemahl vorgehabt, an ihn zu ſchreiben. Allein ich meinte, es wuͤrde alles ſo voͤllig voruͤber ſeyn, als waͤre es nie ge - weſen, ehe ich noch eine Antwort von ihm erhal - ten koͤnnte. So hielt ich mich mit Hoffnung von einem Tage zum andern, von einer Woche zur andern hin. Zuletzt aber muſte ich billig,(wie412Die Geſchichte(wie vorhin geſagt) befuͤrchten, daß ſich mein Vetter eben ſo wohl moͤchte gegen mich haben einnehmen laſſen, als einige andere, von denen ich es eben ſo wenig vermuthet haͤtte.

Jch haͤtte hefftig ſchreiben muͤſſen, wenn ich etwas haͤtte ausrichten wollen. Konnte ich aber wol Luſt haben an einen Vetter heftig gegen meinen Vater zu ſchreiben? Sie wiſſen, daß niemand auf meiner Seiten war, meine eigene Mutter nicht ausgenommen: er wuͤrde alſo we - nigſtens bis auf ſeine Ankunft in ſeinem Ur - theil zweiffelhaft geblieben ſeyn. Vielleicht wuͤrde er deſto weniger geeilt haben, heruͤber zu kommen, weil er hoffen konnte, daß die Zeit ſelbſt das gantze Uebel am beſten heben wuͤrde: und wenn er geſchrieben haͤtte, ſo wuͤrde er nur laviert, und mich zum Gehorſam jene aber zur Gelindigktit ermahnt haben. Wenn ſeine Brie - fe mehr fuͤr mich als fuͤr die Meinigen geweſen waͤren, ſo haͤtten ſie bey ihnen gar keinen Ein - gang gehabt; und dieſes moͤchte auch wol ſein Schickſal geweſen ſeyn, wenn er gegenwaͤrtig und muͤndlich fuͤr mich gebeten haͤtte. Denn Sie wiſſen ja, wie unbeweglich die Meinigen find, und wie ſie alles durch glatte Worte oder Haͤrte auf ihre Seite gebracht haben, ſo daß nie - mand fuͤr mich den Mund aufthun darf. Sie wiſſen auch, daß mein Bruder deſto hefftiger zu Wercke gehet, weil er will, daß die gantze Sache vor meines Vetters Ankunft zu Ende ſeyn ſoll.

Sie wollen: ich ſoll den Mantel nach demWin -413der Clariſſa. Winde haͤngen, um Zeit zu gewinnen, und ich ſoll einen Schein-Vertrag eingehen. Wie ſoll ich es aber anfangen, den Mantel nach dem Winde zu haͤngen? Worin ſoll der Schein-Ver - trag beſtehen? Sie werden nicht wollen, daß ich die Meinigen uͤberreden ſoll, als ſey ich ge - neigt das zu thun, was ich niemahls thun wer - de. Sie werden mir nicht rathen, daß ich Zeit gewinnen ſoll, um ſie zu betruͤgen. Es iſt ver - boten, Boͤſes zu thun / daß Gutes heraus komme. Soll ich denn Boͤſes thun, ohne zu wiſſen, ob Gutes daraus kommen wird? Gott behuͤte mich, daß ich nie um meines Vortheils oder ſelbſt um meiner Wohlfarth und Rettung willen einen muthwilligen Betrug begehe, und der Aufrichtigkeit entſage!

Jſt denn endlich kein anderer Weg uͤbrig, ei - nem groſen Uebel zu entgehen, als daß ich mich in ein anderes Uebel ſtuͤrtze? Was fuͤr ein un - gluͤckliches Schickſal habe ich? Beten Sie fuͤr mich, beſte Freundin: denn mein Gemuͤth iſt ſo verworren, daß ich es ſelbſt zu thun faſt nicht mehr im Stande bin.

Der414Die Geſchichte

Der ſechs und dreißigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Es kommt nun heraus, daß ich die Urſache der neulichen Unruhe in unſerm Hauſe, und der dunckeln Reden, die Eliſabeth fahren ließ, richtig errathen habe: daß nehmlich alles dieſes Folgen von der Nachricht ſind, die Herr Lovelace unter der Hand in unſerm Hauſe hat ausbringen laſſen, auf was fuͤr eine frevelhafte Art (frevelhaſt muß ich ſeinen Vorſchlag nen - nen) er geſonnen ſey, meine Wegbringung nach meines Onckles Gut zu verhindern.

Jch ſahe ſchon damahls, daß dieſes Mittel eben ſo unbequem zu ſeinem Endzweck, als frevelhaft war. Denn konnte er ſich einbilden, (wie Eli - ſabeth gantz richtig ſagte, und es vielleicht ihrer Herrſchafft nach ſagte) daß Eltern ſich durch Dro - hungen eines ihnen verhaßten ungeſtuͤmen Kopfs um ihr Recht uͤber ihre Kinder wuͤrden bringen laſſen? durch Drohungen eines Menſchen, der uͤber ihr Kind kein anders Recht haben kan, als das ihm das Kind gegeben hat, ſo ſelbſt kein Recht uͤber ſich hat? Wie muß dieſes meine Eltern erbittern, wenn es mein Bruder nach ſei - ner Gabe auf der ſchwartzen Seite vorzuſtellen ſucht.

So415der Clariſſa.

So fern hat er zwar ſeinen Endzweck erreicht, daß ſie ſich nicht unterſtehen, mich wegzubringen: allein er hat ſie gezwungen, ein ſicherers und ver - zweiffelteres Mittel zu ergreiffen: und dieſes zwinget mich hinwiederum zu einem eben ſo ver - zweiffelten Gegenmittel, deſſen Folgen ihm viel - leicht erwuͤnſchter ſeyn moͤgen, als er es verdie - net.

Mit einem Wort; ich habe den allergefaͤhr - lichſten Schritt in meinem Leben gewaget. Jch will Jhnen erſt die Urſache melden, alsdenn ſoll das folgen, was ich gethan habe.

Meine Baſe Hervey (die die gantze Nacht hindurch, ohne Zweiffel um meinetwillen, hier bleibt) kam dieſen Abend um ſechs Uhr vor mei - ne Stube und klopfte an: denn ich hatte mich eben eingeſchloſſen und ſchrieb. Als ich aufmach - te, und ſie herein getreten war, fing ſie alſo an zu reden, ich komme noch einmahl, ſie zu be - ſuchen, allein gaͤntzlich wider meinen Willen. Jch muß ihnen Nachrichten geben, die fuͤr ſie und fuͤr die gantze Familie von der aͤuſſerſten Wichtigkeit ſind.

Jch ward ſehr aufmerckſam: was hat man nun mit mir vor, Frau Baſe? ſagte ich.

Sie ſollen nicht nach ihres Onckles Gute ge - bracht werden: troͤſten ſie ſich damit. Man ſieht, daß dieſes allzuſehr wider ihren Willen iſt. Sie ſollen nicht dahin reiſen.

Wie erquicken ſie mich, Frau Baſe! das iſt mir eine rechte Hertz-Staͤrckung; brach ich aus,und416Die Geſchichteund ließ mir nichts von dem traͤumen, was noch folgen ſollte. Jch ließ meinen Mund mit Freu - den-Bezeugungen und Danck wegen einer ſo gu - ten Zeitung uͤberflieſſen: und ſie ließ mich ſtill - ſchweigends meine Freude genieſſen. Jch prieß mich gluͤcklich, daß ich ſaͤhe, mein Vater wollte es doch nicht auf das aͤuſſerſte kommen laſſen.

Endlich ſagte ſie zu mir: Halten ſie ein! Sie muͤſſen ſich nicht gar zu ſehr freuen. Werden ſie nicht beſtuͤrtzt, mein Hertz. Warum ſehen ſie mich mit einer ſo ruͤhrenden und ernſthaften Mi - ne an? Sie muͤſſen das alles ohngeachtet Frau Solmes werden.

Jch ward gantz ſprachlos.

Sie fuhr fort: meine Eltern haͤtten ſichere Nachricht, daß ein gewiſſer Straſſen-Raͤu - ber (ich moͤchte ihr das Wort nicht uͤbel nehmen) bewaffnete Leute in Bereitſchafft haͤtte, meinem Bruder und meinen Onckles auf den Dienſt zu lauren, wenn ſie mich nach meines Onckles Gut begleiten wuͤrden, und mich zu entfuͤhren. Sie glaubte gewiß, daß ich meine Einwilligung zu einer ſolchen Gewalthaͤtigkeit nicht gegeben haͤt - te, die ſich auf ein oder anderen Seite, oder wohl gar an beyden Seiten auf Mord und Todſchlag endigen koͤnnte.

Jch blieb noch ſtumm.

Mein Vater, der hiedurch von neuen aufge - bracht waͤre, haͤtte in Abſicht auf meine Reiſe nach meines Onckles Gut ſeinen Endſchluß ge - aͤndert. Er gedaͤchte vielmehr ſelbſt mit meinerMut -417der Clariſſa. Mutter auf kommenden Dienſtag dahin zu rei - ſen; und ich moͤchte mich nur nicht dagegen ſetzen, ſie wollte kein Geheimniß aus einer Sache machen, die doch ſo bald ausbrechen wuͤrde: auf den Mittewochen wuͤrde ich der Perſon, die ſie insgeſammt wuͤnſcheten, die Hand geben muͤſſen.

Um den Trauſchein ſey ſchon geſchrieben. Die Trauung ſollte auf meiner Stube in Ge - genwart aller meiner Anverwanten vor ſich ge - hen, meine Eltern ausgenommen: denn dieſe wuͤrden nicht zuruͤckkommen, noch mich ſprechen, bis alles voruͤber waͤre, und bis ſie von meinem Betragen gute Nachricht haͤtten.

Sind das nicht eben dieſelbigen Nachrichten, die mir Lovelace ſchon vor einigen Tagen ge - geben hat.

Jch blieb immer ſprachlos, und ſeufzte nur, als ſich mein Hertz nicht laͤnger halten konnte.

Sie fuhr fort mich ihrer Meinung nach zu troͤſten. Sie ſagte: ich ſollte bedencken, was fuͤr eine edle Tugend der Gehorſam ſey. Wenn ich verlangte, daß Frau Norton bey der Trau - ung gegenwaͤrtig waͤre, ſo ſollte auch dieſes ge - ſchehen. Das Vergnuͤgen, mich mit allen den Meinigen wieder ausgeſoͤhnt zu ſehen, und von ihnen allen die Gluͤckwuͤnſchungen anzunehmen, muͤßte bey mir nothwendig mehr gelten, als die Vorzuͤge, die der eine Mann vor dem an - dern in Abſicht auf die Geſtalt haͤtte. Die Liebe ſey ein fluͤchtiges Ding, und faſt nichts mehr, als der leere Schall eines Nahmens, wenn nichtZweyter Theil. D dTu -418Die GeſchichteTugend der Grund davon ſey: die Wahl gera - the ſelten gluͤcklich: welche aus Liebe geſchehe, zum wenigſten waͤhre das Gluͤck nicht lange. Es ſey dieſes leicht zu begreiffen. Denn die Liebe ſtelle uns des andern Vorzuͤge durch ein Vergroͤſerungs-Glas vor, und mache uns blind, daß wir die Fehler an ihm nicht ſehen koͤnnten, die doch ſonſt einem jedweden in die Augen fie - len. So bald man naͤher mit einander bekannt wuͤrde, wuͤrden die eingebildeten Vorzuͤge unſicht - bar, und beyde Theile verwunderten ſich, daß ſie ſich einander ſo betrogen haͤtten: hieraus entſte - he eine viel groͤſere Kaltſinnigkeit als die Liebe vorhin geweſen ſey. Ein Frauenzimmer gebe der Mannsperſon allzuvielen Vortheil uͤber ſich, wenn es ſeine Liebe geſtuͤnde, und ſich mercken lie - ſe, daß es dieſe Mannsperſon allen andern vor - ziehe: Undanck und Verachtung pflege gemeinig - lich der Lohn dieſer Zuneigung zu ſeyn. Hinge - gen wenn die Mannsperſon geſtehen muͤſte, daß ſich das Frauenzimmer zu ihr herabgelaſſen und durch ihr Ja ſich verleugnet, und ihr eine Wohlthat erzeiget habe, ſo wuͤrde ſie lauter Ehr - erbietung und Danckbarkeit und ich weiß nicht, was noch mehr ſeyn.

Sie dencken, mein Kind (fuhr ſie fort) ſie wuͤrden bey Herrn Solmes ungluͤcklich ſeyn: ihre Eltern dencken das Gegentheil und glauben, ſie wuͤrden ohne Zweiffel bey Herrn Lovelace ungluͤcklich werden, weil doch ſeine Lebens-Art nicht zu entſchuldigen iſt. Geſetzt nun, es iſtihnen419der Clariſſa. ihnen beſcheeret, bey einem von beyden ungluͤck - lich zu ſeyn, ſo wuͤrden ſie in dem einen Fall einen groſen Troſt haben, wenn ſie ſich erinner - ten, daß ſie dem Rath ihrer Eltern gefolgt waͤ - ren, und in dem andern Fall eine neue Kraͤn - ckung, wenn ſie niemanden als ſich ſelbſt die Schuld geben koͤnnten, weil ſie ihrem eigenen Kopf gefolgt waͤren.

Dieſes war einer von den Bewegungs-Gruͤn - den, die mir auch Frau Norton vorhielt, wie Sie ſich erinnern werden.

Alle dieſe Anmerckungen waren in der That werth, von einer ſo verſtaͤndigen und erfahrnen Frau, als Frau Hervey iſt, gemacht und einem jungen Maͤdchen vorgepredigt zu werden, das ſich dem Willen ſeiner Eltern widerſetzte, und nicht einen ſo annehmungswuͤrdigen Vorſchlag gethan haͤtte, als ich wircklich gethan habe. Mir war es zwar leicht, bey den Umſtaͤnden, in denen ich mich befand, hier auf zu antworten: allein da ich ſchon vor meiner Einſperrung gegen meine Mutter alles geſagt hatte, was ich jetzt haͤtte von neuen widerhohlen muͤſſen, und es nach her mei - nem Bruder und meiner Schweſter und der Frau Hervey ſelbſt mehr als einmahl vorgehalten hat - te: ſo ward ich uͤber ihre grauſame Zeitung ſo beſtuͤrtzt unb betruͤbt, daß ich nicht im Stande war, ihr ein Wort zu antworten, ob ich gleich auf alle ihre Reden genau gemerckt hatte. Wenn ſie nicht von ſelbſt eingehalten haͤtte, ſo wuͤrdeD d 2ſie420Die Geſchichteſie noch eine Stunde fort geredet haben, ohne von mir unterbrochen zu werden.

Als ſie dieſes gewahr ward, und ſahe, daß ich nur weinete, und mir das Tuch vor das Geſicht hielt, und mich der Seufzer und lauten Weinens kaum laͤnger enthalten konnte: ſo ſagte ſie: Wie? bekomme ich keine Antwort, mein Kind? Was iſt das kuͤr eine ſprachloſe Traurigkeit? Sie wiſſen ja, daß ich ſie immer geliebet habe, und daß ich dieſes alles nicht als meine Sache treibe, Sie wollten doch Herrn Solmes nicht erlau - ben, ihnen das zu erzaͤhlen, was ihnen den Herrn Lovelace verhaßt gemacht haben wuͤrde: ſoll ich ihnen einiges ſagen, daß man ihm Schuld giebt? Soll ich es thun, mein Hertz?

Jch antwortete blos durch Seufzer und Thraͤ - nen.

Gut! mein Kind, ſo ſollen ſie es nachher zu erfahren kriegen, wenn ſie beſſer im Stande ſind es zu ertragen, und ſich daruͤber zu freuen, daß ſie ſeinen Klauen entkommen ſind. Sie werden alsdenn ihr Betragen gegen Herr Solmes vor der Hochzeit dadurch einigermaſſen entſchuldigen koͤnnen, daß ſie Herrn Lovelace nicht fuͤr einen ſo abſcheulichen Boͤſewicht gehalten haben.

Mein Hertz ſchlug vor Ungeduld und Un - muth, als ich hoͤren muſte, daß ſie ſo deutlich davon redete, daß ich ſeine Frau werden ſollte. Jch wollte aber doch noch nicht reden: denn wenn ich den Mund geoͤffnet haͤtte, ſo wuͤrde es mit allzugroſer Hefftigkeit geſchehen ſeyn.

Jhr421der Clariſſa.

Jhr Stilleſchweigen kommt mir wunderlich vor, mein Kind: (fing ſie von neuen an.) Sie machen ſich unendlich mehr Kummer vor der Hochzeit, als ſie nach der Hochzeit haben wer - den. Jch darf ſie aber doch darum fragen, ob ſie nicht die Ehepacten ſehen wollen, die er ſo edel - muͤthig entworffen und darin er ſie ſo reichlich verſorget hat? Sie haben mehr Verſtand, als man von ihren Jahren erwarten ſollte. Leſen ſie doch nur einmahl den Aufſatz durch: er iſt ſchon in das Reine geſchrieben, und liegt bereits ſeit einiger Zeit zur Unterſchrifft fertig. Entſchul - digen ſie mich, mein Hertz: ich will ſie nicht gern beunruhigen. Allein ihr Herr Vater verlang - te von mir, daß ich den Contract mitnehmen und auf ihrer Stube laſſen ſollte. Er befiehlt ihnen, denſelben durchzuleſen: nur durchzule - ſen; denn er war ſchon in das Reine geſchrie - ben, ehe ſie noch durch ihr Betragen alle Hoff - nung der Jhrigen zu Waſſer gemacht hatten.

Hierauf zog ſie zu meiner groſen Beſtuͤrtzung ein Pergamen aus einem Tuch, das ſie bisher unbemerckt unter der Schuͤrtze gehalten hatte, und legte es in das gegen uͤber ſtehende Fenſter. Jch haͤtte mich nicht mehr erſchrecken koͤnnen, wenn es eine Schlange geweſen waͤre.

Jch kehrte das Geſicht weg, und ſagte mit ausgeſpanneten Armen: o meine liebſte Frau Baſe, ſchaffen ſie mir das fuͤrchterliche Perga - men aus den Augen. Jch beſchwere ſie bey al - lem, was Verwantſchafft heißt, und bey ihrerD d 3Ehre422Die GeſchichteEhre und Liebe gegen mich: ſagen ſie mir, ob die Meinigen ſchlechterdings entſchloſſen ſind, mir den Mann aufzuzwingen, es mag auch dar - aus kommen was da will?

Ja! ſie muͤſſen Herrn Solmes haben, mein Kind: wahrlich ſie muͤſſen!

Wahrlich ich will nicht. Jch habe ſchon hun - dertmahl geſagt, daß dieſes nicht eigentlich mei - nes Vaters Wille iſt. Jch will ihn wahrhaff - tig nicht nehmen. Mehr ſage ich nicht.

Es iſt aber nun ihres Vaters Wille: (ver - ſetzte meine Baſe) und wenn ich bedencke, daß Herr Lovelace der gantzen Familie ſo drohet, und veſt entſchloſſen iſt, ſie mit Gewalt zu ent - fuͤhren: ſo muß muß ich geſtehen, daß ihre Eltern Recht haben, wenn ſie ſich ihr Kind nicht abtro - tzen laſſen wollen.

Wohlan, ſo bleibt fuͤr mich keine Hoffnung uͤbrig. So muß ich verzweiffelte Mittel er - waͤhlen. So frage ich nichts mehr darnach, was aus mir wird.

Mein Schatz, jedermann bauet auf ihre Froͤm - migkeit und Klugheit, und auf Herrn Lovela - ces uͤblen Nahmen und auf ſein Trotzen und Drohen, daß ſie billig eben ſo ſehr gegen ihn auf - bringen ſolte als die uͤbrigen. Wird ſind verſi - chert, daß eine Zeit kommen wird, da ſie anders von den Mitteln urtheilen werden, durch die ihre Freunde die Abſichten eines ihnen mit Recht ver - haßten Mannes zu vernichten ſuchen.

Sie ging weg, und verließ mich in meinervoͤlli -423der Clariſſa. voͤlligen Betruͤbniß und Unwillen. Jch war ſo misvergnuͤgt mit Herr Lovelace / als ich mit irgend jemand ſeyn konnte; weil die Sache durch ſeine eingebildete Weisheit ſchlimmer geworden war, als vorhin; und es mir dadurch ohnmoͤg - lich gemacht hatte, Zeit zu gewinnen, damit ich mich Jhres Raths und Beyſtandes bedienen koͤnnte, um in der Stille nach London zu kom - men. Er hat es ſo weit gebracht, daß mir nur die Wahl zwiſchen dieſem doppelten Uebel uͤbrig bleibt, entweder zu ſeinen Anverwanten zu fluͤch - ten, oder Zeitlebens durch Solmes ungluͤcklich zu werden. Jch blieb indeſſen noch bey meinem Entſchluß, dieſe beyden Uebel zu vermeiden, wenn es moͤglich waͤre.

Zuerſt ſuchte ich die Eliſabeth auszulocken, ob ſie nicht glaubte, daß die Meinigen ſich durch mein anhaltendes Bitten wuͤrden bewegen laſſen, es nicht bis aufs aͤuſerſte zu treiben, und nicht alles zu erfuͤllen, was ſie droheten? Denn Frau Hervey ſchickte die Eliſabeth zu mir herauf, weil ſie mich, wie mir dieſe ſagte, nicht gern al - lein laſſen wollte: und ich merckte, daß ſie um das gantze Geheimniß wußte.

Eliſabeth ſtimmete in ihren Reden voͤllig mit meiner Baſe uͤberein: und ſie ſetzte noch hinzu, ſie und alle im Hauſe freueten ſich, daß ihnen der Boͤſewicht ſelbſt einen ſo guten Vor - wand gegeben haͤtte, mich auf nun und immer von ihm zu retten. Sie redete davon, daß ſchon Kutſche und Pferde und Montirung beſtelletD d 4waͤren:424Die Geſchichtewaͤren: daß ſich mein Bruder und Schweſter daruͤber freueten, daß nun bald wieder Friede im Hauſe werden wuͤrde: daß ſich die Bedienten auch daruͤber freueten: daß man naͤchſtens den Trauſchein erwartete: daß ich einen Beſuch von dem D. Lewin oder einem andern Geiſtlichen, deſſen Nahmen ſie nicht wuͤßte, zu gewarten haͤt - te, der dem Werck die Crone aufſetzen ſolte: und daß noch andere beſondere Zuruͤſtungen ge - macht wuͤrden, die mich beynahe in Furcht ſetzten, daß man den Mittewochen nicht erwarten, ſon - dern mich noch vorher unbereitet und ungewarnt uͤbereilen wuͤrde.

Dieſes machte mich ſehr unruhig. Jch wuß - te nicht, wozu ich mich entſchlieſſen ſollte. Bald dachte ich: was kan ich anders thun, als mich in die Arme der Lady Eliſ. Lavrance werfen, und bey ihr Schutz ſuchen? Bald entſchloß ich mich zu dem Gegentheil, um mich an Lovelace wegen ſeiner artigen Klugheit zu raͤchen, die mir meine Abſichten ſo entſetzlich verruͤckte. Endlich entſchloß ich mich, mir noch einmahl den Zu - ſpruch meiner Frau Baſe auf eine halbe Stun - de auszubitten.

Jch ſchickte Eliſabeth an ſie, und ließ ſie bitten. Sie kam auch. Jch bat ſie auf das inſtaͤndigſte, mir zu ſagen, ob ich denn nicht eine Friſt von vierzehn Tagen erhalten koͤnnte?

Sie verſicherte mir, daß es unmoͤglich ſey.

Wie aber eine Woche? Acht Tage werde ich doch erhalten koͤnnen?

Sie425der Clariſſa.

Sie ſagte: das glaubte ſie, wenn ich nur zwey Dinge verſprechen wollte. Erſtlich muͤßte ich auf meine Ehre verſprechen, keine Zeile in der Woche an Leute auſſer Hauſe zu ſchreiben: denn man habe mich in Verdacht, daß ich doch noch Mittel haͤtte, an jemand zu ſchreiben. Zum andern, muͤßte ich zuſagen, daß ich Herrn Solmes nach Verflieſſung der Woche nehmen wollte.

Ohnmoͤglich! ohnmoͤglich! (ſagte ich, nicht ohne Heftigkeit.) Kan ich nicht einmahl eine Woche Friſt erhalten, ohne eine ſolche abſcheu - liche Bedingung einzugehen?

