PRIMS Full-text transcription (HTML)
Clariſſa, Die Geſchichte eines vornehmen Frauenzimmers,
Erſter Theil.
GOETTJNGEN,Verlegts Abram Vandenhoͤck, Univerſitaͤts-Buchh.1748.
Mit Koͤnigl. Pohln. und Churf. Saͤchß. allergnaͤdigſten Privilegio.

Die Vorrede des Ueberſetzers.

Es ſind die Geſchichte der Clariſſa dem Verleger dieſer deutſchen Ueberſetzung, ſo bald ſie in England heraus kamen, von ſolchen Maͤnnern angeprieſen und ihm angera - then worden eine deutſche Ueberſetzung davon zu beſorgen, auf deren Urtheil er ſich voͤllig verlaſſen konnte, und deren Nahmen, wenn es noͤthig waͤre ſie bekannt zu machen, ihm und der von ihm herausgegebenen Ueberſetzung an ſtatt einer Schutz-Schrifft dienen koͤnnten.

Der eine unter denen, deſſen Rath er folge - te, zog die Clariſſa der mit ſo vielem Beyfall aufgenommenen Pamela vor: und weil die - ſer Mann von dem groͤßeſten und beſten Theil Deutſchlandes fuͤr den groͤßeſten Kunſtrichter unſerer Zeit in den ſchoͤnen Wiſſenſchafften angeſehen wird; und diejenigen Stuͤcke, die er) (2bis -Vorrede. bisher (obgleich ſparſam) zum Vergnuͤgen und Beſſerung der Deutſchen herausgegeben hat, von Dichtern ſowohl als von andern Leſern bey nahe fuͤr canoniſch angeſehen ſind; und uͤber das in den Schriften und Urtheilen die - ſes Mannes die ſtrengeſten Grund-Saͤtze der Tugend und der Religion herrſchen: ſo konnte der Verleger nicht anders als vergnuͤgt ſeyn, daß ihm dieſes Buch zuerſt in die Haͤnde ge - fallen waͤre; und er ſahe ſich ſogleich nach ei - nem Ueberſetzer um, von dem er hoffen koͤnnte, daß er das Engliſche genugſahm verſtuͤnde, ein ſo ſchweres Buch zu uͤberſetzen, und daß er nicht durch eine allzu matte und ſteiffe deutſche Schreib-Art den Leſer des Vergnuͤ - gens berauben wuͤrde, das er bey einer Schrift dieſer Art mit dem groͤſſeſten Rechte fodern kann.

Es wird nicht noͤthig ſeyn ausfuͤhrlicher zu melden, daß ſich der Verleger in Ausfindung eines ſolchen Ueberſetzers Muͤhe gegeben, und des Raths desjenigen Mannes dabey inſon -derheitVorrede. derheit bedienet hat, der ihm die Clariſſa als ein Meiſterſtuͤck eines wohl geſchriebenen Eng - liſchen Buchs angeprieſen hatte. Derſelbige den er endlich erſucht hat, die Ueberſetzung des gantzen Buchs zu uͤbernehmen, hat ſich ſelbſt eine geraume Zeit in England aufgehalten, und hoffet deswegen, daß ſich der Leſer deſto eher auf ſeine Ueberſetzung werde verlaſſen koͤnnen. Er hat dieſen Umſtand auf Verlan - gen des Verlegers hier melden muͤſſen, und er glaubt deſtoweniger, daß ihn ein ver - nuͤnftiger Leſer deshalb einer Unbeſcheidenheit beſchuldigen werde, weil er ſeine Ehre nie darin geſucht hat, oder zu ſuchen gedenckt, daß er ein guter Ueberſetzer heiße, ſondern entſchloſſen iſt, ſich durch andere Mittel ein guͤnſtiges Urtheil der Welt zu erwerben. Er wuͤrde auch, da er mit anderer Arbeit uͤber - haͤuft iſt, und nebſt einigen eigenen Schriften die er unter der Feder hat, alle Tage mehrere Stunden zu Vorleſungen auf der hieſigen Univerſitaͤt anwendet, dieſeUeber -Vorrede. Ueberſetzung nicht uͤbernommen haben, zu welcher er die Zeit von dem Umgang mit guten Freun - den abbrechen mußte; wenn er nicht in der Ueberſetzung dieſes Buchs der Welt einen wahr - haften Dienſt zu leiſten geglaubt haͤtte, und ſich einigermaßen unterſtuͤnde auf den Uhrhe - ber dieſes Buchs die Zeilen zu deuten, die ihm bey einer anderer noch erhabenern Gele - genheit entfallen ſind:

Er mahlete das ernſtliche Gebot
Der warnenden Vernunft in lockenden Ge -
beerden.
Selbſt denn, wenn es dem Frevler droht,
Hies er die Worte reitzend werden:
Bis es des Laſters Freund mit Schaudern
liſt,
Und faſt auf Schrecken luͤſtern iſt.
Er ſuchte neue Redens-Arten,
Die Richtigkeit mit Anmuth paarten,
Und ein zur Luſt gedichtet Bild,
Das ſchertzt, und in den Schertz den Ernſt
der Lehren huͤllt.
EinVorrede.

Ein ſolches Buch zu uͤberſetzen, konnte er fuͤr keine Bemuͤhung anſehen, die unnuͤtz waͤre, und ihn in dem Urtheil verſtaͤndiger Leute er - niedrigen wuͤrde.

Er hat geſucht, die verſchiedene Schreib - Art, die die Brieffe der verſchiedenen Perſo - nen unterſcheidet, nachzuahmen: z. E. die lo - ſen Beſchreibungen, welche die Fraͤulein Howe zu machen pflegt; die gezwungen-witzi - ge Schreib-Art des Jacob Harlowe, u. ſ. f. Eine woͤrtliche Ueberſetzung iſt bey Buͤchern unangenehm, die vergnuͤgen ſollen: er hat daher die Freyheit gebraucht, die Worte im deutſchen ſo zu ſetzen, wie ſie ſeiner Meinung nach in dieſer Sprache am beſten lauteten. Jnſonderheit hat er oft die allzulangen und im deutſchen unangenehmen Periodos der Englaͤnder in mehrere kurtze getheilt: auch bisweilen doch ſelten einen Spaß, der im Engliſchen und nicht im deutſchen lebhaft oder gewoͤhnlich iſt, mit einem andern vertauſcht, der ſich im deutſchen beſſer ſchickte.

WeilVorrede.

Weil er durch die Ueberſetzung Gelegenheit gehabt hat, die Clariſſa genauer kennen zu lernen: ſo nimt er ſich die Freyheit, dem Le - ſer die Vorzuͤge zu entdecken, welche be - reits dieſe erſten Theile vor der Pamela ha - ben.

Die Schreib-Art der Haupt-Perſon iſt hier gleich zu Anfang erhabener, als ſie in der Pamela iſt, oder ſeyn durfte. Man hat nicht mit ſo vielen Kleinigkeiten zu thun. Wer kann zwar allen etwas recht machen? Es ha - ben einige gemeint, die Clariſſa ſchreibe zierli - cher als ein Frauenzimmer ſchreiben koͤnnte. Wenn Frauenzimmer ſelbſt dieſen Einwurff machen ſollten, ſo ruͤhret er gewiß entweder von ihrer Demuth oder daher daß ſie nicht Clariſſen ſind. Jn dem Munde einer Manns - Perſon aber wird er weder hoͤflich noch be - ſcheiden lauten: und es wird immer die Fra - ge ſeyn, welche Frauenzimmer ein ſolcher Tadler zum Muſter nehme? Sind es vorneh -meVorrede. me Frauenzimmer von Verſtand, von Bele - ſenheit und Erziehung: ſo meine ich, daß es manche ſolche Frauenzimmer den Manns-Per - ſonen in der Schreib-Art zuvor thun. Des Herrn von Buſſy Briefe ſind niemahls ſo hoch geſchaͤtzt worden, als die von ſeiner Verwantin der Frau von Sevigne. Der Ueberſetzer iſt hierin ſo ſehr verſchiedener Meinung, daß er ſich nicht unterſtanden hat, die Ode zu uͤber - ſetzen, die im zweyten Theil Bl. 80 mangelt, weil ſie nach dem Zeugniß des Engliſchen Schriftſtellers von einem Frauenzimmer ver - fertiget iſt, und dem gantzen Geſchlecht zur Ehre gereicht.

Jn der Pamela wird mehr als einmahl ei - ne Ohnmacht zu Entwickelung eines Knotens gebraucht, und die Heldin dadurch von der Gefahr errettet, die ihr drohete. Dieſes ſcheint ein Fehler zu ſeyn, weil es die Wahr - ſcheinlichkeit der Erzaͤhlung mindert. Denn es iſt nicht vermuthlich, daß ein Frauenzim -merVorrede. mer in den Umſtaͤnden der Pamela ſo oft mit Ohnmachten uͤberfallen werden ſollte. Jn den vier erſten Theilen der Clariſſa findet ſich keine Ohnmacht, die einen Knoten aufzuloͤ - ſen gleichſahm gerufen iſt: ob ſich gleich bis - weilen Clariſſa eine ſo gefaͤllige Ohnmacht wuͤnſchet, die ihr zu rechter Zeit aufwarten ſolle.

Die Pamela verliert zuletzt das lebhafte, muntere, reitzende und unerwartete. Der vierte Theil wird ſo ernſthaft, daß ihn der vielleicht kaum in einem Monathe durchlieſet, der uͤber den erſten Theilen Naͤchte aufgeſeſſen hatte. Bey der Clariſſa waͤchſt das lebhafte, muntere, reitzende, und unerwartete. Wenn ein Leſer ein ſo fluͤchtiges Hertz hat, daß ihm einige Stellen der zwey erſten Theile zu ernſt - haft vorkommen, und er nicht das rauſchen - de Vergnuͤgen dabey empfindet, das er ſich wuͤnſchet: ſo wird eben derſelbige Leſer bey dem Anfang des dritten und bey dem EndedesVorrede. des vierten Theils das Buch nicht aus den Haͤnden legen koͤnnen. Der Jnhalt der fol - genden Theile traͤgt hiezu vieles bey.

Jch weiß nicht, ob ich dem Leſer den Ge - fallen thun und von ihrem Jnhalt etwas mel - den ſoll? oder ob es beſſer iſt, ihn in einer angenehmen Ungewißheit zu laſſen, die hernach durch Leſung dieſer unerwarteten Zufaͤlle deſto mehr vergnuͤgt werden wird?

Doch nein! ich will den Fluch nicht auf mich laden, mit dem mich die ungeſaͤttigte Neugier zwiſchen hier und Oſtern verwuͤnſchen koͤnnte.

Jm Anfang des dritten Theils findet man, wie liſtig es Lovelace angefangen hat, die Clariſſa dennoch dahin zu vermoͤgen, daß ſie in ſeiner Geſellſchaft ihrer Eltern Haus ver - ließ. Er hat bisweilen den aufrichtigſten Vorſatz gegen ſie: allein ſie macht aus Furcht,dasVorrede. das vierte Gebot zu uͤbertreten, Zweiffel, und ſchiebt die Trauung auf. Er will ſie auf alle moͤgliche Proben ſtellen, und wuͤnſcht ſie zu be - ſiegen, ehe die Kirche ihren Seegen zu dem Siege geſprochen haͤtte. Er macht aber doch auch Anſtalten, wahre Anſtalten, zum Heyra - then. Er iſt bisweilen ein eingefleiſchter Wi - derſpruch von Treue und Untreue. Er bringt ſie endlich ſo weit, daß ſie ſich nach London be - giebt: und er miethet ſie in das Haus des angeblichen Sinclair ein. Die Nymphen dieſes Hauſes verwandeln ſich in Jungfern von gutem Stande, von Tugend, und andern guten Eigenſchaften; und Clariſſa meint, daß ſie die Perſonen ſind, die ſie ſpielen. Bey al - len dieſen Umſtaͤnden beobachtet er den Anſtand, der erfodert ward, wenn Clariſſa dieſes Haus fuͤr tugendhaft und ehrbahr halten ſollte. Alle ſeine Liſt kann ſie nicht beſiegen: er zuͤn - det endlich, um ſie weniger angekleidet zu ſe - hen, das Haus des Nachts an; er erhaͤlt aber nur einen kleinen Theil von ſeinem Endzweck. SieVorrede. Sie fluͤchtet des folgenden Tages mit der groͤſſeſten Klugheit: und der vierte Theil laͤßt Lovelacen in der unausſprechlichſten Verwir - rung.

Der fuͤnfte und ſechſte Theil hat das Licht noch nicht geſehen. Der Doctor H. muß in demſelben zuerſt auftreten, von dem die vier er - ſten Theile nichts wiſſen. Vielleicht findet man in dem ſieben und dreißigſten Briefe des zweyten Theils eine Ahndung von dem fuͤrch - terlichen Ende dieſes Trauer-Spiels. Ver - muthlich werden dieſe Theile ſchon jetzt in Eng - land in der Preſſe ſeyn: und wo dieſes iſt, ſo liefert der Verleger die Ueberſetzung des drit - ten und vierten Theils auf Oſtern 1749, und den fuͤnften und ſechſten Theil auf Michaelis.

Goͤttingen den 20 Sept. 1748.

[1]

Clariſſa der erſte Theil.

Erſter Brief von Fraͤulein Anna Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch bin wegen der Unruhe, die Jhr Haus ſeit kurtzen in Verwirrung geſetzet, ſehr bekuͤmmert. Jch kan leicht dencken, wie emp - findlich es Jhnen ſeyn muͤſſe, daß Jhrer in allen oͤffentlichen Geſpraͤchen gedacht, wird: und dennoch iſt es bey einer ſo bekant gewordenen Be - gebenheit unmoͤglich, daß nicht ein jeder auf dasje - nige aufmerckſam ſeyn ſollte, was ein junges Frauenzimmer betrifft, deſſen ausnehmende Vor - zuͤge jederman veranlaſſet haben, an ihren Bege - benheiten Antheil zu nehmen. Jch bin begierig von Jhnen ſelbſt die eigentlichen Umſtaͤnde eines Verfahrens zu vernehmen, das man Sie wegen ei - nes unverſchuldeten Zufalls empfinden laͤſſet, in welchem, ſo viel ich erfahren kan, der leidende Theil den Angriff gethan hat. Jch habe auf die erſte Nachricht von der vorgegangenen Schlaͤgerey Hrn. Diggs(*)Der Wund-Artzt ihres Bruders. ſogleich her bitten laſſen, umErſter Theil. Amich2Die Geſchichtemich aus Beſorgniß fuͤr ſie zu erkundigen, wie ſich Jhr Bruder befinde. Er ſagte mir, die Wunde ſey gar nicht gefaͤhrlich: allein das Fieber koͤnte von ſchlimmen Folgen ſeyn, welches dem Anſchein nach durch die hefftige Unruhe des Ge - muͤths ſtaͤrcker geworden iſt. Herr Wyerley tranck geſtern mit uns Thee: und ob er gleich, wie ſehr zu vermuthen, gar nicht partheyiſch fuͤr Herrn Lovelace iſt, ſo tadelt doch ſowohl er, als Herr Symmes / Jhre Familie ſehr, wegen ihres ſonderlichen Betragens gegen Herrn Lovelace / als er ſelbſt kam, um ſich nach dem Befinden Jhres Bruders zu erkundigen, und ſeine Bekuͤmmerniß wegen des vorgegangenen Ungluͤcks zu bezeigen.

Man ſagt, daß Herr Lovelace nicht umhin gekonnt, ſeinen Degen zu ziehen: und daß entwe - der Jhres Bruders Ungeſchicklichkeit oder Hitze ihn ſchon bey dem erſten Gang voͤllig in die Ge - walt ſeines Gegners geliefert habe. Wie mir erzehlet worden, ſo hat er ſich darauf zuruͤck ge - zogen und zu ihm geſagt: Behutſamer! Herr Harlowe. Sie geben ſich durch ihre Hitze bloß! Sie geben mir zu viel Vortheil! Jhrer Schwe - ſter wegen vergebe ich alles: wenn . Die - ſes ſoll ihn nur verwegener gemacht haben, ſich noch mehr Bloͤße und ſeinem Gegner mehr Vor - theil zu geben, der ihn nach einer leichten Ver - wundung am Arm entwaffnete.

Einige Leute, die auf Jhren Bruder, wegen ſei - nes herrſch ſuͤchtigen Gemuͤths, und wegen ſeines Hochmuths und Eigenſins nicht wohl zu ſprechenſind,3der Clariſſa. ſind, ſagen, daß ſich die Hitze des jungen Herrn ſehr abgekuͤhlet, als er ſein Blut von dem Arm haͤuffig herab flieſſen ſahe, und daß er die großmuͤ - thigen Dienſte ſeines Gegners angenommen, der ihm Rock und Weſte ausziehen half, und ihm den Arm bis auf Ankunft des Wund-Artztes verband. Er ſoll dieſes alles ſo geduldig gelitten haben, daß dadurch der Beſuch, welchen ſein Gegner hernach bey ihm abſtatten wollte, um ſich nach ſeinem Be - finden zu erkundigen, weder fuͤr eine Verſpottung noch fuͤr unzeitig konnte gehalten werden.

Doch dem ſey wie ihm wolle, jederman bedau - ret Sie. So ſtandhaft und immer einerley in Jhrer Auffuͤhrung! So begierig, wie Sie oft ge - ſagt haben, unbemerckt durch das Leben hin - durch zu ſchleichen, und welches ich noch hinzu ſetzen moͤchte, in Jhren verborgenen Gutthaͤtigkei - ten nicht erkannt und beobachtet zu werden, weil Jhnen das bloſſe Bewuſtſeyn derſelben, der edelſte und vortreflichſte Lohn ſchien! Nuͤtzlich ohne es ſcheinen zu wollen! nach Jhrem wohl ausge - ſuchten Wahlſpruch: Und dennoch auf einmahl zu Jhrem groſſem Verdruß in die Nachrede der Leute gebracht! und in ihrem eigenen Hauſe mit der Schuld fremder Vergehungen belaͤſtiget! Wie muß eine ſolche Tugend in jedem Stuͤcke lei - den! Unterdeſſen muß man geſtehen, daß Jhre Pruͤfung Jhrer Klugheit gemaͤß iſt.

Da Jhre Freunde auſſer Hauſe beſorget ſind, daß ein ſo hefftiger Streit, deſſen ſich dem Anſchein nach die beyden Haͤuſer annehmen und ihn zu ei -A 2nem4Die Geſchichtenem Familien-Streit macheu, noch andere un - gluͤckliche Folgen haben moͤchte: ſo erſuche ich Sie, mich durch eine Nachricht von Jhrer eigenen Hand in Stand zu ſetzen, daß ich Jhr Betragen bey ge - gebener Gelegenheit rechtfertigen koͤnne.

Meine Mutter und wir alle reden gleich andern Leuten bey nahe von niemand als von Jhnen und von den Folgen, die die Rachgier eines ſo hitzigen Kopfes als Hr. Lovelace iſt haben koͤnnte: denn dieſer giebt vor, daß Jhres Vaters Bruͤder Jhm auf das ſchimpflichſte begegnet ſind. Meine Mut - ter will; daß Sie nunmehr ihn weder ſprechen, noch einigen Brief-Wechſel mit ihm unterhalten koͤnten, ohne den Wohlſtand aufs aͤuſſerſte aus den Augen zu ſetzen. Jhres Vaters Bruder hat ſie ſehr eingenommen, von dem Sie wiſſen, daß er uns bisweilen beſucht. Er hat bey dieſem Vorfall es als eine ſehr ſchwartze That einer Schweſter vorgeſtellet, wenn ſie einem Liebhaber noch einige Hoffnung machte, der den Weg zu Jhrem Hertzen durch Jhres Bruders Blut neh - men wollte. Dies war ſein Ausdruck.

Schreiben Sie mir demnach, mein Schatz, al - les was von der Zeit an vorgefallen iſt, da Herr Lovelace den erſten Zutrit in Jhr Hauß bekom - men hat, inſonderheit das, was Jhre aͤlteſte Schweſter und ihn betrifft. Denn hievon gehen ſehr verſchiedene Reden: einige Leute glauben, daß die juͤngere Schweſter wenigſtens durch ihre groſ - ſe Vorzuͤge und Artigkeit der Aelteſten das Hertz eines Liebhabers geſtohlen habe. SchreibenSie5der Clariſſa. Sie aber ſo vollſtaͤndig, daß auch ſolchen ein Ge - nuͤge geſchehe, die von Jhren Umſtaͤnden nicht ſo viel Nachricht haben, als ich. Sollte aus der Hefftigkeit der Gemuͤther, mit denen Sie jetzt zu thun haben, ein Ungluͤck entſtehen; ſo wird nichts mehr zu Jhrer Rechtfertigung dienen koͤnnen, als dieſe ſchon einige Zeit vorher gegebene Nachricht.

Sie ſehen, was Sie ſich dadurch fuͤr eine Laſt aufgebuͤrdet haben, daß Sie alle Jhres Geſchlechts uͤbertreffen. Ein jedes Frauenzimmer, daß Sie kennet, oder von Jhnen gehoͤrt hat, maſſet ſich gleichſam ein Recht an, Sie wegen Jhrer Auf - fuͤhrung in einer ſo gefaͤhrlichen und empfindlichen Begebenheit zur Rechenſchafft zu ziehen.

Jedermanns Auge iſt auf Sie gerichtet, und erwartet von Jhnen ein Muſter dem man nachfol - gen koͤnne. Jch wuͤnſchte, daß Sie Freyheit ha - ben moͤchten Jhren eigenen Einſichten zu folgen: alsdenn, hoffe ich, wuͤrde alles auf eine leichte und anſtaͤndige Art geendiget werden. Jhre Fuͤhrer und Fuͤhrerinnen ſetzen mich nur in Sorge; denn obgleich Jhre Mutter alle Eigenſchafften an ſich hat, andere zu regieren, ſo muß Sie ſich doch re - gieren laſſen. Jhre Schweſter und Jhr Bruder werden Sie gewiß hindern den Weg zu gehen, den Sie ſelbſt waͤhlen wuͤrden.

Aber ich weiß Sie vergoͤnnen mir nicht, mich uͤber dieſen letzten Punct weitlaͤuftiger zu erklaͤren. Jch bitte mir Vergebung aus, und ſchlieſſe. Doch was ſoll ich um Vergebung bitten? da Jhre Sorge, meine Sorge iſt, und Jhre Ehre, meineA 3Ehre6Die GeſchichteEhre; da ich Sie ſo liebe, als nie Frauenzimmer einander geliebet haben; und da Sie mir Erlaub - niß gegeben haben, Sorge und Liebe mit Jhnen zu theilen; und ſchon mehrere Jahre (wenigſtens kann man ſie in einen ſo jungen Alter mehrere nennen) einen Platz in der erſten Claſſe Jhrer Freundinnen gegoͤnnet haben, Jhrer ewig danck - baren und ergebenſten

Anna Howe.

P. S. Wollen Sie mir die Gefaͤlligkeit erzeigen, mir eine Abſchrifft des Eingangs zu den in Jh - res Groß-Vaters letzten Willen Jhrentwegen ge - machten Clauſuln zu uͤberſenden? und mir erlau - ben ſolche meiner Baſe Harman zu ſchicken? Sie iſt ſehr begierig dieſen Eingang zu ſehen. Jedoch iſt ſie von Jhuen ſo eingenommen, daß ob Sie ihr gleich von Perſon unbekannt ſind, ſie doch ſchon zum voraus billiget, daß Jhr Groß-Va - ter Sie vorzuͤglich vor andern bedacht hat, ohne die Urſachen noch zur Zeit zu wiſſen, die ihn hie - zu bewogen haben.

Zweyter Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Wie uͤberhaͤuffen Sie mich mit einer rechten Laſt von Hoͤflichkeit! Jch kan zwar an Jh -rer7der Clariſſa. rer Aufrichtigkeit nicht zweifeln: allein Sie ſoll - ten ſich doch billig in Acht nehmen, daͤß Jhre guͤ - tige Partheylichkeit gegen mich nicht zum Nach - theil ihrer Beurtheilungs-Kraft ausgeleget wer - den moͤge. Sie unterſcheiden die vortrefflichen Gedancken nicht, die ich Jhnen bisweilen abbor - ge, und die Kunſt verſtehe ſie ſo anzubringen, als waͤren es meine eigene. Denn in allem was Sie thun, und was Sie reden, ja ſelbſt in Jhren ſo lebhaften Blicken geben Sie, ohne es zu wiſſen, einer Dienerin, die Sie ſo liebet, und ſo auf Sie Acht giebet als ich es thue, lauter Lehren. Jch bitte demnach, ſeyn Sie inskuͤnftige ſparſamer mit Jhrem Lobe; damit nicht nach dieſem meinem Geſtaͤndniß der Argwohn enſtehen moͤge, daß Sie ſich ſelbſt heimlich in meinem Lobe zu loben gedaͤchten.

Unſere Familie iſt in der That ſehr auſſer Ord - nung gekommen-auſſer Ordnung! Nein ſie iſt in der allergroͤſten Unordnung geweſen, ſeit dem jene ungluͤckliche Begebenheit vorgefallen iſt. Man hat alle Schuld auf mich geworfen: und ich wuͤrde von ſelbſten mir dieſe Sache zu ſehr zu Ge - muͤthe gezogen haben, wenn andere glimpflicher und billiger mit mir umgegangen waͤren.

Es mag mein Wunſch die Frucht einer tadel - haften Ungedult ſeyn, und daher entſtehen, daß ich zu guͤtig erzogen bin gegen Beſchuldigung un - empfindlich zu ſeyn, oder er mag daher kommen, daß ich diejenigen um meinet willen nicht ohne Verdruß kan tadeln hoͤren, die ich zu entſchuldi -A 4gen,8Die Geſchichtegen, verbunden bin: ſo habe ich doch bisweilen gewuͤnſchet, daß es GOtt gefallen haͤtte, mich in meinem lctzten Fieber wegzunehmen, als ich mich noch jedermanns Liebe und guter Meynung zu er - freuen hatte; und noch oͤfter habe ich gewuͤnſchet, daß mein Groß-Vater mir in ſeinem letzten Wil - len nicht ſo viel zum voraus vermacht haͤtte. Denn dieſe ſeine Guͤte hat, wie ich muthmaſſe, das Hertz meines Bruders und meiner Schweſter von mir abgewandt, und wenigſtens einigen Neid auf die Gewogenheit meiner Vater-Bruͤder gegen mich bey Jhnen erwecket, welcher Jhre Liebe biswei - len verdunckelt.

Da mein Bruder von ſeinem Fieber gluͤcklich wieder hergeſtellet iſt, und man in Anſehung ſei - ner Wunde auch gute Hoffnung hat, ob er ſich gleich noch nicht ausgewaget: ſo will ich in Er - zaͤhlung unſerer Kleinigkeiten, ſo umſtaͤndlich ſeyn, als Sie verlangen. Aber GOtt verhuͤte, daß niemals ein neues Ungluͤck moͤge Anlaß ge - ben, dieſe Nachricht zu dem Zwecke, deſſen Sie ſo guͤtig erwaͤhnen, anderen vorzuzeigen.

Jch will Jhrem Befehl gemaͤß von der erſten Bewerbung des Herrn Lovelace um meine Schweſter den Anfang machen, und ſo kurtz ſeyn als moͤgltch iſt. Jch will nur die Sachen erzaͤh - len, und Jhnen uͤberlaſſen, von der Wahrheit des Geruͤchts zu urtheilen, daß die juͤngere Schwe - ſter der aͤltern ein Hertz geſtohlen habe. Es geſcha - he zu folge einer Berathſchlagung zwiſchen dem Lord M. und meines Vaters Bruder Anton /daß9der Clariſſa. daß Herr Lovelace mit Erlaubniß meiner Eltern meiner Schweſter Arabella die Aufwartung machte. Mein Bruder hielt ſich damals in Schottland auf, um die ſchoͤnen Guͤter zu beſe - hen, dle ihm von ſeiner freygebigen Pathe nebſt andern von gleichem Werth in der Grafſchafft Yorck, vermacht waren. Jch befand mich damals auf meiner ſo genannten Hollaͤnderey*)Damit ihr Großvater ſie ſo oft zu ſich bitten koͤnte als ihre uͤbrigen Freunde ſie miſſen konten, erlaubte er ihr eine kleine Hollaͤnderey, ſo wie ſie es ſelbſt fuͤr gut finden wuͤrde anzulegen. Als dieſe fertig war, ſand ſie wegen ihrer ungekuͤnſtelten Zierlichkeit und Be - quemlichkeit ſo viel Bewunderer, daß das gantze Gut, ſo vorhin der Lage wegen der Hayn geheiſſen hatte, nunmehro unter dem Nahmen der Hollaͤnderey be - kannt ward. Jhrem Groß Vater geſchahe insbe, ſondere ein Gefalle, wenn man es ſo nannte., um die Rechnungen des Gutes durchzuſehen, daß mir mein Groß-Vater zum voraus vermacht hat - te. Denn man erlaubet mir jaͤhrlich einmal die - ſes Gut ſelbſt in Augenſchein zu nehmen, ob ich es gleich gaͤntzlich meinem Vater zur Verwaltung uͤberlaſſen habe.

Den naͤchſten Tag nach Herrn Lovelaces er - ſten Zuſpruch beſuchte mich meine Schweſter da - ſelbſt. Lovelace ſchien ihr ungemein wohl zu ge - fallen, ſein Familie: ſein Vermoͤgen und zwey tauſend Pfund jaͤhrlicher gewiſſer Einkuͤnfte, wie der Lord M. meinem Vater Bruder Anton ver - ſichert hatte: die ſtarcke Vermuthung, daß er die -A 5ſes10Die Geſchichteſes Herrn Erbe ſeyn werde; was er von Lady Sara Sadleyr und Lady Lawrance zu hoffen hat, als welche beyde nebſt dem Lord M. ſehr wuͤnſchen ihn bald verheyrathet zu ſehen, weil er der letzte von der Familie iſt: waren diſes nicht Umſtaͤnde genug ihn meiner Schweſter angenehm zu machen?

So ein artiger Herr! O ihre liebe Clariſſa! (denn damals konnte ſie mich ſehr zaͤrtlich lieben, weil er ſie aufgeraͤumt und liebreich gemacht hatte) Er war nur gar zu artig fuͤr ſie! Sie hoffete ſeine Liebe ſtets zu behalten, wenn ſie nur eben ſo einnehmend waͤre, als ſonſt jemand! denn ſie hoͤrte er waͤre wild, ſehr wild und ſehr luſtig, und haͤtte ſehr gern mit Liebes-Sachen zu thun. Aber er waͤre jung und habe guten Verſtand: er wuͤrde ſeinen Jrthum einſehen, wenn ſie nur Gedult mit ſeinen Fehlern haben koͤnte, falls dieſe nicht ohnedem durch ſeine Verheyrathung wegfielen.

Solcher Sachen ſprach ſie noch mehrere, und bat mich, daß ich doch den liebenswuͤrdigen Herrn, wie ſie ihn nennete, auch ſehen moͤchte. Aber von neuen uͤberfiel ſie eine Sorge, daß ſie nicht artig genug fuͤr ihn waͤre: das waͤre aͤr - gerlich, hieß es, wenn der Mann in dieſem Stuͤck die Frau uͤbertreffen ſolte. Hierauf trat ſie wieder vor den Spiegel und machte ſich das Compliment, ſie ſaͤhe gut genug aus. Man hielte manches Frauenzimmer fuͤr mittel - maͤßig ſchoͤn, das doch von ihr uͤbertroffen wuͤrde11der Clariſſa. wuͤrde: man habe ihre Geſtalt ſtets fuͤr an - ſtaͤndig gehalten; wobey ich ihr ſagte, daß Anſtaͤndigkeit nicht ſo viel in der Geſtalt als Schoͤnheit verlieren koͤnnte, und bleiben wuͤrde, wenn jene laͤngſt verwelcket waͤre. Hierauf kehrte ſie ſich wieder zum Spiegel, und be - merckte, daß ihre Geſichts-Zuͤge und ihre Au - gen nicht eben die ſchlimmſten waͤren, (ich er - innere mich, daß ſie eben damahls ungewoͤhnlich hell waren) kurtz: Es waͤre nichts zu tadeln, obgleich auch nichts ſehr reitzendes an ihr zu fin - den waͤre. Sie war zweifelhafft: iſt was an mir auszuſetzen Claͤrgen?

Vergeben Sie mir, mein Hertz, ich habe nie vorhin ſo umſtaͤndlich alle Kleinigkeiten geſchrie - ben, auch ſelbſt nicht an Sie. Jetzt wuͤrde ich eben ſo wenig eine ſo freye Beſchreibung von der Auffuͤhrung meiner Schweſter machen, wañ Sie ſich nicht gegen meinen Bruder ruͤhmte, daß Herr Lovelace niemahls das Gluͤck gehabt habe, ihr zu gefallen. Ueber dieſes befehlen Sie, daß ich auch Kleinigkeiten in meine Beſchreibung mit ein - flieſſen laſſen ſoll, und vergoͤnnen mir nicht die Miene und die Art zu verſchweigen, womit eine Sache die Nachdencken erwecken kan geſprochen iſt: und in der That iſt Jhre Anmerckung richtig, daß die Mienen unſere Gemuͤths-Faſſung oͤffters beſſer ausdrucken, als die Worte ſelbſt.

Jch wuͤnſchte ihr Gluͤck zu ihrer Hoffnung. Sie nahm meinen Gluͤckwunſch an, und ſchien mit ſich ſelbſt ſehr wohl vergnuͤgt zu ſeyn.

Der12Die Geſchichte

Der junge Herr gefiel ihr bey ſeinem naͤchſten Beſuch noch beſſer. Und dennoch machte er ſich nicht eben insbeſondere viel mit ihr zu thun, ob ihm gleich Gelegenheit dazu gegeben ward. Man wunderte ſich zwar hieruͤber, weil mein Vaters - Bruder, der ihm den erſten Zugang in unſer Haus verſchaffet hatte, deutlich geſaget hatte, daß er meine Schweſter beſuchen wollte. Doch unſere Eigenliebe macht uns immer ſehr willfaͤhrig, den Schein des Kaltſinns bey ſolchen Perſonen zu ent - ſchuldigen, denen wir gern gefallen moͤchten. Meine Schweſter entdeckte auch eine fuͤr Herrn Lovelace ſehr ruͤhmliche Urſache, warum er ſich der gegebenen Gelegenheit ſo wenig bedienete. Jn der That er war zu bloͤde, (dencken Sie ein - mahl: Herr Lovelace ſoll bloͤde ſeyn) Jch muß bekennen, daß ob er gleich munter und lebhaft iſt, er doch nichts unverſchaͤmtes im Geſichte hat: aber die Zeit muß wohl laͤngſtens vorbey ſeyn, da er bloͤde geweſen iſt.

Doch auf dieſe Weiſe konnte meine Schweſter damit fertig werden. Auf ihr Wort, ſie glaub - te, daß Herr Lovelace die uͤble Nachrede in Abſicht ſeiner Auffuͤhrung gegen die Frauens - Leute nicht verdiene. Er war ihrer Meynung nach ein ſehr wohlgeſitteter Herr. Sie glaub - te er haͤtte gern ſeine Meynung frey heraus geſagt: aber ein oder zweymahl, da er das Wort ſchon auf der Zunge hatte, gerieth er in eine ſo liebenswuͤrdige Verwirrung, er ſchien ihr tiefe Hochachtung, und vollkommene Ehr -erbie -13der Clariſſa. erbietung zu erweiſen. Nichts gefiele ihr beſſer, als daß ein junger Herr, der ein Hertz erobern will, ſeiner Schoͤnen ehrerbietig begegne. Dieſes Gluͤck wuͤnſchen wir uns wohl alle; und wir haben Urſache es uns zu wuͤnſchen: Denn in manchen Familien habe ich bemercket, daß nach - her ſehr wenig Ehrerbietung fuͤr das Frauenzim - mer zu erwarten iſt. Sie ſagte meiner Baſe Hervey: ſie wolle das kuͤnfftige mahl nicht ſo ſehr zuruͤck halten: ſie waͤre keine ſolche Thoͤrin, daß ſie einen Liebhaber nur quaͤlen wollte, der nichts als Gegenliebe verdiente; und daß ſie ihn deſto mehr quaͤlen wollte, je hoͤher er ſie ſchaͤtzte. Nein ſo waͤre ſie nicht! Wenn ſie nur nicht auf eine Perſon gezielt haͤtte, die mir ungemein werth iſt, ſo daͤchte ich faſt, daß ſie mit Grund einen Fehler unſers Geſchlechts getadelt haͤtte. Jch nehme ein ungebuͤhrliches und hartes Wort aus.

Arabella fuͤhrete ſich bey ſeinem dritten Beſuch ſo guͤtig und vorſichtig auf als ſie ſich vorgenom - men hatte: und ſie ſelbſt glaubte, nunmehr haͤtte er ſein Anliegen frey heraus ſagen koͤnnen. Aber er war noch bloͤde: er konnte ſeine unzeitige Ehr - erbietung nicht uͤberwinden. Dieſer Beſuch hatte demnach keinen andern Ausgang, als der vorige.

Aber nun fing ſie an uͤber ihn mißvergnuͤgt zu ſeyn. Sie verglich ſeine gantze Gemuͤths-Beſchaf - fenheit mit ſeinem Betragen gegen ſie ſelbſt; und da ſich vorhin noch niemand um ſie beworben hat - te, ſo geſtand ſie, ſie wiſſe gar nicht, wie ſie ſich ge -gen14Die Geſchichtegen einen ſo ſeltſamen Liebhaber auffuͤhren ſolle. Was kan der Menſch fuͤr eine Abſicht haben? (ſagte ſie zu meiner Baſe) Mein Vaters Bruder hat deutlich geſagt, er braͤchte ihn als einen Freyer in unſer Haus. Es kan nicht bloſſe Bloͤdigkeit ſeyn: (nun dachte ſie der Sache weiter nach) denn er haͤtte ja mit meines Va - ters Bruder reden koͤnnen, wenn er nicht das Hertz gehabt haͤtte, ſeine Erklaͤrung gegen mich zu thun. Jch frage nach ihm nicht viel. Es iſt doch aber wahthaftig billig, daß eine Manns - Perſon, daß Frauenzimmer nicht lange rathen laſſe ſondern ihr ſelbſt ſeine Abſicht zu verſtehen gebe. Allein in der That ich mercke, er ſuchet nicht ſo wohl meine als meiner Mutter Gunſt zu erlangen. Es iſt wahr, jedermann be - wundert meine Mutter wegen ihrer vortrefli - chen Auffuͤhrung: er wird ſich aber irren, wenn er dencket, daß er die Tochter durch die Mutter kriegen will. Wenigſtens ſolte er um ſeines eigenen Vortheils willen es meiner Wahl uͤber - laſſen, gegen ihn gefaͤllig zu ſeyn, wenn er ſich ſo auffuͤhret, daß er mir gefallen kan. Jch muß es geſtehen, daß ſeine entfernte und fremde Art des Umgangs deſto wunderbah - rer iſt, weil er ſeinen Beſuch fortſetzet und ein Verlangen bezeuget, mit der gantzen Familie Freundſchaft zu halten, da er doch wohl mer - chen muß, daß ich Verſtand habe, falls ich an - ders ſelbſt ſagen darf was die Welt von mir ur - theilet.

Hier -15der Clariſſa.

Hierbey wußte ſie zu erzaͤhlen, daß er man - chen artigen Spaß, der ihr entfallen waͤre, wohl bemercket, und ſehr bewundert haͤtte. Es ſey zwar einem offenen und freyen Hertzen als ſie habe, ſehr beſchwerlich zuruͤck zu halten: allein ſie koͤnnte ihrer Baſe nicht verheelen, daß ſie niemals vergeſſen wuͤrde, was ſie ihrem Ge - ſchlecht, und was ſie ſich ſelbſt ſchuldig ſey, wenn auch wieder Herr Lovelaces Auffuͤhrung eben ſo wenig einzuwenden waͤre als wieder ſei - ne Geſtalt, und wenn er auch kuͤnftig ſeine Bit - te noch ſo eifrig anbraͤchte.

Jch ward nicht mit zu Rathe gezogen. Jch war noch immer verreiſet. Sie faſſete auf Anra - then meiner Baſe Hervey den Schluß, bey dem naͤchſten Beſuch gantz ernſthaft und zuruͤckhaltend zu thun, wenn er nicht beſonders Gelegenheit ſuch - te, mit ihr naͤher bekannt zu werden.

Meine Schweſter hatte die Sache nicht wohl uͤberlegt. Der Erfolg wieß, daß dieſes nicht der rechte Weg war, den man um einer bloſſen Un - terlaſſung willen mit einem ſo klugen Mann als Herr Lovelace haͤtte gehen ſollen. Ja auch gegen einen andern haͤtte man nicht ſo verfahren ſollen; denn wenn die Liebe nicht ſo tief gewurzelt iſt, daß ſie bey der beſten Gelegenheit, die man dazu giebt, eine Liebes-Erklaͤrung hervor bringt, ſo hat man wenig Urſach zu hoffen, daß ſie gleichſam durch den toͤdtenden Wind der Empfindlichkeit und Rache wachſen werde. Ueber dieſes iſt meine ar - me Schweſter von Natur nicht allzu aufgeraumt:ich16Die Geſchichteich erfahre dieſe Warheit leider zu oft, als daß ich ſie ihnen verheelen koͤnte. Wenn ſie nun mit Willen noch verdrießlicher hat ſcheinen wol - len, als ſie gemeiniglich iſt, ſo muß dieſes ein gar nicht vortheilhaftes Bild von ihr gegeben haben.

Jch weiß nicht was in dieſer Zuſammenkunft vorgefallen iſt; der Ausgang ſollte einen faſt auf die Gedancken bringen, daß Herr Lovelace ſo loſe und faſt ſo niedertraͤchtig geweſen ſey, die Ge - legenheit mit Fleiß zu ſuchen und zu gebrauchen, welche ihm meine Schweſter dieſes mal gab. Es beliebte ihm jetzund ſeine Bitte anzubringen: aber ſie erzehlet, daß er ſie vorher, (ſie wuſte nicht, auf welche Art und Weiſe?) ſo zum Unwillen ge - reitzet, und ſo misvergnuͤgt gemacht habe, daß ſie unmoͤglich ſo gleich wieder zu ſich ſelbſt habe kommen koͤnnen. Dem ohngeachtet drang er mit ſeiner Bitte in ſie, nicht anders, als wenn er ein deutliches Ja erzwingen wollte, ließ ihr aber nicht Zeit wieder aufgeraͤumt zu werden, und be - muͤhete ſich nicht ſie zu beſaͤnftigen. Sie konnte daher nicht anders, als ſeine Bitte abſchlagen; ließ ihm aber dabey mercken, daß ihr nicht ſowohl ſein Anbringen mißfiele, als die Art mit der er es angebracht hatte: denn er habe ſich mehr um ihre Mutter, als um ſie beworben, gerade als wenn er gewiß wuͤßte, daß ſie ſogleich Ja ſagen wuͤrde ſo bald es ihm beliebte.

Eine Verweigerung voller Ja-Worte! Von gleicher Beſchaffenheit waren alle ihre uͤbrige Ein - wendungen, nehmlich ſie habe nicht Luſt ſichzu17der Clariſſa. zu veraͤndern; ſie ſey jetzt gluͤcklicher / als ſie jemals werden koͤnte. Sie brachte noch mehr ſolcher bejahenden Verneinungen vor, ich kan ſie wohl ſo nennen, ohne uͤber meine Schwe - ſter zu ſpotten: denn was kan ein jung Maͤdgen in ſolchen Umſtaͤnden anders ſagen, wenn es fuͤrchten muß, daß es durch ein allzuwilliges Ja ſich nur bey dem andern Geſchlechte veraͤchtlich machen wuͤrde? Denn dieſes pflegt doch ſein Gluͤck hoͤher oder geringer zu ſchaͤtzen, nachdem ihm das Ja-Wort leichter, oder ſchwerer zu er - halten geworden. Mir gefaͤllt die Antwort der Fraͤulein Biddulf auf einige Verſe die von ei - nem jungen Herrn herumgehen(*)Siehe den 31. Brief., der ſich uͤber die Verſtellung des Frauenzimmers luſtig mach - te. Sie werden nichts daran tadeln, als daß un - ſere Fehler zu freymuͤthig bekannt werden.

Du niedertraͤchtigs Volk das Zaͤrtlichkeit ver -
lacht,
Wenn es durch falſchen Schwur die Schoͤ -
nen zaͤrtlich macht?
So bald wir ſproͤde ſind, und unſre Gunſt
verheelen,
Hoͤhnt ihr die Bloͤdigkeit ihr poͤbelhaften
Seelen.
Entſchließt euch ſelbſt zuerſt zu ofner Redlichkeit,
So wird dem Redlichen ein ofnes Herz ge -
weyht.
Sonſt ſpottet unſrer nicht: es liegt in euren
Raͤncken
DieErſter Theil. B18Die Geſchichte

Die Urſach, daß wir nicht ſo reden als wir dencken.

Hier muß ich meine Feder niederlegen, ich werde ſie aber bald wieder nehmen, um weiter zuſchreiben.

Der dritte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlove an Fraͤulein Howe /

So hatte denn Herr Lovelace ſeine Antwort von meiner Schweſter, nach der Erklaͤ - rung, die er ihren Worten gab. Mit ſehr groſer Betruͤbnis, (wie er vorgab) ließ er ſich ihren Ausſpruch gefallen. Jch fuͤrchte mein Hertz, er weiß ſich ſehr zu verſtellen. Eine ſo geſetzte Unveraͤnderlichkeit, Eine ſo erhabene Stand - hafftigkeit fand er ſeinem Vorgeben nach bey meiner Schweſter, daß ihm keine Hoffnung uͤbrig blieb, ſie zur Aendrung ihres Entſchluſſes zu bewegen, den ſie mit voͤlliger Ueberlegung gefaſſet hatte. Er ſeuffzete, nach der Erzeh - lung meiner Schweſter, als er von ihr Ab - ſchied nahm! der Seufzer war recht tief: er umfaſſete ihre Hand, und kuͤſſete ſie recht feu - rig; er gieng darauf mit der ehrerbietigſten Miene weg. Als er ſo vor ihr ſtand, ſo trat ihrem Hertzen faſt ein Mitleiden gegen ihn an, ob er ſie gleich vorhin erzuͤrnet hatte. Gewiß ei - ne gute Vorbereitung zum kuͤnftigen Ja-Wort,wenig -19der Clariſſa. wenigſtens nach ihrer Abſicht: denn als ſie dis Mitleiden empfand, ließ ſie ſich noch gar nicht einfallen, daß er ſeine Bitte nicht abermals an - bringen wuͤrde.

Er wartete meiner Mutter noch auf, und klagte ihr ſein Ungluͤck mit vieler Ehrerbietung, ſo wohl gegen meine Schweſter, als die gantze Fa - milie, und ließ eine rechte ſtarke Bekuͤmmerniß daruͤber blicken, daß er nicht das Gluͤck haben ſollte, mit ihr naͤher verbunden zu werden. Die - ſes machte bey allen einen ihm vortheilhaften Eindruck, denn mein Bruder war damals noch in Schottland: und man glaubte, er werde ſein Gewerbe abermahls anzubringen ſuchen. Als aber Herr Lovelace gleich nach London reiſe - te, und ſich daſelbſt vierzehn Tage aufhielt, auch gegen meinen Vaters Bruder Anton / den er dort antraf, ſich wegen des ihm betruͤbten Ent - ſchluſſes meiner Schweſter, unverheyrathet zu blei - ben, beklagte; ſo ſahe man wohl, daß in der Sa - che weiter nichts zu thun ſeyn wuͤrde.

Bey dieſer Gelegenheit vergaß meine Schwe - ſter nichts, ſich in den Vortheil zu ſetzen, und ſie machte aus der Noth eine Tugend. Der Menſch war nun in ihren Augen ein ganz anderer Menſch geworden ein eingebildeter Menſch! der ſeine eigene Vorzuͤge mehr als zu wohl kenne, und doch waͤren dieſe ſeine gute Eigenſchaften bey weiten nicht ſo groß, als ſie zu Anfang gehof - fet haͤtte. Er waͤre bald kalt, bald warm, und ſeine Liebe waͤre einem Fieber ſehr aͤhnlich. B 2Ein20Die Geſchichte Ein beſtaͤndiger Mann, der Tugend beſaͤſſe waͤre ihr lieber, als tauſend ſolche artige Flatterer. Vielleicht moͤchte ihre Schweſter Claͤrgen es der Muͤhe werth achten, ſich mit einem ſolchen Liebhaber abzugeben. Die haͤtte Gedult, die koͤnnte bitten und uͤberreden, und in der That das Maͤdgen haͤtte etwas aͤhnli - ches von Jemanden: ſie aber moͤge keinen Mann haben, wenn er auch die gantze Welt be - ſaͤſſe, auf deſſen Hertz ſie ſich nicht eine Stunde lang verlaſſen koͤnnte; Sie freue ſich von Her - tzen daß ſie ſich von ihm loß gemacht habe.

Da Herr Lovelace wieder aufs Land kam, that er meinem Vater und Mutter die Ehre, ſie zu beſuchen. Er ſagte, er hoffe, daß es ihm er - laubt ſeyn wuͤrde, beſtaͤndige Bekanntſchaft und Freundſchaft mit einer Familie zu halten, die er nie aufhoͤren wuͤrde zu verehren, ob er gleich ſo ungluͤcklich geweſen waͤre, daß ihm die gehofte Verbuͤndung abgeſchlagen ſey. Zu meinem Un - gluͤck, ſo mag ich es wohl nennen, war ich da - mals zu Hauſe und gegenwaͤrtig.

Man bemerkte alſobald daß er auf mich ein Auge gerichtet hatte. So bald er weg gegan - gen war, ſtellte ſich meine Schweſter, als haͤtte ſie groſſe Lnſt ſeiner Anwerbung um mich befoͤr - derlich zu ſeyn, falls er ſie deutlich vorbringen wuͤrde. Dis ſollte eine großmuͤthige Verach - tung heiſſen.

Meine Baſe Hervey war eben gegenwaͤrtig, und ſagte, wir wuͤrden das artigſte Paar in ganzEng -21der Clariſſa. England ſeyn, wenn meine Schweſter nichts da - gegen einzuwenden haͤtte. Nein wahrhaftig nicht, ſtuͤrzte ſie mit hochmuͤthigen Geberden heraus! es wuͤrde ſich dieſes Betragen zu dem Korbe gar nicht ſchicken, den ich ihm mit voller Ueberlegung gegeben habe.

Meine Mutter ſagte; das eintzige, was ſie wider ſeine naͤhere Verbindung mit einer von ihren beyden Toͤchtern einzuwenden habe, ſey ſeine unordentliche Lebens-Art.

Mein Onkle Harlowe antwortete: ſeine Tochter Claͤrgen (denn ſo hat er mich von meiner Kindheit an gern genannt) wuͤrde ihn bekehren, falls ihn irgend ein Frauenzimmer be - kehren koͤnnte.

Der andere Bruder meines Vaters Anton / gab ſeinen Beyfall ſehr nachdruͤcklich; Er ſetzte aber hinzu, was Frau Hervey ſchon vorhin erinnert hatte, daß man meiner Schweſter Mey - nung beſonders hoͤren muͤſte.

Sie fing von neuem an, ihn zu veracheen; und erklaͤrte ſich: ſie moͤchte ihn nicht nehmen, wenn gleich alle Manns-Perſonen in England bis auf ihn ausgeſtorben waͤren. Sie verſicherte im Ge - gentheil, ſie ſey bereit, ſich aller ihrer Anſpruͤche an ihn unter Hand und Siegel zu begeben, wenn ſich Claͤrgen von ſeinem Flitter-Golde wollte blenden laſſen, und wenn ſonſt alle damit zu - frieden waͤren, daß er das Maͤdgen kriegte.

Mein Vater unterbrach endlich ſein langes Stillſchweigen, weil ſein Bruder Anton ſehr inB 3ihn22Die Geſchichteihn drang, daß er ſeine Meynung eroͤfnen moͤchte. Er ſagte: er habe von ſeinem Sohn Jacob ei - nen Brief bekommen, den er geſchrieben, als er gehoͤret haͤtte, daß ſich Herr Lovelace um ſeine Schweſter Arabella bewuͤrbe: er habe dieſen Brief niemanden, als meiner Mutter gezeiget, weil doch bey deſſen Empfang die ganze Sache ſchon vorbey geweſen ſey. Sein Sohn bezeuge in dieſem Schreiben ein groſſes Misfallen an ih - rer Verheyrathung mit Herrn Lovelace / wegen der uͤbeln Auffuͤhrung dieſes Mannes. Er wiſſe zwar, daß ein alter Groll zwiſchen ihnen beyden obwalte; aber er wolle ſich doch nicht eher uͤber dieſe Sache erklaͤren, bis er von ſeinem Sohn nach deſſen Zuruͤckkunft alles ſelbſt gehoͤret, was er einzuwenden habe, weil er gern alle Gelegen - heit zur Trennung und Feindſchaft in ſeiner Fa - milie vermeiden wolle. Er ſey deſto geneigter ſeinem Sohn dieſe Gefaͤlligkeit zu erweiſen, weil die allgemeine Meynung die man von Herrn Lo - velace habe, das Misfallen ſeines Sohnes an der Heyrath nur allzuſehr rechtfertige. Er habe gehoͤret, (er glaubte aber, jedermann muͤſte dis auch gehoͤret haben) daß Lovelace ein ſehr aus - ſchweifender Menſch ſey, und auf Reiſen viel Schulden gemacht habe: er ſehe auch in der That recht aus, als ein Verſchwender.

Dieſe Umſtaͤnde habe ich theils von meiner Ba - ſe Hervey / und theils von meiner Schweſter: denn ich ward heraus gerufen, ſo bald man anfing von der Sache zu ſprechen. Als ich wieder kam,fragte23der Clariſſa. fragte mich mein Onckle Anton; wie mir Herr Lovelace gefiele. Jedermann ſehe wohl, ſetzte er hinzu, daß ich ein Hertz erobert haͤtte. Jch antwortete ihm ohne mich zu bedenken: Ganz und gar nicht! Er ſcheint von ſeiner Perſon und Eigenſchaften eine ſo vortheilhafte Meynung zu haben, daß er ſchwerlich gegen ſeine Frau die noͤ - thige Achtung haben wird, er mag heyrathen, welche er will.

Meine Schweſter war inſonderheit mit dieſer Antwort vergnuͤgt, ſie beſtaͤtigte das was ich ge - ſagt hatte, und ruͤhmete mein Urtheil: denn es war zugleich ihr Urtheil.

Allein den folgenden Tag kam der Lord M. auf unſer Gut, als ich eben nicht zu Hauſe war. Er that in ſeines Vetters Namen einen foͤrmli - chen Antrag, mit der Erklaͤrung ſeine ganze Fa - milie wuͤnſche ſich die Ehre mit der Unſrigen ver - wandt zu werden: und er hoffe, ſein Vetter werde eine beſſere Antwort von der Juͤngern, als von der aͤltern Schweſter bekommen.

Kurtz: es ward Herrn Lovelace verſtattet mich zu beſuchen, weil man ihn fuͤr einen jungen Herrn hielt, der von unſerer Familie alle gute Begeg - nung verdienet haͤtte; doch behielt ſich in Abſicht auf mich mein Vater bevor, daß er nichts ohne ſeines Sohnes Beyrath beſchlieſſen wolle. Uebri - gens verließ man ſich auf meine Vorſich tigkeit und Klugheit; denn ich machte noch eben dieſel - ben Einwendungen gegen Herrn Lovelace, und wollte nicht einmahl, da wir beſſer bekannt ge -B 4worden,24Die Geſchichteworden, einige Geſpraͤche anhoͤren, die mich ins beſondere angingen, daher ich ihm die Gelegen - heit abſchnitt, ſich mit mir allein zu unterreden.

Er ertrug dieſes mit mehr Gelaſſenheit, als man von ſeiner Gemuͤthsbeſchaffenheit dencken koͤnnen, denn man ſagt gemeiniglich, daß er ſehr lebhaft und heftig ſey; und es ſcheint, daß er von Kindheit auf nicht ſey gewoͤhnt worden, Wider - ſpruch zu leiden, oder ſich in ſeinen Neigungen Einhalt thun zu laſſen: eine Sache die in vor - nehmen Familien, bey einzigen Soͤhnen gar zu ge - woͤhnlich iſt, und ſeine Mutter hat auſſer ihm nie - mahls ein ander Kind gehabt. Wie ich Jhnen aber ſchon ſonſt erzaͤhlet habe, konnte ich dem ohn - geachtet wohl merken, daß er von ſich eine viel zu gute Meynung habe, und gar nicht zweifele, ſeine Perſon und Artigkeit wuͤrde mich unvermerkt ein - nehmen. Er ſagte zu meiner Baſe Hervey: wenn er mich nur einmahl gewonnen haͤtte, ſo hoffe er, von einem ſo ſtandhaftem Gemuͤthe, daß meine Liebe gegen ihn deſto dauerhafter ſeyn wuͤr - de. Meine Schweſter meinte ganz andere Urſa - chen ſeiner Gedult zu finden, und ihr Urtheil wuͤrde mehr Gewicht gehabt haben, wenn ſie weniger Ur - ſache gehabt haͤtte, durch Vorurtheile gegen ihn eingenommen zu ſeyn. Sie ſagte, der Menſch moͤchte ſich vielleicht uͤberall nicht darnach ſehnen, verheyrathet zu werden. Er moͤchte vielleicht ein Dutzend Maitreſſen haben, und der Verzug ſey eben ſo vortheilhaft fuͤr ſeine Ausſchweifungen, als fuͤr meine ſehr wohlangenommene Kalt -ſinnig -25der Clariſſa. ſinnigkeit. Dieſes waren ihre guͤtigen Aus - druͤcke.

Was fuͤr Bewegungs-Gruͤnde er inzwiſchen haben mogte, eine ihm ſo ungewoͤhnliche Gedult zu beweiſen, ſonderlich bey einer Perſon, die von ihm fuͤr ein hinlaͤngliches Gluͤck gehalten ward, ſeine Begierde rege zu machen; ſo iſt doch dieſes gewiß, daß er hiedurch manchen Verdrießlichkei - ten und Kraͤnkungen entging. Denn weil mein Vater ſeine Einwilligung bis zu meines Bruders Ankunft aufſchob, ſo erwieß ihm jedermann die Hoͤflichkeiten, die man ſeinem Stande ſchuldig war. Wir hoͤrten zwar von Zeit zu Zeit uͤble Nach - richten von ſeiner Lebensart, wir konnten ihn aber wegen ihrer Richtigkeit nicht befragen, ohne ihm einen groͤſſern Vortheil uͤber uns und mehr Recht zu geben, als die Klugheit erlaubte. Denn allem Anſehen nach war eine abſchlaͤgliche Antwort auf ſeine Bitte wahrſcheinlicher als ein Ja.

Er behielt alſo einen freyen Zutritt in unſer Haus, deſſen er ſich faſt bedienen konnte, wie er nur ſelbſt wollte. Denn da meine Freunde in ſei - nem Betragen lauter Ehrerbietigkeit wahrnah - men, und keine ungeſtuͤme Heftigkeit bey ihn fan - den, ſo ſchienen ſie recht vergnuͤgt mit ſeinem Um - gang zu ſeyn. Jch aber ſahe ihn fuͤr weiter nichts, als einen ordentlichen Gaſt an, und that nicht, als wenn mich ſein Beſuch naͤher betraͤffe, als irgend einen andern im Hauſe, war auch deswegen bey ſeinem Kommen und Weggehen nicht mehr als andere, bey der Hand.

B 5Allein26Die Geſchichte

Allein dieſe meine Gleichguͤltigkeit hatte ſonft fuͤr ihn erwuͤnſchte Folgen; denn hierdurch er - hielt er die Erlaubniß, eines Briefwechſels mit mir, wozu ich mich niemahls wuͤrde entſchloſſen haben, wenn er ihn haͤtte anfangen wollen, nach - dem die Feindſeligkeiten zwiſchen unſern Familien ſchon ausgebrochen waren. Die Veranlaſſ[u] ng des erwaͤhnten Briefwechſels war folgende.

Meinem Vetter Herrn Hervey war ein junger Herr zur Aufſicht anvertrauet, den er ein oder zwey Jahr in fremde Laͤnder ſchicken wollte, um die ſo genannte groſſe Reiſe vorzunehmen. Da er nun befand, daß Herr Lovelace von allem, was ein Reiſender bey ſolcher Gelegenheit zu be - obachten hat, gute Nachricht geben konnte, ſo bat er ihn, eine Beſchreibung der Hoͤfe und Laͤn - der, die er geſehen hatte, aufzuſetzen, und inſon - derheit anzuzeigen, worauf ein Reiſender die mei - ſte Aufmerckſamkeit zu richten haͤtte.

Er willigte hierin, doch mit der Bedingung, daß ich ſeine Hand leiten moͤchte, wie er es nenne - te. Da nun jedermann ſeine Schreib-Art hatte ruͤhmen hoͤren, und man hoffete ſeine Erzaͤhlung wuͤrde dienen, die langen Abende im Winter auf eine angenehme Art zu vertreiben, und es eben nicht ſchien, daß er dadurch Gelegenheit bekom - men wuͤrde, an mich von Liebe zu ſchreiben, weil die Briefe in der ganzen Geſellſchaft ſolten vor - geleſen werden; ſo machte ich deſto weniger Ein - wendungen, an ihn zu ſchreiben, und bald aller - hand Anmerkungen zu machen, bald ihm Fragenzur27der Clariſſa. zur Beantwortung vorzulegen. Vielleicht war ich hiezu deſto williger, weil ich gern ſchreibe; und die das Schreiben lieben, laſſen nicht leicht eine Gelegenheit vorbey, da die Feder kann gebraucht werden. Als endlich jedermann damit zufrieden war, und Herr Hervey ſo gar darum bat; ſo fuͤrchtete ich, daß wo ich allein eine Schwierigkeit machte, ich den Schein geben duͤrfte, als haͤtte ich ein beſonders Auge auf dieſen Herrn gerich - tet, und daß ſolches von einem, der ſo viel Ei - genliebe hat, leicht allzuvortheilhaft fuͤr ſich koͤn - te gedeutet werden. Es wuͤrde auch meine Schweſter ihre Anmerkungen bey ſolcher Gele - genheit nicht geſparet haben.

Sie haben einige von ſeinen Briefen ſelbſt geſehen, und die Nachrichten, die er von Per - ſonen, Staͤdten, und andern Dingen gab, ge - fielen Jhnen wohl: Sie waren gleicher Meynung mit mir, daß er nicht unter die gemeinen Reiſen - den gehoͤre, ſondern auf alles ſehr genau gemerkt habe. Meine Schweſter ſelbſt geſtand, daß er einen ziemlichen Anſatz zum ſchreiben, und be - ſchreiben haͤtte: und mein Vater, der in ſeiner Jugend gereiſet iſt, ſagte ſeine Anmerkungen waͤren ſehr artig, und man koͤnnte daraus ſehen, daß er viel Beleſenheit, Verſtand und guten Geſchmack beſaͤſſe.

Auf dieſe Art entſtand zwiſchen mir und ihm mit aller Bewilligung eine Art des Briefwechſels. Jedermann verwunderte und vergnuͤgte ſich uͤber die geduldige Ehrerbietung, die er gegen michblicken28Die Geſchichteblicken ließ, denn dieſes war der Name, den ſie ſeinem Betragen gaben. Jndeſſen zweifelte man nicht, daß er nicht bald mit mehrerer Ungeduld in uns dringen ſolte; denn ſein Beſuch ward immer haͤufiger, und er bekannte meiner Baſe Hervey, daß er gegen mich eine heftige Zuneigung, und zugleich eine Ehrfurcht habe, die er vorhin noch nie empfunden: dieſer allein, koͤnne er den Schein der Beruhigung zuſchreiben, damit er bisheꝛ meines Vateꝛs ihm unangenehmen Willen, und meine Art ihm noch fremde zu begegnen, er - tragen haͤtte. Aber mein Herz, dieſes iſt vermuthlich ſein gewoͤhnliches Betragen gegen alle unſeres Ge - ſchlechts, denn hat nicht meine Schweſter zu An - fang alle Art der Ehrerbietung von ihm geuoſſen?

Mein Vater erwartete indeſſen ungeſtuͤmere Bitten, und hielt alle uͤble Nachrichten von ihm in Bereitſchaft, um ſie ihm in ſolchem Falle als Einwuͤrfe gegen ſeine Bitte vorzuhalten. Mir war ſehr lieb, daß er dieſes that: und es wuͤrde wunderlich geweſen ſeyn, wenn ich anders geſinnet geweſen waͤre. Denn eben diejenige, die Herr Wyerleys Antrag wegen ſeiner freyen Meynun - gen abſchlug, waͤre nicht zu entſchuldigen gewe - ſen, wenn ſie einen andern angenommen haͤtte, deſſen Thaten und Lebens-Art frey waren.

Allein ich muß geſtehen, daß er in die Briefe, die von der Hauptſache handelten, bisweilen ein anderes Briefgen einſchloß, in welchem er ſeine Liebe gegen mich zu erkennen gab, und ſich heftig genug uͤber meine Schuͤchternheit beſchwerete. Jchthat,29der Clariſſa. that, als wenn ich dieſe Briefgen gar nicht em - pfangen haͤtte: denn da ich nichts an ihn geſchrie - ben, als was die Hauptſache unſers Briefwech - ſels, die jeder wiſſen durfte, betraf, ſo hielt ich fuͤr billig, was er von einer Nebenſache ſchrieb, ſo vorbeygehen zu laſſen, als haͤtte ich es nie geleſen. Jch muſte es auch deshalb ſo machen, weil der allgemeine Beyfall, den ſeine Briefe erhielten, mir keine Freyheit ließ, den Briefwechſel abzubrechen, wenn ich nicht die wahre Urſach melden wollte, die mich dazu bewogen. Ueber dieſes, konnte man ohngeachtet aller ſeiner haͤufigen und ehrerbietigen Aufwartung wohl ſehen, daß es wahr ſey, was die Welt ohnehin von ihm ſagt, daß er einen hochmuͤthigen und hitzigen Sinn habe: ich hatte dieſe unbaͤndige Gemuͤths-Art an meinem Bru - der ſchon zu gut kennen lernen, als daß ich Sie an einer Perſon, die noch in ein naͤheres Band mit mir treten wollte, haͤtte entſchuldigen koͤnnen.

Jch hatte eine kleine Probe von dieſer Ge - muͤths-Art bey der eben gemeldeten Gelegenheit: denn da er mir zum drittenmahl ein geheimes Briefgen eingeleget hatte, fragte er mich bey dem naͤchſten Beſuch; ob ich nicht noch einen beſon - dern Brief von ihm bekommen haͤtte? Jch ſagte ihm, ich wuͤrde nie einen Brief beantworten, der auf dieſe Weiſe an mich kaͤme, und ich haͤtte nur auf eine ſo gute Gelegenheit gewartet, als er mir jetzt gaͤbe, nm ihn dieſe Erklaͤrung zu thun. Jch baͤte ihn demnach nicht wieder, hievon zu ſchreiben: ſonſt wuͤrde ich ihm beyde Briefe zuruͤck ſchicken, und nie wieder eine Zeile ſchreiben.

Sie30Die Geſchichte

Sie koͤnnen ſich kaum vorſtellen, was der Menſch fuͤr ein trotzig Geſicht machte, nicht an - ders, als wenn es ihn verdroͤſſe, daß ich nicht mehr durch ihn geruͤhret waͤre; und was es ihm fuͤr einen augenſcheinlichen Kampf koſtete, ſeine hochmuͤthigen Geberden beſcheidener und ſanfter zu machen, als er wieder zu ſich ſelbſt kam; wel - ches ſo gleich geſchah. Allein ich that als merkte ich beydes nicht: denn ich hielt fuͤr das beſte, ihn durch meine Kaltſinnigkeit und Gleichguͤltigkeit, damit ich ſeine fruͤhzeitige Hofnung abwieß, und zugleich den Schein des Hochmuths zu vermeiden ſuchte, zu uͤberzeugen, daß er bey mir noch nicht hoch genug angeſehen ſey, mich uͤber ſeine Worte oder Geberden zu aͤrgern, oder mit andern Wor - ten, daß ich ihn nicht werth genug ſchaͤtzete, durch ein laͤchelndes oder ſaures Geſichte ihn von an - dern zu unterſcheiden. Er hatte in der That ſo viel Verſtand, daß er mir einmahl, obgleich ohne ſeinen Vorſatz, einen Unterricht gab, durch den ich behutſamer ward. Deun er ſagte bey einer gewiſſen Gelegenheit: wenn eine Manns-Perſon ein Frauenzimmer nicht zu dem bekaͤnntniß bringen koͤnnte, daß ſie eine Neigung gegen ihn habe, ſo habe man doch eben ſo viel und oft noch mehr gewonnen, wenn man ſie boͤſe machte. Jch muß hier abbrechen: ich werde aber meine Erzehlung, ſo bald es mir moͤglich iſt, fortſetzen. Jndeſſen verharre ich

Dero ergebenſte Dienerin C. Harlowe.

31der Clariſſa.

Der vierte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jn dieſen Umſtaͤnden befand ich mich mit Herr Lovelace / als mein Bruder aus Schott - land zuruͤck kam. So bald man gegen ihn etwas von den Beſuchen dieſes Herrn erwaͤhnete, bezeu - gete er ohne einiges Bedencken, und ohne ſich des - halb zu entſchuldigen, ſein groſſes Mißfallen dar - uͤber. Er fand ſehr merkliche Fehler in ſeiner Lebens-Art, und nahm ſich die Freyheit mit duͤr - ren Worten zu ſagen: er wundere ſich, wie es ei - nem von ſeines Vaters Bruͤdern in den Sinn kommen koͤnnen, dieſem Freyer die geringſte Hoff - nung auf eine von ſeinen beyden Schweſtern zu machen. Zugleich dankte er meinem Vater da - fuͤr, daß er ſein Ja-Wort bis zu ſeiner Ankunft nicht haͤtte geben wollen, faſt ſo als ein Vorgeſetz - ter danken wuͤrde, wenn er einen geringern lobet, weil er in ſeiner Abweſenheit ſeine Schuldigkeie in Acht genommen hatte. Er bekannte ſeinen alten Groll gegen ihn, aber er rechtfertigte denſelben durch die uͤble Nachrede die Herr Lovelace uͤber - all habe, und durch das, was er ſelbſt von ſeinen Univerſitaͤts-Jahren wuͤſte. Er ſagte, er habe ihn ſtets gehaſſet, und wuͤrde ihn immer haſſen: und er wuͤrde ihn niemals fuͤr einen Bruder, noch mich fuͤr eine Schweſter erkennen, wenn ich ihn heyrathete.

Den32Die Geſchichte

Den Anfang der Univerſitaͤts-Feindſchaft habe ich auf dieſe Art erzehlen hoͤren: Herr Lovelace war uͤberall als ein junger Menſch von Munter - keit und Hertzhafftigkeit bekannt: und es ſcheint, daß ſeine Geſchwindigkeit in Erlernung aller Thei - le der Gelehrſamkeit eben ſo groß geweſen ſey, als jene. Der Fleiß den er in den Studierſtunden bewies hatte kaum ſeines gleichen. Das ſchei - net ſein Haupt-Charackter auf Univerſitaͤten ge - weſen zu ſeyn. Er erwarb ſich dadurch viel Freun - de unter den Studenten, weil die, welche ihn nicht liebten, ihn doch fuͤrchten mußten, indem er we - gen ſeiner Munterkeit leicht aufzubringen war, und Muth genug hatte, ſeine Sache auszufuͤhren. Er bekam hiedurch ſo viel Anhaͤnger, unter den unruhigen Koͤpfen auf der Univerſitaͤt, als er wol - te. Jch weiß, Sie werden hiebey dencken, daß dieſe Gemuͤthsbeſchaffenheit nicht all zu liebens - wuͤrdig ſey. Allein mein Bruder hatte kein beſſe - res Gemuͤth, ſein natuͤrlicher Hochmuth konnte einen Vorzug, der ſo in die Augen fiel, nicht ertra - gen: uͤber das pflegt leicht ein wuͤrcklicher Haß zu entſtehen, wenn man einen mehr fuͤrchten als lieben muß. Mein Bruder war wenig Herr uͤber ſich ſelbſt, daher ward er von dem andern vielleicht auf unanſtaͤndige Weiſe laͤcherlich gemacht. Sie kamen alſo niemals zuſammen, ohne ſich zu zan - cken, und weil jedermann aus Zuneigung oder aus Furcht es mit Lovelace hielt, ſo hatte er viel ver - drießliche Stunden, ſo lange ſie in einem Colle -gio33der Clariſſa. gio(*)Auf der Univerſitaͤt zu Oxford ſind 26. Collegia, das iſt, oͤffentliche Gebaͤude, in denen die Studenten wohnen, und Privat-Unterricht genieſſen. Lovela - ce und Harlowe ſind demnach nichi bloß auf eine Univerſitaͤt, ſondern auch in ein gemeinſchaftliches Wohngebaͤude von dem Verfaſſer dieſer Nachrichten geſetzet worden. waren. Deſto weniger war es, demnach zu verwundern, daß ein junger Menſch, von nicht allzuſanftmuͤthiger Natur, einen ſo alten und ſo tief eingewurzelten Groll zum Ausbruch kommen ließ.

Meine Schweſter die nur auf Gelegenheit ge - wartet hatte, war bereit, ſich mit ihm zu vereini - gen, und die ihm vrrhaßte Perſon auch zu haſſen. Sie laͤugnete ſchlechterdings, daß ſie jemahls etwas von ihm gehalten habe, nie ſagte ſie haͤt - te er ihr gefallen. Seine Guͤter muſten gewiß ſehr verſchuldet ſeyn: Es koͤnnte nicht anders ſeyn, weil er ſo viel auf ſeine Wolluͤſte wendete. Er haͤtte nicht einmahl ein eigen Haus gemie - thet: er hielte nicht Kutſche und Pferde. Da nun niemand glaubte, daß er diß aus Demuth unterlieſſe, ſo ſey die wahre Urſache leicht zu er - rathen. Hierauf ruͤhmete ſie ſich gegen mei - nen Bruder, und er lobete ſie, daß ſie dieſe Parthey ausgeſchlagen haͤtte: beyde machten eine gemein - ſchaftliche Sache daraus ihn bey aller Gelegenheit herunter zu ſetzen, ja oͤfters machten ſie nur die Gelegenheit; und ihre Feindſchafft gegen ihn gingſoErſter Theil. C34Die Geſchichteſo weit, daß bey nahe ein jedes Geſpraͤch ſich mit einer Erzaͤhlung ſeiner uͤbeln Eigenſchaften endigte.

Jch gab mir keine Muͤhe ihn zu vertheidigen, wenn nur ihre Stiche nicht auch mich angingen. Jch ſagte ihnen: ich ſchaͤtzte ihn nicht hoch genug, ſeinetwegen einen Streit in der Familie anzufan - gen. Da man glaubte, er habe nur allzuviel Ge - legenheit gegeben, ſo uͤbel von ihm zu urtheilen, ſo glaubte ich auch, es ſey nicht unrecht, wenn er die Folgen ſeiner Handlungen empfaͤnde.

Jedoch bisweilen, wenn ich merckte, daß ſie aus Hefftigkeit gantz unwahrſcheinliche Dinge ſprachen, ſo hielt ich mich verpflichtet ein Wort fuͤr ihn zu reden. Dies war ſchon genug, mir den Vorwurf zuzuziehen, daß ich von ihm eingenom - men waͤre, und es nur nicht bekennen wollte. Zu - letzt kam es ſo weit, daß ich mich mit der Muſik beſchaͤftigte, oder auf meine Stube ging, wenn ich die Unterredung nicht auf etwas anders lencken konnte.

Jhr Betragen gegen ihn war ſehr kaltſinnig und unhoͤflich, wenn ſie ihm nicht gaͤntzlich aus den Wege gehen konnten: indeſſen enthielten ſie ſich doch noch aller Beleidigungen: deñ ſie hofften mei - nen Vater dahin zu vermoͤgen, daß er ihm, den Beſuch verbieten ſolte. Da aber in ſeiner Auffuͤh - rung nichts unanſtaͤndiges war, wodurch ein ſol - ches Verfahren gegen einen Mann von ſeiner Herkunft und Stande haͤtte koͤnnen gerechtfertigt werden, ſo richteten ſie nichts aus: hierauf drun - gen ſie ſehr in mich, daß ich ihm den fernern Be -ſuch35der Clariſſa. ſuch unterſagen ſolte. Jch fragte ſie: was ich fuͤr Recht haͤtte mir dergleichen in meines Vaters Hauſe anzumaſſen, ſonderlich da ich ſo fremd ge - gen ihn waͤre, daß (ſie beyde nur ausgenommen) er mehr ein Gaſt aller im gantzen Hauſe, als mein Gaſt zu ſeyn ſchien? dagegen verſetzten ſie mir: es waͤre zwiſchen uns beyden eine kuͤnſtliche und abgeredete Verſtellung: wir verſtuͤnden ein - ander beſſer, als wir haben wollten, daß es andere glaubten. Endlich lieſſen ſie auf einmahl ihren Leidenſchaften ſo den Zuͤgel daß an ſtatt weg zu - gehen, wenn er kam, wie ſie vorhin gethan hat - ten, ſie nunmehr ihm Recht mit willen in den Weg kamen, um ſich an Jhm zu reiben(*)Die Urſachen hievon wird man in dem 13. Brief ſehen. Herr Lovelace verſchmertzte dieſes nicht gern, wie ſie leicht dencken koͤnnen; doch that er wei - ter nichts, als das er ſich mit vieler Empfind - lichkeit daruͤber gegen mich beklagte. Sein Ausdruck war, meines Bruders Verfahren wuͤrde er unmoͤglich ertragen koͤnnen, wenn es nicht um meinetwillen geſchaͤhe.

Es that mir Leid, daß er hiedurch ſeiner eig - nen Meinung nach ein Verdienſt und Recht gegen mich bekam, und dieſes um ſo viel mehr, weil ei - nige Beleidigungen, die er ertrug, ſich gar nicht entſchuldigen lieſſen. Jch antwortete ihm: ich ſey veſt entſchloſſen, es mit meinem Bruder nicht zu verderben, wenn ich es irgend vermeiden koͤnte,ſeineC 236Die Geſchichteſeine Fehler moͤchten auch ſo groß ſeyn, als ſie wol - ten. Da einer den andern nicht mit Gelaſſenheit ſehen koͤnte, ſo wuͤrde mir lieb ſeyn, wenn er mei - nen Bruder nicht in den Weg kaͤme, und ich waͤ - re gewiß verſichert, das mein Bruder ihn nicht ſu - chen wuͤrde.

Dieſe Antwort verdroß ihn innerlich ſehr: er ſagte aber weiter nichts, als dieſes: er muͤßte alle Beleidigungen ertragen wenn ich es haben wollte. Man habe ihm ſonſt Schuld gegeben, daß er allzuheftig ſey: er hoffe aber bey dieſer Ge - legenheit ſo viel Herrſchaft uͤber ſich ſelbſt zu be - weiſen, als wenige von ſeinem Alter, bey glei - chen Beleidigungen wuͤrden beweiſen koͤnnen. Er zweifle nicht, daß eine Perſon von meiner Groß - muth, und Einſicht ſeine Maͤßigung aus der wah - ren Urſache herleiten wuͤrde.

Mein Bruder hatte eben vorher mit Genehm - haltung meiner Vaters-Bruͤder einen Anver - wandten eines von dem Lord M. abgedanckten Verwalters, der auch einen Theil von Herrn Lo - velace Vermoͤgen unter Haͤnden gehabt, und von ihɯ den Abſchied bekommen hatte, gebraucht, ſich nach deſſen Schulden, Geſellſchaft, Liebes-Hi - ſtoͤrgen und dergleichen Dingen naͤher zu erkundi - gen. Frau Hervey hat mir im Vertrauen folgende Umſtaͤnde von der Ausſage dieſes Mañes entdecket.

Er waͤre ein freygebiger Hauswirth: er ſparete an ſolchen Ausgaben nichts, die zu einer wahren Verbeſſerung ſeiner Guͤter gereich - ten: er haͤtte auf ſeine eigene Sachen Acht undver -37der Clariſſa. verſtuͤnde ſie: auf Reiſen habe er zwar viel ver - than, und groſſe Schulden gemacht, (denn er mache nie ein Geheimniß daraus, wie ſeine Sachen ſtuͤnden), aber er habe hernach ſeine jaͤhrliche Ausgaben auf eine gewiſſe Summe eingeſchraͤnckt und keinen Staat gefuͤhret, da - mit er nicht noͤthig haben moͤchte, ſeinem Vet - ter und ſeinen Baaſen verbunden zu ſeyn: denn von dieſen wuͤrde er zwar Geld bekommen koͤn - nen, ſo viel er wollte, aber er waͤre darin ſehr eigenſinnig, daß er keine Einrede von ih - nen annehmen wollte: er verunwilligte ſich oft mit ihnen, und begegnete ihnen ſo frey, daß ſie ſich alle vor ihm fuͤrchteten. Es ſey aber nicht an dem, daß ſeine Guͤter, wie mein Bruder gehoͤret haͤtte, zur Hypothec verſchrieben waͤ - ren: ſein Credit ſey gut, und er wuͤrde jetzt vermuthlich faſt gaͤntzlich von ſeinen Schulden frey ſeyn. Er ſey ein wunderlicher Herr in Ab - ſicht auf Frauens-Leute. Wenn ſeine Paͤchter artige Toͤchter haͤtten, ſo pflegten ſie ihm dieſel - ben nicht gern ſehen zu laſſen. Er glaube nicht daß er eine eigene Maitreſſe halte, denn etwas neues ſey ſein hoͤchſtes Gut. (Dis war der Ausdruck des Mannes)

Er glaube nicht, daß er ſich verheyrathen werde, weil ihn ſeiu Vetter und ſeine Baſen allzuſehr plagten. Man habe ihn nie betrun - cken geſehen. Er habe groſſe Luſt zu neuen Haͤndeln, und ſchreibe gern. Er habe gehoͤrt, daß er in London ein ſehr wildes Leben fuͤhrenC 3 ſolle:38Die Geſchichte ſolle: er habe ſechs oder ſieben Leute, mit denen er ſtets umgehe, und dieſe waͤren ſo arg als er. Er bringe ſie bisweilen mit auf das Land, und die gantze Gegend ſey froh, wenn ſie wieder wegreiſeten. Ob er gleich ſehr jachzornig ſey, ſo wollte er doch gern vor freundlich und aufge - raͤumt angeſehen ſeyn: er moͤchte gern einen Schertz austheilen, er nehme aber auch gern ei - nen Schertz ein, und pflegte bey Gelegenheit ſo frey uͤber ſich ſelbſt zu lachen, als irgend ein Menſch thun koͤnnte.

Dis war die Beſchreibung, die ein Feind von ihm machte: denn, wie meine Baſe anmerckte, ſo ward alles gute und lobenswuͤrdige mit Wider - willen geſagt, und es hieß dabey allezeit: ich mnß ſagen oder, um ihm Gerechtigkeit wi - derfahren zu laſſen. Hingegen alles uͤbele ward freywillig und gern ausgeſagt. Weil man nun eine noch ſchlimmere Beſchreibung erwartet hatte, ſo war dieſe obgleich ſchlimme Nachricht dem Zweck des anfragenden nicht gemaͤß: es wuchs daher die Sorge meines Bruders und mei - ner Schweſter, daß ſeine Anwerbung Gehoͤr fin - den moͤchte. Denn der ſchlimmſte Theil dieſer Ausſage war bereits bekannt oder doch als richtig angenommen, wie er die erſte Erlaubniß zum Umgang mit meiner Schweſter bekam.

Allein uͤber ſein Betragen gegen mich muß ich dieſe ihm nachtheilige Anmerckung machen: Ohngeachtet er mir ſeine Gedult gegen meines Bruders Unhoͤflichkeiten ſehr hoch anrechnete, hater39der Clariſſa. er doch keinen Verſuch gethan ſich mit ihm ans - zuſoͤhnen, und mich durch eine Gefaͤlligkeit dieſer Art ihm verbindlich zu machen. Jch glaube zwar nicht, daß er etwas wuͤrde ausgerichtet haben, wenn er ihm oder meiner Schweſter aach noch ſo hoͤflich begegnet haͤtte: inzwiſchen ſollte man doch von einem ſo artigen und wohlgezogenen jungen Herrn vermuthen, daß er bey den Abſichten, die er hatte, bereit geweſen waͤre, es wenigſtens zu verſuchen. Aber ſtatt deſſen zeigete er in allen Hand - lungen, daß er beyde recht von Hertzen verachtete, davon ich immer etwas neues und ſchlimmers hoͤ - ren muſte. Haͤtte ich ihm zu verſtehen geben wol - len, daß er ſein Betragen gegen meinen Bruder aͤndern moͤchte, ſo haͤtte er dieſes fuͤr eine vor - theilhafte Erklaͤrung angeſehen, und ſich darauf nicht wenig eingebildet. Das muͤſte ich gethan haben! Jch zweiflelte auch nicht, daß da ihm nie - mand einige Hoffnung machte, ſein Hochmuth bald Feuer fangen und er von ſelbſt ſeinen Beſuch einſtellen oder nach London reiſen wuͤrde; allwo er ſich meiſtentheils aafzuhalten pflegte, ehe er mit unſerer Familie bekannt ward. Jn dem letzten Fall durfte er nicht hoffen, daß ich Briefe von ihm annehmen, noch weniger, daß ich ſie beant - worten wuͤrde, weil die Urſache nun aufgehoͤrt hatte, die mich ehemals veranlaſſete, Briefe von ihm anzunehmen.

Meines Bruders Widerwille gegen ihn konte dieſe Zeit nicht abwarten. Nach verſchiedenen groben Vergehungen, die Herr Loyelace ebenC 4ſo40Die Geſchichteſo veraͤchtlich und hochmuͤthig abwieß, als der be - leidigende Theil ſie unternahm, unterſtand ſich mein Bruder, in die Thuͤr zu treten, da jener kam, als wolte er ihm den Eingang verwehren. Als er ſich nun nach mir erkundigte, fragte er ihn: was er bey ſeiner Schweſter zu thun haͤtte.

Mein Bruder ſagt: Lovelace habe ausgeſe - hen als wollte er ihn gleich heraus fodern, und ha - be geantwortet: er waͤre bereit einem Cavalier auf alle Fragen zu antworten. Er wuͤnſchte aber, daß Herr Jacob Harlowe / der ſeit einiger Zeit ſo trotzig gethan, ſich erinnern moͤchte, daß er nicht mehr auf der Univerſitaͤt waͤre.

Der redliche Doctor Levin / der mich mit ſei - nem Beſuch bisweilen zu beehren pflegt, hatte mich eben in meiner eigenen Stube verlaſſen, und ging nach der Thuͤr. Er hoͤrete ihren Wort-Wechſel, und brachte ſie aus einander, da ſie beyderſeits ſchon an den Degen gegriffen hatten. Er ſagte hierauf Herrn Lovelace / wo ich zu finden waͤre; dieſer ſprang vor meinen Bruder vorbey mich auf - zuſuchen. Sein Ausdruck war: er ſey ihm ent - gangen, da er als ein gehetztes wildes Schwein im Nachſetzen eben anbeiſſen wollen.

Dis ſetzte uns alle in Beſtuͤrtzuug. Mein Vater gab Herrn Lovelace zu verſtehen, und ich muſte auf ſeinen Befehl ihm deutlicher ſagen: er wuͤnſche um Friede im Hauſe zu erhalten, daß er ſeine Beſuche einſtellen moͤchte.

Herr Lovelace iſt nicht der Mann, der von ſeinem Vorhaben leicht abſtehen wird, inſonder -heit41der Clariſſa. heit in einer Sache die ſein Hertz ſo nahe, als er es hier vorgiebt, angehet. Weil ihm nun der fer - nere Beſuch nicht ſchlechterdings verboten war, ſo ſetzte er ihn nach wie vor fort. Denn ob ich mich gleich bemuͤhete, ſeinen Beſuch ſo oft ich konnte zu vermeiden, ſahe ich doch, daß wenn ich mich deſſelben gaͤntzlich entſchlagen wollte, ich die Sache viel ſchlimmer machen wuͤrde: denn die Beleidigungen und Zunoͤthigungen des einen Theils verſchmertzte der andere blos aus Hochach - tung gegen mich. Meines Bruders Heftigkeit machte mich zur Schuldnerin ſeines Widerſa - chers ſo unangenehm es mir auch war, ihm ver - bindlich zu ſeyn.

Jndeß kamen die Vorſchlaͤge zu einer Verhey - rathung mit Heern Symmes und Mullins da - zwiſchen. Mein Bruder war ihrer beyder Frey - werber, eines nach dem andern, und war die Zeit uͤber etwas gelaſſener: denn da niemand glaubte, daß ich Herrn Lovelace allzugeneigt waͤre, ſo hoffete er meinen Vater oder deſſen Bruder dahin zu bewegen, daß ſie ſich den Antrag eines von beyden gefallen laſſen und durch ihn Herrn Love - lace ausſchlieſſen ſollten. Allein er hoͤrete bald auf Maaſſe zu halten, als er ſahe, daß ich noch genug in unſer Familie vermochte, mich dieſer beyden Freyer zu entſchlagen, ſo wie ich vorhin, den Antrag des Herrn Wyerley abgelehnt hatte, ehe er nach Schottland reiſete und ehe mich Herr Lovelace beſuchte. Zufoͤrderſt warf er mir vor, ich haͤtte fuͤr Herrn Lovelace ein ungegruͤndetesC 5Vor -42Die GeſchichteVorurtheil, welches er fuͤr ſtrafbar anſahe: und endlich beſchimpfete er auch Herrn Lovelace per - ſoͤnlich. Da dieſes in Herr Eduard Symmes(*)Ein Bruder des andern Herr Symmes. Hauſe ein halbe Meile von hier geſchahe, und kein redlicher Dr. Lewin zugegen war um ſich ins Mittel zu legen: erfolgte die ungluͤckliche Schlaͤgerey. Mein Bruder ward, wie Sie ge - hoͤrt haben, entwafnet. Als man ihn nach Hauſe gebracht hatte, und jederman die Wunde gefaͤhr - licher hielt als ſie in der That war, auch ein Wund-Fieber dazu ſchlug; ſo brach jederman los, und alles ward mir zur Laſt gelegt.

Herr Lovelace ſchickte drey Tage nach einan - der und zwar taͤglich zweymahl nach unſerm Hau - ſe, um ſich nach dem Befinden meines Bruders zu erkundigen. Ob er gleich harte und ſo gar an - zuͤgliche Antworten bekam, ließ er ſich dieſes doch nicht abſchrecken am vierten Taͤg verſoͤnlich Nach - richt einzuziehen. Hier ward ihm von meines Vaters Bruͤderu, die eben zugegen waren, noch unhoͤflicher begegnet. Mein Vater ward mit Ge - walt abgehalten, daß er nicht mit dem Degen in der Fauſt auf ihn losging, ob er gleich das Po - dagra hatte.

Jch fiel aus Schrecken in Ohnmacht, da ich ſa - he, daß jederman es auf das aͤuſſerſte ankommen laſſen wollte, und ich Herrn Lovelace ſchweren hoͤrte: er wollte nicht weggehen, ohne daß er mich geſprochen, oder wenigſtens meines Vaters Bruder gezwungen habe, ihm die angethanenBe -43der Clariſſa. Beſchimpfungen abzubitten. Jndeß war die Thuͤr zwiſchen ihnen verſchloſſen und verriegelt: und meine Mutter hielt mit aller Gewalt meinen Va - ter auf. Meine Schweſter gab Herrn Love - lace die ſchnoͤdeſten Worte, und zog auf mich los, ſo bald ich wieder zu mir ſelbſt kam. Alß er aber erfuhr, wie uͤbel ich mich befaͤnde, ging er mit ei - nem Schwur ſich zu raͤchen aus dem Hauſe.

Herr Lovelace iſt ſtets bey unſern Bedienten wohl angeſchrieben geweſen. Seine Guͤtigkeit und Freygebigkeit gegen ſie, und daß er ſich her - unter ließ, mit einem jeden auf eine artige und ſchertzhafte Weiſe zu reden, hatte ihm aller Her - tzen gewonnen. Jnſonderheit gaben ſie bey die - ſem Vorfall den uͤbrigen allen Unrecht, wenn ſie unter ſich davon redeten, und ruͤhmten ſeine Ge - dult und anſtaͤndige Auffuͤhrung, bis er aufs aͤuſ - ſerſte gereitzt ward, ſo ausnehmend, daß ich durch ihre Erzehlungen, und durch die Furchr vor ſchlimmern Folgen bewogen ward einen Brief noch ſelbigen Abend von ihm anzunehmen, und einige Tage nachher zu beantworten, weil er un - gemein hoͤflich geſchrieben war, und Herr Love - lace verſprach, die gantze Sache meiner Entſchei - dung zu uͤberlaſſen, und ſich voͤllig nach meinem Willen zu richten.

Auf eine ſo ungluͤckliche Weiſe ward er ge - zwungen den vorigen Briefwechſel von neuen an - zufangen. Doch ſchrieb ich nicht eher, bis ich durch Hrn. Symmes Bruder erfahren, daß mein Bruder ihn durch ſeine Beſchimpfung gezwungenden44Die Geſchichteden Degen zu ziehen, und da er ſich deſſen aus Hochachtung gegen mich gewegert, ihm gedrohet, er wolle ihn fuͤr keinen ehrlichen Kerl halten, wenn er nicht zoͤge: und bis ich mittelſt aller nur erſinn - lichen Nachfragen voͤllig verſichert ward daß er in den Haͤndeln mit meines Vaters Bruͤdern abermals der angegriffene Theil geweſen, und zwar auf eine noch gewaltthaͤtigere Weiſe, als ich gemeldet habe.

Herr Symmes erzehlte zwar meinem Vater und uͤbrigen Freunden eben dieſe Umſtaͤnde: aber ſie hatten ſchon zu viel Theil an dem Streit ge - nommen, als daß ſie mit Ehren haͤtten zuruͤck kom - men oder vergeben koͤnnen. Mir ward daher ver - boten, mit ihm Briefe zu wechſeln, oder mich einen Augenblick in ſeiner Geſellſchaft finden zu laſſen.

Aber noch einen Umſtand muß ich im Ver - trauen melden: denn meine Mutter hat mir ver - boten, etwas davon zu erwaͤhnen. Meine Mutter bezeugte gegen mich ihre Sorge wegen der uͤblen Folgen ſo die Herrn Lovelace widerfahrne Be - ſchimpfungen haben koͤnnten, und uͤberließ es mei - ner eigenen Ueberlegung und Vorſichtigkeit, dem bevorſtehenden Ungluͤck wenigſtens auf der einen Seite vorzubeugen ſo viel ich koͤnnte.

Jch muß hier abbrechen: ich glaube aber daß ich ihrem Befehl und Abſichten voͤlliges Gnuͤgen geleiſtet habe. Es ſtehet ſonſt einem Kinde nicht zu, daß es ſeine Auffuͤhrung gleichſam auf Un - koſten derer rechtfertige, denen wir die groͤſte Ehr - erbietung ſchuldig ſind: da ich aber weiß, daß jedemich45der Clariſſa. mich betreffende Nachricht von Jhnen eben ſo an - geſehen wird, als wenn ſie ihre eigne Angelegen - heiten betraͤffe, und Sie andern nicht mehr als zur Sache dienet eroͤffnen werden: ſo will ich fort - fahren ſo umſtaͤndlich, als es unſere bisherige Ge - wohnheit mit ſich bringt, an Sie zu ſchreiben, wenn mir nur die Gelegenheit nicht abgeſchnitten wird. Es iſt die reine Wahrheit, was ich ihnen ſo oft geſagt habe, daß mein groͤſſeſtes Vergnuͤgen in dem Umgang mit Jhnen beſtehet. Kann ich die - ſes nicht perſoͤnlich genieſſen, ſo will ich es doch in Briefen thun.

Jch muß inzwiſchen geſtehen, daß ich mit aͤuſ - ſerſter Bekuͤmmerniß vernehme, daß aller Leute Geſpraͤche von mir handeln. Sie und alle Welt ſagen mir dieſes. Jn ihrer guͤtigen und vorſichtigen Beſorgniß fuͤr meinen guten Nahmen, und in der Gelegenheit, die Sie mir gegeben haben, meine Um - ſtaͤnde vorher zu erzaͤhlen, ehe noch ein neues Un - gluͤck, das GOtt abwenden wolle, die Sache ver - ſchlimmert, erkenne ich recht das Bild meiner auf - richtigſten Freundin der Fraͤulein Howe, und werde zwiefach dadurch verbunden, ſtets zu behar - ren,

Dero Danckbare und ergebenſte, Clariſſa Harlowe.

Abſchrifft

des verlangten Eingangs der Clauſel in ihres Gros-Vaters Teſtament, welche in dieſen Brief auf Verlangen eingeſchloſſen war.

Da46Die Geſchichte

Da das vorhin erwaͤhnte Gut eigentlich von mir ſelbſt erworben iſt: und meine drey Soͤhne auſſer - ordentlich gluͤcklich geweſen, und zu groſſem Reich - thum gelanget ſind; der aͤlteſte nemlich durch die unerwartete und reiche Ausbeute der neuen Berg - wercke; der zweyte, durch die Erbſchafften, ſo er von ſeiner Frauen Verwandten erhalten, des ſo betraͤchtlichen Heyraths-Guts nicht zu gedencken; und Anton durch ſeinen Oſt-Jndiſchen Handel und gluͤcklich ausgefallene Reiſen: da ferner mein Enckel Jacob durch ſeine guͤtige Pathe, Frau Lovells, hinlaͤnglich verſorget werden wird, wel - che in Ermangelung naher Anverwandten mich verſichert hat, daß ſie ſo wohl durch eine Schen - ckung unter dcn Lebendigen als durch ihren letzten Willen ihm ihre Guͤter in Schottland und Eng - land zuzuwenden geſinnet ſey; (denn, GOtt ſey Danck, wenig Familien ſind in allen ihren Zwei - gen ſo gluͤcklich geweſen, als die meinige) da al - lem Anſehen nach mein zweyter Sohn Jacob meinem Enckel und Enckelin Arabella dasjenige erſetzen wird, was ihnen durch dieſen meinen letz - ten Willen entgehet, (denn ich verlange im ge - ringſten nicht, dieſer zu nahe zu treten, habe auch keine Urſache dazu, denn ſie iſt ſtets gehorſahm und ein Kind von guter Hoffnung geweſen) da meine Soͤhne Johann und Anton nicht geneigt ſcheinen, ſich zu verheyrathen, und folglich mein Sohn Jacob allein mit Leibes-Erben geſeegnet iſt, und Hoffnung hat, das Geſchicht fortzuſetzen: da ich alles dieſes in Erwegung gezogen, und damei -47der Clariſſa. meine Liebſte und wertheſte Enckelin Clariſſa Harlowe von Kindheit an in ihrem Gehorſahm gegen mich ihres gleichen nicht gehabt hat, und von allen die ſie gekannt haben als ein gantz auſ - ſerordentliches Kind bewundert iſt: ſo will ich zu meinem Vergnuͤgen ſie als mein eigenes Kind an - ſehen, und zwar dieſes ohne jemandes Beleidi - gung: ich hoffe auch, niemand werde dieſes als eine Beleidigung anſehen, indem mein Sohn Ja - cob ſeine Gewogenheit in gehoͤriger und groͤſſerer Maſſe gegen Fraͤulein Arabellen und Juncker Jacob bezeigen kann. Dieſes ſage ich ſind die Urſachen, welche mich bewegen, obbemeldetes Gut dieſem allerliebſten Kinde zu vermachen, welches die Freude meines Alters iſt, und durch ihren lieb - reichen Gehorſam und zaͤrtliche Ehrfurcht meine Tage, wie ich allerdings glaube, verlaͤngert hat.

Solchemnach iſt dieſes mein ausdruͤcklicher Wille und Gebot, und ich befehle meinen drey Soͤhnen, Johann, Jacob, und Anton, mei - nem Enckel Jacob und meiner Enckelin Ara - bella, ſo lieb ihnen mein Seegen und Gedaͤcht - niß iſt, und ſo als ſie verlangen, daß ihrem letzten Willen nachgelebet werden ſolle, daß ſie mein Ver - maͤchtniß zum beſten meiner Enckelin Clariſſa auf keine Weiſe kraͤncken oder anfechten ſollen, wenn ſolches gleich den Rechten nicht gemaͤß oder etwas in den Ausdruͤcken verſehen ſeyn moͤchte, auch daß Sie nicht zugeben ſollen, daß unter irgend einigem Vorwand daruͤber geſtritten oder gerechtet werde.

Und in dieſer Zuverſicht u. ſ. w.

Der48Die Geſchichte

Der fuͤnffte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe / an Fraͤulein Howe.

Jch bin gehindert worden, meinem Vorhaben gemaͤß ein mehreres zu ſchreiben. Weder die Nacht noch die Morgen-Stunden ſind mein eigen geweſen. Meine Mutter hat ſich ſehr uͤbel befunden, und wollte keine andere Waͤrterin ha - ben, als mich: denn ſie war bettlaͤgrig, und zwey Nachte erlaubte ſie mir, bey ihr zu ſchlafen.

Jhre Unpaͤßlichkeit beſtand in einer hefftigen Colik. Der Streit ſo ungeſtuͤmer und allzu maͤnnlicher Gemuͤther und die Furcht vor noch mehrerem Ungluͤck, das aus der zunehmenden Feindſchafft aller in unſerm Hauſe gegen Herrn Lovelace, und aus ſeiner rachgierigen und hertz - haften Gemuͤths-Art entſtehen koͤnnte, ſind ihr unertraͤglich. Auch wird ihr guͤtiges und zaͤrtliches Gemuͤthe, daß von Anfang an bey aller Gelegen - heit ſeine eigene Zufriedenheit gern aufgeopfert hat, um nur einiger maſſen den Haus-Frieden zu erhal - ten, dadurch ſehr gekraͤncket, daß ſie befuͤrchtet, es moͤge bereits der Grund zu Neid und Feindſchaft in ihrer bisher ſo eintraͤchtigen und gluͤcklichen Fa - milie gelegt ſeyn. Mein Bruder und meine Schweſter, die ſonſt ſo oft mit einander zerfielen, ſind jetzt ſo einig und ſo oft beyſammen, (ihr ent - fiel das Wort, ſie machen eine Cabale) daß ſie voller Furcht wegen der Folgen iſt. Jhre lieb -reiche49der Clariſſa. reiche Bekuͤmmerniß iſt, daß dieſe Vereinigung vielleicht zu meinem Nachtheil gereichen mochte, indem ſie ſiehet, daß ſie ſich immer mehr gegen mich fremde ſtellen und zuruͤck halten. Jedoch wenn ſie ſich nur der Vorzuͤge mit Nachdruck ge - brauchte, die ſie durch ihre vortrefliche Eigen - ſchaften nothwendig haben muß, ſo wuͤrden dieſe Familien-Streitigkeiten vielleicht in ihrer erſten Geburt erſtickt werden und zwar dis um ſo viel mehr, da ſie verſichert ſeyn kan, daß ich ſo viel moͤglich iſt nachgeben werde, ſowohl weil meine Geſchwiſter aͤlter ſind als jch, als auch aus Liebe gegen eine ſo guͤtige und vortrefliche Mutter.

Denn wenn ich Jhnen, mein Hertz, ſchreiben darf, was ich ſonſt niemand wuͤrde mercken laſſen, ſo glaube ich, daß wenn ſie nicht ein ſo ſanftes Gemuͤth gehabt, und weniger mit Gedult gelit - ten haͤtte, ſo wuͤrden auch andere ihr weniger zu leiden angemuthet haben. Ein ſchlechter Ruhm, werden Sie dencken, fuͤr diejenigen, die eine ſo herabgelaſſene Guͤtigkeit nur mißbrauchen, um ſie zu kraͤncken und zu beunruhigen.

Bisweilen moͤchte ich faſt dencken, daß wir uns nach unſerm Belieben in der Welt in Anſe - hen ſetzen und anderer Furcht und Ehrerbietung erlangen koͤnnen, wenn wir nur die Gabe haben, eigenſinnig auf unſerm Kopf zu beſtehen, und mit dieſem Vorſatz unſern erſten Auftritt in der Welt machen. Man hat zwar alsdenn weniger Liebe zu gewarten: aber das iſt es auch alles. Haben wir nur Vermoͤgen die zu zwingen, mit welchenErſter Theil. Dwir50Die Geſchichtewir umgehen, ſo werden wir nicht einmal mer - cken, daß wir weniger beliebt ſind: denn unſere Schmeichler werden uns ehe alles als unſere Fehler ſagen.

Haͤtte dieſe Anmerckung nicht ihre Rlchtigkeit, wie waͤre es denn moͤglich, daß ſelbſt die Fehler und unbeſonnene Hefftigkeit meines Bruders und meiner Schweſter der gantzen Familie gleichſam ſo wichtig und ehrwuͤrdig ſcheinen ſollten. Wird meinem Sohn / wird meines Bruders Sohn / dieſes Verfahren gefallen? was wird er dazu ſagen? Dis ſind die Fragen, die ſeine Vorgeſetzten zum voraus aufwerfen, ehe ſie einen Entſchluß faſſen, obgleich ihr Wille ſein Wille ſeyn ſollte. Mit Recht er - wartet er ſolche Eherbietung von jedermann, da ſelbſt mein Vater, der ſonſt ſeiner Herrſchafft nichts vergiebt, ihm dieſelbe beſtaͤndig erweiſet: und da die Guͤtigkeit ſeiner Pathe ein ſonſt ſchon allzufreyes und zu wenig eingeſchraͤncktes Gemuͤth noch mehr frey und zuͤgellos gemacht hat. Aber wohin fuͤhret mich dieſe Betrachtung! Jch weiß, daß Sie niemand von uns lieben, meine Mutter und mich ausgenommen; und Sie wiſſen ſo wenig von Verſtellung, daß Sie oͤfters als ich wuͤnſche Jhre Abneigung von den andern gegen mich bli - cken laſſen. Sollte ich denn wohl dieſe Abneigung von ſolchen, denen Sie meinem Wunſch nach ge - neigt ſeyn ſollen, noch groͤſſer machen? inſonder - heit in Abſicht auf meinen Vater? Denn dieſer arme Mann verdient einige Entſchuldigung, wenner51der Clariſſa. er eigenſinnig iſt. Er hat von Natur kein uͤbles und hartes Gemuͤth: in ſeiner Perſon und Minen, ja ſo gar in ſeinem Umgange, wenn er nur nicht eben einen Anfall vom Podagra hat, kan man ſeine Geburt und Erziehung wohl ſpuͤren.

Vielleicht muß ſich unſer Geſchlecht zum vor - aus darauf gefaßt machen, einige Unhoͤflichkeit von dem Manne zu erdulden, weil unſer Hertz um die Zeit, da er noch unſer Liebhaber war ihm den Vorzug vor allen andern gegeben hat. Man ſage ſo viel man will, daß die Grosmuth eine Tugend des maͤnnlichen Geſchlechts ſey: ich habe im Gegentheil angemerckt, daß ſie bey dieſem Geſchlecht wenigſtens zehnmahl ſeltener als bey dem unſrigen anzutreffen ſey. Aber was mei - nen Vater anlanget, ſo hat ihn ſeine ſchmertzhaf - te Kranckheit zu einem gantz andern Manne ge - macht, als er vorhin war. Sie uͤberfiel ihn auf einmal in der Bluͤte ſeiner Jahre ſo heftig, daß ſein lebhaftes Gemuͤthe alles Feuer und Munter - keit verlohr, und ſchwerlich Zeit Lebens wieder be - kommen wird. Sein munterer Geiſt ward gleich - ſam gefeſſelt, und was ihm noch von Lebhaftig - keit uͤbrig blieb, iſt jetzt nur ein Mittel, ſeine Un - gedult zu vermehren, die vermuthlich durch ſeine auſſerordentliche Gluͤckſeligkeit im Zeitlichen waͤchſt. Denn es ſcheint, daß die, die am we - nigſten des zeitlichen Segens ermangeln am aller unzufriedenſten ſind, daß ſie noch eines eintzigen ermangeln.

D 2Aber52Die Geſchichte

Aber womit kan mein Bruder ſeinen Hoch - muth und Unfreundlichkeit entſchuldigen? Er iſt in der That (mir thut leid daß ich es ſagen muß) ein junger Menſch von eigenſinnigem und ver - drießlichem Gemuͤth, und begegnet bisweilen meiner Mutter ich mag nicht ſagen, wie? Ob er gleich alles beſitzt, was er nur wuͤnſchen mag, ſo verurſachet doch der Ehrgeitz der Jugend den er ſchon mit den Laſtern des hohen Alters ver - bindet, daß er nichts genieſſet, als ich haͤtte bey nahe geſagt, ſeinen Eigenſinn und ſeinen Hochmuth. Allein ich gebe Jhnen nur mehr Urſache, mit uns mißvergnuͤgt zu ſeyn! Ehe - mahls moͤchte es wol in Jhrer Macht geſtanden haben, mein Schatz, ihn nach Jhrem Willen umzuſchmeltzen. Ohaͤtten Sie meine Schweſter werden koͤnnen; ſo haͤtte ich doch eine Schweſter, die auch meine Freundin waͤre. Daß er aber jetzt Sie nicht liebet, wundert mich nicht. Sie erſtickten mit einer Verachtung, die allzunahe mit ſeinem Hochmuth verwandt zu ſeyn ſcheint, die erſten Bluͤten einer Liebe, die durch den Werth der Geliebten gewiß wuͤrde heftiger geworden ſeyn, und ihn einiger maſſen wuͤrdig haͤtte machen koͤnnen, ſie zu beſitzen.

Aber nicht mehr hievon! Jn meinem naͤchſten Schreiben gedencke ich meine vorgehabte Erzeh - lung fortzuſetzen, und will gleich nach dem Fruͤh - ſtuͤck wieder an meinen Schreib-Tiſch gehen. Die - ſes ſende ich durch den Boten, den Sie mit ſo vie - ler Guͤtigkeit geſchickt haben, um Sich wegenmei -53der Clariſſa. meines Stillſchweigens nach unſerm Befinden zu erkundigen. Jch verharre indes

Dero ergebenſte und verbundenſte Freundin und Dienerin Clariſſa Harlowe.

Der ſechſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Anna Howe.

Jch will meine Erzaͤhlung fortſetzen. Da es ſich mit meinem Bruder zur Beſſerung an - laͤſt, ſo iſt zwar ſeine Rachgier durch den erlitte - nen Schimpf mehr gewachſen als verringert; aber es fangen doch meine Freunde (nemlich mein Va - ter und ſeine Bruͤder, nicht aber meine eigene Ge - ſchwiſter) an, zu uͤberlegen, daß ſie mir ſehr un - freundlich begegnet ſind. Meine Mutter hat die Guͤtigkeit gehabt, ſeit Abſendung meines letzteren mir dieſe Nachricht zu geben.

Sie moͤgen zwar allem Anſehen nach glauben, daß ich noch Briefe von Herrn Lovelace bekom - me. Da aber der Lord M. gewiß ſeinem Vet - ter nicht abfallen wird, ſo ſind ſie dergeſtalt in Sorgen, daß ſie mich gar nicht befragen, ob ich mit ihm Briefe wechſele oder nicht. Man ſolteD 3faſt54Die Geſchichtefaſt dencken, daß ſie hiebey durch die Finger ſe - hen wollen, und unſern Brief-Wechſel fuͤr das eintzige noch uͤbrige Mittel halten, einen ſo ſehr ge - reitzten und hitzigen Kopf zu beſaͤnftigen. Denn er verlangt noch immer von meines Vaters Bruͤ - dern eine Genugthuung. Vielleicht ſieht er die - ſes fuͤr den ſicherſten Weg an, wieder mit Vor - theil den Zutritt in unſer Haus zu erhalten: denn an Kunſt-Griffen fehlt es ihm nicht. Jn der That hat meine Baaſe Hervey meiner Mutter den Vorſchlag gethan, ob es nicht gut ſey, meinen Bruder zu der ſchon vorhin vorgehabten Reiſe auf ſeine Guͤter in der Grafſchaft Yorck zu bewe - gen, um ſich daſelbſt aufzuhalten bis ſich die Sa - che verblutet haͤtte.

Aber dis iſt ſeine Meinung gar nicht. Er hat von neuen zu verſtehen gegeben: er werde nie ver - gnuͤgt ſeyn, bis er mich verheyrathet ſehe. Und da weder Herr Symmes noch Herr Muͤllins fuͤr anſtaͤndige Partheyen gehalten werden, ſo hat er Herrn Wyerley noch einmahl in Vorſchlag ge - bracht, und deſſen groſſe Zuneigung zu mir als einen Bewegungs-Grund gebraucht. Jch habe abermahls dieſen Antrag verworffen. Geſtern erwaͤhnte er jemanden, der meinetwegen an ihn geſchrieben haͤtte, und ſehr vortheilhafte Bedin - gungen verſpreche. Dieſer iſt Herr Solmes, der reiche Solmes, wie man ihn nennet. Aber keine Seele hat dieſen Vorſchlag einer Ueberle - gung gewuͤrdiget.

Weñ keiner von ſeinen Heyraths-Vorſchlaͤgenzu55der Clariſſa. zu Stande kommt, ſo gedenckt er (wie ich unter der Hand weiß) mich zu erſuchen, daß ich nach Schottland reiſen, und, wie der hoͤfliche Antrag lautet, ſeine Haushaltung eben ſo einrichten ſoll, als unſere eingerichtet iſt. Meine Mutter will dieſes um ihrer eigenen Bequemlichkeit willen ver - bitten: denn da ſie meint, daß ich ihr bisher die Laſt der Haushaltung abgenommen habe; und meine Schweſter ſich nicht dazu ſchicket: ſo wuͤrde nach meiner Abreiſe alle Laſt wieder auf ſie zuruͤck - fallen. Wenn ſie auch dieſe Einwendung nicht machen ſolte, ſo wuͤrde ich ſie machen. Denn ſeyn Sie verſichert, ich habe wenige Luſt ſeine Haͤushaͤlterin zu werden: und ich wuͤrde, wenn ich mit ihm reiſete mehr Magd als Schweſter ſeyn muͤſſen; vielleicht um deſto mehr, weil mich die Geburt zu ſeiner Schweſter gemacht hat. Wenn mir endlich Herr Lovelace gar nachfolgete, ſo koͤnnten die Sachen aͤrger werden, als ſie jetzt ſind.

Da meine Mutter ohnehin beſorget, daß Herr Lovelace mich von neuen hier moͤchte beſuchen wollen, und meines Vaters Bruͤder aus Furcht vor ihm nie unbewaffnet und ohne bewaffnete Be - dienten ausgehen, und mein Bruder bald mit ih - nen wird ausgehen koͤnnen: ſo habe ich meine Mutter gebeten, mir die Erlaubniß auszuwircken, daß ich Sie auf vierzehn Tage beſuchen duͤrfe. Was meynen Sie, mein Schatz, wird Jhre Frau Mutter mir dieſes wol vergoͤnnen?

D 4Jch56Die Geſchichte

Jch darf nicht Anſuchung thun, nach meinem eigenen Gute zu reiſen. Denn ich fuͤrchte, man wuͤrde mir dieſe Bitte ſo auslegen, als wolte ich mich in die Freyheit ſetzen, zu der mir der letzte Wille meines Gros-Vaters ein Recht giebt. Wie jetzt die Sachen ſtehen, wuͤrde man dieſen Wunſch fuͤr eine Folge einer Neigung gegen denjenigen anſehen, auf den unſer Haus ſo ſehr erbittert iſt. Aber wahrhaftig, wenn ich nur ſo vergnuͤgt und gluͤcklich hier ſeyn koͤnte, als ich ſonſt zu ſeyn pfleg - te, ſo wolte ich Herrn Lovelace und allen ſeines Geſchlechts gern entſagen, und mich nie reuen laſ - ſen, daß ich mein Gut der Gewalt meines Vaters uͤbergeben habe.

Eben jetzt erfreuet mich meine Mutter mit der Nachricht, daß mir meine Bitte zugeſtanden ſey. Jedermann, nur nicht mein Bruder, haͤlt es ge - nehm, daß ich Sie beſuchen ſoll. Er hat aber zur Antwort bekommen: er muͤſſe nicht dencken, daß er in allen Dingen regieren wolle. Jch werde in den groſſen Saal geruffen werden, wo mir in Gegenwart meiner Vaters-Bruͤder und meiner Baſe Hervey dieſe Erlaubniß foͤrmlich ſoll er - theilt werden. Sie wiſſen, daß man in unſerm Hauſe viel Umſtaͤnde macht.

Man wird nicht leicht in einer gantzen Familie ſo viel Eintracht finden, als in der unſrigen. Mei - nes Vaters-Bruͤder ſehen uns an, als waͤren wir ihre eigene Kinder, und erklaͤren ſich, daß ſie blos aus Liebe zu uns ungeheyrathet bleiben. Daherwird57der Clariſſa. wird alles, was uns angehen kann, mit ihnen uͤberlegt. Deſtoweniger iſt es zu verwundern, daß ſie bey dieſer Gelegenheit, da Herr Lovelace ent - ſchloſſen iſt, in unſerm Hauſe einen freundſchaftli - chen Beſuch abzulegen, (ich fuͤrchte, er wird ſich auf Feindſchaft endigen) zu Rathe gezogen wer - den, ob ich Erlaubniß haben ſolle, Sie zu beſuchen.

Hoͤren Sie denn, was bey der mir oͤffentlich gegebenen Erlaubniß vorgegangen iſt: ob ich gleich weiß, daß Jhnen dieſe Nachricht wenig zuneigung und Hochachtung gegen meinen Bruder erwecken werde. Allein hiefuͤr kann ich nicht: ich ſelbſt bin nun auf ihn boͤſe. Ueber dieſes iſt es noͤthig, daß Sie die Bedingungen wiſſen, unter welchen mir erlaubt iſt, Jhr Gaſt zu ſeyn.

So bald ich in den Saal trat, ſagte meine Mutter: Claͤrchen, deine Bitte, die Fraͤulein Howe auf einige Tage zu beſuchen, iſt in Ueberle - gung gezogen, und zugeſtanden worden.

Gauz wider meine Neigung / muß ich ſa - gen, brach mein Bruder heraus, ehe ſie aus - geredet hatte.

Mein Sohn Jacob! ſagte mein Vater mit einer krauſen Stirn.

Er ließ ſich dieſes nicht anfechten. Er traͤgt den Arm noch in einer Binde; und gebraucht ſich oft der niedertraͤchtigen Liſt, auf dieſe Binde zu ſehen, ſo bald etwas vorkommt, das einigermaſ - ſen zu Herrn Lovelaces Vortheil gedeutet wer -den,58Die Geſchichteden, oder auf eine Ausſoͤhnung mit ihm abzielen kann. So verbiete man denn, ſprach er, dem Maͤdgen (in ſeinem Munde bin ich ſehr oft das Maͤdgen) den liederlichen Kerl zu ſprechen.

Niemand redete.

Er nahm ihr Stillſchweigen fuͤr eine Billigung ſeiner Worte an, und fuhr fort: Hoͤrt ihr, Schwe - ſter Claͤrchen? Jhr ſollt keinen Beſuch von des Lord M. Vetter annehmen!

Das Stillſchweigen der uͤbrigen waͤhrete noch.

Merckt ihr, Fraͤulein, was euch erlaubt iſt? fragte er.

Jch antwortete: ich wuͤrde mich freuen, wenn ich mercken koͤnnte, daß ihr mein Bruder ſeyd; und wenn ihr mercken wolltet, daß ihr weiter nichts als mein Bruder ſeyd.

Er hub beyde Haͤnde auf, und ſagte auf eine ſpoͤttiſche Weiſe: o die verliebte Seele!

Jch ſagte zu meinem Vater: ich beruffe mich hier auf Jhre Billigkeit. Habe ich dergleichen Re - den verdient, ſo ſchonen Sie meiner nicht. Soll ich aber wegen der Heftigkeit Rechenſchaft geben

Nicht weiter! nicht weiter von beyden Seiten! ſagte mein Vater. Du ſollſt keinen Beſuch von Lovelace annehmen! Wiewohl Und du ſollſt keine empfindlichen Reden gegen deine Schweſter gebrauchen. Sie iſt mein liebes Kind.

Jch habe weiter nichts zu ſagen, verſetzte er: aber meiner Schweſter Ehre und die Ehre der gan - tzen Familie liegt mir am Hertzen.

Und hieraus entſtehen eure unbruͤderlichen Stiche? antwortete ich.

59der Clariſſa.

Er ſprach: bedenkt aber, daß nicht ich ſondern euer Vater euch Lovelaces Umgang verbietet.

Meine Baſe Hervey antwortete: mein Vetter, vergoͤnnen Sie mir zu ſagen, daß man ſich auf Claͤrchens Vorſichtigkeit und Klugheit verlaſſen kann. Meine Mutter bekraͤfftigte dieſes.

