NAchdem ich gefunden, daß meine Einleitung zur Klug - heit zu leben, darinnen ich jungen Leuten einige Re - geln der Privat Klugheit bey - bringen wollen von dem Publico wohl aufgenommen worden, ſo habe mich hier - durch bewegen laſſen den Anfaͤngern zum Beſten gegenwaͤrtige Einleitung zur Staats-Klugheit auszuarbeiten, die ich hiermit deinem Gebrauch oder Urtheil uͤbergebe. Es ſind die Schrifften von dergleichen Gattung in Anſehung der an - dern eben nicht ſo gar dicke geſaͤet, und al - ſo werde deſto eher zu entſchuldigen ſeyn,) (2daßVorrede.daß ich die meinige den uͤbrigen mit bey - fuͤge. Sie iſt von des Hrn. Veit Ludwigs von Seckendorf teutſchen Fuͤrſten-Staa - te, der biß anhero von den Teutſchen mit guten Nutzen geleſen und tractiret wor - den, gar ſehr unterſchieden. Denn zum erſten ſo hat dieſer weyland gelehrte nun - mehr aber zur himmliſchen Vollkommen - heit verſetzte Cavalier ſein Abſehen vor - nehmlich dahin mit gerichtet, daß er die guten Verfaſſungen, die er an den Hoͤfen Teutſchlandes in Anſehung der unter - ſchiedenen Staats-Juſtitz - und Cameral - Sachen beobachtet, verzeichnen moͤchte, ich hingegen ſtelle nicht allein dasjenige vor, was von Chriſtlichen und vernuͤnff - tigen Regenten in Anſehung dieſes oder jenen objecti Reipublicæ loͤblich und wohl angeordnet, ſondern fuͤge bey den mei - ſten Capituln einige Deſideria und un - maßgebliche Vorſchlaͤge mit an, was hier und da entweder abzuſtellen, oder noch weißlich anzuordnen ſey, zum andern hat er ſein Werck uͤber die hiſtoriſche Vorſtel - lung mehr moraliſch als politiſch abgehan -deltVorrede.delt, das iſt, er hat mehr gezeiget, was ein Regent dem Staats-Recht nach thun oder laſſen ſoll, wenn er ſein Gewiſſen be - wahren, und ſeiner Pflicht, die er GOTT und ſeinem Lande ſchuldig iſt, nachkom - men will, als daß er die Mittel angewie - ſen, auf was vor Art eines und das andere zu diſponiren und einzurichten ſey. Zum dritten wird man finden, daß in meiner Schrifft ſehr viel Materien die der Herr von Seckendorf unberuͤhrt gelaſſen, ab - gehandelt ſeyn. Dieſes alles aber fuͤh - re nicht zu dem Ende an, als ob ich jenem gelehrten Buche einige Unvollkommen - heit beymeſſen, oder dem meinigen einen Vorzug zuſchreiben wolte. Nein kei - nesweges, ſondern um bey dem Leſer mich zu juſtificiren, daß er nicht die Mey - nung von mir hege, als ob ich eine gantz unnoͤthige und vergebne Arbeit vorge - nommen, oder dasjenige, was man im deutſchen Fuͤrſten-Staat leſen koͤnte, mit andern Worten vorgetragen. Wollen einige zwiſchen jener und dieſer Schrifft) (3auchVorrede.auch darinnen einen Unterſcheid erblicken, daß aus jener eine groſſe Gelehrſamkeit, Staats-kluge Erfahrenheit und ſonder - bahre Geſchicklichkeit hervor leuchte, die meine hingegen uͤberall ſehr ſteril und mager ausſehe, ſo will deshalber ihnen nicht widerſprechen; denn ich auch noch vor die Aſche des ſeeligen Herrn von Se - ckendorfs ſo viel Hochachtung habe, daß ich ſeinen Schrifften hertzlich gerne den Rang uͤber die meinigen zugeſtehen will, und gewiß glaube, daß die Autores des deutſchen Fuͤrſten-Staats und der Einlei - tung zur Staats-Klugheit einander ſonſt in wenig Stuͤcken egaliren, auſſer in der Anzahl der Jahre, immaſſen aus der Vorrede des Herrn von Seckendorfs, die er ſeinem teutſchen Fuͤrſten-Staat vorgeſetzt, erhellet, daß er ſolchen in ſei - nem 29 Jahre verfertiget, und alſo in eben den Jahren da ich dieſe Staats - Klugheit durch GOttes Gnade zu Stan - de gebracht. Jch habe bißweilen, wie aus den angefuͤhrten Stellen in demWer -Vorrede.Wercke ſelbſt zu erſehen, eines und das andere daraus entlehnet, zuweilen auch mich darauf bezogen, und meinen Leſer dahin verwieſen, daß alſo jene Schrifft mit meiner nothwendig zu vergeſellſchaff - ten iſt. Haͤtte ein Staats-erfahrner Miniſter ſich die Zeit Muͤhe und Gedult nehmen wollen, an dergleichen Materie nach der von mir projectirten Methode die Feder zu ſetzen, ſo wuͤrden die Leſer mehr Nutzen daraus ſchoͤpffen, und eine groͤſſere Erkaͤnntniß uͤberkommen moͤ - gen. Nachdem aber, wie ich in dem erſten Capitul weitlaͤufftiger hievon re - de, die Staats-Leute ſich gar ſelten an der - gleichen Arbeit zu machen pflegen, ſo hat ein Schuͤler der Staats-Klugheit in zwi - ſchen etwas unvollkommnes aus Liebe ſeinem Nechſten zu dienen, entwerffen wollen, welches ein Meiſter derſelben in Vollkommenheit haͤtte ausfuͤhren moͤ - gen. Jch kan nicht laͤugnen, daß ich in manchen Stuͤcken haͤtte deutlicher reden, und auch ſpecialer gehen koͤnnen und) (4wol -Vorrede.wollen. Allein die Regeln der Privat - Klugheit haben der Staats-Klugheit in manchem Ziel und Maaße ſetzen muͤſſen. Bey dieſen aufgezeichneten Maximen iſt mir vornehmlich die Beſchaffenheit der Evangeliſchen Lutheriſchen Laͤnder vor Augen geweſen, denn bey den Papiſten beruhen die Lehren der Staats-Klugheit bey vielen objectis auf gantz andern Grund-Saͤtzen, zu deren Unterſuchung und Ausfuͤhrung aber ich weder Luſt noch raiſon habe. Da ich mich bißwei - len dieſer Expreſſion bedienet, daß Chriſt - liche und vernuͤnfftige Regenten dieſes oder jenes anzuordnen und zu verbiethen pflegten, ſo darff man nicht den Schluß machen, als ob diejenigen die dieſes nicht in Acht naͤhmen oder auch wohl das Ge - gentheil thaͤten, deswegen unchriſtlich und unweiſe handelten. Denn gleich - wie es uͤberhaupt der Klugheit zuwider laͤufft von den Handlungen groſſer Her - ren zu urtheilen; Alſo ſind auch derglei - chen Urtheile vielmahls ungegruͤndet,ſinte -Vorrede.ſintemahl die Umſtaͤnde warum dieſes oder jenes gethan oder gelaſſen wird, den meiſten Privat-Perſonen unbekandt ſind. Was die Juriſten ſagen: Incivile eſt de le - ge judicare, niſi totâ lege perſpecta, iſt ge - wißlich auch iedoch mit einiger Veraͤnde - rung hieher zu appliciren, und vor ſehr unanſtaͤndig zu halten, wenn derjenige von eines Fuͤrſten action urtheilen will dem doch nicht alle und iede hieher gehoͤri - gen Umſtaͤnde bekandt ſind, die Umſtaͤn - de der Oerter, der Zeiten, der Leute, die Abſichten, warum dieſes gethan oder ge - laſſen wird u. ſ. w. Jch weiß gar wohl, daß dieſe General-Reguln in vielen einer Ausnahme und Einſchraͤnckung beduͤrf - fen werden, und daher nicht in allen Pro - vintzen auf gleiche Art bey allen und ie - den Stuͤcken zu appliciren ſeyn moͤchten, ich weiß aber auch wohl, daß diejenigen, die viel brauchbare General-Reguln im Kopffe haben, gar leichtlich bey der Appli - cation durch eigenes Nachſinnen die noͤ - thigen Anmerckungen finden koͤnnen. ) (5JchVorrede.Jch habe mich ſo viel als moͤglich bemuͤ - het, dieſe Maximen nach der Natur der Sache und der Beſchaffenheit des ob - jecti zu proportioniren. Denn die poli - tiſchen Maximen in abſtracto ſchicken ſich eher vor eine Utopiam oder eine Repu - blique des Severambes, denn vor unſere Provintzen. Es ſind ſolche nicht vor Staats-kluge Leute geſchrieben, denn die - ſe wiſſen dergleichen Regeln beſſer als ich, und von ſolchen muß ich ſelbſt alle Tage lernen, ſondern wie bereits oben gedacht, vor junge Leute und vor Anfaͤnger. Ob ſie gleich ietzund noch nicht vermoͤgend ſind eines und das andere Gute in die Republic einzufuͤhren, oder einigen Irre - gularitaͤten abzuhelffen, ſo iſt es doch gut, wenn bey Zeiten die Gebrechen der Re - public und die dawieder dienende Huͤlffs-Mittel ihnen bekandt werden, damit ſie dereinſten, wenn ſie die gemei - ne Wohlfarth mit ſollen beſorgen helffen, in Heylung der politiſchen Kranckheiten ihre Curen deſto geſchwinder, vorſichti -gerVorrede.ger und gluͤcklicher vollbringen moͤgen. Vielleicht duͤrffte es an denen nicht er - mangeln, die es vor allzu ruhm-raͤthig achten, wenn einer, der kein Staats-Mi - niſtre iſt, eine Einleitung zur Staats - Klugheit ſchreiben will. Allein, ſo lan - ge die Herren Gelehrten auf Univerſitaͤ - ten die Befugniß haben, die Staats - Klugheit ihren Zuhoͤrern muͤndlich oder ſchrifftlich vorzutragen, und daruͤber zu diſputiren, ohne daß man es ihnen ver - denckt, ſo lange wird es auch einem an - dern Privato erlaubet ſeyn ſich an derglei - chen Materie zu machen. Und uͤber - diß ſo kan auch derjenige, der nicht die Præſumption von ſich hat, daß man ihn vor einen Staats-klugen Mann halten ſoll, mit guten Nutzen eine Einleitung zur Staats-Klugheit ſchreiben, wenn er dasjenige, was hier und da von Staats - kundigen Maͤnnern Gutes ausgedacht, oder auffs Tapet gebracht worden, zu - ſammen traͤgt, und in Ordnung bringt. Haͤtte ich ein ander Wort, als Regier -Kunſt,Vorrede.Kunſt, u. ſ. w. ſubſtituiren und dadurch meinem Leſer von derjenigen Materie, die er in dem Buche ſuchen ſolte, einen Begriff beybringen wollen, ſo haͤtte ich doch kein ſolch Wort finden koͤnnen, wel - ches die Sache ſattſam exhaurirt, und dar - bey einem, der Luſt hat etwas zu tadeln, keine Gelegenheit zu einiger Critic gege - ben haͤtte. Jch laͤugne nicht, daß mir unterſchiedene Gelehrte zur Verferti - gung dieſer Schrifft einige Materialien mitgetheilet, und alſo prætendire nicht, daß man von mir glauben ſoll, als ob ich alle dieſe Regeln durch eigenes Nachſin - nen gefunden; Es wuͤrden mir aber auch diejenigen Unrecht thun, die vorge - ben wolten, daß ich dieſes Werck nur aus andern zuſammen geſchrieben, immaßen ſehr wenig Capitul in dem Wercke ſeyn werden, da ich nicht meine eigene medi - tationes mit angefuͤget; Jch habe in dem Tractat ſelbſt die Autores, derer ich mich be - dienet, angefuͤhret, uͤberhaupt aber will hier noch Erwehnung thun, daß mir derFrey -Vorrede.Freyherr von Schroͤder, der Herr Cam - mer-Rath Leib, Herr Hof-Rath Mar - perger, die gelehrten und Ruhm-wuͤrdi - gen Herren Autores der Unſchuldigen Nachrichten, Herr D. Doͤhler, Hr. Hoͤm, durch ihrer Schrifften einige Aſſiſtenz ge - leiſtet. Sie werden mir erlauben, daß ich bey Ausarbeitung dieſes Tractats von derjenigen Freyheit profitire, der ſie ſich bey ihren Schrifften angemaßt. Es iſt in dieſen Saͤtzen die Wahrheit ohne Ein - miſchung einiger Streitigkeiten von mir vorgetragen, und iederzeit diejenige Meynung erwehlet worden, die ich vor die Chꝛiſtlichſte, vernuͤnfftigſte und wahr - ſcheinlichſte gehalten, und werde ſolche ſo lange mit Chriſtlicher und vernuͤnfftiger Beſcheidenheit ſuchen zu vertheidigen, biß ich durch gruͤndliche rationes eines Jrrthums uͤberfuͤhret werde. Jm uͤbrigen werde wegen meiner vernuͤnffti - gen oder unvernuͤnfftigen Herren Cenſo - rum unbekuͤmmert ſeyn, nicht als ob ich glaubte, daß dieſe Schrifft ſo vollkommenwaͤre,Vorrede.waͤre, daß nichts dran auszuſetzen, ſon - dern weil ich bey den vorigen und gerin - gen Schrifften, die ich in die Welt geſchickt, durch die Erfahrung gefunden, daß ich unter den Herren Gelehrten Gottlob! gar viel gute Freunde habe, und hingegen de - ren, in welche ich etwan einig Mißtrauen ſetzen moͤchte, gar eine geringe Anzahl, und auch mehr Chriſtliche und vernuͤuff - tige, als unchriſtliche und unvernuͤnff - tige Cenſores angetroffen, ingleichen daß ich von jenen einen und andern Nu - tzen geſchoͤpffet, dieſe aber weder meinen Schrifften noch meinem ehrlichen Nah - men den geringſten Abbruch zu thun ver - moͤgend geweſen. Lebe vernuͤnff - tig und wohl.
Das[1]§. 1.
DJe Klugheit iſt eine Geſchicklich - keit des Gemuͤths ſeine actio - nes zu Befoͤrderung ſeiner wahren Gluͤckſeeligkeit ver - nuͤnfftig und vorſichtig anzu - ſtellen; Sie ſinnet die Mittel aus, auf was vor Art man am bequemſten und leichteſten ohne ſich und andern zu præjudiciren und Hinder - niß darbey zu beſorgen, die Gluͤckſeeligkeit er - langen und erhalten moͤge. Weil ſie auf die wahre Gluͤckſeeligkeit zielet, ſo macht ſie die ewige zu ihrer Haupt-die zeitliche aber zu ihrer Neben-Abſicht. Sie wird auch ſonſt die Po - litic genannt, und iſt entweder eine wahre oder eine falſche.
§. 2. Die wahre verlangt nichts, als was ſie rechtmaͤßiger Weiſe den goͤttlichen und na - tuͤrlichen Rechten nach prætendiren kan; SieAſub -2ſubjugirt den Willen, wenn er ausſchweiffen will, ſo viel als moͤglich, und bedienet ſich zu Er - reichung ihres Zwecks zulaͤßige Mittel. Jhre Abſicht iſt, daß es ihr und andern Menſchen wohl gehe; Jedoch erkennet ſie bey einer Col - liſion zwiſchen ihrem und ihres Nechſten Gluͤck, daß ihr der Vorzug gebuͤhre. Sie ſiehet aus eigener und frembder Erfahrung, daß alle zeit - liche Gluͤckſeeligkeit, wie ſcheinbahr ſie auch iſt, dennoch mit vieler Unruhe vergeſellſchafftet, fluͤchtig und unbeſtaͤndig ſey, und ihren Beſi - tzern, wenn ſie vermeynen, ſie halten dieſelbe am veſteſten, gantz unvermuthet aus den Haͤnden gehe. Da ſie nun vor eine Thorheit haͤlt ein ſolch Gluͤck, deſſen Daurung und Genuß ſie ſich nicht einmahl auf eine eintzige Stunde recht vollkommen gewiß verſichern kan, ſondern alle Minuten darbey in Gefahr ſtehen muß, daß ſie entweder der Gluͤckſeeligkeit, oder die Gluͤckſeeligkeit ihr entzogen werde, ſo erwehlet ſie zu der Haupt-Abſicht ihrer Handlungen, ei - ne ſolche, die hoͤchſt-voll kommen iſt, ihren Beſi - tzern ein wahres Vergnuͤgen verſprechen kan, und kein Ende noch Auffhoͤren hat, oder die e - wige Seeligkeit. Dieſes iſt die Axe, um wel - che ſich alle ihre uͤbrigen actiones hier in der Zeit herumdrehen, niemahls aber von derſelben abweichen muͤſſen. Dieſe iſt das centrum,wor -3worinnen ſie beſtehen bleibt, und eintzig und al - lein ihre Ruh, und das Ziel ihrer Gedancken iſt. Was ſie nun ſiehet, das mit dieſem Endzweck uͤberein kommt, erwehlet ſie, was aber demſel - bigen zuwider, verwirfft und verdammt ſie alſo - bald. Daher bedienet ſie ſich auch bey der Ausuͤbung ihrer actionen keiner andern Mit - tel, als derjenigen, die ihr von den goͤttlichen und weltlichen Geſetzen erlaubet werden, da - mit ſie ihrer Haupt-Abſicht nicht zuwider han - dele. Nachdem ſie nun ihre Sachen, ſo viel als GOtt Gnade verleihet, und die menſchliche Un - vollkommenheit zulaͤſt, taͤglich ſo anſtellt, daß ſie die wahre und ewige Gluͤckſeeligkeit befoͤr - dert, ſo erkennt ſie, daß in Zeitlichen das groͤſte Gluͤck darinnen beſtehe, daß man ruhigen und vergnuͤgten Gemuͤthes ſey, und alſo erwehlet ſie in Anſehung der zeitlichen Gluͤckſeeligkeit die Ge - muͤths-Ruhe und Vergnuͤgung. Sie weiß, daß Reichthum und Ehre nicht allezeit damit verbunden, und man auch, ohne reich und geehrt zu ſeyn, vergnuͤgt leben koͤnne. Sie ſucht da - her ſo viel als moͤglich ihr Vergnuͤgen nicht in ſolchen Sachen, die auſſer ihr ſind, weil ſie die - ſelbigen nicht allezeit haben kan, ſondern in den Guͤtern, die ſie ſtets bey ſich hat, und ihr von niemand als von GOtt genommen werden koͤn - nen. Sie findet in zulaͤßigen und vernuͤnffti -A 2gen4gen Dingen ihrem temperamente nach ihre Ergoͤtzung, und iſt vollkommen bey ſich uͤber - fuͤhrt, daß ſie hierinnen vernuͤnfftig und klug handele, es moͤgen ſolches nun andere Leute er - kennen oder nicht. Sie verlacht die Urtheile der Menſchen, wenn ſie andere vor unvernuͤnff - tig halten, daß ſie ſich uͤber manche Sachen Bedencken mache, dadurch ſie doch ihre zeitliche Gluͤckſeeligkeit gewaltig befoͤrdern koͤnte, oder nicht allezeit auf Reichthum und Ehre ſiehet, ſondern ihre Vergnuͤgung bißweilen hoͤher ſchaͤtzt, als Vermoͤgen und Ehren-Aemter.
§. 3. Da nun die Vergnuͤgung des Ge - muͤths ohne die Geſundheit des Leibes nicht wohl abgeſondert ſeyn kan, ſo obſervirt ſie zu - gleich ihre Geſundheit ſo viel als moͤglich, und denckt, daß mens ſana, zu welchem ein ruhiges und mit GOtt ausgeſoͤhntes Gewiſſen, ein cul - tivirter Verſtand, ein gebeſſerter Wille, und eine freudige Gemuͤths-Vergnuͤgung gehoͤren, in corpore ſano in dieſer Zeitlichkeit die edel - ſten Guͤter ſind. Hat ſie nun dieſes alles er - langt und beyſammen, ſo preiſet ſie ihren GOtt davor, und ſchaͤtzet ſich im uͤbrigen vor weit gluͤcklicher, ob ſie gleich ein geringes Ver - moͤgen und ſchlechte Ehre hat, als viel tauſend andere Leute. Werden ihr Ehren-Aemter angetragen, ſo ſchlaͤget ſie ſolche eben nicht aus,weil5weil ſie weiß, daß ſie darinnen beſſere Gelegen - heit hat, GOtt und ihrem Nechſten zu dienen als auſſer demſelben, ſie ſucht ſie auch wohl, denn ſie findet, daß ſie ihrer Gemuͤths-Ruhe nicht hinderlich ſind, iedoch durch rechtmaͤßige Mittel; Kan ſie aber keine uͤberkom̃en, ſo iſt ſie auch zufrieden, und dencket, daß dem nicht viel anvertrauet, von dem werde auch nicht viel ge - fordert werden, und ſie auſſer denſelben man - cher Bequemlichkeiten theilhafftig ſey, die ſie in den Ehren-Stellen nicht zu genieſſen gehabt. Alſo trachtet ſie auch auf rechtmaͤßige Art Ver - moͤgen zu erwerben, und glaubet, daß ihr GOtt allezeit ſo viel geben werde, als zu ihrer Noth - durfft, ihrem Stande gemaͤß, vonnoͤthen iſt. Wenn ſie das hat, ſo iſt ſie vergnuͤgt, und er - langt ſie es nicht, ſo denckt ſie, daß ihr daſſelbe an ihrer ewigen Gluͤckſeeligkeit hinderlich ſeyn muͤſſe, ſonſt wuͤrde es ihr unſer HErr GOTT ohnfehlbar verleihen, und iſt alſo auch damit zu frieden.
§. 4. Die falſche ſucht dasjenige, was ih - ren Haupt-Paſſionen convenient iſt, mit der groͤſten Begierde, ſie laͤſt ſich unbekuͤmmert, ob ſie befugt ſey, nach dieſem oder jenem zu ſtreben oder nicht, wann ſie nur ihren Zweck erreicht, bedienet ſich aller Mittel, die ſie als moͤglich vor ſich ſiehet, ſie moͤgen zulaͤßig oder unzulaͤßigA 3ſeyn,6ſeyn, es mag ihr Nechſter darunter leiden oder nicht. Sie ſiehet bey ihrer Gluͤckſeeligkeit nicht auf das Zukuͤnfftige, ſondern Gegenwaͤr - tige, wenn ſie nur dasjenige erlangt, wornach ſie geſtrebet, ſo iſt ſie zufrieden, es mag ihre Wohlfarth auf einem ſoliden fundament ge - gruͤndet ſeyn oder nicht. Bey Unterſuchung der Moͤglichkeit oder Unmoͤglichkeit der Mittel, deren ſie ſich zu Erreichung ihres Endzwecks be - dienet, ſiehet ſie auf nichts, denn auf die zeitli - chen von dem Landes-Fuͤrſten auf dieſes oder jenes Verbrechen geſetzte Straffen, und nachdem ſie gewahr wird, daß ſie bey dieſer o - der jener Sache vor ihnen ſicher iſt, nachdem haͤlt ſie auch daſſelbige Mittel vor zulaͤßig und poſſible, es mag im uͤbrigen ſuͤndlich, gottloß und unvernuͤnfftig ſeyn oder nicht, ſo iſt es ihr einerley. Vor den weltlichen Straffen fuͤrchtet ſie ſich eben ſo gar ſehr nicht. Denn bißwei - len weiß ſie nach dem Unterſcheid der Perſo - nen, die ſich ihrer befleißigen, ihre Sachen ſo geheim anzuſtellen, und mit einer ſonderbahren Vorſichtigkeit zu tractiren, daß es die Men - ſchen nicht erfahren, und ſie alſo nicht beſtraffen koͤnnen. Manchmahl iſt ſie auch verſichert, daß ihr die weltlichen Straffen gantz und gar nichts angehen, und das menſchliche Rach - Schwerd der Obrigkeit nicht vor ſie, ſondernvor7vor andere gezuckt werde, bißweilen erkennet ſie, daß ſie manche Boßheit ungeſcheut begehen kan, die ungeſtrafft bleibet, weil die Menſchen keine Straffe darauf geſetzt, manchmahl weiß ſie auch ſchon ſolche Inventionen, daß ſie den Straffen entgehen kan. Sie ſteckt ſich hin - ter gewiſſe Leute, die bey dem Fuͤrſten viel gel - ten, die interceſſionales einlegen muͤſſen, ſie ſiehet, wie ſie bey der Landes-Obrigkeit aboli - tion und Gnade erhaͤlt, beſticht die Richter, daß ſie nicht inquiriren, ſondern durch die Finger ſehen, bißweilen ſpuͤhret ſie auch, daß ſie mehr Vortheil erhaͤlt, wenn ſie ihren Endzweck ver - folgt, als incommoditaͤt und Verdruß von den weltlichen Straffen, wenn ſie auch gleich dieſelben ausſtehen ſolte, zu erwarten hat.
§. 5. Es iſt die falſche Politic, ob ſie gleich mehr vor eine Thorheit und Verblendung des Satans, denn wahre Klugheit zu halten, grand mode. Die Kinder der Finſterniß, die ſich derſelben beſtreben, werden von ihres gleichen vor raffinirte Leute und intriguante Koͤpffe ge - halten. Da heiſt es denn von manchen, die durch allerhand verbothene Wege ihr Gluͤck bauen: Der Menſch weiß recht gut fortun zu machen, und dieſes ſagen ſie auch in recht ei - gentlichen Verſtande, weil unſer HErr GOtt, als den ſie vor nichts halten, ſich um ſolcher Leu -A 4te8te actiones, ſeinem dirigirenden Willen nach, nicht bekuͤmmert, ſondern ſie handthieren laͤſt, wie ſie wollen. Sie æſtia〈…〉〈…〉 ren auch wohl an - dere, die ſich, und zwar mit allem Recht, Beden - cken machen, durch dieſe oder jene Perſonen, die - ſe oder jene gottloſe Wege ihr intereſſe zu be - foͤrdern, vor einfaͤltige Leute, die ihre Sachen gar nicht recht anzuſtellen wuͤſten. Jhre Haupt-Abſicht iſt nicht die Ehre GOttes oder die ewige Gluͤckſeeligkeit, ſondern das Inter - eſſe. Dieſes iſt ihr Gott, den ſie in ihrem Hertzen von gantzer Seelen und von allen Kraͤfften lieben. Dieſem leiſten ſie den Dienſt mit willigem Gehorſam, und zwar oͤffters mit vieler Arbeit, ſaurem Schweiß, muͤhſamen fatiguen und naͤchtlichen Wachen. Dieſes iſt ihre Seele, vor derer Conſervation ſie beſorgt ſind, ihr Himmel und ihre Seeligkeit, in der ſie beſtaͤndigſt zu leben wuͤnſchten, ihr Zweck, wor - nach alle ihre Gedancken zielen, und darnach ſie alle ihre actiones anſtellen.
§. 6. Gleichwie nun die Temperamente und menſchlichen Neigungen unterſchieden ſind, alſo erweiſet ſich auch das eigene Intereſſe auf unterſchiedene Art. Bey einigen iſt es der Geitz und Liebe zum Gelde, bey andern der Ehrgeitz, noch bey andern eine gewiſſe Art der Wolluſt, als entweder die Paſſion zum Frauen -zim -9zimmer, oder zum Sauffen, oder zum Spie - len, oder zur Bequemlichkeit und guten delica - ten Eſſen und Trincken, Muͤßiggang, u. ſ. w. Ob nun gleich nach dem Unterſcheid der hu - meure die Erwehlung des eignen Intereſſe dif - ferent iſt, ſo moͤchte ich doch bald ſagen, daß faſt alle darinnen uͤberein kaͤmen, daß ſie das Geld zu ihrer Haupt-Abſicht machen, weil ſie wohl wiſſen, daß dieſes das Haupt-Mittel iſt, dadurch ſie die uͤbrigen Endzwecke, die ſie ſich nach ihren Haupt-Paſſionen vorgeſetzt, errei - chen koͤnnen. Und alſo bleibt bey einem ied - weden die Erlangung oder Conſervirung der - jenigen Summe Geldes, die ihm zur Unterhal - tung ſeiner Paſſionen noͤthig iſt, ſein Haupt - Zweck. Die uͤbrigen Objecta aber, nach dem Unterſcheid ihrer Paſſionen, die Neben - Endzwecke. Ein Wolluͤſtiger ſey ſo volu - ptueus als er immer will, ſo muß er doch, wenn er nicht wider ſein eigenes ſich vorgeſetztes In - tereſſe handeln will, ſich bemuͤhen, ſo viel Geld zu erlangen oder zu erhalten, als ihm zu ſeinem Zweck noͤthig iſt, und ſo auch mit den Ehrgei - tzigen. Daher ſtellen ſie ihre actiones auf folgende Art an: Alles, was dein Intereſſe befoͤrdert, muſt du thun, was demſelben zuwi - der, muſt du unterlaſſen; Was ihm aber nicht hinderlich, ob es gleich eben nicht dazu befoͤr -A 5der -10derlich iſt, kanſt du nach Gefallen thun oder un - terlaſſen.
§. 7. Es iſt auch die Klugheit einzutheilen in die Klugheit der Privat-Perſonen und der Landes-Fuͤrſten. Die Privat-Klugheit ſchreibt Privat-Perſonen gewiſſe Regeln und Maximen vor, wie ſie ihre actiones zu Befoͤr - derung oder Erhaltung ihrer zeitlichen Gluͤck - ſeeligkeit vernuͤnfftig anſtellen ſollen. Sie weiſet, wie man ſich im Heyrathen bey Erzie - hung der Kinder, in ſeinen Ehren-Aemtern, in Gluͤck und Ungluͤck, u. ſ. w. zu bezeigen habe, daß man durch ſeine Handlungen das Gute, ſo man ſich vorgeſetzt, erlangen, und alles Ubel, ſo viel als moͤglich, von ſich abwenden moͤge. Manche actiones ſcheinen andern Leuten, die nicht faͤhig ſind, accurat genung davon zu ur - theilen, weiſe zu ſeyn, ſind aber in der That thoͤricht, und dieſe muß man unterlaſſen. Hin - gegen einige ſcheinen andern, die nicht alle un - ſere Raiſons wiſſen, warum wir dieſes thun wollen oder muͤſſen, wunderlich, ſind aber in der That klug, und dieſe muͤſſen wir thun, ande - re Leute moͤgen davon raiſonniren, was ſie wol - len. Was bey der Privat-Klugheit anzu - mercken, iſt in meiner Einleitung zur Klugheit zu leben weitlaͤufftiger ausgefuͤhret.
§. 8.11§. 8. Die Klugheit der Landes-Fuͤrſten, oder die Staats-Klugheit, iſt eine Geſchicklig - keit des Verſtandes, vermoͤge welcher Regen - ten faͤhig ſind, nicht allein ihre eigene, ſondern auch ihrer ſaͤmmtlichen Unterthanen wahre Gluͤckſeeligkeit zu befoͤrdern. Es iſt dieſelbi - ge viel weitlaͤufftiger und ſchwerer, als die Privat-Klugheit, und hat vielmehr Objecta, mit welchen ſie umgehet. Die Fauten, die bey der Staats-Klugheit vorgehen, ſind viel eclatanter und wichtiger, als die Verſehen der Privat-Klugheit. Denn bey dieſer leidet nur eine eintzige Perſon, bey jener aber wohl bißweilen etliche tauſend Menſchen, werden auch eher public und von andern obſerviret, denn jene. Sie wird auch ſonſt raiſon d’Etat genennt, und iſt wiederum eine wahre oder fal - ſche Staats-Klugheit. Die wahre hat zu ihrem Grunde: Es kan ein Lands-Herr nicht gluͤcklich ſeyn, wenn er nicht auch zugleich auf die Gluͤckſeeligkeit und das Wohl ſeiner Unter - thanen ſein Abſehen mit richtet. Die falſche aber: Ein Regente muß ſeinen Paſſionen Sa - tisfaction leiſten, es mag alles drunter oder druͤber gehen, ſein Land daruͤber ruiniret wer - den, oder nicht, wenn er nur ſeinen Zweck er - haͤlt, und ſeinen Willen hat.
§. 9. Ferner laͤſt ſich auch die Staats -Klug -12Klugheit abtheilen, eben wie die Lehre des Staats-Rechts, in die allgemeine und beſonde - re. Jene ſchreibet allerhand Objectis, die in einer Republic angetroffen werden, Regeln vor, weiſet, was darbey zu thun oder zu laſſen ſey, entdecket die Fehler und Mißbraͤuche, die in unterſchiedenen Laͤndern angetroffen werden, giebt auch Maximen an die Hand, wie dieſes oder jenes zu veraͤndern, zu verbeſſern, und an - zuſtellen. Die beſondere applicirt die Re - geln der Klugheit auf einen gewiſſen Staat. Es iſt zwar nicht wohl moͤglich, daß man bey der allgemeinen Staats-Klugheit ſolche Regeln finden kan, die ſich alle zuſammen, auf alle Oer - ter, ohne einige Veraͤnderung damit vorzuneh - men, ſchicken ſolten, indem die Umſtaͤnde der Oerter gar zu ſehr diſcrepant, iedennoch laſſen ſich ihrer viel auch davon gar wohl gebrauchen, weil manche Objecta und Negotia in unter - ſchiedenen Laͤndern dennoch einander gantz con - form ſind, und wer ſolche allgemeine Regeln der Politique im Kopffe hat, kan eher geſchickt ſeyn bey beſondern Faͤllen ein gewiß Tempe ament zu finden, oder worinnen dieſe und jene Maxime wegen der beſondern Umſtaͤnde einige Excepti - on, Erweiterung oder Einſchrenckung beduͤrf - fe, als wer derſelben gaͤntzlich unerfahren. Zu - dem ſo hat man auch bey den allgemeinen Re -geln13geln der Staats-Klugheit, wenn man ſolche public macht, den Vortheil, daß man etwas ſagen kan, welches einem, wenn man in Appli - cation auf einen gewiſſen Staat reden wolte, nicht allezeit erlaubet waͤre.
§. 10. Die Staats-Klugheit iſt von dem allgemeinen Staats-Recht unterſchieden. Je - ne ſiehet nur auf den Nutzen des Landes-Fuͤr - ſten und der Unterthanen, und ſinnet Maximen aus, wie dieſes oder jenes Gute mit guter Ma - nier auf ein Land gebracht, und hergegen von denenſelben gewiſſe Ubel abgewendet werde. Dieſes aber bekuͤmmert ſich um die Regeln der Gerechtigkeit, weiſet dem Regenten ſeine Pflicht an, und was er nach Verordnung der natuͤrlichen Rechte thun oder laſſen ſoll, und unterſucht auch, was er wohl ohne Verletzung des Rechts der Natur bey dieſem oder jenem Falle thun oder nicht thun koͤnne. Jch habe dieſelbige abgeſondert, und concipire mir auf vorgemeldte Art die differenz hiervon, inzwi - ſchen gehet es doch gar wohl an, daß man beyde zugleich tractiren kan, und will auch deswegen mit niemand, der ſie mit einander combiniren will, mich in einen Diſput einlaſſen. Jnglei - chen iſt ſie von dem beſondern Staats-Recht eines iedweden Landes unterſchieden, weil ſich dieſes auf eine beſondere Verfaſſung des Lan -des14des und gewiſſe Pacten, die mit dem Landes - Fuͤrſten und den Staͤnden aufgerichtet ſind, und in welchen ſeine freye Macht zu herrſchen und Souveraineté einiger maßen eingeſchraͤnckt wird, zu gruͤnden pflegt. Daß ſie von dem Buͤrgerlichen Recht abgeſondert, wird un - noͤthig ſeyn, zu erinnern, weil der Unterſcheid hiervon einem iedweden gleich in die Augen faͤllt.
§. 11. Es gruͤnden ſich die Maximen der Staats-Klugheit groͤſten theils auch mit auf die Erkenntniß unterſchiedener Provintzen und Staaten, und daß man das gute, ſo hie und da in andern Laͤndern obſerviret wird, anmercket, und die Application ſucht. Weñ man die beſon - dere Politic eines gewiſſen Landes ſich bekandt machen will, muß man alle und iede Objecta derſelbigen Provintz, die nur darinnen vorkom - men, nach allen und ieden derſelben beſondern Umſtaͤnden unterſuchen, und die allgemeinen Regeln der Klugheit, die man entweder von an - dern gelernet, oder durch eigenes Nachſinnen aus der Natur der Sachen heraus gebracht, darauf fuͤgen, ſo wird man finden, was bey die - ſen oder jenen loͤblich und vernuͤnfftig angeord - net, oder noch in einen und andern einiger Ver - beſſerung beduͤrffe.
§. 12. Die Lehre der Staats-Klugheit iſtbiß -15bißher noch nicht ſo gar ſehr excolirt worden. Nun fehlet es zwar an Compendiis und Syſte - matibus politicis im geringſten nicht, wie da - von des Herrn Arnds Bibliotheca Politico - Aulico-Heraldica mit mehrern kan nachgeſe - hen werden. Allein, wenn man dieſe ſcripta politica anſiehet, ſo findet man darinnen ein Hauffen Erklaͤrungen von der Monarchie, Ari - ſtocratie, Oligarchie und Eintheilungen, die gar keinen Nutzen haben, und hingegen blutwe - nig Maximen der Klugheit. Sie handeln nur etliche wenige Materien ab, z. E. vom Ur - ſprung der Landes-Obrigkeiten, vom Kriege, Frieden, Buͤndniſſen, den unterſchiedenen For - men der Regierung, der Pflicht der Untertha - nen, u. ſ. w. und auch ſo general, daß man aus dergleichen Schrifften, wenn man ſie ſchon mit groſſem Fleiß durchſtudieret, dennoch ein ſehr ſchlechter Staats-Mann werden kan. An andre ſpecial-Materien hingegen haben ſich ih - re Autores nicht gemacht, und ſolche alle nach einem Leiſten verfertiget.
§. 13. Die Urſachen, daß die Prudentia Politica von denen Herren Gelehrten ziemli - cher maßen negligiret worden, ſind vielleicht dieſe: Einige haben ſich bey ihrer Philoſophie entweder den Ariſtotelem, oder Carteſium, oder die Scholaſticos und andere dergleichenmehr16mehr zu ihren Vorgaͤngern erwehlet; Da nun dieſe Weltweiſen oder vielmehr Schulweiſen theils die politiſche Klugheit in ihren Schriff - ten gantz und gar nicht abgehandelt, theils aber auf eine ſo ſterile und magere Art, daß man wohl ſiehet, daß ſie ſich mehr um Woͤrter als Sachen, mehr um pedantiſche Speculatio - nes, denn um eine reelle Erkenntniß, die man in Praxi wiederum nutzen koͤnte, bekuͤmmert, ſo haben die Schuͤler ihre Lehr-Meiſter nicht uͤber - treffen koͤnnen noch wollen, da zudem die mei - ſten Gelehrten in den vorigen Zeiten in dem Jrrthum ſtacken, daß alle Schaͤtze der menſch - lichen Welt-Weißheit in den Schrifften Ari - ſtotelis und der andern philoſophiſchen Troͤ - ſter verborgen laͤgen. Sie haͤtten ſichs vor unanſtaͤndig gehalten, wenn ſie aus einer Schrifft, die eine Privat-Perſon aufgeſetzt und vor keinen Philoſophum gehalten worden, ei - nen Theil der Staats-Klugheit haͤtten erler - nen ſollen. Und da die meiſten mit der Ari - ſtoteliſchen oder Scholaſtiſchen Elle die philo - ſophiſchen Wiſſenſchafften ausgemeſſen, ſo iſt ja nicht zu verwundern, wenn ſie ſich ſo wohl in der Anzahl der Diſciplinen, als auch der me - thode, wie ſie tractiret worden, nach ihren Vorgaͤngern gerichtet. Andere Gelehrte ha - ben ſich eingebildet, es fehle ihnen an derGele -17Gelegenheit, die Staats-Wiſſenſchafft zu ex - coliren, indem dieſelbige nur durch den Umgang der Staats-Leute und Abhandlung der Saats - Affairen erlernet werden muͤße. Sie haben wohl geſehen, daß die politiſchen Buͤcher, wie ſie insgemein in den Haͤnden der Herren Ge - lehrten herum gegangen, eben nicht ſo gar viel getauget, und ſchlechte Cautelæ Prudentiæ publicæ darinnen anzutreffen, es ſind ihnen aber die andern Buͤcher, daraus ſie ſtuͤckweiſe die Politic erlernen koͤnnen, theils unbekandt, theils auch in auslaͤndiſchen Sprachen, die ſie nicht haben verſtehen koͤnnen, geſchrieben, und ſonſt ſo gar dicke nicht geſaͤet geweſen. Zu - dem ſo iſt ihnen die Methode, wie ſie durch ei - genes Nachſinnen und Nachfragen die Politic cultiviren koͤnten, verborgen geblieben. An - dere haben wohl gedacht, es ſey ihren Ehren zu viel, wenn ſie als Philoſophi von andern Un - gelehrten etwas fragen und erlernen ſolten, das ſie nicht wuͤſten. Noch andre haben geglaubt, die Staats-Klugheit werde doch bey ihnen nicht geſucht werden, und alſo ſey es unnoͤthig, viel Zeit auf deren Excolirung zu wenden, und es moͤchte an den Hoͤfen nicht wohl aufgenom - men werden, wenn ſie groſſen Herren Regeln vorſchreiben wolten, wie Land und Leute zu re - gieren waͤren.
B§. 14.18§. 14. Ob nun gleich die Politic von denen Herren Gelehrten, die philoſophiſche Com - pendia und Syſtemata geſchrieben, und ſie als einen partem Philoſophiæ tractiret, ſehr ſchlecht excoliret worden, ſo haben dennoch un - terſchiedene andere gelehrte Leute, ſonderlich von dreyßig biß viertzig Jahren her, aller - hand ſpecial-Materien, in welchen viel politi - ſche Obſervationes und Maximen unterge - miſcht ſeyn, und daraus unterſchiedene gute zur Staats-Klugheit gehoͤrige Anmerckungen ge - nommen werden koͤnnen, abgehandelt, ſo, daß diejenigen, die die Politic ſyſtematice tractiren, und darbey reelle Sachen, die in dem menſchli - chen Leben zu gebrauchen ſind, vorſtellen wollen, in den ietzigen Zeiten eher Gelegenheit haben, aus unterſchiedenen Schrifften allerhand da - hin gehoͤrige Materialien zu colligiren, denn in den vorigen. Sonderlich haben auch die Frantzoſen und Jtaliaͤner, als welche in der - gleichen Sachen gar geſchickt und ſinnreich ſind, unterſchiedene Regeln, Reflexions und politiſche Maximen geſchrieben, dadurch die Lehre der prudentiæ privatæ und publicæ in einem und andern erleichtert und erlaͤutert wird. Unter den Teutſchen, die die gantze Leh - re der Staats-Klugheit in einer Connexion und auf eine brauchbare Art ausgefuͤhret, ſindihrer19ihrer nicht ſo gar viel anzutreffen, und hat der weyland hoch meritirt geweſene Staats-Ca - vallier, der Herr geheimde Rath von Se - ckendorff hierinnen allerdings das Eyß gebro - chen, als welcher in ſeinem Deutſchen Fuͤrſten - Staat gute Regeln der Politic angewieſen, und andern Leuten, die ſonſt von dergleichen Staats-Affairen nicht ſo leichtlich Erkenntniß uͤberkommen haͤtten, Information ertheilet.
§. 15. Diejenigen Miniſtres und Offici - anten, die in Staats-Bedienungen ſeyn, ma - chen ſich gar ſelten an dergleichen Schrifften, darinnen die Staats-Klugheit entweder gantz oder ſtuͤckweiſe excoliret wuͤrde. Einigen fehlet es an der Zeit; wenn ſie gleich dem Pu - blico mit ſolchen Nachrichten dienen, oder jun - gen Leuten einige Unterweiſung geben wolten, daß ſie, wenn ſie zu Staats-Affairen gezogen wuͤrden, einigen Præguſtum davon haͤtten, und einige Erleichterung hernach empfuͤnden, auch deſto beſſere Progreſſen machen moͤchten, ſo koͤnnen ſie ſich doch, wegen ihrer uͤberhaͤufften Verrichtungen, nicht ſo viel Zeit abmuͤßigen, als hierzu wohl erfordert wird; andere ver - ſchweigen ſolche Nachrichten und Maximen mit Fleiß, und tragen Bedencken, muͤndlich oder ſchrifftlich iemand zu unterrichten, aus Neid, damit ſie allein vor kluge Leute gehalten werden,B 2und20und die Staats-Wiſſenſchafft vor ſich behal - ten moͤgen. Da bedienen ſie ſich denn folgen - der Expreſſionen: Man muß junge Leute nicht auf einmahl gar zu klug machen, ſie moͤgen auch ſehen, wenn ſie hernach zu Affairen gezo - gen werden, wie ſie zu recht kommen, es koſtet uns Muͤhe und Geld, ehe wir dahinter gekom - men, es hat es uns niemand ins Maul geſchmie - ret, und was dergleichen abguͤnſtige und von der Chriſtlichen Liebe entfernte dicteria etwan mehr ſind. Es machen auch wohl ſolche Leute groſſe Geheimniſſe aus gewiſſen Dingen, die doch eben nicht von importanz ſind, und wohl von einem und andern mit allen und ieden Um - ſtaͤnden in Druck gegeben worden. Noch an - dere, ob ſie gleich die Exempel unterſchiedener hohen Standes-Perſonen und groſſen Staats - Miniſtres dißfalls vor ſich haben, ſtecken den - noch in dem Vorurtheil, als ſey das Buͤcher - ſchreiben ihrer Staats-Excellenz disreno - mirlich, ſie meynen, es waͤre ihren Caractéren ein Schand-Fleck zugezogen, wenn ſie hierin - nen andern, die ſie, in Anſehung ihrer, vor ſchlechte Leute halten, ſich conformiren, und dem Publico mit einigen Schrifften dienen ſol - ten. Wiedeꝛum andere, ob ſie gleich die politiſche Klugheit in einem hohen Grad beſitzen, und ſich ihren Verrichtungen mit groſſer Reputationunter -21unterziehen, auch ihren Naͤchſten mit derjenigen Erkenntniß und Erfahrung, die ſie in einem und andern Theil der Staats-Klugheit beſitzen, gerne dienen moͤchten, ſo haben ſie doch nicht das talent, mit einer guten Ordnung und Con - nexion, allerhand Materien, die zur Regen - ten-Klugheit gehoͤren, ſchrifftlich aufzuſetzen, und dem Druck anzuvertrauen; es fehlet ihnen auch wohl an der Gedult, ſie koͤnnen ſich uͤber ſolchen Sachen nicht Muͤhe geben, und ſind zu commode darzu. Dieſemnach ſiehet man hieraus, warum die Prudentia publica noch groͤſtentheils incultiviret ſey.
§. 16. Es ſtecken viel Leute in dem Vorur - theil, daß einer die Staats-Klugheit erſtlich er - lernen koͤnte, wenn man in die Affairen kaͤme, und in dergleichen Bedienungen ſtuͤnde, ſonſt aber nicht. Ob gleich nun dieſe Meynung faſt univerſel, ſo iſt ſie dennoch falſch. Jn Staats - Bedienungen iſt es nicht Zeit zu lernen, ſondern da muß man ſeine Klugheit erweiſen. Dieſes iſt wohl gewiß, daß man ſich, wenn man in Af - fairen gebraucht wird, in demjenigen, worauf man ſich ſonſt appliciret, mehr perfectioni - ren, und daſſelbe weit beſſer cultiviren kan, auch wohl in Praxi bey mancher Regul, die man in der theorie vor univerſel gehalten, einige exceptiones und limitationes findet, indeſſenB 3muß22muß man, wenn man ſeinem Amte mit Repu - tation vorſtehen will, die Staats-Wiſſen - ſchafft groͤſtentheils ſchon zuvor ſich bekandt ge - macht haben. Es iſt eben ſo laͤcherlich, wenn man vorgiebt, daß man in Aemtern eine Wiſ - ſenſchafft lernen kan, als wenn man behaupte - te, ein Handwercks-Mann koͤnte ſein Hand - werck ſchon begreiffen, wenn er Meiſter wuͤrde. Nun iſt wohl auch nicht zu laͤugnen, daß man - che Leute in den Aemtern dasjenige erfahren, was ſie ſonſt nicht gewuſt, und worauf ſie ſich eben nicht appliciret; Allein es geſchicht dieſes zu ihrer ſchlechten Reputation, und wenn ſie auf die Art die Staats-Klngheit ſtudiren wol - len, haben ſie manchen Schaden und manche Disrenommée deswegen zu erwarten; Es iſt auch ziemlicher maßen durch einen Umweg ge - gangen, wenn man durch die Laͤnge der Zeit dasjenige erkennen will, hinter welches man durch fleißiges Nachſinnen und muͤhſame Ap - plication viel eher kommen koͤnte.
§. 17. Jn manchen Stuͤcken kan man auſ - ſer den Staats-Verrichtungen und oͤffentlichen Bedienungen gewiſſe regulas prudentiæ poli - ticæ eher erlernen, und einige zum Staats - Weſen gehoͤrige Materien beſſer und genauer unterſuchen, als wenn man ſelbſt zu ſolchen ne - gotiis mit gezogen wird; Und dieſes wegen un -ter -23terſchiedener Urſachen. Zum erſten kan ei - ner, der ohne Caractére iſt, von allerhand Perſonen, Handwercks-Leuten, Kauf-Leuten und andern, manches erfahren, was hier und da vor Mißbraͤuche in einem und andern noch anzutreffen, die abgeſtellet werden ſolten, da ſie einem Miniſter, oder andern anſehnlichen Mann, von dem ſie ſich einbilden, daß dieſe Nachrichten, die ſie ihm ertheilen wuͤrden, ih - nen desavantageus ſeyn koͤnten, nicht ſo leicht trauen. Denn es iſt vielen Leuten in aller - hand Staͤnden mit der Unordnung und gewiſ - ſen Mißbraͤuchen gedienet, und gleichwie ſie ungern von einer Verbeſſerung hoͤren, alſo ent - decken ſie auch nicht leichtlich die arcana ihrer Profeſſionen und negotien denenjenigen, von denen ſie glauben, daß ſie ſich ſolcher informa - tionen zu gewiſſen Abſichten, die ihrem inter - eſſe zuwider ſeyn, bedienen koͤnten. Hinge - gen ein andter kan ſolche Leute treuhertzig ma - chen, daß ſie ihm, wenn er mit ihnen discouri - ret, ungeſcheut allerhand offenbahren, und die ihnen vorgelegten Fragen beantworten, weil ſie glauben, er wolle ſolches nur aus Courioſi - taͤt von ihnen wiſſen, um zu ſeiner Vergnuͤgung von ihren Sachen Nachricht zu haben, und dencken, es habe mit einem ſolchen in der Welt nicht ſo gar viel zu bedeuten, und er werde ihnenB 4wohl24wohl ſchwerlich viel ſchaden koͤnnen. Zudem ſo ſchickt es ſich auch nicht ſo wohl, daß Leute, die in Caractéren ſtehen, mit denen von dem ge - meinen Volck ſich in verdrießliche Geſpraͤche einlaſſen, welches doch manchmahl noͤthig ſeyn will.
§. 18. Zum andern fehlet es auch denen Miniſtris bißweilen an der Zeit, daß ſie manche Sachen, die in die Staats-Klugheit lauffen, nicht ſo genau und gehoͤrig unterſuchen koͤnnen, als ſie wohl wuͤnſchten. Sie haben mit ih - ren ordentlichen Verrichtungen ſo viel zu thun, daß ſie denen vielen ſollicitirenden Partheyen nach dem Schlendrian Reſolutiones er - theilen, und die Sachen nur nach einander ex - pediren, daß ihnen alſo unmoͤglich einige Zeit uͤbrig gelaſſen, allerhand neue Sachen, die et - wan zur Abſtellung unterſchiedener alten Miß - braͤuche und Verbeſſerung des Landes gereich - ten, auszudencken. Sie muͤſſen nur in ihrem gewoͤhnlichen tramite fort gehen. Wird gleich bißweilen etwas neues aufs tapet ge - bracht, ſo wird doch das Project wegen der an - dern Geſchaͤffte immer wieder hingelegt, und die Vollziehung deßen auf eine andere Zeit aus - geſetzt, biß es nach und nach gar wieder in Ver - geſſenheit geſtellet wird.
§. 19. Damit ich aber erweiſe, daß manauch,25auch, welches einigen paradox ſcheinen moͤchte, allerhand zur Staats-Klugheit gehoͤrigen Ma - terialien von gemeinen Leuten erlernen und ein - ſammlen koͤnne, ſo will ich ſolches durch ein Ex - empel erlaͤutern. Wer wolte laͤugnen, daß nicht auch zur Staats-Klugheit gehoͤren ſolte, daß unterſchiedene nuͤtzliche und gute Ordnun - gen in das Land ausgeſchrieben werden, darin - nen allerhand Mißbraͤuche, die bißhero im Schwange geweſen, abgeſchafft und verboten, und hingegen andere nuͤtzliche Puncte, die zur Verbeſſerung dieſes oder jenes objecti und Befoͤrderung der Gluͤckſeligkeit des Landes ge - reichten, anbefohlen und vorgeſtellet wuͤrden, z. E. Fiſch-Ordnungen, Muͤhlen-Ordnungen, Schleuſen-Ordnungen u. ſ. w. Wenn nun ein groſſer Herr ſeinen Miniſtris, Regierungs - Raͤthen, oder wie ſie nach dem Unterſcheid der Hoͤfe weiter Nahmen haben moͤgen, anbefieh - let, dergleichen Ordnungen, weil die alten ſich auf den heutigen Staat des Landes ſo nicht mehr ſchicken wolten, abzufaſſen, ſo koͤnnen ſie unmoͤglich dieſelben recht vollſtaͤndig und voll - kommen ausarbeiten, wenn ſie nicht entweder vorher, ehe ſie zu ſolchen Verrichtungen gezo - gen worden, von dergleichen Leuten Informa - tion erlangt, oder doch um die Zeit, da ſie die - ſelben verfertigen ſollen, hier und da Erkundi -B 5gung26gung einziehen. Nun iſt zwar gewiß, daß manche Mißbraͤuche ſo eclatant und notoriſch ſind, daß ſie einem iedweden gleich in die Augen fallen. Manches koͤnnen ſie auch von andern Leuten erfahren, wenn ſie aber, wie es wohl billig ſeyn ſolte, allerhand geheime Practiquen vollkommen entdecken und denſelben durch heil - ſame Verordnungen entgegen gehen wollen, ſo koͤnnen ſie ſolche nirgends anders herbekom - men, denn von denen Profeßions-Verwand - ten. Aus ihrem eignen Gehirn koͤnnen ſie ſolche nicht allezeit nehmen, weil es res facti ſind, und niemand allwiſſend iſt, ob ſie gleich durch eigenes Nachſinnen, allerhand darwieder dienliche remedia finden, wodurch manches wenn ſie die Boßheit des menſchlichen Her - tzens, und die Beſchaffenheit derer bey einem iedweden objecto vorkommenden Umſtaͤnde ge - hoͤrig examiniren, durch Muthmaſſungen er - langen koͤnnen. Aus Buͤchern koͤnnen ſie ſol - che Sachen noch viel weniger hohlen, weil die Schrifften, in welchen dergleichen fineſſen ent - deckt, biß dato noch gar ſehr rar ſind.
§. 20. Es wird die Staats-Klugheit eben wie die Privat-Klugheit auf viererley Art er - lernt. Als erſtlich durch Nachſinnen, zum andern durch Leſung unterſchiedener hierzu dienlichen Schrifften, zum dritten durch eigene,und27und zum vierdten durch fremde Erfahrung: Ob gleich bereits in den vorgehenden eines und das andere, ſo hieher gehoͤret, vorgeſtellet wor - den, ſo will doch noch etwas ausfuͤhrlicher hier - von handeln. Es hat ein iedes von dieſen Mitteln ſeine Bequemlichkeiten und incommoditaͤten, und muß man ſie billich, wenn man die politi - ſche Klugheit rechtſchaffen excoliren will, mit einander combiniren.
§. 21. Gleichwie wir den Saamen aller Wiſſenſchafften bey uns haben, und die con - nexion des gantzen univerſi in unſrer Seele vergraben liegt; Alſo iſt kein Zweiffel, daß man durch gehoͤrige meditation, wenn man einmahl gelernt, die ideen aufzuſchlieſſen, und audere daraus zu evolviren, gar viel Regeln der Klugheit vor ſich finden koͤnne, iedoch muß man die Materialien erſtlich von auſſen her da - zu hohlen. Dieſe aber uͤberkommt man, wenn man ein iedwedes objectum der Republic, da - mit die Staats-Klugheit umgehet, genau an - ſiehet, deſſen gantze Natur, nebſt allen dabey ſich ereignenden und vorfallenden Umſtaͤnden gehoͤriger Maaßen unterſucht. Die Staats - Klugheit ſagt, wie die actionen des Regenten zu Verbeſſerung der Gluͤckſeeligkeit des Lan - des ſollen angeſtellt werden, und auf was vor Art man eines und das andere Stuͤck verbeſſern,28ſern, und den Nutzen des Landes-Herrn und der Unterthanen befoͤrdern koͤnne. Andrer Leute facta, einige unbelebte Dinge, die leben - digen Creaturen aus den dreyen Reichen der Natur, gewiſſe jura und andere moraliſche Verbindungen geben der Staats-Klugheit die Materie, das Nachſinnen aber die Forme. Je genauer nun dieſes beydes mit einander vereiniget wird, deſto richtigere praxes kan man ſich auch hernach vermuthen, hingegen die Regeln der Klugheit, die man nicht aus der Natur der Sachen herausgenommen, ſondern nur ſelbſt inventirt, paſſen bißweilen, wenn man ſie auf ein gewiſſes objectum appliciren will, nur zufaͤlliger Weiſe, eben als wie ein Schuch, den ein Schuſter nach ſeiner Phanta - ſie gemacht. Die durch meditation gefundene Regeln der Staats-Klugheit ſind zwar gar gut, allein, wenn ſie gleich in der Vernunfft noch ſo wohl gegruͤndet, ſo iſt man doch nicht recht ſicher darbey, wenn ſie ſollen in praxi ap - plicirt werden, weil man nicht weiß, was et - wan vor beſondere Umſtaͤnde, die man nicht al - lezeit vorher ſehen kan, ſich ereignen koͤnten, die dem guten Effect, ſo man ſich davon verſprochen haͤtte, hinderlich waͤren. Es gehet einem mit dergleichen inventirten Staats-Klugheit biß - weilen, als wie einem Mathematico und Me -chanico,29chanico, der eine Machine nach den Regeln der hoͤhern Geometrie und Analytic ausſin - net, und nach ihren Kraͤfften und Wuͤrckungen richtig auscalculiret, und ihm dennoch wohl, wenn er ſie in Holtz zuſammen ſetzen will, nicht ſo angehet, als er gedacht. Hingegen, wenn man aus der Erfahrung ſchon ſiehet, daß nach dieſer oder jener methode ein erwuͤnſchter ef - fect erfolget, ſo darff man an der Guͤtigkeit der - ſelben Regeln hernach im geringſten nicht zweiffeln.
§. 22. Der andre Weg, der zur Staats - Klugheit leitet, iſt die Leſung unterſchiedener Schrifften. Nun habe ich zwar bereits in vorhergehenden angefuͤhret, daß wir in Anſe - hung der andern diſciplinen noch gar wenig Buͤcher haben, in welchen die Staats-Klug - heit vorgetragen waͤre; Jedoch iſt auch nicht zu laͤugnen, daß man aus den Schrifften, die theils einige Staats-Kundige, theils andere gelehrte Leute von beſondern ſpecial-Materien, die in die Politic gehoͤren, verfertiget, unterſchie - denes profitiren koͤnne. Z. E. einige haben die Mißbraͤuche, die bey den Handwercks Sa - chen vorfallen, unterſucht, und zu deren Abſtel - lung und Verbeſſerung Regeln gegeben, ande - re angewieſen, daß zur Gluͤckſeeligkeit des Lan - des in Anſehung des Armuths und der Bettel -Leute30Leute loͤbliches hin und wieder anzuordnen waͤ - re, noch andere einige gute Vorſchlaͤge gegeben, wie das Juſtitz-Weſen in Teutſchland einzu - richten u. ſ. w. wenn man nun dergleichen Schrifften ſich bedienet, ſo kan man aus allen etwas begreiffen, und die Staats-Klugheit Stuͤckweiſe excoliren. Jngleichen hat man auch guten Nutzen zu erwarten, wenn man ei - nige wohlausgearbeitete Ordnungen, die in un - terſchiedenen Sachen von den Landes-Fuͤrſten publiciret und ausgeſchrieben werden, ſich be - kandt macht, weil ſelbige insgemein von ſolchen Leuten, die dieſer Sachen verſtaͤndig und kun - dig ſind, verfertiget worden. Dieſer Weg durch gelehrte Schrifften zur Staats-Klug - heit zu gelangen, iſt gar compendieus, indem man in kurtzer Zeit dasjenige erkennen kan, woruͤber ein andrer lange zugebracht, ehe er es ausgeſonnen, oder in Praxi erfahren, hingegen iſt man auch nicht ſo firm und gewiß, als bey dem, was man aus der Erfahrung oder durch eigenes Nachſinnen gelernt hat.
§. 23. Einige meynen die Leſung der Ge - ſchichte und das ſtudium hiſtoricum gebe ei - nem in der Staats-Klugheit vortreffliche gute Anweiſung. Nun koͤnnen zwar Leute, die nicht von ſonderlichen Verſtande und guten Nachdencken ſind, eines und das andere darauspro -31profitiren, wenn ſie ſehen, was auf dieſe oder jene actiones oder Umſtaͤnde vor ein effect er - folget. Allein denjenigen, die ihre Handlun - gen lieber nach den Geſetzen der Vernunfft denn andrer Leute Exempeln anſtellen, wird die - ſe Methode, da ſie aus Leſung der Hiſtorie klug werden ſollen, nicht ſonderlich anſtehen. Es koͤmmt mir eben vor, wenn man aus andrer Leute factis und actionen die Maximen der Klugheit begreiffen ſoll, als wenn man einen Kehricht-Hauffen durchwuͤhlete, um eine und andere Stecknadeln, oder andere Sachen, die noch zu gebrauchen waͤren, darinnen zu finden. Denn wie bey dem Kehricht-Hauffen viel un - nuͤtzes gefunden wird, alſo trifft man auch in den Hiſtorien ein Hauffen thoͤrichte oder doch indifferente Handlungen an, von denen man nichts lernen kan, und zu dem ſo veraͤndern auch die diſcrepanten Umſtaͤnde, die nach den Unterſchied der Oerter und actionen unter - ſchieden ſeyn, die Wuͤrckungen gar ſehr, daß man ſich von gewiſſen negotiis, die man auf eben die Art vornehmen will, nicht allezeit einen gleichen und guten effect verſprechen kan.
§. 24. Zum dritten erlangt man connoiſ - ſance von der Staats-Klugheit durch eigene Erfahrung, und dieſes wiederum auf zweyerley Art, entweder daß man zuvor wenig oder garnicht32nicht viel in der prudentia politica erfahren ge - weſen, und alles zu der Zeit, da man die Staats-Affairen dirigiren ſollen und muͤſſen, erſtlich durch die Laͤnge der Zeit, Conſulirung andrer mit Schaden und Schande hat lernen muͤſſen, oder da man die Staats-Klugheit quo - ad theoriam wohl innen gehabt, weil es einem aber an der Praxi gefehlet, die Guͤtigkeit der Regeln, und Maximen der Klugheit nicht recht beurtheilen koͤnnen. Daß dieſe Erfah - rung durch einen ſehr langen Umweg gehe, und nicht gar viel tauge, haben wir oben geſagt. Durch fremde Erfahrung wird man klug, wenn man nicht alleine Gelegenheit hat mit ge - ſcheuten Politicis und Staats-kundigen Maͤn - nern, die auch darneben auffrichtig und dienſt - hafftig ſeyn, fleißig zu converſiren, oder ſich und ihren Schrifften, da ſie dasjenige, was ſie in ihrer praxi gefunden, aufgezeichnet, zu er - bauen, ſondeꝛn auch wohl, wie bereits gemeldet, mit andern und gemeinen Leuten, die einem ebenfalls allerhand Nachrichten ertheilen koͤn - nen, zu diſcouriren, und ſie in einem und an - dern auszuhohlen.
§. 25. Es iſt die Staats-Klugheit ein ſehr weitlaͤufftiges Studium, und begreifft gar viel Wiſſenſchafften in ſich. Die den Staat eines Landes zu dirigiren haben, muͤſſen ſich ſo zureden,33reden, um alles bekuͤmmern. Sie muͤſſen den Theologis, Juriſten, Medicis, Soldaten, Handwercks-Leuten, Kauff-Leuten, Berg - Leuten, u. ſ. w. Regeln vorſchreiben, was ſie thun oder laſſen ſollen. Gleichwie es unmoͤg - lich iſt, daß ein Menſch, wie fleißig derſelbe im - mer ſeyn moͤchte, die gantze Staats-Klugheit vollkommen excoliren ſolte; Alſo iſt es wohl gethan, wenn ein iedweder diejenigen Partes abhandelt, zu welchen er Luſt, Geſchickligkeit und Gelegenheit hat.
§. 1.
WJr haben im vorigen Capitel die Be - ſchaffenheit der Staats-Klugheit mit wenigen abgehandelt, und ſowohl den Unterſcheid der Staats - als der Privat - Klugheit erklaͤret. Jn dieſem wollen wir uns um die Klugheit eines Regenten bekuͤmmern. Sie beſtehet aber kuͤrtzlich darinnen, daß ein Regente geſchickt ſey, nicht allein ſeine eigene und ſeiner gantzen Familie Gluͤckſeeligkeit, ſon - dern auch das Wohl ſeiner Unterthanen zu be - foͤrdern und zu erhalten. Bey einem Fuͤrſten muß die Privat - und Staats-Klugheit vereini -Cget34get ſeyn. Er muß nicht allein wiſſen, wie er mit Verſtand und Vorſichtigkeit ſich bey ſei - nem Heyrathen, Erziehung der Fuͤrſtl. Kinder, Schluͤſſung der Contracte, Oeconomie - Weſen und Aufrichtung der Teſtamente, u. ſ. w. bezeigen, ſondern auch Land und Leute weiß - lich beherrſchen ſoll. Gleichwie ein Landes - Fuͤrſt zwey moraliſche Perſonen præſentirt, erſtlich eine Privat-Perſon, die in manchen actionen ſich andern Privat-Leuten conformi - ren muß, hernach aber auch als ein Fuͤrſt zu - conſideriren iſt, der die Handlungen ſeiner Unterthanen zu dirigiren hat; Alſo muß er, will er anders ſeine Regenten-Pflicht gehoͤri ger Maßen in Acht nehmen, in prudentia priva - ta & publica wohl verſiret ſeyn.
§. 2. Das Haupt-Werck der Klugheit eines Regenten beruhet darauf, daß er allezeit ſeine Gluͤckſeeligkeit mit der Gluͤckſeligkeit ſei - ner Unterthanen zu vereinbahren ſuchet und be - dencket, daß dieſelbe niemahls von einander ab - geſondert werden koͤnne. Das Gluͤck eines Regenten, ſo nicht auf das Wohl des Landes mit gegruͤndet, iſt von keiner Daure, wie ſol - ches aus vielen alten und neuen Hiſtorien ab - zuſehen. Er muß bey allen ſeinen actionen das Gluͤck ſeiner Unterthanen zur Abſicht ma - chen und nichts vornehmen, was mit ſolchennicht35nicht beſtehen kan. Gehet eine Colliſion vor zwiſchen ſeinem eignen Intereſſe und der Wohlfarth der Unterthanen, ſo muß er aus Liebe vor ſein Land, um das gemeinſchafftliche Intereſſe zu befoͤrdern, ſeinen eignen Vortheil nachſetzen. Hierdurch erwirbet er ſich nicht nur bey ſeinen Unterthanen Liebe, ſondern thut auch dasjenige, worzu er von unſern HEr - re GOtt geſetzt iſt; Und ſind gleich die Souve - rains nicht verbunden, iemand auf der Welt vor ihre actionen Rechenſchafft zu geben; So haben ſie doch den allgemeinen Richter im Himmel ſo wohl uͤber ſich, als die allergering - ſten von ihren Unterthanen, dem ſie dereinſt an dem groſſen Gerichts-Tage von ihrer Regie - rung Red und Antwort werden geben muͤſſen. Gleich wie es nun, wie gern es auch ein weiſer Regent wuͤnſchen moͤchte, unmoͤglich iſt, daß er die Gluͤckſeeligkeit aller ſeiner Unterthanen in individuis befoͤrdern und erhalten kan, ſon - deꝛn einige nothwendigeꝛ Weiſe ungluͤcklich ma - chen muß; Alſo hat er ſeiner Pflicht ſchon ein Gnuͤgen geleiſtet, wenn er, ſo viel an ihm iſt, auf die Conſervation und Verbeſſerung der mei - ſten bedacht iſt. Salus populi muß nach der Ehre GOttes die Richt Schnur ſeiner actio - nen ſeyn.
§. 3. Eine Privat-Perſon hat viel We -C 2ge,36ge, ſich ehrlich zu ernehren und fortzuhelffen, ein hoher Regente aber nicht mehr als einen eintzigen, nemlich die Kunſt wohl zu regieren. Deßwegen auch groſſe Monarchen ſich ieder - zeit eifrigſt befliſſen, dieſelbe ſowohl aus guten Buͤchern, welche die Erfahrung zum Funda - ment geſetzt, als aus dem Umgange mit vor - treflichen Leuten zu lernen. Alſo hat Kaͤyſer Alexander Severus, wenn es ſeine Affairen nur ein wenig zulaſſen wollen, des Platonis und Ciceronis Buͤcher de Republica ſehr fleiſ - ſig geleſen. Carolus V. giebt in ſeiner vaͤter - lichen Inſtruction an ſeinen Sohn Philippum II. die der Herr Cammer-Rath Leib mit An - merckungen ediret, gleichfalls viel Spuren, daß er gute Buͤcher nie bey Seite geſetzet. Antigonus, Koͤnig in Macedonien, hat mit vie - ler Muͤhe und Koſten den damahls beruͤhmten Philoſophum Zeno an ſich gezogen, um ſich ſeines Unterrichts bey der Regierung zu be - dienen.
§. 4. Die Regier-Kunſt iſt in der That eine Kunſt uͤber alle Kuͤnſte; dieweil ſie aus Fuͤrſtenthuͤmern Koͤnigreiche, und aus Koͤnig - reichen Kaͤyſerthuͤmer machen, einen in Grund verfallenen Staat wieder empor heben und in ſein voriges luſtre ſetzen kan, und durch dieſe ungemeine force, einen Printzen wahrhafftiggroß37groß zu machen, erweiſet, daß ſie eben die wah - re Staats-Kunſt ſey. Es wird auch keine Kunſt iemahls ſo weit reichen koͤnnen, als die Regier-Kunſt. Und dieſes bloß vermittelſt ihrer guten diſpoſition.
§. 5. Es iſt die Gottſeeligkeit, wie zu an - dern Dingen, alſo auch zum Regiment ſelbſten einem Regenten und Landes-Herrn nothwen - dig und nuͤtzlich, und muß dahero ſolche ſo wohl in allen ſeinen Regierungs-Wercken, als auch in ſeinen uͤbrigen Leben und Wandel rechtſchaf - fen von ſich ſpuͤren und mercken laſſen. Denn wenn GOttes Gnade und Seegen von einem Herrn weichen, ſo iſt auch alle deßen Macht, Anſehen und Hoheit dahin und vergeblich. Daß diejenigen Regenten, die GOtt gefuͤrch - tet, auch vor andern mit zeitlichen Seegen be - gnadiget worden, bezeugen viel Exempel der al - ten und neuen geiſtlichen und weltlichen Hi - ſtorien. Es kan vornemlich als ein Exempel und Beyſpiel der Gottesfurcht vielen Potenta - ten dargeſtellet werden der weyland Durch - lauchtigſte Hertzog zu Sachſen-Gotha, Erneſtus Pius, hoͤchſt-ruͤhmlichſten Anden - ckens, deſſen Gottſeeligkeit auch in dieſem Le - ben von dem groſſen GOTT belohnet wor - den. Jſt ein Regente gottsfuͤrchtig, ſo werdenC 3vie -38viele von ſeinen Unterthanen ſich auch der Gottesfurcht befleißigen, und hierdurch GOt - tes Seegen uͤber das gantze Land zuwege brin - gen. Und wie ſich nun ein Chriſtlicher Re - gente der Gottesfurcht ſelbſt mit gantzem Ernſt befleißiget; Alſo verſtattet er auch nicht, daß ſeine Bedienten von GOtt und ſeinem Wort ſpoͤttiſch reden, oder daſſelbige zum Schertz miß - brauchen, noch weniger leidet er, daß ſie athei - ſtiſche, naturaliſtiſche oder indifferentiſtiſche Reden fuͤhren, wodurch GOtt zum Zorn gerei - tzet wird, andere aber nur ſcandaliſiret wer - den, ſondern wenn er dergleichen merckt, ſo be - ſtrafft er ſolche leichtſinnige Diener, damit an - dere an ihnen ein Beyſpiel nehmen moͤgen, und hierdurch abgeſchreckt werden auf das ſchaͤrff - ſte. Er giebet auch nicht zu, daß an denen or - dentlichen Sonn - und Feſt-Taͤgen weder von ſeiner Gemahlin, noch Printzen und Princeſ - ſinnen, oder Hoff-Bedienten einige weltliche Luſtbarkeiten und divertiſſemens, die zu an - dern Zeiten noch zulaͤßig ſind, vorgenommen, ſondern ſolche Zeiten mit gottſeeligen und ſtillen actionen zugebracht werden, welches aber, lei - der! an ſehr wenig Hoͤfen in Acht genommen wird.
§. 6. Es iſt recht und loͤblich, wenn ein Regente ein guter und rechtmaͤßiger Richterzwi -39zwiſchen ſeinen Unterthanen iſt, die etwa mit einander zu ſtreiten haben, aber noch nothwen - diger und loͤblicher iſt es, wenn er ſeine eigne Handlungen, Vorhaben und Beginnen nach der Richt-Schnur des Rechts und der Billig - keit ſelbſt uͤberleget. Ob er gleich nicht ver - bunden iſt, der Vorſchrifft der von ihm anbe - fohlnen und publicirten Geſetze zu folgen; ſo iſt doch, wenn er ſolchen ſelbſt nachgehet, dieſes viel kraͤfftiger, die Unterthanen zu Beobach - tung und Folge-Leiſtung dieſer Geſetze anzu - treiben, als wenn er unter den ſchaͤrffſten Be - drohungen und haͤrteſten Straff-Præceptis zu deren Beobachtung ſie anhalten wolte. Es pflegen auch wohl gerechte Regenten in gewiſſen Jrrungen, ſo zwiſchen ihnen und ihren Unterthanen ſich entſpinnen, vor ihren eignen Gerichten und Collegiis zu ſtehen, und denſel - bigen die Deciſion dieſes oder jenes ſtreitigen Punctes aufzutragen, auch ſie deßhalben ihrer Pflicht, was denſelbigen Punct anlanget, zu er - laſſen. Es erklaͤren ſich auch bey Erb-Hul - digungen in den meiſten Orten die Landes - Herren, uhralten Herkommen nach, gegen die Unterthanen fuͤrſtlich und kraͤfftiglich, nicht allein, daß ſie ſie bey Gleich und Recht unter - einander ſchuͤtzen, ſondern auch fuͤr ſich ſelbſt den Geſetzen und Rechten gemaͤß handeln undC 4ſich40ſich denſelben unterwerffen wollen. Wie denn abſonderlich in Sachen, da wegen der Fuͤrſtli - chen Cammer-Guͤter Gerechtigkeiten und Aemter etwas in Landen fuͤrgehet und darwi - der von iemand zu klagen und Beſchwerniß anzufuͤhren waͤre, durch mancherley Ord - nungen und Abſchiede der Laͤnder verſehen iſt, wie ſolche Jrrungen erſtlich zwiſchen dem Landes-Herrn und ſeinen Staͤnden zu entſchei - den ſind.
§. 7. Ein Landes-Fuͤrſt muß inſonder heit ſeine Liebe gegen die Unterthanen erweiſen, und ſolches geſchicht (1.) dadurch, daß er die Unter - thanen gerne hoͤret, und ihre Suppliquen nicht allein willig annimmt, ſondern auch ihre grava - mina unterſuchen, und darauf prompte Juſtiz adminiſtriren laͤſt, nicht aber die Sache ſeinen Raͤthen bloß hin uͤbergiebt, ohne einmahl wei - ter davon zu gedencken, und ſich wieder daran erinnern zu laſſen. Dahero iſt noͤthig, daß er alle Suppliquen in ein diarium notiren laſſe, ſelbiges oͤffters durchleſe, und auf die Ausma - chung ſolcher Sachen dringe. (2.) Nie - mand Unrecht thue, noch, daß es durch ſeine Bedienten geſchehe, zulaſſe, abſonderlich den Unterthanen ihre Privilegia nicht kraͤncke, ſon - dern ſie dabey ſchuͤtze, ja vielmehr von ſeinem Recht nachlaſſe, als zu ſtrenge darauf beſtehe. (3.) Die41(3.) Die Strenge der Juſtiz mit der Clemenz und Gnade temperire. Nicht, daß er die La - ſter nicht ſtraffen ſolte, ſondern darbey allemahl den Zweck der Straffen, abſonderlich die Beſ - ſerung des delinquenten vor Augen habe, und bey Leibe keinen Schein geben, daß er gerne ſtraffe, und es ihm ums Geld zu thun ſey, ſo denn, daß er bißweilen mit der Reue und Ver - ſprechung der Beſſerung des delinquenten, wenn Hoffnung da iſt, zufrieden ſey; Vor allen Dingen aber, daß er nicht ſtrenge ſtraffe, ſondern gern vergebe, wenn gegen ihm ſelbſt pecciret wird. Denn wie in ſolchen Faͤllen eine ſcharffe Ahndung die Opinion eines rach - gierigen Gemuͤths des Regenten bey den Un - terthanen erwecket; Alſo werden im Gegen - theil nicht allein andere, ſondern auch der De - linquent ſelbſt zur Liebe bewogen, wenn ſie ſe - hen, daß der Regent, ſo ihn haͤtte ſtraffen koͤn - nen, ihm Gnade wiederfahren laͤſt. Dieſes hat Philippus, Koͤnig in Macedonien, erfah - ren, als er einem, ſo von ihm ſehr uͤbel geredet, viel gutes erwieß, welcher dadurch zur Gegen - Liebe angetrieben wurde, und ihn uͤberall ruͤhm - te. Daher Philippus zu ſeinen Bedienten ſagte: Bin ich nicht ein guter Medicus vor die Ver - laͤumdungen, und Kaͤyſer Sigismundus, als ſeine Freunde ihm vorwarffen, er ſtraffte ſeineC 5Feinde42Feinde nicht, ſondern thaͤte ihnen gutes, da man doch dieſelben toͤdten ſolte, antwortete: Jch toͤdte ja auch meine Feinde, indem ich aus Feinden Freunde mache. (4.) Durch Gut - thaͤtigkeit und Liberalitaͤt gegen wohl-meri - tirte Leute, abſonderlich gegen das Armuth; Jedoch muß es cum judicio und mit gutem Bedacht geſchehen, daß der Regent nicht libe - ral ſey gegen ſolche, die es nicht wohl anwen - den, noch auch uͤber ſein Vermoͤgen, damit die Caſſe, wenn ſie auf ſolche Maße erſchoͤpfft wor - den, nicht auf unrechtmaͤßige Art wieder ſup - pliret werde.