Sie ſagte, ſie wollte hinunter gehen, und ſich erkundigen, damit es nicht das Anſehen haben moͤchte, als wenn ſie mir eine ſo harte Bedin - gung vor ihren eigenen Kopf aufbuͤrden woll - te.

Sie ging hinunter, und kam wieder herauf. Die Antwort war: ob ich Luſt haͤtte, dem ver - fluchten Boͤſewicht Zeit zu geben, daß er ſeine moͤrderiſchen Anſchlaͤge in das Werck ſetzen koͤn - te? Man ſey muͤde, laͤnger mit mir Muͤhe zu haben: es ſey Zeit, meinem Ungehorſam und ſei - nem Hoffen ein Ende zu machen. Auf den Dienſtag, oder zum hoͤchſten auf den Mittewo - chen ſollte und muͤßte alles zum Ende ſeyn, wenn ich nicht verſprechen wollte, die Bedingung ein - zugehen, unter welcher mir meine Baſe eine laͤn - gere Friſt aus Guͤtigkeit verſprochen haͤtte.

D d 5Jch426Die Geſchichte

Jch ſtampfte vor Ungeduld auf die Erde. Jch rief ſie zum Zeugen an, daß ich an allen Folgen unſchuldig waͤre, die aus dieſem Zwang entſtehen moͤchten; aus dieſem grauſamen un - menſchlichen Zwang: es moͤchte auch daraus ent - ſtehen was da wollte.

Meine Baſe verwieß mir dieſes heftiger, als ſie jemahls vorhin gethan hatte. Und ich be - ſtand halb auſſer mir darauf, daß ich meinen Vater ſehen wollte. Ein ſolches Betragen ge - gen mich, ſagte ich, machte, daß ich nichts wei - ter fuͤrchtete. Jch wollte mich mit Freuden von dem umbringen laſſen, dem ich mein Leben zu dancken haͤtte.

Sie antwortete: ſie waͤre nicht auſſer Sor - gen, daß ich von Verſtande kommen moͤchte.

Jch gieng die Treppe halb mit herunter, in der veſten Meinung mich ihm zu Fuͤſſen zu wer - fen, wo ich ihn finden wuͤrde. Meine Baſe er - ſchrack: und ich war einige Minuten lang gantz verwirrt. Als ich aber meines Bruders Stim - me hoͤrte, der in der gleich dabey liegenden Stu - be meiner Schweſter mit jemand redete, ſo blieb ich ſtehen: und da hoͤrte ich aus dem Munde des argliſtigen Unmenſchen die Worte: Das Ding hat eine gute Wirckung.

Ja! (ſagte ſie mit frohlockender Stimme) eine ungemein gute Wirckung.

Wir wollen nicht davon abgehen: (antwortete mein Bruder) wir wollen es noch weiter brauchen. Der Boͤſewicht hat ſichſelbſt427der Clariſſa. ſelbſt gefangen. Nun ſoll aus ihr wer - den / was wir wollen.

Arabelle ſagte: ſucht ihr nur meinen Va - ter bey guten Gedancken zu erhalten / und ich will es bey meiner Mutter thun.

Seyd unbeſorgt. Hierauf folgte ein lautes Freuden-Gelaͤchter, das meiner Auslegung nach zugleich ein Hohn-Gelaͤchter uͤber mich war: und dieſes machte, daß ich an ſtatt traurig und verdrießlich zu ſeyn auf Rache dachte.

Meine Baſe kam indeſſen eben zu mir herun - ter, fuͤhrete mich bey der Hand wieder hinauf und ſuchte mich zu beſaͤnftigen.

Aus meiner Traurigkeit war nunmehr ein muͤrriſches Weſen und Eigenſinn geworden. Sie predigte mir Gehorſam und Gelaſſenheit: ich aber antwortete nichts.

Endlich bat ſie mich: ich ſolte ihr nur ver - ſprechen, daß ich mir kein Leid anthun wollte.

Jch ſagte: ich hoffete, daß mir GOtt mehr Gnade gegeben haͤtte, als daß ich mich eines ſo entſetzlichen Verbrechens ſchuldig machen ſolte. Jch ſey ſein Geſchoͤpf, und nicht mein eigen.

Sie nahm Abſchied von mir: und ich drang darauf, daß ſie das verhaßte Pergamen wieder mitnehmen ſolte.

Da ſie ſahe, daß ich ſo ſehr verdrießlich war, und daß es mein voͤlliger Ernſt war, nahm ſie es mit: ſagte aber dabey, mein Vater ſolte es nicht wiſſen. Sie hoffete, ich wuͤrde die Sachereif -428Die Geſchichtereiffer uͤberlegen, und es kuͤnftig mit einer beſſern Faſſung des Gemuͤths annehmen.

Nach ihrem Abſchied uͤberdachte ich die Re - den, die mein Bruder und meine Schweſter ge - fuͤhret hatten: Jhr Frohlocken uͤber mir lag mir im Sinne: und ich fand, daß ſich eine Bit - terkeit in meinem Gemuͤth erregte, die ich noch niemahls empfunden hatte, und der ich nicht wi - derſtehen konnte. Da ich nun alles uͤberlegte, und mich vor dem ſo nahe bevorſtehenden Tage fuͤrchtete: was konnte ich da thun? Was mei - nen Sie, bin ich in demjenigen, was ich gethan habe, einigermaſſen zu entſchuldigen? Und wol - len und koͤnnen Sie mich entſchuldigen, wenn mich gleich die Welt verdammet, weil ſie meine Urſachen nicht weiß? Wenn Sie mich nicht entſchuldigen, ſo bin ich ungluͤcklich. Dieſes war es, was ich that:

Jch ſchaffete mir Eliſabeth ſo bald ich kon - te vom Halſe, und ſchrieb an Herrn Lovelace. Jch berichtete ihm: man wollte alles das, wo - mit man mich auf meines Onckles Gut bedrohet haͤtte, hier in das Werck richten: ich haͤtte mich deswegen entſchloſſen, mich in den Schutz ei - ner von ſeinen beyden Baſen zu begeben, wenn ſie mich deſſen gewaͤhren wollten. Jch wollte mir Erlaubniß ausbitten, in dem Sommer - Hauſe das mit Epheu bedeckt iſt, zu ſpeiſen; und wollte um 2, 3, 4, oder 5 Uhr des Mon - tags Nachmittags zu ihm vor die Garten-Thuͤr hinaus kommen, wenn ich anders koͤnnte. Erſolte429der Clariſſa. ſolte mir alsdenn Nachricht geben, ob ich bey einem von dieſen beyden Frauenzimmer Schutz zu gewarten haͤtte: und in ſolchem Falle ver - langte ich ſchlechterdings von ihm, daß er mich allein laſſen und entweder zu ſeinem Onckle oder nach London reiſen und daſelbſt bleiben ſol - te: auch ſolte er mich nicht beſuchen wollen, bis ich gewiß wuͤßte, daß bey den Meinigen kei - ne Verſoͤhnung zu bewircken ſtuͤnde, und daß ſie mir mein Gut nicht wieder geben, noch mir erlauben wollten, darauf zu wohnen. Er ſol - te mir auch nichts von heyrathen ſagen, bis ich ihm vergoͤnnete, davon zu reden. Jch ſetz - te noch hinzu: wenn er mir unterweges die ei - ne von den Fraͤuleins Montague zur Geſel - ſchaft verſchaffen koͤnnte, ſo wuͤrde ich eine Sa - che mit leichterm Hertzen wagen, an die ich jetzt nicht ohne Kummer dencken koͤnnte, ob ich gleich dazu gezwungen wuͤrde, und die mir vielleicht nach dem Urtheil der Welt einen unausloͤſchli - chen Flecken anhaͤngen moͤchte.

Dieſes war der Jnhalt meines Brieffes. Jch ſchlich im Finſtern in den Garten, (auch dieſes haͤtte ich mich ſonſt nicht unterſtanden) legte ihn hin, und kam unbemerckt wieder zuruͤck.

Mein Hertz ſchlug mir ſo von einer fuͤrchter - lichen Ahndung, als ich zuruͤck kam, daß ich die Gedancken zu vertreiben mein verborgenes Schreib-Zeug aufſuchte, und in kurtzer Zeit ei - nen ſo langen Brief ſchrieb. Da ich nun in meiner Erzaͤhlung bis hieher gekommen bin, ſouͤber -430Die Geſchichteuͤberfallen mich meine traurigen Gedancken von neuen. Allein was ſoll ich thun? Jch dencke, mein erſtes ſoll morgen fruͤh ſeyn, daß ich den Brief wieder hole. Was kan, oder was ſoll ich thun?

Jch will jetzt recht kranck werden, weil ich be - fuͤrchte, daß man die Sache noch vor Mittewo - chens unvermuthet in das Werck zu richten vor - hat. Jch brauche mich nicht ſehr zu verſtellen: denn ich bin in der That elend.

Jch hoffe dieſen Brief morgen ſehr fruͤh fuͤr Sie hinzulegen, ſo bald ich den andern Brief wieder zuruͤck genommen habe, falls ich ihn an - ders noch zuruͤck nehme. Zum wenigſten giebt mir das Jnnerſte meines Hertzens dieſen Be - fehl.

Es iſt jetzt ſchon des Nachts um zwey Uhr. Jch habe aber dem ohngeachtet groſſe Luſt, hin - unter zu ſchleichen, und meinen Brief zu holen. Unſere Thuͤren werden zwar des Abends um eilf Uhr zugeſchloſſen und zugeriegelt: allein die ſteinernen Sitze an den Fenſtern des kleinen Speiſe-Saals ſind in der Hoͤhe mit dem Bo - den des Gartens beynahe gleich, und die Laden laſſen ſich leicht aufmachen. Hier koͤnte ich hin - aus kommen.

Wiewohl! warum ſoll ich ſo unruhig ſeyn? Wenn auch der Brief zurechte kommt, ſo kan ich ja hoͤren, was Herr Lovelace darauf ant - wortet. Seine Baſen wohnen ſo weit von uns ab, daß er nicht ſo gleich Antwort erhalten kan:und431der Clariſſa. und ich werde ihm den Einwurf machen koͤnnen, daß ich nicht ohne von ihnen eingeladen zu wer - den zu ihnen reiſen kan. Jch kan auf die Ge - ſelſchaft einer von den Fraͤuleins Montague als auf eine nothwendige Bedingung dringen: und vielleicht wird er keine von beyden uͤberreden koͤnnen, ihm dieſe Gefaͤlligkeit zu erzeigen. Es koͤnnen zehn Dinge vorfallen, die mir einen Vor - wand geben es aufzuſchieben: warum ſolte ich denn ſo ſehr unruhig ſeyn? ſonderlich, da ich meinen Brief vermuthlich morgen fruͤher zuruͤck nehmen kan, als er ihn dort ſuchen wird. Er ſagt zwar, daß er drey Theile des Tages dazu anwendet, in dieſer oder jener Verkleidung um unſer Haus herum zu ſchleichen, und er hat noch uͤber dieſes einen Bedienten auf den er ſich ver - laſſen kan, wenn er ſelbſt, ſeinem Ausdruck nach, nicht auf der Wache iſt.

Dieſes ſind wunderliche Vorboten! Jedoch, wenn ſie es rathen, ſo kan ich mit ſeinem Wa - gen gleich nach London fahren, wie ich im Vor - ſchlag hatte: und ſo waͤren Sie der Muͤhe uͤber - hoben, mir eine Gelegenheit zu verſchaffen, und Jhre Frau Mutter wuͤrde Sie auch weniger in Verdacht eines mir geleiſteten Beyſtandes ha - ben.

Jch bin ſehr begierig Jhren Rath und Bil - ligung zu meinen Anſchlaͤgen zu haben. Jch ſchlieſſe mit dieſer unruhigen Begierde meinen Brief. A dieu, liebſte Freundin: A dieu!

Der432Die Geſchichte

Der ſieben und dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Als ich aufſtand, ſahe ich gleich aus dem Fenſter, daß Frau Hervey (die ſehr fruͤh auf zu ſeyn pfleget) ſchon in dem Garten herum gieng, und Eliſabeth ſie begleitete: Denn weil ich mehrere Naͤchte keinen Schlaf gehabt habe, ſo ſchlief ich dieſesmahl zum Ungluͤck uͤber mei - ne Zeit. Jch konnte alſo weiter nichts thun, als auf den Huͤner-Hof gehen, und meinen Brief von geſtern und von geſtern Abend hinlegen. Jch bin kaum wieder zuruͤck gekommen: denn ſie iſt noch in dem Garten: dieſes haͤlt mich ab, den Brief an Herrn Lovelace zuruͤck zu nehmen, welches ich noch zu thun entſchloſſen bin, und hoffe, daß es nicht zu ſpaͤt ſeyn werde.

Jch habe recht ungluͤcklich die Zeit verſchlaf - fen. Um halb drey Uhr ging ich zu Bette. Jch hoͤrte alle Viertheilſtunden bis um fuͤnf Uhr: darauf ſchlief ich ein, und wachte erſt nach ſechs Uhr mit groſſem Schrecken von einem Traum auf. Jch achte ſonſt nicht auf Traͤume, allein dieſer hat einen ſolchen Eindruck bey mir ge - macht, daß ich ihn Jhnen nothwendig mitthei - len muß.

Mich433der Clariſſa.

Mich duͤnckte: mein Onckle Anton / Herr Solmes und mein Bruder hatten ſich mit ein - ander verſchworen, Herrn Lovelace aus dem Wege zu raͤumen. Er entdeckte ihre Anſchlaͤ - ge, und weil er meinte, daß ich mit darum wuͤß - te, ſo wandte er ſeine gantze Wuth gegen mich. Es kam mir vor, als wenn ſie alle drey das Land vor ihm raͤumen muͤßten: er nahm mich dar - auf und fuͤhrte mich auf den Kirchhof. So viel ich auch bat, und weinete, und mich auf mei - ne Unſchuld berief, half es doch alles nichts. Er ſtach mich durch das Hertz, ſtuͤrtzte mich in ein neu aufgegrabenes Grab, zwiſchen etliche halb - verfaulte Leichen; warf Erde und Koth auf mich, und trat mich mit den Fuͤſſen nieder.

Jch wachte mit Schrecken und Zittern auf, gantz mit kaltem Schweiß begoſſen, und wollte faſt ohnmaͤchtig werden. Das fuͤrchterliche Bild ſchwebt mir noch immer vor den Augen.

Allein warum ſoll ich mir mit einem einge - bildeten Ungluͤck zu thun machen, da ich ſo reich an wahrhaftem Ungluͤck bin? Meine verwor - rene Einbildungskraft iſt an ſolchen Traͤumen ſchuld, die alles fuͤrchterliche, was ich von mei - ner Baſe gehoͤrt habe, mit meinem Briefe an Lovelacen / mit meiner Unruhe uͤber dieſen Brief, und mit meiner Furcht vor dem kuͤnfti - gen Mittewochen verbindet.

Zweyter Theil. E eDer434Die Geſchichte

um acht Uhr.

Der Menſch hat meinen Brief: Was fuͤr eine auſſerordentliche Wachſamkeit! Jch wuͤnſche, daß er eine gute Abſicht bey der Muͤhe haben moͤge, die er ſich giebt. Jndeſſen wuͤrde es mich verdrieſſen, wenn er nicht ſo wachſam waͤre: und doch wuͤnſchte ich, daß er hundert Meilen von mir entfernt geweſen waͤre. Wie vielen Vortheil habe ich ihm uͤber mich gegeben!

Nun ich den Brief nicht mehr in meiner Ge - walt habe, bin ich noch unruhiger, und es ge - reuet mich mehr, als vorhin. Jch zweiffelte noch vorhin, ob ich den Brief an ihn gelangen laſſen ſolte oder nicht: und nun duͤnckt mich, ich haͤt - te es nicht thun ſollen. Und doch weiß ich kei - nen andern Weg als dieſen, Herrn Solmes zu entgehen. Fuͤr was fuͤr ein liederliches Maͤd - chen werde ich aber angeſehen werden, wenn ich das thue, was die natuͤrliche Folge meines Briefes iſt!

Liebſte, liebſte Freundin, ſagen Sie mir: ha - be ich recht oder unrecht gethan? Geben Sie mir aber nicht Unrecht, wenn Sie gleich ſo den - cken: denn wenn mich gleich die gantze Welt verdammet, und Sie thun es nur nicht, ſo wird es mir ſchon ein Troſt ſeyn. Dis iſt das erſte mahl, daß ich Sie bitte mir zu ſchmeicheln: und das iſt ſchon ein Zeichen, daß ich Unrecht gethan habe, weil ich die Wahrheit nicht hoͤren will. Sagen Sie mir, und ſagen Sie es mir dennoch nicht, ob ich Unrecht gethan habe.

Meine435der Clariſſa.

Freytags um eilf Uhr.

Meine Baſe hat mich nochmahls beſucht. Sie machte den Anfang davon, daß die Mei - nigen glaubten, ich wechſelte noch bis dieſe Stun - de Brieffe mit Lovelacen. Man koͤnnte dieſes aus ſeinen Drohungen und aus den Reden mercken, die er von ſich hoͤren lieſſe: denn er wuͤßte alles, was zwiſchen mir und meinen An - verwanten vorfiele, und bisweilen faſt ſo bald als es geſchehen waͤre.

Ob ich es gleich nicht billige, daß er ſich ſo herunter ſetzt, durch dergleichen Canaͤle Neuig - keiten zu erfahren: ſo wuͤrde es doch von mir nicht klug gehandelt ſeyn, wenn ich um mich zu entſchuldigen eine Anklaͤgerin des beſtochenen Bedienten wuͤrde, deſſen Schelmerey ich nie ge - billiget habe. Denn ich koͤnnte hiedurch verur - ſachen, daß mein gantzer Briefwechſel verrathen wuͤrde: und ſo wuͤrde ich alle Hofnung verloh - ren geben muͤſſen, mich von Herrn Solmes zu befreyen. Es iſt mir indeſſen ſehr wahrſchein - lich, daß dieſer Kerl, den Herr Lovelace gebraucht, den Mantel auf beyden Achſeln traͤgt. Wie koͤnnte ſonſt mein Bruder ſeine Drohungen ſo geſchwind wieder wiſſen?

Jch, antwortete meiner Baſe: ich ſchaͤmte mich der Auffuͤhrung der Meinigen gegen mich um mein ſelbſt und um anderer willen ſo ſehr, daß ich auch alsdenn Herrn Lovelace nichts da - von melden wuͤrde, wenn ich noch Mittel haͤtte, mit ihm Brieffe zu wechſeln. Wenn er dieſeE e 2Nach -436Die GeſchichteNachrichten von mir haͤtte, ſo muͤßten wir ſo mit einander ſtehen, daß er gewiß einen Beſuch ab - legen wuͤrde, an deſſen Folgen ich mit Schrecken gedaͤchte. Es wuͤßten alle meine Verwante, daß ich mit keinem Bedienten meiner Eltern umgin - ge, als mit meiner Schweſter Cammer-Maͤd - chen. Denn ob ich gleich zu allen ein gutes Vertrauen haͤtte, und glaubte, daß ſie mir gern dienen wuͤrden, wenn ſie duͤrften: ſo merckte ich doch an ihrer vorſichtigen Auffuͤhrung wohl, daß ſie in Abſicht auf mich beſonders eingeſchraͤnckt waͤren und deswegen haͤtte ich ſeit dem, das Han - nichen aus dem Hauſe geſchaft waͤre, keinen un - ter ihnen anreden moͤgen, um ihnen nicht auch den Abſchied zuwege zu bringen. Sie muͤßten den ſchwatzhaften Menſchen unter ſich ſelbſt und unter ihren Vertrauten aufſuchen, durch den Herr Lovelace alles wieder erfuͤhre. Denn weder mein Bruder noch meine Schweſter, noch auch vielleicht ihr lieber Herr Solmes daͤchten daran, wen ſie vor ſich haͤtten, wenn ſie auf ihn oder auch auf mich loszoͤgen, wie ſie ſich denn eine Ehre daraus zu machen ſchienen, meiner mit zu gedencken, wenn ſie ſeine Tugenden erzaͤhlten. Von meinem Bruder und Schweſter wuͤßte ich dieſes durch die Eliſabeth gewiß, die mir bey ſolcher Gelegenheit anzuruͤhmen pflegte, daß ſie ſehr ehrlich waͤren.

Meine Baſe ſagte: der Argwohn ſey ſehr na - tuͤrlich, daß er dieſe Nachrichten, wo nicht alle, doch zum Theil, von mir haben muͤſſe: weil ichglaub -437der Clariſſa. glaubte, daß man hart mit mir umginge, und mich daruͤber zum wenigſten gegen Fraͤulein Howe beſchweren wuͤrde, welches eben ſo viel ſey, als wenn ich mich gegen ihn ſelbſt daruͤber beklagte. Denn man wiſſe wohl, daß Fraͤulein Howe von unſerm Hauſe eben ſo frey redete, als wir von Herrn Lovelace reden koͤnnten. Sie wuͤß - te ſo viel Umſtaͤnde, daß ſie nothwendig ihre Nachrichten hier aus dem Hauſe baben muͤßte. Mein Vater haͤtte daher den Entſchluß gefaſ - ſet, der Sache bald ein Ende zu machen, damit nicht noch ſchlimme Folgen daraus entſtuͤn - den.

Sie fuhr fort: ich ſehe, daß ſie anfangen wollen heftig zu werden. (Das war auch die Wahrheit.) Jch vor mein Theil glaube nicht, daß, wenn ſie auch an ihn ſchrieben, ſie etwas ſchreiben wuͤrden, das einen ſo hitzigen Kopf noch hitziger machen koͤnnte. Allein, das iſt nicht der Endzweck meines jetzigen Beſuchs. Sie muͤſſen nothwendig uͤberzeuget ſeyn, daß ihr Vater ſchlech - terdings Gehorſam fodert. Je mehr ſie ſich ſei - nem Willen widerſetzen, deſto eifriger wird er ſeyn, ſein Recht zu behaupten. Jhre Mutter hat mir aufgetragen, ihnen zu ſagen: ſie wuͤnſch - te ſie jetzt, da ihr Herr Vater in dem Garten herum gehet, in ihrem Cloſet zu ſprechen, wenn ſie ihr nur die geringſte Hoffnung geben wollen, gehorſam zu ſeyn.

Eine erſtaunende Unbeweglichkeit! (ſagte ich) Jch bin gantz muͤde, mich weiter zu erklaͤren,E e 3oder438Die Geſchichteoder noch weitere Vorſtellungen zu thun. Jch haͤtte gedacht, daß man nicht mehr in mich drin - gen wuͤrde, da mein Entſchluß bekannt genug iſt.

Sie ſahe mich ernſthaft an, und antwortete: ſie verſtehen meine Meinung nicht. Bisher hat man ſie erſucht und gebeten, den Jhrigen eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen. Das Bitten hat nun ein Ende: man ſieht wohl, daß das nichts aus - richtet. Es iſt deswegen beſchloſſen, daß ſie ih - rem Herrn Vater Gehorſam leiſten ſollen, wie es recht und billig iſt. Nun giebt man ihnen einiges Schuld, darin ihre Frau Mutter ſie fuͤr unſchuldig haͤlt: nehmlich, daß ſie um Herrn Lovelaces Drohungen, ſie zu entfuͤhren, wiſſen ſollen. Sie will ihnen gern ſagen, daß ſie eine beſſere Meinung von ihnen hat, und daß ſie ſie liebet, und was ſie bey der bevorſtehenden Gele - genheit von ihnen erwartet: allein, um ſich nicht in die Gefahr einer abſchlaͤgigen Antwort zu ſe - tzen, verlanget ſie, daß ſie ihr zum voraus ver - ſprechen ſollen, das auf eine anſtaͤndige Weiſe zu thun, was ſie doch thun muͤſſen. Sie will ihnen auch gern einen guten Rath geben, wie ſie ſich mit ihrem Herrn Vater und mit dem gan - tzen Haufe ausſoͤhnen ſollen. Wollen ſie nun mit herunter kommen, Fraͤulein Baſe, oder nicht?

Jch ſagte: ich wuͤrde mich zwar gluͤcklich ſchaͤtzen, wenn ich meine Mutter nach einer ſo langen Entfernung wieder ſprechen duͤrfte. Allein439der Clariſſa. Allein unter ſolchen Bedingungen verlangte ich es nicht.

Jſt dis ihre Antwort, Fraͤulein?

