PRIMS Full-text transcription (HTML)
Clariſſa, Die Geſchichte eines vornehmen Frauenzimmers,
Erſter Theil.
GOETTJNGEN,Verlegts Abram Vandenhoͤck, Univerſitaͤts-Buchh.1748.
Mit Koͤnigl. Pohln. und Churf. Saͤchß. allergnaͤdigſten Privilegio.

Die Vorrede des Ueberſetzers.

Es ſind die Geſchichte der Clariſſa dem Verleger dieſer deutſchen Ueberſetzung, ſo bald ſie in England heraus kamen, von ſolchen Maͤnnern angeprieſen und ihm angera - then worden eine deutſche Ueberſetzung davon zu beſorgen, auf deren Urtheil er ſich voͤllig verlaſſen konnte, und deren Nahmen, wenn es noͤthig waͤre ſie bekannt zu machen, ihm und der von ihm herausgegebenen Ueberſetzung an ſtatt einer Schutz-Schrifft dienen koͤnnten.

Der eine unter denen, deſſen Rath er folge - te, zog die Clariſſa der mit ſo vielem Beyfall aufgenommenen Pamela vor: und weil die - ſer Mann von dem groͤßeſten und beſten Theil Deutſchlandes fuͤr den groͤßeſten Kunſtrichter unſerer Zeit in den ſchoͤnen Wiſſenſchafften angeſehen wird; und diejenigen Stuͤcke, die er) (2bis -Vorrede. bisher (obgleich ſparſam) zum Vergnuͤgen und Beſſerung der Deutſchen herausgegeben hat, von Dichtern ſowohl als von andern Leſern bey nahe fuͤr canoniſch angeſehen ſind; und uͤber das in den Schriften und Urtheilen die - ſes Mannes die ſtrengeſten Grund-Saͤtze der Tugend und der Religion herrſchen: ſo konnte der Verleger nicht anders als vergnuͤgt ſeyn, daß ihm dieſes Buch zuerſt in die Haͤnde ge - fallen waͤre; und er ſahe ſich ſogleich nach ei - nem Ueberſetzer um, von dem er hoffen koͤnnte, daß er das Engliſche genugſahm verſtuͤnde, ein ſo ſchweres Buch zu uͤberſetzen, und daß er nicht durch eine allzu matte und ſteiffe deutſche Schreib-Art den Leſer des Vergnuͤ - gens berauben wuͤrde, das er bey einer Schrift dieſer Art mit dem groͤſſeſten Rechte fodern kann.

Es wird nicht noͤthig ſeyn ausfuͤhrlicher zu melden, daß ſich der Verleger in Ausfindung eines ſolchen Ueberſetzers Muͤhe gegeben, und des Raths desjenigen Mannes dabey inſon -derheitVorrede. derheit bedienet hat, der ihm die Clariſſa als ein Meiſterſtuͤck eines wohl geſchriebenen Eng - liſchen Buchs angeprieſen hatte. Derſelbige den er endlich erſucht hat, die Ueberſetzung des gantzen Buchs zu uͤbernehmen, hat ſich ſelbſt eine geraume Zeit in England aufgehalten, und hoffet deswegen, daß ſich der Leſer deſto eher auf ſeine Ueberſetzung werde verlaſſen koͤnnen. Er hat dieſen Umſtand auf Verlan - gen des Verlegers hier melden muͤſſen, und er glaubt deſtoweniger, daß ihn ein ver - nuͤnftiger Leſer deshalb einer Unbeſcheidenheit beſchuldigen werde, weil er ſeine Ehre nie darin geſucht hat, oder zu ſuchen gedenckt, daß er ein guter Ueberſetzer heiße, ſondern entſchloſſen iſt, ſich durch andere Mittel ein guͤnſtiges Urtheil der Welt zu erwerben. Er wuͤrde auch, da er mit anderer Arbeit uͤber - haͤuft iſt, und nebſt einigen eigenen Schriften die er unter der Feder hat, alle Tage mehrere Stunden zu Vorleſungen auf der hieſigen Univerſitaͤt anwendet, dieſeUeber -Vorrede. Ueberſetzung nicht uͤbernommen haben, zu welcher er die Zeit von dem Umgang mit guten Freun - den abbrechen mußte; wenn er nicht in der Ueberſetzung dieſes Buchs der Welt einen wahr - haften Dienſt zu leiſten geglaubt haͤtte, und ſich einigermaßen unterſtuͤnde auf den Uhrhe - ber dieſes Buchs die Zeilen zu deuten, die ihm bey einer anderer noch erhabenern Gele - genheit entfallen ſind:

Er mahlete das ernſtliche Gebot
Der warnenden Vernunft in lockenden Ge -
beerden.
Selbſt denn, wenn es dem Frevler droht,
Hies er die Worte reitzend werden:
Bis es des Laſters Freund mit Schaudern
liſt,
Und faſt auf Schrecken luͤſtern iſt.
Er ſuchte neue Redens-Arten,
Die Richtigkeit mit Anmuth paarten,
Und ein zur Luſt gedichtet Bild,
Das ſchertzt, und in den Schertz den Ernſt
der Lehren huͤllt.
EinVorrede.

Ein ſolches Buch zu uͤberſetzen, konnte er fuͤr keine Bemuͤhung anſehen, die unnuͤtz waͤre, und ihn in dem Urtheil verſtaͤndiger Leute er - niedrigen wuͤrde.

Er hat geſucht, die verſchiedene Schreib - Art, die die Brieffe der verſchiedenen Perſo - nen unterſcheidet, nachzuahmen: z. E. die lo - ſen Beſchreibungen, welche die Fraͤulein Howe zu machen pflegt; die gezwungen-witzi - ge Schreib-Art des Jacob Harlowe, u. ſ. f. Eine woͤrtliche Ueberſetzung iſt bey Buͤchern unangenehm, die vergnuͤgen ſollen: er hat daher die Freyheit gebraucht, die Worte im deutſchen ſo zu ſetzen, wie ſie ſeiner Meinung nach in dieſer Sprache am beſten lauteten. Jnſonderheit hat er oft die allzulangen und im deutſchen unangenehmen Periodos der Englaͤnder in mehrere kurtze getheilt: auch bisweilen doch ſelten einen Spaß, der im Engliſchen und nicht im deutſchen lebhaft oder gewoͤhnlich iſt, mit einem andern vertauſcht, der ſich im deutſchen beſſer ſchickte.

WeilVorrede.

Weil er durch die Ueberſetzung Gelegenheit gehabt hat, die Clariſſa genauer kennen zu lernen: ſo nimt er ſich die Freyheit, dem Le - ſer die Vorzuͤge zu entdecken, welche be - reits dieſe erſten Theile vor der Pamela ha - ben.

Die Schreib-Art der Haupt-Perſon iſt hier gleich zu Anfang erhabener, als ſie in der Pamela iſt, oder ſeyn durfte. Man hat nicht mit ſo vielen Kleinigkeiten zu thun. Wer kann zwar allen etwas recht machen? Es ha - ben einige gemeint, die Clariſſa ſchreibe zierli - cher als ein Frauenzimmer ſchreiben koͤnnte. Wenn Frauenzimmer ſelbſt dieſen Einwurff machen ſollten, ſo ruͤhret er gewiß entweder von ihrer Demuth oder daher daß ſie nicht Clariſſen ſind. Jn dem Munde einer Manns - Perſon aber wird er weder hoͤflich noch be - ſcheiden lauten: und es wird immer die Fra - ge ſeyn, welche Frauenzimmer ein ſolcher Tadler zum Muſter nehme? Sind es vorneh -meVorrede. me Frauenzimmer von Verſtand, von Bele - ſenheit und Erziehung: ſo meine ich, daß es manche ſolche Frauenzimmer den Manns-Per - ſonen in der Schreib-Art zuvor thun. Des Herrn von Buſſy Briefe ſind niemahls ſo hoch geſchaͤtzt worden, als die von ſeiner Verwantin der Frau von Sevigne. Der Ueberſetzer iſt hierin ſo ſehr verſchiedener Meinung, daß er ſich nicht unterſtanden hat, die Ode zu uͤber - ſetzen, die im zweyten Theil Bl. 80 mangelt, weil ſie nach dem Zeugniß des Engliſchen Schriftſtellers von einem Frauenzimmer ver - fertiget iſt, und dem gantzen Geſchlecht zur Ehre gereicht.

Jn der Pamela wird mehr als einmahl ei - ne Ohnmacht zu Entwickelung eines Knotens gebraucht, und die Heldin dadurch von der Gefahr errettet, die ihr drohete. Dieſes ſcheint ein Fehler zu ſeyn, weil es die Wahr - ſcheinlichkeit der Erzaͤhlung mindert. Denn es iſt nicht vermuthlich, daß ein Frauenzim -merVorrede. mer in den Umſtaͤnden der Pamela ſo oft mit Ohnmachten uͤberfallen werden ſollte. Jn den vier erſten Theilen der Clariſſa findet ſich keine Ohnmacht, die einen Knoten aufzuloͤ - ſen gleichſahm gerufen iſt: ob ſich gleich bis - weilen Clariſſa eine ſo gefaͤllige Ohnmacht wuͤnſchet, die ihr zu rechter Zeit aufwarten ſolle.

Die Pamela verliert zuletzt das lebhafte, muntere, reitzende und unerwartete. Der vierte Theil wird ſo ernſthaft, daß ihn der vielleicht kaum in einem Monathe durchlieſet, der uͤber den erſten Theilen Naͤchte aufgeſeſſen hatte. Bey der Clariſſa waͤchſt das lebhafte, muntere, reitzende, und unerwartete. Wenn ein Leſer ein ſo fluͤchtiges Hertz hat, daß ihm einige Stellen der zwey erſten Theile zu ernſt - haft vorkommen, und er nicht das rauſchen - de Vergnuͤgen dabey empfindet, das er ſich wuͤnſchet: ſo wird eben derſelbige Leſer bey dem Anfang des dritten und bey dem EndedesVorrede. des vierten Theils das Buch nicht aus den Haͤnden legen koͤnnen. Der Jnhalt der fol - genden Theile traͤgt hiezu vieles bey.

Jch weiß nicht, ob ich dem Leſer den Ge - fallen thun und von ihrem Jnhalt etwas mel - den ſoll? oder ob es beſſer iſt, ihn in einer angenehmen Ungewißheit zu laſſen, die hernach durch Leſung dieſer unerwarteten Zufaͤlle deſto mehr vergnuͤgt werden wird?

Doch nein! ich will den Fluch nicht auf mich laden, mit dem mich die ungeſaͤttigte Neugier zwiſchen hier und Oſtern verwuͤnſchen koͤnnte.

Jm Anfang des dritten Theils findet man, wie liſtig es Lovelace angefangen hat, die Clariſſa dennoch dahin zu vermoͤgen, daß ſie in ſeiner Geſellſchaft ihrer Eltern Haus ver - ließ. Er hat bisweilen den aufrichtigſten Vorſatz gegen ſie: allein ſie macht aus Furcht,dasVorrede. das vierte Gebot zu uͤbertreten, Zweiffel, und ſchiebt die Trauung auf. Er will ſie auf alle moͤgliche Proben ſtellen, und wuͤnſcht ſie zu be - ſiegen, ehe die Kirche ihren Seegen zu dem Siege geſprochen haͤtte. Er macht aber doch auch Anſtalten, wahre Anſtalten, zum Heyra - then. Er iſt bisweilen ein eingefleiſchter Wi - derſpruch von Treue und Untreue. Er bringt ſie endlich ſo weit, daß ſie ſich nach London be - giebt: und er miethet ſie in das Haus des angeblichen Sinclair ein. Die Nymphen dieſes Hauſes verwandeln ſich in Jungfern von gutem Stande, von Tugend, und andern guten Eigenſchaften; und Clariſſa meint, daß ſie die Perſonen ſind, die ſie ſpielen. Bey al - len dieſen Umſtaͤnden beobachtet er den Anſtand, der erfodert ward, wenn Clariſſa dieſes Haus fuͤr tugendhaft und ehrbahr halten ſollte. Alle ſeine Liſt kann ſie nicht beſiegen: er zuͤn - det endlich, um ſie weniger angekleidet zu ſe - hen, das Haus des Nachts an; er erhaͤlt aber nur einen kleinen Theil von ſeinem Endzweck. SieVorrede. Sie fluͤchtet des folgenden Tages mit der groͤſſeſten Klugheit: und der vierte Theil laͤßt Lovelacen in der unausſprechlichſten Verwir - rung.

Der fuͤnfte und ſechſte Theil hat das Licht noch nicht geſehen. Der Doctor H. muß in demſelben zuerſt auftreten, von dem die vier er - ſten Theile nichts wiſſen. Vielleicht findet man in dem ſieben und dreißigſten Briefe des zweyten Theils eine Ahndung von dem fuͤrch - terlichen Ende dieſes Trauer-Spiels. Ver - muthlich werden dieſe Theile ſchon jetzt in Eng - land in der Preſſe ſeyn: und wo dieſes iſt, ſo liefert der Verleger die Ueberſetzung des drit - ten und vierten Theils auf Oſtern 1749, und den fuͤnften und ſechſten Theil auf Michaelis.

Goͤttingen den 20 Sept. 1748.

[1]

Clariſſa der erſte Theil.

Erſter Brief von Fraͤulein Anna Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch bin wegen der Unruhe, die Jhr Haus ſeit kurtzen in Verwirrung geſetzet, ſehr bekuͤmmert. Jch kan leicht dencken, wie emp - findlich es Jhnen ſeyn muͤſſe, daß Jhrer in allen oͤffentlichen Geſpraͤchen gedacht, wird: und dennoch iſt es bey einer ſo bekant gewordenen Be - gebenheit unmoͤglich, daß nicht ein jeder auf dasje - nige aufmerckſam ſeyn ſollte, was ein junges Frauenzimmer betrifft, deſſen ausnehmende Vor - zuͤge jederman veranlaſſet haben, an ihren Bege - benheiten Antheil zu nehmen. Jch bin begierig von Jhnen ſelbſt die eigentlichen Umſtaͤnde eines Verfahrens zu vernehmen, das man Sie wegen ei - nes unverſchuldeten Zufalls empfinden laͤſſet, in welchem, ſo viel ich erfahren kan, der leidende Theil den Angriff gethan hat. Jch habe auf die erſte Nachricht von der vorgegangenen Schlaͤgerey Hrn. Diggs(*)Der Wund-Artzt ihres Bruders. ſogleich her bitten laſſen, umErſter Theil. Amich2Die Geſchichtemich aus Beſorgniß fuͤr ſie zu erkundigen, wie ſich Jhr Bruder befinde. Er ſagte mir, die Wunde ſey gar nicht gefaͤhrlich: allein das Fieber koͤnte von ſchlimmen Folgen ſeyn, welches dem Anſchein nach durch die hefftige Unruhe des Ge - muͤths ſtaͤrcker geworden iſt. Herr Wyerley tranck geſtern mit uns Thee: und ob er gleich, wie ſehr zu vermuthen, gar nicht partheyiſch fuͤr Herrn Lovelace iſt, ſo tadelt doch ſowohl er, als Herr Symmes / Jhre Familie ſehr, wegen ihres ſonderlichen Betragens gegen Herrn Lovelace / als er ſelbſt kam, um ſich nach dem Befinden Jhres Bruders zu erkundigen, und ſeine Bekuͤmmerniß wegen des vorgegangenen Ungluͤcks zu bezeigen.

