Nachdem ſich die Galanterien / die Moden und Welt Ma - nieren bey der heutigen Welt faſt uͤber die goͤtt - lichen und natuͤrlichen Rechte erheben wollen / und ein groſſer Theil der Menſchen ſich mehr befleißiget / ſeine Handlungen nach dem Wohlſtand und dem Gefallen der Hoͤhern einzurichten / als den Saͤtzen der Tugend-Lehre Folge zu leiſten / ſo iſt auch kein Wunder / daß ſo viel Autores von einigen Zeiten her / und ſonderlich von dem Eingang dieſes ietzigen Jahrhundert an / ſich angelegen ſeyn laſſen / mancherley hieher gehoͤrige) (2Schriff -Vorrede. Schrifften auszuarbeiten. Es iſt deren eine ziemliche Anzahl vorhanden / auch manche gute Anmerckung und Regel in denſelben anzutreffen / inzwiſchen glaub ich doch / daß die Ceremoniel-Regeln / dem Wunſch und Verlangen vieler Welt - und Staats-Leute nach / etwas accurater, ordentlicher und vollſtaͤndiger vorgetra - gen werden koͤnnen / als von andern biß - her noch nicht geſchehen. Einige von den Gelehrten haben die Regeln vom De - coro, oder von dem was zum Wohlſtand gehoͤrt / in eine zuſammenhaͤngende Ord - nung bringen wollen / ihre Saͤtze ſind aber allzukurtz und zu allgemein / und leiſten daher jungen Leuten / bey den be - ſondern in dem menſchlichen Leben vor - ſommenden Faͤllen / ſchlechten Nutzen; Andere ſind zwar ſpecieller gangen / ie - doch ihre Schrifften dienen mehr kleinen Kindern / oder denen die eine ſchlechte und rohe Auferziehung gehabt, zu eini - gen Unterricht / wie ſie ſich in dem buͤr - gerlichen Leben, bey allerhand Gelegen - heiten etwas hoͤflicher auffuͤhren ſollen / als daß ſie jungen und erwachſenen Ca -valie -Vorrede. valieren eine ſichere Anleitung ertheilten / wie ſie ſich an Hoͤfen und in der groſſen Welt manierlich zu bezeugen haben. Jn den Franzoͤſiſchen Schrifften / die von die - ſer Materie abgefaßt / findet man viel Gu - tes / aber auch zugleich unterſchiedene Maͤngel. Viele von ihren Regeln und Anmerckungen / ſind bey unſern Teut - ſchen / ob ſie gleich ziemlich Franzoͤſiſch geworden / wegen ihrer eigenthuͤmlichen Verfaſſungen und Gebraͤuche nicht an - zubringen. Von einigen Materien / als von einer manierlichen Geberdung des Geſichts und Stellung des Leibes / von einer klugen Converſation u. ſ. w. haben ſie mehr als zu ſpeciel gehandelt / von andern hingegen wenig oder gar nichts geſagt; Uber dieſes fehlet in ihren Schrifften meiſtentheils die Ordnung / ſie ſetzen den unterſchiedenen Materien keine gewiſſe Abtheilungen oder abge - ſonderte Claſſen / ſondern werffen in ih - ren Anmerckungen alles untereinander. Viele von den Frantzoſen und Teutſchen / die von der Politeſſe, von einer galanten Conduite, von einem manierlichen Um -) (3gan -Vorrede. gange u. ſ. w. Tractate verfertiget / ha - ben entweder gar nicht Gelegenheit ge - habt / diejenigen Oerter / die man vor die rechten hohen Schulen der Wohlanſtaͤn - digkeit und des Ceremoniel-Weſens hal - ten kan / zu beſuchen / oder doch nicht ſo lange / als es wohl noͤthig geweſen waͤre / ſich an denſelben aufzuhalten. Von be - ſondern Materien / als von Dantzen / von Briefſchreiben / von Complimens, von Titulaturen / vom Range u. ſ. w. haben wir Buͤcher genug / es iſt aber jungen Leuten allzu muͤhſam und weitlaͤufftig / ſich ſo viel beſondre Buͤcher anzuſchaf - fen und durchzuleſen; und uͤberdieſes / wo wollen diejenigen / die noch nicht in der groſſen Welt geweſen / die Erkaͤntniß hernehmen / zu beurtheilen / welche von den Regeln / die ſie vorgeſchrieben finden / altfraͤnckiſch oder neumodiſch / pedantiſch oder Hofmaͤßig / vernuͤnfftig / oder un - vernuͤnfftig / practicable oder nicht practi - cabel ſeyn? Von vielen andern Materien hingegen / die ebenfalls in die Ceremo - niel-Wiſſenſchafft und zu den Welt-Ma - nieren gehoͤren / findet man nirgends ei -nenVorrede. nen halben Bogen / geſchweige denn ei - gene Schrifften.
Das Verlangen meinem Naͤchſten / inſonderheit jungen Leuten / nach dem von GOtt mir mitgetheilten Maaß der Erkaͤntniß / es ſey auch ſo gering als es wolle / zu dienen / und die von dem Publi - co bißanher beſchehene guͤtige Aufnah - me meiner uͤbrigen moraliſchen Schriff - ten / haben mich angetrieben / gegenwaͤr - tige Schrifft abzufaſſen; ich habe mich hierbey bemuͤhet / die zu der Lehre des Wohlſtandes und Ceremoniel-Weſens gehoͤrigen Anmerckungen / ſo weit ſie von Privat-Perſonen in Obacht zu nehmen / ſo viel als moͤglich in forme einer Wiſ - ſenſchafft zu bringen. Ob ich nun hier - durch dem Verlangen derer / die derglei - chen Schrifft laͤngſtens gewuͤnſchet / ei - nige Genuͤge gethan / uͤberlaſſe dem Ur - theil vernuͤnfftiger und Staats-kuͤndi - ger Leute. Jn meiner Einleitung zur Klugheit zu leben / hab ich ezliche Zeilen von dieſer Materie geſchrieben / eine voll - ſtaͤndigere und weitlaͤufftigere Abhand - lung iſt einer andern Zeit / und einem an -) (4dernVorrede. dern Ort vorbehalten geweſen. Die Lehre / ſo den aͤuſſerlichen Handlungen / nach dem Gefallen der meiſten oder der hoͤchſten und vornehmſten / einig Ziel und Maaß vorſchreibet, iſt an ihren eigenen Regeln und Saͤtzen ſo reich / daß ſie bil - lich verdient vor ſich allein nach ihrem beſondern Zuſammenhang vorgetragen zu werden / und wenn man ſie mit der Lehre der Privat-Klugheit vereinigen will / ſo erwaͤchſet wegen der allzugroſſen Weitlaͤufftigkeit gewiſſe Unordnung; ich habe auch in den Jahren meiner Ju - gend / da ich die Einleitungen zur Klug - heit zu leben geſchrieben / diejenige Er - fahrung nicht gehabt / der ich durch den von GOtt mir bißhieher aus Gnaden verlaͤngerten Lebens-Termin nachge - hends theilhafftig worden. Die Re - geln / die ich dir in folgenden Blaͤttern vorſchreibe / ſind nicht aus Buͤchern zu - ſammen geſtoppelt / ſondern aus dem Umgange mit der Welt erlernet wor - den; Es ſind bey nahe ein zwantzig Jahr verfloſſen / von der Zeit / da ich mein Aca - demiſch Quinquennium in dem geliebtenLeipzigVorrede. Leipzig zuruͤck gelegt / daß ich hier und da auf dem Schauplatz der groſſen Welt / bald einen Mitſpieler / bald einen Zu - ſchauer abgeben / finde aber zu Vermey - dung des Scheines einiger Ruhmraͤ - thigkeit nicht vor noͤthig / ein mehrers hievon anzufuͤhren. Jch habe mich gar wenig frembder Schrifften bey dieſer Arbeit bedienet / auſſer daß ich aus des qualificirten Cavaliers des Herrn von Tſchirnaus Unterricht eines getreuen Hofemeiſters und des geſchickten Politici, des Hoch-Fuͤrſtlich Waldeckiſchen Hof - raths / des Herrn Nemeitz Sejour de Paris, eine und die andere Anmerckung entleh - net; ihren Regeln iſt deſto ſicherer zu trauen / weil ſie beyde große Kenner der Welt ſind. Solte es dem Herrn von Tzſchirnaus gefallen / ſeine beſondern Reiſe-Maximen / die nach dem Unterſchied der Europaͤiſchen Provintzien in Obacht zu nehmen / heraus zu geben / ſo wird ei - nen jungen Cavalier auch bey der Cere - moniel. Wiſſenſchafft durch dieſe Schrifft ein beſonder Licht aufgeſteckt werden. Von denen Franzoͤſiſchen Autoribus, die) (5ſichVorrede. ſich um das Ceremoniel-Weſen bekuͤm - mert / habe keinen zu Rath gezogen / in - dem dieſe ohnedem mehrentheils in den Haͤnden der jungen Cavaliers, außer daß ich bißweilen meine Saͤtze mit den Zeug - niſſen des beruͤhmten ehmahligen Groß - Cantzlers in Franckreich / Monſieur de Chevergny, die er in der ſeinem Sohn er - ertheilten Inſtruction vortraͤgt / befeſtiget. Er iſt ein großer Staatsmann geweſen / ſeine Regeln / ob ſie gleich nicht die neue - ſten / ſind doch hoͤchſt-vernuͤnfftig / und noch practicabel, und die wenigſten jun - gen Leute beſitzen dieſes Buch. Wo ich ſonſt aus meinem wenigen Buͤcher-Vor - rath ein und ander Buch nachgeſchla - gen / da ich theils meine Saͤtze mit eini - gen fremden vernuͤnfftigen Anmerckun - gen beſtaͤrckt / theils auch in Vorbeyge - hen ihre Fehler mit angezeiget / und ver - beſſert / hab ich iederzeit getreulich ange - fuͤhrt / auch nicht weniger gar viel in Schwang gehende Jrrthuͤmer der Men - ſchen / die die Welt-Manieren den Pflich - ten des Chriſtenthums vorziehen / auf - gedeckt / und unvermerckter Weiſe unter -ſchie -Vorrede. ſchiedene zur Erbauung dienende An - merckungen mit angebracht / ſintemahl ich der Meynung bin / daß man keine Gelegenheit unterlaſſen ſoll / wo man zur Beſſerung ſeines Naͤchſten etwas mit anbringen kan. Meine Abſicht iſt hierbey ſonderlich auf junge Cavaliere gerichtet geweſen / die ihre Kinder-Jahre verlaſſen / und nunmehr in Begriff ſind / die Hoͤfe zu beſuchen / und in die groſſe Welt zu gehen; ich habe mancherley ſpe - cielle und beſondre Faͤlle / die ſich nur er - eignen koͤnnen / hierbey vor Augen ge - habt / und mich hingegen bemuͤhet / die Regeln ſo allgemein abzufaſſen / als nur moͤglich geweſen / und ihre Ausnahmen mit dabey anzufuͤgen. Nachdem die Ce - remoniel-Regeln groſſen Theils nach dem Unterſchied der Europaͤiſchen Pro - vinzien von einander unterſchieden / ſo iſt dieſe Anleitung groͤſtentheils unſerm Teutſchland gewidmet / ich bin ein Teut - ſcher / und ſchreibe bloß vor meine Lands - Leute. Junge Leute finden in dieſer Schrifft richtige Claſſen vor ſich / dahin ſie die uͤbrigen Regeln und Anmerckun -gen /Vorrede. gen / die ſie durch eigenes Nachſinnen oder Obſerviren / und durch andern ſchrifftlichen oder muͤndlichen Unterricht erlernen / bringen koͤnnen / ich bin ver - ſichert / daß ſie manchen jungen Men - ſchen / der ſie wuͤrdiget / ſich ihres Bey - Rathes zu bedienen / gute Dienſte leiſten / und manchen Fehler / durch den er ſich ſonſt laͤcherlich wuͤrde gemacht haben / werden verhuͤten helffen. Man kan ja die Ceremoniel-Wiſſenſchafft durch eigne Erfahrung / und die Laͤnge der Zeit eben wie andre Sachen von ſich ſelbſt erler - nen / es gehet aber gar langweilig da - mit zu / uͤber dieſes kommt einem das Lehr-Geld / da man mit Schande und Schaden klug werden muß / ziemlich hoch zu ſtehen. Doch geſteh ich gar gern / daß dieſer Tractat zweyerley Art Leuten groͤſtentheils unnuͤtze ſeyn wird / einmahl denjenigen / die von Jugend auf in der groſſen Welt geweſen / eine ſehr gute Auferziehung gehabt / und mit qualifi - cirten und geſchickten Hofmeiſtern ſtets umgeben geweſen / oder von ſolchen Nach - ſinnen und Aufmerckſamkeit ſind / daßſieVorrede. ſie dasjenige / was ihnen zu beobachten noͤthig / geſchwinde vor ſich ſelbſt finden und beurtheilen lernen / und zum andern denen die von ſo ſchwachem Verſtande / und ſo einfaͤltigen Naturell, daß ſie / aller Einleitung ungeachtet / nicht die Ge - ſchicklichkeit haben / die von andern ihnen vorgetragenen Regeln zu appliciren. Jene brauchen keine Regeln / denn ſie wiſſen ſie ſchon ſelbſt / dieſen helffen kei - ne Regeln / wenn ſie auch alle Ceremo - nien-Buͤcher durchſtudirten / und aus - wendig lernten / ſo bleiben ſie nach wie vor plump und ungeſchickt. Jedoch iſt auch gewiß / daß die wenigſten jungen Leute dieſen beyden Gattungen beyzu - zehlen. Die meiſten haben eine mittel - maͤßige Auferziehung genoſſen / und ſind von ſolchem Verſtande / daß ſie zwar ohne Anleitung in dem Umgang mit der groſſen Welt / wider die Regeln des Wohlſtandes manchen Fehler begehen / hingegen aber die Regeln / die ihnen von andern gelehrt werden / gar wohl zu ap - pliciren lernen / und ſich bey einem ſchrifft - lichen oder muͤndlichen Unterricht baldzuVorrede. zu helffen wiſſen. Bediene dich dieſer Schrifft zur Befoͤrderung deiner Gluͤck - ſeligkeit / und erwarte nun mit naͤchſten meine Einleitung zur Ceremoniel-Wiſ - ſenſchafft der groſſen Herren / welche in vier Theilen die meiſten Ceremonien / ſo die hohen dieſer Welt / ſo wohl in ihren Haͤuſern als Privat-Perſonen / als auch gegen ihre Mit-Regenten und Untertha - nen bey Krieg - und Friedens-Zeiten zu beobachten pflegen / ingleichen die unter - ſchiedenen Arten der Divertiſſemens und Luſtbarkeiten / auf eine ſolche Weiſe / wie es von andern bißher noch nicht geſche - hen / vortragen / und ſo viel als moͤglich in allgemeine Regeln einſchlieſſen wird. Merſeburg den 15. April. 1728.
Der§. 1.
DJe Ceremoniel-Wiſſenſchafft lehret, wie man bey einem und dem andern, ſo in die aͤuſſerli - chen Sinnen faͤllt, ſich einer beſondern Pflicht erinnern, und uͤberhaupt ſeine Handlungen nach den Umſtaͤnden der Oer - ter, Perſonen und Zeiten ſo einrichten ſoll, wie ſie ſich zur Sache ſchicken, und nach dem Urtheil der meiſten oder vornehmſten vor wohlanſtaͤndig ge - halten werden.
§. 2. Sie wird entweder in einem weitlaͤuffti - gern oder in einem engern und eingeſchraͤncktern Verſtande genommen. Nach jener Erklaͤrung begreifft ſie eine Erzehlung der Ceremonien, die bey allen geiſtlichen und weltlichen Handlungen, unterAgroſ -2I. Theil. I. Capitul. groſſen Herren und Privat-Perſonen, unter geiſt - lichen und weltlichen, zu Krieges - und Friedens - Zeiten, in Ernſt und Schertz, unter gelehrten und ungelehrten, unter klugen Leuten und unter Narren vorgehen, ſie bemuͤhet ſich den Grund von dieſem oder jenem zu entdecken, die nach dem Unterſchied der Zeiten veranlaſten Veraͤnderungen zu zeigen, mancherley Gebraͤuche in parallel mit einander zu ſtellen, was dabey vernuͤnfftig oder unvernuͤnfftig, tugendhafft oder laſterhafft anzufuͤhren, und die Regeln nach dem neueſten Gebrauch abzufaſſen. Nach einem engern Begriffe traͤgt ſie, in Anſehung mancher geiſt - und weltlichen Sammlungen, in ſo weit ſie in die aͤuſſerlichen Sinnen fallen, einige allgemeine Lehr-Saͤtze vor, weiſet hin und wieder den Grund von dieſem oder jenem Gebrauch, und ertheilt Reguln der Klugheit, was bey den aͤuſſerli - chen Handlungen zu beobachten, damit man ſich den Willen derer, mit denen man umzugehen hat / und ſonderlich der hoͤhern gleichfoͤrmig und gefaͤl - lig erweiſe, und vernuͤnfftige Leute von uns urthei - len, daß wir unſere Handlungen manierlich und wohlanſtaͤndig verrichten.
§. 3. Die Ceremoniel-Wiſſenſchafft bekuͤm - mert ſich entweder um geiſtliche Handlungen oder um weltliche. Jene ſchreibet den aͤuſſerlichen Got - tesdienſt Ziel und Maße vor, und lehret wie wir uns dieſes oder jenen aͤuſſerlichen Zeichens zur Er - weckung und Befoͤrderung des innern Gottesdien - ſtes bedienen ſollen; dieſe aber beſtimmet die welt -lichen3Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. lichen Handlungen, und theilt ſich weit ab in die Staats-Ceremoniel-Wiſſenſchafft und in die Privat-Ceremoniel-Wiſſenſchafft. Jene giebet ſo viel als moͤglich allgemeine Lehr-Saͤtze, in Anſe - hung der Handlungen, die unter groſſen Herren vorfallen, dieſe aber regulirt die Handlungen der Privat-Perſonen, und zeiget den Wohlſtand der dabey in Obacht zu nehmen.
§. 4. Es iſt dieſe Lehre ein Stuͤck mit derjenigen Wiſſenſchafft, ſo ſich um das Thun und Laſſen der Menſchen bekuͤmmert, und alſo gienge es endlich wohl an, daß man ſie bey Abhandlung des allge - meinen buͤrgerlichen Rechts, oder der Politica und Klugheit zu leben, mit vortruͤge, ich halte aber doch davor daß es um der Ordnung willen und zu Ver - meidung allzugroſſer Weitlaͤufftigkeit, beſſer ſey, wenn man ſie ins beſondere abhandelt, da zudem die Tugend-Lehre, die Lehre von der Klugheit zu leben und die Ceremoniel-Lehre, wenn man ſie recht genau betrachtet, ihre eigne Grentzen haben. Die Tugend-Lehre zeiget uͤberhaupt die Pflichten, die man zu Befoͤrderung der wahren Gluͤckſeligkeit, dem groſſen GOtt, ſeinem Naͤchſten und ſich ſelbſt zu leiſten ſchuldig, weiſet aber eben nicht ins beſon - dere die Regeln und Handgriffe, wie man auf eine zulaͤßige Weiſe ſich durch ſeine Handlungen man - cherley Nutzen zuwege bringen, und einigen Scha - den abwenden ſoll. Die Politica oder die Klugheit zu leben bewerckſtelliget dieſes letztere, und giebet Cautelen, wie man auf eine bequeme Weiſe ſeinA 2Inter -4I. Theil. I. Capitul. Intereſſe befoͤrdern ſoll. Die Ceremoniel-Wiſ - ſenſchafft ſondert ſich von den beyden vorherge - henden in folgenden Stuͤcken ab. Zum erſten leh - ret ſie gewiſſe Handlungen, die der Tugend-Lehre und der Klugheit zu leben, gantz und gar unbekannt. Zum andern giebet ſie bey gewiſſen Pflichten, dar - um ſich jene auch bekuͤmmern, etwas ſpeciellere Regeln, da jene bey den allgemeinen ſtehen blei - ben. Zum dritten erwehlet ſie vornehmlich den Beyfall der meiſten oder der vornehmſten Leute zu ihrer Abſicht. Wer die Pflichten der Tugend - Lehre beobachtet, wird mit Recht ein ehrlicher red - licher Mann oder ein honet homme, nach dem Frantzoͤſiſchen, genannt: wer den Maximen der Po - litique folget, heiſt ein verſchlagner, ein geſchickter, ein weltkluger Mann, und wer ſich in das Cere - moniel-Weſen wohl zu ſchicken weiß, wird als ein galant homme, ein politiſch - und manierlicher Menſch geruͤhmt.
§. 5. Vielleicht koͤnte man die Ceremoniel - Wiſſenſchafft kurtz beſchreiben, wenn man ſagte, ſie ertheilte Regeln, wie man ſich in der Welt ga - lant auffuͤhren ſolte; doch dieſes waͤre etwas un - deutlich, es haben die meiſten, die von lauter Ga - lanterien reden, dunckele Begriffe dabey, und wiſ - ſen ſich dißfalls nicht deutlich zu erklaͤren. Jnſon - derheit iſt, nach dem Ausſpruch des Engliſchen Spe - ctateurs der weiblichen Einbildungs-Krafft, nichts weiter dazu noͤthig, als ein wohlgeſtallter Leib, eine ſchoͤne Farbe des Angeſichts, eine ſchoͤne Peruque,ein5Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. ein Hemde mit Spitzen, ein geſticktes Kleid und ein Feder-Buſch. Nur einige unter dieſen ſchoͤnen Eigenſchafften machen die Sache aus, und der Schneider, der Peruquenmacher und die Lein - wand-Kraͤmerin ſind es, welche einen ſolchen uͤber die gemeine Art erhobnen Menſchen erſchaffen, und zu einen galant homme gemacht. ſiehe Ernſt Lud - wigs von Faramund Mentor p. 334.
§. 6. Einige Frantzoſen als Monſieur Vaugelas und Coſtar ſagen: die Galanterie ſey etwas ge - miſchtes, ſo aus dem je ne ſcay quoy, aus der gu - ten Art etwas zu thun, aus der Manier zu leben, ſo am Hofe gebraͤuchlich iſt, aus Verſtand, Gelehr - ſamkeit, gutem Judicio, Hoͤflichkeit und Freudig - keit zuſammen geſetzt werde, dem aller Zwang, af - fectation und unanſtaͤndige Plumpheit zuwider ſey. Andere ſagen: die wahre Politeſſe oder Ga - lanterie beruhe darinnen, daß man wohl und an - ſtaͤndig zu leben, auch geſchickt und zu rechter Zeit zu reden wiſſe, daß man ſeine Lebens-Art nach dem guten Gebrauch der vernuͤnfftigen Welt richte, niemand einige Grobheit und Unhoͤflichkeit erweiſe, den Leuten niemahls dasjenige unter Augen ſage, was man ſich ſelbſt nicht wolle geſagt haben; daß man in Geſellſchafften das groſſe Maul nicht allein habe, und andre kein Wort aufbringen laſſe, bey Frauenzimmer nicht zwar ohne Rede ſitzen, als wenn man die Sprache verlohren haͤtte, oder das Frau - enzimmer nicht einigen Wortes wuͤrdig achte, hin - gegen auch nicht allzu kuͤhn ſey, und ſich mit ſelbi -A 3gen,6I. Theil. I. Capitul. gen, wie gar vielfaͤltig geſchicht, zu gemein mache. ſiehe Thomaſii Diſcours von Nachahmen der Fran - tzoſen. Noch andere erklaͤren die Galanterie durch eine Faͤhigkeit, den Strohm in der Welt nachzu - ſchwimmen, und ſich politiſcher Weiſe in mancher - ley Geſtalten zu verwandeln. ſiehe 77. Maxime von Gracians Oracul und Herrn D. Muͤllers Anmer - ckungen. Jch glaube daß man die Galanterie am beſten erklaͤren kan, durch eine Geſchicklichkeit bey ſeinem aͤuſſerlichen Weſen, den meiſten oder doch den vornehmſten, zu gefallen.
§. 7. Die Liebe zur Galanterie, erſtreckt ſich nicht allein auf mancherley buͤrgerliche Handlungen, ſon - dern ſie iſt auch biß in die Wiſſenſchafften und die Gelehrſamkeit eingedrungen. Vielen iſt mehr an der galanten, als an der ſoliden Gelehrſamkeit gele - gen. Es beſtehet aber die galante Gelehrſamkeit darinnen, daß man ſich vornehmlich diejenigen Wiſſenſchafften bekandt mache, die zu der Zeit bey den Hof - und Welt-Leuten in beſondern Credit ſte - hen, und aus mancherley andern Wiſſenſchafften das artigſte heraus leſe, dadurch das Gemuͤthe mehr beluſtiget, in angenehme Verwendung geſetzt, als mit allzuſauern und muͤhſamen Nachſinnen be - ſchwehret werde, und daſſelbe zu rechter Zeit und an rechten Ort anbringen lerne. ſiehe hiervon mit mehrern die Anmerckungen des Herrn D. Muͤllers uͤber die XXII. Maxime von Balthaſar Gracians Oracul.
§. 8. Die Lehre von den Ceremonien-Weſen,beru -7Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. beruhet auf lauter Menſchen-Satzungen, und alſo beſtehen ihre Regeln nach der Beſchaffenheit des Verſtandes und des Willens, derer die ſie erfunden, oder ihnen Beyfall geben, aus ſolchen Saͤtzen, die theils vernuͤnfftig und tugendhafft, theils unver - nuͤnfftig und laſterhafft, theils aber auch als unſchul - dige und gleichguͤltige anzuſehen. Gebrauchten ſich die Menſchen ihrer Kraͤffte des Verſtandes und Willens auf die Weiſe, wie ſie ſich wohl derſel - ben gebrauchen ſolten und koͤnten, ſo wuͤrden die Ce - remonien und Gebraͤuche alle ihren Grund haben, ſie wuͤrden mit der Tugend-Lehre, mit dem natuͤrli - chen Recht und mit der Lehre der Klugheit, vollkom - men koͤnnen moniren, und die Menſchen wuͤrden auch bey ihren aͤußerlichen Handlungen jederzeit das beſte und vollkommenſte erwehlen. Nachdem aber der groͤſte Theil der ſterblichen, und auch viele von den hoͤhern, mehr ihren Vorurtheilen und Be - gierden, als den Lehren der geſunden Vernunfft Fol - ge leiſten ſo iſt auch kein Wunder, daß viel thoͤrich - te und ſuͤndliche Gebraͤuche und Ceremonien auf - gekommen, und in Ubung erhalten werden.
§. 9. Der Unterſcheid unter denen Ceremonien und Gebraͤuchen, iſt nicht ſo gar leicht anzuzeigen, und ziemlich ſubtil; jedoch halt ich davor, daß ſie ſich auf folgende Weiſe von einander abſondern. Eine Ceremonie iſt eine gewiſſe Handlung, dadurch, als ein Zeichen, etwas gewiſſes angedeutet wird, und entweder denjenigen ſelbſt, der die Ceremonie vor - nimmt, oder mit denen ſie vorgenommen wird, oderA 4auch8I. Theil. I. Capitul. auch wohl nach Gelegenheit die Zuſchauer und Zu - hoͤrer einer gewiſſen Pflicht erinnern ſoll. Ein Ge - brauch aber iſt die Art und Weiſe einer gewiſſen aͤuſ - ſerlichen Handlung, die an dieſem oder jenem Or - te, zu dieſer oder jener Zeit, von den meiſten oder von den vornehmſten, vor gut befunden, und von den andern, die ſich deren Willen der meiſten oder der vornehmſten gefaͤllig erzeigen wollen, nachgerechnet wird. Zu Erfindung der Ceremonien hat mehr Witz gehoͤret, und hat man dabey auf einen guten oder doch auf einigen Grund geſehen, da hingegen viel Gebraͤuche ohne Raiſon, bloß durch den Willen der Menſchen, entſtanden. Da es bey Abhand - lungen dieſer Materie keinen Jrrthum abgeben wird, ſo will ich mir in dieſer Schrifft, ſo wohl als meine Vorgaͤnger, die Freyheit nehmen, die Cere - monien und Gebraͤuche vor einerley zu halten, und mich bald dieſen, bald jenen Wortes bedienen.
§. 10. Die Lehre von den Gebraͤuchen, hat bey nahe ein gleiches Alter mit dem menſchlichen Ge - ſchlecht. So bald einige Gemeinden entſtanden, und mancherley buͤrgerliche Handlungen unter - nommen worden, ſo bald hat man angefangen ei - nigen aͤußerlichen Handlungen eine gute Weiſe zu geben, die vor wohlanſtaͤndig gehalten worden, man hat angefangen, durch dieſes oder jenes aͤußer - liche Zeichen, andere gewiſſer Pflichten zu erinnern, nicht weniger hat man ſich angelegen ſeyn laſſen die - jenigen, die man entweder wegen ihrer Macht ge - fuͤrchtet, oder wegen ihrer Vollkommenheiten, dieman9Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. man ihnen beſonders zugeſchrieben, hochgeſchaͤtzt, nachzuahmen, und ſich bey ſeinen Handlungen nach ihren Willen zu richten.
§. 11. Wie ſich der groſſe GOtt ſelbſt Muͤhe ge - geben, ſeinem damahls auserwehlten Volck, der Juͤdiſchen Nation, ſo wohl in Anſehung mancherley weltlichen als geiſtlichen Handlungen, gewiſſe Ce - remonien vorzuſchreiben, und ſie zu deren Beob - achtung anzuhalten, finden wir ſonderlich in dem II. III. IV. und V. Buch Moſis. Nun koͤnnen wir zwar nicht den Grund von allen dieſen Ceremonien anzeigen, es iſt aber kein Zweifel, die ſelbſtſtaͤndige Weißheit werde alles auf das weißlichſte angeord - net haben. Mancher will uns von dieſen Gebraͤu - chen, aus Mangel unſrer Erkaͤnntniß, beſonders frembd und wunderlich anſcheinen, weil uns die ei - gentliche Beſchaffenheit der damahligen Juͤdiſchen Republic nicht ſo vollkommen bekandt, als wohl zu Beurtheilung alles dieſen von noͤthen waͤre; je mehr wir aber den Juͤdiſchen Alterthuͤmern nachforſchen, und ſonderlich ihrer kuͤnfftigen, auf den Heyland JEſum Chriſtum, abzielenden Vorbedeutung nach - fragen, je groͤßer Licht erlangen wir, es iſt auch wohl gewiß genung, der theure GOttes-Mann Moſes werde den Juͤdiſchen Volck manches deut - lich gantz muͤndlich erklaͤret haben, welches der Geiſt GOttes durch ihn nicht aufzeichnen laſſen.
§. 12. Unſer Ceremoniel-Weſen iſt nach dem Unterſchied der Laͤnder unterſchieden, und ſind in dieſem oder jenem Lande mancherley Gebraͤuche, dieA 5in10I. Theil. I. Capitul. in einem andern gantz unbekandt. Alſo ſind in Franckreich und Jtalien, wo ſie die Camine haben, mancherley Maximen und Regeln eingefuͤhrt, z. E. daß nur den vornehmſten zuͤkaͤme, daß Feuer zu ſchuͤrren, daß man in die Camin-Feuer nicht ſpucken duͤrffe, und ſo welche ſich auf die Laͤnder, wo die Oefen in Gebrauch, nicht appliciren laſſen. ſiehe curioſi Aletophili Tractat de moribus ac ritibus aulicis, p. 123. Wenn ſich die Ceremonien mehr auf die Vernunfft, und das allgemeine Recht der Natur gruͤndeten, als auf den Willen der Men - ſchen, ſo wuͤrden ſie allgemeiner ſeyn, wiewohl es doch nicht moͤglich waͤre, daß ſie allenthalben auf einerley Weiſe koͤnten determiniret werden, ſinte - mahl das Clima, die Lufft, das Erdreich, die Lan - des-Fruͤchte, die unterſchiedenen Humeure der Na - tionen, bey dem Unterſchied vieles mit wuͤrcken helf - fen. Um dieſer Urſache willen ſind bey den Bauern, bey der Kleidung, im Eſſen und Trincken, und ſo in den heißen Mittags-Laͤndern, mancherley Gebraͤu - che, anders als in dem gefrohrnen Norden. Uber - diß wo iſt auch wohl eine ſolche Einigkeit unter groſ - ſen Herren, oder eine ſo allgemeine Liebe unter den andern anzutreffen, daß ſie ſich ſolten gefallen laſ - ſen, das meiſte, was andere vor gut befunden, ohn Unterſcheid anzunehmen?
§. 13. Der Unterſcheid der Religionen, bringt ebenfalls nicht allein bey dem Gottesdienſt, ſondern auch bey den weltlichen Handlungen, nicht ſelten ei - nen Unterſcheid zuwege. Alſo wird unter den Roͤ -miſch -11Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. miſch-Catholiſchen, nach Veranlaſſung ihrer Re - ligions-Saͤtze, das Ceremoniel gar oͤffters gantz anders reguliret, als unter den Evangeliſch-Lutheri - ſchen. Viel Gebraͤuche ſind auch, nach den Unter - ſchied der Hoͤfe in Teutſchland, von einander unter - ſchieden, denn der Wille des Landes-Herrn und der vornehmſten im Lande, die aber gar oͤffters von gar ungleichen Gemuͤthern, geben dem Ceremo - niel-Weſen ſein gantzes Leben. Was an dieſem Hofe vor einen Wohlſtand gehalten wird, iſt an jenem vor einen Ubelſtand anzuſehen. Es begehen daher manche Leute, die ſich ſonſt in ihrer uͤbrigen Auffuͤhrung gantz vernuͤnfftig bezeigen, einen Feh - ler, und machen ſich laͤcherlich, wenn ſo die Gebraͤu - che, die an dieſem Hofe, oder bey gewiſſen Miniſtris eingefuͤhrt, ohn Unterſcheid auf andre appliciren wollen.
§. 14. Unſere teutſchen Gebraͤuche ſondern ſich nicht allein in viel Stuͤcken von den Sitten der an - dern Europaͤiſchen Voͤlcker ab, ſondern ſie ſind auch nach dem Unterſcheid der Provintzen in Teutſchland einander ungleich und unaͤhnlich. Alſo iſt das privat-Ceremoniel-Weſen bey einigen Puncten anders in Ober-Sachßen, als in Nieder-Sachßen, und hinwiederum anders in Schleſien, als in Oe - ſterreich. Ja was will ich von dem Unterſcheid der Laͤnder gedencken, ſind doch die Gebraͤuche in einem eintzigen Lande nach dem Unterſcheid der Oerter von einander unterſchieden. Wenn man ein gantz Land ausreiſet, und ſich an jedem Orte nach ſpe -ciel -12I. Theil. I. Capitul. ciellen Dingen erkundiget, ſo findet man unter Edel - leuten, Buͤrgern und Bauern, bey dieſer oder jener oͤffentlichen Handlung, mancherley unterſchiedene Gebraͤuche, die bißweilen zwar einander aͤhnlich, bißweilen aber auch gantz und gar ungleich ſind.
§. 15. Die gantze Verfaſſung unſers Ceremo - niel-Weſens, beſteht theils aus ſehr alten und be - ſtaͤndigen, theils aus gantz neuen und veraͤnderli - chen, theils aus heydniſchen theils aus chriſtlichen, theils aus frantzoͤſiſchen und auswaͤrtigen, theils aus einheimiſchen, theils aus uͤberfluͤßigen, thoͤrich - ten und laſterhafften, theils aber auch aus noͤthigen, vernuͤnfftigen und loͤblichen Gebraͤuchen, welches ich in folgenden etwas weitlaͤufftiger erklaͤren will.
§. 16. Manches iſt ſehr alt, und durch eine be - ſtaͤndige Nachahmung von den grauen Vorfahren auf die Nachkommen gebracht worden. Solte man einen und andern Gebrauch aus den Alter - thuͤmern unterſuchen, ſo wuͤrde man finden, daß manche Ceremonie ſich nicht allein von einigen Seculis herſchreiben, ſondern auch uͤber tauſend Jahr alt ſey, und von den aͤlteſten Ebraͤern, biß auf unſere jetztlebenden Mit-Bruͤder gedrungen. Doch machen dieſe in Anſehung der andern, die ſich von Zeiten zu Zeiten veraͤndert, den kleinſten Theil aus. Viele von unſern Gebraͤuchen, haben in der gegenwaͤrtigen Zeit eine gantz andere Geſtalt ge - wonnen, als ſie vor ein paar Seculis, oder vor einem Jahr-Hundert hatten, und wenn man ſich in denteutſchen13Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. teutſchen Geſchichten ein wenig umſiehet, ſo findet man, daß eine Zeit von zehn bis zwoͤlff Jahren nicht ſelten bey denen Ceremoniel-Weſen, bey ei - nem und andern Punct, eine Veraͤnderung zu ver - anlaſſen pflegt; Durch die Liebe zur Veraͤnderung, iſt man auf viel thoͤrichtes gefallen, und hat man ei - niges in jetzigen Zeiten auf eine ſo hohe Spitze ge - trieben, daß es faſt nicht moͤglich, daß man etwas zuſetzen kan.
§. 17. Daß ſich manches von unſern heutigen teutſchen Gebraͤuchen, noch aus den Heydenthum herſchreibe, iſt eine Sonnen-klare Wahrheit, ob es gleich denen, die in den Geſchichten der alten Heyden unerfahren, etwas fremde anſcheinen moͤchte. Wer ſich die Muͤhe giebt, viele von un - ſern Ceremonien mit den Sitten der Heydniſchen, Griechen und Roͤmer en parallel zu ſtellen, der wird in vielen Stuͤcken eine groſſe Aehnlichkeit wahrnehmen. Viele Gebraͤuche bey unſern Ga - ſtereyen oder vielmehr bey unſern Freſſen und Sauffen, ſind heydniſch, manche von unſern Luſt - barkeiten und Divertiſſements bey Hochzeiten, bey Dantzen, Comœdien, Operen, haben wir groſ - ſen theils von den heydniſchen Roͤmern gelernt. Wie wir[nun] in vielen Stuͤcken heydniſch leben, ſo iſt auch bey unſerm Tode, bey der Betraurung und bey den Leich-Proceſſionen der Unſrigen, manches heydniſche Weſen, ſo theils von den Griechen und Roͤmern, theils auch von unſern alten teutſchen Vorfahren abſtammt, anzutreffen. Jnzwiſcheniſt14I. Theil. I. Capitul. iſt die Guͤte des Hoͤchſten zu preiſen, daß der helle Glantz des Evangelii die dicken Nebel der heydni - ſchen Jrrthuͤmer, die manche Handlungen unſrer Vorfahren bedruͤckt hielten, vertrieben; Es iſt zu wuͤnſchen, daß wir ſo begierig werden moͤchten, die Sitten der erſten Chriſten, in ſo weit ſie ſich vor un - ſere Zeiten und vor unſere Verfaſſung ſchicken, nachzuahmen, als unſere Vorfahren eifrig genug manche Gebraͤuche von den heydniſchen Roͤmern ſich zuzueignen.
§. 18. Unſere teutſche Nation ſtehet zwar von ei - nigen Jahr-Hunderten her bereits in dem Ruff, daß ſie ſich mehr um das auswaͤrtige als um das einhei - miſche zu bekuͤmmern pflege, und fremde Gebraͤuche lieber nachahme, als daß ſie ſelbſt drauf bedacht ſeyn ſolte, bey ihnen und durch ſie etwas Gutes zu finden, es iſt aber doch kein auswaͤrtig Land bey ih - nen zu ſolchen Anſehen und zu ſolcher Hochachtung gekommen, ob wohl zu thren groͤſten Schaden, als Franckreich. Jch will hier nicht diejenigen Kla - gen, die andre deswegen angeſtimmt, wiederhohlen, ſondern nur gedencken, daß von einigen Seculis her, da die Mode Touren unſerer jetzigen Paſſagierer auf - gekommen, unſere teutſche Gebraͤuche ſich mehr als die Helffte in Frantzoͤſiſche verwandelt; es iſt faſt nicht eine eintzige Haupt-Claſſe, der zum Ceremo - nien-Weſen gehoͤrigen Handlungen anzutreffen, die nicht aus Franckreich ihre Vorſchrifft hohlen ſolte, weil die Vornehmſten unter uns in den Ge - dancken geſtanden, Franckreich ſey diejenige hoheSchule15Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. Schule, auf welcher man die Regeln des Wohl - ſtandes, der beyden aͤuſſerlichen Handlungen in Obacht zu nehmen, am beſten erlernen koͤnte.
§. 19. Nachdem die Frantzoſen gemerckt, daß ſo wohl andere Voͤlcker, als inſonderheit die Teut - ſchen, die Regeln der Galanterie und des Wohl - ſtandes von ihnen zu erlernen, begierig, ſo haben ſie ſich vor andern angelegen ſeyn laſſen, eine ungeheu - re Menge Schrifften, die von der Politeſſe, von der Galanterie, von der Hoͤflichkeit, von einer guten Auffuͤhrung, u. ſ. w. handeln, heraus zu geben. Es iſt nicht zu leugnen, daß viel Gutes darinnen enthal - ten, wenn man aber ihre Regeln auf die Probe ſtellt, ſo findet man, daß ſie ſich nicht in allen Stuͤcken auf unſre teutſche Verfaſſung wollen appliciren laſſen. So wenig als die auslaͤndiſche Geſetze ohn Unter - ſcheid auf Teutſchland paſſen, ſo wenig ſchicken ſich auch alle Maximen und Regeln der fremden Voͤl - cker, die ſie von den Wohlſtand ertheilen, auf unſere teutſchen Gebraͤuche und Verfaſſung. Es laͤſt daher auch gar wunderlich, wenn einige von unſern teutſchen Paſſagirern dasjenige, was ſie in Franck - reich geſehen oder gethan, alſobald in Teutſchland appliciren wollen, und bey ihrer Zuruͤckkunfft Lehr - meiſter abgeben, andern Leuten lauter Frantzoͤſiſche Gebraͤuche beyzubringen.
§. 20. Ob ſich nun wohl vieles von unſern Ce - remonien-Weſen nach dem Frantzoͤſiſchen regu - lirt, und ſeinen Urſprung aus Franckreich herleitet, ſo haben demnach auch manche einheimiſche Sittenſo16I. Theil. I. Capitul. ſo viel Krafft behalten, daß ſie von den auswaͤrti - gen nicht haben koͤnnen verdrungen werden; es ſchei - net auch, daß unſere Lands-Leute ſonderlich von dem Eingange dieſes jetzigen Jahr-Hundert her mehr als unſere Vorfahren angefangen zu erlernen, daß man dasjenige, was zum Wohlſtande und zum Ce - remoniel-Weſen gehoͤrt, in Teutſchland ſo wohl lernen koͤnne, als in Franckreich. Wir haben in Teutſchland eben ſo geſchickte Kuͤnſtler und Manu - facturier, die alles, was zur Galanterie gehoͤrt, ſo wohl angeben und verfertigen koͤnnen, als in Franck - reich, es fehlet uns nicht an geſchickten Exercitien - Meiſtern, welche die jungen Leute zu einer beſon - dern Geſchicklichkeit der Glieder, und wohlanſtaͤn - digen Geberden zu diſponiren wiſſen, viele von un - ſern Rectoribus auf Schulen, und Profeſſoribus auf Univerſitæten, ſind keine ſolche Orbilii und Schul-Fuͤchſe, als wie in denen vorigen Zeiten, (ob es gleich hin und wieder an ſchmutzigen Gelehr - ten auch nicht fehlt,) ſondern galant hommeur, die jungen Leuten bey ihrer wohlanſtaͤndigen Auffuͤh - rung mit einem guten Exempel vorgehen, und bey dem Vortrag ihrer Morale, auch diejenige Lehre, die von der Wohlanſtaͤndigkeit der Sitten handelt, mit verbinden; inſonderheit aber, welches ich vor allen andern zuerſt haͤtte erwehnen ſollen, pranget unſer Teuſchland allenthalben mit ſolchen Koͤnigli - chen, Churfuͤrſtlichen, Fuͤrſtlichen u. Reichs-Graͤfl. Hoͤfen, denen qualificirte Regenten und Haͤupter vorſtehen, und die mit geſchickten und manierlichen Hof-Leuten angefuͤllt.
§. 21.17Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh.§. 21. Da ſich die Ceremonien aus dem Ge - hirne menſchlicher Erfindungen herſchreiben, ein großer Theil der Menſchen aber mehr der Einbil - dung folget, als der Vernunfft, mehr den Begier - den, als einem regelmaͤßigen Willen, ſo kan man leicht glauben, daß ſich mancherley uͤberfluͤßig, un - vernuͤnfftig und laſterhafft Zeig dabey eingefloch - ten; Ob ſich gleich große Herren angelegen ſeyn laſſen, mancherley thoͤrichte und ſchaͤdliche Gebraͤu - che bey ihren Unterthanen je mehr und mehr abzu - ſchaffen, und dieſelben durch Landes-herrliche Man - date zu verbiethen, ſo bleiben derer dennoch gnug uͤbrig; die Zeit hat manche Thorheiten oͤffentlich privilegirt, hohe Landes-Obrigkeiten erfahren nicht alles, was bey ihren Unterthanen in dieſem Stuͤck vorgehet, es iſt vielen Leuten wegen ihres Intereſſe dran gelegen, daß ſolche Maniren und Gebraͤuche erhalten werden, und wer in das Weſpen-Neſt ſtoͤhren will macht ſich allzuſehr verhaßt, und alſo bleibet ſo wohl in dieſem Stuͤck, als in andern man - che Thorheit und manch Laſter in viridi obſer - vantia.
§. 22. Wenn man nun bedenckt, daß unſer Ce - remonien-Weſen aus ſo mancherley alten und neuen, auswaͤrtigen und einheimiſchen, klugen und einfaͤltigen, guten und boͤſen Maximen und Saͤtzen beſtehet, von der Opinion der Menſchen beherrſcht wird, nach dem Unterſcheid der Laͤnder und der Oer - ter unterſchieden, und von Zeit zu Zeit, der Veraͤn - derung unterworffen, ſo moͤchte einem faſt die LuſtBver -18I. Theil. I. Capitul. vergehen, ſolches in Ordnung zu bringen, gewiſſe Saͤtze, die ſonſt gar nicht zuſammen haͤngen, mit einander zu verknuͤpffen, und allgemeine Regeln hie - von zu ertheilen. Die Vorſtellung dieſer Schwuͤ - rigkeit hat manche abgehalten, daß ſie ſich an die Ceremoniel-Wiſſenſchafft nicht manchen wollen. Wer aber nach Wahrheit und Ordnung ſtrebet, und gelernt hat, das wahre von dem falſchen, und das gute von dem boͤſen zu unterſcheiden, auch die Regeln einer ordentlichen Lehr-Art in Kopff hat, wird auch hierbey den Muth nicht ſincken laſſen.
§. 23. Die gantze Lehre, welche den aͤußerlichen Handlungen eine gewiſſe Weiſe vorſchreibet, leitet ihren Urſprung aus der Welt-Weißheit, und gruͤn - det ſich auf die geſunde Vernunfft. Ob nun ſchon nicht alles, was die Vernunfft erkannt, davon ange - nommen worden, bißweilen auch wohl das Gegen - theil davon in groͤßern Werth und Anſehen, ſo hat doch die Welt manches davon beybehalten; Jn ſo weit nun dergleichen Regeln vernuͤnfftig, in ſo weit ſind ſie auch allgemein, und behalten ihre Krafft an allen Orten, und zu allen Zeiten. Durch die Ce - remoniel-Wiſſenſchafft wird man geſchickt, man - che gute Gebraͤuche, die noch nicht bekannt worden, zu erfinden. Viel Ceremonien ſind dem natuͤrli - chen Recht nicht zuwider, ob ſie ſchon nicht unmittel - bahr daraus herflieſſen, inzwiſchen ſind ſie doch faſt allgemein, und bey dem hoͤchſten und vornehmſten in Obſervanz, ſie moͤgen ſich im uͤbrigen aus dieſem oder jenem Seculo, aus dieſem oder jenem Landeher -19Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. herſchreiben. Es iſt demnach moͤglich und nuͤtzlich dergleichen zu ſammlen, und ſie jungen Leuten, als Regeln, vorzuſchreiben. Sind gleich einige Cere - monien nach dem Unterſcheid der Oerter unter - ſchieden, ſo muß man doch einen Unterſcheid ma - chen unter dem Haupt-Werck der Ceremonie, und unter einen und andern kleinen Neben-Um - ſtaͤnden. Die Haupt-Handlungen bleiben in Teutſchland meiſtens uͤberein, und koͤnnen auch da - her in Regeln gebracht werden, die beſondern Um - ſtaͤnde aber kan ſich einer an einem jeden Orte gar bald bekandt machen. Eine gleiche Beſchaffen - heit hat es, wenn die neuen Zeiten bey dieſem oder je - nem einen neuen Zuſatz, oder ſonſt einige Veraͤnde - rung zu Wege bringen. Die teutſchen Geſetze haben ebenfalls nicht an allen Orten einerley Ge - ſtalt, und erleiden auch durch die Zeit ihren Wech - ſel, und inzwiſchen iſt es doch gar wohl moͤglich, daß man die Lehre von den teutſchen Geſetzen ſyſtema - tiſch vorſtellen kan. Bey den Gebraͤuchen, die noch aus den eißgrauen Alterthum ihren Urſprung her - hohlen, bemuͤhet ſich dieſe Wiſſenſchafft, durch Huͤlffe der Geſchichte, ſo viel moͤglich, den Grund her - zuhohlen, und zu zeigen, was zuerſt die Gelegenheit dazu gegeben; Man kan zwar bey dieſer Arbeit nicht allenthalben nach Wunſch fortkommen, und trifft bey einer Wiſſenſchafft der Ausſpruch eines Roͤmiſchen Geſetzes ein, daß man nicht von allen, was von den Vorfahren verordnet worden, Raiſon geben koͤnte. So iſt es bey dem Ceremoniel-Weſen;B 2Sinte -20I. Theil. I. Capitul. Sintemahl unſere Vorfahren die Geſchichte viel zu unvollſtaͤndig beſchrieben, als daß ſie den Grund aller Gebraͤuche mit angefuͤhrt haͤtten, inzwiſchen kan man doch bißweilen aus den Antiquitæten die Raiſon entdecken. Hat man ſie entdecket, ſo hat man mancherley Nutzen davon zu erwarten. Manche Handlung, die einem jetzund einfaͤltig und unvernuͤnfftig anſcheinet, wird einem vernuͤnfftiger werden, wenn man weiß, was ſie zu bedeuten habe, und warum ſie angegeben und vorgeſchrieben wor - den, man wird am beſten unterſcheiden koͤnnen, ob dieſes oder jenes aus dem Heydenthum oder Pabſt - thum noch herfließt, und von was vor einer Nation ſie bis auf uns gebꝛacht woꝛden, und daher am faͤhig - ſten werden, zu beurtheilen, ob ſie bey uns applica - bel ſey oder nicht, man wird auch nachgehends hie - durch wahrnehmen, daß manche Ceremonie, die jetzund in treflichem Credit und Anſehen, einen theils laͤcherlichen, theils auch wohl gar ſchaͤndlichen Ur - ſprung habe.
§. 24. Daß der Ceremoniel-Wiſſenſchafft er - laubet ſey, ohne Abbruch der Wahrheit und Tu - gend, und ohne ſich einen allzu groſſen Haß uͤber den Halß zu laden, ſolche Saͤtze den aͤußerlichen Weſen der menſchlichen Handlungen vorzuſchreiben, die aus der Vernunfft und Tugend fließen, oder doch derſelben nicht zuwider ſind, iſt wohl eine ausge - machte Sache. Nachdem wir aber aus den 21. §. wiſſen, daß die Welt viel alberne, ſuͤndliche und la - ſterhaffte Gebraͤuche eingefuͤhrt, und manchen thoͤ -rich -21Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. richten und gottloſen Regeln, die ſie unter ſich gelten laͤſt, mehr Folge leiſtet, als den goͤttlichen Wahr - heiten, ſo fragt ſichs, was man mit denſelben anfan - gen ſoll? Soll man ſie weglaſſen, und nichts davon erwehnen, ſo wird die Ceremoniel-Lehre ſehr un - verſtaͤndig und mangelhafft erſcheinen. Soll man aber den Leſern dergleichen Vorſchrifften ertheilen, ſo hindert und ſtoͤhret man vielmehr die wahre Welt-Weißheit und davon herruͤhrende Gluͤckſee - ligkeit ſeines Naͤchſten, als daß man dieſelbe be - foͤrdern ſollt. Ein Liebhaber der Welt-Weißheit ſoll ſich bemuͤhen, alle Jrrthuͤmer des Verſtandes und Willens, ſo viel als moͤglich, unter den Menſchen auszurotten, nicht aber ſie zu ſammlen, und andern vorzuſchreiben.
§. 25. Jch halte davor, daß man bey den Saͤ - tzen und Regeln von dieſer Art, einen doppelten Un - terſcheid zu machen habe, zum erſten unter den Saͤ - tzen die gantz offenbahr thoͤricht und laſterhafft, und unter denen, die nur einigermaßen von denen We - gen der Wahrheit und Tugend abgehen; und zum andern unter Gebraͤuchen der Privat-Perſonen, und unter den Ceremonien der groſſen Herren und hohen Standes-Perſonen. Die offenbaren thoͤrichten und ſuͤndlichen Gebraͤuche koͤnnen nimmermehr als eine Regel und Vorſchrifft angefuͤhret werden, Thor - heit und Gottloſigkeit gehoͤren nicht in die Claſſe der Wiſſenſchafften; es iſt aber gut, daß man ſie an - fuͤhret, nicht zur Nachahmung, ſondern zur Verab - ſcheuung, nicht als Regeln, denen man folgen, ſon -B 3dern22I. Theil. I. Capitul. dern als Saͤtze, bey denen man das Gegentheil be - obachten ſoll, und in beſondern Anmerckungen, die man ihnen mit beyfuͤget, ihre Thorheit, Suͤndlich - keit und ſchaͤndliche Gottloſigkeit den Leſern mit lebhafften Farben vormahlt. Es erinnert Fara - mond in dem I. Theil des von ihm uͤberſetzten Engl. Spectateurs, mit Recht p. 224: Zu der Zeit, darin - nen wir leben, ſolten alle Kuͤnſte und alle Wiſſen - ſchafften ein Verbuͤndniß mit einander wider den gewaltigen Strohm der Laſter und der Gottloſig - keit ſchluͤſſen, welche von Tage zu Tage weiter ein - reiſſen. Dieſes wuͤrde viel zur Befoͤrderung der Religion beytragen, wenn man alle Schrifften und alle andere Geburthen und Wuͤrckungen des menſchlichen Verſtandes darinnen uͤbereinſtim - men lieſſe, daß man zeigete, wofern man gegen die Annehmlichkeit der Tugend unempfindlich ſey, ſo ſey es eben ſo viel, als der ſchoͤnſten innerlichen Be - trachtungen, und edelſten Empfindungen, die der Menſch jemahls empfinden koͤnte, beraubet ſeyn. Es haben daher alle diejenigen Autores, die man - cherley unter den Menſchen herrſchenden Jrrthuͤme des Verſtandes und Willens entdecket, eine nuͤtzli - che Arbeit unternommen, ob ſie gleich bey ihrer vie - len eben keinen groſſen Danck damit verdienet, und waͤre zu wuͤnſchen, daß in allen Provintzien man - cherley unvernuͤnfftig und ſchaͤndlich Weſen, ſo hier und da an thoͤrichten Gebraͤuchen, ſonderlich auf dem Lande, noch angetroffen wird, hohen Landes - Obrigkeiten kund wuͤrde, damit dieſelben vollends nach und nach ausgerottet wuͤrden.
§. 26.23Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh.§. 26. Dafern eine gewiſſe Art und Weiſe einer aͤuſſerlichen Handleitung, die nach dem Urtheil der Welt zum Wohlſtande gehoͤrt, nur einiger maſſen von dem Wege der Wahrheit und Tugend abge - het, ſo kan man dieſelbe wohl endlich beybehalten, wenn man ſiehet, daß durch dieſe oder jene Unvoll - kommenheit eine groͤſſere Vollkommenheit zu erlan - gen ſey, da die Welt ohnedem nicht gewohnt, bey ihren Handlungen nach der groͤſten accurateſſe zu verfahren; jedoch muß man ebenfalls anzeigen, was dabey unvollkommen ſey, und verbeſſert wer - den koͤnte und ſolte. Jn beyden Theilen ſchreibt die Lehre der Klugheit einem Autori Regeln vor, wie weit ihm nach ſeinen Umſtaͤnden, darinnen er ſich befindet, vergoͤnnet ſey, die Wahrheit anzuzei - gen, und andere gleichfam zu hofmeiſtern, ohne ſei - ner Gluͤckſeligkeit zu ſchaden.
§. 27. Bey dem Vortrag der Lehre des Staats und Hof-Ceremoniels muß man anders verfah - ren. Diejenigen, die andern Geſetze vorſchreiben, koͤnnen nicht wohl vertragen, wenn ihnen andere Lebens-Regeln vorſchreiben, noch weniger aber lei - den, wenn man uͤber ihre Handlungen criliſirt. Sie wollen gelobet, bewundert und nachgeahmet, aber nicht erinnert werden; ſie verſtehen entweder am beſten, was zur Politeſſe, zur Galanterie und uͤberhaupt zum Wohlſtande gehoͤrt, oder wollen doch davor angeſehen ſeyn, als ob ſie vor allen an - dern am faͤhigſten waͤren, die Vollkommenheit der Handlungen am beſten zu beurtheilen, und auchB 4aus -24I. Theil. I. Capitul. auszuuͤben, als worinnen ſie tagtaͤglich von dem Hauffen der eigennuͤtzigen Schmeichler, mit denen ſie umzirckelt, beſtaͤrcket werden. Sie ſind, in An - ſehung der Jrrthuͤmer, des Verſtandes und des Willens, deren ſie von Natur unterworffen, Men - ſchen wie andere, und wegen des allzu ſparſamen Unterrichts, der ihnen gemeiniglich durch ihre eigne Schuld ertheilet werde, und wegen der ungebunde - nen Freyheit, darinnen ſie ſich befinden, noch viel faͤhiger, denn ihre Unterthanen, in den Jrrthuͤmern zu verharren. Da es ſich nun aber nicht der Muͤ - he lohnet, ihre laſterhafften Handlungen aufzuzeich - nen, und es nicht gar wohl vergoͤnnet iſt, morali - ſche Betrachtungen daruͤber anzuſtellen, ſo kan man bey Abfaſſung der Staats-Ceremoniel-Wiſſen - ſchafft nichts weiter thun, als daß man die hieher gehoͤrigen Handlungen der Europaͤiſchen Puiſſan - cen, die ſie theils als Privat-Perſonen, theils als Landes-Fuͤrſten durch eigene Bewegniß, entweder nach der Vorſchrifft der wahren Welt-Weißheit, oder doch nicht wider dieſelbe unternehmen, in all - gemeine Regeln verfaßt, und ſie aus denen aͤlteſten und neueſten Geſchichten erlaͤutert, ob und wie weit vergoͤnnet ſey, hierbey eine und die andere politiſche und moraliſche Anmerckung mit beyzufuͤgen, be - ruhet von eines jeden eigenen Uberlegungen.
§. 28. Jungen Leuten iſt uͤber die maſſen noͤthig, daß ſie ſich um diejenige Wiſſenſchafft bekuͤmmern, welche den aͤuſſerlichen Handlungen eine gewiſſe, angenehme und wohlanſtaͤndige Weiſe vorſchreibt,ſinte -25Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. ſintemahl die Welt aus den Fehlern, welche wider dem Wohlſtand begangen werden, und die ſonſt nach den Regeln der Welt-Weißheit vor kleine Splitter anzuſehen waͤren, ſehr groſſe Balcken zu machen pflegt. Verſuchet es bißweilen ein junger Menſch im Spielen, bey dem Dantzen, bey einem Compliment u. ſ. w. ſo wird von manchen Leuten ein groͤſſer Verbrechen daraus gemacht, als wenn er wider goͤttliche und weltliche Geſetze geſuͤndiget haͤtte. Jhrer viele bekuͤmmern ſich mehr um die aͤuſſerlichen Handlungen und um das Ceremonien - Weſen, als um die Glaubens Puncte und Lebens - Pflichten. Ein groſſer Theil der Menſchen ſchließt von dem aͤuſſerlichen auf das innerliche; wer ſich nach der opinion der Leute in dem aͤuſſerlichen wohl zu ſchicken weiß, der wird von vielen nicht allein vor manierlich, ſondern auch vor klug und weiſe gehal - ten, und hergegen der andere, der bey dem Cere - moniel einen Fehler begehet, vor einen Phantaſten angeſehen. Die aͤuſſerlichen Handlungen fallen allen Leuten in die Augen, dem Narren ſo wohl als dem Klugen, und es geſchicht nicht ſelten, daß man - cher, der ſonſt wenig Witz im Kopff hat, an dem andern einen Fehler, den er bey dem aͤuſſerlichen be - gehet, wahrnehmen kan.
§. 29. Ob man gleich die Anfangs-Gruͤnde der Ceremoniel-Wiſſenſchafft aus einer und der an - dern wohlabgefaßten Schrifft erlernen kan, ſo muß man doch dieſelbe durch den Umgang mit der groſ - ſen Welt am meiſten excoliren. JnſonderheitB 5ſind26I. Theil. I. Capitul. ſind die Hoͤfe, als die beſte hohe Schule, auf wel - cher die Politeſſe und die Regeln des Wohlſtandes gelehret werden, anzuſehen. Denn hier hat man eine Menge qualificirter Leute um ſich herum, wel - che ſich bemuͤhen, um ihrer Herrſchafft zu gefallen, und bey andern Leuten Ruhm zu erlangen, alles mit einer bonne grace zu verrichten, und das aͤuſ - ſerliche Weſen der andern, und inſonderheit der fremden, die nach Hofe kommen, mit ſcharfſuͤchti - gen Augen anzuſehen.
§. 30. Die Tugend der Hoͤflichkeit und des ma - nierlichen Weſens hat ebenfalls wie die uͤbrigen ihre beyden laſterhafften Abwege, vor denen man ſich in acht zu nehmen hat. Bekuͤmmert man ſich gantz und gar nicht um die Regeln des Wohlſtan - des, ſo wird man daruͤber zu einen toͤlpiſchen plum - pen Menſchen, zu einen Schulfuchs, und zu einen Quacker, die nach den Regeln ihrer Secte alle Hoͤf - lichkeit und alle Complimens verachten und ver - dammen. Jſt man aber hierinnen allzu ſcrupu - lös und allzu ceremonieus, da man mit andern Leuten zu viel Ceremonien vornimmt, weil man von andern dergleichen wieder verlangt, und alles mit der allergroͤſten und gezwungenen Erbarkeit verrichten will, ſo giebt man den Schein eines ehr - geitzigen Temperaments von ſich, man verfaͤllt in ein affectirtes Weſen, und durch eine allzu muͤhſa - me Beobachtung des Wohlſtandes fehlet man wi - der den Wohlſtand. Nach der CLXXXIV. Maxi - me des Oraculs von Graciam, und derer von HerrD. Muͤl -27Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. D. Muͤllern angefuͤgten Anmerckungen, ſind Leute von allzuviel Ceremonien Goͤtzen-Diener ihrer Ehre, die jedoch dabey zu erkennen geben, daß ihre Ehre in gar geringen Dingen beruhen muͤſte, im - maſſen ſie ſelbige durch alles flugs vor beleidiget achten; es iſt zwar gut, daß ein Menſch uͤber ſeinen Reſpect halte, er muß aber auch nicht eben als ein Ober-Meiſter in Complimenten bekannt zu wer - den trachten; es iſt wohl an dem, daß, wenn ein Menſch gantz ohne alle Ceremonien ſeyn, und nur durch Tugend und Geſchicklichkeit empor kommen wolte, er einen gar auſſerordentlichen Grad dazu vonnoͤthen haben wuͤrde. Allein, ſo wenig man ſogleich dieſer Urſachen halber die aͤuſſerliche Hoͤf - lichkeit zu verachten hat, ſo wenig muß man hinge - gen darinnen affectiren.
§. 31. Nachdem das Ceremoniel-Weſen ein ſo weitlaͤufftig Werck iſt, daß man darinnen ſo we - nig, als in andern Wiſſenſchafften auslernen kan, zumahl da noch eine ziemliche Unordnung darinnen herrſcht, und ſtete Veraͤnderungen damit vorgehen, ſo hat ein jeder ſonderlich auf ſeine Umſtaͤnde und die von ihm erwehlte Lebens Art zu ſehen, und ſich diejenigen Regeln des Wohlſtandes bekannt zu machen, die ſeinem metier anſtaͤndig. Man ſolte daher auch diejenigen, die in einem und dem an - dern Stuͤck ſich wider das Hof-Ceremoniel ver - ſtoſſen, nicht alſobald verlachen und verſpotten, wie es wohl von einigen rohen Leuten zu geſchehen pflegt, wenn ſie nur im uͤbrigen, in dem was zu ih -rer28I. Theil. I. Capitul. rer Profeſſion gehoͤrt, wohl erfahren, und die all - gemeinen Regeln des Wohlſtandes, die in dem menſchlichen Leben unter vernuͤnfftigen Leuten ein - gefuͤhret, zu beobachten wiſſen. Herr Johann George Neukirch raiſonirt in ſeinen Maximen und Anweiſungen zur guten Conduite p. 22. ſehr wohl, wenn er ſchreibet: Dieſe ſind eben keine Pedanten, die die Hof-Sitten und das Ceremoniel nicht wiſſen, ſo in der Converſation uͤblich; denn das Wiſſen der Hof-Sitten gehoͤrt eben nicht zu ei - nem Gelehrten. Kan er die Ceremonien, iſt es gut, und ein gewiſſes Merckmahl ſeiner groſſen Faͤhigkeit, wo nicht, iſt es genug wenn er das de - corum ſeines Standes weiß, wie denn ein jeder Stand ſein beſonder decorum hat.
§. 32. Die allgemeinen Regeln, die zu der Lehre des Wohlſtandes gehoͤren, haben ihren beſondern Nutzen, es iſt auch wohl gethan, wenn ſich ein jetzi - ger Cavalier die beſondern Maximen, die an die - ſem oder jenem Orte bey dem Ceremoniel-Weſen eingefuͤhrt, bekannt macht und aufzeichnet; die Haupt-Regel aber iſt und bleibt dieſe, daß man ſich an allen Orten und bey allen Geſellſchafften, unter die man zu gehen hat, vorhero nach einem und andern Gebrauch bey dieſem oder jenem Um - ſtande zu erkundigen hat, damit man ſich nicht ver - ſtoſſe. Es iſt unmoͤglich, daß man alle und jede Ge - braͤuche wiſſen, und ſie in dem Gedaͤchtniß behalten kan, gleichwohl iſt uͤberaus viel daran gelegen, wenn man ſich in ſeinen aͤuſſerlichen Handlungen,denen29Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. denen andern, bey denen man iſt, und unter denen man lebt, gleichfoͤrmig auffuͤhrt.
§. 33. Ein vernuͤnfftiger Menſch iſt verbunden ſeine Handlungen nicht allein nach den vernuͤnffti - gen Reguln des Wohlſtandes und des Hof-Cere - moniels einzurichten, ſondern auch nach dem Wil - len und denen hergebrachten Sitten der gemein - ſten und geringſten Leute, wenn nemlich ſolche Um - ſtaͤnde vorhanden, da man zu einer gewiſſen Hand - lung durch einen tuͤchtigen Grund genoͤthiget wird. Ja er iſt bißweilen genoͤthiget, manche Privat-Ge - braͤuche den Maximen des Hof-Ceremoniels, und manches einfaͤltige und unvernuͤnfftige Weſen, de - nen vernuͤnfftigen vorzuziehen;
§. 34. Durch eine gemeine Beobachtung der eingefuͤhrten Ceremonien und angenommenen Gebraͤuche, befoͤrdert man manches Stuͤck ſeiner zeitlichen Gluͤckſeligkeit; Man erlangt hiedurch die Liebe und Hochachtung derer, bey denen man ſich aufhaͤlt, und macht ſich einen guten Nahmen, man wird vor einen klugen, manierlichen, gefaͤlligen Menſchen angeſehen. Sind es hoͤhere, deren Lie - be wir theilhafftig worden, ſo kan man durch die Geſchicklichkeit oder Willigkeit, die man bey denen Ceremonien erwieſen, oͤffters ſein gantz zeitliches Gluͤck machen, ſind es geringere, ſo haben wir doch den Nutzen davon zu erwarten, daß ſie uns bey Ge - legenheit eine und die andere Gefaͤlligkeit und Lie - bes-Dienſte erzeigen, die uns ebenfalls angenehm ſind.
§. 35.30I. Theil. I. Capitul.§. 35. Bey Ausuͤbung der menſchlichen Hand - lungen, und Abſtattung der Pflichten, die wir als vernuͤnfftige Menſchen gegen uns ſelbſt und gegen unſern Naͤchſten zu erweiſen haben, begiebt es ſich nicht ſelten, daß eine wider die andere laͤufft. Da es nun unmoͤglich iſt, daß man zu gleicher Zeit al - len beyden ein Genuͤgen leiſten kan, ſo muß man nothwendig wiſſen, welche Regel man zu der Zeit, da ein paar ſich widerſprechende Saͤtze zuſammen ſtoſſen, der andern vorziehen ſoll. Da mir nun verhoffentlich ein jedweder vernuͤnfftiger Menſch einraͤumen wird, daß man etwas vollkommners einem unvollkommnern Gut, und ein groͤſſer Maß der Vollkommenheit und Gluͤckſeligkeit, einem ge - ringern Maß vorzuziehen hat, ſo hat man bey der - gleichen Fall zu beurtheilen, welche Handlung unſe - re wahre Gluͤckſeligkeit auf eine vollkommnere Art befoͤrdert oder nicht, und welcher Geſetzgeber, den natuͤrlichen Rechten nach, einen groͤſſern Gehorſam von uns zu fodern berechtiget. Will man nun hierbey vernuͤnfftig verfahren, und die gradus recht beſtimmen, ſo hat man folgendes zu mercken. Die goͤttlichen Gebothe und Verbothe ſind allen andern vorzuziehen, und wann eine Regul des Wohlſtan - des an einem, von den goͤttlichen Ausſpruͤchen, an - ſtoſſen will, ſo muß das Ceremoniel weichen. Jſt eine ewige Gluͤckſeligkeit der gantzen zeitlichen, und nach dem Ausſpruch des Heylandes, die Erhaltung der Seele der Gewinnung der Welt vorzuziehen, wie vielmehr nun einem kleinen Stuͤckgen der zeit -lichen31Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. lichen Gluͤckſeligkeit, das iſt, der Hochachtung und der guten Opinion, die wir bißweilen auf wenige kurtze Zeit bey einigen wenigen Leuten erlangen. Es iſt der HErr aller Herren, und der Koͤnig aller Koͤnige, der Allervollkommenſte und der Allerlie - benswuͤrdigſte, und zugleich der Allermaͤchtigſte, der uns zeitlich und ewig gluͤcklich, oder zeitlich und ewig ungluͤckſelig machen kan, und alſo den aller - vollkommenſten Gehorſam von uns zu fordern be - rechtiget.
§. 36. Die andern Geſetzgeber ſind die hohen Landes-Obrigkeiten, die durch ihre Verorduungen denen Handlungen ihrer Unterthanen gewiſſe Ziel und Maaße vorſchreiben; Dieſe ſind nicht allein diejenigen, die groͤſten theils unſere zeitliche Gluͤckſe - ligkeit befoͤrdern und zerſtoͤhren koͤnnen; ſondern wir ſind auch im Gewiſſen verbunden, in allem demjenigen, was nicht wider GOtt iſt, ihnen Gehor - ſam zu leiſten. Wo ſich nun ein Fall ereignet, daß man einen gewiſſen Gebrauch in einer oder andern Geſellſchafft mitmachen ſoll, der zwar in Anſehung der goͤttlichen Geſetze gleichguͤltig, jedoch dem Wil - len der hohen Landes-Obrigkeit nicht zuwider laͤufft, ſo muß man auch bey dieſen Umſtaͤnden das Cere - moniel fahren laſſen, und aus Reſpect vor ihre Landes-Herrſchafften den Gebrauch nicht mit ma - chen, ob ſchon andere ihren eignen Willen denen Willen der Obrigkeit vorziehen ſolten. Jedoch muͤſte man auch bey dieſem Fall wiſſen, daß die Landes-Obrigkeit uͤber dieſes oder jenes wolte ge -halten32I. Theil. I. Capitul. halten wiſſen, und ihre Verordnung durch man - cherley contraire Obſervanzen, die ſie einfuͤhren laſſen, nicht gleichſam heimlich wiederruffen.
§. 37. Der dritte Geſetzgeber, auf den wir zu ſe - hen haben, ſind wir ſelber, das iſt, unſere wahre Gemuͤths-Ruhe und Zufriedenheit. Geſetzt nun, daß eine und die andere Mode, oder ein und anderer Gebrauch weder den goͤttlichen noch weltlichen Ge - ſetzen zuwider liefe, wir nehmen aber wahr, daß wir uns dadurch in beſondere Unruhe des Gemuͤthes ſtuͤrtzen wuͤrden, derer wir koͤnten uͤberhoben ſeyn, ſo muͤſſen wir auch alsdenn unſer Vergnuͤgen und unſere Gluͤckſeeligkeit der andern Leute Opinion vorziehen. Die Regeln der Tugend-Lehre, der Klugheit zu leben, und der Haußwirthſchafft, ſetzen dem Ceremoniel-Weſen Ziel und Maße und ihre gewiſſen Schrancken; es iſt ja mehr daran gele - gen, daß wir in andern wichtigen Stuͤcken unſere zeitliche Gluͤckſeeligkeit befoͤrdern und erhalten, als daß wir uns bloß durch einige aͤußerliche Handlun - gen bey dieſem oder jenem in Credit ſetzen; Jch koͤnte hier noch eine und die andere Regel und An - merckung beyfuͤgen, was man bey ſo mancherley Colliſionen in Anſehung des Wohlſtandes zu be - obachten hat, man kan aber in Praxi ſchon zu rechte kommen, wenn man auf das vorhergehende genau Acht giebt, und bey einem jeden Fall wohl erweget, ob man durch das Unternehmen oder Unterlaſſen ei - ner gewiſſen Handlung, ſich ein groͤßer Stuͤck der wahren Gluͤckſeeligkeit zu wege bringen moͤchte, oder nicht.
§. 38.33Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh.§. 38. Der vierdte und letzte Geſetzgeber, iſt die Opinion derjenigen, an denen uns zu der Zeit, da wir eine gewiſſe Handlung bewerckſtelligen, oder unterlaſſen ſollen, etwas gelegen, und dieſen muͤſſen wir Folge leiſten, wenn ihm nicht die vorhergehen - den widerſprechen; Die ſpeciellen Regeln, die bey dem Ceremoniel-Weſen in Betrachtung zu ziehen, werden in den folgenden Capituln vorkommen.
§. 1.
DJe Mode iſt eine veraͤnderliche Weiſe, die bey allerhand Sachen in ſo weit ſie in die aͤußerlichen Sinne fallen, eingefuͤhrt, und auf eine gewiſſe Zeit, ſo lange es denen Willen einiger Leute gefaͤllig iſt, vor wohl anſtaͤn - dig und ruͤhmlich geachtet wird, bis ſie wieder von einer andern Weiſe verdrungen wird. Sie iſt von der Gewohnheit, dem Gebrauch und den Ob - ſervanzen in manchen Stuͤcken unterſchieden. Dieſe ſind viel dauerhaffter als jene. Sollen die - ſe abgeſchafft werden, ſo gehoͤrt groſſe Muͤhe und Gewalt dazu. Hohe Landes-Obrigkeiten und Privat-Perſonen, Prieſter und Richter, haben ge - nug zu thun, bevor ſie mancherley boͤſe Gewohnhei - ten und Gebraͤuche abſchaffen koͤnnen, hingegen die Moden vergehen wieder von ſich ſelbſt, ohne groſſeCUnruhe34I. Theil. II. Capitul. Unruhe. Die Gewohnheiten und Gebraͤuche entſtehen nach und nach, biß ſie endlich allgemein werden, und je langſamer es mit ihnen zugehet, je mehr befeſtigen ſie ſich nachgehends. Bey den Moden aber heiſt es, quod cito fit, cito perit, was geſchwinde wird, vergehet auch wieder geſchwinde. Eine neue Mode uͤberſchwemmt in kurtzer Zeit, wie ein reißender Strohm, ein gantz Land, und conficirt, wie eine anſteckende Seuche die meiſten Leute, bey denen ſie eindringt. Die Gewohnheiten und Ge - braͤuche ſind nicht ſo allgemein, und nach dem be - ſondern Unterſcheid der Oerter und Landes-Arten, mehr von einander unterſchieden. Die Moden ſind viel allgemeiner, und nehmen die Gemuͤther vieler Menſchen ein, fehlt es einigen an Vermoͤgen und Gelegenheit, ſie mitzumachen, und auszuuͤben, ſo finden ſie doch ihre Beluſtigung daran. Zu der Einfuͤhrung eines Gebrauchs und einer Obſervanz wird oͤffters die Einwilligung der meiſten aus einem Collegio, oder von der Gemeinde eines Ortes er - fordert; Hingegen zu der Einfuͤhrung einer Mode gehoͤren weniger Leute, biß ſie ſich nach und nach erweitert, oder wieder verloͤſcht. Um die Gewohn - heiten, Gebraͤuche und Obſervanzen ſind die Lan - des-Geſetze, Obrigkeiten und richterliche Perſonen mehr beſorget, ſie haben auch in Anſehung der buͤr - gerlichen Handlungen ihre beſondern Wuͤrckun - gen; Hingegen um die Moden laſſen ſie ſich gemei - niglich unbekuͤmmert, biß ſie gewahr werden, daß ſie entweder den Landes-Mandaten zuwider werden,oder35Von der Mode. oder ſonſt dem gemeinen Weſen Nachtheil dadurch zugezogen wird.
§. 2. Die Moden kan man eintheilen in die all - gemeinen und beſondern. Die allgemeinen ſind, die entweder aus der Reſidenz des Landes-Herrn ihren Urſprung herleiten, oder ſonſt von dem Hoͤch - ſten im Lande erfunden, oder doch angenommen und beliebet, und von demſelben auf die Gerin - gen gebracht worden, die beſondern hingegen, die von denen, die ſich an einem Ort vor die vornehm - ſten, kluͤgſten oder wohlhabenſten duͤncken, herflieſ - ſen, und von ihren Anhaͤngern nachgeahmt werden. Dieſe letztern ſind gar von ſchlechter Dauer, denn weñ die Geringern ſehen, daß ſie bey denen, die noch hoͤher ſind, nicht Approbation finden, ſo werden ſie ihrer Nachahmung auch bald uͤberdruͤßig, und er - reichen alſo gar einen kurtzen Periodum.
§. 3. Die Grentzen einer Mode reichen ſo wohl der Zeit als dem Ort nach weiter als die andern, nachdem ſie entweder wegen ihres Nutzens und Beqvemlichkeit bey andern Beyfall findet, und alſo der Eigenliebe der Menſchen ſchmeichelt, oder auf eine leichte Art nachgeahmet werden kan, oder ſich mit den Landes-Geſetzen der Verfaßung eines Lan - des, und den Gebraͤuchen eines Ortes, vereinigen laͤſt, oder dem Willen der Vornehmſten anſteht oder nicht.
§. 4. Die Mode erſtreckt ſich auf mancherley Dinge, nicht allein auf die Kleidung, ſondern auch auf die Gebaͤude, auf Meublen und Haußgeraͤthe,C 2auf36I. Theil. II. Capitul. auf Speiſen und Getraͤncke und deſſen Zurich - tung, und auf verſchiedene andre Handlungen, in ſo weit ihr aͤußerliches Weſen in die Augen faͤlt. Die Thorheit der Menſchen will auch ſo gar bey der aͤußerlichen Geſtalt Moden einfuͤhren. Manche bilden ſich ein, ein blaſſes Angeſicht ſey bey der jetzi - gen Zeit unter dem vornehmen Frauenzimmer Mode; Da hingegen die rothe Farbe den gemeinen Buͤrger-Toͤchtern und Bauer-Maͤdgen anſtaͤndi - ger waͤre. Daher bemuͤhen ſich auch einige durch mancherley Medicamenta, die rothe Farbe der Wangen bey ihnen zu meiden. Jn den vorigen Zeiten ſind die goldgelben Haare bey dem Frauen - zimmer als eine Schoͤnheit angeſehen, und von manchen verliebten Poeten mit den groͤſten Lob - Spruͤchen beehret worden, in den heutigen Zeiten aber werden ſie vor einen Ubelſtand geachtet, und die Weibesbilder, die von der Natur damit bega - bet, bemuͤhen ſich, den ſtrahlenden Glantz ihrer Haare, ſo viel als nur moͤglich, zu verbergen. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß die Mode-Sucht nur allein bey dieſen angefuhrten Stuͤcken geblieben waͤre; allein ſo hat es leyder! Satan ſo weit gebracht, daß ſie gar biß auf das Chriſtenthum und die heiligſten Handlungen eingedrungen, und ein großer Theil, ja ich ſorge, die Groͤßten unſrer heutigen ſo genann - ten Chriſten, will den Glauben und die Gottſeelig - keit, nicht nach den Regeln des goͤttlichen Wortes, ſondern nach der Mode ausuͤben.
§. 5. Der allgemeine Brunnqvell der Modeniſt37Von der Mode. iſt wohl die den meiſten Menſchen angebohrne Lie - be zur Veraͤnderung, und die Neugierigkeit, da ſie an demjenigen, was ſie ſtets um ſich haben, und ih - nen allzubekandt und alltaͤglich worden, keinen ſon - derlichen Geſchmack mehr finden, den wahren Preiß davon nicht kennen, und daher ſtets nach et - was andern und neuen trachten. Dieſe unmaͤßige Begierde zur Abwechſelung, bringt oͤffters zu wege, daß die Menſchen das unvollkommene dem voll - kommenen, und das ſchlimmere dem beſſern vorzie - hen, wie unten weiter erhellen wird.
§. 6. Ob zwar wohl alle Menſchen in ihren Neigungen veraͤnderlich und unbeſtaͤndig, ſo iſt doch gewiß, daß eine Nation die andere an Leicht - ſinnigkeit in dieſem Stuͤck uͤbertrifft, und iſt eine laͤngſt bekandte Sache, daß die Frantzoͤſiſche vor allen uͤbrigen Europaͤiſchen am veraͤnderlichſten, und in Ausſinnung der neuen Moden am begierig - ſten. Nachdem nun unſere Teutſchen angefan - gen zu bewundern und nachzuahmen, und ſie diß - falls in ihrem Lande zu beſuchen, ſo iſt dieſes veraͤn - derliche Weſen auch auf unſere Landes-Leute ge - kommen. Es hat auch die haͤuffige Aufnahme der aus Franckreich vertriebenen Reformirten, und ihr Etabliſſement in den Teutſchen Provintzen, nicht wenig beygetragen, daß unſere Teutſchen halb Frantzoͤſiſch worden, und ſich nicht allein in ihren Kleidungen, ſondern auch in der Art zu ſpeiſen, in Meublen, in den Equipagen, bey ihren Viſiten, As - ſembleen, Parties de plaiſir, u. ſ. w. nach den Fran -C 3tzoſen38I. Theil. II. Capitul. tzoſen richten. Es hohlen zwar die Teutſchen, als die uͤberhaupt fremden Voͤlckern gerne nachahmen, eines und das andere von ihren Gebraͤuchen aus Jtalien, aus Engelland, Holland, Pohlen, Mo - ſcau, u. ſ. f.; inzwiſchen ſind die Frantzoͤſiſchen Ge - braͤuche vor andern bey uns allgemein worden.
§. 7. Viel Moden leiten ihren Urſprung aus dem verderbten Willen und den boͤſen Begierden der Menſchen. Alſo treibet die ſchaͤndliche Gewinn - ſucht die meiſten Kuͤnſtler, Kauff und Handwercks - Leute an, daß ſie, um der eingeriſſenen Liebe zur Ab - wechſelung zu ſchmeicheln, die ſonderlich unter den Wohlhabenden herrſcht, den Wercken der Kunſt, die ſie zu oͤffentlichen Verkauff feil bieten wollen, faſt alle Jahre eine neue Veraͤnderung und Geſtalt geben. Sind ſie nun gluͤcklich, daß dieſe ihre Ver - ſuche vielen Leuten anfangen zu gefallen, ſo haben ſie ihren Zweck erreicht, und eine Mode inventirt, wo aber nicht, ſo laſſen ſie es bey dem bißherigen bewenden, oder thun zu einer andern Zeit wieder ei - nen andern Verſuch. Die Unmaͤßigkeit im Eſſen und Trincken, da man allzu ſinnreich iſt, ſich und ſeinem Naͤchſten, bey dem Speiſen und Getraͤncke, beſchwerlich zu ſeyn, hat mancherley neue Arten erfunden, der Kehle ein fluͤchtiges Vergnuͤgen zu - wege zu bringen. Manchen Leckermaͤulern ſind alle Geſchoͤpffe des Erd-Creyſſes nicht mehr zurei - chend, ihre Begierden zu ſtillen, ſondern ſie wuͤnſchen ſich lieber aus dem Monden, oder aus einem andern finſtern und bewohnten Coͤrper, neue Arten der ih -nen39Von der Mode. nen unbekandten Speiſen herzuholen. Die Geil - heit hat mancherley Moden erſonnen, auf was vor Art, theils durch die Kleidung, theils durch andere Wege, die Fleiſches-Luͤſte zu erwecken und zu ſtaͤr - cken. Der Hochmuth und Ehrgeitz hat bey dem Titul - und Rang-Weſen, bey dem Point d’hon - neur viel ſeltzame, theils auch wohl thoͤrichte Ge - braͤuche ausſtudiret. Der entflammten Rach - Begierde hat man zuzuſchreiben, daß man einander nach dem Ceremoniel die Glieder verletzen, und er - morden, und dieſe Boßheit gar zu einer Wiſſen - ſchafft, die von den Jtaliaͤnern Ia Sciente Cavalle - reſche genannt wird, machen will, u. ſ. w.
§. 8. So heßlich als nun der Grund iſt, auf dem viele von unſern Moden beruhen, ſo iſt es hingegen auch gewiß, daß manche aus der Vernunfft und Tugend entſpringen; Und wie kan es auch anders ſeyn, denn ein Tag lehret ja den andern; die Wer - cke der Kunſt und mancherley moraliſche Hand - lungen der Menſchen, erreichen ſo wenig, als die Wercke der Natur, ihre Vollkommenheit auf ein - mahl, ſondern nach und nach. Unſere Vorfahren haben nicht alles gute und nuͤtzliche auf einmahl ſe - hen und erfinden koͤnnen, und unſern Zeiten daher noch manches uͤberlaſſen muͤſſen. Mit uns hat es eine gleiche Bewandniß, das gegenwaͤrtige Secu - lum ſey ſo ſcharffſinnig als es wolle, ſo wird es doch nicht ein ſolch Ziel erreichen, das unſere Nachkom - men nicht in vielen Stuͤcken uͤberſchreiten werden. Es iſt demnach klar, daß manche gute und vernuͤnff -C 4tige40I. Theil. II. Capitul. tige Moden von uns erfunden worden, und auch von unſern Nachkoͤmmlingen noch weiterhin werden er - funden werden.
§. 9. Daß man ſtatt des ſchwerern, unbequemern und unnuͤtzern etwas leichters, bequemers und nuͤtzli - chers erwehlt, iſt vernuͤnfftig und loͤblich; thoͤricht hingegen, wenn man von dem vollkommnern auf das unvollkommene wieder zuruͤck faͤllt. Hat man in einem und dem andern ſo lange rafinirt, biß man es auf einen gewiſſen Grad der Vollkommenheit gebracht, warum bleibet man denn nicht dabey? Die Wahrheit muß ja ewig Wahrheit, und das Gute ſtets gut bleiben. Doch das thoͤrichte Vor - urtheil der Mode, hat viele Menſchen ſo eingenom - men, daß ſie auch das Gute, wenn ſie es beſtaͤndig genieſſen, oder ſtets anſchauen, vor etwas ſchlim - mes achten. Die Mode-Bruͤder widerſprechen ſich bey ihren Moden ſelbſt. Jn der gegenwaͤrti - gen Zeit lieben ſie und bewundern etwas, ſie ſchrei - ben ihm viel Vollkommenheiten zu, ſie achten die Erfinder davon vor weiſe und kluge Leute, ſie mey - nen, daß nichts beſſers ausgedacht werden koͤnte; nach dem Verlauff einiger Jahre aber verachten und verlachen ſie eben die Weiſe, die ihnen doch ehedem ſo gefaͤllig geweſen, ſie ſpotten derer, die ſie vor gut halten, und verwundern ſich uͤber ſich ſelbſt, daß ſie einem ſo wunder-ſeltzamen Gebrauch haben koͤnnen Beyfall geben. Alles bleibet hier uͤberein, und man findet in nichts einen Unterſcheid, als nur in der Zeit. Bey Einfuͤhrung einer thoͤrichtenMode41Von der Mode. Mode kan man wohl ſagen, daß ein Thore viel Thoren zu machen pflege.
§. 10. Oeffters ſind Privat-Perſonen, auch wohl gar ſchlechte und geringe Leute, die erſten Erfinder einer Mode, die nachgehends allgemein wird, nicht allein aus Gewinnſucht, wie ich in dem 7 § ange - zeiget, ſondern auch aus einer Begierde denen Hoͤ - hern zu gefallen, und ſich bey ihnen einzuſchmeicheln, indem ſie die Hohen der Welt mehr fuͤrchten und lieben, als den groſſen GOtt im Himmel, und ſich in allen Stuͤcken nach ihren Pasſionen richten; So geben ihrer viele groſſen Herren neue Methoden an, wie ſie auf eine neue und veraͤnderliche Weiſe ihre Luͤſte ausuͤben, und in der Kleidung, in der Equi - page, bey ihrer Tafel, bey den divertiſſemens, u. ſ. w. andere, ihres gleichen oder geringere, uͤbertreffen koͤnnen. Groſſe Herren laſſen ſich denn derglei - chen Vorſchlaͤge nicht ſelten gefallen, und nehmen zu ihren Schaden und zu ihrer disrenommée von denjenigen Geſetze an, denen ſie Geſetze vorſchreiben ſollen. Mancher Kauffmann, Kuͤnſtler, Schnei - der und andere dergleichen Leute, bilden ſich bißwei - len nicht wenig darauf ein, daß ſie hierinnen vermoͤ - gend ſind, den Willen eines groſſen Herrn nach ih - rem Gefallen zu lencken.
§. 11. Bißweilen geſchicht es auch, daß hohe Standes-Perſonen ſelbſt von beyderley Geſchlecht, ohne fremdes Anrathen, und aus ihren eigenen Gehirne, eine Mode inventiren, die denn auch nach - gehends mit dem Nahmen ihres DurchlauchtigſtenC 5Er -42I. Theil. II. Capitul. Erfinders zu prangen pflegt. Alſo iſt bekandt, daß viel Moden, ſonderlich in Anſehung mancherley Ar - ten der Kleidung, in den aͤltern und neuern Zeiten in Franckreich von den Perſonen Koͤniglicher und Fuͤrſtlicher Haͤuſer angegeben und ausgedacht worden.
§. 12. Es mag nun eine Mode von hohen Standes-Perſonen oder Privat-Leuten ihren Ur - ſprung herſchreiben, ſo kan ſie in einem Lande doch nicht eher allgemein werden, als biß ſie von dem Hoͤchſten deſſelben Landes approbiret worden. Denn dieſe ſind es, die eine Mode autoriſiren muͤſ - ſen, und auf welche die Geringen ihr Augenmerck gerichtet. So lange als einige von den Hoͤhern ſich einer gewiſſen Weiſe vor ſich bedienen, kan man es nicht ſo wohl eine Mode, als vielmehr eine bey ihnen angenommene Ceremonie nennen; So bald aber viele von den Geringern anfangen, die Hoͤhern hierinnen nachzuahmen, ſo bald entſtehet eine Mode. Und dieſes gilt in Anſehung der mei - ſten allgemeinen Moden. Denn einige beſondere Moden und Gebraͤuche pflegen bißweilen zu entſte - hen und zu vergehen, ohne daß ſich groſſe Herren darum zu bekuͤmmern pflegen.
§. 13. Es iſt mehr als zu bekandt, daß die Gerin - gern ſo wohl in Moden, als auch ſonſt den Hoͤhern gerne nachzuahmen pflegen: Regis ad Exemplum totus componitur orbis: Wie der Herr, ſo der Knecht. Zu dieſer Nachahmung werden ſie durch unterſchiedene Bewegungs-Gruͤnde angetrieben,die43Von der Mode. die doch aber auch nach dem Unterſcheid der Leute unterſchieden ſeyn. Einige thun es aus einer un - maͤßigen Liebe den Hoͤhern zu gefallen, ſie wollen durch dieſe Nachahmung ihre Hochachtung, ihre Verwunderung und ihren Gehorſam gegen die Hoͤ - hern an Tag legen. Andere lencket der Hoch - muth, ſie vermeynen hiedurch einen Theil der Gluͤck - ſeligkeit, den die Hoͤhern beſitzen, zu erlangen, wenn ſie es ihnen in einem und dem andern gleich thun, ſie wollen ſich von den Geringern abſondern, und ſich bey ihnen in beſonder Anſehen ſetzen. Noch ande - re ſtehen in denen, obwohl irrigen Gedancken, daß diejenigen, die andere an Reichthum und Macht uͤbertreffen, ſie auch nothwendig an Weißheit und Klugheit uͤbertreffen muͤſten, und daß alſo alle ihre Handlungen lauter Meiſterſtuͤcke der Weißheit waͤren, die von andern Leuten als Richtſchnuren muͤſten angeſehen werden. Bey vielen vereinigen ſich alle dieſe Bewegungs-Gruͤnde zuſammen.
§. 14. Es iſt eine groſſe Thorheit, daß der groͤſte Theil der Geringern, eine ſo unmaͤßige Begierde hat, den Hoͤhern bey ihren Moden nachzuahmen. Sie wollen ſich hiedurch Zufriedenheit zuwege brin - gen, vermehren aber meiſtentheils ihre Unruhe, in - dem ſie den Endzweck, den ſie ſich hiebey vorgeſetzt, gar ſelten erreichen. So bald die Hoͤhern gewahr werden, daß eine Mode allgemein worden, das iſt, unter den Poͤbel, und unter die gantz Geringen ge - kommen, ſobald werden ſie der Mode, die ihnen erſtlich ſo gefaͤllig geweſen, uͤberdruͤßig, und ſind aufeine44I. Theil. II. Capitul. eine Aenderung bedacht; Und alſo bleiben die Ge - ringern allezeit in einer unruhigen Begierde den Hoͤ - hern nachzuahmen, koͤnnen es aber doch, bey aller dieſer Bemuͤhung, nicht weiter bringen, als daß ſie anfangen, dasjenige zu belieben, was denen Hoͤ - hern vor einiger Zeit gefallen, nunmehro aber ihnen nicht mehr anſtaͤndig iſt. Uber dieſes, machen ſie ſich bey Hohen und Niedrigen recht laͤcherlich, und ihre ſchlechten Einkuͤnffte und geringer Stand, faͤllt bey einer ſo unvernuͤnfftigen Nachahmung andern Leuten, zu ihrer Beſchimpffung, deſto mehr in die Augen. Bey einem vernuͤnfftigen Lebens-Wan - del muß alles zuſammen ſtimmen; hingegen hier iſt unter den Moden, die ſie zum Theil mitmachen, und unter ihrer uͤbrigen Lebens-Art nicht die geringſte Harmonie. Laͤſt es nicht wunder-ſeltzam, wenn ei - niges Frauenzimmer bey ihrer Kleidung, und bey ihren Caffé-Meublen, denen vornehmſten Damen es gleichthun will, und hingegen ſich, in Anſehung ih - rer Koſt, oder ihrer Wohnung, wie die armſeligſten Handwercks-Leute auffuͤhret, und auch Armuths - und geringen Standes-wegen, ſo auffuͤhren muß. Jſt es nicht eine groſſe Thorheit, wenn Flavia, oͤff - ters ohne Raiſon, ſolche Gaſtereyen anſtellt, die uͤber ihren Stand und Einkuͤnffte ſind, und nachgehends wieder einige Wochen nach einander trocken Brod oder ſchlechte Zugemuͤſen ſpeiſet. Die noch Gerin - gern beneiden ſie, theils, daß ſie es in manchen Stuͤ - cken den Hoͤhern gleich thun will, theils ſpotten ſie ih - rer, wenn ſie gewahr weꝛden, daß die uͤbrigen Stuͤckeihrer45Von der Mode. ihrer Lebens-Art der Auffuͤhrung der Hoͤhern gar unaͤhnlich ſind; Bey den Hoͤhern, die vor den an - dern immer gerne etwas voraus haben wollen, ſe - tzen ſie ſich gewißlich auch in ſchlechten Credit, daß ſie ſich bemuͤhen, es ihnen in manchen Stuͤcken gleich zu thun.
§. 15. Wie nun eine unmaͤßige Nachahmung der Hoͤhern, mit mancher Thorheit vergeſellſchaff - tet, alſo ſind auch gar oͤffters die Klagen derer, die ſich uͤber die Nachahmung beſchweren, und daruͤ - ber unwillig ſind, ungegruͤndet, zum Theil unver - nuͤnfftig, und laͤcherlich. Vielmahls entſpringen ſie aus einem abſcheulichen Hochmuth, Neid und Mißgunſt gegen die Geringern, manche Hoͤhere wollen ſich in allen Stuͤcken von den andern, die ihnen an Einkuͤnfften oder Range nicht gleich kom - men, abſondern, und goͤnnen ihnen nicht den aller - geringſten Theil, ja auch nicht einmahl den Schein der Gluͤckſeeligkeit, die der ihrigen aͤhnlich iſt. Manchmahl ſind einige aus einer unmaͤßigen Selbſt-Liebe ſo verblendet, daß ſie ſich und ihren Standt ſelbſt nicht kennen; weil ſie einige andere entweder an Einkuͤnfften oder an einer thoͤrichten Einbildung uͤbertreffen, ſo glauben ſie, ſie ſeyn mehr denn andere berechtiget, dieſe oder jene Mode von dem Hoͤhern anzunehmen, und ſich ſolcher mit guten Fug anzumaßen; Andere hingegen duͤrffen ſich dergleichen nicht unterſtehen, ob ſie ſchon ſelbſt von ſo geringem Stande ſind, daß ſie ſich dergleichen ſolten vergehen laſſen. Doch man moͤchte ſie wohlfragen,46I. Theil. II. Capitul. fragen, wer ihnen denn das Privilegium ertheilt, denen von hoͤhern Standes-Character nachzuah - men, und dieſe Licenz bey dem andern als etwas ſtraffbahres anzuſehen. Sie moͤchten doch bey Betrachtung fremder Thorheiten ihre eigene erken - nen lernen. Der falſche Grund, daß ſich manche einbilden, als ob ſie dieſem oder jenem ziemlich gleich und aͤhnlich waͤren, verfuͤhret auch andere. Jn dem Capitul von der Kleidung wird noch mehr hie - von geſagt werden.
§. 16. Die Hoͤhern haben auch bey dieſer Nach - ahmung um deßwillen einen vergeblichen Kummer, weil ſie dennoch vor dem Geringern den Vorzug behalten, und ſie in der aͤußerlichen Ehre uͤbertref - fen. Sie ſolten bedencken, daß die Moden-Sucht den Geringern oͤffters zu ihrer Schande und zu ih - ren Schaden, und hingegen den Hoͤhern zu Ver - mehrung ihres Anſehens gereicht; ſie moͤchten biß - weilen die Geringern, die ihnen an Einkuͤnfften nicht gleich kommen, eher mit mitleidigen und erbar - menden, als mit neydiſchen und zornigen Augen an - ſehen, weil ſie ſich vielmahls durch ihre Thorheiten an dem Bettelſtab bringen. Und obſchon andere ein mehrers im Vermoͤgen haben, und es dem Hoͤhern in einigen Stuͤcken gleich thun, auch beſtaͤndig aushalten koͤnnen, ſo duͤrffen ſie ih - nen doch nicht in den andern Stuͤcken, die zum Staat gehoͤren, nachahmen, und dieſe Disharmo - nie gereichet ihnen in den Augen der Verſtaͤndigen zu ſchlechter Ehre. Es ſiehet alſo gar armſeelig,wenn47Von der Mode. wenn manche Frau von geringer Extraction, in der Kleidung der groͤſten Miniſter-Frau nichts nach - giebt, zu ihrer Bedienung aber eine Magd hinter ſich treten hat. Es iſt auch nichts ſeltzames, daß die von niedern Stande, einigen Hoͤhern an Einkuͤnff - ten voͤllig gleich, und ſie auch wohl gar bißweilen uͤbertreffen; Jnzwiſchen koͤnnen ſie dennoch mit aller ihrer Pracht, darinnen ſie den Hoͤhern nachahmen, diejenigen Prærogativen nicht erlangen, die einem hoͤhern Stande oder Character eigenthuͤmlich ſind. Es dienet ihnen mehr zu ihrer Bekraͤnckung und Mortification, wenn ſie bey ihrem aͤußerl. Weſen dem Hoͤhern aͤhnlich ſind, zugleich die Begierde be - ſitzen, dasjenige zu ſeyn und zu bedeuten, was ſie ſcheinen, und dennoch weder von den Geringern, noch weniger von ihres gleichen und dem Hoͤhern, den Rang, die Titulationen und andere Ehren - Bezeugungen uͤberkommen, die ſie ſich wohl wuͤnſchen.
§. 17. Die Moden-Sucht richtet viel und man - cherley Unheil an. Ein großer Theil der Men - ſchen wird durch dieſes Laſter in die aͤußerſte Ar - muth geſtuͤrtzet. So bald manch eiteles und Mo - den-ſuͤchtiges Frauenzimmer hoͤrt, daß eine gewiſſe Farbe nicht mehr nach der Mode ſeyn ſoll, ſo kan ſie das Kleid nicht mehr vor Augen ſehen, ſie ſchickt es auf den Troͤdel, verkaufft es um ein Spott-Geld, und ſchafft ſich wieder ein anders, biß endlich der Mangel des Geldes ihre Moden-Sucht einſchraͤn - cket; wenn dieſe laſterhafften vernehmen, daß dasSilber -48I. Theil. II. Capitul. Silber-Werck, Zinn u. ſ. w. aus der Façon ge - kommen, ſo laſſen ſie es ſo gleich umſchmeltzen, und buͤßen vieles an Macher-Lohn ein. Jch koͤnte hier weitlaͤufftiger anfuͤhren, was vor beſondere Laſter aus ihr zu entſpringen pflegen, nachdem es aber theils gar bekannte Wahrheiten, theils auch eines und das andere davon in dem vorhergehenden all - bereits erwehnet worden, ſo will ich hiervon nichts weiter erwehnen, ſondern nur gedencken, daß die Moden-Sucht vor eine allgemeine Quelle anzuſe - hen, aus der unſere mannichfaltigen ſuͤndlichen, la - ſterhafften und ſchaͤndlichen Gewohnheiten her - flieſſen. Der Ausſpruch: es iſt nun einmahl ſo die Mode, ſchmeiſt faſt alle Regeln der Chriſtli - chen und vernuͤnfftigen Tugend-Lehre uͤber den Hauffen. Wenn die weiſeſten Sitten-Lehrer die Menſchen durch die ſtaͤrckſten Argumenta und buͤndigſten Schluͤſſe von denen Laſtern abrathen wollen, ſo ſetzen ſie ihnen alſobald folgende Saͤtze dagegen: Es iſt heutiges Tages gantz eine andre Welt als vor dieſem, wer nicht mit macht, wird ausgelacht, wer unter den Woͤlffen iſt, muß mit heulen, wir koͤnnen die Welt nicht anders machen. Dieſer falſchen Lehr-Saͤtze bedienen ſie ſich als einer Schutz-Wehre, und als eines Privilegii, da - durch ſie ſich aller Pflichten der vernuͤnfftigen und Chriſtlichen Sitten-Lehre widerſetzen wollen.
§. 18. Wie nun die Moden-Sucht, da man allzubegierig iſt, ohne Grund neue Moden zu er - dencken, und ſtets damit abzuwechſeln, oder dieſel -ben49Von der Mode. ben nachzuahmen, vor etwas thoͤrichtes und laſter - hafftes anzuſehen, alſo muß man auch bekennen, daß einige Leute wieder auf einen andern Abweg gerathen, wiewohl deren Anzahl, in Anſehung der Moden-ſuͤchtigen, ſo gar groß nicht iſt. Sie ha - ben eine ſo unmaͤßige Liebe vor das Alterthum, daß ſie in keinem Stuͤck bey ihrem aͤußerlichen Weſen einige Veraͤnderung belieben, ob ſie ihnen ſchon vor zutraͤglicher, leichter, bequemer, wohlanſtaͤndiger und uͤberhaupt beſſer waͤre. Es zeiget ſich dieſer Jrrthum ſo wohl bey Gelehrten als Ungelehrten, bey mancherley Wiſſenſchafften und Kuͤnſten, und bey verſchiedenen Handlungen des menſchlichen Lebens. Alſo zweifeln einige, daß etwas neues und beſſeres koͤnte erdacht und vorgebracht werden, als unſern Vorfahren bekannt geweſen, und be - ſitzen eine ungemeine Haͤrtigkeit des Hertzens, dieſen Jrrthum zu vertheidigen. Sie bleiben da - bey, ihre Vorfahren waͤren auch keine Narren ge - weſt, und formiren dieſen falſchen Schluß, wenn dieſes oder jenes moͤglich oder gut waͤre, ſo wuͤrden es ihre Vorfahren auch erfunden oder gethan ha - ben. Jn ihrer Kleidung ziehen ſie ſo altvaͤteriſch einher, daß ſie faſt daruͤber zum Kinderſpott werden, man kan ſie durchaus nicht dazu bringen, daß ſie eine neue Mode ſolten mitmachen. Bey ihren Wohnhaͤuſern und Schloͤſſern, ob ſie gleich in dem hoͤchſten Grad baufaͤllig, wollen ſie keine Veraͤnde - rung vornehmen, bloß deßwegen, daß es ihnen dau - ret, daß ſie dem Gemach, darinnen ihr lieber HerrDGroß -50I. Theil. II. Capitul. Großaͤlter-Vater und Großaͤlter-Mutter gewohnt, eine andere Geſtalt geben ſollen, als es ehedem ge - habt. Bey ihren Meublen und Haußgeraͤthe ſchaf - fen ſie ſehr ungerne etwas neues an, ſondern behelf - fen ſich mit dem, was ſie von ihren Eltern und Groß-Eltern bekommen, ſo gut als ſie koͤnnen, und wenn ja etwas davon abgehen ſolte, muß es nicht nach der neuen Mode, ob ſie ſchon in viel Stuͤcken beſſer waͤre, ſondern nach der alten eingerichtet ſeyn.
§. 19. Ein vernuͤnfftiger Menſch muß ſich be - muͤhen, hiebey ſo wohl als in andern Stuͤcken, die Mittel-Straſſe treffen zu lernen. Er iſt zwar alle Tage bemuͤhet, zu ſeiner eigenen und ſeines Naͤch - ſten wahrer Gluͤckſeligkeit, etwas neuers und beſſers auszuſinnen, oder zu erfahren, im geringſten aber nicht begierig, ſolche Moden zu inventiren, oder zu erlernen, dadurch bloß die Eitelkeit der menſchlichen Gemuͤther geſtaͤrcket wird. Er achtet dieſes vor eine Leichtſinnigkeit, und die Zeit iſt ihm viel zu koſt - bar, als daß er ſie mit dergleichen verderben ſolte. Er weiß wohl, daß die Welt an Boßheit mehr zu, als abnimmt, und daher die Anzahl der laſterhaff - ten Moden von Tage zu Tage groͤſſer wird.
§. 20. Bey Nachahmung der Moden beurthei - let er erſtlich die Mode ſelbſten, nachgehends ſeine eigenen Umſtaͤnde, darinnen er ſich befindet, und den beſondern Zweck, den er ſich in ſeinem Leben vorge - ſetzt, und durch ſeine Handlungen, ſo viel als moͤg - lich, zu erreichen gedenckt. Bey der Mode erwegeter,51Von der Mode. er, ob ſie loͤblich und vernuͤnfftig und daher in den goͤttlichen geoffenbahrten, oder natuͤrlichen Geſetzen, gegruͤndet, ob ſie den goͤttlichen und weltlichen Ge - ſetzen zuwider, oder in Anſehung ihrer als zulaͤßig, und unſchuldig koͤnne erklaͤrt werden. Er betrach - tet ferner, ob die Mode allgemein worden, das iſt bey ſehr vielen, die mit ihm von gleichen Umſtaͤnden, angenommen, oder nur von einigen Leuten beliebet. Bey ſeinen Umſtaͤnden erforſchet er die Beſchaffen - heit ſeines Alters, ſeine Leibes-Conſtitution, und ſeine auſſerliche Geſtalt; er examiniret ſein Amt, ſeinen Beruff, und diejenigen, bey denen und unter denen er ſich aufhaͤlt; inſonderheit ziehet er dabey ſeinen Beutel zurathe, und formirt ſich alſo gewiſſe Regeln, in wie weit er dieſer oder jener Mode zu fol - gen habe, oder nicht.
§. 21. Erlangt er Nachricht von einer vernuͤnffti - gen und in goͤttlichen Geſetzen wohl gegruͤndeten Mode, ſo iſt er der erſte mit, der ſich bemuͤhet, dieſe Mode ſo viel als moͤglich, nachzuahmen, und ſo al - lenthalben auszubreiten und bekandt zu machen, ſiehet er aber, daß eine Mode den Verordnungen GOttes zuwiderlauffe, ſo ahmet er ſie im geringſten nicht nach, ſondern ſchluͤßt ſich davon aus, ob ſie ſchon von den Hoͤchſten oder von den meiſten ap - probiret worden, und er von aller Welt daruͤber verſpottet und verlachet wuͤrde. Denn er weiß wohl, daß ſich ein Chriſt bey denjenigen Stuͤcken, die von GOtt verbothen, der Welt nicht gleich ſtel - len ſoll, er muß ſich um Chriſti willen, wenn es dieD 2Noth -52I. Theil. II. Capitul. Nothwendigkeit mit ſich bringt, vor einen Narren achten laſſen, und ziehet die Ehre und die Freund - ſchafft bey GOtt ſeiner eigenen Ehre, und der Freundſchafft der Welt vor.
§. 22. Bey den unſchuldigen und zulaͤßigen Mo - den, das, iſt, durch welche, wenn man ſie uͤberhaupt anſiehet, der Zuſtand eines Menſchen weder voll - kommner noch unvollkommner wird, erweget er, ob er in Anſehung ſeiner Umſtaͤnde, darinnen er ſich be - findet, ein Stuͤck ſeiner zeitlichen Gluͤckſeeligkeit be - foͤrdern kan, wenn er die Mode nachahmet oder nicht. Bey jenem Fall macht er die Mode mit, denn er wird durch einen tuͤchtigen Bewegungs - Grund hiezu veranlaßt, bey dieſem aber wartet er, biß ſie allgemeiner wird. Alſo iſt ein Hof-Mann, der ſich an einen galanten Hofe aufhaͤlt, viel eher verbunden, eine neu aufgekommene Mode in der Kleidung nachzuahmen, weil er ſich hiedurch bey ſeiner Herrſchafft in beßern Credit ſetzen kan, als ein Cavalier auf dem Lande, der ſein eigner Herr iſt.
§. 23. Jſt eine unſchuldige und zulaͤßige Mode allgemein worden, das iſt, von ſehr vielen, die ſich mit ihnen in einerley oder doch aͤhnlichen Umſtaͤn - den befinden, angenommen, ſo weiß er, daß er nicht allein nach den Regeln der geſunden Vernunfft, ſondern auch nach den Regeln der Offenbahrung verbunden ſey, dieſelbe Mode nachzuahmen. Als ein vernuͤnfftiger Menſch muß er ſich bemuͤhen, ſo viel Ehre und Hochachtung bey den Menſchen zuerlan -53Von der Mode. erlangen, als moͤglich; dieſes aber wird geſchehen, wenn er ſich angelegen ſeyn laͤſt, bey ſeinen aͤußerli - chen Handlungen auch ſo aufzufuͤhren, wie andere vernuͤnfftige Leute. Als ein Chriſt muß er ſich be - muͤhen, ſeinen Naͤchſten zu gefallen, im Guten und zur Beſſerung. Er muß ſich mit Paulo uͤben, ein gutes Gewiſſen zu haben, beydes gegen GOtt und gegen die Menſchen, er muß ſeinen Naͤchſten keinen Anſtoß ſetzen zum Aergerniß, und alle Gelegenheit vermeyden, daß der Naͤchſte nicht in ſuͤndliche Be - urtheilung ſeiner Handlungen falle, als welches un - fehlbar geſchehen wuͤrde, wenn er ſich bey einer und der andern indifferenten aͤußerlichen Hand - lung von andern Leuten gantz und gar abſondern wolte. Joſeph und Daniel waren ihrem GOtt ge - treue Knechte, und dabey manierliche, und bey ihren Herrſchafften beliebte Hof-Leute. Unſer Heyland Chriſtus JEſus ſelbſt, der uns, in Anſehung unſe - rer Lebens-Pflichten, zu einem Fuͤrbild vorgeſtellt, daß wir ſollen nachfolgen ſeinen Fußſtapffen, nahm zu an Gnade bey GOtt, und auch bey denen Men - ſchen.
§. 24. Ein vernuͤnfftiger Menſch giebet der all - gemeinen Opinion auch ſo viel nach, daß er biß - weilen bey dem Mode-Weſen, wann ihn ein tuͤch - tiger Bewegungs-Grund dazu verbindet, einen kleinen Jrrthum der Wahrheit, und etwas unvoll - kommners dem vollkommnern vorziehet. Er laͤſt, wiewohl ungerne, manche gute und nuͤtzliche Mode fahren, und beliebet davor eine andere, die nicht ſoD 3nuͤtzlich,54I. Theil. III. Capitul. nuͤtzlich, nicht ſo leicht nicht ſo bequem, nicht ſo wohl - feil und nicht ſo wohl anſtaͤndig, bloß darum, weil er denjenigen folgen muß, an deren Gnade, Freund - ſchafft und Hochachtung ihm gar viel gelegen, oder in deren Haͤnden ein guter Theil ſeiner aͤußerlichen Gluͤckſeligkeit beruhet. Er erkennet wohl, daß vor ihm kein ſo groß Unheil erwachſe, wann er bey ei - nem und dem andern ſeinem Vermoͤgen, ſeiner Bequemlichkeit und Zufriedenheit etwas abbricht, als wenn er ſich eine faſt allgemeine Verachtung und Verſpottung uͤber den Hals ziehen ſolte, und ſich vor einem unſinnigen Menſchen und Sonder - ling muͤſte ſchelten laſſen. Die beſondern Anmer - ckungen, die hiebey noch ferner koͤnten gemacht wer - den, kan man in den folgenden Capituln dieſes Tractaͤtgen antreffen.
§. 1.
DJe Titul ſind diejenigen Ehren-Worte, die man dem andern nach der einmahl einge - fuͤhrten Obſervantz, theils in Anſehung ſeiner Verdienſte, theils aber auch und am meiſten nach ſeinem Stande, Bedienung und Gewerbe, im Reden und Schreiben beylegt, und wodurch man ihn von den andern, die ſich in hoͤ -hern55Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. hern oder geringern Umſtaͤnden befinden, abſon - dert. Die Prædicate aber ſind die Nahmen einer Bedienung, damit ein groſſer Herr einen andern beehret, er mag nun derſelben wuͤrcklich vorſtehen oder nicht. Die Titulaturen ſind entweder No - mina Adjectiva, als Hochwuͤrdig, Wohlgebohren, Hoch-Edel u. ſ. w. oder Subſtantiva, die aus den Adjectivis gemeiniglich erwachſen, als Jhro Gna - den, Jhro Hochwuͤrden, Jhro Excellenz, Jhro Durchlauchtigkeit u. ſ. w.
§. 2. Die Titul und Ehren-Stellen haben in den aͤltiſten Zeiten ihren erſten und rechten Urſprung aus der Tugend hergehohlt. Die ſich in den Krieges-Actionen, wider die Feinde ſignaliſirt, wurden Mannhaffte benennet, die ſich in dem geiſt - lichen Stande vor andern einer beſondern Devo - tion befliſſen, achtete man vor Wuͤrdige und An - daͤchtige, und legte ihnen dahero dieſe Titulatur bey, die ſich ſonſten durch ihr loͤbliches Beginnen Verdienſte zuwege gebracht, hieß man die Edlen u. ſ. w. und alſo zeigten die Titul damahls allezeit die Verdienſte an, und die Leute waren dasjenige in der That, was man ſie nennte. Dieſe Benen - nungen gefielen den andern, weil ſie ſahen, daß ſie mit mancherley Prærogativen vergeſellſchafftet waren, da ſie aber ſich nicht durch eigne Tugenden den Weg hiezu bahnen konten, ſo ſahen ſie, wie ſie ſonſt dieſer Titul theilhafftig wurden. Sie bemuͤhten ſich, es bey großen Herren dahin zu brin - gen, daß man ſie doch auch fuͤr ſolche verdiente LeuteD 4anſe -56I. Theil. III. Capitul. anſehen moͤchte, die Soͤhne bathen ſich aus, daß man ſie eben ſo wie ihre Vaͤter beehrte; Hiebey fanden ſich Schmeichler, die ſich um ihres Eigen - nutzes willen nach den Ehr-Geitz ſolcher Leute rich - teten, und ihnen dergleichen Ehren-Benennungen gaben, und ſo wurden nach und nach die Woͤrter, mit denen man ſonſt die Verdienſte tugendhaffter Leute beehret hatte, zu bloßen Nahmen und Tituln.
§. 3. Die Zeiten haben bey den Titul-Weſen einen ſehr groſſen Unterſcheid eingefuͤhrt. Wer in der alten teutſchen Hiſtorie nur ein wenig bekandt, der weiß, daß vor dieſen die Benennung Schalck, Kerl, Hachen, Vund, und dergleichen, den ſtarcken, tapffern Helden und jungen Edelleuten zugeſchrie - ben worden. Siehe Joh. Mattheſii 43. Suͤndfluths - Predigt. Man komme aber jetzund aufgezogen, und nenne einen jetzigen von Adel einen Vund, und einen ſtarcken, ruͤſtigen Krieges-Mann, einen Ha - chen oder Hengſt, wie jener Koͤnig der Sachſen und Britonen hieß, ſo wird er ihn gewiß auf das Duell - Manda-verklagen. Manche Titul wurden ehedeſ - ſen Hof - und Staats-Leuten beygelegt, mit denen jetzund kaum die Gelehrten wollen zufrieden ſeyn / wovon Baudiſii Diſſertation de Titulis quibus - dam olim aulicis, nunc vero academicis, nach - zuleſen.
§. 4. Die Titul ſind nicht allein von ein paar Seculis, ſondern auch nur von ein 50. Jahren her gewaltig geſtiegen, vor zwey biß dreyhundert Jah -ren57Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. ren waren die Chur-Fuͤrſtlichen und Fuͤrſtlichen Princeßinnen mit dem Titul der Fraͤulein zu frieden und bey unſrer Zeit fangen manche von den adeli - chen ledigen Frauenzimmer an das Maul zu rumpf - fen, wenn man ſie Fraͤulein ſchlecht weg nennt, und nicht das Ehren-Beywort Gnaͤdig hinzufuͤgt, oder ſie gerne ihren Ehrgeitz zu ſaͤttigen, und den Kuͤtzel ihrer Ohren zu vergnuͤgen, mit Jhro Gnaden, Gnaͤdig Fraͤulein, betitulirt. Unſere Groß-Vaͤter, von adelichen Stande, begnuͤgten ſich, wenn ſie von den Geringern Jhro Geſtrengten genennt wur - den, und viele von unſern jetzigen Cavaliern, wuͤr - den denjenigen vor einen Phantaſten halten, der ſie unter dieſer Benennung beehren wolte. Unſere adelichen Muͤtter und Groß-Muͤtter hießen von ein 50. biß 60. Jahren noch Jungfern, und jetzund will ſich faſt eines gemeinen Kramers-Tochter die - ſes Tituls ſchaͤmen, und das Wort Mademoiſelle lieber hoͤren. Es ſind auch wohl einige Titulatu - ren an einigen Orten, meines Erachtens, von ein zwantzig Jahren her, auf einen hoͤhern Grad getrie - ben worden. Alſo war es zu Eingang dieſes Se - culi noch ziemlich fremde und unbekandt, daß man die hohen Staats-Miniſtres mit dem Bey - Wort, Jhro Hohe Excellenz beehrte, oder ihre Gemahlinnen, Jhro Excellenz titulirte, welches zu unſern Zeiten Mode worden.
§. 5. Von den Zeiten an, da man angefangen, bey den Tituln mehr auf die Geburth, als auf die Tugend, mehr auf bloße Dienſte, als Verdienſte,D 5mehr58I. Theil. III. Capitul. mehr auf den Stand, als Verſtand, mehr auf Geld und aͤußerliches Anſehen, als auf loͤbliche Handlungen zu ſehen, iſt die Titul-Sucht in allen Staͤnden gewaltig geſtiegen, und durch ihre Ver - anlaſſung ſind zugleich mancherley Laſter eingefuͤh - ret worden, inſonderheit die Pracht, die Unmaͤßig - keit in Eſſen und Trincken, und die Verſchwendung. Die hoͤhern Titul erfordern groͤßere Ausgabe, bey der Kleidung, bey der Equipage, in Anſehung der Wohnung, der Bedienten, u. ſ. w. Die Titul haben zu - und hingegen das Geld hat abgenom - men; Daher auch ein gewiſſer Autor nicht ohne Grund auf folgende Art gereimet:
Hiebey entſinne mich, daß ein alter 80. jaͤhriger Bauer einſtens wieder mich ſagte, daß damahls gute Zeit in der Welt geweſen, da die Gnaͤdigen Herren, Jhro Geſtrengten, die Careten, Waͤgen, und die Maitreſſen, Huren genennt worden.
§. 6. Der Grund der Titul-Sucht beruhet auf einer falſchen Einbildung, als ob die von hoͤhern Stande, groͤſſern Range, oder anſehnlichern Præ - dicat, ſich in einem hoͤhern Grade der Gluͤckſeligkeit befaͤnden, denn die andern. Um deswillen wollendie59Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. die Bauren dem Buͤrgerlichen, die buͤrgerlichen Perſonen dem Adel, der Adel den hoͤchſten Stan - des-Perſonen gleich geachtet ſeyn. Sie formiren aber hiebey auf zweyerley Weiſe unrichtige Schluͤſ - ſe: einmahl, da ſie dasjenige denen Tituln zuſchrei - ben, welches doch im geringſten nicht von ihnen ge - wuͤrcket wird, ſondern ohne ſie beſtehet, und kraͤfftig iſt; und zum andern, da ſie den aͤuſſerlichen Schein der Gluͤckſeligkeit, der um einige Titul und hohe Eh - ren Stellen glaͤntzet, vor ein wahres Gute erkennen. Wenn ſie mit ihren Gedancken in das innerliche Weſen ſolten eindringen, ſo wuͤrden ſie erkennen, daß die Ehren-Wuͤrden, nicht allein vor langer Zeit, bereits Buͤrden genennet worden, ſondern daß auch mancher Titul demjenigen, der ihn fuͤhrt, und fuͤh - ren muß, mehr zur Laſt, als zur Zufriedenheit ge - reiche.
§. 7. Wie gut waͤre es doch, wenn man bedaͤch - te, das groͤſte Gluͤck, welches man wuͤnſchen moͤch - te, waͤre dieſes, daß man ſo viel haͤtte, womit man den von GOtt eingegebenen Stand ehrlich beklei - den koͤnte, ohne die Augen auf einen hoͤhern zu rich - ten, als welcher vor einen andern beſtimmt iſt. Man ſolte ſich genuͤgen laſſen, in demjenigen Stand zu ſeyn, welcher einem von GOtt gegeben, und glauben, daß ſich alle die andern vor uns nicht ſchi - cken wuͤrden. Man ſolte allemahl zwiſchen ſeinem Ehrgeitz, und einem hoͤhern Stande einen Vorhang vorziehen, damit uns derſelbe nicht verblendete. S. de la Serre vergnuͤgter Menſch. p. 118.
§. 8.60I. Theil. III. Capitul.§. 8. Ob ſich ſchon die unmaͤßige Begierde nach groͤſſern Tituln bey allerhand Faͤllen aͤuſſert, ſo er - weiſet ſie ſich doch nirgends mehr, als wenn die Be - nennung des Standes, oder der Bedienung, vor vielen Leuten abgeleſen, oder ſonſt vermeldet und kund werden ſoll. Es erfahren dieſes inſonderheit die Herren Geiſtlichen, bey Haltung der Leich-Pre - digten, bey den Aufgebothen, und bey andern oͤf - fentlichen Abkuͤndigungen, da ſie bißweilen die Ti - tulaturen nicht ſo praͤchtig einrichten koͤnnen, als die andern verlangen, oder ſie ihnen die Vorſchrifften hierzu ertheilen. Es waͤre beſſer, wenn manche Prieſter, aus Eigennutz der thoͤrichten Begierde der Menſchen, auf der Cantzel nicht ſo ſchmeichelten, als wohl zu geſchehen pflegt. Es entſtehet hieraus manche Unordnung. Wunder-ſeltzam laͤſt es, wenn ſie die Titul auch biß auf die Seligkeit erſtre - cken, und die Seligkeit, nach Proportion des Stan - des, der Ehren-Stelle, auch wohl bißweilen der Einkuͤnffte, die der Verſtorbene hinterlaſſen, der Direction, die ſie von den Erben vor die Leichen - Predigt, der Vermuthung nach, zu hoffen haben, und der Hochachtung, die ſie vor dem Verſtorbe - nen gehabt, austheilen wollen. Einige von dem hoͤchſten Stande, nennen ſich Hoͤchſtſeligſt, andere Hochſelig, noch andere Wohlſelig; der gemeine Mann aber muß bloß mit Selig vorlieb nehmen; Manche wollen, ſie in Chriſtmildeſten Andencken erhalten, andere in Gottſeligen, noch andere in ſeli - gen Andencken, u. ſ. w.
§. 9.61Von dem Titul-Weſen und Prædicaten.§. 9. Man muß ſich in der That wundern, daß die groſſen Herren in Teutſchland, dem ſeltzamen Beginnen, und der thoͤrichten Ehr-Begierde der Menſchen, in Anſehung der Titulaturen, in den Po - licey-Ordnungen nicht fleißiger Ziel und Maaß ge - ſetzt, als wohl haͤtte geſchehen koͤnnen und ſollen. Es haͤtte durch ein gehoͤrig Einſehen, mancher Jalouſie, mancher Mißgunſt und Unordnung, die hieraus er - wachſen, koͤnnen vorgebogen werden. Es iſt aber zu vermuthen, daß in den kuͤnfftigen Zeiten vieles thoͤrichte Weſen bey den Tituln, durch Landesherr - liche Mandata, wird abgeſchafft und beſtrafft wer - den, wie denn hiebey von einiger Zeit her hin und wieder einige Exceſſe bereits abgeſtellet worden. Alſo lieſſen Jhro Koͤnigl. Majeſtaͤt in Pohlen und Chur-Fuͤrſtl. Durchlauchtigkeit zu Sachſen, anno 1710. im Monath May, zu Dreßden, die hoͤchſt - loͤbliche Verordnung ergehen, des Jnnhalts: Daß in Dero Landen, bißhero ſich nicht allein die Kir - chen-Patronen, ſondern auch die eingepfarrten Ge - richts-Herren, nebſt denen Jhrigen, unterſtanden, ſich ſowohl in dem allgemeinen Kirchen-Gebeth, als auch in andern Vorbitten und Danckſagungen, groſſe und unzulaͤßige Titul beylegen zu laſſen, und ſolche nach ihrem Gefallen anzuordnen. Alldie - weil ſich aber nicht geziemen wolte, in dem Gebeth, als welches in wahrer Demuth des Hertzens ge - ſchehen ſolte, mit groſſen Tituln zu prangen; Se. Koͤnigl. Majeſtaͤt auch ſelbſt, nebſt Dero Koͤnigl. Hauſe, weder in dem allgemeinen, noch andern Ge -bethen,62I. Theil. III. Capitul. bethen, Dero voͤlligen Titul herſagen lieſſen; Als haͤtten Sie vor noͤthig angeſehen, alle unnoͤthige und weitſchweiffende Titul, als: Hochgebohren, Hochwohlgebohren, Gnaͤdiger Herr, Gnaͤdige Frau, in denen Kirchen-Gebethen, gaͤntzlich abzu - ſchaffen.
§. 10. Wenn man die Liebe zur Veraͤnderung und Abwechſelung, und die große Begierde der Menſchen, nach hoͤhern Dingen, nach groͤßern Ti - tuln und neuen Benennungen, in etwas genauere Betrachtung ziehet, und einen Blick zugleich in die kuͤnfftigen Zeiten thut, ſo weiß man faſt nicht, was man vor ein Urtheil faͤllen ſoll, wohin es mit den Titulaturen endlich noch kommen werde. Sol - ten die Menſchen, nach der bißherigen Weiſe, auf den Wegen, da ſich die Geringern in allen Staͤn - den die Titulaturen der Hoͤhern von Zeit zu Zeit an - gemaßt, beſtaͤndig fortgehen, und es ſolte ihnen kein Grentz-Stein geſetzt werden, ſo duͤrffte es in einem oder ein paar Jahr-hunderten noch Mode werden, daß ſich die von Adel werden Jhro Durch - lauchtigkeit nennen laſſen, und die Fuͤrſtlichen Per - ſonen hingegen werden wiederum mit gantz neuen Tituln prangen. Haben die Geringern, von ein paar hundert Jahren her, den Hoͤhern ihre Titul weggenommen, was iſt im Wege, daß ſie nicht in denen kuͤnfftigen Zeiten, nach ihren Begierden eben ſo procediren ſolten? Es iſt nicht zu vermuthen, daß die Welt kuͤnfftighin ſo tugendhafft wird wer - den, daß ſie ihren ehrgeitzigen Begierden den Zuͤ - gel voͤllig anlegen ſolte.
§. 11.63Von dem Titul-Weſen und Prædicaten.§. 11. Einige meynen, die Menſchen wuͤrden aus Noth getrieben werden, bey ihren jetzigen Ti - tuln ſtille zu ſtehen, immaſſen das Titul-Weſen jetzund auf ſeiner hoͤchſten Spitze, und die teutſche Sprache ſo erſchoͤpfft waͤre, daß faſt nichts neues mehr koͤnte ausgedacht noch hinzugeſetzt werden, man muͤſte denn auf eine laͤcherliche und thoͤrichte Weiſe, auf gantz neue und wunderliche Woͤrter fallen; Da aber hiebey alles auf die Opinion der Leute, und die Approbation der Hoͤhern ankommt, die nach ihrem Urtheil und durch ihren Willen et - was vor wohlanſtaͤndiger erklaͤren koͤnnen, und wenn es auch noch ſo wunderlich ſeyn ſolte, ſo iſt noch Gelegenheit genug vorhanden, in den kuͤnffti - gen Zeiten bey dem Titul-Weſen beſtaͤndige Ver - aͤnderungen vorzunehmen. Die Ehrgeitzigen koͤn - nen ja immer noch aus andern Sprachen, aus der Engliſchen, Jtaliaͤniſchen, und GOtt weiß, wo ſonſt her, wie es mit dem Wort Excellenz geſchehen, neue Woͤrter herholen, und denſelben gewiſſe Be - deutungen zuſchreiben; ſie koͤnnen auch auf gantz neue, und jetzund ungewoͤhnliche Woͤrter der Teut - ſchen Sprache fallen, und ihnen eine gewiſſe Krafft beylegen. Wer weiß, ob die Nachkommen nicht einmahl darauf gerathen, und holen die aͤlteſten Ti - tulaturen aus den erſten Zeiten wieder her? Viel - leicht gefaͤllt es dem kuͤnfftigen Adel in hundert Jah - ren beſſer, wenn ſie Hochachtbahre und Ehrenveſte geſcholten werden, als Hoch - und Wohlgebohrne. Die Welt wird ja ohnedem alles uͤberdruͤßig, undbelu -64I. Theil. III. Capitul. beluſtiget ſich an dem Fremden, es mag nun entwe - der gantz neu, oder von andern Orten und Zeiten hergekommen ſeyn. Unſer Frauenzimmer lachte vor ein zwantzig Jahren uͤber ihre Aelter - und Groß - aͤlter-Muͤtter, daß ſie zu ihrer Zeit ſo ungemein weite Roͤcke getragen, wie ſie aus den alten Gemaͤhlden wahrnahmen, und gleichwohl ſind eben die wei - ten Reiff-Roͤcke zu unſerer Zeit als eine bequeme und wohlanſtaͤndige Mode angeſehen.
Am allerwahrſcheinlichſten iſt, daß endlich der Kayſer, und die hohen Staͤnde in Teutſchland, der thoͤrichten Titul-Sucht ihrer Unterthanen, voͤllig werden uͤberdruͤßig werden, alles ungereimte We - ſen, ſo bißanher dabey vorgangen, bey den ſchaͤrff - ſten Straffen verbiethen, und ihnen mit vereinigten Kraͤfften einen Riegel vorſchieben.