§. 8. Damit die Landes-Fuͤrſten die Liebe der Unterthanen deſto beſſer menagiren moͤ - gen, ſo iſt es wohl gethan, wenn ſie dem Rath Ariſtotelis folgen, und bey Ertheilung der Ant - worten die froͤlichen und guten Beſcheide ſelbſt von ſich geben, die ſtraͤflichen und abſchlaͤgigen aber ihre Diener proponiren laſſen. Es gie - bet denen Unterthanen nicht allein eine doppel - te Conſolation, ſondern auch denen Fuͤrſten ei - ne ungemeine Liebe, wenn jene nicht nur eine gnaͤdige Reſolution erhalten, ſondern auch dieſelbe aus ihres Landes-Fuͤrſten hohen Mun - de ſelbſt anzuhoͤren gewuͤrdiget werden. Hin - gegen iſt es beſſer, wenn bey verdrießlichen Sa - chen der Haß auf andere gelegt und dieſe zumOpf -43Opffer des gemeinen Verdruſſes gebrauchet werden.
§. 9. Nechſt der Liebe wird Treu und Glaube an einem Landes-Fuͤrſten erfodert, daß er nichts verſpreche, was er nicht halten kan, was er aber verſprochen, veſt und unver - bruͤchlich leiſte, ſolte er auch groſſen Schaden dadurch leiden. Wer will dem trauen, der nicht haͤlt, was er verſprochen hat. Und ob ſchon einige das principium haben: Ein groſ - ſer Herr muͤſſe kein Sclave ſeiner Worte ſeyn, ſo behaupten hingegen gewiſſenhaffte und weiſe Regenten: Wenn Treu und Glauben aus der Welt gejaget wuͤrden, ſo muͤſten ſie doch in des Fuͤrſten Pallaſt ihre Zuflucht finden. Als die Papiſten Kaͤyſer Carln V. anreitzten, D. Luthern, da er zu Worms ſeine Lehre nicht revociren wolte, nicht zu dimittiren, vorwen - dende: Einem Ketzer waͤre man nicht ſchuldig ſein Verſprechen zu halten, indem es wider der Kirchen Wohlfarth lieffe, ſo war er dennoch hierzu viel zu religieus, daß er ihn angetaſtet haͤtte, weil er ihn einmahl ein ſicher Geleite verſprochen.
§. 10. Es muß auch ein weiſer Regente darauf bedacht ſeyn, daß er ſich bey ſeiner Au - toritaͤt erhaͤlt. Nun ſcheinet zwar, daß die - ſes keiner groſſen Kunſt beduͤrffe. Denn wiewolte44wolte der nicht Autoritaͤt haben, der Gewalt uͤber Leben und Tod hat. Allein dieſes wuͤr - cket wohl eine Furcht, aber nicht den Gehor - ſam, welcher doch eine Frucht der Autoritaͤt ſeyn ſoll. Die Erfahrung lehret, daß manche Herren, ob ſie gleich ſonſt ſtrenge ſind, dennoch viel Befehle in den Wind geben, und zumahl in Sachen, ſo die gemeine Wohlfarth angehen, nicht reuſſiren koͤnnen, bevorab wenn die Be - dienten keine rechtſchaffene intention habẽ, auf die guten Ordnungen recht ſteiff zu halten, ſon - dern denen Verbrechern durchzuhelffen ſuchen, deren einige auch wohl ſich einbilden, ſie uͤbten hierinnen Barmhertzigkeit, und muͤſſe man ſo ſtrenge nicht verfahren. Wenn denn der Herr entweder nicht Verſtand gnug hat, die Ausfluͤchte und Bemaͤntelungen zu ponderi - ren, oder aber ſich die Zeit und Muͤhe nicht nimmt, es mit rechtſchaffenen Bedienten zu uͤberlegen, ſo wird nichts aus ſeinen auch aller - beſten Verordnungen, und geraͤth damit in Spott und Geringachtung bey den Untertha - nen.
§. 11. Dieſem Unheil nun vorzukommen und die gehoͤrige Autoritaͤt zu mainteniren, iſt noͤthig (1.) daß dem Herrn entweder ſelbſt ſo viel Verſtand beywohne, daß er den Schein von der Wahrheit unterſcheide und dasjenige,was45was recht iſt, erkennen moͤge, oder aber einige redlich geſinnte und verſtaͤndige Bediente ha - be, auff deren Dexteritaͤt er ſich verlaſſen, da - bey doch ſo viel Begriff haben muͤſſe, daß er gu - ten Rath folgen koͤnne. Es iſt aber dieſes nicht gnug, ſondern er muß (2.) die Zeit und Muͤhe daran wenden, die Sache mit ſolchen rechtſchaffenen Bedienten zu uͤberlegen und auf die Execution zu dringen. Denn wer ſeinen Plaiſir nicht ſo viel abbrechen will, ein ſolches zu thun, ſo werden boßhaffte Bediente (deren ge - meiniglich viel ſind) denen rechtſchaffenen ſo viel Hinderniße machen, daß ſie nicht zu Stan - de damit kommen koͤnnen. (3.) Muß er kei - nen Ungehorſam gegen ſeine Befehle, ſie ſeyn von ihm ſelbſt oder in ſeinem Nahmen gegeben, (wenn ſonſt der Befehl recht und wohl uͤberle - get iſt,) ungeahndet, noch durch vermeinte Guͤ - tigkeit ſich davon abwendig machen laſſen. Es iſt beſſer eine heilſame Strenge, als eine einge - bildete Clemenz und Guͤtigkeit. (4.) Ge - hoͤret auch hieher, daß er beſtaͤndig ſey in dem, was einmahl mit guten Bedacht und GOttes Wort gemaͤß verordnet oder befohlen iſt, und daſſelbige nicht leichtlich wieder auffhebe, noch dargegen ohne hohe Noth und dringende Urſa - chen diſpenſire. Denn wenn er bald verbie - thet, was er befohlen, bald befiehlet, was erver -46verbothen, ſo wird deſſen Autoritaͤt hierdurch verringert. Siehe den andern Diſcours der Unzulaͤnglichkeit der Welt Klugheit.
§. 12. Es iſt eine ſehr loͤbliche Methode, die einige Regenten gehabt, daß ſie entweder alle Tage zu einer gewiſſen Stunde, oder doch an gewiſſen Tagen allen Leuten ohne Unter - ſcheid Audienz ertheilet und ihnen erlaubet, entweder ſchrifftlich oder muͤndlich ihr Anbrin - gen vorzutragen. Es machen ſich ſolche Re - genten, die ſolche Gewohnheit haben, nicht nur bey denen Unterthanen und dem gantzen Lande ſehr beliebt, ſondern thun auch dasjenige, was ihrer Pflicht zukommt. Sie haben aber auch hierbey unterſchiedene Cautelen in Acht zuneh - men. Zum erſten, daß ſie zwar einem jeden alleine Audienz geben, ohne daß andere Ca - valliers oder Bedienten daruͤm ſtehen und an - hoͤren, was ein iedweder vorbringet, oder der Fuͤrſt vor Reſolution ertheilet, jedoch daß es nicht an ſolchen Orten waͤre, da der Fuͤrſt gar niemanden von ſeiner Guarde oder Bedienten bey ſich haͤtte, ſondern entweder in den Zim - mern, wo Trabanten vor dem Gemach ſtehen oder doch an dem Ort, da einige Bedienten in der Naͤhe ſeyn, denn ſich ſonſt boͤſe Leute finden koͤnten, die eine ſolche Gelegenheit mißbrauch - ten uñ dem Landes-Fuͤrſten eines verſetzten, wieder -47dergleichen Exempel in den Hiſtorien nicht rar ſind. Zum andern, daß eine gebuͤhrliche Ordnung gehalten werde, damit keine Confu - ſion entſtehe und zwar ein iedweder Gelegen - heit habe, ſeine Noth dem Landes-Fuͤrſten zu - entdecken und nicht nur etwan die Vornehmen denen andern vorgezogen werden, iedoch daß auch der Landes-Fuͤrſt durch allzuvieles ſollici - tiren nicht incommodiret werde. Zum dritten, daß man diejenigen, die bey dem Re - genten um ein Allmoſen anhalten, gantz und gar abweiſe. Denn dieſe muͤſſen ſich bey dem Allmoſen-Amte oder andern Orten, die darzu deſtiniret ſind, anmelden, denn ſonſt des Uber - lauffens gar zu viel ſeyn wuͤrde. Jedoch ſind hierunter nicht diejenigen zuverſtehen, die bey dem Landes-Fuͤrſten um unterſchiedener triffti - ger Urſachen willen vor ſich oder die Jhrigen um eine jaͤhrliche Penſion Anſuchung thaͤten. Zum vierdten, daß diejenigen die ſich nicht ent - bloͤden wuͤrden einem andern bey dem Regen - ten faͤlſchlich anzugeben, und ihm etwas zu im - putiren, deſſen ſie ihn nicht uͤberfuͤhren koͤnten, oder ſonſt ihm eine ungegruͤndete Vorſtellung thaͤten, ſcharff beſtraffet wuͤrden. Zum fuͤnff - ten muͤſte ein gewiß Diarium gehalten werden, darein die Nahmen und Sachen, warum ein jedes Anſuchung thaͤte, auch die Reſolutioneseinge -48eingezeichnet wuͤrden, wann dieſes geſchaͤhe, ſo wuͤrden manche Beamten und Officianten in ihren Bedienungen ihrer Pflicht beſſer nach - kommen und unpartheyiſcher Juſtiz admini - ſtriren, denn ſo von ihrer vielen nicht zu geſche - hen pflegt, weil ſie beſorgen muͤſſen, daß der Lan - des-Fuͤrſt alles was ſie vornaͤhmen, wieder er - fahren und ſie ſich alſo in Miß-Credit bey ihme ſetzen moͤchten.
§. 13. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß die regie - renden Landes Fuͤrſten ihre Zeit ſo zubraͤchten, als wie vom Kaͤyſer Marco Aurelio erzehlet wird, der in ſeinem Leben nichts als was ruͤhm - lich gethan oder geſagt. Sieben Stunden hat dieſer loͤbliche Kaͤyſer des Nachts geſchlaf - fen, eine Stunde Mittags-Ruhe, zwey Stun - den aber Mittags und Abends Tafel gehalten, zwey Stunden des Tages ſich mit ſeiner Ge - mahlin, jungen Herrſchafft und ſeinen Favori - ten divertiret, eine Stunde zu Anbringung der bedraͤngten armen Wittwen und Waͤyſen Klagen oͤffentlich Audienz gegeben; die andere Zeit aber denen publiqven Affairen und was davon uͤbrig geblieben, den Studiis gewidmet, auch ſelbſt unter waͤhrenden Ankleiden allezeit erzehlet, was ihm die Nacht getraͤumet, was er geleſen und meditiret haͤtte.
§. 14.49§. 14. Es erweiſet ſich die perſoͤnliche Be - muͤhung oder eigentliche Amts-Verrichtung eines Landes-Herrn darinnen, daß er einmahl insgemein zufoͤrderſt dahin trachte, die eigent - liche Beſchaffenheit ſeines Landes umſtaͤndlich zu wiſſen, und ſich bekannt zu machen, es ge - ſchehe nun durch eine ausfuͤhrliche Beſchrei - bung alles deßen, was im Lande an Grund und Boden, Staͤdten und Doͤrffern, Leuten, Un - terthanen, Dienern, Gerichten und Gerech - tigkeiten ihm oder ſeinen Landes-Staͤnden zu - ſtehet, oder daß er durch lange Erfahrung und Augenſchein dieſer Dinge kundig ſey, und alſo wiſſe, wie weit und woruͤber ſich ſeine Macht und Regierung erſtrecke, und wie er darinnen gegen die andern Potentaten und die Untertha - nen ſelbſt wegen gemeiner Satzungen, Ver - traͤge und anderer Befugniſſe Maaße halten muͤſſe.
§. 15. Zur Klugheit eines Regenten gehoͤ - ret auch mit die Annehmung guter Rathſchlaͤ - ge, denn darum hat ein Herr und Regente Raͤ - the und Diener, daß er ſich durch dieſelben in wichtigen Dingen, die ihm ſchwer und bedenck - lich fallen, berichten und ſeinen Verſtand da - durch gleichſam erwecken und erleuchten laſſe. Denn es iſt die Regiments-Arbeit ſo groß und wichtig, daß von allen vernuͤnfftigen Leuten ie -Dderzeit50derzeit davor gehalten worden, es ſey kein Re - gent und Fuͤrſt ſo hoch begabet, weiſe und ver - ſtaͤndig, daß er anderer Leute Rath entbehren koͤnne. Und gleichwie es ſchaͤndlich ſtehet, wenn ein Herr ohne Verſtand und Klugheit dahin gehet, alles an ſeine Diener laͤßt, und den bloſſen Nahmen und Titel eines Regenten be - haͤlt; Alſo iſt es auch ſehr ſchaͤdlich und ge - winnet ſchlechten Ausgang, wenn ein Regente ohne Rath verſtaͤndiger Leute nach eignen Kopffe handelt, oder die Rathſchlaͤge zwar hoͤ - ret, aber ſeine Gedancken allezeit fuͤr die beſten haͤlt, und ſich ſchaͤmet, einem andern, ob er gleich beſſere und vernuͤnfftigere Vorſchlaͤge thut, zu folgen.
§. 16. Darum iſt es eine groſſe Tugend an einem Regenten, wenn er in allen wichtigen Sachen, deren er ſich unterfaͤnget, daran ſeine und der Seinigen Ehre, Nutzen und Wohl - ſtand, und dann die Wohlfarth des Landes und deßen Zugehoͤrungen, oder auch eines und an - dern Unterthanen Leib, Ehre und Gut gele - gen, reiflichen vernuͤnfftigen Rath von ſeinen darzu beſtellten vornehmſten Dienern, geiſt - oder weltlichen, oder nach Gelegenheit denen Land-Staͤnden, und nicht etwan von geringen Hoff-Bedienten oder Ohrenblaͤſern, in guter Geheim zu rechter Zeit, wenn der Sache nochzu51zu rathen iſt, mit Gedult und ohne Verdruß, wenns gleich wider ſeine vorgefaßte Meynung waͤre, in guter Aufmerckung und mit Verſtan - de anhoͤret und einnimmt, auch demjenigen fol - get, was er in der Furcht GOttes, Erbarkeit und Gerechtigkeit am beſten gegruͤndet und am bequemlichſten auszurichten zu ſeyn erachtet, auch darbey ſich ſtandhafftig und unveraͤnder - lich bezeiget.
§. 17. Es ſtehet einem Regenten ſehr wohl an, daß er, wo nicht taͤglich, doch zum wenigſten die Woche etliche mahl in die Collegia gehet, bald in das geheime Collegium, bald in die Regierung, Renth-Cammer u. ſ. w. und da - ſelbſt die Relationes mit anhoͤret, auch ſich nach denen Reſolutionen, wie ſie etwan bey dieſer oder jener Sache ausgefallen, erkundi - get. Es macht ſich hiedurch nicht allein ein Regent habiler, daß er von allerhand Sachen, davon er nicht ſo bald und ſo gruͤndliche Con - noiſſance bey ſeiner Regierung uͤberkommen haͤtte, Information erlangt, ſondern es werden auch dadurch die Raͤthe in Collegiis, wenn der Landes-Herr ihren Seſſionen fleißig mit bey - wohnet, und ihr votiren anhoͤret, zu einem mehrern Fleiß und Accurateſſe in ihren Aem - tern angetrieben, daß ſie nicht ſo leichtlich aus - ſetzen, die Partheyen mit denen ReſolutionenD 2nicht52nicht aufhalten, und in allen Stuͤcken ihren In - ſtructionen und Ordnungen ſich gemaͤſſer er - zeigen, als wenn ſie wiſſen, daß der Landes - Fuͤrſt ſich um die Collegia nicht bekuͤmmert, ſie moͤgen machen, was ſie wollen.
§. 18. Es hat ein Monarche, wenn er ſich ſeinen Regierungs-Geſchaͤfften gehoͤriger Maſ - ſen unterziehen will, gewißlich eine ſehr ſchwere Laſt uͤber dem Halſe, und dahero iſt ihm nicht zu verdencken, wenn er ſich bißweilen zugelaßner und anſtaͤndiger Ergoͤtzlichkeiten bedienet, die ein iedweder nach ſeiner Inclination erwehlet, um nach der ſauren Muͤhe der Regiments - Sorge einiger Erquickung zu genieſſen. Je - doch wird ein weiſer Regente in Anſehung un - terſchiedener Umſtaͤnde denſelben gebuͤhrende Ziel und Maaß zu ſetzen wiſſen. Jch werde dieſe Theſin mit folgender Erinnerung des Herrn von Seckendorffs, die er in ſeinem Deut - ſchen Fuͤrſten-Staat p. 156. an die Hand giebt, beſtaͤrcken, weil alles darinnen enthalten, was hiervon geſagt werden kan. Bey welchen Ergoͤtzlichkeiten aber gute Maaße und Vor - ſichtigkeit in acht zu nehmen, daß ein Regente hierdurch ſich nicht gar zu ſehr einnehmen laſſe, denſelben meiſtentheils obliege und ſeine noth - wendige Regierungs-Arbeit damit verſaͤume, alſo auch die Koſten dazu, zumahl bey truͤbſeeli -gen53gen Zeiten und bey uͤberhaͤufften andern noͤthi - gen Aufwendungen, nicht uͤbermaͤßig mache, ſondern bedencke, wie viel er ohne ſonderbaren Abgang der Nothdurfft und zu Ehren und Luſt entrathen koͤnne, auch ſeine Leibes-Geſundheit darbey beobachte, und allzuſtarcke Bewegung und Abbrechung an gebuͤhrlicher Ruhe darin - nen vermeide, niemanden, der zu einem und an - dern nicht Luſt hat, darzu noͤthige, noch ihn dar - um anfeinde oder verachte, oder die Leute, wel - che in ſolchen Stuͤcken etwan eine ſonderbare Hurtigkeit oder Geſchickligkeit haben, uͤber die Gebuͤhr ehre, vorziehe oder begnadige, dadurch andere und nuͤtzliche Diener betruͤbe und ver - droſſen mache, endlich auch ſolche Luſt, welche ſeiner Perſon und Reſpect nicht wohl anſtehet, oder damit er ſich verſuͤndiget, ſich gaͤntzlich ent - halte. Denn es ſtehet, zum Exempel, einem Regenten uͤbel an, wenn er ſelbſt in maſque - raden und Comoͤdien ſich gebrauchen, vor an - dern Leuten muſiciren oder ſolche Leibes - Ubung, die einer gemeinen Handthierung ſich vergleichen, oder laͤppiſch und veraͤchtlich ſeyn, obliegen wolte. Suͤndliche Kurtzweilen aber ſind, einem gewinnſuͤchtigen Karten - oder Wuͤrfel-Spiel nachhaͤngen, an armen naͤrri - ſchen Merſchen Spott und Ergoͤtzung ſuchen, auch wohl ſchwachſinnige Perſonen gar um ih -D 3ren54ren Verſtand bringen, ſchandbare Zoten und Poſſen anhoͤren, ſchaͤdliche, frevelhaffte und ge - faͤhrliche Dinge vornehmen laſſen, dadurch die Diener und Unterthanen in Gefahr Leibes und ihrer Geſundheit kommen, dazu gehoͤret der leider! nicht ungewoͤhnliche Mißbrauch der Jagden, wenn die Herren daraus ein Hand - werck machen, ihre meiſte Zeit damit zubringen und zu dem Ende die Unterthanen mit ſteten Jagd-Frohnen von ihrer Nahrung abhalten, oder auch in gefaͤhrlichen Jagden derſelben Tod oder Verletzung liederlich verurſachen.
§. 19. Es erfodert das Obrigkeitliche Amt und laͤufft in die Verrichtung ſeiner Raͤthe, daß ſie das Recht der Landſchafft auch fuͤr Augen haben, die Sachen, die hohe Landes-Regie - rung betreffen, darinnen die Land-Staͤnde entweder nothwendig, oder um beſſerer Werck - ſtellung zu convociren und zu Rath zu ziehen ſind, nicht fuͤr ſich alleine angreiffen, ſondern auf die Anſtellung eines Land-Tages und ge - buͤhrlichen Propoſition und Handlung mit de - nen Staͤnden gedencken. Und thun hierin - nen die Landes-Herren oͤffters und lieber ein uͤbriges, daß ſie nemlich die Land-Staͤnde zu Rathe ziehen, als vor ſich ſelbſt verfahren, ob ſie gleich deßen befugt und berechtiget ſind, denn durch ſolche Berathſchlagungen und Landtags -Schluͤſ -55Schluͤſſe gewinnen ſie die Gemuͤther der Un - terthanen, geben ihnen ihr gutes Vorhaben und die darzu bewegenden Urſachen deutlicher zu vernehmen, und verbinden dieſelben zu deſto willigern Gehorſam, kan ihnen auch deſto we - niger verarget werden, wenn ſie uͤber ſolchen Schluͤſſen eifrigſt halten, und die Uberfahrer deſto ſchaͤrffer anſehen, iedoch muß dabey auch eine Maaße gehalten, und nicht dasjenige erſt in weitlaͤufftige Uberlegung gebracht und rucht - bar gemacht werden, was einer geſchwinden, heilſamen und unvermerckten Anordnung be - darff, oder eine Kleinmuͤthigkeit und Miß - trauen anzeiget, wenn man erſt in ſolchen Faͤl - len Rath und Einwilligung begehrete, darinnen die Vernunfft und die Rechte des Landes ſchon klare Maaß geben.
§. 20. Es iſt bekandt, wie einige Landes - Fuͤrſten unter einer verdeckten Perſon und in - cognito bißweilen bey ihren Unterthanen ſich aufgehalten, um auf dieſe Art ein-und andere Wahrheit zu erfahren, hinter welche ſie ſonſt, wenn ſie in ihren Fuͤrſtlichen Gemaͤchern und bey ihren Fuͤrſtlichen Habit geblieben, nicht ſo leicht gekommen waͤren. Sie haben aber dergleichen exploration auf unterſchiedene Art bewerckſtelliget. Jn die erſte Claſſe gehoͤren diejenigen, die in einem verdeckten Habit mitD 4Fleiß56Fleiß ſich in die Geſpraͤche ihrer Officianten und Beamten, die ſie von Perſon nicht ſonder - lich kennen, eingelaſſen, damit ſie die intriguen, wie ſie von einem und andern bißher hintergan - gen worden, entdecken moͤchten. Solches hat gethan Henricus III. Koͤnig in Caſtilien, der auf ſolche Art, als er zu Abend bey Toleto einen Koͤniglichen Intendanten geſpeiſet, alle die Betruͤgereyen, auf was vor Art der Koͤni - gliche Zoll-Einnehmer die Zoͤlle betrogen, ent - decket hat. Die andere Claſſe begreifft die - jenigen Regenten, die ſich in den Bier-Schen - cken oder auch in den Haͤuſern der Privat-Per - ſonen mit Bauern, Buͤrgern und gemeinen Leu - ten in einen diſcours eingelaſſen, damit ſie ihre raiſonnemens vernehmen moͤchten, was ſie ſo wohl von denen Unter-als hohen Landes-Obrig - keiten urtheilen, dergleichen nach Anfuͤhrung des Aureliani Marcellini Rer. Geſt. L. XIV. Cod. I. p. 5. Kaͤyſer Gallus ſoll gethan haben.
§. 21. Jn der dritten Claſſe ſtellen ſich, die durch Offerirung einer gewiſſen Summa Gel - des die Treue der Jhrigen probirt haben. Leo V. Conſtantinopolitaniſcher Kaͤyſer, der im neunten Seculo regieret hat, iſt in der Nacht wieder das von ihm gethane Verboth auf den Gaßen herum gegangen. Da er zur erſten Schildwache koͤmmt, ſagte er wieder ſie, erſuch -57ſuchte ein bordell, und daß er von ihnen nicht moͤchte eingeſetzt werden, hat er ihnen 12. Du - caten offeriret; Als ſie ihn nun gehen laſſen, ſo beſticht er auch mit einer gewiſſen Summa Geldes die andere Schildwache. Bey der dritten aber offeriret er das Geld vergebens und wird vielmehr mit Schlaͤgen uͤbel tractirt und den Geſetzen nach ins Gefaͤngniß gefuͤhret, biß er den Kerckermeiſter durch ein gewiſſes Zeichen von ſeiner Perſohn Nachricht ertheilet. Des folgenden Tages aber jagt er alle diejeni - gen Schildwachen, die ſich mit Geld hatten be - ſtechen laſſen, aus der Stadt und laͤßt ſie darzu hart beſtraffen, die er aber beſtaͤndig und getreu befunden hatte, belohnen. S. Luitprand. Ticinenſ. Rer. Geſt. ab Europ. Imp. & Reg. L. I. C. 3.
§. 22. Zur vierdten Claſſe ſind die zu referi - ren, die allerhand unvermuthete Faͤlle und wie - drige Begebenheiten ſich zu dieſer Abſicht zu Nutz gemacht, als wenn ſie z. E. auf der Jagd von ihren Leuten abgekommen, oder ſie die Nacht uͤberfallen, daß ſie genoͤthiget wor - den, bey einem Bauer, Hirten, u. ſ. w. in einem ſchlechten Huͤttgen, ſo in einem Walde etwa gelegen geweſen, einzukehren und daſelbſt eines und das andere, welches ihnen die vornehmſten Leute nicht geſagt haͤtten, erfahren. Alſo hatD 5Antio -58Antiochus, da er die Nacht bey einem Bauer geblieben, um unterſchiedene raiſonnemens zu hoͤren, und von ſeiner eigenen Perſon zu re - den angefangen, vernommen: daß man an ihm ausſetzte, daß er die meiſten Regiments-Sor - gen auff etliche boßhafftige Diener transferirte; hingegen ſich nur meiſtentheils mit der Jagd di - vertirte und ſich im uͤbrigen um die Regierung unbekuͤmmert lieſſe. Durch dieſe Reden iſt er ſo commoviret worden, daß er den folgenden Tag die Reichs-Kleinodien alſo anredete: Jch habe euch nun ſo lange gefuͤhret und dennoch die Wahrheit von meiner Perſon nicht eher ge - hoͤrt denn geſtern.
§. 23. Der fuͤnfften Claſſe ſind diejenigen einzuverleiben, die ſich nicht geſcheuet, Froͤhner und Bauer-Dienſte zu thun, damit ſie die freyen Reden deſto eher anhoͤren moͤchten. Es gedencket Æneas Sylvius in ſeinem Comment. ad Lib. Antonii Panormitæ de dictis & factis Alphonſi Regis memorabilibus L. III. num. 48. von dem aͤltern Friderico, Hertzog zu Oe - ſterreich, daß er oͤffters in einem gantz gemeinen Habit unter den Bauers-Leuten mit gepfluͤget und theils von ſich, theils auch von ſeinen Be - dienten zu reden angefangen. Und als man ihm gefragt, warum er das thaͤte? geantwortet: Er koͤnte ſonſt auf keine andere Art die Wahr -heit59heit erfahren. Zum ſechſten, gehoͤren hieher diejenigen, die Gelegenheit ſuchen, andere Leute, wenn ſie mercken, daß etwan von Regiments - Sachen geredet werden moͤchte, zu behorchen, als Germanicus gethan. v. Tacitus II. An - nal. 13. Es ſind die alten und neuen Hiſto - rien dergleichen Exempel voll, und iſt von eini - gen regierenden hohen Haͤuptern ietziger Zeiten bekannt, daß ſie dergleichen gethan.
§. 24. Der Nutzen, der von dieſer Explora - tion zu erwarten, iſt unterſchiedlich. Zum erſten, kan die Noth und das Anliegen der Un - terthanen, wenn ſie ſich uͤber die Beambten und Magiſtrats-Perſonen mit Recht zu be - ſchweren Urſach haben, dem Regenten eher zu Ohren gebracht werden als auf andere Art und kan er denſelbigen hernach ab helffen. Zum andern lernen ſie ohne Schmeicheley, welche das allgemeine Laſter der Hoͤfe, zu beſorgen, ihre Fehler und Gebrechen, die mit Recht an ihnen ausgeſetzt werden, erkennen und daher Gele - genheit nehmen, dieſelbigen hernach zu corrigi - ren. Jſt dasjenige, was von ihnen geſagt wird, nicht wahr, ſo koͤnnen ſie doch in Zukunfft daſſelbige evitiren, und ihren Unterthanen alle occaſion etwas ungleiches von ihnen zu urthei - len benehmen. Zum dritten koͤnnen ſie hier - durch den Betruͤgereyen und Intriguen dieMasque60Masque abziehen, da ſonſt manche dergleichen Boßheit vor ihnen verborgen geblieben waͤre. Zum vierdten die Treue, Courage, Ehrlichkeit und andere Tugenden ihrer Soldaten und Be - dienten, die ſie alſo auf die Probe ſtellen koͤn - nen, entdecken.
§. 25. Es iſt kein Zweiffel, daß dergleichen Exploration, wie ietzt gemeldet, ſeinen guten Nutzen habe; Jedoch haben auch die Landes - Fuͤrſten gewiſſe Cautelen der Klugheit, damit ſie ſich nicht hierdurch auf eine oder andere Art præjudiciren, in Obacht zu nehmen. Alſo muͤſſen ſie ſich (1.) huͤten, daß ſie ſich nicht ſolchen Umſtaͤnden exponiren, daß ſie etwan Schlaͤge zu erwarten haͤtten. Denn dergleichen Tra - ctament wuͤrde nicht allein denen Regenten gar beſchwerlich fallen, ſondern auch wenn es eclatirte, zu ihreꝛ Disrenommée bey den Unter - thanen und Auswaͤrtigen gereichen. (2.) Sich nicht an ſolche Leute wagen, bey denen ſie et - wan gar in Lebens-Gefahr gerathen koͤnten. (3.) Nicht einen ſolchen Habit erwehlen, der ih - nen ſchimpfflich iſt. (4.) Dergleichen Aus - kundſchaffung nicht oͤffters auf einerley Art bey einerley Leuten wiederhohlen. Und (5.) auch nicht allen den Urtheilen, Klagen und Re - den des gemeinen Volcks, das denn insgemein mit der Regierung der Obrigkeit, ſie mag ſichauf -61auffuͤhren, wie ſie will, und mit den Predigten der Prieſter nicht zufrieden iſt, Glauben zu ſtel - len. Siehe die Diſſertation M. Barths Prin - cipem diſſimulat. Perſon. inter ſuos explo - ratorem.
§. 26. Jndem die Umſtaͤnde nicht allezeit bey allen Regenten dergleichen Explorationen, wie in vorhergehenden angefuͤhret, verſtatten wollen, ſo koͤnten die Fuͤrſten, ohne ſich aller - hand hazarden zu unterwerffen, ſich und dem Lande Nutzen verſchaffen, wenn ſie bißweilen durch ihre Lande und Provincien, iedoch ohne vielen Gefolg und Schaden der Unterthanen herum reiſeten. Die Mißbraͤuche und worin - nen Verbeſſerung noͤthig waͤre, ſelbſt unter - ſuchten und iedermann erlaubten, die Beſchwe - rungen anzubringen. Es ſind hierbey, die Worte Caroli V. die er in ſeiner vaͤterlichen Inſtruction an ſeinem Sohn Philippum den II. vorbringt, merckwuͤrdig, er ſagt: Jch beſuch - te offtermahls meine Koͤnigreiche, Laͤnder und Provincien ſelber und befliſſe mich, daß von ſol - chen meinen Durchreiſen dem gemeinen Vol - cke kein Schaden wiederfuͤhre. An etlichen Orten ließ ich wiederum bauen und anrichten, was in Abgang kommen war, ſonderlich Spit - taͤle, Bruͤcken und dergleichen. Jch benahm und ließ fallen die Steuern und Beſchwerniſſe,wel -62welche mir zu groß und unbillig dauchten, ver - heyrathete Wayſen und arme Jungfrauen, halff denen Wittwen und bedraͤngten Leuten: Jch ließ mir angelegen ſeyn, daß, wo ich mich mit meinem Hoff-Lager auff hielte oder damit durchzoge, durch meine Leute keinem Menſchen einiger Verdruß und Schade wiederfuͤhre. Wenn Fuͤrſten und Herren ſich iezuweilen die Muͤhe geben ſolten, dergleichen nuͤtzliche Reiſen anzuſtellen, uñ auf ſolchen dahin zu trachten, wie ihren ruinirten Staͤdten durch Wiederherſtel - lung der verfallenen Nahrung, und andere gute Veranſtaltungen aufzuhelffen, und das wegen Mangel hinlaͤnglicher Cultivirung oͤffters oͤde liegende und unnutzbare Terrain zu beſſern An - bau zu bringen, ſo wuͤrde ſich mancher da - durch weit maͤchtiger als ſo machen.
§. 27. Nachdem auch manches Land und Fuͤrſtenthum in Teuſchland an etzlichen Orten die Landes-Fuͤrſtl. und Obrigkeitl. Hoheit nicht allein, ſondern mit andern Fuͤrſten und Staͤn - den gemein hat, ſo iſt ſolche auf dieſe Weiſe in Acht zunehmen (1.) daß im Fall gewiſſe Vertraͤge etwa bey denen Erbtheilungen oder ſonſt hieruͤber aufgerichtet ſind, uͤber denſelben fleißiglich gehalten werde, und man zuſehe, daß nach ihrem rechten Verſtande und Jnn - halt von und mit den andern Fuͤrſtl. Theilha -bern63bern gehandelt werde. (2.) Sonſt aber und insgemein dahin bedacht ſey, daß die Lan - des-Fuͤrſtl. Gerechtſamen an ſolchen gemeinen Ort nicht veꝛabſaͤumet, oder in des andern Nah - men allein gefuͤhret, oder (3.) in derſelben et - was ungewoͤhnliches und wiedriges einſeitiges vorgenommen, ſondern (4.) alles mit dem Mit-Landes-Herrn zu vorhero communiciret, deſſen Meynung auch mit angehoͤret, oder durch ihn, wenn das Directorium oder die erſte An - ſtalt und Umfrage von ihm, oder der andere In - tereſſent etwas verzuͤglich iſt, von dem andern begehret und alſo dasjenige, was man ſich ver - gleichet, oder wie es in gewoͤhnlich geſammten Sachen die meiſten gehalten haben wollen, zu Werck geſtellet (5.) auch wo geſamte Diener darzu beſtellet ſeyn, dieſelbe mit ihrer Pflicht und Verantwortung ihrer Amts-Verrichtung an alle Herren gewieſen werden.
§. 28. Jn Anſehung der von ſeinen Vor - fahren geſchehenen Verrichtungen hat ein Lan - des-Fuͤrſt Klugheit und Vorſichtigkeit zu ge - brauchen, daß er nicht ohne Unterſcheid dasje - nige, was von ſeinem Anteceſſore loͤblich und wohl angeordnet geweſen, uͤber den Hauffen werffe, noch auch alles dasjenige in ſtatu quo laſſe, wie er es bey dem Antritt ſeiner Regie - rung angetroffen, ſondern wo er einige Miß -braͤu -64braͤuche findet, iſt er billig befugt und ſchuldig, dieſelbe abzuſtellen. Auch kan er wohl dieje - nigen Cammer-Guͤter und Grund-Stuͤcke, die von ſeinen Vorfahren unbedachtſamer Weiſe weggeſchencket worden, wieder einzie - hen, iedoch auch gewiſſe circumſpection hier - bey gebrauchen, damit er nicht den Haß der Un - terthanen auf ſich lade, denjenigen, die in Anſe - hung ihrer Meriten beſchencket worden, nicht alles entziehe, oder denen, bey welchen titulus oneroſus einiger Maßen mit concurr ret, præjudicire.
§. 29. Jn Anſehung ſeiner Fuͤrſtl. Bluts - Freunde und Verwandten, muß ein Regent diejenigen Vertraͤge, Erb-Pacta und Teſta - menta, daraus die Theilung und Regierung der Laͤnder herkoͤmmt, fuͤr die Richtſchnur und Norm in den Puncten davon ſie melden, ach - ten und nicht leichtſinnig, ſondern daruͤber ſteiff und feſte halten. (2.) Wider den Grund und Haupt-Begriff derſelben keine neuen Vergleiche einfuͤhren. (3.) Bey vorfallen - den Jrrungen uͤber derſelben Verſtand einen guͤtlichen und ſchleunigen Austrag, entweder, wie er ſchon verglichen iſt, vornehmen oder ei - nen neuen bedencken und aufrichten. (4.) Daß alles aufs deutlichſte unumſchraͤnckt und ohne zweifelhafftige Clauſuln abgefaßt, von denenHer -65Herren, die es angehet, ſelbſt wohl vollzogen und verwahret werde. (5) Weil auch aus ſolchen Vortraͤgen und Theilungen die Mitt - Belehnſchafften und Anwartungen eines oder andern Landes oder Herrſchafft dem Landes - Herrn zuzukommen pflegen, oder hinwieder ſei - ne Freunde dergleichen Rechte an ſeinem Lande haben, ſo erfodert die Nothdurfft, daß der Lan - des-Fuͤrſt auf die Faͤlle der andern Fuͤrſtenthuͤ - mer auch fleißige Obſicht habe, und nach deren Begebenheiten ſein Recht vor ſich oder ſeine guten Freunde ſuche und erhalte.
§. 30. Es wird nicht noͤthig ſeyn, daß ich mich bey dieſem Capitel weitlaͤufftiger aufhal - te, maßen die ſpecialen Pflichten, die in Anſe - hung der unterſchiedenen objectorum rei pu - blicæ in Acht zu nehmen, und die beſondern hier - bey vorkommenden Cautelen in eignen Capi - teln im folgenden werden abgehandelt ſeyn. Siehe das III. Capitel des II. Theils Secken - dorffs Fuͤrſten-Staats, und des Herrn Cam - mer-Rath Leibs Anmerckungen zu Caroli V. Regier-Kunſt, und die Unzulaͤnglichkeit der Welt-Klugheit.
§. 1.
GLeichwie die Landes-Fuͤrſten theils als Regenten, theils in manchen Sachen als Privat-Perſonen conſideriret werden; Alſo ſchlieſſen ſie auch ihre Contracte theils in Anſehung gewiſſer Negotien, die die Wohlfarth des gantzen Landes betreffen, theils auch in Anſehung ihrer Privat-affairen.
§. 2. Es iſt eine ſehr beruͤhmte und ſolenne Sorte der Fuͤrſtlichen Contracte, da die Unter - thanen die hoͤchſte Gewalt ihren kuͤnfftigen Regenten antragen, und ihnen wegen der be - vorſtehenden Regierung gewiſſe Fundamen - tal-Geſetze vorſchreiben, zu welchen ſich der Landes-Fuͤrſt durch eine Zuſage verbindlich macht, und welche die Natur eines Contracts an ſich nimmt. Die Wahl-Capitulationes der Roͤmiſchen Koͤnige in Teutſchland haben mit dieſen einige Verwandſchafft. Denn es iſt eine ſolche Capitulation nichts anders, als ein Vergleich, da der durch die einmuͤthigen Stimmen der Churfuͤrſten erwehlte Kaͤyſer vor den Solennien der Croͤnung gewiſſe ihm vorgeſchriebene Conditiones acceptirt undeydlich67eydlich angelobet, demjenigen, was der allge - meinen Reichs-Wohlfarth wegen capituliret worden, getreulichſt nach zu kommen. Die gantze Krafft der Capitulationen beruhet auf der gethanen Zuſage, wie aus folgenden Wor - ten, die den Capitulationen angefuͤgt werden, zu erſehen: Daß wir uns demnach aus freyen und hierzu gegebenen vaͤterlichen auch gnaͤdi - gen Willen mit denſelben unſern reſpective gnaͤdigen Herrn Vettern und lieben Oheimen und Chur-Fuͤrſten vor ſich und ſaͤmmtliche Fuͤrſten und Staͤnde des heiligen Roͤmiſchen Reichs Gedings - und Pacts-weiſe dieſer nach - folgenden Articul vereiniget, verglichen, ange - nommen und zugeſagt haben. v. Capit. Jo - ſeph &c. wohin auch zu referiren die Worte der Reichs-Abſchiede: Wir ſollen und wollen ꝛc. v. Reichs-Abſchied de an. 1545. in §. Daß auch & de anno 1544. in §. Wir und unſer lie - ber Bruder ꝛc. Reichs-Abſchied de an. 1548. §. Doch meynen und wollen wir ꝛc.
§. 3. Diejenigen Capitulationes und Ver - traͤge, durch welche die Befugniſſe und Rechte der Landes-Fuͤrſten einiger Maßen eingeſchren - cket werden, verringern die Landesherrliche Hoheit oder Majeſtaͤt eines Landes-Herrn im geringſten nicht, wie einige etwan in den Ge - dancken ſtehen. Denn es concerniren der -E 2glei -68gleichen Vertraͤge insgemein die Wohlfarth des Landes, mit welcher die Gluͤckſeeligkeit des Regenten auch verknuͤpfft iſt. Wenn ſich demnach ein Regente durch einen Contract verpflichtet, daß er die wichtigſten Geſchaͤffte des Reichs mit ſeinen Unterthanen communi - cire, ſie uͤber die gewoͤhnlichen Anlagen und Onera nicht beſchweren, noch ohne der vor - nehmſten Land-Staͤnde Conſens Krieg anfa - hen wolle, ſo gehet ihm hierdurch an ſeiner hoͤchſten Gewalt nichts ab, ſondern es wird nur durch ſein eignes Gefallen die allzufreye Ausuͤbung gewiſſer Rechte einiger Maßen ver - hindert. Es entſtehen auch hierdurch in einer ſolchen Republic eben nicht zwey voluntates, denn alles, was die Republic will, will ſie durch den Willen ihres Souverains. Ob es gleich durch dieſe Einſchraͤnckung einiger Maßen ge - ſchicht, daß, wenn eine gewiſſe Condition nicht erfuͤllet wird, der Souverain etwas nicht wollen oder vergebens wollen muß. Jnzwiſchen hat ein Landes-Herr in einem ſolchen Reiche eben ſowohl die Landesherrliche Macht, oder das Parlament, das Concilium der Reichs-und Land-Staͤnde, oder wie es nach dem Unterſchied der Laͤnder etwan genennet wird, iſt deswegen nicht hoͤher und anſehnlicher, als der Koͤnig ſelbſt. Denn es folget nicht: Jch bin nichtſchul -69ſchuldig, dieſem in allen Stuͤcken Parition zu lei - ſten, ergò bin ich hoͤher als er, oder ihm gleich, oder dieſer kan nicht alles nach eignen Gefallen thun; Alſo ſtehet ihm keine Landesherrliche Macht zu. v. Pufend. Lib. 7.
§. 4. Es ruͤhret auch die Beſchaffenheit der Lehn aus einem Contracte her, die aber die Landesherrliche Hoheit eines Vaſallen im geringſten nicht verringert. Denn obſchon der Lehns-Herr in manchen Stuͤcken einigen Vorzug und Jurisdiction uͤber den Lehns-Va - ſallen erhaͤlt, ſo erſtreckt ſie ſich doch im ge - ringſten nicht uͤber die Lehns-Sachen. Ein ſolcher Fuͤrſt erkennt zwar in manchen Sachen einen Lehns-Herrn uͤber ſich, iedoch beſitzt er, in Anſehung derjenigen Rechte, die ſeine Laͤn - der concerniren, eine vollkommene Macht und Gewalt, und uͤbet die Jurisdiction directe vor ſich gegen alle und iede aus. Der gegen ſeine Unterthanen eine independente Gewalt exer - ciret, iſt allerdings vor einen wahren Souve - rain zu halten. Denn die Lehns-Pflicht und Dienſt-Leiſtung nebſt der Lehns-Jurisdiction fließt nicht aus einem gewiſſen Zwang-Impe - rio her, ſo dem andern uͤber dergleichen Vaſallen zuſtuͤnde, ſondern aus denen unter den Par - theyen dießfalls aufgerichteten Vertraͤgen.
§. 5. Es haben mit den Lehnen auch eineE 3groſſe70groſſe Verwandſchafft die ungleichen Buͤnd - niſſe, die unter den Fuͤrſten geſchloſſen werden, deren Krafft aus dem Pacto herflieſſet, da einer dem andern gewiſſe Dienſte, der andere aber Schutz verſpricht. Deren Formen ſind unter - ſchiedlich, die aber die hoͤchſte Gewalt im ge - ringſten nicht ſchwaͤchen noch verhindern, ſon - dern nur dem andern aus dem Buͤndniſſe eine gewiſſe præeminenz zuwege bringen. Die - ſer Contract, der bey einen inegalen Buͤndniſ - ſe geſchloſſen wird, wenn er des andern Ehre und Wuͤrde concerniret, vermindert die Lan - desherrliche Hoheit nicht, wenn aber dieſe Al - lianz des andern Poteſtaͤt afficirt, ſo iſt er, in ſo weit ihn der andere in Macht und Gewalt uͤber - legen, auch geringer als jener. Die erſtern Pacta begreiffen in ſich eine Verbindlichkeit, dem andern Ehre zu erweiſen, nicht aber Pari - tion zu leiſten, und dieſe Veneration ruͤhret nicht her aus dem Geſetz eines hoͤhern, ſondern aus dem gemeinen Pacto, eben als wie Privat - Perſonen ihre Freyheit, ohnbeſchadet ihrer Dienſte, andern vermiethen und lociren koͤn - nen. Daher, wenn auch gleich die Eydes - Pflicht mit dieſem Pacto verknuͤpfft wird, ſo ſchließt doch auch dieſes keine Unterthaͤnigkeit in ſich, denn ein anders iſt das Schutz-Recht, ein anders das Unterthanen-Recht.
§. 6.71§. 6. Hierbey fragt ſichs, ob man wohl befugt ſey, einem Landes-Fuͤrſten, wenn er die - jenigen Fundamental-Geſetze, die er mit den Unterthanen Contracts-Weiſe aufgerichtet, violiret, zu widerſtehen. Es iſt bekannt, daß derjenige, ſo der von GOtt eingeſetzten Obrig - keit widerſtrebet, widerſtrebe GOttes Ord - nung. Und alſo iſt ein Regent, der dem de - nen Unterthanen gethanen Angeloͤbniß zuwider handelt, mehr GOttes Gerechtigkeit zu uͤber - laſſen, als daß den Unterthanen frey ſtehen ſol - te, ſich an ihm zu vergreiffen; Es waͤre denn, daß ein Regente von den Reichs - und Land - Staͤnden unter der ausdruͤcklichen Bedingung zum Fuͤrſten geſetzt worden, daß er den Pactis nicht zuwider lebte, und, wenn er ſie violirte, alsdenn nicht mehr regierender Herr ſeyn ſol - te, und auf dieſen Eventum auf ein gewiß Ge - richte eingewilliget. Oder wenn der Landes - Fuͤrſt ſolche Exceſſe vornimmt, daß er alle gute Ordnung, alle goͤttliche und weltliche Geſe - tze uͤbern Hauffen ſchmeiſſen, die Unterthanen zu Laſtern verleiten und nichts als Confuſion in die Republic einfuͤhren will. Denn als - denn, wenn eines tugendhafften Unterthanen Le - ben nicht mehꝛ vor einem ſolchen Landes-Fuͤꝛſten ſicher iſt, halt ich davor, daß man mit rechtmaͤſ - ſiger Befugniß einen dergleichen Landes-Fuͤr -E 4ſten72ſten reſiſtiren koͤnne. Dafern aber ein Lan - des-Fuͤrſt einem und andern Privato etwas wi - der GOtt und die natuͤrliche Erbarkeit anſin - net, ſo muͤſſen dieſe lieber aus dem Lande gehen, oder das Unrecht mit Gedult ertragen, denn der Majeſtaͤt ihres regierenden Herrn mit Ge - walt widerſtehen.
§. 7. Daß ein Monarch ausſehr wichti - gen und erheblichen Urſachen abgeſetzt werden koͤnne, hat die vorhergehende Frage gelehret, und bezeugen auch ſolches die Exempel einiger rechtmaͤßiger Weiſe abgeſetzter Koͤnige. Nun fragt ſichs, in wie weit die mit einem ſolchen ab - geſetzten Koͤnige vorhergeſchloſſenen Contracte ein Volck verbinden. Dafern ein Contract vor der Dethroniſirung des Landes-Fuͤrſten zum Nutzen und zur Gluͤckſeeligkeit der Unter - thanen celebriret worden, ſo beruhet der - ſelbe allerdings in ſeiner veſten Verbindlichkeit. Denn da der Landes-Fuͤrſt die rechtmaͤßigen Graͤntzen ſeines Regiments nicht uͤberſchritten, ſo obligiret er hierdurch einen jeden Reichs - Folger auf das buͤndigſte. Hat aber ein de - throniſirter Koͤnig vor ſich ſelbſt aus eigner Gewalt und nicht zur Befoͤrderung der Wohl - farth des Landes etwas paciſciret, ſo muß man einen Unterſcheid machen, ob er rechtmaͤſ - ſiger oder unrechtmaͤßiger Weiſe von dem Koͤ -nigl.73nigl. Thron geſtoſſen iſt. Zu jenem Fall haben ſeine getroffenen Handlungen freylich keine Krafft, weil ein ſolcher Koͤnig nicht vor einen Landes Herrn, ſondern vor eine privat-Perſon gehalten wird, und das Band, durch welches die Unterthanen zu Leiſtung des Gehorſams ſchuldig waren, hinweg iſt, aber bey dieſem Falle verbleibt er Koͤnig und urgiret ſein ihm zuſtehendes Recht wider die Republic. Daher iſt auch aus den Geſchichten zu erſehen, daß an - dere Souverains einen ſolchen unrechtmaͤßiger Weiſe dethroniſirten Herrn vor einen recht - maͤßigen Landes-Fuͤrſten erkandt.
§. 8. Der Contract ſo von einem auswaͤr - tigen Fuͤrſten mit einem Tyrannen geſchloſſen, iſt allerdings guͤltig. Denn da jedermann Treu und Glauben zu halten, ſo iſt auch ſol - che einem Fuͤrſten, der ein Tyrann iſt, nicht zu - verſagen. Jn wie weit aber das Volck durch einen mit einem Tyrannen celebrirten Con - tract vinculiret werde, iſt eine andere Frage. Es iſt ein Unterſcheid zu machen unter einem Tyrannen, der eines Reichs ſich unrechtmaͤſ - ſiger Weiſe anmaßet, und den, der es uͤbel ver - waltet. Was jener ſchließt, iſt vergeblich und unguͤltig, denn er iſt als eine bloſſe privat Per - ſon zu conſideriren, der kein Befugniß zu con - trahiren gehabt, es muͤſte denn das Volck ſeineE 5Hand -74Handlungen entweder ausdruͤckl. oder heimli - cher Weiſe vor genehm halten. Alsdenn uͤber - kommen ſie durch die von dem Volck darzukom - mende approbation ihre Guͤltigkeit. Wenn aber dieſer Contracts-Weiſe etwas verſpricht, ehe ihm der Seepter entwendet wird, ſo be - haͤlt daſſelbige wenn der Contract nicht der Re - public hoͤchſt-præjudicirlich iſt, billig ſeine fir - mité, indem der Souverain durch ſein eignes ihm zuſtehendes Recht contrahiret hat.
§. 9. Da bißweilen von einigen Fuͤrſten opponirt wird, daß einige allgemeine und oͤf - fentliche Contracte und Vergleiche aus Zwan - ge geſchloſſen, und ſie mit Gewalt darzu ge - zwungen worden, ſo fragt ſichs, ob eine ſolche aus Furcht und gezwungener Weiſe geſchloſſe - ne convention guͤltig ſey? Jch halte davor, daß die Furcht und des andern Gewalt nicht ſchlechterdinges eben die Einwilligung auffhe - be, ſondern den Conſens noch vielmehr beveſti - ge. Je mehr der Feind einen verfolget, deſto mehr waͤchſt die Begierde, eine ſolche conven - tion aufzurichten. Es iſt ja bey einem ſolchen Vergleich eine vollkommene Uberlegung, in - dem der andere lieber mit dem Feind paciſci - ren oder Friede machen, denn ein groͤſſer Ubel ausſtehen will. Wenn dieſes principium ad - mittiret werden ſolte, ſo wuͤrden viel Frie -dens -75dens-Schluͤße und conventiones uͤber den Hauffen fallen, denn es ſchluͤßt keiner gerne Friede, ſo lange ihn das Gluͤck im Kriege guͤn - ſtig iſt, ſondern wenn er anfaͤngt ungluͤcklich zu werden. Es wuͤrde ein jedweder ſagen, es waͤre die convention aus Furcht vor der benachbar - ten Macht geſchloſſen worden. Was wuͤrde a - ber dieſes wohl vor confuſion erwecken? Al - ſo haͤtten auch die Inquiſiten, die in dem Ge - faͤngniß zu Ablegung eines Uhrphedens ange - halten werden, prætext zu ſagen, ſie waͤren nicht ſchuldig, den Urpheden zu halten, indem ſie mit Furcht zu deſſen Ablegung waͤren ge - zwungen worden, weil man ſie nicht eher des Gefaͤngniſſes haͤtte erlaſſen wollen.
§. 10. Da nach den Roͤmiſchen Rechten bekannt, daß die Minderjaͤhrigen ſich nicht an - dern Leuten buͤndiger Weiſeobligiren koͤnnen, oder doch zum wenigſten in den vorigen Stand wieder zu ſetzen, ſo wollen wir doch ſehen, ob auch dieſes bey Fuͤrſtl. Perſonen wohl Statt habe? Weil nun die in gewiſſe Graͤntzen einge - ſchloßne Zeit der Minderjaͤhrigkeit bloß dem Buͤrgerlichen von den Lands-Herrn verordne - ten Recht ihren Urſprung ſchuldig, und alſo bey unterſchiedenen Voͤlckern auf unterſchiedene Art determiniret iſt, ſo erhellet gar leichte, daß weder die Verordnungen und Gewohnhei -ten76ten der andern Voͤlcker, noch die den Untertha - nen vorgeſchriebenen Geſetze den Landes-Fuͤr - ſten concerniren. Denn dieſer iſt durch die oͤffentliche Autoritaͤt von den menſchlichen Ge - ſetzen exemt. Nach dem Recht der Natur iſt die pubertaͤt aus der Faͤhigkeit Kinder zu zeugen, und der Geſchicklichkeit, ſeine Sachen mit Vernunfft anzuſtellen, zu beurtheilen. Da nun dieſe capacitaͤt ſich bey dem einen zeitlicher, bey dem andern aber ſpaͤter einfindet, ſo ſind den natuͤrlichen Rechte nach keine gewiſſe Grentzen hierinnen zu ſetzen, inzwiſchen iſt es doch in der Republic gar noͤthig geweſen, daß eine ſolche Zeit in Anſehung der von den Unter - thanen geſchloßnen Handlungen determiniret wuͤrde. Dieſemnach bin der Meynung, daß ein Fuͤrſt, dem die Regierung anvertrauet, ob er gleich die in Anſehung der Unterthanen ex - primirten Jahre noch nicht zuruͤck gelegt, den - noch durch einen Contract, den er in ſolchen Jahren geſchloſſen, buͤndiger Weiſe obligiret werde, da zudem die Vormundſchafft bloß aus den Buͤrgerlichen Rechten herkoͤmmt, und eben kein Geboth verhanden, daß ein Fuͤrſt noth - wendiger Weiſe unter der Vormundſchafft ſte - hen muͤſſe. Da aber denen Fuͤrſten Vormuͤn - der, wie in einigen Reichen braͤuchlich, durch ein gewiß Fundamental Geſetz die Veꝛwaltungdes77des Reichs biß der Printz zu ſeinen vogtbahren Jahren gelanget, inzwiſchen aufgetragen wird, ſo kan der Printz ohne das Vollwort und Ein - willigung ſeiner Vormuͤnder kein guͤltiges ne - gotium ſchlieſſen, dadurch ihm præjudiciret werden koͤnte.
§. 11. Ob aber ein Printz in Anſehung ei - nes in ſeinem minderjaͤhrigen Alter geſchloßenen Contracts, wenn er eine ziemliche læſion vor - ſchuͤtzet, wieder in den vorigen Stand geſetzet werden koͤnne? iſt zweiffelhafft. Jch glaube, daß zu diſtinguiren ſey, ob der Printz Vormuͤn - der, oder Curatores gehabt, die eines ſolchen Contracts Urheber geweſen, oder ob ihm das Regiment allein concediret worden. Jn dem erſtern Falle wird die Wiedereinſetzung in den vorigen Stand ſchwerlich Statt finden, indem ſonſt niemand mit denen inzwiſchen conſtituir - ten Regenten des dem Printzen zuſtaͤndigen Reichs contrahiren wuͤrde, und dieſe Regen - ten auch vollkommener Weiſe den Koͤnig vor - ſtellen, ſie muͤſten denn die Grentzen ihrer Pflicht recht augenſcheinlich uͤberſchritten und dem Reiche ſehr præjudiciret haben. Jedoch iſt dem Printzen unbenommen, die Adminiſtra - tores des Reichs zur Rechnung anzuhalten. Jn dem letztern Falle, da der Printz in ſeinen zarten Jahren die Regierung ſelbſt gehabt, muß manwie -78wieder einen Unterſcheid machen, ob er mit ei - nem andern Fuͤrſten oder mit einer privat-Per - ſon contrahiret habe. Jn jenem Fall, wenn er auff die reſtitution dringt, der andere aber bey dem Contract verbleiben will, wird der Rich - ter ermangeln, und es ſcheinet nicht, daß man demjenigen die reſtitution zu geſtehen ſolle, der ein lebendiges Geſetze ſelbſt geweſen, aber in dieſem Fall moͤchte es eher angehen, denn es waͤre doch unbillig, wenn man einem Fuͤrſten dasjenige verſagen wolte, was den privat-Leu - ten in Anſehung ihres zarten Alters, wenn ſie lædiret worden, concediret wird.
§. 12. Ferner fragt ſichs: Ob bey denen Printzen das Senatus conſultum Macedonia - num Statt habe? Nun ſcheinets zwar, daß man ſolches verneinen ſolte, indem die Geſetze die Fuͤrſtl. Perſonen nichts angehen, und dieſes eine Wohlthat iſt, die vor die privat-Perſo - nen eingefuͤhret iſt, und die privat Rechte auff die Fuͤrſtl. Negotien ſich nicht appliciren laſſen. Jedennoch iſt es ſicherer, daß man dieſes bene - ficium auch bey denen Printzen zulaͤſt, indem nirgends verbothen, daß die Printzen hiervon ausgeſchloſſen ſeyn ſollen. Und ob ſchon die Fuͤrſten von den Geſetzen exemt, ſo ſind ſie doch derer denen Unterthanen concedirten Privilegien nicht zu berauben, und iſt vielmehrzu79zu vermuthen, daß dasjenige, was ein Fuͤrſt einem Unterthanen concedirt, auch ihm ſelbſt, wenn er es beliebt, frey ſtehe. Zudem ſo ſind der Fuͤrſten Soͤhne, als welchen keine wuͤrckli - che Landesherrliche Macht zuſtehet, vor Unter - thanen einiger Maßen mit zu ſchaͤtzen.
§. 13. Ein Contract eines Fuͤrſten, der mit einem andern, es ſey ein Fuͤrſt oder Unterthan, geſchloſſen worden, zu welchen der Betrug Anlaß und Gelegenheit gegeben, leidet eben diejenigen Jura, als wenn er unter Privat - Perſonen waͤre celebriret worden. Denn es muß niemand ſeine Boßheit zu Statten kom - men, da zumahl ein ſolcher Contract nicht aus freyen Willen und mit Uberlegung der Con - trahenten geſchloſſen. Hat aber der dritte Mann einen Fuͤrſten zu dergleichen Contract betruͤgeriſcher Weiſe uͤberredet, ſo iſt zwar der Contract unter den Contrahenten guͤltig, al - lein dem Fuͤrſten iſt unbenommen, wider der - gleichen Betruͤger Klage zu erheben.
§. 14. Eine gleiche Bewandniß hat es mit dem Jrrthum, welcher zuwege bringt, daß der Verſtand von dem wahren Objecto des Ver - gleichs oder der Zuſage abweichet, und der Wille darein nicht conſentiret, daß alſo der Jrrthum die Einwilligung des Contrahenten in der Sache, darinnen geirret wird, aufhebet. Wenn80Wenn nun der Fuͤrſt bey der Zuſage ein gewiß Factum, oder eine gewiſſe Eigenſchafft einer Sache voraus ſetzt, und außer derſelben nicht wuͤrde promitt ret haben, ſo hat natuͤrlicher Weiſe eine ſolche Zuſage keine Krafft. Da - fern nun die Umſtaͤnde der Sache deutlich er - weiſen, daß die Zuſage, die in Anſehung derſel - ben Qualitaͤt als eine Bedingung, ſeine Ein - willigung ſuſpendiret habe.
§. 15. Es fragt ſich, ob ein Fuͤrſt das Recht des Monopolii einem Buͤrger und Un - terthanen, der eine gewiſſe Quantitaͤt Waaren alleine verkauffen ſolte, durch einen Contract concediren koͤnne? Ob nun zwar der Nahme des Monopolii denen meiſten Rechts-Lehrern ziemlicher Maßen verhaßt iſt, ſo kan man doch unter den Voͤlckern das Negotium nicht vor ungerecht halten, wenn eine gewiſſe Na - tion einige Sorten Waaren einkaufft und pa - rat iſt, ſolche um einen billigen Preiß andern wiederum zu laſſen. Da zumahl andern Voͤlckern wenig oder nichts verſchlagen kan, ſie moͤgen ſolche kauffen, von wem ſie wollen. Ein Vergleich, daß ihrer etlichen frey ſtehen moͤge, eine Sache um einen gewiſſen Preiß zu verkauffen, iſt an und vor ſich ſelbſt nicht unzu - laͤßig, außer wenn ſolcher um des allgemeinen Intereſſe willen, oder der gemeinen Beduͤrff -niß81niß der Sachen, die verkaufft werden, verbo - ten wird, oder das verglichene Pretium gantz und gar unbillig. Wenn abeꝛ einen oder etlichen erlaubet iſt, gewiſſe Sachen allein zu verkauf - fen, ſo daß die uͤbrigen von dem freyen Com - mercio gantz und gar ausgeſchloſſen werden, ſo iſt ſolches dem natuͤrlichen Recht nach un - zulaͤßig, dem gemeinen Weſen hoͤchſt-præjudi - cirlich, und dahero auch in den Landes-Geſe - tzen mit allem Recht verboten.
§. 16. Jſt aber ein Fuͤrſt wohl befugt, ſei - ne Unterthanen zu Verkauffung ihrer Sachen zu zwingen? Nun iſt zwar wahr, daß ein ied - weder mit dem Seinigen ſchalten kan, wie er will, und dem Landes Fuͤrſten uͤber das Ver - moͤgen ſeiner Unterthanen kein privat-Eigen - thum zuſtehe. Deñ er wuͤꝛde aus ſeinen Schꝛan - cken treten, wenn er ſich dasjenige, was einem andern zuſtuͤnde, allein zueignen wolte. Al - lein es iſt doch hiervon der Fall der hoͤchſtdrin - genden Noth und des allgemeinen Nutzens auszunehmen, als da er das Recht des Ober - landesherrlichen Eigenthums erweiſen kan.
§. 17. Damit die Vergleiche und Zuſa - gen der Fuͤrſtlichen Perſonen ein groͤſſer Ge - wichte uͤberkommen, ſo pflegen dieſelben oͤffters mit einem Jurament beſtaͤrcket zu wer - den. Denn weil ſie keiner menſchlichen Ge -Fwalt82walt unterthan ſind, und man niemanden, wenn ſie die Contracte violiren, deßwegen zum Richter imploriren kan, ſo ſoll der groſſe GOtt ſelber, dafern ſie bundbruͤchig er - funden werden ſolten, einen Raͤcher abgeben. Ob nun zwar nicht zu laͤugnen, daß bey unſerm HErr GOtt in Anſehung der Obligation und den Menſchen verſprochener Treue und Ehrlichkeit ein geringer Unterſcheid iſt unter ei - ner eidlichen Verbindung und ſchlechten getha - nen Verſprechen, ſintemahl man in beyden Faͤllen ein Verbrechen begehet, ſo iſt doch gewiß, daß ein Fuͤrſt eine groͤſſere Suͤnde thut, der eine mit einem Jurament beveſtigte Con - vention uͤbertritt, als der ein ſchlecht pactum violirt. Es fragen einige, wenn ein pactum auf folgende Art verclauſulirt wuͤrde: Alles bey unſern Ehren, Wuͤrden, Treuen, Glau - ben und wahren Worten, ſo wahr mir GOtt helffe! ob dieſes wohl ein wahres Jurament anzeige? Jch halte, daß dieſes gar kein Zwei - ſel ſey. Denn wo unter Anruffung goͤttli - chen Nahmens etwas verſprochen wird, da iſt auch ein wahres Jurament.
§. 18. Es iſt nicht nur in dem natuͤrlichen Recht gegruͤndet, ſondern auch den deutſchen Gewohnheiten nach gebraͤuchlich, daß die Be - theurungen wegen Haltung der Zuſagen durcheine83eine iedwede Sache, die uns lieb und angenehm iſt, und wir in Ehren halten, expediret werden. Wenn daher einer bey Fuͤrſtl. Graͤfl. Adel. oder Ehelichen Wuͤrden, Ehren, Treuen und Glauben etwas verſichert, ſo fragt ſichs: Ob ſolches wohl in dem foro externo vor eine aͤu - ſerliche Wuͤrckung des Juraments zu halten ſey? z. E. Wenn eine Princeßin nach geſche - hener Ausſtattung unter dieſer Formul der vaͤ - terlichen Erbſchafft renunciret haͤtte, ob ſolche bey ereignenden Fall nach dem Abſterben ihres Herrn Vaters nichts deſtoweniger in den vaͤ - terlichen Guͤtern ſuccediren koͤnne. Es ſte - hen zwar einige in den Gedancken, daß ſolches angehe, und dieſe Worte vor ein wahres Jura - ment zu halten waͤren, allein die contraire Meynung ſcheinet mit der Wahrheit mehr uͤberein zu kommen, und auch in Praxi mehr re - cipirt zu ſeyn.
§. 19. Ferner fragt ſichs, wenn ein Reichs - Fuͤrſt bey Graͤflichen Worten, Treu und Glauben ſich in einem Contract oder Obliga - tion verbindlich macht, ob wider denſelben Mandata ſine clauſula in dem Cammer-Ge - richt ausgebracht werden, oder ſie eine paratam executionem zuwege bringen koͤnnen? Min - danus erzehlet, daß dieſe Frage in dem Cam - mer-Gerichte lange Zeit ventiliret worden. F 2Ob84Ob nun ſchon dieſer ſolche bejahen will, ſo ſchei - net doch die verneinende Meynung der Wahr - heit gemaͤſſer. Dieſer Controvers hat der Deputations-Abſchied zu Speyer de an. 1600. §. Wie in einer Verſchreibung ꝛc. ein Ende ge - macht, in den Worten: Daß ſolch der Ver - ſchreibung einverleibtes Jurament, welcherley Geſtalt daſſelbe vorgegangen, viam executi - vam nicht verurſachen, noch deßwegen Manda - ta ſine clauſula zuerkennen, ſondern als eine Beſtaͤrckung und Bekraͤfftigung derſelben zu halten ſeyn ſolle.
§. 20. Wenn ein Fuͤrſt etwas muͤndlich oder ſchrifftlich atteſtiret, bringt denn wohl ſol - ches, wenn es von einem andern produciret wird, einen plenam fidem zuwege? Dafern ein Fuͤrſt in Anſehung ſeines eignen facti in ſol - chen Sachen, die ſeine Regierung und Regen - ten-Pflicht anbetreffen, etwas bezeuget, ſo iſt ihm wohl allerdings vollkommen Glauben zuzuſtellen. Da man einem ieden in Anſe - hung ſeines Officii glaubet, warum nicht viel - mehr einem Fuͤrſten, als dem man einige Be - truͤgerey nicht zumuthen kan. Jn den Hand - lungen aber, die einem andern zum Præjudiz gereichen, und ſie die Regierung des Fuͤrſten eigentlich nicht concerniren, ſondern in einem Proceſſ wider eine Privat-Perſon zum Beweißdienen85dienen ſollen, wird einem Fuͤrſten nicht mehr, denn einem Privato oder einem Zeugen, wider den nichts zu excipiren iſt, geglaubet. Denn in ſolchen gemeinen Negotiis wird ein Fuͤrſt nur bloß als ein Menſch conſideriret. Will aber ein Fuͤrſt von ſeinem eignen Contract ein Zeugniß ablegen, ſo iſt ſein Teſtimonium, das er in ſeiner eignen Sache ausſtellt, gantz und gar unguͤltig.
§. 21. Es ſind unterſchiedene, die behaup - ten, daß ein Fuͤrſt diejenigen Zuſagen und Con - tracte, die er in Anſehung ſeiner und ſeines Landes Noth geſchloſſen, bey ceſſirender Noth wiederum caſſiren koͤnne, welches mit Machia - velli Principio uͤberein koͤmmt, der davor haͤlt, daß nicht die Schrifft oder die Obligation ei - nen Fuͤrſten vinculirte, ſondern das Intereſſe, nachdem daſſelbe beſchaffen waͤre, nachdem koͤnte ein Fuͤrſt Contracte ſchlieſſen und wieder aufheben. Da aber hierdurch alle Treu und Glauben aufgehoben, die Socialitaͤt turbiret und dem Fuͤrſten ſelbſt an ſeiner Reputation præjudiciret wird, weil hernach kein Menſch mehr gerne mit einem ſolchen Regenten, der al - les nur nach ſeinem Intereſſe einrichtete, wuͤr - de zu thun haben, ſo iſt dieſe Meynung, als unrechtmaͤßig, billig zu verwerffen, und auch von den Fuͤrſtlichen Contracten das IntereſſeF 3von86von der Gerechtigkeit und Erbarkeit nicht ab - zuſondern.
§. 22. Nun wollen wir doch ſehen, wie weit ein Nachfolger ſchuldig ſey, den Contract ſeines Anteceſſoris zu halten? Wenn der An - teceſſor in ſeinen Schrancken blieben und ſei - ner Regierung gemaͤß mit einem andern con - trahiret hat, ſo iſt der Nachfolger im Reich, er mag ihm nun als Erbe ſuccediren, oder durch vorhergegangene Wahl darzu kommen, nichts deſto weniger ſchuldig, die von dem verſtorbe - nen Regenten durch den Contract auf ihn transferirten Rechte zu beobachten, auch ſo gar, wenn gleich der Anteceſſor in einer zwei - felhafften und ungewiſſen Sache contrahiret, dafern es nur nicht aus Jrrthum und unuͤ - berlegter Weiſe geſchehen. Denn eine ſolche Macht zu contraluren iſt unter der Regierung mit begriffen. Jn Anſehung ſolcher Hand - lungen ſind die Koͤnige unſterblich, und ihre Negotia immerwaͤhrend und ſtets geltend. Die Contracte, die zum Anſehen des Reichs und zur Befoͤrderung der Gluͤckſeligkeit der Un - terthanen celebriret werden, ſind allerdings auf die ſpaͤre Nach kommenſchafft mit zu trans - feriren. v. Reichs-Abſchied de an. 1555. §. Solches und iedes, wie oben geſchrieben, ꝛc. it. 87it. Fuͤr uns und unſere Nachkommen ſtets veſt und unverbruͤchlich ꝛc.
§. 23. Es machen zwar einige Lehrer des natuͤrlichen Rechts einen Unterſchied unter ei - nem Succeſſor, der zugleich Erbe, und der nicht Erbe mit iſt. Jenen halten ſie ſchlechterdings an zu Beobachtung der mit dem abgelebten Fuͤrſten celebrirten Contracte, indem ein Er - be wider die facta, deßen Erbſchafft er agnoſ - cirte, ſo wenig handeln koͤnte, als wider ſeine eigne. Dieſer aber nicht. Jedoch ich glau - be, daß uͤberhaupt ein iedweder Succeſſor zu demjenigen, was in Anſehung der Regierung oder der Befoͤrderung der gemeinſchafftlichen Wohlfahrt geſchloſſen worden, ſich verſtehen muß. Wenn aber ein Fuͤrſt, in Anſehung ſeiner Privat-Guͤter, einen Contract vollzo - gen oder etwas zugeſagt, ſo werden nur bloß die Erben hierdurch vinculiret. Jſt ein Contract, der wegen eines gewiſſen Reichs - Negotii geſchloſſen, gantz und gar unbillig und unertraͤglich, ſo daß er zum Ruin des Landes gereicht, ſo iſt alsdenn auch nicht einmahl derje - nige, der durch Erbſchafft-Recht zum Reich ge - kommen, zu deßen Obſervanz verbunden.
§. 24. Was muß aber wohl ein Succeſſor thun, wenn zweiffelhafft iſt, ob der Handel zum Intereſſe des Landes und der Unterthanen ge -F 4reiche?88reiche? Bey einem zweiffelhafften Falle iſt al - lezeit zuvermuthen, daß der Contract zum Nu - tzen der Republic celebriret worden, welches Reinking de R. S. l. 1. Claſſ. 3. Cap. 10. n. 33. aus den gerichtlichen Actis die Stadt Braun - ſchweig betreffend, deduciret; da ein Fuͤrſt verlanget, daß ſeine Succeſſores die von ihm celebrirte Handlungen conſerviren moͤchten, ſo iſt auch billig, daß er es ſelbſt mit denen von ſeinen Vorfahren geſchehenen Negotien ſo halte.
§. 25. Es iſt noch uͤbrig die Controvers, in wie weit ein Koͤnig diejenigen Privilegia, ſo oh - ne præjudiz der Republic und Veraͤußeꝛung ge - wiſſer Sachen einigen Leuten oder einer Fami - lie von ſeinen Vorfahren verliehen, wieder zu - ruͤck nehmen koͤnne? Es ſtehen einige in den Gedancken, daß ein Fuͤrſte gantz freye Befugniß habe, ſolche Privilegia zu allen Zeiten, wenn er nur will, wiederum zu revociren. Jedoch ſcheinen diejenigen mehr Recht zu haben, die da - vor halten, daß dergleichen privilegia von den Succeſſoribus, wenn ſie nicht erhebliche rai - ſons darzu antreiben, nicht leichtlich revociret werden ſollen. Es leidet aber auch dieſes ſei - ne exception, wenn der Landes-Herr in einen ſolchen Zuſtand geraͤth, daraus erhellet, daß er ſeine Rechte und Befugniße auf die Art nichttrans -89transferiren wollen und koͤnnen, als wenn ſie, zum Exempel, ſeiner Regierung zum groſſen præjudiz gereichten. Denn es iſt dieſe Clau - ſul allezeit heimlicher Weiſe mit darunter be - griffen, wenn die Sache in dem ſtatu verblei - ben ſolte.
§. 26. Dafern zwiſchen Landes-Herrn und ihren Staͤnden und Unterthanen ſonder - bare Vertraͤge und Abſchiede aufgerichtet, und darinnen diß und jenes denſelben zugeſagt wird, wie denn hin und wieder dergleichen Exempel zu finden und gemeiniglich bey der Erb-Huldi - gung der Unterthanen ſolche Verſprechungen wiederhohlet und bekraͤfftiget werden, ſo hat es darbey auch dergeſtalt ſein Bewenden, daß ohne Einwilligung und ohne Nachlaß der Land - Staͤnde wieder und uͤber ſolche Vertraͤge der Landes-Herr ſeine Macht nicht gebrauchen kan. Fielen auch bey ſolchen Befugniſſen und Vorbehaͤltniſſen der Unterthanen ſolche Umſtaͤnde vor, daß nach Gelegenheit der Zeiten und Laͤuffte ein anders als von Alters her kom - men, zu ergreiffen ſeyn wolte, als wie oͤffters mit Steuern und Anlagen zu geſchehn pflegt, da gebuͤhret ſich, daß der Landes-Herr ſeine Land-Staͤnde daruͤber vernehme, und mit ihrer Einwilligung handele, damit ſie wiedrigenfalls ſeinem Vornehmen nicht wiederſprechen undF 5etwan90etwan in ſchwere Mißhelligkeiten und Recht - fertigungen mit ihnen gerathen.
§. 27. Hierbey fragt ſichs, ob ein Landes - Fuͤrſt wohl befugt ſey, das Reich oder einen Theil des Reichs durch einen Contract auf ei - nen andern Fuͤrſten zu transferiren, oder wel - ches einerley iſt, daſſelbige zu veraͤußern. Ei - nige negiren ſolches Recht ſchlechterdings und ſagen, es ſtuͤnde nicht in ſeiner Gewalt noch Gefallen mit den Rechten des Reichs zu ſchalten, und dieſelben wie das Geld zum Fenſter hinaus zu werffen. Andere ma - chen einen Unterſcheid unter den patrimonial - Reichen, und unter denen, ſo nicht patrimonial ſind, und erlauben die Veraͤußerung bey jenen, aber nicht bey dieſen.