Ja! ich kan nicht anders antworten. Es mag daraus kommen, was will: ſo werde ich Herrn Solmes nicht nehmen. Es betruͤbt mich, daß man mich ſo oft damit quaͤlet. Jch will ihn in Ewigkeit nicht haben.

Sie ging misvergnuͤgt hinunter. Jch konn - te es nicht wehren. Jch war es gantz muͤde, daß eine Sache auf ſo mancherley Weiſe und ſo oft angebracht ward. Jch wundere mich, daß die Meinigen des Dinges nicht muͤde werden. Es bleibt immer einerley, und kein Theil will etwas nachgeben.

Jch will hinunter gehen, und dieſen Brief hin - legen, denn Eliſabeth hat es bemerckt, daß ich geſchrieben habe. Sie nahm ein Handtuch, machte es naß, und kam nach ihrer laͤrmenden unruhigen Art mit dem naſſen Ende zu mir: Hier Fraͤulein! Jch ſagte: was wollt ihr. Sie ſagte: Fraͤulein belieben ſie nur den einen Finger an der rechten Hand anzuſehen.

Es war Dinte an dem Finger. Jch gab ihr nur einen Blick, ohne etwas weiter zu ſagen. Aus Furcht aber, daß meine Sachen von neuen moͤchten durchſucht werden, will ich hier ſchlieſ - ſen.

Clariſſa Harlowe.

E e 4Der440Die Geſchichte

Der acht und dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch habe einen Brief von Lovelacen voll entzuͤckter Verſprechungen und Geluͤbde. Jch will ihn beylegen: ſie werden ſehen, daß er mir den Schutz der Frau Lawrance verſpricht, und daß mir die Fraͤulein Charlotte Mon - tague Geſellſchaft leiſten ſoll. Jch habe nun, ſagt er, weiter nichts zu thun, als daß ich bey meinem Vorſatz bleibe, und mich bereit mache, die Gluͤckwuͤnſche ſeiner gantzen Familie anzu - nehmen.

Sie werden ſehen, daß er dieſes ſchon als ei - ne gewiſſe Folge der zu ſeiner Baſe genom - menen Zuflucht anſiehet, daß ich die ſeinige wer - den muͤßte.

Der Wagen mit ſechs Pferden ſoll mich an dem beſtimmten Ort erwarten. Sie werden ſe - hen, wie freymuͤthig oder dreiſte er das beant - wortet, was ich von einem Flecken geſchrieben habe, den mein guter Nahme hiedurch bekom - men koͤnnte. Es waͤre eine edelmuͤthige Ant - wort, wenn ich die ſeinige werden ſollte, oder wenn ich ihm hiezu die Hoffnung gemacht haͤtte, die ich ihm nicht gemacht habe.

Wie leitet doch ein Schritt immer zu demandern,441der Clariſſa. andern, wenn man es mit dieſem argliſtigen Ge - ſchlecht zu thun hat. Wie leicht kan ein Maͤd - chen, das der Mannsperſon die geringſte Hoff - nung giebt, wider ſeinen Willen um ſeine Frey - heit gebracht werden. Aus ſeinen Brieffen ſoll - te man auf die Gedancken kommen, als wenn ich mich gegen ihn erklaͤrt haͤtte, daß ich Herrn Solmes aus Zuneigung zu ihm ausſchluͤge.

Das fuͤrchterlichſte und ſchlimmſte iſt, daß wenn ich ſeine Nachrichten von den Abſichten der Meinigen, (die jedoch von dem beſtimmten Tage noch nichts melden) mit dem zuſammen halte, was ich von meiner Baſe und von Eli - ſabeth weiß, mir nicht die geringſte Hoffnung uͤbrig gelaſſen wird, Herrn Solmes zu entge - hen, wenn ich hier bleibe.

Auf die Weiſe waͤre es fuͤr mich beſſer gewe - ſen, nach meines Onckles Gut zu reiſen. Jch wuͤrde wenigſtens Zeit gewonnen haben. Die - ſes iſt die Frucht von ſeiner Klugheit.

Er redet ſchon davon, was wir kuͤnftig thun wollen; wie er ſich beſſern will; wie ich alle ſei - ne Tritte und Schritte ihm vorſchreiben ſoll. Das alles zeiget an, daß er ſich verſichert haͤlt, mich zu erhalten.

Jch habe ihm eine Antwort dieſes Jnhalts geſchrieben: ob ich ihm gleich Hoffnung ge - macht haͤtte, mich in den Schutz ſeiner Baſe zu begeben, ſo wollte ich mich doch durch dieſes Verſprechen nicht voͤllig binden, noch ihm ein Recht geben, mich zur Rechenſchaft zu fodern. E e 5wenn442Die Geſchichte wenn ich davon abginge: denn ich haͤtte noch zwiſchen hier und Montags drey Tage vor mir, und ich hoffete, daß meine Freunde gelinder werden oder Herr Solmes ablaſſen wuͤrde, wenn er oder ſie die Ohnmoͤglichkeit der Sa - che einſaͤhen. Wenn er aber meinte, daß es ei - nerley ſey, mich des Schutzes ſeiner Baſe be - dienen, und ihm mein Jawort geben, ſo muͤßte ich ihm nothwendig melden, daß er ſich ſehr geirret haͤtte. Denn es waͤren noch vorher manche Puncte zu beantworten, und viele Sa - chen in Richtigkeit zu bringen, wenn ich auch meines Vaters Haus verlieſſe, ehe ich ihm ei - nige beſondere Hoffnung machen koͤnnte: Er mochte gewiß glauben, daß ich alles verſuchen wuͤrde, mich mit meinem Vater auszuſoͤhnen, und ſeine Genehmhaltung zu allen dem, was ich vorhaͤtte, zu erhalten: und daß ich in allen moͤglichen Dingen ihm eben ſo vollkommen gehorchen wuͤrde, als wenn ich ſein Haus nie verlaſſen haͤtte. Wenn er es aber nicht fuͤr gut faͤnde, daß ich mir dieſe Freyheit vorbehiel - te; und wenn er von meiner Flucht einigen Vortheil erwartete, den er vorhin nicht in Haͤn - den gehabt haͤtte: ſo wollte ich bleiben wo ich waͤre, und das Ende abwarten. Vielleicht wuͤrden meine Freunde endlich mit meinem wie - derhohlten Verſprechen zu frieden ſeyn, daß ich weder ihn noch ſonſt jemand ohne ihre Einwil - ligung heyrathen wollte.

Dieſen Brief will ich hinlegen, ſo bald ichkan.443der Clariſſa. kan. Weil er weiß, daß die Sache zum Ende eilet, ſo wird er den Brief gewiß nicht lange un - abgehohlet laſſen.

Freytags um 4. Uhr.

Mir iſt ſehr ſchlimm: ich muß mich aber kraͤncker machen, als ich bin, um deſto eher einen Aufſchub des Uebels, damit mir der Mittewo - chen drohet, zu erhalten. Wenn ich dieſes er - halte, ſo will ich mein an Lovelacen gegebe - nes Verſprechen zuruͤck nehmen.

Eliſabeth hat unten erzaͤhlet, daß ich mich ſehr ſchlimm befaͤnde. Allein niemand hat Mit - leiden mit mir. Jch glaube, daß ich nunmehr der Abſcheu aller der Meinigen geworden bin, und ſie wuͤrden froh ſeyn, wenn ich todt waͤre. Das glaube ich in der That! Was fehlt dem verkehrten Maͤdchen: rufft der eine: iſt es etwan die Liebes-Kranckheit? der andere.

Jch bin in dem Sommer-Hauſe geweſen, und kam mit einer fiebriſchen Kaͤlte wieder zu - ruͤck, davon ich ſchauderte. Eliſabeth ſahe es, und ſagte es wieder: es hieß aber; es iſt nicht viel daran gelegen / laßt ſie nur ſchaudern / von Froſt wird ſie nicht ſterben. Der Ei - genſinn wird ſie ſchon wieder warm ma - chen. Fuͤr ein verliebtes Maͤdchen iſt der Eigenſinn ſo gut wie ein kaltes Bad / es munter und hart zu machen / wenn es gleich von Natur noch ſo zaͤrtlich iſt.

Ein grauſamer Bruder ſagt dergleichen, undandere444Die Geſchichteandere noch liebere Freunde hoͤren es mit an, die noch vor wenig Monathen ſo beſorgt waren, wenn mich nur ein Luͤfftgen anwehete.

Eliſabeth hat in ſolchen Dingen ein unver - gleichliches Gedaͤchtniß, das muß ich ihr nach - ruͤhmen. Sie laͤßt kein Wort aus, wenn ſie es gleich zehn mahl erzaͤhlt, und ſie macht die Mine eines jeden ſo natuͤrlich nach, daß man nie fragen darf, wer dieſes oder jenes geſagt hat.

Freytags um ſechs Uhr.

Meine Frau Baſe, die dieſesmahl wieder hier uͤbernachtet, iſt eben von mit gegangen. Sie kam, um mit den Schluß anzukuͤndigen, der in dem Rath meiner Freunde uͤber mich gefaſſet iſt.

Den kuͤnftigen Mittewochen fruͤh werden ſie alle beyſammen ſeyn: mein Vater, meine Onck - les, ſie ſelbſt, jhr Mann, mein Bruder und meine Schweſter; meine liebe Frau Nor - ton ſoll auch mit zugelaſſen werden; und der D. Lewin ſoll in der Naͤhe ſeyn, um mich zu ermahnen, wenn man es noͤthig findet. Sie weiß aber nicht gewiß, ob er ſich mit in der Ge - ſellſchaft befinden, oder warten ſoll, bis er her - ein gebeten wird.

Wenn ſich dieſes fuͤrchterliche Gericht nieder - gelaſſen haben wird, ſo ſoll die arme Suͤnderin in Begleitung und unter dem Beyſtand der Frau Norton erſcheinen. Dieſe aber wird vor -her445der Clariſſa. her wohl in die Schule genommen, und geleh - ret, mich die Pflichten des vierten Gebots zu lehren, welches ich gaͤntzlich vergeſſen zu haben ſcheine.

An einem gluͤcklichen Ausgange zweiffelt man (wie Frau Hervey ſagt) gar nicht. Denn man kan mir eine ſolche Verhaͤrtung nicht zu - trauen, daß ich den Anblick eines ſo anſehnlichen Gerichts tragen koͤnnte, ob ich gleich einigen un - ter meinen Richtern mein Nein eintzeln unter das Geſicht geſagt habe: inſonderheit, da mein Vater ſich auf eine gantz ungewoͤhnliche Weiſe herablaſſen will. Allein welche Herab - laſſung irgend einer Perſon, wenn es auch ſelbſt mein Vatter ſeyn ſollte, kan mich verbinden, ein ſo groſſes Opfer zu bringen.

Und dennoch glaube ich nicht, daß ich vor ei - nem ſolchen Gericht, in dem mein Vater das Wort fuͤhret, einigen Muth behalten kan.

Das habe ich immer geglaubt, daß meine Truͤb - ſaal nicht ehr zum Ende ſeyn wuͤrde, als biß er mich nochmahls vor ſeinen fuͤrchterlichen Rich - terſtuhl gefodert haben wuͤrde.

Sie ſagt: man haͤtte die gute Hoffnung, daß ich den Ehe-Contract, wo nicht fruͤher, doch we - nigſtens den Dienſtag Abend mit Freuden un - terzeichnen werde, damit der folgende Tag, an welchem meine Freunde beyſammen ſeyn wuͤr - den, ein Tag der Freude ſeyn moͤchte. Der Trauſchein ſo wohl als der Ehe-Contract ſoll mirnoch446Die Geſchichtenoch einmahl herauf geſchickt werden, damit ich ſehe, daß es Ernſt mit der Sache ſey.

Sie gab mir zu verſtehen, mein Vater wuͤr - de mir ſelbſt den Ehe-Contract herauf brin - gen.

Was fuͤr eine ſchwere Stunde wird dieſes ſeyn. Wie werde ich es meinem Vater, (meinem Va - ter, den ich ſo lange nicht habe ſehen duͤrffen, der vielleicht in einem Athem befehlen und bitten will) wie werde ich es dem abſchlagen koͤnnen, meinen Nahmen zu ſchreiben?

Sie ſagt: man wiſſe es gewiß, daß Herr Lovelace etwas im Sinne habe; und vielleicht ſpielte ich mit ihm unter der Decke. Mein Va - ter aber wollte mich lieber zum Grabe begleiten, als erleben, daß ich Lovelacen heyrathete.

Jch ſagte: ich befaͤnde mich gar nicht wohl. Selbſt die Furcht vor dieſer Stunde ſey mir unertraͤglich, und wuͤrde immer zunehmen, je mehr ſich die Stunde naͤherte. Jch fuͤrchtete, daß ich ſehr kranck ſeyn moͤchte.

Wir haben uns ſchon auf das Kunſt-Stuͤck - chen geſchickt: (war die unguͤtige Antwort mei - ner Baſe) Jch verſichere ihnen, es wird unnuͤtz ſeyn.

Kunſtſtuͤckchen? Sagt das meine Frau Baſe Hervey? ſprach ich.

Was dencken ſie denn, mein Kind? daß alle Leute blind ſind? Sie muͤſſen es ja ſehen, wie ſie kroͤchzen und ſtoͤhnen, ſo lange ſie im Hauſe ſind, und wie ſie ihr liebes Geſicht (wie ſieguͤtigſt447der Clariſſa. guͤtigſt zu ſagen beliebte) niederhaͤngen laſſen; wie ſie wancken, und ſich bald an dieſen Stuhl, bald an die Thuͤr-Poſten halten, wenn ſie mei - nen daß ſie jemand ſiehet. (Dieſes iſt in der That eine Laͤſterung gegen mich, um mich zu ei - ner Heuchlerin zu machen. Eine Laͤſterung mei - nes Bruders oder meiner Schweſter. Jch kan ſo kleine Kuͤnſte nicht gebrauchen.) Allein ſo bald ſie in dem Huͤner-Hofe ſind, oder etwas tieffer in den Garten kommen, und ſie nicht mehr glauben von jemand beobachtet zu werden, ſo ſieht man ja wohl, wie artig ſie die Fuͤſſe ſetzen koͤnn - ten, und wie munter und lebendig alle ihre Be - wegungen ſind.

Jch ſagte: ich wuͤrde mich ſelbſt haſſen, wenn ich mich mit ſo niedertraͤchtigen Kuͤnſten behelf - ſen koͤnnte. Jch muͤßte thoͤricht ſeyn, wenn ich ſolche Kuͤnſte brauchen wollte: eben ſo thoͤricht als niedertraͤchtig: denn ich ſehe ja wohl, daß die Meinigen durch viel mehr ruͤhrende Dinge nicht zu erweichen ſind. Sie werden aber ſehen, wie ich mich auf den Dienſtag befinde.

Jch will nicht hoffen, daß ſie ſich Schaden an der Geſundheit thun wollen. Jch dencke, daß ihnen GOtt mehr Gnade gegeben hat.

Das dencke ich auch, Frau Baſe. Allein, andere ſtuͤrmen ſo auf meine Geſundheit hinein, daß ich kranck werden muß, ohne etwas einzu - nehmen, und ohne mich kranck zu ſtellen.

Jch will ihnen nur Eins ſagen mein Kind: ſie moͤgen geſund oder kranck ſeyn, ſo wird dieTrau -448Die GeſchichteTrauung vor Mittewochens Abends vollzogen ſeyn. Jch will aber noch eins dazu ſetzen, daß mir nicht aufgetragen iſt, zu ſagen: Herr Solmes hat verſprechen muͤſſen, wenn die Trauung vor - bey und Lovelacen dadurch alle Hoffnung be - nommen iſt, und ſie ihn darum bitten, ſie in ih - res Vaters Hauſe zu laſſen, und alle Abend nach ſeinem Hauſe zuruͤck zu kehren, bis ſie ihre Pflicht beſſer erkennen lernen, und ſelbſt darein willi - gen, ſeinen Nahmen zu tragen.

Jch konte gegen eine ſolche Rede meinen Mund nicht aufthun: ich blieb gantz ſtumm.

Das ſind die Leute, die mir (zum wenigſten einige unter ihnen) Schuld gaben, ich waͤre ein Maͤdchen, wie ſie in den Romainen beſchrieben wuͤrden. Das ſind Anſchlaͤge meines phanta - ſtiſchen Bruders und meiner weiſen Schweſter, wenn ſie die Koͤpfe zuſammen ſtecken. Und doch erzaͤhlt mir meine Baſe, daß ſich meine Mutter am meiſten durch das letzte in dem er - waͤhnten Vorſchlage habe einnehmen laſſen, die noch vorhin immer behauptet hatte, die Trauung muͤſſe aufgeſchoben werden, wenn ihr Kind kranck wuͤrde, es moͤchte nun die Kranckheit aus Be - truͤbniß oder aus Eigenſinn entſtehen.

Was in dieſen Vorſchlaͤgen gewaltſames iſt, das entſchuldigte meine Baſe alles durch die Nach - richten, die ſie von Herrn Lovelaces Abſichtenund449der Clariſſa. und Anſtalten haͤtten;(*)Der Leſer beliebe hier zu mercken, daß Lovelace durch ſeinen Kundſchafter allerhand Rachrichten von ſeinem Vorhaben ausſtreuen ließ, ob es ihm aleich an Vermoͤgen fehlte, ſeine Drohungen in das Werck zu richten. Er ſuchte hiedurch die Anverwanten der Clariſſa haͤrter und hitziger zu machen. welche man auf eine kluge Weiſe zu vernichten ſuchen muͤſſe.

Freytags um neun Uhr.

Und nun, mein Schatz! wozu ſoll ich mich nun entſchlieſſen. Sie ſehen, wie unbeweglich al - les iſt. Allein wie kan ich hoffen, daß ich ihren Rath fruͤhzeitig genung bekommen wer - de, mich darnach zu richten? denn da ich jetzt hin - unter geweſen bin, habe ich ſchon wieder einen Brief von Lovelacen gefunden. Jch glaube, er wohnt hinter unſerer Garten-Mauer. Jch muß an ihn ſchreiben, und ihm Nachricht ge - ben, ob ich auf den Montag noch fluͤchten will, oder nicht. Wenn ich ihm das letztere ſchreibe, nachdem es in unſerm Hauſe fuͤr ihn ein ſchlim - meres Anſehen gewinnet, und Herrn Solmes Sachen jetzt noch beſſer ſtehen, als damahls da ich ihm den erſten Brief von meiner Flucht ſchrieb: ſo wird es blos meine Schuld ſeyn, wenn ich gezwungen werde, den eckelhaften Mann zu nehmen. Und wem werde ich es Schuld ge - ben koͤnnen, als mir ſelbſt, wenn noch andere uͤble Folgen daraus entſtehen, daß ſich ein ſo rachgieriger Menſch, als Lovelace / in ſeiner Hoffnung betrogen ſiehet? Er verſpricht mirſoZweyter Theil. F f450Die Geſchichteſo viel gutes! Allein auf der andern Sei - te mich dem Tadel der Welt blos zu ſtellen, und von jedermann fuͤr ein liederliches Maͤdchen ge - halten zu werden! Und doch giebt er mir in ſeinen Brieffen zu verſtehen, daß dieſes ſchon geſchehen ſey! Was kan ich anfangen! Wenn doch nur der Obriſte Morden Allein was helffen mir Wuͤnſche, die in die Luft verfliegen.

Jch will Jhnen dieſesmahl nur einen Aus - zug aus Lovelaces Brieffe geben, und den Brief ſelbſt Jhnen zuſchicken, wenn ich ihn beant - wortet habe: dieſes aber werde ich aufſchieben, ſo lange als ich kan, denn ich hoffe noch immer, daß ich eine Urſache ausfinden werde, die Zu - ſammenkunft mit ihm, von der ſo vieles abhaͤn - get, wieder abzulehnen. Und dennoch iſt es noͤ - thig, daß Sie alle Umſtaͤnde genau wiſſen, da - mit Sie mir in einer ſo gefaͤhrlichen Sache gu - ten Rath geben koͤnnen.

Er bittet mich um Vergebung, daß er vor - hin allzu zuverſichtlich geſchrieben habe: es ſey dieſes blos aus uͤbermaͤßiger Freude geſchehen. Er ergiebt ſich vollkommen in meinen Willen. Er iſt reich an Vorſchlaͤgen, darunter ich waͤh - len kan, welchen ich will. Er erbietet ſich, mich gleich zu der Lady Eliſabeth Lawrance zu bringen, oder auf mein Gut, wenn ich das lieber wollte, da mich der Lord M. ſchuͤtzen ſoll. (Er weiß die Urſachen nicht, um welcher willen ich dieſen unbeſonnenen Vorſchlag verwerffe) Jn beyden Faͤllen will er nach London oder wo -451der Clariſſa. wohin ich ſonſt befehle, reiſen, ſo bald er ſiehet, daß ich in Sicherheit bin: er will ohne Er - laubniß nicht in die Naͤhe kommen, bis alle meine Zweiffel aufgeloͤſet ſind, die ich in Ab - ſicht auf ſeine Beſſerung oder auf die Eheſtif - tung haben kan.

Ein anderer Vorſchlag iſt, daß er mich nach Jhrem Hauſe bringen will, und er zweiffelt nicht daran, daß Jhre Frau Mutter mich auf - nehmen werde. Wenn aber dieſes Jhnen, oder Jhrer Frau Mutter, oder mir nicht gelegen waͤ - re, ſo will er mich bey Herrn Hickmann in Sicherheit bringen, den die Fraͤulein Howe leicht zu dieſer Gefaͤlligkeit uͤberreden koͤnne. Man koͤnnte nur vorgeben, daß ich nach Bath / nach Briſtol oder uͤber die See, wohin es auch waͤre, gefluͤchtet waͤre.

Wenn es mir aber angenehmer waͤre, ſo will er mich in der Stille nach London brin - gen, und mir dort ein bequemes Haus ausſu - chen. Die beyden Fraͤulein Montague ſol - len mich dort empfangen, und mir ſo lange Geſellſchaft leiſten, bis alles ſo eingerichtet iſt, wie ich es wuͤnſche, und bis eine Ausſoͤhnung zuwege gebracht iſt. Er will es an nichts er - mangeln laſſen, was dieſe Ausſoͤhnung erleich - tern kan, ſo ſehr er auch von meiner gantzen Familie beſchimpft iſt.

Er laͤßt mir die Wahl unter dieſen Vorſchlaͤ - gen. Denn, ſagt er, die Zeit ſey zu kurtz, eine eigenhaͤndige Einladung von der Lady Eliſa -F f 2 beth452Die Geſchichte beth Lawrance zu erwarten, wenn er nicht ſelbſt zu der Lady reiſete: allein das moͤchte bey gegenwaͤrtigen mißlichen Umſtaͤnden allzu - gefaͤhrlich ſeyn, da er in der Naͤhe ſeyn und meine Befehle erwarten muß.

Er beſchwoͤrt mich auf das heiligſte, mich an dem beſtimmten Orte einzufinden, wenn ich ihn nicht in die aͤuſſerſte Verzweiffelung ſtuͤr - gen wollte.

An ſtatt aber Herrn Solmes oder meinen Anverwanten auf dieſen Fall zu drohen, ſagt er ſehr ehrerbietig: wenn ich zuruͤck ginge, ſo glaube er zum voraus daß ich Gruͤnde dazu haben wuͤrde, gegen die er nichts einwenden koͤnnte. Jch wuͤrde zum wenigſten mein ihm gegebenes Wort unter keiner andern Bedin - gung zuruͤck nehmen, als daß mir die Meini - gen voͤllige Freyheit lieſſen, meiner Neigung zu folgen: und wenn ich nach meiner Neigung handele, ſo will er ſich damit beruhigen, es mag nun mein Endſchluß ihm angenehm oder betruͤbt ſeyn. Seine gute Auffuͤhrung ſoll kuͤnftig der eintzige Grund ſeiner Hoffnung auf mich ſeyn.