Man ſagt, daß Herr Lovelace nicht umhin gekonnt, ſeinen Degen zu ziehen: und daß entwe - der Jhres Bruders Ungeſchicklichkeit oder Hitze ihn ſchon bey dem erſten Gang voͤllig in die Ge - walt ſeines Gegners geliefert habe. Wie mir erzehlet worden, ſo hat er ſich darauf zuruͤck ge - zogen und zu ihm geſagt: Behutſamer! Herr Harlowe. Sie geben ſich durch ihre Hitze bloß! Sie geben mir zu viel Vortheil! Jhrer Schwe - ſter wegen vergebe ich alles: wenn . Die - ſes ſoll ihn nur verwegener gemacht haben, ſich noch mehr Bloͤße und ſeinem Gegner mehr Vor - theil zu geben, der ihn nach einer leichten Ver - wundung am Arm entwaffnete.

Einige Leute, die auf Jhren Bruder, wegen ſei - nes herrſch ſuͤchtigen Gemuͤths, und wegen ſeines Hochmuths und Eigenſins nicht wohl zu ſprechenſind,3der Clariſſa. ſind, ſagen, daß ſich die Hitze des jungen Herrn ſehr abgekuͤhlet, als er ſein Blut von dem Arm haͤuffig herab flieſſen ſahe, und daß er die großmuͤ - thigen Dienſte ſeines Gegners angenommen, der ihm Rock und Weſte ausziehen half, und ihm den Arm bis auf Ankunft des Wund-Artztes verband. Er ſoll dieſes alles ſo geduldig gelitten haben, daß dadurch der Beſuch, welchen ſein Gegner hernach bey ihm abſtatten wollte, um ſich nach ſeinem Be - finden zu erkundigen, weder fuͤr eine Verſpottung noch fuͤr unzeitig konnte gehalten werden.

Doch dem ſey wie ihm wolle, jederman bedau - ret Sie. So ſtandhaft und immer einerley in Jhrer Auffuͤhrung! So begierig, wie Sie oft ge - ſagt haben, unbemerckt durch das Leben hin - durch zu ſchleichen, und welches ich noch hinzu ſetzen moͤchte, in Jhren verborgenen Gutthaͤtigkei - ten nicht erkannt und beobachtet zu werden, weil Jhnen das bloſſe Bewuſtſeyn derſelben, der edelſte und vortreflichſte Lohn ſchien! Nuͤtzlich ohne es ſcheinen zu wollen! nach Jhrem wohl ausge - ſuchten Wahlſpruch: Und dennoch auf einmahl zu Jhrem groſſem Verdruß in die Nachrede der Leute gebracht! und in ihrem eigenen Hauſe mit der Schuld fremder Vergehungen belaͤſtiget! Wie muß eine ſolche Tugend in jedem Stuͤcke lei - den! Unterdeſſen muß man geſtehen, daß Jhre Pruͤfung Jhrer Klugheit gemaͤß iſt.

Da Jhre Freunde auſſer Hauſe beſorget ſind, daß ein ſo hefftiger Streit, deſſen ſich dem Anſchein nach die beyden Haͤuſer annehmen und ihn zu ei -A 2nem4Die Geſchichtenem Familien-Streit macheu, noch andere un - gluͤckliche Folgen haben moͤchte: ſo erſuche ich Sie, mich durch eine Nachricht von Jhrer eigenen Hand in Stand zu ſetzen, daß ich Jhr Betragen bey ge - gebener Gelegenheit rechtfertigen koͤnne.

Meine Mutter und wir alle reden gleich andern Leuten bey nahe von niemand als von Jhnen und von den Folgen, die die Rachgier eines ſo hitzigen Kopfes als Hr. Lovelace iſt haben koͤnnte: denn dieſer giebt vor, daß Jhres Vaters Bruͤder Jhm auf das ſchimpflichſte begegnet ſind. Meine Mut - ter will; daß Sie nunmehr ihn weder ſprechen, noch einigen Brief-Wechſel mit ihm unterhalten koͤnten, ohne den Wohlſtand aufs aͤuſſerſte aus den Augen zu ſetzen. Jhres Vaters Bruder hat ſie ſehr eingenommen, von dem Sie wiſſen, daß er uns bisweilen beſucht. Er hat bey dieſem Vorfall es als eine ſehr ſchwartze That einer Schweſter vorgeſtellet, wenn ſie einem Liebhaber noch einige Hoffnung machte, der den Weg zu Jhrem Hertzen durch Jhres Bruders Blut neh - men wollte. Dies war ſein Ausdruck.

Schreiben Sie mir demnach, mein Schatz, al - les was von der Zeit an vorgefallen iſt, da Herr Lovelace den erſten Zutrit in Jhr Hauß bekom - men hat, inſonderheit das, was Jhre aͤlteſte Schweſter und ihn betrifft. Denn hievon gehen ſehr verſchiedene Reden: einige Leute glauben, daß die juͤngere Schweſter wenigſtens durch ihre groſ - ſe Vorzuͤge und Artigkeit der Aelteſten das Hertz eines Liebhabers geſtohlen habe. SchreibenSie5der Clariſſa. Sie aber ſo vollſtaͤndig, daß auch ſolchen ein Ge - nuͤge geſchehe, die von Jhren Umſtaͤnden nicht ſo viel Nachricht haben, als ich. Sollte aus der Hefftigkeit der Gemuͤther, mit denen Sie jetzt zu thun haben, ein Ungluͤck entſtehen; ſo wird nichts mehr zu Jhrer Rechtfertigung dienen koͤnnen, als dieſe ſchon einige Zeit vorher gegebene Nachricht.

Sie ſehen, was Sie ſich dadurch fuͤr eine Laſt aufgebuͤrdet haben, daß Sie alle Jhres Geſchlechts uͤbertreffen. Ein jedes Frauenzimmer, daß Sie kennet, oder von Jhnen gehoͤrt hat, maſſet ſich gleichſam ein Recht an, Sie wegen Jhrer Auf - fuͤhrung in einer ſo gefaͤhrlichen und empfindlichen Begebenheit zur Rechenſchafft zu ziehen.

Jedermanns Auge iſt auf Sie gerichtet, und erwartet von Jhnen ein Muſter dem man nachfol - gen koͤnne. Jch wuͤnſchte, daß Sie Freyheit ha - ben moͤchten Jhren eigenen Einſichten zu folgen: alsdenn, hoffe ich, wuͤrde alles auf eine leichte und anſtaͤndige Art geendiget werden. Jhre Fuͤhrer und Fuͤhrerinnen ſetzen mich nur in Sorge; denn obgleich Jhre Mutter alle Eigenſchafften an ſich hat, andere zu regieren, ſo muß Sie ſich doch re - gieren laſſen. Jhre Schweſter und Jhr Bruder werden Sie gewiß hindern den Weg zu gehen, den Sie ſelbſt waͤhlen wuͤrden.

Aber ich weiß Sie vergoͤnnen mir nicht, mich uͤber dieſen letzten Punct weitlaͤuftiger zu erklaͤren. Jch bitte mir Vergebung aus, und ſchlieſſe. Doch was ſoll ich um Vergebung bitten? da Jhre Sorge, meine Sorge iſt, und Jhre Ehre, meineA 3Ehre6Die GeſchichteEhre; da ich Sie ſo liebe, als nie Frauenzimmer einander geliebet haben; und da Sie mir Erlaub - niß gegeben haben, Sorge und Liebe mit Jhnen zu theilen; und ſchon mehrere Jahre (wenigſtens kann man ſie in einen ſo jungen Alter mehrere nennen) einen Platz in der erſten Claſſe Jhrer Freundinnen gegoͤnnet haben, Jhrer ewig danck - baren und ergebenſten

Anna Howe.

P. S. Wollen Sie mir die Gefaͤlligkeit erzeigen, mir eine Abſchrifft des Eingangs zu den in Jh - res Groß-Vaters letzten Willen Jhrentwegen ge - machten Clauſuln zu uͤberſenden? und mir erlau - ben ſolche meiner Baſe Harman zu ſchicken? Sie iſt ſehr begierig dieſen Eingang zu ſehen. Jedoch iſt ſie von Jhuen ſo eingenommen, daß ob Sie ihr gleich von Perſon unbekannt ſind, ſie doch ſchon zum voraus billiget, daß Jhr Groß-Va - ter Sie vorzuͤglich vor andern bedacht hat, ohne die Urſachen noch zur Zeit zu wiſſen, die ihn hie - zu bewogen haben.

Zweyter Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Wie uͤberhaͤuffen Sie mich mit einer rechten Laſt von Hoͤflichkeit! Jch kan zwar an Jh -rer7der Clariſſa. rer Aufrichtigkeit nicht zweifeln: allein Sie ſoll - ten ſich doch billig in Acht nehmen, daͤß Jhre guͤ - tige Partheylichkeit gegen mich nicht zum Nach - theil ihrer Beurtheilungs-Kraft ausgeleget wer - den moͤge. Sie unterſcheiden die vortrefflichen Gedancken nicht, die ich Jhnen bisweilen abbor - ge, und die Kunſt verſtehe ſie ſo anzubringen, als waͤren es meine eigene. Denn in allem was Sie thun, und was Sie reden, ja ſelbſt in Jhren ſo lebhaften Blicken geben Sie, ohne es zu wiſſen, einer Dienerin, die Sie ſo liebet, und ſo auf Sie Acht giebet als ich es thue, lauter Lehren. Jch bitte demnach, ſeyn Sie inskuͤnftige ſparſamer mit Jhrem Lobe; damit nicht nach dieſem meinem Geſtaͤndniß der Argwohn enſtehen moͤge, daß Sie ſich ſelbſt heimlich in meinem Lobe zu loben gedaͤchten.

Unſere Familie iſt in der That ſehr auſſer Ord - nung gekommen-auſſer Ordnung! Nein ſie iſt in der allergroͤſten Unordnung geweſen, ſeit dem jene ungluͤckliche Begebenheit vorgefallen iſt. Man hat alle Schuld auf mich geworfen: und ich wuͤrde von ſelbſten mir dieſe Sache zu ſehr zu Ge - muͤthe gezogen haben, wenn andere glimpflicher und billiger mit mir umgegangen waͤren.

Es mag mein Wunſch die Frucht einer tadel - haften Ungedult ſeyn, und daher entſtehen, daß ich zu guͤtig erzogen bin gegen Beſchuldigung un - empfindlich zu ſeyn, oder er mag daher kommen, daß ich diejenigen um meinet willen nicht ohne Verdruß kan tadeln hoͤren, die ich zu entſchuldi -A 4gen,8Die Geſchichtegen, verbunden bin: ſo habe ich doch bisweilen gewuͤnſchet, daß es GOtt gefallen haͤtte, mich in meinem lctzten Fieber wegzunehmen, als ich mich noch jedermanns Liebe und guter Meynung zu er - freuen hatte; und noch oͤfter habe ich gewuͤnſchet, daß mein Groß-Vater mir in ſeinem letzten Wil - len nicht ſo viel zum voraus vermacht haͤtte. Denn dieſe ſeine Guͤte hat, wie ich muthmaſſe, das Hertz meines Bruders und meiner Schweſter von mir abgewandt, und wenigſtens einigen Neid auf die Gewogenheit meiner Vater-Bruͤder gegen mich bey Jhnen erwecket, welcher Jhre Liebe biswei - len verdunckelt.

Da mein Bruder von ſeinem Fieber gluͤcklich wieder hergeſtellet iſt, und man in Anſehung ſei - ner Wunde auch gute Hoffnung hat, ob er ſich gleich noch nicht ausgewaget: ſo will ich in Er - zaͤhlung unſerer Kleinigkeiten, ſo umſtaͤndlich ſeyn, als Sie verlangen. Aber GOtt verhuͤte, daß niemals ein neues Ungluͤck moͤge Anlaß ge - ben, dieſe Nachricht zu dem Zwecke, deſſen Sie ſo guͤtig erwaͤhnen, anderen vorzuzeigen.

Jch will Jhrem Befehl gemaͤß von der erſten Bewerbung des Herrn Lovelace um meine Schweſter den Anfang machen, und ſo kurtz ſeyn als moͤgltch iſt. Jch will nur die Sachen erzaͤh - len, und Jhnen uͤberlaſſen, von der Wahrheit des Geruͤchts zu urtheilen, daß die juͤngere Schwe - ſter der aͤltern ein Hertz geſtohlen habe. Es geſcha - he zu folge einer Berathſchlagung zwiſchen dem Lord M. und meines Vaters Bruder Anton /daß9der Clariſſa. daß Herr Lovelace mit Erlaubniß meiner Eltern meiner Schweſter Arabella die Aufwartung machte. Mein Bruder hielt ſich damals in Schottland auf, um die ſchoͤnen Guͤter zu beſe - hen, dle ihm von ſeiner freygebigen Pathe nebſt andern von gleichem Werth in der Grafſchafft Yorck, vermacht waren. Jch befand mich damals auf meiner ſo genannten Hollaͤnderey*)Damit ihr Großvater ſie ſo oft zu ſich bitten koͤnte als ihre uͤbrigen Freunde ſie miſſen konten, erlaubte er ihr eine kleine Hollaͤnderey, ſo wie ſie es ſelbſt fuͤr gut finden wuͤrde anzulegen. Als dieſe fertig war, ſand ſie wegen ihrer ungekuͤnſtelten Zierlichkeit und Be - quemlichkeit ſo viel Bewunderer, daß das gantze Gut, ſo vorhin der Lage wegen der Hayn geheiſſen hatte, nunmehro unter dem Nahmen der Hollaͤnderey be - kannt ward. Jhrem Groß Vater geſchahe insbe, ſondere ein Gefalle, wenn man es ſo nannte., um die Rechnungen des Gutes durchzuſehen, daß mir mein Groß-Vater zum voraus vermacht hat - te. Denn man erlaubet mir jaͤhrlich einmal die - ſes Gut ſelbſt in Augenſchein zu nehmen, ob ich es gleich gaͤntzlich meinem Vater zur Verwaltung uͤberlaſſen habe.

Den naͤchſten Tag nach Herrn Lovelaces er - ſten Zuſpruch beſuchte mich meine Schweſter da - ſelbſt. Lovelace ſchien ihr ungemein wohl zu ge - fallen, ſein Familie: ſein Vermoͤgen und zwey tauſend Pfund jaͤhrlicher gewiſſer Einkuͤnfte, wie der Lord M. meinem Vater Bruder Anton ver - ſichert hatte: die ſtarcke Vermuthung, daß er die -A 5ſes10Die Geſchichteſes Herrn Erbe ſeyn werde; was er von Lady Sara Sadleyr und Lady Lawrance zu hoffen hat, als welche beyde nebſt dem Lord M. ſehr wuͤnſchen ihn bald verheyrathet zu ſehen, weil er der letzte von der Familie iſt: waren diſes nicht Umſtaͤnde genug ihn meiner Schweſter angenehm zu machen?

So ein artiger Herr! O ihre liebe Clariſſa! (denn damals konnte ſie mich ſehr zaͤrtlich lieben, weil er ſie aufgeraͤumt und liebreich gemacht hatte) Er war nur gar zu artig fuͤr ſie! Sie hoffete ſeine Liebe ſtets zu behalten, wenn ſie nur eben ſo einnehmend waͤre, als ſonſt jemand! denn ſie hoͤrte er waͤre wild, ſehr wild und ſehr luſtig, und haͤtte ſehr gern mit Liebes-Sachen zu thun. Aber er waͤre jung und habe guten Verſtand: er wuͤrde ſeinen Jrthum einſehen, wenn ſie nur Gedult mit ſeinen Fehlern haben koͤnte, falls dieſe nicht ohnedem durch ſeine Verheyrathung wegfielen.