§. 28. Es iſt allerdings die Regul vor be - kandt anzunehmen, daß ein Koͤnig nicht befugt ſey, ordentlicher Weiſe das Reich oder einen Theil deſſelben durch einen Contract auf einen andern zu bringen. Denn die Koͤnige ſind als Vormuͤnder zu Beſchuͤtzung des Volcks verord - net, wer aber etwas veraͤußert, der adminiſtri - ret dieſelbe Sache nicht. Jedoch ſind zwey Faͤlle zu excipiren, in welchen die alienation ei - nem Landes-Fuͤrſten Contracts-Weiſe zu ver - ſtatten. Wenn er nehmlich den Contract (1.) aus Noth, und (2.) in Anſehung der allge -mei -91meinen Wohlfarth des Landes celebriret. Denn es iſt die Regul, daß einem Regenten dem natuͤrlichen Rechte nach alles dasjenige, ohne welches der allgemeine Friede und Ruhe - ſtand des Landes nicht befoͤrdert werden kan, zu verſtatten. Alsdenn iſt die Veraͤußerung un - ter der Adminiſtration mit begriffen.
§. 29. Aus dieſem Fundament iſt nun leicht zu decidiren, ob die Unterthanen desjeni - gen Theiles Landes, ſo alieniret werden ſoll, in die Veraͤußerung conſentiren ſollen oder nicht? Jch halte nicht, denn das gantze Land iſt mehr in conſideration zu ziehen, denn ein Stuͤck deſ - ſelbigen. Es iſt beſſer, daß ein Theil davon abgeriſſen und das uͤbrige erhalten werde, denn daſſelbige zugleich nebſt dem gantzen mit ver - derbe.
§. 30. Die Rechts-Lehrer zu kampeln ſich, wie die Vergleiche und geſchriebenen Handlun - gen der groſſen Herren ſollen ausgeleget wer - den. Einige wollen gar hieher die ohnedem in der Vernunfft nicht gar wohl gegruͤndete Re - gel des Buͤrgerlichen Rechts appliciren, daß vortheilhaffte Sachen zu extendiren, verhaßte Dinge aber zu reſtringiren waͤren. Allein es ſchickt ſich dieſe Regel hieher gar nicht; denn allezeit, was vor den einen favorabel, iſt vor den andern odieus. Es werden die Fuͤrſt -lichen92lichen Contracte wie die uͤbrigen ausgelegt. Man muß auff die Intention der Contrahen - ten ſehen, was ſie vermuthlich intendiren, und wenn dieſelbige entweder dunckel iſt, daß ſie nicht wohl errathen werden kan, oder aber un - billig ſcheinet, ſo iſt ein Contract nach der Gluͤckſeeligkeit des Landes zu erklaͤren.
§. 31. Jn wie weit den Staͤnden des heil. Roͤm. Reichs vergoͤnnt ſey ihre Laͤnder zu ver - pfaͤnden, ſcheinet eben nicht ſo genau ausge - macht zu ſeyn. Jn Anſehung der Allodialen zweifelt niemand. Was aber bey dem Lehn - Guͤtern Statt habe, iſt am meiſten ſtreitig. Der Antor des deutſchen Reichs-Staats mey - net zwar P.I. pag. 343. daß die ohne Einwilli - gung des Kaͤyſers an einem Reichs-Stand ge - ſchehene Verpfaͤndung des Lehns nur ihn und ſeine deſcendenten, keinesweges aber ſeine Agnaten verbinde. Es iſt aber dieſe aus dem Longobardiſchen Rechte hergehohlte Meynung zu temperiren, und vielmehr zu behaupten, daß, wenn es mit der Verpfaͤndung ſonſt ihre Rich - tigkeit, und ſie die gehoͤrigen Requiſita haͤtte, man nicht ſowohl auf die Lehns-vaſalliſche Be - ſchaffenheit und die præſumirte Anwendung zum Nutzen des Territorii als vielmehr auf die Landesherrliche Hoheit zu ſehen habe. Sintemahl alle, die in einer Provintz inDeutſch -93Deutſchland ſuccediren, die Handlungen ih - rer Anteceſſoren, die nicht wider die Funda - mental-Geſetze des Reichs lauffen, beobachten muͤſſen.
§. 32. Wenn die Landes-Herren in Deutſchland gewiſſe Conventiones, die von einiger Wichtigkeit ſind, in Anſehung ihrer Regierung etwan treffen wollen, ſo pflegen ſie, wo nicht aus Schuldigkeit, doch aus loͤblicher und guter Gewohnheit ihre Land-Staͤnde um Rath zu fragen, und ihre unterthaͤnige und treue Meynung daruͤber anzuhoͤren, auch, wenn ſie gleich eben daran nicht gebunden, doch von denſelbigen nicht leichtlich abzuweichen, ſondern da ſie zumahl auf gute und vernuͤnffti - ge Urſachen gegruͤndet, ſolchen gar gerne zu fol - gen. Wie denn ſolche Exempel der Berath - ſchlagungen, welche die Landes-Herren mit ih - ren Staͤnden und Unterthanen dißfalls gehal - ten, in Fuͤrſtlichen und Graͤflichen Archivis und Cantzeleyen und denen Land-Tags-Acten hin und wieder erſcheinen.
§. 33. Jch habe bey dieſem Capitel unter - laſſen, die Regeln der Klugheit, die etwan bey den Contracten, ſo Fuͤrſtliche Perſonen zu ſchlieſſen pflegen, in Acht zu nehmen, beyzufuͤ - gen, indem dieſelben nicht viel anders, als die bey den Conventionen der Privat-Perſonenvor -94vorkommen, wenn ſie mit Privat-Perſonen contrahiren. Errichten ſie Conventiones mit auslaͤndiſchen Fuͤrſten, ſo iſt am beſten, wenn ſie nach den Fundamental Geſetzen des Reichs und ihrer Provincien mit Zuziehung ih - rer Reichs-und Land-Staͤnde ſchlieſſen, und ſo viel als nur immer moͤglich iſt, deutlich und ausfuͤhrlich ausſchreiben laſſen, damit zu kei - nen Diſputen Gelegenheit und Anlaß gegeben werden moͤge. Vornemlich aber muͤſſen ſie, in Anſehung ihrer Regierung, keine andere Conventiones treffen, als durch welche die Gluͤckſeeligkeit ihrer Laͤnder und Unterthanen entweder befoͤrdert und erhalten, oder was derſelben zuwider iſt, aus dem Wege geraͤumet wird. Dann ſo ſind die Succeſſores im Rei - che verbunden, dieſelben, wie wir in dieſem Ca - pitel allbereit gemeldet haben, zu halten. Was vor Contracte zu ſchlieſſen ſind, iſt uͤber - haupt in Theſi nicht zu determiniren, ſondern dieſes dependiret von den Umſtaͤnden, die ſich nach dem Unterſcheid der Zeit an unterſchiede - nen Orten bey unterſchiedenen Objectis der Republic zu ereignen pflegen, und dienet ihnen auch zu einiger Nachricht, wenn ſie die von an - dern Hoͤfen aufgerichteten Conventiones fleißig durchgehen. v. Bodini Diſput. de Contract. ſumm. Poteſt.
§. 1.
GLeichwie bey Privat-Perſonen durch ordentliches und vernuͤnfftiges Hauß - halten die Cammern voll werden, daß ſie einen Vorrath nach dem andern heraus lan - gen koͤnnen; Alſo wird auch bey dem Lan - des-Fuͤrſten, wenn ſie ihre Fuͤrſtlichen Oeco - nomie und Cameral Weſen gehoͤriger Maſ - ſen beſorgen, nicht nur die Gluͤckſeeligkeit ihrer eignen Perſonen und ihrer Familie, ſondern auch ihrer Unterthanen, die allezeit mit ihrer eignen verknuͤpfft ſeyn muß, befoͤrdert und er - halten. Es hat bey Fuͤrſtlichen Perſonen ei - ne doppelte Oeconomica Statt, als die Oeco - nomica der Privat-Perſonen, da ſie ihr Oe - conomie Weſen eben wie Privati in Acht nehmen muͤſſen. Hieher gehoͤret, daß ſie be - ſorget ſind, wie ſie ihre Capitalien, die ſie aus - leihen, ſicher unterbringen und mit Vortheil koͤnnen rouliren laſſen. Jhre Domainen mit guten Nutzen adminiſtriren, die Ausgaben vernuͤnfftig eintheilen und mit den Einnahmen bilanciren, auch dahin ſehen, daß allezeit etwas uͤbrig bleibe. Dasjenige, was ihnen GOttbeſche -96beſcheret, wohl conſerviren, damit es nicht Schaden leide oder von abhanden komme, u. ſ. w. Worbey ſie alle die Regeln und Cautelen, die Privat-Perſonen zu obſerviren haben, in genaue Beobachtung nehmen muͤſ - ſen. Und dann ferner die Fuͤrſtliche Oeco - nomica, da ſie nicht allein bedacht ſeyn muͤſſen, wie ihre eigne Einkuͤnffte vermehret und erhal - ten, ſondern auch ihrer Unterthanen Gluͤckſee - ligkeit und Guͤter vergroͤſſert und conſerviret werden.
§. 2. Die Menage der Lands-Fuͤrſtl. In - traden beſtehet in rechter diſtribution der Aus - gaben und zum andern in Erweiterung und Vermehrung derſelben, das iſt in zwey Worten in diſtribuendo & augendo. Die Ausgabe und diſpoſition, wie die Gelder mit gehoͤriger Sparſamkeit an behoͤrigen Orte angewendet werden moͤgen, ſolches gehoͤret und bleibet bil - lich bey der Cammer und unter derſelben Di - rectorio. Aber die Vermehrung der Lan - des-Fuͤrſtl. Intraden erfordert gantz andere Leute, und gantz andere ingenia, und ſind die, welche Ausgabe haben oder die Cameraliſten wegen ihrer haͤuffigen anderen Verrichtungen nicht ſufficient alles zu unterſuchen, auf was Weiſe am beſten die Einkuͤnffte ihres Fuͤrſtens vermehret werden koͤnnen.
§. 3.97§. 3. Denn vors erſte ſo hat die Cammer Arbeit und Werck genug, wenn ſie nur ihr Amt recht verſehen will, damit ſie die Intraden des Landes-Fuͤrſtens richtig einbringe, und wiederum die Ausgaben dergeſtalt menagire, auf daß nichts unnuͤtze oder vergebens veꝛſchleu - dert, oder wo es noͤthig, und das Intereſſe ei - nes Landes-Fuͤrſtens erfodert, nicht etwan durch unzeitige Kargheit, Sparſamkeit oder Verweilung Mangel gefunden, und dadurch dem Fuͤrſten ſowohl an Reputation, als auch ſonſt Schaden und Verluſt verurſacht werde, daß alſo denen Cam̃eraliſten keine Zeit uͤbrig iſt, alle Sachen ex fundamento zu examiniren, wodurch etwan mit der Zeit oder auch ietzo ein neuer Nutzen zu hoffen oder zu machen. Da - hero geſchiehet es, daß, wenn dergleichen Sa - chen fuͤrgebracht werden, Jahr und Tag hin - laͤufft, ehe es einmahl zu einem Referat gebracht wird, und bleiben auf dieſe Weiſe manche gute Deſſeins ſtecken, aus keiner andern Urſache, als daß man keine Zeit, daruͤber zu tractiren, bey der Cammer nehmen kan. II. So lauf - fen die Materien, wodurch Nutzen zu ſchaffen, und durch welche die Einkuͤnffte eines Fuͤrſten zu verbeſſern, in ſo vielerley Profeſſiones hin - ein, daß diejenigen, welche ſich damit bemuͤhen ſollen, abſonderliche Ingenia, ſo ſich bloß undGallein98allein auf ſolche Dinge appliciren, ſeyn muͤſſen, denn wenn einer, welcher ſonſt zu thun hat, in einer gewiſſen Cameral. Sache ſein Bedencken ſtellen ſoll, die etwan außer ſeiner Sphære iſt, da wird er verdroſſen und der Sachen ſeind. Manchmahl werden auch gewiſſe Dinge als impracticable Sachen verworffen, ſie ſeyn ſonſt ſo gut ſie nur immer wollen, wenn ſich der andere nicht drauf geleget und keine Connoiſ - ſance darvon hat, wie ich denn ſelbſt einmahl von einem gewiſſen Cameraliſten gehoͤret, daß ſein Lebtage an keinen Project-Macher etwas gutes waͤre. Allein ſeine Capacitaͤt war ſo beſchaffen, daß er nicht geſchickt war, anderer Leute Projecta zu unterſuchen, und lieber den alten Schlendrian nachgehen, als ſich den Kopff mit neuen Vorſchlaͤgen ſehr zubrechen wolte. III. So werden zu Einrichtung der - gleichen Vorſchlaͤge allezeit Mittel und Geld erfodert. Wann dann die Cammer ieder - zeit von allen Orten her um Geld pflegt geplagt zu werden, und ſolche Bezahlungen zu thun hoͤchſt nothwendig und nuͤtzlich ſcheinen, ſo kan die Cammer niemahls reſolviren, etwas nuͤtz - liches anzufangen; Dieweil ſie zu neuen Aus - gaben, welche in ihren eignen Willen ſtehen, fuͤr dieſesmahl aus Mangelung uͤbrigen Gel - des nichts reſolviren kan, ſondern muß es ver -ſparet99ſparet ſeyn laſſen, biß auf eine andere Zeit, wo - durch denn niemahls nichts geſchiehet. IV. So haben auch die Cammern keine Jurisdiction, ſondern ſind in ihren Anſchlaͤgen allezeit von an - dern inſtantien dependent, welche den Cam - mern in allen hinderlich zu ſeyn pflegen, wo - durch denn ihnen die Haͤnde gebunden ſeyn, daß ſie nichts thun koͤnnen, wenn ſie gleich ger - ne wolten. Woraus zu ſehen, daß das dire - ctorium der Vermehrung der Landes-Fuͤrſtli - chen Intraden nicht, dann mit groſſen Schaden, bey der Cammer bleibet, und daß bißhero ſol - che gewoͤhnliche Diſpoſition an den Hoͤfen de - nen Fuͤrſten ſchaͤdlich und der Vermehrung der Einkuͤnffte hoͤchſt-abtraͤglich gefallen.
§. 4. Scheinet derowegen hoͤchſt noͤthig zu ſeyn, daß die Cameral-Sachen in zwey un - terſchiedliche Collegia getheilet werden, deren das eine, wie gemeldet, die Einkuͤnffte und Ausgaben haͤtte, und proprie die Cammer ge - nennet wuͤrde, das andere aber wuͤrde ſeyn ein Collegium, welches nichts anders thaͤte, als zu deliberiren, wie die Einkuͤnffte des Landes - Fuͤrſten zu vermehren, wohin alle ſolche Vor - ſchlaͤge und Projecta zu dieſem Zweck zielende gebracht, allda uͤberleget und, wo moͤglich, ins Werck gerichtet wuͤrden. Solch Collegium muͤſte von den allerſubtileſten ingeniis zuſam -G 2men100men geſucht, und aus allen, oder doch den vor - nehmſten Provincien des Landes anſehnliche und erfahrne Perſonen darein genommen werden, welche das Land kennen und deßen Gelegenheit wohl verſtehen.
§. 5. Denen Collegis oder Aſſeſſoribus dieſes Collegii muͤſten groſſe und erkleckliche Beſoldungen gegeben werden, damit ſie nicht aus Noth gezwungen werden, ihr intereſſe mit zu des Fuͤrſten ſeinem zu ſchlagen, und alſo dieſes zu vermindern, ſo waͤre auch nothwen - dig, daß dieſem Collegio ein gewiſſer fundus angewieſen wuͤrde, woher es eins und das an - dere probiren, oder die Proponenten zu remu - neriren, Mittel haben moͤchte. Es iſt aber dieſes nur von groſſen und weitlaͤufftigen Hoͤ - fen, wo die Verrichtungen bey der Fuͤrſtlichen Cammer zu ſehr uͤberhaͤufft ſeyn, zu verſtehen. Bey den kleinen aber und dero Cammern iſt das Werck nach Erheiſchung der Nothwen - digkeit einzurichten. v. das andere Capitel des Freyherrn von Schroͤders Fuͤrſtlichen Schatz-und Renth-Cammer.
§. 6. Das Cammer Weſen wird gehoͤri - ger Maßen eingerichtet, wenn (1.) alle Herr - ſchafftliche Gefaͤlle richtig eingebracht, gelie - fert und bereit gehalten, und (2.) die Ausga - ben reguliret und alles wohl angewendet,nichts101nichts aber unnuͤtzlich verthan wird, und zwar alſo, daß (3.) nicht die Ausgabe die Einnah - me, ſondern dieſe jene uͤberſteige und alle Jahr etwas in Vorrath bleibe. Ob zwar ſolches gleich an vielen Hoͤfen nicht in Acht genommen wird, ſo ſiehet man auch hingegen, wie es zuge - het. Denn ſo bald ein extraordina rer Caſus koͤmmt, werden gleich Schulden gemacht, und dieſes oder jenes Amt und Herrſchafftliche Gefaͤlle verſetzt, dadurch denn die Herrſchafft - lichen Revenüen vermindert werden, und weil die Herrſchafft an ihrem Staat nichts will ab - gehen laſſen, ſo muͤſſen nothwendig mehr Schulden gemacht werden, und die Herrſchafft in Armuth und Mangel gerathen. Drum waͤre es ja beſſer, daß man bey Zeiten alle nicht hoͤchſtnoͤthige Depenſen abſchnitte, und ſich kaͤrglich behuͤlffe, als endlich aus Noth darzu gezwungen werde. Dann jenen Falls, wenn man eine Zeitlang ſich kaͤrglich beholffen, kan man endlich wieder aufkommen und ſeinen Stand ſich gemaͤß halten, dahergegen wenn die Revenüen verſetzt und ein hauffen Schul - den gemacht ſeyn, keine Reſource mehr iſt, ſich aufzuhelffen.
§. 7. Bey der Einnahme iſt zu obſerviren (1.) daß nicht allein der Cammer-Bediente, ſondern auch der Herr ſelbſt eine accurateG 3Wiſ -102Wiſſenſchafft aller Einkuͤnffte habe. Zu dem Ende iſt noͤthig (2.) eine gruͤndliche und um - ſtaͤndliche Beſchreibung aller Einkuͤnffte, und eine kurtze Tabelle druͤber. (3.) Ein Buch, darinnen die Original Uhrkunden und Brief - ſchafften uͤber die Herrſchafftlichen Gefaͤlle, it. Contracte und Vergleiche verwahret und (4.) ein Copial-Buch, darinnen die Copeyen geſchrieben werden.
§. 8. Es iſt auch bey den Einnahmen zu mercken, daß noͤthig ſey eine jaͤhrliche Abhoͤ - rung der Rentherey-Forſt-Fiſch-Wild-Hof - Kuͤchen-Keller-Berg - und zur Cammer gehoͤri - gen Rechnungen, von welchen auch alle Quar - tal, von der Hof-Kuͤchen - und Keller-Rechnung aber alle 8. Tage ein Extract der Herrſchafft præſentiret werden muß. Wenn dieſes nicht alle Jahr geſchicht, ſo haben die Beamten Ge - legenheit, mit dem Vorrath an Gelde oder Getreyde ihren Privat-Nutzen zu ſchaffen, z. E. das Getreyde in theuren Zeiten zu ver - kauffen, und in wohlfeilen wieder zu erſetzen, da doch die Herrſchafft den Vortheil vor ſich haben koͤnte und ſolte. Auch koͤnnen ver - ſchiedene Poſten, z. E. Reiſe - und Ablagers - Rechnungen nicht wohl examiniret werden, wenn es nicht geſchiehet, da es noch im friſchen Gedaͤchtniß iſt.
§. 9.103§. 9. Damit wegen der Gefaͤlle bey den Unterthanen kein Unterſchleiff geſchehe, dieſe auch wiſſen und allenfalls erweiſen, wie auch uͤberfuͤhret werden koͤnnen, was ſie bezahlt ha - ben und noch ſchuldig ſeyn, ſo iſt ſehr dienlich und noͤthig, daß ein ieder Unterthan ein Buͤch - lein halte, darein der Beamte ſchreibet, was bezahlet wird. Bey den Quartal-Extracten und Tabellen muͤſſen Camerales die Summen der Einnahmen eher geringer, darauf ſich zu verlaſſen, denn zu hoch anſetzen, damit die Herrſchafft wiſſen koͤnne, worauf ſie gewiſſen Staat zu haben habe. Denn wo aufs un - gewiſſe gehandelt und auf ungegruͤndete Hoff - nung, daß dieſes und jenes ſich wohl ſchicken werde, in den Tag hinein depenſiret wird, da kan nichts anders als unordentliches Hauß - halten, Confuſiones, Mangel und Schulden erfolgen.
§. 10. Bey der Ausgabe iſt in Acht zu nehmen (1.) Eine Deſignation aller ordinai - ren und extraordinairen Ausgaben bey Hofe. (2.) Daß uͤber ſolchen Ausgaben wenigſtens alle Quartal, und ſo offt es noͤthig, ordentliche Berathſchlagung gepflogen werde, wie, zu wel - cher Zeit, und aus was vor Mitteln die Gelder herzunehmen? Wann dieſes nicht geſchiehet, ſondern man ſo lange wartet, biß die Noth da,G 4und104und die Ausgabe zu thun iſt, ſo nimmt mans alsdenn, wo mans am erſten bekommen kan, welches denn Confuſion nach ſich ziehet. Ab - ſonderlich iſt es eine umgekehrte Haußhaltung, wenn die roͤthigen Victualien, Wein ꝛc. nicht zu der Zeit oder an dem Orte, da mans am wohlfeilſten haben kan, eingekaufft werden. z. E. Wenn man die Gerſte nicht um Michae - lis, da ſie wohlfeil, ſondern um Oſtern kaufft und viel theuerer bezahlen muß, oder, wenn man Wein von den Wein-Schencken und Bier von den Kruͤgern kaufft. Findet ſich denn, daß die Einnahmen die Ausgaben uͤber - treffen wolten, ſo iſt hohe Zeit zu uͤberlegen, ob man nicht dieſe oder jene Ausgabe abſchnei - den oder doch moderiren koͤnne. Jſt aber dieſes vor dasmahl nicht muͤglich, ſondern etwa ein Anlehn geſchehen oder etwas von Herr - ſchafftlichen Guͤtern verſetzt werden muß, ſo iſt doch nach derer〈…〉〈…〉 ameralium ſchuldigen Pflicht darauf zu dencken, daß es bald wieder bezahlet und eingeloͤſet werde.
§. 11. Bey dem Cameral-Weſen iſt noch ferner zu erinnern (1.) daß in der Einnahme keine ungerechte Revenuen ſich finden ſollen, wie wohl bißweilen von Cameral-Perſonen geſchiehet, daß ſie mit Seufftzen der Untertha - nen wider Recht und Billigkeit, it. mit Einzie -hung105hung derer ad pias cauſas gewidmeten Guͤter oder Gelder die Herrſchafftlichen Revenuen zu verbeſſern trachten und doch manches, ſo ſie mit guten Gewiſſen haben koͤnten, negligiren, da - durch denn nothwendig der Fluch in die Einnah - me kommen, und eines mit dem andern (weil kein Seegen da iſt) in Abnahme gerathen muß, wie die Erfahrung bezeugt; (2.) Bey der Abgabe vor allen Dingen beobachtet werde, daß Tag-Loͤhner und Handwercks-Leute ohne Aufſchub bezahlet, und zu milden Sachen auch milde und nicht kaͤrglich gegeben werde. Denn wie beydes von GOtt eꝛnſtlich befohlen, und das letztere groſſe Verheiſſungen hat, ſo wird GOtt, wenn er dieſe Rubric mit reichen Maaß in der Ausgabe ſiehet, gantz gewiß den Seegen drauf erfolgen laſſen. (3.) Alles aber iſt ver - geblich, und kan das Cammer-Weſen nimmer - mehr zu Stande kommen, wenn ein Herr nicht un-intereſſirte, treue uñ fleißige Bedienten hat, die des Landes Gelegenheit wohl wiſſen oder doch ſo viel Geſchicklichkeit haben, daß ſieſich deſſen bald erkundigen koͤnnen. Dieſe Be - dienten nun muͤſſen der Herrſchafft zu gewiſſen Tagen und ſo offt es die Noth erfodert, von dem Zuſtand des Cammer-Weſens und vorfal - lenden Sachen Bericht abſtatten, ihre Aufſaͤ - tze præſentiren und Reſolution auf Suppli -G 5quen106quen in Sachen, ſo das Cammer-Weſen an - gehen, erwarten; Und damit ein jeder wiſſe, was er zu thun habe, auch alles in guter Ord - nung erhalten werde, ſo iſt noͤthig, daß eine Cameral-Ordnung gemacht und darinnen al - ler Cameral - und Rentherey-Bedienten Amt und Pflicht beſchrieben, aber auch daruͤber ge - halten und zu dem Ende oͤffters nach der Ob - ſervanz gefragt, die Verbrecher zur Beſſerung vermahnet, und, wenn die Vermahnung nicht helffen will, geſtrafft werden. Un-intereſſirte, treue und redliche Diener rathen einem Herrn nichts als was mit der Ehre GOttes, und der Wohlfarth und wahren Gluͤckſeeligkeit der Un - terthanen uͤbereinſtimmig iſt. Es wuͤrden ja ſolche auch noch wohl ſo viel Verſtand haben, dieß und jenes zu erfinden, wenn ſie ihr Gewiſſen wolten hindan ſetzen. Allein ſie wiſſen, daß ſolche Griffgen nicht auf die Daure ſind, und das Herrſchafftliche Intereſſe beſſer befoͤrdert werde, wenn man auf dem rechten Wege blei - bet und im uͤbrigen alles zu rechter Zeit ausrich - tet, ſo bedarff man ſolche inventionen nicht, ſondern es werden ſich ſchon rechtmaͤßige Mittel finden. S. den IV. Diſcours des O. H. B. Unzulaͤnglichkeit der Welt-Klugheit nebſt der Anweiſung zur wahren Weißheit.
§. 12. Weil nicht alles auff die geſetzte Zeitein -107einkommt, auch von dem, was zu Amts-Aus - gaben geordnet, noch etwas uͤbrig bleibet, ſo wird in Abhoͤrung der Rechnung, wenn beyde Theile derſelben, nemlich die Einnahme und Ausgabe durchgegangen, der Calculus richtig und genau gezogen, und, ſo ferne die Einnahme groͤſſer als die Ausgabe ſich befindet, iſt der Beamte ſchuldig, den Nachſtand alſobald zu er - ſetzen oder aber mit dem Grunde anzugeben, an welchen Orten etwan ſolcher noch ausſtehe. Jm Fall er nun ohne Urſache ſolchen aufwach - ſen und etwan gar durch ſeine Nachlaͤßigkeit caduc werden laſſen, und ſeinen Fleiß nicht ge - brauchet, ſolches bey Zeiten dem Amtmann oder Schoͤßer eroͤffnet, und um Aſſiſtenz ange - halten, hat er ſich daran ſelbſt zu erhohlen, unter - deſſen aber der Fuͤrſtl. Cammer ſolches gut zu - thun und zu erſtatten. Sind aber die Reſte alſo beſchaffen und in der darzu angeordneten examination durch die andern hoͤhern Beam - ten befunden, daß ſie entweder gar nicht uͤber allen angewandten Fleiß einzutreiben, und gleichwohl in der Einnahme voͤllig mit gefuͤhret oder gar leichtlich in kuͤnfftiger Rechnung zu er - heben, ſo werden ſie bey Fuͤrſtlichen Cammern angenommen, und wird er gleichwohl dahin gehalten, ſolche eigentlich anzuſetzen und bey kuͤnfftiger Rechnung entweder im erſten Fall,ſo108ſo gut als moͤglich, zu treiben, und in Einnah - me zu fuͤhren, oder aber, da ſie gar nicht einzu - bringen, und dafuͤr bey Fuͤrſtlicher Cammer gehalten werden, in der Ausgabe und Abgang jedesmahl mit anzugeben. Fehleten auch demſelben ſonſt etliche Belege und Quittungen, oder es beſtuͤnde eine Poſt auff Berechnung mit einem andern Beamten, alſo daß ſolcher de - fecte halber zu beſchluͤßlicher juſtification der Rechnung nicht zu gelangen, ſo wird ihm zwar, iedoch im erſten Fall und weil ohne Befehl und Quittung nichts auszuzahlen, nicht ſo viel, in an - dern aber etwas mehr Zeit zu Ergaͤntzung ſol - cher Defecten verſtattet, und, wenn ſolches ge - ſchehen, oder da die Rechnung anfangs bald richtig iſt, ihm eine Quittung unter Fuͤrſtl. oder etzlicher Orten der Cammer - und Rentmeiſters Hand und Siegel ausgehaͤndiget, darinnen die Einnahmen, Ausgaben, Uberſchuß und deſſen Gewaͤhrſchafft, ſo wohl auch die Reſte, ſo deren verhanden ſind, und zukuͤnfftiger Einnahme nebſt dem Inventario vorbehalten werden, deut - lich vermeldet: Hingegen ſo er mehr ausgege - ben als eingenommen, hat er Macht, in naͤch - ſter Rechnung den Uberreſt in der Ausgabe zu - foͤrderſt mit zuverſchreiben und ſich alſo zu er - hohlen, die Rechnung aber wird in dem Cam - mer-Archiv beygelegt.
§. 13.109§. 13. Bey der Ausgabe ſind denen Be - amten gewiſſe Summen Geldes, Getreydes, Holtzes, und dergleichen in ihren Beſtallungen anbefohlen, die ſie allezeit und beſtaͤndig, es werde ihnen denn ein anders und abſonderl. befohlen, tuͤchtig und gewoͤhnl. Weiſe entrich - ten muͤſſen, als da ſind, allerley Amts-Diener, it. der Geiſtlichen und Schulen-Diener ins Amt gewidmete Beſoldung, Stifftungen und dergleichen. Dieſe Ausgaben muͤſſen mit Quittungen derjenigen, denen ſie gereichet, be - leget werden und haben alsdenn ihre Richtig - keit. Etzliche ſind durch gewiſſe Herrſchafft - liche Verordnung beſtaͤndig gemacht, als da iſt ein gewiſſer Abgang an Getreyde, ſo auf dem Boden iſt und durch die Eindorrung verurſacht wird; am Wein, der im Vorrath liegt; Ein gewiſſes zum Verlag der Schreiberey, zu Zeh - rung bey Abhoͤrung der Rechnung oder andern Verrichtungen, dadurch die Gefaͤlle einge - bracht werden; die Belohnung gewiſſer Tag - Loͤhner, Arbeiter und Handwercker, die ihnen nach der Beſtallung oder auff ſonderbahren Fuͤrſtl. Befehl oblieget, und, daß ſie wuͤrckl und mit Rath auch nach Proportion der Arbeit ge - ſchehen, erwieſen werden kan.
§. 14. Andere Ausgaben ſind zufaͤllig und muͤſſen mit ſonderbahren Fuͤrſtl. oder Cam̃er -Befeh -110Befehligen und Quittungen derer, denen ſie ge - reicht ſeyn ſollen, belegt werden, als da iſt der Aufgang bey Anweſenheit Fuͤrſtl. Herrſchafft oder Dero Bedienten, daruͤber alſobald Ver - zeichniß gemacht, und von dem Lands-Herrn o - der den Cammer-Verordneten oder denen, auff die es gewendet, unterſchrieben werden muß. Die Bau-Koſten muͤſſen auch vornehmlich mit Fuͤrſtl. Befehlen, ausgenommen gar geringe, welche in einer gewiſſen verordneten Summa auff Gutachten der Beambten gefuͤhret wer - den; Uberdiß noch mit Dinge-Zeddeln und Quittungen der Handwercker, auch wo es noͤ - thig, mit dem Augenſchein ſelbſt erwieſen und belegt werden, auch im Fruͤhling und Herbſt die Berichte, was man vor Holtz oder andere Materialien bedarff und darneben Monatl. Extracte, was an Bau verrichtet worden, er - folgen: Die Bothen-Lohne muͤſſen ohne Noth nicht auffgewendet und wenn ſie auff Anord - nung der Fuͤrſtl. Herrſchafft Cammer oder Re - gierung geſchehen, mit den Befehligen oder zum wenigſten den Zeddeln der Amts-Schoͤſ - ſer, des Bothen-Meiſters und den Receſſen be - ſcheiniget: Der Abgang von Viehe und ſonſt an Inventariis der Mobilien, muß zeitlich und umſtaͤndlich berichtet und, wo moͤglich, mit dem, was von jedweden Stuͤckweiſe uͤberbleibt, be - rechnet werden.
§. 15.111§. 15. Zahlte aber der Rechnungs Beamte auf Fuͤrſtliche Anweiſung etwas aus, welches ſonſt aus der Cammer ſelbſt geſchehen ſolte, oder lieferte etwas ohne Ouittung, in Hoff - nung nechſter Zuſammen-Rechnung, hat er zwar ſolches auf Abſchlag deßen, was er zu lie - fern hat, an - und zuzurechnen, aber er muß ſol - che Poſten nicht allein hiernechſt mit Quittun - gen belegen, ſondern iſt auch ſchuldig, in weni - ger Zeit, darzu etlicher Orten 6. Wochen be - ſtimmt, die gethane Auslage und daher haben - de Zurechnung in die Cammer zu berichten, da - mit ſie hernach, wegen vermutheter Einkunfft aus ſolchen Ort, deſto eigentlicher achten, auch nach Befindung, daß ſolche Beamten, da es ſich verzoͤgere, quittiret werden, anordnen koͤn - ne, widrigenfalls und in Verzoͤgerung ſolchen Berichts, iſt nicht unbillig, daß man ſolche Po - ſten nicht paſſiren laſſe, auch die Zurechnungen, ſo viel moͤglich, entziehe und vermeide.
§. 16. Jn allen Aemtern ſind insgemein noͤthig die Einſchickung der Extracte aller Einkuͤnffte, gangbarer und ungangbarer, wie ſie iedesmahl ſich befinden, und zwar mit dem Unterſcheid, daß uͤber die, welche nur einmahl im Jahre gefallen, auch nur ein jaͤhrlicher Ex - tract etwan 14. Tage vor dem Lieferungs - Termin, uͤber die aber, welche etliche mahl undoͤffters112oͤffters erhoben werden, nach Gelegenheit alle Quartal, oder auch alle Monate, ſolche Ex - tracte eingeſendet werden. Ferner und in - ſonderheit bey Bergwercken dienet zum Be - weiß der Einnahme der Gebrauch der Kerb - Hoͤltzer, der Schicht-Meiſter und die Gegen - Verzeichniſſe der Bey-Schreiber, Huͤtten - Schreiber und Zehendner. Bey den Gelei - ten die Einwerffung in die verſchloſſenen Ka - ſten, oͤfftere Einſchickung der Verzeichniſſe, und die etlicher Orten gebraͤuchliche Auswech - ſelung der Zeichen. Bey der Wald-Nutzung, daß die Schreibe-Regiſter, was iedweder an Holtz-Materialien erlanget, durch zwo Perſo - nen, nemlich durch den Amt-Mann oder der deßen Stelle verwaltet, und denn auch den Forſt-Meiſter gefuͤhret und die darauf folgen - de Rechnung darnach examiniret werde: it. Daß die Abzehlung des Floͤß-Holtzes erſtlich durch die Beamten an die Floß-Meiſter, und denn nach der Lieferung durch eine Perſon aus der Cammer an denjenigen, der es einnehmen und bewahren ſoll, geſchehen: Die Verzeich - niſſe, was monatlich an Holtz geſchlagen oder aus Schneide-Muͤhlen oder Hammer-Wer - cken verfertiget und vertrieben wird.
§. 17. Bey der Wild-Rechnung dienet die Einſchickung der Verzeichniſſe, was auf ie -dem113dem Forſt geſchoſſen oder gefangen, und die Ubertragung des dargegen verordneten Pirſch - oder Fang-Geldes: Bey der Steuer-Rech - nung die Einſchickung richtiger, von der Obrig - keit beſiegelter und von den Unter-Einneh - mern unterſchriebenen, Regiſter des Steuer - Anſchlages an ieden Ort, ſowohl was etwan der Steuer weiter zugewachſen oder abgangen, etwan 14. Tage vor ieden Steuer-Termin, welches alles gegen die Anſchlaͤge zu halten und zu juſtificiren, alſo auch von den Ungelds-oder Tranckſteuer-Terminen die Einſchickung der Extracte, was gebrauet oder verzapffet, oder an Wein erwachſen, eingelegt und verkaufft worden: Bey Frohn-Gelds-Rechnungen die eigentliche Verzeichniſſe der Perſonen und ih - rer frohnbaren Pferde und Zug-Ochſen, 14. Tage vor den Frohn-Gelds-Terminen und die bey der Cammer darauf angeordnete Abzeh - lung und Abrechnung der geſchehenen Froͤhnen bey Hofe und auf dem Lande: Bey den Jahr - wuchs und Acker-Bau, daß mit den Schnittern und Dreſchern richtige Kerb-Hoͤltzer gehalten, von den eingebrachten Fruͤchten eine Probe ge - droſchen, nach der Erndte der gantze Jahr - wuchs ſummariſch beſchrieben, denn uͤber das Aufheben des Getreydes alle 14. Tage und auf Lichtmeſſe, oder wenn folgends gar ausgedro -Hſchen,114ſchen, was die gantze Einnahme, Ausgabe und Uberſchuß des Getreydes geweſen, Verzeich - niß eingeſendet werden ſollen: Bey der Vieh - Zucht und Schaͤfereyen, daß die Zahl des Vie - hes und ſonderlich der Schaafe oͤffters unver - merckt durch iemand aus der Cammer uͤberzeh - let, auch eine gewiſſe Perſon zu der Wollen - Schur und Abzehlung der jaͤhrlichen Mehrung befehlicht, dieſelbe richtig verzeichnet, alle Herbſt und Fruͤhling Regiſter daruͤber einge - ſchicket, der Abgang darauf zu erſetzen ange - ordnet, und allen Rechnungen voͤllige Inventa - ria uͤber allerley Vieh und deßen Mehrung und Abnahme beygelegt werden.
§. 18. Aus dieſen und dergleichen Ver - zeichniſſen, Nachrichten und Aufſichten kan bey Abhoͤrung der Rechnungen die Einnahme betrachtet, ob es zutreffe, dazu verzeichnet, oder da die Summa von deſſelben oder auch des nechſten Jahres Eintrag abweicht, ſteigt oder faͤllet, die Urſache erkundiget und nach gruͤndli - cher Befindung darzu ſchrifftlich angemercket werden. Wie denn insgemein alle neue Ein - nahmen durch Verbeſſerung der Aemter und Cammer-Guͤter erwachſen, oder im Gegen - theil der Abgang und Verminderung in alle Rechnungen umſtaͤndlich zu ſchreiben, und zu - foͤrderſt die vorigen Jahres-Reſte und Vor -rath115rath darzu zu bringen. Da auch einer in ſei - ner Rechnung von einem andern etwas zu ſei - ner Ausgabe und Anwendung empfangen und ſolchen Vorſchuß in Einnahme fuͤhret, ſo wird zufoͤrderſt nach des andern ſeiner Rechnung, wie hoch er ſolches in Ausgabe verſchrieben, und worauf der andere quittiret, mit Fleiß ge - ſehen, und alſo der Grund, daß es nicht mehr oder weniger geweſen, erforſchet. Da auch oͤffentliche Rechnungen in einander lauffen, wird darnach die Summe ſo lange von einem zum andern juſtificiret, biß endlich bey den letz - ten der Vorrath oder Uberſchuß erlanget und mit der vorigen einſtimmig befunden wird. Sind aber etliche Cammer-Guͤter und Gefaͤl - le verpachtet, und um ein gewiſſes ausgelaſſen, muß die Einnahme mit der in Pacht-Briefen und Fuͤrſtlichen Cammer-Befehl gemachten Summen uͤbereinſtimmen.
§. 19. Bey allen Rathſchlaͤgen und Ver - richtungen des Fuͤrſtlichen Oeconomie We - ſens wird auch billig eine richtige Maaß und Norme nach dem Recht und der Billigkeit ge - halten. Denn obſchon die Cammer-Raͤthe darzu beſtellet, daß ſie der Herrſchafft Scha - den und Abgang warnen und verhuͤten, darge - gen dero Nutzen foͤrdern und ſtifften ſollen, ſo iſt doch eines Chriſtlichen Landes-Herrn In -H 2ten -116tention gar nicht, daß ſolches auf allerley Art und Weiſe geſchehen muͤſte, ſondern er weiſet ſeine Cammer-Raͤthe billig dahin, regieret und gewehnet ſich auch ſelbſt in dieſen Stuͤcken, welches ſeinen Nutzen oder Schaden eigentlich betrifft, nach den heilſamen Regeln der Rechte und der Billigkeit, und laͤſſet lieber in ereig - nenden Faͤllen und zumahl auf groſſe Klagen und Lamentationes von der Sachen vernuͤnff - tig und mit Zuziehung anderer Raͤthe reden und handeln, auch bey dem Schluſſe der mei - ſten es bewenden, als daß er durch eigenmaͤchti - ge Anordnung in der Cammer unerkannter Dinge verfaͤhret, und ſein ſelbſt Richter waͤre. Er erinnert ſich auch der Gewohnheit und Sa - tzung des Landes, daß man denen, die ſich uͤber dergleichen Anordnungen beſchweren, das un - partheyiſche Recht bey den Hoff-Gerichten oder Rath-Stuben, oder allenfalls, da der Landes-Herr ſich zu ſehr darbey mit Befehli - chen intereſſirt gemacht, an hoͤhern Orten nicht verwehren koͤnne. Demnach hat man billig in Einbringung der Gefaͤlle, Behaup - tung der Regalien, Erfuͤllung der getroffenen Handlungen, Bezahlung der Schulden und uͤbrigens, zufoͤrderſt die Vortraͤge, Vergleiche, Privilegia und Abſchiede, denn die Erb-Buͤ - cher und dergleichen Uhrkunden, die loͤblichenLan -117Landes-Ordnungen und Gewohnheiten, auch die Landuͤblichen und gemeinen Rechte vor Au - gen. Gebrauchet ſich auch der Communi - cation und Verweiſung der Sache in andere Collegia, und laͤſſet alſo kein neues abſonderli - ches eigennuͤtziges Recht oder vielmehr unglei - ches und geitziges Beginnen einreiſſen, ſondern befleißiget ſich in dieſem allen, was Chriſtlich, billig und Fuͤrſtlich, auch wohl anſtaͤndig iſt.
§. 20. Gleichwie bey Regiments-Sachen ein regierender und anweſender Herr die vor - nehmſten und wichtigſten Sachen ſelbſt hoͤren und ſich darauf reſolviren muß; Alſo iſt auch bey dem Oeconomie-Weſen in den Cammer - Ordnungen mehrentheils klaͤrlich verſehen, daß zwar die Cammer-Raͤthe alle vor ſie gehoͤrige Sachen vornehmen laſſen, berathſchlagen auch wohl Schreiben, Befehl und andere Auf - ſaͤtze daruͤber zu Papier bringen moͤgen, aber in allen wichtigen Dingen dem Landes Fuͤrſten ſelbſt zu gewiſſen Tagen, oder ſo offt es die Nothdurfft erfodert, vor der Anordnung und Ausfertigung Relation und Bericht erſtatten, und deßen Approbation, oder daß er es ferner durch ſie oder in ſeiner Rath-Stube uͤberlegen und ſie mit Beſcheide verſehen laſſe, gewarten ſollen, im̃aſſen er auch in dergleichen Faͤllen die ausgefertigten Sachen zu endlicher oder wich -H 3tiger118tiger Anordnung ſelbſt zu unterſchreiben pflegt: Und ſind wohl in den Cammer-Ordnungen et - liche dergleichen Sachen nahmhafftig gemacht. z. E. Allerhand neue Anordnungen mit Ge - baͤuden und neuen Vorſchlaͤgen, ſonderlich bey Berg - und dergleichen Wercken, Teichen und Floͤſſen: Geſchencke und Erlaſſung, Schuld und Reſten, Verſetzung oder Veraͤußerung der Aemter und Guͤter, Beſtellung und Abdan - ckung der Diener, Verkauf - und Geloͤſung al - lerley Vorraths, Benennung deſſelben Tax, Anordnung der Wein-Leſe, Kriegs-Contribu - tion und Einquartierungs-Sachen: Alle vor - nehme Ausgaben zu Regiments - und Staats - Sachen, darzu ferner noch vielmehr und insge - mein alles zu ziehen, was wegen Verordnung beſtaͤndiger und deputirter gewiſſer Cammer - Anlagen und Proviſionen, und alſo auch Aus - gabe neuer Koſten, welche außerhalb ſolcher Ordonanz und Mittel kommen, vorfaͤllet und dem Landes-Herrn vorzutragen und von ihm zu unterſchreiben und zu bekraͤfftigen iſt.
§. 21. Da ohne eine gruͤndliche und rich - tige Wiſſenſchafft der Dinge kein vernuͤnffti - ger Schluß gefaſſet, noch der Herrſchafftliche Nutzen rechtſchaffen bedacht werden kan, auch aus Mangel rechter Nachricht und der Beam - ten ungleichen Berichten oͤffters den Untertha -nen119nen oder Dienern oder Nachbarn des Landes, an einer und andern ihrer Befugniß zu viel, oder hingegen an des Landes-Fuͤrſtens Gerech - tigkeiten und Regalien zu wenig zu geſchehen pflegt; Als iſt wohl gethan, wenn in den Amts-Beſchreibungen die Beſchaffenheit der Herrſchafftlichen eigenen Guͤter und Intraden nebſt denen darzu gehoͤrigen Uhrkunden fleißig eingenommen werden. Was aber bey Fuͤrſtl. Cammer von einem und andern Stuͤck aufge - ſetzt, verglichen und angeordnet wird, muͤſſen die Camerales in ſeinem Original und gebuͤhr - lichen Forme nebſt dem Particular-Abriſſen und General-Tafeln aller Cammer-Guͤter des gantzen Landes bey handen haben. v. Se - ckendorffs IV. Cap. III. Theils.
§. 1.
NAchdem ein Regent die vornehmſte Per - ſon des gantzen Landes iſt und maͤn - niglich auff ſein Thun und Leben die Augen wirfft, groſſe Herren auch mehrentheils manchen boͤſen Nachreden, bißweilen ohne ihr Verſchulden aus Neid des boͤſen Feindes undH 4ſeiner120ſeiner Werckzeugeunterworffen; Alſo ſind al - le gute Vorſichtigkeiten und Erinnerungen, die ſonſt bey vorhabender Heyrath und im Ehe - ſtand ſelbſt vernuͤnfftigen und Chriſtl. Leuten gegeben werden, um ſo vielmehr und nothwen - dig bey Verheyrathung Fuͤrſtl. und dergleichen hoher Perſonen, und ihren Eheſtande in Acht nehmen.
§. 2. Es thun die Fuͤrſten wohl und pflegen ſie alsdenn mit groͤſſern Reſpect und Bequem - lichkeit zu heyrathen, wenn ſie zur Landes-Re - gierung wuͤrckl. getreten, es waͤren denn andere ſonderbahre wichtige Urſachen vorhanden, als da ſind der befuͤrchtende Abgang des Ge - ſchlechts, oder eine bevorſtehende ſtattliche Gele - genheit, ſich zu verehligen, und dergleichen, daß alſo auch ein Herr zuvor und bey Lebzeiten ſei - ner Eltern oder derer, die das Regiment haͤt - ten, ſich in Eheſtand begaͤbe.
§. 3. Wie die Fuͤrſten und hohen Stan - des-Perſonen unterſchiedenes thun oder laſſen aus einer beſondern raiſon d’ Etat, die zur Er - langung oder Erhaltung ihrer oder ihrer Lande Gluͤckſeeligkeit gereicht; Alſo trifft man der - gleichen raiſons d’ Etat auch bißweilen bey ih - rem Heyrathen an. So bringt die Ratio ſta - tus bey manchen Umſtaͤnden bey ihnen mit, daß ſie ſich der Mariagen gantz und gar enthalten,und121und in ledigen Stande verbleiben, damit die Unkoſten erſpahret werden und die Laͤnder zum Vortheil der geſamten Unterthanen unzerthei - let verbleiben moͤgen. Es ſchreibet der ge - lehrte und Staats-kuͤndige Monzambano de ſtatu imperii germanici. Cap. 2. §. 12. gar wohl, daß die Zertheilung der Laͤnder unter un - terſchiedene Bruͤder, ein groſſes Ubel waͤre, ſo den Fuͤrſtl. Haͤuſern gewaltig præjudicirte, und ſich nur unter denen geringern Standes - Perſonen unter dem Nahmen der Billigkeit entſchuldigen lieſſe. Bißweilen ſchlieſſen ſie auch ein gewiſſes Pactum unter ſich, daß nur ei - ner aus der Familie im Eheſtande lebẽ ſoll. Der - gleichen Exempel haben wir an den ſieben Bruͤ - dern, den Soͤhnen Wilhelmi, den Enckeln Er - neſti des gemeinſchafftlichen Stamm-Vaters aller Hertzoge von Luͤneburg, die heutiges Ta - ges noch uͤbrig ſind. Dieſe hatten ſich ſo ver - glichen, daß einer von ihnen, den das Looß tref - fen wuͤrde, heyrathen, die uͤbrigen aber unbe - weibet leben und ein jedweder nach dem Alter und der Ordnung die Succeſſion der Laͤnder uͤ - kommen ſolten. Es waren dieſelbigen: Er - neſtus der aͤltere, der ſeinem Vater Wilhelmo folgte: Darauf kam Chriſtianus, Biſchoff zu Minden: Nach dieſem Auguſtus, Biſchoff zu Ratzeburg, der ſeinem Bruder FriedericumH 5zum122zum Succeſſorem gehabt. Die uͤbrigen bey - den, nemlich Magnus und Johannes, ſind ge - ſtorben, ehe die Reihe und Ordnung der Suc - ceſſion ſie betroffen. Der letztere nemlich Georgius, den das Gluͤck gegoͤnnet, daß er ſein Geſchlechte fortpflantzen koͤnnen, hat vermoͤge ihrer convention eine Heyrath getroffen und zwar mit Anna Eleonora, einer Tochter Lu - dovici, Landgrafens zu Heßen Darmſtadt. v. Imhoff. Notit. Proc. Imp. L. IV. cap. 4. §. 29.
§. 4. Das andere Exempel der aus einer raiſon d’ Etat geſchloſſenen Heyrath iſt, wenn Fuͤrſtl. Eltern ihre Kinder in denjenigen Jah - ren, da ſie noch ſehr jung ſind und das Judicium discretivum nicht haben, mit einander aus ge - wiſſen Staats-Abſichten verloben, damit ſie hernachmahls, wenn ſie erwachſen, die Heyrath vollziehen koͤnnen. Bey Privat-Perſonen ſind die Verloͤbniße in denjenigen Jahren, in wel - chen die Kraͤffte des Verſtandes und Willens bey denen, die einander eheligen ſollen, noch nicht zuihrer Reiffe gekommen zu improbiren. Al - lein bey Standes-Perſonen, die bißweilen die Gluͤckſeeligkeit ihrer Unterthanen ihrer eignen vo rziehen muͤſſen, ſind ſie bey gewiſſen Umſtaͤn - den zu entſchuldigen. Dergleichen Exempel von ſolchen in jungen Jahren geſchloßenen Hey -rathen123rathen giebt uns die Hiſtorie zur Gnuͤge an die Hand. Alſo iſt bekandt, daß der Koͤnig in Franckreich Ludovicus XI. die eintzige Toch - ter Mariam, Hertzogs Caroli Audacis zu Bur - gund vor ſeinen Sohn verlangt, der noch nicht 8. Jahr alt war. Allein Ludovicus betrog ſich in der Hoffnung, da ſie Maximilianum heyrathete, und durch dieſe Heyrath die Bur - gundiſchen Lande an die Oeſterreichiſche Fami - lie brachte. Von des Koͤnigs in Franckreich, Ludwigs des XIII. Sponſalien mit Anna, des Koͤnigs in Spanien Philippi III. Tochter, die noch von ſehr zarten Jahren war, ſiehe Gram - mondi Hiſtorie Lib. I. p. 27. Das neueſte Exempel von dergleichen Sachen haben wir bey der Heyrath Ludwigs, Hertzogs zu Bour - gogne, des Koͤnigs in Franckreich Ludovici des XIV. Enckel, die er mit der minderjaͤhrigen Tochter, Hertzogs Victoris Amadei II. zu Sa - voyen An. 1697. geſchloßen.
§. 5. Ferner trifft man auch bey den unter groſſen Herren geſchloſſenen Staats-Heyra - then an diejenigen ungleichen und irregulairen Ehen, da die Weiber die Koͤnigliche Dignitaͤt beſitzen, ihre Maͤnner aber ihrer Bothmaͤßig - keit unterworffen ſeyn. Das neueſte Exem - pel aus der Hiſtorie finden wir bey der letzt-ver - ſtorbenen Koͤnigin in Engelland Anna, die Koͤ -nigin124nigin geweſen, ihr Ehe-Gemahl aber Printz George von Daͤnnemarck in die Claſſe der uͤbrigen Koͤniglichen Vaſallen gekommen. Es ſind bey dergleichen Ehen die Rechte des Ehe-Bettes und des Reichs wohl von einander zu ſondern, und eine Koͤnigin wird in dieſem Fall ohne Unterſcheid ihres Geſchlechts vor den Koͤ - nig gehalten, und hingegen ihr Ehe-Gemahl vor einen Unterthanen. Denn als Hertzog George das Hertzogthum Cumberland, die Grafſchafft Cancang und die Baronie Oking - ham erhalten, ſo iſt er nebſt den uͤbrigen Engli - ſchen Hertzogen durch den Lehns-Nexum ſeiner Koͤnigin verpflichtet worden. Und als er Ober-Admiral von Engeland wurde, hat er der Koͤnigin aufs neue pflichtig werden muͤſſen.
§. 6. Es ſind auch unter die Staats-Hey - rathen zu referiren diejenigen Ehen, die mor - ganatica oder Vermaͤhlungen zur lincken Hand genennet werden, wenn groſſe Herren eine Perſon von geringerm Stande ſich an - trauen laſſen und mit derſelben ein gewiß Pa - ctum auffrichten, daß die Gemahlin nicht in allen Stuͤcken ihnen egal, oder wie eine von ih - rem Stande tractiret werden uñ auch die Kindeꝛ der Succeſſion nicht faͤhig, ſondern mit gewiſſen Portionen und Tituln zu frieden leben ſollen. Es werden dergleichen Ehen ſonderlich zu Er -hal -125haltung der Fuͤrſtl. Familien geſchloſſen, oder in Faveur der Kinder erſter Ehe oder den Bruͤ - dern zu Gefallen, oder um anderer Urſachen willen. Jn dem Heil. Roͤm. Reiche ſind der - gleichen matrimonia morganatica gar ge - braͤuchlich, und trifft man in den alten und neuen Zeiten unter Fuͤrſtl. und Graͤfflichen Perſonen deren unterſchiedliche an. So hat der Fuͤrſt zu Anhalt Georgius Aribertus des Deßauiſchen Hoff-Marſchalls, Chriſtophs von Croßeck Tochter mit dem Bedinge geheyrathet, daß die aus dieſer Ehe gezeugteu Kinder von der vaͤter - lichen Succeſſion ausgeſchloſſen, und mit dem Titul als Herrn von Radegaſt vorlieb nehmen ſolten. Ferdinandus, ein Sohn Wilhelmi Hertzogs zu Bayern, hat Mariam Petenbeni - am mit dem Beding zur Frau genommen, daß die aus dieſer Ehe erzeugten Kinder Grafen von Wartenberg und Schaumburg genennt wuͤr - den, und uͤber die zu ihrer Unterhaltung asſi - gnirten Einkuͤnffte an das Hertzogthum Wuͤr - tenberg keine Anwartſchafft haben ſolten. Daß nun, ohne die Goͤttl. und weltl. Geſetze zu uͤber - treten, dergleichen Ehen gar wohl geſchloſſen werden koͤnnen, braucht gar keines Beweiſes. Und iſt dieſes eine bereits ausgemachte Sache.
§. 7. Bey den Tuͤrcken iſt es was ſonderli - ches, daß der Tuͤrckiſche Kaͤyſer keine Fraunimmt,126nimmt, die gehoͤriger Maßen eine regierende Tuͤrckiſche Kaͤyſerin mit abgaͤbe. Und hat man von Zeiten des Bajazeths nicht mehr als ein eintzig contrair Exempel des Solymanns mit der Roxolana. Man ſagt: die raiſon des Tuͤrckiſchen Staats waͤre dieſe, damit die Un - koſten menagiret wuͤrden, denn es wuͤrde die Kaͤyſerin eben ſo viel Staat und Unkoſten noͤ - thig haben, als des Kaͤyſers Mutter. Busbe - quius fuͤhret eine andere Urſache hiervon an: Als Bajazeth in des Tamerlans Bothmaͤßig - keit gekommen, ſo haͤtte er nebſt ſeiner Gemah - lin ſehr viel Grauſamkeiten und Ungluͤck aus - geſtanden; Allein dieſes waͤre ihm das aller - haͤrteſte geweſen, daß er geſehen, daß ſeine Frau ſo ſehr uͤbel nebſt ihm zugleich waͤre tracti - ret worden. Zu dem Ende haͤtten alle die Nach - folger des Bajazeths keine rechte Weiber ge - nommen, damit ſie, es moͤchte ihnen begegnen, was ihnen nur wolte, dergleichen Fatalitaͤt nicht mehr auszuſtehen haͤtten, und habenin Zukunfft bloß von denen Tuͤrckiſchen Sclavinnen Kin - der gezeuget, daß ihnen nicht mehr dergleichen Unrecht wiederfahren koͤnte.
§. 8. Es iſt bekandt, daß groſſe Herren ſich oͤffters, wann ſie auff eine gewiſſe Fuͤrſtl. Prin - tzeßin Reflexion machen, ſie zu heyrathen, ſich das Portrait derſelben zuſchicken laſſen, undnach -127nachdem ſie finden, daß das aͤuſſerliche Anſe - hen des Geſichts von derjenigen Perſon, die ſie zu ihrer Gemahlin zu erwehlen gedencken, ih - nen anſtaͤndig oder nicht, nachdem determini - ren ſie auch, in Anſehung der Heyrathen, ihre Entſchluͤſſung. Nun laſſe ich zwar ſolches paſſiren, wenn die Braut ſo ſehr weit entfer - net, daß ein Landes Herr oder Printz ohne die groͤſten incommoditaͤten oder Gefahr nicht wohl hinreiſen, und darbey durch eine ſolche Mariage ſich, oder ſeinen Landen einen ſehr groſ - ſen Vortheil zuziehen kan. Denn in dieſem Fall muß man es ſo gar genau nicht nehmen. Außer dem aber handeln die Regenten ſehr weißlich, wenn ſie lieber ſelbſt ſich auf den Weg machen, und diejenige Perſon, die ſie ſich zu ih - rer Braut erwehlen, in Augenſchein nehmen, und, wenn ſie die Unkoſten oder gewiſſe Cere - monien vermeiden wollen, lieber incognito reiſen. Denn ſonſt werden ſie oͤffters, wenn ſie den portraiten Glauben zuſtellen wollen, hierdurch verfuͤhret, daß ſie ſich einbilden, ſie bekommen eine ſchoͤne Perſon zu ihrer Gemah - lin. Die aber hernach von ſehr heßlichen Anſehen iſt, und ſind denn ſolche Fuͤrſtliche Perſonen alsdenn gar ſehr ungluͤcklich und mißvergnuͤgt. Am beſten iſts, wenn die Fuͤrſtlichen Perſonen auch vornehmlich diewahre128wahre und reciproque Liebe gegen ihren Ehe - gatten den Grund-Stein ihrer Heyrathen ſeyn laſſen, und nicht allein auf das aͤuſerliche Anſehen, ſondern auch auf die innerlichen Qualitaͤten des Gemuͤths und Conformitaͤt des humeurs ihr Abſehen richten, als welche die beſtaͤndigſte Gluͤckſeeligkeit, groͤſte Ver - gnuͤgung und dauerhaffteſte Liebe in den Hey - rathen, ſowohl bey Privat-als Fuͤrſtlichen Perſonen, verurſachen koͤnnen.
§. 9. Sonſt iſt auch gewoͤhnlich, daß biß - weilen die Fuͤrſtlichen Braͤute, wenn der Braͤutigam weit entfernet, und ſie doch gleich - wohl das Hochfuͤrſtliche Beylager aus gewiſ - ſen politiſchen Abſichten bald vollziehen wollen, denen hierzu abgeordneten Abgeſandten oder auch andern anvertrauet werden. So iſt an. 1703. den 30. April um zehn Uhr die Spa - niſche Braut, als ietzoregierende Kaͤyſerin, in der Kirchen zu Marienhinzing unter Kloſter Neuburg Jhrer Koͤnigl. Majeſtaͤt Carl dem dritten von Jhrer Hochfuͤrſtl. Eminenz, dem Cardinal von Sachſen-Zeitz anvertrauet wor - den. Worbey das Te Deum laudamus un - ter Trompeten - und Paucken-Schall, auch dreymahliger Loͤſung der vor die Kirche ge - pflantzten Stuͤcken, und eben ſo vielmahl Sal - ve der vor ſelbiger Kirche ſtehender Stadt -Guarde129Guarde geſungen. Und darauf, nach empfan - genen Gluͤckwuͤnſchungen, ſind ihre Koͤnigliche Majeſtaͤt in dero Wagen nebſt der Fuͤrſtin von Lichtenſtein in Begleitung Jhrer Hochfuͤrſtl. Durchl. des Biſchoffs von Oßnabruͤg nach Heiddersdorff, beyde regierende Kaͤyſerliche Majeſtaͤten aber nach Schoͤnbrunnen gefah - ren, und Jhre Majeſtaͤt die verwittwete Kay - ſerin ſamt denen durchlauchtigſten Ertz-Her - tzoginnen in die Kaͤyſerliche Burg revertiret.
§. 10. Gleichwie Regenten von allen den - jenigen Verordnungen, die ſie zu regulirung ihrer Actionen denen Unterthanen vorſchrei - ben, frey ſind; Alſo haben ſie nicht noͤthig, daß ſie ſich aufbieten laſſen, oder bey ihren Conſiſtoriis in denjenigen Gradibus der Bluts - Freundſchafft, ſo von menſchlichen Geſetzen verboten ſind, um Diſpenſation anhalten und die uͤbrigen Ceremonien, die die menſchlichen Rechte eingefuͤhret, obſerviren. Ja es hat auch eine gleiche Bewandniß mit der prieſterli - chen Copulation, die aber von den wenigſten unterlaſſen wird.
§. 11. Wenn bey den Fuͤrſtlichen Perſo - nen, ehe ſie ſich vermaͤhlen, eine gewiſſe zwei - felhaffte Frage vorfaͤllt, ſo thun ſie wohl, wenn ſie, um mehrer Sicherheit willen, entweder ein Conſiſtorium eines auswaͤrtigen FuͤrſtensJoder130oder gewiſſe Theologiſche und Juriſten-Fa - cultaͤten conſuliren und ihre Meynung daruͤ - ber vernehmen. Hoͤren ſie nun, daß ſie nach wohl unterſuchter und uͤberlegter Sache der - gleichen zu thun berechtiget, ſo koͤnnen ſie als - denn mit unverletzten Gewiſſen zu ſolchen Ehen ſchreiten. So machte es Land-Graf zu Heſ - ſen Philipp, da er uͤber ſeine vorige Gemahlin die andere, Margaretham, von der Saale noch darzu nahm. Denn er ſchritte nicht eher zu dieſer Heyrath, biß er die Genehmhal - tung und Approbation der drey beruͤhmteſten Theologen der damahligen Zeiten, nemlich Martini Lutheri, Philippi Melanchthonis und Martini Buceri erhalten. Die hieher gehoͤ - rigen Schrifften hat Sarcerius in ſeinem Cor - pore juris matrimonialis, und der maſquirte Daphnæus Arcuarius in der kurtzen Betrach - tung des in der Natur und goͤttlichen Recht gegruͤndeten heiligen Eheſtandes, und den ſtrei - tigen Fragen von dem Ehebruch, der Ehe - Scheidung und ſonderlich den vielen Weiber - nehmen zuſammen getragen. Die fuͤrnehm - ſten ſind: Inſtruction, was D. Martinus Bu - cer an D. Martinum Lutherum und Philip - pum Melanchthonem werben ſoll, de dato Melſingen, am Sonntag nach Catharinaͤ, an. 1539. und das Reſponſum obbemeldterTheo -131Theologen, ſub dato Wittenberg, Mittwoch nach Nicolai, an. 1539.
§. 12. Wañ es moͤglich iſt, und die politiſchen Umſtaͤnde ein anders nicht erfodern, ſo thun die Landes-Fuͤrſten und Regenten ſehr wohl, wenn ſie ſich eine Gemahlin zulegen, die ihrer Reli - gion iſt, ſowohl des ehelichen Vertrauens, als auch Land und Leute und ihrer Kinder halber, welche widrigenfalls offt in Gefahr oder Arg - wohn und Zerruͤttung kommen, dahero auch in manchen Fuͤrſtlichen und hoͤhern Haͤuſern durch Teſtamente der Vorfahren ſolcher Punct be - ſonders recommend ret und auferleget iſt.
§. 13. Es pflegen die Fuͤrſten in der Ver - ſorgung oder Gegenvermaͤchtniß, welche denen Fuͤrſtlichen Gemahlinnen vor Vollziehung des Beylagers mit gutem Rath und vorhergeſche - hener Uberlegung aufgerichtet werden, ſich nach der Gelegenheit des Einbringens der Ge - mahlin und dem Vermoͤgen des Landes zu rich - ten, ſolche Leibgedinge oder Einkuͤnffte, die ein - Gemahlin nach dem Abſterben eines Herrn zu tragen und ſolche Ausgaben oder Hand-Gel - der, die ſie in waͤhrendem Eheſtande jaͤhrlich haben ſoll, zu verordnen, daß damit das Land nicht zu ſehr beſchweret und denen Nachkom - men zu viel an Intraden entzogen oder ſonſt an - dere Ungelegenheit daraus verurſacht werde. J 2Am132Am beſten iſts, wenn in den Fuͤrſtlichen Ehe - ſtifftungen alles fein deutlich und ſpecifique ausgedruͤcket wird, damit man nicht hernach zu neuen Diſputen Gelegenheit gebe, und ſol - che auch mit Einwilligung der Fuͤrſtlichen El - tern und andern Fuͤrſtlichen Anverwandten aufgerichtet und geſchloſſen werden.
§. 14. Jn waͤhrendem Eheſtande werden ſolche Fuͤrſtliche Gemahlinnen mit gnugſamer Aufwartung, und was die aͤuſerlichen Ceremo - nien belanget, auf die Weiſe, wie der Landes - Herr ſelbſt, geehret und unterhalten. Einige Bothmaͤßigkeit oder Mit-Regierung dererſel - ben, oder eine abgeſonderte Hoffſtatt aber iſt ungewoͤhnlich, auch dem Landes-Herrn zum Theil ſchimpfflich, und in viel Wege ſchaͤdlich, doch pflegen ihnen wohl Cammer-Guͤter und Haußhaltungs-Sachen zur Ergoͤtzligkeit nach Beliebung, ſo die Fuͤrſtlichen Ehe-Leute darzu haben, untergeben zu werden. Alles was nun zu Erhaltung gluͤckſeeliger Ehe und gebuͤhrlichen Standes einer Gemahlin des Landes-Herrn kan bedacht, und fuͤr Ungelegenheit, Ubelſtand und Aergerniß abgewendet werden, gereicht dem Herrn ſelbſt mit zur Ehre, Freude und Vergnuͤgung, und iſt alſo nicht ein geringes Stuͤck, welches er fuͤr ſich und mit anvertrau -ten133ten vernuͤnfftigen Raͤthen zu erwegen und wohl zu verordnen hat.
§. 15. Es pflegen zuweilen und zumahl bey groſſen Hof-Staͤdten die Landes-Herrn denen Fuͤrſtlichen Gemahlinnen eine eigne Aufwartung auch von Manns-Perſonen, als Hof-Meiſter, Cammer - und Hof-Junckern, Cammer-Dienern, Pagen, Laqueyen und der - gleichen Bedienten zuverordnen, ſo aber bey mittelmaͤßigen Fuͤrſtenthuͤmern nicht beſon - ders gebraͤuchlich, auch unbequemlich, ſondern wird mehrentheils die Aufwartung, welche der Fuͤrſtlichen Gemahlin bey Fuͤrſtlichen Ausrich - tungen und dergleichen Solennitaͤten gebuͤhret, durch die vom Landes-Herrn ſelbſt beſtellte Diener, auf deßen Anordnung oder der Fuͤr - ſten Begehren verrichtet, doch iſt nicht unge - woͤhnlich, daß denenſelben Pagen, Cammer - Diener und Laqueyen gehalten, oder auch ei - nen aus dem Hoff-Adel der Titul eines Frauen - Zimmer und Fuͤrſtin Hof-Meiſters zu dem En - de gegeben werde, daß er, wenn die Fuͤrſtliche Gemahlin abſonderlich gehet oder reiſet, die gewoͤhnlichen Ceremonien mit voran gehen, fuͤhren und begleiten verrichte.
§. 16. Gebraͤuchlicher Maßen aber wird einer Fuͤrſtin adelich Frauenzimmer von etli - chen adelichen oder hoͤhern Standes-PerſonenJ 3gehal -134gehalten, welche derſelben zu allerhand Auf - wartung, wenn ſie ausgehet oder reiſet, nach - treten, bey ihrem Aufſtehen und Niedergehen aufwaͤrtig ſeyn, ſie bekleiden helffen, ihren Schmuck in Acht nehmen, ihre etwas koͤſtliche - re Mobilien von ſeidenen Decken, Fuͤrhaͤngen und weiſſen Geraͤthe, Silber-Werck, das man nicht taͤglich braucht, in Verwahrung haben, und auf Befehl ſolches heraus geben, wieder einfordern, ingleichen auch in mittelmaͤßigen Hofhaltungen das Confect unter Haͤnden ha - ben, allerhand eingemachte und wohlſchme - ckende Sachen davon zurichten, nach Gele - genheit auch mit Sticken und kuͤnſtlichen Naͤ - hen ſich gebrauchen laſſen.
§. 17. Von geringen Stande werden et - liche Cammer - oder Hof-Maͤgde beſtellet, wel - che mit aus - und anziehen, waſchen und ſaͤubern, nehen und dergleichen, Fuͤrſtlichen Herrſchafft und dero Frauenzimmer an die Hand gehen: Uber das Hof-Frauenzimmer wird eine adeli - che Frau zur Hof-Meiſterin verordnet, welche etlicher Orten die Verwahrung vorgedachter Sachen ſelbſt hat, ſonſt aber iedwede zu Ver - richtung ihres Dienſts fleißig antreibet, ſie in Zucht und Einigkeit erhaͤlt, und im Nahmen der Herrſchafft ihnen fuͤrſtehet; Wie denn, das alles und was ſonſt noch mehr zu loͤblicherAnſtalt135Anſtalt eines Frauenzimmers dienen kan, in denen deßwegen hin und wieder abſonderlich aufgerichteten Frauenzimmer-Ordnungen zu finden.
§. 18. Wenn ein Fuͤrſt eines von ſeiner Unterthanen Kindern zur Gemahlin erwehlt und es entſtehen Zwiſtigkeiten unter ihnen, ſo kan der Fuͤrſt proprio facto ſie nach Gefallen von ſich ſtoſſen, und die Ehe zertrennen, ohne daß er von andern deßwegen, und, ob er gleich keine ſuffiſante raiſon darzu gehabt, zur Rede geſetzet werden koͤnne. Jedoch wird ein Chriſtl. und vernuͤnfftiger Fuͤrſt nicht allein die Gebote GOttes hierbey in gehoͤrige Beobachtung zu nehmen wiſſen und gedencken, daß ein groͤſſerer uͤber ihn noch geſetzt ſey, dem er dereinſt von ſei - nen Actionen werde Rechenſchafft geben muͤſ - ſen, ſondern ſich auch ſo auffuͤhren, daß er von ſeiner kuͤnfftigen Gemahlin in Anſehung der Conduite, die er gegen die erſtere in Acht ge - nommen, nicht etwan mehr gefuͤrchtet denn ge - liebet werde. Jſt aber die Gemahlin aus ei - nem andern Fuͤrſtl. Hauſe, und es erregen ſich Diſputen unter ihnen, ſo pflegen gewiſſe andere Potentaten zu Schieds-Leuten ausgeleſen zu werden, die ſich bemuͤhen, ſie aus einander zu ſetzen. Jn Teutſchland werden dergleichen Cauſæ matrimoniales unter den Fuͤrſtl. Per -J 4ſonen136ſonen entweder unter den Austraͤgen oder vor dem Kaͤyſerl. Reichs Cammer-Gerichte oder auch vor dem Reichs-Hoff-Raty ventilirt. Das uͤbrige was etwan hierbey in Acht zuneh - men, pflegt nach dem Unterſcheid der Hoͤfe dif - ferent zu ſeyn, und den Umſtaͤnden nach deter - minirt zu werden.
§. 19. Dafern ſonſt die gehoͤrigen Stuͤcke und dann die gemeinen Umſtaͤnde der Perſon halber ſich wohl befinden, ſind unſere teutſchen Fuͤrſten und Landes-Herren eben nicht ſo ſehr auff das Vermoͤgen oder Reichthum der Ge - mahlin bedacht, ſintemahl in den meiſten Fuͤrſtl. und Graͤffl. Haͤuſern in Teutſchland die Toͤch - ter nur mit einem gewiſſen und bekannten Stuͤck Geldes ausgeſtattet und von der Suc - ceſſion des Landes damit abgewieſen werden, dabey laͤßt es der heyrathende Herr billig be - wenden und macht ſich daruͤber keine weitere Anſchlaͤge, wenn es nicht ungefehr und aus ei - ner Schickung GOttes ſich zutruͤge, daß er mit guten Vergnuͤgen an einen ſolchen Ort gerie - the, da die Erbſchafft der Land - und Leute auff die Gemahlin fiele, oder ſonſt ein zufaͤlliges an - derwaͤrtiges Vermoͤgen darbey zu hoffen, wel - ches denn zu einen ſonderbahren Auffnehmen des Landes, wenn die andern Eigenſchafften ei -ner137ner loͤblichen Gemahlin auch mit darbey ſind, manchmahl gedeyen kan.
§. 1.
WAs an einer vernuͤnfftig-eingerichte - teten Auferziehung gelegen ſey, iſt unnoͤthig weitlaͤufftig auszufuͤhren, indem ſolches einem jedweden zur Gnuͤge be - kandt. Gleichwie nun die Printzen und ſon - derlich diejenigen, welche ihr Recht der Geburth dereinſten zu regierenden Herren deſtiniret hat, nicht nur um der Fuͤrſtl. Eltern willen oder ihrer ſelbſt, ſondern um ſo vieler andern Leute, ja gantzer Reiche und Provincien und der ſaͤmt - lichen Unterthanen willen auffwachſen, auch an den Hoͤfen durch den Umgang allerhand boͤſen Volcks eher zu Laſtern angereitzet werden koͤn - nen, denn die Kinder der gemeinen Leute; Alſo erfodert auch derſelben Auferziehung eine viel genauere Obſicht. Die Anleitung in der Ju - gend wuͤrcket einen Einfluß in die actiones der uͤbrigen Lebens-Jahre.
§. 2. Weil dergleichen Standes-Perſonen menſchlicher Weiſe die gewiſſe Hoffnung ha -J 5ben,138ben, in was fuͤr einen Stand und Amt ihre Printzen einſten leben werden, welches andere Leute von den Jhrigen nicht leichtlich und ei - gentlich wiſſen koͤnnen, ſo waͤre ja thoͤrlich ge - handelt, wenn man dieſelben in andern Tugen - den, Wiſſenſchafften und Qualitaͤten erziehen wolte, als die ihnen in ihrem Amt und Beruff, den man vor Augen ſiehet, noͤthig und wohl an - ſtaͤndig ermeſſen werden, dahero irren und ver - ſuͤndigen ſich die Landes-Fuͤrſten und Regenten weit groͤblich, wenn ſie ihre junge Herren wild und frech nach eignen Willen aufwachſen, oder zu etlichen zwar nicht verwerfflichen Sachen, als Jagen, Reiten, Kriegs-Ubung einer oder an - dern fremden Sprache, allein zu dem Haupt - Wercke der Regierung, welches doch das noͤ - thigſte iſt, nicht ziehen noch anweiſen laſſen.
§. 3. Wie und welcher geſtalt aber die rech - te Erziehung geſchehen ſoll, davon hat ein Lan - des-Herr reiffen Rath zu pflegen, ſeines Lan - des Gelegenheit und die Beſchaffenheit und Faͤ - higkeit ſeiner Kinder und verhofften Landes - Succeſſoren wohl vor Augen zu haben, ſie mit verſtaͤndigen tugendhafften Dienern, Hoffmei - ſtern, Præceptoren und Auffſehern zu verſehen, gegen alle gleiche Liebe und Vorſorge zu erwei - ſen, und alſo keines dem andern zur Ungebuͤhr vorzuziehen und die Wurtzel des Neides unterſie139ſie zu pflantzen, da zumahl wenig oder nur ein eintziges waͤre, deßwegen nicht in Eigenwillig - keit verzaͤrteln, zum oͤfftern nach ihrem Thun und Weſen zu fragen und ihnen ſelbſt mit guten Exempeln vorzugehen. S. Seckendorffs teutſchen Fuͤrſten Staat p. 164.