Er verſichert heilig, daß er jetzt und zunaͤchſt keine andere Abſicht hat, als mich aus meiner Gefangenſchaft zu erloͤſen, und mir die Frey - heit zu verſchaffen, daß ich in einer Sache, dar - auf meine gantze zeitliche Gluͤckſeligkeit ankomt, ſelbſt moͤge waͤhlen koͤnnen. Weder die Hoff - nung, kuͤnftig meine Gewogenheit zu erlangen, noch453der Clariſſa. noch ſeine Ehre und die Ehre ſeiner Familie, werden ihm erlauben, eine Bitte gegen mich zu erwaͤhnen, die mit meiner allzuſtrengen Sit - tenlehre oder Lehre von dem Wohlſtand jetzt noch ſtreiten wuͤrde. Um mein Gemuͤth zu be - ruhigen, wuͤnſcht er, daß meine Freunde keine weitere Zwang-Mittel gebrauchen, und hiedurch jener Endzweck erreicht werden moͤchte. Jn - deſſen koͤnnte man ſich doch nicht anders vor - ſtellen, als daß die Auffuͤhrung meiner Ver - wanten gegen mich ihnen bereits den wohl - verdienten Tadel der Welt zugezogen haben muͤſſe: und den Schritt, den ich ſo furchtſam und zitternd thaͤte, wuͤrde jedermann fur die na - tuͤrliche und nothwendige Folge ihres Betra - gens gegen mich anſehen.

Jch halte in der That alles dieſes fuͤr mehr als zu wahr: und ich muß es fuͤr eine kleine Hoͤflichkeit halten, daß Herr Lovelace nicht al - les ſagt, was er bey dieſer Gelegenheit ſagen koͤnte. Denn ich zweiffele faſt nicht mehr dran, daß ich das Geſpraͤch und wohl gar das Spruͤchwort der halben benachbarten Gegend geworden bin. Wenn dem ſo iſt, ſo kan ich faſt nicht mehr be - ſchimpft werden, als ich ſchon durch die unan - ſtaͤndige Auffuͤhrung der Meinigen unverſchul - det beſchimpft bin. Jch mag heyrathen, wen ich will, oder ſonſt anfangen was ich will, ſo werde ich den Fleck nicht wieder abwiſchen koͤn - nen, der mir durch meine Einſperrung und durch die uͤbrige Haͤrte meiner Anverwanten angehaͤn -F f 3get454Die Geſchichteget iſt. Wenigſtens dencke ich ſo, wenn auch andere guͤtiger urtheilen.

Soll ich jemahls mit den vornehmen Freun - den dieſes Herrn verwandt werden, ſo wuͤn - ſche ich nur, daß ſie wegen dieſer Beſchimpfun - gen nicht eine ſchlimme Meinung von mir faſſen moͤgen: und ich werde ihm ſelbſt verbunden ſeyn muͤſſen, wenn er dieſe Beſchimpfungen nicht zu meinem Nachtheil auslegt. Sie ſehen, wie tief mich mein Ungluͤck und die Haͤrte meiner Freunde gedemuͤthiget hat. Vielleicht bin ich vorhin zu hochmuͤthig geweſen.

Herr Lovelace bittet mich zum Beſchluß, ihm eine Zeit zur Unterredung zu beſtimmen, und zwar, wo moͤglich, dieſen Abend. Er meint deſto mehr Recht zu haben, ſich dieſe Ehre auszubitten, weil ich ihm ſchon zweymahl eine unerfuͤllete Hoffnung dazu gemacht habe. Jch mag aber dieſe Bitte eingeſtehen oder nicht, ſo ſoll ich nur einen unter den gethanen Vor - ſchlaͤgen billigen, und meinen Vorſatz, mich auf den Montag zu retten, nicht aͤndern, wenn nicht die Urſache wegfaͤllt, die mich zu dieſem Vorſatz gebracht hat, und ich keine Hoffnung vor mir ſehe, mit meinen Freunden ausgeſoͤhnt zu werden, und meine Freyheit nebſt dem Recht einer uneingeſchraͤnckten eigenen Wahl zu er - halten.

Er wiederhohlt alle ſeine Verheiſſungen und Geluͤbde auf eine ſo nachdruͤckliche und heilige Art, daß ich an ſeiner Aufrichtigkeit nicht zweif -feln455der Clariſſa. feln kan; ſonderlich da ſein eigenes Beſtes, die Ehre ſeiner Familie, und ihre guͤtige Geſinnung gegen mich, mir Buͤrgen ſeiner Aufrichtigkeit zu werden ſcheinen.

Der neun und dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch weiß nicht, ob Sie mich loben oder tadeln werden. Jch habe mein voriges Verſpre - chen durch einen neuen Brief an Herrn Love - lace bekraͤftiget, und ihm von neuen zuge - ſagt, auf den Montag zu der geſetzten Zeit, (wenn ich es anders moͤglich machen koͤnnte) die - ſes Hauß zu verlaſſen. Jch habe keine Abſchrift, diß iſt aber der Jnhalt meines Briefes:

Jch ſaͤhe kein Mittel, den veſtgefaſſeten End - ſchluß der Meinigen zu vernichten, als nur die - ſes eintzige, daß ich mit ſeiner Beyhuͤlffe meines Vaters Hauß verlaſſe.

Jch habe ihm dieſes gar nicht als eine Ge - faͤlligkeit gegen ihn angerechnet. Denn ich mel - de ihm: wenn ich ohne eine Suͤnde zu begehen, bey der ich keine Vergebung zu gewarten haͤtte,F f 4 die456Die Geſchichte die Stunde meines Todes beſchleunigen koͤn - te, ſo wolte ich lieber den Tod waͤhlen, als dieſen Schritt thun, uͤber den mich die gantze Welt verdammen wuͤrde, wenn mich auch mein Hertz loßſpraͤche

Jch ſchreibe ferner: ich wuͤrde weiter keine Kleider mitbringen koͤnnen, als die ich am Leibe haͤtte, und das wuͤrde nur die Kleidung ſeyn, die ich ordentlich im Hauſe zu tragen pflegte: damit ich keinen Verdacht erwecken moͤchte. Jch befuͤrchtete, daß mir die Beſitznehmung meines Gutes abgeſchlagen werden moͤchte; ich ſey aber veſt entſchloſſen, meinen Willen nie zu einem Proceß mit meinem Vater zu geben, wenn ich auch daruͤber in die bitterſte Armuth gerathen ſolte. Wer mich demnach in Schutz naͤhme, muͤßte es blos aus Mitleiden thun. Allein, ich ſey auch zu hochmuͤthig, auf das Heyrathen zu gedencken, wenn ich nicht der an - dern Parthey an Vermoͤgen gleich waͤre, und wenigſtens ſo viel haͤtte, daß ich niemanden verbunden zu ſeyn, noͤthig haͤtte. Er wuͤrde alſo durch dieſe meine Flucht nichts erhalten, das er nicht vorhin gehabt haͤtte. Jch behielte mir auf alle Faͤlle und bey jedem Verlauf der Sache die Freyheit vor, Ja / oder Nein! zu ihm zu ſagen, ſo wie es ſeine Auffuͤhrung verdie - nen wuͤrde.

Mir ſchiene es uͤbrigens am zutraͤglichſten zu ſeyn, daß ich ein eigenes Haus nicht weit von ſeiner Baſe der Lady Lawrance miethete, und457der Clariſſa. und nicht in ihr eigenes Haus einkehrte, da - mit die Leute nicht ſagen moͤchten, daß ich meine Zuflucht zu ſeinen Anverwanten naͤhme, als wodurch die Ausſoͤhnung mit den Meinigen ohnmoͤglich werden wuͤrde. Jch wolte als - denn meine treue Hannichin wieder bey mir haben. Niemand ſolte meinen Aufenthalt wiſſen, als die Fraͤulein Howe. Er ſolte mich ſo gleich verlaſſen, und nach London oder nach einem der Guͤter ſeines Onckles reiſen, und (wie er verſprochen) ſich von dem Ort ent - fernet halten, an dem ich waͤre, bis ich ihm erlaubte, mich zu beſuchen. Er muͤſſe unterdeſ - ſen mit einem Briefwechſel zufrieden ſeyn: die - ſer ſolte ihm frey ſtehen.

Sobald ich in Gefahr waͤre, entdeckt und mit Gewalt zuruͤck gebracht zu werden, wolte ich mich in den Schutz einer von ſeinen beyden Baſen begeben, wenn ſie mich aufnehmen wol - ten. Jch wuͤrde aber dieſes nicht thun, wenn mich nicht die aͤuſſerſte Noth druͤnge. Denn es wuͤrde mir mehr Ehre bringen, wenn ich an einem Orte den niemand wuͤßte, durch die drit - te oder vierte Hand mich mit den Meinigen auszuſoͤhnen ſuchte.

Dabey muͤſte ich ihm ohne Umſchweif zum voraus ſagen: wenn mir die Meinigen die Bedingung vorlegten, daß ich ihm auf ewig entſagen ſolte, ſo wuͤrde ich dieſe Bedin - gung eingehen, wenn ſie mir nur hinwiederum erlaubten, alle andere Partheyen auszuſchla -F f 5 gen,458Die Geſchichte gen, ſo lange er am Leben oder unverheyrathet waͤre. Dieſe Gefaͤlligkeit wolte ich ihm er - zeigen, um die Muͤhe und den Verdruß zu belohnen, ſo er um meinet willen uͤbernom - men und gedultig ertragen hat: ob ich gleich der Meinung waͤre, daß er viele Beſchim - pfungen blos ſeiner Sorgloſigkeit fuͤr ſeinen guten Nahmen zu dancken habe.

Vielleicht moͤchte ich in meiner Einoͤde an den Obriſten Morden ſchreiben, und ſuchen, ihn auf meine Seite zu bringen.

Jch beruͤhre hierauf kuͤrtzlich ſeine uͤbrigen Vorſchlaͤge.

(Die Tyranney der Meinigen, und mein Vor - ſatz dieſer Tyranney zu entfliehen, zwinget mich, ihm viel fruͤher als ich ſonſt Luſt haͤtte, von mei - nen Anſchlaͤgen Rede und Antwort zu geben.)

Jch melde ihm alſo: ich ich haͤtte keine Hof - nung, daß ihre Frau Mutter ſich meinetwe - gen Verdruß machen wuͤrde. Was den Vor - ſchlag nach London zu reiſen anbelangte, ſo kennete ich dort niemand, und ich haͤtte ſo viel boͤſes von dieſer Stadt gehoͤret, daß ich mich nicht entſchlieſſen koͤnnte, dahin zu fliehen: es muͤßte denn ſeyn, daß die Ladys / mit denen er verwandt waͤre, mir kuͤnfftig erlaubten, ſie nach London zu begleiten.

Die Zuſammenkunft um die er bittet, halte ich nicht fuͤr rathſam, da ich ihn ohnehin ſo bald ſehen werde. Solte ich aber Urſache fin - den, meinen Vorſatz zu aͤndern, ſo wuͤrde ich ver -459der Clariſſa. vermuthlich die erſte die beſte Gelegenheit ſeyn laſſen, ihn zu ſprechen, und ihm muͤndlich die Urſachen dieſer Aenderung zu melden.

Jch hatte deſtoweniger Bedencklichkeit, dieſes zu ſchreiben, weil ich ihn gern zum voraus auf alle Faͤlle gefaßt machen wolte, wenn ich etwan mein Wort zuruͤck nehmen muͤßte. Jch habe auch gegen ſeine Auffuͤhrung nichts einzuwenden, als er mich vor einiger Zeit in dem abgelegenen Holtzſtall unvermuthet beſuchte.

Zuletzt empfehle ich mich ihm auf ſeine Ehre, als eine ungluͤckliche Perſon, und zwar blos in Abſicht auf mein Ungluͤck, und bitte mir den Schutz ſeiner Baſe aus. Jch bezeuge ihm noch - mahls (gewiß recht von Hertzen) meine innig - ſte Betruͤbniß, daß ich gezwungen bin, einen ſo unangenehmen Schritt zu thun, der meiner Ehre ſo nachtheilig iſt. Jch melde ihm, ich wolte es ſuchen in die Wege zu richten, daß ich in dem mit Epheu uͤberwachſenen Sommer - Hauſe*Dieſes Sommer Haus (oder wie man es auch bis - weilen nannte) die Epheu Laube, war ein Ort, an dem ſich Clariſſa von der erſten Kindheit an ſehr gern aufzuhalten pflegte. Des Sommers ar - beitete, naͤhete, laß, ſchried oder zeichnete ſie oft darin: und wenn es ihr erlaubt ward, fruͤhſtuͤckete ſie hier, oder nahm bisweilen die Mittags-Mahl - zeit, ſelten die Abendmahlzeit daſelbſt ein: ſonder - lich wenn die Fraͤulein Howe ſie beſuchte, die auch viel Vergnuͤgen an dieſem Hauſe fand. Jn einemBrief - ſpeiſen duͤrfte, und ich wolte der Eli - ſabeth460Die Geſchichte ſabeth ſchon etwas zu thun machen, um ſie mir vom Halſe zu ſchaffen. Jch glaubte um vier Uhr wuͤrde die bequemſte Zeit ſeyn, mir das erſte Zeichen zu geben, daß er in der Naͤhe waͤre, und ich wolte alsdenn die Gartenthuͤr aufriegeln.

Jch habe ihm auch in einem P. S. geſchrieben: da die Meinigen von Tage zu Tage argwoͤh - niſcher auf mich wuͤrden, ſo moͤchte es gut ſeyn, daß er zwiſchen hier und Montags um eilf Uhr ſo oft als moͤglich an den Ort kaͤme oder ſchickte, wo ich die Briefe fuͤr ihn hinzu - legen pflege: denn es koͤnnte ſich leicht etwas zutragen, dadurch ich gezwungen wuͤrde, mei - nen Vorſatz zu aͤndern.

Meine allerliebſte Fraͤulein Howe, was iſt das fuͤr eine betruͤbte Nothwendigkeit, auf ſolche Zubereitungen, und Erfindungen zu dencken? Allein es iſt nun zu ſpaͤt. Zu ſpaͤth! ſage ich? Was fuͤr ein Wort iſt das! Wie fuͤrchterlich, wenn es nun zu ſpaͤt waͤre, mich meine Anſchlaͤge gereuen zu laſſen, und dem be - vorſtehenden Ungluͤck zu entgehen.

Sonnabends um zehen Uhr.

Herr Solmes iſt hier, und ſoll dieſen Mit - tag bey ſeinen neuen Anverwanten ſpeiſen; wieer*Brieffe beſchreibt ſie es alſo: es hat die Ausſicht nach einer Landſchafft, darin Waldung / Waſſer, und Huͤgel eine angenehme Abwechſelung ma - chen, die mir ſo wohl gefiel / daß ich ſie abzeich - nete. Das Stuͤck haͤnget mit einigen andern Zeichnungen von meiner Hand in meinem Saal. 461der Clariſſa. er ſie nach der Erzaͤhlung der Eliſabeth ſchon nennet.

Er wollte mir noch einmahl in den Weg kom - men, allein ich eilte nach meinem Gefaͤngniß hin - auf, um ihm aus dem Wege zu gehen. Denn ich kam eben aus dem Garten zuruͤck.

Eine Neugierigkeit plagte mich, als ich in dem Garten war, nachzuſehen, ob mein Brief abge - hohlt waͤre. Jch kan nicht ſagen, daß ich es in der Abſicht that, ihn zuruͤck zu nehmen, wenn ich ihn noch finden wuͤrde, denn ich ſehe nicht was ich darin aͤndern koͤnnte. Allein was fuͤr ein Eigenſinn! Als ich ihn nicht mehr fand, ſo wuͤnſchte ich eben ſo, wie geſtern Morgen, daß er noch nicht abgeholt ſeyn moͤchte. Jch kan keine andere Urſache dieſes Wunſches angeben, als daß ich ihn nicht mehr in meiner Macht hatte.

Eine ungemeine groſſe Sorgfalt und Wach - ſamkeit von Herrn Lavelacen! Er ſagt, er wohnte faſt unter unſerer Gartenmauer: und ich muß es ſelbſt glauben.

Sie werden ſehen, daß er in ſeinem Brieffe einer vierfachen Verkleidung Erwoͤhnung thut, in der er taͤglich erſcheinet. Es iſt dem ohnge - achtet zu verwundern, daß ihn keiner von un - ſern Verwaltern entdecket hat: denn er ſieht gar zu wohl aus, als daß ihn eine Verkleidung ver - ſtellen oder unkenntlich machen ſollte. Allein das hilfft ihm, daß alle da herum liegende Ae - cker unſer eigen ſind, und um die Gegend desGar -462Die GeſchichteGartens durch den Wald und Thier-Garten kein ordentlicher Fußſteig gehet: daher nichts abgelegeners und einſamers gedacht werden kan, als dieſe Gegend iſt.

Vielleicht iſt man deswegen auch ſorgloſer, wenn ich in den Garten oder nach meinem Huͤner-Hofe gehe, weil man ſich auf die uͤbele Beſchreibung allzu viel verlaͤßt, dadurch man Herrn Lovelace bey mir ſchwartz zu machen geſucht hat. Meine Frau Baſe ließ ſich etwas hievon mercken. Sie glauben, und ſie glauben mit Recht, daß ich deswegen behutſamer ſeyn, und mich nicht ſo leicht mit ihm einlaſſen wer - de. Meine Sorgfalt fuͤr meine Ehre macht ſie gleichfals ſicher. Wenn dieſes nicht waͤre, ſo wuͤrden ſie nicht ſo mit mir umgegangen ſeyn, als geſchehen iſt, und mir doch die Gelegenheit gelaſſen haben, zu entkommen, die ich ſchon ſo oft gehabt habe, wenn ich mich ihrer haͤtte bedienen wollen. *Dieſes konnte eine Nebenurſache ſeyn; am meiſten aber verlieſſen ſie ſich auf die Wachſamkeit ihres Joſeph Lehmans / ohne zu wiſſen, daß Lovelace dieſen als ein Werckzeug gebrauche.Sie haͤtten auch Urſache ſich hierin auf mich zu verlaſſen, wenn ſie mich etwas weniger aufs aͤuſſerſte getrieben haͤtten.

Vielleicht dencken ſie auch gar nicht an die Hinterthuͤr, weil ſie nur ſelten eroͤffnet wird, und auf einen einoͤden und unwegſamen Grund und Boden fuͤhrt. **Sie beſchreibt dieſe Gegend in einem andernBrief -Auſſer dieſer Thuͤr hat einer,der463der Clariſſa. der davon gehen will, keinen andern Weg, als den ſumpfigten Fußſteig, auf dem Jhr Bedien - ter den abgelegenen Holtzſtall zu erreichen pflegt. Allein dieſer iſt voller Quellen, und man muß vorher an der ziemlich hohen Mauer des Huͤner - Hofes herab klettern. Zu der Vorder-Thuͤr hinaus zu fluͤchten iſt nicht wohl moͤglich: denn Sie wiſſen, daß man erſt durch das gantze Haus vor den Saͤlen und vor den Zimmern der Bedien - ten vorbey gehen muß; hernachmahls uͤber den breiten Hof: und denn muß man noch, wenn man durch das eiſerne Thor will eine halbe Viertheilſtunde in dem Thier-Garten unbedeckt gehen, denn die junge Baum-Schule iſt noch nicht im Stande, einen zu bedecken.

Das vorhin erwaͤhnte Sommer-Haus iſt zumei -**Brieffe alſo: man ſieht noch die Ueberbleibſel und das alte Mauerwerck einer zerſtoͤrten Ca - pelle / die jetzt mitten im Gebuͤſche liegt. Hin und wieder ſteht eine uhralte Eiche / mit Epheu umgeben / dadurch dieſer Ort gleichſam gehei - liget wird. Vor mehreren Jahren hat ſich je - mand hier erhenckt / daher haben wir Kinder und die Dienſtmaͤgde uns immer gefuͤrcht / und die Gegend fuͤr eine Wohnung von Eulen / Ra - ben und andern ungluͤcklichen Voͤgeln / ja wohl gar von Geſpenſtern gehalten. So geht es dem unwiſſenden Volcke auf dem Lande: und die Vorſtellungen / die uns in der leichtglaͤubigen Kindheit beygebracht werden / wachſen mit uns auf / und machen noch einen Eindruck bey uns / wenn wir aufgehoͤrt haben / leichtglaͤubig zu ſeyn. 464Die Geſchichtemeinen unangenehmen Zweck das bequemſte, weil es nicht weit von der Hinter-Thuͤr und doch nicht in eben dem Gange des Gartens liegt. Auſſer den Sommer-Monathen kommt nicht leicht jemand dahin, weil es kuͤhle iſt. Als mich die Meinigen noch lieb hatten, war dieſes oft ein Einwurf, deswegen ſie es nicht gern ſa - hen, wenn ich mich lange daſelbſt aufhielt: min aber fragt man nichts mehr nach mir.

Nun will ich dieſe Zeilen hinlegen. Laſſen Sie mich Jhrer Fuͤrbitte genieſſen, und billigen oder tadeln ſie mein Unternehmen, ſo wie Sie meinen, daß ich es verdiene: denn es iſt noch nicht zu ſpaͤte, mein Verſprechen zu widerrufen. Jch bin

Jhre treue und ergebenſte Cl. Harlowe.

Warum wollen Sie Jhren Bedienten ſtets mit leerer Hand zu mir ſchicken?

Der465der Clariſſa.

Der viertzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Aus der letzten Ueberſchrift Jhres heutigen Briefes, (um zehn Uhr) ſehe ich, daß Sie ihn kaum hingelegt haben muͤſſen, als ihn Robert abhohlte. Er jagte ſtarck zu, und gab ihn mir gleich als wir von Tiſche aufſtanden.

Sie warffen es mir in Jhren jetzigen Umſtaͤn - den mit Recht vor, daß ich meinen Bedienten mit leerer Hand ſchicke: und doch ſind dieſe Jh - re mißlichen und verworrenen Umſtaͤnde mir ei - ne Urſache meines Unterlaſſungs-Suͤnde; denn ich weiß nicht, was ich Jhnen ſchreiben ſoll.

Jch habe mich in der Stille bemuͤhet, eine bequeme Gelegenheit fuͤr Sie ausfindig zu ma - chen, in der Sie von Harloweburg fluͤchten koͤnnten, doch ohne daß ich mit dabey zu ſeyn gedencke: denn ich weiß, daß die Dienſte nur halb angenehm zu ſeyn pflegen, dabey man des andern Befehl in der Art und Weiſe ſie zu erzei - gen uͤbertrit. Ueberdem iſt meine Mutter jetzt ſehr unruhig und argwoͤhniſch, und wird es taͤg - lich mehr, weil ihr Onckle Anton ihr bey ſei - nem haͤuffigen Beſuch immer ſaget, daß die gan - tze Sache nun bald ein gluͤckliches Ende neh -Zweyter Theil. G gmen466Die Geſchichtemen wuͤrde: er hoffete aber, daß ihre Tochter ſich nicht darein mengen, und ſeine Baſe nicht im Ungehorſam beſtaͤrcken wuͤrde. Jch erfuhr dieſes auf eine ſolche Weiſe, daß ich mir nichts davon darf mercken laſſen, wenn es nicht beyde Theile zu ihrem ſchlechten Vergnuͤgen hoͤren ſol - len: ich habe ohnehin faſt alle Stunden einen Zanck mit meiner Mutter.

Jch fand es ſchwerer, als ich dachte, einen Wagen fuͤr Sie zu beſorgen, ohne daß ich Sie begleitete, weil die Zeit ſo kurtz war, und al - les geheim gehalten werden mußte. Wenn Sie nicht ſchlechterdings haben wollten, daß ich ſu - chen ſoll es mit meiner Mutter nicht gantz zu verderben, ſo ſollte es mir leichter geweſen ſeyn. Jch haͤtte unſere eigene Kutſche unter allerhand Vorwand nehmen und ein paar Pferde mehr da - vor legen laſſen koͤnnen, wenn ich Luſt gehabt haͤtte. Von London haͤtte ich ſie koͤnnen zu - ruͤck ſchicken, ohne daß jemand gewußt haͤtte, in welchem Hauſe wir wohneten.

Jch wuͤnſchte, daß Sie mir dieſes erlaubt haͤtten. Jch glaube, daß Sie bey ihren jetzigen Umſtaͤnden zu genau in Beobachtung einiger Kleinigkeiten ſind. Koͤnnen Sie dencken ruhig und ſtille zu bleiben, wenn ein Sturm-Wind Jhnen das Haus uͤber dem Kopfe umwehen will?

Es waͤre eine gantz andere Sache, wenn Sie ſelbſt an Jhrem Ungluͤck Schuld waͤren. Allein da alle Welt das Gegentheil weiß, ſo gewinnenhie -467der Clariſſa. hiedurch Jhre ſonſt uͤbereilt ſcheinenden End - ſchlieſſungen ein anderes Anſehen.