Solcher Sachen ſprach ſie noch mehrere, und bat mich, daß ich doch den liebenswuͤrdigen Herrn, wie ſie ihn nennete, auch ſehen moͤchte. Aber von neuen uͤberfiel ſie eine Sorge, daß ſie nicht artig genug fuͤr ihn waͤre: das waͤre aͤr - gerlich, hieß es, wenn der Mann in dieſem Stuͤck die Frau uͤbertreffen ſolte. Hierauf trat ſie wieder vor den Spiegel und machte ſich das Compliment, ſie ſaͤhe gut genug aus. Man hielte manches Frauenzimmer fuͤr mittel - maͤßig ſchoͤn, das doch von ihr uͤbertroffen wuͤrde11der Clariſſa. wuͤrde: man habe ihre Geſtalt ſtets fuͤr an - ſtaͤndig gehalten; wobey ich ihr ſagte, daß Anſtaͤndigkeit nicht ſo viel in der Geſtalt als Schoͤnheit verlieren koͤnnte, und bleiben wuͤrde, wenn jene laͤngſt verwelcket waͤre. Hierauf kehrte ſie ſich wieder zum Spiegel, und be - merckte, daß ihre Geſichts-Zuͤge und ihre Au - gen nicht eben die ſchlimmſten waͤren, (ich er - innere mich, daß ſie eben damahls ungewoͤhnlich hell waren) kurtz: Es waͤre nichts zu tadeln, obgleich auch nichts ſehr reitzendes an ihr zu fin - den waͤre. Sie war zweifelhafft: iſt was an mir auszuſetzen Claͤrgen?

Vergeben Sie mir, mein Hertz, ich habe nie vorhin ſo umſtaͤndlich alle Kleinigkeiten geſchrie - ben, auch ſelbſt nicht an Sie. Jetzt wuͤrde ich eben ſo wenig eine ſo freye Beſchreibung von der Auffuͤhrung meiner Schweſter machen, wañ Sie ſich nicht gegen meinen Bruder ruͤhmte, daß Herr Lovelace niemahls das Gluͤck gehabt habe, ihr zu gefallen. Ueber dieſes befehlen Sie, daß ich auch Kleinigkeiten in meine Beſchreibung mit ein - flieſſen laſſen ſoll, und vergoͤnnen mir nicht die Miene und die Art zu verſchweigen, womit eine Sache die Nachdencken erwecken kan geſprochen iſt: und in der That iſt Jhre Anmerckung richtig, daß die Mienen unſere Gemuͤths-Faſſung oͤffters beſſer ausdrucken, als die Worte ſelbſt.

Jch wuͤnſchte ihr Gluͤck zu ihrer Hoffnung. Sie nahm meinen Gluͤckwunſch an, und ſchien mit ſich ſelbſt ſehr wohl vergnuͤgt zu ſeyn.

Der12Die Geſchichte

Der junge Herr gefiel ihr bey ſeinem naͤchſten Beſuch noch beſſer. Und dennoch machte er ſich nicht eben insbeſondere viel mit ihr zu thun, ob ihm gleich Gelegenheit dazu gegeben ward. Man wunderte ſich zwar hieruͤber, weil mein Vaters - Bruder, der ihm den erſten Zugang in unſer Haus verſchaffet hatte, deutlich geſaget hatte, daß er meine Schweſter beſuchen wollte. Doch unſere Eigenliebe macht uns immer ſehr willfaͤhrig, den Schein des Kaltſinns bey ſolchen Perſonen zu ent - ſchuldigen, denen wir gern gefallen moͤchten. Meine Schweſter entdeckte auch eine fuͤr Herrn Lovelace ſehr ruͤhmliche Urſache, warum er ſich der gegebenen Gelegenheit ſo wenig bedienete. Jn der That er war zu bloͤde, (dencken Sie ein - mahl: Herr Lovelace ſoll bloͤde ſeyn) Jch muß bekennen, daß ob er gleich munter und lebhaft iſt, er doch nichts unverſchaͤmtes im Geſichte hat: aber die Zeit muß wohl laͤngſtens vorbey ſeyn, da er bloͤde geweſen iſt.

Doch auf dieſe Weiſe konnte meine Schweſter damit fertig werden. Auf ihr Wort, ſie glaub - te, daß Herr Lovelace die uͤble Nachrede in Abſicht ſeiner Auffuͤhrung gegen die Frauens - Leute nicht verdiene. Er war ihrer Meynung nach ein ſehr wohlgeſitteter Herr. Sie glaub - te er haͤtte gern ſeine Meynung frey heraus geſagt: aber ein oder zweymahl, da er das Wort ſchon auf der Zunge hatte, gerieth er in eine ſo liebenswuͤrdige Verwirrung, er ſchien ihr tiefe Hochachtung, und vollkommene Ehr -erbie -13der Clariſſa. erbietung zu erweiſen. Nichts gefiele ihr beſſer, als daß ein junger Herr, der ein Hertz erobern will, ſeiner Schoͤnen ehrerbietig begegne. Dieſes Gluͤck wuͤnſchen wir uns wohl alle; und wir haben Urſache es uns zu wuͤnſchen: Denn in manchen Familien habe ich bemercket, daß nach - her ſehr wenig Ehrerbietung fuͤr das Frauenzim - mer zu erwarten iſt. Sie ſagte meiner Baſe Hervey: ſie wolle das kuͤnfftige mahl nicht ſo ſehr zuruͤck halten: ſie waͤre keine ſolche Thoͤrin, daß ſie einen Liebhaber nur quaͤlen wollte, der nichts als Gegenliebe verdiente; und daß ſie ihn deſto mehr quaͤlen wollte, je hoͤher er ſie ſchaͤtzte. Nein ſo waͤre ſie nicht! Wenn ſie nur nicht auf eine Perſon gezielt haͤtte, die mir ungemein werth iſt, ſo daͤchte ich faſt, daß ſie mit Grund einen Fehler unſers Geſchlechts getadelt haͤtte. Jch nehme ein ungebuͤhrliches und hartes Wort aus.

Arabella fuͤhrete ſich bey ſeinem dritten Beſuch ſo guͤtig und vorſichtig auf als ſie ſich vorgenom - men hatte: und ſie ſelbſt glaubte, nunmehr haͤtte er ſein Anliegen frey heraus ſagen koͤnnen. Aber er war noch bloͤde: er konnte ſeine unzeitige Ehr - erbietung nicht uͤberwinden. Dieſer Beſuch hatte demnach keinen andern Ausgang, als der vorige.

Aber nun fing ſie an uͤber ihn mißvergnuͤgt zu ſeyn. Sie verglich ſeine gantze Gemuͤths-Beſchaf - fenheit mit ſeinem Betragen gegen ſie ſelbſt; und da ſich vorhin noch niemand um ſie beworben hat - te, ſo geſtand ſie, ſie wiſſe gar nicht, wie ſie ſich ge -gen14Die Geſchichtegen einen ſo ſeltſamen Liebhaber auffuͤhren ſolle. Was kan der Menſch fuͤr eine Abſicht haben? (ſagte ſie zu meiner Baſe) Mein Vaters Bruder hat deutlich geſagt, er braͤchte ihn als einen Freyer in unſer Haus. Es kan nicht bloſſe Bloͤdigkeit ſeyn: (nun dachte ſie der Sache weiter nach) denn er haͤtte ja mit meines Va - ters Bruder reden koͤnnen, wenn er nicht das Hertz gehabt haͤtte, ſeine Erklaͤrung gegen mich zu thun. Jch frage nach ihm nicht viel. Es iſt doch aber wahthaftig billig, daß eine Manns - Perſon, daß Frauenzimmer nicht lange rathen laſſe ſondern ihr ſelbſt ſeine Abſicht zu verſtehen gebe. Allein in der That ich mercke, er ſuchet nicht ſo wohl meine als meiner Mutter Gunſt zu erlangen. Es iſt wahr, jedermann be - wundert meine Mutter wegen ihrer vortrefli - chen Auffuͤhrung: er wird ſich aber irren, wenn er dencket, daß er die Tochter durch die Mutter kriegen will. Wenigſtens ſolte er um ſeines eigenen Vortheils willen es meiner Wahl uͤber - laſſen, gegen ihn gefaͤllig zu ſeyn, wenn er ſich ſo auffuͤhret, daß er mir gefallen kan. Jch muß es geſtehen, daß ſeine entfernte und fremde Art des Umgangs deſto wunderbah - rer iſt, weil er ſeinen Beſuch fortſetzet und ein Verlangen bezeuget, mit der gantzen Familie Freundſchaft zu halten, da er doch wohl mer - chen muß, daß ich Verſtand habe, falls ich an - ders ſelbſt ſagen darf was die Welt von mir ur - theilet.

Hier -15der Clariſſa.

Hierbey wußte ſie zu erzaͤhlen, daß er man - chen artigen Spaß, der ihr entfallen waͤre, wohl bemercket, und ſehr bewundert haͤtte. Es ſey zwar einem offenen und freyen Hertzen als ſie habe, ſehr beſchwerlich zuruͤck zu halten: allein ſie koͤnnte ihrer Baſe nicht verheelen, daß ſie niemals vergeſſen wuͤrde, was ſie ihrem Ge - ſchlecht, und was ſie ſich ſelbſt ſchuldig ſey, wenn auch wieder Herr Lovelaces Auffuͤhrung eben ſo wenig einzuwenden waͤre als wieder ſei - ne Geſtalt, und wenn er auch kuͤnftig ſeine Bit - te noch ſo eifrig anbraͤchte.

Jch ward nicht mit zu Rathe gezogen. Jch war noch immer verreiſet. Sie faſſete auf Anra - then meiner Baſe Hervey den Schluß, bey dem naͤchſten Beſuch gantz ernſthaft und zuruͤckhaltend zu thun, wenn er nicht beſonders Gelegenheit ſuch - te, mit ihr naͤher bekannt zu werden.

Meine Schweſter hatte die Sache nicht wohl uͤberlegt. Der Erfolg wieß, daß dieſes nicht der rechte Weg war, den man um einer bloſſen Un - terlaſſung willen mit einem ſo klugen Mann als Herr Lovelace haͤtte gehen ſollen. Ja auch gegen einen andern haͤtte man nicht ſo verfahren ſollen; denn wenn die Liebe nicht ſo tief gewurzelt iſt, daß ſie bey der beſten Gelegenheit, die man dazu giebt, eine Liebes-Erklaͤrung hervor bringt, ſo hat man wenig Urſach zu hoffen, daß ſie gleichſam durch den toͤdtenden Wind der Empfindlichkeit und Rache wachſen werde. Ueber dieſes iſt meine ar - me Schweſter von Natur nicht allzu aufgeraumt:ich16Die Geſchichteich erfahre dieſe Warheit leider zu oft, als daß ich ſie ihnen verheelen koͤnte. Wenn ſie nun mit Willen noch verdrießlicher hat ſcheinen wol - len, als ſie gemeiniglich iſt, ſo muß dieſes ein gar nicht vortheilhaftes Bild von ihr gegeben haben.

Jch weiß nicht was in dieſer Zuſammenkunft vorgefallen iſt; der Ausgang ſollte einen faſt auf die Gedancken bringen, daß Herr Lovelace ſo loſe und faſt ſo niedertraͤchtig geweſen ſey, die Ge - legenheit mit Fleiß zu ſuchen und zu gebrauchen, welche ihm meine Schweſter dieſes mal gab. Es beliebte ihm jetzund ſeine Bitte anzubringen: aber ſie erzehlet, daß er ſie vorher, (ſie wuſte nicht, auf welche Art und Weiſe?) ſo zum Unwillen ge - reitzet, und ſo misvergnuͤgt gemacht habe, daß ſie unmoͤglich ſo gleich wieder zu ſich ſelbſt habe kommen koͤnnen. Dem ohngeachtet drang er mit ſeiner Bitte in ſie, nicht anders, als wenn er ein deutliches Ja erzwingen wollte, ließ ihr aber nicht Zeit wieder aufgeraͤumt zu werden, und be - muͤhete ſich nicht ſie zu beſaͤnftigen. Sie konnte daher nicht anders, als ſeine Bitte abſchlagen; ließ ihm aber dabey mercken, daß ihr nicht ſowohl ſein Anbringen mißfiele, als die Art mit der er es angebracht hatte: denn er habe ſich mehr um ihre Mutter, als um ſie beworben, gerade als wenn er gewiß wuͤßte, daß ſie ſogleich Ja ſagen wuͤrde ſo bald es ihm beliebte.

Eine Verweigerung voller Ja-Worte! Von gleicher Beſchaffenheit waren alle ihre uͤbrige Ein - wendungen, nehmlich ſie habe nicht Luſt ſichzu17der Clariſſa. zu veraͤndern; ſie ſey jetzt gluͤcklicher / als ſie jemals werden koͤnte. Sie brachte noch mehr ſolcher bejahenden Verneinungen vor, ich kan ſie wohl ſo nennen, ohne uͤber meine Schwe - ſter zu ſpotten: denn was kan ein jung Maͤdgen in ſolchen Umſtaͤnden anders ſagen, wenn es fuͤrchten muß, daß es durch ein allzuwilliges Ja ſich nur bey dem andern Geſchlechte veraͤchtlich machen wuͤrde? Denn dieſes pflegt doch ſein Gluͤck hoͤher oder geringer zu ſchaͤtzen, nachdem ihm das Ja-Wort leichter, oder ſchwerer zu er - halten geworden. Mir gefaͤllt die Antwort der Fraͤulein Biddulf auf einige Verſe die von ei - nem jungen Herrn herumgehen(*)Siehe den 31. Brief., der ſich uͤber die Verſtellung des Frauenzimmers luſtig mach - te. Sie werden nichts daran tadeln, als daß un - ſere Fehler zu freymuͤthig bekannt werden.

Du niedertraͤchtigs Volk das Zaͤrtlichkeit ver -
lacht,
Wenn es durch falſchen Schwur die Schoͤ -
nen zaͤrtlich macht?
So bald wir ſproͤde ſind, und unſre Gunſt
verheelen,
Hoͤhnt ihr die Bloͤdigkeit ihr poͤbelhaften
Seelen.
Entſchließt euch ſelbſt zuerſt zu ofner Redlichkeit,
So wird dem Redlichen ein ofnes Herz ge -
weyht.
Sonſt ſpottet unſrer nicht: es liegt in euren
Raͤncken
DieErſter Theil. B18Die Geſchichte

Die Urſach, daß wir nicht ſo reden als wir dencken.

Hier muß ich meine Feder niederlegen, ich werde ſie aber bald wieder nehmen, um weiter zuſchreiben.

Der dritte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlove an Fraͤulein Howe /

So hatte denn Herr Lovelace ſeine Antwort von meiner Schweſter, nach der Erklaͤ - rung, die er ihren Worten gab. Mit ſehr groſer Betruͤbnis, (wie er vorgab) ließ er ſich ihren Ausſpruch gefallen. Jch fuͤrchte mein Hertz, er weiß ſich ſehr zu verſtellen. Eine ſo geſetzte Unveraͤnderlichkeit, Eine ſo erhabene Stand - hafftigkeit fand er ſeinem Vorgeben nach bey meiner Schweſter, daß ihm keine Hoffnung uͤbrig blieb, ſie zur Aendrung ihres Entſchluſſes zu bewegen, den ſie mit voͤlliger Ueberlegung gefaſſet hatte. Er ſeuffzete, nach der Erzeh - lung meiner Schweſter, als er von ihr Ab - ſchied nahm! der Seufzer war recht tief: er umfaſſete ihre Hand, und kuͤſſete ſie recht feu - rig; er gieng darauf mit der ehrerbietigſten Miene weg. Als er ſo vor ihr ſtand, ſo trat ihrem Hertzen faſt ein Mitleiden gegen ihn an, ob er ſie gleich vorhin erzuͤrnet hatte. Gewiß ei - ne gute Vorbereitung zum kuͤnftigen Ja-Wort,wenig -19der Clariſſa. wenigſtens nach ihrer Abſicht: denn als ſie dis Mitleiden empfand, ließ ſie ſich noch gar nicht einfallen, daß er ſeine Bitte nicht abermals an - bringen wuͤrde.