§. 4. Gleichwie uͤberhaupt die Furcht des HErrn der Weißheit Anfang iſt, uud die Er - kaͤnntniß GOttes alle uͤbrige menſchliche Wiſ - ſenſchafft und Kuͤnſte zu uͤbertreffen pflegt; Al - ſo iſt bey der Erziehung eines Printzen vor al - len Dingen dahin zu ſehen, daß er von Jugend auff nicht allein in den Grundſaͤtzen der Reli - gion, darinnen er gebohren iſt, gruͤndlich unter - wieſen, ſondern ihm auch die Lebens-Pflichten, die ihm von GOtt theils als einem Chriſten, theils auch als einem Printzen anbefohlen ſind, beygebracht werden. Es ſind ihm bey reiffen Judicio auch die Controverſien der andern Religionen mit beyzubringen und mit buͤndigen Argumentis die Schwaͤche der falſchen Reli - gions-Saͤtze zu zeigen, und er hingegen in der wahren ſeeligmachenden Religion hauptſaͤch - lich zu befeſtigen, damit er ſich nicht theils auff ſeinen Reiſen an ſolchen Orten, wo eine andere Religion dominans iſt, theils auch ſonſt von in - differentiſtiſchen Leuten, die an den Hoͤfen nicht rar ſind, von allerley Wind der Lehre wie -gen140gen und waͤgen laſſe. Ferner muͤſſen ihm nicht allein buͤndige Argumenta aus der geſun - den Vernunfft beygebracht werden, die ihm von der Goͤttlichkeit der Heiligen Schrifft mit uͤberzeugen helffen, ſondern er iſt auch wieder die Objectiones der Atheiſten und Naturali - ſten, die bißweilen es vor eine galanterie hal - ten, wenn ſie von GOtt und ſeinem Wort ver - aͤchtlich reden koͤnnen, zu verwahren und zu be - feſtigen. Es ſind ihm auch von dem Hof - meiſter und Præceptoribus rechte Sentimens de jure imperantium circa ſacra beyzubringen und zu zeigen, daß es nicht gnug ſey, wenn ein Landes-Fuͤrſt, wie einige Politici behaupten wollen, ſich nur um den aͤuſſerlichen Gottes - dienſt ſeiner Unterthanen bekuͤmmert oder bloß allen denjenigen, wodurch die Gluͤckſeeligkeit und die Ruhe des Landes geſtoͤhret werden koͤnte, Ziel und Maaße ſetze, ſondern daß er auch pflichtig ſey als Regente vor die Seelen-See - kigkeit ſeiner Unterthanen Sorge zutragen.
§. 5. Die Rede iſt theils eine Anzeigung des Verſtandes, theils auch des Willens. Wenn man einen will kennen lernen, ſo darff man nur einen fleißig reden hoͤren und darbey auf die Materialia und Formalia der Diſcourſe genaue Achtung haben, ſo wird man ſchon ei - niger Maßen dahinter kommen. Es iſt einelieb -141liebreiche und vernuͤnfftig eingerichtete Rede geſchickt, die Affection und Freundſchafft der Leute zuwege zu bringen. Da nun hieran ſo gar viel gelegen, ſo muß ein Printz auch fein bey Zeiten angehalten werden, wohl und vernuͤnff - tig reden zu lernen. Daß er allerhand Chrien und teutſche oder lateiniſche Orationes mache, iſt unnoͤthig; Vielmehr iſt er anzufuͤhren, daß er einen von andern ihm gethanen Vor - trag, darinnen unterſchiedene Puncte enthal - ten, ordentlich und von Punct zu Punct beant - worten koͤnne, damit er ſowohl fremden Abge - ſandten, die an ſeinem Hofe Audienz haben, als auch ſeinen Miniſtris oder Land-Staͤnden, wenn ſie ihm etwas proponiren, auf ihre Propoſitiones mit einer guten Connexion nach den vornehmſten Momentis eine geſchickte Antwort zu geben vermoͤgend ſey. Jngleichen iſt auch ein Printz bey Zeiten zu gewoͤhnen, daß er lange Hiſtorien und allerhand facta, in wel - chen vielerley Umſtaͤnde vorzukommen pflegen, manierlich und ordentlich, ohne anzuſtoſſen oder zu hæſitiren und verdrießlichen formulis connectendi zu erzehlen, auch ex tempore bey allerhand ihm vorfallenden Faͤllen zu reden und den Leuten zu antworten wiſſe. Es de - pendiret dieſes alles von gar wenigen Regeln, aber von einem fleißigen Exercitio.
§. 6.142§. 6. Nebſt den Reden iſt auch das Schrei - ben oͤffters zu uͤben, damit er nicht allein die von Fuͤrſtlichen Perſonen ihm zugeſchriebenen Hand-Briefe dereinſten ſelbſt beantworten, ſondern auch von den Concepten ſeiner Secre - tarien zu urtheilen geſchickt ſeyn moͤge, und nicht in dieſem Stuͤck noͤthig habe, mit frem - den Augen zu ſehen oder mit fremden Ohren zu hoͤren. Er iſt dieſerhalb in den Curialien, wie ſie bey der geheimden Cantzeley ſeines Hauſes braͤuchlich ſind, zu unterrichten, und ſind ihm gute und wohl ausgearbeitete Con - cepte vorzulegen, damit er ſich ſolche bekandt mache und den ſtylum curiæ daraus erlerne. Es ſind denen Printzen die von Herrn Luͤnig publicirte Stadt-Schreiben, die er in ſeiner teutſchen Reichs-Cantzeley zuſammen colligi - ret hat, zu recommendiren, als aus welchen ſie, wie ein geſchicktes Schreiben abzufaſſen, gar wohl erlernen koͤnnen.
§. 7. Es iſt bey der Auferziehung der mei - ſten Printzen ſo eingefuͤhrt, daß ſie in ihrer Ju - gend die Lateiniſche Sprache erlernen muͤſſen, theils weil dieſelbige uͤberhaupt diejenige Sprache, die unter denen, ſo ſich vor andern in Wiſſenſchafften diſtinguiren wollen und ſollen, Mode iſt, theils auch, weil dieſelbige noch bey unterſchiedenen publiquen Sanctionen undVer -143Vertraͤgen, die etwan aufgerichtet werden muͤſſen, gebraͤuchlich iſt. Nun iſt es zwar wohl gethan, wenn diejenigen Printzen, ſo dar - zu Inclination haben und denen dieſelbige oh - ne ſonderliche Weitlaͤufftigkeit beygebracht werden kan, darinnen informiret werden, ſin - temahl ſie ohne deren Erkaͤnntniß in allerhand Rechts - und Staats-Affairen, wegen derer darinnen vorkommenden Lateiniſchen Termi - norum nicht recht fortkommen koͤnnen. Al - lein wenn man diejenigen Printzen, ſo eine Averſion davon haben, mit Vehemenz darzu antreiben will, iſt nicht zu approbiren. Es wird ihnen hierdurch nur ein Eckel hernach zu den uͤbrigen Wiſſenſchafften gemacht, ſie wer - den von andern, darauf ſie ſich appliciren koͤn - ten, und was ſie auch mit Luſt cultiviren wuͤr - den, abgehalten und profitiren doch in derſel - ben wenig oder nichts. Zudem koͤmmt das Haupt-Werck bey einem Regenten eben nicht drauf an, daß er die Lateiniſche Sprache gruͤnd - lich verſtehe, ſondern die Staats-Klugheit in - nen habe, und weißlich zu regieren wiſſe, wel - ches auch ohne die Lateiniſche Sprache geſche - hen kan. Zu dem Ende ſind einem Printzen, wenn er in der Lateiniſchen Sprache Informa - tion erlangt, ſolche Schrifften vorzulegen, dar - aus er nebſt dem Latein auch gewiſſe Realien,die144die ihm bey der Staats-Klugheit Dienſte lei - ſten, erlernen kan, und iſt es unnoͤthig, daß man ihm viel Autores claſſicos durchzuleſen giebt, denn wenn ein Printz ſo viel Latein ver - ſtehet, daß er diejenigen Schrifften, die gewiſ - ſe philoſophiſche oder auch andere Wiſſen - ſchafften abhandeln, leſen kan, ſo iſt es ſchon gut.
§. 8. Nach der Lateiniſchen Sprache iſt die Frantzoͤſiſche einem Printzen faſt unent - behrlich, weil einmahl an den meiſten Hoͤfen die Opinion eingeriſſen, daß einer nicht vor galant, manierlich, ja moͤchte ich bald ſagen, vor verſtaͤndig gehalten wird, der in der Frantzoͤſi - ſchen Sprache unerfahren. Da nun die mei - ſten Hof-Leute die Frantzoͤſiſche Sprache re - den, ſo wuͤrde es einem Printzen zu ſchlechter Reputation gereichen, wenn er gar nichts da - von verſtuͤnde, und koͤnte auch auf ſeinen Rei - ſen an den meiſten Orten und in den meiſten Compagnien nicht wohl fortkommen. Nach - dem ein teutſcher Koͤnig den Groß-Britanni - ſchen Thron beſtiegen, und manche teutſche Printzen ihre Touren nach Engelland fleißiger anſtellen werden, denn ſonſt, ſo koͤnte auch nicht ſchaden, wenn ſie in der Engellaͤndiſchen Sprache Information erlangten. Jnglei - chen waͤre auch die Jtaliaͤniſche nicht zu negli -giren;145giren, die ſonderlich an dem Kaͤyſerlichen Hofe ſtarck geredet wird.
§. 9. Es haben einige Hof-Leute von der Philoſophie, ich weiß nicht was vor einen Con - cept. Sie halten dieſelbe vor ein nichts - wuͤrdiges und veraͤchtliches Studium; Sie mocquiren ſich uͤber dieſelbe, und halten einen Philoſophum bald nicht viel hoͤher als einen Arlequin; Sie dencken, es ſey die philoſo - phie eine Wiſſenſchafft, die einem Printzen oder einem andern, der ſich zu Affairen will ge - brauchen laſſen, unanſtaͤndig. Das ruͤh - ret aber daher, daß die ehrlichen Leute von der wahren philoſophie keine Erkaͤnntniß haben; Sie dencken, es beſtehe dieſelbe nur in den un - nuͤtzen, mit bloſſen Definitionen und Diviſio - nen und andern ſterilen Speculationen ange - fuͤllten Woͤrter-Kram, den ein Ariſtoteles oder ein fauler Muͤnch oder ein ander muͤßiger Kopff, der die Welt nicht geſehen, in ſeiner Studier-Stube ausgebruͤtet, und in der Welt nicht ſehr zu gebrauchen waͤre, da doch ſolch Zeug von den wahren Welt-Weiſen heutiges Tages ſelbſt nicht mehr geachtet wird. Hin - gegen die rechte Welt-Weißheit iſt eine gruͤnd - liche Er kaͤnntniß aller Sachen in der Welt. Ohne dieſelbe koͤnnen ſie, wenn ſie ſich nicht als Thoren auffuͤhren wollen, ihre ActionesKnicht146nicht anſtellen; Sie koͤnnen von keiner Sache recht vernuͤnfftig urtheilen, nichts ordentliches ſchlieſſen, die Kraͤffte allerhand natuͤrlicher Dinge, deren Erkaͤnntniß doch ſowohl in œ - conomicis als auch politicis ihren guten Nu - tzen hat, nicht verſtehen, und muͤſſen ſich in den meiſten Stuͤcken als unverſtaͤndige und unwiſ - ſende Leute auffuͤhren.
§. 10. Da nun die wahre philoſophie auch einen Fuͤrſten in ſeinen Regierungs-Ge - ſchaͤfften tuͤchtiger macht, daß er durch dieſelbe auf unterſchiedene Art die Gluͤckſeeligkeit ſei - nes Landes beſſer befoͤrdern kan, ſo iſt auch gar noͤthig, daß ein Hof-Meiſter einen jungen Prin - tzen in allen Stuͤcken der Welt-Weißheit un - terrichte. Jedoch muß er ihm dieſelbige auf eine bequeme, deutliche und angenehme Art beybringen, ihm nichts unnuͤtzes und pedanti - ſches lehren und allenthalben die Application zeigen, was die Erkaͤnntniß dieſer oder jener philoſophiſchen Lehre in die Regierungs - Kunſt vor einen Einfluß habe, damit er den Nutzen derſelben erkennen und hernach andere Hof-Leute, die nichts darvon verſtehen oder ſich einen gantz andern Concept davon ge - macht, desabuſiren moͤge.
§. 11. Es wuͤrde nicht allein zur Cultur des ſtudii œconomici, ſondern auch zu Qua -lifici -147lificirung der Fuͤrſtlichen Perſonen viel beytra - gen, wenn man ſie von Jugend auf in dem ſtu - dio œconomico unterrichtete. Es ſtimmet mir hierinnen bey der gelehrte Cavallier, Herr von Seckendorff in der XXVIII. Section des VII. Capitels ſeines Fuͤrſten-Staats, wenn er ſpricht: Die Fuͤrſtlichen Kinder muͤſſen auch die Beſchaffenheit einer vernuͤnfftigen Haußhaltung lernen, wie man dasjenige, was GOtt zu iedem Stande, und ſonderlich zu dem ihrigen beſcheret, wohl gebrauchen, nutzen und erhalten koͤnne. Ein gewiſſer ungemeldter von Adel redet in dem 5. §. des l. Capitels ſei - ner Fuͤrſtlichen Macht-Kunſt von einem Prin - tzen, der zum Commercien-Weſen angefuͤhret werden ſoll, alſo: Drum ſoll ein junger Printz vor allen Dingen inſond erheit, ehe er zu den uͤberhaͤufften Staats-Affairen und zu der Re - gierung koͤmmt, zu dieſem ſtudio magnifico, als welches ihn eintzig und allein zu einem groſ - ſen Monarchen machen kan, angefuͤhret wer - den.
§. 12. Erſt muß einem Printzen zu dem wahren ſtudio œconomico eine Luſt eingepraͤ - get werden, daß er uͤberfuͤhret ſey, wie dieſes nechſt den Regeln des Chriſtenthums und der Juſtiz das eintzige Studium, welches ihn zu ei - nen geehrten, maͤchtigen und anſehnlichen Fuͤr -K 2ſten148ſten machen koͤnne. Hernach muß ihm ſol - ches auf eine gruͤndliche, angenehme und deut - liche Methode beygebracht werden. Man ſolte an Fuͤrſtlichen Hoͤfen vor junge Printzen ſolche Kunſt - uud Naturalien-Cammern ha - ben, darinnen alles dasjenige, was ſowohl durch die Natur gezeiget, als von der Kunſt zu - bereitet, befindlich waͤre, in welchen ſie alle Tage von einem geſchickten Hof-Meiſter und der dieſer Sachen kundig waͤre, unterrichtet werden koͤnten. Der Hof-Meiſter muͤſte ihnen lehren, auf was vor Art eine iede Sache wuͤchſe, gepflantzet und gezeuget wuͤrde, ihren Unterſcheid, Merckmahle der Tugenden und Fehler, unterſchiedene Sorten der Preiſſe und Nutzen, ſo dem gemeinen Leben daraus zuwach - ſe. Es muͤſten in dieſen Naturalien-Cam - mern beſondere Modelle, allerhand Machinen, ſo im gemeinen Leben anzutreffen, befindlich ſeyn, etwan auf die Art, wie Herr Semler, ein treufleißiger Prediger und darbey Liebhaber curieuſer Wiſſenſchafften, ſolches in ſeiner Mechaniſchen Kunſt - und Werck-Schule ent - worffen, oder Herr Marperger in ſeinem Kauffmanns-Magazin.
§. 13. Jch halte nicht davor, daß dieſes Studium einem Fuͤrſten unanſtaͤndig waͤre, denn da unterſchiedene Koͤnige und Fuͤrſten dieKauf -149Kaufmannſchafft getrieben, wie aus des Mon - ſieur de la Mothe le Vayex Tractate de la Marchandiſe zu erſehen, und Kuͤnſte und Profeſſiones ſelbſt erlernet. So kan auch nicht abſehen, wie es dem Caractére eines Fuͤr - ſten zuwider ſeyn wuͤrde, wenn er eine genauere Erkaͤnntniß dieſer Sachen haͤtte. Solche Arbeit koͤnte einem Printzen gar vortraͤglich ſeyn, denn er wuͤrde nicht allein geſchickt wer - den, das Commercien-Weſen in ſeinem Lande zu befoͤrdern, ſondern auch manchen Betrug intereſſirter Kauf-Leute und ungetreuer Be - dienten zu entgehen. Der beruͤhmte Wa - genſeil vermahnet in ſeiner Belehrung eines Printzen, der vor allen Studiren einen Abſcheu hat, ſeinen jungen Printz mit folgenden Wor - ten: Derowegen, Printz! gebt fleißig Acht, wenn etwas gekaufft wird, was man dafuͤr zahlet, erkundiget euch bey andern, ſo offt es ſeyn kan, wie ſie ihre Sachen eingehandelt, da - mit ihr verſtehet, was im Kauffe gaͤnge, gaͤbe und billig iſt, außer dem Verluſt, den ein un - berichteter Kaͤuffer leidet, traͤgt er ſowohl von andern, als von dem Verkaͤuffer ſelbſt, Spott und Hohn davon.
§. 14. Das vornehmſte Buch, daraus ein Printz zu dem Cameral-Studio angefuͤhret werden kan, iſt eine recht vollkom̃ene ſpecielleK 3Land -150Land-Charte ſeines Landes, die Cammer-Rech - nungen, Tabellen der Aemter, welche der Hof - Meiſter mit ihm durchgehen, vornemlich aber in dem Lande ſelbſt uͤberall herum reiſen muß, und ihn lehren, wie und auf was vor Art die Cultur des Landes vorzunehmen, wie die Stroͤhme koͤnten Schiffreich gemacht, Berg - wercke angebauet, fruchtbare Baͤume, Caſta - nien, ja gantze Waͤlder davon gepflantzt, die Plantagen von allerhand fremden Gewaͤchſen verſucht, was bey dem Commercien-Weſen verbeſſert, die neue und bequeme Machinen, da - durch die Bequemligkeit des menſchlichen Le - bens entweder beſſer befoͤrdert oder erhalten wuͤrde, angerichtet, Moraͤſte ausgetrucknet und zu Vieh-Weyden, Feldern oder andern Arten geſchickt gemacht, neue Vorwerge an - gebauet, wuͤſte Plaͤtze cultiviret, unbewohnte Staͤdte peupliret, der verfallenen Nahrung aufgeholffen, arme und invalide Haͤuſer, wie auch Stiffter vor arme adeliche Wittwen und Fraͤulein fundiret und dotiret, Waͤlder angeleget, die Manufacturen etabliret, geſchick - te Kuͤnſtler durch allerhand Freyheiten und Privilegia in das Land gelocket, und dadurch das Geld in Landen erhalten werden koͤnte, u. ſ. w.
§. 15. Hierbey muͤſte ein Printz vornehmlichin151in der Phyſic, ſo weit als ſie einen Nutzen haͤtte, gruͤndlich und deutlich unterrichtet werden, daß er von anderer Leute gethanen Vorſchlaͤgen und gemachten oeconomiſchen Projecten ur - theilen koͤnte, ob ſie wohl practicabel waͤren oder nicht, und nicht in dieſem Stuͤcke mit frem - den Augen und Ohren ſehen und hoͤren duͤrffe. Er muͤſte darbey die Cameral-Verfaſſungen derer andern Hoͤfe, ſo viel als deren nur zu be - kommen waͤren, durchgehen und examiniren, wie viel es ſich appliciren laſſe oder nicht. Jch bin verſichert, daß ein Printz, den GOtt ſonſt natuͤrliche capacitaͤt verliehen, (indem auch hieꝛbey ein Loth Mutterwitz mehr wieget, als ein gantzer Centner durch der Leute Unterrichtung zu wege gebrachten Witzes) vermittelſt ſolcher Anweiſung geſchickt werden wird, nicht allein ſeine eigne Oeconomie wohl zu adminiſtriren, ſondern auch aller ſeiner Unterthanen ihre zu reguliren und die Gluͤckſeeligkeit des Landes zu wege zu bringen.
§. 16. Es iſt eine unnoͤthige Sache, daß ein Printz in den auslaͤndiſchen und verwirrten Roͤmiſchen Rechten unterwieſen werde, ſon - dern es iſt ſchon gnug, wenn er in dem jure pro - vinciali, ſo in denjenigen Landen, darinnen er einſten ein regierender Herr ſeyn wird, guͤltig iſt, information erlangt. Zu dem Ende iſt ihmK 4in152in der Sprache des Landes ein kurtz Compen - dium aufzuſetzen, und daraus fleißig zu exami - niren. Der Hof-Meiſter muß ihm hierbey allezeit die rationes legum ſagen, und ſo viel als moͤglich die Hiſtorie bey einem jedweden Geſe - tze und Verordnung anfuͤhren, was etwan wohl Anlaß mag darzu gegeben haben. Es ſind dem Printzen auch die Fehler, ſo bey einer und andern menſchlichen Verordnung vorzu - kommen pflegen, zu entdecken und ihm aller - hand gute obſervationes prudentiæ legisla - toriæ an die Hand zu geben, was etwan hier und dar darbey zuverbeſſern ſeyn moͤchte, damit er ſich ſolches, wenn er einmahl zur Regierung koͤmmt, ad notam nehmen, und hernach zur ex - ecution bringen moͤge. Jm uͤbrigen koͤnnen wohl einem teutſchen Printzen die vornehmſten juriſtiſchen Termini, ſo aus den Roͤmiſchen und andern auslaͤndiſchen Rechten entlehnet, und in das Jus provinciale mit eingemengt werden, erklaͤret werden. Wenn er nun dar - innen ziemlich feſte iſt, ſo kan er hernach die Mandata, Patente, und uͤbrigen ausgearbeite - ten Ordnungen ſelbſt nachleſen und ſich nach und nach bekandt machen. Es ſind ihm auch wohl die Obſervanzen und Gewohnheiten die - ſer oder jener Collegiorum, Facultaͤten, Schoͤppen-Stuͤhle u. ſ. w. die in ſeinem Lan -de153de ſind, beyzubringen, aber allezeit darbey an - zuweiſen, was gut oder ſchlimm darbey ſey. Es kan auch nicht ſchaden, daß dem Printzen die Cautelen, die bey dieſem oder jenem Contract in Acht zu nehmen, oder etwan bey Teſtamen - ten, Geld Ausleihen u. ſ. w. vorzukommen pfle - gen, beygebracht werden, weil die Regenten in ſolchen Sachen als privat-Perſonen conſi - deriret werden, und zu ihrer Securitaͤt mit ge - reicht, daß ſie auch von dergleichen Materien einige Nachricht uͤberkommen. Es iſt ihnen der modus procedendi kuͤrtzlich zu zeigen, wie es darbey gehalten werde, oder doch gehalten werden ſoll, damit er auch hievon einige Con - noiſſance habe und wiſſe, was darbey nuͤtzlich oder unnuͤtzlich ſey. Jngleichen iſt es wohl ge - than, wenn einem jungen Printzen vornehmlich Acta publica bißweilen aber auch privata vor - gelegt werden, damit er eine ſpeciem facti dar - aus extrahiren lerne und wiſſe, wie er die Acta mit Vortheil leſen, das unnuͤtze Zeug vorbey gehen, das Haupt-Werck aber, worauff die gantze Sache ankommt, finden, und die Haupt - Momenta darbey treffen moͤge. Es hat die - ſes ſeinen guten Nutzen. Denn ob es gleich eben nicht ein Werck iſt vor einen Regenten, daß er Acta referiren muß, ſo kan er doch biß - weilen in wichtigen Sachen, darbey er etwanK 5mit154mit intereſſiret iſt, die Acta ſelbſt anſehen und unterſuchen, worauff das Werck ankomme und was etwan darbey zu thun ſey, und auch ſeine Raͤthe, wenn ſie wiſſen, daß der Regent ſich nicht allein manchmahl die Gedult nimmt, die Acta zu perluſtriren, ſondern auch das Me - tier verſtehet, zu einem mehrerern Fleiß und ac - curateſſe antreiben. Es iſt ſolches eine Sa - che, die ſich bald lernen laͤſt, und von wenig Re - geln, aber langen Praxi dependiret.
§. 17. Vor allen Dingen iſt ein Printz in dem Staats-Recht gruͤndlich zu unterrichten. Denn dieſes iſt nicht allein nach der heilgen goͤttl. Schrifft die Richtſchnur, wornach die Fuͤrſten ihre eignen actiones anſtellen muͤſſen, da ſie ſonſt von den uͤbrigen menſchlichen Geſe - tzen frey ſind, ſondern auch die Quelle, woraus ſie alle ihre Mandata und Verordnungen, die ſie in das Land ausſchreiben, herhohlen muͤſſen und der Probier-Stein, auf welchen ſie alle ein - heimiſche und auswaͤrtige Geſetze ſtreichen muͤſſen, ob ſie billig oder unbillig, vernuͤnfftig oder unvernuͤnfftig ſind. Je gruͤndlichere Er - kaͤnntnuͤß ſie in dem Staats-Recht haben, je mehr wird ihnen ſolche bey ihren Actionen zu Statten kom̃en, weil die Fuͤrſten ihre actiones darnach reguliren muͤſſen. Es iſt aber hier - bey nicht gnug, daß der Hof-Meiſter mit demPrin -155Printzen ein kurtzes Compendium, als wie den Pufendorff de Officio hominis & civis, durch - gehet, ſondern er muß ihn bey allen ſpecialen Objectis der Republic, z. e. in Anſehung des Krieges, des Friedens, der geiſtlichen Sachen der Straffen, der Aemter, der Jagd - und Forſt-Sachen, der Fluͤſſe, Bergwercks-Sa - chen, u. ſ. w. zeigen, was er dem natuͤrlichen Recht und ſeiner Pflicht nach anordnen und verbieten ſolle, und was er darbey zulaſſen koͤn - ne oder nicht. Wenn er nun in den Principiis und Grund-Saͤtzen des natuͤrlichen Rechts un - terrichtet, ſo muß ihm die Application auf die Landes-Geſetze und Obſervanzen gezeiget wer - den, damit er die Inſtituta der Menſchen nach der geſunden Vernunfft beurtheilen lerne.
§. 18. Nach dem natuͤrlichen Recht iſt das Jus publicum noͤthig. Daher muͤſſen ihm von dem Hof-Meiſter aus denen Land-Tags, Reichs-Tags-Actis und andern Documenten, ſo etwa in den Archiven verwahret werden, ge - wiſſe Præcepta gegeben werden, immaßen die Schrifften, darinnen das jus ſpeciale publi - cum beſonderer Provintzen vorgeſtellet und ausgearbeitet waͤre, gar ſehr rar ſind. Macht ſich ein Printz die Verfaſſung des Landes bey Zeiten kundig, ſo iſt ihm hernach ſolches, wenn er dereinſt zur Regierung koͤmmt, eine ſehrgroſſe156groſſe Huͤlffe. Es muß ihm in der Jugend beygebracht werden, daß die Regierung desje - nigen Landes-Fuͤrſten, der das ſuum cuique fein wohl in Acht nimmt, am veſteſten gegruͤn - det ſey. Daher muͤſte ein Regent ſowohl in Anſehung gegen ſeine Unterthanen, als auch gegen fremde Potentaten und Nachbarn ſeine ihm zukommende Rechte und Gerechtſamen gehoͤriger Maßen vertheidigen und ſich nichts davon entziehen laſſen, aber auch die Funda - mental-Geſetze des Reichs und die mit den Un - terthanen geſchloſſene Capitulationes, aufge - richteten Pacta, Conventa und wie ſie ſonſt nur immer Nahmen haben moͤgen, heilig und hehr halten, dieſelbigen auf keinerley Art und Wei - ſe violiren, noch iemand von den ihm zukom - menden Rechte oder concedirten Privilegiis etwas detrahiren. Wenn er nun in dem ju - re publico ſpeciali desjenigen Landes, uͤber welches er der menſchlichen Hoffnung und Vermuthung nach einmahl herrſchen ſoll, wohl gegruͤndet iſt, ſo muß er ſich auch um die Landes-Verfaſſungen derjenigen Potentaten, mit welchen er entweder benachbart oder mit Anverwandſchafft alliirt, oder auch ſonſt durch ein gewiß gemeinſchafftliches Intereſſe ver - knuͤpfft iſt, bekuͤmmern, weil ihn dergleichen Connoiſſance bey allerhand Reſolutionen,die157die er, wenn er einmahl zur Regierung gelangt, faſſen muß, gar ſehr heilſam iſt, daß er wiſſe, wie er in Anſehung gewiſſer Gerechtſamen, die dieſem oder jenem zukommen, ſeine Meſures nehmen ſoll.
§. 19. Gleichwie ein Printz in den uͤbrigen Wiſſenſchafften nur zu dem Ende unterrichtet wird, damit er ſich zu ſeinem Regiments-Ge - ſchaͤfften deſto mehr qualificiren moͤge; Alſo kan man leicht gedencken, daß ihm keine Wiſ - ſenſchafft noͤthiger ſey als die Staats-Klugheit oder die Kunſt Chriſtl. vernuͤnfftig und gluͤck - lich zu regieren, ſo daß er von GOtt geliebet, von den Unterthanen gelobet und von den Nach - barn gefuͤrchtet werde. Es muß ein Fuͤrſtl. Hof-Meiſter ſeinem untergebenen Printz ſtets zuruffen: Tu regere imperio populos me - menio &c. Ob nun gleich durch die Conver - ſation mit Staats-klugen Miniſtris und eigner Erfahrung dieſe Wiſſenſchafft immer vollkom - mener wird, ſo iſt doch in der Jugend bey ei - nem Printzen der Grund billig hierzu auch mit zu legen. Ein Hof-Meiſter muß keine Gele - genheit unterlaſſen, ſeinem Printzen einige gute Sentimens, dadurch er in der Staats Klug - heit ſich perfection ren koͤnne, beyzubringen. Die Buͤcher, die hierbey zum Fundament zu - legen, ſind gewaltig rar wegen der Urſachen, dieich158ich in dem erſten Capitul dieſes Tractats ange - fuͤhret. Da die Schrifften, welche die pru - dentiam publicam ſpecialem eines Landes abhandeln, nicht gar wohl zum Vorſchein kom - men duͤrffen, ſolche aber einem jungen Printzen am noͤthigſten iſt, ſo muß ein geſchickter Hof - Meiſter durch fleißiges Nachſinnen und muͤhſa - me Unterſuchung allerhand factorum zum Be - huff ſeines Printzen die regulas prudentiæ ſpecialis in Ordnung bringen. Jedoch waͤ - re dieſe Anweiſung nicht wohl eher vorzuneh - men, als biß der Printz die annos diſcretionis erlangt, daß er ſelbſt geſchickt iſt, nachzuſinnen und die Sachen zu examiniren, man ſich auch auff ſeine Verſchwiegenheit und Verſtand ver - laſſen koͤnne. Denn es iſt kein Zweiffel, daß der - gleichen Arbeit ſonſt dem Hof-Meiſter, wenn die Leute erfahren wuͤrden, daß er manches vor ein Gebrechen der Republic und vor einen Miß - brauch hielte, das doch ſo lange ſchon im Schwang geweſen und manchen Leuten ſo viel Vortheil braͤchte, ziemlichen Haß bey denen, die durch eine Verbeſſerung dieſer Stuͤcke und Abſtellung ſolcher Mißbraͤuche einigen Scha - den lidten, zu wege bringen wuͤrde. Es koͤnte der Hof-Meiſter, weil man wenig general und ſpecial-politiſche Compendia und Syſtemata hat, die was taugen, diejenigen Schrifften, diegewiſſe159gewiſſe beſondere politiſche Materien, z. E. von Commercien-Weſer, Manufacturen, Banco, Bruͤcken, Land-Straßen u. ſ. w. abhandeln, mit dem Printzen durchgehen und zeigen, was davon in dieſem Lande, welches ſein Herr Va - ter als regierender Landes-Fuͤrſt beſaͤße, zu ap - pliciren waͤre oder nicht. Es koͤnten dieſe Schrifften mit den beſondern von dem Landes - Fuͤrſten publicirten Ordnungen, Mandaten u. ſ. w. bey einer jedweden Materie conferi - ret und daraus etliche gewiſſe Regulæ genera - les und ſpeciales prudentiæ bey einem objecto Reipublicæ, die ſich gar wohl appliciren lieſ - ſen, verfertiget werden.
§. 20. Da auch das Jus Publicum und die Politica mit der Hiſtorie ſehr nahe verwand, und aus derſelben in manchen Stuͤcken leichte und beſſere Erlaͤuterungen bekommen, ſo iſt ein Printz in dem Studio Hiſtorico allerdings mit zu unterweiſen. Jedoch iſt eben nicht noͤ - thig, daß er in der alten Roͤmiſchen und Grie - chiſchen Hiſtorien groſſe Profectus erlange, ſondern es iſt ſchon genung, wenn ihm die Haupt-Veraͤnderungen aus derſelbigen be - kannt ſind. Am meiſten muß er die Hiſto - rie ſeines Hauſes ſich bekannt machen, und die - jenigen Haͤuſer, mit welchen er aliirt, oder dar - auff er rechtmaͤßige Anſpruͤche zu machen unddie160die Succeſſion in denſelbigen zu hoffen hat. Gleichwie ein Hof-Meiſter bey einem Printzen alles auff die politiſche Klugheit appliciren muß; Alſo muß er auch die Hiſtorie ſo tracti - ren und dem Printzen zeigen, auff welche Pro - vintzien er rechtmaͤßiger Weiſe ein Prætenſions - Recht formiren koͤnne, und aus was vor Ge - legenheit ſolches herruͤhre, mit welchen Haͤu - ſern ſeine Fuͤrſtliche Familie in Erbverbruͤde - rungs-Buͤndniſſen ſtehen, was ihnen vor Recht uͤber andere gewiſſe Fuͤrſten, die ihm das jus vaſallagii ſtreitig machen oder ſich den - ſelben entziehen wollen, wohl zukomme, worauf die Leges fundamentales, Capitulationes und andere oͤffentliche pragmatiſche Sanctiones und Vertraͤge mit den Land-Staͤnden gegruͤn - det ſind, welches alles aus hiſtoriſchen Gruͤn - den unterſucht und eroͤrtert werden muß. Bey der Hiſtorie muß ſich ein junger Printz ſowohl um die Geiſtlichen als Weltlichen bekuͤmmern, damit er auch die vornehmſten Religions-Ver - aͤnderungen und andere merckwuͤrdige Sa - chen, ſo ſich in ſeinen Provintzen in der Kirchen - Hiſtorie zugetragen, einbekomme. Nachge - hends iſt es auch gar gut, wenn er die Hiſtorie der uͤbrigen Staaten excoliret. Jedoch hat er ſich nur um die Haupt-Veraͤnderungen bey einem ieden Reiche zu bekuͤmmern, und wenner161er aus einer iedweden Succeſſions-Reihe den erſten und letzten weiß, ſo hat er ſchon die Con - nexion der gantzen Hiſtorie inne, und iſt es ei - ne uͤberfluͤßige Sache, wenn der Printz nicht ein ſehr gutes Gedaͤchtniß und ſonſt groſſe Luſt an dem Studio Hiſtorico findet, daß er alle die Thaten der Regenten aus der alten, mittlern und neuen Hiſtorie wiſſen ſoll, ein anders iſts, wenn einer von den Regenten aus einer gewiſ - ſen Linie ſich ſonderlich ſignaliſiret und beruͤhmt gemacht, als den man auch billig zu mercken hat.
§. 21. Bey Leſung der Hiſtorien muß der Hof-Meiſter allezeit, wenn er ſolche mit dem Printzen durchgehet, daruͤber moraliſiren und ihm zeigen, wie er aus den Actionen der Re - genten die Regeln der Klugheit heraus ziehen ſoll, iedoch allezeit auch anweiſen, in wie weit ſich dieſelben bey andern Perſonen an andern Orten und zu andern Zeiten wegen der diſcre - panten Umſtaͤnde appliciren laſſen oder nicht, und was der Printz einmahl in ſeiner Regie - rung imitiren, was er aber vermeiden ſolte und koͤnte. Jch halte davor, daß es beſſer iſt, an Statt die Hiſtoꝛie der alten und mittlern Zei - ten anderer Reiche durchzuſtudieren, wenn ein Printz ſich um den neueſten Staat und die Re - giments-Verfaſſung anderer Provintzien undLſon -162ſonderlich derer, die mit ihm benachbart ſind, oder mit denen er einiger Maßen in nexu ſte - het, bekuͤmmert, und alle diejenigen Schriff - ten, die den neueſten Statum Geographicum, Phyſicum und Politicum der andern Laͤnder beſchreiben, fleißig lieſet, um zu ſehen, was er zum Behuff und Vortheil ſeiner Laͤnder dar - aus nehmen koͤnne. Jm uͤbrigen wird nicht noͤthig ſeyn zu erinnern, daß mit dem Studio Hiſtorico das Genealogicum und Heraldi - cum zu verknuͤpffen, als welches auch ſeinen gu - ten Nutzen hat.
§. 22. Zu den philoſophiſchen Wiſſen - ſchafften iſt auch die Mathematic mit zu referi - ren, welche ein Studium iſt, ſo einem Fuͤrſten nicht allein zu Krieges-Zeiten groſſe Dienſte leiſten, ſondern durch welches er auch bey Frie - dens-Zeiten die Wohlfahrt ſeiner Laͤnder ver - groͤſſern kan. Jedoch hat ein Printz nicht noͤthig, einen gantzen Curſum Mathematicum durchzuſtudieren, indem ihm dieſes allzuviel Zeit wegnehmen wuͤrde, er muͤſte denn ſehr groſ - ſe Inclination darzu haben, ſondern es iſt ſchon gnug, wenn er die Geometrie, die Architectu - ram civilem, die Ingenieur-Kunſt, Mechani - cam und Hydraulicam verſtehet. Mit weit - laͤufftigen Demonſtrationen iſt ein Printz nicht aufzuhalten, als welche ihn dieſe Wiſſen -ſchafft163ſchafft nur ſchwer und unangenehm machen wuͤrden, ſondern die Raiſons ſind ihm bey ei - nem ieden Problemate oder Theoremate kurtz und deutlich zu ſagen. Es ſind ihm lauter Practica, die einen evidenten und handgreiffli - chen Nutzen in dem menſchlichen Leben haben, beyzubringen, und keine andere Theoretica mit einzumiſchen, als in ſoweit die Praxis aus derſelben nothwendig herflieſſet, und ohne wel - che ſie nicht wohl von Statten gehet. Die Ana - lyſis iſt zwar vor einen, der in der hoͤhern Geo - metrie etwas rechts zu thun geſonnen, unent - behrlich, aber einem Printzen unnoͤthig, die - weil ſie mehr auf Speculationes als auf Pra - ctica gerichtet iſt. Siehe hiervon mit meh - rern mein Tractaͤtgen von der Beſchaffenheit und Nutzen der Mathematiſchen Wiſſen - ſchafften.
§. 23. Da auch die Printzen nicht allezeit ſerieuſe Sachen tractiren, ſondern bißweilen einiger Veraͤnderung und Vergnuͤgung nach ihren ordentlichen Verrichtungen und Studiis vonnoͤthen haben, ſo ſind ihnen allerdings auch einige Ergoͤtzlichkeiten zu goͤnnen, iedoch allezeit ſo einzurichten, daß ſie nicht allzuviel Zeit damit zubringen, ſich oder andern keinen Schaden darbey zufuͤgen, und, ſo viel als moͤglich, auch etwas bey denſelben profitiren. Es beſtehenL 2ſonſt164ſonſt die Ergoͤtzlichkeiten der Fuͤrſtlichen jungen Herrſchafften in zulaͤßigen und maͤßigen Spie - len, nach Unterſcheid des Alters, als Ballen, Bollonen ſchlagen, mit Kugeln werffen, Schacht - und andere Kunſt-reiche Spiele ohne Gewinn und Eyfer vornehmen, mit aller - ley Geſchoſſen, wenn es ohne Gefahr geſche - hen kan, ſich beluſtigen, nach der Scheibe ſchieſ - ſen, mit der Jaͤgerey und Weide-Werck um - gehen, beitzen, fiſchen, u. ſ. w. Mit einer Rei - ſe an andere ſchoͤne Oerter, mit Converſation bey ihren Freunden und Verwandten, oder auch geringen Standes, wohlgezogenen Juͤng - lingen, und was des Dinges mehr iſt. Es muß dieſes alles ohne Verſaͤumniß der noͤthig - ſten Unterrichtung und mit gebuͤhrender Um - wechſelung geſchehen, ein junger Herr ſich nicht gar zuviel darein verlieben, ſonderlich auch ſei - ne Leibes-Conſtitution daruͤber beobachten, und unmaͤßige Bewegung verhuͤten. Es pfle - gen einige den jungen Printzen das Zeichnen und die Muſic zu recommendiren, ich bin aber mit denen nicht conform. Denn ich halte davor, daß dieſes einem Printzen allzuviel Zeit wegnimmt, die auf ſolche Sachen, die ihm weit nuͤtzlicher waͤren, gewendet werden koͤnte. Je - doch verſtehe ich nicht unter dem Zeichen die mathematiſchen Riſſe aus der Bau-Inge -nicur -165nicur - und Artillerie Kunſt, als die allerdings einem Printzen gar nothwendig ſind.
§. 24. Da die Jugend ihre meiſte Ergoͤ - tzung in den Geſellſchafften ſuchet, am meiſten aber auch durch boͤſe Geſellſchafft geaͤrgert und verfuͤhret werden kan, ſo iſt genaue Acht zu ha - ben, daß nicht ſolche Leute zu dem Printzen ge - laſſen werden, durch deren aͤrgerliche und un - nuͤtze Diſcurſe die Printzen in ihrem guten Vor haben und den Regeln ihrer Auferziehung irre gemacht und zum Boͤſen verleitet wuͤrden. Und wo ein Hof-Meiſter mercket, daß ſich der - gleichen Leute bey ihm einfinden, ſo muß er ſol - che in kuͤnfftigen nicht wieder zu ihm laſſen.
§. 25. Nachdem nun die Fuͤrſtlichen Kin - der etwan erwachſen und in denen nothwendi - gen Stuͤcken, die wir im vorhergehenden bey - laͤuffig angezeiget, angewieſen worden, welches nach Unterſcheid ihrer Art und Faͤhigkeit gegen das 16. oder 18. Jahr bey jungen Herren zu ge - ſchehen pflegt, iſt ferner darauf zu gedencken, daß ſie alsdenn zu Erfahrung der Sachen, die ihnen noͤthig, nuͤtzlich oder wohlanſtaͤndig, nach Gelegenheit entweder zu einer und an - dern vornehmen Verrichtung bey den Regi - ments-Geſchaͤfften gezogen, oder an fremde Hoͤ - fe und Laͤnder, doch mit guter Behutſamkeit, gebuͤhrlicher Inſtruction, treuen Dienern, oderL 3in166in rechtmaͤßige Kriege vor das Vater-Land, oder vor eine bekannte redliche Sache gefuͤh - ret werden, darzu denn auf einem gebuͤhrenden Verlag und nothwendige Bedienung zu geden - cken iſt. Es pflegen auch wohl die regierenden Herren, wenn ſie in ein hohes Alter kommen und erwachſene Soͤhne haben, die wohl erzo - gen und tugendhafft ſind, und ſich ſonderlich gegen ihre Eltern in rechtſchaffener treuer Liebe finden laſſen, ein gewiſſes Stuͤck Landes oder etliche Einkuͤnffte, oder wie man Exempel hat, eine gantze Regierung abzutreten, doch daß ih - res Nahmens Reſpect dabey betrachtet und biß in die Grube erhalten werde, ſiehe Secken - dorff p. 172.
§. 26. Hiermit waͤren alſo die vornehm - ſten Erinnerungen, ſo ich bey der Auferziehung und Unterweiſung der Printzen vor noͤthig er - achtet, beſchloſſen. Jch habe mich nur meh - rentheils bey generalioribus aufgehalten, weil es nicht wohl moͤglich, wegen der beſondern Umſtaͤnde, die nach dem Unterſcheid der Hoͤfe und der Perſonen vorzukommen pflegen, daß man allzu ſpecial hat gehen koͤnnen. Auf ei - ne andere Art iſt bey beſondern Stuͤcken ein Koͤniglicher, auf eine andere aber ein Fuͤrſtli - cher Printz zu erziehen, anders der Erb-Printz und der andere oder dritte, der mit einer Appa -nage167nage vorlieb nehmen muß. Ja es ſind hier - bey die Inclination der Fuͤrſtlichen Eltern, die Gemuͤths-Gaben und Inclination der Printzen ſelbſt, ihre Revenuen und viel andere Particu - laria mehr in Conſideration zu ziehen, wenn man in hypotheſi von der Erziehung dieſes oder jenen Printzens ſein Gutachten ſtellen ſoll. Solches aber thut man nicht eher, als biß es von einem verlangt wird. Das uͤbrige wird in den Beſtallungen und Iuſtructionen, die von den Hoͤfen den Hof-Meiſtern und Informato - ribus der Printzen vorgeſchrieben werden, de - terminiret, die nach dem guſto der Fuͤrſtlichen Eltern eingerichtet werden.
§. 1.
WEnn man unterſuchen will, ob und wie weit die Teſtamente unter den Fuͤrſtl. Perſonen Krafft und Wuͤr - ckung haben, ſo muͤſſen die unterſchiedenen Faͤl - le von einander abgeſondert werden. Es iſt entweder die Rede von dem Fall, wenn ein Fuͤrſt ſelbſt ein Teſtament verfertiget und ei - nem andern zum Erben eingeſetzet, oder wenn ein Regente von einem andern zum Erben ein -L 4geſetzt168geſetzt wird. Jn beyden Faͤllen concerniret es entwedet zwey Fuͤrſtl. Perſonen, da eine die andere eingeſetzt oder einem Regenten und Un - terthanen, wenn dieſer jenem, oder jener dieſem, zum Erben conſtituiret, oder einem Fuͤrſten und auswaͤrtige Privat-Perſon, da einer dem andern Teſtaments-weiſe etwas verlaſſen. Endlich ſo iſt auch derjenige, der auſſer einem Teſtamente ſuccediret und in demſelben aus - geſchloſſen, entweder ein ſouverainer Fuͤrſt o - der ein Privatus. Wir wollen bey allen die - ſen Faͤllen ſehen, was es vor eine Bewandniß damit habe.
§. 2. Der erſte Fall iſt, wenn die Frage vorkoͤmmt, unter zwey Fuͤrſtl. Perſonen, die einander eingeſetzt oder einander etwas verlaſ - ſen. Und zwar ſo haben dieſe Teſtamente, wenn wir die wahre Beſchaffenheit des Voͤl - cker-Rechts anſehen, keine Krafft. Denn da die Fuͤrſtl. Perſonen bloß dem natuͤrl. Recht nachgehen, welches von keinem Teſtamenten etwas weiß, ſo kan auch aus einer Verord - nung, die von Rechtswegen nicht beſtehen blei - bet, weder einig Recht noch Verbindlichkeit entſpringen. Und alſo zweiffle im geringſten nicht, daß derjenige Souverain, der im Teſta - ment ausgeſchloſſen, des Teſtaments unbeſcha - det, ſein Recht verfolgen koͤnne. Die Suc -ceſſion169ceſſion aus einem Teſtamente iſt niemahls gar zu ſicher geweſen, ſo offt der Reichs-Folger die Macht gehabt, ſein Recht zu proſequiren, wel - ches aus dem Exempel Kaͤyſers Ludovicil. er - hellet, deſſen Verordnung unter ſeinen Kindern gantz umſonſt und vergeblich war. Andere Exempel der von Fuͤrſten vergebener Weiſe verfertigten Teſtamente kan man bey dem Gro - tio nachleſen de J. B. & P. lib. I. §. 13. in not. Daher haben Fuͤrſtl. Perſonen, wenn ſie ihre Reiche andern goͤnnen wollen, auff die Teſta - mente ſich nicht verlaſſen, ſondern andere Mit - tel und Wege hervor geſucht. Einige haben noch bey ihren Lebzeiten diejenigen, denen ſie das Reich deſtiniret, zu Landes-Herren ge - macht. Andere durch die Autoritaͤt des Volckes oder der Reichs - und Land-Staͤnde die Teſtamente beſtaͤrcken und befeſtigen laſſen.
§. 3. Es hindert nichts, daß man in den Geſchichten gar viel Exempel der Fuͤrſtl. Teſta - mente antrifft. Denn es iſt zweyerley hier - auff zu antworten. Man hat entweder in An - ſehung der Meriten des vorigen Regenten und aus Andencken vor ſeine Perſon ſeine Teſta - mente reſpectiret, und zwar aus freyen Willen, oder aus Furcht vor der Gewalt demſelben nicht contradiciret. Ja, es iſt auch in manchenL 5Rei -170Reichen und Landen das Recht der Teſtamente recipiret worden. Ein anders aber iſts, wenn der Erbe, der ohne Teſtament daran koͤmmt, eine privat-Perſon iſt, ſo, daß er durch die Buͤrgerlichen Geſetze und das Recht der Teſta - mente obligiret wird. Denn ob es wohl das Anſehen gewinnet, als ob unter denen Souve - rainen, die nur das natuͤrliche Recht erkennen, die Teſtamente nicht Statt haben, ſo muß man doch erwegen, daß die Fuͤrſten, wenn ſie ſchon davon befreyet, von freyen Stuͤcken den Buͤr - gerl. Geſetzen nachleben; Daher, wenn das Te - ſtament die Beſchaffenheit hat, daß es von dem bloſſen Willen zweyer Fuͤrſtl. Perſonen de - pendiret und ein anderer z. E. der ausgeſchloſ - ſene ihm nicht contradiciret, ſo kan das Teſta - ment erhalten werden und beſtehen bleiben. Denn gleichwie ein Fuͤrſt ſich den Geſetzen, die er andern giebt, ſelbſt bißweilen ſubmittiret, alſo iſt es ihm auch unverwehrt, ſich der rechtli - chen Wohlthaten, die er ſeinen Unterthanen verſtattet, zu bedienen. Es kan auch der recht - maͤßige Erbe, der eine privat-Perſon iſt, dem nicht widerſprechen, weil jener durch das Buͤrgerl. Recht vinculirt wird, welches bey dem erſtern Falle eine andere Bewandniß hat - te, da der hæres legitimus ein Souverain, den die Teſtamentlichen Geſetze nichts angehen,ſon -171ſondern er denſelben mit Recht hat widerſpre - chen koͤnnen.
§. 4. Der andere Fall iſt, wenn das nego - tium den Landes-Herrn und ſeine Untertha - nen angehet. Da nun der Fuͤrſt, wie itzt ge - ſagt, des ſeinen Unterthanen concedirten Be - neficii ſich ſelbſt bedienen kan, ſo erhellet auch, daß das Teſtament, wenn ein Unterthan den Fuͤrſten einſetzt, ohne Unterſcheid gelten, ob gleich die nothwendigen Solennitaͤten nicht dar - bey anzutreffen, weil dieſe bloß aus dem buͤr - gerlichen Recht abſtammen, durch welches der zum Erben eingeſetzte Fuͤrſt nicht verbunden wird, ſondern er erſetzet bey dergleichen Teſta - menten durch ſeine Gegenwart alle Solenni - taͤten. l. 19. C. de princ. Teſt. Da aber ein weiſer Regente ſich bemuͤhet, denjenigen Geſe - tzen, ſo er ſeinen Unterthanen gegeben, ſelbſt nachzuleben, ſo verwirfft er freywillig die wider die Geſetze verfertigten Teſtamente, damit er hierbey ſeinen Unterthanen mit gutem Exempel vorgehe.
§. 5. Man mercket leicht, was in dem dritten Falle wohl zu behaupten, wenn von ei - nem Fuͤrſten und auswaͤrtigen Privato die Re - de iſt. Denn es mag entweder der Fuͤrſte ihn zum Erben erklaͤret haben, oder der Fuͤrſtmag172mag zum Erben ſeyn eingeſetzt worden, ſo iſt das Teſtament aus vorher ermeldten Urſachen, ob es gleich buͤrgerlichen Rechtens, guͤltig. Es muß aber bey dieſem Falle das Teſtament rechtmaͤßig und nach den Geſetzen gemacht ſeyn, es muͤſte denn derjenige, der darinnen aus - geſchloſſen und die Sache, davon die Rede iſt, der Bothmaͤßigkeit deſſelbigen Fuͤrſtens unter - worffen ſeyn. Ein Fuͤrſt ſuppliret nur die Solennitaͤten in ſeinem Lande, da er uͤber ſeine Geſetze diſponiren kan, wie er will, nicht aber in eines andern Landen, allwo er vor eine Privat - Perſon gehalten wird. Es ſchadet auch nicht, daß man bey Teſtamenten auf die Statuta des Ortes ſiehet, wo es gemacht wird. Denn wir fingiren hier den Fall, da es nicht nach den Statutis des Orts gemacht worden, ſondern da man dieſelben negligiret hat. Welchen Defect der Landes-Fuͤrſt in Anſehung andrer, die ſich nicht in ſeinen Landen aufhalten, nicht erſetzen mag.
§. 6. Jm uͤbrigen, da ich geſagt, daß ein Souverain, der durch ein Teſtament von ſei - nem Rechte, welches er ſonſt, wenn kein Teſta - ment waͤre gemacht worden, uͤberkommen haͤt - te, ausgeſchloſſen, durch dieſen letzten Willen nicht obligiret werde, ſondern ihm widerſpre - chen koͤnnen, ſo leidet dies ſeinen Abfall, wenndie173die Verordnung entweder durch eine Dona - tionem mortis cauſa, oder eine andere der - gleichen aus beyder Einwilligung beſtehende Handlung vollzogen werden. Denn da die - ſelbige dem Voͤlcker-Recht nach beſtehet, und wenn das uͤbrige ſeine Richtigkeit hat, ein Recht ausmacht, ſo glaubt man, daß derjenige, ſo ſonſt ab inteſtato ſuccediren ſolte, recht - maͤßiger und ordentlicher Weiſe ausgeſchloſ - ſen ſey.
§. 7. Dieſemnach folget aus dem vorher - gemeldten, daß die Teſtamente der Reichs - Staͤnde, ob gleich die Solennitaͤten nicht dar - bey beobachtet worden, guͤltig ſeyn, daferne das Negotium nur zwiſchen ihnen und ihren Unterthanen vorkoͤmmt, indem ſie, Krafft Lan - desherrlicher Hoheit, dasjenige in ihren Terri - toriis verrichten koͤnnen, was der Kaͤyſer im gantzen Territorio expediret; Alſo gedencket Myler de Stat. Imp. c. 26. §. 6. Daß das Teſtament Caroli Auſtriaci, ob es gleich oh - ne Zeugen gemacht, dennoch guͤltig geweſen. Ein anders aber iſts, wenn das Teſtament zweene Reichs-Staͤnde angehet, denn dieſes muß ſeine Solennitaͤten haben, ſintemahl die Staͤnde, in Anſehen des Reichs, vor Untertha - nen gehalten werden. Und eben ſo iſts, ſo offt die Wuͤrckung des Handels ſich außer dieGraͤn -174Graͤntzen des Territorii erſtreckt. Es hin - dert auch nicht die Regel, daß dasjenige, was einmahl nach den Geſetzen des Orts gehoͤriger und ordentlicher Weiſe gemacht worden, al - lenthalben guͤltig ſey. Denn es iſt auch hier, wie oben gemeldet, die Frage von einem Teſta - ment, welches nach den Geſetzen und Gebraͤu - chen des Orts nicht verfertiget worden, ſon - dern ſeiner ſolennen Requiſiten ermangelt.
§. 8. Mit dieſer Diſtinction ſtimmt uͤber - ein, was Reinking bezeuget de Reg. Stat. lib. I. Claſſ. 4. c. 17. n. 37. daß dergleichen Teſta - mente gar oͤffters von den Agnaten, aber nicht von den Kindern, angegriffen worden. Jene bedienen ſich ihrer aus dem Territorio ihnen zuſtehenden Rechte; Dieſe ſind in vaͤterlicher Gewalt, jene muͤſſen in den Lehn-Guͤtern die Facta des verſtorbenen nicht præſtiren, dieſe ſind es aber wohl ſchuldig. Es ſind, wie Li - mnæus davor haͤlt, die Privilegia der Solda - ten-Teſtamente hieher im geringſten nicht zu appliciren. Denn ein Militair-Privilegium dependiret von dem Geſetze, und nicht von der Willkuͤhr und Clauſulen derer, die das Teſta - ment machen, die durch ihre Clauſulen nicht da - hin bringen koͤnnen, daß die Geſetze bey ihren Teſtamenten nicht Statt haben. Ja, es koͤmmt den Soldaten ſelbſt nicht zu, als nurbey175bey einem Teſtamente, ſo ſie in der Campagne gemacht haben. Es hindert auch nicht, daß dergleichen Clauſulen den Erbverbruͤderungs - Pactis pflegen angefuͤgt zu werden, daß ſie nach den Kriegs-Rechten oder nach einigen andern, ſo nur vorkommen koͤnten, gelten ſolten. Denn eine andere Bewandniß hats mit den Pactis, die nach dem Voͤlcker-Recht gelten, wie man ſich nur verglichen hat, und mit dem letzten Willen, welche von den Geſetzen eine gewiſſe Forme vorgeſchrieben.
§. 9. Es fragt ſich, ob wohl die Fuͤrſtl. Kin - der und appanagirten Printzen ohne Solenni - taͤten der Geſetze ihre Teſtamente machen koͤn - nen. Jch halte nicht; Denn dieſes Privilegium koͤmmt nur dem Landes-Herrn zu, der von den Geſetzen frey iſt, die uͤbꝛigen aber muͤſſen ſich wie in andern Stuͤcken, alſo auch bey ihren Teſta - menten den Verordnungen der einen jeden ne - gotio vorgeſchriebenen Geſetze ſubmittiren. Man koͤnte auch an des Regenten ſeiner Ge - mahlin zweiffeln, ob ſie ohne die rechtlichen So - lennitaͤten ihr Teſtament verfertigen koͤnte, in - dem ihr die Rechte der Landes-herrlichen Macht und Hoheit nicht zu ſtehen. Wiewohl ſie ſich nun aus eigenthuͤml. Recht dieſes privilegii nicht anmaſſen kan, ſo wird ſie doch in Anſe - hung ihrer privat-Handlungen der Rechte undPrivi -176Privilegien ihres Fuͤrſtl. Ehe-Gemahls mit theilhafftig.
§. 10. Nachdem wir geſehen, in wie weit die Fuͤrſtlichen Perſonen befugt ſind, ihre Te - ſtamente zu machen, ſo fragt ſichs ferner, ob ſie ihre Kinder wohl enterben koͤnnen, daß ſie in den Fuͤrſtl. Landen nicht ſuccediren ſollen. Denn in denen eigenthuͤmbl. ihnen zuſtehenden Guͤtern bedienen ſie ſich des Rechts der privat - Perſonen. Grotius macht einen Unterſcheid unter den Reichen, die veraͤuſert werden koͤn - nen und die nicht veralieniret werden moͤgen. Er haͤlt davor, daß bey jenem die Enterbung auſſer allen Zweiffel angehe und von den uͤbri - gen Guͤtern nicht unterſchieden ſey. Nun iſt es zwar wahr, daß, wenn ſie das Fuͤrſtenthum durch die Enterbung den Soͤhnen entziehen wollen, noͤthig ſey, daß es veraͤuſert werden koͤn - ne, denn es kan ſonſt nicht, wenn es nicht alie - niret werden mag, von den Kindern auff ande - re gebracht werden. Aber aus der Befugniß zu alieniren entſtehet nicht alſobald das Recht zu enterben. Ja, da die Koͤnigreiche und Fuͤr - ſtenthuͤmer nur nach dem Voͤlcker-Recht ge - ſchaͤtzet werden, die Teſtamente aber, durch welche die Enterbungen geſchehen, Buͤrgerli - chen Rechtens ſind, ſo iſt zu behaupten, daß die Koͤnigreiche und Fuͤrſtenthuͤmer keine Enter -bung177bung admittiren, auch alsdenn nicht, wenn ſie eine Veraͤußerung unter den Lebendigen zulaſ - ſen. Ob wohl in dem vorhergehenden geſagt worden, daß die Fuͤrſten ſich der Wohlthat der Teſtamente, die ſie andern verſtatten, ſelbſt ge - brauchen koͤnnen, ſo iſt dennoch auch dieſes erinnert worden, daß derjenige, zu deſſen præ - judiz das Teſtament gereichet, wenn er ſein ei - gen Herr iſt, und durch die Buͤrgerlichen Rech - te nicht vinculirt wird, widerſprechen koͤnne, indem das Recht der Succeſſion ſelbſt auf Art eines bloſſen juris poſitivi nicht vermag aus - geſchloſſen zu werden. Dieſes ſind aber die Kinder der Koͤnige, die nach ihrer Eltern Ab - ſterben ab inteſtato ſuccediren und alſo wegen des Reichs ſtreitig ſind; Dergleichen Zwiſtigkeiten ſich oͤffters in der Familie der Merovinger und Carolinger entſponnen. Da nun endlich dem natuͤrlichen Recht nach den Kindern die Erbſchafft ihrer Eltern zukommen muß, das iſt dasjenige, was zur Zeit ihres Ab - ſterbens hinterlaſſen worden, ſo mag von ihren Eltern vor dem Tode etwas noch eher in - ter vivos veraͤuſert, denn nach dem Tode durch die Enterbung entzogen werden. Zu dem ſo ſind auch die Koͤnigreiche ordentlicher Weiſe nicht alienabel, denn da durch dieſes Wort ſei - ner Natur nach eine Herrſchafft einer Perſon,Mdie178die nicht durch Erbſchafft, ſondern durch die Reichs Folge fortgepflantzet, angedeutet wird, ſo geſtehet auch Grotius ſelbſt, daß bey dieſer Veraͤuſſerung die Enterbung nicht geſchehen moͤge.
§. 11. Bey Grotii Meynung, die er Lib. 2. cap. 7. §. 25. vorbringt, iſt unterſchiedenes aus - zuſetzen. Denn (1.) da er ſagt, daß die regna alienabilia von den uͤbrigen Guͤtern nicht un - terſchieden waͤren, da doch ein Eigenthums - Herr dieſer mißbrauchen koͤnte, ein Fuͤrſt aber ſolte dieſes nicht koͤnnen, ſo iſt zwiſchen die - ſem und jenem ein gewaltiger Unterſcheid; Die - ſe geriechen zum Nutzen des privat Lebens, jene aber ſind der Voͤlcker und der Republic wegen conſtituiret. (2.) Daß dem natuͤrlichen Recht nach die Enterbungen dieſen Reichen biß auf die alimenten und aus ſolchen Urſachen, die in denen Geſetzen verfaſſet ſind, geſchehen koͤn - nen, da doch dieſes bloſe Neuerungen des Buͤr - gerlichen Rechts ſind, und die Reiche nicht der alimenten wegen conſtituiret worden. Es iſt auch (3.) ein Vater nach ſeinem Tode den Kindern keine alimenta ſchuldig, indem die gantze Pflicht und Sorge der Auferziehung durch den Tod geendiget wird, aber wohl die Erbſchafft. (4.) Die Exempel derjenigen, die wegen eines Verbrechens excludiret worden,gehoͤren179gehoͤrten hieher nicht. (5.) Behauptet er oh - ne Grund, daß ein Sohn, der gegen ſeinem Va - ter ein grob Verbrechen begehet, heimlicher Weiſe vor einen Enterbten gehalten werde, wenn keine Anzeigungen verhanden, daß ihnen die Fauté pardoniret worden. Denn da dem na - tuͤrlichen Recht nach die Enterbung nicht ein - mahl ausdruͤcklicher Weiſe geſchehen kan, ſo geht ſie noch viel weniger heimlicher Weiſe an. Es gilt auch die Enterbung nicht, wenn ſie er - weißlich gemacht wird. Ja es ſcheinet viel - mehr, daß er ihm das Unrecht erlaſſen, der es nicht revengiret hat. Zu geſchweigen, daß auch nicht einmahl das Buͤrgerliche Recht eine heimliche Enterbung zulaͤſt.
§. 12. Es fragt ſich ferner, ob ein Fuͤrſt wohl in Anſehung einiger Stuͤcke etwas Teſta - ments-Weiſe verordnen, in Anſehung anderer aber ohne Teſtament verſterben koͤnne. Es ſcheinet zwar, daß man ſolches vermeinen ſolte, indem in dem L. 7. de Reg. Jur. geſagt wird, daß ein natuͤrlicher Streit ſey, wenn einer ſtir - bet und diſponiret etwas im Teſtament, in Anſehung des uͤbrigen aber ohne Teſtament ab - gehet. Allein dieſes ſcheinet nur den Roͤmi - ſchen Rechten nach contradictoriſch zu ſeyn, als in welchen durch das Wort Teſtament eine allgemeine Diſpoſition angedeutet wird. M 2Nach180Nach dieſen Principiis duͤncket uns freylich wunderlich, wenn einer uͤber alle ſeine Guͤter und Recht diſponiret, und doch nur Stuͤck - weiſe das Teſtament gemacht haͤtte. Daher kan auch ein Soldat, der ſich des Voͤlcker - Rechts bedienet, pro parte teſtiren. Und alſo kan eine allgemeine Regel gemacht wer - den, daß die Landes-Fuͤrſten eben wie die Sol - daten ihre Teſtamente verfertigen koͤnnen. Denn ſie gebrauchen ſich nur des Voͤlcker - Rechts, iedoch iſt in dieſem Stuͤck einige Dif - ferenz, daß die Regenten ihre Printzen nicht excludiren koͤnnen, ob gleich den Soldaten die Enterbung ihrer Soͤhne erlaubt. Jm uͤbri - gen verſtehet ſich von ſelbſt, daß dem Voͤlcker - Recht nach weder die Anzahl noch die Erſu - chung und Invitirung der Zeugen noch ein Con - text, in welchen das Teſtament nacheinander gemachet worden, erfordert werde.
§. 13. Nun iſt noch uͤbrig, daß wir unter - ſuchen, uͤber welche Sachen die Fuͤrſten Teſta - mente verfertigen koͤnnen. Vor allen Din - gen ſind hierbey ihre Privat-Guͤter von den Guͤtern der Fuͤrſtenthuͤmer wohl von einander zu ſondern. Von dieſen koͤnnen ſie niemahls Teſtaments-Weiſe etwas verordnen, von je - nem aber allezeit. Jene heiſſen die Domai - nen, dieſe aber die Cron-Guͤter. Ein Landes -Fuͤrſt181Fuͤrſt kan niemahls in Anſehung des Fuͤrſten - thums oder der Cron-Guͤter teſtiren, ohne nur entweder mit ausdruͤcklicher oder heimlicher Einwilligung des Volcks. Denn wer eine Sache veraͤuſert, bahnet einen Weg, daß die Sache gantz und gar verlohren gehe. Ein an - ders aber waͤre es, wenn er eine rechtmaͤßige Ur - ſache hierzu haͤtte, oder die Noth ihn darzu an - triebe, z. E. Wenn er das gantze Land nicht er - halten koͤnte, wenn er nicht einen Theil davon veraͤuſerte. Es hindern nicht ſo viel Exempel der Monarchen, die in Teſtamenten uͤber ihre Laͤnder diſponiret haben und ſie alieniret. Denn die Exempel beweiſen nichts. Und zudem ſo haben ſie entweder keine Wuͤrckung gehabt, oder ſind mit ausdruͤcklicher oder geheimer Ein - willigung des Volckes geſchehen, oder hernach heimlicher Weiſe approbiret worden, oder es hat auch die Macht und Gewalt darbey præ - valiret.
§. 14. Endlich fraget ſichs, ob ein Fuͤrſt in ſeinem Teſtament urtheilen koͤnne uͤber die Suc - ceſſion, die unter einigen nach ſeinem Abſter - ben ſtreitig iſt? Jm geringſten nicht. Denn da bey ſeinem Leben kein Recht der Succeſſion Statt hat, vielweniger Streit hieruͤber entſtehẽ kan, ſo folgt, daß niemand in dieſer ſtreitigen Succeſſions-Sache judiciren koͤnne, als der, derM 3recht -182rechtmaͤßige Richter iſt, wenn das Succeſſions - Negotium einmahl ventiliret werden wird, welches aber ein Regent bey ſeinem Leben nicht ſeyn kan. Alle diejenigen, die nach ſeinem Tode uͤber die Succeſſion ſtreiten, werden ihn im geringſten nicht in dieſer Succeſſions-Sa - che vor ihren Richter erkennen. Sie werden meinen, ſie ſeyn ſo gut als er, und haben eben ſo viel Befugniß und Recht, ſeinen Verordnungen zu contradiciren und etwas anders zu ordnen, denn er Macht gehabt zu diſponiren.
§. 15. Die Teſtamentliche Succesſion ſcheinet in den Territoriis in Teutſchland nicht ſonderlichen Nutzen zuhaben, indem dieſe insge - mein von der Beſchaffenheit ſind, daß des an - dern zuſtehende Recht die freye Macht zu teſti - ren verhindere. Es fallen alſo die Teſtamen - te bey den Churfuͤrſtenthuͤmern und andern Lehnen, die dem Recht der Primogenitur un - terworfen ſind, weg, bey den theilbaren Lehnen gelten die Teſtamente nicht, als mit Einwilli - gung der Agnaten, denn da dieſen durch die Fun - damental-Geſetze das Succesſions-Recht mit getheilet iſt; ſo mag es ihnen wider ihren Wil - len nicht entzogen werden. Jedoch ſcheinet es, daß ein Vater unter ſeinen Kindern mit et - was freyerer Macht zu theilen teſtiren koͤnne. S. Itter de F. J. c. 13. §. 16. Wenn die Pro -vintzen183vintzen erblich ſind, werden auch die Teſtamen - te in Anſehung der Agnaten guͤltig ſeyn.
§. Daferne die Bluts-Freunde und An - verwandten ermangeln, ſo iſt auch der letzte Beſitzer befugt, durch ein Teſtament die Laͤn - der auf einen Auswaͤrtigen zubringen, wenn ſie allodial ſind. Denn aus der Beſchaffenheit der Guͤter ſchlieſſet man, daß das Reich drein gewilliget. Sind es aber Lehn-Guͤter, ſo wird nicht nur die Einwilligung des Kayſers, wie ſie insgemein davor halten, ſondern auch der Reichs-Staͤnde zur Validitaͤt des Teſta - ments erfodert. Ja es ſcheinet auch in beyden Faͤllen der Conſens der eigenen Unterthanen noͤthig zu ſeyn. Jm uͤbrigen behaupten ihrer vie - le, daß bey Verfertigung der Fuͤrſtl. Teſtamente in Teutſchland die Solennitaͤten des Buͤrgerli - chen Roͤmiſchen Rechts in acht zu nehmen waͤ - ren. v. Ludolph de Introd: Jur. Primog. P. ſpec. aph. 13. Weil ſie in Anſehung der Te - ſtamente vor privat Perſonen gehalten wuͤr - den; Allein es iſt gewiß, daß die contraire Meinung in der Wahrheit mehr gegruͤndet ſey.
§. 17. Jm ubrigen iſt auch bekannt, daß in Teutſchland unter den Fuͤrſtlichen Haͤuſern die Erbverbruͤderungen grand mode ſeyn. Es iſt aber dieſelbige ein Vergleich, den etzliche Fuͤrſt - liche Familien und Haͤuſer mit einander ſchlieſ -M 4ſen,184ſen, mit dem Beding, daß, wenn die eine Fami - lie ausgegangen, die andere zur Succesſion kommen ſolte. Es wird dieſelbige eingethei - let von dem Objecto in eine allgemeine und be - ſondere, von der Wuͤrckung in eine einſeitige und zweyſeitige. v. Schvved. J. P. sect. 2. c. 10. §. 10. Es wollen einige aus den I. pen. C. de Pact. an der Guͤltigkeit dieſes pacti zwei - feln. Allein dieſes Roͤmiſche Geſetze wird auf die Handlungen der Fuͤrſten in Teutſch - land gar ungereimt appliciret. Jm uͤbrigen ſcheinet uͤber den Conſens der paciſcirenden Theile nicht nur die Einwillignng des Kaͤyſers, ſondern auch aller Reichs-Staͤnde, ja auch der eignen Unterthanen, noͤthig zu ſeyn. Wenn nun dieſe Requiſita ihre Richtigkeit haben, ſo koͤnnen nicht nur in Anſehung der Fuͤrſtenthuͤ - mer und anderer Lehnen, ſondern auch der Churfuͤrſtenthuͤmer ſelbſt dergleichen Vertraͤge aufgerichtet werden. Von den Exempeln ſolcher Conventionen ſind die Autores, die ex profeſſo davon gehandelt, zu conſuliren. v. Carpzov. de Pact. Confrat. Saxon. Haſ - ſiac. Die Wuͤrckung dieſer Pacten iſt das gewiſſe Succesſions-Recht, wenn der Fall ſich ereignet, welchen auch durch die Veraͤußerung nicht præjudiciret werden mag. v. Cocceji de Teſtamentis Princ.
§. 1.
GLeichwie die Pflicht der Unterthanen darinnen beſtehet, daß ſie nicht nur ihrem Landes-Herrn Gehorſam er - weiſen, ſondern auch durch Buͤrgerliche Dienſte und aͤuſſerlichen Reſpect ihre Submiſſion be - zeugen; Alſo iſt auch ihre Unterthaͤnigkeit gar ſehr convenient, daß ſie uͤber ihren Landes - Herrn und mit ihrem Landes-Herrn zugleich trauren, und zu der Zeit, wenn der Regente, der ſie kuͤnfftig beherrſchen ſoll, ſeinen Scepter mit Flohr umwickelt, auch ihr Betruͤbniß an den Tag legen. Wer wolte die Obſervanzen ſo vieler Laͤnder und Republiquen mißbilligen? da ſie bey einer allgemeinen Freude des Landes, in Bezeugung ihrer Froͤlichkeit mit den Froͤli - chen gleichſam mit einander certiren, dafern es nur keine ſolche Freude iſt, die GOtt mißfaͤllig und vom Teuffel herruͤhret. Wiewohl bey der Freude koͤnnen die Menſchen leicht excedi - ren, daß ſie etwas vornehmen, welches den Re - geln des Chriſtenthums zuwider iſt. Aber bey einer Landes-Trauer hat man ſolche exces - ſe nicht ſo leicht zu beſorgen. Denn obwohl die Heyden darbey auff allerhand ThorheitenM 5und186und Gotteslaͤſterliche Dinge verfallen, ſo wird doch dergleichen in unſern Chriſtl. Republiquen heutiges Tages ſchwerlich angetroffen. Ja wenn man Vergleichungs-weiſe reden ſoll, ſo ſiehet man, daß ſie ſich bey den Landes-Trauren exemplariſcher, unſtraͤfflicher und tugendhaff - ter bezeugen, denn bey der allgemeinen Freude des Landes. Es iſt die Landes-Trauer von den Regeln des Chriſtenthums und der Unter - thanen Pflicht gantz und gar nicht entfernet, ſondern vielmehr gar ſchuldig und gehoͤrig, in - dem es eine Anzeige eines ſubmiſſen Gemuͤthes iſt, zu der Zeit, da der Fuͤrſt betruͤbt iſt, auch zu - gleich mit zu trauern, weil die Perſon die gantze Republic vorſtellt, und es alſo ſcheinet, daß der Schmertz das gantze Land betreffe.
§. 2. Es ſchreibet die Landes-Trauer der - jenige aus, dem die Landes-Herrſchafft und die Adminiſtration der gantzen Republic zu ſte - het, indem dieſes Ausſchreiben den Actionen der Unterthanen Ziel und Maaße ſetzt, wie ſie ſich hierbey bezeigen und dieſelben in allerhand aͤuſſerlichen Sachen reguliren ſollen. Es iſt dieſe Ausſchreibung mehr vor ein Geſetze denn Befehl zu halten, indem ſie nicht eintzele Perſo - nen, ſondern die ſaͤmtl. Unterthanen concerni - ret. Derowegen, was ſonſt bey promulga - tion der Geſetze in Acht zu nehmen, findet auchhier187hier Statt. Und wie dem Landes-Herrn das Recht die Land-Trauer auszuſchreiben zu ſte - het; Alſo kommt es ihm auch zu, dieſelbe in Anſehung der unterſchiedenen und vorfallenden Ceremonien einzurichten.
§. 3. Die Art und Weiſe die Land-Trauer auszuſchreiben iſt willkuͤhrlich. Jm folgen - den will ich ein Exempel beyfuͤgen, auff was vor Art der gottſeelige Koͤnig in Preußen, Friedrich der dritte, bey dem Abſterben ſeines glorwuͤrdig - ſten Herrn Vaters, Chur-Fuͤrſtens Friedrich Wilhelms die Land-Trauer ſeinen Untertha - nen anbefohlen:
WElcher Geſtalt dem allweiſen GOtt nach ſeinem unwandelbaren heiligen Rath und Willen gefallen, dem weyland Durchlauchtigſten Fuͤrſten und Herrn, Herrn Friedrich Wilhelm, Marggraff zu Branden - burg, des Heil. Roͤm. Reichs Ertz-Caͤmmern und Chur-Fuͤrſten, in Preußen, zu Magdeburg, Juͤlich, Cleve, Berg, Stettin, Pommern, derCaſſu -188Caßuben und Wenden, auch in Schleßien, zu Croßen und Schwibus, Hertzogen, Burggra - fen zu Nuͤrnberg, Fuͤrſten zu Halberſtadt, Minden und Camin, Grafen zu Hohenzollern, der Marck und Ravensberg, Herrn zum Ra - venſtein und der Lande Lauenburg und Buͤ - tow ꝛc. Unſern in GOtt-ruhenden und hertz - vielgeliebten und gnaͤdigen Herrn Vater nach ausgeſtandener Kranckheit am nechſt abgewi - chenen Monat Aprilis, Morgens um 9. Uhr zu Potsdam, durch einenſanfft und ſeeligen Tod aus dieſer vergaͤnglichen Welt abzufor - dern, und der Seelen nach in ſein ewiges Reich zu verſetzen, ſolches wird euch ohne Zweiffel be - reits wiſſend ſeyn. Gleichwie wir nun durch ſolchen hoͤchſt-ſchmertzlichen Todes-Fall in groſ - ſes Trauern geſetzt worden, und zu unſern Her - tzogthum Magdeburg und der Grafftſchafft Mannsfeld Magdeburgl. Hoheit das gnaͤdig - ſte Vertrauen haben, ſie werden ebenmaͤißg ih - nen dieſen betruͤbten Trauer-Fall laſſen zu Her - tzen gehen und darob unterthaͤnigſt Leid tragen; Alſo will uns als Chur-Erben gebuͤhren, die ge - gen hochgedachten unſers Herrn Vaters Gna - den obliegende Schuldigkeit hierunter allent - halben gehoͤriger Maßen zu beobachten. Wan - nenhero wir verordnen, daß ſothaner toͤdlicher Hintritt den erſten Sonntag nach Empfangdie -189dieſes, nach dem hierbey kommenden Formu - lar von denen Cantzeln durch das gantze Land notificiret, das darbey befindliche Gebet ſechs Wochen nach einander, des Sonntags nach de - nen Predigten abgeleſen, dabenebſt ſolche ſechs Wochen uͤber taͤglich eine Stunde des Mittags von 12. biß 1. Uhr in 3. Pulſen gelaͤutet, alſofort bey Erhaltung dieſes der Anfang darzu ge - macht, und zugleich alle oͤffentliche Muſic, ſo wohl in der Kirche als ſonſt uͤberall biß zu ferne - rer Verordnung gaͤntzlich eingeſtellet, wie nicht weniger innliegende gemeine Kirchen-Gebete hinfuͤhro gebraucht werden ſollen. Commit - tiren und befehlen demnach auch hiermit in Gnaden, ihr wollet, daß ſolches alles ohnfehl - bar erfolge, bey denen unter euern Gerichten ſtehenden Predigern und ſonſten alſofort nach Verleſung dieſes, gehoͤrige Verſehung thun. Hieran geſchicht unſere Meinung, und wir ſind euch hiermit in Gnaden geneigt.