Wie koͤnnen Sie mich gluͤcklich preiſen, da meine Mutter nach Vermoͤgen eben ſo viel An - theil an der gottloſen Unterdruͤckung meiner be - ſten Freundin hat, als Jhre Frau Baſe oder ſonſt jemand? und dieſes auf Anſtiften Jhres verkehrten albernen Onckels, der, (ſo ein ver - drießlicher Mann er auch iſt) ſie doch zu End - ſchlieſſungen bringt und dabey erhaͤlt, die nicht werth ſind ihr jemahls in den Sinn zu kommen? Giebt mir das nicht Urſache genug, gegen mei - ne Mutter empfindlich zu ſeyn? Wurde ich mich nicht damit entſchuldigen koͤnnen, wenn ich Sie wider ihren Willen begleitete, da unſere Freund - ſchaft niemanden unbekannt iſt?

Gewiß, mein Schatz, Sie ſind bey einer ſo wichtigen Sache in Kleinigkeiten zu puͤnctlich. Jch muß es widerhohlen. Glaubt man nicht ſchon jetzt, daß ich die Urſache Jhrer Stand - haftigkeit oder Jhres Ungehorſams bin? Jſt Jhnen nicht um dieſer Urſache willen verboten worden, Brieffe mit mir zu wechſeln? Brauche ich mich darum zu bekuͤmmern, was Jhre An - verwanten von mir dencken, wenn ich es nicht aus Liebe zu Jhnen thue?

Was fuͤr uͤble Nachrede kan dadurch gegen mich entſtehen, wenn ich mit Jhnen reiſe? WasG g 2fuͤr468Die Geſchichtefuͤr Ungluͤck? Wird mich etwan Hickmann alsdenn nicht haben wollen? Und wuͤrde ich mich daruͤber betruͤben, wenn ich ihn verloͤre? Wer kan eine Seele haben, und doch bey ei - ner ſolchen Probe der Freundſchaft unempfind - lich bleiben?

Sollte ich aber meine Mutter betruͤben! das iſt noch ein wichtiger Einwurf. Jch geden - cke ſie aber auch nicht mehr zu betruͤben, als ſie mich betruͤbet, da ſie ſich nach dem verdrieß - lichen wunderlichen Kopfe richtet, der ſich alle Tage zum Schaden meiner beſten Freundin in unſerm Hauſe umſiehet. Wehe ihnen beyden! wenn ſie eine gewiſſe zwiefache Abſicht dabey ha - ben. Schelten Sie mich nur wegen des Wor - tes, ich werde nichts darnach fragen.

Jch bleibe dabey, daß dieſe Probe der Freund - ſchaft Jhre Freundin adeln wuͤrde; und wenn Sie es mir noch erlauben, ſo will ich das an Lovelacens Stelle thun, was er Jhnen ver - ſprochen hatte, und Sie mit einer Kutſche oder Chaiſe morgen Abend oder uͤbermorgen noch vor der Zeit abhohlen, die Sie ihm beſtimmet ha - ben. Wenn wir ſo gluͤcklich davon kommen, als ich wuͤnſche, ſo wollen wir ihm und allen andern Bedingungen vorſchreiben, wie wir ſie ſelbſt wuͤnſchen. Meine Mutter wird gewiß ihre Tochter mit Freuden wieder annehmen, und Hickmann ſoll ein Feſt halten und vor Freudeſchrey -469der Clariſſa. ſchreyen, ſo bald er mich wieder ſiehet, oder ich will ihn vor Betruͤbniß ſchreyend machen.

Allein Sie ſind gar zu ſehr im Ernſt unge - halten, daß ich dieſen Vorſchlag gethan habe, und Sie haben immer ſo viel Gruͤnde in Be - reitſchaft, daß ich mich nicht unterſtehe, weiter in Sie zu dringen. Jch bitte Sie nur, daß Sie mir durch einen eintzigen Winck einen neuen Muth machen wollen, meinen Vorſchlag noch einmahl auf die Bahn zu bringen, wenn Sie bey weiterer Ueberlegung Jhre allzuzaͤrtliche Sorgfalt fuͤr meine Ehre uͤberwinden koͤnnen. Sie muͤſſen aber die Frage alſo ſetzen: obes beſſer ſey mit mir, oder mit Herrn Lovelace zu fluͤchten? Es iſt ja keine Sache, die uͤble Nachrede erwecken kan, wenn ein Frauenzim - mer mit dem andern reiſet, und zwar nur in der Abſicht, die Geſellſchaft einer Manns-Per - ſon zu vermeiden. Ueberlegen Sie dieſes doch und geben Sie mir ihre Einwilliguug, wenn Sie Jhre Zweiffel, die Jhnen Jhre fuͤr meinen guten Nahmen beſorgte Liebe eingiebt, uͤberwin - den koͤnnen. So viel hievon! Jch komme nun auf einige Stellen in Jhrem Brieffe.

Jch hoffe auf eine Zeit, da ich Jhre ruͤhren - den Erzaͤhlungen ohne die Ungeduld und Bitter - keit werde leſen koͤnnen, mit der jetzt mein Hertz uͤberkochet, und davon auch die Feder gefaͤrbt werden wuͤrde, wenn ich auf die beſondern Um -G g 3ſtaͤnde470Die Geſchichteſtaͤnde kommen ſollte, die Sie berichten. Jch fuͤrchte mich uͤberall, Jhnen einen Rath zu ge - ben, oder nur zu melden, was ich in Jhren Um - ſtaͤnden thun wollte; wenn Sie fortfahren, mein voriges Anerbieten auszuſchlagen. Denn wenn ich bedencke, wie weit Sie ohne meinen Rath gekommen, oder vielmehr getrieben ſind, ſo fuͤrch - te ich, daß mein Rath ungluͤckliche Folgen haben koͤnnte, die ich mir ſelbſt Zeit Lebens nicht ver - geben wuͤrde. Dieſe Furcht macht eben, daß ich zu einer Zeit, da es biegen oder brechen muß, ungern an Sie ſchreibe, nachdem Sie den eintzi - gen Weg nicht gehen wollen, der mir ſicher zu ſeyn ſcheinet. Doch ich vergeſſe, daß ich ver - ſprochen habe, nichts weiter hievon zu ſchreiben. Nur noch ein Wort! Schelten Sie mich dafuͤr, wenn Sie wollen. Wenn Sie in Ungluͤck ge - rathen, ſo werde ich meiner Mutter die Schuld geben, ſo lange ſie lebt; und vielleicht Jhnen ſelbſt, weil Sie mein Anerbieten nicht annehmen wollen.

Einen Rath muß ich Jhnen geben, der auf Jhre jetzigen Umſtaͤnde und Vorſatz gerichtet iſt. Wenn Sie mit Herr Lovelacen entfliehen, ſo vergoͤnnen Sie ihm bey der erſten guten Gele - genheit, daß er Sie ſich darf antrauen laſſen. Warum wollen Sie das nicht thun, da doch jedermann wiſſen wird, durch weſſen Huͤlffe und in weſſen Geſelſchaft Sie Jhres Vaters Haus verlaſſen? Sie koͤnnen ihm freylich noch etwas

frem -[471]
〈…〉〈…〉
[472]
〈…〉〈…〉
473der Clariſſa.

Meine Liebe zu Jhnen, meiner beſten Freun - din, kan das kaum verſchmertzen, was Sie zur Entſchuldigung meiner Mutter ſagen, daß man mit niemand zuͤrnen ſoll, weil er etwas unterlaͤßt, welches er Recht hat nach eigenem Gutbefinden zu thun oder zu unterlaſſen. Wenn man von wahren Freunden redet, ſo laͤßt ſich vieles gegen dieſen Satz einwenden. Er moͤchte denn gelten, wenn aus der gebetenen Sache ſchlimme Folgen von groͤſſerer oder eben ſo groſſer Wichtigkeit fuͤr uns ſelbſt zu beſorgen ſind, als der Dienſt iſt, den wir leiſten ſollen, und wenn wir nach dem Spruͤchwort einem Freunde den Dorn aus dem Fuß ziehen und ihn uns in den Fuß ſtecken ſolten. Es wuͤrd eigennuͤtzig und unartig ſeyn, einen Freund um eine Gefaͤlligkeit anzuſprechen, die ihm eben ſo viel Ungelegenheit machte, als wir Erleichterung dadurch erlangen: und der bittende Theil wuͤrde durch ſeine unartige Bitte den gebetenen Freund thaͤtlich erinnern, daß er ihm die Bitte abſchlagen, und eine ſo eigennuͤ - tzige Freundſchaft verachten und aufheben ſolte, eine Freundſchaft, die ohnehin auf der einen Sei - te nur in Worten und Schein beſtanden haͤtte. Allein, wer durch ein kleines Uebel ein viel groͤſ - ſeres Uebel ſeines Freundes abkauffen kan, und es nicht thun will, der wird in der That des Nahmens eines Freundes unwuͤrdig: und dem wollte ich keinen Platz in meinem Hertzen goͤn - nen, ſolte es auch nur in dem aͤuſſerſten Haͤut - chen ſeyn.

G g 5Jch474Die Geſchichte

Jch weiß wohl, daß Sie mit mir einerley Begrif von der Freundſchaft haben: denn Sie haben mich bey einer gewiſſen Gelegenheit geleh - ret, dieſen Unterſcheid zu machen, und ſie muͤſ - ſen ſich noch nothwendig erinnern, daß Sie mich damahls von vieler Ungelegenheit befreyeten, die ich mir ſonſt gemacht haben wuͤrde. Allein Sie ſuchen immer andere Leute in ſolchen[Faͤllen] zu entſchuldigen, in denen Sie ſich doch[ſelbſten] verdammen wuͤrden.

Gewiß wenn eine andere als Sie die Lieblo - ſigkeit eines Freundes in einem ſolchen Falle ent - ſchuldigte, da dem einen Theil ein ſo groſſer Dienſt durch den vergoͤnneten Schutz mit ſo we - niger Ungelegenheit des andern Theils erzeigt werden koͤnnte: ſo wuͤrde ich nach meiner Art (denn ſie ſagen doch ſelbſt, daß ich ſtets die Urſachen aufſuche) den Argwohn ſchoͤpfen, daß ſich in dem Hertzen der allzuguͤtigen Entſchuldi - gerin eine geheime Neigung finde, die ſie nicht gern geſtehen wolle; die aber verurſache, daß ihr das weniger wichtig vorkomme, was doch ſehr wichtig iſt.

Sie werden mich wohl verſtehen, mein Kind: wenn Sie mich aber nicht verſtehen, ſo iſt es fuͤr mich deſto beſſer. Denn ich fuͤrchte daß mir mein aufgeſtiegener Gedancke, oder mein duncke - ler und zweydeutiger Winck, abermahls den Ver - weiß von Jhnen zuziehen wird, den Sie mirbey475der Clariſſa. bey einer andern Gelegenheit gaben, weil ich es nicht unterlaſſen konnte / meinen Witz zu zeigen / wenn auch gleich Zaͤrtlichkeit / Freundſchaft und Liebe dadurch verletzt werden ſolten.

Was hilft es, daß man ſeine Fehler erkennet, und ſich doch nicht beſſert? werden Sie ſagen. Es iſt wahr. Sie wiſſen aber, daß ich immer ein ſonderbares Geſchoͤpf geweſen bin, und im - mer noͤthig gehabt habe, daß mir andere viel zu gute hielten. Jch weiß auch, daß ich dieſe Guͤ - tigkeit von meiner Clariſſa Harlowe ſtets ge - noſſen habe: ich getroͤſte mich jetzt noch eben der - ſelben, da Sie zum wenigſten verſichert ſind, daß ich Sie liebe, und Sie (wo es moͤglich iſt), mehr liebe als mich ſelbſt. Glauben Sie mir dieſes zu, und machen Sie daraus einen Schluß, wie ſehr mich Jhre ungluͤcklichen Umſtaͤnde ruͤhren muͤſſen. Es iſt eine Folge hievon, daß ich ſelbſt die philoſophiſche Gleichguͤltigkeit nicht ungeta - delt laſſen kan, die Sie in Jhrer eigenen Sa - che beweiſen, und doch nicht beweiſen wuͤrden, wenn es eines andern Sache waͤre. Selbſt dieſe vortrefliche Eigenſchaft, die jedermann be - wundert, erweckt aus Liebe zu Jhnen meinen Unwillen.

Es wird von nun an mein ſtuͤndliches Ge - bet ſeyn, daß Sie aus dieſen ungluͤcklichen Um - ſtaͤnden errettet werden moͤgen, ohne Jhren gutenNah -476Die GeſchichteNahmen zu beflecken, der bisher noch eben ſo rein als Jhr Hertz geweſen iſt. Mit dieſem hundert - mahl wiederhohlten Gebet ſchlieſſet,

Jhre ewig ergebene Anna Howe.

Jch habe ſehr geeilt, meinen Brief zu ſchrei - ben, und Robert ſoll eben ſo ſehr eilen ihn zu beſtellen, damit Sie bey einem ſo nahen Aus - gange noch alle moͤgliche Zeit haben moͤgen, alles wohl zu uͤberlegen, was ich von zwey wichtigen Fragen geſchrieben habe. Jch will ſie nochmahls in wenig Worten wiederhohlen:

Wollen Sie lieber mit einer Jhres eige - nen Geſchlechts mit Jhrer Anna Ho - we fluͤchten? oder mit einem von dem andern Geſchlecht / mit Lovelace? Wollen Sie ſich ihm antrauen laſſen / ſo bald es moͤglich ſeyn wird?

Der477der Clariſſa.

Der ein und viertzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

(Vor Empfang des vorigen geſchrieben.)

Sonnabend Nachmittags.

Jch habe ſchon eine entzuͤckte Antwort auf meinen Brief an Lovelacen.

Er verſpricht, daß er ſich in allen Stuͤcken nach meinem Willen richten will: alle meine Vorſchlaͤge gefallen ihm, ſonderlich der daß ich ein Haus fuͤr mich nehmen will. Er haͤlt die - ſes fuͤr ein gutes Mittel dem Tadel unbedaͤcht - licher Leute, die ſich ſehr um anderer Handlun - gen bekuͤmmern zu entgehen. Er glaubt aber doch, daß es mir niemand verdencken koͤnnte, wenn ich bey einer ſolchen Haͤrte der Meinigen mich ſogleich in den Schutz ſeiner Baſe begaͤbe. Allein er ſagt, alles was ich befehle oder beſchlieſ - ſe muͤſſe recht und untadelich ſeyn, und ſo we - nig kuͤnftig als jetzt meiner Ehre zum Anſtoß gereichen. Er ſelbſt wird ſich ſo auffuͤhren, daß ich ihm werde erlauben koͤnnen, naͤchſt mir die meiſte Sorge vor meine jetzige und kuͤnfti - ge Ehre zu tragen. Er wolle mir jetzt nur verſichern, daß ſeine gantze Familie ſehr begie - rig ſey, meine Truͤbſaal als eine Gelegenheitzu478Die Geſchichte zu gebrauchen, ſich um mich verdient und bey mir beliebt zu machen. Was ſie mir fuͤr Dien - ſte erweiſen koͤnnten, das wuͤrden ſie mit Freu - den thun, und ſie wuͤrden ſich gluͤcklich ſchaͤtzen, wenn ſie zu meiner jetzigen Befreyung und kuͤnftigen Gluͤck etwas beytragen koͤnnten.

Dieſen Nachmittag will er an ſeinen Onck - le und an deſſen beyde Schweſtern ſchreiben, und ihnen melden, daß er nun Hoffnung habe der gluͤcklichſte Menſch auf Erden zu werden, wenn er ſein Gluͤck nicht ſelbſt ſtoͤrete: denn das eintzige Frauenzimmer unter der Sonnen, das ihn gluͤcklich machen koͤnne, wuͤrde bald auſſer Gefahr ſeyn, von einem andern Man - ne beherrſchet zu werden; und dieſe angeneh - me Perſon wuͤrde ſchwerlich einige Bedingun - gen von ihm fodern koͤnnen, welche einzuge - hen er nicht fuͤr ſeine Schuldigkeit halten wuͤrde.

Er ſchmeichelt ſich nur, da ich meinen ge - faſſeten Vorſatz nochmahls bekraͤfftiget habe, daß er keine Aenderung dieſes Vorſatzes von mir zu befuͤrchten habe, wenn meine Freunde ſich nicht aͤnderten: und daß ſie das nicht thun wuͤrden, wiſſe er mehr als allzu gewiß. Alle ſeine Verwanten, die an allem was ihn be - traͤffe auf eine ſo guͤtige Weiſe Antheil neh - men, wuͤrden nun recht ſtoltz deswegen ſeyn, daß ſich ſeine Sachen ſo gluͤcklich anlieſſen.

(So479der Clariſſa.

(So kuͤnſtlich ſucht er mich zu feſſeln, daß ich mein Wort nicht zuruͤck nehmen ſoll.)

Was das Vermoͤgen anbetriſſt, ſo will er, daß ich deshalb gantz unbeſorgt ſeyn ſoll. Wir beyde koͤnnen von ſeinem Gute leben, das des Jahrs nicht dem Nahmen nach, ſondern in der That 2000. Pfund einbringt, und ſo gut iſt, als manches andere, welches man um ein Drittheil hoͤher ſchaͤtzt. Sein Gut ſey niemahls zur Hy - potheck verſchrieben worden: er ſey jetzt nie - mand etwas ſchuldig, kein Kauffmann habe ihn in ſeinem Buche, und er habe auch nieman - den eine Handſchrifft ausgeſtellet. Vielleicht habe ſein Hochmuth mehr Antheil hieran, als ſeine Tugend. Sein Onckle will ihm ein jaͤhr - liches Einkommen von tauſend Pfund uͤber - machen, ſo bald er ſich verheyrathen wird; und zwar (wenn er ſo ſchreiben ſoll, daß er der Ehre S. Gnaden nicht zu nahe tritt) mehr aus Trieb eines gerechten als eines edlen Hertzens. Denn tauſend Pfund betruͤgen ge - rade die Einkuͤnffte eines Gutes, das ſein Onck - le beſitzet, und davon Lovelaces Mutter ein naͤheres Recht gehabt haben moͤchte. Seine Gnaden haͤtten auch den Vorſchlag, eines von ihren Guͤtern in der Graffſchafft Hertford oder Lancaſter / das er oder ſeine Frau waͤh - len wuͤrde, ihm zu uͤbertragen, ſonderlich wenn ich die Perſon waͤre, die ihn gluͤcklich machte. Es ſoll auf meinen Winck ankommen, das al - les480Die Geſchichte les dieſes geſchehe, und eine erwuͤnſchte Ehe - ſtifftung aufgeſetzt werde, ehe ich mich weiter mit ihm einlaſſe.

Jn Abſicht auf die Kleidung ſoll ich gantz auſſer Sorgen ſeyn. Was keinen Aufſchub leidet, darin werden mir ſeiner Mutter Schwe - ſtern oder die Fraͤuleins Montague mit Freu - den dienen: fuͤr das uͤbrige aber ſorgen zu duͤr - fen, wird ihm die groͤſſeſte Ehre ſeyn, wenn ich es ihm erlanben will.

Jch ſoll in allem dem, was ein Mittel ſei - ner Ausſoͤhnung mit den Meinigen ſeyn koͤnn - te, voͤllig uͤber ihn zu befehlen haben: weil er weiß, daß mir dieſes ſehr am Hertzen lieget.

Er befuͤrchtet, daß bey ſo kurtz angeſetzter Zeit die Fraͤulein Charlotte Montague mir ſchwerlich zu S. Albans werde Geſellſchafft leiſten koͤnnen, wie er es ſonſt gewuͤnſcht haͤtte, weil ſie ſich jetzt wegen einer ſtarcken Verkaͤl - tung und ſchlimmen Halſes zu Hauſe halten muͤßte. Allein ſie und ihre Schweſter ſollen mich in dem Hauſe, das ich bewohnen werde, beſuchen, ſo bald ſie aus dem Hauſe kommen kan: ſie ſollen mich zu ſeiner Baſen oder dieſe zu mir bringen, wie ich es befehlen werde; ſie ſollen mich auch nach London begleiten, und mir ſo lange Geſellſchafft leiſten, als ich es gut gut finde dort zu bleiben.

Der481der Clariſſa.

Der Lord M. wird mich auch zu der Zeit und auf die Art beſuchen, als ich ſelbſt verord - nen werde: d.i. entweder in der Stille oder oͤffentlich. Er ſelbſt will ſich von mir entfer - nen, ſo bald er ſiehet, daß ich entweder bey ſei - nen Anverwanten oder in meiner eigenen Woh - nung in Sicherheit bin, und ſich nicht unter - ſtehen, mich ohne Erlaubniß zu beſuchen.

Es waͤre ihm wohl eingefallen, da die Fraͤu - lein Charlotte Montague unpaͤßlich ſey, ſei - ne Fraͤulein-Baſe Patty dahin zu vermoͤgen, daß ſie ſich mir zur Geſellſchafft nach St. Al - bans oder in das benachbarte Dorff begaͤbe. Allein ſie ſey ein furchtſames kleinmuͤthiges Maͤdchen, die uns neue Unruhe machen wuͤrde.

Sie ſehen demnach, daß ſeiner eignen Mei - nung nach Muth und Dreiſtigkeit erfodert wird, meinen Vorſatz in das Werck zu richten. Er hat Recht. Was werde ich aber anfangen?

Er ſcheint es ſelbſt fuͤr noͤthig zu halten, daß ein Frauenzimmer bey uns ſey! Er haͤtte doch zum wenigſten eine Kammer-Jungfer einer ſei - ner Baſen in Vorſchlag bringen koͤnnen. Lie - ber GOtt, was fange ich an!

Zweyter Theil. H hSo482Die Geſchichte

So weit ich auch gegangen bin, ſo kan ich doch zuruͤck kommen. Allein er wird mir tod - feind werden. Doch was ſchadet das? koͤnnte ich nur dem Solmes entgehen, ſo wuͤrde ich durch eine Zwiſtigkeit mit Lovelacen es mir leichter machen, meine Wuͤnſche zu erreichen, und unverheyrathet zu leben und zu ſterben. Alsdenn wollte ich allen Manns-Leuten Trotz bieten. Denn ich ſehe nichts als Verdruß und Unruhe, ſo wir von dieſem Geſchlechte zu gewar - ten haben: und wenn man ſich einmahl mit ih - nen einlaͤßt, ſo muß man ihnen uͤber Stock und Block durch Dornen und Hecken, die fuͤr uns zu empfindlich ſind und immer ſpitziger werden, nachfolgen, bis die Reiſe voller Schmertzen zum Ende iſt.

Jch weiß nicht was ich thun ſoll. Je mehr ich nachdencke, deſto verwirreter werde ich: und meine Zweiffel werden immer ſtaͤrcker werden, je naͤher die beſtimmte Zeit heran kommt.

Jch werde hinunter gehen, um mir eine klei - ne Bewegung in dem Garten zu machen, und dieſen Brief nebſt allen Brieffen von Lovela - cen / den letzten ausgenommen, hinzulegen. Die - ſen will ich das kuͤnftige mahl einſchlieſſen, wenn ich noch einmahl ſchreiben kan. Unterdeſſen doch was ſoll ich Sie bitten mir zu wuͤnſchen, oder fuͤr mich zu beten? A dieu. Jch kan wei - ter nichts zu Jhnen ſagen als, A dieu!

Der483der Clariſſa.

Der zwey und viertzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

(Eine Antwort auf den viertzigſten Brief.)

Sonntag Morgens den 9ten April.

Glauben Sie ja nicht, daß ich auf Sie un - gehalten bin, ob Sie mir gleich in Jh - rem geſtrigen Brieffe eine haͤrtere Probe Jhrer unpartheyiſchen Liebe (wie ich ſie jetzt nen - nen muß) gegeben haben, als vorhin jemahls. Das wuͤrde eben ſo viel ſeyn, als mich zu einer Koͤnigin aufwerffen, d. i. es andern unmoͤglich machen, mir meine Fehler zu entdecken, und mir, mich zu beſſern, und die alleraufrichtigſte und zaͤrtlichſte Freundſchaft unnuͤtz zu machen.

Wie edel und wie rein brennen dieſe geheilig - ten Flammen in Jhrer Bruſt? daß Sie ſo gar einer ungluͤcklichen Perſon ſchuld geben, ſie ſey in ihrer eigenen Sache kaltſinniger als Sie in einer fremden, weil ſie ſich in ſo fern ſelbſt ver - gißt, daß ſie andern eine Wahl nicht ſtreitig ma - chen will, dazu ſie ein Recht haben. Soll ich ein ſo warmes Hertz an einer Freundin tadeln? muß ich es nicht vielmehr bewundern?