Aber, (verſetzte meine Schweſter) ich hoffe, es werde nicht ſchaͤdlich ſeyn, daß man meiner Schwe - ſter deutlich ſage, unter welchen Bedingungen ſie zu der Fraͤulein Howe reiſen duͤrfe. Denn wenn er es verſucht, ihr dort zuzuſprechen

Mein Vaters-Bruder Harlowe fiel ihr in das Wort: ſie koͤnnen verſichert ſeyn, daß er ſich be - muͤhen wird, ſie dort zu beſuchen. Und Anton ſetzte noch dazu: ein ſo unverſchaͤmter Mann wuͤr - de es auch hier verſuchen. Und es iſt beſſer, daß es dort, als daß es hier geſchehe.

Beſſer weder hier noch dort! ſagte mein Vater. Jch befehle dir / ſo lieb dir meine Liebe iſt / ihn gar nicht zu ſprechen.

Jch werde, ſprach ich, auf keine Weiſe Gele - genheit dazu geben, dis verſichere ich. Jch werde ihn ſchlechterdings nicht ſprechen, wenn ich es auf eine anſtaͤndige Art vermeyden kann.

Meine Mutter berieff ſich darauf, daß ich bis - her ſo kaltſinnig mit ihm umgegangen, und be - kraͤfftigte von neuen das Urtheil der Frau Hervey, daß man ſich auf meine Vorſichtigkeit verlaſſen koͤnnte.

Mein Bruder ſtichelte mit dieſen drey Worten: zum-Schein kaltſinnig!

Mein60Die Geſchichte

Mein Sohn! ſagte mein Vater ganz ernſthaft.

Es iſt gut! antwortete er, und erinnerte mich von neuen auf eine anzuͤgliche Weiſe an der Be - dingung meiner Reiſe. Dis war das Ende unſe - rer Unterredung.

Wollen Sie mir verſprechen, mein Hertz, daß der ſo verhaßte Menſch ſich Jhrem Hauſe nicht naͤhern ſoll? Aber wie ungereimt iſt dieſes? Da man mir eben deswegen erlaubt, zu Jhnen zu rei - ſen, weil man kein auder Mittel ſiehet, Herrn Lovelaces Beſuch in unſerm eigenen Hauſe zu vermeiden. Sollte er aber ja kommen, ſo bitte ich Sie recht ernſtlich, daß Sie uns nie allein laſ - ſen wollen.

Jch zweiffele nicht, daß ich von Jhrer Frau Mutter Erlaubniß erhalten werde, Sie zu beſu - chen. Jch will daher meine Sachen in Ordnung bringen, und hoffe in zwey oder drey Tagen bey Jhnen zu ſeyn. Jndeſſen verharre ich

Dero treu und ergebenſte Clariſſa Harlowe.

Der ſiebente Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe. (Nach ihrer Zuruͤckkunft.)

Jch bitte Sie um Vergebung, daß ich nicht eher geſchrieben habe. Ach, mein Schatz,es61der Clariſſa. es ſieht fuͤr mich ſchlimm aus. Meinem Bruder und meiner Schweſter ſind alle ihre Abſichten ge - lungen. Sie haben fuͤr mich einen neuen Liebha - ber ausfuͤndig gemacht: einen recht heßlichen Liebhaber! und dennoch haͤlt jederman ſeine Par - they. Es iſt nunmehr kein Wunder, daß ich ſo ſchleunig habe nach Hauſe kommen muͤſſen: eine Stunde nach erhaltener Rachricht! Sie wiſſen ſelbſt, daß ich von meiner Ruͤckreiſe keine Nach - richt hatte, als bis der Wagen kam, der mich ab - holen ſollte. Dis alles; wie ich hoͤre, geſchahe aus Furcht (aus einer unanſtaͤndigen Furcht,) daß ich mich mit Herrn Lovelace einlaſſen moͤchte, wenn ich die Urſache wuͤſte, die meine Zuruͤckbe - ruffung veranlaſſete. Es iſt offenbar, daß ſie in Sorgen ſtunden, der neue Freyer moͤchte mir nicht gefallen.

Mit recht konten ſie dieſes beſorgen. Denn wer, dencken Sie, wer iſt mein Freyer? Kein anderer als der Solmes! Haͤtten Sie das glau - ben koͤnnen? Und dennoch haben alle ſich ſchon veſt entſchloſſen, daß ich ihn nehmen muͤſſe, meine Mutter nicht ausgenommen. Ach meine liebe und vortrefliche Mutter! Jch kan nicht begreifen, wie ſie ſich hierzu hat koͤnnen bewegen laſſen. Als der erſte Vorſchlag in der Sache geſchahe, war ſie noch ſo guͤtig gegen mich, daß ſie antwoꝛtete: wenn Herr Solmes Oſt - und Weſt-Jndien beſaͤſſe und es mir verſchreiben wollte, ſo glaubte ſie dennoch nicht, daß er ihre Claͤrchen Harlowe verdiente.

Ob62Die Geſchichte

Ob ich gleich drey Wochen abweſend gewe - ſen war, ſo war doch der Willkommen ſo ver - ſchieden von demjenigen, den ich mir ſonſt nach ei - ner jeden kleinen Reiſe verſprechen konnte, daß ich ſchon zum voraus merckte, ich wuͤrde fuͤr die ver - gnuͤgte Zeit buͤſſen muͤſſen, die ich in Jhrem Um - gange gehabt habe. Jch will Jhnen kurtz die Umſtaͤnde erzehlen.

Mein Bruder kam mir entgegen, und bot mir die Hand, als ich aus dem Wagen ſtieg. Er buͤckte ſich recht tief, und ſagte: mit Erlaubniß / Fraͤulein! Jch meynte daß er eben gut aufge - raͤumt waͤre, fand aber bald, daß er meiner mit Hoͤflichkeiten ſpotten wollte. Und ſo fuͤhrte er mich recht foͤrmlich. Jch plauderte unterweges, und erkundigte mich nach eines jeden Befinden, den ich ſelbſt zu ſehen bekommen muſte, ehe er mir antworten konnte. Jn dem groſſen Saal fand ich meinen Vater und Mutter, meine beyden Va - ters Bruͤder und meine Schweſter.

Jch ward gleich bey meinem Eintritt beſtuͤrtzt, daß alle meine wertheſten Angehoͤrigen ſich ſo un - gewoͤhnlich fremde bezeigeten. Sie blieben insge - ſamt ſitzen. Jch lief zu meinem Vater und kniete vor ihm nieder: nachher zu meiner Mutter. Von beyden bekam ich einen kalten Kuß. Mein Vater ſagte mit halb ausgeſprochenen Worten: GOtt ſegne dich meine Tochter. Meine Mut - ter nennete mich zwar Kind! aber ſie umar - mete mich nicht mit der gewoͤhnlichen Zaͤrtlich - keit.

Jch63der Clariſſa.

Jch wandte mich hierauf zu meines Vaters Bruͤdern und zu meiner Schweſter, die mich mit einem ſauren und gezwungenen Geſicht willkom - men hieß. Es ward mir befohlen, mich nieder - zulaſſen. Jch war voller Kummer, und ſagte: es ſey meine Schuldigkeit zu ſtehen, falls ich an - ders eine ſo ernſtliche und ungewoͤhnliche Aufnah - me ausſtehen koͤnnte. Jch muſte mein Geſicht weg wenden, und mir mit dem Tuch einige Thraͤ - nen abwiſchen.

Mein Bruder und Anklaͤger trat auf, und be - ſchuldigte mich, daß ich bey Fraͤulein Howe nicht weniger als fuͤnf oder ſechs mahl einen Beſuch von der Perſon angenommen haͤtte, die ſie insge - ſamt mit Recht haſſen muͤſten, (dis war ſein Ausdruck) ohngeachtet mir das Gegentheil be - fohlen waͤre. Jch ſollte es leugnen, wenn ich koͤnnte.

Jch antwortete: ich ſey nicht gewohnt, die Wahrheit zu verleugnen, und wollte es auch jetzt nicht thun. Jch wollte gern bekennen, daß ich die Perſon die er meynete in den naͤchſten drey Wochen oͤfter als fuͤnf oder ſechs mahl geſprochen haͤtte: (Laßt mich nur ausreden / mein Bru - der! muſte ich hier ſagen, weil er ſich nicht laͤnger halten konnte) allein daß er ſtets nach der gnaͤdigen Frau oder Fraͤulein Howe gefragt habe. Beyde, ſetzte ich hinzu, wuͤrden gewiß bey jetzigen Umſtaͤnden lieber ſeinen Beſuch ab - gelehnt haben: Davon waͤre ich veſt verſichert. Allein ſie haͤtten ſich mehr als einmahl damitent -64Die Geſchichteentſchuldiget, daß ſie ſeiner Geburt und Stande alle Hoͤflichkeit ſchuldig waͤren, und daß ſie nicht gleich Urſachen mit meinem Vater haͤtten, ihm das Haus zu verbieten.

Sie ſehen, daß ich mich einiger Entſchuldigun - gen nicht bedient habe, die ich wohl haͤtte gebrau - chen koͤnnen.

Es ſchien daß mein Bruder eben losbrechen wollte: und mein Vater nahm das Geſicht an, das gemeiniglich einen nahen Sturm verkuͤndigt. Seine Bruͤder fliſterten einander einige Worte in die Ohren. Meine Schweſter hub beyde Haͤnde auf, uͤber mein groſſes Verbrechen Klage zu fuͤh - ren. Jch bat, daß man mich nur voͤllig hoͤren moͤchte: und meine Mutter ſagte: ſo laßt denn das Kind (dis war noch ihr guͤtiges Wort) ausreden!

Jch redete hierauf weiter: ich hoffte, es waͤre nichts ungebuͤhrliches geſchehen. Es wuͤrde ſich fuͤr mich nicht geſchickt haben, der Frau oder der Fraͤulein Howe vorzuſchreiben, von wem ſie Be - ſuch annehmen ſollten. Frau Howe habe ſtets ihre Luſt an dem ſchertzhaften Wortwechſel ihrer Tochter und des Herrn Lovelace gehabt. Jch haͤtte ja ihren Gaſt mit keinem Rechte fuͤr einen ausgeben koͤnnen, der um meinet willen kaͤ - me: und nichts anders als dieſes wuͤrde ich doch gethan haben, wenn ich mich geweigert haͤtte in ihre Geſellſchaft zu kommen, ſo oft er ſich mit darin befunden haͤtte. Jch haͤtte ihn uͤber dieſes nie anders geſprochen als in Gegenwart derbey -65der Clariſſa. beyden Frauenzimmer, oder wenigſtens in Bey - ſeyn einer von ihnen beyden: und als er einmahl darauf gedrungen, mich nur einige Augenblicke allein zu ſprechen, haͤtte ich ihm bedeutet, daß mir ſeine Beſuche nie angenehm ſeyn koͤnnten, und ich am wenigſten ihm eine ſolche Gelegenheit verſtat - ten wuͤrde, ſo lange keine Verſoͤhnung zwiſchen ſeiner und meiner Familie erfolgete.

Jch ſagte ihnen ferner: daß Fraͤulein Howe / von meinen Gedancken ſo gut unterrichtet geweſen waͤre, daß ſie mich nicht einen Augenblick mit ihm allein gelaſſen haͤtte. Auch haͤtte ich mich nicht herunter ruffen laſſen, wenn ich nicht ſchon bey ſeiner Ankunft in dem Saal geweſen. Jch glaub - te, daß es gezwungen lieſſe, und von ihm vor - theilhaft ausgelegt werden koͤnnte, wenn ich die Geſellſchaft verlaſſen, ſo oft er gekommen, oder mich geweigert haͤtte in die Geſellſchafft zu gehen, wenn ich geſehen, daß er einige Zeit da bleiben wollte.

Mein Bruder hoͤrte mich mit einer ſolchen un - geduldigen Art aus, daß ich ſchon zum voraus ſei - nen Vorſatz mercken konnte, misvergnuͤgt uͤber mich zu ſeyn, ich moͤchte nun ſagen, was ich woll - te. Es ſchien, die andern waͤren wohl mit mir zu frieden geweſen, wenn ſie mir nicht haͤtten eine Furcht einjagen wollen, um etwas anders deſto leichter durchzutreiben. Alles dieſes zeigte deut - lich, daß ſie kein freywilliges Ja von mir erwar - teten: und war ein ſtillſchweigendes Bekenntniß davon, daß der Braͤutigam, den ſie mir vorſchla -Erſter Theil. Egen66Die Geſchichtegen wollten, ſehr unangenehme Eigenſchafften haben muͤſſe.

Kaum hatte ich ausgeredet, ſo ſchwor mein Bruder in Gegenwart meines Vaters, der ihm weder durch Worte noch durch ein ernſtliches Ge - ſicht Einhalt that, daß er ſich niemahls mit dem liederlichen Kerl ausſoͤhnen wollte, und er koͤnnte mich nicht fuͤr ſeine Schweſter erkennen, wenn ich einem, der ſie insgeſammt ſo ſehr beleidiget haͤtte, die geringſte Hoffnuug machte.

Einem Menſchen, ſetzte meine Schweſter mit einem Geſichte welches vor zuruͤck gehaltenem Zorn berſten wollte, hinzu, Einem Menſchen, der beynahe meines Bruders Moͤrder ge - worden waͤre! Sie hat ohnehin ein ungeſtaltes und plumpes Geſicht; falls Sie mir anders die - ſen Ausdruck von meiner Schweſter zu gebrau - chen, erlauben. Doch Sie vergeben mir dieſe Frey - heit eher, als ich mir ſelbſt: allein iſt wol ein Wurm der ſich nicht kruͤmmet, wenn er zertreten wird?

Mein Vater ſagte hierauf mit heftigen Geber - den und Stimme, (Sie wiſſen, er hat eine fuͤrch - terliche Stimme, wenn er zornig iſt) man habe gegen mich allzu viel Nachſicht bewieſen, da man mir erlaubt, bald dieſem bald jenem Herrn ab - ſchlaͤgige Antwort zu geben. Die Reihe ſey nun einmahl an ihm, Gehorſam zu fodern.

Dis iſt wahr! ſagte meine Mutter: ich hoffe, daß ein Kind, dem wir ſo viel Liebe erwieſen ha - ben, uns nicht wiederſprechen werde.

Um67der Clariſſa.

Um mich zu uͤberzeugen, daß ſie alle gleicher Meinung waͤren, ſagte mein Vetter Harlowe: er hoffe, ſeine liebe Baaſe verlangte nur ihres Va - ters Willen zu wiſſen, um eine Probe ihres Ge - horſams geben zu koͤnnen. Und mein Vetter Anton ſetzte nach ſeiner rauhen Art hinzu: ich wuͤrde hoffentlich keine Urſache geben, zu fuͤrchten, daß ich meines Grosvaters Guͤtigkeit misbrau - chen wollte, mich von dem ſchuldigen Gehorſam loos zu machen. Wenn ich dergleichen daͤchte, ſo koͤnne er mir verſichern, daß man das Teſta - ment meines Grosvaters umſtoſſen koͤnnte und wuͤrde.

Jch erſtaunete: das koͤnnen Sie leicht dencken. Jch konnte nicht begreiffen, auf wen alle dieſe Vorbereitungen zieleten: ob Herr Wyerley von neuen um mich angehalten haͤtte, oder ſonſt jemand anders? Jungen Maͤdchens pflegen doch leicht groſſe Vergleichungen einzufallen, wenn es ihre eigene Sache betrifft: und mir kam dieſe Anwer - bung, in weſſen Namen ſie auch geſchehen moͤch - te, ſo vor, als die Anwerbung der Englaͤnder um die Printzeßin von Schottland zu Zeit Koͤnig Eduard des ſechſten. Wie koͤnnte ich mir aber traͤumen laſſen, daß Herr Solmes der Freyer ſey, den man mir aufdringen wollte?

Jch wuͤßte nicht, antwortete ich, daß ich Urſa - che gegeben haͤtte, ſo hart mit mir zu verfahren. Jch hoffete, daß ich gegen ihre viele Liebe nie un - erkenntlich ſeyn wuͤrde; und uͤber dieſes wuͤrde ich mich ſtets der Pflicht einer Tochter und einerE 2Bru -68Die GeſchichteBruders-Tochter kindlich erinnern. Allein die gantz ungewoͤhnliche und unerwartete Art, mich zu bewillkommen, haͤtte mich ſo beſtuͤrtzt gemacht, daß ich mir Erlaubniß ausbitten muͤßte, wegzuge - hen, und mich wieder zu erholen.

Da keiner etwas einwendete, machte ich ohne weiter etwas zu ſagen meinen Reverentz und gieng weg. Mir kam es vor, als verlieſſe ich meinen Bruder und meine Schweſter recht vergnuͤgt, und als wuͤrden ſie ſich einander Gluͤck wuͤnſchen, daß durch ihre guͤtige Bemuͤhung endlich der An - fang gemacht ſey, mir hart zu begegnen. Jn meiner Cammer ließ ich gegen meine treue Han - nichen meine Betruͤbniß daruͤber aus, daß der neue Antrag, den man mir thun wollte, ſchon zum voraus ein ſo ernſthafftes Anſehen gewon - nen haͤtte.

Ehe ich noch wieder zu mir ſelbſt gekommen war, ward ich zum Thee gerufen. Jch ließ mich zwar durch mein Cammer-Maͤdchen entſchuldi - gen: auf wiederholten Befehl aber ging ich mit ſo froͤlichem Geſicht, als mir moͤglich war, hinun - ter. Hier mußte ich mich von neuen verant - worten: Denn mein Bruder (ſo reich iſt man an Beſchuldigungen, wenn man einmahl entſchloſ - ſen iſt, alles uͤbel auszulegen) mein Bruder, ſage ich, gab mir deutlich und unhoͤflich genug zu verſtehen, ich haͤtte blos aus Verdruß nicht zum Thee kommen wollen, weil man einer Per - ſon vorhin nicht in Ehren gedacht haͤtte, in die ich verliebt waͤre.

Jch69der Clariſſa.

Jch koͤnte euch leicht antworten (ſagte ich) wie es dieſe Beſchuldigung verdient. Allein wenn ich gleich an euch keinen Bruder habe, ſo ſollt ihr doch ſtets an mir eine Schweſter behalten.

Eine artige Sanftmuth! wiſpelte meine Schweſter mit verzogenen Lippen, und ſahe mei - nen Bruder dabey an. Er befahl mir mit einem vornehmen Geſicht, ſeine Liebe zu verdienen: alsdenn ſollte ſie mir nicht entſtehen.

Nachdem wir uns geſetzt hatten, redete meine Mutter mit der gewoͤhnlichen Artigkeit und Vor - treflichkeit, die alle ihre Reden an ſich haben, von der Liebe zwiſchen Geſchwiſtern, und verwieß es meinem Bruder und meiner Schweſter glimpflich, daß ſie ſich ſo leicht gegen mich haͤtten aufbringen laſſen, wobey ſie auf eine beynahe liſtige Weiſe fuͤr mich Buͤrge ward, daß ich dem Willen mei - nes Vaters Folge leiſten wuͤrde. Mein Vater ſagte: alsdenn wuͤrde alles gut ſeyn: mein Bruder: denn wuͤrden ſie ſich in mich ver - lieben: meine Schweſter: ſie wuͤrden mich ſo lieb als jemahls haben: und meines Vaters Bruͤder: denn wuͤrden ſie recht ſtoltz auf mich ſeyn. Aller dieſer Verſprechungen werde ich mich leider begeben muͤſſen.

So ward ich bewillkommet, als ich von Jh - nen zuruͤck kam.

Ehe wir noch den Thee ausgetruncken hatten, trat Herr Solmes in das Zimmer. Mein Va - ters Bruder Anton fuͤhrte ihn zu mir, als[einen] Herrn, der ſein beſonders guter Freund ſey. MeinE 3an -70Die Geſchichteanderer Vetter Harlowe brauchte eben ſo vor - theilhafte Ausdruͤcke: und mein Vater ſagte: Herr Solmes iſt mein Freund / Clariſſa Harlowe! Meine Mutter ſahe bald ihn bald mich an, als er neben mir ſaß: mich duͤnckte, daß ich in ihren Augen leſen konte, daß ſie meinet - wegen beſorgt waͤre. Jch ſahe ſie an, und bat um Mitleiden: bisweilen, wenn es ſich thun ließ, gab ich ihm einen verdrießlichen Blick, um ihn abzuſchrecken. Jn meines Bruders und mei - ner Schweſter Munde war nichts als Herr Sol - mes: Herr Solmes ward unaufhoͤrlich auf das freundlichſte genannt. So ſchmeichelten alle einem ſo elenden Kerl.

Jch thue weiter nichts hinzu, als daß ich mich gegen Jhre Frau Mutter wegen der genoſ - ſenen Guͤtigkeit gehorſamſt bedancke, wie ich denn noch in einem an ſie ſelbſt gerichteten Briefe ſu - chen werde mein danckbares Gemuͤth auszudruͤ - cken; und daß ich verharre

Dero ſtets verpflichtete Cl. Harlowe.

Der achte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe /

Man ſetzt die Sache mit einer recht unſinni - gen Hitze durch. Jch glaube, Solmes wohnt jetzt hier. Er ſchmeichelt ihnen, und wird vonTage71der Clariſſa. Tage zu Tage bey ihnen beliebter. So vor - trefliche Bedingungen! ſo ſchoͤne Ver - ſchreibungen! ruft jedermann.

O mein Schatz, wenn ich dieſen Familien Feh - ler nur nicht beweinen duͤrfte! dieſe unerſaͤttliche Begierde nach mehrerem Reichthum, obgleich ſie ſchon alle zuſammen mehr als reich ſind! gegen Sie kan ich dreiſter hievon reden, weil wir uns bey - de oft dieſe gemeinfchaftliche Noth geklagt haben. Mein Vater und ſeine Bruͤder ſind in dieſem Stuͤck gegen mich, was Jhre Frau Mutter gegen Sie iſt. Sonſt iſt nichts an ihnen auszuſetzen.

Es laͤßt, als ob mein Vater alles ſein Recht uͤber mich meinem Bruder uͤbergeben haͤtte; und dieſer will dafuͤr angeſehen ſeyn, daß er mich jetzt zaͤrtlicher liebe als jemals. Jch habe mich ge - gen ihn deutlich und offenhertzig erklaͤrt: allein er will aus meiner Erklaͤrung einen Spaß machen, und ſtellet ſich, als koͤnte er gar nicht glauben, daß ſeine Schweſter Claͤrchen / das ſo gehorſame und wohlgeartete Kind, ſich wider den Willen al - ler der Jhrigen ſetzen werde. Jch zittere, wenn ich an den Ausgang gedencke, den die Sache neh - men koͤnte: denn ich ſehe, daß ſie in ihrem Ent - ſchluß unbeweglich ſind.

Mein Vater und meine Mutter vermeiden mit Fleiß alle Gelegenheit, die ich gebrauchen koͤnte, mit ihnen allein zu ſprechen. Sie fragen mich nicht um meine Meinung, ſondern wollen gern zum vor - aus ſetzen, daß Jhr Wille auch mein Wille ſeyn werde. Und doch kan ich nicht hoffen, bey irgend einem andern als nur bey ihnen durch Bitten undE 4Vorſtel -72Die GeſchichteVorſtellungen etwas auszurichten: denn bey ih - nen fallen die Urſachen weg, die meine Geſchwi - ſter haben, mich zu einer Heyrath zu zwingen. Jch widerſpreche ihnen jetzund weniger, und ſpare al - les, was ich zu ſagen habe, auf eine Unterredung mit meinem Vater allein, wenn er mich anders ge - duldig anhoͤren will. Wie ſchwer wird es mir, eine abſchlaͤgige Antwort zu geben, da beydes Pflicht und Hertz machen, daß ich wuͤnſche meine Eltern, durch Gehorſam zu erfreuen!

Dreymal habe ich ſchon einen Beſuch auf meiner Stube von dieſem Mann ausſtehen muͤſ - ſen, auſſer dem, daß ich bey ſeinem Beſuch, damit er meine Eltern beehrt, auch gegenwaͤrtig bin. Er iſt mir aber ſchlechterdings unertraͤglich. Er hat nur nach Mundes-Maaſſe Verſtand: artige Wiſſenſchaften und Beleſenheit hat er gar nicht: er weiß nichts, als wie viel ſeine Guͤter einbringen, und wie man ſie beſſer nuͤtzen koͤnnte, und was ſonſt zur Haushaltung und zu dem Landweſen ge - hoͤrt. Allein ich weiß nicht, wie ich bin! ich kom - me mir gantz tumm und betaͤubt vor. Man hat den Anfang gemacht, mir ſo hart zu begegnen, daß ich kaum das Hertz habe, auf der abſchlaͤgigen Antwort zu beſtehen, die ich doch geben muß.

Es ſcheint, ſie haben ſich bemuͤhet die gute Frau Norton auf ihrer Seite zu bringen, ehe ich nach Hauſe gekommen bin: ſo ſehr ſind ſie auf alle Mittel bedacht, die Sache durchzutreiben. Da aber Frau Norton nicht ſo geſinnet war, wie ſie es wuͤnſchten, ſo ſagten ſie zu ihr ſie wuͤrdewohl73der Clariſſa. wohl thun, ſich eine Zeitlang unſers Hauſes zu enthalten. Und doch iſt ſie, naͤchſt meiner Mut - ter, die eintzige in der Welt, die etwas bey mir ausrichten wuͤrde, wenn die Forderungen der meinigen billig waͤren, oder wenn ſie ihr auch nur billig ſcheinen koͤnnten.

Meiner Mutter Schweſter hatte ſich verlauten laſſen: ſie hielte es fuͤr unmoͤglich, mich dahin zu bringen, daß ich Herrn Solmes liebete. Sie hat aber eine andere Sprache lernen muͤſſen. Sie will mich morgen beſuchen: und weil ich von meinem Bruder und Schweſter nicht einmal habe anhoͤren wollen, was mir Herr Solmes fuͤr herrliche Guͤ - ter verſchreiben will, ſo ſoll ſie mir hievon Nach - richt geben, und zugleich meine Antwort abholen. Denn mein Vater (ſo heiſt es) kan ohnmoͤglich ſo viel Gedult haben, ſich auch nur vorzuſtellen, daß ich mich gegen ſeinen Willen ſetzen wollte.

Jnzwiſchen iſt mir angekuͤndiget: ich wuͤrde wohl thun, wenn ich den naͤchſten Sonntag nicht darauf daͤchte, in die Kirche zu gehen. Eben die - ſen Befehl habe ich ſchon den vorigen Sonntag bekommen. Denn ſie fuͤrchten, daß Herr Love - lace in der Kirche ſeyn, und mich nach Hauſe be - gleiten moͤchte.

Geben Sie mir, meine allerliebſte Fraͤulein Howe / nur etwas von Jhrer vortreflichen Hertz - haftigkeit: ich brauche ſie jetzt am noͤthigſten.

Sie koͤnnen leicht dencken, daß Herr Solmes ſich nicht eben ruͤhmen duͤrfte, daß er viel bey mir ausgerichtet habe. Er hat nicht Verſtand genung,E 5etwas74Die Geſchichteetwas vorzubringen, das zur Sache dienet. Er bewirbt ſich in der That nur um die meinigen, und mein Bruder fuͤhret ſich gegen mich auf, als waͤ - re er[ſein] Freywerber. Jch habe zwar meinem Bruder deutlich meine Abgeneigtheit zu erkennen gegeben; allein da ich mich verpflichtet halte, einem Manne hoͤflich und anſtaͤndig zu begegnen, der bey meiner gantzen Familie gelitten iſt, und mir von ihr angeprieſen wird, ſo wollen ſie daraus mit aller Gewalt ſchlieſſen, daß ich nur aus Bloͤ - digkeit Nein ſage. Er kennet ſeine Maͤngel zu wenig, und, wenn ich ihm, ſo viel ich nur kan, aus dem Wege gehe, und gegen ihn fremde bin, ſo glaubt er, meine Bloͤdigkeit ſey daran ſchuld. Denn, da er ſich nur um die Gunſt der meinigen bewirbet, ſo habe ich nicht einmahl Gelegenheit, Nein zu ihm zu ſagen, denn er fraͤgt mich nie. Er ſcheint daher mit einer maͤnnlichen Grosmuth mehr das ſchuͤchterne Maͤdgen zu bedauren, als eine abſchlaͤgige Antwort zu befuͤrchten.

Die Unterredung, die ich mit meiner Baſe haben ſollte, iſt nun wuͤrcklich vor ſich gegangen. Jch habe mir die Vorſchlaͤge meines Freyers von ihr muͤſſen erzehlen laſſen, und ſie hat mir alle Urſachen geſagt, warum ihm Gehoͤr gegebeu wird. Jch kan nicht ohne Widerwillen erwaͤhnen, daß er eben ſo ungerecht handelt, indem er ſo vieles verſpricht, als diejenigen, denen ich doch Ehr - furcht ſchuldig bin, indem ſie ſeine Verſprechun -gen75der Clariſſa. gen annehmen. Jch haſſe ihn jetzt mehr, als vor - hin. Ein ſchoͤnes Gut iſt ſchon zum Nachtheil, der obgleich noch entfernten Anverwandten erhal - ten, die kuͤnftig einen Anſpruch darauf machen koͤnten, nemlich das Gut, das mein Bruder von ſeiner Pathe geerbet hat. Hierauf bauen ſie eine Hoffnung (vermuthlich in die Luft), daß ſie noch mehreres erhalten wollen, und daß wenigſtens mein Gut dereinſt wieder an die Familie fallen werde. Mich duͤnckt die gantze Welt iſt nur eine groſſe Familie: Wenigſtens war ſie dieſes bey ih - rem Anfang. Wie ſoll ich denn dieſe eingennuͤtzi - ge Abſichten kleiner Geiſter anders beſchreiben, als daß man einer Verwandtſchaft vergißt, und ſich einer andern erinnert?

Als ich ſchlechterdings mich weigerte, ihn zu nehmen, die Bedingungen moͤchten auch ſo vor - theilhaft ſeyn, als ſie immer wollten, ſo muſte ich ein Verbot anhoͤren, das mir recht an das Hertz tritt. Wie kan ich es ihnen ſchreiben? Und ich muß es doch thun! Jch ſoll einen gantzen Monath, oder bis ich von neuen Erlaubniß er - halten habe, mit niemanden auſſer dem Hauſe Briefe wechſeln. Mein Bruder kuͤndigte mir die - ſes mit einem rechten Amts-Geſichte an, nachdem Frau Hervey meine Antwort uͤberbracht hatte. Sie hat zwar dieſes auf die gelindeſte Weiſe ge - than, ja ſo gar, ohne Vollmacht von mir zu ha - ben, einige entfernte Hoffnung gegeben, daß ich mich kuͤnftig bequemen duͤrfte.

Jch fragte: darf ich denn auch nicht an Fraͤulein Howe ſchreiben?

Nein76Die Geſchichte

Nein / gnaͤdige Fraͤulein / ſagte er ſpoͤttiſch, auch nicht einmahl an Fraͤulein Howe. Denn ſie haben ja ſelbſt geſtanden / daß Lovelace der Liebling von der[Fraͤulein] Howe ſey.

Sehen ſie es wohl, meine liebe Fraͤulein? Meynet ihr aber, Bruder, ſagte ich, daß dis der rechte Weg ſey?

Bekuͤmmert ihr euch darum? Wiſſet! man wird eure Briefe auffangen, ich kans euch ver - ſichern. Mit dieſen Worten lief er fort.

Meine Schweſter kam bald darauf zu mir, und ſagte: Nun Klaͤrchen / ich hoͤre ihr ſeyd auf guten Wegen. Man hat aber Verdacht auf einige Leute, daß ſie euch in eurem Ungehorſam ſtaͤrcken, und deswegen ſoll ich euch ankuͤndi - gen, daß man gerne ſehe, wenn ihr ein paar Wochen lang, bis auf weitere Erlaubniß, kei - nen Beſuch gebt, und auch keinen annehmet.

Befehlen das die, welche uͤber mich zu befeh - len haben, ſagte ich?

Fragt ſie, fragt ſie, mein Kind! ſprach ſie, und drohete mir mit dem Finger. Jch habe euch das geſagt, was ich zu ſagen hatte. Euer Vater verlangt Gehorſam von euch. Er hat die gute Hoffnung von euch, daß ihr gehorſam ſeyn wer - det, und wollte gern allen Verfuͤhrungen zum Ungehorſam vorbeugen.

Jch antwortete: Jch weiß meine Pflicht. Jch hoffe aber, daß man von mir nichts un - moͤgliches fordern werde.

Hier -77der Clariſſa.

Hierauf verſetzte ſie: Ein unverſchaͤmtes, eite - les, eingebildetes junges Ding! Nach eurer tie - fen Weisheit wiſſet ihr nur allein, was ſich ſchi - cket, und was recht iſt. Jch fuͤr mein Theil habe ſchon lange Zeit durch eure Larve hindurch geſehen, und nun werdet ihr jedermann verrathen, wie ihr im Hertzen beſchaffen ſeyd.

Jch kehrte Augen und Haͤnde gen Himmel, und ſagte: liebe liebe Schweſter, warum ?

Nichts von liebe Schweſter! antwortete ſie. Jch verſichre euch, ihr blendet mich nicht durch eure Zauberey. Dis war ihr Ausdruck, und damit lief ſie weg, und rief mir ruͤcklings zu: Es wird euch bald ein jeder ſo gut kennen, als ich euch kenne.

Behuͤte GOtt! dachte ich, was habe ich fuͤr eine Schweſter? wodurch habe ich alles dieſes verdient. Jch bedaurte hiebey von neuen, daß mein Großvater mich aus allzu groſſer Liebe mei - nen uͤbrigen Geſchwiſtern in der Erbſchaft vorge - zogen hat.

Jch weiß nicht, was mein Bruder und meine Schweſter wider mich moͤgen angebracht haben. Mein Vater iſt ſehr zornig auf mich. Jch ward zum Thee gerufen, und gieng mit einem froͤlichen Geſicht hinunter: Allein ich hatte bald Urſach be - truͤbt auszuſehen. Alle nahmen ein[ernſthafftes] und vornehmes Geſicht an. Meine Mutter ſa - he beſtaͤndig auf den Thee-Topf: wenn ſie ja auf -ſahe,78Die Geſchichteſahe, ſo war es, als wenn an ihren[Augenliedern] ein Gewicht hinge, und ſie ſahe mich nie an. Mein Vater ſaß halb zur Seite in ſeinem Lehn - Stuhl, damit er mich nicht anſeſehen duͤrfte, und hob die gefaltnen Haͤnde bald auf, bald nieder. Al - le Finger des armen Mannes waren in Bewe - gung, als wenn es ihm bis unter die Naͤgel krib - belte. Meiner Schweſter ſchwollen alle Adern auf; mein Bruder ſahe mich mit einer veraͤchtli - chen Mine an, und maß mich mit ſeinen Augen von Haupt bis auf die Fuͤſſe ſo bald ich in den Saal trat. Meine Baaſe war auch da; mich duͤnckte, ich konte in ihren Augen eine Guͤtigkeit leſen, die ſie gerne verſtecken wollte. Sie blieb ſitzen, und neigete ſich gantz kaltſinnig gegen mich. Darauf wieß ſie mit den Augen auf meinen Bru - der, und auf meine Schweſter. Dis erklaͤrte ich ſo, als wollte ſie mir die Urſach ihres ungewoͤhn - lichen Betragens zu verſtehen geben. Bewahre GOtt! mein Schatz, warum ſuchten ſie ein Hertz, das bisher nie fuͤr eigenſinnig oder knech - tiſch gehalten iſt, mehr durch Furcht als durch Liebe zu bewegen?

Jch ſetzte mich auf meinen Stuhl nieder. Soll ich Thee-Waſſer aufgieſſen, ſagte ich zu meiner Mutter? Sie wiſſen, dies iſt ſonſt mein Amt.

Nein! hieß es. Eine kurtze Antwort, in Ei - ner Sylbe. Sie nahm die Thee-Kanne ſelbſt; Meine Schweſter wollte ihr helffen, aber mein Bruder hieß ſie gehen, und ſagte, daß er das Waſſer ſelbſt aufgieſſen wollte. Das Hertz kammir79der Clariſſa. mir auf die Zunge. Jch wußte nicht, wie ich mich faſſen ſolte. Was dachte ich, ſoll hieraus werden?

Bey der zweyten Taſſe ſtund meine Mutter auf: Nur ein Wort allein meine Schweſter, ſag - te ſie zu Frau Hervey, und faßte ſie an die Hand. Meine Schweſter verlohr ſich auch, zuletzt mein Bruder, und ſo blieb ich allein bey meinem Va - ter. Er ſahe ſo ernſthat aus, daß mir der Muth fehlete, als ich mir zwey oder drey mahl vornahm ihn anzureden, weil vorhin eine ſo groſſe Stille ge - weſen war.

Endlich fragte ich ihn, ob er befoͤhle, daß ich noch eine Taſſe einſchenckte. Jch bekam nichts zur Antwort, als die eine verdrießliche Sylbe, die ich ſchon von meiner Mutter vorher gehoͤrt hatte. Er ſtand auf, und gieng in der Stube herum. Jch ſtand auch auf, und wollte mich zu ſeinen Fuͤſſen werffen; allein ſeine Ernſthaftigkeit ſetzte mich ſo in Furcht, daß ich ihm nicht einmahl dieſes Zei - chen der kindlichen Liebe geben konnte, davon mein Hertz doch uͤberfloß.

Das Podagra zwang ihn, ſich an einen Stuhl zu lehnen. Hier nahm ich mir etwas mehr Muth: ich gieng zu ihm, und bat ihn, er moͤchte mir doch ſagen, womit ich ihn beleidigt haͤtte. Er kehrte mir den Ruͤcken zu, und ſagte mit ſtar - cker Stimme: Jch fodere Gehorſam Clariſſa Harlowe! Jch antwortete, behuͤte GOtt! ſolt ich ungehorſam ſeyn? Jch habe mich noch niemahls ihrem Willen widerſetzet.

Er80Die Geſchichte

Er fiel mir in die Rede: Und ich mich nie deinen thoͤrichten Einfaͤllen / Clariſſa Har - lowe. Laß mich nicht eben den Verdruß erfahren, den alle erfahren, die gegen das Frauenvolck guͤtig ſind. Denn je mehr wir nachgeben, je mehr wi - derſprecht ihr uns.

Sie wiſſen, mein Schatz, daß mein Vater eben ſo wenig als mein Bruder eine gute Meinung von dem Frauenzimmer hat, obgleich meine Mut - ter ſo viel nachgibt, als ſchwerlich eine Frau in der Welt thun wird.

Jch wollte ihm eben Verſicherungen von mei - nem Gehorſam geben. Er uuterbrach mich. Keine Verſicherungen, Maͤdchen! Keine Worte! Jch liebe kein Geſchwaͤtz. Du ſolt mir gehorchen.

Jch habe kein Kind. Jch will kein Kind ha - ben, wenn es nicht gehorſam iſt.

Jch hoffe, ſie haben nicht Urſach gehabt

Sage mir nicht, was ich nicht gehabt habe: ſondern was ich jetzt habe, und haben ſoll.

Hoͤren ſie mich doch aus: Jch fuͤrchte mein Bruder und meine Schweſter .

Nichts gegen deinen Bruder und gegen deine Schweſter! Die Ehre der Familie liegt ihnen am Hertzen.

Jch hoffe auch .

Hoffe nichts Maͤdchen. Sage mir nicht, was du hoffeſt, ſondern was du thuſt. Jch fodere nichts von dir, als was du thun kanſt, und thun mußt.

Jch will mich gern bequemen, aber ich hoffe ſie werden ſo guͤtig ſeyn .

Keine81der Clariſſa.

Keine Einwendung! Kein Aber; Maͤdchen! Keine Einſchraͤnckungen! Gehorſam ſolt du ſeyn, und das noch dazu mit Freuden: Sonſt biſt du mein Kind nicht.

Jch weinte.

Mein lieber und werther Vater (ſprach ich, und fiel auf die Knie), darf ich nicht bitten, daß ich nur ihrem und meiner Mutter Willen gehorchen moͤge, und nicht dem Willen meines Bruders. Jch wollte noch weiter reden: Aber er kehrte mir den Ruͤcken zu, und ging mit den Worten weg: Jch mag dich nicht anhoͤren, wenn du durch aller - hand Liſt und Schul-Geſchwaͤtz das vierdte Ge - bot ausmuſteren willſt. Gehorſam, Gehorſam!

Mein Hertz iſt ſo voll, daß ich meiner Pflicht vergeſſen muͤßte, wo ich es gegen Sie ausſchuͤtten ſolte. Jch will lieber die Feder niederlegen. Doch ich darf . Nein ich will die Feder gewiß nie - derlegen.

Der neunte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Meine Baaſe iſt vergangene Nacht hier geblie - ben, und hat mich heute fruͤh mit Anbruch des Tages beſucht. Sie ſagt mir, daß man mich mit Willen bey meinen Vater allein in der Stube ge -Erſter Theil. Flaſſen82Die Geſchichtelaſſen habe, damit er mich befragen koͤnnte, ob ſeine Hoffnung, die er auf meinen Gehorſam geſe - tzet, ihn nicht triegen wuͤrde? Allein er haͤtte ſelbſt geſtanden, daß er ſeinen Zweck nicht haͤtte erreichen koͤnnen, weil eine Erzaͤhlung ihm gar zu ſehr im Gemuͤth gelegen, dadurch mich mein Bruder an - geſchwaͤrtzet haͤtte, und weil es ihm unertraͤglich geweſen waͤre, es ſich auch nur als moͤglich vorzu - ſtellen, daß ein ſo gehorſams Kind ſich ſeinem Willen in einer Sache wiederſetzen koͤnnte, die das Beſte der gantzen Familie ſo ſehr betraͤfe.

Aus ein paar Worten, die ihr entfallen ſind, mercke ich, daß man ſich auf mein lenckſames Ge - muͤth gar zu ſehr verlaſſe. Die meinigen irren ſich hierin. Jch habe mich genau unterſucht, und ich finde eben ſo viel von meines Vaters Kopf in mir, als ich Sanftmuth von meiner Mutter ge - erbt habe.

Mein Onkle Harlowe wiederraͤth ſehr, mich aufs aͤuſſerſte zu treiben: Allein ſeines Bruders - Sohn, der vergeſſen hat, daß er mein Bruder iſt, verſichert zum voraus, daß meine Ehrbegier - de und die Grundſaͤtze, denen ich beſtaͤndig folge, mich lehren wuͤrden meine Pflicht zu beob - achten. Dis war ſein Ausdruck: vielleicht waͤ - re es beſſer, daß ich dieſen Ausdruck nicht wuͤſte.

Meine Baaſe giebt mir den Rath, das gege - bene Verbot genau zu beobachten, und Herrn Solmes nicht ohne alle Hoffnung zu laſſen. Dieſes letzte habe ich ſchlechterdings abgeſchlagen, es mag auch daraus kommen, was will. Jchhabe83der Clariſſa. habe mich bequemet keinen Beſuch anzunehmen, noch zu geben; Aber von dem Brief-Wechſel mit Jhnen kan mich nichts abhalten, als blos die Furcht, daß meine Briefe aufgefangen werden moͤgten.

Sie glaubt daß mein Vater dieſen Befehl oh - ne meine Mutter zu befragen gegeben habe, und zwar blos aus Liebe gegen mich, damit ich nicht eine Todſuͤnde gegen ihn begehen moͤchte. Denn er befuͤrchtete daß mich andere Leute (das ſind Sie, und Fruͤulein Lloyd) hiezu verfuͤhren moͤgten, und daß ich es von ſelbſt nicht thun wer - de. Denn er ſpricht noch ſehr wohl von mir, und lobet mich, wie ſie ſaget, ungemein.

Das iſt Gnade! das iſt vaͤterliche Nachſicht! So muß man es anfangen, wenn man nach Art eines Koͤniges, der uͤbelgeſinnete Unterthanen von einem Aufruhr abhalten will, wodurch ſie ſich aller ihrer Guͤter verluſtig machen wuͤrden, ein hart - naͤckiges Kind vor Ungehorſam und Verderben zu bewahren ſucht. Dis iſt die Weisheit meines jungen Herrn Bruders; eines Betriegers ohne Kopf, und eines Bruders ohne Hertz.

Wie gluͤcklich haͤtte ich mit irgend einem andern Bruder als Jacob Harlowe leben koͤnnen? Und wie gluͤcklich mit irgend einer andern Schwe - ſter, als mit ſeiner. Verwundrrn ſie ſich nicht hieruͤber mein Schatz, daß ich jetzt mehr meine Schuldigkeit, als Sie ſonſt die Liebe in der Beurtheilung meiner Geſchwiſter aus den Augen ſetze, da ich Jhnen ſo oft eine Straf-PredigtF 2gehal -84Die Geſchichtegehalten, wenn Sie zu frey von den meinigen ge - urtheilet haben. Der Gedancke iſt mir unertraͤg - lich, daß man mich des allergroͤßten Vergnuͤgens berauben will, das ich in meinem Leben genieſe: ich meine des ſchriftlichen oder muͤndlichen Um - gangs mit Jhnen. Und wer kann ſich ohne Wi - derwillen von einer ſo niedertraͤchtigen Argliſtig - keit betriegen laſſen, die noch dazu mit ſo viel Hef - tigkeit und Hochmuth verbunden iſt.

Allein meine Liebſte Fraͤulein Howe koͤnnten Sie mir wol ſo viel zu gefallen thun, daß Sie ſich zu einem geheimen Briefwechſel mit miꝛ bequemen. Wenn Sie dieſes thun wollen, ſo iſt mir ein Weg beygefallen, wie ſolches ſicher geſchehen kann.

Sie wiſſen doch unſern ſo genannten gruͤnen Gang an dem Holtzſtall und dem Hofe auf dem wir das Feder-Vieh haben. Hier habe ich einige Jndianiſche Huͤner, Faſanen und Pfauen, mit de - nen ich mir zweymal des Tages die Zeit vertreibe. Jch thue dieſes deſto lieber, weil ſie meinem ſeel. Grosvater gehoͤrt haben, und er mir befohlen hat, fuͤr ſie zu ſorgen: deswegen ich ſie auch von mei - ner Hollaͤnderey nach ſeinem Tode hieher habe bringen laſſen. Dieſer gruͤne Gang iſt niedriger als der Boden des Holtz-Stalles, und in der einen Seiten-Wand des Holtz-Stalles ſind die Bretter an etlichen Orten eine halbe Elle weit von der Erde auf gefault. Meine Hannichen kann hier mit Kreite ein Zeichen machen, wo man einen Brief oder Paquetchen unter den Straͤu - chen einſtecken kann. Man kann dis wohl ſomachen,85der Clariſſa. machen, daß es keinen Verdacht eines gehei - men Briefwechſels giebet.

Jch bin eben an dem Orte geweſen, und ſehe, daß er zu unſerm Zwecke bequem iſt; Es kan demnach ihr ehrlicher Robert ohne ſich unſerm Hauſe zu naͤhern nur thun, als gienge er durch den gruͤnen Gang, der ohnedem der ordentliche Weg nach zwey oder drey Vorwercken iſt. Mir ſoll es lieber ſeyn, wenn er keine Lieverey an hat. Er wird auf dieſe Weiſe gantz bequem meine Briefe abholen, und Jhre bringen koͤnnen. Es iſt dieſer Ort deſto bequemer, weil bey nahe niemand dahin kommt, als ich und meine Hannichen / um das Federvieh zu futtern. Denn hier iſt nur unſer groſſe Holtzſtall. Das taͤgliche Brennholtz haben wir naͤher am Hauſe. Eine Ecke iſt von dem uͤbrigen Hoͤfen fuͤr mein Federvieh abgeſondert. Es kan daher weder mir noch Hannichen an einem Vorwand feh - len, oft dahin zu gehen.

Verſuchen Sie einmal, ob Sie auf dieſe Wei - ſe einen Brief an mich bringen koͤnnen, und geben Sie mir guten Rath, was ich bey ſo verworrenen Umſtaͤnden anfangen ſoll. Schreiben Sie mir, was ich mir Jhrer Meynung nach fuͤr Hoffnung machen kan? und wie Sie ſich in gleichen Um - ſtaͤnden verhalten wuͤrden. Doch muß ich mir zum voraus von Jhnen ausbitten, daß Sie mir ja nicht anrathen, Herrn Solmes zu nehmen. Mir komt aber ſehr wahrſcheinlich vor, daß manF 3durch86Die Geſchichtedurch Jhre Frau Mutter verſuchen werde Sie zu bewegen, daß Sie mir hiezu rathen moͤch - ten, weil man wohl weiß, wie viel Jhr Rath bey mir vermoͤge.

Doch Nein! nach weiterer Ueberlegung der Sache bitte ich Sie mir Jhre voͤllige Meynung zu ſchreiben, wenn Sie auch ſollten auf Herrn Solmes Seite ſeyn. Jch habe zwar meine Entſchlieſſung ſchon gefaßt, ich glaube, daß ſie unveraͤnderlich ſeyn werde: ich will aber alles ge - duldig anhoͤren, was man gegen meine Entſchlieſ - ſ[u] ng[einwenden] kan. Denn ich verſichre Jhnen auf mein Wort, daß wo ich mich anders ſelbſt kenne, ich nicht ſo ſehr zaͤrtliche Blicke auf einen gewiſſen andern werfe, als meine Geſchwiſter mich beſchuldigen, und Sie ſelbſt nach Jhrer Loſigkeit mir Schuld gaben, als er mich die letzten mahle beſuchte. Wenn ich einige mehrere Nei - gung gegen ihn, als gegen irgend eine andere Per - ſon habe, ſo gruͤndet ſich dieſe Neigung nicht, auf ſeine eigene Vorzuͤge, ſondern blos auf das Un - recht, das er meinetwegen erlitten hat.

Jch habe ein kleines Schreiben an Jhre Frau Mutter beygelegt, mich fuͤr alle Guͤte zu bedan - cken, die ſie mich in der letzten ſo vergnuͤgten Zeit hat genieſſen laſſen. Wie ſehr befuͤrchte ich, daß ich in meinem Leben nie wieder eine ſo vergnuͤgte Zeit haben werde! Dieſes Schreiben an Jhre Frau Mutter ſoll der Ueberbringer vorzeigen, wenn er nicht ohne Verdacht und Nachfrage aus meinem Hauſe kommen kan, und ſoll ſich vonmei -87der Clariſſa. meinem Briefe an Sie nichts mercken laſſen. Un - noͤthige Aufſicht und Zwang pflegen uns doch ge - meiniglich zu Liſt und kleinen Schelm-Stuͤcken zu gewoͤhnen. Jch wuͤrde gewiß einen Abſcheu vor allem geheimen Briefwechſel haben, wenn ich nicht dazu gezwungen wuͤrde: und noch jetzt komt mir dieſe Sache ſo niedertraͤchtig vor, daß ich mich kaum unterſtehe zu hoffen, daß Sie ei - nigen Antheil daran nehmen werden.

Ach warum ſtoͤßt man mich mit Gewalt in einen Stand, den ich zwar ehre, aber zu dem ich keine Neigung habe? Warum verheyrathet ſich mein Bruder nicht, der um ſo viel Jahre aͤlter iſt als ich, da er ſo ſehr auf meine Verheyra - thung dringet? Warum wird nicht meine aͤl - tere Schweſter zuerſt verſorget?

Dis ſind ſchon meine Klagen gegen meiner Mutter Schweſter geweſen. Allein ich breche dieſe vergebliche Klagen ab, und verſichere, daß ich ſtets bin und ſeyn werde

Dero ergebenſte Clariſſa Harlowe.

Der zehnte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Was muͤſſen einige Leute fuͤr verkehrte Koͤpfe haben! Fraͤulein Clariſſa Harlowe ſollF 4Herrn88Die GeſchichteHerrn Roger Solmes aufgeopfert werden! Wie kan ſich einer etwas ſo ungereimtes ein - fallen laſſen?

Sie verlangen von mir: ich ſoll Jhnen nicht anrathen Herrn Solmes zu nehmen. Jch ſollte faſt glauben mein Schatz, daß Sie in der That zu der Familie gehoͤren, die ſich eine ſo abgeſchmackte Parthey fuͤr Sie gefallen laſſen koͤnnen: ſonſt haͤtten Sie ſich gar nicht vorſtel - len koͤnnen, gaß ich Jhnen anrathen wuͤrde, Herrn Solmes zu nehmen.

Bitten Sie mich nur einmahl, daß ich einen Abriß von ihm mache. Sie wiſſen ja, daß ich geſchickt bin ein eckelhaftes Bild zu mahlen. Doch ich will lieber einige Zeit mit meiner Be - ſchreibung warten: denn wer weiß, was ſich noch endlich zutragen kan, da man ſo viel Hef - tigkeit gebraucht, und da Sie ſo wenig Muth beſitzen den Strom zu widerſtehen.

Sie wuͤnſchen ſich nur etwas von meinem Muth. Jſt dis Jhr Ernſt? Er wuͤrde Jhnen jetzt nichts mehr helfen, und wuͤrde Sie nicht einmahl kleiden. Sie ſind Jhrer Mutter Tochter, Sie moͤgen davon dencken was Sie wollen, und haben es mit heftigen Gemuͤthern zu thun. Sie haͤtten fruͤher etwas von meinem Muth annehmen ſollen: nemlich damals, da Sie Jhr Gut ſolchen Leu - ten in die Haͤnde ſpieleten, die glaubten ein naͤhe - res Recht daran zu haben als Sie. Was ſind Sie deſſen gebeſſert, daß der Praͤtendent auf Jhr Gut Jhr Vater iſt? Hat er nicht zwey aͤltereKin -89der Clariſſa. Kinder? Sind ihm dieſe nicht viel aͤhnlicher als Sie? Jch bekenne es, daß meine Fragen ſehr frey ſind: allein verweiſen Sie mir ja dieſe Freyheit nicht, ſonſt wuͤrde die Auslegung, die Sie vorher machen muͤſten, eben ſo beiſſend gegen die Jhrigen ſeyn, als meine Fragen ſelbſt ſind.

Da ich mich einmal gewaget habe, frey zu ſchreiben, ſo muͤſſen Sie mir noch ein paar Zeilen von gleicher Art zu gute halten: hernach will ich beſcheidener werden. Sollten Sie nicht billig wiſſen, daß Geitz und Mißgunſt nie dadurch beſaͤnftiget werden, wenn man dem Geitzigen giebt was er haben will, und wenn man den Neidiſchen an Verdienſten und eigenen Vorzuͤgen uͤbertrifft. Beydes iſt nichts als Zunder fuͤr unerſaͤttlichen Flammen.

Soll ich Jhnen Rath geben, ſo muͤſſen Sie mir alle Urſachen ſchreiben, davon Sie wiſſen oder vermuthen, daß ſie Jhre Geſchwiſter veran - laſſen, Sie zu dieſer Heyrath zu zwingen. Wenn Sie mir erlauben wollten, einen[Auszug] aus Jhren Briefen zum Vergnuͤgen und Zeit - vertreib meines Vetters auf der kleinen Jnſel zu machen, der ſo ſehr begierig iſt, etwas von Jh - ren Umſtaͤnden zu hoͤren: ſo wuͤrde ich es fuͤr eine ſehr groſſe Gefaͤlligkeit anſehen.

Sie haben ſo viel Zaͤrtlichkeit gegen einige Leu - te, die nichts von Zaͤrtlichkeit und Liebe, als blos gegen ſich ſelbſt, wiſſen oder empfinden, daß ich Sie beſchwoͤren muß, mir die Wahrheit reinF 5heraus90Die Geſchichteherauszuſchreiben. Bedencken Sie, daß eine ſo genaue Freundſchaft als die unſrige iſt, nicht er - laubt, daß man einander etwas verberge. Sie koͤnnen verſichert ſeyn, daß ich unpartheyiſch bin: Sie duͤrfen nicht einmal anders von mir dencken, ohne ſich einer Uebereilung zu beſchuldigen, nach - dem Sie mich um Rath gefragt haben. Jch erin - nere mich auch noch der Regel, die Sie mir ſelbſt gegeben haben: daß die Freundſchaft nie den Ausſchlag gegen die Gerechtigkeit geben muͤſſe. Suchen Sie die Jhrigen zu entſchuldigen wo Sie es koͤnnen. Jch will zufrieden ſeyn, wenn die von ihnen getroffene Wahl gleich keinen voͤllig hinlaͤnglichen Grund vor ſich hat, falls nur ein Quentchen von Menſchen-Verſtande darin anzu - treffen iſt. Jch weiß ſo viel von den Umſtaͤnden Jhres Hauſes: und doch kan ich mir gar keinen Begriff machen, wie es moͤglich ſey, daß alle, daß ſo gar Jhre Frau Mutter und Jhre Frau Baſe Hervey gegen das, was ſie ſelbſt vorhin von der Sache geurtheilet, ſprechen und Jhnen Herrn Solmes anpreiſen koͤnnen. Bey den uͤbrigen wer - de ich mich nie uͤber die allerwunderlichſte Hand - lung, die ſie vornehmen oder beſchlieſſen, verwun - dern, wenn der Eigennutz dadurch befoͤrdert wird.

Sie fragen, warum ſich ihr Bruder nicht verheyrathe? Jch kan Jhnen die Urſache leicht melden: ſein ungeſtuͤmes Weſen und ſein Hoch - muth iſt ſo bekant, daß ohngeachtet der ſchoͤnen Guͤter die er ſchon jetzt beſitzt, und die er noch zu hoffen hat, kein Frauenzimmer, auf das er et -wan91der Clariſſa. man dencken wuͤrde, ihn nehmen wird. Seine Guͤter, die er geerbet, haben nicht ſowohl ſeine[ Hochachtung] bey andern, als ſeinen Hochmuth vermehrt. Er iſt mir der unertraͤglichſte Menſch, den ich je geſehen habe. Sie tadeln mich zwar, daß ich ihn ſo ſchnoͤde abgewieſen habe, allein er verdiente nichts beſſers. Er bewarb ſich mit ei - ner ſolchen Art und Miene um mich, als wenn er mir eine Gnade zuwenden, und nicht als wenn er um Gunſt und Liebe bitten wollte. Nichts freuet mich mehr, als wenn ich hoch - muͤthige und unverſchaͤmte Leute kraͤncken kan. Was meynen Sie, woher kommt es anders, daß ich Hickman um mich dulden kan? als daher, daß er beſcheiden iſt, und es erkennet, daß er meiner nicht werth iſt.

Auf die zweyte Frage, warum Jhre aͤltere Schweſter nicht heyrathe? gebe ich zur Antwort: erſtlich, ſie muß einen Freyer von groſſen und unverſchuldeten Guͤtern haben; zum andern, ſie hat noch eine juͤngere Schweſter. Jch bitte Sie mein Kind, ſagen ſie mir doch, welcher Cavalier der Guͤter ohne Schulden hat wird an die aͤlteſte Schweſter dencken, ſo lange dieſe juͤngere noch ledig iſt.

Sie ſind zu reich, mein Kind, als daß ſie gluͤcklich ſeyn koͤnnten. Nach den Geſetzen, die wenigſtens durch das Herkommen Jhrer Familie beſtaͤtigt ſind, muß ein jeder, der zu ihrem Hauſe gehoͤrt, noch reicher heyrathen als er ſelbſt iſt. Kan man den Leuten wol verdencken, daß ſie dasimmer92Die Geſchichteimmer zu vermehren ſuchen, worin ihrer Mey - nung nach ihr hoͤchſtes Gut und groͤſſeſter Vorzug beſtehet? Hat Jhre Familie jemals ihre Abſichten auf wahre Gluͤckſeligkeit gerichtet? Jſt nur je - mand in Jhrer Familie, Sie allein ausgenom - men, im Stande, ein Gluͤck auſſer dem Reich - thum zu genieſſen? So moͤgen ſie denn murren, und immer ſammeln; und wenn ſie dennoch mit Verwunderung gewahr werden muͤſſen, daß ſie bey allem Reichthum nicht gluͤcklich ſind, und nicht wiſſen was ihnen fehlt, moͤgen ſie ſich einbilden, daß blos der Mangel noch groͤſſerer Guͤter ſie miß - vergnuͤgt mache. Sie werden immer mehr zu ſammlen ſuchen, bis der Tod, der eben ſo un - erſaͤttlich iſt als ſie, ihre Schaͤtze wegraffet.

Geben Sie mir nur Nachricht von den Bewe - guugs-Gruͤnden, welche die Jhrigen vorwen - den, und um deren willen Sie ſelbſt bekennen dieſe Heyrath zu wuͤnſchen: ſo will ich Jhnen bald mehr von ihren Abſichten entdecken helfen, als Sie mir von ſelbſt melden werden. Jhre Baſe Hervey hat Jhnen, wie Sie ſchreiben, von dieſen Bewegungs-Gruͤnden Nachricht ge - geben: Warum muß ich Sie aber erſt bitten, mir auch einige Rachricht davon mitzutheilen, da Sie mich doch um Rath fragen? Jch habe Jhnen dieſes ſchon oben zu verſtehen gegeben.

Es iſt klug gehandelt, daß Jhnen der Brief - wechſel mit mir verboten wird. Jch wundere mich nicht daruͤber, und ich verdencke es auch den Jhrigen nicht. Es iſt offenbar, daß ſie die Thor -heit93der Clariſſa. heit ihrer Anſchlaͤge ſelbſt einſehen: und wenn ſie dieſes thun, ſo muͤſſen ſie nothwendig das Urtheil anderer uͤber dieſe Anſchlaͤge ſcheuen.

Jch freue mich, daß Sie einen Weg zum Brief-Wechſel zwiſchen uns ausgefunden haben, und ich billige Jhren Vorſchlag ſehr. Jch werde ihn noch mehr billigen, wenn dieſes Schreiben gluͤcklich zu Jhren Haͤnden kommt. Sollte es aber auch in fremde Haͤnde gerathen, ſo wuͤrde ich gantz und gar nicht daruͤber betreten ſeyn: nur um Jhrentwillen wuͤrde es mir leyd ſeyn.

Noch vor Empfang Jhres Schreibens haben wir freylich gehoͤrt, daß es zwiſchen Jhnen und den Jhrigen bey Jhrer Ruͤckkunft nicht recht ge - ſtanden habe: und daß Herr Solmes Sie nicht ohne Hoffnung eines gluͤcklichen Ausganges be - ſuchte. Jch meinte aber, es koͤnnte ein Jrrthum in der Perſon ſeyn, und er wuͤrde nur um Fraͤulein Arabella anhalten: denn die ſchien mir noch viel zu gut fuͤr ihn zu ſeyn, wenn ſie nur ſo aufge - raͤumt und von ſo ehrlichem Gemuͤthe waͤre, als ſonſt das plumpe und ſchwerfaͤllige Frauenzimmer zu ſeyn pflegt. Jch meinte ich haͤtte die gantze Sa - che errathen, und meine allerliebſte Freundin waͤ - re deshalb ſo ſchleunig nach Hauſe gefodert, daß ſie die Zuſchickung zur Hochzeit machen helfen ſol - te. Jch ſagte noch zu meiner Mutter: Wer weiß / ob nicht der Mann einen ertraͤgli - chen Aufzug macht / wenn er ſeine garſtige gelbe Perucke / und ſeinen groſſen Hut / die ich immer fuͤr ein Ueberbleibſel aus Crom -wels94Die Geſchichtewels Zeiten gehalten habe / ableget / und denn mit Fraͤulein Arabella nach der Kir - che wackelt. Sie hat ſelbſt erkannt, daß das Frauenzimmer die Manns-Perſon an Schoͤnheit uͤbertreffen muͤſſe. Wenn ſie immer bey eben den Gedancken bleibt / ſo wird ſie keine anſtaͤndigere Parthey als Herrn Solmes antreffen. Jch blieb bey mei - ner Vermuthung, wieder die gemeine Sage: denn ich konnte nicht glauben, das die unverſtaͤn - digſten Leute in England ſo unverſtaͤndig waͤren, daß ſie ſich in den Sinn kommen lieſſen, Sol - mes und Sie zu verheyrathen.

Wir hoͤrten, daß Sie keinen Beſuch annaͤhmen. Hievon konnte ich keine andere Urſache errathen, als daß man die Zubereitungen auf Jhrer Schwe - ſter Hochzeit geheim halten wolte, und die Trau - ung unvermuthet vor ſich gehen wuͤrde. Fraͤulein Lloyd und Fraͤulein Biddulph beſuchten mich, um ſich deshalb bey mir zu erkundigen. Jnſon - derheit waren ſie begierig, zu wiſſen, um welcher Urſache willen Sie den Sonntag nach Jhrer Zu - ruͤckkunft beynahe hundert Anbeter vergeblich haͤt - ten warten laſſen, (ſo ſagten ſie) und weder Vor - mittags noch Nachmittags in der Kirche geweſen waͤren? Hievon konte ich die Urſache, die Sie ſelbſt melden ohne Muͤhe errathen: nemlich die Beſorg - nis der Jhrigen, daß Herr Lovelace auch in der Kirche ſeyn, und Sie nach Hauſe bringen moͤchte.

Meine Mutter hat ihre guͤtigen Ausdruͤcke in dem uͤberſandten Briefe ſehr wohl aufgenommen. Sie95der Clariſſa. Sie ſagte: Fraͤulein Clariſſa Harlowe iſt ein Frauenzimmer das wenig ſeines gleichen hat. Ein jeder Beſuch von ihr iſt in der That eine Wohlthat: und man wird recht misvergnuͤgt wenn ſie Abſchied nimt. Jch bekam auch das meinige: denn ſie ſetzte hinzu: O meine Toch - ter, wenn du nur etwas von ihrem gefaͤlligen Weſen haͤtteſt!

Doch das kraͤnckt mich nicht: denn Sie wurden gelobet. Jch halte Sie fuͤr mich ſelbſt, und ich kitzel - te mich an Jhrem Lobe. Soll ich die Wahrheit ſchreiben, ſo freuete ich mich deſto mehr uͤber dieſes Lob, weil ich glaubte, ich waͤre in Ermangelung Jhrer lobenswuͤrdigen Eigenſchaften doch nicht ungluͤcklicher als Sie. Denn haͤtte ich zwantzig ſolche Bruͤder, und zwantzig ſolche Schweſtern, als Sie haben, ſo wuͤrde ſich keiner von ihnen, ja ſie alle zuſammen genommen nicht unterſtehen, ſo mit mir umzugehen, als Jhr eintziger Bruder und Jh - re eintzige Schweſter mit Jhnen umgehet. Wer viel leiden kan, wird viel zu leiden haben: ſo iſt es uͤberall in der Welt: und es iſt dieſes ihr eigner Satz,[den] Sie an einem ſehr merckwuͤrdigen Beyſpiel in Jhrem eigenen Hauſe bemerckt und ge - lernt, und dennoch bisher wenig angewandt haben.

Jch mache aus allem den Schluß: daß ich mich beſſer in Dieſe Welt ſchicke als Sie, und Sie ſich beſſer in die zukuͤnftige ſchicken als ich. Daß iſt der Unterſchied zwiſchen uns. Allein um meinet - willen, und um hundert anderer willen, wuͤnſche ich, daß es lange, ſehr lange waͤhren mag, eheſie96Die Geſchichteſie uns verlaſſen, um eine Geſellſchafft zu genieſ - ſen, die Jhnen aͤhnlicher und anſtaͤndiger iſt.

Jch habe meiner Mutter erzaͤhlt, wie unange - nehm Sie zu Hauſe bewillkommet ſind: und was fuͤr einen ungeſtalten Menſchen man Jhnen aus - geſucht hat, und Sie zwingen will, ihn zu neh - men. Sie ergriff die Gelegenheit, ihre Nach - ſicht gegen mich zu ruͤhmen / da ich mich recht tyranniſch / (den Namen gab ſie meinem Betragen. Die Muͤtter haben immer ihren ei - genen Kopf, und den muß man ihnen laſſen) ge - gen einen Freyer auffuͤhrte / den ſie mir doch ſo ſehr anprieſe / und gegen den ich keine ge - rechte Einwendungen machen koͤnnte. Sie redete noch ſonſt viel davon, daß ich wegen ihrer Nachſicht deſto gefaͤlliger gegen ſie ſeyn ſolte. Auf dieſe Weiſe werde ich ihr kuͤnftig nichts mehr von Jhren Umſtaͤnden erzaͤhlen duͤrfen; denn ſie wuͤrde ſo gar Jhren Brief-Wechſel mit mir und mit Herrn Lovelace nicht billigen, und mit dem Na - men des Ungehorſams oder unerlaubter und heimlicher Streiche belegen: denn ſie redet von nichts als von blindem Gehorſam. Ueber dieſes iſt ſie ſehr aufmerckſam auf die Predigten des alten ſteiffen Hageſtoltzens, ich meine Jhren Onckle Anton: und ſie wird ſich ſehr bedencken Jhnen Recht zu geben, wenn Sie gleich offenbar Recht haben, weil ſie vermuthet, ihre eigene Toch - ter werde ſich nach dem Exempel der Fraͤulein Harlowe richten. Allein das heißt die Sache nicht recht angegriffen: den wer andern nichts nach -giebt,97der Clariſſa. giebt,[dem] geben andre auch nichts nach, und wer zuviel erhalten will, der verliert alles.

Koͤnnen Sie wol rathen, mein Hertz, was der alte lehreiche Knabe, der immer prediget, die unempfindliche Seele von groben Sinnen, Jhr Onckle Anton / was der fuͤr eine Abſicht hat, die ihn ſo oft in unſer Haus fuͤhret? Man ſieht nichts als Freundlichkeit und Laͤcheln an ihm und meiner Mutter: einer ruͤhmt immer des andern Haus - haltung. So fange ich das Ding an heißt es: und ſo mache ich es auch ich freue mich / mein Herr daß Jhnen meine Weiſe gefaͤllt / Sie ſehen recht ge - nau auf alles / gnaͤdige Frau. Ach! es wuͤrde nichts im Hauſe geſchehen / al - les wuͤrde liegen bleiben / wenn ich nicht da waͤre. Beyde ſchelten auf ihre Bedienten, und ruͤhmen ihre eigene Klugheit in der Haushal - tung. Man hoͤrt ſo viel von, mein Hertz! und, in aller Welt um Gottes willen / wie verſtaͤndig fangen ſie es an! Bisweilen reden ſie gantz leiſe, und wiſpern ſich noch etwas in die Ohren, wenn ich uͤber ihrer Unterredung unver - muthet in die Stube komme. Jn der That, das Ding faͤngt mir an nur halb zu gefallen.

Mein eintziger Troſt iſt, daß die alten Haͤgeſtol - tzen ſo viel Jahre Zeit brauchen, ſich auf das Hey - rathen zu bedencken, als ſie etwan hoffen koͤnnen noch in der Welt zu leben. Waͤre das nicht, ſo wuͤrde ich Feuer geben, wenn er meine Mutter zu oft beſucht: und wuͤrde lieber Herrn Hickman alsErſter Theil. Geinen98Die Geſchichteeinen Freyer, der ſich beſſer fuͤr meine Mutter ſchickte, anzupreiſen ſuchen. Denn was ihm an Jahren mangelt, das erſetzt er durch ſeine Ernſt - haftigkeit. Wenn ich mich nicht fuͤrchtete, daß Sie mir einen[Verweiß] geben moͤchten, ſo wollte ich ſagen, daß beyde ein ſteifes und gezwungenes Weſen haben, welches macht, daß ſie faſt von ei - nem Alter zu ſeyn ſcheinen: und dieſes hat zuge -[nommen], ſeitdem er ſich in Hoffnung auf die Gunſt meiner Mutter zu viel gegen mich herausgenom - men hat, und ich ihn dafuͤr buͤſſen laſſe. Wenn beyde gewahr werden, daß ich verdrießlich und murriſch gegen ihn bin, ſo beſeufzen ſie ſein Ungluͤck in der Stille, und haben ſo viel Mitleiden gegen einander, daß ich ſie fuͤr verliebt halten muß, wenn das Mitleiden die naͤchſte Stuffe zu der Liebe iſt.

Jch weiß, ſie werden mir einen ſtraͤfflichen Blick geben. Allein nehmen Sie ſich in Acht, daß ich Sie nicht ſelbſt angreiffe. Wir leſen wenigſtens von dem Hannibal / daß ſein Kunſt-Griff geweſen ſey, die Roͤmer ſtets in ihrem eignen Land anzugreifen.

Sie verſichern, und zwar noch dazu auf Jhr Wort /, daß Sie keine ſolche Blicke (ein artiges Wort, anſtatt Liebe) auf einen gewiſſen an - dern werfen / als Jhre Geſchwiſter Sie be - ſchuldigen. Sie brauchen niemanden erſt zu ver - ſtehen zu geben, mein Schatz, daß die beyden letz - ten Monathe eine ſehr gluͤckliche Zeit fuͤr dieſen gewiſſen andern geweſen ſind, da er ſeine Lang - muth gegen die naͤchſten Anverwandten Jhnen als eine Gefaͤlligkeit hat anrechnen koͤnnen.

Doch99der Clariſſa.

Doch ich muß weiter gehen: Sie ſchreiben, ſo ſehr zaͤrtliche Blicke. Wie ſehr ſind ſie, denn zaͤrtlich. Darf ich eine Folge aus Jhren Worten ziehen? Die Jhrigen glauben, ſie ſind ſehr zaͤrt - lich: Sie ſcheinen aber nur ein weniges zu ge - ſtehen. Werden Sie nicht boͤſe. Jch thue Jh - nen kein Unrecht: denn Sie haben mir dieſes we - nige von Zaͤrtlichkeit nicht bekennen wollen; und nie werden wir doch neugieriger, als wenn man etwas geheim halten will.

Allein es ſcheint, als wollten Sie ihr Wort faſt wieder zuruͤcknehmen, und zweifelten ſelbſt an dem was Sie geſchrieben hatten. Denn Sie ſetzen dazu: wo ich mich anders ſelbſt kenne. War dieſer Zuſatz in einem Briefe an mich noͤthig? Brauchten Sie mir das auf Jhr Wort zu verſi - chern? Vielleicht wiſſen ſie beſſer, was fuͤr Blicke Sie auf ihn werfen! Doch nein, ich glaube dieſes nicht. Der Anfang der Liebe iſt meiſtentheils un - mercklich: und der dritte, der die Handlungen der liebenden Perſon ſiehet, wird oft mehr davon ge - wahr, wenn dasjenige Hertz, ſo von der Liebe be - ſeſſen iſt (kan ich es nicht eine Beſitzung nennen) noch nicht weiß, was fuͤr ein Geiſt in ihm wohnet.

Sie ſetzen hinzu: wenn Sie ja einige meh - rere Neigung gegen ihn / als gegen eine an - dere Perſon haͤtten / ſo gruͤnde ſich dieſe Neigung nicht auf ſeine eigene Vorzuͤge / ſondern blos auf das Unrecht / das er Jh - rentwegen erlitten habe. Jn der That, eine großmuͤthige Erklaͤrung, und die dadurch glaub -G 2wuͤr -100Die Geſchichtewuͤrdiger wird, weil ſie ſich zu Jhrer Gemuͤths - Beſchaffenheit ſchickt. Allein verlaſſen Sie ſich nicht[zuviel] darauf: Sie ſind in Gefahr; Sie moͤgen es wiſſen oder nicht, ſo will doch die Liebe in Jhrem Hertzen Platz nehmen. Selbſt Jhre angebohrne Grosmuth und Jhr edles Hertz ſetzen Sie in Gefahr: und alle die Jhrigen ſtreiten fuͤr ihn, wenn Sie auf eine unvernuͤnftige Weiſe wider ihn ſtreiten. Jch will Leib und Leben da - bey verpfaͤnden, daß Lovelace ungeachtet aller ſeiner Beſtaͤndigkeit und Ehrerbietung doch ſchon weiter geſehen hat, als ſeine Beſtaͤndigkeit und Ehrerbietung, dieſe ſo gluͤcklich angenommene Ei - genſchaften wenn er Jhr Hertz beſiegen will, ihm erlauben werden, frey zu geſtehen. Er hat geſehen, daß ſeine Feinde beſſer fuͤr ihn arbeiten, als er ſelbſt zu thun im Stande ſeyn wuͤrde. Sie haben bey andern bemerckt, daß nichts ſo ſcharfſichtig iſt, als ein hochmuͤthiger Liebhaber, denn dieſer entdecke ſo gar Zuneigung, wo keine iſt, und werde ſchwer - lich die Zuneigung unbemerckt laſſen, wo ſie ſich in der That befindet. Wer aber hat jemals Herrn Lovelace fuͤr demuͤthig gehalten.

Kurtz, ich mache aus ſeinem freymuͤthigen Be - tragen, und daraus, daß man keine Spur einer Bekuͤmmerniß bey ihm wahrnimt, den Schluß, daß er tiefer in ihr Hertz geſehen haben muͤſſe, als ich; tiefer als Sie glauben daß man ſehen koͤnne; ja tiefer als Sie ſelbſt ſehen. Denn da - von bin ich verſichert, daß ſie es mir nicht wuͤr -den101der Clariſſa. den verheelt haben, wenn Sie ſelbſt die Neigun - gen bey ſich erkannt haͤtten, die er entdeckt hat.

Er hat Sie vermocht, insgeheim mit ihm[Brie -] fe zu wechſeln, um ihn abzuhalten, daß er die Be - ſchimpfungen, die ihm widerfahren ſind und noch taͤglich widerfahren, nicht raͤchen moͤge. Jch glaube gern, daß der Jnhalt Jhrer Briefe nicht ſo beſchaffen ſey, daß er ſich deſſen ruͤhmen koͤnne. Allein iſt nicht die Sache ſelbſt ſchon ein groſſer Sieg, daß Sie ſeine Briefe annehmen und beant - worten? Sie verlangen von ihm, daß er den Brief-Wechſel geheim halten ſolle: folglich haben Sie Ein Geheimniß, das Sie nicht gern of - fenbart ſehen moͤchten, und er weiß dieſes Ge - heimniß. Er ſelbſt iſt dieſes Geheimniß. Macht dieſes nicht eine groſſe Vertraulichkeit zwiſchen Jhnen, und Jhrem Anbeter? Macht es Sie nicht fremde von Jhren Eltern?

Allein wer kann es Jhnen bey ſo geſtalten Sa - chen verdencken? Sie haben durch Jhre Gefaͤllig - keit gegen ihn bisher manchem Ungluͤck vorgebeu - get; und Sie werden fortfahren muͤſſen, eben ſo gefaͤllig zu ſeyn, ſo lange noch die Urſache nicht gehoben iſt, die Sie bisher dazu genoͤthiget hat. Jhr Schickſaal hat Sie wider Jhre Neigung in dieſen Briefwechſel gezogen: allein die Gewohn - heit Briefe mit ihm zu wechſeln, und der loͤbliche Endzweck den Sie dabey haben, wird nicht allein alles entſchuldigen was ſonſt unanſtaͤndig waͤ - re, ſondern auch eine Neigung machen. Jch rathe Jhnen ſo lieb es Jhnen iſt, in einer ſoG 3ſchwe -102Die Geſchichteſchweren Sache eine Probe von der Klugheit zu geben, die alle Jhre uͤbrige Handlungen regieret, daß Sie ſich vor einer genauen Unterſuchung aller der wahren und eigentlichen Quellen nicht ſcheuen wollen, aus denen Jhre großmuͤthige und recht edle Geſinnung gegen dieſen gluͤcklichen Herrn ge - floſſen iſt. Jch glaube gewiß, daß Sie finden wer - den, die eigentliche Quelle ſey nichts anders als Liebe. Fuͤrchten Sie ſich vor dem Worte nicht! Hat nicht Herr Lovelace ſelbſt ſo viel Einſicht in dieſe Philoſophie, daß er Jhrer Baſe der Frau Hervey die Anmerckung geben koͤnnen: es pflege die Liebe in den ſtandhafteſten Gemuͤthern am tief - ſten zu wurtzeln? Der Hencker hole ſeine Einſich - ten, und ſeinen verſchmitzten Kopf! Es ſind ſchon ſechs oder ſieben Wochen, da er dieſes geſagt und gemerckt hat.

Sie wiſſen, daß ich aus Erfahrung rede. Bey der allergenaueſten Pruͤfung habe ich die Zeit doch nicht beſtimmen koͤnnen, in der meine Kranckheit ihren Anfang nahm: Allein haͤtte ich nicht den Rath von Jhnen damals bekommen, den ich ihnen jetzt wieder gebe, ſo wuͤrde ich (wie man ſagt) ſterblich verliebt geworden ſeyn. Und doch war mein Freyer nur halb ſo: ſo? was denn, mein Schatz? was meine ich wol, wie iſt er nicht geweſen? Jn der That Lovelace iſt ein Liebenswuͤrdiger junger Herr: auch deñ waͤre er ſchon liebenswuͤrdig, wenn er Jhr eintziger Freyer waͤre. Jch will Sie nicht verliebt machen, wenn Sie meinen Brief le - ſen. Nein in der That nicht. Finden Sie abernicht103der Clariſſa. nicht eben bey Durchleſung dieſer Zeilen eine un - gewoͤhnliche Empfindung, die macht, daß Jh - nen eine Roͤthe ausbricht, und daß ihr Hertz ſtaͤr - cker ſchlaͤget? Es iſt nichts als Grosmuth, mein Kind, von der Jhnen das Hertz pochen wird! Allein ich dencke das, was der Roͤmiſche Wahrſager zum Caͤſar ſprach: huͤte dich vor dem funfzehenten Mertz!

Leben Sie wohl, und verzeihen mir mein freyes Schreiben. Gebrauchen Sie ſich bald des gruͤ - nen Ganges, um die Vergebung anzukuͤndigen

Jhrer ergebenſten Anna Howe.

Der eilffte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe / an Fraͤulein Howe.

Das Ende ihres letzten Briefes hat mich verun - ruhiget, und iſt mir etwas empfindlich ge - weſen. Als ich es das erſte mahl uͤberlaß, ſo ſag - te ich zu mir ſelbſt: du haſt es in einem Brief an deine allerbeſte Freundin fuͤr unnoͤthig gehalten, die Worte mit Fleiß ſo abzuwaͤgen, daß ſie zu kei - nem Tadel Gelegenheit geben moͤchten. Allein ich faßte mich bald wieder, und dachte, es koͤnne viel - leicht etwas mehreres als die Loſigkeit einer ſo muntern Feder dieſen Theil Jhres Briefes veran -G 4laſſet104Die Geſchichtelaſſet haben, ich moͤchte vielleicht eine Unvorſich - tigkeit begangen haben: und ich entſchloß mich, eine genaue Pruͤfung meiner ſelbſt anzuſtellen. Jch habe aber nichts von dem Schlagen des Her - tzens bey mir finden koͤnnen, deſſen Sie Erwaͤh - nung thun. Sie koͤnnen mir dis auf mein Wort glauben. Jch muß bekennen, daß die Stellen meines vorigen Briefes, bey denen Jhr Tadel entweder ſo luſtig oder ſo ernſtlich und ſtren - ge iſt, Jhnen eine recht bequeme Gelegenheit gege - ben haben, auf eine angenehme und artige Weiſe auf mich zu ſticheln. Es iſt wahr, ſie geben Gele - genheit dazu: und ich kan nicht begreiffen, wie mir eben der Kopf muß geſtanden haben, als meine Feder ſo wunderlich geſchrieben hat.

Allein ich bitte Sie, hat der Ausdruck viel zu bedeuten, wenn man gegen keinen eine beſonde - re Neigung hat, und man ſagt, man gebe eini - gen einen Vorzug vor andern? Jſt es unrecht, wenn man ſchreibt, man gebe denen den Vorzug, denen unſre Anverwandten Grobheiten erzeiget haben, und die um unſertwillen dieſe Grobheiten verſchmertzt haben, die ſie ſonſt raͤchen wuͤrden? Jch kan ja ohne Suͤnde ſagen: Herr Lovelace verdient den Vorzug vor Herrn Solmes, und ich ziehe ihn auch wircklich Hernn Solmes vor. Al - lein hieraus folget noch keinesweges, daß ich in ihn verliebt ſeyn muͤſſe.

Jch moͤchte in der That nicht gern in ihm ver - liebt ſein: ich wolte die Welt nicht dafuͤr neh - men! Denn erſtlich habe ich eine ſehr ſchlechteMie -105der Clariſſa. Meinung von ſeiner Tugend; und ich verdencke es allen den meinigen, meinen Bruder ausgenom - men, daß ſie ihm einen Zutritt in unſer Haus ver - ſtattet haben, der ihm einige Hoffnung geben konte, ohne daß[wir] Recht gehabt haͤtten, ihm ſeine Aus - ſchweifungen vorzuhalten, weil die Hoffnung noch ſehr entfernt war. Zum andern glaube ich, daß er ein eingebildeter Menſch iſt, und wenigſtens bey ſich ſelbſt und heimlich triumphirt, wenn er ein Hertz beſieget zu haben glaubt. Zum dritten ſcheint ſeine Beſtaͤndigkeit und Ehrerbitung, wel - che Sie in Jhrem letztern Briefe ruͤhmen, et - was hochmuͤthiges an ſich zu haben, gerade als wenn man ihm dafuͤr dancken muͤßte, daß er ſich um unſre Gunſt bewuͤrbe, und als wenn das Hertz eines Frauenzimmers durch ſeine Be - werbung um ſie ſchon zum voraus bezahlt waͤre. So bald er nicht auf ſeiner Huth iſt, ſcheint er ſo zu handeln, als waͤre ſeine Hoͤflichkeit nur etwas uͤberfluͤßiges, dazu ihm blos ſein Herkommen und gute Erziehung, und vielleicht die Erziehung mehr als ſeine eigene Wahl, verbinden. Es hat recht das Anſehen, als ſolte es nur eine herabgelaſſene Hoͤflichkeit einer hoͤhern Perſon ſeyn. Sie ſcheint etwas verborgenes und gezwungenes an ſich zu haben, das man deſto ſorgfaͤltiger bemercken muß, weil ihm ſonſt alles ſo gut anſtehet, und er in allen Dingen ſo natuͤrlich und ungezwungen iſt. Endlich ſo freundlich er gegen fremde Be - dienten thun kan, daß ſeine Freundlichkeit ſo gar bisweilen eine Vertraulichkeit zu werden ſcheint,G 5die106Die Geſchichtedie jedoch weil ſie etwas vornehmes an ſich hat, nach Jhrem Urtheil einem Mann von Stande nicht unanſtaͤndig iſt; ſo zornig kan er auf ſeine ei - gene Bediente ſeyn. Ein Fluch entfaͤhrt ihm dann und wann; und man kan den Bedienten an den Augen abſehen, daß ſie ſich erſchrecken, und daß er ſchlimmer mit ihnen umgegangen ſeyn wuͤrde, wenn ich nicht zugegen geweſen waͤre. Er ſelbſt pflegt auch ein Geſichte dazu zu machen, das einen in dieſer Vermuthung beſtaͤrckt.

Wahrhaftig, mein Schatz, er iſt kein Mann fuͤr mich. Jch habe viel gegen ihn einzuwenden. Um ſeinetwillen wird mein Hertz nicht ſchlagen; und ich werde im Geſicht nicht roth werden, es waͤre denn aus Unwillen gegen mich, daß ich Jh - nen Gelegenheit gegeben habe, dieſen Verdacht auf mich zu werffen. Allein, meine allerliebſte Freundin, Sie muͤſſen aus einer Danckbarkeit, die man jederman ſchuldig iſt, nicht gleich Liebe machen. Dieſer Gedancke iſt mir unertraͤglich. Solte ich aber je ſo ungluͤcklich ſeyn, davon uͤber - zeuget zu werden, daß es dennoch Liebe geweſen, ſo verſpreche ich Jhnen auf mein Wort, das iſt bey mir ſo viel als auf meine Ehre, daß ich es Jhnen nicht verheelen will.

Sie verlangen daß ich den gruͤnen Gang bald ſuchen ſoll, um Jhnen die Verſicherung zu geben, daß ich Jhren artigen Schertz nicht uͤbel nehme. Jch will daher dieſen Brief gleich ſchlieſſen: und ver - ſpare die Nachricht von den Bewegungs-Gruͤnden der meinigen, den Antrag des Herrn Solmes mitſo107der Clariſſa. ſo vieler Hefftigkeit durchzutreiben, auf mein kuͤnfftiges Schreiben. Seyn ſie indes verſichert, daß ich Jhren Brief nicht uͤbel aufnehme: ich dancke Jhnen vielmehr von Hertzen fuͤr Jhre treuen und freundſchaftlichen Erinnerungen und War - nungen, ja ich bitte Sie, wie ich Sie ſchon oft ge - beten habe, mir es deutlich zu ſagen, wenn Sie einen Fehler an mir gewahr werden, den Jhre par - theyiſche Liebe und Zuneigung zu mir gegen an - dere entſchuldigen und bemaͤnteln wuͤrde. Denn ich wollte auch dem Feinde nicht gern Gelegen - heit geben, uͤbel von mir zu urtheilen. Wie ſoll ich mich aber behutſam genug auffuͤhren, wenn meine beſte Freundin mir nicht[bisweilen] einen Spiegel vorhalten, und mir meine Maͤngel entdecken will?

Faͤllen Sie nun ein ſo unpartheyiſches Urtheil uͤber mich, als ein Fremder faͤllen wuͤrde, der eben die Umſtaͤnde wuͤßte, die Jhnen bekant ſind. Viel - leicht wird mir ihr Urtheil zu Anfang weh thun: vielleicht werde ich erroͤthen, daß ich Jhrer Freundſchaft unwuͤrdiger bin, als ich zu ſeyn ge - wuͤnſcht und gehofft habe: allein Jhre guͤtigen Erinnerungen werden mich doch gewiß zum Nach - dencken bringen, und ich werde mich beſſern. Thue ich dieſes nicht, ſo ſollen Sie mich wegen eines ſo groſſen Vergehens ſchelten, und ich werde keine Entſchuldigung haben. Wenn Sie mich dieſes Vergehens ſchuldig befinden und Sie ſcheltẽ mich nicht, ſo ſind Sie nicht eine ſo aufrichtige Freun - din von mir, als ich von Jhnen geweſen bin:denn108Die Geſchichtedenn ich habe Jhrer bey gleicher Gelgenheit nicht geſchont, wie Sie ſelbſt wiſſen.

Jch beſchlieſſe dieſen Brief um einen andern anzufangen. Jch verſichere nur noch, daß ich bin und ſtets ſeyn werde

Dero ergebenſte und danckbarſte Clariſſa Harlowe.

Der Zwoͤlfte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Wahrhaftig / Sie wollten nicht in Herrn Lovelace verliebt ſeyn! Jhre Die - nerin, mein Schatz! Jch wollte auch nicht gern, daß Sie es waͤren: denn ohngeachtet aller Vor - zuͤge, die ihm ſeine perſoͤnlichen Eigenſchaften, ſeine Guͤter und ſein Stand geben, glaube ich nicht daß er Jhrer auf einige Weiſe werth ſey. Dis iſt meine Meinung, ſo wohl um der Urſachen willen, die Sie ſelbſt erwaͤhnen, und die ich voͤllig fuͤr richtig halte, als auch wegen einer Nachricht die ich vor venigen Stunden von der Frau Forteſ - cue, einer Freundin der Lady Lawrance / ge - hoͤrt habe, die ihn ſehr genau kennet. Erlauben Sie mir anbey, Jhnen meinen ſchuldigen Gluͤckwunſch abzuſtatten, daß Sie das erſte mir bekannt gewor -dene109der Clariſſa. dene Frauenzimmer ſind, welches die Liebe, die ſonſt ein Loͤwe zu ſeyn pflegt, in ein Schoos - Huͤndchen hat verwandeln koͤnnen.

Sie wiſſen nichts von einem Schlagen des Hertzens / nichts von Roͤthe: Sie ſind nicht verliebt. Dis hat ſeinen hinlaͤnglichen Grund: denn Sie wollen / Sie haben ſich einmahl ent - ſchloſſen, nicht verliebt zu ſeyn. Was laͤßt ſich mehr von der Sache ſagen? Nur, mein Schatz, ich werde ſehr genau auf Sie Acht haben, und ich hoffe, Sie werden ſich ſelbſt eben ſo ſcharf ſeyn: denn es iſt noch kein Beweiß, daß man in der That nicht verliebt ſey, weil man nicht will verliebt ſeyn. Nur noch ein Wort Jhnen ins Ohr, mein allerliebſter Schatz, ehe ich gantz aufhoͤre von der Liebe zu ſchreiben, die ich Jhnen Schuld gebe. Die Vorſichtigkeit befielt uns zu glauben, und die gemeine Erfahrung beſtaͤrckt es, daß ein Zu - ſchauer beſſer von dem Spiel urtheilen koͤnne, als die Partheyen. Jſt es nicht moͤglich, daß Sie mit ſo wunderlichen Koͤpfen zu thun gehabt haben, daß Sie ſelbſt nicht darauf mercken koͤnnen, wenn Jhnen das Hertz ſtaͤrcker geſchlagen hat? Oder, da Jhnen das Hertz um zwey gantz verſchie - dener Urſachen willen hat ſchlagen koͤnnen, iſt es nicht moͤglich, daß Sie die gefuͤhlten Schlaͤge aus der unrichtigen Urſache hergeleitet haben?

Sie moͤgen Herrn Lovelace hoch ſchaͤtzen, odeꝛ nicht; ſo werden Sie doch nun ſchon ungeduldig ſeyn, daß ich noch nichts von meiner Unterredung mit Frau Forteſcue gemeldet habe. Jch will Sie nicht laͤnger in Zweifel halten.

Sie110Die Geſchichte

Sie weiß hundert wilde Streiche von ſeiner Kindheit an, bis in ſein erwachſenes Alter: denn ſie ſagt, weil ihm niemand durch den Sinn gefah - ren waͤre, ſo haͤtte er eine Menge poßirlich und albern Zeug angefangen, und waͤre eine rechte Meer-Katze vom Jungen geweſen. Jch will alle dieſe kindiſche Schelmereyen uͤbergehen, obgleich ſich viel daraus ſchlieſſen laͤßt: und will nur ei - nige Jhnen theils bekante theils unbekante Nach - richten aus ihrem Munde erzehlen, und ein paar Anmerckungen daꝛuͤber machen.

Frau Forteſcue geſtehet das, was jedermann von ihm weiß, daß er ein Herr von ſehr luſtiger Lebens-Att ſey, und das er dieſes ſelbſt nicht leugne. Sie ſagt aber, wenn er ſich etwas angelegen ſeyn laſſe, oder etwas unternehme, ſo ſey kein fleißigerer und beſtaͤndigerer Menſch unter der Sonne zu finden als er. Er pflegt eben ſo wie Sie nur ſechs Stunden zu ſchlaffen. Schreiben, iſt ſein Ver - gnuͤgen: wenn er ſeinen Onckle, oder Lady La - wrance / oder Lady Sadleir beſucht, ſo findet man ihn immer mit der Feder in der Hand, ſo bald er ſich aus der Geſellſchaft wegbegeben hat. Einer von ſeinen beſten Bekannten hat ihr viel davon erzehlt, daß er gern ſchreibe, mit dem Zuſatz: die Gedancken floͤſſen ihm Stromweiſe in die Feder. Sie wiſſen, daß wir uns einige mahl daruͤber gewundert haben, daß er eine ſo ſchoͤne Hand hat, ob er gleich ſo geſchwinde ſchreibt. Er muß in der erſten Kindheit bereits einen un - vergleichlichen Kopf gehabt, und alles ſehr leichtgelernt111der Clariſſa. gelernt haben: denn ein ſo luſtiger und feuriger junger Menſch hat ſich gewiß nicht viel Muͤhe ge - geben, die Geſchicklichkeit zu erlangen, die er be - ſitzt, und die man ſelten bey jungen Herren von Stande und Vermoͤgen findet, ſonderlich bey de - nen, die ſo viel Willen gehabt haben, als er.

Als er einmal wegen ſeiner Geſchicklichkeit und wegen des ausnehmenden Fleiſſes gelobet ward, den er mit einer ſo luſtigen Lebens-Art ver - bindet, beging er die Schwachheit, ſich mit Ju - lius Caͤſar zu vergleichen, der des Tages uͤber groſſe Thaten gethan und ſie des Nachts aufge - zeichnet haͤtte. Er meynte ſo gar, es fehle ihm nichts als der erſte Auftrit / den Julius Caͤ - ſar in der Welt gehabt haͤtte: wenn er den nur haͤtte / ſo wollte er Aufſehens genug in unſerer Zeit machen. Er ſagte dieſes zwar als im Schertz: denn Frau Forteſcue machte eben die Anmerckung uͤber ihn, die wir ſchon gemacht haben, daß er die Kunſt beſaͤſſe, ſeine Prahlerey auf eine luſtige Weiſe zu erkennen und ſich ſelbſt damit aufzuziehen. Hiedurch entgeht er der Ver - achtung, die ſonſt auf Prahlerey und Eigenliebe zu folgen pflegt: und zugleich macht er doch an - dern bey nahe weiß, daß er in der That den Ruhm verdiene, den er ſich nur im Schertz giebt.

Jch will ſetzen, daß dieſer Ruhm wahr ſey, und daß er die Stunden, die er vom Schlaf ab - brechen kan, zum ſchreiben anwendet: ſo moͤch - te ich doch wiſſen, was er fuͤr Materie zum ſchrei - hen hat. Schreibt er ſeine eigenen Thaten auf,wie112Die Geſchichtewie Julius Caͤſar: ſo muß er gewiß ein ſehr gottloſer Menſch ſeyn, und ſich viel unerlaubtes unterſtehen. Denn niemand hat ihn im Verdacht, daß ernſthafte und gute Handlungen ein angeneh - mer Zeitvertreib fuͤr ſein wildes Gemuͤth ſeyn. So anſtaͤndig ſein Betragen in Geſellſchaft iſt, ſo glaube ich doch nicht, daß ſeine Papiere ihm zu Ehren und andern zum Beſten gereichen moͤchten, wenn ſie ſollten geleſen werden. Er muß dieſes ſelbſt wiſſen: denn Frau[Forteſcue] erzehlet: daß er ohngeachtet ſeines ſtarcken Briefwechſels doch mit ſeinen Briefen ſo heimlich ſey, als wenn lau - ter Hoch-Verrath darin enthalten waͤre: und den - noch zerbraͤche er ſich den Kopf nie uͤber Staats - Sachen, ob er gleich die Abſichten der Hoͤfe ſehr genau habe kennen lernen.

Es iſt kein Wunder, mein Schatz, wenn wir beyde am Schreiben Vergnuͤgen finden, da wir, ſo bald wir nur eine Feder in der Hand halten konten, uns ſtets durch einen angenehmen Brief - wechſel die Stunden verkuͤrtzt haben. Wir ha - ben mit haͤußlichen Sachen zu thun: und wir koͤn - nen das Papier mit hundert unſchuldigen Dingen verderben, die uns deswegen angenehm ſcheinen, weil ſie unſchuldig ſind, ob ſie gleich andern weder zum Nutzen noch Vergnuͤgen gereichen wuͤrden, wenn ſie in fremde Haͤnde fielen. Aber das iſt mir unbegreiflich, daß ein lebhafter junger Herr, der gern reitet, jaget, reiſet, ſich bey oͤffentlichen Luſtbarkeiten befindet, und die Mittel hat, ſich ein Vergnuͤgen zu machen, dennoch etliche Stundenan113der Clariſſa. aneinander ſtille ſitzen und ſchreiben kan, wie er nach ſeiner eigenen Erzehlung oͤfters thut.

Frau Forteſcue erzehlte noch ferner: er ſey vollkommen Meiſter von der abgebrochenen Schreib-Art. Was koͤnte doch einer, der ohne - hin ſo geſchwind ſchreibt als er, fuͤr Urſachen haben, noch die abgebrochene Hand zu lernen?

Sie ſagt: er habe ein erſtaunendes Gedaͤcht - niß, und eine ſehr lebhafte Einbildungs-Kraft: davon wir auch ſchon Proben gehabt haben.

Jndeſſen, was er auch ſonſt fuͤr Laſter haben mag, ſo ſagt Frau Forteſcue von ihm, was ihm jederman nachruͤhmet: daß er ſich nie im Trunck uͤbernehme. Unter ſeine uͤbeln Eigenſchaften ge - hoͤrt das Spielen nicht mit, dadurch andere Zeit und Gut verſchwenden. Seine Ueberlegung kan demnach ſo reif, und ſein Verſtand ſo aufgeklaͤrt ſeyn, als es irgend ſein noch junges Alter und ſei - ne natuͤrliche Munterkeit zulaͤßt: und weil er des Morgens ſehr fruͤh aufſtehet, muß er viel Zeit uͤbrig behalten, die er mit Schreiben oder mit aͤrgern Beſchaͤftigungen zubringen kan.

Frau Forteſcue ſagt: daß er ſonderlich mit ei - nem Herrn ſehr genau bekannt ſey, und mit ihm einen ſehr vertrauten Brief-Wechſel unterhalte. Jhnen wird hiebey die Nachricht einfallen die der abgedanckte Paͤchter von ihm und ſeinen guten Freunden gegeben hat. Je mehr ich von ihm in Erfahrung bringe, deſto richtiger befinde ich alles, was dieſer Mann von ihm geſagt hat. Auch darin ſtimmet Frau Forteſcue mit jenemErſter Theil. HPaͤchter114Die GeſchichtePaͤchter uͤberein, daß ſich ſeine Anverwandten ſehr vor ihm fuͤrchten, und daß ſein Hochmuth ihm nicht zulaſſe, einige Gefaͤlligkeiten von ihnen an - zunehmen, dadurch er ihnen verpflichtet wuͤrde. Sie glaubt, daß er von Schulden gantz frey ſey, und auch kuͤnftig keine wieder machen wer - de: ohne Zweifel um eben der Urſache willen, die ihn abhaͤlt, ſeinen Verwandten einigen Danck ſchuldig zu ſeyn.

Wer geneigt iſt, das Beſte von ihm zu den - cken, der wird ſagen: Ein braver / gelehrter und fleißiger Herr koͤnne unmoͤglich von Natur laſterhaft ſeyn. Allein wenn er beſſer iſt, als ſeine Feinde ſagen, (iſt er ſchlimmer, ſo iſt er wahrhaftig ſchlimm genung) ſo iſt er deswegen nicht zu ent - ſchuldigen, daß er fuͤr ſeine Ehre ſo unbeſorgt iſt. Nur zwey Urſachen koͤnnen hievon angegeben wer - den: Entweder ſein Gewiſſen muß ihm ſagen, daß es wahr ſey, was man ihm boͤſes nachre - det; oder er muß eine Ehre darin ſuchen, daß er fuͤr laſterhaft gehalten wird. Sowol dieſes als jenes iſt eine ſchlimme Anzelge. Das erſte zei - get ein gantz ruchloſes Gemuͤth an, und in dem zweyten Fall muß man den Schluß machen, daß er ſich nicht ſchaͤmen werde, daß zu begehen, wenn er Gelegenheit hat, was er ſich nachſagen zu laſſen, nicht ſchaͤmet.

Alles zuſammen genommen, was wir ſonſt wiſſen, und was ich von Frau Forteſcue gehoͤrt habe, ſo muß Lovelace ein ſehr laſterhafter Menſch ſeyn. Wir beyde haben die Meynung von ihmge -115der Clariſſa. gehabt, daß er viel zu luſtig, viel zu unbedaͤchtig und wild, und viel zu wenig ein Heuchler ſey, als daß man ihn nicht ſolte ausforſchen koͤnnen. Sie ſehen, daß er ſeinen natuͤrlichen Hochmuth nie - mals verborgen hat, und wen̄ ſich Jhr Bruder un - gebuͤhrlich gegen ihn aufgefuͤhret hat: wen er eini - ger Verachtung werth haͤlt, den bezahlt er mit der aͤuſſerſten Verachtung, und er iſt nicht einmal ſo hoͤflich geweſen, daß er Jhres Herrn Vaters Bruͤ - der geſchonet haͤtte. Er mag aber auch noch ſo tief und unergruͤndlich ſeyn, ſo wuͤrden Sie ihn doch bald ausforſchen, wenn man Sie nur han - deln lieſſe, wie Sie ſelbſt wollten. Sie wuͤrden ſeinen eitelen Hochmuth als einen Schluͤſſel zu ſei - nem Hertzen gebrauchen koͤnnen. Jch habe nicht leicht einen Menſchen geſehen, der lieber geprahlt hat; und doch kommt nicht leicht jemand mit ſei - ner Prahlerey gluͤcklicher durch als er, welches auch Frau Forteſcue anmerckte. Jn ſeinen Prahle - reyen herrſcht ein lebhafter und luſtiger Schertz: ein anderer wuͤrde unertraͤglich ſeyn, wenn er nur halb ſo viel von ſich ſelbſt ſpraͤche, als er zu thun pfleget, ſo oft er dazu aufgeraͤumt iſt.

Wenn man von dem Wolfe redet / ſo kuckt er durch die Hecken. Der muntere Schelm hat mich beſucht, und iſt eben weggegangen. Er iſt voll Ungedult und Rachgier, daß man mit Jh - nen ſo uͤbel umgehet, und voller Furcht, daß Sie ſich doch endlich werden uͤbertaͤuben laſſen. Jch ſagte Jhm meine Meynung, daß Sie niemals anH 2einen116Die Geſchichteeinen ſolchen Menſchen, als Solmes iſt, nur dencken wuͤrden, und daß Sie ſich vermuthlich mit Jhren Verwandten vergleichen wuͤrden, weder jenen noch ihn zu nehmen.

Er antwortete, er glaube nicht, daß jemahls ein Mann von ſeinen Mitteln und Stande ſo wenig Gunſt von einem Frauenzimmer habe erhalten koͤnnen, um deren willen er doch ſo viel ausgeſtanden haͤtte.

Jch ſagte ihm ſo frey, als ich zu thun pflege, meine Meynung[.]Allein, wer wird ſich ſelbſt Unrecht geben? Er beklagte ſich, daß man Spio - nen ausgeſchickt habe, die ſich nach ſeinen Um - ſtaͤnden und Auffuͤhrung haͤtten erkundigen muͤſ - ſen, und daß dieſes Jhr Bruder und Jhres Herrn Vaters Bruͤder gethan haͤtten.

Jch ſagte: dieſes koͤnnte ihn nicht anders, als ſehr verdrieſſen, weil vielleicht beydes in der Pruͤfung ſchlecht beſtehen wuͤrde. Er antwortete mit laͤcheln: Gehorſamer Diener! Die Gelegen - heit war zu gut, als daß Fraͤulein Howe / die meiner nie geſchont hat, ſie vorbey gehen laſſen ſollte: Aber GOtt ſey den armen Seelen gnaͤ - dig! Koͤnnen ſie es wohl glauben? Sie hoffen an mir zu Schelmen zu werden. Sie moͤgen ſich in Acht nehmen, daß ich ſie nicht mit baarer Muͤntze bezahle. Jhr Hertz iſt zu dergleichen Raͤncken aufgelegter, als ihr Kopf.

Jch fragte ihn: machen ſie ſich etwan eine Ehre daraus, daß ihr Kopf beſſer zu ſolchen Raͤncken aufgelegt iſt?

Er117der Clariſſa.

Er zog zuruͤck, und that weiter nichts, als daß er von ſeiner Ehrfurcht und Liebe gegen Sie redete. Der Gegenſtand derſelben iſt ſo vortreff - lich, daß ich keinen Zweifel in ſeine Betheurun - gen ſetzen kann.

Leben Sie wohl, meine wertheſte und vortreff - liche Freundin. Jch liebe, und bewundere Sie mehr, als ich es ausdruͤcken kan, wegen des recht edlen Schluſſes ihres letzteren Briefes. Jch fing dieſen Brief mit einem ausgelaſſenen Schertz an, weil ich weiß, daß Sie meiner Thorheit viel zu gute halten. Aber nie iſt ein Hertz mehr von der zaͤrtlichſten Liebe angefeuret worden, als das Hertz der

Jhnen gantz eigenthuͤmlichen Anna Howe.

Der dreyzehente Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe /

Jch ergreiffe die Feder wieder, um Jhnen die Urſachen zu berichten, die alle meine Ver - wandten bewogen haben, den Antrag des Herrn Solmes mit ſo groſſer Hefftigkeit zu unterſtuͤ - tzen.

H 3Jch118Die Geſchichte

Jch werde in die vergangene Zeit zuruͤckgehen muͤſſen, um dieſe Sache ins Licht zu ſetzen; und vielleicht ſind Jhnen einige Umſtaͤnde ohnehin be - kannt, die ich um des Zuſammenhanges willen anfuͤhren muß. Mein jetziges Schreiben kan eine Ergaͤntzung deſſen ſeyn, was ich in meinen Brie - fen vom 15ten und 20ten Jan. ausgelaſſen habe.

Jch ſehe aus dem kurtzen Auszuge, den ich von dieſen Briefen behalten habe, daß ich Jhnen be - reits von der Unverſoͤhnlichkeit meines Bruders und meiner Schweſter Nachricht gegeben habe, wie auch von den mir bekannt gewordenen Kuͤn - ſten, dadurch ſie ihn bey meinen uͤbrigen Verwand - ten anzuſchwaͤrtzen geſucht haben. Jch habe unter andern gemeldet, daß ſie ſich zu Anfang kaltſinnig gegen ihn bewieſen haben, doch ohne ihn eigentlich zu beleidigen: und daß ſie auf einmahl heftiger ge - worden, und ihm auf das ſchimpflichſte begegnet ſind, bis zuletzt die ungluͤckliche Schlaͤgerey zwi - ſchen ihm und meinem Bruder erfolget iſt.

Jn meiner letzten Unterredung mit meiner Mut - ter Schweſter habe ich erfahren, daß dieſe unver - muthete Veraͤnderung in der Auffuͤhrung meines Bruders und meiner Schweſter nicht aus einer alten Univerſitaͤts-Feindſchafft, oder aus verach - teter Liebe, ſondern aus andern und ſtaͤrckern Urſa - chen herzuleiten iſt, nemlich aus einer Beyſorge, daß meines Vaters Bruͤder dem Beyſpiel meines Grosvaters in Abſicht auf mich zu folgen geneigt ſeyn moͤchten, und daß ſie wenigſtens mehr thun moͤchten, als mein Bruder und Schweſter wuͤnſch -ten.119der Clariſſa. ten. Es ſcheinet, daß dieſe Furcht aus einer Un - terredung zwiſchen meines Vaters Bruͤdern, mei - nem Bruder, und meiner Schweſter entſtanden ſey. Frau Hervey hat mir davon im Vertrauen Nachricht gegeben, mich um deſto eher dahin zu vermoͤgen, daß ich die von Herrn Solmes vorge - ſchlagenen unvergleichlichen Bedingungen anneh - men moͤchte. Sie haͤlt mir unter andern vor, daß ich meines Bruders und meiner Schweſter Abſichten zunichte machen, und meines Vaters, und meiner Onckles Wohlgewogenheit unverruͤckt behalten koͤnnte, wenn ich nur zu rechter Zeit gegeñ ſie ge - faͤllig ſeyn wollte.

Jch will Jhnen den Jnhalt ihrer Erzaͤhlung mittheilen, wenn ich vorher ein paar Anmerckun - gen werde gemacht haben, die vielleicht Jhrenthal - ben nicht noͤthig waͤren, wenn ſie nicht der Zuſam - menhang meiner Erzaͤhlung erfoderte.

Sie wiſſen ſchon, worauf alle Abſichten der meinigen gerichtet ſind, nemlich darauf, daß wir unter den Geſchlechten des Koͤnigreichs ei - nen Platz bekommen moͤgen: ein Ausdruck, der unſerer Familie, die doch auch nicht ſchlecht oder neu iſt, ſonderlich von meiner Mutter Seite, wenig Ehre bringt. Jndes iſt es die gewoͤhnliche Abſicht bemittelter Familien, die ohne Rang und Titel nicht vergnuͤgt ſeyn koͤnnen. Meines Vaters Bruͤder hatten die Abſicht, ein jedes von uns drey Kindern unter dem hohen Adel zu ſehen: denn ſie meinten, da ſie ſelbſt unverheyrathet waͤren, ſo koͤnnten ſie uns ſo wohl verſorgen, und ſo vor - theilhaft verheyrathen, daß wenigſtens unſereH 4Nach -120Die GeſchichteNachkommen dereinſt den erſten Rang in dem Koͤnigreich erlangen moͤchten. Hingegen glaubte mein Bruder, als der einzige Sohn, wir beyden Maͤdchens waͤren uͤberfluͤßig reichlich bedacht, wenn ein jedes zehn oder funfzehn tauſend Pfund mit bekaͤme: und ſo wuͤrden die liegenden Gruͤnde der Familie, die mein Grosvater, mein Vater und deſſen Bruͤder beſaͤſſen, nebſt dem was noch ſonſt an Barſchafft nach Abzug der uns zugedachten funfzehntauſend Pfund uͤbrig blieb, mit dem Gu - te ſeiner Pathe, darauf er die Anwartſchafft hat - te, zuſammen genommen, ſo viel ausmachen, und ihm ſo viel Anſehen und Freundſchaft erwerben, daß er hoffen koͤnnte ein Lord zu werden. Denn ohne dieſen Titel konnte ſein Ehrgeitz nicht befrie - diget werden.

Bey dieſer Abſicht that er ſchon zum voraus gantz vornehm. Er ließ ſich mercken: daß ſein Grosvater und ſeines Vaters-Bruͤder nichts anders als ſeine Haushalter waͤren, die er ſich nie beſſer wuͤnſchen moͤchte. Die Toͤchter waͤren nur eine Laſt der Familien: ſie waͤren der Abzug vom Capital. Er hatte ſonderlich einen nieder - traͤchtigen Ausdruck oft im Munde, und ſchien ſich, ſo oft er ihn vorbrachte, ſo wohl zu gefallen, als ir - gend Leute thun koͤnnen, die andern ihre gluͤckli - chen Einfaͤlle mittheilen: wer nemlich, Soͤhne erzoͤge, der futterte Huͤner auf ſeinen Tiſch: (ich fragte ihn einmahl: ob er ihnen auch endlich den Hals abſchneiden muͤßte, damit das Gleichniß ſich recht ſchicken moͤchte?) die Toͤchter aber waͤ -121der Clariſſa. waͤren Huͤner fuͤr anderer Leute Tiſch. Er pfleg - te noch die hoͤfliche Anmerckung dazu zu ſetzen: Man muͤſſe die Guͤter der Familien mit in den Kauf geben, damit ſie nur jemand nehmen moͤch - te. Dieſer Ausdruck pflegte meine aͤltere Schweſter gantz auſſer ſich zu ſetzen: und ob es gleich ſcheint, daß ſie jetzt dafuͤr haͤlt, es koͤnne nur die juͤngſte Schweſter eine Laſt der Familie ſeyn, ſo trug ſie mir doch damahls oft an, eine Parthey in unſerm Hauſe gegen die unerſaͤttlichen Abſichten meines Bruders zu machen. Jch wollte aber ſei - ne freyen Reden blos fuͤr einen luſtigen Schertz anſehen, und ſagte, es waͤre mir lieb, einen jungen Menſchen, der ſelten aufgeraͤumt ſey, einmahl ſchertzen zu hoͤren: oder hoͤchſtens hielt ich ſie fuͤr eine Schwachheit, die man nicht mit Unwillen ſondern mit Auslachen abweiſen muͤßte.

Mein Bruder ward ſehr ungehalten auf mich, als das Teſtament meines Grosvaters einen Theil der Guͤter, die er ſchon in Hoffnung beſaß, ver - aͤuſſert hatte: denn der Theil des Teſtament in welchem er mich bedacht hatte, war vorhin gantz unbekannt, und ich ſelbſt hatte nichts davon ge - wuſt. Es iſt wahr, niemand war voͤllig mit die - ſem Willen meines Grosvaters zufrieden. Denn ob ich gleich bey allen beliebt war, ſo meinten doch Vater, Onckles, Bruder, Schweſter ins - geſamt, ſie waͤren mir als dem juͤngſten Kinde nachgeſetzt, und es waͤre wenigſtens ihren Rech - ten zu nahe getreten, und ihnen die Haͤnde gebun - den, daß ſie nicht mit dem Gute thun koͤnnten wasH 5ſie122Die Geſchichteſie wollten. Und wer wuͤnſcht ſich nicht die Macht, das was er fuͤr das ſeinige angeſehen hat wenig - ſtens ſelbſt verſchencken oder vermachen zu koͤnnen. Auch meinem Vater war es unertraͤglich, daß ich nun vor mich ſolte leben koͤnnen, und ſeiner ſo zu reden nicht noͤthig haͤtte: denn freylich machte mich der Wille meines Grosvaters gantz frey und ungebunden, da mir das Gut mit voͤlliger Gewalt uͤbergeben ward, und ohne daß ich jemand Rechen - ſchafft davon ſchuldig ſeyn ſollte. Daß dieſes die Meinung des Teſtaments ſey, erkannten da - mahls alle die meinigen.

Damit ich nun allen Verdruß vermeiden moͤchte, ſo uͤbergab ich nicht nur das Gut der Aufſicht und Verwaltung meines Vaters, ſondern auch das mir vermachte Geld, welches die Haͤlfte des Gel - des war, das mein Grosvater bey ſeinem Tode baar in ſeinem Hauſe hatte; denn die andere Haͤlf - te hatte er an meine Schweſter vermacht. Jch wollte mit dem vergnuͤgt ſeyn, was mir mein Va - ter aus bloſſer Guͤtigkeit wuͤrde zuflieſſen laſſen, und ich verlangte nicht einmahl eine Zulage zu meinem Taſchen-Gelde. Jch meinte, daß ich allen Neid gleichſam eingewiget haͤtte: allein mein Bruder und meine Schweſter wurden, wie ich nun einſehe, nur noch neidiſcher auf die Liebe die meines Vaters Bruͤder auf mich wurfen, und auf das Vergnuͤgen, das ſie und mein Vater we - gen der von meinem Gehorſam gegebenen Pro - be bezeugeten. Bey aller Gelegenheit waren ſie alſo bereit, mir heimlich Verdruß zu erwecken. Jch123der Clariſſa. Jch ließ mich aber dis nicht ſehr anfechten: denn ich meinte, nachdem die Urſache aus dem Wege geraͤumet waͤre, die ſie hatten auf mich neidiſch zu ſeyn, ſo waͤre alles nur eine Frucht des Muth - willens, der meinem Bruder und meiner Schwe - ſter ſo natuͤrlich iſt.

Bald darauf erbte mein Bruder das Gut ſei - ner Pathe. Das war fuͤr uns alle ein Gluͤck: und noch ein groͤſſeres Gluͤck war es, daß er nach Schottland reiſete, um es in Beſitz zu nehmen, und eine ſo angenehme Urſache hatte lange auszu - bleiben. Der Lord M. that darauf den Antrag wegen meiner Schweſter; und das war ein aber - mahliges Gluͤck von kurtzer Dauer fuͤr uns alle, denn meine Schweſter war damahls auſſerordent - lich aufgeraͤumet, wie ich Jhnen ſchon gemeldet habe.

Sie wiſſen, wie es mit dieſem Vorſchlage abge - lauffen, und was an deſſen Stelle gekommen iſt.

So bald mein Bruder aus Schottland zuruͤck - gekommen war, ſo war alles wieder uneinig. Mei - ne Schweſter Arabella wuſte ſich[gegen] meinen Bruder anzuſtellen, als wenn ſie Herrn Love - lace wegen ſeines unordentlichen Lebens abſchlaͤ - gige Antwort gegeben haͤtte. Dieſes vereinigte meinen Bruder und meine Schweſter, daß ſie wieder mich gemeinſchaftliche Sache machen kon - ten. Sie gaben ſich Muͤhe, Herrn Lovelace und ſo gar ſeine Familie (welche doch gewiß alle Hochachtung verdient) bey jeder Gelegenheit her - unter zu ſetzen und veraͤchtlich zu machen. Die -ſes124Die Geſchichteſes veranlaſſete einigen Wortwechſel zwiſchen ih - nen und meines Vaters Bruͤdern. Jch will Jh - nen den kurtzen Jnhalt desjenigen melden, was meines Vaters Bruͤder damals geſagt haben ſol - len, und nur noch erinnern, daß dieſe Unterredung kurtz vor der Schlaͤgerey meines Bruders, und gleich nachher vorgefallen iſt, nachdem ſich mein Bruder wegen der Umſtaͤnde des Herrn Lovelace erkundigt, und eine beſſere Nachricht, als ihm lieb war, ſeinetwegen eingezogen hatte.