§. 12. Die Opinion der Welt, und die Mode der gegenwaͤrtigen Zeit / giebt in Erklarung der Ti - tulaturen und Benennungen die beſte Entſchei - dung. Die Geſchicht-Schreiber und Publiciſten moͤgen aus der aͤlteſten Hiſtorie deduciren, wie ſie wollen, daß einige Ehren-Woͤrter in der teutſchen und lateiniſchen Sprache vor Zeiten eine vortreffli - che Bedeutung gehabt, und den groͤſten Herren bey - gelegt worden. Werden ſie nicht durch den jetzi - gen Gebrauch der Welt autoriſiret, ſo kommen ſie doch in kein Anſehen. So ſind auch manche Re - geln der Rechts-Lehrer, dadurch ſie nach ihrem Sinn eines und das andere bey den Titulaturen ausmachen wollen, meiſtentheils von gar ſchlechterKrafft.65Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. Krafft. Ob ſchon einige in ihren Schrifften be - haupten, daß das Ehren-Wort Jungfer bloß den Doctor-Toͤchtern, und denen die mit ihnen in glei - chem Rang und Wuͤrden ſtuͤnden, zukaͤme, und daß hingentheils dir Toͤchter der Kaufleute und der an - dern bloße Kauffmanns-Maͤdgen ſolten genennt werden, ſo werden ſie dem ungeacht, doch wohl in dem Poſſeß des Jungferlichen Tituls bleiben; Jch halte auch davor, daß das Frauenzimmer von ge - ringen Stande um deſto eher dieſe Benennung be - halten kan, weil manchen, die zwar buͤrgerlichen Standes, aber hoͤherer Condition, dieſer Titul gar ſpoͤttiſch und veraͤchtlich vorkommt, in maſſen ſie da - vor lieber Demoiſelle wollen genennt ſeyn.
§. 13. Hiebey erinnere mich, was der Autor der Europaͤiſchen Fama, in dem XXſten Theil p. 795. anfuͤhrt. Er meldet, daß man Anno 1703. in Franckreich, von alle dem Frauenzimmer, welche ſich mit Unrecht Madame nennen lieſſen, eine gewiſ - ſe Acciſe abgefordert; Es waͤre aber nachgehends bald wieder geaͤndert worden, denn man haͤtte dem Koͤnig erwieſen, daß in Franckreich wenig Frauen - zimmer uͤber 14. Jahr anzutreffen, welche ſich mit Unrecht Madame nennten: Jhro Majeſtaͤt wuͤrden alſo viel beſſer fahren, wenn ſie den Befehl aͤnder - ten, und auf den unrechten Gebrauch des Wortes Demoiſelle etwas gewiſſes legten, weil man ſo wohl in Franckreich, als andern Laͤndern wahrge - nommen, daß dieſer Titul treflich gemißbrauchet, und mancher Menſch dadurch betrogen wuͤrde.
E§. 14.66I. Theil. III. Capitul.§. 14. Nachdem man heutiges Tages bey den Benennungen, die man dem andern zu ſeinen Eh - ren beylegen will, nicht mehr auf die Verdienſte, wie vor dieſem, ſondern groͤſten Theils auf ſein eigen Intereſſe ſiehet, wie man den andern etwann zu Befoͤrderung ſeiner Abſichten gebrauchen kan, und einem jeden eine ziemlich unumſchraͤnckte Freyheit hierinne zuſtehet, ſo trifft wohl bey der gantzen Welt ein, was Guevarra in ſeiner Beſchreibung des Hof - und Land-Lebens p. 76. nur von dem Hofe ſagt: Es will ein jedweder nur ein Wider-Taͤufer ſeyn, in Mittheilung und Veraͤnderung der Nahmen. Ei - nen Hoffaͤrtigen, nennt man Edel und Veſt, einen Verſchwender, Achtbar und Fuͤrnehm, einen Ver - zagten, einen ſtrengen Herrn, einen Unbarmhertzi - und Geſtrengen, einen Gnaͤdigen Herrn, einen Heuchler, Fuͤrſichtig, einen Ertz-Boͤſewicht, Hoch - weiſe, einen Zungendreſcher, Hochgelahrt, einen Ehebrecher, einen Menſchen der ſich beliebt zu ma - chen weiß, einen Hanß in allen Gaſſen, einen Emſi - gen, einen Schwaͤtzer, beredt, einen Geitzhalß, haͤußlich und ſparſam, und einen ſtillen Menſchen heiſt man einen Narren.
§. 15. Mit Annehmung der Titulaturen gehet es faſt wie mit den Moden, mancher haßt eine Mode in ſeinem Hertzen, und findet keinen Gefallen an ei - ner Veraͤnderung, die groͤſten Theils aus der Thorheit oder doch aus der Eitelkeit herfließt, er wird aber von der groſſen Menge eitler und Veraͤn - derung-liebender Leute mit Gewalt fuͤrgeriſſen, daßer67Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. er eine neue Weiſe, die den goͤttlichen und natuͤrli - chen Geſetzen nicht zuwider, mit machen und nach - ahmen muß, will er ſich nicht bey der Welt verſpot - ten laſſen, und manche verlaͤumderiſche Urtheile wieder ſich vernehmen. Alſo liebt mancher die Demuth und Sittſamkeit, und findet an dem aͤußerlichen Wort-Gepraͤnge kein Vergnuͤgen. Da aber eine allgemeine und durchgaͤngige Ge - wohnheit gewiſſe Titulaturen nach dem Unter - ſcheid des Standes und der Bedienung eingefuͤhrt, ſo muß ein vernuͤnfftiger Menſch auch diejenige Eh - re, die er andern ertheilt, annehmen, oder er unter - wirfft ſich ſonſt einer allgemeinen Verachtung / und entziehet ſich einen groſſen Theil ſeiner aͤußerli - chen Gluͤckſeeligkeit, vor deren Erhaltung er beſorgt ſeyn muß. Die von hoͤherm Stande wuͤrden die - ſe große Sittſamkeit vor eine Wuͤrckung einer Nie - dertraͤchtigkeit anſehen, welche ebenfalls ein Laſter iſt, wie aus der Tugend-Lehre bekandt, ſie duͤrfften ihm hernach vielleicht allzuviel denotiren und Ge - horſam abfordern. Die mit ihm von gleichem Stande, wuͤrden unwillig auf ihn werden, daß er dieſes, welches ſeinen Umſtaͤnden zukaͤme, nicht an - nehmen wolte, ſie wuͤrden es ihm vor eine Nieder - traͤchtigkeit auslegen, ihn deßhalben vor einen Son - derling anſehen, und ſich ſeiner Geſellſchafft ſchaͤ - men, ſie wuͤrden ihn gehaͤßig werden, und glau - ben, daß ihnen hiedurch ſelber etwas entzogen wer - den moͤchte, der Poͤbel wuͤrde ſich dieſer Sittſam - keit und Demuth mißbrauchen; Wolte einer ge -E 2wiſſe68I. Theil. III. Capitul. wiſſe gewoͤhnliche Titul nicht annehmen, ſo wuͤr - den viele von den Geringern glauben, als ob er ſelbſt an ſeiner Ehre zweiffelhafftig waͤre, ſie wuͤr - den ihm deſto eher, in einem und dem andern, den Gehorſam, und die Ehrerbietuug, die ſie ihm ſchul - dig, entziehen, u. ſ. w.
§. 16. Es ereignen ſich gewiſſe Faͤlle, bey de - nen man noch vielmehr verbunden iſt, gewiſſe Eh - ren-Benennungen nicht allein von dem andern ab - zunehmen, ſondern ſie ihnen auch wohl abzufordern. (1) Wenn es unſer Amt und Beruff und der Re - ſpect unſrer Herrſchafft erfordert; denn, alsdenn ſehen wir nicht ſo wohl auf unſere eigne Ehre, als vielmehr auf die Ehre unſrer Herrſchafft, die ſonſt hierbey wuͤrde gekraͤncket werden. (2) Wenn wir ſehen, daß andern, die mit uns in gleichem Stande oder gleichen Umſtaͤnden ſich befinden, ein beſonder Præjudiz wuͤrde zugezogen werden. (3) Wenn boßhafftige Leute gefliſſentlich dieſe oder jene uns zukommende Titulatur zu unſrer Verkleinerung uns verweigern wollen, oder ſie dieſelbe uns zwar mittheilen, aber nicht zu unſrer Beehrung, ſondern aus einem falſchen und haͤmiſchen Gemuͤthe, uns Fallen zu ſtellen, und zu verſuchen, ob wir dieſelbe wohl annehmen wuͤrden, weil ſie in den Gedancken ſtehen, als ob ſie uns nicht zukommen, ſondern vor uns zu viel ſey. Sie ſehen bißweilen eines und das andere wahre Gute an uns mit verkleinerlichen Augen an, und da ſie uns dieſer oder jener Præro - gativ vor unwuͤrdig erklaͤren, ſo verlangen ſie, wirſolten69Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. ſolten uns deſſen auch unwuͤrdig erkennen. (4) Wenn manches Gute, welches wir ſonſt zur Be - foͤrderung der Ehre GOttes, unſrer eignen und un - ſers Naͤchſten wahrer Gluͤckſeeligkeit, unſerm Stan - de Art und Verrichtungen nach, auszufuͤhren ver - moͤgend waͤren, entweder gantz und gar ſtoͤhren, oder doch hindern und aufhalten wuͤrden. Wo ſich nun dieſem angefuͤhrten andere gleiche oder aͤhnliche Faͤlle zutragen, muß man die einem gebuͤhrende Eh - re annehmen, und ſie auch retten, ſo viel als moͤg - lich.
§. 17. Außerdem aber, muß man in Annehmung und Abforderung der Titulaturen nicht allzuſcharff noch begierig ſeyn, inſonderheit wenn man wahr - nimmt, daß weder unſerer wahren Ehre, noch der Gluͤckſeeligkeit des dritten, hiedurch einiger Abbruch geſchiehet, und muß der andere nicht aus Boßheit und zu unſrer Verachtung, ſondern aus Einfalt und Unwiſſenheit, oder doch ſonſt auf eine unſchuldige Weiſe, etwas entziehet. Der Herr Benjamin Neukirch ſchreibet in ſeiner Anweiſung zu teutſchen Briefen p. 19. ſehr wohl: Wie man es ſo genau nicht nehmen muß, wenn einem ein andrer zu viel giebt, alſo muß man auch zufrieden ſeyn, wenn man in etlichen Dingen zu wenig empfaͤngt. Koͤnigen uud Potentaten iſt es nicht zu verargen, daß ſie ſteiff uͤber ihre Titul halten, denn ſie behaupten da - durch ihre Vorzuͤge und Rechte, aber andere ha - ben es nicht noͤthig, zumahl wenn es der Schrei - bende aus keiner boͤſen Meynung gethan.
E 3§. 18.70I. Theil. III. Capitul.§. 18. Bey gewiſſen Umſtaͤnden muß ein ver - nuͤnfftiger Menſch nicht allein ſeiner Begierde, in Annehmung der Titulaturen, die engſten Schran - cken ſetzen, ſondern ihr auch wohl gantz und gar wi - derſtehen. Meinem Beduͤncken nach iſt es rath - ſam, bey folgenden Faͤllen die Demuth auszuuͤben, und das Gepraͤnge des Tituls bey Seite zu ſetzen: (I.) Jn dem Beichtſtuhl. An dieſem Ort erſchei - net man vor dem Angeſicht GOttes, nicht als ein Cavalier und Hochwohlgebohrner Herr, nicht als eine Excellenz und groſſer General, ſondern als ein bußfertiger und um Gnade flehender Suͤnder, der ſich vor GOtt zu demuͤthigen hohe Urſache hat. (II.) Jn Gegenwart der Hoͤhern, die ſonſt durch die groſſe Titulatur, die wir zu eben der Zeit von den Geringern annaͤhmen, auf gewiſſe Maße faſt ver - unehret wuͤrden; Es iſt hier nicht die Rede von dem Titul des Prædicats und der Bedienung, in der man ſtehet, die einem der Hoͤhere ſelbſt mittheilet, ſon - dern von einer andern Ehren-Benennung, als, Jh - re Gnaden, Gnaͤdiger Herr, u. ſ. w. Kommt ei - nem die Titulatur vollends gar nicht zu, ſo iſt es noch thoͤrichter; Es laͤſt alſo ſehr abgeſchmackt, wenn ſich ein Schul-Monarche, in Beyſeyn eines groſſen Staats-Miniſters, von ſeinen Schuͤlern, Jhro Ex - cellenz nennen laͤſt. (III.) Jn Umgange mit denen Gelehrten, da ſie uns nach der Gnade, die ſie in den uͤbrigen Faͤllen vor uns haben, oder der Ungnade, mit der ſie uns anſehen, bey der Titulatur beſonders diſtinguiren; Jch verſtehe aber hierun -ter71Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. ter ſolche Hoͤhere, die in Anſehung unſerer Umſtaͤn - de, in denen wir uns befinden, bey unſerer Gluͤckſe - ligkeit oder Ungluͤckſeligkeit, etwas beſonders zu wuͤr - cken vermoͤgend ſind. (IV.) Jn der muͤndlichen und ſchrifftlichen Converſation, die wir nicht Amts und Beruffs wegen, ſondern als Freunde und Privat-Perſonen, mit unſern wahren und ver - trauten Freunden, pflegen, ſie moͤgen nun entwe - der dem Stande oder Character, oder auch beyden zugleich nach, etwas geringer ſeyn, als wir. Einen wahren Freund, deſſen Treue nnd Liebe wir durch alle Proben viele Jahre verſichert geweſen, und deſ - ſen er ſich durch laſterhafft Bezeigen nicht unwuͤr - dig gemacht, muͤſſen wir beſtaͤndig davor erkennen, ob er uns ſchon, der aͤuſſerlichen Gluͤckſeligkeit nach, nicht gleich gekommen. Dieſe ſtehet nicht allezeit in unſerer Gewalt, ſondern in einer hoͤhern Hand. Mit einem wahren guten Freund muß es heiſſen: Einmahl gut Freund, allezeit gut Freund; Bey die - ſem muͤſſen wir die Titulaturen u. Ceremonien bey Seite ſetzen. Er wird zwar freygebig ſeyn, uns alle aͤuſſerl. Ehren-Bezeigungen mitzutheilen, wir muͤſſen aber ſehr ſparſam ſeyn, ſelbige von ihm anzunehmen. (V.) Bey denen, die uns bey unſern ungluͤckſe - ligen Zuſtand, darein wir gerathen, Huͤlffe und Beyſtand leiſten, ſie moͤgen nun hoͤher, oder un - ſers gleichen, oder wohl gar geringere ſeyn. Jſt es mit uns ſo weit gekommen, ſo muͤſſen wir nur den - cken, daß hier die Leidens-Zeit ſey. Da muͤſſen wir unſere Titulaturen und andere aͤuſſerliche Eh -E 4ren -72I. Theil. III. Capitul. ren-Bezeigungen, die ſonſt unſerm Stand und Be - dienung gemaͤß, anderer Leute Gunſt und Diſcre - tion uͤberlaſſen, ſo lange, biß uns GOtt wieder in beſſere Umſtaͤnde geſetzt. Hochmuth iſt zwar uͤber - haupt ein ſchaͤndlicher Gefehrte der Armuth, ſie iſt aber noch unertraͤglicher, wenn man ſie gegen dieje - nigen ausuͤben will, deren Gnade, Gunſt oder Freundſchafft wir doch benoͤthiget, und nicht ent - behren koͤnnen. (VI.) Auf dem Sterbe-Bette, wenn wir an der Pforte der Ewigkeit ſtehen, die al - len Unterſchied der auf dem Erd-Creyße eingefuͤhr - ten Titulaturen den letzten Graͤntz-Stein ſetzt, ſol - ten wir billich auch dieſen Tand der Eitelkeit unter unſere Fuͤſſe treten, und vielmehr auf den, in der hei - ligen Tauffe erlangten, und im Himmel angeſchrie - benen Chriſten-Nahmen, unſere hoͤchſt-erfreuliche Blicke werffen.
§. 19. Man findet hin und wieder thoͤrichte Leu - te in der Welt, die ſich vor dasjenige ausgeben, ſo ſie doch nicht ſind, ſie legen ſich diejenigen Gradus, Prædicata, und andere Titulaturen bey, die ſie doch nimmermehr erhalten, und auch oͤffters nicht erhal - ten werden; ſie geben ſich an fremden Orten, und bey unbekandten Leuten vor Doctores, Licentia - ten, Edelleute, Baronen, Grafen, Hof - und Kriegs - Officianten, und vor alles aus, was ſie wollen; Sie vergnuͤgen ſich eine Zeitlang, ſo lange, als ſie Geld und Geſchicklichkeit haben, ihre falſche Perſon zu ſpielen, oder ihre Erdichtung unbekandt bleibet, mit dem Winde ihrer Einbildung; Wird aber ihrewahre73Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. wahre Geſtalt vor der Welt oͤffentlich kund und aufgedeckt, ſo iſt anch nachgehends ihre Schande um deſto groͤſſer, als erſtlich ihre vermeynte Ehre war. Sie empfinden nicht allein, mitten unter dem ſuͤſſen Genuß ihrer Ehre, eine ſtetswaͤhrende Furcht und Unruhe, daß einige Bekandte ihnen, uͤber Ver - muthen, die falſche Maſque, die ſie um ſich genom - men, ihnen abreiſſen moͤchten, ſondern haben auch noch, ohne die Schande, nicht ſelten eine harte und empfindliche Straffe zu erwarten, welche nach dem Unterſcheid des Verbrechen, und der Titulatu - ren, die ſie ſich zugeeignet, unterſchieden zu ſeyn pflegt.
§. 20. Kayſer Leopoldus ſchrieb anno 1674. an Dero Fiſcal am Kayſerlichen Cammer-Gericht zu Speyer: Es waͤre in Erfahrung kommen, wie ſich viele von den Ritter-Gliedern, Vaſallen und Landſaſſen im Heil. Roͤmiſchen Reich, eine Zeitlang her unterſtanden, einander gantz neue, ihnen nicht zuſtehende hoͤhere Titul und Prædicata zuzulegen, ohne daß ſie, oder ihre Vor-Eltern, die vorwenden - de Standes-Erhoͤhung von ihm, oder ſeinen Vor - fahren am Heil. Roͤmiſchen Reich, durch ordentli - che Conceſſion erlangt; andere aber, welche zwar mit Dero Bewilligung zu ſolcher Standes-Erhoͤ - hung, und andern dergleichen Privilegien, auf ihr unterthaͤnigſtes Anhalten, von ihm begnadiget wor - den, nachgehends aber ſelbſt ſolcher Wuͤrde Impor - tanz gleichſam nicht geachtet, auch ſie nicht ausfer - tigen und gebuͤhrlich erheben laſſen, und ſie dennochE 5der74I. Theil. III. Capitul. der Ehren-Titul und Prærogativen ſich gantz ſtraf - barlich angemaßt; Als ward befohlen, daß man, obhabenden Amts wegen, nicht allein auf einen und den andern, die ſich einer und andern Titula - tur und Prædicats, ohne ſolche erlangt zu haben, anmaßten, fleißig inquiriren, und gegen dieſelben verfahren ſolte, ſondern auch jedem ausſchreibenden Creyß-Fuͤrſten, die Erinnerung thun, daß ſie nicht weniger ihres Orts in dem Creyße gemeſſene Ver - ordnung vorkehren ſollen, damit hinfuͤhro niemand, wer der auch ſey, auf deſſen oder eines andern An - bringen, ein Titul oder Prædicat von neuem nicht, er koͤnne es denn mit denen hiezu erforderten Origi - nal Urkunden und Documenten in probanti for - ma, belegen, attribuirt und zugeſchrieben werden; und die hieruͤber betreten wuͤrden, ſolten mit gebuͤh - render Straffe angeſehen werden. S. Luͤnigs III. Theil der Teutſchen Reichs-Cantzley, p. 140.
§. 21. Andere machen es zwar nicht ſo grob wie die erſten, daß ſie ſich ſelbſt gewiſſe Titulaturen, Gradus und Prædicaten zueigneten, oder vor etwas anders ausgaͤben, ſie laſſen ſich aber doch die aͤußer - lichen Ehren-Bezeugungen, die ihnen andere ent - weder aus Einfalt und Unwiſſenheit, oder aus Schmeicheley und Eigennutz, oder auch wohl aus Tuͤcke und Falſchheit beylegen, gefallen; Weil dieſe Titulaturen, die ihnen ſelten vorkommen, ihre Ohren kuͤtzeln, ſo widerſprechen ſie denjenigen nicht, die ſie alſo beehren. Doch dieſe guten Leute, die dergleichen ihnen nicht zukommende Ehre eine Zeit -lang75Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. lang annehmen, ſtehen ſich ebenfalls gar ſchlecht vor, und gewinnen darbey ſehr wenig. Sind den andern, die ſie auf die Art beehrt, ihre wahren Um - ſtaͤnde recht bekandt, ſo ſpotten ſie ihnen in ihren Hertzen, daß ſie ſo thoͤricht ſind, und dasjenige, was ihnen nicht zukommt, annehmen. Es dencket mancher von ſolchen loſen Voͤgeln, der einen an - dern auf eine ungewoͤhnliche Weiſe titulirt, wie jener Mahler zu Torgau: Dieſer war lange in Jtalien geweſen, wo man mit Illuſtriſſime und Jhro Gnaden auch gegen gemeine Leute gar freygebig iſt; Er nennte jedermann Jhro Gnaden, wer zu Leipzig in Rothhaupts-Hofe in ſein Gewoͤlbe kam. Als ihm nun deswegen Erinnerung geſchehen, ſo ſagte er, ich will den wohl Jhro Durchlauchtigkeit nen - nen, der es verantworten will. Die groſſen Titu - laturen muͤſſen bißweilen gar theuer bezahlt wer - den, und wenn entweder derjenige, der einen vorhe - ro ſo beehret, nach eingezogner gewiſſern Nach - richt, den groſſen Titul mit einem kleinern wieder verwechſelt, oder ein andrer Bekandte dazu kommt, ſo lieget denn die eingebildete Ehre wieder in dem Brunnen.
§. 22. Ob nun wohl die Regel in Richtigkeit bleibt, daß man ſich, wie mit ſeinem Gluͤck, als auch mit ſeinem Stande, mit ſeinem Titul und mit allen ſeinen Umſtaͤnden begnuͤgen ſoll, ſo ereignen ſich doch bißweilen in der That einige Faͤlle, da ein ver - nuͤnfftiger Menſch eine Zeitlang von einigen Leuten mit gutem Grunde die Benennung eines gewiſſenGradus76I. Theil. III. Capitul. Gradus oder Prædicats annehmen kan, ob er ihn gleich nicht uͤberkommen, oder die Ausfertigung die - ſer oder jenen Titulatur zur voͤlligen Richtigkeit und Conſiſtenz gedyen. Die Faͤlle, bey denen ſich die Ausnahme von dieſer Regel zutraͤgt, koͤnnen mancherley ſeyn, theils, da man ſeinem Amte oder ſeinem Beruff nicht ſo wohl vorſtehen wuͤrde, wenn man ſich nicht hierinne nach dem irrigen Wahn der Leute richten wolte, theils, da einer einem gewiſ - ſen Amte oder Bedienung viele Jahre mit Ehren vorgeſtanden, und dasjenige, was man genennt wird, geweſen, obſchon beſondere Raiſons in We - ge geſtanden, worinnen man etweder die Titulatur nicht annehmen wollen, oder warum die Ausferti - gung des Prædicats einem ſchwer gemacht worden, theils auch, wenn es mit Verbewuſt und Connivenz der Obern und Vorgeſetzten geſchiehet, und die Zeit ſehr nahe iſt, da man einer gewiſſen Charge oder doch eines gewiſſen Prædicats theilhafftig werden ſoll. Alſo kan man es einem Medicinæ Practico nicht verdencken, wenn er von den Bauern oder dem gemeinen Volck das Ehren-Wort Doctor annimmt, ob er ſchon dieſen Gradum nicht erlangt; Wolte er ſich ihnen widerſetzen, und anfuͤhren, daß er es nicht waͤre, ſo wuͤrde ſeine gantze Wiſſen - ſchafft, und wenn ſie noch ſo fundamental waͤre, bey ihnen verdaͤchtig werden, ſie wuͤrden kein Ver - trauen in ihn ſetzen, und glauben, daß er nichts ver - ſtuͤnde, weil er ſich nicht als Doctor auffuͤhren koͤn - te und wolte; Wolte auch gleich mancher, um denLeuten77Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. Leuten dieſen irrigen Wahn zu benehmen, noch ſo viel Muͤhe anwenden, ſo wuͤrde er doch bey den we - nigſten etwas ausrichten, und die Einkuͤnffte wollen es doch nicht bey einem jeden erlauben, daß er dieſes Gradus nach ſeinem Ceremoniel habhafft werden kan; Ferner kan ein Obriſt-Lieutenant, der einige Jahre nach einander ein gantz Regiment, in Abwe - ſenheit oder bey Kranckheit eines Obriſten, mit Ruhm commandirt, von ſeinen Subalternen, oder auch von andern, die ihm ſeiner Meriten wegen freywillig alſo benennen, den Obriſten-Titul an - nehmen, ob er ihm ſchon noch nicht in forma bey - gelegt worden. Da ihrer viele in der Welt, ſo wohl auf Univerſitæten, als an Hoͤfen, bey den Armeen und auf den Rath-Haͤußern, dasjenige ge - nennt werden, welches ſie ihrer Ungeſchicklichkeit und Unerfahrenheit wegen doch nicht ſeyn koͤnnen, ſo duͤrffen auch einige bey manchen Umſtaͤnden den Nahmen annehmen, von demjenigen, was ſie in der That wuͤrcklich ſind, ob ſie ſchon des Tituls entbeh - ren muͤſſen.
§. 23. Ein vernuͤnfftiger Menſch wird alle Thorheiten, in welche ſich die Titul-Prahler zu ſtuͤrtzen pflegen, auf das ſorgfaͤltigſte vermeyden. Er wird zwar ſein Amt und ſeine Bedienung dem - jenigen, der ſich darnach erkundiget, mit Beſchei - denheit entdecken, es niemahls aber auf eine ſo af - fectirte Weiſe bewerckſtelligen, daß der Fremde doch ja alsbald, ehe er noch darum fragt, oder es verlangt / den groͤſten Titul erfahren moͤge. ZurErlaͤu -78I. Theil. III. Capitul. Erlaͤuterung dieſes Satzes werde ich aus Mag. Heegens Diſſertation von der Titelſucht der Ge - lehrten, folgendes Hiſtoͤrgen anfuͤhren: Er mel - det, daß einſtens ein Buͤrgermeiſter eines kleinen Staͤdtgens, der ſich ſo viel als Marcus, Tullius, Ci - ccro, eingebildet, auf der Reiſe, um ſeinen Durſt zu ſtillen, in einer Schencke eingeſprochen. So bald ihm die Bauern in der Schencke erblickt, haͤtten ſie ihm nun, der Gewohnheit nach, eine Ehre anzu - thun, zugeruffen: Monſieur, wollen ſie ſich nicht einmahl ſchencken laſſen? Es waͤre dem Herrn Buͤrgermeiſter ſehr empfindlich geweſen, daß ſie ihm nicht nach ſeinen Caracter genennt, und er haͤt - te ſehr geſorgt, um eine Tour zu finden, wie er ih - nen dieſes hinterbringen moͤchte. Er haͤtte endlich angefangen, ob ſie das Bier hier braueten? die Bauern haͤtten geſagt, ja. Darauf denn der Buͤr - germeiſter replicirt, ſie brauten zwar hier noch ziem - lich gut Bier, das hieſige Bier aber kaͤme doch dem - jenigen noch lange nicht bey, welches ſie vor vier - zehen Tagen bey dem Convivio ſolenni gehabt, als er in dem Staͤdtgen N. N. zum Buͤrgermeiſter creiret, conſtituiret, und inaugurirt worden. S. p. 30. Darauf denn die Bauern gewuſt, daß dieſer Herr ein Buͤrgermeiſter geweſen. Unſer Klein - ſtaͤdtiſche Buͤrgermeiſter hat wahrhafftig in dieſem Stuͤck noch viele ſeines gleichen, ſo wohl unter den Edelleuten, als unter denen von Buͤrgerlichen Stande.
§. 24. Unter die Titul-Prahlereyen gehoͤrt, wenneinige79Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. einige ohne Raiſon ihren Titul allenthalben hinkle - cken, als wie jener Subſtitute, der auf ſeinen reparir - ten Sau-Koben ſetzen laſſen: daß ihn N. N. Com - Paſtor hujus loci anno N. N. zierlich wieder auf - gerichtet, und ihm gegenwaͤrtige Geſtalt gegeben; ingleichen, wenn ſie an fremden Orten auf die An - frage der Thor-Schreiber ihren gantzen Titul her - ſagen, und ſolchen in die Thor-Zeddul mit Gewalt einſchreiben laſſen, da doch der Wohlſtand und die Gewohnheit nicht mehr erfordert, als daß ſie unter den vielen Titulaturen nur den vornehmſten aus - lieſſen. Noch toller aber iſts, wenn ſie gar von un - ſerm HErr GOtt groſſe Titulaturen verlangen, als wie jener Rector zu Wittenberg, Mag. Seger, der ſich unter ein Crucifix mahlen laſſen, mit folgenden Worten, die aus ſeinem Mund nach dem Heyland zu gegangen: Domine Jeſu Chriſte amar me? Aus dem Munde des Heylands hingegen waͤren folgende Worte: Clariſſime, Nobiliſſime, atque Doctiſſime, Domine M. Seger, Rector Scholæ Wittebergenſis, Meritiſſime atque Digniſſime, omnino amo te. Die Anzahl der Leute von die - ſer letztern Gattung duͤrffte wohl ſo gar groß nicht ſeyn, die ihre Titul-Sucht biß auf einen ſo hohen Grad treiben. Wer allerhand Schulfuͤchſereyen und Taͤndeleyen, die unter den Gelehrten, in Anſe - hung der Titulaturen, vorgehen, beyſammen ſehen will, darf nur des Herrn Hof-Rath Menckens Tractat, von der Marcktſchreyerey der Gelehrten, nachſchlagen, und die Diſſertation des Herrn Mag. Hee -80I. Theil. III. Capitul. Heegens von der Titul-Sucht der Gelehrten, ſo wird er einen ziemlichen Vorrath davon antreffen. Gehen nun unter denen, die andre an der Gelehr - ſamkeit und Welt-Weißheit uͤbertreffen wollen und ſollen, hierinnen ſo groſſe Thorheiten vor, ſo kan man leicht glauben, daß die Thorheit unter de - nen ſo genandten Ungelehrten, noch weit ſtaͤrcker ſeyn muͤße.
§. 25. Abgeſchmackt iſts, wenn einige auf frem - de Leute unwillig werden, daß ſie ihnen ihr gehoͤri - ges Prædicat nicht alſobald beylegen, da doch die - ſen Fremden keine Notification davon zugefuͤget worden. Sie verlangen auf eine thoͤrichte Weiſe eine gewiſſe Art einer Allwiſſenheit von ihnen, die ihnen nicht moͤglich. Es iſt auch wider den Wohl - ſtand, wenn einige, die unterſchiedene Prædicata und Caracteres zugleich fuͤhren, an fremden Oertern ſich bald nach dieſen bald wiederum nach jenen Ti - tul nennen und anmelden laſſen. Es ſcheinet die - ſes aus einer Unbedachtſamkeit, Ehrgeitz und etwan Leichtſinnigkeit herzuflieſſen, und giebet Gelegenheit zu manchen Critiquen, deren einer ſonſt koͤnte uͤber - hoben ſeyn, doch geſtehe ich auch gantz gerne, daß bißweilen Umſtaͤnde vorhanden ſeyn koͤnnen, da ei - ner nach beſondern Raiſons d’ Etat, nachdem er unterſchiedenen Bedienungen zugleich vorſtehet, und nach deren Unterſcheid etwas zu negociren hat, oder nachdem bey dieſer oder jener Fuͤrſtlichen Per - ſon, bey dieſem oder jenem Miniſter, dieſes oder jenes Prædicat in Anſehung gewiſſer Umſtaͤndeoder81Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. oder Hiſtorien / angenehmer oder verhaßter iſt, u. ſ. w. auf eine vernuͤnfftige Weiſe bald dieſen bald wiederum einen andern Titul erwehlen kan.
§ 26. Es iſt mehr als zu bekandt, wie ſeltzam es bey Austheilung der Titul hergehe. Mancher muß einen Titul annehmen, der ſich vor ſeine Umſtaͤnde im geringſten nicht ſchickt, und zu einer Bedienung gebrauchen laſſen, dazu er weder Luſt noch Geſchick - lichkeit hat, und hingegen eine andere, die ihm an - ſtaͤndiger waͤre, entbehren. Das Geld, die vor - nehmen Freundſchafften, das aͤuſſerliche Anſehen, eine laſterhaffte Vertraulichkeit mit einem viel ver - moͤgenden Frauenzimmer, helffen manchen zu einen Titul und zu einer Charge, der ſich darzu ſchickt, wie der Eſel zum Lautenſchlagen; oͤffters bleiben ſolche Leute in ihrer Ungeſchicklichkeit und Unerfah - renheit vor wie nach, und ergoͤtzen ſich entweder, wenn ſie bloſſe Titulares, mit dem Gelde und dem Staat, oder laſſen ſich doch unbekuͤmmert, ob ſie dem Amte mit Ehre oder mit Schande vorſtehen, ob ſie es ſelbſt, oder durch andere verwalten laſſen. Bißweilen werden aber auch wohl einige Ehrgeitzi - ge durch den Titul, der an und vor ſich ſelbſt keine Geſchicklichkeit zuwege bringt / angetrieben, daß ſie ſich zu der Bedienung, davon ſie die Benennung fuͤhren, nach und nach qualificirter machen, und manchen ſpoͤttiſchen Urtheilen der Leute, die ſich ſonſt uͤber ſie aufhalten, deſto eher entgehen. Vielmahls zwingt ſie die Noth, daß ſie ſich eine groͤſſere Ge - ſchicklichkeit zuwege bringen muͤſſen, wenn ihnen an -Fdere82I. Theil. III. Capitul. dere die Qualitæten zutrauen / die zu dem Amte, da - von ſie den Titul fuͤhren, erfordert werden, und gleichwohl niemand weder um ſich noch unter ſich haben, dem ſie hiebey koͤnnen zu Rathe ziehen, oder mit dem ſie ihre Ungeſchicklichkeit vermaͤnteln koͤnnen.
§. 27. Solte nun ein jetziger Cavalier in der Welt das Gluͤck haben, daß ihm ein großer Herr von freyen Stuͤcken ohne darum anzuhalten, einen Character mit oder ohne Beſoldung offeriren ſolte, ſo hat er vorhero folgendes dabey in Betrachtung zu ziehen: (1) Ob ihm auch hiedurch in der That groͤßere Ehre zuwachſe, als er vorher gehabt? (2) Ob er die Geſchicklichkeit beſitze, die zu Bekleidung dieſes Characters erfordert wird? (3) Ob er ſo viel Einkuͤnffte entweder ſelbſt habe, wenn es ein bloßer Tltul waͤre, oder da es eine Bedienung, ob die Be - ſoldung dabey ſo viel austrage, als wohl erfordert wird, dieſen Character mit Ehren zu behaupten, und (4) ob ſich dieſes Prædicat mit ſeinen uͤbrigen Um - ſtaͤnden wohl vereinigen laſſe, und ihm eine wahre und beſtaͤndige Zufriedenheit des Gemuͤths ver - ſchaffen koͤnne? Bey dem erſten Stuͤck muß er uͤberlegen, ob dieſer Titul entweder uͤberhaupt, oder doch in Anſehung ſeines Standes und ſeiner Le - bens-Art, die er ſich erwehlt, ungewoͤhnlich, ſeltzam, und diſrenomirlich, oder gewoͤhnlich, und ihm renomiꝛlich ſey? deñ ſonſt wuͤrde er hiebey mehr ge - ſchimpfft, als geehret werden. Bey dem andern, ob er die noͤthige Faͤhigkeit entweder beſitze, oder ſiedoch83Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. doch mit der Zeit erlangen moͤchte? Gleichwie kein Meiſter gebohren, und alſo kan auch ein junger Menſch bey Antritt ſeiner Charge nicht die Wiſſen - ſchafft und Erfahrung haben, die ſich ein andrer, der dieſem oder jenem Amte einige Jahre vorge - ſtanden, zuwege gebracht. Die Erfahrung nimmt mit den Jahren zu, es iſt genug, wenn er bey ſich be - findet, daß er ſich auf dasjenige, wozu er gebraucht werden ſoll, ziemlich applicirt, die Fundamenta da - von ſich bekandt gemacht, und zu den Verrichtun - gen, die dieſem Prædicat eigenthuͤmlich ſind, Luſt hat. Außerdem aber wuͤrde er ſich bey jederman veraͤchtlich machen. Es wuͤrde alſo einer, der ſich Zeit ſeines Lebens auf die Studia geleget, ſich um das Reiten nicht bekuͤmmert, und gar keine Erkaͤnt - niß von Pferden beſitzt, ſchlechte Ehre erlangen, wenn ihm die Bedienung eines Stallmeiſtes ange - tragen werden ſolte. Bey dem dritten Stuͤck, da er ſeinen Beutel zu Rathe ziehet, muß er ſeine Ge - dancken nicht allein auf das Gegenwaͤrtige, ſon - dern auch auf das Zukuͤnfftige richten. Es iſt nicht genug, daß er ſich getrauet einige Jahre auszuhal - ten, und den Staat mitzumachen, ſondern er muß auch den Uberſchlag machen, ob er ohne das ſeinige zu verzehren, und die Capitalien anzugreiffen, die Ausgaben ſeinem Herrn oder ſeinem Titul zu Eh - ren, beſtaͤndig fortſetzen koͤnne. Es iſt eine elende Sache, wenn der Character das Vermoͤgen ange - het, da einer in ſeinen maͤnnlichen Jahren, wie ein großer Herr lebt, hingegen auf das Alter, wie einF 2chara -84I. Theil. III. Capitul. characteriſirter und titulirter Bettler. Bey ſeinen Ausgaben darff er eben nicht auf die Reichſten und Wohlhabenſten ſeine Augen wenden, ſondern es iſt genug, wenn er ſeine Sachen hiebey ſo anſtellt, daß die Herrſchafft und ſeine Vorgeſetzten mit ſei - ner Auffuͤhrung zufrieden, ſeines gleichen ihn ihres Umganges uud Freundſchafft wuͤrdig achten, und die Geringen ihm diejenige Ehre erzeigen, die ſie dem andern nach ſeinem Stand und Character zu erwei - ſen ſchuldig ſind. Bey dem vierdten Stuͤck muß er alle und jede Umſtaͤnde, die mit dem Character ver - knuͤpfft ſind, und ſeine eigne Perſon, das iſt, ſeinen innerlichen und aͤußerlichen Zuſtand angehen, auf das fleißigſte und ſorgfaͤltigſte examiniren. Be - findet er nun, daß alles dieſes mit ſeinen Umſtaͤn - den ſo genau harmonire, daß ihm durch dieſes oder jenes Prædicat ein hoͤherer Grad der Gemuͤths - Ruhe zuwachſe, als er vorher gehabt, und ihm die - ſelbe, ſo viel er endlich nach ſeiner jetzigen Vermu - thung beurtheilen kan, durch eine darauf folgende Reue nicht unterbrochen werden moͤchte, ſo kan er im Nahmen GOttes ſich vor dieſe Gnade reſpe - ctive allerunterthaͤnigſt oder unterthaͤnigſt bedan - cken, und die Bedienung oder den Character an - nehmen.
§. 28. Nachdem ſich nun die Faͤlle heutiges Tages ſo gar oͤffters nicht zutragen, daß einem die Titul, ohne darum Anſuchung zu thun, von freyen Stuͤcken ſolten angebothen werden, und doch aus einem Prædicat ſo groß Werck gemacht wird, ſofragt85Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. fragt ſichs, ob nicht ein junger Cavalier wohl thut, wenn er ſelbſt um einen Titul bey einem groſſen Herrn anhaͤlt? Solte man einen Quacker die Ent - ſcheidung dieſer Frage vorlegen, ſo wuͤrde er ſie al - ſobald mit dem groͤſten Eyfer verneinen; ſintemal ſie wider alles Ceremonien - und Titular-Weſen auf das hoͤchſte erbittert ſind; ſie nennen die Titul, Luciferiſche Ehre, verfluchte Ehren-Nahmen, Nar - ren-Titul, Beſtien-Character, u. ſ. w. Sie ha - ben hierinnen ihre Freyheit, und muͤſſen andern Leuten auch ihre Freyheit laſſen. Jhre Saͤtze fin - den, in der Klugheit zu leben, und in der Ceremo - niel-Wiſſenſchafft kein Gehoͤr. Uberhaupt iſt es ſchwer, einem hierinnen eine Regel vorzuſchreiben, ſondern es beruhet dieſes auf eines jeden Umſtaͤnden. Dieſer handelt ſehr thoͤrlich, daß er um einen Titul Anſuchung thut, und jener hingegen vernuͤnfftig; ſintemahl ſich Faͤlle ereignen koͤnnen, da einer, auch in dieſem Stuͤck, wider ſeinen Willen genoͤthiget wird, der Opinion anderer Leute, an denen ihm et - was gelegen, ſeiner eigenen vorzuziehen.
§. 29. Da ein vernuͤnfftiger Menſch keine ein - tzige Handlung, ohne daß er durch einen zureichen - den Grund hiezu veranlaßt werden ſolte, vornehmen muß, alſo muß er auch allezeit eine wichtige Raiſon haben, wenn er um ein bloß Prædicat, (von dem je - tzund die Rede iſt,) anhalten ſoll. Er muß vorher wohl uͤberlegen, ob die gantze Verbeſſerung ſeiner Gluͤckſeligkeit bloß darinnen beſtehe, daß er dieſes Tituls theilhafftig wird, und einen andern NahmenF 3bekommt,86I. Theil. III. Capitul. bekommt, als er vorhin gehabt; oder ob auch an - dere Stuͤcke der wahren Gluͤckſeligkeit, die er ſonſt nicht ſo bald, und nicht ſo bequem erhalten koͤnnen, damit vergeſellſchafftet, oder daraus herflieſſen; er muß nicht bloß auf die aͤuſſerliche Ceremonien und Ehren-Bezeigungen ſehen, die ihm andere nunmehr erweiſen muͤſſen; denn dieſes ſind Taͤndeleyen, ſon - dern auf die wahre Ehre, die ihm hieraus zuwaͤchſt, ob er auch durch dieſes Prædicat in der That tuͤchti - ger werde, als vorhin, das Boͤſe zu hindern, und hin - gegen die Ehre GOttes, ſeine und ſeines Naͤchſten Vollkommenheit, mehr zu befoͤrden. Er muß ſich vorher ebenfalls pruͤfen, ob er wohl ſo viel Geſchick - lichkeit beſitze, daß er von andern Leuten dieſes Ti - tuls nicht vor unwuͤrdig geachtet, und dadurch mehr beſchimpffet, als geehret werde. Es iſt zwar ein groſſer Unterſchied unter einer wuͤrcklichen Bedie - nung, und unter einen bloſſen Titul und Prædicat, und wird zu jenem wohl freylich mehr erfordert, als zu dieſem. Da aber der Titul eine groſſe Aehnlich - keit mit dem Amte ſelbſt hat, und die Benennung den Schein von ſich giebt, als ob ſie mit der Bedie - nung einerley ſey, zumahl bey denen, welchen unbe - kandt, ob einer in wuͤrcklichen Dienſten ſtehe, oder nicht; ſo muß auch ein Titulair, der ſich bey ver - nuͤnfftigen Leuten nicht laͤcherlich machen will, den Schein von ſich geben, als ob er zu dieſem oder je - nem, davon er den Titul angenommen, nicht eben gantz und gar untuͤchtig ſey. Dieſes, was ich von der Capacitaͤt geſagt, iſt auch mit einiger Veraͤnde -rung87Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. rung auf die Einkuͤnffte zu appliciren. Ein Titu - lair hat freylich nicht noͤthig, ſo viel Figur zu ma - chen, als ein anderer, der in einem wuͤrcklichen Am - te ſtehet, und die Beſoldnng bekommt, er muß ſich aber doch auch ſo bezeigen, daß er ſeinem Prædicat gemaͤß lebet, und bey manchen Gelegenheiten, da es ſeines Herrn Ehre und Reſpect erfordert, dem wuͤrcklichen wenig oder nichts nachgeben, und alſo erweiſen, daß er im Stande waͤre, wenn er wolte, oder es noͤthig waͤre, denen andern, die in wuͤrckli - chen Dienſten ſtuͤnden, ſich bey ſeinen Ausgaben gleich aufzufuͤhren.
§. 30. Findet ein vernuͤnfftiger junger Cavalier einen tuͤchtigen Grund, um ein Prædicat anzuſu - chen, und er ſiehet, daß es mit ſeinen uͤbrigen Umſtaͤnden harmonirt, ſo haͤlt er die Mode mit, und laͤſt ſich einen Titul geben; wo aber nicht, ſo lebt er ohne Prædicat eben ſo geehrt, ſo ruhig und vergnuͤgt, und bißweilen noch gluͤcklicher als man - che Titulaire und wuͤrckliche Officianten. Weil ihm der Unterſchied unter der innerlichen und aͤuſ - ſerlichen Ehre ſehr genau bekandt, ſo weiß er, daß man auch ohne mancherley aͤuſſerliche Ehren-Be - zeigungen, die einem andere Leute, bißweilen wider ihren Willen, erzeigen muͤſſen, geehrt leben koͤnne. Man ſiehet hin und wieder, auf dem Lande und in groſſen Staͤdten, unterſchiedene rechtſchaffene und kluge Maͤnner, Adelichen nnd Buͤrgerlichen Stan - des, die ohne Titul und Character, bey Hoͤhern, bey ihres gleichen, und bey Geringern, in groͤſſernF 4Ehren88I. Theil. III. Capitul. Ehren und und Anſehen ſtehen, als andere betitulte. GOtt hat ihnen ſo viel Verſtand und Erfahrung mitgetheilet, daß ſie ſich durch ihre Wiſſenſchafften, oder doch ſonſt durch ihre Klugheit, vernuͤnfftige Auffuͤhrung, œconomiſche Erkaͤntuiß, u. ſ. w. be - ſonders verdient gemacht, ſie werden bey ihrem Nachbaren faſt vor Oracula angeſehen, von denen ſie ſich in verwirrten Angelegenheiten guten Bey - rath ausbitten, auch nicht ſelten von vielen characte - riſirten Leuten zu Rath gezogen, ſie haben ſich bey vielen neceſſair gemacht, die ihnen denn hernach gute Worte geben muͤßen, ſie haben gelernt ſich mehr in ſich, als unter dem groͤſten Schwarm un - artiger Leute zu vergnuͤgen, ſie befleißigen ſich vor - nemlich der wahren Ehre, und erlangen auch da - durch von andern viel aͤußerliche Ehren-Bezeugun - gen; ſie haben entweder dabey ihr reichliches Aus - kommen, daß ſie bey ihren aͤußerlichen viele von ih - res gleichen uͤbertreffen, und alſo auch bey dem Poͤbel ein groͤßer Anſehen gewinnen, oder GOtt beſchehret ihnen durch ihre Arbeit und Fleiß noth - duͤrfftiges Auskommen, daß ſie vor ſchmaͤhliger Armuth geſichert ſind, und bey ihrer guten Einthei - lung ordentlich und ruhig leben.
§. 31. Da nun einige meritirte und rechtſchaf - fene Leute keine Prædicate und Titul verlangen, und dieſelben auch wohl gar ausſchlagen, ſo koͤnnen die - jenigen um deſto eher gelaſſen ſeyn, die ihrer Be - muͤhung, die ſie daran wenden, ungeachtet denjeni - gen Character, um den ſie Anſuchung thun, zu derZeit,89Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. Zeit, da ſie ihn verlangen, nicht erhalten, ſondern dißfalls abſchlaͤgige Antwort bekommen. Sie moͤgen inzwiſchen nur immer fortfahren, ſich ver - dienter und qualificirter zu machen, ſo koͤnnen ſie an einen andern Orte oder zu einer andern Zeit mit gu - tem Grunde eines Prædicats erwartend ſeyn, und vielleicht mit mehr Realité als jetzund. Ein ver - weigertes kleines Gluͤck an dieſem Ort, hat ſchon manchmahl zu einem groͤßern an einem andern den Weg gebahnet. Es waͤre mancher unter Gelehr - ten und Hof-Leuten kein ſo vornehmer und angeſe - hener Mann in der Welt geworden, wann ihm nicht in den vorigen Zeiten ein ſchlechter Titul oder geringes Ehren-Aemtgen waͤre abgeſchlagen wor - den. Geſetzt, daß ſie auch gar keines Tituls ſolten habhafft werden, welches man ſich zwar bey denen, die Geſchicklichkeit und gute Auffuͤhrung haben, und ihre Zeit erwarten koͤnnen, faſt nicht vorſtellen kan, ſo koͤnnen ſie doch eben ſo wohl als die im vorher - gehenden §. auch ohne Prædicat als geehrte Leute leben. Es haben ſich viele durch ihren bloſſen Nahmen hoͤher geſchwungen, als andere durch die groͤſten Ehren-Chargen, und denſelben zu einen anſehnlichen Titul gemacht. Beſitzen ſie Ver - dienſte, ſo haben ſie auch mit guten Grund Ehren - Stellen zu hoffen. Fehlet es ihnen aber an Ver - dienſten, ſo gereicht ihnen auch alle aͤußerliche Ti - tulatur mehr zur Beſchimpffung, als zur wahren Beehrung,
§. 32. Da der Adel heutiges Tages ſo uͤberhaͤufftF 5iſt,90I. Theil. III. Capitul. iſt, daß die Bedienung, die man bißher den Cdelleu - ten zugeeignet, faſt nicht mehr hinlaͤnglich ſeyn wol - len, alle diejenigen, die deren begierig oder benoͤthi - get, zu verſorgen, und mancher auch wegen ſeiner ſchlechten Einkuͤnffte nicht in dem Stande iſt, einen adelichen Staat zu fuͤhren, ſo wird einer und der an - der gezwungen, ſich auf etwas zu appliciren, und ge - wiſſe Aemter, Gradus Academicos, oder Verrich - tungen zu erwehlen, die biß anhero unter dem Adel nicht Mode geweſen, und man buͤrgerliche zu nennen pflegt. Wie nun dergleichen Entſchluß manchen Leuten, denen es an gehoͤriger Scharfſinnigkeit fehlt, ungewoͤhnlich und wunderſeltzam vorkommt, auch dahero manchen beſondern Urtheilen unter - worffen wird; Alſo wird nicht undienlich ſeyn, an gegenwaͤrtigen Orte, eine und die andere vernuͤnffti - ge Betrachtung daruͤber anzuſtellen.
§. 33. Vorerſt ſetze ich dieſes zur Regel, daß ein junger Cavalier, ſo viel als moͤglich, ſeine Handlun - gen ſo einrichte, damit er ſich und ſeinen Zuſtand vollkommner mache, und hingegen alles unterlaſſe, was ihm entweder in der That und Wahrheit, oder doch nur dem Schein, und der irrigen Opinion der Welt nach, unvollkommner macht. Der Schein und die Einbildung der Menſchen, ob ſie ſchon kei - nen Grund hat, wuͤrckt hier eben ſo viel, als die Wahrheit. Da die Welt in ihrem Verſtand groͤſtentheils verblendet, die Jrrthuͤmer hegt und vertheidigt, und ſich davon nicht will abbringen laſ - ſen, ſo muß auch ein vernuͤnfftiger Menſch bey ſei -ner91Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. ner Auffuͤhrung dieſe Jrrthuͤmer zugleich mit vor Augen haben, damit er ihren, ob zwar irrigen Ur - theilen entgehen moͤge, und hingegen der Opinion, und der einmahl eingefuͤhrten Mode, Folge leiſte. Soll nun aber unſer junger Cavalier dieſe unum - ſtoͤßliche Regel zu ſeiner Vorſchrifft annehmen, ſo muß auch keiner, den GOtt mit ſo viel zeitlichen Guͤtern geſegnet, daß er ſeinen Adelichen Stand nach, ſich gemaͤß auffuͤhren, und cavalierement le - ben kan, dergleichen Lebens-Art, Bedienung, oder academiſche Wuͤrde annehmen, die von denen an - dern vor etwas ihnen unanſtaͤndiges angeſehen werden. Ein ſolcher Cavalier wuͤrde ſich, theils von denen, die mit ihm gleichen Standes, theils auch von den Geringern, die ihn aus Neid und Ja - louſie verachten wuͤrden, mancherley Verſpottung, Verdruß, leichtfertige Critiquen, Stachelreden und hoͤhniſche Geberden, daraus ſeiner innerlichen und aͤuſſerlichen Gluͤckſeligkeit mancherley Hinderniſſe erwachſen wuͤrden, uͤber den Hals ziehen, denen er entgehen koͤnte. Es ſtehen ihm ja, nach ſeinen Um - ſtaͤnden, allerhand Wege vor, zumahl, wenn er mit ſeinem zeitlichen Vermoͤgen, Fleiß, Geſchick - lichkeit auch gute Qualitaͤten verbindet, ſich ſolche Befoͤrderer zuwege zu bringen, durch welche er eine anſehnliche Adeliche Charge uͤberkommen kan. Treibet ihn ſein natuͤrlicher Zug zu einer gewiſſen, in eine hoͤhere oder geringere Facultaͤt lauffende Wiſſenſchafft, ſo iſt es ihm ja unverwehrt, dieſelbe aus dem Grunde zu ſtudieren, und die hierinnen er -langte92I. Theil. III. Capitul. langte Gelehrſamkeit durch oͤffentliche Specimina an den Tag zu legen, auch ſich ſelbſt und ſeinen Naͤchſten auf mancherley Weiſe damit Nutzen zu ſchaffen, ohne daß er ein oͤffentlicher Lehrer und Prediger wird, oder advocirt, oder als ein Medici - næ Practicus in der Welt herum ziehet. Will er erweiſen, daß er in der Gelehrſamkeit denen, wel - chen man Academiſche Gradus, zur oͤffentlichen Belohnung ihres Fleiſſes, auszutheilen pflegt, gleich gekommen, ſo kan er ſich ja eben ſo wohl, als wie ſie, dem Examini rigoroſo unterwerffen, ohne daß er noͤthig hat, mit der angenommenen Doctor - Wuͤrde zu prahlen, und in der Adelichen Bedienung GOtt und dem Lande ſo gute, und wohl noch beſ - ſere Dienſte leiſten, als bey dem Buͤrgerlichen Employ.
§. 34. Gleichwie ſich aber die Menſchen nicht in einerley Umſtaͤnden befinden, alſo koͤnnen auch nicht einerley Regeln allen zu einer Vorſchrifft dienen, ſondern die verſchiedene Faͤlle bringen mancherley Ausnahmen bey den Regeln zuwege. Jn dem vo - rigen § habe ich denen Cavalieren, die GOtt mit zeitlichen Guͤtern geſegnet, angerathen, daß ſie nichts erwehlen ſollen, ſo nach der heutigen Welt vor buͤrgerlich und ihnen vor unanſtaͤndig geachtet wird; wiewohl auch bey dieſem Satz die allge - meine Ausnahme noch ſtatt findet, ſie muͤſten denn in ihrer Seele voͤllig uͤberzeuget ſeyn, daß dieſer oder jener Entſchluß von dem dirigirenden Willen GOt - tes herruͤhre, welchem kein menſchlicher Wille Zielund93Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. und Maaß ſetzen darff. Jetzund will ich behau - pten, daß alle diejenigen von Adel, welche ſich in ſolchen Umſtaͤnden befinden, daß ſie bey ihrer Ade - lichen Lebens-Art ihre Gluͤckſeligkeit und Vollkom - menheit uͤberhaupt, entweder gar nicht, oder doch nicht ſo bald und ſo bequem befoͤrdern koͤnnen, als bey einer andern, ſehr vernuͤnfftig handeln, wenn ſie ſich auf etwas, ſo andere vor Buͤrgerlich achten, appliciren. Der ſtaͤrckere Grund, der einen zu einer Handlung noͤthiget, ſchmeiſt den ſchwaͤchern allezeit uͤber den Hauffen. Man iſt niemahls ſchul - dig, den Wahn der Leute zu folgen, wenn er uns an unſerer Gluͤckſeligkeit und Vollkommenheit hin - derlich; Es iſt beſſer, ſich durch Wiſſenſchafften, Gelehrſamkeit und Geſchicklichkeit, ſo mancher Un - wiſſender buͤrgerlich nennen moͤchte, ein Stuͤck Geld zu erwerben, und dabey ſein nothduͤrfftig Auskom - men zu haben, als ſeinen Juncker zu machen, und bey der Armuth und Unwiſſenheit bey andern, das Gnaden-Brod zu ſpeiſen, auf der Wurſt herum - zuziehen, Miſeriam zu ſchmeltzen, und das elende Handwerck eines Spielers zu ergreiffen. Es iſt anſtaͤndiger, eine Zeitlang bey einem buͤrgerlichen Employ ſeine Geſchicklichkeit zu erweiſen, und ſich dadurch auf eine geſchwindere und renomirlichere Weiſe den Weg zu einer anſehnlichen Adelichen Charge zu bahnen, bey der einer hernach Zeit ſei - nes Lebens Ehre und Verſorgung hat, als viele und lange Jahre auf dem Expectanten-Baͤnckgen zu ſitzen, und ſich mit leeren Winde der Hoffnung, undbeſtaͤn -94I. Theil. III. Capitul. beſtaͤndiger Anmahnung zur Gedult / abſpeiſen zu laſſen. Es iſt auch vernuͤnfftiger, bey einem ſo ge - nannten buͤrgerlichen Ehren-Amte, ſein Leben mit Ehre und Ruhe zu beſchlieſſen, GOtt, ſeinem Lan - des-Herrn, oder doch dem gemeinen Weſen zu die - nen, als ein Cavalier de Fortune, und wie ein inu - tile terræ pondus in der Welt zu leben. Es iſt wei - ſer, eine Academiſche Wuͤrde anzunehmen, und ſich durch Diſputiren, Practiciren, Collegia halten, u. f. bey wahren Weltweiſen Ruhm und Ehre zu erwer - ben, als mit der Adelichen Wuͤrde die Buͤrde der Verachtung und Unwiſſenheit zu vereinigen. Der Herr von Lohenſtein ſagt: Der Adel waͤre eine Nulle, die an und vor ſich ſelbſt nichts guͤlte, wenn aber die Ziffer der Wiſſenſchafft und Tugend da - bey ſtuͤnde, ſo guͤlte er ſehr viel. Koͤnte etwas we - niger ſeyn, als nichts, ſo moͤchte ich wohl ſagen, der Adel waͤre an und vor ſich ſelbſt eine Nulle, und wenn Unwiſſenheit, Untugend, und Armuth damit vergeſellſchafftet, ſo waͤre er noch weniger, als eine Nulle; ſintemahl ein Adelicher unwiſſender und laſterhaffter Bettler, unter allen nichtswuͤrdigen Menſchen der nichtswuͤrdigſte iſt, zumahl, da er ſich durch ſein eigen gottloß Bezeigen um ſein Vermoͤ - gen gebracht.
§. 35. Bey Beurtheilung der buͤrgerlichen Ver - richtungen, buͤrgerlichen Dignitæten und Aemter, ſtecken greuliche Jrrthuͤme, die aus Unwiſſenheit, aus einer thoͤrichten Mode-Sucht und aus Hoch - muth ihren Urſprung herleiten. (1.) Jſt es irrig, daßdie95Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. die Feder nicht eben ſo gut ſeyn ſolte, als der Degen nnd die Mouſquete. Denen Printzen, Grafen, und Edelleuten, und wenn es auch die Soͤhne der groͤſten Miniſtres ſeyn ſolten, wird es vor eine Ehre geachtet, wenn ſie im Kriege von unten auf, und von der Mouſquete an avanciren, und hingegen bey der Feder in Collegiis, wollen ſie gleich Ober - ſten und Capitains, das iſt, groſſe Raͤthe, werden, da doch mancher nicht capable iſt, einen Copiſten abzugeben; haͤtte einer oder der andere von unten auf gedienet, ſo koͤnte er mit beſtem Grunde die Sub - alternen corrigiren, und duͤrffte nicht von ihnen lernen. Die Geringern folgen in den andern Stuͤcken ſo gerne den Sentimens der großen Her - ren, und nehmen dieſelben zu ihrer Richtſchnur an, und gleichwohl wollen ſich viele vom Adel hierinnen nicht nach ihnen conformiren. Kaͤyſer, Koͤnige, Chur-Fuͤrſten, Fuͤrſten machen hiebey nicht den Unterſcheid, den ſolche Leute zu machen pflegen, ſie belohnen oͤffters die Tugend und Verdienſte ohne Unterſcheid des Standes, ſie betrachten die gerin - gern buͤrgerlichen Aemter, welche die von civilen Stande mit Ehren begleidet, als Stuffen, die ſie auf die hoͤchſten Stuffen der groͤſten adelichen Chargen erheben. Viel buͤrgerliche Verrichtun - gen legen den Grund-Stein zu Adelichen, Buͤrger - lichen u. Graͤflichen Dignitæten. Wenn manche doch in dieſem Stuͤck auf die ſonſt von ihnen ſo hoch - geſchaͤtzte Ahnen, ein wenig zuruͤcke ſehen wolten! Vor ein paar hundert Jahren ſchaͤtzten ſichs unſereOber -96I. Theil. III. Capitul. Ober-Großaͤlter-Vaͤter vor eine Ehre, wenn ſie das Amt eines Predigers, eines Amtmanns, eines Buͤrgermeiſters u. ſ. w. verwalten konten, oder geſchickt waren, einen Gradum Academicum an - zunehmen; und ihre Uhr-Enckel achten ſich derglei - chen vor eine Schande, und beſchimpffen alſo hier - inne ihre Vorfahren, von denen ſie doch allen ihren Glantz herleiten wollen. Faſt alle Auslaͤnder ſind hierinnen kluͤger als wir Teutſchen. Die Edel - leute in Franckreich, Jtalien, Engelland und in den Nordiſchen Koͤnigreichen, achten ſichs im gerinſten nicht vor diſrenomirlich, einige academiſche Gra - dus oder Bedienungen anzunehmen, oder ſich ſonſt einigen Verrichtungen zu unterziehen, die ein großer Theil unſers Adels in Teutſchland vor buͤrgerlich und ihnen unanſtaͤndig anſehen will.
§. 36. Jch koͤnte hier weitlaͤufftig anfuͤhren, daß dieſes nicht meine eigene Gedancken, ſondern daß viele rechtſchaffene und gelehrte von Adel in dieſem Stuͤck gleicher Meynung mit mir waͤren; ich halte es aber bey einer Sache, die auf der geſunden Ver - nunfft beruhet, vor unnoͤthig; Jedoch will ich ge - dencken, was der Herr von Tzſchirnauß in ſeinen getreuen Hofmeiſter p. 214. hievon erwehnet: Es iſt zu beklagen, ſagt er, daß ſich ſonderlich die Teut - ſchen, Reformirten und Evangeliſchen Religion zu - gethane Standes-Perſonen, ſo wenig auf die Theo - logie legen, und vor etwas unanſtaͤndiges achten, wenn einer Hof-Prediger, Superintendens, Do - ctor und Profeſſor Theologiæ werden wolte, un -geach -97Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. geachtet ſie ſehen, daß die Catholiſchen, ingleichen auch die Engliſchen Edelleute Frey-Herren und Grafen ſich gratuliren, wenn ſie die Ehre haben, al - lerley geiſtliche Aemter und Dignitæten zu beſitzen, weil ſie dadurch ihren gefallenen Familien entwe - der wieder aufzuhelffen, oder dieſelben wenigſtens vor dem Untergange zu guarantiren, und ihr eigen Brod zu erwerben, Gelegenheit bekommen. Bey der Mediciniſchen Facultæt finden wir wieder we - nig Standes-Perſonen, welche ſich auf die darun - ter gehoͤrige Studia appliciren, da ich doch mey - nen ſolte, es wuͤrden die an großer Herren Hoͤfen eingefuͤhrten Ehren-Stellen der Hof - und Leib - Medicorum, ingleichen der Land - und Stadt-Phy - ſicorum, ihrem Character gantz und gar nicht præ - judicirlich ſeyn.
§. 37. Es haben demnach einige von unſern teutſchen Edelleuten, ſonderlich vom Eingang dieſes Seculi an, ſehr wohl gethan, daß ſie durch alle die Vorurtheile, die andere bißher beſtrickt hielten, gluͤcklich durchgebrochen, und zu Befoͤrderung ihrer Ehre und Zufriedenheit, auf dergleichen Wegen ſichere Vorgaͤnger geweſen, derer andern, die ſich mit ihnen in gleichen Umſtaͤnden beſinden, nachfol - gen koͤnnen.
§. 38. Nachdem ich in dem vorhergehenden an - gefuͤhrt, was einer in Anſehung der Titul gegen ſich ſelbſt zu beobachten hat, ſo will ich in folgenden noch einige Regeln mittheilen, was man gegen andere bey den Titulaturen in Acht nehmen ſoll. EinemGFrem -98I. Theil. III. Capitul. Fremden und Unbekandten muß man keinen be - ſondern Titul beylegen, der etwan einem gewiſſen Stand und Character eigenthuͤmlich iſt. Deñ man ſtehet ſonſt immer in Furcht, daß man ihm zu viel, oder zu wenig geben moͤchte. Giebt man ihm zu viel, ſo moͤchte ers uns vor eine Einfalt, Nieder - traͤchtigkeit oder eigennuͤtzige Schmeichlerey und Schmarotzerey auslegen; giebt man ihm zu wenig, und er iſt ſehr ehrgeitzig, ſo wuͤrde es ihm verdrieſ - ſen, dieſemnach iſt am beſten, wenn man ihn mein Herr, ſchlechtweg nennt. Hat er keinen Bedien - ten bey ſich, den man fragen kan, und man kan es auch ſonſt nicht erfahren, wer eriſt, ſo mag er entwe - der damit vorlieb nehmen, oder wenn er meynet, daß ſeine Ehre dadurch verletzt wuͤrde, ſagen, wer er ſey, damit man ihm ſeinen rechten Titul geben koͤnne.
§. 39. Ein junger Cavalier thut uͤberaus wohl,[wenn] er ſich nach den Unterſcheid der Titulaturen / wie ſie ſo wohl ihrem Range, als andern Wuͤrckun - gen nach, nach den Hoͤfen und Oertern unterſchie - den zu ſeyn pflegen, erkundiget. Manche Chargen fuͤhren eine gleiche Benennung und einerley Titu - latur, und ſind dennoch ihren Prærogativen nach gar ſehr von einander abgeſondert. Mancher Cha - racter begreifft an dieſem Hofe eine ſehr anſehnli - che Bedienung unter ſich, und an einem andern Ho - fe wird kein groß Werck daraus gemacht. Wem nun dieſe Unterſchiede bekandt worden, weiß her - nach deſto beſſer, wie er ſich in dem Umgange gegeneinem99Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. einem jeden aufzufuͤhren, und was er in Anſehung ſeiner zu beobachten habe.
§. 40. Man muß einem jeden den Titul beyle - gen, der ſeiner Geburth, Bedienung, und ſeinem Stande gemaͤß iſt, darein ihn GOtt geſetzt, den die Hoͤflichkeit und Wohlſtand erfordert, und die Gewohnheit unſerer Zeiten eingefuͤhrt. Man dencke, daß man eben dergleichen von andern ver - lange, und auch dieſes von ihnen zu fordern berech - tiget. Will der andere, zumahl der Hoͤhere, aus beſonderer Hoͤflichkeit und Sittſamkeit oder Gna - de, die er vor uns bezeuget, eine gewiſſe Courtoiſie und Titulatur von uns nicht annehmen, ſo treibet uns zwar dieſes noch mehr an, ihn zu ehren, man muß ſich aber doch auch dasjenige, was er beliebet, gefallen laſſen, und ſich ſeinem Willen nicht allzu - ſehr wiederſetzen. Alſo findet man bißweilen ei - nige große Generals, die es nicht leiden koͤnnen, wenn man ſie Jhro Excellenz nennt, und die ſich lieber Herr General heiſſen laſſen.
§. 41. Wie nun die Humeure der Leute bey der Titulatur ſo wohl als in andern Puncten gar ſehr unterſchieden zu ſeyn pflegen, ſo muß man ſich vorher genau erkundigen, wie man einem jeden zu begegnen habe, damit man nicht verſtoße. Jſt einem an dergleichen Ceremonien-Werck ſehr viel gelegen, und man iſt nach den Umſtaͤnden, da - rinnen man ſich befindet, ſeiner Gnade oder Gunſt benoͤthiget, ſo ertheile man ihm einen ſehr groſſen Titul. Der ſeelige Chriſtian Weiſe ſpricht in ei -G 2nem100I. Theil. III. Capitul. nem ſeiner Schrifften: Kan dir der andere etwas helffen, ſo nenn ihn allmaͤchtig, wiewohl dieſes ein etwas zu leichtſinnig ertheiltes Conſilium. Jſt er aber nicht zum Ehrgeitz geneigt, ſo ſchreite man hierbey nicht aus den Schrancken.
§. 42. Bey einigen Umſtaͤnden, die ich oben an - gefuͤhrt, wenn z. E. der ander entweder die dieſem Prædicat zugehoͤrigen und eigenthuͤmlichen Dien - ſte wuͤrcklich verſiehet, oder verſehen hat, oder wenn der Character ſo gut als ausgemacht iſt, und es etwan nur noch an der Notification oder Aus - fertigung des Tituls fehlt, oder wenn der ander mit Connivenz der Hoͤhern durch die Obſervanz ſich in den Poſſeſs eines Tituls geſetzt, wie denn derglei - chen Caſus in der Welt auch bißweilen moͤglich, kan man zwar den andern im Reden oder Schreiben dieſen Character beylegen, uͤberhaupt aber iſt es wi - der den Wohlſtand, wenn man den andern einen Titul oder Prædicat giebt, den er nicht beſitzt, und mit Recht behaupten kan. Unſer Verlangen, den andern zu ehren, kan ihm ja kein Prædicat zuwege bringen. Dieſes dependirt von der Macht und Ent - ſchließung der Hoͤhern, ja auf gewiſſe Maß iſt es eine Art einer Beſchimpfung, die man ihm erzeiget, wenn man glaubt, daß der ander den, von einer Privat - Perſon, ihm zugeſchriebenen Titul annehmen wer - de. Jſt er eines gewiſſen Prædicats wuͤrdig, ſo wird er auch an ſeinem Ort und zu ſeiner Zeit ſchon Mittel und Wege finden, daſſelbe zu uͤberkommen, oder ohne dieſes Ceremoniel geruhig, und als ein geehrter Mann in der Welt leben. Der Titulgiebt101Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. giebt keine Verdienſte, ſondern ſoll ſie nur beloh - nen. Man hat ja mancherley Gelegenheit, die Hochachtung, die man vor dem andern hegt, an Tag zu legen, ob man ihn ſchon nicht nach einem falſchen Character benennt. Es iſt beßer, den an - dern in der That und im Wercke, als mit bloßen Worten zu ehren und zu lieben.
§. 43. Der Wohlſtand, die Hoͤflichkeit und Schuldigkeit erfordert, daß wir einen jeden diejeni - gen aͤußerlichen Ehren-Bezeugungen leiſten, die ihm nach ſeinem Stande oder Prædicat zukom - men, ob er ſchon ſeinen Einkuͤnfften nach nicht ſo groſſen Staat und Figur machen kan, als ein an - drer. Jſt er unſerer Wohlthaten und Huͤlffe nicht benoͤthiget, ſo haben wir uns auch um ihn nicht zu bekuͤmmern, und ihm bey ſeinen Ausgaben keine Vorſchrifft zu ertheilen. Darum haben ſich ſeine Herrſchafft und ſeine Vorgeſetzten zu befragen. Des andern Abgang an zeitlichen Guͤtern ertheilt uns kein Privilegium, ihm dasjenige zu verſagen, was ſein Amt oder Stand mit ſich bringen. Der Chriſtlichen Liebe nach ſind wir verbunden auch denjenigen alle aͤußerliche Ehre zu erweiſen, die ih - nen zugehoͤrig, die ſich in der groͤſten Armuth be - ſinden, und unſerer Liebe und Gutthat beduͤrfftig. Ob ſie ſchon, wenn ſie ſich als Vernuͤnfftige bezeu - gen wollen, in dergleichen Umſtaͤnden mancherley Ehren-Benennungen nicht von uns begehren noch annehmen werden, ſo muͤſſen wir doch bereitwillig ſeyn, ihnen ſolche anzubieten; da ſie durch ihre Ar - muth allbereits ungluͤckſeelig ſind, muͤſſen wir ſieG 3durch102I. Theil. III. Capitul. durch Verachtung und Beſchimpffung nicht noch ungluͤckſeeliger machen. Ein anders waͤre es, wenn ſie ſich laſterhafft dabey auffuͤhrten; denn da alle aͤußerliche Ehre eine Belohnung der Tugend ſeyn ſoll, ſo ſteiget dieſelbe mit gutem Grunde bey laſter - hafften Armen um viel Grade tieffer herunter.
§. 44. Gleichwie die Armuth an und vor ſich ſelbſt keine rechtmaͤßige Gelegenheit giebt, den an - dern um deswillen gering zu achten; alſo verdienet auch der Reichthum an und vor ſich ſelbſt nicht, daß man den andern dieſerwegen erhebt. Jn ſo weit, als der andere, durch ſeinen Fleiß, Tugend und Ge - ſchicklichkeit, zu Vermoͤgen gekommen, in ſo weit iſt er auch, um ſeiner Tugenden willen, aller Ehre wuͤr - dig; er verdienet aber deswegen keine weitern aͤuſ - ſerlichen Ehren-Bezeigungen, als ein anderer, der mit ihm von gleichem Stand, Bedienung und Ge - werbe, aber weniger Einkuͤnffte hat. Will ſich ein Thore, wie es nicht ſelten zu geſchehen pflegt, auf ſein vieles Geld etwas einbilden, und nicht allein uͤber andere ſeines Standes, ſondern auch wohl, die noch hoͤhern Standes als er, erheben, ſo muß man ihn ſeiner Einbildung uͤberlaſſen, er wird deswegen nicht in der That etwas hoͤhers. Jn den Toll - haͤuſern findet man Raſende, die ſich einbilden, ſie waͤren Kayſer und Koͤnige. Man muß ſich hier - innen nicht dem Poͤbel conformiren, der die Leute nur nach dem Gelde und dem aͤuſſerlichen Staat, den ſie fuͤhren, zu reſpectiren pflegt; Alſo heiſſen die Bauren denjenigen unter ihnen, der der wohl -haben -103Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. habenſte iſt, nicht Goͤrge und Matthes ſchlecht weg, ſondern Herr Goͤrge und Herr Matthes ja ſie ach - ten ihn wohl gar vor vornehm; wie ich denn ſelbſt dieſen vorher mir unbekandten Satz aus eigener Erfahrung erlernt: Als ich mich einſten, bey einer Promenade in Durchpaſſirung eines gewiſſen Dorffes, bey einem Bauer erkundigte, wer denn in dieſem Hauſe, welches vor andern gantz reinlich ausſahe wohnte, ob es etwan ein Vorwerg waͤre, oder wem es ſonſt zugehoͤrte? So gab er mir zur Antwort: es waͤre gar ein Vornehmer, der darin - nen wohnte; und nach weitern Befragen, wer es denn waͤre, erklaͤrt er ſich, es waͤre zwar auch nur ein Bauer, er waͤre auch nicht Richter noch Schoͤppe, aber doch ſonſt vornehm. Weil mir nun dieſes ſehr widerſprechend und laͤcherlich vorkam, und mich nach der Raiſon dieſer Benennung erkundigte, ſo erfuhr ich doch weiter nichts, als daß er ſehr viel Geld haͤtte, und lernte alſo, daß wohlhabend - und vornehm-ſeyn bey den Bauren Synonyma waͤren. Die Schmarotzer machen es in dieſem Stuͤck nicht viel beſſer, als der Poͤbel; ſie erzeigen allen denje - nigen, bey denen ſie ſchmauſen, und mit denen ſie ſchmauſen, um ihres Freſſens, Sauffens und Eigen - nutzes willen, alle aͤuſſerliche Ehren-Bezeigungen, Titul und Benennung, die ſolche Leute nur anneh - men wollen, ſie moͤgen vor ſie gehoͤren, oder nicht.
§. 45. Aeuſſerliche Ehre, Titul, Character, und hoͤherer Stand, ſoll allezeit eine Belohnung ſonder - barer Tugenden und ruͤhmlicher Thaten ſeyn, undG 4iſt104I. Theil. III. Capitul. iſt es auch bißweilen; wie aber der Neid und die Eyferſucht allezeit ein treuer Gefehrte des Gluͤcks, der Tugend und des Ruhmes, alſo geſchicht es gar oͤffters, daß manche, wenn ſie hoͤren, daß ein ande - rer, entweder durch beſondere Direction GOttes, durch das bloſſe Gluͤck, oder auch durch Verdienſte, nebſt ihnen in einen gleichen Grad des Gluͤcks und der Ehre geſtellt - oder wohl gar noch auf eine hoͤhere Ehren-Staffel placirt wird, vor Neid, Zorn und Grimm faſt zerberſten wollen. Sollen ihm hoͤhe - re Prærogativen zugeſchrieben werden, und der hoͤ - here Stand und Character iſt noch nicht zur voͤlli - gen Conſiſtenz gedyen, ſo ſuchen ſie es zu hintertrei - ben, wo ſie nur wiſſen und koͤnnen, ſie legen ihm ſehr viel Steine des Anſtoſſens in den Weg. Sind ſie aber dabey nicht mit zu Rath gezogen, und die andern ohne ihr Zuthun zu einem groͤſſern Gluͤck gekommen, ſo fangen ſie an, ihre Perſonen bloß um des Gluͤcks willen zu haſſen, ob ſie ihnen gleich ihr Lebtage nichts zu Leide gethan; Werden ſie nicht von den Hoͤhern, oder aus Noth gezwungen, ſie zu ehren, da ſie ſich vor ihrer Macht zu fuͤrchten ha - ben, ſo machen ſie ihnen den Rang, Titulatur, und andere aͤuſſerliche Ehren-Bezeigungen, ſchwer und diſputirlich, und legen ihnen wohl gar hinterwerts ſpoͤttiſche Nahmen bey. Die, mit ihnen von glei - chem Stande, verlangen die eintzigen zu ſeyn, die, oder deren Vorfahren, ſolcher Titul, Ranges und Benennungen wuͤrdig geachtet werden; die Ge - ringern ſind noch verdruͤßlicher, daß ſie vor ihnenden105Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. den Vorzug erlangt. Gleichwie nun aber ein Vernuͤnfftiger gar wohl erkennet, daß dieſes alles Ausbruͤche des Hochmuths und einer thoͤrichten Selbſt-Liebe, dadurch der Direction GOttes, der Hoͤchſten dieſer Welt, und uͤberhaupt auch der Hoͤ - hern, Ziel und Maaß ſolte geſetzt werden, und ein ſolcher Widerſtand vor unvernuͤnfftig und vergeb - lich zu achten; So ſind ſie auch willig und bereit, al - len denjenigen Ehre zu geben, denen entweder ihrer Verdienſte, oder dem Befehl und Willen der Hoͤ - hern nach, Ehre gebuͤhret.
§. 1.
DEr Rang iſt eine hoͤhere Stelle, die einem wegen eines hoͤhern Grads, einiges, ent - weder wahren oder nur eingebildeten, Ruhmes und Anſehens, vor dem andern zugeſchrieben wird, und von dem einige, theils wich - tigere, theils geringere Vorzuͤge, herflieſſen. Er wird mehrentheils nach dem Stand, Bedienung und Gewerbe, und der damit verknuͤpfften Titula - tur und Benennung reguliret, und leidet mit ihrer Veraͤnderung entweder ſeine Verbeſſerung, oder Verringerung. Obgleich wenig Realite dabey anzutreffen, ſo ſind doch die Ehrgeitzigen ungemeinG 5darauf106I. Theil. IV. Capitul. darauf erpicht, ſie verfechten ihn, obwohl oͤffters zur Unzeit, wie unten mit mehrern erhellen wird, auf das hitzigſte, und ſorgen mehr vor die Ober-Stelle, als vor die Seele, ſie achten ſichs vor die groͤſte Schande, wenn ſie einem andern, den ſie nicht vor ſo gut achten, als ſich ſelbſt, nachgeben ſolten, und erfreuen ſich ungemein, wenn ſie hierinnen eine Conquête uͤber den andern erlangt; Wie ſie ſich nun ſelbſt viel daraus machen, ſo verdencken ſie es auch den andern, wenn ſie ihren Rang nicht mit eben der Schaͤrffe, als wie ſie, behaupten, ſie ach - ten ſie vor niedertraͤchtig und allzu demuͤthig, ſie he - tzen ſie auf, zur Behauptung der Oberſtelle, u. ſ. w.
§. 2. Herrſchet bey einer Sache die Eitelkeit und thoͤrichte Opinion, die ſich bißweilen von niemand, es ſey auch wer es wolle, will Feſſel anlegen laſſen, ſo iſt es bey dem Rang-Weſen. Die Kayſer, Chur - und andere Fuͤrſten des Heil. Roͤmiſchen Reichs, moͤgen anbefehlen, wie ſie wollen, die Pu - bliciſten und Geſchicht-Schreiber moͤgen noch ſo muͤhſam ſeyn, das Alterthum, und die Vortreff - lichkeit und Wuͤrde dieſes oder jenen Standes, die - ſe oder jene Titulatur und Benennung zu erweiſen, die Facultaͤten und Schoͤppenſtuͤhle moͤgen in viel wiederholten Urtheilen den Rang decidiren, ſo wollen ſich einige hartnaͤckigte Leute doch nicht len - cken und von ihren Gedancken abbringen laſſen, als ob ihnen vor jenen der Vorzug gebuͤhre. Sie muͤſ - ſen ſich zwar durch die Macht der Hoͤhern und aus Noth zwingen laſſen, den andern, bey einigen un -ver -107Vom Range. vermeidlichen Gelegenheiten, den Rang zu geben; Sie thun es aber mit dem groͤſten Widerwillen, und vermeiden auf das ſorgfaͤltigſte alle Faͤlle, bey denen ſie mit dem andern, dem ſie in ihrem Hertzen den Vorzug vor ihnen abſprechen, concurriren moͤgten.
§. 3. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß in den Landes-Ge - ſetzen und Policey-Ordnungen mehr darauf geſehen wuͤrde, als ſo nicht zu geſchehen pflegt. Haͤtte man allgemeine Rang-Ordnungen, darinnen die Range aller Unterthanen, ſo viel als moͤglich, vorgeſchrie - ben, und mancherley hierbey vorkommende Faͤlle deutlich decidirt wuͤrden, ſo wuͤrde mancher hieraus zu erwachſenden Unordnung, und manchen unnuͤtzen Rang-Streitigkeiten vorgebeuget werden, und die Richter haͤtten nachgehends ſichrere und beſſere Fundamenta, darnach ſie zu ſprechen haͤtten. So aber haben ſie nichts vor ſich, als die wenige Obſer - vanz und Poſſeſs; doch mit dieſem iſt es nicht alle - mahl ausgerichtet, ſintemahl ſich die neuern Wuͤr - den und Titulaturen daraus nicht decidiren laſſen. Die Ausſpruͤche der Roͤmiſchen, Longobardiſchen und Paͤbſtlichen Geſetze, ſchicken ſich bey dieſer Ma - terie zu unſerer Teutſchen Verfaſſung faſt gar nicht. Die Lehren der geſunden Vernunfft und des na - tuͤrlichen Rechts ſind gut, und geben hiebey das be - ſte Deciſum; es iſt aber ſchlimm, daß faſt ein jeder Rechts-Lehrer nach ſeinem Kopff ein natuͤrliches Recht machen, und ſolches nach ſeiner Willkuͤhr erklaͤren will.
§. 4.108I. Theil. IV. Capitul.§. 4. An den Hoͤfen wird denen Hof-Bedienten der Rang, nach denen vorgeſchriebenen Rang - Ordnungen, zuerkandt, und die ſtreitigen Faͤlle dar - aus decidirt; ſie geben aber auch groͤſtentheils ein gar unvollſtaͤndiges principium regulativum ab. Die Hof-Bedienten, von dem groͤſten Rang, finden wohl ihren Platz darinnen, aber die von den gerin - gern Bedienungen, ſind mehrentheils ausgelaſſen; ſo wird auch nicht darinnen ausgemacht, wie es zu halten, wenn ſie an dem dritten Orte mit den Be - dienten von andern Fuͤrſtlichen Hoͤfen zuſammen kommen. Sie ſind ſtetswaͤhrenden Veraͤnderun - gen unterworffen, und wird man wenig Rang - Ordnungen antreffen, die ein zehen Jahr nachein - ander ein beſtaͤndig Reglement abgeben ſolten. Uberdieſes geſchehen auch zu der Zeit, da ſie ihren Valeur haben, beſtaͤndig Ausnahmen von der Re - gel. Jſt einer oder der andere, der entweder durch ſeine Meriten, oder durch das bloſſe Gluͤck, ſich bey der Herrſchafft in beſondere Gnade geſetzt, oder ein Favori eines Favoriten worden, oder ein Anver - wandter eines groſſen Miniſters, der bey Hofe wohl angeſehen, ſo wird er vor einem andern, der mit ihm von gleichem Range, durch mancherley Ehren-Be - zeigungen diſtinguirt, und bey dieſer oder jener Ge - legenheit ihm vorgezogen, es mag der Rang-Ord - nung gemaͤß, oder ihr zuwider ſeyn. Hingegen muß ein anderer, der durch boßhaffte Leute verleum - det und angeſchwaͤrtzt, und bey der Herrſchafft in einen gewiſſen Grad der Ungnade geſetzt worden,das109Vom Range. das Nachſehen haben, ob er ſchon ſonſt, der Rang - Ordnung nach, den Rang uͤber den andern hat.
§. 5. Die Stelle zur rechten Hand iſt zwar faſt bey allen Voͤlckern, und von den Uhr-aͤlteſten Zei - ten an, wie aus Goͤttlicher Heiliger Schrifft be - kandt, vor die vornehmſte geachtet worden; man findet aber doch wohl bey gewiſſen Faͤllen die Aus - nahme von dieſer Regel. Alſo meldet der Herr Hofrath von Nemitz in ſeiner Nachleſe beſonderer Nachrichten von Jtalien, p. 406. daß, wenn man zu Venedig in einer Gondola fuͤhre, die lincke Sei - te den place d’honeur abgebe, die Urſache davon waͤre dieſe, daß man an dieſer Seite der Beſpruͤ - tzung von dem Rudern am wenigſten unterworf - fen waͤre; So lehret auch uͤberhaupt die geſunde Vernunfft, daß wo ſich in Gehen, in Fuͤhren einer Dame, u. ſ. w. ereignet, daß die Perſon auf der rechten Hand, einer großen Beſchwerlichkeit oder Gefaͤhrlichkeit unterworffen waͤre, und hergegen die auf der Lincken, einen viel ſichern Platz haͤtte, daß man alsdenn zur Erhaltung einer groͤſſern Vollkommenheit die lincke Hand der rechten vor - ziehen muͤſſe.
§. 6. Der Tugend-Lehre und dem Wohlſtand nach, muß ſich ein vernuͤnfftiger Menſch bemuͤhen, dem andern mit Ehrerbietung zuvor zu kommen, er muß ſich im geringſten nicht uͤber den andern erhe - ben, ohne Grund die Ober-Stelle niemahls ſelbſt einnehmen, oder doch bey der erwehlten, oder ihm zugetheilten, gegen die andern alle nur erſinnlicheHoͤf -110I. Theil. IV. Capitul. Hoͤflichkeit bezeigen. Es zeiget ſonſt eine ſehr groſſe Thorheit an / wenn einige nicht allein bey Leich - Proceſſionen, oder an der Tafel, ſondern auch bey allen Gelegenheiten im Gehen, Stehen, Sitzen, u. ſ. w. auf eine ſehr affectirte Weiſe ihren Rang behaupten wolten. Ein vernuͤnfftiger Menſch wird bey den Faͤllen, da er ſelbſt Macht hat uͤber ſeinen Rang zu diſponiren, auch gegen diejenigen, uͤber die ihm unſtreitig der Rang zuſtehet, com - plaiſant ſeyn, er wird ihnen nicht mit Gewalt vor - lauffen, oder ſich mit Ungeſtuͤm vordringen, ſondern ihnen vielmehr Ehren-halber Complimens und Reverences machen, und dasjenige, was ſie ihm zu leiſten willig und ſchuldig ſeyn werden, aus Hoͤf - lichkeit zuerſt anbieten.
§. 7. Jnſonderheit wird er in ſeinem Hauſe ge - gen Fremde, die ihren Beſuch bey ihm abſtatten, von dem ihm zukommenden Range viel abbrechen, ſintemahl auch wohl hohe Standes-Perſonen und die Miniſtri hierinne viel nachgeben, damit ſie den Ruhm der Hoͤflichkeit und Complaiſance davon tragen. Die Geringern koͤnnen ſich hierauf nichts einbilden, und kein Recht hiedurch erlangen, ſinte - mahl dieſes bloſſe Wuͤrckungen der Hoͤflichkeit. Der ehmahlige Frantzoͤſiſche Groß-Cantzler Mon - ſieur de Chavergny vermahnet in ſeiner Inſtru - ction ſeinen Sohn mit folgenden Worten, p. 407. Il eſt bien ſeant a un homme d’ honneur de remettre quêque choſe de ſon rang, a l’ endroit de ceux, qui viennent le privèment viſites, ail -leurs111Vom Range. leurs en il doit commandes, il ne doit rien cedes de ſon rang & de ſon autorité.
§. 8. Es iſt eine faſt durch gantz Teutſchland und andre Europaͤiſche Provintzen gehende bekandte Obſervanz, daß bey einigen Faͤllen, theils bey froͤ - lichen, theils bey traurigen Begebenheiten, einige, und wenn es auch gleich die geringſten Leute waͤren, uͤber alle die andern den Rang und Vorzug haben. Alſo gebuͤhrt die Ober-Stelle bey den Hochzei - ten der Braut und Braͤutigam, bey Kindtaufften den Gevattern, bey den Leich-Proceſſionen den naͤchſten Bluts-Freunden. Wie nun dieſes al - lenthalben privilegirt, ſo wuͤrden ſich diejenigen ge - waltig vergehen, die in den Gedancken ſtuͤnden, als ob durch ſolche geringe Leute ihrem Stande und Range præjudicirt wuͤrde, und ſich vor ihnen eine Ober-Stelle zueignen wolten. Hingegen iſt es auch eine feine aͤußerliche Zucht, wenn die andern, da es, ohne Verletzung einer gewiſſen Art des Wohlſtandes und einer allgemeinen Gewohnheit, geſchehen kan, auch bey dieſen Faͤllen, denen Hoͤhern ihre Ober-Stellen anbiethen, und ſolche nicht eher, als biß ſie es befohlen oder erlauben, einnehmen.
§. 9. Gegen Fremde, das iſt, gegen diejenigen, die ſich nur eine Zeitlang an unſerm Orte aufhalten, kan man nicht hoͤflich und ehrerbietig gnug ſeyn. Es gereicht dieſes zu unſern beſondern Nachruhm, und bringt uns kein Præjudiz zuwege, ſie gehen wieder von uns, und laſſen uns unſern Rang, der uns ſonſt zuſtehet, in Ruhe; Bey den Einheimiſchenaber112I. Theil. IV. Capitul. aber muß man bey dieſer Freygebigkeit ſchon behut - ſamer ſeyn. Befindet man ſich aber ſelbſt an frem - den Orten, muß man allezeit den unterſten Platz er - wehlen, denn ſonſt wuͤrde man vor ſehr grob und einfaͤltig angeſehen ſeyn. Es werden ſich ſchon Leute finden, die zu uns ſagen werden, Freund ruͤcke hinauf, und ſo werden wir denn mehr Ehre haben, als wenn wir ſelbſt eine hoͤhere Stelle eingenom - men haͤtten. Befindet man ſich in Geſellſchafften, wo noch Hoͤhere vermuthet werden, ſo muß man niemahls die Ober-Stelle einnehmen, und ob man ſchon einer von den erſten mit waͤre, ſondern vor dem, der noch erwartet wird, und von hoͤhern Stan - de und Character iſt, einen Platz laſſen. Es iſt zwar die Schuldigkeit eines Wirths, daß er Sorge trage, und ſeinen Gaͤſten von dem Vornehmern, der noch erwartet wird, Nachricht ertheile, und den Platz vor ihn aufhebe. Weil aber einige Wirthe darinnen unwiſſend oder nachlaͤßig ſind, ſo kan es nicht ſchaden, wenn man ſich bißweilen bey einer und andern Gelegenheit, wo es mit guter Manier geſchehen kan, ſelbſt hiernach erkundiget. Es wird dem Hoͤhern beſſer gefallen, wenn ſein Platz bey Zeiten vor ihm aufgehoben wird, und unbeſetzt bleibt, als wenn hernach, da ein jedes von ſeinem vo - rigen Stuhl ruͤcken muß, eine Confuſion wird; Es iſt auch vor dem, der an der hoͤchſten Stelle ge - ſeſſen, keine große Ehre, wenn er wieder herunter ruͤcken muß.
§. 10. Ein junger Cavalier hat an den Hoͤfenoder113Vom Range. oder in großen Geſellſchafften wohl zu beurtheilen und Acht zu haben, ob bey dieſer oder jener Hand - lung der Rang ſcharff und genau beobachtet werde oder nicht, ſonſt wuͤrde er auf die eine oder andre Weiſe verſtoſſen, wuͤrde ein ſehr ſtrenger Rang ob - ſervirt, und er wolte hierinnen nachlaͤßig ſeyn, und ſeinen eigenen und der Mit-Anweſenden Stand und Character nicht in Betrachtung ziehen, ſo wuͤrde man ihn vor einen unhoͤflichen und einfaͤlti - gen Menſchen achten, der nicht zu leben wuͤſte. Machte man ſich aber aus dem Range nichts, und er wolte allein ſo ceremonieus ſeyn, ſo wuͤrde es ebenfalls gar laͤcherlich heraus kommen. Man findet in der That nach dem Unterſcheid der Hoͤfe und auch andern Geſellſchafften hierinnen einen Unterſcheid. An einigen Orten gilt außer dem Vorzug, den man den Dames und einigen hohen Standes-Perſonen oder großen Miniſtris goͤnnt, eine bloße Hoͤflichkeit, die man einander erzeiget, und eine angenehme Freyheit mehr, als alles ver - drießliche Rang - und Ceremonien-Weſen. An andern hingegen erſtreckt man auch den Rang biß auf die geringſte Kleinigkeiten. Man ſpeiſet nach dem Range, nach der Tafel trincket man nach dem Range / man placirt ſich in die Zimmer nach dem Range, man diſcouriret nach dem Range, man ſpielet und dantzet nach dem Range, und trincket auch ſo gar Caffé nach dem Range.
§. 11. Wie er nun den Ort und die Geſellſchaff - ten, wo alles nach der Vorſchrifft des Ranges ge -Hthan114I. Theil. IV. Capitul. than oder gelaſſen werden ſoll, zu beurtheilen hat, ſo muß er auch die Leute kennen lernen, ob ihm in dem gemeinen Umgange, da ſie entweder zu ihnen kommen, oder er in ihre Geſellſchafft gezogen wird, an dem Range viel gelegen oder nicht. Soll und will er Wirths-Stelle vertreten, und Leute von mancherley Stand und Character zu ſich bitten, ſo muß er vorher genaue Erkundigung einziehen, wie einer vor dem andern den Rang habe, und dem andern an Ehrgeitz uͤbertreffe, damit er ja ſolchen Leuten, die ihr ſummum bonum in der Ober - Stelle finden, ihren rechten Platz anweiſen, und ſie ſo bedienen moͤge, daß ihnen an ihrem Range nichts abgehe. Weiß er, daß manche wegen des Ranges unter einander ſtreitig ſind, ſo muß er ſie entweder alle beyde weglaſſen / oder denjenigen, an dem ihm am wenigſten gelegen, ſonſt wuͤrde er ſeine liebe Noth haben. Bißweilen gehet es an zu Vermeydung mancherley Rang-Diſputen, daß der Wirth des Haußes bey einer Collation die Erklaͤhrung thut, daß vor dieſesmahl kein Rang un - ter ihnen gelten ſolte, und er ſich die Freyheit aus - gebeten haben wolte, ohne Præjudice des einem je - den zuſtehenden Ranges ſie zu placiren, und zu be - dienen. Doch dieſes findet nur Platz bey denen Geringern, mit deren Range es nicht ſo gar viel zu bedeuten hat, an deren Gunſt und Freundſchafft uns ſo gar viel nicht gelegen, oder die nicht ſo gar ehrgeitzig ſind; den andern iſt mit dieſer Erklaͤrung nicht ſo gar viel gedient, ſie verlangen, daß derWirth115Vom Range. Wirth des Hauſes ihren Rang und Ober-Stelle nicht vor zweiffelhafft halten, ſondern darinne deci - diren ſoll. Da man es nun unmoͤglich zwey ſtrei - tigen Leuten recht machen kan, ſo iſt am beſten, daß man ſich mit dergleichen Leuten unverworren laͤſt.
§. 12. Es iſt ſehr abgeſchmackt, wenn ein Gerin - ger mit denen, ſo von ſehr hohen Range, wegen der Ober-Stelle complimentiren will. Thut es ein Subalterne gegen ſeinen hohen Vorgeſetzten, ſo iſt es noch einfaͤltiger. Die Vornehmen haben wegen ihres hohen Standes und Characters alle - zeit die Ober-Stelle, ſie moͤgen ſich auch placiren wie ſie wollen, und erwehlen den Platz, der ihnen am gefaͤlligſten und beqvemſten. Bey derglei - chen Fall muß ein junger Cavalier die Stelle, die ihm ein großer Miniſter entweder anbefiehlt, oder einem jeden, es ſey auch wer es wolle, ohne Cere - monie frey laͤſt, einnehmen, es mag die unterſte oder die oberſte ſeyn, und weiter vor nichts ſorgen. Wer ein wenig in der groſſen Welt geweſen, weiß wohl, daß man an vielen Orten bey dem Speiſen, es ſey in oͤffentlichen Aubergen oder bey Gaſtereyen auf den Rang nicht ſiehet, man ſetzt ſich péle méle, die Vornehmſten erwehlen insgemein die unter - ſten Plaͤtze, und goͤnnen den Geringſten die Ober-Stellen.
§. 13. Je ſchlechter der Rang bey einigen Leu - ten, je ſorgfaͤltiger ſind ſie in deſſen Bewahrung und Vertheidigung, und je ſchaͤrffer in deſſen Ab -H 2forde -116I. Theil. IV. Capitul. forderung. Sie erſtrecken ihn biß auf Taͤnde - leyen, und wollen alles nach dem Proportional - Circul eingetheilt haben, ſie werden durch einen ein - tzigen Tritt oder Schritt den eine andere Perſon ihrem Rang zum Præjudiz thut, entzuͤndet, und in Harniſch geſetzt. Legt man einer andern geringern Perſon aus Verſehen zu erſt vor, ſo haͤngen ſie das Maul, und ſchmeckt ihnen nachgehends die gantze Mahlzeit uͤber kein Biſſen mehr. Alſo bildet ſich manche Prieſter-Frau in einem kleinen Staͤdtgen mehr ein, als manche Adelich, oder manche Ge - heimbde Raͤthin an einem groſſen Hofe. Sie er - zehlt allen Leuten zu vielmahlen uͤber welche Wei - ber ihr der Rang zukomme, was ſie mit dieſer oder jener vor Diſputen gehabt wie ſie aber doch endlich gluͤcklich uͤber die ander victoriſirt, und die Ober - Stelle erhalten. Begegnet man ihr nicht recht nach ihren Range, ſo laͤufft ſie alſobald aus der Geſellſchafft.
§. 14. Hierbey erinnere mich eines curieuſen Rang-Streites, der vor einiger Zeit an einem ſichern Orte zwiſchen zwey Bruͤdern obſchwebte. Der eine unter ihnen war ein Fuͤrſtlicher Gaͤrtner, der andere aber hatte bey einem Grafen als Gaͤrt - ner in Dienſten geſtanden. Nachdem ſie nun beyde an einerley Ort zu dem Heiligen Abendmahl mit einander zu gehen entſchloſſen, wolte ſich der Fuͤrſtliche Gaͤrtner bey dem Superintent deſſelben Ortes Raths erhohlen, ob es nicht wieder ſeinen Reſpect waͤre, und es auch nicht ſeinem Herrn zumSchimpff117Vow Range. Schimpff und ihm zur Verantwortung gereichen wuͤrde, wenn er ſeinem Bruder, der doch nur ein Graͤflicher Gaͤrtner, und als ein Fremder uͤber ihn gehen wolte, bey dem Hinzutreten zum Heiligen Altar die Vorhand und Ober-Stelle laſſen ſolte? Doch der Superintent halff ihm bald aus ſeinen Gewiſſens-Scrupel, und verwieß ihm ſeine Thor - heit.
§. 15. Ein vernuͤnfftiger Menſch giebt zwar bey dem Range und der Oberſtelle uͤberhaupt nach, ſo viel ſichs thun und verantworten laſſen will, er er - kennet aber uͤber dieſes, daß gewiſſe Perſonen und Handlungen die in dieſem Stuͤck als privilegirte anzuſehen, inſonderheit erfordern, daß man bey den - ſelben nicht ſo ſcharff und rigoreus verfahre, ſon - dern, ſo viel als moͤglich, weiche und nachgebe. Hieher gehoͤren alle diejenigen, denen man, aus ge - wiſſen Betrachtungen, eine beſondere Hochachtung und Ehrerbietung ſchuldig. (I.) Denen Prie - ſtern, ich verſtehe aber hierunter ſolche, die nicht nur Geiſtliche heiſſen ſondern auch bey ihrem exempla - riſchen Lebens-Wandel ſich als Geiſtlich-geſinnete auffuͤhren, und Vorbilder ihrer Heerde abgeben; denn verhurte, oder verſoffene, oder aufgeblaſene, und ſonſt Welt-geſinnete und laſterhaffte Pfaffen, ſind keiner Ehre wuͤrdig. Sind es diejenigen, die wir aus beſondern Vertrauen zu unſern Beicht - Vaͤtern erwehlet, ſo ſind wir ihnen noch mehr Re - ſpect ſchuldig. Mit denen, die der groſſe GOtt ſeinen Augapffel zu nennen pflegt, muß man es nichtH 3ſo118I. Theil. IV. Capitul. ſo genau nehmen. Sie werden ſich zwar von ſelbſt der Demuth befleißigen, und keinen Rang-Streit anfangen, denn ſonſt ſind ſie nicht der Claſſe derer, von denen hier die Rede iſt, beyzuzehlen; wir muͤſ - ſen aber von ſelbſt willig ſeyn, ihnen, theils etwas von denen uns zukommenden aͤuſſerlichen Ehren - Bezeigungen anzubieten, theils auch, ihre kleinen Fehler, die ſie als Menſchen bey dergleichen Faͤllen erweiſen moͤchten, vertragen zu lernen. Einige haben ſehr ſchlechten und geringen Rang, nnd waͤ - re wohl noͤthig, daß ihr Amt mehr geehret wuͤrde, wovon ich in meinem Ober-Saͤchſiſchen Kirchen - Recht mit mehrern geſagt. Andere aber koͤnnen mit ihrem Range gantz wohl zufrieden ſeyn. Alſo wird der Hof - oder Ober-Hof-Prediger-Dienſt an unterſchiedenen Fuͤrſtlichen Hoͤfen einigen anſehnli - chen Adelichen Chargen, entweder gleichgeachtet, oder denſelben wohl gar vorgezogen.
§. 16. (II.) Denen Anverwandten und Bluts-Freunden. Die Præcedenz-Streitig - keiten unter ſolchen Leuten ſind ſehr wunderlich, und noch wunderlicher, wenn ſie gegen diejenigen erho - ben werden, denen man, der Natur und der Vor - ſchrifft der goͤttlichen Rechte nach, Ehre leiſten ſoll, als Eltern, Schwieger-Eltern, u. ſ. f. Eine ſolche Thorheit begieng des beruͤhmten Brentii Sohn: Als er Doctor worden und mit ſeinen Vater ſpa - tzieren gieng, ſprach er zu ihm: Herr Vater, ich bin ein Doctor, deswegen iſt es billich, daß nicht ihr mir, ſondern ich euch fuͤr - und alſo auf der rechtenSeite119Vom Range. Seite gehe. Doch der alte Vater ſoll die Thor - heit ſeines ehrgeitzigen Sohnes auf folgende Wei - ſe beſtraſft haben: Freylich, weiſt du es nicht, wie der Muͤhl-Knappe es mit ſeinen Eſeln macht? Der Muͤller gehet dem Eſel allenthalben nach, er trage gleich den Sack Korn in die Muͤhle, oder aus der - ſelben. (III.) Muß man auch unter den ſo genand - ten guten Freunden, bey einer Collation, bey ei - ner Pfeiffe Toback, bey einen Glaß Wein, bey ei - ner Taſſe Caffe das Rang-Ceremoniel, und alle verdruͤßliche Streitigkeiten, durch welche die gantze Geſellſchafft beunruhiget werden wuͤrde, bey Seite ſetzen. Hier kommt man, nicht als dieſer oder je - ner Characteriſirte oder Titulirte, ſondern als gute Freunde zuſammen. (IV.) Jſt bekandt, daß man dem Frauenzimmer alle honeur erzeiget, und denen, die einmahl einer honetten Geſellſchafft und der Converſation wuͤrdig erachtet worden, ohne Ver - letzung des Wohlſtandes, die Oberſtelle nicht leicht diſputirlich macht, ob ſchon ihre Vaͤter oder Maͤn - ner einen weit geringern Rang haben.
§. 17. (V.) Muß man auch hierbey der Wohl - thaten, die uns ehedem andere erzeiget, nicht ſo un - vergeſſen ſeyn, daß man ſeinen Wohlthaͤtern nicht ein mehrers, als andern Leuten, zu gut halten ſolte. Die Erkenntlichkeit und Danckbarkeit iſt eine ſo loͤbliche Pflicht, die uns allezeit, ja unſer Lebenlang, begleiten ſoll. (VI.) Erfordern die Regeln, Klug - heit und die Liebe, die wir uns, zu Erhaltung unſerer Gluͤckſeligkeit, ſchuldig ſind, daß wir es mit denen,H 4die120I. Theil. III. Capitul. die auf eine oder die andere Weiſe, durch ſich oder die Jhrigen, unſerm Gluͤck einen gar mercklichen Abbruch thun koͤnten oder wuͤrden, wenn wir in weitlaͤufftige Jrrungen mit ihnen gerathen ſolten, nicht ſo gar genau nehmen. Wir muͤſſen allezeit bey unſern Handlungen darauf ſehen, was unſre groͤßre Vollkommenheit zuwege bringt. Es iſt beſſer, daß wir dieſem oder jenem ehrgeitzigen Thoren, wenn wir es Pflicht und Amts wegen thun duͤrffen, in dem Range ein wenig nachgeben, als wenn ſonſt unſerm Gluͤck durch des andern Boßheit und Hart - naͤckigkeit ein mercklicher Stoß begegnen koͤnte.
§. 18. Alles dieſes gehet nun nicht allein auf die Haupt-Perſonen ſelbſt / mit denen wir in Geſell - ſchafften zuſammen kommen, ſondern auch auf ihre Anverwandten, auf ihre Kinder, u. ſ. w. Sonſt iſt bekandt, daß die Kinder und die Toͤchter, ſo lange biß ſie verheyrathet, den Rang ihrer Eltern behal - ten. Dieſes gehet auch ſo gar auf die Dignitæten, die die Vaͤter eine Zeitlang beſeſſen. Alſo ſiehet man auf manchen Univerſitæten, daß die Toͤchter der Profeſſoren, zu der Zeit, wenn deren Vaͤter Re - ctores Magnifici, uͤber die andern gehen. S. des Herrn Hofrath Glafey Diſſertation de jure præ - cedentiæ fœminarum, p. 16.
§. 19. Es iſt ſehr aͤrgerlich, wenn einige bey den heiligſten Handlungen, da ſie ihre Gedancken auf die Wichtigkeit des Weibes, das ſie vor ſich haben, und nicht auf die Eitelkeit des Vorgehens oder der Ober-Stelle, richten ſolten, ihren Rang behaupten wollen. Hier iſt nicht der Ort und Zeit daran zugeden -121Vom Range. gedencken, und gleichwohl findet man hin und wie - der ſolche ſeltzame Koͤpffe, die nicht allein vorher, wie unſere beyden Gaͤrtner, von dem ich oben ge - dacht, ſich mancherley unruhige Gedancken ma - chen, daß dieſer oder jener zu ihren Præjudiz ihnen vorgehen moͤchte, ſondern auch wohl zu der Zeit, der heiligen Handlung dem andern, der ihnen nicht die rechte Stelle giebt, unglimpflich begegnen. Ein vernuͤnfftiger Menſch dencket hieran nicht, und goͤn - net einem jeden Thoren bey dem Beicht-Stuhl oder bey dem Heiligen Abendmahl, die Vorhand und Ober-Stelle; Er kan ſolches um deſto eher thun, weil er weiß, daß der ander hiedurch nichts ge - winnet. Hat einer oder der ander bey einer Heil. Handlung jemand gewichen, ſo wird in Rechten darauf geſprochen, daß er ſich dadurch ſeines ſonſt habenden Rechts und Quaſi Poſſeſs im geringſten nicht begeben. S. Horn de Præcedentia Dec. I. Qu. I. n. 5.
§. 20. Es begiebt ſich nicht ſelten, daß die ge - meinen Weiber in den Kirch-Stuͤhlen ſich um den Rang nicht vertragen koͤnnen, fahren wohl gar an der Heiligen Staͤtte einander unter den Gottes - dienſt mit bittern Worten an, auch ſo gar mit ſtoſ - ſen und Hauben abreiſſen, wie denn der ſeel. Ernſt in ſeiner Hiſtoriſchen Confect-Tafel P. I. n. 98. §. 7. & 8. von ehrgeitzigen Præcedenz-Narren erzehlt, daß 1675. zu Stockholm in der Teutſchen Kirche zwey Weiber um der Ober-Stelle willen, einander die Kappen vom Halſe herun -H 5ter122I. Theil. IV. Capitul. ter gezogen, und ſich mit Ohrfeigen weidlich her - um geſchmiſſen.
§. 21. Die allgemeine Wohlfarth iſt dem Rang und der Ober-Stelle der Privat-Perſonen billich vorzuziehen; Wo man nun durch den Rang-Diſput die Entſcheidung gewiſſer Puncte, daran dem ge - meinen Weſen viel gelegen, aufhalten duͤrffte, als bey Berathſchlagung der Angelegenheiten, die auf Stiffts-Taͤgen, Land-Taͤgen u. ſ. w. tractiret werden, ſo iſt man verbunden, lieber ſeinem Range etwas zu vergeben, als das gemeine Beſte zu hin - dern. Jn dieſem Stuͤck iſt der ehmahlige Hertzog zu Wuͤrtenberg, Ulricus, hoͤchlich zu ruͤhmen, von dem Coccejus in ſeiner Diſſertation de Præceden - tia §. 28. anfuͤhret: Wie der Hertzog geſehen, daß auf einer von gewiſſen Fuͤrſten ausgeſchriebnen Zu - ſammenkunfft uͤber den Rang ſo geſtritten worden, haͤtte er endlich ausgeruffen: Setzt mich meinet - wegen hinter den Ofen, wenn wir nur dasjenige hier zu Stande bringen, um welches willen wir zu - ſammen gekommen. O ein ruͤhmlicher Entſchluß eines tugendhafften Regenten, der manchen Ehr - geitzigen zu einem Vorbilde dienen moͤchte.
§. 22. Uber die in dem vorhergehenden ange - fuͤhrten Faͤlle, kan man, meines Ermeſſens, auch ei - nige Kaltſinnigkeit, in Behauptung des Ranges, erweiſen: (I.) Gegen diejenigen, die uns an Jah - ren, Erfahrung und Weißheit weit uͤbertreffen; dieſen muͤſſen wir etwas zu gute halten, und es uns vor keine ſo gar groſſe Schande anziehen, wenn die,die123Vom Range. die uns in den Lebens-Jahren, ein zwantzig, dreyßig und mehr Jahre vorangegangen, einen Schritt an dieſem oder jenem Ort auch zuvorgehen. Ein graues Haupt wird auch, nach der Vorſchrifft goͤttlicher Rechte, vor venerabel geachtet. (II.) Wenn wir mit denen zu thun haben, die uns jederzeit alle Hoͤf - lichkeit erweiſen, die im geringſten nicht ehrgeitzig, die die Oberſtelle nicht mit Gewalt behaupten wol - len, ſondern ſich nichts draus machen, und zum al - torniren, und allem uͤbrigen, was wir nur verlan - gen koͤnnen / gantz bereit und willig ſind.
§. 23. Bey den Regeln findet man immer auch Ausnahmen. Jn dem vorigen habe ich die Faͤlle angefuͤhret, bey denen man, zu Vermeidung aller Rang-Streitigkeiten, nachgeben ſoll. Jetzund will ich gedencken, daß ſich einige Umſtaͤnde ereig - nen koͤnnen, da ein vernuͤnfftiger Menſch, den Leh - ren der Welt-Weißheit nach, bey dem Range und der Oberſtelle nicht weichen ſoll, und da es ihm zur beſondern Ehre gereicht, wenn er ſein ihm hierunter zuſtehend Recht behauptet, ſo gut er kan. Solches geſchiehet hauptſaͤchlich bey denjenigen Handlun - gen, da es nicht auf ſeine eigene Ehre und Caprice ankoͤmmt, daß er mit der Oberſtelle und der Vor - hand prahlet, ſondern, da es der Reſpect ſeines Herrn erfordert, deſſen Ehre er, als ein treuer und redlicher Diener behaupten und retten muß; So einfaͤltig es iſt, wenn eine Privat-Perſon in Ver - fechtung ihres Ranges allzu hitzig, ſo ruͤhmlich iſt es hingegen um einen Diener, wenn er zum Nutzenund124I. Theil. IV. Capitul. und zur Gloire ſeines Souverain, entweder mit Ge - walt oder mit Liſt und guter Manier, denjenigen Platz behauptet, den er mit Grund, ſeiner Pflicht, oder der ihm noch hieruͤber ertheilten Inſtruction nach, behaupten ſolle.
§. 24. (III.) Muß man ſeinen Rang mit etwas mehr Hitze vertheidigen / als ſonſt, wenn man, durch ſeine Nachlaͤßigkeit und Condeſcendenz, einem gantzen Corpori und Collegio ſchaden koͤnte, deſ - ſen Mitglied man iſt. Bey dieſem Fall erfordert die dem Collegio abgeſtattete Pflicht und der ge - meinſchafftliche Nutzen und Ehre, die man einander zu erzeigen ſchuldig, daß man im Weichen und Nachgeben nicht ſo willig ſey, als wenn wir bloß uͤber unſern eigenen Privat-Rang zu diſponiren haͤt - ten. (IV.) Wenn man weiß, daß es lediglich auf unſere Verachtung und Beſchimpffung abziele, daß ſich der andere vorgeſetzt, ein Vorrecht uͤber uns zu erlangen, und durch dieſen Fall eine Poſſeſs zu er - zwingen, die er in Zukunfft anfuͤhren wuͤrde, zumahl, wenn ers mit Ungeſtuͤm thun muß, kein Compli - ment daruͤber macht, und auch ſonſt bey andern Faͤllen nicht gar hoͤflich begegnet. (V) Wenn ſolche Wuͤrckungen daraus entſtehen, die unſerm Amt und Stand hinderlich, welche uns nicht allein bey unſers gleichen, bey den Hoͤhern und Gerin - gern, in eine beſondere Verunehrung ſetzen wuͤrden, ſondern dabey wir auch ſelbſt unfaͤhig werden, das Gute zu befoͤrdern.
§. 25. Bevor man ſich wegen ſeines Ranges movi -ren,125Vom Range. ren, oder ſich und andere in Unruhe ſetzen will, muß man vorhero zweyerley gruͤndl. wiſſen: Zum erſten, daß einem dieſer Rang unſtreitig zukomme, daß man ihn mit Recht behaupten und vertheidigen koͤn - ne, und alſo ohne Raiſon von dem andern beein - traͤchtiget ſey; und zum andern, daß auch an die - ſem oder jenem Orte, bey dieſer oder jener Ver - ſammlung, der Rang beobachtet werde. Beydes iſt noͤthig wenn man nicht ſeine mit Hochmuth ver - einigte Unwiſſenheit und Einfalt an den Tag legen, und ſich daruͤber bey andern Leuten laͤcherlich ma - chen will. Wenn alſo mancher nicht wuͤſte, daß dem andern, der vielleicht nicht ſo groſſen Staat macht als wie er, ein ſo hoher Rang zukaͤme, und ſich uͤber ihn beſchweren wolte, daß er ihm vorge - gangen, ſo wuͤrde er eine trefliche Naſe davon tra - gen; ingleichen wann einem unbekandt daß an der Marſchalls-Taſel eines Fuͤrſtlichen Hofes, kein Rang obſervirt wuͤrde, und unwillig waͤre, daß ein andrer, welcher ſeinem Character nach, ihn weichen muͤſte, ſich uͤber ihn placirt. Wolte er daruͤber critiſiren, daß man ihn als einen Fremden nicht zu oberſt geſetzt, ſo haͤtte er vielleicht noch eher Funda - ment, denn bey dem andern wuͤrde ihn an einem Orte, da kein Rang eingefuͤhrt, nicht præjudicirt.
§. 26. Unter den Ehrgeitzigen, die andere ehrliche und meritirte Leute, in ihrem ihnen von GOtt und den Hoͤchſten dieſer Welt ertheilten Rang, kraͤn - cken und beeintraͤchtigen wollen, bezeuget ſich immer einer thoͤrichter als der ander. Alſo iſt es ſehr laͤ -cher -126I. Theil. IV. Capitul. cherlich, wenn einige, die keine andere Meriten ha - ben, als daß ſie mit dem erborgten Glantz ihrer Vorfahren prahlen, koͤnnen rechtſchaffene Maͤn - ner, die entweder bey den Degen, oder der Feder, ſich durch eigene Verdienſte aus einem geringern Stande in einen hoͤhern, und auf einen ſehr hohen Gipffel der Ehren geſchwungen, den Rang verwei - gern wollen. Solche Leute, denen der Urſprung des wahren und aͤchten Adels unbekandt, wolten lieber durch ihren Neid und Mißgunſt, wenn es nur bey ihnen ſtuͤnde, Kaͤyſern, Koͤnigen und Fuͤr - ſten die Haͤnde binden, daß ſie die wahren Ver - dienſte nicht mehr auf die Art belohnen ſolten, als wie ihre Vorfahren gethan. Wie es nun wunderlich, wenn junge Leute ohne Rang und Cha - racter, die bißweilen nicht einen Schritt aus ihrer Frau Mutter Hauſe geſetzt, meritirten und hoch - characteriſirten Maͤnnern, buͤrgerlichen Standes, bloß um des unterſchiedenen Standes willen, den Rang verweigern, alſo iſt es eben ſo ungereimt, wenn einige alte ehrgeitzige Weiber, die den einen Fuß ſchon im Grabe haben, und an der Pforten der Ewigkeit ſtehen, dennoch in ihren Hertzen ſo eitel ſind / daß ſie nach einem gewiſſen Vorurtheil, das ſie ſich faͤlſchlich in den Kopff geſetzt, mancher Da - me, die doch von weit hoͤhern Character, den Rang diſputirlich machen wollen. Manche, ob ſie ſchon von geringem Stande und Character, bilden ſich aber auf ihr Vermoͤgen viel ein, und weil ſie aus Thorheit und Verſchwendung aͤußerlich eine zier -liche127Vom Range. liche Figur machen, ſo erheben ſie ſich in ihrem Her - tzen uͤber einen andern ehrlichen Mann, der von groͤſſern Meriten, und dabey vom hoͤhern Stande und Character, der es ihnen aber entweder nicht gleich thun kan oder thun will, und bemuͤhen ſich bey dieſer oder jener Gelegenheit ihm den Rang und die Ober-Stelle wegzunehmen.
§. 27. Die Welt ſiehet mehrentheils auf aͤuſſer - lich Weſen, auf Reichthum, auf eine koſtbare Le - bens-Art, und vornemlich auf Freſſen und Sauf - fen, und alſo ſind ſie auch viel williger, demjenigen zu weichen, der eine gute Parade zu machen weiß, und viel drauf gehen laͤſt. Von dem die Wolluͤ - ſtigen fleißig und delicat tractirt werden, dem wei - chen ſie hertzlich gern, und laſſen ihm Rang und Oberſtelle. Aber ein Vernuͤnfftiger iſt von an - dern Sentimens: Um einiger Collationes willen uͤbergiebt er die von GOtt und Rechts wegen ihm zukommende Ehre keinem andern, und um des Gel - des willen raͤumet er einem andern keinen Vorzug ein. Solte das bloſſe Geld ein Fundament abge - ben, zu Behauptung eines groͤſſern Ranges, ſo muͤ - ſte mancher Jude uͤber den groͤſten Staats-Mini - ſter gehen.
§. 28. Der Wohlſtand und die Hoͤflichkeit er - fordert, daß man auch denjenigen, uͤber die uns der Rang unſtreitig zukommt, die Oberſtelle anbiethe, und ihnen dieſerwegen ein Compliment mache, oder, wie man zu reden pflegt, ſich mit ihnen ehre - Es leidet aber auch dieſes bey manchen, und inſon -der -128I. Theil. IV. Capitul. derheit bey folgenden Umſtaͤnden ſeinen Abfall: (1) Wenn der Unterſchied ſo gar ſehr groß und mercklich, daß man, ohne dem Geſpoͤtt ſich zu un - terwerffen, es denen andern unmoͤglich anbiethen kan. (2) Wenn man den Reſpect, dem man ſeiner Herrſchafft ſchuldig, hiebey præjudiciren wuͤrde. (3) Wenn dergleichen an dieſem Ort, zu dieſer Zeit oder bey dieſer Handlung ungewoͤhnlich waͤre, als etwan bey Leich-Proceſſionen, da nicht ein jedweder gehen darff, wie er will, ſondern wie er verleſen wird, und es die Marſchaͤlle ordnen. (4) Wenn man vorher verſichert, daß es der an - dere nicht vor ein Ehren-Wort, und vor eine Hoͤf - lichkeit, ſondern aus Einfalt oder Hochmuth, vor ei - ne Schuldigkeit erkennen, und alſo dieſe Gefaͤllig - keit mißbrauchen werde.
§. 29. Ein vernuͤnfftiger Menſch bemuͤhet ſich allezeit mit jedermann Friede zu halten, ſo viel an ihm iſt, er ziehet die gelinden Wege den ſtreitigen vor, und gehet den Præcedenz-Streitigkeiten, wo er weiß und kan, aus dem Wege. Er iſt hierbey auf mancherley Temperamente bedacht, und laͤſt den andern, mit deme er manchmahl Amts - und Beruffs wegen zuſammen kommen muß, mancher - ley Vorſchlaͤge thun, daß ſie mit einander wechſeln wollen, daß gar kein Rang und Oberſtelle unter ih - nen gelten ſolle, daß ſie ſich mit einander ehren, und einander durch Complimens den Rang anbiethen wollen, u. ſ. f. bloß, damit die Socialitaͤt unterhal - ten wuͤrde. Will aber dieſes nichts helffen, undder129Vom Range. der unruhige Kopff ſich kein Temperament gefal - len laſſen, ſo vermeydet er ſeinen Umgang und ſei - ne Geſellſchafft, damit er nichts verlieren, und der andere nichts gewinnen moͤge, oder da er ungefehr in ſeine Geſellſchafft gekommen / erwehlet er den unterſten Platz unter allen. Bey gewiſſen Faͤllen iſt es auch wohl noͤthig und wohlgethan, daß man ſein ihm hierbey zuſtehendes Recht durch eine be - ſcheidene Proteſtation wider alles præjudicieuſe auf das Beſte verwahre, und ſolches nach Gelegen - heit entweder ſchrifftlich oder muͤndlich thue.
§. 30. Wo man Amts und Beruffs wegen nicht noͤthig hat, mit dem andern, der einem ohne Raiſon ſeinen Rang ſtreitig machen will, zu concurriren, ſo iſt am beſten, daß man ſeine Geſellſchafft meydet, und die Entſcheidung davon in ſuſpenſo laͤſt. Wo man aber durch die unvermeidliche Nothwendig - keit in des andern Geſellſchafft offters ſeyn muß, da wird man auch gezwungen eine Entſcheidung we - gen des Ranges einzuhohlen. Vorher thut man ihm guͤtliche Vorſchlaͤge, man ſtellt ihm die Momen - ta vor, dadurch man ſeinen Rang zu behaupten ge - denckt, und hoͤrt ſeine Fundamenta an, finden ſie bey ihm Ingreſs, ſo iſt es gut, wo nicht, ſo laͤſt man es an den Hoͤhern gelangen, man uͤberſchickt ihm die Raiſons, wodurch man die Ober-Stelle zu be - haupten gedenckt, und erwartet von der Herrſchafft, bey der man in Dienſten zu ſtehen die Gnade hat, was ſie uns hierunter anbefehlen werde. Nach - dem ſich nun die Rang-Diſputen entweder mit an -Jdern130I. Theil. IV. Capitul. dern, die auch zugleich ihre Diener oder Untertha - nen, oder auch andern, die ſich bey fremden Herr - ſchafften in Dienſten befinden, oder von denen ſie ihre Characters haben, und denen unſre Herr - ſchafft nichts vorzuſchreiben hat, entſponnen, nach - dem laͤſt ſie es zugleich an andere Herrſchafften ge - langen, oder ſie decidirt den Rang-Streit felbſt, oder befiehlt uns an, daß wir ihn durch einen recht - lichen Ausſpruch ſollen endigen laſſen.
§. 31. Jſt der Rang-Streit entſchieden, ſo iſt ein vernuͤnfftiger Menſch ruhig, es mag ihm die Ober - oder Unter-Stelle zuerkandt worden ſeyn. Er wei - chet dem andern, und wenn es auch der umwuͤrdig - ſte Menſch waͤre, willig und gerne, weil er ihm wei - chen ſoll und muß. Er verachtet niemanden, er will ſich aber auch nicht gerne ohne Noth verachten laſ - ſen. Er beruhiget ſich damit, daß er nunmehr beſ - ſer in dem Stand iſt, GOtt und ſeinem Naͤchſten zu dienen, ſeinem Amte treuer vorzuſtehen, und ſeine Beruffs. Geſchaͤffte deſto richtiger fort zu ſetzen.
§. 32. Jch habe mancherley Faͤlle, die ſich in dem menſchlichen Leben bey dem Rang-Weſen ereig - nen koͤnnen, in dem vorhergehenden erwogen, es duͤrffte aber doch wohl nicht undienlich ſeyn, wenn ich bey dem Schluß dieſes Capituls, noch folgende, die bißweilen an dem Hoͤfen nicht ungewoͤhnlich ſind, in einige moraliſche Betrachtungen zoͤge. Es iſt nichts neues daß mancher wider die Rang-Ord - nungen, wider die bißherige Obſervanz, ja wohl wider Recht und Billigkeit nicht allein in dem, ſei -nem131Vom Range. nem Character ſonſt zugehoͤrigen Range, beein - traͤchtiget nnd gekraͤncket wird, ſondern ſich auch ſonſt mancherley Verachtung unterwerffen laſſen muß. Geſchicht es aus Verſehen, oder bey Klei - nigkeiten, ſo hat man nicht Urſache viel daraus zu machen, und der entſtandene Fehler kan gar bald wieder redreſſirt werden. Spuͤhrt man aber, daß es bey ſolchen Faͤllen geſchehen, die etwas mehr zu bedeuten haben, und zu unſerer Verachtung ange - ſehen, ſo muß man beurtheilen, ob dergleichen ohne Ordre der Herrſchafft bloß durch die hoͤhern oder niedern Bedienten erfolget, oder ob ſich dieſe Ge - ringachtung auf den ausdruͤcklichen Befehl der Herrſchafft, oder doch auf ihre Connivenz gruͤnde. Bey jenem Fall muß man nach Anleitung der Re - geln der Klugheit, und nach dem Unterſcheid eines jeden Charactére ihnen mit aller Hoͤflichkeit Vor - ſtellung thun, damit man theils einige Reparation d’honeur, theils Verſicherung erhalte, daß der - gleichen in Zukunfft ſolte vermieden werden, und wenn dieſes nicht erfolgt, es an ſeine Durchlauch - tigſte Herrſchafft ſelbſt gelangen laſſen.
§. 33. Erfaͤhret einer eine betruͤbliche zu eines Verachtung gereichende Diſtinction, auf ausdruͤck - liche Ordre und Befehl der Herrſchafft, bey der man in Dienſten ſtehet, ſo muß man nachſinnen, was doch wohl zu dieſer Ungnade Anlaß und Gele - genheit gegeben, und nach den Umſtaͤnden, die ei - nem von ſeiner eigenen Auffuͤhrung, und von der Beſchaffenheit des Hofes kund worden, in Uberle -J 2gung132I. Theil. IV. Capitul. gung ziehen, ob dieſe Ungnade in kurtzem wieder auf - gehoben werden, oder aber lange Zeit anhalten moͤchte. Hat einer guten Grund zur Hoffnung, daß das Hinderniß, wodurch uns in unſerm Range einige Beeintraͤchtigung geſchehen, in kurtzer Zeit aufhoͤren moͤchte, ſo muß man inzwiſchen Gedult haben, demjenigen, der einem bey manchen Gele - genheiten vorgezogen wird, alle Hoͤflichkeit erzeigen, und ihm mit Gelaſſenheit die Præcedenz goͤnnen, und ſo lange, als das ſchlimme Tempo dauert, an ſeiner Devotion, Treue und Gehorſam gegen ſeine Herrſchafft, und an Reſpect und Ehrerbietung ge - gen die Miniſtris, auch gegen diejenigen, die einen mit druͤcken helffen, nichts ermangeln laſſen. Bey dieſem Fall iſt man, den natuͤrlichen Rechten und der Politique nach, zur Gedult verbunden, man mag nun durch ſeine Schuld zu einiger Geringach - tung Gelegenheit gegeben haben, oder nicht; hat man ſichs ſelbſt zugezogen, ſo mag man auf ſich un - gehalten ſeyn, daß man nicht accurater, nicht fleißi - ger, nicht geſchickter, und kurtz zu ſagen, nicht weiſer und tugendhaffter geweſen, man mag nunmehro deſto vorſichtiger und eifriger ſeyn, um die vorige Scharte wieder auszuwetzen, und ſich durch beſon - ders ruͤhmliche Handlungen wieder in die vorige Gnade der Herrſchafft oder des Miniſterii zu brin - gen, und der ehmahligen Ehre theilhafftig zu wer - den. Jſt man aber unſchuldig, und man hat ſich dißfalls nichts vorzuwerffen, ſondern iſt durch boß - haffte Leute ohne Raiſon angeſchwaͤrtzet worden,ſo133Vom Range. ſo kan man ſich eine kurtze Zeit uͤber deſto leichter be - ruhigen, das gute Gewiſſen kan einem einen Troſt zuſprechen, weil man nichts begangen, dadurch man ſich eine rechtmaͤßige Ungnade uͤber den Hals ge - zogen, man iſt verſichert, daß einem alle rechtſchaffe - ne Leute beklagen, und einem diejenige Ehre, die ſie dem andern aͤuſſerlich beylegen muͤſſen, im Hertzen zuſchreiben. Man kan ſich mit der troͤſtlichen Hoff - nung ſchmeicheln, daß man in kurtzem wieder zur vorigen Ehre gelangen, und dieſe kleine Verdun - ckelung einem zu deſto groͤſſern Glantz gereichen werde.
§. 34. Bey dieſem Fall iſt zwar wohl das beſte, wenn man ſich gedultig und gelaſſen erweiſt, und alle hitzige Affecten beyſeite ſetzt, wie ich in dem vo - rigen § angerathen, man muß ſich aber auch hier - bey nicht gantz unempfindlich anſtellen. Der Hof kan nicht vertragen, wenn man ſtuͤrmt, tobt, laͤſtert und poltert, immaſſen man hiedurch nur uͤbel aͤrger machen wuͤrde. Eine kleinere Ungnade duͤrffte nachgehends gar bald in eine groͤſſere verwandelt werden, und eine Herrſchafft hat allezeit Mittel und Wege, einem mißvergnuͤgten Hof-Mann, ihre ſchwere Hand empfinden zu laſſen, oder ſeiner wohl gantz und gar loß zu werden. Es taugt aber auch nichts, wenn man ſich allzu kaltſinnig hierbey er - weiſt.