H h 2Da -484Die Geſchichte

Damit Sie aber doch nicht dencken moͤgen, daß einiger Grund zu dem Verdacht vorhanden ſey, den Sie zwar aus Freundſchaft auf mich werfen, der mich aber doch ohne Entſchuldigung machen wuͤrde: ſo muß ich mir ſelbſt Recht wie - derfahren laſſen, und Jhnen die Erklaͤrung thun, daß, wo ich anders mein eigenes Hertz kenne, keine geheime Neigung darin iſt, die ich nicht gern geſtehen wollte. Es kommt mir auch das nicht geringe vor, was in der That wichtig iſt. Und dennoch entſchuldige ich Jhre Frau Mutter, wenn ich auch nichts fuͤr ſie zu ſa - gen haͤtte, als dieſes eintzige, daß ich nicht mit eben dem Recht von ihr Gefaͤlligkeiten erwarten konnte, als von ihrer Tochter. Denn ich darf mich nicht unterſtehen, mich gegen die Perſon auf Freundſchaft zu beruffen, der ich Ehrer - bietung ſchuldig bin, weil ſie meiner Freundin Mutter iſt. Zu Ehrerbietung aber ſchickt ſich die Vertraulichkeit nicht, die ein weſentliches Stuͤck des geheiligten Buͤndniſſes unſerer Her - tzen iſt.

Was ich demnach von meiner Anna Howe erwarten konnte, das durffte ich nicht von ihrer Frau Mutter erwarten. Denn wuͤrde es nicht wunderlich ſeyn, wenn man es einer Perſon von ihren Jahren und Verſtande verdencken wollte, daß ſie nicht wider ihre eigenen Einſichten han - deln will? und zwar dieſes in einer Sache, daruͤber ſie mit einer Familie in Feindſchaft ge -rathen485der Clariſſa. rathen kan, mit der ſie bisher Freundſchaft ge - halten hat, und da ſie die Parthey der Tochter gegen die Eltern halten muͤßte? Wie aber, wenn noch der Umſtand dazu kommt, daß ſie ſelbſt ei - ne Tochter hat? eine Tochter, deren Lebhaftig - keit und liebenswuͤrdige Munterkeit (wenn ich das anders erwaͤhnen darf) ſie vielleicht in eine unnoͤthige Sorge ſetzet, weil ihr muͤtterliches Hertz mehr an die Jugend ihrer Tochter als an ihren ausnehmenden Verſtand dencket, von dem ſie doch eben ſo wohl als jedermann glaubet, daß er die Jahre uͤbertreffe?

Was auch ihr wohl geartetes edles Hertz aus Liebe zu einer ungluͤcklichen Freundin fuͤr Gruͤnde erfinden moͤchte, meine Sache zu ſchmuͤcken, und denen Unrecht zu geben, die mir in ſo verworre - nen und zweiffelhaften Umſtaͤnden keine Zuflucht geſtatten wollen: ſo muß ich Jhnen doch ſagen, daß ich ein Vergnuͤgen darinn finde, wenn ich die allzugroſſe Hoffnungen und Anfoderungen meiner guͤtigſten Freundin einiger maſſen im Zaum halten kan, es mag mit mir auch ablauffen, wie es will. Denn es wuͤrde mich ſehr kraͤncken, wenn ich mir durch eine eigennuͤtzige Unbedacht - ſamkeit den Vorwurf zuzoͤge, daß ich auf etwas gehoffet haͤtte, worauf ich nicht mit Recht hof - fen konnte, oder, daß ich nach Jhrem Ausdruck, mir einen Dorn aus dem Fuſſe zu ziehen, und ihn andern in den Fuß zu ſtecken geſucht haͤtte. Jch wuͤrde mit mir ungemein misvergnuͤgt ſeyn,H h 3wenn486Die Geſchichtewenn ich die Lehre meiner aufrichtigen Frau Norton / daß die Schule der Truͤbſaal die beſte Schule iſt / unwahr machen, und in die - ſer Schule an ſtatt der Geduld Ungeduld lernen ſolte: oder wenn ich anfinge, nur ſo viel Hoch - achtung fuͤr andere zu haben, als ſie mir Wohl - thaten erzeigen. Denn was iſt dieſes anders, als glauben, daß wir beſtaͤndig Recht haben, und die, ſo verſchiedener Meinung ſind und nicht nach unſerm Sinne handeln, beſtaͤndig Unrecht? Jſt es nicht eben ſo viel, als wenn man ſeine und GOttes Sache fuͤr Eins anſaͤhe, wie Herr Sol - mes / wenn er um Gottes willen bittet.

Wie oft haben wir uns bemuͤhet, dieſe Par - theylichkeit an andern zu entdecken? und wie ſcharf iſt unſer Tadel daruͤber geweſen?

Allein ich weiß, daß Sie nicht damit zufrie - den ſind, alles zu ſagen, was Jhrer Meinung nach mit Recht kan geſagt werden: ſondern daß Sie bisweilen blos die Schaͤrffe Jhres Verſtandes zeigen wollen, der bis auf den Grund und Boden der Sachen dringet, und ſich des - wegen ein Vergnuͤgen daraus machen, alles zu ſagen und zu ſchreiben, was man nur ſagen, oder ſchreiben, oder dencken kan, weil Sie andern ei - ne Probe Jhres goͤttlichen Verſtandes geben wollen (vergeben Sie mir meine Unart in Ma - chung dieſer Anmerckung) der alle moͤgliche kuͤnf - tige Zufaͤlle vorher geſehen hat. Doch werwird487der Clariſſa. wird einen angenehmen Bach auszutrocknen ver - langen, weil er zur Fruͤhlingszeit zu ſtarck flieſ - ſet und uͤbertritt? Wer wollte auf Jhre Lebhaf - tigkeit zuͤrnen, die uns hundertmahl vergnuͤget, wenn ſie uns einmahl zu beleidigen ſcheint, ja uns ſelbſt im Beleidigen vergnuͤget?

Nun komme ich auf die beyden Fragen Jh - res Briefes, die mich am meiſten ruͤhren. Sie fragen:

Ob ich lieber mit einer meines Ge -
ſchlechts / mit meiner Anna Hove fluͤch -
ten will? oder mit einem von dem
andern Geſchlecht, mit Herrn Lovelace?
Ob ich mich mit Herrn Lovelace will
trauen laſſen / ſo bald es moͤglich ſeyn
wird?

Sie wiſſen, aus welchen Urſachen ich Jhren guͤtigen Vorſchlag verworffen, und ernſtlich ver - langet habe, daß es niemand wiſſen ſolle, daß Sie mir bey dem gefaͤhrlichen Schritte einige Huͤlffe leiſten, den ich aus Noth zu thun meine, bey dem Sie aber nicht eben die Entſchuldigung als ich haben wuͤrden. Jhre Frau Mutter haͤt - te Recht uͤber unſern Briefwechſel misvergnuͤgt zu ſeyn, wenn daraus unangenehme Folgen fuͤr ſie ſelbſt und fuͤr ihre Tochter entſtehen koͤnn - ten, ehe ſie es daͤchte. Wenn ich glaube, daß ich faſt nicht zu entſchuldigen bin, ohngeachtet ichH h 4vor488Die Geſchichtevor meinen grauſamen Freunden fliehe; was wuͤrden Sie denn zu Jhrer Verantwortung ſagen koͤnnen, wenn Sie eine ſo guͤtige Mutter verlieſſen? Sie befuͤrchtet, daß Jhre allzutreue Freundſchaft Sie zu einer kleinen Unvorſichtig - keit verleiten moͤchte; und das iſt Jhnen ſchon empfindlich: und dennoch wollen Sie, gleichſam um ſich zu raͤchen, ihr ſo wol als der gantzen Welt zeigen, daß Sie im Stande ſind mit Wiſ - ſen und Willen den allergroͤſſeſten Fehler zu be - gehen, den man einem Frauenzimmer nachſagen kan!

Schickt es ſich fuͤr ein ſo edles Gemuͤth, (ich frage Sie) einen ſolchen Ungehorſam dem Vor - ſatz nach zu begehen, weil Sie glauben, Jhre Frau Mutter wuͤrde Sie mit Freuden wieder aufnehmen?

Jch verſichere Jhnen: wenn ich das noch wa - gen ſoll, was ich mir vorgenommen habe, ſo will ich lieber alle Gefahr lauffen, als zugeben, daß Sie mich dabey begleiten. Meinen Sie, daß ich mein Vergehen zu vervielfaͤltigen, und es der Welt doppelt oder dreyfach vorzuſtellen Luſt habe? der Welt, die weiß daß ich ſo hart gehal - ten bin, und doch nicht alle Urſachen davon weiß, die mir alſo gewiß Unrecht geben wuͤrde?

Allein meine liebſte, meine guͤtigſte Anna Howe / geben Sie ſich zufrieden. Weder Sienoch489der Clariſſa. noch ich, keine von uns beyden ſoll dieſen gefaͤhr - lichen Schritt wagen. Sie haben mir die Fra - ge auf eine ſolche Art vorgelegt, daß ich ſchon uͤberzeugt bin, daß Sie mir nicht rathen koͤn - nen ihn zu wagen. Sie haben vermuthlich die Abſicht gehabt, daß ich einen ſolchen Schluß aus ihrem Vorſchlage machen ſolte: und ich dancke Jhnen, daß Sie mir Jhren Rath auf eine ſo gelinde und dennoch uͤberzeugende Wei - ſe gegeben haben. Es iſt mir hiebey einiger Troſt, daß mir ſchon von ſelbſt ein Zweiffel auf - geſtiegen iſt, ehe ich noch Jhren letzten Brief er - halten habe. Nunmehr bin ich voͤllig entſchloſ - ſen, meines Vaters Haus nicht zu verlaſſen: zum wenigſten noch nicht morgen.

Wenn Sie glauben, daß ich die Beantwor - tung der vorgelegten Frage nicht fuͤr ſo wichtig anſehe, als ſie doch wuͤrcklich iſt, und daß ich ei - ne tadelhafte Neigung hege: was wuͤrde denn die Welt von mir glauben? Wenn Sie mir ſagen, es fiele alle Puͤnctlichkeit weg, ſo bald ich den Fuß aus meines Vaters Hauſe geſetzt haben wuͤrde; und ich muͤßte es Herrn Lovelace an - heim ſtellen, wenn er mich ſicher verlaſſen koͤn - ne, und wie lange ſein Schutz und Gegenwart noͤthig ſey; d. i. ich muͤſſe es in ſein Belieben ſtellen, ob er mich verlaſſen, oder beſtaͤndig bey mir bleiben wollte: ſo ſind mir dieſes unertraͤg - liche Vorſtellungen. Wer kan ſich entſchlieſſen, auf ſo ungeziemende Bedingungen ein Verſpre -H h 5chen490Die Geſchichtechen zu halten, das man noch zuruͤck zu nehmen berechtiget iſt?

So lange ich mir die Flucht aus dieſem Hau - ſe blos als eine Flucht vor Herrn Solmes vorſtellete, und bedachte. daß meine Ehre ohne - hin ſchon genug gekraͤnckt ſey, und daß ich es in meiner Macht haben wuͤrde, Herrn Lovelace zu nehmen oder nicht zu nehmen: ſo glaubte ich, daß bey meinen Bedraͤngniſſen etwas zur Ent - ſchuldigung einer ſo verwegenen Entſchlieſſung geſagt werden koͤnnte, das zum wenigſten mein Hertz wuͤrde gelten laſſen, wenn auch die Welt haͤrter in ihrem Urtheil waͤre. Von ſeinem ei - genen Hertzen aber nicht verdammt werden, iſt ein Vergnuͤgen, welches ich allen vortheilhaften Meinungen der Welt vorziehe.

Allein, da ich ſonſt die unanſtaͤndige Hurtigkeit ſolcher Frauenzimmer verachtet und getadelt ha - be, die aus ihrer Stube nach dem Altar huͤpfen, und ſich ohne die geringſte Ceremonie zu der ernſtlichſten Ceremonie in dem gantzen Leben ent - ſchlieſſen: da ich mit Lovelacen ſchon ausge - macht habe, daß er mir Zeit laſſen ſolte, und daß ich freye Macht behalten wollte, ihm mein Ja oder Nein zu geben, und daß er mich ver - laſſen ſolte, ſo bald ich in Sicherheit waͤre: (ei - ne Sache, die, wie Sie mich lehren, vor ſeinen Richterſtuhl gehoͤren wird) da er ſich alles die - ſes hat gefallen laſſen, und ich meine Bedingun -gen491der Clariſſa. gen nicht ſelbſt zuruͤcknehmen, noch mich ſo ge - ſchwind mit ihm trauen laſſen kan: ſo ſehen Sie ſelbſt, es iſt weiter nichts fuͤr mich zu thun, als daß ich mich entſchlieſſe, meines Vaters Haus in ſeiner Geſelſchaft nicht zu verlaſſen.

Wie aber werde ich ihn beſaͤnftigen koͤnnen, wenn ich mein Wort zuruͤck nehme?

Wie? Jch muß mich auf das beruffen, was man einem Frauenzimmer zu gute zu halten pflegt. Vor der Trauung hat er kein Recht, misvergnuͤgt uͤber mich zu werden. Habe ich mir nicht das Recht vorbehalten, mein Wort zu - ruͤck zu nehmen, wenn ich es fuͤr gut anſaͤhe? Jch kan hier wieder eben ſo fragen, als in Jh - rem Streit mit Jhrer Frau Mutter: wozu hat man eine Wahl, wenn ein anderer ſich das Recht anmaſſen darf, uns den Gebrauch unſerer Wahl uͤbel zu nehmen?

Wenn mein Verſprechen auch noch ſo foͤrm - lich und unbedungen waͤre, ſo wuͤrden diejenigen, die in dem alten Teſtament das Recht hatten, das Verſprechen ihrer Kinder umzuſtoſſen oder guͤltig zu machen,*4 B. Moſ. 30. Jm Engliſchen ſind dieſe Worte hingeſetzt, und mit einem Wunſche begleitet, daß ſie moͤchten von vielen erwogen werden. gewiß dieſes Verſprechen nicht bekraͤfftigen: allein es war nicht einmahl ein Verſprechen, ſondern eine bloſſe Verabre -dung.492Die Geſchichtedung. Waͤre es auch ein Verſprechen, ſo hat - te ich mir ja das Recht vorbehalten, es wieder umzuſtoſſen. Und geſetzt, ich haͤtte mir ein ſol - ches Recht nicht vorbehalten, ſo frage ich, ob mein Verſprechen mir verbiete, der Sache beſ - ſer nachzudencken, und ſie reiflicher zu uͤberle - gen? Wenn dieſes iſt, ſo haͤtte ich es nie geben ſollen. Wie unartig wuͤrde es ſeyn, auf ein ſolches Verſprechen zu dringen? kan irgend eine Mannsperſon daruͤber ungehalten werden, daß ein Frauenzimmer, die er dereinſt die Seinige zu nennen hoffet, ein uͤbereiltes Verſprechen nicht halten will, wenn ſie bey weiterer Ueber - legung ſiehet, daß ſie ſich uͤbereilt hatte.

Jch entſchlieſſe mich alſo, die Verſuchung des naͤchſten Mittewochens noch zu erwarten: oder, wie ich vielleicht billiger ſagen moͤchte, des naͤchſten Dienſtag Abends. Denn wenn mein Vater bey ſeinem Vorſatz bleibt, ſelbſt zu mir herauf zu kommen, und mir zu befehlen, daß ich die Eheſtifftung leſen und unterzeichnen ſoll: das wird die ſchwereſte Verſu - chung fuͤr mich ſeyn.

Wenn ich mich uͤbertaͤuben laſſe, ſie noch in der Nacht zu unterzeichnen, ſo ſey mir GOtt gnaͤdig. Alles was mir fuͤrchterlich iſt, wird alsdenn am Mittewochen von ſelbſt erfolgen. Wenn ich durch Bitten etwas ausrichten kan! Vielleicht durch Ohnmachten, oder durch eineVer -493der Clariſſa. Verwirrung im Haupt! Denn der bloſſe An - blick meines Vaters wird mich ſehr ruͤhren, nach - dem ich ſo lange ſeine Gegenwart habe entbaͤh - ren muͤſſen. Wenn ich nur einen Aufſchub von einer Woche erhalten kan: oder von zwey oder drey Tagen: ſo wird mir der Mittewochen ein viel leichterer Tag ſeyn. Man wird mir doch zum wenigſten Zeit geben, mich zu bedencken / mich zu uͤberwinden und mir alle Gruͤnde vor - zuhalten: und wenn ich alles dieſes zuſage, ſo habe ich doch noch nichts verſprochen. Da ich bisher noch nicht verſucht habe, zu entfliehen, ſo iſt keine Urſache zum Verdacht vorhanden, und es wird mir bis aufs letzte nicht an Gele - genheit zur Flucht mangeln. Frau Norton ſoll um mich ſeyn: die wird gewiß ein Wort fuͤr mich reden, wenn es auf das aͤuſſerſte kommt, ohngeachtet ſie ſich dadurch ein unfreundliches Geſichte zuziehen wird. Vielleicht ſteht ihr mei - ne Baſe Hervey bey: vielleicht laͤßt ſich auch meine Mutter erbitten. Jch will vor einer je - den auf die Knie fallen, um ſie mir zur Freundin zu machen. Einige unter ihnen haben ſich des - wegen geſcheuet mich zu ſprechen, weil ſie glau - ben, ſie wuͤrden ſich nicht gegen mich halten koͤnnen. Giebt mir das nicht gute Hoffnung, daß mein Bitten nicht fruchtlos ſeyn wird. Vielleicht kommt der Rath wieder in Vorſchlag, den mein Bruder gegeben hat, mich aus dem Hauſe zu ſtoſſen, und mich meinen Schickſaal zu uͤberlaſſen. Wenn dieſer Vorſchlag in dasWerck494Die GeſchichteWerck geſetzt wird, ſo werden dadurch meine Um - ſtaͤnde in Abſicht auf die Geſinnung der Mei - nigen gegen mich nicht verſchlimmert. Sie werden aber in ſo fern verbeſſert / daß es nicht meine Schuld ſeyn wird, wenn ich ſie verlaſſe, und bey andern Schutz ſuche; und das ſoll auch alsdenn lieber bey dem Obriſten Morden als bey Herrn Lovelace oder bey irgend einem an - dern geſchehen.

Mein Hertz hat eine beſſere Ahndung, und wird mir leichter, wenn ich mich hiezu entſchlieſſe: und mich duͤnckt, bey einer ſo ſtarcken Neigung ſoll man dem Triebe des Hertzens faſt eben ſo folgen, als ſonſt dem Gewiſſen. Jch dencke hier an den Rath des weiſen Sirachs: folge dem Rath deines Hertzens / denn niemand iſt dir treuer als dein eigen Hertz. Eines Mannes Hertz weiſſaget ihm oft mehr als ſieben Waͤchter.

Veruͤbeln Sie mir dieſe unordentlichen Rath - ſchlaͤge nicht, daruͤber ich mich mit mir unterre - de. Jch will ſchlieſſen, und gleich die Feder zu einem Brieffe an Lovelacen anſetzen, um mein Verſprechen zu widerruffen, er mag es nun neh - men wie er will. Es iſt fuͤr ihn eine neue Pro - be der Geduld und Herrſchaft uͤber ſich ſelbſt: und fuͤr mich iſt es von der groͤſſeſten Wichtig - keit. Hat er nicht verſprochen, ſich alles gefal -len495der Clariſſa. len zu laſſen, als er glauben mußte, daß ich mei - nen Vorſatz aͤndern koͤnnte?

Clariſſa Harlowe.

Der drey und viertzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Es ſcheint, daß heute niemand in die Kirche gehen wird. Man erwartet zu ſo weltli - chen und ſo grauſamen Abſichten keinen Seegen GOttes.

Die Meinigen ſchoͤpfen Argwohn, daß ich et - was in dem Sinne haben moͤchte. Eliſabeth hat ſich nach meinen Kleidern umgeſehen. Jch brachte einen Brief in den Garten, den ich an Lovelacen geſchrieben hatte: als ich zuruͤck kam, fand ich ſie, daß ſie unter meinen Kleidern ge - kramt hatte, und der Schluͤſſel ſteckte noch in dem Schrancke. Sie verfaͤrbte ſich, und ward beſtuͤrtzt daruͤber, daß ich ſie uͤbereilte: ich ſagte ihr aber: ich wuͤrde mich in alles ſchicken koͤn - nen, was die Zeit und mein Ungluͤck mit ſich braͤchte; wenn ſie Befehl haͤtte etwas zu thun, ſo ſey das Entſchuldigung genug fuͤr ſie.

Sie496Die Geſchichte

Sie geſtand aus Verwirrung, daß es vor ge - weſen waͤre, mich etwas enger einzuſchraͤncken, damit ich nicht ſpatzieren gehen koͤnnte, wenn ich wollte: allein die Nachricht, die ſie geben woll - te, wuͤrde zu meinem Vortheil gereichen. Es haͤtte jemand vorgeſtellet: es waͤre nicht noͤthig mich enger einzuſchraͤncken; denn aus Herrn Lovelaces Drohung mich zu entfuͤhren, wenn ich nach meines Onckles Gut gebracht wuͤrde, koͤnnte man ſehen, daß ich nicht den Vorſatz haͤt - te, mit ihm durchzugehen, ich wuͤrde ſonſt ſchon ſeit einiger Zeit Anſtalten dazu gemacht ha - ben, und dieſe haͤtten nicht verborgen bleiben koͤn - nen. Hieraus habe man den gewiſſen Schluß gemacht, daß ich doch zuletzt nachgeben wuͤrde. Das dreiſte Maͤdchen ſetzte noch hinzu: und, gnaͤdige Fraͤulein, wenn ſie nicht nachgeben wol - len, ſo erlauben ſie mir zu ſagen, daß mir ihre Auffuͤhrung ſonderbahr vorkommt. Sie ſagte, ſie wuͤſte das nicht mit einander zu reimen, als nur auf die Weiſe, daß ich etwan nicht wuͤß - te wie ich mit guter Art zuruͤck kommen ſolte, nachdem ich einmahl ſo weit gegangen waͤre: wenn aber alle meine Verwanten beyſammen waͤren, ſo wuͤrde ich Herrn Solmes meine Hand ohne Zweiffel geben. Und denn wuͤrde der Text wahr werden, daruͤber der Herr D. Brand am vorigen Sonntage ſo eine ſchoͤne Predigt gehal - ten haͤtte: Es wird Freude im Himmel ſeyn.

Mein497der Clariſſa.

Mein Brief an Herrn Lovelacen enthaͤlt fol - gendes:

Jch haͤtte Urſachen von der groͤſſeſten Wich - tigkeit in Abſicht auf mich, gegen die er auch nichts wuͤrde einwenden koͤnnen, wenn ich ſie ihm meldete, meine Flucht aus meines Vaters Hau - ſe jetzt noch aufzuſchieben. Jch hoffete, daß alles zu einem gluͤcklichen Ende gebracht wer - den koͤnnte, ohne einen ſo gefaͤhrlichen Schritt zu thun, den nur die alleraͤuſſerſte Nothwen - digkeit wuͤrde rechtfertigen koͤnnen. Er koͤnne ſich indeſſen auf meine Zuſage verlaſſen, daß ich eher den Tod leiden wuͤrde, als Herrn Sol - mes heyrathen.

Jch mache mich nun ſchon bereit, ſeine Ant - wort, die halb eine Straf-Predigt und halb ei - ne Klage ſeyn wird, zu leſen. Er mag ſchrei - ben was er will, ſo kan es mich nicht ſo ſehr ruͤh - ren, als die Erwartung deſſen, was mir auf den Dienſtag oder Mittewochen bevorſtehet. Mei - ne gantz Seele iſt hierauf gerichtet, und mein Hertz iſt mir kranck und beklommen.

Sonntag Nachmittags um vier Uhr.

Mein Brief iſt noch nicht weggenommen. Wie? wenn er ihn nicht abhohlt oder abhohlen laͤßt, und mich doch morgen um die beſtimmte Zeit nicht findet? Wird er nicht meinetwegenZweyter Theil. J iin498Die Geſchichtein Sorgen ſeyn, daß mir etwas begegnet ſeyn koͤnnte: und wird er nicht gar zu meinen Eltern kommen? Ach warum habe ich mich mit Manns - perſonen uͤberall eingelaſſen? Wie gluͤcklich war ich, ehe ich dieſen Menſchen kannte.