Mein Bruder und meine Schweſter zogen heftig auf Hrn. Lovelace loos, und fuͤgten einige neue Erzaͤhlungen, die ihm zu ſchlechtem Ruhm gereich - ten, als einen Beweis zu ihren Laͤſterungen gegen ihn hinzu. Nachdem mein Onckle Anton ſie gedul - dig ausgehoͤꝛt hatte, eꝛwiedeꝛte er: er glaube dieſer Cavallier fuͤhre ſich auf / wie ſichs fuͤr einen Cavallier gebuͤhre: und Claͤrchen bewieſe ſich recht verſtaͤndig. Er haͤtte ihnen ſchon oft geſagt, daß man keine erwuͤnſchtere Par - they ausdencken koͤnnte / wenn man auf die Ehre der Familie ſehen wollte. Herr Love - lace haͤtte von ſeinem Vater ſchoͤne Guͤter von denẽ ſelbſt ein Feind bezeuget haͤtte, daß keine Schulden darauf hafteten. Er ſcheine auch nicht ſo ſchlimm und laſterhaft zu ſeyn als man ihn gemeiniglich abmahlte. Er ſey zwar wild; allein es waͤren die Raſejahre bey ihm noch nicht vorbey: und er ſey verſichert, ſeines Bꝛudeꝛs Tochteꝛ wuͤꝛde keine Neigung zu ihm haben, wenn ſie nicht mit Grundglau -125der Clariſſa. glauben koͤnnte / daß er ſich gebeſſert haͤt - te / oder ſich wenigſtens durch ihr Exem - pel gewinnen laſſe und beſſern wuͤrde.

Meine Baſe erzehlet mir, daß er hiebey eine Probe von Herrn Lovelaces Grosmuth ange - fuͤhret habe, um zu beweiſen, daß er ſo ſchwartz nicht ſeyn koͤnnte, als man ihn vorzuſtellen pfieg - te, und daß er (wie mein Onckle es ausdruͤckte) etwas gleiches mit mir im Gemuͤth haͤtte. Mein Onckle ſtellete ihm nemlich einmal vor, daß ſeine Guͤter des Jahrs drey bis vier hundert Pfund mehr Pacht geben koͤnnten, und daß er dieſes von dem Lord M. gehoͤrt haͤtte. Er antwortete aber: ſeine Paͤchter haͤtten bisher die Pacht richtig be - zahlt: und er wollte bey der Gewohnheit ſeiner Familie bleiben, den alten Pachtern und ihren Kindern die Pacht nicht ſo aufzutreiben, daß ſie Bettler werden muͤſten. Er habe ſeine Freude daran, wenn alle ſeine Paͤchter dick und fett wuͤrden, und vergnuͤgt ausſaͤhen.

Jch ſelbſt habe eben dergleichen einmal aus ſeinem Munde gehoͤrt: und mir hat er nie beſ - ſer gefallen, als da er es ſagte, nur ein eintziges mahl ausgenommen.

Ein ungluͤcklich gewordener Paͤchter ſuchte bey meinem Onckle Anton um Nachſicht an, als Herr Lovelace eben zugegen war: er muſte aber mit einer abſchlaͤgigen Antwort weggehen. Herr Lovelace ſtellete hierauf ſeine Sache ſo gut und nachdruͤcklich vor, daß mein Onckle ihn wieder herein ruffen ließ, und ihm ſeine Bitte zugeſtand:darauf126Die Geſchichtedarauf folgte er ihm ohne viel Umſtaͤnde zu ma - chen bis auf den Vorſaal nach, und gab ihm vors erſte zu ſeiner Nothdurft zwoͤlf Thaler; denn der Mann hatte ſich verlauten laſſen, er habe alles in allem keine zwey Gulden mehr uͤbrig.

Bey dieſer Gelegenheit erzehlte Herr Lovelace ohne einigen Schein der Prahlerey das gute Werck, deſſen ich vorhin gedachte. Er ſahe einen alten Paͤchter mit ſeiner Frau ſehr ſchlecht gekleidet in der Kirche. Des andern Tages fragte er ihn um die Urſache eines ſo ſchlechten Aufzuges, weil er wuſte, daß der Mann keine ſchwere Pacht haͤtte. Er antworte: er habe in guter Meynung eine groſſe Thorheit begangen, die ihn ſo zuruͤck ge - bracht haͤtte, daß er die Pacht nicht wuͤrde haben bezahlen koͤnnen, wenn er ſich beſſer haͤtte kleiden wollen. Herr Lovelace erkundigte ſich, wie viel Zeit er etwan brauchte, um die Thorheit gut zu machen, und ſich wieder zu erholen. Der Paͤchter meinte: ohngefaͤhr zwey oder drey Jahr. Wohl! ſagte er: Jch will ihm ſieben Jahr lang alle Jahr fuͤnf Pfund an der Pacht erlaſſen / aber er ſoll es fuͤr ſich und ſeine Frau an - wenden / daß man des Sonntags an der Kleidung ſehen koͤnne / daß er mein Paͤch - ter iſt. Unterdeſſen nehme er dieſes weni - ge an (er zog fuͤnf Guineas aus der Taſche) um ſich gleich beſſer kleiden zu koͤnnen. Den kuͤnftigen Sonntag muß ich ihn und ſeine Frau als ein liebes Paar in der Kirche ſehen: und ich bitte ihn / daß er nachdem127der Clariſſa. dem Gottes-Dienſt bey mir vorlieb nimmt.

Dis gefiel mir ſehr wol, weil er in dieſer Handlung ſich freygebig und doch auch verſtaͤndig auffuͤhrte, und, wie mein Onckle ſehr richtig an - merckte, die jaͤhrliche Pacht des Gutes nicht her - unterſetzte. Dem ohngeachtet ſchlug mir das Hertz nicht dabey, und ich bekam keine Roͤthe ins Ge - ſicht. Sie koͤnnen mir auf mein Wort glau - ben. Aber das muß ich Jhnen geſtehen, daß ich heimlich zu mir ſagte: wenn es mein Verhaͤngniß waͤre, dieſen Mann zu kriegen, ſo wuͤrde er mich nicht abhalten mir durch Wohlthaten ein Ver - gnuͤgen zu machen. Es iſt Schade, daß ein Herr, der ſo viel gutes an ſich hat, nicht in allen Stuͤcken tugendhaft iſt.

Vergeben Sie mir, daß ich mich bey einem Ne - ben-Umſtande ſo weitlaͤufftig aufgehalten habe. Jch komme wieder auf die Unterredung meines Onckles mit meinen Geſchwiſtern: Er ſagte noch weiter: Herr Lovelace habe auſſer ſeinem Stamm-Gute noch ſehr ſchoͤne Erbſchaff - ten zu erwarten. Als er um Arabellen ange - halten / habe ihm der Lord M. geſagt / was ſowohl er ſelbſt als ſeine beyden Halbſchwe - ſtern fuͤr ihn zu thun geſinnet waͤren / um ihn deſto mehr in den Stand zu ſetzen / daß er ſich dereinſt dem Titel gemaͤß auffuͤh - ren koͤnnte / der durch den Tod des Lord M. verloͤſcht / und den ſie nachher auf ihn zu bringen hoffen. Ja ſie haͤtten nochgroͤſſere128Die Geſchichtegroͤſſere Abſichten / nemlich ihm den weit hoͤhern Rang und Titel zu verſchaffen / der verloſchen ſey / als der Vater ſeiner Halb - Schweſtern ohne maͤnnliche Erben geſtor - ben. Dieſe Abſicht machte eben / daß ſeine Verwandten ſo ernſtlich auf ſeine Vermaͤh - lung daͤchten. Er ſelbſt wuͤſte keine beſſere Parthey fuͤr Herrn Lovelace auszuſinnen: und unſere Familie haͤtte Mittel genug / den Staat drey vornehmer Haͤuſer davon zu fuͤhren. Er koͤnnte alſo nicht leugnen / daß er dieſe Vermaͤhlung ſehr gern ſehen wuͤrde: weil ihn Herrn Lovelaces Herkom - men und Mittel hoffen lieſſen / daß ſeine Claͤrchen dereinſt in den hohen Adel des Koͤnigreichs kommen koͤnnte. Bey dieſer Hoffnung (hier iſt die Wunde, die eben den em - pfindlichſten Ort getroffen hat) hielte er fuͤr dienlich / ſolche Anſtalten zu machen / daß ſich Claͤrchen ihrem Stande gemaͤß moͤchte auffuͤhren koͤnnen.

Der andre Bruder meines Vaters ſtimmet dieſen Abſichten vollkommen bey. Er ſagte: die uͤble Lebens-Art / welche man Herrn Love - lace ſchuld gebe / ſey das eintzige / ſo gegen ihn eingewendet werden koͤnnte. Denn ſonſt koͤnnte mein Vater genugſam fuͤr meinen Bruder und fuͤr meine Schweſter[ſorgen]; und mein Bruder haͤtte ohnehin ſchon ein anſehnliches Gut von ſeiner Pathe geerbet.

Wenn129der Clariſſa.

Wenn ich dieſes eher gewuſt haͤtte, ſo wuͤrde ich mich in die Auffuͤhrung meines Bruders und mei - ner Schweſter leichter haben finden koͤnnen, und ich wuͤrde mehr auf meiner Hut geweſen ſeyn, als ich bisher fuͤr noͤthig gehalten habe.

Sie koͤnnen dencken, wie meinem Bruder bey dieſer Unterredung zu Muthe geweſen ſeyn muß. Er konte gewiß nicht anders als ſehr mißvergnuͤgt ſeyn, da ſich ſeine zwey Haushaͤlter ſo verfaͤngli - che Worte in ſeiner Gegenwart verlauten lieſſen. Sein ungeſtuͤmes Weſen hatte ihm beynahe von ſeiner Kindheit an die Furcht und Ehrerbietung aller im Hauſe zuwege gebracht. Selbſt mein Vater pflegte ihm, als dem eintzigen Sohn und Stammhalter ſchon vorhin nachzugeben, ehe er noch durch die erhaltene Erbſchaft unleidlicher und eigenſinniger ward. Er hatte alſo wenig Urſache, eine Gemuͤths-Beſchaffenheit zu beſſern, die ihm ſo viel Anſehen und Vorzuͤge gab: und ſo brach er dieſes mahl in Gegenwart meiner Onckles mit Ungeſtuͤm in die Worte aus: Merckt ihr wohl, Arabelle / wie es ſtehet? wir muͤſſen uns in Acht nehmen. Dieſe Syrene wird uns un - ſers Vaters Bruͤder eben ſo gut als unſern Grosvater abſpaͤnnſtig machen.

Je mehr ich auf alle Umſtaͤnde zuruͤck dencke, deſto mehr werde ich gewahr, daß ſich mein Bru - der und meine Schweſter von dieſer Zeit an gegen mich ſo aufgefuͤhrt haben, als wenn ſie glaubten, daß ich ihnen in ihren Abſichten hinderlich waͤre, und bisweilen, als wenn ich mit ihrem gemein -Erſter Theil. Jſchaft -130Die Geſchichteſchaftlichen Feinde in einem genauen Buͤndniß ſtuͤnde. Hingegen haben ſie ſeit der Zeit ſtets ge - meinſchaftliche Sache gemacht, und alles was ſie vermochten angewandt, die Heyrath zu hintertrei - ben, die ihren Abſichten ſo ſehr im Wege ſtand.

Allein ſchien dieſes nicht unmoͤglich, nachdem ſich meines Vaters Bruͤder ſo deutlich erklaͤrt hat - ten? Nein! mein Bruder wußte Mittel zu finden, und meine Schweſter leiſtete ihm allen Beyſtand. Sie machten, daß die Einigkeit in unſerm Hau - ſe geſtoͤrt, und ein jeder mißvergnuͤgt gemacht ward. Herrn Lovelace ward nach und nach immer kaltſinniger von jedermann begegnet: und da er ſich durch bloſſe Kaltſinnigkeit nicht abwei - ſen laſſen wollte, ſo erfolgten bald allerhand ſchimpfliche und unanſtaͤndige Begegnungen; es kam ſo weit, daß man ihn faſt herausfoderte: und endlich erfolgte die Schlaͤgerey. Dieſes Mittel that die gehoffte Wirckung. Will ich ih - nen nunmehr nicht zu Gefallen ſeyn, ſo will man wegen des grosvaͤterlichen Guts einen Proceß mit mir anfangen, und, ſo wenig ich auch geſucht habe mich der Freyheit zu bedienen, die ich durch das Teſtament meines Grosvaters haͤtte erlan - gen koͤnnen, ſo will man mich doch in den Stand ſetzen: daß ich mich ſo vollkommen nach meines Vaters Willen richten muͤſſe / als es bey einer Tochter noͤthig iſt / die ihr eig - nes Beſtes nicht verſteht. Dis iſt die Spra - che, die jetzt in unſerm Hauſe geredet wird.

Aber o wie gluͤcklich werden wir insgeſamt nachdem131der Clariſſa. dem Vorgeben meiner Geſchwiſter ſeyn, wenn ich gutem Rath folge? Jch ſoll ſo ſchone Geſchencke bekommen: ſo ſchoͤne Juwelen: ich weiß nicht was ſonſt noch mehr. Alle zuſammen wollen mich beſchencken. Auch hat Herr Solmes ſo groſſe Mittel, und verſpricht mir ſo viel (denn nach allen ſeinen Verwandten fragt er nichts) daß ich noth - wendig durch ihn reich und gluͤcklich werden muß, wenn man auch die gute Geſinnung der meinigen nicht in Betrachtung ziehen wollte. Die Abſicht, die meine Geſchwiſter haben, iſt ihr Vergroͤſſe - rungs-Glas, dadurch ſie ſo vortrefliche Eigenſchaf - ten an mir wahrnehmen koͤnnen, die alle Verſpre - chungen und Verſchreibungen meines Freyers voͤl - lig bezahlen, und noch uͤberdieſes ihn ſo wohl als meine Anverwandten[verpflichten], daß ſie ſich gegen mich danckbar erzeigen muͤſſen, wenn ich nur in dieſer Sache folgſam und gefaͤllig bin. Er ſelbſt ſoll dis glauben: ſo geringſchaͤtzig iſt er in ihren und in ſeinen eigenen Augen.

Wie gluͤcklich, wie reich, wie geehrt koͤnnen wir drey Geſchwiſter werden, wenn dieſe unvergleich - lichen Abſichten zu Stande kommen! Und wie ſehr werde ich mir alle meine Anverwandten ver - bindlich machen! und zwar dieſes blos durch eine Probe meines Gehorſams, die ſich zu meiner gan - tzen Auffuͤhrung und Gemuͤths-Art vollkommen ſchickt, wo ich anders das wohlgezogene, arti - ge, gehorſame Kind bin, dafuͤr man mich bisher gehalten hat.

So wird die Sache auf der guten Seiten vorge -J 2ſtellt,132Die Geſchichteſtellt, um meinen Vater und ſeine Bruͤder zu ge - winnen: allein ich befuͤrchte, daß meines Bru - ders und meiner Schweſter Abſicht iſt, mich gaͤntz - lich bey ihnen ſchwartz zu machen, es koſte was es will. Sonſt wuͤrden ſie ja bey meiner Zuruͤck - kunft von der Reiſe mich eher durch Liebe als durch Furcht zu bewegen geſucht haben,[daß] ich mir den Vorſchlag gefallen laſſen moͤchte, den ſie mit aller Gewalt durchtreiben wollen.

Allen Bedienten iſt inzwiſchen anbefohlen wor - den, daß ſie Herrn Solmes mit der groͤſſeſten Ehrerbietung begegnen ſollen. Bey einigen in unſerm Hauſe heiſt er nunmehr, der grosmuͤ - thige Herr Solmes. Solte dies nicht ein ſtill - ſchweigendes Bekaͤntniß ſeyn, daß er ſich durch ſeine Eigenſchafften keine Ehrerbietung erwerben koͤnne, wenn man es den Leuten anbefehlen muß, Ehrerbietung fur ihn zu haben?

So oft er uns beſucht, wird er von der Herr - ſchaft auf das freundlichſte empfangen, und die Be - diente ſchmiegen und biegen ſich vor ihm und war - ten auf ſeinen Befehl. Jn aller Munde ſchallen die edlen und vortrefflichen Verſchreibungen.

Edel und vortrefflich ſind die Worte, da - mit ſie die unedlen Anerbietungen eines Menſchen ſchmuͤcken, der ſo niedertraͤchtig und gottlos iſt, daß er ſich nicht ſchaͤmt, frey zu bekennen, er haſſe ſeine eigenen Anveꝛwanten; und der ihnen, ſo noͤthig ſie auch ſeiner Huͤlfe haben, das rauben will worauf ſie eine gegruͤndete Anwartſchaft hatten. Mir will er alles verſchreiben; und wenn ich eben ſowie133der Clariſſa. wie ſeine vorigen Frauens ohne Kinder ſterbe, ſo ſoll es an meine Familie fallen. Dis ſind die edlen und vortrefflichen Vorſchlaͤge.

Eine ſolche Ungerechtigkeit gegen ſeine Angehoͤ - rigen waͤre mir ſchon Urſache genung, wenn ich ſonſt keine Urſache haͤtte, den gemeinen Kerl zu verachten. Jch nenne ihn mit Recht einen gemei - nen Kerl: denn er iſt nicht einmal dazu gebohren, ſo reich zu ſeyn; ſondern der ungeheure Reichthum iſt immer von einem Knicker einem andern Knicker mit Uebergehung des naͤchſten Erben vermacht worden, weil er das groſſe Verdienſt hatte, ein Knicker zu ſeyn. Wuͤrden Sie nicht glauben, daß die Annehmung ſolcher ungerechten Verheiſ - ſungen eben ſo niedertraͤchtig bey mir ſeyn wuͤrde, als die Anbietung derſelben bey ihm iſt, wenn ich mich uͤberwinden koͤnnte, meine Haͤnde mit ſol - chem Gut zu beſchmutzen, und wenn ich die Hoff - nung das ſeinige dereinſt zu beſitzen den allerge - ringſten Einfluß in meine Wahl haben lieſſe? Es betruͤbt mich wahrhaftig ſehr, daß meine Anver - wandten ſeinen Antrag wegen ſolcher Urſachen zu befoͤrdern ſuchen, die bey einem gewiſſenhaften Menſchen nichts gelten koͤnnen.

Allein es ſcheint, daß dieſes das eintzige Mittel war, Herrn Lovelace gaͤntzlich zu verbannen, und dennoch alle die Endzwecke zu erreichen, die meine Anverwandten in Abſicht auf uns veſt ge - ſetzt haben. Man hoffet, daß ich durch meine Verweigerung ein ſo groſſes Gluͤck fuͤr unſre Fa - milie nicht werde zernichten wollen. Man hatJ 3ſchon134Die Geſchichteſchon entdeckt, daß es moͤglich ſey, (Sie muͤſſen wiſſen, daß die unerſaͤttliche Begieꝛde meines Bꝛu - ders aus der Moͤglichkeit gleich eine Wahr - ſcheinlichkeit macht) daß meines Grosvaters Gut, und die noch wichtigern Guͤter, die Herr Solmes beſitzet, dereinſt an unſer Haus fallen koͤnnten. Man weiß zu erzehlen, daß noch ent - ferntere Anwardtſchafften bisweilen erlediget, und denen Erben zu Theil worden ſind, an die man nie gedacht haͤtte: und meine[Schweſter] erinnert ſich hiebey des alten erbaulichen Sprichworts: Es iſt gut, wenn man mit einem Gute verwandt werden kan. Jch glaube, daß Solmes heimlich uͤber die Schloͤſſer, die ſie in die Lufft bauen, lachen muß. Er verſpricht, und dadurch macht er ſie zu allen Dienſten willig. Er ſieht im Geiſte mein Gut, das mir ſo viel Neid erwecket, ſchon als das ſeinige an. Es liegt zwi - ſchen zwey andern Guͤtern die ihm gehoͤren, und er kan es wegen dieſer Lage noch einmal ſo hoch nutzen, als irgend ein andrer thun koͤnnte. Jch zweifele gar nicht mehr daran, daß er in mein Gut und nicht in mich verliebt ſey.

Dis ſind die Bewegungs-Gruͤnde, welche die meinigen vermocht haben, das Anſuchen des Herrn Solmes ſo hefftig zu unterſtuͤtzen. Jch muß von neuen uͤber die Erb-Suͤnde unſerer Fa - milie klagen, durch welche dieſe Bewegungs - Gruͤnde ſo wichtig und unuͤberwindlich werden.

Mein Bruder und meine Schweſter haben durch Herrn Solmes Antrag ihre Abſichten gegen micherreicht135der Clariſſa. erreicht, es mag die Sache ausfallen wie ſie will. Sie haben meinen Vater uͤberredet, es zu ſeiner eigenen Sache zu machen, und als ei - nen kindlichen Gehorſam von mir zu fodern, daß ich mein Ja-Wort von mir gebe.

Meine Mutter hat ſich nie den Willen mei - nes Vaters widerſetzt, wenn er ſeinen Entſchſuß ſchon voͤllig gefaßt hatte.

Meine Onckles ſind harte, eigenſinnige, und allzubeguͤterte Hageſtoltzen, ob ſie gleich ſonſt uͤberhaupt brave und verehrens-wuͤrdige Maͤnner ſind. Sie rechnen ſehr viel zu den kindlichen Pflichten, und zu dem Gehorſam den eine Frau dem Manne ſchuldig ſey: vermuthlich hat das guͤtige und nachgebende Weſen meiner Mutter ſie in ihrer Meynung wegen des letzten Puncts beſtaͤrckt, und ihnen Gelegenheit gegeben, ſich auf den Gehorſam ihrer Tochter deſto groͤſſere Hoffnung zu machen.

Frau Hervey / die ſelbſt nicht allzugluͤcklich in der Heyrath geweſen, und vielleicht gegen meinen Bruder eine kleine Verpflichtung hat, iſt uͤbertaͤubt worden, und will ſich nicht unter - ſtehen gegen den ſo veſten Entſchluß meines Va - ters und ſeiner Bruͤder ein Wort, das zu mei - nem wahren Beſten gereichen koͤnnte, zu reden. Eben daraus, daß weder ſie noch meine Mutter ſich bemuͤhet mir zu Huͤlfe zu kommen, muß ich ſchlieſſen, daß mein Vater in ſeinem Willen un - beweglich und unerbittlich ſey. Die unhoͤfliche Auffuͤhrung gegen Frau Norton iſt ein neuerJ 4Be -136Die GeſchichteBeweiß hievon. Einer ſo verſtaͤndigen Frau, die alle Hochachtung verdienet, und deren gute Eigen - ſchafften auch von allen erkannt werden, die aber arm iſt, und deswegen nicht genug Gewicht hatte ihren Rath mit Nachdruck wieder eine mit Ge - walt getriebene Sache zu geben, wird angedeutet, daß ſie unſer Haus meiden, und daß ſie nicht einmahl an mich ſchreiben ſolle! Denn die - ſen Zuſatz habe ich noch heute erfahren.

Allein der Haß gegen Lovelace / die Ver - groͤſſerung unſerer Familie, und ſonderlich der ſtarcke Bewegungs-Grund, die Rechte eines Vaters / ſind eine ſolche vereinigte Macht, der ich nicht widerſtehen kan: ein jedes allein ge - nommen wuͤrde ſchon unuͤberwindlich ſeyn. Ein ſo fuͤrchterliches Anſehen hat der Antrag des eckelhaften Mannes gewonnen.

Mein Bruder und meine Schwefer freuen ſich uͤber ihren Sieg. Der Ausdruck iſt, ſie haͤtten mich unter ſich gekriegt / wie ihn meine Han - nichen neulich im Vorbeygehen aufgefangen hat. Die Sache iſt gantz richtig, nur erinnere ich mich nicht, daß ich jemals auf eine unerlaubte Weiſe oben gelegen habe. Entweder bin ich ge - zwungen, zu meinem eigenen Ungluͤck noch Ja zu ſagen, und denn werde ich in ihren Haͤnden ein Mittel der Rache an Herrn Lovelace; oder ich zerfalle mit meiner gantzen Familie.

Jch kan mich nun nicht weiter daruͤber ver - wundern, wenn die Hof-Leute, denen die Arg - liſtigkeit in einem doppelten Maaß gegeben iſt,hinter137der Clariſſa. hinter einander her ſind, und allerhand Cabalen machen, nachdem unſre kleine Familie nicht ein - mal von dieſem Uebel frey iſt, da doch nur drey unter uns mit einander ſtreitende Abſichten ha - ben koͤnnen, und die eine unter dieſen dreyen uͤber niedertraͤchtige und eigennuͤtzige Abſichten hinweg zu ſeyn hoffet.

Mich kraͤnckt nichts ſo ſehr, als daß meiner Mutter Gemuͤth bey dieſen Umſtaͤnden ungemein viel wird leiden muͤſſen. Wie kan doch ein Mann, und noch dazu ein Mann von gutem Ge - muͤth (aber ach der Name eines Mannes ſchließt allzuviel Rechte und Vorzuͤge in ſich ein!) wie kan er ſage ich ſo eigenſinnig und bey allen Vor - ſtellungen ſo unuͤberwindlich gegen eine Perſon ſeyn, durch welche doch ſo viel Mittel an unſer Haus gekommen ſind, deren Werth die meinigen ſo hoch ſchaͤtzen, und eben deshalb ſchuldig waͤ - ren, meine Mutter deſto hoͤher zu ſchaͤtzen?

Jch kan nicht ſchlechterdings leugnen, daß die meinigen meine Mutter hochſchaͤtzen: allein ſie hat dieſe Hochachtung blos durch Nachgeben erkaufen muͤſſen, da ſie doch ſo viel eigene Vorzuͤge beſitzt, die von ſelbſt Hochachtung verdienen, und ſo viel Verſtand und Klugheit hat, daß man billig ihren Einſichten folgen, und andre ihr, nicht aber ſie andern nachgeben ſollte.

Aber wie ſchweift meine Feder aus? Soll ich verkehrtes Maͤdchen mich unterſtehen, von meinen Anverwandten, denen ich Ehrfurcht ſchuldig bin, und gegen die ich Ehrfurcht habe, ſo frey zu ſchrei -J 5ben?138Die Geſchichteben? Doch die Umſtaͤnde ſind ſo verworren, daß ich ſelbſt ihre Maͤngel offenbaren muß, um ihre tadelhaften Handlungen einiger maſſen zu entſchuldigen!

Da Sie wiſſen, wie zaͤrtlich ich meine Mutter liebe und verehre, ſo werden Sie am beſten ur - theilen koͤnnen, wie dringend die Urſachen ſind, die mich bewegen koͤnnen, mich den von ihr gebilligten Abſichten meiner Geſchwiſter zu wi - derſetzen. Allein ich muß es thun. Es iſt ohn - moͤglich, daß ich Ja zu dieſen Abſichten ſage: und ich muß mich bald und deutlich daruͤber erklaͤ - ren, daß ich nimmer Ja ſagen werde, wenn ich meine Umſtaͤnde nicht noch verworrener machen will. An eben dem Tage, an welchem ich dieſen Brief ſchreibe, iſt ein Advocate wegen der Sicher - heit die man bey Herrn Solmes Verſchreibun - gen haben koͤnnte, um Rath gefragt worden.

Wie gluͤcklich waͤre ich, wenn wir Papiſten waͤren! Alsdenn wuͤrde ein Kloſter alle Abſichten meiner Geſchwiſter erfuͤllen koͤnnen. Wie gluͤck - lich waͤre ich, wenn nicht eine Perſon, die Sie ge - nau kennen, einen gewiſſen Antrag ausgeſchlagen haͤtte. Alles wuͤrde ſchon zur Richtigkeit[geweſen] ſeyn, ehe mein Bruder haͤtte aus Schottland zu - ruͤck kommen, und die Sachen verderben koͤnnen. Denn wuͤrde ich eine Schweſter gehabt haben, da ich jetzt keine habe: und zwey Bruͤder von glei - chem Ehrgeitz und von gleichem Range, an denen ich nur das hochgeſchaͤtzt haben wuͤrde, was ein Stuͤck ihres wahrhaften Adels iſt.

Jch139der Clariſſa.

Jch muß mich wundern, daß ſich mein Bru - der durch ſo weit ausſehende eigennuͤtzige Abſich - ten regieren laͤßt. Der geringſte Zufall kan ſeine Hoffnung zu Waſſer machen: ein jedes Fieber, dazu der Saame ſchon in ſeinem hitzigen und un - ruhigen Gebluͤt liegt, ein jeder ungluͤcklicher Stich eines gereitzten Widerſachers, iſt hinlaͤnglich alle ſeine Abſichten zu vereiteln. Jch will meinen Brief abbrechen. Wenn ich gleich noch ſo frey von meinen Anverwandten ſchreibe, ſo bin ich doch verſichert, daß Sie es guͤtig auslegen werden. Jch traue Jhnen auch zu, daß Sie die Stellen meiner Briefe andern weder vorleſen noch in Ab - ſchrifft uͤberſchicken werden, in denen ich zu frey von meinen Eltern und Geſchwiſtern geurtheilet habe, und die Gelegenheit geben moͤchten, mich des Mangels der kindlichen Ehrfurcht und ſchweſterlichen Liebe, oder jene eines Unverſtan - des und einer uͤbereilten Auffuͤhrung zu beſchul - digen. Dieſe Hoffnung heget

Dero ergebenſte Clariſſa Harlowe.

Der vierzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Als Hannichen meinen langen Brief, den ich geſtern angefangen und wegen mancher Hin -derun -140Die Geſchichtederungen erſt vor einer Stunde geſchloſſen ha - be, an den beſtimmten Ort legte, ſo fand ſie Jhr heutiges Schreiben. Jch bin Jhnen fuͤr Jhre guͤtige Bemuͤhung verbunden. Dieſe Ant - wort darauf ſoll ſo bald an Ort und Stelle ge - bracht werden, daß Jhr Diener ſie hoffentlich zu - gleich mit dem vorigen Briefe uͤberbringen wird. Es wird aber nichts darin ſtehen, als ein Danck fuͤr Jhre Liebe und Freundſchaft gegen mich, und die betruͤbte Wahrheit, daß meine Beſorgniß von Tage zu Tage zunimmt.

Jch muß nothwendig Gelegenheit ſuchen, mit meiner Mutter allein zu ſprechen, und ſie um ein guͤtiges Vorwort fuͤr mich zu bitten: ſonſt ſtehe ich in Gefahr,[daß] ein gewiſſer Tag zur Hochzeit veſt geſetzt und der Eckel, mit dem ich an Solmes dencke, fuͤr die Frucht der Bloͤdigkeit gehalten wird. Sollten ſich Schweſtern nicht als Schwe - ſtern gegen einander auffuͤhren? Sollten ſie nicht bey einer ſolchen Gelegenheit, als dieſe iſt, gemein - ſchaftliche Sachen machen, und es als eine Sache anſehen, die ein jedes Frauenzimmer angehet? Allein meine Schweſteꝛ hat die eigeñuͤtzigen Abſich - ten meines Bruders, mit dem ſie vermuthlich alles abgeredet hatte, zu befoͤrdern geſucht, und in Ge - genwart der gantzen Familie ſo ernſtlich, als ſie zu ſeyn pflegt, wenn ſie etwas durchaus haben will, darauf gedrungen, daß man mir einen Tag beſtimmen, und mir drohen muͤſte, daß ich mein gantzes Erbtheil und die Liebe aller meiner Ange - hoͤrigen verlieren ſollte, wenn ich nicht Gehorſamleiſten141der Clariſſa. leiſten wuͤrde. Sie brauchte ſich nur halb ſo viel Muͤhe zu geben. Mein Bruder vermag ohnehin genug, und er hat Mittel gefunden, die gantze Fa - milie gegen mich zu vereinigen. Nachdem ent - weder ein neuer Verdruß vorgefallen, oder eine neue Nachricht von Herrn Lovelace eingezogen iſt, (denn ich weiß nicht genau, wie die gantze Sa - che zuſammen haͤngt) ſo haben ſich alle miteinan - der verbunden, und wollen ſich durch Unterſchrift[und] Siegel verbinden (was ſoll ich armes Kind doch anfangen!) mir Herrn Solmes aufzu - dringen, und die Rechte meines Vaters die man vorſchuͤtzt, gegen mich zu behaupten, es mag ko - ſten was es will. Sie verſprechen auch ſich ge - gen Herrn Lovelace auf alle Weiſe zu ſetzen, weil er ein liederlicher Menſch und ein Feind der Familie ſeyn ſoll. Jſt es nicht eben ſo viel, als wenn ſie ſich mit deutlichen Worten wider mich verbunden haͤtten? Aber wie unverſtaͤndig han - deln ſie, daß ſie diejenigen zwingen, gemeinſchaft - liche Sache miteinander zu machen, die ſie doch zu trennen ſuchen.

Die Nachricht des abgedanckten Pachters war ſchlimm genug, und was Frau Forteſcue von Hrn. Lovelace meldet, bekraͤftigt jene Nachricht, und zwinget mich, noch ſchlimmere Dinge zu den - cken. Meine Freunde haben etwas erfahren, da - von Jungfer Barnes meiner Hannichen geſagt hat, er ſey ſo ſchwartz, daß kein aͤrgerer Menſch als er unter der Sonne ſeyn koͤnte. Meinetwe - gen moͤgen ſie ihn gar aufhaͤngen: was geht er michan?142Die Geſchichtean? und was wuͤrde ich mit ihm zu thun haben, wenn der verzweifelte Solmes nicht in der Welt waͤre. O mein Schatz, wie verhaßt iſt mir die - ſer Kerl, wenn er mein Braͤutigam ſeyn ſoll! Meine ſaͤmmtlichen Anverwandten fuͤrchten ſich vor Herrn Lovelace: und tragen doch kein Be - dencken, ihn durch Beleidigung zur Rache zu reitzen. Wie ſehr bin ich verwickelt, da ich um ihrentwillen gezwungen bin, mit Herrn Love - lace Briefe zu wechſeln. GOtt verhuͤte nur, daß ihre Heftigkeit mich nie zwingen moͤge, es um mein ſelbſt Willen zu thun. Sie werden mir doch endlich nachgeben. Jch kan wenigſtens ih - nen[nimmer]nachgeben. Die folgſamſten Ge - muͤ[ter ſin]d die unveraͤnderlichſten, wenn man ſich ohne Noth und auf eine harte Art zu ihnen drin - get: denn da ſie ſich nicht leichtſinnig entſchlieſſen, ſo macht ſelbſt die viele vorhergegangene Ueberle - gung, daß ſie ihre einmahl gefaßten Meinungen am wenigſten aͤndern. Wenn man endlich gantz deutlich ſiehet, daß man ſo und nicht anders han - deln muͤſſe, ſo iſt es unertraͤglich, es erſt mit an - dern als eine zweifelhafte Sache uͤberlegen und daruͤber ſtreiten zu ſollen.

Jch kriege Verhinderung, und ich kan nur eil - fertig und mit vieler Furcht wegen meines kuͤnff - tigen Schickſaals verſichern, daß was man auch ſonſt aus mir machen will, ich doch ſtets ſeyn werde,

mehr die Jhrige, als meine eigene Clariſſa Harlowe.

Der143der Clariſſa.

Der funfzehnte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch habe Jhre beyden Briefe zugleich erhalten[.]Es iſt ein Ungluͤck, daß da Sie nach dem Willen der Jhrigen ſich ſchlechterdings veraͤndern ſollen, ein veraͤchtlicher Menſch nach dem andern ſich unterſteht, um ein ſo ſchaͤtzbares Kleinod an - zuhalten. Man kann dieſe Leute durch nichts anders als durch ihre Unverſchaͤmtheit und Eigen - liebe entſchuldigen. Daß aber dieſe unverſchaͤmten Leute Jhren Anverwandten viel ertraͤglicher ſchei - nen als andern Leuten, kom̃t daher, weil ſie Fehler an ſich haben, die jenen etwas weniger anſtoͤßig ſind. Und auch hievon kan man die Urſache erra - then. Soll ich ſie Jhnen nennen? Die Jhrigen fin - den etwas aͤhnliches von ſich an dieſen Leuten. Vielleicht muß ich auch hier der Demuth Jhrer Geſchwiſter und Onkles nicht vergeſſen, denn wie koͤnnen ſie glauben daß ihre Schweſter oder ihres Bruders Tochter ein Engel ſey? Jch mag mich nicht deutlicher ausdrucken, um Sie nicht boͤſe zu machen. Wo wird ſonſt wol eine Manns-Per - ſon, bey welcher die Eigenliebe noch nicht alles noͤthige Mißtrauen gegen ſich ſelbſt ausgeloͤſchet hat, ſich unterſtehen koͤnnen, auf Fraͤulein Cla - riſſa Harlowe zu hoffen? Hoͤchſtens wird einer kuͤhn genug ſeyn, ſeine Wuͤnſche auf Sie zu rich -ten.144Die Geſchichteten. Wer demnach unverſchaͤmt und unbeſonnen iſt, der wagt es, um Sie anzuhalten: und Leute von wahrhaftigen Vorzuͤgen haben zu viel Be - ſcheidenheit und Ehrerbietung, als daß ſie ſich un - terſtehen ſolten, ihre Wuͤnſche zu erkennen zu ge - ben. Darum uͤberfaͤllt Sie ein Symmes, ein Byron, ein Mullins, ein Wyerley, der noch unter den uͤbrigen ſchlechten der beſte iſt, und ein Solmes, einer nach dem andern: lauter ſolche Kerls, die ſich H[o]ffnung auf einen gluͤcklichen Ausgang ihres Geſuchs machen duͤrffen, wenn ſie den Reſt Jhrer Familie betrachten; aber nicht oh - ne Verwegenheit von Jhnen ſelbſt ein Ja-Wort hoffen koͤnnen.

Jch fuͤrchte aber deñoch, daß alle Bemuͤhungen, welche Sie anwenden die Sache zu hintertreiben, vergeblich ſeyn werden. Sie muͤſſen, und faſt bin ich beſorget Sie wollen ſich einem ſo eckel - haften Mann aufopfern laſſen: denn die Lock - Speiſe die er gebraucht ſcheint den Jhrigen allzu reitzend. O meine allerliebſte Freundin, ſollen ſo unvergleichliche Eigenſchafften, und ſolche recht eigene Vorzuͤge die Sie uͤber andere ſo ſehr erhe - ben, durch eine ſolche Ehe heruntergeſetzt werden? Jhr Onkle ſagt zu meiner Mutter: Sie[muͤßten] ſich nicht unterſtehen die Auctoritaͤt Jhrer An - verwandten zu ſchwaͤchen! Wahrhaftig ein ſehr ſtarckes Wort in dem Munde einer Perſon, die bey kleinen Einſichten den Vorzug hat, daß ſie dreyßig Jahr fruͤher in der Welt geweſen! Jch meine dieſes nur von Jhres Vaters-Bruͤdern:denn145der Clariſſa. denn die Auctoritaͤt und Rechte der Eltern halte ich allerdings fuͤr heilig. Nur ſollten El - tern nichts ohne vernuͤnfftige Urſache befehlen.

Verwundern Sie ſich nicht, daß Jhre Schwe - ſter bey dieſer Gelegenheit vergißt, daß ſie eine Schweſter ſey. Jch weiß noch einen Umſtand, wenn man den und Jhres unbaͤndigen Bruders Abſichten und Bewegungs-Gruͤnde zuſammen nimmt, ſo kan einem ihre Hefftigkeit nicht mehr unbegreiflich ſeyn. Sie ſelbſt haben mir gemel - det, daß die Artigkeit, die Herr[Lovelace] in ſei - ner Bildung und Auffuͤhrung beſitzt, zu Anfang das Auge Jhrer Schweſter ſehr geruͤhrt habe, ob ſie gleich jetzt vorgiebt, daß ſie ihn verachte,[und] von ihm auf das aͤuſſerſte verachtet wird. Jch weiß aber, daß die Liebe gegen ihn noch in ihrem Hertzen iſt, und daß ſie ihm den Vorzug vor allen ſeines Geſchlechts giebt. Arabella hat einen un - erhoͤrten Hochmuth, und ſehr viel Niedertraͤchtig - keit bey ihrem Hochmuth. Aus Liebe ſind ihre verdrießlichen Tage, ihre ſchlafloſen Naͤchte, und ihre Rache gegen ihre liebe Eliſabeth Bar - nes entſtanden. Sich einem Cammer-Maͤdchen anzuvertrauen! Jſt das nicht Unverſtand! Allein wie groſſe Seelen ihres gleichen ſuchen, ſo pflegen auch kleine Geiſter ihres gleichen zu ſuchen und zu finden. Sie hat in groſſem Vertrauen ihre Nei - gung gegen Herrn Lovelace dem Cammer-Kaͤtz - gen anvertrauet: das Geheimniß hat die Runde unter dem Frauenzimmer gemacht, wie es Herr Lovelace nennt, wenn er ſich bey gleichenErſter Theil. KGe -146Die GeſchichteGelegenheit uͤber unſer Geſchlecht aufhalten will. Eliſabeth machte ſich eine Ehre daraus, wenn ſie ein Geheimniß wuſte, und ſie konnte auch ih - ren Eifer gegen Herrn Lovelaces Untreue, (wie ſie es wenigſtens nennete) nicht laͤnger zuruͤck hal - ten: ſie erzehlte alſo das Geheimniß einer von ih - ren Vertrauten: Dieſe ſagte es der Jungfer Har - riot / die in Dienſten bey Fraͤulein Lloyd iſt, und bat ſehr, es ja nicht weiter zu ſagen: die Harriot erzehlte es ihrer Fraͤulein, und Fraͤulein Lloyd mir. Jch melde es Jhnen, und gebe Jhnen Erlaubniß, das Geheimniß anzuwenden, wie Sie es ſelbſt fuͤr gut finden. Sie duͤrffen ſich nun nicht ɯehr verwundern, wenn Jhre Schwe - ſter ſich nicht als eine Schweſter, ſondern als eine, deren Liebe um Jhrentwillen verſchmaͤht iſt, gegen Sie auffuͤhret: Sie werden auch die Worte, Zau - berey / Syrene und andere von gleicher Art, die ſie gegen Sie ausgeſtoſſen hat, nun voͤlliger ver - ſtehen, wie auch dieſes, daß ſie ſo hefftig darauf gedrungen, den Tag veſt zu ſetzen, an welchem Sie durch Herrn Solmes ungluͤcklich gemacht werden ſollten. Mit einem Worte, alle Grob - heiten und Hefftigkeiten Jhrer Schweſter werden nun begreiflicher. Wie ſuͤß wird ihr die Rache gegen Sie und gegen Herrn Lovelace ſeyn, wenn ſie es dahin bringen kan, daß ihre unvergleich - liche, und zu ihrem Verdruß allzu liebenswuͤrdige Schweſter an einen ihr verhaßten Mann gegeben wird, und alſo nie demjenigen zu Theil werden kan, den ſie ſelbſt liebet, es ſey nun mit oderohne147der Clariſſa. Hoffnung einiger Gegen-Liebe, und von dem ſie glaubet, daß er von ihrer Schweſter geliebet werde. Da verſchmaͤhete Liebe ſonſt ſich nicht geſcheuet hat, Gifft und Dolch zu Kuͤhlung ih - rer Rachgier anzuwenden: ſo duͤrffen Sie ſich nicht wundern, wenn die Verbindung zwiſchen den naͤchſten Bluts-Freunden in ſolchem Falle aufhoͤrt, und eine Schweſter vergißt, daß ſie eine Schweſter iſt.

Dieſer geheime Bewegungs-Grund, der deſto ſtaͤrckere Wirckungen hat, je mehr ihn Jhre Schweſter aus Hochmuth zu verbergen ſucht, ſetzt mich Jhrentwegen in Sorge, wenn ich dabey be - dencke, mit wie neidiſchen Augen Jhre Schweſter Sie ſchon vorhin angeſehen hat, und was fuͤr Bewegungs-Gruͤnde man ganz ohngeſcheuet vor - bringt; und inſonderheit, daß ein Bruder, der ſo viel bey der gantzen Familie gilt, deſſen Eigen - nutz und Rachgier, ſeine zwey liebſten und herr - ſchenden Leidenſchafften, beyde zu Jhrem Ungluͤck arbeiten, mit Jhrer Schweſter gemeine Sache macht. Beyde haben jetzt die Ohren Jhrer El - tern und Anverwandten allein, und ſtellen alles, was Sie reden und thun, auf der ſchlimmen Seite vor. Sie haben immer eine gehaͤßige Ma - terie, die ſie noch ſchwaͤrtzer machen koͤnnen, als ſie iſt, nemlich die Schlaͤgerey, und die uͤble Lebens-Art des Herrn Lovelace. Wie wollen Sie einer ſo ſtarcken und vereinigten Macht wi - derſtehen! Jch ſehe gewiß zum voraus, daß ſie uͤber ein ſo ſanftes Hertz, das ſo wenig von Wi -K 2der -148Die Geſchichtederſpenſtigkeit weiß als das Jhrige, ſchon gewiß zum voraus. Man ſage es nicht zu Gath! Sie muͤſſen eine Beute fuͤr Herrn Solmes werden.

Sie werden auch nun errathen koͤnnen, von welcher Gegend her die ehemals erwaͤhnte Nach - richt gekommen iſt, daß die juͤngere Schweſter der aͤltern ein Hertz geſtohlen habe. Denn Eliſabeth ſchwatzte unter der Hand, zu eben der Zeit, da ſie das uͤbrige ausplauderte, daß weder Sie noch Herr[Lovelace] es verantworten koͤnnten, wie ſie mit ihrer Fraͤulein umgegangen waͤren. Jſt es nicht eine Grauſamkeit von Jhnen, mein Schatz, daß Sie der armen Arabellen den eintzigen Liebhaber entwandten, den ſie in ihrem gantzen Leben gehabt hat? und dieſes eben zu der Zeit, da ſie ſich ruͤh - mete, daß ſie nun endlich es in ihrer Gewalt haͤt - te, ihr eigenes holdſeliges Hertz zu vergnuͤgen, und noch uͤber dieſes andre Thoͤrinnen ihres Ge - ſchlechts (unter denen ihre Gnaden Fraͤulein Ho - we vermuthlich eine der vornehmſten ſeyn ſoll) durch guten Vorgang zu lehren, wie man einen Liebhaber am ſeidenen Strick fuͤhren und ohne einen Kapp-Zaum lencken koͤnne?

Jch habe bey dieſen Umſtaͤnden ferner nicht den geringſten Zweifel uͤbrig, daß nicht die Gunſt der Jhrigen gegen den elenden Solmes unveraͤnderlich ſeyn werde; und daß ſie ſich nicht auf eine Jhnen ſchaͤdliche Weiſe auf Jhren ſanften und nachgebenden Sinn, und auf Jhre Achtung fuͤr Jhre eigene Ehre und fuͤr die Liebe der Jhrigen verlaſſen. Jch werde im -mer149der Clariſſa. mer mehr uͤberzeugt, daß mein ehemaliger Rath gut und noͤthig geweſen: Sie ſolten das Gut ſelbſt behalten, das Jhnen Jhr Grosvater vermacht hat. Haͤtten Sie dieſes gethan, ſo wuͤrde man wenig - ſtens aͤuſſerlich einige Achtung und Hoͤflichkeit ge - gen Sie bewieſen, und den Unwillen und Neid verborgen haben, welche jetzt aus der engen Bruſt Jhres Bruders und Jhrer Schweſter nothwen - dig ausbrechen muͤſſen.

Jch muß noch ein Wort in dieſem Ton reden. Mercken Sie nicht, daß Jhr Bruder ſeit der Zeit mehr Einfluß als Sie in Jhre gantze Familie hat, nachdem er ſelbſt ſo anſehnliche Guͤter geer - bet, und Sie jemanden Luſt gemacht haben, noch laͤnger in dem Beſitz und Genuß Jhres Gutes zu bleiben, wenn Sie nicht ſeine Vorſchrif - ten mit unuͤberlegtem Gehorſam annehmen? Jch weiß, was fuͤr loͤbliche Urſachen Sie hiezu hatten: und wer ſolte damals gedacht haben, daß Sie ſich auf einen Vater, der Sie ſo zaͤrtlich liebete, nicht mit Recht verlaſſen koͤnten? Allein was meynen Sie, wuͤrde wol Jhr Bruder, der uͤber das grosvaͤtterliche Teſtament murrete, und mit neidiſchen Augen das Vermaͤchtniß als ſein Eigen - thum anſahe, weil er ein eintziger Sohn war, ſich unterſtanden haben, wircklich dahin zu trachten, daß er es Jhnen wider entwenden moͤchte; wenn Sie ſich in den Beſitz des Jhrigen geſetzt, die Ein - kuͤnffte genoſſen, und ſich auf Jhrem Gut aufge - halten haͤtten? Die Geſellſchaft der tugendhaſten und verſtaͤndigen Frau Norton, die Sie zu ſichK 3neh -150Die Geſchichtenehmen wollten, wuͤrde Sie ohngeachtet der Bluͤ - te Jhrer Jugend vor uͤbler Nachrede in Sicherheit geſetzt haben. Jch habe Jhnen ſchon vor einiger Zeit geſchrieben, daß ich Jhre Pruͤfung nicht fuͤr groͤſſer anſehe, als Jhre Klugheit: aber denn wer - de ich ſagen, daß Sie mehr ſind als ein Frauen - zimmer, wenn Sie ſich mit Ehren aus einem ſo verworrenen Handel wickeln koͤnnen; da Sie mit einigen ſo heftigen und niedertraͤchtigen und mit andern ſo herrſchſuͤchtigen Gemuͤthern zu thun ha - ben. Jn der That, wenn Sie ſich uͤberwinden, Hn. Solmes zu nehmen, ſo halte ich nichts mehr fuͤr ohnmoͤglich, und die Welt wird Sie wegen Jhres blinden Gehorſams, und wegen Jhrer gaͤnz - lichen Verleugnung alles deſſen was Wille heiſſen kan, noch mehr als bisher bewundern muͤſſen.

Was Sie von Hn. Lovelaces Guͤtigkeit ge - gen ſeine Paͤchter, und von ſeinem kleinen Geſchenk, damit er Jhres Onkels Pachter erfreuete, gemel - det haben, gefaͤllt mir ſehr wohl. Frau Forteſcue ruͤhmt, daß er ein ſehr guͤtiger Herr gegen ſeine Leute ſey: ich haͤtte Jhnen auch dieſes ſchreiben koͤnnen, wenn ich Jhnen eine gute Meinung von ihm haͤtte beybringen wollen. Er hat einige gu - te Eigenſchaften an ſich, die Hoffnung machen, daß er ein ertraͤglicher Mann ſeyn wird, wenn er erſt aͤlter als funfzig Jahr iſt. Aber GOtt ſey den Weibern gnaͤdig, die ihm vorher durch das Schickſaal beſtim̃et ſind. Den Weibern, ſage ich: denn ich glaube, daß er wenigſtens ein halbes Dutzend vorher zu Tode quaͤlen wird. Doch, ichver -151der Clariſſa. vergeſſe, was ich ſchreiben wollte. Muß man nicht des armen Pachters Ehrlichkeit und Danck - barkeit ruͤhmen, wenn man bisweilen in Geſell - ſchaften hoͤrt, daß der arme Mann Jhren Onckle herausgeruffen und ihme alſobald die zwoͤlf Tha - ler auf Abſchlag bezahlt hat? Aber was kan man von dem Herrn ſagen, der wußte, daß der Paͤchter in der aͤuſſerſten Duͤrftigkeit war, und dennoch das Geld annehmen konte? der ſich nichts davon mercken ließ, ſo lange als Herr Lovelace noch da blieb, und ſo bald er den Ruͤcken gewandt hatte, es andern erzaͤhlte, und die Ehrlichkeit des Paͤch - ters ruͤhmte? Wenn dieſes wahr waͤre, und der Herr kein naher Verwandter meiner beſten Freun - din waͤre, wie veraͤchtlich wuͤrde er mir vorkom - men! Doch die Erzaͤhlung kan verbeſſert ſeyn. Jedermann redet von geitzigen Leuten uͤbel: man kan es auch nicht aͤndern; denn ihre gantze Sorge geht nur auf das, was ſie hoͤher als alle gute Nachrede ſchaͤtzen. Sie wuͤrden unmenſchlich geitzig ſeyn, wenn ſie beydes haben wollten, da ſie keines von beyden verdienen.

Jch warte mit Schmertzen auf Jhren kuͤnffti - gen Brief. Jch dencke an nichts anders, als an Sie und an Jhre Sache: denn ich bin, und werde ſtets mit groͤſter Zaͤrtlichkeit ſeyn,

Dero gantz eigene Anna Howe.

K 4Der152Die Geſchichte

Der ſechsszehente Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

(vor Empfang des vorigen geſchrieben.)

Jch habe einen harten Tag gehabt: eine Ver - ſuchung uͤber die andere! eine Unterredung uͤber die andere! Welches Geſetz, welche Ceremo - nie, kan jemanden ein Anrecht an ein ſolches Hertz geben, das unter allen Geſchoͤpfen GOttes kein eintziges ſo verabſcheuet, als ihn?

Jch hoffe, daß meine Mutter etwas zu meinem Beſten ausrichten wird. Jch will Jhnen alles ſchreiben, wenn ich auch die gantze Nacht aufſi - tzen ſolte: denn ich habe ſehr viel zu ſchreiben, und wollte gern in meiner Erzaͤhlung ſo umſtaͤndlich ſeyn, als moͤglich iſt.

Jn meinem letzten Briefe erwaͤhnte ich nur eil - fertig und voller Schrecken, die Beſorgniß in die mich einige zwiſchen meiner Mutter und ihrer Schweſter gefallene Worte ſetzten, die meine Hannichen gehoͤrt hatte. Jch brauche Jhnen hievon nichts zu erzaͤhlen: denn ich werde Jhnen jetzt ausfuͤhrliche Nachricht von dem geben, was ich ſelbſt in wenigen Stunden mit meiner Mutter habe reden muͤſſen. Und in dieſem iſt alles ent - halten, was mir Hannichen erzaͤhlte.

Jch153der Clariſſa.

Jch mache alſo den Anfang.

Als das Fruͤh-Stuͤck fertig war, ging ich heute Morgen mit einem ſchweren Hertzen hinunter, weil mich das noch beunruhigte, was ich den Tag vorher von Hannichen gehoͤrt hatte. Jch wuͤnſch - te mir indeſſen eine Gelegenheit, mit meiner Mut - ter allein zu reden, weil ich ſie zu gewinnen hoffete, daß ſie ſich meiner annehmen moͤchte: und nahm mir vor, es zu verſuchen, wenn ſie nach dem Fruͤh-Stuͤck in ihre eigene Stube gehen wuͤrde. Zu allem Ungluͤck aber fand ich hier den eckelhaf - ten Solmes, der ſich mit einem dreiſten Geſicht in dem man ſeine gewiſſe Hoffnung wahrnehmen konte, zwiſchen meine Mutter und Schweſter gelagert hatte. Doch Sie wiſſen, mein Hertz, daß Leute die wir nicht leiden moͤgen uns nichts recht machen koͤnnen.

Es waͤre noch angegangen, wenn er ſitzen ge - blieben waͤre. Aber das krumme breitſchulterige Ungeheuer mußte nothwendig aufſtehen, und ſich nach dem Stuhl hinbewegen, welcher gleich bey dem meinigen ſtand. Jch ſchob ihn eine Ecke weg, als wenn ich Platz fuͤr meinen Stuhl ma - chen wollte, und ſetzte mich geſchwind und ver - drießlich genug (wie ich fuͤrchte) nieder, denn al - les was ich gehoͤrt hatte lag mir noch im Gemuͤth. Dis war noch nicht genug ihn abzuſchrecken: er iſt ein Kerl voll guter Zuverſicht und Verwegen - heit. Jn der That, mein Hertz, der Mann iſt ſehr zuverſichtlich. Er nahm den weggehobenen Stuhl, und ſetzte ihn ſo nahe an meinen, daß erK 5mir154Die Geſchichtemir den Reif-Rock druͤckcte, als er ſein abſcheu - liches Gewicht in den Stuhl zu ſencken beliebte. Dis verdroß mich ſo, da mir noch alles, was ich gehoͤrt hatte, im Gemuͤthe lag, daß ich mich auf einen andern Stuhl ſetzte. Jch bekenne es, daß ich hier zu wenig auf meiner Huth war: ich gab meinem Bruder und meiner Schweſter allzu vielen Vortheil, deſſen ſie ſich auch gewiß gebrauch - ten. Allein ich that es nicht mit Willen: ich konte es nicht laſſen, und wußte ſelbſt nicht was ich that. Mein Vater war ſehr ungehalten: und Sie wiſſen, daß man ihm jeden Unwillen deutlich im Geſichte anſehen kan. Er ſagte mit einer har - ten Stimme: Clariſſa Harlowe! und hielt inne. Jch neigete mich, und ſagte: was be - fehlen Sie? Jch zitterte hiebey, zog meinen Stuhl etwas naͤher, und ſetzte mich nieder. Die - ſes mahl fuͤhlte ich, daß mir das Geſicht uͤber und uͤber gluͤete.

Beſorge den Thee / mein Kind: ſagte meine guͤtige Mutter: ſetze dich zu mir / mein Hertz / und thue Thee ein. Jch ſetzte mich mit Freuden auf den Stuhl, den Solmes vorhin verlaſſen hatte, und erholte mich bald, da ſie ſo guͤtig war, mir etwas zu thun zu geben. Um das vorige bey meinem Vater wieder gut zu ma - chen, that ich unter dem Thee-trincken ein paar Fragen auf eine hoͤfliche und freundliche Art an Herrn Solmes. Meine Schweſter wiſperte mir uͤber die Schulter mit einer hoͤhniſchen und froh - lockenden Mine die Worte zu: man kan denHoch -155der Clariſſa. [Hochmuth] doch endlich zwingen. Jch kehr - te mich aber nicht an ſie.

Meine Mutter war ungemein guͤtig gegen mich. Jch fragte ſie: ob der Thee ſo recht waͤ - re? ſie ſagte gantz leiſe: mir iſt alles recht / mein Hertz / was du thuſt. Jch bildete mir auf dieſes guͤtige Wort recht viel ein: und ich hoffte, daß auch mein Vater alles Mißvergnuͤgen haͤtte fah - ren laſſen, denn er redete auch ein paar mahl freundlich mit mir. Es ſind Kleinigkeiten, da - mit ich Sie bemuͤhe: allein dieſe Kleinigkeiten wa - ren Vorbereitungen zu Dingen, die fuͤr mich von groſſer Wichtigkeit ſind.

Noch vor Endigung des Fruͤhſtuͤcks ging mein Vater mit meiner Mutter hinaus, unter dem Vorwand, daß er ein Wort mit ihr allein zu re - den haͤtte. Meine Schweſter und meiner Mutter Schweſter verlohren ſich auch eine nach der an - dern. Mein Bruder gab mir einige ſpoͤttiſche Blicke, die ich genug verſtand, allein Herr Sol - mes merckte nichts davon. Endlich ſtand er auch auf, und ſagte zu mir: ich habe etwas rares / das ich euch gern zeigen wollte. Jch will es holen. Er ging gleich hinaus, und ſchlug die Thuͤr hinter ſich zu. Jch merckte leicht, was die Ab - ſicht waͤre. Jch ſtand auf, eben da der Solmes ei - nige Sylben heraus brachte, die der Anfang ei - ner Rede werden ſolten, und die krummen Fuͤſſe ſo ſetzte, als wolte er naͤher zu mir kommen. Jn der That, alles was er thut iſt mir verhaßt. Jch unterbrach ihn: ich will meinen Bruder derMuͤhe156Die GeſchichteMuͤhe uͤberheben / ſeine Raritaͤt herzubrin - gen: machte meinen Reverentz, und ſagte: ihre Dienerin mein Herr. Er ſahe aus wie ein Nar - re, und rief ein paar mahl: Madame! Madame! Jch ließ ihn ſtehen, und ſuchte meinen Bruder auf, um mein Wort zu halten, der mit meiner Schweſter in den Garten gegangen war, obgleich das Wetter nicht eben das beſte war. Nun war es deutlich, daß er ſeine Raritaͤt bey mir in der Stube gelaſſen hatte, und mir keine andere zu zeigen gedachte.

Jch war kaum in meine Stube getreten, und hatte mir vorgenommen, mir durch meine Hanni - chen die Erlaubniß ausbitten zu laſſen, daß ich meine Mutter allein ſprechen koͤnte, wozu mir ihre vorhin bewieſene Guͤtigkeit noch mehr Muth machte: ſo kam Schorey ſchon, und brachte mir Befehl von ihr, mich in ihrem Cloſet(*)Wir werden mit Erlaubniß des Leſers dieſen Namen beybehalten, weil ich kein deutſches Wort finde, das die Sache recht ausdruckt. Die Engliſchen Haͤuſer ruͤ - cken gemeiniglich auf der Seite des Hofes ein gantz kleines Neben-Gebaͤude etwan 4 bis 5. Ellen lang und breit hinaus: in demſelben iſt in jedem Stockwerck ein Cabinet ohne Camin, in welches man aus der Stube gehet, dieſes nennen ſie Cloſet. ein - znfinden.

Jch erfuhr durch Hannichen, daß mein Va - ter eben mit einem ernſtlichen und zornigen Geſich - te aus meiner Mutter Stube gegangen war. Jch furchte mich deshalb eben ſo ſehr vor einer Un -terre -157der Clariſſa. terredung mit meiner Mutter, als ich ſie vorhin gewuͤnſcht hatte. Jch ging aber dennoch hin - unter: und meine Furcht machte, daß ich mit Zittern zu ihr trat, und ſie ſehen konnte, wie mir das Hertz ſchlug.

Sie ſahe, daß ich voller Furcht waͤre, und oͤffnete mir ihre liebreichen Armen mit denen ſie mich umfing. Komm mein Kind / ſagte ſie, und kuͤſſe mich. Warum zittert mein Klei - nod ſo? Dieſe Guͤtigkeit, damit ſie mich auf das zubereitete, was ſie unangenehmes zu ſagen hatte, und die Freundlichkeit, die ich kurtz vorhin von ihr genoſſen hatte, benahmen mir meine Furcht einiger maſſen: Sie ſahe wol, daß ſie die bittere Pille verſilbern muͤſte.

Jch konnte nichts weiter zu ihr ſagen, als: o meine Mutter! Jch ſchlug meine Arme um ihren Hals, und ließ mein Geſicht in ihren Buſen ſincken. Sie ſpꝛach: mein Kind / mein Kind / du kanſt gar zu beweglich thun. Brauche dich jetzt deines Veꝛmoͤgens nicht, ſonſt wer - de ich mich mich nicht wagen duͤrfen, bey diꝛ allein zu bleiben. Wir weinten beyde: Jhre Thraͤ - nen fielen auf meinen Hals, und meine in ihren Bu - ſen. O muͤſſen alle dieſe guͤtige Worte, davon ihre Lippen uͤberfloſſen, vergeblich ausgeſprochen ſeyn! Hebe doch dein liebes Geſicht auf: ſagte ſie noch weiter: mein beſtes Kind! meine eigene Tochter! meine Claͤrchen Harlowe! meine allerliebſte Tochter! hebe doch das Geſicht auf / das ich ſtets ſo ſehr geliebet habe. Was158Die GeſchichteWas ſollen dieſe Seuffzer! Soll die bloſſe Furcht, daß ich dich zum Gehorſam er - mahnen muß / dich in ſolche Unruhe ſetzen, daß du ehe ich noch anfange zu reden Es iſt mir lieb / mein Hertz / daß du nun ſchon rathen kanſt / was ich zu ſagen ha - be. Jch bin nun der Muͤhe uͤberhoben / dir das zu eroͤffnen / was mir wuͤrde ſo ſchwer geworden ſeyn / und was ich doch uͤber mich genommen hatte / dir zu ſagen.

Hierauf ſtund ſie auf, um einen Stuhl herbey zu ziehen. Jch muſte mich, ſo wie ich war, da ich mir aus Furcht vor dem was ſie zu ſagen hatte, und aus Danckbarkeit gegen ihr muͤtterli - ches Hertz, der Thraͤnen nicht enthalten konnte, bey ihr niederſetzen. Seuffzer blieben noch die eintzige Sprache, die ich reden konnte. Sie zog ihren Stuhl noch naͤher an meinen, und umfaſ - ſete mich mit ihren zaͤrtlichen Armen, und druͤck - te meinen gluͤenden Hals, den ſie mit Thraͤnen befeuchtet hatte, an den ihrigen: laß mich denn reden / mein Kind / weil du doch nicht re - den willſt. Hoͤre mir denn zu; und falle mir nun auch nicht in die Rede.

Du weißt / mein Kind / was ich taͤglich auszuſtehen habe / um Frieden zu erhalten. Dein Vater iſt ein guter Mann und mei - net es recht gut: aber er will ſich weder einreden / noch ſich uͤberreden laſſen. Du haſt bisweilen mit mir Mitleiden gehabt / daß ich in allen Dingen nachgeben[muß]. Der159der Clariſſa. Der arme Mann! Er hat wenig Ehre / und ich habe deſto mehr Ehre davon / wenn ich nachgebe: ich wollte aber lieber dieſe Ehre nicht haben / da ſie mir und ihm ſo theur zu erkauffen wird. [Du] biſt ein ge - horſames / ein verſtaͤndiges Kind / (ver - muthlich wollte ſie mich durch dieſes Lob erſt ſo ge - horſam und verſtaͤndig machen, als ſie mich zu ſehen wuͤnſchte) ich weiß gewiß / du wirſt meine Unruhe nicht vergroͤſſern wollen: du wirſt den Haus-Frieden nicht ſtoͤren wol - len / der deiner Mutter bisher ſo viel geko - ſtet hat. Gehorſam iſt beſſer denn Opfer. O meine Claͤrchen Harlowe / erfreue mich / und ſage mir / daß ich bisher eine unnoͤthige Furcht deinetwegrn gehabt habe. Jch ſe - he deine Bekuͤmmersiß! ich ſehe deine Ver - wirrung wohl! Jch ſehe / wie du mit dir ſelbſt zu ſtreiten haſt. Jch will dich einen Augenblick allein laſſen. Hier zog ſie ihre Arme von meinem Halſe ab, und ſtund auf, damit ich ihre eigene Bekuͤmmerniß und Mitleiden nicht wahrnehmen moͤchte. Jch wollte reden, und fiel ſo gleich, da ſie mich loßgelaſſen hatte, auf mei - ne Kniee, als wollte ich ſie um Huͤlfe und Mit - leiden anflehen. Aber ſie ſagte: Antworte mir nicht. Jch habe mich noch nicht gefaſſet / deine unuͤberwindlichen Bitten und Klagen anzuhoͤreu. Jch will dich allein laſſen / damit du dich beſſer faſſen kanſt. So lieb dir deiner Mutter Segen iſt / ſo ſehr bitteich160Die Geſchichteich dich / laß nicht alle meine muͤtterliche Zaͤrtlichkeit an dir verſchwendet ſeyn. Sie ging hierauf in die Stube, und wiſchte ſich die Augen ab, da meine von Thraͤnen uͤberfloſſen, und und mein Hertz alles verſtand und fuͤhlte, was ſie mir hatte ſagen wollen.

Sie kam bald wieder, nachdem ſie ſich haͤr - ter gemacht hatte, und fand mich noch auf mei - nen Knieen. Das Geſicht hatte ich auf den Stuhl gelegt, auf dem ſie geſeſſen hatte.

Siehe mich doch an / ſprach ſie, meine Claͤrchen Harlowe. Jch hoffe / du wirſt nicht muͤrriſch und eigenſinnig leyn. Nein! ſagte ich: gewiß nicht. Jch ſtand auf: und fiel abermals vor ihr auf die Knie. Sie richtete mich auf: Kein knien gegen mich! als nur durch Gehorſam und Nachgeben. Dein Hertz / und nicht deine Knie muͤſſen ſich beugen. Die Sache iſt einmal ausge - macht. Schicke dich / deinem Vater ſo zu begegnen / wenn er zu dir kommen wird / als er es wuͤnſcht. Auf dieſer eintzigen Viertel-Stunde beruht meine kuͤnfftige Ruhe und Gluͤckſeligkeit / das Vergnuͤgen unſerer Familie / und deine eigene Sicher - heit. Denn du weißt / wie hefftig dein Va - ter iſt. Jch ſage dir endlich / daß du / ſo lieb dir mein Segen iſt / dich darein erge - ben ſollſt / Herrn Solmes zu nehmen.

Nun ging mir der Stich an das Hertz. Jch fiel nieder: und da ich wieder zu mir ſelbſt kam,be -161der Clariſſa. befand ich mich in den Haͤnden meiner Hanni - chen und des Cammermaͤdchens meiner Schwe - ſter, die mir die Haͤnde offen hielten. Sie hatten mir die Naͤthe an den Kleidern aufgeſchnitten, und meine Mutter war weggegangen. Waͤre meine Mutter vorhin nicht ſo guͤtig gegen mich geweſen, und haͤtte ſie den verhaßten Namen gar nicht, oder nach einiger vorhergegangenen Vorbereitung ge - nannt, ſo wuͤrde ich den ſchrecklichen Ton ohne eine ſo merckliche Gemuͤths-Bewegung haben an - hoͤren koͤnnen. Aber was fuͤr ein hartes Wort einer Mutter, gegen die ich ſo viel kindliche Liebe und Ehrfurcht hege, war es nicht, daß ſie mir bey Verluſt ihres Segens befohl, daß ich mich darein ergeben ſollte, Herrn Solmes zu neh - men?

Schorey brachte mir darauf in meiner Mut - ter Namen auf eine recht foͤrmliche Art dieſes Com - pliment: die gnaͤdige Frau iſt wegen ihrer Unpaͤßlichkeit ſehr bekuͤm̃ert. Sie wuͤnſcht ſie nach einer Stunde wieder bey ſich zu ſe - hen / und hat mir noch aufgetragen ihnen zu ſagen: daß ſie alsdenn alles von ihrem Gehorſam erwartet. Jch ließ nichts wieder beſtellen. Denn was konte ich ſagen? Hanni - chen muſte mich in meine eigene Stube fuͤhren. Sie werden leicht dencken, wie ich hier den groͤſſe - ſten Theil meiner Zeit zugebracht habe.

Jndeſſen kam meine Mutter zu mir herauf. Sie ſagte: ich will lieber in dieſe Stube kommen. Erſchrick dich nur nicht, mein Kind: zittereErſter Theil. Lnicht162Die Geſchichtenicht. Bin ich nicht deine Mutter? Bin ich nicht deine guͤtige, deine liebe Mutter? Mache mich nicht durch deine Unruhe auch unruhig. Jch will dich gern vergnuͤgt machen; mache du mich nicht misvergnuͤgt. Komm, mein Kind, wir wollen in deine Buͤcher-Stube gehen.

Sie faßte meine Hand, ging voran, und hieß mich bey ihr niederfitzen. Nachdem ſie ſich nach meinem Befinden erkundiget hatte, fing ſie ſo an zu reden, als glaubte ſie, daß ich die Bedenckzeit dazu angewandt haͤtte, alle meine Zweifel zu uͤber - winden.

Sie beliebte zu ſagen, daß mein Vater und ſie um meine natuͤrliche Beſcheidenheit zu ſchonen, die gantze Sache uͤber ſich genommen haͤtten.

Hoͤre mich aus / und denn rede. (denn ich wollte eben losbrechen und mich verantworten.) Du weißt wohl was Herr Solmes fuͤr eine Abſicht gehabt hat / um welcher willen er unſer Haus bisher ſo oft beſucht hat.

Liebſte Mutter! ſagte ich.

Hoͤre mich aus / und denn rede. Er hat zwar nicht alle Eigenſchaften / die ich ihm wuͤnſchen moͤchte. Allein er iſt ein tugend - hafter Mann / und er hat keine Laſter.

Keine Laſter?

Hoͤre mich aus Kind. Du haſt in deiner Auffuͤhrung gegen ihn nicht allerdings ge - fehlt. Wir haben mit Vergnuͤgen geſehen / daß du nicht

Soll163der Clariſſa.

Soll ich itzo noch nicht reden?

Jch werde gleich ausgeredet haben. Ein ſo tugendhaftes und ſrommes Kind / be - liebte ſie zu ſagen / kan einen Ertz-Boͤſewicht ohnmoͤglich lieben. Du haſt viel zu viel Lie - be fuͤr deinen Bruder / als daß du jemanden zu heyrathen wuͤnſchen ſolteſt / der ihn bey nahe getoͤdtet haͤtte / der deines Vaters Bruͤdern drohet / und der uns allen trotzet. Du haſt ſechs oder ſieben mal deinen Wil - len gehabt. Wir wollen uns jetzt nur in Sicherheit ſetzen / daß du nie einem ſo lie - derlichen Menſchen zu Theil werden moͤ - geſt. Sage es mir. Jch darf es doch wohl wiſſen: ob du dieſen Kerl allen uͤbri - gen vorzieheſt? GOtt behuͤte mich / daß du nicht mit Ja antworteſt. Denn eine ſolche Erklaͤrung wuͤrde uns alle ungluͤck - lich machen. Doch ſage es mir / biſt du in dieſen Mann verliebet?

Jch wußte wohl, was darauf folgen wuͤrde, wenn ich nein geſaget haͤtte.

Du ſtockeſt. Du antworteſt mir nicht: du kanſt mir nicht antworten. (Sie ſtand auf) Jch will dich nie wieder anſehen.

O Liebſte Mutter / Toͤdten ſie mich nicht durch ihren Unwillen. Jch wollte nicht / ich koͤnte nicht einen Augenblick ſchweigen / wo ich nicht eine Folge vermuthen muͤßte / wenn ich ſo antwortete / wie ſie es gerneL 2ſehen. 164Die Geſchichteſehen. Allein es mag meine Antwort fuͤr eine Folge haben / welche ſie will / ſo zwin - get mich ihre Drohung doch zu reden. Jch ſage es frey heraus / daß ich mein eigen Herz nicht kenne / wenn es nicht ganz frey von Liebe iſt. Jch bitte liebſte Mutter / laſſen ſie mich doch fragen / womit habe ich es deñ in meiner Auffuͤhrung verſehen / daß ich wie ein leichtſinnigkes Maͤdchen ſoll zum Hey - rathen gezwungen werden / um mich ich weiß nicht wo vor zu bewahren. Darf ich ſie nicht bitten / daß ſie fuͤr meine Ehre be - ſorgt ſeyn wollen? Laſſen ſie ihre Clariſſa nicht zu einer Verbindung gezwungen wer - den / von der ſie gern ihr Lebe-Tage frey bleiben moͤchte es ſey auch mit wem es wol - le. Zwingen ſie mich doch nicht / aus der uͤberfluͤßigen Beyſorge / daß ich mir ſonſt ſelbſt eine Parthey ausſuchen und meine Familie beſchimpfen moͤchte.

Sie vergaß auf die Bewegungs-Gruͤnde, die ich vorgebracht hatte, zu antworten: Gut! ſagte ſie, Claͤrchen / wenn dein Hertz frey iſt

Meine liebe Mutter, laſſen ſie jetzt ihrem guͤti - gen und edlen Hertzen Freyheit, daß es ein Wort fuͤr mich bey ihnen ſprechen darff. Ziehen ſie nicht die Folge aus meinen Worten, die ich vor - hin beſorgte, und mich deshalb ſcheuete zu ant - worten.

Jch will mir nicht immer in die Rede fallen laſſen, Claͤrchen. Du ſieheſt in meiner Auf -fuͤh -165der Clariſſa. fuͤhrung gegen dich muͤtterliche Zaͤrtlichkeit. Du kanſt wol mercken, daß ich nicht gern von einer dir verdrießlichen Sache mit dir zu reden uͤber mich genommen habe, weil ich ſelbſt den Mann in einigen Stuͤcken noch beſſer wuͤnſchte, und weil ich weiß, daß du an einem Braͤutigam eine uͤbertriebene Vollkommenheit ſucheſt.

Halten ſie mir nur dieſes mahl, ſagte ich, entſchuldiget. Jſt denn einige Gefahr, daß ich etwas unbeſonnenes in Abſicht auf denje - nigen, auf welchen ſie zielen, vornehmen werde.

Noch einmal in die Rede gefallen! Sollſt du mich denn fragen, und die Sache mit mir aus - fechten? du weißt, daß wird an einem andern Orte nicht angehen: wahrhaftig es wird nicht angehen. Was haſt du unartiges Maͤdchen denn fuͤr Urſachen, es gegen mich zu verſuchen, als weil du meynſt, ich ſey ſo guͤtig, daß du es mir wohl bieten duͤrfeſt.

Was ſoll ich ſagen? was ſoll ich thun? Was kan doch fuͤr eine Urſache dazu vorhan - den ſeyn, daß keine Vorſtellung von mir an - genommen werden ſoll?

Noch einmahl, Clariſſa Harlowe?

Vergeben Sie mir, allerliebſte Mutter. Jch habe ſtets meine Ehre und mein Vergnuͤgen darin geſucht, daß ich ihnen Gehorſam gelei - ſtet habe. Aber ſehen ſie doch den Mann nur an! wie ungeſtalt! wie unangenehm!

L 3 Nun166Die Geſchichte

Nun ſehe ich, Claͤrchen / auf wen du ein Auge wirfſt. Herr Solmes iſt nur in Ver - gleichung gegen einen andern unangenehm, weil er nicht ſo viel angenehmes hat als ein anderer, der dir beſſer in die Augen faͤllt.

Aber, erwiederte ich, ſind nicht ſeine Sit - ten eben ſo unangenehm? Jſt nicht ſeine aͤuſſere Geſtalt eine wahre Abbildung ſeines Gemuͤths? Jch frage nach dem andern Mann gar nichts, und will nichts nach ihm fragen. Erloͤſen ſie mich nur von dieſem, vor dem mein Hertz einen naturlichen Abſcheu hat.

Unterſtehe dich nur, deinem Vater ſolche Bedingungen vorzuſchreiben! Glaubſt du, daß es ihm wird ertraͤglich ſeyn, ſich mit dir in einen ſolchen Wortwechſel einzulaſſen? Habe ich dich nicht beſchworen, gehorſam zu ſeyn, ſo lieb es dir iſt, daß ich noch eine ruhige Stunde habe? Was habe ich in der Welt, daß ich nicht aufopfere? Selbſt die Arbeit die ich jetzt uͤbernehme, weil ich beſorgte du moͤchteſt dich nicht ſo leicht bewegen laſſen, iſt mir wahrhaftig eine ſchwere Arbeit. Wilſt du denn gar nichts aufopfern? Haſt du nicht alle Partheyen aus - geſchlagen, die dir angetragen ſind? Wenn wir keinen Argwohn haben ſollen, daß du dabey ei - ne geheime Abſicht gehabt haſt, ſo bequeme dich jetzt. Denn gehorchen muſt du, oder du wirſt dafuͤr angeſehen werden, als wollteſt du der gantzen Famile trotzen.

Als ſie dis geſagt hatte, ſtand ſie auf, undging167der Clariſſa. ging weg. Allein in der Thuͤr blieb[ſie] noch ſtehen, und kehrte ſich mit den Worten um: ich will drun - ten nicht erzehlen, in was fuͤr einer Gemuͤths-Faſ - ſung ich dich verlaſſen habe. Ueberlege alles wohl. Die Sache iſt einmal beſchloſſen. Wenn du dei - nes Vaters und deiner Mutter Segen und das Vergnuͤgen der gantzen Familie hochſchaͤtzeſt, ſo gib nach. ich laſſe dich auf einige Augenblick al - lein, und komme bald wieder. Mache, daß ich dich ſo finde, als ich dich gern finden wollte. Wenn dein Hertz frey von Liebe iſt, ſo laß es durch Gehor - ſam regiert werden.

Nach einer halben Stunde kam meine Mutter wieder. Sie faßte mich an die Hand, und ſagte: iſt es mir beſcheert, daß ich mich immer ſelbſt wegen meiner Fehler beſtrafen muß? Jch fuͤrch - te, daß ich mir durch die Art, mit der ich mei - nen Vortrag anbrachte, ſelbſt deine abſchlaͤgige Antwort zugezogen habe. Jch fing ſo an mit dir zu reden, als wenn ich eine abſchlaͤgige Ant - wort befuͤrchtete, und durch dieſe Gelindigkeit habe ich dich dreiſte gemacht, ſie mir zu geben.

Sagen ſie das nicht, wertheſte Mutter!

Sie fuhrt fort: wenn ich ſelbſt die Gelegen - heit zu unſerm Streit gegeben haͤtte; ja wenn es nur in meiner Macht ſtuͤnde, nachzugeben: ſo weiſt du wohl, wie viel du bey mir ausrich - ten kanſt.

Was meynen Sie, liebſte Fraͤulein Howe / kan man Luſt zum heyrathen bekommen, wenn man gewahr wird, daß ein ſo artiges und edlesL 4Gemuͤth168Die GeſchichteGemuͤth als meiner Mutter ihres entweder da - durch ungluͤcklich oder alles Vermoͤgens beraubet werden muß, ſeinen guͤtigen Trieben zu folgen?)

Jch wollte das vorige mahl deine Gruͤnde nicht einmahl anhoͤren, weil ich doch ſchon zum voraus wuſte, daß ſie nichts ausrichten wuͤrden. Auch hierin habe ich gefehlt. Denn von ei - nem jungen Kinde, das gewohnt iſt, alles zu uͤberlegen, und ſich durch Gruͤnde uͤberzeugen zu laſſen, muß man billig alle Einwendungen anhoͤren. Jch komme aber zum dritten mahl, und bin bereit, alles anzuhoͤren, was du zu ſagen haſt. Aber laß dich doch durch meine Gedult zur Danckbarkeit, ich will ſo gar ſagen, zur Großmuth reitzen! denn mit dir ſpreche ich jetzund, die du ſonſt ein ſo großmuͤthiges Hertz gehabt haſt. Wenn dein Hertz in der That durch keine andere Liebe gebunden iſt, ſo zeige mir einmal, wie viel du mir zu Gefallen thun kanſt. Sey nur ſo beſcheiden in deinen Reden, als du ſonſt zu ſeyn pflegeſt, ſo will ich alles anhoͤren: aber wiſſe zum voraus, du magſt ſagen was du wilſt, ſo wird es nichts fruchten.

Wie fuͤrchterlich iſt dieſe Vorbereitung? ſagte ich. Jndeſſen wuͤrden doch meine Reden etwas fruchten, wenn ich Sie nur zum Mitlei - den bewegen koͤnte.

Mein Mitleiden und meine Liebe haſt du vollkommen. Allein Claͤrchen / was fragt ein ſo verſtaͤndiges Kind, deſſen Hertz ſonſt durch nichts169der Clariſſa. nichts gebunden iſt, nach dem aͤuſſerlichen Anſehen?

Soll denn aber mein Auge gleich durch das erſte Anſehen beleidiget werden, um mein Hertz zu gewinnen? koͤnnen Sie darauf dencken, daß ich einen heyrathen ſoll, bey deſſen Anblick ſich gleich das Herz im Leibe vor Eckel umkehren muß, ſonderlich wenn eine jede Unterredung mit ihm mich daꝛin bekꝛaͤftiget, daß mein Eckel geꝛecht ſey?

Das ſind nur vorgefaßte Meynungen, Claͤr - chen. Laß mich nicht ſo weit getrieben wer - den, daß ich die edle Standhaftigkeit bey dir fuͤr einen Fehler anſehen muß, die ich ſonſt fuͤr deine Ehre hielt, und darauf ich mir mit mei - ner Tochter recht viel einbildete. Jn dieſem Fall wuͤſte ich es nicht anders als Hartnaͤckigkeit und Ungehorſam zu nennen. Haſt du nicht ge - gen etliche allerhand Einwendungen gemacht

Die Einwendungen gingen auf ihr Gemuͤth, oder auf ihre Begriffe von der Religion. Aber dieſer Mann

Jſt ein ehrlicher Mann, Claͤrchen. Er hat ein gut Gemuͤth. Er iſt ein tugendhafter Mann.

Er ſoll ein ehrlicher Mann ſeyn? Sein Ge - muͤth gut? Er ein tugendhafter Mann?

Niemand hat ihm dieſen Ruhm je abgeleug - net.

Kan das ein ehrlicher Mann ſeyn, der an allen ſeinen Anverwanten zum Raͤuber werden, und ihnen ihre gerechte Anwardtſchaften entzie -L 5 hen170Die Geſchichte hen will? kan der ein gutes Gemuͤth haben?

Aus Liebe zu dir, Claͤrchen / verſpricht er eben ſo vieles. Du biſt die allerletzte, die ihm ſeine Guͤtigkeit gegen dich[vorwerfen] darf.

Vergoͤnnen Sie mir dis zu ſagen. Wer wahre Gluͤckſeligkeit hoͤher ſchaͤtzt, als Geld, wie ich thue, die ich nicht einmal ſo viel brauche als ich habe, und das meinige zum Zeichen mei - nes Gehorſams fahren laſſen kan

Nichts mehr! nichts mehr von deinen guten Wercken. Du weißt, daß du durch die Probe, die du mit Freuden von deinem Gehorſam ge - geben haſt, nichts verlieren ſondern gewinnen wirſt. Du haſt nur dein Brod uͤber das Waſſer fahren laſſen. Sage alſo nichts mehr davon. Es ſieht es nicht jedermann fuͤr ein [gutes] Werck an: ob ich es gleich fuͤr ein ſehr gutes Werck halte. Und ſo urtheilten auch dein Vater und ſeine Bruͤder damahls davon.

Damahls! ſagen ſie. O wie niedertraͤch - tig handelt mein Bruder und meine Schweſter, weil ſie beſorgen, daß die Liebe, die alle noch vor kurtzen auf mich wurfen

Jch hoͤre keine Klage gegen deinen Bruder und Schweſter an. Was fuͤr Streitigkeiten in unſerer Familie ſehe ich zu einer Zeit zum voraus, in welcher ich hoffete, daß ihr alle der Troſt, meiner zunehmenden Jahre werden ſolltet!

GOtt gebe ſein Gedeyen zu allen großmuͤ - thigen Abſichten meines Bruders und meiner Schweſter! Jch will keine Streitigkeiten in der Familie171der Clariſſa. Familie veranlaſſen, wenn ich ihnen nur vor - beugen kan. Sie ſollen mir ſelbſt befehlen, was ich von ihnen tragen ſoll: und das will ich tragen. Allein laſſen ſie meine Handlungen fuͤr mich reden, und richten ſie ſich nicht nach den falſchen Auslegungen, die jene daruͤber machen. Denn ich bin gewiß verſichert, daß dieſes mein Ungluͤck geweſen iſt. Aus den harten und unangenehmen Verboten, die mir neulich gegeben ſind, habe ich es wohl mercken koͤnnen.

Eben kam mein Vater herauf. Seine ernſt - hafte Mine machte mich zitternd. Er ging zwey oder dreymahl in meiner Stuben auf und nieder, und ſagte darauf zu meiner Mutter, die bey ſei - nem Eintritt in die Stube aufhoͤrte zu reden: du biſt lange ausgeblieben. Das Eſſen iſt bald fertig. Was du zu ſagen hatteſt, brauch - te nicht viel Worte: ſondern du brauchteſt nur ihr deinen und meinen Willen kund zu thun. Vielleicht aber haſt du etwas von der Zuberei - tung auf die Hochzeit abzureden gehabt. Komm bald herunter, und bringe deine Tochter mit, wenn ſie anderſt dieſen Namen verdient. Als er wegging, gab er mir einen ſo ernſthaften Blick, daß ich nicht im Stande war, ein Wort mit ihm zu reden, ja ich konte eine halbe Viertel-Stunde gegen meine Mutter aus Beſtuͤrtzung kein Wort vorbringen.

Konte einen dieſes Betragen nicht einen Schre - cken einjagen? Meine Mutter ſchien mit meiner Bekuͤmmerniß Mitleiden zu haben. Sie kuͤſſetemich,172Die Geſchichtemich, nennete mich ihr liebes Kind / und ſag - te mir: mein Vater ſollte nichts davon erfahren, daß ich mich ſeinem Willen eine Zeitlang wider - ſetzt haͤtte. Er haͤtte uns auf eine Ausflucht ge - holfen, damit ſie ihr langes Auſſenbleiben ent - ſchuldigen koͤnnte. Komm mein Hertz / ſag - te ſie, das Eſſen wird gleich aufgetragen werden. Wir wollen hinunter gehen. Mit dieſen Worten ergriff ſie meine Hand.

Hieruͤber erſchrack ich, und ſagte: Wie? ich ſoll mit Jhnen hinunter gehen, um meinen Vater in der Meynung zu beſtaͤrcken, daß wir von Vorbereitungen zur Hochzeit geredet haben. O meine liebe Mutter, befehlen ſie mir nicht, mit ihnen zu gehen, wenn dieſe Auslegung dar - uͤber gemacht werden ſoll.

Du ſiehſt, mein Kind, antwortete ſie, daß dein Vater uͤber unſer laͤngeres Auſſenbleiben die noch ſchlimmere Auslegung machen wird, als wollteſt du uͤber etwas ſtreiten und rechten, was doch ſchlechterdings deine Schuldigkeit iſt. Sey verſichert, daß ihm dieſes unertraͤglich ſeyn wird. Hat er dir nicht ſelbſt vor einigen Tagen geſagt, daß er Gehorſam fodert? Jch will dich zum dritten mahl verlaſſen. Jch muß etwas zu deiner Entſchuldigung erdencken: ſoll ich ſagen, daß deine Bloͤdigkeit bey dieſer Gelegenheit

Jch bitte ſie, ſagen ſie nichts von Bloͤdig - keit bey einer ſolchen Gelegenheit. Dadurch wuͤrde ich Anlaß geben zu hoffen

Wilſt173der Clariſſa.

Willſt du denn nicht Anlaß geben zu hoffen, verkehrtes Maͤdchen? Sie ſtand auf, und ging eilig weg: nimm dir Bedenck-Zeit! Es iſt noͤthig, daß du dir Bedenck-Zeit nimmſt. Wenn ich wieder komme, ſo laß mich hoͤren, ob ich wegen meiner Geduld gegen dich mich ſelbſt beſtraffen, und von deinem Vater taͤglich mir es vorwerffen laſſen ſoll, daß ich dich ver - zogen habe.

Sie blieb noch ein wenig in der Thuͤr ſtehen, und ſchien zu erwarten, daß ich mich bedencken und ſie bitten ſolte, einige Entſchuldigung und guͤtige Auslegung meines Auſſenbleibens vorzu - bringen. Denn ſie ſagte zu mir: ich glaube / du wirſt verbitten / daß ich nicht ſagen ſoll / was

Jch unterbrach ſie: wo ſoll ich auf Liebe und Zaͤrtlichkeit hoffen / wenn ich meiner Mutter Hertz verlohren habe?

Sie ſehen leicht ein, daß eine Bitte, mein Auſ - ſenbleiben guͤtig zu deuten, in der That ſo viel wuͤrde geweſen ſeyn, als wenn ich uͤber die Fra - ge, wegen welcher ich mich ſchon voͤllig entſchloſ - ſen hatte, noch handeln wollte, und daß ich dadurch den meinigen Gelegenheit gegeben haben wuͤrde zu hoffen, daß ich noch einiger maſſen zweifelhaft waͤre. Meine Mutter ging demnach allein hin - unter.

Hier will ich meine Erzaͤhlung ſchlieſſen, und ſie an Ort und Stelle bringen. Sie beehren mich mit einer ſo zaͤrtlichen Liebe, daß ich nicht fuͤrch -ten174Die Geſchichteten darff, daß ſie meine Erzaͤhlung von Kleinig - keiten, die jedoch meine Ehre und Gluͤckſeeligkeit betreffen, fuͤr allzu umſtaͤndlich halten. Jch wer - de daher meine kuͤnftige Briefe eben ſo einrichten, als dieſen. Jch bin in ſo mißlichen Umſtaͤnden, daß ich frey und offenhertzig geſchriebene Nach - richten nicht gern unter meinen Papieren behalten mag. Jch bitte Sie, laſſen Sie Robert taͤg - lich zuſehen, ob ich einen Brief hingelegt habe, wenn er gleich bisweilen vergeblich kommen ſollte. Jch werde mich aber freuen, wenn Sie ihn nicht mit leerer Hand nach dem gruͤnen Gange ſchicken. Was fuͤr eine Guͤte gegen mich wird es ſeyn, wenn die Freundſchaft Sie ſo fleißig im Brief-Wechſel macht, als mich mein Ungluͤck! Wenn die Briefe weggenommen ſind, ſo halte ich mich verſichert, daß ſie zu Jhren Haͤnden gekommen ſind. Da ich ſchreiben werde, ſo oft ich Gelegenheit habe, ſo darf ich kuͤnftig den Titel und die Unterſchrifft weglaſſen. Denn Sie wiſſen ohnehin ſchon, mit wie vieler Ergebenheit ich bin,

Dero ergebenſte Clariſſa Harlowe.

Der ſiebzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe /

Meine Mutter kam gleich nach dem Eſſen wieder zu mir, und erzaͤhlte mir: meinVa -175der Clariſſa. Vater habe ſie befragt, ob ich mit Freuden ge - horſam waͤre? (es ſcheint, an dem Gehorſam ſelbſt zweifelt man nicht, ſondern nur an meiner Freude bey dem Gehorſam) Sie habe geant - wortet: ſie haͤtte einem Kinde, das ſie ſo viel Urſache haͤtte zu lieben (ihr Ausdruck war, ſie haͤtte ſich nicht entbrochen dis zu bekennen) gern Freyheit laſſen wollen, alles zu ſagen, was ihm auf dem Hertzen laͤge, damit der Gehorſam deſto williger und ungezwungener ſeyn moͤchte. Sie haͤtte eben meine Einwendungeu geduldig angehoͤrt, als er in die Stube getreten ſey: und ſie faͤnde, daß ich uͤberall nicht Luſt haͤtte, mich zu verheyrathen.

Mein Vater hat hierauf mit Unwillen geant - wortet: ſie mag ſich in Acht nehmen! Sie mag ſich ja in Acht nehmen, damit ſie ſich nicht bey mir verdaͤchtig macht, als wenn ihr Hertz an ei - nem andern haͤnget. Allein du kanſt ſie aushoͤ - ren, wenn ſie blos ihr Hertz ausſchuͤtten, und ſich nicht gegen meinen Befehl auflehnen will. Mei - ne Mutter erzaͤhlte mir dieſes, mit dem Zuſatz: ich bin mit eben der Gemuͤthsfaſſung wieder zu dir gekommen, wenn du mich durch deinen Ei - genſinn nicht zwingeſt, daß ich meine Auffuͤh - rung gegen dich aͤndern muß.

Sie haben mir Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, ſagte ich, wenn Sie bezeuget haben, daß ich ſchlechterdings keine Luſt habe, mich zu ver -hey -176Die Geſchichte heyrathen. Jch hoffe, ich ſey bisher nicht ſo unnuͤtz in meines Vaters Hauſe geweſen, daß

Erzaͤhle mir deine Verdienſte nicht, Claͤr - chen. Du biſt ein gutes Kind geweſen, und haſt mir die Haushaltungs-Sorgen abgenom - men: mache mir aber jetzt nicht mehrere Sorgen, als du mir jemals abgenommen haſt. Die Ehre, die dir deine Geſchicklich keit in der Haushaltung erworben hat, hat deine Muͤhe reichlich bezahlet. Allein es wird nun die Huͤlfe, die ich von dir haben kan, bald ihr Ende erreichen. Denn wenn du heyratheſt, ſo iſt dis ihr natuͤrliches und zugleich ein uns allen angenehmes Ende, falls nemlich deine Heyrath nach unſerm Sinn iſt: denn deine eigene Haushaltung wird deine Aufſicht erfodern. Schlaͤgſt du aber dieſe Par - they aus, ſo iſt deine Huͤlffe doch am Ende, aber nicht auf die natuͤrliche Weiſe. Du verſtehſt mich wohl, mein Kind! Jch weinte. Sie fuhr fort: ich habe mich ſchon nach einer Haus - haͤlterin umgeſehen. Jch haͤtte gern deine ehr - liche Frau Norton gehabt: aber ich glaube daß du ſelbſt wuͤnſchen wirſt, dieſe brave Frau bey dir zu haben. Jſt das dein Wunſch, ſo will ich dir gern hierin gefaͤllig ſeyn.

Allein warum liebſte Mutter, warum ſtoͤßt man die juͤngere Schweſter in einen Stand, in den ich uͤberall zu treten nicht Luſt habe.

Jch glaube, du wilſt mich fragen, warum man bey Herrn Solmes Antrag nicht auf dei - ne Schweſter dencke.

Ja,177der Clariſſa.

Ja, das meyne ich auch, wenn mir er - laubt iſt dis zu fragen.

Die Antwort darauf kanſt du von deinem Vater erhalten. Herr Solmes hat ſeine Urſachen darum er dich ihr vorziehet.

Und ich habe meine Urſachen, darum ich ihn nicht haben will. Warum ſoll ich

Sie unterbrach mich: die Hitze, mit der du mir antworteſt, iſt unertraͤglich. Jch will weggehen, dein Vater mag kommen, denn ich ich ſehe, ich kan nichts bey dir ausrichten.

Jch will lieber ſterben, als

Sie legte mir die Hand auf den Mund. Re - de kein Wort, Claͤrchen, bey dem du nicht wieder zuruͤck kanſt. So bald du mit einem Worte ſageſt, daß du nicht nachgeben willſt, ſo bald iſt unſre Unterhandlung aus.

Jch weinte vor Kummer: dis ſind alle meines Bruders Anſtalten. Das iſt die Frucht ſeiner unerſaͤttlichen Abſichten.

Tadele deinen Bruder nicht: ihm liegt nichts am Hertzen, als die Ehre der Familie.

Jch will meine Familie eben ſo wenig be - ſchimpfen, als mein Bruder.

Das glaube ich gern: aber du wirſt hoffent - lich deinem Vater, mir, und deinen Onckles zutrauen, daß wir am beſten wiſſen, was der Familie Ehre oder Schande macht.

Jch erbot mich abermals unverheyrathet zu bleiben, odeꝛ wenigſtens nicht ohne alleꝛ voͤllige Be - willigung eine Parthey zu erwaͤhlen. Allein ichErſter Theil. Mbekam178Die Geſchichtebekam zur Anewort: wenn ich Proben meines Gehorſams geben wollte, ſo muͤſten ſie und nicht ich ſelbſt beſtimmen, worin dieſe Pro - ben beſtehen ſollten.

Jch antwortete: ich hoffete, ich haͤtte mich ſtets ſo aufgefuͤhret, daß eine ſolche Probe meines Gehorſams, als man mir jetzt auf - legte, nicht noͤthig waͤre.

Ja, ſagte ſie, du haſt dich ſehr wohl auf - gefuͤhret. Allein dein Gehorſam iſt bisher noch nie auf die Probe geſtellet worden, und ich hoffe, du wirſt in dieſer Probe gut beſtehen wollen. So lange die Kinder klein ſind, gefaͤllt den Eltern alles was ſie thun. Du biſt frey - lich in deiner gantzen Auffuͤhrung ein gutes Kind geweſen: wir aber haben dir mehr nach - gegeben, als du uns. Jetzt iſt die rechte Probier - Zeit, da du in die Jahre getreten biſt, daß wir auf deine Verheyrathung dencken koͤnnen: ſon - derlich da dein Gros-Bater dich bey nahe in Freyheit geſetzt, und dich dabey denen vorgezo - gen hat, welche eine naͤhere Anwardtſchafft auf das Gut hatten.

Mein Gros-Vater wuſte ja zum voraus, daß mein Vater dieſen Abgang meinem Bru - der und meiner Schweſter erſetzen moͤchte; und er verlanget dieſes ſo gar in ſeinem letzten Wil - len. Jch habe nichts gethan, um mir ſeine Liebe zu erwerben, als was meine Schuldigkeit war. Es war ſein Vermaͤchtniß nicht ſowohl ein Vortheil fuͤr mich, als ein Zeichen ſeiner Liebe.179der Clariſſa. Liebe. Jch ſuche mich ja auch nicht von dem Gehorſam gegen meine Eltern loos zu reiſſen: wenn ich Koͤnigin von der gantzen Welt waͤre, ſo wollte ich meine Pflicht gegen ſie und gegen meinen Vater nie aus den Augen ſetzen; ich wollte mir ihren Segen kniend ausbitten, wenn auch millionen Menſchen zugegen waͤren. Alſo

Jch mag dir nicht gern in die Rede fallen, Claͤrchen / ob du gleich fertig genug biſt mir in die Rede zu fallen. Du biſt noch jung, und der Sinn iſt dir nicht gebrochen. Bey allem Ruhm, den du von deinem Gehorſam machſt bitte ich dich, mir etwas mehr Ehrer - bietung zu erzeigen, wenn ich rede.

Jch bitte ſie um Vergebung, und um Ge - dult, mich in einer ſo wichtigen Sache zu hoͤren. Wenn ich nicht ernſtlich redete, ſo wuͤrde es ſcheinen, als haͤtte ich nur einige Grillen, nach Art der Maͤdchens, im Kopf, da mir doch der Mann gaͤntzlich unertraͤglich iſt.

Clariſſa Harlowe!

Liebſte, allerliebſte Mutter, erlauben ſie mir nur dieſes mahl, daß ich ſagen darf, was ich auf dem Hertzen habe. Es iſt etwas hartes fuͤr mich, daß ich ihnen nicht einmal die Ur - ſache alles meines Ungluͤcks nennen darf. Denn ich ſoll kein unehrerbietiges Wort von einer gewiſſen Perſon reden, die mich fuͤr eine Hinderniß ihrer weitlaͤufftigen und gierigen Abſichten haͤlt, und ſich gegen mich auffuͤh - ret, als wenn ich ein Sclave waͤre.

M 2 Wie180Die Geſchichte

Wie weit gehſt du, Claͤrchen?

Liebſte Mutter, gegen meinen Vater habe ich zuviel Hochachtung und Ehrfurcht. Jch kan ihn nicht fuͤr ſo hart und herriſch halten, daß er gegen ſie geſtuͤnde, er wolle ſchlechter - dings als ein Herr mit mir umgehen.

Was nun Claͤrchen? Maͤdchen!

Jch bitte nur um Gedult. Sie ſelbſt belieb - ten ja zu ſagen, ſie wollten mich mit Gedult aushoͤren. Das aͤuſſerliche Anſehen ſoll bey mir ein Nichts ſeyn, weil man mich fuͤr ver - ſtaͤndig haͤlt! Mein Auge ſoll beleidiget, und mein Verſtand nicht uͤberzeuget werden!

Maͤdchen! Maͤdchen!

So will man mich durch die guten Eigen - ſchafften ſtraffen, deren man mich beſchuldigt. Jch ſoll ein Ungeheuer heyrathen.

Jch komme auſſer mir. Redeſt du noch Clariſſa Harlowe?

Meine liebe Mutter, in meinen Augen iſt er ein Ungeheuer. Damit ich zu dieſer Be - gegnung nicht ſauer ſehen moͤge, ruͤhmt man mich einmal, daß mein Hertz noch frey von Liebe ſey. Ein anderes mahl giebt man mir Schuld, daß ich mich in einem jungen Herrn verliebt habe, gegen deſſen Auffuͤhrung ſehr viel einzuwenden iſt. Jch werde eingeſperret, als wenn ich ein liederliches Maͤdchen waͤre, und mit dieſem Menſchen davon lauffen, und die gantze Familie beſchimpfen wollte. Wer kan Gedult behalten, wenn ihm ſo begegnet wird?

Nun181der Clariſſa.

Nun hoffe ich wirſt du mir auch erlauben zu ſprechen, Claͤrchen: denn ich meine, daß ich mit dir Geduld gehabt habe. Haͤtte ich den - cken koͤnnen doch ich will mich kurtz faſſen. Deine Mutter ſoll dir ein Exempel der Geduld geben, die du ſo dreiſte von ihr foderſt, und doch ſelbſt nicht beweiſeſt.

Dieſe Herablaſſung meiner Mutter machte mich recht bekuͤmmert, und ging mir weit mehr zn Hertzen, als Schaͤrffe und Haͤrte haͤtte thun koͤnnen. Allein ſie wuſte und ich glaube ſie uͤber - legte auch, daß ſie etwas ſehr hartes und unange - nehmes zu beſtellen uͤbernommen hatte, ja ich mag ſagen, etwas ungerechtes: ſonſt wuͤrde ſie nicht ſo viel Geduld mit mir gehabt haben.

Du muſt wiſſen, fuhr ſie fort, daß auf eine kurtze Zeit, darinn du dich beſinnen kannſt, alles ankommet: das hat mir dein Vater mit den Worten geſagt. Bisher biſt du ein ge - horſames Kind geweſen, wie du mir ſo oft vor - ruͤckeſt. Du haſt aber auch nicht Urſache ge - habt ungehorſam zu ſeyn: denn es hat nicht leicht ein Kind mehr Liebe genoſſen als du. Bey dir ſteht es nun, was du zu thun gedenckſt. Willſt du alle deine vorigen guten Wercke ſchwartz machen? Willſt du zu der Zeit, da man von dir erwartet, daß du deinen kindlichen Gehorſam durch die groͤſſeſte Probe croͤnen wer - deſt, da du ſageſt, daß dein Hertz frey von Lie - be ſey, uns dieſe ſo gewuͤnſchte Probe geben? Oder haſt du die Abſicht, frey und ungebundenM 3nach182Die Geſchichte nach deinem eigenen Sinne zu handeln? (Denn ſo wird man es nehmen, Claͤrchen / wenn du es auch nicht ſo meineſt) Wilſt du machen, daß einer den du vielleicht heimlich liebeſt, die Un - gebundenheit die dir dein eigenes geerbtes Ver - moͤgen zu geben ſcheint wider uns alle fuͤr dich oder vielmehr wider ſich ſelbſt anwendet? Wilſt du mit uns allen brechen? und einem ſo eiferſuͤch - tigen Vater trotzen, der vielleicht ohne Noth eiferſuͤchtig iſt, wenn es auf die Vorrechte ſeines Geſchlechts uͤber unſeres ankommt, aber war - lich noch zehnmal ſtrenger ſeyn wird, die Rech - te eines Vaters zu behaupten? Das iſt die Sache, die wir jetzt miteinander zu uͤberlegen haben. Du weißt, daß dein Vater einmal ſeinen Schluß gefaſſet hat, und daß er noch niemals nachgegeben hat, wo er glaubte, daß er Recht haͤtte die Sache durchzutreiben.

Nur allzu wahr! dachte ich bey mir ſelbſt. Mein Bruder hat einmal meinen Vater auf ſei - ner Seite, und ſo hat ſein Vorſchlag ſchon Haͤnde und Fuͤſſe, und wird gehen, ohne daß er ſich wei - ter bemuͤhet. Denn nun heißt es meines Va - ters Befehl, dem ich mich widerſetzte, und nicht meines Bruders gewinnſuͤchtige Abſichten. Jch ſchwieg ſtille, und ich muß bekennen, daß etwas Eigenſinn in meinem Stillſchweigen war. Mein Hertz war mir zu beklemmt, und es kam mir hart vor, daß meine Mutter mich ſelbſt gleich - ſam aufgegeben hat, und den unbaͤndigen Wil - len meines Bruders auch zu ihrem Willen ge -macht183der Clariſſa. macht hat. Allein mein Stillſchweigen half mir noch weniger: ſie ſagte: ich ſehe, Kind, du biſt uͤberzeugt. Nun biſt du mein gutes Kind, nun habe ich dich lieb, meine Claͤrchen. Jch will mich nicht einmahl mercken laſſen, daß du mir widerſprochen haſt, ſondern alle Schuld auf deine Beſcheidenheit ſchieben, die dir ſo beſon - ders eigen iſt. Deine Verleugnung und Ge - horſam ſoll dir bey deinem Vater als ein voͤl - liges gutes Werck angeſchrieben werden.

Jch weinte. Sie wiſchte mir die Thraͤnen zaͤrtlich aus den Augen, und kuͤſſete mich. Dein Vater wartet darauf, daß du mit einem froͤ - lichen Geſicht hinunter kommen ſolſt: ich will dich aber noch entſchuldigen. Du ſiehſt, daß ich allen deinen Einwuͤrffen mit recht muͤtter - licher Liebe und Geduld begegnet bin. Jch freue mich in der Hoffnung, daß du nun uͤber - zeuget biſt. Das iſt mir ein Beweis der er - freulichen Wahrheit, daß dein Hertz noch un - gebunden iſt.

Jſt dieſes nicht beynahe eine Grauſamkeit von einer ſo guͤtigen Mutter? Es wuͤrde gottlos ſeyn (waͤre es nicht gottlos, mein Schatz?) wenn ich glauben wollte, daß meine Mutter gegen mich Raͤncke ſpielen koͤnnte. Allein ſie wird gezwun - gen, und muß ſich allerhand Wege gefallen laſſen, vor denen ihr Hertz einen Abſcheu hat. Sie ſucht blos mein beſtes, denn ſie ſiehet ſchon zum voraus, daß meine Einwendungen bey gewiſſen andern Ohren gar kein Gehoͤr finden werden.

M 4Sie184Die Geſchichte

Sie ſagte: ich will hinunter gehen, und dich entſchuldigen, daß du dieſen Nachmittag nicht zum Thee kommſt: denn ich ſehe wohl, daß noch etwas Ueberwindung bey dir erfodert wird. Jch verdenke dir dieſes nicht, und ich will auch mit deiner natuͤrlichen Bloͤdigkeit Geduld haben. Du ſolſt alſo nicht herunter kommen, wenn du nicht ſelbſt wilſt. Dis eintzige verlan - ge ich, daß du mich durch deine Auffuͤhrung nicht zur Luͤgnerin machen ſolſt, wenn du zum Abendeſſen kommen wirſt. Fuͤhre dich auch ge - gen deinen Bruder und Schweſter nicht anders auf, als du ſonſt gethan haſt: denn aus deinem Betragen gegen ſie werden wir abnehmen, ob du uns mit Freuden gehorſam biſt, oder nicht. Du ſiehſt, daß ich dir als eine Freundin rathe, da ich dir als Mutter befehlen koͤnte. Lebe wohl, mein Hertz. Mit dieſen Worten kuͤſſete ſie mich, und wollte weggehen.

Meine liebſte Mutter, ſagte ich, ver - geben ſie mir: ihr Hertz kan gewiß nicht glau - ben, daß ich jemals ſo einen Mann haben will.

Sie ward ſehr ungehalten, und man konte an ihr mercken, daß es ſie verdroß, ſich in ihrer Hoffnung betrogen zu ſehen. Sie drohete mir, ſie wollte mich alles allein mit meinem Vater und ſeinen Bruͤdern ausmachen laſſen. Sie hielt mir offenhertzig und freymuͤthig vor: ich ſolte beden - cken, wie ich meinem Bruder und meiner Schwe - ſter das Schwerdt in die Haͤnde gaͤbe, wenn ſiemich185der Clariſſa. mich aus eigennuͤtzigen Abſichten bey meines Va - ters Bruͤdern anzuſchwaͤrtzen ſuchten. Sie ſag - te: ſie haͤtte fruͤhzeitig genug alle moͤgliche Ein - wendung gegen den jetzigen Vorſchlag angebracht, weil ſie zum voraus befuͤrchtet haͤtte, daß ich keine Luſt da zu haben wuͤrde, nachdem ich einige Par - theyen ausgeſchlagen haͤtte, bey denen das aͤuſſer - liche viel angenehmer geweſen waͤre. Haͤtte ſie durchdringen koͤñen, ſo wuͤrde ich gar nichts davon gehoͤrt haben. Da ſie aber nichts haͤtte ausrich - ten koͤnnen, ſo duͤrffte ich mir noch viel weniger Hoffnung dazu machen. Sie haͤtte ſo wohl um meines eigenen beſten willen, und damit ich die all - gemeine Liebe der meinigen beybehalten moͤchte, die ich bisher genoſſen, als auch um ihrer Ruhe und um des Friedens willen, es uͤbernommen, mit mir zu reden. So bald ich mich weigerte zu ge - horchen, wuͤrde mein Vater in Feuer und Flam - men ausbrechen. Seine Bruͤder waͤren eben ſo unbeweglich als er, weil ſie feſt glaubten, daß die - ſe Heyrath ein Mittel zu ihrer Haupt-Abſicht, der Vergroͤſſerung und Erhebung unſerer Familie, ſeyn wuͤrde. Jhre Schweſter Frau Hervey, und Herr Hervey waͤren gleicher Meinung: und es waͤre harte wenn ich mich nach dem einſtimmigen Rath von Vater, Mutter, Onckles und Baſe in meiner Wahl nicht richten wollte. Sie fuͤr ihr Theil ſey zwar verſichert, daß ich nicht aus der Urſache eine Abneigung von dieſer Parthey haͤtte, weil ſie die Familien-Abſichten befoͤderte: allein ſie koͤnne mich verſichern, daß jedermann dieſe An -M 5mer -186Die Geſchichtemerckung uͤber meine abſch laͤgige Antwort machen wuͤrde, als ſuchte nur die ſo ſehr verlangte Ver - groͤſſerung der Familie zu hindern. So viel ich auch davon ſagte, daß ich unverheyrathet zu blei - ben gedaͤchte, ſo wenig wuͤrde davon geglaubt werden, da der Mann, der ſie alle auf das em - pfindlichſte beleidigt haͤtte, noch unverheyrathet bliebe, und immer um mich herum brauſete / wie ſie es nannte. Wenn Herr Lovelace ein Engel waͤre, und mein Vater haͤtte es ſich ein - mal in den Kopf geſetzt, daß ich ihn nicht haben ſolte, ſo koͤnte ich glauben, daß ihm alle Vor - ſtellungen gegen ſeinen Willen unertraͤglich ſeyn wuͤrden. Es kaͤme dazu, daß man glaubte, ich wechſelte noch Briefe mit Hn. Lovelace: und dieſer Argwohn, nebſt dem Verdacht als wenn die Briefe von beyden Seiten durch die Haͤnde der Fraͤulein Howe gingen, ſey die Urſache des wider ihren Willen mir verbotenen Brief-Wechſels mit der Fraͤulein Howe.

Jch beantwortete alles was ſie geſagt hatte, und ich bin gewiß, daß ſie mit meiner Antwort wuͤrde zufrieden geweſen ſeyn, wenn ſie ihren ei - genen Urtheil haͤtte folgen duͤrffen. Uber das mir unangenehme und harte Verbot beklagte ich mich bitterlich.

Sie antwortete: ich koͤnnte aus dieſem Verbot ſehen, wie ernſtlich es mein Vater in der Sache meynte. Es koͤnte mir aber die Freyheit Briefe zu wechſeln wieder gegeben werden, ſo bald ich es ſelbſt fuͤr ſchicklich hielte, und glaubte, daß keinSchade187der Clariſſa. Schade daraus entſtehen wuͤrde. Jch ſeuffzete und weinete, ohne ein Wort zu reden. Sie ſag - te: Claͤrchen, ſoll ich deinem Vater ſagen, daß dieſes Verbot in der That ſo uͤberfluͤßig ſey, als ich es gleich Anfangs gehalten haͤtte? daß du deine Pflicht wiſſeſt, und dich ſeinem Willen nicht widerſetzen wilſt? Was ſagt mein liebes Kind hierzu?

Was kan ich, ſagte ich, auf ſo guͤtige Fragen antworten? Jch weiß meine Pflicht, und niemand kan williger ſeyn als ich, ſie zu beobachten. Allein nehmen ſie mir nicht uͤbel, wenn ich lieber mich auf noch laͤngere Zeit dem Verbot unterwerfen als es ſo theuer abkauf - fen will.

Meine Mutter nennete mich hierauf ein eigen - ſinniges und verkehrtes Maͤdchen: und nachdem ſie zwey oder dreymal in der Stube auf und nie - der gegangen war, ſagte ſie: dein Hertz waͤre ungebunden, Claͤrchen! Wie kanſt du mir daß weiß machen wollen? Eine ſo ungewoͤhn - lich ſtarcke Abneigung von einer Perſon kan keine andere Quelle haben, als eine eben ſo ſtar - cke Zuneigung gegen eine andere Perſon. Sage mir Claͤrchen, und ſage mir aufrichtig, ob du noch mit Hn. Lovelace Briefe wechſelſt?

Jch antwortete: allerliebſte Mutter, ſie wiſſen ja, was mich dazu gezwungen hat. Jch beantwortete ſeine Briefe um groͤſſeres Ungluͤck zu verhuͤten: und unſere Beſorgniß iſt ja noch nicht voruͤber.

Jn188Die Geſchichte

Jch geſtehe dir gern, ob ich es gleich nicht gern andre wiſſen laſſen wollte, daß ich vorhin geglaubt habe, es waͤre rathſam ſo heftige Ge - muͤther zu beſaͤnftigen. Jch glaubte damals, daß alles durch des Lord M. und ſeiner bey - den Schweſtern Vermittelung wieder ins ſeine gebracht werden wuͤrde. Aber da dieſe alle em - pfindlich ſind und ſich das anziehen, was ihrem Vetter begegnet iſt; da ihr Vetter uns allen trotzt: und da ein anderer ſolche Bedingungen angeboten hat, als wir nie haͤtten fodern koͤn - nen, durch die vermuthlich deines Grosvaters Gut bey der Familie bleibt, und noch groͤſſerer Reichthum an die Familie gebracht werden kan: ſo ſehe ich nicht, wie ein fernerer Brief - Wechſel verſtattet werden koͤnte. Jch verbie - te ihn dir von nun an, bey Verluſt aller meiner Liebe.

Aber geben ſie mir nur einen Rath, wie ich ohne meinen Bruder und Onkles in neue Gefahr zu ſetzen den Brief-Wechſel abbrechen ſoll. Wollte GOtt, man haͤtte dem Mann, der bey allen ſo verhaßt iſt, nicht durch harte und grobe Auffuͤhrung da er eine Verſoͤhnung ſuchte den allerbeſten Vorwand gegeben ſich zu raͤchen: ſo haͤtte es ſtets in meiner Macht geſtanden, den Brief-Wechſel abzubrechen, und ſeine unor - dentliche Lebens-Art wuͤrde mir zu aller Zeit zur Entſchuldigung gedienet haben. Da aber mein Bruder und meine Onckels gar nicht Maaſſe halten; da er ihre Abſichten weiß, und ich mitgutem189der Clariſſa. gutem Grunde vermuthe, daß blos ſeine Werthſchaͤtzung fuͤr mich ihn abgehalten, ſich und ſeine Familie nicht zu raͤchen: ſo frage ich ſie ſelbſt, wie ſoll ich es anfangen? Wol - len ſie, daß ich ihn deſperat mache?

Die Geſetze werden uns ſchuͤtzen, mein Kind, die Obrigkeit wird

Aber kan nicht vorher ein Ungluͤck vorgehen? Die Geſetze ſchlaffen, ſo lange ſie niemand uͤbertrit.

Du haſt mir ein Verſprechen gegeben, wenn ich nur dieſen Zweifel heben koͤnnte. Jſt das dein Ernſt, Claͤrchen? Willſt du wuͤrcklich den Briefwechſel mit Herrn Lovelace unter dieſer Bedingung voͤllig abbrechen. Das ſage mir!

Ja es iſt mein Ernſt: ich will es thun. Sie koͤnnen ſelbſt alle Briefe ſehen, die wir gewechſelt haben. Sie werden ſehen, daß ich ihm nicht die geringſte Hoffnung, die mit dem kindlichen Gehorſam nicht beſtehen koͤnn - te, gemacht habe. Nach Durchleſung dieſer Briefe werden ſie mir beſſer ſagen koͤnnen, wie ich unſere ſchrifftliche Unterhandlung ſicher abbrechen koͤnne.

Jch halte dich bey deinem Worte, Claͤr - chen / gib mir ſeine Briefe an dich, und die Aufſaͤtze von deinen Briefen an ihn.

Jch hoffe, ſie werden ſo guͤtig ſeyn, es fuͤr ſich allein zu behalten, was ich geſchrieben habe, und uͤberhaupt, daß ich mit ihm Briefe wechſele

Keine190Die Geſchichte

Keine Bedingungen bey deiner Mutter! du kanſt dich auf meine Vorſichtigkeit verlaſ - ſen.

Jch bat ſie um Vergebung, und erſuchte ſie, daß ſie ſelbſt den Schluͤſſel zu einem beſondern Kaͤſtchen in meinem Schreib-Tiſch nehmen moͤch - te, in welchem die Briefe lagen, damit ſie ſelbſt ſehen moͤchte, daß ich nichts vor ihr geheim hielte. Sie that dieſes und nahm alle ſeine und meine an ihn geſchriebene Briefe heraus. Ob ich ſie gleich ohne Bedingung bekommen habe / ſagte ſie, ſo ſollſt du ſie doch wieder ha - ben / und niemand ſoll ſie ſehen. Jch danck - te ihr fuͤr ihre Guͤtigkeit. Sie ging weg um ſie zu leſen, mit dem Verſprechen, nach deren Durch - leſung wieder zu mir zu kommen.

Sie haben alle zwiſchen ihm und mir vor meiner letzten Reiſe gewechſelten Briefe geſehen, und Sie wiſſen, daß kein Ausdruck darin war, deſſen er ſich ruͤhmen kan. Jch habe ſeit der Zeit durch die Jhnen muͤndlich gemeldete Gele - genheit drey andere Briefe bekommen, von de - nen ich einen noch nicht beantwortet habe.