Er wartete meiner Mutter noch auf, und klagte ihr ſein Ungluͤck mit vieler Ehrerbietung, ſo wohl gegen meine Schweſter, als die gantze Fa - milie, und ließ eine rechte ſtarke Bekuͤmmerniß daruͤber blicken, daß er nicht das Gluͤck haben ſollte, mit ihr naͤher verbunden zu werden. Die - ſes machte bey allen einen ihm vortheilhaften Eindruck, denn mein Bruder war damals noch in Schottland: und man glaubte, er werde ſein Gewerbe abermahls anzubringen ſuchen. Als aber Herr Lovelace gleich nach London reiſe - te, und ſich daſelbſt vierzehn Tage aufhielt, auch gegen meinen Vaters Bruder Anton / den er dort antraf, ſich wegen des ihm betruͤbten Ent - ſchluſſes meiner Schweſter, unverheyrathet zu blei - ben, beklagte; ſo ſahe man wohl, daß in der Sa - che weiter nichts zu thun ſeyn wuͤrde.

Bey dieſer Gelegenheit vergaß meine Schwe - ſter nichts, ſich in den Vortheil zu ſetzen, und ſie machte aus der Noth eine Tugend. Der Menſch war nun in ihren Augen ein ganz anderer Menſch geworden ein eingebildeter Menſch! der ſeine eigene Vorzuͤge mehr als zu wohl kenne, und doch waͤren dieſe ſeine gute Eigenſchaften bey weiten nicht ſo groß, als ſie zu Anfang gehof - fet haͤtte. Er waͤre bald kalt, bald warm, und ſeine Liebe waͤre einem Fieber ſehr aͤhnlich. B 2Ein20Die Geſchichte Ein beſtaͤndiger Mann, der Tugend beſaͤſſe waͤre ihr lieber, als tauſend ſolche artige Flatterer. Vielleicht moͤchte ihre Schweſter Claͤrgen es der Muͤhe werth achten, ſich mit einem ſolchen Liebhaber abzugeben. Die haͤtte Gedult, die koͤnnte bitten und uͤberreden, und in der That das Maͤdgen haͤtte etwas aͤhnli - ches von Jemanden: ſie aber moͤge keinen Mann haben, wenn er auch die gantze Welt be - ſaͤſſe, auf deſſen Hertz ſie ſich nicht eine Stunde lang verlaſſen koͤnnte; Sie freue ſich von Her - tzen daß ſie ſich von ihm loß gemacht habe.

Da Herr Lovelace wieder aufs Land kam, that er meinem Vater und Mutter die Ehre, ſie zu beſuchen. Er ſagte, er hoffe, daß es ihm er - laubt ſeyn wuͤrde, beſtaͤndige Bekanntſchaft und Freundſchaft mit einer Familie zu halten, die er nie aufhoͤren wuͤrde zu verehren, ob er gleich ſo ungluͤcklich geweſen waͤre, daß ihm die gehofte Verbuͤndung abgeſchlagen ſey. Zu meinem Un - gluͤck, ſo mag ich es wohl nennen, war ich da - mals zu Hauſe und gegenwaͤrtig.

Man bemerkte alſobald daß er auf mich ein Auge gerichtet hatte. So bald er weg gegan - gen war, ſtellte ſich meine Schweſter, als haͤtte ſie groſſe Lnſt ſeiner Anwerbung um mich befoͤr - derlich zu ſeyn, falls er ſie deutlich vorbringen wuͤrde. Dis ſollte eine großmuͤthige Verach - tung heiſſen.

Meine Baſe Hervey war eben gegenwaͤrtig, und ſagte, wir wuͤrden das artigſte Paar in ganzEng -21der Clariſſa. England ſeyn, wenn meine Schweſter nichts da - gegen einzuwenden haͤtte. Nein wahrhaftig nicht, ſtuͤrzte ſie mit hochmuͤthigen Geberden heraus! es wuͤrde ſich dieſes Betragen zu dem Korbe gar nicht ſchicken, den ich ihm mit voller Ueberlegung gegeben habe.

Meine Mutter ſagte; das eintzige, was ſie wider ſeine naͤhere Verbindung mit einer von ihren beyden Toͤchtern einzuwenden habe, ſey ſeine unordentliche Lebens-Art.

Mein Onkle Harlowe antwortete: ſeine Tochter Claͤrgen (denn ſo hat er mich von meiner Kindheit an gern genannt) wuͤrde ihn bekehren, falls ihn irgend ein Frauenzimmer be - kehren koͤnnte.

Der andere Bruder meines Vaters Anton / gab ſeinen Beyfall ſehr nachdruͤcklich; Er ſetzte aber hinzu, was Frau Hervey ſchon vorhin erinnert hatte, daß man meiner Schweſter Mey - nung beſonders hoͤren muͤſte.

Sie fing von neuem an, ihn zu veracheen; und erklaͤrte ſich: ſie moͤchte ihn nicht nehmen, wenn gleich alle Manns-Perſonen in England bis auf ihn ausgeſtorben waͤren. Sie verſicherte im Ge - gentheil, ſie ſey bereit, ſich aller ihrer Anſpruͤche an ihn unter Hand und Siegel zu begeben, wenn ſich Claͤrgen von ſeinem Flitter-Golde wollte blenden laſſen, und wenn ſonſt alle damit zu - frieden waͤren, daß er das Maͤdgen kriegte.

Mein Vater unterbrach endlich ſein langes Stillſchweigen, weil ſein Bruder Anton ſehr inB 3ihn22Die Geſchichteihn drang, daß er ſeine Meynung eroͤfnen moͤchte. Er ſagte: er habe von ſeinem Sohn Jacob ei - nen Brief bekommen, den er geſchrieben, als er gehoͤret haͤtte, daß ſich Herr Lovelace um ſeine Schweſter Arabella bewuͤrbe: er habe dieſen Brief niemanden, als meiner Mutter gezeiget, weil doch bey deſſen Empfang die ganze Sache ſchon vorbey geweſen ſey. Sein Sohn bezeuge in dieſem Schreiben ein groſſes Misfallen an ih - rer Verheyrathung mit Herrn Lovelace / wegen der uͤbeln Auffuͤhrung dieſes Mannes. Er wiſſe zwar, daß ein alter Groll zwiſchen ihnen beyden obwalte; aber er wolle ſich doch nicht eher uͤber dieſe Sache erklaͤren, bis er von ſeinem Sohn nach deſſen Zuruͤckkunft alles ſelbſt gehoͤret, was er einzuwenden habe, weil er gern alle Gelegen - heit zur Trennung und Feindſchaft in ſeiner Fa - milie vermeiden wolle. Er ſey deſto geneigter ſeinem Sohn dieſe Gefaͤlligkeit zu erweiſen, weil die allgemeine Meynung die man von Herrn Lo - velace habe, das Misfallen ſeines Sohnes an der Heyrath nur allzuſehr rechtfertige. Er habe gehoͤret, (er glaubte aber, jedermann muͤſte dis auch gehoͤret haben) daß Lovelace ein ſehr aus - ſchweifender Menſch ſey, und auf Reiſen viel Schulden gemacht habe: er ſehe auch in der That recht aus, als ein Verſchwender.

Dieſe Umſtaͤnde habe ich theils von meiner Ba - ſe Hervey / und theils von meiner Schweſter: denn ich ward heraus gerufen, ſo bald man anfing von der Sache zu ſprechen. Als ich wieder kam,fragte23der Clariſſa. fragte mich mein Onckle Anton; wie mir Herr Lovelace gefiele. Jedermann ſehe wohl, ſetzte er hinzu, daß ich ein Hertz erobert haͤtte. Jch antwortete ihm ohne mich zu bedenken: Ganz und gar nicht! Er ſcheint von ſeiner Perſon und Eigenſchaften eine ſo vortheilhafte Meynung zu haben, daß er ſchwerlich gegen ſeine Frau die noͤ - thige Achtung haben wird, er mag heyrathen, welche er will.

Meine Schweſter war inſonderheit mit dieſer Antwort vergnuͤgt, ſie beſtaͤtigte das was ich ge - ſagt hatte, und ruͤhmete mein Urtheil: denn es war zugleich ihr Urtheil.

Allein den folgenden Tag kam der Lord M. auf unſer Gut, als ich eben nicht zu Hauſe war. Er that in ſeines Vetters Namen einen foͤrmli - chen Antrag, mit der Erklaͤrung ſeine ganze Fa - milie wuͤnſche ſich die Ehre mit der Unſrigen ver - wandt zu werden: und er hoffe, ſein Vetter werde eine beſſere Antwort von der Juͤngern, als von der aͤltern Schweſter bekommen.

Kurtz: es ward Herrn Lovelace verſtattet mich zu beſuchen, weil man ihn fuͤr einen jungen Herrn hielt, der von unſerer Familie alle gute Begeg - nung verdienet haͤtte; doch behielt ſich in Abſicht auf mich mein Vater bevor, daß er nichts ohne ſeines Sohnes Beyrath beſchlieſſen wolle. Uebri - gens verließ man ſich auf meine Vorſich tigkeit und Klugheit; denn ich machte noch eben dieſel - ben Einwendungen gegen Herrn Lovelace, und wollte nicht einmahl, da wir beſſer bekannt ge -B 4worden,24Die Geſchichteworden, einige Geſpraͤche anhoͤren, die mich ins beſondere angingen, daher ich ihm die Gelegen - heit abſchnitt, ſich mit mir allein zu unterreden.

Er ertrug dieſes mit mehr Gelaſſenheit, als man von ſeiner Gemuͤthsbeſchaffenheit dencken koͤnnen, denn man ſagt gemeiniglich, daß er ſehr lebhaft und heftig ſey; und es ſcheint, daß er von Kindheit auf nicht ſey gewoͤhnt worden, Wider - ſpruch zu leiden, oder ſich in ſeinen Neigungen Einhalt thun zu laſſen: eine Sache die in vor - nehmen Familien, bey einzigen Soͤhnen gar zu ge - woͤhnlich iſt, und ſeine Mutter hat auſſer ihm nie - mahls ein ander Kind gehabt. Wie ich Jhnen aber ſchon ſonſt erzaͤhlet habe, konnte ich dem ohn - geachtet wohl merken, daß er von ſich eine viel zu gute Meynung habe, und gar nicht zweifele, ſeine Perſon und Artigkeit wuͤrde mich unvermerkt ein - nehmen. Er ſagte zu meiner Baſe Hervey: wenn er mich nur einmahl gewonnen haͤtte, ſo hoffe er, von einem ſo ſtandhaftem Gemuͤthe, daß meine Liebe gegen ihn deſto dauerhafter ſeyn wuͤr - de. Meine Schweſter meinte ganz andere Urſa - chen ſeiner Gedult zu finden, und ihr Urtheil wuͤrde mehr Gewicht gehabt haben, wenn ſie weniger Ur - ſache gehabt haͤtte, durch Vorurtheile gegen ihn eingenommen zu ſeyn. Sie ſagte, der Menſch moͤchte ſich vielleicht uͤberall nicht darnach ſehnen, verheyrathet zu werden. Er moͤchte vielleicht ein Dutzend Maitreſſen haben, und der Verzug ſey eben ſo vortheilhaft fuͤr ſeine Ausſchweifungen, als fuͤr meine ſehr wohlangenommene Kalt -ſinnig -25der Clariſſa. ſinnigkeit. Dieſes waren ihre guͤtigen Aus - druͤcke.

Was fuͤr Bewegungs-Gruͤnde er inzwiſchen haben mogte, eine ihm ſo ungewoͤhnliche Gedult zu beweiſen, ſonderlich bey einer Perſon, die von ihm fuͤr ein hinlaͤngliches Gluͤck gehalten ward, ſeine Begierde rege zu machen; ſo iſt doch dieſes gewiß, daß er hiedurch manchen Verdrießlichkei - ten und Kraͤnkungen entging. Denn weil mein Vater ſeine Einwilligung bis zu meines Bruders Ankunft aufſchob, ſo erwieß ihm jedermann die Hoͤflichkeiten, die man ſeinem Stande ſchuldig war. Wir hoͤrten zwar von Zeit zu Zeit uͤble Nach - richten von ſeiner Lebensart, wir konnten ihn aber wegen ihrer Richtigkeit nicht befragen, ohne ihm einen groͤſſern Vortheil uͤber uns und mehr Recht zu geben, als die Klugheit erlaubte. Denn allem Anſehen nach war eine abſchlaͤgliche Antwort auf ſeine Bitte wahrſcheinlicher als ein Ja.

Er behielt alſo einen freyen Zutritt in unſer Haus, deſſen er ſich faſt bedienen konnte, wie er nur ſelbſt wollte. Denn da meine Freunde in ſei - nem Betragen lauter Ehrerbietigkeit wahrnah - men, und keine ungeſtuͤme Heftigkeit bey ihn fan - den, ſo ſchienen ſie recht vergnuͤgt mit ſeinem Um - gang zu ſeyn. Jch aber ſahe ihn fuͤr weiter nichts, als einen ordentlichen Gaſt an, und that nicht, als wenn mich ſein Beſuch naͤher betraͤffe, als irgend einen andern im Hauſe, war auch deswegen bey ſeinem Kommen und Weggehen nicht mehr als andere, bey der Hand.

B 5Allein26Die Geſchichte

Allein dieſe meine Gleichguͤltigkeit hatte ſonft fuͤr ihn erwuͤnſchte Folgen; denn hierdurch er - hielt er die Erlaubniß, eines Briefwechſels mit mir, wozu ich mich niemahls wuͤrde entſchloſſen haben, wenn er ihn haͤtte anfangen wollen, nach - dem die Feindſeligkeiten zwiſchen unſern Familien ſchon ausgebrochen waren. Die Veranlaſſ[u] ng des erwaͤhnten Briefwechſels war folgende.

Meinem Vetter Herrn Hervey war ein junger Herr zur Aufſicht anvertrauet, den er ein oder zwey Jahr in fremde Laͤnder ſchicken wollte, um die ſo genannte groſſe Reiſe vorzunehmen. Da er nun befand, daß Herr Lovelace von allem, was ein Reiſender bey ſolcher Gelegenheit zu be - obachten hat, gute Nachricht geben konnte, ſo bat er ihn, eine Beſchreibung der Hoͤfe und Laͤn - der, die er geſehen hatte, aufzuſetzen, und inſon - derheit anzuzeigen, worauf ein Reiſender die mei - ſte Aufmerckſamkeit zu richten haͤtte.

Er willigte hierin, doch mit der Bedingung, daß ich ſeine Hand leiten moͤchte, wie er es nenne - te. Da nun jedermann ſeine Schreib-Art hatte ruͤhmen hoͤren, und man hoffete ſeine Erzaͤhlung wuͤrde dienen, die langen Abende im Winter auf eine angenehme Art zu vertreiben, und es eben nicht ſchien, daß er dadurch Gelegenheit bekom - men wuͤrde, an mich von Liebe zu ſchreiben, weil die Briefe in der ganzen Geſellſchaft ſolten vor - geleſen werden; ſo machte ich deſto weniger Ein - wendungen, an ihn zu ſchreiben, und bald aller - hand Anmerkungen zu machen, bald ihm Fragenzur27der Clariſſa. zur Beantwortung vorzulegen. Vielleicht war ich hiezu deſto williger, weil ich gern ſchreibe; und die das Schreiben lieben, laſſen nicht leicht eine Gelegenheit vorbey, da die Feder kann gebraucht werden. Als endlich jedermann damit zufrieden war, und Herr Hervey ſo gar darum bat; ſo fuͤrchtete ich, daß wo ich allein eine Schwierigkeit machte, ich den Schein geben duͤrfte, als haͤtte ich ein beſonders Auge auf dieſen Herrn gerich - tet, und daß ſolches von einem, der ſo viel Ei - genliebe hat, leicht allzuvortheilhaft fuͤr ſich koͤn - te gedeutet werden. Es wuͤrde auch meine Schweſter ihre Anmerkungen bey ſolcher Gele - genheit nicht geſparet haben.