Jch habe heute in dem Sommer-Hauſe ge - ſpeiſſet: es ward mir auf das erſte Wort erlaubt. Um zu zeigen, daß ich keine Abſichten dabey haͤt - te, ging ich gleich nach dem Eſſen wieder mit Eliſabeth hinein. Weil das gute Wetter be - ſtaͤndig zu werden ſcheint, ſo hielt ich es fuͤr dien - lich, mir dieſe Freyheit auszubitten. Denn ich weiß noch nicht, wozu mich der Dienſtag oder Mittewochen zwingen wird.

Sonntag Abends um 7. Uhr.

Mein Brief liegt noch da! Jch glaube er macht Anſtalten auf morgen, und kan deswegen nicht ſelbſt kommen. Er hat ja aber doch Be - dienten. Meint er mich ſchon ſo gewiß zu ha - ben, daß es nicht mehr noͤthig ſey, ſich weiter Muͤhe um mich zu geben, als bis der Augen - blick eintritt, den ich beſtimmet habe? Er weiß ja wie ich belagert bin: er weiß, was fuͤr Faͤllen ich unterworffen bin. Jch kan kranck, oder ge - nauer bewachet oder noch mehr eingeſperret wer - den als vorhin: unſer Briefwechſel koͤnnte ent - deckt werden: es koͤnnte noͤthig ſeyn, einige an - dere Einrichtungen zu machen: ich koͤnnte zu et - was gezwungen werden, das meinen ihm ge -melde -499der Clariſſa. meldeten Vorſatz ohnmoͤglich machte: ich koͤnn - te neue Zweiffel bekommen: ich koͤnnte noch ei - nen beſſern Vorſchlag haben, der ihm nicht bey - faͤllt. Was kan der Menſch dencken? Jch wun - dere mich uͤber ihn. Aber mein Brief ſoll liegen bleiben: denn wenn er ihn nur vor der beſtimm - ten Stunde bekommt, ſo brauche ich ihm nicht muͤndlich zu ſagen, daß ich meine Entſchlieſſung geaͤndert habe, und ich habe nicht noͤthig, mich hieruͤber mit ihm zu zancken. Wenn er mich nur den Brief abhohlen laͤßt, ſo kan er aus der uͤbergeſchriebenen Zeit ſehen, daß er ihn fruͤh genug haͤtte haben koͤnnen: erwaͤchſt ihm aber einige Ungelegenheit daraus, daß er es ſo ſpaͤt erfaͤhrt, ſo mag das ſein Lohn ſeyn.

Abends um 9. Uhr.

Es ſcheint veſt beſchloſſen zu ſeyn, daß Frau Norton auf den Dienſtag ſoll zu Tiſche gebe - ten werden. Sie ſoll eine gantze Woche bey mir bleiben. Sie wird mich erſt zum Gehor - ſam ermahnen: und wenn Gewalt gebraucht, und die Trauung voruͤber iſt, ſo ſoll ſie mich troͤſten, und mich ermahnen, mich in mein Ver - haͤngniß zu ſchicken. Ohnmachten und Strei - che / und Klagen / und Jammern erwartet man ohne Zahl, wie mir Eliſabeth zu erzaͤhlen unver - ſchaͤmt genug iſt. Allein, jedermann hat ſich ſchon dagegen gewafnet. Wenn es voruͤber iſt, ſo iſt es voruͤber: (ſagt ſie) und ich werde ruhigJ i 2und500Die Geſchichteund ſtille ſeyn, wenn ich ſehe, daß es ſich nicht mehr aͤndern laͤßt.

Montag Morgens um 7. Uhr den 10ten April.

Ach mein Schatz, da liegt der Brief noch! Jch komme eben darvon her.

Jſt er meiner ſo gewiß verſichert? Vielleicht denckt er, ich wuͤrde mich nicht unterſtehen, mein Wort zuruͤck zu nehmen. Jch wollte daß ich ihn nie geſehen haͤtte. Jch fange nun an, meine Uebereilung von der Seite anzuſehen, von wel - cher jederman ſie angeſehen haben wuͤrde, wenn ich meinen Vorſatz in das Werck gerichtet haͤt - te. Was ſoll ich aber anfangen, wenn er heu - te um die beſtimmte Zeit kommt? Wenn er mei - nen Brief nicht bekommt, ſo muß ich ihn ſpre - chen: er wird ſonſt meinen, daß mir etwas be - gegnet ſey, und wird gewiß in unſer Haus kommen. Hier wird er eben ſo gewiß beſchimpft werden. Was fuͤr Folgen wird das haben? Jch habe ihm beynahe ſo gut als verſprochen, wenn ich meinen Vorſatz aͤnderte ihn bey der er - ſten der beſten Gelegenheit die Urſachen muͤndlich zu ſagen, die mich dazu bewogen haben. Jch zweiffele zwar nicht, daß er ſehr uͤbel zu ſprechen ſeyn wird: allein es iſt beſſer, daß ich ihn ſpre - che, und daß er unzufrieden von mir weggehet, als daß ich Urſache habe, mit mir ſelbſt unzu - frieden zu ſeyn.

Doch501der Clariſſa.

Doch, ſo kurtz auch die Zeit iſt, kan er noch vielleicht den Brief abholen laſſen. Vielleicht hat er eine Hinderung gehabt, die ihn hinlaͤng - lich entſchuldigen wird, wenn ich ſie erfahre.

Nachdem ich vorhin mein Wort mehr als einmahl zuruͤck genommen habe, da ich ihm nur verſprochen hatte, mich mit ihm zu unterreden; ſo daͤchte ich, er ſolte nothwendig jetzt begieriger ſeyn, zu erfahren, ob von neuen eine Hinderniß in den Weg gekommen waͤre, und ob ich in die - ſer wichtigern Sache bey meinem Vorſatz bleibe. Jch habe mich zwar uͤbereilt, im zweiten Briefe mein Verſprechen zu wiederholen; und bin doch herach anderer Meinung geworden.

Um neun Uhr.

Die Fraͤulein Dorthgen Hervey ſteckte mir unvermerckt folgenden Brief zu, als ich aus dem Garten kam, und vor ihr vorbey gieng:

Liebſte Fraͤulein!

Jch habe von einer Perſon, die es (wie ſie ſagt) wiſſen kan, gehoͤrt, daß ſie den Mitte - wochen fruͤh gewiß mit Herꝛn Solmes getrau - et werden ſollen. Es kan zwar ſeyn, daß ſie es nur geſagt hat mich zu betruͤben: denn es war die Eliſabeth Barnes, die unartig ge - nug dazu iſt. Sie ſagt, der Trauſchein ſey ſchon angekommen: und ſie ließ ſich ſo weit heraus,J i 3(doch502Die Geſchichte(doch mit einem Verbot, Jhnen nichts davon wieder zu ſagen) daß Herr Brand, ein junger gelehrter Geiſtlicher von Oxford, die Trauung verrichten ſoll. Denn ich hoͤre, der D. Le - win weigert ſich, es wider ihren Willen zu thun: und die Jhrigen haben erfahren, daß er mit ihrer Auffuͤhrung gegen Sie, nicht allzuwohl zufrieden iſt, und ſagt, Sie haͤtten es nicht verdient, daß man Jhnen ſo hart be - gegnet. Allein, dem Herrn Brand hat Jhr Onckle Harlowe verſprochen, daß er ſein Gluͤck machen, und ihn auf ſeinen Guͤtern be - foͤrdern wolle.

Sie werden ſich hierin beſſer als ich zu fin - den wiſſen. Denn mannichmahl kommt es mir vor, als wenn mir Eliſabeth verboͤthe, Jhnen etwas wieder zu ſagen, und es mir doch in der Abſicht ſagte, daß Sie es erfah - ren ſollen. Sie und jedermann weiß, wie lieb ich Sie habe: und ich will auch, daß es die Leute wiſſen ſollen. Es iſt mir eine Ehre, wenn ich eine ſolche liebe Fraͤulein lieb habe, die der Ruhm ihrer gantzen Familie iſt, was die Jh - rigen auch dagegen ſagen. Es iſt ſo viel ver - trauliches Wiſpern und Pfliſtern zwiſchen Jh - rer Fraͤulein Schweſter und dieſer Eliſabeth, daß Sie es kaum glauben koͤnnen: und wenn das vorbey iſt, ſo kommt Eliſabeth / und er - zaͤhlt mir etwas.

Das ſcheint gewiß zu ſeyn, und das iſt die Haupt-Sache, deswegen ich ſchreibe, (allein ver -503der Clariſſa. verbrennen ſie den Brief) daß Jhre Sachen noch einmahl durchſucht werden ſollen, ob ſich Briefe, Federn und Dinte darunter finden. Denn das weiß man, daß Sie noch Brieffe ſchreiben. Sie geben vor, ſie haͤtten etwas aus einem Bedienten von Herrn Lovelace herausgelockt, daraus ſie mehr, (ich weiß nicht recht, was?) ſchlieſſen koͤnnten. Das muͤß - te ein wilder und gottloſer Menſch ſeyn, der damit prahlen und es ſeinen Bedienten er - zaͤhlen wollte, daß ein Frauenzimmer guͤtig gegen ihn iſt. Herr Lovelace iſt viel zu ein artiger Cavallier, als daß er das thun ſolte. Welches junge unſchuldige Kind koͤnnte ſonſt ſicher ſeyn?

Von eben der falſchen Eliſabeth haben ſie auch gehoͤrt, als wenn ſie etwas einnehmen wolten, ſich kranck zu machen, oder ſonſt der - gleichen etwas. Man will deswegen nach - ſuchen, ob Sie Puͤlverchens oder ſolche Dinge auf der Stube haben.

Was fuͤr ein wunderliches Nachſuchen! Gott mag uns armen Kindern gnaͤdig ſeyn, wenn wir mit ſo argwoͤhniſchen Anverwan - ten zu thun haben. GOtt ſey danck, daß mei - ne Mutter nicht von der Art iſt.

Wenn man nichts findet, ſo wird Jhr Herr Vater an dem groſſen Gerichts-Tage (wennJ i 4 ich504Die Geſchichte ich es ſo nennen darf) guͤtiger mit ihnen um - gehen.

Jm uͤbrigen moͤgen ſie kranck oder geſund ſeyn, ſo ſoll die Trauung dennoch vor ſich ge - hen. Das ſagt eben die Eliſabeth, und ich zweiffele auch nicht daran. Allein, Jhr neuer Mann ſoll alle Abend nach Hauſe gehen, bis Sie mit ihm ausgeſoͤhnt ſind: darum kan Kranckheit kein Mittel ſeyn, Sie zu retten.

Die Jhrigen halten ſich verſichert, daß er an Jhnen eine gute Frau haben wird, wenn Sie nur erſt ſeine Frau ſind. An mir ſolte ein Freyer, den ich nicht gewolt haͤtte, gewiß keine gute Frau finden. Herr Solmes redet immer davon, daß er Jhre Liebe durch Juwe - len und tauſend andere artige Dinge erkauffen will. Ein elender Schmeichler vom Manne! Jch wuͤnſchte ihn und die Eliſabeth Bar - nes zuſammen: die wuͤrde er alle Tage ſchla - gen, bis ſie artig wuͤrde.

Kurtz, bringen Sie alles in Sicherheit, was Sie nicht gern wollen ſehen laſſen, und ver - brennen Sie dieſen Brief. Jch bitte Sie aber, nehmen Sie nichts das Jhrer Geſund - heit Schaden thun koͤnte: denn das wird doch nichts helffen. Jch verbleibe

Jhre liebe und ergebenſte Baſe D. H.

Als505der Clariſſa.

Als ich den Brief zum erſtenmahl laſe, ſo hatte ich Luſt, meinen vorigen Anſchlag auszufuͤh - ren, zumahl da mein Brief, indem ich ihn Lo - velacen abſchrieb, nicht zu ſeinen Haͤnden gekom - men war, und mir das Hertz wehe thut, ſo oft ich an den Krieg gedencke, der ſich erregen wird, wenn ich mich weigere mit ihm zu gehen. Spre - chen muß ich ihn, ſolte es auch nur auf wenige Augenblicke ſeyn, ſonſt moͤchte er einen allzudrei - ſten Gang wagen: denn ich habe ihm einmahl Hoffnung dazu gemacht. Allein Jhre Worte liegen mir immer im Gemuͤth: ſo bald ich den Fuß aus meiner Eltern Hauß geſetzt habe / faͤllt alle Puͤnctlichkeit in gewiſſen Dingen weg. Es kommen noch ſtaͤrckere Gegen-Gruͤn - de dazu, die von den Pflichten eines Kindes und von meiner Ehre und guten Nahmen hergenom - men ſind, und die mich vorhin uͤberzeugten, daß ich meiner Eltern Haus nicht verlaſſen muͤßte. Es muͤſte wunderlich ſeyn, daß ich nicht eine Friſt von einem Monath, oder vierzehen Tagen oder einer Woche erhalten ſolte, wenn mir gleich keine zur rechten Stunde kommende Ohn - macht, keine erwuͤnſchte Verwirrung des Ge - hirns, zu Huͤlffe kommt. Jch habe deſto mehr gute Hoffnung, weil ich aus der Dorthgen ihrem Brieffe ſehe, daß der rechtſchaffene D. Lewin nichts mit der Sache zu thun haben will, wenn ich mein Ja nicht willig gebe; und glaubet, daß mir zu hart begegnet ſey. Denn ohne mich etwas hievon mercken zu laſſen, kanJ i 5ich506Die Geſchichteich vorgeben, daß ich Gewiſſens-Zweiffel habe, und mir ausbitten, die Meinung dieſes recht - ſchaffenen Gottesgelehrten daruͤber zu verneh - men. Wenn ich dieſes nachdruͤcklich vorſtelle, (wie ich zu thun gewiß nicht unterlaſſen werde,) ſo wird mir meine Mutter beytreten, und Jhre Schweſter ſo wohl als Frau Norton werden ihr gewiß nicht abfallen. Die Trauung muß alsdenn aufgeſchoben werden, und ich habe noch Zeit zu entkommen.

Wie aber? wenn ſie es einmahl darauf ge - ſetzt haben, mich zu zwingen? wenn ſie mir keine Friſt geben wollen? wenn ſich niemand bewegen laͤßt? wenn die Trau-Formul vor meinen wi - derſpenſtigen Ohren geleſen werden muß? Was denn anzufangen? Jch kan weiter nichts, als Allein was kan ich, mein Schatz? Das iſt veſt beſchloſſen, mein Ja ſoll der Solmes in Ewigkeit nicht haben. Jch will nichts, als Nein ſagen, ſo lange ich noch reden kan: und wer wird ſo albern ſeyn, eine ſolche Gewaltthaͤtigkeit eine Trauung zu nennen? Es iſt ohnmoͤglich, daß es Eltern anſehen koͤnten, wenn ihr Kind auf eine ſo ſchreckliche Weiſe gezwungen wird. Wie aber, wenn ſich meine Eltern dem Anblick dieſes Trauer-Spiels entziehen, und meinen Geſchwiſtern alles uͤberlaſſen? die werden gewiß kein Mitleiden fuͤhlen.

Es betruͤbt mich, daß ich gezwungen bin, micheines507der Clariſſa. eines Kunſt-Stuͤckchens zu bedienen. Jch ha - be an einem Orte die Feder ſo verſteckt, daß das Ende davon heraus ſtehet: wenn ſie hier nach - ſuchen, ſo werden ſie einige Papiere finden, die ich ihnen kan und will in die Haͤnde kommen laſſen. Es ſind Aufſaͤtze, die ich entworfen ha - be: und ohngefaͤhr ſechs Zeilen, die ſo eingerich - tet ſind, als waͤren ſie der Anfang eines Briefes an Sie, darin ich ſchreibe, ich haͤtte Hofnung / daß die Meinigen endlich nachlaſſen wuͤr - den / obgleich der aͤuſſere Anſchein meiner Hoffnung zuwider ſey. Mein Onckle Anton hat von ihrer Frau Mutter erfahren, daß ich auf eine oder die andere Weiſe Jhnen bisweilen ei - nen Brief in die Haͤnde ſpiele. Jch erklaͤre mich gegen Sie in dem erdichteten Briefe von neuen, daß ich veſt entſchloſſen bin, dem ver - haßten Lovelace gaͤntzlich zu entſagen, wenn man nur verſpraͤche, mich mit dem andern Freyer zu verſchonen.

Nicht weit davon iſt auch eine Abſchrifft meines Briefes an die Lady Drayton(*)Siehe den dreyzehenden Brief dieſes zweyten Theils. be - findlich. Da dieſer ſolche Vorſtellungen ent - haͤlt, die ſich auf meine jetzigen Umſtaͤnde voll - kommen deuten laſſen, ſo dachte ich, daß er viel - leicht etwas ausrichtete, wenn er ihnen von ohn - gefaͤr in die Haͤnde fiele.

Sie508Die Geſchichte

Sie koͤnnen leicht dencken, daß ich nicht mei - nen gantzen Vorrath von Federn und Dinte ſo hinlege, daß er den Meinigen zu Theil wird. An ein paar Oertern in dem Sommer-Hau - ſe habe ich noch einen kleinen Schatz davon ver - borgen, damit ich mir die Zeit zu vertreiben und mich der fuͤrchterlichen Gedancken zu entſchla - gen hoffe, die mich deſto mehr beunruhigen, je naͤher ich dem Entſcheidungs-Tage, dem Mitte - wochen komme.

Cl. Harlowe.

Der vier und vierzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Er hat meinen Brief noch nicht. Als ich eben darauf dachte, wie ich meine dienſt - fertige Kerckermeiſterin mir vom Halſe ſchaffen moͤchte, um mit ihm ſprechen zu koͤnnen, und mir ein guter Vorwand beyfiel: ſo kam meine Ba - ſe, und gab mir von ſelbſten einen noch beſſern Vorwand. Sie ſahe, daß der Tiſch gedeckt war, an dem ich meine einſame Mahlzeit halten ſol -te;509der Clariſſa. te; und ſagte: ſie hoffete, daß dieſes der letzte Tag ſeyn wuͤrde, an dem die Meinigen meiner Geſellſchaft bey Tiſche entbaͤhren muͤßten.

Sie koͤnnen ſich leicht vorſtellen, was die be - vorſtehende Unterredung mit Lovelacen / die Furcht entdeckt zu werden, und der Jnhalt des Briefes der Fraͤulein Dorthgen / fuͤr ſichtbare Gemuͤths-Bewegungen bey mir erregten. Sie bemerckte dieſes: was fuͤr Seufzer! was fuͤr tieffes Athemholen. (ſagte ſie, und klopfte mich auf den Hals) Liebes Kind, wer haͤtte das glau - ben ſollen, daß bey ſo vieler natuͤrlichen An - nehmlichkeit doch ſo viel Eigenſinn wohnen koͤnnte?

Jch konnte ihr nicht antworten. Sie fuhr fort zu reden: ich habe etwas an ſie zu beſtellen, das mich ihnen nicht ſehr willkommen machen wird. Wir haben geſtern einiges gehoͤrt, daß einem ſo verzweiffelten und trotzigen Wagehalſe, als in der Welt ſeyn kan, entfahren iſt, daraus ihr Herr Vater und wir alle mercken, daß ſie noch jetzt Mittel haben muͤſſen, auſſer Hauſe zu ſchreiben. Herr Lovelace weiß alles was hier vorgehet, und zwar den Augenblick: es iſt zu befuͤrchten: daß er Ungluͤck anſtiftet, das ſie ſo wohl als alle andere zu vermeiden ſuchen muͤſ - ſen. Jhre Mutter hat noch eine Beyforge, die ſie ſelbſt naͤher angehet. Sie hoffet zwar, daß dieſe Beyſorge ungegruͤndet ſey: ſie kan aber doch nicht ruhig ſeyn, und andere werden ihrkeine510Die Geſchichtekeine Ruhe laſſen, wenn ſie nicht ſo lange in dem Garten oder Sommer - Hauſe bleiben, daß ſie Zeit und Gelegenheit hat, ihre Stube, Cloſet, Schraͤncke und Schiebladen noch einmahl zu durchſuchen. Wenn ſie mir die Schluͤſſel willig und mit Freuden geben, ſo wird es deſto beſſer genommen werden. Jch hoffe, ſie werden keine Einwendungen machen. Es iſt ihnen deſto eher erlaubt worden, hier zu ſpeiſen, weil man die - ſer Gelegenheit wahrnehmen wollte.

Jch freuete mich heimlich, daß mir Dorth - gen fruͤh genug Nachricht gegeben hatte, damit ich mich auf dieſe abermahlige Unterſuchung ſchi - cken koͤnnte. Jch durfte mir aber dieſes nicht mercken laſſen, und machte zum Schein einige Schwierigkeit, dabey ich mich heftig daruͤber be - klagte, daß man ſo mit mir verfuͤhre. Jch gab ihr endlich alle Schluͤſſel, und leerete ſogar mei - ne Taſchen vor ihren Augen aus, und bat ſie, mich gantz und gar zu durchſuchen, damit ſie ge - wiß verſichern koͤnnte, daß ich nichts von Brief - fen bey mir haͤtte.

Dieſes gefiel ihr ſehr wohl, und ſie ſagte, ſie wollte von meinem froͤlichen Gehorſam alle die guten Nachrichten geben, die er verdienete, mein Bruder und meine Schweſter moͤchten auch darzu ſagen / was ſie wollten. Sie wuͤßte gewiß, daß ſich meine Mutter hertzlich daruͤber freuen wuͤrde, daß ſie einen Argwohngegen511der Clariſſa. gegen mich bey dieſer Gelegenheit zu Schan - den machen koͤnnte. Jch hoffe wenigſtens, (ſetzte ſie hinzu) daß die Durchſuchung ſo ablauf - fen wird.

Sie gab mir darauf zu verſtehen, daß man Mittel haͤtte, hinter alle Geheimniſſe des Lo - velaces / ja ſogar durch ihn hinter einige meiner Geheimniſſe zu kommen, weil er ſo ſchwatzhaft waͤre, und ſogar ſeine Anſchlaͤge gegen ſeine Be - dienten ausplauderte. So unergruͤndlich man ihn auch hielte, ſo ſey doch mein Bruder viel un - ergruͤndlicher, und wuͤrde ihm mit ſeinen eigenen Waffen zu ſchwer fallen. Das wuͤrde die Zeit lehren.

Jch ſagte: ich koͤnnte das nicht verſtehen, was ſie mir auf eine ſo dunckele Weiſe zu ver - ſtehen gaͤbe. Die Unergruͤndlichkeit, die ſie an beyden ruͤhmete, ſchiene mir der Verachtung und nicht des Ruhms werth zu ſeyn. Wenn ich der Rachgier in meinem Hertzen haͤtte wollen Platz laſſen, ſo haͤtte ich auch leicht darauf kom - men koͤnnen, allerhand Liſt und Kunſtgriffe zu gebrauchen. Jch unterſtuͤnde mich zu ſagen, daß dieſes an mir viel eher zu entſchuldigen geweſen ſeyn wuͤrde, als die Veranlaſſung, die mir ande - re dazu gegeben haͤtten. Aus ihren Reden merckte ich, daß aller Verdacht gegen mich zwey Quellen haͤtte: die eine, daß man glaubte, mein Bruder ſey Herrn Lovelace an Argliſtigkeit ſehr uͤberlegen: die andere, daß man ſich einerſol -512Die Geſchichteſolchen Auffuͤhrung gegen mich bewuſt waͤre, die mich natuͤrlicher Weiſe treiben muͤßte, das zu thun, weswegen man mich in Verdacht haͤtte. Es waͤre ein groſſes Ungluͤck fuͤr mich, daß mein Bruder ſo groſſe Luſt haͤtte, ſeinen Verſtand an mir zu zeigen: er wuͤrde mehr Lob verdienen, wenn er Proben ſeines guten Hertzens als ſeines ſchlauen Kopfes an mir machte. Jch wuͤnſchte indeſſen, daß er ſich ſelbſt ſo gut kennen moͤchte, als ich ihn zu kennen glaubte, ſo wuͤrde er viel - leicht weniger von ſeinen Gemuͤths-Gaben ein - genommen ſeyn, die in anderer Augen viel ge - ringer ſcheinen wuͤrden, wenn er nicht ſo viel Vermoͤgen haͤtte mir unangenehme Dienſte zu erweiſen.