Der Jnhalt dieſer Briefe komt mit den vori - gen ziemlich uͤberein. Er bittet um Gegenliebe von meiner Seiten, und giebt mir die ſtaͤrckſten Verſicherungen von der Aufrichtigkeit ſeiner Nei - gung gegen mich. Er beklagte ſich uͤber die nie - dertraͤchtigen und ſchimpflichen Reden, die mein Bruder in allen Geſellſchafften gegen ihn ausſtoͤßt, uͤber die Drohungen und den recht feindſeligenAuf -191der Clariſſa. Aufzug der Bruͤder meines Vaters, und uͤber die Kuͤnſte welcher ſie ſich bedienen ihn uͤberall ſchwartz zu machen. Er erklaͤrt ſich endlich alſo: weder ſeine Ehre noch die Ehre ſeiner Familie (welcher man ebenfalls nicht ſchonete, ſo oft man ſeiner im uͤbeln gedaͤchte, und das Andencken einer un - gluͤcklichen Schlaͤgerey erneuerte, der er gern aus dem Wege gegangen waͤre) erlaubten ihm ei - nen Schimpf nach dem andern geduldig hinzu - nehmen. Er muͤſſe das Betragen meines Bru - ders noch hoͤher empfinden, da er gewiß ver - ſichert ſey, daß wenn ich ihm gleich nicht guͤn - ſtig waͤre, ich doch auch gegen den in den Wurff gebrachten Solmes keine Neigung haͤtte, oder haben koͤnnte. Mein Bruder geſtuͤnde ſeinen Grimm und Bosheit gegen jedermann: und ruͤhmte ſich oͤffentlich, daß er Hoffnung habe, durch dieſen Solmes mich zu kraͤncken, und ſich an ihm zu raͤchen. Wenn auch keine noch viel ſtaͤrckere Urſache ihn antriebe, ſo wuͤrde er doch nicht unterlaſſen koͤnnen, gegen einen arg - liſtigen Streich zu arbeiten, durch den man ihn eigentlich zu beleidigen ſuchte. Jch muͤſte ihm er - lauben, daß er mit Hrn. Solmes ſelbſt ein Wort von dieſer Sache ſpraͤche. Jnſonderheit dringt er ſehr darauf, daß ich ihm erlauben moͤchte, meine Onckels oder gar meine Eltern in Geſell - ſchafft des Lord M. zu beſuchen: und ver - ſpricht mir, alle Beleidigungen, die ihm bey ſolcher Gelegenheit gegeben werden moͤchten, mit Gedult zu ertragen, wenn ſie anders von der Art192Die Geſchichte Art waͤren, daß ſie ein Menſch ertragen koͤnn - te. (Fuͤr dieſen Umſtand moͤcht ich in der That nicht gern Buͤrge ſeyn.)

Jn meiner Antwort widerholte ich, was ich ihm ſchon ſo oft geſchrieben habe: daß er ſchlech - terdings keine Liebe von mir ohne Bewilligung der meinigen erwarten ſoll. Jch wuͤſte gewiß, daß ſie ſeinen Beſuch nicht annehmen wuͤrden. Jch wuͤrde nie ſo ungehorſam und ſo unver - ſtaͤndig ſeyn, daß ich aus Liebe zu irgend jeman - den, wer es auch ſeyn moͤchte, mich von mei - ner Familie trennen lieſſe. Jch waͤre ihm we - gen der Gedult keine Verpflichtung ſchuldig, die ein hitziger Kopf auf meine Bitte gegen einen andern hitzigen Kopf haͤtte: denn ich baͤte ihn um nichts, als wozu ihn Klugheit, Gerechtig - keit und die Landes-Geſetze ohnehin verbinden, Er betroͤge ſich, wenn er hoffete, daß lich um dieſer Gefaͤlligkeit willen eine Neigung gegen ihn haͤtte: ich haͤtte ihm ſchon oft gemeldet, daß ich mich gar nicht zu verheyrathen gedaͤchte. Jch koͤnnte auch einen heimlichen Briefwechſel mit ihm nicht laͤnger fortſetzen: denn es wuͤrde nidertraͤchtig und ungehorſam von mir gehan - delt ſeyn, und gaͤbe noch uͤber dieſes einen boͤſen Schein, den man nicht fuͤglich entſchuldigen koͤnnte. Er moͤge ſich daher keine Hoffnung machen, daß ich noch ferner Briefe mit ihm wechſeln wollte.

Hierauf antwortete er in ſeinem letzten Schrei - ben unter andern: wenn ich wircklich entſchloſ - ſen193der Clariſſa. ſen waͤre, allen Brief-Wechſel mit ihm aufzu - heben, ſo muͤſte er daraus ſchlieſſen, daß ich mich in der That bequemen wollte einen Kerl zu nehmen, den kein Frauenzimmer von Stande und Mitteln fuͤr ertraͤglich halten koͤnnte. Jn ſolchem Fall moͤchte ich ihm vergeben, daß er mir deutlich ſchreiben muͤſte: der Gedancke ſey ihm gantz unertraͤglich, daß er diejenige auf ewig ſich ſolte entreiſſen laſſen, auf die alle ſeine jetzige und zukuͤnftige Hoffnung gehe; und daß er das unbaͤndige Frolocken meines Bruders uͤber dieſen Sieg ohnmoͤglich wuͤrde erdulden koͤnnen. Er wollte zwar jetzt nicht drohen, ſich an meinem Bruder oder an dieſem Menſchen zu vergreiffen: er wuͤrde aber ſeine Entſchlieſ - ſungen alsdenn ſo nehmen muͤſſen, wie ihn eben ſein Gemuͤth antreiben wuͤrde, wenn ein ſo ſchwartzer und ungluͤcklicher Tag es wild und zuͤgellos machte. Wenn er wuͤßte, daß alles mit meinem guten Willen geſchehen ſey, ſo wuͤrde er ſuchen muͤſſen ſein unvermeidliches Schickſaal ſo viel moͤglich mit Geduld zu ertra - gen: allein wenn Zwang und Gewalt gegen mich gebraucht wuͤrden, ſo wollte er fuͤr die Folgen nicht ſtehen, die ein ſolches Verfah - ren haben koͤnten.

Jch will Jhnen die Briefe ſelbſt nach einigen Tagen zum Durchleſen ſchicken. Jch wollte ſie jetzt mit beylegen, wenn ich nicht beſorgt waͤre, daß ein unvermutheter Zufall meine Mutter noͤ - thigen moͤchte, ſie noch einmal von mir zu ver -Erſter Theil. Nlangen.194Die Geſchichtelangen. Sie werden in ſeinen Briefen die Kunſt - Griffe bald bemercken, dadurch er mich zwingen will, den Brief-Wechſel fortzuſetzen.

Meine Mutter kam nach Veflieſſung einer Stunde wieder zu mir. Sie ſagte: da haſt du deine Briefe wieder, Claͤrchen! ich habe nichts daran auszuſetzen, alle Worte ſind mit Behutſamkeit gewaͤhlt. Du haſt ſo geſchrieben, daß du dir das noͤthige Anſehen und Vorrecht nicht vergiebeſt, und den Wohlſtand in nichts beleidigeſt: und haſt ihm genugſam zu verſte - hen gegeben, daß du uͤber ſeine Drohungen und harten Ausdruͤcke empfindlich biſt. Allein kanſt du dieſes fuͤr eine anſtaͤndige Verbin - dung halten, da der eine Theil ſeinen Haß und der andere ſein Trotzen und Verachtung nicht einmal zu verbergen trachtet? Kanſt du glau - ben, daß es ſich ſchicket, einem Menſchen die geringſte Hoffnung auf dich zu machen, der fich mit deinem Bruder geſchlagen hat, wenn er auch noch ſo viele Zuneigung gegen dich zu ha - ben vorgiebt, und die allerſchoͤnſten Mittel hat?

Nein! ſagte ich: das kan ich auch nicht glauben: und ſie werden geſehen haben, daß ich dieſes zu verſtehen gegeben habe. Allein da ſie nun alle Briefe geleſen haben, ſo bitte ich mir ihren Befehl aus, nach dem ich mich in ei - ner ſo verworrenen Sache zu richten begierig bin.

Jch195der Clariſſa.

Jch will dir ein Wort ſagen, Claͤrchen. Allein wenn ich nicht an deinem guten Gemuͤ - the zweiffeln ſoll, ſo mnſt du es weder in dei - nem Hertzen noch in deinen Reden gegen mich gebrauchen. Es hat mir ſo wohl gefallen, daß du den Schluͤſſel mir auf eine ſo zuverſichtliche Weiſe gegeben haſt, und daß ich dich in dei - nen Briefen ſo verſtaͤndig und behutſam finde, daß ich gern die gantze Sache deinem eignen Gutbefinden anheim ſtellen, und mir nur die Freyheit vorbehalten wollte, kuͤnfftig deine Briefe zu ſehen und das noͤthige dabey zu er - innern, unter der Bedingung, daß der Brief - Wechſel gantz aufhoͤrte, ſo bald es thunlich ſeyn wird: wenn ich es nur dahin bringen koͤnnte, daß die uͤbrigen im Hauſe, oder we - nigſtens dein Vater mit mir hierin einerley Meinung waͤren. Aber da ich dieſes nicht er - halten kan, und zum voraus weiß, daß dein Vater alle Geduld verlieren wuͤrde, wenn es herauskaͤme, daß du noch nach geſchehenem Verbot mit Herrn Lovelace Briefe gewech - ſelt haſt, oder ſie gar noch ferner wechſelteſt: ſo verbiete ich dir das Schreiben gantz und gar. Da aber die Frage ſo ſchwer und verworren iſt, ſo wuͤnſche ich von dir ſelbſt einen guten Vorſchlag zu hoͤren; weil, wie du ſageſt, dein Hertz ungebunden iſt, und du ſelbſt bekenneſt, du koͤnteſt bey dieſen Umſtaͤnden nicht glauben, daß die Verbindung mit einem Menſchen, der uns alle ſo empfindlich beleidiget hat, geziemendN 2 ſey.196Die Geſchichte ſey. Was ſcheint dir das rathſamſte zu ſeyn? Sage mir deine Gedancken von der gantzen Frage, mein Claͤrchen.

Jch ſahe wohl, daß dieſes eine neue Verſu - chung waͤre, und antwortete, ohne mich lange zu bedencken: Mein Vorſchlag iſt dieſer: Jch will an Herrn Lovelace, deſſen letzter Brief noch unbeantwortet iſt, ſchreiben: er habe nicht noͤthig, ſich um das zu bekuͤmmern, was zwiſchen meinem Vater und mir vorgehet; ich verlangte und brauchte ſeinen Rath nicht; weil er aber glaubte, er werde durch meines Bru - ders Geſchwaͤtz, und dadurch, daß dieſer Hrn. Solmes Antrag ihm zum Trotz durch - zutreiben ſuche, berechtigt, ſich in meine Haͤn - del zu miſchen, ſo verſicherte ich ihn, daß ich die - ſen Mann nie nehmen wuͤrde. Er muͤſſe die - ſes aber nicht ſo auslegen, als wenn es aus einiger Zuneigung gegen ihn geſchehe. Jch fuhr fort: Wenn mir erlaubt iſt, ihm dieſe Verſicherung zu geben, und wenn dem zu folge Herr Solmes mit ſeinem Geſuch ab - gewieſen wird: ſo mag hernach Lovelace zu - frieden ſeyn oder nicht, ich werde mich doch nicht mit ihm einlaſſen, und keine Zeile mehr an ihn ſchreiben, ja ihn mein Lebetage nicht wider ſprechen, wenn ich es vermeiden kan. Jch werde alsdenn eine gute Entſchuldigung haben, die meiner Familie keine Feindſchaft von ihm zuziehen kan.

Aber197der Clariſſa.

Aber, mein Hertz, was ſoll ich gegen die vortheilhaften Bedingungen einwenden, die Herr Solmes antraͤgt? Durch dieſe hat er je - dermann eingenommen. Er hat deinem Bruder Hoffnung zu Vertauſchung einiger Guͤter ge - macht, oder wenigſtens dazu, daß er das Gut in Schottland an ſich kauffen wolle; denn du muſt wiſſen, daß die Abſicht unſerer Familie iſt, in dieſer Gegend mehr Guͤter anzukauffen. Dein Bruder hat einen Entwurf aufgeſetzt, der uns allen auſſerordentlich wohl gefallen hat: und eine ſo reiche Familie, die ihre Abſicht auf Ehre ge - richtet hat, kan nicht anders als mit Vergnuͤ - gen eine nahe Hoffnung vor ſich ſehen, daß ſie unter den Vornehmſten im Koͤnigreich einen Platz bekommen koͤnne.

Allein ſoll ich denn um dieſer Abſichten wil - len, und um dieſen Entwurf meines Bruders wahr und wuͤrcklich zu machen, einer mir uner - traͤglichen Perſon aufgeopfert werden? Aller - liebſte Mutter, erretten ſie mich, wenn es anders moͤglich iſt, von dieſem groſſen Ungluͤck! Jch wlll mich lieber lebendig begraben laſſen, als ihn nehmen.

Sie verwieß mir meine Hefftigkeit, allein ſie verſprach mir zugleich, eine Gelegenheit zu ſuchen, daß ſie mit meinem Onckle Harlowe meinetwegen reden koͤnnte. Wenn es dieſer fuͤr rathſam hielte und mit fuͤr mich ſprechen wollte, ſo verſprach ſie auch mit meinem Vater zu reden: und ich ſollte des andern Morgens weitere Nachricht haben. SieN 3ging198Die Geſchichteging hierauf hinunter, und verſprach guͤtigſt mich zu entſchuldigen, wenn ich von dem Abend-Eſſen weg bliebe. Jch ergriff ſo gleich die Feder, dieſe Nachrichten fuͤr Sie aufzuzeichnen.

Wie quaͤlend iſt es, wenn man ſich dem Wil - len einer ſolchen Mutter widerſetzen muß? Jch dencke oft bey mir ſelbſt: warum iſt doch eben ſo ein Mann als Solmes auf mich gefallen, und warum will er nicht von mir ablaſſen? er, der ein - tzige Mann in der Welt, der ſo viel anbieten und ſo wenig verdienen konnte?

Jn der That, er verdient recht wenig: in ſei - ner Gemuͤths-Beſchaffenheit iſt nichts, das ihm Ehre bringt. Er iſt wegen ſeiner Knickerey in aller Leute Munde. Seine Niedertraͤchtigkeit iſt nicht blos ein Laſter, ſondern ein unbegreiflicher Unverſtand: denn wenn er es klug anfinge, ſo wuͤr - de es ihn jaͤhrlich nicht mehr als funfzig Pfund mehr koſten, anſtatt deſſen, daß ihn ein jeder fuͤr karg und gemein halt, den Ruhm der Freygebig - keit zu erlangen. Jhnen koſtet eine allgemeine gute Nachrede viel weniger: und er koͤnnte ſich deswe - gen mit geringen Unkoſten deſto beliebter machen, weil er von einem ſolchen Geitzhals, als der Ritter Oliver war, ſein erſtaunliches Vermoͤgen geerbt hat. Allein ſeine Auffuͤhrung macht, daß der Mund aller Leute das Sprichwort auf ihn deutet: So lange Solmes lebet / iſt Oliver nicht todt.

Man ſagt zwar die Welt rede gern von Leuten uͤbel. Allein ich finde, daß das Urtheil der Weltrichtiger199der Clariſſa. richtiger iſt als man denckt: denn die Welt ur - theilt nach dem Gefuͤhl, und die, welche ſich am meiſten uͤber die Tadelſuch der Welt beſchweren, moͤchten lieber in ſich als auſſer ſich die Urſache aufſuchen, warum ſie getadelt werden.

Das Hertz iſt mir leichter geworden, weil ich ſahe, daß meine Mutter etwas gutes fuͤr mich auszurichten, und mich von dieſem Mann zu er - loͤſen ſuchen wird. Alsdenn werde ich Luſt ha - ben, dergleichen Betrachtungen uͤber die Sitten der Menſchen anzuſtellen, als mir vorhin aus der Feder fielen. Wenn ſie aber auch nichts ausrichtet, ſo will ich aus Gehorſam gegen Jh - ren Befehl dennoch bey Gelegenheit mit auf - ſchreiben, was mir von dergleichen Gedancken beyfaͤllt. Denn wenn ich auch in viel betruͤb - tern Umſtaͤnden nichts von dieſer Art in meine Briefe einflieſſen lieſſe, ſo wuͤrde es ſcheinen, als ſchriebe ich meine Briefe blos aus Eigenliebe, und nicht um dem Verlangen einer ſo werthen Freundin zu Dienſten zu ſeyn. Jch koͤnnte zwar zur Entſchuldigung anbringen, daß dis ſehr natuͤrlich ſey: allein iſt nicht ſelbſt dieſes natuͤrliche ſchon ein Fehler, wenn es uns hindert, einer Freundin eine Gefaͤlligkeit zu erweiſen, und uns ſelbſt ſchrifftlich eine Lehre zu geben.

N 4Der200Die Geſchichte

Der achtzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe /

Haͤtte man nicht hoffen ſollen, daß ich etwas erhalten wuͤrde, da ich mich zu ſo vielem erbot, und da meiner Meynung nach das Mittel ſo bequem war, einen Brief-Wechſel als aus ei - genem Triebe abzubrechen, von dem ich mich ſonſt nicht loos machen kan, ohne meine Fami - lie in Gefahr zu ſetzen? Aber der Entwurff mei - nes Bruders, und meines Vaters Unleidlichkeit gegen allen Widerſpruch, ſind nnuͤberwindliche Bollwercke. Jch habe mich vergeblich bemuͤhet, von jenem Entwurff eine Abſchrifft zu erhalten: ich wollte ihn ſonſt aus einander geſetzt und bey Gelegenheit in ſeiner Bloͤſſe vorgeſtellet haben.

Jch bin dieſe gantze Nacht nicht zu Bette ge - weſen, und dennoch bin ich nicht ſchlaͤffrich. Furcht, Hoffnung und Zweifel (dieſe unruhige Geſell - ſchafft) haben mir den Schlaf aus den Augen gewiſcht. Jch ging des Morgens zu gewoͤhnli - cher Zeit hinunter, und ordnete das noͤthige in der Haushaltung an, damit niemand mercken moͤchte, daß ich die Nacht nicht geſchlafen habe.

Um acht Uhr kam Schorey / und ſagte mir von wegen meiner Mutter, ich ſollte zu ihr in die Stube kommen. Jch konnte meiner Mutter an den Augen anſehen, daß ſie geweint hatte. Sieſchien201der Clariſſa. ſchien mir nicht ſo zaͤrtlich gegen mich zu ſeyn als geſtern: und dieſer Anblick ſchlug mich gleich ſehr nieder.

Sie ſagte: ſetze dich nieder / Clariſſa Har - lowe; ich will gleich mit dir reden: und kramte in einem Leinewands-Kaſten, ohne daß man ſehen konnte, ob ſie beſchaͤfftiget waͤre oder nicht. Nach einiger Zeit fragte ſie mich gantz kaltſinnig: was ich in der Haushaltung angeord - net haͤtte? Jch gab ihr den Kuͤchen-Zettel von dem heutigen und folgenden Tage, und fragte ſie: ob ſie damit zufrieden waͤre? Sie machte einige kleine Veraͤnderungen darin, allein mit einer ſo kaltſinuigen und ſteifen Mine, daß meine Unruhe dadurch vergroͤſſert ward:

Sie ſagte: Herr Harlowe gedenckt heute auſ - ſern Hauſe bey ſeinem Bruder Anton zu ſpeiſen.

Jch dachte bey mir ſelbſt: heißt der Mann Herr Harlowe? Habe ich denn keinen Vater mehr?

Setze dich nieder / wenn ich es dir ſage!

Jch ſetzte mich nieder.

Du ſiehſt wunderlich aus / Claͤrchen.

Jch will es nicht hoffen: ſagte ich.

Wenn Kinder Kinder blieben / ſo wuͤr - den auch Eltern hier hielt ſie inne, und ging vor den Nacht-Tiſch, ſah in den Spiegel, ließ einen halben Seufzer fahren, und verhuſtete die andere Haͤlffte, als wenn es ihr leid waͤre, daß ſie geſeufzt hatte. Jch mag das Maͤdchen nicht ſo murriſch ſehen! ſagte ſie.

N 5Jch202Die Geſchichte

Jch antwortete: ich bin gewiß nicht murriſch. Mich duͤnckt, ich konnte in dem Spiegel ſehen, daß meine Mutter ſich mit einem zaͤrtlichen Auge nach mir umſahe: allein ihre Worte ſtimmeten nicht damit uͤberein:

Es iſt eins der unertraͤglichſten Dinge in der Welt / wenn Leute uͤber das ſchreyen und jammern / was ſie vermeiden koͤnnen.

Jch wuͤnſchte / daß es in meinem Ver - moͤgen ſtuͤnde: antwortete ich mit ſeufzen.

Buß-Thraͤnen / und Seufzer vor Trotz ſchicken ſich trefflich gut zuſammen! Du kanſt nach deiner Stube hinauf gehen: ich werde bald zu dir kommen und weiter mit dir reden.

Jch machte einen ehrerbietigen Reverentz: ſie ſagte aber: ſpotte mich nicht durch die aͤuſ - ſerlichen Zeichen der Ehrerbietnug. Dein Hertz iſt es / was ich verlange / Claͤrchen.

Sie haben es auch gantz und gar. Es iſt nicht ſo voͤllig mein / als es ihnen ergeben iſt.

Die Worte ſind gut. Wenn die Wor - te der Geborſam ſelbſt waͤren / ſagt jemand / ſo wuͤrde kein gehorſameres Kind ſeyn als Clariſſa Harlowe.

GOtt vergebe es dem jemand / wer es auch iſt. GOtt vergebe es ihm! Jch mach - te nochmals einen Reverentz, und ging nach ih - rem Befehl weg. Sie ſchien ſich hieruͤber zu verwundern, und wollte ungehalten auf mich wer -den.203der Clariſſa. den. Sie kehrte mir den Ruͤcken zu, und rief mit Hefftigkeit: wo nun hin / Clariſſa Har - lowe?

Sie befohlen mir ja / auf meine Stube zu gehen.

Jch finde dich ſehr bereitwillig / da wegzugehen / wo ich bin. Geſchieht es aus Trotz / oder aus Gehorſam? Du biſt ſebr willfaͤhrig / mich zu verlaſſen.

Jch konnte mich nicht laͤnger halten, ſondern muſte mich zu ihren Fuͤſſen werfen: Meine al - lerliebſte Mutter / ſagen ſie mir zum vor - aus / was ich alles leiden / und was aus mir werden ſoll. Jch will es ertragen / wenn ich es nur ertragen kan: aber das iſt mir unertraͤglich / wenn ſie auf mich unwillig ſind.

Laß mich allein, Clariſſa Harlowe! Kein knien kan ich leiden! was fuͤr beugſame Ge - lencke, und was fuͤr ein unbeugſames Hertz! Stehe auf, das ſage ich dir!

Jch kan nicht aufſtehen. Jch muß meiner Mutter ungehorſam werden, wenn ſie mir be - fielt, von ihr zu gehen, ehe ſie mir vergeben hat. Hier iſt kein murriſches Weſen! Keine Unart! ſondern etwas ſchlimmers, nemlich offenbarer Ungehorſam. Sie koͤnnen ſich nicht von mir losreiſſen. (Jch umfaſſete ſie im knien, und ſie wollte ſich losmachen. Mein Geſicht hielt ich in die Hoͤhe, und ſahe ſie mit weinenden Augen an, die gewiß die Sprachemei -204Die Geſchichtemeines Hertzens nicht geredet haͤtten, wenn etwas anders als Ehrerbietung und Unterwerfung in ih - nen befindlich geweſen waͤre.) Sie ſollen ſich nicht von mir losreiſſen. (Denn ſie ſuchte noch immer von mir zu kommen, und ſahe bald auf dieſe bald auf jene Seite mit einer liebens - wuͤrdigen Verwirrung, als wenn ſie nicht wuͤſte, was ſie ſelbſt anfangen ſollte.) Jch will nicht aufſtehen / nicht weggehen / ſie nicht los - laſſen / bis ſie ſagen / daß ſie nicht unwil - lig auf mich ſind.

Sie ſchlug ihre lieben Arme um meinen Hals, wie ich die meinigen um ihre Knie, und ſagte: o du allzubewegliches Kind fuͤr mein Hertz! Warum ward mir dieſe Arbeit Aber laß mich jetzt allein! Jch kan es nicht ausſpre - chen in was fuͤr Unruhe ich jetzt bin. Jch will nicht ungehalten auf dich ſeyn, wenn ich es un - terlaſſen kan, und wenn du ein gutes Kind ſeyn willſt.

Jch ſtund mit Zittern auf, und wuſte kaum was ich that, oder wie ich ſtand und wegging. Meine Hannichen kam gleich zu mir auf meine Stube, als ſie hoͤrte, daß ich von meiner Mut - ter weggegangen war, und brachte mir friſches Waſſer, damit ich nicht ohnmaͤchtig werden moͤchte. Das war alles, was ſie ausrichten konnte. Denn es waͤhrte zwey Stunden, ehe ich ſo viel wieder zu mir ſelbſt kam, daß ich die Feder ergreifen konnte, um Jhnen den betruͤbten Aus - gang meiner Hoffnung zu meldeu.

Mei -205der Clariſſa.

Meine Mutter ging hinunter zum Fruͤhſtuͤck. Jch war nicht im Stande dabey zu erſcheinen: ich glaube aber auch nicht, daß ich geruffen ſeyn wuͤr - de, wenn ich gleich beſſer geweſen waͤre, weil mein Vater, da er neulich auf meiner Stube war, den nachdencklichen Befehl gegeben hatte, mich mit hinunter zu bringen, wenn ich des Namens einer Tochter werth waͤre. Denn werde ich aber ſeiner Meinung nach nie verdienen, wenn er ſeine Meinung in Abſicht auf den Solmes nicht aͤn - dert.

Der neunzehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

(Eine Antwort auf den funfzehenten Brief.)

Jetzt eben bringt mir Hannichen von dem ab - geredeten Ort den Brief, mit dem Sie mich geſtern beſchenckt haben. Der Jnhalt hat mich ſehr tiefſinnig gemacht, und ich werde ſehr ernſt - haft darauf antworten. Solte ich Herrn Sol - mes noch nehmen? Nein! nimmermehr. Jch wollte lieber ich weiß nicht was doch ich will vorher den uͤbrigen Jnhalt Jhres Briefes be - antworten, damit ich dieſen Theil deſſelben mit mehrerer Gelaſſenheit beruͤhren koͤnne.

Was Sie von der Zuneigung meiner Schweſtergegen206Die Geſchichtegegen Herrn Lovelace melden iſt mir nicht ſo neu, daß es mich in Verwunderung ſetzen koͤnte. Sie giebt ſich ſo viel Muͤhe, andere zu bereden, daß er ihr niemals gefallen haͤtte, und niemals gefal - len koͤnte, daß man eben hiedurch auf einen Verdacht kommen muß. Niemals erzaͤhlt ſie ihren Abſchied von ihm, und daß ſie ihm ab - ſchlaͤgige Antwort gegeben, ohne die Farbe zu veraͤndern, und ohne einen hoͤhniſchen Blick auf mich zu werfen. Die hochmuͤthige Geberde, die ſie annimt, iſt mit einen unruhigen Zorn ver - miſchet: und beyde Leydenſchaften, die aus ihren Augen brechen, ſcheinen anzuzeigen, daß ſie ei - nem Freyer abſchlaͤgige Antwort gegeben hat, den ſie eines Ja-Worts wuͤrdig ſchaͤtzet. Was haͤtte ſie ſonſt fuͤr Urſach, boͤſe zu werden, oder groß zu thun? Die arme Arabella! Man muß Mit - leiden mit ihr haben. Zuneigung und Abneigung bleiben beyde bey ihr in keinen Schrancken. Jch wollte ihr von Hertzen goͤnnen daß alle ihre Wuͤn - ſche erfuͤllet waͤren.

Was meinen ehemaligen Entſchluß anlanget, die Verwaltung meines Gutes meinem Vater zu uͤbergeben, ſo wiſſen Sie, daß an den Gruͤnden, die mich hiezu bewogen, nichts auszuſetzen war. Jhr Rath, das Gegentheil deſſen zu thun, was ich gethan habe, gruͤndete ſich ſo viel ich mich er - innern kan, auf Jhre gute Meinung von mir, in - dem Sie glaubten, ich wuͤrde von meiner unge - bundenen Freyheit keinen tadelhaften Gebrauch machen: denn keine von uns beyden konte da -mals207der Clariſſa. mals vorher ſehen, was jetzt erfolget iſt, und am wenigſten daß ſich das Gemuͤth meines Vaters gegen mich ſo ſehr veraͤndern wuͤrde; obgleich Sie jetzt faſt ſo mit mir reden, als haͤtten Sie damals eine Gabe der Weiſſagung gehabt. Meines Bru - ders Abſichten wieder mich, oder vielmehr ſeine eigennuͤtzige Liebe zu ſich ſeibſt, erregten zwar damals ſchon einem Verdacht bey Jhnen: aber ich habe von meinen Geſchwiſteꝛn nie eine ſo ſchlim - me Meinung gehabt, als Sie ſtets geaͤuſſert ha - ben. Sie haben nie eine Zuneigung gegen ſie ge - habt; und wem man nicht guͤnſtig iſt, den ſieht man immer von der ſchlimmſten Seite an, ſo wie die Liebe oft bey wahrhaften Fehlern blind iſt. Jch will die Urſachen die mich damals bewogen zu thun, was ich that, kuͤrtzlich wiederholen.

Jch fand, daß ſich Neid und Verdruß in aller Hertzen regete, wo vorhin Liebe und Eintracht ge - herrſchet hatte: man tadelte meinen lieben ſeeligen Gros-Vater, und gab ihm Schuld, er waͤre kindiſch geworden, und ich haͤtte mir ſeine Schwachheit zu Nutze gemacht. Jch dachte bey mir ſelbſt: in jungen Jahren wuͤnſchen ſich alle die Freyheit, nur iſt bey einigen die Begierde nach Freyheit groͤſſer als bey andern; und die, ſo ſich am meiſten darnach ſehnen, ſind gemeiniglich die ungeſchickteſten, ſich und andere zu regieren. Es iſt in der That ein groſſes und ungewoͤhnliches Vermaͤchtniß fuͤr ein ſo junges Kind, das ich von meinem Grosvater erhalten habe. Allein man muß ſich nicht alles Rechts gebrauchen, das manhat;208Die Geſchichtehat; und wenn man alles annimmt, was uns Guͤtigkeit und all zu gutes Zutrauen zuwendet, ſo iſt es ein Zeichen, daß man ſich nicht maͤßigen koͤnne, und unerſaͤttlich ſey. Man macht ſich eben hiedurch eines ſo guͤtigen Zutrauens unwuͤr - dig, und giebt ſchlechte Hoffnung, daß man das wohl anwenden werde, was uns zugefallen iſt. Jch habe mir zwar, (dachte ich) allerhand ſuͤſſe Gedancken gemacht, daß andere durch mein Gluͤck auch gluͤcklich werden ſolten, wenn ich mich als eine gute Haushaͤlterin auf meinem Gute auffuͤhrte. (Denn ſollen wir nicht alles das unſrige mit ſolchen Augen anſehen, als wenn wir nur Haushalter daruͤber waͤren?) Allein ich will mich ſelbſt genau unterſuchen. Jſt nicht vielleicht Hochmuth und Ruhm-Begierde die wahre Quelle meiner vermeinten Menſchen-Liebe geweſen? Soll ich nicht billig gegen mein eigenes Hertz argwoͤhniſch ſeyn? Wenn ich mich durch andere gute Meinung aufblaſen laſſe, und mich unterſtehe mir ſelbſt zu rathen; ſo koͤnnen an - dere mich meinem Unverſtande uͤberlaſſen. Aller Augen ſind auf ein junges Maͤdchen, das ſeine Freyheit hat, gerichtet, auf deſſen Auffuͤhrung, Beſuche, und auf die Herren, die bey ihr Be - ſuch abſtatten: und der Abſchaum des andern Geſchlechts wagt ſich eben an ſie, ſie zu verfuͤh - ren. Wenn ich auch in der beſten Meinung et - was verſehen ſolte, o wie manche wuͤrden uͤber mich ihr Hohngelaͤchter anſtellen, und wie weni - ge wuͤrden mit mir Mitleiden haben? Je mehrich209der Clariſſa. ich geſucht habe, andere zu uͤbertreffen, deſto mehr wuͤrden von jener und deſto weniger von dieſer Art ſeyn.

Dieſes ſind einige von den Betrachtungen, die ich damals anſtellete. Jch wuͤrde noch jetzt in eben den Umſtaͤnden bey reifer Ueberlegung eben ſo handeln. Wer kan kuͤnftige Zufaͤlle vorher ſehen? Wir koͤnnen nichts weiter thun, als die Sache nach den Umſtaͤnden uͤberlegen, unter denen ſie ſich uns in der gegenwaͤrtigen Zeit vorſtellet, und unſer Urtheil darnach einrichten. Habe ich gefehlet, ſo habe ich durch meinen Fehler bewie - ſen, daß ich an der Klugheit dieſer Welt einen Mangel habe. Wenn man dadurch in Ungluͤck geraͤth, daß man ſeiner Schuldigkeit gemaͤß und ſogar großmuͤthig gehandelt hat, ſo dient es ei - nem zur Beruhigung, daß man ſiehet, der Feh - ler ſey nicht bey uns ſondern in der Niedertraͤch - tigkeit anderer zu ſuchen. Jch will lieber Urſache haben, andere fuͤr hart zu halten, als daß ich ih - nen ſollte Urſache geben, mich fuͤr ungehorſam und Pflicht-vergeſſen zu halten: und ich bin ver - ſichert, daß Sie eben ſo geſinnet ſind.

Jch komme nun auf den wichtigſten Theil Jh - res Briefes. Sie meynen, ich wuͤrde bey dieſen Umſtaͤnden nothwendig Herrn Solmes zu Theil werden muͤſſen. Jch will nicht hitzig und vorei - lig ſeyn, das Gegentheil zu behaupten: aber ich glaube, es kan und ſoll nimmer geſchehen. Jch weiß, daß man ſich auf meinen nachgebenden und beugſamen Sinn verlaͤßt: ich habe JhnenErſter Theil. Oaber210Die Geſchichteaber ſchonſt ſonſt geſchrieben, daß ich nicht blos meiner Mutter Art an mir habe, ſondern daß ſich auch meines Vaters Blut in mir reget. Gewiß wenn ich auf das Acht gebe, was in unſerm Hau - ſe vorgehet, ſo macht es mir wenig Luſt, meiner Mutter in ihrer Sanfftmurh und Verleugnung auf eine blinde Weiſe nachzufolgen. Hat ſie mir nicht ſelbſt geſtehen muͤſſen, daß es ihr beſcheert ſey, daß ſie ſich immer Unrecht geben und tra - gen muß, was ihr andere auflegen. Bey mei - ner Mutter wird das wahr, was Sie zu ſagen pflegen: weil ſie viel dulden kan, ſo muß ſie auch viel dulden. Was kan man erdencken (ſie ſelbſt geſteht es) daß ſie nicht aufgeopfert hat, um Frieden zu erhalten? Hat ſie aber durch ſo viele Opfer diejenige Ruhe und Zufriedenheit, die ſie doch ſo ſehr verdient, erkauffen koͤnnen? Nichts weniger: ich fuͤrchte vielmehr, daß Mißvergnuͤ - gen und Unruhe ihr Lohn geweſen iſt. Wie oft hat ſie mir Gelegenheit gegeben, die Anmerckung zu machen, daß wir armen Menſchen durch un - ſere uͤbermaͤßige Bemuͤhung, unſere natuͤrliche Gemuͤths-Faſſung ungeſtoͤrt zu behalten, das - jenige verlieren, was eben die Frucht und das angenehme davon ſeyn ſollte. Denn wer eine Abſicht gegen uns hat, der merckt unſere Schwach - heit aus, und giebt auf desjenige Acht, wofuͤr wir alles andre aufopfern wollen: er beſtuͤrmet uns von dieſer ſchwachen Seite, und gebraucht unſere Hoffnung und Furcht als Waffen gegen uns, dadurch er uns gewiß uͤberwaͤltigen kan.

Mein211der Clariſſa.

Mein frommer Herr D. Lewin hat mir die Lehre gegeben: die Standhaftigkeit, eine Tugend welche die Tadelſucht einiger unartigen Leute un - ſerm Geſchlecht abſprechen will, erwerbe dem Ehr - furcht der ſie beweiſe, und ſetze ihn ſo hoch, daß niedertraͤchtige Gemuͤther ſich nicht unterſtuͤnden etwas gegen ihn zu unternehmen, wenn ſie ein - mahl ſeine Standhaftigkeit erfahren haben: nur muͤſſe ſie nicht anders bewieſen werden, als wenn man uͤberzeugt iſt, daß man Recht habe, und wenn die Sache wichtig iſt; ſonſt wuͤrde es nicht Standhafftigkeit ſondern Eigenſinn ſeyn. Er hat mich daher oͤfters ermahnt, bey einem Entſchluß, von dem ich gewiß verſichert ſeyn wuͤrde, daß er lobenswuͤrdig ſey, Standhafftigkeit zu beweiſen. Bin ich nicht jetzt auf eine Probe geſetzt, in wel - cher ich dieſe Tugend billig zeigen ſoll, wenn ich ſie anders beſitze? Jch habe mich vorhin erklaͤrt: es koͤnnte und es ſollte nicht geſchehen, daß ich Herrn Solmes nehme. Jch wiederhole es hier: es ſoll billig nicht geſchehen! Denn warum ſollte ich die kuͤnfftige Gluͤckſeligkeit meines gantzen Le - bens den hochmuͤthigen und weit auſſehenden Ab - ſichten meines Bruders aufopfern? Warum ſoll - te ich mich zum Werckzeuge gebrauchen laſſen, die Anverwandten des Herrn Solmes ihrer Erb - ſchafften und Anwardtſchafften zu berauben, um eine Familie (es iſt zwar die meinige) noch rei - cher zu machen, die ohnehin groſſen Reichthum beſitzet? Denn wenn dieſe Familie auch erlanget, was ſie jetzt ſuchet, ſo wird ſie doch mit eben demO 2Recht212Die GeſchichteRecht, daruͤber mißvergnuͤgt ſeyn, daß ſie keine regierende Familie iſt, als ſie jetzt ſich verunru - higt, den Titel eines Lords zu erhalten. Denn was Sie von dem Geitz ſchreiben, das gilt gewiß auch von dem Ehrgeitz: er wird nie geſaͤttiget, wenn er ſeine Abſichten erreicht. Jch ſoll billig deſto - weniger mich zum Werckzeuge der Abſichten mei - nes Bruders misbrauchen laſſen, weil ſie mir ſo ſehr veraͤchtlich ſcheinen, und weil ich keine Luſt zu einem hoͤheren Stande und groͤſſern Guͤtern habe, indem ich voͤllig uͤberzeugt bin, daß Gluͤckſelig - keit und Reichthum zwey ſehr verſchiedene Dinge ſind, die man ſehr ſelten beyſammen findet.

Allein vor dem Widerſtande den ich werde thun muͤſſen, und vor dem Kampf den ich zu uͤberneh - men habe, fuͤrchte ich mich ſchon zum voraus. Es iſt moͤglich, daß mich die Beobachtung der Lehre des frommen Doctors ungluͤcklicher macht, als ich geweſen ſeyn wuͤrde, wenn ich nachgeben koͤnnte. Denn was ich Standhafftigkeit nenne, das wird fuͤr Trotz, fuͤr Eigenſinn, fuͤr vorgefaſſete Meynungen von denen gehalten, die das Recht haben, meine Auffuͤhrung nach ihrer Willkuͤhr zu deuten.

Wenn wir auch vollkommen und gantz ohne Fehler waͤren, das wir doch nie werden koͤnnen, ſo wuͤrden wir doch in dieſem Leben nicht gluͤckſelig ſeyn, wenn nicht andere, mit denen wir zu thun haben, und inſonderheit die, welche etwas uͤber uns zu befehlen haben, ebenſals von der Vernunft und richtigen Grund-Saͤtzen belebet und regieretwerden.213der Clariſſa. werden. Uns bleibt demnach keine andere Arbeit uͤbrig, als unſere Wahl nach richtigen Grundſaͤ - tzen anzuſtellen, und dabey Standhaftigkeit zu beweiſen; den Ausgang aber der Vorſehung zu uͤberlaſſen. So will ich mich bey gegenwaͤrtigem Vorfall zu verhalten ſuchen, wenn Sie es billi - gen: und bitte Sie, mich nicht ohne Unterricht zu laſſen, wenn Sie den Weg nicht billigen den ich mir vorſetze.

Allein wie werde ich es bey mir ſelbſt verantwor - ten koͤnnen, daß meine Mutter um meinetwillen viel auszuſtehen haben wird? Jch dencke, folgen - de Betrachtung ſey nicht ungegruͤndet: ihr Lei - den kan nicht lange waͤhren, wenigſtens nicht laͤn - ger als bis der jetzige Streit auf eine oder andere Weiſe geendiget iſt: dahingegen mein Ungluͤck, wenn ich nachgebe, dauren wuͤrde ſo lange ich leb - te, indem ich meinen Eckel vor Herrn Solmes ohnmoͤglich uͤberwinden kan. Da ich uͤber dieſes eine gegruͤndete Vermuthung habe, daß ſie ſich wi - der ihren Willen in die Abſichten der uͤbrigen von der Familie hat ziehen laſſen, ſo wird es ſie deſto weniger bekuͤmmern, wenn dieſe Abſichten nicht den Erfolg haben, den ſie nach meiner Meinung billig nicht haben ſollen.

Jch bin in kurtzer Zeit ſehr weit gegangen: al - lein die Wunde traf mein Hertz. Aus den An - merckungen, die ich gegen Sie uͤber das vorge - gangene gemacht habe, werden Sie nur allzu viel Standhaftigkeit von mir erwarten, wenn ich eine abermalige Unterredung mit meiner Mutter ha -O 3ben214Die Geſchichteben werde. Jch ſehe dieſer ſehr nahe entgegen. Sie hat mir geſagt, daß mein Vater und mein Bruder dieſen Mittag bey meinem Onckle An - ton zu Gaſte ſind: vermuthlich geſchiehet dieſes, um beſſere Gelegenheit zu einer abermaligen und ausfuͤhrlichen Unterredung zu machen.

Hannichen ſagt mir, daß mein Vater unge - halten geweſen waͤre, als er von meiner Mutter Abſchied genommen, und daß er unfreundlich mit ihr geredet habe: vielleicht deswegen, weil ſie zu viel auf meiner Seite iſt. Hannichen hatte ſie mit einer weinenden Stimme ſagen hoͤren: du machſt mich in der That recht beklemmt. Das arme Maͤdchen verdient nicht Mehr konte ſie nicht hoͤren, als dieſe Worte, und daß er ſagte: er wolle jemanden den Sinn brechen. Mein Sinn wird es ſeyn ſollen, nicht meiner Mutter Sinn: hoffe ich.

Weil heute niemand bey meiner Mutter ſpeiſet, als meine Schweſter, ſo hoffete ich, ich wuͤrde zu Tiſche geruffen werden: allein meine Mutter ſchickte mir das Eſſen. Jch habe beſtaͤndig ge - ſchrieben, und konte keinen Biſſen anruͤhren. Damit es aber nicht laſſen moͤchte, als waͤre es aus Eigenſinn geſchehen, ſo befahl ich Hanni - chen davon zu eſſen.

Eher ich dieſen Brief ſchlieſſe, will ich erwarten, ob ich ins geheim auf eine oder andere Weiſe Nachrichten einziehen kan, die werth ſind, hinzu - geſetzt zu werden; und will deswegen nach dem Holtzſtall und in dem Garten gehen.

Jch215der Clariſſa.

Jch habe meinen Vorſatz nicht bewerckſtelligen koͤnnen, darum ſoll Hannichen dieſen Brief zur Stelle bringen. Meine Mutter hat nach mir gefragt, und ihr befohlen, mir zu ſagen, daß ſie zu mir kommen, und in meinem eigenen Cloſet mit mir reden wollte. Sie kommt eben! ich ſchlieſſe.

Der zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Der Beſuch iſt vorbey, aber meine Sachen ſtehen ſchlimmer als vorhin. Da meine Mutter ſich gegen mich erklaͤret hat, daß dieſes der letzte Verſuch waͤre, mich in Guͤte zu uͤberre - den, ſo will ich deſto umſtaͤndlicher in meiner Er - zaͤhlung ſeyn.

Gleich bey dem Eintritt in die Stube ſagte ſie: ich habe fruͤher als gewoͤhnlich geſpeiſet, und bald abgegeſſen, damit ich mit dir reden koͤnnte: und ich verſichere dir, daß dieſes die letzte Unterredung ſeyn wird, die man mir vergoͤnnen wird und die ich Luſt haben werde von dieſer Sache anzuſtellen, wenn du ſo eigenſinnig ſeyn ſolteſt, als ſich ei - nige einbilden, die du hoffentlich zu Schanden machen wirſt; und wenn du mir zeigen wirſt,O 4daß216Die Geſchichtedaß ich und mein Rath bey dir nicht ſo viel gelte, als ich durch meine Guͤtigkeit verdient zu haben glaube.

Dein Vater ſpeiſet Mittags und Abends bey ſeinem Bruder, um uns dieſe Gelegenheit zu ge - ben: und nach ſeiner Ruͤckkunft wird er nach der Nachricht, die ich ihm aufrichtig von allem geben werde, ſeine Einrichtung zu machen wiſſen.

Jch wollte reden; aber ſie ſagte: Hoͤre erſt, Clariſſa, was ich dir zu ſagen habe, und alsdenn rede: es waͤre denn, daß du mir haͤtteſt ſagen wol - len, du wollteſt gehorſam ſeyn. Sage mir, war das deine Meinung? Wenn es dis geweſen iſt, ſo darffſt du reden.

Jch ſchwieg ſtille.

Sie ſahe mich mit einem beſorgten und zorni - gen Geſicht an. Jch finde gar kein Nachge - ben! Es iſt bisher ein ſo gehorſames Kind geweſen! Wilſt du oder kanſt du das nicht ſagen / was ich gern hoͤren wollte? Sie machte eine Bewegung mit der Hand, als wenn ſie mich wegweiſen und aufgeben wollte: nun ſo bleibe ſtumm! weder ich noch dein Vater kan deine offenbare Widerſetzung dulden.

Sie hielt in, als erwartete ſie von mir eine beſſere Antwort. Jch blieb noch ſtumm: und ſahe mit thraͤnenden Augen vor mich nieder.

Du unbewegliches Maͤdchen! Sage, rede frey heraus: willſt du dich uns allen in einer Sache widerſetzen, die uns am Hertzen liegt?

Jſt217der Clariſſa.

Jſt es mir erlaubt, mich zu beklagen?

Warum willſt du dich gegen mich beklagen: Clariſſa? dein Vater iſt unbeweglich. Ha - be ich dir nicht geſagt, daß keine Aenderung zu hoffen iſt, weil es das Beſte und die Ehre der Familie betrifft? Sey artig! du biſt es ja ſonſt immer geweſen, auch ſo gar mit deiner Unbe - quemlichkeit und Schaden. Wer wird endlich nachgeben muͤſſen? Wir alle dir? Oder du uns allen? Wenn du nun doch endlich nachgeben mußt, und ſieheſt, daß du uns nicht zum Nach - geben bringen kanſt; ſo thue es doch jetzt, da es artig laͤßt. Denn nachgeben mußt du, oder du biſt unſer Kind nicht.

Jch weinte, weil ich nicht wuſte was ich ſagen ſolte, oder vielmehr, wie ich das einkleiden ſolte, was ich zu ſagen haͤtte.

Wiſſe, daß ſich bey deines Grosvaters Te - ſtament Einwendungen machen laſſen! Du wirſt keinen Groſchen von dem Gut behalten, wenn du nicht nachgiebſt. Dein Grosvater vermachte es dir als eine Belohnung deines Ge - horſams gegen ihn und gegen uns: und du ver - lierſt es mit Recht, wenn

Nehmen Sie mir nicht uͤbel, wenn ich frey ſage, ich will das gantze nicht haben, wenn ich es mit Unrecht beſitze. Jndeſſen will ich hof - fen, daß man Herrn Solmes die Einwendun - gen, die gemacht werden koͤnten, nicht verhal - ten wird.

Sie ſagte: dis waͤre ſehr dreiſte geredet: ichO 5ſolte218Die Geſchichteſolte bedencken, daß wenn ich mich dieſes Guts durch meinen Ungehorſam verluſtig machte, ich zugleich das Hertz meines Vaters voͤllig verlieren wuͤrde. Jch ſolte uͤberlegen, in was fuͤr aͤuſſerſte Armuth ich alsdenn gerathen wuͤrde, daß ich weder mir helffen noch an andern Wercke der Liebe uͤben koͤnte, die ich mir ſo oft vorgenommen haͤtte.

Jch ſagte: ich wuͤrde mich nach meinen Um - ſtaͤnden richten muͤſſen. Nur von dem werde viel gefodert, dem viel gegeben ſey. Jch muͤſte GOtt danckbar ſeyn, fuͤr das was er mir gegeben haͤtte: und ich wuͤnſchte ihr und der Frau Norton See - gen dafuͤr, daß ſie mich ſo erzogen haͤtten, daß ich mit wenigem vergnuͤgt ſeyn koͤnte: ich wollte wol ſagen, mit noch viel wenigerm, als meines Va - ters Guͤtigkeit mir jaͤhrlich ausgeſetzt hatte. Jch daͤchte oft an jenen alten Roͤmer, und an ſein Lin - ſen-Gerichte.

Meine Mutter antwortete: was fuͤr ein ver - kehrter Sinn iſt das? Wenn du deine Hoffnung auf einen von deinen beyden Onkels ſetzeſt, ſo wird dich die Hoffnung betriegen. Sie werden gantz von dir ablaſſen, und nichts mehr mit dir zu thun haben wollen, ſo bald es dein Vater thut.

Jch ſagte; es thaͤte mir leyd, daß ich zu we - nig gutes an mir haͤtte, einen tieffern Eindruck in ihre Gemuͤther zu machen, und eine beſtaͤndigere Wohlgewogenheit zu verdienen. Jch wuͤrde ſie dem ohngeachtet lieben und ehren, ſo lange ich lebte.

Sie ſchrieb alles dieſes gewiſſen Vorurtheilen zu, und ſchloß daraus, daß ich mich durch je -mand219der Clariſſa. mand haͤtte einnehmen laſſen. Mein Bruder und meine Schweſter koͤnten faſt nicht aus dem Hauſe treten, ohne hievon etwas neues zu hoͤren.

Jch ſagte, es thaͤte mir leyd, daß ich in der Leute Rede kommen muͤßte. Jch bate aber, ſie moͤchte darauf Acht geben, ob das nicht einerley Leute waͤren, die mich in unſerm Hauſe ſchwartz zu machen ſuchten, die in Geſellſchafften mich fuͤr verliebt ausgeben, und die das zu Hauſe wieder erzaͤhlten, was in Geſellſchafften vorgefallen ſeyn ſolte.

Sie verwieß mir dieſe Anmerckung ernſtlich: und ich hoͤrte ihren Verweiß an, ohne mich zu ver - antworten.

Du trotzeſt, Clariſſa / ſagte ſie: ich ſehe es daß du trotzeſt. Und darauf ging ſie ein paar mal mit Unwillen in der Stube auf und nieder. Sie wandte ſich abermals zu mir und ſagte: ich ſehe, daß dir dieſe Beſchuldigung gantz ertraͤglich iſt. Du bemuͤheſt dich nicht einmal, etwas zu deiner Rechtfertigung zu ſagen. Jch ſcheuete mich Anfangs, dir alles zu ſagen, was mir an dich zu beſtellen aufgetragen war, wenn du dich nicht uͤberreden laſſen wollteſt: allein ich ſehe, ich habe dein Gemuͤth zaͤrtlicher und empfindlicher ge - halten als es iſt. Einem ſo ſtandhaften und un - beweglichen Kinde, als du biſt, wird es nicht viel Unruhe verurſachen, wenn ich dir hiemit ſage: daß der Heyraths-Contract ſchon aufgeſetzt iſt, und daß du in wenigen Tagen wirſt herunter ge - fodert werden, um ihn zu leſen und zu unterzeich -nen.220Die Geſchichtenen. Denn es iſt unmoͤglich, daß du den ge - ringſten Einwurf dagegen machen koͤnteſt, wenn dein Hertz frey iſt: du muͤßteſt denn dis eintzige dagegen einwenden, daß er fuͤr dich und die gantze Familie zu vortheilhaft ſey.

Jch blieb noch gantz ſprachlos. Obgleich mein Hertz ſo voll Kummer war, daß es ſich nicht halten konte, ſo konte ich doch weder Thraͤnen noch Worte von mir geben.

Sie ſagte, es betruͤbe ſie, daß ich ſo abgeneigt von dieſer Heyrath ſey. (Sie beliebte es ſchon eine Heyrath zu nennen) Es betraͤffe doch das Wohl und die Ehre der gantzen Familie, wie mir ihre Schweſter bereits geſagt haͤtte: und ich muͤß - te nachgeben.

Jch blieb noch ſprachlos.

Sie umfaſſete die warme Statuͤe (wie ſie mich zu nennen beliebte) mit beyden Armen, und bat mich um GOttes willen, und um ihr ſelbſt - willen, daß ich nachgeben ſolte.

Nun bekam ich auf einmal die Gabe der Thraͤ - nen und der Worte. Jch fiel vor ihr nieder, und faltete meine aufgehobenen Haͤnde: ſie haben mir, ſagte ich, das Leben gegeben, das bisher durch ih - re und meines Vaters Guͤtigkeit ein gluͤckliches und vergnuͤgtes Leben fuͤr mich geweſen iſt. Ma - chen ſie mich doch nicht in dem gantzen Ueberreſt meines Lebens ungluͤcklich!

Sie antwortete: dein Vater will dich gar nicht ſehen, wenn du nicht das gehorſame Kind biſt, das er bisher an dir gehabt hat. Du biſt bishernoch221der Clariſſa. noch nie auf eine Probe geſtellet worden, welche den Namen einer Probe verdienet haͤtte. Die Muͤhe, die ich jetzt anwende dich zu bewegen, wird und ſoll die letzte ſeyn. Gib mir doch nur einige Hoffnung, mein liebes Kind: es betrifft meine Ruhe und Zufriedenheit. Jch will mit einer bloſſen Hoffnung zufrieden ſeyn; da dein Vater einen blinden Gehorſam, den du mit Freuden leiſten ſollſt, als eine Schuldigkeit fo - dert. Gib mir nur Hoffnung mein Kind!

Jch ſagte: wenn ich einer ſo guͤtigen und lie - ben Mutter Hoffnung mache, ſo iſt es eben ſo viel, als wenn ich alles einwilligte. Handle ich aufrichtig, wenn ich ihnen Hoffnung zu etwas mache, das ich nicht halten kan?

Sie ward ſehr ungehalten, und nannte mich abermals ein verkehrtes Maͤdchen. Sie warff mir vor, daß ich blos meinem Triebe folgete, und weder ihre Ruhe noch meine Pflicht vor Augen haͤtte. Sie ſagte: es ſey eine verdrießliche Sache fuͤr Eltern, die an einer Tochter in den erſten Kinder-Jahren und in der gantzen Erzie - hung ihr Vergnuͤgen gehabt haͤtten, weil ſie ſich haͤtten Hoffnung machen koͤnnen, daß ſie der - einſt ein recht danckbares und gehorſames Kind werden wuͤrde, wenn ſie endlich zu der Zeit, da ſie ihre Wuͤnſche und Hoffnung erfuͤllet ſehen woll - ten, gewahr werden muͤſten, daß ſie ihrem eigenen Gluͤck im Wege ſtehe, ihren Eltern keine Freu - de machen wolle, die beſten Vorſchlaͤge und Verſchreibungen verwerfe, und ihre bekuͤm - merten222Die Geſchichte merten Freunde in Sorgen ſetze, daß ſie das Eigenthum eines liederlichen und niedertraͤchti - gen Frey-Geiſtes werden wolle, der der gantzen Familie trotze, (es moͤge nun die Schuld der Feindſchafft liegen auf welcher Seite ſie wolle) und wuͤrcklich ſeine Haͤnde mit dem Blute ihres Bruders beflecket habe.

Sie widerholte gegen mich: daß mein Vater einmal ſeinen Sinn darauf geſetzt, und ſich ſo gar erklaͤrt haͤtte, er wolle lieber gar kei - ne Tochter haben, als eine Tochter, mit der er nicht zu ihrem eigenen Beſten machen koͤnnte was er wollte. Jch haͤtte ja vorgegeben, daß mein Hertz ungebunden ſey; und durch meinen Gehorſam werde das Beſte ſeiner gantzen Fa - milie befoͤrdert. Er habe bey ſo haͤuffigen Anfaͤllen vom Podagra, deren einer immer ge - faͤhrlicher ſchiene als der andere, keine groſſe Hoffnung noch lange in der Welt zu leben, oder hier viel Vergnuͤgen und gute Tage zu ge - nieſſen. Er hoffe doch, daß ich, von der mein Gros-Vater vorgegeben haͤtte, daß ich durch meinen Gehorſam etwas zur Verlaͤngerung ſeines Lebens beygetragen haͤtte, meines Va - ters Leben durch meinen Ungehorſam nicht verkuͤrtzen wollte.

Dis muſte mir nothwendig ſehr zu Hertzen ge - ben. Jch weinte ohne ein Wort zu ſagen, denn ich konte nicht reden. Meine Mutter fuhr fort: was kan dein Vater fuͤr Urſachen haben, darum er dieſe Sache ſo ernſtlich treibet, als weil er ſiehet,223der Clariſſa. ſiehet, daß ſie zum Beſten und Aufnahme der gantzen Familie gereichet, die ſchon ſo viel Mittel hat, als bey einer Familie vom hoͤchſten Stan - de erfodert werden, und deshalb nach einem hoͤ - hern Range trachten muß. So geringe dir die - ſe Abſichten vorkommen, ſo wichtig werden ſie von deinem Vater und von allen deinen Freun - den geſchaͤtzt: und dein Vater wird gewiß die Frage ſelbſt entſcheiden wollen, was zu ſeiner Kinder Beſten gereichet oder nicht. Deine all zu philoſophiſche Verachtung des Ranges, die andere eine gezwungene Philoſophie nen̄en, ſchmeckt ſo ſehr nach den beſondern Grillen eines eigenen Kopfes, daß wir nicht Luſt haben, uns darnach zu richten. Die wahre Demuth und Beſcheidenheit wuͤrde dich vielmehr lehren, ein Mißtrauen in deine eigene Einfaͤlle zu ſetzen, und nicht Abſichten zu tadeln, die das Exempel der gantzen Welt rechtfertigt.

Jch antwortete noch nicht. Sie redete fort: dein Vater hat wegen der guten Meynung, die er von deiner Klugheit, Gehorſam und Danck - barkeit hat, ſein Wort an deiner Stelle von ſich gegeben, als du noch bey der Fraͤulein Howe wareſt, und allerhand Contracte gemacht, die ſich auf deine Verheyrathung mit Herrn Sol - mes gruͤnden, und nunmehr nicht umgeſtoſſen werden koͤnnen.

Jch dachte hiebey; warum ſuchte man mich denn bey meiner Zuruͤckkunfft durch eine ſo ſonder - bare und ernſthaffte Bewillkommung in Furchezu224Die Geſchichtezu ſetzen? Gewiß dieſer Bewegungs-Grund kommt nicht von meiner Mutter her, ſondern ſie muß ihn, wie alles das uͤbrige, denen nach - beten, die ſie abgeſchickt haben.

Dein Vater ſagt: deine unerwartete Wi - derſetzung und Herrn Lovelaces fortwaͤhren - de Drohungen uͤberzeugten ihn von Tage zu Tage mehr, daß er einen nicht allzuentfernten Tag ausſetzen muͤſſe, um aller Hoffnung je - nes Menſchen und ſeiner eigenen Beſorgniß, dazu ein ſo zaͤrtlich geliebtes Kind durch ſeinen Ungehorſam Anlaß gebe, ein Ende zu machen. Er habe deswegen ſchon um Proben von den reichſten Stoffen nach London geſchrieben.

Jch erſchrack uͤber dieſe Uebereilung der - maſſen, daß ich gantz auſſer Athem kam: ich wollte eben mit Nachdruck und Hitze dagegeu reden. Jch wuſte wohl, in weſſen Gehirn die - ſe gluͤckliche Erfindung jung geworden war: denn mein Bruder hatte ſich einmal verlauten laſſen: wenn man die Maͤdchens nur ſo weit gebracht haͤtte, daß ſie es in Ueberlegung nehmen / ob ſie ſich veraͤndern wollten, ſo pflegte der Anblick der Anſtalten zur Hochzeit bald den Ausſchlag zu geben / weil ſie in die Augen fielen, und die Maͤdchens ſich gleich da - bey die Herrlichkeit vorſtelleten, als Frau zu be - fehlen zu haben. Allein meine Mutter redete ſo geſchwind weiter fort, daß ich nicht zu Wor - te kommen konnte, um mein Mißvergnuͤgen zu bezeugen.

Dein225der Clariſſa.

Dein Vater kan weder um deinet noch um ſeiner ſelbſt willen laͤnger in einem Zweifel blei - ben, der ihm ſo viel Unruhe macht. Als ich vor dich bat, ſo antwortete er mir: ich ſolte mei - ne Auctoritaͤt gegen dich gebrauchen, ſo lieb mir meine eigene Ruhe waͤre, (wie hart war der Ausdruck gegen eine ſo gute Frau?) und ſo lieb es mir waͤre, den Verdacht bey ihm zu ver - meiden, als wenn ich ſelbſt heimlich den An - trag des liederlichen Kerls zu befoͤrdern trach - tete: denn ein liederlicher Menſch finde bey al - lem Frauens-Volck, bey dem tugendhaften eben ſo wohl als bey dem laſterhaften, ſehr viel Gunſt. Jch koͤnte auch deſto eher ernſt - lich mit dir reden, weil du bekannt haͤtteſt (da kommt der Fall-Strick wieder zum Vorſchein, den man mir gelegt hat) daß dein Hertz unge - bunden waͤre.

(Sind das nicht unanſtaͤndige Beſchuldigun - gen gegen unſer gantzes Geſchlecht? ſonderlich in Abſicht auf meine Mutter, die unter mehreren Partheyen, deren Umſtaͤnde eben ſo gut waren, meinen Vater blos deswegen gewaͤhlt hat, weil man von der Lebens-Art der uͤbrigen nicht die beſte Meinung hatte?)

Dein Vater hat mit dem Befehl von mir Ab - ſchied genommen: ich ſolte gleich von dir gehen, wenn ich faͤnde, daß ich nichts bey dir ausrich - ten koͤnte, und ſolte dich allein laſſen, um dich an den Folgen deines doppelten Ungehorſams zu erquicken.

Erſter Theil. PHier -226Die Geſchichte

Hierauf bat ſie mich mit dem groͤſſeſten Ernſt und Herablaſſung, ich moͤchte meinen Vater bey ſeiner Zuruͤckkunft von meinem willigen Gehor - ſam verſichern, und das moͤchte ich ſowohl um ihrent als um meinet willen thun.

Die Guͤtigkeit meiner Mutter gegen mich, und ihr Verlangen, daß ich wenigſtens um ihrent - willen nachgeben moͤchte, ruͤhrte mich ſo ſehr, und der Verdacht, daß die mir ſo eckelhafte Perſon mir deswegen nicht gefiele, weil ich zu einer andern ihnen verhaßten Perſon eine beſondere Zuneigung haͤtte, war mir ſo empfindlich: daß ich wuͤnſch - te, gehorſam ſeyn zu koͤnnen. Jch hielt deswegen inn, ich bedachte mich, ich uͤberlegte alles, und re - dete ziemlich lange nichts. Jch konnte es mei - ner Mutter an den Augen abſehen, daß ſie hoffete mein Stillſchweigen wuͤrde ſich mit einer vergnuͤg - lichern Antwort endigen. Als ich mich aber be - ſann, daß alles auf Anſtifften meines Bruders und meiner Schweſter geſchehe, die von Neid und Eigennutz beſeſſen waͤren: daß ich nicht ver - dienet haͤtte, daß man mir ſo begegnete, als ſeit kurtzem geſchehen iſt: daß man ſchon in allen Ge - ſellſchafften von meinem Ungluͤck rede: daß jeder - mann wuͤſte, was ich fuͤr eine Abneigung gegen dieſen Mann habe, und daß daher mein Nachge - ben weder den Meinigen noch mir Ehre bringen wuͤrde: daß es kein Zeichen des Gehorſams, ſon - dern eines knechtiſchen und niedertraͤchtigen Ge - muͤths ſeyn wuͤrde, weñ man den Verluſt zeitlichen Guͤter durch Verſchertzung der wahren kuͤnftigenGluͤck -227der Clariſſa. Gluͤckſeligkeit und Zufriedenheit abkauffen wolte: daß mein Bruder und meine Schweſter gewiß uͤber den Sieg frolocken wuͤrden, den ſie uͤber mich und uͤber Hn. Lovelace dadurch erhielten: daß, ſo wenig er mich ſonſt anginge, dieſes Frolo - cken meines Bruders uͤber ihn ein ſehr ſchlechtes Ende nehmen koͤnte: als ich mir Hn. Solmes unangenehme und eckelhafte Bildung und ſeine noch eckelhafteren Sitten vorſtellete; ſeinen Man - gel des Verſtandes, in dem billig die Ehre und der Vorzug einer Manns-Perſon beſtehen ſoll, ein Mangel, den man an dem Haupt der Familie de - ſto weniger uͤberſehen kan, weil er die beſte Frau verhindert, diejenige Ehrerbietung gegen ihn zu haben, ohne welche ſie von ihrer getroffenen Wahl keine Ehre haben kan: da ich uͤberlegte, daß Herr Solmes in dieſem wichtigen Stuͤcke (ich kan dieſes an Sie ohne mich ſelbſt zu erhe - ben ſchreiben) mir ſo ungleich ſey, daß ein jeder der uns jetzt oder kuͤnfftig kennete oder kennen wuͤr - de, bald mercken muͤſte, was fuͤr niedertraͤchtige Abſichten mich verleitet haͤtten, ihn zu waͤhlen: Da alle dieſe Betrachtungen, die mir ſtets im Gemuͤthe ſchweben, ſich mir auf einmal vorſtel - leten: ſo ſagte ich mit gerungenen Haͤnden, und recht von Hertzens-Grunde: ich wolte gern die grauſamſte Marter ausſtehen, und das Leben laſſen, wenn es zu ihrer Beruhigung etwas beytragen koͤnte. Allein dieſer Mann wird mir jedesmal eckelhafter, wenn ich gern auf ihren Befehl eine Zuneigung gegen ihn faſſen wollte. Sie koͤnnenP 2ſich228Die Geſchichteohnmoͤglich vorſtellen, wie ſehr ihm meine gantze Seele zuwider iſt. Und ſie wollen von einem ge - ſchloſſenen Ehe-Contract reden! von Proben! von einem nahe bevorſtehenden Tage! Liebſte Mutter retten ſie ihr Kind von dieſem groſſen und unertraͤglichen Ungluͤck!

Es kan der Kummer nicht lebendiger abgemahlt werden, als er ſich in ihrem Geſicht zeigete, ob - gleich ſie ihn zu verbergen und an deſſen ſtatt ei - ne eine zornige Gebaͤrde anzunehmen ſuchte. Die - ſe behielt endlich den Platz in ihrem Geſichte; ſie wandte die Augen gen Himmel, trat hart auf den Boden, und kehrte mir mit den Worten: eine unerhoͤrte Verkehrtheit! den Ruͤcken zu. Jch ergriff ſie bey dem Rocke, und ich glaube, daß ich beynahe ausgeſehen haben muß, als wenn ich unſinnig waͤre. Haben ſie doch Geduld mit mir, liebſte Mutter: ſagte ich. Verlaſſen ſie mich nicht gaͤntzlich! Wenn ſie ſich ja von ihrem Kinde trennen muͤſſen, ſo bitte ich, daß ſie mir ihr Hertz, ſo viel an ihnen iſt, nicht ſchlechterdings entziehen. Meine Onkles moͤgen immerhin hart, und mein Vater unerbittlich ſeyn! Meines Bruders hoch - muͤthige Abſichten, und der Neid meiner Schwe - ſter mag mein Leiden immerhin vergroͤſſern! Wenn ich mich nur meiner Mutter Liebe, oder wenigſtens ihres Mitleydens getroͤſten kan.

Sie kehrte ſich mit einem freundlicherem Ge - ſichte zu mir, und ſagte: Du haſt alle meine Liebe! du haſt alles mein Mitleiden. Al - lein / gutes Maͤdchen / ich habe deine Liebe und dein Mitleiden nicht.

Wahr -229der Clariſſa.

Wahrhaftig, ſie haben beydes. Sie ha - ben alle meine Ehrerbietung, und alle meine Danckbarkeit. Nur in dieſem eintzigen Stuͤcke kan ich denn in dieſem eintzigen Stuͤcke nichts erhalten? Will man denn gar keinen Vorſchlag annehmen? War nicht mein Vor - ſchlag in Abſicht auf die verhaßte Perſon ſo be - ſchaffen, daß man ihn annehmen koͤnnte?

Jch wuͤnſchte um meinet und um deinet willen / du unbewegliches Maͤdchen / daß ich dieſe Frage entſcheiden duͤrfte. Allein warum quaͤlſt du mich ſo durch deine Fra - gen / da du doch weißt / daß ich ſie nicht beantworten kan? Es iſt nur die Haͤlffte von dem / was die deinigen verlangen / daß du Herrn Lovelace gaͤntzlich entſagen ſollſt: und wenn du ihm noch ſo ernſtlich entſa - geſt / ſo wirſt du doch bey niemand / als vielleicho bey mir / Glauben finden. So lange du unverheyrathet bleibeſt / hat Herr Lovelace noch Hoffnung: und jedermann wird glauben / daß du noch Zuneigung ge - gen ihn habeſt.

Erlauben ſie mir die Wahrheit zu ſagen. Jhre Guͤtigkeit, ihre Gedult gegen mich, ihre Ruhe und Zufriedenheit, gelten bey mir mehr als alle andere Bewegungs-Gruͤnde. Denn ob gleich mein Bruder, und auf deſſen Anſtiff - ten auch mein Vater mit mir umgehet, als wenn ich eine Sclavin und nicht Tochter im Hauſe waͤre: ſo habe ich doch kein ſclaviſchP 3 Hertz230Die Geſchichte Hertz. Sie haben mich nicht ſo erzogen, daß ich niedertraͤchtig ſeyn kan.

So Claͤrchen! du willſt deinem Vater trotzen? Jch habe ſchon vorhin befuͤrchtet / daß es ſo weit kommen wuͤrde. Was wird endlich daraus werden? Jch / ſprach ſie mit einem Seuffzer, muß mir ſelbſt manchen Ein - fall gefallen laſſen.

Das thut mir eben leid, liebſte Mutter. Meynen ſie nicht, daß eben das, was ich an ihrem Exempel geſehen habe, und die Furcht vor dem, was man von einem noch haͤrteren Ge - muͤthe, das kaum halb ſo viel Verſtand beſitzt, als mein Vater, in dem Eheſtande erwarten muß, einen Eindruck bey mir gemacht hat? Kan ich dadurch Luſt bekommen, mich zu ver - heyrathen? Es iſt noch eine Erleichterung, wenn man dem Eigenſinn eines verſtaͤndigen Mannes folgen muß: und ich erinnere mich uͤber dieſes von ihnen gehoͤrt zu haben, daß mein Vater vor mehreren Jahren ein aufge - raͤumter und munterer Mann geweſen iſt, ge - gen deſſen Geſtalt und Auffuͤhrung nichts ein - zuwenden war. Aber der Mann, den man mir aufdringen will

Halte dich nicht uͤber deinen Vater auf. (Kan man das wol nennen, ſich uͤber ſeinen Va - ter aufhalten? Jch habe mich bemuͤhet, Jhnen von Wort zu Wort zu melden, was ich ſagte.) Jch muß es nochmahls ſagen / du koͤnnteſt nicht ſo unbeweglich in deiner Abneigungvon231der Clariſſa. von dieſem Manne ſeyn / wenn du gegen alle andere Manns-Perſonen gleich geſin - net waͤreſt. Dein Eigenſinn und Hals - ſtarrigkeit macht mich endlich muͤde / du biſt das allerhallſtarrigſte Maͤdchen / das ich je geſehen habe. Du bedenckſt nicht / daß es dem Vater anfangen wird / wo ich es laſſen werde; und daß ich mich gaͤntzlich deines Umgangs enthalten muß / wenn du nicht nachgiebſt. Jch will es dir noch einmal antragen. Kanſt du dich entſchlieſſen / deinen Vater zum Zorn zu reitzen / und ihm zu trotzen? und deinen Onckels auch zu trotzen? Willſt du lieber mit uns insge - ſamt zerfallen / als Herrn Solmes / oder mir nur einige Hoffnung geben?

Wie ſchwer wird mir die Wahl? Allein was ſoll ich antworten, wenn ich aufrichtig ant - worten will? Kan nicht meine ewige Gluͤck - ſeligkeit durch eine Antwort, die ich gern ge - ben wollte, in Gefahr geſetzt werden? Wird nicht jeder Schatten der Hoffnung, die ich ſo gern geben wollte, unvermuthet durch eine dar - uͤber gemachte Auslegung in eine Gewißheit verwandelt werden? Sucht man mich nicht zu fangen, und ſucht man nicht ſelbſt mein Ver - langen, Gehorſam zu leiſten, gegen mich an - zuwenden, wenn ich mich uͤbereilte einige Ant - wort zu geben, daraus man eine Hoffnung machen koͤnnte? Vergeben ſie, daß ein KindP 4ſo232Die Geſchichte ſo dreiſte redet, wenn es die Sache erfodert. Der Ehe-Contract iſt ſchon entworfen! Die Proben ſind ſchon verſchrieben! Es ſoll ein Tag zur Hochzeit angeſetzt werden! wie kan ich bey ſolchen Umſtaͤnden einige Hoffnung geben, wenn ich nicht entſchloſſen bin, mich dieſem Manne aufzuopfern?

Sage nicht mehr / Maͤdchen / daß dein Hertz frey iſt. Du betriegeſt dich ſelbſt / wenn du es denckſt.

So weit werde ich getrieben, ſagte ich mit gerungenen Haͤnden, weil es ein Bruder voll eigennuͤtziger und unendlicher Abſichten haben will; und eine Schweſter

Wie oft muß ich dir verbieten / Claͤrchen / dich ſolcher Ausdruͤcke zu bedienen / die ſich fuͤr eine Schweſter nicht ſchicken. Jſt nicht dein Vater / ſind nicht deine Onckles / iſt nicht jedermann auf Herrn Solmes Sei - te? Jch muß dir ſagen / undanckbares Maͤdchen / (du biſt eben ſo undanckbar als unbeweglich) ich muß dir nochmals ſa - gen / daß ich glaube / du koͤnnteſt nimmer ſo eigenſinnig ſeyn / wenn du nicht verliebt waͤreſt. Du kanſt leicht dencken / was dei - nes Vaters erſte Frage ſeyn wird / wenn er nach Hauſe kommt. Jch werde ihm ſagen muͤſſen / daß ich nichts ausgerichtet habe. Jch habe das meinige gethan. Wenn du dich beſinneſt / ehe er nach Hauſe kommt / ſo komm zu mir / und gib mir Nachricht da -von. 233der Clariſſa. von. Du haſt noch einige Zeit / weil er zum Abend-Eſſen bleiben wird. Jch will zu dir nicht wieder kommen. Mit dieſen Worten ging ſie weg.

Was konnte ich anders thun, als weinen? Wegen meiner Mutter bin ich am meiſten bekuͤm - mert; mehr als um mein ſelbſt willen. Sie ver - dient, wenn ich alles uͤberlege, noch mehr Mit - leiden als ich, inſonderheit deswegen, weil ſie ge - gen ihre eigene Einſicht handeln muß. Sie iſt ein unvergleichliches Frauenzimmer! und es iſt betruͤbt, daß ihre Sanfftmuth und Herablaſſung nicht durch die natuͤrlichen Folgen dieſer liebens - wuͤrdigen Eigenſchafften belohnt wird. Allein es wuͤrde nie ſo weit gekommen ſeyn, wenn ſie ſich fruͤh in Acht genommen haͤtte, daß hefftige Ge - muͤther nicht haͤtten mercken koͤnnen, was ſie fuͤr Gewalt uͤber ſie haben.

Meine Feder verfuͤhrt mich zum ſchreiben: und ich vergeſſe unterdeſſen, daß meine Mutter auf mich warten kan, und vielleicht wegen ihrer ei - genen Umſtaͤnde auf mich ungehalten iſt. Sie hat mir zu verſtehen gegeben, ich muͤſte zu ihr kommen, wenn ich meine Entſchlieſſung aͤnderte: das iſt in der That ſo viel als ein Verbot, bey der Geſinnung die ich jetzt habe, zu ihr zu kom - men. Allein ſie iſt im Unwillen von mir gegan - gen: und ſo hat es ein trotziges Anſehen, und laͤſt bey nahe als wenn ich mich ihrer Vorſprache und Vermittelung begeben wollte, wenn ich nicht zu ihr gehe, und ſie erſuche, Mitleiden mit mir zuP 5ha -234Die Geſchichteben, und meinem Vater alles auf der beſten Seite vorſtellen.

Jch entſchlieſſe mich, zu ihr zu gehen. Jch will lieber, daß die gantze Welt auf mich boͤſe iſt, als meine Mutter. Damit aber nichts von Papieren auf meiner Stuben bleiben moͤge, ſo ſoll Hannichen dieſen Brief zur Stelle bringen. Wenn Sie vielleicht auf einmal zwey oder drey Briefe von mir bekommen, ſo ſind ſie ein Tage - Regiſter der Bekuͤmmerniß Jhrer ungluͤcklichen aber ſtets ergebenen und getreuen Freundin

Cl. Harlowe.

Der ein und zwanzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch bin hinunter geweſen: aber ich bin un - gluͤcklich in allem was ich vornehme, wenn ich auch noch ſo eine gute Abſicht habe. Sie werden aus meiner Erzehlung ſehen, daß ich die Sache verſchlimmert habe, da ich ſie verbeſſern wollte.

Meine Mutter und meine Schweſter waren in dem Saal, als ich zu ihnen kam. Das arti - ge Geſicht meiner Mutter gluͤete dergeſtalt, daß ich faſt mercken konnte, ſie muͤſſe mit einiger Ge - muͤths-Bewegung gegen ihr ungluͤckliches Kindgeredet235der Clariſſa. geredet haben: und meiner Schweſter Geſicht ſchien dieſes zu bekraͤfftigen, das ebenfals gantz gluͤend war, nur daß es brauner und eigenſinni - ger ausſahe. Vielleicht hatte ſie von dem, was vorgegangen war, eine umſtaͤnndliche Nachricht gegeben, um meine Schweſter und durch dieſe meinen Bruder und Onckels zu uͤberzeugen, daß ſie alles moͤgliche bey mir angewandt haͤtte.

Jch glaube, ich bin als ein Uehelthaͤter, den ſein Gewiſſen niederſchlaͤgt, in den Saal getreten. Jch bat mir Erlaubniß aus, mit ihr allein zu ſprechen: ſie gab mir aber die Antwort in ſolchen Worten und mit ſolchen Geberden, daß meine Vermuthung ſehr beſtaͤrcket ward.

Sie nahm eine Ernſthafftigkeit an, die ſich zu ihrem guͤtigen Geſichte niemals ſchicket, und ſag - te: Clariſſa Hatlowe / du ſiehſt mir gar nicht aus, als wenn du nachgeben, ſondern als wenn du um etwas bitten wollteſt. Wenn ich mich irre, ſo ſage es mir: und alsdenn bin ich bereit, mit dir zu gehen, wohin du beliebeſt. Doch dem ſey wie ihm wolle, du kanſt alles in deineꝛ Schweſter Gegenwart ſagen.

Jch dachte, meine Mutter haͤtte wohl mit mir allein gehen koͤnnen, da ſie genugſam weiß, daß meine Schweſter gar nicht meine Freundin iſt.

Jch antwortete: ich ſey herunter gekommen, um mir bey ihr Vergebung wegen deſſen aus zu - bitten, worin ich mich gegen ſie ſelbſt bey der vo - rigen Unterredung vergangen haben moͤchte, und um ſie zu erſuchen, daß ſie ſich bemuͤhen moͤchte,meinen236Die Geſchichtemeinen Vater zu beſaͤnftigen, wenn ſie ihm Nach - richt von dem braͤchte, was vorgegangen ſey.

Was fuͤr ein Geſicht machte mein Schweſter hiebey! recht als wenn ich eine Tod-Suͤnde be - gangen haͤtte. Wie erhub ſie Augen und Haͤnde! wie runtzelte ſie die Stirne!

Meine Mutter war ohnehin ſchon ungehalten genug auf mich: und fragte mich: warum ich zu ihr herunter kaͤme, wenn ich noch ungehorſam waͤre? Sie hatte das Wort kaum ausgeredet, ſo kam Schorey / und meldete Herrn Solmes der unterdeſſen in den groſſen Saal getreten war. Was trieb den eckelhafften Menſchen bey ſpaͤtem Abend, da es ſchon gantz finſter war, in unſer Haus. Jch glaube, es war ſo veranſtaltet, daß er des Abends hier eſſen ſollte, damit er erfuͤhre, was meine Muter bey mir wuͤrde ha - ben ausrichten koͤnnen, und damit uns mein Vater beyſaɯmen finden moͤchte, wenn er nach Hauſe kaͤme.

Jch wollte mich davon machen: allein meine Mutter befahl mir, nicht aus der Stelle zu gehen, weil ich doch einmahl herunter gekommen waͤre ihrer zu ſpotten. Jch ſollte mich, ſetzte ſie hinzu, ſo gegen ihn betragen, daß ſie dadurch Muth be - kommen moͤchte, meinem Vater eine ſo gute Nachricht von mir zu geben, als ich ſie vorhin erſucht haͤtte.

Meine Schweſter frolockete hieruͤber, und mich verdroß es, daß ich mich ſelbſt ſo gefangen hatte, und einen ſo ſcharfen und empfindlichenVer -237der Clariſſa. Verweiß anhoͤren muſte, bey welchem meine Mutter mehr meiner ſtichelnden Schweſter als ei - ner guͤtigen Mutter gleich zu ſehen ſchien, wenn ich mich anders unterſtehen darf, ſo von ihr zu ſchrei - ben. Denn es hatte faſt das Anſehen, als wenn ſich meine Mutter daruͤber freuete, daß ich ſo uͤber - eilt ward.

Der Mann ſtieg in die Stube herein. Sie wiſſen, daß er gehet, als wenn er Pauſen machen muͤßte, und als wenn er aus Armuth an Gedan - cken um ſich die Zeit zu vertreiben ſeine Schritte zaͤhlete, ſo wie der von Dryden vorgeſtellete un - geſchickte Bauer zu pfeiffen pflegte. Er beehrte erſtlich meine Mutter mit ſeinem ungeſchickten Buͤckling, nachher meine Schweſter, endlich mich; nicht anders als wenn ich ſchon ſeine Frau waͤre, und er gegen mich am wenigſten Hoͤflich - keit noͤthig haͤtte. Darauf ſetzte er ſich neben mir nieder, und benachrichtigte uns, was es fuͤr Wet - ter ſey. Er machte es ſehr kalt: allein ich war heiß genug. Er wandte ſich darauf zu mir, frag - te mich, wie ich das Wetter faͤnde, und wollte mich bey der Hand faſſen. Jch zog die Hand veraͤchtlich genug zuruͤck. Meine Mutter ſahe ungehalten dazu aus, und meine Schweſter bis ſich auf die Lippen.

Jch konte mich nicht laͤnger halten: und ich glaube, daß ich in meinem Leben nicht ſo dreiſte geweſen bin. Denn ich fuhr fort meine Mutter zu bitten, als wenn Herr Solmes gar nicht zu - gegen geweſen waͤre.

Mei -238Die Geſchichte

Meine Mutter veraͤnderte die Farbe im Ge - ſichte, und ſahe bald ihn, bald meine Schweſter, bald mich an. Meine Schweſter kriegte groͤſſere Augen, als ich ſie jemahls an ihr wahrgenommen habe.

Diesmahl konte mich der Mann verſtehen. Er huſtete: er ſetzte ſich von einem Stuhl auf den an - dern. Jch fuhr fort, meine Mutter um eine ge - neigte Erzaͤhlung des vorgegangenen zu erſuchen. Nichts, fing ich an, als blos eine unuͤber - windliche Abneigung

Was will das Maͤdchen? ſagte ſie. Was Claͤrchen! Schicken ſich die Reden hieher? Jſt dis iſt dis iſt dis eine Zeit Sie ſahe abermals auf Herrn Solmes.

Wenn ich zuruͤck dencke, ſo thut es mir leyd, daß ich meine Mutter in ſolche Noth geſetzt habe. Es war in der That ſehr unartig von mir gehandelt.

Jch bat ſie um Vergebung; doch mit dem Zu - ſatz; weil mein Vater bald nach Hauſe kom - men wuͤrde / ſo waͤre dieſes die eintzige Ge - legenheit / die ich haͤtte / meine Bitte / an - zubringen. Da ſie mir verboten haͤtte / wegzugehen / ſo haͤtte ich geglaubt, ich muͤ - ſte mir nicht durch Hn. Solmes Zuſpruch eine Gelegenheit entziehen laſſen / auf die mir ſo vieles ankaͤme: und ich koͤñte ihm (hiebey ſahe ich auf ihn) zu gleicher Zeit zeigen, daß die Muͤhe die er ſich gaͤbe vergeblich ſey / wenn er ſeine Beſuche in unſer Haus um meinet willen fortſetzte.

Jſt239der Clariſſa.

Jſt das Maͤdchen toll! ſagte meine Mutter, um meinem reden ein Ende zu machen.

Meine Schweſter that, als wenn ſie meiner Mutter etwas heimlich in die Ohren ſagen wollte, und ſprach mit einer ſpoͤttiſchen Miene: ſie ſpot - tet ihrer, weil ſie ihr nicht erlauben wollten, wegzugehen.

Jch gab ihr nur einen Blick, und wandte mich wieder zu meiner Mutter: Erlauben ſie mir / das ich meine Bitte wiederholen darf. Jch habe weder Bruder noch Schweſter / wenn ich meiner Mutter Hertz verliere / ſo bin ich gantz verlohren.

Herr Solmes ſetzte ſich wieder auf ſeinen er - ſten Platz, und fing an den Kopf ſeines Spani - ſchen Rohrs, der faſt eben ſo runtzelicht und un - geſtalt ausſiehet als ſein eigener, zu nagen. Jch haͤtte nicht gedacht, daß der Mann ſo empfindlich waͤre.

Meine Schweſter ſahe im Geſicht wie ein ro - thes Tuch aus. Sie ging zu dem Tiſche, auf welchem der Fechtel lag, und ohngeachtet es nach Herrn Solmes Anmerckung kalt war, wehete ſie doch heftig damit, um ſich abzukuͤhlen.

Meine Mutter faßte mich voller Ungeduld bey der Hand, und fuͤhrete mich aus ihrem Saal in den meinigen, der gleich daran ſtoͤßt, wie Sie wiſſen. Was denckſt du Claͤrchen? Jſt das nicht eine verwegene, eine unertraͤgliche Auffuͤh - rung?

240Die Geſchichte

Jch bitte ſie um Vergebung, antwortete ich, wenn ſie es ſo genommen haben. Allein ſcheint es nicht, daß Schlingen fuͤr mich gelegt ſind? Jch kenne meinen Bruder wohl: wenn ich ein gu - tes Wort ſage, ſo wird er es gleich auslegen, als wenn ich zu allem Ja ſagte, und es mir gefallen lieſſe, daß er mich austreiben will. Mein Bru - der und meine Schweſter duͤrfften ſich nur halb ſo viel Muͤhe geben.

Meine Mutter wollte mit Unwillen von mir gehen. Jch bat ſie aber, noch zu warten: nur eine einzige Guͤtigkeit, meine liebſte Mutter ha - be ich mir noch von ihnen ausbitten.

Was will das Maͤdchen?

Jch ſehe, wie jedermann zu Wercke gehet. Jch kann nie darauf dencken, Herrn Solmes zu nehmen: und ich ſehe zum Voraus, wie unruhig mein Vater werden wird, wenn er dieſe Nachricht bekommt. Daraus, daß ſie bisher geneigt geweſen ſind, meine Bitten an - zuhoͤren, werden die uͤbrigen ſchlieſſen, daß ſie gegen ihr armes Kind, das von allen verban - net zu ſeyn ſcheint, noch ein muͤtterliches Hertz haben. Es werden daher die andern ſuchen, mich einzuſperren, und der Gegenwart aller derer gaͤntzlich zu berauben, die mich bisher geliebet haben. (Man drohet in der That, dieſes zu thun.) Wenn es ſo weit kommt, wenn mir die Gelegenheit benommen wird, meine Sache vorzuſtellen, und mich inſonderheit an ſie und an meinen Onkle Harlowe zu wenden;ſo241der Clariſſa. ſo ſehe ich ſchon zum voraus, daß aller Ohren zu meinem Nachtheil offen ſtehen werden, und daß alle Luͤgen gegen mich das Haupt erheben werden. Jch bitte deswegen demuͤthig, daß ſie nicht zugeben wollen, wo ſie es anders hindern koͤnnen, daß zu meinen bisherigen unangeneh - men Einſchraͤnckungen noch dieſe hinzu kom̃me.

Deine Hannichen hat gehorchet / und dir dieſe / wie mehrere andere Nachrichten ge - geben.

Meine Hannichen horcht nicht. Meine Han - nichen.

Entſchuldige ſie nicht weiter. Es iſt be - kannt / daß ſie nicht viel gutes anrichtet: es iſt ſchon bekannt. Aber nicht mehr von dem geſchaͤfftigen Maͤdchen / das ſich in al - les menget. Es iſt wahr / dein Vater hat - te vor / dich auf deine Stube einzuſperren / wenn du nicht gehorchen wuͤrdeſt / um deſto gewiſſer verſichert zu ſeyn / daß du mit de - nen / die dich zum Ungehorſam verfuͤhren / keine Briefe wechſeln koͤnneſt. Er trug mir auf / als er aus dem Hauſe ging / dir dieſes zu ſagen / wenn ich dich ungehorſam faͤn - de: allein ich hatte nicht Luſt / dir eine ſo harte Nachricht zu ſagen / und ich hoffete noch immer / daß du endlich nachgeben wuͤrdeſt. Jch glaube Hannichen hat ge - horchet / und dir dieſes wieder erzehlt: und vielleicht auch das / daß er geſagt hat / er wollte lieber dein Hertz kraͤncken / als leiden /Erſter Theil. Qdaß242Die Geſchichtedaß du ſein Hertz kraͤncken ſollteſt. Und ich ſage dir hiemit / du wirſt eingeſperret wer - den / und man wird ferner nicht zugeben / daß du einem von uns mit deinem Klagen und Winſeln in den Ohren liegeſt. Wir wollen ſehen / wer wird nachgeben muͤſſen: du uns? oder wir insgeſammt dir?

Jch wollte Hannichen entſchuldigen, und thun, als wenn ich meine Nachricht durch Eliſa - beth Barnes / die der Widerſchall von meiner Schweſter iſt, erfahren haͤtte: denn dieſe hat es gegen eine andere Magd geruͤhmet. Allein-ſie befahl mir abermals, davon ſtille zu ſchweigen. Jch wuͤrde bald finden, daß andere eben ſo uner - bittlich ſeyn koͤnnten, als ich eigenſinnig und un - beweglich waͤre. Da ſie ſaͤhe, daß ich mich auf ihre Gelindigkeit verlieſſe, und nichts darnach fragte, daß ſie um meinet willen mit ihrem Manne, mit ſeinen Bruͤdern und mit ihren uͤbri - gen Kindern in Uneinigkeit geriethe, ſo wollte ſie mir ein fuͤr alle mahl verſichern, daß ſie eben ſo ſehr wider Herrn Lovelace und fuͤr Herrn Solmes waͤre, und daß ihr die Vergroͤſſerung unſerer Fa - milie eben ſo ſchr am Hertzen laͤge, als irgend ei - nem andern. Sie wuͤrde zu keinem Mittel Nein ſagen, das man fuͤr noͤthig halten moͤchte, um ein widerſpenſtiges Kind zum Gehorſam zu zwin - gen.

Als ich bey nahe umfallen wollte, bot ſie mir den Arm, und hielt mich.

Jſts243der Clariſſa.

Jſts das alles, was ich von meiner Mutter erwarten kan? ſagte ich.

Ja! das iſts alles. Aber, Claͤrchen / ich will dir noch eine Bedenck-Zeit geben. Gehe wieder zu Herrn Solmes hinein, und fuͤhre dich verſtaͤndig auf, damit euch dein Vater bey - ſammen finde, wenn er nach Hauſe kommt, und ſehe, daß du dem Manne zum wenigſten hoͤf - lich begegneſt.

Meine Fuͤſſe gingen von ſich ſelbſt, wie es mir vor kam, von dem Saal weg, und nach der Trep - pe zu: bey der Treppe ſtand ich ſtille.

Wenn du dir denn vorgenommen haſt / fuhr ſie fort, uns allen zu trotzen / ſo magſt du mir nach deiner Stube gehen / wie du im Sinne zu haben ſcheineſt. Allein ſo ſey dir GOtt gnaͤdig!

GOtt ſey mir gnaͤdig! ich kan ohnmoͤg - lich ſo handeln, daß man bewogen werde eine Hoffnung von mir zu faſſen, die hernach nicht erfuͤllet wird. Allein beten ſie nur fuͤr mich: wie ich fuͤr ſie beten werde, die Schuld an meinem Ungluͤck ſind.

Jch fing an fortzugehen.

So wilſt du doch hinauf gehen / Claͤr - chen?

Jch ſahe ſie an. Die Thraͤnen kamen mir eben zu rechter Zeit in die Augen, fuͤr mich zu ſprechen; dann ich ſtand ſtille, ohne ein Wort ſagen zu koͤnnen.

Du gutes Maͤdchen / mache mir nicht ſoQ 2vielen244Die Geſchichtevielen Kummer! du liebes gutes Kind / mache mir nicht ſo vielen Kummer! ſagte ſie mit ausgehaltener Hand, und ſtand gleich - fals ſtille.

Was kan ich thun? Was iſt mir noch moͤglich weiter zu thun?

Gehe wieder hinein / Kind! Gehe wie - der in die Stube / mein liebes Kind! da -[mi]t dein Vater euch nur beyſammen fin - den moͤge.

Soll das geſchehen, um ihm eine falſche Hoffnung zu machen? um Herrn Solmes Hoffnung zu machen?

Sie wieß mich mit der Hand von ſich, und ſagte mit einem zornigen Geſichte: hartnaͤckige / verkehrte / ungehorſame Clariſſa Harlowe! ſo folge denn deinem Kopfe / und gehe hin wo du hin willſt. Allein unterſtehe dich nicht wieder ohne Erlaubniß herunter zu kommen: (ich befehle es dir!) ſo lange dein Vater ſeinen Entſchluß deinetwegen noch nicht kund gemacht hat.

Sie verließ mich in groſſem Unwillen, und ich ging mit einem ſchweren Hertzen, und mit eben ſo ſchweren Fuͤſſen die Treppe hinauf.

Mein Vater iſt nach Hauſe gekommen, und hat meinen Bruden mitgebracht. Ob es gleich ſpaͤt iſt, ſo ſitzen ſie doch noch alle beyſammen und haben ſich eingeſchloſſen: es geht keine Thuͤr auf, und keine Seele kommt aus der StubeWen245der Clariſſa. Wenn Hannichen auf und nieder geht, ſo huͤten ſich alle vor ihr, als wenn ſie die Peſt haͤtte.

Endlich geht die erzuͤrnte Geſellſchafft ausein - ander. Es ſind Boten an meine beyden Onkles und an meiner Mutter Schweſter geſchickt, wie ich glaube, um ſie auf Morgen zum Fruͤhſtuͤck hieher zu bitten. Denn werde ich auch wol mein Urtheil bekommen. Es iſt ſchon uͤber eilfe, und ich kriege Befehl, zu Bette zu gehen.

um 12. Uhr.

Dieſen Augenblick werden mir die Schluͤſſel abgefodert. Jch ſolte herunter geruffen werden, allein mein Vater ſagte, er koͤnte mich nicht vor ſeinen Augen dulden. Wie ſehr hat ſich alles in wenig Wochen geaͤndert. Schorey uͤberbrach - te mir den Befehl, die Schluͤſſel abzugeben: die Thraͤnen ſtunden ihr dabey in den Augen.

Sie ſind gluͤcklich, mein Schatz. Moͤgen Sie nur immer ſo gluͤcklich bleiben! ſo werde ich doch nicht gantz ungluͤcklich ſeyn.

Der zwey und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Sontag Morgens den 5. Maͤrtz.

Hannichen hat mir eben aus der abgelegenen Oeffnung in der Garten - Mauer einenQ 3Brief246Die GeſchichteBrief von Herrn Lovelace gebracht, den der Lord M. mit unterzeichnet hatte. Er war ge - ſtern Abend hingelegt.

Er meldet mir: Herr Solmes ruͤhme ſich oͤffentlich, daß er in wenig Tagen mit einem ſo ſcheuen Frauenzimmer, als in gantz England nicht zu finden ſey, getrauet werden wuͤrde. Mein Bruder mache die Auslegung daruͤber, und verſichere allen und jeden, daß ſeine juͤng - ſte Schweſter ſehr bald Herrn Solmes Frau ſeyn wuͤrde. Er berichtet mir auch, daß die Proben verſchrieben ſind, davon meine Mut - ter Erwaͤhnung that.

Es kan doch nichts, was in dieſem Hauſe vor - gehet oder geredet wird, vor ihm verborgen blei - ben!

Er ſchreibt: Meine Schweſter ſtimmete in ihren Reden voͤllig mit meinem Bruder uͤberein, und hielte ſich dabey ſo empfindlich uͤber ihn auf, daß es ihn nothwendig ſehr verdrieſſen muͤß - te. Die Sache ſelbſt und die Art ſie vorzu - bringen, gehe ihm zu Hertzen. Er druͤcket ſich hieruͤber ſehr heftig aus.

Es iſt ihm unbegreiflich, was die Meinigen fuͤr Urſachen haben koͤnnen, ihm einen ſolchen Menſchen als Solmes iſt vorzuziehen. Wenn es auf vortheilhafte Ehe-Pacten ankaͤme, ſo ſolte gewiß Solmes nichts verſprechen koͤn - nen, daß er nicht auch zu thun bereit ſey.

Was ſeine Guͤter und Familie anlangte, ſo koͤnte gegen jene niemand etwas einwenden,und247der Clariſſa. und dieſe wolte er nicht gern dadurch beſchim - pfen, daß er ſie mit der Familie des Solmes nur vergliche. Er berufft ſich auf den Lord M. der von ihm bezeugen koͤnne, wie ſehr er ſich ſeit der Zeit, da er um mich mit einiger Hoff - nung angehalten, gebeſſert habe. Jch glau - be, daß eben deswegen der Brief von ſeiner Gna - den unterzeichnet iſt, damit ich dieſes als eine Art eines guten Zeugniſſes fuͤr Herrn Lovelace anſe - hen moͤchte.

Er bittet mich um Erlaubniß, daß er in Geſellſchaft des Lord M. meinem Vater oder meinen Onckels zuſprechen, und ihnen Vor - ſchlaͤge thun duͤrfte, die ſie gewiß annehmen wuͤrden, wenn ſie ſie nur hoͤren wollten: und er verſpricht, alle Mittel zur Ausſoͤhnung, die ich nur vorſchreiben wollte, anzuwenden.

Er unterſteht ſich dabey, ſehr ernſtlich zu bitten, daß ich mich mit ihm in meines Vaters Garten insgeheim bey Nacht-Zeit unterreden wollte: er wollte noch eine Perſon, welche ich befehlen wuͤr - de, mitbringen.

Jn der That, wenn Sie den Brief ſehen ſolten, ſo wuͤrden Sie glauben, daß ich ihm ent - weder groſſe Hoffnung gemacht haͤtte, und daß unſere Sachen beynahe zur Richtigkeit waͤren: oder daß er zum voraus wiſſen muͤßte, daß mich meine Anverwandten noͤthigen wuͤrden bey Frem - den Schutz zu ſuchen. Denn er unterſteht ſich, mir im Namen ſeiner Gnaden anzutragen, daß ich zu dem Lord M. fluͤchten moͤchte, wenn man umQ 4Sol -248Die GeſchichteSolmes willen hart und unertraͤglich mit mir verfahren ſollte.

Jch glaube, daß uns die Manns-Perſonen da - durch zu fangen ſuchen, daß ſie allerhand dreiſte und verwegene Hoffnung zu haben vorgeben, und uns unverſchaͤmte Anerbietungen machen. Sie dencken, wir ſollen zu bloͤde oder zu hoͤflich ſeyn, ihnen die Wahrheit dafuͤr zu ſagen: und wenn wir dieſes unterlaſſen, ſo nehmen ſie unſer Still - ſchweigen fuͤr ein Ja-Wort und fuͤr eine Gewaͤh - rung ihrer Bitte an.

Es ſind noch andere beſondere Umſtaͤnde in die - ſem Briefe enthalten, die ich ihnen melden muß: ich will Jhnen den Brief ſelbſt, oder eine Abſchrift davon zuſchicken.

Jch dencke mit vieler Bekuͤmmerniß daran, daß ich auf der einen Seite ſo weit hinein gezogen und von der andern Seite ſo weit getrieben bin, einen heimlichen Brief-Wechſel fortzuſetzen, der in der That verliebt zu ſeyn ſcheint, und daruͤber mich mein eigenes Gewiſſen ſtraffet.

Wenn ich dieſen Brief-Wechſel nicht bald ab - breche, ſo bekommt Herr Lovelace durch meine traurigen Umſtaͤnde taͤglich neuen Vortheil, und ich werde meyr und mehr verſtrickt. Wenn ich ihn aber abbreche, ehe ich die Verſicherung erhal - ten habe, daß Herr Solmes ferner nicht gehoͤret werden ſoll, ſo Waͤre es nicht am beſten, mein Hertz, daß ich ihn noch einige Zeit fortſetzte? in Hoffnung, daß ich ihn endlich unter einer vor - theilhaften Bedingung, die mir die Meinigenmachen249der Clariſſa. machen muͤßten, aufgeben kan. Wen kan ich hieruͤber auſſer Jhnen um Rath fragen?

Alle meine Verwandten ſind nun verſammlet, und fruͤhſtuͤcken miteinander. Jch bin ſo unru - hig, daß ich die Feder niederlegen muß.

Sie gehen miteinander nach der Kirche. Han - nichen ſagt, man koͤnne ihnen den Verdruß und die Unruhe an der Stirne anſehen: und ſie glaubt, es muͤſſe ein Endſchluß gefaſſet ſeyn.

Sonntag Mittags.

Nichts iſt quaͤlender, als zwiſchen Furcht und Hoffnung zu ſchweben. Jch will mir Erlaubniß ausbitten, dieſen Nachmittag in die Kirche zu ge - hen. Jch ſehe zwar einer abſchlaͤgigen Antwort ſchon entgegen; allein wenn ich nicht bitte, ſo wird es heiſſen, die Schuld ſey mein eigen, daß ich zu Hauſe bleiben muͤßte.

Jch verlangte Schorey zu ſprechen. Als ſie kam, erſuchte ich ſie, meine Mutter in meinem Namen um Erlaubniß zu bitten, daß ich dieſen Nachmittag in die Kirche gehen duͤrffte. Was meynen Sie, was bekam ich fuͤr Antwort? Sie muß ihren Bruder bitten / wenn ſie etwas zu bitten hat. So bin ich denn an meinen Bruder verkaufft.

Jch war dennoch entſchloſſen, ihn darum zu bitten. Als mir das Eſſen geſchickt ward, gab ich einen Brief mit, in welchem ich mich an ihnQ 5wandte,250Die Geſchichtewandte, und durch ihn meinen Vater um Erlaub - niß anſprach dem Gottesdienſt beyzuwohnen.

Jch erhielt aber dieſe veraͤchtliche Antwort von ihm: ſagt ihr wieder / daß wir ihr Geſuch morgen uͤberlegen wollen. Alſo ſoll es mor - gen uͤberlegt werden, ob ich heute zur Kirchen gehen ſoll! Geduld iſt die beſte Verantwortung gegen einen ſolchen Spott: allein wahrhaftig durch dieſe Mittel werden die Meinigen bey ihrer Clariſſa Harlowe nicht viel ausrichten. Jch glaube, daß dieſes nur der Anfang von dem ſey, was ich noch kuͤnfftig von meinem Bruder zu er - warten habe, nachdem ich einmal in ſeine Hand verkauft bin.

Nach Uberlegung der Sache hielt ich fuͤr rath - ſam, meine Bitte zu wiederholen. Jch that es: und hier folget die Abſchrifft meiner Bitte, und der mir ertheilten Antwort:

Mein Bruder,

Jch weiß nicht, wie ich die Antwort verſte - hen ſoll, die ihr mir auf meine Bitte, daß ich dieſen Nachmittag in die Kirche gehen duͤrffte, ertheilet habt. Wenn ihr habt zeigen wollen, daß ihr luſtig und aufgeraͤumt waͤret, ſo hoffe ich, daß ihr noch jetzund aufgeraͤumt ſeyn, und mir deſto leichter zugeſtehen werdet, was ich bit - te. Jhr wiſſet, daß ich niemals bey geſun - den Tagen die Kirche verſaͤumt habe, ausge - nommen die beyden letzten Sonntage, da mir angedeutet ward, daß ich wohl thun wuͤrde, mich251der Clariſſa. der Kirche zu enthalten. Meine Umſtaͤnde ſind ſo beſchaffen, daß ich niemals mehr als jetzt der Wohlthat des oͤffentlichen und gemein - ſchafftlichen Gebetes benoͤthiget war. Jch will heilig verſprechen, nur hin und wieder zuruͤck zu gehen, und ich hoffe, man wird mich ohne - hin nicht einmal im Verdacht haben, daß ich einen andern Endzweck haͤtte. Mein niederge - ſchlagenes Weſen wird das genugſam entſchul - digen, daß ich keinen Beſuch annehme. Jch will die Hoͤflichkeits-Bezeigungen aller derer, die mich kennen, nur auf eine entfernte Weiſe ewiedern. Wenn mein Ungluͤck zu ſeinem En - de eilet, ſo braucht es nicht noch der gantzen Welt vorher kund gemacht und gleichſam ausgeruffen zu werden. Jch bitte mir alſo dieſe Gewogenheit um meines guten Namens willen aus, und damit ich mich in der Nachbar - ſchaft kuͤnftig moͤge ohne Schaam ſehen laſſen koͤnnen, wenn ich alle Bedraͤngniſſe noch uͤber - lebe, die gedrohet werden.

Eurer ungluͤcklichen Schweſter Cl. Harlowe.

Antwort hierauf An Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Es iſt wunderlich, daß ein Maͤdchen ſo viel aus dem Kirchengehen macht, und zu glei - cher Zeit ihren Eltern in einer Sache ungehor - ſam252Die Geſchichte ſam iſt an der ihnen und der gantzen Familie ſo viel gelegen iſt. Man giebt euch den Rath, Fraͤulein, euch durch den Gottesdienſt auf eu - rer Cammer zu erbauen: und ich wuͤnſche, daß dieſer einen guten Einfluß in das Gemuͤthe ei - nes ſo hartnaͤckigen und ungehorſamen Kindes haben moͤge, als ich bisher auſſer euch noch nicht geſehen habe. Den Zweck hievon will ich euch nicht verhalten: es iſt dieſer, daß ihr moͤ - get gekraͤncket und eben hiedurch gezwungen werden, Gehorſam zu leiſten. Unſere Nach - barn, bey denen ihr in gutem Anſehen zu ſte - hen wuͤnſchet, wiſſen ſchon von eurem Trotz. Wenn ihr alſo wahrhaftig fuͤr euren guten Namen beſorgt ſeyd, ſo zeiget dieſe Sorge auf die rechte Art und Weiſe: denn noch iſt es in eurer Gewalt, ihn zu erhalten, oder zu verlieren.

Jacob Harlowe.

So hat mich mein Bruder in ſein Garn be - kommen; und es geht mir als einem tummen Voͤgelchen, das die Schlinge dichter zuziehet, je mehr es ſich loszumachen ſuchet.

Der253der Clariſſa.

Der drey und zwantzigſte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe / an Fraͤulein Howe.

Meine Angehaͤrigen haben es recht darauf geſetzt, mich zu betruͤben. Meine arme Hannichen hat den Abſchied bekommen, und zwar dieſes auf eine ſchimpfliche Weiſe. Es geſchahe alſo:

Eine halbe Stunde, nachdem ich ſie hinunter geſchickt hatte, mein Fruͤhſtuͤck zu holen, kam das verwegene Menſch die Eliſabeth Barnes / meiner Schweſter geheimte Raͤthin und Maͤdchen herauf: (wenn ich anders die fuͤr ein Dienſt - Maͤdchen ausgeben kan, die zugleich eine vertrau - te Freundin und geheimte Raͤthin iſt.) Was befehlen ſie zum Fruͤhſtuͤck? fing ſie an.

Jch verwunderte mich: was ich zum Fruͤh - ſtuͤck haben will / Eliſabeth! Wie? was iſt vorgegangen? Wie kommt das? Jch nannte darauf Hannichen. Jch wuſte ſelbſt nicht, was ich ſagen ſollte.

Verwundern ſie ſich nicht, Fraͤulein: ſie werden Hannichen hier im Hauſe nicht wieder ſehen.

GOtt behuͤte! Hat Hannichen ein Un - gluͤck gehabt! Was iſt mit Hannichen vor - gegangen.

Wie? Fraͤulein! Kurtz und gut; ihr Herr Vater meynt, daß Hannichen lange genug im Hauſe geweſen iſt, loſe Haͤndel anzufangen,darum254Die Geſchichte darum hat er ſie weggejagt, und ich ſoll ihnen kuͤnftig aufwarten.

Jch konnte mich der Thraͤnen nicht enthalten. Jch habe nichts, darin ich ihr mit aufwarten koͤnnt, Eliſabeth; gantz und gar nichts. Allein wo iſt dann Hannichen? Kan ich das arme Maͤdchen nicht ſprechen? Sie hat noch ein halbes Jahr Lohn zu fodern. Kan ich das ehrliche Maͤdchen nicht zu ſehen bekommen, um ihr den Lohn, zu bezahlen? Vielleicht ſehe ich ſie nie wieder: denn ich mercke wohl, daß es alle darauf geſetzt haben, mich zu betruͤben.

Und alle dencken (ſagte ſie), Fraͤulein, daß ſie es darauf geſetzt haben, ſie zu betruͤben. So koͤnnen ſie eins fuͤr das andre rechnen,

Jch nannte ſie, unverſchaͤmt: und fragte ſie, ob ſie mir auf eine ſo zuverſichtliche Weiſe aufzu - warten gedaͤchte?

Jch drang ſo ſehr darauf, das arme Maͤdchen zu ſprechen, daß ſie mir zu Gefallen (wie ſie es nannte) hinunter ging, und meine Bitte anbrach - te. Das gute Maͤdchen, war eben ſo voll Be - gierde mich zu ſprechen: und es ward endlich er - laubt, doch daß es in Gegenwart der Schorey und Eliſabeth geſchehen ſollte.

Als ſie kam, danckte ich ihr fuͤr ihre bisherigen treuen Dienſte. Sie konnte ſich vor Kummer nicht halten, und fing an, ihre Treue und Liebe ge - gen mich zu verſichern, und ſich zu entſchuldigen, daß ſie keine loſen Haͤndel angefangen haͤtte.

Jch ſagte ihr: diejenigen, die ſie aus demDien -255der Clariſſa. Dienſte trieben, zweifelten an ihrer Treue nicht: es geſchaͤhe nur um mir einen Verdruß anzuthun. Es ginge mir nahe: indeſſen hoffete ich, daß ſie eben ſo einen guten Dienſt wieder finden wuͤrde.

Niemals, niemals, ſagte ſie mit gerungenen Haͤnden, wuͤrde ſie eine Herrſchafft ſo lieben koͤn - nen. Das ehrliche Maͤdchen fing darauf an, mich aus allen Kraͤfften zu loben, und ihre Liebe gegen mich zu bezeugen.

Wir ſind immer geneigt, unſere Wohlthaͤter daruͤber zu ruͤhmen, daß ſie uns Wohlthaten er - zeigt haben: gerade als wenn ein jeder in ſo fern recht oder unrecht thaͤte, als er gegen uns guͤtig oder unguͤtig iſt. Allein dieſes Maͤdchen ver - diente es, daß man ihr guͤtig begegnete: und es iſt kein gutes Werck von mir, daß ich gegen eine guͤ - tig geweſen bin, die ich entweder hervor ziehen und lieben oder mich einer Undanckbarkeit ſchul - dig machen muͤſte.

Jch ſchenckte ihr etwas Linen-Zeug, Spitzen und andere ſchlechte Dinge: und vor vier Pfund, die ich ihr ſchuldig war, gab ich ihr zehn Gui - neas. (*)Vier Pfund ſind 22. Rthlr. zehn Guineas ma - chen 60. Rthlr.Jch ſetzte dazu: ſo bald ich wieder in den Stand kaͤme, zu thun was ich wollte, ſo wuͤrde ich an keine andere dencken als an ſie.

Eliſabeth ſagte der Schorey einige neidiſche Worte in die Ohren.

Hannichen ſagte mir, weil ſie keine andere Gelegenheit hatte, in beyder Gegenwart: ſie waͤ -re256Die Geſchichtere befragt worden, ob ſie Briefe an mich oder von mir bey ſich haͤtte. Sie haͤtte ſich gantz von Fraͤu - lein Harlowe durchſuchen laſſen, um ſie zu uͤber - zeugen, daß ſie keine Briefe haͤtte. Hierauf gab ſie mir Nachricht, wie viel Phaſanen und Jndia - niſche Huͤner auf dem Hofe befindlich waͤren: und ich antwortete, ich wollte ſelbſt dafuͤr ſorgen, daß ſie gefuttert wuͤrden, und taͤglich zwey oder drey mahl hingehen.

Wir beweinten uns untereinander bey dem Abſchied. Das Maͤdchen wuͤnſchte noch jedwedem im Hauſe namentlich alles Gute was es wuſte.

Es iſt eine ſchmertzliche Sache, ſich einer ſo treuen Bedientin auf eine ſo unanſtaͤndige Weiſe beraubt zu ſehen. Jch konnte mich nicht enthal - ten zu ſagen: dieſe Mittel waͤren zwar hinlaͤnglich mich zu betruͤben, allein ſehr unzulaͤnglich zu allen andern Endzwecken meiner Verfolger.

Eliſabeth ſagte zwar hiebey zu der Schorey mit einem verdrießlichen Hohngelaͤchter: man wuͤrde ſehen wie kuͤnſtlich ein jeder waͤre. Jch that aber nicht, als wenn ich es hoͤrte. Wenn die Hexe meynt, daß ich ihrer Fraͤulein ein Hertz geſtohlen habe, wie ſie geſagt hat; ſo haͤlt ſie es wohl fuͤr ihre Schuldigkeit, gegen mich grob zu ſeyn.

Auf dieſe Weiſe habe ich mich von meiner gu - ten Hannichen ſcheiden muͤſſen. Wenn Sie einen anſtaͤndigen Ort fuͤr ſie wiſſen, ſo verſorgen Sie das Maͤdchen aus Liebe gegen mich.

Der257der Clariſſa.

Der Vier und zwantzigſte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jetzt eben erhalte ich beykommenden Brief. Mein Bruder hat uͤberall gewonnene Sache. Jch uͤberſende Jhnen auch eine Abſchrift meiner Antwort. Mehr kan ich dieſes mahl nicht ſchrei - ben.

Fraͤulein Claͤrchen.

Auf Eures Vaters und Eurer Mutter Befehl ſchreibe ich dieſe Zeilen an Euch, um Euch zu verbieten, daß Jhr ihnen nicht un - ter die Augen kommen ſollt, auch nicht ein - mal in den Garten, wenn ſie darin ſind. Jhr ſollt auch ſonſt nicht ohne in Begleitung der Eliſabeth Barnes in den Garren kommen: es waͤre denn, daß es Euch erlaubt oder be - fohlen wuͤrde.

So lieb Euch ihr Seegen iſt, ſo ernſtlich wird Euch unterſagt, daß ihr keine Briefe mit dem liederlichen Lovelace wechſeln ſollet. Man weiß wohl, daß Jhr dieſes bisher durch Huͤlfe Eurer liſtigen Hannichen gethan habt: und daher ruͤhrt es, daß ſie ſo ploͤtzlich wegge - jagt iſt: wie denn billig war.

Jhr ſollt auch nicht an Fraͤulein Howe ſchreiben, die ſich ſeit einiger Zeit viel einzubil -Erſter Theil. Rden258Die Geſchichte den ſcheint, und vielleicht Euren Brief-Wech - ſel mit jenem liederlichen Menſchen befoͤrdern moͤchte. Kurtz, Jhr ſollt ohne Erlaubniß an niemanden ſchreiben.

Jhr ſollt auch keinem von Euren Onckles vor die Augen kommen, ohne beſondere Erlaub - niß von ihnen zu haben. Es geſchieht aus Guͤtigkeit gegen Euch, daß Eure Eltern Euch nicht ſehen wollen, nachdem Jhr ihnen ſo uͤbel begegnet ſeyd.

Auch ſollt Jhr Euch nicht ungeruffen in ir - gend einem Zimmer des Hauſes ſehen laſſen, in dem Jhr bisher nach Belieben habt ſchalten und walten koͤnnen.

Kurtz, Jhr muͤßt Euch in Eurer Stube auf - halten, und duͤrfft nicht aus derſelben kom - men, als nur bisweilen Morgens und Abends, um in Begleitung der Eliſabeth Barnes in dem Garten ſpatzieren zu gehen. Allein auch denn muͤſſet Jhr ohne Euch vor den Zim - mern aufzuhalten die Hintertreppe gleich und ohnverweilt auf und nieder gehen, damit der Anblick eines ſo verkehrten Maͤdchens die Be - truͤbniß nicht vermehren moͤge, die Jhr jeder - mann verurſachet habt.

Die beſtaͤndigen Drohungen Eures Love - laces und Eure unerhoͤrte Hartnaͤckigkeit wer - den die Mittel zu denen wir ſchreiten muͤſſen, bey Euch rechtfertigen. Wie viel hat Eure guͤtige und geduldige Mutter mit Euch zu thun gehabt, die ſo lange Euer Wort redete, undalles259der Clariſſa. alles fuͤr Euch verſprach, als andere ſchon daran verzweifelten, daß Jhr Euch wuͤrdet lencken laſſen, weil Jhr ſo ſonderbar zu Wercke gin - get. Wie verkehrt muß Eur Sinn ſeyn, wenn er eine ſolche Mutter zwinget, Euch fahren zu laſſen! Sie glaubt, daß ſie recht hieran thue: und ſie will Euch nicht wieder anneh - men, bis Jhr durch Gehorſam den erſten Schritt zu ihr thut.

Von mir moͤgt Jhr vielleicht die ſchlimmſte Meinung haben; und ich troͤſte mich, daß Jhr dieſe ſchlimmen Meinungen von mir mit einer andern Perſon gemein habt. Jch habe indeſſen den Rath gegeben: man ſolte Euch vergoͤnnen, daß Jhr Eurem eigen Kopfe folgen duͤrftet, (wel - ches fuͤr einige Leute die groͤſſeſte Straffe iſt,) und daß man das Haus nicht durch eine Perſon belaͤſtigen ſolte, die uns deſto mehr Muͤhe macht, weil ſie uns in die Nothwendigkeit geſetzt hat, ihr aus dem Wege zu gehen, ob wir gleich mit ihr unter einem Dache ſind.

Wenn Euch der Jnhalt meines Briefes hart vorkommt, ſo habt Jhr es noch in Eurer Macht, allem was Euch beſchwerlich iſt durch ein eintziges Wort abzuhelfen. Allein ich weiß nicht, ob Jhr dieſes immer in Eurer Macht ha - ben werdet.

Eliſabeth Barnes hat Befehl, Euch in allen Dingen zu gehorchen, die nicht mit Jh - rer ſo wohl als mit Eurer Pflicht ſtreiten.

Jacob Harlowe.

R 2An260Die Geſchichte
An Juncker Jacob Harlowe. Mein Bruder,

Jch will weiter nichts melden, als daß Jhr Urſache habt, Euch zu freuen, daß Euch Eure Abſichten gelungen ſind, und Jhr nun von mir ſagen koͤnt was Jhr beliebet, indem ich mich ſo wenig verantworten kan, als wenn ich ſchon wircklich todt waͤre. Jch will mir aber doch noch dieſe eintzige Gewogenheit aus - bitten: veranſtaltet nicht, daß man haͤrter mit mir umgehe, als noͤthig iſt, die Endzwe - cke zu erreichen, die Jhr etwan haben moͤchtet gegen

Eure ungluͤckliche Schweſter Clariſſa Harlowe.