Sie haben einige von ſeinen Briefen ſelbſt geſehen, und die Nachrichten, die er von Per - ſonen, Staͤdten, und andern Dingen gab, ge - fielen Jhnen wohl: Sie waren gleicher Meynung mit mir, daß er nicht unter die gemeinen Reiſen - den gehoͤre, ſondern auf alles ſehr genau gemerkt habe. Meine Schweſter ſelbſt geſtand, daß er einen ziemlichen Anſatz zum ſchreiben, und be - ſchreiben haͤtte: und mein Vater, der in ſeiner Jugend gereiſet iſt, ſagte ſeine Anmerkungen waͤren ſehr artig, und man koͤnnte daraus ſehen, daß er viel Beleſenheit, Verſtand und guten Geſchmack beſaͤſſe.

Auf dieſe Art entſtand zwiſchen mir und ihm mit aller Bewilligung eine Art des Briefwechſels. Jedermann verwunderte und vergnuͤgte ſich uͤber die geduldige Ehrerbietung, die er gegen michblicken28Die Geſchichteblicken ließ, denn dieſes war der Name, den ſie ſeinem Betragen gaben. Jndeſſen zweifelte man nicht, daß er nicht bald mit mehrerer Ungeduld in uns dringen ſolte; denn ſein Beſuch ward immer haͤufiger, und er bekannte meiner Baſe Hervey, daß er gegen mich eine heftige Zuneigung, und zugleich eine Ehrfurcht habe, die er vorhin noch nie empfunden: dieſer allein, koͤnne er den Schein der Beruhigung zuſchreiben, damit er bisheꝛ meines Vateꝛs ihm unangenehmen Willen, und meine Art ihm noch fremde zu begegnen, er - tragen haͤtte. Aber mein Herz, dieſes iſt vermuthlich ſein gewoͤhnliches Betragen gegen alle unſeres Ge - ſchlechts, denn hat nicht meine Schweſter zu An - fang alle Art der Ehrerbietung von ihm geuoſſen?

Mein Vater erwartete indeſſen ungeſtuͤmere Bitten, und hielt alle uͤble Nachrichten von ihm in Bereitſchaft, um ſie ihm in ſolchem Falle als Einwuͤrfe gegen ſeine Bitte vorzuhalten. Mir war ſehr lieb, daß er dieſes that: und es wuͤrde wunderlich geweſen ſeyn, wenn ich anders geſinnet geweſen waͤre. Denn eben diejenige, die Herr Wyerleys Antrag wegen ſeiner freyen Meynun - gen abſchlug, waͤre nicht zu entſchuldigen gewe - ſen, wenn ſie einen andern angenommen haͤtte, deſſen Thaten und Lebens-Art frey waren.

Allein ich muß geſtehen, daß er in die Briefe, die von der Hauptſache handelten, bisweilen ein anderes Briefgen einſchloß, in welchem er ſeine Liebe gegen mich zu erkennen gab, und ſich heftig genug uͤber meine Schuͤchternheit beſchwerete. Jchthat,29der Clariſſa. that, als wenn ich dieſe Briefgen gar nicht em - pfangen haͤtte: denn da ich nichts an ihn geſchrie - ben, als was die Hauptſache unſers Briefwech - ſels, die jeder wiſſen durfte, betraf, ſo hielt ich fuͤr billig, was er von einer Nebenſache ſchrieb, ſo vorbeygehen zu laſſen, als haͤtte ich es nie geleſen. Jch muſte es auch deshalb ſo machen, weil der allgemeine Beyfall, den ſeine Briefe erhielten, mir keine Freyheit ließ, den Briefwechſel abzubrechen, wenn ich nicht die wahre Urſach melden wollte, die mich dazu bewogen. Ueber dieſes, konnte man ohngeachtet aller ſeiner haͤufigen und ehrerbietigen Aufwartung wohl ſehen, daß es wahr ſey, was die Welt ohnehin von ihm ſagt, daß er einen hochmuͤthigen und hitzigen Sinn habe: ich hatte dieſe unbaͤndige Gemuͤths-Art an meinem Bru - der ſchon zu gut kennen lernen, als daß ich Sie an einer Perſon, die noch in ein naͤheres Band mit mir treten wollte, haͤtte entſchuldigen koͤnnen.

Jch hatte eine kleine Probe von dieſer Ge - muͤths-Art bey der eben gemeldeten Gelegenheit: denn da er mir zum drittenmahl ein geheimes Briefgen eingeleget hatte, fragte er mich bey dem naͤchſten Beſuch; ob ich nicht noch einen beſon - dern Brief von ihm bekommen haͤtte? Jch ſagte ihm, ich wuͤrde nie einen Brief beantworten, der auf dieſe Weiſe an mich kaͤme, und ich haͤtte nur auf eine ſo gute Gelegenheit gewartet, als er mir jetzt gaͤbe, nm ihn dieſe Erklaͤrung zu thun. Jch baͤte ihn demnach nicht wieder, hievon zu ſchreiben: ſonſt wuͤrde ich ihm beyde Briefe zuruͤck ſchicken, und nie wieder eine Zeile ſchreiben.

Sie30Die Geſchichte

Sie koͤnnen ſich kaum vorſtellen, was der Menſch fuͤr ein trotzig Geſicht machte, nicht an - ders, als wenn es ihn verdroͤſſe, daß ich nicht mehr durch ihn geruͤhret waͤre; und was es ihm fuͤr einen augenſcheinlichen Kampf koſtete, ſeine hochmuͤthigen Geberden beſcheidener und ſanfter zu machen, als er wieder zu ſich ſelbſt kam; wel - ches ſo gleich geſchah. Allein ich that als merkte ich beydes nicht: denn ich hielt fuͤr das beſte, ihn durch meine Kaltſinnigkeit und Gleichguͤltigkeit, damit ich ſeine fruͤhzeitige Hofnung abwieß, und zugleich den Schein des Hochmuths zu vermeiden ſuchte, zu uͤberzeugen, daß er bey mir noch nicht hoch genug angeſehen ſey, mich uͤber ſeine Worte oder Geberden zu aͤrgern, oder mit andern Wor - ten, daß ich ihn nicht werth genug ſchaͤtzete, durch ein laͤchelndes oder ſaures Geſichte ihn von an - dern zu unterſcheiden. Er hatte in der That ſo viel Verſtand, daß er mir einmahl, obgleich ohne ſeinen Vorſatz, einen Unterricht gab, durch den ich behutſamer ward. Deun er ſagte bey einer gewiſſen Gelegenheit: wenn eine Manns-Perſon ein Frauenzimmer nicht zu dem bekaͤnntniß bringen koͤnnte, daß ſie eine Neigung gegen ihn habe, ſo habe man doch eben ſo viel und oft noch mehr gewonnen, wenn man ſie boͤſe machte. Jch muß hier abbrechen: ich werde aber meine Erzehlung, ſo bald es mir moͤglich iſt, fortſetzen. Jndeſſen verharre ich

Dero ergebenſte Dienerin C. Harlowe.

31der Clariſſa.

Der vierte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jn dieſen Umſtaͤnden befand ich mich mit Herr Lovelace / als mein Bruder aus Schott - land zuruͤck kam. So bald man gegen ihn etwas von den Beſuchen dieſes Herrn erwaͤhnete, bezeu - gete er ohne einiges Bedencken, und ohne ſich des - halb zu entſchuldigen, ſein groſſes Mißfallen dar - uͤber. Er fand ſehr merkliche Fehler in ſeiner Lebens-Art, und nahm ſich die Freyheit mit duͤr - ren Worten zu ſagen: er wundere ſich, wie es ei - nem von ſeines Vaters Bruͤdern in den Sinn kommen koͤnnen, dieſem Freyer die geringſte Hoff - nung auf eine von ſeinen beyden Schweſtern zu machen. Zugleich dankte er meinem Vater da - fuͤr, daß er ſein Ja-Wort bis zu ſeiner Ankunft nicht haͤtte geben wollen, faſt ſo als ein Vorgeſetz - ter danken wuͤrde, wenn er einen geringern lobet, weil er in ſeiner Abweſenheit ſeine Schuldigkeie in Acht genommen hatte. Er bekannte ſeinen alten Groll gegen ihn, aber er rechtfertigte denſelben durch die uͤble Nachrede die Herr Lovelace uͤber - all habe, und durch das, was er ſelbſt von ſeinen Univerſitaͤts-Jahren wuͤſte. Er ſagte, er habe ihn ſtets gehaſſet, und wuͤrde ihn immer haſſen: und er wuͤrde ihn niemals fuͤr einen Bruder, noch mich fuͤr eine Schweſter erkennen, wenn ich ihn heyrathete.

Den32Die Geſchichte

Den Anfang der Univerſitaͤts-Feindſchaft habe ich auf dieſe Art erzehlen hoͤren: Herr Lovelace war uͤberall als ein junger Menſch von Munter - keit und Hertzhafftigkeit bekannt: und es ſcheint, daß ſeine Geſchwindigkeit in Erlernung aller Thei - le der Gelehrſamkeit eben ſo groß geweſen ſey, als jene. Der Fleiß den er in den Studierſtunden bewies hatte kaum ſeines gleichen. Das ſchei - net ſein Haupt-Charackter auf Univerſitaͤten ge - weſen zu ſeyn. Er erwarb ſich dadurch viel Freun - de unter den Studenten, weil die, welche ihn nicht liebten, ihn doch fuͤrchten mußten, indem er we - gen ſeiner Munterkeit leicht aufzubringen war, und Muth genug hatte, ſeine Sache auszufuͤhren. Er bekam hiedurch ſo viel Anhaͤnger, unter den unruhigen Koͤpfen auf der Univerſitaͤt, als er wol - te. Jch weiß, Sie werden hiebey dencken, daß dieſe Gemuͤthsbeſchaffenheit nicht all zu liebens - wuͤrdig ſey. Allein mein Bruder hatte kein beſſe - res Gemuͤth, ſein natuͤrlicher Hochmuth konnte einen Vorzug, der ſo in die Augen fiel, nicht ertra - gen: uͤber das pflegt leicht ein wuͤrcklicher Haß zu entſtehen, wenn man einen mehr fuͤrchten als lieben muß. Mein Bruder war wenig Herr uͤber ſich ſelbſt, daher ward er von dem andern vielleicht auf unanſtaͤndige Weiſe laͤcherlich gemacht. Sie kamen alſo niemals zuſammen, ohne ſich zu zan - cken, und weil jedermann aus Zuneigung oder aus Furcht es mit Lovelace hielt, ſo hatte er viel ver - drießliche Stunden, ſo lange ſie in einem Colle -gio33der Clariſſa. gio(*)Auf der Univerſitaͤt zu Oxford ſind 26. Collegia, das iſt, oͤffentliche Gebaͤude, in denen die Studenten wohnen, und Privat-Unterricht genieſſen. Lovela - ce und Harlowe ſind demnach nichi bloß auf eine Univerſitaͤt, ſondern auch in ein gemeinſchaftliches Wohngebaͤude von dem Verfaſſer dieſer Nachrichten geſetzet worden. waren. Deſto weniger war es, demnach zu verwundern, daß ein junger Menſch, von nicht allzuſanftmuͤthiger Natur, einen ſo alten und ſo tief eingewurzelten Groll zum Ausbruch kommen ließ.

Meine Schweſter die nur auf Gelegenheit ge - wartet hatte, war bereit, ſich mit ihm zu vereini - gen, und die ihm vrrhaßte Perſon auch zu haſſen. Sie laͤugnete ſchlechterdings, daß ſie jemahls etwas von ihm gehalten habe, nie ſagte ſie haͤt - te er ihr gefallen. Seine Guͤter muſten gewiß ſehr verſchuldet ſeyn: Es koͤnnte nicht anders ſeyn, weil er ſo viel auf ſeine Wolluͤſte wendete. Er haͤtte nicht einmahl ein eigen Haus gemie - thet: er hielte nicht Kutſche und Pferde. Da nun niemand glaubte, daß er diß aus Demuth unterlieſſe, ſo ſey die wahre Urſache leicht zu er - rathen. Hierauf ruͤhmete ſie ſich gegen mei - nen Bruder, und er lobete ſie, daß ſie dieſe Parthey ausgeſchlagen haͤtte: beyde machten eine gemein - ſchaftliche Sache daraus ihn bey aller Gelegenheit herunter zu ſetzen, ja oͤfters machten ſie nur die Gelegenheit; und ihre Feindſchafft gegen ihn gingſoErſter Theil. C34Die Geſchichteſo weit, daß bey nahe ein jedes Geſpraͤch ſich mit einer Erzaͤhlung ſeiner uͤbeln Eigenſchaften endigte.

Jch gab mir keine Muͤhe ihn zu vertheidigen, wenn nur ihre Stiche nicht auch mich angingen. Jch ſagte ihnen: ich ſchaͤtzte ihn nicht hoch genug, ſeinetwegen einen Streit in der Familie anzufan - gen. Da man glaubte, er habe nur allzuviel Ge - legenheit gegeben, ſo uͤbel von ihm zu urtheilen, ſo glaubte ich auch, es ſey nicht unrecht, wenn er die Folgen ſeiner Handlungen empfaͤnde.

Jedoch bisweilen, wenn ich merckte, daß ſie aus Hefftigkeit gantz unwahrſcheinliche Dinge ſprachen, ſo hielt ich mich verpflichtet ein Wort fuͤr ihn zu reden. Dies war ſchon genug, mir den Vorwurf zuzuziehen, daß ich von ihm eingenom - men waͤre, und es nur nicht bekennen wollte. Zu - letzt kam es ſo weit, daß ich mich mit der Muſik beſchaͤftigte, oder auf meine Stube ging, wenn ich die Unterredung nicht auf etwas anders lencken konnte.

Jhr Betragen gegen ihn war ſehr kaltſinnig und unhoͤflich, wenn ſie ihm nicht gaͤntzlich aus den Wege gehen konnten: indeſſen enthielten ſie ſich doch noch aller Beleidigungen: deñ ſie hofften mei - nen Vater dahin zu vermoͤgen, daß er ihm, den Beſuch verbieten ſolte. Da aber in ſeiner Auffuͤh - rung nichts unanſtaͤndiges war, wodurch ein ſol - ches Verfahren gegen einen Mann von ſeiner Herkunft und Stande haͤtte koͤnnen gerechtfertigt werden, ſo richteten ſie nichts aus: hierauf drun - gen ſie ſehr in mich, daß ich ihm den fernern Be -ſuch35der Clariſſa. ſuch unterſagen ſolte. Jch fragte ſie: was ich fuͤr Recht haͤtte mir dergleichen in meines Vaters Hauſe anzumaſſen, ſonderlich da ich ſo fremd ge - gen ihn waͤre, daß (ſie beyde nur ausgenommen) er mehr ein Gaſt aller im gantzen Hauſe, als mein Gaſt zu ſeyn ſchien? dagegen verſetzten ſie mir: es waͤre zwiſchen uns beyden eine kuͤnſtliche und abgeredete Verſtellung: wir verſtuͤnden ein - ander beſſer, als wir haben wollten, daß es andere glaubten. Endlich lieſſen ſie auf einmahl ihren Leidenſchaften ſo den Zuͤgel daß an ſtatt weg zu - gehen, wenn er kam, wie ſie vorhin gethan hat - ten, ſie nunmehr ihm Recht mit willen in den Weg kamen, um ſich an Jhm zu reiben(*)Die Urſachen hievon wird man in dem 13. Brief ſehen. Herr Lovelace verſchmertzte dieſes nicht gern, wie ſie leicht dencken koͤnnen; doch that er wei - ter nichts, als das er ſich mit vieler Empfind - lichkeit daruͤber gegen mich beklagte. Sein Ausdruck war, meines Bruders Verfahren wuͤrde er unmoͤglich ertragen koͤnnen, wenn es nicht um meinetwillen geſchaͤhe.