§. 4. Es iſt auch diejenige Formul nicht vorbey zu laſſen, die die Magdeburgl. Regie - rung An. 1705. auff Beſehl Jhro Majeſtaͤt des Koͤnigs in Preußen wegen des Abſterbens der Durchlauchtigſten und Großmaͤchtigſten Koͤ - nigin ausgeſchrieben, wie folget:
NAchdem Sr. Koͤnigl. Maj. in Preußen, unſer allergnaͤdigſter Herr ꝛc. DeroRegie -190Regierung des Hertzogthums Magdeburg vermittelſt Dero allergnaͤdigſten Reſcripts vom 3. dieſes in hohen Gnaden bekannt ge - macht, was maßen es dem groſſen GOtt nach ſeinem unerforſchlichen heiligen Rath-Schluß gefallen, Dero hoch - und hertzvielgeliebte Ge - mahlin Majeſtaͤt zu Hannover am 1. Februarii Morgens um 1. Uhr zu Sr. Koͤnigl. Majeſtaͤt ſchmertzhafften Leid-Weſen aus dieſer Zeitlig - keit abzufordern, mit allergnaͤdigſten Befehl alſofort die Verfuͤgung zu thun, daß nicht allein in allen Kirchen Dero Hertzogthums Magde - burg hoͤchſtgedachter Dero Gemahlin Maje - ſtaͤt ſeeliges Abſterben nach Anweiſung des hierbey kommenden gedruckten Formulars kund gethan, und der groſſe GOtt um Abwen - dung aller fernern traurigen und widrigen Zu - faͤlle von Seiner Koͤnigl. Maj. und Dero Koͤ - nigl. Hauſe mit inbruͤnſtigen Gebeth ange - ruffen, ſondern auch in allen Kirchen auf dem Lande und in den Staͤdten von 12. biß 1. Uhr Mittags die Glocken 6. Wochen gelaͤutet, und alle Muſic und oͤffentliche Froͤligkeit auf ein gantzes Jahr eingeſtellet, auch alles, was in dergleichen traurigen Begebenheiten herge - bracht, veranlaßt werde; Als wird Sr. Koͤ - nigl. Maj. allergnaͤdigſte Veordnung und Willens Meinung maͤnniglichen in dieſemHer -191Hertzogthum hierdurch bekandt gemacht, und werden ſich alle und iede gebuͤhrend darnach zu achten, auch inſonderheit Jhrer Koͤnigl. Maj. Bediente und die von dem Dom-Capitel, Praͤ - laten und von Adel vor ſich und die ihrigen nebſt denen Magiſtraten in denen Staͤdten, wegen der Trauer ihre allerunterthaͤnigſte Devotion und Schuldigkeit bey dieſer Begebenheit ge - buͤhrend zu beobachten wiſſen. Uhrkundlich unter dem Koͤnigl. Preußiſchen Regierungs - Secret des Hertzogthums Magdeburg, geben zu Halle den 5. Febr. 1705.
Koͤnigl. Preuß. zur Regierung des Her - tzogthums Magdeburg verordnete Præſident und Raͤthe.
§. 5. Wie es nun ſich nicht ſelten zuzutra - gen pflegt, daß die Fuͤrſten wegen eines gewiſ - ſen Fuͤrſtenthums in Streit gerathen, alſo ge - ſchiehet es auch, daß ſich bey Ausſchreibung der Land-Trauern Contradictiones erheben und was der eine ausſchreibet, wird von dem an - dern wieder verboten. Man hat Exempel, daß bey dergleichen Contradictionen die Kir - chen mit gewaffneter Hand zugeſchloſſen, die Laͤutung der Glocken mit Gewalt verhin - dert, und alles vorgenommen worden, um die Trauer zu hindern oder zu zerſtoͤren. Wie ſollen ſich nun die Unterthanen beyder -192dergleichen Streitigkeiten wohl verhalten? Dafern eine von den beyden ſtreiten - den Theilen in der Poſſeß iſt, ſo exerciret dieſer inzwiſchen, biß er ſein Recht erweißlich gemacht, alle Handlungen des Reichs als Wuͤrckungen der Poſſeſſ, und alſo ſchreibt dieſer auch die Landes-Trauer aus. Dafern ſich aber keiner in der Poſſeſſ befindet, ſondern das Fuͤrſtenthum etwa einem Sequeſter unterge - ben worden, ſo iſt keinem von beyden erlaubt, die Land-Trauer auszuſchreiben, indem des ei - nem Ausſchreiben ſonder des andern præjudiz nicht wohl geſchehen kan, uͤberdieß wird auch durch die Sequeſtration beyder ihre Poſſeſſ ſu - ſpendiret, welches inſonderheit alsdenn Statt hat, wenn das Recht der ſtreitenden Theile noch nicht an Tag geleget worden.
§. 6. Ob aber ein Sequeſter befugt ſey, in dieſem Fall die Land-Trauer auszuſchreiben, dependiret von der præjudicial Frage, was einem Sequeſter inzwiſchen wohl vor Recht in dem Fuͤrſtenthum zuſtehe? ob er es beſitze und alſo auch mit Recht die Landes-herrl. Hand - lungen exercire? Denn da die Rechte der Lan - des-Herrſchafft dem Territorio cohæriren, ſo iſt es auch billig, daß ſie von dem, der das Land beſitzet, ausgeuͤbt werden. Nun iſt aber bekandt, daß eine Sequeſtration um unterſchie -dener193dener Urſachen und aus unterſchiedenen Ab - ſichten vorgenommen werden kan, ſowohl, daß die Sache inzwiſchen erhalten werde, deren Dilapidation von dem Beſitzer zu beſorgen ge - weſen, als auch, daß keiner von den ſtreitenden Theilen indeßen beſitze, deren Rechte einiger Maßen dunckel ſind, und bey welchen zu be - fuͤrchten, daß ſie einander wegen der Macht in die Haare gerathen. Wir wollen nun ſehen, was in dem Fall einer ſequeſtrirten Poſſeß einem Sequeſter vor Recht zuſtehe? Vor das erſte iſt gewiß, daß keiner von den ſtreitenden Theilen inzwiſchen beſitze, oder die Wuͤrckung der Poſſeß exerciren koͤnne. Es fließt aber doch auch zum andern hieraus, daß ein Seque - ſter immittelſt doch das Exercitium oder die Wuͤrckung der Poſſeß haben muß, ohne welche eine Sequeſtration nicht verſtanden werden kan, ob gleich ein ſolches Exercitium keinen Part præjudiciren ſoll. v. Kaͤyſerl. Cammer - Gerichts-Ordnung, P. 2. Tit. 21. §. fin. Sollen Cammer-Richter und Beyſitzer Ge - walt und Macht haben, auf Anruffen der Par - theyen oder fuͤr ſich ſelbſt ex officio die Poſſes - ſion zu ſequeſtriren, und ſo das geſchehen, ſoll alsdenn ſolches keinem Theil an ſein Jnhaben, oder Beſitz im Rechten nachtheilig ſeyn. v. Reichs-Abſchied de an. 1532. Tit. 2. §. 15. NWenn194Wenn nun inzwiſchen ein Sequeſter alle Rech - te des Fuͤrſtenthums und des Tertitorii exer - ciren, denen Unterthanen Geſetze in Anſehung des ſequeſtrirten Territorii vorſchreiben, Ge - richte beſtellen, Sachen decidiren und anders dergleichen vornehmen kan; Wer wolte nun wohl laͤugnen, daß er nicht in eben dieſem Ter - ritorio eine Land-Trauer ſolte ausſchreiben koͤnnen.
§. 7. Gleichwie ein Fuͤrſtlicher Vormund alles dasjenige zu thun befugt, als der Fuͤrſt ſelbſt, und des Reichs Rechte inzwiſchen ex - ercirt, ob er wohl alles im Nahmen des Pupil - len thut; Alſo ſiehet man leicht, daß er bey ſich ereignenden Fall die Land-Trauer auszuſchrei - ben vermoͤgend ſey. Denn da er Geſetze ge - ben und Reſcripta ertheilen kan, ſo kan er ja auch noch vielmehr die Land-Trauer ausſchrei - ben, weil dieſe Ausſchreibung ordentlicher Weiſe auf Art eines Geſetzes oder durch Re - ſcripta expedirt wird. Ja es ſind in der Hi - ſtorie wohl Exempel vorhanden, daß die Vor - muͤnder inzwiſchen, weil ſie die Adminiſtrati - on des Reichs gehabt, gekroͤnet und mit der Koͤniglichen Wuͤrde verſehen worden. Es iſt auch der Mutter, als Vormuͤnderin, dieſes Recht nicht abzuſprechen, indem ſie alle dieRechte195Rechte exerciren kan, die ſonſt den Koͤniglichen oder Fuͤrſtlichen Vormuͤndern zukommen.
§. 8. Da nun heutiges Tages die Land - Trauer aus Landesherrlicher Macht ausge - ſchrieben und alſo der Ausſchreibende zum we - nigſten im gegenwaͤrtigen vor den Landes - Herrn erkannt wird, ſo fragt ſichs, in wie weit des Kayſers autoritaͤt guͤltig ſey in Aus - ſchreibung der allgemeinen Trauer in dem heili - gen Roͤmiſchen Reiche. Dieſes iſt ſo wohl aus der Praxi als gantzen Reichs Verfaſſung bekannt, daß die Landes Herrliche Hoheit der Reichs-Staͤnde nicht admittire, daß der Kay - ſer die Handlungen des Reichs, zumahl wenn etwas durch Geſetze zu expediren und den Un - terthanen anzubefehlen, in dem Territorio der Reichs-Staͤnde exercire, obgleich bißweilen ſich einige differenz zu ereignen pflegt; Alſo kan er noch vielweniger den Reichs-Staͤnden anbe - fehlen, daß ſie die Reichs-Trauer anordnen ſollen, wiewohl ſie ſolche nach Abſterben eines Kayſers ſelbſt ausſchreiben. Folgendes For - mular iſt bey Abſterben des Kaͤyſers Leopoldi von der Magdeburgiſchen Regierung ausge - ſchrieben worden:
NAchdem es dem allmaͤchtigen GOtt gefal - len, den Allerdurchlauchtigſten, Groß - maͤchtigſten Fuͤrſten und Herrn, HerrnN 2Leo -196Leopoldum, erwehlten Roͤmiſchen Kaͤyſer, auch zu Ungarn und Boͤhmen Koͤnig, den fuͤnff - ten dieſes aus dieſer Vergaͤnglichkeit abzufor - dern; Als haben Se. Koͤnigl. Maj. in Preuſ - ſen, unſer allergnaͤdigſter Herr, in Gnaden verordnet, daß ſolches maͤnniglichen in Flecken, Doͤrffern und Staͤdten, in Dero Hertzog - thum Magdeburg und Grafſchafft Mannß - feld, Magdeburgiſcher Hoheit von denen Can - tzeln kund gethan, und die goͤttliche Allmacht angeruffen werden ſoll, das heil. Roͤm. Reich bey ietzigen weit ausſehenden und gefaͤhrlichen Conjuncturen wider deßen Feinde kraͤfftiglich zu ſchuͤtzen, damit ſelbiges durch ſothanen Kaͤy - ſerl. Todes-Fall keinen Anſtoß leiden, ſondern vielmehr durch den bereits erwehlten Roͤmi - ſchen Koͤnig, als deßen deſignirten allerdurch - lauchtigſten Succeſſorn, zu erwuͤnſchten geſeg - neten Ruhe-Stand gebracht werden moͤge. Wobey denn auch Se. Koͤnigl. Maj. in hohen Gnaden befehlen, daß 14. Tage nacheinander alle Glocken um 12. Uhr Mittags mit 3. Pulſen gelaͤutet werden ſoll, mit dem allergnaͤdigſten Anfuͤgen, daß die Muſique, welche ſonſt bey dergleichen Faͤllen auf ſechs Wochen verboten worden, ohnedem anietzo nachbleiben muͤſſe. Wornach ſich ein ieder, dem dieſes angehet, und der dabey ein und anders zu verfuͤgen hat,aller -197allergehorſamſt zu achten und Sorge zu tragen wiſſen wird, daß alſofort nach Ankunfft dieſes mit dem Laͤuten der Anfang gemachet und ſol - ches 14. Tage continuiret werde. Uhrkund - lich unter dem Koͤnigl. Preuß. Regierungs-Se - cret des Hertzogthums Magdeburg, geben Halle den 19. May 1705.
§. 9. Gleichwie nichts convenienter, als daß bey dem allgemeinen Land-Trauern die oͤffentlichen Luſtbarkeiten eingeſtellet wer - den, alſo wird dergleichen auch in Praxi obſer - virt, wie aus den angefuͤhrten Reſcriptis zu er - ſehen. Ob nun wohl ſonſt die Taͤntze bey Hochzeiten, Gaſt-Mahlen und andern Gele - genheiten toleriret werden, und nebſt der In - ſtrumental Muſic keiner Straffe in der Re - public unterworffen, ſo wird doch beydes zur Zeit einer allgemeinen ausgeſchriebenen Land - Trauer vor ein Verbrechen gehalten, und will - kuͤhrlich nach Gelegenheit der Umſtaͤnde be - ſtrafft. Es wuͤrden auch die Unterthanen al - lerdings wider Pflicht handeln, wenn ſie das von dem Landes-Fuͤrſten an ſie ergangene Ver - both bey Seite ſetzen, und ſolche Eitelkeiten zur Zeit der Land-Trauer belieben wolten. Die Straffe, die auf dieſe Verbrecher geſetzt wird, iſt willkuͤhrlich, es muͤſte denn eine gewiſſe in dem Fuͤrſtlichen Edict determiniret ſeyn. N 3Carpzov198Carpzov declarirt ſolche in ſeiner Jurisprud. Conſiſtor. Lib. 2. def. 157. mit einem Præju - dicio, worinnen folgendes vorkoͤmmt: Ob ihr nun wohl in den Gedancken ſtehet, daß, weil die Muſic und das Tantzen an ſich ſelbſt nicht zu verbieten, einige Straffe dießfalls nicht Statt haben moͤge; Dieweil aber gleichwohl er - wehnter Maßen bey ietziger Trauer-Zeit ſol - ches alles einzuſtellen, geſtallt denn das Chur - fuͤrſtl. gnaͤdigſte Edict hiervon oͤffentlich abge - leſen und angeſchlagen worden, ſo haben ſich doch dahero weder ihr, die Spiel-Leute, noch auch diejenigen, ſo getantzet, der willkuͤhr - lichen Straffe, ſo ihnen von der Obrigkeit des - wegen auferlegt werden moͤchte, nicht zu ent - brechen. V. R. W.
§. 10. Jm uͤbrigen fragt ſichs, ob das Ge - ſetze wegen Unterlaſſung der Luſtbarkeiten zur Zeit der allgemeinen Land-Trauer, nur die Un - terthanen in dem Landes-Fuͤrſtlichen Territo - rio verbinde, oder ſich gar ſo weit erſtrecke, daß auch in einem andern Territorio, wo keine Trauer iſt, den Unterthanen verboten ſeyn ſol - te, ſich bey Taͤntzen und andern oͤffentlichen Luſtbarkeiten einzufinden? Denn es pflegt oͤffters zu geſchehen, daß auf den Graͤntzen die Unterthanen bey ſolchen Zeiten die Luſtbarkei - ten in eines andern Herrn Lande mit eben derCom -199Commoditaͤt abwarten koͤnnen, denn in den ihrigen ſelbſt. Nun iſt zwar bekannt, daß die Geſetze ordentlicher Weiſe ſich nur auf die Graͤntzen des Torritorii zu erſtrecken pflegen, und alſo in dieſem Verſtande in einem andern Lande von keiner Wuͤrckung ſeyn. Wenn man aber ſupponiret, daß die verbotenen Taͤn - tze und Luſtbarkeiten zur Zeit der Land-Trauer zu einem Verbrechen werden, und die Inten - tion des Landes-Herrn keinen Effect haben wuͤrde, wenn dergleichen geſchaͤhe, ſondern die - ſes alles in fraudem legis vorgenommen wuͤr - de, ſo iſt wohl zu behaupten, daß auch in dieſem Fall die Unterthanen nichts deſtoweniger auſ - ſerordentlich beſtrafft werden koͤnnen. Zu - dem ſo geht der Wille deßen, der die Land - Trauer ausſchreibet, und die Obligation der Unterthanen dahin, daß auch die Unterthanen durch aͤuſerliche Bezeugungen ſowohl ihren Reſpect gegen das Ausſchreiben des ietzigen Regenten, als auch ihre Hochachtung vor den abgelebten Landes-Herrn an Tag legen ſollen. Gleichwie aber dieſes meiſtentheils nur von dem Fall zu verſtehen, wenn die Unterthanen ausdruͤcklich ſich in ein ander Gebiethe bege - ben, damit ſie die Geſetze und Befehle des Lan - des-Fuͤrſtens durchloͤchern moͤgen, alſo gehoͤ - ret nicht mit unter dieſem Fall, wenn einer nurN 4ſo200ſo zufaͤlliger Weiſe an einen fremden Orte zur Luſtbarkeit gekommen, etwan auf einer Hoch - zeit, alſo daß er es nicht mit Fleiß gethan, um die Verordnung des Landes-Fuͤrſten zu negli - giren, ſondern weil er von andern invitiret worden. Denn dieſer iſt deswegen zu ent - ſchuldigen, weil er nicht in fraudem legis pec - ciren wollen.
§. 11. Ferner wird auch der Land Trauer wegen die Inſtrumental-Muſic in der Kirchen unterlaſſen, die Altaͤre und Cantzeln werden mit ſchwartzen Boy uͤberkleidet und die Geiſt - lichen ſelbſt muͤſſen Trauer-Kleider anlegen. Die uͤbrigen Anzeigungen der Land-Trauern dependiren von der determination der Lan - des-Herren. Viele gehoͤren zum bloſſen de - coro, und ſind unter der Idée der Rechte eben nicht mit begriffen. Es ſind die Arten die Land-Trauern anzuſtellen nach dem Unter - ſcheid der Laͤnder unterſchieden, ſo daß es an die - ſem Orte ſo, an einem andern aber wieder an - dersdamit gehalten wird. Bißweilen kom̃t es auch ſonderlich mit an auff den Willen der Landes-Herren, wie ſie es reguliren wollen.
§. 12. Hierbey fragt ſichs, ob den Gerichts - Herrn wohl vergoͤñt ſey, wegen des Abſterbens einiger von ihren Verwandten in dem Dorffe, woruͤber ſie die Gerichte haben, eine gewiſſeTrauer201Trauer anzubefehlen, und einige Regeln, wie die Unterthanen ihre Trauer reguliren ſollen, vorzuſchreiben. Wenn dergleichen nicht durch eine beſtaͤndige obſervanz eingefuͤhret, ſo iſt ih - nen dieſes Recht wohl ſchwerlich zuzuſchreiben, als welche nur die jurisdiction uͤbeꝛ die Baueꝛn, aber nicht das jus Patronatus haben, denen es auch meiſtentheils zu kommt, noch weniger Lan - des-Herren ſind. Es folget nicht, er iſt uͤbers Dorff mit allen Gerichten belehnet, alſo kan er auch wegen der Trauer-Faͤlle, die ihnen in ſei - ner Familie begegnen, die Trauer in dem Dorffe ausſchreiben und anbefehlen. Da aber bey den gerichtlichen Handlungen die Ge - braͤuche der Oerter unterſchieden, und die be - ſtaͤndige obſervanz das meiſte darbey auszu - machen pflegt, ſo muß man auch dieſelbige in dieſem Fall vornehmlich in conſideration zie - hen. Denn da die uͤbrigen Rechte durch eine Verjaͤhrung von undencklichen Zeiten her ac - quiriret werden, wer wolte wohl laͤugnen, daß nicht auch das Recht eine Trauer in dem Dorf - fe auszuſchreiben, auff die Art zu wege gebracht werden koͤnne. Dieſes wird durch folgendes Reſcript declariret, ſo der ehemahlige Admi - niſtrator des Bißthums Magdeburg in einem controverſen Falle ertheilet:
N 5Wohl -202WElchergeſtallt N. N. zu N. ſich uͤber das Conſiſtorium zu E. wegen an die Prie - ſter und Schulmeiſter des Amts S. er - theilten Inhibition, daß das von den N. N. an - geordneten Hinlaͤuten ihrer ſeelig verſtorbenen Mutter nicht zu verſtatten, unterthaͤnigſt be - ſchweret, ſolches habt ihr innliegend zu erſehen. Wann dann nun, wie angefuͤhret, dergleichen Hinlaͤuten in dem Amte S. bey begebenden Faͤl - len hergebracht, demſelben niemahls vorher contradiciret worden, es ohndem auch nichts ungewoͤhnliches, daß dergleichen von denen, ſo jurisdiction uͤber einen Ort haben, angewieſen werden, ſolches auch die letzte Ehren-Bezeugung der Verſtorbenen zu ſeyn pfleget, ſo ſehen wir nicht, wie gedachtes Conſiſtorium daſſelbe ſcharff verbiethen moͤgen; Begehren dannen - hero an euch hiermit gnaͤdigſt, ihr wollet dieſes Beginnen den verordneten Conſiſtorio gebuͤh - rend verwieſen, und ſie dahin halten, damit N. N. in ſeinem Herkommen und Befugniß nicht ferner beeintraͤchtiget, ſondern das ange - ordnete Laͤuten ungehindert vollbracht werden moͤge. Hieran geſchicht unſere Meinung,
§. 13. Bey denen Heydniſchen Voͤlckernhaben203haben ſie ſeltzame und aberglaͤubiſche Ceremo - nien gehabt, ihre Todten zu betrauren; Einige haben ſich die Haare abſcheeren laſſen; Aſche auff die Haͤupter geſtreuet, ſich die Kleider zer - riſſen, auch die Backen ſelbſt zerfletſcht; Klage - Weiber gehalten u. ſ. w. Gleichwie aber dieſes theils einfaͤltige, theils gottloſe Gebraͤu - che geweſen, alſo ſind ſie von den Chriſten mit Recht rejiciret worden. v. Bœhmers Diſſer - tatio de eo, quod juſtum eſt, circa luctum publicum.
§. 1.
DUrch die Succeſſion wird das Recht des Reichs, ſo ſich ein Landes-Herr entweder ſelbſt erworben oder ihm conferirt worden, bey den Nachkommen fort - geſetzt. Es wird aber die Succeſſion entwe - der von dem Willen des Koͤnigs oder des Volckes reguliret. Den Koͤnigen, die ihre Laͤnder conquetirt und nach Gefallen damit ſchalten koͤnnen, ſtehet auch das Recht zu, uͤber die Succeſſion zu diſponiren. Wann ſolche nun ihren Willen ausdruͤcklich hierinnen de - clariret, ſo iſt derſelbe ſowohl als das Teſta -ment204ment einer Privat-Perſon zu reſpectiren und zu beobachten. Jn dieſem Fall iſt ein Koͤnig befugt, ſein Reich ohne Conſideration des Unterſcheids des Geſchlechts in gleiche Portio - nes unter ſeine Kinder zu theilen, und wenn rechtmaͤßige Kinder ermangeln, kan er es auch auf ſeine natuͤrlich erzeugten Kinder transferi - ren, oder auf die, die er an Kindes Statt auf - und angenommen, ja auch auf die, mit denen er nicht einmahl befreundet iſt.
§. 2. Wenn aber ein Koͤnig in Anſehung ſeines Folgers im Reiche nichts verordnet, ſo muß man ſehen, wen die natuͤrliche Ordnung zur Succeſſion wohl berufft. Denn ob er ſchon ſich weder im Teſtament, noch auf andere Art diesfalls bey ſeinem Leben erklaͤret, ſo iſt doch zu vermuthen, daß er nicht gewolt, daß nach ſeinem Tode, aus Ermangelung eines tuͤchtigen Succeſſoris, eine Zerruͤttung und Un - ordnung in der Republic entſtehen ſolte, die den Unterthanen hoͤchſt-gefaͤhrlich und præjudi - cirlich waͤre. Jnſonderheit wenn dieſes ſei - ne Intention geweſt waͤre, ſo haͤtte er ſolche leicht anzeigen koͤnnen, damit ſich die Buͤrger und Unterthanen auf dem Fall fein bey Zeiten haͤtten proſpiciren koͤnnen. Denn es wird ſowohl von Koͤnigen als von andern præſumi - ret, daß ſie nicht geſonnen, die von ihnen erwor -benen205benen Bona umkommen zu laſſen, oder ſolche nach ihrem Ableben allen Leuten ohne Unter - ſcheid zu verlaſſen, ſondern vielmehr ihren naͤch - ſten und liebſten Bluts-Freunden. Dieſem - nach wird in der Erb-Folge der Patrimonial - Reiche eben die Ordnung in Acht genommen, als bey den andern Erbſchafften der uͤbrigen Privat-Perſonen, ohne nur, wo die Beſchaf - fenheit und Wohlfahrt der Reiche eine andere Verordnung zu erfodern ſcheinet.
§. 3. Ob ſchon ein Vater gleiche Liebe und Gutheit vor ſeine Kinder hat, ſo weiß er doch dieſelbe, wenn er aufrichtig und rechtſchaf - fen geſinnet iſt, ſo zu maͤßigen, daß nicht den Landen, auf welche ſich die Wohlfahrt ſeiner Familie groͤſtentheils zu gruͤnden pflegt, eini - ger Maßen præjudiciret werde, und wo er ſei - nen Willen nicht angedeutet, ſo vermuthet man doch dieſes von ihm. Hieraus folgt, daß ein ſolcher Koͤnig intentioniret ſey, daß auch nach ſeinem Tode die Monarchiſche Norme der Republic conſerviret werde, als welche er durch ſein eigen Exempel approbiret, und we - der durch Worte noch Thaten gemißbilliget. Hernach, weil der natuͤrlichen Inclination nach alle Menſchen lieber denjenigen wohl wol - len, durch welche ihnen mehr denn andern Leu - ten Ruhm und Ehre zuwaͤchſt, ein ieder abernach206nach ſeinem Tode dieſes eher durch ſeine Kin - der erhaͤlt, wenn ſie maͤchtig werden, denn durch andere Leute, ſo glaubt man auch, daß ein Vater lieber ſeinen Kindern denn andern pro - ſpiciren wolle. Denn ſo er dieſes nicht ge - wolt, muͤſſe er ſich dieſerhalben ausdruͤcklich erklaͤren, weil man von niemand glaubt, daß er ſo thoͤricht ſey und nicht wolle, daß ein ſo herr - lich Bonum auf ſeine Kinder komme, ſondern vielmehr einem ieden eigen gelaſſen ſeyn, und Gelegenheit zu Zwiſtigkeiten geben ſolle.
§. 4. Ferner vermuthet man auch, daß die Intention eines Koͤniges dahin gehe, daß nicht allein das Koͤnigreich ſeine regulaire Forme und Einrichtung behalte, das iſt, daß weder das Reich in gleiche Theile unter die Kinder oder naͤchſten Anverwandten getheilet werde, noch alle zuſammen das Koͤnigreich gemein - ſchafftlich adminiſtriren, ſondern auch, daß die Theile des ſummi imperii oder der Landes - herrlichen Macht nicht unter gleiche Bruͤder getheilet werde, als welches beydes mit groſſen Schaden des Reichs und Zerruͤttung der Koͤ - niglichen Familie ſelbſt wuͤrde vergeſellſchafftet ſeyn. Hiermit koͤmmt uͤberein, daß, der Præ - rogativ des Alters unbeſchadet, unter den vie - len Kindern die Manns-Perſonen dem weibli - chen Geſchlecht vorgezogen werden, weil or -dent -207dentlicher Weiſe das maͤnnliche Geſchlecht zur Regierung tuͤchtiger, denn das weibliche. Uber - dieß wird auch Statt finden, daß unter den Kin - dern, die dem Geſchlecht nach einander gleich ſind, der aͤlteſte allezeit der Succesſion faͤhig er - kannt wird, und dieſes nicht nur darum, weil man glaubt, daß er diejenigen wie an Jahren, alſo auch am Verſtande uͤbertreffe, ſondern auch, weil ſonſten die Bruͤder in Anſehung der Conjunction mit dem Vater egal ſind. Wenn dem wuͤrdigſten und geſchickteſten unter ihnen das Reich deferiret werden ſolte, ſo wuͤr - den ſie gewiß in allerhand gefaͤhrlichen Streit und Widerwillen untereinander eingeflochten werden, um ſolchen vorzubeugen, iſt am beſten, die Sache dem Ausſchlag der Geburth anzu - vertrauen, als welche auch faſt die Einwilli - gung aller Voͤlcker approbiret hat. Jedoch iſt hierbey noͤthig, daß der Erſtgebohrne den uͤbrigen in Anſehung ihrer Unterhaltung pro - ſpicire, denn daß er ihnen ſo viel erſtatten und bezahlen ſolte, als ihre Portion austragen wuͤrde, waͤre unnoͤthig und auch nicht wohl moͤglich, denn wenn z. E. vier Bruͤder bey ei - nem Reiche vorhanden waͤren, wo wolte der aͤlteſte wohl ſo viel Geld hernehmen, daß die uͤ - brigen Portiones des Reichs hierdurch com - penſiret wuͤrden?
§. 5.208§. 5. Jſt aber bey dergleichen Reichen ein Koͤnig ohne Deſcendenten, ſo ſuccediren die Bruͤder und Schweſtern, oder in deren Er - mangelung, wie ein iedweder dem letztverſtor - benen an der Verwandſchafft am naͤchſten iſt, iedoch der Prærogativ des Alters und Ge - ſchlechts unbeſchadet. Endlich wird auch die Succesſion auf die naͤchſten Anverwandten des letzten Succeſſoris verfallen, die dem erſten Ur - heber des Reichs mit Bluts-Freundſchafft gantz und gar nicht verwand ſind, und dieſes nicht nur durch den ausdruͤcklichen Willen des Verſtorbenen, ſondern auch wenn dergleichen Art zu ſuccediren in Anſehung der Privat - Erbſchafften in dem ſelbigen Lande eingefuͤhret iſt. Und demnach wenn der Landes-Herr durch ausdruͤckliche Verordnung nicht davon abgehet, ſo glaubet man auch, daß er denſelben in Anſehung ſeiner Succesſion beliebet habe.
§. 6. Jn denjenigen Reichen, in welchen die Regierung durch freye Willkuͤhr des Volcks conſtituiret worden, dependiret das gantze Succesſions-Werck von dem Willen des Volckes. Wenn es aber auf den Koͤnig nicht nur die Landesherrliche Herrſchafft, ſon - dern auch das Recht wegen Beſtellung eines Succeſſoris ausdruͤcklich conferiret hat, ſo koͤmmt derjenige dran, den er zu ſeinem Folgerim209im Reiche deſigniren will. Wenn das Volck in Anſehung der Succeſſion etwas verordnet, ſo hat es entweder dieſelbe nach Art und auf den Fuß der Privat-Erbſchafften eingerichtet, in ſoweit ſie auf das Reich nuͤtzlich zu applici - ren, oder ſie auf eine beſondere Art temperirt. Die Wohlfahrt der Republiquen erfodert, daß die Erb-Succeſſion der Reiche von der Be - ſchaffenheit der bey den Privat-Erbſchafften eingefuͤhrten Succeſſionen vornemlich in fol - genden Stuͤcken abgehe. (1.) Daß das Reich unter unterſchiedene Bruͤder und Erben, die in gleichen Grad von dem letztverſtorbenen entfernet, nicht getheilet werde, indem dieſes zur Beſchuͤtzung des Reichs und Erhaltung der Eintracht der Unterthanen gar viel contribui - ret. (2.) Daß die Succeſſion auf diejeni - gen komme, die von dem erſten Koͤnige abſtam - men, und weder auf die Seiten-Verwandten, noch weniger auf die Schwaͤger gebracht wer - de, denn das Volck hat das Reich nur dem Koͤnige und denen von ihm gerader Linie ab - ſtammenden Deſcendenten deſtinirt. Wenn dieſe abgegangen, ſo uͤberkommt alsdenn das Volck wieder das Recht, hierinnen zu diſponi - ren. (3.) Daß nur diejenigen der Reichs - Folge faͤhig erkannt werden, die nach den Ge - ſetzen des Vaterlandes gezeuget worden, dahe -Oro210ro werden die unehelichen Kinder ausgeſchloſ - ſen, ob ſie gleich der Vater ſo ſehr liebet, als wie die ehrlich - und ehelich erzeugten. (4.) Daß in einem gleichen Grade die Manns-Per - ſonen dem weiblichen Geſchlechte vorgezogen werden, ob ſchon die Weibes-Perſonen vor den Manns-Leuten ſich einer Prærogativ des Al - ters ruͤhmen koͤnten. (5.) Daß unter den Manns-Perſonen und in deren Ermangelung den Weibs-Perſonen der aͤlteſte denen uͤbrigen von gleichem Grade allezeit vorgezogen werde. (6.) Differiren auch dergleichen Reichs Fol - ger von denen gemeinen Erbſchafften, daß, ob ſie ſchon nicht anders denn durch Abſterben des erſten Beſitzers auf dem andern devolviret und von dieſen jenem gleichſam aus der Hand in die Hand gegeben werden, dennoch durch Gelegenheit des erſtern Eigenthums-Herrn auf den andern kommen, nicht aber wie die an - dern Erbſchafften durch des erſtern Eigen - thums-Herrn Recht, Willen und Wohlthat. denn die Succesſion dependiret in dieſen Rei - chen nicht von dem Willen des letzten Beſitzers, ſondern wird durch die Verordnung des Vol - ckes bey dem Koͤniglichen Stamm continui - ret. Daher iſt auch unnoͤthig, daß der Suc - ceſſor, ob er gleich dem Grade nach der naͤch - ſte, die Onera und Beſchwerungen des Ver -ſtor -211ſtorbenen, die ſeinen Privat-Guͤtern inhæri - ren, uͤber ſich nehme, ſondern er kan nach Ge - fallen das Koͤnigreich annehmen und die Erb - ſchafft des Privat-Patrimonii fahren laſſen, weil die Erbſchafft des Reichs von der uͤbrigen ein abgeſondert Werck iſt. Denn man glau - bet, daß das Volck die beſte Art der Succesſion habe erwehlen wollen, und iſt ihnen nichts dran gelegen, wie es mit den Privat-Guͤtern und Vermoͤgen des Koͤnigs gehalten werde. Ja es wuͤrde auch dem Volcke ſelbſt eine Laſt ſeyn, wenn der Succeſſor zur Bezahlung der Pri - vat-Schulden des Koͤniges obligiret waͤre. Denn wenn er in ſeinen Privat-Guͤtern nicht ſo viel haͤtte, ſo muͤſten ſie ihm aus dem Publico bezahlt werden. Es hat aber das Volck dieſe Art der Succesſion beliebet, damit man in An - ſehung des Succeſſoris nicht in ſolcher Unge - wißheit waͤre, und zu Vermeidung der bey den Wahlen ſich ereignenden Beſchwerlichkeiten und auch dem Koͤnig in Anſehung ſeiner herrli - chen Geburth ein Splendeur zuwege gebracht wuͤrde, und wegen ſeiner guten Auferziehung er die Hoffnung von ſich geben moͤchte, daß er die Koͤnigliche Dignitaͤt mit Reputation verwal - ten wuͤrde.
§. 7. Da es ſich nun aber, in Anſehung dieſer Art der Succesſion unter den Perſonen,O 2die212die von den Stamm-Herrn gar weit entfernet ſind, leicht zutragen kan, das nicht ſo gar deut - lich und ausgemacht waͤre, welche der andern wohl vorzuziehen ſey, denn ſo waͤre ein ieder, wie er dem verſtorbenen Koͤnig am naͤchſten verwand waͤre, ſchlechterdings der Crone faͤhig, da zumahl der favor repræſentationis bey de - nen entfeꝛnten Gradibus nicht Statt hat, ſo iſt zu Benehmung dergleichen Streitigkeiten bey vielen Voͤlckern die Succesſion, welche die Li - nealis genennet wird, eingefuͤhrt worden. Solche beſtehet nun darinnen, daß alle die von den erſtern regierenden Stamm-Herrn her - kommen, gleichſam eine Perpendicular-Linie ausmachen, von welchen eine iede der Succes - ſion naͤher, nachdem ein iedweder in eben dem Grad einen andern an Geſchlecht und Alter uͤbertrifft. Und die Crone koͤmmt nicht eher auf eine andere Linie, biß alle aus der erſten Li - nie abgegangen, daher duͤrffen diejenigen, die auf die Art ſuccediren wollen, nicht zehlen, in welchen Grad ſie von dem letztverſtorbenen Koͤnig diſtiren, noch ſich auf das jus repræſen - tationis beziehen, ſondern wie ein iedweder ge - bohren wird, ſo erklaͤren ihn auch die Geſetze zur Succesſion faͤhig, welch Recht ein iedweder auf alle ſeine Kinder in gleicher Ordnung trans - ferirt, ob er gleich das Reich ſelbſt nicht hat. Die -213Dieſemnach kommen gewiß die Kinder des letz - ten Beſitzers dran, iedoch ſo, daß man auch die Verſtorbenen in Conſideration ziehet, wenn ſie Kinder haben, von welchen Grad ſie wollen, und wenn des Verſtorbenen Linie den Vorzug hat, ſo ſchlieſſen auch ſeine Kinder die uͤbrigen alle mit einander aus, iedoch daß bey einen glei - chen Grad derſelben Linie der Vorzug des Al - ters und Geſchlechts attendiret werde.
§. 8. So viel von der Art zu ſuccediren dem natuͤrlichen Recht nach. Wenn wir uns nun um die Succesſion der teutſchen Landes - Fuͤrſten bekuͤmmern, ſo iſt ein Unterſcheid zu machen unter den Chur-Fuͤrſtenthuͤmern und uͤbrigen Territoriis. Die Chur-Fuͤrſtenthuͤ - mer ſind untheilbar, A. B. c. 24. und ſuc - cediren in denſelbigen nur die Manns-Perſo - nen und von den Kindern der Erſtgebohrne, wenn er nur die in den Fundamental-Geſetzen ausgedruͤckte Requiſita hat, und ſich ſeines Rechts nicht begeben. Jn Ermangelung der Deſcendenten gehoͤret das Chur-Fuͤrſten - thum dem naͤchſten Agnaten, welche nahe Ver - wandſchafft nicht nach dem Grad und Alter, ſondern der Propinquitaͤt der Linie zu ſchaͤtzen iſt, woruͤber doch bißweilen gar ſcharff geſtrit - ten wird.
§. 9. Jn Anſehung der uͤbrigen Territo -O 3riorum214riorum in Teutſchland wird die Succeslion in - ſonderheit den Teutſchen, hernach aber auch den Longobardiſchen Lehn-Rechten nach ausgema - chet, in ſoweit nemlich beyde Rechte ſich auf die teutſchen Provintzen appliciren laſſen. Jn - zwiſchen iſt nicht zu laͤugnen, daß nicht auch biß - weilen ſowohl wegen des Concourſes ſolcher Rechte, wenn ſie zuſammen kommen, als auch Ermanglung gnugſamer Deciſion und unver - aͤnderten Beſchaffenheit der Gebiethe unge - wiſſe und zweifelhaffte Fragen vorfallen.
§. 10. Anbelangende die ſuccedirenden Perſonen, ſo ſuccediren dem alten Lehn-Recht nach in den Lehn-Guͤtern (1.) die von dem er - ſten Acquirenten abſtammen, (2.) die aus einem rechtmaͤßigen Ehe-Bette erzeuget, (3.) zu Krieges-Dienſten geſchickt ſind, und (4.) von denen, die von einem entferntern Grade ſind, ihren Urſprung herleiten. Gleichwie nun biß - weilen diejenigen, ſo ſonſt zur Lehns-Succeſſion faͤhig waͤren, durch ein Pactum oder begange - nes Verbrechen ausgeſchloſſen, alſo werden auch im Gegentheil die untuͤchtigen durch eine beſondere Convention admittiret, wie ſolches in dem Lehn-Rechte mit mehrern ausgefuͤhret wird.
§. 10. Ob nun aber dieſe Requiſita bey den Landes-Fuͤrſtlichen Succeſſionen Statthaben,215haben, wollen wir unterſuchen. Jn Anſe - hung des erſten iſt kein Zweifel, ſo lange als die - jenigen, die ſuccediren wollen, die Qualitaͤt der Deſcendenten behalten, wenn ſie aber dem letztern Beſitzer collaterales werden, ſo fragt ſichs, ob ſie in Anſehung der Bluts-Freund - ſchafft oder der ſaͤmtlichen geſchehenen Beleh - nung admittiret werden? Den Longobardi - ſchen Rechten nach gruͤndet ſich die Succeſſion auf die Bluts-Freundſchafft, den Teutſchen aber bey den mittelbahren Lehnen auf die ſaͤmtli - che Mit-Belehnung. Das letztere hat auch bey den unmittelbaren Territoriis Statt. v. Schil - ter Diſſert. de ſimultan. inveſtit. Princ. Imp. Jedennoch iſt das Recht der Bluts-Freund - ſchafft auch nicht vorbey zu laſſen, indem nach der Ordnung die ſimultanea inveſtitura pfle - get attemperirt zu werden, daß alſo angefuͤhr - ter Maßen das erſtere Requiſitum hier aller - dings Platz findet.
§. 11. Das andere wird auch in Acht ge - nommen, daher werden nicht nur die an Kindes Statt angenommen, ſondern auch die natuͤrli - chen, ob ſie gleich vom Kaͤyſer legitimiret waͤ - ren, ausgeſchloſſen, doch diejenigen, die durch nachfolgende Ehe legitimiret und aus einer un - gleichen Ehe entſpringen, ordentlicher Weiſe vor ehelich und rechtmaͤßig gebohrne gehalten. O 4Das216Das dritte und vierdte Requiſitum wird ebner Geſtalt in Conſideration gezogen, ſo daß re - gulariter die Manns-Perſonen nur dran kom - men, die Weibes-Perſonen aber mit den ihri - gen excludiret werden. Jedoch giebt es auch gewiſſe feuda illuſtria, in welchen die Wei - bes-Perſonen und ihre Verwandten, aber nur in Ermanglung anderer, ſuccediren.
§. 12. Ob aber andere untuͤchtige, als, tau - be, ſtumme und mit einem andern Gebrechen behafftete, Krafft dieſer requiſitorum von der Succesſion abgehalten werden, iſt wied er eine andere Frage? Die meiſten behaupten es; Jch wolte aber einen Unterſcheid machen unter den Maͤngeln des Gemuͤths und Leibes. Von je - nen wolte ich glauben, daß ſie der Landes-herr - lichen Succesſion im Wege ſtuͤnden, dieſe aber nicht.
§. 13. Jm uͤbrigen iſt bekandt, daß bey vie - len unmittelbaren Lehnen das Recht der Erſtge - burth Statt hat, veꝛmoͤge welcher von denen, die ſonſt einander egal ſind, der Erſtgebohrne allein ſuccediret, und denen, die nach ihm gebohren, mit ſeiner gantzen Familie vorgezogen wird. Es wird auch unter den Deſcendenten des Erſtge - bohrnen ſelbſt eine prærogativ des Alters in Acht genommen, als z. E. wenn er zwey Soͤhne hinterlaͤßt, ſo wird der erſte mit ſeinen Nach -kom -217kommen dem andern vorgezogen, und alſo iſt die Natur ſolcher Succesſion dieſe, daß der Erſtgebohrne, er mag es nun gleich ſeyn, oder in Abgang der erſtern werden, mit ſeinen De - ſcendenten eine beſondere Linie ausmacht.
§. 14. Daß das Recht der Erſtgeburth zu - laͤßiger und rechtmaͤßiger Weiſe eingefuͤhret werden koͤnne, iſt gantz richtig, indem kein goͤtt - lich Geſetze jemand zu einer gleichen Austhei - lung der Guͤter obligiret, und auch zu Erhal - tung der territoriorum und der Fuͤrſtl. Fami - lien gar nuͤtzlich iſt. Es wird das Jus primo - genituræ introduciret (1.) durch die allgemei - nen Reichs-Geſetze (2.) durch die Pacta der Fuͤrſtl. Familien und (3.) durch die Teſtamen - ta. Jnsgemein wird hierbey auch die Kaͤy - ſerl. Confirmation eingehohlet, ſo, daß einige davor halten, daß dieſe Pacta, ob ſie gleich eyd - lich ſind, bey Ermangelung des Conſenſes die Erben nicht obligiren. Andere aber meinen, man muͤſſe einen Unterſcheid machen, ob das Recht der Erſtgeburth nur in Anſehung ei - ner gewiſſen Familie oder eines territorii ſchlechterdings Statt haͤtte? bey jenem Fall waͤ - re der Conſens der paciſcirenden Theile ſchon gnug; bey dieſem aber waͤre nicht nur die Ein - willigung des Kaͤyſers, ſondern auch des ge -O 5ſamten218ſamten Roͤmiſchen Reichs zu requiriren. S. Textoris Diſſert. de Succeſſionibus.
§. 1.
OB gleich die Printzen und Fuͤrſtlichen Perſonen an Ehre und Dignitaͤten die uͤbrigen Sterblichen uͤbertreffen und vor privat-Perſonen einen ſehr groſſen Vor - zug haben, ſo ſind ſie doch der natuͤrlichen Be - ſchaffenheit nach andern Menſchen, auch den allergeringſten gleich zu ſchaͤtzen, welches ſie zwar nicht allezeit zu bedencken pflegen. Sie werden gebohren wie andere Menſchen, ſie ſterben wie andere, in ihrer Kindheit brauchen ſie eben die Auffſicht, Pflege und Wartung als der gemeineſten Leute Kinder, und wuͤrden ohn anderer Leute Beyhuͤlffe ihr Leben nicht erhal - ten und fortſetzen koͤnnen. Gleichwie ſie nun die uͤbrige phyſicaliſche Beſchaffenheit mit an - dern Leuten gemein haben, alſo heißt es auch von Fuͤrſtl. Perſonen: Verſtand kommt nicht vor den Jahren, und wiewohl einige Printzen bißweilen auch in ihrer zarten Kindheit ſehr groſſe Marquen des Verſtandes von ſich ſpuͤh -ren219ren laſſen, ſo iſt doch dieſes nicht univerſel, und trifft man dergleichen bey andern auch mit an. Die meiſten hingegen reden in ihren Kinder - Jahren als Kinder, und haben kindiſche An - ſchlaͤge.
§. 2. Da nun die Pflicht eines Regenten in Beſchuͤtzung ſeiner Unterthanen beſtehet, die minderjaͤhrigen Printzen aber nicht einmahl ge - ſchickt ſind, ihren eignen Sachen vorzuſtehen, geſchweige Land und Leute zu regieren, ſo fol - get nothwendig, daß ſie in ſolchen Jahren zu den Regiments-Geſchaͤfften untuͤchtig ſind, und daher nach Abſterben ihrer Fuͤrſtl. Vaͤter, als Landes-Herren, Vormuͤnder vonnoͤthen haben, die ſo wohl auff ihre eigene Perſonen Acht ha - ben, als auch die Reichs - und Regiments-Ge - ſchaͤffte, biß die Printzen zu ihren voigtbaren Jahren gekommen, mit beſorgen. Denn zu Adminiſtrirung der Republic gehoͤrt eine ſehr groſſe Vorſichtigkeit, ſo daß man nicht allein das Gegenwaͤrtige recht beobachten, ſondern auch das Zukuͤnfftige præcaviren muß. Wel - che Capacitaͤt aber in den minderjaͤhrigen Alter zu ermangeln pflegt; zu geſchweigen, daß die Menſchen auch in ſolchen Jahren allzufurcht - ſam, leichtglaͤubig und unbeſtaͤndig ſind, und da - her zu Verrichtung wichtiger Negotien un - tuͤchtig.
§. 3.220§. 3. Da nun aber in dem natuͤrlichen Recht nicht ausgemacht, wem bey Fuͤrſtl. Perſonen die Vormundſchafft auffzutragen, ſo entſtehen dieſerhalben unter den Rechts-Lehrern unter - ſchiedene Fragen und Diſputen, wer wohl zum Vormuͤndern zu erwehlen ſey? Einige als wie Grotius machen einen Unterſcheid unter den Patrimonial-Reichen und unter denen, die nicht patrimonial ſind, und meinen, bey jenen koͤnten diejenigen Vormuͤnder abgeben, die der Vater oder die naͤchſten Anverwandten darzu erwehlen wuͤrden, bey dieſen aber, welchen die oͤffentliche Landes-Geſetze oder in deren Er - mangelung die Einwilligung des Volckes ſol - ches aufftragen wuͤrden. Andere verwerffen dieſe diſtinction gantz und gar und halten die - ſelbige vor ungegruͤndet. Noch andere ſtehen in den Gedancken, es komme dieſes lediglich auff den Willen und den Gefallen des verſtorbenen Koͤnigs an, und dieſer ſey bloß befugt ſeinen zu - ruͤck gelaſſenen minderjaͤhrigen Printzen, der ſein Nachfolger werden ſoll, wegen der Vor - mundſchafft zu proſpiciren, ſo daß der Nach - folger dieſer Verordnung nachgehen und das Volck verbunden ſeyn muͤſſe, ſie zu Gouverni - rung der Republic und zur Vormundſchafft des unmuͤndigen Koͤnigs zu admittiren. Da aber dem Succeſſori eben ſo wohl die hoͤchſteGe -221Gewalt zuſtehet als dem, der zuletzt das Steu - er-Ruder in der Republic gehabt, ſo wuͤrde ſeltz am ſeyn, wenn er vermeynen ſolte, daß er hierdurch etwas anordnen koͤnte, welches nach ſeinem Tode feſter und unverbruͤchlicher gehal - ten werden muͤſſe. Gleichwie er durch ſeinem Tod auffhoͤret regierender Herr zu ſeyn; Alſo kan er auch nichts verordnen das nach ſeinem Tode feſt gehalten werden muͤſſe.
§. 4. Es giebt auch einige Exempel in ge - wiſſen Reichen, da die Fuͤrſtl. Muͤtter als Wittwen, nicht nur die Vormundſchafft uͤber ihre minderjaͤhrige Printzen, ſondern auch die Regierung ſelbſt uͤber ſich genommen. Allein es ſcheinen dieſe Faͤlle gantz beſonders, und von den rationibus des Voͤlcker-Rechts entfrem - det zu ſeyn, und haben die Weibes-Perſonen dergleichen Regiment entweder durch Liſt und Betrug, oder die beſondere Einwilligung des Volckes uͤberkommen. Nach dem Voͤlcker - Recht muß die Verwaltung des Regiments de - nen Maͤnnern, nicht den Weibern zu ſtehen. Jnzwiſchen iſt in der geſunden Vernunfft und natuͤrlichen Billigkeit gantz wohl gegruͤndet, daß die Vormundſchafft und Aufferziehung der jungen Printzen der Fuͤrſtl. Frau Mutter zuuͤberlaſſen iſt.
§. 5. Was nun die Vormundſchafft desReichs222Reichs anlanget, ſo iſt dieſelbe in dem natuͤrli - chen Recht nicht voͤllig determiniret, ſondern es beruhet ſo wohl ſie als auch das gantze Succes - ſions-Weſen auf menſchlichen Verordnungen. Jn den Buͤrgerlichen Recht, welches aber die Fuͤrſtl. Perſonen nicht verbindet, iſt die Lehre von der Vormundſchafft weitlaͤufftig abgehan - delt. Es iſt der Ruhe und dem Wohlſtand einer Republic gar hoch dran gelegen, daß auch in den Fundamental-Geſetzen des Reichs und des Fuͤrſtenthums entweder bey der erſten Ein - richtung deſſelben oder doch hernach durch ein allgemeines Reichs-Gutachten mit Einwilli - gung der naͤchſten Agnaten und vornehmſten Staͤnde ausgemacht werde, wie es dereinſt bey denen ſich ereignenden Vormundſchaffts-Faͤl - len gehalten werden ſoll. Jſt aber dergleichen in den Reichs-Geſetzen oder obſervantzen der Laͤnder nicht decidiret und die Partheyen ſind dieſerhalb ſtreitig, ſo ſcheinet dem natuͤrlichen Recht nach das Befugniß der naͤchſten maͤnnli - chen Anverwandten, die von der maͤnnlichen Li - nie abſtammen, ſich der Vormundſchafft anzu - maſſen, am allermeiſten gegruͤndet zu ſeyn. Denn es vermag weder die Mutter, die zur Ad - miniſtration der Regierung unfaͤhig iſt, noch das Volck ein ſtaͤrcker Recht zu allegiren, ſinte - mahl es alle ſein Recht auff die Koͤnigl. Familietrans -223transferiret hat, und demnach ſo lange noch je - mand davon uͤbrig iſt, ſich des Regiments nicht antheilig machen kan. Ein Auswaͤrtiger hat noch weniger raiſon anzufuͤhren, warum er, da ihm gar kein Recht zum Reich zu ſtehet, demje - nigen, der die naͤchſte Hoffnung zur Succesſion hat, vorgezogen werden ſolte.
§. 6. Die Pflicht eines Reichs-Vormun - des und eines Koͤniglichen Vormundes iſt ei - nerley. Es beſtehet ihr Amt darinnen, daß ſie das Recht des Reichs und der Unterthanen be - ſchuͤtzen, und die Macht haben, alles dasjenige zu thun, was zu gluͤcklicher Exequirung dieſes Rechts gereichet. Daher ſteht auch bey ih - nen Krieg zu fuͤhren und Frieden zu ſchlieſſen. Ein Vormund iſt auch zu demjenigen verbun - den, worzu ſonſt einer, der fremde Sachen ver - waltet, obligiret iſt, ſo daß er nicht nur ſeine Tutel getreulich nach ſeinem beſten Wiſſen und Gewiſſen zu fuͤhren, ſondern auch dem Printzen, wenn er einſten erwachſen, in Anſe - hung ſeiner Vormundſchafft, Rechenſchafft, Rede und Antwort zu geben geſchickt ſey; Und wenn dem Vormund keine Rechenſchafft ab - gefodert wird, ſo geſchicht ſolches entweder des - wegen, weil der Printz ihm ſolche aus Gnaden und Ehrerbietung gegen dem Vormund erlaſ -ſen,224ſen, oder daß dieſelbe ſonſt in dem Reich und Fuͤrſtenthum nicht Herkommens iſt.
§. 7. Jm uͤbrigen koͤnte gefragt werden, ob die durch menſchliche Facta conſtituirte Vormundſchafft des Reichs denen buͤrgerli - chen Geſetzen unterworffen ſey, da der Pupille, deßen Vormundſchafft gefuͤhret wird, davon frey iſt? Nun iſt zwar ein gewaltiger Unter - ſcheid unter dem Rechte, ſo in Anſehung des Vormunds und des Pupillen, und den, ſo in Anſehung des Pupillen und ſeiner Unterthanen oder auch andern Statt hat. Das erſtere, ſo bey dem Vormund und dem Pupillen vor - kommt, iſt nach den buͤrgerlichen Rechten zu determiniren, und die Vormundſchafft dar - nach zu fuͤhren, indem den Vormuͤndern die hoͤchſte Gewalt in der Republic nicht zuſtehet, ſondern ſie nur adminiſtriren und unterthan ſind. Nun ſind aber unſtreitig alle Hand - lungen der Unterthanen den buͤrgerlichen Geſe - tzen unterworffen, es muͤſte denn in einigen Reichs-Geſetzen und Obſervanzen in einem und andern etwas erlaſſen ſeyn, als wie die Caution &c. daß Inventaria verfertiget wer - den, iſt deswegen nicht noͤthig, weil dergleichen Specificationes ſchon in den Collegiis und Archivis verfertiget und verwahret da liegen, die durch oͤffentliche Autoritaͤt in Ordnung ge -bracht225bracht worden. Die uͤbrigen Rechte, die un - ter den Pupillen und Unterthanen oder andern vorkommen, und von dem Vormund im Nah - men des Pupillen exerciret werden, dependi - ren von den Geſetzen der Natur, als wenn dem Printzen in einem Teſtament, darbey man nicht die Solennitaͤten beobachtet, etwas ver - macht worden, oder es gewiſſe Allianzen oder Krieges-Ankuͤndigungen betrifft, und in Sum - ma bey einem iedweden Recht des Pupillen, als dem wuͤrcklich das Recht der Majeſtaͤt und der Landesherrlichen Macht zuſtehet, ob es ſchon von einem andern adminiſtriret wird. Der Pupille und in ſeinem Nahmen der Vor - mund bedienen ſich des Voͤlcker-Rechts und werden hierdurch obligiret.
§. 8. Bißher haben wir geſehen, wem dem natuͤrlichen Recht nach die Vormund - ſchafft zukomme, und worinnen dieſelbige wohl beſtehe. Nun wollen wir uns doch ein wenig darum bekuͤmmern, auf was vor Art ſie ihre Endſchafft erreicht. Dieſes iſt aber um de - ſto ſchwerer zu beſtimmen, weil die Meinungen der Voͤlcker und die deshalben von ihnen her - ausgegebenen Verordnungen ſo gar diſcre - pant ſind. Einige ſchlieſſen die Jahre der Minderjaͤhrigkeit biß in das dreyzehende Jahr ein, andere extendiren es gar biß auf diePVer -226Verheyrathung, noch andere, wie die Roͤmer, auf das fuͤnff und zwantzigſte Jahr. Jch hal - te aber davor, daß dem natuͤrlichen Recht nach die Vormundſchafft ſo lange daure, biß einer geſchickt iſt, ſeinen Sachen mit Verſtande vor - zuſtehen, und das Judicium zu ſeiner Reiffe gekommen, und alſo koͤnnen hierbey dieſem Rechte nach gar keine gewiſſe Jahre exprimi - ret werden. Einige meinen, die Pubertaͤt fange ſich mit den Jahren an, da man capable waͤre, Kinder zu zeugen und dieſelben aufzuer - ziehen; Allein ich weiß nicht, ob die Geſchick - ligkeit ſeine Actiones mit Vernunfft zu dirigi - ren, allezeit mit der Capacitaͤt des Kinderzeu - gens und der phyſicaliſchen Conſtitution ver - knuͤpfft iſt, die bey manchen in ihren jungen Jahren ziemlich vollkommen ſeyn kan, denen es doch wohl ſonſt am Verſtande fehlet. Da nun das natuͤrliche Recht hierinnen gar nichts decidiret, ſo handeln die Regenten und Lan - des-Fuͤrſten ſehr wohl, daß ſie in ihren Land - Rechten ihren Unterthanen gewiſſe Jahre vor - ſchreiben, nach deren Verflieſſung ſie vor ma - joren zu erklaͤren ſind. Sonſt iſt auch be - kandt, daß wenn einer erweiſt, wie man faͤhig ſey, ſeine Sachen mit Vernunfft zu verwalten, man auch noch wohl vor den Jahren, die in den buͤrgerlichen Geſetzen vorgeſchrieben ſind, ve - niam ætatis erlangen koͤnne.
§. 9.227§. 9. Dafern nun ein Printz zu ſeinen mannbahren Jahren gekommen, kan er das Regiment ſelbſt antreten, und hat nicht noͤthig, daß er dem Vormund laͤnger behaͤlt. Wenn aber die groſſen Herren zur Regierung faͤhig ſind, iſt in den Fundamental-Geſetzen eines iedweden Reichs determiniret. An manchen Orten werden ſie in ihrem achtzehnden Jahre zum Regiment tuͤchtig erkannt, in andern Pro - vintzen und Reichen aber iſt ein kuͤrtzerer oder laͤngerer Termin geſetzt. Man hat auch wohl Exempel, daß ſie biß in das vier und zwantzigſte Jahr Vormuͤnder behalten. Bißweilen ex - tendiren die Vormuͤnder ihre Vormundſchafft ſo lange als nur immer moͤglich, und machen ein Hauffen Schwierigkeit, ehe ſie die Pupil - len zum Regiment laſſen, weil ſie inzwiſchen theils von der Koͤniglichen Wuͤrde profitiren, theils auch ſonſt die Sachen, ihren Abſichten nach, incaminiren koͤnnen, welches hernach, wenn der Pupille zum Regiment koͤmmt, nicht ſowohl angehet.
§. 10. Gleichwie ein ieder Vormund Raiſon hat, auf alle Art und Weiſe beſorgt zu ſeyn, daß er dem Zuſtand ſeiner Pupillen, wo er ihn nicht verbeſſern kan, dennoch nicht ver - ſchlimmere; Alſo hat ſich ein Koͤniglicher oder Fuͤrſtlicher Tutor zu huͤten, daß er bey waͤhren -P 2der228der Minderjaͤhrigkeit ſeines Pupillen keinen unnoͤthigen Krieg errege, ja viel lieber von ſei - nem Rechte etwas remittire, als durch einen blutigen Krieg ſeinen Fuͤrſtlichen Pupillen in Gefahr ſetze, von ſeinen Laͤndern viel zu verlie - ren. Jch rede aber hier von einem bello of - fenſivo, denn ſonſt thut ein Fuͤrſtlicher Vor - mund beſſer, wenn er ein rechtmaͤßiges bellum defenſivum fortſetzt, als etwan einen disreno - mirlichen Frieden eingehet.
§. 11. Was die Fuͤrſten in Teutſchland an - betrifft, ſo machen einige Publiciſten, weil der teutſche Status ſo gar irregulair iſt, und ihre Handlungen nicht in allen Stuͤcken nach dem natuͤrlichen Recht eingerichtet worden, dieſe Regul: Daß die Vormundſchafft der Fuͤrſt - lichen Perſonen in Teutſchland ordentlicher Weiſe von den buͤrgerlichen und gemeinen Kaͤy - ſerlichen Rechten dependire, und was in den - ſelbigen in Anſehung der Vormundſchafften geordnet, ſey auch auf ſie zu appliciren, außer wo ſolches an einem und andern Orte entwe - der durch gewiſſe Geſetze oder Obſervanzen ſeine Veraͤnderungen leide, alſo koͤnte bey den Fuͤrſtenthuͤmern die dreyfache Tutel, ſo in den Roͤmiſchen Rechten definiret iſt, Platz finden, nemlich diejenigen, ſo durch ein Teſtament ver - ordnet, oder den naͤchſten Agnaten angetra -gen,229gen, oder von der Obrigkeit beſtimmet wird. Viele ſtehen auch in den Gedancken, daß die Fuͤrſtliche Tutel eben auf die Art geendiget wuͤrde, als die Vormundſchafften bey Privat - Perſonen. v. Rhet. Inſt. Jur. Publ. Lib. I. tit. 23.
§. 12. Ob nun gleich diejenigen, ſo den Roͤmiſchen Rechten ſonderlich ergeben, die Fuͤrſtlichen Vormuͤnder mit denen andern in eine Claſſe ſetzen, und bey beyden Tutelen eine ſehr groſſe Gleichheit finden wollen, ſo iſt doch gewiß, daß ſie von dem andern gar ſehr unter - ſchieden ſeyn, und von ihnen abweichen, theils in Anſehung gewiſſer Obſervanzen und des - halb errichteten Familien Pacten, theils auch wegen der Natur und Beſchaffenheit der Fuͤr - ſtenthuͤmer ſelbſt, ſonderlich auch, was die Per - ſonen der Vormuͤnder anbetrifft. Denn da dem gemeinen buͤrgerlichen Rechten nach in der in den Geſetzen eingefuͤhrten Vormundſchafft die Agnaten und Cognaten ohne Unterſcheid zu - ſammen kommen. v. Nov. 118. c. 4. eben als wie bey der Succesſion, ſo verhaͤlt ſich bey - des bey den Fuͤrſtenthuͤmern anders. Denn da die Weibes-Perſonen von Natur davon ausgeſchloſſen worden, ſo ſind auch die durch Weibes-Bilder verwandte Perſonen von der Vormundſchafft excludirt. Denn ſie gruͤn -P 3det230det ſich in allen Stuͤcken auf die Hoffnung der Succesſion, die in Anſehung der Fuͤrſtenthuͤ - mer bey dem Frauenzimmer gantz und gar wegfaͤllt. Es ſchicket ſich auch nicht wohl, daß, da die Weibes-Perſonen in eignen Nahmen ein Fuͤrſtenthum nicht wohl verwalten koͤnnen, hernach eins in eines andern Nahmen beſchuͤ - tzen ſollen.
§. 13. Daher entſpringet kein geringer Zweifel, da der Vormund der Perſon wegen, die untheilbar iſt, conſtituiret und alſo uͤber die Adminiſtration aller ſeiner Guͤter geſetzt, und ſeinen Handlungen zu gegeben zu ſeyn ſchei - net, und denjenigen, der bereits einen Vor - mund hat, den bekandten Rechten nach kein andrer Vormund verordnet werden kan, auf was vor Art ein anderer Vormund der Perſon und ſeines Privat-Vermoͤgens, ein anderer aber uͤber die Fuͤrſtlichen Lande Tutor ſeyn koͤnne, als wenn der minderjaͤhrige Printz weitlaͤufftige Agnaten und gantz nahe Cogna - ten, oder eine Mutter und Groß-Mutter haͤtte. Wolte man gleich ſagen, daß einer von dieſen beyden, ſowohl uͤber die Perſon als auch uͤber alle des Printzens Rechte Vormund ſeyn koͤn - te, ſo fragt ſichs doch ferner, welcher von bey - den wohl vorzuziehen, ob der Agnate, daß ihn auch die Perſon und ſeine Privat-Guͤter anver -trauet231trauet wuͤrden, oder die naͤchſten Cognaten, ſo, daß dieſe, als der Perſon zugegebene Vormuͤn - der, einfolglich das Fuͤrſtenthum und die allge - meinen Gerechtſamen mit zu adminiſtriren haͤtten? Damit nun die Sache mit wenigen zu entſcheiden, ſo iſt zwar kein Zweifel, daß, wenn der Vormund entweder von dem Kaͤyſer - lichen Cammer-Gerichte oder durch ein Teſta - ment geſetzt wird, und der Perſon ſchlechter - dings gegeben, daß dieſer nur allein Vormund ſey, weil derjenige, ſo ihn geſetzt, befugt geweſen, ihn uͤber alles, auch uͤber das Territorium des Fuͤrſtens zu conſtituiren, und es auch ſo gewolt, indem er ihn ſchlechterdings und ohne Unter - ſcheid dem Pupillen gegeben. Es koͤnnen auch hier die Rechte der Agnaten und Cognaten nicht gegen einander ſtreitig ſeyn, weil derglei - chen Vormundſchafften nicht durch das Recht der Vormundſchafft, ſondern durch den Wil - len deßen, der ſie conferirt, angetragen wor - den. Jſt aber in Anſehung der durch die Ge - ſetze zuerkannten Tutel ein Streit zwiſchen den Agnaten und Cognaten, ſo muͤſſen die Vor - mundſchafften nothwendiger Weiſe von einan - der geſondert werden, und die naͤchſten Cogna - ten ſetzt man zu Vormunden uͤber die Perſonen und uͤber ihr Privat-Vermoͤgen, die Agnaten aber uͤber die Fuͤrſtenthuͤmer. Jene ſind nichtP 4befugt,232befugt, ſich des Fuͤrſtenthums anzumaßen, weil ſie nur uͤber die Perſonen und der Printzen Privat-Guͤter verordnet ſind, die Fuͤrſtenthuͤ - mer aber darunter nicht mit zu rechnen. Jm Gegentheil koͤnnen dieſe mit Ausſchlieſſung je - ner uͤber die Perſonen und ihre Guͤter keine Tutel ſich anmaßen, weil ſie nur der Fuͤrſten - thuͤmer wegen conſtituiret ſind, und alſo uͤber die Sache, nicht aber uͤber die Perſonen. Da nun eines iedweden Recht unterſchieden, und ein iedweder in Anſehung der ihm deferirten Vormundſchafft ein Recht hat, ſo kan es kei - ner dem andern entziehen.
§. 14. Bey der Tutel der Churfuͤrſten kom - men in der Aurea Bulla Kaͤyſers Caroli IV. uͤber das gemeine Recht noch zwey ſpeciale Puncte vor (1.) in Anſehung der Art und Wei - ſe, weil der naͤchſte Agnate oder der die naͤchſte Hoffnung zur Succeſſion hat, dieſe Vormund - ſchafft adminiſtrirt (2.) in Anſehung der Zeit, daß dieſe Tutel nicht wie ſonſt den Roͤmiſchen Rechten nach in dem vierzehenden, ſondern im achtzehenden Jahre zu Ende laͤufft, wie dieſes in dem 7. Tit. der A. B. ausdruͤcklich verordnet. Jedoch bezeuget Strauch. Diſſert. Exot. 4. n. 2. daß ſich das erſtere, daß nemlich dieſe Tutel dem naͤchſten Agnaten zugehoͤre, in dem Koͤnig - reich Boͤhmen anders verhaͤlt, allwo den Rech -ten233ten deſſelben Reichs nach dem vornehmſten die Tutel zukommen ſoll.
§. 15. Bey der Churfuͤrſtl. Vormundſchafft faͤllt die Frage vor, ob die Tutel, die Krafft der guͤldnen Bulle dem naͤchſten Agnaten gegeben worden, durch ein Teſtament geaͤndert werden koͤnne? Jch glaube, daß bey der Tutel des Churfuͤrſtl. Pupillen die zweyfache Admini - ſtration von einander zuſondern, eine uͤber die Churfuͤrſtl. Lande, die andere aber in Anſehung der Ertz - und Churfuͤrſtl. Aemter. Jene be - ſtehet nur in Regierung der Lande und Auff - ſicht uͤber den Pupillen und kan eben denjenigen auffgetragen werden, die bey den uͤbrigen Fuͤr - ſten und Staͤnden Vormuͤnder abgeben koͤn - nen. Dieſe aber in der Macht zu eligiren, das Votum zu ertheilen und alles, was zu den Churfuͤrſtl. Aemtern gehoͤret, zu exerciren und die Gemeinſchafftl. Wohlfarth des Reichs mit beſorgen zu helffen. Daß nun dieſe Ertz-Aem - ter und Befugniß die Kaͤyſer zu erwehlen nie - mand anders, als der in der guͤldenen Bulle be - ſonders zum Vormund darzu conſtituiret iſt, koͤnne auffgetragen werden, iſt gewiß. Denn obgleich dieſes Amt und die Befugniß den Fuͤrſtl. Landen des Pupillen inhæriret, ſo be - greifft es doch nicht die negotia des Fuͤrſten - thums, ſondern des Reichs, und concernirtP 5nicht234nicht jenes, ſondern dieſes Wohlfahrt. Nun kan aber wohl niemand behaupten, daß es bey den Reichs-Fuͤrſten ſtehe in Anſehung ſolcher Sachen Teſtaments-weiſe zu diſponiren; Da zumahl dergleichen Sachen in den allgemeinen Reichs-Geſetzen und beſondern Pactis durch Gemeinſchafftl. Reichs-Convent determi - niret ſind, welches von einem und andern nicht geaͤndert werden kan, und iſt ein jedweder hier - innen billich als ein privatus zu conſideriren. Wenn es bey den Churfuͤrſten ſtuͤnde, dieſes in den Teſtamenten zu diſponiren, und nach eige - nen Gefallen allerhand Perſonen ſolches auff - zutragen, ſo koͤnten wohl Leute darzu erwehlet werden, die vor die teutſche Wohlfahrt nicht recht patriotiſch geſinnet, auch ſonſt unanſtaͤn - dig waͤren und dem Reiche allerhand præjudiz zuziehen koͤnten.
§. 16. Was in den Roͤmiſchen Rechten angefuͤhret wird, daß aus gewiſſen Urſachen die Vormundſchafften decliniret werden koͤnten, hat bey dem Fuͤrſtl. Tutelen im geringſten nicht Statt, indem dergleichen Vormundſchafften gar ſelten ausgeſchlagen und hingegen mit groſ - ſem Eyfer und Verlangen geſuchet worden. Bey waͤhrender Vormundſchafft iſt auch ein Fuͤrſtl. Pupille nicht befugt, dasjenige zu thun, was dem natuͤrlichen Recht nach nicht geſchehen kan. Her -235Hergegen was in den Buͤrgerlichen und Roͤmi - ſchen Geſetzen hierzu erfodert wird, iſt billig vor - bey zu laſſen, ſie muͤſſen denn ſolches freywillig obſerviren wollen, daher iſt die von dem bloſſen Pupillen vorgenommene Handlung nicht ver - bindlich. Ob ſie aber an und vor ſich ſelbſt nichtig und unkraͤfftig, oder aber durch die reſti - tution allererſt zu casſiren ſey, iſt eine unnoͤthi - ge Frage.
§. 17. Jſt ein Fuͤrſtl. Vormund eine privat - Perſon, ſo iſt auch dasjenige, was in den Lan - des Geſetzen wider die Vormuͤnder Statt hat, auff ihn zu appliciren und alſo den Fuͤrſtl. Pu - pillen ein ſtillſchweigend Pfand in den Guͤtern ſeines Vormundes, vielleicht nicht ohne raiſon, zuzuſchreiben. Ja es iſt auch derſelbe ſonder allem Zweiffel, wenn er ſich bey ſeiner Vor - mundſchafft nicht wohl auffuͤhret und dieſelbe nicht nach ſeiner Pflicht adminiſtriret, mit Straffe anzuſehen nach denjenigen Landes-Ge - ſetzen, die in einer jedweden Provintz gebraͤuch - lich ſind.
§. 18. Daher folget nothwendig, wenn ei - nige Vormuͤnder den Churfuͤrſtl. Pupillen in Anſehung der Perſon und der Lande gegeben werden, daß nicht dieſe, ſondern bloß der naͤchſte Angnate Krafft der guͤldenen Bulle in Erweh - lung des Roͤmiſchen Kaͤyſers das Recht desSuffra -236Suffragii habe, ja es iſt dieſer nur allein befugt, denen Wahl - und Churfuͤrſten-Taͤgen beyzu - wohnen, indem dieſe Conventa lediglich in An - ſehung der Ertz-Aemter gehalten werden. Es iſt ungewiß, wer in dieſem Fall bey den Reichs - und Deputations-Taͤgen erſcheinen ſoll. Es hat zwar das Anſehen als ob das Recht des Suffragii und der Seſſion dem Agnaten zukaͤ - me, der vermoͤge der guͤldenen Bulle Vormund iſt, indem auch dieſes der Churfuͤrſtl. Præroga - tiv gemaͤß, daß die Chur-Fuͤrſten auff den Reichs-Taͤgen ein beſonder Collegium conſti - tuiren. Da aber die Churfuͤrſten dieſes Recht nicht Krafft ihrer Ertz-Aemter exerciren, ſon - dern als Fuͤrſten und Reichs-Staͤnde, ſo ihnen mit den uͤbrigen Staͤnden gemeinſchafftlich, ſo iſt zu behaupten, daß auff dieſen Comitiis, die im Teſtament gegebene Vormuͤnder und zwar alleine das Recht des Suffragii haben, wenn der Agnate nicht auch zugleich im Teſtament mit gegeben iſt, weil dieſes nicht eine Hand - lung eines Churfuͤrſtl. officii iſt, ſondern der gemeinen Reichs-Staͤnde. Jſt aber der Agnate zugleich im Teſtament mit zum Vor - mund declarirt, ſo iſt kein Zweiffel, daß ihm auch die Vormundſchafft der Lande zuſtehe.
§. 19. Es haben zwar einige zweiffeln wol - len, ob auch Fuͤrſtl. Perſonen andere privat -Leute237Leute zu Vormuͤndern gegeben werden koͤnten? Es iſt aber ſolches allewege vor eine gewiſſe und ausgemachte Wahꝛheit anzunehmen. Carpzov bezeuget es bey den Exempeln des Baadiſchen Hauſes mit rationibus, Geſetzen und Exempeln auch der Reichs-Obſervanz. Bey dem Her - tzogl. Wuͤrtenbergl. Hauſe ſind zwey Raͤthe den Printzen zu Vormuͤndern vorgeſtellet wor - den, welches man auch bey andern Fuͤrſtlichen Haͤuſern in Teutſchland hie und da antreffen wird. Warum ſolten capable Geheimbde Raͤthe, die ohnedem die Wohlfahrt der Fuͤr - ſtenthuͤmer beſorgen muͤſſen, und geſchickt ſind, einen jungen Printzen zu gouverniren, nicht auch Vormuͤnder abgeben koͤnnen? Das uͤbri - ge, was etwan hierbey zu obſerviren, dependi - ret theils von den Regeln der Buͤrgerl. Rechte, in ſo weit ſich ſolche auf Fuͤrſtl. Perſonen ap - pliciren laſſen, theils auch den beſondern Um - ſtaͤnden jedweder Oerter; v. Cocceji Diſſert. de tutela illuſtri.
§. 1.