Der fuͤnf und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Aus meinem letzten Briefe werden Sie erſehen haben, wie ich herumgetrieben werde, und wie ſehr ich eine Gefangene bin, ohne daß ein - mahl meiner Ehre geſchonet wird. Sie wiſſen alles was vorgegangen iſt: was urtheilen Sie nun davon? Sind das bequeme Mittel, mich zu beſaͤnftigen? Allein dieſes iſt auch nicht die Mei -nung,261der Clariſſa. Meinung, ſondern mit Gewalt und durch Furcht wollen ſie mich zwingen, meines Bruders Abſich - ten zu erfuͤllen. Meine eintzige Hoffnung iſt, daß ich mich ſo lange werde halten koͤnnen, bis mein Vetter Morden von Florentz ankommt: denn man erwartet ihn ſehr bald. Wenn aber ein naher Tag veſt geſetzt wird, ſo fuͤrchte ich, daß er zu ſpaͤt kommen wird, mich zu retten.

Aus meines Bruders Briefe iſt klar, daß mei - ne Mutter in der Nachricht, die ſie von unſerer Unterredung geben mußte, meiner nicht geſcho - net hat. Sie gab mir einen Winck, daß mein Bruder Aſichten haͤtte, die ich zu vernichten ſu - chen ſollte. Allein ſie hatte einmal verſprochen eine aufrichtige Nachricht von allem dem zu geben was zwiſchen ihr und mir vorfallen wuͤr - de: und es war leidlicher ſich von einer Tochter loszuſagen, als mit dem Manne und mit al - len im Hauſe zu zerfallen.

Sie meynen nun, daß ſie gewonnen haben, nachdem ich meiner armen Hannichen beraubet bin. Allein ſo lange ich noch Freyheit habe in den Garten zu gehen, und mein Feder - Vieh zu beſehen; irren ſie ſich in ihrer Hoffnung.

Jch fragte Eliſabeth: ob ſie auf mich Ach - tung geben oder mit mir gehen ſolte? und ob ich von ihr Erlaubniß haben muͤßte, wenn ich in den Garten gehen oder mein Feder - Vieh be - ſuchen wolle?

Um Gottes willen, ſagte ſie, was ſoll die Frage bedeuten? Sie geſtand indeſſen, ſie habeR 3ge -262Die Geſchichtegehoͤrt, daß ich nicht in den Garten gehen ſolte, wenn meine Eltern oder Onckels darin waͤren.

Weil ich mich aber noch mehr hievon verſichern wollte, ſo ging ich gleich hinunter, und blieb eine Stunde aus, ohne daß mir ein Wort geſagt ward. Und doch ging ich eine gute Zeit unter meines Bruders Studir-Stube gerade ſeinem Fenſter gegen uͤber auf und ab, und er befand ſich eben mit meiner Schweſter auf der Stube. Daß ſie mich geſehen haben konte ich aus dem lauten Gelaͤchter ſchlieſſen, dazu ſie ſich zwungen um mich zu kraͤncken.

Es iſt alſo dieſer Theil von meines Bruders Briefe ohne Befehl meines Vaters geſchrieben, und nur ein Verſuch ſich ſeiner Herrſchafft zu be - dienen. Er kan ihn vielleicht kuͤnfftig geltend machen. Doch das will ich nicht hoffen.

Dienſtag Abends.

Seit dem ich obiges geſchrieben, habe ich es gewagt durch Schorey einen Brief an meine Mutter zu ſchicken. Jch trug ihr auf, ihn in ihre eigene Haͤnde zu lieffern, wenn niemand dabey waͤre.

Jch lege die Abſchrifft bey. Jch ſuchte es da - hin zu bringen, daß man im Hauſe glauben moͤch - te, ich haͤtte gar kein Mittel zum Brief-Wechſel mehr uͤbrig, nachdem Hannichen aus dem Hau - ſe geſchafft iſt. Jch halte nicht alles fuͤr recht, was ich thue. Jch fuͤrchte, daß dieſes eine un - erlaubte Liſt geweſen iſt. Allein dieſes ſind nach - folgende Gedancken, da der Brief ſchon weg war.

Hoch -263der Clariſſa.
Hochzuehrende Frau Mutter /

Da ich Jhnen bekant habe, daß ich Briefe von Herrn Lovelace erhalten habe, in denen er von nichts als Rache redete, und daß ich ſie blos um Ungluͤck zu vermeiden beantwortet ha - be; und da ich Jhnen meine Antworten in Ab - ſchrift gezeiget habe, deren Jnhalt ſie zwar nicht misbilligten, allein dennoch fuͤr noͤthig hielten, mir den fernern Brief-Wechſel mit ihm zu verbieten: ſo halte ich meine Schuldig - keit zu ſeyn, zu berichten, daß mir ſeit der Zeit noch ein Brief von ihm zu Haͤnden gekommen iſt, in welchem er mich ſehr ernſtlich und nach - druͤcklich bittet, daß ich ihm erlauben moͤchte meinen Vater, oder Sie, oder meine Onckles in Begleichtung des Lord M. auf eine friedfer - tige Weiſe zu beſuchen. Und dieſes iſt es, woruͤ - ber ich mir Jhre Befehle ausbitten muß.

Jch geſtehe, wenn mir nicht der Brief - Wechſel von neuen unterſagt, und Hannichen ſo ſchleunig aus dem Hauſe geſchaffet waͤre, ſo wuͤrde ich deſto weniger Bedencken getragen haben zu antworten, und ihm die Antwort ſo bald als moͤglich durch ſie zuzuſchicken, um ihm dieſen Beſuch zu widerrathen, weil ich fuͤrchte, daß etwas bey ſolcher Gelegenheit vorgehen koͤnte, daran ich nicht ohne zittern gedencken kan.

Jch kan nicht umhin Jhnen meinen Kum - mer zu bezeugen, daß alle Strafe und alle uͤble Nachrede auf mich kommt, da ich doch, wie ichR 4mei -264Die Geſchichte meine, manchem Ungluͤck vorgebeuget habe, und an keinem Schuld geweſen bin. Denn wer konte von mir fodern, daß ich die Gemuͤ - ther dieſer Herren regieren und lencken ſollte? Uber den einen habe ich zwar in der That einige Gewalt gehabt, und ihm dennoch bisher keine Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß ich ihm deshalb verbunden bin. Allein wer kan ſich ruͤhmen, daß er bey dem andern etwas auszu - richten im Stande ſey?

Es thut mir in meinem Hertzen leid, daß ich meinem Bruder ſo viele Schuld geben muß, ob - gleich meine Ehre und Freyheit bisher ein Opfer ſeiner Rache und ſeiner weitlaͤufftigen Abſichten geworden ſind. Jſt es mir indeſſen nicht ver - goͤnnet, mich frey zu beklagen, da ich ſo vie - les gelitten habe?

Da ich Jhnen dieſe Nachricht ſo freywillig und mit einem ſo kindlichen Hertzen und guten Abſichten ertheile; ſo unterſtehe ich mich zu hof - fen, daß Sie nicht begehren werden, den Brief ſelbſt zu ſehen. Ehre und Klugheit verbieten mir dieſes, weil die Schreib-Art gar zu hefftig iſt. Er hat nemlich (nicht durch mich, auch nicht durch meine Hannichen) erfahren, wie hart mit mir umgegangen wird; und er glaubt Urſache zu haben, ſich alles dieſes anzuziehen, nachdem einige meiner Verwandten eben ſo hef - tige Reden gegen ihn ausgeſtoſſen haben.

Wenn ich ihm nicht antworte, ſo wird er ſeiner ſelbſt nicht mehr maͤchtig ſeyn, und ſichberech -265der Clariſſa. berechtigt halten, (ſo wenig ich ihn auch dafuͤr halte) ſich wegen der Auffuͤhrung zu raͤchen, uͤber die er ſich ſo heftig beklagt. Wenn ich ihm aber antworte, und er aus Hochachtung fuͤr mich ſich einer Rache enthaͤlt die er fuͤr recht - maͤßig anſiehet: ſo bedencken Sie einmal, in was fuͤr Schuld und Verpflichtung ich hiedurch wenigſtens nach ſeiner Meinung geſetzt werde.

Wenn ich ſo von ihm eingenommen waͤre, als mir Schuld gegeben wird, ſo wuͤrde ich Sie nicht bitten, dieſes zu bedencken. Und um noch deutlicher zu zeigen, daß ich nicht von ihm eingenommen bin, bitte ich Sie zu uͤberlegen, ob nicht der Vorſchlag den ich gethan habe, Zeit Lebens unverheyrathet zu bleiben, (ein Verſpre - chen das ich heilig halten will) das allerbeſte Mittel ſey, ſeiner mit Ehren und auf eine gu - te Art loszuwerden. Wenn ich ihm mein Nein! gebe, und mich doch nicht von dem an - dern losſage, ſo wird er den Schluß machen, daß ich mich entſchloſſen habe jenen zu nehmen, weil ich von den meinigen gezwungen bin.

Wenn dieſes nicht den erwarteten Erfolg hat, ſo mag man die ſonderbaren Mittel zur Hand nehmen, die mein Bruder vorſchlaͤgt, und ich will mich meinem Schickſal mit ſo vieler Be - ruhigung meines Gemuͤths unterwerffen, als mir GOtt auf mein Gebet ſchencken wird. Jch uͤberlaſſe alles Jhrer Klugheit, ob Sie mit mei - nem Vater und Onckels hieruͤber zu Rathe ge - hen wollen, oder nicht? und ob ich Herrn Lo -velace266Die Geſchichte velace antworten oder nicht antworten ſoll? Soll ich ihm antworten, ſo bitte ich mir Jh - ren Befehl aus, wen ich zu Beſtellung des Brie - fes gebrauchen ſoll. Jch aber verbleibe

Hochzuehrende Frau Mutter / Jhre ungluͤckliche aber ſtets gehorſame Tochter Clariſſa Harlowe.

Mittewochens Morgens.

Eben erhalte ich Antwort. Meine Mutter hat mir zwar in dem Briefe befohlen, ihn zu verbrennen: allein da Sie ihn wohl verwahren[und] niemanden ſehen laſſen werden, ſo wird ih - re Abſicht eben ſo gut erreichet, wenn ich Jh - nen den Brief zuſchicke. Er war ohne Aufſchrift und ohne Unterſchrift.

Clariſſa.

Sage nicht, daß alle Straffe und uͤble Nach - rede auf dich faͤllt: ich muß von beyden eben ſo viel uͤber mich nehmen als du, ob ich gleich weit mehr unſchuldig bin. Da du eben ſo hart - naͤckig biſt, als andere hitzig ſind, ſo tadele dei - nen Bruder nicht. Jch ſehe wir haben recht darin gehabt, daß Hannichen deine Brief - traͤgerin waͤre. Wir ſind nun in einem Stuͤcke ruhiger nachdem ſie weg iſt, und du nicht mehr (wenigſtens wir dencken dieſes) an Fraͤulein Howe ohne unſere Erlaubniß ſchreiben kanſt.

Jch267der Clariſſa.

Jch habe kein Mißverg nuͤgen uͤber Hanni - chens Auffuͤhrung gehabt, ob ich ihr gleich dieſes nicht ſagte, als ſie Abſchied von mir nahm; denn es war jemand in der Naͤhe, der alles hoͤren konte. Jch gab ihr mit erhabener Stimme die Warnung, ſich wohl in Acht zu nehmen, wenn ſie wieder in ein Haus kaͤme in dem unverheyrathetes Frauenzimmer waͤre, in ihrer Auffuͤhrung untadelhaft zu ſeyn, und kei - ne Briefe zu tragen. Jch ſteckte ihr aber zwey Guinneas unvermerckt in die Hand; und es gefaͤllt mir gantz wohl, daß du noch freyge - biger gegen ſie geweſen biſt.

Jch weiß nicht was ich dir in Abſicht auf die Antwort ſchreiben ſoll, die dem unbaͤndi - gen Menſchen zu geben iſt. Was denckſt du da - von, daß eine ſolche Familie als die unſrige iſt eine ſolche Zucht-Ruthe haben ſoll? Jch vor mein Theil habe gegen niemand geſtanden, daß ich es wuͤßte, daß du mit ihm Briefe gewech - ſelt haſt. Allein deine Dreiſtigkeit iſt ſo groß, daß ich beſorgt bin, du moͤchteſt dich wol gar auf meine Erlaubniß beruffen, und dadurch das Mißverſtaͤndniß zwiſchen deinem Vater und mir noch groͤſſer machen. War es nicht eine unglaubliche Dreiſtigkeit, in Herrn Sol - mes Gegenwart noch weiter von dem zu reden, was ich ſchon hatte abbrechen muͤſſen, als ich noch oben bey dir war? Du warſt ſonſt mein Troſt, und erleichterteſt mir allen Kummer: aber nun Allein ich ſehe wohl, du laͤſſeſtdich268Die Geſchichte dich durch nichts bewegen, und ich will es nicht einmal weiter verſuchen hievon zu reden. Denn jetzt biſt du unter deines Vaters Hand, und er wird ſich weder etwas vorſchreiben noch ſich bitten laſſen.

Jch wuͤrde mich gefreuet haben, wenn ich auch dieſen Brief, ſo wie die uͤbrigen, haͤtte ſehen koͤnnen. Allein du ſchreibeſt, daß die Ehre und Klugheit dieſes verbieten. O Claͤr - chen, wie kommt dir das vor? Briefe zu em - pfangen, die Ehre und Klugheit einem Kinde verbieten ſeiner Mutter zu zeigen? Jch mag aber den Brief auch nicht ſehen, wenn du ihn mir nun gleich zeigen wollteſt. Jch will um eure Geheimniſſe nicht wiſſen. Jch will nicht ein - mal wiſſen, daß ihr Briefe gewechſelt habt. Jn Abſicht auf die Antwort folge deinen eige - nen Gedancken; allein laß ihn wiſſen, daß es der letzte Brief ſeyn ſoll, den er von dir erhal - ten werde. Schreibſt du, ſo mag ich den Brief nicht leſen: ſiegele ihn zu, und gib ihn an Schorey. Sie dencke aber nicht, daß ich dir erlaube zu ſchreiben.

Wir gedencken ihm gar keine Bedingungen zu zugeſtehen, und das ſollſt du auch nicht thun. Dein Vater und deine Onckels wuͤrden ohn - moͤglich Geduld haben koͤnnen, wenn er ſie be - ſuchen wollte. Warum willſt du dich ihm da - durch gefaͤllig machen, daß du zu Herrn Sol - mes Nein ſageſt? Wird nicht dieſes Nein ſeiner Hoffnung ein neues Leben geben? Undkoͤn -269der Clariſſa. koͤnnen wir ruhig oder ſicher vor ihm ſeyn, ſo lan - ge er noch einige Hoffnung hat? Geſetzt, dein Bruder hat Schuld, ſo iſt es einmal nicht zu aͤndern, und ſo ſoll die Schweſter nicht Briefe wechſeln, daruͤber der Bruder in Gefahr kom̃t. Allein dein Vater tritt deinem Bruder bey, und was dein Bruder gegen Lovelace hat, das hat er auch gegen ihn, und ich auch, und deine Onckles, und ſonſt jedermann. Es kommt nicht darauf an, wer es zuerſt gegen ihn gehabt hat.

Durch deine Halsſtarrigkeit haſt du es mir ohnmoͤglich gemacht, etwas fuͤr dich zu thun. Dein Vater will ſelbſt alle Folgen verantwor - ten, die aus ſeinen Endſchlieſſungen entſte - hen koͤnten. Du muſt daher kuͤnftig keine Bit - ten an mich bringen. Jch werde mich bemuͤ - hen nur eine Zuſchauerin bey allem, was vor - gehet, abzugeben, und wie wuͤnſchte ich, ei - ne ſolche Zuſchauerin zu ſeyn, die alles dieſes nicht anginge und nicht ruͤhrete! Als ich noch Vermoͤgen hatte, etwas zu thun, lieſſeſt du mich dieſes Vermoͤgen nicht ſo gebrauchen, als ich wollte. Meine Schweſter wird ſich auch in die Sache nicht weiter mengen, als nur wenn ihr dein Vater etwas auftraͤgt. Du wirſt al - ſo einen harten Stand haben. Haſt du etwas zu hoffen, ſo iſt es von deinen beyden On - ckles, allein ich glaube, daß ſie eben ſo unbe - weglich ſind, denn ſie haben einmahl den Grund-Satz, (ach! die Maͤnner wiſſen nichtwas270Die Geſchichte was Kinder ſind: ſie haben ſelbſt keine gehabt,) daß man ein Kind verlohren geben muͤſſe, das in Heyraths-Sachen ſeinen Eltern nicht folget.

Jch befehle dir, laß dieſen Brief in nieman - des Haͤnden kommen. Verbrenne ihn. Es iſt gar zu viel vom Mutter-Hertzen darin, ob - gleich die Tochter ſo wenig kindlichen Gehorſam uͤbet. Schreibe keinen neuen Brief an mich: denn ich kan doch nichts zu deiner Erleichte - rung thun; alles, was dazu gereichen kan, ſte - het in deiner eigenen Gewalt.

Nun will ich meine betruͤbte Erzaͤhlung fortſe - tzen. Sie werden glauben, daß mir dieſer Brief wenig Hoffnung uͤbrig gelaſſen hat, unmittelbar von meinem Vater etwas zu erhalten. Jch hielt es aber dennoch fuͤr meine Schuldigkeit, an ihn zu ſchreiben, wenn es auch nur deswegen ſeyn ſol - te, damit ich mir kuͤnftig nicht vorzuwerfen haͤt - te, daß ein Mittel zu meiner Ausſoͤhnung ver - ſaͤumet waͤre. Jch ſchrieb demnach alſo an ihn:

Jch unterſtuͤnde mich nicht meinem Vater zu widerſprechen, ich baͤte nur um Erbarmen und Verſchonen in dieſem eintzigen Stuͤcke, von wel - chem alle meine jetzige und vielleicht meine kuͤnf - tige Gluͤckſeeligkeit abhinge. Jch erſuche ihn, daß er ſein Kind nicht wegen einer unuͤberwind - lichen Abneigung verſtoſſen moͤge; und daß er mich nicht wegen gewiſſer ſehr entfernten Ab - ſichten, die noch auf manche ungewiſſe Faͤlle ankaͤmen, aufopfern wolte. Jch beklage mich dar -uͤber,271der Clariſſa. uͤber, daß es mir ſchmertzlich ſey von ſeiner Ge - genwart ausgeſchloſſen und auf meine Stube verbannet zu ſeyn. Jch verſpreche in allen uͤbri - gen Dingen, dieſes eintzige ausgenommen, ei - nen gantz blinden Gehorſam und voͤllige Ver - leugnung meines Willens. Jch wiederhole mein voriges Anerbieten, unverheyrathet zu bleiben, und frage ihn, ob ich ihm in mei - nem gantzen Leben je Anlaß gegeben habe, an der Wahrheit meiner Worte zu zweiffeln? Jch bitte um Erlaubniß, wieder vor ihn und vor meine Mutter zu kommen, und meinen Wan - del unter ihrer eigenen Aufſicht zu fuͤhren: und es ſey dieſes deſto noͤthiger, weil ich mit Grun - de glaubte, daß Schlingen fuͤr mich gelegt waͤren, und daß auch Laͤſterungen und Luͤgen nicht geſparet wuͤrden, um Worte von mir herauszulocken, die man wider mich gebrau - chen koͤnne, da es mir ohnmoͤglich gemacht ſey, mich zu verantworten. Den Schluß mache ich mit dem Ausdruck: ich hoffete, es werde meinem Bruder nicht gelingen, einem ungluͤcklichen Kinde ſeinen Vater zu rauben.

Hier folgt die grauſame Antwort, die ich ohne Aufſchrifft und unverſiegelt aus Eliſa - beths Haͤnden annehmen mußte. Sie uͤber - gab mir das Blat mit ſolchen Geberden, als wenn ihr der Jnhalt nicht unbekant waͤre.

Mitte -272Die Geſchichte

Jch ſchreibe zwar, verkehrtes Gemuͤth, allein ich ſchreibe mit alle dem Unwillen, den deine Halsſtarrigkeit verdienet. Es iſt eine unerhoͤrte Frechheit, die ich nicht unbemerckt und unge - ahndet laſſen kan, um Vergebung zu bitten, wenn man noch den Vorſatz hat in ſeinem Un - gehorſam zu beharren. Du trotzeſt mir, und kraͤnckeſt meine eigene Rechte. Deine Schmaͤ - hungen gegen einen Bruder, der die Crone un - ſerer Familie iſt, verdienen unſer aller ſchaͤrfſte Ahndung. Jch mercke es, wie wenig du nach aller Bluts-Freundſchaft frageſt: und ob ich gleich die Urſache wohl errathen kan, ſo iſt mir doch der Gedancke, der mir bey dieſer Betrach - tung aufſteigen muß, unertraͤglich. Deine Auffuͤhrung gegen eine allzuguͤtige Mutter Doch ich habe keine Geduld mehr zu ſchreiben. Bleibe von mir verbannet, als ein ungehor - ſames Kind, bis du deine Pflicht lerneſt. Un - danckbares Maͤdchen, dein Brief wirfft mir in der That vor, daß ich ſonſt auf eine unver - ſtaͤndige Weiſe guͤtig gegen dich geweſen bin. Schreibe nicht weiter an mich, bis du dich beſſer beſonnen haben wirſt, und bis du weißt, daß du Gehorſam ſchuldig biſt, deinem

mit Recht erzuͤrntem Vater.

Mit dieſem empfindlichen Briefe erhielt ich zu - gleich noch einen von meiner Mutter ohne Siegelund273der Clariſſa. und ohne Aufſchrifft. Diejenigen, die ſich ſo viel Muͤhe geben ein Buͤndniß der gantzen Familie gegen mich zu ſtifften, noͤthigten ſie ohne Zweifel, ein Zeugniß wider ihr armes Kind zu geben.

Es iſt dieſer Brief weiter nichts als eine Widerholung einiger harten Worte, die zwiſchen meiner Mutter und mir vorgefallen ſind: da ich Jhnen nun hievon ſchon Nachricht gegeben habe, ſo brauche ich von dem Jnhalt des Briefes nichts zu melden, als nur dieſes, daß ſie meinen Bru - der ſehr lobet, und mir es verweiſet, daß ich ſei - ner nicht in Ehren gedencke.

Der ſechs und zwanzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch habe ſchon wieder einen Brief von Love - lace / obgleich ſein voriger noch nicht beant - wortet iſt. Wie es zugehen mag, das mag GOtt wiſſen; er erfaͤhrt alles was in unſerm Hauſe vorgenommen wird: meine Gefangenſchaft; daß Hannichen abgeſchaft iſt; daß mein Vater, mei - ne Onckles und mein Bruder immer mehr erbit - tert werden: und von ihren Entſchlieſſungen weiß er beynahe mehr, als ich ſelbſt, und faſt den Augenblick, wenn ſie kaum gefaſſet ſind. Er kan dieſe Nachrichten ohnmoͤglich durch gute Wege bekommen.

Erſter Theil. SEr274Die Geſchichte

Es iſt voller Unruhe wegen deſſen, was er ge - hoͤrt hat, und braucht die ſtaͤrckſten Ausdruͤcke ſeine Liebe gegen mich und ſeine Empfindlichkeit gegen jene an den Tag zu legen. Er bittet mich ſehr, ich ſoll ihm auf meine Ehre verſprechen, daß ich Herrn Solmes nie nehmen will. Jch dencke, daß ich ihm dieſes leicht verſprechen kan.

Er bittet ferner, ich moͤchte nicht glauben, daß er ſich durch Herunterſetzung anderer bey mir einzuſchmeicheln gedaͤchte: er hoffe vielmehr es dahin zu bringen, daß er ſelbſt einen guͤnſtigern Blick von mir verdienete. Er ſuche ſich auch nicht durch Furcht meine Liebe zu erwerben. Allein er meldet, es werde die Auffuͤhrung mei - ner Familie gegen ihn ſo unertraͤglich, daß er ſich ſeine Gedult beſtaͤndig vorwerfen laſſen muͤſte. So wohl der Lord M. und ſeine beyden Baſen, als auch alle ſeine uͤbrigen Freunde thaͤten dieſes. Wenn alle ſeine Hoff - nung auf mich verſchwinden ſolte, ſo koͤnte er nicht zum voraus ſagen, was ein verzweifel - ter Menſch fuͤr Dinge vornehmen moͤchte.

Seine Anverwanten und inſonderheit dieſe beyden Frauenzimmer riethen ihm zwar den Weg des Rechts an. Allein wie kan einer ſein Recht vor Gerichte ſuchen, der durch Worte beleidiget iſt, und Erlaubniß hat den Degen zu tragen?

Sie werden ſehen, daß meine Mutter eben ſo voll Furcht iſt als ich, und mir auf eine etwaskrum -275der Clariſſa. krumme Art ihre Schorey dazu anbietet, mei - nen Brief an Herrn Lovelace zu bringen.

Er ſchreibt ſehr viel von der Hochachtung, die das Frauenzimmer in ſeiner Familie gegen mich hat, ob ich ihnen gleich von Perſon weiter nicht bekannt bin, als daß ich die Fraͤulein Patty Mantague bey Frau Knollys geſprochen habe.

Es iſt natuͤrlich, daß man ſucht neue Freunde zu bekommen, wenn man die alten verliert. Ob ich nun gleich vielmehr wuͤnſchete, von den meini - gen und von Jhnen, meine liebe Fraͤulein, fuͤr liebenswuͤrdig gehalten zu werden, als von irgend ſonſt jemand in der Welt; ſo haben doch jene Perſonen ſo viel Hochachtung bey jederman, daß man ſich wuͤnſchen muß, bey ihnen wohl ange - ſchrieben zu ſeyn. Koͤnnen Sie nicht auf eine verdeckte Weiſe durch Frau Forteſcue oder durch Herrn Hickman / welcher den Lord M. kennet, erfahren, was ſie von den Umſtaͤnden meiner Fa - milie dencken moͤgen, nachdem ſo wenige Hoff - nung uͤbrig iſt, daß die Verbindung, die ſie ſonſt gebilliget haben, jemals zu Stande kommen werde? Eine ſo gute Meynung kan ich von mir ſelbſt nicht faſſen, daß ich glauben ſolte, als wuͤnſchten ſie daß eꝛ bey ſo vielen Widꝛigkeiten und Verachtung ſeine voꝛigen Abſichten noch beybehal - ten ſolte. Mir waͤre zwar nichts daran gelegen, wenn ſie ihm nunmehr abriethen. Daraus, daß der Lord M. ſeinen Brief unterzeichnet hat; aus den Verſicherungen des Herrn LovelacesS 2von276Die Geſchichtevon der Hochachtung der ſeinigen gegen mich; und aus andern Nachrichten, ſcheint es faſt, als wenn ich noch wohl bey ihnen ſtehe. Allein es wuͤrde mir doch lieb ſeyn, wenn ich dieſes durch eine unpartheyiſche Perſon aus ihrem eigenen Munde erfahren koͤnte: inſonderheit da bekannt iſt, daß ſie es fuͤr ein Gluͤck fuͤr andere halten, mit einer ſo angeſehenen und reichen Familie, als die ihrige iſt, verbunden zu werden, und da ſie es ſehr hoch empfinden, und zwar dieſes billig, daß unſere Familie die Verachtung die ſie gegen ihren Vetter hatte auch auf ſie ausgedaͤhnet hat.

Jch thue jetzt dieſe Frage blos aus Neugier, und ich hoffe nicht, daß mich je eine ſtaͤrckere Ur - ſache dazu dringen wird, ſo vielen Argwohn Sie auch auf mein Hertzklopfen werfen. Selbſt als - denn, wenn weniger Einwendungen wider Herrn Lovelace zu machen waͤren, wuͤrde ich doch nur aus Neugier fragen.

Jch habe ſeine Briefe beantwortet. Wenn er mich bey meinem Worte faſſet, ſo werde ich noch weniger Urſache haben, mich darum zu bekuͤm - mern, was ſeine Anverwandten von mir dencken moͤgen, ob man gleich billig wuͤnſchen ſoll, bey ſo ſchaͤtzbaren Perſonen in Achtung zu ſtehen.

Hier folgt der Jnhalt meines Briefes.

Jch bezeuge ihm meine Verwunderung daruͤ - ber, daß er alles ſo fruͤhzeitig erfaͤhrt, was hier im Hauſe vorgehet. Jch gebe ihm die Verſicherung,daß277der Clariſſa. daß wenn er auch nicht in der Welt waͤre ich doch nie an Solmes dencken wolte.

Jch melde ihm, daß ich es weder fuͤr ein Zeichen ſeiner guten Erziehung noch ſeiner Werthachtung gegen mich anſehen kan, daß er (wie ich merckte) dem Trotz und der Ver - achtung der meinigen eben ſo viel Trotz und Verachtung entgegen ſetzt. So bald ich hoͤren wuͤrde, daß er einen unter meinen Freunden wider deſſen Willen beſucht, ſo wuͤrde ich mich entſchlieſſen, ihn nie wieder zu ſehen, wenn ich. es anders vermeiden koͤnte.

Jch ſchreibe ihm, es ſey mir vergoͤnnet wor - den, dieſen Brief an ihn gelangen zu laſſen, oh - ne daß jemand den Jnhalt deſſelben geleſen haͤtte: es ſey aber unter der Bedingung ge - ſchehen, daß es der letzte Brief ſeyn ſolte. Jch haͤtte ihm ſchon mehr als einmal zu erkennen gegeben, daß ich geneigt waͤre, unverheyrathet zu bleiben, ehe noch Herr Solmes uͤber unſere Schwelle getreten waͤre mich zu beſuchen. Hr. Wyerley und andere Herren haͤtten ſchon lange vorhin dieſe meine Entſchlieſſung gewuſt, ehe er ſelbſt in unſerm Hauſe bekannt geworden waͤre. Jch wuͤrde nie von ihm eine Zeile von dergleichen Jnhalt angenommen haben, wenn ich nicht geglaubt haͤtte, eꝛ habe ſich gegen meinen Bruder nicht niedertraͤchtig aufgefuͤhret, und habe dem ohngeachtet von den meinigen eine ſehr unartige Auffuͤhrung ertragen muͤſſen. S 3Wenn278Die Geſchichte Wenn aber auch die meinigen auf ſeiner Seite geweſen waͤren, und ich haͤtte meine Neigung zu dem unverehlichten Stande, den ich ſo ſehr vorziehe, uͤberwindeu koͤnnen; ſo wuͤrde ich doch gegen ihn noch ſehr viel einzuwenden gehabt haben. Jch wuͤrde ihm auch dieſes gewiß ge - ſagt haben, wenn ich ſeinen Beſuch fuͤr etwas mehr als einen ordentlichen und gewoͤhnlichen Beſuch gehalten haͤtte. Jn Betrachtung alles dieſes bitte ich ihn, daß das der letzte Brief ſeyn moͤge, den er als eine Antwort auf dieſen Brief an den gewoͤhnlichen Ort bringen moͤchte, um mich darin zu verſichern, daß er ſich bey mei - ner gefaſſeten Entſchlieſſung wenigſtens ſo lange beruhigen wolte, bis ſich die Zeiten aͤn - derten.

Dieſes letzte habe ich deswegen einflieſſen laſ - ſen, damit er nicht gantz deſperat werden moͤchte. Wenn er mich aber bey meinem Worte haͤlt, ſo bin ich einer Qual los geworden.

Jch habe Jhnen verſprochen, Jhnen alle ſeine Briefe nebſt meiner Antwort vorzulegen, und ich widerhole dieſes Verſprechen, und bin eben des - halb in meinen Auszuͤgen aus dieſen Briefen kuͤr - tzer. Allein ich kan nicht oft genug mein Un - gluͤck bejammern, daß die Auffuͤhrung der meini - gen mich zwinget, Briefe zu beantworten die vol - ler Liebes-Erklaͤrungen und voller Hoffnung ſind, und von einem Manne kommen, gegen den ich ſo wichtige Einwendungen habe, daß ich ihm nie die geringſte Hoffnung zu geben geneigt geweſen bin.

Ha -279der Clariſſa.

Haben Sie je einen Menſchen geſehen, der in ſeiner Hoffnung ſo dreiſte geweſen iſt? So wie die Schul-Leute oft in einem alten Schriftſteller Schoͤnheiten finden, an die er ſelbſt niemals ge - dacht haben mag: ſo danckt er mir auf das ver - bindlichſte fuͤr meine Guͤtigkeit und Geneigtheit, die ich ihm noch niemals zugedacht habe. Er zwingt mich oft dadurch, ihm zu erkennen zu ge - ben, daß ich von dieſer Guͤtigkeit und Geneigtheit ſelbſt nichts weiß: denn ich wuͤrde mir ſelbſt ver - aͤchtlicher vorkommen, wenn ſeine Erklaͤrungen meiner Ausdruͤcke richtig waͤren.

Es geht einem mit ihm, als mit einem hart - maͤuligen Pferde, da einem Hand und Arm lahm wird, wenn man es im Zuͤgel halten will. Wenn Sie ſeine Briefe leſen, ſo muͤſſen Sie ja kein Ur - theil faͤllen, bis Sie meine auch geleſen haben; ſonſt werden Sie gewiß glauben, daß Sie in al - lem Recht haͤtten, was Sie von meinem Selbſt - Betruge / von Hertz-Pochen von Roͤthe im Geſicht bisweilen ſchreiben. Zu anderer Zeit be - ſchwert ſich dieſe eingefleiſchte Contradiction dar - uͤber, daß ich gegen ihn ſo wenig Geneigtheit erzei - ge, und die meinigen ſo viel Widerwillen und Groll, als wenn er in der Schlaͤgerey mit meinem Bruder der angreiffende Theil geweſen waͤre, und alles Ungluͤck wircklich erfolget waͤre, welches haͤt - te erfolgen koͤnnen.

Wenn er bey dieſer Abwechſelung von Klagen uͤber meine Kaltſinnigkeit, und von Frohlocken uͤber meine eingebildete Guͤtigkeit, etwan die Ab -S 4ſicht280Die Geſchichteſicht haben ſolte, daß ich gegen ſeinen hoͤflichen Danck widrum hoͤflich, und wegen ſeiner Klagen etwas gefaͤlliger werden ſoll; wenn nicht Fluͤch - tigkeit und Unordnung die Urſache dieſes Wider - ſpruchs iſt: ſo muß er ſo unergruͤndlich ſeyn, und ſo viel Erfahrung und Uebung in dergleichen Kuͤnſten erlanget haben, als irgend ein Menſch auf der Welt. Wuͤſte ich dieſes gewiß, ſo wol - te ich ihn noch mehr haſſen als Solmes ſelbſt. Allein genug von einem ſo bundſcheckigten Ge - ſchoͤpffe.

Der ſieben und zwanzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch verliere alle Gedult gegen die Leute, unter denen Sie leben muͤſſen. Jch weiß nicht, was ich Jhnen rathen ſoll. Woher wiſſen Sie, daß Sie darin nicht ſtrafbar ſind, da Sie obgleich zu Jhrem eigenen Schaden Anlaß geben, daß Jhres Gros-Vaters Teſtament unerfuͤllet bleibet? der letzte Wille eines Sterbenden ſoll billig heilig gehalten werden: ſo dencken ſelbſt die, die durch dieſes Teſtament zu ihrem Schaden Jhnen nach - geſetzt ſind.

Jch habe nichts gegen die rechten edlen Ge - dancken einzuwenden, denen Sie damals folgten. Da281der Clariſſa. Da aber eine ſo groſſe Probe des kindlichen Ge - horſams unbelohnt geblieben iſt: ſo ſehe ich kei - ne Urſache, warum Sie nicht wieder in Jhre er - ſten Rechte treten wollten.

Jhr Gros-Vater kannte die Erb-Suͤnde der Familie wohl; und er wuſte, was fuͤr ein edles und gutthaͤtiges Hertz Sie haben. Vielleicht hat er ſelbſt (vergeben Sie mir den Einfall) in ſeinem Leben zu wenig gutes gethan; und wollte Jhnen deswegen Mittel geben, dieſen Mangel der gan - tzen Familie zu erſetzen. Wenn ich es waͤre, ſo wollte ich warlich wieder in meine Rechte treten.

Sie werden ſagen, Sie koͤnten das nicht thun, ſo lange Sie in Jhres Vaters Hauſe ſind. Hierin habe ich andere Einſichten. Koͤnnen ſie ſchlimmer mit Jhnen umgehen, als bisher geſchehen iſt? Jſt es nicht Jhr Recht, was Sie fordern ſollen. Jhr Onckle Harlowe und der Obriſte Morden ſollen fuͤr die Erfuͤllung des Teſtaments ſtehen. Fodern Sie Jhr Recht von Jhrem Onckle, und ſchreiben Sie an den andern. Sie werden ſehen, daß ſich die Auffuͤhrung der Jhrigen gleich aͤndern wird.

Was hat Jhr unverſchaͤmter Bruder uͤber Sie zu befehlen? Wenn er mit mir zu thun haͤtte (das wolte ich wol einen Monath lang wuͤnſchen, und nicht laͤnger) ſo ſolte er den Unterſcheid ſehen. Jch wolte mich in meinem eignen Hauſe aufhal - ten, und alle meine guten Abſichten erfuͤllen, meine Bekanten und Nachbarn gluͤcklich zu machen. Jch wolte meinen eigenen Wagen und PferdeS 5hal -282Die Geſchichtehalten, und ſie beſuchen, wenn ſie es verdieneten. Wenn aber mein Bruder und meine Schweſter vornehm thaͤten, ſo wolte ich ſie mercken laſſen, daß ich ihre Schweſter und nicht ihre Magd ſey. Wenn ſie ſich nicht beſſerten, ſo wolte ich ihnen mein Thor zuſchlieſſen, und ihnen zu verſtehen geben, ſie moͤchten ſich untereinander die Zeit vertreiben.

Das muß ich geſtehen, daß das enge Hertz Jh - res Bruders und Jhrer Schweſter Urſache finden muß, Jhnen uͤbel zu begegnen, wenn es ſei - ner Natur gemaͤß handeln ſoll. Ohne an die verſchmaͤhete Liebe Jhrer Schweſter, und an den Geitz Jhres Bruders zu gedencken, ſo muß ihnen dieſes ſchon eine groſſe Kraͤnckung geweſen ſeyn, daß ſie von einer juͤngern Schweſter ſo ſehr uͤber - troffen werden. Wie werden ſolche Nacht-Fa - ckeln bey einer ſolchen Sonne verdunckelt! und wie kan ihnen dieſes ertraͤglich ſeyn? die Jhrigen muͤſſen Sie als eine Mis-Geburt in ihrer Fami - lie anſehen, die ſie bewundern aber nicht lieben koͤnnen, ſo ſehr ſind Sie ihnen aus der Art ge - ſchlagen. Der Unterſcheid iſt unermeßlich. Mit Verdruß mit Schmertzen der Augen muͤſſen ſie Sie anſehen. Jhre vollkommenen Vorzuͤge, die dem vollen Tage gleich ſind, ſetzen jene in allzu - groſſen Schatten. Koͤnnen wir uns denn wol daruͤber verwundern, daß jene die erſte die beſte Gelegenheit ergriffen haben, Sie herunter zu ſetzen, damit Sie ihnen etwas aͤhnlicher werden moͤchten.

Glau -283der Clariſſa.

Glauben Sie mir gewiß, es wird Jhnen noch mehr zu tragen aufgelegt werden; und je mehr Sie tragen, deſto ſchwerer wird man die Buͤrde machen.

Ueber Jhre Abneigung von dem eckelhaften Solmes kan ich mich nicht verwundern. Es iſt nicht noͤthig Jhnen noch einen groͤſſern Wider - willen gegen ihn beyzubringen, da er Jhnen ohne - hin unertraͤglich iſt. Allein wer kan ſein Pfund vergraben? mein Pfund ſcheint darin zu beſtehen, daß ich ein eckelhaftes Gemaͤhlde machen kan. Soll ich dieſe meine Gabe jetzt gebrauchen? Ja ich will es thun! und zwar deſto lieber, weil ich dadurch Jhre Abgeneigtheit von Solmes / und Jhre Beſtaͤndigkeit rechtfertige, welche letzte ich an einem ſo ſanften Hertzen bewundere und immer bewundern werde.

Zweymal bin ich mit ihm in Geſellſchaft ge - weſen. Das eine mahl war Jhr Lovelace mit zugegen: und ich werde Jhnen nicht ſagen duͤrfen, daß zwiſchen beyden ein himmel-weiter Unterſcheid war, Jhnen, die Sie jetzt bisweilen eine ſo artige Neugier haben, ob es gleich weiter nichts als ei - ne bloſſe Neugier iſt.

Lovelace unterhielt nach ſeiner lebhaften Art die gantze Geſellſchaft, und jederman muſte uͤber ſeine Schwaͤncke lachen. Damals hatte noch niemand darauf gedacht, Sie mit dieſem Unmen - ſchen zuſammen zu ſchmiden. Solmes war lu - ſtig, und lachte hertzlich mit. Allein es war ſein eigenes Gelaͤchter. Jch glaube, er hat die dreyer -284Die Geſchichteerſten Jahre ſeines Lebens nichts gethan als Schreyen, und ſeine Muskeln ſind des Heulens ſo gewohnt geworden, daß ſie den Mund nicht zum Lachen ziehen koͤnnen. Selbſt ſein Laͤcheln (das Sie nie geſehen, und zum wenigſten nie ver - anlaſſet haben) iſt ſeiner Geſichts-Bildung ſo fremde und unnatuͤrlich, daß es ihn faſt kleidet, als wenn einer aus boͤſem Muthe lachet.

Jch war ſehr aufmerckſam auf ihn, wie ich auf alle ſolche Wunder-Thiere zu ſeyn pflege: und er kam mir ſchon damals eckelhaft und unertraͤglich vor. Jch erinnere mich noch, daß ich recht froh war, als ſein Lachen aufhoͤrte, und ſein Geſicht ſich wieder in die vorigen verdrieslichen Falten legte; wiewohl dieſes ſo langſam geſchahe, als wenn die Muskeln, die die Geſichts-Verzerrung veranlaſſet hatten, durch lauter verroſtete Trieb - Federn beweget wuͤrden.

Was fuͤr eine fuͤrchterliche Sache muß ſelbſt die Liebe eines ſolchen Mannes ſeyn? Wenn ich ſeine Frau waͤre (was habe ich aber geſuͤndiget, daß ich mir zur Zuͤchtigung nur einen ſolchen moͤg - lichen Fall erdencke) ſo wuͤrde ich kein anderes Vergnuͤgen haben, als daß er abweſend waͤre, oder daß ich mich mit ihm zanckete. Ein me - lancholiſches Frauenzimmer, das nicht leben kan ohne auf jemand zu keiffen, moͤchte mit ihm vergnuͤgt leben koͤnnen: denn jeder Anblick wuͤrde ihr Gelegenheit geben, ſich uͤber ihn zu ereifern, und die Bedienten wuͤrden Urſache haben, ihren Herrn in ihrem Hertzen dafuͤr zu ſegnen, daß erihr285der Clariſſa. ihr genugſame Urſache gaͤbe ſich uͤber ihn zu aͤr - gern. Allein wie beſchwerlich wuͤrde es einer Frau ſeyn, die nur ein wenig artig iſt, wenn ſie jemals ſollte uͤberzeuget werden, daß ſie aus Verſehen ihm etwas zu Gefallen gethan haͤtte!

So viel von ſeinem aͤuſſerlichen. Jn Abſicht auf ſein Gemuͤth ſagt man von ihm, daß er auf das demuͤthigſte kriechen und ſchmeicheln koͤnne, wo er etwas zu gewinnen hoffet; ſonſt aber tro - tzig und unertraͤglich ſey. Sind nicht alle nieder - traͤchtige Gemuͤther ſo beſchaffen? Wenn ihn nur eine eintzige Perſon beleidiget hat, ſo ſoll er des - wegen voll Verachtung und Rachgier gegen die gantze Familie ſeyn: und ſo ſoll er faſt gegen al - le ſeine Anverwandten geſinnet ſeyn. Man hat mir geſagt, daß keiner unter ihnen ſo ſchlimm ſey als er: und vielleicht iſt dieſes die Urſache davon, daß er ſie enterben will.

Meine Kytti hat von einem ſeiner Bedienten gehoͤrt, daß ihm alle ſeine Paͤchter feind ſind, und daß er noch niemals einen Bedienten gehabt haͤtte, der wohl von ihm redete. Er ſoll recht niedertraͤchtig-argwoͤhniſch ſeyn, daß ſie ihn be - triegen moͤchten, und darum ſchaft er ſie bald ab. Es ſcheint, daß er von andern nach ſich ſelbſt urtheilet.

Seine Taſchen ſollen immer mit Schluͤſſeln an - gefuͤllet ſeyn. Wenn er einen Gaſt hat (einen Fꝛeund hat er in deꝛ Welt nicht, aus genom̃en einen aus Jhrer Familie) ſo muß er ſo lange ſuchen, und fragen, welches der rechte Schluͤſſel zu jedemDin -286Die GeſchichteDinge iſt: daß unter der Zeit ſein knickeriſches Gaſt-Gebot bey nahe zu Ende ſeyn koͤnte. Wenn Wein vorfallen ſoll, ſo holt er ihn immer ſelbſt: allein dieſes giebt ihm wenig Muͤhe, weil er kei - nen andern Beſuch hat, als den Geſchaͤfte oder die aͤuſſerſte Noth in ſein Haus treiben. Denn wer nur umhin kan, der wuͤrde lieber unter frey - em Himmel bleiben, als bey ihm einkehren.

Das iſt der Mann, der aus eben ſo gewinn - ſuͤchtigen und poͤbelhaften Abſichten ausgeſucht iſt, der Braͤutigam, d. i. der Herr und Tyrann von Fraͤulein Clariſſa Harlowe zu werden.

Vielleicht iſt er nicht voͤllig ſo ſchlimm, als man ihn abmahlet. Ein allzuvortheilhaftes oder allzuſchlimmes Bild, ſo man von dem Gemuͤthe anderer hat, pflegt ſelten recht aͤhnlich zu ſeyn: bey jenem hat oͤfters die Neigung und bey dieſem der Widerwille allzuviele Nebenſtriche gemacht. Als meine Mutter gegen Jhren Onckle Anton ſeines Geitzes gedachte, ſo ſagte dieſer: man wuͤrde ihn nach Jhrem Willen zu binden ſuchen. (Das wird beſſer mit einem Strick von Hanff, als durch die Bande der Ehe geſchehen.) Jſt dieſes nicht ein deutliches Zeugniß, daß ſelbſt diejenigen, die fuͤr ihn ſind, ſchlechte Gedancken von ſeinem Gemuͤthe haben? und daß man wol gar daruͤber mit ihm einen Contract ſchlieſſen muß, daß er Jhnen die Nothdurft nicht ſoll mangeln laſſen? doch genug, und mehr als genug, von einem ſolchen Menſchen! Sie ſollen ihn nicht neh - men, mein Hertz! davon bin ich hinlaͤnglich uͤber -zeuget:287der Clariſſa. zenget: allein ich ſehe nur nicht, wie Sie es ver - meiden wollen, ihn zu nehmen, falls Sie ſich nicht der Freyheit bedienen wollen, die Jhnen Jhr Gut und Eigenthum giebt.

Bis hieher hatte ich geſchrieben; ſo kam mei - ne Mutter unvermuthet herein, und wolte mei - nen Brief ſehen. Jch war ſo albern, daß ich ihr die Beſchreibung vorlaß, die ich von Herrn Solmes gemacht habe.

Sie geſtand, daß man ſich wol einen beſſern Mann wuͤnſchen koͤnte, und daß er nicht ſonder - lich ausſaͤhe. Allein ſie fragte mich, was doch bey Manns-Perſonen an der Schoͤnheit gelegen ſey? Jch bekam einen Verweiß, daß ich Jhnen gerathen hatte, Jhren Eltern ungehorſam zu ſeyn. Hierauf folgte eine Predigt von dem Vor - zuge eines Mannes, der niemand etwas ſchuldig waͤre, und das ſeinige zu Rathe hielte, vor einem wilden Verſchwender. Sie wiſſen, wie reich die - ſe Materie iſt, es mag nun auf jemand insbe - ſondere gezielt werden, oder nicht. Allein war - um zwingen uns dieſe allzuweiſe Eltern, dadurch daß ſie von einigen Leuten allzuviel boͤſes ſagen, dieſe Leute zu vertheidigen? Lovelace iſt kein Verſchwender, und niemanden etwas ſchuldig. Wild genug iſt er, das leugne ich nicht. So bald wir dieſen Leuten Gerechtigkeit widerfahren laſſen, ſo heißt es gleich, wir waͤren von ihnen eingenommen. Dieſe Beſchuldigung macht uns erſt neugierig / was eine ſolche Perſon oder ihreVer -288Die GeſchichteVerwandten von uns halten moͤgen, und endlich entſtehet daraus eine vorzuͤgliche Neigung / oder etwas, das einer Neigung ſehr aͤhnlich iſt.

Meine Mutter befahl mir, die letzte Seite zu aͤndern und von neuen abzuſchreiben. Allein mei - ne Mutter mag mir das vergeben; ich will mein Gemaͤhlde nicht umſonſt gemacht haben: dazu wird mich nichts bewegen koͤnnen. Meine Fe - der ſchrieb von ſelbſt; und alles was mir bis - her von meinen Aufſaͤtzen gefallen hat, das hat auch das Gluͤck gehabt, Jhren Beyfall zu erhalten. Die Urſache laͤßt ſich leicht errathen: wir haben nur ein Hertz. Unſer eintziger Unter - ſcheid iſt, daß Sie mir ein wenig zu ernſthaft, und ich Jhnen ein wenig zu munter vorkomme.

Selbſt dieſe unſere Verſchiedenheit mag wol die Urſache einer ſo zaͤrtlichen Liebe zwiſchen uns ſeyn, daß (nach dem Ausdruck der Frau Norris) nichts drittes erdacht werden kan, das uns eben ſo zaͤrtlich liebete. Denn jede von uns hat einen kleinen Fehler, den die andere wahrnimt, und wie haben wir uns ſo lieb, daß wir es einander nicht uͤbel nehmen, wenn wir uns dieſen Fehler vor - halten. Keine von uns beyden verlangt ihren Fehler zu verbeſſern. Dieſes macht, daß keine Eiferſucht zwiſchen uns entſtehet, die uns erſt heimlich verdrießlich, denn neidiſch machen, und endlich in einen Widerwillen ausbrechen koͤnte. Wenn ich hierin recht gerathen habe, ſo wollen wir beyde unſere Fehler behalten: ſie ſind uns nuͤtzlich, und wir koͤnnen uns immer mit unſermTempe -289der Clariſſa. Temperament entſchuldigen. Was fuͤr ein Held oder Heldin muͤſte das ſeyn, der ſeine Schoos - Suͤnde, ſeinen Temperaments-Fehler ausrotten koͤnte? es ſey nun der Geitz, (den ich um einiger Willen nicht nennen darff) oder die allzugroſſe Ernſthaftigkeit meiner beſten Freundin, oder die uͤbertriebene Munterkeit der Perſon, die ich nicht noͤthig habe zu nennen.

Jch kan Jhnen nicht verhalten, daß ich die Neugierde meiner Mutter befriedigen, und ihr einige Stellen aus Jhren Briefen zeigen mußte. Meine Mutter iſt ſo neugierig als jemand ſeyn kan.

Jch bin zwar verhindert worden. Jch will Jhnen aber bald melden, was zwiſchen mir und meiner Mutter vorgefallen iſt, als ſie ihr Maͤd - chen, ihren theuren Hickmann, und Lovela - ce auf einmal in den Gedancken hatte.

Sie ſagte: wenn ich alles uͤberlege, ſo kan ich nicht leugnen, daß ich einige Haͤrte darin finde, wie mit der Fraͤulein Harlowe verfahren wird: und dennoch iſt es wahr, was ihre Frau Mut - ter ſagt, daß es ſehr empfindlich ſey, ein Kind zu haben, das wegen ſeines Gehorſams gegen ſeine Eltern in geringern Dingen bekant iſt, und ſich nun in der wichtigſten Sache ihrem Willen widerſetzt. Jch muß beyden Theilen ihr Recht widerfahren laſſen: Es iſt Schade, daß der Braͤutigam, den die Jhrigen habenErſter Theil. Twol -290Die Geſchichte wollen, nicht die Vorzuͤge hat, die ein Gemuͤth von ſo zaͤrtlichen und verwehnten Geſchmack an einem Freyer ſuchen moͤchte. Allein der Mann iſt doch wahrhaftig beſſer, als ein Boͤſewicht: ein Boͤſewicht, der ſich noch dazu mit ihrem eigenen Bruder geſchlagen hat. So wuͤrden die Eltern dencken, wenn auch dieſer letzte Um - ſtand nicht dazu kaͤme: und es waͤre wunderlich wenn die Eltern es nicht beſſer verſtehen ſolten, als die Tochter.

Freylich, dachte ich bey mir ſelbſt, das ſolten ſie thun, weil ſie mehr Erfahrung haben: wenn nur nicht bisweilen einige kleine und ſchmutzige Abſich - ten ſie mit Vorurtheilen fuͤr einen Freyer einneh - men, da ſie es ihren Toͤchtern verdencken, daß ſie ihrer Meinung nach Vorurtheile zum Vortheil des andern haben: und wenn nur kein alter, krie - chender, verſchimmelter Onckle Anton in den Fa - milien waͤre, der die Vorurtheile der Eltern noch ſtaͤrcker macht, wie er es bey meiner Mutter zu machen pflegt. Der elende, kriechende Geiſt! der ſich nicht einreden noch uͤberfuͤhren laͤſt! Was hat ſo ein alter vermuckter Hageſtoltz mit Eltern von den Pflichten der Kinder aus dem vierten Gebot zu ſchwatzen, da er gar keinen Begriff von den Pflichten hat, welche die Eltern hinwie - derum ihren Kindern ſchuldig ſind? allein Jhre Frau Mutter hat durch ihre traͤge Geduld (ich kan ſie mit keinem andern Namen benennen) alle drey Bruͤder verdorben.

Du291der Clariſſa.

Du wirſt aber den Unterſchied ſehen, mein Kind (fuhr meine Mutter fort) wenn du be - denckſt, wie ich mit dir umgehe. Jch preiſe dir einen der tugendhafteſten Maͤnner in Eng - land an, der zugleich einer der artigſten iſt

(Meiner Mutter Einſichten in die Artigkeit und Auffuͤhrung einer Manns-Perſon gelten bey mir ſehr wenig. Sie urtheilet fuͤr ihre Tochter nach eben den Regeln, nach welchen ſie vor zwantzig Jahren fuͤr ſich ſelbſt geurtheilet haben wuͤrde: denn von dieſem alten Schrot und Korn ſcheint mir Hickman zu ſeyn, wenn ich auf ſein Gemuͤth ſehe. Sie werden ſelbſt nicht leugnen koͤnnen, daß er allzupuͤnctlich und gezwungen, und viel zu voll von Complimenten iſt.)

Einen Mann (fuhr meine Mutter fort) von guter Familie, der artige, unverſchuldete und eintraͤgliche Guͤter hat. (Eine Haupt-Betrach - tung, die meine Mutter mit gewiſſen andern Leuten gemein hat) Jch bitte und flehe dich, ihm einige Hoffnung zu geben, und ihm zum wenigſten nicht deswegen unartiger zu begeg - nen, weil er ſo folgſam gegen dich iſt.

(Das waͤre eben recht, wenn ich ihm freundlich begegnete. Er wuͤrde mir bald vertraulich be - gegnen wollen. Fremde muß man gegen die dreiſten Manns-Leute thun!)

Alles dieſes richtet bey dir nicht ſo viel aus, daß du meinem Willen folgeteſt. Was wuͤrdeſt du ſagen, wenn dir ſo begegnet wuͤrde, als der Fraͤulein Harlowe von ihrem Vater und Mut - ter?

T 2Was292Die Geſchichte

Was ich ſagen wollte? antwortete ich: das iſt leicht zu beantworten. Jch woll - te nichts ſagen. Koͤnnen ſie ein ſolch Be - tragen gegen ein ſolches Frauenzimmer fuͤr ertraͤglich halten?

Komm, meine Tochter, uͤbereile dich nicht ſo. Du haſt nur die eine Parthey gehoͤrt: und aus den Stellen, die du mir vorgeleſen haſt, ſehe ich, daß ſich noch viel von der Sache reden laͤßt. Es ſind ihre Eltern: ſie muͤſſen es am beſten verſtehen. Fraͤulein Harlowe iſt zwar ein artiges Kind: allein ſie muß etwas geredet, oder gethan, oder ſonſt verſehen haben, daß ihr ihre Eltern ſo aufſaͤtzig geworden ſind. Du weißt ſelbſt, wie ſehr ſie ſonſt ihr Kind liebeten.

Allein wie wenn ſie gar nichts verſehen haͤtte? Wie ſehr haben alsdenn ihre Eltern Unrecht?

Jch mußte hierauf von Solmeſens groſſen Guͤtern hoͤren, von ſeiner trefflichen Haushaltung: ein wenig zu genau ſey er zwar (dis war ihr ſanfter Ausdruck. Wie zaͤrtlich drucken ſich doch die von dem Geitz aus, die das Geld uͤber - maͤßig lieben! Wiewohl in Vergleichung gegen Herrn Solmes fuͤhret ſich meine Mutter wie eine Fuͤrſtin auf.) Was koͤnnen nicht verlieb - te Vorurtheile bey jungen Frauenzimmer aus - richten?

Jch weiß nicht, mein Schatz, wie es zugehet, daß ſich die Leute ſo viel Muͤhe geben, ein verlieb -tes293der Clariſſa. tes Paar auszufinden. Erweckt etwan eine Neugier die andre? Jch glaube, daß dieſes die Urſache iſt.

Sie fuhr fort Herrn Lovelaces Geſtalt, ſeine natuͤrliche Gaben, und ſeine durch Fleiß erwor - bene Geſchicklichkeit zu ruͤhmen. Allein das Ur - theil war doch endlich das Urtheil einer Mutter, das ſich eine Tochter ungern gefallen laͤſt. Sie konte aber wider Jhr Anerbieten, mit ihm zu bre - chen, und unverheyrathet zu bleiben, nichts ein - wenden; wenn nur, wenn (drey oder viermal wenn, wo einmal genug geweſen waͤre) wenn man ſich nur darauf verlaſſen koͤnte.

Endlich bleibt doch der blinde Gehorſam das Ende vom Liede in meiner Mutter Reden, ich mag ſagen was ich will. Die Lehre kriege ich ſowol als Sie,

Jch kan nicht leugnen, daß der Gehorſam gegen die Eltern eine wichtige und in Gottes Augen angenehme Pflicht eines Kindes ſey: al - allein ich dancke GOtt, daß ich nicht Jhre Probe von dieſer Pflicht abzulegen habe. Wir alle ſind ſo, ſo lange gut, als wir keine Verſuchung zum Boͤ - ſen haben: das aber weiß ich, daß wenige jun - ge Frauenzimmer, die ſich noch dazu ſelbſt hel - fen koͤnnen, dasjenige ertragen wuͤrden was Sie ertragen.

Jch will nicht alles ſchreiben, was ich in mei - nem Hertzen von dem Verfahren Jhres Vaters, Jhrer Onckels, und Jhrer uͤbrigen Anverwand - ten dencke, um Sie nicht zu beleidigen. Jch bildeT 3mir294Die Geſchichtemir aber jetzt auf die Richtigkeit meiner Urtheile noch einmal ſo viel ein, als ſonſt, weil ich nie - mals einen aus Jhrer gantzen Familie habe auf - richtig lieben koͤnnen, Sie allein ausgenommen. Jch bin nicht zur Freundſchaft mit dieſen Leu - ten gebohren: allein gegen meine Freundin auf - richtig zu ſeyn erfodert meine Schuldigkeit, und wenn Fraͤulein Clariſſa Harlowe dieſes be - denckt, ſo wird ſie jene freymuͤthigen Erklaͤrun - gen ihrer Anna Howe entſchuldigen. Jch haͤt - te billig Jhre Frau Mutter mit ausnehmen ſol - len, die alle meine Ehrerbietung und jetzt auch mein Mitleiden verdienet. Wie viel muß ſie ausgeſtanden haben ehe ſie ſich dergeſtalt hat un - ter das Joch bringen laſſen? der gute ſeelige Burggraf hat es ſich wol nie laſſen in die Ge - dancken kommen, daß ſich ſein Kind ſo wuͤrde buͤcken muͤſſen, als er dieſe ſeine liebe ſeine eintzige Tochter an einen dem Anſchein nach ſo artigen Herrn gab, den ſie ſelbſt gewaͤhlet hatte. Ein anderer wuͤrde Jhren Vater einen Tyrannen nennen, wenn Sie ſich ſcheuen den Namen von ihm zu gebrauchen: und wenn Sie Jhre Frau Mutter lieben, ſo haben Sie nicht Urſache mit der Welt dieſes Urtheils wegen zu zuͤrnen. Dem ohngeachtet habe ich weniger Mitleiden mit Jhrer Frau Mutter, wenn ich bedencke, daß ſie ſich zu niedrig fuͤr ihre Geburt und uͤbrigen Vor - zuͤge aufgefuͤhrt hat, es mag nun das Podagra oder was ſonſt will die Urſache ſeyn, daß Jhr Va - ter ſo hart und verdrießlich iſt; und daß ſie ſol -chen295der Clariſſa. chen Leuten, die immer weiter greiffen (verſtehen Sie nur Jhren Bruder, wenn ſie nicht gern auf jemand auders dencken wollen) allzu viel nachge - geben hat, um fuͤr ſich einen Frieden von kurtzer Dauer zu erhalten, der deswegen nicht werth iſt, daß ihm etwas aufgeopfert wird, weil er den Ei - genſinn der uͤbrigen ſtaͤrckete, ſie ſelbſt aber der - geſtalt ſchwaͤchete, daß ſie endlich gantz und gar unter das Joch gebracht iſt, welches haͤrter ward je mehr ſie es mit Gedult ertrug. Wie kan man es endlich entſchuldigen, wenn ſie wider ihre eigene Einſichten ein ſo unvergleichliches Kind verlohren giebt, daß es den eigennuͤtzigſten Ab - ſichten der allergeringſchaͤtzigſten Leute aufgeopfert werden ſoll? Allein ich fliehe von dieſer Materie. Jch mag wol ſchon mehr davon geſagt haben, als Sie mir vergeben koͤnnen, und ich habe doch noch bey weiten nicht alle Klagen ausgeſchuͤttet, die mein Hertz wider die allzugeduldige Perſon einzubringen hat.

Herr Hickman wird dieſen Abend von London zuruͤck erwartet. Jch habe ihn gebeten, ſich nach Herrn Lovelaces Auffuͤhrung und Umgang in der Stadt zu erkundigen: und ich werde ſehr boͤ - ſe auf ihn ſeyn, wenn er es nicht gethan hat. Erwarten Sie ja keine allzu gute Nachrichten: er iſt ein Kopf voll boͤſer Erfindungen, und der zu verworrenen Haͤndeln Luſt hat.

Mir iſt dieſes gantze Geſchlecht ſehr veraͤchtlich. Wenn doch die Manns-Leute unſere Eltern gehen lieſſen, und ſie nicht zu unſerer Plage mit guͤlde -T 4nen296Die Geſchichtenen Verſprechungen, mit Liebes-Erklaͤrungen, mit Entwuͤrffen vortheilhafter Ehe-Pacten, und wie ſonſt der praͤchtige Unverſtand Namen haben mag, plagten! Wie vergnuͤgt koͤnten Sie und ich mit einander leben, und jener insgeſamt la - chen! allein wir muͤſſen durch Schmeicheleyen in die Schlinge gebracht werden, wie ein unbedacht - ſames Voͤgelchen: einige Wochen werden wir als Printzeßinnen verehret, um auf Lebens-lang Sclavinnen zu werden. Was Sie von Sol - mes ſagen, das muß ich von allen dieſen Leuten ſagen, daß ſie mir unertraͤglich ſind. Wenn aber Jhre Anverwandten, (Freunde ſollen ſie in mei - nen Briefen nie wider heiſſen, denn ſie ſind des Namens unwuͤrdig) von einem ſolchen Kerl das Kauf-Geld annehmen, das er fuͤr Sie bietet, wenn ſie zugeben, daß er alles das ſeinige ſeiner eigenen Familie auf ewig entwendet; o wie muß alsdenn ein nur mittelmaͤßig-billiges Hertz vor ihren Anſchlaͤgen einen Abſcheu haben!

Herr Hickmann ſoll ſich bey dem Lord M. Jhrer Frage wegen unter der Hand erkundigen. Jch kan Jhnen aber wol zum voraus melden, was er und ſeine Schweſtern ſagen werden. Wer ſollte es ſich nicht fuͤr eine Ehre ſchaͤtzen, mit Fraͤulein Clariſſa Harlowe verwandt zu wer - den? Frau Forteſcue hat mir ſonſt erzaͤhlet, daß ſie insgeſamt groſſe Bewunderer von Jh - nen ſind.

Wenn mein Rath vorhin nicht deutlich genug geweſen iſt, ſo kan ich ihn mit einem Worte oh -ne297der Clariſſa. ne Umſchweif ausdrucken: er beſteht in weiter nichts, als in widernehmen. Wenn Sie ihr Gut nur wiedernehmen, ſo wird ſich das uͤbrige von ſelbſt geben.

Wir haben hier Nachricht, daß ſo wohl Frau Norton als Jhre Baſe Hervey fuͤr den blinden Gehorſam iſt. Jch wollte mich von Hertzen mit ihr zancken, wenn ſie das verdauen kan, daß die Bemuͤhung und der Fleiß ſo ſie auf Jhre Erzie - hung gewandt hat, und Jhre eigene vortrefflichen Natur-Gaben und uͤbrigen Vorzuͤge, verſchwen - det, und einem ſo unwuͤrdigen Menſchen als Solmes iſt Preis gegeben werden ſollen. Sie moͤgen vielleicht glauben, daß ich hiedurch die gu - te Frau bey Jhnen herunter zu ſetzen ſuche: und Sie haben nicht gantz unrecht hierin. Denn ich liebe Frau Norton (wie mich duͤnckt) etwas weniger, als ich thun wuͤrde, wenn Jhre Liebe gegen ſie nicht allzu groß und mercklich waͤre, und ich mit voͤlliger Gewißheit glauben koͤnte, daß Sie mich mehr liebten, als ſie.

Jhre Frau Mutter ſagt Jhnen zum voraus, daß Sie viel auszuſtehen haben werden, und daß Sie jetzt unter Jhres Vaters Zucht ſind? (Das ſind Worte, die mir ſchon eine Perſon veraͤcht - lich machen koͤnnen, welche ſich ihrer bedinet.) Daß ſie Jhnen nicht weiter helffen kann? daß was Sie gutes zu erwarten haben von Jhren Onckles zu erwarten iſt? Jch hoffe, mein Schatz, Sie werden zu dieſen unverſtaͤndigen Ausdruͤcken die Anmerckung hinzu ſchreiben: nachdem ichT 5mei -298Die Geſchichtemeine Onckles nicht mehr ſprechen darff. Jſt es moͤglich, daß eine ſolche Gemahlin, eine ſolche Schweſter, eine ſolche Mutter, nichts bey den Jhrigen ausrichten kan? Wer will denn, (wie Sie ſelbſt geſagt haben) heyrathen, wenn es zu aͤndern ſtehet? Jch mercke, daß mein Zorn von neuen aufwachet. Nehmen Sie Jhr Gut wieder, mein Schatz: mehr will ich nicht ſchrei - ben, um Sie nicht zu betruͤben, da ich Jhnen doch nicht helfen kan. Nur dieſes noch! ich bin

Jhre wahrhafftig ergebene Freundin und Dienerin Anna Howe.

Der acht und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe /

Sie werden mir vergoͤnnen, ein paar Stellen Jhres neulichen angenehmen Briefes zu ahnden, die mir ſehr empfindlich ſind.

So niedergeſchlagen ich auch bin, ſo kan ich Jhnen doch nicht verheelen, daß ich auf Sie ſehr ungehalten bin, weil Sie die meinigen allzuheftig tadeln, ſonderlich meinen Vater; und weil Sie ſo gar meines Gros-Vaters in der Erde nicht ſcho - nen. Selbſt Jhre Frau Mutter kan Jhrem ſcharffen Tadel nicht entgehen. Man kan ſichzwar299der Clariſſa. zwar bisweilen ſelbſt nicht enthalten, von denen frey zu reden und zu ſchreiben, die man liebet, wenn einem der Schmertz allzu ſehr zu Hertzen dringet: allein man will doch nicht, daß ſich an - dere eben die Freyheiten heraus nehmen. Sie koͤnnen ſich auch ſo ſtarck ausdrucken, wenn Sie uͤber jemand misvergnuͤgt ſind, daß ich mich ſelbſt anklagen muß, ſo bald ich bey kuͤhlen Blute aus Jhren allzuſtrengen Briefen ſehe, wie wenig ich der meinigen geſchonet haben muͤſſe. Erlauben Sie mir, daß ich mich nach Befinden der Um - ſtaͤnde bey Jhnen uͤber die meinigen beklage: ſu - chen Sie aber durch einen guten Rath, den ich, von niemand beſſer als von Jhnen erhalten kan, mein aufgebrachtes Gemuͤth zu beſaͤnftigen; da Sie wiſſen, wie viel ihr Rath und Zurede bey mir vermoͤgen.

Jch kan zwar nicht leugnen, daß es mir lieb iſt, daß Sie wegen der Verachtung die Herr Solmes von mir verdienet mit mir einerley Meinung ſind: allein ich muß doch ſagen, daß er nicht voͤllig ein ſolches Ungeheuer iſt, als Sie aus ihm machen. Jch verſtehe dieſes von ſeiner Geſtalt: denn von ſeinem Gemuͤth haben Sie nach allen dem, was ich gehoͤrt habe, ein ſehr aͤhnliches und richtiges Bild gemacht. Allein Sie haben eine ſolche Gabe, eckelhafte Bilder zu mahlen, und ſo viel Lebhaftigkeit: daß Jhre Be - ſchreibungen oͤfters daruͤber die Wahrſcheinlichkeit verlieren. Kurtz, ich weiß, daß Sie bisweilen mit dem Zweck die Feder ergreiffen, alles zuſchrei -300Die Geſchichteſchreiben, was Jhnen Jhre lebhafte Erfindungs - Kraft eingiebt, wenn es gleich nicht voͤllig mit der Sache uͤbereinſtimmet. Man koͤnnte zwar erwarten, daß ich weniger hievon ſagen ſollte, weil Sie aus Liebe zu mir auf jenen ungehalten ſind. Sollten wir uns aber nicht billig beſtreben, ſo von uns und allem dem was uns betrifft zu urtheilen, als wir mit Recht glauben koͤnnen, daß andere von uns und von unſern Handlun - gen urtheilen werden?

Was Jhren Rath anlangt, das meinige wider zu nehmen, ſo bin ich einmal veſt entſchloſſen, kei - nen Proceß mit meinem Vater anzufangen, es mag auch daraus kommen, was da will. Jch werde Jhnen vielleicht zu anderer Zeit eine voll - ſtaͤndigere Antwort auf dieſe Jhre Gedancken ge - ben koͤnnen: jetzt will ich blos die Anmerckung machen, daß Herr Lovelace es ſchwerlich der Muͤhe werth achten wuͤrde, ſich um mich zu be - werben, wenn er dieſe meine Entſchlieſſung wuͤßte. So viel auch die Manns-Perſonen ſchmeicheln, ſo haben ſie doch immer ihre Abſich - ten auf dasjenige gerichtet, was ihnen beſtaͤndig bleibt. Sie thun recht daran. Es muͤſte einem die Liebe ſehr thoͤricht vorkommen, wenn man am Ende wider zuruͤckſaͤhe, und ſie haͤtte Leute, die zum Ueberfluß geboren ſind, in Duͤrfftigkeit ge - ſetzt, und ein erhabenes Gemuͤth in die Umſtaͤnde gebracht, daß es anderer Gnade leben muͤſte.

Sie haben einen ſehr artigen Einfall; daß der Unterſcheid unſerer Gemuͤther macht, daß wiruns301der Clariſſa. uns deſto mehr lieben. Jch bekenne es, daß ich hierauf ſonſt nicht gedacht haͤtte: und es kan doch wohl etwas daran ſeyn. Jch will dieſes nicht ausmachen, aber ſo viel verſichern, daß ich Sie um eines jeden Verweiſes willen, den Sie mir geben, deſto mehr lieben will, ſobald ſich nur die erſte Hitze abgekuͤhlt haben wird. Verſchonen Sie meiner demnach nie, wenn Sie Unarthen an mir bemercken. Jch liebe Jhre an - genehme Satyre: und Sie wiſſen daß ich dieſes immer gethan habe. Wenn ich gleich Jhrer Meinung nach allzu ernſthaft bin, ſo habe ich Sie doch noch nie fuͤr allzu leichtſinnig gehalten, wie Sie es auszudruͤcken belieben. Eine der er - ſten Bedingungen unſerer Freundſchaft war, daß wir einander unſere Meinung frey entdecken ſollten, ohne deswegen auf einander ungehalten zu werden: und ohne dieſe Bedingung kan kei - ne Freundſchaft beſtehen.

Jch wuſte ſchon zum voraus, daß Jhre Frau Mutter von einem Kinde blinden Gehorſam verlangen wuͤrde. Jch bedaure, daß ich in ſol - chen Umſtaͤnden bin, in denen mir der Gehorſam unmoͤglich faͤllt; wie meine Frau Norton ſagt, daß es meine Schuldigkeit ſey, zu gehorchen, wenn ich koͤnte. Sie ſind gluͤcklich, da Sie nichts zu uͤberwinden haben, als Jhre angeneh - me aber ſondernbaren Einfaͤlle, um die Bitte Jhrer Frau Mutter zu erfuͤllen, und Herrn Hickmann zu waͤhlen. Wie vergnuͤgt wollte ich ſeyn, wenn mir mit ſo vieler Gelindigkeit be -gegnet302Die Geſchichtegegnet wuͤrde. Jch wuͤrde ſchamroth werden, wenn meine Mutter ſagte, daß ſie mich baͤte und flehete, und doch alles vergeblich, einem Herrn, wie Herr Hickman iſt, gegen den ich nichts ein - wenden koͤnte, einige Hoffnung zu machen.

Jch ſchaͤme mich ſelbſt, meine liebe Fraͤu - lein, wenn Jhre Frau Mutter in Abſicht auf mich gegen Sie ſaget: was koͤnnen nicht verliebte Vorurtheile bey jungem Frauenzimmer ausrichten? dieſes ruͤhret mich deſto mehr weil Sie ſo fertig ſind, durch Jhre Ueberredun - gen dergleichen Vorurtheile bey mir zu erwecken und zu ſtaͤrcken. Es waͤre mir zu verdencken, wenn ich vor Jhnen die geheimſte Neigung, die ich bey mir entdecke, geheim halten wollte: und ich muß geſtehen, daß dieſer Menſch, dieſer Lovelace mir gut genug anſtehen wuͤrde, wenn er ſolche gute Eigenſchaften an ſich haͤtte, als Herr Hickman, ja wenn nur einige Hoffnung zu ſeiner Beſſerung uͤbrig waͤre. Aber das Wort, Liebe / ſo kurtz es iſt, klinget doch gar zu ſtarck und lang in meinen Ohren. Jndeſſen finde ich, daß ich durch die gewaltſameu Gegen - Mittel der Meinigen Schritt vor Schritt ſo weit getrieben werden koͤnte, daß ich endlich etwas bey mir fuͤhlte, ich weiß nicht wie ich es nennen ſoll: eine Zuneigung unter gewiſſen Be - dingungen? das Wort Liebe bedeutet zwar in gewiſſen Faͤllen eine ſehr rechtmaͤßige und liebens - wuͤrdige Sache, wenn es von den Pflichten un - ter Menſchen, und ſo gar von unſerer Pflicht ge -gen303der Clariſſa. gen das allerhoͤchſte Weſen gebraucht wird. Man kan in ſolchem Verſtande die Liebe etwas goͤttliches nennen. Allein in dieſem beſondern, engen, eigennuͤtzigen Verſtande hat es fuͤr meine Ohren einen unertraͤglichen Klang. Schreiben Sie deswegen in andern Stuͤcken ſo frey als Sie wollen, ſo werde ich Sie um Jhrer Vertraulich - keit willen nur deſto mehr lieben: allein wegen der Ehre unſeres Geſchlechts wuͤnſchete ich, daß nur dieſe Beſchuldigung Jhrer Feder oder Jhren Lippen nicht ſo leicht entfahren moͤchte, wenn ich auch nicht die beſchuldigte Perſon waͤre. Denn das audere Geſchlecht wuͤrde daruͤber doppelt frohlocken koͤnnen, daß ein Frauenzimmer von Jhrer Artigkeit, ein Frauenzimmer, das alle Manns-Perſonen ſo hertzlich verachtet, als Sie haben wollen, daß man es von Jhnen glauben ſoll, an einer Freundin verliebte Zuneigung mit einem kleinen Hohn-Gelaͤchter entdecket.

Jch koͤn[t]e noch mehr Anmerckungen uͤber den Jnhalt Jhrer beyden letzten Briefe machen, wenn mein Gemuͤth etwas freyer waͤre. Zu dieſen we - nigen war ich allzu ſehr gereitzt, und ich konte mich nicht enthalten, die Dinge etwas zu ahn - den, die mich dazu reitzten.

Jch werde Sie in dem naͤchſten Briefe von dem weiteren Betragen der meinigen benachrich - tigen.

Der304Die Geſchichte

Der neun und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch habe von meinem Bruder und von mei - ner Schweſter ſo empflndliche Complimen - te bekommen, und ſo offenhertzige Verſprechun - gen deſſen, was ich von ihnen zu erwarten habe, wenn ich nicht nachgeben werde, (und dieſes alles hat noch dazu die Eliſabeth Barnes mit ihrer gewoͤhnlichen Grobheit an mich beſtellen muͤſſen) daß ich fuͤr noͤthig hielt, etwas freyer mit ihnen zu ſprechen, ehe ich mich an meine Onckles, dem von meiner Mutter gegebenen Winck gemaͤß, wendete. Jch habe es aber auf eine ſolche Weiſe gethan, daß Sie dadurch groſſen Vortheil uͤber mich und Gelegenheit mich zu tadeln erhalten wer - den, wenn Sie eben ſo davon urtheilen wollen, als Sie uͤber den Jnhalt eines Theils meiner vorigen Briefe geurtheilet haben. Kurtz, Sie werden ſa - gen, daß ich ſehr verliebt bin, wenn nicht die Urſa - chen die mich bewogen haben, meine Schreibart in Abſicht auf Herrn Lovelace zu aͤndern, Jh - nen ein beſſere Meinung von mir beybringen. Denn ich habe geglaubt, es ſey am beſten, dieſe Leute bey ihren fuͤnf Augen zu laſſen; und da ſie es einmal behaupten wollen, daß ich eine vorzuͤgliche Neigung gegen Herrn Lovelace habe, ihnen Urſache zu dieſem Verdacht zu geben.

Die -305der Clariſſa.

Dieſes ſind kuͤrtzlich die Urſachen meiner ver - aͤnderten Schreib-Art.

Erſtlich; der wichtigſte Bewegungs-Grund, den ſie mir vorgelegt haben, war dieſer: ich geſtuͤnde ſelbſt / daß mein Hertz[ frey] und ungebunden waͤre. Da ſie nun hieraus ſchlieſſen, daß ich keinen andern Freyer, der mir beſſer gefaͤllt, verleugnen darf, ſo kommt ihnen meine Auffuͤhrung eigenſinnig und hartnaͤckig vor; und ſie glauben, daß meine Abneigung ge - gen Herrn Solmes uͤberwunden werden koͤnne, und muͤſſe, weil ich billig meinem Vater gehor - chen, und die Abſichten und Ehre meiner Fa - mile befoͤrdern helfen ſoll.

Zum andern; ob ſie gleich dieſe Schluͤſſe ma - chen, um mich zum Stilleſchweigen zu bringen, ſo ſcheinen ſie mir doch keinen Glauben beyzumeſ - ſen, ſondern begegnen mir ſo hart und ſo ſchim - pflich, als wenn ich mich in einen Laquaien mei - nes Vaters verliebt haͤtte. Es hat mir alſo nichts genutzet, daß ich bereit geweſen bin, unter einer gewiſſen Bedingung gaͤntzlich von Herrn Lo - velace abzulaſſen.

Ferner, ſo glaube ich nicht, daß mein Bruder eine gegruͤndete Urſache hat, ihn zu haſſen. Seine unordentliche Neig[u] ng gegen unſer Ge - ſchlecht wird unter ſeinen Laſtern immer oben an geſetzt, und ich muß davon beſtaͤndig hoͤren, ich leugne auch nicht, daß dieſes ein groſſer Fehler an ihm ſey: kommt es aber aus Liebe zu mir, daß meinem Bruder dieſes Laſter des Herrn LovelaceErſter Theil. Uuner306Die Geſchichteunertraͤglich iſt? Nein gewiß nicht! Sein gan - tzes Betragen zeiget deutlich, daß er mich als eine Perſon anſiehet, die ihm im Wege ſtehet.

Die Gerechtigkeit ſelbſt giebt mir einen Beruf, fuͤr einen Mann zu reden, den mein Bruder ge - nug gereitzt hat, und der dennoch nicht alles ge - than hat, was er thun konte, und was mein Bruder gethan haben wuͤrde. Jch glaube des - wegen, es wuͤrde nicht ſchlimm ſeyn, ihnen ein kleines Schrecken einzujagen, und ſie mercken zu laſſen, daß die bisher angewandten Mittel ihrem Endzweck gerade zuwider waͤren.

Jſt es endlich wol eine groſſe Schmeicheley oder ein Lob fuͤr Herrn Lovelace / wenn ich geſte - he, daß ich ihn dem Menſchen vorziehe, mit dem ſie mich bisher geſchrecket haben. Fraͤulein Howe (dachte ich) tadelt mich deswegen, daß ich mich andern allzuſehr zu Fuͤſſen werfe, und mir durch meine Gedult mehr Beleidigungen von meinem Bruder zuziehe. Jch will mir jetzt dieſe werthe Freundin zum Muſter vorſtellen; und um aller vorhin erwaͤhnten Urſachen willen es verſuchen, ob ich etwas dadurch gewinnen werde, wenn ich ein wenig von ihrem Muth annehme, es mag mich auch ſo ſonderbar kleiden als es will.

So dachte ich, und ſchrieb folgendermaſſen an meinen Bruder, und an meine Schweſter.

Mein Brief an meinen Bruder.

Da mir ſo begegnet wird, wie mir bisher be - gegnet iſt, und da ihr groſſentheils, wo nichtein -307der Clariſſa. eintzig und allein Urſache daran ſeyd: ſo muͤßt ihr mir erlauben, daß ich euch meine Meynung frey entdecke. Jch verlange nicht, etwas euch unangenehmes zu ſchreiben, allein ich werde auf - richtig und offenhertzig gegen euch ſeyn muͤſſen. Die Sache ſelbſt erfodert dieſes.

Vergoͤnnet mir zufoͤrderſt, euch zu melden, daß ich eure Schweſter und nicht eure Dienſt - Magd bin. Es ſchickt ſich deswegen eben ſo wenig fuͤr mich, die bittern und ſchimpflichen Complimente, die ihr mir bey einer Gelegenheit ſagen laſſet, dabey ihr nichts zu befehlen habt, zu ertragen und ungeahndet zu laſſen; als es ſich fuͤr euch ſchickt, euch dergleichen zu unterfangen.

Setzet den Fall, daß ich den Mann heyrathe - te, der euch misfallig iſt, und daß ich keinen hoͤflichen und liebreichen Gemahl an ihm haͤtte: werdet ihr dadurch berechtiget, ein unhoͤflicher und liebloſer Bruder zu ſeyn? Warum wolt ihr mir dieſes Ungluͤck zum voraus empfinden laſſen, wenn es ja mein Schickſaal iſt, daß ich es kuͤnftig empfinden ſoll? Gewiß der Mann muͤſte ein Unmenſch ſeyn, der ſeiner Frau ſchlim - mer begegnen koͤnte, als ihr ſeit einiger Zeit eurer Schweſter begegnet habt.

Befraget euch ſelbſt, ob ihr euch wuͤrdet unter - ſtanden haben, eurer Schweſter Arabella das zu bieten, wenn ihr die Perſon, welche ihr haſ - ſet, angeſtanden haͤtte? Jch wolte euch ſonſt wol den Rath geben, euer Betragen nicht darnach ein - zurichten, was ihr meynt, das ich leiden kan,U 2ſon -308Die Geſchichteſondern was billig iſt mir aufgelegt zu wer - den.

Wie wuͤrdet ihr es empfinden, wenn ihr einen Bruder haͤttet, und er wolte in eben dem Falle ſo mit euch umgehen, als ihr mit mir? Koͤnt ihr euch noch der Laconiſchen Antwort erinnern, die ihr meinem Vater gabt, als er euch die Fraͤulein D'Oily vorſchlug? Jch kan ſie nicht leiden! waren eure Worte; und dieſe Antwort ward damals fuͤr zulaͤnglich gehalten.

Jhr muͤſt genugſam wiſſen, daß mir der Ur - heber meines ſchimpflichen Ungluͤcks nicht un - bekant ſeyn kan. Jch darf mich nur erinnern, wie guͤtig ſonſt mein Vater gegen mich geweſen iſt, und mir erlaubet hat, andere Partheyen aus - zuſchlagen. Jch werde wol rathen koͤnnen, von wem es herkommt, daß man eine gemeinſchaftli - che Sache daraus macht, mir einen Freyer auf - zudringen, gegen deſſen Perſon und Sitten mehr einzuwenden iſt, als gegen irgend einen der Herren, deren Antrag ich habe verbitten duͤrfen.

Jch verlange die beyden Leute nicht mit ein - ander zu vergleichen: und in der That iſt auch keine Vergleichung moͤglich. Der gantze Unter - ſcheid, der dem einen zum Nachtheil gereicht, be - trifft nur einen eintzigen Punct. Dieſer iſt zwar wichtig genug: allein fuͤr wen iſt er am wichtig - ſten? Jch dencke doch, fuͤr mich! (wenn ich an - ders Luſt zu ihm haͤtte) und nicht fuͤr euch. Jndeſſen ſolt ihr finden, daß ich dieſem Herrn eben ſo voͤllig entſagen will, als dem andern,wenn309der Clariſſa. wenn ihr nur nicht durch eure ſonderbare Klug - heit ihn und mich naͤher verbindet, und uns durch ein gemeinſchaftliches Leiden zwinget, es mit einander zu halten. Jch habe ſchon einen Vor - ſchlag dieſes Jnhals gethan. Jch hoffe nicht, daß ihr mir neue Urſache geben werdet, zu glau - ben, daß ihr die Annehmung meines Vorſchlages hintertrieben habt.

Es iſt betruͤbt, daß ich an euch einen Bruder, aber nicht einen Freund habe: ohngeachtet ich mir nicht bewuſt bin, euch in einigem Stuͤcke be - leidiget zu haben.

Jhr werdet euch vielleicht nicht ſo weit herab - laſſen, daß ihr einer albernen Schweſter von eurer bisherigen Auffuͤhrung Rede und Antwort gebet. Wenn ich aber um eur ſelbſt und um meines Geſchlechts willen keine Hoͤflichkeir von euch erwarten darf: ſo werde ich doch Gerech - tigkeit und Billigkeit fodern duͤrfen.

Der vornehmſte Zweck, deswegen ein junger Cavallier die Univerſitaͤt beziehet, iſt dieſer, daß er ſoll richtig dencken und ſeine Affecten im Zaum halten lernen. Jch hoffe, mein Bruder, ihr wer - det nicht wollen, daß wer uns beyde kennet, das Urtheil faͤllen ſoll, als haͤtte ich das zweyte Stuͤck, das ich vorhin erwaͤhnte, bey der Neh-Nadel beſſer gelernt, als ihr auf der Univerſitaͤt. Es thut mir wahrhaftig leid, daß ich oft habe von andern hoͤren muͤſſen, daß eure ungeſtuͤmen Affe - cten fuͤr eure Erziehung und Stand eine ſchlechte Ehre ſeyn ſollen.

U 3Jch310Die Geſchichte

Jch hoffe, ihr werdet mir die Freyheit verge - ben, die ich mir gegen euch nehme. Jhr habt mich dazu gezwungen, und ihr habt euch viel groͤſſere Freyheiten gegen mich erlaubt, ohne Urſache dazu zu haben. Wenn ihr ja ungehalten ſeyn wolt, ſo ſeyd es nicht auf die Folgen eurer Handlungen, ſondern auf eure Handlungen ſelbſt, welche die Urſachen dieſer Folgen ſind. Alsdenn wird euch eine genaue Pruͤfung eurer ſelbſt lehren, das zu unterlaſſen, was die Urſache hiezu geweſen iſt, und mein Bruder wird einer der allerartigſten jungen Herren werden.

Jch gebe euch dieſen Winck aus einer aufrich - tigen ſchweſterlichen Liebe, ſo lieblos ihr euch auch bisher gegen mich aufgefuͤhrt habt, und nicht aus einer naſeweiſen Tadelſucht, die ihr mir bisher beſtaͤndig habt Schuld geben wollen. Erlaubt mir, eure nun vielleicht widerkehrende Liebe anzuruffen, mein eintziger Bruder / und gebt mir Urſache, euch auch einen mitleidigen Freund von mir zu nennen. Denn ich bin, und will ewig ſeyn

Eure liebreiche und ergebenſte Schweſter Cl. Harlowe.

Hier folgt meines Bruders Antwort.

An Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch weiß, daß kein Ende eures albernen Schreibens ſeyn wird, wenn ich mich nicht uͤber - winde, an euch zu ſchreiben. Jch thue es alſo:allein311der Clariſſaallein ich will mich mit einem ſo naſeweiſen Maͤd - chen, das mir prediget und Fragen zur Beant - wortung vorlegt, in keinen ſchrifftlichen Streit einlaſſen, ſondern euch nur verbieten, mich ferner mit eurem wohlgeſchriebenen artigen Unverſtande zu quaͤlen. Jch weiß gar nicht, wozu der Witz den Frauens-Leuten nutzt, als dazu, daß ſie ſich erheben, und andere neben ſich verachten. Jhr, Fraͤulein Naſeweis / ſeyd dadurch uͤber Pflicht und Gehorſam hinaus gekommen, und wolt weder Rath noch Befehl von euren Eltern und von andern Leuten annehmen. Fahret nur ſo fort, man wird euch deſto mehr zu kraͤncken ſuchen: das wird der gantze Nutzen davon ſeyn. Kind. Jch werde dieſes zu thun ſuchen, wenn ich anders kan, ſo lange ihr den abſcheulichen Lovelace liebet, den eure gantze Familie mit Recht haſſet. Aus eurem Briefe ſehen wir deut - lich, was wir vorhin nicht ohne Urſache befuͤrch - tet haben, daß ſich eur unbeſonnenes Hertz von ihm mehr als zu ſehr hat feſſeln laſſen. Allein je ſtaͤrcker ihr gefeſſelt ſeyd, deſto mehr Gewalt muß man anwenden die Feſſeln zu zerreiſſen, da - mit ein ſolches abgefallenes Kind gebunden iſt. Seyd verſichert, daß wir es daran nicht werden ermangeln laſſen. Ohngeachtet eurer muͤrriſchen und gehaͤßigen Predigten ſolt ihr doch an mir einen Freund und einen Bruder haben, wenn ihr nicht beydes ſelbſt verſchertzet. Wenn ihr aber Lovelacen zu heyrathen gedenckt, ſo bitte ich euch, haltet fuͤr keins von beyden

Jacob Harlowe.

Nun312Die Geſchichte

Nun will ich Jhnen auch die Abſchrifft des Briefes an meine Schweſter, nebſt ihrer unar - tigen Antwort mittheilen.

Womit habe ich euch beleidiget, liebe Schwe - ſter, daß ihr mit einem ſo harten Hertzen nicht allein meinen Vater ſondern auch meine Mutter noch mehr gegen mich aufzubringen ſucht, anſtatt daß ihr euch bemuͤhen ſoltet, ſie zu beſaͤnftigen? Jch wuͤrde dieſes gewiß thun, wenn ihr euch in meinen ungluͤcklichen Umſtaͤnden befinden ſoltet. Stellet euch nur an meine Stelle, liebe Arabella; ſtellet es euch vor, daß man euch zwingen wolte, Herrn Lovelace zu heyrathen, gegen den ihr einen Widerwillen gefaſſet habt; wuͤrde euch die - ſer Befehl nicht ungemein hart ſcheinen? Und gewiß eur Widerwillen gegen Herrn Lovelace kan ohnmoͤglich groͤſſer ſeyn, als meiner gegen Herrn Solmes iſt. Liebe und Abneigung ſte - hen ja nicht bey uns: wir koͤnnen ſie bey uns nicht erwecken und nicht daͤmpfen.

Vielleicht haͤlt es mein Bruder fuͤr ein Zeichen eines maͤnnlichen Gemuͤths, nichts von den ſanf - tern Gemuͤths-Bewegungen zu wiſſen. Er hat ſich ſelbſt in unſerer Gegenwart geruͤhmet, daß er noch niemals eine beſondere Liebe zu einer Per - ſon empfunden habe: und er wird ſie auch wol kuͤnftig nicht empfinden, weil ihn andere Nei - gungen ſtaͤrcker beherrſchen, und ſein erſter Ver - ſuch zu lieben ſchlecht ablief. Da er noch von Univerſiaͤten raucht, und kaum unter dem Hoff -meiſter313der Clariſſa. meiſter zu ſtehen auſgehoͤrt hat; ſo mag er Luſt haben, ſelbſt den Hoffmeiſter uͤber unſer Geſchlecht zu ſpielen, das in Sitten und Art zu dencken gaͤntzlich von ihm verſchieden iſt. Denn was ſind nach ſeiner Erzehlung die Collegia auf der Univerſitaͤt anders, als Stuffen der Tyranney, da die aͤltern Studenten die Tyrannen der neuange - kommenen, und die Hoffmeiſter wieder die Tyran - nen uͤber dieſe ſind? Es iſt nicht ſo ſehr zu ver - wundern, daß er bey einem ſolchen allzu maͤnn - lichen Geiſte ſich bemuͤhet, eine arme Schweſter zu unterdruͤcken und uͤber ſie zu herrſchen, ſonder - lich wenn ihn der Groll gegen jemand und ſeine eigennuͤtzigen Abſichten (die ihr ſelbſt ſonſt an ihm getadelt habt) dazu antreiben. Allein daß es eine Schweſter nicht mit ihrer Schweſter haͤlt, ſondern mit ihm Parthey macht, um Vater und Mutter ihr abgeneigt zu machen, und zwar dieſes in einer Sache in der es ſonſt die Frauens-Leute mit einander zu halten pflegen: das iſt gewiß nicht artig von euch gehandelt.

Jch erinnere mich der Zeit noch wohl, in der man an Herrn Lovelaces Beſſerung gar nicht verzweifelte, und es fuͤr keine vergebene oder tadelhafte Bemuͤhung hielt an ihm zu arbeiten, um einen ſo klugen Mann wieder auf den Weg der Ehre und Tugend zu bringen. Jch verlange die Probe nicht ſelbſt zu machen: Jch muß aber dem ohngeachtet bekennen, daß, wenn ich auch ſonſt keine Neigung gegen ihn haͤtte, die ſchim - pflichen Zwangs-Mittel, die fuͤr einen SolmesU 5ange -314Die Geſchichteangewandt werden, eine Neigung gegen ihn bey mir erwecken koͤnten.

Legt einmal auf eine Stunde alle Vorurtheile bey Seite, und ſtellet zwiſchen den beyden Leuten in Abſicht auf Geburt, Erziehung, Verſtand, Auffuͤhrung, Anſehen, und ihr gantzes Betragen eine Vergleichung an; und faͤllet euer Urtheil von beyden. Dem ohngeachtet will ich bey meiner ſo oft gegebenen Erklaͤrung bleiben, und den un - verheyratheten Stand erwaͤhlen, wenn man da - mit zufrieden iſt.

Jch kan ohnmoͤglich in ſolchem Mißverſtaͤnd - niß mit den meinigen leben: ich wolte ſie mir gern alle zu Freunden machen, wenn ich nur koͤnte. Wuͤrde es aber nicht unrecht, wuͤrde es nicht ſchimpflich ſeyn, einen Mann zu nehmen, der mir unertraͤglich iſt. Da ich ſonſt nie ge - wohnt geweſen bin, mich dem Willen meines Vaters zu widerſetzen, ſondern im Gehorſam meine Freude geſucht habe: ſo koͤnt ihr eben daraus abnehmen, wie ſtarck meine Abneigung gegen dieſen Mann ſeyn muß, die mich zwinget, mich ſeiner auf eine Art zu erwehren, welche mit ſo vielen unangenehmen Folgẽ fuͤr mich verknuͤpft iſt.

Habt denn, liebe Arabelle / meine Schweſter, meine Freundin, meine Geſellſchafft, meine Rathgeberin in meinen ehemaligen gluͤcklichern Umſtaͤnden, habt einiges Mitleiden, und macht durch eure Vorbitte wiedrum gemeinſchafftliche Sache, mit

Eurer ſtets ergebenen Clariſſa Harlowe.

315der Clariſſa.

Die Antwort auf dieſen Brief.

Jhr moͤget es nach eurer Weisheit fuͤr artig oder fuͤr unartig erklaͤren, ſo will ich doch meine Meynung von euch und von eurer Auffuͤhrung in Abſicht auf Herrn Lovelace frey ſchreiben. Jhr ſeyd ein verliebtes albernes Maͤdchen bey aller eurer Weisheit. Das beweiſet eur Brief in mehr denn zwantzig Stellen. Niemand glaubt euch, wenn ihr das alte Lied anſtimmet, daß ihr unverheyrathet bleiben wolt. Das iſt nur eine Ausflucht, die ihr erfindet, um eurer Pflicht und dem Gehorſam gegen Eltern aus dem Wege zu gehen, die ſo guͤtig gegen euch geweſen ſind, als Eltern in der Welt ſeyn koͤnnen. Nun genieſſen ſie den Danck fuͤr ihre Guͤtigkeit.

Wir alle haben ehemals geglaubt, daß ihr ein ſanftes und liebreiches Hertz haͤttet. Aber woher kam es? Niemand hatte euch widerſpro - chen, alles ging nach eurem Kopf. So bald ihr aber erfahret, daß man ſich euren Wuͤnſchen wi - derſetzt, wenn ihr euch an einen liederlichen Kerl hengen wolt, ſo zeiget ihr euch in eurer wahren Geſtald. Der Vorwand iſt: ihr koͤnt keine Liebe zu Herrn Solmes faſſen. Schweſter, Schweſter, ich muß euch die Urſache entdecken: Herr Lovelace hat eur verliebtes Hertz gefeſſelt, ein Boͤſewicht, den wir alle mit Recht haſſen, und an deſſen Haͤnden noch eures Bruders Blut klebet. Den Kerl wolt ihr zu einem Verwanten von uns machen. Woltet ihr doch das wol thun?

Jch316Die Geſchichte

Jch verliere alle Gedult, daß ihr es nur als moͤglich anſehen koͤnt, daß ein ſolcher Kerl mir gefallen koͤnte.

Was das anlanget, daß ihr meynet, es ſey ihm ehemals in unſerm Hauſe eine Hoffnung gegeben worden; ſo war dieſes vorher, ehe wir ihn kannten. Allein der Beweiß, der uns uͤberzeugt hat, ſolte auch billig einige Kraft bey euch haben, und wuͤrde ſie gehabt haben, wenn ihr nicht ein albernes und unbedaͤchtliches Maͤdchen waͤret, welches jedermann bey dieſer Gelegenheit ſiehet.

Wie gelaͤuffig iſt euch die Feder, wenn ihr den liederlichen Menſchen erhebet! Geburt, Erzie - hung, Anſehen, Verſtand, Auffuͤhrung, Mine, Vermoͤgen, alles wird heraus geſtrichen: und das allzu vollſtaͤndige Regiſter ſeiner Vollkom̃en - heiten muß noch dadurch vermehret werden, daß ihr einer Sache mehr als einen Namen gebt. Was fuͤr eine Kette von verliebten Lobes-Erhe - bungen! Und doch wolt ihr unverheyrathet blei - ben! Ja das kan ich glauben! Da ſo viel einge - bildete Vollkommenheiten eures verliebten Rit - ters vor euren verblendeten Augen herum ſchwer - men! Nicht mehr hievon! Allein laßt euch die gute Meynung von eurem eigenem Verſtande nicht dahin bringen, daß ihr alle andere Leute fuͤr Narren haltet; und meynt nicht, daß wir alle nach eurer Pfeiffe tantzen werden, wenn ihr einen klaͤglichen Ton anſtimmet.

Jhr habt Erlaubniß, ſo oft an mich zu ſchrei - ben, als es euch belieben wird. Dis ſoll dieletzte317der Clariſſa. letzte Antwort und die letzte Nachricht von Em - pfang eurer Briefe ſeyn, die ihr in dieſer Materie und Umſtaͤnden erhalten werdet von

Arabella Harlowe.

Jch hatte ſchon Briefe an meine beyden Onck - les fertig. Meines Onckles Harlowe Diener begegnete mir in dem Garten, und ich gab ihm beyde, um ſie zu beſtellen. Wenn ich aus der Antwort meines Bruders und meiner Schweſter auf ſie ſchlieſſen ſoll, ſo werde ich von ihnen nicht viel troͤſtliches zu erwarten haben. Allein ich werde mir die ungluͤcklichen Folgen der Sache de - ſto weniger Schuld geben durfen, wenn ich vor - hin alle moͤgliche Mittel verſuche. Sie ſollen beyde Briefe in Abſchrifft zu ſehen bekommen, wenn ich erſt weiß, was ſie ausgerichtet haben, falls ſie anders einiger Antwort gewuͤrdigt werden.

Der dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe / an Fraͤulein Howe.

Der Menſch, der Lovelace macht mir vielen Kummer. Seine Dreiſtigkeit und Ueber - eilung iſt ſehr groß. Er iſt dieſen Nachmittag in unſerer Kirche geweſen, vermuthlich, um michzu318Die Geſchichtezu ſehen. Wenn er das gehoffet hat, ſo muß ihm dieſes mahl ſein Spion ausgeblieben ſeyn.

Schorey war in der Kirche, und ihr meiſtes Augenmerck war auf ſeine hochmuͤthige Geberden gerichtet geweſen, als er ſich aus ſeinem Stuhl nach dem Stuhl umſahe, in dem wir zu ſitzen pfle - gen. Mein Vater, meine beyden Onckles, mei - ne Mutter und Schweſter waren gegenwaͤrtig. Zum Gluͤck war mein Bruder nicht in der Kirche. Sie kamen voller Unruhe nach Hauſe. Die gan - tze Verſammlung hatte auf niemand als auf ihn geſehen; denn dieſes war das erſtemal nach der ungluͤcklichen Schlaͤgerey, daß er unſere Kirche beſuchte.

Wozu kan er doch gekommen ſeyn? Wolte er trotzen, und gleichſam durch ſeine Geberden die Meinigen herausfodern, wie Schorey ſagt, und wie es andere aus ſeinen Geberden geſchloſ - ſen haben? Kam er um meinet willen, und mey - nete er, daß er durch eine ſolche Auffuͤhrung gegen meine Verwanten mir einen Dienſt thaͤte? Er weiß wie groß ihr Haß gegen ihn iſt: und er wird ſich keine Muͤhe geben, dieſen Haß zu beſaͤnftigen, wenn es auch moͤglich waͤre.

Wir haben beyde ſonſt von ſeinem Hochmuth mit einander geredet / und Sie haben ihm dieſes Laſter im Schertz empfindlich genug vorgewor - fen: allein an ſtatt ſich zu entſchuldigen hat er es ihnen frey geſtanden, gerade als wenn dieſes Ge - ſtaͤndniß genug waͤre.

Jch319der Clariſſa.

Jch glaubte immer ſein Stoltz ſey kein ſolcher Fehler, aus dem ein Schertz gemacht werden koͤnte. Bey Leuten von Stande und Mittein iſt der Stoltz ein allzu thoͤrichtes und baͤuriſches Laſter. Wenn ſie Ehre verdienen ſo werden ſie ſie gewiß haben auch ohne daß ſie die Welt darum mahnen. Wer durch ſeine hochmuͤthige Geber - den und Betragen Ehrerbietung zu erlangeu ſucht, der ſcheint ein Mistrauen in ſeine Verdienſte zu ſetzen, und zu geſtehen, daß ſeine uͤbrigen Hand - lungen ihm keine Ehrerbietung erwerben werden. Ueber den vornehmen Stand und Rang moͤgen die hochmuͤthig ſeyn, denen dieſe Vorzuͤge neu ſind: ſie werden aber dadurch bey andern ver - aͤchtlich werden, und die Nachrede von Bauren - Stoltz hoͤren muͤſſen, damit ſie ſich ihres Gluͤckes nicht allzuſehr uͤberheben.

Jſt es zu entſchuldigen, daß dieſer Herr hoch - muͤthig und vornehm thun will, der es deſto we - niger noͤthig haͤtte, weil er noch ſo viel Artigkeit in Geſtalt und Bildung hat, und ſo viel gelernt haben ſoll. Seine eigenen Geſichts-Zuͤge be - ſtraffen ihn. Wie ſehr iſt er ohne Entſchuldi - gung! Was macht ihn ſtoltz? gewiß nicht ſeine guten Thaten, auf die man allein ſich mit Recht etwas einbilden kan. Sind es ſeine aͤuſſern Vorzuͤge? Muͤſſen nicht andere von den innern Vorzuͤgen einer Perſon ſchlechte Gedancken be - kommen, die ihren Hochmuth auf eine Sache von ſo kurtzer Dauer gruͤndet? Einige Leute moͤ - gen vielleicht in Sorgen ſtehen, daß andere aufſie320Die Geſchichteſie mit Fuͤſſen treten wuͤrden, wenn ſie ſich nicht bruͤſteten. Eine niedertraͤchtige und gemeine Beyſorge! Denn wer eine ſolche Meynug von ſich hat, der trit ſich ſelbſt mit Fuͤſſen. Allein Lovelace koͤnte verſichert ſeyn, daß Beſcheiden - heit und Demuth ihn recht zieren wuͤrde.

Er hat Gemuͤths-Gaben: allein dieſe, und die Artigkeit ſeiner Perſon, ſind Schlingen geweſen, dadurch er ſich hat fangen laſſen. Man ſiehet daraus, daß wenn ſeine Maͤngel und Vorzuͤge gegen einander abgewogen werden ſolten, der Ausſchlag ſehr auf die Seite der erſteren fallen wuͤrde.

Wenn ſich meine Freunde noch laͤnger auf mei - ne Vorſichtigkeit verlaſſen haͤtten, die ſie mir nicht abſprechen, und darauf ſie ſich zu Anfang verlieſſen, ſo glaubte ich, daß ich Herrn Lovelace ausgemercket haben wuͤrde. Jch wuͤrde alsdenn eben ſo fertig geweſen ſeyn, ihm den Korb zu ge - ben, als andern, und als ich jetzt entſchloſſen bin, Herrn Solmes niemals zu nehmen. Wenn die meinigen mein Hertz nur kenneten! Es wird ge - wiß ehe entzwey brechen, als mich zu etwas verlei - ten, das fuͤr mich, fuͤr mein Geſchlecht oder fuͤr meine Familie ein Flecken ſeyn koͤnte.

Nehmen Sie mir nicht uͤbel, daß ich in meinen Briefen gleichſam ſoliloquia mache. Wie bin ich von einem Gedancken auf den andern gera - then! Allein die Veranlaſſung dazu iſt mir in allzu friſchem Gedaͤchtniß.

Unten iſt alles in Bewegung.

Scho -321der Clariſſa.

Schorey ſaget, Herr Lovelace habe beſtaͤn - dig meiner Mutter Augen gewahret, und ſich ge - gen ſie gebeuget: ſie haͤtte ihm auch gedanckt. Er hat ſonſt meine Mutter immer bewundert. Jch glaube, ſie wuͤrde ihn auch nicht haſſen, wenn es ihr nicht befohlen waͤre, und wenn ſie die Schlaͤ - gerey nicht entruͤſtet haͤtte.

Der D. Lewin war in der Kirche. Als er ſahe was alle Leute ſahen, nemlich daß unſere Fa - milie uͤber Herrn Lovelaces Gegenwart ſich ſo unruhig bezeigete, war er ſo guͤtig, ſich mit ihm in ein Geſpraͤch einzulaſſen, und ihn aufzuhalten bis ſie ſich in die Kutſchen geſetzt hatten.

Es ſcheint, daß mein Vater alle Tage hitziger gegen mich wird, und meine Onckles gleichfalls. Dieſen Morgen haben ſie meine Briefe bekom - men. Wenn ſie mich einer Antwort wuͤrdigen, ſo wird ſie (ich befuͤrchte es) zeigen, daß Herr Love - lace ſehr zur Unzeit in die Kirche gekommen iſt.

Auf meine Mutter moͤgen ſie auch (wie ich hoͤre) ungehalten ſeyn, weil ſie Hn. Lovelace gedanckt hat. Was fuͤr ein Widerſacher auch ſo gar von der Welt-uͤblichen Hoͤflichkeit iſt der Haß! obgleich durch die Hoͤflichkeit der mehr Ehre erlanget, der ſie erzeiget, als dem ſie erzeiget wird. Es ſagen nunmehr alle meine Freunde, ſie ſaͤhen nur Einen Weg vor ſich, aller Unruhe und allem Pochen des Menſchen ein Ende zu machen. Jch ſoll alſo dar - unter leiden. Was richtet der unvorſichtige Menſch doch aus? Gewinnen ſeine Sachen ein beſſeres Anſehen, als vorhin?

Erſter Theil. XJch322Die Geſchichte

Jch fuͤrchte ſehr, daß ſeine Geſpenſt-maͤßige Erſcheinung eine Bedeutung hat, und der Vor - bote einer noch groͤſſern Uebereilung iſt. Wenn er in unſer Haus kommt, (wie er mich denn ſehr bittet ihm das zu erlauben) ſo fuͤrchte ich, daß Mord und Todſchlag daraus entſtehet. Wenn ein ſolches Ungluͤck nicht anders vermieden werden kan, ſo wollte ich mich lieber lebendig begraben laſſen.

Es wird jetzt groſſer Rath gehalten. Jch glau - be daß meine Briefe in Erwaͤgung gezogen wer - den. Es iſt dieſes ſchon heute fruͤh geſchehen, und das war eben die Veranlaſſung, daß meine Onck - les in unſere Kirche kamen. Jch will Jhnen, wie ich neulich verſprach, die Abſchriften dieſer Briefe ſchicken, ſo bald ich ſehe, ob ich ihnen auch die Ant - wort darauf uͤberſenden kan. Dieſer mein jetzi - ger Brief iſt nicht geſchrieben, um Jhnen Nach - richten zu geben, ſondern er iſt blos die Wirckung meiner Furcht, und meines Unwillens gegen den, der mir ſo viel Furcht verurſachet hat. Sechs Zeilen waͤren ſchon genug geweſen, Jhnen alles zu melden, was ich zur Sache gehoͤriges geſchrieben habe.

Cl. H.

Siehe den ſechs und dreißigſten Brief / in welchem Herr Lovelaces eigene Er - zaͤhlung der Urſachen zu finden iſt / die ihn bewogen haben in die Kirche zu kommen.

Der323der Clariſſa.

Der ein und dreyßigſte Brief von Hrn. Lovelace an Juncker Johann Belford.

Umſonſt umſonſt quaͤlſt du mich mit deinen Bruͤdern,(*)Dieſe Herren richteten ihre vertrauten Briefe nach der Roͤmiſchen Schreibart ein: und nahmen ſich einander keine Freyheit vor uͤbel, wenn ſie in dieſe Schreibart eingekleidet war. daß ich nach London reiſen ſoll: ſo lange ich noch ungewiß bin, ob ich dieſe ſtoltze Schoͤne beſiegen werde. Alles was ich bis - her ausgerichtet habe, kan ich mir nicht zuſchrei - ben, ſondern eintzig und allein ihrer Vorſorge fuͤr die Sicherheit mir verhaßter und mit Recht ver - haßter Leute.

Du befiehlſt; ich ſoll dir ſchreiben, ob ich kom - men will? Das kan ich thun. Jch kan mit einem Unterthanen und ohne Unterthanen kom - men. Meine Erzaͤhlung ſoll dir das Raͤthſel er - klaͤren.

Der boshafte Bruder meiner Schoͤnen hat ei - nen andern Freyer auf die Bahn gebracht: das habe ich dir ſchon bey Herrn Hall erzaͤhlet. Es iſt der allerſchlechteſte, wenn man auf Geſtalt und ei - gene Vorzuͤge ſiehet: allein ſeine Verſprechungen machen ihn zum fuͤrchterlichſten Gegner, den ich bisher gehabt habe.

KeineX 2324Die Geſchichte

Keine Seele der Harlowiſchen Familie hat ſeinen Verheiſſungen widerſtehen koͤnnen. Keine Seele! was ſage ich? Gerade als wenn jemand aus dieſer Familie, meine Goͤttin aus genommen, eine Seele hatte! Sie widerſteht ihnen allen, und wird deswegen eingeſperret, und auf andere Wei - ſe hart gehalten. Ein finſterer Vater, von unuͤber - windlichem Eigenſinn, thut dieſes auf Anſtifften eines aufgeblaſenen und eigennuͤtzigen Bruders. Du kenneſt die Leute: ich will das Papier durch eine ſolche Beſchreibung nicht beſudeln.

Was fuͤr eine verworrene Sache, die zu lieben, deren Vater, deren Bruder, deren Onckels, de - ren Familie ich ewig verachten muß? Und, (der Teufel!) die Liebe waͤchſt mit ihrer Verach - tung? Hochmuth? Uebermuth einer ange - beteten Abgoͤttin? Nein! ſo kan ich es nicht nen - nen. Blos ihre Tugend iſt es, die mir meine Wuͤnſche ſo ſchwer macht. Jch werde dafuͤr ge - ſtraft, daß ich kein ſchleichender Suͤnder, kein Heuchler bin; daß ich weniger fuͤr meinen guten Namen beſorat geweſen bin, und der Laͤſterung er - laubt habe, ihren Mund gegen mich zu oͤffnen. Jſt es aber einem ſolchen, als ich bin, noͤthig ein Heuch - ler zu werden? mir, der ich alle Bitten erhielt, die ich je gethan habe? Der ich niemals Furcht erweckte, ohne daß man eine herrſchende Liebe dabey gewahr werden konte? Der Poet hat Recht:

Die Tugend iſt ein Spiel / der Schau -
Platz iſt die Welt.
Kunſt iſts / und nicht Natur / was ſie
fuͤr Tugend haͤlt.
Allein325der Clariſſa.

Allein es ſcheinet, daß ich dieſe Kunſt nachma - chen muß, wenn ich dieſes unvergleichliche Kind gewinnen will. Warum aber ſoll ich ſie nach - machen? Kan ich mich nicht in der That beſſern? Jch habe nur ein eintziges Laſter. Habe ich meh - rere, Kerl? du kenneſt mein Hertz, wenn es ein Menſch auf der Welt kennet: du kenneſt es, wenn ich mich anders ſelbſt kenne. Allein mein Hertz iſt ein verfluchter Betruͤger: es hat ſeinen Herrn oft betrogen. Seinen Herrn! Jetzt bin ich nicht Herr von meinem Hertzen. Jch habe von dem Augenblick an aufgehoͤrt, Herr daruͤber zu ſeyn, da ich dieſen Engel geſehen habe; ohngeachtet ich vor - hin ſchon ſo viel von ihr gehoͤrt hatte, daß es ſchien, die Reuigkeit und das Unerwartete wuͤr - de mich nicht ruͤhren koͤnnen. Denn was muͤſte das fuͤr ein Gemuͤth ſeyn, das die Tugend nicht bey andern anbetet, wenn es gleich ſelbſt nicht tugend - haft iſt? Du weiſt, daß ich mich nur aus Verwech - ſelung der Perſonen an eine, die Arabelle hieß, machte: der verworrene Kopf, der alte Onckle, war Schuld daran. Jch kam eben von Reiſen, und er ſolte mir den Zugang zu einer Goͤttin ver - ſchaffen: allein er fuͤhrte mich zu einem ſehr ſterb - lichen Bilde. Mein Frauenzimmer, war ſo guͤ - tig und ſo bereitwillig, daß ich nicht wenig Muͤhe hatte, mich vor ihrem Ja zu bewahren, ohne es mit der Familie gantz zu verderben, die mir meine Goͤttin geben ſollte.

Jch habe damit geprahlt, daß ich ſonſt ver - liebt geweſen bin. Jch meinte es ſelbſt, daß das Liebe waͤre. Jch hatte kaum angefangen michX 3zu326Die Geſchichtezu fuͤhlen: die Hochgeborne Hure nahm mich da - mals ein, deren Untreu ich an allen Frauenzim - mern raͤchen will, die ich in meine Macht be - komme. Meine Nemeſis iſt ſchon in mehr als einem Lande wenigſtens durch eine Hecatombe ſolcher Opfer verehret worden. Wenn ich aber uͤberdencke, was ich damals war, und was ich jetzt bin, ſo muß ich bekennen, daß ich vorhin nie verliebt geweſen bin.

Was war denn das, fragſt du mich, daß ich faſt von Verſtande kam, als ich mich von jener betrogen fand? Wohlan, ich will es dir ſagen, ſo gut ich es mich erinnern kan. Es war ja was? ich kan kaum ſagen was es war. Mich duͤnckt, es war ein heftiger Trieb zur Neuigkeit. Die verworrenen Poeten, die in ihren Beſchrei - bungen Gottheit und Menſchheit zuſammen ſetzen, hatten eben ſo viel Theil daran, als das Frauen - zimmer: ſie feureten meine Einbildungs-Kraft an, und ich wollte durchaus der Schoͤpfer einer Goͤttin werden. Jch muſte die Fluͤgel probieren, die mir kaum gewachſen waren, und mich in Son - net, Elegy, Madrigal und ſo weiter verſuchen. Jch muſte eben ſo wohl meine Cynthia, meine Stella, meine Sachariſſa haben, als der beſte unter ihnen: ich muſte meinen Cupido mit Pfei - len, mit Flammen, und der Teufel weiß womit noch mehr bewafnen. Jch muſte die Schoͤnheit ſchaf - fen, und ihr befehlen da zu ſeyn, wo ſie ſonſt nie - mand finden konte. Wie oft war ich verlegen, die Goͤttin zu finden, die meine Lieder anbetenſoll -327der Clariſſa. ſolten, wenn meine neu erſchaffene Goͤttin guͤtiger gegen mich war, als ich mir in meinem Klage-Lie - de, das an Felſen gerichtet ſeyn muß, mercken laffen durfte.

Es war noch eine andere Art der Eitelkeit die Urſache meiner Liebe. Jch fand, daß ich uͤberhaupt bey dem Frauenzimmer wohl gelitten war: und es kam mir vor, als ſey es eine artige Tyranney, wie ſie ſonſt das Frauenzimmer uͤber uns zu uͤben pflegt, wenn ich eine vor andern hervorzoͤge, um zehn andere neidiſch und eiferſuͤchtig zu machen. Jch kan dir ſagen, daß es nicht ohne Wuͤrckung blieb: manches Auge habe ich mit eiferſuͤchtigen Flammen gefuͤllet; manche Backen habe ich gefaͤr - bet: manche Schoͤne ward von der andern mit dem Fechtel geſchlagen: es folgte auch wohl eine loſe und beiſſende Anmerckung, daß ſie mit einem wilden jungen Menſchen allein geweſen war, weil nicht beyde zugleich mit ihm allein ſeyn konten.

Mit einem Wort, mehr Hochmuth war es als Liebe, was mich zwang eine ſo wunderliche Troſt - Reiſe vorzunehmen, als ich die vornehme Betrie - gerin verlohren geben muſte. Jch meynte, ſie liebte mich zum wenigſten eben ſo ſehr als ich ſie liebete: und ich war ſo von mir eingenommen, daß ich meinte, ſie koͤnte mich nicht weniger lieben. Meine Freunde waren mit meiner Wahl zufrie - den: ſie wolten mich gern gefeſſelt ſehen. Denn ſie traueten mir ſchon fruͤhzeitig in Abſicht auf das an - dere Geſchlecht nicht viel gutes zu. Sie ſahen, daß das tantzende, das ſingende, das muſicaliſcheX 4Frauen -328Die GeſchichteFrauenzimmer Vergnuͤgen an meiner Geſellſchaft fand: denn wer tantzte, wer ſung, wer ſpielte beſ - ſer als dein Freund? (Jch habe jetzt eben Luſt, Wind zu machen.)