§. 35. Aus einer allzu groſſen Kaltſinnigkeit ent - ſtehen mancherley ſchaͤdliche Wuͤrckungen. (1) Jſt zu befuͤrchten, daß die Ungnade noch empfindlicherJ 3wer -134I. Theil. IV. Capitul. werden moͤchte, ſintemahl diejenigen, die einem hierunter weh thun wollen, ihren Endzweck hierbey nicht erreichen; ſie wuͤrden einen ſolchen Menſchen ſehr verdencken, daß er ſich nichts draus machte, ſondern noch gantz frey und luſtig dabey waͤre; ſie wuͤrden unwillig werden, daß er gar keine Empfin - dung von dem Point d’honeur bey ſich haͤtte, ſie duͤrfften wohl gar glauben, daß er ihrer noch darzu braviren und trotzen wolte. Andere Leute wuͤrden dieſes vor ein Zeichen eines niedertraͤchtigen Ge - muͤths anſehen, welches, wie aus der Tugend-Lehre bekandt, ein ſchaͤndlich Laſter; ein jedweder wuͤrde von einem ſolchen Menſchen urtheilen, daß er weder Ehre noch Schande in ſeinem Leibe haͤtte, feindſeli - ge Gemuͤther wuͤrden hierdurch aufgebracht wer - den, ihn auf das aͤuſſerſte zu beſchimpffen / und ein ſo unempfindlicher Menſch wuͤrde zu einen allgemei - nen Ziel der Verachtung und Beſchimpffung die - nen.
§. 36. Bey ſo geſtalten Sachen muß es ein auf eine Zeitlang ungluͤcklicher und diſgracirter Hof - Mann machen, wie ein vernuͤnfftiger Wanders - mann bey Sturm und Blitzen, und bey ungeſtuͤmen Wetter auf der Straſſe es zu machen pflegt; er faͤngt zwar keinen Streit mit dem Himmel an, er flucht und laͤſtert nicht auf die Schloſſen, er lacht doch aber auch nicht dabey, er iſt nicht froͤlich, klinget und ſin - get nicht, als wenn er ſich in der groͤſten Gluͤckſelig - keit befaͤnde, ſondern bezeiget durch ſeine Minen, daß es ihm lieber, wenn der Sturm voruͤber waͤre. Er135Vom Range. Er gehet dem Ungewitter aus dem Wege, ſo gut er kan und weiß, er verſteckt ſich unter einen Baum, er verdeckt ſich mit ſeinem Mantel / und kehret ihm, ſo viel als moͤglich, den Ruͤcken zu, damit es ihn nicht ſo ſcharff treffe, u. ſ. w. Alſo præcautionirt ſich auch ein Hof-Mann, der in ſolche Umſtaͤnde geſetzt worden, nach aller Moͤglichkeit. Er bezeigt zuwei - len durch betruͤbte Minen, wie die zu ſeiner Gering - achtung vorgenommene Diſtinction ihm ſehr be - truͤblich falle, er gehet den Gelegenheiten, bey denen ein anderer wider die Rang-Ordnung und bißheri - ge Obſervanz vorgezogen werden ſoll, aus dem Wege, und ſimnliret bißweilen bey groſſen Solen - nitaͤten und oͤffentlichen Handlungen, da es ſonſt allzu ſehr in die Augen fallen wuͤrde, aus einer Staats-Raiſon eine Reiſe, oder eine kleine Kranck - heit, er thut mit den nachdruͤcklichſten Gruͤnden, je - doch auf die ſubmiſſeſte und demuͤthigſte Weiſe / ſeine unterthaͤnigſte Vorſtellungen bey Durch - lauchtigſter Herrſchafft, und bey dem Miniſterio, er ſtecket ſich hinter diejenigen, die das Ohr der Herrſchafft haben, damit ſie vor ihn intercediren, er retiriret ſich auch wohl gar eine Zeitlang, er ver - meidet alle Gelegenheit, mit dem andern, der ihm eine Zeitlang vorgezogen wird, zu concurriren, er ſucht ihn auch wohl ſelbſt zu gewinnen, und zu ſeinen Abſichten zu lencken, er ſiehet, wie er bißweilen, je - doch mit guter Manier, den Rang uͤber ihn gewin - nen moͤge; inſonderheit aber laͤſt er dieſes ſeine groͤ - ſte Sorge ſeyn, wie dasjenige Hinderniß, welchesJ 4zu136I. Theil. IV. Capitul. zu ſeiner Disgrace und Verachtung Gelegenheit ge - geben, ſo bald als moͤglich, moͤchte aus dem Wege geraͤumet werden.
§. 37. Bey dem erſten Fall iſt mehr Troſt uͤbrig, als bey dem andern, den wir jetzt vorſtellen wollen, da nemlich etwas durch oder ohne unſer Schuld zu unſrer Bekraͤnckung und Verunehrung Gelegen - heit gegeben, welches wir in Anſehung der Umſtaͤn - de, darinnen wir uns befinden, entweder gar nicht oder doch der Vermuthung nach in ſehr langer Zeit nicht moͤchten aus dem Wege raͤumen. Bey die - ſem Fall hat ein vernuͤnfftiger Menſch wieder zwey - erley zu erwegen: (1) Ob es in ſeinen Kraͤfften be - ruhe, ohne daß er ſich noch unvollkommner machen moͤchte, dieſen Ort zu verlaſſen, und ſich an einen andern zu wenden, da je anf die eine oder andere Weiſe der Verrichtung, der er in gegenwaͤrtigen unterworffen geweſen, entgehen kan, es ſey nun, daß er bloß ruhiger und zufriedner oder auch zugleich ge - ehrter und gluͤckſeeliger leben moͤchte, oder ob ihm eine ſolche Veraͤnderung nicht moͤglich ſey? Be - findet er nun ohne ſich zu uͤbereilen, und nach ange - ſtelter genauer Meditation, daß er guten Grund hat, zu vermuthen, ob er bey einer Veraͤnderung, die in ſeiner Gewalt ſtehet, einen hoͤhern Grad der Gluͤck - ſeeligkeit erreichen werde, ſo hat er keine Minute zu verſaͤumen, auf ſeine Veraͤnderung bedacht zu ſeyn. Denn wer wolte ſich doch nicht ſo bald als nur moͤg - lich, gluͤcklicher und zufriedner machen? Hat er ge - lernt, ſich in ſich zu vergnuͤgen / und er findet, daß eineReti -137Vom Range. Retirade an einen einſamen Ort ſeinen Umſtaͤnden gemaͤß, ſo kan vielleicht bey ihm auch eintreffen, was bey vielen ſchon wahr worden: Bene qui la - tinit, bene vixit. Es heiſt ohnedem alterius non ſit, qui ſuus eſſe poteſt. Jſt er aber fremder Dienſte benoͤthiget, oder er befindet, daß er GOtt und ſeinen Naͤchſten beſſer dienen kan, wenn er ſich dem Publico zeiget, als da er ſich in eine Einſiedley einſchlieſſen ſolte, ſo veraͤnderte er den Ort oder gar das Land, und verſucht ſein Gluͤck anders wo. Das Vaterland iſt allenthalben wo man ſeyn ſoll. Ein Prophet gilt ohnedem, nach dem Ausſpruch unſers Heylandes, nirgends weniger, als in ſeinem Vater - lande. Es iſt mancher von Gelehrten und Unge - lehrten, von Hof-Leuten und andern an einem frem - den Orte mit beſondrer Ehre angeſehen worden, der in ſeinem Vaterland verachtet gelebt, und gar nicht aufkommen koͤnnen. Es iſt wahr, es iſt eine große Regel der Klugheit, lerne Gedult haben, und heiſt es nicht allein von Leipzig vult expectari, ſondern wahrhafftig auch von allen und jeden Oertern. Wer nicht gelernt hat, Gedult zu haben, wird ſich gemeiniglich durch ſeine Ungedult ungluͤckſeeliger machen. Es iſt aber auch nicht minder eine große Regel der Klugheit, den Ort veraͤndern lernen, und das rechte Tempo zu treffen. Dieſes rechte Tem - po aber kan ich nicht wohl durch Regeln beſtim - men, ſondern ein jeder muß es nach Beſchaffenheit ſeiner Umſtaͤnde finden lernen. Das beſte iſt, wenn man es der goͤttlichen Providenz uͤberlaͤſt, und denJ 5groſſen138I. Theil. IV. Capitul. großen GOtt durch ein andaͤchtig Gebet hertzlich anfleht, daß er einem ſein Hertz und Sinn zu derje - nigen Veraͤnderung, und nach allen den Umſtaͤn - den, die ſie angehen, lencken wolle, die ſeinem Nah - men am ruͤhmlichſten, und zu unſern ewigen Heyl am befoͤrderlichſten.
§. 38. Solte ſich nun aber einer in ſo gar arm - ſeligen und ungluͤcklichen Umſtaͤnden befinden, daß er an dieſem Ort in Verachtung leben muß, und ſich auch mit keiner Veraͤnderung, wenn er nicht noch ungluͤckſeliger werden wolte, troͤſten kan, der lerne alle aͤuſſerliche Ehre, die von dem Willen an - derer Leute herruͤhret, verachten, und beſtrebe ſich der innerlichen, die allein in ſeiner eigenen Gewalt; er bewerbe ſich vornehmlich um die Gnade des HErrn aller Herren, und des Konigs aller Koͤnige, und glaube, daß GOtt unzehliche Mittel und Wege habe, und wenn auch unſere Bernunfft nicht das geringſte davon erblicken ſolte, diejenige Verach - tung, die er ſich entweder durch einen mercklichen Fehler oder Fall zugezogen, oder der er ohne ſein Verſchulden unterworffen worden, zu etwas guten zu lencken; er glaube, daß die menſchlichen Hertzen veraͤnderlich, und es gar wohl moͤglich ſey, daß die - jenigen, die ihm in dieſem Jahre unterdrucken und verachten, ihn in dem kuͤnfftigen erheben koͤnnen, und erfreue ſich inſonderheit, wenn er jetzund in der Welt manchmahl zur Lincken ſtehen muß, daß die - jenige Zeit komme, da er, wenn er in Bußfertigkeit und wahren Glauben verharret, an dem allgemei -nen139Vom Range. nen groſſen Gerichts-Tage, zur Rechten des Hey - landes werde geſtellet werden, und alsdenn die al - lergroͤſte Ehre in Ewigkeit genieſſen.
§. 39. Jch kan nicht unterlaſſen folgende Lehr - Saͤtze des de la Serra, aus ſeiner Anweiſung zur Zufriedenheit, meinem Leſer beſtens zu empfehlen: Es moͤgen diejenigen, welche geſtern hinter uns giengen, noch heute vor uns den Vorzug haben, ſo werden wir doch allemahl den Vorgang gewinnen, ſo offt wir unſern Ehrgeitz Gebiß und Zaum anle - gen, weil aus dieſem alle unſere Gemuͤths-Ruhe entſpringt. Wenn man ſich mit demjenigen Stan - de, welcher uns zu theil worden, begnuͤget, ſo wird man ohne Sorgen alt, und ſtirbt mit Freuden. Denn das Gluͤck iſt wie ein Comet, welcher zwar bey heitern Wetter auf dem Horizont der Welt erſcheinet, jedennoch aber den Sterblichen eine bange Furcht, in der Seele zuruͤck laͤſt. Laßt an - dere von der Ehre, welche ſie begleitet, viel Worte machen, es wird derjenige, welcher in aller Stille fortwandelt, dennoch eine Crone erlangen. Die weltliche Ehre muß in der Welt bleiben, und es iſt beſſer, wenn man ihre Herrlichkeit verachtet, als wenn man ſie wuͤrcklich beſitzet. S. p. 70 und 84 des angezogenen Tra - ctats.
§. 1.
EJn Compliment iſt eine mit einer wohlan - ſtaͤndigen Mine oder Reverence verknuͤpf - te Rede, dadurch ich meine Ehrerbietung und Hochachtung gegen dem andern an Tag lege. Sie koͤnnen nach den unterſchiedenen Umſtaͤnden, der Zeiten, Oerter und Perſonen, auf eine vielfache Weiſe eingetheilet werden. Nach - dem ich aber nicht geſonnen bin, die gantze Lehre von den Complimens ſyſtematiſch abzuhandeln, ſon - dern nur einige allgemeine ſichere Regeln, die hier - bey zu beobachten, vorzutragen, und beylaͤuffig eini - ge mir bekandt gewordene Fehler mit anzufuͤhren; um junge Leute davor zu warnen, ſo will ich auch alle die uͤbrigen Philoſophiſchen Eintheilungen der Complimens denenjenigen uͤberlaſſen, die Com - plimentir-Buͤcher ſchreiben, und nur, unſerer ge - genwaͤrtigen Abſicht nach, gedencken, daß ſie (1) in Anſehung der Zeit, binnen welcher ſie vorgetragen werden / koͤnnen eingetheilet werden, in die kurtz - gefaßten, und in die weitlaͤufftigen; und (2) in An - ſehung der Gelegenheiten und Faͤlle, die ſie veran - laſſen, in die gemeinen und gewoͤhnlichen, und in die ſolennen oder Staats-Complimens. Die kurtzgefaßten beſtehen aus ein - oder etlichen weni -gen141Von Complimens. gen Saͤtzen, dadurch ich meine Demuth oder Hoch - achtung gegen dem andern an Tag lege; die weit - laͤufftigen aber ſind vor kleine Reden anzuſehen, die aus unterſchiedenen Stuͤcken zuſammen geſetzt. Die kurtzen lernt man ex uſu von ſich ſelbſt; zu de - nen weitlaͤufftigen aber braucht man einige Anlei - tung aus der Oratorie. Die gemeinen oder ge - woͤhnlichen Complimens nenne ich diejenigen, die bey allerhand alltaͤglichen und in dem gemeinen Le - ben unter Privat-Perſonen vorkommenden Faͤllen abgeſtattet werden; die ſolennen aber, die man entweder gegen Fuͤrſtliche Perſonen gebraucht, oder ſonſt nur bey beſondern Faͤllen Platz finden.
§. 2. Bevor ich einige Anmerckungen mittheile, was dem Wohlſtande nach bey den Complimens in Obacht zu nehmen, ſo will ich doch nach der Chriſtlichen und vernuͤnfftigen Morale ein wenig unterſuchen, was von denen Complimenten zu hal - ten ſey. Wenn wir die Qvacker daruͤber befra - gen wollen, ſo werden ſie uns alle und jede Arten der Complimens auf das ſchaͤrffſte verweiſen. Alſo ſchreibet ihr Heer-Fuͤhrer Barclajus in Theo - log. Myſtic. Apolog. ad Th. XV. n. 4. wenn man es in die teutſche Sprache uͤberſetzt, folgendes: Uber die allgemeinen Ehren-Titul, ſo viel als durch den Mißbrauch unter den Chriſten ein - geſchlichen, ſind auch noch andere freundliche Reden in Gebrauch, die insgemein Compli - mens genennt werden. Nach deren Veran - laſſung nennen und ſchreiben ſich nichr etwandie142I. Theil. V. Capitul. die Diener an ihre Herren, oder auch die in ei - niger genauen Dependenz mit einander ſtehen, ſondern auch andere fremde, die einander gar nichts angehen, bey mancherley Gelegenhei - ten, als gehorſamſte Knechte, als unterthaͤnig - ſte Diener. Dieſe gottloſe Gewohnheiten haben die Chriſten / zum unausſprechlichen Schaden ihrer Seele, zu den Luͤgen ange - woͤhnt. Daher enthalten ſich auch die Quacker aller Complimens, und wenn ſie mit den groͤſten Herren zu thun haben, tractiren ſie dieſelben nicht anders, als wie die gemeinſten Leute, wie ſolches aus dem Exempel eines gewiſſen Englaͤnders mit Nahmen Ameſii erhellet, der den Ehurfuͤrſten zu Brandenburg, Friedrich Wilhelm, mit folgenden Worten ſoll angeredet haben: Ob ich mir ſchon ſolcher heuchleriſchen Titul gegen dir nicht gebrau - che, als gemeiniglich gegeben werden von denen, die Freundſchafft dieſer Welt ſuchen, und heucheln um ihres Vortheils willen, dennoch iſt mein Wunſch, daß Wohlfarth und Gluͤckſeeligkeit bey dir, mein Freund, moͤge gefunden werden, S. Schelwig in Quackeriſmo Confutat. artic. 19. hypoth. 8. und Schoepfer Diſſ. von Recht der Complimen - ten, p. 10.
§. 3. Daß unſere Complimens mit mancher - ley Heucheley und Falſchheit vergeſellſchafftet, iſt eine bekandte Wahrheit, und ſchreiben folgende Autores, die ſich uͤber den Mißbrauch der Compli - mens und uͤber das laſterhaffte Weſen, ſo damitgar143Von Complimens. gar offters verbunden, beſchweren, nicht zu viel. Ein Frantzoͤſiſcher Autor, den Menantes unter dem Titul der klugen Behutſamkeit in Reden und guter Conduite zu leben uͤberſetzt, ſchreibt p. 69. Welche Eitelkeit und welcher Verluſt der Zeit, ereignet ſich nicht bey den Begruͤßungen / Viſiten, Umarmun - gen und Converſationen, die auf die Hoͤflichkeit, Ceremonien, Anerbietungen, Verſprechungen und Lob-Reden hinaus lauffen? Wie viel ſich ſelbſt uͤberſteigende Redens-Arten, wie viel Gleißnerey, wie viel Schmeicheley und wie viel Falſchheit und Betruͤgereyen trifft man nicht bey allen an, die ſie geben, die ſie annehmen, und die ſie hoͤren, dergeſtalt daß es ein ſtillſchweigender Handel und Complot iſt, ſich uͤber einander zu moquiren, einander zu be - luͤgen und betruͤgen. Und was das artigſte, ſo muß derjenige, der allzu wohl weiß, daß man ihnen un - verſchaͤmt vorluͤget, noch groſſen Danck darzu ſa - gen, der ander aber, der wohl ſiehet, daß ihm der andere nicht glaubt, haͤlt eine gute Mine, und wenn ſie einander die Haut wichtig vollgelogen, ſo gehen ſie in Lachen und wohl vergnuͤgt von einander, und der glatulirt ſich hernach bey ſich ſelber, welcher glaubt, daß er ſich in dieſer Kunſt am beſten erwie - ſen. Alles dieſes iſt mehr als zu wahr, allein es iſt eine allgemeine Comœdie, wo man auf dem Thea - tro der Welt, wenn einen die Reyhe trifft, nicht um - hin kan, ſeine Perſon ſo gut zu ſpielen, als moͤglich. Guevarra ſpricht in ſeiner Beſchreibung des Hof - und Land-Lebens, p. 132. O wie viel macheneinan -144I. Theil. V. Capitul. einander tieffe Reverences, und rauben einander doch die Ehre! o wie viel eſſen an einer Tafel, und gehen mit einander ſpatzieren, deren Hertz aber weit von einander entfernet iſt! o wie viel biethen einan - der ihre willigſte Dienſte an, die einander lieber moͤchten freſſen! o wie viel geben einander Viſiten, welche einander lieber helffen moͤchten begraben, mit einem Wort, viel ſtellen ſich, als waͤre es ihnen ſehr lieb, wenn es einem wohl und gluͤcklich gienge, die einem doch lieber condolirten, wenn einem ein groß Ungluͤck begegnete. S. p. 132. Der Autor der Europaͤiſchen Fama, der noch unter allen am gelindeſten hievon ſpricht, raiſonirt folgender Ge - ſtalt: Man wird bey den ſterblichen Menſchen aus der Erfahrung gelehrt, daß Worte und Thaten nicht jederzeit mit einander uͤbereinſtimmen, ia man pflegt insgemein zu ſchluͤßen, daß daſelbſt die wenig - ſten Wercke zu finden, wo die meiſten Worte ſind, und daß ein Menſch dem andern nicht leichtlich zweyerley Freunde zu machen pflegt, mit reden und thun. S. den VII. Theil. p. 892.
§. 4. Doch dieſes ſind laſterhaffte Abwege der Compliments-Reden, und koͤnnen von denen Complimens gar wohl abgeſondert werden. Fal - ſche Leute fuͤhren freylich Honig im Munde, und Gall im Hertzen, ein redlich geſinnter aber vereini - get auch mit ſeinen Complimens Wahrheit und Aufrichtigkeit. Daß die Complimens an und vor ſich ſelbſt auch einem wahren Glaͤubigen nicht un - anſtaͤndig, erkennet man aus unterſchiedenen Exem -peln145Von Complimens. peln frommer und heiliger Maͤnner goͤttlicher heili - ger Schrifft, welche nach Art der damahligen Zeit ebenfalls ihre Complimens gegen einander ge - macht. Abraham redet in dem XVIII. Cap. 3. v. des erſten Buches Moſis, die drey ihm damahls unbekandten Maͤnner, oder vielmehr den vornehm - ſten unter ihnen, folgender geſtalt an: HErr, habe ich Gnade funden, ſo gehe nicht vor deinen Knecht uͤber. Jngleichen findet man, daß Jacob zu unter - ſchiedenen mahlen ſeinen Bruder Eſau compli - mentient angeredet, bald bedienet er ſich der Re - dens-Art gegen ihn: daß ich Gnade fuͤr meinen Herrn finde, bald ſagt er von ihm: ich ſahe dein An - geſicht, als ſaͤhe ich GOttes Angeſicht. S. 1. Buch Moſis am XXXII. v. 8. und 10. Der ſeelige Lutherus fuͤget in ſeinen Wittenbergiſchen Wer - cken Tom. X. p. 274. dieſe Anmerckung hinzu: Daß ſich aber an dieſem Ort Jacob alſo gedemuͤ - thiget und geneiget vor ſeinem Bruder, ſoll man nicht alſo verſtehen, als ob ihm damit an ſeinem Seegen und Ehre etwas abgebrochen waͤre, ſon - dern wie man gemeiniglich zu ſagen pflegt: Es ſind verba honoris, die binden nicht; und dieſe Reve - renz, Ehrerbietung und Gehorſam, bringt nicht mit ſich, daß ihm eben damit das Erbe und die Herr - ſchafft waͤre uͤbergeben worden, wiewohl ſich Ja - cob einen Knecht, Eſau aber einen Herrn nennt, ſo hat aber doch Eſau darinnen das Regiment noch nicht, und daſſelbe auch niemahls bekommen. So ſagt er auch bald darauf: Darnach pflegt es inKdie -146I. Theil. V. Capitul. dieſen Leben zu geſchehen, daß die, ſo hoͤher und groͤßer ſind, denn andere, nicht allein ihres gleichen, ſondern auch wohl die geringer ſind als ſie, freund - lich und ehrlich anreden, und ihre Dienſte anbiethen. S. 1. Buch Moſis im XLIII. v. 28. Es gehet deinem Knecht, unſern Vater, wohl. 1. Buch Moſis am XLIV. v. 7. 1. Buch der Koͤnige am XX. Cap. 1. Buch Samuelis XXV. 41. v. Syrachs Regel VI. Cap. 6. v. Halts mit jeder - mann freundlich, vertraue aber unter tauſenden kaum einem. S. Matth. XX. Cap. 26. v. Luc. XIV. 7. v.
§. 5. Es iſt dieſem nach, wie Herr D. Pritius in der Ausuͤbung der Chriſtlichen Tugend - und Sitten - Lehre p. 163. meldet, allerdings die Schuldigkeit eines Chriſten, ſich alſo gegen die ihm von GOtt vorgeſetzte Obern zu bezeugen, daß die beſcheidnen und ehrerbietigen Worte, die aus ſeinem Munde gehen, den Gehorſam und Unterwuͤrfigkeit ſeines Hertzens gegen die Gewalt und das Anſehen derſel - ben, welche GOtt der HErr derſelben uͤber ihn ver - liehen, an Tag legen moͤge. Das iſt der ausdruͤck - liche Befehl, welchen uns der Apoſtel Paulus giebt, daß wir einem jeden geben ſollen, was wir ſchuldig ſind, Furcht dem die Furcht gebuͤhret, Ehre dem die Ehre gebuͤhret, Roͤm. am XIII. Cap. 9. v. Welche Worte deutlich in ſich enthalten, daß ſo wohl gewiſſe Menſchen ſeyn, welche Ehre anzuneh - men berechtiget, als auch andern, welche andern Menſchen Ehre zu erweiſen, verbunden ſind.
§. 6.147Von Complimens.§. 6. Man richte ſeine Complimens ſo ein, daß man nicht den Schein einer allzugroßen Schmei - cheley und Falſchheit von ſich gebe, und dadurch er - weiſen wolle / als ob man ſeine Ehren-Bezeugun - gen als Geldes werth anbringen, und die Leute mit dem Winde einiger ſuͤſſen Worte bezahlen wolle. S. l’homme de Cour in der 19ten Maxime p. 449. nach Hr. D. Muͤllers Edition. Einige brauchen nicht mehr als die Anmuth eines eintzigen Compliment, die Narren, und inſonderheit die Hochmuͤthigen zu bethoͤren. Es iſt aber nicht al - len Leuten damit gedient, der Wohlſtand und das Ceremoniel erfordern in geringſten nicht, daß man ſich bey denen, gegen die man in ſeinem Hertzen nicht ſo gar große Liebe empfindet, ſolcher Redens-Arten gebrauche, dadurch man einen beſondern Ausfluß der Liebe an Tag legt, ſie mit dem groͤſten Reich - thum der Worte beehre, und ihnen nur alle erſinn - liche Liebes-Dienſte anbiethe, ſondern man ſetze nur ſeine Redens-Arten in ſolche Schrancken, die zwar der Hoͤflichkeit und Gefaͤlligkeit gemaͤß, jeden - noch aber auch mit der Wahrheit und der Chriſten - Liebe, die man einem jeden ſchuldig, ſich vereini - gen laſſen.
§. 7. Man muß nicht allein bey der Demuth, Liebe und Ehrerbietung, die man gegen den andern erweiſt, Maße halten, daß man bey den Redens - Arten, dadurch man dieſe Tugenden ausdrucken will, den gehoͤrigen Grad nicht uͤberſchreite, ſondern auch in dem Complimentiren ſelbſt. Es dauchtK 2nicht148I. Theil. V. Capitul. nicht, wenn einige junge Leute, theils von Manns - Perſonen, theils von Frauenzimmer, faſt alle ihre Diſcourſe in lauter Complimens verwandeln, und wenn ſie dieſelben auch noch ſo manierlich vorbraͤch - ten, ſo fehlen ſie doch wider den Wohlſtand. Durch dieſe Methode moͤchte ſich einer wohl bey den Com - plimentir-Schweſtern, die ſelbſt von dergleichen Profeſſion machen, in Gunſt ſetzen, in der großen Welt hingegen, und an Hoͤfen gewißlich nicht. Wer ſtets complimentirt, beehret nicht allezeit die Per - ſonen, denen er in ſeinen Complimens devotion zu leiſten pfluͤchtig, ſo wie er wohl ſoll. Es wird dieſes vor affectirt, und vor eine Schulfuͤchſerey an - geſehen, und iſt gemeiniglich eine Frucht derer, die ſo viel Romainen geleſen.
§. 8. Wie nun die Menſchen bey ihren Hand - lungen uͤberhaupt gar ſelten die Mittel-Straſſe treffen, ſondern gemeiniglich auf die beyden laſter - hafften Abwege gerathen, ſo gehet es vielmahls bey den Complimens eben ſo her. Diejenigen, von denen ich in dem vorhergehenden geſagt, wollen es allzudienlich machen, alle ihre Worte trieffen gleich - ſam von lauter Honigſeim der Liebe, ſie benennen andere mit hoͤchſtgeehrteſt, allerliebſt, allerwertheſt, u. ſ. w. oder complimentiren ſtets. Hier muß ich aber gedencken, daß man Leute findet, die es allzu - ſchlecht machen, ſie tractiren diejenigen, denen ſie ehrerbietig begegnen ſolten, allzuplump, oder koͤn - nen ſich gantz und gar nicht mit dem Complimen - tiren behelffen.
§. 9.149Von Complimens.§. 9. Manche von unſern Teutſchen, und zwar einige von denen, die doch, in Anſehung ihrer Aufer - ziehung, vor andern manierlicher ſeyn koͤnten und ſolten, ſind dem Hollaͤndiſchen Poͤbel in dieſem Stuͤck gar aͤhnlich, der wohl eher den hoͤchſten Standes-Perſonen ein bißweilen zwar wohlge - meyntes, in der That aber ein gar ſchlecht und un - foͤrmlich Compliment gemacht. Als anno 1704. der Engliſche Generaliſſimus, der Hertzog von Marlborough, aus Dero Jacht-Schiffe, unter neunmahliger Loͤſung der Stuͤcken, ans Land trat, war die Menge des Volcks ſo groß, daß der Herr Buͤrgermeiſter kaum Platz behielt, ihn zu compli - mentiren. Das gemeine Volck fragte die Her - ren Penſionarios: Welck it de Heer Marlbo - rough? Und als deren einer ihn gewieſen lieff ei - ner aus dem Volck, als ein guter vertraulicher Freund, ſans Façon hin, fiel dem Hertzog um den Hals, und rieff: Bent gy myn Heer de Heer Marlborough, ey weſt welkomen myn goede Heer Marlborough. Die andern warffen die Huͤte in die Hoͤhe, und rieffen unaufhoͤrlich: Lang leve Marlboroug. S. den XXVIII. Theil der Eu - ropaͤiſchen Famæ p. 290. Ob man wohl in keinem Lande von dem Poͤbel zierlicher Complimens ver - muthend ſeyn kan, ſo glaub ich doch, daß der Hol - laͤndiſche an Grobheit Freyheit und Unverſchaͤmt - heit wo nicht alle, doch die meiſten andern Euro - paͤiſchen Nationen, zu uͤbertreffen pflege.
§. 10. Wer ſich in der Welt, entweder durchK 3ſeine150I. Theil. V. Capitul. ſeine Verdienſte, oder durch das Gluͤck in ſolche Umſtaͤnde geſetzt, daß er von andern mehr Ehrer - bietung zu erwarten, als auszutheilen hat, kan es hernach mit den Complimens halten wie er will, und bleibt deswegen doch wohl wer er iſt; ein jun - ger Cavalier aber, der noch erſt ſein Gluͤck in der Welt machen ſoll, muß ſich in den Stand ſetzen, bey mancherley vorfallenden Gelegenheiten, kurtze und weitlaͤufftige, gemeine und ſolenne Compli - mens ablegen zu koͤnnen, wie es die Leute haben wollen, oder wie es ſich nach den Umſtaͤnden der Oerter und Zeiten eignet und gebuͤhret.
§. 11. Man thut zwar einigen Leuten, die in Worten und Geberden denen andern gar keine Hoͤflichkeit und Freundlichkeit erweiſen, nicht groß Unrecht, wenn man ſie vor Bauern-ſtoltz erklaͤrt; man hat ſich aber doch auch hierbey in acht zu neh - men, daß man nicht diejenigen, die keine groſſen Complimentirer abgeben, ſondern ihre Hoͤflichkeit mehr in der That als in Worten bezeigen, alſobald vor ungeſchickt und hochmuͤthig halte, ſonſt kan man ſich in ſeinem Urtheil gewaltig vergehen. Es iſt mancher ein guter Hof-Mann, und manierlicher Mann, der auch des Schlendrians eben ſo maͤchtig, ja wohl noch maͤchtiger als ein anderer; es iſt ihm aber gefaͤlliger, und ſeinem Temperament gemaͤſ - ſer, ohne daß er zum Hochmuth geneigt ſeyn ſolte, von dieſem Ceremoniel-Werck etwas abzubrechen, weil er von andern auch keine uͤberfluͤßigen Com - plimente verlangt; Ein anderer hingegen, der offteinen151Von Complimens. einen gantzen Sack voll Complimente ausſchuͤttet, iſt bey andern Faͤllen doch wohl unhoͤflich und ehr - geitzig.
§. 12. So muß man auch mit einigen Leuten, die entweder in Anſehung ihrer ſchlechten Auferzie - hung, die ſie gehabt, oder der Geſellſchafften, un - ter denen ſie ſich bißher befunden, keine Anleitung bekommen, wie ein foͤrmlich Compliment einzu - richten, Gedult haben, und ihrer nicht ſpotten, ſon - dern vielmehr gedencken, daß die andern, wenn ſie ſich in unfern Umſtaͤnden beſinden, und den Unter - richt bekommen haͤtten, als wir, uns an Politeſſe gleichen, oder noch wohl gar uͤbertreffen wuͤrden. Sie koͤnnen deswegen doch wohl ihre beſondern Verdienſte haben. Manch tugendhafft Maͤdgen wird in groſſe Confuſion geſetzt, wenn ſie auf ein Compliment ein Gegen-Compliment machen ſoll, und hingegen ſind viele von denen, die ſich hierbey treflich unter die Leute zu ſchicken wiſſen, und denen die Zunge ziemlich geloͤſt iſt, die aͤrgſten Coquetten.
§. 13. Ein vernuͤnfftiger Menſch wird auch in dieſem Stuͤck feine Leute, die er vor ſich hat, beur - theilen und kennen lernen, und diejenigen, von denen er entweder vorher vermuthend iſt, daß ſie ſich mit den Complimens nicht allzuſehr behelffen koͤnnen, oder bey denen er es in der Anrede ſelbſt verſpuͤhrt, nicht damit beunruhigen, ſondern ſich um ihnen ge - faͤllig zu werden, nach ihrer Schwaͤche zu richten wiſſen.
K 4§. 14.152I. Theil. V. Capitul.§. 14. Es waͤre gut, wenn ſolche Leute, die bey dem Complimentiren nicht herkommen, die Regel beobachteten, die Menantes in ſeiner allerneueſten Art hoͤflich und galant zu reden p. 549. vortraͤgt, und nur Achtung haͤtten auf dasjenige, was andere ihnen hoͤflich ſagten, und mit wenig Worten es nach einer natuͤrlichen Beredſamkeit hoͤflich beantwor - teten. So aber wird man mehrentheils einen von dieſen dreyerley Fehlern bey ihnen gewahr werden. Entweder ſie wollen ſich wieder unterſtehen, ein ziemlich und groß Gegen-Compliment zu machen, und koͤnnen doch nicht damit zu rechte kommen, ſie bleiben ſtecken, und verwirren ſich in ihren eignen Worten, oder bringen doch ſonſt ungereimt Zeug vor: oder ſie werden durch das ihnen vorgetragene Compliment, ſo aus ihren Circuln geriſſen, daß ſie gar kein eintzig Wort mehr reden koͤnnen, und voͤl - lig ſtill ſchweigen: oder fallen nach der beſchehenen Anrede mit ihren Diſcours gantz auf andere Sa - chen, die ſich zu den Compliment im geringſten nicht ſchicken, nnd mit demſelben keine Verwand - ſchafft haben, und machen ſich hiedurch laͤcher - lich.
§. 15. Manche wollen es beſſer machen, und gedencken damit auszukommen, wenn ſie einerley Formulgen, das ſie entweder aus einem Compli - mentir-Buch, oder eines andern Vorſchrifft erlernt, bey allen Gelegenheiten, zu denen es ſich ihren Ge - dancken nach ſchickt, ohne Unterſcheid der Perſo - nen und Oerter, als eine Anrede oder Gegen-Ant -wort153Von Complimens. wort herbeten; Sind ſie mit einigen ſolchen Com - plimenten verſehn, die ſie bey den mancherley Faͤl - len, die ihnen nach ihrer Lebens-Art, und bey ihrem Beruff vorſtoßen, aus ihrem Gedaͤchtniß hervor - langen, ſo meynen ſie, ſie brauchten nichts mehr, und koͤnten ſo gut complimentiren, als ander Leute. Nun iſt dieſes eine Bemuͤhung, die man bey dem Poͤbel und bey den Handwercks-Leuten kan paſſi - ren laſſen, daß ſie wiſſen, wie ſie einander das Leyd klagen, oder bey ihren Hochzeiten und Kindtaufften Gluͤck wuͤnſchen ſollẽ; einem jungen Menſchen aber, der ſich durch ſeine gute Conduite den Weg zur Befoͤrderung bahnen ſoll, wuͤrde es uͤber die maßen uͤbel anſtehen, wenn er bloß ſein Gedaͤchtniß mit einem ſolchen Complimentir-Vorrath ausſtaffi - ren, und nicht vielmehr lernen ſolte, dieſelben jeder - zeit aus dem Stegreif einzurichten, und ſolche nach Gefallen zu veraͤndern. Ein Formular kan un - moͤglich ſo eingerichtet werden, daß es auf alle Leute und deren Unterſcheid der Staͤnde, Titul und Cha - racteres paſſen ſolte; Es iſt nicht genug, daß man die Titulaturen veraͤndert, es muͤſſen auch viel an - dere Woͤrter und gantze Redens-Arten veraͤndert werden. Es wuͤrde das Gedaͤchtniß auf eine un - ſaͤgliche Art beſchweret werden, wenn einer ſo viel Formularien auswendig lernen wolte, als ſich in dem menſchlichen Leben Faͤlle ereignen koͤnnen zum Complimens; Wuͤrde es aber nun nicht uͤber die maßen ſeltzam klingen, wenn einer bey mancher Ge - legenheit ein zierlich Compliment herzuſagen wuͤſte,K 5bey154I. Theil. V. Capitul. bey einer andern Gelegenheit aber gantz ſtille ſchwiege und verſtummete? Bey den Gegen - Complimens iſt es gantz und gar unmoͤglich, man kan ja nicht wiſſen, was einem andere Leute vor ei - ne obligeante Anrede thun werden, die mit einer hoͤflichen Antwort zu erwiedern iſt; Es laͤſt auch uͤber die maßen laͤcherlich, wenn man von einigen Leuten bey einerley Fall ſtets einerley Compliment hoͤrt, ohne die geringſte Veraͤnderung eines eintzi - gen Wortes.
§. 16. Dieſemnach iſt am beſten, wenn ein jun - ger Menſch auf anderer manierlicher und qualifi - cirter Leute Reden und Complimente Achtung hat, ſich einer natuͤrlichen Beredſamkeit befleißiget, und die Worte und Redens-Arten aus ſeinem eige - nen Gehirne hervor ſucht, biß er hierinnen mit der Zeit geuͤbter und geſchickter wird. Es iſt eine gute Anmerckung, die Herr Benjamin Neukirch, in ſei - ner Anweiſung zu Teutſchen Briefen, p. 699. vor - traͤgt, wenn er ſchreibt: An ſich ſelbſt iſt die Hof - Art im Complimentiren nicht ſchwer, denn ein Hof-Cavalier macht nicht viel Ceremonien, und was er ſagt, das ſagt er natuͤrlich und mit guter Ma - nier. Wenn wir nun natuͤrlich, das iſt, kurtz und ohn einigen Umſchweiff reden, ſo haben wir ſchon viel gewonnen; Denn es fehlet uns alsdenn nichts mehr, als die Kenntniß der Titul, und etlicher ma - nierlichen Formuln. Solche aber laſſen ſich aus der Converſation geſchickter Leute leicht erler - nen.
§. 17.155Von Complimens.§. 17. Eine gute Mine und ein zierlicher Reve - rence kan die Stelle eines muͤndlichen Compli - mens bey einem jungen Menſchen deſto eher ver - treten, weil auch wohl andere, die hierinnen geuͤbter ſind, oder doch geuͤbter ſeyn ſollen, ſie bißweilen manchen Redens-Arten, die ſie ſonſt mit dem Mun - de hervor bringen, muͤſten ſubſtituiren. Ein jun - ger Menſch muß dahin ſehen, daß die Complimens nicht mit den Haaren herbey gezogen werden, ſon - dern fein natuͤrlich aus dem Diſcours entſpringen. S. das VIII. Capitul des Traitè de la Civilité moderne, p. 103. Die beſten und angenehmſten Compliments ſind bißweilen die guten Touren, die man ſeinen Worten zu geben weiß, und die ſinnrei - chen Einfaͤlle, die man mit wenig Worten, ohne ſich lange zu beſinnen, anbringt. Alſo war es ein gut Compliment, das Menantes in Saltzdahlen machte, wie er ſelbſt in ſeiner allerneueſten Art, hoͤf - lich und galant zu reden, von ſich anfuͤhrt: Als er ſich auf dem Schloß und in dem Garten zu Saltz - dahlen umgeſehen, und ihn ein Hof-Mann fragte, wie ihm Saltzdahlen gefiele, ſo ſagte er: So gut als Saltzdahlen ſelbſt, weil er ſonſt keines dergleichen geſehen. Dis eintzige nur mißfiele ihm, daß es ihm, wegen ſeiner Reiſe, die er jetzund an andere Oerter vorhaͤtte, nicht ſtets gefallen koͤnte. Jn dieſen Com - pliment lobte er Saltzdahlen mehr, als wenn er ge - ſprochen haͤtte, es waͤre gantz unvergleichlich, admi - rable, u. ſ. w. weil dieſe Redens-Arten alle Tage von allen Leuten gehoͤret werden.
§. 18.156I. Theil. V. Capitul.§. 18. Die Redens-Arten in den guten Com - plimens der geſchickten Hof-Leute beſtehen eben nicht in ſolchen Worten, die der gemeine Mann alle Tage im Munde fuͤhret, jedoch auch nicht in ſo praͤchtigen und hochtrabenden, wie ſie oͤffters in den Schulen gelehrt und gelernet werden, oder wie man ſie bey ſolennen Reden etwan zu gebrauchen pflegt, ſondern in einer wohlausgeſuchten Mittelſtraſſe.
§. 19. Bey Abſtattung der Complimens hat ein junger Cavalier Acht zu haben, daß er ſie ſo ein - richte, wie es an einem jeden Orte gebraͤuchlich; will er nun hierinnen nicht verſtoſſen, ſo muß er ſich vorher erkundigen, was die Obſervanz an einem jeden Ort erfordere. An einigen Hoͤfen und groſſen Staͤdten iſt es gewoͤhnlich, daß man einander zum H. Weyhnacht-Feſt, zum Oſter-Feſt u. ſ. f. feli - citirt, oder durch die Bedienten gratuliren laͤſt, an andern hingegen werden dergleichen Complimens vor buͤrgerlich, vor abgeſchmackt und laͤcherlich an - geſehen. Unterſucht man den Grund dieſer Com - plimente, ſo ſcheinen ſie freylich etwas uͤberfluͤßiges zu ſeyn; denn ſonſt muͤſten die Menſchen einander alle Feſt Tage oder Sonntage gratuliren, daß ſie dieſelben erlebt haͤtten. Ja man hat auch ſo gar bey den gewoͤhnlichen Neu-Jahr-Wuͤnſchen keins gewiſſe Regel. An einigen Orten auf dem Lande, oder bey dieſem und jenem Miniſter, wuͤrde es einem jungen Menſchen gar ſehr verdacht werden, wenn er nicht mit einem zierlichen und ſolennen Neu - Jahrs-Wunſch aufgezogen kaͤme; an manchenHoͤfen157Von Complimens. Hoͤfen hingegen gelten die Neu-Jahrs-Compli - mens heutiges Tages wenig oder nichts. Man muͤſte an groſſen Hoͤfen viel zu thun haben, wenn man alle Leute mit einer ſolennen Neu-Jahrs-Gra - tulation beehren wolte.
§. 20. Hat ein junger Cavalier die Gnade, ei - ner Koͤniglichen, Chur-Fuͤrſtlichen oder Fuͤrſtlichen Perſon den Reverence zu machen, ſo muß er vor - her anfragen, ob er wohl bey der erſten Entrée die Erlaubniß habe, ein muͤndlich Compliment zu ma - chen. Man kan hiervon ebenfalls keine gewiſſe Vorſchrifft geben. Einige Fuͤrſtliche und noch hoͤhere Standes-Perſonen, die ſehr gnaͤdig und leutſelig, laſſen ſich dergleichen Anreden, wenn ſie kurtz und gut ſind, gantz wohl gefallen; andere hin - gegen die etwas hautoriren, wuͤrden glauben, als ob dergleichen wider ihren Reſpect waͤre, und ei - nem jungen Menſchen ſeine Oratorie, ob er ſie ſchon noch ſo zierlich vorbringen wuͤrde, verdencken. Bey dieſem letztern Fall muß ein junger Cavalier, bloß mit ſehr tieffen Reverences, einer Koͤniglichen, Chur-Fuͤrſtlichen oder Fuͤrſtlichen Perſon den Rock kuͤſſen, und ſich alsdenn einige Schritte weit von ihr poſtiren, damit er ihr nicht gar zu nahe uͤber den Hals ſtehe, jedoch auch ihre Worte, was ſie ihn fragt, bequem vernehmen moͤge.
§. 21. Die Handlungen und Complimens ſind nach dem Unterſcheid der Zeiten und Provintzien gar ſehr von einander unterſchieden. Zu dieſer Zeit und an dieſem Ort wird eine gewiſſe Handlung vorhono -158I. Theil. V. Capitul. honorifique gehalten, die an einem andern hinge - gen nicht davor angeſehen wird. Alſo waren bey den erſten Chriſten ihre freundlichen Begruͤſſungen oder Complimens mit einem Kuß jederzeit vereini - get; nicht weniger waren ſie auch bey den alten Teutſchen, inſonderheit bey den Nieder-Sachſen im Gebrauch, die ohne Unterſcheid des Geſchlechts, wenn ſie ſich auf oͤffentlichem Wege begegneten, einander zu kuͤſſen pflegten. S. das II. Capitul von Hekelii Hiſtoriſcher Philologiſcher Unterſuchung der mancherley Arten und Abſichten der Kuͤſſe, ſo von Gotthilff Wernern in das Teutſche uͤberſetzt worden. Wolte man aber in den heutigen Zeiten dieſen Gebrauch wieder einfuͤhren, ſo wuͤrde dieſes nicht rathſam ſeyn, und zu mancherley Aergerniſſen Anlaß geben. Als der Hertzog von Marlborough nach der gluͤcklichen Schlacht bey Hoͤchſtaͤdt victo - riſirend in Engelland anlangte, und von dem Lord - Major auf das herrlichſte tractiret ward, ſo war das Compliment, ſo ihm der Lord-Major machte, merckwuͤrdig, da er ihm das Buͤrger-Recht der Stadt Londen, und die Annehmung in die durch Engelland beruͤhmte Goldſchmiedts-Jnnung, præ - ſentirte; Das hieruͤber verfertigte Diploma lag in einer goldnen Capſul, die man auf 1900. Pfund Sterling ſchaͤtzte. Der Hertzog nahm dieſe Ehr - Bezeigung mit der freundlichſten Danckſagung an. S. den XXX. Theil der Famæ, p. 447.
§. 22. Die kurtzen Complimens, wann ſie da - bey manierlich abgefaſt, ſind heutiges Tages faſtmehr159Von Complimens. mehr beliebter als die weitlaͤufftigen, jedoch muͤſſen ſie auch ſo beſchaffen ſeyn, daß derjenige, an den wir unſere Anrede richten, von unſerm Vortrage ſich einen deutlichen Begriff machen koͤnne, und wiſſe, was wir haben wollen. Die allerkuͤrtzeſten ſind, da man einen bloßen Vortrag thut, ein paar ſchmeichlende Redens-Arten præmittirt, und mit einer oder ein paar wieder beſchleußt. Wenn man alſo zum Exempel, bey einem großen Miniſter um eine gewiſſe Gnade Anſuchung thut, ſo kan man al - ſobald anfangen: Mit Ewr. Excellenz Gnaͤdigen Erlaubniß, bitte mit die unterthaͤnige Freyheit aus, dieſelben gehorſamſt zu erſuchen, die beſondere Gnade mir zu erzeigen, und eben, dieſe hohe Gnade werde Zeit meines Lebens mit aller Devotion er - kennen, ꝛc. Und auf eben dieſe Weiſe kan man bey allerhand andern Faͤllen wegkommen. Der Vortrag iſt der Haupt-Theil, der nimmermehr weggelaſſen werden kan, ſonſt wuͤſten wir nicht, was wir reden wolten, und der ander wuͤſte es auch nicht. Hat man aber laͤnger Zeit, ſo macht man einen Eingang dazu, und verbindet ihn mit dem Vortrage. Der Eingang iſt die Veranlaſſung zum Vortrag und iſt ebenfalls noͤthig, damit der ander wiſſe, wie wir dazu kommen, daß wir ihn dieſem oder jenem Vortrag thun. Dieſen Theil kan man entweder gantz und gar weglaſſen, wann der ander, ſo ſchon Nachricht hat von unſerm Anſu - chen, oder ihn mit ein paar Worte mit dem Vortrag verbinden, und in demſelben verſtecken.
§. 23.160I. Theil. V. Capitul.§. 23. Achtet man vor noͤthig ein Compliment laͤnger zu machen, ſo fuͤget man noch einige Bewe - gungs-Gruͤnde bey, dadurch man ſich in dem Ge - muͤthe deſſen, dem man etwas vortraͤgt, eine ſeiner Abſicht gemaͤße Wuͤrckung verſpricht. Man be - muͤhet ſich bey dem Anfang, da man etwan um Vergebung bittet, daß man ſich die Freyheit naͤh - me, dem andern aufzuwarten oder auch durch an - dere Redens-Arten, ſich dem andern gefaͤllig zu be - zeugen, und auch bey dem Schluß des andern Gna - de je mehr und mehr zu verſichern, da man ſich nach dem Unterſcheid der Perſonen des andern gnaͤdigen guͤtigen Andencken u. ſ. w. empfiehlt.
§. 24. Ein junger Cavalier thut uͤberaus wohl, wenn er ſich mehr befleißiget ſeine Complimens kurtz und gut, als weitlaͤufftig und ſchlecht zu ma - chen; ſintemahl es vielen Leuten ihrer Geſchaͤffte oder ihres Humeurs wegen nicht gelegen, einen ſo weitlaͤufftigen Vortrag anzuhoͤren, ſie werden her - nach verdrießlich, und unſer Complimenteur er - reicht nicht den Endzweck, den er hiedurch erreichen wollen. Der andere glaubt vielmahls, der Reden - de wolle ſich nur dadurch hoͤren laſſen, ſeine Ge - ſchicklichkeit im Reden, die ihm ſonſt moͤchte den Bauch aufgeriſſen haben, und ſeine Oratorie er - weiſen, und ihn gleichſam hiedurch noͤthigen, daß er eben ein ſo weitlaͤufftig Gegen-Compliment drauf machen ſolte. Es muß ſich denn hernach ein ſol - cher Menſch, der es mit ſeinen großen Compliment gut gemeynet, und eine unſchuldige Intention da -bey161Von Complimens. bey gehabt, ſich auf mancherley Weiſe beurthei - len laſſen. Es heiſt hernach entweder: Es war ein recht prieſterlich Compliment, dabey nichts gefeh - let, als die Ertheilung des prieſterlichen Seegens, oder der gute Menſch will ſich gerne hoͤren laſſen, er macht noch ſeinen Studenten, er muß fleißig Ro - mainen geleſen haben, er hat es aus einem Buch ausgeſchrieben, u. ſ. w.
§. 25. Es ſind beſondere Umſtaͤnde, Oerter und Perſonen, bey denen man noch vor andern am mei - ſten noͤthig hat, in ſeinen Complimens alle uͤber - fluͤßige Weitlaͤufftigkeiten wegzulaſſen. Alſo iſt es wider den Wohlſtand, daß man Fuͤrſtlichen Per - ſonen, da man die Gnade hat, als eine Privat-Per - ſon ihnen den Rock oder die Hand zu kuͤſſen, eine große Oration vormacht; Man muß es vor ein be - ſonder Gluͤck erkennen, daß man vor ſie gelaſſen wird, und darf ihre Gnade und Gedult nicht miß - brauchen; ein anders iſt, wenn man von andern Herrſchafften an einen gewiſſen Hof verſchickt wird, denn hier kan das Compliment ſchon ſolen - ner und laͤnger ſeyn. Weitlaͤufftige Complimens ſind ohnedem uͤberhaupt den meiſten Hof-Leuten unangenehm, und wenn ſie auch noch ſo zierlich waͤ - ren, und wer ſich nicht einen Schulfuchs oder Co - mœdianten hinter den Ruͤcken will luſſen nach - werffen, der mag ſeine Worte kurtz faſſen lernen.
§. 26. Dieſes muß man auch beobachten, wenn man die Gnade hat, hohen Staats-Miniſtris auf - zuwarten, die mit vielen und wichtigen Staats -LGe -162I. Theil. V. Capitul. Geſchaͤfften uͤberhaͤufft, dieſe haben ſelten die Zeit und Gedult, einen weitlaͤufftigen Redner mit Luſt anzuhoͤren. Hohe Krieges-Officirer, zumahl die ihr Krieges-Metier mit denen Studiis nicht verei - niget, ſind in dieſem Stuͤck faſt noch ungedultiger. Es iſt daher eine gute Regel, die in der 105. Maxi - me von Gracians Oracul jungen Leuten vorge - ſchrieben wird: Ein Menſch vom Verſtande muß die Beſcheidenheit haben, daß er denen, die ihn vor ſich laſſen, durch verworrene Weitlaͤufftigkeit nicht hinderlich ſey, und unter allen am wenigſten großen Maͤnnern, die mit wichtigen Staats-Verrichtun - gen uͤberladen; ſintemahl es ein mehr ſtraffbahrer Unverſtand iſt, einen eintzigen von ihnen verdruͤß - lich zu ſeyn, als allen andern Leuten beſchwerlich zu fallen. Es geſchicht auch wohl zuweilen, daß ſie den weitlaͤufftigen Redner erinnern, er ſoll es kurtz machen, und ihm in die Rede fallen. Als Anno 1707. in ſtreitiger Erbfolge-Sache wegen der Her - tzogin von Nemours der Stadt-Magiſtrat von Solothurn den Frantzoͤſ. Abgeſandten, Marquis de Paiſieux, mit ſeinem Bewillkommungs-Com - plimenten beehren wolte, ſo hatte derjenige, wel - cher das Wort fuͤhrte, kaum etzliche auswendig ge - lernte Zeilen hergeſagt, ſo antwortete ihm dieſer hitzige und kurtz angebundene Geſandte: Man ha - be jetzo nicht mit Complimenten, ſondern mit Ge - ſchaͤfften zu thun, und fuͤgt hinzu, er habe ein hartes und nachdruͤckliches Memorial uͤbergeben laſſen. S. den 72. Theil der Europaͤiſchen Fama, p. 866.
§. 27.163Von Complimens.§. 27. Dieſe weitlaͤufftigen Redner, welche zur Unzeit und mit Unverſtand complimentiren, heiſt man mit gutem Fug importun. Den Character eines ſolchen Menſchen, wie er ſich in allen Stuͤcken zugleich præſentirt, hat der ſeelige Chriſtian Weiſe, ehmahliger Rector zu Zittau, in ſeiner ſo geuandten Complimentir-Comœdia ſehr artig abgemahlt, da er einen Schuſter, mit Nahmen Habacuc, an - fuͤhrt, welcher vielfaͤltig und aͤngſtlich ſollicitirt, bey einer Standes-Perſon, die eben kranck zu Bette liegt, und bißher bey ihm arbeiten laſſen, vorgelaſſen zu werden, und da er endlich vorgelaſſen wird, in einer weitlaͤufftigen und unordentlichen Rede, in in welcher importune Leute ihr Ebenbild gleich als in einem Spiegel betrachten koͤnnen, die Gewalt des krancken Cavaliers exercirt. S. die hieher ge - hoͤrige Anmerckungen in der II. Centurie von Gracians l’homme de Cour nach D. Muͤllers Edition p. 37. und 36.
§. 28. Bey manchen Umſtaͤnden, da viele ande - re, bey eben der Perſon etwas vorzutragen oder dergleichen Compliment abzuſtatten haben, leh - ret einem die geſunde Vernunfft von ſelbſt, oder vielmehr die Noth, daß man kurtz reden muß; es wuͤrde demnach hoͤchſt verdrießlich und thoͤricht ſeyn, wenn man bey einem großen Miniſter etwas anzubringen haͤtte, der binnen der Zeit von einer Stunde, da er noch in ſeinem Gemach bliebe, 6. 8. biß 10. Perſonen Audienz geben wolte, und man naͤhme ſich vor, zu der Zeit in einer langen OrationL 2zu164I. Theil. V. Capitul. zu erweiſen, daß man ein guter Redner waͤre, oder man wolte in einem Trauer-Hauſe bey einem Lei - chen-Conduct, bey der betruͤbten Familie eine allzu ceremonieuſe Condolenz abſtatten.
§. 29. Leuten, die bey hohem Alter ſind, muß man auch nicht allzulange vor complimentiren, ſie ſind den Krancken aͤhnlich, weil das hohe Alter an und vor ſich ſelbſt einer Kranckheit zu vergleichen, ſie werden ohnedem ſo offt verdruͤßlich, das Gedaͤcht - niß legt ihnen ab, und es faͤlt ihnen unbeqvem, einen ſo weitlaͤufftigen Vortrag zu behalten, und wieder drauf zu antworten, da ſie uͤber dieſes mehrentheils mißtrauiſch gegen junge Leute, ſo wuͤrden ſie aus einen ſehr langem Vortrage, und muͤhſam ausge - ſonnenem Complimentiren und andern, ungleichen Verdacht wider einen jungen Redner ſchoͤpffen, Viele von denen Dames, zumahl die ſelbſt gute Complimentir-Schweſtern, koͤnnen es zwar ſehr wohl vertragen, wenn man ſie mit großen Compli - mens beehret, weil ſie dieſelben vor eine Wuͤrckung einer beſondern Devotion, die man ihnen leiſten, und ſie vor andern hiedurch diſtinguiren will, an - ſehen; ſie find aber gewißlich nicht alle von dieſem Humeur, und ihrer viele, die entweder nicht ſo ehr - geitzig oder in der Rede-Kunſt ſelbſt nicht ſo geuͤbt, oder denen dieſe Weitlaͤufftigkeiten ihres Standes und anderer Umſtaͤnde wegen nicht recht gefaͤllig, wuͤrden es lieber ſehen, wenn ſich mancher bey ſei - nem Complimentiren eher expedirte.
§. 30. Endlich muß ich auch noch erinnern, daßſich165Von Complimens. ſich weitlaͤufftige Complimens am allerwenigſten in das Gottes-Hauß ſchicken. Hier ſoll man nicht um deswillen zuſammen kommen, daß man halbe Stunden lange Complimens mit Worten und Geberden machen will, ſondern mit andern den großen GOtt in Gebethen und Liedern oͤffentlich um geiſtliche oder leibliche Wohlthaten anflehen, oder ihm davor Danck abſtatten, ſein Wort an - daͤchtig anzuhoͤren, und es in einem feinen guten Hertzen zu verwahren, damit es hernach mancher - ley Fruͤchte in Gedult bringen moͤge. Ein gewißer neuer Autor urtheilet nicht unrecht, wenn er ſpricht: Jch duͤrffte wohl nicht irren, wenn ich vorgaͤbe daß ein und das ander Frauenzimmer (doch er duͤrffte nur die Manns-Perſonen auch zugleich mit dazu nehmen) ihre Knie die gantze Woche lang nicht ſo offt vor ihrem GOtt und Schoͤpffer gebeugt, als ſie am Sonntage in der Kirche, bey ihren uͤberfluͤßi - gen, und dazu offtermahls hoͤchſt-unanſtaͤndigen Complimens zu thun pflegen.
§. 31. Da ich in dem vorhergehenden jungen Leuten angerathen, daß ſie ihre Complimens mehr nach einer angenehmen und beliebten Kuͤrtze, denn unnoͤthigen Weitlaͤufftigkeit, einrichten ſollen, ſo verſtehe ich ſolches vornemlich von dem Antrag den ſie gegen andere zu thun haben. Bey dem Ge - gen-Compliment hat es bißweilen eine andere Be - wandniß: Bey dieſem muͤſſen ſie ſich reguliren nach dem, der ihnen ein Compliment gemacht. Hat ihnen jemand von ihres gleichen, von den Hoͤ -L 3hern166I. Theil. V. Capitul. hern oder Geringern, ein kurtz Compliment ge - macht, ſo machen ſie auch ein kurtz Gegen-Compli - ment, es waͤre denn, daß der Reſpect vor dem Hoͤ - hern, und die groſſe Ungleichheit, die unter ihnen waͤre, ein anders erforderte. Sind ſie aber von denen, die entweder mit ihnen in gleichen Umſtaͤn - den, oder die auch noch wohl etwas mehrers be - deuten, mit einem obligeanten und etwas weitlaͤuff - tigen Compliment beehret worden, ſo iſt es aller - dings dem Wohlſtand gemaͤß, daß ſie ein gleiches wieder abſtatten; denn ſonſt moͤchte es ihnen entwe - der vor eine Grobheit und Geringachtung, die ſie gegen dem andern bezeigten, oder vor eine Einfalt und Unwiſſenheit, ausgelegt werden.
§. 32. Mit der Gegen-Antwort der groſſen Mi - niſtres hat es eine andere Bewandniß: Die Kuͤrtze im Reden iſt ihrem Character anſtaͤndig. Wenn ein groſſer Herr wider ſeinen Clienten ſagt: Jch will dem Herrn hierinnen dienen, oder, der Herr ſoll haben, warum er anſucht, ſo iſt dieſes das groͤ - ſte und beſte Compliment, das ein ſolcher armer Tropff nur immermehr wuͤnſchen und verlangen mag; Und ſchlaͤgt er ihm etwas ab, ſo wirds auch gleich viel ſeyn, ob es mit viel oder wenig Worten geſchiehet. Was aber ein groſſer Miniſter thut, darff darum ein anderer nicht thun, der nicht ſo viel Macht und Anſehen hat.
§. 33. Es iſt alſo in der That ein ziemlicher Feh - ler, wenn einige junge Hof-Leute / die doch in der Rang-Ordnung noch ziemlich unten an ſtehen, aufein167Von Complimens. ein manierlich Compliment, ſo ihnen der andere gemacht, der noch wohl darzu gar ihres gleichen iſt, eine ſo kurtze Antwort geben, daß man ſich nichts draus nehmen kan, auch wohl oͤffters nichts anders, als einen obliſſant Serviteur erwiedern. Dieſes allgemeine Compliment, durch welches man nichts bejahet noch verneinet, iſt bey manchen Faͤllen, den Regeln der Klugheit nach, wohl zu gebrauchen, in - dem man ihm nach Gefallen mancherley Bedeu - tungen zuſchreiben kan, ſchicket ſich aber im gering - ſten nicht, wo der Nothwendigkeit oder der Hoͤf - lichkeit nach, ein deutliches Gegen-Compliment oder Antwort wieder abzulegen. Die allzu kurtzen Complimens ruͤhren bey einigen her, aus Unge - ſchicklichkeit, ſie beſitzen von Natur keine ſonderliche Beredſamkeit, haben weder in ihrer Jugend noch auf Univerſitaͤten in der Oratorie etwas gethan, und ſind daher nicht im Stande, ein zierlich und or - dentlich Compliment zu machen. Bey andern, aus einem beſondern Vorurtheil und aus Unwiſſenheit, weil ſie gehoͤrt, daß allzu weitlaͤufftige Complimens von einigen Leuten vor ſchulfuͤchſig geachtet werden, ſo fallen ſie auf das andere extremum, und thun der Sache gar zu wenig. Vielmahls ſind ſie auch eine Frucht des Hochmuths: Mancher denckt, es ſey ſeiner Grandeſſe zu viel, wenn er dem andern ein hoͤflich Gegen-Compliment machen ſoll, und bildet ſich ein, er ſey ſchon ein groſſer Miniſter, wenn er einen andern mit ſehr kurtzen Worten ab - ſpeiſet.
L 4§. 34.168I. Theil. V. Capitul.§. 34. Es ereignen ſich auch bißweilen einige Faͤlle, bey welchen man ſeine Complimens etwas weitlaͤufftiger einzurichten hat. Dieſen ſind, mei - nes Erachtens, folgende mit beyzuzehlen: (1) Wenn man als ein Abgeordneter an einem Fuͤrſtlichen Hof geſchickt wird, die Herrſchafft, im Nahmen der ſaͤmtlichen Staͤnde, oder eines Collegii, u. ſ. w. zu becomplimentiren. Weil ein ſolch Compliment nicht von einer Privat-Perſon als einer Privat-Per - ſon, ſondern im Nahmen vieler abgeſtattet wird, und unter die ſolennen gehoͤrt, ſo kan es auch ſchon etwas weitlaͤufftiger ſeyn, als ſonſt. (2) Wenn man einem gelehrten Mann, adelichen oder buͤrger - lichen Standes, auf Univerſitaͤten, bey Hofe, oder in ſeinem Hauſe aufwartet, der in der Oratorie ſehr wohl erfahren, und von dem man gewiß verſichert, daß er Zeit und Gedult habe, unſern Antrag anzu - hoͤren. (3) Wenn die Sache, die wir anzubrin - gen haben, ſo beſchaffen, daß man ſie, wenn man ſie nicht verſtuͤmmelt vortragen, und manches aus - laſſen ſolte, unmoͤglich kurtz faſſen kan, zumahl, wenn dem andern ſelbſt daran gelegen waͤre; und (4) wenn der andere von weitlaͤufftigen Complimens ein Liebhaber, und in den Gedancken ſtehet, daß man ihm mehr und groͤſſere Ehrerbietung erzeige, wenn man ihn mit einem langen Compliment be - ehrte, als wenn man ſo kurtz abſchnappen ſolte.
§. 35. Nachdem nun die Leute, auch bey Anneh - mung der Complimens, ſo gar ſehr unterſchiedenen Humeurs ſind, und der eine ein gantz kurtz Com -pli -169Von Complimens. pliment verlangt, der andere hingegen lieber mit einer groſſen Oration angeredet ſeyn will, ſo thut ein junger Cavalier uͤberaus wohl, wenn er ſich vor - her erkundigt, wie es einem jeden am angenehmſten, und entweder bey einem guten Freund, dem er in dieſem Stuͤck trauen kan, zufragt, oder auch wohl bey einem von ihren Cavalieren, da es Standes - Perſonen oder Abgeſandte, oder auch bey ihren Se - cretairen, Cammer-Diener, u. ſ. w. Nachricht ein - geholet, und ſich inzwiſchen in der Oratorie fleißig uͤbet, damit er im Stande ſey, nach eines jeden Willkuͤhr, Geſchicklichkeit oder Ungeſchicklichkeit, oder nach dem Unterſcheid eines jeden ſich ereignen - den Falles, einem andern mit einem kurtzen oder lan - gen Compliment zu begegnen, oder zu antworten.
§. 36. Viele von den jungen Leuten, an ſtatt daß ſie ſich einer natuͤrlichen Beredſamkeit befleißigen, oder nach den Regeln einer vernuͤnfftigen Rede - Kunſt lernen ſolten, aus ihrem eigenen Gehirne, bey allerhand in dem menſchlichen Leben vorkommen - den Umſtaͤnden, einen manierlichen und ordentlichen Vortrag zu thun, oder darauf zu antworten, neh - men ihre Zuflucht zu denen Complimentir-Buͤ - chern, und bilden ſich ein, wenn ſie deren eine gute Menge beſaͤßen, ſo koͤnten ſie ſich ſchon helffen, und duͤrfften ſich den Kopff nicht allein zubrechen. Nun will ich zwar nicht derjenige ſeyn, der allen Compli - mentir-Buͤchern ihren Nutzen abſprechen ſolte; Jch laͤugne nicht, daß in Talanders, Menantes, Neukirchs und andern Schrifften, die jungen Leu -L 5ten170I. Theil. V. Capitul. ten einige hieher gehoͤrige Regeln und Vorſchrifften ertheilen, manches geſchickte, manierliche und wohl - abgefaßte Compliment anzutreffen, ich gebe auch gar gerne zu, daß mancher Anfaͤnger, der eine ſchlechte Auferziehung gehabt, und dem es an Ge - legenheit gefehlt, ſich an Hoͤfen und in der groſſen Welt aufzuhalten, eines und das andere, das ihm zuvor unbekandt geweſen, daraus erlernen kan. Er kan ſich in geſchwinderer Zeit, als ſonſt, einige Titulaturen, Courtoiſien, wie man ſie zu nennen pflegt, gute Beywoͤrter und gantze Redens-Arten bekandt machen, die er in den Complimens anzu - bringen hat, er kan ſich bißweilen in dem groͤßten Nothfall, da er ſonſt gar verſtummen, oder unge - reimt Zeug vorbringen muͤſte, damit helffen, und entweder ein Compliment gantz und gar daraus auswendig lernen, oder, ſo er geſcheuter, mit einiger Veraͤnderung etwas daraus abborgen, und uͤber - dieſes ſich auch noch einen deutlichen Begriff von den Theilen, daraus ein Compliment oder kleine Rede zuſammen geſetzt, und von ihrer gehoͤrigen Verknuͤpffung, zuwege bringen. Jmmittelſt aber wolte ich doch einem jungen Menſchen wohlmey - nend angerathen haben, daß er die Complimentir - Buͤcher, ſo bald als moͤglich, aus den Haͤnden le - gen / und ſich an ſtatt deſſen auf die allgemeinen Re - geln der Rede-Kunſt appliciren ſolte, damit er ſich je mehr und mehr faͤhiger mache, nach ſeinen eige - nen Begriffen, und nicht nach fremden Vorſchriff - ten, zu reden und zu complimentiren.
§. 37.171Von Complimens.§. 37. Nachdem ich bey dieſer Arbeit einige Schrifften von dieſer Gattung durchgelauffen, und unterſchiedene Jrrthuͤmer, theils bey ihren Regeln / theils bey ihren Complimentir-Formularien, ange - troffen die jungen Leuten, bey deren Nachahmung, an ihrem Gluͤck bißweilen mehr hinderlich als be - foͤrderlich, mehr disrenomirlich als ruͤhmlich und vortheilhafft ſeyn wuͤrden, ſo will ich im folgenden einige davon vorſtellig machen: I. Einige Buͤ - cher-Complimens ſind mehrentheils zu lang und zu weitlaͤufftig. Wenn ein junger Cavalier, bey Hof - oder Privat-Aufwartung, einem groſſen Mini - ſter oder einer Dame mit einem ſolchen Compli - ment begegnen wolte, wie ſie in den meiſten Com - plimentir-Buͤchern vorgeſcheieben, ſo wuͤrde er ge - wiß davor die Urtheile erfahren muͤſſen, die ich in dem vorhergehenden angefuͤhret. Es wuͤrde einer gemeiniglich beſſer zurecht kommen, und mehr cava - lierement complimentiren, wenn er ſeine Worte ſo kurtz anbraͤchte, wie die Theile des Compliments in der Diſpoſition angezeigt, jedoch mit gehoͤriger Verbindung, als wie das gantze Compliment nach ſeiner voͤlligen Elaboration lautet. II. Manche Autores miſchen ohne Noth allzu viel La - teiniſche und Frantzoͤſiſche Woͤrter mit ein, die ſie doch in der Teutſchen Sprache eben ſo gut aus druͤ - cken koͤnten; denn, eine andere Bewandniß hats, wenn einige ſo allgemein und bekandt worden, daß ſie, ſo zu reden, das Buͤrger-Recht der Teutſchen Sprache voͤllig erlangt, oder da man zur Veraͤnde -rung,172I. Theil. V. Capitul. rung, weil einerley Wort bisweilen oͤffters vor - koͤmmt, eines aus einer andern Sprache mit einruͤ - cken muß. Jch habe gefunden, daß in einer ge - wiſſen Schrifft einem jungen Menſchen folgendes Compliment vorgeſchrieben worden: Er gratuli - re ſich, die laͤngſt gewuͤnſchte Ehre von deſſen pro - fitablen Compagnie zu genieſſen, und die Eſtime zu bekommen, die man allezeit vor deſſen Meriten getragen, und baͤte ſich dabey das Gluͤck ſeiner Af - fection aus.
§. 38. III. Sie handeln in dieſem Stuͤck biß - weilen wider ihre eigne Regeln, ſie lehren in ihren Saͤtzen, man ſolte die Frantzoͤſiſchen und Lateini - ſchen Woͤrter, ſo viel moͤglich, vermeyden, und in ih - ren Exempeln trifft man doch einen unnoͤthigen Vorrath an, von lauter felicitiren, flattiren, ſub - mittiren, veneriren, profitiren, chagriniren, u. ſ. w. Einige bedienen ſich des Wortes grace, als eines Scherwentzels, bald legen ſie ihm die Bedeutungen der Gnade und Affection bey, bald wiederum der Guͤte und Gefaͤlligkeit, in dieſem Compliment brauchen ſie es gegen große Miniſtres und hohe Patronen, in einem andern aber gegen ihre guten Freunde und gegen ihres gleichen, da es doch bloß in Anſehung der hoͤhern zu appliciren. Die Fran - tzoͤſiſche Sprache iſt faſt durchgaͤngig beliebt, und alſo hoͤren es viele theils von den Hof-Leuten theils auch von andern, inſonderheit vom adelichen oder buͤrgerlichen Frauenzimmer gar gerne, wenn ein Compliment mit viel Frantzoͤſiſchen Woͤrternaus -173Von Complimens. ausſtaffirt, man findet aber auch viele andere, die dieſer Meynung nicht beypflichten, und in den Ge - dancken ſtehen, wenn man Teutſch rede, ſolte man die Frantzoͤſiſche Sprache weglaſſen. Die Latei - niſche Sprache iſt inſonderheit bey Hofe nicht gar angenehm, und klingt es daher gar ſehr pedantiſch, wenn ſich einer nach der Vorſchrifft eines gedruck - ten Compliment, als ein gehorſamer Cliente, in des andern Patrocinio beſtens empfiehlt, und ihm dancket, daß er einen ſo gnaͤdigen Acceſs erlauben wollen, u. ſ. w.
§. 39. IV. Sie wollen bißweilen ohne Noth gar zu ſcharff und genau ſeyn, und machen etwas zu Fehlern / wo keine vorhanden, oder doch von keiner beſondern Erheblichkeit. Alſo fuͤhret mancher Autor als eine Haupt Anmerckung an, man ſolte das Compliment niemahls mit Jch anfangen. Nun iſt es wohl etwas ehrerbiethiger geſprochen, wenn man in der Anrede an eine ſehr hohe Per - ſon eine andere Tour findet; es wird ſich aber der hunderte nichts draus machen, wenn das Compli - ment in dem uͤbrigen manierlich und hoͤflich einge - richtet, ob es ſchon mit Jch angefangen wuͤrde; in den Briefen hingegen iſt dieſe Anmerckung noͤ - thiger; weil das geſchriebene bleibt, und in des an - dern Gemuͤthe einen ſtaͤrckern Eindruck macht, als das geſchwind muͤndlich ausgeſprochene, und in der Lufft verſchwindende Worte, ſo muß alles bey je - nem Fall mehr erwogen werden. Bißweilen wuͤr - de es ſehr gezwungen heraus kommen, wenn manes174I. Theil. V. Capitul. es auſſen lieſſe. Geſchicht es in einem Compli - ment gegen ſeines gleichen oder gegen einem ge - ringern, ſo hat es vollends nichts zu bedeuten.
§. 40. V. Jhre Coartoiſien, Titulaturen und andere Woͤrter und Redens-Arten ihrer Compli - mens, harmoniren nicht allezeit mit einander ſelbſt, oder mit deren Stand, Range und Charactére deſ - ſen, an dem ſie gerichtet ſind. Es ſchickt ſich nicht, wenn ich in dem Eingange von etner unterthaͤnigen Aufwartung bey einer Excellence rede, und in dem Fortgang und am Ende komme ich mit der Ehre, mit der Gunſt, mit Wohlwollen, u. ſ. w. aufgezo - gen; Mit der unterthaͤnigen Aufwartung muß man Gnade verbinden. Wider den Wohlſtand iſt, wenn ſie ſich in tieffer Unterthaͤnigkeit zur hohen Gewogenheit empfehlen. Gewogenheit und Un - terthaͤnigkeit beziehen ſich nicht auf einander; ich will mir bey meines gleichen ſeine Gewogenheit aus - bitten, aber ihm nicht meine Unterthaͤnigkeit anbie - ten. Bißweilen brauchen ſie erſtlich das Wort Gnade, und nachgehends wieder die Woͤrter guͤ - tig oder unguͤtig, welches ebenfalls unrecht. Wo man von Gnade zu reden Urſache hat, muß man auch von gnaͤdig oder ungnaͤdig reden, wenn ich aber hingegen bey meines gleichen, oder bey denen, die nicht ſo gar ſehr von mir unterſchieden, die Woͤr - ter Gunſt, Affectiren, Wohlwollen, Leutſeeligkeit, Gewogenheit, u. ſ. w. erwehle, ſo kan ich mit dieſen die Woͤrter guͤtig, unguͤtig, oder andere gleichviel bedeutende eher verbinden. Ein junger Menſchnennt175Von Complimens. nennt ſich bißweilen in dem Compliment, da er ei - nen hohen Miniſter aufwartet, einen devoten Cli - enten, und ſchwatzt doch zugleich von Annehmung der Viſiten, welches einander zuwider. Sie be - obachten hiebey nicht allezeit den Reſpect, den ſie einem ſo großen Miniſter ſchuldig ſind; ſie laſſen ſich in dem Anmeldungs-Compliment bey einem groſſen Miniſter die Erlaubniß ausbitten / ihn ge - horſamſt auf ein Viertelſtuͤndgen aufzuwarten, und melden zugleich die Zeit, wenn ſie kommen wolten; dieſes iſt ein großer Fehler, man thut es nicht gerne bey ſeines gleichen, geſchweige denn bey einem Hoͤhern, von dieſem muß man den Befehl der Zeit erwarten, die er uns vorſchreibet, ſie ihm aber nicht ſelbſt beſtimmen.
§. 41. VI. Sie verſehen es in Titulaturen, es hat keine Art, daß man in gewoͤhnlichen Complimens die Anrede macht, wie in Briefen, Hochwohlge - bohrner Herr, Gnaͤdiger Herr, oder Hochwohl - Edelgebohrner Herr, Hochgeehrteſter Herr Hof - Rath, es wuͤrde ein junger Menſch, der damit auf - gezogen kaͤme, gewaltig ausgelacht werden; ein an - ders iſts, in ſolennen und weitlaͤufftigen Reden, da kan man wohl den Titul vorher ſetzen. Das Courtoifie-Wort Excellenz, iſt heutiges Tages bey den groͤſten Miniſtres der großen Hoͤfe faſt zu wenig, man muß hohe Excellenz ſagen. So laſ - ſen ſich auch einige hoch-characteriſirten Dames mit Jhro Gnaden nicht allein abſpeiſen, ſondern ſich Jhro Excellenz ſchelten, wie ich in dem Capi -tul176I. Theil. V. Capitul. tul von Tituln erwehnet, bey den Gegen-Com - plimens, die ſie unter dem Nahmen eines großen Miniſters, einem andern wollen abſtatten, ſtellen ſie ſich ſeine hohe Perſon nicht gehoͤrig vor, und rich - ten die Complimens allzuhoͤflich und zu ſubmiſs ein. Es iſt alſo laͤcherlich, wenn ein großer Miniſter nach der Vorſchrifft eines gedruckten Compliment, einem jungen Menſchen, der ihm aufwarten will, ſein gehorſamſt Empfehlungs-Compliment machen laͤſt. Dieſes iſt allzugnaͤdig.
§. 42. VII. Die Grade der Demuth und Ehrerbietung, die man gegen ſeines gleichen, oder gegen die Hoͤhern, in ſeinen Complimens, und die Grade der Freundſchafft und Gewogenheit gegen die Geringern, zu beobachten hat, werden nicht ſo vorgeſtellt, wie ſie wohl vorgeſtellt werden ſolten. Der zehnde von denen, die dergleichen Buͤcher ſchreiben, verſtehen nicht den theils durch die Ver - nunfft, theils durch die Gewohnheit eingefuͤhrten Unterſcheid, unter dem dienſtlichen Empfehlen, ſchoͤnſten Empfehlen, gehorſamſten Empfehlen, unterthaͤnigſten Empfehlen, und unterthaͤnigſt zu Gnaden empfehlen, und machen daher mancher - ley Verwirrungen. VIII. Es werden bißweilen altfraͤnckiſche oder pedantiſche Woͤrter mit einge - miſcht, oder gantze Redens Arten, oder es wird ſonſt eines und das ander verkehrt vorgetragen. Alſo ſind z. E. die Woͤrter, großguͤnſtig, unter - dienſtlich, ungefaͤrbt, und viel andere mehr, nicht nach dem heutigen Hof-Stylo eingerichtet, ſondernriechen177Von Complimens. riechen gar nach dem Schul-Staube. Es hat auch keine rechte Art, wenn man bey Uberreichung eines von einem fremden Miniſter abgelaßenen Schreibens, einen Miniſter, der ſich nach des an - dern Zuſtand und Ergehen erkundiget, unterthaͤ - nigſt dancket, wegen der guͤtigen Nachfrage. Die - ſes Formulgen iſt gar gemeine, es iſt am beſten, daß man auf dieſe Frage alſo fort von des frem - den Miniſtri Zuſtand, Nachricht ertheilt, ſo viel uns davon wiſſend, und die Formulgen weglaͤſt. Es ſchickt ſich nicht wohl, daß man einen großen Mini - ſter gleich bey dem Eingang des Compliments danckt, vor die gnaͤdige Erlaubniß, ihm aufzuwar - ten, es ſchickt ſich eher zum Abſchieds-Compliment, als zur erſten Entree. Jch koͤnte noch viel anderer Fehler, die ich auch in den beſten und neueſten Complimentir-Buͤchern wahrgenommen, Er - wehnung thun, es mag aber an dieſen, die ich nur beylaͤufftig angemerckt, genug ſeyn.
§. 43. Ein junger Menſch muß Complimens und Ehren-Worte von einer buͤndigen Verſiche - rung und gethanen Verſprechen wohl unterſchei - den lernen, denn ſonſt wuͤrde er nicht allein gar oͤff - ters in beſondere Gemuͤths-Unruhe geſetzt werden, wenn er in den kuͤnfftigen Zeiten die Wuͤrckung dieſes oder jenen Compliments nicht ſo erfahren wuͤrde, wie er ſich nach Veranlaſſung des Klan - ges der Worte wohl eingebildet, ſondern ſich auch bey andern ſehr laͤcherlich machen, wenn er auf ein bloß Compliment ſeinen gantzen Grund der Hof -Mnung178I. Theil. V. Capitul. nung ſetzen wolte. Er muß auch bey ſeinen eignen Complimens in Obacht nehmen, damit er nicht bey ſolchen Handlungen, die ernſthaffte, ſichere und deutliche Worte erfordern, oder bey einfaͤltigen und leichtglaͤubigen Leuten, die Schertz - und Ehren - Worte nicht recht verſtehen, oder bey hoͤniſchen und gefaͤhrlichen Leuten, die alles auf das ſchlim - ſte auslegen, dergleichen Gebraͤuche, die ihm auf die eine oder andere Weiſe Verdruß und Unruhe erwecken koͤnten.
§. 44. Endlich mag ſich ein junger Menſch, und ein jedweder angelegen ſeyn laſſen, mit der Manier - lichkeit und Wohlanſtaͤndigkeit, auch die Behut - ſamkeit zu vereinigen, damit er ſeine Complimens ſo einrichte, daß er uͤber den vielen Complimentiren an ſeinem Leibe keinen Schaden leide, oder gar des Lebens verluſtig werde. Daher muß er im Zuwill - gehen aus ein Gemach einer Fuͤrſtlichen Perſon oder eines großen Miniſtris, die er ſtets in Augen behalten, und ihr nicht den bloßen Ruͤcken zukehren muß, vorher Acht haben, was ihm etwan an Ti - ſchen, Stuͤhlen, und andern Meublen bey dieſer Paſſage im Wege ſtehe, oder ein wenig ſeithalben gehen; inſonderheit aber ſich bey den Treppen wohl wahrnehmen, daß er nicht hinunter ſchmeiſſe, inmaßen ja unterſchiedene Exempel vorhanden, daß einige dieſe Unvorſichtigkeit, da ſie die Treppe herunter geſtuͤrtzt, das Leben gekoſtet.
§. 1.
An einer manierlichen Geberdung und guten aͤuſſerlichen Stellung, iſt in der That ſehr viel gelegen, ſintemahl das aͤuſſerliche ei - nem andern zuerſt in die Augen faͤlt, und einen Eindruck in ſeinem Gemuͤthe macht. Es ha - ben viele von den Hoͤhern, beyderley Geſchlechts, die Gewohnheit, daß ſie einem jungen Menſchen, an deſſen Erkaͤntniß ihnen etwas gelegen, wenn ſie ihn zum erſten mahl zu Geſicht bekommen, ſcharff in die Augen ſehen, hernach ſeine gantze Perſon, nach ſeiner Kleidung und Stellung des Leibes, von oben biß unten an, genau betrachten, und ihn als - denn nach dem Portrait, das andere von ihm ge - macht, und nach deren Anmerckungen, die ſie ſich ſelbſt durch die Erfahrung wollen zuwege gebracht haben beurtheilen. Es waͤre gut, wenn das aͤuſ - ſerliche Weſen eines jungen Menſchen bloß denen Urtheilen ſolcher Leute unterworffen wuͤrde, als die vielmahls richtiger, auch der Liebe und Hoͤflichkeit gemaͤßer ſeyn, als der andern. Aber ſo iſt das ſchlimmſte, daß offtmahls diejenigen, die doch amM 2aller -180I. Theil. VI. Capitul. allerwenigſten Erkaͤntniß und Geſchicklichkeit beſi - tzen, nach ſichern Merckmahlen ein vernuͤnfftiges Urtheil zu faͤllen, am meiſten geneigt ſind, uͤber die Auffuͤhrung eines Menſchen ihre unzeitigen Urtheile auszuſchuͤtten. Hat er nun das Gluͤck, ihnen nach ſeinem aͤuſſerlichen Weſen zu gefallen, ſo wird er ungemein erhoben, und vor einen feinen, manierli - chen, angenehmen und artigen Menſchen angeſehen, der ein recht galant homme ſey, und wohl zu leben wiſſe, wo aber nicht, ſo achtet man ihn, ob er ſchon im uͤbrigen noch ſo weiſe und tugendhafft waͤre, vor einen ſchlechten Menſchen, vor einen Schulfuchß, und ich weiß ſelbſt nicht, vor was.
§. 2. Bißweilen urtheilen ſie nach der gantzen Perſon, zuweilen aber auch nur nach dem bloſſen Geſicht. Daher folgende Urtheile formirt werden: Der Menſch hat ein gut Geſicht, oder ein kluges, redliches und aufrichtiges Geſicht, oder, er hat ein boͤſes, ein einfaͤltig Geſichte, der Schelm ſiehet ihm aus den Augen heraus, u. ſ. w. Daß man biß - weilen aus der Phyſiognomie eine und die andere in der Seele verborgen-liegende Neigung mit gu - tem Grunde errathen koͤnne, iſt wohl wahr, und ha - be ich die Wahrheit und Moͤglichkeit davon in mei - nem Unterricht von der Kunſt, der Menſchen Ge - muͤther zu erkennen, in einem eignen Capitul vor - geſtellt. Daß ſich aber auch die meiſten Menſchen bey ihren Urtheilen in dieſem Stuͤck, ſo wie in an - dern, gewaltig vergehen, iſt auch mehr als zu be - kandt.
§. 3.181Von Manieren u. Stellungen des Leibes.§. 3. Manche gehen mit ihren Urtheilen noch weiter, und gar biß auf die Minen: Nachdem ſie ſehen, daß einer die Gabe hat, eine martialiſche, fin - ſtere und ſauere Mine zu machen, nach dem wollen ſie auch ſeine Courage beurtheilen; nehmen ſie wahr, daß einer von hoͤflichen und freundlichen Ge - berden, ſo erklaͤren ſie ihn ſchon vor einen guten Hof-Mann. Dieſe Urtheile ſind nun zwar meh - rentheils ſehr falſch und irrig: Mancher Soldat ſiehet einem Eiſenfreſſer aͤhnlich, und das Hertz im Leibe zittert ihm doch wohl wie ein Eſpen-Laub, wenn er vor den Feind ruͤcken ſoll; ein anderer hin - gegen ſiehet ſanfftmuͤthiger aus, und das Hertz ſitzt ihm doch wohl am rechten Ort. So iſt auch eine manierliche Geberde nicht allezeit mit manierlichen Worten und Wercken vergeſellſchafftet, welches zuſammen vor einen guten Hof-Mann gehoͤrt. Jn - zwiſchen bleibt die Welt doch bey ihrer Meynung, ſie mag irrig ſeyn, oder nicht, es wird hin und wie - der darauf geſehen, und darauf geſprochen. Hat mancher junger Menſch, der im Kriege avanciren will, nicht ein recht finſter Soldaten-Air, ſo iſt es ihm bißweilen an ſeinem Avancement hinderlich. Und wenn manchem Frauenzimmer, die bey der Herrſchafft in beſondern Gnaden ſtehet, eine gewiſ - ſe Mine an einem jungen Menſchen, der ſein Gluͤck bey Hofe zu machen gedenckt, nicht recht anſtaͤndig iſt, ſo hilfft ſie ſeine Befoͤrderung hintertreiben, wo ſie kan und weiß, und ſtehet feſt in den Gedancken, er ſchickte ſich nicht nach Hofe, ob er ſchon ſonſt noch ſo qualificirt waͤre.
M 3§. 4.182I. Theil. VI. Capitul.§. 4. Auf die aͤuſſerlichen Manieren koͤmmt viel an es mag einer im uͤbrigen, ſeiner von GOtt ihm mitgetheilten Statur und Geſtalt nach, von guten oder ſchlechten Anſehen ſeyn. Jſt er von guten Anſehen, ſo wird daſſelbe durch dieſe oder jene uͤbel - anſtaͤndige Geberde verdunckelt und verringert; iſt er aber ſonſt von keinem ſonderlichen Anſehen, ſo macht er ſich durch das unanſtaͤndige Weſen noch laͤcherlicher und veraͤchtlicher. Der ſelige Herr Paſch, ein zu ſeiner Zeit chriſtlicher tugendhaffter und vernuͤnfftiger Dantzmeiſter in Leipzig, der die groſſe Welt wohl gekennet, meldet in ſeiner Be - ſchreibung der wahren Dantz-Kunſt, p. 103. Er haͤtte ſelbſt Wunder in dieſem Stuͤck erlebet und mit angeſehen, und wuͤſte, daß, wenn ſich einer das erſte mahl mit ungezogenen Externis vor wackern oder auch capricieuſen Leuten præſentiret haͤtte, man einen ſolchen Degout vor ihn bekommen, daß man nicht einmahl nach ſeinen andern Qualitaͤten gefragt haͤtte, da ein anderer mit der Helffte der uͤbrigen Qualitaͤten durch ſeine wohl regulirten Ex - terna mehr erlangt, als er begehren koͤnnen; Ein ſolcher Menſch bekaͤme hiedurch oͤffters mehr Gele - genheit in Compagnien zu kommen, da er auſſer dieſen nicht hinriechen duͤrffte, und da wird denn, ſeiner guten Auffuͤhrung wegen, gefragt, wer er ſey, und bekaͤme alſo Gelegenheit, ſeine uͤbrigen Quali - taͤten auch an Tag zu legen.
§. 5. Der ehmahlige Groß-Cantzler in Franck - reich, Monſieur de Chervergny, ertheilt in ſeineran183Von Manieren u. Stellungen des Leibes. an ſeinen Sohn gerichteten Inſtruction pag. 229. folgende Regeln, die ich in das Teutſche uͤberſetzen will: Eines jeden Geberdungen und Stellungen geben einen groſſen Beweißthum ſeiner Sitten und Neigungen, die ſich auch bißweilen in den gering - ſten und kleinſten Sachen zu erweiſen pflegen. Der Ungezogene wird ſich durch ſein Lachen, durch ſein freches Geſichte, und andere unangenehme Stel - lungen des Leibes unartig erweiſen. Man kan bißweilen aus den aͤuſſerlichen Muthmaſſungen, aus ſeinen Geberden, Worten, Aufzuge und andern Zeichen, ſein innerliches, und von dem geringſten aͤuſſerlichen, offt das wichtigſte innerliche kennen lernen; daher das Sprichwort entſtanden: Einem Menſchen gleich an ſeiner Stirne zu erkennen. Dieſemnach ſoll ein jedweder in dieſen drey Stuͤ - cken auf ſich Acht haben, und uͤber ſich herrſchen, bey einem ſittſamen Gange, bey den Minen ſeines Geſichts, und bey allen, einem vernuͤnfftigen Men - ſchen, anſtehenden Geberden.
§. 6. Die Frantzoͤſiſche Nation hat in denen Schrifften, die einige geſchickte Maͤnner unter ih - nen von der Politeſſe aufgeſetzt, jungen Leuten von dieſer Materie viel nuͤtzliche Regeln vorgeſchrieben. Da ſie in Benennung ſolcher Dinge ſorgfaͤltiger geweſen, als wir Teutſchen, ſo haben ſie die Ma - nierlichkeit, oder Unmanierlichkeit, in Anſehung der Bewegungen des Leibes, in drey Haupt-Stuͤcke eingetheilet, die ſie la mine, l’air, und le port zu benennen pflegen. La mine heiſt, die ordinaireM 4Diſpo -184I. Theil. VI. Capitul. Diſpoſition des Angeſichts, oder diejenige Geſtalt deſſelben, die ein Menſch, ſeinem Humeur nach, oh - ne eine beſondere Intention zu machen pflegt. L’air, iſt eine Geſtalt des Geſichts, die man bey beſondern Faͤllen, um eine Paſſion an Tag zu legen, annimmt, und ſind folglich ſo vielerley Arten deſſelben, als Af - fecten ſind; man kan, zum Exempel, froͤliche, trau - rige, furchtſame, zornige, verliebte Geſichter ma - chen, u. ſ. w. Solchergeſtalt differiren la mine, und l’ air, daß die Mine beſtaͤndig, l’ air aber ver - aͤnderlich. Die Teutſchen verwechſeln dieſes mit einander, und geben den Nahmen des Geſichts, der Minen, der Geberdung, bald dieſem, bald jenem. Le port heiſt, die Tragung oder Bewegung der Glieder; man hat ja einen majeſtaͤtiſchen, einen freyen, gezwungenen, liederlichen Port. Es ſtehen zwar einige in den Gedancken, als ob es weder moͤg - lich noch nuͤtzlich waͤre, von allen dieſen beſondere Regeln zu geben. S. Herr Dr. Muͤllers Anmer - ckungen zu der XIV. Maxime von Gracians Oracul, pag. 100. Jch bin aber anderer Meynung, und werde mich bemuͤhen, einige Regeln hiervon im fol - genden vorzuſchreiben.
§. 7. Ein junger Menſch muß ſich bemuͤhen ein freyes Geſicht zu erhalten, das ſich nicht in ein ſtets - waͤhrend Laͤcheln verkehrt, und auch nicht betruͤbt, finſter und ſaturniſch, ſondern gutes Humeur ſey, und bey allen Faͤllen und Geſellſchafften eine gute Contenance zu halten wiſſen. Der Autor des Traitè de la Civilitè moderne, bringt in ſeinemXXI. 185Von Manieren u. Stellungen des Leibes. XXI. Capitul ſehr viel Anmerckungen von der Con - tenance vor; er nimmt ſie aber meines Ermeßens in allzuweitlaͤufftigem Verſtande; ich glaube, daß ſie auf folgende Art am beſten und natuͤrlichſten koͤnnen erklaͤhret werden, wenn man ſagt, ſie ent - ſtehe, wenn man ſeine Handlungen mit einer guten Ordnung, Sittſamkeit und anſtaͤndigen Freyheit verrichtet, ohne daß man ſich durch die Perſonen, ſonderlich die Frembden oder Hoͤhern, die man bey dieſer oder jener Handlung zu Zuſchauern oder Zu - hoͤrern hat, ſich in einige Unordnung oder Verwir - rung ſetzen laſſe.
§. 8. Je groͤßer Geſchicklichkeit einer beſitzt, de - ſto weniger affectirter Weſen muß er dabey bli - cken laſſen. Denn dieſes pflegt der gemeine Schandfleck zu ſeyn, dadurch alle Qualitæten ver - dorben werden. Die hoͤchſten und vollkommen - ſten Eigenſchafften verliehren ihren Werth, wenn ſie mit Affectation verbunden; ein jederman ſie - het ſie ſo dann mehr vor einen gekuͤnſtelten Zwang, als vor eine freye und natuͤrliche Wuͤrcknng einer wahrhafften Geſchicklichkeit an. S. 123. Maxime vom Gracian. Ein natuͤrliches Weſen, das nicht nach dem Ceremoniel eingerichtet, laͤſt bißweilen manierlicher, als eine gezwungene Wohlanſtaͤndig - keit.
§. 9. Dieſe gezwungene Einrichtung der aͤußer - lichen Handlungen ruͤhret offtmahls daher, wenn die Menſchen den Hoͤhern entweder allzugeſchwin - de, oder allzueigendlich nachahmen wollen, und er -M 5wegen186I. Theil. VI. Capitul. wegen doch nicht den mercklichen Unterſcheid, der ſich zwiſchen ihnen und jenen findet, und inſonder - heit in Betrachtung gezogen werden ſolte. Man - cher junger Menſch, dem wegen ſeiner ſchlechten Auferziehung, die er erfahren, die Hof-Manieren unbekandt, ſperrt Maul und Augen auf, wenn er nach Hofe koͤmmt; So bald er nun einen erblickt, der entweder von dem andern vor ſehr manierlich geachtet wird, oder deſſen Thun und Weſen ihm nach ſeiner eigenen Wahl am beſten anſtehet, ſo will er ihn gleich in allen Tritten und Schritten, Worten und Geberden nachahmen, macht ſich aber durch dieſe gezwungene Nachahmung noch weit laͤ - cherlicher als zuvor. Was bey jenem wegen ſei - ner Taille, Geberden, natuͤrlichen Beſchaffenheit des Leibes, auch wohl wegen ſeines Characters und anderer moraliſchen Umſtaͤnde ein Wohlſtand, iſt hingegen bey dieſem der groͤſte Ubelſtand. Gegen einem großen Miniſter, dem etwas Hohes aus den Augen leuchtet, haben die Leute wegen ſeiner gravi - tætiſchen Mine, eine Ehrfurcht, und hingegen den andern, der ihm bey ſeiner geringen Bedienung nachthun will, halten ſie vor einen Phantaſten.
§. 10. Das manierliche Weſen wird nicht auf einmahl und durch einen jaͤhlingen Sprung einer gewaltſamen Nachahmung, ſondern durch fleißige Ubung und Application erlernt. Manche junge Leute thaͤten weit beſſer, wenn ſie ſich anfaͤnglich in ihren Geberden, Worten und Handlungen einer natuͤrlichen Erbarkeit, Sittſamkeit und Demuthbefliſſen,187Von Manieren u. Stellungen des Leibes. befliſſen, und ihre Unwiſſenheit in dieſem oder jenem anfrichtig bekennten, biß ſie es nach und nach durch guten Unterricht, fleißige Ubung und vernuͤnfftige Nachahmung in den Manieren weiter braͤchten. Leute, die in der Welt geweſen, wiſſen das natuͤrli - che von dem gezwungenen und affectirten Weſen, gar zu wohl zu unterſcheiden. Vernuͤnfftige Hof - Leute, und wenn ſie auch ſelbſt noch ſo manierlich, und die groͤſten Ceremonien-Meiſter waͤren, ver - langen von einem jungen Menſchen doch nicht mehr Manieren, als er faͤhig geweſen, ſeinen Jahren und den Umſtaͤnden nach, darinnen er ſich befunden, zu erlernen.
§. 11. Erwehlen ſich einige gar zu ihrer Nach - ahmung ſchlimme Muſter, ſo iſt es noch aͤrger. Es ſagt Faramond in ſeinen Diſcourſen uͤber die Sit - ten der gegenwaͤrtigen Zeit p. 146. ſehr wohl, wenn er ſchreibt: es iſt nichts, wodurch ſehr vielen jungen Leuten, ob ſie auch ſchon guten Verſtand und Ge - ſchicklichkeit haben, ihr Vorhaben mißlinget, als wenn ſie den boͤſen Muſtern auf eine knechtiſche Art nachahmen. Sie aͤffen insgemein den be - ruͤhmten Maͤnnern in gewiſſen Dingen nach, weil ſie dieſe Dinge aus Mangel der Erfahrung und ge - nugſamer Einſicht unrechtmaͤßiger Weiſe vor die Qvelle und vor die Urſache derjenigen Lobes-Er - hebung anſehen, die man ſolchen beruͤhmten Maͤn - nern haͤufig ertheilt.
§. 12. Die Menſchen bleiben gar ſelten auf der Mittel-Straſſe, ſondern fallen von einem laſterhaff -ten188I. Theil. VI. Capitul. ten Abwege auf den andern. Wenn manchen jungen Leuten ihre uͤbermaͤßige Ernſthafftigkeit, ihre bleyerne Erbarkeit, und faſt unbewegliche Sittſam - keit, als etwas unanſtaͤndiges, vorgeſtellt wird, ſo gerathen ſie nachgehends in ein gar zu fluͤchtiges, unſtetes nnd bewegliches Weſen. Jene gleichen den Statuen, oder den eiſernen Gaͤnſen, dieſe aber den Arlequins, Taſchen-Spielern, Seildaͤn - tzern und Gaucklern, die alle ihre Minen des Ge - ſichts, Stellungen des Leibes und ihrer Gliedmaſ - ſen, auf eine vielfache Weiſe, in Veraͤnderung ſetzen koͤnnen. Der Fehler einer allzugroßen Freyheit und Leichtſinnigkeit haͤnget ohnedem insgemein den - jenigen an, die ſich entweder viele und lange Jahre in Franckreich oder ſonſt unter der Frantzoͤſiſchen Nation aufgehalten, oder von derſelben aufgezogen worden. Denen, die eines ernſthafften, allzuſtillen, und traͤgen Temperaments, iſt der Umgang mit den Frantzoſen zutraͤglicher, als denen, die ohnedem von fluͤchtigen, feurigen und lebhafften Humeur. Al - ſo iſt es ferner ein irriger Weg, wenn einige von dem Frauenzimmer ſo treuhertzig ſind, daß ſie fremden Manns-Perſonen ohne Untẽrſcheid die Haͤnde druͤcken, oder ihnen ſonſt allerhand andere Careſſen erzeigen, oder von ihnen annehmen. Es iſt auch wider den Wohlſtand geweſen, da ein Frauenzimmer, wie der Autor der galanten Frau - enzimmer-Morale anfuͤhrt, als ſie einen Hand-Kuß bekommen ſollen, ſo zuruͤck geſprungen, als ob ihr etwas Boͤſes wiederfahren waͤre.
§. 13.189Von Manieren u. Stellungen des Leibes.§. 13. Ein junger Menſch muß ſich bemuͤhen die Falten ſeines Geſichts, ſo viel als moͤglich, ſo ein - zurichten, daß andere Leute nach der Beſchaffenheit ihrer Urtheile, die ſie insgemein zu faͤllen gewohnt ſind, guͤtig davon urtheilen moͤgen. Kan er durch ſeine Bemuͤhung zuwege bringen, daß ſeine Phy - ſiognomie ihnen gefaͤlliger wird, ſo iſt es gut, wo aber nicht, ſo kan er deswegen auch unbeſorgt ſeyn, es iſt beſſer, daß einer andern Leuten ſeine guten Qualitæten in der That zeiget, ob ſie ihm ſchon die - ſelben nicht in dem Geſicht anſehen, als daß einer ein kluges und trefflich favorables Geſicht hat, da aber nichts weiter dahinter ſteckt.
§. 14. Jnſonderheit muß er ſich angelegen ſeyn laſſen, diejenigen Minen anzunehmen, die ſich vor ſeine Umſtaͤnde, und nach ſeiner Lebens-Art ſchicken, oder dem Willen ſeiner Obern und Vorgeſetzten gemaͤß ſind. Alſo wird eine freventliche und laͤ - chelnde Mine einem Officierer, der ein Regiment oder eine Compagnie Granadierer commandiren ſoll, vor unanſtaͤndig geachtet, ein anderer hingegen, der ein ſauer und finſter Geſicht zu machen weiß, wird ſchon vor braves angeſehen. Will ſich aber einer zu einem Hof-Mann qnalificiren, ſo wird ihm das finſtere Soldaten-Geſicht zu keinem Recom - mendation-Schreiben dienen. Manch anſehn - lich geiſtlich und weltlich Amt, erfodert eine gravi - tætiſche und ernſthaffte Mine, und hilfft auch biß - weilen bey den Subalternen und bey den Geringern, die alle Tritte, Schritte, Reden und Minen ihrerVor -190I. Theil. VI. Capitul. Vorgeſetzten zu beobachten pflegen, ein groͤßer An - ſehen zuwege bringen. Nun beruhet es zwar nicht in der Macht eines Menſchen, ſein Geſicht zu aͤn - dern, ſondern er muß die Augen, den Mund, die Naſe und die gantze Stellung ſeines Geſichtes be - halten, wie ſie ihm GOtt geſchaffen, es mag andern Leuten gefallen oder nicht; jedoch kan man durch die Bemuͤhung eine und die andere Geberde aͤn - dern, und durch oͤfftere Wiederhohlung eine die uns erſtlich fremde und ſchwehr war, ſo ange - woͤhnen, daß ſie uns mit der Zeit eigenthuͤmlich wird.
§. 15. Diejenigen Geberden, welche die Fran - tzoſen l’air zu nennen pflegen, und die nach Veran - laſſung des aͤuſſerlichen oder innerlichen, ſo in unſe - rer Seele vorgegangen, auf eine Zeitlang in unſern Geſicht erwecket werden, ſtehen eher in unſerer Ge - walt, als die vorhergehenden, die zu der gantzen Phyſiognomie gehoͤren. Dieſe muß man nach den Umſtaͤnden der Zeit, des Ortes, und der Perſo - nen, bey denen man ſich aufhaͤlt, weißlich zu lencken und zu veraͤndern wiſſen. Jſt man in der Kirche, oder bey einer heiligen Handlung, ſo muß man ehr - erbietige Geberden machen, und handeln daher manche von unſern jungen Leuten beyderley Ge - ſchlechts, die ſich an ſolchen Oertern ſo frech und wilde auffuͤhren, als ſie nimmermehr bey einer Dantz-Verſam̃lung thun koͤnten, gar ſehr wider den Wohlſtand. Befindet man ſich in einem Trauer - Hauſe, und ſtattet eine Trauer-Viſite ab, ſo mußman191Von Manieren u. Stellungen des Leibes. man traurige Geberden annehmen. Man lerne den im Hertzen verborgen liegenden Affect, und der ſich gerne in den Zuͤgen des Geſichts zu aͤußern pflegt, kuͤnſtlich verbergen, und ſolche Minen an ſich zu nehmen, die ihm entgegen geſetzt. Die Feinde blicke man mit freundlichen Geberden an, und denen Frauenzimmer, vor die man in ſeinem Hertzen Paſ - ſion heegt, begegne man kaltſinnig, damit andere nicht klug aus uns werden. Dieſe Regeln gehoͤ - ren zu der Verſtellungs-Kunſt, die allenthalben, inſonderheit aber an den Hoͤfen, ſo gar ſehr noͤthig iſt.
§. 16. Denen unanſtaͤndigen Minen, dadurch ſich mancher Verdruß und des andern Unwillen uͤber den Halß ziehet, ſind auch die hoͤniſchen Ge - berden beyzuzehlen, da ſich einige angewoͤhnt, die andern, bey denen ſie nicht durch die Furcht zuruͤck gehalten werden, geringe zu achten, ſproͤde zu tracti - ren, und uͤber alle ihre Worte und Wercke auf ei - ne hoͤniſche Weiſe das Maul zu ruͤmpffen. Die - ſes Laſter bringt zwar allen Leuten, die ihm ergeben, Haß zu Wege, inſonderheit aber jungen Leuten, indem dieſe ſelbſt noch am unvollkommenſten, und ſich uͤber andere Leute am wenigſten aufhalten ſollen.
§. 17. An einer wohlanſtaͤndigen Regierung der Augen iſt viel gelegen; die Dames haben ihre ge - wiſſe Regeln und Anmerckungen, wie die Augen zu zu lencken, damit ſie zum charmiren und zum rei - tzen der Manns-Perſonen geſchickt ſeyn, auch demgantzen192I. Theil. VI. Capitul. gantzen Geſicht ein lieblich Anſehen zu Wege bringen. Doch dieſes gehet uns nichts an, wir wol - len uns jetzund um etwas anders bekuͤmmern. Hat ein junger Cavalier die Gnade und Ehre, daß ihm eine hohe Standes-Perſon, eine vornehme Dame, oder ſonſt ein großer Miniſter, der Anrede wuͤrdiget, oder er hat Erlaubniß, ſie anzureden, ſo muß er nicht aus Bloͤdigkeit, wie einige zu thun pflegen, die Au - gen auf die Erde ſchlagen, ſondern ſie getroſt an - ſehen, jedoch mit keiner frechen, ſondern beſcheide - nen Geberde. Das Niederſchlagen der Augen auf die Erde, zeiget eine gar ſchlechte Aufferziehung an, und wird vor das Merckmahl eines tuͤckiſchen und heuchleriſchen, oder doch eines furchtſamen Men - ſchen gehalten. Einige von den jungen Leuten ſind allzuſcheu in dem Umgange mit der großen Welt, ob es ſchon ihnen nicht eben an Qualitæten fehlt, die zu dieſem Umgange noͤthig ſind. Der Herr Hof-Rath Nemritz meldet von einem ſolchen in ſeinem Sejour de Paris p. 22. den er Geronte nennt. Er ſagt: der Wohlſtand erfordert, daß Geronte zuweilen bey vornehmen Leuten ſeine Aufwartung machen muß. Allein, er ſolte, ich weiß nicht was drum geben, daß er davon moͤchte diſpenſirt ſeyn. Das Hertz im Leibe klopfft ihm, wenn er nur in die Antichambre kommt, da ihm doch dieſe Herren wegen ſeiner Auffuͤhrung al - lemahl mit der groͤſten Hoͤfligkeit und Wohlwollen begegnen.
§. 18. Wider den Wohlſtand iſt es auch, wenneinige193Von Manieren u. Stellungen des Leibes. einige von den jungen Leuten ſtets vor ſich hin auf einen Fleck ſehen; es ſey nun, daß ſie wuͤrcklich ſpeculativ ſind, und ihre Gedancken auf einen ge - wiſſen innerlichen oder aͤuſſerlichen Gegenwurff ge - richtet, oder daß es doch ſcheinet, als ob ſie in Ge - dancken waͤren. Wer ſpeculiren und nachſinnen will, muß in ſeinem Zimmer bleiben, und nicht in Geſellſchafften gehen, hier ſchickt ſichs nicht, es hat alles ſeine Zeit. Dieſer Fehler wird einem tieff - ſinnigen Mathematico, der ſich durch ſeine Erfin - dungen in der Welt beruͤhmt macht, eher zu gut ge - halten, als einem jungen Cavalier, der ſein Gluͤck in der Welt machen, und allen allerley werden ſoll.
§. 19. Eine unangenehme Mine iſt es, wenn junge Leute, bey Hofe oder in andern Geſellſchaff - ten, eine fremde Perſon, zumahl eine ſolche, die hoͤ - her iſt, als ſie, mit unverwandten Augen ſtets anſe - hen, und ſie von Fuß auf biß auf den Kopff betrach - ten. Eine ſolche Betrachtung ſcheinet entweder allzu vornehm, oder allzu gemein; ich ſage allzu vor - nehm, indem hohe Standes-Perſonen, wie ich oben angefuͤhrt, oͤffters die Gewohnheit an ſich haben, die Geringern auf dieſe Art zu betrachten und zu be - urtheilen. Was aber jenen frey ſtehet, iſt deswe - gen dieſem nicht erlaubt. Allzu gemein laͤſt es, weil man ſich hierinnen dem Poͤbel aͤhnlich erweiſet, der eine praͤchtig angekleidete Perſon, die ihm nicht alle Tage vor die Augen kommt, mit aufgeſperrtem Maul und der groͤſten Verwunderung, eine langeNZeit194I. Theil. VI. Capitul. Zeit ſteiff und ſtarr anſiehet. Werden dergleichen unverwandte Blicke auf ein wohlgebildet Frauen - zimmer gerichtet, ſo macht ſich ein junger Menſch, theils bey dem Frauenzimmer ſelbſt, die er ſo genau in Augen behaͤlt, theils auch bey andern Leuten, die ſeine Paſſion hiedurch zu errathen gedencken moͤch - ten, noch laͤcherlicher.
§. 20. Da an den Geberden ſo ſehr viel gelegen, ſo thaͤte es noͤthig, daß ſich mancher in ſeinem Zim - mer etliche Stunden lang vor den Spiegel ſtellte, und Lectiones gaͤbe, auf was vor Art er ſein Ge - ſichte in die gehoͤrigen Falten richten moͤchte, damit er gute Mine machte. Unartig hingegen iſt es, wenn einige in Geſellſchafften ſich vor die groſſen Spiegel ſtellen, eine lange Zeit ohne Raiſon darin - nen beſchauen, und ſich uͤben, wie ſie liebliche Ge - berden machen und alles mit einer guten grace ver - richten moͤgen.
§. 21. Einige haben keine Ungeberden an ſich, wenn ſie mit ihren Gliedmaſſen des Leibes in Ru - he ſind, ſo bald ſie aber mit ihren Haͤnden oder Fuͤſ - ſen eine Action vornehmen, gehen die Ungeberden an. Alſo machen einige, wenn ſie ſich auf einem muſicaliſchen Inſtrument hoͤren laſſen, oder tren - chiren, mahlen, drechſeln, peroriren, dantzen, u. ſ. w. theils allzu douçe und freundliche, theils finſtere und gravitaͤtiſche, theils auch ſonſt hoͤchſt alberne und unartige Minen.
§. 22. Ein junger Menſch muß ſich, wie in allen ſeinen aͤuſſerlichen Handlungen und Geberden, alſoauch195Von Manieren u. Stellungen des Leibes. auch bey dem Lachen vernuͤnfftig und maͤßig auf - fuͤhren. Die Sittſamkeit und Erbarkeit erſtreckt ſich zwar nicht ſo weit, wie einige junge Leute den - cken, als ob man in Gegenwart hoher Standes - Perſonen, oder ſonſt in Geſellſchafft vornehmer Leute gantz und gar nicht lachen duͤrffte; Dieſes gehet nur die Subalternen und Bedienten an, die ſich bey einer Geſellſchafft befinden, und dabey auf - warten, nicht aber, die ſich unter der Geſellſchafft mit aufhalten; dieſen iſt erlaubt zu lachen, und ſie haben nicht noͤthig, bey allen demjenigen, was laͤ - cherlich vorkommt, ein ſinſter und ſauer Geſicht zu machen; ſie muͤſſen aber nicht allein lachen, ſondern zu der Zeit, wenn andere vernuͤnfftige Leute mit la - chen, und uͤber ſolche Sachen, die das Lachen ver - dienen, ſie muͤſſen die erſten mit ſeyn, die zu lachen aufhoͤren, in keinem wunderlichen Thon oder laͤ - cherlich Geziſche dabey ausbrechen, und nicht ſo, daß ſie vor allen andern zu hoͤren ſeyn. Der von Faramond hat, in dem erſten Theil ſeiner Diſcourſe uͤber die Sitten der gegenwaͤrtigen Zeit, das Lachen in folgende Claſſen eingetheilt, als, in die laͤchelnde Geberde, oder das halbe Laͤcheln, in das Laͤcheln, in das Lachen, in das hoͤniſche Lachen und laute La - chen. Das halbe Laͤcheln geſchiehet nur deswe - gen, damit man eine neue Annehmlichkeit an den Lineamenten des Angeſichts erlangen moͤge, und die Damen bedienen ſich deſſen offtermahls zum Fallſtrick, um einen ſolchen Liebhaber zu fangen, der ſich durch ihre Liebes-Reitzungen nicht geſchwin -N 2de196I. Theil. VI. Capitul. de genug uͤberwinden laͤſt. Das Laͤcheln iſt insge - mein eine Eigenſchafft des weiblichen Geſchlechts, und dererjenigen, welche ihnen aufwarten, es druͤckt die Vergnuͤgung des Hertzens aus, und bezeiget ei - nen gewiſſen ſtillſchweigenden Beyfall. Das ge - woͤhnliche Lachen iſt jederman bekandt. Das hoͤ - niſche Lachen iſt eine Eigenſchafft der Menſchen, die ihre Luſt darinnen ſuchen, daß ſie ſich mit Schaden anderer Leute, und ſo gar auch ihrer eigenen Freun - de, ergoͤtzen, und der gantze Grund ihres ſchertzen - den Gemuͤths, ruͤhret von ihrer boͤſen Unart her. Das laute Lachen ſoll ein Merckmahl ſeyn, daran man inſonderheit das Land-Frauenzimmer erken - net. S. ſeinen XXVIII. Diſcours.
§. 23. Man findet eine gewiſſe Art Leute, welche ſtets, und auf oͤffentlicher Gaſſe, etwas an ſich zu thun finden, bald den Hut, bald die Peruque, bald die Schuhe, bald die Manchetten, bald die Krauſe, bald die Struͤmpffe accommodiren, und wenn ſie ſich ein paar neue Handſchuh gekaufft, innerhalb 50. Schritte, dieſelben etliche mahl aus - und anzie - hen, ſtets zuruͤck und in alle Fenſter ſehen, und ſich alſo jedes mahl in Ordnung der Poſitur ſtellen, ſich auch wohl gar mit dem Diener, der hinter ihnen ſte - het, herum zancken. Herr Paſch giebt dieſen Leu - ten, in ſeiner Dantz-Kunſt, p. 123. und zwar mit gutem Recht, den Nahmen der Pedanten. Andere ſpielen ſtets mit etwas in den Haͤnden, bald mit dem Spaniſchen Rohr, welches ſie zu vielen mahlen herumdrehen, bald mit der Quaſte oder den Rie -men,197Von Manieren u. Stellungen des Leibes. men, der dran iſt, den ſie bald auf - bald wieder zu - knuͤpffen, u. ſ. w. Die Dames machen mit ihren Eventails hunderterley Exercitia, da ſie ſolche bald ausbreiten, bald wieder zuſammen legen, ſich bald hurtig ſecheln, bald wieder mit der groͤſten Langſamkeit. Wolte man auf einige recht ſcharff Acht haben, ſo koͤnte man ihre Paſſionen aus dieſem Spielwercke einiger maſſen mit erkennen lernen. Sind ſie auf etwas ſehr erbittert, oder uͤber etwas froͤlich und vergnuͤgt, ſo fecheln ſie ſich hurtig; ſind ſie gelaſſenen Gemuͤths, ſo ſind ſie auch gantz mo - derat in ihrem Fecheln; ſind ſie in Gedancken, und ſpeculiren auf etwas, ſo ſpielen ſie entweder nur mit den Eventail, und fecheln ſich gar nicht, oder doch ſehr langſam. Ob nun ſchon dergleichen Ba - dinerian an ſolchen Orten und unter ſolchen Per - ſonen, wo man ſeine Handlungen mit einer groͤſten Freyheit vornehmen kan, vor unſchuldig und zulaͤſ - ſig zu achten, ſo muß man ſich doch in Acht nehmen, daß man nicht, weñ man ſich in groſſen Geſellſchaff - ten befindet, manchen Leuten, die andere ſo gerne zu obſerviren pflegen, zu ſolchen Urtheilen Gelegenheit gebe, deren man uͤberhoben ſeyn koͤnte.
§. 24. Pedantiſch laͤſt es, wenn einige faſt eben ſo viel mit den Haͤnden, als mit den Worten, bey ihren Geſpraͤchen ausdruͤcken wollen, und dem an - dern, der ſich mit ihnen in einen Diſcours einlaͤſt, durch ihr herum-vagiren, ohne ihren Willen und aus einer guten Meynung, in das Geſichte fahren, ſo, daß der andere, will er ihre DemonſtrationesN 3mit198I. Theil. VI. Capitul. mit der Hand nicht auf ſeiner Naſe oder Backen er - fahren, ſtets zuruͤck treten, und ſich weiter von ihnen entfernen muß. Manche von den jungen Leuten wiſſen nicht, wo ſie unter waͤhrendem Diſcours, oder bey einer vornehmen Aufwartung, ihre Haͤnde mit einer guten grace hinthun ſollen. Jch hoͤrte ein - ſten eine hohe und verſtaͤndige Dame raiſoniren: Manche von unſern jungen Teutſchen verreißten viele tauſend Thaler, und braͤchten, auſſer einigen verchamerirten Kleidern und andern Galanterien, aus Franckreich und andern fremden Laͤndern, we - nig gute Qualitaͤten mit ſich, waͤren auch wohl bey ihrer Zuruͤckkunfft ſo ungeſchickt, daß ſie nicht wuͤß - ten, wenn ſie mit einer Dame diſcourirten, wo ſie die Haͤnde laſſen ſolten. Einige vagiren ſtets da - mit herum, und machen allzu geſchwinde Veraͤnde - rungen, andere aber ſind allzu ſteiff, ſie ſtecken die Haͤnde entweder in Schubſack oder oben in die Weſte, u. ſ. w.
§. 25. Es iſt viel daran gelegen, daß ein junger Menſch einen zierlichen Reverence cavalierement machen kan, der mit einer wohlanſtaͤndigen Mine vergeſellſchafftet werde, ſintemahl unterſchiedene Fehler von Leuten, die doch ſonſt im uͤbrigen wohl zu leben wiſſen, dabey vorgehen, einige machen ſie allzu tief und dabey zu ſchnell, und gewinnet es das Anſehen, als ob ſie anfiengen zu fallen; andere wollen den Ruͤcken nicht beugen, als ob ſie einen Drath darinne angehefftet haͤtten, der nicht nach - geben wolte, noch andere wackeln mit dem Kopffdazu,199Von Manieren u. Stellungen des Leibes. dazu, manche machen ihre Reverences gar zu nach - laͤßig, ſie ſtreichen den Fuß hinten weit aus, u. ſ. w.
§. 26. Jn dem Gange, an welchen ein Menſch mit erkandt werden kan, zeigen ſich ebenfalls hin und wieder mancherley Ungeberden. Einige die von gar langer Statur, wollen etwas kleiner ausſe - hen, als ſie ſind, und gehen daher gebuckt, die Klei - nen zwingen ſich allzuſehr, in Erhebung des Haup - tes und der Bruſt, damit ſie ſich ihrer Einbildung nach ein etwas groͤßer Maaß zuwege bringen. Vie - le gaffen auf der Gaſſe herum, wie die Handwercks - Purſche, die ſich allenthalben nach lauter Wahr - zeichen umſehen, einige treten in dem Zimmer all - zu ſcharff auf, und erregen bey ihrem Gehen ein groß Getoͤſe, welches ſonderlich in den Gemaͤchern der hohen Standes-Perſonen, oder der Dames, ſehr unangenehm laͤſt, andere hingegen richten ih - re Schritte ſo leiſe ein, als ob ſie ſich in einem Wo - chen-Zimmer befaͤnden, manche formiren ſo weite Schritte, wie die Boten-Laͤuffer, und noch andere hingegen ſo enge und kleine Schrittgen, wie eine Braut-Jungfer auf einer Hochzeit. Wer nun hierbey, wie allenthalben, die Mittel-Straſſe be - obachtet, trifft es am beſten.
§. 27. Wenn man auf der Gaſſe gehet, muß man ſich ſo wohl in Anſehung des Gruͤſſens und des Hut-abziehens, als auch wegen des Tragens des Hutes unter dem Armen, erkundigen, was an einem jeden Orte gebraͤuchlich, damit man nicht ausgelacht werde, ſintemahl man hieruͤber keineN 4allge -200I. Theil. VI. Capitul. allgemeine Regeln ertheilen kan. An einigen Or - ten iſt es, wie in Franckreich, gebraͤuchlich, daß man den Hut unter dem Arm traͤgt, um die gute Peru - que nicht zu verderben; an andern hingegen wird der Hut auch auf eine wohl accommodirte Peruque geſetzt. So viel iſt es richtig, daß man zur Win - ters Zeit, und bey einer Peruque, an der nicht gar viel zu verderben, den Hut mehrentheils aufzuſetzen pflegt.
§. 28. Damit man alles unanſtaͤndige fahren laſſe, und hingegen das manierliche annehme, muß man ſich und andere genau kennen lernen. Man muß die Beſchaffenheit ſeiner Minen erforſchen, die Stellung ſeines Leibes und deſſen Gliedmaßen, auch ſo gar ſeine Conſtitution und Temperament in Obacht nehmen. Erblickt man andere, die von ungeberdiger Auffuͤhrung, ſo muß man nachden - cken, ob wir nicht auch etwas haben, daß dieſem entweder gleich, oder doch aͤhnlich iſt, und ſich alſo auch fremde Thorheiten zu Nutze machen. Ande - re manierliche Leute muß man ſich zum Muſter vor - ſtellen, denen man zwar nicht auf eine gezwungene, ſondern vernuͤnfftige Weiſe nachahmt. Man muß weiſe Leute aufſuchen, die einem hierinnen dienliche Regeln und Nachrichten ertheilen, inſon - derheit ſich nach einen geſchickten und vertrauten Freund bewerben, der einem die unbekandten Feh - ler anzeige. Sind einem ſeine Fehler entdeckt worden, muß man mit allen Ernſt dawider arbei - ten, und ſich hiebey ein wenig wehe thun lernen.
§. 29.201Von Manieren u. Stellungen des Leibes.§. 29. Die Exercitien-Meiſter, inſonderheit aber die Dantz-Meiſter, die der Morale wohl kundig, ſich auf ihren Reiſen ſattſam qualificirt gemacht, und in der großen Welt geweſen, koͤnnen in dieſem Stuͤck jungen Leuten ſehr gute Dienſte leiſten, und ihnen nicht allein die Ungeberden, die ſie bey den Dantzen an ihrer Stellung des Leibes, und ihrer Gliedmaßen wahrnehmen, mit guter Manier an - zeigen und verbeſſern, ſondern auch alles unanſtaͤn - dige, was ſie bey den Minen ihres Geſichts finden, nach und nach abgewoͤhnen. Es iſt aber zu bekla - gen, daß die Dantz-Meiſter, die zugleich faͤhig waͤ - ren, in dieſen und andern Stuͤcken mehr Tugend - und Sitten-Lehren abzugeben, ſo gar duͤnne geſaͤrt, maßen ihrer viele ſelbſt einen Lehr-Meiſter brauch - ten, der ihnen ihr affectirtes Comœdianten - hafftes Weſen und uͤbrigen Grimacen abge - woͤhnte.
§. 1.
EJn junger Cavalier, deſſen Umſtaͤnde es verſtatten wollen, thut uͤberaus wohl, wenn er mancherley fremde Hoͤfe be - ſucht, und ſich eine Zeitlang an denſel - ben aufhaͤlt, um ſich je mehr und mehr zu qualifi -N 5ciren;202I. Theil. VII. Capitul. ciren; jedoch muß er eine ſolche Tour nicht eher unternehmen, biß er ſich gepruͤfet, ob er auch die noͤ - thigen Qualitæten beſitze, ſich mit Ehre zu zeigen, und daſelbſt zu mainteniren maßen die meiſten Hoͤ - fe, eine ſolche hohe Schule, bey der geſcheite Leute noch kluͤger und politer, die einfaͤltigen und un - verſtaͤndigen aber noch viel thoͤrichter werden koͤn - nen, als zuvor.
§. 2. Einige rathen, man ſolte erſt kleine Hoͤfe beſehen, ehe man die großen beſuchen wollte, an jenen koͤnte man die Hof-Manieren nach und nach lernen, und ſich hernach mit deſto groͤßerer Reputa - tion an den großen aufhalten, da hingegen die Auffuͤhrung an einem großen Hofe weit behutſa - mer und accurater eingerichtet werden muͤſte. Ob nun zwar dieſe Meynung eben nicht ſo gar un - gegruͤndet, ſo glaub ich doch, daß ein junger Cava - lier beſſer thut, wenn er ſich zuerſt an große Hoͤfe begiebt, ich ſetze aber hiehey dasjenige, was ich in vorhergehenden §. angefuͤhrt, zum Grunde. An einem großen Hofe werden die Fehler eines jungen Menſchen faſt noch mehr verdeckt als an einem klei - nen; Man macht ſich daſelbſt viel weniger draus, man iſt mancherley Fehler der jungen Leute viel eher gewohnt, man nimmt ſie unter der großen Menge der Leute weniger wahr, man entſchuldiget ſie eher; wenn aber ein Fremder an einem kleinen Hofe ſeine Perſon auf den Schau-Platz ſtellt, und weiß ſie nicht wohl zu ſpielen, ſo unterwirfft er ſich tauſender - ley ſpoͤttiſchen Urtheln. Uberdieſes hat ein junger Ca -valier203Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. valier an andern Hoͤfen weit mehr Ehre zu gewar - ten, der ſich an einem großen Hofe eine Zeitlang arritirt gehabt, und daſelbſt wohl aufgenommen geweſen.
§. 3. Was vor Hoͤfe, und wie viel deren ein junger Cavalier beſehen ſoll, kan man uͤberhaupt nicht ſagen, ſondern dieſe Regel muß er vor ſich ſelbſt finden, wenn er ſeinen Haupt-Entzweck, die kuͤnfftige Lebens-Art, die er ſich zu erwehlen ge - denckt, vor den Augen hat; die Zeit, die er auf ſolche Touren wenden kan, uͤberlegt, und vornemlich mit ſeinem Beutel vorher einen Uberſchlag macht. Je mehr Hoͤfe er beſehen kan, je angenehmer wird es vor ihm ſeyn, und je mehr wird er ſich qualificiren. Vor allen andern Hoͤfen ſolten unſere Teutſchen Paſſagierer den Hof des allerhoͤchſten Ober - Hauptes der Chriſtenheit, der Roͤmiſchen Kaͤyſer - lichen Majeſtaͤt, zu Wien beſuchen, und ſich einige Monathe an demſelben aufhalten. Es iſt gewiß eine Schande, daß viele von unſern Teutſchen Ca - valieren an fremden Hoͤfen außer Teutſchland vie - le tauſend Thaler verthun, und hingegen den Hof ihres Kaͤyſers wohl niemahls beſuchen.
§. 4. Es begebe ſich einer nicht leichtlich an ei - nen ſolchen Hof, von dem man vorher verſichert, daß entweder unſer Bezeugen und unſere Umſtaͤn - de dem Hofe, oder die an dem Hofe eingefuͤhrte Obſervanz und Lebens-Art, unſern Umſtaͤnden und Neigungen, nicht gemaͤß noch anſtaͤndig ſeyn wer - den, denn ſonſt wuͤrde man ſchlechten Nutzen undſchlechte204I. Theil. VII. Capitul. ſchlechte Zufriedenheit davon zu erwarten haben; Wer alſo den Trunck nicht vertragen kan, muß die Hoͤfe meyden, wo man bey dem uͤbermaͤßigen Tꝛuncke keine Diſpenſation erhalten kan. Wer maͤſ - ſige Einkuͤnffte beſitzt, darf ſich an den Hoͤfen, wo alles mit einer beſondern Magniſicence zugehet, oder große Geld-Summen in Spielen aufgeſetzt werden, nicht lange aufhalten.
§. 5. Man thut uͤberaus wohl, wenn man ſich vorhero, ehe man den Hof beſieht, nach allen un - vermeydlichen und zum Wohlſtand erforderlichen Ausgaben genau erkundiget, damit man ſich dar - nach zu richten wiſſe, und bey der Zeit ſeines Auf - enthalts eine durchgehends gleiche Conduite be - obachten moͤge. Es laͤſt ſehr ſchlecht, wenn man einige Wochen einen großen Staat macht, ſich in Quartier, Equipage u. ſ. w. praͤchtig auffuͤhrt, oder alle Tage in Spiel-Geſellſchafften antreffen laͤſt, und groſſe Summen mit aufſetzt, hernach aber die uͤbrige Zeit zu Fuß gehet, das propre Quartier mit einem ſchlechten verwechſelt, und faſt keine Geſell - ſchafft mehr beſucht, ſo daß man ſich nachgehends bey andern Leuten durch dieſe jaͤhlinge Veraͤnde - rung laͤcherlich macht.
§. 6. Kommt ein junger Cavalier in eine Fuͤrſt - liche Reſidentz, ſo muß er wiſſen, wie er ſich bey Hofe zu melden habe, und durch wen er introdu - ciret, und bey den Durchlauchtigſten Herrſchaff - ten præſentiret werden koͤnne. Damit er in kei - nem Stuͤck verſtoße, ſo muß er ſeine erſte Sorgeſeyn205Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. ſeyn laſſen, wie er das Ceremoniel bey den Zim - mern, bey der Tafel, bey den Geſundheits-Trin - cken, und ſonderlich bey der Aufwartung der Durch - lauchtigſten Herrſchafft, erfahren moͤge. Wo ſich unterſchiedene Fuͤrſtliche Anverwandten zu - gleich auf dem Schloß oder in der Reſidentz auf - halten, es moͤgen nun einige von den Hoch-Fuͤrſt - lichen Eltern / oder von den Hoch-Fuͤrſtlichen Ge - ſchwiſtern, oder andern Anverwandten ſeyn, ſo muß er gehoͤrige Acht haben, daß er allenthalben ſeine Aufwartung, nach der ihnen zuſtehenden Rang-Ordnung abſtatte, und keine von dieſen Fuͤrſtlichen Perſonen, wo eine Aufwartung erlaubt, verſehen moͤge.
§. 7. Es kan nicht ſchaden, wenn ſich einer, zu - mahl an einem gantz fremden Hofe, da er keinen Bekandten hat, den er in etwas zu Rathe ziehen kan, an den Hof-Fourier andreſſirt, und demſel - ben einen Species-Thaler oder Ducaten in die Haͤn - de druͤckt. Durch dieſe kleine Freygebigkeit kan er mancherley Nachrichten erlangen, die ihm gute Dienſte leiſten. Ob es ſchon andere erfahren ſol - ten, ſo wird es einem doch kein vernuͤnfftiger Menſch verdencken, ſondern die meiſten werden es ihm recht ſprechen, daß er hierunter ſo gute Behutſamkeit an - wendet. Doch muß einer auch bey dergleichen Fragen, Klugheit und Vorſichtigkeit gebrauchen, damit man nicht den Schein von ſich gebe, als ob man den Hof ausſpioniren wolle. Wer bey Ho - fe ſich im Nachfragen allzu neugierig erweiſet, er -faͤhret206I. Theil. VII. Capitul. faͤhret offt deſto weniger. Bey einem kaltſinnigen Weſen kan man mit guter Manier bißweilen mehr erfahren, als durch eine allzu groſſe Begierde im Nachforſchen. Es finden ſich auch wohl bißweilen loſe Leute, die einem manche falſche Nachricht auf den Ermel hefften.