Es that mir Leid, daß er hiedurch ſeiner eig - nen Meinung nach ein Verdienſt und Recht gegen mich bekam, und dieſes um ſo viel mehr, weil ei - nige Beleidigungen, die er ertrug, ſich gar nicht entſchuldigen lieſſen. Jch antwortete ihm: ich ſey veſt entſchloſſen, es mit meinem Bruder nicht zu verderben, wenn ich es irgend vermeiden koͤnte,ſeineC 236Die Geſchichteſeine Fehler moͤchten auch ſo groß ſeyn, als ſie wol - ten. Da einer den andern nicht mit Gelaſſenheit ſehen koͤnte, ſo wuͤrde mir lieb ſeyn, wenn er mei - nen Bruder nicht in den Weg kaͤme, und ich waͤ - re gewiß verſichert, das mein Bruder ihn nicht ſu - chen wuͤrde.

Dieſe Antwort verdroß ihn innerlich ſehr: er ſagte aber weiter nichts, als dieſes: er muͤßte alle Beleidigungen ertragen wenn ich es haben wollte. Man habe ihm ſonſt Schuld gegeben, daß er allzuheftig ſey: er hoffe aber bey dieſer Ge - legenheit ſo viel Herrſchaft uͤber ſich ſelbſt zu be - weiſen, als wenige von ſeinem Alter, bey glei - chen Beleidigungen wuͤrden beweiſen koͤnnen. Er zweifle nicht, daß eine Perſon von meiner Groß - muth, und Einſicht ſeine Maͤßigung aus der wah - ren Urſache herleiten wuͤrde.

Mein Bruder hatte eben vorher mit Genehm - haltung meiner Vaters-Bruͤder einen Anver - wandten eines von dem Lord M. abgedanckten Verwalters, der auch einen Theil von Herrn Lo - velace Vermoͤgen unter Haͤnden gehabt, und von ihɯ den Abſchied bekommen hatte, gebraucht, ſich nach deſſen Schulden, Geſellſchaft, Liebes-Hi - ſtoͤrgen und dergleichen Dingen naͤher zu erkundi - gen. Frau Hervey hat mir im Vertrauen folgende Umſtaͤnde von der Ausſage dieſes Mañes entdecket.

Er waͤre ein freygebiger Hauswirth: er ſparete an ſolchen Ausgaben nichts, die zu einer wahren Verbeſſerung ſeiner Guͤter gereich - ten: er haͤtte auf ſeine eigene Sachen Acht undver -37der Clariſſa. verſtuͤnde ſie: auf Reiſen habe er zwar viel ver - than, und groſſe Schulden gemacht, (denn er mache nie ein Geheimniß daraus, wie ſeine Sachen ſtuͤnden), aber er habe hernach ſeine jaͤhrliche Ausgaben auf eine gewiſſe Summe eingeſchraͤnckt und keinen Staat gefuͤhret, da - mit er nicht noͤthig haben moͤchte, ſeinem Vet - ter und ſeinen Baaſen verbunden zu ſeyn: denn von dieſen wuͤrde er zwar Geld bekommen koͤn - nen, ſo viel er wollte, aber er waͤre darin ſehr eigenſinnig, daß er keine Einrede von ih - nen annehmen wollte: er verunwilligte ſich oft mit ihnen, und begegnete ihnen ſo frey, daß ſie ſich alle vor ihm fuͤrchteten. Es ſey aber nicht an dem, daß ſeine Guͤter, wie mein Bruder gehoͤret haͤtte, zur Hypothec verſchrieben waͤ - ren: ſein Credit ſey gut, und er wuͤrde jetzt vermuthlich faſt gaͤntzlich von ſeinen Schulden frey ſeyn. Er ſey ein wunderlicher Herr in Ab - ſicht auf Frauens-Leute. Wenn ſeine Paͤchter artige Toͤchter haͤtten, ſo pflegten ſie ihm dieſel - ben nicht gern ſehen zu laſſen. Er glaube nicht daß er eine eigene Maitreſſe halte, denn etwas neues ſey ſein hoͤchſtes Gut. (Dis war der Ausdruck des Mannes)

Er glaube nicht, daß er ſich verheyrathen werde, weil ihn ſeiu Vetter und ſeine Baſen allzuſehr plagten. Man habe ihn nie betrun - cken geſehen. Er habe groſſe Luſt zu neuen Haͤndeln, und ſchreibe gern. Er habe gehoͤrt, daß er in London ein ſehr wildes Leben fuͤhrenC 3 ſolle:38Die Geſchichte ſolle: er habe ſechs oder ſieben Leute, mit denen er ſtets umgehe, und dieſe waͤren ſo arg als er. Er bringe ſie bisweilen mit auf das Land, und die gantze Gegend ſey froh, wenn ſie wieder wegreiſeten. Ob er gleich ſehr jachzornig ſey, ſo wollte er doch gern vor freundlich und aufge - raͤumt angeſehen ſeyn: er moͤchte gern einen Schertz austheilen, er nehme aber auch gern ei - nen Schertz ein, und pflegte bey Gelegenheit ſo frey uͤber ſich ſelbſt zu lachen, als irgend ein Menſch thun koͤnnte.

Dis war die Beſchreibung, die ein Feind von ihm machte: denn, wie meine Baſe anmerckte, ſo ward alles gute und lobenswuͤrdige mit Wider - willen geſagt, und es hieß dabey allezeit: ich mnß ſagen oder, um ihm Gerechtigkeit wi - derfahren zu laſſen. Hingegen alles uͤbele ward freywillig und gern ausgeſagt. Weil man nun eine noch ſchlimmere Beſchreibung erwartet hatte, ſo war dieſe obgleich ſchlimme Nachricht dem Zweck des anfragenden nicht gemaͤß: es wuchs daher die Sorge meines Bruders und mei - ner Schweſter, daß ſeine Anwerbung Gehoͤr fin - den moͤchte. Denn der ſchlimmſte Theil dieſer Ausſage war bereits bekannt oder doch als richtig angenommen, wie er die erſte Erlaubniß zum Umgang mit meiner Schweſter bekam.

Allein uͤber ſein Betragen gegen mich muß ich dieſe ihm nachtheilige Anmerckung machen: Ohngeachtet er mir ſeine Gedult gegen meines Bruders Unhoͤflichkeiten ſehr hoch anrechnete, hater39der Clariſſa. er doch keinen Verſuch gethan ſich mit ihm ans - zuſoͤhnen, und mich durch eine Gefaͤlligkeit dieſer Art ihm verbindlich zu machen. Jch glaube zwar nicht, daß er etwas wuͤrde ausgerichtet haben, wenn er ihm oder meiner Schweſter aach noch ſo hoͤflich begegnet haͤtte: inzwiſchen ſollte man doch von einem ſo artigen und wohlgezogenen jungen Herrn vermuthen, daß er bey den Abſichten, die er hatte, bereit geweſen waͤre, es wenigſtens zu verſuchen. Aber ſtatt deſſen zeigete er in allen Hand - lungen, daß er beyde recht von Hertzen verachtete, davon ich immer etwas neues und ſchlimmers hoͤ - ren muſte. Haͤtte ich ihm zu verſtehen geben wol - len, daß er ſein Betragen gegen meinen Bruder aͤndern moͤchte, ſo haͤtte er dieſes fuͤr eine vor - theilhafte Erklaͤrung angeſehen, und ſich darauf nicht wenig eingebildet. Das muͤſte ich gethan haben! Jch zweiflelte auch nicht, daß da ihm nie - mand einige Hoffnung machte, ſein Hochmuth bald Feuer fangen und er von ſelbſt ſeinen Beſuch einſtellen oder nach London reiſen wuͤrde; allwo er ſich meiſtentheils aafzuhalten pflegte, ehe er mit unſerer Familie bekannt ward. Jn dem letzten Fall durfte er nicht hoffen, daß ich Briefe von ihm annehmen, noch weniger, daß ich ſie beant - worten wuͤrde, weil die Urſache nun aufgehoͤrt hatte, die mich ehemals veranlaſſete, Briefe von ihm anzunehmen.

Meines Bruders Widerwille gegen ihn konte dieſe Zeit nicht abwarten. Nach verſchiedenen groben Vergehungen, die Herr Loyelace ebenC 4ſo40Die Geſchichteſo veraͤchtlich und hochmuͤthig abwieß, als der be - leidigende Theil ſie unternahm, unterſtand ſich mein Bruder, in die Thuͤr zu treten, da jener kam, als wolte er ihm den Eingang verwehren. Als er ſich nun nach mir erkundigte, fragte er ihn: was er bey ſeiner Schweſter zu thun haͤtte.

Mein Bruder ſagt: Lovelace habe ausgeſe - hen als wollte er ihn gleich heraus fodern, und ha - be geantwortet: er waͤre bereit einem Cavalier auf alle Fragen zu antworten. Er wuͤnſchte aber, daß Herr Jacob Harlowe / der ſeit einiger Zeit ſo trotzig gethan, ſich erinnern moͤchte, daß er nicht mehr auf der Univerſitaͤt waͤre.

Der redliche Doctor Levin / der mich mit ſei - nem Beſuch bisweilen zu beehren pflegt, hatte mich eben in meiner eigenen Stube verlaſſen, und ging nach der Thuͤr. Er hoͤrete ihren Wort-Wechſel, und brachte ſie aus einander, da ſie beyderſeits ſchon an den Degen gegriffen hatten. Er ſagte hierauf Herrn Lovelace / wo ich zu finden waͤre; dieſer ſprang vor meinen Bruder vorbey mich auf - zuſuchen. Sein Ausdruck war: er ſey ihm ent - gangen, da er als ein gehetztes wildes Schwein im Nachſetzen eben anbeiſſen wollen.

Dis ſetzte uns alle in Beſtuͤrtzuug. Mein Vater gab Herrn Lovelace zu verſtehen, und ich muſte auf ſeinen Befehl ihm deutlicher ſagen: er wuͤnſche um Friede im Hauſe zu erhalten, daß er ſeine Beſuche einſtellen moͤchte.

Herr Lovelace iſt nicht der Mann, der von ſeinem Vorhaben leicht abſtehen wird, inſonder -heit41der Clariſſa. heit in einer Sache die ſein Hertz ſo nahe, als er es hier vorgiebt, angehet. Weil ihm nun der fer - nere Beſuch nicht ſchlechterdings verboten war, ſo ſetzte er ihn nach wie vor fort. Denn ob ich mich gleich bemuͤhete, ſeinen Beſuch ſo oft ich konnte zu vermeiden, ſahe ich doch, daß wenn ich mich deſſelben gaͤntzlich entſchlagen wollte, ich die Sache viel ſchlimmer machen wuͤrde: denn die Beleidigungen und Zunoͤthigungen des einen Theils verſchmertzte der andere blos aus Hochach - tung gegen mich. Meines Bruders Heftigkeit machte mich zur Schuldnerin ſeines Widerſa - chers ſo unangenehm es mir auch war, ihm ver - bindlich zu ſeyn.

Jndeß kamen die Vorſchlaͤge zu einer Verhey - rathung mit Heern Symmes und Mullins da - zwiſchen. Mein Bruder war ihrer beyder Frey - werber, eines nach dem andern, und war die Zeit uͤber etwas gelaſſener: denn da niemand glaubte, daß ich Herrn Lovelace allzugeneigt waͤre, ſo hoffete er meinen Vater oder deſſen Bruder dahin zu bewegen, daß ſie ſich den Antrag eines von beyden gefallen laſſen und durch ihn Herrn Love - lace ausſchlieſſen ſollten. Allein er hoͤrete bald auf Maaſſe zu halten, als er ſahe, daß ich noch genug in unſer Familie vermochte, mich dieſer beyden Freyer zu entſchlagen, ſo wie ich vorhin, den Antrag des Herrn Wyerley abgelehnt hatte, ehe er nach Schottland reiſete und ehe mich Herr Lovelace beſuchte. Zufoͤrderſt warf er mir vor, ich haͤtte fuͤr Herrn Lovelace ein ungegruͤndetesC 5Vor -42Die GeſchichteVorurtheil, welches er fuͤr ſtrafbar anſahe: und endlich beſchimpfete er auch Herrn Lovelace per - ſoͤnlich. Da dieſes in Herr Eduard Symmes(*)Ein Bruder des andern Herr Symmes. Hauſe ein halbe Meile von hier geſchahe, und kein redlicher Dr. Lewin zugegen war um ſich ins Mittel zu legen: erfolgte die ungluͤckliche Schlaͤgerey. Mein Bruder ward, wie Sie ge - hoͤrt haben, entwafnet. Als man ihn nach Hauſe gebracht hatte, und jederman die Wunde gefaͤhr - licher hielt als ſie in der That war, auch ein Wund-Fieber dazu ſchlug; ſo brach jederman los, und alles ward mir zur Laſt gelegt.

Herr Lovelace ſchickte drey Tage nach einan - der und zwar taͤglich zweymahl nach unſerm Hau - ſe, um ſich nach dem Befinden meines Bruders zu erkundigen. Ob er gleich harte und ſo gar an - zuͤgliche Antworten bekam, ließ er ſich dieſes doch nicht abſchrecken am vierten Taͤg verſoͤnlich Nach - richt einzuziehen. Hier ward ihm von meines Vaters Bruͤderu, die eben zugegen waren, noch unhoͤflicher begegnet. Mein Vater ward mit Ge - walt abgehalten, daß er nicht mit dem Degen in der Fauſt auf ihn losging, ob er gleich das Po - dagra hatte.

Jch fiel aus Schrecken in Ohnmacht, da ich ſa - he, daß jederman es auf das aͤuſſerſte ankommen laſſen wollte, und ich Herrn Lovelace ſchweren hoͤrte: er wollte nicht weggehen, ohne daß er mich geſprochen, oder wenigſtens meines Vaters Bruder gezwungen habe, ihm die angethanenBe -43der Clariſſa. Beſchimpfungen abzubitten. Jndeß war die Thuͤr zwiſchen ihnen verſchloſſen und verriegelt: und meine Mutter hielt mit aller Gewalt meinen Va - ter auf. Meine Schweſter gab Herrn Love - lace die ſchnoͤdeſten Worte, und zog auf mich los, ſo bald ich wieder zu mir ſelbſt kam. Alß er aber erfuhr, wie uͤbel ich mich befaͤnde, ging er mit ei - nem Schwur ſich zu raͤchen aus dem Hauſe.

Herr Lovelace iſt ſtets bey unſern Bedienten wohl angeſchrieben geweſen. Seine Guͤtigkeit und Freygebigkeit gegen ſie, und daß er ſich her - unter ließ, mit einem jeden auf eine artige und ſchertzhafte Weiſe zu reden, hatte ihm aller Her - tzen gewonnen. Jnſonderheit gaben ſie bey die - ſem Vorfall den uͤbrigen allen Unrecht, wenn ſie unter ſich davon redeten, und ruͤhmten ſeine Ge - dult und anſtaͤndige Auffuͤhrung, bis er aufs aͤuſ - ſerſte gereitzt ward, ſo ausnehmend, daß ich durch ihre Erzehlungen, und durch die Furchr vor ſchlimmern Folgen bewogen ward einen Brief noch ſelbigen Abend von ihm anzunehmen, und einige Tage nachher zu beantworten, weil er un - gemein hoͤflich geſchrieben war, und Herr Love - lace verſprach, die gantze Sache meiner Entſchei - dung zu uͤberlaſſen, und ſich voͤllig nach meinem Willen zu richten.