Jch kan kein ſolcher Heuchler ſeyn, daß ich das an mir nicht erkennen ſolte, was ein jeder er - kennet. Das iſt eine niedertraͤchtige Heucheley, dadurch man Ruhm zu ſtehlen ſucht! Es iſt mir veraͤchtlich, ſich das auf eine gezwungene Weiſe abzuſprechen, was man beſitzt, und dem Lobe gleich - ſam Netze zu ſtellen! Soll ſich aber meine Eitel - keit blos bey den aͤuſſern Vorzuͤgen aufhalten? bey der Geſtalt, bey der Freundlichkeit und Muth, ſo das Geſicht verſpricht? Dieſe ſind es, die wir uns ſelbſt geben und uns ſelbſt lehren Meines Verſtandes wegen ruͤhme ich mich nicht. Viel - leicht antworteſt du: ich haͤtte es auch richt Urſa - che. Das kan wahr ſeyn: wenn ich aber auch einige Vorzuͤge des Verſtandes haͤtte, ſo iſt das nicht mein eigenes von mir erworbenes Gut. Was iſt es aber anders, als ſich mit der Kraͤhe in fremden Federn bruͤſten, wenn man uͤberdas ſtoltz wird, davon uns der Misbrauch zugerechnet, der rechte Gebrauch aber nicht als ein Verdienſt ange - rechnet werden kan.

Allein um wieder auf meine ſchoͤne Betruͤgerin zu kommen, ſo war es mir unertraͤglich, daß das erſte Frauenzimmer, welches mich mit ſeidenen Feſſeln gefeſſelt hatte, (nicht mit eiſernen, wie meine jetzigen ſind) mir einen Cornet vorziehen ſolte: und als der Vogel einmal weggeflogenwar,329der Clariſſa. war, hielt ich ihn theurer, als da ich ihn noch in dem Bauer hatte, und ihn ſehen konte ſo oft ich wollte.

Nun aber bin ich in der That verliebt. Jch kan an ſonſt nichts dencken, als an meine goͤttliche Clariſſa Harlowe. Harlowe! wie bleibt mir das verhaßte Wort im Halſe ſtecken! Jch muß ſie umtauffen, und ihr den Namen der Liebe geben. (*)Liebe heiſt im Engliſchen Love, welches der Anfang des Namens Lovelace iſt.

CLARJSSA! O Dein Schall bezaubert
unſer Ohr.
Man fuͤhlt die Zaͤrtlichkeit mit welcher
Kinder ſchertzen.
Ein unverfaͤlſchtes Blut / wie das in
jungen Hertzen /
Schlaͤgt in der Maͤnner Bruſt.

Haͤtteſt du je gedacht, daß ich, der ich ſonſt zum hoͤchſten glaubte daß meine Gegenliebe eben ſo groß ſeyn koͤnte als die Liebe der Schoͤnen; daß ich, der ich um dieſes goͤttlichen Kindes wil - len mir es gar habe in den Sinn kommen laſſen, das Leben in Feſſeln dem Leben der Ehre vorzuziehen: daß ich auch dem Otway dieſe all - zuzaͤrtlichen Zeilen jemals abborgen wuͤrde.

Jch muß mich ſelbſt ſchelten. Dryden ſchreibt:

Ein anders Feuer iſt die Lieb in andern
Seelen:
DerX 5330Die Geſchichte
Der laͤchelt bey dem Schmertz / der raſ’t
bey ihrem Quaͤlen.
Jn einer ſanften Bruſt gleicht ihre ſtille
Gluth
Dem Weyrauch des Altars darauf wir
Goͤtter ehren.
Ein brauſendes Gemuͤth / ein Sturm -
gebaͤhrend Blut
Fuͤhlt ſie den Flammen gleich / die einen
Wald verzehren /
Wenn aus dem heilgen Hayn ein Sturm -
Wind Wuͤſten macht.
Es traͤgt ſie der Orcan / und zwiſchen
dicken Eichen
Brauſ’t eine See von Feur.
So brauſt die Liebe auch in ſtuͤrmeriſcher
Bruſt /
Mit Hochmuth ſteigt ſie auf / mit Rache
ſchlaͤgt ſie Flammen:
Der Leydenſchaften Wind blaͤßt in die
wilde Luſt:
Stoltz / Frevel / Eiferſucht ſtuͤrmt eine
Gluth zulammen
Die keine Loͤſchung kennt /

Jch finde, daß ich die erſten Zeilen uͤberſchlagen muß, und daß die letzten meiner ungeſtuͤmen Seele aͤhnlicher ſind. Mit Rache ſchlaͤgt ſie Flam - men: das ſoll bey mir wahr werden. Denn kanſt du glauben, daß ich ſo viele Beſchimpfungen ver - ſchmerzen wolte, wenn es nicht des wegen geſchaͤhe,weil331der Clariſſa. weil ich hoffe, daß dieſe tumme Familie mit ver - einigten Kraͤfften fuͤr mich arbeitet? Kanſt du dir einbilden, daß ich mir ſo wollte trotzen und drohen laſſen, und zwar von Leuten, die ſich fuͤrchten wann ſie mich ſehen, und noch dazu von dieſem Vieh vom Bruder, dem ich das Leben ſchenckte, weil es nicht ſo viel werth war, daß ich es ihm ohne meinen Schimpf haͤtte nehmen koͤnnen; weñ nicht daduꝛch mein Hochmuth gekitzelt wuͤrde, daß ich ihn durch ſeinen eigenen Spion brauchen kan, wozu ich will, daß ich ſeine Leidenſchaften anfeuren und abkuͤhlen kan, wie es zu meinem Endzweck erfodert wird, indem ich ſeinem zweymal-beſtochenen Vertrau - ten erlaube, ſo viel Boͤſes von mir zu ſagen, daß er ſich bey ihm voͤllig einſchmeichelt, damit ich Ge - legenheit bekomme den uͤberklugen Schelm nach meiner Pfeiffe tantzend zu machen?

Dieſes macht, daß der Hochmuth bey mir die Rachgier uͤberwieget. Durch dieſe Machine, die ich oft genug ſchmiere, damit ſie im Stande bleibt, kan ich die Marionetten in Bewegung ſetzen. Der alte Schiff-Knecht der Onckle, iſt blos mein Abgeſandter an die Koͤnigin Annabella Howe, durch den ich ſie bewege, daß ſie nm ihrer Prin - zeßin Tochter ein gutes Exempel zu geben es mit der Harlowiſchen Familie haͤlt, und die Rechte mit verfechten hilft, ohne die ich, (ſie moͤgen Recht oder Unrecht ſeyn) nichts ausrichten koͤnte.

Du fragſt, was meine Abſichten hiebey ſind? Daß meine Geliebte ſonſt keinen Schutz als bey meiner Familie finden moͤge! denn wenn ichihre332Die Geſchichteihre Familie kenne, ſo muß ſie entweder fliehen, oder den Mann nehmen, den ſie haſſet. Dieſes wird ſie zu der meinigen machen, ihrer gantzen Fa - milie und ihrem eigenen unbeweglichen Hertzen zum Trotz, wenn ich nur meine Anſtalten recht ma - che, und mir die Meinigen in den Stuͤcken zu Huͤl - fe kommen, darin es noͤthig iſt. Sie muß ohne Bedingung die Meinige werden, ohne daß ich Beſſerung verſpreche, vielleicht auch ohne daß ich noͤthig habe, ſie lange zu belagern. Sie ſoll noch zur Heuchlerin werden, und ſich ſtellen als wenn ſie zweifelte, daß ſie meiner werth waͤre; und noch ungewiß ſeyn, ob denn ſoll die gantze ſchelmi - ſche Familie mir zu Fuͤſſen fallen: ich will ihnen gebieteriſch vorſchreiben, und ihr ſchmutziger vor - nehmer Bruder ſoll noch auf dem Fuß-Schemel meines Throns knien.

Alle meine Furcht entſtehet daher, daß ich nur noch ſo wenig Antheil an dem Herzen dieſer unver - gleichlichen froſtigen Schoͤnheit erlanget habe. So roth gefaͤrbte, ſo artige Geſichts-Zuͤge! ſo helle Augen! ſo ausnehmend ſchoͤn gebildete Glieder! ei - ne ſo bluͤhende Geſundheit und Jugend! ein ſo be - lebter Blick! und dennoch ein ſo verwahrtes und unuͤberwindliches Hertz! Wie iſt das moͤglich? ſonderlich da ich dieſes Herz zu erobern ſuche, der ich ſonſt immer ſo gluͤcklich geweſen bin. Warlich es giebt Leute, und ich ſelbſt habe einige davon geſpro - chen, die ſich erinnern koͤnnen, daß dieſe Goͤttin gebohren iſt: ihre Frau Norton! ruͤhmt ſich noch, ſie in der erſten Kindheit gewartet und nach -her333der Clariſſa. her erzogen zu haben. Es kan alſo durch glaub - wuͤrdige Zeugen bewieſen werden, daß ſie nicht vom Himmel kam, und nicht gleich ein Engel ge - weſen iſt. Wie kommt es denn, daß ſie ſo un - uͤberwindlich, ſo unerforſchlich iſt?

Hier ſteckt der Jrrthum, den ſie ſich nicht will be - nehmen laſſen. Sie glaubt, daß der Menſch, den ſie ihren Vater nennet, (an der Mutter waͤre nichts auszuſetzen, wenn ſie ihn nicht genommen haͤtte,) daß die Leute, die ſie Onckels nennet, daß der Kerl, den ſie ihren Bruder nennet, daß das arme veraͤcht - liche Gemaͤchte, das ſie ihre Schweſter nennet, in der That ihr Vater, ihre Onckels, ihr Bruder und ihre Schweſter ſind, und daß ſie ihnen Gehorſam, Ehrerbietung oder Liebe ſchuldig iſt, ſie moͤgen auch mit ihr umgehen, wie ſie wollen. Poͤbelhafte Ban - de! Lauter Aberglauben, der ſich noch von der Wie - ge herſchreibet! Denn wenn nicht die Natur ihr dieſe Anverwandten zur ungluͤcklichen Stunde ge - geben haͤtte, oder wenn ſie ſelbſt ihre Freunde haͤtte waͤhlen koͤnnen, ſo frage ich dich, ob wohl einer von dieſen Leuten mit ihr verwandt ſeyn wuͤrde?

Wie empoͤret ſich mein Hertz, wenn ich daran dencke, daß ſie ſolche Leute mir vorziehen kan, ſon - derlich nachdem ſie weiß, daß mir von ihnen Unrecht geſchehen iſt! Sie weiß, daß eine ſolche Verbindung eine Ehre fuͤr die gantze Familie ſeyn muͤſte, ſich ſelbſt allein ausgenommen: denn ihr iſt jedermann Verehrung ſchuldig, und ein fuͤrſt - liches Geſchlecht wuͤrde durch ſie geehret werden. Und wie ſehr wird ſich mein Hertz empoͤren, wennich334Die Geſchichteich finde, daß ſie nur einen Augenblick zweifelhaft iſt, (wie ſehr man auch immer mit Zwangs-Mit - teln, in ſie dringet) ob ſie mich dem vorziehen will, von dem ſie nicht leugnet, daß ſie ihn haſſet! Doch nein! ſie kan ohnmoͤglich ſo niedertraͤchtig han - deln, und die Freundſchaft der Jhrigen ſo theuer erkauffen. Sie kan ohnmoͤglich eine Handlung vornehmen, dadurch boshafte Anſchlaͤge gerecht - fertiget werden: Anſchlaͤge, die der Eigennutz auf ihre Unkoſten gemacht hat, den ſie doch an andern verachtet, und mich hier verachten muß, damit man ſie nicht fuͤr eine Harlowe halten moͤge.

Aus dieſem Geſchmier ohne Zuſammenhang wirſt du leicht mercken, daß ich noch ſo bald nicht kommen werde. Denn ich muß erſt eine Verſiche - rung von meiner Geliebten haben, daß ich nicht einem ſolchen Kerl, als Solmes iſt, aufgeopfert werden ſoll. Wehe dem artigen Kinde, wenn es je gezwungen wird, ſich unter meine Herrſchaft zu begeben, (denn daß ſie es willig thun werde hoffe ich nicht einmal) und ſie alsdenn noch eine Schwierigkeit macht, mich deshalb auſſer Zwei - fel zu ſtellen.

Meine Ketten werden mir dadurch empfindli - cher, weil ich nicht ſehe, daß ihre Kaltſinnigkeit ge - gen mich daher ruͤhret, daß ſie irgend einen andern vorzuͤglich liebet. Allein nim̃ dich in Acht, unver - gleichliches Kind, nim̃ dich in Acht, du edelſtes Ge - muͤth, das ich bisher bey einem Frauenzimmer ge - funden habe. Wie erniedrigeſt du dich, daß du es deinen Verwanten erlaubeſt, aus Haß und Bosheitgegen335der Clariſſa. gegen mich einen ſolchen Mit-Buhler aufzuſtel - len. Du wirſt ſagen, daß ich unſinnig bin. Jch glaube es ſelbſt.

Jch will verdammet ſeyn / wenn ich mein Kind nicht liebe.

Wie koͤnte ich ſonſt die Beſchimpfungen ihrer unverſoͤhnlichen Familie ertragen? Wie koͤnte ich ſonſt als ein Dieb, nicht um ihres hochmuͤthigen Vaters Haus, nein um ſeinen Thier-Garten und Garten-Mauer herumſchleichen? und doch noch eine halbe Viertel-Stunde von ihr entfernt ſeyn, ohne Hoffnung nur ihren Schatten zu erblicken? Wie koͤnte ich ſonſt ſo vergnuͤgt ſeyn, und mei - ne Muͤhe fuͤr reichlich belohnt halten, wenn ich vier fuͤnf oder ſechs Mitternaͤchte durch unwegſame Ge - genden herumgeſtreift bin, und Donen und Hecken uͤberſtiegen habe, und endlich einige kalte Zeilen finde? Zeilen deren Jnhalt ich ſchon zum voraus weiß, nemlich, daß ſie den veraͤchtlichſten Ab - ſchaum ihrer veraͤchtlichen Famile hoͤher ſchaͤtzt als mich, und gar nicht ſchreiben wuͤrde, wenn es nicht geſchaͤhe, um mich zu ermahnen, daß ich feindſeelige Beſchimpfungen erdulden ſoll, durch deren Erduldung ich aufhoͤre ein Kerl zu ſeyn. Dabey muß ich, um in der Naͤhe zu ſeyn, in ei - ner verwuͤnſchten Bierſchencke wohnen, und mich ſo auskleiden, daß die Nachbarn glauben, ich haͤtte mich ordentlich da eingemiethet. Die Bewirthung iſt ohngefaͤhr ſo gut, als ich ſie auf meiner Reiſe durch Weſtphalen genoſſen habe. Das beſte iſt noch, daß nicht ihre Verachtung oder Herrſchſuchtſon -336Die Geſchichteſondern ein Zwang der ſie ſelbſt druͤcket mich hie - zu zwinget.

Welcher Ritter muß in der Romaine mehr aus - ſtehen? Das nehme ich aus, wenn ihm der herrſchſuͤchtige Muthwille befiehlt mit Rieſen oder mit Drachen zu kaͤmpfen! Guͤter, und Geſchlecht, und Stand, und Ehre die kuͤnftig auf mich erbet, habe ich auf meiner Seite: und ſoll ſo einen Mit - Buhler haben? Muß ich nicht ein verdorbener Liebes-Kruͤppel ſeyn, daß ich ſolche Schwierigkei - ten finde, und ſolche Verachtung erdulden muß? Bey meiner Seele, ich ſchaͤme mich vor mir ſelbſt: ich der ich meineydig bin, und ein aͤlteres Geluͤbde breche, wenn ich einem Frauenzimmer meine Ge - luͤbde halte!

Allein wie kan ich ſagen, daß ich mich ſchaͤme? Jſt es nicht eine Ehre, dieſes Wunder zu lieben, gegen das ein jeder der es ſiehet, entweder Liebe, oder Ehrfurcht, oder beydes zugleich empfinden muß? Dryden ſagt:

Man kan den aͤchten Grund der Liebe niemals zeigen. Das Liebenswuͤrdige iſt nicht der Zuͤgen eigen Die man bewundert. Nein! nur der ver - liebten Hertz Schafft ihren Grund aus nichts.

Cowley haͤlt die Schoͤnheit fuͤr ein Hirn-Ge - ſpenſt, und unterſteht ſich ſie alſo anzureden:

O337der Clariſſa.
O Schoͤnheit / Affe aller Thoren /
Die du die Mode traͤgſt / ſo ein Phan -
taſt erdacht /
Und jede Kleidung waͤhlſt / die jedes
Land erkohren;
Hier weiß als wie der Tag / dort ſchwartz
als wie die Nacht;
Bald ſcheckigt / und bald braun / hier gelb,
und da mit Farben
Geſchminckt / hier glatt und weich / dort
voll gemahlter Narben;
Du Schmeichlerin / die blos auf unſer
Urtheil ſchielt /
Du fluͤchtig Nichts / das niemand fuͤhlt.

Haͤtten aber beyde in unſerer Zeit gelebt, und mei - ne Clariſſa geſehen, ſo wuͤrden ſie ihren Jrrthum geſtanden haben. Geſtalt, Gemuͤth, Auffuͤhrung, alles zuſam̃en genom̃en, wuͤrden ſie gezwungen ha - ben, dem allgemeinen Urtheil der Welt beyzutreten.

Wie manche Schoͤne hab ich nicht
Entzuͤcket angeſtarrt! wenn Doris rei -
tzend ſpricht,
Wenn Liebe / Ton und Kunſt ihr Wort
zum Liede machen /
So feſſelte ſie oft mein aufmerckſames
Ohr /
Daß ich bey ihrem Schertz / bey dein
gewuͤrtzten Lachen /
Der Arbeit und des Ernſtes Zeit verlohr.
Wie mancher Vorzug ſchoͤner Kinder /
Hat mir vorhin mein Hertz entwandt:
Bey jeder / die ich recht gekannt.
Erſter Theil. YVer -338Die Geſchichte
Verlarvte doch die Tugend nur den
Suͤnder:
Und was die Welt
Untadlich nennt / wird doch durch ei -
nen Fleck verſtellt.
An ihr / an ihr / dem Wunder der Natur /
Dem edelſten geſchaffner Dinge /
Durch das ich mich entfuͤhrt zum Him -
mel aufwaͤrts ſchwinge /
Entdeckt man keines Fehlers Spur:
Jn ihrer Art ſteht ſie nur eintzeln da.

Du fragſt mich, ob ich nicht bald ein neues Spiel anfangen will? und ob ſich ein ſo allgemeiner Lieb - haber ſo lange mit einer begnuͤgen laſſen kan? Du muſt dieſe angenehme Schoͤne nicht kennen, daß du mir eine ſolche Frage vorlegen kanſt: oder du muſt dir einbilden, mich beſſer zu kennen als du mich in der That kenneſt. Alles was man ſich bey dem andern Geſchlecht vortrefliches vorſtellen kan.

Die Reitze / die vom Himmel ſtammen /
Find ich in Jhr vereint beyſammen /
Jn Jhr nur / der mein Hertz ein ewig
Denckmahl weyht.

Jch kan an keine andere gedencken, ehe ich nicht durch den vertraulichen Umgang des Ehe-Bettes, oder durch einen Umgang der mich eben ſo genau mit ihr bekannt macht, ausgefunden habe, daß ſie nicht voͤllig ein Engel ſey. Ueber dieſes findet ein ſolches Gemuͤth, als das meiuige iſt, bey dieſemLiebes -339der Clariſſa. Liebes-Handel noch auſſer der Liebe ſo viel reitzen - des. Welch ein weites Feld fuͤr Erfindungen, fuͤr Kunſt-Stuͤcke, fuͤr alles was man unter dem Wort Intrigue verſtehet, (und du weiſſeſt, daß ich mich in dieſes Wort verliebt habe) habe ich vor mir? Dencke an das Ende, das meine Arbeit be - lohnen ſoll; mit einem ſolchen Maͤdchen davon zu gehen! alle ihre wachſamen und unverſoͤhnlichen Anverwandten blind zu machen! und dabey einen ſolchen Verſtand, als ich noch bey keinem Frauen - zimmer gefunden habe, zu uͤberliſtigen! Was iſt das fuͤr ein Sieg! Was fuͤr ein Sieg uͤber das gantze Geſchlecht! Endlich eine ſolche Ragier zu kuͤhlen, die ich jetzt nur aus Abſichten verbergen muß, damit ſie dereinſt deſto heftiger ausbrechen koͤnne! Kanſt du glauben, daß es moͤglich iſt, daß ein Gedancke bey mir aufſteiget, der nicht auf ſie gerichtet und ihr nicht ergeben iſt?

Den Augenblick bekomme ich Nachrichten, die deine Gegenwart noͤthig zu machen ſcheinen. Hal - te dich fertig, auf meinen erſten Befehl dich einzu - ſtellen.

Belton / Mowbray und Tourville moͤgen ſich auch in Bereitſchaft ſetzen. Jch habe groſſe Luſt, ein Stuͤck zu erdencken, den jungen Jacob Harlowe auf Reiſen zu ſchicken, daß er beſſere Sitten lernt: niemals hat es ein ungezogener Dorff-Juncker noͤthiger gehabt. Zu erdencken / ſage ich? Es iſt ſchon erdacht, es iſt ſchon fertig: wenn ich es nur in das Werck richten koͤnte, ohneY 2daß340Die Geſchichtedaß der Argwohn auf mich fiele. Das iſt aber mein veſter Entſchluß: Kan ich ſeine Schweſter nicht haben, ſo will ich ihn haben.

Doch dieſes ausgeſetzte ſo ſcheint jetzt die be - ſte Gelegenheit zu ſeyn, etwas recht ruͤhmwuͤr - diges Boͤſes vorzunehmen. Vor einiger Zeit ward eine Bande gegen mich gemacht: von nun an werden die Onckles und der Bruder ſtets zwey Bedienten um ſich haben, anſtatt daß ſie vorhin Einen hatten; und dieſe Bedienten ſollen doppelt bewafnet ſeyn wenn ihre Herren den Fuß aus dem Hauſe ſetzen. Dis iſt ein Zeichen ihrer unver - ſoͤhnlichen Feindſchaft gegen mich, und ihrer un - zertrennlichen Freundſchaft mit Solmes.

Der widerholte Befehl, dieſe kriegeriſche Ruͤ - ſtung anzulegen, iſt dem zuzuſchreiben, daß ich ge - ſtern, in ihrer Kirche geweſen bin: einem Orte, der ſich am beſten ſchickte, den Anfang zur Ausſoͤhnung zu machen, wenn die Leute Chriſten waͤren, und bey ihrem Gebet einige Gedancken haͤtten. Jch hoffete, daß man mich erſuchen oder mir zum we - nigſten erlauben wuͤrde, den alten muͤrriſchen Jun - cker nach Hauſe zu begleiten, damit ich meine Goͤttin einmal zu ſehen bekommen moͤchte: denn ich dachte, man wuͤrde ſich nicht unterſtehen, gegen mich unhoͤflich zu ſeyn. Allein es ſchien, daß ſie alle ſo bald ich in die Kirche trat mit Schrecken er - fuͤllet wurden, und ſie konten dieſes Schrecken we - der uͤberwinden noch verbergen. Jn ihrem Geſichte konte ich leſen, daß ſie einen traurigen Ausgang er - warteten: und der ſolte auch gewiß erfolget ſeyn,wenn341der Clariſſa. wenn ich nur von der Gewogenheit der Tochter einiger maſſen verſichert geweſen waͤre. Und doch verlange ich kein Haar auf ihren tummen Koͤpfen zu kruͤmmen.

Jhr alle ſolt euren Befehl ſchrifftlich erhalten, wenn ich euch noͤthig habe. Es wird aber kaum mehr noͤthig ſeyn, als daß ihr eur Geſicht in mei - ner Geſellſchaft zeiget. Vier Kerls, die ſo ausſe - hen, hat noch niemand beyſam̃en gehabt: Mow - bray ſo brav und ſo kriegeriſch: Belton ſo dreiſte und ſo finnicht: Tourville ſo huͤbſch und ſo kin - diſch: und du ſo rauh und wild, und dem erſten Anblick nach ein Wagehals. Wenn ich eur An - fuͤhrer bin, wer wird nicht vor uns erzittern, wenn er auch gleich auf Feindſeligkeiten ausgehet? Was fuͤr ein Hertz muͤſte der haben? ſonderlich wenn jeder unter uns einen oder ein Paar Be - dienten bey ſich hat, die er vor vielen Jahren we - gen ihrer Gleichheit mit ihm gewaͤhlt hat?

Jch habe denn geſchrieben, weil du es haben wolteſt: von Etwas und voͤn Nichts / von dem Dinge und Undinge; von Rache die ich liebe, von Liebe die ich haſſe, weil ſie uͤber mich herr - ſchet, und der Teufel weiß wovon ſonſt noch: denn wenn ich meinen Brief durchblaͤttere muß ich mich wundern, daß er ſo lang gerathen iſt. Du magſt ihn durchleſen: ich moͤchte es nicht thun wenn ich einen guͤldenen Berg verdienen koͤnte. Allein du haſt verſprochen zufrieden zu ſeyn, wenn ich nur ſchreibe, es mag auch ſo liederlich ge - ſchrieben ſeyn als es will.

Y 3So342Die Geſchichte

So laß dir es denn gefallen zu leſen. Dis iſt mein Befehl: nicht um des ſchreibenden, nicht um des geſchriebenen willen, ſondern um dein Wort zu halten. Mit Koͤniglich-grosmuͤthiger Gnade (denn bin ich nicht in der groſſen Sache, die wir ausfuͤhren wollen, eur Koͤnig oder Kayſer?) bleibe ich dir gewogen, und wuͤnſche dir von Hertzen

Lebe wohl.

Der zwey und dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe /

Jch uͤberſchicke Jhnen die Abſchrifft meiner Briefe an meine Onckles / nebſt ihrer Ant - wort. Die letzten bitte ich mir das naͤchſte mahl wider zuruͤck zu ſchicken. Anmerckungen moͤgen Sie ſelbſt daruͤber machen: ich will keine machen.

An Juncker Johann Harlowe.

Erlauben Sie mir, mein zweyter Vater, (ein Name, den Sie mich in meinen begluͤckten Um - ſtaͤnden ſelbſt gelehrt haben) erlauben Sie mir, Sie um Jhre Vorſprache bey meinem Vater an - zuflehen, daß er einen Befehl aufheben moͤge, der mir alle freye Wahl raubet, und mich auf meine Lebens-Zeit ungluͤcklich macht.

Jch343der Clariſſa.

Jch ſage nochmals: auf meine Lebens-Zeit. Jſt das eine Kleinigkeit, darin ich etwan nach - geben kan? Soll ich nicht meine Lebens-Zeit mit dem Menſchen zubringen? Will es ein anderer an meiner Stelle thun! Jſt es denn unbillig, wenn ich ein Wort dazu ſagen will, ob ich mit ihm ver - gnuͤgt leben kan oder nicht?

Wenn ich bey ihm misvergnuͤgt bin, kan ich es wol jemand klagen, ohne unverſtaͤndig zu han - deln? Und bey wem wuͤrde ich gegen einen Mann Huͤlfe ſuchen koͤnnen, ohne mich ſelbſt tiefer in das Ungluͤck zu ſtuͤrtzen? Wuͤrde nicht die unuͤberwind - liche Abneigung, die ich bisher gegen ihn oͤffentlich bezeuget habe, alle Haͤrte rechtfertigen, mit der er mir begegnen koͤnte, ſo bald ich die ſeinige waͤre, wenn ich mich ihm gleich zu Fuͤſſen wuͤrfe. Und ſolte ich je die ſeinige werden, ſo muͤſte es gewiß aus Furcht und nicht aus Liebe geſchehen.

Jch widerhole es nochmals: es iſt dis nicht eine Kleinigkeit, darin ich nachgeben kan. Es betrifft meine gantze Lebens-Zeit. Warum ſoll ich mein gantzes Leben ungluͤcklich zubringen? War - um ſoll ich alles Troſtes beraubt werden, den ein - tzigen ausgenommen, den mir die Hoffnung ge - ben wuͤrde, daß mein elendes Leben nicht lange waͤhren koͤnte?

Der Eheſtand iſt ein ſo heiliges, ein ſo unwie - derrufliches Buͤndniß, daß einer jungen Perſon mit Recht eine Furcht ankommen muß, wenn ſie auch bey beſſerer Hoffnung ernſthaft daran gedencket. Das Eigenthum eines Fremden werden: in einefrem -344Die Geſchichtefremde Familie eingepfropft werden: den Namen ſogar veraͤndern, und dadurch ein Zeugniß ablegen, daß ſie das vollkommene Eigenthum des Mannes ſey: dieſem fremden Vater, Mutter und jedermañ, wie er Namen haben mag, vorziehen muͤſſen: ſich bequemen, ſeine Grillen ihren eigenen Einſichten vorzuziehen, oder mit ihm in beſtaͤndigem Zanck leben, ſo oft ſie handeln will, als haͤtte ſie einen freyen Willen, und dabey den Vorwurf hoͤren, daß ſie ein vor dem Altar-gethanes Geluͤbde breche: an keinen Ort ohne ſeinen Willen gehen: keine Bekandtſchaft machen, und die aͤlteſte und beſte Freundſchaft aufgeben, wie er es haben will, es mag ihr vernuͤnftig oder unvernuͤnftig vorkom - men: das ſind in der That harte Forderungen. Jſt es billig, daß ein Frauenzimmer dergleichen Bedingungen einem andern zu Liebe eingehet, als dem ſie ſelbſt ihr williges Ja-Wort giebt? Wenn Sie das billig nennen koͤnnen, wie ungluͤcklich iſt denn eine ſolche Perſon? wie muͤhſelig muß ihr Leben ſeyn, wenn es anders noch des Namens des Lebens werth iſt?

Jch wuͤnſchte, daß ich Jhnen insgeſamt ge - horchen koͤnte. Wie vergnuͤgt wuͤrde ich daruͤber ſeyn! Einer von meinen beſten Freunden gab die Regel: erſt zu Heyrathen: die Liebe wuͤrde ſich hernach ſchon finden. Ein fuͤrchterlicher und widerſinniſcher Rath! Wo anfaͤnglich noch ſo viel Liebe und Zaͤrtlichkeit iſt, koͤnnen tauſend Dinge dazwiſchen kommen, die dieſen Stand ſo beſchwerlich machen, daß es kaum zu ertragen iſt. Allein345Der Clariſſa. Allein wie unertraͤglich muß er ſeyn, wenn der Mann nicht glauben darf, daß ihn die Frau liebe, ſondern gar Urſache hat das Gegentheil zu glau - ben, weill ſie ihm einen andern Freyer vorgezogen haben wuͤrde, wenn ſie ſelbſt haͤtte waͤhlen duͤrfen. Was fuͤr Zweifel, was fuͤr Verdacht, was fuͤr vorgefaſte Meynungen muͤſſen den Eheſtand un - gluͤcklich machen, der alſo angefangen wird? Wie uͤbel wird jeder Blick, jede noch ſo unſchuldige Handlung gedeutet werden? Und durch alles die - ſes wird der andere Theil noch kaltſinniger wer - den, und es ſich weniger angelegen ſeyn laſſen, ſich gefaͤllig zu erzeigen. Nichts als die Furcht wird verhuͤten, daß nicht aller aͤuſſerlicher Wohl - ſtand, der billig eine Frucht der Liebe ſeyn ſolte, aus den Augen geſetzt wird.

Ueberlegen Sie dieſes ernſtlich, mein lieber On - ckle, und ſtellen Sie es meinem Vater ſo nach - druͤcklich vor, als die Sache es erfodert: ſo nach - druͤcklich als es ſich fuͤr ein Frauenzimmer von mei - nen Jahren, und das ſo wenig Erfahrung hat, nicht ſchickt, es vorzuſtellen. Wenden Sie alle Kraͤfte an, Jhre arme Baſe zu retten, damit ſie nicht ein ſo langes und anhaltendes Elend zu er - tragen gezwungen werde.

Jch habe mich erboten, zu verſprechen, daß ich gantz und gar nicht heyrathen will, wenn man mir nur dieſe Freyheit zugeſtehet. Wie ſchimpflich iſt es fuͤr mich, von aller Geſellſchaft ausgeſchloſ - ſen, und von meinen Eltern verbannet zu ſeyn, und von Jhnen und meinem andern lieben OnckleY 5ſo346Die Geſchichteſo geringſchaͤtzig gehalten zu werden? ja ſo gar von dem oͤffentlichen Gottes-Dienſt abgeſondert zu werden, der doch ein Mittel meiner Beſſerung ſeyn wuͤrde, wenn ich bisher meine Pflicht ver - geſſen haͤtte? koͤnnen Sie glauben, daß dieſes die Mittel ſind, ein freyes und erhabenes Hertz zu lencken? Muß ich nicht hiedurch mehr verhaͤrtet als uͤberzeuget werden? Es iſt mir unertraͤglich, unter ſolchen Beſchimpfungen zu leben, da ſelbſt die Bedienten, denen ich noch vor kurtzen zu befeh - len hatte, ſich kaum unterſtehen mit mir zu reden, da mein eigenes Cammer-Maͤdchen mit Unwillen und wegen allerhand verſteckter und zweydeutiger Beſchuldigungen aus dem Hauſe geſchaft, und meiner Schweſter Cammer-Maͤdchen an ihrer Stelle uͤber mich geſetzt iſt.

Die Sache kan zu weit getrieben werden: und es kan noch allen die Reue ankommen, daß ſie mit dazu geholfen haben.

Jſt es mir erlaubt, einen Vorſchlag zu thun? Geſetzt, ich ſoll bewacht, eingeſperret, verbannet ſeyn; koͤnte nicht alles dieſes lieber in Jhrem Hau - ſe geſchehen? Alsdenn wuͤrden ſich die Adelichen in der Nachbarſchaft weniger verwundern, daß eine Perſon, von der ſie ſonſt ſo guͤtige Gedancken hatten, nicht in der Kirche erſcheinet, und keinen Beſuch annimt.

Jch hoffe, daß hiergegen keine Enwendung ge - macht werden kan. Als ich noch gluͤcklich war pflegten Sie mich gern in ihren Hauſe zu bewir - then. Wollen Sie mir nicht in meinem Ungluͤck in eben dieſem Hauſe eine Zuflucht verſtatten, bisdie347der Clariſſa. die ſchwartze Wolcke voruͤber gehet? Jch will nicht uͤber die Schwelle treten, wenn Sie es mir verbieten; ich will niemand ohne Jhrer Er - laubniß ſprechen; wenn Sie mir nur zuſagen, daß Sie Herrn Solmes nicht erlauben wollen, mich in Jhr Haus zu verfolgen.

Wuͤrcken Sie mir nur dieſe Wohlthat aus, wenn es unmoͤglich iſt, etwas mehreres, nemlich eine voͤllige Ausſoͤhnung zu erhalten. Jch gebe indeſſen dieſe Hoffnung noch nicht verlohren, wenn Sie ein Vorwort fuͤr mich einlegen wollen. Hiedurch werden Sie die Wohlthat und die Guͤ - tigkeit ungemein erhoͤhen, dadurch Sie ſich bis - her verpflichtet haben, und alsdenn unendlich ver - pflichten werden,

Jhre gehorſamſte und ergebenſte Baſe Cl. Harlowe.

Die Antwort. Liebſte Fraͤulein Baſe /

Es thut mir leid, daß ich Jhnen eine Bitte ab - ſchlagen muß. Es muß aber geſchehen: denn Sie duͤrfen nicht erwarten, daß Sie und wir in eben dem Verhaͤltniß gegen einander ſtehen wer - den, darin wir bisher geſtanden haben, wenn Sie ſich nicht entſchlieſſen, uns in einer Sache gefaͤllig zu ſeyn, die wir ſchon auf unſere Ehre verſprochen haben, ehe wir uns eines ſo eigenſinnigen Wider - ſpruchs vermuthen ſeyn konten.

Kurtz wir halten jetzt alle veſt zuſammen, und ſind ein Phalanx in Schlacht-Ordmmg. Sieſind348Die Geſchichteſind ſo beleſen, daß Sie alles verſtehen und wiſſen, das eintzige ausgenommen, was ſie bil - lig wiſſen ſolten. Sie werden folglich aus mei - nem Ausdruck leicht mercken, daß Sie uns durch Ueberredungen, durch Bitten, und Widerſpaͤn - ſtigkeit nicht von einander trennen koͤnnen. Wir haben uns entſchloſſen, daß wir entweder alle wollen beweglich ſeyn, oder daß es keiner ſeyn ſoll, einer wird ohne den andern nicht nachge - ben. Sie wiſſen Jhr Schickſaal, und es iſt weiter nichts uͤbrig, als daß Sie ſich darunter bequemen.

Sie muͤſſen wiſſen, daß der Gehorſam alsdenn keine Tugend iſt, wenn man Gefaͤlligkeiten durch Gefaͤlligkeiten erkauft. Wenn Sie aber Jhre Neigung verleugnen, ſo iſt dieſes ein gefaͤlliger Gehorſam, der unſern Danck verdienet.

Was Jhren Vorſchlag anbetrift, ſo muß ich Jhnen melden, daß Sie nicht in mein Haus kom - men koͤnnen, obgleich dieſes eine Bitte iſt, von der ich nie gedacht haͤtte, daß ich Sie Jhnen wuͤrde abſchlagen muͤſſen. Denn wenn Sie auch Jhr Wort hielten, niemand ohne unſere Bewilligung zu ſprechen, ſo koͤnten Sie doch an jemand ſchrei - ben, und von ihm Briefe empfangen. Man weiß allzuwohl, daß Sie das thun koͤnnen, und daß auch das wircklich geſchehen iſt, was moͤg - lich war. Deſſen ſchaͤmen wir uns, und betruͤ - ben uns daruͤber.

Sie erbiethen ſich unverheyrathet zu bleiben. Wir aber wuͤnſchen Sie verheyrathet zu ſehen. Weil349der Clariſſa. Weil Sie aber den Menſchen nicht kriegen koͤn - nen, der Jhr Hertz eingenommen hat, ſo glaube ich wohl, daß Sie den auch nicht haben wollen, den wir Jhnen vorſchlagen. Wir wiſſen, daß Sie mit ihm auf eine oder die andere Art Briefe wech - ſeln, oder wenigſtens gewechſelt haben, ſo lange Sie es thun konten: er trotzt uns, und das wuͤr - de er nicht thun, wenn er nicht zu unſerm groſſen Verdruß Jhrer Zuneigung verſichert zu ſeyn glaubte: wir wollen ihm deswegen ſeine Hoff - nung zu Schanden machen, und lieber uͤber ihn triumphiren, als daß er uͤber uns ein Sieges-Lied ſingen ſolte. Das ſage ich Jhnen ein fuͤr allemal. Erwarten Sie demnach nicht, daß ich Jhr Fuͤr - ſprecher werde. Jch werde es nicht thun, das iſt genug geſchrieben von

Jhrem unwilligen Onckle / Johann Harlowe.

P. S. Jch beziehe mich auf meines Bruders Brief.

An Juncker Anton Harlowe. Hochgeehrteſter Onckle /

Da Sie Herrn Solmes gewuͤrdiget haben, ihn mir auf eine ſo beſondere und nachdruͤckliche Art anzupreiſen, und Jhn ſogar unter die Zahl Jh - rer auserleſenſten Freunde zu rechnen, fuͤr den Sie gleichfals von mir Freundſchaft und Zuneigung erwarten: ſo muß ich Sie um Gedult bitten,wenn350Die Geſchichtewenn ich mich unterſtehe unter vielen Dingen, die ich gegen ihn einzuwenden habe, einige wenige auszuſuchen, und ſie Jhnen zu ernſtlicher Ueberle - gung anheim zu geben, nachdem er mich durch ſeine Anwerbung (wenu ich ja das Wort ge - brauchen ſoll) hiezu zwinget.

Man beſchuldiget mich, daß ich von einem an - dern eingenommen bin. Jch bitte, erinnern Sie ſich doch, daß dieſem andern vor[meines] Bruders Zuruͤckku〈…〉〈…〉 s Schottland Hoffnung gegeben, und mir i〈…〉〈…〉 ringſten nicht verboten ward, ſeinen Beſuch anzunehmen. Jſt es mir denn ſo ſehr zu verdencken, wenn ich einen Freund, den ich ein Jahr gekannt habe, einer vor zwey Monathen er - langten Bekanntſchaft vorziehe? Jch will nicht hoffen, daß jemand iſt, der unter beyden in Abſicht auf das Herkommen, Erziehung, oder perſoͤnli - che Eigenſchaften eine Vergleichung fuͤr moͤglich haͤlt. Jch will mich blos unterſtehen Sie zu ſra - gen, ob jemals an den andern gedacht ſeyn wuͤr - de, wenn er ſich nicht zu ſolchen Bedingungen er - boten haͤtte, die ich auf beyden Seiten fuͤr unrecht - maͤßig halte, auf ſeiner ſie anzutragen, und auf meiner ſie anzunehmen, und von denen ich gewiß glaube, daß ſich mein Vater nie wuͤrde unterſtan - den haben, ſie von ihm zu begehren, wenn er ſie nicht ſelbſt zuerſt auf die Bahn gebracht haͤtte!

Es ſcheint, man wirft dem einen Fehler vor. Jſt aber der andere frey von Fehlern? Die Haupt - Beſchuldigung gegen Herrn Lovelace iſt eine la - ſterhafte Liebe, und es iſt wahr, es iſt dieſes eineſehr351der Clariſſa. ſehr groſſe Beſchuldigung: allein iſt nicht bey dem andern ein eben ſo laſterhafter Haß die Haupt-Un - tugend? Jſt nicht ſeine Liebe ebenfals ein Laſter? wenn es anders noch wahr bleibt, daß die Liebe des Geldes eine Wurtzel alles Uebels iſt.

Wenn ich nun aber von einem andern einge - nommen bin, was hat denn Herr Solmes fuͤr Hoffnung? Warum ſoll er noch weiter anhalten? Was muß ich von einem Manne gedencken, der mich wieder meinen Willen in ſeine Gewalt zu be - kommen ſucht? Jſt es nicht etwas ungereimtes, daß mich meine Freunde zwingen wollen, einen zu nehmen, den ich nicht lieben kan, und ſich doch nicht ausreden laſſen wollen, daß ein anderer Mann mit mir bekannt ſey, den ich liebe.

So wie mir begegnet wird, muß ich entweder jetzt oder niemals den Mund aufthun, und von dem Hertzen wegſprechen. Jch will alles die Mu - ſterung paßiren laſſen, worauf Herr Solmes hoffen kan. Meynet er, daß der Schimpf, den ich um ſeinetwillen erdulde, ihn miꝛ beliebteꝛ macht? Meynet er, meine Hochachtung dadurch zu erlan - gen, daß meine Onckles verdrießlich gegen mich ſind, daß mein Bruder mir veraͤchtlich begegnet, daß meine Schweſter unfreundlich iſt, daß mir verboten iſt Beſuch zu geben oder anzunehmen, ja ſo gar mit meiner beſten Freundin Briefe zu wechſeln, ob ſie gleich eine Perſon meines Ge - ſchlechts iſt, gegen deren Verſtand u. Auffuͤhrung ſich nichts einwendẽ laͤſt, daß ich eingeſperret u. be - ſchimpfet weꝛde, daß man ſogaꝛ oͤffentlich voꝛgiebt,es352Die Geſchichtees geſchehe dieſes mich zu kraͤncken und mich muͤr - be zu machen; daß mir die Haushaltung genom - men iſt, die ich mit deſto groͤſſerem Vergnuͤgen verwaltete, weil ich meiner Mutter dadurch die Muͤhe erleichterte; daß man mich aus meiner Ordnung bringt, da mir die Zeit ſo lange waͤh - ret, und ich weder Luſt noch Erlaubniß habe mich mit demjenigen zu beſchaͤftigen womit ich ſonſt meine haͤusliche Arbeit zu wuͤrtzen und auf eine an - genehme Weiſe zu verwechſeln pflegte? Sind dieſe Mittel unentbehrlich, um mich ſo zu erniedri - gen, daß ich eine Frau dieſes Mannes werden koͤn - ne? Auf andere Mittel kan er ſich unmoͤglich ver - laſſen: wenn er aber dieſe Mittel fuͤr hinlaͤnglich haͤlt, ſo muß er wiſſen, daß er ein wohlgeartetes und williges Gemuͤth von einem knechtiſchen und niedertraͤchtigen Hertzen noch nicht un - terſcheiden kan.

Jch bitte Sie, uͤberlegen Sie die angebohrnen Eigenſchaften ſeines und meines Hertzens. Was hat er an ſich, dadurch er meine Hochachtung zu gewinnen hoffet? Mein allerliebſter Onckle, wenn ich ja gezwungen werden ſoll, einen Mann zu neh - men, den ich ſelbſt nicht waͤhlen wuͤrde, ſo muͤſte es doch ein ſolcher ſeyn, der leſen und ſchreiben, und von dem ich etwas lernen kan! Was muß das fuͤr eine Ehre geben, wenn der Mann weiter nichts gelernt hat, als zu befehlen, und ſelbſt den Unterricht noch noͤthig hat, den er zu geben im Stande ſeyn ſolte?

Es353der Clariſſa.

Es kan Hochmuth bey mir ſeyn; mein bischen Beleſenheit kan vielleicht machen, daß ich mir zu viel einbilde: es kan ſeyn, daß mich das ſtoltz macht, daß ich ein wenig ſchreiben kan, wie ich mir ſeit einiger Zeit habe muͤſſen vorwerfen laſſen. Allein deſto ungeſchickter iſt der Vorſchlag, einen ſolchen Mann zu nehmen. Je beſſer die Meinung iſt, die ich von mir ſelbſt habe, deſto geringere Ge - dancken muß ich von ihm haben, und deſto weniger ſchicken wir uns vor einander.

Jch kan es nicht verhehlen; ich habe immer ge - glaubt, daß mich meine Anverwandten hoͤher ſchaͤtzten. Mein Bruder gab ſonſt vor, daß er aus Werth-Achtung gegen mich es dahin gebracht haͤtte, daß Herr Lovelace mit ſeinem Geſuch abgewieſen waͤre. Kan das wahr ſeyn, wenn man mich durch einen ſolchen Mann, als Herr Solmes iſt, zu beſchimpfen gedencket?

Was die vortheilhafte Eheſtiftung und die ſchoͤ - nen Verſchreibungen anlangt, ſo hoffe ich, daß ich Jhren Unwillen nicht vermehren werde, wenn ich das frey heraus bekenne, was alle ohnedem fuͤr mei - ne Meinung halten muͤſſen, die mich kennen, und was ich mir ſchon von einigen habe vorruͤcken laſ - ſen muͤſſen, nemlich, daß ich ſolche Bewegungs - Gruͤnde von Hertzen verachte. Mein liebſter On - ckle, was kan doch eine Perſon nach Verſchrei - bungen fragen, die ſo viel eigenes beſitzet, als ſie ſich nur wuͤnſchen kan? und die als eine ledige Perſon ſchon mehr hat, als ſie aller Vermuthung nach im verehlichten Stande unter ihrer eigenenErſter Theil. ZHand354Die GeſchichteHand haben wird? deren Ausgaben und deren Begierden gemaͤßiget ſind; und die, wenn ſie ja etwas uͤberfluͤßiges haͤtte, es nicht beylegen und ohne Gebrauch laſſen, ſondern den Nothduͤrftigen mittheilen wuͤrde? Wenn demnach ſolche kleine poͤbelhafte Abſichten auch alsdenn von ſo weniger Kraft bey mir ſind, wenn ſie meinen eigenen Vor - theil betreffen: kan denn wohl die entfernte und ungewiſſe Abſicht, unſere Familie zu bereichern, (und zwar die Familie, die einen ſolchen Bruder zum Stamm-Vater haben wird,) einige Wir - ckung bey mir haben?

Mein Bruder hat ſelbſt ſo wenig Achtung fuͤr das Beſte ſeiner Familie gehabt, daß er lieber ſein Leben wagen wollte, (ein Leben das der gantzen Familie billig theuer ſeyn muß, weil er der eintzige Stammhalter iſt) als die Leidenſchaften uͤberwin - den, die er ſich nie zu uͤberwinden unterſtehet, und die (wenn ich es ſagen darf) von ſeinen Eltern mehr verzaͤrtelt ſind, als es ihm und andern nuͤtz - lich iſt. Hat denn wohl dieſer Bruder entweder durch ſeine uͤbrige Auffuͤhrung oder durch ſeine Achtung fuͤr unſere Familie, es um mich verdienet, daß ich meine zeitliche und wol gar meine ewige Gluͤckſeligkeit ihm aufopfern ſoll, um einen win - digten Vorſchlag zur Wircklichkeit zu bringen, von dem ich mich unterſtehen will, deutlich zu er - weiſen, daß er, wo nicht albern doch hoͤchſt unge - wiß iſt, und ſich auf lauter zum voraus geſetzte un - wahrſcheinliche Dinge grundet.

Jch355der Clariſſa.

Jch fuͤrchte, daß Sie mich wegen meiner Hitze ſchelten werden; allein erfordert es nicht die Sa - che, daß ich hitzig ſchreiben muß? Es ſcheinet, das ich blos durch meine allzugroſſe Maͤßigung bey Gebung einer abſchlaͤgigen Antwort andern Ge - legenheit und Muth gegeben habe, ſo weit zu ge - hen, als ſie gegangen ſind. Sie muͤſſen uͤber die - ſes einem durch ſo viele Beſchimpfungen aufge - brachten und erbitterten Gemuͤthe etwas zu gute halten, da ich dieſe Beſchimpfungen nicht verdient habe, wenn ich anders mein Hertz kenne.

Allein was ſchreibe ich ſo vieles, um mich des - wegen zu entſchuldigen, daß man mich beſchuldi - get, ich ſey von Herr Lovelacen eingenommen, nachdem ich mich gegen meine Mutter erklaͤret ha - be, und mich hiemit abermals gegen Sie erklaͤre, daß wenn man mir nur keinen Mann und inſon - derheit dieſen Solmes nicht aufdringet, ich hin - wiederum auf das heiligſte verſprechen will, weder Lovelacen noch irgend einen andern ohne ihren Willen zu nehmen? d. i. keinen zu nehmen, ohne die Einwilligung von Vater, Mutter, Onckels / und meinem Vetter Morden zu haben, weil dieſem von meinem Grosvater aufgetragen iſt, die Erfuͤl - lung ſeiner letzten Guͤtigkeit gegen mich zu beſorgen. Von meinem Bruder kan ich in der That nicht ſa - gen, daß er ſich bisher ſo bruͤderlich gegen mich auf - gefuͤhrt hat, daß er mehr von mir erwarten koͤnnte, als die gemeine Hoͤflichkeit: und wenn wir von der reden ſolten, ſo moͤchte er ſehr in meiner Schuld ſeyn. Nehmen Sie mir den Gedancken nicht un - guͤtig.

Z 2Viel -356Die Geſchichte

Vielleicht habe ich mich in Abſicht auf meine Abneigung von Herrn Solmes bisher nicht ſo deutlich erklaͤret, daß man hat mercken koͤnnen, daß keine Zuneigung zu einem andern die Urſache dieſer Abneigung ſey. Jch erklaͤre mich alſo hiemit, daß ich ihn nicht nehmen wollte, wenn auch kein ſolcher Menſch als Lovelace in der Welt waͤre. Es iſt noͤthig, daß ich in einem meiner Briefe an meine wertheſten Angehoͤrigen dieſes ſo deutlich ſchreibe, daß niemand mehr einen Zweifel daran haben koͤnne: und gegen wen kan ich eine ſo offen - hertzige Erklaͤrung mit mehrerem Recht und mit groͤſſerer Zuverſicht thun, als gegen einen Herrn, der ſich die groͤſſeſte Ehre daraus machet, in allen Worten und Handlungen eine Aufrichtigkeit ohne viele Umſchweiffe blicken zu laſſen, und gerade zu - zugehen?

Um eben dieſer Urſache willen darf ich auch eini - ge Einwendungen, die ich gegen ihn habe, Jhnen deſto deutlicher und umſtaͤndlicher melden.

Herr Solmes ſcheinet mir (ich koͤnte wohl ſa - gen, er ſcheint jedermann) ein ſehr kleines und nie - dertraͤchtiges Hertz zu haben, und dabey wenig Verſtand zu beſitzen. Er hat gar nichts artiges und angenehmes an ſich, und iſt in ſeinen Sitten eben ſo rauh als er ausſiehet: er iſt nicht allein genau, ſondern auch geitzig, und ob er gleich groſ - ſes Vermoͤgen beſitzet, ſo genießt er es doch nicht, und hat kein ſolches Hertz, das ſich anderer Noth und Elend kan jammern laſſen. Muß nicht ſei - ne Schweſter ein ungluͤckliches und kuͤmmerlichesLeben357der Clariſſa. Leben fuͤhren, welches er ihr durch einen kleinen Theil deſſen, was er uͤbrig hat, leicht verſuͤſſen koͤn - te? Er kan es mit geduldigen Augen und ohne ſich zu ſchaͤmen anſehen, daß ſein alter Onckle, der Bruder ſeiner leiblichen Mutter, fremden fuͤr den nothduͤrftigen Unterhalt dancken muß, den ihm ein halb dutzend gutthaͤtige Familien zuflieſſen laſ - ſen. Sie kennen mein offenes, mein bewegliches und mitleydiges Hertz. Wie ungluͤcklich wuͤrde ich ſeyn, wenn der karge Wille eines ſolchen Men - ſchen, der an niemand als an ſich ſelbſt denckt, mein Geſetz ſeyn ſollte? Er iſt einmal in einem folchen engen Circkel der Freundſchaft und Men - ſchen-Liebe gerathen, aus welchem ihn ſein teufli - ſcher Geitz eben ſo wenig ſchreiten laͤßt, als ein Be - ſchwerer aus ſeinem Zauber-Crayſe treten darf: und er wuͤrde eben ſo wenig zulaſſen, daß ich dieſe Graͤntzen uͤbertraͤte.

Solte ein ſolcher Menſch wol wiſſen, was Liebe iſt? Meines Grosvaters Gut mag er vielleicht lie - ben, welches (wie er andern Leuten geſagt hat) ihm ſo bequem lieget, daß er einige ſeiner Guͤter doppelt wuͤrde nutzen koͤnnen, wenn er es dazu haͤt - te. Er hat nicht einmal ſeinem Geitz ſo viel wi - derſtehen koͤnnen, daß er mir dieſes nicht mit der vergnuͤgten Mine ſolte zu verſtehen gegeben haben, die ein niedertraͤchtiges Hertz auf der Stirne zu mahlen pflegt, weñ es an ſeinen Eigennutz gedenkt, und den ſchon fuͤꝛ einen hinlaͤnglichen Bewegungs - Grund anſiehet, daß ihm andere ſeine Bitte ge - waͤhren ſollen. Dieſes Gut, und die Ehre dieZ 3ein358Die Geſchichteein finſterer gemeiner und poͤbelhafter Menſch von einer ſolchen Verbindung zu erwarten haͤtte, moͤ - gen vielleicht machen, daß er glaubt, er koͤnne lie - ben, und ſich endlich einbildet, er liebe in der That. Allein zum hoͤchſten wird es doch nur eine Liebe vom zweyten Range ſeyn. Der Reichthum iſt und bleibt doch ſein hoͤchſtes Gut. Ein Knicker vermachte ihm den Reichthum, weil er glaubte, daß er ihm gleich waͤre: und ich wuͤrde entweder das angenehmſte Vergnuͤgen in meinem Leben ab - ſchweren und ſo niedertraͤchtig werden muͤſſen, als er iſt, oder ich wuͤrde mein Ungluͤck nicht uͤberſehen koͤnnen. Vergeben Sie es mir, daß ich ſo nach - druͤcklich ſchreibe. Wenn ein verhaßter Menſch mehr geruͤhmt wird als er verdienet, ſo fuͤhlt man auch einen Trieb, mehr von ihm herauszuſagen, als man ſonſt gethan haben wuͤrde. Entſchuldi - gen Sie mich damit, daß er mir mit ſolcher Ge - walt aufgedrungen wird, und ich keine Freyheit zu waͤhlen behalten ſoll.

Jch mag in meinem Urtheil etwas zu hart ſeyn, oder nicht, ſo iſt es doch ohnmoͤglich, daß ich ihn in der Verhaͤltniß gegen mich ertragen kan, in der man mir ihn aufdringen will, ſo lange ich dieſes Urtheil fuͤr richtig halte. Wenn man aber auch erweiſen koͤnte, daß er zehnmal beſſer waͤre, als ich ihn hier abgeſchildert habe, und ihn mir in der That vorſtelle: ſo wuͤrde er mir dennoch zehnmal ſo eckelhaft ſeyn, als irgend ein anderer Menſch in der Welt, den ich bisher geſehen habe. Jch bitte Sie deswegen; werden Sie ein Fuͤrſprecherfuͤr359der Clariſſa. fuͤr Jhres Bruders Kind, und wuͤrcken Sie aus, daß ich nicht das Opfer eines mir ſo eckelhaften Mannes werde.

Sie und mein anderer Onckle koͤnnen viel bey meinem Vater ausrichten, wenn Sie nur ſo guͤtig ſeyn wollen. Glauben Sie, das es nicht ein Ei - genſinn iſt, ſondern ein natuͤrlicher ein unuͤber - windlicher Widerwille. Denn ſo oft ich aus Ge - horſam gegen meinen Vater mit mir ſelbſt habe ſtreiten und mich uͤberreden wollen, Folge zu lei - ſten, ſo hat ſich mein gantzes Hertz empoͤret, und ich habe einen Widerwillen gegen mich ſelbſt dar - uͤber empfunden, daß ich mir einen Menſchen, der nicht das geringſte Gute an ſich hat, als ertraͤglich vorzuſtellen geſucht habe: einen Menſchen, der ohnmoͤglich bey ſeiner Anwerbung beharren koͤn - te, nachdem er meine Abneigung wuͤſte, wenn er etwas maͤnnliches oder etwas adliches in ſeinem Gemuͤth haͤtte.

Wenn Sie einſehen, daß der Jnhalt dieſes Briefes nicht unvernuͤnftig iſt, ſo bitte ich Sie um Jhr guͤtiges Vorwort: wo nicht, ſo bin ich hoͤchſt-ungluͤcklich. Es iſt indeſſen meine Schul - digkeit geweſen, ſo zu ſchreiben, daß Herr Sol - mes wiſſen koͤnte, woran er ſey.

Entſchuldigen Sie dieſen meinen verdrießlichen Brief, und goͤnnen Sie ihm, daß er etwas aus - richtet: ſo werden Sie ewig verbinden,

Jhre gehorſamſte und ergebenſte Baſe Clariſſa Harlowe.

Z 4Herrn360Die Geſchichte
Herrn Anton Harlowes Antwort. Meine Baſe Claͤrchen /

Es wuͤrde beſſer geweſen ſeyn, wenn Sie nicht an uns, an keinen von nns beyden geſchrieben haͤt - ten. Jnſonderheit haͤtten Sie wohl gethan, wenn Sie nie die Feder angeſetzt haͤtten, an mich in ei - ner ſolchen Sache zu ſchreiben. Nach dem Aus - ſpruch des weiſen Mannes ſcheint der zwar Recht zu haben / der ſeine Sache zuerſt an - bringt; allein ſein Naͤchſter kommt auch / und unterſucht ihn. Jch will jetzt Jhr Naͤch - ſter ſeyn, und den Grund und Boden Jhres Her - tzens unterſuchen: ich will unterſuchen, ob Jhr Brief Jhnen von Hertzen gehe. Jch weiß wol, was ich mir fuͤr eine Arbeit aufbuͤrde, weil Sie wegen Jhrer fertigen Feder bekant ſind. Allein es waͤre ſchlimm, wenn einer der die Rechte der Eltern vertheidigen will, und der vor die Wohl - ſart und Ehre ſeiner Familie beſorgt iſt, nicht al - les das zu Boden ſchlagen koͤnte, was eine rebelli - ſche Tochter (wie ungern ſchreibe ich das von Fraͤulein Clariſſa Harlowe! vorbringen kan, ihren Eigenſinn zu entſchuldigen.

Erklaͤren Sie ſich nicht deutlich genug, daß Sie den Menſchen vorziehen, den wir alle haſſen, und der uns eben ſo ſehr haßt? Jſt das nicht das Wi - derſpiel von dem, was Sie ihrer Mutter geſagt haben? Wie mahlen ſie einen braven rechtſchaf - nen Cavallier ab? Jch wundere mich, daß Sieſich361der Clariſſa. ſich unterſtehen, ſo frey von einem Herrn zu ſchrei - ben, den wir alle werth ſchaͤtzen. Allein vielleicht geſchiehet es eben deshalb, damit es uns verdrieſſen ſoll.

Wie fangen Sie Jhren Brief an? weil Herr Solmes mein guter Freund iſt / ſo wollen Sie deſto freyer auf ihn losziehen. Das iſt die klare Meinung, Fraͤulein. Jch bin ſo tumm nicht, daß ich das nicht mercken ſollte. Ein of - fenbarer und beruͤchtigter Huren-Hengſt ſoll ei - nem Manne vorgezogen werden, der das Geld liebet! das ſchickt ſich ſchlecht fuͤr eine ſo artige Fraͤulein, als ich Sie bisher angeſehen habe. Was meynen Sie, wer thut andern am meiſten Unrecht: ein Verſchwender, oder ein ſparſamer Mann? Der eine legt ſein eignes Geld bey; der andere verpraſ - ſet fremder Leute Vermoͤgen. Allein Jhr Lieb - ling iſt ein rechter Ertz-Boͤſewicht: und ſuͤndiget auf anderer Leute Rechnung.

Der Teufel muß euch Maͤdchens allen im Her - tzen ſtecken. Gott vergebe mir meine ſchwere Suͤn - de! Das beſte und artigſte Maͤdchen verliebt ſich immer am erſten in einen H Jch glaube, ich darf das Wort nicht noch einmal ſchreiben: denn manche ſchaͤmt ſich vor dem Namen des Laſters, und verliebt ſich doch in den Laſterhaften. Jch wuͤrde nicht ſo lange unveꝛheyrathet geblieben ſeyn, wenn ich nicht eine ſolche Menge von widerſpre - chenden und mit einander ſtreitenden Leidenſchaf - ten bey euch allen gefunden haͤtte. Jhr ſeyd alleZ 5Muͤcken -362Die GeſchichteMuͤcken-Saͤuger und Cameel-Schlucker / wie euch die heilige Schrift nennet.

Wie wunderliche Namen kan der Eigenſinn den Dingen geben! Ein kluger Mann, der nie - mand gern betriegen will, muß geitzig heiſſen. Ein verflugter Galgen-Schwengel wird umgetauft, und ein braver Mañ, ein artiger Herr genañt.

Jch glaube gewiß, daß Lovelace nicht ſo viel aus Jhnen machen wuͤrde, als er jetzt den Schein haben will, wenn nicht zwey Urſachen zum Grun - de laͤgen. Und was fuͤr Urſachen? Zum erſten, er thut es uns zum Trotz: zum andern, er weiß daß Sie eigene Mittel haben, die nicht von Jhren El - tern herkommen. Jch wuͤnſchte, daß Jhr lieber ſeliger Grosvater das, was er Jhnen vermacht hat, nicht ſo voͤllig Jhrer Gewalt uͤberlaſſen haͤt - te. Allein er dachte nicht daran, daß ſeine liebe Enckelin ſich allen Jhren Freunden ſo widerſetzen wuͤrde als bisher geſchehen iſt.

Was kan ſich aber Herr Solmes fuͤr Hoffnung machen, wenn Sie von einem andern eingenommen ſind? Das will bald gut werden! Sind Sie das, die ſo redet, Claͤrchen? Kan er ſich denn keine Hoffnung darauf ma - chen, daß Jhnen Vater, Mutter, und Onckels zu ihm rathen? Nein! gar keine Hoffnung, wie es ſcheint. Das iſt brav. Jch haͤtte gedacht, die - ſes waͤre genug geweſen, von einem gehorſamen Kinde das Jawort zu erhalten. Wir gingen ſo weit, weil wir uns auf Jhren Gehorſam ver - lieſſen: und nun laͤßt ſich die Sache nicht mehraͤn -363der Clariſſa. aͤndern. Denn wir wollen uns in unſere Hoff - nung nicht betrogen ſehen; und unſern Freund eben ſo wenig als uns.

Wenn Jhr Gut ihm wohl gelegen iſt, ſo iſt ja das kein Ungluͤck. Jſt das ein Beweiß, naſeweiſes Kind, daß er Sie nicht lieb hat. Sollte der nicht etwas Vermoͤgen mit Jhnen bekommen, der ſo wenig von Jhnen zu erwarten hat? Mercken Sie das! Allein iſt nicht dieſes Gut in gewiſſer maſſen unſer Gut? Haben wir nicht alle ein naͤhe - res Recht dazu, wenn es auf das Recht ankom - men ſolte? War es nicht blos die Guͤtigkeit eines alten abgelebten Mannes (GOtt habe ihn ſelig!) dadurch dieſes Gut vor uns vorbey gegangen und an Sie gekommen iſt? Wohlan! duͤrfen wir denn nicht ein Wort dazu ſagen, wer es erheyra - then ſoll? Koͤnnen Sie es uͤber das Hertz bringen, daß es ein liederlicher Kerl, der uns allen feind iſt, auf den Hin haͤngen ſoll? Jch ſoll das erwaͤ - gen, was Sie ſchreiben. Erwaͤge dieſes, Maͤd - chen! ſo wird ſich finden, daß wir mehr Recht zu ſprechen haben, als Sie dencken.

Die Haͤrte, (wie Sie es nennen) damit Jhnen begegnet iſt, haben Sie ſich ſelbſt zu dancken. So bald Sie nur wollen, wird alles harte ein Ende ha - ben. Das ruͤhrt mich alſo nicht, was Sie davon ſchreiben. Sie ſind nicht eher eingeſperret und von Jhren Eltern verbannet worden, als bis man alle Mittel in der Guͤte verſucht hatte. Mercken Sie das! Herr Solmes iſt an Jhrem Ungehor - ſam unſchuldig. Mercken Sie das auch!

Aus364Die Geſchichte

Aus Beſuch und Gegen-Beſuch haben Sie ſonſt nicht viel gemacht. Die Namen werden nur genannt, um das Regiſter der Leiden groͤſſer zu machen. Der Schimpf iſt uns eben ſo ſchmertz - lich als Jhnen. So ein artiges junges Kind! deſſen wir uns ſonſt immer zu ruͤhmen pflegten! Und alles dieſes ſtehet blos bey Jhnen, ob Sie es aͤndern wollen oder nicht! Allein ihr Hertz empoͤrt ſich, wenn Sie ſich uͤberreden wollen, Jhren El - tern zu gehorchen. Die Beſchreibung iſt artig: iſt ſie nicht? Mehr als zu wahr, wenn Sie ſo fort - fahren. Jch weiß aber, daß Sie ihn lieben koͤn - ten, wenn Sie nur wollten. Jch haͤtte faſt Luſt, Jhnen zu befehlen, daß Sie ihn haſſen ſollten: vielleicht wuͤrde er Jhnen denn beſſer gefallen. Denn ich habe bey Jhrem Geſchlechte immer ei - nen ſolchen widerſinniſchen Trieb gefunden, als man ihn in den Romainen beſchrieben findet. Das iſt Eſſen und Trincken und Kleidung des Frauen - Volcks, wenn ſie das thun und lieben koͤnnen, was ſie nicht thun und nicht lieben ſollen.

Jch bin voͤllig einerley Meynung mit Jhrem Bruder, daß Maͤdchens Witz genug aber nicht wahren Verſtand und Beurtheilungskraft genug zum Buͤcher Leſen und zum Schreiben haben. Sie ſtellen es ſich als moͤglich vor, daß Sie hochmuͤ - thig und eingebildet ſeyn moͤchten: daß ſind Sie in der That, weil Jhnen dieſer Herr ſo veraͤchtlich vorkommt. Er kan ſo gut leſen und ſchreiben, als die meiſten Edelleute. Wer hat Jhnen geſagt, daß Herr Solmes nicht leſen und nicht ſchreibenkoͤnte?365der Clariſſa. koͤnte? Allein Sie wollen einen Mann haben, von dem Sie etwas lernen koͤnnen! Jch wuͤnſchte, daß Sie Jhre Pflicht eben ſo gut kennen moͤchten, als es ſcheint, daß Sie Jhre Geſchicklichkeit ken - nen. Das iſt die Sache die Sie lernen muͤſſen, und folglich wird Herr Solmes noch etwas ha - ben, darin er Sie unterrichten kan. Jch mag ihm Jhren Brief nicht zeigen, ob das gleich Jhre Abſicht zu ſeyn ſcheinet: denn ich fuͤrchte, er moͤch - te dadurch bewogen werden, ein allzuſtrenger Lehr - Meiſter gegen Sie zu ſeyn, wenn Sie erſt die ſei - nige ſind.

Allein ich dencke jetzt daran: Sie ſind fertiger in der Feder als er. Eine deſto nuͤtzlichere Frau wer - den Sie fuͤr ihn ſeyn. Denn wo findet er eine ſo gute Haushaͤlterin, als Sie ſind? Sie koͤnnen ihm alle Rechnungen fuͤhren, daß er keinen Haus - halter braucht. Jch kan Jhnen ſagen, daß dieſes ein groſſer Vortheil in der Haushaltung iſt: denn oft ſind die Haushaͤlter ſchlimme Kerls, und wiſ - ſen um alle Umſtaͤnde ihres Herrn, wenn er ſelbſt nicht weiß, wo er recht zu Hauſe iſt: ich weiß, daß ihnen mancher ſein eigenes Geld hat verzinſen muͤſ - ſen. Jch weiß nicht, warum eine brave Frau vor dergleichen Arbeit zu vornehm ſeyn ſolte. Es iſt doch beſſer, als halbe Tage im Bette zu liegen; niedliches Eſſen ausſuchen, und in Charten ſpielen bis in die ſpaͤte Nacht; und ſich zu allen nuͤtzlichen Geſchaͤften in der Haushaltung unbrauchbar ma - chen; wie es jetzt die Mode bey euch Weibs-Leu - ten iſt. Der Hencker hole euch alle davor! Dasſage366Die Geſchichteſage ich von Hertzen. Das beſte iſt, daß ich (GOtt ſey Danck) Junggeſellẽ geblieben bin. Dieſes iſt ein Geſchaͤfte, dazu Sie ſich unvergleich - lich ſchicken. Es iſt Jhnen empfindlich, daß Jh - nen die Haushaltung genommen iſt: wohlan Fraͤulein, ſo werden Sie in Herꝛn Solmes Hau - ſe Jhnen ſelbſt und Jhren Kindern zum Beſten ei - ne nuͤtzliche Arbeit haben, wenn Sie Rechnung fuͤhren. Bey dem andern moͤchten Sie zwar auch wol Rechnungen zu fuͤhren haben, von dem was er zum Teufel gehen laͤſt, was er borget, was er ſchul - dig iſt, und nie zu bezahlen gedencket. Kommen Sie nur meine liebe Baſe: Sie kennen die Welt noch nicht. Ein Mann iſt ein Mann: mit einem artigen Mann koͤnnen Sie viel koſtbare gute Freunde bekommen, die Jhnen aufeſſen helfen was da iſt. Wenn ich handeln ſolte, ſo kauffte ich Herrn Solmes, und ich hoffe Sie werden eben ſo klug ſeyn.

Allein Herr Solmes iſt nicht artig genug: er iſt nicht nach Jhrem zaͤrtlichen Geſchmack; weil er ſich nicht wie ein Stutzer kleidet, und einen nicht durch den nichts-bedeutenden Unſinn von Com - plimenten ermuͤdet, der eben das Gift fuͤr das Frauenzimmer iſt. Er hat aber Verſtand: das kan ich ſagen. Uns gefallen keines Mannes Re - den beſſer als ſeine: allein Sie fliehen ſo vor ihm, daß er bisher noch nicht Gelegenheit gehabt hat, Jhnen in ſeinen Reden zu gefallen. Ein verlieb - ter Menſch ſieht immer wie ein Schaaf aus, ſon - derlich wenn ſeine Liebe verachtet wird, und wennman367der Clariſſa. man ihm ſo begegnet, als Sie Herrn Solmes das letzte mahl begegneten.

Was ſeine Schweſter anlanget, ſo hat ſich die wider ſeinen Willen und Warnung an einen Kerl gehangen; ſo wie Sie auch Luſt haben zu thun. Er hat ihr zum voraus geſagt, was ſie von ihm zu gewarten haͤtte, wenn ſie die Heyrath thaͤte. Er haͤlt ſein Wort, und das muß ein ehrlicher Mann thun. Wer gewarnt iſt, und doch ſuͤn - digt, der muß dafuͤr buͤſſen. Nehmen Sie ſich in Acht, daß es Jhnen nicht auch ſo gehet. Mer - cken Sie ſich das.

Sein Onckle hat es um ihn nicht verdient, daß er ihm Wohlthaten erzeigen ſolte: denn er haͤtte ihn gern ausgeſtochen; und den alten Ritter Oli - ver dahin vermocht, daß er ihm den Reichthum vermachen moͤchte, den er immer Willens geweſen war, Herrn Solmes zu vermachen, und ihn in dieſer Hoffnung hatte aufwachſen laſſen. Wer allzubald vergiebt, dem geben andere etwas zu vergeben: das iſt die kluge Regel Jhres lieben Vaters. Es wuͤrden nicht ſo viel eigenſinnige Toͤchter in der Welt ſeyn, wenn dieſe Regel fleißi - ger beobachtet wuͤrde. Die Strafe iſt eine Wohl - that fuͤr den Suͤnder! und Belohnungen gehoͤren fuͤr niemanden, als fuͤr den, der ſie verdienet. Jene muͤſſen ſcharf und ſchwer ſeyn, wenn die Suͤnde muthwillig begangen iſt.

Jch komme auf ſeine Liebe zu Jhnen. Davon hat er bisher groͤſſere Proben gegeben, als Sie es durch Jhre neuliche Auffuͤhrung gegen ihn ver -dient368Die Geſchichtedient haben das kan ich Jhnen nicht verhalten. Das iſt ſein Ungluͤck: und es kan kuͤnfftig auch Jhr Ungluͤck ſeyn.

Auch ein Wort von ſeiner Sparſamkeit, die Sie mit dem gottloſen Beynamen, teuffeliſch, belegen: ein freyer Ausdruck, der ſich in ihren Mund nicht allzuwohl ſchicket. Sie haben unter allen Menſchen in der Welt die wenigſte Urſache, ihm dieſes Laſter vorzuwerffen, da er aus eigener Bewegniß alles was er in der Welt hat Jhnen zu - zuwenden gedencket: ein deutlicher Beweis, daß er Sie mehr liebet, als das Geld, wie ſehr er auch immer das Geld lieben mag. Damit Sie aber deſto weniger Einwendungen machen koͤnnen, ſo wollen wir ihm Bedingungen vorſchreiben, wie Sie es verlangen, und es mit in die Eheſtifftung ruͤcken, daß er Jhnen viertheiljaͤhrig ein anſehnli - ches ausſetzen ſolle, damit Sie nach eigenem Be - lieben ſchalten und walten koͤnnen. Das iſt Jhnen ſchon vorhin geſagt worden; und ich habe es der Frau Howe, der rechtſchaffenen ehrwuͤrdigen Ma - trone, in Gegenwart ihrer hochmuͤthigen Tochter erzaͤhlt, damit Sie es auch durch die wieder erfah - ren moͤchten.

Um den Vorwurf von ſich abzulehnen, als wenn Sie von Herrn Lovelace eingenommen waͤren, erbieten Sie ſich, ihn nie ohne unſere Bewilligung zu nehmen. Was heiſt das anders, als: Sie wol - len noch im̃er fortfahren, auf unſere Einwilligung zu hoffen, und uns ſo lange quaͤlen, bis mir ſie endlich geben, um der Qual los zu ſeyn? Er wird auch beſtaͤndig fortfahren zu hoffen, ſolange369der Clariſſa. ge Sie unverheyrathet bleiben; und wir muͤßen immer den Verdruß haben, wie wir ihn bisher gehabt haben, daß Sie uns plagen, wir aber Sie immer bewachen und huͤten muͤſſen, und daß er uns dabey drohet und trotzet. Dencke nur an den vorigen Sonntag, Maͤdchen! Was fuͤr Ungluͤck haͤtte entſtehen koͤnnen, wenn dein Bruder mit ihm zuſammen gekommen waͤre? Mit einem ſolchen Kopf, als Lovelace hat, werden Sie auch nicht ſo auskommen koͤnnen, als mit Herrn Solmes. Dieſer wird vor Jhnen zittern, und vor dem an - dern muͤſſen Sie beben. Mercken Sie ſich das. Sie werden ſich bey ihm weder zu rathen noch zu helffen wiſſen. Wenn zwiſchen Jhnen und Herrn Solmes einiges Mißverſtaͤndniß entſtehen ſollte, ſo wuͤrden wir alle uns der Sache annehmen, und ohne Zweiffel im Stande ſeyn, etwas auszurich - ten: aber bey dem andern wuͤrde es heißen, wer die Wahl hat der mag auch die Qual haben: niemand wuͤrde Luſt haben, ein Wort fuͤr Sie zu reden, und niemand wuͤrde es ſich nur unter - ſtehen duͤꝛfen. Laſſen Sie ſich nicht durch eine Furcht vor dem Eye-Zanck und Haus-Kriegen ſchuͤch - tern machen. Die Flitter Woche waͤhret heut zu Tage nicht lange: und, ſo viel ich weiß, hat noch niemand Anſpruch auf die Speck-Seite gemacht, obgleich andere vorgeben, daß es einmahl geſche - hen ſey. Der Ehe-Stand iſt ein Zanck-Leben, die Che-Leute moͤgen ſich einander ſelbſt gewaͤhlt haben, oder nicht. Unter uns drey Bruͤdern hat nur einer das Hertz gehabt, zu heyrathen: undErſter Theil. A awas370Die Geſchichtewas meinen Sie war die Urſache? Wir wurden durch anderer Schaden klug.

Verachten Sie das Geld nicht ſo ſehr. Sie koͤnnen in die Umſtaͤnde kommen, daß Sie es hoͤ - her achten lernen. Dis iſt noch etwas, das Sie ler - nen koͤnnen, und Herr Solmes wird nach dem Begriff, den Sie von ihm haben, ſehr geſchickt ſeyn, es Sie zu lehren.

Jhre Hitze kann ich in der That nicht loben, ich kann Sie auch nicht durch die Beſchimpfungen entſchuldigen, die Sie ſich ſelbſt zugezogen haben. Wenn ich ſie fuͤr unverſchuldet hielte, ſo wollte ich Jhr Fuͤrſprecher werden: allein ich habe immer die Meinung gehabt, das Kinder keine Einwendun - gen gegen den Willen ihrer Eltern machen muͤßen. Als Jhnen Jhr ſeel. Gros-Vater ſein Gut ver - machte, ob er gleich drey lebendige Soͤhne hinter. ließ, und Jhr aͤlterer Bruder und aͤltere Schweſter noch vor Jhnen waren, ſo ließen wir uns es alle ge - fallen. Und warum das? Weil es unſers Vaters Wille war. Folgen Sie unſerem Exempel. Wenn Sie das nicht thun wollen, ſo haben Sie bey de - nen am wenigſten Entſchuldigung, die Jhnen mit ſo gutem Exempel vorgegangen ſind. Mercken Sie ſich das, meine Baſe.

Von Jhrem Bruder reden Sie gar zu veraͤcht - lich: und in Jhrem Brieffe an ihn ſo wohl als an Jhre Schweſter brauchen Sie zu wenig Reſpect. Er iſt Jhr Bruder, und um ein Drittheil aͤlter als Sie; und noch dazu eine Manns-Perſon. Wenn Sie ſo viel aus einer Bekantſchaft, die ein Jahralt371der Clariſſa. alt iſt, machen, ſo ſeyn Sie ſo guͤtig, und vergeſ - ſen nicht, was Sie einem Bruder ſchuldig ſind, der nach uns dreyen das Haupt der Familie iſt, und der den Nahmen des Geſchlechts erhalten ſoll. Auf Jhrem Gehorſahm beruhet jetzt die Ausfuͤh - rung des beſten und gewuͤnſchteſten Vorſchlages der jemahls zum Aufnehmen und zur Ehre einer Familie, der Sie das Leben zu dancken haben, haͤt - te erdacht werden koͤnnen. Und wird nicht dir Ehre Jhrer Familie Jhre eigene Ehre ſeyn? Wenn Sie nicht der Meinung ſind, ſo ſind Sie nicht werth von einer ſolchen Familie zu ſeyn. Sie ſol - len den gantzen Entwurff unſerer Anſchlaͤge und Verabredungen ſehen, wenn Sie verſprechen wol - len (Sie moͤgen Recht haben oder nicht) ihn oh - ne Vorurtheil zu leſen. Wenn Sie nicht durch den andern Menſchen bethoͤret ſind, ſo bin ich ge - wiß, daß dieſer Entwurff Jhren Beyfall erhalten wird: wenn aber jenes iſt, ſo wird Herr Solmes bey Jhnen nichts ausrichten, wenn er auch ein En - gel vom Himmel waͤre; denn der Teuffel iſt die Lie - be, und die Liebe iſt der Teuffel, wenn ſie euch Maͤdchens einmahl in den Kopf kommt. Jch habe Exempel genug davon geſehen.

Wenn auch kein ſolcher Menſch als Lo - velace in der Welt waͤre, ſo wollen Sie doch Herrn Solmes nicht nehmen. Fraͤulein! Das iſt artig geredet! Wir mercken es, wie ſehr Jhr Gemuͤth erbittert iſt. Wundern Sie ſich nicht, wenn Sie von nicht wollen reden, daß die, welche uͤber Sie zu befehlen haben, ſagen: SieA a 2ſollen372Die Geſchichteſollen ihn nehmen. Jch bin einer davon. Mercken Sie das. Und wenn es ſich fuͤr Sie ſchicket, von dem Hertzen wegzureden, Fraͤu - lein, ſo will es ſich fuͤr uns nicht ſchicken, unſere Meinung auf dem Hertzen zu behalten. Die Bruͤhe die ſich zu der Gans ſchickt, die ſchickt ſich auch zum Ganſert. Ueberlegen Sie das.

Meiner geringen Einſicht nach hat Herr Sol - mes ein maͤnnliches und ein adliches Hertz: und ich wollte Jhnen deshalb den Rath geben, ihn nicht zu reitzen. Sein Mitleyden mit Jhnen iſt eben ſo groß, als ſeine Liebe zu Jhnen. Er ſagt, er wolle Sie durch die That von ſeiner Liebe uͤber - zeigen, weil Sie ihm die Gelegenheit abſchneiden, es durch Worte zu thun. Er jetzt alle ſeine Hoff - nung auf Jhr edles Hertz, das ihm kuͤnftig ſeine jetzige Muͤhe und Kummer vergelten werde. Wir hoffen, daß er ſich in ſeiner Hoffnung nicht betrie - gen werde: und wir beſtaͤrcken ihn darin. Hie - durch bekommt er immer von neuem Muth. Sei - ne Beſtaͤndigkeit haben Sie alſo eigentlich Jhren Eltern und Onckles zu dancken: und dieſes wird die zweyte Probe Jhres Gehorſahms ſeyn.

Mercken Sie nicht, daß Sie uns alle und ſelbſt Jhre Eltern ſchelten, wenn Sie ſich verlauten laſſen, Sie koͤnnten die Verſchreibungen, die Jh - nen angeboten werden nicht mit gutem Gewiſſen annehmen? Ueber eine ſolche Dreiſtigkeit von Jh - nen wuͤrden wir uns ſonſt gewundert haben: jetzt aber wundern wir uns nicht mehr daruͤber.

Es373der Clariſſa.

Es ſind noch viele andere anſtoͤßige Stellen in Jhrem ſehr frey geſchriebenen Brieffe: wir muͤſ - ſen ſie aus Jhrem erbitternten Gemuͤth herlei - ten. Jch freue mich, daß Jhnen das Wort einge - fallen iſt, ſonſt wuͤrde ich keinen Nahmen zu der Sache haben finden koͤnnen. Jch wuͤrde gewiß keine Urfache gehabt haben, einen gelindern Nah - men dafuͤr zu ſuchen.

Jch habe ſie noch hertzlich lieb. Ob Sie gleich meines Bruders Tochter ſind, ſo ſcheue ich mich doch nicht zu ſagen, daß Sie die ſchoͤnſte Fraͤulein ſind, die ich jemahls geſehen habe. Allein auf mein Gewiſſen! ich glaube, Sie ſollten Jhren Eltern geborchen, und mir und meinem Bruder Hans gefaͤllig ſeyn: denn Sie wiſſen wohl, daß uns nichts als ihr Beſtes am Hertzen liegt; Jhr Beſtes, ſo wie es mit unſerem Beſten und mit un - ſerer Ehre beſtehen kann. Was muͤſſen wir von einem ſolchen Gliede der Familie dencken, daß das gemeine Beſte nicht befoͤrdern helffen will? und das zwiſchen den Gliedern Partheyen und Streit anzurichten ſucht? GOtt behuͤt uns in Gnaden! ſage ich dazu. Sie ſehen, daß ich fuͤr das gemei - ne Beſte bin. Was kann ich fuͤr Vortheil davon haben, es gehe auch wie es gehe? Brauche ich oder verlange ich von jemand etwas fuͤr mich? Oder thut es mein Bruder Hans?

Ach aber Sie koͤnnen keine Liebe zu Herrn Solmes faſſen! Jch antworte: Sie wiſſen ſelbſtA a 3nicht374Die Geſchichtenicht, was Sie koͤnnen oder nicht koͤnnen. Sie zwingen ſich nur dazu ihm abgeneigt zu werden. Sie erlauben es Jhrem Hertzen, (daß ich nie fuͤr ſo trotzig angeſehen haͤtte) daß es ſich empoͤren darff. Verſuchen Sie es einmahl, und treiben Sie Jhr Hertz zuruͤck, ſo oft es ſich empoͤret, (wie wir es im See-Gefechte und in Schlachten auf dem veſten Lande machen muͤſſen, und unſer Schif-Volck und Soldaten mit uns, wenn wir nicht dem Feinde zur Beute werden wollen) ſo werden Sie es bald uͤber - winden. Thun Sie das, weil es Jhre Schuldig - keit iſt: dafuͤr halten wir es zum wenigſten, was Sie auch dazu dencken moͤgen. Weſſen Gedan - cken ſollen nun mehr gelten? Sie moͤgen mehr Witz haben, als wir: wenn Sie aber auch mehr Verſtand und Einſicht haͤtten, ſo muͤßten einige unter uns vergeblich dreyßig oder viertzig Jahr laͤnger die Welt geſehen haben als Sie.

Jch habe eben ſo einen langen Brieff geſchrie - ben, als Sie. Jch mag wohl nicht eine ſo artige und lebhaffte Schreib-Art haben, als meine Fraͤu - lein Baſe; allein die Sache ſelbſt, und was gruͤnd - liches geſagt werden kann, habe ich auf meiner Sei - ten; und Sie werden mir eine große Gefaͤlligkeit erzeigen, wenn Sie durch Jhr Nachgeben zeigen, daß Sie dieſes auch glauben. Wollen Sie das nicht thun, ſo muͤßen Sie nicht erwarten, daß ich Jhr Vorſprecher werden, oder Jhr Freund blei - ben ſoll, ſo hertzlich ich Sie auch liebe. Es wird mir alsdenn leyd thun, daß ich bin Jhr Onckle Donnerſtags fruͤh um 2. Uhr. Anton Harlowe.

P. S. 375der Clariſſa.

P. S. Sie muͤſſen nicht mehr an mich ſchreiben, es waͤre denn, daß Sie ſich bequemen wollten. Doch ich brauche Jhnen das Schreiben nicht zu verbiethen: denn ich bin gewiß, daß Sie meinen Brieff nicht beantworten koͤnnen. Jch habe faſt Tag und Nacht vom Sontag Morgen an bis jetzt geſchrieben, nur die Kirch Zeit, und die Zeit ande - rer eben ſo noͤthigen Verrichtungen ausgenom - men. Dis iſt der letzte Brieff, den Sie erhal - ten werden.

von A. H.

Der Drey und Dreyßigſte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Nachdem meine Bitten bey meinen Anverwan - ten ſo wenig ausgerichtet haben, ſo habe ich etwas unternommen, daruͤber Sie ſich verwunden wer en. Jch habe an Herrn Solmes ſelbſt ge - ſchrieben: ich habe auch ſchon eine Antwort von ihm. Er muß ſich gewiß dabey haben helfen laſ - ſen: denn ich habe einen Brieff von ihm geſehen, darin die Ausdruͤcke eben ſo ſchlecht waren, als die Orthographie. Die Aufſchrifft aber iſt gewiß von ihm, denn er pflegt viel Umſtaͤnde und Com - plimente zu machen. Jch will noch einen Brieff beylegen, den mir mein Bruder bey GelegenheitA a 4mei -376Die Geſchichtemeines Brieffes an Solmes zugeſandt hat. Jch meinte es waͤre moͤglich, den Menſchen muthloß zu machen, daß er die Sache liegen ließe und ver - lohren gaͤbe: als denn wuͤrden alle meine Wuͤnſche erfuͤllet ſeyn. Es verlohnet ſich der Muͤhe, es zum wenigſten zu verſuchen. Sie werden aber ſehen, daß alle Mittel vergeblich ſind Mein Bruder hat ſich auf allen Seiten allzuwohl vorgeſehen.

An Juncker Roger Solmes. Mein Herr

Sie werden ſich daruͤber verwundern, daß Sie einen Brieff von mir erhalten; und noch dazu ei - nen Brieff von einem ſo ungewoͤhnlichen Jnhalt. Allein die Nothwendigkeit der Sache wird mich entſchuldigen, (wo nicht nach Jhrem doch nach meinem Urtheil) darum will ich meinen Brieff nicht mit einer weitlaͤuffigen Schutz-Schrifft an - fangen.

Als Sie zuerſt in meines Vaters Hauſe bekannt wurden, fanden Sie mich in den gluͤcklichſten und vergnuͤgteſten Umſtaͤnden von der Welt. Meine lieben und guͤtigen Eltern liebeten mich zaͤrtlich, und freueten ſich daruͤber, daß mich zwey vaͤterlich - geſinnete Onckles mit ihrer Gewogenheit, und faſt alle Fremde mit ihrer Hochachtung beehrten.

Allein wie ſehr iſt dieſes Luſt-Spiel zum Trauer - Spiel geworden! Sie beliebten ein guͤnſtiges Auge auf mich zu werfen: Sie eroͤffneten dieſes meinen Ereunden, und dieſe billigten Jhre Vorfchlaͤge oh -ne377der Clariſſa. ne mich daruͤber zu hoͤren; gleich als waͤre meine eigene Wahl und das kuͤnftige Vergnuͤgen meines Lebens nur eine Kleinigkeit. Diejenigen, die ein Recht hatten in allen billigen Dingen Gehorſahm von mir zu erwarten, drungen auf einen unum - ſchraͤnckten und blinden Gehorſahm. Jch war ſo ungluͤcklich, andere Gedancken zu hegen als ſie: faſt gleich zu Anfang zeigte ſich ſchon die Verſchie - denheit unſerer Gedancken. Jch bat ſie, in einer Sache die meine eigene kuͤnftige Wohlfahrth anbe - trifft mit mir Geduld zu haben: allein es war al - les umſonſt. Hierauf ſagte ich Jhnen ſelbſt mei - ne Meinung in das Geſicht, weil ich glaubte, daß mich die Aufrichtigkeit hiezu verbaͤnde. Jch ſagte Jhnen ſogar, daß mein Hertz ſchon vergeben ſey. Allein zu meinem Leydweſen und Verwunderung blieben Sie bey Jhrer Anfoderung, und bleiben noch dabey.

Die Folgen hievon ſind fuͤr mich ſo betruͤbt ge - weſen, daß ich ſie nicht widerhohlen mag. Sie haben einen ſo freyen Zutritt in unſerem Hauſe, daß ſie Jhnen mehr als zu bekannt ſeyn muͤſſen: mehr als zu bekannt, ſo wohl in Abſicht auf meine Ehre, als auf den Begriff, den ich mir daher von Jhrem Gemuͤthe machen muß. Jch muß mir dergleichen Dinge gefallen laſſen, als ich vorhin nie gewohnt geweſen bin zu ertragen, und auch jetzt nicht zu verdienen meine. Die harte und unmoͤgliche Be - dingung, unter welcher ich die Gunſt der Meini - gen wider erhalten ſoll, iſt, daß ich die eintzigeA a 5Perſon378Die GeſchichtePerſon, die ich unter allen andern am wenigſten lieben kann, allen andern vorziehen ſoll.

Da ich ſo geaͤngſtiget und ungluͤcklich gemacht werde, und zwar das alles um Jhrent willen, und wegen Jhrer grauſamen Beſtaͤndigkeit, ſo ſchrei - be ich an Sie, um von Jhnen die Gemuͤths-Ruhe wider zu fodern, die Sie mir geraubet haben: um die Liebe ſo vieler werthen Freunde mir von Jhnen auszubitten, der Sie mich verluſtig machen: und (falls Sie anders ein ſo edles Hertz haben, als man bey einer Manns-Perſon und bey einem Ca - vallier erwarten ſollte) um Sie zu beſchweren, daß Sie von einem Geſuch abſtehen, das mit ſo uner - traͤglichen Folgen gegen die, welche Sie zu lieben vorgeben, verknuͤpft geweſen iſt.

Wenn Sie mich in der That werth ſchaͤtzen, wie mich meine Freunde bereden wollen, und Sie ſelbſt vorgeben, ſo muß es doch eine ſehr eigennuͤ - zige Werthſchaͤtzung ſeyn: eine Werthſchaͤtzung die mich zu keiner Danckbarkeit verpflichten kann, weil ſie fuͤr mich die ungluͤcklichſten Wuͤrckungen hat. Um Jhrer und nicht um meinetwillen moͤ - gen Sie mich werth ſchaͤtzen: und ſelbſt in dieſer Abſicht irren Sie ſich. Denn wird ein kluger Mann wuͤnſchen, eine ſolche Perſon zu heyrathen, die kein Hertz zu vergeben hat? Die ihn nicht lie - ben kann? Die eine ſchlimme Frau werden muß? Und wie grauſam iſt es, ein arm es Kind, das gern eine gute Frau werden wollte, dazu zwingen, daß ſie eine ſchlimme Frau werden muß?

Wenn379der Clariſſa.

Wenn ich mich in meinem Urtheil nicht betriege, ſo ſind unſere Neigungen ſehr verſchieden. Ein je - des anderes Frauenzimmer wird Sie gluͤcklicher machen koͤnnen als ich. Das was ich Jhrentwe - gen leyde, und die Hartnaͤckigkeit (nach dem Aus - ſpruch meiner Freunde) damit ich dieſes leyden er - trage, koͤnnten Sie ſchon hievon uͤberzeugen; wenu ich auch nicht im Stande waͤre, eine ſo gegruͤnde - te Urſache meiner wunderlich ſcheinenden Auffuͤh - rung anzugeben, als dieſe iſt, daß ich mich nicht entſchlieſſen kann einen Mann zu nehmen, fuͤr den ich keine Werth-Achtung habe.

Wenn Sie aber nicht ſo viel edles in Jhrem Gemuͤth haben, daß Sie aus Liebe zu mir von Jhrem Geſuch ablaſſen koͤnnen: ſo beſchwoͤre ich Sie, aus Liebe zu ſich ſelbſt und um Jhrer kuͤnfti - gen Ruhe und Wohlfarth willen dieſes zu thun, und ihre Liebe auf eine Perſon zu richten, die es wuͤrdiger iſt. Denn warum wollten Sie verlan - gen, mich ungluͤcklich zu machen, ohne doch ſelbſt gluͤcklich zu werden? Sie werden hiedurch das Jhrige zu meiner Ausſoͤhnung mit meinen Anver - wandten beytragen: und wenn die zu Stande kommt, ſo werden Sie mich in eben ſo gluͤcklichen Umſtaͤnden verlaſſen, als Sie mich gefunden haben. Sie brauchen nur zu ſagen: Sie ſaͤhen keine Hoffnung mich zu gewinnen: wie Sie es viel - leicht aus Hoͤflichkeit auszudruͤcken belieben wer - den; (und in der That kann auch keine gewiſſere Wahrheit ſeyn, als dieſe) Sie wollten deswegen nicht weiter an mich gedencken, ſondern ſich nach einer andern Parthey umſehen.

Wenn380Die Geſchichte

Wenn Sie dieſe Bitte erfuͤllen, ſo werden Sie mich Jhnen durch eine ſo edle Grosmuth unend - lich verbinden, und ich werde mit den heiſſeſten Wuͤnſchen fuͤr ihre Wohlfahrth ſeyn.

Jhre gehorſamſte Dienerin Cl. Harlowe.

An Fraͤulein Clariſſa Harlowe. demuͤthigſt zu uͤberreichen. Allerliebſte Fraͤulein,

Jhr Brieff hat bey mir eine gantz andere Wir - ckung gehabt, als Jhre Abſicht dabey war. Er hat mich zwiefach von der Vortreflichkeit Jhres Hertzens und von der Ehre uͤberzeugt, die ich davon haben wuͤrde, wenn ich Sie dereinſt die Meinige nennen duͤrffte. Nennen Sie dieſes Eigennutz, Eigenliebe, oder wie Sie ſonſt wollen, ſo muß ich doch bey meiner Bitte beharren: und wie gluͤck - lich wuͤrde ich ſeyn, wenn meine Geduld, meine Unterthaͤnigkeit und meine Beſtaͤndigkeit endlich alle Schwuͤrigkeiten uͤberwindet.

Da ihre lieben Eltern und Onckles und Jhre uͤbrigen Anverwanten voͤllig beſchloſſen haben, daß Sie mit ihrem Willen Herrn Lovelace nie bekommen ſollen; und da mir niemand auſſer ihm (wie ich glaube) im Wege ſtehet: ſo will ich mit Geduld den Ausgang der Sache abwarten. Ver - geben Sie mir was ich ſchreibe, liebſte Fraͤulein:ich381der Clariſſa. ich wuͤrde mich eher bewegen laſſen, einem alles mein Vermoͤgen als ein Zeichen meiner Edelmuͤ - thigkeit zu ſchencken, wenn er ohne daſſelbe nicht gluͤcklich ſeyn kaͤnnte; als daß ich einen viel un - ſchaͤtzbarern Schatz ſollte fahren laſſen, um die Gluͤckſeeligkeit eines andern zu befoͤrdern, und es ihm leichter zu machen, daß er mich um denſelben bringen koͤnnte.

Vergeben Sie mir, meine liebe Fraͤulein, daß ich mich gezwungen ſehe, beſtaͤndig zu bleiben, ob es mir gleich ſehr leyd thut, das Sie um meinet - willen leyden muͤſſen, wie Sie es wenigſtens an - ſehen. Jch habe nie vorhin ein Frauenzimmer geſehen, das ich lieben konnte. So lange alſo noch einige Hoffnung iſt, und ſo lange Sie an kei - nen gluͤcklichen Freyer verſaget ſind, werde und muß ich ſtets bleiben,

Jhr treuer und gehorſahmſter Bewunderer Roger Solmes.

Juncker Jacob Harlowes Schreiben an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Was fuͤr ein artiger Einfall von Euch iſt das, einen Brieff an Herrn Solmes zu ſchreiben, und von ihm zu begehren, daß er ſeine Anſpruͤche an Euch aufgeben moͤge. Unter allen Romaneſquen Schwuͤngen, die Eure Luſt immer geweſen ſind, iſt dieſes der hoͤchſte und ſonderbahrſte. Jch will der Dinge nicht gedencken, die uns alle gegen Euchentzuͤn -382Die Geſchichteentzuͤnden, nehmlich daß Jhr euch ſo guͤnſtig und geneigt gegen den Boͤſewicht erklaͤret, und mir und eurer Schweſter und Onckles ſo grob begegnet, von denen aber der eine zur Verantwortung ge - kommen iſt. Allein wie koͤnnt Jhr dasjenige Be - tragen Eurer Freunde, daruͤber Jhr ſo bittere Kla - gen fuͤhret, dem Herrn Solmes Schuld geben? Jhr wiſſet ja, kleines Naͤrrichen, daß eur verliebtes Hertz, ſo von Lovelacen eingenommen iſt, Euch alle dieſe unangenehmen Dinge zuziehet; die ge - wiß nicht unterblieben ſeyn wuͤrden, wenn gleich Herr Solmes Euch nie die Ehre gethan haͤtte, an Euch zu dencken.

Da ihr hievon ſelbſt uͤberzeuget ſeyn muͤſſet, ſo uͤberlegt einmahl, artige witzige Fraͤulein, (wenn Euch anders die Liebe noch Ruhe laͤßt, etwas zu uͤberlegen) wie artig das laſſen muß, wenn Jhr mit uns allen ſcheltet, und Herrn Solmes ſo hefftig beſchuldiget als Jhr koͤnnt. Wie gut ſchickt es ſich fuͤr Euch, Eure vorige Gluͤckſeeligkeit von ihm wider zu fodern; wie Jhr es zu nennen beliebet? Denn ein bloſſes Wort iſt das Wort Gluͤck ſee - ligkeit in Eurem Munde. Wenn Jhr unſere Liebe fuͤr eine Gluͤckſeeligkeit hieltet, ſo wuͤrdet Jhr ſie Euch ſelbſt wider geben, da dieſes in Eurer Macht ſtehet. Schreibt deswegen nur halb ſo nach - druͤcklich, Fraͤulein Naſeweiß, wo es ſo ſchlecht angebracht iſt. Seyd verſichert, Jhr moͤget Herrn Solmes bekommen oder nicht, ſo ſollt Jhr doch nie Eur Hertz-Blaͤttchen, den liederlichen Love - lace, haben, wenn Eltern, wenn Onckles, wennich383der Clariſſa. ich, wenn wir alle es noch hindern koͤnnen. Nein, mein gefallener Engel. Jhr ſollt Eure Eltern nicht durch einen ſolchen Sohn, und mich nicht durch einen ſolchen Bruder, als Lovelace der Ertz - Boͤſewicht ſeyn wuͤrde, beſchimpfen. Beruhiget alſo lieber Eur Hertz, und laſſet alle Gedancken von ihm fahren, wenn Jhr Vergebung, Verſoͤh - nung und Werthachtung von einem eintzigen un - ter uns, und inſonderheit von demjenigen erwar - ten wollet, der ſich jetzt noch nennet

Euren Bruder Jacob Harlowe.

P. S. Jch weiß, was Jhr fuͤr eine Fertigkeit im Schreiben habt. Wenn Jhr mir eine Antwort zuſchickt, ſo ſollt Jhr ſie unerbrochen wider bekom - men, denn in einer ſo deutlichen Sache verlange ich nicht Streit-Schrifften mit Euch verkehrten Maͤdchen zu wechſeln. Jch wollte Euch nur Ein vor allemahl wegen Herrn Solmes beßer beleh - ren: dem ich es im uͤbrigen ſehr verdencke, daß er ſich um Euch Muͤhe giebt.

Der vier und dreyßigſte Brieff. von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford

Jch erhalte mit großem Veꝛgnuͤgen die baldigen u. froͤlichen Verſicherungen eurer Pflichtmaͤſ -ſigen384Die Geſchichteſigen Treue und Liebe. Gib meinen beſten Freun - den, deren Nahmen ich in dem vorigen Brieffe ſchrieb, hievon Nachricht.

Jch wollte, daß du zu mir kaͤmeſt, ſo bald es dir moͤglich ſeyn wird: ich glaube nicht, daß ich der uͤbrigen ſo bald benoͤthigt ſeyn werde. Sie koͤnnen aber wol nach dem Gute des Lord M. rei - ſen. Jch will mich auch dort einfinden, nicht ſo wohl ſie zu empfangen, als nur den Lord M. zu beruhigen und ihn zu verſichern, daß kein neuer Streich vor iſt, der ihm zum zweyten mahl Muͤhe und Ungelegenheit machen koͤnnte.

Du ſelbſt mußt beſtaͤndig um mich ſeyn: nicht zu meiner Sicherheit, denn die gantze Familie kann weiter nichts als prahlen. Sie bellen nur, wenn ſie nicht zu nahe ſind. Jch verlange es blos von dir zu meinem Vergnuͤgen, damit du durch deine Beleſenheit und durch die kraͤftigſten Stel - len der ſchoͤnſten Lateiniſchen und Engliſchen Schriftſteller mein vor Liebe krantzes Hertz wider erpuicken moͤgeſt.

Es waͤre mir am beſten, wenn du in deinem atten Corporals Rock zu mir kaͤmeſt, und deinen Diener ohne Montur mitbraͤchteſt. Er koͤnnte etwas freyer mit dir umgehen, und fuͤr einen weit - laͤufftigen Anverwanten ausgegeben werden, fuͤr den du oben(†)d. i. zu London. ſorgen wollteſt. Jch meine nicht im Himmel: eine ſo falſche Auslegung wirſt du nicht machen. Du wirſt mich in einer kleinenBier -385der Clariſſa. Bier-Schencke, die die Leute ein Wirths-Haus nennen, antreffen. Das Zeichen iſt zum weiſſen Hirſch. Dieſer Hirſch iſt ſehr verwundet, doch nur durch das Wetter. Es liegt in einem arm - ſeeligen Dorfe eine gute Meile von Harlowe - Burg. Jedermann kennet Harlowe-Burg: denn es iſt ſeit kurtzer Zeit, ſo wie Verſailles, beynahe aus einem Miſt-Hauffen entſtanden, und wer ein wenig bey Jahren iſt, kann ſich des vorigen Zuſtandes noch erinnern. Jnſonderheit pflegen es alle Nothduͤrftige zu kennen; doch nur ſeit einigen Jahren, ſeitdem ſich ein gewiſſer En - gel unter den Soͤhnen und Toͤchtern der Men - ſchen hat blicken laſſen.

Die Leute in dem weiſſen Hirſch ſind arm, aber ehrlich. Jch habe es ihnen in den Kopf geſetzt, daß ich von groſſem Stande bin, und mich ver - kleidet habe: nun laͤßt ſich ihre Ehrfurcht und Demuth gar nicht einſchraͤncken. Es iſt eine klei - ne freundliche Tochter im Hauſe, die vor ſechs Ta - gen ſiebenzehn Jahr alt ward: ich nenne ſie nur mein Roſen-Knoͤſpchen. Sie hat keine Mut - teram Leben: Die Gros-Mutter, eine reinliche alte Frau, ſo gut als je eine auf dem Lande gewe - ſen iſt, hat mich gebeten Mitleyden mit dem armen Maͤdchen zu haben, und es nicht zu verfuͤhren. Sie hat mich auf der rechten Seite angegriffen. Manches kleinen ſchelmiſchen Maͤdchens wuͤrde ich geſchont haben, wenn mein Vermoͤgen es zu verfuͤhren erkannt, und ich fruͤh genug um Barm - hertzigkeit gebeten waͤre. Mein Wahlſpruch ſollErſter Theil. B bimmer386Die Geſchichteimmer das Depellare ſuperbas ſeyn, wenn ich mich wider in eine neue Liebe einlaſſen kann.

Unterdeſſen daß ich Wind und Wetter uͤber meinem Kopfe brauſen laſſe, und um die Mauren und Forſten von Harlowe-Burg herum ſchlei - che, wirſt du dir manches Vergnuͤgen mit dem kleinen unſchuldigen Maͤdchen machen koͤnnen. Sie hat eine unſchuldige Einfalt an ſich, die dir ſehr wohl gefallen wird: ſie iſt lauter Demuth, lauter Dienſtfertigkeit, lauter Unſchuld; und ſie gefaͤllt mir wegen dieſer Eigenſchaften und ſel bſt wegen ihrer Unſchuld wohl. Du wirſt in ihrem Gemuͤth alles das entdecken koͤnnen, was das vornehme Frauenzimmer verſtecken lernt, und eben durch dieſe Kunſt gezwungen und unange - nehm wird.

Allein ich warne dich zum voraus, daß du dich nicht unterſtehſt zu thun, was ich ſelbſt fuͤr die gan - tze Welt nicht thun wollte, nehmlich, mein Ro - ſen-Knoͤſpchen abzubrechen. Sie iſt die eintzige ſchoͤne Blume, die in zehn Jahren in dieſer gan - tzen Gegend gewachſen iſt, und in den kuͤnftigen zehn Jahren wachſen wird. Denn ich habe alle verwelckte und alle ſproſſende Roſen genau ange - ſehen, da ich vor langer Weile oft nicht weiß, was ich anfangen ſoll.

Jch bin lange Zeit nicht ſo tugendhaft geweſen: ich kann wol ſagen, ſeit dem ich inſeribirt bin. Es iſt mir auch zu rathen, daß ich tugendhaft bin. Mein Aufenthalt koͤnnte auf eine oder andere Weiſe ausgekundſchaftet werden; und man koͤn -te387der Clariſſa. te glauben, daß mein Roſen-Knoͤſpchen der Ma - gnet waͤre, der mich hieher zoͤge. Wenn mir ſo liebenswuͤrdige und einfaͤltige Leute ein gutes Zeugniß geben, ſo kann ich dadurch ein anderes Hertz gewinnen: auf das Zeugniß der Groß - Mutter kann man immer einen Eyd ablegen; und der Vater iſt ein guter ehrlicher Mann, der keine andere Freude hat als ſein Roſen-Knoͤſpchen. Schone mir deshalb dieſes Roſen-Knoͤſpchen: ich werde dich oft allein laſſen muͤſſen. Beobach - te in Abſicht auf mein Roſen-Knoͤſpchen das Ge - ſetz, von dem ich nie abgewichen bin, ohne daß es mir eine lange Reue gekoſtet hat: nehmlich, kein Maͤdchen ungluͤcklich zu machen, das ſich auf nichts als auf ihre Unſchuld und Ehrlichkeit ver - laſſen kann; und das ſich durch Vermoͤgen vor dem Spott boshafterer Gemuͤther und vor der aͤuſſerſten Armuth nicht in Sicherheit ſetzen kann. Ein ſolches Maͤdchen wird ſich nur heimlich graͤ - men, und um den Laͤſterungen der Welt zu ent - fliehen aus einer verbotenen Quelle trincken, oder das Strumpf-Band zu Huͤlffe nehmen; welchen Entſchluß vermuthlich die ungluͤckliche und ver - laſſene Liebe zuerſt unter den Menſchen bekannt gemacht hat. Mein Roſen-Knoͤſpchen wird dei - ner Geſchicklich keit in der Verfuͤhrung nicht Trotz bieten: ſie wird ſich nicht auf ihre eigene Staͤrcke verlaſſen, noch auf dich ein wachſahmes und arg - woͤhniſches Auge werfen, dadurch du am meiſten gereitzet werden wuͤrdeſt, alle deine Argliſtigkeit an ihr zu zeigen. Ohne an die Gefahr zu dencken,B b 2wird388Die Geſchichtewird dieſes Lamm ſeinen Hals kaum vor deinem Meſſer zuruͤck ziehen. Allein werde ja an mei - nem Lamm nicht zum Schlaͤchter.

Werde es um ſo viel weniger um der Urſache willen, die ich Dir jetzt melden will. Jhr artiges Hertz empfindet etwas von Liebe: ihre ſanfte Bruſt ſchwillt von Etwas, dem ſie noch keinen Nahmen zu geben weiß. Jch belaurete ſie ein - mahl, als ſie einem jungen Tiſcher, deſſen Mut - ter eine Witwe in der Nachbarſchaft iſt, beſtaͤn - dig nachſahe, der nach ihrer Redens-Art in dem kleinen weiſſen Hauſe uͤber den Weg wohnt. Es ſcheint ein artiger junger Menſch zu ſeyn, ohn - gefaͤhr drey Jahr aͤlter als ſie. Da ſie beyde Spiel-Cameraden geweſen ſind, er bis in das achtzehnte und ſie bis in das fuͤnfzehnte Jahr, ſo muͤſſen ſie jetzt deſto fremder thun, obgleich in ih - ren Hertzen der Grund zu einer viel naͤhern Be - kantſchaft lieget, als ſie jemahls gehabt haben. Denn ich habe bald gemerckt, daß ſie ſich von bey - den Seiten lieben. Jch ſahe von ihm immer ei - nen Kratz-Fuß und Buͤckling, ſo bald er ſein arti - ges Kind gewahr ward, und er kehrte ſich oft um, ihrem Auge, das ſeinem Ruͤcken nachfolgete, ei - nen Blick zu geben. Wenn ein krummer Gang ihn verhinderte ſie zu ſehen, ſo beugete er den gan - tzen Leib herum, und nahm den Huth deſto ehrer - bietiger ab. Sie beantwortete dieſes, ohne mich zu ſehen, weil ich mich hinter ihr verborgen hatte, mit einem tieffen Knix, und mit einem Seufzer, den er nicht hoͤren konnte. Du gluͤcklicherSchelm!389der Clariſſa. Schelm! dachte ich bey mir ſelbſt, und machte mich davon. Mein Roſen-Knoͤſpchen trat bald ſo froͤlich in das Haus herein, als wenn es mit dem ſtummen Anſehen ſchon vergnuͤgt waͤre, und nichts weiter wuͤnſchete.

Jch habe ihr kleines Hertzchen erforſchet; ſie hat mich zu ihrem Vertrauten erwaͤhlt. Sie ge - ſteht mir, ſie moͤchte Haͤnschen Bartons recht gern leyden: und Haͤnschen Bartons haͤtte ihr auch geſagt, er moͤchte kein Maͤdchen ſo gern ley - den, als ſie. Allein es ſey nicht daran zu dencken. Warum denn nicht daran zu dencken? fragte ich. Ach, ſie wuͤſte es nicht: und mit dem Worte kam ein Seufzer. Der junge Barton haͤtte eine alte Baſe, die wollte ihm hundert Pfund ſchen - cken, wenn er ausgelernt haͤtte. Jhr Vater aber koͤnnte ihr weiter nichts mitgeben, als einige Klei - nigkeiten von Hausgeraͤthe zur Ausſtattung. Haͤnschens Mutter ſagte zwar, ſie wuͤßte keine huͤbſchere und artigere Frau fuͤr Haͤnschen. Aber (ein neuer Seufzer) was hilft das ſagen? Jch wollte nicht, daß Haͤnschen um meinetwillen un - gluͤcklich und duͤrftig wuͤrde. Das wuͤrde mir anch nichts nuͤtzen.

Was wollte ich darum geben, daß ich ein ſo aufrichtiges und unſchuldiges Hertz haͤtte als mein Roſen-Knoͤſpchen und ihr Haͤnschen? Bey meiner Seele, mein Engel bekehrt mich noch, wenn uns nicht der unverſoͤhnliche Unverſtand der thoͤrichten Familie beyde ungluͤcklich macht.

Jch glaube, ich habe ſelbſt von Natur ein ver -B b 3wor -390Die Geſchichteworrenes und gefaͤhrliches Hertz. Dann und wann ſteigt ein guter Gedancke darin auf, allein er ſtirbt bald wider. Die Liebe zur Intrigue, und ein Kopf der an hoͤſen Erfindungen reich iſt, toͤdtet ihn. Das Gluͤck hat mich in Umſtaͤnde geſetzt, die mir Muth machen, Streiche zu ſpielen; und die gute Geſundheit traͤgt auch das ihrige dazu bey - Doch was ſoll ich den Schelm bemaͤnteln! Jch waͤre ein Ertz-Schelm geworden, wenn ich auch zum Pfluge gebohren waͤre.

Der Teuffel ſteckt in den Frauens Leuten. Sie ſind ewige Verfuͤhrerinnen. Wer iſt jemahls wi - der tugendhaft geworden, nachdem er einmahl geſuͤndiget hat? Wir Frey-Geiſter ſuchen die Tugend gleichſahm auszurotten, und verſchwoͤ - ren uns gegen ſie: allein was iſt das Ziel unſerer Wuͤnſche in Abſicht auf das Frauenzimmer oh - ne Tugend? Die Vorbereitungen und die Hof - nung ſind faſt unſer gantzes Vergnuͤgen: das Zuruͤckdencken an unſern Sieg kann auch ver - gnuͤgen wenn das Hertz ſchon verhaͤrtet iſt, und keins Empfindung von vergangenen Uebelthaten bat. Allein der Genuß ſelbſt iſt ein fluͤchtiges nichts. Und dieſes iſt doch der Endzweck, ohne den ſich unſere Natur nicht befriedigen laͤßt.

Du ſieheſt, was fuͤr ernſthaffte Gedancken ein unſchuldiges Kind bey mir erwecken kann. Jch freue mich, wenn ich mercke, daß meine Beſſerung noch nicht unmoͤglich iſt: allein ich glaube, ich werde beſſere Geſellſchaft ſuchen muͤſſen, als ich bisher gehabt habe.

Wir391der Clariſſa.

Wir verderben und verhaͤrten einer den an - dern. Werde deswegen nicht betruͤbt, Junge. Jch werde Zeit genug haben, es dir und deinen Bruͤdern ſo fruͤh zum voraus zu ſagen, wenn ich mich beßeru will, daß ihr einen andern Anfuͤhrer waͤhlen koͤnnt. Und wen wird die Wahl anders treffen, als dich?

Es iſt meine Regel, ein gutes Werck zu thun, und gleichſahm ein Opfer zu bringen, wenn ich mir einer Ausſchweiffung bewuſt bin, die unter die Tod-Suͤnden gehoͤren kann. Da ich nun jetzt ziemlich in Schuld von dieſer Art bin, ſo habe ich mich entſchloßen, das unſchuldige Paar gluͤcklich zu machen, und noch andere hundert Pfund zu den hundert Pfund des jungen Bartons hinzu zu thun, ehe ich dieſe Gegend verlaße. Gluͤcklich und nach Wunſch hoffe ich ſie zu verlaſſen: oder es wird ſchwer halten, daß mich die Rachgier nicht verleiten ſollte noch einmahl ſo viel Ungluͤck anzurichten: aber kein Ungluͤck fuͤr mein Roſen - Knoͤſpchen. Darum, Darum, noch ein halb Dutzend Darum verſchone ja mein Roſen - Knoͤſpchen.

Jch werde geſtoͤrt. Jch ſchreibe bald einen an - dern Brief; und ich will beyde zugleich ſchicken.

Der fuͤnf und dreyßigſte Brief von Herrn Lovelaee an Herrn Johann Belford.

Durch meinen aufmerckſahmen Spion erfahre ich alles, was ſowohl mein unvergleichlichesB b 4Kind392Die GeſchichteKind als ihre Anverwanten vornehmen. Er iſt meinem Hertzen eine Labung, wenn ich mir vor - ſtelle, wie die Onckles und der Bruder mit dem Schelm ſo freundſchaftlich umgehen, und ihn in alle ihre Geheimnuͤſſe ſehen laſſen, und er handelt doch in allen Stuͤcken nur nach meiner Vor - ſchrift. Jch habe ihm inzwiſchen bey Verluſt ſeines woͤchentlichen Soldes und aller meiner Gunſt, befohlen, mit aller moͤglichen Sorgfalt zu verhuͤten, daß weder meine Schoͤne noch irgend ein auderer in der Familie einigen Verdacht auf ihn werfen moͤge. Er ſoll zwar auf die Gaͤnge meiner Goͤttin Acht geben, allein blos um andere Bedienten abzuhalten, daß ſie ihr nicht nachſpuͤ - ren: er ſoll ſich aber ſelbſt nicht vor ihr ſehen laſſen.

Er hat dem Bruder erzaͤhlen muͤſſen: das liebe Kind habe ihn beſtechen wollen, (ob es gleich nie daran gedacht hat) einen Brief (den es nie ge - ſchrieben hat) an die Fraͤulein Howe zu bringen. Er vermuthe, es wuͤrde auch einer an mich einge - ſchloſſen geweſen ſeyn. Er haͤtte es ihr aber abge - ſchlagen, und baͤte, ſie moͤchten ſich nichts davon gegen die Fraͤulein mercken laſſen. Dieſe Nach - richt brachte ihm einen gantzen halben Gulden und ſehr viel Lob zu wege. Es erfolgete darauf ein Befehl an alle Bedienten, ſehr wach ſahm zu ſeyn, damit die Fraͤulein nicht auf ein oder andere Wei - ſe den Brief beſtellen moͤchte. Nach Verlauf ei - ner Stunde ward ihm befohlen, ihr in den Weg zu kommen, und es ihr abzubitten, daß er vorhin den Brief nicht haͤtte beſtellen wollen: nebſt demAner -393der Clariſſa. Anerbieten, ihn zu uͤberbringen. Fuͤr ihn wird wol das rathſamſte ſeyn, vorzugeben, ſie haͤtte ihm nunmehr auch den Brieff nicht anvertrauen wollen.

Kannſt du mercken, wie viele Endzwecke ich durch dieſes eintzige Mittel erreiche?

Die Fraͤulein behaͤlt dadurch, ohne die Urſa - che zu wiſſen, die Freyheit allein in dem Garten herum zu gehen. Des Lehmanns Erzaͤhlung beſtaͤrckt die Jhrigen in der Meinung, daß ſie nun keine Briefe mehr wechſeln koͤnne, nachdem ſie ihr Cammer-Maͤdchen abgeſchaft haben: denn ſonſt wuͤrde ſie es nicht gewagt haben, dieſen Be - dienten zu beſtechen, der keiner von ihren Ver - trauten iſt: ſie kann demnach ihren Brief-Wech - ſel mit mir und der Fraͤulein Howe ohne einigen Verdacht fortſetzen.