§. 8. Ein junger Cavalier bewirbt ſich, ehe er an einen fremden Hof gehet, entweder bey einem und anderm Miniſter, oder bey einem Cavalier, der ſein guter Freund iſt, um ein Schreiben an ei - nen Miniſter oder Cavalier des Hofes, den er beſuchen will, darinnen von ſeiner Perſon ein vortheilhafft Portrait gemacht, oder ſonſt von ſeinen Umſtaͤnden eine ihm dienliche Nachricht ertheilet wird. Es kan einer bißweilen in vier Wochen nicht dasjenige ſelbſt von ſich ſagen, was der andere in vier Zeilen ſchreiben kan; Es wird ihm ſodann ein viel beſſer Acceuil gemacht werden. Viel Hof-Leute werden der Curioſitaͤt uͤberhoben, ihn in ihren Diſcourſen auszuforſchen, und ſich nach ſeinen Umſtaͤnden zu erkundigen. Der Hof wird ihm beſſere Mine machen, und deſto eher wiſſen, was er von ihm, ſo wohl in Anſehung ſeiner Ge - ſchicklichkeit, als auch ſeiner Ausgaben, verlangen koͤnne, u. ſ. w.
§. 9. Hat er aber nicht Gelegenheit, ein Re - commendations-Schreiben an einen fremden Hof zu erlangen und er muß ſich ſelbſt bekandt machen, ſo muß er ſich bey ſeiner Ankunfft alſobald bey dem Hof-Marſchall, Hauß-Marſchall, Hofmeiſter,Stall -207Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. Stallmeiſter, oder wer ſonſt den Stab fuͤhret, mel - den laſſen, und ihm mit Demuth und Sittſamkeit einige Information geben, von ſeiner Herkunfft und Familie, von ſeinem Metier, ob er vom Studiren, vom Degen, von der Jaͤgerey oder von der Wirth - ſchafft Profeſſion zu machen geſonnen, warum er an dieſen Hof gekommen, und wie lange er ſich da aufzuhalten gedencke. Meldet er gar nichts von ſich, ſo veranlaſt er ein hauffen vergebne Urtheile wegen ſeiner Perſon, er beſchweret ſich mit allzu vielen Fragen, die ihm die andern thun werden, oder macht ſich wohl gar verdaͤchtig und veraͤchtlich.
§. 10. Thut ihm die Herrſchafft die Gnade, und laͤſt ihm durch ihre Caroſſe und Bedienten nach Hofe holen, ſo muß er nicht unterlaſſen, die Diſcre - tionen an den Hof-Fourier, Hof-Laquais, Kut - ſcher, u. ſ. w. zu entrichten, die bey dergleichen Eh - ren-Faͤllen noͤthig ſind. So muß er es auch bey dem Mundſchencken, bey dem Fuͤrſtlichen Biblio - thecario, Inſpector der Raritaͤten-Cammer, des Muͤntz-Cabinets, u. ſ. w. an ſolchen gewoͤhnlichen Præſenten nicht fehlen laſſen; denn ſonſt giebt er ſolchen Leuten nur Gelegenheit, daß ſie von ſeiner Perſon veraͤchtlich urtheilen. Die Geſchencke muß er nach Proportion ſeines Ranges und ſeines Beutels einrichten. Bezeigt er hierbey eine allzu - groſſe Freygebigkeit, ſo wird er von Leuten, die ihm, um ihres Eigennutzes willen, ihre Dienſte allzu offt anbieten, gar zu ſtarck beunruhiget, und es werden ihm nachgehends bey allen Faͤllen zu viel Ausgabenzugemu -208I. Theil. VII. Capitul. zugemuthet. Noͤthiger iſt es, wenn er, ohne ſich ungluͤcklich zu machen, bey Fuͤrſtlichen Feſtivitaͤten, Nahmens-Taͤgen, Geburths-Taͤgen, u. ſ. w. der Herrſchafft zu Ehren ſolenne Depenſen machet, als wodurch er ſich in beſondere Gunſt ſetzen kan.
§. 11. Hat er dem Hofe von den Umſtaͤnden, die ſeine Perſon angehen, ſo viel Nachricht ertheilet, als er glaubet, daß ihm zu wiſſen noͤthig, ſo redet er nachgehends nichts weiter von ſich, auſſer warum er befragt wird. Jſt er in ungluͤckſeligen Zuſtande, ſo klaget er nicht, denn er weiß wohl, daß er hier gar leidige Troͤſter antrifft, die ihn, ſo bald er ihnen den Ruͤcken zukehret, nur auslachen, und ſeiner Klagen, als einer Sache, die ſie nichts angienge, ſpotten, ſich auch nachgehends je mehr und mehr von ihm abzie - hen, und ſich ſeiner ſchaͤmen. Hat ihn aber GOtt mit einen und andern zeitlichen Vortheilen begna - diget, ſo prahlet er nicht damit, wie einige thoͤrichte junge Leute zu thun gewohnt, die andere Leute mit ihren Ritter-Guͤtern, die ſie einmahl von ihren El - tern zu hoffen haben, mit den vornehmen Miniſtris, bey denen ſie in groſſen Gnaden ſtehen, und von de - nen ſie an dieſen Hof Recommendations Schrei - ben mitgebracht, mit den vielen Bedienten und der koſtbaren Equipage ihres Herrn Vaters und ihrer Frau Mutter, und vielen andern Dingen mehr, zu unterhalten pflegen. Sie gewinnen aber blut - wenig durch ihr Aufſchneiden: theils reitzen ſie den Neid und die Mißgunſt wider ſich, ſind ſie noch da - zu geitzig, ſo laden ſie einen allgemeinen Haß aufſich;209Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. ſich; theils bekommen ſie mehr gute Freunde, als ihnen lieb oder zutraͤglich iſt; ein jeder will von ih - rem Gluͤck und Einkuͤnfften Nutzen ziehen. Sie ſuchen ſie in die Spiel-Geſellſchafften zu locken, zu - mahl wo ſie mercken, daß ſie die Spiele nicht recht verſtehen; ſie bemuͤhen ſich, ſie zu mancher Ausga - be zu uͤberreden, deren ſie haͤtten koͤnnen uͤberhoben ſeyn, und lieben ſie auf eine Zeitlang um ihres Gel - des willen auf den Schein.
§. 12. Ein vernuͤnfftiger Menſch laͤſt an einem fremden Hofe dieſes ſeine erſte Sorge mit ſeyn, daß er die neigungen der Cavaliers und Dames erken - nen und beurtheilen lernt, damit er wiſſe, wie er ei - nem jeden, nach der Beſchaffenheit ſeines Humeurs, begegnen ſoll. Er macht ſich, nach den Merck - mahlen, was er von einer jeden Perſon ſiehet, hoͤret und obſerviret, und nach den Regeln der Kunſt, der Menſchen Gemuͤther zu erforſchen, ihre moraliſchen Portraite bekandt, laͤſt ſich aber doch von dieſem allem nicht das geringſte mercken.
§. 13. Er ſey an was vor einen Hofe er wolle, ſo gedencket er nicht, wie einige unverſtaͤndige junge Leute zu thun pflegen, des Unterſchieds der kleinen oder groſſen Hoͤfe, weil dieſes gar ein abgeſchmack - tes und unbedachtſam Raiſonement, und alle un - gleiche Urtheile nicht wohl aufgenommen werden. Von andern hohen Standes-Perſonen redet er je - derzeit mit Reſpect, und erwehnet nichts von ihren Fehlern, ob ſie ſchon oͤffentlich und Land-kuͤndig ſeyn ſolten. Wird er von andern Fuͤrſtlichen Per -Oſonen210I. Theil. VII. Capitul. ſonen ſelbſt darum befragt, ſo verdeckt und diſſimu - liet er dieſelben, ſo viel als moͤglich. Er beobach - tet auch eine gleiche Behutſamkeit, wenn von frem - den Miniſtris, oder ſonſt von andern adelichen oder vornehmen Familien, die Rede iſt, denn er weiß wohl, daß die Verleumdung ein zwar gemeines, aber doch jederzeit verhaßtes Laſter an Hoͤfen iſt. Bringt es die Gelegenheit des Diſcourſes mit ſich, daß er von jemand anders etwas urtheilen muß, ſo richtet er ſeine Urtheile jederzeit ſo ein, wie er ſie ge - denckt zu verantworten.
§. 14. So unſchuldig es anſcheinen moͤchte, an - dere Leute zu loben, ſo muß man dennoch auch dar - innen etwas ſparſam, und nicht allzu freygebig da - mit ſeyn. Es kan auch ein allzu groß Lob, das man dem andern beylegt, einen Nachtheil erwecken. Giebt man einem ein Lob, das er nicht verdient, ſo macht man ſich laͤcherlich, und verdient ers auch gleich, ſo wird es dennoch ſein Feind ſehr ungern anhoͤren, und einem dahero gehaͤßig werden, auch oͤffters wohl gar widerſprechen.
§. 15. Einige junge Leute bilden ſich ein, wenn ſie nach Hofe kaͤmen, muͤſten ſie alles, was ihnen nur in die Augen fiele, ungemein loben, da wiſſen ſie denn die Tapeſſerien, Spiegel, Gemaͤhlde, Zim - mer, u. ſ. w. ob gleich nicht viel Anſehen oder Ruhms daran zu ſpuͤhren, nicht genug herauszu - ſtreichen, ihren Redens-Arten nach, iſt alles gantz admirabel und incomparable. Sie erreichen aber bey ihrem uͤbermaͤßigen Lobe nicht allezeit denZweck,211Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. Zweck, den ſie ſich eingebildet. Jhre groſſe Ver - wunderung, die ſie bey dergleichen Gelegenheiten an Tag legen, wird vor ein Kennzeichen ihrer Ein - falt und Unwiſſenheit gehalten, und man glaubt von ihnen, daß ſie noch nicht gar viel muͤſten in der Welt geſehen haben. Weiß man aber ſonſt von ihnen, daß ſie in der Welt geweſen, ſo haͤlt man ſie vor Schmeichler und falſche Leute.
§. 16. Jſt es an einem Ort, da man noͤthig hat, ſeine Staͤrcke und Schwaͤche kennen zu lernen, und jene zu erweiſen, dieſe aber zu verbergen, ſo iſt es an den Hoͤfen, da man allenthalben mit den ſchaͤrffſten Aufmerckern umringet iſt. Es iſt nicht moͤglich, daß man von alle dem, was die heutige Welt von von einem Hof-Mann und galant homme erfor - dert, eine gleiche Erkaͤntniß haben kan, indem es ei - nem entweder an der Gelegenheit gefehlet, ſich auf dieſes oder jenes zu appliciren, oder an der Luſt und natuͤrlichen Geſchicklichkeit. Wenn einem nun die Herrſchafft, oder ein Miniſter, oder vornehme Da - me, zu einem und andern invitiren ſolte, worinnen wir doch keine Geſchicklichkeit erweiſen wuͤrden, ſo iſt es ja weit beſſer, wenn man ſich auf eine hoͤfliche Art entſchuldiget, ſeine Unwiſſenheit und Ungeſchick - lichkeit bekennt, als daß man aus einer allzu groſſen Begierde, ſich gefaͤllig zu machen, etwas unter - nimmt, ſo man nicht verſteht, und wobey man ſich zum Gelaͤchter macht. Es iſt ein groſſer Fehler, daß einige junge Leute dencken, ſie muͤſten der Herr - ſchafft, oder einigen Hofleuten zu Gefallen, allesO 2mit -212I. Theil. VII. Capitul. mitmachen, wozu ſie eingeladen wuͤrden, ob ſie ſchon ihre Schande hierbey an Tag legen ſolten. Sie wollen mitſchießen, ob ſie ſchon ſonſt faſt kein Ge - wehr in die Hand genommen; ſie wollen mit Bi - liard ſpielen, den Volanten ſchlagen, ob ſie wohl in dergleichen uͤber die Maßen ungeuͤbt, u. ſ. w.
§. 17. Hat ein junger Cavalier die Gnade, an die Fuͤrſtliche Tafel gezogen zu werden, ſo muß er ſich vorhero informiren, oder auch hernach Acht haben, ob es daſelbſt gewoͤhnlich und erlaubt, laut zu ſprechen, oder ob es dabey gantz ſtille zugehe, und ſich hierinne nach der Obſervanz und dem Hu - meur der Herrſchafft zu richten wiſſen. Bey ei - nigen Fuͤrſtlichen Tafeln wird ſehr wenig geſpro - chen, an andern hingegen gantz frey diſcourirt, und Fuͤrſtliche Herrſchafften ſehen es bißweilen gantz gerne, wenn ein Fremder, der vernuͤnfftig zu ſpre - chen weiß, ſie auf eine anſtaͤndige Weiſe mit Ge - ſpraͤchen bey der Tafel unterhaͤlt. Man muß hier - bey wohl wahrnehmen, ob die Herrſchafft en hu - meur ſey ſelbſt zu diſcouriren, oder den Diſcours anzuhoͤren, ingleichen ob ſie ſich in ihren Reden an uns oder an andere adreſſirt, befragt ſie uns etwas, und wir haben eine gnugſame Erkaͤnntniß von ei - ner Sache, ſo koͤnnen wir den Diſcours eine Zeit - lang fortſetzen, ſo lange wir mercken, daß es der Herrſchafft gelegen, doch muͤſſen wir auch wiſſen aufzuhoͤren, daß es nicht ſcheine, als ob wir an un - ſern eigenen Reden einen allzugroßen Gefallen haͤt - ten. Je mehr Wiſſenſchafft wir in dieſem oder je -nem213Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. nem beſitzen, und je bekandter ſolches den Herr - ſchafften ſelbſt, oder einigen von den Hof-Leuten iſt, je weniger muͤſſen wir Weſen davon machen; es koͤmmt ſchon die Zeit, daß uns andere darum befragen, und da haben wir alsdenn Gelegenheit durch einige wenige Worte einen großen Theil der Gelehrſamkeit zu erweiſen; es laͤſt ſonſt uͤberaus pedantiſch, wenn man mit ſeiner Erkaͤnntniß prah - len will.
§. 18. Vor allen Dingen muß man auch darin - nen ſein Naturell kennen, ob man ſeinen Leibes - und Gemuͤths-Kraͤfften nach vermoͤgend ſey, ein Glaß Wein zu vertragen, ohne ſich auf die eine oder an - dere Weiſe Verdruß und Unheil uͤber den Halß zu zu ziehen, und ſich ſelbſt noch beſitze, wenn man ei - nige Glaͤſer uͤber Durſt getruncken. Wer den Trunck nicht vertragen kan, handelt weit vernuͤnff - tiger, wenn er von der Fuͤrſtlichen Herrſchafft oder von den Hof-Leuten einige Reprochen in Nuͤch - ternheit anhoͤret, daß er ſich nicht berauſchen will, als in Trunckenheit ſolche Fehler begehet, die er in den folgenden ſchwerlich nnd faſt gar nicht wieder auszuwetzen vermag. Es iſt ein großer Jrrthum, wenn einige in den Gedancken ſtehen, als ob das Vollſauffen an den Hoͤfen unvermeidlich waͤre. Nun iſt es zwar wahr, daß ein jeder, der ein Lieb - haber von Trunckenheit iſt, an den Hoͤfen gute Ge - legenheit findet, uͤber den Durſt zu trincken, und zwar an einem Hofe mehr als an dem andeꝛn; Man muß aber nicht glauben, als ob ein jeder an dieſenO 3Oer -214I. Theil. VII. Capitul. Oertern zum uͤberfluͤßigen Trunck gezwungen wuͤr - de. Das unmenſchliche Forciren herrſchet mehr unter dem rohen Volck außer den Hoͤfen, als an Hoͤfen ſelbſt. Wer ſich in den uͤbrigen Stuͤcken manierlich aufzufuͤhren weiß, wird ſich weder bey Herrſchafft noch den Hof-Leuten in Diſrenomèe ſetzen, ob er ſchon eben nicht die groͤſten Humpen ausleeret.
§. 19. Einige von den jungen Leuten gedencken dadurch ihren Hof-Mann am beſten zu machen, wenn ſie ſich vor dem Geſicht der Durchlauchtig - ſten Herrſchafften, oder außer ihrem Geſichte in ih - ren Reden und Handlungen ſehr frey bezeugen. Da ſie gehoͤrt, daß man ſich allezeit an die vor - nehmſten adreſſiren ſoll, ſo ſuchen ſie zu ihrem Ge - ſpraͤch die vornehmſten Dames und groͤſten Mini - ſter auf, und verfolgen ſie faſt auf allen Tritten und Schritten. Ob nun wohl dergleichen frey - muͤthiges Weſen bey einigen, die ſich ſonſt ſehr qua - lificirt bezeugen, entweder in Anſehung ihrer uͤbri - gen Verdienſte, oder ihrer vornehmen Familie und Anverwandtſchafften wegen entſchuldiget wird, ſo iſt doch dergleichen allzugroße Freyheit andern jun - gen Leuten deswegen nicht als eine Regel vorge - ſchrieben; ſie werden vor allzu naſenweiß geachtet, legen ihren großen Hochmuth an den Tag, machen ſich bey andern Hof-Leuten, die ihnen gleichſam zu ihrem Umgang nicht gut genug ſind, gehaͤßig, und bekommen auch wohl bißweilen von einer Dame, oder von einem Miniſter, denen ihre Geſellſchafftnicht215Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. nicht ſtets gefaͤllig, eine Reproche mit Worten oder Geberden, die ſie einiger maßen beſchaͤmet macht.
§. 20. Andre hingegen, deren Anzahl faſt noch groͤßer, fallen auf den andern Abweg, ſie ſind allzu bloͤde und furchtſam, ſie gehen denen Hoͤhern und Vornehmſten ſtets aus dem Wege, und ſondern ſich entweder von den andern gantz und gar ab, oder halten ſich bloß zu den gerinſten des Hofes: Doch dieſe ſehen ſich noch weit ſchlechter vor, als jene, und erweiſen ihre Niedertraͤchtigkeit, weil ſie ſich ſelbſt nichts achten, ſo machen andere auch wieder nichts aus ihnen, ſie werden nach und nach immer un - wuͤrdiger geachtet, in hoͤhere Geſellſchafften gezo - gen zu werden, und verfallen endlich gar zuletzt in die Geſellſchafft der Pagen, die ſie mit Diſcourſen unterhalten.
§. 21. Ein junger Cavalier thut am beſten, wenn er auch hierinne die Mittel-Straſſe beob - achtet, und weder allzu frey noch zu bloͤde iſt, ſon - dern in ſeinen Handlungen eine ihm anſtaͤndige Sittſamkeit bezeigt. Er haͤlt ſich zwar in dem Umgange zu den Cavalieren, die nicht von dem al - lergroͤſten Range, ſondern ſeinen Umſtaͤnden etwas aͤhnlicher, als die andern, jedoch gehet er auch den Vornehmſten nicht aus dem Wege. Spuͤhrt er, daß ſie ſich gefallen laſſen, ihn in ihre Geſellſchafft mit zu ziehen, und mit ihn zu converſiren, ſo ach - tet er ſichs vor eine Gnade, und haͤlt ſich ſo lange bey ihnen auf, als er ſpuͤhrt, daß es ihnen gefaͤllig,O 4ihn216I. Theil. VII. Capitul. ihn bey ſich zu haben, oder mit ihm zu diſcouri - ren. Jnſonderheit bemuͤhet er ſich die Freund - ſchafft und Gewogenheit derer zu erlangen, die mit ihm von gleichen Metier, und haͤlt ſich am meiſten zu ihnen. Hat er in Studiis etwas gethan, ſo adreſſirt er ſich an diejenigen, die Liebhaber von der Literatur. Gedenckt er von dem Degen Pro - feſſion zu machen, ſo bemuͤhet er ſich einen ſolchen Hof-Mann aufzuſuchen, der etwan ſonſt ein Sol - dat geweſen, oder nebſt der Hof-Charge, wie an einigen Hoͤfen gewoͤhnlich, eine Militair-Charge zugleich mit begleidet. Hat er im Reiten einige Ge - ſchicklichkeit und Erkaͤntniß erlangt, da legt er bey dem Stall-Meiſter fleißig Viſiten ab, oder macht ſich mit dem Fuͤrſtlichen Bereuter wohl bekandt. Hat er ſich nun zu einem gewiſſer Metier ſattſam qualificirt gemacht, und die Gewogenheit eines Hof-Manns, der auch darinne geuͤbt iſt, uͤberkom - men, ſo kan er gewiß verſichert ſeyn, daß durch denſelben guten Freund ſeine Geſchicklichkeit bey der Herrſchafft und bey dem gantzen Hofe, ohne daß er noͤthig hat, ſelbſt etwas davon zu erweh - nen, ſattſam bekandt gemacht, und ausgebreitet wird werden.
§. 22. Man handelt allerdings wider den Wohlſtand, wenn man einige Hof-Bedienten vom geringen Rang und Character, zumahl wenn ihre Verdienſte ihren ſchlechten Umſtaͤnden gleich ſind, zu ſeinen Confidenten oder Cameraden er - wehlet; inzwiſchen ereignen ſich doch auch zuweilengewiſſe217Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. gewiſſe Faͤlle, da man zu Erreichung ſeiner Abſicht auf eine Zeitlang ſich um die Bekandtſchafft oder Freundſchafft geringerer Bedienten, die etwan bey der Herrſchafft oder bey einem großen Miniſter wohl angeſehen, bewerben / und dieſelben durch ein und ander Præſent unterhalten muß; Man hat hierinnen die Exempel der groͤſten Staats-Mini - ſter vor ſich, welche bißweilen eben dergleichen gethan. Der große Frantzoͤſiſche Staats-Mini - ſter, Monſieur de Calliéres, ſchreibt in ſeinem Staatserfahrnen Abgeſandten, p. 36. “Man hat zuweilen wohl Muſic-Verſtaͤndige und Saͤn - „ gerinnen geſehen, welche vermittelſt des freyen „ Zutritts bey großen Herren und deren Miniſter, „ ſehr große Anſchlaͤge entdeckt haben; nicht we - „ niger haben hohe Potentaten eine Art zwar kleiner, „ aber doch nothwendiger Bedienten, denen ſie ſich „ offtmahls vertrauen muͤſſen, und dieſe halten nicht „ allemahl Farbe, wenn man ihnen nicht zu rechter „ Zeit mit einer angenehmen Verehrung zu begeg - „ nen weiß. “ Man muß nicht allein Acht haben, was man bey Hofe vor Bekandtſchafften und Ge - ſellſchafften erwehle, ſondern man muß auch be - hutſam ſeyn, daß man nicht in der Fuͤrſtlichen Re - ſidentz ſich an ſolche Leute adreſſire, oder in ſolche Haͤuſer gehe, die bey Hofe nicht wohlangeſehen, und dadurch eines Renomme einiger Schand - fleck koͤnne zuwege gebracht werden.
§. 23. Sind beſondere Luſtbarkeiten und Feſti - vitæten bey Hofe, ſo muß ein junger Cavalier nichtO 5un -218I. Theil. VII. Capitul. unterlaſſen, denſelben mit beyzuwohnen; Denn hier ſiehet er den Hof in ſeiner groͤſten Splendeur, und hier kan er am meiſten lernen, was zu den Hof - Manieren erfordert wird, zumahl wenn fremde Fuͤrſtliche Herrſchafften zugleich mit ankommen. Zu dem Ende, muß er auch ein oder ein paar Gala - Kleider mit bey ſich fuͤhren, denn ſonſt wo er ſich nicht an einem Hofe lange genug aufgehalten, oder vornehme Connoiſſacen hat, wird es ihm bißwei - len ſchwehr fallen, von der Wache, um eine und an - dere oͤffentliche Handlung mit anzuſchauen, einge - laſſen zu werden. Zu dem Ende muß er ſich auch bey Zeiten um ein Billet bekuͤmmern, wenn welche ausgegeben werden.
§. 24. Bey den Bunte-Reyhen muß er ſich an - gelegen ſeyn laſſen, die ihm auf einige Stunden durchs Looß zugetheilte Dame mit Diſcourſen ge - hoͤrig zu unterhalten, ſich ihr gefaͤllig zu erweiſen, und nach ihrem Stand und Character alle erſinn - liche Aufwartung zu leiſten. Spuͤhrt er, daß ſie gerne diſcourirt, oder diſcouriren hoͤrt, ſo muß er ſie mit Diſcourſen entreteniren, wo aber nicht, ſo muß er ſchweigen; Bey der Tafel muß er ſorgen, daß ſie mit allem wohl bedient werde, er muß ſie nach Gelegenheit entweder auf den Wagen fuͤh - ren, oder gar biß in ihr Hauß begleiten.
§. 25. Jn Beforſchung und Beobachtung des Ceremoniels kan er nicht vorſichtig und accurat ge - nug ſeyn, wiewohl man an einem Hofe immer eine freyere und ungezwungenere Lebens-Art hat, als andem219Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. dem andern. Nimmt ein Fremder bißweilen nicht einen gewiſſen Schritt oder in Raͤumgen in Acht, wie es durch die Obſervanz eingefuͤhrt, ſo macht er ſich durch eine ſolche Kleinigkeit bey man - chen Hof-Leuten, zumahl bey den jungen, laͤcherlich. Hat er bie Gnade, eine hohe Standes-Perſon vom weiblichen Geſchlecht zur Tafel zu fuͤhren, ſo muß er ſich vorher genau erkundigen nach dem gewoͤhn - lichen und eigentlichen Platz, wo er ſie bey der Tafel wieder von der Hand laffen ſoll. Laͤſt er ſie etwan ein paar Schritt eher loß, als ſonſt a l’ord’nair von dem Cavalier, der ſie zur Tafel fuͤhrt, zu ge - ſchehen pflegt, ſo finden ſich alſobald Leute, die ſich uͤber eine ſolche Kleinigkeit, ob wohl ohne Raiſon, aufhalten.
§. 26. Dafern er nicht mit einem gelehrten Hof - Mann in einem gelehrten Diſcours begriffen, oder gewiſſe jederman bekandte Kunſt-Woͤrter zu nen - nen hat, die in der Teutſchen Sprache gleichſam ihr Buͤrger-Recht ſchon gewonnen, ſo prahl er ja nicht mit der Lateiniſchen Sprache. Dieſe gilt wahrhafftlg in den Antichambren und bey den Tafeln vieler Fuͤrſtlichen Hoͤfe in Teutſchland heu - tiges Tages blutwenig. Kommt er etwan gar mit einer lateiniſchen Sentenz angezogen, ſo ge - geſchicht dieſes, und wenn ſie ſeiner Einbildung nach noch ſo gut angebracht waͤre, doch allezeit mal à propos.
§. 27. Die Frantzoͤſiſche iſt zwar, wie bekandt, an den Hoͤfen beliebter und mehr eingefuͤhrt, eshandeln220I. Theil. VII. Capitul. handeln aber einige von unſern jungen Cavaliers, zumahl die nur aus Franckreich zuruͤck gekommen, ebenfalls wider den Wohlſtand, wenn ſie entwe - der ohne Unterſcheid Cavaliers nnd Dames bey Hofe darinnen anreden, oder mitten unter ihren teutſchen Reden, eine große Menge Frantzoͤſiſcher Redens-Arten mit einſtraͤuen, auch wohl bald Frantzoͤſiſch bald Teutſch unter einander reden, und doch vorhero nicht Erkundigungen und Nach - richt eingezogen, ob auch diejenigen, mit denen ſie ſprechen, der Frantzoͤſiſchen Sprache vollkommen maͤchtig und kundig ſind; Es iſt auch bey dieſer Regel eine und die andere Ausnahme zu finden. Einige Fuͤrſtliche Perſonen ſehen es nicht gerne, wenn Frantzoͤſiſch geſprochen wird. Manche Ca - valiers und Dames ſind dieſer Sprache nicht ſo faͤhig, daß ſie dieſelbe frey und gerne reden ſol - ten, es ſey nun, daß ſie dieſelbe wieder vergeſſen, oder nicht Gelegenheit gehabt, ſie zu lernen. Wenn ſie nun einen Cavalier, der ſie Frantzoͤſiſch anredet, und eine ſehr große Fertigkeit darinnen beſitzt, ihre Unwiſſenheit darinnen bekennen ſollen, ſo geſchicht ihnen hiedurch kein Gefallen.
§. 28. Jn der Kleidung muß ein junger Cavalier, der nach Hofe kommt, nichts beſonders affectiren, und nicht der erſte ſeyn, der eine beſondere und na - gel-neue Mode mit nach Hofe bringt; er bezeigt hiedurch ſein zu dergleichen Galanterien und Eitel - keiten allzu geneigtes Gemuͤth; er erweckt ſich bey den andern Hof-Leuten Haß, daß er ihnen etwasneues221Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. neues und unbekandtes lehren wolte, er weiß ja nicht, ob dieſe Mode an dem Hofe Beyfall finden werde, oder nicht; macht ſich vielen, bevor ſie erfah - ren, daß dieſe Art, ſich ſo zu kleiden, in Franckreich erfunden worden, inzwiſchen laͤcherlich, und thut alſo am beſten, wenn er ſich ſo kleidet, wie ſich andere Hof-Leute zu kleiden pflegen.
§. 29. Endlich will ich auch, zum Beſchluß dieſes Capituls, einem jungen Menſchen wohlmeynend an - gerathen haben, daß er ſich ja nicht bey Hofe in die Spiele einlaſſen ſoll, wenn er ſie nicht gruͤndlich ver - ſtehet; denn hier iſt der Ort, wo auch gute und er - fahrne Spieler meiſtentheils ihre Meiſter finden. Verſtehet er aber die Spiele, und hat Zeit, Luſt und Geld darzu, die Spiele abzuwarten, ſo kan er auf eine ſolche Art ſpielen, daß er ſich nicht in Unzu - friedenheit dadurch ſtuͤrtze.
§. 1.
DAs Hof-Leben iſt eine Verſammlung vie - ler klugen Leute, die ihre Handlungen zum Vergnuͤgen ihrer Herrſchafft einrichten wollen, eine Werckſtatt der Politeſſe, eine Schule der Gedult, eine praͤchtig ſcheinende Scla - verey, und ein Sammel-Platz des Neides und derMiß -222I. Theil. VIII. Capitul. Mißgunſt. Solte das bekandte Lateiniſche Sprich - wort: Exeat aulâ qui vult eſſe pius, allenthalben ſeine Wahrheit und Richtigkeit haben, ſo wuͤrde man keinen eintzigen gottesfuͤrchtigen Menſchen an einem Hofe antreffen. Jch halte aber dasjenige, was der alte und wohlerfahrne Hof-Mann Gue - varra, in ſeiner Beſchreibung des Hof-Lebens, von dieſer Materie anfuͤhrt, vor wohlgegruͤndet, wenn er p. 20. ſchreibt: Was ſoll ich viel ſagen wir ſe - hen, daß ſo wohl bey Hofe, als in den Staͤdten, ſo wohl auf dem Lande, als in der Wuͤſten, die From - men fromm, und die Boͤſen boͤſe ſind. Die Boͤſen und Gottloſen ſuchen allenthalben Ort und Stelle, gottloß zu ſeyn; die Frommen und Tugendſamen aber finden allenthalben Zeit und Gelegenheit, fromm zu ſeyn. Es iſt kein Stand in der Chriſtli - chen Kirche, worinnen man nicht koͤnne ſelig ſterben, und iſt auch kein Stand ſo ſtrenge und eingezogen, worinnen ſich nicht Gelegenheit ereignet, verdammt zu werden. P. 104. laͤſt er ſich folgender Geſtalt vernehmen: Es iſt nicht zu laͤugnen, daß viel Leute an Fuͤrſtlichen Hoͤfen koͤnnen ſelig werden; ſo geb ich auch zu, daß viele auſſerhalb des Hofes ver - dammt werden. Doch bin ich gleichwohl der be - ſtaͤndigen Meynung, weil bey Hofe die Gelegenheit zu ſuͤndigen ſich in ſo groſſem Uberfluß ereignet, daß die Frommen daſelbſt gar duͤnne geſaͤet ſeyn muͤſ - ſen.
§. 2. Die hohen Beyſpiele der Herrſchafften und Vorgeſetzten ſind zwar die kraͤfftigſten Bewe -gungs -223Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. gungs-Gruͤnde, die Hertzen der meiſten Hof-Leute zur Tugend der Gottesfurcht, und Abſtattung der andern Pflichten, zu lencken, oder davon zuruͤck zu ziehen; Jnzwiſchen finden ſich dennoch auch hin und wieder einige rechtſchaffene Seelen an den Hoͤ - fen, die das gottloſe Sprichwort vieler Hof-Leute, Herren Dienſt, geht uͤber GOttes Dienſt, mit gu - tem Grunde verkehren, und nicht ſo wohl mit bloſ - ſen Worten, als vielmehr in der That ſelbſt bezei - gen, daß GOttes Dienſt uͤber Herren Dienſt gehe, und man GOtt mehr gehorchen muͤſſe, als den Menſchen. Sie ſehen hierbey nicht ſo wohl auf die Exempel ihrer Herrſchafften, und die groſſe Menge ihrer Cameraden, als vielmehr auf den goͤttlichen Befehl, und ihre eigene Seele, vor die ſie Rechenſchafft geben muͤſſen. Sind ihre hoͤch - ſten Vorgeſetzten ſelbſt ihnen ruͤhmliche Vorgaͤn - ger auf dem Wege der Gottſeligkeit, ſo wird hier - durch ihr Chriſten-Eifer immer feuriger, und ihr Verlangen, GOtt uͤber alles zu fuͤrchten und zu lie - ben, je mehr und mehr angeflammt. Sehen ſie, aber zu ihrer Bekraͤnckung, daß ihre Herrſchafften ſich verlauffen, und einen Weg gehen, der nicht gut iſt, ſo beten ſie vor ihre Bekehrung, und laſſen ſich deswegen in dem Lauff ihres Chriſten-Wandels nicht irre machen, bemuͤhen ſich auch darneben, wo es der Reſpect erlauben, und die Zeit und Gelegen - heit mit ſich bringen will, an dem Seelen-Heyl ih - rer Herrſchafften mit zu arbeiten. Die groſſe Menge der gottloſen Diener hilfft manche Herr -ſchafft224I. Theil. VIII. Capitul. ſchafft in ihrem boͤſen Vorſatz verſtaͤrcken. Haͤt - ten nicht viel Hof-Leute eine ſo groſſe Menſchen - Furcht, oder einen ſo blinden Gehorſam gegen ihre Vorgeſetzten, ſo wuͤrden auch manche Herrſchaff - ten, durch die Exempel ihrer Diener, von ihrem boͤ - ſen Wege koͤnnen abgeleitet werden.
§. 3. Es iſt ſehr betruͤblich, daß viele von den Hof-Leuten, die ſich doch dabey vor rechtglaͤubige Evangeliſch-Lutheriſche Chriſten halten, in den Ge - dancken ſtehen, als ob ein guter Hof-Mann und ein glaͤubiger Chriſt unmoͤglich mit einander vereiniget ſeyn koͤnnen. Doch dieſe elenden Leute machen ſich einen falſchen Begriff von ihrem guten Hof-Mann, und auch einen falſchen Begriff von den Hoͤfen, oder vielmehr von den Haͤuptern der Hoͤfe und den Re - genten. Sie verſtehen durch ihren guten Hof - Mann einen ſolchen, der in allen ſeinen Handlun - gen ſich nach den laſterhafften Neigungen ſeiner Herrſchafft richtet, und nichts anders zum Ziel hat, als zu allen Zeiten ſich ſeiner Herrſchafft gefaͤllig zu bezeigen, er mag nun ſich oder ſeine Herrſchafft dar - uͤber gluͤcklich oder ungluͤcklich machen, es mag dieſe oder jene Handlung mit GOttes Wort uͤberein - ſtimmen, oder demſelben zuwider ſeyn. Sie neh - men dabey ſolche Regenten an, die GOttes und ſei - nes Wortes ſpotten, und in offenbarer Gottloſigkeit leben. Jedoch, dergleichen Leute ſind in ihrem Hertzen ſelbſt viel boͤſer, als viele Regenten ſelbſt, deren Hoͤfe ſie ſich vorſtellen. Es hat ja, GOtt Lob! zu allen Zeiten, in Teutſchland, und in den an -dern225Von dem Hof-Leben. dern Europaͤiſchen Provintzien, Chriſtliche und tu - gendhaffte Regenten gegeben, und giebet deren noch. Und geſetzt, daß auch manche Herrſchafft die Erfuͤllung ihrer eigenen Luſt, zur Richtſchnur ih - res Thuns und Laſſens, annehmen ſolte, und dabey GOtt und die Religion aus den Augen ſetzen, ſo wird es ihr doch nicht allezeit gefallen, wenn ihre Diener alle ihre Befehle auf eine unbeſonnene Art ausrichten, und den groſſen GOtt dabey gaͤntzlich aus den Augen ſetzen wollten. Groſſe Herren lie - ben bißweilen die Laſter, haſſen aber die Laſterhaff - ten. Es hat wohl eher ein Hof-Mann uͤber dem Unternehmen einer gottloſen Handlung einen un - vermutheten Abſchied bekommen, mit dem Zuſatz, daß man ſich von demjenigen, der GOtt nicht ge - treu waͤre, keine treuen Dienſte verſprechen koͤnte. Manche Herrſchafft ſtellt ihre Diener bey dieſem oder jenem auf die Probe, ſie erkennet das Unrecht dieſer oder jener That vorher, und ihr Befehl hiezu iſt nicht recht ernſtlich, mehrmahls aber nachher, ſie ſchaͤmen ſich ihrer ertheilten Ordre, die geſchehene Mißhandlung gereuet ihnen, und iſt unwillig, daß ihre Diener einen ſo blinden Gehorſam geleiſtet.
§. 4. Ob nun ſchon die Hof-Regeln und die Regeln des Chriſtenthums nicht allezeit mit einan - der uͤbereinſtimmen, ſo iſt dennoch aus der Erfah - rung der aͤltern und neuern Zeiten, aus geiſtlichen und weltlichen Geſchichten bekandt, daß einige gute Hof-Leute auch zugleich wahre Glaͤubige geweſen, und ihren GOtt gefuͤrchtet und geliebet. Es flieſ -Pſet226I. Theil. VIII. Capitul. ſet auch nichts aus einer vernuͤnfftigen Erklaͤrung eines guten Hof-Mannes, das wider die Pflichten des Chriſtenthnms ſtreiten ſolte. Nach meinem Begriff, iſt ein guter Hof-Mann derjenige, der die gehoͤrige Geſchicklichkeit beſitzt, ſeiner Bedienung wohl fuͤrzuſtehen, in ſeinem Amte ſeiner Herrſchafft alle treue und moͤgliche Dienſte leiſtet, die Befoͤr - derung ihrer wahren Vollkommenheit ſtets vor Au - gen hat, und, auf dem Nothfall, willig und bereit iſt, Leib und Leben, und alle ſein Vermoͤgen zu dem Dienſt ſeiner Herrſchafft aufzuopffern. Alles die - ſes kan ja auch von einem guten Chriſten geleiſtet werden. Wer ſich in allen andern Stuͤcken, als ein treuer Diener und guter Hof-Mann bezeiget, wird ſich bey ſeiner Herrſchafft in ſolche Liebe und Anſehen ſetzen, daß er auch hernach bey demjenigen Ungehorſam, da er dem HErrn aller Herren und Koͤnig aller Koͤnige, einem ſterblichen Menſchen vor - ziehet, deſto eher Entſchuldigung und Diſpenſation finden wird. Es werden wenig Herrfchafften ſeyn, die einem geſchickten, emſigen und getreuen Diener, der ihnen in allen Stuͤcken mit der groͤſten Ehrer - bietung begegnet, und auch die Handlungen die er wider die Gebote GOttes unternehmen ſoll, nach den Regeln der Hof-Klugheit, mit der groͤſten Sub - miſſion deprecirt, bloß um ſeiner Gottesfurcht wil - len den Abſchied ſolten geben. Und wenn einem guten Hof-Mann auch dergleichen begegnen ſolte, ſo wird er doch an andern Hoͤfen gar leicht wieder unterkommen, und alſo doch ein guter Hof-Mann bleiben.
§. 5.227Von dem Hof-Leben.§. 5. Chriſtliche Hof-Leute ſuchen und finden auch bey Hofe, und mitten unter dem Schwarm der Welt, Gelegenheit, ihrem GOtt zu dienen. Jhr Leib iſt bey Hof, ihr Hertz aber bey GOTT. Die Worte: Wandele vor mir, und ſey fromm, erſchallen ſtets in ihrer Seele. Sie enthalten ſich zwar bey dem rohen Hauffen der gottſeligen Dis - courſe, denn ſie wiſſen wohl, daß man das Heilig - thum nicht vor die Hunde, und die Perlen nicht vor Saͤue werffen ſoll, machen ſich aber dasjenige Tempo, da ſie bey ihren Cameraden einmahl ei - nen guten Zug zur Gottſeligkeit ſpuͤhren, wohl zu Nutze. Sie koͤnnen ſich auch bey Hofe in dem Wort GOttes erbauen: Jch habe ſelbſt einige Chriſtliche Hof-Leute und Cavaliers gekandt, die allezeit ein Frantzoͤſiſch oder Teutſch geiſtreich Tra - ctaͤtgen zum Heyl ihrer Seelen bey ſich fuͤhrten, und zu der Zeit, wenn die Durchlauchtigſte Herr - ſchafft ihrer perſoͤnlichen Aufwartung und Gegen - wart nicht noͤthig hatte, in dem Vorgemach darin - nen laſen, ſich daraus erbaueten, und es hingegen, wenn ihre Aufwartung ſich wieder anfieng, ein - ſteckten.
§. 6. Sie bemuͤhen ſich auch, ihre Sonn - und Feyertage zu heiligen, und wenn ſie ſchon mit ihren Coͤrpern mitten unter dem Welt-Getuͤmmel ſeyn muͤſſen. Sie ſehen vornemlich auf den Sabbath ihrer Seelen. Sie entziehen ſich bey dieſen Ta - gen allen Eitelkeiten und Thorheiten, wo ſie wiſſen und koͤnnen. Da ſie aber Zuſchauer dabey mitP 2abge -228I. Theil. VIII. Capitul. abgeben muͤſſen, ſeuffzen ſie in ihrem Hertzen zu GOtt, daß er ſich doch der armen blinden Leute, die ihn nicht kennen, und ſeinen Ruhe-Tag enthei - ligen, erbarmen, dieſe ihre Suͤnde um Chriſti wil - len ihnen nicht zurechnen, und ſie bekehren wolle! ſie beklagen, daß dieſe Tage, die GOtt gewidmet ſeyn ſolten, der Welt, oder wohl gar dem Teuffel aufgeopffert werden, und ſehen, wo ſie unter den Hof-Leuten auch noch eine gottſelige Seele finden, mit der ſie ein Chriſtlich Geſpraͤch halten koͤnnen.
§. 7. Naͤchſt der Gottſeligkeit laͤſt ein junger Cavalier bey Hofe, der mit der Zeit ein vollkommen guter Hof-Mann werden will, ſeine vornehmſte Sorge dahin gerichtet ſeyn, wie er die Qualitaͤten, die ihm zu ruͤhmlicher Begleitung ſeiner Hof-Dien - ſte noͤthig ſind erlangen moͤge. Er bemuͤhet ſich, die Freundſchafft eines alten Hof-Mannes, der lange Zeit um die Herrſchafft geweſen, und ihr Ge - muͤthe kennet, und wenn es auch ſchon nicht einer von den vornehmſten ſeyn ſolte, zu erlangen; er weiß wohl, daß bißweilen eine ſehr geringe Sache iſt, dadurch man ſich bey einer Herrſchafft gefaͤlli - ger, oder auch ihr mißfaͤllig macht, und die man doch, nach allen Regeln der politiſchen Klugheit, nicht errathen kan.
§. 8. Mit ungeſchickten oder unvernuͤnfftigen Hof-leuten gehet er nicht weiter um, als es ſein Beruff, die Nothwendigkeit oder der Wohlſtand erfordert, und laͤſt ſich mit ihm in keine Vertrau - lichkeit ein. Daß man nicht lauter manierlicheLeute229Von dem Hof-Leben. Leute an Hoͤfen finde, iſt zu allen Zeiten wahr ge - weſen, und bezeuget es Guevarra zu ſeiner Zeit in ſeiner Beſchreibung des Hof - und Land-Lebens, p. 73. wenn er ſchreibt: Nach Hofe begeben ſich vieler großer Herren Soͤhne, welchen beſſer waͤre, hinter dem Ofen zu ſitzen, als ſich in Fuͤrſtliche Dienſte zu begeben, denn ſie ſind entweder grob, unerfahren und unhoͤflich, oder ſie halten ſich nicht ſauber in Kleidung, ſind abgeſchmackt und laͤppiſch in ihren Diſcourſen, verdrießlich in der Com - pagnie, eſſen wie die Bauern, ſind unhoͤflich gegen das Frauenzimmer, und laſſen in allen ihrem Thun und Laſſen den Toͤlpel ſehen.
§. 9. Sein vornehmſtes Studium laͤſt er ſeyn, den Humeur ſeiner Herrſchafft auszuforſchen, ihre Neigungen kennen zu lernen, und ſich in allen ſeinen Worten und Handlungen, ſo weit es dem Gewiſſen nicht zuwider, ſeiner Herrſchafft gefaͤllig zu erwei - ſen. Er laͤſt ſich im geringſten nicht mercken, daß er an ihren Geheimniſſen Theil haben wolle, im - maßen viele darinnen ihren Untergang gefunden, daß ſie ſich zu Vertrauten haben gebrauchen laſſen. Gracian ſagt in ſeinem Hof-Mann in der 237. Maxime: Viele ſchmeißen die Spiegel in Stuͤ - cken, deſſen Anſchauen ſie ihrer Hoͤfligkeit erinnert. Ein Printz kan denjenigen nicht wohl vor Augen ſe - hen, der ihm ſo genau hat anſehen koͤnnen, und nie - mand kan denjenigen, von dem er weiß, daß er et - was Boͤſes von ihm geſehen, mit gleichen Augen anſehen.
P 3§. 10.230I. Theil. VIII. Capitul.§. 10. Er bemuͤhet ſich, die ihm vorgeſchriebene Pflichten, nach aller Moͤglichkeit zu erfuͤllen, und ſich auf keinerley Weiſe die Ungnade ſeiner Herr - ſchafft uͤber den Halß zu ziehen, jedoch beſtrebet er ſich nicht mit aller Gewalt einen Favori oder Mi - gnon abzugeben. Eine maͤßige Gnade und ein maͤßig Gluͤck achtet er vor weit ſicherer und dauer - haffter, als eine allzugroße Gnade; denn wenn die Hof-Sonne am allerheißeſten ſcheinet, ſo kan man gar offt eines truͤben Sturmes deſto eher vermu - thend ſeyn. Jſt er aber zu einer beſondern Gnade kommen, ſo uͤberhebet er ſich nicht ſeines Gluͤckes, er laͤſt ſich hiedurch zu keiner Familiaritæt verleiten, ſonder beobachtet allezeit den Reſpect, den er ihr ſchuldig iſt, je mehr Ehrerbietung er gegen ſeine Herrſchafft bezeuget, je mehr bleibt er auch ſelbſt bey Ehren. Er iſt ſo wohl zu dieſer Zeit, als zu ei - ner andern, gegen einen jeden hoͤflich und leutſeelig, er giebt niemand an, ſondern entſchuldiget einem je - den, ſo viel als die Pflicht und das Gewiſſen zulaſſen will. Er mißbraucht die Gnade der Herrſchafft nicht zu Saͤttigung ſeines Eigennutzes, ſondern be - dienet ſich derſelben mehr zu dem Dienſt ſeines Naͤchſten, ſo erwuͤrbet er bey Hofe, und in der Stadt deſtomehr Liebe und Freundſchafft, und entgehet dem Neid. Ein jeder wuͤnſcht ihm ſo dann die Verlaͤngerung und Vergroͤßerung ſeines Gluͤcks, und macht ſich bey einem ploͤtzlichen entſte - hendem Unfall auf einige Bedeckung gefaſt.
§. 11. Ein junger Hof-Mann thut wohl, wenner231Von dem Hof-Leben. er ſich uͤber ſeine Inſtruction und Beſtallung, die er erhalten, die mancherley Hof-Ordnungen be - kandt macht, als die Rang-Ordnungen, die Ord - nungen wegen der Trabanten, wegen der Gemaͤ - cher, die Kuͤchen - und Keller-Ordnungen, und ſo viel als er nur deren aus dem Hof-Marſchall-Amt erlangen kan. Lauffen ſie gleich nicht alle in die - jenige Pflicht mit ein, die von ihm gefordert wird, ſo koͤnnen ſie ihn doch bey beſondern Faͤllen einen und andern guten Dienſt leiſten. Er weiß wie weit ſich die Grentzen dieſes oder jenes Hoͤhern er - ſtrecken und was vor mancherley Pflichten bey den mancherley Verfallenheiten von den Geringern er - fordert werden, und kan ſich alſo durch eigenes Nachſinnen mancherley Regeln und Anmerckun - gen machen, dadurch der gemeinſchafftliche Nutzen und die Ehre ſeiner Herrſchafft befoͤrdert wird.
§. 12. Gleichwie eine unzeitige und unnoͤthige Curioſitaͤt eine ſehr verhaßte Sache bey Hofe iſt, alſo bezeugt ein vernuͤnfftiger Hof-Mann kein Ver - langen dasjenige zu entdecken, und zu erfahren, was andere, ſie ſeyn wer ſie wollen, inſonderheit aber die Hoͤhern, ſecretirt wiſſen wollen. Er gehet wohl gar den Umſtaͤnden, die ihm Gelegenheit gaͤben, et - was zu entdecken, aus dem Wege, aus Furcht, vor keinen Spion oder neugierigen Menſchen angeſe - hen zu werden; Siehet und hoͤret er etwas von ohngefehr und wider ſeinen Willen, ſo ſtellt er ſich an, als ob er nichts geſehen noch gehoͤrt; Durch dieſe Conduite entlediget er ſich mancher verdruͤß -P 4lichen232I. Theil. VIII. Capitul. lichen Umſtaͤnde, die er ſich ſonſt uͤber den Halß gezogen haͤtte.
§. 13. Er menget ſich niemahls in die Streitig - keiten der Hof-Partheyen, die ſie unter einander haben, hilfft allenthalben den Frieden befoͤrdern, entſchuldiget des Naͤchſten ſeine Fehler, iſt kein Ohrenblaͤſer noch Achſeltraͤger, und bezeuget ſich gegen einem jeden dienſthafftig und leutſeelig. Sind auf einem Schloße oder in derſelben Reſi - dentz Fuͤrſtliche Anverwandten wohnhafft, die in einigen Streitigkeiten mit einander ſtehen, ſo bezeu - get er auch in dieſem Stuͤck, der Herrſchafft, bey der er in Dienſten ſtehet, die vollkommenſte Treue, er entdecket der andern nichts, was zum Nachtheil oder zum Verdruß ſeiner Herrſchafft gereichen koͤnte, und wann er von der andern auch die aller - groͤſte Belohnung zu erwarten haͤtte, oder die buͤn - digſten Verſicherungen erhalten ſolte, daß ſie es wolten bey ſich behalten, und ihm keinen Verdruß hieruͤber zuziehen.
§. 14. Da er weiß, daß ein nothwendig Stuͤck eines Hof-Manns ſey, einen vernuͤnfftigen und ma - nierlichen Diſcours zu fuͤhren, um ſich bey der Herrſchafft, bey den Dames, bey den Miniſtres, und allenthalben gefaͤllig zu erweiſen, ſo befleißiget er ſich ſolcher Erzehlungen, Curioſitæten und Merckwuͤrdigkeiten, die entweder ueu, oder doch ſonſt anmuthig und ſonderbahr ſind. Zu dem Ende unterhaͤlt er, daferne es ſeine Umſtaͤnde erſtat - ten wollen, einige Correſpondence, er lieſet unter -ſchie -233Von dem Hof-Leben. ſchiedene in der teutſchen oder auslaͤndiſchen Spra - chen geſchriebene Memoires, Journalen, Reiſe - Beſchreibunge, Poeſien, u. ſ. w. damit er bey Ge - legenheit in ſeiner Converſation eines und das an - dere mit anbringen kan, und nicht noͤthig habe, bloß von Hunden, von Pferden, neuen Moden, l’hombre-Spielen zu reden, oder ſich uͤber andere Leute aufzuhalten, oder uͤber einen und andern Punct, ſo er in den Zeitungen geleſen, einige abge - ſchmackte Gloſſen zu machen. Er beobachtet aber hiebey folgendes, er enthaͤlt ſich aller unnoͤ - thigen Wiederhohlungen, erzehlet eine Sache nur einmahl, und iſt ſtets auf etwas Neues bedacht, er uuterhaͤlt einen jeden auf eine ſolche Weiſe, die ihm angenehm, und ſich vor ihm ſchickt, er entdeckt nicht die Qvellen, woraus er ſeine Erzehlungen biß - weilen herleitet, er giebet Acht, ob der ander lieber zuhoͤrt, als ſelbſt redet, er bezeuget in ſeinem Reden keine Begierden einen Lehrer abzugeben, ſondern ein Verlangen, ihm Gefaͤlligkeit zu erweiſen, er er - zehlt mehr, als daß er moraliſirt, er laͤſt ſich angele - gen ſeyn, nichts falſches noch ungegruͤndetes zu melden, und bey ungewiſſen Erzehlungen giebt er Nachricht von ſeinen Urhebern.
§. 15. Weil ein Hof-Mann mit mancherley Art Leuten zu ſprechen hat, die theils von Studiis, vom Degen, theils vom Jagen, theils von der Reu - terey Profeſſion machen, theils auch auf nichts an - ders, als aufs Spielen, und auf die Galanterien le - gen, ſo lenckt er ſeinen Diſcours dahin, wie es desP 5andern234I. Theil. VIII. Capitul. andern Faͤhigkeit und Neigung gemaͤß; So kan der andere ſchwatzen, was er will, und er findet Ge - legenheit, eines und das andere dabey zu lernen. Jſt es gleich ſeinen Umſtaͤnden nicht gemaͤß, ſich auf mancherley Kuͤnſte, Wiſſenſchafften, oder Metiers, die unter den Hof-Leuten beliebt ſind, zu appliciren, ſo lernt er doch ſo viel, daß er die im Reden ſtets vorfallenden Kunſt-Woͤrter verſtehet, und ſie bey Gelegenheit am rechten Ort und zu rechter Zeit an - zubringen weiß, damit er nachgehends nicht ausge - lacht werde.
§. 16. Weil die neueſte Hiſtorie der Fuͤrſtlichen Haͤuſer, und das Studium Genealogicum an allen Hoͤfen beliebt ſind, und in der Converſation gar oͤffters vorkommen, ſo bemuͤhet er ſich, eine gnugſa - me Erkaͤntniß in dieſem Studio zu erlangen, und die Genealogiſchen Tabellen der Europaͤiſchen Puis - ſancen, inſonderheit aber der Teutſchen Fuͤrſtlichen Haͤuſer, und am meiſten derjenigen, mit denen ſeine Herrſchafft in hoher Anverwandtſchafft ſtehet, ſtets in guter Ordnung zu erhalten, ſie zu ſuppliren und zu continuiren. Mit dieſen verbindet er die Heral - dica und das Jus Publicum, damit er wiſſe, was ſich etwan, nach des einem oder anderm Abſterben, in dem Succeſſions-Weſen merckwuͤrdiges zutra - gen, oder vor eine Prætenſion von dieſem oder je - nem Potentaten formirt werden moͤchte. Uber - dieſes leget er ſich auch auf die Erkaͤntniß der Muͤn - tzen, und auf die Ceremoniel-Wiſſenſchafft, damit er bey den oͤffentlichen Handlungen und Solennitaͤ -ten235Von dem Hof-Leben. ten deſto aufmerckſamer ſeyn moͤge, und den Grund anzuzeigen wiſſe, woher dieſes oder jenes, welches einem andern unbekandt, zu entſpringen pflege.
§. 17. An manchen Hoͤfen wird an die man - cherley Divertiſſemens eben ſo viel gedacht, als an die ernſtlichen Handlungen. Befindet er ſich nun an einem ſolchen Hofe, ſo iſt er bemuͤhet, wie er bey mancherley Luſtbarkeiten, als Opern, Comœdien, Maſqueraden, Redouten, Baͤllen, Wirthſchafften, Schaͤfer-Spielen, Illuminationen, Feuerwercken, Schneppenſchieſſen, Schlittenfahrten, Aufzuͤgen, Einzuͤgen, Carraſellen, Damen-Rennen, Inven - tions-Tafeln, und viel andern dergleichen, entwe - der durch Huͤlffe des Zeichnens und der Bau-Kunſt eines und das andere dabey mit angeben und ver - beſſern, oder doch zum wenigſten gruͤndlich davon zu urtheilen, und hiſtorice manches daruͤber herzu - ſagen wiſſe.
§. 18. Die Oratorie iſt vor einem Hof-Mann ein nuͤtzlich Studium. Ob es ſchon heutiges Tages nicht mehr ſo gebraͤuchlich, als vor dieſem, daß bey Empfangung und Bewillkommung fremder Herr - ſchafften auf den Grentzen weitlaͤufftige und ſolenne Reden gehalten werden, und man es in dieſem Fall bey einem kurtzen Compliment bewenden laͤſt, ſo ereignen ſich doch mancherley Gelegenheiten, daß ein Cavalier, der in den Studiis etwas gethan, bey Hofe oͤffentlich reden muß. Bald wird er bey der Beerdigung einer adelichen Leiche zu einem Paren - tator ausgebeten, bald muß er bey einem Fuͤrſtli -chen236I. Theil. VIII. Capitul. chen Sarge eine Stand-Rede halten; bald im Nahmen eines Collegii einer Herrſchafft, an ih - rem Geburths-Tage, Nahmens-Tage, u. ſ. w. einen Gluͤcks-Wunſch abſtatten; bald ſtatt eines Pagen, der wehrhafft gemacht wird, ſich bedancken. Und alſo verbeſſert und erweitert er ſeine natuͤrliche Beredſamkeit, durch die Regeln der Kunſt, ſo weit ihm noͤthig iſt.
§. 19. Die Poëſie iſt heutiges Tages an vielen Fuͤrſtlichen Hoͤfen in groſſe Verachtung kommen, davon dieſes die Haupt-Raiſon iſt, die der beruͤhmte Benjamin Neukirch in einem ſeiner Gedichte giebt: Weil die ungeſtimmten Floͤthen ſo viel hungriger Poeten faſt auf allen Gaſſen (hier aber werd ich ſa - gen, faſt an allen Hoͤfen) ſchreyen, und dennoch mit ihrem Klingen kaum ein hartes Lied erzwingen Nachdem aber, dem ungeachtet, hohe Standes - Perſonen und vernuͤnfftige Hof-Leute einen wohl - bedaͤchtigen Unterſchied zu machen wiſſen, wenn ein Bettler, aus einer eigennuͤtzigen Abſicht, einen Bo - gen voll Reime hinſchmiert oder ausſchreibet, und wenn ein Cavalier, oder ſonſt ein treuer Diener buͤrgerlichen Standes, zu Bezeigung ſeiner unter - thaͤnigſten Pflicht-Schuldigkeit, ein wohlgemeyn - tes Carmen aufſetzt. Bey der Poëſie hat ein Hof - Mann zu beurtheilen, ob ſeine Herrſchafft uͤber - haupt ein Liebhaber davon ſey, oder nicht? inglei - chen, ob er ſelbſt, ohne fremde Beyhuͤlffe, und, ohne ſeine Zuflucht zu den Buͤchern zu nehmen, etwas tuͤchtiges zu Marckte bringen koͤnne? Jſt die Poëſiebey237Von dem Hof-Leben. bey Hofe nicht angenehm, oder die Herrſchafft weiß, daß die poetiſchen Gedancken aus eines andern Ge - hirne herkommen, ſo bleibe der Hof-Mann mit ſei - nen Verſen lieber zu Hauſe. Er muß nicht allein der Herrſchafft etwas beſſers zu leſen geben, als ſie ſonſt von andern Leuten bey dergleichen Faͤllen zu leſen gewohnt, ſondern ſich auch mit ſeiner Poëſie etwas rar machen. Denn ſonſt, wo er ſich alle Nahmens - und Geburths-Taͤge damit einſtellet, macht er ſich und ſeine Carmina zu gemein.
§. 20. Hat es nun ein Hof-Mann in der Ge - lehrſamkeit und Wiſſenſchafft uͤberhaupt gleich auf einen ziemlichen hohen Grad gebracht, ſo macht er ſich doch bey Hofe im geringſten nicht damit breit, ſondern erweiſet dieſelbe, wo er ſie erweiſen ſoll; in ſeinen Diſcourſen enthaͤlt er ſich aller Streitigkeiten und Lehrſaͤtze, die in den Ohren der Hof-Leute pe - dantiſch und barbariſch klingen. Er beurtheilet die Grentzen der Erkaͤntniß dererjenigen, mit denen er redet, und bringt nichts vor, was ſich uͤber ihren Ho - rizont erſtreckt.
§. 21. Er lernt mancherley unvernuͤnfftige, gro - be und unglimpfliche Leute vertragen, inſonderheit diejenigen, bey denen ein guter Theil ſeines Gluͤ - ckes beruhet, wie auch andere, die mehr wegen ihrer Laſter, als ihrer Verdienſte eine Zeitlang in Anſe - hen, und die nicht ſo wohl wegen ihres hohen Ran - ges und großen Bedienungen, als ihrer Boßheit zu fuͤrchten ſind. Er bezeiget zwar bey ihrem wider - derwaͤrtigen Geberden, unhoͤflichen Ausdruck derWorte238I. Theil. VIII. Capitul. Worte und unfreundlichen Bezeugungen, einige Kaltſinnigkeit, nimmt ſich aber doch dabey in Acht, daß nicht ſeine wahre Ehre auf eine empfindliche Art gekraͤncket, und er zum Ziel aller groben Leute bey Hofe, auserſehen werde.
§. 22. Mit denen, die ſich bey Hofe auf das Narren-Handwerck legen, laͤſt er ſich nicht ein, er entdeckt ihnen nicht die Wahrheit, weil er von man - chen, die ſich vor Hochmuth ſelbſt nicht kennen, ein ſchlecht Tranck-Geld ſonſt zu gewarten haͤtte, er beſtaͤrckt ſie nicht in ihrer Thorheit, er macht ſich mit ihnen nicht familiair, erbittert ſie auch nicht, und bemuͤhet ſich durch einige Præſente ſich ſo viel als moͤglich in ihrer Gunſt zu erhalten.
§. 23. Gleichwie er allenthalben auf die ſeine Herrſchafft ſchuldige Ehrerbietung bedacht, alſo iſt er auch willig und bereit nach allen ſeinem Vermoͤ - gen diejenigen Ausgaben zu thun, die ſeiner Herr - ſchafft zur Ehre gereichen, inſonderheit befleißiget er ſich an den Fuͤrſtlichen Nahmens-Taͤgen, Ge - burths-Taͤgen und bey andern dergleichen Solen - nitæten, in ſeiner eigenen Kleidung, und in ſeiner Equipage proper zu erſcheinen, und bricht ſich lie - ber von dem, was er ſonſt zu ſeiner eigenen Ge - maͤchlichkeit und Vergnuͤgungen, ausgeben wuͤrde, ab, damit er dem Gnaͤdigſten Gefallen ſeiner Herr - ſchafft deſtomehr auſopffern moͤge.
§. 24. Hat er die Aufwartung bey fremder Herrſchafft, die ſeiner Herrſchafft ihren Beſuch ab - ſtatten, ſo iſt er ſehr accurat, ihr alle nur erſinn -liche239Von dem Hof-Leben. liche Dienſte zu leiſten, und richtet ſich ſo viel ihm nur immer moͤglich, nach ihren Willen und Nei - gungen. Es gereichet ſeiner Herrſchafft ſelbſt zu Ehren, wenn fremde ſehen, daß ihre Diener qua - lificirt, und uͤber die maßen muͤhſam und beſorgt ſind, Fremde zu bedienen, die Præſente, welche die fremden Herrſchafften an die Cavaliers und ande - re, die das Aufwarten haben, austheilt, werden ge - meiniglich vor diejenigen, die ſich hierbey accurat bezeugen, anſehnlicher und beſſer; ſie ſetzen ſich auch wohl bißweilen hiedurch bey der fremden Herrſchafft in ſolche Gnade, daß ſie dieſelben, zu der Diener Verbeßerung, in ihre eigene Dienſte ziehen, oder ſie doch bey ihren Herrſchafften ruͤhmen.
§. 25. Er iſt auch uͤberhaupt gegen alle Fremde, ohn Unterſcheid des Standes und ihres Characters, hoͤflich und dienſtfertig, ſie moͤgen nun nach Hof kommen, um die Gnade zu haben, der Herrſchafft ihren Reverence zu machen, oder bloß den Hof zu beſuchen. Er erkundiget ſich, wenn es zumahl junge Leute ſind, ob ſie etwan bey dem Hof - Marſchall u. ſ. w. bereits gemeldt, und wenn es nicht geſchehen, ertheilt er ihnen Nachricht, an wem ſie ſich zu adreſſiren haben; ſpuͤhret er, daß ſie es noͤthig haben, und vor gut aufnehmen moͤchten, ſo ſagt er ihnen eines und das andere von dem Cere - moniel des Hofes, wie es bey der Tafel, bey dem Geſundheits-Trincken u. ſ. w. in dieſem oder je - nem, gehalten werde, er præſentirt ſie ſelbſt an an - dere Cavaliers, unterhaͤlt ſie bey Hofe mit Diſcour -ſen,240I. Theil. VIII. Capitul. ſen, daß ihnen die Zeit nicht lang werde, er weiſt ihnen ein gut Quartir in der Stadt zu, er benach - richtiget ſie, was in der Stadt und bey Hofe merck - wuͤrdiges zu ſehen, und verhilfft ihnen bey den So - lennitæten und Divertiſſemens bey Hofe, daß ſie einen guten und bequemen Platz bekommen moͤgen, und erzeigt ſich ihnen auch ſonſt dienſtfertig.
§. 26. Die Geburth, der Caracter, die eigene Auffuͤhrung deſſen, der den Hof beſucht, das Gluͤck das er hat, der Herrſchafft zu gefallen oder nicht, und andere Umſtaͤnde mehr, beſtimmen zwar der Hoͤflichkeit der Hof-Leute, die ſie gegen Fremde zu erweiſen haben, wenig Maaß und Ziel; inzwiſchen bleibet doch die Regel feſt, daß ſich ein Hof-Mann gegen die Fremden ſo hoͤflich und dienſtfertig erwei - ſen ſoll, als nur immer moͤglich. Es iſt in der That ein großer Fehler einiger Hof-leute, daß ſie zwar gegen die fremden Cavaliers, die eine große Figur machen, und anſehnliche Characteres auf ſich ha - ben, ceremonieus genug ſind, andern jungen Paſ - ſagirern aber, die nach Hofe kommen, ob ſie ſchon nait ihnen gleichen Standes, und auch ſattſam qua - lificirt, ſie gar ſchlechte Cour machen. Sie un - terhalten ſie nicht mit Diſcourſen, ſondern laſſen ſie eine lange Zeit, wenn ſie nicht ſelbſt freymuͤthig ge - nug ſind, in die Geſellſchafft zu den andern mit zu treten, allein ſtehen, ſie verſpotten ihrer noch wohl dazu, wenn ſie einiger kleinen Fehler an ihnen ge - wahr werden, ertheilen ihnen keine Nachrichten, die ihnen einigen Nutzen ſchaffen koͤnten, und verſpah -ren241Von dem Hof-Leben. ren alle Hoͤflichkeit biß an den Schenckſtuhl, da ſie denen durch einen guten Rauſch, den ſie ihnen aus Falſchheit und zu ihren eignen Vergnuͤgen zubrin - gen, alles auf einmahl wieder einbringen wollen. Doch dieſe Ehre, die ſie ihnen durch das Zubringen der großen Humpen erweiſen, iſt eine ſolche Ehre, daruͤber der andere, der den Trunck nicht vertragen kan, bißweilen ſeine eigne Ehre verlieret.
§. 27. Bey der Obferte, oder bey der Einla - dung zum Spielen, wird dem Fremden ebenfalls bißweilen eine unzeitige und unnoͤthige Hoͤflichkeit erzeiget, die ihnen nicht allezeit gelegen iſt, man weiß ja nicht ſtets ob ſie Liebhaber des Spielens, ob ſie die Spiele nicht verſtehen, ob es ihnen bequem, ſo hohe Summen zu ſetzen, u. ſ. w. und gleichwohl noͤ - thigen ihrer vielen Cavaliers und Dames die Frem - den, inſonderheit die bey guten Mitteln ſind, dazu, ohne daß man ſich vorhero bey ihnen erkundiget, ob es ihre Bequemlichkeit mit ſich bringet, ſich in das Spielen einzulaſſen; Mancher junge Menſch, der in Gedancken ſtehet, der unvermeidliche Wohl - ſtand bringe es mit ſich, daß er ſich alles, was ihm andere vorſchluͤgen, muͤſte gefallen laſſen, ſpielet mit, da er aber eine ſehr ſchlechte Erkaͤnntniß von Spielen beſitzt, zu ſeiner groͤſten Schande und Schaden.
§. 28. Wird ein vernuͤnfftiger Hof-Mann an einen fremden Hof geſchickt, etwas zu ſeines HerrnQNu -242I. Theil. VIII. Capitul. Nutzen und Ehre zu negociren, ſo beobachtet er in allen Stuͤcken ſeine ihm mitgegebene Inſtruction, damit er allenthalben die Pflicht eines treuen Die - ners beobachten, und weder bey dem Range noch in dem andern das Ceremoniel angehenden Pun - cten ſeiner Herrſchafft etwas vergeben moͤge.
§. 29. Bey manchen Umſtaͤnden findet er vor noͤthig, ſich eine Zeitlang vom Hofe zu entfernen, und nur dann und wann der Herrſchafft zu zeigen. Große Herren haben bißweilen mehr Gnade vor die Diener, die ſie ſelten ſehen, als vor diejenigen, die ihnen alle Tage vor dem Augen herum gehen, und ſtets auf dem Fuſſe nachfolgen.
§. 30. Jſt er in einige Ungnade gefallen, ſo be - muͤhet er ſich den Grund der Ungnade zu entdecken, er uͤberdencket ſo viel als moͤglich, alle ſeine Wor - te und Handlungen, und haͤlt ſolche gegen die Nei - gungen ſeiner Herrſchafft, und nach dem was ihr gefaͤllig oder mißfaͤllig, er erweget auf das ſorgfaͤl - tigſte, wie er ſich eine Zeitlang, ſo wohl gegen ſeine Herrſchafft, als auch gegen die Miniſtres, gegen die Favores und andere bezeuget. Befindet er nun, daß er durch einig Verſehen zur Ungnade ſelbſt Ge - legenheit gegeben, ſo erkennt er alſobald ſeine eigene Fehler, depreciret ſolche bey der Herrſchafft auf das flehentlichſte und ſubmiſſeſte, und erſucht auch andere, die bey der Herrſchafft wohl angeſehen, daßſie243Von dem Hof-Leben. ſie ihre guten Officia anwenden moͤchten, ihn wie - der zur vorigen Gnade zu verhelffen. Weiß er ſich aber nichts vorzuwerffen, dadurch er ſich mit Raiſon einige Ungnade uͤber den Halß gezogen, ſo troͤſtet er ſich mit der Hoffnung, daß ſein Zuſtand bald wieder verbeſſert werden moͤchte. Er iſt da - bey gelaſſen, er diſſimuliret ſeine Unruhe gegen andere, ſo viel als moͤglich, er ſchuͤttet gegen die andern Hof-Leute, die bey dergleichen Faͤllen ge - meiniglich gar leidige Troͤſter zu ſeyn pflegen, keine unmuthige Klagen aus, ſetzet inzwiſchen ſeine Dienſte mit aller Treue und Emſigkeit fort, und beobachtet diejenige Regel, die er nach dem Hu - meur ſeiner Herrſchafft bey dergleichen Faͤllen zu beobachten hat. Die uͤbrigen zu dieſer Materie gehoͤrigen Anmerckungen, koͤnnen in dem Capitul von Tituln und Range nachgeleſen werden.
§. 31. Bey dem allgemeinen Troſte, mit dem junge Hof-Leute insgemein abgeſpeiſet worden, daß ſie nemlich Gedult haben muͤſten, uͤberdencket er, ob und wie weit er gegruͤndet ſey, und erweget nach den Regeln der Wahrſcheinlichkeit mancher - ley Todes-Faͤlle, und Veraͤnderungen der menſch - lichen Gemuͤther, derer die ihn gnaͤdig oder ungnaͤ - dig, an ſeinen weitern Avancement hinderlich oder befoͤrderlich, und andere Begebenheiten und Um - ſtaͤnde, die in den kuͤnfftigen Zeiten zur Wuͤrcklich - keit gedeyen moͤchten, und nachdem ihnen dieſesQ 2alles244I. Theil. VIII. Cap. Von dem Hof-Leben. alles Bewegungs-Gruͤnde an die Hand giebt, nachdem lencket er ſeinen Entſchluß wegen Con - tinuation ſeiner Dienſte, oder wegen einiger Ver - aͤnderung, damit er weder durch einen uͤbereilten Schluß noch durch allzu lange Verzoͤgerung ſei - nen Zuſtand unvollkommen mache.
§. 32. Endlich richtet er auch in den juͤngern Jahren ſeine Hof-Dienſte ſo ein, damit er entwe - der von dem ſeinigen ſo viel uͤbrig behalte, oder durch ſeine Treue, Fleiß und Emſigkeit erwerbe, daß er mit Ehren, und bey fortdaurender Gnade ſeiner Herrſchafft dem Hof-Leben zu rechter Zeit Abſchied geben, die uͤbrigen Jahre ſeines von GOtt ihm gegoͤnnten Lebens, ſeiner eignen Zu - friedenheit, und die Zubereitung auf die kuͤnffti - ge gewiſſe Ewigkeit widmen moͤge.
§. 1.
DEr Gottesdienſt beſtehet in ′gewiſſen Handlungen, die man, in Anſehung GOttes, vornimmt, und dadurch man ihm beſondere Pflichten abſtat - ten will. Er wird eingetheilet, in den oͤffentlichen, der in der Kirche vorgenommen wird, und in den Privat-Gottesdienſt, den ein jeder vor ſich in ſeinem Hauſe haͤlt, in den innerlichen, der im Hertzen geſchiehet, und in den aͤuſſerlichen, der diejenigen Handlungen, ſo in die aͤuſſerlichen Sinnen fallen, dirigiret. Die Geiſt - liche Rechts-Lehre ſchreibt die Geſetze vor, wodurch das aͤuſſerliche Weſen des Gottesdienſtes, zur Ehre GOttes, und zum Heyl der Kirche, in Ordnung ge - bracht wird. Die geiſtliche Ceremoniel-Wiſ - ſenſchafft unterſucht eigentlich den Grund der Cere - monien, und erklaͤret ihre Bedeutung. Unſere weltliche Ceremoniel-Wiſſenſchafft aber fuͤhret einige allgemeine Regeln an, ſo die Privat-Perſo - nen, dem Wohlſtande nach, bey einigen, zu demQ 3aͤuſſer -246II. Theil. I. Capitul. aͤuſſerlichen Gottesdienſt gehoͤrigen Handlungen, zu beobachten haben, und uͤberlaͤſt eine weitere und ausfuͤhrlichere Einſchaͤrffung der hieher gehoͤrigen Pflichten der Chriſtlichen Tugend - und Sitten - Lehre.
§. 2. So weit iſt es nnter unſern heutigen Schein - Chriſten gekommen, daß viele von unſern jungen ſo genandten Politicis, adelichen und buͤrgerlichen Standes, in den Gedancken ſtehen, der Titul eines Chriſten lieſſe ſich nicht wohl mit dem Titul eines Weltweiſen, oder eines braven, vernuͤnfftigen und ehrlichen Mannes, mit einander vereinigen. Doch dieſe elenden Leute machen ſich irrige Begriffe von der Gottſeligkeit und von ihrer Welt-Klugheit. Wenn ſie ſich die Muͤhe gaͤben, die Schoͤnheit und Vortrefflichkeit der Religion einzuſehen, ſo wuͤrden ſie die Vollkommenheit der Chriſtlichen Lehre, und die wahre Gluͤckſeligkeit, die hiedurch zuwege ge - bracht wird, nicht hoch genug zu ſchaͤtzen und zu ver - ehren wiſſen; wie ſie denn auch wuͤrcklich von ei - nem groſſen Theil derer, die ihr doch widerſtreben und keine Folge leiſten, geruͤhmet wird, wovon ich hier weitlaͤufftige Zeugniſſe anfuͤgen koͤnte, wenn ich mich nicht der Kuͤrtze befleißigen wolte. Es ſaget daher Faramond, in der Betrachtung der Sitten gegenwaͤrtiger Zeit, pag. 211. ſehr wohl, wenn er ſchreibt: Ob ſich ſchon die Grund-Regeln unſerer Religion bey vielen eine Verachtung zugezogen ha - ben, ſo ſind ſie doch dermaſſen großmuͤthig, und mit der Wohlfahrt der menſchlichen Geſellſchafft uͤber -einſtim -247Vom Gottesdienſte. einſtimmig, daß es nicht in der Macht der Gottlo - ſen ſtehet, ihre guͤtigen Einfluͤße zu verhindern.
§. 3. Daß die Gottesfurcht zu allen Dingen nuͤtze ſey, und die Pflichten des Chriſtenthums einem Welt - und Staats-Mann, und einem jungen Ca - valier, der ſein Gluͤck in der Welt und bey Hofe machen will, ſo unentbehrlich als einem Bauer, oder einen ſo genandten Geiſtlichen, iſt, GOtt Lob! von unterſchiedenen hohen Standes Perſonen, groſſen Staats-Miniſtris, und andern rechtſchaffenen Leu - ten, der aͤltern und neuern Zeiten, erkandt, und oͤf - fentlich behauptet worden. Der ehmahlige Groß - Cantzler in Franckreich, Monſieur de Chevergny, ſchreibet, unter andern Lebens-Regeln, in der ſei - nem Sohn ertheilten Inſtruction, p. 141. folgende mit vor: La premiére choſe, que vous deues auoir devent les yeux, c’eſt la crainte & l’ hon - neur de Dieu dans le coeur cheminer ſelon ſes voyer, & ſuivre ſes ſaints commandémens, car autrement n’erperis jamais proſperer en ce monde ny en l’ autre, qui eſt plus grand, car il eſt eternel. Der groſſe Staats-Miniſter in Franckreich neuerer Zeiten, Monſieur de Callieres, erinnert in ſeinem Staats-erfahrnen Abgeſandten, p. 212: Ein weiſer und geſchickter Negotiant ſoll nicht nur ein guter Chriſt wuͤrcklich ſeyn, ſondern auch ſolches allezeit in ſeinen Reden und ſeiner Le - bens-Art blicken laſſen, auch in ſeinem Hauſe keine ruchloſe und uͤbelgeſinnte Leute dulden, noch zuge - ben, daß man an ſeiner Tafel, und in ſeiner Gegen -Q 4wart,248II. Theil. I. Capitul. wart, freche und boͤſe Exempel-gebende Diſcourſe fuͤhre.
§. 4. Der beruͤhmte Herr Ehrenfried Walther von Tzſchirnau ſagt in ſeiner erſten Anmerckung, die er, zum Behuff junger Leute, aufgeſetzt: Weil alle andere Qualitaͤten, die junge Leute, als Politici, ſich acquiriren, andern einmahl wenig nuͤtzen, wo ſie das rechte Weſen der Gottſeligkeit nicht bey ſich haben, ſo erſehen die Hofmeiſter hieraus, wie noͤ - thig ſie hier haben, das unum neceſſarium beſon - ders wohl bey ihren Untergebenen zu practiciren, und ſie alſo zu der rechten Weißheit anzufuͤhren, die vielmahls in der Welt hoch-meritirten Theologis, leider! fehlet, aber einfaͤltigen Chriſten offt viel beſ - ſer bekant iſt. So find auch ausbuͤndig-ſchoͤne Worte die der noch lebende qualificirte Cavalier, Herr Wolff Bernhard von Tzſchirnau, in ſeinem getreuen Hofmeiſter pag. 15. der Anmerckung ſei - nes ſeligen Herrn Vetters mit angefuͤgt: Man ſolte ſich bemuͤhen, ſpricht er, die Quellen der Suͤn - de zu verſtopffen, den alten aͤuſſerlichen, ſuͤndlichen, fleiſchlichen Menſchen zu toͤdten, und dagegen den neuen, innerlichen, GOtt-gefaͤlligen, geiſtlichen Menſchen taͤglich mehr und mehr lebendig zu ma - chen. Dieſes koͤnte nicht beſſer geſchehen, als wenn man, nach gefaßtem Schluß, die wahre Hertzens - Veraͤnderung vorzunehmen, und dieſelbe biß in den Tod getreulich fortzuſetzen, allen dem, was fleiſch - lich iſt, gaͤntzlich entſaget, und lediglich den Heiligen Geiſt in ſeiner Seele, ohne Widerſtand zu thun,wuͤrcken,249Vom Gottesdienſte. wuͤrcken, und nach ſeinem allein guten Willen und Wohlgefallen das alte Babel zuſtoͤhren, hingegen das neue Jeruſalem aufrichten, und einen neuen ge - wiſſen Geiſt iu demſelben ſchaffen laͤſt.
§. 5. Der Hoch-Fuͤrſtlich Waldeckiſche Hof - Rath Nemitz, der ſich ebenfalls in der Welt umge - ſehen, laͤſt ſich p. 20. von dieſer Materie folgender geſtalt vernehmen: Leute, die keine Religion ha - ben, gedencke ich nicht zu inſtruiren, und die koͤnnen nur ſicher glauben, daß ſie niemahls ihr Gluͤck in der Welt machen werden. Alſo muß nun unſer Reiſender eine Fundamental-Wiſſenſchafft von ſeiner Religion haben, dergeſtalt, daß er den Glau - ben, darzu er ſich bekennet, nicht nur gruͤndlich und wohl in theſi verſtehe, ſondern auch denſelben in Fall der Noth geſchickt zu vertheidigen wiſſe. Dieſes aber iſt nicht genung, ſondern weil er mit unterſchiedenen Religions-Verwandten zuſammen kommt, ſo muß er auch einige Kundſchafft von ih - ren Sentimens haben, daher laͤſt er ſich zu Hauſe ſo wohl informiren in Theologia Thetica, das iſt, in dem Glauben, darinne er erzogen und geboh - ren, in was Puncten derſelbe beſtehe, als auch in Theologia Polemica, oder in den Articuln, wor - innen andere Religionen von uns abgehen, damit er ſelbige bey Begebenheiten deſto gruͤndlicher wi - derlegen koͤnne, und durch ihre ſpecieuſen Raiſons ſich nicht verfuͤhren laͤſt.
§. 6. Gleichwie diejenigen, die andere entweder an Stande, Ehren-Stellen, Macht und Anſehen,Q 5oder250II. Theil. I. Capitul. oder auch nur bloß an Gelde uͤbertreffen, bey vielen Handlungen des buͤrgerlichen Lebens, vor den uͤbri - gen mancherley Vorzuͤge, theils durch Verguͤnſti - gung der Hoͤchſten im Lande erlangt, theils auch ſich nur bloß angemaßt, alſo wollen ſie dieſelben auch auf die Handlungen des aͤuſſerlichen Gottes - dienſtes erſtrecken, und allenthalben etwas eignes haben, ſie wollen nicht ſo beten, wie die gemeinen Leute, das Wort GOttes nicht ſo hoͤren, wie ſie, den Sonntag nicht ſo heiligen, nicht ſo beichten, nicht ſo zum heiligen Abendmahl gehen, ſich nicht ſo trauen laſſen, ihre Kinder nicht ſo tauffen laſſen, nicht ſo ſterben, und auch auf die Weiſe nicht begra - ben werden, wie die andern; wenn nur auch der große GOtt vor ſolche eigenſinnige Leute einen eig - nen Himmel haͤtte, da ſie wie hier auf Erden von den andern abgeſondert waͤren. Die Conſiſtoria erfahren den Hochmuth der Hoͤhern und Reichern, der vor die Haupt-Qvelle ſolcher Abſonderung an - zuſehen, mehr als zu ſehr. Denn ob ſte ſchon bey vielen Faͤllen wieder den Jnhalt der Kirchen-Ord - nungen Diſpenſationes ertheilen, ſo wollen ſolche Leute doch noch immer weiter gehen, und Ausnah - men mit Ausnahmen haͤuffen: Daß bey ſolchen aͤußerlichen Weſen in einem und dem andern man - chen Leuten in Anſehung ihres Standes, Ranges und Characters, einige Prærogativ gegoͤnnet wer - de, iſt vor zulaͤßig zu achten; hoͤchſt unrecht und ſuͤndlich aber iſts, wenn dergleichen Leute bey eini - gen Stuͤcken wider die goͤttlichen Verordnungenund251Vom Gottesdienſte. und die Aehnlichkeit des Glaubens etwas beſon - ders ſuchen und erlangen.
§. 7. Eine Chriſtliche Standes-Perſon ſiehet bey dergleichen Faͤllen nicht ſo wohl auf die vielen Exempel anderer, die ſie vor ſich haben, oder auch auf die Moͤglichkeit der Diſpenſation, die ſie we - gen ihrer Macht, vornehmen Anverwandſchafft, groſſen Einkuͤnffte u. ſ. w. auswuͤrcken koͤnte, als vielmehr auf die Vorſchrifft des Goͤttlichen Wor - tes, ſie ziehet mehr ihr eigen Gewiſſen, als andere Welt-geſinnte von ihrem Stande zu Rathe, und begehret bey ſolchen aͤuſſerlichen Handlungen kei - nen Vorzug, als der Kirchen Ordnung und Ob - ſervanz gemaͤß, und ohne Aergerniß der Gemeinde geſchehen kan.
§. 8. Bey einigen von unſern jungen Leuten iſt es zur Mode geworden, daß ſie ſichs vor eine Schande achten nach dem ſeeligen Vater Luthe - ro, Evangeliſch-Lutheriſche Chriſten zu nennen, ſon - dern ſich auf Befragen lieber vor Evangeliſche Chriſten ausgeben; Nun meynen ſie zwar, es waͤ - re ja weit beſſer, daß man ſich nach dem Haupt und nach dem Herrn, als bloß nach dem Diener nennet; wenn man aber den rechten Grund hievon anzeigen ſoll, ſo thun ſie es entweder aus Galanterie, daß ſie vor den andern etwas beſonders haben wollen, oder aus einer kaltſinnigen und indifferenten Nei - gung gegen diejenige Lehre, die durch den Dienſt des ſeeligen Lutheri wieder in ihre vorige Reinig - keit und Lauterkeit verſetzt worden; Mehrentheilsſind252II. Theil. I. Capitul. ſind es gute, oder ich moͤchte vielmehr ſagen, boͤſe Indifferentiſten, und Voluntairs von allen Reli - gionen, wie ſie ſich auch wohl ſelbſt zu nennen pfle - gen. Sie geben hiedurch zu verſtehen, daß es ih - nen gleich viel gilt, ob ſie bey ihren oder bey frem - den Religions-Verwandten, vor Roͤmiſch-Catho - liſche, vor Reformirte, vor Socinianer, vor Grie - chen, vor Qvacker, u. ſ. w. angeſehen werden, ſin - temahl ſich alle dieſe Secten ebenfalls Evangeliſche Chriſten zu nennen pflegen. Sie ſchaͤmten ſich lieber des Chriſten Nahmens auch, wenn ſie nur einen andern finden koͤnten, mit dem ſie eben ſo mit guter Manier, als wie mit dieſem in dem buͤrgerli - chen Leben fortkommen koͤnten. So vernuͤnfftig aber, als ſich ſolche Leute duͤncken, ſo bedencken ſie doch nicht, daß dergleichen Beynahme, dadurch gewiſſe Unterſchiede bemercket werden, in Anzei - gung ſeiner Religion, zu der man ſich bekennet, eben ſo nothwendig ſeyn, als bey andern Faͤllen, und daß ſich mancherley Umſtaͤnde hierbey ereig - nen koͤnnen, da ſo wohl uns ſelbſt als andern dran gelegen, daß wir andern Leuten durch eine gewiſſe Benennung einen klaren Begriff beybringen, von derjenigen Religion, zu der wir uns bekennen.
§. 9. Es iſt eine mehr als zu bekandte Erfah - rung, daß die Welt, nach einer faſt durchgaͤngigen und ſuͤndlichen Gewohnheit diejenigen Tage, ſo dem Goͤttlichen Befehl nach am meiſten geheiliget werden ſolten, ſo ſchaͤndlich entheiliget; der groſſe GOtt mag in ſeinem Wort wider die Ubertreterder253Vom Gottesdienſte. der Sabbath-Feyer noch ſo ſehr eifern, und ihnen die ſchaͤrffſten Strafen androhen; Chriſtliche Pre - diger, die nicht allein den Nahmen, ſondern auch der That nach Geiſtliche ſind, moͤgen muͤndlich und ſchrifftlich die Heiligung der Sonn - und Feſt-Ta - ge, als eine hoͤchſt-noͤthige Chriſten-Pflicht allen Leuten einſchaͤrffen, ſo bleibet die Welt, dem un - geachtet doch bey ihrer Weiſe: Der groͤſte Theil denn, ſo die andern an manchen Stuͤcken der aͤuſ - ſerlichen Gluͤckſeligkeit uͤbertreffen, halten dieſe Ta - ge am bequemſten zu ihren Divertiſſemens, zu ih - ren Baͤllen, Aſſembleen, Gaſtgebothen, Viſiten u. ſ. w. Haben nun die andern dieſe zu Vorgaͤn - gern, ſo ahmen ſie ihnen getreulich nach, und alſo iſt in den meiſten Staͤdten, Flecken und Doͤrffern, nach geendigtem Gottesdienſt, nichts als lauter uͤp - pige Welt-Freude, da wird am meiſten gefreſſen und geſoffen, gedantzet und geſprungen, gelaͤrmet und geſchwaͤrmet.
§. 10. Gleichwie aber das Chriſtenthum, den Regeln der Gewohnheit, Ziel und Maaß vor - ſchreibt, alſo laͤſt ſich ein vernuͤnfftiger Chriſt hier - innen im geringſten nicht von dem Wahn der gottloſen Welt hinreißen. Ein wahrer Glaͤubiger, er ſey im uͤbrigen ſeinem Stand und Character nach wer er wolle, haͤlt nichts vor privilegirt, was wider GOtt und ſein Wort iſt. Er giebt der Welt was der Welt gehoͤrt, das iſt, er beobach - tet, ſo viel moͤglich, alle Regeln des Wohlſtandes, die nicht mit dem Chriſtenthum ſtreiten, er giebtaber254II. Theil. I. Capitul. aber auch zugleich GOtt was GOttes iſt, und heiliget ſeinen Sabbath. Es findet ein Chriſt, wenn er den Ruhe-Tag des HErrn in einer GOtt geheiligten Ruhe zubringt, mehr Ruhe in ſeinem Gemuͤthe, als die Welt bey ihren unruhigen We - ſen. Er bemuͤhet ſich, um vor denen Verſuchun - gen der Welt deſto mehr geſichert zu ſeyn, auf ſo einen Fuß zu ſetzen, damit andre einmahl vor alle - mahl wiſſen, daß er ſich an dieſen GOtt gewidme - ten Taͤgen zu nichts uͤberreden laͤſt, als was die Nothwendigkeit und die Chriſten-Liebe erfordert, und der Sabbaths-Feyer nicht entgegen laͤufft. Wenn die Welt-Geſinnten, die ſich in Herrſchafft - lichen Dienſten befinden, auf Befehl ihrer Herr - ſchafften, den Sonntag auf die gewoͤhnliche Weiſe mit Kirchen-gehen u. ſ. w. nicht abwarten koͤnnen, ſo nehmen ſie insgemein zu dem boͤſen Sprichwort: Herren Dienſt gehet uͤber GOttes Dienſt, ihre Zuflucht. Nun hab ich zwar die Gottloſigkeit die - ſer Redens-Art in dem vorhergehenden bereits vorgeſtellt, ich achte aber nicht vor undienlich, wenn ich allhier noch zeige, daß Herren Dienſt und GOt - tes Dienſt auch bey dieſem Fall gar wohl mit ein - ander zu vereinigen, und daß alſo dieſes Sprich - wort nicht allein gottloß, ſondern auch falſch ſey. Es iſt wahr, es koͤnnen ſich bißweilen Faͤlle zutra - gen, da ein junger Menſch, er ſey bey Hofe oder im Kriege, oder auch ſonſt, ſeiner Pflicht und ſeinem Beruff nach, an dem Kirchgehen verſaͤumet wird, da ihm ſein Herr und ſeine Vorgeſetzten entwederuͤber255Vom Gottesdienſte. uͤber Land verſchicken, oder ihn doch ſonſt von der Kirche abhalten, inzwiſchen wird er bey dieſem Fall eben nicht von dem aͤuſſerlichen Gottesdienſt abge - halten. GOtt wohnet nicht im Tempel, der mit Haͤnden gemacht, ſondern er kan allenthalben ver - ehret werden. Jſt einer des Sonntags allein auf der Straſſe, oder in der Geſellſchafft derer, die ihn von dem aͤuſſerlichen Gottesdienſt nicht abhalten duͤrffen noch koͤnnen, ſo kan er ſeinen GOtt mit lau - ter Stimme ſo wohl anruffen und ihm dancken, als mit der Gemeinde; befindet er ſich an dieſem Tage an einem ſolchen Ort, da er es nicht mit lauter Stimme thun darf, als, ein Soldat auf der Schild - wache, ein Hof-Cavalier in dem Vorgemach ſei - nes Herrn, u. ſ. w. ſo wird er doch nicht verhindert, mit ſachter Stimme ſeinen GOtt anzuflehen, in ſei - ner Seele geiſtliche Betrachtungen anzuſtellen, auch wohl GOttes Wort und ein ander geiſtlich Buch zu leſen; und alſo gehet bey dieſem Fall im gering - ſten nicht der Herren Dienſt uͤber GOttes Dienſt. Geſetzt aber, daß auch einer an dem aͤuſſerlichen Gottesdienſt verhindert werden ſolte, da er nemlich, dem Herrn-Dienſt nach, in der Geſellſchafft ande - rer Leute ſich aufhalten muß, da er, ohne vor einen Thoren gehalten zu werden, unmoͤglich mit dem Munde beten, noch ſingen, oder leſen kan, (wiewohl auch manche von denen, die ſich, ihren Gedancken nach, des Sonntags bey andern Leuten aufhalten muͤſſen, auf eine gute Zeit von den andern mit gu - ter Manier entfernen, und ihrem GOtt in der Stil -le256II. Theil. I. Capitul. le an einem einſamen Oertgen auch aͤuſſerlich dienen koͤnten, wenn ſie nur ſonſt Luſt dazu haͤtten,) ſo kan er doch von dem innerlichen nicht zuruͤck getrieben werden. Dieſer iſt GOtt am gefaͤlligſten, weil er im Hertzen und in der Seele geſchiehet, und der aͤuſſerliche ihm nur in ſo weit gefaͤllig, als er mit dem innerlichen verbunden iſt. Wir wollen zwey Faͤl - le ſetzen: Cajus, der ſich in einer groſſen Stadt aufhaͤlt, gehet des Sonntags dreymahl in die Kir - che, und laͤufft aus einer Predigt in die andere, nach geendigter Veſper ſtehet er Gevatter, und verrichtet alſo wieder ein heilig Werck; er gehet aber nicht in die Kirche, aus dem Vorſatz, GOttes Wort zu hoͤren, und ſich daraus zu erbauen, ſondern aus bloſſer Gewohnheit; er ſchlaͤfft, oder plaudert, oder hat doch ſeine Gedancken von dem rechten Gottesdienſt abgekehrt, bey ſeiner Gevatterſchafft bedenckt er nicht die Hoheit und Wichtigkeit dieſes Werckes, ſondern verrichtet es nur den aͤuſſerlichen Ceremonien nach mit lauter Complimens, Reve - rences und Beantwortung der Fragen mit Ja. Ariſtarchus hingegen, ein gottſeliger Hof-Mann, wird des Sonntages Vormittags einer fremden Herrſchafft auf eine Meile entgegen geſchickt, ihr im Nahmen ſeiner Herrſchafft das Bewillkom - mungs-Compliment abzuſtatten, des Nachmit - tages muß er entweder an der Fuͤrſtlichen Tafel bleiben, oder dabey aufwarten, und wird wieder von dem oͤffentlichen Gottesdienſt abgehalten. Ari - ſtarchus geht zwar den gantzen Sonntag nicht indie257Vom Gottesdienſt. die Kirche, er bringt aber einen großen Theil des Vormittags, weil er auf der Straſſe iſt, und nie - mand als ſeine Diener bey ſich hat, mit Singen und Beten zu, des Nachmittags ſinget und ſpielet er dem Herrn in ſeinem Hertzen, er ſtellt ſich den allgegenwaͤrtigen und allſehenden GOtt vor Au - gen, er beſeuffzt die Greuel der Welt, er rufft zu GOtt um ſeine eigne und um andrer Leute ihre Bekehrung; im uͤbrigen ißt und trinckt er, und macht dem aͤuſſerlichen nach eben eine ſolche Figur wie die andern Hof-Leute. Welcher von beyden hat nun den Sonntag mehr geheiligt? Cajus hat bloß mit ſeinen Lippen und Ohren GOtt gedient, ſein Hertz iſt aber fern vvn ihm geweſen, Ariſtar - chus iſt an dem aͤußerlichen Gottesdienſt verhin - dert worden, hat aber mit ſeinem Hertzen und mit ſeiner Seelen ihm Dienſte geleiſtet; ich glaube mit gutem Grunde, daß man Ariſtarcho eine beſ - ſere und GOtt gefaͤlligere Heiligung des Sabaths nachruͤhmen kan. Dieſemnach erkennt man, daß auch nicht einmahl in dieſem Fall der Herren Dienſt uͤber GOttes Dienſt gehe, ſondern mit ihm gar wohl zu vereinigen. So ſich aber Faͤlle ereignen ſolten, da man den Herren Dienſt dem GOttes Dienſt, oder kurtz zu ſagen, einen ſterblichen Menſchen GOtt vorziehen ſolte, ſo wird ein wahrer Glaͤu - biger lieber den Herren Dienſt fahren laſſen, und nicht allein den Herren Dienſt, ſondern auch die gantze Welt, eh er ſeinem GOtt mit Wiſſen und Willen und mit gutem Vorſatz ungetreu und un - gehorſam werden ſolte.
R§. 12.258II. Theil. I. Capitul.§. 12. Jhrer viel von unſern Mode-Chriſten, die ſich doch in ihren Chriſtenthum noch beſſer duͤncken als andere ihres gleichen, und den Sonn - tag mit den aͤußerlichen Kirchengehen theils gantz, theils doch einiger maßen heiligen wollen, beobach - ten bey dem Kirchgehen, und bey den Handlun - gen die in der Kirche vorfallen, nicht einmahl das - jenige, was ſie der Vernunfft und dem Wohl - ſtande nach hiebey in Obacht zu nehmen haͤtten. Einige kommen gantz ſpaͤte hinein, wann die Pre - digt ſchon angangen, oder bald halb iſt, und ſetzen dabey meiſtentheils des Nachmittages aus; Sie achten dieſes vor eine Art einer Galanterie, und wollen ſich hierinnen von dem gemeinen Mann ab - ſondern, ſie dencken der Gottesdienſt, und ſonder - lich die Prodigten, waͤren bloß vor dem Poͤbel, ſie koͤnten ſich ſchon ſelbſt helſfen, ſie wuͤſten es eben ſo gut als die Prieſter, da doch mancher von ihnen einen Unterricht im Chriſtenthum noͤthiger brauchte, als mancher armer Handwercks-Mann oder Ta - geloͤhner. Wenn doch aber ſolche Leute nur be - dencken wolten, ob denn ihre Herrſchafften wohl mit ihnen zufrieden ſeyn wuͤrden, wenn ſie ihnen nur einen halben Tag Dienſte thaͤten, und noch dazu auf eine gar unvollkommne Weiſe, und hin - gegen die andere Helffte des Tages, ihren eignen Geſchaͤfften oder Ergoͤtzlichkeiten beſtimmen wolten, oder ob ſie wohl mit ihren eignen Bedienten zufrie - den ſeyn wuͤrden, wenn ſie ihnen ihre Dienſte, die ſie zu thun pflichtig, nur einen halben Tag leiſtenwol -259Vom Gottesdienſt. wolten. Da ſie nun ihren vorgeſetzten einen voͤlli - gen Gehorſam leiſten, und von ihren Bedienten dergleichen verlangen, ſo ſolten ſie ſich billig ſchaͤ - men und ſcheuen, dem großen Welt-Monarchen ſo ungehorſam zu ſeyn, und ſeine Geboth ſo frevent - lich zu uͤbertreten.
§. 13. Andre kommen zwar des Sonntags, ſo wohl Fruͤh als Nachmittags, in die Kirche, bringen aber ihre Zeit darinnen mehr mit Schlafen, Plau - dern und Leſen der Briefe und Zeitungen zu, als mit Singen und Anhoͤren des Wortes GOttes. Es iſt aber eine wunderliche Sache, daß ſolche Leute bey dem Gottesdienſt nicht einmahl die aͤußerliche Figur mitmachen wollen, auf die ſie doch ſonſt ſo gar viel halten. Sie ſolten der geſunden Ver - nunfft nach erwegen, daß ein ieder, der an einem oͤffentlichen Ort, auf Befehl der hohen Obrigkeit beruffen wird, einen gewiſſen Vortrag anzuhoͤren, verbunden iſt, ſich dabey ſo zu bezeugen, damit es das Anſehen gewinne, als ob er ſelbſt dabey zuhoͤrte und aufmerckſam waͤre, und die andern an der An - hoͤrung des Vortrages nicht gehindert werden. Wenn ſie doch vor das Hauß GOttes ſo viel aͤuſ - ſerliche Ehren-Bezeugungen haͤtten, als vor ein Opern - oder Comœdien-Hauß, und vor eine Pre - digt, als vor den Vortrag in einer Comœdie und Oper. Sie urtheilen, und zwar mit Grund, daß es wider den Wohlſtand, in einer Comœdie oder Oper zu ſchlafen, etwas anders zu leſen, zu plaudern, und ſeine Nachbarn zu ſtoͤhren, und wollen doch dieR 2Hand -260II. Theil. I. Capitul. Handlungen des Gottesdienſtes auf eine ſolche Art profaniren, in einem Hauſe, welches der Ehre GOttes gewidmet.
§. 14. Ein vernuͤnfftiger Menſch laͤſt ſich durch die Exempel anderer nicht irre machen, er verſaͤu - met den an den Sonn - und Feſt-Taͤgen angeord - neten Gottesdienſt niemahls ohne Noth, er iſt der erſte mit von denen die in die Kirche gehen, und der letzte, der heraus gehet, er enthaͤlt ſich alles deſſen, wodurch ſeine Andacht geſtoͤhret werden koͤnte, und giebt bey der Predigt einen aufmerckſamen Zuhoͤ - rer ab. Bey dem ſingen der Chriſtlichen Geſaͤn - ge, achtet er ſichs nicht vor eine Schande, das Ge - ſang-Buch in die Hand zu nehmen, ſintemahl er wohl weiß, daß man nicht allein die Lieder, zumahl die fremden und unbekandten genauer mitſingen kan, ſondern auch die Andacht durch das Buch mehr erweckt, und den fremden Gedancken ge - wehret wird. Er beklaget die Thorheit der Welt - geſinnten, die bey dem Geſang der Chriſtlichen Lieder, entweder als die ſteinern Oehl-Goͤtzen da ſitzen, oder doch die Lieder verſtuͤmmelt, falſch und ohne Aufmerckſamkeit zum Aergerniß, und bißwei - len gar zum Gelaͤchter ihrer Nachbarn mitſingen, da ſie doch faſt niemahls in ein Opern - Hauß ge - hen, wenn ſie nicht das gedruckete Opern-Buch mitnehmen ſolten, und nachgehends faſt kein Auge davon verwenden.
§. 15. Bey den allgemeinen Faſt-Buß - und Beth-Taͤgen, die zu gewiſſen Zeiten ausgeſchriebenwor -261Vom Gottesdienſt. worden, iſt leider das meiſte zum Ceremonien - Werck geworden; Dieſes iſt zwar ſchlimm und elend gnug, noch ſchlimmer aber iſts, daß auch manche nicht elnmahl das aͤußerliche, ſo hierbey in Acht zu nehmen, beobachten, und GOtt zu Ehren, und ihrer hohen Landes-Herrſchafft zu unterthaͤ - nigſten Gehorſam an ihren gewoͤhnlichen Eſſen und Trincken ſich nicht etwas abbrechen wollen. Bey großen Solennitaͤten an Hoͤfen und in der Stadt, da ſich die praͤchtigen angeſtelten Mahl - zeiten biß auf dem Abend verſpaͤtigen koͤnnen, viele von der galanten Welt ohne große Beſchwerlich - keit biß dahin faſten, und ihren Appetit verſpah - ren. An den Faſt-Taͤgen hingegen will es ih - nen unmoͤglich fallen; ſie nehmen nicht allein als - denn ihre gewoͤhnlichen Mahlzeiten ein, ſondern auch noch wohl ein viel mehrers, als die andern Tage; manche machen ſich ein beſonder point d’ honeur draus, wenn ſie von ſich ſagen, daß ſie an den Faſt-Taͤgen brav gefreſſen und geſoffen haͤt - ten. Jn andern Faͤllen berufft ſich die Welt ins - gemein auf den Befehl der Herrſchafften und der hohen Landes-Obrigkeit, und ziehen denſelben GOtt und ſeiner Ehre vor, doch hieriñe widerſtreben ſie ihrem Befehl; daß ſchwehren, krancken, matten und elenden Leuten auch an dieſen Faſt-Taͤgen er - laubet, etwas von Speiſe zu ihrer Staͤrcke des Mittages zu ſich zu nehmen, findet man wohl in den Buß-Tages-Ordnungen, daß aber in Anſehung der Reichen, vornehmen und anſehnlichen, wenn ſieR 3in262II. Theil. I. Capitul. in uͤbrigen geſund, ſtarck und munter, eine Ausnah - me gemacht waͤre, iſt nirgends ausgedruckt. An ſtatt der zur Ehre GOttes, und zur Ermunterung ihrer Andacht von der hohen Landes-Obrigkeit an - befohlenen Faſten, erwehlen ſich ihrer viele nach ei - genen Gefallen ein eigenes, beſonderes und unnuͤ - tzes Faſten, da ſie an einem gewiſſen Tag, an dem ſie ſich des Todes einer geliebten Perſon erinnern wollen, oder da ſie bey einer andern Gelegenheit, und aus einer andern Abſicht eine dergleichen Ge - luͤbde gethan, biß nach der Sonnen Untergang nichts von Speiſe und Getraͤncke zu ſich nehmen, und hingegen dasjenige, was ſie bey der Mittags - Mahlzeit verſaͤumet, entweder bey der Abend - Mahlzeit, oder doch den andern folgenden Tag doppelt wieder einbringen.
§. 16. Bey den Ableſen und Herbeten der oͤf - fentlichen Kirchen-Gebeter nach geendigter Pre - digt, nimmt man bey der Welt ebenfalls mancher - ley Fehler wahr, die dem Wohlſtand zuwider und billig abgeſtellt werden ſolten und koͤnten; einige be - ten die Kirchen-Gebeter gantz und gar nicht mit, ſie dencken, ſie haben ihre Andacht ſchon uͤberfluͤßlg an den Tag gelegt, wenn ſie der Predig zugehoͤrt. Wenn aber ja ſolche Leute in ſo gluͤckſeeligen Um - ſtaͤnden ſich befaͤnden, daß ſie meynten, ſie koͤnten GOttes und des Gebets entbehren, ſo ſolten ſie doch zum wenigſten den aͤußerlichen Wohlſtand nach, und zu Vermeydung des oͤffentlichen Aergerniſſes unter waͤhrenden allgemeinen Kirchen-Gebet ſtilleſeyn,263Vom Gottesdienſt. ſeyn, und ſich ſo anſtellen, als ob ſie mitbeteten. Andere beten ſie zwar mit, aber ohne einige Andacht und Aufmerckſamkeit, welches man daher ſiehet, weil ſie die allgemeine Abſolutions-Formul, ich, als ein beruffner und verordneter Diener des Wortes GOttes, u. ſ. w. andaͤchtig mit be - ten, als ob ſie vor ſie gehoͤrte, und ſich bey ihrem Nachbarn zum Geſpoͤtt und Gelaͤchter machen. Noch andere die doch ſonſt wohl eben nicht die be - ſten Chriſten, und ihren Glauben durch die Wercke gar ſchlecht beweiſen, pflegen in dem Nachbeten der allgemeinen Kirchen Gebeter gantz laut zu ſtoͤh - nen und zu ſeuffzen, ſie auch wohl ziemlich laut nach - zubeten. Doch dieſe jaͤhlige Andacht, die ihren Nachbarn bißweilen zum Gelaͤchter dienet, iſt mehr eine Wuͤrckung der Gewohnheit, als ein Trieb des Geiſtes; ein andaͤchtig Gebet des Hertzens kan wohl ohne ſolch laut Stoͤhnen verrichtet werden; mancher der in dem Kirchen-Gebet ſtoͤhnet, hat wohl die gantze Predigt durch geplaudert. Es giebt auch den Schein einer großen Heucheley von ſich.
§. 17. Wie nun einige bey ihrem Beten eine all - zu groſſe Andacht von ſich geben ſo findet man hin - gegen wieder andere, und zwar deren noch mehr, als der vorhergehenden, die ſich des Gebets gantz und gar ſchaͤmen, und nicht allein des Gebets, ſondern auch des Wortes GOttes ſelbſt und anderer hei - ligen Ubungen. Wenn ſie wiſſen, daß einige vor - nehme Leute, die auf GOtt und ſein Wort nicht vielR 4hal -264II. Theil. I. Capitul. halten, in der Naͤhe ſind, ſo unterlaſſen ſie ihre Hauß-Andacht mit Singen, Beten und Leſen, und da ſie dieſelbe gleich fortſetzen, ſo thun ſie es mit ſo leiſer Stimme, und glelchſam auf eine verſtohlne Weiſe, als ob ſie uͤber einer ſchaͤndlichen Handlung begriffen waͤren. Erlangen ſie in ihren Haͤuſern gar den Beſuch von ſolchen Leuten, die GOttes und der Religion ſpotten, und an deren Gnade ihnen doch viel gelegen ſo legen ſie die Bibel, die Geſang - Buͤcher und andere gottſelige Schrifften von ſich und verſtecken ſie. Dergleichen Chriſten, die ſich vor den Leuten ihres HErrn und Heylandes ſchaͤ - men, und ihn nicht bekennen wollen vor den Men - ſchen, ſind billich vor ſolche laue Chriſten zu achten, die weder kalt noch warm ſind, und aus dem Mun - de des groſſen GOttes werden ausgeſpyen werden. Es iſt allerdings vor ein phariſaͤiſch Weſen anzuſe - hen, wenn einige ihre Hauß-Andacht ſo einrichten, damit ſie nur von andern vor gute Chriſten gehalten werden, und bey ihrem Beten und Singen ſo ſchreyen, als ob GOtt taub waͤre, und daß man es auf vielen Gaſſen hoͤren kan; es iſt aber auch eine Frucht einer ſuͤndlichen Menſchen-Furcht, oder eine Begierde, ſich der Welt gefaͤllig zu erweiſen, wenn man das Beten und Singen entweder gantz unter - laͤſſet, oder es doch mit ſo heimlicher Stimme ver - richten will, als ob es eine Sache waͤre, deſſen man ſich Urſache haͤtte zu ſchaͤmen.
§. 18. Es iſt mehr als zu bekandt, wie einige von den Hof-Leuten, Officiers, Cavaliers, auch de -nen265Vom Gottesdienſt. nen von buͤrgerlichem Stande, die in der Galan - terie andere uͤbertreffen wollen, zu der Zeit, wenn vor oder nach Tiſche gebetet wird, weder die Haͤn - de aufheben, noch mit dem Munde anzeigen, daß ſie mitbeteten, ſondern davor die Haͤnde in den Rock ſtecken, ſich alſo eine beſondere Air geben und ent - weder gar nicht, oder doch cavalierement beten wol - len, und ſich in ihrer aͤuſſerlichen Mine von andern abſondern. Sie ſtehen mehrentheils in den Ge - dancken, es ſey einerley, ob man die Haͤnde nach der gewoͤhnlichen Weiſe zu GOtt aufhuͤbe, oder nicht, wenn nur das Hertz in Andacht zu GOtt gerichtet waͤre. Nun laſſe ichs zwar dahin geſtellet ſeyn, wie weit ſich der Eifer im Gebet bey dergleichen Leuten erſtrecke, ich will und kan dieſes nicht beurtheilen, ſondern es dem Hertzens-Kuͤndiger uͤberlaſſen, auch die Argumenta derer Herren Theologorum, da - durch ſie, nach gewiſſen Gruͤnden des Wortes GOttes, auch das aͤuſſerliche Aufheben der Haͤnde anrathen, als hieher nicht gehoͤrige, nicht anfuͤhren, ſondern nur folgendes ſolchen Leuten zur Uberlegung anheim ſtellen: Geſetzt, daß das Aufheben der Haͤnde eine gleichguͤltige Sache waͤre, ſo iſt dieſes doch ein Gebrauch, der von ſehr alten Zeiten bey den Chriſten eingefuͤhrt, und beſtaͤndig unter ihnen in Obacht genommen worden; nun richten ſie ſich ja bey allen ihren Handlungen ſo gerne nach andern Leuten, und wollen ſich von nichts, was durch die Obſervanz hergebracht, ausſchlieſſen. Sie neh - men den Satz: es iſt einmahl ſo eingefuͤhrt, vorR 5einen266II. Theil. I. Capitul. einen Grund-Satz an, den ſie mehr reſpectiren, als die Befehle GOttes. Sind ſie bey fremden Re - ligions-Verwandten, ſo laſſen ſie ſichs geſallen, mancherley aͤuſſerliche Ceremonien mitzumachen, die doch offtmahls beſchwerlicher und muͤhſamer, als dieſes Haͤnde - aufheben, und wohl gar wider Gewiſſen, warum wollen ſie denn bey dieſer Cere - monie, dadurch man eine gewiſſe aͤuſſerliche Ehr - erbietung gegen GOtt an den Tag legen will, nicht ſo viel Betrachtung haben vor GOtt, als vor die Menſchen. Wenn doch diejenigen, die den aller - hoͤchſten Standes-Perſonen ſo gerne nachahmen, ihr Augenmerck, bey dieſem Haͤnde-aufheben, auf ſo viel gottſelige und tugendhaffte Fuͤrſten richten wolten, die vor ihrem GOtt bey dem Gebet ihre Haͤnde aufheben, ſo wohl als ihre Bedienten, ade - lichen oder buͤrgerlichen Standes. Jch habe oͤff - ters geſehen, daß Fuͤrſtliche Perſonen, beyderley Geſchlechts, zu der Zeit, da vor und nach Tiſche ge - betet worden, ihre Haͤnde andaͤchtig aufgehoben, da im gegentheil manche von ihren Hof-Bedienten dieſes unterlieſſen, und ſich davor beſondere Airs gaben.
§. 19. Nachdem auch manche von unſern Fraͤu - leins und Demoiſelles ihre Gottſeligkeit nicht viel anders ausuͤben, als daß ſie aus Gewohnheit in die Kirche und zum heiligen Abendmahl lauffen, ihren Morgen - und Abend-Seegen leſen, und ein Mor - gen - und Abend-Liedgen ſingen, ſo waͤre wohl zu wuͤnſchen, daß ſie alle zuſammen dasjenige beobach -ten267Vom Gottesdienſt. ten moͤchten, was der Autor der ſo genandten Ga - lanten Frauenzimmer-Morale, bey der I. Maxime, ihnen vorſchreibet: daß ſie nemlich bey inbruͤnſti - gem Gebet bitten ſolten, (1) um ein in Unſchuld und Reinigkeit geſchmuͤcktes Hertz, (2) um Chriſtliche ihnen wohl-anſtaͤndige Tugenden, und (3) um Schutz wider Fleiſch, Welt, Suͤnde und Teuffel. ſ. pag. 11.
§. 20. So weit hat es Satan unter der Chri - ſtenheit gebracht, daß er den groͤßten Theil der Schein - und Maul-Chriſten uͤberredet, es ſey eine vor der Welt gantz wohl erlaubte Sache, von GOtt und den goͤttlichen Wahrheiten auf eine ver - kleinerliche Weiſe zu reden, und hingegen wider den Wohlſtand und wider das Ceremoniel, zu GOt - tes Ehre, und zu unſerer Seelen Heyl gereichende Diſcourſe vorzubringen. Es darff ein jeder nach Gefallen in den meiſten weltlichen Geſellſchafften indifferentiſtiſche Reden vorbringen, daß man in allen Religionen ſelig werden koͤnte, man darf kuͤhn - lich behaupten, daß es gar keine Geſpenſter gebe, man darff an der Wahrheit der Chriſtlichen Reli - gion zweiffeln und unnoͤthige Scrupel erregen, man darff die Prediger durchziehen, und ſich uͤber ihre Predigten aufhalten, u. ſ. w.; es fange aber einer einen Diſcours an, und ob es auch ſchon die Con - nexion des Diſcourſes und die Gelegenheit der Materie geben ſolte, von den Vollkommenheiten GOttes, von ſeiner liebreichen und allweiſen Re - gierung vor die Welt, von der erſtaunens-wuͤrdi -gen268II. Theil. I. Capitul. gen Liebe GOttes gegen die Menſchen, da er ſeinen Sohn vor ſie in den Tod gegeben, von der uner - meßlichen, erſchrecklichen oder erfreulichen Ewigkeit, die uns auf dem Fuſſe nachgehet, und andern der - gleichen erbaulichen Materien mehr, ſo wird er ſe - hen und hoͤren, was die Leute vor Minen dazu ma - chen oder dazu ſagen werden; einer wird anfangen zu lachen, der andere wird davon lauffen, manche werden ihm in das Geſichte ſagen, dieſe Diſcourſe gehoͤrten vor die Prieſter auf die Cantzel, und nicht hieher, viele werden ſich zwar in ihren Reden und Geberden verſtellen, ſo lange er gegenwaͤrtig, und hingegen in ſeiner Abweſenheit deſto ſchlimmer ur - theilen, ſie werden ihm entweder vor einen Phanta - ſten, Schwaͤrmer, Qvacker, Pietiſten, oder doch vor einen ſchlechten Menſchen achten, der nicht zu leben wuͤßte, und nur abgeſchmackt Zeug in ſeinen Diſcourſen vorbraͤchte; Jn mancher Geſellſchafft wird ſich kein eintziger finden, der hieran Gefallen traͤgt, in andern aber, und wenn ſie auch noch ſo zahlreich, etwan nur einer oder zwey.
§. 21. Ein rechtſchaffener Chriſt beobachtet zwar auch in dieſem Stuͤck die Regeln der Chriſtlichen Klugheit, damit er nicht das Heiligthum gottſeeli - ger Lehren vor die Hunde, noch die Perlen goͤttli - chen Wortes vor die Saͤue werffen moͤge. Er weiß, daß ſchweigen ſo wohl ſeine Zeit habe, als reden, und redet Worte zu ſeiner Zeit. Jnzwi - ſchen bemuͤhet er ſich doch, wo es der Ort, die Zeit und Geſellſchafft verſtatten will, daß er zur EhreGOttes269Vom Gottesdienſt. GOttes und zum Seelen-Heyl ſeines Naͤchſten, in ſeinen Diſcourſen etwas mit vorbringen moͤge. Jnſonderheit giebet er auf das tempo Acht, da er eine gute Gelegenheit vor ſich findet, etwas aus GOttes Wort zu reden, und da er verſichert, daß er willigere Zuhoͤrer finden moͤchte. Bey gewiſ - ſen Umſtaͤnden kan es die Welt vertragen, daß man ihr etwas aus GOttes Wort vorſchwatzt. Wenn ſie in recht große Noth gekommen, ſo geben ihr die Widerwaͤrtigkeiten bißweilen eine Erinnerung. Hat ein geiſtreicher Lehrer ihr Hertze einmahl ge - ruͤhret, ſo bekommen ſie einen fliegenden Andachts - Trieb, iſt ein hefftiges Ungewitter am Himmel, daß ihnen den Tod drohet, ſo faͤllt manchen von den Welt-Kindern eine Gedancke ein von der Furcht und Ehrerbietung gegen GOtt. Sehen ſie, daß einer von ihren Cameraden ſich mit einer erbaͤrm - lichen Kranckheit herum ſchleppet, und ſich ſein Zuſtand ſo verſchlimmert, daß er den Pforten der Ewigkeit nunmehr gantz nahe, ſo wuͤrcket die Vor - ſtellung, der Fluͤchtigkeit der menſchlichen Dinge, und der kuͤnfftigen Veraͤnderung einige gute Bewe - gungen in ihren Seelen. Dieſe und andere der - gleichen Umſtaͤnde mehr, machet ſich ein vernuͤnff - tiger Chriſt wohl zu Nutze, und giebet ihnen entwe - der einige erbauliche Lehren zu ihrer Erinnerung und Aufmunterung, oder ſetzt die gottſeeligen Ge - ſpraͤche, die ſie in der Angſt ſelbſt angefangen, wei - ter fort.
§. 22. Er zeiget auf eine uͤberfuͤhrende Weiſe,wie270II. Theil. I. Capitul. wie die Pflichten der Gottſeeligkeit, auch die zeitliche Gluͤckſeeligkeit mit befoͤrdern, und die wahre Ge - muͤths-Ruhe mit wuͤrcken helffen, als welches eine gar angenehme Materie vor die Welt, er beant - wortet ihnen einige Einwuͤrffe, die Satan und das Fleiſch wider die Ausuͤbung des Chriſtenthums und des thaͤtigen Glaubens zu erwegen pflegt, er ſtellt ihnen vor, daß dieſe Pflichten nicht ſo ſchwehr ſind, als ſie den fleiſchlich geſinnten Menſchen wohl anſcheinen, er beobachtet auch hiebey die Regeln der Hoͤflichkeit, Freundlichkeit und Liebe, die er ſei - nem Naͤchſten ſchuldig, er beklaget ſeine eigene Un - vollkommenheiten, und redet von ſeinen eigenen Fehlern, damit es nicht ſcheine, als ob er andere hof - meiſtern wolle, oder ſich beſſer duͤncke, als der an - der. Weil er weiß, daß die Welt die guten Bewe - gungen durch ihre Geſchaͤffte und durch ihre Wol - luͤſte bald wieder zu erſticken pflegt, ſo recomman - dirt er ihnen bey der Gelegenheit, wenn er mercket, daß er ſeinen Diſcours bald ſchluͤſſen muß, ein und ander erbauliches in der Teutſchen oder Frantzoͤſi - ſchen Sprache, geſchriebnes Tractætgen, bittet ſich auch wohl die Erlaubniß aus, einem, der einen Ge - fallen daran bezeuget, ſolches Buch, daferne ers be - ſitzt, in das Hauß zu ſchicken, und es ihm zu leihen, er weiß, daß das Leſen eines guten Buches mehr er - bauet, als offters viel Predigten.
§. 23. Denen vielen unnuͤtzen Worten, ſo die Welt vorbringt, iſt auch mit beyzuzehlen, wann ſie von demjenigen, den ſie zu ihrem Beicht-Vater er -wehlt,271Vom Gottesdienſt. wehlt, auf das ſchimpfflichſte urtheilen. Es iſt ſchlimm, daß ſie in ihren Reden, ohne daß es ihr Be - ruff und die Nothwendigkeit der Sache zu erfor - dern pflegt ihren Naͤchſten uͤberhaupt richten; noch ſchlimmer iſts, daß ſie rechtſchaffene Prieſter ver - unglimpffen, und am allerſchlimmſten, daß ſie vor ihrem Beicht-Vater nicht groͤſſere Ehrerbietung haben; ich rede aber hier von ſolchen Beicht - Vaͤtern, die ſich bey ihrer reinen Lehre und gott - ſeeligem Leben, als treue Haußhalter GOttes und Vorbilder ihrer Heerde auffuͤhren; Hat ein treu geſinnter Diener GOttes offenbahre Laſter be - ſtrafft, oder wie es die Welt nennt, auf der Cantzel geſchmaͤhlt, ſo iſt man hinter ihn drein, man ſchmaͤ - het und verfolgt ihn, wo man weiß und kan. Sol - che Prieſter hat die Welt gerne, die ſtets troͤſten, und niemahls ſtraffen, die Welt will alles thun, was ſie will, und die Prieſter ſollen ihrer Boßheit und unbaͤndigen Freyheit in keinem Stuͤck einigen Einhalt thun. Wenn ſie doch vor ihre Beicht - Vaͤter ſo viel Ehrerbietung haͤtten, als vor ihre Me - dicos, denen ſie ſich anvertraut; Zeiget ihnen der Medicus, daß ſie ſich auf dieſe oder jene Art die Kranckheit zugezogen, er warnet ſie vor allen dem, was ihnen ſchaͤdlich, beſtraffet ſie auch wohl, und verweiſet ihnen erſtlich, daß ſie ſeiner Vorſchrifft nicht gefolget, und durch ihre Nachlaͤßigkeit und Unordnung ihren Zufall verſchlimmert, ſo nehmen ſie alles vor gut auf, ſie loben ſeine Sorgfalt, ſie dancken ihm vor ſeine Treue, zeiget ihnen aberder272II. Theil. I. Capitul. der Seelen-Artzt ihre Gebrechen, und warnet ſie vor dem ewigen Tode, ſo wollen ſie empfindlich werden, und dieſe Sorgfalt mit laͤſtern und ver - unglimpffen vergelten.
§. 24. Ein vernuͤnfftiger und glaͤubiger Chriſt iſt auch in dieſem Stuͤck anders geſinnet. Er be - urtheilet zwar die oͤffentlichen und zum Aergerniß gereichenden ſchandbahren Worte und Thaten der laſterhafften Prieſter auf eine ſolche Weiſe wie es ſeyn ſoll; entſchuldigt und uͤberſiehet aber die Fehler der redlichen und Tugendhafften Prieſter in Chriſtlicher Liebe. Gegen ſeinem Beicht-Vater erzeiget er alle Ehrerbietung, er erkennet die Wach - ſamkeit, die er vor ſeine Seele traͤgt, mit allem Danck; Er nimmt ſeine Warnungen mit aller Liebe auf, er laͤſt ſich angelegen ſeyn, den Geboten GOttes zu folgen, ſo darff ihn der Beicht-Vater nicht beſtrafen; Hat er einen Fehler begangen, oder gar einen Fall gethan, ſo giebt er den Privat - Erinnerungen ſeines Beicht-Vaters Gehoͤr, und iſt alsdann geſichert, daß er keine oͤffentliche Be - ſtraffung ſeines Laſters von ihm werde zu erwar - ten haben.
§. 25. Bey dem Beicht-Weſen zeiget ſich unter unſern Weltgeſinnten Chriſten manches aͤrgerliche: Jch will nicht von den innern Handlungen reden, denn dieſe gehoͤren hieher nicht, ſondern nur von dem, was in die aͤuſſerlichen Sinnen faͤllt. Man - che koͤnnen bey der Anrede des Beicht-Vaters nicht hoch genug tituliret und reſpectiret werden. Andere273Vom Gottesdienſt. Andere gehen mit ſo frechen und wilden Geberden zu dem Beichtſtuhl, daß es nicht ſcheinet, als ob ih - nen ihre Suͤnden leyd waͤren, ſondern, als ob ſie den Vorſatz haͤtten, ſo bald ſie die Kirche verlaſſen, ihre alten Suͤnden mit neuen zu haͤuffen; Sie machen eine ſolche Mine, als ob ſie zum Dantz gehen wol - ten. Viele von dem Frauenzimmer wollen als bußfertige Suͤnderinnen erſcheinen, und entbloͤſen doch dasjenige, was die Zucht und Schamhafftig - keit zu bedecken befiehlt, auf eine ſo ſchandbare Weiſe, daß es nicht ſelten dem Beicht-Vater und ihren Neben-Chriſten zum Aergerniß gereicht; Sie wollen aus bloſſem Hochmuth und Eigenſinn, damit ſie vor andern und vor den gemeinen Leuten etwas beſonders haben, die bunten Parade-Klei - der auch zu dieſer Zeit nicht ablegen. Die meiſten lauffen aus bloſſer Gewohnheit zu dem Beichtſtuhl. Sie rechnen entweder in dem Calender nach, ob diejenige Zeit, die ſie hierzu beſtimmen, bereits ver - floſſen, oder ſie geben Acht auf andere, nach denen ſie ſich etwan in dieſem Stuͤck zu richten pflegen. Am allerſchaͤndlichſten aber iſt, daß einige, die ſonſt mit der wilden Ganß in die Wette zu leben ge - wohnt, ſich zu Ablegung des Bekaͤnntniſſes ihrer Suͤnden alsbald entſchluͤßen, wenn ſie bey einem Beſuch gewahr werden, daß einer von ihren Came - raden, oder ſo genannten guten Freunden zum Beichtſtuhl gehen will. Es faͤllt ihnen dasjeni - ge alsdenn ein, weſſen ſie ſich ſonſt nicht erinnert haͤtten, und ſie gehen par Compagnie, wie ſieSwohl274II. Theil. I. Capitul. wohl ſelbſt ſagen, ohne einige Pruͤfung und Zube - reitung, und nicht viel anders, als die Saͤue zum Troge, zum Beichtſtuhl, und zum heiligen Abend - mahl.
§. 26. Unter andern iſt auch dieſes allerdings als ein beſonderer Fehler mit anzuſchreiben, daß einige von dem vornehmen Frauenzimmer und characte - riſirten Mannes Perſonen ſolche einfaͤltige Beicht - Formularien herbeichten, die ſich doch vor ihre Le - bens-Jahre, vor ihren Beruff, Bedienung, und an - dern Umſtaͤnden gar nicht mehr ſchicken. Sie plappern dasjenige her, was ſie vor dreyßig oder viertzig Jahren von ihrem Lehrmeiſter oder Eltern in ihrer Jugend gelernt, und erwegen nicht den großen Unterſchied, der ſich offtmahls zwiſchen ihren jetzigen Umſtaͤnden, und damahligen Umſtaͤnden ereignet. Jn ihren Diſcourſen mit der Welt, ſind ſie mehr als zu klug und zu wort-reich, wann ſie aber mit GOtt reden ſollen, ſind ſie in dem Beichtſtuhl ſo wohl als außer demſelben ungeſchickt, aus ihrem eignen Hertzen etwas herzuſagen. Solten man - che mit einer ſolchen Vergeſſenheit von GOtt ge - ſtrafft werden, daß ſie ihre Beicht-Formulgen, wie ſie es gelernt, vergaͤßen, ſo wuͤrden ſie genoͤthiget werden, zu einem Prieſter zu gehen, der ihnen wie - der ein neu Beicht-Formular aufſetzte. Der Einfalt des Poͤbels muß man dieſes zu gut halten, wenn aber die Hoͤhern den Poͤbel in dieſem Stuͤck aͤhnlich werden, ſo iſt es vor etwas unanſtaͤndiges anzuſehen. Bey ihren Geſpraͤchen mit der Welt,ziehen275Vom Gottesdienſte. ziehen ſie die Umſtaͤnde, der Oerter und Perſonen, mit denen ſie reden, in Betrachtung, weil die Re - geln der Klugheit und des Ceremoniels ſolches er - fordern, bey ihren Reden mit GOtt aber, ſetzen ſie dieſe Regel bey Seite.
§. 27. Ein Theil der Cavaliers, Officiers, und anderer, die berechtiget ſind den Degen zu tragen, wollen auch denſelben nicht ablegen, wenn ſie heilige Handlungen vorhaben, und bey dem heiligen Nachtmahl zum Tiſch des HErrn hintreten wol - len, da doch dieſer ſonſt an und vor ſich ſelbſt un - ſchuldige Gebrauch, durch die Obſervanz, und zwar nach Anleitung guter Gruͤnde, an einigen Or - ten abgeſchafft worden. Sie wollen ihn aber mit Gewalt wieder einfuͤhren, und bilden ſich ein, es gienge ihrer Grandezza etwas ab, wenn ſie bey dem heiligen Altar ihren Degen ablegen ſolten, ſie fangen nicht ſelten mit dem Prieſter deswegen an zuzancken, und werffen ihm wohl gar einen Inju - rien-Proceß an den Halß. Es ſind aber die Argumenta der Herren Theologen, durch wel - che ſie das Degen tragen vor dem heiligen Altar, und vor dem Tauf-Stein abrathen, nicht unge - gruͤndet, da man den Degen bey vielen Hochzei - ten uud buͤrgerlichen Zuſammenkuͤnfften ablegt, und an viel andern Orthen, wo es die Obſervanz einge - fuͤhrt, z. E. wenn ſich Fuͤrſtliche Herrſchafften auf ihren Land-Schloͤſſern aufhalten; ſo iſt es ja wohl billich, daß man zu Ehren des HErrn aller Herren, und des Koͤnigs aller Koͤnige, ihn von ſich lege. S 2Die276II. Theil. I. Capitul. Die Chriſtliche Kirche macht hier keinen Unter - ſcheid, ob es Nobiles, Soldaten, oder anderer Qualitæten Leute ſind, ſondern derjenigen, ſo ſich der Beneficiorum Eccleſiæ bedienen will, iſt ſchul - dig, ſich derſelben Ritibus zu unterwerffen, indem er nicht als ein Nobilis, oder Soldat, ſondern als ein bußfertiger Suͤnder und Chriſt erſcheinet, oder zum wenigſten davor angeſehen ſeyn will. S. hie - von mit mehrern Wideburgs Diſſertat. de Gladio in Sacramentorum reverentiam deponendo.