ES ſtehen einige Gelehrten in den Ge - dancken, daß die Grauſamkeit, Ge -walt -238waltthaͤtigkeit und Herrſch-Sucht der Leute den erſten Grund-Stein zu den Re - publiquen und Landes-Herrſchafften gelegt ha - be, und meinen, die heilige Schrifft ſelbſt beſtaͤ - tigte dieſe Meinung. Denn (1.) nachdem Cain ſeinen Bruder Abel erſchlagen, haͤtte er zuerſt eine Stadt angelegt, und ihn nichts hier - zu angetrieben, denn der Haß gegen die From - men, und die Begierde zu herrſchen. (2.) Wuͤrde in dem 1. Buch Moſis am VI. v. 4. der Rieſen Meldung gethan. Nun haͤtten aber die Gelehrten ſchon vorlaͤngſt angemerckt, daß ſolche nichts anders geweſt waͤren, als Ty - rannen, Unterdruͤcker des Volcks und wilde Leute, die ſich vom Raube und der Beute erneh - ret haͤtten, und waͤre gar wahrſcheinlich, daß ſie diejenigen, die ſie beraubet haͤtten, unter ihr Joch gebracht. (3.) Fuͤhrte Moſes nach der Suͤndfluth und dem vermehrten menſchlichen Geſchlechte von dem Nimrod an, daß er ange - fangen maͤchtig und ein gewaltiger Jaͤger zu ſeyn, welche beyde Prædicate ſein kriegeriſch und ſtreithafftes Gemuͤthe, ſo er durch unter - ſchiedliche Raubereyen erwieſen, an den Tag legten. Mit dieſen kaͤme auch uͤberein, was die Gelehrten von den gewoͤhnlichen Arten der Raubereyen gantzer Voͤlcker, da ſie andere Nationes uͤberfallen und ſie beraubet, anfuͤhr -ten.239ten. Die ſich nun zu Exercirung ſolcher Rau - bereyen zuſammen begeben, haͤtten von ihrem erſten Anfuͤhrer gar leicht untergedruckt und ſubjugiret werden koͤnnen, ſie wuͤrden ſich auch ihm deſto lieber ſubmittiret haben, weil ſie hierdurch ihre boͤſen Actiones deſto bequemer ausuͤben koͤnnen. (4.) Erhellete aus der Heil. Schrifft, daß die Nach kommen des Abra - hams, die auf GOttes Wegen gewandelt, kei - ne Herrſchafft affectiret haͤtten, ſondern in an - dern Laͤndern Fremdlinge geweſen. Der gottloſe Eſau aber, der dem Cain und Nimrod den Sitten nach gar ſehr gleich, haͤtte ſich bald ein Reich angeleget und die Choræer geſchla - gen, Deut. II, 12. 1 Buch Moſis am XXXVI. Aus dieſem allen waͤre klar, daß die Reiche an - faͤnglich nicht aus einer rechtſchaffenen Inten - tion aufgerichtet worden, ſondern damit die Gottloſen ihre Raubereyen deſto beſſer haͤtten exerciren und ihrer Herrſch-Sucht ein Gnuͤ - gen leiſten koͤnnen, der Urſprung der Republic waͤre nicht frommen Leuten, ſondern den Gott - loſen und ſolchen zuzuſchreiben, die dem menſch - lichen Geſchlechte anfaͤnglich mehr geſchadet denn genutzet. Crſtlich waͤren die Imperia rauh und unordentlich, auch ſchwach geweſen, hernach haͤtten ſie aber durch neue Beuten im - mer mehr Wachsthum uͤberkommen. SieheHerrn240Herrn Prof. Boͤhmers Introd. in Jus publ. univerſ. P. ſpec. Lib. I. Cap. I.
§. 2. Joh. Fried. Hornius de Civit. c. 4. §. 6. nennet eine Republic oder ein entſtanden Reich ein Werck der Natur, die durch gantz na - tuͤrliche Ordnung und nothwendige Verknuͤpf - fung etabiliret worden. Es waͤre nemlich das erſte Paar Menſchen, von welchen alle Ge - ſchlechter abſtammen, durch eheliche Liebe mit einander vereiniget worden, dieſe haͤtten Kin - der zuſammen gezeuget, und dieſe Kinder waͤ - ren mit ihren Eltern in einer Societaͤt geblie - ben. Dieſe Familien haͤtten nun wieder an - dere gezeuget, und auch unterſchiedene Bedien - te noͤthig gehabt, die von ihnen dependiret haͤtten, und alſo waͤren durch dieſe Verwand - ſchafften, die immer ſich weiter extendiret ge - habt und neues Wachsthum bekommen, neue Colonien entſtanden, biß ſie endlich ſo ſtarck ge - weſt waͤren, daß ſie eine Stadt beſetzen und ei - ne Republic conſtituiren koͤnnen. Dieſes al - les haͤtte die eingepflantzte Liebe zur Societaͤt, die durch die neue Bluts-Freundſchafft und Schwaͤgerſchafft, die lieber bey den ihrigen, denn bey fremden Leuten wohnen wollen, ver - mehret worden, zuwege gebracht. Er meinet, das Vorgeben einiger Gelehrten, als ob die er - ſteren Menſchen in den weiten Waͤldern undwuͤſten241wuͤſten Einoͤden wie die wilden Thiere zerſtreu - et und in der Einſamkeit herum gelauffen, waͤ - re billig vor eine Fabel zu achten. Allein es errinert der Herr Puffendorf in ſeinem Jure Naturæ & Gentium bey mir pag. 905 hierbey gar ſehr wohl, wenn man bey dieſer natuͤrlichen Verknuͤpffung die menſchlichen Pacta, die bey conſtituirung der Republic concurrirten, ausſchluͤſſen wolte, ſo waͤre es ſo viel als wenn man ſagte, aus dem Saamen waͤchſt ein Baum, aus dem Baume werden Balcken und Brether, wenn die wohl zuſammen gefuͤgt werden, wird ein Schiff draus, und alſo iſt ein Schiff durch die natuͤrliche Verknuͤpffung von ſich ſelbſt entſtanden, ohne daß die menſchliche Huͤlf - fe hat mit darzu kommen duͤrffen. Es iſt zwar allerdings vor fabelhafft zu achten, daß eine groſſe Menge Leute ſich anfaͤnglich verſamlet haͤtte, hernach aber in den Waͤldern und wuͤſten Einoͤden zerſtreuet herum gelauffen und endlich eine Republic ausgemachet. Jedoch wird auch dieſes ohne Grund fingiret, daß aus ei - nigen Familien ſo geſchwinde, ohne daß andere darzu antreibende Urſachen oder gewiſſe dar - zwiſchen kommende Pacta darbey concurriret, die Reiche zuſammen geſchmoltzen. Denn ob ſchon die Kinder in des Vaters Familie geblie - ben, ſo lange ſie unerzogen geweſen, ſo kanQman242man doch keine Raiſon abſehen, warum in den vorigen Zeiten, da die Leute meiſtens von Acker - werck und der Viehzucht lebten, ein Vater ſei - ne Soͤhne, da ſie mannbar geworden und ſich Weiber genommen, haͤtte bey ſich behalten ſol - len? Ja es bezeuget vielmehr die heil. Schrifft, daß die Soͤhne, wenn ſie erwachſen und bewei - bet waren, oͤffters an andern Orten in der Frem - de ihren eigenen Sitz aufgeſchlagen, da zumahl die Laͤnder damahls wuͤſte und ledig waren, und ein ieder hinziehen konte, wo er wolte. Es haben zwar die Geſchwiſter und andere Ver - wandten Liebe vor einander, es will aber doch gerne ein ieder dem andern gleich und keineꝛ dem andern unterworffen ſeyn, und bisweilen ſind ſie beſſer gute Freunde, wenn ein ieder ſeine be - ſondere Oeconomie hat, als wenn ſie bey - ſammen wohnen. Es iſt eher zu vermuthen, daß die Leute und die Familien ſich anfaͤnglich von einander abgeſondert und ihre beſondern Haußhaltungen eingerichtet, als an einem Ort beyſammen geblieben. Hernach aber da ſie die Beſchwerlichkeit, weil ſie ohne anderer Leu - te Beyhuͤlffe hier und da zerſtreuet gelebt, wahr - genommen, ſo haben ſie nachgehends angefan - gen, ſich durch allerhand Pacta zuvereinigen und Republiquen zu conſtituiren; Und in dem Veꝛſtande ſind diejenigen zu erklaͤren, die voꝛge -ben243ben, daß die in den Waͤldern zerſtreueten Men - ſchen von den Monarchen zuſammen gebracht worden.
§. 3. Andere halten davor, daß die Be - duͤrffniß die Leute angetrieben, in gewiſſe Staͤd - te und Republiquen ſich begeben, damit ſie com - moder und plaisſirlicher leben koͤnten. Nun iſt es wohl wahr, daß ein Menſch ohne anderer Asſiſtenz nicht diejenigen Bequemlichkeiten und Vergnuͤgungen hat, deren er durch andere theilhafft werden kan; Jedoch ſcheinet die in - digenz eben nicht die Haupt Raiſon geweſt zu ſeyn, warum die Herrſchafften und Reiche durch combination vieler Familien aufgerich - tet worden. Denn es hatten die Familien, da ſie mit ihren Kindern und Geſinde abgeſon - dert und zuſtreuet ſich aufhielten und des Feld - Baues und der Viehzucht beflieſſen, faſt alles dasjenige, was zu ihrer Leibes Nahrung und Nothdurfft gereichte, nach Art derſelben Zei - ten, die nicht ſo luxurieus waren, als die heu - tigen. Sie hatten ihr Getreyde, ihren Wein, ihr Vieh, ihre Gartengewaͤchſe, u. ſ. w. Und was ihnen an noͤthigen Stuͤcken abgegangen waͤre, haͤtten ſie ja koͤnnen durch den Handel und Wandel von andern Orten herbe kommen. Es giebt ja heutiges Tag es viel Voͤlcker, wel - che diejenigen Waaren, derer ſie entweder zuQ 2ihrer244ihrer Nothdurfft, oder zu ihren Uberfluß benoͤ - thiget, von andern durch das commercium, ohne daß ſie deßwegen mit andern eine Repu - blique ausmachen ſolten, hohlen. Hinwiede - rum giebt es auch andere, welche viel Secula durch eben ein ſolch Leben fuͤhren, ſo nicht viel herrlicher iſt, als der erſten Hauß-Vaͤter ih - res, und die nichts weiter verlangen, als ſie von ihrem Grund und Boden erlangen koͤnnen.
§. 4. Noch andere fuͤhren andere Urſachen, oder vielmehr Muthmaſſungen an, die die Leu - te zu Anbauung der Republiquen angetrieben. Jch will mich aber hierbey nicht auff halten, ſondern vielmehr mit Puffendorfio behaupten, daß vor die genuine und wahre Urſache zu halten ſey, warum die Hauß-Vaͤter ihre natuͤr - liche Freyheit verlaſſen, und ſich unter eines an - dern Herrſchafft begeben. Damit ſie nem - lich wider diejenigen Ubel, die ſie von andern boßhafftigen Menſchen zu beſorgen gehabt, ſich Schutz und Sicherheit verſchaffen moͤch - ten. Denn die Menſchen ſind geſchickt ein - ander guts zu thun und Leid zuzufuͤgen. Da das menſchliche Geſchlecht allerhand Ungemach und Fatalitaͤten unterworffen iſt, ſo hat der Fleiß der Menſchen wider jedwedes gewiſſe Remedia ausgeſonnen. Wieder die Kranck -heiten245heiten ſind von den Medicis die Artzney-Mittel erfunden worden. Dem Ungemach des Wet - ters und der Witterung wird durch die Klei - dung und wohlverwahrte Gebaͤude remedi - ret. Zu Abhaltung der wilden Thiere und auch zu derſelben Einfangung ſind allerhand Waffen und Inſtrumenta inventiret u. ſ. w. So gute Dienſte als die Menſchen einander leiſten koͤnnen, ſo groſſes Ungluͤck, Verdruß und Schaden richten ſie auch einander an, ſo daß wieder das Ubel, ſo von den Menſchen zu befahren iſt, durch den Menſchen die kraͤfftig - ſte Medicin hat muͤſſen hergeholet werden, da ſich die Leute zuſammen verbinden und eine Re - publique conſtituiret. Weil ſonſt keiner recht ſicher geweſen, daß ihm das Seinige von einem andern nicht moͤchte entwendet werden und er ſelbſt um Leib und Leben druͤber kommen, ſo iſt durch die Republiquen denjenigen, die der - gleichen beſorget, Sicherheit und Rath gege - ben worden.
§. 5. Man darff nicht gedencken, daß das natuͤrliche Recht, welches alle Beleidigungen, die man einem andern ohne Raiſon an ſeiner Perſon oder an ſeinen Guͤtern zufuͤgen will, ver - biethet, ſufficient geweſen, den Leuten bey ſol - cher ihrer natuͤrlichen Freyheit, Sicherheit zu verſchaffen. Denn ob zwar einige Leute vonQ 3ſo246ſo tugend hafften, ehrlichen und rechtſchaffenen Gemuͤthern ſind, daß ſie auch nicht einmahl wider das natuͤrliche Recht und Erbarkeit handeln, wenn ſie gleich wiſſen, daß es ihnen ungeſtrafft hingehen ſolte, ſo ſind doch dieſes die allerwenigſten, und wenn die meiſten ſolche ingenia haͤtten, ſo brauchte man freylich keine Regenten und keine Geſetze, ſondern ein jedweder thaͤte was ihm zukaͤme, und befoͤrder - te ſeines Naͤchſten Gluͤckſeeligkeit auf das aller - beſte. Aber wie eine groſſe Anzahl iſt doch derer, die um Gewinnes willen ſich nicht ent - bloͤden, ihren Naͤchſten um Haab und Gut, Leib und Leben zubringen, und die allerdings zu fuͤrchten ſind. Nicht mißtrauiſch gegen ſol - che zu ſeyn, waͤre ſich ihrer Boßheit und Gott - loſigkeit freywillig zu unterwerffen.
§. 6. Ob auch gleich ferner das natuͤrliche Recht an die Hand giebt, daß die entſtandenen Zwiſtigkeiten entweder guͤtlich beygeleget oder gewiſſe Schieds-Leute zur Deciſion uͤbergeben werden ſollen, ſo iſt dennoch auch hierdurch die Ruhe und Sicherheit eines ieden nicht ſatt - ſam proſpicirt. Denn ſo leicht es dem Men - ſchen iſt, wider die andern Geſetze der Natur zu pecciren, ſo leicht iſt es ihm auch die Schieds - Leute vorbey zu laſſen und ſich alſobald zum Waffen zu wenden. Und da die Partheyendurch247durch ein bloſſes Pactum auf einen Schieds - Mann compromittiret, ſo kan es demjeni - gen, der ſich aus Vertrauen zu ſeinen Kraͤfften eine impunitaͤt unter den Menſchen verſpricht, leicht ſeyn, daſſelbige zu caſſiren, weil zumahl ein Schiedsmann die Partheyen nicht Befehls - Weiſe darzu bringen kan, daß ſie ſich dem von ihn geſprochenen Beſcheid unterwerffen. Da - hero raͤth die Klugheit, daß man bey dem na - tuͤrlichen Rechte anderer Leute Pactis und Ehr - lichkeit nicht allzuviel traue, ſondern glaube, daß diejenigen Buͤndniſſe an heimlichſten ge - halten werden, die ſich auf ein reciprocirliches Intereſſe gruͤnden, uñ da es beyden ſchaͤdlich iſt, ſie zu violiren, oder da der andere mit Gewalt zu deren Obſervanz angehalten werden kan.
§. 7. Hierzu koͤmmt noch eine andere raiſon, warum das natuͤrliche Recht nicht vermoͤgend iſt den Frieden bey den menſchlichen Geſchlechte zu conſerviren. Es bringet die natuͤrliche Freyheit nemlich mit ſich, daß ein iedweder zu regulirung ſeiner actionen und Erreichung ſei - ner Abſicht ſeiner Meinung folgt. Nun weiß aber ein iedweder, daß dieſelben nach dem Unterſcheid der Leute gar ſehr diſcrepant ſind. Die wenigſten haben die Geſchicklichkeit zu pe - netriren, was zu ihrer und anderer Leute Gluͤck - ſeeligkeit gereichen koͤnte, uñ wenn ſie auch end -Q 4lich248lich gleich wiſſen, was zu ihren Frieden dienet, ſo folgen ſie doch ihren Vernunfft-Schluͤſſen gar ſelten. Die meiſten laſſen ſich von ihrer Einbildung in Jrrthuͤmer, oder von ihren Af - fecten in andere Abwege verleiten. Wie wolte nun bey ſo vielen diverſen Meynungen ei - ne beſtaͤndige Eintracht etabiliret werden, da ein ieder vermeynen wird, ſeine Meynung ſey die beſte und ſein Conſilium das kluͤgſte?
§. 8. Damit nun die Menſchen allen dieſen Deſordres aus dem Wege gehen moͤchten, ſo haben ſie ſich verglichen, daß ſie zu Befoͤr - derung des gemeinſchafftlichen Nutzens und procurirung ihrer Ruhe und Sicherheit ge - wiſſe Perſonen das Regiment auftragen wol - ten, die an ſtatt ihrer judicirten, was ihnen ins - geſamt und einem iedweden inſonderheit heil - ſam und erſprießlich waͤre, die alle Ubel von ih - nen abwendeten und ſie beſchuͤtzten. Weil nun dieſer, den ſie die Herrſchafft aufftrugen, ihrer intention ſich nicht gemaͤß auffuͤhren konte, wenn ſie ihm nicht gehorchten und Pari - tion leiſteten, ſo haben ſie ſich reſolviret, ih - ren Willen ſeinem Willen zu unterwerffen, ihm Gehorſam zu præſtiren, und ihre Kraͤffte und gantz Vermoͤgeu zu ſeinem Dienſt und zur Ge - meinſchafftlichen Ruhe und Sicherheit der gantzen Imperans ſie zu beſchuͤtzen und ihrengemein -249meinſchafftlichen Nutzen in allen Stuͤcken zu befoͤrdern.
§. 9. Nachdem nun die Republic auff die Art etabiliret, ſo exerirt ſich der Wille der gantzen Gemeinde entweder durch einen Men - ſchen oder durch einige oder auch durch ein gan - tzes Concilium, nachdem eine gewiſſe Art der Regierung von den Leuten beliebet und ausge - macht worden. Stehet die Herrſchafft bey einem eintzigen, ſo kan zwar die Republic durch deſſen ſeinen Willen geſchwinder zur opera - tion ſchreiten; Man muß aber nicht dencken, daß ſein Wille in allen Stuͤcken der intention der Gemeinde conform ſey, ſondern nur als - denn, wenn (1.) demſelben Menſchen die geſun - de Vernunfft beywohnet, (2.) wenn er etwas mit guten Wiſſen, ſonderbahrer Klugheit und Vorſichtigkeit thut, (3.) in Anſehung ſolcher Negotien, die zum Zweck der Republic gerei - chen (4.) nach der Vorſchrifft der Fundamen - tal Geſetze; Allein wo wird dieſes bey einer ſo groſſen Freyheit der Regenten wohl in conſi - deration gezogen, daß man alſo leicht ſiehet, was vor groſſer Gefahr das Leben und Ver - moͤgen der Unterthanen, ja auch der ſchwachen Nachbaren bey ſolchen Umſtaͤnden unterworf - fen ſeyn. Jſt das Regiment unterſchiedenen conferirt, ſo iſt noͤthig, daß dieſer nexus desQ 5Im -250imperii in Anſehung der unterſchiedenen Leute, die die actiones zu Befoͤrderung der Untertha - nen Wohlfahrt gemeinſchafftlich verrichten ſollen, durch die Fundamental-Geſetze ſo einge - richtet und vereiniget werde, damit die meiſten Stimmen gelten und alſo das Heyl der Unter - thanen beſorgen koͤnnen. Das uͤbrige wird in denen Fundamental-Geſetzen ausge - macht.
§. 10. Nach den unterſchiedenen Arten des Regiments bekommt es auch unterſchiedene Benennungen. Jſt es einem auffgetragen, ſo heißt es die Monarchie. Dafern ſich eini - ge von den Vornehmſten deſſelben anmaſſen, wird es die Ariſtocratie genennt. Beſteht aber die Landes-herrl. Macht bey dem ſaͤmtli - chen Volck, ſo iſt es eine Democratie. Es iſt zwar bey allen dieſen Regierungs-Arten ei - nerley Poteſtaͤt. Aber darinnen hat die Monarchie vor den uͤbrigen einen gewaltigen Vorzug, daß man zu exequirung derer be - ſchloſſenen Reſolutionen nicht ſo an gewiſſe Zeiten und Oerter gebunden iſt, ſondern ein Monarche kan an jedem Ort und zu jeder Zeit deliberiren und exequiren. Wenn aber die Vornehmſten von dem Volck, oder aber das ſaͤmtliche Volck ſelbſt, welches nicht eine ein - tzige natuͤrliche Perſon zugleich vorſtellet, etwasuͤber -251uͤberlegen ſollen, ſo muͤſſen ſie zu gewiſſen Zei - ten und an gewiſſen Oertern zuſammen kom - men, und daſelbſt uͤber ihre Gemeinſchafftliche Angelegenheiten deliberiren, weil auff andere Art der Wille des Senats und des Volcks, der daher entſtehet, nach dem der groͤſte Theil in et - was den Ausſchlag giebet, nicht anders erkannt werden mag.
§. 11. Wie es nun bey andern Sachen zu geſchehen pflegt, alſo gehet es auch bey denen Regierungen und derſelben unterſchiedenen Sorten her, an einigen Orten werden ſie wohl, an andern aber uͤbel adminiſtriret. Daher koͤmmt es, daß einige Republiquen geſunde und wohl-beſtellte, andere aber krancke und verdor - bene genennet werden, ob es gleich unnoͤthig iſt in Anſehung der Gebrechen, unterſchiedene Sorten derſelben zu inventiren. Die Maͤn - gel aber, denen ſie unterworffen ſeyn, ruͤhren theils von den Leuten, theils auch von dem ſtatu ſelbſt her; daher heiſſen einige, Gebrechen der Leute, andere aber Gebrechen des Staats.
§. 12. Die Vitia der Leute bey der Monar - chie ſind, wenn der Souverain die Regierungs - Kunſt nicht verſtehet, und ſich um die Regi - ments-Geſchaͤffte wenig oder gaꝛ nichts bekuͤm - mert und ſie dem Ehrgeitz oder Geldgeitz einigergottloſen252gottloſen und intereſſirten Miniſtres uͤber - giebt, ſich gegen ſeine Unterthanen grauſam auffuͤhret und ohne Noth Land und Leute in die groͤſte Gefahr des Ruins ſetzt, diejenigen Ko - ſten, die zur allgemeinen Wohlfahrt des Reichs angewendet werden ſollen, durch unnuͤtze zum Praßen und Schwelgen angewendete Ausga - ben oder unbedachtſame Geſchencke verſchleu - dert, das ſeinen Unterthanen abgefoderte Geld ohne alle raiſon haͤuffet, und im Lande nicht rouliren laͤßt, keinem von ſeinen Unterthanen Audienz giebt noch ihre Suppliquen annimmt, ſondern ſie noch wohl gar darzu durch ſeine Be - dienten uͤbel tractiren laͤſt, die Ungerechtigkeit befoͤrdert, unnoͤthige Kriege aus einem ſeltzamen Ehrgeitz anfaͤngt, und was vor Ubelthaten mehr ſind, durch welche er ſich den Nahmen eines boͤ - ſen Regenten zu wege bringt.
§. 13. Die Gebrechen und Fehler der Leute bey der Ariſtocratie ſind, wenn gottloſe und boͤſe Leute ſich durch Geld-Spendagen und al - lerhand ſchlimme intriguen einen Weg bah - nen, in die Reichs-Verſammlungen einzudrin - gen, und hingegen alle redlich-geſinnte Patrioten davon ausgeſchloſſen werden. Wenn die Vor - nehmſten des Reichs durch factionen zertheilet ſind, die Unterthanen zu Sclaven machen und hingegen ihre Einkuͤnffte vermehren wollen. Die253Die bey der Democratie vor kommenden vitia der Perſonen ſind, wenn ungeſchickte und unru - hige Koͤpffe ihre Meynungen, die doch nicht wol gegruͤndet ſind, hartnaͤckig vertheidigen wollen, und rechtſchaffene und verſtaͤndige Leute aus - ſchlieſſen, aus Leichtſinnigkeit und Unuͤb erle - gung gewiſſe Verordnungen geben und als - denn dieſelben nach Gefallen wieder auffheben, geitzige und plumpe Leute ſich der Regiments - Geſchaͤffte mit anmaſſen duͤrffen. Die Laſter der Menſchen die bey einer ieden Regiments - Form vorkommen, ſind, wenn diejenigen, die ſich der Regierung befleiſſen ſollen, in ihrer Pflicht nachlaͤßig und ſaumſelig ſind, und die Unterthanen, die Parition zu leiſten haben, ſich widerſpenſtig erzeigen.
§. 14. Die vitia des Staats ſind, da die Geſetze, Verfaſſungen und Verordnungen der Republic nicht nach den genie des Volcks oder des Landes eingerichtet, oder die Unterthanen zu innerlicheu Unruhen diſponiren und die be - nachbarten Fuͤrſten jalous druͤber werden, oder ſie zu Verwaltung gewiſſer functionen, die zur Erhaltung der Republic nuͤtzlich ſind, untuͤchtig machen, oder wenn die fundamental Geſetze des Staats, ſo abgefaßt, daß dadurch die allge - meinen Reichs-Geſchaͤffte entweder ſehr ſpat oder doch mit groſſer Schwuͤrigkeit expediretwerden254werden. Es werden dergleichen uͤbelbeſchaf - fene Regierungs-Arten unterſchiedene Benen - nungen beygelegt. Alſo wird eine boͤſe Mo - narchie eine Tyranney genennt, eine laſterhaff - te Regierung einiger von denen Vornehmſten eine oligarchie, eine uͤbel eingerichtete Regie - rung des Volcks eine ochlocratie. Wiewohl auch gar oͤffters durch dergleichen Benennun - gen diejenige, die ſich deren bedienen, nicht ſo wohl eine gebrechliche und mangelhaffte Re - gierungs-Form, als ihren Verdruß und jalou - ſie gegen die gegenwaͤrtige Regierung exprimi - ren. Denn wenn ein gewiſſer Souverain ih - nen nicht recht anſtehet, ſo nennen ſie auch wohl einen rechtſchaffenen und vernuͤnfftigen Regen - ten, der ſeine Verordnungen ein wenig ſcharff oxequiret, einen Tyrannen: Alſo wenn auch einer aus einen gewiſſen Reichs-Senat excludi - ret wird, da er doch meynet, er ſey den uͤbrigen entweder an Qualitaͤten gleich oder uͤbertreffe ſie noch wohl gar, ſo haͤlt er die andern vor ſolche Leute, die nur aus Ehrgeitz uͤber die andern herrſchten. Jngleichen mocquiren ſich auch einige uͤber die Democratien, wenn ſie ſehen, daß ſolche gemeine Leute bey den Regierungs - Sachen ſo viel mit zu ſagen haben, da ſie den - cken, ſie ſeyn weit vernuͤnfftiger und geſchickter als ſie.
§. 15.255§. 15. Bißweilen pflegt ein Regent eine abſolute und ſouveraine Regierung und freye Gewalt, bißweilen aber auch eine einge - ſchraͤnckte Regierung zu haben. Eine ſouve - raine Regierung wird von demjenigen exer - cirt, der das Regiment nach eignen Gefallen adminiſtriren kan, wie es entweder ſein Wille oder die Conjuncturen mit ſich bringen und nicht noͤthig hat, der Vorſchrifft gewiſſer fun - damental-Geſetze nachzugehen. Da aber der Verſtand eines Menſchen von Jrrthuͤmern nicht frey iſt, und der Wille bey einer ſo groſſen Freyheit ſich gar leicht zum Boͤſen lencken laͤſt, ſo haben einige Voͤlcker vor dienlich erachtet, der freyen und ungebundenen Regierung einiger Regenten in manchen Stuͤcken Ziel und Maaße zu ſetzen. Und haben die Regenten gleich bey Antritt ihrer Regierung denen Reichs - und Landes-Staͤnden verſprechen muͤſſen, daß ſie in wichtigen Angelegenheiten ohne Vorbewuſt und Genehmhaltung der Staͤnde nichts unter - nehmen wollen, damit der Wohlfahrt der Un - terthanen auff die Art beſſer proſpiciret wuͤrde.
§. 16. Es erweiſet ſich die Landes-Fuͤrſtl. Hoheit und daher entſtehende Regierung zu dem Zweck des gemeinen Nutzens und Wohl - ſtandes vornemlich in folgenden Puncten. Alserſtlich256erſtlich laͤßt ein Landes-Herr ihm angelegen ſeyn und iſt es auch zufoͤrderſt befugt den Stand, den ihm GOtt verliehen, die darzu gehoͤrige Ehre und Macht und alles dasjenige, was ihm darzu dienet, und Mittel giebt, in ſeinem ge - buͤhrlichen Weſen ohne Unordnung, Abgang und Verletzung zu erhalten, damit er das An - ſehen und die Kraͤffte habe, den heilſamen Zweck in allen Staͤnden zu erreichen. Zum andern hat er Macht gute Geſetze und Ordnungen im Lande auffzurichten, dadurch Gerechtigkeit, Friede und Ruhe und das Vermoͤgen des Lan - des und der Leute in den Schwang gebracht, er - halten, das Boͤſe geſtrafft und das Gute gefoͤr - dert werde. Drittens gehoͤrt auch dem Lan - des-Fuͤrſten die hoͤchſte Gerichtsbarkeit im Lan - de, nemlich zwiſchen ſeinen Unterthanen, welche ſtreitig ſind, das Recht zu verordnen und ſonſt einem jedweden nach Befindung der Sache und ſeines Verdienſts die Gebuͤhr wiederfah - ren zu laſſen. Vierdtens wird auch erfodert, die Verordnung, Anſtellung und Gebrauch derjenigen Mittel, wodurch die vorigen Stuͤcke wieder ungehorſame Unterthanen oder auswaͤr - tige Feinde und Gewalt-uͤbende koͤnnen auff be - duͤrffenden Fall ausgerichtet und gehandhabet werden. Das uͤbrige, was ein Regent nach den unterſchiedenen Stuͤcken der Republic zu -beobach -257beobachten, wird in dieſem Tractate in beſon - dern Capiteln ſpecialiter ausgefuͤhret.
§. 1.
ES werden alle Regalia der groſſen Her - ren eingetheilet in zwey Haupt-Claſ - ſen, nemlich in das Recht in Anſehung der geiſtlichen und das in Anſehung der weltli - chen Sachen, deren jedwedes, wie wir in die - ſem Tractat zeigen, ſich in ſehr vielen Stuͤcken vorſtellen laͤſſet; Doch das jus circa ſacra uͤ - berwieget das jus circa profana ſo viel an der eminenz, ſo viel koͤſtlicher und unſchaͤtzbarer der Himmel iſt fuͤr der Erden, und die Seele als der Leib, und die geiſtliche Gluͤckſeeligkeit das hoͤchſte Gut, als die zeitlichen und vergaͤnglichen Guͤter. Was vor eine ſchwere Verantwor - tung koͤnte es einmahl geben, wenn denen Per - ſonen, die die Majeſtaͤt haben, die Augen recht ſolten geoͤffnet werden, daß ſie ſehen moͤchten, was vor ein Kleinod, dadurch die GOttes Gna - de und allen erdencklichen Seegen in ihrer Re - gierung ſich erwerben und GOttes geheimſten Freunde in ſeiner goͤttlichen Seelen-RegierungRſeyn258ſeyn koͤnnen, ihnen entzogen werde, wenn ſie vor das jus circa ſacra nicht recht beſorgt ſind Was vor eine unerdenckliche Ehre waͤre ihnen dieſes, wenn ſie es recht zu Gemuͤthe ziehen wolten.
§. 2. Ob ſich nun zwar einige verkehrte in - differentiſtiſche und atheiſtiſche Politici fin - den, die in der Meynung ſtehen, des Regenten - Amt gehe nicht weiter, als daß er Sorge trage, daß die Unterthanen in der Republic ſich eines ſtillen und aͤuſſerlichen Tugend-Wandels be - fleiſſen und als honet hommes in der Welt le - ben moͤchten. Jm uͤbrigen haͤtte ſich ein Re - gente um die Seelen-Seligkeit ſeiner Untertha - nen nicht zu bekuͤmmern, dieſes ſey ein Werck ſo vor die Prieſter gehoͤre, wie ihre Zuhoͤrer ſeelig werden moͤchten und nicht vor die Landes-Fuͤr - ſten, ſo irren doch ſolche Leute gewaltig und verſtehen die Pflicht nicht, die einem Chriſtl. Re - genten dißfalls zuſtehet. Ein Chriſtlicher Mo - narch iſt denen goͤttlichen und weltlichen Rech - ten nach verbunden, die Gluͤckſeeligkeit ſeiner Unterthanen in allen Stuͤcken zu befoͤrdern. Solte er nun wohl in ſeinem Gewiſſen ruhig ſeyn, oder es bey GOtt und ſeinen Unterthanen verantworten koͤnnen, wenn er ſich ihre zeitli - che, nicht aber ewige Gluͤckſeeligkeit angelegen ſeyn laͤßt. Gleichwie derjenige Menſch ſehr unvernuͤnfftig und pflichtloß handelt, der ſeineGedan -259Gedancken nur dahin richtet, wie er eine Gluͤck - ſeeligkeit in dieſer Welt erlangen koͤnne, bey der er doch beſorgt ſeyn muß, daß ſie alle Augen - blick ein Ende nehme, und hingegen ſich um die ewige und ſtets daurende allervollkommenſte Gluͤckſeeligkeit unbekuͤmmert laͤſt; Alſo ſetzen auch diejenigen Chriſtl. Potentaten ihre Re - genten Pflicht ſehr hindan, die bey ihren Unter - thanen eine unvollkommene vergaͤngliche und zeitliche Gluͤckſeeligkeit befoͤrdern, hingegen die allervollkommenſte, allerbeſtaͤndigſte und ewige negligiren wollen.
§. 3. Was flieſſen aus dieſem principio, daß ein Landes-Fuͤrſt nicht noͤthig habe, ſich um die Seelen Seeligkeit ſeiner Unterthanen zube - kuͤmmern, nicht vor boͤſe concluſiones. Es werden alle Kirchen-Ordnungen hiermit durch - loͤchert und das jus circa ſacra der Regenten wird in Confuſion geſetzt. Hat ein Landes - Herr nicht noͤthig, ſich um die Seelen-Seelig - keit ſeiner Unterthanen zu bekuͤmmern, ſo wer - den viel Anordnungen in Kirchen-Sachen ent - weder gantz und gar wegfallen, oder doch groͤ - ſtentheils nur nach der aͤuſſerlichen Gluͤckſeelig - keit der Republic eingerichtet ſeyn und alles dasjenige, was die Ruhe des Landes nicht ſtoͤh - ret, ob es gleich von GOtt in ſeinem Worte verbothen iſt, waͤre vor zulaͤßig zu achten. SoR 2duͤrffte260duͤrffte es einem Landes-Herren einerley ſeyn, ſeine Unterthanen moͤchten den Sabbath heiligen, ſich des Heil. Nachtmahls gebrau - chen und in andern Stuͤcken die Chriſten - Pflicht in Acht nehmen, oder nicht.
§. 4. Gleichwie in allen Sachen eine gu - te Ordnung noͤthig und nuͤtzlich iſt, alſo haben die Landes-Fuͤrſten inſonderheit vor die Kir - chen-Ordnungen zu ſorgen. Es iſt aber eine Kirchen-Ordnung nichts anders, als eine Vor - ſchrifft, wornach man ſich in dem aͤußerlichen Gottesdienſte richten ſoll, damit alles ordent - lich zugehen und die innern Ubungen befoͤrdert werden moͤchten. Es hat GOtt ausdruͤcklich befohlen, daß man ſolche Ordnungen, nach Ge - legenheit der Sachen, auch Zeit und Leute ab - faſſen und daruͤber halten ſoll, wenn er in der I. an die Corinthier am XIV. v. 40. ſagt: Es ſoll alles nach der Ordnung geſchehen. Die Art und eigentliche Beſchaffenheit derſelben, welche ſich nach mancherley Umſtaͤnden richten muß, hat er in vielen Stuͤcken der Chriſtlichen Klug - heit zu determiniren uͤberlaſſen. Wie denn offtermahls etwas in der Schrifft, zum Exem - pel: Die Auferziehung der Kinder in der Zucht und Vermahnung zum HErrn, oder die Rei - chung des Allmoſens befohlen, aber die Art und Weiſe eben nicht nach allen Umſtaͤn -den261den beſchrieben, ſintemahl weder eine ſpeciale Allmoſen-noch Schul-Ordnung in der Schrifft gefunden wird. v. D. Cypriani von Kirchen - Ordnungen.
§. 5. Es pflegen zwar einige von den Herren I heologis ſich gar ſcharff zu opponi - ren, wenn ein Landes-Herr unterſchiedene Re - ligions-Verwandten in ſein Land aufnehmen und denſelben ein freyes Exercitium Religio - nis darinnen verſtatten will. Allein ich muß bekennen, daß mir ihre Raiſon, die ſie disfalls anzufuͤhren pflegen, nicht wichtig gnug ſcheinen. Die vornehmſte iſt dieſe, daß ſie meinen, es waͤre zu beſorgen, es moͤchten einige von denen, die der im Lande herrſchenden Religion zuge - than ſind, abfallen, und zu den andern Reli - gions-Verwandten uͤbertreten. Doch dieſes iſt gar ein ſchlechter Scrupel, dabey wenig oder nichts zu beſorgen. Man unterrichte die Leu - te in den Glaubens-Articuln ihrer Religion gruͤndlich, daß ſie gegen iedermann, der ſie dar - um fragt, ihres Glaubens Grund zu geben wiſ - ſen, ſo werden die Promiſſen und Schmeiche - leyen der andern nicht vermoͤgend ſeyn, ſie auf andere Gedancken zu bringen, und von der ein - mahl erkannten Wahrheit abzuleiten. Zu - dem ſo iſt auch zu hoffen, daß einige von den an - dern Religions-Verwandten, wenn ſie von derR 3wah -262wahren Religion des Landes recht gruͤndliche Information bekommen, und ſie hernach gantz einen andern Begriff, denn ſie ſich ſonſt davon gemacht, von ſelbiger erlangen, zu der im Lande dominanten Religion ſich bekennen moͤchten.
§. 6. Dieſemnach halte zwar davor, daß ein Landes-Herr nicht unrecht handelt, wenn er unterſchiedene Religions-Verwandten in ſeinem Lande toleriret und ihnen die Ausuͤbung ihres Gottesdienſtes frey laͤſt, iedoch hat er auch folgendes darbey in Acht zu nehmen und anzuordnen. Erſtlich muß er keine andere in ſein Land recipiren, als ſolche, davon er und ſein Land Vortheil hat, und die die Commer - cien und Manufacturen verbeſſern, als Kauf - Leute, geſchickte Kuͤnſtler und Manufacturier, u. ſ. w. Zum andern ſich bemuͤhen, daß er, bevor er den fremden Religionen ein freyes Ex - ercitium verſtattet, auch denen von ſeiner Re - ligion bey den andern Potentaten in ihren Laͤn - dern einen freyen Gottesdienſt verſchafft. Zum dritten muß ihnen keine Kirche, ſondern ein a part Hauß eingeraͤumt; Zum vierdten, ſcharff und bey Straffe verboten werden, daß ſie in ihren Predigten keine eintzige Contro - vers, die diejenigen, ſo der im Lande herrſchen - den Religion zugethan ſind, concerniret, ein - miſchen, noch weniger ſich gegen die Prieſter ei -nige263nige Anzuͤglichkeiten gebrauchen. Zum fuͤnff - ten iſt ihnen bey harter Straffe zu unterſagen, niemand aus dem Lande, weder durch Schmei - cheley noch Verſprechung gewiſſer Geld-Sum - men oder anderer Beneficien, zu ihrer Religion anzulocken. Zum ſechſten muͤſſen ſie niemand, weder directe noch indirecte, denen von einer andern Religion etwas zu Leide thun. Wenn dieſe Præcautiones in Acht genommen werden, ſo kan nicht abſehen, was ein Landes-Herr vor Præjudiz davon haben koͤnne, wenn er unter - ſchiedene Religions-Verwandten in ſeinem Lande erdultet.
§. 7. Es hat ſich ein Landes-Herr zu huͤ - ten, daß er die Leute nicht zur Religion zwinge und hierdurch uͤber die Gewiſſen ſeiner Unter - thanen eine Tyranney ausuͤbe, ſintemahl die Religion nicht durch Waffen, ſondern durch gruͤndliche Beweiſe und vernuͤnfftige Vorſtel - lungen fortzupflantzen und den Leuten beyzu - bringen. Es wird auch hierdurch nichts wei - ter als eine bloſſe Verſtellung und Heucheley zuwege gebracht, daß ſie den aͤußerlichen Got - tesdienſt ſo ſimuliren, in ihren Hertzen aber dennoch geſinnet bleiben noch wie vor, wie bey den Hugenotren in Franckreich zu ſehen, die durch die geſtiefelten Miſſionarien des Koͤnigs in Franckreich zu der Papiſtiſchen Religion ge -R 4bracht264bracht werden ſollen, davon aber die meiſten bey Gelegenheit erwieſen, daß ſie in ihrem Hertzen gute reformirte iederzeit geblieben.
§. 8. Zu der Landes Herrlichen Macht, die einen Regenten in Anſehung der Geiſtlichen und Kirchen Sachen zuſtehet, gehoͤret auch die Befugniß in denjenigen Sachen, die adiaphora oder Mitteldinge genannt werden, oder aller - hand Gebraͤuchen und Sachen, ſo zu ausuͤbung des außerlichen Gottesdienſtes gehoͤren, noch der Chriſtlichen Klugheit und deren vorfallen - den Umſtaͤnden zu determiniren. Es kommt dieſe Macht einem Landes-Fuͤrſten ohne Unter - ſcheid zu, er mag ſich in einer Religion bekennen zu welcher er will, und alſo kan er auch in An - ſehung des aͤußerlichen Gottes-Dienſtes derje - nigen, die einer andern Religion in ſeinem Lan - de zugethan ſind, denn er ſelbſt, eins und das an - dere vorſchreiben, daꝛnach ſie ſich richten muͤſſen.
§. 9. Was vor Mitteldinge zu achten oder nicht, iſt bey der Application bißweilen ſtreitig, und muͤſſen die Landes-Fuͤrſten hierinnen nicht ſelbſt decidiren, ſondern ſich bey den Theolo - gis und Juriſten deswegen Raths erholen, da - mit Sie nicht weiter ausſchweiffen denn ihnen vergoͤnnt iſt und die Beſchaffenheit des Chri - ſtenthums mit ſich bringet, auch unter dem Prætext in Mitteldingen etwas zu diſponirennicht265nicht gewiße Verodnungen ergehen laſſen, die das innerliche Weſen der Religion mit anbe - treffen, und von welchen ſie billig abſtrahiren muͤſſen.
§. 10. Es thun die Landes-Fuͤrſten wohl, wenn ſie den Predigern anbefehlen, die Zuhoͤ - rer in Anſehung allerhand Ceremonien und Gebraͤuche, die zu dem aͤußerlichen Gottes - Dienſt gehoͤren, zu unterrichten und derſelben Natur ihnen zu erklaͤren, daß ſie nehmlich nicht eben von GOtt befohlen oder verbothen, ſon - dern in Anſehung GOttes indifferent ſind, und daß ſie nach Gefallen darinnen anordnen koͤnten, was ſie wollen, damit die Zuhoͤrer, wenn die Landes-Fuͤrſten in Anſehung ſolcher Cere - monien einige Veraͤnderung vornehmen wol - len, nicht geſtoͤhret werden, und etwan dencken, es werde in dem Hauptwercke der Religion et - was geaͤndert.
§. 11. Ob ſie gleich dem Staats-Recht nach das Befugniß haben in Anſehung der Mittel - Dinge unteꝛſchiedenes in dem Kirch-Weſen an - zuordnen, ſo handeln ſie doch wider die Staats-Klugheit, wenn ſie ohne wichtige raiſon gewiſſe Gebraͤuche, die lange Zeit bey der Kirche in obſervanz geweſen, abſchaffen und an deren Statt andere einfuͤhren wollen. Uberhaupt iſt zu wiſſen, daß alle unnuͤtze Ce -R 5remonien266remonien und die mehr zum Aberglauben denn zur Erbauung gereichen, zu abrogiren. Denn ob gleich die Mittel-Dinge unter den Gebothen und Verbothen gleichſam in der mitten, ſo iſt doch dieſes mit einiger Laxitaͤt zu verſtehen, ſo, daß dasjenige, was zufaͤlliger Weiſe die Andacht befoͤrdert, einzufuͤhren, was ſolche aber verhindert, abzuſchaffen iſt.
§. 12. Unter die Mittel-Dinge iſt die In - ſtrumental-Muſic in Kirchen auch billig mit zu rechnen. Nun iſt es zwar nicht unrecht, wenn man auch GOtt mit Poſaunen, mit Pſaltern, Harffen und Saiten-Spiel lobet, und hat man hierinnen den Jſraelitiſchen Gottesdienſt im alten Teſtament zum Grunde, iedennoch muß die Inſtrumental-Muſic auch ſo einge - richtet ſeyn, daß ſie zum Lobe GOttes wuͤrcklich gereiche und nicht zum Mißbrauch ausſchlage. Daher muß die Inſtrumental und Vocal-Mu - ſic billig mit einander vereiniget werden, ent - weder daß die gantze Gemeinde mit ſinget und die Inſtrumenta mit drein gehen, oder daß eine Stimme allein eine Arie abſinget und die Mu - ſicaliſchen Inſtrumenta darbey erklingen. Hingegen ſind die unnoͤthigen Concerte der Inſtrumenta, die ſich offt eher vor Comoͤdien und Opern, denn vor GOttes Haͤuſer ſchicken, und darbey die Zuhoͤrer wenig oder gar keineWorte267Worte vernehmen, die ſie zur Andacht reitzen und die Ehre GOttes befoͤrdern, im geringſten nicht zu billigen.
§. 13. Es iſt allerdings ſehr viel daran ge - legen, mit was vor Liedern und Lob-Geſaͤngen, gleichwie im Hauſe und inſonderheit, alſo insge - mein und in oͤffentlichen Verſammlungen GOtt gedienet werde. Denn es iſt kein Zwei - fel, daß auch Lieder, die entweder oͤffentlich oder privatim geſungen werden, Notæ und Kenn - zeichen der Religion, wie nicht weniger oͤffent - liche Bekenntniſſe ſi〈…〉〈…〉. Dieſemnach haben Landes-Herren auch dahin zu ſehen, daß bey den Geſang-Buͤchern, die man verfertiget, eine ſonderliche Behutſamkeit obſervire und nicht eines iedweden Reim-Schmieds Gedancken vor ein ſolch Lied angenommen werde, welches die Kirche GOttes als ein Zeichen des Glau - bens und goͤttlichen Lobes erkennen ſoll, ſondern vielmehr ein ſolcher beliebter Selectus der Lie - der beobachtet werde, deren Worte und Senſus alle der wahren Kirche beypflichtende anzuneh - men und vor tuͤchtig zu erkennen, ſich nicht ent - brechen, da zumahl der Satan, als ein liſtiger Geiſt, nebſt andern tauſendfachen Kuͤnſten, womit er der Heerde Chriſti Abbruch zu thun bemuͤhet iſt, auch dieſes Stratagematis ſich gar wohl zu bedienen weiß, daß er unter dem Vor -wand268wand und Deck-Mantel eines neuen wohlge - ſetzten und dem Scheine nach andaͤchtigen Lie - des, ſeinen Gifft mit einzuſchieben und in die Hertzen der Menſchen, ſonderlich der Einfaͤlti - gen und die die Gabe der Pruͤfung nicht haben, auf gantz heimliche Art und Weiſe zu bringen weiß. Bey edirung eines Geſang-Buches haben die Landes-Fuͤrſten anzubefehlen, es mag nun zum oͤffentlichen oder beſondern Gebrauch dienen ſollen, daß die Nahmen der Autorum, die ſolche neue Lieder gemacht, hinzugeſetzt und nicht weggelaſſen werden. Es iſt dieſes von einer groſſen Nothwendigkeit. Denn gleich - wie manchmahl eine Redens-Art, die bedenck - lich iſt, einem Mann, von deßen Orthodoxie man allbereit ſonſt durch gnugſame Proben verſichert iſt, gar wol zu gute gehalten wird, alſo kan bey einem andern, welcher ſonſt wegen fal - ſcher und verdaͤchtiger Lehre bekannt iſt, ſolche Redens-Art, wenn ſie dubieus oder anſtoͤßig iſt, nicht frey paſſiren, weil man immer beſor - gen muß, daß er unter dieſer oder jener Phra - ſeologie bald einen Jrrthum von Glauben, bald von Chriſto, bald von der Rechtfertigung und andern wichtigen Glaubens-Puncten mit einmenget und dem Leſer obtrudiret.
§. 14. Es muß auch in ein Evangeliſch und Lutheriſches Geſang-Buch kein Lied ge -bracht269bracht werden, wenn es auch noch ſo einen groſ - ſen Schein der Andacht haͤtte, in welchen man entweder falſche und irrige Lehren mit klaren und deutlichen Worten fuͤrgetragen findet, oder doch zweydeutige, verfaͤngliche und verdaͤchtige Redens-Arten antrifft. Denn obgleich et - wan der einfaͤltige Leſer ſobald dieſelben nicht mercket, und ein ſolch Lied in ſeiner Einfalt da - hin ſinget, ſo leidet doch, wenn ihm der Glau - bens-Jrrthum, ſo in dergleichen Liede enthal - ten, gezeiget wird, ſeine Seele entweder einen empfindlichen Anſtoß, oder er wird zu Bey - pflichtung deſſelben Jrrthums nichts deſtowe - niger verleitet, und laͤſt es ſich hier nicht thun, daß man eine und andere Redens-Arten, wenn das Lied von einem kundbar irrigen Verfaſſer geſetzt worden, meinet mit Liebe zu bemaͤnteln und zu entſchuldigen.
§. 15. Es ſind die Melodeyen bey einem Ev - angeliſchen Lutheriſchen Geſangbuch dergeſtalt zu ordiniren, daß die Geſaͤnge ſo wohl in ihrem metro als darauff geſetzten compoſition und Noten etwas ernſthafftes, andaͤchtiges und gottſeliges in ſich faſſen, nicht aber auff eine uͤp - pige, leichte und faſt liederliche Art derweltl. Geſaͤnge hinaus lauffen. Denn es iſt aller - dings in der Muſic, darein die Lieder geſetzt ſind und geſungen werden, etwas, wodurch dasmenſch -270menſchliche Hertz ſo wohl in Freude als Trau - ren geſetzt, und alſo durch eine gewiſſe ſpringen - de und tantzende Art von Melodeyen wohl gar in eine empfindliche Veraͤnderung und Anfang einer Raſerey gebracht werden kan; Da denn dieſe und andere mehrere Umſtaͤnde es nicht wohl verſtatten wollen, ſolche ſpringende, huͤpf - fende und leichtſinnige Lieder ſo wohl in der Kirche ſingen zu laſſen, als denen Leuten zu ihrer Hauß-Andacht zu recommendiren und in die Haͤnde zu legen, maßen ſolches ſo wohl wieder die gravitaͤt und Hoheit der Sache, als auch der Gewohnheit der alten und bißherigen Evan - geliſchen Lieder laͤufft, als welche viel von einer andaͤchtigen und gravitaͤtiſchen Melodey ge - halten. S. der loͤbl. Theologiſchen Facultaͤt zu Wittenberg Bedencken uͤber das zu Glaucha an Halle 1703. im Wayſen-Hauſe daſelbſt e - dirte Geſang-Buch.
§. 16. Dieſes, was ich von den Geſang-Buͤ - chern geſagt, iſt auch auff die Gebet-Buͤcher zu appliciren, als bey deren Edirung allerdings auch dahin zu ſehen, daß ſie von ſolchen Maͤn - nern verfertiget werden, die nicht wegen einer irrigen Lehre verdaͤchtig ſeyn, ſondern vielmehr reine Lehre und heiliges Leben beſtaͤndigſt, ſo viel als in dieſer Unvollkommenheit moͤglich iſt, mit einander zu vereinigen ſuchen.
§. 17.271§. 17. Die Formulen der gemeinen Kir - chen-Gebete werden auch auff Befehl der ho - hen Landes-Obrigkeit abgefaßt, und ſind dieſel - bigen billig ſo einzurichten, wie es die Zeiten er - fodern und die Zuhoͤrer darbey in der Andacht erhalten und zu derſelben erwecket, auch durch allzugroſſe Weitlaͤufftigkeit nicht verdruͤßlich gemacht werden. Es pfleget ſich auch bey den Kirchen-Gebeten die menſchliche Thorheit mit zu aͤußern, denn da beſchweret man oͤffters die Kirchen mit Kleinigkeiten, z. E. wenn entwe - der die Kirchen-Patronen oder gewiſſe reno - mirte Kauff-Leute oder andere vornehme Per - ſonen Reiſen antreten, die nicht etwan aus Nothwendigkeit, ſondern Geitz, Ehrgeitz und zur Luſt vorgenommen werden, oder wenn eini - ge in den Kirchen Gebetern mit allzuvielen Ti - tuln prangen, da doch ſolches dem Ort und der Zeit gar nicht convenient iſt. Es ſollen und koͤnnen dahero die hohe Landes Obrigkeiten al - les dieſes, was bey den Kirchen-Gebetern der Ehre GOttes nicht geziemend und auch ſonſt der Chriſtl. Klugheit und deren Wohlſtande zuwider iſt, determiniren und nach Gelegen - heit der occurrirenden Umſtaͤnde manches ver - biethen, manches aber auch auffs neue an - ordnen.
§. 18. Zuweilen wird auff einen ſonderli -chen272chen Fall, als wenn der Landes-Herr zu Felde gehet u. ſ. w. ein Gebet eingerichtet, welches denn ipſo jure oder aus geſetzlicher Verordnung wieder unterlaſſen werden ſolte, ſo bald man verſicherte Nachricht haͤtte, daß ſolche Bege - benheit wieder zu Ende; Allein es giebts die Erfahrung, daß zuweilen lange nach ſolcher Aenderung das Gebet noch abgeleſen wird, wel - ches denn nichts anders als ein Geſpoͤtte ſeyn kan. S. des Herrn Appellation-Raths Titii geiſtl. Recht, p. 418.
§. 19. Es iſt bekannt, was bey den Gevat - terſchafften oͤffters vor Mißbraͤuche vorgehen, und bißweilen ſolche Leute darzu genommen werden, die ſo jung von Jahren, daß ſie die Wichtigkeit und Heiligkeit dieſes Wercks gantz und gar nicht bedencken, ſondern nur bloß auff die aͤuſſerlichen Ceremonien ſehen und auff die Parade, die ſie durch ihre praͤchtige Kleidung und andere Art bey dem Gevatter-ſtehen ma - chen wollen. Da aber ſolche heilige Hand - lung hierdurch verringert wird und ihr Anſe - hen verlieret; als ſolten die Landesherrſchaff - ten billig verbiethen, daß keiner Gevatter ſtehen ſolte, der nicht zuvor in den noͤthigen Stuͤcken des Chriſtenthums zur Gnuͤge unterrichtet waͤ - re und diejenigen Jahre erreicht haͤtte, da er dieHei -273Heiligkeit und Wichtigkeit der Tauff-Hand - lung recht bey ſich uͤberdencken koͤnte.
§. 20. Es iſt den Prieſtern nicht zugeſtat - ten, daß ſie die Leute ohne Vorbewuſt des Su - perintendenten und Conſiſtorii von den Beicht - Stuhl und Gebrauch des heiligen Nachtmahls abhalten. Denn die Prieſter koͤnnen von der Unbußfertigkeit nicht urtheilen, weil ſelbige im Hertzen beſtehet; und ob man wohl aus den aͤuſſerlichen Zeichen vorietzo eine Unbußfertig - keit vermuthet, ſo kan doch in dem Augenblick GOtt das Hertz zur Buſſe lencken, dahero iſt der Zuſtand des menſchlichen Hertzens dem Prieſter niemahls ſattſam bekannt. Zudem pflegen die Menſchen in Beurtheilung der aͤuſ - ſerlichen Laſter oͤffters zu irren oder ſich parthey - iſch zu erweiſen, und wenn alſo den Prieſtern eingeraͤumet wuͤrde, dißfalls nach ihrem Urtheil zu verfahren, ſo wuͤrde daraus groſſe Unbillig - keit und Verwirrung entſtehen. Es iſt auch dieſer aͤuſſerliche Zwang gar kein Mittel, das zulaͤnglich waͤre, wahre Gottesfurcht zu erwe - cken, ſondern macht nichts als Heuchler, womit dem lieben GOtt nichts gedienet iſt. Endlich hat ſolch Vornehmen gar keinen Nutzen, ſon - dern wuͤrcket eine Hartnaͤckigkeit. Nun iſt zwar an dem, daß den Prieſtern der Binde - Schluͤßel andertrauet ſey. S. Matth. XIIX. Sv. 18.274v. 18. Joh. XX. v. 23. Aber vom Binde - Schluͤſſel auf das Abweiſen vom Beicht-Stuhl iſt keine Folge, ſondern es beſtehet der Binde - und Loͤſe-Schluͤſſel darinnen, daß ein Prieſter nach der Vorſchrifft goͤttlichen Wortes denen unbußfertigen Suͤndern GOttes Straffe, de - nen bußfertigen aber Gnade ankuͤndigen koͤnne, und weil er das menſchliche Hertze niemahls ge - wiß verſtehet, ſo kan er keine eintzele Applica - tion machen, ſondern muß allezeit zugleich den Bind - und Loͤſe-Schluͤſſel unter Beding der Unbuß - oder Bußfertigkeit ausuͤben, jene aber GOtt und eines ieden Gewiſſen uͤberlaſſen. Es ſolte auch billig von denen Evangeliſch-Lu - theriſchen Landes-Herrn denen Prieſtern an - befohlen werden, daß ſie allezeit unter Bedin - gung der Bußfertigkeit, wie der Heyland ſol - ches vorgeſchrieben, abſolvirten, und denn die in Unbußfertigkeit ſtuͤnden, davon aber nicht die Prieſter urtheilen koͤnnen und muͤſſen, ſondern unſer HErr GOtt, die Suͤnde behielten. S. hiervon mit mehrern des ſeel. Herrn Appellat. Raths Titii geiſtliches Recht p. 465. und in folgenden, da er dieſes weitlaͤufftig abhandelt. Es waͤre ſolches eine ſehr nothwendige Sache, und iſt gewiß vor einen Fehler unſerer Kirche, daß es hindan geſetzet wird, zu achten.
§. 21. Ob uns zwar unſer Heyland vondem275dem Fluch des Geſetzes und den Ceremonien des Levitiſchen Gottesdienſtes, nicht weniger von allen menſchlichen mit Zwang des Gewiſ - ſens eingefuͤhrten unnoͤthigen, unnuͤtzen und der heiligen Schrifft widerſprechenden Satzun - gen befreyet hat, ſo ſtehet dennoch nicht einem jedweden privato in unſerer Evangeliſch-Luthe - riſchen Kirche en particuler frey, ſeine Freyheit uͤber die nach GOttes Wort einge - fuͤhrten und von hoher Chriſtlicher Landes - Obrigkeit regulirte Kirchen-Ordnungen zu ex - tendiren, ſolcher Geſtalt, daß er ohne Abſicht auff ſolche Ordnungen ſeines Gefallens leben und ſeine, wider ſolche wohlgegruͤndete Ord - nungen lauffende, vielmahls auch den Naͤchſten zum Aergerniß gereichende Unternehmungen mit dem Vorwand ſeiner Chriſtl. Freyheit gnugſam entſchuldigen koͤnne. S. Johann Ernſt Schulenburgs Unterricht vom Gebrauch und Mißbrauch der Chriſtl. Freyheit in aͤußer - lichen Kirchen-Ceremonien und Ordnungen.
§. 22. Es iſt leider mehr als zu bekannt, durch was vor Wege einige Studioſi Theolo - giæ, die ſich dennoch hernach beruffene und ver - ordnete Diener des Worts nennen, in das Predigt-Amt gelangen. Manchen wird un - ter den Fuß gegeben, daß ſie etwa ein Cammer - Maͤdgen, ſo bey dem Edelmann gedienet undS 2die276die der Patronus gerne verſorget und unter die Haube gebracht wiſſen will, heyrathen ſollen. Andern wird gerathen, daß ſie dem Collatori eine gewiſſe Summe Geldes, die er benoͤthiget iſt, nicht ſchencken, denn dieſes waͤre der Simo - nie gar zu nahe, und wuͤrde vor der Welt dis - reputirlich ſeyn, ſondern nur als ein Darlehn offeriren ſollen. Noch andere recommen - diren ſich durch ihre ſchoͤne Ausſprache im Pre - digen, oder weil ſie keine verdruͤßlichen Sauer - toͤpffe ſind und fein alles mit machen; Andrer ſchlimme Mittel und Wege, durch welche ih - rer viele in das Predigt-Amt treten, anietzo zu - geſchweigen. Da aber hierdurch die Gemei - nen geaͤrgert, das Heiligthum vor die Hunde geworffen, das Anſehen des Predigt-Amts verringert und GOtt zum Zorn gereitzet wird, ſo haben Landes-Fuͤrſten hohe raiſon, durch ih - re Conſiſtoria beſorgt zu ſeyn, daß niemanden eine vocation zu einer Pfarre zugefertigt wer - de, denn der deſſen wuͤrdig iſt, und durch recht - maͤßige Mittel nemlich durch ſeine Gottesfurcht, Gelehrſamkeit und Froͤmmigkeit darzu gelan - get. Es ſolten ſo wohl diejenigen Collatores, die unwuͤrdige Leute zum Predigt-Amt voci - ren, als auch die ſich auff eine ungebuͤhrliche Art ins Predigt-Amt eindringen, in Straffe ge - nommen und nach ſolchen fleißiger inquirirt werden.
§. 23.277§. 23. Ob es zwar nicht unrecht, wenn man, ſo viel als moͤglich iſt, Sorge traͤgt, daß die Toͤchter derjenigen Prieſter, die ſonſt in dem Miniſterio geſtanden, verſorget werden, ſo iſt dennoch die Gewohnheit nicht zu billigen, da man diejenigen, ſo an des Pfarrers Stelle kom - men, faſt mit Gewalt zwingen will, daß ſie des vorigen Prieſters Toͤchter heyrathen, ob ſie gleich gar keinen Eſtim gegen ſie hegen, und doch endlich aus Begierde zu der Pfarre dieſe conditionem ſine qua non, ſich gefallen laſſen und eine offt heßliche und laſterhaffte Qvarre heyrathen muͤſſen.
§. 24. Es iſt an ihm ſelbſt billig, auch GOt - tes heiligen Wort und Geboten gemaͤß, daß die Prediger vor ihre ſchwere und muͤhſame Auff - wartung ihren Sold haben; Denn wer der Kirchen dienet, muß auch von derſelben belohnet werden. Daher haben die Landes-Fuͤrſten Sorge zu tragen, daß die Prediger nicht allein ihre Beſoldung und Accidentien richtig erhal - ten, ſondern daß ihnen auch dieſelben, ſonderlich auff denen Doͤrffern, da manche in einem ſehr armſeeligen und Kummer-vollen Zuſtande ſich befinden, erhoͤhet werden. S. des Herrn Geh. Raths Thomaſii Diſſertatio de jure Principis circa augenda ſalaria Miniſtro - rum.
S 3§. 25.278§. 25. Es iſt bekannt, daß oͤffters den Prie - ſtern auf dem Lande an Statt der ordentlichen Einkuͤnffte, gewiſſe Pfarr-Guͤter an Aeckern, Wieſen, Gaͤrten, Fiſchereyen, Holtzungen und dergleichen uͤbergeben werden, die ſie beſtellen und davon ihren jaͤhrlichen Unterhalt nehmen muͤſſen. Gleichwie aber durch die Sorgen der Nahrung und Beſtellung des Hauß-Weſens die Prediger von den Seelſorgen, welches doch das vornehmſte iſt, insgemein abgehalten wer - den; Als ſolten die Landes Fuͤrſten dahin be - dacht ſeyn, daß ſich die Prieſter um die Land - und Feld Haußhaltung gar nicht bekuͤmmern duͤrfften, und ihnen zu ihrer Unteꝛhaltung gewiſ - ſe Einkuͤnffte, derer ſie mit Ruhe genieſſen koͤn - ten, aſſigniret wuͤrden. Es iſt gewiß eine ſchaͤndliche Sache, daß die Prediger auff man - chen Doͤrffern genoͤthiget werden, mehr um ih - re Ochſen und Kuͤhe, denn vor ihre Zuhoͤrer zu ſorgen. Ja man trifft wohl gar einige Pfar - rer an, wie mir dann ſelbſt einige bekannt ſind, die ſich nicht entbloͤden, den Dreſch-Flegel in die Hand zu nehmen, und um das Lohn zu erſpa - ren, ſelbſt mit dreſchen und andere Bauer-Ar - beit zu verrichten pflegen. Es ſolte und koͤnte billig von denen Lands-Fuͤrſten dieſen Aerger - nißen und inconvenientien abgeholffen wer - den.
§. 26.279§. 26. Es pflegen zuweilen die Prieſter auff dem Lande, wenn ſie ſich in ihrem Predigt - Amt nicht gebuͤhrlich auffgefuͤhret, und ihre Pflicht, wie ſie wohl geſollt, in Acht genommen, zur Straffe von einer eintraͤglichen Pfarre auff eine andere geſetzt zu werden, da ſie nicht ſo viel Einkuͤnffte zu genieſſen haben, welche man pœ - nitenz-Pfarren nennt. Es iſt aber ſolches ge - wiß vor eine ungereimte und paͤbſtiſche Sache zu halten, da man aus dem Gottesdienſte ein gewiß Handwerck macht, und nicht auff den Haupt-Zweck, ſondern auff die Erhaltung ei - nes untuͤchtigen Lehrers ſiehet. Jſt das nicht etwas ſeltzames, weil ſich der Prieſter bey dieſer Gemeinde nicht wohl auffgefuͤhret, ſo wird er einer andern vorgeſetzt. Was hat dann dieſe wohl gethan, daß ſie mit einem untuͤchtigen Leh - rer verſorgt wird? So wird ja der Pfarrer nicht allein, ſondern auch die neue Gemeinde beſtrafft, die einen ſolchen uͤberkommt; Jſt der Prieſter capable, einer Gemeinde vorzuſte - hen, ſo beſtraffe man ihn lieber, wenn er es in Sachen verſehen, die nicht gar zu wichtig ſind, auff eine andere Art, iſt er aber gantz und gar unwuͤrdig, in dem Predigt-Amt laͤnger zu ſeyn, ſo ſetze man ihn lieber ab, als daß man ihm eine andere Gemeine anvertrauet.
§. 27. Es entſtehen oͤffters unter den Geiſt -S 4lichen280lichen in Staͤdten wegen derer Accidentien ein Hauffen Diſputen, Neid und Zwiſtigkeiten, da - durch ihre Gemuͤther gegen einander erbittert, die Zuhoͤrer aber geaͤrgert werden. Da ſind ſie wegen der Beicht-Kinder auff einander jalous, wenn einer deren mehrere oder auch vornehmere, als der andere hat, wenn der eine mehr Leichen-Predigten zu halten hat u. ſ. w. Dieſen inconvenientien koͤnte nun voꝛgebauet werden, wenn die Landes-Fuͤrſten auff Mittel und Wege ſoͤnnen, daß an Statt der Acciden - tien denen Predigern gewiſſe und erkleckliche Beſoldungen ausgemacht wuͤrden, welches gar wohl angienge, wenn recht Hand angelegt wuͤrde. Es wuͤrden auch nachher die von A - del und anderer vornehmer Leute Kinder deſto eher zu dem Studio Theologico Luſt haben, wann ſie ſaͤhen, daß die Prieſter ihr hinlaͤngli - ches Auskommen finden koͤnten.
§. 28. Vornemlich ſolte der Beicht-Pfen - nig von dem Landes-Fuͤrſten abgeſchafft wer - den, als welcher wie bekandt, ſehr groſſen Miß - braͤuchen unterworffen. Manche gantz arme Leute ſchieben die Beichte und das heil. Nacht - mahl-gehen bloß deswegen auff, weil es ihre Gelegenheit noch nicht leiden will, dem Beicht - Groſchen hierzu anzuwenden, und manche Prie - ſter ſind auch wohl ſo ungewiſſenhafft, daß ſiemit281mit importunitaͤt den Leuten das Beicht Geld abfordern; andere werden in ihrer Andacht bey der Beichte geſtoͤhret, wenn ſie entweder das Beicht-Geld gar vergeſſen, oder es doch zu der Zeit, wenn ſie die Abſolution erhalten, es nicht ſo geſchwinde heraus nehmen koͤnnen, u. ſ. w. Wie die Prieſter bißweilen deßwegen in Zwiſtigkeit gerathen und auff einander jalous ſind, habe in vorhergehenden §. angefuͤhret. Es wird unnoͤthig ſeyn, alle Mißbraͤuche die bey dem Beicht-Gelde vorkommen, vorſtellig zu machen, indem gelehrte und beruͤhmte Leute ſo wohl von den geiſtlichen und weltlichen Stan - de ſolche ſchon laͤngſt vor mir erkennet und in ei - genen Schrifften dieſelben abgehandelt. Es koͤnten die Landes-Fuͤrſten dieſe aus dem papi - ſtiſchen Sauerteig noch bey uns erhaltene reli - quie gar leichtlich abſchaffen, wenn ſie den Beicht-Pfennig verboͤthen, und hingegen den Zuhoͤrern anbefoͤhlen, den Prieſtern auff eine andere Art, die in hypotheſi gar leichtlich zu determiniren waͤre, ein honorarium an ſtatt des Beicht Geldes zu bezahlen.
§. 29. Man ſiehet und hoͤret oͤffters, daß Prieſter einer Stadt, wenn ſie in manchen Re - ligions-Puncten und Glaubens-Lehren unglei - cher Meynungen ſind, einander nicht allein mit groſſer Hitze und Hefftigkeit in SchrifftenS 5angreif -282angreiffen, ſondern auch auff den Cantzeln auff einander ſchmaͤhlen und einander herunter ma - chen. Da aber die Zuhoͤrer in ihrer Glau - bens-Lehre nur hierdurch irre gemacht und ſcandaliſiret werden und das Anſehen des Pre - digt-Amts gewaltig hierunter mit leidet, ſo thun die Landes-Fuͤrſten ſehr wohl, wenn ſie den Prieſtern anbefehlen, daß ſie von ſolchen ſtreiti - gen Puncten, dafern es quæſtiones problema - ticæ ſeyn, davon ſichs pro & contra diſputiren laͤßt und eben nicht nothwendige Glaubens-Ar - ticul ſind, auf den Cantzeln gantz und gar nichts erwehnen ſollen, bey den uͤbrigen aber ihre Mey - nungen zwar ſagen, aber der Meynung ihres Gegeners nicht ſonderlich Erwehnung thun. Es kan ihnen wohl erlaubet werden, daß ſie einige Schrifften deshalben wechſeln moͤgen, es muͤſ - ſen aber ſolche, damit der gemeine Mann nicht geſtoͤhret werde, in Lateiniſcher Sprache ge - ſchrieben und ohne alle perſonalien, calumn oͤſe expreſſionen und Bitterkeit verfertiget wer - den.
§. 30. Jndem einige Prediger, die ſich et - wan ſelbſt gerne hoͤren, durch unnoͤthige und verdruͤßliche Wiederhohlungen und ſo genannte Tavtologien, um nur viel ſagen zu koͤnnen, ihre Predigten uͤber die Gebuͤhr verlaͤngern, durch ſolches uͤberfluͤßige Geſchwaͤtze aber den mei -ſten283ſten Zuhoͤrern die Andacht hemmen und wenig Erbauung ſchaffen; als koͤnnen die Regenten zwar denen Predigern dißfalls eine gewiſſe Zeit vorſchreiben, jedoch muͤſſen ſie auch dahin ſehen, daß ihre dißfalls ausgeſtellten Verordnungen mit einer Chriſtl. Klugheit eingerichtet ſeyn und der Ehre GOttes nicht etwan einiger Maßen hierdurch zu nahe getreten werde. S. die Koͤnigl. Preußiſchen Verordnung wieder die langen Predigten von 1714.
§. 31. Es haben auch die Landes-Fuͤrſten denen Predigern anzubefehlen, daß ſie auff ihre Predigten vorhero gehoͤrig meditiren und nicht auf der Cantzel herplappern, was ihnen einfaͤllt, oder wie einige Pietiſten zu reden pflegen, was ihnen der Geiſt eingiebt, ingleichen ſich ſo viel als moͤglich aller Philologien und Critiquen, wie auch unnoͤthigen controverſien enthalten, ſondern ihre Predigten in einer guten Ordnung ab handeln, den Text gehoͤriger Maßen erklaͤren und periphraſiren und ſonderlich auf die Er - bauung der ihnen anvertrauten Gemeinde ihre Abſicht richten. Es ſolte von den Conſiſto - riis den Superintendenten anbefohlen werden, daß ſie auff die Predigten der ihrer Inſpection anvertrauten Prediger Achtung gaͤben, und die - ſelbigen bißweilen unverſehens behorchten und allen denjenigen, welche entweder ſeltzame undabge -284abgeſchmackte inventiones zu ihren Jahrgaͤn - gen erwehlten, dergleichen mir nicht ſchwer fal - len ſolte anzufuͤhren oder ſonſt ihre Pflicht nicht gehoͤriger Maaßen wahrnaͤhmen, ſcharffe Ver - haltungen thaͤten.
§. 32. Da ſie auch bißweilen auff eine ſo unglimpfliche Art ihren elenchum gebrauchen, ſo daß ſie nicht auff das Laſter, wie billich und ihrem Amt gemaͤß iſt, ſchmaͤhlen ſondern eine ge - wiſſe Perſon mit allen ſpecialen Umſtaͤnden ſo beſchreiben, daß ein iedweder, den ſie meynen, gleich errathen und ihren privat-Affect daraus abnehmen kan, ſolches aber bey den Zuhoͤrern ſchlechten Nutzen ſchafft und mehr einreißt, denn erbauet, ſo haben die Regenten auch billig Sorge zu tragen, daß die Prediger auff den Cantzeln ihren Elenchum ſo einrichten, wie ſie es vor dem Richter-Stuhl GOttes und vor al - len geiſtlichen und weltlichen Gerichten verant - worten koͤnten.
§. 33. Es muß ein Evangeliſch-Lutheriſcher Landes-Herr denen Predigern nicht verſtatten, daß ſie andere Glaubens-Lehren als in den Li - bris ſymbolicis enthalten, oͤffentlich vortragen, und in Schrifften vertheidigen, noch auch dun - ckeler und neuerlicher denen Ketzern gewoͤhnli - cher Redens-Arten, die nicht Schrifft-maͤßig noch den Symboliſchen Buͤchern conferm, ſichgebrau -285gebrauchen; Zu dem Ende muſſen ſie auch bey Abſchwerung des Religions Eydes ſie deſſen durch die Conſiſtoriales fleißig erinnern laſſen, und keinen das oͤffentliche Lehr-Amt in ihren Landen bey Kirchen und Schulen anvertrauen, der nicht in ſtatu Confeſſionis denen libris Symbolicis ohne reſervation oder Bedin - gung, e.g. in ſo fern ſie mit der Schrifft einſtim - mig, ſondern, weil ſie in Doctrinalibus und Moralibus durchgehends der Heil. Schrifft conform und mit GOttes Wort uͤbereinkom - men, eydlich unterſchreiben, und alle darinnen verdammte Jrrthuͤmer gleichfals verwerffen und verdammen will. So bald ſich iemand deſſen weigert, hat man ihn als einen Neuling und raſenden Wolff, der in Schaffs Kleidern aufgezogen koͤmmt, billig abzuweiſen, und der Heerde zu verſchonen. S. Doct. Stoltzens Schrifftmaͤßiges und wohl gegruͤndetes Be - dencken, uͤber die ohnlaͤngſt publicirte Declara - tion einer hohen Standes Perſon die Neutra - litaͤt in der Religion betreffende.
§. 34. Ob zwar nicht ohne, daß manche Prediger in den kuͤnſtlichen Diſpoſitionibus ihre Predigten excediren und oͤffters ihre eige[-]ne und nicht GOttes Ehre ſuchen, und es alſo bey ihrer vielen zu einen Mißbrauch wird, ſo ſind dennoch nicht alle Kuͤnſtlichen Diſpoſitio -nes286nes der Predigten zuverwerffen, noch den Prie - ſter zu disſvadiren; Denn der Gebrauch und Mißbrauch, wie in allen Sachen, alſo auch hierinnen abgeſondert werden muß. Man findet dergleichen metaphoriſche Redens-Ar - ten auch in der Heiligen Schrifft ſelbſt, es ge - ben ſolche propoſitiones, wenn ſie mit Ver - ſtande und guter Venunfft verfertiget werden, die ſchoͤnſte Gelegenheit zu den herrlichſten ap - plicationibus und uſibus, und die dergleichen verwerffen, thun es oͤffters aus Unwiſſenheit, bißweilen auch aus einen fanatiſchen Eigenſinn. ſ. das 1711. Jahr der unſchuldigen Nachrich - ten pag. 136.