Vielleicht bekomme ich auch durch eben dieſes Mittel eine Gelegenheit, mich mit ihr zu unterre - den. Jch dencke jetzt eben darauf, wie ich mir ei - ne ſolche Gelegenheit machen will, ſie mag es bil - ligen oder nicht, nachdem ich durch meinen Spion, der alle andere Bedienten abhalten kann erfahren habe, daß ſie alle Morgen und Abends nach einem abgelegenen Holtz-Behaͤlt - niß unter dem Vorwand gehet, einige Bantami - ſche Huͤner von ihres Gros Vatters Zucht, an denen ſie noch ſehr viel Vergnuͤgen findet, und ei - niges andere artige Feder-Vieh zu ſehen und zu ſuͤttern. Jch weiß alle ihre Tritte und Schritte an dieſem Orte: und es kommt mir vor, daß hierB b 5ihr394Die Geſchichteihr Poſt-Contoir an die Fraͤulein Howe iſt, nachdem ſie mir geſtanden hat, daß ſie mit dieſer Briefe wechſele.

Dieſe Unterredung ſoll ſie hoffentlich dazu bringen, mir dieſe Freyheit noch mehrmahls zu geſtatten. Denn wenn ſie gegen den Ort unſe - rer erſten Zuſammenkunft eine Einwendung hat, ſo kann ich ihr in dem ſchattigten Theil des Gar - tens, der nach Hollaͤndiſchen Geſchmack angelegt iſt, aufwarten, ſo bald ſie es befiehlt; denn der vorhin erwaͤhnte Lehmann hat mir Gelegenheit verſchaft, mir zwey Schluͤſſel zu der Garten-Thuͤr machen zu laſſen, die nach dem unrichtigen Waͤldchen fuͤhrt, in dem es, wie die Leute meinen, ſpuͤckt, weil ſich einer vor zwantzig Jahren darinn erhenckt hat. Den einen Schluͤſſel habe ich ihm aus gewiſſen Abſichten zuruͤck gegeben. Er hat mir verſprochen auf meinen erſten Winck die Thuͤr inwendig aufzuriegeln.

Jch habe ihm aber zum voraus auf meine Eh - re verſprechen muͤſſen, daß ich mich dieſes Ein - gangs in den Garten nicht zum Schaden meiner Feinde bedienen will. Denn er ſagt: er haͤtte ſei - ne Herrſchaft lieb; und wenn er mich nicht fuͤr ei - nen ehrliebenden Herrn hielte, und glaubte, daß eine Verbindung mit mir ſeiner Herrſchaft eine Ehre ſeyn wuͤrde, und daß ſie es ſelbſt dafuͤr hal - ten wuͤrde, wenn nur erſt die Vorurtheile bey Seite gelegt waͤren: ſo wollte er die Welt nicht nehmen, um das zu thun was er jetzt thaͤte.

Jch habe nie einen Schelm gekannt, der nichtſeine395der Clariſſa. ſeine Ausflucht haͤtte. Was fuͤr eine Ehre fuͤr die Ehrlichkeit, daß ein jeder ehrlich ſeyn will, wenn er gleich weiß, daß er denſelben Augenblick Wege gehet, die ihn vor der gantzen Welt und vor ſeinem eigenen Gewiſſen zum Schelm ma - chen werden!

Was kann aber die tumme Familie fuͤr Urſa - chen haben, mich zu ſolchen Mitteln zu zwingen? Jch kann es nicht begreiffen. Liebe und Rache uͤberwerfen ſich bey mir: und bald iſt dieſe bald jene der andern uͤberlegen. Wenn meine Liebe ungluͤcklich iſt, ſo wird das mein eintziger Troſt ſeyn, daß ich meine Rache kuͤhlen kann: und wahrlich ſie ſoll ihnen empfindlich genug ſeyn, wenn ich auch mein Vaterland hernach auf ewig raͤumen muͤßte.

Jch will meinem unvergleichlichen Kinde un - vermuthet in den Weg kommen: zweymahl ha - be ich es vergeblich zu thun geſucht. Jch werde alsdenn ſehen, was ich zu hoffen habe: wenn ich mercke, daß ich nichts bey ihr ausrichten kann, ſo haͤtte ich wohl Luſt ſie zu entfuͤhren. Das waͤre eine Entfuͤhrung, die wuͤrdig iſt von dem Jupiter begangen zu ſeyn.

Allein alles was ich bey dieſem erſten Beſuch vornehme, ſoll ſanft ſeyn: alle meine Bitten an ſie demuͤthig und ehrerbietig. Blos ihre Hand ſoll einen Druck von meinen Lippen empfinden; von meinen bebenden Lippen; denn ſie ſollen, und ich weiß ſie werden von ſelbſt beben. Meine Seufzer ſollen ſo ſanfte und gelaſſen ſeyn, als dieSeufzer396Die GeſchichteSeufzer meines Roſen-Knoͤſpchens. Durch mei - ne demuͤthige Unterthaͤnigkeit will ich ihr ein Zu - trauen zu mir machen. Die Abgelegenheit des Ortes will ich mir gar nicht zu Nutze machen; denn mein eintziger Zweck iſt, ihr die Furcht vor mir zu benehmen, und zu machen, daß ſie ſich kuͤnſtig auf mein Wort und auf meine Ehrlich - keit verlaͤßt. Jch will mich nur ſehr wenig uͤber ihre Anverwante beklagen, und denen gar nicht drohen die mir drohen: allein ſo wie Drydens Loͤwe, damit ich meine ſchoͤne Beute deſto gewiſ - ſer bekommen moͤge, oder (wo das nicht geſchie - het) meinen Muth deſto mehr kuͤhlen koͤnne.

Sein Hertz iſt groß genug den Unmuth
zu verheelen,
Da, wo die Rache ſchweigt, da tobt ſie
in der Seelen,
Die Bruſt durchgluͤht der Zorn, wenn
nie der Mund gedroht:
Dem edlen Loͤwen gleich der in verſtell -
tem Schlummer
Am Wege ruhig liegt, wenn er verhalt -
nen Kummer
Auf volle Rache ſpart, und ſeines Jaͤ -
gers Tod
Jm Traum ſchon ſchaͤumend ſchmeckt.
Er laͤſt die Maͤnen ſincken
Und haͤlt ſein Bruͤllen an, bis ſich ſein
Feind genaht.
Begierig auf den Raub und durſtig Blut
zu trincken,
Erwacht397der Clariſſa.
Erwacht ſein Grimm: er bruͤllt: ſein
Bruͤllen iſt die That:
Erhitzt, berauſcht von Muth, von ſei -
nes Moͤrders Strafe
Durchſtreicht er unverſehrt ein wehrlos
Volck der Schaafe,
Sein Koͤniglicher Zorn kuͤhlt ſich an
edlerm Blut.

Der ſechs und dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch bin vor Schrecken außer mir; und ich kann noch nicht wieder zu Athem kommen. Die Urſache iſt dieſe. Jch ging unter dem ge - woͤhnlichen Vorwand hinunter und hoffte etwas von Jhnen zu finden. Es that mir Leyd, daß ich mich betrogen ſehen mußte; und als ich aus dem Holtz-Stall zuruͤck ging ſo hoͤrte ich ein Geraͤuſch, als wenn jemand hinter dem Holtz verſteckt waͤ - re. Jch wunderte mich ungemein, als jemand hinter dem Holtze hervor kam. Ach! dachte ich ſo gleich: das iſt die Frucht des verbotenen Brief - wechſels.

So bald ich ihn ſahe, bat er mich, ich moͤchte mich nicht erſchrecken. Als er naͤher kam ſo er - oͤffnete ſich ein Ueberrock von einem Pferde - Knecht: und wer meinen Sie, wer ſteckte darin, als Herr Lovelace? Jch wollte ruffen, ſobald ichſahe,398Die Geſchichteſahe, daß es eine Manns-Perſon war, und abermahls als ich ſahe wer es war. Allein ich hat - te keine Stimme. Wenn ich mich nicht an ei - nen alten Staͤnder gehalten haͤtte, ſo wuͤrde ich zu Boden geſuncken ſeyn.

Sie wiſſen daß ich ihm bisher nicht erlaubt ha - be, mir ſo nahe zu kommen, oder frey und be - kannt gegen mich zu thun. Dencken Sie nun ſelbſt, wie groß mein Schrecken geweſen ſeyn muͤße, als ich wieder zu mir ſelbſt kam, und mir alles was ich von jederman in unſerm Hauſe ge - gen ihn gehoͤrt hatte beyfiel. Jch wuſte, daß ich es mit einem Menſchen zu thun haͤtte, der alles wagen koͤnnte, und ich war in einem vom Hauſe entfernten Ort bey ihm, der nahe bey einem ab - gelegenem Fuß-Steige war. Allein er war ſo ehrerbietig, daß alle dieſe Furcht ſehr bald ver - ſchwand, und die Furcht entdeckt und von mei - nem Bruder uͤberfallen zu werden an deren Stel - le kam. Jch konnte leicht zum voraus ſehen, was die Folgen hievon ſeyn wuͤrden, wenn auch kein weiteres Ungluͤck daraus entſtuͤnde: nehmlich, daß man mich beſchuldigen wuͤrde, als haͤtte ich Herrn Lovelace an den Ort hin beſchieden, das man mich noch enger einſchraͤnckte, meinen Briefwechſel mit Jhnen voͤllig hinderte, und An - laß naͤhme noch ſchaͤrffere Zwangs-Mittel gegen mich zu gebrauchen. Dieſe Gedancken machten mich ſehr misvergnuͤgt uͤber ihn, daß er ſich un - terſtand mir auf eine ſo ungebetene Weiſe ſeine Aufwartung aufzudringen.

So399der Clariſſa.

So bald ich wider reden konnte, gab ich ihm meinen Unwillen ſehr nachdruͤcklich zu erkennen. Jch ſagte: er ſchiene ſich wenig darum zu bekuͤm - mern, ob er alle die Meinigen gegen mich auf - braͤchte, wenn er nur ſeine ungeſtuͤmen Begierden erfuͤllen koͤnnte. Jch verlangte, er moͤchte mich den Augenblick verlaßen. Jch wollte hierauf ei - lig weglauffen: er warff ſich aber in den Weg und vor meine Fuͤße nieder, und bat mich nur ei - nen Augenblick zu warten: er habe ſich dieſer Ue - bereilung, wenn ich es ja ſo nehmen wollte, ſchul - dig gemacht, um eine noch viel ſchaͤndlichere Ue - bereilung nicht zu begehen. Denn, es kurtz zu ſagen, er koͤnnte die Beſchimpfungen nicht laͤnger verſchmertzen, die er von meiner Familie faſt alle Stunden erlitte, wenn er fuͤrchten muͤßte, ſo wenig Antheil an meinem Hertzen zu haben, und vor ſich ſaͤhe, daß er zum Lohn ſeiner Gedult mich endlich auf ewig verlieren, und daruͤber verſpot - tet und laͤcherlich werden wuͤrde.

Sie wißen, wle beugſahm ſeine Knie ſind: daß Sie ſo gar im Spaß geſagt haben: er thue klug daran, wenn er oft in Kleinigkeiten etwas verſe - he, damit er ſeine gelencken Glieder zu zeigen Gelegenheit habe.

Er fuhr fort davon zu reden, daß er fuͤrchtete: ein ſo artiges und gefaͤlliges Gemuͤth als ich haͤt - te, und gegen alle (nur ihn ausgenommen) be - wieſe, wuͤrde ſich doch endlich uͤberwinden laſ - ſen, den Mann zu nehmen, den man mir aus Boßheit und Rachgier geben wollte: aus Rach - gier gegen mich, wegen des Teſtaments meinesGroß -400Die GeſchichteGroß-Vaters; und aus Rachgier gegen ihn, weil er dem das Leben geſchenckt haͤtte, der ihm das Leben haͤtte nehmen wollen, und der ihm ietzt eine Hoffnung rauben wollte, die er hoͤher als das Leben ſchaͤtzte. Er wiße wohl, daß mich der Ge - horſahm gegen meine Eltern, darin ich andern ein Muſter waͤre, geneigt machte, gegen andere meine Pflicht zu erfuͤllen, wenn ſie gleich ihrer Pflicht gegen mich vergaͤßen.

Jch antwortete ihm: er koͤnnte veſt verſichert ſeyn, daß die Meinigen durch Haͤrte ihren Zweck bey mir nicht erreichen wuͤrden. Ob ich gleich von gantzem Hertzen und aufrichtig geſonnen waͤre, lieber unverheyrathet zu bleiben; und ob ich gleich heilig verſprechen koͤnnte; wenn ich ja heyrathen ſollte, und ſie mir nur meine Freyheit ließen, daß ich alsdenn die Perſon nie waͤhlen wolle, die ih - nen misfaͤllig waͤre

Er fiel mir in die Rede: ich wuͤrde ihm verge - ben! er koͤnnte ſeinen groſſen Kummer nicht ver - heelen, wenn er nach ſo vielen Proben ſeiner Lie - be und recht folgſahmen Ergebenheit

Mit Erlaubniß, daß ich ihnen wider in die Re - de falle! (ſagte ich) warum behaupten ſie nicht mit deutlichern Worten, daß ich ihnen ſehr ver - pflichtet bin? Warum ſagen ſie nicht eben ſo nachdruͤcklich, als ſie es jetzt zu verſtehen gaben, daß ich ihnen fuͤr ihre Beſtaͤndigkeit, daruͤber ich mit allen den Meinigen zerfallen bin, ſehr vielen Danck ſchuldig bin, und daß es fuͤr eine Undanck - barkeit anzuſehen ſey, wenn ich dieſe Beſtaͤndig - keit nicht nach ihrem Wunſch belohne?

Er401der Clariſſa.

Er antwortete: er wuͤrde ſich nie eine Wuͤr - digkeit als in Vergleichung anderer, die meiner noch unwuͤrdiger waͤren, anmaſſen. Er glaubte nicht, daß ein Menſch auf der Welt wuͤrdig ſey, mich zu beſitzen. Allein unter dieſer Einſchraͤn - ckung muͤßte ich ihm verzeyhen, daß er auf etwas mehr Gewogenheit gehoffet haͤtte, wenn er ſolche Mit-Buhler haͤtte, als Symmes, Wyerley, und ein ſo nichtswuͤrdiges Ungeziefer als Sol - mes, den ich ſelbſt abgewieſen haͤtte. Jch redete von ſeiner Beſtaͤndigkeit, und ſaͤhe ſie als die Ur - ſache meines Ungluͤcks an. Es ſey ihm zwar ohnmoͤglich, nicht beſtaͤndig zu ſeyn: indeſſen koͤnnte ich gewiß glauben, daß wenn er auch nicht in der Welt waͤre, ich dennoch eben ſo ſehr mit meinen Anverwanten wuͤrde zerfallen ſeyn. Er naͤhme ſich die Freyheit zu ſagen, daß einige Ge - wogenheit gegen ihn mein Ungluͤck nicht vergroͤſ - ſern, ſondern vielmehr der ſicherſte Ausgang aus demſelben ſeyn wuͤrde. Sie haͤtten es einmahl ſo weit getrieben, (wie ſehr fuͤrchte ich, daß dieſes nichts als die Wahrheit iſt) daß ich ihnen nicht anders gefaͤllig ſeyn koͤnte, als wenn ich mich Sol - meſen aufopferte, Sie wuͤſten uͤber dieſes gar zu wohl, was fuͤr ein Unterſcheid zwiſchen ihm und Solmes ſey. Jenen hoffeten ſie bey der Naſe herumzufuͤhren; und er wuͤrde vermuthlich im Stande ſeyn, mich zu verthey digen, wenn mir Un - recht geſchehe: nicht zu gedencken, daß ihm die Geburt eine viel beſſere Hoffuung gaͤbe, einen hoͤ -Erſter Theil. C chern402Die Geſchichtehern Rang zu erlangen, als ſich mein Bruder machen koͤnnte, wenn er Schloͤſſer in die Lufft bauete.

Wie weiß der Mann alle unſere Thorheiten ſo genau? Jch wundere mich noch mehr, wie er dar - auf gekommen iſt, mich an dieſem Orte zu ſuchen.

Jch war ſehr unruhig, und wollte nicht laͤnger bleiben, ſonderlich deswegen, weil die Nacht an - brach. Jch konnte aber nicht von ihm loskom - men, bis ich noch mehr von ſeinem Anliegen ge - hoͤrt hatte.

Weil er hoffete, daß ich mich noch endlich be - wegen laſſen wuͤrde, ihn zu dem gluͤcklichſten Men - ſchen unter der Sonnen zu machen: ſo koͤnnte ich ihm eine ſolche Sorgfalt fuͤr meinen guten Nah - men zutrauen, daß er eben ſo wenig etwas anra - then wuͤrde, das auch nur einen Schatten auf mei - ne Ehre werffen koͤnnte, wenn es ihm gleich noch ſo vortheilhaft waͤre, als ich einem ſolchen Rath folgen wuͤrde. Da ich nicht Erlaubniß erhalten koͤnnte, unverheyrathet zu bleiben, ſo moͤchte ich ſelbſt bedencken, ob ich mehr als einen Weg vor mir ſehe, mich von einem Zwange zu retten, der meinen Neigungen ſo ſehr zuwider ſey? Mein Va - ter ſaͤhe alles Nachgeben fuͤr eine Verletzung ſeiner Rechte an: meine beyden Onckles haͤtten eben die Art zu dencken als er: mein Bruder und meine Schweſter braͤchten einander nur noch mehr ge - gen mich auf: Solmeſens Vorſchlaͤge bezauber - ten jedermann: die Mutter der Fraͤulein Howe mache beynahe gemeinſchaftliche Sache mit denMei -403der Clariſſa. Meinigen, damit ihre Tochter ein gutes Exem - pel an mir haben ſolle.

Er fragte mich hierauf ob ich einen Brief von der Frau Lawrance annehmen wollte, wann ſie bey dieſer Gelegenheit an mich ſchriebe. Frau Satleir haͤtte kuͤrtzlich ihr eintziges Kind verloh - ren, und bekuͤmmerte ſich faſt nicht mehr um dieſe Welt, als nur daß ſie ihn gern verheyrathet ſehen moͤchte, und zwar am allerliebſten mit mir.

Es iſt in der That vieles von dem wahr, was der Mann ſagte. Jch darff doch dieſes an Sie ſchreiben, ohne daß Sie mich von neuem beſchul - digen, daß ich vor Liebe roth wuͤrde oder das Hertz mir ſchluͤge? Jch antwortete ihm dem ohn - geachtet: ob ich gleich viel Ehrerbietung gegen das vornehme Frauenzimmer damit er verwant waͤre, und inſonderheit gegen ſeine beyden Tanten haͤtte; ſo wuͤrde ich doch wiſſentlich keinen Brief anzu - nehmen wuͤnſchen, der auf eine Abſicht zielete, die ich nicht befoͤrdern helfen wollte. So viel ich auch leyden muͤßte, ſo ziemete es ſich doch fuͤr mich, al - les zu dulden, alles zu hoffen, und alles moͤgliche zu verſuchen. Wenn mein Vater ſaͤhe, wie ſtand - haft ich waͤre, und daß ich lieber ſterben als Herrn Solmes nehmen wollte; ſo wuͤrde er vielleicht nachgeben.

Er unterbrach meine Rede, und ſtellete mir die Unwahrſcheinlichkeit meiner Hoffnung vor, die mir ſelbſt in die Augen fallen muͤßte, wenn ich auf die Handlungen der Meinigen Acht gaͤbe. Er erzaͤhlte dieſe nach der Reihe: daß ſie Frau Howe gegenC c 2mich404Die Geſchichtemich eingenommen haͤtten, zu der ich haͤtte fliehen koͤnnen, wenn es auf das aͤuſſerſte gekommen waͤ - re: daß mein Bruder meinem Vater beſtaͤndig in den Ohren laͤge; der Obriſte Morden wuͤrde bald ankommen, und wuͤrde darauf dringen, daß ich nach dem Jnhalt des grosvaͤterlichen Teſta - ments von meinem Gut Beſitz naͤhme, dadurch ich in den Stand kommen wuͤrde, frey und un - gebunden zu handeln: meine ſchimpfliche Gefan - genſchaft: daß ſie mein Cammer-Maͤdchen ſo ploͤtzlich abgeſchaft, und meiner Schweſter Cam - mer - Maͤdchen uͤber mich geſetzt haͤtten: daß ſie meine Mutter vermocht haͤtten, wider ihre eigene Einſicht Parthey mit ihnen zu machen: alles die - ſes waͤre ein Sonnen-klarer Beweiß, daß ihnen nichts zu ungereimt und hart vorkommen wuͤr - de, wenn es nur ein Mittel zu ihrem Endzweck waͤre: und eben hieruͤber ſey er ſo unruhig.

Er fragte mich: ob ich mich erinnern koͤnnte, daß mein Vater jemahls von einer gefaſſeten Entſchlieſſung wider abgegangen waͤre? inſonder - heit wenn er haͤtte glauben koͤnnen, daß ſeine Rech - te dadurch verletzt wuͤrden? Seine Bekanntſchaft mit unſerer Familie ſetzte ihn in den Stand, einige Beyſpiele davon zu geben, daß mein Vater eine ſo unumſchraͤnckte Herrſchaft uͤbete, als kaum in fuͤrſtlichen Haͤuſern gewoͤhnlich waͤre: (alleine ſie moͤchten mir vielleicht zu empfindlich ſeyn) eine Herrſchaft die meine unvergleichliche Mutter all zu ſehr fuͤhlete.

Er405der Clariſſa.

Er wollte noch weiter in gleichem Ton fortfah - ren; ich ſagte ihm aber auf eine empfindliche Art: ich koͤnnte nicht zugeben, daß mein Vater in mei - ner Gegenwart durchgezogen wuͤrde. Ob ich gleich ſeine Haͤrte nicht verdienet haͤtte, ſo waͤre ſie doch keine hinlaͤngliche Urſache fuͤr mich, mich von mei - ner kindlichen Pflicht loszureiſſen.

Er ſagte: er haͤtte gar nicht Luſt etwas vor - zubringen, das ſo ausgelegt werden koͤnnte. Denn ob ihm gleich ſo begegnet waͤre, daß er ſich eini - germaſſen fuͤr berechtiget halten koͤnnte, auch ſeine Anmerckungen uͤber die Auffuͤhrung der Meinigen zu machen: ſo wuͤßte er doch wohl, wie unertraͤg - lich es mir ſeyn wuͤrde, wenn er ſich dieſe Freyheit herausnehmen wollte. Es wuͤrde ihm zwar ſchwer, ſich ſo zu buͤcken, und bey ſolchen Beſchimpfungen ſtumm zu bleiben, da man bey ihm eben ſowohl als bey andern der Jugend und der Hitze der Ley - denſchaften etwas zu gute halten koͤnnte, und er ſich ſonſt ſtets eine Ehre daraus gemacht haͤtte, ſeine Meinung frey heraus zu ſagen Dem ohnge - achtet wollte er aus Hochachtung gegen mich ſich nicht unterſtehen etwas an meinem Vater zu ta - deln, als nur ſolche Handlungen, die niemand leugnete, und uͤber deren Richtigkeit man gar nicht ſtreiten koͤnnte. Jch koͤnnte alſo mit Recht nicht unwillig werden, wenn er dieſen Schluß machte: wenn mein Vater ſich ſo gegen eine Gemahlin be - traͤgt, die gegen ſeine eingebildeten Rechte, in die er ſich ſo ſehr verliebt hat, keine Einwendung macht: was hat denn eine Tochter zu hoffen, die ſeinenC c 3Be -406Die GeſchichteBefehl nicht erfuͤllen will, den er doch mit gantzer Macht durchzutreiben und zu behaupten geſinnet iſt? wenn ihn noch dazu ein Vortheil und Ver - groͤſſerung der gantzen Familie unbeweglicher macht? wenn ein ungegruͤndeter Groll und Ab - neigung des Vaters, wenn die Rachgier und ei - gennuͤtzigen Abſichten meines Bruders und meiner Schweſter, meine Umſtaͤnde noch ſchwerer ma - chen? wenn meine Verbannung mich verhindert meine Sache nicht muͤndlich vorzuſtellen, und um Gelindigkeit und Verſchonen zu bitten?

Wie ungluͤcklich iſt es fuͤr mich, mein Schatz, daß dieſe Anmerckungen nebſt dem daraus gezoge - nen Schluſſe nur allzurichtig ſind? Er ſagte alles dieſes auf eine viel ſanftere Weiſe, und mit viel groͤſſerer Ehrerbietigkeit gegen meine Familie, als man von einem Herrn haͤtte vermuthen koͤnnen, der von den Meinigen auf das aͤuſſerſte gere itzt iſt, und den jedermann fuͤr heftig und ungeſtuͤm haͤlt.

Sie werden mich abermahls fragen: ob mir das Hertz nicht klopfet? wenn ich daraus, daß er aus Liebe zu mir ſeine Hitze baͤndigen kann, den Schluß mache, daß Bewegungs-Gruͤnde von ſeiner jetzi - gen und kuͤnfftigen Wohlfahrt hergenom̃en etwas bey ihm ausrichten wuͤrden, wenn es moͤglich waͤ - re, daß ſich meine Freunde mit ihm ausſoͤhneten.

Er ſtellete mir vor: die gantze Welt wuͤßte es, daß ich auf eine ſo ſchimpfliche Weiſe eingeſper - ret ſey. Mein Bruder und meine Schweſter truͤ - gen nicht die geringſte Scheu, mich uͤberall als eine verzaͤrtelte Tochter abzumahlen, die alle Liebe derihrigen407der Clariſſa. ihrigen durch vorſaͤtzlichen Ungehorſahm belohne. Jndeſſen gaͤben mir alle, die mich nur kenneten, Recht, und billigten meine Abneigung von einem Manne, von dem jedermann glaubte, daß er mei - ner auf keine Weiſe werth ſeyn koͤnnte, und daß er ſich beßer fuͤr meine Schweſter als fuͤr mich ſchickte So ungluͤcklich er auch darin waͤre, daß er meine Gewogenheit bisher nicht habe erlangen koͤnnen, ſo verſchenckte mich doch die Sage der Leu - te an ihn. Selbſt ſeine Feinde haͤtten nicht mehr als eine Einwendung gegen ihn; denn gegen ſein Her - kommen und Vermoͤgen ſey nichts zu erinnern; die Perſon die er kuͤnfftig in der Welt ſpielen und der Rang den er hoffentlich erhalten koͤnnte, ſey einer von den allervornehmſten. Er haͤtte es naͤchſt GOtt meinem Beyſpiel zu dancken, daß dieſe eintzi - ge Einwendung bald gantz wegfallen wuͤrde. Er haͤtte ſeine Vergehungen erkannt, und waͤre ſeines bisherigen Lebens von Hertzen muͤde, ob dieſes gleich ſo arg nicht waͤre, als es Bosheit und Neyd abzumahlen ſuchten. Allein er wollte hievon nichts mehr ſagen, denn er wollte ſich lieber durch Werck und That, als durch Geluͤbde meine gute Meinung erwerben. Er lobte hierauf meine Geſtalt, verſi - cherte mich aber, daß ihn mein Gemuͤth noch viel mehr gefeſſelt haͤtte; wie er denn immer die Tugend hoch geſchaͤtzt haͤtte, ob er gleich ſelbſt nicht tugend - haft geweſen ſey. Er muͤßte frey geſtehen, ehe er mich habe kennen lernen, habe er nie eine Perſon gefunden, deren Treflichkeiten ſein ungluͤckliches Vorurtheil gegen den Eheſtand uͤberwunden haͤt -C c 4ten,408Die Geſchichteten, welches Vorurtheil bisher gemacht haͤtte, daß er gegen alle Wuͤnſche und Ermahnungen ſeiner Anverwanten unbeweglich geweſen ſey.

Sie ſehen, mein Schatz, daß er kein Bedencken traͤgt, eben ſo von ſich zu reden, als ſeine Feinde von ihm reden. Seine Offenhertzigkeit in der - gleichen Umſtaͤnden macht in der That, daß ich ſeinen uͤbrigen Verſicherungen deſto eher Glauben beymeſſen kann. Jch daͤchte, daß ich einen Heuch - ler bald entdecken wollte, und ihn inſonderheit, der ſich ſonſt ſo viel Freyheiten in ſeinem Leben und Wandel vergoͤnnet hat. Jch wuͤrde groſſen Ver - dacht auf ihn werfen, wenn er vorgaͤbe, daß er auf einmahl andere Einſichten bekommen und ſich in dieſen Jahren ſo gleich geaͤndert haͤtte: denn ich glaube nicht, daß ſich boͤſe Gewohnheiten ſo bald ablegen laſſen. Sie haben oͤfters mit mir die An - merckung gemacht, daß er ſeine Meinung frey heraus zu ſagen pflegt, wenn es gleich bisweilen etwas unhoͤflich laſſen ſollte; und daß ſein Betra - gen gegen meine Familie ein Beweiß iſt, daß er ſich nie aus Abſichten auf eine niedertraͤchtige Weiſe herunterlaſſen und demuͤthigen kan. Jſt es nicht Schade, daß ſo viel Gutes durch andere Laſter er - ſticket und beflecket wird! Wir haben gehoͤrt, daß ſein Kopf beſſer ſeyn ſoll, als ſein Hertz: koͤñen Sie aber wol glauben, daß Herr Lovelace ein boͤ - ſes Hertz hat? Sollte nicht in dem Blut der Menſchen etwas eigenes ſtecken, ſo wie in dem Blut, der Thiere? Gegen niemand in ſeiner gantzen Familie iſt etwas einzuwenden, ihn allein ausgenommen: das Frauenzim -mer,409der Clariſſa. mer, mit dem er verwandt iſt, hat den groͤßeſten Ruhm eines tugendhaften und erhabenen Ge - muͤths. Jedoch ich werde mich des Vorwurfs ſchuldig machen, denn ich zu vermeiden ſuche. Al - lein wie ſtrenge, wie uͤbertrieben ſtren ge ſcheint es zu ſeyn, wenn Sie mich deswegen zur Rechen - ſchaft fodern, weil ich jemanden Gerechtigkeit wi - derfahren laſſe, und zu ſeiner Entſchuldigung die Schluͤſſe mache, die ein jeder wuͤrde gelten laſſen, wenn ich ſie fuͤr den unbekannteſten und fremde - ſten Menſchen machte?

Er bat mich abermahls, einen Brief von der Frau Lawrance anzunehmen, wenn ſie mir eine Zuflucht in ihrem Hauſe anboͤte. Leute von Stande pflegten eben ſowohl eine gewiſſe An - ſtaͤndigkeit zu beobachten, als ſehr tugendhafte Perſonen: wiewohl in der That der Stand dem man gemaͤß lebe ſo viel ſey als Tugend, und Tugend eben ſo viel als Stand; Stand und Tu - gend waͤren nur verſchiedene Nahmen einer Sa - che, und deſto weniger ſey es zu verwundern, wenn beyde eine Anſtaͤndigkeit der Handlungen erfoder - ten: (wie kommt der Menſch zu ſo richtigen Begrif - fen) ſonſt wuͤrde ſeine Baſe an mich geſchrieben ha - ben. Allein ſie wuͤnſchte zum voraus verſichert zu ſeyn, daß ihr Anerbieten von mir wol aufgenom - men werden wuͤrde, da es meinen Anverwanten ſehr misfaͤllig ſeyn moͤchte, und ſie blos durch mei - ne harten Bedraͤngniſſen, die ich jetzt litte, und die ich kuͤnftig noch haͤrter zu leyden haben wuͤrde be - wogen wuͤrde, mir eine Zuflucht anzubieten.

C c 5Jch410Die Geſchichte

Jch antwortete ihm: ich ſey zwar der Frau Eliſabeth Lawrance fuͤr ein ſo guͤtiges Anerbie - ten ungemein verbunden, wenn es von ihr ſelbſt herkaͤme: allein ich ſaͤhe die Folgen allzuwohl ein. Es moͤchte vielleicht den Schein eines Hochmuths geben, wenn ich Argwohn ſchoͤpfte, daß er einen ſo ſtarcken und dringenden Bewegungs Grund nur deswegen auf die Bahn gebracht haͤtte, damit ich zu tief verwickelt und um meine Freyheit gebracht werden moͤchte. Allein ich wuͤrde mich ſelbſt durch Koͤnigliche Titel nicht blenden laſſen. Tugend gaͤlte bey mir eben ſo viel als vornehmer Stand: und der ungemeine Ruhm, den ſich dieſe vorneh - me Frauenzimmer ſelbſt erworben haͤtten, machte bey mir einen viel tiefferen Eindruck, als dieſes, daß ſie Halb-Schweſtern des Lord M. und Toͤch - ter eines Grafen waͤren. Wenn meine Freunde ihm eben ſo guͤnſtig geweſen waͤren, als er ſie ab - geneigt faͤnde, ſo wuͤrde ich mich deswegen nicht beſſer gegen ihn erklaͤret haben, wenn er weiter keine Verdienſte gehabt haͤtte, als daß er mit die - ſen vornehmen Perſonen verwant ſey. Jn ſol - chem Fall wuͤrde vielmehr eben die Urſache, um welcher willen ich ſie bewunderte, eine Einwen - dung gegen ihren Verwanten geweſen ſeyn.

Jch bezeugte ihm hierauf, wie leyd es mir thaͤte, daß ich in einen Brief-Wechſel mit ihm hineinge - zogen waͤre, nachdem mir inſonderheit dieſer Brief - wechſel unterſaget waͤre. Der eintzige mir angeneh - me Gebrauch, den ich von dieſem unerwarteten und ungebetenen Beſuch machen koͤnnte, ſey dieſer,ihm411der Clariſſa. ihm zu ſagen, daß ich von nun an dieſen Brief - wechſel aufheben muͤßte. Jch hoffete nicht, daß er mich durch Drohungen gegen meine Anverwan - ten zwingen wollte, ihn fortzuſetzen.

Es war noch helle genug, daß ich ſehen konnte, wie ernſthaft ſein Geſichte bey dieſer Antwort ward. Er waͤre (antwortete er) ſo ſehr vor meine freye Wahl, und wuͤnſchte ſich ſo ſehr meine ungezwun - gene Zuneigung zu erlangen, daß er ſich ſelbſt haſ - ſen wuͤrde, wenn er bey ſich eine Abſicht merckte, mir durch ſolche Mittel eine Furcht einzujagen. Er hielte es fuͤr allzu niedertraͤchtig fuͤr ſich, dem Sol - mes in Anwenduug einiger Zwangs-Mittel gleich zu werden. Allein zwey Dinge waͤren doch in Er - waͤgung zu zi ehen. Erſtlich: die ausgelaſſenen und unbeſonnenen Reden, die man gegen ihn fuͤh - rete; die Spionen die man auf ihn hielte, von denen er einen zu ertappen das Gluͤck gehabt haͤt - te; die ſchimpfliche Art, damit meine Anverwan - ten ſeiner Familie begegneten; was ich ſelbſt zu ley - den haͤtte, und zwar blos aus offenbahrem Haß der Meinigen gegen ihn; denn ſonſt wuͤrde er ſich nicht unterſtehen, ſich ohne meinen Befehl zu meinem Vertheydiger aufzuwerfen: (wie kuͤnſtlich beugete er vor, daß ich ihn nicht konnte ablauffen laſſen!) alle dieſe Beleydigungen verpflichteten ihn, ſich zu raͤchen. Er uͤberlieſſe es mir ſelbſt, ob er, wenn er noch einiges Hertz haͤtte, dergleichen ungeahndet koͤnnte hingehen laſſen, wo er es nicht um meinet willen verſchmertzete? Jch moͤchte zum andern uͤberlegen, ob bey meinen Umſtaͤnden, da ich ge -fangen412Die Geſchichtefangen gehalten wuͤrde, und die Meinigen ent - ſchloſſen waͤren mich eheſtens zu zwingen, daß ich einem nichtswuͤrdigen Manne meine Hand vor dem Altar geben ſollte, ich moͤchte wollen oder nicht, ob bey ſolchen Umſtaͤnden noch Zeit zu ver - ſaͤumen ſey? und ob ich nicht bald auf die Mit - tel dencken muͤßte, mich zu retten, wenn es auf das aͤuſſerſte kommen ſollte? Dadurch daß ich zu ſei - ner Baſe fluͤchtete, wuͤrde ich ja noch nicht noth - wendig die ſeinige, wenn ich hernachmahls in ſeiner Auffuͤhrung etwas bemerckte, das mir ei - nen billigen Zweifel gegen ihn machen koͤnnte.

Allein (fragte ich ihn) was wird die Welt den - cken? was wird ſie mir fuͤr eine Entſchlieſſung andichten, wenn ich mich in den Schutz ihrer Anverwanten begebe?

Er fragte mich hinwiederum: ob die Welt jetzt etwas weniger daͤchte, als daß ich von den Mei - nigen ſo eingeſchraͤnckt wuͤrde, um mich abzuhal - ten, daß ich dieſe Entſchlieſſung nicht in das Werck richten moͤchte? Sie muͤſſen uͤberlegen, Fraͤulein, daß Sie hierin keine Wahl mehr haben und be - dencken, wer daran Schuld iſt, daß Sie nicht mehr waͤhlen koͤnnen. Sie ſind in der Gewalt ſolcher Leu - te (Eltern wolte ich nicht gern ſagen) die voͤllig entſchloſſen ſind, Jhnen keine Wahl zu laſſen. Mein gantzer Vorſchlag laͤufft bloß da hinaus, daß Sie auf alle Faͤlle eine ſolche Zuflucht annehmen, aber nicht ehe gebrauchen ſollen, bis alle andere Mit - tel vergeblich angewandt ſind, ſich ohne dieſe Zuflucht zu helffen. Erlauben Sie mir,noch413der Clariſſa. noch Eins zu ſagen. Wenn der Brieffwechſel, auf den ich meine gantze Hoffnung gruͤnde, zu ei - ner ſo gefaͤhrlichen Zeit abgebrochen wird; und wenn Sie ſich nicht zum voraus auf alle Faͤlle in Sicherheit ſetzen wollen: ſo ſehe ich zum voraus, daß Sie ſich dem Ungluͤck Preiß geben wollen. Fuͤr mich allein, nicht fuͤr Sie, wird es ein Ungluͤck ſeyn. Und denn! (er ſtieß ſich mit zuſammen - gefaßter Fauſt hiebey vor die Stirne.) Wie ſoll ich den Gedancken verdauen? denn werden Sie ein Eigenthum des Solmeſens werden? Aber bey allem was heilig iſt, er, und ihr Bruder, und Jhre Onckles ſollen die Freude nicht haben. Jch will verdammet ſeyn, wenn ſie dieſen Sieg er - langen ſollen.

Seine Hefftigkeit ſetzte mich in Schrecken. Jch ward ſo empfindlich uͤber ſeine Drohungen, daß ich von ihm gehen und ihn allein laſſen wollte. Al - lein er warff ſich wieder zu meinen Fuͤſſen: verlaſſen Sie mich nicht ſo, liebſte Fraͤulein, verlaſſen Sie mich nicht ohne Hoffnung. Jch knie nicht aus Reue uͤber das, was ich in einem gewiſſen uner - traͤglichen Fall angelobt habe. Jch gelobe es aber - mahls zu ihren Fuͤſſen. (Er wiederhohlte ordent - lich ſein Geluͤbde.) Allein dencken Sie nicht, daß es eine Drohung iſt, und daß ich Sie durch Furcht zur Liebe zu zwingen ſuche. Wenn Sie Jhr Hertz geneigt finden (fuhr er fort, und ſtund dabey auf) Jhrem Vatter oder vielmehr Jhrem Bruder zu gehorchen und Herrn Solmes zuͤnehmen ſo will ich zwar meinen und meiner Familie Schimpf andenen414Die Geſchichtedenen raͤchen, die mich beſchimpft haben: allein ich wollte, wo moͤglich, mir ſelbſt das Hertz aus dem Leibe reiſſen, wenn es ſich noch einen Augenblick bedaͤchte, von einem Frauenzimmer das ſo waͤh - len koͤnnte auf ewig abzulaſſen.

Jch ſagte ihm, er naͤhme jetzt eine ſehr hohe Sprache an. Er koͤnnte verſichert ſeyn, daß ich Herrn Solmes nie nehmen wuͤrde, allein dieſes ſagte ich nicht aus Gefaͤlligkeit gegen ihn. Jch haͤt - te mich ſchon eben ſo gegen meine Verwanten mit dem Zuſatz erklaͤret, daß dieſes mein veſter Ent - ſchluß ſeyn wuͤrde, wenn auch kein Lovelace in der Welt waͤre.

Wollen Sie mir verſprechen (antwortete er hierauf) daß Sie mich noch ferner mit Jhrem Briefwechſel beehren wollen? Jch kann mich ohn - moͤglich darein ſchicken, daß, da ich eben einen ſtaͤrckern Beweiß Jhrer Guͤtigkeit gegen mich zu erbitten hoffe, ich den eintzigen Beweiß, den ich je davon gehabt habe, verlieren ſoll.

Jch ſagte: er moͤchte ſich durch die Rachgier gegen meine Familie nicht uͤbereilen laſſen: ſo wollte ich wenigſtens einige Zeit, bis ich das En - de der Sachen ſaͤhe, einen Briefwechſel fortſetzen, den mein Hertz verdammete.

Und meins mich auch (fiel mir der dreiſte Menſch in die Rede) daß ich das dulde, was ich dulde. Denn nicht Sie ſetzen mich in die Noth - wendigkeit, es zu dulden; ſonſt wollte ich das und tauſendmahl mehr mit Freuden erdulden: ſon - dern Leute Hier hielt er ein.

Jch415der Clariſſa.

Jch ſagte: er haͤtte alles dieſes niemand als ſich ſelbſt zu dancken, weil er ſich durch ſeine Leichtſin - nigkeit ſelbſt einen Vorwurf gemacht haͤtte. Es waͤre nicht mehr als billig, daß man von einem Menſchen uͤbel redete, der ſelbſt nicht beſorgt waͤre, ſeinen guten Nahmen zu erhalten.

Er wollte ſich rechtfertigen; allein ich ſagte ihm, ich wuͤrde ſeiner eigenen Vorſchrift folgen, und ihn nicht nach ſeinen Worten ſondern nach ſeinen Wercken beurtheilen.

Er antwortete: wenn ſeine Feinde nicht ſo viel Gewalt in Haͤnden haͤtten, und ſo unbe - weglich waͤren; wenn ſie nicht, bereits ſo harte Zwangs-Mittel gebraucht haͤtten, aus denen man ſchlieſſen muͤßte, daß ſie alles wagen wollten; wenn ſie mir die Erlaubniß geben wollten, ſelbſt zu waͤhlen, oder unverheyrathet zu bleiben: ſo wollte er gern eine Probe-Zeit von einem Jahr und noch laͤnger aushalten. Allein er wuͤßte ge - wiß, daß ein eintziger Monath entweder alle Ab - ſichten der Meinigen erfuͤllen oder zernichten wuͤrde. Jch wuͤrde ſelbſt am beſten wiſſen, ob ich einige Hoffnung haͤtte, daß mein Vater nach - geben wuͤrde. Er glaubte nicht, daß ich die ge - ringſte haͤtte.

Jch ſagte: ich wollte alle Mittel verſuchen, die mir der Gehorſahm und die Liebe der Meinigen gegen mich uͤbrig lieſſen, ehe ich einen fremden Schutz ſuchte. Wenn alle Mittel fruchtlos waͤ - ren, ſo wollte ich mich des Gutes, das mir ſo vielNeyd416Die GeſchichteNeyd erweckte, begeben: und ich wuͤßte gewiß, daß dieſes Mittel ſeine Wirckung haben wuͤrde.

Jch bin es zufrieden! ich will erwarten (ant - wortete er) was dieſes Mittel fuͤr Wuͤrckung ha - ben wird. Jch habe ſchon oft geſagt, daß ich nicht verlange, daß Sie ſich in einen fremden Schutz begeben, wenn nicht die aͤuſſerſte Noth Sie dazu dringet. Mein allerliebſtes Hertz (hiebey ergriff er meine Hand, und druͤckte ſie an ſeine Lippen) wenn Sie ſich durch Aufopferung Jhres Gutes loskauf - fen koͤnnen, ſo begeben Sie ſich deſſen, und werden Sie nur mein. Von gantzem Hertzen will ich Jh - ren Verzicht alsdenn rechts-kraͤftig machen helfen.

War das nicht artig geredet, mein Schatz? Al - lein was reden die Manns-Leute nicht, um ſich unſer Vertrauen zu erwerben, und ſich unſers Hertzens zu bemeiſtern?

Jch verſuchte einigemahl wegzugehen, und es ward ſo finſter, daß ich nicht ohne Sorge war. Seine Auffuͤhrung war nicht Schuld daran Jch habe in der That eine viel beſſere Meinung von ihm: denn er hat nicht allein Ehrerbietung ſondern auch Ehrfurcht gegen mich blicken laſſen, ſo lange unſere Unterredung daurete. Er brach zwar ein - mahl in hefftige Worte aus, wenn Solmes ſei - nen Zweck erhalten ſollte. Allein er ſetzte eine ſolche Bedingung zum voraus, bey der man ei - nen Verliebten am erſten entſchuldigen kann, wenn er ſeinen Unwillen nicht verbergen kann. Er brachte nur das, was er ſagte, ſo vor, daß ich es nicht ungeahndet laſſen konnte.

Bey417der Clariſſa.

Bey dem Abſchied empfohl er ſich zwar ſehr nachdruͤcklich, aber auch ſehr demuͤthig, meiner Ge - wogenheit. Er wollte mir keine Bedingungen vor - ſchreiben: er gab mir aber doch zu verſtehen, daß er mich wol noch einmahl zu ſprechen wuͤnſchte. Jch verbot ihm aber ſchlechterdings, mich jemahls wieder an dieſem Orte aufzuſuchen.

Jch kann vor Jhnen mit Recht nichts verber - gen, was in meinem Hertzen vorgehet: und Jh - nen muß ich bekeunen; daß die Gruͤnde die er an - fuͤhret, (nehmlich die ſchimpfliche Art, damit mir meine Freunde begegnen) mich ſehr beſorgt machen, daß ich entweder die ſeinige, oder das Eigenthum des andern werden muß. Soll eins von beyden ſeyn, ſo hoffe ich, Sie werden mich nicht tadeln, wenn ich ſage, welchen von beyden ich waͤhlen will. Sie haben ſich ſchon daruͤber erklaͤrt, wen ich nicht waͤhlen muͤſſe. Allein, mein Schatz, wie viel beſſer waͤre es, wenn ich unverheyrathet bleiben koͤnnte! Jch hoffe noch auf den Seegen, daß es mir erlaubt ſeyn werde, dieſe Wahl zu treffen.

Jch kam unbemerckt wider in das Haus. Die Furcht aber die ich hatte, daß ich moͤchte entdeckt werden, hatte mich ſo verunruhiget, daß ich mei - nen Brief auf eine verworrene Weiſe anfing, als ich um ſeines Zuſpruchs willen Urſache gehabt haͤtte. Jch nehme das aus, daß mich ſein erſter Anblick beſtuͤrtzt machte: denn damahls war es ein groſſes Gluͤck, daß ich nicht an dem abgelegenen Orte, und da ich mich bey ihm allein befand, in Ohnmacht fiel.

Erſter Theil. D dJch418Die Geſchichte

Jch habe eins zu melden vergeſſen. Jch hielt ihm ſeine Auffuͤhrung vom vergangenen Sonntage in der Kirche vor. Er verſicherte mir aber auf das heiligſte, daß ich unrecht berichtet ſey. Er haͤtte gar nicht erwartet, mich in der Kirche zu ſe - hen: hingegen gehoffet, eine gute Gelegenheit zu finden, mit meinem Vater zu ſprechen zu kommen, und ihn nach Hauſe zu begleiten. Allein der red - liche D. Levin haͤtte ihm abgerathen, einen der Meinigen anzureden; und ihm vorgeſtellet, in mas fuͤr Bewegung und Aufruhr unſer gantzer Kirch - ſtuhl bey ſeinem Eintritt in die Kirche gerathen waͤre. Er koͤnnte verſichern, daß er mit Willen keine hochmuͤthige Gebaͤrde angenommen haͤtte; blos der Widerwille der Meinigen, der leyder un - uͤberwindlich waͤre, haͤtte in ſeinem Geſichte leſen koͤnnen, was der gantzen Gemeinde unſichtbar ge - weſen waͤre. Als er ſich vor meiner Mutter ge - neiget haͤtte, ſo haͤtte er es gegen alle zu thun ge - meint, die in dem Stuhl waren, und nicht blos gegen meine Mutter, die er ſonſt aufrichtig hoch - ſchaͤtzte.

Wenn ich ihm glauben darf, (und iſt es wohl wahrſcheinlich, daß er mit dem Zweck in die Kir - che gekommen iſt, meiner Familie Trotz zu bieten, und doch noch auf Gewogenheit von mir hoffen ſollte?) ſo kann man ſehen, wie verkehrt uns der Haß die Handlungen unſers Naͤchſten vorſtellet. Allein warum erzehlt auch Schorey die Sache zu ſeinem Nachtheil? Vielleicht auf Befehl? Er berief ſich gegen mich auf das Zeugniß des D. Le -vins419der Clariſſa. vins. Seine gantze Unterredung mit ihm habe blos davon gehandelt, daß er verſuchen wollte, in dem Angeſicht der gantzen Gemeinde den Anfang der Ausſoͤhnung mit den Meinjgen zu machen: dagegen aber dieſer Geiſtliche ihm abgerathen ha - be, oͤffentlich einen ſolchen Verſuch zu thun, ſo lange er nicht wuͤßte, wie es aufgenommen werden wuͤrde. Allein ich habe keine Gelegenheit, dieſen rechtſchaffenen Mann zu ſprechen, oder irgend ſonſt jemand, der mir in meinen verworrenen Um - ſtaͤnden einen guten Rath geben koͤnnte.

Wuͤrde aber wol jemand in der Welt der ſchul - dig iſt ſchuldig befunden werden, wenn jeder Be - klagte ſeine Geſchichte ſelbſt erzaͤhlen, und einigen Glauben finden ſollte?

Jch habe einen ſehr langen Brief geſchrieben. Wenn man von einer Unterredung eine ſo um - ſtaͤndliche Nachricht geben ſoll, als Sie verlangen, ſo iſt es ohnmoͤglich, ſich kurtz zu faſſen. Jch ſetze nur noch die Verſicherung hinzu, daß ich bin und immer ſeyn werde,

Dero ergebenſte und getreue Freundin und Dienerin Cl. Harlowe.

Seyn Sie ſo guͤtig, und erinnern ſich, daß Jhr letzter Brief den 9ten dieſes geſchrieben war.

D d 2Der420Die Geſchichte

Der ſieben und dreyßigſte Brieff. von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch bitte um Verzeihung, daß ich meine liebſte Freundin gezwungen habe, mich an der Zeit zu erinnern, da ich meinen letzten Brief geſchrieben habe. Jch wuͤnſchte ſo viele Nachrichten von Jh - rer verſtaͤndigen Auffuͤhrung in der verworrenſten Sache vor mir zu haben, ais moͤglich waͤre; indem ich gewiß glaubte, daß um dieſe Zeit der eine oder der andere Theil ſchon wuͤrde nachgegeben haben: damit ich meine Anmerckungen und mein Urtheil auf einen veſten Grund bauen koͤnnte. Was kann ich auch ſchreiben, das ich nicht ſchon geſchrieben habe? Sie wiſſen ſelbſt, daß mir weiter nichts gegeben iſt, als auf Jhre unverſtaͤndigen Verfolger zu ſchelten. Allein das betruͤbt Sie. Jch habe Jhnen gerathen, Jhr Gut in Beſitz zu nehmen: das wollen Sie nicht thun. Sie koͤnnen ohnmoͤg - lich daran dencken, eine Beute des Solmes zu werden: und Lovelace iſt veſt entſchloſſen, Sie als die ſeinige zu haben, andere moͤgen dazu ſagen was ſie wollen. Jch glaube, Sie koͤnnen es nicht aͤndern, einen von beyden zu nehmen. Wir wollen erwarten, was fuͤr einen Schritt beyde Theile nun thun werden. Wenn Lovelace ſei - ne eigenen Handlungen erzaͤhlt, wenn er ſich ſo untadelhaft bey ſeinem ungebetenen Zuſpruch imHoltz421der Clariſſa. Holtz-Stall auffuͤhret, wenn er mit einer ſo lobens - wuͤrdigen Abſicht in die Kirche gehet: wer kann denn etwas an ihn auszuſetzen finden? Gottloſe Leute ſind es, daß ſie ſich gegen ein ſo unſchuldi - ges Blut verſchwoͤren, und aus Einem Munde ge - gen ihn luͤgen. Jedoch, wie ich ſchon geſagt habe wir wollen abwarten, was fuͤr einen Schritt beyde Theile nun thun werden, und wie Sie ſich dabey verhalten: alsdenn werden wir mehr Licht in der Sache bekommen.

Was das anlanget, daß Sie den Anfang ge - macht haben, ſich gegen ihre Onckles und Geſchwi - ſter anders als vorhin zu erklaͤren, nachdem dieſe doch ein fuͤr allemahl Jhnen Schuld geben wolten, daß Sie in Herrn Lovelacen verliebt waͤren, und nur ſchaͤrffere Pfeile gegen Sie daraus drech - ſelten, wenn Sie es leugneten: ſo haben Sie hier - in das gethan, was ich auch wuͤrde gethan haben. Jch ſelbſt wuͤrde ihnen Stoff zum Argwohn gege - ben haben, um zu ſehen, was dieſes ausrichtete. Wenn aber wenn aber ! Sie muͤſſen mir hier ein wenig zu gute halten. Sie ſelbſt fanden es noͤthig, eine kleine Schutz-Schrift an mich vor - an zu ſchicken, ehe Sie mir von dieſen Briefen Nachricht gaben. Und ſo lange, bis Sie gegen Jhre Freundin, an deren Ergebenheit Sie nicht zweiffeln koͤnnen, ſo deutlich als eine Freundin re - den, werde ich Sie ein wenig plagen muͤſſen. Meine Feder mag demnach nur ſchreiben; weil ſie Luſt zu ſchreiben hat.

D d 3Wenn422Die Geſchichte

Wenn alſo eine Urſache, die Sie nicht Luſt ge - habt haben mir zu melden, dieſe veraͤnderten Er - klaͤrungen vergroͤſſert haben ſollte: ſo wachen Sie uͤber ſich ſelbſt, wie ich Jhnen ſchon ehemahls ge - rathen habe) und mercken Sie genau, wie die Ur - ſache einer ſolchen Veraͤnderung nach und nach entſtehet. Denn warum ſollte ſie ſich unbemerckt von Jhnen in Jhr Hertz ſtehlen duͤrfen?

Wenn jemand eine ſtarcke Verkaͤltung, ein Fluß-Fieber bekommt, ſo ſetzt er ſich nieder, und denckt nach, wie es anfing, und wie er es bekom - men hat. Wenn er das erſt weiß, ſo iſt er ver - gnuͤgt, und laͤßt dem Fieber ſeine Zeit, und nimmt etwas zu ſchwitzen ein, oder ſonſt eine Quackſalbe - rey, um es wider los zu werden, wenn es ihm all - zu beſchwerlich iſt. Ehe alſo die Kranckheit, die Sie wiſſen und nicht wiſſen, ſo hefftig wird, daß Sie ſuchen muͤſſen ſie zu vertreiben, bemercken Sie nach meinem Rath, wie ſich dieſe Kranckheit an - faͤngt. Denn ich weiß ſo gewiß zum voraus, als ich dis ſchreibe, daß die unverſtaͤndige Haͤrte der Jhrigen, und ſein einnehmendes artiges Weſen, es noch ſo weit bey Jhnen bringen, und fuͤr Love - lacen alles ausrichten wird, wenn er nicht unver - ſtaͤndiger iſt, als ich ihn anſehe.

Doch dis auf die Seite geſetzt. Wenn es ent - weder Herr Lovelace oder Herr Solmes ſeyn ſoll, ſo kann kein Streit uͤber die Wahl ſeyn. Wenn aber alles wahr iſt, was erzaͤhlet wird, ſo wollte ich den ſchlechteſten unter Jhren vorigen Freyern dem beſten unter dieſen beyden vorziehen,ſo423der Clariſſa. ſo wenig ſie auch Jhrer werth ſind. Allein wer kann werth ſeyn, die Fraͤulein Clariſſa Harlowe zu beſitzen.

Jch wuͤnſche nur, daß Sie mir nicht vorwer - fen moͤgen, daß meine Briefe immer einerley ent - halten. Jch wuͤrde mir dieſes ſelbſt verdencken, (ſonderlich nachdem ich mich unterſtehe, mir ein - zubilden, daß meine Beſchuldigung gegen Sie aus - ſer allem Zweifel richtig iſt, und ich wol funfzig Stellen zum Beweiß aus Jhren Briefen anfuͤhren koͤnnte, wenn ein Beweiß gefuͤhrt werden muͤßte) wenn Sie nur freymuͤthig geſtehen wollten, daß

Geſtehen? werden Sie ſagen. Wie? Meine Anna Howe wird ja nicht glauben, daß ich wuͤrcklich verliebt bin.

Nein gewiß nicht! Wie kann ein ſolcher Ge - dancke in Jhrer Anna Howe aufſteigen? Liebe iſt zwar ein kleines Wort, allein es begreifft gar zu viel unter ſich. Wohlan wie ſollen wir es denn nennen. Sie haben mich eine beßere Redens - Art gelehrt, die dem Schalle nach nicht ſo viel unter ſich zu begreiffen ſcheint, und doch in der That eben das ſagt: eine bedungene Neigung. Das iſt es! O mein Hertz! Wenn ich nicht allzu wohl wuͤßte, wie ſehr Sie die gezwungene Sproͤ - digkeit einiger Frauenzimmer verachten. Doch Sie ſtnd zu jung und zu liebenswuͤrdig, als daß Sie gezwungen ſproͤde ſeyn koͤnnten.

Jch will mich ſo harter Nahmen enthalten; und Jhnen nur die Sache wiederhohlen, die ich Jh - nen ſchon vorhin geſchrieben habe. Jch glaube,daß424Die Geſchichtedaß ich recht habe misvergnuͤgt uͤber Sie zu ſeyn, wenn Sie mir in Jhren Briefen einige Geheim - niſſe ihres Hertzens zu verheelen ſuchen.

Wenn Sie mir deutlich und ohne Umſchweiff melden wollten, wie viel Antheil Lovelace an Jhrem Hertzen hat oder nicht hat, ſo wuͤrde ich Jhnen beſſer als jetzt rathen koͤnnen, was Sie thun ſollen. Sie ſind ſo beruͤhmt deswegen, daß Sie kuͤnftige Dinge vorher ſehen koͤnnen, daß kein Frauenzimmer einen ſtaͤrckern Anſpruch auf die Gabe der Weiſſagung (wenn ich es ſo nennen duͤrffte) machen kann, als Sie. Sollten Sie denn nicht in Jhrem Hertzen uͤberlegt haben, wie gluͤcklich oder ungluͤcklich Sie bey ihm ſeyn wuͤr - den, wenn Sie die ſeinige werden ſollten? Ohne Zweiffel haben Sie dieſes auch in Abſicht auf Herrn Solmes gethan: daher kommt eben Jhr Widerwille gegen den einen, und Jhre bedungene Neigung zu dem andern. Wollen Sie mir nun er - oͤffnen, wie er Jhnen auf der beſten und ſchlim - meſten Seite vorgekommen iſt? was fuͤr Urſachen Sie finden, ihn zu waͤhlen oder zu verwerſen? Wir wollen alsdenn beydes gegen einander waͤgen, um zu ſehen, auf welche Seite ſich der Ausſchlag kuͤnftig lencken moͤchte, oder ſchon jetzt lenckt. Nichts gerin - geres als die Anvertrauung der geheimſten Rath - ſchluͤſſe Jhres Hertzens, wird meine Liebe und meine Freundſchaft gegen Sie befriedigen koͤnnen. Sie werden ſich nicht ſcheuen, ſich ſelbſt ein Geheimniß von dieſer Art anzuvertrauen: wenn Sie ſich aber ſelbſt nicht trauen ſollten, ſo koͤnnten Sie freylichmit425der Clariſſa. mit groͤſſerm Recht einen Zweifel in meine Ver - ſchwiegenheit ſetzen. Sie werden aber keins von beyden Nahmen haben wollen, und ich hoffe auch nicht, daß Sie Urſache zu einem ſolchem Mis - trauen haben.

Belieben Sie ſich zu erinnern, daß ſo oft ich eine ſolche Art von Spaß in meine Briefe habe einflieſſen laſſen, dadurch Sie wie es ſcheint ver - unruhigt ſind, ohngeachtet Jhre Umſtaͤnde einer Freundin die das groͤſſeſte Mitleyden mit Jhnen hat ernſthaft zu ſeyn befehlen; ich nicht uͤber die - jenigen Stellen Jhrer Briefe geſpaaſſet habe, in denen Sie ſich vielleicht aus Verſchen ſo deutlich erklaͤren, (werden Sie hieruͤber nicht abermahls unruhig) daß faſt kein Zweiffel uͤbrig zu bleiben ſcheint, ſondern uͤber die Stellen, in denen Sie zuruͤck halten wollen; wenn Sie z E. bekannten Dingen neue Nahmen geben, oder von Neugier, von bedungener Zuneigung, von Vorſichtigkeit bey einer Leydenſchaft die jedermann unvorſichtig macht, reden wollen. Jch ſehe alles dieſes fuͤr einen offenbahren Bruch des heiligen Bandes der Freundſchaft an, die wir uns einander zugeſagt haben.

Eriñern Sie ſich, daß ich Jhnen meine Schwaͤ - che nicht einen Augenblick verheelen konnte. Sie befragten mich: und ich geſtand Jhnen aufrichtig, daß ich gegen meinen Liebhaber keine andere Ein - wendung haͤtte, als die, ſo mein Hochmuth mach - te: denn es ſchien mir zu veraͤchtlich zu ſeyn, daß ein lebendiger Menſch es in ſeiner Gewalt haben ſollte, mich einen Augenblick unruhig zu machen. D d 5Mein426Die GeſchichteMein Liebhaber hatte nicht eben die Eigenſchaften, die der Jhrige hat: ich muͤßte alſo meine Unbe - dachtſamkeit eben ſo ſehr und noch mehr anklagen, als die Macht die er uͤber mein Hertz hatte. Allein Jhre Macht uͤber mein Hertz war ſtaͤrcker. Denn Sie redeten mir zuerſt meine Neugier aus dem Sinn; und als meine Zuneigung aufhoͤrte un - bedungen zu ſeyn, ſo ſchlug mir auch das Hertz nicht mehr ſeinetwegen.

Jch bitte Sie nun (mit Jhrem Worte) nach - dem ich geſtanden habe, daß mein Liebhaber nicht ſo artig ausſahe als Jhrer, ſo laſſen Sie mich, und die Fraͤulein. Biddulph, Lloyd, und Cam - pion Jhre Meinung daruͤber vernehmen, in wie fern ein Frauenzimmer auf die Geſtalt der Manns - Perſon zu ſehen habe. Allein dencken Sie dabey an ſich ſelbſt. Mercken Sie ſich das! wie Jhr Onckle Anton ſaget. Jnſonderheit beantworten Sie dieſe Frage auf den Fall, wenn ſich die Manns - Perſon etwas auf ihre Geſtalt einbildet, weil man doch von den innerlichen Vorzuͤgen einer Perſon ſchlechte Gedancken hegen muß, die ihren Hochmuth auf eine Sache von ſo kur - tzer Dauer gruͤndet, wie Sie mich ſelbſt belehrt haben. Sie, unſer liebenswuͤrdiges Muſter, haben bey der angenehmſten Bildung des Leibes und Geſichts nichts von dieſem Hochmuth; und haben deswegen ohne ſich ſelbſt zu beſchaͤmen be - haupten koͤnnen, daß er nicht einmahl an einem Frauenzimmer zu entſchuldigen ſey.

Wir427der Clariſſa.

Wir haben uͤber der vorhin erwaͤhnten Frage bey der letzten Zuſammenkunft einen ſcharfen Streit gehabt; und die Fraͤulein Lloyd verlangte, daß ich Sie um Jhre Meinung, die wir immer fuͤr eine Entſcheidung zu halten pflegten, befragen moͤchte Jch will nicht hoffen, daß Sie ſo mit wich - tigern Sorgen uͤberhaͤuft ſind, daß Sie entweder keine Zeit oder keine Luſt uͤbrig behalten, dieſe Ar - beit aus Gefaͤlligkeit gegen eine Freundin zu uͤber - nehmen. Sie wiſſen, wie ſehr wir Jhren Aus - ſpruch uͤber dergleichen Fragen zu bewundern pfle - gen, der immer etwas unerwartetes und etwas Lehr-reiches zu enthalten pflegt. Sagen Sie uns doch auch Jhre Meinung daruͤber, warum Jhr Anbeter ſein von der Natur ſchon genug geſchmuͤck - tes Anſehen noch auf allerley Art zu ſchmuͤcken ſucht, und es doch ſo klug anfaͤngt, daß ihn nie - mand fuͤr einen Stutzer ausgeben kan? Jch wuͤn - ſche, daß dieſe Frage nebſt der Jhnen aufgegebe - nen Arbeit Jhnen zum Vergnuͤgen und nicht zur Beſchwerde gereichen mag. Eine eintzige Sache, ſie mag ſo wichtig ſeyn als ſie will, wird doch nie Jhr gantzes Gemuͤth beſchaͤftigen. Wenn ich Jh - nen aber auch Beſchwerde verurſachen ſollte, ſo er - innern Sie ſich, wie oft Sie mir eine Grobheit vergeben haben, und ſagen Sie einmahl im Un - willen: es iſt ein abgeſchmacktes Maͤdchen; und ich habe ſie doch lieb, ſie bleibt doch meine

Anna Howe.

Der428Die Geſchichte

Der acht und dreysſigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jhr letzter Brief ruͤhrt mich ſo ſehr, daß ich alles andere hinten anſetzen muß, um ihn zu beantworten. Es ſoll dieſes Stuͤck vor Stuͤck und mit aller der Offenhertzigkeit geſchehen, die unſere Freundſchaft erfodert.

Jch muß danckbahr erkennen, daß Sie mit mir ſo grosmuͤthig umgegangen ſind, als es Jhre Na - tur mit ſich bringt, wenn Sie bey funfzig Stellen, in denen ich unleugbare Proben meiner Hochach - tung gegen Herrn Lovelace gegeben habe, mei - ner blos deswegen geſchonet haben, weil ich offen - hertzig geweſen bin.

Was meinen Sie aber: ſollte wol ein Menſch auf der Welt ſo laſterhaft ſeyn, mit dem ein zwei - felhaftes Gemuͤth nicht einmahl beſſer als das an - dere mahl zu Frieden ſeyn muͤßte? Und iſt es nicht billig, daß man ſich um ſolche Zeit ſeinen Einſich - ten gemaͤß ausdruͤckt? Jch muß doch dem, der ſich um mich bewirbt, eben die Gerechtigkeit widerfah - ren laſſen, die ich dem ſchuldig bin, der ſich nicht um mich bekuͤmmert. Mir kommt es ſo tyranniſch, ſo niedertraͤchtig vor, einem der ſonſt keine Geringſchaͤ - tzung verdient deswegen ſchlimmer zu begegnen, weil er uns hoch ſchaͤtzt, daß ich nicht Luſt habe, mich durch eine ſolche Auffuͤhrung herunter zu ſetzen.

Ob429der Clariſſa.

Ob nun gleich meine Meinung allein dieſe iſt, nicht ungerecht gegen ihn zu ſeyn ſo glaube ich doch gern, daß Leute, die ſeine Abſichten wiſſen, hier - aus ſchlieſſen werden, daß ich ihm beſonders geneigt bm. Jch muß dieſes inſonderheit befuͤrchten, wenn eine ſcharſſichtige Zuſchauerin ehemahls ſelbſt eine Ruͤhrung empfunden hat, und gern daruͤber froh - locken wollte, daß ihre Freundin eben ſo wenig rein von dieſer Kranckheit ſey als ſie. Erhabenen Ge - muͤthern, die eiferſuͤchtig auf ihre Vorzuͤge ſind, (welches an und vor ſich keine Unvollkommenheit iſt, wenn die Eiferſucht auf wahre Vorzuͤge gerich - tet iſt) ſolchen Gemuͤthern, ſage ich, muß man es nicht verargen, wenn ſich ein gewiſſer edler Neid bey ihnen reget.

Wenn dieſer Gedancke eine kleine Rache uͤber, ſo iſt es doch blos eine Rache in dem allergelinde - ſten Verſtande. Jch liebe Jhre Munterkeit, wie ich Jhnen ſchon oft geſagt habe. wenn man gleich nicht gantz unempfindlich dabey iſt, ſo wird doch ein wohlgeartetes Gemuͤth nichts als Danckbar - keit in ſich herrſchen laßen, ſo oft es gleichſahm mehr Zuͤge von dem warnenden Freunde als von den ſpottenden Zuſchauer in den Geſicht oder in der Schreib-Art ſeines Tadlers gewahr wird. Es wird dahinaus lauffen, daß ich vielleicht noch bey dieſem Brieffe den Schmertz von Jhren ſanften Schlaͤgen empfinde, hingegen in dem folgenden Brieffe und zeit Lebens Jhnen dafuͤr dancke, daß Sie mich errinnert haben.

Auf430Die Geſchichte

Auf dieſe Art werden Sie mich entſchuldigen, wenn Sie im Anfange und vielleicht in dem Fortgange meines Briefes einige Empfindlichkeit gewahr werden. Sie erinnern mich oͤfters durch Jhr, das iſt durch das beſte Exempel, daß ich Jhrer in meinen Urtheilen nicht ſchonen ſoll.

Jch bin mir nicht bewuſt, etwas von dieſem Manne geſchrieben zu haben, das nicht mehr zu ſeinem Nachtheil als zu ſeinem Lobe gereichte. Er hat ſolche Eigenſchaften, daß ich mich ſelbſt fuͤr tadelhaft halten und zur Rechenſchaft fodern wuͤr - de, wenn ich anders geſchrieben haͤtte. Wenn Sie andere Gedancken haben, ſo verlange ich nicht, daß Sie eben den Beweiß fuͤhren ſollen, wie Sie es nennen. Jch werde vielmehr glauben, daß meine Auffuͤhrung zum wenigſten einen boͤſen Schein hat, und ich werde mich zu beſſern ſuchen. Allein das verſichere ich Jhnen, daß ich nie den Vorſatz gehabt habe, zuruͤck zu halten, wenn gleich meine Worte eine andere Erklaͤrung leyden moͤch - ten. Jch habe jedes mahl geſchrieben, was mir mein Hertz eingab. Wenn ich haͤtte zuruͤck hal - ten wollen, oder wenn ich Urſache hiezu gehabt haͤtte; ſo wuͤrde ich Jhnen vielleicht keine Gelegen - heit gegeben haben, uͤber meine Neugier in Abſicht auf die Meinung der ſeinigen von mir, uͤber meine bedungene Zuneigung und dergleichẽ Redens-Arten, Betrachtungen anzuſtellen. Was ich durch jenen Ausdruͤck ſagen wollte, das habe ich Jhnen damahls alles rein geſtanden; Jch beziehe mich auf meinen damahligen Brieff: undbey431der Clariſſa. bey dem zweiten Ausdruck mag ich vielleicht auf das gedacht haben, was ſich fuͤr eine Perſon von meinem Geſchlecht und Character alsdenn ſchicket, wenn man ihr die Liebe als einen Ungehorſahm und folglich als ein Laſter anrechnet, und der Mann, den ſie ſonſt lieben koͤnnte ſich eine Freye Lebens - Art hat geluͤſten laſſen. Jch hoffe Sie werden mir nicht uͤbel deuten, daß ich mich bemuͤhet habe, fuͤr dieienige gehalten zu werden, die ich billig ſeyn ſoll; waͤre es auch nur deswegen geſchehen, damit ich Jhre Wohlgewogenheit nicht verſchertzen moͤchte.

Damit ich aber in der That beweiſe, daß ich nicht zuruͤck halte Allein, mein Schatz, ich muß hier abbrechen.

Der neun und dreysſigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Dieſer Brieff wird mich entſchuldigen, daß ich meine Antwort auf Jhren geſtrigen Brieff ſo unvermuthet abbrechen mußte. Jch werde die beſagte Antwort Jhnen nicht eher geendiget zu - ſchicken koͤnnen als morgen oder uͤbermorgen, weil ich noch viel auf Jhre Frage zu ſchreiben habe; Jetzt will ich Jhnen von einem abermahligen Ver - ſuch der Meinigen, mich durch Frau Nortonauf432Die Geſchichteauf andere Gedancken zu bringen, Nachricht geben.

Es ſchien, daß ſie geſtern erſucht war, dieſen Tag in unſerm Hauſe zu ſeyn, um die Meinung meiner Freunde recht zu faſſen, und alsdenn zu verſuchen, was ſie bey mir ausrichten koͤnnte. Sie mochten zum wenigſten dieſen Nutzen davon hof - fen, daß ich in den Augen der Frau Norton alle Entſchuldigung verlieren wuͤrde, und daß ſie die Vorſtellungen, die ſie bisweilen meiner Mutter zu meinem Beſten gethan haͤtte, fuͤr uͤberfluͤßig und unverdient anſehen moͤchte.

Meine Erklaͤrung daß mein Hertz ungebunden ſey, ward von Jhnen als ein Beweiß meiner Hartnaͤckigkeit und meines Eigenſinnges ge - braucht Denn, hieß es, nichts anders als ein bloſ - ſer Eigenſinn koͤnnte mich antreiben, mich ihrem Willen zu widerſetzen, wenn ich keine beſondere Zuneigung zu einem andern haͤtte. Nun ich ihnen dieſen Beweiß zu nichte zu machen ſuche, und ih - nen Anlaß gegeben habe zu glauben, daß ich eine Neigung auf einen andern geworfen habe; ſo ſind ſie entſchloſſen, der Sache ein baldiges Ende zu machen. Jn dieſer Abſicht ward die gute Frau zu mir geſchickt, gegen die ich (wie den Meinigen wohl bekannt iſt) eine kindliche Liebe und Ehrfurcht habe.

Als ſie der Einladung zu folge in unſer Haus kam, fand ſie meinen Vater, Mutter, Bruder, Schweſter, und meine beyden Onckles nebſt Frau Hervey beyſammen.

Mein433der Clariſſa.

Mein Bruder gab ihr Nachricht von dem, was vorgegangen war, ſeit dem ſie mich zuletzt hatte ſprechen duͤrfen: inſonderheit von meinen Brie - f[e]darin ich, nach ſeiner Auslegung, meine Liebe zu Lovelacen geſtand; von dem Jnhalt ihrer Ant - wort darauf, und von dem Entſchluß den ſie ge - faſſet haͤtten.

Hierauf redete meine Mutter. Den Jnhalt erzaͤhlte mir die gute Frau folgender maſſen:

Nachdem ſie davon geredet hatte, wie viel mir zu gute gehalten ſey, daß ich einige Partheyen haͤt - te ausſchlagen duͤrfen; wie viel Muͤhe ſie ſich ge - geben haͤtte, mich zu uͤbereden, daß ich doch unter ſechs mahlen einmahl aus Gefaͤlligkeit gegen mei - ne gantze Familie Ja ſagen moͤchte; und wie unbe - weglich ich geweſen waͤre: ſo ſetzte meine liebe Mut - ter hinzu: haͤtten ſie jemahls geglaubt, Frau Nor - ton, daß meine, daß ihre Claͤrchen ſich gegen den Willen ſo guͤtiger Eltern ſo verhaͤrten koͤnnte? Sehen ſie zu, was ſie bey ihr ausrichten koͤnnen. Die Sache iſt ſchon ſo weit gekommen, daß wir unſerer Seiten nicht wider zuruͤck gehen koͤnnen. Jhr Vater zweifelte an ihrem Gehorſahm nicht, und brachte deswegen alles mit Herrn Solmes in Richtigkeit. Dencken ſie doch, ſo eine vortheil - hafte Eheſtiftung! und ſo vortheilhafte Bedin - gungen fuͤr die gantze Familie! Kurtz, ſie hat jetzt ei - ne Gelegenheit, uns alle durch dieſe Gefaͤlligkeit zu erfreuen und zu verpflichten. Hr. Solmes weiß, daß ſie tugendhaft und verſtaͤndig iſt, und er hoffet ſie jetzt durch ſeine Geduld und kuͤnftig dadurch,Erſter Theil. E edaß434Die Geſchichtedaß er ihr wohl begegnet, zur Danckbarkeit und endlich zur Liebe zu bewegen. Er will deswegen alles vergangene uͤberſehen.

(Alles uͤberſehen! mein Schatz. Herr Solmes ſoll alles uͤberſehen! Das iſt ein ar - tiger Ausdruck.)

Sie ſind doch uͤberzeuget, Frau Norton, daß es die Pflicht eines Kindes iſt, ſich in groſſen ſo wohl als kleinen Dingen dem Willen ſeiner El - tern zu unterwerfen. Verſuchen ſie es, ob ſie etwas bey ihr ausrichten koͤnnen. Jch kann nichts ausrichten: ihr Vater auch nicht: ihre Onckles eben ſo wenig: ob es gleich ihr eigenes Beſtes ſeyn wird, wenn ſie ſich gefaͤllig gegen uns erweiſet. Denn in ſolchem Falle iſt ihr grosvaͤterliches Gut kaum die Haͤlfte von dem, was wir ihr bey Leben und Sterben zugedacht haben. Wenn noch je - mand etwas bey ihr ausrichten kann, ſo ſind ſie es: und ich hoffe, daß ſie ſich Muͤhe geben wer - den, es zu thun.

Sie fragte: ob ihr erlaubt waͤre, ihnen einige Einwendungen zu machen, ehe ſie zu mir hin - auf ginge?

Mein hochmuͤthiger Bruder antwortete ihr: ſie waͤre gefodert, mich zu uͤberzeugen, und nicht ſie. Und das, gute Frau, (bey ihm heißt ſie immer, gute Frau) koͤnnen ſie ihr nur ſagen. Die Sa - chen ſind ſo weit gediehen, daß an keine Aende - rung zu gedencken iſt. Jhre Einwendungen koͤn - nen jetzt eben ſo wenig mehr gehoͤrt werden, als meiner Schweſter Einwendungen.

Seyn435der Clariſſa.

Seyn ſie verſichert (ſagte mein Vater mit einer zornigen Stimme) daß wir uns von ihr nicht eintreiben laſſen wollen. Wir verlangen uns nicht laͤcherlich zu machen, und das Anſehen zu haben, als koͤnnten wir einer Tochter nicht befehlen. Kurtz ein verfluchter Boͤſewicht, der bey nahe den eintzigen Sohn ermordet haͤtte, ſoll uns keine Tochter abtrotzen. Sie wuͤrde alſo kluͤger thun, wenn ſie ſo Gehorſahm leiſtete, daß man es ihr Danck wiſſen koͤnnte: denn Gehorſahm muß und ſoll ſie leiſten, wenn ich das Leben behalte, ob ſie ſich gleich einbildet, daß meines Vaters unbedachtſa - me Guͤtigkeit ſie in den Stand ſetzet ihres Vaters nicht noͤthig zu haben. Wahrlich ſeit der Zeit iſt ſie das Kind nicht mehr, das ſie vorhin war. Ein un - gerechtes Vermaͤchtniß! und wie es das Anſehen hat, ſo wird auch ſchlechter Seegen darauf ru - hen. Wenn ſie den liederlichen Lovelace heyra - thet, ſo ſoll ſie uͤber einen jeden Gulden mit mir einen Proceß zu fuͤhren haben. Sagen ſie ihr das: und bedeuten ſie ihr, daß das Teſtament umge - ſtoſſen werden kan und ſoll.

Meine Onckles pflichteten ihm mit eben ſo vieler Hitze bey.

Mein Bruder, meine Schweſter waren beyde ungemein hitzig.

Meine Baſe Hervey ſagte: es waͤre kein Stuͤck, darin es ſo heilſahm ſey, daß ſich Kinder nach dem Willen der Eltern richteten, als in Heyraths-Sachen. Es ſey ſehr billig, daß ich meinen Eltern etwas zu Gefallen thaͤte.

E e 2Die436Die Geſchichte

Die brave Frau kam zu mir herauf, nachdem ſie genug in der Schule der Meinigen unterrich - tet war, was ſie ſagen ſollte. Sie erzaͤhlte mir alles was vorgegangen war, und drang ſehr in mich, daß ich gehorchen ſollte. Sie richtete ihre Sache ſo gut aus, daß ich in der That mehr als jemahls glaubte, ſie waͤre einer Meinung mit jenen gewor - den. Als ſie aber ſahe, daß meine Abneigung un - uͤberwindlich war, ſo bedaurte ſie mit mir, daß die Meinigen ſo unbeweglich auf ihrem Vorſatz beharreten. Sie ſuchte darauf Gewißheit zu erlan - gen, ob es mein aufrichtiger Ernſt ſey, daß ich un - verheyrathet bleiben wollte, wenn ich Soſmeſen durch dieſes Verſprechen abkauffen koͤnnte. Als ich ihr das verſichert hatte, ſo ſahe ſie ein, daß ein ſolches Anerbieten, welches Lovelacen eben ſo vollkommen alle Hoffnung wuͤrde benommen haben, Annehmens-wuͤrdig ſey. Sie wollte ſo gar hinunter gehen, und gleichſahm Buͤrge fuͤr die Aufrichtigkeit meiner Erklaͤrung werden, ob ich ihr gleich ſagte, daß ich dieſen Antrag fchon mehr als einmahl vergeblich gethan haͤtte.

Sie ging hinunter, kam aber bald mit Thraͤnen zuruͤck, weil ſie uͤber ihr Gewerbe hart angelaſſen war. Es hieß: ſie haͤtten Recht auf den Gehor - ſahm zu dringen, den ſie foderten, und nicht den ich anzubieten Luſt haͤtte. Mein Vorſchlag ſey nut ein Kunſtgriff, damit ich Zeit gewinnen woll - te: ſie waͤren mit keiner andern Bedingung zu - frieden, als daß ich Herrn Solmes heyrathete: ſie haͤtten mir dieſes ſchon vorhin geſagt: undſie437der Clariſſa. ſie koͤnnten nicht ruhig ſeyn, bis es geſchehen waͤ - re, denn ſie wuͤßten allzuwohl, wie ſehr Lovelace mein Hertz gefeſſelt haͤtte. Jch haͤtte es beynahe ohne Umſchweif in meinen Briefen an meine Onckles und an meine Geſchwiſter geſtanden, ob ich gleich ſo unartig geweſen waͤre gegen meine Mutter eine andere Sprache zu fuͤhren. Jch ver - lieſſe mich auf ihre Guͤtigkeit, und ich wuͤßte gar zu wohl, was ich bey ihnen ausrichten koͤnnte: Sie wuͤrden mir auch nicht verboten haben, zu ihnen zu kommen, und mit ihnen zu ſprechen, wenn ſie ſich nicht allzuwohl bewußt waͤren, daß ſie mehr Liebe fuͤr mich haͤtten, als ich fuͤr ſie. Sie wollten ein - mahl vor allemahl Gehorſahm haben, oder ich ſoll - te nie mit ihnen ausgeſoͤhnet werden, es moͤchte auch daraus entſtehen, was da wollte.

Mein Bruder entbloͤdete ſich nicht der rechtſchaff - nen Frau ins Geſichte zu ſagen ſie verhaͤrtete mich nur durch ihr unverſtaͤndiges nichts bedeutendes Winſeln. Bey allen Frauens-Leuten fuͤnde man eine gewiſſe Unart, einen Hochmuth aus der Tra - goedie, der ſolche junge Maͤdchens die an Ro - mainen ihre Luſt haͤtten, geſchickt machte, alles zu unternehmen, wenn ſie nur bey jemand Mitley - den faͤnden. Alter und Gemuͤth waͤren bey mir zum Liebes-Fieber geneigt: Und meine Betruͤb - niß, davon ſie ſo viel redete, wuͤrde mir das Hertz nicht abſtoſſen. Eher moͤgte meiner guͤtigen, meiner allzuguͤtigen Mutter das Hertz dabey bre - chen. Sie moͤgte indeß ſo gut ſeyn, und noch - mahl zu mir heraufgehn: wenn ſie alsdenn auchE e 3nichts438Die Geſchichtenichts ausrichtete, ſo wuͤrde er Argwohn ſchoͤpfen, daß der verhaßte Mann ein Mittel gefunden haͤt - te, ſie ſelbſt zu gewinnen.

Es verwieſen ihm alle dieſe unverdiente Be - ſchuldigung, daruͤber die gute Frau von Hertzen betruͤbt war, er ſetzte indeſſen noch hinzu, und niemand widerſprach ihm darin: wenn ſie bey ih - rem ſuͤſſen Kinde nichts ausrichten koͤnnte, ſo wuͤrde es am beſten ſeyn, daß ſie wieder nach Hauſe gienge, und zu Hauſe bliebe, bis ſie ge - ruffen wuͤrde: ſie koͤnnte alsdenn ihr ſuͤſſes Kind, unter der Zucht ſeines Vaters laſſen. (es ſcheint ſie muß mich aus Liebe ſo genannt haben.)

Jch glaube nicht, daß ein ſo unverſchaͤmter und ſo unbarmhertziger Bruder, als meiner, zu finden iſt. So viel Verleugnung wird von mir erwar - tet! So viel Hochmuth und Grobheit gegen eine ſo brave und verſtaͤndige Frau wird an ihm uͤber - ſehen und entſchuldigt.

Sie antwortete ihm: ſo laͤcherlich er es auch vorſtellen moͤgte, daß ſie mich ein ſuͤſſes Kind genannt haͤtte, ſo koͤnnte ſie doch wohl ſagen, daß kein Frauenzimmer dieſes Nahmens wuͤrdiger waͤre. Sie haͤtte immer gefunden, daß man durch ſanfte Mittel alles bey mir ausrichten koͤnnte, ſelbſt alsdenn, wenn ich von anderer Einſicht und Meinung waͤre.

Meine Baſe Hervey ſagte hierauf: es ſey werth das weiter zu uͤberlegen, was Frau Nor - ron geſagt haͤtte: es ſey ihr ſelbſt bisweilen ein Zweifel aufgeſtiegen, ob man zu Anfang die Mit -tel439der Clariſſa. tel bey mir verſucht haͤtte, die bey edlen Gemuͤ - thern etwas ausrichten koͤnnten, wenn ihre Nei - gungen und der Wille ihrer Freunde mit ein - ander ſtreiten.

So wohl mein Bruder als meine Schweſter widerſprachen ihr hierin, und beriefen ſich auf meine Mutter, ob ſie mir nicht ſo gelinde begeg - net waͤre, als ſchwerlich eine Mutter thun wuͤrde?

Meine Mutter ſagte: ſie von ihrer Seite haͤt - te es an gelinden Vorſtellungen nicht ermangeln laſſen: allein ſie muͤßte es bekennen, und haͤtte es oft bekannt, daß ſie mit der Art unmoͤglich zufrie - den ſeyn koͤnnte, damit man mich empfangen, und mir Herrn Solmes Antrag kund gethan haͤtte, als ich von der Fraͤulein Howe zuruͤck gekommen waͤre. Jch haͤtte damahls nicht die geringſte Ge - legenheit gehabt ihn kennen zu lernen, und man haͤtte mir gar keine Freyheit zu waͤhlen ge - laſſen.

Sie war bald zum Stillſchweigen gebracht; durch wen? das werden Sie ſelbſt errathen koͤn - nen. Mein Kind, Mein Kind du haſt immer eine Entſchuldigung fuͤr das wiederſpaͤnſtige Maͤdchen. Erinnere dich, wie ſie dir, wie ſie mir begegnet iſt; Erinnere dich, daß der Kerl, dem wir alle mit Recht feind ſind, laͤngſt von ſeinem Verlangen wuͤrde abgeſtanden haben, wenn ſie ihm nicht Hoffnung gemacht, und ſich gegen uns halsſtarrig bewieſen haͤtte. Frau Norton (ſagte er mit Unwillen zu ihr) gehen ſie noch einmahl hinauf, undE e 4wenn440Die Geſchichtewenn ſie dencken, daß durch Gelindigkeit etwas kann ausgerichtet werden, ſo trage ich ihnen auf gelinde zu ſeyn. Wenn aber alles vergeblich iſt, ſo gebrauchen ſie dieſe Entſchuldigung nicht weiter.

Ach meine liebe Norton, ſagte meine Mutter, verſuchen ſie was ſie bey ihr ausrichten koͤnnen. Jch will mit meiner Schweſter hinauf gehen, und wir wollen ſie an unſerer Hand hinunter fuͤhren, den Seegen ihres Vaters zu empfangen, und von allen ihren Anverwanten umarmet zu werden, wenn ſie ſich will erweichen laſſen. Wir wollen ſie alsdenn wegen ihrer angewandten Muͤhe dop - pelt lieb haben.

Sie kam zu mir herauf, und erzaͤhlte mir alles dieſes mit Thraͤnen. Allein ich ſagte ihr, ſie koͤnn - te aus unſerer vorigen Unterredung ſchon ſchlieſſen, daß es mir unmoͤglich waͤre, die Abſichten zu er - fuͤllen, die blos von meinem Bruder herkaͤmen, und gegen die ich eine ſo groſſe Abneigung haͤtte. Sie druͤckte mich feſt an ihre muͤtterliche Bruſt, und ſagte: ich verlaſſe ſie liebſte Fraͤulein, ich verlaſſe ſie, weil ich muß. Jch bitte ſie nur, uͤbereilen ſie ſich nicht, und nehmen ſie nichts vor, das ſich fuͤr ein ſo artiges Gemuͤth nicht ſchickt. Wenn alles wahr iſt, was die Leute ſagen, ſo kann Herr Love - lace ihrer in Ewigkeit nicht werth ſeyn. Jſt es ihnen moͤglich nachzugeben, ſo bedencken ſie, daß es ihre Schuldigkeit iſt. Jch geſtehe es, daß man nicht ſo mit ihnen umgehet, wie man mit einem edlen Gemuͤth umgehen muß. Allein bedencken ſie daß ihr Gehorſahm aufhoͤren wuͤrde Gehorſahmzu441der Clariſſa. zu ſeyn, wenn ſie nichts dabey verleugneten. Be - dencken ſie auch, was man von einer ſo auſſeror - dentlichen Perſon, als ſie ſind, erwartet. Beden - cken ſie, daß es jetzt bey ihnen ſtehet, ob Trennung oder Eintracht in ihrer Familie ſeyn ſoll. Wenn es ihnen ſchon itzt unangenehm iſt, ſich zwingen zu laſſen, ſo wird doch ihre Klugheit und eine reiffe Uberlegung der Sachen ſie in den Stand ſetzen, alle vorgefaßte Meinungen gegen den einen, und alle allzuguͤtigen Vorurtheile fuͤr den andern zu uͤberwinden. Sie werden ihre gantze Familie hierdurch verpflichten: dieſes wird nicht allein ein ſehr verdienſtliches Werck ſeyn, ſondern ihnen auch ſelbſt in wenig Monathen zu eben ſo vie lem Vergnuͤgen, als Ehre gereichen.

Ueberlegen ſie, meine liebe Mutter Norton, (ſagte ich) uͤberlegen ſie, daß es nicht eine Kleinig - keit von kurtzer Dauer iſt, die man von mir fodert: ſondern daß es auf meine gantze Lebens-Zeit an - koͤmmt. Ueberlegen ſie, daß alles dieſes nur die Anſtalten eines herrſchſuͤchtigen Bruders ſind, nach welchem ſich alle richten. Ueberlegen ſie, daß ich ſo bereit bin, ihnen eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen, wenn ſie damit zufrieden waͤren, daß ich unverhey - rathet bliebe, und meinen Brief-Wechſel mit dem - jenigen, den ſie haſſen, weil ihn mein Bruder haſſet, abbraͤche.

Jch uͤberlege das alles, meine liebſte Fraͤulein. Allein uͤberlegen ſie auch auſſer dem, was ich ſchon geſagt habe, daß wenn ſie ihrem eigenen Willen fol - gen, und ſich dem Willen ihrer Eltern widerſetzen,E e 5und442Die Geſchichteund es ungluͤcklich ablauffen ſollte, ſie alles des Troſtes beraubet ſeyn werden den die haben, die ihren Eltern gefolget ſind, und es nicht ſo getrof - fen haben, als ſie es wuͤnſchen moͤchten.

Jch muß gehen, (ſagte ſie nochmahls, und mit Thraͤnen) damit ihr Bruder nicht vorgiebt, ich verhaͤrte ſie durch mein nichtsbedeutendes Win - ſeln. Es iſt in der That hart, wenn den Einfaͤllen des einen Kindes ſo viel nachgeſehen und auf die Neigung des andern gar nicht geachtet wird. Al - lein ich widerhole es: wenn ſie nachgeben koͤnnen, ſo iſt es ihre Schuldigkeit nachzugeben: denn ihr Herr Vater hat einmahl ihres Bruders Willen durch ſeinen Befehl bekraͤftiget, und ihn zu ſeinem eigenen Willen gemacht. Herr Lovelace iſt nicht der Mann, der ihre Wahl mehr rechtfertigen wird, als die Abneigung der Jhrigen. Man ſiehet gar zu deutlich, daß ihr Bruder die Abſicht hat, ſie um die Liebe der Jhrigen, und inſonderheit ihrer Onckles zu bringen: eben deswegen ſollten ſie nachgeben, um ſeine niedertraͤchtigen Abſichten zu zernichten. Jch will fuͤr ſie beten, das iſt alles was ich thun kann. Jch muß jetzt hinunter gehen, und erzaͤhlen, daß ſie ſich entſchloſſen haben, Herrn Solmes nicht zu nehmen. Soll ich es thun? Ue - berlegen ſie es Fraͤulein: ſoll ich?

Ja! gantz gewiß! ſie ſollen. Allein das ver - ſichere ich ihnen, daß ich nie etwas vornehmen werde, das ſie bewegen koͤnnte, ſich des Antheils, den ſie an meiner Erziehung gehabt haben, zu ſchaͤmen. Jch will alles geduldig leiden, nur dasnicht443der Clariſſa. nicht, wenn man meine Hand mit Gewalt einem Manne geben will, der nie einigen Antheil an mei - nem Hertzen haben kann. Jch will ſuchen ſie alle durch Geduld, Gehorſahm und Demuth zu uͤber - winden. Allein ich will lieber den Tod in ſeiner allertraurigſten Geſtalt waͤhlen, als den Mann.

Jch fuͤrchte mich, Fraͤulein, eine ſo geſetzte und unumſtoͤßliche Antwort hinunter zu bringen. Sie werden mich nicht mit Geduld anhoͤren koͤnnen. Jch will ihnen einen Gedancken zuruͤck laſſen, und ich bitte ſie, daß ſie ihn ſtets in ihrem Gemuͤth behalten wollen: Die Vorſicht GOttes hat Per - ſonen von auſſerordentlichen Gaben und Verſtan - de, (wie ſie beſitzen) in der Welt ausgeſtreuet, daß ſie durch ihr Vorbild die Religion und die Tugend unter dem groſſen Hauffen der Menſchen beliebt machen und ehren ſollen. Wie groß muß die Ver - ſuͤndigung ſeyn, wenn ſolche Perſonen wiſſentlich und vorſaͤtzlich fehlen! wie ſehr muß ſie den GOtt betruͤben, der ihnen ſo auſſerordentliche Gaben verliehen hat! was fuͤr ein Verluſt iſt dieſes fuͤr die Welt! und was fuͤr eine Wunde empfaͤngt dadurch die Tugend ſelbſt! Jch hoffe, daß die - ſes nie von Fraͤulein Clariſſa Harlowe geſagt werden ſoll.

Jch konnte nicht anders als durch Thraͤnen antworten: und da ſie wegging, kam es mir vor, als haͤtte ſie die groͤſſeſte Haͤlfte meines Her - tzens mit ſich genommen.

Jch horchte, wie ſie unten empfangen wuͤr - de. Jch hatte nichts befuͤrchtet, das nicht ge - ſchahe.

Will444Die Geſchichte

Will ſie Herrn Solmes nehmen, oder will ſie nicht? keine winſelnde Umſchreibungen und Umſſchweiffe, Frau Norton! Will ſie ihren El - tern gehorchen, oder will ſie nicht? (Sie wer - den leicht errathen wer dieſes ſagte.)

Dieſes Wort ſchnitt alles ab was ſie ſich vor - genoemmen hatte zu ſagen.

Wenn ich es denn kurtz ſagen ſoll: die Fraͤulein will lieber ſterben, als

einen andern als Lovelacen heyrathen! (ſchrie mein Bruder dazwiſchen) das das iſt ihre ſanfftmuͤthige Tochter! das iſt das ſuͤſſe Kind von Frau Norton! Wohlan, gute Frau, ſie kann nur wieder nach Hauſe gehen. Jch habe Befehl ihnen zu verbieten, daß ſie einen Monathlang nicht den geringſten Brieff-Wechſel, oder was dem gleich iſt, mit dem verkehrten Maͤdchen haben ſol - len, ſo lieb es ihnen iſt, mit der gantzen Familie und mit allen Gliedern derſelben wohl zu ſtehen.

Er ſagte dieſes, ohne daß jemand ihm einredete, und wieß ihr darauf die Thuͤr; Jch zweiffele nicht, daß er nicht ſollte alle veraͤchtlichen und empfindli - chen Geberden angenom̃en haben, damit ein hoch - muͤthiger Reicher den armen und geringen betruͤ - ben kan, wenn er das Ungluͤck hat ihm zu misfallen.

Jch bin demnach des Raths dieſer ſo klugen und gewiſſenhafften Frau beraubet, wenn ich deſ, ſen auch noch ſo ſehr benoͤthigt ſeyn ſollte.

Jch glaube zwar, daß ich ihre Brieffe an Sie mit einſchlieſſen duͤrffte, und daß Sie ihr eben die - ſe Erlaubniß geben wuͤrden. Allein wenn es ihrauch445der Clariſſa. auch nur um ſie aus zufragen vorgehalten werden ſollte, daß ſie Briefe mit mir wechſelt, ſo bin ich gewiß verſichert, daß ſie ſich um aller Welt Guͤter willen durch keine Unwahrheit, ja nicht einmahl durch eine zweydeutige Rede wuͤrde heraushelfen wollen. Wenn ſie es aber geſtuͤnde, ſo haͤtte ſie ge - wiß die Gunſt meiner Mutter auf ewig verſchertzt. Jch habe in meiner letzten ſchweren Kranckheit meine Mutter zu dem Verſprechen bewogen, wenn ich ſterben ſollte, ehe ich ſelbſt etwas zum Be - ſten der redlichen Frau thun koͤnnte, ſie in ſolche Umſtaͤnde zu ſetzen, daß ſie nicht Mangel leyden duͤrfte, wenn ſie aus Abnahme des Geſichts oder wegen Kranckheit ſich nicht mehr mit der Nadel naͤhren koͤnnte.

Was fuͤr Mittel werden nun zunaͤchſt erdacht werden? Werden ſie nicht nachgeben, wenn ſie uͤberzeugt werden, daß blos ein allzutieff gewur - zelter Wiederwille ein ſonſt beugſahmes Gemuͤth unbeweglich macht?

Leben Sie wohl, mein Schatz! Leben Sie gluͤck - lich. An Jhrem Gluͤcke mangelt nichts, als daß Sie ſich Jhres Gluͤcks nicht voͤllig zu gebrauchen wiſſen.

Cl. Harlowe.

Der viertzigſte Brieff. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

(Eine Fortſetzung des 38ſten Briefes.)

Es446Die Geſchichte

Es kommt mir kein Schlaaf in die Augen, und ob es gleich jetzt Mitternacht iſt, ſo will ich doch den Brieff fortſetzen, den ich ſo un - vermuthet abbrechen muſte, um den Befehl, den Sie nebſt den Fraͤuleins Lloyd Campion und Biddulph mir gegeben haben, ſo gut zu erfuͤl - len, als es meine Zerſtreuung zulaͤßt.

Um die ſchwere Beſchuldigung zu widerlegen, daß ich gegen eine ſo werthe Freundin verſteckt ſeyn ſoll bekenne ich, was ich ſchon mehr als einmahl bekant habe, daß meine verworrene Umſtaͤnde wol verurſachen koͤnnen, daß mir Herr Lovelace er - traͤglich vorkommt: alleine keine andere als die ge - meldete Urſache liegt zum Grunde. Haͤtten ihm die Meinigen einen Mann entgegen geſetzt, der Verſtand, Tugend, und ein edles Hertz haͤtte, der Ehre bey ſeinem Vermoͤgen gehabt haͤtte, und ſo viel Zaͤrtlichkeit und Mitleyden mit der Noth an - derer, daß ich haͤtte hoffen koͤnnen, meine Gefaͤl - ligkeiten mit Danckbarkeit belohnt zu ſehen: haͤtten ſie, ſage ich ihm einen ſolchen Mann mit eben dem Ernſt als Solmeſen entgegen geſetzt: ſo wuͤrden ſie, (wo ich mich kenne) jetzt nicht Urſa - che haben, ſich uͤber meinen Eigenſinn zu beſchwe - ren, das aͤuſſerliche Anſehen des Mannes moͤchte auch noch ſo ſchlecht geweſen ſeyn. Denn ich glaube, daß ein Frauenzimmer auf das Hertz ſei - nes Freyers ſehen muͤſſe, weil ihr dieſes allein ge - gruͤndete Hoffnung geben kann, daß ſie in allen Umſtaͤnden vergnuͤgt mit ihm leben werde.

Jch447der Clariſſa.

Jch bekenne indeſſen gegen Sie, daß, ſeit dem ich ſo verfolget und geaͤnſtiget bin, es mir bis - weilen hat ſchwer fallen wollen, die Abneigung gegen Herrn Lovelace wegen ſeiner uͤbeln Ei - genſchaften die ich mir wuͤnſchte, zu behalten, wenn ich auf ſeine mittelmaͤßig guten Eigenſchaf - ten gedacht habe.

Sie meinen, daß ich mir ſeine gute und ſeine ſchlimme Seite ſchon auf dem Fall, wenn ich die ſeinige werden ſolte, vorgeſtellet haben muͤſſe. Jch geſtehe es, daß ich dieſes gethan habe: und auf den Befehl meiner beſten Freundin will ich melden, was dabey in meinem Gemuͤth vorgegangen iſt.

Zuerſt kommt ſeine gute Seite, und alle die Betrachtungen, die zu ſeinem Vortheil gereichen.

Als er den erſten Zutrit in unſerm Hauſe be - kam, ward er deswegen gelobet, weil er gewiſſe Laſter nicht an ſich hat. Er iſt kein Spieler: kein Pferde-Wetter: kein Jaͤger von Handwerck: kein Trunckenbold. Fran Hervey hatte uns im Vertrauen von dieſem letzten Laſter einen ſolchen Begriff gemacht, daß wir davon viel unange - nehme Folgen beſorgeten, die eine Frau am mei - ſten treffen: und die geſunde Vernunft lehrete uns, daß man bey einer zu treffenden Wahl ge - wiß hauptſaͤchlich auf die Tugend der Maͤßigkeit zu ſehen haͤtte, da aus der Trunckenheit taͤg - lich ſo vieles Ungluͤck entſtehet. Jch erinnere mich noch, daß meine Schweſter dieſen vortheilhaften Umſtand von groſſer Wichtigkeit zu ſeyn glaubte, ſo lange ſie noch auf ihn hoffete.

Nie -448Die Geſchichte

Niemand hat ihn je fuͤr einen Knicker gehalten: niemand hat ihm das Lob der Freygebigkeit abge - ſprochen. So genau man ſich auch um ſeine Um - ſtaͤnde bekuͤmmerte, ſo kam doch nicht heraus, daß er ein Verſchwender ſey. Sein Hochmuth, der in ſo fern loͤblich iſt, bewahrte ihn vor dieſen La - ſtern. Wenn er ſich vergangen hatte, ſo ließ er ſich uͤberzeugen, und geſtand ſeinen Fehler. Er machte aus goͤttlichen Wahrheiten kein Geſpoͤtte, wie der armſeelige Wyerley, der zu glauben ſchien, daß der Witz darin beſtuͤnde, w[en]n man etwas vor - bringen koͤnnte, daruͤber ſich ein ernſthaftes Ge - muͤth entſetzen muͤßte. Gegen ſeine Auffuͤhrung in unſerm Hauſe war nichts einzuwenden: man konnte ſagen, daß er recht zuͤchtig ſey. Seine uͤbri - ge Auffuͤhrung mochte beſchaffen ſeyn, wie ſie wollte; ſo ſahe man doch, daß er durch gute Geſellſchaft gebeſſert werden koͤnnte, und daß er in boͤſer Geſellſchaft mehr der Verfuͤhrte als der Verfuͤhrer ſeyn muͤſſe. Eine noch neue Geſchichte, was nehmlich am vorigen Sonnabend vorge - gangen iſt, hat mir in Abſicht auf ſeine untadel - hafte und recht maͤnnliche Auffuͤhrung einen noch viel beſſern Begriff von ihm beygebracht.

Jn Abſicht auf das Herkommen und Geburt hat er den Vorzug vor allen denen, die fuͤr mich in Vorſchlag gebracht ſind, wenn man ihn nach ſeiner eigenen Regel, die Jhnen ſo wohl gefiel, be - urtheilen ſoll: wer von wahrhaftig hohem Herkom̃en ſey, und Verſtand habe, der mache ſo wenig Geraͤuſch mit ſeinem Stande,als449der Clariſſa. als er mit den Handſchuhen: (ein ihm eigener Ausdruck, den er auf die ungezwungenſte Weiſe vorzubringen pflegt) hingegen die reichen Erd - Schwaͤmme die hoch gewachſen, waͤren an dem Bauren-Stoltz bald zu kennen. Wenn wir ihn hiernach beurtheilen ſollen, ſo werden wir das ihm guͤnſtige Urtheil faͤllen muͤſſen, daß er weiß, was fuͤr eine Auffuͤhrung Leuten von Stande geziemet, er mag nach ſeiner Einſicht handeln oder nicht. Jndeſſen beſtehet ſchon die halbe Beſſerung in Erlangung richtiger Einſichten.

Das Vermoͤgen, das er wircklich beſitzt, iſt ar - tig; und was er noch zu erwarten hat, das iſt ſehr groß und anſehnlich. Hievon braucht alſo weiter nichts geſagt zu werden.

Einige wenden gegen ihn ein: er wuͤrde ohn - moͤglich ein liebreicher und zaͤrtlicher Ehemann ſeyn koͤnnen. Fuͤr diejenigen ſchickt es ſich ſchlecht, ei - ne ſolche Einwendung zu machen, die mir einen Menſchen wie Solmes auf gewaltſahme Art aufdringen wollen. Allein nun muß ich Jhnen auch melden, was mir fuͤr eine Antwort gegen dieſe Einwendung beygefallen iſt: denn Sie muͤſ - ſen ſich erinnern, daß ich noch bey dem Theil ſeiner Eigenſchaften bin, die zu ſeinem Lobe oder Ent - ſchuldigung gereichen.

Es wird groſſentheils auf ſeine Frau ankom - men, was ſie fuͤr Zeit bey ihm hat. Sie muß viel - leicht es verſprechen und halten, daß ihr Wille ei - nem Manne, der ſo wenig gewohnt iſt, ſich einre - den zu laſſen, unterworffen ſeyn ſoll, und ſie mußErſter Theil. F fſuchen450Die Geſchichteſuchen ihm gefaͤllig zu ſeyn. Allein wo iſt ein Ehemann, der das nicht fodert? ſonderlich, wenn er ſich nicht ſchmeicheln kann, daß ihn die Frau in dem unverheyratheten Stande geliebet und allen uͤbrigen Freyern vorgezogen hat. Wie viel leich - ter muß ihr aber ſeyn, einem Mann den ſie ſelbſt gewaͤhlt hat, wenn er auch mannigmahl un - billige Dinge fodern ſollte, Gehorſahm zu leiſten, als einem ſolchen, den ſie gewiß nicht wuͤrde ge - nommen haben, wenn ſie es haͤtte aͤndern koͤnnen? Manns-Leute haben das Trauungs-Formular aufgeſetzt, und den Gehorſahm als eine Pflicht der Frauens-Leute mit hinein geruͤckt. Mich duͤnckt daher, wenn eine Frau verſtaͤndig handeln will, ſo muß ſie ihre Pflichten nicht uͤbertreten, es mag ihr auch dieſes Stuͤck derſelben ſo laͤcherlich und unge - reimt vorkommen als es will: damit es dem Man - ne, der doch in ſeiner eigenen Sache Richter iſt, nicht einfallen moͤge, andere Pflichten auch auf die leichte Schulter zu nehmen, an denen ihr mehr ge - legen iſt. Jn der That aber glaube ich, daß uns kein vor dem Altar gethanes Geluͤbde geringe ſcheinen muß.

Was muͤßte das aber fuͤr ein Unmenſch ſeyn, der einer Frau hart begegnen koͤnnte, die nach die - ſen Grundſaͤtzen handelt? Wird Lovelaces Frau die eintzige ungluͤckliche Perſon in der Welt ſeyn, der er undanckbahr und unhoͤflich begegnen kann? Man leugnet nicht, daß er ein braver Mann ſey, der Hertz im Leibe hat: wo iſt aber ein Mann der beydes Hertz und Verſtand gehabt hat, gantz boͤſeund451der Clariſſa. und laſterhaft geweſen? Wie unentbehrlich aber die Zaͤrtlichkeit unſeres Geſchlechts und die Art wie wir erzogen werden, uns einen muthigen Be - ſchuͤtzer und eine edelmuͤthige Geſellſchaft macht, dadurch wir aufgerichtet und nicht niedergeſchla - gen werden, kann man unter andern daraus ſehen, daß wir ſchon von Natur in dieſen Character ver - liebt ſind, wenn wir ihn bey Manns-Perſonen antreffen.

Werde ich zu befuͤrchten haben, daß er mich auf meine Stube einſperret? daß er mir den Um - gang und den Briefwechſel mit meinen beſten Freundinnen unterſaget? daß er mir die Haushal - tung nimmt, wenn ich nichts darin verſehen habe? daß er eine Magd uͤber mich ſetzt, und ihr erlaubt mich zu kraͤncken. Da er ſelbſt keine Schweſter hat, wird er etwa den Fraͤuleins Montague erlauben, uͤber mich mit harter Hand zu herrſchen? oder wer - den dieſe eine ſolche Erlaubniß annehmen und ge - brauchen? das darf ich alles nicht befuͤrchten. Jch werde deswegen oft heimlich unwillig uͤber meine grauſahmen Freunde, daß ſie mich in Verſuchung fuͤhren, mir eine Erfahrung von dem Unterſcheid ihrer und ſeiner Auffuͤhrung gegen mich zu wuͤn - ſchen.

Jch finde endlich in meinem Hertzen ein gehei - mes Vergnuͤgen, das ſich daruͤber regen wuͤrde, wenn ich einen ſolchen Mann wider auf den Weg der Tugend bringen koͤnnte; und wenn ich dadurch, daß ich die Seinige wuͤrde, ein Neben-Mittel zu ſeiner Errettung und zur Verhuͤtung ſo vieles Un - gluͤcks wuͤrde, das ſonſt von einem ſo dreiſten undF f 2alles452Die Geſchichtealles wagenden Menſchen zu befuͤrchten iſt.

So oft ich ihn auf dieſer guten Seiten angeſe - hen, und bedacht habe, daß ein verſtaͤndiger Mann ſeinen Jrrthum eher einſehen wird, als ein ande - rer; ſo muß ich ihnen geſtehen, daß ich groſſe Verſuchung gehabt habe, das zu thun, wovon man mich auf eine ſo gewalſahme Weiſe abhaͤlt. Alle Herrſchaft uͤber mein Gemuͤth, welche man fuͤr die Haupt-Tugend angeſehen hat, die ich in ſo jungen Jahren beſaͤſſe, iſt kaum hinlaͤnglich ge - weſen, mich zuruͤck zu halten.

Die Liebe ſeiner Anverwanten gegen mich, un - ter denen keiner iſt gegen den etwas einzuwenden waͤre, ihn allein ausgenommen, hat viel dazu beygetragen, den Ausſchlag auf die gute Seite zu lencken.

Allein nun folget auch die ſchlimme Seite, und alles das was in meinem Gemuͤth gegen ihn ſtreitet. Wenn ich das Verbot meiner Eltern bedencke, das liederliche Anſehen, das es vor der Welt haben wuͤrde, wenn meine Wahl ihn traͤffe; die Unwahrſcheinlichkeit, daß jemahls die Wiedrig - keit auf hoͤren wird, die durch die Schlaͤgerey ſtaͤr - cker geworden iſt, und noch taͤglich durch meines Bruders Kunſt zunimmt; die Nothwendigkeit, auf ewig mit den Meinigen im Streit zu leben, und zu ihm zu fluͤchten und ihn faſt auf die Art zu nehmen, als wenn ich dieſe Verbindung fuͤr eine Wohlthat und Gluͤck anzuſehen haͤtte; ſeinen Wi - derwillen gegen uns, der eben ſo ſtarck iſt, als der Widerwille der Meinigen gegen ihn; den Haß der ſeine und unſere Familie um ſeinet willen trennet;ſei -453der Clariſſa. ſeinen uͤblen Charackter in Abſicht auf unſer Ge - ſchlecht, welcher macht, daß ich den Gedancken, mich mit ihm zu verbinden, ſchon vor eine groſſe Befle - ckung des Gemuͤts halten muß; ſeine Jugend und ungebrochenen Kopf und Leydenſchaften, ſeine Heftigkeit, die doch nicht ohne Liſt iſt, und wie ich fuͤrchte auch nicht ohne Rachgier; die Gefahr, daß ein ſolcher Mann mir andere Grundſaͤtze beybrin - gen koͤnnte, dadurch ich meine ewige Wohlfarth verſchertzen wuͤrde: den wenigen Eingang den die Ermahnungen ſeiner tugendhaften Baſen und ei - nes Onckles bey ihm haben, ob er gleich von ihnen ſo viel zu gewarten hat: daß alle ſeine mittelmaͤßig - guten Eigenſchaften Fruͤchte des Hochmuths und nicht der Tugend ſind; daß er zwar nichts gegen die Sitten-Lehre ſaget, und kuͤnftige Belohnun - gen und Straffen glaubet, dabey aber ſo handelt, als wenn er jene verſchmaͤhete, und dieſen trotzen wollte; daß dieſe freye Lebens-Art ſehr leicht auf ſeine Nach kommen fortgepflantzet werden kan; und endlich, daß ich, da ich alles dieſes weiß, weniger Entſchuldigung haben werde, als eine andere, die es nicht weiß, weil eine wiſſentliche Vergehung im - mer weit ſtraffbarer iſt, als eine Unwiſſenheits - Suͤnde: wenn ich alles dieſes uͤberlege, ſo finde ich mich gezwungen Sie zu beſchwoͤren, daß Sie fuͤr mich und mit mir beten ſollen, daß ich nicht moͤge getrieben werden, aus Verzweiffelung einen Schritt zu thun, den ich vor meinem eigenen Ge - wiſſen nicht entſchuldigen koͤnnte. Denn auf deſſen Ausſpruch kommt es hauptſaͤchlich an: das Ur -F f 3theil454Die Geſchichtetheil der Welt kann auch mit in Betrachtung gezogen werden, allein es bleibt nur eine Ne - ben-Betrachtung.

Jch habe ihm zum Ruhm nachgeſagt, daß er ſeine Fehler gern erkennet. Allein ich habe oſt von dieſem Lobe einen groſſen Abzug machen muͤſ - ſen, weil ich befuͤrchte, daß dieſe Bereitwilligkeit und Auſrichtigkeit aus zweyen Quellen herzuleiten iſt, die ihm zu ſchlechtem Ruhm gereichen. Viel - leicht haben ſeine Untugenden ſich der Herrſchaft uͤber ihn ſo bemeiſtert, daß er ſich nicht mehr unter - ſteht, ſie zu beſtreiten: vielleicht giebt er auch aus Verſchlagenheit einen Theil ſeines guten Nah - mens verlohren, um den andern Theil dadurch zu retten, weil er auch den nicht verdienet. Denn durch Erkaͤnntniß ſeiner Fehler kann er mancher Nach - rede den Mund verſtopfen, die er zu beantworten nicht im Stande iſt; und er erhaͤlt dadurch den Ruhm der Aufrichtigkeit, weil er keinen andern Ruhm erhalten kann. Vielleicht kaͤme noch mehr Boͤſes von ihm heraus, wenn er auf Beweiß drin - gen wolte. Dieſes iſt zwar ein ſehr ſtenger und ta - delſuͤchtiger Verdacht: allein es kann nicht alles falſch ſeyn, was ſeine feinde von ihm ſagen.

Jch will bald weiter fort fahren.

Wir haben ihn oft fuͤr einen Menſchen von munterm Verſtande allein ohne viel Nachdencken und tieffe Abſichten angeſehen: allein zu anderer Zeit kam er uns ſo unergruͤndlich vor, als irgend ein Menſch von der Welt ſeyn kann. Wenn wirbey455der Clariſſa. bey dem einen Beſuch glaubten ihn gantz ausge - forſchet zu haben, ſo mußten wir das naͤchſtemahl unſere Muͤhe fuͤr verlohren anſehen. Dieſes gehoͤrt gewiß mit zu ſeiner ſchwartzen Seite. Sie ſind in der Haupt-Sache in ſofern auf ſeiner Seite gewe - ſen, daß Sie eine allzugroſſe Freymuͤthigkeit fuͤr ſeinen Haupt-Fehler ausgegeben haben, nebſt ei - ner allzugroſſen Nachlaͤßigkeit ſeinen guten Nah - men zu erhalten, und einer Leichtſinnigkeit, die ihn verhindert verſteckt zu ſeyn. Sie glaubten, daß ſein Hertz um die Zeit gut ſey, wenn er etwas gu - tes redet: alleine ſeine Leichtſinnigkeit und Veraͤn - derlichkeit haͤtten den Grund in ſeiner Leibes-Be - ſchaffenheit und guten Geſundheit, und in einer Seele, die ſich zu ſo einem Leibe unvergleichlich ſchickte und vollkommen mit ihm zufrieden ſey. Sie machten hieraus den Schluß, wenn nur dieſe Ue - bereinſtimmung des Leibes und der Seelen eine gute Richtung bekommen koͤnnte, d. i. wenn ſeine Lebhaftigkeit nur durch die Sitten-Lehre einge - ſchraͤnckt wuͤrde; ſo wuͤrde man in ſeiner Ge - ſellſchaft das Leben vergnuͤgt zubringen koͤnnen.

Jch habe oft geantwortet, und ich bin noch jetzt der Meinung, daß er nicht das gute Hertz hat, das er haben ſollte: und wenn ihm dieſes mangelt, ſo mangelt ihm alles. Fehler, die bloß Jrrthuͤ - mer des Kopfes ſind, koͤnnen gebeſſert werden: allein wer kann ein beſſers Hertz geben, weñ es dar - an fehlet? Bloß eine ſolche goͤttliche Gnade, die ei - nem Wunderwercke ſehr nahe kommt, kann ein boͤſes Hertz aͤndern. Sollte man nicht billig vor demF f 4Manne456Die GeſchichteManne fliehen, den man nur in einem ſolchem Verdacht haben muß? Wie uͤbel, wie unver - antwortlich handeln Eltern, wenn ſie ein Kind zwingen, beſſere Gedancken von einem Manne zu faſſen, den es ſonſt kaum fuͤr mittelmaͤßig angeſehen haben wuͤrde, damit es eine unertraͤg - lichere Parthey vermeyden moͤge!

Jch habe geſagt, daß ich ihn fuͤr rachgierig an - ſehe. Es iſt mir in der That oft der Gedancke beygefallen, das vielleicht ſeine Beſtaͤndigkeit in der Zuneigung zu mir dadurch vermehrt worden ſey, weil er findet, daß dieſes den Meinigen ſehr verdruͤßlich iſt. Von der Zeit an, da er dieſes gemerckt hat, iſt er viel eyfriger geworden, ohne ſich um die Gunſt der Meinigen zu bewerben, denen er vielmehr Trotz bietet. Er will zwar, daß ich hieraus ſchlieſſen ſoll, daß er keine gewinnſuͤch - tigen Abſichten habe: denn das kann er nicht ver - langen, daß ich es fuͤr ein Zeichen ſeiner Wohlge - zogenheit anſehen ſoll. Zu jenem giebt ihm das einen Vorwand, daß er wohl weiß, daß die Mei - nigen im Stande ſind eine demuͤthige Hoͤflichkeit genugſahm zu belohnen. Es iſt wahr, er ſagt mit gutem Grunde, daß die allerdemuͤthigſte Unter - werffung von den Meinigen nicht angenomen wer - den wuͤrde: (und wenn dieſes nicht waͤre, ſo waͤre es mir auch nicht moͤglich, mit ihm Geduld zu ha - ben) er erbietet ſich auch um meinetwillen dazu, daß er eine Ausſoͤhnung ſuchen wollte, wenn ich glaub - te daß er etwas erhalten koͤnnte. Sein Betragen in der Kirche ſcheint mir nicht voͤllig untadelhaftzu457der Clariſſa. zu ſeyn: wenn gleich ſeine Abſicht demuͤthig genug war, ſo muß er doch in Gebeerden hochmuͤthig ge - weſen ſeyn, ſonſt wuͤrde es Schorey, die ſeine Wiederſacherin nicht iſt, ihm nicht Schuld gege - ben haben.