§. 28. Der Hochmuth, derer die ſich uͤber an - dere erheben, hat an vielen Orten als ein Ceer - moniel eingefuͤhrt, daß ſie ſich weigern mit der oͤf - fentlichen Gemeinde zum Tiſch des HErrn zu ge - hen, und an ſtatt deren ſich entweder eine eigene Verſammlung erwehlen, die aus Leuten von hoͤ - herm Stande beſtehet, oder gar die heilige Com - munion allein mit ihrer Familie in der Kirche oder Sacriſtey empfangen. Sie zeigen aber auch hiedurch ihren beſondern Eigenſinn an. Sie laſ - ſen ſichs auf Reiſen gefallen, daß ſie mit Leuten von allerhand Stande in oͤffentlichen Gaſt-Hoͤfen zuſammen ſpeiſen, ohne daß ſie vermeynen, daß ihrem Stand hiedurch etwas abgienge, und bey dieſer Liebes-Mahlzeit halten ſie es vor etwas ſchimpfliches, und ihrem Charactere nachtheiliges, wenn einige von den Geringern nebſt ihnen zu - gleich zum Tiſch des HErrn gehen ſolten. Da - ferne hohe Landes-Obrigkeiten an denjenigen Or - ten, wo es biß anhero noch nicht geſchehen, durchLandes277Vom Gottesdienſte. Landes herrliche Mandata und ſcharffe Verbothe dieſem Hochmuth nicht ſteuern, ſo werden ſich die hoͤhern, anſehnlichern und reichern aus mancher - ley Staͤnden, des heiligen Nachtmahls in der Kir - che ſchaͤmen, als wie des Trauens und Kind - taufens.
§. 29. Ein vernuͤnfftiger Chriſt richtet zwar bey der Beichte und bey dem heiligen Abendmahl ſei - ne Gedancken mehr auf die innerliche Zubereitung des Hertzens, als auf das aͤußerliche Ceremonien - Werck; inzwiſchen aber ſetzt er auch die aͤuſ - ſerliche Zucht hierbey nicht aus den Augen. Er wendet eine beſondere Behutſamkeit an, damit er nicht bey ſeinen aͤußerlichen Handlungen in einen und den andern ſeinen ſchwachen Mit-Bruͤdern zu einigem Anſtoß oder Aergerniß werde, er laͤſt das aͤußerliche von dem innerlichen zeugen, vermeydet aber dabey alle phariſaͤiſche Heuchler-Geberden, und auch alle freche Minen der Welt-Kinder, er er - weiſet bey den heiligen Handlungen eine beſondere Demuth und Ehrerbietigkeit, und beobachtet die - jenigen Gebraͤuche, die von der hohen Landes - Obrigkeit und der Kirchen einmahl eingefuͤhret worden.
§. 30. Einige werffen die Frage auf, ob man wohl bey dem lieben Gebet vor dem Tiſche, in der Kirche, und in ſpecie bey dem heiligen Altar, ei - nen alamodiſchen Reverenz machen duͤrffe, oder ob es nicht beſſer ſey, daß man zu derſelben Zeit bey der alten Teutſchen ihren einfaͤltigenS 3Knie -278II. Theil. II. Capitul. Kniebeugen verbleibe; ich halte mit einem gewiſ - ſen Politico, der eben dieſes in einer oͤffentlichen Schrifft anfuͤhret, davor, daß ein Frauenzimmer, ein Cavalier, oder ſonſt ein ehrlicher Mann mit ſei - nem angewoͤhnten regulairen Reverence, welcher er ſich bey ſeiner Devotion aus wahrer Submiſſion gegen dem großen Jehovah bedient, bey GOtt eben ſo angenehm, als ein Altenburgiſcher Bauer mit ſeinem Altfraͤnckiſchen Kniebeugen oder Knickfuß iſt. Es hat uns der große GOtt in ſeinem Wort nirgendswo eine gewiſſe Poſitur hievon vorgeſchrie - ben, ſondern das Ceremoniel dabey eines jeglichem Belieben uͤberlaſſen, er ſiehet dabey auch mehr auf das Hertz und die innerliche Devotion, als auf die aͤußerliche Stellage des Leibes.
§. 1.
DA die Rede ein ziemlich gewiſſes Merck - mahl, daraus man einen Menſchen kan erkennen lernen, ſuchet ein junger Menſch alle Sorgfalt anzuwenden, damit er ſei - ne Worte ſo ſetzen moͤge, daß andere, inſonderheit aber die Hoͤhern, ein zu ſeiner Ehre gereichendes Ur - theil davon faͤllen moͤgen. Wollen es die Umſtaͤn -de279Von der Converſation. de verſtatten, ſo iſt ihm anzurathen, daß er Gele - genheit ſuchen ſoll, mehr mit hoͤhern Perſonen um - zugehen, als mit ſeines gleichen oder geringern. Weil er ſich in der erſtern Geſellſchafft einigen Zwang anthun, und etwas eingezogen leben muß, auch nicht ſans facon leben darf, ſo profitirt er wahrhafftig, macht ſich nach und nach bey ihnen beliebter, und bahnt ſich durch gute Conduite den Weg zur kuͤnfftigen Befoͤrderung. S. des Herrn von Tzſchirnau Unterricht eines getreuen Hofmei - ſters. p. 86. Wenn ſie reden, muß er aufmerck - ſam ſeyn, und weder mit dem Nachbar ſchwatzen, noch ſonſt etwas anders vornehmen, dadurch er den Schein von ſich giebt, als ob er ihnen nicht zuhoͤren wolte. Denn theils kan er aus ihren Diſcourſen eines und das andere lernen, ſo ihm unbekandt ge - weſen, theils ſetzt er ſich bey ihnen mehr in Credit, wenn er ſich bey ihrem Reden aufmerckſam erweiſt. Er muß ſich zwar bey ihrem Umgang ehrerbietig auffuͤhren, jedoch iſt es eben nicht noͤthig, daß er faſt bey einem jeden Wort, wie einige zu thun pfle - gen, einen Reverence macht, ſondern es iſt genug, wenn er dieſe Art der Submiſſion bezeugt, wenn es eine gewiſſe Redens-Art mit ſich bringt.
§. 2. Er vermeydet uͤberhaupt, inſonderheit aber in der Converſation mit vornehmen Leuten, alles was nach dem Poͤbel ſchmeckt, und als eine Frucht einer ſchlechten Aufferziehung anzuſehen, als mancherley Fluͤche und Schwuͤhre, die bey der großen Welt nicht ſo wohl aus Liebe und Ehrerbie -S 4tung280II. Theil. II. Capitul. tung gegen GOtt, als vielmehr aus Liebe zur aͤuſ - ſerlichen Erbarkeit verhaßt ſind, ingleichen alle ge - meine Redens-Arten und Woͤrter, die man bey den gemeinen Leuten hoͤrt, alle laͤppiſche Sprichwoͤrter und Sentenzen, alle abgeſchmackte Hiſtoͤrgen, Aberglauben, und andere dergleichen Poſſen mehr.
§. 3. Es iſt eine ſchaͤndliche Sache, wenn eini - ge, die der Frantzoͤſiſchen, Jtaliaͤniſchen, oder an - dern auslaͤndiſchen Sprachen undwiſſend ſind, ſich dennoch mit einigen Fluͤchen, Schwuͤren, oder gar mit einigen unflaͤtigen Woͤrtern, die ſie daraus er - haſcht, ſich ſo breit zu machen wiſſen, als ob ſie noch ſo viel Frantzoͤſiſch, Jtaliaͤniſch u. ſ. w. koͤnten, und ſolche uͤberall in ihrer Converſation mit vorbrin - gen, es mag ſich ſchicken oder nicht. Alſo miſchen ihrer viele die Frantzoͤſiſchen Fluͤche mort Dieu, mor bleu, par bleu, jarny bleu, als eine ver - meintliche Zierde, ihren Reden mit bey, damit ſie dieſelben ausſchmuͤcken wollen. Curioſus Ale - thophilus erzehlt in ſeinem Ceremoniali aulico, pag. 65. daß er zu ſeiner Zeit an dem Kaͤyſerlichen Hofe einen Cavalier gekandt, der ſich eine gewiſſe obſcœne Jtaliaͤniſche Benennung ſo angewoͤhnt, daß er ſich derſelben oͤffters vernehmen laſſen. Als ihm nun die Roͤmiſche Kaͤyſerin ein wohlgemacht neu Kleid gezeiget, habe er nach erwehnten heßli - chem Wort geſagt, das iſt ein ſchoͤn Kleid. Die Kaͤyſerin haͤtte ihn hierauf gefragt, ob er ſonſt Jtaliaͤniſch koͤnte, wie ers nun verneinet, haͤtte dieKaͤyſe -281Von der Converſation. Kaͤyſerin angefangen: Ey ſo laßt das auch bleiben. Es iſt eine gute Erinnerung, die mancher ebenfalls noͤthig haͤtte, der alle Augenblicke entweder mit einem Frantzoͤſiſchen Fluche, oder mit ſeinem enfin, oder mit einem andern Worte um ſich herum wirfft.
§. 4. Die Liebe zur Galanterie und zur Frantzoͤ - ſiſchen Sprache iſt ſo eingeriſſen, daß es vielen Teutſchen faſt gantz unmoͤglich fallen will, ohne Frantzoͤſiſche Woͤrter mit einzumiſchen, Teutſch zu reden; Es waͤre aber wohl am beſten, wenn man eine jede Sprache in der Verbindung ihrer eigen - thuͤmlichen Woͤrter redete, die man reden wolte; Jnſonderheit aber hat man ſich in Acht zu nehmen, daß man im Teutſch-reden nicht ſolche Frantzoͤſiſche Woͤrter gebrauche, die etwan demjenigen, mit dem man redet, unbekandt ſeyn, und da uns denn der an - dere nachgehends nicht verſtehen moͤchte, oder einen falſchen und unrichtigen Verſtand heraus bringen; Es geſchicht nicht ſelten, daß der andere bey derglei - chen Fall, da es ihm zur Verachtung gereichen koͤn - te, uͤber den andern unwillig wird. Es fragte ein - ſten einer ein Frauenzimmer vom Lande, die ſich in einer Fuͤrſtlichen Reſidentz eine Zeitlang aufgehal - ten, wie lange ſie ihr Sejour allhier gehabt? Das gute Maͤdgen bekandte aufrichtig, ſie wuͤßte nicht was Sejour hieſſe, die andern aus der Geſellſchafft fiengen hieruͤber an zu lachen, und das Frauenzim - mer fand ſich hiedurch beleidiget.
§. 5. Einige junge Leute, von maͤnnlichem undS 5weibli -282II. Theil. II. Capitul. weiblichem Geſchlecht, ſind in ihren Reden allzu frey, ſie plaudern ſtets, ſie moͤgen ſich in einer Ge - ſellſchafft befinden, in welcher ſie wollen, und es mag klingen wie es will; Andere aber bilden ſich ein, ſie wuͤrden vor andern das Lob davon tragen, daß ſie recht erbar waͤren, wenn ſie gar nichts redeten, ſie dencken, der unumgaͤngliche Wohlſtand erfordere dergleichen Stillſchweigen. Will man bey ihnen, wenn man ſie gantz und gar nicht kennet, in Erfah - rung kommen, ob ſie nicht etwan von Natur gantz und gar ſtumm ſind, ſo muß man ſie etwan mit Ge - walt zu einem Ja oder Nein, oder ſonſt zu ein paar Woͤrterchen zwingen, die ſie ausſprechen muͤſſen, und damit iſt der Diſcours hernach geendiget.
§. 5. Ein Vernuͤnfftiger bemuͤhet ſich in ſeinen Reden das rechte Maaß und das rechte Tempo zu treffen, er erweiſet, daß er zu reden, aber auch zu ſchweigen wiſſe, weil beydes ſeine Zeit hat; er traͤgt von denen, die das Reden vertragen koͤnnen, das Lob der Wohlredenheit davon, wird aber deswe - gen nicht vor einen Schwaͤtzer angeſehen. Ken - net er die Gemuͤths-Beſchaffenheit derſenigen, mit denen und bey denen er redet, ſo richtet er ſich dar - nach, und bey der Ungewißheit ſpricht er lieber zu wenig, als zu viel; er beurtheilet, ob er geſchickt ge - nug ſey, andere mit Diſcourſen zu unterhalten, und ob dieſes von ihm gefordert werde, oder ob andere vorhanden, denen dieſes anſtaͤndiger. Einige Hoͤ - here, auch wohl von den hohen Standes-Perſonen, koͤnnen es gar wohl leiden, wenn mancher, der beyihnen283Von der Converſation. ihnen iſt, viel ſpricht, dafern er nur vernuͤnfftig zu re - den weiß. Bißweilen achten ſie es gar vor eine Schuldigkeit, daß man ſie mit Diſcourſen unter - haͤlt; andere hingegen koͤnnen es nicht wohl leiden, und ſehen es lieber, wenn man ſtille ſchweigt.
§. 7. Bey Anfang eines Geſpraͤches in einer Geſellſchafft iſt Behutſamkeit noͤthig, zu beurthei - len, von was vor einer Materie man anfangen ſoll zu diſcouriren; ingleichen, ob nicht ein anderer in der Geſellſchafft, ſeinem Stande, Alter und Bedie - nung nach, wuͤrdiger ſey, eine Materie aufs Tapet zu bringen. Kommt man in eine Geſellſchafft, da man die meiſten, oder doch ſehr viel daraus kennet, oder man hat ſonſt viel geleſen, geſehen, gehoͤrt und erfahren, ſo findet ſich Materie und Gelegenheit ge - nug zum Reden. Sonſt iſt am ſicherſten, daß man den Diſcours mit einer unſchuldigen Sache eroͤffne, doch muß man den abgeſchmackten Wetter-Dis - cours, der im Augenblick zu Ende gehet, beyſeite ſetzen. Weil die meiſten Menſchen neubegierig ſind, ſo iſt gut, wenn man etwas neues zu erzehlen weiß, das den andern etwan noch nicht bekandt, es ſey nun von oͤffentlichen Handlungen, oder andern Erzeh - lungen, die Privat-Perſonen angehen, und dadurch niemand einig Nachtheil zugezogen wird, alsdenn kan man ſchon ſehen, auf was vor Materien, die mit dieſen einige Verwandtſchafft haben, die an - dern nachgehends fallen, und das Geſpraͤch wird ſodann von andern weiter fortgeſetzt werden. Bey der Fortſetzung ſeines eignen Diſcourſes muß mandas284II. Theil. II. Capitul. das rechte Tempo treffen, damit man nicht den Schein einer Ruhmraͤthigkeit von ſich gebe, als ob man vor allen andern am wuͤrdigſten ſey, zu reden, und am geſchickteſten, die Geſellſchafft zu unter - halten.
§. 8. Es iſt uͤberhaupt eine unangenehme Sa - che, andern Leuten zu widerſprechen, wo es nicht Pflicht und Gewiſſen erfordert, inſonderheit aber iſt es wider den Wohlſtand, wenn man es bey den Hoͤhern thut, denen man Ehrerbietung ſchuldig iſt; Solte man auch das groͤſte Compliment dazu machen, daß ſie es einen zu Gnaden ſolten halten, ſo wird man ihrer Ungnade doch nicht entgehen, und vor einen ſehr plumpen Menſchen angeſehen werden. Es gehet dieſes auch ſo weit, daß man ſie bey ihren Reden, wenn ſie in einem und andern etwan gefehlet, nicht corrigiren muß, es waͤre denn daß ſie uns befragten, und wolten eines andern be - lehret ſeyn, alsdenn iſt man verbunden, mit Hoͤf - lichkeit, Sittſamkeit und einer guten Tour ihre Feh - le zu verbeſſern.
§. 9. Bißweilen finden die Hoͤhern einen Ge - fallen drinnen, wenn ſie Gelegenheit haben, mit einem vernuͤnfftigen jungen Menſchen, der in Stu - diis etwas gethan, uͤber dieſer oder jener Materie ſich in einen kleinen Diſpüt einzulaſſen, wo nun ein junger Menſch vorher weiß, daß es ein Hoͤherer lei - den kan, wenn man ihm nicht alſofort recht giebt, oder auch wohl gar Befehl ertheilt, zu einigem Wi - derſpruch, ſo muß er ſich ihm auch hierinnen gefaͤlligerwei -285Von der Converſation. erweiſen, und ihm mit Vernunfft und Beſcheiden - heit ſo lange widerſprechen, als er ſpuͤhret, daß es dem Hoͤhern gelegen ſeyn moͤchte, iedoch zu rechter Zeit auch wieder abbrechen, und niemals den Schein von ſich geben, als ob man ihn eintriebe, und in Beſtreitung der Wahrheit beſiegen wolle.
§. 10. Es geſchicht auch wohl, daß die Hoͤhern einem jungen Menſchen, oder auch einem andern, eine Gewiſſens-Frage vorlegen, die GOttes Ehre und der Seelen Seligkeit anbetrifft, und die Ent - ſcheidung von ihm verlangen. Sie fragen biß - weilen, ob dieſe oder jene Handlung, die ſie doch ſelbſt oͤffters unternehmen, dem Worte GOttes nach erlaubt, oder verboten ſey. Die wenigſten thun dieſes aus einer Begierde, einen wahren Un - terricht zu erlangen, und gemeiniglich wiſſen ſie es ſelbſt vorher mehr als zu wohl, was recht oder un - recht, ſuͤndlich oder nicht ſuͤndlich; ſondern ſie hegen gantz andre Abſichten darunter, ſie wollen einem Fallen ſtellen, wie man ſich bey der Antwort auffuͤh - ren werde, ſie wollen probiren, ob man mehr Furcht vor GOtt als vor Menſchen habe, ſie wollen ſehen ob man in dem Stande ſey, etwas mit tuͤch - tigen Gruͤnden zu behaupten, ob man auch gehoͤrige Klugheit und Beſcheidenheit beſitze, es mit einer guten Tour einzurichten. Bey dieſem Fall hat man Gelegenheit GOtt vor der Welt zu bekennen, man muß die Feindſchafft GOttes mehr ſcheuen, als die Feindſchafft der Welt, und wo es auf die Ehre GOttes ankoͤmmt, muͤſſen die Hof-Streicheund286II. Theil. II. Capitul. und Welt-Manieren aufhoͤren; iedoch muß man auch mit Abſtattung der Pflichten, die man dem großen GOtt ſchuldig, die Hoͤfligkeit und Chriſt - liche Klugheit vereinigen. Man thut wohl, wenn man nicht ſelbſt decidirt, ſondern die Saͤtze und Gruͤnde aus GOttes Wort anfuͤhrt, da er dieſes oder jenes verboten, und wenn man alles auf eine uͤberzeugende Weiſe vorgeſtellt, alsdenn der Uber - legung der Hoͤhern ſelbſt anheim ſtellt, auf was vor Art ſie dergleichen Handlung anzuſehen ha - ben.
§. 11. Gleichwie unſere vernuͤnfftige Hand - lungen mit einander harmoniren muͤſſen, alſo muß man auch dahin ſehen, daß unter den Materien der Rede eine Verwandtſchafft ſey, und man nicht leicht etwas vorbringe, als was mit dem, ſo man vorher geſprochen, einige Verbindung habe, oder wozu des andern Diſcourſe Gelegenheit geben. Unſere Gedancken ſchweifen wohl bald auf dieſes, bald auf jenes aus, und finden aus des andern Re - den einige Verknuͤpffung, wenn aber den andern aus der Geſellſchafft dieſelbige etwas fremde und unbekannt anſcheinen moͤchte, ſo muß man dieſe Gedancken lieber bey ſich behalten, und ſie nicht muͤndlich ausdruͤcken.
§. 12. Es iſt nichts ſo unangenehm und verdrieß - lich, als die Diſcourſe gewiſſer Leute, welche ſich befleißigen, und gleichſam eine Ehre darinnen ſu - chen, daß ſie alles ſagen, was ſie gedencken. Ein Menſch von ſolcher Gemuͤths-Beſchaffenheit, wirdkein287Von der Converſation. kein Bedencken tragen, ſolche Dinge zu ſagen, wel - che andre Leute beleidigen, nur allein aus Luſt, weil er ſie gerne ſagen will, wobey er nicht betrachtet, daß, wenn er dieſelben bey ſich behalten haͤtte, er mit mehrer Hoͤflichkeit eben ſo tugendhafft geblie - ben waͤre, als er zuvor geweſen, und daß er entwe - der einen Freund haͤtte beybehalten, oder doch ſein Gluͤck ſonſt beſſer machen koͤnnen. ſ. Faramonds Diſcourſe uͤber die Sitten der gegenwaͤrtigen Zeit p. 255.
§. 13. Einige verletzen durch ihre unbedachtſa - men Fragen, die ſie nach einander haͤuffen, die Re - geln des Wohlſtandes gar ſehr; manche thun es aus einer unbeſonnenen Leichtſinnigkeit, andre aber aus einer haͤmiſchen und tuͤckiſchen Neugierigkeit, es wuͤrde mancher nicht kommen bey dem andern ſeinen Beſuch abzuſtatten, wenn ihn nicht die Be - gierde antriebe, etwas von des andern Umſtaͤnden, die er gern wiſſen moͤchte, unter dem Schein eines Freundſchafftlichen Beſuches aus zu ſpioniren: Wo man nun mit ſolchen neugierigen Leuten um - zugehen hat, muß man auf ſeiner Hut ſtehen, daß man ihnen nicht mehr entdecke, als ſie wiſſen ſollen, oder ihnen nach Gelegenheit ſolche Erinnerung ge - ben, daß ſie einen ein andermahl mit dergleichen unbedachtſamen Fragen verſchonen.
§. 14. Es waͤre gut, wenn alle unſere Teutſchen eine ſolche Fertigkeit in ihrer Mutter-Sprache be - ſaͤßen, daß ſie geſchickt waͤren in einer guten Ord - nung, und mit einer richtigen Verbindung, eine voll -ſtaͤn -288II. Theil. II. Capitul. ſtaͤndige und weitlaͤufftige Erzehlung, eine Ge - ſchichte, mit allen ihren Umſtaͤnden, vorzubringen. Einige koͤnnen den Schluß nicht finden, und verir - ren ſich in ihren Reden, wie in einem Jrr-Garten, andere beſchauen die Naͤgel, und erwarten durch derſelben Anblick eine beſondere Huͤlffe, noch ande - re machen unnoͤthige Wiederhohlungen, und fuͤh - ren auf eine verdruͤßliche Weiſe uͤberfluͤßige Um - ſtaͤnde an, die nicht zur Sache gehoͤren, oder dehnen die Worte, und ſchnarchen gleichſam dazu, damit ſie nur Zeit gewinnen, inzwiſchen weiter nachzu - dencken. Bey vielen, die ſich doch weiſer duͤncken, als andere Leute, entſtehet eine Ubelredenheit da - her, daß ſie es in ihren Reden gar zu zierlich machen wollen, und allzuviel Oratorie mit einmiſchen. Sie werden in dieſem Stuͤck von vielen vom Frau - enzimmer uͤbertroffen, welche nach Anleitung einer natuͤrlichen Beredſamkeit, in ihrem Vortrage or - dentlicher ſind, als manche von den Gelehrten.
§. 15. Es waͤre eine gar nuͤtzliche Arbeit, wenn Hofmeiſter und Vaͤter, die hiezu die gehoͤrige Ge - ſchicklichkeit beſaͤßen, junge Leute, von Jugend auf anfuͤhrten, daß ſie aus der Acerra Philologica, oder einem andern hiſtoriſchen Buch, eine etwas weitlaͤufftige Geſchicht in guter Ordnung und ohne Anſtoß her erzehlen lernten, und wo ſie einige Feh - ler hierbey wahrnehmen, dieſelben verbeſſerten. Durch dieſe Ubung wuͤrden ſie nach und nach zu einiger Fertigkeit gelangen, die ihnen in dem gan - tzen Leben zu einiger Erleichterung ſeyn wuͤrde. Esberu -289Von der Converſation. beruhet auf einigen allgemeinen Regeln und An - merckungen der natuͤrlichen Beredſamkeit, und iſt weit nuͤtzlicher, als die vielen oratoriſchen Figuren, zu denen junge Leute angefuͤhrt werden. Es gehet bißweilen eine lange Zeit hin, ehe eine Gelegenheit vorfaͤllt, eine zierliche Rede nach der Kunſt zu hal - ten, einen natuͤrlichen und ordentlichen Vortrag hingegen braucht man alle Tage, theils in Reden, theils in Schreiben, da man eine ſpeciem facti auf - ſetzen, oder einen Bericht abſtatten muß.
§. 16. Ein vernuͤnfftiger Menſch muß in ſeinen Reden auch auf den Thon der Sprache Achtung geben, damit er auch hiebey den Wohlſtand beob - achtet, und dem Spoͤtter nicht Gelegenheit gebe, ungleich von ihm zu urtheilen. Er kan ſich zwar keinen andern Klang der Ausſprache geben, als ihm GOtt und die Natur durch die Geburth mit - getheilet, er muß aber doch, ſo viel als moͤglich, an ſich beſſern, daß er dasjenige, was hierbey vor un - angenehm und unanſtaͤndig geachtet wird, ver - meyden moͤge, dieſemnach muß er den Accent, der ſein Vaterland vermuth, und etwan bloß dem Poͤbel unter ſeinen Landes-Leuten eigenthuͤmlich iſt, weg - laſſen, und ſich einen andern angewoͤhnen. Er muß in der gemeinen Converſation nicht pathe - tiſch oder oratoriſch reden, welchen Fehler man bey einigen von den Herren Geiſtlichen gewahr wird, die auf der Cantzel eine gute Schwadam ha - ben, und in dem gemeinen Diſcours den Klang ihrer Worte ſo einrichten, als ob ſie auf dem Ca -Tthe -290II. Theil. II. Capitul. theder ſtuͤnden. Er muß nicht ſo leiſe reden, als ob er in einer Wochen - oder Patienten-Stube waͤ - re, da der ſchlaffende in ſeiner Ruhe nicht geſtoͤhret werden ſolte, auch nicht ſo ſchreyen, wie ein Zahn - Artzt, er muß einen allzuhellen und auch zu groben Klang vermeyden, und nicht zu geſchwinde, auch nicht zu langſam reden, jedoch mehr langſam, als geſchwinde.
§. 17. Bey gewiſſen Erzehlungen muß man nichts anders vorbringen, als Worte, die einem nach ſeiner Ausſprache eigenthuͤmlich ſind, und al - les fremde unanſtaͤndige Weſen weglaſſen. Hie - her gehoͤrt, wenn manche bey gewiſſen Umſtaͤnden den Klang der Thier in der Converſation nach - ahmen, oder ein ander Geraͤuſch mit ihrer Stimme ausdrucken wollen, wann ſie etwan beſchreiben, wie es bey dem ſpuͤcken oder auch ſonſt geklungen, oder in der andern Pronunciation vorſtellen, und wunderliche Geberden darzu machen. Obſchon dergleichen einem und andern, theils ihres Metie, theils ihres Alters, Anſehens und Verdienſts we - gen zu gut gehalten wird, ſo wird man es doch ei - nem jungen Menſchen, der ſein Gluͤck in der Welt machen ſoll, nicht leicht vergeben, ſondern dieſer muß ſich auch in dieſem Stuͤck accurat auffuͤh - ren.
§. 18. Es laͤſt nicht wohl, wenn ſich einige bey Erzehlung ihrer luſtigen und ſpaßhafften Begeben - heiten bald kranck lachen wollen, und faſt vor dem vielen Lachen nichts herausbringen koͤnnen, zumahlwenn291Von der Converſation. wenn dergleichen in Gegenwart hoͤherer Perſonen geſchicht, oder wenn ſie ſagen: Nun geben ſie recht Achtung, jetzt kommt es noch viel luſtiger, ſie ge - ben den Schein von ſich, als ob ſie wie ein Zahn - Artzt ihre Zuhoͤrer zu einer beſondern Aufmerckſam - keit hiedurch aufmuntern wolten.
§. 19. Das Aufſchneiden iſt von vernuͤnfftigen Leuten jederzeit als etwas laſterhafftes verabſcheuet worden, und wird mit gutem Fug als eine Schwaͤ - che des Verſtandes angeſehen. Sarnicius erzeh - let von der Republica Babinenſi, oder Narren - Geſellſchafft, daß ſie von etlichen Polniſchen Magnaten angelegt worden, und aus lauter Raille - rien beſtanden, haͤtte einer aus der Geſellſchafft von der Jaͤgerey allzuviel aufgeſchnitten, ſo haͤtten ſie ihn zum Ober-Jaͤgermeiſter ihrer Zunfft ge - macht, einen andern aber, der von ſeinen Helden - Thaten viel hergeplaudert, zum Feld-Herrn ihrer Compagnie erwehlt, durch dieſe Narren-Benen - nungen haͤtte man es endlich dahin gebracht, daß die gewaltigen Aufſchneider unter dieſen Landes - Leuten abgekommen.
§. 20. Ein vernuͤnfftiger Menſch vermeidet in ſeinen Reden ſo wohl das Prahlen, als auch das unnoͤthige Klagen, und erzehlet nicht leichtlich et - was, das zu ſeiner oder der Seinigen Verachtung gereicht, und wodurch er ſich bey der Geſellſchafft geringer macht; er weiß wohl, daß er bey den we - nigſten Mitleiden findet, und mehrere ſich uͤber ſei - nem Unfall kuͤtzeln und erfreuen, als betruͤben; erT 2kla -292II. Theil. II. Capitul. klaget ſeine Noth zufoͤrderſt GOtt, und denjenigen, von denen er ſich mit gutem Grund Huͤlffe oder Troſt zu verſprechen hat, im uͤbrigen weiter niemand nicht.
§. 21. Bey ſeinen Reden beobachtet er nicht al - lein die Umſtaͤnde der Perſonen, und der Zeit, ſon - dern auch des Ortes: Bey Tiſche enthaͤlt er ſich alles deſſen, wodurch der Appetit zum Speiſen koͤn - te gemindert werden. Es war demnach ein gar un - ſauberer Diſcours, wie ein gewiſſer Prieſter uͤber der Tafel einer hohen Standes-Perſon erzehlte: daß ſeine ſelige Frau mit unſaͤglichen Steinſchmer - tzen beſchweret geweſen, es waͤre ihr auch noch kurtz vor ihrem Tode ein Stein aus der Harn-Roͤhre gegangen, der ſo groß geweſen, als die Mandelkerne, die die Fuͤrſtliche Perſon damahls in der Hand hat - te. Bey dieſer Erzehlung ward der Teller mit den Mandelkernen geſchwinde hervor gegeben, und der Tiſch-Geſellſchafft der Appetit zum Mandelkernen ziemlich vermindert.
§. 22. Von geſalbten Haͤuptern, Durchlauch - tigen und illuſtren Perſonen beyderley Geſchlechts, bevorab von ſeiner eigenen Landes-Herrſchafft, re - det er mit beſonderer Ehrerbietung, als welche GOtt gewuͤrdiget, ſeine Stelle auf Erden zu verwalten, denn er weiß ihre geheimen Abſichten nicht, deren guter Ausgang ihm offt weiſen kan, wie ſehr er ſich in ſeinem unbedachtſamen Urthel vergangen. Er iſt nicht zum Schiedsmann und Richter ihrer Tha - ten geſetzt, welches ſich GOtt allein vorbehalten;er293Von der Converſation. er haͤlt davor, daß er kein Recht, keine Vollmacht, ja nicht Verſtand und Erfahrung gnug habe, von ſolchem ein geſchickteres Raiſonement zu faͤllen. Jhre Rathſchluͤſſe geſchehen in geheimen Cabine - tern, darein kein niedriges Auge zu ſehen Erlaubniß hat. Fuͤrſten haben lange Arme, welche die Tad - ler zuͤchtigen, ſtuͤrtzen und toͤdten koͤnnen. S. Neu - kirchs Anweiſung zur Conduite, p. 62.
§. 23. Mit der Religion ſchertzet er niemahls, damit er nicht den Schein von ſich gebe, als ob er gar wenig Ehrerbietung vor ſie hege. Die Reli - gion iſt ja das Aller-Ehrerbietungs-wuͤrdigſte und Venerableſte von der Welt. Heiſt nun dieſes die - ſelbe reſpectiren, wenn man kluge Kurtzweile damit treibet, die eine Verachtung vor ſolche erwecken koͤnnen? Giebt es denn in der Welt ſonſt keine Sachen, die eine Raillerie verdienen, wenn man durchaus ſchertzen will? Und muß man ſolche Sa - chen angreiffen, deren Hoheit uns unſere Nichts - wuͤrdigkeit erkennen lernen, deren Autoritaͤt nichts als Gehorſam von uns fordert, und deren heiliges Weſen und Reinigkeit uns ſelbſt zitternd machen, wenn wir uns nur Gedancken aufſteigen laſſen, ſie mit verwegenen Stichel-Reden, Correctionen und Critiquen anzugreiffen? Gewiß, die frechen Redner wuͤrden vielmahls davon ſchweigen, wenn ſie von der allerheiligſten Wahrheit derſelben verſi - chert waͤren. S. Menantes kluge Behutſamkeit im Reden. p. 49.
T 3§. 24.294II. Theil. II. Capitul.§. 24. Es iſt gar ſehr dem Wohlſtand zuwider, wenn einige in den Geſellſchafften ſtets mit ihrem Nachbarn alleine reden, und ihm etwas heimlich ins Ohr ſagen, das die andern aus der Geſellſchafft nicht vernehmen ſollen. Chloris bekennet mit Wahrheit, in der galanten Frauenzimmer-Morale p. 81. daß es die beſte Mode nicht waͤre, die viele von ihrem Geſchlecht an ſich haͤtten, daß, wenn zu - mahl Bekandte zuſammen kaͤmen, ſie einander be - ſtaͤndig nach den Ohren fuͤhren, und bald jene dieſer, bald dieſe jener etwas zuziſchelten, auch wohl ſodann ein heimlich Gelaͤchter daruͤber aufſchluͤgen. Noch unanſtaͤndiger iſts, wenn Manns-Perſonen dem Frauenzimmer etwas ins Ohr ziſcheln; denn, wer will denen, ſo dabey ſitzen, verwehren, daß ſie das nicht vor eine Marque groſſer Vertraulichkeit anſe - hen, die ſie ihnen nicht zum beſten ſprechen wer - den.
§. 25. Man muß ſich in ſeinen Reden allezeit ſo bezeigen, daß man ſich bey dem andern Liebe er - wecke, und ihm gefaͤllig erweiſe. Dieſemnach muß man ſich, ſo viel als moͤglich, enthalten, daß man dem andern keine verdruͤßliche und unangenehme Nach - richt uͤberbringe, und nicht der erſte von dem ſey, der ſich hierzu gebrauchen laͤſt. Man muß den an - dern in ſeinen Reden ohne Noth nicht hofmeiſtern, noch deſſen Diſcourſe beurtheilen. Man muß die Converſation als eine freye Handelſchafft anſehen, da einem jeden vergoͤnnt, ſchlechte und auch beſſere Waaren auszulegen. Es laͤſt ſehr unglimpflich,wenn295Von der Converſation. wenn man auf des andern Erzehlung hinzu fuͤgt: Das iſt nichts neues, dieſes iſt ſchon laͤngſt bekandt. Menantes ſagt, in ſeiner klugen Behutſamkeit zu re - den p. 4. ſehr wohl: Eine Geſchichte, die man mir erzehlet, und wovon mir alle Umſtaͤnde bekandt, wird mir mehr Zufriedenheit ſchencken, als wenn ich des andern Erzehlung unterbreche, und zu erken - nen gebe, wie er mir nichts neues ſagen kan, denn dadurch verurſache ich ihm einen Verdruß, und bin im Gegentheil vergnuͤgt, wenn ich ſehe, daß ich mich bey dem andern in groͤßre Gunſt ſetze, wenn er glaubt, daß er mir etwas neues ſagen kan.
§. 26. Es ſchmeckt uͤberhaupt ſehr nach dem Poͤbel, wenn man dem andern in die Rede faͤllt, und darauf verſetzt: vergeſſen ſie ihre Rede nicht; es wird ſich ja ſehr ſelten zutragen, daß ſo viel Ge - fahr in dem Vorzug ſeyn ſolte, daß man nicht mit ſeinem Diſcours ſolte warten koͤnnen, biß ihn der andere gantz geendiget. Gegen halsſtarrige Leute, die ſo gerne recht haben wollen, muß man ſich ſehr behutſam auffuͤhren. Man richtet bey ſolchen Leu - ten bißweilen mit Stillſchweigen viel mehr aus, als mit dem ſtaͤrckſten Widerſpruch; durch das Still - ſchweigen gewinnen ſie eher Zeit, ihrem unvernuͤnff - tigen Weſen nachzuſinnen, und ihr Unrecht zu erken - nen, da ſie hingegen durch den Widerſpruch in groͤſ - ſere Hitze und ſtaͤrckere Affecten geſetzet werden. Man muß, ſo viel als moͤglich, beſorgt ſeyn, daß ei - nem nicht etwan ein Wort entfahre, welches je - mand in der Geſellſchafft uͤbel aufnehmen koͤnte;T 4und296II. Theil. II. Capitul. und iſt dergleichen uͤbereiltes Verſehen etwan vor - gegangen, ſo muß man ſich alſo erklaͤren, daß der an - dere damit zufrieden ſeyn, und ſich nicht vernuͤnffti - ger weiſe uͤber uns beſchweren kan. Wo man aber merckt, daß der andere in ſeinen Worten auf uns zielen moͤchte, ſo muß man ſich dieſes nicht alſofort annehmen, ſondern anſtellen, als ob mans nicht hoͤrte und nicht verſtuͤnde, es muͤßte denn unſere Eh - re auf eine ſo empfindliche Weiſe dadurch verletzt werden, daß unſere Gluͤckſeligkeit ſehr beeintraͤchti - get wuͤrde.
§. 27. Es iſt in der That ſehr laͤcherlich, wenn einige junge Leute, die das Lehr-Geld noch ſchuldig ſind, bey der erſten Anrede und Bekandtſchafft ge - gen dem andern eine ſo große Vertraulichkeit be - zeigen, daß ſie ihm aus Confidence oder ſub roſa, wie ſie ſagen, ſolche Sachen in ihren Diſcourſen anvertrauen, die entweder wuͤrcklich vor etwas Ge - heimes zu achten, oder die ſie doch nach ihrer Be - urtheilung davor anſehen. Sie bezeugen hie - durch, daß es ihnen an der Erfahrung fehle, und an der Gabe die Leute zu pruͤfen, ob ſie auch nach der Bekandtſchafft, die man mit ihnen gemacht, und den andern Umſtaͤnden nach, wohl wuͤrdig ſind, daß ſie ihnen dieſes oder jenes entdecken.
§. 28. Ein weiſer und kluger Mann wird ſich huͤten, daß er das Geſpraͤch nicht auf eine abſon - derliche Wiſſenſchafft lenckt, durch welche er einen groͤßern Ruhm als andere erworben. Es iſt nicht allein dem Wohlſtand gemaͤß, wenn man dieſerGrund -297Von der Converſation. Grund-Regel folget, ſondern es hat auch die Selbſt - Liebe einen Vortheil davon. Ein Mann, welcher von einer ſolchen Wiſſenſchafft redet, die ihn all - bereit beliebt gemacht, kan hiedurch nichts gewin - nen, und dagegen ſetzt er ſich in Gefahr viel zu ver - lieren, und die Schwachheit des Grundſteines zu unterdruͤcken, auf welchen ſein Ruhm gegruͤndet iſt. Wenn er dagegen bey ſolchen Materien ſtille ſchweigt, in welchen er, wie man glaubt, ſich hervor thun koͤnte, ſo bedienet er ſich einer ſittſamen Marcktſchreyerey, damit man ſich einbilden ſoll, er koͤnne auch von andern Dingen gruͤndlich reden. ſ. Faramonds Diſcours uͤber die Sitten der gegen - waͤrtigen Zeit p. 252.
§. 29. Ein vernuͤnfftiger Menſch enthaͤlt ſich dasjenige vorzubringen, was uͤber den Horizont derer iſt, mit denen und bey denen er redet; er re - det mehr von ſolchen Materien, die ſich vor alle ſchi - cken, als von gelehrten Sachen, und ſo es ja die Ge - legenheit mit ſich bringen ſolte, iemand mit gelehr - ten Sachen zu unterhalten, ſo bemuͤhet er ſich ſolche ſo zierlich und ſo leicht vorzubringen, daß der Ver - ſtand in Nachſinnen, und die Gedult in Zuhoͤren nicht verdrießlich werden. Compagnien ſind kei - ne Auditoria, wo einer an ſtatt eines Profeſſoris die Weißheit allein beſitzen und lehren ſoll, ſondern weil wir mit gantz freyen Gemuͤth in Geſellſchafft gehen, ſo werden wir bey dem langen und unange - nehmen Plaudern eines Philoſophen eyferſuͤchtig, ſothane Freyheit zu verlieren, und halten alle ſeineT 5Einfaͤlle298II. Theil. II. Capitul. Einfaͤlle vor gezwungen, weil wir gezwungen ſind, ſolche anzuhoͤren. ſ. Menantes kluge Behutſam - keit in Reden p. 2. Ein Weltweiſer gedenckt wie ein gelehrter Mann gedencken ſoll, bedienet ſich aber gemeiner und bekandter Worte. Die wahren Meynungen eines Weiſen, muß man nicht in den Reden ſuchen, deren er ſich auf den Gaſſen und Straſſen bedient, denn dieſe ſind gar nicht der Ort, da er ſeine Sprache redet, es iſt die Sprache der gemeinen Thorheit, deren er ſich allda bedient, ſo wenig er ſich auch innerlich dadurch bethoͤren laͤſt. So ſehr er ſich huͤtet, andern zu widerſprechen, ſo behutſam iſt er, etwas zu ſagen, darinnen ihm an - dre widerſprechen wuͤrden. ſ. Gracians Oracul mit D. Muͤllers Anmerckungen pag. 305. XLIII. Ma - xime.
§. 30. Jn Loben und Bewundern der Perſonen und Sachen, muß man trefflich behutſam ſeyn. Einige haben die Art an ſich, daß ſie alles, was ſie bey den Hoͤhern ſehen und obſerviren, auf das hoͤchſte heraus ſtreichen. Alle ihre Speiſen, Ge - traͤncke, Zimmer, Kleidungen, Meublen u. ſ. w. ach - ten ſie vor delitieus, unvergleichlich, excellent, un - erhoͤrt, auſſerordentlich, und gantz vollkommen. Der Wohlſtand erfordert zwar, daß man den Leu - ten, zumahl den hoͤhern, ein wenig ſchmeichelt; Man muß aber auch hiebey die Schrancken nicht uͤberſchreiten, und vorher wiſſen, ob ſie das große Lob auch vertragen koͤnnen. Es geraͤth nicht alle - zeit zu unſrer Renommeé, wenn man dem anderngar299Von der Converſation. gar zu ſehr ſchmeichelt, und dadurch den Schein von ſich giebt, als ob uns ſelbſt mit der groͤſten Schmeicheley viel gedient waͤre. Faramond ſagt in den Betrachtungen uͤber die Sitten der gegen - waͤrtigen Zeit p. 39. Eine gewiſſe Dame, welche eine neue Liebes-Geſchicht verfertiget hat, bittet ei - nen jungen Herrn um Erlaubniß, ihn ihre Anbe - tung kniend zu erweiſen; Man hat Urſache uͤber dieſe Redens-Art zu erſtaunen, iedoch die Erſtau - nung muß aufhoͤren, ſo bald man bedencket, daß dieſe Demuths-volle Stellung des Leibes, wann ſie eine Manns-Perſon ausuͤbet, dem weiblichen Ge - ſchlecht ſehr angenehm iſt, und deſſen Eitelkeit uͤber - aus vergnuͤglich vorſchmeichelt. Was iſt es denn Wunder, daß ſich dieſe Dame eingebildet hat, es ſey dem jungen Herrn, in Anſehung ihrer, eben auch alſo zu Muthe. Die groͤſten Schmeichler ſind diejenigen, welche am liebſten hoͤren daß man ih - nen ſchmeichelt, eben alſo, wie keine Leute ſich uͤber die Verleumdungen ſo ſehr erzuͤrnen, als diejenigen, welche am meiſten geneigt ſind von ihrem Naͤchſten uͤbel zu reden.
§. 31. Man muß bey dem Lobe nicht allezeit auf diejenigen ſehen, denen zu Gefallen man das Lob ausſchuͤttet, ſondern auch zugleich mit auf andere. Eine große Verwunderung und ein unmaͤßig Lob wird nicht ſelten vor ein klares Kennzeichen der Einfalt und Unwiſſenheit angeſehen. Wer in der Welt nicht gar viel geſehen, iſt auch vermoͤgend aus Kleinigkeiten, die ein Redner vor nichts beſon -ders300II. Theil. II. Capitul. ders anſiehet, und ſeiner Aufmerckſamkeit kaum wuͤrdiget, ein groß Werck zu machen. Abweſende Perſonen zu loben, iſt ebenfalls nicht allezeit rath - ſam. Geſetzt, daß ſie das Lob, welches man ihnen beylegt, gantz wohl verdienten, ſo weiß man doch nicht, ob es denen, die es mit anhoͤren, angenehm zu hoͤren ſey, und ob man ſich nicht vielmehr ihren Unwillen daruͤber zuwege bringe.
§. 32. Hierbey muß ich auch noch erinnern, daß einige junge Leute, die nicht gar weit in der Welt geweſen und keine ſonderliche Auferziehung gehabt, ihren Eltern, bey deren Abweſenheit, allzu - große Ehre anthun, da ſie bey ihrer Erwehnung al - lezeit, mein Herr Vater und meine Frau Mutter, zu ſagen pflegen. Manche dencken, ſie handelten wi - der die Religion und wider alle Chriſten-Pflichten, wenn ſie nicht dieſelben auf dieſe Art beehren ſolten. Reden ſie von ihnen gegen ihres gleichen oder ge - gen Geringere, ſo iſt es noch eher zu entſchuldigen. Da ſie aber in der Converſation mit denen Hoͤ - hern ihnen dieſe Ehren-Benennungen beylegen, ſo machen ſie ſich hiedurch laͤcherlich. Sie thaͤten beſſer, wenn ſie nach dem Exempel der hohen Stan - des-Perſonen, nur von ihrem Vater und Mutter ſchlecht weg ſpraͤchen, und die uͤbrigen Titulaturen verſpahrten, biß ſie ſelbſt bey ihren Eltern gegen - waͤrtig waͤren.
§. 33. Endlich iſt auch noch dieſes vor eine ſehr heßliche Gewohnheit anzuſehen, da einige den Ge - brauch an ſich haben, daß ſie dem andern, entwederwenn301Von der Converſation. wenn ſie mit ihm diſcouriren, ſo nahe auf den Hals treten, daß ſie ihm faſt in das Geſichte geifern und ſprudeln, und den andern dadurch von ſich und zuruͤck treiben, oder ihn auf eine pedantiſche Weiſe die Knoͤpffe an dem Rock oder der Veſte herum - drehen.
§. 1.
BEvor ſich ein junger Menſch entſchleußt, ei - ne oͤffentliche Rede abzulegen, muß er ſei - ne Leibes und Gemuͤths-Kraͤffte genau gepruͤfet haben, ob er auch Faͤhigkeit be - ſitze, mit Ehren vor einer oͤffentlichen Geſellſchafft als ein Redner zu erſcheinen, damit es nicht hernach von ihm heiſſen moͤchte: Si tacuiſſes, Philoſophus manſiſſes. Er muß wiſſen, ob er auch Muth gnug habe, vor dem Volck zu reden, ob er geſchickt ſey, eine manierliche Rede ſelbſt auszuarbeiten, oder die fremde Arbeit wieder herzuſagen, ob er ſich auf ſein Gedaͤchtniß verlaſſen koͤnne, und wenn er aus dem Concept gekommen, ſich durch eine natuͤrliche Beredſamkeit wieder zu helffen wiſſe, ob ſeine Aus - ſprache ſo beſchaffen, daß er ſich darf oͤffentlich hoͤ - ren laſſen, ob ſeine Minen und Geberden nichts un -anſtaͤn -302II. Theil. III. Capitul. anſtaͤndiges bey ſich fuͤhren. Befindet er nun bey Erforſchung dieſer und anderer Umſtaͤnde, daß es ihm an einem und andern, was zu Ablegung einer geſchickten Rede vonnoͤthen, noch fehlt, ſo laß er lieber einen andern ſeine Stelle vertreten, biß er zu einem hoͤhern Grad der Geſchicklichkeit gekom - men.
§. 2. Es waͤre gut, wenn junge Leute fein bey Zeiten zu einer natuͤrlichen Beredſamkeit angefuͤhrt wuͤrden, wenn ſie ſich gewoͤhnten bey Ausarbei - tung der Reden, mehr der natuͤrlichen Leitung des Verſtandes, als der Kunſt zu folgen, ihre Sachen ordentlich vorzutragen, die Saͤtze mit tuͤchtigen Be - weiß-Gruͤnden zu unterſuchen, die Materien, wie ſie mit einander verwandt ſind, und aus einander flieſ - ſen, gehoͤrig zu verbinden, und den Worten ihren natuͤrlichen Gang und Lauf zu laſſen. Durch dieſe Methode wuͤrden ſie es in der Beredſamkeit viel weiter bringen, und in ihren Reden viel freymuͤ - thiger ſeyn, als ſo, da ſie es meiſtentheils auf das Gedaͤchtniß ankommen laſſen. Sammleten ſie ſich nach und nach einen Vorrath ein von man - cherley guten und ausgeſuchten Woͤrtern und Re - dens-Arten, und von unterſchiedenen Verbin - dungs-Woͤrterchen, und braͤchten ihre Worte fein bedaͤchtig und mit einer langſamen Ausſprache vor, ſo wuͤrden ſie ſich nachgehends aus dem Stegreif zu helffen wiſſen, und wenn ſie ſchon etwas anders vorbraͤchten, als ſie vorher in das Concept nie - dergeſchrieben. Es iſt ja beſſer, daß ſie ein undander303Von Ablegung oͤffentlicher Reden. ander Gleichniß, Exempel oder andere Redens - Arten, die ſie etwan vorher ihrer Rede gewidmet, fahren laſſen, und dem ungeachtet ihre Rede fortſe - tzen, und zum Ende bringen, als wenn ſie ſich an das Maaß der Worte ſo genau binden, daß ſie uͤber den Verluſt eines und des andern Woͤrtgens, das ihnen aus der Acht gefallen, in ſolche Unord - nung geſetzt werden, daß ſie nachgehends mit Schimpff ſtecken bleiben, und ihre Rede offt endi - gen muͤſſen, da ſie dieſelbe kaum angefangen ge - habt. Viele Zuhoͤrer ſind nicht faͤhig zu beurthei - len, ob die Schreib-Art, deren ſich der Redner bedient, allenthalben gleich oder ungleich ſey, ob der Redner ſich genau an ſein Concept binde, oder ſeinen eignen Gedancken mitten unter den Reden bißweilen freyen Lauf laſſe, wenn ſie hoͤren, daß er nicht ſtecken bleibt, und mit ſchlechten und natuͤrli - chen Worten ſagt, was zu ſagen iſt, ſo dencken ſie, es ſey alles gut, und er habe ſeine Sache vortreff - lich gut gemacht. Und geſetzt auch, daß einer oder der andere, der eine groͤſſere Erkaͤntniß hat, wahr - nimmt, daß der Redner mehr ſeinen jetzigen Medi - tationen, als ſeiner vorigen Ausarbeitung folgen moͤge, ſo wird ihnen auch demnach dieſer Fehler ſelbſt zur Ehre und zu Ruhm gereichen, ſie wer - den ſich wundern, daß er die Geſchicklichkeit habe, ſich gleich ſelbſt aus dem Stegreif wieder zu helf - fen, und in dem Stande ſey, ſeiner Rede ein gluͤck - liches Ende zuwege zu bringen. Woher kommts, daß einer, der von Natur eine beredte Zunge be -ſitzt,304II. Theil. III. Capitul. ſitzt, in dem Stande iſt, eine gantze Stunde und wohl noch laͤnger in der gemeinen Converſation von einer bekandten Materie bey guten Freunden zu ſchwatzen, ohne daß er beſorgt iſt, er moͤchte in ſeinen Reden etwan ſtecken bleiben? Nirgends an - ders, als daher, weil er ſeine Gedancken ordent - lich vortraͤgt, mit Bedachtſamkeit redet, nicht lan - ge auf die Worte ſinnet, was er vor welche erweh - len will, ſondern ſich derjenigen bedient, die ihm am erſten in die Gedancken, und auf die Zunge kom - men, und ſich in reden nicht bloͤde und furchtſam, ſondern freymuͤthig bezeugt. Wer nun eben dieſes bey einer oͤffentlichen Rede auch beobach - tet, der wird weit beſſer zu recht kommen, als ſonſt.
§. 3. Bey Hof-Reden muß ſich ein Cavalier mehr der Kuͤrtze, als der Weitlaͤufftigkeit befleißi - gen; Große Herren haben gar ſelten die Gedult, einen langwierigen Redner mit Vergnuͤgen zu hoͤ - ren. Es iſt ruͤhmlicher, wenn ſie in der Begierde erhalten werden, laͤnger zuzuhoͤren, als wenn ſie wegen der Weitlaͤufftigkeit der Rede verdruͤßlich werden. Es iſt kein großer Fehler, wenn es heißt, die Rede war gut, aber zu kurtz. Der Frantzoͤſi - ſche Miniſter, der Herr von Calliéres, ſagt in ſeinen Staats-erfahrnen Abgeſandten: Wenn man mit einem Fuͤrſten redet, ſo ſoll man ſolches mit einer beſcheidenen und ehrerbietigen Mine, auch ver - mittelſt eines kurtz zuſammen gezogenen Styli ver - richten, nachdem einer vorhero die Redens-Arten,die305Von Ablegung oͤffentlicher Reden. die man gebrauchen will, wohl uͤberlegt und unter - ſucht hat, geſtalt die Potentaten, weder die langen Redner, noch die groſſen Schwaͤtzer lieben, des - wegen ſoll ein geſchickter Negotiator nicht in die - ſen Fehler fallen, der ſich nur vor Schuͤler und Pe - danten ſchickt, weil ſich die Weißheit und langen Reden ſelten beyſammen finden, und weiter: Wenn ein Miniſter an einen Rath oder an eine Republique eine Rede haͤlt, ſo iſt ihm ſchon er - laubt, daß er etwas weitlaͤufftiger ſeyn mag, allein wenn er es auch hier zu lang macht, ſo kan man die Antwort, ſo die Lacedemonier dem Abgeſandten aus der Jnſul Samos gaben, auf ihm appliciren, daß ſie nemlich den Anfang ihrer Rede vergeſſen, den Fortgang nicht gehoͤrt, und daß ihnen nichts, als das Ende wohlgefallen haͤtte, wodurch ſie nichts anders ſagen wollen, als daß ſie durch den Beſchluß ihrer Rede aufgehoͤrt haͤtten, ihnen be - ſchwerlich zn ſeyn. S. p. 289.
§. 4. Die Regel iſt zwar gegruͤndet, daß man ſich uͤberhaupt bey den Hof-Reden mehr der Kuͤr - tze, als der Weitlaͤufftigkeit befleißigen ſoll, jedoch finden einige Ausnahmen ebenfalls hievon bißwei - len Platz, wenn man zum Exempel weiß, daß der Fuͤrſt, vor dem man zu reden, die Gnade hat, ein ge - lehrter Herr und ein großer Liebhaber der Gelehr - ſamkeit, und ſattſame Gedult habe, einen anzuhoͤ - ren, alsdenn kan die Rede ſchon etwas laͤnger ab - gefaßt werden. Es ereignen ſich auch ſonſt un - terſchiedene Faͤlle, bey denen man die Reden etwasUlaͤn -306II. Theil. III. Capitul. laͤnger zu extendiren hat, dergleichen ſind zum Exempel, wenn man einen großen Staats-Miniſter parentiren ſoll, und das Auditorium aus viel ge - lehrten Leuten beſtehet, wenn bey Einweihung ei - ner neuen Univerſitæt eine ſolenne Rede zu hal - ten, wenn ein neu Collegium etablirt, ein gelehr - ter Miniſter inſtallirt wird. u. ſ. w.
§. 5. Ein Redner muß nicht allein die Beſchaf - fenheit der Perſonen beurtheilen, vor denen er zu re - den hat, und mancherley Regeln der Klugheit ſich nach deren Erkaͤnntniß vorſchreiben, ſondern auch den Ort, wo er reden ſoll, ob in einer Kirche oder un - ter freyen Himmel, auf dem Saale oder in einem Zimmer u. ſ. w. es iſt ihm hieran gelegen, daß er den rechten Thon der Stimme treffe, damit er ſich nicht uͤberſchreye, und dennoch denjenigen, vor die er zu reden hat, vernehmlich werde. Nicht weni - ger muß er wegen des eigentlichen Platzes und Standes, auf den er ſtehen ſolle, Erkundigung ein - ziehen. Es kommt bißweilen, ob es gleich eine Kleinigkeit zu ſeyn ſcheinet, auf einige Schritte hier - bey gar viel an, ſintemahl ein gewiſſer Umſtand, der zur Vollkommenheit ſeiner Rede etwas mit bey - tragen hilfft, oder ihm daran hinterlich, hievon be - ruhet.
§. 6. Ein Hof - und Staats-Redner muß zwar ſeine Rede nicht in einem gleichen Thone fortfuͤh - ren, ſondern demſelben nach der Beſchaffenheit der Materie, die er vortraͤgt, zu veraͤndern wiſſen, jedennoch aber auch hierbey nichts affectiren; ermuß307Von Ablegung oͤffentlicher Reden. muß ihn nicht ſo pathetiſch einrichten, wie einige Prieſter auf der Cantzel, noch weniger den Comœ - dianten auf dem Theatro nachahmen.
§. 7. Er muß auf ſeine Minen des Geſichts, und auf alle Geberden der Glieder des Leibes, und Stel - lungen der Haͤnde und Fuͤſſe wohl Acht haben, ſin - temahl das aͤuſſerliche Weſen ſeinen kuͤnfftigen Zu - hoͤrern zu allererſt in die Augen faͤllt, und auch offt es die ungeſchickteſten, von dem aͤuſſerlichen Weſen zu urtheilen, faͤhig, oder doch gewohnt ſind. Er gewinnet am eheſten die Gunſt der Zuhoͤrer, wenn er ſeinen vernuͤnfftigen Vortrag auch mit einer ma - nierlichen Geberdung vergeſellſchafftet. Er muß mit einer freymuͤthigen und zugleich ſittſamen Mine vor der Geſellſchafft, vor der er reden ſoll, erſcheinen. Leuchtet ihm die Angſt und Furcht aus den Augen, ſo wird man ſich von dem Fortgang ſeiner Rede nicht viel Gutes verſprechen. Die unterſchiedenen Faͤlle, nach deren Veranlaſſung er zu reden hat, muͤſſen ihm den uͤbrigen Unterſchied der Minen des Geſichts an die Hand geben: Alſo muß ein Red - ner, der ſeine Untergebenen im Kriege zu einer ſcharffen Attaque oder Defenſion wider den Feind aufmuntern will, ſie durch ſeine behertzte, feurige und rachgierige Mine ſo wohl anfriſchen, als durch ſeine Worte. Ein junger Cavalier, der bey einem vor - nehmen Hochzeit-Feſtin der Fraͤulein Braut den Stroh-Crantz uͤberbringt, muß bey der dabey zu haltenden Rede mit einer freundlichen Mine erſchei - nen. Ein Miniſter, der gegen Geringere einen An -U 2trag308II. Theil. III. Capitul. trag zu thun hat, ſiehet ernſthafft aus. Wer ge - gen hohe Standes-Perſonen eine Anrede haͤlt, naͤ - hert ſich ihnen mit einer demuͤthigen und ehrerbieti - gen Geberde: Bey den Haͤnden muß er alle unan - ſtaͤndige Geberden vermeiden, er muß nicht, wie einige zu thun pflegen, das Schnupfftuch aus der ei - nen Hand in die andere werffen, oder den Hut her - um drehen, oder ihn mit beyden Haͤnden ſteif vor ſich weghalten, nicht die Peruque zurecht ruͤcken, oder die Zoͤpffe alle Augenblicke hinter werffen, aber auch nicht wie eine unbewegliche Statue da ſtehen, beyde Arme die Laͤnge lang herunter ſtrecken, und weder Hand noch Finger ruͤhren; ſondern bißwei - len mit dem Arm, oder der Hand, oder, nach Gele - genheit, auch wohl mit beyden Haͤnden eine kleine ſittſame Bewegung machen, die ſich zum Vortrag ſeiner Rede ſchickt. Mit den Fuͤſſen muß er ſeſt ſtehen, und einen gewiſſen Stand haben, nicht eini - ge Schritte vor ſich oder hinter ſich, bald auf die rechte und bald auf die lincke Seite treten, auch nicht mit dem einen Fuß auf den Abſatz ſtehen, wel - ches gar zu nachlaͤßig ſcheinet, jedoch muß es auch nicht das Anſehen haben, als ob er mit den Fuͤſſen angepicht waͤre, ſondern zuweilen mit den Fuͤſſen eine kleine Veraͤnderung vornehmen.
§. 8. Auf die Titulaturen und die gewoͤhnlichen Courtoiſie-Woͤrter, die er in ſeinen Reden mit ein - miſcht, muß er ſehr wohl und genau Acht haben, daß er ja nicht hierinnen anſtoſſen moͤge, denn ſonſt ver - mindert er nicht allein den Ruhm ſeiner Rede, wennſie309Von Ablegung oͤffentlicher Reden. ſie im uͤbrigen noch ſo vortrefflich ausgearbeitet waͤ - re, um ein groſſes, ſondern er kan ſich auch durch die - ſes Verſehen bey vielen, theils von denen, und auch theils vor denen er zu reden hat, verhaßt machen. Bey Ablegung der Reverences, bey Benennung der hohen Standes-Perſonen, und bey andern Woͤrtern ſeiner Rede, bey denen er ſeine Demuth und unterthaͤnigſte Ehrerbietigkeit anzeiget, muß er ebenfalls Accurateſſe erweiſen.
§. 9. Es laͤſt zu pedantiſch, wenn ein Redner mit ſeiner Captatione benevolentiæ bey ſeiner Re - de aufgezogen kommt, und ſich bey den Zuhoͤrern ein geneigt Gehoͤr vorher ausbitten will. Die Zu - hoͤrer wiſſen wohl, daß er und ſie aus keinen andern Endzweck an dieſem Ort zuſammen kommen, als daß er reden, und ſie hingegen ihm zuhoͤren ſollen. Fuͤhret er ſich bey ſeiner Rede als ein vernuͤnfftiger und manierlicher Redner auf, ſo wird er ſo wohl ge - neigt Gehoͤr finden, er mag ſie vorher durch ein Compliment darum erſuchen oder nicht. Macht ers aber ſchlecht, ſo wird er ſeine Captationem be - nevolenriæ wahrhafftig auch vergebens anbrin - gen.
§. 10. Es will ſich auch nicht ſonderlich ſchicken, wenn ein Redner von ſeiner eignen Perſon gar zu viel erwehnt, und ſich allzu ſehr verringert, wie eini - ge junge Leute, aus allzu groſſer Demuth und Sitt - ſamkeit bißweilen zu thun pflegen. Bringen ſie ih - re Sachen ungeſchickt vor, und ſie nennen ſich oͤff - ters ungeſchickte oder unwuͤrdige Redner, ſo gebenU 3ihnen310II. Theil. III. Capitul. ihnen die Zuhoͤrer heimlichen Beyfall, und machen ſich hierdurch laͤcherlich und veraͤchtlich, wenn ſie von ſich ſelbſt ein ſo wahres Urtheil faͤllen. Es er - gehet ihnen hierbey, wie einigen Prieſtern, die ſo ſchlecht geprediget, als ihnen moͤglich geweſen, und bey dem Schluß der Predigt gedencken, daß ſie den Text in aller moͤglichen Kuͤrtze und Einfalt ab - gehandelt. Meines Erachtens thaͤten ſie beſſer, wenn ſie ſagten, ſie haͤtten den Text nach dem Ver - moͤgen, ſo ihnen GOtt dargereicht, abgehandelt. Tragen aber die Redner ihre Sachen mit Geſchick - lichkeit vor, und ſie erwehnen ſo gar oͤffters ihre Un - geſchicklichkeit, ſo nehmen es viele von den Zuhoͤrern davor an, als ob ſie hiedurch ihre Begierde zum Lobe anzeigten. Ob zwar ein Redner ſo wenig als ein anderer Menſch den unzeitigen Urtheilen der andern entgehen kan, er mag auch reden was er will, und ſich auffuͤhren wie er will, ſo muß er doch auch hierinnen thun was ihm moͤglich, und das Split - ter-richten nach Moͤglichkeit zu vermeiden ſuchen.
§. 11. Ein teutſcher Redner muß ſich bey den Hof - und Staats-Reden in ſeiner Mutter-Spra - che erklaͤren, ſo gut er kan, und die fremden Woͤrter aus den auslaͤndiſchen Sprachen, inſonderheit aus der Lateiniſchen und Frantzoͤſiſchen weglaſſen, wenn er ſie in dem Teutſchen eben ſo gut ausdruͤcken kan; jedoch muß er auch hierinnen keinen beſondern Ei - genſinn bezeigen, daß er denen, die alle fremden Woͤrter ausmuſtern wollen, nachahmen ſolte. Worinnen er andere vornehme und Welt-klugeRedner311Von Ablegung oͤffentlicher Reden. Redner zu Vorgaͤngern hat, und was einmahl in der Teutſchen Sprache das Buͤrger-Recht erhal - ten, kan er auch gantz wohl gebrauchen.
§. 12. Da in allen unſern Reden und Hand - lungen die Sittſamkeit, Klugheit und Ordnung herrſchen muß, ſo muͤſſen wir dieſelbe, auch bey Ab - faſſung und Ablegung ſolenner Reden, in Obacht nehmen, und nichts vorbringen, das entweder bey einem zweydeutigen Verſtande den Schein hat, als ob es die Erbarkeit einigermaſſen beleidigt, oder doch ſonſt den Zuhoͤrern wunderlich und unordent - lich vorkommen koͤnte. Einige dencken, was ſie vor ein Kunſt-Stuͤck anbringen wollen, wenn ſie ihre Rede mit einem ſo ſeltzamen Eingang anfangen, daß die Zuhoͤrer nicht wiſſen, wo es damit hinaus kommen werde. Alſo weiß ich, daß einſten ein jun - ger Parentator, bey dem Begraͤbniß eines hohen Kriegs-Officiers, ſeine Abdanckung mit den Wor - ten: Der Donner und der Hagel, anfieng; Nach - dem nun den Zuhoͤrern dieſer Anfang befremdlich geſchienen, und er eine Weile inne gehalten, ſetzte er ſeine Rede folgender Geſtalt fort: Der Donner und der Hagel, welcher in dem 2ten Jahre bey Be - lagerung der Veſtung Landau, aus den bruͤllenden Carthaunen ausgeworffen wurde, u ſ. w. Ein anderer wolte bey dem Begraͤbniß eines jungen adelichen Frauenzimmers, ich weiß nicht, nach was vor einer Theſi, drey Berge vorſtellen, doch dieſe drey Berge gaben einigen Spoͤttern Gelegenheit zu mancherley unnuͤtzen Worten.
U 4§. 13.312II. Theil. III. Capitul.§. 13. Bey Ausſuchung und Anwendung der ſo genandten Realien, muß ein Redner eine gute Behutſamkeit gebrauchen, und gar wohl uͤberlegen, ob dieſes oder jenes Thema, Gleichniß, Zeugniß, u. ſ. w. den Zuhoͤrern angenehm, ſeinen gegenwaͤr - tigen Vortrag geziemend, und den Umſtaͤnden des Orts und der Zeit, da er zu reden hat, gemaͤß ſey. Ja auf gewiſſe Maße muß er auch den Character, den er ſelbſt begleidet, in Betrachtung ziehen. Es wuͤrde einem Hof-Mann bey einer Hof-Rede nicht wohl anſtehen, wenn er ſeine Rede mit ſolchen Saͤ - tzen, die aus den Autoribus claſſicis genommen waͤren, auszieren wolte. Redet man bey denen, die einer andern Religion zugethan, ſo muß man nichts in ſeiner Rede von den Schrifften erwehnen, die bey ihnen verhaſt ſind. Hat man gelehrte Leu - te zu Zuhoͤrern, kan man auch gelehrte Sachen in ſeiner Rede mit einmiſchen, hat man aber ungelehr - te vor ſich, ſo muß man ſich auch in dieſem Stuͤck nach ihnen richten. Es wuͤrde uͤber die Maßen abgeſchmackt heraus kommen, wenn ein Redner bey einer Geſellſchafft, die groͤſten theils aus Frau - enzimmer und Hof-Leuten beſtuͤnde, ſolche Sachen vorbraͤchte, zu denen eine tieffe Erkaͤntniß der Meta - phyſica erfordert wird. Er wuͤrde bey den groͤ - ſten Schaͤtzen ſeiner vermeinten Weißheit vor thoͤ - richt angeſehen werden. Muß man ſich in der ge - meinen Converſation nach den Begriffen derer richten, mit denen man zu reden hat, ſo iſt dieſes bey den oͤffentlichen Reden ja eben ſo noͤthig.
§. 14.313Von Ablegung oͤffentlicher Reden.§. 14. Es geben nicht allein die Oerter, wo man redet, und die Umſtaͤnde der Zuhoͤrer, vor denen man ſeine Rede abzulegen hat, ſondern auch wohl die Faͤlle, die eine Rede veranlaſſen, die Regeln an die Hand, was ſich vor Themata und Realien am fuͤglichſten appliciren laſſen, und aus was vor Qvellen ſolche herzuleiten ſeyn. Bey Hofe iſt es gar angenehm, wenn man in ſeinen Reden aus der neueſten Hiſtorie, ſonderlich der Teutſchen Ge - ſchichte, aus bewaͤhrten Hiſtoricis, aus den Lebens - Beſchreibungen groſſer Herren, ingleichen aus be - liebten Frantzoͤſiſchen Autoribus, u. ſ. w. etwas angenehmes, merckwuͤrdiges, und nicht jederman bekandtes, anbringen kan. Hat man in einem Raths-Collegio, oder bey Abwechſelung eines Stadt-Magiſtrats, und andern dergleichen Bege - benheiten eine Rede zu halten, ſo ſchickt es ſich gar wohl, wenn man aus den Roͤmiſchen oder andern Geſetzen etwas mit erwehnt, und juriſtiſch aus - fuͤhrt, und ſo kan man denn bey andern Faͤllen ſchon ſelbſt finden, was vor ein Thema, oder welcherley Realien am beſten zu appliciren ſeyn.
§. 15. Die ſo genandten Sinn-Bilder ſind insgemein nicht gar zu weit her, ſie riechen ſtarck nach der Schule, und muͤſſen in den Hof - und Staats-Reden gar ſparſam angebracht wer - den. Wenn manche Hof-Leute hoͤren, daß ein Redner ſeine Rede folgender Geſtalt anfaͤngt: Je - ner ſinnreiche Kopff mahlte diß und das mit der Uberſchrifft an, ſo kommt es ihnen ſchon ſpoͤttiſchU 5vor,314II. Theil. III. Capitul. vor, und der Appetit weiter zuzuhoͤren, vergehet ih - nen ſchon. Die meiſten Figuren, die nicht aus einer vernuͤnfftigen und natuͤrlichen Wohlredenheit herflieſſen, ſind allzu pedantiſch, und laſſen ſich bey galanten Hof-Reden nicht wohl anbringen. Manche dauchen gantz und gar nichts, andere aber ſind wohl zu gebrauchen, aber mit Behutſamkeit, ſie ſchicken ſich nicht vor alle Oerter und Geſell - ſchafften. Alſo gehoͤrt die ſo genandte Excla - mation, wenn man mit Hefftigkeit ausrufft, eher auf die Cantzel oder auf ein Theatrum, als in ein Fuͤrſtlich Gemach; Mit der Intertogation, da man gleichſam die Zuhoͤrer fragt: Ob man gleich keine Antwort von ihnen gewaͤrtig, oder die Com - munication, da man es ihnen ſelbſt zu bedencken, und zu uͤberlegen anheim ſtelt, ſind von einer gleich - maͤßigen Beſchaffenheit; Gleichwie es uͤberhaupt wider die Devotion iſt, die Geringere den Fuͤrſtli - chen Perſonen ſchuldig ſind, wenn ſie dieſelben be - fragen wollen, alſo ſcheinen auch dieſe Figuren, wenn man es in der groͤſten Accurateſſe anſehen will, dem Fuͤrſtlichen Reſpect einiger maßen nahe zu treten.
§. 16. Einige wollen in den Gedancken ſtehen, als ob keinem weltlichen Redner recht anſtaͤndig waͤre, etwas aus der heiligen Schrifft anzufuͤhren, ſie meynen, dieſes gehoͤrte bloß vor einen ſo genand - ten Geiſtlichen. Ob nun zwar freylich ein Unter - ſcheid iſt, unter einen geiſtlichen und weltlichen Redner, unter einer geiſtlichen und weltlichen Re -de,315Von Ablegung oͤffentlicher Reden. de, unter einer Stand-Rede oder Leich-Abdan - ckung, und unter einer Leichen-Predigt, ſo iſt und bleibet doch auch ein gewaltiger Jrrthum, daß kei - nem weltlichen Redner anſtaͤndig ſey, etwas aus dem Worte GOttes in ſeinen Reden mit anzu - fuͤhren.
§. 17. Da ein weltlicher Redner auch in dieſem Stuͤck, Worte zu ſeiner Zeit zu reden hat, ſo muß er bey Anfuͤhrung der heil. Schrifft vorhero zweyerley in Betrachtung ziehen. Er muß uͤberlegen, an was vor einem Orte und bey was vor Gelegen - heit er das Wort GOttes anfuͤhren und applici - ren will, und dann hernach auf die Art und Weiſe ſinnen, wie er ſie anbringen will. Er muß alſo die heilige Schrifft in geringſten nicht bey ſolchen Faͤl - len anfuͤhren, wo es zu ihrer Verunehrung oder zu Verſpottung GOttes gereichen wuͤrde, aber wohl, wo bey einer und andern Gelegenheit ein aus goͤtt - licher Schrifft gezogener Bewegungs-Grund ei - nen beſſern Eindruck in die Gemuͤther der Zuhoͤrer zu erwecken, vermoͤgend iſt, der dem Zweck der Re - de und des Redners gemaͤß. Es waͤre demnach ein offenbahrer Mißbrauch des goͤttlichen Wortes, wenn ein junger Cavalier bey Uberreichung eines Stroh-Crantzes auf einer Hochzeit, bey einer den Eitelkeiten der Welt ergebnen Geſellſchafft in einer Rede, die mit lauter ſchertzhafften auch wohl ſuͤnd - lichen Redens-Arten angefuͤllt, einige Spruͤche aus der heiligen Schrifft unter die andern Taͤnde - leyen mit einmengen wolte. Hingegen laſſen ſicheinige316II. Theil. III. Capitul. einige theologiſche Gruͤnde bey mancherley weltli - chen Reden ebenfalls gar wohl anbringen, als bey Parentationen, da der Troſt, den man der trauri - gen hinterlaſſenen Familie abſtatten ſolle, ſonſt ſehr krafftloß ſeyn wuͤrde, wenn man bey der bloßen Vernunfft bleiben ſolte, ingleichen bey Huldigungs - Reden, wenn man im Nahmen der Landes-Herr - ſchafft den Unterthanen, inſonderheit denen, die ſich bey manchen Umſtaͤnden als unruhige und ſtoͤrri - ſche Koͤpffe erweiſen, beſondere Pflichten einzu - ſchaͤrffen hat, und bey vielen andern Faͤllen mehr.
§. 18. Da eine weltliche Rede von einer geiſtli - chen abzuſondern, ſo muͤſſen auch die Spruͤche und Saͤtze der goͤttlichen Schrifft darinnen ſpahrſa - mer angefuͤhrt werden, als in den Predigten. Denn ſo wenig es einem Prediger anſtaͤndig, wenn er in ſeinen Predigten lauter Raiſonemens der Vernunfft vorbringt, und faſt gar keinen Spruch goͤttlichen Wortes anziehet, ſo wenig ſtehet es hin - gegen einem weltlichen Redner an, wenn er in allen Periodis einen Propheten, Evangeliſten oder Apo - ſtel allegiren wolte. Ein weltlicher Redner kan ſich der heiligen Schrifft bey ſeinen Reden auf zweyerley Art bedienen. Er kan ſeine Rede mit einem ſolchen Lehr-Satz anfangen den zwar auch die Vernunfft erkennt, der aber in dem Worte GOttes zugleich mit vorgetragen wird, und dieſen Lehr-Satz durch die gantze Rede nach der Ver - nunfft durchfuͤhren. Alſo kan einer bey einer Pa -renta -317Von Ablegung oͤffentlicher Reden. rentation anfangen: HErr lehre uns bedencken daß wir ſterben muͤſſen, auf daß wir klug werden, und bey einer moraliſchen Abhandlung zeigen, daß die Betrachtung der Sterblichkeit ein gegruͤndetes Mittel ſey, zur Erlangung der wahren Klugheit. Er kan auch auf eine andere Weiſe, bey einem welt - lichen Themate, hier und da entweder einen Spruch goͤttlichen Wortes mit anfuͤhren, oder doch einen und dem andern theologiſchen Grund auf eine verborgene und verſtrickte Art unter die andern mit einmengen, ſich auch wohl auf eines und das ande - re bibliſche Exempel beziehen.
§. 19. Viele ſtehen in den Gedancken, als ob keine Rede vor recht zierlich zu achten, wenn ſie nicht mit ein hauffen Gleichniſſen, Sinnbildern, Exempeln, Zeugniſſen beruͤhmter Leute und andern dergleichen Spielwercken ausgeputzt waͤre. Doch dieſes iſt ein Vorurtheil, welches uns von Jugend auf beygebracht worden, da wir von unſern Lehr - meiſtern nach der gewoͤhnlichen Lehr-Art den Un - terricht in der Rede-Kunſt erhalten. Wenn man die Reden der vornehmen Miniſtres anſiehet, ſo findet man aus vielen Exempeln, daß ein aus der Morale wohl ausgeſuchtes Thema, wenn es mit guten Gruͤnden auf eine uͤberzeugende Weiſe vor - getragen, und mit erleſenen Worten ausgeſprochen wird, einer Rede eben ſo groſſe Zierde zu wege bringen koͤnnen, als das uͤbrige Zeug, damit die andern ihre Reden ausſtaffiren, inzwiſchen ſind die Exempel, Gleichniſſe, Sinnbilder, Zeugniſſe, u. ſ. w. wenn318II. Theil. III. Capitul. wenn ſie vernuͤnfftig und maͤßig angebracht wer - den, ebenfalls nicht zu verwerffen.
§. 20. Bey der Weiſe des Vortrages einer Rede, muß ein Redner ebenfalls auf die Neigun - gen und die Faͤhigkeit ſeiner Zuhoͤrer ſeine Abſicht richten. Redet er bey Gelehrten, ſo kan der Stilus ſchon oratoriſcher ſeyn, hat er viel gemeine Leute um ſich herum, z. E. eine gantze Buͤrgerſchafft, vor der bey einem gewiſſen Fall eine Rede abzulegen, ſo muß er ſich ſolcher Worte bedienen, die nach ihren Begriffen eingerichtet ſeyn, damit ſie bey ſeinem Vortrage deſto aufmerckſamer ſeyn moͤgen, hat er Hof-Leute oder vornehmes Frauenzimmer um ſich herum, ſo muß er ſich eines flieſſenden, deutli - chen und angenehmen Vortrages bedienen, der nicht aus gemeinen, ſondern wohlausgeſuchten Redens-Arten, die weder zu niedrig noch zu hoch - trabend ſind, beſtehet.
§. 21. Viel junge Redner, die eine zierliche Re - de ausarbeiten wollen, und denen es doch hierbey an der natuͤrlichen Geſchicklichkeit fehlet, nehmen mehrentheils zu den Buͤchern ihre Zuflucht, zu ora - toriſchen Schatz-Kammern und andern dergleichen Schrifften, darinnen ſie mancherley, damit ſie ihre Reden ausputzen wollen, beyſammen antreffen, und ſtoppeln allerhand Gleichniſſe, Sinnbilder, man - cherley Figuren, oratoriſche Woͤrter und Redens - Arten zuſammen. Sie haben aber von dieſer ihrer Bemuͤhung ſchlechten Ruhm und Nutzen zu gewar - ten. Sie werden nicht allein hiedurch von demeigenen319Von Ablegung oͤffentlicher Reden. eigenen Nachſinnen zuruͤck gehalten, und erlangen alſo niemahls eine Geſchicklichkeit, etwas aus ihrem eigenen Gehirne zu erfinden, lernen auch ihre Kraͤff - te nicht abmeſſen noch erkennen, ſondern erweiſen auch bey den meiſten von ihren Zuhoͤrern, daß ſie mit fremden Federn prangen wollen. Eine Rede, die aus anderer Leute Schrifften zuſammen geſetzt, gleichet einem Bettlers-Kuͤttel, der aus mancherley Lappen und Flecken beſtehet. Wer ein wenig Er - kaͤntniß und Nachſinnen beſitzt, kan aus der unglei - chen Schreib-Art, aus dem Unterſchied der ſchlech - ten und wichtigen Gruͤnde, der niedrigen und hohen Gedancken, der gemeinen und praͤchtigen auserleſe - nen Redens-Arten wahrnehmen, daß ein Redner fremdes und zuſammen geſtohlnes Guth mit dem ſeinigen vereiniget. Jnsgemein muß der Arminius des ſcharffſinnigen Herrn von Lohnſtein herhalten; da es aber den wenigſten gegeben iſt, ſich mit ihrem Gefieder ſo hoch zu ſchwingen, wie der ſelige Cava - lier, ſo mercket man es auch am allereheſten, wenn ſie aus dieſer Schrifft einige Federn ausrupffen, und mit den ihrigen vermengen wollen.
§. 22. Ein vernuͤnfftiger Redner muß ſich zwar in ſeiner gantzen Rede eines gleichen Vortrages, und einer gleichen Schreib-Art befleißigen, jedoch moͤchte ich einem faſt rathen, daß er ſich bemuͤhen ſolte, das ſchoͤnſte und feineſte aus der gantzen Rede bey dem Anfang und dem Schluß ſeine Rede anzu - bringen. Bey dem Anfang ſind die Zuhoͤrer in ihrer groͤſten Aufmerckſamkeit, und ein jeder iſt be -gierig,320II. Theil. III. Capitul. gierig, zu vernehmen, wie der Eingang der Rede geſchehen werde. Hier muß der Redner den er - ſten Eindruck von ihm und ſeiner Rede in den Ge - muͤthern der Zuhoͤrer wuͤrcken. Jſt der Anfang ſchlecht, ſo wird er ſich in ſchlechten Credit ſetzen, und ſie werden ſich von dem Fortgang der Rede nicht gar viel Gutes verſprechen. Es kan auch wohl geſchehen, daß einige, wenn er gar zu Anfang einen ziemlichen Fehler begehet, ein ſolch Geraͤuſch oder Gelaͤchter anfangen, daß er hernach in ſeinen Concepten verruͤckt und in voͤllige Unordnung hie - durch geſetzt wird. Macht er aber einen guten An - fang, ſo werden alle Zuhoͤrer eine gute Meynung von ihm erlangen, und er wird aus ihrer Begierde zur Aufmerckſamkeit, und aus ihren Geberden gleichſam wahrnehmen, daß ſie mit ſeinem Vortrag zufrieden ſind, und hiedurch ſelbſt in ſeinem Muth, weiter fortzureden, geſtaͤrcket werden. Bey die - ſer ihrer erſten und beſondern Aufmerckſamkeit wer - den ſie den Anfang einer Rede, die ihnen ſonderlich gefallen, auch lange im Gedaͤchtniß behalten, und wird alſo der Ruhm wegen ſeiner Wohlredenheit immer mehr und mehr ausgebreitet werden. Da es nun viel Leuten nicht gelegen iſt, ihre Gedancken eine lange Zeit in einer beſondern Aufmerckſamkeit zu erhalten, ſo werden auch viele von den Zuhoͤrern bey dem Fortgang einer Rede, zumahl, die etwas weit - laͤufftig abgefaßt, auf dasjenige, was in der Mitten vorkommt, nicht ſo genaue Acht haben. Spuͤhren ſie aber, daß eine Rede bald zu Ende gehet, ſo ſamm -let321Von Ablegung oͤffentlicher Reden. let ſich gleichſam die Begierde, aufmerckſam zu ſeyn, nachdem ſie mit ihren Gedancken ein wenig ausgeruhet, auf das neue. Macht nun ein kluger Redner ſeiner geſchickten Rede auch einen geſchick - ten Schluß, ſo werden ihm ſeine Zuhoͤrer mit voll - kommenem Ruhm croͤnen, und der letzte Eindruck, den er in den Gemuͤthern derer, die ihm zugehoͤret, zuruͤck laͤſt, wird noch viel kraͤfftiger und ihm weit vortheilhaffter ſeyn, als der erſtere. Hat er aber ſeine Sachen biß hieher ſchlecht vorgetragen, ſo kan er durch einen ſchoͤnen Schluß ſeinen Fehler doch noch einiger maßen verbeſſern, und den durch ſeine Ungeſchicklichkeit ſich zugezogenen Schandfleck in etwas wieder auswiſchen. Denn es wird auch bey dieſem Fall heiſſen, wie bey dem andern: Ende gut, alles gut; Das Letzte das Beſte.
§. 1.
DEr geſchickte Herr Benjamin Neukirch ur - theilet in ſeiner Anweiſung zu Teutſchen Briefen ſehr wohl, daß es uns bißhero nicht ſo wohl an Lehren gefehlet, welche uns zum Briefſchreiben den Weg gebahnet, im - maſſen ja in allen Buchlaͤden ſolche Buͤcher anzu -Xtreffen322II. Theil. IV. Capitul. treffen waͤren, als vielmehr an guten Briefen. Der Hof und die Schule, ſagt er, ſind in dieſem Stuͤck ſehr unterſchieden. Dieſe macht die Regeln nach ihren Koͤpffen, jene nimmt ſie aus der Ubung und Erfahrung her. Dieſe bekuͤmmert ſich nur, wie man ſchreiben will, jene aber, wie man artig und gewoͤhnlich ſchreibet. Gleichwohl ſind unſere Hof - Leute ſo unguͤtig, daß ſie die Schule in der Finſter - niß ſtecken laſſen; und da ſie uns in allen zum Mu - ſter ſeyn ſollen, ſo ſehen wir doch ſehr wenig von ih - ren Briefen, ſ. pag. 1. obangezogenen Tractats. Es iſt wahr, es iſt bißhero jungen Leuten ziemlich ſchwer geworden, wenn ſie eine Parthye wohl-ſty - liſirter und Cantzley-maͤßig abgefaßten Schreiben beyſammen ſehen wollen; haben ſie nicht bey denen Secretairs hier und da etwas davon zu ſehen bekom - men, oder ſonſt mit Muͤhe und Noth und einigen Unkoſten etwas davon geſammlet, ſo ſind ſie genoͤ - thiget worden, ſich mit den gedruckten Briefen, wie ſie mehrentheils von Schul-Leuten abgefaſſet wor - den, oder mit den Schreiben der Privat-Perſonen zu behelffen. Nachdem aber der fleißige Herr Stadt-Schreiber Luͤnig in Leipzig in vielen Tomis die Schreiben der groſſen Herren, die ſie in man - cherley Angelegenheiten, ſo wohl in Lateiniſcher als Teutſcher Sprache, einander zugeſchrieben, zuſam - men drucken laſſen; So iſt auch nunmehro der Klage, die man ſonſten wegen dieſes Mangels angeſtimmt, groͤſtentheils abgeholffen, und jun - ge Leute haben nunmehro gute Exempel in dieHaͤnde323Vom Briefſchreiben u. Correſpondenz. Haͤnde bekommen, denen ſie nachahmen koͤn - nen.
§. 2. Ob und wenn man, ohne den Wohlſtand zu verletzen, an einen Fremden und Unbekandten ſchreiben ſoll, lehret die Nothwendigkeit und Klug - heit, nachdem man den tuͤchtigen Grund und Anlaß dazu findet. Bey zweyen Faͤllen iſt es inſonder - heit erlaubt, die Hoͤhern ſchrifftlich anzugehen, ohne daß wir uns vorher die Erlaubniß hierzu ausgebe - ten: Zum erſten, wenn wir der Gnade und Huͤlffe des Hoͤhern unumgaͤnglich benoͤthiget, und zum an - dern, wenn wir wiſſen, daß das eigene Intereſſe des Hoͤhern ſolches erfordere, und es zu ſeinem Ver - gnuͤgen und Gefaͤlligkeit gereichen werde; es muß aber in beyden Faͤllen mit Demuth und reſpectueu - ſen Ehrerbietung geſchehen. Auſſer den beyden, in vorhergehenden angefuͤhrten Faͤllen, muͤſſen wir ent - weder den Befehl des Hoͤhern vorher erwarten, oder die Erlaubniß hiezu erſtlich ausbitten.
§. 3. Wie offt wir an Hoͤhere, oder an unſers gleichen zu ſchreiben haben, beruhet ebenfalls von eines jeden Klugheit und Uberlegung, nachdem uns die Liebe und die Nothwendigkeit antreibt, nachdem wir Befehl oder Erlaubniß, Zeit und Gelegenheit dazu haben, und nachdem wir wiſſen, daß es dem andern gelegen, und von ihm wohl aufgenommen werden moͤchte, oder nicht. Eine Antwort ſind wir auf einem jeden Brief ſchuldig, der uns von jemand zugeſchrieben worden: iſt es von einem Hoͤhern ge - geſchehen, ſo erfordert ſolches die UnterthaͤnigkeitX 2und324II. Theil. IV. Capitul. und Schuldigkeit, gegen unſers gleichen aber muͤſ - ſen wirs aus Liebe und Hoͤflichkeit thun.
§. 4. Schreibet man an eine hoͤhere Perſon, ſo muß man alle Sorgfalt anwenden, daß man, dem Wohlſtand gemaͤß, auch bey dieſer Correſpon - denz den gebuͤhrenden Reſpect gegen ſie beobach - te, und alles hierbey harmonire, was ſo wohl dem innerlichen, als aͤußerlichen nach hierbey noͤthig iſt. Das Schreiben des Briefes mit eigener Hand wird insgemein vor ein Zeichen der Unterthaͤnigkeit geachtet, ſo die Geringern dem Hoͤhern zu erzeigen pflichtig, jedoch leidet dieſes ſeinen Abfall, wenn der Geringere eine ſo heßliche Hand ſchreibt, daß ſie von dem Hoͤhern entweder gar nicht oder doch mit Muͤhe und Noth geleſen werden kan; Bey dieſem Fall iſt es vernuͤnfftiger, daß man einen andern den Brief ſchreiben laͤſt, als daß man ihnen mit ſeiner uͤbeln und unleſerlichen Hand beſchwer - lich faͤllt.
§. 5. Es iſt dem Wohlſtand zuwider, wenn ſich der Geringere unterſteht an den Hoͤhern ein bloß Billet oder zugeknuͤpfftes Briefgen zu uͤberſchicken, welches man nur bey einigen Faͤllen gegen ſeines gleichen zu thun gewohnt iſt. Solten bißweilen einige Umſtaͤnde, da ein Subalterne in groͤſter Eyl an ſeinem Vorgeſetzten etwas zu berichten hat, da Mangel an Papier verhanden, und die Sache kei - nen Verzug leidet, einige Ausnahmen zu Wege zu bringen, ſo bleibet es doch in dem uͤbrigen bey der Regel.
§. 6.325Vom Briefſchreiben u. Correſpondenz.§. 6. Hat man Erlaubniß oder Befehl den Hoͤ - hern bißweilen etwas neues zu berichten, ſo muß man in Uberſchreibung der neuen Begebenheiten ſehr behutſam ſeyn, man muß ſich ſehr genau nach deren Wahrheit und Richtigkeit erkundigen, und die zweiffelhafften von den ſichern und gewiſſen wohl abſondern. Man muß ſich auch nicht ſo weit vergehen, daß man ein Schreiben mit derglei - chen Umſtaͤnden anfuͤllen ſolte, welche der Auf - merckſamkeit der Hoͤhern nicht wuͤrdig, oder die mit denen uns aufgetragenen Geſchaͤfften nichts gemeinſchafftliches haben.
§. 7. Hat einem eine hohe Standes-Perſon oder ein großer Miniſter die Gnade gethan, und an ei - nen geſchrieben, ſo muß man nicht damit prahlen, und die Briefe die ſie uns zugeſchickt, nicht andern Leuten leſen laſſen, wie einige, die dergleichen Brief - fe gar ſelten erhalten, und ſich alſo ſehr viel damit wiſſen, zu thun gewohnt. Ob gleich nichts gehei - mes darinnen enthalten, ſo iſt es doch wider die Ehrerbietung, die man ihnen zu leiſten hat; denn wo ſie dergleichen wider erfahren ſolten, ſetzet man ſich bey ihnen in Verdacht, als ob wir in Zukunfft mit allen ihren Briefen, die wir von ihnen erhalten, eben ſo verfahren moͤchten, und machen uns alſo derjenigen Befehle und Commiſſionen, die ſie uns ſonſt auftragen koͤnten, unwuͤrdig.
§. 8. Hierbey muß ich gedencken, daß es eine gar unanſtaͤndige und verdrießliche Sache, wenn einige gewohnt ſind, manche Briefe, deren JnhaltX 3andere326II. Theil. IV. Capitul. andere Leute nichts angeht, mit denen ſie aber ger - ne groß thun wollen, in den Geſellſchafften unge - beten, oͤffentlich und laut abzuleſen, bey gewiſſen Stellen aber, die ſie nicht entdecken wollen, innen halten, und ſolche heimlich leſen; Solche Leute handelten weit vernuͤnfftiger, wenn ſie andern von ihren Briefen gar nichts erwehnten, und ſolche vor ſich laͤſen, oder doch im Leſen den Schein von ſich gaͤben, als ob ſie den andern aus beſondern gegen ſie hegendem Vertrauen des gantzen Jnhalts wol - ten theilhafftig machen, und nicht die Geſellſchafft nach Veranlaſſung unterſchiedener Umſtaͤnde be - leidigten. S. Traitè de Civilitè p. 345.
§. 9. Die Regel, die ich in den vorhergehenden Capituln vorgetragen, daß man ſich bey dem muͤnd - lichen Vortrage, ſo wohl in der gemeinen Unterre - dung, als auch bey oͤffentlichen Reden, alle der aus - laͤndiſchen Woͤrter, die man in der teutſchen Spra - che eben ſo gut, und nach einer eben ſo kraͤfftigen Bedeutung ausdrucken kan, enthalten ſolle, gilt hier ebenfalls. Es iſt daher ſehr wunderlich, wenn einige nicht zwey Zeilen in ihrer Mutter - Sprache ſchreiben koͤnnen, da ſie nicht entweder ein Jtaliaͤniſch Wort, wie die Herren Kauf-Leute in ihren Briefen zu thun gewohnt, oder ein Frantzoͤ - ſiſch und Lateiniſch Wort mit einmiſchten. Noch ſeltzamer aber iſts, wenn einige von unſern Teut - ſchen, theils von dem maͤnnlichen, theils und am meiſten aber von dem weiblichen Geſchlecht, ihre Briefe gar halb Frantzoͤſiſch und halb Teutſch ab -faſſen,327Vom Briefſchreiben u. Correſpondenz. faſſen, wenn ſie zwey oder drey Zeilen Teutſch ge - ſchrieben, alsdenn wieder zwey oder drey Frantzoͤ - ſiſche Zeilen herſetzen, und dieſe Weiſe von Anfang des Briefes, biß an das Ende belieben. Derglei - chen Schreiben ſehen nicht anders aus, als wie die halb Teutſchen und halb Lateiniſchen Grab - Schrifften und Lieder, die in dem dreyzehenden und vierzehenden Jahrhunderten gebraͤuchlich wa - ren, ſie thaͤten ja weit beſſer, wenn ſie bey einer Sprache blieben. Unter guten Freunden kan es noch endlich eher hingehen, wenn man aber an ei - nem großen Herrn auf dieſe Art ſchreiben wolte, wuͤrde es ſehr phantaſtiſch laſſen.
§. 10. Schreibt man in einer fremden Spra - che an einem groſſen Miniſter, oder ſonſt an einem Patron, ſo muß man vorhero wiſſen, daß ihm die Sprache, darinnen man den Brief an ihm abfaſſen will, angenehm und vollkommen wohl bekandt ſey, ſonſt kan man auch hierinne gewaltig verſtoſſen. Es ſetzt ſich daher nicht ein jedweder Studioſus Theologiæ bey einem Juncker in beſondere Gunſt, wenn er bey ſeinem Teutſchen Patron in einem La - teiniſchen Schreiben, und ob es ſchon mit den ſchoͤnſten Floſculis ausgeziert waͤre, um eine Pfar - re anhalten will. Manchen Patron, wenn er ei - nen Candidaten auf ſeine Lateiniſche Supplique mit Reſolution verſehen ſoll, iſt eben ſo zu Muthe, als manchen Candidaten, wenn er ohne fremde Beyhuͤlffe ein Lateiniſch Schreiben aufſetzen ſoll.
X 4§. 11.328II. Theil. IV. Capitul.§. 11. Jſt man der Frantzoͤſiſchen Sprache ſo maͤchtig, daß man geſchickt iſt, ein gutes Concept darinnen zu machen, und man hat dasjenige, was ich jetzund in dem vorhergehenden angefuͤhrt, da - bey in Obacht genommen, ſo thut man wohl, wenn man an eine hohe Standes-Perſon, oder an eine vornehme Dame und groſſen Miniſter ein Frantzoͤſiſch Schreiben uͤberſchickt, ſintemahl ſie die Mode-Sprache iſt, die bey der großen Welt noch biß dato beliebt, und in gar beſondern An - ſehen.
§. 12. Der ſchrifftliche Vortrag muß ſo ordent - lich und deutlich ſeyn, als der muͤndliche. Schrei - bet man an die Hoͤhern, ſo muͤſſen die Woͤrter und Redens-Arten zierlich und wohl ausgeſucht, jedoch nicht gezwungen und hochtrabend ſeyn. Uber - haupt muß man ſich einer natuͤrlichen und flieſſen - den Schreib-Art befleißigen, die weder zu kurtz noch zu weitlaͤufftig. Jn Anſehung der allzukurtzge - faßten Schreib-Art verſehen es mehrentheils viele von den Herren Geiſtlichen, ingleichen von den Kaufleuten. Es ſuchen ihrer viele darinne ein be - ſonder Kunſt-Stuͤck, daß ſie den Verſtand ihrer Saͤtze in ſo wenig Worte einſchraͤncken, daß ſie und andere Leute gar offters nicht wiſſen, was ſie damit haben wollen; in einer oder in ein paar Zei - len ſoll ein großer Verſtand eine gantze Rede ſte - cken. Manche bilden ſich ein, ſie ſchreiben ſen - tentioͤs, die doch keine Gabe dazu haben, indem ſie ſich der allzugroßen Kuͤrtze befleißen, ſo verfallen ſiedar -329Vom Briefſchreiben u. Correſpondenz. daruͤber in die Dunckelheit und Unordnung. Schreibet man mit einem allzukurtzen Stylo an einen Hoͤhern, ſo verletzet man hiedurch den ihm ſchuldigen Reſpect, wenn man ihm zumuthen will, daß er erſt lange nachſinnen ſoll, was wir haben wollen, es ſcheinet faſt, als ob es uns bedencklich waͤre, ihm mit deutlichen Worten unſere Gedan - cken zu offenbahren. Andere verfallen in eine all - zugroſſe Weitlaͤufftigkeit, ſie miſchen ein hauffen Synonymien und gleichviel bedeutende Woͤrter unter ihre Saͤtze, ſie haben keine rechte Verknuͤpf - fung bey ihren Redens-Arten, bringen ſtets wie - der neue Saͤtze vor, ehe der Verſtand der vorigen noch nicht geſchloſſen worden, man findet paren - theſes, und commata interpoſita in Menge, u. ſ. w. Doch dieſe Schreib-Art iſt noch viel verdruͤßlicher als die erſte. Schicket man einer hoͤhern Perſon ein in dergleichen Schreib-Art abgefaßtes Schrei - ben zu, ſo wird man ſich gewißlich nicht hiedurch in ihrer Gunſt feſt ſetzen, ſie haben mehr zu thun, als den verwirrten Verſtand aus anderer Leuten unordentlichen Briefen heraus zu wickeln.
§. 13. Was ich von der kurtzen oder weitlaͤuff - tigen Schreib-Art geſagt, findet auch bey der Kuͤr - tze und Weitlaͤufftigkeit der Briefe ſelbſt Platz. Es ſchickt ſich nicht, wenn man an die Hoͤhern ein ſo gar kurtzes Schreiben uͤberſchickt, daß ſie unſere Meynung gleichſam errathen muͤſſen, es fehlet einem auch alsdenn an der Gelegenheit, einige ſchmeich - lende Redens-Arten, die doch allenthalben, inſon -der -330II. Theil. IV. Capitul. derheit aber bey den Anfangs - und Schluß-Com - plimens noͤthig ſind, mit anzubringen. Es taugt aber auch nichts, wenn man die hohen und wichti - gen Verrichtungen der großen Miniſtres und an - derer hohen Standes-Perſonen mit ſeinen großen und weitlaͤufftigen Briefen unterbrechen will.
§. 14. Hat man die Erlaubniß oder den Be - fehl, an eine Dame von hohem Stande, zumahl einer ſolchen, bey der man in Dienſten zu ſtehen die Gnade hat, zu ſchreiben, ſo muß man mit der groͤſten Behutſamkeit die aller reſpectueuſeſten Redens-Arten ausſuchen, dadurch man ſeine Ehr - furcht und Devotion gegen ſie an den Tag leget, und ſich aller zweydeutigen Redens-Arten enthal - ten, noch mehr aber derjenigen die allzu charmant heraus kommen, oder die ein uͤbermaͤßiges Lob ausdruͤcken, dafern man ſich nicht zum Gelaͤchter machen will; Jſt ſie jung und ſchoͤn, ſo muß man noch behutſamer handeln.
§. 15. Bey Stiliſirung der Briefe kommt auf die ſo genannten Curialien, und die Courtoiſie-Woͤr - ter, daß man ſie wohl ausſuche, am rechten Ort hinſetze, und gegen die gehoͤrigen Perſonen gebrau - che, ſehr vieles an; Wenn der gantze Brief noch ſo zierlich abgefaſt, und man verſiehet es bey einem eintzigen ſo genannten Courtoiſie-Woͤrtgen, da man etwan an ſtatt unterthaͤnigſt unterdienſtlich ſetzt u. ſ. w. ſo verderbet man den gantzen Kram. Jedoch darff man nicht gedencken, als ob die gantze Kunſt, politiſche Briefe zu ſchreiben, in gewiſſencuriali -331Vom Briefſchreiben u. Correſpondenz. curialiſchen Formuln und Redens-Arten beſtuͤnde, denn obgleich ſolche allerdings vonnoͤthen ſeyn, ſo gehoͤrt doch nach dem wohlgegruͤndeten Urtheil des Herrn Benjamin Neukirchs, noch viel mehrers und zwar folgendes dazu, nemlich die Gemuͤther zu unterſcheiden, des Leſers Schwaͤche und Staͤrcke zu ſuchen, ſeine Bloͤße zu treffen, die Argumenta zu verhoͤhlen, ſie rechtſchaffen zu ordnen, die geord - neten mit Nachdruck anzubringen, und mit einem Worte, ſo kraͤfftig und durchdringend zu ſchreiben wiſſen, als ob wir den Leſer das Hertz mit dem Donner ruͤhrten. Solches nun erkennet man nicht aus bloſſer Ubung, ſondern die Natur muß uns dazu bereiten, die Kunſt, die Vortheile und Griffe zeigen, die Ubung aber vollkommen machen. Das iſt, wir muͤſſen ein faͤhiges Ingenium, einen feſten Grund in der Redner-Kunſt, und eine gute Kenntniß von politiſchen Concepten haben. ſiehe ſeine Anweiſung zu teutſchen Briefen p. 372.
§. 16. Bey Eintheilung der Titulaturen, ſo wohl inwendig in dem Briefe ſelbſt, als auch bey der Aufſchrifft, muß man einem ieden geben was ihm zukommt, und ſich hiebey ſo viel als in andern Stuͤcken, wenn man es erfahren kan, nach ihren Neigungen richten. Man trifft es nicht allezeit, wenn man den Leuten hoͤhere Titul geben will als ihnen zukommt, oder als ſonſt gewoͤhnlich iſt. Ein vernuͤnfftiger Mann achtet entweder den Conci - pienten vor einfaͤltig, daß er es nicht beſſer verſte - het, wie man Leute von ſeinem Stande und Cha -racter332II. Theil. IV. Capitul. racter tituliren ſoll, oder ſtehet in den Gedancken, daß er ihn vor ſo unvernuͤnfftig anſehen wuͤrde, daß er uͤbermaͤßige Titulaturen verlangen und anneh - men wuͤrde, und wird bißweilen daruͤber mehr un - willig als guͤtig. Hat man aber mit einem Hoch - muͤthigen und Ehrgeitzigen zu thun, ſo muß man ſehr accurat ſeyn, daß man, wenn er viel Bedienun - gen hat, keine eintzige von ſeinen Chargen, und kein eintziges von ſeinen Ritter-Guͤtern auslaſſe, man muß ihm ſo viel Ehre erzeigen, und ſich gegen ihm ſo weit erniedrigen, als nur immer moͤglich.
§. 17. Die Titular-Buͤcher, deren man in den Buchlaͤden eine große Menge antrifft, gereichen einem in dieſem Stuͤck zu einer Huͤlffe und Erleich - terung. Vor andern iſt des Herrn Luͤnigs Euro - paͤiſches Staats-Titular-Buch einem jungen Men - ſchen anzuruͤhmen, in dem man viel beſondere hiſto - riſche, genealogiſche und politiſche Anmerckungen findet, die man anderweit vergebens ſuchet. Mit dieſem kan man einige ſpeciellere, die auf einige be - ſondere groſſe Hoͤfe in Teutſchland gerichtet, und jaͤhrlich veraͤndert werden, vereinigen. Doch muß man es hiebey nicht bewenden laſſen, noch ſich allein auf die gedruckten Titular-Buͤcher verlaſſen, ſon - dern ſich zu ſeiner eigenen und geheimen Nachricht ein beſonder Titulatur-Buch ſammlen, darin man nicht allein die gantz ſpeciellen Titul, die einem bey ſeiner Correſpondenz vorfallen, und die man in den uͤbrigen gedruckten vergebens ſucht, einzeichnen, und die ſtetswaͤhrenden hiebey vorfallenden Veraͤnde -rungen333Vom Briefſchreiben u. Correſpondenz. rungen nachtragen, ſondern ſich auch einige Anmer - ckungen, die man aus dem Umgang von den Leuten ſelbſt, oder von ihren Anverwandten, Secretairs, Bedienten, u. ſ. w. erlernt, und die gleichſam als Ausnahmen der Regeln bißweilen anzuſehen, auf - ſetzen muß. Es ereignen ſich zuweilen bey den Ti - tulaturen gewiſſe Puncte, dadurch man ſich, nach - dem man ſie beobachtet oder nicht, bey dem andern entweder beſonders einſchmeicheln, oder auch ohne ſeine Schuld in Ungunſt ſetzen kan, und darauf man ſonſt, wenn man nicht von andern Nachricht er - langt, vor ſich ſelbſt nimmermehr haͤtte fallen koͤn - nen. Alſo waͤre mancher gar wohl befugt, ſeinem Stand und Character nach, der ihm ertheilt wor - den, eine gewiſſe hoͤhere Titulatur oder Benennung anzunehmen, er hat aber ſeine beſondern rationes politicas, oder œconomicas, oder es ſteckt ſonſt ein gewiſſes hiſtoriſches Geheimniß dahinter, warum ers lieber ſiehet, daß man ihn damit verſchonet, und etwas geringers beylegt.
§. 18. Bey der Titulatur und Aufſchrifft an die verehlichten Dames, iſt eine bekandte Anmerckung, daß man das Hauß und die Familie, von der ſie herſtammen, gerne darzu ſetzt; es leidet aber dieſe Regel ihre Ausnahme, wenn eine von geringern Standes an eine Perſon hoͤhern Standes vermaͤh - let worden. Es wuͤrde ſonſt das Anſehen gewin - nen, als ob man ihr hiedurch ihre geringere Her - kunfft vorwerffen wolte, und dem Reſpect, den man einer Dame ſchuldig, faſt zu nahe treten.
§. 19.334II. Theil. IV. Capitul.§. 19. Mit den Anfangs - und Schluß-Compli - mens muß man ſonderlich in den Schreiben, die an die Hoͤhern gerichtet, eine manierliche und gute Ab - wechſelung zu treffen wiſſen, damit man nicht ſtets einerley vorbringe, und ſie nicht den Formulen der Urthelsfaſſer aͤhnlich ſehen, die bey dem Eingang und dem Ende der Urthel meiſtentheils einerley Schlendriane zu behalten pflegen. Jm uͤbrigen ſind die Regeln, die ich in dem Capitul von Compli - mens vorgetragen, hier ebenfalls zu appliciren. Es bleiben einerley Anmerckungen, ob ein Compli - ment muͤndlich oder ſchrifftlich abgefaßt werde.
§. 20. Die ungeuͤbten Briefſteller pflegen gar oͤffters zu den gedruckten Brief-Buͤchern ihre Zu - flucht zu nehmen, um nicht allein manche Redens - Arten daraus zu ſtehlen, ſondern auch wohl gantze Complimens auszuſchreiben. Jedoch dieſer Be - trug verraͤth ſich meiſtentheils ſelbſt durch die un - gleiche Schreib-Art, die bald ſteiget, bald wieder - um faͤllt, bald gemein und natuͤrlich, und bald wie - derum kuͤnſtlich und gezwungen iſt. Daß ein jun - ger Menſch durch fleißiges leſen wohl-ſtyliſirter Briefe ſich nach und nach einige gute Redens-Ar - ten in den Kopff ſetzt, und zugleich auf die Diſpoſi - tion der Theile, aus denen die Briefe zuſammen ge - ſetzt, Achtung giebt, damit er zu einer andern Zeit und bey einer andern Gelegenheit dergleichen wei - ter nachahmen koͤnne, iſt wohl gethan; daß er aber gantze Flecken aus den Buͤchern ausſchreiben will, das iſt nichts. Es iſt weit beſſer, wenn es ein jun -ger335Vom Briefſchreiben u. Correſpondenz. ger Menſch nicht ſo zierlich macht, und ſeine eigene Gedancken vortraͤgt, ſo gut er kan. Wer aber all - zu ungeſchickt iſt, findet ja heutiges Tages allenthal - ben Leute, die ihm in ſeinem Nahmen eine Supplicq oder einen Brief aufſetzen.
§. 21. Wer allerhand Regeln der Klugheit, die bey dem Briefſchreiben in Obacht zu nehmen, und mancherley brauchbare hieher gehoͤrige Anmerckun - gen ſich bekandt machen will, kan ſich, vor allen an - dern Briefſtellern, des Herrn Benjamin Neukirchs Anweiſung zu Teutſchen Briefen anſchaffen, in wel - cher ſehr viel nuͤtzliche Sachen mit kurtzen Worten, und dennoch deutlich vorgetragen. Mit dieſer Schrifft kan er des Herrn Luͤnigs Teutſche Reichs - Cantzeley vereinigen, daraus er den Unterſchied ei - ner Hof-Cantzeley-maͤßigen und einer Schul-maͤſ - ſigen Schreib-Art erſehen kan. Es kan auch nicht ſchaden, wenn man einige von Frantzoͤſiſchen Au - toribus abgefaßte Schreiben fleißig lieſet. Die Frantzoſen ſind mehrentheils aufgeweckte und leb - haffte Leute, die gute Einfaͤlle haben, ſich kurtz und nervös zu erklaͤren, und ihren Gedancken oͤffters eine angenehme Tour zu geben wiſſen.
§. 22. Man muß ſich nicht unterſtehen, in den Schreiben, die an die hoͤhern Perſonen gerichtet, eine Empfehlungs-Abſtattung an Jhro Frau Ge - mahlin aufzutragen. Es iſt einiger maßen wider die Ehrerbietung, die man gegen die Hoͤhern zu er - weiſen hat, theils, da man ihnen uͤberhaupt etwas auftraͤgt, theils dieſes Compliment inſonderheit;ich336II. Theil. IV. Capitul. ich rede aber hier von dem Fall, da der Briefſteller von dem Hoͤhern um ſehr viel tieffe Grad von dem andern unterſchieden, und da die Hoͤhern von dem oberſten Range ſind; denn ſonſt iſt dieſes Compli - ment gar gewoͤhnlich, geziemend und zulaͤßig.
§. 23. Es iſt dem Wohlſtand zuwider, wenn man in dem Schreiben, das an eine hohe Standes - Perſon, oder einem groſſen Miniſter ergehet, ein Poſtſcriptum mit anfuͤget. An ſtatt deſſen muß man lieber ein Inſerat anſchluͤſſen, und in daſſelbe dasjenige, was man in dem Schreiben ausgelaſſen, oder wovon man nur erſt Nachricht erlangt, mit ein - ruͤcken. Bey dem Inſerat faͤngt man eben die Ti - tulatur an, wie in dem Briefe, nur mit dem Unter - ſchiede, daß man noch das Woͤrtgen auch druͤber ſetzt; z. E. Auch Hochgebohrner Graf, Gnaͤdiger Herr, und unterſchreibt es, wie den Brief.
§. 24. An der Unterſchrifft eines Briefes iſt faſt ſo viel gelegen, als an der Titulatur, daß man ein ſolch Woͤrtgen ausſuche, dadurch man ſeine Unter - thaͤnigkeit und die Ehrerbietung, die man vor dem Hoͤhern heget, ſattſam ausdrucke. Jn den ge - druckten Briefſtellern findet man bey dieſem Stuͤck mancherley Fehler. Ein gewiſſer neuer Autor meldet: An unſers gleichen ſchreiben wir bey der Unterſchrifft, gehorſamſter, dienſtſchuldig - ſter, dienſtwilligſter, oder verbundenſter Diener, hingegen an andere, welche fuͤrnehmern Standes, als wir ſelber waͤren, ſchrieben wir insgemein unter - thaͤniger, gehorſamſter Knecht oder Diener. Dochich337Vom Briefſchreiben u. Correſpondenz. ich finde unterſchiedenes hiebey zu erinnern. Die Woͤrter, gehorſamſter, dienſtſchuldigſter, dienſt - willigſter oder verbundenſter Diener ſind im ge - ringſten nicht in einerley Elaſſe mit einander zu ſetzen. Gehorſamſt iſt weit mehr, als dienſtſchul - digſt, dienſtſchuldigſt mehr als dienſtwilligſt, ver - bundenſt auch noch mehr als dienſtwilligſt. Wenn ich mich gegen einen als Knecht unterſchreibe, ſo erniedrige ich mich dadurch mehr, als wenn ich Diener ſetze. Gegen ſeines gleichen iſt gehor - ſamſt zu viel, an ſtatt deſſen iſt gnug, gehorſamer Diener, oder dienſtverbundenſter, dienſtergeben - ſter, treueſter Diener. Gegen die Hoͤhern un - terſchreibet man ſich nach dem Unterſcheid ihrer Hoheit, unterthaͤnigſt-gehorſamſter, unterthaͤnigſter oder gehorſamſter, allerunterthaͤniger oder gehor - ſamer, u. ſ. w. Gegen Kaͤyſerliche, Koͤnigliche und Chur-Fuͤrſtliche Perſonen unterſchreibet man ſich, allerunterthaͤnigſter, allergehorſamſter. Hat man die Gnade, in ihren Dienſten zu ſtehen, ſo ſetzet man noch dazu, Pflicht-ſchuldigſter, oder Pflicht - verbundenſter, allergetreueſter, u. ſ. w. Gegen die Geringern unterſchreibet man ſich wiederum mit einigem Unterſchiede, dienſtwilligſter, dienſtwilliger, dienſtſchuldiger, dienſtfertiger, dienſtgeneigter u. ſ. w. Das Frauenzimmer pflegt gar oͤffters, um allen boͤ - ſen Verdacht hiedurch von ſich abzulehnen, bey ih - ren Unterſchrifften an die Manns-Perſonen, das Wort Ehren dazu zu ſetzen, z. E. Ehren-gehor - ſamſte, Ehren-dienſtwilligſte u. ſ. w. Doch, es iſtYdieſes,338II. Theil. IV. Capitul. dieſes, meines Erachtens, eine uͤberfluͤßige Scham - hafftigkeit und unnoͤthige Erbarkeit; es verſtehet ſich von ſelbſt, daß ſie, nach ihrer Chriſten-Pflicht, ſchuldig iſt, dem andern keine andere Dienſte zu lei - ſten, als die ſie ihm mit Zucht und Ehre abſtatten kan, und der andere hat auch ihre Unterthaͤnigkeit und Gehorſam, und wenn es auch der groͤſte Herr waͤre, in keinem andern Verſtande anzunehmen.
§. 25. Man befleißige ſich in ſeinem Schreiben, ſo viel als moͤglich, einer galanten Schreib-Art. Es ſind aber galante Briefe Schreiben, in welchen etwas artiges verborgenes ſteckt, das man weder beſchreiben noch nennen kan. Denn es iſt zu ei - nem galanten Briefe nicht eben allezeit vonnoͤthen, daß man etwas ſonderliches und kuͤnſtliches erſinne, ſondern die freye ungezwungene Manier, deren ſich ein Cavalier bedient, und, mit einem Wort, der ar - tige Zug, mit welchem er ſeine Briefe anfaͤngt, fort - fuͤhrt und beſchluͤßt, iſt das fuͤrnehmſte, was ihn von gemeinen Geiſtern unterſchieden, und ſeine Schreib - Art galant und allen Leuten beliebt und angenehm macht. S. Benjamin Neukirch, p. 248.
§. 26. Daß man zu den Briefen, die an hoͤhere Perſonen gerichtet, klares nnd nettes Poſt-Papier zu nehmen habe, lehret der Wohlſtand. Ob es an dem Rande verguͤldet ſey oder nicht, thut zur Sache nichts; ob der Streuſand aus Goldflitterchen be - ſtehe, oder ob es gemeiner Sand ſey, damit die naſ - ſen Buchſtaben getrocknet werden, iſt ebenfalls ei - nerley, wenn er nur nicht allzu grob, daß er einemStuͤck339Vom Briefſchreiben u. Correſpondenz. Stuͤck geriebener Erde gleich ſehe. Ubrigens muß man vornemlich bey ſolchen Briefen Acht haben, daß ſie reinlich geſchrieben werden, und man darin - nen nichts radire, ausſtreiche, noch druͤber ſchreibe, auch das Datum nicht vergeſſe, welches uns ſonſt vor eine Nachlaͤßigkeit wuͤrde ausgelegt werden.
§. 27. Nach dem Titul, mit dem man den an - dern in ſeinem Briefe angeredet, muß man einen ziemlichen Raum laſſen, bevor man den Brief an - faͤngt; je hoͤher die Perſon, an die man ſchreibet, je groͤſſern Raum muß man auch laſſen, und den Brief gantz unten anfangen, jedoch muß ebenfalls einige Proportion auch hierbey in Acht genommen werden.
§. 28. Bey der Unterſchrifft ſeines Nahmens muß man, wenn man an hohe Perſonen ſchreibt, den Nahmen mit Tauff - und Zunahmen gantz aus - ſchreiben, denn wo man ſeinen Nahmen verzogen hinſetzen wolte, wuͤrde man den Reſpect, den man den Hoͤhern ſchuldig, verletzen. Dieſes pflegt man nur bey ſeines gleichen oder bey den Geringern zu thun.
§. 29. Einige machen daraus ein beſonder Ce - remoniel und Kunſtſtuͤck, wenn ſie die Briefe, ihrer Einbildung nach, auf das zierlichſte gebrochen und gebunden, faſt wie man die Serviette zu brechen pflegt, zuſammen legen; doch dieſe Kuͤnſteleyen, oder vielmehr Taͤndeleyen, ſchicken ſich eher, wenn man ſeiner Liſimene ein billet doux uͤberſchicken, als einem vornehmen Miniſtre, oder ſonſt einer ho -Y 2hen340II. Theil. IV. Capitul. hen Standes-Perſon, ein Schreiben uͤbermachen will. Wenn der Brief ordentlich beſchnitten und zuſammen gelegt, ſo iſt es ſchon gut, mehr Ceremo - nien braucht es nicht, vornehme Leute, oder ihre Secretairs, haben mehr zu thun, als die wunderlich - geknuͤpfften Briefe der muͤßigen Leute aufzuloͤſen. Es wird, dem Gebrauch nach, vor manierlicher ge - achtet, wenn man Couverte um die Briefe der vor - nehmen Leute ſchlaͤgt und hernach den Titul auf die Couverte macht. Dieſe Umſchlaͤge haben ihre gute Raiſons: Hat man etwas an der Titulatur verſehen, daran der Welt doch ſo viel gelegen, ſo iſt es ja leichte geſchehen, daß man ein neu Couvert macht, und den Titul umſchreibt, als daß man um dieſes Fehlers willen, genoͤthiget wird, den gantzen Brief wieder umzuſchreiben.
§. 30. Bey dem Zuſiegeln der Briefe hat man, wenn man mit vornehmen Perſonen zu thun hat, unterſchiedenes in Obacht zu nehmen: Erſtlich muß man beurtheilen, ob das Schreiben, welches man nicht auf die Poſt geben, ſondern nur ſonſt hohen Haͤnden einreichen laſſen will, der Gewohnheit, der Beſchaffenheit, der Sachen und den Umſtaͤnden der Perſonen nach, zuzuſiegeln, oder nicht. Einige groſſe Miniſtri wollen von manchen Leuten in die - ſem Stuͤck tractiret ſeyn, wie die hoͤchſten Stan - des-Perſonen, denen gar oͤffters die an ſie gerich - teten Bittſchreiben ungeſiegelt uͤbergeben werden. Zum andern muß man ſich bey dem Zuſiegeln, der Oblaten im geringſten nicht bedienen, denn ob manſchon341Vom Briefſchreiben u. Correſpondenz. ſchon ſolche gegen ſpecial gute Freunde, oder gegen die Geringern zu gebrauchen pflegt, ſo ſchickt es ſich doch nicht, daß man ſie zum Zuſiegeln der an die Hoͤhern gerichteten Schreiben anwendet. Man muß alſo ſauberes, und feines rothes Lacq hierzu erwehlen ſo gut als man es erlangen kan. Das Siegel muß man deutlich und wohl ausdruͤcken, und kein Deviſen - oder verzogen Nahmen-Siegel, wo man ein anders mit einem Wappen, u. d. gl. ſonſt fuͤhren kan und darff, oder gewoͤhnlich zu fuͤhren pflegt. Hat man keinen Umſchlag um den Brief gemacht, wird es insgemein vor hoͤflicher und wohl - anſtaͤndiger geachtet, wenn das Siegel mehr nach der rechten Hand zu aufgedruͤckt wird, als in der Mitten.
§. 31. Es iſt eine abgeſchmackte Sache, wenn einige, aus allzu groſſen Ceremoniel, an ſtatt pre - ſentement, trinhumblement zu ſetzen pflegen. Denn ob es wohl, meines Erachtens, ſo viel beiſſen ſoll, als: Dieſer Brief ſoll mit unterthaͤnigſtem Reſpect nach Amſterdam, Paris, u. ſ. w. geſchickt werden, ſo wird doch dieſe Hoͤflichkeit mit einem all - zu groſſen Umſchweiff genommen, und iſt vor uͤber - fluͤßig anzuſehen. Es iſt am beſten, daß man bey dem gewoͤhnlichen bleibt, was der Gebrauch ein - mahl eingefuͤhrt.
§. 32. Endlich muß ich auch noch gedencken, daß es dem Wohlſtand gar ſehr zuwider, wenn einige in ihren Angelegenheiten an groſſe Herren oder ihre Patronen ſchreiben, und doch die Briefe nicht fran -Y 3quiren,342II. Theil. V. Capitul. quiren, ſondern ihnen das Porto bezahlen laſſen. Die uͤbrigen Regeln der Klugheit, die bey dieſer Materie etwan noch angefuͤhret werden koͤnten, muß man aus andern Schrifften, am beſten aber durch die Ubung und aus der Praxi erkennen.
§. 1.
GLeichwie ein vernuͤnfftiger Menſch bey al - len ſeinen Handlungen nichts unternimmt, wozu er durch einen zureichenden Grund nicht beweget werde, alſo ſtattet er auch nirgends einen Beſuch ab, es muͤſte ihm denn der unvermeidliche Wohlſtand, die Nothwendigkeit, die Liebe und Freundſchafft, die er ſeinem Naͤchſten ſchuldig, und anders dergleichen hiezu antreiben. Er richtet es, ſo viel als moͤglich, ſo damit ein, daß ihm nicht hiedurch einige Unvollkommenheit zuge - zogen, noch die Zeit zu nuͤtzlichern Sachen wegge - nommen werde. Er beobachtet hierbey die Zeit, den Ort, und andere noͤthige Umſtaͤnde: Haͤlt er ſich an einem fremden Ort auf, da es ſeiner Abſicht gemaͤß, Fremde kennen zu lernen, ſo iſt er freylich hierinnen freygebiger, als ſonſt, und beobachtet bey dieſem Fall alles, was ſeine Curioſitaͤt und derZweck343Von Abſtatt - u. Annehmung der Beſuche. Zweck ſeiner Reiſe erfordert; iſt er aber wieder zu Hauſe, ſo iſt er damit ſparſamer, und giebet keine weitern Beſuche, als bey denen, die ſeine Gluͤckſe - ligkeit und wahre Zufriedenheit befoͤrden und erhal - ten helffen. Er bleibet zu Hauſe, ſo viel er kan, und erkennet denjenigen vor den groͤſten Thoren von der Welt, der in ſeinem Hauſe Ruhe hat, und dasjenige ſchon bey ſich mit Bequemlichkeit beſitzt, was er anderwerts mit Muͤhe und Verdruß ſucht, und doch wohl nicht findet. S. Inſtruction de Monſieur de Chavergny, p. 337.
§. 2. Der Frantzoͤſiſche Autor der Pflicht und Schuldigkeit, welche man in ſeinem Haußweſen in Acht zu nehmen hat, urtheilet wohl recht nach der Wahrheit, wenn er p. 2〈…〉〈…〉 4. ſchreibt: Es finden ſich unzehliche Faullentzer und Muͤßiggaͤnger, welche ſich eine ſtetswaͤhrende Beſchaͤfftigung daraus ma - chen, daß ſie Viſiten geben und annehmen, ſie ſind ihnen ſelbſt beſchwerlich, darum wollen ſie auch an - dere Leute beunruhigen; denn, kan man ſich wohl eine verdruͤßlichere Sache vorſtellen, als dieſe Art der langen und ungelegenen Viſiten, da man genoͤ - thiget wird, den Tag ſo elender weiſe zu verderben, in Anhoͤrung der Schwachheiten, des Unverſtan - des, und unartigen Diſcourſes derer, die ſolche ab - ſtatten, dieſes iſt eine groſſe Beſchwerlichkeit.
§. 3. Solche unnuͤtze Viſiten werden insgemein von denen abgeſtattet, welchen die Zeit zu lang wird, und die gerne einen Zeitvertreib haben wollen, oder die aus einer intereſſirten Abſicht zu den andernY 4lauffen,344II. Theil. V. Capitul. lauffen, nicht daß ſie demjenigen, den ſie beſuchen, ihre Freundſchafft bezeugen, ſondern daß ſie von ſei - nem Vermoͤgen genieſſen, von ſeinem Wein, Bier, Toback, Caſfe, oder ſich ſonſt eines und das andere von ſeinen Guͤtern zu Nutz machen wollen.
§. 4. Bey vielen Viſiten herrſchet der Ehrgeitz. Der autor der Pflicht und Schuldigkeiten, welche man in ſeinem Hauß-Weſen zu beobachten hat, ſchreibet hievon folgendes: Hoffart, Verſchwen - dung und Pracht in Kleidern, die Ehre, die man er - wartet in Ubernehmung eines Beſuches, entdecket nichts anders, als den Hochmuth deſſen, der ſolche abſtattet. Die Schoͤnheit der Haͤuſer, die reichen und koſtbaren Meubles, die groſſe Zahl der Bedien - ten geben die Eitelkeit derjenigen, die ſolche anneh - nehmen, genug zu erkennen; Aber, damit allebeyde zum Erkaͤntniß kommen, ſo duͤrffen ſie nur ſich ſelbſt befragen, ſie werden erkennen, daß ſie die meiſten Viſiten bloß in eigennuͤtziger Abſicht verrichten und daß ihnen offt ihr Gluͤck, nicht ihr Verdienſt, dieſel - ben zuwege bringt.
§. 5. Daß nun bey dieſen Welt-Viſiten ſehr viel ſuͤndliches Weſen anzutreffen, iſt gar kein Zweiffel. Der Herr Bohnſtedt behauptet in der Beſchreibung der wahren Chriſten erbaulichen Vi - ſiten, daß die bloſſen Staats-Ehren-Luſt - und Wolluſt-Viſiten, da man, unter dem Schein der ſchuldigen Hoͤflichkeit und unſuͤndlichen Ergoͤtzlich - keit, entweder in oͤffentlichen Wirths-Sauff - und Spiel - oder Privat-Haͤuſern zuſammen kaͤme, derleib -345Von Abſtatt - u. Annehmung der Beſuche. leiblichen Gaben GOttes mißbrauchte, die Ehre des Nahmens GOttes, und der Seelen Beſſerung, und des gemeinen Beſten gar vergaͤſſe, und einer dem andern in der Eitelkeit des Sinnes und heuch - leriſchen Chriſtenthums immer weiter verſtockte, waͤren das Netz und die Falle, darinnen ſich viel tauſend Menſchen zur Hoͤlle ſtuͤrtzten.
§. 6. Doch wir wollen der Welt ihre ſuͤndlichen Mißbraͤuche zu ihrer ſchweren Verantwortung an - heim geſtellt laſſen, und bey dem zulaͤßigen und er - laubten verbleiben, und unſerm jungen Cavalier ei - nige nuͤtzliche Regeln und Anmerckungen ertheilen, was er bey Abſtattung und Annehmung der Viſiten in Acht zu nehmen hat.
§. 7. Haͤlt ſich ein junger Cavalier in der Frem - de an einem ſolchen Ort auf, wo ein Ambaſſadeur, Envoyé oder Reſident von ſeinem Landes-Herrn, oder von einer mit ihm alliirten Puiſſance iſt, ſo muß er demſelben alſobald die ſchuldige Aufwar - tung machen, ſich deſſen Protection ausbitten, die an ihm habenden Recommendationes uͤberreichen, und ſich ihm beſtens empfehlen. Der Nutzen die - ſer Bekandtſchafft iſt unvergleichlich groß, denn er bekommt viel Dinge zu ſehen und zu hoͤren, welche andere, die ſich nicht wohl adreſſirt haben, entwe - der gar nicht, oder doch nicht ſo wohl erfahren und ſehen; er hat Ehre davon, wenn er bey dem Herrn Geſandten ſeinen Zutritt hat, und wohl gelitten iſt; er wird unter den Groſſen des Landes bekandt, und und von ihnen, bey Hofe oder in andern Geſellſchaff -Y 5ten,346II. Theil. V. Capitul. ten, an die Miniſtris, und von dieſen ſo weiter an die Koͤnige und Chur-Fuͤrſten præſentirt; er be - kommt vieles ohne groſſe Unkoſten bey Audientzen und ſonſten zu ſehen, und lebt unter ſeiner Protection vor allerhand Zufaͤllen, mehr als andere, geſichert, kan auch, wenn es noͤthig, ſich auf ſelbige beruffen. S. des Herrn von Tſchirnau getreuen Hofmeiſter, pag. 150.
§. 8. Hat ein junger Cavalier das Gluͤck, in ei - nigen vornehmen Haͤuſern bekandt zu ſeyn, ſo muß er zwar ſolche Bekandtſchafften auf alle Weiſe zu cultiviren ſuchen, jedoch aber auch dieſen vorneh - men Leuten durch ſeine allzu oͤfftern Viſiten nicht be - ſchwerlich fallen. Er muß ſich nach ihrem Hu - meur richten, ob ſie viel Viſiten verlangen, oder nicht, indem die Gemuͤther der groſſen Miniſtris auch hierinnen unterſchieden: Einige wollen ſehr reſpectirt ſeyn, und ſehen es gerne, wenn ſich dieje - nigen, die einiger maßen von ihnen dependent ſind, faſt taͤglich in ihren Vorgemaͤchern zeigen; wenn ſie in einiger Zeit nichts von ihnen geſpuͤhrt, erthei - len ſie ihnen wohl gar Verweiſe. Andere aber ſind in dieſem Stuͤck guͤtiger, ſie ſind zufrieden, wenn ſich junge Leute, die unter ihrer Protection ſtehen, dann und wann zu ihrem Befehlen anbiethen, und wuͤr - digen ſie ihrer gnaͤdigen Vorſorge, wenn ſie nur ſonſt fortfahren, ſich wohl aufzufuͤhren.