§. 35. Es iſt denen Hrn. Theologis bekañt, wie hoͤchlich ſich vor einigen Jahren unterſchie - dene Lehrer ſo wohl unſerer Kirche als auch der Hrn. Reformirten bemuͤhet, eine Union zu - treffen, wie dißfals viele Schrifften pro und contra gewechſelt und unterſchiedene Ad - dreſſen und Vorſchlaͤge, theils an die Evange - liſchen, theils an die Reformirten Potentaten geſchickt worden. Ob nun gleich eine ſolche Vereinigung gar ſehr zu wuͤnſchen waͤre, ſo iſt ſie dennoch nicht zu hoffen. Denn durch die conformitaͤt allerhand aͤußerlicher Hand - lungen wird die Vereinigung nicht befoͤrdert, und in den Hauptwercke will keine Parthie et -was287was nachgeben und kan an der Ehre und Goͤtt - lichen Wahrheit nichts vergeben. Weil ſich die Hrrn. Reformirten einbilden, daß die War - heit auf ihrer Seite ſtehe, ſo wohl als wir ſol - ches mit Gewißheit behaupten koͤnnen, ſo vertheidiget eine jede die einmahl recipirten hypotheſes mit groſen Eyfer. Dieſem nach thun die Landes-Fuͤrſten wohl, wenn ſie in ſol - chen Sachen, darinnen ſie nichts decid ren koͤnnen, ihre Conſiſtoria und Theologiſche Facultaͤten befragen und ihnen anbefehlen, daß ſie zwar in dem Haupt-Wercke nichts das der Autoritaͤt der heiligen Schrifft zuwider, an - nehmen; Jm uͤbrigen aber bey den Scriptis polemicis ſich aller Chriſtlichen Liebe und Be - ſcheidenheit gebrauchen, auch die Gegner nicht verketzern ſollen, damit weder durch eine unzei - tige Vereinigung eine Unordnung in das Reli - gions-Weſen eingefuͤhret, noch durch eine un - noͤthige Zwiſtigkeit eine Erbitteruug unter den Gemuͤthern verurſachet werde.
§. 36. Es haben bereits von einiger Zeit her, Herr Bartholomaͤus Ziegenbalg, und nebſt ihm einige andere Evangeliſche Lutheriſche Miſſionarii zu Traquebar in Mallabar durch Goͤttliche Direction zu Bekehrung der daſigen Heyden einen ruͤhmlichen Anfang gemacht, und durch die Gnade GOttes bey ihrem Bekeh -rungs288rungs-Wercke einen ziemlich geſegneten Fort - gang gefunden. Es iſt GOttes Guͤte zu prei - ſen, daß Jhre Koͤnigliche Majeſtaͤt in Denne - marck dieſes Negotium beſorgen helffen, und ein eigen Collegium aufgerichtet, das zu weite - rer Bekehrung der Heyden Anſtalt machet, auch unterſchiedene Standes und privat-Per - ſonen, ſo wohl in Teutſchland, als Holland und Engeland dieſes Bekehrungs-Werck, ſo viel als moͤglich, ſecundiren. Es iſt aber kein Zweifel, daß es noch um ein groſſes erweitert, und die Erkenntniß Chriſti unter den Heyden viel weiter fortgepflantzet werden koͤnte, wenn auch andere Evangeliſch Lutheriſche Potentzen ſich angele - gen ſeyn lieſſen, vor dieſes heilſame Werck beſt - moͤglichſte Sorgfalt zu tragen. Die Papi - ſten ſind in ſolchen Sachen ſo eifrig und ſcheuen keine Koſten, und gleichwohl ſpuͤret man unter uns ſo wohl bey Hohen und Niedrigen, in der - gleichen Dingen, dadurch GOttes Ehre befoͤr - dert wuͤrde, eine ſchlechte Begierde und Eyfer. Es koͤnten und ſolten Evangeliſch Lutheriſche Potentaten nicht allein zu Fortſetzung ſolcher Bekehrung groſſe Geld-Summen herſchieſſen, ſondern auch den Univerſitaͤten anbefehlen, daß ſie unter den Studioſis Theologiæ geſchick - te und tuͤchtige Subjecta ausſuchen ſolten, die Luſt hiezu bezeugten, und bey Bekehrung derHey -286[289]Heyden ſich als Miſſionarien gebrauchen lieſ - ſen. Man muͤſte aber auch ihnen, was zu ei - ner ſolchen Reiſe noͤthig waͤre, mit auf den Weg geben. Es waͤre auch dahin zu ſchen, daß recht glaͤubige, tugendhaffte und behertzte Leute hierzu ausgeſucht wuͤrden, die reine Lehre und heiliges Leben mit einander vereinigten, da - mit weder die Heyden durch uͤppiges Leben der Chriſten geaͤrgert, noch ihnen falſche Fanati - ſche, Pietiſtiſche und irrglaͤubige Principia in den Kopff geſetzt wuͤrden.
§. 37. Dieſes, was ich von der Bekehrung der Heyden geſagt, iſt ebenmaͤßig auch auf die Bekehrung der Juden zu appliciren. Es koͤnten Chriſtliche Potentaten dergleichen Be - kehrung, wenn rechte Muͤhe angewendet wuͤr - de, mit befoͤrdern helffen; Sie koͤnten den Juͤ - den anbefehlen, daß ſie zu gewiſſen Zeiten den Predigten der Chriſten zu hoͤren muͤſten, wel - ches vor koinen Gewiſſens-Zwang zu halten, und vielleicht wuͤrde bey manchen der Heil. Geiſt bey Anhoͤrung des Goͤttlichen Worts wuͤrcken, daß es einen guten Nutzen bey ihnen ſchaffen wuͤrde. Sie koͤnten den Juden-Kindern ge - biethen, daß ſie zu manchen Stunden des Ta - ges in die Chriſten Schulen gehen muͤſten, und daſelbſt in dem Chriſtenthum unterrichtet wuͤr - den. Es ſolte den Profeſſoribus LingvarumTorien -290orientalium anbefohlen werden, mit den Ju - den und ſonderlich den Rabbinen fleißige Col - loquia zu halten, die Buͤcher, darinnen die Jrr - thuͤmer der Juden und deren gruͤndliche Wie - derlegung enthalten, bekant machen zu laſſen. Man ſolte auch denen bekehrten Juden Gele - genheit zeigen, ſich ehrlich unter den Chriſten zu nehren und fortzubringen, damit ſie nicht noͤ - thig haͤtten, den Bettelſtab zu ergreiffen. Nun - will ich zwar denjenigen nicht Beyfall geben, die vor eine ausgemachte und unumſtoͤßige Wahr - heit ausgeben, daß eine allgemeine Juden-Be - kehrung zu hoffen ſey; Wiewohl ich nicht laͤug - nen kan, daß der geſunden Vernunfft nach, weñ ich auch von den Schriff-Stellen, daraus et - wan eine Juden-Bekehrung erhaͤrtet werden koͤnte, abſtrahire, mir ziemlicher maſſen proba - bel vor koͤmmt, daß eine groſſe Anzahl der Juͤ - den bekehret werden duͤrffte. Denn wenn ſie dereinſt ſehen werden, daß ſie ſo viel Secula durch auf ihren Meßiam vergebens gehoffet und er ſich nicht einſtellen will, ſo glaub ich, daß ihnen die Zeit, weiter zu hoffen, endlich zu lang waͤhren wird, und ihrer gar viel ſich reſolviren werden, die Chriſtliche Religion zu ergreiffen. Jm uͤbrigen thun die Landes-Fuͤrſten ſehr wohl, daß ſie ihnen diejenigen Gebets-Formuln, darinnen unſer liebſter Heyland Chriſtus JE -ſus291ſus geſchmaͤhet und gelaͤſtert wird, bey harter und ſchwerer Straffe verbieten.
§. 38. Unter andern Laſtern und boͤſen Dingen, die heutigs Tags in der Republic eine gedrungen, iſt ſonder Zweifel der Indifferen - tiſmus mit einer unter den vornehmſten, da un - terſchiedene, die ſich duͤncken kluͤger zu ſeyn denn andere Leute, vorgebende, man koͤnte in allen Religionen ſeelig werden. Das Haupt-Werck kaͤme darauf an, daß man GOtt und ſeinen Naͤchſten liebte; Die meiſten Religions-Con - troverſien waͤren Pfaffen Gezaͤncke, ſo von kei - ner Wichtigkeit waͤren, u. ſ. w. Er wird aber durch ſolche Reden viel boͤſes in der Republic geſtifftet. Denn es wird hierdurch den Leu - ten eine Erbitterung gegen die Prieſter und Verkleinerung des Predigt-Amts beygebracht, die Verordnungen der Landes-Herrn in geiſtl. und Kirchen-Sachen werden hierdurch bas tractiret; Die heil. Schrifft nach den wun - derlichen Capricen der Leute ausgeleget und mit einem Worte eine Total-Confuſion in Kirchen-Sachen zuwege gebracht. Dieſem - nach ſolten die Landes-Herrſchafften billig ſol - che Leute, die die Religion nur zu einem Deck - Mantel ihres Intereſſe machen, wenn ſie ſich dergleichen Reden in Converſation, ſo, daß andere hierdurch geaͤrgert wuͤrden, verlautenT 2lieſ -292lieſſen, nach vorher durch ein Landes-Geſetze beſchehener Warnung, damit ſie nicht die Un - wiſſenheit vorſchuͤtzen koͤnten, ernſtlich beſtraf - fen, auf daß andere nicht durch ſie verfuͤhret wuͤrden. Es ſind ſolche Leute denen eine Re - ligion iſt wie die andere, dem Atheiſmo ge - wißlich ſehr nahe, und iſt dahero auf ihre Reden und Actiones wohl Acht zu haben.
§. 39. Es iſt die rechtglaͤubige Kirche GOttes iederzeit von Jrrglaͤubigen und Ke - tzern angefochten worden, und haben hohe Lan - des-Obrigkeiten, ſamt treuen Lehrern und Pre - digern, auch ſonderlich in den heutigen Zeiten, billig hohe Urſache, dißfalls vigilant zu ſeyn. Es iſt aber die Ketzerey nichts anders, als ein Fehler des Verſtandes eines Menſchen, der boßhaffter und muthwilliger Weiſe in den Haupt-Articuln der Chriſtlichen Glaubens - Lehre irret, und dieſen ſeinen Jrrthum oͤffent - lich ausbreitet und vertheidiget, und daher iſt die hohe Landes-Obrigkeit allerdings befugt, die Propolation und Vertheidigung ſolcher groben Fehler zu beſtraffen. Denn es ſind die Ketzer vermoͤgend, die Ehre GOttes zu kraͤn - cken, die Seelen der Unterthanen in ſchaͤdliche Jrrthuͤmer zu leiten und in der Republic Un - ordnung zu erwecken. Nun ſtehen zwar eini - ge Politici in den Gedancken, es koͤnne keinKetzer293Ketzer mit Recht von den Menſchen geſtrafft werden, denn es kaͤme GOtt alleine zu, eine Richt-Schnur vorzuſchreiben, nach welcher man ihn ehren ſolte, die Menſchen haͤtten keine Herrſchafft und auch keine Mittel, andern Leuten gewiſſe Meynungen aufzuzwingen. Al - lein, dieſe Raiſons, wenn man ſie unterſucht, halten nicht Stich. Die Menſchen ſchreiben keine Richt-Schnur vor, ſondern verbinden nur die andern, daß ſie nach der von GOtt in ſei - nem Wort klar und deutlich vorgeſchriebenen Regul einher gehen, und dieſelbe im Glauben und Leben vor wahr und richtig annehmen und erkennen ſollen. Sie prætendiren auch keine Herrſchafft uͤber die Gewiſſen zu exerciren, noch ſie zu gewiſſen Meynungen zu zwingen, ſondern verbieten nur, daß ſie diejenigen fal - ſchen und irrglaͤubigen Meynungen, die GOt - tes Wort und den ſymboliſchen Buͤchern un - ſerer Kirche zuwider ſind, nicht propaliren und vertheidigen, auch andere dadurch nicht aͤrgern ſollen.
§. 40. Man erfaͤhret oͤffters, daß einige Gelehrte der unterſchiedenen Religions-Ver - wandten in dem heil. Roͤm. Reiche einander mit ſolchen Schrifften, die dem geiſtlichen und Profan-Frieden des Reichs ſo gar entgegen ſind, hefftig angreiffen. Gleichwie aber ſol -T 3che294che Scripta zu nichts dienen, als Haß, Feind - ſchafft, Unruhe und Widerſetzlichkeit auszu - ſaͤen und zu pflantzen, hergegen die Einigkeit und gutes Vernehmen, ſo doch gar ſehr noͤthig iſt, zu hemmen und aufzuheben; Als muͤſten die teutſchen Regenten denen Gelehrten ſolch ſtraffbares Beginnen ernſtlich verweiſen und ihnen nachdruͤcklich anbefehlen, in Zukunfft ſich dergleichen Schreib-Art gaͤntzlich zu ent - halten, oder einer harten Straffe gewaͤrtig zu ſeyn, auch nichts, ſo von einem Conſiſtorio oder Theologiſchen Facultaͤt nicht vorher cenſiret worden, drucken zu laſſen.
§. 41. Es pflegen die Landes-Fuͤrſten, krafft der Landesherrlichen Hoheit, gewiſſe Conſiſtoria oder geiſtliche Gerichte zu beſtellen, die aus weltlichen und geiſtlichen Aſſeſſoribus beſtehen, und allerhand zu Kirchen-Sachen und Religions-Weſen gehoͤrige Dinge unterſu - chen und entſcheiden muͤſſen. Ob nun zwar die Landes Fuͤrſten alle dieſe Sachen auch vor dem geheimden Raths-Collegio haͤtten aus - machen und in einem und andern, was die in - nerliche Natur des Gottesdienſtes und der Re - ligion betreffen, die Theologiſchen Facultaͤten gewiſſer Univerſitaͤten, zu denen ſie ihr Ver - trauen gehabt, haͤtten befragen koͤnnen, ſo kan doch keine Raiſon abſehen, warum maneinem295einem Landes-Fuͤrſten, nach dem ſothane Conſi - ſtoria einmahl fundiret und eingerichtet, zu derſelben Caſſation anrathen ſolte, wiewohl dergleichen ohnedem auch nicht zu vermuthen.
§. 42. Wenn man conſideriret, was oͤff - ters vor Unheil und Confuſion aus Leſung al - lerhand gottloſer und boͤſer Buͤcher in der Re - public und Kirche zu entſtehen pfleget, ſo erken - net man, daß es von der groͤſten Nothwendig - keit ſey, daß die Landes-Fuͤrſten nicht allein alle atheiſtiſche und naturaliſtiſche, ſondern auch indifferentiſtiſche und fanatiſche Schrifften in ihren Landen verbieten, es ſey denn, daß die - jenigen ſich ſolche anſchaffen, die Amts - und Gewiſſens wegen verbunden ſind, dieſelbigen zu leſen und die Autores ſolcher Schrifften zu widerlegen. Denn was der Gifft dem Leibe ſchadet, ſchaden ſolche gottloſe Schrifften der Seelen. Jn dieſe Claſſe gehoͤren auch alle diejenigen, die gewiſſe, wunderliche und der Autoritaͤt der heil. Schrifft zuwider lauffende Hypotheſes vertheidigen.
§. 43. Es ſind in die Lateiniſchen Syſte - mata, darinnen die Articul der Theologiæ vorgeſtellet, aus der Metaphyſica und Philoſo - phia Scholaſtica, wie denen Herren Theolo - gis beſſer bekannt als mir und meines gleichen, viel unnoͤthige Diſtinctiones und ander philo -T 4ſophi -296ſophiſches Zeug mit eingedrungen. Ob nun wohl davor halte, daß dieſelben, in Anſehung der Papiſten, wenn man mit ihnen zu diſputi - ren hat, noͤthig ſind, ich auch glaube, daß man - ches auf die Art, welches man ſonſt mit viel Worten umſchreiben muͤſſe, kuͤrtzer gegeben werden kan, und es auch nicht ſo leicht iſt, die - ſelben auf einmahl auszumuſtern, ſo ſtehe doch in den Gedancken, daß manche philoſophiſche Grille, dadurch die Theologie nur dunckler und ſchwerer gemacht, auch mit Menſchen - Tand angefuͤllet wird, wegbleiben koͤnte, und ſolten die Landes-Fuͤrſten den Theologis an - befehlen, daß ſie, ſo viel als moͤglich, dergleichen Metaphyſica aus ihren Syſtematihus auslieſ - ſen. Die Evangeliſchen Lutheriſchen Predi - ger, die mit den Papiſten zu controvertiren haͤtten, es ſey muͤndlich oder ſchrifftlich, welches ohnedem von den wenigſten zu geſchehen pflegt, koͤnten ſich dieſe Sachen alsdenn ſchon bekannt machen, wenn es die Noth erforderte. Es wuͤrde die Theologie hierdurch deutlicher ge - machet, dem Sinn des Heil. Geiſtes vielleicht naͤher eingerichtet, wenn man ſich, ſo viel moͤg - lich, an die Worte der heil. Schrifft baͤnde, und denen Neulingen, welche aus dem Funda - ment die Syſtemata gantz und gar zu verwerf - fen pflegen, die Gelegenheit benommen, die Syſtemata zu verachten.
§. 44.297§. 44. Zu wuͤnſchen waͤre, daß unter der Direction der Landes-Herrſchafften an allen Orten ſolche Societaͤten zu Ausbreitung des Chriſtenthums geſtifftet wuͤrden, als vor eini - gen Jahren zu Londen in Engelland etabiliret worden. Es beſtehet dieſe Geſellſchafft aus Biſchoͤffen, weltlichen Standes-Perſonen und Gelehrten, welche viel kleine Societaͤten unter ſich hat. Sie hat zu Londen und an andern Orten auff eigne Koſten Schulen auffgerich - tet, in welchen Waͤyſen und andere arme Kin - der umſonſt unterrichtet und gekleidet werden. Sie hat viel Gebets - und andere zur Andacht - dienende, auch im Grund des Chriſtenthums unterrichtende Buͤcher drucken und in Schulen unter die Kinder, auff dem Lande unter Bauer - Leute, ingleichen unter Soldaten und Boots - Leute, ja ſo gar unter Gefangene austheilen laſ - ſen, mit groſſen Koſten die Bekehrung der A - mericaner zum Chriſtenthum wieder vorge - nommen und ſo gar daſelbſt zu allgemeinen Nu - tzen der neuen Kirche Bibliothequen geſtifftet, an unterſchiedene Kirchen gantzer Laͤnder ge - ſchrieben und ſie zum eyffrigen Beyſtand in Be - foͤrderung des Chriſtenthums ermahnet, u. ſ. w.
§. 45. Wenn man die groſſen und vielen Mißbraͤuche, die wohl in allen Provintzen theils bey den Predigern, theils auch in andern zumT 5Kir -298Kirchen-Weſen gehoͤrigen Stuͤcken eingeriſſen, in gehoͤrige Betrachtung ziehet, ſo hat man raiſon zu wuͤnſchen, daß die Evangeliſche Lu - theriſche Landes-Herren in ihren Laͤndern eine allgemeine Kirchen-Viſitation halten und da - ſelbſt die an einem iedem Orte obſchwebenden Gebrechen und Mißbraͤuche unterſuchen und denſelbigen abhelffen lieſſen. Es ſind vor ei - niger Zeit einige Evangeliſche Fuͤrſten, denen andere mit hoͤchſt-ruͤhmlichen Exempeln vorge - gangen, und waͤre zu wuͤnſchen, daß die uͤbrigen durch ihr Exempel ſich incitiren lieſſen und eine ſolche hoͤchſt-noͤthige zur Befoͤrderung der Ehre GOttes und des Heyls der Kirche abzielende Sache auff alle Art und Weiſe zu Stande zu bringen, ſich angelegen ſeyn lieſſen.
§. 46. Es iſt eine ſehr loͤbliche und heilſame Sache, daß einige Evangeliſch-Lutheriſche Re - genten in Teutſchland gewiſſe Seminaria auff - gerichtet, darinnen die Studioſi Theologiæ un - ter der Direction eines gottsfuͤrchtigen, gelehr - ten und exemplariſchen Ober-Haupts ſich zu dem Predigt-Amt habilitiren koͤnnen. Es haben dergleichen Seminaria einen ſehr guten Nutzen, es koͤnnen einige Herren Studioſi die eines etwas freyen Umgangs als eine reliquie des academ ſchen Lebens, ihr rohes Weſen hierinnen mit der Zeit nach und nach ablegen,den299den ordentlichen Predigern des Orts, wo ſie ſich auffhalten, durch predigen und catechiſi - ren ihre Arbeit erleichtern, zu dem Miniſterio ſich geſchickt machen, und in Stille ſeyn und hoffen ihre vocationes zu erwarten.
§. 47. Es iſt bekannt, daß das catechiſiren ſo wohl bey Alten als Jungen, wenn es mit ge - hoͤriger Ordnung, Deutlichkeit und Fleiß vor - genommen wird, einen groͤſſern Nutzen ſchafft als das Predigen ſelbſt. Denn die Leute wer - den bey dem chatechiſiren in ſtets waͤhrender Auffmerckſamkeit erhalten, da ſie hingegen bey den Predigten die Gedancken bald hier bald da - hin herum flattern laſſen. Die Catechiſationes ſind auch deutlicher, indem die Lehren goͤttli - ches Worts beſſer erklaͤret werden, ſie koͤnnen das erklaͤrte zu Hauſe bey den Jhrigen beſſer wiederhohlen als bey den Predigen; Es con - nectiren auch offtermahls die Materien bey dem catechiſiren beſſer als bey den Predigten. Wenn man aber erweget, daß die Prieſter ſo wohl in Staͤdten als auff den Doͤrffern mit ih - ren ordentlichen Amts-Verrichtungen ſo viel zu thun haben, daß ſie die Catechiſationes un - moͤglich mit gehoͤrigen Fleiß unternehmen koͤn - nen, ſo waͤre zu wuͤnſchen, daß in den groſſen Staͤdten eigene Catecheten geſetzet wuͤrden, die alle Tage oder doch zu unterſchiedenen mahlenin300in der Woche Catechiſmus-Examina hielten und die Prieſter in der Arbeit ſublevirten. Es ſind ja an allen Orten Studioſi Theologiæ in Menge verhanden, die um ein billiches ſich zu dieſer Arbeit gebrauchen lieſſen. Es koͤnte ſolch Geld zu Salarirung dieſer Catecheten aus der Kirche genommen werden.
§. 48. Jndem bey erwachſenen Perſonen, zumahl auf dem Lande, ſich oͤffters eine ſehr groſſe Unwiſſenheit in ihrem Chriſtenthum und denjenigen Stuͤcken, was ihnen zu ihrer See - len Heyl und Seeligkeit zu wiſſen noͤthig, ſpuͤ - ren laͤſt, ſo thun die Landes-Fuͤrſten ſehr wohl, wenn ſie denen Superintendenten anbefehlen, daß ſie bey denen Local-Viſitationen, welche alle Jahr vorgenommen werden ſollen, die er - wachſenen Leute inſonderheit vor ſich fordern und pruͤfen, ob ſie nicht nur ihren Catechiſmum und gute bibliſche Spruͤche aͤußerlich gelernet, ſondern auch, ob ſie den heilſamen Verſtand derſelben gefaſſet und die Sache zu Hertzen ge - nommen haͤtten? Jngleichen, ob ſie in der Er - kenntniß GOttes ihres Heylandes, der Gna - den-Ordnung und ihrer ſelbſt, abſonderlich in der Lehre von der Buſſe, vom Glauben, von der Wiedergeburt und Erneurung, auch andern zum wohlgegruͤndeten und thaͤtigen Chriſten - thum noͤthigen Puncten ſattſam unterrichtetſeyn:301ſeyn; Hiernaͤchſt, wie die Information der Jugend in denen Schulen, bevoraus, ſo viel das Chriſtenthum anbetrifft, angeſtellet, und, ob ſowohl die Schul-Meiſter und Catecheten darzu geſchickt, als auch die Kinder darzu recht angefuͤhret werden, dieſe in den Schulen ſich fleißig einfinden, ſich erkundigen, und wenn diß - falls ein Mangel ſich finden ſolte, ſolchen abzu - helffen alles Ernſts ſich angelegen ſeyn lieſſen; Uber dieſes die Pfarrer und Schul-Meiſter, und zwar jene, wie ſie die Aufſicht daruͤber mit beſten Fleiſſe bewerckſtelligen, dieſe aber die In - formation recht einrichten und verbeſſern ſol - ten, anweiſen, mit der ausdruͤcklichen Anden - tung, daß ſie auf erſtattete Berichte nach Be - finden mit der Suſpenſion oder Remotion, wenn ſie hierinnen ſaͤumig befunden wuͤrden, beſtraffet werden ſolten. Siehe die aus dem Chur-Saͤchſiſ. Ober-Conſiſtorio an. 1710. an die Superintendenten und Inſpectores diß - falls ergangene Verordnung.
§. 49. Es ſingt das gemeine rohe Volck aus Unwiſſenheit viel Lieder mit, davon ſie doch gar nichts verſtehen, was ſie ſingen, und manch - mahl, auch wohl ſonderlich diejenigen, die nicht leſen koͤnnen, und die Lieder nur durch Nachſin gen von andern erlernet, die Expreſſiones der - ſelben ſo verderben, daß nicht allein der Theolo -giſche302giſche Senſus, den der Autor des Liedes inten - diret, nicht heraus kommt, ſondern wohl gar kein Senſus uͤbrig iſt. Wenn man aber gleich - wohl erweget, daß ein Lied nichts anders ſey, als ein Gebet, welches man ſingend zu GOtt abſchickt, und unſern Herrn GOtt ein ſolches Singen, ſo ohne Verſtand und gebuͤhrende Andacht geſchiehet, ſo angenehm iſt, als das Schnattern der Gaͤnſe und das Bellen der Hunde, ja auch noch nicht einmahl ſo ange - nehm, denn dieſe exerciren, als unvernuͤnfftige Thiere, ihre Stimmen nach der Natur, die ih - nen GOtt verliehen hat, welches aber vernuͤnff - tige Menſchen und Chriſten bey ſolchen ver - kehrten Liederſingen nicht thun, auch alle ſolch Geſinge ſo beſchaffen, daß man des groſſen GOttes nur darbey ſpottet, ſo erkennet man, daß es von der letzten Nothwendigkeit ſey, daß Landes-Herrn denen Predigern, ſowohl in Staͤdten als ſonderlich auf den Doͤrffern, an - befehlen, daß ſie entweder in den ſo genannten Bet-Stunden von denen Cantzeln, oder aber bey denen Catechiſmus-Examinibus die ge - woͤhnlichen Lieder, die ſowohl in den Kirchen als bey den ordinairen Hauß-Andachten ge - ſungen werden, deutlich erklaͤren und peri - phraſiren, die ſchweren Redens Arten erlaͤu - tern, auch die Glaubens-Articul und Lebens -Pflich -303Pflichten nach der heil. Schrifft denen Zuhoͤ - rern vor Augen ſtellen. Es ſind manche Lie - der ſo dunckel, daß auch wohl diejenigen, die von geuͤbten Sinnen ſind, eine Meditation darbey anſtellen muͤſſen, wenn ſie den wahren Verſtand derſelben faſſen wollen, geſchweige denn, daß einfaͤltige Leute dieſelben verſtehen ſolten. Es haben zwar einige Theologi unſrer Kirche ſich druͤber gemacht, und dieſelbigen in beſondern Schrifften erlaͤutert, oder auch man - chen Geſang-Buͤchern gewiſſe Anmerckungen beygefuͤget. Allein, theils ſind ſolche Schriff - ten denen Unwiſſenden nicht bekannt, und nicht in ihren Haͤnden, theils ſind auch ſolche Leute nicht gewohnt, durch eigenes Nachſinnen bey den Buͤcherleſen etwas zu profitiren, zudem ſo koͤnnen auch viele von dergleichen Leuten, denen die Erklaͤrung der Lieder noͤthig waͤre, nicht le - ſen, und alſo dieſer Buͤcher Anweiſung nicht ge - brauchen, theils ſind auch einige von dergleichen Schrifften ſelbſt noch dunckel oder unvollkom - men, daß alſo eine muͤndliche Unterrichtung auf die Art, wie ich ietzt geſagt, einer ſchrifftlichen weit vorzuziehen iſt. Dieſe Erinnerung iſt gewiß hoͤchſt-noͤthig, denn wer ſich die Muͤhe giebt, bey dem gemeinen Volcke dißfalls einige Nachfrage zu halten, wird finden, daß die Leute offt die gemeinſten Morgen - und Abend-Liederdie304die ſie ſingen, wenn man ſich nach dem wahren Verſtand erkundiget, bey manchen Paſſagen nicht verſtehen.
§. 51. Es iſt aus GOttes heiligen Worte, alt - und neuen Teſtaments klar, daß die Sonn - und Feſt-Tage zu heiligen, und thun die Lan - des-Fuͤrſten wohl, die ſehr ſcharff hieruͤber hal - ten. Dieſemnach ſind diejenigen Politici bil - lig zu verwerffen, die der Meynung ſind, daß nach geendigten Gottesdienſt das Scheiben - Schieſſen, Comoͤdien-Spielen und andere Er - goͤtzlich keiten vorgenommen werden koͤnten, da doch vielmehr der gantze Sonntag zu heiligen iſt, ingleichen derjenigen, die in den Gedancken ſtehen, man ſolte ſolche Dinge des Sonntags mit harten Straffen nicht verbiethen, ſondern vielmehr eines jeden Gewiſſen ſelbſt uͤberlaſſen; denn man koͤnte durch jene nicht mehr erhalten, als die Unterlaſſung des aͤuſſerlichen Wercks, die wahre Gottesfurcht koͤnte man doch nicht erwecken. Und iſt zwar allerdings an dem, daß die wahre Gottesfurcht durch Straffen nicht erwecket werden kan; Allein es iſt gnug, wenn es die Obrigkeit dahin bringt, daß die aͤuſſerlichen Wercke unterlaſſen werden. Auch dieſes hat ſchon ſeinen guten Nutzen, denn zum erſten, ſo wird andern Mit-Chriſten durch die Entheiligung des Sabbaths kein Aergernisertheilet;305ertheilet; Zum andern, ſo giebet die entzogene Gelegenheit, allerhand uͤppige Wercke des Sonntags auszuuͤben, ihnen wohl ſelbſt Anlaß, daß ſie um die Zeit zu paſſiren, etwas in GOt - tes Wort leſen und alſo hierdurch manchmahl wider ihren Willen, weil der Geiſt GOttes all - ſtets mit dem Worte vereiniget iſt, erbauet wer - den; und zum dritten, ſo muͤſſen die Landes - Herren doch wie in andern Stuͤcken alſo auch hierinnen thun, was ſie koͤnnen und ihnen moͤg - lich, weil ſie die Hertzen der Menſchen nicht ver - aͤndern moͤgen, ſondern ſolches unſerm HErre GOtt uͤberlaſſen muͤſſen.
§. 52. Es iſt faſt in allen Evangeliſch-Lu - theriſchen Kirchen in Teutſchland ſo eingefuͤh - ret, daß Vormittags in der Fruͤh-Predigt die Evangelia, Nachmittags hingegen die Epiſteln erklaͤret, oder auch wohl ein Jahr ums an - dere Catechiſmus-Predigten gehalten und die Augſpurgiſche Confeſſion durchgepredigt wird. Nun will ich zwar dieſe Methode eben nicht tadeln, wiewohl ich auch glaube, daß die Evangelia ordentlicher und in einer beſſern Connexion haͤtten eingetheilet werden koͤn - nen, ſondern nur denenjenigen, von denen der - gleichen Verordnungen dependiret, zu ihrer Uberlegung anheim ſtellen, ob es nicht beſſer waͤre, wenn zumahl in groſſen Staͤdten dieUTexte306Texte ſo ausgeleſen wuͤrden, daß alle Sonntage denen Zuhoͤrern ein gewiß Stuͤck aus der Chriſtl. Glaubens-Lehre erklaͤret, und ein ein - tziger Haupt-Spruch, darinnen das Funda - ment und der Haupt-Grund laͤge, zum Text genommen wuͤrde, und ſo diſtribuiret, daß ſie das Jahr mit allen Stuͤcken der Theologiæ Theticæ zu Ende kaͤmen. Es ſind gewiß manche Stuͤcke des Chriſtl. Glaubens und manche Lehren denen Zuhoͤrern, da ſie doch ſo viele Jahre predigen gehoͤret, gaͤntzlich unbe - kannt, ja manche Grund-Wahrheiten der Chriſtl. Religion, daraus ſo viel andere flieſ - ſen, verſtehen ſie gar nicht. Z. E. ſo wird ih - nen ſelten und faſt gar nicht von der Goͤttlichkeit und Wahrheit der heiligen Schrifft gepredi - get, noch ihnen gewieſen, wie ſie einige Scrupel, die ihnen etwan von boͤſen und atheiſtiſchen Leuten hier und dar erreget werden, beantwor - ten ſolten. Sie hoͤren gnug von Ehriſti Lei - den und Tode, vom Glauben, der Buße und gu - ten Wercken; Wenn ſie aber in boͤſe Geſell - ſchafft kommen und von gottloſen Leuten einige Objectiones, die wider die heilige Schrifft ge - machet werden, vernehmen, ſo fangen ſie offter - mahls an der Autoritaͤt des heiligen Bibel - Buchs an zu zweiffeln, weil ſie ſolche Buͤcher, die ſie eines andern und beſſern unterweiſenkoͤnten,307koͤnten, nicht leſen und von den Predigern der - gleichen auch nicht hoͤren. So wird auch auf den Cantzeln zu wenig geredet und gelehret von GOtt, ſeinen Eigenſchafften, ſeinem zulaſſen - den und dirigirenden Willen und von der goͤtt - lichen Providenz. Es iſt Schande, daß unter Chriſten und unter denjenigen, die 30. 40. und mehr Jahre Prediger gehoͤret, ſolche atheiſti - ſche oder doch denſelben ſehr gleiche principia im Schwange gehen, welches groſſen Theils auch dem Mangel des Unterrichts zuzuſchrei - ben und daß ihrer ſo viele, aus Liebe zur Welt, ſolchen Unterricht nicht annehmen. Es waͤ - ren dergleichen Lehren in den heutigen Zeiten, da der Unglaube ſo ſehr anfaͤngt uͤberhand zu nehmen, gar ſehr noͤthig. Jch weiß wohl, daß ei - nige Prediger deßwegen Bedencken tragen, ſol - che Sachen auff die Cantzel zu bringen, weil ſie beſorgen, es moͤchten manche von den Zuhoͤrern in ihrem Glauben irre werden und Scrupel be - kommen, wenn ſie hoͤrten, daß ſich Leute faͤnden, die ſolche Grund-Wahrheiten in Zweiffel zoͤ - gen, und daß duꝛch wichtige Gruͤnde dieſe Wahr - heiten muͤſten beſtaͤrcket und befeſtiget werden, da ſie zuvor vielleicht nicht darauff gedacht haͤt - ten. Allein dieſe Bekuͤmmerniß iſt unnoͤthig, es koͤnnen die nichtigen Einwuͤrffe boͤſer Leute der Wahrheit der Chriſtl. Religion ſo wenigU 2ſchaden,308ſchaden, als wenn ein geſchickter Medicus Gifft zu einer Artzeney nimmt, deſſen Krafft zu ſcha - den durch die Wuͤrckungen der andern koͤſtlichen ingredientien, die der operation des Giffts im Wege ſind, gehindert wird. Es verdringet die helle Sonne der Chriſtl. Wahrheit dieſe Nebel, die ſich vor dieſelbige ſetzen wollen, und wenn dieſe falſchen Schein-Gruͤnde der Ge - gner auff den Probierſtein der Heil. Schrifft und der geſunden Vernunfft geſtrichen werden, ſo erkennt man, daß dieſelbigen nicht Stich hal - ten; Und alſo werden die Zuhoͤrer hierdurch im geringſten in keine Scrupel geſetzt, ſondern viel - mehr in der Wahrheit der Chriſtl. Lehre befe - ſtiget. Ja, wenn es nicht hin und wieder in den heutigen Zeiten ſolche boͤſe Leute gaͤbe, die aller - hand Einwuͤrffe wider ſolche Grund-Wahrhei - ten zu machen pflegten, ſo wolte ich zu geben, daß es eben nicht noͤthig waͤre, daß die Prieſter Gelegenheit naͤhmen, dergleichen Erwehnung zu thun, weil ſie gewiß wuͤſten, daß alles dieſes, was ſie auff den Cantzeln vorbraͤchten, genera - lement als wahr vorausgeſetzt wuͤrde. Da aber andere Leute ihren Zuhoͤrern objectiones machen, ſo muͤſſen ſie ihnen auch die Mittel zeigen, wie ſie dieſelben beantworten ſollen und koͤnnen.
§. 53. Hieher gehoͤret auch die Lehre de In -diffe -309differentiſmo Religionum, ingleichen die von der Erleuchtung, von welchen die wenigſten Zu - hoͤrer, ob ſie gleich den dritten Articul auswen - dig koͤnnen und wohl etzliche mahl erklaͤren ge - hoͤret, ſich deutliche Begriffe zu machen wiſſen. Unter andern deſiderire ich auch, daß den Zu - hoͤrern gar zu wenig geprediget wird von dem ewigen Leben und von der ewigen Gluͤckſeelig - keit, ja auch von der Hoͤllen-Pein, welche doch fleißiger und ſchaͤrffer getrieben werden ſolte. Denn dieſe beyde Lehren muͤſſen die Menſchen zu allen denjenigen, was GOtt von ihnen ge - than wiſſen will, an und hingegen von allen la - ſterhafften und boͤſen Wegen abhalten. Es ſolten die Herrn Theologi das ewige Leben nicht die ewige Seeligkeit, ſondern die ewige Gluͤckſeeligkeit nennen. Bey dem Worte See - ligkeit machen ſich die meiſten Menſchen einen Begriff, der der Sache nicht recht proportio - nirt und dunckel iſt. Alle Menſchen haben die Begierde, eine wahre ewige Gluͤckſeeligkeit zu - beſitzen, die wenigſten aber laſſen ſich rechtſchaf - fen angelegen ſeyn, ſeelig zu werden. Nun iſt zwar wohl an dem, daß keine menſchliche Zun - ge vermoͤgend iſt, die Herrlichkeit des himmli - ſchen Paradieſes ſattſam vorzuſtellen und auch keinem Prediger jemahls ins Hertz gekommen, was GOtt bereitet hat, denen die ihn lieben. U 3Je -310Jedoch iſt gewiß gnug, daß geſchickte und ge - lehrte Prediger nach Anleitung der heiligen Schrifft und geſunden Vernunfft die ewige Gluͤckſeeligkeit auff eine ſolche Art einiger Maſ - ſen entwerffen koͤnten, daß ihre Zuhoͤrer ein recht Verlangen uͤberkaͤmen, eine ſolche Gluͤck - ſeeligkeit zu beſitzen, es koſte auch nur immer was es wolle. So wird auch von den uͤbrigen juͤngſten Dingen in dem gantzen Jahre viel zu wenig geprediget. Jch koͤnte hier noch ein weitlaͤufftig Verzeichniß anfuͤgen von denjeni - gen Materien, die auff den Cantzeln in denen ordentlichen Predigten nicht zur Gnuͤge abge - handelt werden, es mag aber vor dieſes mahl gnug ſeyn. Nun bemuͤhen ſich zwar geſchick - te Prieſter, die Evangelia und Epiſteln ſo zu er - klaͤren, daß ſie allezeit die Glaubens-Lehren her - ausziehen und die Glaubens - und Lebens-Pflich - ten ihren Zuhoͤrern daraus vorſtellen; Allein theils iſt es nicht wohl moͤglich, daß ſie aus den - ſelben alles beruͤhren koͤnnen, was einen Chri - ſten in Anſehung der gantzen Chriſtlichen Reli - gion zu glauben noͤthig iſt, wenn ſie nicht den Texten Gewalt anthun, und die Materien mit den Haaren gleichſam darzu ziehen wollen; theils ſind ſie auch zu weitlaͤufftig und haben gar zu viel Materien, daß ſie alſo die Glaubens - Articul nur kurtz durchgehen und nicht rechtdeut -311deutlich und ausfuͤhrlich tractiren koͤnnen; Theils iſt es auch nicht ſo ordentlich bey ſo vie - len Materien unter einander, als wenn ſie einen Glaubens Articul nach dem andern recht erklaͤ - ren. Vielleicht waͤre es nicht unrecht, wenn ein Jahr nach dem andern in den ordentlichen fruͤh Predigten die Evangelia und gewiſſe Texte und Spruͤche, darinnen die Glaubens Articul der Chriſtlichen Religion den Zuhoͤrern erklaͤ - ret und vorgetragen wuͤrden, ingleichen Nach - mittags die Epiſteln und die vornehmſten Texte der Theologiæ moralis oder der Lebens-Lehre. Doch dieſes alles will ich dem Urtheil derjeni - gen, ſo in ſolchen Sachen geuͤbter ſind denn ich, uͤberlaſſen.
§. 54. Es haben bißweilen manche Kir - chen, zumahl in groſſen Staͤdten, ſehr groſſe Capitalien, die nicht allezeit ſo angeleget wer - den, als ſie wohl ſolten, und koͤnten die Landes - Fuͤrſten mit gutem Gewiſſen einige Summen davon zu Verpflegung der Armen anwenden, iedoch iſt billig, daß ihnen ſo viel Capitalien uͤbrig gelaſſen werden, als zu derſelben Wie - deraufbauung vonnoͤthen ſeyn moͤchte, wenn ſie etwan durch Feuer oder auf andere Art in Ungluͤck geſetzt werden ſolten. Jngleichen iſt auch von den Landes-Obrigkeiten beſtmoͤglichſt Sorge zu tragen, daß ſich diejenig〈…〉〈…〉 denenU 4die312die Verwaltung der Kirchen-Guͤter anver - trauet, dieſelben nicht zueignen, ſondern ſie beſt - moͤglichſt adminiſtriren und alle Jahre richti - ge Rechnung davon ablegen. Denn es iſt leider! bekannt, daß manche Kirchen heimlich oder unter den Schein des Rechtens gar offt bezwacket werden.
§. 55 Es werden in denen ſo genannten Kir - chen-Buͤchern die Nahmen derjenigen, ſo ge - taufft, copuliret werden und verſterben, einge - zeichnet. Man koͤnte aber dieſelbigen weit ſpecialer und beſſer einrichten, daß die Ehre des groſſen GOttes da durch mehr befoͤrdert wuͤrde, denn ſo, es koͤnten dieſelbigen rechte An - nales Providentiæ divinæ abgeben. Es ſol - ten nehmlich auf Landes Obrigkeitlichen Be - fehl die Prieſter herein zeichnen die Exempel derjenigen, die von ihren Cltern wenig oder gar nichts geerbet, und die doch GOTT hernach - mahls nothduͤrfftig und reichlich verſorget; Derer, denen GOtt auf ihr hertzliches und in - bruͤnſtiges Gebeth eine ſonderbare Wohlthat erzeiget, oder ſie aus einem ſehr groſſen Ungluͤck heraus geriſſen; Die eines ſehr ploͤtzlichen Todes geſtorben; Derer, an denen GOtt ſei - ne Gerechtigkeit und Straff-Gerichte ausge - uͤbet, als die bey der Entheiligung des Sab - baths oder andern ſuͤndlichen Dingen um dasLeben313Leben gekommen; Derer ruchloſen Suͤnder, an denen der groſſe GOtt bey ihrem Abſterben ſeine Rache erwieſen; Derer boßhafftigen und muthwilligen Suͤnder, die faſt gewaltſam von unſern HErre GOTT bekehret worden; Derer Frommen, denen GOtt im Leben und Tode Wohlthaten angethan; Derer die in einer gewiſſen Tugend etwas Heroiſches und ſonderbahres præſtiret; Derer, die in abſcheu - lichſten und aͤrgſten Laſtern gelebet biß in den Tod. Es muͤſte auch allezeit mit annectiret werden, welche Urſachen und Umſtaͤnde proba - biliter zu ihrer Veraͤnderung Gelegenheit ge - geben, u. ſ. w. Es wuͤrde dieſes ſeinen guten Nutzen haben. Man wuͤrde die Goͤttliche Providenz und Direction, wenn man hierauf Acht haͤtte, gar deutlich erkennen und aus der Erfahrung die Eigenſchafften GOttes, ſeine Weißheit, Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit verſtehen lernen, und alſo durch ſolche Exempel, wenn ſie getreulich und aufrichtig mit allen Um - ſtaͤnden auf notiret wuͤrden, diejenigen, die ſich GOTT als ein muͤßiges Weſen vorſtellen, gar deutlich uͤberfuͤhren, daß er nicht allein im Himmel, ſondern auch hier bey uns auf Erden lebe, herrſche und regiere. Es wuͤrde die Goͤtt - liche Wahrheit der Heil. Schrifft a poſteriori verificiret werden aus der Erfahrung. WirU 5haben314haben auch hierzu ſelbſt in GOttes Wort Be - fehl und Anweiſung, da es heißt: Sehet an die Exempel der Alten, und mercket ſie. Es koͤnten die Herrn Prieſter durch ſolche Exem - pel, die denen Leuten bekandt waͤren und daran ſie nicht zweiffeln duͤrfften, die Wahrheit der Goͤttlichen Lehren, die ſie ihren Zuhoͤrern vortruͤgen, beſtaͤtigen. Sie wuͤrden bey ihnen oͤffters einen groͤſſern Eindruck haben als die ſtaͤrckſten und buͤndigſten Argumenta. Tu - gendhaffte Leute wuͤrden hierdurch zu loͤblich und tugendhafften actionen angetrieben, wenn ſie wuͤſten, daß ihre Nahmen dadurch gleich - ſam verewiget, und ihr Andencken auf die Nachkommen fortgepflantzet wuͤrde; Laſter - haffte hingegen auch wohl bißweilen aus Furcht vor der Schande, daß ſie nicht hierdurch beſchimpfft wuͤrden, von ſuͤndlichen Dingen ab - gehalten und was vor mehrer Nutzen durch colligirung dergleichen Sachen zu erlangen. Es waͤren auch herein zu ziehen die Exempel de - rer, dabey man erkennen muͤſte, daß die Wege des groſſen GOttes unbegreiflich und ſeine Ge - richte unerforſchlich waͤren, z. E. Bey denje - nigen, die dem Anſehen nach fromm und Got - tesfuͤrchtig geweſen, und doch eines erſchreckli - chen Todes geſtorben, und ein Ende dem Leibe nach mit Schrecken genommen, welches manauch315auch bißweilen wahrnimmt. Es muͤſte hier - bey kein Anſehen der Perſonen geachtet, ſon - dern alles der Wahrheit nach auf notiret, auch den Predigern vor ihre Bemuͤhung etwas aus der Kirche ausgeſetzt und denen Superinten - denten bey den jaͤhrlichen Kirch-Rechnungen die Aufſicht hieruͤber aufgetragen werden, daß ſie die Umſtaͤnde der Exempel der Wahrheit nach unterſuchen und beurtheilen muͤſten.
§. 56. Es waͤre wohl gethan, wenn man da - rauf daͤchte, daß auf dem Lande bey den Kir - chen gewiſſe Theologiſche Bibliothequen an - geleget wuͤrden. Denn es iſt bekannt, daß man - che Prieſter auf den Doͤrfern ſo ſchlechte Ein - kuͤnffte genieſen, daß ſie kaum ſich und die Jh - rigen ehrlich davon erhalten, geſchweige denn Buͤcher anſchaffen koͤnnen. Da denn nach Proportion der Einkuͤnffte der Kirchen und anderer Umſtaͤnde ſolche Bibliothequen ein - zurichten, auch die Fonds darzu, wenn einmahl rechtſchaffen Hand hierinnen angeleget wuͤr - de, ſchon moͤglich zu machen waͤren. Man koͤnte etwas von den Kirchen Capitalien hierzu anwenden: Die Kirchen Patronen und Col - latores muͤſten etwas contribuiren, ingleichen koͤnte eine gewiſſe Summa von Straff-Gel - dern darzu angewendet werden; Die Prieſter, wenn ſie in das Amt kaͤmmen, muͤſten etwaszur316zur Kirchen-Bibliothec verehren; Die Gemeinde auch was beytragen, weil es zu den gemeinſchafftlichen Nutzen der gantzen Kirch - farth gereichen wuͤrde. Es iſt kein Zweiffel, daß eine ſolche Bibliothec ihren gar guten Nu - tzen haͤtte. Es wuͤrden manche Prieſter, die auf den Univerſitaͤten nicht gar viel vergeſſen, ihre Predigten geſchickter und erbaulicher ein - richten, wenn ſie ein und ander gutes Buch bey ihrer Meditation nachſchlagen koͤnten. Es wuͤrden die Patronen der Kirchen, und auch die Zuhoͤrer in einem und dem andern ſich aus die - ſen Buͤchern Raths erhohlen koͤnnen. Was vor welche auszuleſen, kan man eben nicht de - terminiren, iedoch muͤſten nicht ſo wohl cu - rieuſe als nuͤtzliche Buͤcher aus der Theologia Thetica, Morali, Exegetica und Caſuiſtica wie auch aus der Jurisprudentia ſacra ange - kaufft werden. Und weil die Prieſter auf dem Lande nicht allezeit notitiam librorum haben, und die Geſchicklichkeit beſitzen, gute und brauchbare Buͤcher zu kennen, ſo muͤ - ſten die Superintendenten aus einer ieden In - ſpection allezeit vorſchlagen, was angeſchafft werden muͤſte.
§. 57. Es haben die Regenten und Conſi - ſtoria Urſache, nicht allein fleißig Acht zu haben, daß an allen Orten auf dem Lande alle JahreKirchen -317Kirchen-Rechnungen gehalten, welches bißwei - len negligiret wird, ſondern auch die bey den Kirch-Rechnungen an manchen Orten vorfal - lenden Mißbraͤuche abgeſtellet werden. Unter andern, die hierbey vorzukommen pflegen, iſt wohl auch dieſer, daß manchmahl die Herrn Superintendenten nicht allein mit ihren Fami - lien, ſondern auch mit andern guten Freunden, die eben bey den Kirch-Rechnungen nicht noͤthig waͤren, auff das Land reiſen, daſelbſt einige Ta - ge ſchmauſen und ſich auff der Kirch - und der Gemeinde Unkoſten wohl ſeyn laſſen. Da a - ber der Kirche und Gemeinde hierdurch nur un - noͤthige Unkoſten zugezogen werden, ſo iſt erſtlich anzubefehlen, daß niemand als der Pa - tron der Kirche, der Superintendent, Gerichts - Halter, Kirch-Vaͤter und diejenigen Perſonen, die hierzu noͤthig ſind, bey der Kirch-Rechnung erſcheinen, ihre Weiber und Kinder aber, oder andere durchaus nicht darzu nehmen, auch die Kirch-Rechnungen ſo viel als nur moͤglich, be - ſchleunigen, und die Speiſen bey der bey den Kirch-Rechnungen gewoͤhnl. Mahlzeit nur nach Nothdurfft, nicht aber nach Art eines Gaſtge - boths zugerichtet werden, damit man den Kir - chen und den Gemeinden durch ſolche unnoͤthige Koſten kein Nachtheil zufuͤge.
§. 58. Die hohe Landes-Obrigkeit ſolte zuSteu -318Steurung der Unwiſſenheit billig anbefehlen, daß ein jeder Hauß-Vater ſo wohl in Staͤdten als auf den Doͤrffern ſich das heilige Bibel - Buch, welches heutigs Tags durch die hoͤchſt - ruͤhmlichſt gemachte Anſtalt des Herrn Baron von Canſtein zu Halle in dem Buchladen des Waͤyſen-Hauſes vor ein geringe Geld zu kauf - fen iſt, anſchaffen ſolte. Und bey wem es nicht angetroffen wuͤrde, muͤſte bey der jaͤhrlichen Viſitation, die von dem Superintendenten ge - halten wuͤrde, dißfalls beſtrafft werden, die aber ſo unvermoͤgend waͤren, daß ſie vor ſich und die Jhrigen nicht das Brod ſchaffen koͤnten, muͤſten aus der gemeinen Caſſa ſo viel bekommen, daß ſie ſich ſolches davor kauffen moͤchten. Da es aber nicht gnug waͤre, daß ſie die Heil. Schrifft in ihrem Hauſe haͤtten, und ſie davon ſchlechten Nutzen haben wuͤrden, wenn ſie nicht fleißig darinnen leſen und forſchten, als muͤſte allen Hauß-Vaͤtern und Hauß-Muͤttern, die leſen koͤnten, von dem Landes-Herrn auff das ſchaͤrff - ſte anbefohlen werden, alle Abend und Morgen einige Capitul daraus zu leſen, und wo ſie et - was nicht verſtuͤnden, ihre Pfarrer darum zu befragen, und Erklaͤrung deshalb von ihnen zu verlangen. Jch glaube, daß dieſe Erinnerung auch mit unter diejenigen gehoͤren wird, davon einige Politici gedencken werden, die Sorgeeines319eines Regenten erſtrecke ſich nicht ſo weit, daß er um dergleichen Sachen ſich bekuͤmmern duͤrffte.
§. 59. Es haben verſchiedene Maͤnner ſich vorgenommen, die heilige Schrifft altes und neues Teſtaments zu uͤberſetzen, Lutheri teut - ſche Verſion in einem und dem andern zu ver - beſſern und den Sinn des H. Geiſtes naͤher und genauer auszudruͤcken. Nun iſt zwar nicht ohne, daß nach Lutheri Zeiten allerhand hierzu dienliche Huͤlffs-Mittel mehr und mehr culti - viret worden, die ſich damahls in einem gantz andern Stande befunden. Es iſt auch nicht zu laͤugnen, daß bey Lutheri teutſcher Uberſetzung der Bibel einer und andrer geringer Fehler an - zutreffen, jedennoch haben die Evangeliſch-Lu - theriſchen Landes-Herren Urſache behutſam zu gehen, damit nicht ſo leichtlich eine andere Ver - ſion, denn des ſeel. Lutheri ſeine in ihren Laͤn - dern eingefuͤhret werde. Denn zum erſten ha - ben gelehrte Theologi angemercket, daß wir biß dato noch keine beſſere Uberſetzung haben, denn die von Luthero, und wo es bey gewiſſen Kleinigkeiten, darbey es Lutherus etwan verſe - hen, verbeſſert, ſo iſt es hingegen wieder bey vielen andern Stellen verſchlimmert worden. Zum andern, wuͤrde auch nur dem gemeinen Volck hierdurch ein Aergerniß gegeben und ſieirre320irre gemacht werden; manche wuͤrden Scrupel bekommen, daß ſie das Wort GOttes bißher nicht ſo lauter und eigentlich nach dem Sinn GOttes gehabt haͤtten und Gelegenheit neh - men, auch an der Guͤltigkeit der neuen Uberſe - tzung zu zweiffeln, ſie wuͤrden dencken, ſind in dieſe Uberſetzung ſolche Fehler eingeſchlichen, da man doch ein paar Secula durch ſie vor guͤltig und bewaͤhrt hat paſſiren laſſen. Wer will uns gut davor ſeyn, daß nicht in dieſer neuen Verſion auch welche anzutreffen ſeyn ſolten. Vielleicht werden ſich in ein hundert oder in paar hundert Jahren Leute finden, die dieſe U - berſetzung ebenmaͤßig verwerffen. Zum drit - ten hat die Uberſetzung des ſeel. Lutheri an allen Orten Teutſchlandes ein groß Anſehen und Au - toritaͤt erlangt, welches nicht leicht eine andere Verſion uͤberkommen wird. Wenn nun gleich eine andere Uberſetzung, die auch accura - ter ſeyn ſolte, als die bißherige iſt, verfertiget wuͤrde, ſo wird doch dieſelbige nicht ſo genera - lement allenthalben recipiret werden, ſondern einige wuͤrden die neue Verſion approbiren, andere es mit der alten halten und dadurch nichts als Unordnung bey dem Religions-We - ſen verurſachet werden. Ja es koͤnte wohl gar dahin kommen, daß eine jedwede Provintz in Teutſchland eine eigne Uberſetzung der Bibelzu321zu Stande bringen lieſſe. Zum vierdten ſo iſt es nicht noͤthig, wegen einiger geringen Feh - ler, darinnen es der ſel. Lutherus etwan verſe - hen haben moͤchte, eine gantze Uberſetzung der Bibel vorzunehmen, ſondern es kan dieſes we - nige in beſondern Anmerckungen, die von ge - lehrten und der Orientaliſchen Sprachen er - fahrnen Leuten verfertiget, erinnert und ange - fuͤhret werden.
§. 60. Es waͤre gar loͤblich, wenn die Lan - des-Fuͤrſten durch ihre Conſiſtoria denen Su - perintendenten anbefoͤhlen, daß ſie nach Ver - lauff gewiſſer Jahre gewiſſe Synodos anſtell - ten und daſelbſt die Gebrechen und Fehler der ihnen untergebenen Prediger, Kirchen und Gemeinden unterſuchten, und aus den Acten der oͤffentlichen Viſitation dasjenige, was Verbeſſerungs-wuͤrdig waͤre, fleißig auf notir - ten und hernach publicas commonefactiones an die ihnen untergebenen Prediger in Druck gehen lieſſen, es wuͤrde ſolches ſeinen guten Nu - tzen haben, und mancher nachlaͤßige Seelſor - ger zu einem Eyfer und Wachſamkeit in ſeinem Amte incitiret werden.
§. 1.
LEy genauer Durchſehung der fanati - ſchen Schrifften, und verſtaͤndigen Um - gang mit dergleichen Leuten, wird man nicht allein vielfaͤltige wiederwaͤrtige Meynun - gen, unterſchiedene hypotheſes und Ideen an - treffen, ſondern auch bemercken, daß unter ih - nen gewiſſe Gradus ſind, und immer einer tiefer verfalle, als der andere, welches inſonderheit aus denen, ſo aus unſerer Evangeliſchen Kirche ausgegangen, zu ſehen.
§. 2. Der erſte Gradus fanaticocum zeiget uns diejenigen, ſo nur einen Anfang des fana - ticiſmi machen, indeſſen aber bey der Evangeli - ſchen Religion und in GOttes geſchriebenen Worte gegruͤndeten Orthodoxie zum wenig - ſten ihrem Vorgeben und Scheine nach annoch verharren. Dieſe fangen an uͤber allerhand Mißbraͤuche und menſchliche Fehler in unſerer Kirche zu klagen und nach Beßerung zu ſeuff - tzen, welches an ſich gar gut iſt. Weil aber ihr Eyfer ohne gegruͤndeten Verſtand und zu hefftig iſt, oder auch der Chiliaſtiſche Geiſt nebſt der Sonderung - und Neuerungs-Liebe, wieauch323auch das Verlangen nach paradoxen Mey - nungen ſie kraͤfftig treibet, wird ſolches gute bald anfangs verderbet. Man faͤhet an all - zuhefftig und ohne Maaß uͤber die Mißbraͤuche zu eyfern, dabey uͤber lauter Babel zu ſchreyen, Mißbrauch und rechten Gebrauch zu vermi - ſchen. Darnebſt findet ſich ordentlich ein wiewohl ſubtilerer Chiliaſmus, und ſuchet man neue Offenbahrungen und Geſichte, oder vertheidiget dieſelben. Jedoch laͤßt man dabey ſo viel es nur ſeyn kan, das Miniſterium, den GOttes-Dienſt und Orthodoxie in ſeinen Wuͤrden. Ein Exempel haben wir an Hein - rich Amerbachen und Friedrich Brecklingen beym Anfang ihrer Schrifften.
§. 3. Den andern Grad beſchreiten diejeni - gen, die vom Lutherthum nichts hoͤren wollen, und unter dem Vorwand, daß ſie dem Sectiri - ſchen Weſen abgeſagt haͤtten, zugleich die Evan - geliſche Kirche verlaͤſtern, indeſſen aber ihre eigne fanatiſche Secte und Kirche vor ſich ha - ben. Dieſe Leute verwerffen ausdruͤcklich alle Religions-Verbindungen, Symboliſche Buͤ - cher, Theologica Syſtemata, Beichtſtuhl und was Ordnung zu erhalten bißhero gedienet hat. Behalten aber gleichwohl den oͤffent - lichen GOttes-Dienſt und das Miniſterium eccleſiaſticum, wollen auch noch den ScheinX 2haben,324haben, als waͤre die Heilige Schrifft bey ihnen die eintzige Norma credendi. Der Chili - aſmus wird bey ihnen weit groͤber, und die neu - en Offenbahrungen finden ſich auch ſtaͤrcker. Hierzu halten ſich Thomas Tantovius, Joh. Jacob Zimmermann und viele zu unſerer Zeit.
§. 4. Der dritte Gradus gehoͤret vor die, ſo es noch hoͤher treiben, und nicht nur voriges ſon - dern auch alles Religions Weſen, oͤffentlichen GOttes-Dienſt, Gebrauch der Sacramente, Predigamt und Predigten, und mit einem Woꝛ - te alles, was in geiſtlichen Dingen bißhero braͤuchlich geweſen, veꝛwerffen, dabey den Chili - aſmum in hoͤchſten Grade treiben, auch uͤber - all neue Offenbahrungen und unerhoͤrte Ge - heimniſſe vorbringen. Dieſe letztern wollen gar keine Religion haben; Die mittelſten ha - ben ihre eigne, und erſten behalten gleichwohl die Evangeliſche. Die erſten koͤnte man fana - tizantes nennen, die andern fanaticos, die drit - ten ſuper fanaticos. Zu dieſen dritten Grad haͤlt ſich Conrad Dippel und der verſtorbene Gottfried Arnold gehoͤret mit in dieſe Claſſe. Doch ſind auch unter dieſen einige Staffeln, indem etliche die Heil. Schrifft als GOttes Wort noch mit beybehalten, andere aber ſie als ein unvollkommenes und nur vor die Anfaͤnger gehoͤriges Wort verwerffen, andere letzlich einengantz325gantz naturaliſtiſchen Enthuſiaſmum ohne al - les Wort GOttes, ja wohl gar ohne GOtt an - fangen. Denn es iſt dem Satan nichts un - moͤgliches, den fanaticiſmum und atheiſmum zu vereinigen. Es ſind auch einige alle ſolche Gradus nach und nach durchgegangen, einige aber ſind bey ihrem Gradu ſtehen blieben. ſ. das 1702 Jahr der unſchuldigen Nachrichten pag. 160.
§. 5. Was nun die Sorgfalt eines Landes - Herrn in Anſehung ſolcher Schwaͤrmer, die entweder in ſeinem Lande aus gebruͤtet worden, oder von der Fremde daſſelbige verunreiniget, anbetrifft, ſo halte davor, daß er in Anſe - hung der fanaticorom des erſten Grads, ge - lehrten und vernuͤnfftigen Theologis anbefeh - len ſoll ihre geſchriebenen Buͤcher, ſo bald eines davon in Druck gekommen, ſchrifft - und ver - nunfftmaͤßig zu unterſuchen und zuwiederlegen, auch ſie ſonſt muͤndlich, wenn ſie ſich dergleichen verlauten laſſen, zu unterrichten, und eines beſ - ſern anzuweiſen. Jedoch dieſes alles in behoͤ - riger Sanfftmuth und ohne einige Crbitte - rung. Es iſt dergleichen Leuten ernſtlich und bey Strafe zu gebieten, daß ſie ſich aller Reden, wodurch die autoritaͤt der Heil. Schrifft, die Wuͤrde des Miniſterii, das Anſehen der Evan - geliſch-Lutheriſchen Religion geſchmaͤhet undX 3verrin -326verringert und zu der Confuſion in der Kirche und Republic ein Weg gebahnet wird, ent - halten ſollen. Wann ſie ſolches thun, ſind ſie als Membra unſerer Kirchen in Gedult anzu - nehmen und beyzubehalten, es iſt auch das gute an ihren Schrifften zu loben und ihr gerechter Eyfer, den ſie wegen eines und andern Miß - brauchs mit Recht ſpuͤren laſſen, zu ruͤhmen. Dafern ſie aber mit ihren unchriſtlichen und ungereimten Meynungen fortfahren, ſo koͤnnen ſolche, weil ſie den Landesherrlichen Geboten ungehorſam ſind, auch wohl mit Gefaͤngniß und auf andere Art, nach Gelegenheit der Um - ſtaͤnde, beſtrafft werden.
§. 6. Ob nun gleich mit denen von der an - dern Sorte auch alles dieſes, wenn es bey ihnen hafften und verfangen will, welches zwar bey den allerwenigſten geſchehen wird, vorzuneh - men, ſo bin doch der Meynung, daß die andern, ſo bald ſie aller dieſer Exceſſe entweder durch ihre Schrifften, oder auch durch glaubwuͤrdi - ge Zeugen uͤberfuͤhret werden, mit Gefaͤngniß und anderer Straffe zu belegen ſind, ohne daß man ſie zuvor haͤtte warnen und bedrohen duͤrf - fen. Denn ſo wenig man die Leute warnen darff, daß ſie ſich vor dem Ehebruch, Stehlen, Todtſchlagen, Gotteslaͤſterungen u. ſ. w. huͤten ſollen, dafern ſie nicht in Straffe verfallen wol -ten,327ten, weil ſie ſchon ſelbſt wiſſen, daß ſie durch dieſe Handlungen ſtraff-wuͤrdige Actiones begehen, ſo wenig darf man auch die Leute vor den fanati - ſchen Exceſſen warnen. Es ſind vielmehr ſol - che, die alle Ordnung in Kirchen-Sachen uͤber den Hauffen werffen, die Kirchen-Geſetze ſchmaͤ - hen und laͤſtern und eine eigene Rotte unter ſich ausmachen wollen, mit allem Recht alſobald zu beſtraffen, indem allerdings dieſes vor eine Art einer Rebellion zu halten. Denn da man die - jenigen, die alle Verordnungen der weltlichen Geſetze herunter machen, ſich aller loͤblichen Verfaſſung widerſetzen, die Obrigkeit gering achten, alle Juſtiz-Bedienten ſchmaͤhen und laͤ - ſtern und zu einer eigenen Unordnung, ihrer Ca - price nach, einen Weg baͤhnen wollen, mit allem Recht beſtraffen kan, ſo kan nicht abſehen, war - um man mit ſolchen Leuten, die die Religion in Confuſion ſetzen und in Kirchen-Sachen eine Rebellion anrichten, gelinder verfahren ſolte. Wenn ſolche der gefaͤnglichen Hafft erlaſſen und dennoch mit ihren halsſtarrigen und eigen - ſinniſchen Thun fortfahren, ſo koͤnnen ſie mit recht harten Straffen angeſehen werden. Je - doch, wenn dieſes geſchehen ſoll, muͤſſen ſie alle das Boͤſe, das man in der Erklaͤrung von ihnen geſagt, auf einmahl begangen haben.
X 4§. 7.328§. 7. Die von der dritten Gattung, die nehmlich gar keine Religion haben, und vol - lends in der Kirche GOttes das unterſte zu o - berſt kehren, ſind in der Republic gantz und gar nicht zu dulden, ſondern es ſolten ihre Schriff - ten von des Henckers Haͤnden verbrannt, ſie als unnuͤtze und faule Glieder der Kirche Chriſti ab - geſchnitten und als Verfuͤhrer des Volcks aus dem Lande geſchafft werden, dafern ſie nicht ih - re gethanen Bekaͤnntniße in ihren Buͤchern auch ſchrifftlich wiederum revocirten und an - gelobten, daß ſie in Zukunfft, nicht als raͤudige Schaafe die Heerde Chriſti anſtecken und ver - derben, ſondern ſich beſſer auffuͤhren wolten. So lange ſie dieſes nicht thaͤten, ſolte man ſie aller buͤrgerlichen Wohlthaten unwuͤrdig ſchaͤ - tzen. Ja es waͤre vielleicht nicht unrecht, wenn man ſie nach vorhergegangener gelinden Vermahnung, wenn keine Warnung, keine Drohung und nichts bey ihnen verfangen wolte, mit Staupen-Schlaͤgen des Landes verwieſe, oder welches noch beſſer, in die Zucht - und Ra - ſpel-Haͤuſer ſetzte, oder zu den Feſtungs-Wer - cken condemnirte, biß ſie ſich bekehrten und ſaniora principia admittirten. Es wird nicht leichtlich ein vernuͤnfftiger Menſch davor hal - ten, daß dieſe Straffe vor dergleichen Boͤſe - wichter zu hart ſeyn ſolte. Denn da die Athei -ſten,329ſten, die nemlich mit dem Munde bekennen, daß kein GOtt ſey, ingleichen die Gotteslaͤſterer und Sacramentirer, wie auch diejenigen, die ein crimen læſæ Majeſtatis begehen und Rebellion in der Republic anrichten, den Landes-Geſetzen nach mit allem Recht ſehr hart beſtraffet wer - den koͤnnen, wie vielmehr diejenigen, die dieſes alles zugleich ſind, nemlich die Superfanatici. Sie ſind denen Atheiſten gleich, weil ſie aus goͤttlichen Eigenſchafften ſolche abſurde con - cluſiones heraus ziehen, die dem groſſen GOtt hoͤchſt-unanſtaͤndig und ſeine Majeſtaͤt verklei - nern; Sie ſind Gotteslaͤſterer, denn ſie ver - werffen die heilige Schrifft und das klare Wort GOttes und reden ſo ſchimpfflich davon als von einem gottloſen und geringen Buche nicht gere - det werden koͤnte; Was kan aber wohl vor ei - ne groͤſſere Gotteslaͤſterung ſeyn, als wenn man die heilige Schrifft, die im Glauben und Leben unſere Regel und Richtſchnur bleiben ſoll und muß, ſo verachtet und zernichtet; ſie begehen crimina læſæ Majeſtatis nicht allein, weil ſie alle von der Obrigkeit in Kirchen-Sachen einge - fuͤhrte Ordnung uͤber den Hauffen zu ſchmeiſ - ſen gedencken, alle ihre Kirchen-Geſetze verklei - nern und ſchimpfflich davon reden, ſondern auch die Obrigkeit ſelbſt von ihren Thronen und Fuͤrſten-Stuͤhlen, wenn es moͤglich waͤre, her -X 5unter330unter werffen wolten, auch ſolche Saͤtze verthei - digen, die gerade wider den Reſpect der Lan - des-Obrigkeit und Rebellion in der Republic anzurichten capable ſind. Solte nun dieſes alles nicht vermoͤgend ſeyn, daß man dergleichen Leute mit mehr-ermeldten Straffen mit allem Recht belegen koͤnte?
§. 8. Gewiß, wenn ich dieſes bey mir uͤber - dencke, ſo kan ich mich nicht gnug verwundern, wie einige Landes-Herren und Souverains, ſo wohl inn-als auſſer Teutſchland dergleichen gottloſe und boßhafftige Leute in ihren Landen koͤnnen dulden, ja einiger Maſſen ihnen voͤllige Freyheit laſſen, ihre verfluchte Secte zu etabli - ren und ihre eigne Confuſion in Religions - Sachen zu haben. Jn unſern Teutſchland iſt zwar GOttes Guͤte zu preiſen, daß ſie ſich auff ſolche Art nicht haben ausbreiten koͤnnen, zum wenigſten nicht in den ietzigen Zeiten, iedennoch haben wir eintzelne Fanaticos und Schwaͤrmer an manchen Orten gehabt, die in einigen Stuͤ - cken wohl ſo gottloß geweſen, als die Qvacker und Wiedeurtaͤffer in Holland und Engelland, und haben deren auch wohl noch. Man hat hier und da ſolche Leute mit Aemtern noch wohl darzu angeſehen, ſie an Hoͤfen gelitten, ſie geeh - ret und begnadiget, ihren Schrifften den Druck vergoͤnnt, und ſie, da ſie die Kirche Chriſti ver -unru -331unruhiget, in Ruhe gelaſſen, da es doch hoͤchſt - billich geweſen, daß man den Druck und die publication ihrer gottloſen Schrifften inhibi - ret oder ſie zur revocation angehalten haͤtte, und wo ſie ſolches nicht haͤtten thun wollen, mit dergleichen Straffen, die ich ietzt exprimiret, wider ſie verfahren waͤre. Waͤre diß geſche - hen, ſo bin ich gut davor, es wuͤrde ſich mancher zum Zweck geleget, und andere, wenn ſie geſehen, wie es dieſen ergangen waͤre, von dergleichen gottloſen und verfuͤhriſchen Schreib-Art von ſelbſt abgelaſſen haben. Bey manchen von ſolchen Schwaͤrmern iſt eine Begierde, neue Meynungen auf die Bahn zu bringen und zu vertheidigen. Bey einigen ein Ehrgeitz, daß ſie in der Kirchen die vorige Verfaſſung um - ſtoſſen wollen, bey andern ein Haß und Neid gegen das ſaͤmtliche Miniſterium. Manche ſchreiben und ſagen etwas her aus einer Einfalt, Unwiſſenheit und verderbten Phantaſie, welches andere aus Vorſatz und Boßheit thun. Man - che wiſſen es nicht beſſer und glauben, ſie haben recht und vermeynen, ſie thun GOtt einen Dienſt daran, andere hingegen thun es aus ei - ner andern Abſicht, bißweilen auch aus Inter - eſſe. Es koͤnnen ſich alle dieſe mit der Unwiſ - ſenheit, daß dergleichen Sachen verbothen ſeyn ſolten, nicht entſchuldigen, indem wir GOtt Lob! wohl332wohl in allen Evangeliſchen Lutheriſchen Lan - den Geſetze und Edicta haben, die wider alle Schwaͤrmereyen und Phantaſtiſche Principia gar ſehꝛ eyffern und dieſelben auff das ſtrengeſte verbiethen, und wenn auch dergleichen ſchon nicht waͤre, ſo koͤnte ihnen doch wohl, wie oben gemeldet, ihr Gewiſſen und die geſunde Ver - nunfft ſagen, daß dergleichen unrecht waͤre.
§. 9. Wann ich nun ein wenig unterſuche, warum doch dergleichen Leute bey uns in Teutſchland bißher gedultet und nicht recht be - ſtraffet, ſondern ziemlich gelinde tractiret wor - den, ſo halte davor, daß vielleicht folgende Rai - ſons, warum man es unterlaſſen, fundiret ſind. Zum erſten haben viele von ſolchen ſchwaͤrme - riſchen Leuten einen ziemlichen Schein eines gottſeligen Weſens, ob ſie gleich deßen Krafft verlaͤugnen, und weil ſie ſich aͤußerlich ziemlich fromm und heilig anſtellen, ſo nehmen ſie man - che Leute ein, daß ſie dieſelben nicht vor ſo gott - loſe halten, als ſie wohl in der That ſind, ſon - dern dencken, daß alles aus einem rechtmaͤßigen Eyfer bey ihnen herruͤhre. Wenn ſie ſchon unterſchiedene Exceſſe an ihnen gewahr wer - den, ſo halten ſie ihnen doch dieſelben zu gute, da ſie zumahl erkennen, daß in manchen Stuͤ - cken eines und das andere bey dem Evangeliſch - Lutheriſchen Gottesdienſt verbeſſert werdenkoͤnte,333koͤnte, und auch bey unterſchiedenen Evangeli - ſchen Theologis das Leben eben nicht zum be - ſten beſchaffen, ſo daß ſie manchen Leuten mit Raiſon zu rechtmaͤßigen Klagen und Seufftzen Gelegenheit geben. Zum andern geſchicht es gar ſelten, daß diejenigen, ſo Staats-Affai - ren zu dirigiren haben, und von denen die Be - ſtraffung herruͤhren ſolte, ſich um die Theolo - giſchen Scripta bekuͤmmern, und geben ſich alſo nicht die Muͤhe, die Schaͤndlichkeit mancher Lehren, die in ſolchen ſchwaͤrmeriſchen Buͤchern vorgetragen werden, zu unterſuchen und zu uͤber - legen, was ſie vor einen Einfluß in die Republic haben. Wird nun gleich von rechtſchaffenen Theologis denen Staats-Miniſtris die Boß - heit ſolcher Leute und die Gefaͤhrlichkeit ihrer Lehren ihnen vorgeſtellet, ſo dencken doch ihrer viele, es ſey nur ein Pfaffen-Gezaͤncke, und wuͤrde es ſolchen Leuten nur aus Erbitterung nach geredet, weil ſie etwan von ihnen verachtet wuͤrden, da zudem einige Politici nicht gar viel auf den Reſpect der Geiſtlichkeit halten, noch um das Religions-Weſen viel beſorget ſind, es auch wohl gar gerne ſehen, wenn den Prieſtern eines angehaͤnget wird. Zum dritten inclini - ren unterſchiedene von den Politicis ſelbſt zu dergleichen Principiis, daß ſie GOtt, ſein Wort, GOttesdienſt, Miniſterium, Sacra -mente334mente, u. ſ. w. nicht groß achten, ſondern ſich ei - ne Religion ſo lieb ſeyn laſſen, als die andere. Da ſie nun gar wohl mercken, daß andere wiſ - ſen, wie ſie ſelbſt dergleichen hypotheſes hegen, ſo koͤnnen ſie nicht Urheber ſeyn, daß andere deßwegen beſtrafft werden ſolten. Zum vierd - ten beſitzen die fanatiſchen Leute ein ſonderlich Talent, eben wie die Jeſuiten ſich unter der Hand an den Hoͤfen, theils unter geiſtlichen, theils unter weltlichen Perſonen, ſolche Leute auszumachen, die ihnen aſſiſtiren, auch von al - len demjenigen, was etwan wider ſie machi - nirt, Nachricht geben, damit ſie bey Zeiten con - trecariren und es præcaviren koͤnnen, und ſu - chen ſie auf allerhand Art die Leute an ſich zu ziehen.
§. 10. Der Schwaͤrmer und fanaticorum giebt es unterſchiedene Sorten, da ſind Qua - cker, Tremulanten, Wiedertaͤuffer, Schwenck - feldianer, Roſenkreutzer, Labadiſten, Boͤhmi - ſten, David-Juriſten, Weigelianer, Panſo - phiſten, Offenbahrungs - und Freygeiſter, En - thuſiaſten, Quietiſten, Traͤumer, u. ſ. w. die in manchen Stuͤcken von einander unterſchieden, doch in dem meiſten und in dem Haupt-Werck zuſammen conformiren, auch alle unter den in vorhergehenden angefuͤhrten Erklaͤrungen ent - halten ſind. Es iſt meiner Abſicht zuwider, dieHiſto -335Hiſtorie derſelben, oder die Urheber dieſer Secte vorzuſtellen. Wer Beliebung hat, mehr Nachricht von ihnen zu erfahren, kan das Pan - theon Anabaptiſtarum nachſchlagen, alwo er die beruͤhmteſten Schwaͤrmer nach ihren Le - ben beſchrieben und ſie in Kupffer geſtochen an - treffen wird.