Jch glaube nicht, daß er das menſchliche Hertz und die Sitten-Lehre ſo gut verſtehet, als einige von ihm glauben. Erinnern Sie ſich noch wohl, wie ihn die gewoͤhnliche Anmerckung in Verwunde - rung ſetzte, die er aus einem jeden Sitten-Leh - rer haͤtte lernen koͤnnen; als er ſich auf eine dro - hende Weiſe uͤber die uͤbeln Nachreden beklagte, die man gegen ihn ausſprengete. Jch ſagte ihm damahls: wenn er unſchuldig waͤre, ſo koͤnnte er dieſe Nachrede verachten: waͤre er aber ſchuldig, ſo wuͤrde er durch die Rache nicht unſchuldig werden. Der Degen koͤnnte nicht als ein Schwamm gebraucht werden. Es ſtuͤnde bey ihm ſelbſt, durch Verbeſſerung des Fehler[ſ], den ihm ein Feind Schuld gaͤbe, den Feind als einen Freund zu gebrauchen, und zwar wider deſſen Willen, welches eben die edelſte Rache ſey. Denn ſein Feind wuͤnſchte wahrhaftig nicht, daß er von den Fehlern rein ſeyn ſollte, die er an ihm tadele.

Er antwortete: der Vorſatz ſeines Feindes ſey ſchon eine Wunde fuͤr ihn. Und ich fragte ihn: wie das ſeyn koͤnnte? Der bloſſe Vorſatz ohne Nachſatz koͤnne ja nicht verwunden! Sein Feind halte den Degen gleichſahm in der Hand, er aber richte ihn auf die Bruſt! Ob er Urſache haͤtte uͤber den boͤſen Wille n ſeines Feindes bisF f 5 auf458Die Geſchichte auf den Tod zu zuͤrnen, wenn ihm dieſer boͤſe Wille Lebens-lang nuͤtzlich ſeyn koͤnnte?

Wie kan der ſo viel nuͤtzliche Beleſenheit haben, als man man von ihm ſaget, der ſich uͤber ſo ge - meine Regeln der Sitten-Lehrer verwundert?

Es kann nicht fehlen, er flndet ein Vergnuͤgen in der Rache, ob er gleich die Rachgier an andern tadelt. Er iſt nicht der eintzige, der das Laſter an andern in ſeiner ſchwarzen Geſtalt ſiehet, das er bey ſich fuͤr keinen Fehler achtet.

Um dieſer Urſachen und um dieſes Ausſchlages willen ſchrieb ich ehe mahls, daß ich um aller Welt willen in ihn nicht verliebt ſeyn moͤchte. Jch uͤber - ſchritt vielleicht ſchon die Gebote der Klugheit, als ich gleichſahm mit ihnen handeln, und mir ei - ne bedungene Neigung zu ihm vergoͤnnen woll - te, daruͤber Sie ſich ſo ſehr luſtig gemacht haben.

Mich duͤnckt ich hoͤre ſchon, daß Sie antwor - ten: was dient alles dieſes zur Sache? Diß ſind die Gruͤnde auf beyden Seiten: bin ich aber ver - liebt, ſo bleibe ich ihrer ohngeachtet verliebt. Mit der Liebe iſt es eben ſo als mit der Schwermuth: je weniger man die Urſachen davon angeben kann, deſto tieffere Wurtzel hat ſie geſchlagen. Sie wer - den mich alſo von neuen ermahnen, keine Geheim - niſſe zu machen, ſondern frey heraus zu beichten.

Wenn Sie es denn einmahl haben wollen, ſo geſtehe ich, daß er mir ohngeachtet aller ſeiner uͤber - wiegenden Fehler dennoch beſſer gefaͤllt, als ich ge - dacht hatte, daß er mir jemahls gefallen wuͤrde; und vielleicht beſſer, als mir ein Mann der ſo vielFehler459der Clariſſa. Fehler an ſich hat billig gefallen ſollte. Jch halte es fuͤr moͤglich, daß meine Verfolger mich dahin bringen, daß er mir kuͤnftig noch beſſer gefaͤllt: ſonderlich nachdem ich mich unſerer letztern Unter - redung zu ſeinem Vortheil erinnern kann, und ich von der andern Seite taͤglich neue Proben der Tyranney erfahre. Mit einem Wort, ich will es frey geſtehen, (weil Sie doch nichts was ich ſage fuͤr gar zu deutlich und offenhertzig halten koͤnnen) daß ich ihn jetzt allen Manns-Perſonen, die ich je - mahls geſehen habe, vorziehen wuͤrde, wenn ich ihn nur fuͤr tugendhaft halten koͤnnte.

Das iſt denn doch nur eine bedungene Nei - gung! werden Sie ſagen. Jch hoffe auch nicht, daß meine Neigung weiter gehet. Jch bin noch nie verliebt geweſen, darum werden Sie beſſer als ich entſcheiden koͤnnen, ob ich jetzt verliebt zu nen - nen ſey. Bin ich aber jetzt verliebt, ſo ſcheint mir die Liebe nicht eine ſo unuͤberwindliche Macht zu haben, als man ihr gemeiniglich zuſchreibet; oder man muß ihr erſt mehr Freyheit gelaſſen haben als ich, wenn ſie unuͤberwindlich wird. Denn ich weiß gewiß, daß ich mich von dem einen Freyer, um den andern zugleich los zu werden, los ſagen koͤnnte, ohne daß mir das Hertz ein eintziges - mahl dabey ſchlagen ſollte.

Allein den Schertz bey Seite geſetzt: haͤtten ja meine ungluͤcklichen und bedraͤngtẽ Umſtaͤnde mich zu einer Neigung gegen Lovelacen getrieben oder verleitet, und waͤre aus dieſer Neigung eud - lich gar eine Liebe geworden: ſo haͤtten Sie dochJhre460Die GeſchichteJhre ungluͤckliche Freundin durch Jhren loſen Schertz uͤber eine ſo empfindliche Sache nicht ſo aͤngſtigen ſollen, als Sie gethan haben; Sie, de - ren Hertz empfindet was Zaͤrtlichkeit und Freund - ſchaft iſt, die Sie ſo hohe Begriffe von der Ehre unſeres Geſchlechtes haben, und die Noth Jhrer Freunde als Jhre eigene Noth anſehen. Haͤtten Sie das wohl thun ſollen? Da ich mich nicht einmahl verſtecken wollte, und mich nicht huͤte, wol funfzig Stellen in meine Briefe einflieſſen zu laſſen, die mich verrathen? Es wuͤrde Jhrer Art mehr gemaͤß geweſen ſeyn, mich muͤndlich durch Jhren freundſchaftlichen Spott zu aͤngſti - gen, wenn die Gefahr und Bedraͤngniß ſchon uͤberſtanden geweſen waͤren, und ich meine ge - zwungene Sproͤdigkeit noch nachher haͤtte an - nehmen wollen. Allein dergleichen jetzt zu ſchrei - ben, und (wie ich Sie im Geiſte ſehe) mit einem tadelnden Auge voll Hohn gelaͤchter zu ſchreiben, ſcheint mir in der That nicht allzu artig zu ſeyn, ſonderlich wenn es von einer ſo artigen Fraͤulein in einer ſo empfindlichen Sache geſchiehet. Jch ſchreibe dieſes nicht um mein ſelbſt willen, denn ich liebe Jhren Schertz, ſondern um Jhres eige - nen edlen Hertzens willen.

Jch lege die Feder hier nieder, und bitte Sie, auch etwas im Leſen einzuhalten, und das erſt zu uͤberdencken, was ich geſchrieben habe.

Nunmehr bin ich im Stande, die Feder wider zu ergreiffen, und Jhnen meine Meinung auf die Frage zu geben, wie viel unſer Geſchlecht bey ei -ner461der Clariſſa. ner zu treffenden Wahl auf das aͤuſſere und auf die Geſtalt ſehen muͤſſe. Jch will die Frage erſt uͤberhaupt, und denn inſonderheit in Abſicht auf Herrn Lovelacen beantworten. Sie werden hier - aus abnehmen koͤnnen, ob meine Freunde Recht oder Unrecht haben, wenn ſie mir ein Vorurtheil zum Vortheil des einen und zum Nachtheil des andern vorwerfen, welches ſich auf die Geſtalt der beyden Freyer gruͤndet. Allein die Anmerckung muß voran gehen: wenn die Meinigen ſelbſt Lo - velacen und Solmeſen mit einander vergleichen, ſo finden ſie allzuſtarcken Grund zu glauben, daß die Geſtalt beyder einen Eindruck bey mir machen koͤnnte: und hieraus ſchlieſſen ſie, daß ſie wuͤrcklich einen Eindruck gemacht habe.

Es erhaͤlt zum wenigſten die Wahl eines Frau - enzimmers den Beyfall der meiſten Leute, und ge - reicht dem Frauenzimmer zur Ehre, wenn ſich bey der gewaͤhlten Manns-Perſon auch eine angeneh - me Geſtalt findet. Die Geſtalt giebt uns ein gu - tes Vorurtheil von dem Jnneren der Perſon, das man richtig zu befinden wuͤnſchet: und wenn die - ſes Vorurtheil bekraͤftiget wird, ſo freuen wir uns, daß unſer Urtheil richtig geweſen iſt, und die Per - ſon gefaͤllt uns eben deswegen deſto beſſer, weil ſie unſerer Geſchicklichkeit, in dem Geſichte das Ge - muͤth zu leſen, zum Ruhm gereicht. Dem ohnge - achtet habe ich mir die Regel gemacht, auf allzu ſchoͤne Geſichter beyder Geſchlechter einen Ver - dacht zu werfen: und ich habe mich nicht leicht in die - ſer Regel betrogen, inſonderheit bey dem andern Ge -ſchlecht,462Die Geſchichteſchlecht, welches am meiſten Urſache hat, ſeinen Ruhm nicht in der Geſtalt ſondern in den Vorzuͤ - gen des Gemuͤths zu ſetzen. Denn was unſer Ge - ſchlecht anbetrifft, ſo wird die Welt ein ſchoͤnes Frauenzimmer doch immer entſchuldigen, wenn es ſich durch das Lob der Welt zur Eitelkeit und zum Hochmuth verleiten laͤßt, und weniger bekuͤmmert iſt, die dauerhafteren Vorzuͤge des Gemuͤths zu erlangen. Denn, ich weiß nicht wie es zugehet, eine ſchoͤne Thoͤrin gefaͤllt uns doch in allem was ſie thut und redet wohl.

Wer wollte einer ſolchen artigen kleinen Thoͤrin ihre kurtze Zeit des Vergnuͤgens verderben! Jhr Sommer, indem ſie wie ein Butter-Vogel pran - get, laͤufft doch mehr als zu bald zum Ende, und es folgt darauf ihr Winter, indem ſie durch Al - ter und Runtzeln ungeſtalt wird, und es empfindet, daß ſie ihren edelſten Theil nicht geſchmuͤcket hat. Alsdenn wird ihr der Spiegel ein unertraͤglicher Tadler werden; und wenn ſie weiter nichts iſt als eine alte Frau, ſo wird ſie alle Verachtungen, die einem bey dieſem Nahmen einfallen, auszuſte - hen haben. Bey einem verſtaͤndigen Frauenzim - mer hingegen, das Tugend, Klugheit und nuͤtzli - che Erfahrung in die ſpaͤtern Jahre des Lebens mitnimmt, trit eine wahrhafte Ehrfurcht an die Stelle der Bewunderung, die es vorhin genoſſen hatte, und erſetzt allen Verluſt uͤberfluͤßig.

Wie weibiſch laͤßt es fuͤr eine Manns-Perſon, wenn ſie ſich etwas auf ihre Geſtalt einbildet? Wenn ein ſolcher Menſch Gemuͤths-Gaben hat, ſopflegt463der Clariſſa. pflegt er ſich doch mit Sachen, die den Verſtand angehen nicht ſehr zu beſchaͤſtigen. Das aͤuſſer - liche raubt ihm alle ſeine Sorgfalt und Aufmerck - ſamkeit; ſein Nachdencken wird blos zu Erfindun - gen angewandt, die aͤuſſere Geſtalt zu ſchmuͤcken, oder vielleicht in der That ſie laͤcherlich zu machen. Alles was er thut, das thut er um ſein ſelbſt wil - len: alles was er bewundert, das iſt er ſelbſt: ſo oft auch die Schau-Buͤhne den Stutzer laͤcherlich abzubilden und dadurch zu beſſern ſucht, ſo pflegen ſolche Leute ſich doch gemeiniglich durch dieſe Thor - heit zu erniedrigen, und werden dadurch bey dem einen Geſchlecht veraͤchtlich, und bey dem andern der Zeit-Vertreib, wenn es ſich uͤber ſie luſtig macht.

So geht es gemeiniglich mit den geputzten arti - gen Mannsleuten; darum widerhohle ich mein Urtheil, daß die bloſſe Geſtalt der Mannsleute ein Bewegungs-Grund der Zuneigung zu ihnen ſey, deſſen ſich ein Frauenzimmer billig ſchaͤmen ſoll. Wenn aber ein Mann auſſer dem guten Anſehen auch ſo viel gelernt hat, und ſo viel andere Vor - zuͤge beſitzt, daß er auch bey ſchlechterem Anſehen dadurch geehret werden wuͤrde: ſo iſt die Geſtalt ein Neben-Vorzug. Er verdient alsdenn in der That Hochachtung, wenn er kein allzu groſſer An - beter von ſich ſelbſt iſt, und Tugend beſitzet.

Herr Lovelace hat in der That einen guten Geſchmack, und weiß, ſo viel ich mercken kann, von allem was zu den ſchoͤnen Wiſſenſchaften gehoͤrt wohl zu urtheilen. Ob er aber gleich einen Spaß uͤber ſich ſelbſt machen, und dadurch ſeine Einbil -dung464Die Geſchichtedung gluͤcklich genug verbergen kann; ſo bildet er ſich doch auf ſeine Geſtalt, Geſchicklich keit und ſelbſt auf ſeine Kleidung nicht wenig ein; wiewohl er die letztere ſo ungezwungen zu waͤhlen weiß, daß er faſt gar nicht darauf zu dencken ſcheint. Was aber jene anlangt, ſo wuͤrde ich es mir nicht ver - geben koͤnnen, wenn ich durch meine Bewunde - rung veranlaſſete, daß er ſich in den Dingennoch beſſer gefiele, aus denen er jetzt allzu viel zu machen ſcheint.

Darff ich Sie nun fragen: ob ich Jhre Erwar - tung erfuͤllet habe? Jſt es noch nicht geſchehen, ſo will ich Sie voͤllig zu vergnuͤgen ſuchen, wenn ich aufgeraͤumter ſeyn werde. Denn mich duͤnckt, daß alle meine Gedancken etwas ſchweres und lah - mes haben, daß meine Schreib-Art kriechend iſt, und alle Lebhaftigkeit der Einbildungs-Kraft ver - ſchwindet. Jch habe kaum die Luſt, noch etwas zu ſchreiben, als nur dieſes, daß alles was ich noch bin und habe meiner lieben Fraͤulein Howe zu Dienſten ſtehet.

Cl, Harlowe

P. S. Die unverſchaͤmte Eliſabeth hat mich von neuen dadurch aufgebracht, daß ſie mir fol - genden Ausdruck des eckelhaften Solmes erzaͤhle - te: er waͤre wegen des ſproͤden Maͤdchens auſſer Sorgen, und es ſollte ihm dieſer Sieg nicht viel Muͤhe koſten. Wenn ich ihm zum voraus noch ſo abgeneigt waͤre, ſo koͤnnte er ſich doch auf meine Tugend verlaſſen, und es ſollte ihm eine rechte Freude ſeyn zu ſehen, wie es ſo artig laſſen465der Clariſſa. laſſen wuͤrde, wenn ich es nach und nach naͤ - hern Kauff gaͤbe. (Der abſcheuliche Kerl) Der alte Ritter Oliver haͤtte die Welt vollkommen gekannt, und haͤtte immer geſagt, Furcht ſey ein beßeres Mittel als die Liebe eine Frau zu Beobachtung ihrer Schuldigkeit anzuhalten. Er wollte inzwiſchen bey einer ſo artigen Per - ſon zum wenigſten einige Wochen lang verſuchen was die Liebe ausrichten wuͤrde. Denn er wollte das nicht gern glauben, was der alte Herr zu ſagen pflegte, daß die Liebe mehr ſchlim - me als gute Weiber machte.

Was duͤnckt Jhnen zu einem ſolchen Men - ſchen? Der noch dazu die Spruͤche des alten Fein - des aller Frauenzimmer des Ritter Olivers fuͤr goͤttlich haͤlt.

Der ein und viertzigſte Brief. von Fraͤultin Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Wie gern wuͤrde ſich meine Mutter guͤtig gegen mich erzeigen, wenn es ihr nur erlaubt waͤre. Jch bin gewiß verſtchert, daß alle meine jetzigen Verfolgungen wegfallen wuͤrden, wenn man gegen ſie die Achtung bewieſe, die ihr ſchoͤner Verſtand verdient. Jch weiß nicht ob ich es ihr, oder ihrerErſter Theil. G gSchwe -466Die GeſchichteSchweſter oder beyden beymeſſen ſoll, daß die Guͤ - te nochmahls bey mir verſucht iſt. Dieſen mor - gen uͤberbrachte mir Schorey folgenden guͤtigen Brief.

Mein liebes Kind,

So muß ich dich noch nennen. Denn du biſt mir nicht allein lieb, ſondern auch theuer, ich mag das Wort nehmen in welchem Verſtande ich will.

Wir haben einige Reden uͤberlegt, die der Frau Norton geſtern entfallen ſind, als haͤtten wir uns nicht genugſahm zu dir herabgelaſſen, und waͤren dir nicht ſo guͤtig und freundlich als ſonſt begegnet, da wir dir den Antrag des Herrn Solmes eroͤfne - ten. Sollten wir auch dieſes nicht gethan haben, ſo gereicht es nicht zu deiner Entſchuldigung, da du deine Pflicht vergeſſen und dich dem Willen deines Vaters in einer Sache, darin er nicht mehr mit Ehren zuruͤckgehen konnte, widerſetzt haſt. Al - lein es kann noch alles wider gut werden. Auf deinen Willen kommt jetzt unſere gantze Gluͤckſee - ligkeit und Ruhe an.

Dein Vater giebt mir die Erlaubniß, dir zu melden, daß alles vergangene ſo vergeſſen werden ſoll, als waͤre es nie geſchehen, wenn du von nun an ſeine Hoffnung in Gehorſahm erfuͤlleſt. Allein ich ſoll dir auch ſchreiben, daß dir dieſes jetzt zum letz - ten mahl angeboten wird.

Du wirſt dich erinnern, daß ich dir ſchon vor - hin geſagt habe, daß Proben von den reichſten Stoffen verſchrieben ſind. Dieſe ſind angekom - men; und dein Vater will haben, daß ich ſie dirſchi -467der Clariſſa. ſchicken ſoll, damit du ſehen moͤgeſt, wie veſt er ſei - nen Entſchluß gefaſſet hat. Jch wollte wuͤnſchen, daß ich nicht noͤthig gehabt haͤtte, ſie mit dieſem Briefe zu uͤberſenden. Doch daran liegt ſo viel nicht. Jch kann dir nicht verhalten, daß ich nicht mehr glaube, daß man ſich ſo ſehr an deine Zaͤrtlich - keit kehren muͤſſe, als ich mir ſonſt eingebildet habe.

Dieſe Proben ſind von der neueſten Mode und von den reichſteu Zeugen, die zu finden waren, ſo wie ſie ſich fuͤr unſern Stand und Mittel ſchicken, und zu dem was wir dir noch uͤber dein Gros-vaͤ - terliches Gut, und uͤber die Vortheile die dir Herr Solmes bewilliget, von deinem vaͤterlichen mit - zugeben gedencken.

Dein Vater hat dir Stoffen zu ſechs vollſtaͤn - digen Anzuͤgen zugedacht, davon drey voͤllig verar - beitet werden ſollen. Du haſt noch einen gantz neuen Anzug Kleider, und einen den du nicht mehr als zweymahl wirſt getragen haben, wo ich mich recht erinnere. Weil der gantz neue Anzug auch von reichen Stoffen iſt, ſo ſteht dir frey, ob du den unter die ſechs Kleidungen rechnen wilſt. Jn ſol - chem Falle wird dir dein Vater an deſſen Stelle ſechs hundert Rthlr. ſchencken.

Herr Solmes gedenckt dich mit Juwelen zu be - ſchencken: da du aber noch deine und deiner Gros - Mutter Juwelen haſt, ſo ſteht es abermahls bey dir, ob du ſie von neuen nach der Mode ſe - tzen laſſen und gebrauchen willſt. Alsdenn will dir Herr Solmes an ihrer Stelle eine betraͤchtli - che Summe Geldes geben, die voͤllig dein eigenG g 2ſeyn468Die Gſchichteſeyn ſoll, ohne das was er dir jaͤhrlich unter dem Nahmen der Spiel-Gelder bewilliget hat. Du ſieheſt hieraus, wie wenigen Grund deine Einwen - dungen gegen ſein Gemuͤth haben, welches du dir doch auch ſchlimmer vorſtelleſt, als es in der That iſt: denn du wirſt ſo wenig ſeiner Gnade leben duͤrfen, daß ich die Einrichtung die wir gemacht haben ſelbſt nicht billigen wuͤrde, wenn ich mich nicht darauf verlieſſe, daß du verſtaͤndig biſt, und es nicht misbrauchen wirſt. Jch habe zu Anfang und nachher groͤſſere Mittel in die Familie gebracht, als Herr Solmes mit dir bekommen wird: allein du weiſſeſt, daß mir bey weiten nicht ſo viel Spiel - Gelder ausgeſetzt ſind, als wir von Herrn Solmes fuͤr dich erhalten haben. Wenn man nach eigener Wahl heyrathet, ſo pflegt man ſich am wenigſten zum voraus zu bedingen. Es ſollte mir indeſſen leyd thun, wenn du aus Liebe zu uns allen deine Abneigung nicht uͤberwinden koͤnnteſt.

Wundere dich nicht, Claͤrchen, daß ich ſo deutlich und ohne alle Umſchweiffe von dieſer Sa - che ſchreibe. Deine Auffuͤhrung hat mich bisher gehindert, von dieſen Dingen ausfuͤhrlicher mit dir zu ſprechen. Du kannſt aber doch keinen Zweifel mehr haben, was geſchehen werde oder ſolle, nach - dem ich dir muͤndlich ſo viel geſagt, und deine On - ckles ſich ſchrifftlich gegen dich erklaͤrt haben. Ent - weder, mein Kind, der Gehorſahm gegen uns muß wegfallen, oder du mußt von deinen Ein - faͤllen abſtehen. Daß wir das erſtere zugeben ſollen, wirſt du doch nicht erwarten: wir aber ha -ben469der Clariſſa. ben alle Urſachen in der Welt, zu erwarten, daß das letztere geſchehe. Du weißt, daß ich es dir mehr als einmahl geſagt habe: du mußt dich ent - weder entſchließen, Herrn Solmes zu nehmen, oder du mußt aufhoͤren, unſer Kind zu ſeyn.

Die Eheſtifftung kannſt du zu ſehen bekommen, ſo bald es dir ſelbſt beliebet. Wir glauben, daß es nicht moͤglich iſt, Einwendungen dagegen zu er - dencken. Es ſind noch einige Bedingungen zum Vortheil unſerer Familie eingeruͤckt, die zu An - fang nicht in der Eheſtifftung geſtanden haben, als meine Schweſter mit dir davon geredet hat: Be - dingungen, die wir uns nicht wuͤrden unterſtanden haben zu fodern. Wenn du im Durchleſen findeſt, daß eine Veraͤnderung noͤthig ſeyn moͤchte, ſo ſoll ſie gemacht werden. Mein liebes Kind, ſchicke doch heute oder morgen zu mir, oder hohle lieber ſelbſt die Eheſtiftung bey mir ab.

Du mußt dich nicht wundern, daß die Hochzeit bald angeſetzt iſt: nachdem jemand ſich in unſerer Kirche hat blicken laßen, und allerhand Dinge vorgiebt, dadurch wir in große Unruhe und Sorge geſetzt ſind; und dieſe unſere Unruhe von Tage zu Tage zunehmen muß, ſo lange du unver - heyrathet bleibeſt. Wir haben auf heute uͤber vierzehn Tage die Hochzeit anzuſetzen gedacht, wenn du keine Einwendung dagegen haſt, die ich billi - gen kann. Wenn du dich in der Hauptſache ſo entſchlieſſeſt, als wir es wuͤnſchen, ſo ſoll es uns auf eine Woche nicht ankommen.

G g 3Dein470Die Geſchichte

Dein aͤnſſerliches kann zwar verurſachen, daß einigen dieſe Parthey zu ungleich und zu ſchlecht vorkommt. Allein ich hoffe, daß du nicht in deine eigene Geſtalt verliebt ſeyn wirſt: ich wuͤrde mich ſonſt weniger daruͤber wundern, wenn man ſagt, daß die Geſtalt eines andern Mannes dich einge - nommen habe; ſo wenig auch ſonſt bey einer gluͤcklichen Heyrarh auf die Geſtalt ankommt. So muͤſſen wir Eltern davon urtheilen. Wir ha - ben unſere beyden Toͤchter gleich lieb: warum ſoll - te denn Claͤrchen eine Parthey fuͤr ſich fuͤr zu ſchlecht anſehen, die fuͤr Arabellen nach ihrem o - der nach unſerm Urtheil nicht zu ſchlecht geweſen ſeyn wuͤrde, wenn die Anwerbung an ſie gekom - men waͤre? Du wirſt dieſes verſtehen, ohne daß ich mich deutlicher erklaͤren darf.

Melde uns demnach, daß du unſern Wunſch als ein gehorſahmes Kind erfuͤllen willſt. Deine Gefangenſchaft ſoll ſogleich zum Ende ſeyn: alle deine vorige Halsſtarrigkeit und Ungehorſahm ſoll vergeben und abgethan ſeyn; und du wirſt uns von neuen durch dich gluͤcklich machen, einer wird uͤber den andern froͤlich ſeyn. Du darfſt in ſolchem Fall nur gerade zu deinem Vater und zu mir in deines Vaters Studier-Stube herunter kommen, um uns deine Meinung von den Proben zu ſagen, und unſere Vergebung und Seegen zu empfangen.

Komm, ſey ein gutes Kind, meine Claͤrchen, wie du ſonſt immer geweſen biſt. Ungeachtet mich dein voriges Betragen haͤtte abſchrecken koͤnnen, u. ungeachtet deſſen, daß jemand meint es ſey nichtsbey471der Clariſſa. bey dir auszurichten; ſo habe ich es doch noch ein - mahl gewaget, fuͤr dich gut zu ſagen. Mache mei - ne Hoffnung nicht zu Schanden mein liebes Kind. Jch habe verſprochen niemahls widerum Mittle - rin zwiſchen deinem Vater und dir zu werden, wenn dieſer Verſuch fruchtlos ablauffet. Jch er - warte dich unten, meine Liebe: und dein Vater er - wartet dich auch. Allein laß ihn nicht in einer Mine mercken, daß du ungern Gehorſahm leiſteſt. Wenn du kommſt, ſo will ich dich mit ſo vieler Freude an meine muͤtterliche Bruſt druͤcken, als ich noch niemahls empfunden habe. Du glaubſt nicht, was ich in den vergangenen Wochen habe aus - ſtehen muͤſſen, und du wirſt es auch nicht glauben koͤnnen, bis du ſelbſt in meine Umſtaͤnde kommſt, und weißt wie einer liebreichen Mutter zu Muthe iſt, die Nacht und Tag dafuͤr betet und ſich darum bemuͤhet, den Frieden und die Einigkeit ihres Hau - ſes zu erhalten, wenn ihn andere haͤrtere Gemuͤ - ther ſtoͤren.

Du weißt die Bedingungen. Nahe dich uns nicht, wenn du ungehorſahm bleiben willſt. Doch das kannſt du nicht ſeyn, wenn du dieſen Brief lieſeſt.

Wenn du ſo gleich kommſt, und mit einer ſo froͤhlichen Gebeerde, in der ein gehorſahmes Hertz abgemahlet iſt, (denn du weißt, daß du mir geſagt haſt dein Hertz ſey ungebunden) ſo will ich dir die zaͤrtlichſten Proben davon geben, daß ich bin

Deine wahrhaͤftig liebreiche Mutter

G g 3Sie472Die Geſchichte

Sie koͤnnen dencken, wie ſehr mich dieſer Brief ruͤhren muſſte, deſſen fuͤrchterlicher Jnhalt mir ſo liebreich an das Hertz geleget ward. Setzen Sie ſich einmahl an meine Stelle. Jch dachte mit Schmertzen bey mir ſelbſt: warum ſoll ich einen ſo beſchwerlichen Kampf zwiſchen der Unmoͤglichkeit dieſen Befehl zu erfuͤllen, und zwiſchen ſo guͤtigen, ſo herabgelaſienen, ſo beweglichen Worten einer Mutter, erfahren. Jch glaube, ich haͤtte mich gern laſſen vor den Altar fuͤhren, wenn ich nur zum voraus verſichert ſeyn koͤnnte, daß ich vor dem Al - tar ſterben wuͤrde, ehe die Trauung vollzogen waͤ - re, und dem Solmes ein Recht uͤber mich gege - ben haͤtte. Allein wenn ich daran dencke, daß ich mit einem Manne mein Leben zubringen ſoll, und fuͤr einen Mann leben ſoll, der mir unleydlich iſt! wie hart iſt das!

Wie kann man die Pracht der Kleider fuͤr einen Bewegungs-Grund halten, dadurch ich geruͤhret werden ſoll? da ich immer geglaubt habe, daß ei - ne rechtſchaffene Frau ihren Leib in keiner andern Abſicht mit Kleidern ſchmuͤcken muͤſſe, als ihrem Manne zu gefallen, und ſeine Wahl bey andern die ſie ſehen zu rechtfertigen; und daß ſie ſich dabey huͤten ſoll, nicht anderer Augen auf ſich zu ziehen. Muͤſſen nicht ſelbſt dieſe reichen Stoffe meinen Un - muth veremehren? Wer kann ohne Misvergnuͤgen darauf dencken, ſich zu putzen um Herrn Solme - ſens werth zu ſeyn?

Es war mir ohnmoͤglich auf die vorgeſchriebene Bedingung hinunter zu gehen. Koͤnnen Sie esfuͤr473der Clariſſa. fuͤr moͤglich halten? Wenn ich haͤtte ſchreiben wol - len, und wenn mein Brief wuͤrdig geachtet waͤre geleſen zu werden; ſo frage ich, was konnte ich ſchreiben, das Eingang finden koͤnnte, und das ich nicht ſchon vergeblich geſchrieben haͤtte? Jch gieng in der Stube auf und nieder, und warf die Pro - ben mit Unmuth hin. Bald gieng ich in mein Cloſet, und bald wieder heraus, bald warf ich mich auf das Canapee, denn auf dieſen bald auf einen andern Stuhl, und ging von einem Fenſter zum andern. Jch wußte nicht was ich anfangen ſollte, und da ich in ſolcher Verwirrung den Brief nochmahls las, kam Eliſabeth und erinnerte mich auf Befehl, daß meine Eltern auf mich in meines Vaters Studier-Stube warteten.

Jch antwortete: ſagt meiner Mutter wieder, ich baͤte mir die Ehre aus, ihr entweder hier, oder wo ſie es ſonſt befehlen wuͤrde, auf einen Augenblick allein aufzuwarten.

Jch horchete oben an der Treppe, was erfolgete. Jch hoͤrete meinen Vater mit einer zornigen Stim - me rufen: da ſiehſt du es, mein Kind! Alle deine Herablaſſung iſt jetzt eben ſo uͤbel angewandt, als vorhin deine Guͤtigkeit. Du beſchuldigeſt deinen Sohn, daß er allzu heftig ſey, wie du es nenneſt: (dieſes zu hoͤren gereichte mir noch zu einem heim - lichen Vergnuͤgen) allein du ſiehſt, daß auf ande - re Weiſe nichts bey ihr auszurichten iſt. Du ſollſt ſie nicht allein ſprechen. Darf das verwegene Maͤd - chen darum eine Einwendung machen, nicht zu kommen, weil ich mit dabey bin?

G g 5Meine474Die Geſchichte

Meine Mutter ſagte darauf zu Eliſabeth: ant - wortet ihr, ſie wuͤßte ſchon unter welchen Bedin - gungen ſie zu uns kommen duͤrfte. Unter andern Bedingungen verlangte ich ſie nicht zu ſprechen.

Sie brachte mir dieſe Antwort. Jch wollte Schreiben. Allein ich zitterte ſo, daß ich nicht ſchrei - ben konnte: und wenn auch meine Finger haͤtten ſchreiben koͤnnen, ſo wußte ich doch nicht, was ich ſchreiben ſollte. Endlich brachte mir Eliſabeth folgende Zeilen von meinem Vater.

Ungehorſame und unartige Clariſſa,

Jch ſehe daß du durch keine Herablaſſung zu bewegen biſt. Deine Mutter ſoll und ich will dich nicht ſprechen. Mache dich aber dem ohnge - achtet bereit, Gehorſahm zu leiſten. Du weißt unſern Willen. Dein Onckle Anton, dein Bru - der und deine Schweſter, und deine Vertraute die Norton, ſollen dabey ſeyn, wenn du in der Ca - pelle auf Antons Gute und in der Stille getrauet wirſt. Wenn Herr Solmes dich zu uns beglei - tet, und du in einer Gemuͤths-Faſſung biſt, wie wir ſie wuͤnſchen, ſo vergeben wir das vielleicht ſie - ner Frau, was wir unſerer unartigen Tochter nie - mahls vergeben koͤnnen. Da alles in der Stille geſchehen ſoll, ſo kann fuͤr Kleidung und andere Nothwendigkeiten nachher geſorget werden. Ma - che dich alſo fertig, im Anfang der kuͤnftigen Wo - che nach meines Bruders Gut zu reiſen. Wir wollen dich nicht ſehen, bis alles vorbey iſt: und wir haben deswegen eine kuͤrtzere Zeit angeſetzt,damit475der Clariſſa. damit deine wohlverdiente Gefangenſchaft, u. un - ſere Unruhe die uns ein widerſpaͤnſtiges Kind macht nicht lange mehr waͤhren moͤge. Jch will keine Einwendungen anhoͤren: keine Briefe mehr anneh - men: von keinen Klagen wiſſen. Du ſollſt auch von mir weiter nichts hoͤren, bis du den Nahmen traͤgſt, den du tragen ſollſt. Das ſchreibt dir,

Dein erzuͤrnter Vater.

Wenn es bey dieſer Entſchlieſſung bleibt, ſo werde ich meinen Vater gar nicht wider zu ſehen bekommen. Denn ich will nimmer des Solme - ſens Frau werden. Jch will ſterben ehe es ge - ſchiehet.

Er, der Solmes, kam nach unſerm Hauſe, als ich kaum meines Vaters Brief erhalten hatte: und ließ ſich bey mir melden. Jch muß mich wun - dern, daß erſo zuverſichtlich iſt. Jch antworte - te der Eliſabeth: er mag vorher ein verlohrnes Kind bey Vater und Mutter wider ausſoͤhnen: hernach kann ich vielleicht anhoͤren, was er zu ſagen hat. So lange mich aber die Meinigen um ſeinet - wihen nicht ſprechen wollen, ſo lange will ich ihn auch nicht ſprechen, wenn er ſein Gewerbe anzu - bringen hat.

Eliſabeth ſagte: ich will nicht hoffen, Fraͤu - lein, daß ich das unten ausrichten ſoll. Er iſt bey ihren Eltern.

Jch:476Die Gſchichte

Jch: ich bin aufs aͤuſſerſte getrieben. Jch kann nichts haͤrteres mehr zu gewarten haben. Jch will ihn nicht ſprechen.

Mit dieſer Antwort gieng ſie hinunter. Es ſchien, ſie ſtellete ſich, als wollte ſie nicht gern aus - richten, was ich geſagt hatte: es ward ihr darauf befohlen, nichts zu verheelen; und ſie gab ihnen meine Antwort auf das vollſtaͤndigſte und nach - druͤcklichſte.

Wie fieng mein Vater an zu donnern! Es ſchien, daß ſie alle in ſeiner Studir-Stube bey - ſammen waren. Mein Bruder rieth, man ſollte mich gleich aus dem Hauſe jagen, und mich Lo - velacen und meinem Schickſaal uͤberlaſſen. Mei - ne Mutter legte ein guͤtiges Wort fuͤr mich ein: ich konnte aber nicht verſtehen, was es war: nur hoͤrte ich dieſe Antwort darauf: mein Kind, eine Frau von deinem Verſtande kann nichts uner - traͤglicheres ſagen, als dis. Cin ungehorſohmes Kind eben ſo zu lieben, als wenn es gehorſahm waͤ - re! Wer kann dabey Luſt bekommen, gehorſahm zu ſeyn? Habe ich ſie nicht ſonſt eben ſo lieb ge - habt, als du? und warum habe ich mich geaͤndert? Ach wenn doch Frauens-Leute einen Unterſcheid zu machen wuͤßten! Eine liebreiche Mutter wird im - mer eine hartnaͤckige Tochter haben.

Sie verwieß es der Eliſabeth, (wie das Maͤd - chen ſelbſt geſtand) daß ſie meine Antwort ſo voll - ſtaͤndig wider geſagt haͤtte. Allein mein Vater ſagte, ſie waͤre dafuͤr zu loben.

Sie477der Clariſſa.

Sie ſagt, er haͤtte im heftiſten Zorn zu mir herauf kommen wollen, als er gehoͤret haͤtte, daß ich Herrn Solmes nicht ſprechen wollte. Allein mein Bruder und meine Schweſter haͤtten ihn vermocht, es nicht zu thun.

Jch wuͤnſchte, daß er es gethan, ja daß er mich umgebracht haͤtte, wenn es ohne Verſuͤndigung von ſeiner Seiten haͤtte geſchehen koͤnnen.

Herr Solmes ließ es ſich gefallen, (ich bin ihm ſehr verbunden!) fuͤr mich zu bitten.

Alles iſt in Unruhe. Jch kann das Ende nicht uͤberſehen. Jch bin des Lebens uͤberdruͤßig. So gluͤcklich vor einigen Wochen, und jetzt ſo ungluͤck - lich! Meine Mutter hat mit Recht geſagt, daß ich einen harten Stand haben wuͤrde.

P. S. Mein Bruder und meine Schweſter ha - ben ſich das einfaͤltige ungezogene Maͤdchen aus - gebeten; und verlangen, daß ich ihrer Zucht ſoll uͤbergeben werden. Mein Vater hat es ſchon be - williget, allein nicht meine Mutter: was fuͤr Grau - ſamkeit aber habe ich von ihrem Neid, Eiferſucht und Bosheit zu gewarten, wenn ſie dieſe Bitte erhalten! Jch werde es bald mercken koͤnnen, wenn ſie ihnen ſoll zugeſtanden werden. Meine Baſe Dorothea Hervey hat mir dieſes ſchriſtlich geſteckt, und das Zettelchen unweit von dem Holtz - Stalle hingelegt. Das liebe Kind will mich gern ſprechen? allein es iſt ihr unterſagt, mich anders als Frau Solmes oder als Herr Solmes Braut zu ſprechen. Die Beſtaͤndigkeit und Unbeweg -lichkeit478Die Geſchichtelichkeit der Meinigen ſoll mir wahrhaftig zum Vorbilde dienen.

Der zwey und viertzigſte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Jch habe mit meiner Schweſter einen heftigen Wortwechſel gehabt, und mich beynahe mit ihr geſcholten. Haͤtten Sie wol geglaubt, daß ich ſchelten koͤnnte? Als ich Herrn Solmes den Be - ſuch abſchlug, ſo ward ſie zu mir geſchickt, oder vielmehr auf mich losgelaſſen. Denn es geſchahe ohne einige Abſicht, die Sache zu beſſern. Jch ſehe ſchon, daß ich mit allgemeiner Einwilligung meines Bruders und meiner Schweſter Zuͤcht - ling werden ſoll.

Jch will nicht uͤbergehen, was ſie mir ſagte, das von einigem Gewicht haͤtte ſeyn koͤnnen. Da ich mir Jhr Urtheil uͤber meine Handlungen, die ich Jhnen melde, ausbitte, ſo wuͤrde es ein Zeichen einer ſchlimmen Sache ſeyn, wenn ich meinen Richter zu betruͤgen ſuchte.

Sie ſtellete mir zuerſt die Ge fahr vor, in der ich geweſen ſeyn wuͤrde, wenn mein Vater zu mir herauf gekommen waͤre. Herr Solmes haͤtte ihn unter andern abgehalten, es nicht zu thun. Sie gab der rechtſchaffenen Frau Norton auch einen Stich, und gab zu verſtehen, daß ſie mich zuver -479der Clariſſa. verhaͤrten ſchiene. Sie ſuchte mich daruͤber laͤcher - lich zu machen, daß ich mich ihrer Meinung nach in Herrn Lovelacen verliebt haͤtte. Sie wunder - te ſich, daß die witzige, die kluge, die gehorſah - me die gott ſee lige Claͤrchen, (das letzte Beywort konnte ſie ſo ſpoͤttiſch ziehen) ſich in einen ſo liederlichen Boͤſewicht ſo ſterblich verliebt haͤt - te, daß ihre Eltern ſie einſperren muͤßten, damit ſie nicht mit ihm davon gienge. Jch darff euch doch wol fragen, Schweſter, wie ihr jetzt eure Eintheilung der Stunden des Tages beobachtet? wie viel Stunden unter vier und zwantzigen ihr naͤ - het? wie viel ihr GOtt widmet? wie viel ihr zum Brieff-Schreiben anwendet? und wie viele zu der Liebe? Jch fuͤrchte ich fuͤrchte, mein kleines liebes Ding, die Liebe ſt bey dir wie Aharons Stab, und verſchlinget das uͤbrige alles. Jſt es nicht ſo? ſagt es mir doch.

Jch antwortete: es ſey fuͤr mich eine doppelte Kraͤnckung daß ich einem Manne, dem ich kei - nen Danck ſchuldig ſeyn wollte, meine Sicherheit vor dem Zorn meines Vaters zu dancken haͤtte. Jch ſuchte hierauf die ehrliche Frau Norton zu entſchuldigen; und das that ich mit ſolchem Eifer, als ihre Verdienſte es erforderten. Mit gleicher Hefftigkeit beantwortete ich ihre ungeziemenden Schmaͤhungen, damit ſie mich in Abſicht auf Herrn Lsvelace belegte. Was die Eintheilung meiner Stunden anlangt, ſo ſagte ich, es wuͤrde ſich beßer fuͤr ſie geſchickt haben, mit einer ungluͤckli - chen Schweſter Mittleiden zu haben, als uͤber ſiezu480Die Geſchichtezu frohlocken, inſonderheit da ich ein groſſes Theil meines Ungluͤcks ihren ſchlaaffloſen Naͤchten zu - zuſchreiben haͤtte.

Ueber dieſen Stich ward ſie aus der Maaßen verdrießlich und unwillig. Sie erinnerte mich, ich ſollte bedencken, wie guͤtig die Meinigen und mei - ne Mutter inſonderheit mir begegnet haͤtten, ehe eſ auf das aͤuſſerſte gekommen waͤre Jch haͤtte ein ſolches Gemuͤth gezeiget, als man nie bey mir ge - ſucht haͤtte. Wenn ſie mich fuͤr eine ſolche Fechte - rin gehalten haͤtten, ſo wuͤrde es niem and gewaget haben, ſich mit mir einzulaſſen. Nun waͤre es aber einmahl fuͤr allemahl ſo weit gekommen, daß man nicht wider zuruͤck koͤnnte. Es ſey jetzt bloß ein Streit des Gehorſahms und des Eigenwil - lens uͤber die Frage, ob der Eltern Willen den Einfaͤllen einer hartnaͤckigen Tochter vor oder nach - gehen ſollte. Jch muͤßte biegen oder brechen. Das iſt das Ende vom Liede, mein Kind.

Jch ſagte: Jch wuͤnſchte, daß die Sache mir er - laubte munter zu ſeyn, und ihre luſtigen Reden mit eben ſo luſtigen Reden zu beantworten. Wenn Herr Solmes allen und ihr inſonderheit ſo wohl gefiele, ſo daͤchte ich, er koͤnnte ja eben ſo gut mein Bruder als mein Mann werden!

O GOtt! Kind! das iſt wol ſo munter geſchertzt, als ich immer habe ſchertzen koͤnnen. Nun fange ich an, gute Hoffnung von dir zu haben. Kannſt du dencken, daß ich meiner Schweſter einen ſo de - muͤthigen Anbeter rauben will? Haͤtte er ſich zu - erſt um mich beworben, ſo waͤre noch etwas vonder481der Clariſſa. der Sache zu reden: aber das zu nehmen, was meine juͤngere Schweſter nicht haben will! Nein mein Kind! nein! ſo weit iſt es noch nicht mit mir gekommen. Das waͤre eben ſo viel, als ei - nem andern, den du wol kenneſt, einen Zugang zu deinem Hertzen laſſen, dem wir gern die Thuͤr verriegeln wollten. Kurtz (hier veraͤnderten ſie Stimme und Geſicht) waͤre ich ſo geneigt gewe - ſen, als ſonſt jemand, mich dem liederlichſten Menſchen in gantz England in die Arme zu wer - fen der ſeinen Anſpruch an mich mit meines Bru - ders Blut haͤtte unterzeichnen wollen; ſo haͤtte meine Familie Recht gehabt, zuſammen zu tre - ten, und mich aus den Klauen eines ſolchen Bu - ben zu retten; denn haͤtten ſie eilen koͤnnen, ſo ſehr ſie gewollt haͤtten, mich an einen braven Hrn. der ſich eben zur rechten gelegenen Stunde ge - zeigt haͤtte, zu geben. Es iſt alles zum Ende Claͤr - chen: richte dich darnach.

Verdiente das nicht eine beiſſende Antwort. Jch wollte gern, daß Sie ja ſagten, damit ich mei - ne Antwort entſchuldigen koͤnnte! Jch ſagte: ach fuͤr meine arme Schweſter! Der Menſch iſt doch nicht immer ſo liederlich geweſen. Wie wahr finde ich das Sprichwort: ver - ſchmaͤhete Liebe bringt bittern Haß!

Jch dachte faſt ſie wuͤrde mich ſchlagen. Jch ſuhr aber fort zu reden: ich habe oft von der Le - bens-Gefahr meines Bruders, und von meines Bruders Moͤrder hoͤren muͤſſen. Darf ich nicht auch frev heraus reden, da man mit mir ſo wenigErſter Theil. H hUm -482Die GeſchichteUmſtaͤnde macht? Suchte er nicht ſelbſt dem an - dern das Leben zu nehmen, wenn er es nur haͤtte thun koͤnnen? Wuͤrde er ihm wol das Leben ge - ſchenckt haben, wenn es in ſeiner Macht geſtan - den haͤtte? Der angreiſfende Theil hat kein Recht ſich zu beſchweren. Von eurer rechten ge - legenen Stunde ein Wort! Wenn doch nur der Himmel gewollt haͤtte, daß ſich jemand fuͤr eine andere Perſon zur rechten gelegenen Stunde ge - zeiget haͤtte! Jch bin nicht Schuld daran, Ara - belle, wenn die Freyer nicht zur rechten gelegenen Stunde kommen wollen.

Haͤtten Sie mehr Muth beweiſen koͤnnen, als ich bewieß? Jch fuͤrchtete mich ſchon, daß ſie mich ihre Hand wuͤrde fuͤhlen laſſen: denn ſie hielt ſie in die Hoͤhe, und kam ſo auf mich zu. Die Bos - heit machte ſie ſtumm; und ſie lief die Treppe halb herunter, und denn wieder herauf. Jhr er - ſtes Wort, als ſie wider ſprechen konnte, war: GOtt verleyhe mir Geduld.

Unten! (ſagte ich) Jhr ſeht Arabelle, wie ungedultig ihr uͤber die Antwort werdet, die ihr mir abgenoͤthigt habt. Wollt ihr mir ſo aufrich - tig vergeben, und mich wider eine Schweſter an euch finden laſſen, als es mir leyd thut, wenn ihr mit einigem Recht dencket, daß meine Ant - wort ſich fuͤr keine Schweſter ſchickte?

Sie ſtuͤrmete nur heftiger auf mich zu, weil ſie meine Gelaſſenheit fuͤr einen Spott anſahe. Sie ſagte, ſie wollte allen im Hauſe erzaͤhlen, wie ich des gottloſen Lovelaces Parthey wider meinen Bruder genommen haͤtte.

Jch483der Clariſſa.

Jch antwortete: ich wuͤnſchte, daß ich die Ent - ſchuldigung fuͤr mich gebrauchen koͤnnte, die ſie haͤtte. Mein Zorn, und nicht das was ich geſagt haͤtte, ſey ſtrafbar. Jch glaubte, ſie haͤtte noch eine Abſicht, deswegen ſie mich beſuchte, die ſie mir aber noch nicht geſagt haͤtte. Sie ſollte mir nur ſagen, ob ſie etwas auszurichten haͤtte, darein ich willigen koͤnnte, und dadurch meine eintzige Schweſter widerum meine Freundin werden koͤnnte.

Als ſie vorhin meine Sanftmuth laͤcherlich zu machen ſuchte, antwortete ich ihr, ob ich mich gleich nach dem Ruhm der Sanftmuth und De - muth beſtrebte, ſo verlangte ich doch nicht fuͤr niedertraͤchtig und kriechend angeſehen zu wer - den. Sie erinnerte mich deſſen jetzt wider auf ei - ne ſpoͤttiſche Weiſe.

Jch ſagte: ihr Spaaß ſey mir zwar angeneh - mer, als wenn ich ſie zornig ſehen muͤßte; allein ich wuͤnſchte doch den eigentlichen Endzweck ih - res Beſuchs zu wiſſen, der bisher noch ſo wenig freundſchaftlich zu ſeyn ſchiene.

Sie verlangte in aller Nahmen zu wiſſen, ob ich nachgeben wollte, oder nicht? Ein Wort fuͤr zehn! meine Anverwanten brauchen gegen ein ſo unartiges Maͤdchen nicht unendliche Geduld zu haben.

Jch ſagte: ſo viel wollte ich thun: ich wollte gaͤntzlich mit demjenigen brechen, gegen den ſie alle einen ſo geſetzten Widerwillen haͤtten; allein unter der Bedingung, daß mir weder SolmesH h 2noch484Die Geſchichtenoch irgend ein anderer Befehls-Weiſe aufge - drungen wuͤrde.

Sie fragte mich: ob das mehr waͤre, als wozu ich mich ſchon vorhin erboten haͤtte? Jch laͤutete immer eine Klocke, und ginge doch keinen Schritt weiter.

Wenn ich nur wuͤßte (erwiderte ich) was ich fuͤr andere Vorſchlaͤge thun koͤnnte, die ihnen an - genehm waͤren, und mich von einem mir ſo eckel - haften Liebhaber erloͤſen koͤnnten, ſo wollte ich ſie thun. Jch haͤtte mich freylich ſchon vorhin er - klaͤrt, niemahls wider meines Vaters Willen zu heyrathen.

Sie unterbrach mich: das geſchaͤhe alles des - wegen, weil ich mich auf mein kuͤnſtliches Win - ſeln verlieſſe, und meine Eltern dahin zu bringen hoffte, wohin ich ſie haben wollte.

Ein ſchlechtes Verlaſſen! ſagte ich. Jhr wiſ - ſet wohl, wer meine Hoffnung mir zu Waſſer machen wuͤrde.

Du wuͤrdeſt ſie (fuhr ſie fort) vermuthlich nach deiner Pfeiffe tantzend gemacht haben, und mei - nen Onckle Harlowe und Frau Hervey gleich - fals, wenn dir nicht verboten waͤre, ſie zu ſprechen. Allein das hat dich gehindert, dein Hockus Po - ckus zu machen.

So gebt ihr mir doch endlich zu verſtehen, Schweſter, (ſagte ich) wem ich es zu dancken ha - be, daß Vater und Mutter und jedermann ſo hart mit mir verfaͤhret. Allein ihr ſtellet doch alle dieſe Leute ſehr ſchwach und unverſtaͤndig vor. Wenn485der Clariſſa. Wenn unbekannte Leute uns reden hoͤrten, ſo wuͤrden ſie entweder glauben daß ich ſehr liſtig oder daß ihr ſehr hoͤhniſch ſeyd.

Liſtig genug ſeyd ihr, (fiel ſie mir mit Unwillen in die Rede) eins der allerliſtigſten Geſchoͤpfe das ich je geſehen habe. Und hierauf folgete die niedertraͤchtige, die einer Schweſter ſo unanſtaͤn - dige Beſchuldigung: ich bezauberte faſt jeder - mann durch mein ſchmeichlendes Weſen. Wo ich hinkaͤme, da gaͤlten andere Leute nichts, ſon - dern muͤſten als Nullen da ſtehen. Wie oft habe ich und eur Bruder geredet, und jedermann hoͤr - te uns zu, bis ihr mit eurem bezaubernden ſanf - ten Stoltz und aufgeblaſener Demuth herein tratet. Denn ſtopften uns andere den Mund, in - dem ſie der Fraͤulein Claͤrchen Meinung verneh - men wollten? oder wir muſten uns ſelbſt den Mund ſtopfen, wenn wir nicht mit den Waͤnden reden wollten.

Sie hoͤrte auf zu reden, und erhohlte ſich wider. Es ſchien als wolte ſie nur neuen Athem ſchoͤpfen. Fahrt doch fort, liebe Arabelle: ſagte ich.

Das will ich auch thun. Habt ihr nicht euren Gros-Vater bezaubert. Konnte ihm etwas ge - fallen, daß ihr nicht thatet oder ſagtet? Wie hing er an eurer guͤldenen Zunge, an euren goͤttlichen Reden, bis der alte verliebte Geck euch wider ei - nen Schmatz geben konnte! Und was ſagtet ihr, das wir nicht auch haͤtten ſagen koͤnnen? Was thatet ihr, daß wir nicht auch gern wuͤrden gethan haben! Allein, warum geſchahe das alles? DieH h 3Wir -486Die GeſchichteWirckung zeigte es: als das Teſtament geoͤffnet ward, da ſahe man, wozu eure ſuͤſſe Schmeicheley ihn vermocht hatte. Da vermachte er alles Ver - moͤgen, das er ſelbſt erworben hatte, nicht ſeinen Soͤynen, ſondern ſeines Sohnes Kinde, dem juͤngſten Kinde, ſo gar einer Tochter. Alle Ge - Gemaͤhlde der Familie gingen auch vor ſeinen Soͤhnen vorbey, und kamen an euch, weil ihr da - mit ſpielen konntet, und ſie mit euren ſchmutzigen Haͤnden abwuſchet und reinigtet, ohne in ihre Fuß-Tapfen zu treten. Das viele Silber-Ge - ſchirr, das noch von dem dritten Geſchlecht her iſt, durfte auch nicht umgegoſſen werden, weil ſein theures Kind ſich nach ſeinem alt-modiſchen Ge - ſchmack zu richten und es zu bewundern wuſte, um es alles ſelbſt zu bekommen.

Dieſe Reden waren allzuniedertraͤchtig, als daß ſie mich haͤtten zum Unwillen reitzen koͤnnen. Jch ſagte nur: o meine arme Schweſter, es iſt ein Ungluͤck, daß ihr Kunſt und Natur nicht unter - ſcheiden koͤnnt oder wollt. Wenn ich andern ha - be gefaͤllig ſeyn koͤnnen, ſo ſchaͤtzte ich dieſes ſchon fuͤr ein Gluͤck, und dachte auf keine weitere Beloh - nung. Mein Hertz verachtet die Abſichten, die ihr mir andichtet. Jch wuͤnſchte von gantzem Hertzen, daß mich mein Gros-Vater andern nicht vorgezogen haͤtte. Er ſahe zum voraus, daß mein Bruder in und auſſer unſerer Familie reichlich duͤrfte verſorgt werden: er verlangte, daß mein Vater euch deſto mehr zuwenden moͤchte: und es iſt kein Zweiſſel, daß nicht beydes geſchehen ſollte. Jhr487der Clariſſa. Jhr wiſſet ja wohl, daß das Gut, das mir mein Gros-Vater vermachte, bey weiten nicht die Helf - te ſeines wircklichen Vermoͤgens betrug.

Was iſt alles das, Claͤrchen, antwortete ſie, in Vergleichung eines Gutes, das euch gleich zu voͤl - ligem Beſitz vermacht ward, und zwar mit ſolchen Worten die euch anderer Leute gute Meinung in einem viel hoͤhern Grad erwurben, als ihr ſie ver - dienetet?

Das iſt eben, wie ich fuͤrchte, die Quelle mei - nes Ungluͤcks. Darum beneydet ihr mich Arabel - le. Habe ich mich aber des wircklichen Beſitzes die - ſes Guts nicht auf die allerbeſte Weiſe begeben?

Ja! (fiel ſie mir in die Rede) Eben fuͤr dieſe al - lerbeſte Weiſe, muß ich euch feind ſeyn. Kleine betruͤgeriſche Hexe! durch eure allerbeſte Weiſe, die voller Liſt und Abſichten iſt, wuͤrde niemand haben hindurch ſehen koͤnnen, wenn man nicht oh - ne auf eure Schmeicheleyen zu achten, auf deut - liche Erklaͤrung gedrungen haͤtte. Darum muſte man euch nicht geſtatten, eure winſelnden Kuͤnſte zu gebrauchen, und um eure Mutter wie eine Schlange herum zu kriechen, die euch nichts ab - ſchlagen konnte, worauf einmahl eur kleines ei - genſinniges Hertz beſtand.

Mein eigenſinniges Hertz? Arabelle.

Ja eur eigenſinniges Hertz. Habt ihr jemahls in einer Sache nachgegeben? Wuſtet ihr nlcht die Kunſt, eure Eltern glaubend zu machen, daß alles billig waͤre, was ihr fodertet, obgleich mir und meinem Bruder Bitten abgeſchlagen wurden, die nicht von groͤſſerer Wichtigkeit waren.

Jch488Die Geſchichte

Jch erinnere mich nicht, Arabelle, jemahls et - was unbilliges gefodert zu haben. Jch habe ſelten fuͤr mich ſondern meiſtentheils fuͤr andere gebeten.

Jch mußte hieruͤber tadelſuͤchtig heißen.

Alles das, wovon ihr redet, Arabelle, ſind alte Sachen. Jch kann jetzt nicht auf alle Thorheiten meiner Kinder-Jahre zuruͤckgehen. Jch habe nie gedacht, daß eur Widerwille gegen mich, der ſeit kurtzen ausgebrochen iſt, ſchon ſo alt waͤre.

Jch war wider tadelſuͤchtig. So eine muͤrri - ſche empfindliche Sanfftmuth! Solche allerbe - ſte Weiſe! Solche gifftige Worte! Claͤrchen, Claͤrchen, Claͤrchen, du biſt immer ein doppel - ſichtiges Maͤdchen geweſen.

Niemand hat mir ein zwiefaches Geſicht zuge - ſchrieben, als ich alles das meinige der Gewalt meines Vaters uͤbergab, und meine wenigen Ta - ſchen-Gelder nach wie vor fuͤr eine Guͤtigkeit von ihm anſahe und aus ſeiner Hand ohne einen Gro - ſchen Zulage zu verlangen annahm.

Ja, du liſtiges Ding! das war auch einer von deinen Streichen. Brachteſt du nicht dadurch deinen allzu guͤtigen Vater dahin, und konnteſt du nicht zum voraus ſehen, daß du ihn dahin brin - gen wuͤrdeſt, daß er ſich erklaͤrte; er wolle zur Be - lohnung dieſes ihm angenehmen Gehorſahms die Einkuͤnffte des Gutes zu eurem kuͤnfftigen Ge - brauch beylegen, und weiter nichts als eur Haus - halter ſeyn, und ihr ſolltet von ihm noch alles zu genieſſen haben, was ihr vorhin genoßen hattet? Das war wider einer von euren Griffen. Alleeure489der Clariſſa. eure Ausſchweiffungen koſteten euch nichts: eur Vater mußte das Geld dazu hergeben.

Meine Ausſchweiffungen? Arabelle! Hat mir mein Vater jemahls etwas gegeben, das er euch nicht auch gegeben hat?

Ja Claͤrchen; ich habe freylich durch euch mehr bekommen, als ich mit gutem Gewißen von meinem Vater haͤtte fodern koͤnnen. Jch habe aber doch noch etwas davon das ich aufweiſen kann. Was habt ihr? Was koͤnnt ihr aufwei - ſen. Sollten es wol fuͤnfzig Stuͤcke ſeyn? Jch glaube es nicht!

Nein! nicht ſo viel!

Jch glaube es euch gern! Eure Mutter Nor - ton aber Mum! mum! mum!

Gemeines Gemuͤth! die redliche Frau iſt zwar in armſeeligen Umſtaͤnden, ſie hat aber gewiß ein erhabenes Hertz: ein viel vornehmeres Hertz, als die, welche ſie einer Niedertraͤchtigkeit beſchuldi - gen wollen, dazu ſie nicht aufgelegt iſt.

Was habt ihr mit dem vielen Gelde angefan - gen, das euch von Kindheit an zum Vertaͤndeln gegeben iſt? Laſt mich doch auch etwas davon wiſſen. (Sie wollte recht liſtig ausſehen.) Hat, hat, hat, Lovelace, hat euer Schelm es auf Zin - ſen ausgeliehen?

Wenn mich doch meine Schweſter nicht zwin - gen wollte, fuͤr ſie roth zu werden! Es iſt auf Zin - ſen ausgethan! Jch hoffe es wird mir Zinſen uͤber Zinſen bringen: beſſere Zinſen, als wenn es der Roſt in meinem Kaſten verzehrte, wie ibr es machet!

H h 5Jch490Die Geſchichte

Jch verſtehe euch, was ihr ſagen wollt. Wenn ihr eine Manns-Perſon waͤret, ſo glaubte ich, daß ihr die Graffſchafft gewinnen wolltet. (*)Diejenigen, welche gern zu Gliedern des Unter - Hauſes als abgeordnete der Graffſchafften erwaͤhlt wer - den wollen, ſuchen ſich durch Freygebigkeit unter dem Volck eine Parthey zu machen.Es iſt freylich etwas angenehmes fuͤr euch, wenn euch jedermann ſeegnet ſo oft ihr in die Kirche fahret, und wenn aller Augen auf niemanden als auf euch gerichtet ſind. Jhr prediget auf den Daͤ - chern. Jhr verſteckt wahrhaftig eur Licht nicht unter den Scheffel. Allein koͤmmt es euch nicht hart vor, daß ihr jetzt gehindert werdet, es des Sonntages vor den Leuten leuchten zu laſſen? und daß ihr eure Liebe nicht zeigen koͤnnt?

Das ſind in der That ſehr empfindliche Reden von euch, Arabelle, da ihr ſo vielen Antheil an meiner Gefangenſchafft habt. Fahrt aber nur fort: ihr werdet euch bald aus dem Athem geredet haben. Jch will mir nicht wuͤnſchen, daß ich im Stande ſeyn moͤge, gleiches mit gleichem zu ver - gelten. Arme Arabelle! (Jch glaube, daß ich hierbey veraͤchtlicher gelachet haben mag, als es ſich fuͤr eine Schweſter ſchickt.)

Keine veraͤchtliche Gebeerden! (ſagte ſie mit ei - ner erhabenern Stimme) Nichts von arme Ara - belle! keine ſolche Reden, damit ſich die juͤngere Schweſter uͤber die aͤltere hinweg ſetzt!

Wohlan denn: reiche Arabelle! (mit einem tieffen Knix) das wird euch doch beßer gefallen. Der491der Clariſſa. Der Nahme ſchickt ſich auch beßer zu den Schaͤ - tzen, deren ihr euch ruͤhmet.

Seht Claͤrchen (mit aufgehobener Hand ſag - te ſie dieſes) wenn ihr nicht etwas niedertraͤchti - ger und kriechender bey eurer Sanfftmuth und Demuth werdet; wenn ihr eurer aͤltern Schwe - ſter nicht werdet Ehrerbietung erweiſen; ſo ſollt ihr erfahren

Was denn? doch nicht dieſes, daß ihr mir ſchlimmer als bisher geſchehen iſt begegnen wollt? das waͤre wol nicht moͤglich: ihr muͤßtet denn eu - re aufgehabene Hand auf mich herab fallen laſſen. Das wuͤrde ſich aber ſo wenig fuͤr euch ſchicken, es zu thun, als fuͤr mich, es zu leyden.

Fromme, ſanfftmuͤthige Seele! Allein ihr habt vorhin von Vorſchlaͤgen geredet. Es wer - den ſich alle wundern, daß ich ſo lange bey euch bleibe. Sie werden meinen, daß etwas gutes aus - zurichten ſtehe. Das Eßen wird gleich fertig ſeyn.

Hiebey wollte mir eine Thraͤne entfallen, und ich ſagte mit Seufzen: wie gluͤcklich bin ich ſonſt des Abends geweſen, da ich noch die Tiſch-Ge - ſpraͤche aller meiner lieben Anverwanten anhoͤren konnte!

Mein Seufzer zog mir nichts als Verachtung zu. Arabelle hat ein unempfindliches und fuͤhl - loſes Hertz. Sie iſt nicht im Stande das groͤſſe - ſte Vergnuͤgen dieſes Lebens zu genieſſen, allein ihre Haͤrtigkeit erſpart ihr auch manchen Kum - mer. Allein ich fuͤr mein Theil wollte um dieſes Kummers willen mich des Vergnuͤgens nichtgern492Die Geſchichtegern beraubet ſehen, welches das Gefuͤhl der Menſchen-Liebe mit ſich bringt.

Als ich mich von ihr wandte, fragte ſich mich, ob ſie unten ſagen ſollte, daß ich mich bequemen wuͤrde.

Jhr moͤget ſagen, daß ich mich zu allem beque - men will, was ſie fodern, wenn ich nur von Herrn Solmes erloͤſet werde.

Jſt das alles, was ihr jetzt verlanget, Schlei - cherin? (Was fuͤr Worte hat meine Schwe - ſter.) Wird aber nicht der andere Feuer und Flammen ſpeyen, und gantz erſchrecklich bruͤllen, wenn ihm ſeine gewiſſe Beute aus den Klauen geriſſen wird.

Jch muß euch auf eure Weiſe reden laſſen, ſonſt werden wir uns einander nie verſtehen koͤn - nen. Jch will nach ſeinem Bruͤllen (mit euch zu reden) nicht viel fragen. Jch will ihm verſprechen, daß wenn ich ja einen andern heyrathe, es nicht geſchehen ſoll, ſo lange er unverheurathet iſt. Wenn er damit nicht zufrieden ſeyn will, ſo wird er es ſeyn muͤſſen, und ich will genugſahme Ver - ſicherung davon geben, daß ich weder Briefe mit ihm wechſeln noch ihn ſprechen will. Dieſes wird doch genug ſeyn.

Allein ich hoffe, ihr werdet nichts gegen einen blos hoͤflichen Umgang mit Herrn Solmes als einem guten Freunde eures Vaters einzuwenden haben.

Nein! Es muß mir frey ſtehen, mich zu entfer - nen, wenn er kommt. Jch will mit dem einen ſowenig493der Clariſſa. wenig Umgang haben, als mit dem andern Brie - fe wechſeln. Herr Lovelace wuͤrde alsdenn glau - ben, ich haͤtte mit ihm gebrochen, um Herrn Sol - mes zu nehmen; und er koͤnnte hiedurch zu uͤber - eilten Handlungen bewogen werden.

So ſoll der gottloſe Menſch ſo viel Macht uͤber euch haben, daß ihr eures Vaters Freunden in unſerm Hauſe nicht hoͤflich begegnen wollt, um ihn nicht zu erzuͤrnen? Wenn ich das unten vor - ſtelle, ſo bitte ich euch, was erwartet ihr fuͤr Folgen davon?

Alles oder Nichts erwarte ich davon; nach - dem es von euch vorgeſtellet wird. Seyd ſo gut Arabelle, und unterſtuͤtzt es durch euren Rath. Setzet noch dazu, daß ich entſchloſſen bin, alles was ich nach dem gros-vaͤterlichen Teſtament ha - be, meinem Vater, oder meinen Onckles oder ſelbſt meinem Bruder auf die beſte und rechts - kraͤftigſte Weiſe die moͤglich ſeyn wird zu uͤber - machen, damit es ihnen zu einer Sicherheit die - nen koͤnne, daß ich jenes Verſprechen erfuͤllen werde. Da ich von meinem Vater nicht das ge - ringſte zu erwarten haben kann, wenn ich das Verſprechen breche, ſo wird hieraus folgen, daß ich das aͤrmſte Kind ſeyn wuͤrde, ſobald ich wider ſeinen Willen zu heyrathen gedaͤchte, das zu neh - men ohnmoͤglich jemand Luſt haben kann. So ſchlimm mir auch mein Bruder begegnet iſt, ſo will ich doch in der Stille auf ſeine Schottlaͤndi - ſchen Guͤter ziehen, und ſeine Haushaͤlterin ſeyn, nachdem ich ſehe, daß man meiner hier nicht mehrnoͤthig494Die Geſchichtenoͤthig hat, wenn er nur verſpricht, nicht ſchlim - mer mit mir umzugehen als er mit einer gemiethe - ten Haushaͤlterin thun wuͤrde. Oder ich will nach Florentz zu meinem Vetter Morden reiſen, wenn er noch ſo lange in Jtalien bleibt. Wenn ich zu dem einen von beyden reiſe, ſo kann nur vor - gegeben werden, daß ich zu dem andern gereiſet bin, oder daß ich mich an dem Ende der Welt aufhalte. Jch frage nichts darnach, was man von mir ſagt.

Darf ich euch fragen, Kind, ob ihr mir euren artigen Vorſchlag ſchriftlich geben wollt.

Ja! von Hertzen gern. Jch ging nach meinem Cloſet, und ſchrieb das, was ich vorhin geſagt hat - te nebſt ein paar Zeilen an meinen Bruder, darm ich meine Bekuͤmmerniß bezeugte, daß ich ihn be - leydiget haͤtte, und ihn bat, er moͤchte meinem Vorſchlage durch ſeinen Beyfall das noͤthige Ge - wicht geben. Jch hielte es fuͤr allzu klein, Kuͤnſte und Ausfluͤchte zu gebrauchen: er moͤchte ſelbſt den Aufſatz machen, durch deſſen Unterſchrift ich mich zu allem vorhin gemeldeten verbindlich ma - chen ſollte. Was an der Kraft Rechtens fehlete, daß ſollte mein unbeweglicher Vorſatz erſetzen. Er koͤnnte mehr als irgend ein anderer dazu bey - tragen, daß ich wider mit meinen Eltern ausge - ſoͤhnet wuͤrde, und ich wuͤrde ihm unendlich ver - pflichtet ſeyn, wenn er ſo viel bruͤderliche Liebe fuͤr mich haͤtte, mir dieſen groſſen Liebes-Dienſt zu erzeigen.

Was meinen Sie, wie wandte meine Schwe -ſter495der Clariſſa. ſter ihre Zeit unterdeſſen an, daß ich ſchrieb? Sie ſpielte gantz gelaſſen auf meinem Fluͤgel, und ſang die Melodey dazu, um mir zu zeigen, wie wenig ſie ſich um mich bekuͤmmerte.

Als ich mich ihr mit dem geſchriebenen Blat nahete, ſtund meine grauſame Schweſter mit ei - ner leichtſinnigen Mine auf. Wie? Kind! habt ihr ſchon geſchrieben? Wahrlich ihr habt ſchon geſchrieben! Wie fertig ſeyd ihr doch in der Fe - der! Darf ich es denn wol leſen?

Wenn es euch beliebt, Arabelle.

Sie laaß es, und zwang ſich zu einem ausge - laſſenen Gelaͤchter: wie kann man doch auch die klugen Voͤgel fangen! Mercktet ihr denn nicht, daß ich nur geſchertzt habe? Und ihr wolltet mir anmuthen ſeyn, daß ich dieſen artigen zierlich ge - ſchriebenen Unſinn mit hinunter naͤhme.

Macht nicht Arabelle, daß ich mich uͤber eine Auffuͤhrung verwundern muß, die ſich ſo ſchlecht fuͤr eine Schweſter ſchickt. Jch hoffe, ihr ſtellet euch nur ſo. Jn dergleichen Schertz kann doch kein Witz ſtecken.

Was fuͤr Unverſtand! Claͤrchen. Wie natuͤr - lich iſt es doch den Leuten, wenn ſie einmahl ihr Hertz auf etwas gerichtet haben, daß ſie glauben, jedermann muͤſſe die Sache mit ihren Augen an - ſehen. Jch frage euch, mein Kind, was wird aus dem Gehorſahm werden, den eur Vater von euch fodern kann? Wer giebt hier nach? der Vater oder das Kind? Wie reimt ſich dieſer Vorſchlag zu den Vorſchlaͤgen, daruͤber eur Vater ſchon mit Herrn Solmes eins geworden iſt? Was habenwir496Die Geſchichtewir fuͤr Sicherheit, daß eur Boͤſewicht euch nicht bis an das Ende der Welt nach folgen wird. Jch bitte dich nim es zuruͤck, und lege es auf dein ver - liebtes Hertz. Glaube niemahls, daß ich mich dir zu Gefallen daruͤber auslachen laſſen will, daß ich mich durch dein nichts bedeutendes Winſeln ha - be einnehmen laſſen. Jch kenne dich beſſer, Schaͤtzgen. Sie ſchlug noch ein hoͤhniſches Ge - laͤchter auf, warf meinen Aufſatz auf den Tiſch; und ging mit den Worten weg: Verachtung fuͤr Verachtung. Das iſt die Bezahlung fuͤr euer: arme Arabelle.

Jch ſiegelte dem ohngeachtet das zu, was ich geſchrieben hatte, und ſchickte es mit ein paar Zei - len an meinen Bruder. Jch meldete ihm in ſo gelinden Worten als moͤglich war das Betragen meiner Schweſter, dadurch ich gezwungen war, es an ihn zu ſchicken, aus Furcht, daß ſie mich et - wan in der Hitze nicht recht verſtanden haͤtte, und meinem Aufſatz eine ſchlimmere Geſtalt geben moͤchte, als er verdient. Dieſes iſt die Antwort, die ich erhielt, als ich mich eben zu Bette legen wollte: denn die Leydenſchaften ließen ihm keine Ruhe bis an den andern Morgen.

An Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

Jch wundere mich, daß ihr euch unterſtehet an mich zu ſchreiben, auf den ihr alle eure weiblichen Pfeile zu verſchieſſen pflegt. Jch kann laͤnger kei - ne Gedult mit euch haben, da ihr euch unterſteht, mich in einer Schlaͤgerey fuͤr den angreiffen - den Theil auszugeben, zu der ich blos aus Liebezu497der Clariſſa. zu euch und aus Vorſorge fuͤr eure Ehre ge - zwungen ward.

Jhr habt eure Zuneigung gegen einen Boͤſe - wicht ſo deutlich geſtanden, daß alle eure An - verwanten euch billig auf ewig entſagen ſollten. Jch fuͤr mein Theil werde keiner Frauens-Perſon etwas glauben, was ſie verſpricht, und doch vor - giebt, daß es wider ihre Neigung ſey, Das eintzige Mittel eur Verderben zu verhuͤten iſt, wenn man es euch unmoͤglich macht, in euer Ungluͤck zu ren - nen. Jch wollte nicht an euch ſchreiben, allein eure allzu guͤtige Schweſter hat mich dazu vermocht. Jhr wollt nach Schottland reiſen: dieſe Gnaden - Zeit iſt nun verſaͤumet. Jch wollte auch nicht ra - then, daß man euch nach Florentz ſchicken ſollte, um es bey dem Vetter anzufangen, wo ihr es bey dem Gros-Vater gelaſſen habt. Der brave Herr koͤnnte auch leicht um euret willen in einen un - gluͤcklichen Streit verwickelt werden, und er wuͤr - de alsdenn der angreiffende Theil heiſſen muͤſſen.

Jhr habt euch in ſeine Umſtaͤnde geſetzt, daß ihr ſelbſt den Vorſchlag thun muͤßt, euch vor eu - rem Boͤſewicht zu verbergen, und durch Huͤlffe der Unwahrheit vor ihm verborgen zu bleiben. Auf ſolche Weiſe iſt eure Gefangenſchaft das groͤſſeſte Gluͤck, das euch haͤtte begegnen koͤnnen. Die Auffuͤhrung eures Helden in der Kirche, da er ſich nach euch umſahe, iſt ein genugſames Anzei - gen, wie viel Vermoͤgen er uͤber euch hat, wenn ihr es auch nicht auf eine ſo ſchimpfliche Weiſe geſtanden haͤttet.

Erſter Theil. J iEin -498Die Geſchichte

Einmahl fuͤr allemahl, wenn ich meine Abſicht nicht zur Ehre der Familie durchtreiben kann, ſo will ich mich nach Schottland begeben, und keinen den. Meinigen jemahls wider ſehen.

Jacob Harlowe.

Das iſt ein Bruder! das iſt ein recht kindliches Hertz gegen Vater, Mutter und Onckles. Allein er ſieht, wie viel aus ihm gemacht wird, und er weiß ſich auch darnach zu halten, und aus einem hohen Ton zu reden.

Der drey und viertzigſte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Frau Hervey ’hat die vergangene Nacht hier geſchlafen, und iſt eben von mir weggegan - gen. Sie kam mit meiner Schweſt er zu mir; denn man wollte ihr nicht trauen, wenn ſie nicht unter den Augen einer ſo uͤbelgeſinneten Zeugin waͤre. Als ſie in die Stube trat, ſagte ich ihr: ich ſehe dieſen Beſuch fuͤr eine ſehr groſſe Guͤtigkeit gegen eine arme Gefangene an. Jch kuͤßte ihr die Haͤnde, und ſie mir den Mund, mit den Wor - ten: wie thun ſie ſo fremde gegen eine Mutter - Schweſter, die ſie ſo zaͤrtlich liebet?

Sie499der Clariſſa.

Sie geſtand: daß ſie um des Friedens der gan - tzen Familie willen mir eine ernſtliche Vorſtellung zu thun haͤtte. Es kaͤme ihr unmoͤglich vor, daß ich, die ich ſonſt ſo viel angenehmes in Gemuͤth und Auffuͤhrung haͤtte, in einer Sache die meinem Vater und allen meinen Freunden am Hertzen laͤge ſo unbeweglich ſeyn ſollte, wenn ich nicht glaubte, daß mir zu hart begegnet ſey. Meine Mutter ſo wohl als ſie wollten gern meine Entſchlieſſung fuͤr weiter nichts als fuͤr eine Folge der allzuſten - gen Art anſehen, damit mir meiner Eltern Wille zu Anfang kund gemacht waͤre, oder fuͤr eine Folge der Einbildung, daß mein Bruder zuerſt an Herrn Solmeſens Antrag mehr Antheil gehabt haͤtte, als mein Vater oder meine uͤbrigen Verwanten! Jch ſahe wohl, daß ſie mir gern eine Entſchuldigung an Hand gegeben haͤtte, damit ich mit guter Art zuruͤck kommen koͤnnte. Meine ſchweſter brum - mete indeſſen allerhand Melodeyen, und eroͤffnete bald dieſes bald jenes Buch, ohne etwas zu ſagen. Nachdem ſie mich zu bedeuten geſucht hatte, daß alle meine Widerſetzung nichts helfen wuͤrde, weil mein Vater einmahl ſein Wort von ſich gegeben haͤtte, ſo machte ſie den Beſchluß mit Ermahnun - gen zum Gehorſahm, die vielleicht nicht ſo nach - druͤcklich geweſen ſeyn wuͤrdē, wenn meine Schwe - ſter nicht dabey geweſen waͤre. Wenn ich Jhnen alles melden wollte, was auf beyden Seiten vor - gefallen iſt, ſo wuͤrde ich eben das widerhohlen muͤſſen, was ich ſchon oft genug geſchrieben habe:J i 2ich500Die Geſchichteich will Jhnen alſo nur das berichten, was ei - niger maſſen neu ſcheinen kann.

Als ſie mich, wie ſie es nannte, unbeweglich fand, ſagte ſie: wenn ich weder Herrn Solmes noch Herrn Lovelace haben ſollte, und doch hey - rathen muͤßte um meine Freunde zu beruhigen, ſo kaͤme es ihr nicht uͤbel vor, auf Herrn Wyerley zu dencken: was ich denn zu Herrn Wyerley ſagte?

Ja Claͤrchen, (fing meine Schweſter an) was ſagt ihr zu Herrn Wyerley?

Jch ſahe den Fallſtrick bald. Man wollte mich uͤberzeugen, daß ich eine unbedungene Zu - neigung zu Herrn Lovelace haͤtte. Da nun Herr Wyerley uͤberall von ſeiner Hochachtung und bey nahe Ehrfurcht gegen mich redet, und gegen ſeine Perſon und Gemuͤth viel weniger als gegen Solmes einzuwenden iſt; ſo wollte ich mir dieſes zu Nutze machen, und verſuchen, ob man wol Herrn Solmes mit ſeinen vortheilhaſten Bedin - gungen abweiſen wuͤrde, da es ohnmoͤglich iſt, gleiche Bedingungen von Wyerley zu erhalten?

Jch verlangte deswegen eine Erklaͤrung, ob ich von Herrn Solmes erloͤſet werden koͤnte, wenn meine Antwort fuͤr Herrn Wyerley ausfiele? Denn ich waͤre dieſem nicht ſo abgeneigt als jenem.

Sie antwortete: es ſey ihr nicht aufgetragen, dieſen Vorſchlag zu thun. Sie wuͤßte nur ſo viel, daß mein Vater und meine Mutter nicht ruhig ſeyn wuͤrden, bis Herrn Lovelaces Hoffnung gaͤntzlich zernichtet waͤre.

Ein501der Clariſſa.

Ein liſtiges Thier! ſagte meine Schweſter. Daraus, daß ſie ihr Wort mit zu der Frage gege - ben hatte, merckte ich eben, daß es eine Schlinge fuͤr mich ſeyn ſollte.

Jch ſagte darauf: legen ſie mir doch keine Fragen vor, Frau Baſe, die zu nichts anders dienen koͤnnen, als meines Bruders Abſichten zu befoͤrdern. Jſt aber einige Hofnung ein Ende mei - ner Truͤbſaal zu ſehen, ohne daß mir dieſer eckel - haffte Menſch aufgedrungen wird? kann das nicht angenommen werden, wozu ich mich erboten habe? Jch daͤchte es muͤßte angenommen werden.

Wie Claͤrchen? Halten ſie ſich von ihrer Pflicht gegen ihre Eltern frey, wenn keine ſolche Hofnung iſt?

Ja! (ſagte meine Schweſter) ich glaube ge - wiß, daß es Claͤrchens Abſicht iſt, wo nicht zu Lovelacen zu fliehen, doch ihr Gut in ihre Haͤnde zu bekommen, und ſich daſelbſt in aller der uneingeſchraͤnckten Freyheit aufzuhalten, auf die ſie alle ihre Hoffnung ſetzt. Du lieber GOtt! wie werdet ihr da eur Licht leuchten laſſen! Jhr werdet gewiß eure Mutter Norton, eur Orackel bey euch, und die Thuͤren mit Armen beſetzt ha - ben, und euch mit niedertraͤchtigem Hochmuth mit den Lumpen-Hunden gemein machen. Durch eure prahleriſche Freygebigkeit werdet ihr allem vor - nehmen Frauenzimmer in der Nachbarſchaft einen Vorwurff machen, wenn ſie euch nicht nachfolgen. Unterdeſſen daß die Armen auſſer Hauſe euch ei - nen guten Nahmen machen, wird euch LovelaceJ i 3im502Die Geſchichteim Hauſe einen Schand-Fleck anhaͤngen: und was ihr mit der einen Hand bauet, werdet ihr mit der andern niederreiſſen. O was fuͤr vortrefliche An - ſchlaͤge! Allein kleiner Fluͤchtling ich, kann euch ſa - gen, daß eures Vaters Wille, der am Leben iſt, den Willen des verſtorbenen Gros-Vaters um - ſtoſſen wird: und das Gut wird ſo angewandt wer - den, wie es mein ſeel. Gros-Vater ohne Zweifel gewollt haben wuͤrde, wann er eine ſolche Veraͤn - derung an ſeinem theuren Kinde erlebt haͤtte. Mit einem Wort, es ſoll in eure Haͤnde nicht kom - men, bis mein Vater ſiehet, daß ihr verſtaͤndig ge - nug ſeyd es wohl zu gebrauchen, oder bis ihr gehor - ſahmes Kind es ihm durch den Weg des Rechtens abtrotzen koͤnnt.

Fy! Fraͤulein Harlowe! das ſchickt ſich nicht g[e]gen eure Schweſter! ſagte Frau Hervey.

Nein! Frau Baſe, ich bitte, ſtoͤren ſie ſie nicht. Jch habe noch mehr von ihr ertragen. Entweder ihr eigener Neid, oder meine Oberen denen ich mich unterwerfen muß, haben ihr aufgetragen, uͤbel mit mir umzugehen. Was hinderte mich, wenn ich mein Gut wider haben wollte? Jch weiß mein Recht; allein ich dencke nicht daran, mich deßen zu bedienen. Jch bitte ſie, ſagen ſie meinem Vater; es moͤgen die Folgen fuͤr mich noch ſo ſchlimm ſeyn, er mag mich aus dem Hauſe ſtoſſen, (und das waͤre mir allerdings lieber, als mich ſo eingeſperret und verſpottet zu ſehen) und ſolte ich auch bis auf die aͤuſſerſte Armuth herunterkommen; ſo will ich keine Mittel zu leben ſuchen, die ſeinem Willen zu wider ſind.

Nein503der Clariſſa.

Nein Kind, (antwortete ſie) wenn ſie heyra - then, ſo muͤßen ſie in dieſem Stuͤcke thun, was ihr Mann haben will. Jſt Herr Levelace ihr Mann, ſo wird er ſich freuen, wenn er der Fa - milie einen Verdruß anthun kan. Wenn er gegen ſie die Hochachtung in der That haͤtte, die er vorgiebt, ſo wuͤrde er gewiß nicht ſo trotzig ge - gen die Jhrigen ſeyn. Er iſt wegen ſeiner Rach - gier bekannt: wenn ich Fraͤulein Harlowe waͤre, ſo wuͤrde ich fuͤrchten, daß er an mir die Rache uͤben wollte, die er der Familie drohet, ob ich ihn gleich ſelbſt nicht beleydiget haͤtte.

Wenn Herr Lovelace Rache drohet, ſo thut er es, weil man ihm drohet. Nicht jedermann iſt geſchickt Unrecht zu ertragen, wie ich ſeit eini - ger Zeit habe thun muͤßen.

(Wie konnte man bey dieſen Worten den Grim̃ in dem Geſicht meiner Schweſter leſen!)

An Herrn Lovelace (fuhr ich fort) wuͤrde gar nicht mehr gedacht werden, wenn man beſſer mit mir umginge.

Meine Schweſter ſagte etwas mit groſſer Hef - tigkeit: ich hoͤrte aber nicht, was es war, weil ich gern wollte gehoͤrt werden, und deswegen laut ſagete: wuſte man denn nicht ſchon von Herr Lovelacen daß er ein wilder Menſch waͤre, als er den erſten Zutrit in unſer Haus bekam? Allein damahls redete man vom wilden Hafer(*)Jm Engliſchen gebraucht man die Redens-Art: wilden Hafer ſaͤen von einem Menſchen der ſehr aus - geſchweift iſt, und ſich hernach beſſert. undſchwar -504Die Geſchichteſchwartzen Ochſen: und die Ehe nebſt einer klugen Frau ſollten Wunder thun. Allein, Schweſter, ich ſehe wohl, daß ich ſchon zu viel geredet habe.

Du gottloſe Tadlerin! (ſagte ſie) Woher kam es, daß ich einen Abſcheu vor ihm bekam, als von den Proben ſeiner Liederlichkeit, die bey euch auch einen Eindruck gemacht haben ſollten, wenn ihr nur halb ſo fromm waͤret, als ihr vorgebet?

Proben? (ſagte ich) Schweſter. Jch habe nicht gemeint, daß ihr Proben davon gehabt haͤttet. Jhr muͤßt es ſelbſt am beſten wiſſen. (War das nicht allzu ſpoͤttiſch geredet?)

Claͤrchen! tauſend Pfund wollte ich dir gern geben, wenn du mir alles ſagen wollteſt, was jetzt in deinem bittern tadelſuͤchtigen Hertzen iſt?

Vor viel weniger Geld koͤnnt ihr das zu erfah - ren kriegen, ohne daß ich mich fuͤrchten darf, daß ihr mir ſchlimmer begegnen werdet, als geſche - hen iſt.

Fraͤuleins es thut mir leyd, daß ihr beyde ſo hitzig werdet. Sie wiſſen, Claͤrchen, daß ſie nicht ſo wuͤrden eingeſperret ſeyn, wenn ihre Mutter durch Guͤte oder ihr Vater durch Ernſt etwas haͤtte ausrichten koͤnnen. Wenn ein Theil nachgeben ſoll, wie koͤnnen ſie erwarten, daß es von jener Seiten geſchehen ſoll? Wenn mein Dortbchen, die nicht den hundertſten Theil von ihrem Verſtande hat, ſich meinem Willen in einer ſo wichtigen Sache ſo gerade zu widerſetzen woll - te, ſo wuͤrde ich es ihr gewiß ſehr uͤbel nehmen.

Jch505der Clariſſa.

Jch glaͤube dis kaum, Frau Baſe. Wenn die Fraͤulein Hervey eben einen ſolchen Bruder, und eben eine ſolche Schweſter haͤtte: (ihr koͤnnt mich immerhin anſehen, Arabelle!) und wenn beyde ihren Eltern eben ſo in den Ohren laͤgen, als meine Geſchwiſter: ſo moͤchten ſie vielleicht eben ſo mit ihr umgehen, als jetzt mit mir um - gegangen wird. Wenn ſie den Freyer der ihr angetragen wuͤrde, mit eben ſo groſſem Recht haſſete, als ich Solmeſen,

(und einen Frey-Geiſt, einen Schelm eben ſo liebete, als ihr Lovelacen, ſchriee meine Schwe - ſter dazwiſchen)

ſo koͤnnte ſie es verbitten, in der Sache nicht Gehorſahm zu leiſten. Wenn ſie aber dieſes thaͤte, und dabey die ſtaͤrckſten und kraͤftigſten Verſicherungen gaͤbe, nie ohne ihren Willen zu heyrathen, ſo bin ich gewiß verſichert, daß ihr Vater und ihre Mutter vergnuͤgt ſeyn, und ſie zu nichts zwingen wuͤrden.

Meine Schweſter hob beyde Haͤnde auf, und ſagte: nun kriegen Vatter und Mutter auch ihr Theil.

Wenn ich aber wuͤßte, (ſagte meine Baſe) daß ſie einen liederlichen Menſchen liebte, und nur Zeit gewinnen wollte, um mich ſo lange zu ermuͤden, daß ich auch Ja ſagen ſollte

Jch bitte um Vergebung, daß ich ihnen in die Rede falle. Wenn nun Fraͤulein Hervey ihr Ja nicht erhalten koͤnnte, was wuͤrde weiter darans werden?

J i 5Es506Die Geſchichte

Es iſt wahr, Kind! allein ſie ſollte es auch nie erhalten.

So wuͤrde es auch nie geſchehen, Frau Baſe.

Daran zweiffele ich noch, Claͤrchen.

Wenn ſie aber daran zweifeln, meinen ſie denn, daß durch Gefangenſchaft, und harte Begegnung einer Uebereilung vorgebeugt werden kann?

Mein Kind, ſie machen mich faſt durch ihre Reden beſorgt, als koͤnnte man ſich nicht auf ſie verlaſſen, nachdem wir einmahl wiſſen, wohin ihre Neigung geht.

Dieſe Beſorgniß ſcheint entſtanden zu ſeyn, ehe ich dergleichen Reden gefuͤhrt, oder die geringſte Gelegenheit dazu gegeben habe. Woher kaͤme ſonſt meine ſchimpfliche Gefangenſchaft? Alles[!];, was ich bisher habe erdulden muͤſſen, ſcheint nur die Abſicht zu haben, mich dadurch zu ſchrecken, da man wußte, daß ich allzu guten Grund zu meiner Verweigerung hatte, und iſt nicht einem in mich geſetzten Mistrauen zuzuſchreiben. Denn um die Zeit, da ſich mein Leyden anfing, hatte ich noch nicht die geringſte Gelegenheit zum Mißtrauen ge - geben; und es ſollte auch noch keine Urſache dazu vorhanden ſeyn, wenn man ſich auf meine Vor - ſichtigkeit haͤtte verlaſſen wollen.

Meine Frau Baſe bedachte ſich ein wenig was ſie ſagen wollte; darauf ſprach ſie: allein beden - cken ſie was fuͤr Verwirrung ſie in ihrer Familie verewigen werden, wenn ſie den verhaßten Love - lace heyrathen.

Und507der Clariſſa.

Und bedencken ſie (antwortete ich) wie ich mein Elend verewigen werde, wenn ich den verhaßten Solmes heyrathe.

Manches Maͤdchen hat nie geglaubt, daß es ei - nen Mann lieben koͤnnte, bey dem es nachher ſehr giuͤcklich geweſen iſt. Sehr wenig Frauenzimmer bleiben bey ihrer erſten Liebe.

Vielleicht kommt es daher, daß man ſo wenige gluͤckliche Ehen ſiehet.

Allein ſehr ſelten machen ſolche Perſonen den er - ſten Eindruck bey einem Frauenzimmer, zu denen man ihnen rathen kann.

Jch fuͤrchte das auch, Frau Baſe. Jch habe ei - ne ſehr ſchlechte Meinung von dem erſten Eindruck. Allein ich habe ſchon oft geſagt, daß mein gantzes Verlangen darauf gehet, unverheyrathet zu bleibẽ.

Das kann aber in der That nicht geſchehen, Fraͤulein. So lange ſie nicht verheyrathet und vor Herrn Lovelacen voͤllig geſichert ſind, koͤnnen ihre Eltern keine ruhige Stunde haben. Jch hoͤre, ſie haben gar den Vorſchlag, ihm Bedingungen zu bewilligen, (ſo weit ſoll es zwiſchen ihnen beyden gekommen ſeyn) daß ſie keinen andern heyrathen wollen, wenn ſie ihn nicht kriegen.

Jch bekenne es frey, ich weis kein beſſeres Mit - tel, auf beyden Seiten Ungluͤck zu vermeiden. Wenn ich von ihm abgehe, ſo iſt kein anderer in der Welt, gegen den ich eine Zuneigung faſſen kann. Jch wolte indeſſen alle meine zeitlichen Guͤter da - fuͤr geben, daß er eine andere Perſon heyrathete. Das iſt meine wahre Meinung, ob ihr gleich ſo un - glaͤubig dazu laͤchelt, Arabelle!

Es508Die Geſchichte

Es kan ſeyn Claͤrchen. Jch will abẽr doch laͤcheln.

Wenn ſie von ihm abgehen? (ſagte meine Baſe) So ſehe ich doch woran wir ſind. Jch will hinunter gehen: ſoll ich ihnen nachfolgen, Fraͤulein Harlowe? Jch will ihren Herrn Va - ter zu bewegen ſuchen, daß meine Schweſter ſelbſt herauf kommen darf. Vielleicht gedeyhet die Sache alsdenn zu einem beſſeren Ende.

Meine Schweſter ſagte: ſeyn ſie gewiß verſi - chert, es wird nichts daraus kommen, als daß ſie und meine Mutter beyderſeits mit verſchiedenem Erfolg weinen: meine Mutter wird beſaͤnftigt und mit einem zerbrochenen Hertzen herunter kommen; und ihr liebes Kind wird ſich nur mehr verhaͤrten, weil es ſeiner Mutter Hertz hat verun - ruhigen koͤnnen. Das war eben die Urſache, deswegen das Maͤdchen auf ſeine Stube ver - bannet iſt.

Sie redete noch mehr dergleichen, als ſie die Treppe hinunter ging.

Der vier und viertzigſte Brief. von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.

Mein Hertz ſchlug mir vor Hoffnung und Furcht, daß ich meine Mutter ſehen ſollte, und vor Bekuͤmmerniß, daß ich ihr ſo viel Un - ruhe verurſachet hatte. Beydes war uͤberfluͤßig: ſiedurfte509der Clariſſa. durfte nicht kommen. Meine Baſe hatte allein die Guͤtigkeit unter Aufſicht meiner Schweſter zuruͤck zu kommen: ſie faſſete mich bey der Hand, und befahl mir, mich bey ihr nieder zu ſetzen.

Sie ſagte: ſie kaͤme noch einmahl aus einer vielleicht allzugroſſen Dienſtfertigkeit, denn ſie thaͤte es wider den Rath meines Vaters. Allein ſie fuͤrchtete ſich allzu ſehr vor den Folgen, die meine Widerſpenſtigkeit nach ſich ziehen koͤnnte. Hierauf erzaͤhlte ſie mir, was meine Freunde von mir erwarteten; wie reich Herr Solmes ſey; daß er in der That dreymahl ſo viel im Ver - moͤgen haͤtte, als er bisher geſchaͤtzt waͤre; von Herrn Lovelaces uͤbler Nachrede, und der Feind - ſchaft der gantzen Familie gegen ihn. Alles dieſes ſtellte ſie mir nachdruͤcklich vor, allein nicht nach - druͤcklicher, als es mir meine Mutter ſchon vor - hin vorgeſtellet hatte. Meine Mutter mußte ihr nicht alles erzaͤhlt haben, was zwiſchen ihr und mir vorgegangen war: ſonſt wuͤrde meine Baſe nicht manche Sachen wiederholt haben, die ihre Schweſter ſchon vorhin ſtaͤrcker und dennoch fruchtlos vorgeſtellet hatte.

Sie hielt mir vor: mein Vater wuͤrde ſich dar - uͤber graͤmen, daß es ſchiene, als koͤnnte er ſeiner Tochter nicht befehlen, und zwar in einer Sache, die ſeiner Einſicht nach zu ihrem Beſten gereichte: einer Tochter, von der er immer ſo viel gehalten haͤtte. Liebſte, liebſte Fraͤulein (beſchloß ſie) ich bitte ſie um meinet willen, um ihrent willen, um hundert anderer Urſachen willen, uͤberwindenſie510Die Geſchichteſie ihre Abneigung, und laſſen ſie ihre Vorurtheile fahren. Machen ſie uns alle nochmahls gluͤcklich und vergnuͤgt. Jch wollte wol vor ihnen nieder - knien. Ja! ich will wircklich vor ihnen nieder - knien.

Hierauf fiel ſie wircklich vor mir nieder, und ich vor ihr, indem ich ſie bat, nicht zu knien. Jch umpfieng ſie mit meinen Armen, und wuſch ihren Buſen mit Thraͤnen. Stehen ſie auf meine liebe Frau Baſe (ſagte ich) ſtehen ſie auf. Sie ver - wunden mein Hertz durch ihre Herablaſſung und Guͤtigkeit allzu ſehr.

So verſprechen ſie mir denn, liebſte Claͤrchen, daß ſie alle ihre Anverwanten erfreuen wollen. Jch bitte ſie, thun ſie es, wenn ſie uns lieb haben.

Wie kann ich etwas verſprechen, dafuͤr ich lie - ber in den Tod gehen will?

So ſagen ſie mir denn, ob ſie es uͤberlegen wol - len? Wollen ſie ſich ſelbſt die Gruͤnde vorhalten? Geben ſie uns nur einige Hofnung! Laßen ſie mich nicht ſo vergeblich bitten. (Denn ſie knieete noch, und ich knieete ihr gegen uͤber.)

Wie uͤbel bin ich dran! Wenn ich nur zweif - feln koͤnnte, ſo wolte ich bald uͤberwinden. Was meine Freunde fuͤr einen Bewegungs-Grund an - ſehen, das gilt bey mir gantz und gar nicht. Wie oft muß ich einerley Sache wiederhohlen. Laſſen ſie mich doch unverheyrathet bleiben! Kann ich denn mein Leben nicht unverheyrathet zubringen? Schicken ſie mich nach Schottland, nach Florentz, wohin ſie wollen: Jch habe den Vorſchlag ſchongethan511der Clariſſa. gethan. Schicken ſie mich als eine Leibeigene nach Weſt-Jndien, ich will mir alles gefallen laſſen. Allein ich kann nicht, ich kann gar nicht daran dencken, einem Mann, der mir unertraͤglich iſt, eine ewige Treue und Liebe zu verſprechen.

Sie ſtand auf, und ſagte: wohlan, ich ſehe, ich kann ſie nicht bewegen, uns zu erfreuen. Ara - belle beſtrafte abermahls meinen vermeinten Ei - genſinn mit aufgehobenen Haͤnden.

Was kann ich thun, allerliebſte Frau Her - vey? Was kann ich thun? Wenn ich zu etwas Hofnung machen wolte, das ich nicht erfuͤllen kann, ſo wollte ich ſagen, daß ich mich auf ihren guͤtigen Rath bedenken wollte. Allein ich will lieber fuͤr halsſtarrig als fuͤr falſch angeſehen werden. Jſt denn alſo keine Mittel-Straße uͤbrig. Kann nichts erdacht werden? will man keine andere Be - dingung annehmen, als die, daß ich einen heyra - then ſoll, der mir deſto unangenehmer iſt, weil die Bedingungen, die er anbietet, ungerecht ſind?

Meine Schweſter ſagte: wen ſtraft ihr nun? uͤberlegt das!

Legt meine Worte nicht nachtheilig aus, Ara - belle. Es mag vielleicht nicht ein jeder dieſe Be - dingungen von eben der Seite anſehen. Bey ei - nem ungerechten Geſchencke ſind eigentlich die ſtrafbar die es geben und die es annehmen. So lange es mir ungerecht vorkommt, ſo lange wuͤrde ich keine Entſchuldigung haben, wenn ich es an - nehme. Allein warum will ich mir den Fall nurals512Die Geſchichteals moͤglich vorſtellen? Mein Hertz empoͤret ſich gegen den Mann, wann ich ihn auch von der beſten Seite anſehe. Welcher Vater auſſer mei - nem wird eine Cheſtiftung machen, wenn er keine Zuneigung hoffen kann? ja wenn aus dem Ge - gentheil gar kein Geheimniß gemacht wird, ohne daß nur ein Schatten einer Veraͤnderung zu ſpuͤ - ren iſt. Allein wenn ich auf den Grund der Sa - che ſehe, ſo thut das alles mein Vater nicht. O mein grauſamer Bruder! der macht, daß man Gewaltthaͤtigkeiten gegen mich gebraucht, unter denen er nicht die geringſte Gedult behalten wuͤr - de, wenn er an meiner Stelle waͤre.

Meine Schweſter ſagte: Frau Hervey ſie ſe - hen das Maͤdchen wird in ſeinen Gedancken im - mer groͤſſer. Es ſcheut keinen Menſchen mehr. Jch bitte ſie, geben ſie ihr doch zu verſtehen, was ſie zu erwarten hat. Es iſt nichts bey ihr aus - zurichten. Jch bitte ſie, machen ſie ihr doch ihr Urtheil bekant.

Meine Baſe ging weinend an das Fenſter, und hatte meine Schweſter an der Hand. Sie ſagte zwar ſanfte, allein doch ſo, daß ich alle Worte ver - nehmen konnten zu ihr: ich kann nicht, Fraͤulein Harlowe: ich kann es gewiß nicht thun. Das was man ihr zumuthet iſt ſehr hart. Sie iſt doch ein unvergleichliches Kind. Es iſt Schade, daß es ſchon ſo weit gekommen iſt: allein man muß Herrn Solmes ſagen, daß er ablaͤßt.

Meine Schweſter wiſperte ihr ſo laut ſie konn - te in die Ohren haben ſie ſich auch durch die kleineSyrene513der Clariſſa. Syrene einnehmen laſſen? Meine Mutter hat wohl gethan, daß ſie nicht mitgekommen iſt. Jch glaube faſt, daß ſich mein Vater von ihr wuͤrde haben herum lencken laſſen, wenn der erſte Zorn voruͤber geweſen waͤre. Niemand kann etwas bey ihr ausrichten, als mein Bruder allein. Der weiß wie er es angreiffen ſoll.

Dencken ſie ja nicht darauf (ſagte meine Baſe noch mit leiſer Stimme) daß ihr Bruder herauf kommen ſoll. Er kann ſich gar zu wenig halten. Jch ſehe bey ihr keine Hartnaͤckigkeit, keine Unart. Wenn ihr Bruder herauf kommt, ſo mag ich fuͤr die Folgen nicht ſtehen; denn ich dachte ohnehin ein paar mahl, daß ſie ohnmaͤchtig merden wuͤrde.

Ach Frau Baſe, ſie hat ein hartes Hertz. Sie ſahen, daß ſie auch durch ihr Knien nichts bey ihr ausrichten konnten.

Meine Schweſter ließ ſie darauf allein am Fen - ſter ſtehen, wo ſie in Gedancken blieb, und uns den Ruͤcken zukehrte. Hievon nahm meine Schwe - ſter Anlaß, mich noch empfindlicher auszuſpotten. Denn ſie hohlte aus meinem Cloſet die Proben, die meine Mutter geſchickt hatte, und legte ſie auf dem Stuhl neben mir auseinander, hielt ſie dar - auf nach der Reihe auf ihren Ermel und Schul - ter, und ſagte mit einer angenommenen Gelaſſen - heit, und ſo daß es Frau Hervey nicht hoͤren konn - te: Das, Claͤrchen, iſt eine artige Probe, allein jene ſieht recht allerliebſt aus. Jch wollte euch ra - then, das Braut-Kleid davon zu waͤhlen. Wenn ich an eurer Stelle waͤre, ſo ſollte dieſes mein Abend-Kleid am Hochzeit-Tage ſeyn. HievonErſter Theil. K kſollte514Die Geſchichteſollte der zweyte Anzug kleiner ſeyn. Wolt ihr nicht anordnen mein Hertz, daß eurer Gros-Mut - ter Juwelen umgeſetzt und aufgeputzt werden? oder wollt ihr lieber in den neuen Juwelen erſchei - nen, die euch Herr Solmes zugedacht hat? Er redet von zwey bis drey tauſend Pfund, die auf Geſchencke gehen ſollen. Alle mein Wunder, wie koſtbar werdet ihr angeputzet ſeyn! Was? ſagt ihr nichts, ſuͤſſer Schatz der Mutter Norton? Noch immer ſtille? Allein wollt ihr euch nicht lie - ber in Sammet kleiden? das wuͤrde in einer Kir - che auf dem Lande ein groſſes Aufſehen machen; und einen Monath lang wird es noch wegen des Wetters angehen. Karmeſin-roth ſollte huͤbſch laſſen. Ey! bey ſo einer ſchoͤnen Farbe, als ihr habt, ſollte es treflich ſtehen. Was fuͤr eine artige Roͤthe wuͤrde es euch geben! Huchey! (ans Spott, weil ich eben ſeufzete, daß ich ſo mit mir ſpielen laſſen muſte) Und ihr ſeufzt, Hertzchen? Aber wie! was denckt ihr zu ſchwartzen Sammet? weil es doch eine oͤffentliche Hochzeit iſt. Schwartzer Sammet! und ſo ein ſchoͤn Geſicht, mit ſo hel - len Augen, die wie die Sonne im April durch eine Regenwolcke ſcheinen! Sagt euch das nicht Lo - velace auch, daß ihr ſchoͤne Augen habt? Wie liebenswuͤrdig werdet ihr emander vorkommen! Noch immer ſtumm? Aber die Spitzen, Claͤrchen -

Sie wollte noch weiter reden, wenn nicht Frau Hervey auf uns zugegangen waͤre, da ſie noch im Gehen die Augen abwiſchete. Was ſagt ihr euch einander ins Ohr, Fraͤuleins! (fing ſie an.) Sie ſehen ſo vergnuͤgt und ruhig zu ihrer geheimenUn515der Clariſſa. Unterredung aus, Fraͤulein Harlowe, daß ich Hofnung habe gute Botſchaft hinunter zu bringẽ.

Jch ſage ihr nur meine Meinung von den Pro - ben. Sie hat mich zwar nicht gefragt: allein aus ihrem Stillſchweigen mercke ich doch, daß ſie mei - ner Meinung iſt.

O Arabelle! Wenn es doch Lovelacen nie eingefallen waͤre, euch bey eurem Worte zu faſſen. Jhr haͤttet alsdenn in eurer eigenen Sache eure Einſicht gebrauchen koͤnnen: und ich ſo wohl als ihr, wir beyde waͤren gluͤcklich geweſen. War ich daran Schuld Arabelle, daß es anders ging? (Wie verdrießlich ward ſie hierbey!) Es iſt nicht artig an euch, daß ihr ſo gern empfindliche Reden austheilet, und ſie doch ſo ungern wider einnehmet

Die arme Arabelle ließ ſich ſo weit herunter, Schimpf-Woͤrter gegen mich zu gebrauchen.

Ey Schweſter (fuhr ich fort) ihr werdet ſo un - gebalten, als wenn meine Worte noch in einem andern Verſtande wahr waͤren, als darin ich ſie vielleicht gebraucht haben moͤchte. Mein Wunſch war aufrichtig. Um unſer beyder willen, und um unſerer Familie willen wuͤnſchte ich dieſes. Was habe ich denn Boͤſes geſaget! Gebt mir nicht Ur - ſache zum Argwohn, daß ich jetzt die wahre Urſa - che eures unanſtaͤndigen Betragens gegen mich getroffen habe; eines Betragens zwiſchen Schwe - ſtern, dazu ich bisher keinen Grund habe finden koͤnnen.

Fy! Fy! Fraͤulein Claͤrchen! ſagte meine Ba - ſe. Meine Schweſter ward immer wuͤthender.

Es iſt beſſer (ſagte ich) verſpottet zu werden,K k 2als516Die Geſchichteals andere zu verſpotten. Allein ich bitte euch, Arabelle, haltet euch den Spiegel einmahl vor, und ſehet, wie ſchlecht euch die Kleidung anſtehet, die ihr mir ſo unbarmhertzig anlegen wollt.

Fy! Fy! Fraͤulein Claͤrchen; ſagte meine Ba - ſe noch einmahl.

Sie wuͤrden auch zu meiner Schweſter Fy! ge - ſagt haben, wenn ſie ihren unertraͤglichen Spott uͤber mich mit angehoͤrt haͤtten.

Laſſen ſie uns gehen! (ſagte meine Schweſter) Sie mag von ihrem eigenen Gifft ſchwellen bis ſie berſtet. Sie findet mich auf dem Sinne, daß die - ſes das letzte mahl iſt, daß ich ihr nahe komme.

Jch antwortete: es iſt ſo leicht euch mit euren eigenen Waffen zu uͤberwinden, wenn ich nieder - traͤchtig genug ſeyn wollte, eurem boͤſen Exempel zu folgen, daß ich mich wundere, daß ihr mich rei - tzet. Weil ihr aber doch hinunter gehen wollt, Arabelle, (denn ſie ging nach der Thuͤr zu) ſo ver - gebt mir vorher: ich will euch auch vergeben. Jhr habt gedoppelte Urſache dieſes zu thun: weil ihr aͤlter ſeyd als ich, und weil ihr mich in meinem Unguͤck ſo muthwillig betruͤbt habet. Seyd ihr gluͤcklich! das wuͤnſche ich, wenn mein Gluͤck gleich verſchertzt ſeyn ſollte. Habt nie die Haͤlfte von meinem Leyden auszuſtehen! Es ſey eur Troſt, daß ihr keine Schweſter habt, die euch vergelten kann, was ihr mir gethan habt. Und ſo ſeegne euch GOtt.

O du biſt ein Sie ſagte nicht was ich waͤre, ſondern flog weg.

Jch fiel vor meiner Baſe nieder, und umfaſſeteihre517der Clariſſa. ihre Knie: erlauben ſie mir, ſagte ich, ſie noch ei - nen Augenblick aufzuhalten. Jch will nichts von meiner armen Schweſter ſagen; ſie ſtraft ſich ſelbſt. Jch will mich nur bey ihnen fuͤr ſo viele Guͤ - tigkeit und Herablaſſung bedancken. Jch bitte ſie nur, das nicht fuͤr eine Hartnaͤckigkeit anzuſehen, daß ich mich von einer ſo zaͤrtlichen und liebrei - chen Baſe nicht habe bewegen laſſen: und mir al - les zu vergeben, was ich in Worten und That in ihrer Gegenwart verſehen habe. Es iſt gewiß nicht aus Haß gegen die arme Arabelle hergekom - men. Jch unterſtehe mich zu ſagen, daß weder ſie, noch mein Bruder, noch ſelbſt mein Vater das Hertz kennen, welches ſie blutend machen.

Jch ſahe zu meiner Aufrichtung, was fuͤr gute Wuͤrckungen es fuͤr mich hatte, daß meine Schweſter weggegangen war. Stehen ſie auf, mein edles Gemuͤthe! mein liebes Kind! Knien ſie nicht vor mir! (Das waren ihre guͤtigen Aus - druͤcke.) Behalten ſie das bey ſich, was ich ihnen jetzt ſagen werde. Jch bewundere ſie mehr, als ich es mit Worten ausdruͤcken kann. Wenn ſie ſich enthalten koͤnnen, ihr Gut wider zu fodern, und wenn ſie ſich entſchlieſſen koͤnnen, Lovelacen nicht zu nehmen, ſo ſind ſie das groͤſſeſte Wunder, das ich in ihren Jahren geſehen habe. Jch muß jetzt ihrer Schweſter nacheilen. Dis ſind meine letz - ten Worte an ſie: ſchicken ſie ſich in ihres Vaters Willen, wenn es moͤglich iſt. Was fuͤr ein lo - benswuͤrdiger Gehorſahm wuͤrde dieſes ſeyn? Be - ten ſie zu GOtt, daß er ihnen Gnade dazu gebe. Sie wiſſen vielleicht nicht, was geſchehen kann.

Sie wollte gehen.

K k 3Nur518Die Geſchichte

Nur noch ein eintziges Wort, meine liebſte Frau Baſe. Reden ſie alles was ſie koͤnnen zum Be - ſten der armen Frau Norton. Jhre zeitliche Umſtaͤnde ſind ſchlecht: wenn ſie kranck wuͤrde, ſo wuͤrde ſie nicht ohne meiner Mutter Huͤlfe leben koͤnnen. Jch habe keine Mittel ihr zu helffen, denn ich will ehe der Nothdurft entbehren, als mein Recht gerichtlich behaupten. Jch verſiche - re Jhnen, ſie hat ſo viel zu mir geſagt, mich zu uͤberreden, daß ich meines Vaters Willen fol - gen moͤchte, daß ihre Gruͤnde ein groſſes dazu beygetragen haben, mich von Erwaͤhlung der aͤuſ - ſerſten Mittel abzuhalten, zu denen ich nur wuͤn - ſche nicht zuletzt gezwungen zu werden. Und den - noch berauben ſie mich ihres guten Raths, und hegen von einer ſo vortreflichen Frau niedertraͤch - tige Gedancken.

Jch freue mich, daß ich dieſes von ihnen hoͤre. Jch nehme noch dieſen, noch dieſen Kuß, noch dieſen Kuß von ihnen weg, allerliebſtes Kind: (ſo nannte ſie mich beynahe alle Augenblicke, und kuͤſſete und umarmete mich auf das liebreichſte.) GOtt ſchuͤtze und leite ſie. Allein ſie muͤſſen ſich unterwerfen: ſie muͤſſen wahrhaftig. Ein Tag in dieſem Monath iſt alles woruͤber ſie noch eine freye Wahl haben.

Jch glaube, daß dieſes das Urtheil war, wel - ches meine Schweſter ſie noͤthigen wollte auszu - ſprechen. Es war aber nicht ſchlimmer, als das was ſchon vorhin uͤber mich ausgeſprochen war.

Sie ſprach dieſe letzten Worte lauter als die vorigen, und ſetzte hinzu: bedenckell ſie Fraͤulein,daß519der Clariſſa. daß es ihre Schuldigkeit iſt, Gehorſahm zu leiſten. Hiemit ging ſie hinunter, und verließ mich mit ei - nem gekraͤnckten Hertzen und uͤberfließenden Au - gen. Selbſt die Widerhohlung dieſer Geſchichte kraͤnckt mich von neuen. Jch kann vor Thraͤnen nicht mehr ſchreiben, die mir die Augen ſo verdun - ckeln, daß ich alles durch Wolcken ſehe -

Mittwochens um 5. Uhr.

Jch will noch ein paar Zeilen hinzu thun. Un - ten an der Treppe ward Frau Hervey von meiner Schweſter empfangen, die ſich einzubilden ſchien, daß ſie lange nach ihr bey mir geblieben waͤre Sie hatte ihre letzte Ermahnung zum Gehorſahm ge - hoͤrt; und lobete ſie davor: predigte aber noch mit dem Ausdruck wider mich: haben ſie je ſo viel ver - kehr ten Eigenſinn erlebt? Haͤtten ſie dencken koͤn - nen daß das hinter Claͤrchen, hinter ihrer Claͤr - chen ſteckte? Wer ſoll nachgeben? Sie oder ihr Vater? Es war gantz recht, daß ſie ihr dieſes ſagten.

Meine Baſe gab ihr eine Antwort, und es ſchien, als wollte ſie ihr Mitleyden bezeugen. Jch konnte aber nur den Ton und nicht die Worte hoͤren.

So eine wunderliche Beſtaͤndigkeit bey ſo un - billigen Forderungen! Allein mein Bruder und meine Schweſter ſtellen alles, was ich thue und rede auf der ſchlimmen Seite vor: und ich habe keine Gelegenheit mich zu verantworten. Meine Schweſter ſagt: niemand wuͤrde ſich mit mir gewagt haben, wenn ſie mich fuͤr eine ſolcheK k 4Fech -520Die GeſchichteFechterin gehalten haͤtten. Nun ſie nicht wiſ - ſen, wie ſie meine Widerſetzung mit meiner uͤbri - gen Gemuͤths-Art reimen ſollen, ſo ſcheint es, daß ſie mich durch Veraͤnderung der angewandten Mittel endlich zu ermuͤden ſuchen. Mein Bru - der, wie Sie ſehen, iſt veſt entſchloſſen, die Sache durchzutreiben, oder Harlowe-Burg auf ewig zu verlaſſen. Mein Vater muß alſo entweder ei - nen Sohn verlieren, oder eine Tochter bezwingen; und zwar die unartigſte und undanckbarſte, die Eltern jemahls gehabt haben. Auf der Seite ſtellt er die Sache vor: und verſpricht mich zu zwingen, wenn man ſeinem Rath folget. Man wird es noch weiter verſuchen, davon bin ich uͤberfuͤhrt. Allein wer kann rathen, auf welches Mittel ſie nun fallen werden?

Jch ſchicke mit dieſem Brieffe die Antwart auf ihr Schreiben vom Sonntage, die ich den Mon - tag angefangen und noch nicht geendiget habe. Sie iſt zum Abſchreiben zu lang: ich habe jetzt kei - ne Zeit darzu. Jch bin in einigen Stellen ſehr frey mit Jhnen umgegangen: es gefaͤllt mir ſelbſt nicht alles was ich geſchrieben habe, ich will es aber doch ſtehen laſſen. Mein Hertz iſt nicht frey genug, Brieffe zu ſchreiben. Seyn Sie nicht ungehalten auf mich. Wenn Sie ein paar Stel - len entſchuldigen koͤnnen, ſo kommt es blos da - her, weil ſie geſchrieben ſind, von

Jhrer Clariſſa Harlowe.

Ende des erſten Theils.

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About this transcription

TextClarissa
Author Samuel Richardson
Extent545 images; 114889 tokens; 10577 types; 768461 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationClarissa Die Geschichte eines vornehmen Frauenzimmers von demjenigen herausgegeben, welcher die Geschichte der Pamela geliefert hat und nunmehr aus dem Englischen in das Deutsche übersetzt Erster Theil Samuel Richardson. Johann David Michaelis (ed.) . [7] Bl., 520 S. VandenhoeckGöttingen1748.

Identification

SUB Göttingen SUB Göttingen, 8 FAB IX, 1185:1 RARA

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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ShelfmarkSUB Göttingen, 8 FAB IX, 1185:1 RARA
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