§. 9. Jſt man an fremden Orten, und man will vornehmern Miniſtris ſeine Aufwartung machen, ſo muß man ſich vorher erkundigen, ob es wohl, demGe -347Von Abſtatt - u. Annehmung der Beſuche. Gebrauch daſigen Ortes nach, erlaubt ſey, zu Fuſſe zu ihnen zu gehen, oder ob man, wenn man nicht ſelbſt mit Kutſche und Pferden verſorgt, eine Mieth - Kutſche nehmen muͤſte. An einigen Orten muß ein junger Cavalier, dafern es ihm nicht ſein groſſes Armuth verwehret, wenn er bey groſſen Miniſtris ſeinen Beſuch abſtatten will, nothwendig eine Ca - roſſe nehmen, oder ſich beurtheilen laſſen, als ob er nicht zu leben, und den Wohlſtand zu beobachten wiſſe.
§. 10. Nicht weniger muß man ſich erkundigen, ob der groſſe Miniſtre, dem man ſeinen Reverence machen will, ſeinem hohen Character nach, wohl erlauben moͤchte, daß wir uns duͤrffen bey ihm an - melden laſſen, oder ob wir nur in ſeinem Vorge - mach erſcheinen muͤſten, und alsdenn um Audienz ihm Anſuchung thun. Sonſt kan man in beyden Faͤllen verſtoſſen werden. So laͤcherlich es waͤre, wenn man manchen, der nicht gewohnt iſt, viel Ca - valiers in ſeinem Vorgemach ſtehen zu ſehen, die auf ihn warteten, uͤber den Hals lauffen wolte, ſo uͤbel wuͤrde es hingegentheils von manchen Pre - mier-Miniſtre eines groſſen Koͤniglichen Hofes aufgenommen werden, wenn man ſich bey ihm durch ſeinen Laquay, nach einem gewoͤhnlichen Compliment, wolte laſſen anmelden. Je gerin - ger die Perſon, die dem andern aufwarten will, je mehr Ehrerbietigkeit muß ſie auch gegen dem an - dern bezeigen.
§. 11. Erfordert es der Wohlſtand, in Anſe -hung348II. Theil. V. Capitul. hung unſerer Umſtaͤnde, und der an einem Orte eingefuͤhrte Gebrauch, daß wir nach der Reyhe und nach dem Range die Viſiten abſtatten, ſo muͤſſen wir uns mit der groͤſten Accurateſſe erkundigen, welcher von ihnen dem andern vor oder nachgehe, denn ſonſt wuͤrde derjenige, der einen großen Ehr - geitz beſitzt, es ſehr uͤbel aufnehmen, wenn man ihm hierinne wider ſeinen Willen zu nahe trete, und bey ihm hernach die Viſite ablegte, die wir doch vorher haͤtten ſollen ablegen.
§. 12. Laͤſt man ſich bey den Hoͤhern melden, ſo muß man niemahls die Zeit beſtimmen, wenn man zu ihnen kommen will, dieſes thut man nur gegen Geringere, oder auch bißweilen gegen ſeines glei - chen; von den Hoͤhern muͤſſen wir den Befehl erwarten, wenn es ihnen gelegen. Haben ſie uns eine gewiſſe Zeit angezeigt, ſo muͤſſen wir punctuel um dieſelbe Zeit erſcheinen, und keine Viertelſtunde ſpaͤter als ſie uns vorgeſchrieben. Es iſt beſſer, daß wlr ein wenig zuvorkommen, und auf ſie warten, biß es ihnen gelegen, als daß ſie auf uns warten muͤſſen. Die Hoͤhern haben offt alle ihre Stun - den und Viertelſtunden auf den gantzen Tag ein - getheilt. Erſcheinen wir nicht zu der geſetzten Zeit accutat, ſo haben wir bißweilen lange Zeit nicht wie - der Gelegenheit zu ihnen zu kommen.
§. 13. Jn Anmeldung muß man ebenfalls das rechte Tempo treffen, wie es an einem jeden Orte eingefuͤhrt. An einigen Orten laͤſt man ſich gantz fruͤh melden, weil alsdenn die Hoͤhern den gantzenTag349Von Abſtatt - u. Annehmung der Beſuche. Tag vor ſich haben, da ſie denn nach Gefallen biß in die Nacht uns eine gewiſſe Stunde beſtimmen koͤnnen. An andern Orten laͤſt man ſich zu Mitta - ge anmelden. Man muß ſich auch erkundigen, welchen Tag es einen jeden am gelegenſten. Alſo muß man ſie die Poſt-Tage mit den Viſiten ver - ſchonen, man muͤſte denn etwas nothwendiges bey ihnen anzubringen haben, ingleichen die Sonn - und Feſt Taͤge, diejenigen die ſich nach einer ſehr geringen Anzahl und einem hoͤchſt loͤblichen Chri - ſten-Gebrauch vorgeſetzt, dieſe Tage in Heiligung zuzubringen. Jſt uns keine gewiſſe Stunde ange - deutet, ſo muß man nicht zu der Zeit kommen, da es bald Zeit iſt zu Mittages oder Abends zu ſpeiſen, da - mit wir nicht den Schein der Schmarotzer von uns geben, es muͤſte denn ſeyn, daß ein Miniſter offene Tafel hielte, und es unſern Umſtaͤnden und ſeiner Erlaubniß nach gemaͤß waͤre, bey derſelben zu er - ſcheinen.
§. 14. Fruͤh morgens iſt die bequemſte Zeit, den großen Miniſtris aufzuwarten, da ſind ſie gemeinig - lich am beſten humeriſirt, und der Anlauf von an - dern iſt auch noch nicht ſo gar groß, als wenn es hernach weiter in den Tag hinein kommt. Jſt ei - nen an ihren Beſuch ſehr viel gelegen, ſo thut man wohl, wenn man an einen von ihren Pagen oder Cammer-Dienern ein klein Præſent giebt, ſo wer - den ſie uns denn hernach gar bald vor andern, die ihnen nichts zugeworffen, behuͤlfflich ſeyn, daß wir Gelegenheit finden, unſere Aufwartung zu machen:wenn350II. Theil. V. Capitul. wenn ſie ſehen, daß ihre Herrſchafft vor dieſesmahl nicht enbel humeur ſey, werden ſie es uns zu unſerer Nachricht entdecken, und anrathen, daß wir uns lieber einen andern Tag wieder einſtellen moͤch - ten.
§. 15. Sind wir bey einen großen Miniſter ge - meldet worden, bey dem wir bald Audienz erlan - gen ſollen, und ſeine Leute, wie es wohl zu geſchehen pflegt, ſind nicht ſelbſt ſo hoͤflich, daß ſie uns in ſein Vorgemach fuͤhren, ſo muͤſſen wir ſelbſt in dasje - nige Vorzimmer treten, welches Leuten von unſerm Stand und Diſtinction gewidmet, damit wir nicht auf eine uns ſchimpfliche und unanſtaͤndige Art uns mitten unter dem Poͤbel aufhalten duͤrf - fen.
§. 16. Wir muͤſſen uns vorhero genau erkundi - gen, was an dieſem oder jenem Ort, bey dieſem oder jenem Miniſter, bey den Viſiten in Anſehung der Titulaturen, der Diſcourſe, der Reverence, des Niederſetzens, des Begleitens u. ſ. w. eingefuͤhrt, damit wir nicht allein in allen Stuͤcken das Cere - moniel gehoͤrig beobachten, und ein gutes Accevil von ihm zu erwarten haben, ſondern auch beurthei - len moͤgen, in wie weit wir von dem andern geach - tet und geehrt, oder geringer als andere von un - ſerm Stande und Umſtaͤnden geſchaͤtzet werden, und was wir uns alſo in Zukunfft wohl von ihnen zu verſprechen haben moͤchten.
§. 17. Man thut nicht wohl, wenn man dasje - nige, was an dieſem Orte, bey dieſem oder jenemMini -351Von Abſtatt - u. Annehmung der Beſuche. Miniſtre eingefuͤhrt, alſo fort ohne die Raiſon des Unterſcheides zu unterſuchen, die etwan hier vor - walten koͤnte, auf andre Oerter und auf andre Per - ſonen appliciren will. Alſo iſt es in einigen großen Reſidenzien hergebracht, daß man ſich gantz kurtz vorhero bey einem Miniſter oder bey einer Dame anmelden laͤſt, und gleich darauf zu ihnen gefahren koͤmmt. Wer nun aber dieſes, wie einige zu thun pflegen, an andern Orten nachahmen, und den Leu - ten, denen man Viſiten abſtatten will, ſo fort uͤber Hals kommt, wird ihnen nicht allezeit durch ſeinen jaͤhlingen und unvermutheten Beſuch eine Gefaͤllig - keit erzeigen. Dieſe haben nicht allezeit, ſo wie jene, alles in Bereitſchafft, was etwan erfordert wird, fremde Cavaliers gehoͤrig zu bewillkommen und an - zunehmen.
§. 18. Jn Aufwartung der Dames muß man in vielen Stuͤcken noch accurater und behutſamer ſeyn, als wenn man Cavaliers ſeinen Beſuch abſtattet. An einigen Orten wird eine maͤßige Bekandtſchafft erfordert, ſo erlangt man die Erlaubniß, vornehmen und honetten Frauenzimmer, ledigen Standes, aufzuwarten; an andern Oertern hingegen wuͤrde man es einem Cavalier gar ſehr verdencken, wenn er einem ledigen Frauenzimmer ſeine Aufwartung ma - chen wolte, der nicht mit demſelben Hauſe, wo er ſeine Viſite geben will, in Anverwandtſchafft ſtuͤn - de, oder ſonſt lange Zeit bey ihnen aus - und eingan - gen, es waͤre denn, daß es ihm gelegen waͤre, eine anſtaͤndige Liebes-Erklaͤrung zugleich mit ſich zubrin -352II. Theil. V. Capitul. bringen. Es thut einer am ſicherſten, wenn man vor der Viſite, entweder bey der Dame ſelbſt, oder bey ihren Eltern und Anverwandten, bey denen ſie im Hauſe iſt, ſich erkundiget, ob man wohl die Er - laubniß habe, ihr aufzuwarten. Alsdenn kan man aus der Antwort bald abnehmen, ob wir wohl an - genehm ſeyn moͤchten, oder nicht.
§. 19. Bey dem Beſuch der Dames muß man alle Gelegenheit vermeiden, dadurch man ihnen und dem Frauenzimmer einigen ungleichen Verdacht wider ſich erwecken, und zu mancherley uͤbeln Ur - theilen Anlaß geben koͤnte. Alſo muß man hiebey alle ungewoͤhnliche Oerter, Zeiten und Geſellſchaff - ten fliehen, inſonderheit auch die Obſervanz, wie es etwan an einem jeden Orte des Herkommens iſt, zugleich mit zu Rathe ziehen. An einigen Orten iſt es erlaubt und hergebracht, daß junge Cavaliers den Weibern der vornehmen Miniſtris ihre Auf - wartung machen, ob ſchon ihre Maͤnner abweſend, und trifft man taͤglich, theils groſſe, theils kleine Ge - ſellſchafften bey ihnen an. An andern Orten hin - gegen wuͤrden viel verheyrathete Dames, in Abwe - ſenheit ihrer Maͤnner, dergleichen Viſiten depreci - ren. Man findet auch wohl unterſchiedene Da - mes an groſſen Oertern, denen zu derſelben Zeit mit dieſer Aufwartung nicht gar viel gedient iſt. Nach - dem ſie nun, entweder von der Galanterie, oder von der Haußwirthſchafft Profeſſion machen, oder ſonſt ihren Umſtaͤnden nach, darinne ſie ſich, wegen des Characters ihrer Maͤnner, befinden, und des unver -meidli -353Von Abſtatt - u. Annehmung der Beſuche. meidlichen Wohlſtandes wegen ſich dergleichen muͤſſen gefallen laſſen, nach dem ſind ihnen dieſe Beſuche angenehme, oder mehr zuwieder.
§. 20. Man thut am beſten, daß man ſich aller derjenigen Oerter enthaͤlt, wo einem entweder eine geſuchte Viſite zu vielen mahlen abgeſchlagen, und doch nachgehends andern von unſers gleichen erlau - bet wird; oder da derjenige, den man beſuchen will, zu Hauſe iſt, ſich aber, ohne eine wichtige Raiſon, entweder entſchuldigen, oder wohl gar verlaͤugnen, oder uns zwar kommen laͤſt, aber nicht ſo empfaͤngt, als es unſerm Stand und Umſtaͤnden gemaͤß, und er andere von unſers gleichen wohl zu tractiren pflegt.
§. 21. Bey Abſtattung des Beſuchs, und nach gemachten Compliment, muß man Acht haben, ob der Hoͤhere ſelbſt anfange zu ſprechen, und uns etwas zu fragen oder nicht; oder thut er dieſes, ſo muͤſſen wir auf ſeine Fragen Acht haben, dieſelben gehoͤrig be - antworten, oder ihn ſonſt ſprechen laſſen, was er will, und die von ihm angefangene Materie fortſe - tzen, wo aber nicht, ſo muͤſſen wir ſelbſt reden, und ihn, ſo lange wir bey ihm ſind, von demjenigen un - terhalten, was ihm am angenehmſten zu hoͤren, wie wir dieſes ſchon vorher muͤſſen erfahren haben.
§. 22. An der Titulatur, die wir ihm bey der Entré geben, iſt ſehr viel gelegen. Die erſte An - rede macht den erſten Eindruck von uns, da wir zu ihm kommen, in ſeinem Gemuͤthe. Verſehen wir es nun hierinnen, und nennen denjenigen Miniſter,Zden354II. Theil. V. Capitul. den wir, nach der neueſten Mode, mit Jhrer hohen Excellenz beehren ſolten, nur ſchlechthin Jhro Ex - cellenz, oder die vornehme Miniſters Frau, Jhro Gnaden, die ſonſt eine Excellenz begehrt, ſo bege - hen wir ſchon einen groſſen Fehler, und unſer uͤbri - ger Vortrag wird hernach von keiner uns gar zu vortheilhafften Wuͤrckung ſeyn.
§. 23. Die Stuͤhle ſind in den Zimmern der vornehmen Leute, denen wir unſere Aufwartung machen, entweder allbereits in der Ordnung geſetzt, wie ſie ſtehen ſollen, oder werden doch zu der Zeit, wenn wir kommen, von den Laquays geruͤcket. Wo man aber Befehl bekommt, ſich niederzuſetzen, und man ſoll ſelbſt zu einem Stuhle greiffen, ſo hat man dreyerley hierbey zu beobachten: Zum erſten, daß man weder nach einen Stuhl mit Armen, noch nach einen, der ohne Lehne und Ruͤcken iſt, greiffe, wenn man nemlich die Wahl hat, daß andere vorhanden, weil wir uns durch beydes laͤcherlich machen wuͤr - den, eines wuͤrde zu viel, das andere zu wenig ſeyn; Zum andern, daß man ſeinen Stuhl nicht nach der Oberſtelle zu ruͤcke, ſondern, ſo viel als moͤglich, und der andere verſtatten will, nach der Unterſtelle; und zum dritten, daß man auch die rechte Diſtance treffe, damit man der vornehmen Perſon nicht zu nahe uͤber den Halſe ſitze, jedennoch auch nicht den Stuhl, wie einige aus allzu groſſer Demuth und Sittſam - keit zu thun pflegen, faſt biß an die Stuben-Thuͤre ruͤcke, daß man hernach die andere Perſon, wenn ſie eine etwas ſchwache und leiſe Sprache hat, faſtnicht355Von Abſtatt - u. Annehmung der Beſuche. nicht verſtehen kan. Der Autor des Tractats de la Civilité moderne gedenckt p. 81. Man muͤſſe im Sitzen bey einem groſſen Herrn den Leib ein wenig auf die Seite drehen, als ob ſie uns mit einem Auge nur recht ſehen ſolten, weil dieſe Stellung weit ehr - erbietiger waͤre, als Geſicht auf Geſichte zu halten. Doch ich achte dieſes vor eine uͤberfluͤßige Erinne - rung, ob man dieſe Poſitur behaͤlt, oder einer vor - nehmen Perſon das Geſichte gerade zukehret, iſt wohl einerley, und wird der Wohlſtand hiedurch im geringſten nicht verletzt werden.
§. 24. Die Regel, die er p. 101. vortraͤgt, iſt beſſer, wenn er ſagt: Man muͤſte Sorge tragen, daß man ſeine Viſiten nicht zu lang machte, ſondern wohl Achtung geben, wann die vornehme Perſon uns nicht ſelbſt den Abſchied gaͤbe, daß man ſeine Zeit wegzugehen ſelbſt wahrnaͤhme, wann dieſelbe z. E. im Stillſchweigen verharrete, jemand ruffte, oder ſonſt auf einige Weiſe zu verſtehen gaͤbe, daß ſie andere Geſchaͤffte zu verrichten haͤtte.
§. 25. Ein vernuͤnfftiger Menſch muß ſich mit Abſtattung ſeiner Beſuche, mit Gewinnung neuer Bekandtſchafften, und Schluͤſſung der Freund - ſchafften etwas rar machen, u. daher allen laſterhaff - ten Leuten aus dem Wege gehen, ſo viel als moͤglich, ſich auch mit denen nicht in Geſellſchafft einlaſſen, die nichts thun, als herum lauffen, und hoͤren, was in der gantzen Stadt paſſirt, die von einem Hauſe in das andere ziehen, um neue Maͤhre zu uͤberbrin - gen, oder wegzuhohlen. Andere Leute wuͤrdenZ 2nach -356II. Theil. V. Capitul. nachgehends glauben, daß man von eben dieſer Art und Gemuͤths-Beſchaffenheit ſey, nach dem Latei - niſchen Spruͤchwort: Noſcitur ex ſocio, qui non cognoſcitur ex ſe. Daher muß er ſich auch nicht weiter, als die Nothwendigkeit und der Wohlſtand mit ſich bringt, mit andern jungen Leuten, die mit ihm von gleichen Umſtaͤnden ſind, einlaſſen, und ſich mehr um die Gnade und Affection der Hoͤhern be - werben, damit ſie ihn des Umganges mit ihnen wuͤrdigen moͤgen.
§. 26. Es iſt auch eine Klugheit, daß man lernt unartige Gemuͤther um ſich leiden zu koͤnnen, wie man etwan zuweilen gleichergeſtalt gewohnen muß, garſtige Geſichter ſtets vor Augen zu ſehen. Hie - durch wird ein Vernuͤnfftiger geſchickt, die Leute in beſtaͤndiger Ergebenheit zu erhalten. Es giebt Leu - te von gar ungezogenem Naturell, die man gar uͤbel leiden mag, die man aber doch gleichwohl nicht ent - behren kan, und da iſt es vor eine groſſe Geſchick - lichkeit zu achten, daß man der Unart ſolcher Leute gewohne, damit, wenn ſelbige ſich bey Gelegenheit aͤuſſert, einem nicht zu ſeiner Abſcheu ſo gar ſeltzam und unertraͤglich vorkomme. S. 115. Maxime von Gracians Oracul. p. 98.
§. 27. Hat uns der andere die Ehre ſeines Be - ſuches erzeiget, ſo erfordert unſere Schuldigkeit, daß wir ihm unſern Gegen-Beſuch abſtatten. Ob ſchon der andere in etwas geringer, und er hat uns drey - oder viermahl beſucht, ſo iſt es doch wohl bil - lig, daß wir ihn auch einmahl gegen beſuchen. Sol -te357Von Abſtatt - u. Annehmung der Beſuche. te aber der Unterſchied gar zu groß ſeyn, ſo giebt man entweder die Gegen-Viſite nicht wieder, oder man richtet es doch ſo ein, daß man zwar einmahl zu ihm kommt, daß er es aber doch nicht vor eine Gegen - Viſite halten kan.
§. 28. Die Geringern pflegen ſich vielmahls bey den Hoͤhern auszubitten, daß ſie ihnen doch einmahl zuſprechen ſollen, einige thun es aus Un - wiſſenheit, und aus einer guten Meynung. Weil ſie ein Vergnuͤgen dran finden, wenn ihnen die Hoͤhern etwas vorſetzen, das ihren Geſchmack be - luſtiget, und ſie den Vorſatz haben, den Hoͤhern auch etwas vorzuſetzen, ſo achten ſie dieſes vor ei - ne Einladung und vor eine Art der Hoͤfligkeit, die ſie ihm erweiſen wollen, und glauben, daß den Hoͤhern an dergleichen Tractamenten eben ſo viel gelegen ſey, als ihnen. Sie koͤnten aber dieſes wohl, wenn ſie dieſelben zu ſich invitiren wolten, ſchon auf eine andere Weiſe bewerckſtelligen; Sie ſolten bedencken, daß dieſes eine Art einer Unhoͤflich - keit ſey, die man hiedurch den Hoͤhern anthut, weñ man von ihnen verlangt, daß ſie den Geringern zuſprechen ſollen. Andere verſtehen es wohl, ſie invitiren aber die Hoͤhern zu ſich aus Hochmuth, indem ſie ſich ihnen in ihren Gedancken gleich ſchaͤtzen, ſie wollen ſich auch wohl viel damit wiſ - ſen, und gegen andere prahlen, daß dieſe oder jene von den Hoͤhern bey ihnẽ geweſen. Jn wie weit man nun ſich durch das Geſuch der Geringern zu einerZ 3Viſite358II. Theil. V. Capitul. Viſite ſoll antreiben laſſen, lehren in beſondern Faͤl - len die Regeln der Klugheit.
§. 29. Wer zu leben weiß, wird die Hoͤhern, die durch einen ſehr hohen Grad von uns unterſchieden, nicht auf die Weiſe, wie ſeines gleichen, zu ſich la - den. Thun ſie uns aber von freyen Stuͤcken die Gnade, und erbiethen ſich, daß ſie uns beſuchen wol - len, ſo muß man mit den groͤſten Complimens ſich dieſer Gnade unwuͤrdig bekennen, und ſo viel als moͤglich ſuchen es von ſich abzulehnen. Wollen ſie aber dem ungeachtet uns dieſe Gnade oder Ehre goͤnnen, ſo muͤſſen wir uns ſolches gefallen laſſen, und ihnen alsdenn alle nur erſinnliche Hoͤflichkeit und Reſpect zu erzeigen, bemuͤhet ſeyn. Erlangt man einige Nachricht vorhero, ſo muß man ihnen in ordentlicher und proprer Kleidung entgegen kom - men, ihrer an der Thuͤre des Hauſes warten, man muß ſich bemuͤhen, um ſeine Unterthaͤnigkeit ihnen zu erzeigen, alles Gute vorzuſetzen, als man nur an demſelben Ort erlangen kan, ſie auf das ange - nehmſte und beſte unterhalten, und bey ihrem Ab - ſchiede wieder biß an den Wagen unten begleiten.
§. 30. Der Frantzoͤſiſche Groß-Cantzler, Mon - ſieur de Chevergny ertheilt in ſeiner Inſtruction bey der Materie ſeinen Sohn folgende Regeln: Ceux, qui vons viennent viſiter en vôtre mai - ſon doîvent etri receus honorablement, ſelon leurs qualites & par demontrations exterieuris de bonnes volontes & Courtoiſies, & par trai - tement honnete & lieu diſpoſe ſelon celuy,qui359Von Abſtatt - u. Annehmung der Beſuche. qui ſurvient, & ſelon le temps & le lieu, car en la reception, qui eſt faite en la maiſon, l’on connoit l’entendement & conduite de maiter. Tous les ſerviteurs doivent etri inſtruits a l’honnête reception des etrangers. p. 407.
§. 31. Traͤgt es ſich zu, daß eine hoͤhere Perſon ſo hoͤflich iſt, und will uns gleich auf das erſte mahl, da wir bey ihr geweſen, die Gegen-Viſite abſtat - ten, und ſie laͤſt ſich bey uns anmelden, ſo muͤſſen wir an ſtatt, daß wir ihren Beſuch annehmen ſol - ten, unſere Aufwartung bey ihnen machen. Die Humeure der Menſchen ſind auch in dieſem Stuͤck unterſchieden. Man findet bißweilen, daß einige große Miniſtres an fremden Orten weit hoͤflicher und obligeanter ſind, als kleine Leute von allerhand Stande an einheimiſchen Oertern.
§. 32. Jſt man ſo uͤbel logirt, daß man ſich ſchaͤmen muß einen vornehmen Beſuch in ſeinem ſchlechten Quartier anzunehmen, ſo muß man ſich lieber auf das hoͤflichſte zu entſchuldigen ſuchen, mit Anfuͤhrung der Urſache, die einen davon abhielte, daß man dieſer Gnade nicht theilhafftig werden koͤnte. Hat man den Hoͤhern davon Nachricht ertheilt, ſo hat man nachgehends verthan, und der Hoͤhere kan es ſodann nicht uͤbel nehmen, wenn er dem ungeachtet zu uns kommen will; wir koͤn - nen um dieſes Beſuches willen unſer Hauß oder Quartier nicht aͤndern.
§. 33. Mit was vor Complimens ein vorneh - mer Beſuch anzunehmen, iſt unnoͤthig zu melden. Z 4Wer360II. Theil. V. Capitul. Wer in der Welt ein wenig geweſen, weiß es ſchon ſelbſt, und wer es nicht weiß, darff ſich bey andern erkundigen, oder meinetwegen auch die Compli - mentir-Buͤcher nachſchlagen. Zum wenigſten ſind die alt Teutſchen Ceremonien, da man einen fremden Gaſt bloß die rechte Hand both, die der ander brav ſchuͤtteln muſte, in Teutſchland heuti - ges Tages nicht mehr Mode. Jn Pommern muͤſſen ſie in dem vorigen Seculo viel auf das Haͤn - de ſchuͤtteln gehalten haben. Denn es gedencket ein alter Pommeriſcher Hiſtoricus, der im XVI. Se - culo geſchrieben, daß ein alter Pommeriſcher Edelmann, Henning von Guͤntersberg pflegen zu ſagen: Wer einen guten Freund willkommen heiſſen wolte, und gaͤbe ihm nicht die rechte volle Batſch-Hand, die er recht druͤcken und ſchuͤtteln muͤſte, waͤre nicht aufrichtig. Der Autor ſchilt auch ſelbſt auf die, welche einander die Haͤndekaum recht anruͤhren, als wenn ſie ſich vor des andern Kraͤtz-Haͤnden ſcheueten. Er ſagt, wer einem die Hand nicht recht gaͤbe, wuͤrde auch nicht viel Glau - ben halten. S. das II. Stuͤck von Alt - und Neu - Pommerland. p. 139.
§. 34. Hat man den Beſuch von Leuten unter - ſchiedenen Standes, und einer gehet weg, die an - dern aber bleiben, ſo hat man wohl zu beobachten, daß, ſo die weggehende Perſon hoͤher, als die blei - benden, man ſie zuruͤck begleiten muß, iſt ſie aber eine geringere, ſo laͤſt man ſie gehen, indem man gegen ſie eine Entſchuldigung macht, ſind ſie abergleich,361Von Abſtatt - u. Annehmung der Beſuche. gleich, ſo muß man beurtheilen, ob uns in Anſehung der Befoͤrderung und Erhaltung unſrer Gluͤckſelig - keit an des Weggehenden oder Bleibenden Gunſt mehr gelegen, und ihn alſo entweder begleiten, oder allein gehen laſſen, und dem andern inzwiſchen Ge - ſellſchafft leiſten. S. Traité de Civilité p. 215.
§. 1.
DAß ein nach den Regeln der Erbarkeit ein - gerichteter Umgang mit qualificirten, tu - gendhafften und ſonderlich vornehmen Frauenzimmer einem jungen Menſchen nicht nur in Auspolirung ſeiner Sitten, ſondern auch gar oͤffters zur Befoͤrderung ſeines Gluͤckes gar zutraͤglich ſey, iſt von vielen weltklugen Leuten iederzeit erkannt, und daher auch unter einer hie - bey noͤthigen Behutſamkeit jungen Leuten angera - then worden. Der Herr von Tzſchirnau ſchrei - bet in ſeinem Unterricht eines getreuen Hofmei - ſters p. 90. Da in allen wohl moraliſirten Laͤn - dern die vornehmen Damen in denen dem weibli - chen Geſchlecht wohl anſtaͤndigen Qualitæten von Jugend auf wohl erzogen werden, ſo muͤſſen ſie nothwendig ſich bey Hofe und andern vornehmenZ 5Geſell -362II. Theil. VI. Capitul. Geſellſchafften wohl zu conduiſiren gelernt, und alſo Verſtand, Klugheit und Geſchicklichkeit gnug haben, Manns-Perſonen, die manchmahl in an - ſtaͤndigen Sitten und einem angenehmen Exterieur nicht gar weit gekommen, und wenig in vornehmer, kluger und qualificirten Damen Compagnie ge - weſen ſind, theils durch Minen und Geberden, und wenn dieſe nicht helffen wollen, durch nachdruͤck - liche Worte eine hoͤchſt-heylſame Lection zu ge - ben. S. p. 90 und p. 93 meldet er weiter: Junge Cavaliers werden durch die Damen, und derſelben Lehren und Reprochen weit empfindlicher geruͤhrt, und nachdruͤcklicher zur anſtaͤndigen Veraͤnderung der Sitten gebracht, als durch die beſten Maximen des Graciani Behegarde le Noble u. ſ. w. Ein Cavalier, der eine vornehme, kluge und tugendhaff - te Dame zur Hofmeiſterin hat, iſt ſehr gluͤcklich. So er einigen erlaubten Eſtim vor ſie hegt, ſo wird er alle deren Geberde und Worte, welche deſſen Verbeſſerung zum Zweck haben, mit groſſer Ge - laſſenheit ſehen und anhoͤren, ſolche Lehren zu pra - cticiren ſich bemuͤhen, und in kurtzer Zeit mit vor - nehmen Damen wohl umzugehen, ſich bey ihnen zu inſinuiren, und wie er ſeinen eignen Willen bre - chen, ſolchen andrer Leute Willen accommodiren, und dadurch zu einer anſtaͤndigen Auffuͤhrung ge - langen ſoll, zu ſeinem groͤſten Nutzen lernen.
§. 2. Dieſen ſtimmet der Herr Hof-Rath Nemritz bey in ſeinem Sejour de Paris pag 46. Trifft ein junger Menſch auf ſeinen Reiſen Frauen -zimmer363Von dem Umgang mit Frauenzimmer. zimmer an, das in der That ehrlich iſt, und er kan dabey ſeine Affection in Zaum halten, ſo ſchlage er deren Bekandtſchafft nicht aus, indem man ih - nen zu gefallen ſucht, ſo wird man poli, und man lernt vieles, es muß aber auch dieſe Bekandtſchafft menagirt werden. Sie nehmen viel Zeit weg, die man nuͤtzlicher anwenden kan, inſonderheit wenn das Frauenzimmer das Spiel liebt. Senault dans le Monarque ſagt: Les femmes croyent, que c’eſt en leur Converſation, que les hommes ſe poliſſent, & qu’ils ſont rudes & Sauvayes, ſ’ils n’ont acquis de la douceur aupris d’eller: Il y’a quêque choſe de veritable dans ce ſentiment, & il faut toutes d’accord, qu’un homme, qui n’a jamais converſè avec les femmes, n’a pas l’air ſi doux, ni l’eſprit même ſi delicat, que ceux, qui ont eu plus de converſation, avec ce ſexe, qui fait au jugement d’un grand homme la plus belle moitié du monde.
§. 3. Der beruͤhmte Frantzoͤſiſche Miniſter, der Herr von Callieris, zeiget in ſeinem Staats-erfahr - nen Abgeſandten, auf was vor Art die Dames in die Staats-Affairen einen ſehr groſſen Einfluß ha - ben, und daß daher auch einem Staats-Mann der Umgang mit ihnen ſehr zutraͤglich ſey, wenn er pag. 32 ſchreibet: Verſtatten die Gewohnheiten des Landes, darinnen man ſich befindet, daß man mit Damen frey umgehen kan, ſo ſoll man nicht verſaͤumen ſich ſelbige guͤnſtig zu machen. Sol - ches kan geſchehen, wenn er ihre Luſt zu befoͤrdernſucht,364II. Theil. VI. Capitul. ſucht, und ſich ihrer Hochachtung wuͤrdig macht, denn die Krafft ihrer Annehmlichkeiten erſtreckt ſich offt ſo weit, daß ſolche auch wohl zu den wichtigſten Schluͤſſen beytragen, mit welchen die allergroͤſten Zufaͤlle und Begebenheiten verknuͤpfft; Allein in - dem es ihm gelingt, daß er wegen ſeiner Pracht, Hoͤflichkeit und Galanterie ſelbſt ihre Gewogen - heit erhaͤlt, ſo muß er ſich doch dabey wohl huͤten, ſein Hertz zu vergeben, geſtalt er ſich erinnern ſoll, daß die Liebe insgemein mit der Unvorſichtigkeit und Unverſtand begleitet werde, und daß er dahero, ſo bald er ſich dem Willen eines ſchoͤnen Frauen - zimmers unterwirfft, in groſſer Gefahr ſtehe, von ſeinem Geheimniß nicht mehr Meiſter zu ſeyn.
§. 4. Die Converſation mit dem Frauenzim - mer muß allezeit mit Tugend und Sittſamkeit ver - geſellſchafftet werden. Ein ſeltſamer Umgang iſt allezeit angenehmer, und bringt einem jungen Men - ſchen mehr Ehre und Grace zuwege, als wenn er ſich allzufrey bezeugt. Vernuͤnfftige und tugend - haffte Dames werden die Bloͤdigkeit eines jungen Menſchen eher entſchuldigen, als ſeine allzugroſſe Freyheit und Kuͤhnheit. Einige wollen den allzu - freyen Umgang mit Damen, der in Franckreich ge - woͤhnlich iſt, ohne Unterſcheid in Teutſchland nach - ahmen, iedoch ſolche galant hommes, ob ſie ſchon vermeynen, daß ſie ihre Sachen vortrefflich ma - chen, verſehen es doch bey manchen tugendliebenden Frauenzimmer in Teutſchland, daß ſie deren Gunſt unwuͤrdig werden.
§. 5.365Von dem Umgang mit Frauenzimmer.§. 5. Man ſchraͤncke ſo viel als moͤglich den Um - gang mit Dames ein, nach den Regeln der Hoͤflich - keit, des Wohlſtandes, und einer allgemeinen Hoch - achtung, die man dem ſchoͤnen Geſchlecht ſchuldig, und enthalte ſich einer ſolchen Vertraulichkeit, die auf mancherley Art und Weiſe unſerer Gluͤckſeelig - keit und Zufriedenheit zuwieder ſeyn koͤnte. Den Affect der Liebe halte man im Zaum, damit er nicht an einem Ort und zu unrechter Zeit uͤberhand nehme, und die Vernunfft uͤberwaͤltige. Einige wiſſen der Liebe gegen das andere Geſchlecht ei - nen treflich ſchoͤnen Anſtrich zu geben. Hieher gehoͤrt, was Faramond in ſeinen Diſcourſen uͤber die Sitten der gegenwaͤrtigen Zeit p. 79. vortraͤgt: Dasjenige, was natuͤrlich iſt, pflegt niemahls we - ſentlich boͤſe zu ſeyn, und folglich kommt es nicht darauf an, daß man dieſe gewaltſame Neigung, welche dieſe beyden Geſchlechter zu einander haben, ausrotten ſoll, ſondern darauf kommt es an, daß man dieſelbe wohl einrichte, und verſchaffe, daß ſie allen beyden nuͤtzlich ſey. Die Erfahrung leh - ret uns, daß das mildeſte Gemuͤth zur Leutſeelig - keit bewogen wird, ſo bald ſich die Liebe einmiſcht. Dieſe Gemuͤths-Bewegung verleihet unſern Ge - berden eine neue Lieblichkeit, unſern Gedancken und Meynungen eine ſonderbahre Hoheit, und der Geſtalt unſers Angeſichts ein edles Weſen und Annehmlichkeit, dafern der Autor das vorherge - hende, wie es von einem Sitten-Lehrer faſt zu ver - muthen iſt, von einer ſolchen Pflicht verſtehet, dienach366II. Theil. VI. Capitul. nach Erforderung der goͤttlichen Geſetze gegen das Frauenzimmer auszuuͤben, ſie mag nun nach einer allgemeinen Hochachtung gegen alle, mit denen man umzugehen hat, oder nach einer gantz beſon - dern Vertraulichkeit gegen ein eintzig Frauenzim - mer, mit der man ſich Lebenslang zu verbinden gedenckt, erfuͤllet werden, ſo habe ich nichts dabey zu erinnern, ich halte aber doch davor, daß der Autor beſſer gethan, da er zumahl von einer gewaltſamen Neigung redet, wenn er ſeine Saͤtze mehr einge - ſchraͤnckt, und ſich deulicher erklaͤhret haͤtte.
§. 6. Mit einer Liebes-Erklaͤhrung, dafern er nicht geſonnen, ſolche nach der beſten Uberlegung und wohl bedaͤchtig an ein Frauenzimmer zu thun, halte ein junger Cavalier ja an ſich, und vermei - de auch in ſeinen Diſcourſen alle Redens-Arten, die dahin ausgedeutet werden moͤchten, oder ſonſt einige Verwandtſchafft damit haben. Jſt ihr dieſe Erklaͤrung unangenehm, ſo unterwirfft er ſich mancherley wiedrigen Urtheilen, die er ſich uͤber den Hals ziehet; er zeiget ſeine Schwaͤche, und wird vor einen verliebten Haaſen geachtet, zumahl, wenn er andern Frauenzimmer mehr dergleichen Erklaͤh - rungen gethan. Wird ſeine Paſſion an einem Orte kund, ſo finden ſich nachgehends gar bald lo - ſe Leute, die ſich zu ihrem Vergnuͤgen ſeiner Bloͤße bedienen. Findet aber ein Frauenzimmer bey ſeiner Liebes-Erklaͤrung ihre Rechnung, und ſie laͤſt ſich dieſelbe gefallen, ſo kan er ſich durch ſeine Un - vorſichtigkeit gar leicht eine ſolche Verbindung zu -ziehen,367Von dem Umgang mit Frauenzimmer. ziehen, die ſeine Vollkommenheit gar ſehr beein - traͤchtiget. Es koͤnnen ſich leicht Umſtaͤnde ereig - nen, da er genoͤthiget wird, dasjenige, was er zu dieſer Zeit, und wider das Frauenzimmer ſelbſt, als einen Schertz geredet, zu einer andern Zeit, und vor einer hoͤhern Geſellſchafft zu wiederhohlen, und alſo zu einer Frau kommen, die er nicht verlangt gehabt, und ehe er es vermuthend geweſen. Dafern er weiß, daß er ſeine verliebten Thorheiten am eheſten zu der Zeit an den Tag legt, da er einige Glaͤſer Wein mehr getruncken, als ſonſt gewoͤhnlich, ſo muß er ſich uͤberhaupt in acht nehmen, daß er nicht mehr Wein oder andere hitzigen Getraͤncke zu ſich nimmt, als er ohne Abbruch ſeiner Geſundheit, und des Gebrauchs ſeiner geſunden Vernunfft vertra - gen kan, oder muß alsdenn den Frauenzimmer - Geſellſchafften aus dem Wege gehen.
§. 7. Bißweilen finden ſich unverſchaͤmte Wei - bes-Perſonen, die den frechſten Maͤnnern an Frech - heit gleich ſind, und dieſelbe in ihren Geberden, Worten und Handlungen erweiſen. Dieſe ma - chen ſich ein Vergnuͤgen davon, wenn ſie Gele - genheit finden, durch eine und andre unehrbahre Frage, oder ſonſt durch ihr wildes Weſen, einem jungen Menſchen, der die Tugend liebt, eine Schamroͤthe auszujagen. Jhrer viele, die den Regeln einer falſchen Politic nachgehen, und ihre Ceremoniel-Wiſſenſchafften nicht auf die Tugend - Lehre gruͤnden, meynen, es waͤre am beſten, wenn man ein ſolch Frauenzimmer mit gleicher Muͤntzebezahl -368II. Theil. VI. Capitul. bezahlte. Wenn ſich eine Dame nicht ſcheute, ei - nen unkeuſchen Diſcours auf das Tapet zu bringen, ſo waͤre es auch dem Cavalier keine Schande, wenn er dergleichen angefangene Reden fortſetzte. Je - doch dieſes iſt die Sprache des natuͤrlich und fleiſchlich geſinnten Menſchen. Ein Chriſt macht ſich auch in dieſem Stuͤck fremder Suͤnde nicht theilhafftig. Bekommt er eine unverſchaͤmte An - rede von einer Perſon, die ſeines gleichen, oder noch wohl gar geringern Standes, ſo giebt er ihr nach dem Unterſchiede der unter ihnen iſt, eine ſolche Er - innerung, oder Antwort, daß ſie ein ander mahl lernt ihre Zunge gegen tugendhaffte Leute beſſer in Zaum halten. Geſchicht aber dergleichen von ei - ner hoͤhern Perſon, der er Reſpect ſchuldig, und der er ohne Verletzung des Wohlſtandes keine Lecti - on leſen darf, ſo ſtellt er ſich entweder ſo an, als ob er hiebey nicht aufmerckſam waͤre, oder erweiſet durch ſein Stillſchweigen, oder durch eine etwas ernſthaffte Mine ſein Mißvergnuͤgen uͤber derglei - chen Unart.
§. 8. Kommt man in eine Geſellſchafft, wo viele Dames beyſammen, von denen man die wenigſten kennet, ſo iſt es eben nicht noͤthig, daß man einer je - den ein beſonder muͤndlich Compliment mache, ſondern es iſt genug, wenn man bey dem Eingange ſie alle zuſammen mit einem allgemeinen Reverence begruͤſt, biß man Gelegenheit findet, ſich an eine oder die andere ins beſondere zu wenden, und ſie mit Diſcourſen zu unterhalten. Es iſt ein Fehler vie -ler369Von dem Umgang mit Frauenzimmer. ler jungen Leute, daß ſie ſich in Frauenzimmer-Ge - ſellſchafften gemeiniglich an diejenigen machen, ſo die andern an aͤuſſerlichem Anſehen und Schoͤnheit uͤbertreffen, und hingegen die uͤbrigen allein ſtehen laſſen. Daher geſchicht es denn nicht ſelten, daß die Schoͤnſte unter der Geſellſchafft mit lauter An - betern umringet, die ſie mit vielen Lobes-Spruͤchen beehren, und mit lauter Complimens beaͤngſtigen, und viele von den andern, denen ſich die Natur bey ihrer Bildung nicht ſo guͤnſtig erwieſen, muͤſſen ſich allein unterhalten. Dem Wohlſtande nach muß man ſich an diejenige adreſſiren, die in der Geſell - ſchafft die vornehmſte, und wenn ſie im uͤbrigen noch ſo alt und heßlich ausſaͤhe, es muͤſte denn ſeyn, daß ſie von einem ſo gar hohem Range waͤre, und der Cavalier, der ſie mit Diſcourſen unterhalten ſolte, nach einem ſehr hohem Grad von ihr unterſchieden, daß er ſich, ohne dero ausdruͤcklichen Befehl oder Erlaubniß, hierzu nicht unterſtehen duͤrffte. Sind aber die Dames alle einander am Range und Um - ſtaͤnden gleich, ſo iſt das beſte Mittel, daß man ſich nicht einer allein, ſondern allen in der Converſation, ohne Ausnahme, auf eine vorſichtige, kluge und ehrerbietige Art gefaͤllig erweiſet. S. Hrn. Joh. Georg Neukirchs Maximen, p. 40.
§. 9. Die wenigſten jungen Leute wiſſen in den Diſcourſen mit dem Frauenzimmer die Mittelſtraſ - ſe zu beobachten: Einige ſind zu bloͤde und zu furcht - ſam in der Anrede, ſie ſehen es lieber, wenn das Frauenzimmer den Diſcours anfaͤngt, und dencken,A aes370II. Theil. VI. Capitul. es ſtehe ihnen dergleichen, ohne beſondere Verguͤn - ſtigung, nicht an. Andere ſind allzu frey, ſie plau - dern, was ihnen einfaͤlt, und beobachten bey denen Dames von hohem Stande und Character nicht allezeit die Demuth und Sittſamkeit, die ſie hierbey in Acht nehmen ſolten.
§. 10. Es iſt viel daran gelegen, wenn einer die Geſchicklichkeit hat, ein Frauenzimmer auf eine ver - nuͤnfftige und angenehme Weiſe mit Diſcourſen zu unterhalten. Dieſes kan am beſten geſchehen, wenn man ſich bemuͤhet, ſo viel als moͤglich, ihren Nei - gungen gleichfoͤrmig zu bezeigen, und von demjeni - gen ſpricht, von dem ſie am liebſten hoͤrt. Stehet man mit einem Frauenzimmer in Bekandtſchafft, oder man hat einen guten Freund, der uns ihr mo - raliſch Portrait gemacht, und dem man in dieſem Stuͤck ſicher trauen kan, ſo hat man gut machen. Kommt man aber in Geſellſchafft mit einer gantz fremden, ſo muß man ihre Neigungen, theils nach ihrer aͤuſſerlichen Phyſiognomie, theils nach ihrem Alter, Stand und Geſchlecht urtheilen lernen, weil man doch bey alle dem Unterſchied der Neigungen auch allenthalben eine ziemliche Aehnlichkeit wahr - nimmt.
§. 11. Vor das erſte muß man entdecken, ob ſie ſelbſt gerne diſcourirt, oder doch ſprechen hoͤrt, oder aber keines von beyden. Man findet bißweilen Leute, von beyderley Geſchlecht, die nicht allein faul auf das Maul ſind, ſondern auch auf die Ohren. Sie ſitzen ſelbſt wie die ſtummen Oel-Goͤtzen inGeſell -371Von dem Umgang mit Frauenzimmer. Geſellſchafft, und ſind auch verdruͤßlich, wenn an - dere mit ihnen reden wollen; manche thun es aus Einfalt und Tummheit, und iſt ihnen am liebſten, wenn ſie bey der Geſellſchafft muͤßig ſitzen, und das Maul aufſperren ſollen, oder ſtets eſſen und trin - cken; andere aber aus Leichtfertigkeit, damit ſie Gelegenheit haben, die andern deſto ungeſtoͤrter zu beurtheilen, und uͤber ihre Reden und Handlungen ihre Gloſſen zu machen. Findet man nun aus der Erfahrung, daß einem in der Geſellſchafft vor die - ſesmahl ein ſolch Maul - und Ohren-faules Frauen - zimmer zu theil geworden, die alles mit einem oder zwey Woͤrtern beantwortet, und keine gnaͤdige und freundliche Mine dazu macht, wir moͤgen ſchwatzen was wir wollen, ſo iſt am kluͤgſten, daß man ſich des Stillſchweigens befleißiget, es mag nun der Fehler an uns oder am Frauenzimmer liegen; liegt er an uns, daß wir nicht die Geſchicklichkeit haben, ſie mit einem vernuͤnfftigen Geſpraͤch zu unterhalten, ſo iſt am beſten, daß man inne haͤlt, und ſeine Ungeſchick - lichkeit nicht weiter an Tag legt; liegt er an ihr, daß ſie nicht reden oder hoͤren will, ſo thut man ebenfalls wohl, daß man ſich ihr hierinnen gefaͤllig macht, und erweiſet, daß man den guten Willen gehabt, ſie mit Diſcourſen zu unterhalten, daß man aber auch ge - lernt zu ſchweigen.
§. 12. Bey der Converſation mit einem frem - den Frauenzimmer, welche etwan bey einer Tafel, oder auch bey einer andern Gelegenheit, einige Stunden fortgeſetzt werden ſoll, finden junge LeuteA a 2meh -372II. Theil. VI. Capitul. mehrentheils zweyerley Hinderniſſe: Zum erſten wiſſen ſie nicht, welche Materien ihnen am ange - nehmſten ſeyn moͤchte; und zum andern fehlet es ihnen gar oͤffters an der Erkaͤntniß und Erfahrung von mancherley Sachen, davon die Damen gerne hoͤren oder ſelbſt ſprechen, einen vernuͤnfftigen Di - ſcours zu formiren. Damit nun dem erſten Hin - derniß einiger maßen abgeholffen werde, ſo muß man uͤberhaupt die Claſſen wiſſen, wovon das Frauenzimmer gerne ſpricht, oder doch hoͤrt. Mei - nes Erachtens diſcouriren oder hoͤren die meiſten Dames nach dem Unterſchied ihrer Neigungen, ent - weder von GOtt und ſeinem Worte und andern geiſtlichen Dingen, oder von mancherley morali - ſchen Anmerckungen nach der Vernunfft, oder von der Wirthſchafft, vom Kochen, Einmachen, Waſ - ſer-brennen und andern, was dahin gehoͤrig, oder von Staats-Geſchichten, neuen Zeitungen, von der Poëſie, von mancherley guten Buͤchern, Reiſe-Be - ſchreibungen, und dergleichen, oder von allerhand, was zur Galanterie und Eitelkeit gehoͤrt, von neuen Moden, von der Kleidung, von Comoͤdien, Opern, Luſtbarkeiten, Spielen, Liebes-Affairen Romainen und dergleichen. Nach Anleitung dieſer Claſſen muß man Gelegenheit nehmen, nach denen aͤuſſerli - chen Merckmahlen des Frauenzimmers, ſo viel uns davon in die Sinne faͤllt, zu beurtheilen, zu welchen ſie wohl geneigt ſeyn moͤchten. Hierbey muß man zuglelch ſcharff Acht haben, bey welcher Materie, die von andern in der Geſellſchafft vorgebrachtwird,373Von dem Umgang mit Frauenzimmer. wird, ſie die groͤſte Aufmerckſamkeit bezeigt. Da - mit man mehr Licht bekomme, kan man auch biß - weilen durch eine und die andere Frage, die man an ſie abgehen laͤſt, ſich unvermerckter weiſe einen naͤ - hern Weg bahnen, ihre Gemuͤths-Beſchaffenheit kennen zu lernen. Hat man nun durch dieſes alles eine wohlgegruͤndete Muthmaſſung bekommen, daß ſie zu dieſer oder jener Sache geneigt ſeyn moͤchte, ſo muß man ſeinen Diſcours darnach einrichten. Hat mans getroffen, ſo iſts gut, wo nicht, ſo muß man mit einer andern Claſſe wieder einen neuen Verſuch thun, biß man ihre Neigung gefunden. Oeffters wird es auch geſchehen, daß ſich ein Frau - enzimmer durch ihre eigene Reden ziemlich entde - cken wird, und ſo braucht es denn nachgehends die - ſer Weitlaͤufftigkeiten nicht.
§. 13. Hat eine in Wiſſenſchafften etwas ge - than, oder viel geleſen, geſehen, gehoͤrt, und ſelbſt erfahren, ſo kan er leicht von allerhand Sachen, die in die weibliche Oeconomie lauffen, oder auch in dieſe Claſſen gehoͤrig, ſo viel ſchwatzen, als es noͤthig, ein Frauenzimmer auf einige Zeit vernuͤnff - tig zu unterhalten. Wer aber in der Welt nicht gar weit geweſen, oder von einer gewiſſen Sache, davon ein Frauenzimmer eine Liebhaberin iſt, gar nichts verſteht, noch etwas dazu ſagen kan, thut am beſten, wenn er zum wenigſten ſeinen Gefallen uͤber dieſes oder jenes mit bezeugt; er muß beklagen, daß er biß dato noch nicht Gelegenheit gehabt, in dieſem oder jenem eine mehrere Erkaͤntniß zu er -A a 3langen,374II. Theil. VI. Capitul. langen, er muß eine Begierde bezeugen, etwas von ihr ſelbſt davon zu erfahren, er muß es bewundern, und dadurch Anlaß nehmen, etwas mit ihr zu ſprechen, und auf eine andere Materie zu gelangen, die mit dieſer etwas gemeinſchafftliches hat, und ihm beſſer bekandt iſt.
§. 14. Bißweilen giebet uns die Jugend oder ein hoͤher Alter, die Schoͤnheit oder die Heßlichkeit eines Frauenzimmers, ohne daß wir noͤthig haben andere Merckmahle damit zu vereinigen, eine ziem - lich wahrſcheinliche Erkaͤnntniß deſſen, was ihr an - genehm zu hoͤren ſeyn moͤchte. Der bey einem jungen und ſchoͤnen Frauenzimmer mit dem Ari - ſtotele und Carteſio angeſtochen kaͤme, dem wuͤr - den ſie bald als einen Pedanten anſehen, dieſe lie - ben allerhand Einfaͤlle, die ſinnreich und luſtig ſind, zuweilen auch zweydeutige Redens-Arten, die ſich nicht gar zu natuͤrlich ausdrucken. Geſchichte von partier de plaiſir, und Gelegenheiten dabey, wie auch geſchickte neue Erfindungen, ſind alles Mate - rien, dadurch man eine Converſation mit derglei - chen Damen gar leicht unterhalten kan. S. Hof - rath Nemritz Sejour de Paris p. 109. Und wer hingegen einer alten der Welt abgeſtorbenen Ma - trone, oder bey einem heßlichen Frauenzimmer, von der Menge ihrer Anbeter, von allerhand verliebten Touren, von ihrer liebreitzenden Geſtalt viel vor - ſchwatzen wolte, wuͤrde mit Recht eine ſolche Ant - wort erhalten, daß man entweder thoͤricht ſeyn muͤ - ſte, oder ſie davor anſehen. Bißweilen kan es aberdoch375Von dem Umgang mit Frauenzimmer. doch wohl geſchehen, daß man auch mit dergletchen Diſcourſen bey einigen Frauenzimmer, denen es an der Selbſt-Erkaͤnntniß fehlt, nicht unrecht an - kommt. Manch uͤbelgeſtaltetes, die lange Zeit nicht in ihren Spiegel geſehen, oder deren Spiegel ihr, oder ſie doch zum wenigſten ſich ſelbſt ſchmeichelt, und dabey ein verliebtes Hertz beſitzt, bildet ſich ein, den Mannsperſonen ſey bey ihrem Anblick eben ſo zu Muthe, als wie ihr, und nimmt daher alle die Douceurs, damit ſie andere Leute, ihren Gedan - cken nach, beehren, in der That aber beſchimpffen, vor lauter Ernſt auf; und manche bejahrte Dame, die bey ihrem alten Coͤrper ein junges mit lauter Thorheiten und Eitelkeiten der Jugend angefuͤlltes Hertz hat, hoͤrt von der l’ombre Carte, von den neuen Moden, von allerhand Liebes-Hiſtoͤrchen, und dergleichen, weit lieber als vom Tode, von der Ewigkeit und von andern ernſthafften Dingen. Laſterhaffte Neigungen laſſen ſich eher entdecken, als die tugendhafften, wie ich ſolches in meinem Un - terricht von der Kunſt der Menſchen Gemuͤther zu erforſchen, weitlaͤufftiger ausgefuͤhrt. Der Schein der Tugend iſt nicht allezeit Tugend, ſintemahl ſich auch Satan in einen Engel des Licht verſtellen kan, den Ausbruch des Laſters aber muß man wohl vor dasjenige erkennen, was es iſt.
§. 15. Bey der Anrede muß man beobachten, daß ſie natuͤrlich und vernuͤnfftig heraus komme, damit man nicht ohne Raiſon ſo gleich aus dem Stegreif von einer fremden Materie anfange zuA a 4reden,376II. Theil. VI. Capitul. reden, ſondern ſie vielmehr mit demjenigen, was entweder der erſte Diſcours derer andern, oder an - dere Umſtaͤnde des Ortes, der Zeit, der Geſellſchafft, u. ſ. w. an die Hand gegeben, geſchickt verbinde, und ſeinen Diſcours hernach auf dasjenige, was darumher fließt, oder damit verwandt iſt, zu len - cken wiſſe.
§. 16. Dem Wohlſtand und der Ehrerbietung nach, die man dem ſchoͤnen Geſchlecht ſchuldig, muß man zwar gegen ihre Beleidigungen nicht all - zu empfindlich ſeyn, und einige Kaltſinnigkeit be - zeugen, aber doch auch ſeiner Kaltſinnigkeit einige Grentzen ſetzen, damit uns ihre Unhoͤflichkeit nicht in einigen Stuͤcken eine Unvollkommenheit zuziehe, oder ſie glauben, als ob ſie berechtiget waͤren, uns nach ihrem Gefallen unglimpfflich zu begegnen. Die Art und Weiſe, wie man ihrem unfreundlichen Bezeugen in Reden und in ihren Handlungen Ein - halt thun ſoll lehren die Regeln der Klugheit, die man bey einem beſondern Fall nach dem Unterſchied der Perſonen in Obacht zu nehmen hat. Sich in einer Geſellſchafft zu erzuͤrnen, iſt nicht rathſam, eine Unhoͤflichkeit mit einer Unhoͤflichkeit erwie - dern iſt weder den Regeln der Vernunfft, noch des Chriſtenthums gemaͤß, am beſten iſt, wenn man ihnen mit guter Manier und mit lachenden Muth eine ſolche Erinnerung geben kan, dadurch man ſich wider ihre weitern Anfaͤlle in Sicherheit ſetzt.
§. 17. Nachdem es bißweilen zu geſchehen pflegt,daß,377Von dem Umgang mit Frauenzimmer. daß, theils bey Hofe, theils in andern Geſellſchaff - ten, die in einer ziemlich gleichen Anzahl Cavaliers u. Damen beſtehen, ſo genandte bunte Reyhen ange - ſtellt werden, da einem ein Frauenzimmer auf einige Stunden durch das Looß zu theil wird, ſo muß ſich ein junger Cavalier auch bey demſelben vernuͤnfftig zu conduiſiren wiſſen. Er muß nicht begierig ſeyn in Abforderung der Looße, ſondern ſeine Ehre er - warten, biß die Reyhe an ihn koͤmmt, er muß auch nicht vorwitzig ſeyn in Erforſchung der andern ihre Looße, zumahl bey Fremden und bey Hoͤhern, vor die er Ehrerbietung haben muß, noch weniger, wo er vermuthet, daß ihm eine gewiſſe Parthie nicht recht anſtaͤndig ſeyn moͤchte, ſein Looß gegen ein andres vertauſchen. Muß mancher eine unartige Frau Zeit ſeines Lebens am Halſe behalten, ohne daß er ihrer loß werden kan, ſo kan man ja auch wohl ein unartig Frauenzimmer ein paar Stunden an der Tafel als eine Nachbarin bey ſich haben. Es iſt einem hochmuͤthigen oder eigenſinniſchen Frauen - zimmer ſehr unanſtaͤndig, wenn ſie ein gewiß Looß austauſchet, da ſie etwan vermuthet, daß ſie dem Looße nach keinen recht anſtaͤndigen Cavalier zum Nachbar bekommen werde, weil er etwan nicht hoch genug characteriſirt, oder ſonſt nicht nach ih - rem Humeur, einem Cavalier aber, der den Dames dem Wohlſtand nach eine gleiche Hoͤflichkeit, ob - wohl bey ungleicher Hochachtung, ſchuldig, iſt die - ſes noch viel unanſtaͤndiger.
§. 18. Hat man ſeine ſo genannte Frau bey derA a 5bunten378II. Theil. VI. Capitul. bunten Reyhe zur Tafel gefuͤhrt, ſo muß man ſich da alle Muͤhwaltung geben, ſie auf das beſte zu be - dienen, zumahl, wenn ſie nach groſſen Ceremonien begierig iſt. Man muß ſie mit Diſcourſen auf die beſte Weiſe unterhalten, ihre Geſundheit zu aller - meiſt trincken, man muß Sorge tragen, daß ſie mit Speiſen und Getraͤncke wohl verſorgt werde, auch ſo gar auf den Laquay, der hinter ihr ſtehet, Acht haben, daß er bey ſeine Aufwartung, die er ihr zu leiſten hat, nichts verſaͤumen moͤge, und ſich bemuͤ - hen, ihr alles, was ſie verlangt, an den Augen ab - zuſehen. Wer ein hochmuͤthig und ehrgeitzig Frauenzimmer zur Nachbarin bekommen, hat alle Haͤnde voll zu thun, er kan faſt nicht einen Biſſen mit Ruhe eſſen, und muß auf alle Minen, Worte, Complimens und Reverences die groͤßte Behut - ſamkeit wenden.
§. 19. Es iſt nichts ungewoͤhnliches, daß theils an Hoͤfen bey den bunten Reyhen von den hoͤchſten Standes-Perſonen, theils in Privat-Geſellſchaff - ten unter guten Freunden, von dem Wirth und der Wirthin des Hauſes anbefohlen wird, daß ein ieder Cavalier ſeine Nachbarin bey der Tafel kuͤſſen ſoll; ich will hierbey nicht die mancherley Fehler einiger Dames vorſtellig machen, da ſich einige uͤber dieſen Kuß ſo ungeberdig erweiſen, als ob ihre gantze Jungfraͤuliche Zucht und Erbarkeit daruͤber ſolte verlohren gehen, andre aber es kaum erwarten koͤn - nen biß der Kuß an ſie koͤmmt, ſondern vielmehr einem jungen Menſchen einige Regeln, die auchhiebey379Von dem Umgang mit Frauenzimmer. hiebey in Betrachtung zu ziehen, mittheilen. Zum erſten muß er den Stand und den Character ſeiner Nachbarin wohl beurtheilen, iſt ſie von ſehr hohem Stande, ſo wuͤrde er wider den Wohlſtand han - deln, wenn er ſie wie eine von ſeines gleichen anſe - hen, und ſo ohne dero Erlaubniß, oder ohne wieder - hohlten Befehl derer, die noch hoͤher ſind, kuͤſſen wolte. An ſtatt des Kuſſes auf die Wangen, muß er ihr die Hand kuͤſſen, und auch dieſes nicht eher thun, biß er mit einem groſſen Compliment ſich die Erlaubniß hierzu vorher ausgebeten. Bey Fuͤrſt - lichen Perſonen iſt auch dieſes nicht einmahl erlaubt, ſondern, wenn er die Gnade hat, bey denen zu ſitzen, muß er aufſtehen, und ihnen den Rock kuͤſſen, es waͤre denn, daß ſie ihm aus beſondrer Diſtinction die Hand zum Kuß ſelbſt darreichten. Zum andern muß er auch hiebey vor die verheyratheten Dames, wenn ſie auch eines gleichen Standes mit ihnen ſeyn ſolten, mehr Ehrerbietung haben, als vor die ledigen Fraͤulein, und zu deren Kuß nicht allzu fort willig ſeyn, ſondern vorhero die Erlaubniß des Frauenzimmers oder ihres Ehe-Liebſten, wenn er gegenwaͤrtig, oder den Befehl der Hoͤhern erſtlich erwarten, oder ſich ſonſt mit dem Hand-Kuß be - gnuͤgen laſſen. Drittens bey denen Damen, die von einem ziemlich hohen Alter, wohl beurtheilen, ob ihnen mehr mit einem Kuß auf die Wangen, oder mit Kuͤſſung der Hand gedienet ſey. Man - che wuͤrden es uͤbel nehmen, wenn man ſie mit dem gewoͤhnlichen Kuß verſchonen wolte, und auf einemſolchen380II. Theil. VI. Capitul. ſolchen jungen Menſchen ſehr ſpoͤttiſch und ver - druͤßlich ſeyn; andre aber, die uͤber die Thorheiten und Eitelkeiten der Jugend heulen, werden mit dieſer Ceremonie gerne verſchont bleiben. Zum vierdten, muß er ſich von demjenigen, was die gan - tze Geſellſchafft thut, nicht ausſchlieſſen, und ſich aus einer Bloͤdigkeit, uͤbermaͤßigen Sittſamkeit oder Keuſchheit weder von den Hoͤhern, noch von andern ſeinen Nachbarn nicht noͤthigen laſſen, ſin - temahl ein ſolcher Kuß mit den Regeln der Tugend ſich gar wohl vereinigen laͤſt, und nicht anders anzu - ſehen, als ein Ceremoniel. Ob wohl die Anzahl derer, die ſich zu dem Kuß eines Frauenzimmers ſehr noͤthigen laßen, ſo gar groß nicht iſt, ſo findet man doch wohl bißweilen einige, die wegen eines und andern Vorurtheils, ſo ſie ſich in den Kopff geſetzt, hierinnen ſcrupuleuſer ſind, als ſie wohl ſol - ten. Zum vierdten muͤſſen ſie den Kuß ihren Nach - barinnen mit Sittſamkeit und Hoͤfligkeit geben, ſie nicht auf den Mund, ſondern auf den Backen kuͤſſen, und hierbey erweiſen, daß es ihnen nicht ſo wohl um das Kuͤſſen zu thun ſey, als daß ſie vielmehr den Wohlſtand beobachten und bey einer unſchul - digen Sache ſich dem andern gleichfoͤrmig bezeu - gen wollen, und alſo ein ſchoͤn und ein heßliches Geſicht mit gleicher Hoͤflichkeit tractiren.
§. 20. Jſt die Gaſterey oder eine andere Solen - nitaͤt und Luſtbarkeit zu Ende gebracht, und die Ge - ſellſchafft gehet nunmehr auseinander, ſo erfordert der Wohlſtand, daß man eine Dame, zumahl die -jenige,381Von dem Umgang mit Frauenzimmer. jenige, die unſere Nachbarin geweſen, auf den Wagen begleitet, oder ſie auch wohl nach Gelegen - heit, wenn ſie zu Fuß gehet, nach Hauſe fuͤhret. Man muß ſie niemahls mit bloßer Hand fuͤhren, ſondern allezeit ſaubere Handſchuhe anſtecken ha - ben. Hat man ſie nach Hauſe gebracht, muß man an den Eingang ihres Hauſes oder nach Gelegen - heit ihres Zimmers ſein Abſchieds-Compliment machen, und nicht leichtlich zugleich in ihr Zimmer mit ihr gehen, zumahl bey ſpaͤter Nachtzeit, oder bey einem verehligten Frauenzimmer in Abweſenheit ihres Mannes, es muͤſte denn ſeyn, daß ſolches mit Vorbewuſt und Erlaubniß ihrer Anverwand - ten, oder von denen ſie dependant iſt, geſchaͤhe, oder jemand aus der Geſellſchafft zugleich mit gegen - waͤrtig waͤre, oder daß das Frauenzimmer ſich in ſolchen Jahren befaͤnde, daß ſie auſſerhalb uͤbeln Verdachts waͤre. Bey dem Umgange des Frauen - zimmers, ſie moͤgen tugendhafft oder laſterhafft ſeyn, muß man auf ſeine eigene Ehre und auf die Renomme der Dames ſehen.
§. 21. Das Ceremoniel bringt nicht allezeit mit ſich, daß man eine Dame, die allein gehet, ohne Un - terſcheid fuͤhren ſoll, man muß vorher beurtheilen, ob die Dame nicht etwan allzuhohen Standes ſey, und uns dergleichen nicht erlauben moͤchte, ob wir nicht gar zu frembd und unbekannt gegen ſie, daß wir uns zu dergleichen anbiethen duͤrffen, ob es Zeit und Ort mit ſich bringe, ob es ihr nicht ge - maͤchlicher ſcheine, wenn man ſie allein gehen lieſſe,und382II. Theil. VI. Capitul. und uns dieſer Hoͤflichkeit gerne uͤberheben wuͤrde, u. ſ. w.
§. 22. Wider den Wohlſtand iſt, wenn ſich einer unterſtehet im Fuͤhren einem Frauenzimmer die Haͤnde zu druͤcken, ſolte es einer gleich ohne boͤſe Abſicht aus einem beſondern Freundſchaffts - Triebe thun, und aus einer uͤberfluͤßigen Treuher - tzigkeit, ſo wird es doch manch Frauenzimmer, die von aͤuſſerlichen guten Anſehen, und die in keiner Anverwandtſchafft mit uns ſtuͤnde, vor eine heim - liche Liebes-Erklaͤrung aufnehmen. Was den Hand-Kuß anlangt, ſo iſt es zwar eine Sache die meiſtentheils erlaubt, und dem Wohlſtand nicht zuwider, ſie mag ledig oder verheyrathet ſeyn, iedoch muß es nicht allzu offt und mit zu groſſer Zaͤrtlich - keit geſchehen, ſondern auf eine reſpectueuſe Art, und etwan nur bey dem Abſchieds-Compliment, oder wenn ſie uns durch ihre Reden Gelegenheit giebt, daß wir ihr eine gewiſſe Submiſſion davor bezeugen ſollen.
§. 23. Einige junge Leute von maͤnnlichen Ge - ſchlecht haben die Unart an ſich, daß ſie bißweilen demjenigen Frauenzimmer, mit denen ſie in genauer und vertrauter Bekandſchafft ſtehen, mancherley Sachen, als ihre ſilberne Tabatieren, einige Rin - ge, und anders dergleichen in batinerie entwenden, ſolches einige Wochen bey ſich behalten, und ent - weder gantz und gar nicht wieder geben wollen, oder ſich doch vielmahls daruͤber erinnern laſſen. Biß - weilen thun ſie dergleichen mit Vorbewuſt desFrauen -383Von dem Umgang mit Frauenzimmer. Frauenzimmers, bißweilen aber auch wohl heimli - cher Weiſe. Ob zwar dergleichen Spielwerck einer Art eines zulaͤßigen Schertzes bedeuten ſoll, bißweilen auch wohl davor angeſehen wird, ſo iſt doch am ſicherſten, und dem Wohlſtand am ge - maͤßten, wenn man ſich deſſen enthaͤlt. Ein Ca - valier wird ſich durch dieſes Spielwerck, welches ſchon außer dem Schrancken eines zulaͤßigen Schertzes zu treten ſcheinet, weder bey dem Frauen - zimmer, noch bey andern Leuten in Gunſt ſetzen.
§. 24. Manche gedencken ſich dadurch am be - ſten bey denen Damen einzuſchmeicheln, und ihrer Gnade theilhafftig zu werden, wenn ſie ihnen man - cherley Præſente zuſchicken. Nun erreichen ſie zwar ihren Zweck bey denen, die zum Eigennutz und Geldgeitz geneigt ſind, aber nicht allezeit bey denen andern. Viele werden es einem jungen Menſchen, der zu einer ungewoͤhnlichen Zeit, und auf einer un - gewoͤhnlichen Weiſe, Geſchencke austheilen will, gar ſehr verdencken, und er macht ſich offt laͤcher - lich damit, die Geſchencke moͤgen ſchlecht oder koſt - bar ſeyn, und erwecket mancherley widrige Urtheile. Es iſt am beſten, wenn man ſich hierbey nach dem Gebrauch der Oerter, nach der Beſchaffenheit ſei - nes Beutels, und nach denen Neigungen des Frau - enzimmers richtet, und kein Geſchenck austheilt, als wozu man einen zureichen den Grund hat.
§. 25. Gleichwie man nun ohne Raiſon gegen die Dames nicht allzu freygebig ſeyn muß, alſo muß man auch bey ihnen um keine Geſchencke anhalten,inſon -384II. Theil. VI. Capitul. inſonderheit iſt es ſehr taͤndelhafft, wenn ſich einige bey dem Frauenzimmer ein Affections-Baͤndgen zum Andencken ausbitten; es iſt dieſes Kindern in ihrer Kindheit oder Gymnaſiaſten auf Gymnaſiis, als Leuten, denen man nachſagen ſoll, daß ſie wohl zu leben wiſſen, anſtaͤndiger. Manch qualificirt und ernſthafft Frauenzimmer wuͤrde denjenigen, der damit angezogen kaͤme, gewaltig auslachen.
§. 26. Es iſt nichts gewoͤhnlicher, als daß junge Leute, auf niedern oder hoͤhern Schulen, oder auch wohl an andern Orten, ihre Selinden, Liſimenen, und wie ſie weiter heiſſen, mit einer naͤchtlichen Mu - ſic beehren. Wo dergleichen eingefuͤhrt, laͤſt mans gelten, man muß aber nicht dencken, als ob dieſe Gewohnheit ſich allenthalben in Fuͤrſtlichen groſ - ſen Reſidentien nachahmen laſſe. Will ein Ca - valier einer Dame mit einer Nacht-Muſic aufwar - ten, ſo muß er vorher mancherley Umſtaͤnde in Be - trachtung ziehen: Er muß uͤberlegen, ob dergleichen in dieſem oder jenem Orte eingefuͤhrt, ob die Dame eine groſſe Liebhaberin von der Muſic, ob die Muſic ſo beſchaffen, daß er hofft Ehre damit einzulegen, inſonderheit aber, ob er verſichert, daß ſolches mit ihrer Erlaubniß und Genehmhaltung geſchehen werde.
§. 1.
DJe Aſſembleen ſind Geſellſchafften man - cherley Standes-Perſonen, beyderley Geſchlechts, die zu gewiſſen Zeiten zuſam - men kommen, um einander zu ſehen, ſich mit einander zu unterreden, und zuſammen zu ergoͤ - tzen. Man kan ſie eintheilen in Hof - und Staats - Aſſembleen, und in Privat-Aſſembleen, und bey - de wiederum in die ordentlichen oder auſſerordentli - chen, in groſſe und kleine Geſellſchafften.
§. 2. Die Hof-Aſſembleen werden an den Hoͤ - fen an den ſo genannten Cour-Taͤgen gehalten, da nicht allein die in wuͤrcklichen Dienſten ſtehenden, und auch ſonſt in der Reſidenz einheimiſchen Cava - liers bey Hofe erſcheinen, und ihre Aufwartung bey der Herrſchafft machen muͤſſen, ſondern auch ihre Weiber, ihre erwachſene Toͤchter, oͤffters auch viele von den Vaſallen, die um die Reſidenz herum ihre Ritter-Guͤter haben. Sie ſind an den Hoͤ - fen, theils zum Vergnuͤgen und zum Zeitvertreib der Herrſchafft eingefuͤhrt, theils auch um der Bequem - lichkeit willen, damit ſie nicht die andern Tage, da es ihnen vielleicht nicht gelegen ſeyn moͤchte, von de - nen, die ſich die Gnade ausbitten, ihnen den RockB bzu386II. Theil. VII. Capitul. zu kuͤſſen, ſo offt beunruhiget werden. Dieſe Hof - Taͤge ſind auch als gewiſſe Dienſt-Taͤge anzuſe - hen, an denen ihre Bedienten adelichen Standes und Dero Familien, der Durchlauchtigſten Herr - ſchafft ihre Unterthaͤnigkeit bezeugen ſollen.
§. 3. Die Staats-Aſſembleen werden an den - jenigen Oertern gehalten, wo ſich unterſchiedene Abgeſandten, oder ſonſt groſſe Miniſtri, der Staats - Angelegenheiten wegen, aufzuhalten pflegen, als in Regenſpurg, oder an andern Oertern, bey Friedens - Conferenzen u. ſ. w. damit diejenigen, die ihrer Verrichtungen wegen mit einander zu ſprechen ha - ben, und einander bißweilen vergebens beſuchen wuͤrden, Gelegenheit finden, einander an einem ge - wiſſen Orte beyſammen zu ſehen. Die Privat - Aſſembleen ſind allenthalben, wo viel Leute zuſam - men kommen, denen die Zeit zu lang wird, die lieb - haben die Geſellſchafften, und zu mancherley Er - goͤtzlichkeiten, die ſie ſich gemeinſchafftlich zu machen pflegen, Zeit, Luſt und Geld genug haben.
§. 4. Die ordentlichen und gewoͤhnlichen As - ſembleen ſind diejenigen, die ſo wohl an Hoͤfen als an andern Orten, zur Sommers-Zeit an den Oer - tern der warmen Baͤder und Geſundbrunnen, zur Winters-Zeit aber in den groſſen Staͤdten an den Taͤgen in der Woche gehalten werden, die einmahl dazu beſtimmt, und unter ihnen ausgemacht ſind; die auſſerordentlichen aber, die zu einer andern Zeit bey einigen Begebenheiten, die dazu Anlaß gegeben, vorfallen. Alſo ſind an denen Hoͤfen auſſerordentli -che387Von Aſſembleen. che Aſſembleen, wenn entweder fremde Herrſchaff - ten ankommen, oder groſſe Miniſtri, die von andern Hoͤfen abgeſchickt worden, theils, damit ſie den Hof in luſtre, und die gantze Hofſtatt beyſammen ſehen, theils damit man ihnen mit Spielen, Tantzen, bun - ten Reyhen, und auf andere Art eine Ergoͤtzlichkeit machen moͤge. Unter Privat-Perſonen werden auſſerordentliche Aſſembleen angeſtellt, wenn ſie ihre Nahmens-Taͤge, Geburths-Taͤge u. ſ. w. ce - lebriren, oder, wenn ſie einen vornehmen Zuſpruch erhalten, oder auch ſonſt, wenn es ihnen einfaͤllt, ſich eine Veraͤnderung zu machen.
§. 5. Groſſe Geſellſchafften ſind, bey denen die meiſten, oder doch ſehr viel an einem Orte ſich auf - haltende Standes-Perſonen zuſammen kommen; kleine aber, wenn entweder die Fuͤrſtlichen Herr - ſchafften bey den Hof-Aſſembleen einen Ausſchuß machen, und die vornehmſten, oder vor die ſie am meiſten Gnade haben, und von denen ſie glauben, daß ſie dem Hofe die groͤſte Ehre machen wuͤrden, zu ſich beruffen, die andern aber zuruͤck laſſen, oder, wenn Privat-Perſonen diejenigen, die zu der Anver - wandtſchafft und Freundſchafft einer gewiſſen Fa - milie gehoͤren, oder andere, die ſie vor ihre beſonders guten Freunde achten, zu ſich einladen, und ſich mit ihnen ergoͤtzen. Dieſe ſind offtermahls viel ange - nehmer, als jene; und wenn ein Fremder die Er - laubniß bekommt, einer wohlausgeſuchten kleinen Geſellſchafft mit beyzuwohnen, hat er oͤffters mehrB b 2Ver -388II. Theil. VII. Capitul. Vergnuͤgen davon, als bey einer groſſen, wo alles péle méle beyſammen iſt.
§. 6. Die Staats-Aſſembleen, die in groſſen Staͤdten unter hohen Miniſtris und Staats-Leu - ten gehalten werden, haben ihren guten Grund. Es iſt ſolchen Perſonen gar oͤffters daran gelegen, daß ſie einander ſprechen, die Zeit iſt ihnen zugleich uͤber die Maßen koſtbar, ſie wohnen bißweilen ſehr weit von einander, und finden bey den Viſiten, die ſie einander geben wollen, einander nicht allezeit zu Hauſe, und alſo iſt ihnen allen ſehr bequem, daß ſie gewiß wiſſen, wo ſie einander beyſammen finden. Sind die Aſſembleen gleich nicht eben derjenige Ort, wo die Staats-Angelegenheiten eigentlich aus dem Grunde abgehandelt und ausgemacht wer - den, ſo werden doch bey einer und der andern Unter - redung, die an ſolchen Oertern vorfaͤlt, manche Com - municationes gepflogen, und nuͤtzliche Nachrichten ertheilet. Da es nun ihre Angelegenheiten nicht verſtatten, daß ſie alle zu gleicher Zeit kommen, und auch wieder auseinander gehen koͤnnen, ſo muͤſſen die Geſellſchafften nothwendig biß in die ſpaͤte Nacht durch dauren, oder vielmehr der Wirth der Aſſemblee muß mit ſeinen Zimmern, und allen demjenigen, was er denen Fremden wiedmen will, ihnen biß in die ſpaͤte Nacht zu Dienſten ſtehen, er muß ihnen etwas von noͤthigen Speiſen und Ge - traͤncke vorſetzen, und auch denen, die auf einander warten, Gelegenheit verſchaffen, daß ſie immittelſtbey389Von Aſſembleen. bey Spielen, oder auf andere Art, einigen angeneh - men Zeitvertreib finden.
§. 7. Was nun erſtlich die Nothwendigkeit ein - gefuͤhrt, iſt nachgehends bey vielen zur Galanterie worden; was einige mit gutem Grunde angefan - gen, haben andere ohne einen zureichenden Grund nachgeahmet. Viele, die den Hoͤhern ſo gerne nachthun, bilden ſich ein, es gehoͤre nothwendig zum Wohlſtande, Aſſembleen zu halten, und dieſelben zu beſuchen, ob es gleich von manchen, ſo dieſelben anſtellen, nicht gefordert wird, und andere, ſo dazu lauffen, nichts dabey zu verrichten haben.
§. 8. Die Abſichten der Wirthe der Aſſembleen, und der Gaͤſte dabey, ſind ſehr viel und mancherley. Einige ſtellen ſie an aus vernuͤnfftigen Abſichten, ihrer Staats-Angelegenheiten wegen, wie ich im vorhergehenden angezeigt, ihrer Herrſchafft zu Eh - ren, den Hoͤhern, ihres gleichen, und den Geringern, bey dieſer Gelegenheit ihre Devotion, Ehrerbie - tung, Liebe und Freundſchafft zu bezeugen, ſolchen und andern guten Freunden eine zulaͤßige Veraͤn - derung und Ergoͤtzlichkeit zu machen; Andere aber aus unvernuͤnfftigen, theils aus Hochmuth, theils aus Eigennutz, theils aus Wolluſt; Manche wol - len ſich nur damit ſehen laſſen, und es den Hoͤhern nachthun, ſie dencken, daß ſie gleich etwas mehrers ſind, wenn ihnen die Leute nachſagen, daß ſie in ih - rem Hauſe Aſſembleen geben; Andere ſind Spie - ler, ſie wollen bey der Gelegenheit manche junge Leute / die im Spielen ungeuͤbt ſind, zu ſich in dasB b 3Hauß390II. Theil. VII. Capitul. Hauß locken, und ſie um einen Theil ihres Vermoͤ - gens bringen, oder auch andere, unter dem Schein der Freundſchafft und Hoͤflichkeit, die ſie ihnen er - weiſen wollen, nach ihrem Intereſſe lencken; Noch andere, aus wolluͤſtigen Abſichten, ſie wollen die Zeit ſo gerne vertreiben, ſtets plaudern und ſpielen, deſto eher Gelegenheit haben, mit manchen Perſo - nen von dem andern Geſchlecht deſto eher umzuge - hen, u. ſ. w.
§. 9. Die Endzwecke der Gaͤſte, ſo die Aſſem - bleen beſuchen, ſind ebenfalls mancherley. Eini - ge gehen deswegen in groſſe Geſellſchafften, damit ſie deſto eher Gelegenheit haben / einige Leute, mit denen ſie nothwendig zu ſprechen haben, und derer ſie ſonſt nicht ſo leicht habhafft werden koͤnnen, da - ſelbſt anzutreffen; andere des Spielens wegen, um unwiſſende junge Leute bey allerhand Spielen, inſonderheit aber bey dem Baſſet-ſpielen, zu beruͤcken, und ſich mit ihrer Unwiſſenheit und Einfalt zu berei - chern; noch andere, um mancherley vornehme Leu - te kennen zu lernen, und ſie beyſammen zu ſehen; ih - rer viele des Frauenzimmers wegen, um allerhand Liebes-Commerces daſelbſt aufzurichten, oder doch deſto bequemer zu unterhalten. Manche Mutter fuͤhret ihre Toͤchter auch aus keiner andern Urſachen willen ſo fleißig in die Geſellſchafften, ſonderlich, wenn ſie mit feinen Leibes-Gaben ausgeſchmuͤckt, als daß ſie ſich fein bey Zeiten unter die Manns - Perſonen ſchicken lernen, und deſto eher mit Ehren unter die Haube kommen. Einige junge Leute ſe -tzen391Von Aſſembleen. tzen ſich hierbey keinen andern Endzweck vor, als daß ſie mit guter Manier und ohne Geld mancher - ley Confituren und Liqueurs genieſſen wollen.
§. 10. Die als Wirthe in ihren Haͤuſern Aſſem - bleen geben, und dieſelben mit halten wollen, haben vorher mancherley dabey in Betrachtung zu ziehen: Sie muͤſſen erwegen, ob ihr Stand und Character dergleichen nothwendig erfordere, oder ob man es ihnen nicht vielmehr verdencken werde, daß ſie ſich hierunter denen Vornehmſten gleich achten wollen; ſie muͤſſen mit ihrem Beutel einen Uberſchlag ma - chen, ob ſie auch, nach Abzug der uͤbrigen noͤthigern Ausgaben, ſo viel uͤbrig behalten, als zu Beſtreitung der Unkoſten, die auf die Aſſembleen zu verwenden, genug iſt, und ſonderlich in Obacht haben, damit ſie nicht nur mit Ehren anfangen, ſondern auch dieſel - ben mit Ehren fortſetzen, und denen Fremden das je - nige anbieten, was der Wohlſtand, und die Ge - wohnheit eines jeden Ortes, mit ſich bringt; ſie muͤſſen uͤberlegen, ob auch ihr Hauß und ihre Zim - mer geraum genug, eine groſſe Geſellſchafft wohl zu unterhalten und zu bewirthen. Haben ſie ſich nun einmahl entſchloſſen, die Aſſembleen mit zu halten, ſo muͤſſen ſie auch alles, was hierbey noͤthig beſter maſſen beſorgen: Es muß von mancherley Wand - Leuchtern, Cron-Leuchtern, nnd an weiſſen Wachs - Lichtern im geringſten nicht fehlen; Mancherley l’ Hombre - und Luſtſpiel-Tiſche, allerhand Arten der Spiele, Spiel-Tellern, l’Hombre - und Piquet - Charten, muͤſſen in Menge angeſchafft, rein undB b 4propre392II. Theil. VII. Capitul. propre ſeyn. Es muß an Liqueurs, an Caffé, Thé, Chocolade, Orgeade, Limonade, gebrann - ten Waſſern, Confituren, und dergleichen, was das Ceremoniel an einem jeden Orte hergebracht, nichts gebrechen, und alles in allen Stuͤcken ſo ein - gerichtet werden, damit der Wirth und die Wir - thin Ehre, die Fremden aber Vergnuͤgen davon haben.
§. 11. Was ein junger Cavalier vor Aſſemble - en zu beſuchen habe, lehret ihm ſeine Lebens-Art und der beſondere Endzweck, den er zu erreichen ge - denckt, die Beſchaffenheit ſeines Beutels, ſeine Neigungen, ſeine Geſchicklichkeit oder Ungeſchick - lichkeit, ſo er in dem, was zur Galanterie erfordert wird, beſitzt, die Eintheilung ſeiner Zeit, die er ſich gemacht, und andere Umſtaͤnde mehr. Auf Reiſen iſt es gar nuͤtziich, wenn er an dem Orte, da er ſich eine Zeitlang aufzuhalten gedenckt, große Geſell - ſchafften dann und wann mit beſieht, inmaßen er dadurch in einigen Tagen ſo viel Leute kennen lernt, als er ſonſt in viel Monathen nicht wuͤrde kennen lernen. Er findet auch Gelegenheit mit manchem großen Herrn, oder mit mancher vornehmen Dame bey dem Spiele oder auch ſonſt in Bekandſchafft zu gerathen, die ihn gar vortraͤglich ſeyn kan, und die er ſonſt nicht ſo leicht erhalten haͤtte; Man muß auch in Beſuchung der Geſellſchafften die Mittel - Straſſe beobachten. Laufft einer alle Tage in die Aſſembleen, ſo giebet er den Schein von ſich, daß er die Koſtbarkeit der Zeit nicht recht zu ſchaͤtzen weiß,weil393Vou Aſſembleen. weil er dieſelbe ſtetswaͤhrend denen Geſellſchafften aufopffert, beſucht er aber keine eintzige, ſo entziehet er ſich einer und der andern Vollkommenheit, der er ſonſt haͤtte koͤnnen theilhafftig werden, und erweiſet auch, daß er ſich nicht getraue, unter vornehme Leu - te zu gehen.
§. 12. An fremden Orten informire ſich ein junger Menſch wohl des Zuſtandes derjenigen Haͤuſer, darinnen er Bekandſchafft zu machen wil - lens iſt. Es ſind gewiſſe Haͤuſer, welche das An - ſehen haben von Leuten von Condition, alles iſt darinnen magnific und propre, in der That aber ſind es nach dem Urtheil eines wohl gereiſeten Poli - tici, vornehme Bordels, da die Madame insgemein junge Maͤdgens oder auch wohl verheyrathete Weiber hat, die ſie verkuppelt. Zuweilen ſind es gar ihre eigene Toͤchter, oder gar nahe Anverwand - ten, durch deren Galanterie ſie ihren Staat erhal - ten. Bißweilen findet man auch Leute von Con - dition, deren Renomme wegen ihres unordentli - chen Lebens dennoch auf gar ſchwachen Fuͤſſen ſte - het. Beſucht ein junger Menſch dergleichen Haͤu - ſer, die nicht vor gar zu honnet ſind, ſo wird er Noth haben, daß ihm andere nachgehends in ihre Viſiten aufnehmen. S. des Herrn Hofrath Nemritz Sejour de Paris. p. 101.
§. 13. Hiernaͤchſt findet man auch in großen Staͤdten und fremden Oertern vornehme Haͤuſer, darinnen bloß vom Spiel Profeſſion gemacht wird, dieſelben ſind ebenfalls zu meyden, man kan ſichB b 5leicht394II. Theil. VII. Capitul. leicht verleiten laſſen, par honneur etwas mit zu wagen, und da reicht denn der Beutel offters nicht zu. Von dergleichen Aſſembleen, davon ich in dem vorhergehenden §. und in dieſem geredet, gilt, was der Autor der Pflicht und Schuldigkeit, welche man in ſeinem Haußweſen in Obacht zu nehmen hat, p. 233. anfuͤhrt. Dieſe Spiel-Verſammlungen, welche in den Haͤuſern der privat-Perſonen gehal - ten werden, ſind viel ſchaͤdlicher, als die in oͤffentli - chen Spiel-Haͤuſern geſchehen, ſintemahl bey der - ley Geſchlecht daſelbſt der Zutritt erlaubet iſt. Da iſt der Ort, wo man den Sammel-Platz haͤlt, wo Bekandſchafften entſtehen, wo ſich verliebte Haͤn - del anfangen, wo liederliches Leben ſich mit einſtellt, wo die Weiber ſich genoͤthiget ſehen, alle Moden mit zu machen, wo Luſtigkeiten vorgenommen wer - den, wo man Hurerey und Ehebruch verabredet, wo man ſein Gut verlieret, und ſeine Familie ruinirt und verderbt.
§. 13. Wie gut waͤre es doch, wenn ein junger Menſch, ſo offt er in eine große weltliche Geſellſchafft gehen ſoll, die Seelen-Gefahr, die ihm hierbey be - vorſtehet, allezeit behertzigte, und diejenige Regel beobachtete, die der Chriſtliche Autor der Klugheit der wahren, und Narrheit der falſchen Chriſten p. 126. vorſchreibet, daß er nemlich allemahl, ehe er in eine Geſellſchafft gehen wolte, GOtt im Gebet fleißig anruffte, daß er ihn mit ſeinem heiligen Geiſt regieren wolte, nichts zu thun oder zu unterlaſſen, wodurch der Naͤchſte geaͤrgert, und zum Boͤſen ge -reitzet395Von Aſſembleen. reitzet werden koͤnte, und ihn vor allen Ubel bewah - ren wolle. Es thut auch ein Chriſt wohl, wenn er ſich von der boͤſen Geſellſchafft loßreißt, ſo bald es der Wohlſtand verſtatten will.
§. 14. Der Herr Hofrath Nemritz recomman - dirt einem jungen Cavalier, daß er in fremden Laͤn - dern Bekandtſchafft in mittelmaͤßig vornehmen Haͤußern ſuchen ſoll. Jn dieſen Haͤuſern hat man ein wenig mehr Freyheit, und man ſiehet daſelbſt nicht ſo gar genau auf alle Kleinigkeiten, inzwiſchen wenn es Leute ſind, die wohl zu leben wiſſen, hoͤret und ſiehet man doch ebenfalls vieles bey ihnen, und weiß man ſich zu inſinuiren, ſo erweiſen ſie einen tauſend Hoͤflichkeiten, man wird auch nachgehends immer geſchickter in vornehme Geſellſchafften in - troducirt zu werden.
§. 15. Ein junger Menſch hat Urſache eine ſehr kluge und behutſame Conduite auf den Aſſemble - en zu erweiſen. Die Fehler, die einer auf einer oͤf - fentlichen Geſellſchafft begehet, geſchehen in dem Geſicht aller derer, an deren Urtheil uns am meiſten gelegen, die Hoͤhern machen ſich nachgehends einen ſchlimmen Eindruck von eines Perſon, und es wird eine lange Zeit oder eine darauf folgende ſehr ruͤhm - liche Conduite erfordert, bevor der durch einen gro - ben Fehler zugezogene Schandfleck wieder getil - get werden ſoll.
§. 16. Bevor man eine oͤffentl. große Geſellſchafft beſucht, muß man ſich entweder bey demjenigen, bey dem die Aſſemblee angeſtellt wird, haben meldenlaſſen,396II. Theil. VII. Capitul. laſſen, u. um eine Erlaubniß angeſucht haben, derſel - ben mit beyzuwohnen, dafern uns der Hoͤhere ſolches am dritten Orte nicht bereits angebothen, und uns zu ſich geladen, oder man muß ſich durch einen guten Freund, der in dem Hauſe allbereits bekandt iſt, an den Wirth oder die Wirthin der Aſſemblee præ - ſentiren laſſen. Geſchicht ſolches von einem groſ - ſen Miniſter, ſo iſt es deſto kraͤfftiger, und deſto mehr Ehre haben wir davon. Laufft einer vor ſich in die Geſellſchafften, und es kennet ihn niemand, ſo wird er bey der verſammleten Compagnie wenig Vergnuͤgen und ſchlechte Renommée haben. Jn groſſen Aſſembleen, da einem jeden von Conditi - on der Zutritt vergoͤnt, gehet es noch eher an, wolte man aber eine kleine Geſellſchafft ungebeten zugleich mit beſuchen, ſo wuͤrde man gewiß keine gute Mine zu gewarten haben.
§. 17. Man muß auch beurtheilen, ob man in dem Hauſe, wo Geſellſchafft zuſammen kommt, wohl angeſehen ſey, oder nicht. Machen diejenigen, die bey der Aſſemblee Wirth und Wirthin abge - ben, einen am dritten Ort kein freundlich Geſichte, oder erzeigen einem ſchlechte Hoͤflichkeit, ſo werden ſie einem auch in ihrem eigenen Hauße keine ſonder - liche Complaiſance bezeugen: Und alſo iſts am be - ſten, wenn man wegbleibt. Einige ſind ſo ſchlechte Hof-Leute, daß ſie ſich hierunter nicht zu bergen wiſſen.
§. 18. Wer in Fuͤrſtlichen Dienſten ſteht, muß behutſam ſeyn, damit er nicht die Haͤuſer derjeni -gen,397Von Aſſembleen. gen, die zu einer gewiſſen Zeit bey Hofe nicht wohl angeſehen, gar zu fleißig beſuche. Der Wille und die Neigung der Herrſchafft muß ſo viel, als es das Gewiſſen erlaubt, das Augenmerck und Ziel eines Hof-Manns bleiben. Die Gnade der Herrſchafft iſt der Gnade und Freundſchafft eines Miniſtri oder eines andern Hof-Manns vorzuziehen. Je - doch muß man ſich auch nicht gar zu kaltſinnig ge - gen ſie auffuͤhren, das Gluͤck und die Gunſt bey Hofe leidet ihre gewaltigen Abwechßelungen und Veraͤnderungen, ſolche Leute koͤnten ſichs mercken, und uns nachgehends zu einer andern Zeit unſerm Gluͤck wieder hinderlich fallen.
§. 19. So muß er nicht weniger in den Haͤuſern derer, die als Haͤupter ein paar ſtarcker widriger Partheyen anzuſehen, eine kluge Conduite fuͤhren, damit er ſich ſo gut als moͤglich bey beyden im Cre - dit erhalte, und ihnen ſo viel als es ſich mit der Vor - ſchrifft ſeiner Herrſchafft und der Intention des Hofes vereinigen laͤſt, eine gleiche Hoͤflichkeit und Dienſtergebenheit bezeuge. Er muß nicht nur die Geſellſchafft der Hoͤhern beſuchen, ſondern auch derer, die vom ſchlechten Range. Haltet Friede mit jedermann, iſt nicht nur eine Chriſten-Regel, ſondern auch eine gute Hof-Regel. Doch hat einer offters mehr Nutzen davon, wenn man ihnen ſeine Privat-Beſuche abſtattet, als in ihre Aſſem - bleen laͤufft.
§. 20. Deren Umſtaͤnde nicht mit ſich bringen, daß ſie andern Leuten zu Gefallen wieder ihrenWillen398II. Theil. VII. Capitul. Willen dann und wann ſpielen muͤſſen, werden auf den Aſſembleen kein ſo gar groß Vergnuͤgen fin - den, und dieſelben nicht gar offters beſuchen; ſinte - mahl die meiſten in der Geſellſchafft nichts anders thun, als ſpielen. Es iſt auch der Nutzen, den ſie aus offtmahliger Beſuchung oͤffentlicher Geſell - ſchafften ziehen ſolten, vor diejenigen, die die Reali - tæten mehr als die Galanterien lieben, ſo gar groß eben nicht. Man bekommt nichts als einerley Ge - ſichter und einerley Handlungen zu ſehen, die in nichts anders beſtehen, als in ſpielen, plaudern, herumlauffen, badiniren mit den Damen, eſſen und trincken. Wohnet man ihnen an fremden und einheimiſchen Oertern ſo offt bey, als es der Endzweck, den man ſich vorgeſetzt, oder der unver - meydliche Wohlſtand, und die Gewinnung neuer oder die Unterhaltung der vorigen Bekandſchafften erfordert, an denen uns zur Befoͤrderung unſerer Gluͤckſeeligkeit etwas gelegen, ſo iſt es ſchon gut. Wer aber Geld und Zeit nichts achtet, und alle ſei - ne Verrichtungen in lauter Divertiſſements ſucht, kan es halten, wie er will.
§. 21. Ein Cavalier, der in Fuͤrſtlichen Dienſten ſteht, und ſeine Lebens-Jahre nicht der bloſſen Ei - telkeit und Galanterie wiedmen will, muß ſich zwar in Beſuchung der Hof-Aſſembleen nach dem Befehl und dem Willen ſeiner Herrſchafft richten, jedoch muß er nach und nach bezeugen, daß er begie - riger ſey bey ſolchen Verrichtungen, die ſeinem Herrn und dem Lande erſprießlich ſind, treu gehor -ſamſte399Von Aſſembleen. ſamſte Dienſte zu leiſten, als bey der l’hombre - und Piquet-Carte, bey ſteter Beſuchung der Cour-Taͤge, und bey offtmahliger Abwechſelung oder ver chame - rirten Kleider einen pflichtſchuldigſten Diener abzu - geben. Die Ordre und die Verguͤnſtigung der Herr - ſchafft giebet alſo einem in Fuͤrſtlichen Dienſten ſte - henden Cavalier die Regeln, wie fleißig er die Hof - Aſſembleen beſuchen muß, oder davon wegbleiben kan.
§. 22. Ein vernuͤnfftiger Menſch macht ſich alle Umſtaͤnde zu Nutz, denen er auf eine unvermeidliche Weiſe unterworffen wird. Muß er, ſeinem Be - ruff nach, mancherley Aſſembleen, bey Hofe und in der Stadt, mit beywohnen, ſo findet er, auch zu der Zeit, da er mit andern nicht ſpielet, oder ſich unter - redet, einen vor ſich ſelbſt gantz angenehmen Zeit - vertreib, da er die mancherley vernuͤnfftigen und thoͤrichten Handlungen der Menſchen betrachtet. Dieſer weiß einen ſehr groſſen Verluſt, den er bey einem unglimpflichen Spieler erlitten, auf eine ſehr beſcheidene und manierliche Weiſe zu verbergen; Ein anderer aber ſtellet ſich hierbey gantz ungeber - dig und raſend an; noch ein anderer beſiehet ſich ſtets im Spiegel, und iſt in ſeiner propren Equi - page und Kleidung ſelbſt verliebt; mancher wird von einem andern, den er ſeinen lieben Goldbruder nennt, gekuͤßt und embraſſirt, und ſo bald er hinge - gen ihm nur den Ruͤcken zukehret, auf das aͤrgſte geſchimpfft; viele ſcheinen, aus einer allzu groſſen Paſſion gegen ein Frauenzimmer, gantz auſſer ſichſelbſt400II. Theil. VII. Capitul. ſelbſt zu ſeyn. Nachdem er nun dieſe und viel an - dere dergleichen Handlungen mehr erblicket, ſo kan er Gelegenheit finden, mancherley, das ihm ſelbſt wohl oder uͤbel anſtaͤndig ſeyn moͤchte, gleichſam als in einem Spiegel zu beſchauen, mancherley in den andern verborgen liegende Meynungen, zu ſeiner guten Nachricht, entdecken, und eine und die ande - re nuͤtzliche Regel und Anmerckung hieruͤber ma - chen.
§. 23. Gleichwie man uͤberhaupt wohl thut, wenn man, nach geſchehener reiffen Uberlegung, ſeine Handlungen nach einem gewiſſen Maaß de - terminirt, bey dem man beſtaͤndig bleibet, man muͤſte denn bey einigen Faͤllen zur Erreichung einer groͤßern Vollkommenheit zu gewiſſen Ausnahmen gezwungen werden; Alſo handelt man auch weiß - lich, wenn man ſich an einem Orte in Beſuchung der Aſſembleen und großen Geſellſchafften auf ei - nen ſolchen Fuß ſetzt, als es dem Haupt-Endzweck und den Neben-Abſichten, die man ſich vorgeſchrie - ben, gemaͤß iſt.
§. 24. Die Sittſamkeit iſt allenthalben noͤthig, und die allzugroße Freyheit, der ſich einige junge Leute auf den Aſſembleen anmaßen, vor etwas unanſtaͤndiges anzuſehen. Einige unterſtehen ſich, die groͤſten Miniſters und Standes-Perſonen, ob ſie dieſelben gleich zum erſten mahl ſehen, auf eine nicht allzu reſpectueuſe Art anzureden, ſie plaiſanti - ren mit den Dames, ſie raiſonniren uͤber das Spiel, entweder mit den Spielern, oder doch mit denenZu -401Von Aſſembleen. Zuſchauern, ob ſie gleich niemand darum befragt, ſie bekommen aber auch bißweilen eine Erinnerung, von der ſie ſchlechte Ehre haben. Andere ſind all - zu ſchuͤchtern, ſie bleiben ſtets auf einer Stelle ſte - hen, als wenn ſie angenagelt waͤren, ſie haben nicht die Kuͤhnheit, daß ſie in ein ander Zimmer, oder hin - ter einen andern Spiel-Tiſch treten duͤrfften, ſie re - den mit niemanden, und kein Menſch diſcourirt mit ihnen, ſie ſpielen nicht, und bleiben unveraͤndert oh - ne einige Verrichtung. Dieſe unbeweglichen Sta - tuen ziehen die Augen vieler andern aus der Geſell - ſchafft auf ſich, und bezeugen, daß ſie ſich mit der groſſen Welt noch nicht ſehr bekandt gemacht. Manche entdecken darinnen ihre Schwaͤche, daß ſie nichts thun, als daß ſie ſich einem ſchoͤnen Frau - enzimmer gegen uͤber ſtellen, und ſolches mit unver - wandten Augen eine lange Zeit betrachten, und wenn ſie ſich an dieſer ſatt geſehen, hernach wieder zu einer andern lauffen.
§. 25. Viele beſuchen nicht die Aſſembleen zu dem Ende, daß ſie ſich auf eine oder die andere Weiſe die Geſellſchafften wolten zu Nutz machen, ſondern ſie kommen nur des Eſſens und Trinckens wegen hin; ſie fordern ſtets Biſcuite, Confituren, mancherley Liqueurs, und halten ſich mehr zu denen Pagen und Laqueyen, die dergleichen Sachen aus - theilen, als zu den andern aus der Geſellſchafft. Dieſe Naſch-Maͤuler ſondern ſich ebenfalls auf eine gar unanſtaͤndige Weiſe von denen andern ab, in - dem ſie erweiſen, daß ſie mehr der Naͤſcherey we -C cgen,402II. Theil. VII. Capitul. gen, als um der Geſellſchafft willen, auf der Aſſem - blee erſcheinen.
§. 26. Bey dieſer Gelegenheit muß ich erinnern, daß man wohl Acht zu geben habe, ob die Liqueurs, gebrannte Waſſer, und andere Douceurs, in Uber - fluß ausgetheilet werden, oder kaͤrglich; ob die Be - dienten Ordre haben, nach dem Unterſchied des Ranges, denen Gaͤſten und Fremden ſie anzubieten, oder, ob man keinen Unterſchied hiebey beobachte. Bißweilen ſind ſolche gute Anſtalten getroffen, daß ein jeder, welcher vor wuͤrdig geachtet wird, auf der Geſellſchafft zu erſcheinen, mit allem ſo wohl bedient und verſorgt wird, wenn er auch noch ſo von nie - drigem Range ſeyn ſolte, als der von dem hoͤchſten. An andern Orten hingegen werden nur die Vor - nehmſten bedacht, und die andern gehen groͤſten - theils leer aus. Auf einigen Geſellſchafften iſt es im geringſten nicht wider dem Wohlſtand, da ein Page oder Laquay unterſchiedene Taſſen oder Glaͤ - ſer auf den Credenz-Teller denen Fremden anbie - tet, wenn man péle méle nimmt, und ein junger Cavalier, der neben einem groſſen Miniſter ſtehet, hat die Freyheit, mit ihm zugleich zuzulangen. An andern hingegen beobachtet man den Rang, und die Bedienten haben Ordre, denen Gaͤſten eines und das andere, was von Speiſen und Getraͤncke vorhanden, nach dem Unterſcheid ihrer Charactéres, anzubieten. Wolte nun einer an einem ſolchen Or - te ſelbſt zulangen, ehe noch die Reyhe an ihm waͤre,ſo403Von Aſſembleen. ſo wuͤrde man es ihm gar ſehr verdencken, daß er ſei - ner Ehre nicht erwarten koͤnte.
§. 27. Jn Anſehung der Zeit, wenn er auf den Aſſembleen erſcheinen ſoll, muß ſich ein junger Ca - valier nach den andern richten; jedoch dieſes dabey in Obacht nehmen, daß er nicht der erſte in der Ge - ſellſchafft ſey, der da kommt, und auch nicht der letzte, der weggehet, ſintemal ſich beydes nicht gar wohl vor ihm ſchicken wuͤrde.
§. 1.
DJe Boßheit der Menſchen verwandelt, bey dem Spielen ſo wohl als bey andern Sa - chen, die an und vor ſich ſelbſt nach den goͤttlichen Rechten vor unſchuldig und zu - laͤßig anzuſehen / dasjenige / was ihnen zum Ver - gnuͤgen gereichen koͤnte, in Mißvergnuͤgen, den Ge - brauch in Mißbrauch, und die Erquickung des Ge - muͤths in eine ſaure Arbeit und in einen Frohndienſt. Will man den Beweiß dieſes Satzes haben, ſo ge - be man nur Acht, wie ein groſſer Theil derer, die entweder aus Gewinnſucht, oder aus Galanterie und des Wohlſtandes wegen, in den groſſen Ge - ſellſchafften ſpielen, bey ihrem vermeynten Diver - tiſſement ſich ſehr ſchlecht ergoͤtzen, und wie viel Un -C c 2ruhe404II. Theil. VIII. Capitul. ruhe und thoͤrichtes Weſen ſie damit vereinigen. Sie ſitzen fuͤnff, ſechs Stunden, bißweilen auch noch laͤnger auf einem Flecke, mit der groͤßten Beſchwer - lichkeit, und wenden alle ihre Gemuͤths-Kraͤffte und all ihr Nachſinnen an, damit durch die Vermi - ſchung und Veraͤnderung einiger gemahlten Pa - piere, oder anderer hierzu ausgedachter Werckzeu - ge, entſchieden werde, ob eine gewiſſe Summe Gel - des, die ſie im Beutel haben, ihr eigen verbleiben, oder einem andern zu theil werden ſoll. Sie be - unruhigen ſich mit ihren Gedancken, wie ſie ihr Geld behalten, und des andern ſeines an ſich ziehen. Sie erreichen ihren Endzweck faſt niemahls, ſie moͤgen verlieren oder gewinnen. Verlieren ſie, ſo ſind ſie in etwas ungluͤcklicher, als ſie vorhin waren. Gewinnen ſie, ſo ſind ſie darum nicht gluͤckſeliger, denn ſie muͤſſen ihrem Gegner wieder Revenge ge - ben, und ſtehen alſo ſtets in Gefahr, daß ſie ihm dasjenige, ſo ſie ihm heute abgewonnen, morgen wieder geben muͤſſen, und noch dazu mit einem Zu - ſatz ihres eigenen Geldes, ſo ſie jetzo haben. Des andern Unheyls, ſo vor Seele und Leib, vor Guth und Ehre aus dem Spielen ſehr oͤffters zu entſprin - gen pflegt, zu geſchweigen.
§. 2. Nachdem nun nicht ſelten mancherley un - vernuͤnfftiges und ſchaͤndliches Weſen ſich mit dem Spielen vereiniget, ſo ſtehen auch viele Moraliſten in den Gedancken, das Spielen waͤre keine Sache, die einem klugen Menſchen anſtaͤndig. Der Au - tor der Pflicht und Schuldigkeit, welche man in ſei -nem405Vom Spielen. nem Hauß-Weſen in Acht zu nehmen hat, ſchreibt p. 227: Kluge Leute ſind ſelten dem Spiel ergeben, denn ſie finden ſchon bey ſich ſelbſt ſo viel, daß ſie ſich erluſtigen, und des Verdruſſes entſchlagen koͤnnen. Es ſind nur alberne Leute, ſo in ihrem Gemuͤthe ſtets leer, und in der Converſation ungeſchickt ſind, oder Muͤßiggaͤnger, ſo die Arbeit fliehen, die ihre Zeit mit dem Spielen zu vertreiben ſuchen. Das groͤßte Ungluͤck, welches ſie doch nicht einmahl verſtehen, iſt, daß ſie glauben, ſie haben ihre Zeit wohl angewandt, wenn ſie Tag und Nacht mit Spielen zugebracht haben.
§. 3. Doch die Moraliſten moͤgen ſagen, was ſie wollen, die Welt bleibt bey ihrer Weiſe, und er - theilt den Spielern und Spielerinnen mehr Hoch - achtung als ſie verdienen. Was der Frantzoͤſi - ſche Autor der Perſianiſchen Briefe in dem XLIV. Schreiben ſeinem guten Freund meldet, trifft wohl ziemlich ein: Le jeu eſt très en uſage en Europe, c’eſt un etat d’etre joneur, ce ſeul titre tient lieu de naiſſance, de bien de probitè, il met tout hom - me, qui le porte, au rang des honnetes gens ſans examen, quoy quil n’y ait perſonne, qui ne ſcache, qu’en jugeant ainſi, il s’eſt trompé trés ſouvent, mais on eſt convenu d’etre incor - rigible. Ein großer Theil weltgeſinnter Leute ſte - het in den Gedancken, ein jnnger Menſch koͤnte un - moͤglich in der Welt fortkommen, und ſein Gluͤck machen, wenn er nicht die Spiele verſtuͤnde. Doch dieſes iſt wohl ein ſehr irriger Wahn; Meines Er -C c 3achtens406II. Theil. VIII. Capitul. achtens waͤren ihrer viele mit groͤßrer Ehre und Vergnuͤgung durch die Welt gekommen, wenn ſie ihr Lebtage kein Spiel gelernt haͤtten. Es koͤnte mancher, der jetzund einen irrenden Ritter abgeben muß, noch in ſeinem vaͤterlichen Graͤntzen ſitzen, wenn ihm nicht das Spielen ruinirt, und zu einer ſolchen Wurſt-Reuterey gebracht haͤtte. Ein an - derer der krumm und lahm gehauen, und faſt nichts mehr halten kan, haͤtte noch geſunde Gliedmaßen, wenn er nicht die Charten-Blaͤtter ſo offt in der Hand gehalten haͤtte; noch ein anderer beſaͤße ein anſehnliches Ehren Amt, wenn er nicht durch ſein Bezeugen zu der uͤblen Nachrede Anlaß gegeben haͤtte, daß er nemlich ein Spieler waͤre. Hat ein junger Menſch mehr Einkuͤnffte / als er zu ſeinen Standes-maͤßigen Ausgaben benoͤthiget, und be - ſitzt dabey mittelmaͤßige Qualitæten, ſo iſt er um ſei - nes Geldes willen allenthalben wohl angeſehen, und in allen Geſellſchafften gelidten, er mag ſpielen oder nicht. Vor ſeine Umſtaͤnde iſt das Spielen ein hoͤchſt gefaͤhrlich Metier, denn die Spieler von Profeſſion werden ihn aufſuchen, wo ſie wiſſen und koͤnnen, um ihn zu ihrem Vortheil in ihr Garn zu ruͤcken. Hat er aber nicht viel in Vermoͤgen, ſo iſt es vollends ein Thor, daß er ſeine Zeit und ſein Geld nicht beſſer anwenden, und ſich auf etwas gruͤndlichers legen will.
§. 4. Andere ſagen, ein guter Hof-Mann muͤſte nothwendig die Spiele verſtehen; ich halte aber davor, daß hiebey ein Unterſcheid zu machen unterdenen,407Vom Spielen. denen, die ſtets um die Herrſchafft ſeyn, ihnen keine andere Dienſte thun, als daß ſie ihnen perſoͤhnliche Aufwartung leiſten, und den Fremden bey Hofe die Zeit vertreiben muͤſſen, und unter denen Cavalieren, oder andern, die in gewiſſen Collegiis arbeiten, oder zu andern reellern Verrichtungen angenommen, und nur dann und wann den Hof beſuchen duͤrffen. Bey jenen iſt die Erkaͤnntniß und Ausuͤbung gewiſ - ſer Spiele eine unvermeidliche Sache, bey dieſen aber nicht, wenn ſie ſich in dem, was ihnen aufgetra - gen wird, treu und fleißig erweiſen, in ihrem aͤußer - lichen Handlungen manierlich und poli, gegen die Fremden hoͤflich, gegen jederman gefaͤllig, in ihrer Kleidung und Equipage propre, und in ihrer uͤbrigen Auffuͤhrung geſchickt ſind, ſo werden ſie vor gute Hof-Leute paſſiren, ob ſie ſich bey Hofe in die Spiele einlaſſen, oder nicht.
§. 5. Ob nun ſchon das Spielen keine ſolche Qualitæt iſt, die einem jungen Menſchen unent - behrlich, und meiſtentheils mit mancherley unver - nuͤnfftigen und ſuͤndlichen Weſen verknuͤpfft, ſo pflichte ich doch denjenigen bey, die einem jungen Cavalier die Erkaͤnntniß und Ausuͤbung einige Spiele, wenn ſie nach der Vernunfft und denen Regeln des goͤttlichen Rechts eingerichtet, theils erlauben, theils auch wohl, nach dem Endzweck und der Lebens-Art, die er ſich zu erwehlen gedencket, des Wohlſtandes wegen anrathen. Herr Wolf Bernhard von Tzſchirnau ſchreibt in ſeinem Unter - richt zum getreuen Hofmeiſter: Ein HofmeiſterC c 4muß408II. Theil. VIII. Capitul. muß ſeine Cavalier dahin zu diſponiren ſuchen, daß ſie aus den Spielen kein Handwerck machen, ſondern nur manchmahl zum Zeitvertreib, und in oͤffentlichen Geſellſchafften vornehmer Leute um ein maͤßig Geld ſolche Spiele ſpielen, welche ſie wohl verſtehen, das Judicium ſchaͤrffen, und nicht verbothen ſind, als a l’hombre, un Picquet, Toca - dille, Grand Trictrac, aux Dames, Verkehren, Schacht, Billard, ꝛc. der Herr Hofrath Nemeitz iſt mit ihm gleicher Gedancken. Jn ſeinem Sejour de Paris p. 168. ſpricht er: Jn gewiſſen Stuͤcken wolt ich einem wol rathen, daß er einige Spiele ver - ſtehen lernte, als im Brete das Tocadille, und in der Charte das Picquet, inſonderheit aber das a l’hombre. Dieſes Spiel iſt nunmehr faſt uͤberall introducirt, und man wird gar ſelten einen Ort antreffen, da man es nicht ſpielt. Komm ich in ei - ne Compagnie, ſo werde ich vielleicht das erſte mahl mit der Frage verſchont werden, ob der Herr ſpielen koͤnne, das andere mahl aber kommt man einem ſchon au bord, und erkundiget ſich ſei - ner Progreſſen im Spiel, und dafern einer alsdenn ſeine Unwiſſenheit vorſchuͤtzt, ſo kan er nur ſicher glauben, daß man ihm das drittemahl ſchon einen Reverence weniger machen werde.
§. 6. Es iſt nicht rathſam, in oͤffentlichen Caffe - und Wein-Haͤuſern zu ſpielen / an dieſen Orten kommen gar oͤffters Betruͤger und Spitzbuben zu - ſammen, und wenn auch andere von hoͤhern Ran - ge, als von Officiern u. ſ. w. hinkommen, ſo ſind esdoch409Vom Spielen. doch gar ſelten ſolche vom hoͤchſten Range, oder doch nichts als Spieler von Profeſſion, Kaufleute oder doch junge Leute.
§. 7. Man ſpiele keine jeux de hazard, derglei - chen ſind le Baſſette, le Lansquenet, Pharo Bre - land, la Dupe Itorque, und wie ſie alle Nahmen haben moͤgen. Alle dieſe Spiele ſind nur vor die - jenigen, die nichts anders zu thun haben, die reich ſind, oder die Profeſſion vom Spiel machen. Jeux de hazard ſind ſehr alterant; kommt man erſtlich hinein, ſo kan mans hernach ſchwerlich wieder laſſen.
§. 8. Man ſpiele mit denen die man einiger maſ - ſen kennet, es iſt gefaͤhrlich ſich mit Leuten in Spiel einzulaſſen, die man vorher nicht geſehen, man weiß ihre Manieren nicht, und gemeiniglich muß man Lehr-Geld geben, inſonderheit, wenn ſie die Finger mit den Charten geſchwinde zu regieren wiſſen. Zuweilen verſtehen ſolche das Spiel auch beſſer, und da laͤufft man ordinairement riſque zu verlie - ren. Man ſuche ſich dannenhero in der Geſell - ſchafft, die man frequentirt, einige aus, die einem anſtehen, und mit welchen man Bekandtſchafft zu machen willens iſt. Man nehme diejenigen, die mit einem gleich ſtarck im Spiel ſind, die das Spiel ein wenig beſſer verſtehen, und da hat man die Hoffnung, das, was man heut verlohren, morgen oder uͤbermorgen wieder zu gewinnen.
§. 9. Man laſſe ſich ja in kein Spiel ein, das man nicht verſtehet, und davon man die RegelnC c 5nicht410II. Theil. VIII. Capitul. nicht gruͤndlich innen hat, man verſpielt ohne Noth ſein Geld, welches man ſonſt in dem Beutel haͤtte behalten koͤnnen, man wird noch dazu ausgelacht, daß man ſo einfaͤltig iſt, und ſich einer Sache un - terziehet, davon man keine Erkaͤntniß beſitzt; man verdirbet dabey, als wie es ſonderlich bey dem a l’hombre zu geſchehen pflegt, andern Leuten ihre Spiele, und erweckt ſich Verdruß und Feindſchafft. Es iſt eine ſeltzame Sache, wenn einige junge Ca - valiers oder auch Dames vom Lande, u. ſ. w. in den Gedancken ſtehen, ſie muͤſten nothwendig mitſpie - len, da ſie einige in den oͤffentlichen Geſellſchafften zu einem Spiel einladen, ob ſie gleich uͤber die maſ - ſen uͤbel ſpielten, es iſt ja weit manierlicher, wenn ſie ſich gantz und gar nicht in die Spiele einlaſſen, als wenn ſie ſpielen wollen, und verſtehen doch die Art des Spieles nicht.
§. 10. Bringen es bißweilen die Umſtaͤnde ſo mit ſich, daß man auf Befehl der Hoͤhern, um ſich in ihrer Gnade zu erhalten, oder ihnen die Zeit mit vertreiben zu helffen, ſpielen ſoll, und man kan ſich auf keinerley Weiſe durch einige Entſchuldigung davon loßmachen, ſo bekenne man aufrichtig, daß man ein unwiſſender und ungeſchickter Spieler ſey; So kan uns hernach nichts weiter beygemeſſen wer - den, als daß wir keine Erkaͤnntniß im Spielen er - langt.
§. 11. Man biethe ſich nicht von ſelbſt an, ſon - dern warte biß es einem proponirt werde, alsdenn uͤberlege man bey ſich, ob es der Wohlſtand leide,daß411Vom Spielen. daß man die Partie ausſchlage, wenn man nehmlich die Spiele verſteht. Sind andere in der Compa - gnie, die ebenfalls das a L’hombre oder andere Spiele verſtehen, und man hat keine Luſt zu ſpielen, ſo kan man ſchon einige plauſible Raiſons vorbrin - gen, die einen entſchuldigen, z. E. man habe keine Zeit dißfalls lange Zeit von der Geſellſchafft zu profitiren, man habe ſich um die Zeit an einem an - dern Ort bereits verſprochen, man ſey jetzund nicht aufgeraͤumet, ꝛc. S. Nemritz Sejour de Paris p. 167. und 168. Dieſe Entſchuldigungen gehen an, wenn man die Compagnie ſchon ein wenig kennet, und man etliche mahl da geweſen.
§. 12. Es thut einer am beſten, wer ſich nur auf einige Spiele leget, und ſich befleißiget, dieſelben aus dem Grunde zu erlernen; So hat man nicht noͤthig, mit Erlernung mancherley Spiele, ſo viel Zeit zu verderben, die man bey andern Sachen weit nuͤtzlicher anlegen kan, man findet Gelegenheit auf Befehl der Hoͤhern, an dem uns etwas gelegen, zu mancher Zeit eine gewiſſe Art des Wohlſtandes auszuuͤben, die von ihnen nothwendig will angeſe - hen werden, man ſtehet nicht in Gefahr in das Ge - lacke hinein ſo viel Geld zu verlieren, und iſt in dem Stande bey einigen wenigen Spielen ſeine Ge - ſchicklichkeit ſo wohl zu erweiſen, als bey vielen.
§. 13. Wer an Hoͤfen oder ſonſt in oͤffentlichen Geſellſchafften ſpielet, muß die Gedancken auf das Spiel gerichtet haben, und alle Aufmerckſamkeit, die hiebey noͤthig, erweiſen; es obſerviren ihnnicht412II. Theil. VIII. Capitul. nicht allein diejenigen, mit denen er ſpielet, ſondern auch eine große Anzahl Herumlaͤuffer, die von ei - nem Spiel-Tiſche zu dem andern lauffen, und alle Geberden, Worte und Orte zu ſpielen, bißweilen auf das ſchaͤrffſte beurtheilen. Es muß einer, der ſich nicht zum Gelaͤchter machen will, auf alle Klei - nigkeiten Acht haben, er muß die Charte recht mi - ſchen, und kein Blat unter den Tiſch fallen laſſen, ge - hoͤrig coupiren laſſen, die Charten-Blaͤtter recht austheilen, keinem zu viel noch zu wenig geben, er muß nicht vergeſſen, die Béten zuzuſetzen, und alles dasjenige, was die Regeln des Spieles erfordern, ohn Erinnern beobachten.
§. 14. Jſt man nicht en humeur zu ſpielen, ſo beſuche man ja nicht die Geſellſchafften der Hoͤhern und vornehmern Leute, denn wenn uns der Hoͤhere befiehlet, daß wir ſpielen ſollen, und wir entſchuldi - gen uns nach Art einiger unwiſſenden jungen Leute bloß damit, daß wir heute zum Spielen gantz und gar nicht aufgelegt, und dazu diſponirt waͤren, ſo wuͤrden wir gar ſehr wieder die Regeln des Wohl - ſtandes handeln. Dieſe Erklaͤrung gehet wohl an, wenn man unter ſeines gleichen iſt, wenn man ſie aber bey den Hoͤhern vorbringen will, laͤſſet ſie ſehr unglimpflich.
§. 15. Wider den Wohlſtand iſt, wenn ſich ein junger Cavalier in ſolche Spiele einlaͤſt, die nur dem Poͤbel-Volck und dem Lumpen-Geſindlein anſtaͤndig, als wenn er z. E. auf oͤffentlichen Maͤrck - ten bey den Gluͤcksbuͤdnern und Riemſchneidernſein413Vom Spielen. ſein Gluͤck probiren, oder ſonſt ſich mit den Wuͤrf - feln, Doppeln und andern dergleichen Spielen ver - mengen wolte. Jngleichen gereicht es ihm zur ſchlechten Recommendation, wenn er ſolche zu Spiel-Cameraden erwehlen wolte, von denen er keine groſſe Ehre hat, als Pagen, Cammer-Diener u. ſ. w. Ob er auch gleich bißweilen der Freund - ſchafft ſolcher Leute benoͤthiget, ſo iſt es doch nicht eben noͤthig, daß ſie durch Spielen fortgeſetzt wer - de, ſondern es iſt gnug, wenn er ſich ſonſt hoͤflich und freundlich gegen ſie erweiſet, und ihnen zu Zei - ten, wenn er ſattſamen Grund dazu hat, ein Ge - ſchenck zuwirfft. Dieſes wird das kraͤfftigſte Mit - tel ſeyn ſich in ihrer Gunſt zu erhalten. Er hat mehr Ehre davon, wenn er ſich bemuͤhet mit Hoͤ - hern in die Spiel-Geſellſchafften einzulaſſen, er kan von ihnen einen und andern reellen Dienſtes ge - waͤrtig ſeyn, dazu er ſich durch ein Spiel den Weg gebahnt, und der Verluſt den er etwan bey dem Spiel erlitten, kan von ihnen auf eine andre Art ihm reichlich wieder erſetzt werden.
§. 16. Einige junge Leute ſind in dem Einladen zum Spiel allzu verwegen ſie ſcheuen ſich bißweilen nicht in einer oͤffentlichen Geſellſchafft die vornehm - ſten Dames, ob ſie ſchon dieſelben zum erſtenmahl ſehen, zu einem a l’hombre oder andern Spiel auf - zufordern. Zu Zeiten finden ſie Entſchuldigungen, wenn es entweder die Soͤhne oder Anverwandten groſſer Miniſtres, oder bey dieſer oder jener Perſon in beſondern Gnaden ſtehen, oder ſich ſonſt durchihre414II. Theil. VIII. Capitul. ihre gute Auffuͤhrung beliebt gemacht, oder ſie ſich an eine addreſſiren, die eine groſſe Liebhaberin des Spieles; uͤberhaupt aber iſt es den Regeln der Hoͤflichkeit zuwider, wenn der Geringere den Hoͤ - hern aufrufft.
§. 17. Man muß auch niemahls einen andern zum Spiel noͤthigen, wenn uns an der Freund - ſchafft des andern etwas gelegen, und wir ſind nicht vorher gewiß verſichert, daß der andere ein Liebha - ber von Spielen ſey; ſonſt duͤrfften wir manchem durch dergleichen Einladung keinen gar zu groſſen Gefallen erzeigen.
§. 18. An einigen Hoͤfen oder auf einigen groſ - ſen Geſellſchafften ſind die Spiel-Zimmer ebenfalls nach dem Range unterſchieden, in dem einen Zim - mer ſitzen etwan die Fuͤrſtlichen Perſonen oder die groͤſten Miniſtres und vornehmſten Dames, in dem andern die von geringern Range u. ſ. w. Dieſes iſt aber nicht allenthalben, ſondern anderwerts kom - men ſie alle zuſammen péle méle ohne Unterſcheid an einem Orte. Damit nun ein junger Menſch ſich hierinnen nicht uͤbereile, ſondern auch in dieſem Stuͤck die Regeln des Wohlſtandes in Obacht nehme, muß er beurtheilen wie er ſich dißfalls zu verhalten habe.
§. 19. Jn Menantes allerneuſten Art, hoͤflich und galant zu reden und zu leben, und in andern der - gleichen Schrifften, findet man eine groſſe Menge von Complimens, die man im Spielen vorbringen, oder womit man ſonderlich diejenigen, mit denenman415Vom Spielen. man die Ehre gehabt zu ſpielen, bey dem Anfang und Schluß des Spiels beehren ſoll. Doch dieſe Ceremonien gelten groͤſtentheils heutiges Tages bey der groſſen Welt wenig oder gar nichts. Wird man von einem vornehmen Frauenzimmer oder einer andern vornehmen Perſon zum Spiel aufge - ruffen, und man ſagt darauf, daß man zu Befehl ſeyn wolle, oder daß es einem nach dem Unterſcheid der Perſonen die einen dazu invitiren, eine Gnade, Gluͤck oder Ehre ſeyn wuͤrde, ſo iſt es ſchon gut. Bey Endigung des Spieles ſagt man entweder gar nichts, ſondern man quittirt den Spiel-Tiſch und die Perſon mit der man geſpielet, mit einem bloßen Reverence, oder man ſpricht nur, daß man ſich erfreue, daß man die Gnade, das Gluͤck und die Ehre gehabt, ihnen bey dieſem Spiel aufgewartet zu haben.
§. 20. Auf den Caffé-Haͤuſern, und an einigen andern oͤffentlichen Oertern, wo nur lauter gewinn - ſuͤchtige Spieler zuſammen kommen, nimmt man bey einigen ungezogenen Leuten, bey dem Verluſt, den ſie im Spiele erfahren, mancherley heßliche Ge - berden wahr. Einige fluchen und ſchweren, wie die gemeinſten aus dem Poͤbel; andere ſchreyen bey einem ungluͤcklichen Coup, den ſie thun, uͤber laut, oder knirſchen mit den Zaͤhnen zuſammen, ſtampf - fen mit den Fuͤſſen, wie die Pferde; noch andere beiſſen in die Charte, oder zureiſſen die Blaͤtter. Wo man aber an den Hoͤfen, oder in vornehmen Geſellſchafften, mit dergleichen Ungeberden aufge -zogen416II. Theil. VIII. Capitul. zogen kommen wolte, wuͤrde man ſich uͤber die maſ - ſen beſchimpffen, und bey der gantzen Geſellſchafft laͤcherlich machen.
§. 21. Solte ſich aber einer oder der andere un - geberdig auffuͤhren, ſo ſpiele man nichts deſto weni - ger geruhig fort, mit Modeſtie und Gelaſſenheit, ohne ein Wort zu reden, es koͤnte mancher, der eine Entſchuldigung gleichſam gebrauchen wolte, daß ihm des andern ſchlechtes Gluͤck im Spielen leid waͤre, in der Hitze von dem andern eine ſolche Ant - wort bekommen, die ihm gewiß gar unangenehm fallen duͤrffte. Solte uns aber die Ubereilung ei - nes Vornehmen nachtheilig fallen, wenn er etwan die Charte vielmahls auf den Tiſch wirfft, oder der - gleichen, und man erachtet ſich nicht verbunden, aus beſonderer Conſideration, das Spiel weiter fort - zuſetzen, ſo hat man die Freyheit, das Spiel auf - zugeben, und ihm ein Compliment zu machen. S. Menantes hoͤfliche Manier zu reden und zu le - ben. p. 124.
§. 22. Spielet man mit Hoͤhern, denen man Ehrerbietung ſchuldig, es ſey in der Charte, im Brete, oder im Schachtſpiel, wo Nachſinnen er - fordert wird, ſo muß man nicht dabey viel plaudern oder raiſoniren; es iſt faſt wider den Wohlſtand, wenn man es in dergleichen Spielen bey ſeines glei - chen thut, geſchweige denn bey Hoͤhern. Solten ſie es aber vertragen koͤnnen, oder vorher ſelbſt An - laß dazu geben, ſo iſt es eine andere Sache. Der Beſehl und der Wille des Hoͤhern veraͤndert alle -zeit417Vom Spielen. zeit die Regel der Ceremoniel-Wiſſenſchafft. Es iſt nicht weniger in der Spiel-Geſellſchafft bey ſei - nes gleichen unanſtaͤndig, wenn man ſich verlauten laͤſt, man merckte es ſchon, worauf der andere zielte, man wolte ihm ſchon begegnen, jetzund haͤtte man auch ein beſonder Deſſein vor, u. ſ. w. Hat man einen gluͤcklichen Coup, oder eine beſondere Tour gemacht, ſo muß man keine Freude daruͤber bezei - gen, ſondern bey allem, was man gethan, oder noch zu thun willens, ſittſame Geberden behalten.
§. 23. Es iſt eine unangenehme und uͤbel - an - ſtaͤndige Sache, wenn einige in vornehmen Geſell - ſchafften ihre Charte andern zeigen, oder mit dem Zuſchauer daruͤber raiſoniren, und ſein Gutachten vernehmen wollen; thun ſie es vollends gegen Pa - gen oder Laqueyen, wie es wohl bißweilen zu ge - ſchehen pflegt, ſo iſt es noch ſchaͤndlicher. Hieher gehoͤrt auch, wenn einige uͤbelgeſittete Leute dem an - dern in die Charte ſehen, oder die vom andern weg - gelegte Blaͤtter betrachten, es muͤſte denn bey eini - gen Faͤllen ſeyn, da ſolches erlaubt waͤre.