Jch war voller Unwillen, und konnte es nicht unterlaſſen, dieſe Anmerckung zu machen, die der genugſam verdienete, den der andere durch ſeinen eigenen Spion hinter das Licht fuͤhrt. Jndeſſen habe ich ſo wenig Wohlgefallen an dieſem nie - drigen Streiche, daß gewiß die Stuͤckchens des Buben des Joſeph Lehmanns an das Licht kommen ſolten, wenn mir nur ertraͤglich begeg - net wuͤrde.

Sie antwortete: es thaͤte ihr leid, daß ich ei - ne ſo ſchlechte Meinung von meinem Bruder haͤtte. Er waͤre ein Cavallier von ſchoͤnem Ver - ſtande und groſſer Gelehrſamkeit.

Ge -513der Clariſſa.

Gelehrſamkeit genug (erwiederte ich) unter uns Frauens-Leuten damit zu prahlen! allein etwas zu wenig Verſtand, die Gelehrſamkeit zu ſeinem und anderer Beſten anzuwenden! Sonſt

Sie wuͤnſchte (ſagte ſie) daß er ein beſſeres Hertz haͤtte. Sonſt aber kaͤme es ihr vor, als wenn ich eine allzugute Meinung von einer ge - wiſſen Perſon haͤtte, und daß ich deswegen von meinem Bruder geringſchaͤtzigere Gedancken he - gete, als einer Schweſter zukaͤme. Zwiſchen beyden ſey ein gelehrter Neid geweſen, und daher ruͤhrte auch ihr Haß.

Ein gelehrter Neid! (antwortete ich) doch dem ſey wie ihm wolle, ſo wuͤnſchte ich daß bey - de etwas beſſer verſtuͤnden, was ſich fuͤr einen wohlgezogenen jungen Herrn von Stande ſchickt. Alsdenn wuͤrde ſich keiner von beyden ſolcher Sachen ruͤhmen, daruͤber ſie ſich billig ſchaͤmen ſolten.

Jch brach dieſe Rede ab, und ſagte nocb: es koͤnnte ſeyn, daß ſie etwas geſchriebenes nebſt ein paar Federn und etwas Dinte faͤnden, (Ach wie iſt es mir zuwider, daß ich ſolche Kuͤnſte brau - chen muß! Verhaßte Nothwendigkeit, die mich dazu zwinget!) weil man mir doch nicht erlau - ben wuͤrde, hinauf zu gehen, und ſie auf die Sei - te zu bringen. Jch muͤßte mir dieſes gefallenZweyter Theil. K klaſſen.514Die Geſchichtelaſſen. Jch verſpraͤche ihr, daß ich ſie nicht ſtoͤ - ren wollte, ſo viel Zeit ſie auch zur Durchſu - chung anwenden wuͤrden: ich wuͤrde mich in dem Garten, oder nahe dabey in dem Sommer-Hau - ſe, oder in dem getaͤffelten Hauſe nahe am Pha - ſanen-Hofe, oder bey der Cascade aufhalten, bis ich Befehl erhielte, in mein Gefaͤngniß zu - ruͤck zu kehren. Jch ſetzte noch aus Liſt hinzu: ich vermuthete, man wuͤrde dieſe unguͤtige Durch - ſuchung erſt alsdenn anſtellen, wenn das Geſin - de abgeſpeiſet haͤtte, damit man die naſeweiſe Eliſabeth / die alle Winckel in meiner Stube und Cloſet wuͤſte, dabey gebrauchen koͤnnte.

Sie ſagte: ſie hoffete man wuͤrde nichts fin - den, das gegen mich gebraucht werden koͤnnte. Die Haupt-Abſicht bey der Durchſuchung ſey, (zum wenigſten von Seiten meiner Mutter) ſolche Umſtaͤnde zu entdecken, die zu meiner Ent - ſchuldigung dienen koͤnnten, damit mich mein Vater morgen oder uͤbermorgen fruͤh, mit meh - rerer Geduld und Gelaſſenheit ſprechen moͤchte. Mit Zaͤ tlichkeit / ſolte ich billig ſagen, (ſetzte ſie hinzu) denn das iſt ſein Vorſatz, und das ſoll geſchehen, wenn er nicht von neuen aufgebracht wird.

Ach! Frau Baſe!

Was ſoll das, Ach! Warum ſchuͤtteln ſie den Kopf ſo Geheimniß-voll?

Jch515der Clariſſa.

Jch wuͤnſche, Frau Baſe, daß ich nicht mehr Urſache haben moͤge, zu befuͤrchten, daß mein Vater noch laͤnger auf mich unwillig bleiben wird, als zu hoffen, daß ſich das Vater-Hertz wieder bey ihm regen werde.

Sie koͤnnen das nicht wiſſen, mein Kind. Die Sachen koͤnnen anders lauffen. Es ſteht viel - leicht nicht ſo ſchlimm um ſie, als ſie dencken.

Liebſte Frau Baſe, koͤnnen ſie mir einigen Troſt geben?

Wie ſo, mein Kind! Jſt es ihnen etwan moͤg - lich, mehr nachzugeben, als ſie bisher gethan haben?

Ach warum machten ſie mir eine falſche Hoff - nung? Machen ſie nicht, daß ich glauben muß, meine Baſe Hervey ſey gegen ihrer Schweſter Tochter grauſam, von der ſie doch ſo kindlich geehret und geliebet wird.

Jch kan ihnen vielleicht (aber im Vetrauen, nicht anders als im Vertrauen) noch mehr ſa - gen, wenn die Durchſuchung gut fuͤr ſie ablaͤuft. Sind ſie ſich etwas bewuſt, das man zu ihrem Nachtheil finden koͤnnte?

Einiges geſchriebene koͤnnte wol gefunden wer - den. Jch muß mir alle Folgen davon gefallenK k 2laſſen.516Die Geſchichtelaſſen. Mein Bruder und meine Schweſter werden fertig genug ſeyn, guͤtige Anmerckungen daruͤber zu machen. Jch gebe alles verlohren, und frage nicht mehr darnach, was man findet.

Sie ſagte: ſie hoffete, ſie hoffete veſtiglich, daß man nichts finden wuͤrde, das Urſache gaͤbe, mich fuͤr unbeſonnen zu halten. Wenn das nicht geſchaͤhe doch ſie koͤnnte leicht zu viel ausſchwatzen. Hiemit ging ſie weg, und verließ mich beſtuͤrtzter und zweiffelhafter, als ich vorhin geweſen war.

Jch kan an nichts mehr dencken, als an den Menſchen! und an die bevorſtehende Unterre - dung! Wie wollte ich GOtt dancken, wenn ſie uͤberſtanden waͤre! Jch ſoll ihn ſprechen, um mich mit ihm zu zancken! Jch will ihm nicht ei - nen Augenblick Stand halten, wenn er nicht gantz ruhig und gelaſſen iſt; er mag auch wa - gen was er will.

Mercken Sie wohl, wie krumm meine Zeilen werden, und wie einige Buchſtaben mehr als andere ausſehen, als wenn ſie umfallen woll - ten? Daraus ſchlieſſen Sie nur, daß ich mehr an das bevorſtehende, als an den Brief gedacht habe.

Was dencken Sie zu allen den Umſtaͤnden? Soll ich ihn noch ſprechen? Jch wuͤnſchte, daß ich Zeit haͤtte, Jhren Rath daruͤber zu hoͤren. Allein517der Clariſſa. Allein Sie bedencken ſich allzuſehr, mir Jhre Meynung frey heraus zu ſagen. Meine Un - gluͤcklichen Umſtaͤnde ſind Schuld daran.

Jch habe vergeſſen Jhnen zu melden, daß ich meine Frau Baſe bat, als eine Freundin von mir zu handeln, und ein gutes Wort fuͤr mich einzulegen, damit ich doch wenigſtens eine Friſt erhalten moͤchte, wenn weiter nichts zu erlan - gen waͤre.

Sie ſagte mir: wenn die Trauung nur vor - uͤber waͤre (was fuͤr eine erwuͤnſchte Bekraͤfti - gung deſſen, was mir Dorthgen geſchrieben hat! ſo wuͤrde mir ſo viel Zeit gegoͤnnet werden, als ich ſelbſt wuͤnſchte mich in mein Verhaͤngniß zu ſchicken, ehe ich zu ihm ziehen muͤßte.

Hieruͤber verging mir alle Geduld.

Sie ſetzte hinzu, ſie baͤte mich hinwiederum, daß ich auf eine froͤliche Art Gehorſam leiſten und die Verleugnung ſelbſt ſeyn moͤchte, wenn ich vor meine Verwanten gefordert wuͤrde. Es ſtuͤnde in meiner Macht, ſie insgeſamt gluͤcklich zu machen. Sie koͤnnte die Freude nicht aus - ſprechen, die ſie empfinden wuͤrde, wenn ſie ſaͤhe, daß mich Vater, Mutter, Onckles, Bruder, Schweſter mit Entzuͤckung umarmen, und an ihre liebreiche Bruſt druͤcketen, und ſich unter - einander Gluͤck dazu wuͤnſcheten, daß ihre Freu - de und Vergnuͤgen wieder vollkommen waͤre. K k 3Sie518Die GeſchichteSie ſelbſt wuͤrde einige Zeit vor Freude verſtum - men und erſtarren: und ihr Dorthgen (das arme Kind) die einige Zeit her desweaen ſchlech - ter angeſchrieben geweſen waͤre, weil ſie mich gar zu lieb haͤtte, wuͤrde wieder von jedermann Liebe und Freundſchaft zu gewarten haben.

Koͤnnen Sie daran zweiffeln, daß meine naͤchſt-bevorſtehende Verſuchung die haͤrteſte un - ter allen ſeyn wird?

Frau Hervey ſtellete mir dieſes auf das nach - druͤcklichſte vor. Das, was ſie von ihrer Dorth - gen ſagte, machte mich recht weichhertzig, ſo ungeduldig ich auch vorhin war. Jch konn - te aber nicht anders als durch Thraͤnen und Seufzer bezeugen, wie angenehm mir ein ſol - cher Ausgang ſeyn wuͤrde, wenn mir die Be - dingungen deſſelben nicht unmoͤglich waͤren.

Jetzt bringt mir Eliſabeth das Eſſen.

Sie iſt wieder weg. Die beſtimmte Zeit ruͤckt heran. Wenn er doch ausbliebe! Soll ich ihn ſprechen, oder nicht? Jch frage: und Sie koͤnnen mir nicht antworten.

Der Winck, den ich meiner Baſe gab, hat ſeine Wirckung gehabt. Eliſabeth ſagte mir auf eine prahleriſche Weiſe: ſie wuͤrde nachTiſche519der Clariſſa. Tiſche zu thun haben. Es wuͤrde ihr leid thun, wenn ſie mit dazu helfen muͤſte, daß man mir auf die Spur kaͤme. Allein es ge - ſchaͤhe alles zu meinem Beſten: und es ſtuͤnde nur bey mir, ob mir alles auf den Mittewochen vergeben werden ſollte? Hierauf nahm das ver - wegene Maͤdchen das Ende der Schuͤrtze in den Mund, um ſich des Lachens zu erwehren, und ging nach der Thuͤr zu. Sie kam wieder, als ich ihr mit Verdruß befahl, abzunehmen, und bat mich um Verzeihung. Aber aber (ſie lachte nochmahls) ſie koͤnnte das Lachen nicht laſſen, daß ich mich ſelbſt mit dem Eſſen im Sommer-Hauſe ſo gefangen, und ſo eine gute Gelegenheit gegeben haͤtte, alle meine Heim - lichkeiten durchzuſtaͤnckern. Sie haͤtte es wohl gedacht, daß etwas vorſeyn muͤſte, als es mein Bruder ſo bald zugegeben haͤtte, daß ich hier ſpeiſen ſollte. Mit ihrem Juncker koͤnnte es niemand aushalten. So klug ſich auch Jun - cker Lovelace duͤnckte, ſo waͤre er doch nichts gegen ihren jungen Herrn, wenn es auf einen fertigen Streich ankaͤme.

Meine Baſe ſagte, daß Herr Lovelace ge - gen ſeine Bedienten prahle: vielleicht macht er ſich wircklich ſo gemein mit ihnen. Von mei - nem Bruder aber weiß ich es, daß er mit ſei - nem Verſtande und Gelehrſamkeit beſtaͤndig ge - gen die Bedienten geprahlet hat. Jch habe oft gedacht, Hochmuth und NiedertraͤchtigkeitK k 4muͤſten520Die Geſchichtemuͤſten nahe mit einander verwant oder ſehr na - he Nachbaren ſeyn, wie der Poet von Witz und Aberwitz ſaget.

Allein was verunruhige ich Sie und mich noch in dem Augenblick, der ſo vieles entſchei - den ſoll, mit ſolchen Thorheiten? Jch muß zwar an ſolche Dinge dencken, um mir das na - he Uebel, die Unterredung mit Lovelacen / aus dem Sinne zu ſchlagen. Denn ſonſt werde ich nicht im Stande ſeyn, mit ihm zu ſprechen, da meine Furcht von Stunde zu Stunde waͤchſt, und alle meine Aufmerckſamkeit ſchon zum vor - aus verſchwendet wird; und er wuͤrde zu viel Vortheil uͤber mich haben, wenn ich nicht recht gegenwaͤrtiges Gemuͤths bin, da er mir ohne - hin meine Wanckelmuͤthigkeit mit einem Schein des Rechts vorwerfen kan. Der ſteht immer im Voreheil, der dem andern etwas vorzuruͤ - cken hat: und der andere Theil muß furchtſam ſeyn und wie ein armer Suͤnder ausſehen, wenn jener einiges Recht vor ſich hat.

Von Lovelacen weiß ich zum voraus, daß er Richter in ſeiner eigenen Sache und auch in meiner Sache wird ſeyn wollen. Das letzte ſoll aber gewiß nicht geſchehen.

Er wird ſich vor Unmuth zerreiſſen wollen. Jch frage aber nichts darnach. Jch habe Va - ter und Onckels widerſtanden: es waͤre ſchlimm, wenn ich Er iſt vor der Garten-Thuͤr.

Es521der Clariſſa.

Es war ein Jrrthum. Wenn man etwas befuͤrchtet, ſo meint man es zu hoͤren, ſo oft ſich nur ein Laub reget. Warum bin ich ich ſo unruhig!

Jch will eilen, dieſen Brief fuͤr Sie hinzu - legen. Alsdenn will ich nochmahls an den ge - woͤhnlichen Ort gehen, und zuſehen, ob er mei - nen Brief erhalten hat. Hat er ihn in Haͤn - den, ſo brauche ich ihn nicht zu ſprechen. Hat er ihn nicht, ſo will ich ihn wieder zuruͤck neh - men, und ihm zeigen, was ich geſchrieben habe. Hiemit will ich gleichſam das Eiß brechen, und viel unnuͤtze Worte ſparen. Jch brauche weiter nichts, als bey dem zu bleiben was ich geſchrieben habe. Unſere Unterredung muß ſo bald abge - brochen werden, als moͤglich iſt: denn wenn wir entdeckt werden, ſo iſt es ein neuer und ſtarcker Vorwand auf den Mittewochen.

Vielleicht werde ich eine Zeitlang nicht an Sie ſchreiben koͤnnen: vielleicht nicht eher, als bis ich das ungluͤckliche Eigenthum des Solmes bin. Doch niemahls, niemahls will ich das werden, ſo lange ich noch bey Sinnen bin.

Wenn Jhr Diener den Mittewochen fruͤh nichts findet, ſo glauben Sie, daß ich nicht ſchrei - ben und keine Brieffe erhalten kan: Haben Sie alsdenn Mitleiden mit mir, und beten Sie fuͤrK k 5mich.522Die Geſchichtemich. Goͤnnen Sie mir noch laͤnger die Stel - le in Jhrem Hertzen, die der groͤſſeſte Stoltz und eintzige Troſt iſt, fuͤr

Jhre Clariſſa Harlowe.

Der fuͤnf und viertzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Allerliebſte Freundin!

Was ſoll ich ſchreiben, nachdem ich am En - de meines vorigen Briefes Jhnen gantz andere Entſchlieſſungen gemeldet habe! Was kan ich ſchreiben! Muß ich nicht roth werden, wenn Jhnen auch nur mein Brief unter die Augen kommen ſoll. Wenn Sie es noch nicht durch das allgemeine Geruͤcht wiſſen, ſo werden Sie bald hoͤren, daß Jhre Clariſſa Harlowe mit einer Manns-Perſon durchgegangen iſt.

Jch will Jhnen kuͤnftig die Umſtaͤnde ausfuͤhr - lich melden. So bald ich in Ruhe bin, ſollennicht523der Clariſſa. nicht weniger als taͤglich vier und zwantzig Stun - den dazu angewandt werden: d. i. eine jede Stun - de, die mir der Menſch laſſen wird, der mich alle Augenblicke ſtoͤret, und dem ich wegen all - zuvieler Stunden Rechenſchaft geben muß, nachdem ich durch meine Thorheit in ſeine Haͤn - de gerathen bin. Jch habe gar keine Ruhe, und keinen Beruf mehr zum Schlaf. Der Schlaf hoͤrt auf ein Balſam fuͤr mein verwundetes Hertz zu ſeyn. Alle Stunden ſind alſo Jhnen gewidmet, bis ich meine Erzaͤhlung geendiget habe.

Allein, werden Sie meine Brieffe annehmen wollen oder duͤrffen, nachdem ich mich ſo ver - gangen habe?

Jch mus es ſo gut machen, als ich kan: und ich hoffe, daß noch nicht alles verdorben iſt. Davon aber bin ich uͤberzeuget, daß ich mich darin ſehr uͤbereilt, und ohne Entſchuldigung bin, daß ich ihn geſprochen habe. Alle ſeine Zaͤrtlichkeit, alle ſeine Eydſchwuͤre koͤnnen den Vorwurf nicht heben, den ich mir ſelbſt dar - uͤber mache.

Der Ueberbringer dieſes Brieffes ſoll meine Waͤſche von Jhnen abhohlen, die ich Jhnen ſand - te, als ich mir noch mit einer angenehmen Hoff - nung ſchmeichelte. Schicken Sie die Brief - ſchaften nicht mit, ſondern die Waͤſche allein: es waͤre denn, daß Sie mich mit einer Zeile erfreu - en und mich Jhrer fortdaurenden Liebe verſichern wollten: wie auch deſſen, daß Sie nicht eher JhrUrtheil524Die GeſchichteUrtheil ſprechen wollen, bis Sie meine gantze Ge - ſchichte wiſſen. Jch habe deswegen ſo bald an Sie geſchrieben, damit Sie keinen Brief an mich nach Harlowe-Burg ſchicken, oder die ſchon hingeſchickten wieder abholen laſſen moͤchten.

Leben Sie wohl, liebſte Freundin! und lieben Sie mich noch ferner. Was wird aber Jhre Frau Mutter ſagen? Was meine Mutter? Was meine uͤbrigen Verwanten? Was meine liebe Frau Norton? Wie wird mein Bruder und meine Schweſter frohlocken?

Jch kan Jhnen noch nicht melden, wohin Sie Jhre Brieffe ſchicken ſollen: denn ich werde die - ſen Ort bald verlaſſen, ob ich gleich bis auf den Tod muͤde bin. Wenn ich nichts anders thun kan, ſo macht doch die lange Gewohnheit, daß ich noch im Stande bin zu ſchreiben. Dieſes iſt lange Zeit mein Zeitvertreib und mein Ver - gnuͤgen geweſen: es wuͤrde aber nicht zu meinem Vergnuͤgen gereicht haben, wenn ich nicht an ei - ne ſo liebe Freundin haͤtte ſchreiben koͤnnen. Nochmahls A dieu! Haben Sie Mitleiden, und vereinigen Sie Jhr Gebet, mit

Jhrer Cl. Harlowe.

Der525der Clariſſa.

Der ſechs und viertzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch ſchreibe, weil Sie mir befehlen zu ſchrei - ben. Jch liebe Sie unverruͤckt: und wie koͤnnte ich es aͤndern! Sie koͤnnen dencken, wie ich mich entſetzt habe, als mir Jhr Brief die erſte Nachricht von Jhrer Flucht ertheilte. GOtt des Himmels und der Erden! Was ſoll ich ſagen? Jch bin voller Neugier und Unge - duld.

Hilf Himmel! Jſt es moͤglich!

Meine Mutter wird in der That auſſer ſich kommen. Wie ſoll ich es ihr ſagen? Jch ſagte ihr noch geſtern Abend, als ihr alberner Onckle ſie gantz argwoͤhniſch gemacht hatte, weder Men - ſchen noch Teuffel wuͤrden Sie zu etwas verfuͤh - ren, das Jhre Ehre im geringſten verletzte. Jh - re ſtarcken Verſicherungen machten, daß ich ſo redete,

Jſts moͤglich? ſage ich nochmahls. Welches Frauenzimmer kan bey ſolchen Umſtaͤnden GOtt behuͤte Sie vor Ungluͤck!

Laſſen526Die Geſchichte

Laſſen Sie in Jhren Briefen nichts vorbey. Machen Sie die Aufſchrift nur an die Fraͤulein Knollys / wenn die Brieffe gleich an mich ge - richtet ſind, bis auf weitere Nachricht.

Mercken Sie wohl, ich will Sie nicht ta - deln. Jhre Anverwanten haben alle Schuld. Allein, wie konnte ſich ein ſolches Gemuͤth, als das Jhrige iſt, hiezu entſchlieſſen?

Jch weiß noch nicht wie ich es meiner Mutter eroͤfnen ſoll. Wenn ſie es aber zuerſt von andern erfaͤhret, und doch merckt, daß ich es ſchon gewuſt habe, ſo wird ſie meinen, daß ich mein Ja dazu gegeben habe. Wenn ich ſter - ben ſoll, ſo kan ich es ihr nicht ſagen.

Jch mache Sie nur unruhig, ſo wenig es auch meine Abſicht iſt.

Jch wiederhohle meinen Rath. Sind Sie noch nicht verheyrathet, ſo ſchieben Sie die Trauung nicht auf. Jch wollte, daß die Welt glaubte, Sie waͤren noch vor Jhrer Flucht heimlich getrauet. Wenn dieſe Leute das Wort Recht misbrauchen, ſo bald wir die Jhrigen ſind, ſo koͤnnen wir das Wort,das527der Clariſſa. das verhaßte Wort, auch wol bey einer ſol - chen Gelegenheit nuͤtzlich gebrauchen, unſere Eh - re zu erhalten, nachdem wir andere Rechte / die aus der Geburt entſtehen, verletzt ha - ben.

Nun hat Jhr Bruder und Jhre Schwe - ſter, was ſie haben wollten: das verdrieſt mich am meiſten. Nun wird man von Aen - derung der Teſtamenter und andern Nieder - traͤchtigkeiten hoͤren.

Eben laſſen ſich die Fraͤuleins Bloyd und Biddulph melden. Kitty ſagt, ſie waͤ - ren gantz auſſer Athem. Jch kan ihre Ab - ſicht leicht errathen: ich muß aber meine Mutter vorher ſprechen. Jch weiß kein an - der Mittel mich zu rechtfertigen, als daß ich ihr Jhren Brief zeige. Jch werde kein Wort ſagen koͤnnen, bis ſie ausgeredet hat. Vergeben Sie mir alles. Aus Beſtuͤrtzung ſchreibe ich verworren. Wenn Jhr Bote nicht wartete, und die Fraͤuleins nicht ſchon im Hauſe waͤren, ſo wollte ich den Brief wieder abſchreiben, damit Sie ſich nicht be - truͤben moͤgen.

Jch528Die Geſchichte

Jch ſende das verlangte. Mangelt Jhnen ſonſt etwas, das in meinem Vermoͤgen ſtehet, ſo befehlen Sie

Jhrer ewig ergebenen Anna Howe.

Ende des zweyten Theils.

[529][530][531][532][533]

About this transcription

TextClarissa
Author Samuel Richardson
Extent539 images; 107258 tokens; 9944 types; 716099 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationClarissa Die Geschichte eines vornehmen Frauenzimmers von demjenigen herausgegeben, welcher die Geschichte der Pamela geliefert hat: und nunmehr aus dem Englischen in das Deutsche übersetzt Zweyter Theil Samuel Richardson. Johann David Michaelis (ed.) . [1] Bl., 528 S. VandenhoeckGöttingen1748.

Identification

SUB Göttingen SUB Göttingen, 8 FAB IX, 1185:2 RARA

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:34:06Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibrarySUB Göttingen
ShelfmarkSUB Göttingen, 8 FAB IX, 1185:2 RARA
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.