Auf eine ſo ungluͤckliche Weiſe ward er ge - zwungen den vorigen Briefwechſel von neuen an - zufangen. Doch ſchrieb ich nicht eher, bis ich durch Hrn. Symmes Bruder erfahren, daß mein Bruder ihn durch ſeine Beſchimpfung gezwungenden44Die Geſchichteden Degen zu ziehen, und da er ſich deſſen aus Hochachtung gegen mich gewegert, ihm gedrohet, er wolle ihn fuͤr keinen ehrlichen Kerl halten, wenn er nicht zoͤge: und bis ich mittelſt aller nur erſinn - lichen Nachfragen voͤllig verſichert ward daß er in den Haͤndeln mit meines Vaters Bruͤdern abermals der angegriffene Theil geweſen, und zwar auf eine noch gewaltthaͤtigere Weiſe, als ich gemeldet habe.

Herr Symmes erzehlte zwar meinem Vater und uͤbrigen Freunden eben dieſe Umſtaͤnde: aber ſie hatten ſchon zu viel Theil an dem Streit ge - nommen, als daß ſie mit Ehren haͤtten zuruͤck kom - men oder vergeben koͤnnen. Mir ward daher ver - boten, mit ihm Briefe zu wechſeln, oder mich einen Augenblick in ſeiner Geſellſchaft finden zu laſſen.

Aber noch einen Umſtand muß ich im Ver - trauen melden: denn meine Mutter hat mir ver - boten, etwas davon zu erwaͤhnen. Meine Mutter bezeugte gegen mich ihre Sorge wegen der uͤblen Folgen ſo die Herrn Lovelace widerfahrne Be - ſchimpfungen haben koͤnnten, und uͤberließ es mei - ner eigenen Ueberlegung und Vorſichtigkeit, dem bevorſtehenden Ungluͤck wenigſtens auf der einen Seite vorzubeugen ſo viel ich koͤnnte.

Jch muß hier abbrechen: ich glaube aber daß ich ihrem Befehl und Abſichten voͤlliges Gnuͤgen geleiſtet habe. Es ſtehet ſonſt einem Kinde nicht zu, daß es ſeine Auffuͤhrung gleichſam auf Un - koſten derer rechtfertige, denen wir die groͤſte Ehr - erbietung ſchuldig ſind: da ich aber weiß, daß jedemich45der Clariſſa. mich betreffende Nachricht von Jhnen eben ſo an - geſehen wird, als wenn ſie ihre eigne Angelegen - heiten betraͤffe, und Sie andern nicht mehr als zur Sache dienet eroͤffnen werden: ſo will ich fort - fahren ſo umſtaͤndlich, als es unſere bisherige Ge - wohnheit mit ſich bringt, an Sie zu ſchreiben, wenn mir nur die Gelegenheit nicht abgeſchnitten wird. Es iſt die reine Wahrheit, was ich ihnen ſo oft geſagt habe, daß mein groͤſſeſtes Vergnuͤgen in dem Umgang mit Jhnen beſtehet. Kann ich die - ſes nicht perſoͤnlich genieſſen, ſo will ich es doch in Briefen thun.

Jch muß inzwiſchen geſtehen, daß ich mit aͤuſ - ſerſter Bekuͤmmerniß vernehme, daß aller Leute Geſpraͤche von mir handeln. Sie und alle Welt ſagen mir dieſes. Jn ihrer guͤtigen und vorſichtigen Beſorgniß fuͤr meinen guten Nahmen, und in der Gelegenheit, die Sie mir gegeben haben, meine Um - ſtaͤnde vorher zu erzaͤhlen, ehe noch ein neues Un - gluͤck, das GOtt abwenden wolle, die Sache ver - ſchlimmert, erkenne ich recht das Bild meiner auf - richtigſten Freundin der Fraͤulein Howe, und werde zwiefach dadurch verbunden, ſtets zu behar - ren,

Dero Danckbare und ergebenſte, Clariſſa Harlowe.

Abſchrifft

des verlangten Eingangs der Clauſel in ihres Gros-Vaters Teſtament, welche in dieſen Brief auf Verlangen eingeſchloſſen war.

Da46Die Geſchichte

Da das vorhin erwaͤhnte Gut eigentlich von mir ſelbſt erworben iſt: und meine drey Soͤhne auſſer - ordentlich gluͤcklich geweſen, und zu groſſem Reich - thum gelanget ſind; der aͤlteſte nemlich durch die unerwartete und reiche Ausbeute der neuen Berg - wercke; der zweyte, durch die Erbſchafften, ſo er von ſeiner Frauen Verwandten erhalten, des ſo betraͤchtlichen Heyraths-Guts nicht zu gedencken; und Anton durch ſeinen Oſt-Jndiſchen Handel und gluͤcklich ausgefallene Reiſen: da ferner mein Enckel Jacob durch ſeine guͤtige Pathe, Frau Lovells, hinlaͤnglich verſorget werden wird, wel - che in Ermangelung naher Anverwandten mich verſichert hat, daß ſie ſo wohl durch eine Schen - ckung unter dcn Lebendigen als durch ihren letzten Willen ihm ihre Guͤter in Schottland und Eng - land zuzuwenden geſinnet ſey; (denn, GOtt ſey Danck, wenig Familien ſind in allen ihren Zwei - gen ſo gluͤcklich geweſen, als die meinige) da al - lem Anſehen nach mein zweyter Sohn Jacob meinem Enckel und Enckelin Arabella dasjenige erſetzen wird, was ihnen durch dieſen meinen letz - ten Willen entgehet, (denn ich verlange im ge - ringſten nicht, dieſer zu nahe zu treten, habe auch keine Urſache dazu, denn ſie iſt ſtets gehorſahm und ein Kind von guter Hoffnung geweſen) da meine Soͤhne Johann und Anton nicht geneigt ſcheinen, ſich zu verheyrathen, und folglich mein Sohn Jacob allein mit Leibes-Erben geſeegnet iſt, und Hoffnung hat, das Geſchicht fortzuſetzen: da ich alles dieſes in Erwegung gezogen, und damei -47der Clariſſa. meine Liebſte und wertheſte Enckelin Clariſſa Harlowe von Kindheit an in ihrem Gehorſahm gegen mich ihres gleichen nicht gehabt hat, und von allen die ſie gekannt haben als ein gantz auſ - ſerordentliches Kind bewundert iſt: ſo will ich zu meinem Vergnuͤgen ſie als mein eigenes Kind an - ſehen, und zwar dieſes ohne jemandes Beleidi - gung: ich hoffe auch, niemand werde dieſes als eine Beleidigung anſehen, indem mein Sohn Ja - cob ſeine Gewogenheit in gehoͤriger und groͤſſerer Maſſe gegen Fraͤulein Arabellen und Juncker Jacob bezeigen kann. Dieſes ſage ich ſind die Urſachen, welche mich bewegen, obbemeldetes Gut dieſem allerliebſten Kinde zu vermachen, welches die Freude meines Alters iſt, und durch ihren lieb - reichen Gehorſam und zaͤrtliche Ehrfurcht meine Tage, wie ich allerdings glaube, verlaͤngert hat.

Solchemnach iſt dieſes mein ausdruͤcklicher Wille und Gebot, und ich befehle meinen drey Soͤhnen, Johann, Jacob, und Anton, mei - nem Enckel Jacob und meiner Enckelin Ara - bella, ſo lieb ihnen mein Seegen und Gedaͤcht - niß iſt, und ſo als ſie verlangen, daß ihrem letzten Willen nachgelebet werden ſolle, daß ſie mein Ver - maͤchtniß zum beſten meiner Enckelin Clariſſa auf keine Weiſe kraͤncken oder anfechten ſollen, wenn ſolches gleich den Rechten nicht gemaͤß oder etwas in den Ausdruͤcken verſehen ſeyn moͤchte, auch daß Sie nicht zugeben ſollen, daß unter irgend einigem Vorwand daruͤber geſtritten oder gerechtet werde.

Und in dieſer Zuverſicht u. ſ. w.

Der48Die Geſchichte

Der fuͤnffte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe / an Fraͤulein Howe.

Jch bin gehindert worden, meinem Vorhaben gemaͤß ein mehreres zu ſchreiben. Weder die Nacht noch die Morgen-Stunden ſind mein eigen geweſen. Meine Mutter hat ſich ſehr uͤbel befunden, und wollte keine andere Waͤrterin ha - ben, als mich: denn ſie war bettlaͤgrig, und zwey Nachte erlaubte ſie mir, bey ihr zu ſchlafen.

Jhre Unpaͤßlichkeit beſtand in einer hefftigen Colik. Der Streit ſo ungeſtuͤmer und allzu maͤnnlicher Gemuͤther und die Furcht vor noch mehrerem Ungluͤck, das aus der zunehmenden Feindſchafft aller in unſerm Hauſe gegen Herrn Lovelace, und aus ſeiner rachgierigen und hertz - haften Gemuͤths-Art entſtehen koͤnnte, ſind ihr unertraͤglich. Auch wird ihr guͤtiges und zaͤrtliches Gemuͤthe, daß von Anfang an bey aller Gelegen - heit ſeine eigene Zufriedenheit gern aufgeopfert hat, um nur einiger maſſen den Haus-Frieden zu erhal - ten, dadurch ſehr gekraͤncket, daß ſie befuͤrchtet, es moͤge bereits der Grund zu Neid und Feindſchaft in ihrer bisher ſo eintraͤchtigen und gluͤcklichen Fa - milie gelegt ſeyn. Mein Bruder und meine Schweſter, die ſonſt ſo oft mit einander zerfielen, ſind jetzt ſo einig und ſo oft beyſammen, (ihr ent - fiel das Wort, ſie machen eine Cabale) daß ſie voller Furcht wegen der Folgen iſt. Jhre lieb -reiche49der Clariſſa. reiche Bekuͤmmerniß iſt, daß dieſe Vereinigung vielleicht zu meinem Nachtheil gereichen mochte, indem ſie ſiehet, daß ſie ſich immer mehr gegen mich fremde ſtellen und zuruͤck halten. Jedoch wenn ſie ſich nur der Vorzuͤge mit Nachdruck ge - brauchte, die ſie durch ihre vortrefliche Eigen - ſchaften nothwendig haben muß, ſo wuͤrden dieſe Familien-Streitigkeiten vielleicht in ihrer erſten Geburt erſtickt werden und zwar dis um ſo viel mehr, da ſie verſichert ſeyn kan, daß ich ſo viel moͤglich iſt nachgeben werde, ſowohl weil meine Geſchwiſter aͤlter ſind als jch, als auch aus Liebe gegen eine ſo guͤtige und vortrefliche Mutter.

Denn wenn ich Jhnen, mein Hertz, ſchreiben darf, was ich ſonſt niemand wuͤrde mercken laſſen, ſo glaube ich, daß wenn ſie nicht ein ſo ſanftes Gemuͤth gehabt, und weniger mit Gedult gelit - ten haͤtte, ſo wuͤrden auch andere ihr weniger zu leiden angemuthet haben. Ein ſchlechter Ruhm, werden Sie dencken, fuͤr diejenigen, die eine ſo herabgelaſſene Guͤtigkeit nur mißbrauchen, um ſie zu kraͤncken und zu beunruhigen.

Bisweilen moͤchte ich faſt dencken, daß wir uns nach unſerm Belieben in der Welt in Anſe - hen ſetzen und anderer Furcht und Ehrerbietung erlangen koͤnnen, wenn wir nur die Gabe haben, eigenſinnig auf unſerm Kopf zu beſtehen, und mit dieſem Vorſatz unſern erſten Auftritt in der Welt machen. Man hat zwar alsdenn weniger Liebe zu gewarten: aber das iſt es auch alles. Haben wir nur Vermoͤgen die zu zwingen, mit welchenErſter Theil. Dwir50Die Geſchichtewir umgehen, ſo werden wir nicht einmal mer - cken, daß wir weniger beliebt ſind: denn unſere Schmeichler werden uns ehe alles als unſere Fehler ſagen.

Haͤtte dieſe Anmerckung nicht ihre Rlchtigkeit, wie waͤre es denn moͤglich, daß ſelbſt die Fehler und unbeſonnene Hefftigkeit meines Bruders und meiner Schweſter der gantzen Familie gleichſam ſo wichtig und ehrwuͤrdig ſcheinen ſollten. Wird meinem Sohn / wird meines Bruders Sohn / dieſes Verfahren gefallen? was wird er dazu ſagen? Dis ſind die Fragen, die ſeine Vorgeſetzten zum voraus aufwerfen, ehe ſie einen Entſchluß faſſen, obgleich ihr Wille ſein Wille ſeyn ſollte. Mit Recht er - wartet er ſolche Eherbietung von jedermann, da ſelbſt mein Vater, der ſonſt ſeiner Herrſchafft nichts vergiebt, ihm dieſelbe beſtaͤndig erweiſet: und da die Guͤtigkeit ſeiner Pathe ein ſonſt ſchon allzufreyes und zu wenig eingeſchraͤncktes Gemuͤth noch mehr frey und zuͤgellos gemacht hat. Aber wohin fuͤhret mich dieſe Betrachtung! Jch weiß, daß Sie niemand von uns lieben, meine Mutter und mich ausgenommen; und Sie wiſſen ſo wenig von Verſtellung, daß Sie oͤfters als ich wuͤnſche Jhre Abneigung von den andern gegen mich bli - cken laſſen. Sollte ich denn wohl dieſe Abneigung von ſolchen, denen Sie meinem Wunſch nach ge - neigt ſeyn ſollen, noch groͤſſer machen? inſonder - heit in Abſicht auf meinen Vater? Denn dieſer arme Mann verdient einige Entſchuldigung, wenner51der Clariſſa. er eigenſinnig iſt. Er hat von Natur kein uͤbles und hartes Gemuͤth: in ſeiner Perſon und Minen, ja ſo gar in ſeinem Umgange, wenn er nur nicht eben einen Anfall vom Podagra hat, kan man ſeine Geburt und Erziehung wohl ſpuͤren.

Vielleicht muß ſich unſer Geſchlecht zum vor - aus darauf gefaßt machen, einige Unhoͤflichkeit von dem Manne zu erdulden, weil unſer Hertz um die Zeit, da er noch unſer Liebhaber war ihm den Vorzug vor allen andern gegeben hat. Man ſage ſo viel man will, daß die Grosmuth eine Tugend des maͤnnlichen Geſchlechts ſey: ich habe im Gegentheil angemerckt, daß ſie bey dieſem Geſchlecht wenigſtens zehnmahl ſeltener als bey dem unſrigen anzutreffen ſey. Aber was mei - nen Vater anlanget, ſo hat ihn ſeine ſchmertzhaf - te Kranckheit zu einem gantz andern Manne ge - macht, als er vorhin war. Sie uͤberfiel ihn auf einmal in der Bluͤte ſeiner Jahre ſo heftig, daß ſein lebhaftes Gemuͤthe alles Feuer und Munter - keit verlohr, und ſchwerlich Zeit Lebens wieder be - kommen wird. Sein munterer Geiſt ward gleich - ſam gefeſſelt, und was ihm noch von Lebhaftig - keit uͤbrig blieb, iſt jetzt nur ein Mittel, ſeine Un - gedult zu vermehren, die vermuthlich durch ſeine auſſerordentliche Gluͤckſeligkeit im Zeitlichen waͤchſt. Denn es ſcheint, daß die, die am we - nigſten des zeitlichen Segens ermangeln am aller unzufriedenſten ſind, daß ſie noch eines eintzigen ermangeln.