§. 24. Laß dir auf keinerley Weiſe mercken, daß du um des Gewinnes willen ſpielen wilſt, noch weniger bediene dich einiger von betruͤglichen Leuten eingefuͤhrten Practiquen, dadurch ſie ihren boͤſen Endzweck zu erreichen vermeynen. Ein eintziger ſolcher Coup, der den Regeln der Erbarkeit zuwi - der waͤre, koͤnte deiner gantzen Renommée einen ſehr empfindlichen Stoß geben.
§. 25. Enthalte dich der groſſen Spiele, ſo vielD dals418II. Theil. VIII. Capitul. als moͤglich, ſpiele nicht deßwegen, daß du dich reich ſpielen wilſt. Biſt du gluͤcklich, daß du nichts, oder etwan nur ein weniges verliereſt, ſo biß zufrieden. S. Nemeitz Sejour de Paris p. 169. So ſchreibet auch Monſieur de Chevergny p. 374. Il y a auſſi quelques jeux accoutumes, comme les Cochets les Dames, le Trictrac & les cartes; mais il ſe faut donner de garde, de joüer jamais grand jeu, car il ſe fait plutot par avarice, que par plaiſir, & ces jeux ont ſouvent eté cauſe des ruines des mai - ſons, & des eſprits de ceux, qui s’y mettent trop avant; & ſouvenés vous toujours en jouant, que vous ne vous accoutumiés jamais à tromper, car encore que ce ſoit par jeu & riſee au com - mencement, ſi eſt ce qu’on s’y laiſſe aller par coucume, qui eſt choſes malhonéte, & qui donne mauvaiſe opinion de celui qui le fait, & qui engendre auſſi bien ſouvent des querelles, qu’il faut deméles avec la vie.
§. 26. So huͤte man ſich auch uͤberhaupt bey allen Spielen vor dem Steigen des Spieles, und vor dem Pariren, denn hierinnen zeigen ſich die Spieler von Profeſſion am allerliſtigſten zu ſeyn. Sie fangen ein klein Spiel an, und ſteigern die Beten, oder pariren ſo lange, biß ein groß Spiel daraus, und viel Geld dadurch an ſie verlohren wird. Alſo ſoll einer auf die Art zu Braunſchweig im a l’hombre, zu 4 Groſchen, auf einmahl 4000 Thaler, und ein anderer in Paris im Kauff-Laden a 1. Sol 5000 Thaler verlohren haben. S. WolffBern -419Vom Spielen. Bernhards von Tzſchirnau, Unterricht eines ge - treuen Hofmeiſters. p. 147.
§. 27. Man ſpiele allezeit ein gleich Spiel. Jch will ſo viel ſagen: Man ſpiele heute nicht ein groß Spiel, und morgen ein kleiners. Man kan in je - nem auf einmahl ſo viel verlieren, als man in dieſem auf zehenmahl, wenn man auch gleich allezeit gluͤck - lich ſeyn ſolte, nicht wieder gewinnet. Spielet man aber allemahl ein Spiel von gleichem Werth, ſo ge - winnet man zuweilen das einmahl wieder, was man das andere mahl verlohren; und wenn man das Jahr uͤber ſeine Rechnung des Gewinnes und Ver - luſts unterſucht, ſo wird man befinden, daß der Ver - luſt, dafern man nicht gar zu ungluͤcklich geſpielt, ſo gar groß nicht geweſen. S. Nemeitz Sejour de Paris. p. 170.
§. 28. Doch leiden dieſe Regeln ihren Abfall, wenn man ſichs bey manchen Umſtaͤnden gefallen laͤſt, ſich mit denen, die um einen mercklichen Grad hoͤher ſind, in ein Spiel einzulaſſen; Dieſen muß man nicht vorſchreiben, ſo hoch wollen wir ſpielen, ſondern man muß aus Ehrerbietung gegen ſie, die von ihnen beſtimmte Summe gelten laſſen. Sol - te man hierdurch allzu ungluͤcklich werden, ſo muß man ſolchen Gelegenheiten lieber aus dem Wege gehen, oder ſich wegen ſeines Unvermoͤgens oder Unwiſſenheit im Spielen bey ihnen entſchuldigen. Jn wie weit man aber bey ſeines gleichen oder bey den Dames in dieſem Stuͤck die Gefaͤlligkeit auszu -D d 2uͤben420II. Theil. VIII. Capitul. uͤben habe, lehret das eigne Nachſinnen bey beſon - dern Faͤllen.
§. 29. Entſchliuͤße dich bey einer unvermeidli - chen Gelegenheit zum Spiele, allzeit zum Verluſt, und opffere eine gewiſſe Summe, die du der Ver - muthung nach, verlieren koͤnteſt, und welche du, oh - ne daß du auf eine allzu empfindliche Weiſe an dei - ner Gluͤckſeeligkeit und Vollkommenheit beein - traͤchtiget werden ſolteſt, entbehren kanſt, dem Gluͤck oder Ungluͤck auf.
§. 30. Befindeſt du dich deiner Lebens-Art nach in ſolchen Umſtaͤnden, daß du dich den Hoͤhern zu Gefallen gar oͤffters in das Spiel einlaſſen muſt, ſo mache dir eine eigene Spiel-Caſſe, das iſt, widme des Jahres ſo viel Geld zum Verſpielen, als du oh - ne Abbruch deiner nothwendigen Ausgaben entbeh - ren kanſt. Du haſt genug gewonnen, wenn du den Wohlſtand hierbey beobachteſt, und dich hie - durch in der Gnade derer erhaͤlteſt, die dir den Ver - luſt mit einem andern Stuͤck der zeitlichen Gluͤck - ſeeligkeit wieder erſetzen koͤnnen. Gewinneſt du, ſo lege dieſes Geld auch in eben dieſe Caſſe, und merck dirs auf. Jſt das Jahr um, ſo halt Abrech - nung mit deiner Spiel-Caſſe. Haſt du alle dein Geld, ſo du dir zu Anfang des Jahres darzu gewid - met, verlohren, ſo biſt du nicht ungluͤckſeeliger, denn du biſt nur einen Theil deines uͤberfluͤßigen verluſtig worden. Haſt du die gantze Summe oder doch einen Theil dieſes der Spiel-Caſſe gewiedmeten Theiles gewonnen, ſo biſt du zu Ende des Jahresnoch421Vom Spielen. noch gluͤcklicher, als du zu Anfang deſſelben wareſt. Wiedme dieſes Geld der Spiel-Caſſe des kuͤnffti - gen Jahres, ſo kanſt du von deinem eigenen Gelde deſto mehr zuruͤck behalten. Haſt du aber noch uͤber die Summe gewonnen, ſo biſt du noch gluͤckli - cher, theil dieſes Geld nachgehends in zwey Theile, einen Theil deines Gewinnes verehre dem Armuth, und den andern wiedme denjenigen, an die du in den kuͤnfftigen Zeiten wirſt verlieren koͤnnen.
§. 31. Verſtehet man ein Spiel, ſo ſpiel man ſo accurat, und ſo ſcharff, als man kan, wenn man auch ſchon mit Dames, oder mit hoͤhern Perſonen, ſpielen ſolte, theils daß es nicht das Anſehen einer Prahlerey gewinne, woruͤber man billich lachen wuͤrde, als auch dieſer Perſon die Gedancken zu be - nehmen, wie man ihren Zeitvertreib nicht mit ſatt - ſamer Sorgfalt und genugſamen Fleiß zu befoͤr - dern ſuche. S. La Civilité moderne. p. 219. Einige junge Leute ſtehen in denen Gedancken, es gehoͤrte zur Klugheit zu leben, daß ſie hoͤhere Perſo - nen muͤſten gewinnen laſſen. Doch ſie verdienen hierbey keinen Danck und keinen Ruhm.
§. 32. Bey manchen Faͤllen ereignet ſich wohl bißweilen eine Ausnahme, wenn man etwan vorher weiß, daß man der hoͤhern Perſon bey dem Ver - luſt ein Vergnuͤgen erwecken werde, und daß wir uns durch dieſen Verluſt einen weit hoͤhern Grad der Gluͤckſeeligkeit moͤchten zu Wege bringen, denn bey der verlohrnen Summe ungluͤcklich werden. Alſo erzehlet Calliéres in ſeinem StaatserfahrnenD d 3Abge -422II. Theil. VIII. Capitul. Abgeſandten, p. 183. daß er einen gewiſſen beruͤhm - ten und geſchickten Abgeſandten gekandt, der oͤff - ters, da er mit einem gewiſſen großen Potentaten geſpielt, mit Fleiß verlohren, um ſelbigen etwas lu - ſtig und vergnuͤgt zu machen. Wie ihm nun die - ſes ſtets nach Wunſch ergangen, ſo haͤtte er da - durch die beſten Audienzien bekommen, wegen der Sache, die er mit ihm zu tractiren gehabt, und der mittelmaͤßige Verluſt, den er im Spielen erlitten, waͤre bey weiten nicht mit dem großen Nutzen zu vergleichen geweſen, der ihm daraus zugewachſen, daß er es dahin gebracht, ihm zu gefallen.
§. 33. Hieher gehoͤrt auch, wenn man die Ehre hat, mit einer hoͤhern Perſon ein Spiel zu ſpielen, das von Nachſinnen dependirt, und man iſt ihr an Geſchicklichkeit uͤberlegen, ſie aber ſich piquirt, daß ſie das Spiel aus dem Grunde verſtehe. So bald man gewahr wird, daß ſie einige ungluͤckliche oder vielmehr unvernuͤnfftige Zuͤge gethan, und ſie daruͤber hitzig und empfindlich wird, ſo muß man ihr die Ehre laſſen, das Spiel zu gewinnen, ob es ſchon in unſern Haͤnden ſtuͤnde.
§. 34. Bey den Hoͤhern muß man ſich auch im Spielen in allen Stuͤcken hoͤflich und gefaͤllig er - weiſen, man muß ſie nicht corrigiren und hof - meiſtern, dafern ſie nur die gewoͤhnliche Regeln des Spieles beobachten, und wenn ſie auch in ei - nem und andern abgehen ſolten, muß man doch die Erinnerungen mit der groͤſten Submiſſion ein - richten / man muß alles dasjenige, was ihnen nachihrem423Vom Spielen. ihrem Eigenſinn unangenehm iſt, vermeyden, ob es gleich ſonſt bey der Ausuͤbung des Spieles un - ter andern Perſonen gewoͤhnlich, wenn nur das Weſen des Spieles hierdurch nicht verruͤcket wird. Man muß durch ihr widriges Bezeugen, von der Hoͤflichkeit u. Freundlichkeit nicht abgehen, ſondern von der Klugheit ſeyn, alles geneigt aufzunehmen, und weder von dem Reſpect noch der Beruhigung ſeines Gemuͤths weichen. Hat die hoͤhere Perſon vergeſſen zu bezahlen oder zuzuſetzen, ſo muß man ſich keiner Befehls-Worte gebrauchen, ſondern hoͤflicher und gelinder Redens-Arten. Verliert ſie, ſo muß man das Spiel nicht quittiren, dafern ſie eine Begierde laͤnger zu ſpielen, und eine Hof - nung zum gewinnen blicken laͤſt. Stehen wir zugleich mit ihr in einer Parthie, ſo muß man wie - der ſeine Mitſpieler durchaus nicht ſagen, wir ha - ben gewonnen, ſondern wir muͤſſen nur der hoͤhern Perſon Erwehnung thun, und von uns nichts ſa - gen.
§. 35. Ob es nun zwar, wie ich in dem vorher - gehenden angefuͤhrt, die Hoͤflichkeit und der Wohl - ſtand im geringſten nicht erfodert, daß wir andern Leuten zu Gefallen unſer Geld verlieren, ſo ſolten doch diejenigen, denen entweder das Gluͤck beſtaͤn - dig guͤnſtig, oder die durch ihre Geſchicklichkeit und Nachſinnen allezeit gewinnen, der Klugheit nach ihres Gluͤckes ſich bißweilen mit Fleiß ein wenig begeben, und einem andern den Sieg laſſen. Sonſt erwecken ſie ſich nicht allein bey denen an -D d 4dern424II. Theil. VIII. Capitul. dern Haß und Neid, und geben Gelegenheit zu mancherley unangenehmen Urtheilen, ſondern ſie werden endlich auch faſt gar keine Parthie mehr bekommen, die ſich mit ihm in ein Spiel einlaſſen wird, wie mir ſelbſt dergleichen Exempel bekannt worden.
§. 36. Hat man das Gluͤck gehabt, auſ einmahl eine groſſe Summe zu gewinnen, ſo muß man ſich dem Ceremoniel nach einem andern zur Revenge wieder anbiethen, und ihm Hoffnung geben, daß er entweder gantz und gar zu ſeinem Gelde, oder doch zu einem groſſen Theil davon, wieder gelan - gen koͤnne, ſonſt erweckt man ſich des andern Feind - ſchafft, und bezeuget ſein gewinnſuͤchtig Gemuͤthe.
§. 37. Spielet man mit ſeines gleichen, und man iſt vor dieſesmal ſehr ungluͤcklich, ſo muß man ſich lieber bey Zeiten vom Spiele reteriren, als daß man ſein Gluͤck mit Gewalt, wie ſich einige einbilden, forciren wolte. Hat man einige Zeit nach einander beſtaͤndig verlohren, ſo muß man ſich einige Zeit des Spieles gantz und gar enthalten, damit man nicht die Summe, die man ſich des Jah - res uͤber zum Verluſt gewidmet, uͤberſchreiten moͤ - ge. Man laſſe ſich ja nicht durch anderer Leute Zureden zu demjenigen verleiten, dadurch man ſich eine wahre Ungluͤckſeligkeit uͤber den Hals ziehet; ich habe nicht ſelten gehoͤrt, daß man diejenigen, die man den erſten Tag mit den groͤſten Complimens und den zierlichſten Worten zur Fortſetzung der Spiele verleitet, den andern Tag verſpottet, daß ſieſo425Vom Spielen. ſo einfaͤltig geweſen, und ihr Geld verſpielet. Man thut wohl, wenn man mit den Spielen des Gluͤ - ckes, einige Spiele, die von dem Nachſinnen und der Geſchicklichkeit dependiren, vereiniget, ſo kan man einen Theil von dem, ſo man in jenem verloh - ren, in dieſem wieder erlangen.
§. 38. Man muß accurat ſeyn in Bezahlung deſſen, ſo man an ſeinen Gegen-Parth ſchuldig worden, es mag nun ſolches ein Hoͤherer oder un - ſers gleichen oder ein Geringerer ſeyn, denn ſonſt unterziehet man ſich mancherley ungleichen Urthei - len, und wird vor unwuͤrdig geachtet, mit dem man ſich weiter in ein Spiel einlaſſen ſoll. Hat man ſein Geld an einem Geitzigen verlohren, ſo wird derſelbe hoͤchſt-empfindlich daruͤber werden, wenn er ſeinen Gewinn nicht bald uͤberkommt. Man muß demnach die verlohrne Summe entweder ſo gleich bezahlen, oder doch unerinnert den andern Tag ſeinem Gegen-Parth zuſtellen.
§. 39. Man vergeſſe auch nicht das gewoͤhn - liche Charten-Geld an diejenigen Bedienten, ſo die Charten hergeben muͤſſen, zu entrichten; man koͤnte ſonſt durch eine ſo unzeitige Spahrſamkeit gar ſehr beſchimpffet werden, zumahl an Hoͤfen oder in andern vornehmen Geſellſchafften. Dieſe Leute, bey denen bißweilen dieſes Charten-Geld zu einem Stuͤck ihrer Beſoldung geworden, wuͤr - den einen nachgehends allenthalben theils bey ih - ren Herrſchafften theils bey Frembden ausſchreyen,D d 5und426II. Theil. VIII. Capitul. und uns mancherley widerwaͤrtige Urtheile uͤber den Hals laden.
§. 40. Es iſt wider den Wohlſtand, wenn einige dem andern ungefragt erzehlen, wie ſie ſo gluͤcklich geweſen, und in dem Spiele ſo gar viel gewonnen. Erfaͤhrt es der andere wieder, oder ſeine guten Freunde bekommen Nachricht davon, daß man damit prahlet, und ſich des Gewinnes ruͤhmet, ſo vermehret man des andern Unwillen, und erweckt ſich groͤſſern Haß. Andre die wohl zu leben wiſ - ſen, verdencken es uns, daß wir ihnen Eroͤffnung von einer Sache thun, die ihnen nichts angehet, und ihnen gleichguͤltig ſeyn kan, und bilden ſich ein, der Gewinn muͤſte gewiß gar ſelten an uns kom - men, weil wir ſo groß Werck davon machten, und uns die Muͤhe gaͤben, ſo viel davon zu reden.
§. 41. Man beklage ſich auch nicht, wenn man im Spielen ungluͤcklich geweſen. Der Herr Hof - Rath Nemeitz ſagt in ſeinem Sejour de Paris p. 172. Jſt man deswegen da, daß man dein Seufzen an - hoͤre, oder wilſt du, daß man Part an deinem Un - gluͤck nehme. Der ſich zum Spiel ſetzt, dem muß es gleich viel ſeyn, er gewinne oder verliere. Das Geld das einer dazu anwendet, muß er ſchon halb verlohren geben, und ſo er ja etwas par hazard ge - winnt, muß ers rechnen, als wenns ihm geſchenckt wuͤrde. Die Intention die er hat, allemahl zu ge - winnen, ſchlaͤgt insgemein fehl. Man nehme alles was kommt, mit indifferenten Gemuͤth an.
§. 42. Jch werde dieſes Capitul beſchlieſſen mitder427Vom Spielen. der moraliſchen Anmerckung, die der Autor der Eu - ropæiſchen Fama und deſſen XXV. Theiles p. 25. vortraͤgt: Alle unſere Verrichtungen ſind wie ein Spiel, wem es bey dem Anfang deſſelben nach Wunſch gehet, der mag wohl zuſehen, daß er nicht alles verliert; ja wie es gewiſſe Spiele giebet, da die hoͤhern Blaͤtter von den niedrigen geſtochen werden, ſo darff man ſich ja eben nicht wundern, warum offtermahls die Menſchen, welchen eben nichts ſonderbahres an die Stirne geſchrieben iſt, vielen andern vorgehen, man kan aber doch dabey gewiß verſichert ſeyn, daß ſie nicht ewig als Triumph regieren, ſondern ſich zu rechter Zeit vor dem an - dern auch demuͤthigen werden.
§. 1.
WEnn man die mancherley Abſichten, ſo die Menſchen bey ihren Gaſtgebothen und Banqneten zum Grund legen, oder die unterſchiedenen Bewegungs-Gruͤn - de, die ſie gemeiniglich hierzu antreiben, etwas ei - gentlicher betrachtet, ſo findet man, daß alle Gaſt - mahl entweder aus einer unvermeydlichen Noth -wendi -428II. Theil. IX. Capitul. wendigkeit, oder des Ceremoniels und Wohlſtan - des wegen, oder aus einem theils vernuͤnfftigen, theils unvernuͤnfftigen Eigennutz, oder aus Liebe und Freundſchafft, oder aus Boßheit und Feind - ſchafft angeſtellt werden. Die nothwendigen Gaſtgebothe entſtehen, wenn ſich ſolche Umſtaͤnde ereignen, da man nach dem Erkaͤnntniß aller ver - nuͤnfftigen Leute, zu Beybehaltung ſeiner wahren Ehre, und andern Stuͤcke der zeitlichen Gluͤckſee - ligkeit, gewiſſen Leuten, die entweder zu uns kom - men, oder die wir einladen muͤſſen, einige mehrere Speiſen als wir ſonſt gewoͤhnlich zu genieſſen pfle - gen, vorſetzen muͤſſen, und dasjenige beobachten, welches alle andere vernuͤnfftige Leute, wenn ſie an unſerer Stelle waͤren, wuͤrden beobachtet haben. Exempel von dergleichen Gaſtgebothen ſind, (1.) wenn einige von denen Hoͤhern, an deren Gnade uns viel gelegen, und in deren Haͤnden ein großer Theil unſerer Gluͤckſeeligkeit beruhet, uns entwe - der die Gnade thun, und zuſprechen, oder ſich ſonſt erklaͤhren, daß ſie bey uns ſpeiſen wollen. (2.) Wenn eine im gantzen Lande durchgehende vernuͤnfftige Gewohnheit bey gewiſſen Faͤllen, als bey Hoch - zeiten, Begraͤbniſſen, u. ſ. w. dergleichen eingefuͤhrt. (3.) Wenn man entweder auf Befehl oder doch ſonſt auf eine unvermeydliche Weiſe zu Ehren ſei - ner Herrſchafft dergleichen anſtellt, als große Mini - ſtri, die offene Tafeln halten, oder an fremden Or - ten, an den Nahmens - und Geburths-Taͤgen ih - rer Herrſchafften, u. ſ. w. ſolenne Faſtins ausrich - ten. u. ſ. w.
§. 2.429Vom Tractiren und denen Gaſtereyen.§. 2. Die Ceremoniel-Gaſtereyen ſind, wenn einige aus Nachahmung der Hohern, oder derer, die mit ihnen von gleichen Umſtaͤnden, und durch Antrieb der Mode, die an einem gewiſſen Ort, oder in einer Gegend bey den meiſten oder doch bey vielen eingefuͤhrt, um eines unvermeintlichen Wohlſtan - des willen, gewiſſe Leute an dem Ort, da man ſich auf haͤlt, oder doch in derſelben Nachbarſchafft zu ſich bitten. Dieſe Gaſtgebothe geſchehen aus keiner Nothwendigkeit, denn diejenigen, die ſie an - ſtellen, bleiben eben diejenigen, die ſie vorher ſind, ſie moͤchten dieſe Gaſtereyen halten oder nicht, auch nicht eigentlich aus Eigennutz, ſie verlangen eben keine Wiedervergeltung, auch nicht aus Freund - ſchafft, ſintemahl ſie bißweilen ſolche zu ſich einla - den, vor die ſie im Hertzen ſchlechte Liebe hegen, ſondern mehrentheils deßwegen, daß ſie die Mode ſo mithalten wollen, oder daß ſie dencken, ſie haben große Ehre davon. Manche achten dieſe Staats - und Ceremoniel-Gaſtgebothe vor eine Art eines Frohndienſtes, und ſind froh, wenn ſie dieſelben einmahl uͤberſtanden.
§. 3. Der intereſſirten Gaſtgebothe giebt es mancherley Gattungen, manche Leute tractiren aus Hochmuth und Ehrgeitz, ſie bilden ſich ein, ſie wer - den ſelbſt etwas mehrers, wenn ſie vornehme Leute bey ſich zu Gaſte haben, oder wenn ihnen andre nachſagen, daß es propre in ihrem Hauſe zugehe, und daß ſie fleißig gaſtiren. Andere aus Wolluſt, ſie eſſen und trincken ſelbſt gerne etwas gutes, undalſo430II. Theil. IX. Capitul. alſo bitten ſie diejenigen zu ſich, von denen ſie wiſ - ſen, daß ſie von ihnen wieder werden tractirt wer - den; noch andre aus Vorſatz, einem andern bey einem Glaß Wein und bey der Mahlzeit zu gewiſ - ſen ihnen vortheilhafften Abſichten zu lencken.
§. 4. Die Freundſchaffts-Gaſtgebothe ſind, wenn man diejenigen, deren Liebe und Wohlwol - len man verſichert iſt, zu ſich invitirt, um ihnen nach ſeinem Vermoͤgen Gutes zu thun, aus keinem an - dern Endzweck, als daß man ihnen entweder vor diejenigen Dienſte, die ſie uns ehedem geleiſtet, ſeine Erkentlichkeit erweiſe, oder ihnen ſonſt unſer Wohl - wollen hiedurch an Tage lege. Bey dieſen wird das Ceremoniel-Weſen bey Seite geſetzt, eine liebreiche und anſtaͤndige Freyheit iſt die beſte Cere - monie, und das aufrichtige Freundſchaffts-Hertz des Wirths, das beſte Gerichte der Gaͤſte. Dieſe Gaſtgebothe ſind die angenehmſten, aber in Anſe - hung der unter den Chriſten faſt gantz erloſchenen Liebe des Naͤchſten, gewiß auch die rareſten.
§. 5. Die haͤmiſchen Gaſtereyen ſind, wenn boßhaffte und gottloſe Gemuͤther aus einem boͤſen Vorſatz andere zu ſich bitten, theils daß ſie dieſel - ben zu einen uͤbermaͤßigen Trunck forciren, und hernach an ihren ſeltzamen Bezeugen ihre Freude haben wollen, oder die Einfaͤltigen ſonſt ſchrauben und zum beſten haben theils das ſie unter wider - waͤrtigen Gemuͤthern, die einander nicht wohl leiden koͤnnen, Feindſeligkeiten erregen, und ihnen ſonſtauf431Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. auf mancherley Art und Weiſe Schaden zufuͤgen wollen.
§. 6. Vielmals ſind es vermiſchte Gaſtereyen, deren ſehr viel Claſſen und Arten ſeyn koͤnnen. Wenn einige der Ceremonie und des Wohlſtan - des wegen tractiren, ſo bitten ſie auch einige gute Freunde aus wahrer Freundſchafft mit dazu, andere hingegen vereinigen mit ihren uͤbrigen Gaͤſten einige aus Eigennutz oder aus Boßheit, wie eine alltaͤgli - che und bekandte Erfahrung dieſes alles mehr als zu deutlich offenbahret.
§. 7. Ob man mit gutem Gewiſſen Gaſtereyen ſelbſt anſtellen, oder denenſelben beywohnen koͤnne, iſt wohl eine unnoͤthige Frage, die einige Moraliſten aufwerffen, immaßen ja aus dem heiligen Wort GOttes bekandt, daß unſer liebſter Heyland, der uns bey unſerm Tugend-Wandel zu einem Vor - bild geworden, deſſen Fußſtapffen wir nachfolgen ſollen, denen Gaſtmahlen mit beygewohnet, und bald mit chriſtlichen und gottſeligen Seelen geſpei - ſet, bald mit gottloſen Leuten, mit Phariſaͤern, Zoͤll - nern und Suͤndern, wann er nemlich Gelegenheit geſucht, ſie zu bekehren, und etwas Gutes an dem Heyl ihrer Seelen mitwuͤrcken zu helffen. Viele Glaͤubige, Alten und Neuen Teſtaments, haben ja bald zu dieſer, bald zu einer andern Zeit Gaſtmahle angeſtellet, und das Himmelreich ſelbſt wird mit ei - nem Gaſtgeboth verglichen.
§. 8. Nicht weniger iſt eine andere Frage, die mit dieſer Gemeinſchafft hat, unnuͤtze, ob man nem -lich432II. Theil. IX. Capitul. lich mit gutem Gewiſſen, und des Appetits wegen, etwas Gutes eſſen und trincken duͤrffe? Vor wem hat denn der liebreiche Vater im Himmel in un - ſere Erde ſo mannichfaͤltig Gutes eingelegt? Sollen wir es bloß anſehen, und es hernach verfaulen und verderben laſſen? ſollen es die wilden Thiere, oder das andere Vieh, oder das Ungeziefer auffreſſen? Waͤre dieſes nicht eine Unerkaͤntniß, und zugleich ei - ne Unerkenntlichkeit gegen den guͤtigen Schoͤpffer? Es iſt ja alles Gute, das unſern Geſchmack vergnuͤgt, zu keinem andern Ende erſchaffen, als daß ſo wohl die Frommen als Gottloſen ſchmecken ſollen, wie freundlich der HErr ſey. Die Frommen, damit ſie bißweilen bey denen Widerwaͤrtigkeiten, die ih - nen Satan und die Welt zu erregen pflegt, leibli - cher weiſe erquicket, geſtaͤrcket, und in ihrer Liebe zu GOtt je mehr und mehr angefeuert werden; die Gottloſen aber, damit ſie auch durch dieſe Guͤte, die ihnen GOtt bey dem guten Eſſen und Trincken er - weiſet, zur Buſſe gelocket, und zur Liebe gegen ihren Schoͤpffer angetrieben werden.
§. 9. Es iſt alſo eine ausgemachte Wahrheit, daß einige Gaſtereyen theils von GOtt befohlen, da wir, nach der Vermahnung Pauli, zur Gaſt - Freyheit angewieſen werden, theils mit denen Pflichten des Chriſtenthums und der Vorſchrifft der geſunden Vernunfft ſich ſehr wohl vereinigen laſſen. Es iſt aber auch nicht weniger mehr als zu gewiß, daß die meiſten Gaſtgebothe, wie ſie die Welt heutiges Tages anzuſtellen pflegt, groͤſten -theils433Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. theils ſuͤndlich und unvernuͤnfftig ſind, und deren Gebrauch und Zulaͤßigkeit bey den meiſten durch ihre eigene Schuld in Mißbrauch und unzulaͤßiges Weſen verwandelt worden.
§. 10. Wie ſind doch die Nachfolger der erſten Chriſten auch in dieſem Stuͤck von ihren Vorfah - rern abgewichen! Von ihren Gaſtereyen, oder Liebes-Mahlen, gedencket Tertullianus folgendes: Unſere Mahlzeiten haben eine ehrliche Urſache, dar - aus ihr billich ſchlieſſen koͤnnet, es gehe darinnen auch ehrlich zu. Hier iſt kein unbeſcheidenes oder liederliches Weſen. Wir begeben uns nicht eher zum Eſſen, wenn wir unſer Gebeth nicht zuvor zu GOtt gethan haben. Sie unterrichteten auch die Juͤngern, man muͤſte nicht eher Speiſe nehmen, wo nicht das Gebeth vorhergegangen, auch muͤſte man nicht vom Tiſch aufſtehen, ehe man dem HERRN gedancket haͤtte. Als die Feinde der Wahrheit von den Chriſtlichen Liebes-Mahlen und andern Zuſammenkuͤnfften laͤſterten, daß ſich die Chriſten dabey pflegten vollzufreſſen und zu ſauffen, konten dieſe jenen getroſt unter die Augen treten, und ſich dagegen der Maͤßigkeit ruͤhmen. Wir eſſen, ſagten ſie, ſo viel als einem Hungerigen gebuͤhret, und trincken ſo viel, als keuſchen Leuten dienet. Wir ſaͤttigen uns alſo, daß wir dabey be - dencken, wie wir unſer Nachgebeth zu GOtt thun muͤſſen. Nach der Mahlzeit wird einer unter uns aufgefordert, daß er GOtt mit einem Liede loben ſoll. Sie erwehleten ſolche Speiſen, dadurch dieE eLuͤſte434II. Theil. IX. Capitul. Luͤſte im Zaum gehalten und nicht entzuͤndet wuͤr - den. S. Arnolds Abbildung der erſten Chriſten, VI. Buch III. Cap. pag. 85. ingleichen IV. Buch III. Cap. p. 479. 480.
§. 11. Daß man bey einer Gaſterey ſeinen ein - geladenen Gaͤſten nach der Beſchaffenheit ſeiner Einkuͤnffte, nach dem Unterſcheid ſeines Standes und uͤbrigen Umſtaͤnden, und nach der beſondern Weiſe, damit man diejenigen, die man zu ſich ge - beten, anzuſehen hat, einige Speiſen mehr vorſe - tzen koͤnne als man ſonſt bey ſeiner gewoͤhnlichen Mahlzeit zu genieſſen pflegt, iſt den Regeln des Chri - ſtenthums und des natuͤrlichen Rechtes nicht zuwi - der; Wir haben nicht noͤthig dasjenige, was eini - ge Autores von der allzuſtrengen Maͤßigkeit der er - ſten Chriſten anfuͤhren, nachzuahmen. Die Ar - muth und die Noth, darinnen ſich die meiſten von den erſten Chriſten befanden, hat ihnen damahls ſo wohl als bey der ietzigen Zeit die Regeln der Koſt vorgeſchrieben; ich glaube auch, daß vieles, was einige Geſchichtſchreiber von ihren Gaſtmah - len anfuͤhren, bloß von ihren gewoͤhnlichen Mahl - zeiten zu verſtehen ſey.
§. 12. Daß man ſeinen Gaͤſten unterſchiedene und wohlzugerichtete Speiſen vorſetzt, hat ſeinen guten Grund. Man invitirt ſie ja deswegen zu ſich, daß es ihnen wohlſchmecken ſoll, und daß man ihnen hiedurch ſeine ehrerbietige Hochachtung, oder Liebe und Freundſchafft zu verſtehen gebe. Man muß auch, wegen des unterſchiedenen Gouſto derLeute,435Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. Leute, bey einer Gaſterey die Speiſen in einer klei - nen Anzahl aufſetzen, damit ſie alle geſaͤttiget wer - den, und ein jeder etwas finde, welches ſeinem Ge - ſchmack gemaͤß. Bey einer oder ein paar Speiſen koͤnte es ſonſt leicht geſchehen, daß mancher, dem dieſe oder jene Speiſe zuwider, oder ſie ſonſt nicht vertragen kan, ungeſaͤttiget vom Tiſche aufſtehen muͤſte.
§. 13. Wie viel Gerichte man bey einer Gaſte - rey aufſetzen ſoll, laͤſt ſich uͤberhaupt nicht wohl ſa - gen; jedoch halte ich davor, daß bey einem Freund - ſchaffts-Gaſtgebothe ein fuͤnff biß ſechs delicate Speiſen, zum Vergnuͤgen guter Freunde, genug ſind, und daß man bey dem groͤßten Banquet, wel - ches bey einer und der andern froͤlichen oder trauri - gen Begebenheit, unter Privat-Perſonen angeſtel - let wird, mit 12, 14 biß 16 Gerichten, ohne das Deſſert, auskommen koͤnne. Es iſt demnach ein unverantwortlicher Uberfluß, wenn Privat-Perſo - nen, dem Freß-Ceremoniel nach, die Anzahl der Gerichte nicht auf 24 oder 30, ſondern gar auf 50, 60 biß 80 ſteigen laſſen. Jch rede hier von denen Gaſtgebothen der Privat-Leute. Denen hohen Standes-Perſonen oder groſſen Staats-Miniſtris will ich keine Regeln vorſchreiben.
§. 14. Der Autor der Pflicht und Schuldig - keit, welche man in ſeinem Haußweſen zu beobach - ten, hat wohl recht, wenn er pag. 260. ſchreibet: Die Unmaͤßigkeit hat ſich unverinerckt in die meiſten Privat-Haͤuſer mit eingeſchlichen, wo -E e 2ſelbſt436II. Theil. IX. Capitul. ſelbſt die Mahlzeiten, die man ausrichtet, auch ſelten ohne Suͤnde geſchehen. Es iſt nichts buͤrgerlicher und ehrlicher, als die Einladung, und der Anfang, den man hierbey haͤlt. Nuͤch - ternheit und Maͤßigkeit ſchien anfangs die rechte Regel zu ſeyn, aber den Augenblick, nachdem die erſten Begierden des Appetits geſtillet ſind, ſucht man ſeine zaͤrtliche Nied - lichkeit zu vergnuͤgen / man noͤthiget einander zum Trincken durch die unnuͤtzer weiſe wieder - hohlten Geſundheiten, und man traͤgt zu En - de der Mahlzeit fremde Getraͤncke und Weine auf, deſſen Farbe die Schamhafftigkeit des Geſchlechts ſo gar ſehr verletzt, daß einige Weiber gar kein Bedencken tragen, uͤbermaͤſ - ſig davon zu trincken.
§. 15. Bevor man ſich in das Gaſtiren einlaͤſt, muß man einen Uberſchlag machen mit ſeinen Ein - kuͤnfften, und wohl uͤberlegen, ob man auch ſo viel im Vermoͤgen habe, daß, nach Abzug der noͤthigen Ausgaben, vor die Gaſtereyen etwas uͤbrig bleibe, und ob man im Stande ſey, die Gaſtgebothe nicht allein in dieſem Jahr auszurichten, ſondern auch in dem kuͤnfftigen. Ein vernuͤnfftiger Menſch muß ſeine Handlungen allezeit ſo anſtellen, daß er der groͤßten Vollkommenheit theilhafftig werden moͤge. Die Regeln des Wohlſtandes muͤſſen den Regeln der Nothwendigkeit weichen.
§. 16. Je weniger Staats - und Ceremoniel - Gaſtgebothe man anſtellen kan, je beſſer iſts, ſinte -mahl437Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. mahl mehr als einerley Nachtheil aus den banque - tiren zu entſtehen pflegt. Das Geld und die Zeit koͤnten offtermahls nuͤtzlicher angewendet werden, die Haußwirthſchafft wird verſaͤumet, die Bedien - ten machen was ſie wollen, und man erweckt ſich offt, ohne ſeine Schuld, mehr Unwillen und Ver - druß damit, als Liebe und Freundſchafft.
§. 17. Damit die Geſellſchafft vergnuͤgt ſeyn moͤge, muß man ſolche Gaͤſte zuſammen bitten, die nicht allein von ziemlich gleichem Stand und Cha - racter, ſondern auch deren Gemuͤther, mit einander harmoniren; die einen Rang-Streit unter einan - der haben, oder ſonſt nicht recht gute Freunde ſind, laſſe man lieber davon, es waͤre denn, daß die Diſputen kleine waͤren, und man ſich bemuͤhen wolte, bey dieſer Gelegenheit ſie wieder mit einan - der auszuſoͤhnen, und eine Freundſchafft unter ih - nen aufzurichten.
§. 18. Man muß vorhero unter denen Bedien - ten gute Anſtalten machen, damit ein jedes wiſſe, was es bey der Tafel und bey der Aufwartung zu beſorgen habe; denn ſonſt, wenn der Wirth uͤber der Mahlzeit gar zu ſcharf commandirt, und ſich in Gegenwart ſeiner Gaͤſte uͤber ſeine Bedienten zu ſehr ereifert, erweckt er einen Ubelſtand, es duͤrfften auch wohl einige Gaͤſte aus dieſen ſeinem Eyfer ſchluͤſſen, als ob ihre Gegenwart ihm vielleicht nicht gar angenehm ſeyn moͤchte.
§. 19. Der von uns zu unterſchiedenen mahlen angefuͤhrte Groß-Cantzler in Franckreich MonſieurE e 3Che -438II. Theil. IX. Capitul. Chevergny, ertheilt p. 407. feinem Sohn, in Anſe - hung der Gaſtgebothe, die er anzuſtellen haͤtte, fol - gende nuͤtzliche Regeln: Il ne faut pas tant regar - der la grande depenſe aux feſtins, que l’on fait, qu’ a les rendre & préparer bien nettement, & proprement, de vian des bien choiſies, qui puiſſent delecter, & donner plaiſir a ceux, qui les mangent, donner bon ordre au ſervice de table, & ſans bruit, les entremets bien à pro - pos, les fruits & falades bien faites, & choiſies, ſelon la ſaiſon; ſur quoy il ya quatre choſes principalement a prendre garde. La prémiére les perſonnes conviées, a celle fin, qu’elles ſoient ſervies ſelon leurs qualités, le lieu on l’on mange bien choiſi, ſelon le chand & le froid qu’il pent faire, le temps, qui ſoit propre & commode, auquel on ſe puiſſe rejouir ſans qu’il y ait ſujet d’en etre diverti par le malheur & ca - lamité, d’une faſcherie publique.
§. 20. Jn die Schuͤſſeln muß weder zu wenig noch zu viel angerichtet ſeyn; iſt zu wenig angerich - tet, ſo iſt es wider den Wohlſtand, es ſcheinet als ob den Gaͤſten alle Biſſen gleichſam abgezehlet und abgewogen ſeyn ſolten, man weiß ja den Appetit der Gaͤſte nicht, ob nicht mancher ſich nicht gern dieſer oder jener Speiſe zu unterſchiedenen mahlen etwas ausbitten werde, es ſtehet nicht wohl, wenn die Schuͤſſeln ſo gantz rein ausgeleeret werden; blei - bet etwas uͤbrig, ſo kan man es die uͤbrigen Tage nach geendigter Gaſterey mit den ſeinen ja ſelbſtver -439Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. verzehren, oder unter das Armuth austheilen. Jſt aber vor eine maͤßige Compagnie in den Schuͤſſeln alles en pyramide aufgeſchuͤſſelt, um die Magnifi - cenze dadurch zu erweiſen, ſo iſt dieſes auch vor ein Uberfluß anzuſehen, es waͤre denn, daß ein Wirth den Vorſatz haͤtte, das uͤberleye dem Ar - muth preiß zu geben, bey welchem Fall, der aber uͤber die maßen rar iſt, es nichts ſuͤndliches ſeyn wuͤrde.
§. 21. Bey denen Speiſen und deren Zurich - tung richtet man ſich ſo viel als moͤglich iſt, und man es erfahren kan, nach dem Appetit und Gou - ſto derer vornehmſten von denen Gaͤſten, die man zu ſich gebethen. Manchem wird ein groͤſſer Ge - fallen geſchehen, wenn man ſie nach der gemeinen Weiſe tractirt, oder ihnen Haußmanns-Koſt, wie man zu reden pflegt, vorſetzt, als wenn man ſie mit viel Frantzoͤſiſchen Geruͤchten, mit Olapotrien, Ragouts, Grenaden, Grilladen, Torten und Pa - ſtetenwerck bedienet.
§. 22. Bey ſolennen Staats-Banquetern, wo bey den unterſchiedenen Gaͤngen, und ſolennem Aufſatz der Speiſen, das Ceremoniel zu beobach - ten, und doch kein beſonderer Maitre d’hotel oder Kuͤchenmeiſter vorhanden, der alles bey der Tafel regulirt, muͤſſen die Bedienten vorhero wohl un - terrichtet werden, nach was vor Figur, und in was vor Ordnung die Speiſen auf die Tafel, neben ein - ander und gegen einander uͤber zu ſetzen, ſonſt duͤrfften manche Leute, die in ihren Freſſen undE e 4Sauf -440II. Theil. IX. Capitul. Sauffen accurater ſind, als bey ihren uͤbrigen Handlungen, eine kleine Irregularité die hiebey vorgehen moͤchte, und die andere vor einen nichts zu bedeutenden Fehler anſehen wuͤrden, vor einen ſehr großen Fehler achten. Nicht weniger iſt den Vorſchneidern vorhero Nachricht zu geben, nach was vor Ordnung er die Speiſen nach einander vorlegen und zuſchneiden ſoll.
§. 23. Die mancherley Arten der Speiſen, de - ren Zurichtung, und die unterſchiedenen Arten der Aufſaͤtze, darum ſich die Koch-Kunſt zu bekuͤmmern pflegt, ſind in Teutſchland nach dem Unterſchied der Provintzen einiger maßen von einander unter - ſchieden. Alſo tractiren die Nieder-Sachſen an - ders als die Ober-Sachſen, in Boͤhmen und Oe - ſterreich iſt eine andere Manier gebraͤuchlich, als in Schwaben, in der Pfaltz, u. ſ. w.
§. 24. Soll es magnifique zu gehen, ſo werden fuͤnff, ſechs, acht, zehn und mehr Speiſen auf ein - mahl auf die Tafel geſetzt, und wenn dieſe vorge - legt und abgehoben worden, alsdenn wieder friſche. Ein ſolcher Aufſatz wird ein Gang genennt; Dieſe Gaͤnge werden nun zwey biß dreymahl veraͤndert, denn es werden ſelten mehr als 3. Gaͤnge von war - men Koch-Speiſen vorkommen. Sind dieſe vorbey, ſo wird das Obſtwerck und Confect aufgeſetzt, als - denn das erſte Tiſch-Tuch abgehoben, andere Ser - vietten, Teller von Porcelain, auch eine andere Sorte von Loͤffeln, Meſſern und Gabeln herum ge - legt. Wenn an der Magnificenze bey einemGaſt -441Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. Gaſtgeboth etwas abgehen ſoll, ſo wird das Con - fect in der Mitten der Tafel aufgeſetzt, und die Speiſen ſtehen um das Confect herum, auf ein - mahl; es werden aber bißweilen einige Schuͤſſeln, nachdem ſie ausgeleeret worden, ausgehoben, und an deren ſtatt wieder andere warme oder doch ſonſt friſche Speiſen eingeſchoben. Soll es noch ſchlechter ſeyn, ſo wird ein eintzig Koͤrbgen mit Con - fect, oder eine ſilberne Epargne mit allen dazu benoͤthigten Meublen in der Mitten der Tafel auf - geſtellt, und ein fuͤnff biß ſechs Gerichte werden drum herum geſetzt.
§. 25. An der Reinlichkeit und Propreté des Geraͤthes und aller Meublen, die des Eſſens und Trinckens wegen auf den Tiſch geſetzt werden, iſt zu Erweckung des Appetits der Gaͤſte gar viel gele - gen, und wenn die Speiſen in der groͤſten Anzahl aufgetragen wuͤrden, ſie auch alle delicat zugerich - tet waͤren, man ſaͤhe aber etwas unſauberes an den Linnen, ſo auf die Tafel kommen, oder an einer Meuble, welches durch Vorſichtigkeit des Wirths haͤtte koͤnnen geaͤndert werden, ſo wuͤrde dieſes ein ſehr groſſer Fehler ſeyn. Zur Reinlichkeit gehoͤrt, daß die Speiſen bey ſolennen Panqueten mit ſil - bernen oder zinnernen Glocken, oder mit einem aus Teige von dem Koch zubereiteten kuͤnſtlichen De - ckel bedeckt werden, damit der Poudre, der Dunſt und Staub aus den Peruquen oder von den Haa - ren derer Bedienten, ſo die Speiſen aus der KuͤcheE e 5auf442II. Theil. IX. Capitul. auf die Tafel ſetzen, nicht herab falle, oder die Flie - gen nicht hinein fliegen.
§. 26. Es iſt wohl laͤcherlich und ein unverant - wortlicher Uberfluß, daß einige Privat-Perſonen in den neuern Zeiten anfangen, wenn die erſtere Tafel mit ihren zwey drey und mehr Gaͤngen abgehoben, und die Gaͤſte voͤllig geſaͤttiget, die Tafel voͤllig wie - der auf das neue Bedecken zu laſſen, und mit man - cherley Gerichten in groſſer Menge zu beſetzen. Da aber der Wirth mit ſeiner andern Tafel den Gaͤ - ſten nicht zugleich neuen Appetit erwecken kan, ſo ſind dieſe Gerichte vor nichts anders als vor bloße Schau-Gerichte zu halten, dadurch der Wirth ſei - ne Verſchwendung auf eine deutliche Art am Tag legt. Nicht viel beſſer iſts, wenn einige denjenigen Gaͤſten, die ſie zu Mittage auf das properſte und herrlichſte tractirt, und die ſich auf den gantzen Tag voͤllig geſaͤttiget, zur Abend-Mahlzeit eine groſſe Menge delicater und auf das neue zugerich - teter Speiſen vorſetzen, die ſie entweder bloß anſe - hen muͤſſen, oder ihnen doch nichts als Beſchwer - lichkeit und Kranckheiten zuziehen.
§. 27. Man ſolte billich bey dieſen und bey an - dern Stuͤcken mehr auf die Geſundheit ſeiner Gaͤſte zugleich mit ſehen, ſo wohl in Anſehung der Spei - ſen und des Getraͤnckes, die man ihnen vorſetzt, als auch in Anſehung der Art und Weiſe wie man ſie tractirt. Doch die wenigſten bekuͤmmern ſich um ihre eigene Geſundheit, geſchweige denn um andrer Leute ihre; Viele haben nicht den Vorſatz beyihren443Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. ihren Gaſtgebothen, daß ſie ihren Gaͤſten ein zulaͤſ - ſiges Vergnuͤgen wollen verſchaffen, ſondern viel - mehr um ſich ſehen zu laſſen, ihre Verſchwendung und Magniſicenze dabey zu erweiſen, und des Staats und Ceremoniels wegen.
§. 28. Gleichwie nun manche mit ihren Gaſt - gebothen prahlen, alſo iſt dieſes auch eine unan - ſtaͤndige Sache, wenn einige viele Wochen und Monathe ihren kuͤnfftigen Gaͤſten vorher ſagen, daß ſie ſich ehiſtens die Ehre geben wuͤrden, ſie zu ſich zu invitiren, ſie geben hiedurch den Schein der pe - tits maitres, und wollen davor angeſehen ſeyn, als ob ſie ihren kuͤnfftigen Gaͤſten eine beſondere Wohlthat erzeigen wuͤrden. Manchmahl geſchie - het es doch wohl, daß des offtmahligen Invitirens ungeachtet nichts draus wird.
§. 29. Da der Welt an dem Range ſo gar ſehr viel gelegen, ſo muß der Wirth hierinnen behutſam und vorſichtig ſeyn, daß er keinem von ſeinen Gaͤ - ſten eine rechtmaͤßige Urſache gebe ſich uͤber ihn zu beſchweren, oder mißvergnuͤgt aus ſeinem Hauſe zu gehen. Wo bey einer Solennitæt en Ceremonie geſpeiſet wird, da werden die Gaͤſte nach dem Ran - ge placirt, den ihnen entweder der beſondre Mar - ſchall, oder der Wirth ſelbſt anzeiget. Unter guten Freunden hingegen gilt der Rang wenig oder nichts, ein ieder ſetzet ſich, wo er zukommt, die Vor - nehmſten ſetzen ſich oͤffters gantz unten an die Ta - fel. Wenn unter einem und andern der Rang ſtreitig iſt, und die Umſtaͤnde ſich doch ſo ereignen,daß444II. Theil. IX. Capitul. daß ein paar ſolche Leute die einen Diſput mitein - ander haben, zuſammen kommen, ſo pflegt der Wirth bißweilen, um allen Diſputen vorzukommen, die Erklaͤrung zu thun, daß in ſeinem Hauſe vor dißmahl kein Rang beobachtet werden ſolte. Ob und wo ſich aber dergleichen Erklaͤrung thun laſſe, iſt eines ieden Nachſinnen bey beſondern Faͤllen zu uͤberlaſſen.
§. 30. Einige haben die Gewohnheit, daß ſie den andern oder dritten Tag drauff, wenn ſie ein ſolennes Gaſt-Geboth gehabt, eine andre Gaſte - rey halten, und diejenigen, von denen ſie meynen, daß es mit ihnen ſo gar viel nicht zu bedeuten ha - ben moͤchte, zu ſich invitiren; Dieſe muͤſſen meh - rentheils die Brocken aufzehren ſo die erſtern uͤbrig gelaſſen. Jhr Endzweck iſt, daß ſie aus einer be - ſondern Spahrſamkeit, mehrentheils mit einerley Tractamenten unterſchiednen Leuten, ihren Gedan - cken nach, Hoͤflichkeit und Gefaͤlligkeit erzeigen wollen. Jedoch die meiſten Gaͤſte nehmen dieſe Nach-Gaſtereyen mehr vor eine Wuͤrckung einer Geringachtung, die man ihnen erzeigen will, als vor eine Hoͤflichkeit und Liebe an, ſie erkennen wohl daß ſie vielleicht vor dieſesmahl nicht dazu gekom - men waͤren, wann die vielen uͤberleyen Speiſen dem Wirth nicht zur allzugroſſen Laſt geworden. Sie thaͤten beſſer, wenn ſie diejenigen, die ſie viel - leicht mit gutem Grunde zu der erſtern Geſellſchafft nicht ziehen koͤnnen, zu einer andern Zeit beſonders zu ſich baͤthen, und ihnen dadurch mehr Liebe undEhre445Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. Ehre erzeigten, und die uͤberleyen Brocken davor gantz nothduͤrfftigen Leuten in die Haͤuſer ſchick - ten.
§. 31. Bey einem Staats-Gaſtgeboth hat man ſich in unſchuldigen und gleichguͤltigen Dingen, auch bey allen Kleinigkeiten, nach der Mode zu rich - ten, die zu dieſer oder jener Zeit, in dieſem oder jenem Orte, eingefuͤhrt, und muß man alles vermeyden was etwan vor gemein oder altvaͤteriſch angeſehen werden moͤchte. Hieher gehoͤrt das Brechen der Servietten, da aus den geſtaͤrckten und ſeltzam ge - brochenen Servietten vor Zeiten mancherley Figu - ren gemacht werden, bald Schiffe, bald Thuͤrme, bald Tauben, bald wieder etwas anders. Doch dieſes iſt heutiges Tages unter den Hoͤhern groͤ - ſtentheils abgekommen, und wird vor etwas alt - fraͤnckiſches oder buͤrgerliches angeſehen.
§. 32. Bey vielen Vornehmen iſt im Gebrauch, daß entweder denen meiſten Gaͤſten, oder doch den vornehmſten, ein ſilbern Handfaß mit einem ſau - bern Handtuch, oder ein Glaß Waſſer auf einem Credenz-Teller præſentirt wird, deſſen ſie ſich vor der Mahlzeit zum abwiſchen der Finger bedienen. An andern Orten hingegen iſt dieſe Mode abkom - men. Desgleichen wird bey einigen Geſellſchaff - ten, nach aufgehobener Tafel, ein Glaß mit Waſ - ſer, Wein und Eßig herum gegeben, um den Mund damit auszuſpuͤhlen, bey andern wieder nicht.
§. 33. Bey dem Einladen der Gaͤſte muß man auch auf ihre Bequemlichkeit im ſitzen mit Acht ha -ben,446II. Theil. IX. Capitul. ben, und Sorge tragen, daß bey einem jeden Cou - vert ein ſolcher geraumer Platz gelaſſen werde, da - mit ein jeder Gaſt mit Vergnuͤgen eſſen und trin - cken moͤge, denn ſonſt wuͤrde mancher von denen, die mit Unbequemlichkeit die unterſten Stellen an der Tafel einnehmen, lieber wuͤnſchen, daß er mit der Einladung waͤre verſchonet worden.
§. 34. An viel Orten wird kein Krug, kein Glaß, kein Becher mit Bier oder Wein, und keine Bou - teille auf dem Tiſch gelaſſen, ſondern ein jeder Gaſt muß zu der Zeit, wenn er trincken will, von dem La - quey das Glaß Bier oder Wein fordern, und ſol - ches ſo fort austrincken. Die Raiſon iſt hievon dieſe, daß man nicht Gelegenheit gebe, damit aus Verſehen von uns, oder von unſerm Nachbar, zu unſern oder unſers Nachbarn Schaden und Ver - druß, ein volles Gefaͤß umgegoſſen werde. Doch, zu dieſer Ceremonie gehoͤren viel Bediente zur Auf - wartung einer groſſen Tafel. Es ſchickt ſich daher nicht gar wohl, wenn einige mit einen oder zwey Laquais eine groſſe Geſellſchafft auf dieſe Weiſe bedienen wollen; dieſe haben mit dem Auftragen der Speiſen, und Wegnehmung der Teller gnug zu thun, und die Gaͤſte werden auf die Art bey ihrem Appetit im Trincken bißweilen zu lang aufgehalten. An vielen Hoͤfen, und bey andern vornehmen Leu - ten, iſt es auch gebraͤuchlich, daß ein Becher mit Bier, und eine Carafine mit Wein, oder eine ande - re Bouteille hingeſetzet wird, da ſich denn der Gaſt nach ſeinem eigenen Gefallen einſchencken kan. Dieſe447Vom Tractiren und denen Gaſter eyen. Dieſe Methode iſt in manchen Stuͤcken vor den Wirth und die Gaͤſte bequemer, als die erſtere.
§. 35. Eine ſchaͤndliche Sache iſts, daß viele von unſern ſo genandten Chriſten in den Gedan - cken ſtehen, es werde zum Wohlſtand und zum Ce - remoniel nothwendig mit erfordert, daß man bey einer ſolennen Gaſterey weder vor - noch nach Ti - ſche beten duͤrffe. Es geſchicht dieſes nicht allein bey den Roͤmiſch-Catholiſchen, die oͤffters ent - weder gar nicht beten, oder doch nicht mehr als das Formulgen: Hoc eſt plus benedicat no - bis Dominus, ſondern auch bey denen Proteſti - renden. Der Engellaͤnder, Bunian, beſchweret ſich nicht allein uͤber ſeine Landes-Leute, wenn er in ſeiner Kunſt der Vergnuͤglichkeit, pag. 27. ſchreibt: Es deuchtet uns nunmehro zuviel Ehrer - bietung zu ſeyn, vor und nach Tiſche zu bethen; ſon - dern wir finden auch in unſerm Teutſchland viele, die es eben ſo machen. Glaͤubige Chriſten ſtellen ſich auch in dieſem Stuͤck der Welt im geringſten nicht gleich. Sie laſſen vor Tiſche bethen, damit ſie und ihre Gaͤſte erinnert werden, daß ſie dem groſſen HErrn des unermeßlichen Reichs der Him - mels-Creyße und des Erdbodens zu Ehren eſſen und trincken, und nach Tiſche, damit ſie dem guͤti - gen und liebreichen Wohlthaͤter vor ſo vieles Gute gebuͤhrenden Danck abſtatten. Jſt es nicht ein groſſer Undanck gegen dieſen liebreichen HErrn? Viele verlangen von ihren Gaͤſten, denen ſie einige Hoͤflichkeit erzeiget, nach der Tafel ein Danckſa -gungs -448II. Theil. IX. Capitul. gungs-Compliment, oder ſehen es doch gerne, wenn ſie es gegen andre ruͤhmen, und ſich alſo er - kenntlich bezeigen; und ſie wollen doch ſelbſt nicht dem Geber alles Guten, vor ſo viel Delicateſſen die er ihnen vorſetzt, Danck abſtatten. Der ſel. Spener ertheilt in ſeinem thaͤtigen Chriſtenthum Dominica VIi. poſt Trinit. p. 294. eine gute Er - innerung wenn er ſchreibt: Wir ſollen die Speiſe heiligen mit Gebeth, aber daß es auch ein Gebeth und nicht ein Geſchwaͤtz ſey, wie es faſt leyder bey den meiſten, die vor und nach Tiſche bethen, ge - ſchiehet, daß ſie eben die gewoͤhnlichen von Jugend auf gelernten Formulgen behalten und herſprechen, aber nicht erwegen was wir darinnen ſagen, in - dem die oͤfftere Wiederhohlungen, und weil ſie uns ſo gar gemein ſind, machen, daß man ihrer nicht achtet.
§. 36. Ein Wirth muß ſich allenthalben gefaͤl - lig gegen ſeine Gaͤſte bezeigen, er muß allen denje - nigen, die er in ſeine Geſellſchafft ziehet, und ſeiner Einladung wuͤrdiget, eine gleich durchgehende Hoͤf - lichkeit erzeigen, und beſorgt ſeyn, daß ein ieder von ihnen mit einerley Speiſe und Tranck verſorget werde, und die er dergleichen Hoͤflichkeit unwuͤr - dig achtet, lieber davon ausſchlieſſen. Es iſt da - her uͤber die maßen unanſtaͤndig, wenn der Wirth, wie einige bißweilen zu thun pflegen, das beſte Stuͤck aus der Schuͤſſel heraus nimmt, und ſeinen Gaͤſten etwas ſchlechters vorlegt, oder bey dem Wein einen Unterſcheid macht, einige Gaͤſte vondem449Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. dem hoͤchſten Rang mit guten Wein verſorgt, den andern aber ſchlechten und ſauern zu trincken giebt. Es iſt billich, daß diejenigen, die aus einer Schuͤſſel vorgelegt bekommen, auch einerley Getraͤncke ge - nieſſen.
§. 37. Will man ſeinen Gaͤſten ein Glaß Wein vorſetzen, es mag ein auslaͤndiſcher oder einheimi - ſcher ſeyn, ſo muß man ſich bemuͤhen, eines guten, alten, wohl ausgelegenen, nicht ſtarck geſchwefelten und geſunden Weines habhafft zu werden, und es davor, wer auf die Sparſamkeit bedacht ſeyn will, an ein paar Gerichten fehlen laſſen. Hat man aber keinen beſſern, und man offerirt den Wein, ſo gut man ihn hat, oder an dieſem Ort und zu dieſer oder jener Zeit erhalten kan, ſo muß man ihn auch nicht vor beſſer oder vor etwas anders ausgeben, als er in der That iſt, ſondern ein aufrichtiges und wahres Bekaͤntniß davon thun, und ſeinen Gaͤſten nachge - hends die Freyheit laſſen, nach ihrem Belieben da - von zu trincken, ſo viel als ihnen ſchmeckt, oder ihnen, ihrer Beurtheilung nach, bekommen moͤchte; ſin - temahl es eine gar ſchlechte Hoͤflichkeit iſt, wenn ein Wirth ſeine Gaͤſte mit vielen Complimens zum ſauren oder ſonſt ungeſunden und uͤbelſchmeckenden Weine noͤthigen will.
§. 38. Das Forciren und unmaͤßige Zutrincken, iſt zwar heutiges Tages an vielen Orten abgekom - men, jedoch ſtehen noch ihrer viele in dem irrigen Wahn, es gehoͤre nothwendig zu dem Wohlſtan - de und zum Ceremoniel, daß man ſeinen Gaͤſten,F fzumahl450II. Theil. IX. Capitul. zumahl denjenigen, die von dem Trunck Liebhaber ſind, einen Rauſch zubringen muͤſte. Doch dieſe wiſſen und bedencken nicht, daß man auf GOtt und auf die Vorſchrifft der Vernunfft mehr zu ſehen habe, als auf die Satzungen der Welt, die Satan zur Mode gemacht. Man trincke nach Appetit, ſo viel als das Chriſtenthum und die Geſundheit zulaͤſt, und goͤnne ſeinen Gaͤſten eine gleichmaͤßige Freyheit. Jhro Koͤnigliche Majeſtaͤt in Preußen haben nach einem hoͤchſtruͤhmlichen Exempel Anno 1718. den 31. Martii ein ſehr ſcharffes Edict we - gen Abſtellung des Vollſauffens, publiciren laſ - ſen; Wolten andere Potentaten hierinnen nach - folgen, ſo wuͤrde dieſes ſchaͤndliche Laſter in Teutſch - land nicht mehr ſo herrſchen, als wie es leider biß anher im Schwange gegangen. Der Autor der Einleitung zur neueſten Hiſtorie der Welt, gedenckt in dem XXVII. Stuͤck p. 131. wie Anno 1724. aus Conſtantinopel verlautet, daß der Groß-Vezier mit Genehmhaltung des Sultans ein Edict zu Conſtantinopel publiciren laſſen, vermoͤge deſſen ein Chriſt daſelbſt, wenn er ſich an gewiſſen Tagen betrincken wuͤrde, eine Straffe von 29. Fuß - Schlaͤgen, in Tureto aber in ſolchem Fall 39. zu gewarten haben ſolte.
§. 39. Ob nun wohl vor ſehr unanſtaͤndig und laſterhafft zu achten, wenn ſich ein Wirth ſelbſt be - rauſcht, und durch mancherley Arten des noͤthigens ſeine Gaͤſte berauſchen will, ſo iſt es doch vor et - was gleichguͤltiges und unſchuldiges anzuſehen,wenn451Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. wenn er theils in den kleinen Glaͤſern ſeiner Gaͤſte Geſundheit trinckt, theils in einem und andern groſ - ſen Glaſe ſeiner Landes Herrſchafft, eines und des andern großen Miniſtri, oder auch ſonſt eine andere Geſundheit ſeinen Gaͤſten zubringt; Weil ver - nuͤnfftige Leute hierbey mehr auf die Figur, auf das Ceremoniel, und den damit verknuͤpfften guten Wunſch vor des andern Wohlſeyn, als auf das volle Maaß des Glaſes ſehen, ſo kan er ſeine De - votion und Hochachtungen bey einer kleinen Doſi ſo wohl erweiſen, als bey einem vollen geruͤttelten und uͤberfluͤßigem Maaß.
§. 40. Einige von der allzuſtrengen Secte der Moraliſten und Gottesgelehrten, halten das Ge - ſundheit-Trincken uͤberhaupt vor unzulaͤßig und ſuͤndlich; Allein andere ſondern in dieſem Stuͤck ſo wohl als in andern, und zwar mit beſtem Grunde den Gebrauch von dem Mißbrauch ab, und achten dergleichen auch an und vor ſich ſelbſt einem Prieſter nicht vor unanſtaͤndig; ich laſſe mir hierbey gefal - len, was der alte Pommeriſche Præpoſitus, M. Mi - chaelis, in ſeinem Paſtore Diœceſen ſuam diri - gente, p. 377. hievon anfuͤhrt. Er ſagt: wenn der Præpoſitus mit ſeinen ihm untergebenen Prie - ſtern ihren Synodal-Convent halten, ſo traͤgt man auf cibum & potum parabilem & modicum, und haͤlt ein vertrauliches, Geiſt-froͤliches bruͤder - liches Geſpraͤch, fuͤr das beſte aromatiſche Tracta - ment, will man lætitiæ datorem, Vinum dabey haben, ſo giebt ein jeder ſein Symbolum, und ge -F f 2ſchicht452II. Theil. IX. Capitul. ſchicht ein Reihen-Trunck in Regis noſtri Cle - mentiſſimi, gratioſiſſimi, ſalutem iique Præpoſiti & Reverendæ Synodi concordiam, proſperita - temque perennem. Wenn ein heuchleriſcher Kopffhaͤnger uͤber dieſe Stelle kommt, ſo duͤrffte ſie ihm vielleicht ſehr ſpoͤttiſch vorkommen, ich fin - de aber nach den Schrancken, darinne es zu ver - ſtehen, hierbey nichts unrechtes.
§. 41. Unrecht iſts, wenn man ſich entweder uͤber anderer Leute Geſundheiten ungeſund trinckt, oder ſolche invectirt, und ſeinen Gaͤſten zubringt, die den ſchandbahren Worten, die den Chriſten nicht geziemen, beyzuzehlen, oder mit mancherley veraͤn - derten Wein, und abwechſelnden Trinck-Geſchir - ren ſeine Gaͤſte Methodice, und nach dem Cere - moniel berauſchen will. Bevor die Glaͤſer auf - gekommen, hat man ſich vor Alters der Trinck - Geſchirre bedienet, welche aus den Hoͤrnern der Thiere zubereitet waren; es geſchahe aus Einfalt und Genuͤgſamkeit. Das groͤſte Reichthum der alten Voͤlcker beſtund in Vieh, es brauchte auch keiner großen Kunſt, ein abgeſchlagen Horn iſt in - wendig hohl, und kan ſo gleich zum Gefaͤß dienen. Bey zunehmender Pracht und Wolluſt wurden ſie an den Mund-Stuͤcken mit Silber und Gold beſchlagen, biß man endlich die Figur eines Hor - nes zwar behalten, die Materie aber Holtz, Elffen - bein, Silber, oder gar Gold ſeyn laſſen. S. von der Gewohnheit der Preußen, aus Hoͤrnern zu trincken, das VIII. Stuͤck des erleuterten Preußens. Eben453Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. Eben dieſer Autor gedenckt, daß noch vor gar we - nig Jahren in Preußen, in einer gewiſſen Familie, ein hoͤltzernes Horn, ſo ſehr alt zu ſeyn geſchienen, geweſen, und daran dieſes merckwuͤrdig befunden worden, daß in dem Horn, ſo zu ſagen, drey Hoͤr - ner oder vielmehr Canæle neben einander gewe - ſen, ſo unter ſich eine Communication gehabt, daß wenn eines ausgeleeret, auch das andere leer geworden.
§. 42. Nachdem einige, theils aus Bloͤdigkeit, theils aus Einbildungen, als ob es wider den Wohlſtand waͤre, ſich nicht unterſtehen, von einem Geruͤchte, welches ihnen wohl ſchmeckt, und davon man ihnen allbereits einmahl vorgelegt, noch ein - mahl etwas zu verlangen, ſo muß man entweder ſelbſt Achtung geben, oder den Vorſchneider dahin inſtruiren, daß denjenigen, welchen eine gewiſſe Speiſe wohl geſchmeckt, und die nichts mehr davon auf dem Teller haben, zum andern mahl wiederum etwas davon angeboten werde. So muß ein Wirth auch Ordre ſtellen, daß die auf dem Tiſch geſetzten Speiſen angeſchnitten und vorgelegt wer - den, er muß ſich an einige wenige nicht kehren, die im Nahmen der gantzen Tiſch-Geſellſchafft verſi - chern, daß niemand weiter etwas davon genuͤſſen werde, weil ſich die uͤbrigen vielleicht nicht nach die - ſer ihrem Gouſto richten moͤchten, es waͤre denn, daß die gantze Tiſch-Geſellſchafft den Wirth er - ſucht, daß eine gewiſſe Speiſe nicht angenommen werden moͤchte.
F f 3§. 43.454II. Theil. IX. Capitul.§. 43. So hoͤflich und wohlanſtaͤndig es nun einem Wirth iſt, wann er fleißig Sorge hat, daß ſeine Gaͤſte nach Gebuͤhr mit Speiſe und Tranck verſorget werden moͤgen, ſo ſeltzam laͤſt es, wenn er ſie auf eine uͤbermaͤßige Weiſe zum Eſſen noͤthiget, ihren Appetit durch das viele noͤthigen, gleichſam zwingen, und ſie obwohl mit den groͤſten Com - plimens, zur Unmaͤßigkeit in Speiſen verleiten will; mit dem noͤthigen zum Eſſen hat es eine glei - che Bewandniß, als wie mit dem noͤthigen zum Trincken.
§. 44. Nachdem ich in dem vorigen eine und die andere Regel denjenigen, ſo ſich als Wirthe bey ei - ner Gaſterey auffuͤhren, vorgeſchrieben, ſo will ich in den folgenden auch noch eine und die andere Lection, deren ſo als Gaͤſte darzu eingeladen, mit - theilen. Vorerſt rathe ich jungen Leuten, daß ſie ſich bey einer Gaſterey des Eſſens im geringſten nicht ſchaͤmen, denn daß Spruͤchwort bleibet wohl allerdings wahr, daß man nicht Urſach habe, ſich des Eſſens, (verſtehe des maͤßigen und erbaren,) des Arbeitens und Betens zu ſchaͤmen. Einige, die in der großen Welt noch nicht ſehr bekandt geworden, theils von dem maͤnnlichen, theils und inſonderheit aber von dem weiblichen Geſchlecht, vermeynen, es ſey ein beſonderer Wohlſtand, und gehoͤre noth - wendig zur Klugheit zu leben, wenn ſie bey einer Gaſterey wenig ſpeiſeten, und faſt halb hungrig wieder vom Tiſch aufſtuͤnden. Sie erwerben aber durch ihr Zuͤchten im geringſten keinen Ruhm.
§. 45.455Vom Tractiren und denen Gaſtereyen.§. 45. Man iſt eben nicht verbunden, wenn ei - nem eine gewiſſe Speiſe nicht ſchmeckt, oder man hat ſich bereits geſaͤttiget / alle Teller mit der Spei - ſe anzunehmen, ſondern man erzeiget manchem Wirth, der auf die Spahrſamkeit bedacht iſt, ei - nigen Gefallen, wenn man den Teller refuſirt, es wird ihm lieber ſeyn, daß einem andern Gaſt dieſe Portion koͤnne præſentirt werden, und er das uͤbri - ge in der Schuͤſſel behaͤlt, als daß es den Aufwaͤr - tern zu Theil wird. Bey Hoͤfen iſt es eine andere Sache, da befleißiget man ſich nicht ſo der Spahr - ſamkeit als wie unter Privat-Perſonen, und hier nimmt man die Teller mit den Speiſen gerne an. Man erzeiget den armen Laquayen, die das uͤber - leye der Speiſen vor die Jhrigen mit nach Hauſe nehmen, eine Douçeur, damit ſie uns bey der Auf - wartung deſto emſiger bedienen.
§. 46. Der Reinlichkeit und Erbarkeit muß man ſich, wenn man nicht ausgelacht und be - ſchimpffet werden will, bey ſeinem eſſen befleißi - gen. Wir ſind nicht in Arabien, von welchen Monſieur de la Roque in ſeiner Voyage dans la Paleſtine gedencket, daß die Araber an ſtatt des Loͤffels die hohle Hand naͤhmen. Bliebe ihnen nun von ungefehr in ſelbiger oder am Bart etwas haͤngen, ſo muͤſte es ohne Façon in die Schuͤſſel wieder zuruͤck. Nach Tiſche wuͤſchen ſie ſich die Haͤnde mit Erde ab. Sie ſollen auch ihre Schuͤſ - ſeln in Forme einer Pyramide anrichten, wenn ſie ungefehr keinen Leuchter bey der Hand haben, ſol -F f 4len456II. Theil. IX. Capitul. len ſie das Talch-Licht oben in die Spitze hinein ſtecken, und wenn das uͤbrige von der Speiſe ver - zehret, anfangen das Talch-Licht auch auszueſſen, und dieſes ſoll ihnen nachgehends gantz vortrefflich ſchmecken. S. pag. 199 und p. 205.
§. 47. Ein junger Cavalier thut wohl, wenn er ſich nach und nach die unterſchiedenen Frantzoͤſi - ſchen Nahmen der Speiſen, der Confituren, der Liqueurs u. ſ. w. bekandt macht, als der Geleen, der blanc Manger, der Grenaden, Grilladen, Car - bonaden u. ſ. w. und ſie von einander zu unter - ſcheiden lernet. Es kan ſonſt oͤffters geſchehen, wenn er die Ehre hat an einer vornehmen Tafel zu ſpeiſen, und eine Standes-Perſon, ein groſſer Miniſter oder ein Frauenzimmer verlangt von ihm, er ſoll ihr etwas von der Gelee u. ſ. w. reichen, und er bey dieſem Befehl ſeine Unwiſſenheit am Tag legen muß, daß er ſich durch eine ſolche Klei - nigkeit bey einigen veraͤchtlich macht. Da vielen an dieſer Erkenntniß mehr gelegen als an andern nuͤtzlichen Sachen, und ſie in demjenigen, was die aͤuſſerlichen Sinnen beluſtiget, trefflich erfahren, ſo ſchreiben ſie eine ſolche Unerkenntniß in dieſen Dingen einer beſondern Einfalt zu, und bemercken es als einen gewaltigen Fehler.
§. 48. Es ſtehet einem jungen Cavalier beſſer an, daß er die Confituren, Liqueurs und andere dergleichen Sachen kennet, als daß er ſie, wie biß - weilen von einigen unartigen Leuten, denen der - gleichen ſelten vor den Mund kommen, zu geſche -hen457Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. hen pflegt, in groſſer Quantitæt, und mit einer faſt unerſaͤttlichen Begierde hinein ſchlucket, oder ſich gar, welches noch weit heßlicher, die Schubſaͤcke, wie die kleinen Kinder zu thun pflegen, damit an - fuͤllet, oder auf eine ungewoͤhnliche Weiſe die Schaͤlgen mit eingemachten Sachen in die Wein - glaͤſer ſchuͤttet. Die Confituren werden den Gaͤ - ſten theils zum Koſten, theils und oͤffters auch gar nur zur Parade und Schau hingeſetzt, nicht aber zu dem Ende, daß die Gaͤſte alle Confect-Schaalen, wie die Schulmeiſter-Weiber auf den Doͤrffern zu thun pflegen, ausleeren ſollen.
§. 49. Bey den Complimens mit den Tellern hat man in Obacht zu haben, ob ſie an dieſem oder jenem Ort eingefuͤhret, und bey dieſer oder jener Geſellſchafft nach beſondern Umſtaͤnden wohl pas - ſiren moͤchten oder nicht. Menantes behauptet in ſeiner allerneueſten Manier hoͤflich und galant zu reden und zu leben p. 138. es ſchickte ſich durchaus nicht, es waͤre nur eine Hoͤflichkeit bey geringer Leute Tiſchen. Doch ich achte dieſe Regel eben nicht vor allgemein, und wolte dieſes uͤberhaupt eben nicht ſagen. An den Fuͤrſtlichen Tafeln gel - ten die Teller-Complimens wenig oder nichts, denn hier pflegt der Cavalier oder der Page die Speiſen einem ieden nach ſeinem Range anzubie - ten, und was ein ieder bekommt, muß er behalten; bey etzlichen andern Geſellſchafften aber, theils in Staͤdten, theils und inſonderheit aber auf dem Lan - de, wuͤrde es manchen doch wohl verdacht werden,F f 5wenn458II. Theil. IX. Capitul. wenn er nicht den Teller mit Speiſen, den er zuerſt bekommen, entweder einer Perſon aus dem Hauſe, die zur Familie des Wirths gehoͤrt, oder ſeinem Nachbar u. ſ. w. præſentiren wolte.
§. 50. Eine andere Regel, die Menantes p. 140 mittheilet, daß es theils verdaͤchtig, theils wider den Reſpect und Wohlſtand waͤre, uͤber der Tafel ei - nes vornehmen Mannes, zu jemand etwas heimli - ches zu reden, iſt ebenfalls nicht allgemein. Man muß hierbey die groſſen und kleinen Geſellſchafften, und die groſſen und kleinen Tafeln unterſcheiden: Bey einer kleinen Tafel, die aus wenig Perſonen beſtehet, hat dieſe Regel ihre Richtigkeit; bey einer groſſen Geſellſchafft aber leidet ſie ihre Ausnahme: Hier iſt es ja mehr gewoͤhnlich, daß die naͤchſten Nachbarn, die bey einander ſitzen, mit einander re - den, und bißweilen auch gantz heimlich, ob ſie gleich eben nicht einander in das Ohr reden, als daß einer uͤber die gantze Tafel uͤber laut ſpricht, wiewohl die - ſes ebenfalls erlaubt, und zu geſchehen pflegt.
§. 51. Man vermeide bey der Tafel einer vor - nehmen Geſellſchafft, alle gemeine Arten, Gewohn - heiten und Spruͤchwoͤrter, die entweder bey dem Poͤbel eingefuͤhrt, oder auch bißweilen unter beſon - ders guten Freunden erlaubt, da man einander nichts vor uͤbel nimmt. Es wuͤrde ſich alſo einer ſehr laͤcherlich machen, der in einer großen Compa - gnie wider ſeinen Nachbar, mit dem er etwan zu - gleich den Krug ausgetruncken, ſagen wolte: Sie muͤſſen vom friſchen wieder anfangen / denn ſie ha -ben459Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. ben die Neige ausgetruncken. Der Urſprung die - ſes gemeinen brocardici ſchreibet ſich aus Preuſſen her: Die alten heydniſchen Preuſſen waren ge - wohnt, es denen Chriſten und Ordens-Bruͤdern zuzutrincken, und wenn ſie ihnen vom friſchen einge - ſchenckt, den Trunck zu vergifften, weshalber der Teutſche Ordens-Meiſter bey Lebens-Straffe an - befohlen, daß der, ſo den letzten Trunck gethan, auch von neuen anfangen muſte; daher der Reim ent - ſtanden: Qui bibit ex negis, ex friſchibus incipit ille, Cur ſic ſi quæras, ſic lex Prutenica ſanxit. S. Leonis Hiſtoria Pruſſiæ p. 131.
§. 52. Bey dem Geſundheit-trincken muß man ebenfalls behutſam ſeyn, daß man nicht etwas da - bey verſehe, und das Ceremoniel vornemlich gegen den Wirth und die Wirthin, hernach auch gegen die Gaͤſte recht beſorge. Ob man wohl meiſten - theils alle Speciel-Geſundheiten ſeiner Mitgaͤſte zu trincken pflegt, ſo iſt es doch eben nicht noͤthig, daß man bey jeder Geſundheit ein gantz Glaß ausleeret, ſondern man kan unterſchiedener Leute Geſundheit aus einem Glaſe trincken. Es iſt eine bloſſe Cere - monie. Daß das Geſundheit-trincken an und vor ſich ſelbſt den zulaͤßigen Dingen beyzuzehlen, habe ich in den vorhergehenden Saͤtzen dieſes Ca - pituls bereits angefuͤhret. D. Brown, ein gewiſſer Engliſcher Biſchoff zu Yorck, hat anno 1716. es in einer eignen Schrifft zwar als gottloß und ſuͤndlich verworffen, bey den meiſten aber Widerſpruch ge - funden. Es gab ihm Gelegenheit zu dieſer Schrifft,da460II. Theil. IX. Capitul. da er die Mode der Engellaͤnder mißbillichte, krafft deren ſie auf ihren Gelacken, auf das Gedaͤchtniß des Koͤniges Williams zu trincken pflegten.
§. 53. Jſt die Geſellſchafft ſehr groß, muß man, zu Vermeidung eines uͤbermaͤßigen Trunckes, eini - ge zugleich auf einmahl nehmen, deren Geſundheit man trincket. Einige Autores geben in ihren Schrifften die Regel: Es kaͤme mit dem Reſpect nicht wohl uͤberein, den eine geringere Perſon einer hoͤhern ſchuldig waͤre, wenn ſie ſich unterſtehen wol - te, der hohen Perſon Geſundheit ſelbſt anzufangen; wenn aber einer von gleichem Stande ſolche hoͤfli - che Gewohnheit anfienge, machte man mit. Doch dieſe Anmerckung hat nicht allenthalben ihre Rich - tigkeit. Man pflegt in einer Geſellſchafft wohl ger - ne zu warten, biß der Hoͤhere des Wirths oder eines andern Gaſtes Geſundheit ausgebracht; Jnzwi - ſchen hat man doch ebenfalls in vielen Geſellſchaff - ten, ohne Verletzung des Wohlſtandes, die Frey - heit, daß man, ohne daß man noͤthig hat, auf den Hoͤhern zu warten, des andern Geſundheit anfaͤngt. Die Anmerckung, die in dem Traite de Civilité p. 199. vorkommt, daß es ſehr ungehobelt ſtuͤnde, die Geſundheit einer vornehmen Perſon zu trincken, wenn man es nemlich zu ihr ſelbſt thaͤte, und ſie dar - uͤber zum Zeugen aufrufft, findet in Teutſchland ebenfalls nicht allenthalben Platz. Es wird die - ſes in viel vornehmen Geſellſchafften vor gar keinen Fehler gehalten.
§. 54. Man iſt ſo wohl den Pflichten des Chri -ſten -461Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. ſtenthums, als der geſunden Vernunfft nach verbun - den, ſich vor dem uͤbermaͤßigen Trunck zu huͤten, dadurch man aufhoͤrt ein Menſch zu ſeyn, und ſich dem Vieh je mehr und mehr aͤhnlich macht; man muß ſeine Kraͤffte kennen, und ſeine Menſur wiſſen. Man muß ſich von niemand, es ſey auch wer es wolle, zu einem uͤberfluͤßigen und unmaͤßigen Trunck uͤberreden, noch weniger noͤthigen oder gar zwingen laſſen. An dem Orte, wo man ſich auf - haͤlt, muß man ſich auf einem ſolchen Fuß ſetzen, daß ein jederman weiß, daß man ſeinen Vorſatz hierinnen nicht uͤberſchreiten werde, ſo bleibet man ein andermahl deſto eher vor dem Trunck geſichert und verſchonet. Jſt man an einem fremden Orte, muß man in Beſuchung der Geſellſchafften ſehr be - hutſam ſeyn, man muß ſich vorher erkundigen, ob es an dieſem oder jenem Ort allzu naß zugehen wer - de, man muß nicht eher hingehen, biß man von dem Wirth die Verſicherung erhalten, daß er einem hierunter alle Freyheit goͤnnen wolte. Es iſt eine ſeltzame Sache, daß ſichs manche vor eine Schan - de achten, wenn ſie die groſſen Humpen Wein nicht auf eben die Weiſe, wie ſie ihnen zugebracht wor - den, ausleeren ſollen, und halten ſichs doch vor keine Schande, wenn ſie in Trunckenheit die groͤßten Thorheiten begehen, dadurch ſie ſich hernach bey der gantzen Geſellſchafft beſchimpffen, und ſolche Hiſtorien ſpielen, davon ſie bißweilen in ihrem gan - tzen Leben ein unangenehmes Andencken uͤbrig be - halten.
§. 55.462II. Theil. IX. Capitul.§. 55. Es iſt beſſer, ſich oͤſſters zur Befoͤrderung der Glaͤſer erinnern zu laſſen, nur etwas weniges daraus zu trincken, oder ſie auch wohl gantz und gar ſtehen zu laſſen, als bey einem groſſen Rauſch ſich in Gefahr ſetzen, an ſeiner Geſundheit, oder doch an ſeiner Reputation Schaden zu leiden. Wo die Regeln des Wohlſtandes mit den uͤbrigen Pflich - ten ſtreiten, muß das Ceremoniel nachgeben. Bey jenem Fall buͤßt man nichts weiter ein, als daß man ſich bey denen, die vom ſtarcken Zutrincken Liebha - haber ſind, nicht recommandirt, und ſie uns in Zu - kunfft nicht gerne mehr in ihre Trunck - oder viel - mehr Sauff-Geſellſchafften ziehen werden; doch dieſes wird vor einem tugendhafften Menſchen ein gar ſchlechtes Ungluͤck ſeyn. Bey dieſem aber kan man, nach dem unordentlichen Weſen, das aus dem Sauffen zu entſpringen pflegt, gar viel ver - lieren.
§. 56. Auf was vor Art ſich ein Chriſt bey der - gleichen Faͤllen zu bezeugen habe, hat der Chriſtliche Sitten-Lehrer, Ernſt Ludwig von Faramond in ſeiner Klugheit der wahren und Narrheit der fal - ſchen Chriſten wohl ausgefuͤhrt, wenn er auf folgen - de Weiſe, die Welt und einen Chriſten redend ein - fuͤhrt: Die Welt ſagt, man wuͤrde, wenn man an - dern ehrlichen Leuten den Trunck verſagen, und nicht auf alle zugebrachte Geſundheiten Beſcheid thun wolte, von jederman verachtet, verhaßet, und wohl gar mit Schlaͤgen tractiret werden. Denn es iſt nach der eingefuͤhrten Gewohnheit, ein groſ -ſer463Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. ſer Schimpff / wenn man eine Geſundheit zu trin - cken abſchlaͤgt; Doch der Chriſt antwortet drauf: Man muß GOtt mehr gehorchen, als den Men - ſchen, der Welt Freundſchafft iſt GOttes Feind - ſchafft, wenn man GOttes Diener ſeyn will, muß man ſich in die Truͤbſahl ſchicken, und ein Chriſt kan nicht von der Welt hoch geachtet noch geliebet werden, weil die Welt nur das ihre lieb hat. Die Welt ſagt: wie ſoll man es denn nun machen, wenn man von einem großen Herrn zum Trunck genoͤthiget wird? Der Chriſt antwortet: man ſoll ſich entſchuldigen, und um Verſhchohnung bitten; Die Welt, wenn aber kein Bitten helffen will? Ein Chriſt, du ſolt den uͤbermaͤßigen Trunck den - noch abſchlagen; Die Welt, ſo komm ich bey den großen Herren in Ungnade, und werde zu nichts gebraucht; Der Chriſt, wenn dich ein großer Herr zu nichts braucht, ſo braucht dich der Allergroͤſte HErr, der dich in der heiligen Tauffe in ſeine Dien - ſte genommen, zu etwas wichtigern, nemlich zu Aus - uͤbung der Gottſeligkeit. Zudem iſt auch nicht al - lemahl zu befuͤrchten, was du dir einbildeſt. Ein vernuͤnfftiger groſſer Herr wird einen Diener, wel - chen er wegen ſeiner Treue und Geſchicklichkeit nuͤtz - lich gebrauchen kan, deswegen nicht alſobald ver - ſtoſſen, und mit Ungnade belohnen, weil er nicht gleich, als andere, alle Glaͤſer ausleeret, und alle Ge - ſundheiten Beſcheid thut; vielmehr wird er geden - cken, daß ein maͤßiger Mann zu wichtigen Geſchaͤff - ten weit geſchickter ſey, als ein ſolcher, welcher ſichin464II. Theil. IX. Capitul. in Gefahr ſetzt, truncken zu werden, und welcher dannenhero auch leichtlich dahin gebracht werden kan, die groͤſten Geheimniſſe zu offenbahren, indem der Wein ein gewaltiger Strohm iſt, der die Thuͤr des Hertzens leichtlich aufſtoͤſt.
§. 57. Das Cermoniel der Welt hat faſt alles darnach eingerichtet, daß die Gaͤſte ſollen betrun - cken werden. Man trinckt vielerley Weine unter - einander, zu Ende der Tafel ſetzt man ihnen Unga - riſchen Wein vor, oder Vin brulé, und wenn ſie nach der Tafel etwas von Thé oder Caffé zu ſich ge - nommen, folgen oͤffters mancherley Sorten ge - drandter Waſſer wieder drauff, damit ja, was bey der einen Art nicht moͤglich geweſen, durch das andre zuwege gebracht werde.
§. 58. Einige achten ſichs vor die groͤſte Schan - de von der Welt, wenn ſie nach Erforderung einer unvermeidlichen Nothwendigkeit ſollen genoͤthiget werden von einer vornehmen Tafel aufzuſtehen. Sie wollen lieber Schaden an ihrer Geſundheit leiden, als die erſten ſeyn, die Geſellſchafft auf eine Zeitlang zu verlaſſen. Doch ſie machen ſich ohne Noth allzuviel Sorge. Die Regeln der Geſund - heit gehen den Regeln des Wohlſtandes vor. Koͤn - nen ſie durch einem und andern manierlichen Præ - text ihr Aufſtehn ein wenig bemaͤnteln, ſo iſt es deſto beſſer. Wenn ſie ſich bey dem Trunck der Regeln der Maͤßigkeit befleißigen, und zugleich den Tag, da ſie der Vermuthung nach einer Gaſterey bey - wohnen ſollen, ſich Fruͤhmorgens des The - undCaffe -465Vom Tractiren und denen Gaſtereyen. Caffe-Trinckens enthalten, werden ſie deſto laͤnger ohne Beſchwerlichkeit uͤber der Tafel koͤnnen ſitzen bleiben.
§. 59. Einige begehen darinnen einen beſondern Fehler, daß ſie bey dem vornehmen Miniſtre, mit dem ſie die Ehre gehabt zu ſpeiſen, ſo viel Conte - ſtationes machen, daß er ſich ſo groſſe Ungelegen - heit gemacht, und ihm wegen dieſer vermuthlichen Ungelegenheit viel Complimens vorſagen; das - jenige welches ſie oder ihres gleichen incommo - dirt haben wuͤrde, incommodirt eben nicht dieſen Miniſtre, was ſie vor extraordinair anſehen, iſt vielleicht ſein ordinair, und wenn er auch die Mahl - zeit auf das propreſte angeſtellt, und es an nichts fehlen laſſen, iſt es doch nicht um ihrenthalber ge - ſchehen, ſondern um der vornehmen Gaͤſte, die er zu ſich gebeten. So machen auch einige junge Leute, denen die Gaſt-Gebotherar ſind, offt allzu - viel Ceremonien bey dem Danckſagungs-Com - pliment, daß ein Wirth bißweilen gantz ſcham - roth hieruͤber wird; Sie dancken vor eine Mahl - zeit, als ob ihnen die groͤſte Wohlthat von der Welt hiedurch waͤre erzeiget worden. Es iſt aber eben ſo pedantiſch auf eine allzu ceremonieuſe Weiſe zu dancken, als es unhoͤflich iſt, einem andern vor die uns erzeigte Hoͤflichkeit gar nicht zu dancken.
§. 60. Es iſt ein gar gewoͤhnlich Formulgen, daß die Gaͤſte nach geendigter Gaſterey ſich ver - lauten laſſen, ſie wolten ſich wieder revengiren, es iſt aber auch in der That ein gar gemeines Com -G gpliment,466II. Theil. X. Capitul. pliment, das nicht gar weit her iſt. Es wird ſolches insgemein von denen vorgebracht, die ſich aus fleiſ - ſigen Gaſtereyen eine beſondere Ehre machen. Unter ſeines gleichen gehet alles an, wenn man aber bey einem vornehmern Miniſtre damit wolte angezogen kommen, ſo wuͤrde man es ſehr mal à propos anbringen, und koͤnte leicht eine Antwort darauf bekommen, die einen beſchaͤmt machen wuͤrde.
§. 1.
OB und wie weit das Dantzen nach denen Regeln der Chriſtlichen Sitten-Lehre vor zulaͤßig oder unzulaͤßig zu achten, iſt in vielen Streit-Schrifften mehr als zu weitlaͤufftig unterſucht und abgehandelt worden. Einige von den Gottesgelehrten unſrer Evangeli - ſchen Kirche, welche die Erkaͤntniß der Wahrheit mit der Ausuͤbung der Gottſeeligkeit nicht gehoͤrig zu verbinden gewuſt, haben mit Unverſtand uͤber das Dantzen geeifert, und alles Dantzen ohn Un - terſcheid als ſuͤndlich, GOtt mißfaͤllig und ver - dammlich ausgeſchryen, andere hingegen, die allzu fleiſchlich geſinnt, haben GOtt und der Evangeli - ſchen Kirche einen ſchlechten Dienſt gethan, da ſieohne467Vom Dantzen und Baͤllen. ohne die noͤthige Einſchraͤnckung, das Dantzen, und noch dazu das Sontags-Dantzen in oͤffentlichen Schrifften vertheidiget, die Grentzen der Zulaͤßig - keit nach der Vorſchrifft des goͤttlichen Wortes nicht genau beſtimmt, und dadurch die gottloſe Welt bey ihrem ſuͤndlichen Dantzen noch weit mehr verſtaͤrckt. Noch andere aber haben auf ei - ne vernuͤnfftige und einen Gottesgelehrten anſtaͤn - dige Weiſe den Mißbrauch von dem Gebrauch wohl abgeſondert, alles was bey dem weltlichen Dantzen vorkommt, gepruͤft, das ſuͤndliche Weſen, ſo ſich gar leicht damit einflechten kan, angezeigt und verworffen, und das wenige Gute, als zulaͤßig erkandt und behalten.
§. 2. Wenn ich das Dantzen, wie es heutiges Tages, theils unter den Hohen auf ihren ſo ge - nandten Baͤllen, theils unter den Adelichen und Buͤrgerlichen, auf ihren mancherley Zuſammen - kuͤnfften, theils unter dem Poͤbel, in den Schen - cken, und auf denen Dantz-Plaͤhnen gebraͤuchlich iſt, in einige genaue moraliſche Betrachtung ziehe, ſo muß ich bekennen, daß ich mehr Mißbrauch als Gebrauch dabey antreffe, und daß die meiſten Menſchen ſich deſſen als einer ſolchen Ergoͤtzlich - keit, die durch ſie ſuͤndlich und unzulaͤßig wird, be - dienen. Es iſt allerdings der Wahrheit gemaͤß, was der Autor der Pflicht und Schuldigkeit, wel - che man in ſeinem Haußweſen zu beobachten hat, p. 270. von vielen Baͤllen der Hohen ſchreibet: Die Baͤlle der Hohen, oder die ſchnoͤden Dantz -G g 2Ver -468II. Theil. X. Capitul. Verſammlungen geſchehen eben zu der Zeit des Schreckens und der Finſterniß, da der Geiſt der Finſterniß herrſchet, ſie anordnet, und da ihm alles gehorchet. Hierbey verſammlen ſich alle Laſter, die Verſchwendung erſcheinet in ihrer gantzen Pracht, da glaͤntzet die gefaͤhrliche Schoͤnheit, da herrſcht der Hochmuth, da geſchehen laſterhaffte Zuſammenfindungen, da faͤngt die Hurerey an, da entſtehet Ehebruch, da finden Jungfrauen ihrer Keuſchheit ſehr gefaͤhrliche Fallſtricke, die meiſten Perſonen, welche dahin gehen, haben alle ein zum Laſter eingerichtetes Hertz. Das Mannsvolck ſucht daſelbſt zu verſuchen, und das Frauenzimmer folgt ohne Widerſtand, weil ſie ohnedem zu ſolcher Verfuͤhrung geneigt ſind, es iſt alles ihren boͤſen Willen goͤnſtig. Die Finſterniß, die Verſtrickun - gen, die Masquen, unter welchen man ſich verbirgt, geben offt ſchaͤndliche Freyheiten, und machen, daß man gar leicht einander die Mittel alle Arten der Schande zu begehen, an die Hand geben kan. Jch habe wider dieſe Stelle nichts zu erinnern, als daß der Autor, was er von allen ſagt, dieſes von den meiſten haͤtte ſollen urtheilen.
§. 3. Meines Erachtens beſtehet die ſuͤndliche Unordnung, ſo groͤſtentheils bey allerhand Art des Dantzens vorzukommen pflegt, in folgenden: Man treibt Ubermaß dabey in Anſehung der Zeit, man hoͤret nicht zu rechter Zeit auf, die Nacht, die doch von GOtt zur Ruhe erſchaffen, wird bey die - ſer Uppigkeit gar oͤffters in Tag verwandelt, mandantzet469Vom Dantzen und Baͤllen. dantzet gemeiniglich an Sonn - und Feſt-Taͤgen, die doch nicht zu den Luſtbarkeiten der Welt, ſon - dern zur Heiligung, zur Betrachtung des Wortes GOttes, und ſeiner mancherley geiſtlichen und leib - lichen Wohlthaten, die er uns erzeiget, zur Abſtat - tung Chriſtlicher Liebes-Dienſte, die man ſeinem Naͤchſten ſchuldig iſt, und zu einer GOtt gefaͤlligen Ruhe des Leibes und Gemuͤthes gewiedmet ſeyn ſollen, man ſchadet offters der Geſundheit durch eine allzuhefftige Bewegung, man ſieht das Dan - tzen an, nicht als eine Abwechſelung oder Veraͤn - derung, die man ſich bißweilen damit machen koͤn - te, ſondern als eine ſtetswaͤhrende Luſtbarkeit, die man lieber alle Tage, wenn man nur ſtets Zeit und Gelegenheit darzu haͤtte, auszuuͤben wuͤnſchet, man will entweder dem andern Geſchlecht dabey gefal - len, oder ſich ſonſt ſehen laſſen, man redet viel unnuͤ - tze Worte dabey, da man ſich uͤber ſeine Mitdaͤntzer, die es ihren Gedancken nach, nicht ſo gut machen, auf eine ſpoͤttiſche Weiſe aufhaͤlt, man erweckt durch mancherley heßliche und einen Chriſten un - anſtaͤndige Geberden bey ſich, bey ſeinen Mit - daͤntzern und bey den Zuſchauern mancherley un - keuſche Begierden.
§. 4. Nachdem nun ſo viel Greuel und Suͤn - den bey dem Dantzen vorfallen, und die wenigſten ſich dabey zu maͤßigen wiſſen, ſo thun Lehrer und Prediger uͤberaus wohl, daß ſie in ihren Schriff - ten und Predigten die Zuhoͤrer davon abrathen ſo viel als moͤglich. Sehen wir uns in den alten undG g 3einen470II. Theil. X. Capitul. neuen Geſchichten ein wenig um, ſo finden wir viele Straf-Gerichte des groſſen GOttes, die auf das ſuͤndliche Dantzen erfolget ſind. Beckmann er - zehlt in ſeiner Anhaͤltiſchen Chronica im III. Thei - le pag. 464: Es ſolten in dem XI. Seculo etzliche Bauers-Leute, theils Manns-theils Frauens-Per - ſonen, anſtatt daß ſie die gebuͤhrende Devotion in der Kirche dieſe Nacht haͤtten abwarten ſollen, auf dem Kirchhofe einen Dantz angefangen, und ſol - chen mit Singen und Schreyen dermaſſen conti - nuirt haben, daß ſie auch den Prieſter in der Kirche irre gemacht, er haͤtte ſie zwar etzliche mahl ermah - net, davon abzuſtehen, ſie haͤtten ſich aber nicht daran gekehret, ſondern waͤren ſtets fortgefahren; daher der Prieſter ihnen endlich angewuͤnſcht daß ſie doch ſo ein gantz Jahr mit einander dantzen und ſingen moͤchten, es waͤre dieſes auch alſo er - folgt, dergeſtalt, daß ſie biß uͤber die Knie in die Erde hinein gedantzt, wovon annoch eine Grube wolte gezeigt werden, biß ſie endlich nach geendig - tem Jahre, durch Vorbitte frommer Leute, wieder davon erlediget worden, etzliche waͤren bald darauf geſtorben, andere aber haͤtten ein ſtetswaͤhrend Zittern der Glieder behalten, biß ſie endlich auch Todes verblichen. Dieſes ſoll ſich um das Klo - ſter Kolbeck in dem Fuͤrſtenthum Anhalt zugetra - gen haben. Ob ich nun zwar dahin geſtellt ſeyn laſſe, in wie weit die Wahrheit dieſer Geſchicht ge - gruͤndet ſey oder nicht, ſo iſt dieſes doch gewiß, daß die Strafen GOttes auf das ſuͤndliche Dantzen ſowohl471Vom Dantzen und Baͤllen. wohl zu folgen pflegen, als auf andere Suͤn - den.
§. 5. Es haben viel groſſe Herren die ſchaͤndli - chen Mißbraͤuche, die bey dem Dantzen, ſonderlich unter dem gemeinen Volck eingeriſſen, gar wohl eingeſehen, und daher das Dantzen in beſondern Mandaten theils eingeſchraͤnckt, theils gantz und gar verboten. Alſo ward Anno 1708 den 14 Junii vom Kayſerlichen Hofe in der Stadt Wien, und auf dem Lande, nachgehends in andern Kay - ſerlichen Koͤnigreichen und Landen kund gethan, daß ins kuͤnfftige ein ieder, welcher in den Haͤuſern bey Mahlzeiten, wie auch in den Wirthshaͤuſern und andern Kirchtaͤgen zu dantzen verlangten, ein gewiß Geld davor bezahlen ſolte. S. 74 Theil der Eu - ropaͤiſchen Fama pag. 96. Wenn dergleichen in andern Laͤndern nachgeahmet werden ſolte, wuͤrde in kurtzer Zeit ein groß Stuͤck Geld zuſammen kom - men.
§. 6. So ſehr nun als das Dantzen von boß - hafftigen Menſchen gemißbrauchet wird, ſo bleibet doch die Dantz-Kunſt an und vor ſich ſelbſt eine ſolche Sache, die mit den Regeln des Chriſten - thums gar wohl beſtehen kan, und einige Ubung im Dantzen iſt einem ieden jungen Menſchen, inſon - derheit aber einem jungen Cavalier, nicht allein ſehr anſtaͤndig, ſondern auch hoͤchſt-noͤthig und unent - behrlich, ſintemahl ſie mancherley Nutzen zuwege bringt. 1) Gereicht ſie zu proportionirtem Wachsthum, indem alle Glieder auf tauſenderleyG g 4Art472II. Theil. X. Capitul. Art gebeugt und geſtreckt werden, und ſich alſo nach und nach formiren. 2) Zu einer Bewegung und zur Geſundheit vor diejenigen, welche viel ſitzen und ſtudiren. 3) Zur Feſtigkeit der Glieder, wie denn feſte ſtehen eines der nothwendigſten Stuͤcke im Dantzen iſt, denn wer auf einen Fuß feſte ſte - het, kan den andern deſto geſchickter bewegen. 4) Zur Behendigkeit des Leibes und aller zu bewe - genden Glieder, auch zu andern Exercitiis, und weil ſie ihre Fundamenta zur Execution ex Ma - theſi nimmt, ſo geſchicht dieſe Hurtigkeit unter gu - ter Regulirung, dadurch alle unproportionirte und beſchwerliche Bewegungen in Gehen, Ste - hen ꝛc. abgeſchafft und ſehr erleichtert werden, ſo daß ſie viel leichter und manierlicher daher gehen, als ſonſt, und 5) zu einem noblen Air und gewiſſen manierlichen Weſen, das man allen ſeinen Hand - lungen giebet, welches man ſehr ſelten bey denen findet, ſo dieſes Exercitium nicht getrieben.
§. 7. Jn dem Patent, welches der Koͤnig in Franckreich, Ludwig XIV, der neu aufgerichteten Koͤniglichen Dantz-Academie zu Pariß ausferti - gen laſſen, wird der Dantz-Kunſt folgendes Eloge beygelegt: L’art de la danſe a toujours eté re - connu l’un des plus honnetes & plus neceſſaires à former le corps, & luy donner les prémieres & plus naturelles Diſpoſitions aotoutes ſortes d’exercices & entré autres, à ceux des armes, & par conſequent l’ un des plus avantageus & plus utile a nôtre Nobleſſe, & autres, qui ontl’hon -473Vom Dantzen und Baͤllen. l’honneur de nous aprocher non ſeulement en temps de guerre en nos armées mais mème en temps de paix dans le divertiſſement de nos ballets. Der Herr von Tzſchirnau ſagt in ſeinem Unterricht eines getreuen Hofmeiſters: Das Dan - tzen iſt deswegen vor einen jungen Cavalier, der ein - mahl bey groſſen Solennitaͤten ſich wohl auffuͤhren ſoll, noͤthig, weil es ſelbigem bey allen Occaſionen, es ſey bey Viſiten vornehmer Leute, bey deren Be - gleitung bey der Tafel, und ordinairen Converſa - tionen ſtets dienet. Man kan es einem auch gleich anſehen, ob er dieſes Exercitium getrieben hat, und werden junge Leute hieraus beurtheilet. S. p. 106.
§. 8. Wie nun das Dantzen an und vor ſich ſelbſt eine unſchuldige und zulaͤßige Sache, alſo fin - det man auch einige wenige chriſtliche und tugend - haffte Leute, an Hoͤfen und auſſer den Hoͤſen, und unter mancherley Staͤnden, die ſich deſſen ohne Suͤnde bedienen, und dem Gebrauch vom Miß - brauch in Praxi wohl abſondern. An Hoͤfen und auf einigen vornehmen Baͤllen dantzen einige Ca - valiers und Dames mehr zur Froͤhne als zur Freu - de, ſie thun es auf Befehl und Ordre ihrer Herr - ſchafft, und ihnen hiedurch eine gewiſſe Art einer Aufwartung hierbey zu leiſten, ſie haͤngen ihr Hertz nicht dran, und wuͤnſchen ſich manche wohl weit da - von entfernt zu ſeyn; oder bloß des unvermeidlichen Wohlſtandes wegen, da ſie ſich in ſolchen Umſtaͤn - den befinden, daß ſie andern zu Gefallen, an deren Gnade, Gunſt oder Freundſchafft ihnen etwas ge -G g 5legen,474II. Theil. X. Capitul. legen, einige Daͤntze thun muͤſſen. Auſſerhalb der Hoͤfe dantzen einige auf eine zulaͤßige Weiſe, bey einer Hochzeit und andern Solennitaͤt, wobey nach ſehr alten Gebrauch das Dantzen Herkommens, oder bey einer andern angeſtellten erbaren Zuſam - menkunfft, um ſich entweder ſelbſt, wenn ſie daran Vergnuͤgen finden, einige Erquickung des Gemuͤths zu machen, und ſich zu Fortſetzung ihrer uͤbrigen Be - ruffs-Arbeit, die ihnen nach ihrem Stand aufer - legt, aufzufriſchen, oder denen Hoͤhern, oder ihren guten Freunden, ihre Ergebenheit und Freund - ſchafft hiedurch zu bezeugen, oder ſich eine maͤßige und der Geſundheit zutraͤgliche Bewegung hiebey zu verſchaffen, oder bey andern Gelegenheiten, die ehrbar und ihnen anſtaͤndig ſind; Sie dantzen maͤßig, ſittſam und zuͤchtig, ſie ſind zwar bey ihrem Dantz vergnuͤgt, und auch an einem ſolchen Tage, den ſie oder andere vor gut halten, guter Dinge; ſie fuͤrchten ſich aber, und ſind behutſam, daß ſie bey ihrem Dantzen ihren GOtt nicht beleidigen moͤgen / und wiſſen wohl. daß ſie auch GOtt, um der Suͤnden willen, die ſie bey ihrem Dantzen be - gehen moͤchten, werde vors Gericht fordern.
§. 9. Daß die Prieſter, welche den andern Layen mit guten Exempeln vorgehen ſollen, zu Vermei - dung des Aergerniſſes, hohe Urſache haben, bey dem Dantzen und andern dergleichen Mittel-Din - gen, noch eine groͤſſere Behutſamkeit anzuwenden, als andere, iſt wohl gantz richtig, und halte ich da - vor, daß ſie ſehr wohl thun, wenn ſie ſich des Dan -tzens475Vom Dantzen und Baͤllen. tzens, ſo viel als moͤglich / enthalten. Jnzwiſchen kan ich doch auch nicht abſehen, wie man es, nach dem Urtheil einiger von der ſtrengen Secte, einem Prieſter als ein ſo gar groß Verbrechen anſchrei - ben ſolte, wenn er bey einer chriſtlichen und honet - ten Geſellſchafft mit einer erbaren Matrone, oder ſonſt einem tugendhafften Frauenzimmer, ein - oder ein paar mahl ein Daͤntzgen thut. Sie haben hierinnen den ſeeligen Vater Lutherum zum Vor - gaͤnger, welcher in ſeiner Kirchen-Poſtill von ſich ſchreibt: Er ließ der Hochzeit ihr Recht, und dantzte mit hin; der Glaube und die Liebe lieſſen ſich nicht ausdantzen. Der Herr Michaelis iſt in ſeinem Paſtori Diœceſen ſuam dirigente gleicher Mey - nung, und meldet pag. 578: Wenn ein Prediger meines Synodi Hochzeit haͤlt, bittet er den Præpo - ſitum und alle Herren Paſtores durch eine Curren - de dazu; wir ſtellen uns, wo kein Hinderniß entge - gen kommt, alleſammt ein, wohnen dem heiligen Actui mit aller Andacht bey, und ſind darauf mit Braut und Braͤutigam froͤlich im HErrn, thun auch wohl zuweilen den Braut-Dantz mit, als eine indifferente Sache, wodurch weder Glaube, noch Liebe, noch Erbarkeit ausgeſchuͤttet wird.
§. 10. Jhrer viele verwerffen das Dantzen gantz und gar, bloß um deswillen, weil die erſten Chriſten nichts auf das Dantzen gehalten; ſie haͤtten ſie heydniſch und teufliſch genennet, und ihnen nicht al - lein mit Worten, ſondern auch mit oͤffentlichen Verbothen und genauer Kirchen-Zucht gewehret;Eini -476II. Theil. X. Capitul. Einige waͤren auch gar ſo weit gegangen, daß ſie ſich lieber verbrennen, und von wilden Thieren zer - reiſſen laſſen, als daß ſie gedantzet haͤtten. S. Ar - nolds Kirchen-Hiſtorie IV. Buch VI. Eap. Ob nun wohl die erſten Chriſten in ihrem Chriſtenthum viel eifriger und feuriger geweſen, als unſere heuti - gen kaltſinnigen Chriſten, und wir ſehr wohl thun, wenn wir ihnen nachahmen, ſo viel als moͤglich, ſo muͤſſen wir doch nicht ſo weit gehen, daß wir alles dasjenige, worinnen wir die erſten Chriſten nicht zu Vorgaͤngern haben, vor Suͤnde halten wolten. Die Gebothe und Verbothe GOttes ſind hierin - nen vor die eintzige und beſte Richtſchnur anzuneh - men. Es vergieng den guten Leuten wohl das Dantzen, da ſie ſich ſtets vor den heydniſchen Ver - folgungen in Acht zu nehmen und zu fuͤrchten Urſach hatten.
§. 11. Das Dantzen bleibet alſo an und vor ſich ſelbſt etwas zulaͤßiges, nachdem aber ſo groſſe Gefahr vorhanden, daß es gar leicht zur Suͤnde werden kan, ſo dantzet ein junger Cavalier, der die Pflichten des Chriſtenthums in Obacht neh - men will, ſo ſelten als moͤglich, inſonderheit gehet er denen von der Welt angeſtellten oͤffentlichen Baͤllen aus dem Wege, wo er kan und weiß, und dantzet auf denſelben, oder auch wohl nicht eher, als wo es ein unvermeidlicher Wohlſtand erfordern will, oder wo ihn ein wichtiger Grund dazu an - treibt. Man muß ſich wundern, daß der Graf Buſſy Rabutin, der doch ſo ein ſtarcker Welt -Mann477Vom Dantzen und Baͤllen. Mann und galant homme geweſen, in ſeinem Tractat, den er wider die Baͤlle geſchrieben, und an ſeine Kinder gerichtet, ſo ſehr dawider eiffert; Un - ter an dern ſchreibet er: Jay toujours crû les bals dangereux, ce n’ a pas eté ſeulement ma raiſon, qui me l’ a fait croire, c’ a encore eté mon ex - perience, & quoyque le temoignage des peres de l’ Egliſe ſoit bien fort, ce tiens, que ſur ce chapitré, celuy d’un Courtiſan doit etré de plus grand poids. Je ſcay bien, qu’il y a des gens, qui courent moins de hazard en ces lieux la que d’ autres, cependant les temperamens les plus froids s’y rechaufent, ce ne ſont d’ ordinaire, que des jeunes gens, qui compoſent ces ſortes d’aſſemblées, les quels ont aſſér de peine a reſiſter aux tentations dans la ſolitude, a plus forte raiſon dans ces lieux la, ou les beaux objets, les flam - beaux, les Violons, & l’agitation de la danſe echauferoient des anachoretes. Les vielles gens, qui pouvoient aller au bal ſans intereſſer leur conſcience, ſeroient ridicules d’y aller, & les jeunes gens, a qui la bienſeance le permettroit, ne le pourroient pas ſans s’expoſer à de trop grands perils. Ainſi je tiens, qu’il ne faut point aller au bal, quand on eſt chrétien, & je crois, que les Directeurs feroient leur devoir, s’ils exigoient de ceux dont ils gouvernent la conſcience, qu’ils n’y allaſſent jamais.
§. 12. Was die Baͤlle ſind, iſt unnoͤthig zu er - klaͤren, indem es mehr als zu bekandt, daß es oͤffent -liche478II. Theil. X. Capitul. liche Dantz-Verſam̃lungen, auf welchen Perſonen unterſchiedenen Standes und Geſchlechts, theils en Maſque, theils ohne Maſque, theils nach einer vor - hergehenden Einladung, theils auch uninvitirt zu er - ſcheinen pflegen, u. von demjenigen, der ſie angeſtellt, auf unterſchiedene Weiſe tractirt und divertirt wer - den. Sollen ſie recht propre ſeyn, ſo muß alles dabey harmoniren, die Muſic, Rafraiſchiſſemens, Confituren, Aufwartung u. ſ. w. Die Zimmer muͤſſen gemeiniglich ſeyn, daß die Dantz-Geſell - ſchafften genugſamen Platz haben moͤgen. Es muß alles ordentlich dabey zugehen, und alle Ex - ceſſe muͤſſen ſo viel als nur moͤglich, verhuͤtet wer - wen. Große Herren, die ihre Guarden haben, laſſen dieſelben die gantze Nacht uͤber im Gewehr, theils zur magnificenze, theils zu verhuͤten, daß keine Unordnungen dabey vorgehen moͤge.
§. 13. Wer keine Geſchicklichkeit oder Luſt zum Dantzen hat, thut am kluͤgſten / wenn er ſich der Dantz-Geſellſchafften enthaͤlt; denn wenn man von einem Frauenzimmer aufgezogen wird, und man entſchuldiget ſich durch einen Reverence, oder muͤndlich Compliment, ſo ſetzt es bißweilen ver - druͤßliche Geſichte, und man beleidiget Perſonen, denen man offters Reſpect ſchuldig, und wird noch dazu wegen ſeiner eignen Ungeſchicklichkeit bißwei - len beſchaͤmt. S. Menantes hoͤfliche Manier zu reden und zu leben, p. 121. Der kein gut Gehoͤr hat, muß ſich ebenfalls des Dantzens enthalten,wenn479Vom Dantzen und Baͤllen. wenn er die Pas auch noch ſo zierlich zu machen wuͤſte, denn es iſt ein laͤcherlich Spectacul, jemand außer der Cadance oder dem Tact zu ſehen, und man wuͤrde nachgehends nur Anlaß nehmen, ſeiner zu ſpotten; S. Traite de Civilite p. 226. Was von dieſem geſagt iſt, gilt noch vielmehr vor dem, der einen beſondern Fehler des Leibes an ſich hat, der den Zuſchauern ſehr in die Augen faͤllt, und Ge - legenheit zu mancherley ſpoͤttiſchen Urtheilen erwe - cken wuͤrde.
§. 14. Der Autor des itzt angezogenen Traité de Civilite giebt p. 227. eine ſeltzame Regel, er ſpricht, wenn ein anderer, der es aus Autoriræt verlangte, um ſich einen artigen Zeitvertreib zu ma - chen, einen der keine beſondere Geſchicklichkeit im Dantzen bezeugte, dazu zwingen wolte, ſo duͤrffte mans nicht abſchlagen, denn es waͤre beſſer, ſich einer wider Willen zugezognen Beſchaͤmung zu un - terziehen, um ſich gefaͤllig zu erweiſen, als dem Verdacht zu unterwerffen, den wir auf uns laden koͤnten, als ob wir aus lauter Hochmuth nicht dan - tzen wolten. Redet der Autor von dem Caſu, da einer eine, ob zwar nicht beſondere, jedoch maͤßige Geſchicklichkeit im Dantzen beſitzt, im uͤbrigen aber ungern dantzet, und von denen, an deren Gna - de ihm ſehr viel gelegen, und in deren Haͤnden ein großer Theil ſeiner zeitlichen Gluͤckſeeligkeit beru - het, einen ſcharffen Befehl zum Dantzen erhaͤlt, ſo hat er Recht; meynet er aber, wie es faſt ſcheinet, daß einer, der ſich bey der gantzen Geſellſchafft, esſey480II. Theil. X. Capitul. ſey nun wegen ſeiner Ungeſchicklichkeit oder wegen eines Fehlers des Leibes, laͤcherlich machte, um an - dern Leuten dantzen ſolte, die ſich uͤber ihn aufhal - ten wuͤrden, eine Freude zu machen, ſo hat er wohl ſehr unrecht. Die Tugend der Gefaͤlligkeit, wie auch des Gehorſams gegen ſeine Herrſchafften, Patrone, Vorgefetzten, und wie ſie weiter heiſſen moͤgen, hat ihre Grentzen. Sie muß ſich nicht biß auf unmoͤgliche Dinge erſtrecken. Dieſes iſt aber einem vernuͤnfftigen Menſchen unmoͤglich, daß er ſich, um andern Leuten eine Freude zu machen, ſoll verſpotten, oder auf gut Teutſch, zum Narren haben laͤſſen.
§. 15. Bey dem Dantzen hat man ebenfalls ſeine Jahre in Betrachtung zu ziehen; es duͤncket mir, daß es vor diejenigen, die den einen Fuß be - reits im Grabe haben, und ſich dennoch auf dem Dantz-Platz ſehen laſſen, keine feine aͤuſſerliche Zucht ſey; nicht weniger muß man auch hierbey auf ſein Amt und ſeinen Character ſehen. Hoch - characteriſirte Maͤnner, oder die in geiſtlichen Aemtern ſtehen, ſolten das Dantzen lieber andern uͤberlaſſen, iedoch koͤnnen bißweilen die Befehle der Herrſchafften an Hoͤfen, oder gewiſſe Solennitæ - ten, die ſie zu Ehren ihrer Familie anſtellen, oder auch andre Umſtaͤnde, ihr Dantzen privilegirter machen.
§. 16. Der nun aus beſondern Urſachen ſich feſt entſchloſſen des Dantzens zu enthalten, thut zwar am beſten, wenn er den Gelegenheiten zumDantzen481Vom Dantzen und Baͤllen. Dantzen aus dem Wege gehet, weil aber dieſes nicht allezeit moͤglich, und einer bißweilen unver - muthet in ſolche Geſellſchafften gerathen kan, die nach vollbrachter Mahlzeit das Dantzen belieben, ſo muß man feſt auf ſeinem Vorſatz bleiben, denn ſonſt wird es nicht an Leuten fehlen, die aus leicht - fertigen und hoͤniſchen Abſichten einen um ihres Vergnuͤgens willen mit der groͤſten Beredtſamkeit zu dem Dantzen werden uͤberreden wollen, und wenn ſie einmahl wiſſen daß ſie einen hiedurch ge - winnen koͤnnen, werden ſie ſich dieſer Methode mehrmahls bedienen.
§. 17. Will man dantzen, und man beſitzet dar - innen eine mediocre Geſchicklichkeit, ſo thut man ebenfalls wohl, daß man durch Vorſchuͤtzung ſei - ner Ungeſchicklichkeit im Dantzen die Geſellſchafft vorher erſucht, daß ſie uns davon diſpenſiren moͤch - ten. Hat man ſich dieſerwegen entſchuldiget, ſo wird die Geſellſchafft nachgehends deſto weniger von uns erfordern duͤrffen. Jſt man aber ver - ſichert, daß man im Dantzen gar viele andre Ge - ſellſchafft uͤbertreffen moͤchte, ſo muß man nicht von ſeiner Ungeſchicklichkeit, wie einige zu thun pflegen, weder vor dem Dantz, noch nach Endigung deſſel - ben, ſo gar viel und offt Erwehnung thun, denn es gewinnet das Anſehen, als ob man denen an - dern Mitdaͤntzern ihre Ungeſchicklichkeit wolte vor - werffen, und deſto begieriger ſey, bey den andern hiedurch groß Lob davon zu tragen.
§. 18. Ob zwar wohl eine jede Nation ihre be -H hſondern482II. Theil. X. Capitul. ſondern Arten zu dantzen hat, und in unſerm Teutſch - land, das fremden Voͤlckern in allen Stuͤcken ſo gern nachahmet, mancherley fremder Voͤlcker Daͤntze hie und da ſich eingeſchlichen, ſo haben doch unter allen die Frantzoͤſiſchen und Engliſchen biß anhero die Oberhand behalten. Der Fran - tzoͤſiſchen werden faſt alle Monathe neue heraus kommen; Die gewoͤhnlichſten darunter ſind Cou - rante Simple und Figuree, Paſſepied auf vielerley Arten, Aimable Vainqveur, Charmant Vain - qveur, Menuet d’Anjou, Menuet Allide, Le contretems, Menuet Figurée, Menuet en quatre, La Princeſſe, Bourrée, Rigondon, Gavotte &c. Sarabande, Gique, u. ſ. w. Ob es nun wohl ſo gar unrecht nicht iſt, einige von dieſen Daͤntzen zu lernen, indem die Fuͤße und der Leib hiedurch zu einer mehrern Geſchicklichkeit gebracht werden, ſo ſind ſie doch mehrentheils auch bald wieder ver - geſſen, weil man gar ſelten Gelegenheit hat ſie in oͤffentlichen Geſellſchafften zu dantzen, die Menuet bleibet wohl derjenige Dantz, ſo allenthal - ben vor andern am meiſten gebraͤuchlich und be - liebt iſt.
§. 19. Der Engliſchen Daͤntze giebt es wieder mancherley Arten, als der Schieß-Dantz, der Leyer-Dantz, Nonnen-Dantz, Jalouſie-Dantz, Großvater-Dantz, Winck-Dantz, Licht-Dantz, Hahn-Dantz, Reverenz-Dantz, u. d. g. Wer dieſer Daͤntze nicht gewohnt, und ſich nicht fleißig in denſelben geuͤbet, laſſe ſich ja damit unverwor -ren,483Vom Dantzen und Baͤllen. ren, ſintemahl gar zu ſeltzame Veraͤnderungen und Bewegungen bey denſelben anzutreffen, die nicht ein jedweder in ſo gar geſchwinder Zeit lernen kan. Wer in denſelben ungeuͤbt iſt, hindert ſeine Mit - Daͤntzer, macht ſich ſowohl bey ihnen, als auch bey den Zuſchauern laͤcherlich, und hat bey ſeinem Dantzen ſchlechten Ruhm und Vergnuͤgen zu ge - warten.
§. 20. Die Teutſchen uͤberlaſſen die teutſchen Daͤntze groͤſten theils dem Poͤbel, und verweiſen dieſe Arten derſelben in die Schencken und Wirths - Haͤuſer, ſie lernen bloß die fremden, ſie laſſen ſich entweder gantz und gar darum unbekuͤmmert, oder glauben, daß ſie von keinen Regeln, und von keiner Ordnung dependirten, und daß ſie ein jedweder nach Gefallen dantzen koͤnne, wie er wolte, und wie es ihnen einfiele. Es waͤre aber beſſer, wenn mancher, der ſich bey dem Teutſchen Dantzen, wel - ches doch ebenfalls bißweilen bey hoͤhern Zuſam - menkuͤnfften vorkoͤmmt, ſo unartig bezeuget, von dem Dantz-Meiſter ſich einige Anweiſung haͤtte ertheilen laſſen, wie man ſich bey einem teutſchen Dantze manierlich und beſcheiden auffuͤhren ſolte.
§. 21. Man muß bey allen Daͤntzen auf ſeine Taille und Leibes-Conſtitution mitſehen, damit man derſelben gemaͤß, die langen oder kurtzen, ſanfften oder hurtigen Schritte wehlen koͤnne. S. Paſchens Anweiſung zur Dantz-Kunſt, p. 22. Die mit allzuſchwehren Coͤrpern belaͤſtiget, thaͤtenH h 2weit484II. Theil. X. Capitul. weit beſſer, wenn ſie ſich des Dantzens gantz und gar enthielten, ſintemahl ſie theils ihrer Geſund - heit ſchaden, theils ſich auch bey der Geſellſchafft laͤcherlich erweiſen.
§. 22. Die Sittſamkeit in Dantzen iſt einem jeden anzurathen. Die Capriolen und Lufft - Spruͤnge ſind denen Comœdianten und Operiſten auf den Theatris anſtaͤndiger als Hof-Leuten oder andern Daͤntzern bey honetten Dantz-Ver - ſammlungen. So ſind auch alle tollen Um - ſchwenckungen, Wendungen, und ſeltzamen Spruͤnge, die nach dem Poͤbel ſchmecken, und da - durch entweder bey den Dantzenden oder auch bey den Zuſchauern einige verbothne Luſt erreget wer - den koͤnte, mit allen Ernſt zu vermeyden.
§. 23. Es iſt ſchaͤndlich, wenn einige mit allem Fleiß im Gange affectiren, ſo wohl in Heben, Bie - gen als Strecken, oder die Beine ſchleudern als wolten ſie dieſelben wegwerffen, ohne Noth eine auſſerordentliche Gravitæt, oder groſſe Geſchwin - digkeit an ſich nehmen, mehr mit den Schultern und Armen als mit den Fuͤſſen gehen, auch mehr huͤpffen als gehen. Es ſchickt ſich auch nicht wohl, wenn die Menſchen, die ſo wohl an Complexion und Gemuͤthe, Proportion der Leiber und an Kraͤff - ten, Herkom̃en oder Stand u. Chargen, ſo gar ſehr von einander unterſchieden, dennoch einander in al - len gleich thun wollen, daraus denn wunderliche und unproportionirliche Handlungen und Geberden entſtehen, welche allen Regeln der wahren Dantz -Kunſt485Vom Dantzen und Baͤllen. Kunſt zuwider; es iſt alſo wunderlich, wenn ein Starcker in allen will thun wie ein Schwacher, ein Groſſer wie ein Kleiner, eine hohe Standes - Perſon wie ein junger martialiſcher Menſch, da doch die allgemeine Mode ſeyn ſolte, daß ein ieder thun ſolte was ihn wohlanſtaͤndig waͤre.
§. 24. Einem jungen Menſchen ſtehen fluͤchti - ger Pas und Geberden weit beſſer an als einem al - ten gravitætiſchen Herrn; und wenn ſich eine vor - nehme Dame, welche auch noch wohl die allererſten Jugend-Jahre nicht mehr hat, eine Air einer jun - gen Dame oder gar einer Daͤntzerin auf dem Theatro geben will, ſo wird ihr dieſe gewiß nicht ſonderlich anſtaͤndig ſeyn.
§. 25. An einer guten Air iſt uͤber die maaßen viel gelegen, daß man nemlich eine ordentliche Stellung des Leibes und nette Pas formire, auch die Arme nach den mathematiſchen und muſicali - ſchen Kunſt-Regeln zierlich und accurat nach der Cadance zu bewegen wiſſe, damit ſie nicht allzu - ſteiff und unbeweglich gefuͤhrt werden, auch nicht mit allzuviel Geberden und unnoͤthigen flichtigen Mouvemens vergeſellſchafftet ſeyn, und die Daͤn - tzer dadurch den Marionetten aͤhnlich werden.
§. 26. Es iſt laͤcherlich, wenn einige, die der Muſic verſtaͤndig, unter waͤhrendem Dantzen der andern, bey denen ſie Zuſchauer abgeben, entweder mit dem Kopff oder mit den Fuͤſſen den Tact dazu geben, es iſt dieſes den Muſicis oder Dantzmeiſtern oder jungen Scholaren auf dem Dantz-Boden, dieH h 3ſich486II. Theil. X. Capitul. ſich in der Cadance uͤben wollen, anſtaͤndiger als Cavalieren bey Hofe oder andern Leuten, die ſonſt zu leben wiſſen wollen oder ſollen.
§. 27. Die muͤndlichen Complimens die man nach Anleitung einiger Schrifften vor oder nach dem Dantz an eine Dame abſtatten ſolte, daugen nichts und laſſen ſehr pedantiſch, zumahl bey Fran - tzoͤſiſchen Daͤntzen, da ein Reverence alles ausrich - tet. Bey teutſchen Daͤntzen iſt gnug, wenn man ſich bey einem Frauenzimmer vorher mit ein paar Worten die Erlaubniß ausbittet, mit ihr zu dan - tzen, und es nach dem Dantz, wenn man ſie loß laͤſt, vor eine Gnade, Ehre oder Vergnuͤgen er - kennt, damit iſt das gantze Compliment expedirt.
§. 28. Es iſt zwar eine Sache die faſt ieder - maͤnniglich bekannt, daß man bey dem Dantzen den Degen ablegen, und ſolchen entweder bey Sei - te ſetzen oder einem Laquays geben muß, der ihn inzwiſchen haͤlt; es iſt aber doch Acht zu haben, daß man auch hierbey aufmerckſam ſey, und ſolchen nicht etwan aus Vergeſſenheit an ſich behalte, und ſich hiedurch laͤcherlich mache.
§. 29. Es iſt unhoͤflich im Vorbey-Dantzen der Dame naͤher als eines Schrittes weit ſich zu naͤhern. Wenn man ſie bey der Hand faßt, muß es nicht lange und bey dem aͤuſſerſten der Finger geſchehen, es muͤſſen auch die Daͤntzer beyderſeits Handſchuh anhaben. S. Paſchens Dantz-Buch p. 22. Daß man im Dantzen einander das Geſicht zuwendet, iſt eine Hoͤflichkeit, und wuͤrde das Abwenden desGe -487Vom Dantzen und Baͤllen. Geſichts eine Verachtung ſeyn, eben ſo wohl als wenn es geſchaͤhe, wenn man mit einem redete und das Geſicht abwenden wolte. Es geſchicht auch dieſes Anſehen der Figur wegen, damit ſie gleiche Symmetrie darinnen halten koͤnnen.
§. 30. Die Geſichter muͤſſen weder lachen noch ſauer ſehen, ſondern ſich modeſt und indifferent erweiſen. Die Schritte muͤſſen Regel-recht for - mirt, mit dem Leibe und Kopffe Regel-recht accom - pagnirt, und die Cadance Regel-recht in Obacht genommen werden.
§. 31. Wider den Wohlſtand iſt, wenn ein Ca - valier bey Hofe, oder ſonſt auf einem vornehmen Ball, auf denjenigen Stuͤhlen Platz nehmen will, die vor die Dames hingeſetzt, damit ſie nach dem Dantz wieder ausruhen; ein anders iſt, auf dem Lande, oder in Geſellſchafft guter Freunde, wo man, in dieſem und andern Stuͤcken mehr, das Ceremo - niel nicht ſo gar ſcharff beobachtet. Es iſt auch eine unnoͤthige und uͤberfluͤßige Hoͤflichkeit, wenn einige junge Daͤntzer bey Hofe, vor den Fuͤrſtlichen Perſonen, die bey dem Dantzen Zuſchauer abgeben, mitten im Dantzen, da ſie etwan vor denenſelben vorbey paſſiren, auf eine ſeltzame Weiſe Reveren - ces machen, oder den Hut abziehen, und hiedurch in ihrer Cadance gantz irre werden.
§. 32. Nachdem es in dem Frantzoͤſiſchen Dan - tzen, ſo wohl bey dem Hut-abnehmen, als auch ſonſt hin und wieder an einigen Orten ſo, an andern hin - gegen wieder anders gehalten wird, als muß manH h 4ſich488II. Theil. X. Capitul. ſich vorher des Gebrauchs wegen an dieſem oder je - nem Ort erkundigen, damit man bey dieſen Kleinig - keiten nicht etwan anſtoſſen moͤge.
§. 33. Man muß nicht auf dem Dantz-Platz den andern Daͤntzern im Wege ſtehen, und ſie da - durch irre machen, ſondern ſich nach geendigtem Dantz wieder an ſeinen Ort begeben. So muß man auch nicht pro autoritate allein auf dem Dantz-Platz ſeyn, und ſich denen andern, die man geringer ſchaͤtzt, auf eine herrſchſuͤchtige Art vorzie - hen. Es ſtehet ſchlecht, wenn man bey dem Teut - ſchen Dantzen keine Ordnung noch Reyhe haͤlt, ſondern einmahl nach dem andern aus der Ord - nung heraus bricht, und ſeinen Vordaͤntzern vor - ſpringet.
§. 34. Wider dem Wohlſtand iſt, wenn ſich ei - nige mit denen andern, zumahl bey den Engliſchen Daͤntzen, herum zancken, da ſie einige ſo, andere aber wieder anders eingerichtet wiſſen wollen, bald auf die neue, bald auf die alte Manier, oder fremde und bekandte bey den Baͤllen disgouſtiren, oder die von dem Dantzmeiſter gemachte Ordnung unter - brechen, und ſolche nach ihren Gefallen einrichten wollen, oder auch auf Hochzeiten und bey andern Luſtbarkeiten auf eine tumultuariſche Weiſe ſchwaͤr - men, ſich die Ober-Kleider ausziehen, Schnupfftuͤ - cher um die Koͤpffe binden, und dadurch erweiſen, daß ſie ſich mehr vorgeſetzt zu raſen und tolle zu thun, als zu dantzen.