§. 11. Ob es nun wohl in Theſi gar richtig und gewiß, daß die Schwaͤrmer, wenn ſie ſich nicht beſſern und bekehren wollen, mit Gefaͤng - niß, dem Zuchthauſe, Feſtungs-Bau, Landes - Verweiſung, Staup-Beſen und nach Gelegen - heit der Umſtaͤnde wohl gar mit Lebens-Straf - fe beleget werden koͤnnen, ſo iſt dennoch in der Application bey dieſen oder jenen mit der groͤßten Behutſamkeit und Moderation zu verfahren, daß man alle Umſtaͤnde genau und wohl ponderire, als ob einer auch wuͤrcklich vor einen Fanaticum zu halten ſey? Was Ge - legenheit darzu gegeben? Ob es ein Verfuͤh - rer oder Verfuͤhrter ſey? Ob Hoffnung der Beſſerung bey ihm verhanden, oder nicht? Ob es ein Schwaͤrmer aus Boßheit oder Ein - falt und Unwiſſenheit? Ob man mercke, daß er ſonſt in ſeiner uͤbrigen Auffuͤhrung Verſtand bezeige, oder aber bloͤdes Gemuͤths und ver - dorbener Phantaſie ſey? Ob er ſelbſt auf der - gleichen ſeltzame Einfaͤlle von freyen Stuͤckengefallen,336gefallen, oder durch Leſung allerhand gefaͤhrli - cher Schrifften und Umgang fanatiſcher Per - ſonen, darzu ſey verleitet worden? Wie ſeine vorige Auffuͤhrung und Lebens-Art beſchaffen? Ob es eine Mannes - oder Weibs-Perſon? Ob der Schwaͤrmer ſonſt Studia habe, oder un - wiſſend ſey? Ob er ſich bey ſeinen fanatiſchen Lehr-Saͤtzen eines liederlichen und die Ruhe der Republic ſtoͤhrenden, oder aber eines ſtillen und eingezogenen Lebens und Wandels beſleiſ - ſe? Ob er zu vielen mahlen ernſtlich abgemah - ned worden, von ſolchen boͤſen Principris abzu - ſtehen und gruͤndlich unterrichtet worden? Ob er nur manchen ſchwaͤrmeriſchen Lehr-Satz vertheidiget oder alles dieſes, was wir in der Erklaͤrung in vorhergehenden angefuͤhret u. ſ. w. Alle dieſe und noch mehrere Umſtaͤnde ſind in gehoͤrige Betrachtung zuziehen, ehe man mit der Straffe gegen einen fanaticum ver - fahren will, und iſt auch nach derſelben Propor - tion und Unterſcheid die Straffe gegen ihn zu dictiren.
§. 12. Unter die Schwaͤrmer der heutigen Zeiten ſind auch die ſo genannten Pietiſten mit zu zehlen, deren ich in vorigen nicht habe wollen Erwehnung thun, weil ich vor noͤthig erachte, ins beſondere von denſelbigen zu handeln. Es hat aber das Wort Pietiſte unterſchiedener Be -deut -337deutungen, davon ich meineu Begriff nach mei - nen Gedancken kuͤrtzlich eroͤffnen will, und was die Landes-Fuͤrſten in Anſehung ihrer anord - nen oder verbiethen ſollen. 1.) Heiſſen Pie - tiſten diejenigen, die mit den ruchloſen Welt - Kinder nicht alle von GOtt verbothene Uppig - keiten, Suͤnde und Schande mit machen wol - len, und ſich bemuͤhen, ſo viel als unſer HErr GOtt Gnade darzu verleihet, und die menſchli - che Unvollkommenheit zu laͤßt, nach GOttes Gebothen einher zu gehen, und einen, einem Chriſten anſtaͤndigen Lebens-Wandel zu fuͤh - ren. Dieſe werden nun von den Spoͤttern und gottloſen Leuten mit dem Nahmen der Pietiſten beleget. Jch nenne aber ſolche rechtſchaffene Pietiſten. 2.) Diejenigen, die ſich zwar aͤuſſerlich zu unſerer Evangeliſchen Lutheriſchen Kirche noch bekennen, inzwiſchen aber allerhand principia hegen, die der ortho - doxie, wie ſie in der heiligen Schrifft und den Symboliſchen Buͤchern enthalten iſt, zuwider ſind, in Kirchen Sachen ohne raiſon allerhand Neuerungen vornehmen wollen und in den Klagen und Seufftzen, die ſie uͤber die Miß - braͤuche der Evangeliſchen Lutheriſchen Kirche fuͤhren, excediren, und dieſe ſind die ſubtilen Pietiſten. 3.) Die eine eigne Secte conſtitui - ren, ſie moͤgen ſich nun von der GemeinſchafftYder338der Evangeliſch-Lutheriſchen Kirche gantz und gar abſondern, oder doch nur dem Scheine nach ſich mit darzu bekennen wollen. Dieſe haben faſt in allen Articuln der Theologie ihre eigne Principia, darinnen ſie von den uͤbrigen und bißhero recipirten Rechtglaͤubigen diſſenti - ren, ſie verachten die libros ſymbolicos, hal - ten dieſelben vor Menſchen-Satzungen und ſprechen ihnen die goͤttliche Autoritaͤt ab, ſie moquiren ſich uͤber die orthodoxie, ſchmaͤhlen auff die Syſtemata und compendia Theolo - gica und wollen dieſelben nicht leiden, ſtatuiren keine indifferenten Dinge, ſondern achten das Tantzen, Spielen und andere Sachen, ſo oͤffters gemißbrauchet werden, vor Sachen, die an und vor ſich ſelbſt bey allen und ieden Umſtaͤnden Tod-Suͤnden waͤren, halten nicht garviel auff das Kirchen-Gehen, den Beicht - Stuhl und heilige Nachtmahl, ruͤhmen ſich be - ſonderer Offenbahrungen, affectren eine Scheinheiligkeit darinnen, daß ſie nicht lachen, ſondern die Koͤpffe haͤngen wie das Schilff - Rohr, gehen in eigenen Winckel-Zuſammen - kuͤnfften und Conventiculis zuſammen, reden viel von der Vollkommenheit, daß man alle Gebote GOttes nach ihren beſondern Stuͤcken und Pflichten halten ſolle und koͤnne, meynen ein gottloſer Prediger ſey nicht erleuchtet, unddahero339dahero ſeine Predigten auch ohne Erbauung, nennen alſo das heilige Wort GOttes bey ei - nem Gottloſen einen todten Buchſtaben ohne Leben, ohne Safft und Krafft, meynen, alle uͤ - brigen Prediger der Evangeliſch-Lutheriſchen Kirche, die ihren principiis nicht anhaͤngen, waͤ - ren fleiſchlich-geſinnte Leute, Bauch-Diener, æſtimiren hoch die Philoſophiam Platonicam, recommendiren Boͤhmens, Weigels uñ ande - rer Schwaͤrmer-Schrifften, obgleich nicht mit deutlichen Worten, dennoch indirecte, glauben, man koͤnte in allen Religionen ſeelig werden, u. ſ. w. Und dieſe nenne ich die groben Pietiſten. Hernach iſt die 4.) Secte, die rechte ordentli - che Schwaͤrmer zugleich mit darbey ſind, und die ich tumme Pietiſten nenne, dieſe verwerffen die Schrifft gantz und gar, und ziehen das in - nerliche Wort oder ihre teuffliſche Offenbah - rungen und thoͤrichte Phantaſie den wahren und lebendig-machenden Worte GOttes vor. Die ſubtilen Pietiſten nehmen das Wort Got - tes zu ihrer Richtſchnur an, und erklaͤren es nur in manchen Stuͤcken nach ihren principiis. Die groben behalten das Wort GOttes auch noch, legen es aber faſt in allen Stuͤcken nach ihrer eignen Methode und neuen caprice und wieder den Sinn der bißherigen GOttes-Ge - lehrten aus, ſchaͤtzen auch bißweilen ihre Offen -Y 2bahrun -340bahrungen dem Worte GOttes gleich: Die letztern aber verwerffen die Heilige Schrifft gantz und gar. Die ſubtilen Pietiſten halten auff die Offenbahrungen wenig oder nichts, die groben achten ſie dem Worte GOttes gleich. Die tummen aber ziehen ſie der Heil. Schrifft noch gar vor. Die ſubtilen wollen den GOt - tesdienſt der Evangeliſchen Kirchen in manchen Stuͤcken ihren Gedancken nach verbeſſern: Die groben eine allgemeine Reformation in al - len Stuͤcken vornehmen und ſchreyen ſtets uͤber Babel, da ſie doch vielmehr ſelbſt die groͤſte Verwirrung in der Kirchen und Republiquen anrichten: Die tummen aber wollen lieber al - len aͤuſſerlichen Gottesdienſt gantz und gar auf - heben und halten auff nichts als auff die Her - tzens-Tempel, den ſtillen Sabbath im Geiſt. Die ſubtilen und groben Pietiſten meynen, man koͤnte es in den meiſten Stuͤcken des Chri - ſtenthums zur Vollkommenheit bringen und die Gebothe GOttes halten und daher auch nicht noͤthig habe, ſo offt wie andere unſern HErrn GOtt und die Vergebung der Suͤnden anzuflehen, und der Abſolution wegen zur Beichte und zum Heil. Abendmahl zu gehen; Die tummen aber halten ſich gar vor GOTT und Chriſtum ſelber, ſie meynen, ſie waͤren gantz vergoͤttert uͤber und uͤber, ſo ſehr ſind ſiever -341verblendet in ihren ſtoltzen und thoͤrichten Sinn; Die erſtern Pietiſten wollen allerhand Fehler bey den Symboliſchen Buͤchern finden, und ſie mit einer gewiſſen Limitation nur un - terſchreiben; Die andern verwerffen ſie in den meiſten Stuͤcken, die letzten aber gantz und gar. So koͤnte ich in den uͤbrigen Theilen der Evan - geliſch-Lutheriſchen Religion die Harmonie dieſer Pietiſten zeigen und worinnen ſie mit ein - ander uͤbereinkaͤmen, und auch unterſchieden waͤren, wenn mir nicht dieſe Abhandlung zu weitlaͤufftig waͤre und ich auch glaubte, daß ſich dieſe Arbeit vielleicht eher vor einen Theo - logum denn Politicum ſchickte.
§. 13. Was nun die Pflicht und Schuldig - keit eines Regenten in Anſehung dieſer unter - ſchiedenen Arten der Pietiſten anbetrifft, ſo ſind meine Gedancken hiervon folgende: Die erſteren nemlich, die rechtſchaffenen Pietiſten ſind ihres redlichen Vorſatzes wegen zu loben, und wider alle Verunglimpffungen und uͤble Nachreden boͤſer gottloſer Leute, ſo viel als moͤglich zu beſchuͤtzen, jedoch auch dahin anzu - weiſen, daß ſie andere ihre Mit-Chriſten die et - wan von einem und andern Fehler uͤbereilet werden, und es in der Gotſeeligkeit noch nicht ſo weit gebracht als ſie, nicht geringe achten, oder ſich deswegen, weil ſie etwan froͤmmer lebenY 3denn342denn andere, vor unſern HErrn GOtt beſſer duͤncken oder auff ihre Heiligkeit etwas einbil - den, welches rechtſchaffene und verſtaͤndige Chriſten ohnedem nicht thun werden. Denn ſonſt waͤre es um ihre Gottesfurcht, Tugend und Froͤmmigkeit ſchlecht beſtellt. Hierbey iſt zu mercken, daß es der erſtern Art derer Spott-weiſe ſo genannten Pietiſten oder viel - mehr derjenigen, die GOttes Willen gemaͤß le - ben wollen, zweyerley Arten giebet. Einige fuͤhren ſich in ihrem Glauben und Leben ſo auff, wie es nicht allein GOtt von ihnen fordert, ſon - dern auch andere vernuͤnfftige Leute ihres Al - ters, Standes, Profeſſion und andere Umſtaͤn - de auffzufuͤhren pflegen, ſie conformiren ſich in ihren Actionen andern geſcheuten Leuten und diſtingviren ſich von den Gottloſen und Boͤſen in nichts, als bey ſolchen Actionen, die gottloß, ſuͤndlich und von unſerm HErre GOtt verbothen ſeyn, und bey den uͤbrigen Handlun - gen weiß man nicht, ob ſie galant hommes oder gute Chriſten ſind, andere hingegen ſind ſo fromm, daß ſie ſich auch allerhand zulaͤßiger Ergoͤtzlichkeiten enthalten, weil ſie dieſelben ent - weder vor ſuͤndlich achten, oder ſich doch einbil - den, daß ſie gar leichtlich darbey in Suͤnde verfallen koͤnnen, ſie ſagen zu aller Freude: Du biſt toll, und zu allem Lachen, was macheſt du? Man343Man ſiehet es ihnen ſo zu ſagen an den Augen, Minen und Gange an, daß ſie entweder fromm ſind, oder doch fromm ſeyn wollen, ſie haben in manchen Actionen, die aͤuſſerlich und indiffe - rent ſind, etwas a partes, und ihre eigene Ca - pricen an ſich, dabey ſie ſich von den vorigen gottsfuͤrchtigen und redlichen Chriſten diſtin - g[ui]ren, und wollen aus allem Suͤnde machen. Dieſe extraordinaire Froͤmmigkeit ruͤhret bey manchen daher, weil ſie die Welt-Luſt ſchon ziemlich genoſſen, und aller Uppigkeit, Suͤnd und Schande uͤberdruͤßig ſind, und nun hernach auff einmahl einbringen wollen, was ſie in vori - gen Jahren der Jugend etwan verſaͤumet; Bey andern iſt ihr eigenſinniſches, ſchlaͤffriges und melancholiſches Temperament Schuld, oder der Umgang mit dergleichen Leuten. Bey andern auch noch andere Urſachen. Dieſe ſind von den Prieſtern zu unterrichten, daß ſie zwar nicht ſuͤndigen, indem ſie dieſe oder jene indifferente Action unterlaſſen, daß aber auch GOtt dieſes nicht von ihren Haͤnden fordere, und ſie ſich eben darauff auch nichts einbilden oder gedencken ſollen, ſie waͤren deswegen beſſer denn andere Leute, und nicht Urſache haben an - dere zu verachten, die dasjenige, was ſie aus Scrupuloſitaͤt unterlaſſen, mit machen. Jm uͤbrigen iſt zu wiſſen, daß dieſe letztere Art Leute,Y 4wenn344wenn es zumahl Weibes-Perſonen ſind, gar leichtlich in den Ketzeriſchen und Sectiriſchen Pietiſmum verfallen koͤnnen, wenn ſie die Pie - tiſtiſchen Buͤcher leſen oder mit ſolchen Leuten umgehen.
§. 14. Der ſubtilen Pietiſten giebt es eine groſſe Anzahl, und hat man bey der Applica - tion groſſe Vorſichtigkeit zu gebrauchen, da - mit man nicht Leute, die mit Recht uͤber einen und andern Mißbrauch unſerer Cvangeliſch - Lutheriſchen Kirche ſeufftzen oder uͤber die La - ſter mancher Prieſter eifern, oder eine gewiſſe beſondere Meynung, die aber der Heiligen Schrifft eben nicht zuwider iſt, hegen, unter die ſectiriſchen und Ketzeriſchen Pietiſten zehle. Ja, man hat ſich auch in acht zunehmen, daß man nicht Leute, die eine und andere irrige Meynung vertheidigen, dafern es nur nicht ein capital Jrrthum iſt, der dem fundament der Glaubens Articul ſchnur ſtracks zu wider, mit dieſem Nahmen ſo fort belege, dafern ſie nur in den uͤbrigen Puncten ſich denen principiis der recht-glaͤubigen Kirche conformiren, da - mit man nicht unnoͤthiger Weiſe Spaltungen verurſache, und dieſelben, da des Trennens und Reiſſens, leider! ohnedem immer mehr und mehr wird, nicht durch eine ſubtile contro - verſie vermehre, ſondern das Band des Frie -dens,345dens, ſo viel nur immer moͤglich, zu erhalten ſu - che. Es ſind diejenigen Theologi, die eine gewiſſe Meynung defendiren, die nicht zu den Glaubens-Lehren gehoͤret, ſondern eine pro - blematiſche Theſis iſt, da beyde Theile Schrifft vor ſich haben, und davon ſichs mit gleicher probabilitaͤt diſputiren laͤſt, gar wohl zu dulden. Ob gleich die uͤbrigen groben und ſubtilen Pietiſten ſie auch behaupten, wenn ſie nur ſonſt in den uͤbrigen nicht excediren, denn auch die Heil. Apoſtel ſelbſt wohl nicht in allen Stuͤcken gleiche Meynung gehabt haben. Je - doch iſt ihnen zu inhibiren, ſolche beſondere opiniones auf die Cantzel zu bringen, und ſie weder ſchrifftlich noch muͤndlich zu divulgiren, wenn ſie aber ſolche Principia hegen, die der Heil. Schrifft und den Symboliſchen Buͤ - chern zuwider ſind, ſo muͤſſen ſie zur revoca - tion angehalten, auch muß ihnen bey Straffe verbothen werden, dieſelben Saͤtze niemahls wiederum public zu machen. Dafern ſie es nicht unterlaſſen, ſind ſie zu degradiren, von ihren Aemtern zu removiren, auch iſt hernach, wenn ſie den Obrigkeitlichen Verordnungen zuwider leben, dieſe Straffe an ihnen zu exe - quiren.
§. 15. Die groben Pietiſten verrathen ſich bald, denn ob ſie gleich in Schaafs-Klei -Y 5dern346dern einher gehen, ſo mercket man doch in kur - tzen, daß ſie inwendig reiſſende Woͤlffe. Es ſind aber unter die groben Pietiſten zu zehlen dreyerley Art Leute, als erſtlich diejenigen, die ſaſt in allen Glaubens-Articuln von den Prin - ci〈…〉〈…〉 iis der uͤbrigen Herren Theologorum ab - weichen und ihre eigene Hypotheſes haben, wie aus des Herrn D. Schelwigs Synopſi controverſiarum ſub Prætextu Pietatis mo - tarum zu erſehen. Zum andern die in den meiſten Stuͤcken von dem Wege der Ortho - doxie abweichen, ob ſie gleich nicht alle pietiſti - ſche Principia vertheidigen, und zum dritten, die einen und andern Capital-Jrrthum, der dem Fundament der Glaubens-Lehren gaͤntz - lich zuwider iſt, anhangen. Denn, der zwey oder drey Capital-Jrrthuͤmer defendiret, iſt ſo ſchlimm, als einer, der funfftzig beſondere Meynungen hat, die aber zu dem Haupt - Werck des Chriſtlichen Glaubens eben nicht gehoͤren. Dieſe groben Pietiſten ſind nun mit allem Recht vor Ketzer zu halten, und wenn ſie ihre Meynungen nicht ablegen wollen, ſondern halsſtarriger Weiſe vertheidigen, mit eben derjenigen Straffe zu belegen, als die Schwaͤrmer, wie wir im vorhergehenden an - gefuͤhret, weil ſie es entweder ſelbſt ſind, oder doch mit ihnen Geſchwiſter-Kinder. Esſind347ſind ſolche grobe Pietiſten cheologiſche Rebel - len, die ſich wider die Verfaſſungen, die von unſern loͤblichen Vorfahren in Kirchen-Sa - chen eingefuͤhret worden, empoͤren, ſie uͤber den Hauffen ſtoſſen, und nach ihrer Captice eine eigne Religion einfuͤhren wollen, manche ſcheuen ſich auch nicht einmahl das heil. Wort GOttes ſelbſt zu aͤndern und nach ihren tollen Phantaſien zu verbeſſern; Sie ſind Ketzer, weil ſie die reine Evangeliſche Lutheriſche Leh - re nicht mit ſich bringen, die man nicht zu Hau - ſe aufnehmen und auch nicht gruͤſſen ſolte, auf - geblaſene Phariſaͤer und ſtoltze Werckheili - gen, die ſagen: Jch dancke dir, GOtt, daß ich nicht bin, wie andere Leute; Indifferentiſten, denen alles in Religions-Sachen gleichguͤltig iſt, am Tage wandeln ihrer viele wie die Kin - der des Lichts, nicht in Freſſen und Sauffen, nicht in Kammern und Unzucht u. ſ. w. Jn der Nacht aber treiben dieſe Schein-Heiligen Nacht-Eulen-Wercke der Finſterniß, ſie ſind diejenigen Fuͤchſe, die den Weinberg Chriſti verderben und gefangen werden ſolten, ſie ver - ſuchen GOtt mit Auflegung ſolcher Joche auf ihrer Zuhoͤrer Haͤlſe, die weder ihre Vaͤter noch ſie ſelber moͤgen tragen. Sie fuͤhren in die Evangeliſche Religion den Juͤdiſchen, Pa - piſtiſchen und Ketzeriſchen Sauerteig der altenSchwaͤr -348Schwaͤrmer mit ein, ſie ſind perfecte Plau - derer, imperfecte Wandeler und ſolche Kir - chen-Lichter, die bey ihrem Scheine einen ſehr heßlichen Geſtanck verurſachen. Wer von dieſem allen eine mehrere Erlaͤuterung und Beweiß wiſſen will, mag das Pantheon Ana - baptiſtarum, Fiſchers Anti-Pietiſtiſche Mo - nate, Schelvvigs Synopſin controverſiarum ſub Pietatis Prætextu motarum, den Pieti - ſtiſchen Catechiſmum, der neuen Pietiſten Un - fug, und diejenigen Schrifften, die in dem vor - trefflichen Wercke der Unſchuldigen Nachrich - ten, ſo man in Sachſen verfertiget, von dieſer Materie angefuͤhret werden, nachſchlagen, und wird ein ieder finden, daß ich nicht zu viel ge - ſagt.
§. 16. Von den tummen und thoͤrichten Pietiſten will ich nicht viel Worte machen. Denn es erkennet ein ieder ſo wohl, daß weil ſie allen Gottesdienſt uͤber den Hauffen kehren und in allen Stuͤcken wider GOtt und ſein Wort handeln, die Obrigkeit laͤſtern, aller - hand Boßheit veruͤben und alle Unordnung einfuͤhren wollen, durch den Feſtungs-Bau, Zucht-Haͤuſer, Peitſchen und Ruthen bekehret und auf andere Gedancken gebracht werden ſolten. Die ſubtilen und groben Pietiſten wollen zwar mit dieſen Leuten oͤffentlich keineGe -349Gemeinſchafft haben, noch ihre Lehr-Saͤtze directe vertheidigen, iedennoch aſſiſtiren ſie ihnen incognito und correſpondiren unter der Hand mit ihnen, wollen auch bißweilen ihr Judicium von ihren Schrifften ſuſpendi - ren, und wenn ſie ſie gleich zum Schein wider - legen oder par reputation refutiren muͤſſen, ſo verfahren ſie doch mit dieſer Art Leuten gantz ſaͤuberlich, damit ſie ihren gemeinſchafftlichen Zweck mit einander befoͤrdern koͤnnen und ſie nicht irritiren, weil ſie nicht wiſſen, wo ſie ein - ander wieder brauchen.
§. 17. Es ſind billig diejenigen, von denen geſchrieben ſtehet, 2. Timoth. 3, v. 1. Das ſolt du aber wiſſen, daß in den letzten Tagen werden greuliche Zeiten ſeyn, denn es werden Menſchen kommen, die von ſich ſelbſt halten, geitzig, ruhmraͤthig, hoffaͤrtig, Laͤſterer, den Eltern ungehorſam, undanckbar, ungeiſtlich, ſtoͤrrig, unverſoͤhnlich, Schaͤnder, unkeuſch, wilde, unguͤtig, Verraͤther, Freveler, aufge - blaſen, die mehr lieben Wolluſt denn GOtt; Aus denſelbigen ſind, die NB. hin und her in die Haͤuſer ſchleichen, und fuͤhren die Weiblein gefangen, die mit Suͤnden beladen ſind und mit mancherley Luͤſten fahren, lernen immer - dar und koͤnnen doch nimmermehr zur Erkaͤnt - niß der Wahrheit kommen. Es ſind Men -ſchen350ſchen von zerruͤtteten Sinnen, untuͤchtig zum Glauben. Aber ſie werdens die Laͤnge nicht treiben. Denn NB. ihre Thorheit wird of - fenbahr werden iedermann, gleich wie auch je - ner war. It. Coloſſ. 2, v. 18. 19. -23. Laſ - ſet euch niemand das Ziel verruͤcken, der nach eigner Wahl einher gehet in Demuth und Geiſtlichkeit der Engel, des er nie keines geſe - hen hat, und iſt ohne Sache aufgeblaſen in ſei - nem fleiſchlichen Sinn. NB. haͤlt ſich nicht an das Haupt, aus welchen der gantze Leib durch Gelenck und fugen Handreichung em - pfaͤhet und an einander ſich haͤlt und waͤchſt zur geiſtlichen Groͤſſe. Welche haben einen Schein der Weißheit durch ſelbſt-erwehlte Geiſtlichkeit und Demuth, und dadurch, daß ſie des Leibes nicht verſchonen und dem Fleiſch nicht ſeine Ehre thun zur Nothdurfft. Wenn man der meiſten Wandel gegen dieſe Weiſſa - gungen haͤlt, ſo wird ſichs ausfuͤndig machen. Jch ſage, der meiſten. Denn manche un - ſchuldige Seele wird mit hingeriſſen, ſowohl von Gelehrten als Ungelehrten, ſo die Tieffe der Boßheit nicht abſehen kan, und gehet in ihrer Einfalt hin, unwiſſend, wie nahe ſie der Gefahr ſey. Solche zu verdammen ſey fer - ne von mir.
§. 18. Aus dieſem allen ſiehet man nungantz351gantz deutlich, daß der Pietiſmus leider! eine Secte ſey, ſo vor ein dreyßig Jahren in Teutſch - land ſich entſponnen, und haben demnach die Evangeliſch-Lutheriſchen Potentaten, ſowohl außer Teutſchland als in demſelben, die groͤſte Raiſon gehabt, ſolchen durch ſcharffe Edicta und Verordnungen zu verbiethen, die Leute vor den verfuͤhriſchen und ſectiriſchen Mey - nungen der Pietiſten zu warnen und dieſelben bey der Einigkeit der wahren und ſeligmachen - den Religion zu erhalten. Ob gleich die Ev - angeliſchen Regenten in ihren Laͤndern alle Anſtalten vorgekehret und durch GOttes Gnade dem tummen Pietiſmo und Fanaticiſ - mo ziemlichen Einhalt gethan, ſo hat dennoch der ſubtile und grobe Pietiſmus ſich leider! wie der freſſende Krebs, ſo ausgebreitet, daß heutiges Tages gantze Theologiſche Facul - taͤten und Univerſitaͤten einander zuwider ſind. GOtt gebe! daß nicht gantze Provintzien da - von angeſteckt werden und aneinander gera - then. Es wollen zwar die Pietiſten nicht ge - ſtehen, daß der Pietiſmus eine Secte ſey, mey - nen, es waͤre ein Ens rationis und beſtuͤnde in der bloſſen Phantaſie der Leute. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß es wahr waͤre, aber die Edicta, die wider dieſelben ergangen, zeigen gar ein anders, und iſt es vor ein Kennzeichen einesPieti -352Pietiſten mit zu halten, wenn einer leugnet, daß Pietiſten in der Welt ſind.
§. 19. Es iſt zwar der Pietiſmus, wie wir angefuͤhret, eine gefaͤhrliche Ketzerey; ieden - noch iſt auch nicht zu laͤugnen, daß occaſione pietiſmi einiger Nutzen geſchaffet worden. Denn es ſind manche Evangeliſch-Lutheriſche Prediger, die Kirchen-Waͤchter haben abge - ben ſollen, auff ihren ihnen anvertrauten Po - ſten ſich ſehr ſchlaͤffrig bezeuget, ihr Amt mit groſſer Nachlaͤßigkeit und Traͤgheit verwaltet, ſich mehr um ihre Einkuͤnffte, denn um die See - len ihrer Zuhoͤrer bekuͤmmert, durch das Ge - ſchrey der Pietiſten ermuntert, und zu einer mehrern Wachſamkeit angereitzet, ingleichen auch manche Lehren, davon man vielleicht vor - hero auff den Cantzeln nicht ſo fleißig gepredi - get, bey Gelegenheit des Pietiſmi fleißiger und forgfaͤltiger tractiret worden, damit man dem Vorwurff der Pietiſten entgehen moͤgte, als wuͤrde die wahre Pietaͤt nicht ſo gar eiffrig von einigen Evangeliſchen Herren Theologis ge - trieben. Es haben auch wohl manche Pieti - ſtiſche Controverſien Gelegenheit gegeben, daß eines und das andere in der Theologie beſſer und genauer examiniret und manches in dem Kirch-Weſen geaͤndert und gebeſſert wor - den. Ja es werden einige von den Predigern,weil353weil ſie wiſſen, daß ſie ſo ſcharffe Obſervato - res um ſich haben, zu mehrern Eyfer in ihrem Amt und zu einer groͤſſern Froͤmmigkeit und exemplariſchen Leben aufgemuntert. Es iſt auch ſonſt von den Pietiſten eines und das an - dere gutes abzulernen und zu imitiren, zum Exempel, die Schulen, die ſie allenthalben, wo ſie Gelegenheit darzu haben, anrichten, und die Muͤhe, die ſie ſich bey den Catechiſmus - Ubungen mit den Untergebenen geben, damit ſie bey Zeiten wiederum Recrouten haben, die in der Alten ihre Fußtapffen treten und alſo die pietiſtiſchen Lehren ja weiter fortgepflantzet werden, u. ſ. w. Die rechtglaͤubigen Evan - geliſchen moͤchten es ihnen in dieſem Stuͤck bil - lig nachthun, damit die reine Lehre auch mit ſonderbahren Fleiß auf die Nachkommen transferiret wuͤꝛde. Was gut iſt, muß man auch an ſeinen Feinden loben.
§. 20. Wann ich mich in die ſpecialen Controverſien, die bey Gelegenheit des Pic - tiſmi erreget worden, einlaſſen ſolte, ſo wuͤrde eine ſehr weitlaͤufftige Arbeit uͤber mich neh - men. Weil aber ſolches von andern vor mir bereits zur Gnuͤge abgehandelt worden, ſo wer - de mich hierbey nicht aufhalten, indeſſen wolt ich nur wuͤnſchen, daß die Evangeliſch-Lutheri - ſchen Potentaten des Pietiſmi wegen ein allge -Zmei -354meines Concilium halten moͤchten, und da - ſelbſt alle die pietiſtiſchen Controverſien un - terſuchen und ausmachen, auch die ſymboli - ſchen Buͤcher unſrer Kirche noch mit einem Scripto darinnen enthalten waͤre, was dieſer Streitigkeiten wegen geglaubet und behauptet werden ſolte, vermehren. Es waͤre ſolches eine hoͤchſt-noͤthige und nuͤtzliche Sache, die aber wohl unter die pia deſideria zu rechnen iſt, und zu ihrer Erfuͤllung nicht gelangen wird.
§. 21. Nun will ich noch von einer Art Leute handeln, die in dieſe Claſſe mit gehoͤren. Sie conſtituiren zwar wohl eben keine neue Speciem, und ſind unter den Schwaͤrmern und Pietiſten mit begriffen, jedennoch verdie - nen ſie auf gewiſſe Maße, daß man a parte von ihnen rede. Es ſind ſolches die neuen Pro - pheten und inſpirirten, welche vor einigen Jahren aus Sevennes und Franckreich her - aus gekommen, und hernach in Holland, En - gelland, Teutſchland, bald hie dald da herum vagiret, ihre Luͤgen-Propheceyungen ausge - ſprochen und ſeltzame agitationes und wunder - liche Verdrehungen des Leibes gemacht. Ehe wir nun vorſtellen, was die Landes-Obrigkeit - liche Pflicht in Anſehung dieſer neuen Prophe - ten vor Verordnungen erfodern, ſo muͤſſen wir den Anfang billig machen von der Pruͤfungihrer355ihrer Weiſſagungen ſelbſt, und die Geiſter pruͤ - fen, ob ſie aus GOtt find oder nicht?
§. 22. Daß ſie aber nicht aus GOtt ſind, will ich durch folgende Beweißthuͤmer darthun. 1.) Hat der Ausgang ihre Weiſſagungen wi - derleget, immaſſen offenbahr iſt, und aller Welt vor Augen lieget, daß von allem, was ſie im Nahmen des HErrn geweiſſaget, noch nichts erfuͤllet worden. Da haben ſie ſich unter - ſtanden, Todte aufzuwecken, die aber in ihrer Verweſung nach wie vor geblieben. Einige haben ausgeſaget, An. 1708. wuͤrde ein Theil von der groſſen Babel untergehen. Wer kan ſich aber entſinnen, daß um ſolche Zeit Babel nur den geringſten Abbruch erlitten? Wer weiß nicht, daß es noch biß ietzt in ſeinem Stande ſey, und an Macht und Gewalt taͤg - lich zunehme? 2.) Sind ihre Offenbahrun - gen der heil. Schrifft zuwider. Ob man wohl aus der Gleichſtimmigkeit der Lehre mit der heil. Schrifft nicht ſofort ſchlieſſen kan, daß einer ein wahrer Prophet ſey, ſo folget doch im Gegentheil gantz gewiß, daß der Prophet nicht von GOtt ſeyn koͤnne, welcher dem einmahl geoffenbahrten Worte GOttes zuwider lehret. Es koͤnnen ja die neuen Propheten ſelbſt nicht in Abrede ſeyn, daß die heil. Schrifft von GOt - tes Geiſt eingegeben ſey. Wenn nun einZ 2Geiſt356Geiſt heut zu Tage etwas redet, welches die - ſem Worte GOttes zuwider, ſo muß nothwen - dig eines von dieſen beyden Stuͤcken folgen, nemlich, entweder, daß GOtt veraͤnderlich ſey und ſich ſelbſt widerſpreche, oder ein ſolcher Geiſt nicht derjenige Geiſt GOttes ſey, der durch die alten Propheten und Apoſtel geredet. Da nun aber das erſte der Vernunfft ſelbſt zu - wider iſt, welche uns nicht zulaͤßt, von dem un - veraͤnderlichen Willen GOttes alſo zu geden - cken, ſo bleibt nichts mehr uͤbrig, als das Letzte, nemlich, daß ein ſolcher Geiſt nicht der Geiſt GOttes ſeyn koͤnne. 3.) Jhre Offenbah - rungen ſind der Goͤttlichen Weißheit nicht ge - maͤß, denn da finden ſich 1.) die allerabge - ſchmackteſten Wiederhohlungen und Tavtolo - gien, 2.) es redet dieſer Geiſt oͤffters gantz falſch und wider die Natur der Sprache. 3.) findet man gantze Periodos, die gantz keinen Verſtand haben. 4.) Man wird auch hier - innen um ſo viel mehr bekraͤfftiget, wenn man die Sache ſelbſt erweget, welche in dieſen Pro - phetiſchen Warnungen vorgetragen wird. Da findet man keine Krafft noch Weißheit, keine Geheimniſſe, die ſie mit Beweiſung des Geiſtes aus der Schrifft Verborgenheit her - vor braͤchten, ſondern theils gantz gemeine und bekannte Dinge, theils Meynungen, die keinenGrund357Grund haben, theils offenbahre Jrrthuͤmer, theils myſtiſche Deutungen, welche, wenn ſie mit dem Licht der Wahrheit beleuchtet werden, auf einen bloſſen Schatten hinaus lauffen. 5.) Jſt die Art und Weiſe dieſer neuen Offen - bahrungen ſo beſchaffen, daß man daraus keine Verſicherung haben kan, es ſey die Stimme GOttes, denn da findet man an dieſen Leuten die bekannten agitationes und Bewegungen, die ſo entſetzlich ſeyn ſollen, daß denen, die ſol - ches mit anſehen, die Haare zu Berge ſtehen. Es wird nicht nur der gantze Leib erſchuͤttert mit ſolcher Gewalt, daß man es außer den Haͤuſern hoͤren kan, ſondern es hebt auch der Geiſt bißweilen die Leute Ellen hoch in die Hoͤ - he und ſchlaͤgt ihnen den Kopff an die Waͤnde. Ja es bleibet bey einigen kein Theil des menſch - lichen Leibes in Ruhe, es iſt, als ob ſie mit dem Magen-Krampff, der Hertz-Kranckheit und Ohnmachten geplaget wuͤrden. 6.) Wird dieſen Leuten auch dadurch kein geringer Ver - dacht aufgeladen, daß ſie ſelbſt keine Verſiche - rung haben, ob es der Geiſt GOttes ſey, der durch ſie redet, oder nicht. Nun ſetzen wir feſt, daß vor allen Dingen eine ſolche Verſiche - rung im Hertzen der Propheten ſeyn muͤſſe, daß ſie gantz ungezweiffelt wiſſen und erkennen, es ſey GOttes Geiſt, der in ihnen wuͤrcket. Z 3Denn358Denn wie koͤnnen ſie ſonſt andern anmuthen, ihrem Wort, als dem Wort des einigen Gei - ſtes, zu glauben, wenn ſie ſelbſt keine Gewiß - heit davon haben. Jch verſtehe aber durch dieſe Verſicherung nicht eine bloſſe Einbildung, welche bißweilen freylich bey ſolchen Leuten ſtarck genung ſeyn kan, ſo gar, daß ſie auch offt natuͤrliche Dinge vor Goͤttlich halten und uͤber ſolcher einmahl angenommenen Mey - nung ſich ſo zu reden todt ſchlagen lieſſen, ſon - dern eine ſolche Uberzeugung des Hertzens durch den Heil. Geiſt, dadurch wir wiſſen koͤn - nen, was uns von GOtt vor Gaben gegeben ſeyn, 1. Cor. 2, v. 12. 7.) Beweiſen ſie auch ſehr ſchlechte Fruͤchte der Lehre und des Lebens, daran ſie zu erkennen ſind. Denn ſie erregen Trennungen und Spaltungen in der Kirche, verachten die Prieſter, mahnen die Leute von dem Kirchengehen ab, haben in Sevennes einen blutigen Krieg erreget und die armen Einwoh - ner wider ihren Koͤnig in die Waffen gebracht, aus welchen der ſanfftmuͤthige Geiſt Chriſti wohl nicht abzunehmen iſt. Sie haben wider alles Natur - und Voͤlcker-Recht ihre Zuſagen gebrochen und weder Treue noch Glauben ge - halten, ja auch Ehebruch und andere Fleiſches - Wercke getrieben und vertheidiget, welches wohl ſchwerlich von dem Geiſte GOttes her -ruͤhren359ruͤhren kan. Wer zu dieſem allen mehrere Er - laͤuterung und Beweiß verlanget, kan das IV. Capitel des Herrn D. Heineccii Tractats der Pruͤfung der neuen Propheten nachſchlagen, daraus ich dieſes auch entlehnet.
§. 23. Da nun Sonnen-klar iſt, daß dieſe Geiſter nicht aus GOtt ſind, noch ihre Prophe - ceyungen von dem Heil. Geiſte herruͤhren, ſo iſt der Grund ſolcher Weiſſagungen theils dem verlogenen Geiſt der Finſterniß, theils auch der verderbten Phantaſie und dem melancholi - ſchen Temperament ſolcher Leute, theils auch der Boßheit einiger, die es aus Intereſſe thun, um ſich entweder bey dem gemeinen und unwiſ - ſenden Volcke einen Nahmen und Anſehen zu machen, oder auch von deuen, die ſie vor Goͤttli - che Propheten halten, ein brav Stuͤcke Geld zu bekommen, zuzuſchreiben. Bey manchen iſt es ein Thun der Seele, bey andern aber ein Leiden. Ob es zwar ſchwer zu beurtheilen iſt, welche Wuͤrckungen von dem Satan oder von der verderbten Phantaſie der Inſpirirten her - ruͤhren, ſo kan man es doch bißweilen erkennen, z. E aus ungewoͤhnlichen Agitationen, die der menſchlichen Conſtitution ſonſt nicht wohl pos - ſibles ſind, aus der Ausrede der Sprachen, die einer faſt nicht verſtehet, der Ausſprache gewiſ - ſer verborgener Dinge, u. ſ. w.
Z 4§. 24.360§. 24. Nun will ich noch mit wenigen mei - ne unmaßgebliche Gedancken eroͤffnen, was die Landes Herrſchafften in Anſehung derglei - chen Inſpirirten, die in das Land kommen, oder in demſelben entſtehen, anzuordnen oder zu ver - biethenhaben. Voꝛs erſte muͤſſen ſie verbiethen, daß ſich niemand von dem gemeinen Volcke un - terſtehen ſoll, an diejenigen Oerter zukommen, wo ſie ihre Ausſprachen haben und ihnen zu zuhoͤren, oder ihren agitationen zuzuſehen, theils damit das unwiſſende Volck nicht hier - durch geaͤrgert, verfuͤhret und irre gemacht werde, theils auch, daß dieſe betruͤgeriſchen Propheten in ihrer Boßheit nicht geſtaͤrcket werden, wenn ſie ſehen, daß ſie andere Leute admiriren. Sie duͤrfften hernach gar bald Anhaͤnger bekommen, die ſie lieber hoͤren wuͤr - den, denn die Prediger ſelbſt. Hingegen ſind gelehrte Theologi, Juriſten und Medici ver - bunden, ſolche Leute zu frequentiren, alle ihre Umſtaͤnde genau nach den Gruͤnden der Heil. Schrifft und der geſunden Vernunfft zu unter - ſuchen, damit ſie auff Erforderung ihr Gut - achten dißfalls erſtatten koͤnnen. Zum andern, ſind ſolche Leute von einander zu ſondern, und ein jedweder muß in Verwahrung gebracht werden, damit ſie nicht zuſammen colludiren koͤnnen, noch ſich eines gewiſſen mit einanderbere -361bereden. Hierauff muß man einem jedwe - den auff gewiſſe Umſtaͤnde befragen, z. E. wes Alters und Profeſſion er ſey? was er gelernet? was ſeine Lebens-Art? wovon er ſich ſonſt er - nehret, und noch ernehre? wo er ſich auffge - halten? bey was vor Gelegenheit er unter die - ſe baude gekommen? wenn er angefangen ha - be, Ausſprachen zu haben? wie lange er drun - ter ſey? und andere Fragen mehr. Alsdenn muß man dieſe Ausſagen gegen einander hal - ten, damit man ſehe, ob ſie variiren oder in An - ſehung gewiſſer Umſtaͤnde, daruͤber ſie befraget werden, zuſammen einſtimmig ſind. Man kan ſich auch nach ihrem Chriſtenthum erkun - digen, daß mandarhinter kommt, was ſie in der Religion vor Hypotheſes hegen? und wie weit ſie in derſelben gegruͤndet, auch ihnen an - dere Fragen vorlegen, daß man ihre Gemuͤths - Neigungen einiger Maßen daraus erkenne und die Eigenſchafften ihres Willens und Verſtan - des abnehmen lerne. Endlich muͤſſen gelehr - te Theologi und Medici von einem jedweden ihr judicium faͤllen, ob er ſonſt guten Verſtand habe, und ob ſie glauben, daß er bißher aus Boß - heit und Leichfertigkeit ſolche Ausſprachen ſi - mulire oder eines melancholiſchen Tempe - raments ſey, und entweder ſeine innerliche Conſtitution durch gewiſſe Medicamenta ſeyZ 5cor -362corrumpiret worden, oder daß Satan ſein Spiel mit ihm habe, und er von demſelben be - ſeſſen ſey und alſo wider ſeinen Willen derglei - chen agitationes und Verdrehungen des Leibes ausſtehen und ſolche Ausſprachen haben muͤſſe. Denn nach dieſem Unterſcheid muͤſſen die Lan - des-Fuͤrſten ſich in ihren Verordnungen gegen ſie richten.
§. 25. Wenn nun gelehrte Theologi und Medici ihrem beſten Wiſſen und Gewiſſen nach ihr judicium gefaͤllet, daß einige, die die Propheceyungen und Ausſprachen gehabt, ſonſt guten geſunden Verſtandes und auch in ihrem Chriſtenthum gar wohl unterrichtet ſind und vermuthlich ſolche Geberden nur aus Boßheit und Leichtfertigkeit angenommen, ſo ſind dieſelben, wenn dißfalls nicht der geringſte Zweifel mehr uͤbrig iſt, billich mit dem Schwerd vom Leben zum Tode zu bringen. Es wird dieſe Straffe vor ſolche Boͤſewichter nicht zu ſcharff ſeyn, wenn man bedencket, daß die Got - teslaͤſterer nach Befindung der Umſtaͤnde, wenn ſie enorme Gotteslaͤſterungen geredet, mit dieſer Straffe beleget werden. Wie kan aber die Gotteslaͤſterung wohl hoͤher ſteigen, als wenn ſich einer vor den groſſen Jehovah ſelbſt ausgiebt und im Nahmen des Heiligen Geiſtes lehrt? wenn er drohet, ſtraffet, ver -mahnt,363mahnt, troͤſtet und prophezeyet. Jſt einiger Zweiffel deshalb verhanden, ſo iſt es am be - ſten, wenn ſie einige Jahre auff den Feſtungs - Bau condemniret oder in die Zucht-Haͤuſer geſetzet werden, biß ſie angeloben, daß ſie in Zu - kunfft keine Propheten mehr abgeben wollen.
§. 26. Sind einige entweder aus Einfalt und Unwiſſenheit oder durch gewiſſe Medica - menta hierzu verfuͤhret und gebracht worden, oder aber ſonſt eines melancholiſchen Tempe - raments und corrupten Phantaſie; ſo ſind die - ſelbigen geſchickten Theologis anzuvertrauen, daß ſie ſie im Chriſtenthum gehoͤriger Maßen unterrichten, ihnen die Abſcheulichkeit ſolcher Suͤnde ſattſam aus GOttes heiligen Wort vorſtellen und zu Gemuͤthe fuͤhren und ſie ver - mahnen, wie ſie deshalb unſern HErre GOtt um Vergebung anflehen ſolten, auch muͤſſen ſie auff alle ihre Einwuͤrffe geſchickt antworten, und ihre Scrupel ihnen benehmen. Die Medici muͤſſen ihnen dienliche Artzneyen ver - ordnen, die ihr verdorben Gebluͤte wieder zu recht bringen und es beſaͤnfftigen. Jm uͤbri - gen muß man ſie nicht leichtlich allein und in der Einſamkeit laſſen, daß ſie nicht Gelegenheit ha - ben, ihren wunderlichen Phantaſien nachzuhaͤn - gen, ſondern ſtets Chriſtl. behertzte und verſtaͤn - dige Leute um ſie haben, die ſie mit Diſcurſenunter -364unterhalten, auch muß man ihnen etwas zu - thun geben, darzu ſie geſchickt ſind, und ſie mit Straffe der Zuͤchtigung bedrohen, wenn ſie un - gebuͤhrliche Dinge reden oder vornehmen wol - len. Alles dieſes muß man auch vornehmen gegen die, von denen man mercket, daß Satan mit im Spiele iſt, auſſer daß bey dieſen die Medicamenta nicht viel helffen werden, ſon - dern man muß vielmehr ſolche in die allgemeine Vorbitte der Chriſtlichen Kirche einſchlieſſen und fleißig vor ſie beten, auch ſie taͤglich von ei - nem frommen, behertzten und gelehrten Theo - logo beſuchen laſſen, der fleißig und hertzlich bey ihnen bete und ſinge, daß der boͤſe Geiſt von ihnen weiche.
§. 4. Ob es gleich der geſchwindeſte Mo - dus iſt ſolcher Leute loß zu werden, wenn man dieſelben aus dem Lande verweiſet und ihnen anbefiehlet, das Land zu raͤumen, ſo halte den - noch davor, daß ſolches nicht gar zu wohl ge - than ſey. Denn es bleiben ſolche Leute wie ſie ſeyn, die Gottloſen werden nicht bekehret, die Boßhafftigen nicht beſtraffet, die Einfaͤlti - gen und Unwiſſenden nicht unterrichtet. Wird ſie ein Landes-Herr gleich aus ſeinem Lande loß, ſo kan er ſie doch nicht mit guten Gewiſſen einem andern Herrn uͤber den Halß ſchicken, da er weiß, daß nicht allein ſolche gottloſe Leutein365in ihrer Boßheit bleiben, wie zuvor, ſondern auch andere arme unſchuldige Seelen durch ſie geaͤrgert und verfuͤhret und auff mancherley Art in Ungluͤck geſetzet werden koͤnten. Und wenn ſie nun ſo ſtets aus einem Lande in das andere gejagt werden, bleiben esſtets - waͤhren - de Vagabundi, und koͤnten endlich aus ſolchen Propheten zuletzt gar Spitzbuben werden.
§. 1.
ES iſt eine bekannte und von allen ver - nuͤnfftigen Leuten angenom̃ene Wahr - heit, daß an Auferziehung der Jugend und einer tuͤchtigen und guten Beſtellung der Schulen einem Regiment uͤber die Maßen viel gelegen, ja von Leuten ſelten ein ander Leben, Thun und Wandel zu hoffen ſey, als worzu ſie von Kindes-Beinen an gewoͤhnet und angewie - ſen worden. Jſt ſolche Erziehung und Ge - woͤhnung gut und tauglich, ſo hat man ſich auch redlicher und geſchickter Leute beym Regiment in allen Staͤnden zu gebrauchen; Widrigen - falls aber nichts anders, als eines unartigen und wilden Weſens zu verſehen. Es pfleget ſich aber offt ein iedes Land hierinnen nach der Artſeiner366ſeiner Nahrung und meiſten Verrichtung zu achten. Zum Exempel, kriegeriſche und raͤu - beriſche Voͤlcker werden ihre Kinder fuͤrnehm - lich von Jugend auf zu Krieges-Ubungen gewoͤh - nen. Die ſich der See-Farth naͤhren, wer - den ſie bald zu ſchwimmen, fiſchen und ſchiffen, andere anders, anfuͤhren. Betrachten wir aber den Zuſtand unſers Vaterlandes teutſcher Nation, ſo iſt zwar derſelbe ſehr veraͤnderlich, alſo, daß den wenigſten Eltern bekannt oder ge - wiß fuͤrgeſetzt iſt, worzu ſie ihre Kinder, ſonder - lich die Soͤhne, erziehen wollen, die meiſten ſtel - len es auf die Zuneigung des Kindes ſelbſt und auf die begebenden Faͤlle und Gelegenheiten. Ein ieder aber, der ein Chriſt und ſeiner Ver - nunfft maͤchtig iſt, hat gleichwohl zu wuͤnſchen und dahin zu trachten, daß ſeine Kinder in zar - ten Jahren, da ſie ohne das zu andern Verrich - tungen unbequem ſeyn, in der Chriſtlichen Re - ligion wohl unterrichtet und auch zu ſolchen Dingen angefuͤhret werden, deren ſie ſich in al - len Staͤnden, darein ſie etwan GOtt dermahl - einſt ſetzen moͤchte, wohl und nuͤtzlich gebrauchen koͤnnen. Welches denn vornehmlich durch gute Unterrichtung in den Schulen, darinnen ſolche Dinge getrieben werden, zu geſchehen pfleget. S. des Herrn von Seckendorffs Teut - ſchen Fuͤrſten-Staat, pag. 304.
§. 2.367§. 2. Es ſind die Schulen mit allem Recht Pflantz-Gaͤrten der Kirchen und der Republick zu nennen, in welchen ſolche Baͤume gezogen werden, mit denen der Kirchen - und Staats - Gaͤrten dermahlen zu beſetzen. Wie die Leu - te in den Schulen angefuͤhrt, ſo werden ſie auch auf die Univerſitaͤten geſchickt und die Condui - te die ſie auf denen Univerſitaͤten annehmen, behalten ſie hernach insgemein in ihrem gantzen Leben und in ihren Aemtern. Gleich wie nun auf die Unterweiſung in den Schulen gewaltig viel ankoͤmmet; Alſo muͤſſen hohe Landes - Obrigkeiten ſich auf das moͤglichſte angele - gen ſeyn laſſen, daß ſo wohl die trivial als an - dern hoͤhern Schulen gehoͤriger Maſſen, wie es zur Befoͤrderung der Ehre des groſſen GOttes und der Wohlfahrt ihres Landes convenient iſt, beſorget werden.
§. 3. Ob zwar nicht zu laͤugnen, daß unſere Schulen bey uns Evangeliſch-Lutheriſchen in manchen Stuͤcken eine ziemliche Reforme ver - dienten, welches auch aufrichtige und rechtſchaf - fene Schul-Lehrer und Theologi ſelbſt nicht in Zweiffel ziehen werden, ſo excediren den - noch die Herrn Pietiſten hierinnen viel zu ſehr, wenn ſie dieſelben ſo herunter machen, daß ſie meynen, ſie waͤren mit allem Recht der Juden - Schulen zu vergleichen, einige vergehen ſich garſo368ſo weit, daß ſie unſere Schulen Mord-Gruben und die Studia acadernica leere Schalen nen - nen; Und hingegen glauben ſie, daß ihre bey ihnen angelegte vor rechte Werckſtaͤdte des Heil. Geiſtes zu achten waͤren. Nun iſt zwar andem, daß in den Pietiſtiſchen Schulen man - ches billig zu loben, und manche Fehler, die man bey andern antrifft, abgeſtellet ſeyn, hingegen ſind auch auf ihrer Seite wiederum neue Jrr - thuͤmer und Mißbraͤuche, welche anzufuͤhren, meinem Vorhaben zuwider iſt, eingeſchlichen, daß alſo Cvangeliſche Lutheriſche Eltern, die auff die Reinigkeit der Lehre ſehen, billig Urſa - che haben, Bedencken zu tragen, ihre Kinder in die von denen Pietiſten aufgerichtete Schulen zu ſchicken.
§. 4. Demnach durch die taͤgliche Erfah - rung und vielfaͤltigen Exempel bekannt, daß die von denen Evangeliſchen Eltern erzeugte Ju - gend, wann dieſelbe bey denen Jeſuiten zur Schule gehet, wo nicht ſofort zur Papiſtiſchen Religion verfuͤhret, iedoch mit ſolchen princi - piis gemeiniglich imbuiret wird, daß dieſelben hernach ſchlechten Eyfer in der Religion zu ha - ben, ſondern mehrentheils ſolche wohl gar zu - verlaſſen und dem Pabſtum anzuhaͤngen pfle - get; Solche ſchwere Seelen - und Gewiſſens - Gefahr aber um ſo viel mehr zu verhuͤten, undab zu -369abzuwenden, weil die Jugend in dieſelbe bey dem Alter und in denen Jahren geraͤth, worin - nen ſie die ihr beygebrachten errores annoch nicht erkennen, auch ſich hernach von dieſen ih - ren erſten principiis nicht wohl wieder befreyen und loß machen kan. Als verbieten die Evan - geliſchen Landes-Fuͤrſten denen Evangeliſchen Eltern mit Recht, daß ſie ihre Kinder nicht in die Jeſuiten-Schulen ſchicken ſollen. Siehe das Churfl. Brandenb. dißfalls ergangene Verboth vom 3. April. 1684.
§. 5. Es haben Landes-Obrigkeiten ſehr wohl dran gethan, daß ſie von einigen Jahren her hin und wieder Gymnaſia illuſtria oder Ritter-Academien angerichtet, auf welchen ſowohl Standes-Perſonen als auch die von Adel und andere buͤrgerliche von Condition in allerhand Wiſſenſchafften, Sprachen und Exer - citiis unterrichtet werden koͤnnen, denn es ha - ben dergleichen Gymnaſia ihren guten Nutzen. Es bekommen daſelbſt junge Leute nicht allein von den noͤthigen ſtudiis academicis einen ziem - lichen præguſtum, daß ihnen, wenn ſie auf die Univerſitaͤten ziehen, die Studia um ein gutes erleichtert werden, und ſie hernach, wenn ſie ein oder zwey Jahr noch auf den Univerſitaͤten zu - bringen, ihre Studia mit Reputation abſolvi - ren muͤſſen, ſondern ſie koͤnnen ſich auch ziemli -A acher370cher Maßen auf dergleichen Academien in den Wiſſenſchafften und Exercitiis perfectioniren. Zudem ſo koͤnnen ſie auch auf dieſen Academien oder Gymnaſiis insgemein mit leichtern Koſten leben, denn auf den Univerſitaͤten.
§. 6. Billig waͤre darauf zu dencken, daß bey allen Schulen gewiſſe Bibliothequen ange - leget wuͤrden, darinnen die nuͤtzlichſten Buͤcher, die zum Behuff der Studirenden gereichten, an - zutreffen, und die die Schuͤler mit brauchen koͤnten. Es wuͤrde ſolches ſonderlich denje - nigen, die Armuths-halber nicht in dem Stan - de waͤren, ſich Buͤcher anzuſchaffen, ſehr wohl zu Statten kommen und vielleicht mancher, der ſonſt außerhalb der ordentlichen Stunden ſeine Zeit mit Muͤßiggang zubringet, von liederlicher Geſellſchafft und muͤßig gehen, abhalten. Jn ſolcher Schul-Bibliothec muͤſten nicht allein nuͤtzliche, ſondern auch allerhand curieuſe Buͤ - cher zu finden ſeyn, die ihnen zur Recreation und Gemuͤths-Veraͤnderung gereichten, als Reiſe-Beſchreibungen, Hiſtoriſche, Geogra - phiſche Buͤcher u. ſ. w. ingleichen ein Vorrath von Land-Charten, Globi terreſtres und cœle - ſtes u. ſ. w. Es muͤſte auch einem von den Schul-Collegen allezeit die Aufſicht daruͤber aufgetragen und keinem Schuͤler erlaubet wer - den, Buͤcher nach Hauſe zu nehmen, ſonderndie371dieſelbigen auf der Bibliothec zu leſen und zu gebrauchen.
§. 7. Vornehmlich iſt dahin zu ſehen, daß die Schulen im gantzen Lande mit ſolchen Leh - rern beſetzet werden, die nicht allein die zum do - ciren noͤthige Gelehrſamkeit und Geſchicklich - keit beſitzen, ſondern auch das donum haben, mit einer leichten und bequemen Methode und beſonderer Deutlichkeit ſich zu expliciren und ihre Untergebenen in denen Kuͤnſten und Spra - chen zu unterweiſen, darbey eine mit Ernſthaff - tigkeit temperirte Freundlichkeit haben, zu - gleich gottsfuͤrchtig ſind, als welches das aller - vornehmſte, und eines tugendhafften Lebens - Wandels ſich befleißigen, damit ſie in der Lehre und im Leben bey ihren Untergebenen Vorbil - der abgeben und die ſtudirende Jugend unter ihrer Aufſicht nicht allein in Wiſſenſchafften und Gelehrſamkeit, ſondern auch an Tugenden und guten Sitten wachſen und zunehmen moͤgen.
§. 8. Es ſind der Galantiſmus und Pe - dantiſmus zwey Laſter, welche nach dem Unter - ſcheid der Oerter und Leute den Schulen insge - mein anhaͤngen. Einige geſtrenge Orbilii und pedantiſche Schul-Monarchen, die alle Periodos mit dem Ciceroniſchen Maaß-Sta - be auszumeſſen pflegen, wuͤten mit einem ſol -A a 2chen372chen Ungeſtuͤm gegen ihre Diſcipul, wenn ſie in ihren Exercitiis ſcholaſticis einige Redens - Arten mit einmiſchen, die ſie nicht gleich aus dem Cicerone oder einem andern ihm gleichen Autore claſſico erweiſen koͤnnen, daß ſie es nicht aͤrger machen koͤnten, wenn ſie gleich die groͤſten Verſehen begangen haͤtten. Sie ver - werffen alle diejenigen Expreſſiones, die ſie auf der Schulfuͤchſiſchen Waage ihres Eigenſin - nes allzuleichte befinden, mit einem gewiſſen impetu: Sie fuͤhren ihre Untergebene zu kei - nen reellen Dingen, ſondern zu lauter Woͤr - tern an. Es heiſt mit ihnen: Vox præterea - que nihil. Wenn ſie auf den Cath〈…〉〈…〉 dern die Autores claſſicos den Schuͤlern erklaͤren, ſo bringen ſie ihre meiſte Zeit zu mit Anfuͤhrung der alten Roͤmiſchen Antiquitaͤten, von denen ſie einen Vorrath nach dem andern hervor lan - gen, weil ſie deren Koͤcher immer davon voll haben. Bald bewundern ſie den vortreffli - chen Numerum Oratorium ihres Autoris, den ſie vor ſich haben, bald vermahnen ſie ihre Un - tergebenen zu einer gleichen Puritaͤt, und wie ſie beſtaͤndig bey ihrem Schreiben dem Autori, den ſich dergleichen Schul Lehrer etwan aus - geleſen, nachahmen und anhaͤngen ſolten, bald beſeufftzen ſie den groſſen Verfall des Lateini - ſchen Styli und beſorgen, wie endlich das helleLicht373Licht der Ciceronianiſchen Puritaͤt gantz und gar verſchwinden und die dicke Finſterniß der Barbarey wieder einbrechen moͤchte. Nach dieſem exerciren ſie ihre Untergebenen in nichts ſo ſehr als in den modis der æquipollentiæ und converſionis, in den Figuren der Syllo - giſmorum, den Darapti, Felapton, u. ſ. w. oder weiſen ſie an, wie ſie im diſputiren die An - faͤlle ihrer Gegner mit dem Vorrath der meta - phyſiſchen Diſtinctionen auspariren ſollen. Bey Leſung der Rhetorica lehren ſie die Schul - Jugend nicht ſowohl, wie ſie auf allerhand in dem menſchlichen Leben vorkommende Faͤlle mit einer guten Art lateiniſche und teutſche Schreiben und Reden aufſetzen ſollen, als daß ſie dieſelbigen vielmehr gewiſſe declamationes und orationes des Ciceronis, Quintiliani und andere Reden vorlegen, ſie anatomiren und gewiſſe Figuren heraus ſuchen, an welchen die ehrlichen Leute wohl ihr Lebtage bißweilen nicht gedacht, und mit groſſer Muͤhe alle Ele - gantien heraus klauben. Bey der Poeſie hal - ten ſie es vor die groͤſte Gelehrſamkeit, wenn ſie ihren Untergebenen einen ſchoͤnen griechiſchen Vers machen lernen, und wer wolte alle Schul - Grillen ſolcher pedantiſchen Lehr-Meiſter er - zehlen?
§. 9. Hernach giebet es wieder eine andereA a 3Sorte374Sorte der Rectorum und Schul Præcepto - rum. Dieſe erkennen, daß dergleichen Leu - te, wie ich in dem vorhergehenden beſchrieben, oͤffters entweder unnuͤtze Sachen ihren Schuͤ - lern beybringen, oder doch mit einer verdruͤßli - chen ſchweren und langweiligen oder Methode und catoniſchen Mine, auch hierdurch nicht al - lein ſich bey der ihnen untergebenen Schul-Ju - gend ſchlechte Liebe, ſondern ihm auch einen Eckel gegen die Studia erwecken, und bey andern Leu - ten durch ihre pedantiſche Lehre und Conduite ſich theils laͤcherlich, theils verhaßt machen; Darum fangen ſie es, um nicht dergleichen ſchul - dig zu werden, auff eine andere Art an, fallen aber daruͤber in das andere extremum, nehm - lich den Galantiſmum. Dieſe negligiren entweder die lateiniſche Sprache und die Cul - tur des lateiniſchen Styli gantz und gar, und meynen, es komme heutigs Tags, nachdem wir in Teutſchland wohnten, da die meiſten in dem menſchlichen Umgange vorkommende Reden und Schreiben in teutſcher Sprache abgefaßt und auf den Univerſitaͤten ſelbſt die Collegia groͤſtentheils in der lieben Frau Mutter-Spra - che gehalten wuͤrden, nicht ſonderlich auf das Latein an, oder ſtehen doch in den Gedancken, es ſey eine Schulfuͤchſerey, wenn man ſich um die Puritaͤt und Elegantien bekuͤmmern ſolte,es375es ſey ſchon gnug, wenn man ſo viel Latein ſchrei - ben koͤnte, daß man dem Priſciano nicht eine Maulſchelle gaͤbe. Die Autores claſſicos ne - gligiren ſie auch ziemlicher Maßen und glau - ben, man ſolte jungen Leuten lieber ſolche Buͤ - cher in die Haͤnde geben, da ſie nebſt dem Latein auch andre Wiſſenſchafften daraus erkennen koͤnten. Vor das Haupt-Werck halten ſie die teutſche Sprache, und daß man eine wohl - geſetzte Rede, ein zierliches Schreiben, eine argute Inſcription und ein beliebtes Carmen verfertigen koͤnte. Sie bringen einen groͤſten Theil der Zeit damit zu, daß ſie ihren Unterge - benen weiſen, wie ſie anagrammata, Chrono - diſticha, Rimgebaͤude, Echo, Paſtorellen, Duetten und andere dergleichen poetiſche Ra - ritaͤten und ſchoͤne Spiel-Wercke concipiren koͤnnen. Dieſes waͤren die Mittel, in der Welt ſich beliebt zu machen und ſein Gluͤck zu forciren. Nach der teutſchen Oratorie und Poeſie fuͤhren ſie dieſelben an zu geographi - ſchen, Hiſtoriſchen, genealogiſchen, heraldi - ſchen und numismatiſchen Studiis. Sie le - ſen mit ihnen in Schulen allerhand Arten der Zeitungen, machen ihnen ein Hauffen Refle - xions-Politiques druͤber und zeigen, wie ſie dieſelben auch machen ſollen. Bey dem Stu - dio Geographico recommendiren ſie ihrenA a 4Un -376Untergebenen die Reiſe-Beſchreibungen, und muͤſſen ſie dieſelben auch wohl mit in die Schu - le bringen, damit ſie groſſe Flecken daraus her - leſen und ſich mit einander daruͤber divertiren koͤnnen. Jn den Land-Charten muͤſſen ihre Schuͤler ſo bewandert ſeyn, daß ſie des Kaͤyſers von Fez und Maiocco Luſt-Schloͤſſer auch mit verbundenen Augen finden koͤnnen. Jn dem Studio genealogico exerciren ſie ſie gewal - tig, damit ſie bey allen Potentaten die Reihe der Succeſſoren von dem alleroberſten Uhran - herrn biß auf die ietzigen regierenden Herren auswendig wiſſen. Bey dem Studio hiſto - rico muͤſſen ſie ſich auch alle nichts-wuͤrdige und zum Haupt-Werck nicht dienlichen Um - ſtaͤnde bekannt machen. Jm uͤbrigen wollen ſie ihre Untergebenen, die von allen Schulfuͤchße - reyen gantz und gar abgezogen werden ſollen, zu hoͤhern und reellen Sachen anfuͤhren: Sie halten ihnen Collegia uͤber das Jus Publicum, uͤber die Inſtitutiones, die Philoſophie und andere Dinge, die auf Academien getrieben werden, da ſie doch in den Fundamenten noch nicht ſattſam beſchlagen ſind. Und gleichwie dergleichen Rectores und andere Schul-Leh - rer ſich in der Kleidung auch in Tituln diſtin - guiren wollen, ſo daß ſie von der Landes-Herr - ſchafft neue Prædicate verlangen, die nicht ſogemein377gemein ſind, und ſich wohl gar ihre Excellenz ſchelten laſſen. Alſo halten ſie auch ihre Un - tergebenen ſonderlich darzu an, daß ſie ſich in allen Stuͤcken der Galanterie, ſo viel als nur moͤglich, befleiſſen. Nach geendigter Schul - Lection muͤſſen ſie meiſtentheils Land-Charten illuminiren, Verſe machen, reiſſen, ſich in der Muſic exerciren oder Exercitia treiben.
§. 10. Da nun ſo wohl jene als dieſe des rechten Weges, der bey den Schul-Lectionen zu erwehlen iſt, verfehlen, ſo haben die Lan - des-Obrigkeiten denen Lehrern ſolche Schul - Ordnungen vorzuſchreiben, daß ſo wohl die Haupt-Studia und hoͤchſtnoͤthigen Wiſſen - ſchafften nicht verſaͤumet und die Untergebenen auch zugleich zu einigen galanten Wiſſenſchaff - ten, die ebenfalls heutiges Tages in dem menſch - lichen Leben noͤthig ſind, mit angefuͤhret wer - den. Man muß eines thun und das andere nicht laſſen. Jch habe das vorhergehende nicht deswegen allegiret, daß ich glaubte, als ob alle dieſe Wiſſenſchafften unnuͤtze waͤren, nein keineswegs, ſondern nur die Methode getadelt, weil jene und dieſe excediren. Denn die La - teiniſche Sprache und der Stylus nebſt Gram - matica und Logica muß auff Schulen fleißig getrieben werden, und die galanten Studia ſind nach dem Unterſchied der ingeniorum und derA a 5Lebens -378Lebens-Art, die ein jeder ſeinen Umſtaͤnden nach vermuthlich erwehlen will und ſoll, auch nicht zu verabſaͤumen. Die erſtern ziehen Leute, die ſich zu Schul-Lehrern wiederum am beſten ſchicken. Die andern aber Hoff-Leu - te und galant hommes, die gute Redner, Poe - ten, und in den politiſchen Studiis ziemlicher Maßen bewandert ſeyn. Nun werden aber nicht aus allen Schuͤlern Schul-Lehrer und auch nicht aus allen jungen Purſchen Hof-Leu - te, oder andere, die nur von der galanterie Pro - feſſion machen wollen, und ſollen, ſondern es iſt gut, wenn ſie zu allerhand expeditionen in der Welt zugebrauchen, in dem Haupt-Wer - cke gute fundamenta geleget haben und in den galanten Studiis mit darbey nicht gantz hoſpi - tes ſeyn.
§. 11. Bey der Wahl der Schul-Lehrer iſt inſonderheit in Obacht zu nehmen, daß ſolche Leute darzu genommen werden, die alle zuſam - men diejenige requiſita beſitzen, die ſie haben ſollen und von denen ein jeder ſich beſonders auff eine gewiſſe Wiſſenſchafft oder Sprache geleget, die zu Unterweiſung der ſtudierenden Jugend noͤthig iſt, weil es doch unmoͤglich, daß einer in allen excelliren kan. Alſo iſt es gut, wenn der Rector z. E. vornehmlich die Lateini - ſche Sprache und den Lateiniſchen Stylum cul -tivi -379tiviret, der Con Rector aber etwan in der teut - ſchen Oratorie und Poeſie etwas rechts ge - than: ein anderer von den Schul-Collegen in Griechiſchen und Hebraͤiſchen excelliret, noch ein anderer in Geographicis und in der Hiſto - rie das Seinige præſtiret, oder ſich auff Ma - theſin appliciret. Denn ſo koͤnnen die Schuͤler alleſamt ſo wohl in den Haupt-Studiis als auch Neben-Wiſſenſchafften, die zur Zierde und zum bene eſſe gehoͤren, unterrichtet werden, und ein jeder von ihnen erwehlet denn hernach gewiſſe privat-Stunden bey dieſem oder je - nem, nachdem er ſich ſeiner inclination oder uͤ - brigen Umſtaͤnden und Lebens-Art nach auff dieſe oder jene Wiſſenſchafft beſonders und hauptſaͤchlich legen will.
§. 12. Es waͤre an vielen Orten eine Revi - ſion und Viſitation in den Schulen hoͤchſtnoͤ - thig, weil in den meiſten gewaltige Mißbraͤuche bey Lehrenden und Lernenden eingeriſſen, die billig abgeſchafft werden koͤnten und ſolten. Vornehmlich waͤren die Schul-Ordnungen gantz und gar zu reformiren: Die Inſtructio - nes vor die Schul-Bedienten anders abzufaſ - ſen und die Lectiones gantz anders einzuthei - len, indem ſich die Zeiten von ein 30,40,50 Jah - ren her, da viele Schul-Ordnungen gemachet worden, gantz und gar geaͤndert, die Wiſſen -ſchaff -380ſchafften beſſer excoliret und in vielen Stuͤcken erleichtert worden. Manche Schul-Ord - nungen ſind noch viel aͤlter und wohl uͤber hun - dert Jahr alt. Es ſolten in den Diſciplinen, die ſie auff Schulen lehren und profitiren, an - dere Compendia, die deutlicher, leichter und gruͤndlicher abgefaßt ſeyn, zum Grunde geleget werden, es waͤren auch an vielen Orten die Stunden anders einzutheilen und andern vie - len Maͤngeln, die hier zu ſpecificiren mir zu weitlaͤufftig fallen will, noch mehr abzuhelffen. Geſchickte Lehrer erkennen ſolches wohl, ſie ſind aber einmahl auff diejenigen Statuta und Ord - nungen, die bey dieſer oder jener Schule Her - kommens und gebraͤuchlich ſeyn, angewieſen und ſtehet nicht in ihrer Gewalt, daß ſie hierin - nen ohne Vorbewuſt der Obern und ih - rer Vorgeſetzten einige Aenderung vorneh - men duͤrffen. An manchen Orten haben ſie die Erlaubniß, daß ſie bey dieſer oder jener Diſciplin, die ſie dociren, entweder die von ih - nen ſelbſt verfertigten Compendia oder auch andere Schrifften, die ſie vor convenient ach - ten, zum Grunde legen duͤrffen, an andern Or - ten hingegen ſind die Vorſteher ſo eigenſin - niſch, daß ſie ihnen nicht erlauben, daß ſie ande - re Buͤcher nehmen duͤrffen, als die in der Schu - le bißhero gebraucht worden, obgleich andere weit beſſer, leichter deutlicher und vollſtaͤndigerge -381geſchrieben ſind als diejenigen, die bißher ge - braͤuchlich geweſen.
§. 13. Der von dem allweiſen Schoͤpffer einem jeden Menſchen von Natur eingepflantz - te Trieb zu dieſer oder jener Wiſſenſchafft und Metier iſt ſonder Zweiffel die einem jeden Menſchen innerlich eingelegte vocation. Wor - zu man rechte Luſt oder Eyfer hat, darauf appli - cirt man ſich mit gantzem Ernſt, worauff man ſich rechtſchaffen applicirt, darinnen bringt man es auch ſehr weit, und faͤngt an darinnen zu excelliren. Wenn man ſich aber bey die - ſem oder jenem Metier, bey dieſer oder jener Wiſſenſchafft groſſe Meriten macht und eine ſonderbare reputation hierinnen erlangt, ſo wird man auch von andern Leuten geſucht, und man kan ſich hierdurch ſein Brod verdienen, und ſeine gantze zeitliche Gluͤckſeligkeit befoͤr - dern. Ob nun gleich dieſes Sonnen-klare Wahrheiten, ſo ſind doch einige Eltern ſo un - verſtaͤndig und einfaͤltig, daß ſie ihren Kindern nicht die freye Wahl laſſen, was ſie vor Wiſ - ſenſchafften excoliren und vor metiers ergreif - fen ſollen, ſondern einige Muͤtter prædeſtiniren ihre Kinder auch noch in Mutterleibe zu einer Profeſſion, oder obligiren ſie doch hernach wi - der ihꝛen Willen zu einem gewiſſen Metier; Da muß der Sohn ein Geiſtlicher werden, er magnun382nun einen Theologiſchen Sinn haben oder nicht, bloß deßwegen, weil ſein Herr Groß - Vater und Herr Vater Prieſter geweſen, und ſie es vor gar zu ſchoͤne halten, wenn es ſo in der Familie fortgehet; Da ſoll mancher ſtudi - ren, der doch lieber die Mouſquete auf den Bu - ckel naͤhme oder eine andere Lebens-Art ergrif - fe. Gleichwie nun gar ſelten etwas rechts draus wird, wenn einer wider ſeinen Willen ei - ne gewiſſe Handthierung oder Wiſſenſchafft excoliren ſoll, und hingegen dem gemeinen Weſen allerdings daran gelegen, daß recht - ſchaffene Leute in der Republic gezogen wer - den. Alſo ſolten die hohe Landes-Obrigkei - ten denen Eltern anbefehlen, daß ſie ihren Kin - dern die Freyheit laſſen, nach ihrem Gefallen oder nach ihrer Capacitaͤt eine Lebens-Art und Profeſſion zu ergreiffen, was ſie nur vor eine verlangen, und wider ihren Willen diejenigen, die keine natuͤrliche Inclination darzu haben, zum ſtudiren nicht zu zwingen oder auch von andern ſtudiis nicht abzuhalten.
§. 14. Ob gleich Grundgelehrte Leute hier und da zu mangeln pflegen, und eben ſo gar dicke nicht geſaͤet ſind, ſo muß man dennoch be - kennen, daß die Welt mit ſolchen, die von Stu - diis Profeſſion machen wollen, gar zu ſehr an - gehaͤufft iſt. Viele von den Bauern undBuͤr -383Buͤrgern laſſen ihre Kinder ſtudiren, damit ſie dieſelben, wenn ſie erwachſen, vor denen Sol - daten-Werbungen ſicher wiſſen moͤgen, und weil ſie glauben, daß die Studia mit lauter herr - lichen Dingen vergeſellſchafftet ſind. Die wenigſten aber dencken drauf, ob ihre Kinder einen rechten groſſen Trieb und Inclination zum ſtudiis oder auch eine ſonderliche Faͤhig - keit und tuͤchtiges Ingenium darzu haben. Die Præceptores widerrathen es denen Eltern nicht, weil es ihrem Intereſſe zuwider ſeyn wuͤrde, ſondern ſind zufrieden, wenn ſie ihr Geld bekommen. Jm uͤbrigen laſſen ſie ſich unbekuͤmmert, ob ihre Untergebenen gelehrte Leute oder ungelehrte Stuͤmper einſten abge - ben werden. Da nun viel von denen, die auf Befehl und Anrathen ihrer Eltern ſtudiren ſollen, keine rechte inclination zum ſtudiis ha - ben, ſo pousſiren ſie ſich auch nicht ſonderlich, ſondern einige von ihnen lernen gar nichts, und weil ſie ſich darneben auf keine anderen Sa - chen appliciren wollen, ſo bleiben es, dafern ſie nicht von ihren Einkuͤnfften leben koͤnnen, elen - de und verdorbene Leute; Andere lernen zwar etwas, weil es ihnen aber entweder an der rech - ten Begierde oder an Naturell zum Studiis fehlet, ſo geben auch dieſe gar ſchlechte Helden ab. Dieſemnach ſolten groſſe Herren denenRe