D 2Aber52Die Geſchichte

Aber womit kan mein Bruder ſeinen Hoch - muth und Unfreundlichkeit entſchuldigen? Er iſt in der That (mir thut leid daß ich es ſagen muß) ein junger Menſch von eigenſinnigem und ver - drießlichem Gemuͤth, und begegnet bisweilen meiner Mutter ich mag nicht ſagen, wie? Ob er gleich alles beſitzt, was er nur wuͤnſchen mag, ſo verurſachet doch der Ehrgeitz der Jugend den er ſchon mit den Laſtern des hohen Alters ver - bindet, daß er nichts genieſſet, als ich haͤtte bey nahe geſagt, ſeinen Eigenſinn und ſeinen Hochmuth. Allein ich gebe Jhnen nur mehr Urſache, mit uns mißvergnuͤgt zu ſeyn! Ehe - mahls moͤchte es wol in Jhrer Macht geſtanden haben, mein Schatz, ihn nach Jhrem Willen umzuſchmeltzen. Ohaͤtten Sie meine Schweſter werden koͤnnen; ſo haͤtte ich doch eine Schweſter, die auch meine Freundin waͤre. Daß er aber jetzt Sie nicht liebet, wundert mich nicht. Sie erſtickten mit einer Verachtung, die allzunahe mit ſeinem Hochmuth verwandt zu ſeyn ſcheint, die erſten Bluͤten einer Liebe, die durch den Werth der Geliebten gewiß wuͤrde heftiger geworden ſeyn, und ihn einiger maſſen wuͤrdig haͤtte machen koͤnnen, ſie zu beſitzen.

Aber nicht mehr hievon! Jn meinem naͤchſten Schreiben gedencke ich meine vorgehabte Erzeh - lung fortzuſetzen, und will gleich nach dem Fruͤh - ſtuͤck wieder an meinen Schreib-Tiſch gehen. Die - ſes ſende ich durch den Boten, den Sie mit ſo vie - ler Guͤtigkeit geſchickt haben, um Sich wegenmei -53der Clariſſa. meines Stillſchweigens nach unſerm Befinden zu erkundigen. Jch verharre indes

Dero ergebenſte und verbundenſte Freundin und Dienerin Clariſſa Harlowe.

Der ſechſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Anna Howe.

Jch will meine Erzaͤhlung fortſetzen. Da es ſich mit meinem Bruder zur Beſſerung an - laͤſt, ſo iſt zwar ſeine Rachgier durch den erlitte - nen Schimpf mehr gewachſen als verringert; aber es fangen doch meine Freunde (nemlich mein Va - ter und ſeine Bruͤder, nicht aber meine eigene Ge - ſchwiſter) an, zu uͤberlegen, daß ſie mir ſehr un - freundlich begegnet ſind. Meine Mutter hat die Guͤtigkeit gehabt, ſeit Abſendung meines letzteren mir dieſe Nachricht zu geben.

Sie moͤgen zwar allem Anſehen nach glauben, daß ich noch Briefe von Herrn Lovelace bekom - me. Da aber der Lord M. gewiß ſeinem Vet - ter nicht abfallen wird, ſo ſind ſie dergeſtalt in Sorgen, daß ſie mich gar nicht befragen, ob ich mit ihm Briefe wechſele oder nicht. Man ſolteD 3faſt54Die Geſchichtefaſt dencken, daß ſie hiebey durch die Finger ſe - hen wollen, und unſern Brief-Wechſel fuͤr das eintzige noch uͤbrige Mittel halten, einen ſo ſehr ge - reitzten und hitzigen Kopf zu beſaͤnftigen. Denn er verlangt noch immer von meines Vaters Bruͤ - dern eine Genugthuung. Vielleicht ſieht er die - ſes fuͤr den ſicherſten Weg an, wieder mit Vor - theil den Zutritt in unſer Haus zu erhalten: denn an Kunſt-Griffen fehlt es ihm nicht. Jn der That hat meine Baaſe Hervey meiner Mutter den Vorſchlag gethan, ob es nicht gut ſey, meinen Bruder zu der ſchon vorhin vorgehabten Reiſe auf ſeine Guͤter in der Grafſchaft Yorck zu bewe - gen, um ſich daſelbſt aufzuhalten bis ſich die Sa - che verblutet haͤtte.

Aber dis iſt ſeine Meinung gar nicht. Er hat von neuen zu verſtehen gegeben: er werde nie ver - gnuͤgt ſeyn, bis er mich verheyrathet ſehe. Und da weder Herr Symmes noch Herr Muͤllins fuͤr anſtaͤndige Partheyen gehalten werden, ſo hat er Herrn Wyerley noch einmahl in Vorſchlag ge - bracht, und deſſen groſſe Zuneigung zu mir als einen Bewegungs-Grund gebraucht. Jch habe abermahls dieſen Antrag verworffen. Geſtern erwaͤhnte er jemanden, der meinetwegen an ihn geſchrieben haͤtte, und ſehr vortheilhafte Bedin - gungen verſpreche. Dieſer iſt Herr Solmes, der reiche Solmes, wie man ihn nennet. Aber keine Seele hat dieſen Vorſchlag einer Ueberle - gung gewuͤrdiget.

Weñ keiner von ſeinen Heyraths-Vorſchlaͤgenzu55der Clariſſa. zu Stande kommt, ſo gedenckt er (wie ich unter der Hand weiß) mich zu erſuchen, daß ich nach Schottland reiſen, und, wie der hoͤfliche Antrag lautet, ſeine Haushaltung eben ſo einrichten ſoll, als unſere eingerichtet iſt. Meine Mutter will dieſes um ihrer eigenen Bequemlichkeit willen ver - bitten: denn da ſie meint, daß ich ihr bisher die Laſt der Haushaltung abgenommen habe; und meine Schweſter ſich nicht dazu ſchicket: ſo wuͤrde nach meiner Abreiſe alle Laſt wieder auf ſie zuruͤck - fallen. Wenn ſie auch dieſe Einwendung nicht machen ſolte, ſo wuͤrde ich ſie machen. Denn ſeyn Sie verſichert, ich habe wenige Luſt ſeine Haͤushaͤlterin zu werden: und ich wuͤrde, wenn ich mit ihm reiſete mehr Magd als Schweſter ſeyn muͤſſen; vielleicht um deſto mehr, weil mich die Geburt zu ſeiner Schweſter gemacht hat. Wenn mir endlich Herr Lovelace gar nachfolgete, ſo koͤnnten die Sachen aͤrger werden, als ſie jetzt ſind.

Da meine Mutter ohnehin beſorget, daß Herr Lovelace mich von neuen hier moͤchte beſuchen wollen, und meines Vaters Bruͤder aus Furcht vor ihm nie unbewaffnet und ohne bewaffnete Be - dienten ausgehen, und mein Bruder bald mit ih - nen wird ausgehen koͤnnen: ſo habe ich meine Mutter gebeten, mir die Erlaubniß auszuwircken, daß ich Sie auf vierzehn Tage beſuchen duͤrfe. Was meynen Sie, mein Schatz, wird Jhre Frau Mutter mir dieſes wol vergoͤnnen?

D 4Jch56Die Geſchichte

Jch darf nicht Anſuchung thun, nach meinem eigenen Gute zu reiſen. Denn ich fuͤrchte, man wuͤrde mir dieſe Bitte ſo auslegen, als wolte ich mich in die Freyheit ſetzen, zu der mir der letzte Wille meines Gros-Vaters ein Recht giebt. Wie jetzt die Sachen ſtehen, wuͤrde man dieſen Wunſch fuͤr eine Folge einer Neigung gegen denjenigen anſehen, auf den unſer Haus ſo ſehr erbittert iſt. Aber wahrhaftig, wenn ich nur ſo vergnuͤgt und gluͤcklich hier ſeyn koͤnte, als ich ſonſt zu ſeyn pfleg - te, ſo wolte ich Herrn Lovelace und allen ſeines Geſchlechts gern entſagen, und mich nie reuen laſ - ſen, daß ich mein Gut der Gewalt meines Vaters uͤbergeben habe.

Eben jetzt erfreuet mich meine Mutter mit der Nachricht, daß mir meine Bitte zugeſtanden ſey. Jedermann, nur nicht mein Bruder, haͤlt es ge - nehm, daß ich Sie beſuchen ſoll. Er hat aber zur Antwort bekommen: er muͤſſe nicht dencken, daß er in allen Dingen regieren wolle. Jch werde in den groſſen Saal geruffen werden, wo mir in Gegenwart meiner Vaters-Bruͤder und meiner Baſe Hervey dieſe Erlaubniß foͤrmlich ſoll er - theilt werden. Sie wiſſen, daß man in unſerm Hauſe viel Umſtaͤnde macht.

Man wird nicht leicht in einer gantzen Familie ſo viel Eintracht finden, als in der unſrigen. Mei - nes Vaters-Bruͤder ſehen uns an, als waͤren wir ihre eigene Kinder, und erklaͤren ſich, daß ſie blos aus Liebe zu uns ungeheyrathet bleiben. Daherwird57der Clariſſa. wird alles, was uns angehen kann, mit ihnen uͤberlegt. Deſtoweniger iſt es zu verwundern, daß ſie bey dieſer Gelegenheit, da Herr Lovelace ent - ſchloſſen iſt, in unſerm Hauſe einen freundſchaftli - chen Beſuch abzulegen, (ich fuͤrchte, er wird ſich auf Feindſchaft endigen) zu Rathe gezogen wer - den, ob ich Erlaubniß haben ſolle, Sie zu beſuchen.

Hoͤren Sie denn, was bey der mir oͤffentlich gegebenen Erlaubniß vorgegangen iſt: ob ich gleich weiß, daß Jhnen dieſe Nachricht wenig zuneigung und Hochachtung gegen meinen Bruder erwecken werde. Allein hiefuͤr kann ich nicht: ich ſelbſt bin nun auf ihn boͤſe. Ueber dieſes iſt es noͤthig, daß Sie die Bedingungen wiſſen, unter welchen mir erlaubt iſt, Jhr Gaſt zu ſeyn.

So bald ich in den Saal trat, ſagte meine Mutter: Claͤrchen, deine Bitte, die Fraͤulein Howe auf einige Tage zu beſuchen, iſt in Ueberle - gung gezogen, und zugeſtanden worden.

Gauz wider meine Neigung / muß ich ſa - gen, brach mein Bruder heraus, ehe ſie aus - geredet hatte.

Mein Sohn Jacob! ſagte mein Vater mit einer krauſen Stirn.

Er ließ ſich dieſes nicht anfechten. Er traͤgt den Arm noch in einer Binde; und gebraucht ſich oft der niedertraͤchtigen Liſt, auf dieſe Binde zu ſehen, ſo bald etwas vorkommt, das einigermaſ - ſen zu Herrn Lovelaces Vortheil gedeutet wer -den,58Die Geſchichteden, oder auf eine Ausſoͤhnung mit ihm abzielen kann. So verbiete man denn, ſprach er, dem Maͤdgen (in ſeinem Munde bin ich ſehr oft das Maͤdgen) den liederlichen Kerl zu ſprechen.

Niemand redete.

Er nahm ihr Stillſchweigen fuͤr eine Billigung ſeiner Worte an, und fuhr fort: Hoͤrt ihr, Schwe - ſter Claͤrchen? Jhr ſollt keinen Beſuch von des Lord M. Vetter annehmen!

Das Stillſchweigen der uͤbrigen waͤhrete noch.

Merckt ihr, Fraͤulein, was euch erlaubt iſt? fragte er.

Jch antwortete: ich wuͤrde mich freuen, wenn ich mercken koͤnnte, daß ihr mein Bruder ſeyd; und wenn ihr mercken wolltet, daß ihr weiter nichts als mein Bruder ſeyd.

Er hub beyde Haͤnde auf, und ſagte auf eine ſpoͤttiſche Weiſe: o die verliebte Seele!

Jch ſagte zu meinem Vater: ich beruffe mich hier auf Jhre Billigkeit. Habe ich dergleichen Re - den verdient, ſo ſchonen Sie meiner nicht. Soll ich aber wegen der Heftigkeit Rechenſchaft geben

Nicht weiter! nicht weiter von beyden Seiten! ſagte mein Vater. Du ſollſt keinen Beſuch von Lovelace annehmen! Wiewohl Und du ſollſt keine empfindlichen Reden gegen deine Schweſter gebrauchen. Sie iſt mein liebes Kind.

Jch habe weiter nichts zu ſagen, verſetzte er: aber meiner Schweſter Ehre und die Ehre der gan - tzen Familie liegt mir am Hertzen.

Und hieraus entſtehen eure unbruͤderlichen Stiche? antwortete ich.

59der Clariſſa.

Er ſprach: bedenkt aber, daß nicht ich ſondern euer Vater euch Lovelaces Umgang verbietet.

Meine Baſe Hervey antwortete: mein Vetter, vergoͤnnen Sie mir zu ſagen, daß man ſich auf Claͤrchens Vorſichtigkeit und Klugheit verlaſſen kann. Meine Mutter bekraͤfftigte dieſes.

Aber, (verſetzte meine Schweſter) ich hoffe, es werde nicht ſchaͤdlich ſeyn, daß man meiner Schwe - ſter deutlich ſage, unter welchen Bedingungen ſie zu der Fraͤulein Howe reiſen duͤrfe. Denn wenn er es verſucht, ihr dort zuzuſprechen

Mein Vaters-Bruder Harlowe fiel ihr in das Wort: ſie koͤnnen verſichert ſeyn, daß er ſich be - muͤhen wird, ſie dort zu beſuchen. Und Anton ſetzte noch dazu: ein ſo unverſchaͤmter Mann wuͤr - de es auch hier verſuchen. Und es iſt beſſer, daß es dort, als daß es hier geſchehe.

Beſſer weder hier noch dort! ſagte mein Vater. Jch befehle dir / ſo lieb dir meine Liebe iſt / ihn gar nicht zu ſprechen.

Jch werde, ſprach ich, auf keine Weiſe Gele - genheit dazu geben, dis verſichere ich. Jch werde ihn ſchlechterdings nicht ſprechen, wenn ich es auf eine anſtaͤndige Art vermeyden kann.

Meine Mutter berieff ſich darauf, daß ich bis - her ſo kaltſinnig mit ihm umgegangen, und be - kraͤfftigte von neuen das Urtheil der Frau Hervey, daß man ſich auf meine Vorſichtigkeit verlaſſen koͤnnte.

Mein Bruder ſtichelte mit dieſen drey Worten: zum-Schein kaltſinnig!

Mein60Die Geſchichte

Mein Sohn! ſagte mein Vater ganz ernſthaft.

Es iſt gut! antwortete er, und erinnerte mich von neuen auf eine anzuͤgliche Weiſe an der Be - dingung meiner Reiſe. Dis war das Ende unſe - rer Unterredung.

Wollen Sie mir verſprechen, mein Hertz, daß der ſo verhaßte Menſch ſich Jhrem Hauſe nicht naͤhern ſoll? Aber wie ungereimt iſt dieſes? Da man mir eben deswegen erlaubt, zu Jhnen zu rei - ſen, weil man kein auder Mittel ſiehet, Herrn Lovelaces Beſuch in unſerm eigenen Hauſe zu vermeiden. Sollte er aber ja kommen, ſo bitte ich Sie recht ernſtlich, daß Sie uns nie allein laſ - ſen wollen.

Jch zweiffele nicht, daß ich von Jhrer Frau Mutter Erlaubniß erhalten werde, Sie zu beſu - chen. Jch will daher meine Sachen in Ordnung bringen, und hoffe in zwey oder drey Tagen bey Jhnen zu ſeyn. Jndeſſen verharre ich

Dero treu und ergebenſte Clariſſa Harlowe.

Der ſiebente Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe. (Nach ihrer Zuruͤckkunft.)

Jch bitte Sie um Vergebung, daß ich nicht eher geſchrieben habe. Ach, mein Schatz,es61der Clariſſa. es ſieht fuͤr mich ſchlimm aus. Meinem Bruder und meiner Schweſter ſind alle ihre Abſichten ge - lungen. Sie haben fuͤr mich einen neuen Liebha - ber ausfuͤndig gemacht: einen recht