§. 35. Der ſeelige Herr Paſch hat in ſeiner An -wei -489Vom Dantzen und Baͤllen. weiſung zur Dantz-Kunſt vorgeſchlagen: Die Daͤntze ſolten nimmermehr anders, als in Gegen - wart alter und ehrbarer Leute geſchehen. Er mey - net, es koͤnte nicht ſchaden, wenn allezeit gar eine geiſtliche Perſon dabey waͤre, damit die Dantzen - den ihre Handlungen deſto reſpectueuſer verrich - ten muͤſten, und die lieben Herren ſelbſt ſehen koͤn - ten, wie es dabey hergienge, zumahl, wenn ſie ſich auch nur theoretice von einem rechtſchaffenen Mei - ſter haͤtten im Grunde dieſer Kunſt unterrichten laſ - ſen. Doch ich glaube, dieſe Erinnerung wird wohl in Praxi ſchwerlich zur Obacht kommen; ich laſſe auch dahin geſtellt ſeyn, in wie weit der Vorſchlag mit der geiſtlichen Perſon gegruͤndet ſey. Das iſt gewiß, wenn mancher Geiſtlicher, der auf eine ſo ungeſtuͤme Art wider alles Dantzen ohn Unterſchied eifert, bey manchem Dantz, wie er in honetten Zu - ſammenkuͤnfften gehalten wird, einen Zuſchauer ab - geben haͤtte, und geſehen, wie ſittſam und erbar al - les dabey zugienge, ſo wuͤrde er etwas beſcheidener davon urtheilen, und alles und jedes Dantzen nicht vor ſuͤndlich und verdammlich ausſchreyen.
§. 36. Man muß bey allem Dantzen die Sitt - ſamkeit in Obacht nehmen, inſonderheit aber muß man das Dantzen mit Ehrfurcht verrichten, und mit guter Aufſicht auf ſich ſelbſt und ſeine Mitdaͤntzerin, wenn es in Gegenwart hoher Standes-Perſonen geſchicht.
§. 37. Bey ſolennen Baͤllen, ſonderlich an Hoͤ - ſen, muß man ſich ja nicht uͤbereilen mit dem Aufzie -H h 5hen490II. Theil. X. Capitul. hen derer, die denen andern am Range nachgehen, ſondern vielmehr denen Hoͤhern den Vorzug goͤn - nen, weil man hierbey mehrentheils den Rang in Obacht nimmt; Jedoch braucht es auch bey dem Aufziehen der Hoͤhern eine gute Uberlegung, ob es, nemlich unſern Umſtaͤnden nach, wohl gemaͤß und erlaubt ſey, eine hohe Standes-Perſon aufzuziehen, daß man ſich nicht dem Gelaͤchter unterwerffe, und ſich einer allzu groſſen Freyheit anmaſſe.
§. 38. Dafern eine ſehr hohe Perſon einen Teutſchen Dantz thut, ſo muß man ſich nicht unter - ſtehen, zu gleicher Zeit ein Frauenzimmer aufzufuͤh - ren, ob es wohl ſonſt bey dem Teutſchen Dantzen Herkommens und erlaubt, daß einige Paar zu glei - cher Zeit mit einander dantzen.
§. 39. Einige Dames machen ſich ein beſonder point d’honneur draus, wenn ſie von ſich ſelbſt ruͤhmen, daß ſie im Dantzen nicht ermuͤdet koͤnten werden. Jch laſſe aber dahin geſtellt ſeyn, ob die - ſes eines Ruhmes wuͤrdig ſey, und ob dieſes nicht vielmehr den Regeln, der einem Frauenzimmer an - ſtaͤndigen Zucht und Sittſamkeit, zuwider ſey.
§. 40. Es iſt auch dieſes ein ſehr gezwungenes und unanſtaͤndiges Weſen, wenn ſich einige, von denen man doch weiß, daß ſie gerne dantzen, und auch eben nicht ungeſchickt darinnen ſind, anſtellen, als ob ſie das Dantzen verredet und verſchworen haͤtten, bloß, damit ſie von der Geſellſchafft deſto mehr moͤchten gebethen werden, und wenn ſie durch die Bitten der Geſellſchafft ſich haben uͤberwindenlaſſen491Vom Dantzen und Baͤllen. laſſen, nachgehends faſt nicht aufhoͤren koͤnnen zu dantzen.
§. 41. Ein vernuͤnfftiger Daͤntzer bildet ſich nicht das geringſte auf ſein Dantzen ein, haͤlt ſich auch uͤber andere, die entweder ihrer Taille, oder Alters, und anderer Umſtaͤnde wegen, nicht gar ge - ſchickt ſind, aus der Cadance kommen, oder Unge - berden dabey machen, nicht auf, ſondern thut, als ob er ihrer Fehler nicht gewahr wuͤrde.
§. 42. Es wuͤrde ſich mancher bey ſeinem Dan - tzen vernuͤnfftiger bezeigen, wenn er entweder einen geſchickten, vernuͤnfftigen und ſittſamen Dantzmei - ſter in ſeiner Jugend gehabt, oder auch als Scholare ſeinen Erinnerungen gehoͤrige Folge geleiſtet haͤtte. Denn viele ſind ſo nachlaͤßig, daß ſie mit Fleiß die Regeln, die ihnen ihr Dantzmeiſter vorſchreibt, aus den Augen ſetzen, und ihrem eigenen Kopff gehor - chen wollen. Hierbey kan ich nicht unterlaſſen, das Exempel eines alſo geſinneten Scholaren anzufuͤh - ren, deſſen der Autor der Europaͤiſchen Famæ in dem 74 Theile p. 97. Erwehnung thut. Er ſagt: Jch erinnere mich einer laͤcherlichen Begebenheit eines beruͤhmten Dantzmeiſters, dieſer hatte einen Scholaren, welcher die Fuͤſſe auf eine ſehr ungeſchick - te Weiſe zu ſetzen pflegte, daher ihm der Dantzmei - ſter unter dem Dantzen, anfangs mit gelinden, nach - gehends aber mit ernſtlichen Worten erinnerte, die Fuͤſſe auswerts zu ſetzen; Als ihn aber der Scho - lare, welcher die oͤfftern Erinnerungen nicht laͤnger vertragen konte, mit zornigen Geberden fragte: Ober492II. Theil. X. Capitul. er denn vor ſein Geld nicht dantzen duͤrffte, wie er wolte? So gab jener mit einer beſondern Sanfft - muth zur Antwort: Mein Herr, wenn er verlangt, daß ich ihn vor ſein Geld dantzen laſſen ſoll, wie er will, ſo kan ich ſolches ſehr wohl laſſen geſchehen. Hierauf haͤtte der Dantzmeiſter ſeine Menuet mit ruhigem Gemuͤth geſpielet, und der Scholare nach eigenem Gefallen auf dem Boden herum gedantzt, biß die Stunde verfloſſen geweſen.
§. 43. Wer ſich in ſolchen Umſtaͤnden befindet, daß er oͤffters dantzen muß, und dasjenige, was er einmahl gelernet, nicht vergeſſen, auch noch da - zu eine groͤßere Geſchicklichkeit ſich zuwege brin - gen will, thut wohl, wenn er ſich einige gute Dantz - Buͤcher zulegt, dergleichen ſind des ſeeligen Herrn Paſchens, des Meletaons und des itzt noch leben - den beruͤhmten Dantzmeiſters in Leipzig, Herrn Tauberts Schrifften, und andere mehr. Er kan hieraus einen und andern Fehler, der ihm ſonſt un - bekandt geblieben waͤre, oder den ihm ſein Maitre nicht geſagt, erkennen lernen, nach denen daſelbſt ausgedruckten Charactéren die Daͤntze repetiren, manche Kunſt-Woͤrter, die hier und da in Raiſo - niren, bey den Daͤntzen, bey Balletten, in Comœ - dien, Opern, und ſonſt hin und wieder vorkom - men, ſich bekandt machen, und auch eine und die andere nuͤtzliche Regel, die zu einer guten Ge - berdung bey allerhand Actionen vor - kommt, erlernen.
§. 1.
EJn Menſch muß unterweilen zur Erhaltung ſeiner Geſundheit von ſeiner ordentlichen Beruffs-Arbeit ruhen, damit er hernach dieſelbe mit wieder erneuerten Kraͤfften deſto beſſer fortſetzen koͤnne; denn ſonſt wuͤrde er durch allzu unmaͤßige Arbeit, abſonderlich durch diejenige, welche mit dem Kopff geſchiehet, in kur - tzen unfaͤhig werden, etwas tuͤchtiges zu verrichten. Dieſes hat ſeine Richtigkeit. S. Faramonds Klug - heit der wahren, und Narrheit der falſchen Chri - ſten, p. 149. Doch hierinnen ſteckt der Fehler, daß die meiſten Menſchen ſich der Ergoͤtzlichkeiten nicht zur Erquickung und zur Artzeney bedienen, ih - ren Beruf deſto beſſer abwarten zu koͤnnen, ſondern zum Zeitvertreib, da doch dieſe Abſicht, wenn auch gleich keine andern Suͤnden mehr mit dabey ein - ſchluͤchen, ſchon an und vor ſich ſelbſt ſuͤndlich iſt. Die Zeit iſt nicht[unſer] eigen, ſondern des großen GOttes, von der wir Jhm ſo wohl Rechnung ab - legen muͤſſen, als vom andern, das er uns anver - traut.
§. 2.494II. Theil. XI. Capitul.§. 2. Der Frantzoͤſiſche Autor, de la Serre, re - det in ſeinem vergnuͤgten Menſchen, oder in ſeiner Anweiſung zur Gemuͤths-Ruhe von dieſer Materie ſehr wohl, p. 91. wenn er ſpricht: Wir dencken mehrentheils an nichts anders, als die Zeit zu ver - treiben, da man doch die geſchwinde Vergaͤnglich - keit derſelben kaum begreiffen kan. Ein jeder be - klagt ſich uͤber die Laͤnge der Zeit, gleichſam als wenn ſie nicht geſchwinde genug fortgienge. Was vor Thorheit! Wir haben bloß die noch uͤbrigen wenigen Lebens-Tage, welche wir zu Erlangung der ewigen Seeligkeit anwenden ſollen, und wiſſen uns dennoch uͤber ihre Laͤnge ſo ſehr zu beſchweh - ren, gleichſam als wenn wir bey geſchwinden Fortgange der Zeit auch die Zeit ſelbſt in Beſitz nehmen koͤnten.
§. 3. Es wuͤrde zu weitlaͤufftig fallen, wenn ich allen den Divertiſſemens, von welchen ich in die - ſem Capitul handle, moraliſche Anmerckungen bey - fuͤgen wolte; ich will vielmehr allen meinen Le - ſern dasjenige, was der Herr D. Pritius in ſeiner Ausuͤbung der Chriſtlichen Tugend - und Sitten - Lehre, p. 205. hievon anfuͤhrt, beſtens recomman - dirt haben. Ein rechtſchaffner Chriſt, ſagt er: hat in dieſen und allen andern Beluſtigungen ſich ſorgfaͤltig zu huͤten, daß er niemahls, weder was die Zeit, noch was ſein Vorſatz und Abſehen anbe - trifft, aus ſeinen Schrancken ſchreite; Derowe - gen muß er ſich nicht gar zu ſehr drauf legen, und allzu viel Stunden darauf verwenden, ſondern erhat495Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc. hat ſich derſelben alſo zu bedienen, daß ſie ihm nicht zu einem Strick werden, und ihm zu dem Ende die - nen, deßwegen ſie vorgenommen werden, auf daß er dermahleinſt, wenn ihm GOtt zur Rechenſchafft fordert, ihm ſo wohl Rechnung von ſeinen Beluſti - gungen, als von ſeinen andern nothwendigen Pflicht-Schuldigkeiten, von ſeinem Stand u. Amts - Verrichtungen geben koͤnne. Nehmen alle die - jenigen, die entweder zur Gemuͤths-Erquickung ſich divertiren, oder eines unvermeidlichen Wohlſtan - des wegen denen Divertiſſemens mit beywohnen, dieſes in Obacht, ſo werden ſie ſich hiedurch nicht verſuͤndigen.
§. 4. Die Beſuchung der Opern und Comœ - dien iſt eines mit von den gewoͤhnlichſten Divertiſ - ſemens in groſſen Staͤdten; Einige thun denſelben allzuviel Ehre an, und meynen, man koͤnte ſie um deswillen mit guten Nutzen beſuchen, weil ſie gar viel beytruͤgen zur Verbeſſerung der Sitten. Doch die wenigſten gehen deswegen in die Comœdien und Opern, daß ſie wollen darinn in Tugenden zu - nehmen, ich habe auch in meiner erleichterten und zum Gebrauch des menſchlichen Lebens eingerich - teten Tugend-Lehre gezeiget, daß Arlequin ein gar ſchlechter Tugend-Prediger ſey. Der Autor der Pflicht und Schuldigkeit, welche man in ſeinem Hauß-Weſen in acht zu nehmen hat, bekennet mit Wahrheit p. 245. daß uns GOtt mit dergleichen Verbeſſerung nicht an die Narren und Pickelhe - ringe verwieſen, und wuͤrde man wenig Exempelanfuͤh -496II. Theil. XI. Capitul. anfuͤhren koͤnnen von ſolchen Perſonen, die dabey wuͤrcklich waͤren verbeſſert worden, an ſtatt daß man eine unzehliche Anzahl derſelben ſaͤhe, die da - durch verderbt werden. Doch ich will bey dieſem und bey den andern Divertiſſemens, derer ich in dieſem Capitul Erwehnungen thun werde, die uͤbri - gen moraliſchen Anmerckungen, die hierbey ange - bracht koͤnten werden, bey Seite ſetzen, und viel - mehr einige Regeln der Klugheit, die dem Wohl - ſtande nach, hierbey in Obacht zu nehmen, mit - theilen.
§. 5. Ein junger Cavalier muß den Unterſcheid lernen, worinnen eine Paſtorelle von einer Serenata, Opera, oder Operette abgeſondert; damit er auch hierinnen accurat zu reden und zu urtheilen wiſſe. Eine Paſtorelle differirt darinne von einer Haupt - Opera und Serenata, daß ſie kleiner als jene, und groͤſſer als dieſe iſt. Jſt die Haupt-Perſon ein Frauenzimmer, wird es eine Paſtorelle genannt, iſt es aber eine Manns-Perſon, ein Paſtoral, oder gut Teuſch, eine Schaͤferey oder Schaͤfer-Spiel. Zu Perſonen werden gemeiniglich Schaͤfer und Schaͤferinnen genommen; iedoch ziehet man auch zuweilen Jaͤger, Gaͤrtner, Goͤtter mit dazu, nur daß die Schaͤfer die Haupt-Perſonen ausmachen muͤſ - ſen. Es werden mancherley angenehme Schau - ſpiele præſentirt, und, um dem Werck ein Anſehen zu machen, gewiſſe Entreen dazu gemacht. Die Comœdien und Opern beſtehen aus mancherley Veraͤnderungen und Verwandlungen der Theatra,und497Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc. und aus unterſchiednen Haupt - und Neben-Hand - lungen, die in mancherley Actus und Scenen ein - getheilt. So muß er auch die verſchiedenen bey den Opern und dergleichen Poeſien vorkommenden Kunſt-Woͤrter, als Arioſo, Recitativ, Cantate, Cavate u. ſ. w. verſtehen lernen, damit er geſchickt und vernuͤnfftig hievon zu raiſoniren wiſſe.
§. 6. Meines Erachtens iſt auch folgendes da - bey in Betrachtung zu ziehen: Man muß auf die Erfindung ſehen, und ſonderlich auf die Harmonie und Ordnung der Zeiten, daß nicht ſolche Geſchich - te eingemiſcht werden, die ſich erſt nach dieſem zu - getragen, wovon die Opera hauptſaͤchlich handelt, nicht mit Stuͤcken und Carthaunen, Mouſqueten und Granaten aufgezogen kommen, wenn die In - vention der Opera aus den alten Zeiten hergenom - men, da man von dergleichen Geſchuͤtz noch nichts gewuſt.
§. 7. Die Verwirrungen und Intriguen muͤſ - ſen ſonderlich angebracht und kuͤnſtlich verwickelt werden, daß die Zuſchauer noch zweiffelhafftig ge - macht werden, wie die Sache ablauffen moͤchte, und in ſteter Aufmerckſamkeit erhalten werden. Zu Anfange oder in der Mitte muͤſſen ſie es nicht gleich mercken, doch aber am Ende es deutlich abneh - men koͤnnen. Die Umſtaͤnde muͤſſen ſo wahr - ſcheinlich ausgeſonnen ſeyn, als ob ſie alſo geſche - hen waͤren, oder doch haͤtten geſchehen koͤnnen.
§. 8. Es iſt Acht zu geben, ob der Character der Perſonen wohl ausgedruckt worden, ob die Nah -J imen498II. Theil. XI. Capitul. men der Kleidungen mit der alten Hiſtorie, die ſie vorſtellen, ſich wohl vereinigen, ob die Handlungen nicht allzulang gewaͤhret, und wohl miteinander correſpondiren, ob allezeit bey den Scenen und Auftritten entweder die Augen oder das Gehoͤr vergnuͤget werden, und das Theatrum niemahls leer geſtanden, ob die Verwandlungen mit der Materie der Opera oder Scene wohl harmoniren, ob die Zuſchauer durch offtmahlige Veraͤnderungen er - goͤtzt werden, ob auch nach der Mythologie der den Goͤttern beygelegter Aufzug accurat ſey, ob offt - mahlige Machinen oder andere Vorſtellungen auf - gefuͤhrt werden, ob die Entréen und Ballette gehoͤ - rig mit einander wechſeln, ob in den Scenen fließige Arien mit vorkommen, ob in denſelben ein beſon - derer Affect oder eine gute Morale mit unterlauffe, ob denen Perſonen ſolche Redens-Arten beygelegt werden, die ſich zu ihrem Stande ſchicken, und nicht zu hoch noch zu niedrig ſeyn? S. von die - ſem allen mit mehrern, Menantes allerneueſte Art zur reinen und galanten Poeſie.
§. 9. Man thut wohl, wenn man, bevor man in die Comœdie oder Oper gehet, das Stuͤck, ſo ge - ſpielet werden ſoll, erſtlich durchlieſet, ſo hat man nachgehends eine beſſere und groͤßere Aufmerckſam - keit.
§. 10. Nachdem an unterſchiedenen Orten die Par - terre oder der Stech-Platz eine von den vornehm - ſten iſt, an andern aber eine von den geringſten, ſo muß man ſich an einem jeden Orte, nach dieſemUm -499Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc. Umſtand erſt erkundigen, eben dieſes iſt auch von de - nen Logen zu verſtehen, und muß man zu beurthei - len wiſſen, welche vor die beſten zu achten, auch was nach dem Unterſchied der Loge vor ein Rang obſervirt werde. Die Logen ſind ſo zu erwehlen, damit man nicht gar zu nahe am Orcheſtre, noch auch allzuweit vom Theatro entfernt ſey. Jn denen Logen, die gantz nahe an das Theatrum ſtoßen, iſt der untere Platz der vornehmſte, ſind aber die Logen entfernt, hat es eine andere Be - wandniß. Denn der Platz, wo man am beſten auf das Theatrum ſehen kan, iſt allzeit der hono - rableſte Ort.
§. 11. Hat man die Ehre ein vornehmen Frau - enzimmer in die Comœdie oder Oper zu fuͤhren, ſo muß man vor einen guten Platz beſorgt ſeyn, da - mit man Ehre davon habe. Man muß ſich er - kundigen, was vor eine Comœdie oder Oper ge - ſpielet werde. Solte eine allzufreye Action vor - geſtellet werden, ſo wuͤrde man ſich bey einem tu - gendhafften Frauenzimmer ſchlecht recommandi - ren, wenn man ſie demſelben Tag in die Comœdie oder Oper fuͤhren wolte, wiewohl man einen großen Theil des weiblichen Geſchlechts von mancherley Stande antrifft, die ſich unbekuͤmmert laſſen, um dasjenige, was vorgeſtellt wird, und zufrieden ſind, wann ſie nur die Comœdie beſuchen koͤnnen. Die wenigſten nehmen die gute Erinnerung in Obacht, die der Autor der galanten Frauenzimmer-Moral p. 101. vortraͤgt, wenn er ſagt: Ein FrauenzimmerJ i 2thut500II. Theil. XI. Capitul. thut uͤberaus wohl, wenn ſie ſich derjenigen Comœ - dien und Opern entziehet, wie ſinnreich ſie auch moͤgen ſeyn ausgedacht worden, wenn ſie vermu - then koͤnnen / oder von andern hoͤren, daß ſolche Paſſagen und Aufzuͤge darinnen vorkommen, die vor keuſche Augen und Ohren aͤrgerlich. Sie moͤgen ſich alſo zum ſchoͤnſten davor bedancken, wenn ſie zu ſolchen invitirt werden.
§. 12. Der Wohlſtand bringt es zwar mit ſich, daß man vor die Dame, die man in die Comœdie oder Oper gefuͤhrt, bezahlet, man hat aber doch ebenfalls Urſache, Acht zu haben, ob ſie dieſes er - lauben, oder wohl aufnehmen moͤchte. Manche die ſehr ehrgeitzig und hochmuͤthig ſind, wuͤrden es in der That vor eine Verkleinerung annehmen, wenn man vor ſie bezahlen wolte. Doch dieſes hat ſeine Richtigkeit, daß die wenigſten daruͤber boͤſe wer - den. Jn der Oper muß man ſie mit Liqueurs, Con - fituren, auch mit dem Opern-Buche verſorgen, ſich jedoch nicht die Freyheit nehmen / mit ihr zu - gleich in das Opern-Buch zu ſehen, oder ihr daſ - ſelbige bißweilen aus der Hand zu nehmen.
§. 13. Es laͤſt ſehr unartig, wenn man bey der - gleichen Schauſpielen hin und wieder laͤufft, und ſich und andere hiedurch in der Aufmerckſamkeit, die man hierbey erweiſen ſolte, hindert. Man kaufft in den Opern den Eintritt, aber nicht die Freyheit nach ſeinem Gefallen darinnen zu leben. Es iſt ein Ort, wo die Modeſtie, ſo wohl als ander - waͤrts, ja faſt noch mehr, betrachtet werden ſoll, weilman501Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc. man vor gar viel Augen da iſt, und da, wo man je - mand incommodirt / oder etwas unhoͤfliches bege - het, viel verdruͤßliche Minen davor zu erwarten hat. S. Menantes Manier hoͤflich und wohl zu reden und zu leben. p. 109. Es iſt unartig, wenn eini - ge in dem Stech-Platz an dem Theatro vor der er - ſten Banck herum gehen, und nicht ſo wohl dem Spiel zuſehen wollen, als vielmehr ſich ſehen zu laſſen. Sie benehmen den Dames den Proſpect, und hindern ſie durch ihr plaudern am Gehoͤr.
§. 14. Jſt man auf dem Par-terre, ſo muß man nicht den Hut aufhaben, denn man ehret durch die - ſe Hoͤflichkeit andere, damit ſie uns wieder auf glei - che Art und Weiſe tractiren. Man muß ſich nicht dem Poͤbel gleichfoͤrmig erzeigen, welcher, wenn ihnen etwas gefaͤllt, das ihnen vor andern anſtaͤndig, ſo klatſchet, pfeiffet und ſchreyet, daß ſie die Spieler offt ſelbſt uͤbertaͤuben. Doch dieſes verurſacht bißweilen Weitlaͤufftigkeiten, und man hat Exempel, daß ſolche inſolente Leute / die wegen Kleinigkeiten einen Lermen gemacht, auch mitten aus dem Par-terre von der Wache weggehohlt worden. Alle Acteurs koͤnnen es nicht gleich gut machen; es gehoͤrt Zeit und Ubung darzu, keiner wird ein Meiſter gebohren. S. Nemeitz Sejour de Paris. p. 87.
§. 15. Man muß nach dem Unterſchied der Oer - ter beurtheilen, ob es geziemend ſey, in der Comœ - die oder Oper auf das Theatrum zu gehen, oder auf das Amphitheatrum. An einigen Orten wirdJ i 3das502II. Theil. XI. Capitul. das Amphitheatrum in den Comœdien vor ſchlecht gehalten, weil da allerhand Zeug zuſammen kommt; in der Opera hingegen iſt es manchmahl honorable und der Premier-Logen gleich. Unanſtaͤndig iſts, wenn einige mit Gewalt in die Logen treten, wo die Acteurs und Actricen ſich an - und auskleiden.
§. 16. Fuͤgt es ſich, daß man, auf dem Theatro oder ſonſt, mit dem Frauenzimmer aus der Comœ - die oder Opera zu ſprechen kommt, ſo erzeige man ihnen alle Hoͤflichkeit; jedoch laſſe man ſich nicht ſo weit mit ihnen ein, daß man ein Liebes-Commerce mit ihnen aufrichte, man kan ſich durch ſolche unzei - tige Liebe allerley Haͤndel uͤber den Hals ziehen, dar - uͤber man ſich in Leib - und Lebens-Gefahr ſtuͤrtzt. S. Nemeitz Sejour de Paris. p. 84. 88.
§. 17. Ob ſchon ein junger Cavalier ein ſehr zierlicher Daͤntzer waͤre, ſo muß er ſich doch nicht ſo weit vergehen, daß er ſich bey denen Balletten, oder ſonſt in der Comœdie und Oper, mit ſolte gebrau - chen laſſen. Vorerwehnter Autor meldet, daß ſich in Franckreich ein Edelmann oder Dame von Adel, ohne Nachtheil ihres Standes, in die Opera bege - ben koͤnte. Schluͤge ſie ſich aber zu denen Comœ - dianten, ſo verloͤhre ſie dadurch ihren Adel.
§. 18. Wer in die Comœdie oder Oper gehet, muß den Schein von ſich geben, als ob er deswe - gen hinein gegangen, damit er einen aufmerckſamen Zuſchauer dabey abgeben wolte. Er muß ſeine Augen ſo wohl auf das Oper-Buch als auf das Theatrum richten. Lieſet er ſtets in dem Opern -Buche,503Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc. Buche, ſo macht er hiebey eine allzu pedantiſche Mine, er ſcheinet nicht, als ob er in der Oper waͤre, ſondern, als ob er da ſaͤße, daß er die Oper wolte auswendig lernen, welches er zu Hauſe haͤtte auch thun koͤnnen; ſiehet er aber ſtets auf das Theatrum, ſo hat er nicht das halbe Plaiſir, als wenn er ſich durch Gegeneinanderhaltung des vergangenen mit dem gegenwaͤrtigen die gantze Connexion und die Vorſtellung der kuͤnfftigen Suiten bekandt macht.
§. 19. Man muß nicht auf eine unzeitige Weiſe von der Opera oder der Muſic urtheilen. Manche, die keine Zeile Poëtiſches geſchrieben, und wenig von guten Verſen geleſen, nehmen ſich doch die Frey - heit, von der Poëſie, die nicht nach ihrem einfaͤltigen Verſtande verfertiget, ein unhoͤfliches Urtheil uͤber - haupt zu faͤllen, und bald an der Einrichtung, bald an den Einfaͤllen etwas zu tadeln, das recht geſchick - te Kenner doch wohl vor etwas ſchoͤnes halten. S. Menantes hoͤfliche Manier zu reden und zu le - ben. pag. 112. So hat man ſich inſonderheit vor allen Erinnerungen uͤberhaupt in Acht zu nehmen, wenn man bey einem vornehmen Nachbar ſitzt, es mag eine Dame oder ein Cavalier ſeyn. Hieher gehoͤret ebenfalls, wenn einige die ſchlechte Art an ſich haben, und wider ihren Nachbar ſagen: Nun geben ſie Achtung, nun wird eine ſchoͤne Paſſage kommen, oder, haben ſie dieſes oder jenes nicht ge - ſehen, dieſes war unvergleichlich. Unter beſonders guten Freunden gehet es wohl an, bey denen aber, denen man Reſpect ſchuldig, oder gegen die manJ i 4fremde504II. Theil. XI. Capitul. fremde iſt, muß man mit dergleichen allzu treuhertzi - gen Gloſſen zu Hauſe bleiben. Man koͤnte von manchem vor ſein ungebeten Avertiſſement eine un - angenehme Antwort bekommen, es ſcheinet hiebey, als ob man ſich mehr Aufmerckſamkeit oder Ge - ſchicklichkeit, etwas zu ſehen, zu hoͤren, und zu beur - theilen zutraue, als einem andern.
§. 20. Schaͤndlich und unartig iſts, wenn eini - ge bißweilen ſo inſolent ſind, daß ſie aus denen Logen etwas hinunter werffen; aus ſolcher Inſo - lence kan nicht ſelten der groͤßte Verdruß, auch wohl gar Ungluͤck entſtehen.
§. 21. Es geſchicht bißweilen von ungefehr, daß in einer Comœdie oder Oper etwas vorkom̃t, wel - ches ſich gantz natuͤrlich und ungezwungen auf eine Perſon appliciren laͤſt. Wer ſich nun hierbey ge - troffen faͤnde, und mit denen Operiſten oder Comœ - dianten, wie einige manchmahl zu thun pflegen, eine Querelle dieſerwegen anfangen wolte, wuͤrde ſeiner Renommée gar ſchlecht vorſehen. Solte einer auch gleich Nachricht haben, daß dieſes mit Fleiß geſchehen, auf Befehl der Hoͤhern, wie dergleichen Caſus an den Hoͤfen bißweilen moͤglich ſind, ſo thut man doch am kluͤgſten, will man nicht uͤbel aͤrger machen, daß man thut, als ob mans nicht merckte.
§. 22. Der Frantzoͤſiſche Autor der Perſiani - ſchen Briefe, macht in ſeinem XXI. Briefe des er - ſten Tomi, eine curieuſe, aber in der That wahre Beſchreibung von denen Comœdien und Opern. Er meldet ſeinem guten Freund in Perſien: JnFranck -505Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc. Franckreich waͤren an unterſchiedenen Orten Thea - tta, auf welchen eine groſſe Anzahl Leute Schau - Spiele ſpieleten, und um dieſes Theatrum waͤren wiederum viel kleine Behaͤltniſſe, die denen andern zuſaͤhen, immittelſt aber auch unter ſich ſelbſt ihre eigenen Comœdien ſpieleten, und die gantz unten auf der Erde ſtuͤnden, hielten es ebenfalls ſo. S. p. 104. u. 105.
§. 23. Denen Marionetten-Spielern zuſehen, iſt gemeiniglich eine Ergoͤtzlichkeit vor dem Poͤbel oder vor kleine Kinder. Doch geſchicht es auch bißweilen, wenn ſie ihre Sachen gut machen, daß ſich andere Leute, die wohl zu leben wiſſen, als Zu - ſchauer bey ihnen einſtellen. Herr Hof-Rath Nemeitz meldet in ſeinem Sejour de Paris p. 143. daß der Marechal de Villars einſten auf der Foire Saint Germain das Plaiſir genommen, in eine Bou - tique von Marionetten zu gehen, weil darinnen die Eroberung von Denin vorgeſtellet worden, und nachdem waͤre ſehr viel Volck zugelauffen, da die - ſer Herr darinnen geweſt waͤre.
§. 24. Daß die Beſuchung der Comœdien und Opern einem und anderm Nutzen habe, iſt wohl nicht zu laͤugnen; daß aber auch der Mißbrauch davon weit groͤſſer als der Gebrauch, iſt ebenfalls eine richtige Wahrheit. Wer Belieben hat, die Raiſons vor und wider die Schau Spiele zu leſen, ſchlage nach den Auctorem des Charactéres de Theophraſte & des Penſees de Monſieur Paſcal, ingleichen die Lettres des Abbé de Bellegarde deJ i 5lite -506II. Theil. XI. Capitul. literature & de Morale ſur les piéces du theatré. pag. 225.
§. 25. Jch vor meine Perſon wolte wuͤnſchen, daß alle diejenigen, die die Comœdien und Opern ſo fleißig beſuchen, daher Anlaß nehmen moͤchten, ſie als eine deutliche Abbildung unſers Lebens zu be - trachten. Die Welt iſt ein groſſes Theatrum, all - wo ein jeder ſeine Perſon ſpielt. Auguſtus, da er ſterben wolte, fragte die Liviam, ob er die ſeinige wohl vorgeſtellt haͤtte? Laßt uns den Schluß ma - chen, daß wenig daran gelegen ſey, was wir fuͤr eine Perſon ſpielen, wenn wir es nur wohl machen. Es kan einer eben ſo viel Ruhm erlangen, wenn er die Perſon eines Sclaven, als eines Uberwinders agirt, und der heute die eine ſpielet, mag es morgen umkeh - ren, und die andere Perſon ſpielen. So groß ſind die Abwechſelungen der Welt, daß man darinnen keine feſte Hoffnung bauen kan. Wann die Co - mœdie zu Ende iſt, bleibet nichts uͤbrig, als ein elen - des Erinnern der eingebildeten Hoheit. Die Co - mœdianten nehmen insgeſammt ihre vorige Figur wieder an. Alſo iſt es auch, wenn unſer Leben ver - gehet, ſo verſchwindet alle Hoheit, und der Tod, welcher alles endiget, bringt uns zuletzt alle wieder in die Gleichheit unſers erſten Weſens.
§. 26. Ein junger Cavalier muß, bißweilen an fremden und einheimiſchen Orten, theils aus Cu - rioſitaͤt, theils des Wohlſtandes wegen, die Car - nevals, Redouten und Maſqueraden mit beſuchen. Je ſeltner er dieſelben beſucht, je beſſer iſts vor ſeineSeele,507Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc. Seele, indem bey dieſen wolluͤſtigen Geſellſchaff - ten und Oertern der Seele trefflich nachgeſtellet wird.
§. 27. Man erwehle niemals eine ſolche Maſque, davon man Verantwortung haben kan, die der Er - barkeit zuwider, und dadurch man, wenn es heraus kommt, ſein leichtſinnig und boßhafftes Gemuͤth an den Tag legt, ſondern lieber eine, die indifferent iſt, und die etwas ernſthafftes an ſich hat. Man er - wehle auch keine ſolche, die den Tag, oder einige Tage vorher, die hoͤchſten Standes-Perſonen oder groſſe Miniſtri gefuͤhrt; es gereicht dieſes zum Neid, und duͤrffte vielen nicht gefallen.
§. 28. Man betrachte bey der Verkleidung ſeine Taille und Leibes-Conſtitution, und beurtheile, was ſich wohl am beſten nach derſelben vor einem ſchicken moͤchte. Man bediene ſich keiner allzu koſt - baren, auch keiner allzu ſchlechten noch geringen. Bey der allzu koſtbaren hat man nicht allezeit Pro - fit, wenn man vor etwas hoͤhers und vornehmers angeſehen wird, als man iſt, und bey der allzu ſchlechten hat man bißweilen Noth, daß man von denen Trabanten eingelaſſen wird.
§. 29. Man ſey nicht ſo einfaͤltig, und demasqui - re ſich alſo fort auf Verlangen einer Masque, ſon - dern bediene ſich der gewoͤhnlichen Masquen - Freyheit; man ſey aber auch nicht ſo naſeweiſe, und verberge dieſes von einer andern, unter dem Schein, als ob man eine hohe Standes-Perſon waͤre. Weil man nicht weiß, wen man vor ſichhat,508II. Theil. XI. Capitul. hat, ſo ſey man ſittſam in der Masque, und richte ſeine Worte und Geberden mit eben der Beſchei - denheit, ja noch mit groͤßerer ein, als ob man nicht masquirt waͤre. Man nehme ſich in Acht, daß man nicht jemand vorſetzlicher Weiſe ſtoße, oder ſonſt inſultire, weil die Masquen allenthalben vor inviolabel gehalten werden.
§. 30. Hat man ein Frauenzimmer auf eine Masquerade gefuͤhrt, ſo muß man ſich an ſie halten, mit ihr tantzen, und ihr Refraiſchiſſemens verſchaf - fen; Je groͤßer die Geſellſchafft, je weniger ſon - dert man ſich von einander ab, zumahl auf weit - laͤufftigen Baͤllen, da es unter einer ſolchen Menge Volcks gar ſchwehr iſt, ſich einander wieder zu finden, wenn man erſt von einander gekommen. S. Nemeitz. p. 153. des Sejours von Pariß.
§. 31. Man gehe auf keine kleinen und geringen, ſondern auf renomirte und vornehme Masquera - den. Hier gehet alles viel ordentlicher zu, und man bekommt mehr curieuſes zu ſehen. Man habe ſeine eigne Masque, die man nachgehends an andre wieder vor das halbe Geld loß werden kan, oder ſonſt zum Unterfutter oder anderer Kleidung mit gebrauchen kan, zu geſchweigen der Muͤhe, die man zuweilen hat, ehe man eine ihm anſtaͤndige Masque, vornehmlich zu der Zeit der großen Balls, bekommen kan, und der Verdruͤßlichkeit, wenn ei - nes und das andere davon zuriſſen, oder etwas dar - auf geflickt worden, denn ſolches kan man unmoͤg - lich allezeit in dergleichen Faͤllen verhuͤten.
§. 32.509Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc.§. 32. Wo man verbunden iſt, bey den Traban - ten ſeinen Nahmen zu ſagen, ſo ſage man denſelben aufrichtig. Man abſentire ſich von dieſen Oer - tern, wo nichts als ſuͤndliche Eitelkeiten und Thor - heiten herrſchen, ſo bald als moͤglich, man gehe als - denn ſtille und ruhig nach Hauſe, damit man nicht der Schaarwache, Patroille, und wie ſie ſonſt wei - ter heiſſen moͤgen, in die Haͤnde falle.
§. 33. Dieſe Arten der Luſtbarkeiten, welche ins - gemein das Carneval genennt werden, leiten ih - ren Urſprung aus Jtalien, und ſoll es nach der An - zeige derer, die darinne geweſen, nichts ungewoͤhn - liches ſeyn, daß ſich Moͤnche und Nonnen einiger Kloͤſter, denen eine großere Freyheit zuſteht, nebſt andern zugleich mit masquiren. Wenn GOtt gewiſſe Provintzen, entweder mit Erdbeben, oder einer ungewoͤhnlichen Waſſerfluth, oder mit einer andern Land-Plage heimſucht, ſo iſt der Pabſt insgemein geſchwinde mit einem Edict hinter dieſe und andere dergleichen Divertiſſemens drein, und verbietet ſie auf das ſchaͤrffſte, wie - wohl ſie ſich mehrentheils, zur Zeit des Ungluͤcks von ſelbſt ſtillen. So bald ſie aber mercken, daß der große GOtt ſeine Straf-Hand wieder an ſich gezogen, fangen ſie wieder an, wo ſie aufgehoͤrt, und der Pabſt nimmt ſeine Verbothe auch wieder zu - ruͤck. Der Autor des XIII. Theiles der Euro - paͤiſchen Famæ, macht hierbey folgende Reflexion, p. 8. Er ſagt: es muß doch mit denen Opern, Comœdien, Daͤntzen, Kartenſpielen, Masquera -den510II. Theil. XI. Capitul. den und andern dergleichen Zeitkuͤrtzungen, welche man insgemein zu der geiſtlichen Neutralitæt, oder deutlicher zu reden, unter die Mitteldinge rechnet, nicht allerdings richtig ſeyn, weil man nicht gerne haben will, daß einen der Tod im Opern-Hauſe, am Baſſett-Tiſch, auf einem Saal der Aſſemblée der Dantzenden, oder in einem Arlequins-Kleide antreffen, und uͤberrumpeln ſoll.
§. 34. Ein junger Cavalier der auf der Reiſe iſt, thut wohl, daß er ſonderlich an groſſen Oertern, einige gute und propre, auch wohl nach Gelegen - heit chamerirte Kleider bey ſich hat, es will an frembden Oertern dergleichen bißweilen noͤthig ſeyn, da manchmahl die Schweitzer und andre Leib-Wachten den vornehmſten Cavalier, der ein ſchlecht Kleid an hat, nicht hinein laſſen, und hin - gegen den geringſten, der mit einem chamerirten Kleide verſehen, paſſiren laſſen, und daß alſo man - cher ſeinen Zweck nicht ſo erreichen und von frem - den Oertern ſo profitiren kan, wie er wohl ſolte.
§. 35. Hat man Gelegenheit ſelbſt in der Muſic etwas zu thun, ſo iſt es eine Sache, wodurch ſich ein junger Menſch hie und da in der Welt bey groſ - ſen Leuten recommandiren kan, wo aber nicht, ſo erfordert es doch der Wohlſtand, daß man ſo viel als moͤglich bemuͤhet ſey die muſicaliſchen Kunſt - Woͤrter zu verſtehen; Man muß ſich dißfalls aus einem muſicaliſchen Lexico Raths erhohlen, und ſich daraus erklaͤren laſſen, daß man wiſſe, was zu einem ſchoͤnen Concert erfordert werde, daß manbey511Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc. bey einer Vocal-Muſic die geſchickteſten Manieren verſtehen, und bey der Inſtrumental-Muſic ſo wohl eine fertige als delicate Fauſt beurtheilen lerne.
§. 36. Ein junger Cavalier, der ſich zu einem Hofmann oder galant homme qualificiren will, muß ſich bemuͤhen Nachrichten zu erlangen von den vornehmſten Acteurs und Actricen, von den beſten Daͤntzern und Daͤntzerinnen, von den geſchickteſten Componiſten, und worinnen ihre Meiſterſtuͤcke beſtehen, welcher auf dieſem oder jenem Inſtru - ment, als Clavece, Fleute douçe traverſiere, Baſſe de Viole excellirt, welche Serenaten mit einer Violon und General-Paß am beſten geſetzt werden, welche von ihnen Clavier-Stuͤcke componirt, oder Arien, Cantaten und Moteten drucken laſſen u. ſ. w. Er muß ſich gewiſſe locos Communes machen, und alle dergleichen hieher gehoͤrige Nachrichten, die er davon eingezogen, einzeichnen. Ob ſchon manche Leute, die die Realitæten lieben, dergleichen vor Taͤndeleyen oder Kleinigkeiten anſehen, ſo ma - chen hingegen ſehr viel andere ungemein groß Werck draus.
§. 37. Endlich muß ich auch noch als eine allge - meine Regel anfuͤhren, daß ein junger Menſch bey den Comœdien, Opern, der Muſic und andern dergleichen Faͤllen, wo mancherley Affecten auf eine gar natuͤrliche Weiſe erreget werden koͤnnen / den bey ihm hiedurch erweckten Affect ſo verſtelle und verberge, daß der Ausbruch davon ihm nicht bey der Geſellſchafft, wenn es andere mercken, dis -reno -512II. Theil. XI. Capitul. renomirlich werden moͤge. Der Engliſche Spe - ctateur meldet in dem XIX. Diſcours ſeines er - ſten Tomi, von einem Soldaten, der auf der Schaubuͤhne zur Schildwache beſtellt worden, damit er die Unordnungen verhindern moͤchte, welche die muthwillige Jugend offt zu verurſachen pflegt, und bey der Aufmerckſamkeit, die er bey ei - nem beweglichen Auftritt bezeugt, dermaßen geruͤh - ret worden, daß er ſich nicht enthalten koͤnnen, Thraͤnen zu vergieſſen. Ob er nun zwar hiedurch ſein gutes Hertz und natuͤrlich-weiches Gemuͤth an Tag gelegt, ſo wolte ich einem andern doch nicht anrathen, daß er ihn bey dieſem unzeitigen Mit - leiden nachahmen ſolte.
§. 38. Die Promenaden ſind eine unſchuldige und doch ſehr anmuthige Ergoͤtzlichkeit; Am ver - nuͤnfftigſten iſts, wenn man ſie ſo einrichtet, daß Nutzen und Luſt zugleich mit einander vereiniget wird. Doch dieſes geſchiehet am allerſeltzamſten und von den wenigſten. Vielmahls werden ſie zu einem bloſſen Ceremoniel, und ſind mit gar wenig Plaiſir vergeſellſchafftet, als die gewoͤhnli - chen Promenaden en Caroſſes, da ſie in groſſen Staͤdten an einem gewiſſen Ort faſt taͤglich den gantzen Sommer durch eine Tour a la Mode thun, und gar wenig Veraͤnderung dabey empfinden.
§. 39. Sind die Promenaden en Caroſſe nach dem Cours gerichtet, ſo muß man ſich im gruͤßen nach demjenigen richten, was die Obſervanz an einem jeden Ort eingefuͤhrt, damit man wider dieMode513Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc. Mode nicht etwan allzuviel Hoͤflichkeit bezeuge, und ſich dadurch dem Gelaͤchter unterwerffe. Die ſich kennen, pflegen ſich gemeiniglich das erſte mahl zu gruͤßen, wenn ſie einander begegnen, nachge - hends aber nicht mehr, ſo muß man auch Acht ha - ben, ob es erlaubt ſey, mit einer Dame en Caroſſe zu fahren / oder ob jedes Geſchlecht ſich ins be - ſondere promeniren.
§. 40. Will man ſich an fremden Oertern in einem großen Koͤniglichen oder Fuͤrſtlichen Gar - ten divertiren, da bey den Waſſer-Kuͤnſten oder ſonſt viel zu ſehen iſt, und da man ſtarcke Trinck - gelder auszutheilen hat, ſo muß man ſich lieber an eine gantze Geſellſchafft adreſſiren, damit einem die Tranckgelder nicht zu hoch zu ſtehen kommen, oder warten, biß man in einer Suite von einem großen Herrn mit hinkommen kan, dem zu Ehren die Waſ - ſer geſpielet, und die Luſt-Haͤuſer eroͤffnet werden.
§. 41. Wider den Wohlſtand iſts, wenn einige in einem Fuͤrſtlichen oder ſonſt großen Garten, Blumen oder Fruͤchte abbrechen, oder in denen Orangerie-Haͤuſern die Blaͤtter, Blumen oder Fruͤchte, zumahl bey raren und zarten Gewaͤchſen, ohne Unterſchied beruͤhren, nimmt ein ungehobelter Gaͤrtner oder Gaͤrtner-Geſelle dieſes wahr, ſo kan man eine ſolche Erinnerung bekommen, die einem nicht gar angenehm, und eines Stande auch nicht anſtaͤndig.
§. 42. Ein junger Cavalier haͤtte von Beſich - tigung beruͤhmter Gaͤrten mehr Plaiſir auch mehrK kNutzen,514II. Theil. XI. Capitul. Nutzen, wenn er ſich um die Erkenntniß einiger auslaͤndiſchen Gewaͤchſe, ſonderlich derjenigen, die von andern ſehr rar gehalten wuͤrden, etwas mehr bekuͤmmerte, ſo wuͤrde er wiſſen was unter allen am meiſten ſeiner Aufmerckſamkeit wuͤrdig waͤre, und duͤrffte ſich nachgehends, bißweilen zu ſeiner ſchlech - ten Ehre, nicht uͤber dasjenige verwundern, welches allenthalben angetroffen wird.
§. 43. Folgende Regeln, die Herr Hof-Rath Nemeitz einem jungen Menſchen bey den Prome - naden vorſchreibet, ſind ſehr gut: Man beſuche zur Recreation, und nach dem man ſeine nothwendigen Sachen verrichtet, die beſten und geſuͤndeſten Pro - menaden, man huͤte ſich dabey vor aller Eitelkeit, man fuͤhre ſich nicht laͤcherlich auf, man ſey conver - ſable und hoͤflich, und ſehe zu, daß man ſich allezeit in honetter Geſellſchafft befinde.
§. 44. Auf dem Lande hat man Gelegenheit zu mancherley Luſtbarkeiten, deren die Einwohner der groſſen Staͤdte entbehren muͤſſen, es iſt nur zu be - klagen, daß die meiſten die ſich zur Luſt aus den Staͤdten auf das Land begeben, diejenige Ergoͤtz - lichkeiten, die ſie auf eine unſchuldige und maͤßige Art genieſſen koͤnten, in ſuͤndliche und unmaͤßige ver - wandeln. Es trifft bey vielen ein, was der Autor der Pflicht und Schuldigkeit, welche man in ſeinem Haußweſen zu beobachten hat p. 281. von dieſer Materie ſchreibet: Gleichwie es ſcheinet, daß auf dem Lande mehr Freyheit ſey, und daß man daſelbſt die Verdruͤßlichkeiten des Stadt-Lebens beſchnei -den515Von Divertiſſemens, Comœdien, Opern, ꝛc. den koͤnne; Alſo uͤberlaͤſt man ſich daſelbſt den groͤſten Unordnungen. Die Bequemlichkeiten die man allda hat, ohne Argwohn und Verdacht ab - geſondert, mit einander ſpatzieren zu gehen, und ſich bißweilen an abgeſonderten Oertern zu finden, giebt offt zu großer Freyheit Gelegenheit. Die Lufft, das ſchoͤne Wetter, die Anmuth der Felder reitzt al - les zur Luſt an, und ein Hertz, welches hiezu geneigt / und bereits durch die Verwirrungen der Welt ver - fuͤhrt iſt, befindet ſich in einer ſchluͤpffrigen Gefahr, welche einen ſo dann offt in jaͤhes Stuͤrtzen fallen laͤſt.
§. 45. Unter die Arten des Zeitvertreibs, ſo man in den großen Staͤdten antrifft, zumahl im Winter, und bey den langen Abenden, gehoͤrt auch mit, daß ein junger Menſch bißweilen die Caffe - Haͤuſer beſucht. Jedoch muß man allezeit vor - nehmlich dahin ſehen, ob es auch dieſem oder je - nem Ort gewoͤhnlich ſey, und vor renomirlich ge - achtet werde oder nicht? ob ſich auch einige Stan - des-Perſonen und vornehme Cavaliere da einfin - den, oder ob ſie nur bloße in Auffenthalt ſeyn, junger roher Leute, der Spieler, der Pagen oder der Kauff - Leute, u. ſ. w. Wo es gebraͤuchlich, daß man ohne Verletzung ſeiner Renommée ein Caffé-Hauß beſuchen kan, muß man ein ſolches ausſuchen, das in guter Reputation ſteht, und von rechtſchaffnen Leuten frequentirt wird. Man muß ſich mit fremden und unbekandten Leuten daſelbſt in kein Spiel einlaſſen / oder in eine vertrauliche Geſell -K k 2ſchafft516II. Theil. XI. Capitul. ſchafft und Zuſammenkunfft, zumahl wenn ſie von außen eine entweder allzupraͤchtige oder gar zu arm - ſeelige Figur machen, ſondern vor ſich allein ſetzen, oder mit einem guten Freund zugleich hingehen, und entweder die Zeitungen leſen, oder eine Taſſe Thé, oder Caffe trincken, oder eine Pfeiffe Toback rauchen, und andere dabey raiſoniren hoͤren. An dieſen Orten finden ſich eine große Menge wolluͤſti - ger Leute, die ſich alſobald in Bekandtſchafft mit einem einlaſſen wollen, und die man nachgehends gar ſchwerlich wieder kan loß werden. Am we - nigſten muß man ſich an einem ſo oͤffentlichen Orte berauſchen, oder berauſcht hinkommen, wie einige von jungen Leuten zu thun pflegen, weil die begangnen Schwach heiten und Thorheiten an die - ſem Orte am allereheſten erkandt und nachgehends allenthalben in der gantzen Stadt ausgebreitet werden.
§. 1.
DJe Art zu bauen / wie ſie vor ein paar Secu - lis her bey denen Vornehmſten auf ihren Schloͤſſern gebraͤuchlich war, ſo wohl der aͤuſſerlichen Façon nach, in ſo weit ſie de - nen vorbey paſſirenden in die Augen faͤllt, als auchder517Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. der inwendigen Ausbauung nach, iſt von dem Bau unſerer jetzigen Zeiten gewaltig unterſchieden. Sie baueten vor Zeiten ſehr irregulair, und hatten die Regel der Symmetrie und Proportion entweder nicht innen, oder applicirten ſie doch nicht. Mei - ſtentheils pflegten ſie die Schloͤſſer mit hohen und ſtarcken Thuͤrmen zu verſehen, und dieſes thaten ſie nicht ſo wohl der Parade und der Luſt wegen, um von denen hohen Thuͤrmen einer anmuthigen Aus - ſicht auf die herumliegende Landſchafft zu genieſſen, als vielmehr aus Noth, wegen der damahligen ge - faͤhrlichen Befehdungs-Zeiten. Sie erbaueten die Thuͤrme aus Furcht vor den Feinden, damit ſie dieſelben deſto beſſer entdecken, und zum Wider - ſtand gehoͤrige Anſtalt machen, auch alsdenn ihren Unterthanen oder Nachbarn, durch ein Feuer-Zei - chen, durch Anſchlagung der Glocken, und auf an - dere Art, Nachricht geben konten. Es gereichten ihnen auch die Thuͤrme zur Defenſion, ſie konten ſich, bevor das Geſchuͤtz erfunden worden, eine Zeit - lang wider ihre Feinde daraus wehren, und ihre be - ſten Sachen darinnen verwahren. Nachdem auch manche Edelleute in den damahligen Zeiten aus Deſperation Raͤuber wurden, und manche Schloͤſ - ſer nichts anders, als bloſſe Raub-Neſter waren; ſo dienten ſie einigen boͤſen Leuten zu Wahrten, daß ſie ſich auf alle Straſſen daraus umſehen konten, um die Reiſenden feindſelig anzufallen, ſie zu berau - ben, und das geraubte Gut in die Schloͤſſer mit ſich zuruͤck zu nehmen.
K k 3§. 2.518II. Theil. XII. Capitul.§. 2. Nach der inwendigen Façon waren die Zimmer ſehr hoch, und auſſerordentlich groß und ge - raumig, die Fenſter ſchmahl und niedrig, die Thuͤ - ren ſchmahl und oval, ſo daß ſich ein jeder, der von ein einer etwas langen Statur war, buͤcken muſte, wenn er hinein gehen wolte. Die Fuß-Boͤden waren entweder mit bloſſen gemeinen Steinen aus - geſetzt, oder mit ſchlechten hoͤltzernen Dielen beleget, die Decken entweder von bloſſem Mauerwerck ge - woͤlbet, oder von Holtz, das mit einer Oehl-Farbe, gemeiniglich aber mit einer Waſſer-Farbe, uͤber - ſtrichen.
§. 3. Dieſe Art zu bauen dauerte ungefehr biß zu Anfang des abgewichenen Seculi, alsdenn fieng man an etwas kluͤger zu werden. Bey dem aus - wendigen Bau befliſſe man ſich einer mehrern Sym - metrie, die Giebel wurden ordentlicher angelegt, die Fenſter hoͤher und breiter, und nach geraden Li - nien, da ſie ehedem faſt wie die Noten in der Muſic bißweilen ſtanden, die Mauren wurden nicht mehr ſo gar maſſiv gebauet. Die Thuͤrme behielte man, man ſahe aber dabey mehr auf die Zierde, die ſie einem Gebaͤude geben ſolten, als auf die andern Abſichten, die man ehedeſſen zum Grund dabey legte. Die Thuͤren wurden etwas hoͤher und brei - ter gemacht, ob ſie gleich die Oval-Figur noch be - hielten. Die Zimmer wurden auch bequemer an - gelegt, als ſonſt. Um dieſe Zeit herum, und in dem ſechzehenden Seculo, war es ſonderlich Mode, daß die Standes-Perſonen, und die vom Adel, faſt al -lenthal -519Von der Wohnung, von Zimmern / ꝛc. lenthalben uͤber die Thuͤren der Zimmer, oder an dieſelben, auch an Schraͤncke, Kiſten und Kaͤſten, ihre Wappen mahlen lieſſen. So lieſſen auch die - jenigen, die Liebhaber des Wortes GOttes waren, an die Waͤnde, an die Thuͤren und uͤberall, Spruͤ - che aus heiliger goͤttlicher Schrifft, und Geſetze aus Chriſtlichen Liedern, anſchreiben. Viele legten auf ihren Schloͤſſern entweder eigene Capellen, oder doch beſondere Beth-Stuͤbgen an; da hingegen andere, die vom Dantzen und der Muſic Liebhaber waren, um dieſelbe Zeit auf ihren Saͤhlen meiſten - theils gewiſſe Trompeter-Gaͤnglein, darauf die Trompeter und andere Muſicanten ſtanden, erbauen lieſſen.
§. 4. Nach dem Schluß des dreyßigjaͤhrigen Krieges wurde man im Bauen noch ſinnreicher und galanter. Teutſchland genoß Ruhe und Friede, die Kuͤnſte und Wiſſenſchafften nebſt mancherley Arten der Wolluͤſte fiengen an zu ſteigen. Unſe - re teutſchen Cavaliere, die nunmehro allererſt recht in großer Menge nach Franckreich und Jtalien reißten, lieſſen ſich hier und da angelegen ſeyn, das - jenige, was ſie bey dieſen fremden Voͤlckern geſe - hen, an Geberden und Meublirungen, nachzuah - men. Viel Gebaͤude wurden auf die Frantzoͤſi - ſche und Jtaliaͤniſche Manier erbauet, die Treppen, die in den vorigen Zeiten meiſtentheils wincklicht, finſter, und niedrig waren, wurden heller und brei - ter angelegt, die Zimmer regulairer, obſchon noch etwas hoch, die Fuß-Boͤden entweder mit Mar -K k 4mor520II. Theil. XII. Capitul. mor oder doch von feinem Holtze gantz zierlich aus - gelegt, die Thuͤren und Decken mit beſondern Schnitzwerck verſehen, und nach beſondern Ma - thematiſchen Figuren ausgelegt, und entweder ver - guͤldet, oder mit mancherley Sinnbildern und Landſchafften bemahlet.
§. 5. Von ein funffzig biß ſechzig Jahren her, hat ſich vollends in unſerm Teutſchland, wie in an - dern Stuͤcken als auch im Bauen, gewaltig viel veraͤndert. Die Gebaͤude werden mehrentheils nach der Frantzoͤſiſchen, Hollaͤndiſchen und Jtaliaͤ - niſchen Manier erbauet, und die Thuͤrne auf den Schloͤſſern derer von Adel abgeſchafft; wiewohl ich glaube daß ſolches ohne Raiſon geſchehe, im - maſſen ſie, wenn ſie in einer guten Symmetrie und Proportion angelegt werden, einem Gebaͤude nicht allein zur beſondern Zierde gereichen, ſondern auch wegen der guten Ausſicht die man davon haben kan, ſehr plaiſant ſind / auch uͤber dieſes einer von Adel, der Gelegenheit hat eines und das andre, was auf ſeinem Ritter-Guthe, theils von Bedien - ten, theils von Unterthanen vorgenommen wird, zu obſerviren, wenn er ſich derſelben recht zu Nutz zu machen weiß, zu manchem œconomiſchen Ge - brauch dienen. Jn den neuern Zeiten ward das Holtz theuer, und alſo muſte man die ungeheuren groſſen und weiten Zimmer abſchaffen. Da ſich ſonſt oͤffters Herr, Frau, Kinder und Geſinde in einem Zimmer aufhielten, ſo muſte nunmehr, bey zunehmender Pracht, der gnaͤdige Herr ſein eigenZimmer521Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. Zimmer haben, die gnaͤdige Frau desgleichen, vor ſo viel beſondre Gaͤſte wurden ebenfalls beſondre Zimmer angelegt; Hiezu kamen noch die Vor - Gemaͤcher oder Anti-Chambres, und alſo muſten die Zimmer noch compendieuſer gefaſt werden, damit ihrer viel wurden. Die Treppen wurden ſehr verbeſſert, ſie bekamen einen ſehr groſſen Raum, ſie wurden mit Ruhe-Plaͤtzen verſehen. Die Fenſter machte man ſehr hoch, die runden oder eckigten Glaß-Scheiben waren nicht mehr gut ge - nug, ſondern man fieng an gantze Tafeln vom Glaß zu nehmen. Die Thuͤren wurden mit gebroche - nen Fluͤgeln gemacht, und ſehr hoch, damit ſie mit der Hoͤhe der Zimmer und Fenſter in gleicher Sym - metrie ſtehen moͤchten. Die ordinairen Fuß - Boͤden waren nicht mehr gut genug, ſondern ſie wurden mit mancherley raren und colerirten Holtze nach beſondern mathematiſchen oder andern Figu - ren kuͤnſtlich ausgelegt, die hoͤltzernen Decken wurden abgeſchafft, und an deren Statt kamen die Gips-Decken auf, die man entweder weiß lieſſe oder deren Felder man noch dazu mit Gemaͤhlden auszierte. So iſt nun in den ietzigen Zeiten, wie aus folgenden mit mehrern erhellen wird, der Pracht im Bauen ſo hoch geſtiegen, als er nur im - mer mehr ſteigen kan.
§. 6. Die Zimmer werden in groſſen und vor - nehmen Haͤuſern a plein pied hintereinander an - gelegt, damit man aus einem in das andre gehen koͤnne, und diejenigen die viel Geſellſchafften zuK k 5unter -522II. Theil. XII. Capitul. unterhalten und zu divertiren pflegen, genugſamen Raum vor dieſelben haben. So ſind auch vor den ordinairen Wohnungs-Zimmern noch Anti - Chambres oder Vor-Gemaͤcher, darinnen ſich ent - weder diejenigen, die den vornehmen Beſitzern auf - warten wollen, oder auch ihre geringern Subalter - nen ſich aufhalten. Nach dem vorhandenen Raum oder auch nach der Hoheit und der Abſicht deſſen, der ein Schloß oder ander praͤchtig Gebaͤude er - bauet, werden mehr oder weniger Vor-Gemaͤcher angeleget. Die Zimmer des HErrn und der Frau ſind entweder einander gegen uͤber, oder wenn der eine Theil unten wohnet, und der andre oben, wer - den oͤffters geheime und verborgene Treppen er - bauet, daß ſie ohne Huͤlffe der Haupt-Treppe zu - ſammen kommen koͤnnen; Wo Gelegenheit zu Waſſer vorhanden, pflegt es bißweilen zu geſche - hen, daß die Waſſer durch verborgene Roͤhren biß in die Zimmer geleitet, und in einigen Zimmern Fontainen angetroffen werden, iedoch iſt dieſes in Teutſchland nicht ſo gewoͤhnlich als in Jta - lien.
§. 7. Die Zimmer der Dames werden meiſten - theils noch proprer angelegt als die Zimmer der Manns-Perſonen. Uber die ordinair-Zimmer werden vor diejenige, die vor andern Liehaber von Kuͤnſten und von der Hauß-Wirthſchafft ſind, be - ſondre kleine Kuͤchen angerichtet, darinnen ſie ſich bißweilen gefallen laſſen, ihre beſondre Verſuche anzuſtellen, und darinnen alles was man in einerKuͤche523Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. Kuͤche braucht, entweder von Silber oder von Por - celain, oder von einer andern guten und nicht ge - meinen Materie angetroffen wird.
§. 8. Eine allgemeine Regel, die man bey den Bauen in Obacht zu nehmen hat, iſt, daß man dasjenige, was ſonſt einen Ubelſtand verurſachen wuͤrde, alſo einrichte, damit ein Wohlſtand dar - aus werde, und das uͤbele Anſehen, ſo viel als nur immer moͤglich, verdeckt und vermieden werde. Alſo ſind die Feuer-Mauren, die Ofen-Loͤcher, die Treppen und andere Behaͤltniſſe, die man zur Nothwendigkeit oder Gemaͤchlichkeit brauchet, durch das Bauen oder Ausputzen und Meubliren ſo zu diſponiren, daß ſie niemand ein heßliches Ausſehen verurſachen. Die uͤbrigen Regeln, die zum guten Anſehen der Gebaͤude vorgetragen wer - den koͤnten, gehoͤren nicht ſo wohl hieher, als viel - mehr in die Bau-Kunſt.
§. 9. Wie nun mit den Gebaͤuden durch die Zeit, dem Witz, ingleichen durch die laſterhafften Be - gierden der Menſchen, eine groſſe Veraͤnderung von einigen Jahr-hunderten her vorgangen, alſo hat es auch mit den Meublen, damit die Zimmer und andere Gemaͤcher beſetzt und ausgeziert wer - den, bey der ietzigen Welt gar ein ander Ausſehen, als zu den Zeiten unſrer Vorfahren. Weil die Zim - mer vor dieſen erſchrecklich hoch und weit waren, ſo war auch das Geraͤthe darnach eingerichtet. Die alten Schraͤncke waren ungemein hoch und weit, die viereckigten Tiſche, damit ſie ihre Stubenaus -524II. Theil. XII. Capitul. ausputzten, plump und ſtarck, wie die Geſinde-Ti - ſche unſrer Froͤhner, und ſo groß, daß allezeit ein 24 Perſonen daran Platz gehabt haͤtten. Die Polſter-Stuͤhle waren ſehr rar, und wurden nirgends gefunden, als nur bey den Vornehm - ſten, die andern ſaſſen entweder auf bloſſen Mau - erwerck, das in den Zimmern an den Waͤnden rings herum gieng, wie ich auf meinen Rei - ſen in Teutſchland bey alten Schloͤſſern viel - faͤltig wahrgenommen, oder auf hoͤltzern großen Baͤncken, oder auf Laͤhn-Baͤncken; die vornehmer oder bequehmer leben wolten, lieſſen dieſelben mit Kalb-Fellen ein wenig auf dem Sitz unten beſchla - gen. Die hoͤltzernen Bettſtaͤtten waren faſt wie die kleinen Haͤuſer, und muſte man auf Treppen hinan ſteigen. Nachgehends fiengen ſie an, bey der Nothwendigkeit auch zugleich mit auf die Zier - lichkeit zu ſehen, die hoͤltzernen Baͤncke, derer ſie ſich bedieneten, und die etwan von Ahorn oder Linden - Baum-Holtz waren, wurden zierlich ausgeſchnitzt, die mancherley Geſimßwercker kamen in den Stu - ben auf / die Waͤnde wurden mit Taͤfelwerck, wel - ches mit allerhand grotiſquen Zuͤgen, theils mit Oehl-Farbe, meiſtentheils aber mit Waſſer - Farbe uͤberſtrichen, und ausgeziert, die Oefen, die ſonſt mit ungeheuren großen Thuͤrmen und Hau - ben verſehen waren, wurden manierlicher und nuͤtz - licher eingerichtet, man fieng an bey den Schraͤn - cken, Tiſchen, u. ſ. w. mehr und mehr zu raffeni - ren, biß endlich durch die Reiſen in fremde Laͤnderman -525Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. mancherley Koſtbarkeiten und Galanterien, und mancherley theils nuͤtzliche, theils aber auch unnoͤ - thige Galanterien, bey unſern Landes-Leuten je mehr und mehr bekandt, und eingefuͤhrt worden, wie aus folgenden mit mehrern erhellen wird.
§. 10. Die allgemeinen Regeln, die meines Erachtens bey den Ausmeublirungen in Obacht zu nehmen, beſtehen in folgenden: Die Ordnung und Reinlichkeit iſt das vornehmſte, was ein Hauß - wirth in ſeinem Hauſe in Obacht zu nehmen hat. Es ſtehet nicht bey einem jeden, daß er ſich koſt - bahres Haußgeraͤthe anſchaffen kan, denn dieſes beruhet von der Beſchaffenheit unſerer Einkuͤnff - te, die wir durch unſern Willen allezeit nicht moͤg - lich machen koͤnnen, ſondern die uns GOtt giebt: Dieſes iſt aber unſrer Freyheit und Willkuͤhr ge - maͤß, ob wir wollen Sorge tragen, daß alles or - dentlich und reinlich ſey.
§. 11. Jn den Gaſt - und Viſite-Zimmern muß alles in Ordnung und vor die Gaͤſte parat ſtehen, damit keine Unordnung noch Ubelſtand in dem Hau - ſe erfolge, die Fremden moͤgen ſich einfinden, wenn ſie wollen. An den Orten, wo man dieſe Regel aus den Augen ſetzt, wird man zu der Zeit, wenn ſich ein Gaſt etwan unvermuthet einſtellt, eines greulichen Allarms gewahr. Eine Magd muß das Zimmer ausfegen, die andere das Bette ma - chen, die dritte laͤufft nach den Leuchtern, die auf den Tiſch ſollen geſtellt werden, u. ſ. w. Wuͤr - de nun alles in ſeiner Ordnung erhalten, ſo wuͤrdemanche526II. Theil. XII. Capitul. manche Hinderniß in der Haußwirthſchafft, und manche Confuſion, die ſonſt hieraus zu erwachſen pflegt, vermieden werden. Eine noͤthige Sache iſts auch, die doch ſehr oͤffters aus den Augen ge - ſetzt wird, daß in den Gaſt-Zimmern, die man nicht taͤglich zu beſuchen pflegt, die Fenſter bißweilen eroͤffnet werden, damit friſche und reine Lufft hin - ein komme, und die Lufft darinne nicht ſtinckend noch faul werde.
§. 12. Die Ordnung und Reinlichkeit muß ſich nicht allein auf die Viſiten - und Putz-Zimmer erſtre - cken, ſondern auch auf alle Gemaͤcher im gantzen Hauſe. Es iſt daher ein groſſer Fehler, wenn ei - nige in denen Gaſt-Zimmern alles propre und ga - lant haben, hingegen in ihren Wohnungs-Zim - mern die groͤßte Unſauberkeit und Unordnung erwei - ſen. Die Ordnung muß durch alle Behaͤltniſſe des gantzen Hauſes herrſchen, von dem oberſten Boden biß in den tieffſten Keller, in der Kuͤche ſo - wohl als in der Vorraths-Cammer, und in dem Pferde-Stalle ſo wohl als in dem Holtz - und Koh - len-Caͤmmerchen.
§. 13. Es muß keine Sache im gantzen Hauſe ſeyn, von der groͤßten biß zur kleineſten, und von der koſtbarſten biß zu der allerſchlechteſten, die nicht ihre ordentliche, beſtaͤndige und eigene Stelle habe, da - hin ſie ſich, theils des Wohlſtandes, theils auch der Bequemlichkeit und des haußwirthſchafftlichen Nu - tzens, am beſten ſchickt. Nimmt man dieſes nicht in Obacht, ſo wird alles bald in die groͤßte Unord -nung527Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. nung verfallen, daß ein Stuͤck hie, das andere da herum liegen wird. Man muß alle Bedienten ſo gewoͤhnen, daß ſie eine jede Sache, ſo bald ſie die - ſelbe gebraucht, und den gehoͤrigen Nutzen geleiſtet, an ihren Ort und Stelle wieder hinſchaffen, wo ſie dieſelbe weggenommen. Man muß nicht allein im Bauen, wie ich vorhin erwehnet, ſondern auch in Diſponirung der Meublen dahin ſehen, daß alles, was einen Ubelſtand verurſachen wuͤrde, inzwiſchen aber hoͤchſt nuͤtzlich und unentbehrlich iſt, durch ge - wiſſe Verſchlaͤge, Schraͤncke u. ſ. w. verdecket, auch, ſo viel als moͤglich, noch dazu in einen Wohl - ſtand verwandelt werde.
§. 14. Bey Anſchaffung der Meublen muß man ſich nach ſeinem Beutel richten, ingleichen nach ſei - nem Stand und Character, den man begleidet. Ein vernuͤnfftiger Mann leget ſich nicht mehr zu, als er bezahlen kan, und als die Nothwendigkeit, die Gemaͤchlichkeit, ein zulaͤßiges Vergnuͤgen und ein unvermeidlicher Wohlſtand erfordern. Der Frantzoͤſiſche Groß-Cantzler, Monſieur de Che - vergny, ertheilet bey dieſer Materie ſeinem Sohne in ſeiner Inſtruction folgende Lehre pag. 358. Le meilleur eſt, de ne dependre, gueres en meubles, & en habillemens, car ils s’ achetent cherement, & ne durent gueres, & ſont fort ſujets d’etré perdur, mêmement, en temps de troubles, ou bien a changer de facons des habillemens des femmes, comme auſſi quêques fois des hommes. Der ehrliche Guevarra hat wohl Recht, wenn er inder528II. Theil. XII. Capitul. der Beſchreibung ſeines Hof - und Land-Lebens p. 73 ſchreibet: Bey Hofe und in groſſen Staͤdten muß man mehr Haußrath haben, zur Contenti - rung dererjenigen, die uns in unſern Haͤuſern heim - ſuchen, als wir zu unſerer Leibes-Nothdurfft brau - chen. Hergegen ſind die, ſo auf dem Lande woh - nen, wohl daran, welche einen ſchlechten Tiſch, ei - ne breite Banck, eine tieffe Schuͤſſel, einen ſteiner - nen Krug, ein hoͤltzernes Saltzfaß, ein gemahltes Bette, leinene Fuͤrhaͤnge, einen guten Schlaf-Rock bey dem Bette, einen Spieß hinter der Thuͤre, ein gut Roß im Stalle, und eine gute Magd haben, die wohl kochen kan. Daß alſo einer mit dieſem Hauß - rath viel beſſer dran iſt, und honorabler lebt auf dem Lande, als ein Koͤnig in ſeinem Pallaſt. Doch, ſo war es zu ſeiner Zeit; ſolte er ſich jetzund in der Welt wieder umſehen, ſo wuͤrde er finden, daß viele auf dem Lande, in Anſchaffung unnoͤthiger Meublen, ſo thoͤricht ſind, als andere in groſſen Staͤdten.
§. 15. Die Meublen muͤſſen ſich nach der uͤbri - gen Lebens-Art richten, und mit den andern Um - ſtaͤnden harmoniren; Es laͤſt dahero uͤber die maſ - ſen ſchlecht, wenn einer in einigen Zimmern praͤch - tige Meublen hat, und es ihm hingegen an noͤthi - ger Bedienung fehlt, oder einen armſeligen Tiſch dabey fuͤhret, oder in ſeiner Kleidung eine betruͤbte und barmhertzige Figur macht. So muͤſſen ſie auch in den Zimmern der Koſtbarkeit, der Farbe und der Mode und Façon nach mit einander accor - diren. (1) Der Koſtbarkeit nach, ſind die Tapis -ſerien529Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. ſerien koſtbar, ſo muͤſſen die Spiegel, die Gueri - dons, die Portieren, die Stuͤhle, die Parade-Bet - ten, u. ſ. w. auch koſtbar ſeyn; iſt der Zeug von de - ren einem Meuble etwas ſchlechter, ſo muß das an - dere auch geringer ſeyn. Es wuͤrde ſich alſo einer ſehr laͤcherlich machen, wer in ein Zimmer, das mit Sammet-Tapeten ausgeſchlagen, gemeine lederne Stuͤhle ſetzen wolte, oder unter einem koſtbaren Spiegel, der mit einem ſilbernen Rahmen einge - faßt, einen gemeinen Tiſch, der mit einer ſchlechten Oehl-Farbe uͤberzogen. (2) Der Farbe nach, damit nicht widerwaͤrtige Farben mit einander ver - einiget werden, als wenn z. E. Graß-gruͤne Stuͤhle in ein Zimmer geſetzt wuͤrden, das mit blauen Da - maſt ausgeſchlagen waͤre. (3) Der Façon nach, wenn z. E. einige Meublen recht galant und nach der allerneueſten Mode diſponirt waͤren, die andern aber gantz altfraͤnckiſch, einige reinlich und ſauber, die andern aber lappicht und unſauber.
§. 16. Die Ausmeublirungen der Zimmer, als, die Façon, und der Zeug der Tapiſſerien, Stuͤhle, Tiſche, Spiegel, Gueridons und Gueridonetten, Camine u. ſ. w. muͤſſen von einander unterſchieden ſeyn. Die Zimmer der Dames werden insgemein beſſer paradirt und ausmeublirt, als der Manns - Perſonen, theils, weil man dem ſchoͤnen Geſchlecht in ſolchen Stuͤcken, die bloß auf den aͤuſſerlichen Wohlſtand angeſehen, aus Hoͤflichkeit und Gefaͤl - ligkeit gerne einigen Vorzug goͤnnet, theils auch, weil ſie mehrentheils auf die Galanterien mehr er -L lpicht,530II. Theil. XII. Capitul. picht, und an ſolchen Eitelkeiten groͤſſern Gefallen haben.
§. 16. Die Meublen muͤſſen ſo wohl in denen Zimmern, die a pleinpied hinter einander folgen, als auch nach dem Unterſchied der Stockwercke, in der Koſtbarkeit nach und nach zunehmen. Alſo ſind auf denen Gebaͤuden der hohen Standes Perſo - nen in dem forderſten Vorgemach die ſchlechteſten Meublen, je naͤher nun die Vorgemaͤcher dem Haupt-Zimmer kommen, je mehr nehmen ſie an Koſtbarkeit zu. Die Audienz-Gemaͤcher der Koͤ - niglichen und Fuͤrſtlichen Perſonen ſind noch pro - prer als die Wohnungs Zimmer, darinnen ſie ſich ordentlich aufzuhalten pflegen. Jn ihren Retira - den und Cabinettern findet man, zumahl bey denen Dames, manches noch praͤchtiger, zierlicher und delicater.
§. 18. Ob das erſte Stockwerck gleich unten auf der Erde vor hoͤher und vornehmer geachtet werde, als die uͤbrigen, oder das andere, das um ei - ne Treppe erhoͤhet, kan man uͤberhaupt ſo eigentlich nicht ſagen. Dieſes beruhet theils auf der Will - kuͤhr derer, ſo die Gebaͤude beſitzen und bewohnen, theils von gewiſſen Umſtaͤnden, ſo Gelegenheit ge - ben, daß jenes dieſem, oder dieſes jenem mit Grun - de vorgezogen werde. Mehrentheils wird das Stockwerck, ſo eine Treppe hoch, vor das bequem - ſte und beſte geachtet, und daher auch am beſten ausmeubliret; Je hoͤher nun die Stockwercke ſtei - gen, je mehr nehmen auch die Meublen, wegen derBe -531Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. Beſchwerlichkeit im Steigen / an Propreté und Koſtbarkeit ab, weil die Geringern immer hoͤher und hoͤher logiret werden. Die Bedienten pflegen gar oͤffters unten auf der Erde zu logiren; bißwei - len aber, wenn die Gebaͤude an und vor ſich ſelbſt nur ein paar Stockwercke hoch ſind, und der Herr - ſchafft das Steigen beſchwerlich faͤllt, iſt es auch wohl umgekehrt. Bey denen Meublen ſiehet man bißweilen auf die Lage derer Zimmer; alſo muͤſſen bey einem Gebaͤude in denen Zimmern, die forne heraus gehen, und uͤber dem Portal oder der Facintæ ſind, praͤchtigerere Meublen ſeyn, als an denen Sei - ten - oder Hinter-Gebaͤuden.
§. 19. Bey den Meublen muß man auch beur - theilen, nach was vor einer Façon die Gebaͤude er - bauet, oder was ſie vorſtellen ſollen, welches viele nicht zu beobachten pflegen. Wer alſo ein Land - Hauß auf die Hamburgiſche Manier oder a la Hol - landoiſe erbauen wolte, muß auch das inwendige alles darnach einrichten. Bey einem Hauſe, welches auf die Hollaͤndiſche Weiſe erbauet, muͤſ - ſen die Waͤnde und Camine mit Hollaͤndiſchen Fließgen ausgeſetzt ſeyn, die Gemaͤhlde muͤſſen Schiffer, Geſellſchafften und dergleichen vorſtel - len, die Stuͤhle nach der Hollaͤndiſchen Façon u. ſ. w. Bey einem Jtaliaͤniſchen Land - und Luſt - Hauſe muß man dasjenige wahrnehmen, was in Jtalien gebraͤuchlich iſt, man muß allenthalben Waſſer-Kuͤnſte und Fontainen anbringen, wo es ſich will thun laſſen; man muß die Zimmer mit denL l 2ſchoͤn -532II. Theil. XII. Capitul. ſchoͤnſten Gemaͤhlden auszieren, auch hin und wie - der auf dem Hofe, in Zimmern und Vor-Saͤlen mancherley kuͤnſtliche Statuen aufſetzen. Eben die - ſes iſt zu obſerviren, wenn ſich einige gefallen laſ - ſen, die Gebaͤude nach Tuͤrckiſcher, Griechiſcher und Japaniſcher Weiſe zu erbauen, da man der Europæiſchen Bau-Arten uͤberdruͤßig worden. Wiewohl dergleichen Baue die Einkuͤnffte der meiſten Privat-Perſonen uͤbertreffen werden.
§. 20. Die Land - und Garten-Haͤuſer muͤſſen nicht ſo praͤchtig ausmeublirt ſeyn, als die ordent - lichen Wohn-Haͤuſer in Staͤdten, es iſt dieſes wi - der das Weſen des Land-Lebens. Die Ver - ſchwendung und Pracht ſolte von Rechts-wegen auf dem Lande gar nicht Platz finden; Hier ſolte alles natuͤrlicher und ſchlechter ſeyn, die Meublen zur Pracht ſolten von hier verbannet ſeyn, und nichts anders, als was zur Nothwendigkeit und Gemaͤchlichkeit diente, angetroffen werden.
§. 21. Der Character, der Stand und andere Umſtaͤnde deſſen, vor dem ein Gebaͤude erbauet worden, verurſachen auch bißweilen ſo wohl bey dem Bauen, als auch bey dem Meubliren, eine und die andere Veraͤnderung, ſetzen einigem Ziel und Maße, und ertheilen beſondre Regeln, wie eines und das andre auf eine beſondre Weiſe anzulegen und zu diſponiren, welches bey andern etwan anders ſeyn wuͤrde. Alſo ſiehet man auf den Gebaͤuden, die vor hohe Jaͤgerey-Officianten erbauet worden, bey manchen Meublen mehr die gruͤne Farbe, alsdie533Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. die andern, die Fußboͤden und Decken, die Tapiſ - ſerien, Gemaͤhlde und Statuen, derer man ge - wahr wird, ſtellen gewiſſe Geſchichte oder ſonſt et - was vor, das zur Jaͤgerey gehoͤrig, da es hingegen in den Gebaͤuden groſſer Generale wieder anders diſponiret iſt.
§. 22. Die Symmetrie iſt ſo wohl im Bauen als in Aufſtellung der Meublen in Obacht zu neh - men. Die Sachen, die an Hoͤhe, Groͤſſe und Breite einander gleich, muͤſſen einander gegen uͤber geſtellt werden, als die Schraͤncke den Schraͤn - cken, die Tiſchgen den Tiſchen, die Oval-Portraite den Oval-Portraiten, den Spiegeln die viereckigten Portraite; inſonderheit muß man auf die Zimmer ſehen, wo ſich eine iede Sache hinſchicket.
§. 23. Sind viel Sachen uͤbereinander zu ſetzen, ſo muß man die groͤßten und ſtaͤrckſten unten ſetzen, die kleinern aber oben, die Sachen ſtehen nicht al - lein feſter und haben einen viel beſſern Grund, ſondern es wird auch dem Auge das Mißfallen, da es ſonſt das Anſehen haͤtte, als ob eine Sache nicht recht feſt und gewiß ſtuͤnde, verhuͤtet. Das Auge iſt iederzeit gewohnt dergleichen zu ſehen, weil die Natur ſo wohl an den Baͤumen, als auch ſonſt allenthalben dieſer Regel folgt.
§. 24. Jſt keine Sache vorhanden, die mit der andern eine Gleichheit und Aehnlichkeit hat, ſo muß es doch zum wenigſten den Schein haben, als ob eine da waͤre. Wenn es unſern Augen ſo vor - kommt, erweckt dieſes der Seele eben einen ſolchenL l 3Gefal -534II. Theil. XII. Capitul. Gefallen, als wenn ſie wuͤrcklich vorhanden waͤre, wie ſolches in der Bau-Kunſt demonſtrirt wird; daher laͤſt man Fenſter, Thuͤren und andre Sachen, die man nicht anbringen kan, um der Symmetrie willen, anmahlen, daß es mit den andern corre - ſpondire, welches ebenfalls bey den Meublen in Obacht zu nehmen.
§. 25. Die Gemaͤhlde wollen zum Ausputz der Zimmer heutiges Tages nicht mehr ſo Mode ſeyn, wie vor dieſem. Jedoch bleiben ſie noch vor die Liebhaber eine angenehme Zierrath. Unſere Vorfahren hielten mehr auf die in Lebens-Groͤße gemahlten Abbildungen, ihrer Eltern, Groß-Eltern, und ihrer gantzen Familie, bey uns ſind aber die Bruſt-Bilder, oder die kleinen en mignature ge - mahlten, mehr im Gebrauch. So lieſſen ſie auch die auf der Jagd gefangenen wilden Thiere von beſonderer Groͤße, als jagdbahre Hirſche, hauende Schweine, u. d. g. abmahlen, und findet man mehrentheils dergleichen auf alten Fuͤrſtlichen oder Adelichen Schloͤßern. Jetzund ſind aber man - cherley Landſchafften, Fruchtſtuͤcken, Hiſtorien und dergleichen beliebter, ingleichen ſchaͤndliche, un - zuͤchtige, nackende Bilder und Statuen, die aus dem wolluͤſtigen Jtalien ihren Urſprung herſchreiben, und ſo wohl jungen als alten zur Reitzung und Endzuͤndung boͤſer Luͤſte und Begierden dienen. Es iſt eine Schande, daß dergleichen hier und da, und bißweilen in großer Menge, in den Zimmern der ſo ſo genandten Chriſten angetroffen werden, auch wolin535Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. in den Zimmern derer, die nach ihren Umſtaͤnden ſich deſto eher derſelben enthalten ſolten. Doch wie wir in gar viel andern Stuͤcken manche Uber - bleibſel haben von dem alten heidniſchen Weſen der Roͤmer und Griechen, alſo auch in dieſem.
§. 26. Hat man einen großen Vorrath in Ge - maͤlden, daß man gar viel Zimmer damit beſetzen kan, ſo thut man wohl, wenn man ſie ebenfalls nach der Ordnung diſponirt, in ein Zimmer nichts als Blumen - und Fruchtſtoͤcke bringt, in das andere lauter Landſchafften, in das dritte tabléeaux von al - ten Philoſophen, u. ſ. w.
§. 27. Die Waͤnde der Zimmer werden meh - rentheils mit mancherley Tapiſſerien behangen, auch wol in den Vor-Saͤhlen und Kuͤchen eine Ecke hinauf mit kleinen viereckigten von Thon gebrand - ten, mit Porcellain laſſurten und uͤberzognen Plat - ten beſetzt, die Tapeten, wie ſie ſie heutiges Ta - ges haben, ſind theils ſeiden, theils linnen, oder halb ſeiden, und halb linnen, theils von gefaͤrbter Arbeit, theils gemahlt, theils gewuͤrckt, oder auch lacquirt. Vor dieſem waren die von verguldeten oder gemahlten Leder mehr Mode, welche in den je - tzigen Zeiten ziemlich abgekommen. Große Herren haben ihre eigne Tapezierer, die die Tapeten zurecht machen, und was dabey noͤthig, beſorgen muͤßen.
§. 28. Die Tapeten geben nicht allein den Zimmern eine gar feine Zierde, ſondern verſchaf - fen auch eine und die andere Bequemlichkeit und Nutzen. Man kan den irregulairen Zimmern ei -L l 4ne536II. Theil. XII. Capitul. ne feine Regularité dadurch zuwege bringen, die ungleichen Winckel und Ecken, damit das Gemach ſein Quadrat bekomme, verhaͤngen, ſo kan man auch die Gemaͤcher damit etwas kleiner machen, und einige von den zu vielen Fenſtern verhaͤngen. Sie halten einige Kaͤlte auf, und in den großen Staͤdten, wo die Zimmer theuer ſind, kan man da - mit etwas mehr Raum gewinnen, beſondere Ab - theilungen machen, und einige Meublen von Schraͤncken, Tiſchen, u. ſ. w. derer man in dem Gemach zum Aufputz nicht noͤthig hat, dahinter verwahren. Hingegen iſt auch dieſe Beſchwer - lichkeit bey ihnen wieder anzutreffen, daß ſie wegen des Feuers gefaͤhrlich, indem es gar leicht geſche - hen kan, daß einer mit einem Licht oder Wachs - ſtock hinein faͤhrt, und ein Gebaͤude hiedurch in Brand ſteckt.
§. 29. Es werden nicht allein die ordentlichen Wohnungs-Zimmer in vornehmen Haͤuſern aus - tapezirt, ſondern auch die Kuͤchſtuͤbgen. Hierbey erinnere mich, daß Anno 1702. Pabſt Clemens XI. den Gemahlinnen der Ambaſſadeurs verbo - then, in den Kuͤchen keine Tapezerien ſich mehr zu bedienen. Der Autor des I. Stuͤcks der Europaͤi - ſchen Fama macht hiebey p. 9. folgende Anmer - ckung: Wo dergleichen theatraliſche Decora - tionen bey dem GOttesdienſt vorgiengen, da waͤre das Hertz insgemein mit Thorheit und Eitelkeit tapezirt, und waͤre daher zu wuͤnſchen, daß man bey allen Religionen ſich den Apoſtoliſchen Ernſt Jh -rer537Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. rer Paͤbſtlichen Heiligkeit zum Exempel dienen ließe.
§. 30. Die Treppen werden mit zierlichen hoͤl - tzernen oder ſteinernen Statuen beſetzt, und an den Waͤnden mit Gemaͤhlden und Wand-Leuchtern ausgeziert, damit ſie zur Abendmahlzeit recht helle und erleuchtet ſeyn. Die Vor-Saͤhle ſind eben ſo einzurichten, als wie die Wohnungs-Zimmer, mit Schraͤncken, Stuͤhlen und Tiſchen zu beſetzen, da - mit ſich einige von den Bedienten, zumahl zur Sommers-Zeit darinnen aufhalten, und der Herr - ſchafft bey der Hand ſeyn.
§. 31. Jn den Tafel-Zimmern werden ausge - ſchnuͤtzte verguͤldte und gemahlte Buffets aufgeſetzt, auf welchen entweder die ſilbernen und goldenen Becher, Kannen Flaſchen, Koͤrbe zum Bouteillen, Schwangkeßel, Vaſen und andre dergleichen ſilber - ne oder ſonſt aus koſtbahrer Materie verfertigten Schaalen und Trinck-Geſchirr aufgeputzt werden, oder doch mancherley große und kleine Geſund - heits-Glaͤſer.
§. 32. Die Dames pflegen uͤber ihre Retiraden auch noch a parte Kunſt-Cabinetter zu haben, darinnen ſie nach ihrem Stand, Neigung und an - dern Umſtaͤnden, mancherley Raritæten der Natur, oder von Kuͤnſtlers Haͤnden verfertigten Stuͤcke aufbehalten, von Elfenbein, raren Holtz, Agtſtein, Perlenmutter, Schildkroͤten, Cryſtall, Silber, und andern dergleichen Materien, die zierlich geſchnitzt, gedreht, gemahlt, oder ſonſt kuͤnſtlich ausgearbeitetL l 5ſeyn.538II. Theil. XII. Capitul. ſeyn. Dieſe Cabinetter werden von außen und inwendig, an Thuͤren, Fenſtern, Decken, Fuß - Boͤden und Waͤnden mit beſonderer Mahlerey, Schnitzwerck und lacquirten Zeuge verſehen, da - mit alles darinnen harmonire. Die Stellagen, Schraͤncke und andere Behaͤltniße, in denen die ra - ren Stuͤcke verwahret werden, muͤſſen ebenfalls mit den uͤbrigen wohl correſpondiren. Die ſehr kleinen und koſtbaren Sachen, die etwan von manchem, dem man es nicht zutraut, und den man des Hin - einfuͤhrens wuͤrdiget, weggenommen werden koͤn - ten, ſind in glaͤſernen Schraͤncken zu verwahren und zu verſchluͤßen. Jm uͤbrigen ſind die allgemei - nen Regeln, die ich in dieſem Capitul vorgebracht, auch hier wieder anzubringen.
§. 33. Es iſt eine wunderliche Sache, daß viele von uns Teutſchen aus bloſſer Liebe zu auslaͤndi - ſchen Sachen, und da es unſrer Landes-Art gar nicht gemaͤß iſt, die Camine den Oefen vorziehen, und ſolche auf das zierlichſte mit Spiegeln, Ge - maͤhlden, Statuen, Marmorſteinern Pfeilern und Tafeln ausputzen. Daß dieſe Camine den Ge - maͤchern ein beſſer Anſehen zuwege bringen, als die toͤpffernen oder eiſernen Oefen, die bey unſern Vor - fahren gebraͤuchlich geweſen iſt wohl gewiß; nach - dem aber unſre Teutſchen von ein 30 biß 50 Jah - ren her angefangen auch bey den Oefen trefflich zu raffiniren, und ihnen nach den Regeln der Archi - tectur einen guten Wohlſtand zuwege zu bringen, man auch ſolche mit meßingen Seulen, Beſetzungkleiner539Von Wohnungen, von Zimmern ꝛc. kleiner Statuen, und auf andre Weiſe mehr Zierde zuwege bringen kan, und die Oefen zu einer weit groͤſſern Bequemlichkeit gereichen, ſo ſehe ich nicht, warum man in den Gemaͤchern, die man zur Win - ters-Zeit bewohnen will, die fremden Camine un - ſern teutſchen Oefen vorziehet. Laͤſt man aber, wie es bey einigen gebraͤuchlich, ein Gemach zu - gleich mit einem Ofen und mit einem Camin ver - ſehen, ſo iſt dieſes ein unnoͤthiger Uberfluß.
§. 34. Es iſt eine bequeme Sache, wenn die Kuͤchen, wie es in einigen Haͤuſern gebraͤuchlich iſt, in dem unterſten Stockwerck unter der Erde ange - legt werden; Sie ſind nicht allein viel kuͤhler und friſcher, und wegen der dabey befindlichen Gewoͤl - ber bequeme, ſondern auch in dieſem Stuͤck nuͤtz - licher, daß die Speiſen nicht ſo von den Fliegen be - ſchmeiſt werden, und in den Ober-Zimmern alles viel reinlicher bleibt, auch von dem Getoͤß ſo in der Kuͤche vorgehet, nicht ſo viel zu hoͤren iſt. Bey den Kuͤchen muͤſſen mancherley beſondre und ver - ſchloßne Behaͤltniſſe ſeyn, theils zum Holtz und Kohlen, theils auch zu Verwahrung des Zinnes und andern Geraͤthes, bevor es abgeſcheuert wird, welches in der Kuͤche ſonſt im Wege ſtehet, auch zu Verwahrung derjenigen Gefaͤſſe, die ſonſt einen Ubelſtand verurſachen wuͤrden, als der Scheuer - Faͤſſer, der Spuͤlich-Gelten. Die mancherley Arten die Herde zu bauen, daß faſt kein Feuer-Dunſt zu ſehen, und die Speiſen mit wenigerm Holtze doch geſchwinder kochen als ſonſt, die von den neuern er -funden540II. Theil. XII. Capitul. funden worden, haben vor denen bißher bekandten und gewoͤhnlichen einen groſſen Vorzug.
§. 35. Die Fuß-Boͤden der Zimmer, die mit ſehr kuͤnſtlichen Steinen und Holtze ausgeſetzt, wer - den mit mancherley aus Schilff-Rohr, Stroh und dergleichen zuſammen geflochtenen und durchge - ſchlagenen unterbreit-Decken belegt, die von un - terſchiedener Breite und Guͤte, ein oder mehr far - bigt, gemodelt und ungemodelt, um die Zimmer rein und ſauber zu halten. Die Decken entweder von den ſchoͤnſten Schnitzwerck verfertiget, verguͤldet und bemahlet, oder mit Spiegeln ausgeſetzt, oder vom Kalche und al friſco gemahlet, oder von Gips, wie es in den neueſten Zeiten mehrentheils ge - braͤuchlich.
§. 36. Die groſſen Saͤhle werden mit groſſen ſilbernen oder meßingen oder Cryſtallinen Cronen - und Wand-Leuchtern ausgeziert, damit ſie des Nachts bey denen mancherley Divertiſſemens, an Baͤllen / Aſſembleen u. ſ. w. die darauf gehalten werden, dieſelben voͤllig erleuchten moͤgen.
§. 37. Die Spiegel gereichen den Gemaͤchern theils zu einer beſondern Zierde, theils ſind ſie auch nuͤtzlich; es iſt aber ein unnoͤthiger Wohlſtand, wenn einige allzuſehr damit prahlen, und bey der groſſen Menge die ſie gegen andre erweiſen wollen, ſolche an Oerter bringen, da ſie ſich gar nicht hin - ſchicken, und da gar kein Licht hinfaͤllt. An ſtatt dieſer Symmetrie und Correſpondence, die ſie hie - durch in Acht nehmen wollen / koͤnten ſie an diefinſtre541Von der Wohnung, von Zimmern ꝛc. finſtre Wand lieber ein paar Portraite, die mit den Spiegeln, ſo ihnen gegen uͤber ſtehen, einige Aehn - lichkeit haben, hinplaciren.
§. 38. Unter die Spiegel gehoͤren ſich Galan - terie-Tiſche nebſt Gueridons und Gueridonetten. Die Gueridons ſind entweder vom Holtz oder an - drer Materie geſchnitzt, mit Laubwerck und Bild - hauer-Arbeit ausgeziert, lacquirt, gefirniſſet, ge - beitzt, verguldet, uͤberſilbert u. ſ. w. auch wohl gantz und gar bey hohen Standes-Perſonen mit ſilbernen Blech uͤberzogen, oder von purem Silber gegoſſen; die Tiſche und Gueridons muͤſſen mit den Spiegel-Rahmen harmoniren, ſind die von Nußbaͤumen-Holtz, ſo muͤſſen die Tiſche und Gue - ridons auch von Nußbaͤumen-Holtz ſeyn, ſind jene lacquirt, ſo muͤſſen dieſe auch lacquirt ſeyn. Wo es ſich aber nicht will thun laſſen, daß ſie mit den Spiegel-Rahmen harmoniren, als wenn dieſe z. E. vom Glaſe, ſo muͤſſen doch zum wenigſten die Ti - ſche und Gueridons accordiren.
§. 39. Die Nacht-Tiſche der Dames, die mit ſilbernen Aufſatz-Spiegeln, Poudre-Schachteln, Mouchen-Schaͤchtelgen, Wachsſtock-Scheeren, Nehgeſteck, L’hombre-Tellern, Marquen-Schach - teln, Lichtputz-Kaͤſtgen, und andern dergleichen Ga - lanterien paradiren, werden gemeiniglich in die Putz-Stuben mit geſetzt, ob gleich kein Bette dar - innen ſtehet; eigentlich aber gehoͤren ſie in das Schlaff-Zimmer, es mag nun das ordentlicheSchlaff -542II. Theil. XII. Cap. Von der Wohn. ꝛc. Schlaff-Zimmer ſeyn oder nicht. Zum wenigſten muß an dem Orte, wo ein koſtbarer Nacht-Tiſch ſtehet, ein zierlich Bette aufgeſetzt ſeyn.
§. 40. Meines Erachtens gehoͤrt auf einen Nacht - Tiſch nichts anders, als was ein Frauenzimmer zu ihrer Kleidung bey ihrem Aufſtehen und bey ihrem zu Bette-gehen von dergleichen ſilbernen kleinen Meublen benoͤthiget. Und ob man zwar ein mit Silber beſchlagen Gebet-Buch darauf leiden kan, weil ſie dieſes des Morgens und Abends, um, der Gewohnheit nach, den Morgen - und Abend-See - gen daraus herzuplappern, benoͤthiget, ſo ſchicken ſich doch die L’hombre-Teller die Marquen - Schachteln, und viel anderes dergleichen hieher nicht, ſondern vielmehr in einen Schranck, oder in ein ander Behaͤltniß.
§. 41. Die Parade-Betten, wenn ſie nach einer guten Façon von Sammet, Damaſt, u. d. g. ge - macht, koͤnnen theils in die Zimmer geſetzt werden, da ſie helffen mit aufbutzen, theils aber, wo Cam - mern dabey ſind, in die Cammern, da es noch or - dentlicher.
§. 1.
Es iſt nicht nur zugelaſſen, ſondern auch ver - nuͤnfftig, unſern guten Eigenſchafften da - durch zu helffen, damit ſie eine Hochach - tung uͤberkommen, daß wir nemlich die Gelegenheit ergreiffen, die Menſchen, ſo zu reden, mit dem erſten Augenwinck einzunehmen, alſo, daß ſie uns gewogen ſeyn muͤſſen. Die Eigenſchaff - ten einer Perſon, und deren Zuſtand, darein ſie das Gluͤck geſetzet hat, ſprechen offtermahls ein gutes Urtheil vor dieſelbe, wenn ſie manierlich gekleidet iſt, wenn ſie in einem erbaren Kleide erſcheinet, an wel - chem alles ſauber und ordentlich, aber nichts nach - laͤßiges und liederliches zu ſpuͤhren iſt. Hiedurch gewinnet ſie alſobald bey dem erſten Anblick das Hertz der Menſchen da hingegen diejenigen, welche ſich mit ihrer Pracht und Prahlerey vor den Au - gen der Menſchen gerne breit machen, und das Ebenbild eines Pfauen vorſtellen, ſelten etwas an - ders damit ausrichten, als daß ſie eine boͤſe Mey - nung von ihrem Verſtande und von ihren Sinnen bey andern Leuten verurſachen. S. den erſten Theil des von Ernſt Ludwig von Faramond uͤberſetzten Engliſchen Spectateurs. p. 104.
§. 2. Die Haupt-Regeln, die von einem ver - nuͤnfftigen Menſchen bey ſeiner Kleidung in Obachtzu544II. Theil. XIII. Capitul. zu nehmen, ſind in folgenden Verſen enthalten, die der Herr von Tzſchirnau, in ſeinem Unterricht eines getreuen Hofmeiſters p. 230. aus den Maximen de la Sageſſe humaine, ou le portrait de l’honnet homme, in das Teutſche uͤberſetzt:
§. 3. Eine manierliche Kleidung gereicht einiger maſſen mit zur Befoͤrderung unſrer zeitlichen Gluͤck - ſeligkeit. Die Hoͤhern wuͤrdigen denjenigen, der in ordentlicher Kleidung einhergehet, viel eher ihres Zutritts und ihrer Geſellſchafft, und ſcheuen ſich hin - gegen faſt vor dem, der allzu ſchlecht gekleidet. Der gemeine Mann, der ohnedem mehrentheils nur nach dem aͤuſſerlichen urtheilet, hat eine weit groͤſſe - re Ehrerbietung vor diejenigen, die ihn an Klei - dung uͤbertreffen, und wird hiedurch viel williger, ihnen Ehrerbietung und Gehorſam zu erweiſen, er achtet ſie vor vernuͤnfftiger, kluͤger und gluͤckſeliger, und ſtehet in den Gedancken, daß die Hoͤhern auch eben ſo urtheilen moͤchten, als wie ſie. Der Abt von Bellegarde ſagt in ſeinen Reflexions T. I. p. m. 129. Un habit doré donner, des entrées dans des lieux, ou l’ on ne ſeroit pas ſoufert, ſi l’ onetoit545Von der Kleidung. etoit plus mal vetu. Le merite n’eſt pas gravé ſur le front, un ſot avec un exterieur brillant marche ſur le ventre a un bel eſprit, qui n’ a pour s’on partage, que beaucoup de ſavoir.
§. 4. Die Erkaͤnntniß, ſich wohl zu kleiden, ge - hoͤrt mit zur Klugheit zu leben, und der Mangel die - ſer Wiſſenſchafft iſt vor eine Manns-Perſon, wel - che ſich in die Welt begiebt, ſo ſehr nachtheilig, es kan ihr auch dieſe Fahrlaͤßigkeit den Weg des Gluͤckes uͤberaus rauh und beſchwerlich machen, inzwiſchen iſt doch auch hierbey Maaß zu halten, damit man von keiner unnoͤthigen Pracht, oder ei - niger Verſchwendung in der Kleidung Schuld ge - ben koͤnne. Die Regeln der Wirthſchafft und der Tugend-Lehre ſetzen auch bey dieſem Stuͤck den Regeln des Wohlſtandes Ziel und Maaß. Es iſt eine große Thorheit, wenn man ſich uͤber den Kleider-Ceremoniel ruiniren will, oder ſein Hauß und Guͤtgen nach und nach auf dem Leibe zureißen. Haͤtte mancher in ſeinen jungen Jahren nicht ſo viel Silber und Gold auf ſeiner Kleidung getragen, ſo haͤtte er nachgehends auf ſein hohes Alter nicht ſo grobes Tuch fuͤhren duͤrffen.
§. 5. Das Laſter des Kleider-Stoltzes iſt zu je - derzeit unter maͤnnlichen und weiblichen Geſchlecht, unter Geiſtlichen und Weltlichen im Schwange gegangen. Kaͤyſer Carolus IV. nahm einsmahls in einer ſolennen Verſammlung einem Canonico ſeinen koſtbahren Hut vom Kopffe, der mit vielen gold - und ſeidenen Baͤndern behaͤnget war, ſatzteM mihm546II. Theil. XIII. Capitul. ihn ſelber auf, und ſprach: Bin ich in dieſen Hute mehr einem Soldaten, als einem Canonico aͤhn - lich? wandte ſich darauf zu ſeinem Ertz-Biſchoff, und ſprach: Wir gebieten euch bey der Treue, da - mit ihr Uns verhafftet ſeyd, daß ihr eure Cleriſey reformiret, und die Mißbraͤuche mit den Kleidern, Schuhen, Haaren, und dergleichen abſchaffet; wo nicht, ſo wollen Wir ihre Præbenden nehmen, und unſerm Fiſco zuſchlagen, damit ſie beſſer angewandt werden. S. Paralipomena Conradi Ursbergen - ſis de Carolo IV. Der alte Hof - und Staats - Mann, Guevarra, der zu den Zeiten Caroli V. Roͤ - miſchen Kaͤyſers gelebt, meldet in ſeiner Beſchrei - bung des Hof - und Land-Lebens, daß man viel Frauen auf dem Lande faͤnde, welche ſo eitel und naͤrriſch waͤren, daß ſie ſich gegen die Bauern ſo koſtbar ſchmuͤckten und putzten, als wenn ſie einer groſſen Dame bey Hofe Viſite geben wolten.
§. 6. Es iſt laͤcherlich, daß die meiſten Menſchen mit ihren praͤchtigen Kleidern ſo prahlen, da doch alle ihre Koſtbarkeiten, damit ſie ſich ſo viel wiſſen, entweder aus der Erde und aus dem Schlamm, oder von den Thieren entlehnet. Alſo iſt z. E. die Seide, damit ich nur derſelben vorietzt Erwehnung thue, ein gezeugtes Weſen eines heßlichen Wurms, und gleichwohl die angenehmſte Weyde, worauf ſich der menſchliche Pracht ſaͤttiget, aber auch auf ſelbiger den Ruin ſo nahe hat, als ein Seidenwurm in ſeinem Geſpinſte. Wenn nunmehr Adam mit ſeiner Eva wieder in die Welt kommen ſolten, ſoduͤrffte547Von der Kleidung. duͤrffte er vielleicht die heutigen Menſchen vor neue Thiere anſehen, und von GOtt eine neue Zuſam - menberuffung derſelben begehren, damit er ſaͤhe, wie er ſie nennen moͤchte. Doch vielleicht wuͤrde auch ihm die Mode gar bald das Maul ſtopffen, und die Eva wuͤrde ihn ſo leicht zu einem ſeidenen Kleide bereden, als die heutigen Frauen ihre Maͤnner. Denn einmahl iſt die Welt verderbt, und die Mode iſt nunmehro eine koͤſtliche Frucht dieſer Verderb - niß; alſo wird ein Seidenwurm wohl eher nicht aufhoͤren, als biß der Seiden-Bau keinen Maul - beer-Baum mehr finden wird. S. den III. Ver - ſuch Claſſe V. der Schleſiſchen Natur - und Kunſt - Geſchichte. p. 842.
§. 7. Bey der Kleidung muß man nicht allein ſei - ne Einkuͤnffte, ſondern auch ſeinen Stand in Be - trachtung ziehen, und uͤberlegen, ob einem dieſes oder jenes, ſeinen Umſtaͤnden nach, zu tragen gezie - men moͤge. An denen Orten, wo die Kleider - und Policey-Ordnungen nicht allein vorgeſchrieben, ſondern auch gebuͤhrend in Obacht genommen wer - den, muß mancher wohl wider ſeinen Willen dieſe Regel in Ubung ſetzen. Dieſes iſt aber nicht al - lenthalben. Viel Leute kleiden ſich nach der Be - ſchaffenheit ihres Beutels, und nach ihren thoͤrich - ten Einfaͤllen; ſie erreichen aber nicht das tauſende mahl ihren Endzweck, und ihr uͤbermaͤßiger Staat gereicht ihnen oͤffters mehr zur Verachtung, als zu ihrer Ehre. Viel Leute, die eine geringe Perſon in einer ſo praͤchtigen Kleidung einher prangen ſehen,M m 2haben548II. Theil. XIII. Capitul. haben ſo wenig Hochachtung vor ſie, als die Zu - ſchauer vor einer Comœdiantin oder Operiſtin, die dem Schein nach in einer Comœdie oder Opera wie eine Princeßin gekleidet iſt, und von der ſie doch wiſſen, daß ſie bloß ein gemein Buͤrgers-Maͤdgen, die ſich um des Gewinſts willen in mancherley Klei - dungen, Geberden und Figuren zur Schau darſtellt. Der Herr M. Bernd haͤlt in ſeiner Predigt vor die Kleider-Narren und Mode-Schweſtern folgende Anrede in dem III. Theile an dergleichen Leute, die ſich in ihrer Kleidung uͤber ihren Stand erheben: Sagt mir doch, ſpricht er, wer ſoll euch denn nun wegen eurer ſchoͤnen Kleider ehren und hoch achten? Sie wiſſen ja, wer dein Vater iſt, wo er ſich auf - haͤlt, wie viel Urſache du haſt dich eher zu demuͤthi - gen als zu erheben. Sie wiſſen wer dein Mann iſt, und wie groß ſeine Beſtallung. Von denen ſo niedriger als du ſind, z. E. von Handwercks-Leu - ten, von gemeinen Buͤrgers-Leuten, und von ar - men Leuten, darffſt du dir noch viel weniger ein gut Urthel verſprechen. Dieſe ſind voll bittrer Galle gegen dich, wegen deiner Kleider-Hoffarth. Dieſe ſchreiben Krieg, Hunger, Peſtilentz und alle Land - Plagen deinen Hochmuth und deiner Kleider - Pracht zu, oder ſollen dich diejenigen ehren, die dei - nes gleichen, und die ſich eben ſo tragen wie du dich traͤgeſt? Warlich das Urthel, das ſie von dir faͤllen werden, wird maͤßig ſeyn, ſie werden ſich eben ſo gar ſehr nicht verwundern, ſo wenig ich mich ver - wundere, daß ein anderer, der eben in dem Amteſteht,549Von der Kleidung. ſteht, in welchem ich ſtehe, eben ein ſolch Kleid und einen ſolchen Kragen traͤgt, wie ich zu tragen pflege.
§. 8. Ob zwar eine propre Kleidung bey Hofe gantz angenehm iſt, ſo recommandiren ſich doch diejenigen, wenn ſie es ſchon in Vermoͤgen ha - ben, nicht allezeit, die dasjenige, was ſie bey der Fuͤrſtlichen Herrſchafft oder bey großen Miniſtris geſehen, alſobald nachahmen, und es ihnen an praͤchtiger Kleidung gleich thun wollen; Sie ver - letzen hiedurch in etwas den Reſpect, ſo ſie Hoͤ - hern ſchuldig ſind, und erzeigen eine gewiſſe Art einer Demuth und Sittſamkeit, wenn ſie jenen auch in dieſem Stuͤck einige Vorzuͤge zu uͤberlaſ - ſen. Nachdem die Dames mehrentheils in der - gleichen Dingen accurater auch rigoureuſer ſind, ſo pflegt das Frauenzimmer bißweilen bey Durch - lauchtigſter Herrſchafft ſich vorhero zu erkundigen, ob ihnen wohl erlaubet ſeyn moͤchte, dieſes oder je - nes an ihrer Kleidung zu tragen, damit ſie hierbey nicht verſtoßen, und ſich dieſerwegen keine Ungna - de zuziehen.
§. 9. Die meiſten Menſchen haben eine allzu große Hochachtung vor ſich ſelbſt, und eignen ſich ſo wohl ſonſten, als auch bey der Kleidung mancher - ley Prærogativen vor ihrem Naͤchſten zu, und ſchneiden ſolche ihm hingegen ab. Sie dencken, ſie waͤren gar wohl berechtiget, dieſes oder jenes zu tragen, andere aber, die ſie als weit geringer anſe - hen, hingegen nicht, ſie beklagen ſich, daß ſich die andern ſo gar ſehr uͤber ihren Stand erheben, undM m 3gar550II. Theil. XIII. Capitul. gar kein Einſehen darinne ſey, und vermeynen nicht, daß die Hoͤhern Urſache haben, ſich uͤber ſie ſo wohl zu beſchweren, als ſie uͤber die Geringern Beſchwerden fuͤhren; Einige von den Adelichen Dames klagen, daß dieſe oder jene Art ſich zu klei - den, ſo gemein wuͤrde, daß ſie dieſelben gar nicht vor ſich behalten koͤnten, ſondern daß das Buͤrgerliche Frauenzimmer ihnen alles gleich nachthaͤte. Das Buͤrgerliche Frauenzimmer, deren Vaͤter oder Ehemaͤnner in hoͤhern Charactéren ſtehn, und dasjenige, was ſie den Adelichen abgeſehen, gar gluͤcklich nachahmen, ereifern ſich gewaltig, wenn ſie wahrnehmen, daß die andern von buͤrgerlichen Stande, die ihnen doch im Range weit nachgien - gen, es ihnen in der Kleidung entweder gleich, oder noch zuvor thaͤten. Hierauf kommen die Schnei - der-Weiber in großen Staͤdten, und lamenti - ren, daß bey der Kleidung keine Ordnung gehalten wuͤrde, ein jedes kleidete ſich, wie es wolte, und kein Menſch fragte darnach, eine jede Magd unterſtuͤn - de ſich dasjenige zu tragen, welches doch nur repu - tirlichen Weibern, denen ſie ſich beyzehlen, zukaͤme; Und alſo wollen ſich alle, die es nur einigermaßen in Vermoͤgen haben, einer ungebundenen Frey - heit ſich nach zu Gefallen zu kleiden, anmaßen, und bloß die alleraͤrmſten Bauers - und Dienſt - Leute, hierinnen einſchraͤncken.
§. 10. Ein vernuͤnfftiger Menſch beunruhiget ſich im geringſten nicht, wenn er ſiehet, daß ande - re, die geringer ſind, als er, es ihm in Kleidung ent -weder551Von der Kleidung. weder gleich, oder noch wohl zuvor thun, er weiß, daß ſolche thoͤrichte Leute bißweilen eher des Mit - leidens, als des Neides wuͤrdig ſind, und daß ſie durch ihre Thorheit ſchon ſattſam beſtrafft wer - den, da ſie ſich ohne Noth in Schaden ſtecken, da Hoͤhere ihrer ſpotten, ihres gleichen aber ſie oͤffters dieſerwegen verachten. Wollen ſie vor ihnen ei - nen Vorzug haben, ſo bemuͤhen ſie ſich davor, die - ſelben an Klugheit und Tugend zu uͤbertreffen, ſo wiſſen ſie, daß andere es ihnen nicht ſo leicht wer - den nachthun.
§. 11. Laͤcherlich iſts, wenn einige mit praͤchti - gen Kleidern prahlen wollen, die doch nicht das Geld dazu haben, und ſtets daher, damit ihnen an ihrem Staat nichts abgehen moͤge, gefallen laſſen, auf dem Troͤdel alte abgetragene oder doch ſonſt be - kandte Kleider zu tragen. Die Ehre, die ſie ſich durch propre Kleider auf der einen Seite wollen zu we - ge bringen, faͤllt auf der andern wieder uͤber den Hauffen, wenn ſie von denen, welchen dieſe Klei - dung bekandt iſt, dieſerwegen verſpottet werden. Sie haͤtten mehr Ehre davon, wenn ſie ſchlechte und davor neue Kleider truͤgen, oder ſo ſie ſich ja der bereits getragenen bedienen wolten, dieſelben an fremden Oertern aufkaufften.
§. 12. Die Reinlichkeit und Ordnung in der Kleidung, daß man in gantzer, unbefleckter und wohl façonirter Kleidung erſcheine, und alle Arten der Kleidung feſte geknuͤpfft, gebunden, angeſtreckt, und ſonſt ſo angelegt ſeyn, wie es ſich gehoͤrt, uͤber -M m 4trifft552II. Theil. XIII. Capitul. trifft die Pracht und Koſtbarkeit: Die praͤchtigſte Kleidung verlieret bey der Unordnung ihre Grace und Anmuth, und hingegen eine aus geringem Zeu - ge verfertigte Kleidung / ertheilt ſo wohl bey Manns - als Weibes-Perſonen, wenn ſie reinlich und da - bey ordentlich angelegt, eine gewiſſe Lieblichkeit und Manier. Jnſonderheit muß man ſich ſauberer Waͤſche befleißigen. Auf was vor Art ein gewiſ - ſer junger Cavalier, der ſonſt paſſablement ange - kleidet geweſen, in malproprer Waͤſche aber bey Hofe erſchienen, von einigen Damen dieſerwegen beſchaͤmet worden, kan in des Herrn von Tzſchirn - aus Unterricht eines getreuen Hofmeiſters p. 91. nachgeleſen werden.
§. 13. Die Vernunfft und der Wohlſtand er - fordern, daß man nicht allein ſich eines ordentlichen und reinlichen Anzuges befleißige, wenn man aus - gehet, oder eines zumahl vornehmen Beſuches ver - muthend iſt, ſondern man muß auch ſeinen gewoͤhn - lichen Hauß-Habit ſo einrichten, daß man im Stande ſey, ſich allen denjenigen, die einen unver - muthend uͤberfalle, zu zeigen. Es iſt daher ſehr unanſtaͤndig, wenn einige die ſonſt in praͤchtiger Kleidung treflich ſtoltzieren, in ihrer alltaͤglichen Hauß-Kleidung hingegen ſich ſehr ſchlammicht auffuͤhren, und bißweilen auf eine ungewoͤhnliche Weiſe ſo verunſtalten, daß ſie einem furchtbahren Geſcheuhe aͤhnlicher ſehen, als einem Menſchen. Geſchicht nun vollends dergleichen von denen, die mit zeitlichen Guͤtern geſeegnet, die ihre Bedien -ten553Von der Kleidung. ten haben, und ihrer Verrichtungen wegen rein - lich und ordentlich einhergehen koͤnten, ſo iſt es noch deſto ſchaͤndlicher.
§. 14. Der Nacht - und Schlaf-Habit muß ebenfalls reinlich ſeyn, ſo wohl vor Manns-Perſo - nen, als auch vor das Frauenzimmer, weil man nicht weiß, was ſich des Nachts etwan bey dieſem oder jenem ploͤtzlich einbrechenden Ungluͤck vor Vorfallenheiten ereignen, da man aus dem Bette heraus muß und ſich andern Leuten zeigen. Nicht weniger muß der Reiſe-Habit ſo beſchaffen ſeyn, daß man nicht Schande davon habe, und ſeinen Reiſe-Cameraden etwan zum Schimpff gekleidet ſey. Doch iſt dieſes billich vor einen Uberfluß und vor eine Verſchwendung zu achten, wenn ei - nige auf der Reiſe ſo koſtbahre Kleidung anlegen, daß die groͤſten Standes-Perſonen ſich derſelben nicht ſchaͤmen duͤrfften.
§. 15. Die Pedanterey in der Kleidung, oder eine gewiſſe, theils malpropre, theils wunderſeltza - me und unordentliche Art, ſich zu kleiden, iſt ein Laſter, welches manchem von den Herrn Gelehrten anklebt. Jedoch iſt es in den vorigen Zeiten noch viel gewoͤhnlicher geweſen. Jn dem XXIV. Stuͤck des erleuterten Preuſſens findet man p. 567 eine curieuſe Obſervation uͤber den ſeltzamen Habit des beruͤhmten Theologi D. Oſianders: Nach - dem die heutige Welt in allen Stuͤcken viel poli - ter iſt als die vorige, ſo haben auch unſere Gelehr - ten ziemlich angefangen, ſich in ihrer KleidungM m 5propre554II. Theil. XIII. Capitul. propre und galant aufzufuͤhren, inzwiſchen findet man auch noch hin und wieder einige ſchmutzige Gelehrten, welche die Exempel derjenigen Schrifft, die von einem Autore ins beſondre von dieſer Ma - terie abgefaßt worden, vermehren koͤnnen.
§. 16. Ein junger Cavalier muß ſich bey ſeiner Kleidung ordentlich, aber doch nicht weibiſch auf - fuͤhren. Bißweilen kan das Frantzoͤſiſche Sprich - wort: Une petite negligeance eſt quêlques fois une bienſeance, bey den Manns-Perſonen ſtatt finden. Es laͤſt daher uͤber die maßen ſchlecht, wenn einige zu viel Stunden vor den Spiegel und Toilete ſitzen wie die Dames, oder ſich Schminck - Fleckgen aufllegen, oder die Lippen roth faͤrben, und ſich das Geſicht und die Haͤnde mit mancher - ley wohlriechenden Seifen und Pomaden einbalſa - miren, und alle Minuten, wenn ſie auch angekleidet ſeyn, ſich bald die Peruque, bald die Krauſe, bald die Manchetten ziehen, und den Taſchen-Spiegel hervor langen. Der Frantzoͤſiſche Autor der Per - ſianiſchen Briefe verdencket dergleichen allzuſehr gekraͤuſeltes Weſen, und eine allzugroſſe Bemuͤ - hung bey der Kleidung, den Europæiſchen Dames ſelbſten, wenn er in ſeinem XIX. Briefe an ſeinem guten Freund in Perſien ſchreibt: Que puis je pen - ſer des femmes d’Europe? L’art de compoſer leur teint, les ornéments dont elles ſe parent, les ſoins qu’elles prennent de leur perſonne, le de - ſir continuel de plaire qui les occúpe, ſont autant de taches faites a leur Vertû.
§. 17.555Von der Kleidung.§. 17. Das Ceremoniel der Kleidung muß in allen Stuͤcken ſo wohl in Anſehung der Koſtbar - keit, als auch wegen der Moden, Façon, Veraͤnde - rung der Kleider und andern Umſtaͤnden nach, mit den uͤbrigen, was zu der gantzen Lebens-Art gehoͤrt, in einer genauen Harmonie mit einander ſtehen. Einige Veraͤnderung in Kleidern erfordert der Wohlſtand, zumahl wenn ſich einer ſeinen Um - ſtaͤnden nach bey Hofe oder ſonſt unter der groſſen Welt aufhalten muß; es iſt weit manierlicher, ſchlechte Kleider zu tragen, und dieſelben bißweilen zu veraͤndern, als einige Jahre nach einander in ei - nem oder ein paar ſehr koſtbahren und magnifi - quen Kleidern einherziehen. Wie vielmahl man mit der Kleidung abwechſeln ſoll, kan man uͤber - haupt ſo eigentlich nicht ſagen; Dieſes beruhet theils von der unterſchiedenen Beſchaffenheit eines Einkuͤnfften, theils von den Gefallen derer, nach welchen man ſich hierinnen zu richten hat, und von dem Umgange derer, unter denen man ſich aufhaͤlt. Jedoch bin ich der Meynung, daß ein junger Ca - valier aller Orten, auf Reiſen, und an dem Orte, wo er ſich beſtaͤndig aufhaͤlt, zur Noth mit einer vierfachen Abwechſelung der Kleider auskommen kan, als mit einem taͤglichen, einem ſchwartzen, ei - nem chamerirten, und einem ſchlechten mit einer guten Veſte. Wer ſich aber nach denjenigen, was die Eitelkeit und Thorheit eingefuͤhrt, richten will, oder an einem ſehr magnifiquen Hofe in Dienſten ſtehet, der dem Kleider-Pracht ergeben,wird556II. Theil. XIII. Capitul. wird hiermit freylich nicht auskommen. Da muͤſ - ſen bey alltaͤglichen Kleidern ſtets Veraͤnderungen ſeyn, die Gala-Kleider muͤſſen bey den oͤfftern Hof - Solennitæten und dabey vorfallenden Luſtbarkei - ten auf eine vielfache Weiſe abgewechſelt werden, es muͤſſen andere Kleider ſeyn, wenn ſich die Herr - ſchafft auf die Jagt begiebt, wieder andere, wenn ſie auf die Parforce-Jagt gehet, und wer wolte doch alle die Faͤlle, bey welchen an einigen Oertern der Mode nach, die Kleider muͤſſen veraͤndert werden, anfuͤhren.
§. 18. Einige, die es doch ihren Umſtaͤnden nach, nicht noͤthig haͤtten, gehen bey dieſer Art der Ver - ſchwendung ſo weit, daß ſie ſich nicht einmahl be - gnuͤgen laſſen, wenn ſie ſo viel Kleider haben, als Monathe im Jahre, oder gar als Wochen im Jah - re, ſondern wollen auch noch weiter gehen, wie mir ſelbſt, ob es gleich faſt unglaublich ſcheinet, aus ei - nigen ſichern Exempeln bekandt worden. Je mehr ſie Kleider haben, je gluͤckſeeliger achten ſie ſich, je mehr prahlen ſie denn mit, und je mehr verachten ſie andere, die nicht ſo mit machen koͤn - nen. Doch es iſt, wie ein gewiſſer Moraliſte ſchreibet, eine vollkommene Thorheit, wenn die Menſchen entweder viel oder wenig aufgeblaſen werden, und ſich demuͤthigen, nachdem ſie mehr oder weniger von mancherley koſtbahrern oder ſchlechtern Zeuge eingehuͤllet werden.
§. 19. Daß unſere jetzige Zeit ſich zu kleiden, vor den Zeiten unſerer Vorfahren an Bequemlich -keit,557Von der Kleidung. keit und aͤußerlichen guten Anſehen einen beſon - dern Vorzug habe, iſt wohl gewiß genug. Die langen Pluder-Hoſen, die biß auf die Knoͤchel her - unter hiengen, waren zur Laſt, die großen Degen - Scheiden, die Anno 1570. aufkamen, und mit ſo großen Knoͤpffen verſehen waren, daß ſie faſt wie die kleinen Kinder-Koͤpffe ausſahen, gereichten we - der zum guten Anſehen noch zur Commoditaͤt. Die Thurm-Huͤte, auf welchen an die 300. Ellen Band ſaßen, desgleichen. Hingegen uͤbertraffen uns un - ſere Vorfahren an der Sparſamkeit in der Klei - dung, ſie waren nicht ſo auf ſtetswaͤhrende Ab - wechſelungen und Veraͤnderungen ihrer Kleider erpicht, als wie wir. Die Kinder und Kindes - Kindes erbten bißweilen noch manches Stuͤck der Kleidung, welches ihre Muͤtter und Groß-Muͤtter getragen hatten.
§. 20. Ein vernuͤnfftiger Menſch thut wohl, wenn er, bey der Art ſich zu kleiden, ſo viel als moͤglich, der heutigen eingefuͤhrten Mode folget. Eine Perſon, die ſich wider die Mode, als einem ſtarcken Strohm, auflehnen wolte, und eine allzu groſſe Nachlaͤßigkeit hierinnen bezeigen, wuͤrde ſich in der That laͤcher - lich machen, und ſich der Gefahr unterwerffen, daß man ihr nachlieffe, und mit Fingern auf ſie wieſe. S. Traité de Civilité p. 111. Man muß hiebey nicht allein auf die allgemeine Mode des Landes ſe - hen, die zu dieſer oder jener Zeit eingefuͤhrt, ſondern auch auf die beſondere, die an dieſem oder jenem Ortunter558II. Theil. XIII. Capitul. unter denen Vornehmſten und Galanteſten im Schwange und Anſehen iſt.
§. 21. Man muß, ſo viel als man kan, beurthei - len, ob auch dieſer oder jener Ort eine gewiſſe Mode vertragen koͤnte, indem man ſich allenthalben den Neigungen derjenigen, an denen uns etwas gelegen, gefaͤllig und gleichfoͤrmig erzeigen muß. Wenn alſo ein junger Cavalier aus Franckreich kommt, und will an einem Ort, der nicht gar zu neumodiſch, mit einer gantz nagel-neuen Mode, die auf eine be - ſondere Weiſe von derjenigen, ſo allbereits bekandt geworden, abgehet, paradiren, kan ſich hiedurch nicht ſelten, ob er gleich noch ſo ein ſtracker galant homme waͤre, laͤcherlich machen; Sie wuͤrden ihn anſehen, wie die Kuh das neue Thor, oder wie der Poͤbel, einen nach einer fremden Nation gekleide - ten, anſiehet. Der Frantzoͤſiſche Autor der Per - ſianiſchen Briefe macht in dem XXXIII. Schrei - ben des I. Tomi eine artige Beſchreibung hievon, ermeldet, daß er in ſeinem Perſianiſchen Habit in der Stadt Paris jederzeit von einem großen Cir - cul Volcks umgeben, und vor eine beſondere Ebentheuer angeſehen worden. So bald ihn aber der Schneider ein Europaͤiſch Kleid angezo - gen, haͤtte alle Veraͤnderung aufgehoͤrt, und kein Menſch haͤtte ſich mehr die Muͤhe gegeben, ihn zu betrachten.
§. 22. Zu Verfertigung der Kleider, erwehle man einen Schneider, der in Renommè iſt, man gebe lieber etwas mehr, und ſtehe nicht in Gefahr,daß559Von der Kleidung. daß ſie einen verderbet werden. Sie ſtehlen groͤ - ſtentheils, und da will ich mich lieber von einem gu - ten Meiſter, als von einem Pfuſcher beſtehlen laſ - ſen, und zuweilen machens dieſe am allergroͤbſten, weil ſie ſich auf einmahl aus depeur d’autrug reich machen wollen. S. Nemeitz von Franck - reich. p. 69.
§. 23. Man ſieht auch bey Abwechßlung der Kleider auf dasjenige, was an dieſem oder jenem Orte gebraͤuchlich. Viele haben die Gewohn - heit an ſich, daß ſie die erſten Feyer-Tage an den hoͤchſten Feſten des gantzen Jahres eine ſchwartze Kleidung anlegen, ich habe auch gefunden, daß ei - nige die von Decore geſchrieben, dieſes als eine Regel andern vorgeſchrieben. Der Grund hie - von ſoll dieſer ſeyn, daß man ſich theils bey der großen Freude ſeiner Sterblichkeit erinnere, wie - wohl die allerwenigſten darauf fallen / und bey dem Anzug ihrer ſchwartzen Kleidung dieſes zur Abſicht legen werden, theils an dem großen Feſt ſeine An - dacht dadurch erweiſe, weil die ſchwartze Farbe je - derzeit vor venerabel erkandt worden. Man laͤſt dieſes als etwas unſchuldiges und gleichguͤldiges paſſiren, an dem Ort, wo es eingefuͤhrt; An den meiſten Hoͤfen hingegen wird dieſer Mode geſpot - tet, und ſie vor etwas gemeines und buͤrgerliches angeſehen.
§. 24. Das Ceremoniel in der Kleidung muß nicht ſo weit gehen daß man GOtt und die natuͤr - liche Zucht und Erbarkeit daruͤber aus den Augenſetzen,560II. Theil. XIII. Capitul. ſetzen ſolte. Es iſt daher eine ſchandbahre Ge - wohnheit, wenn einige von dem Frauenzimmer ihre Haͤlſe ſo entbloͤßen, daß es nicht anders ſcheinet, als ob ſie ihre Waaren, die doch oͤffters gar verle - gen und begriffen ſind, jedermann feil bieten, und ſolche zur oͤffentlichen Schau herum tragen wolten. Geſchicht nun ſolches vollends zu der Zeit, da ſie ſich bey den heiligen Handlungen, die ſie vor ſich haben, einer groͤſſerer Schamhafftigkeit befleißigen ſolten, ſo iſt es noch aͤrgerlicher. Der Engliſche Spectateur nennt dieſes eine Art einer ſubtilen Frechheit, wenn man durch die Kleidung gleich - ſam alles aus ſeiner Leibes-Geſtalt erpreßt, was man nur immer erpreſſen kan. Tertullianus ſchreibt de Cultu fœminæ: Es iſt nicht genug, daß ein Chriſt vor ſich allein keuſch und zuͤchtig iſt, er muß auch in dem Werck ſelbſt erweiſen, daß ers iſt, und dieſes muß eine ſolche Tugend ſeyn, davon er dergleichen Vorrath haben kan, daß ſie ſich von ſeinem Hertzen biß auf ſeine Kleider heraus laͤſt, und in ſeinem gantzen Leben erzeigt. Die Erbarkeit der Kleidung ſiehet naͤchſt der Nothwendigkeit darauf, damit die unanſtaͤndigen Theile des Leibes moͤgen verborgen, und die Schamroͤthe bedeckt werden, welche die Schande auf die Menſchen ge - bracht. S. Baſilius M. Reg. Tuch-Diſpute XXII.
§. 25. Die Kleider-Moden muͤſſen den Regeln der Geſundheit nicht zuwider ſeyn. Es iſt daher ſehr thoͤricht und unverantwortlich, wenn einige vonden561Von der Kleidung. denen Dames aus einer eitlen Ruhm-Begierde, daß man von ihnen ſagen ſoll, daß ſie einen ſchoͤnen Leib haͤtten, ſich ſo feſt einſchnuͤren, daß ſie ſich Magen - druͤcken und andere Beſchwerlichkeiten daruͤber zu - ziehen; oder viele von denen Manns-Perſonen ſich wegen der allzu knappen Schuhe, aus allzu groſſer Galanterie, Huͤneraugen an ihren Fuͤſſen erwe - cken, wie dieſes und anderes mehr, ſo hieher gehoͤrig, die Herren Medici in ihren Schrifften beſonders ausgefuͤhrt.
§. 26. Ein vernuͤnfftiger Menſch beurtheilet bey dem Kleider-Ceremoniel, was ihm, nach ſeiner Statur, nach der Farbe ſeines Geſichts, nach ſeiner Leibes-Conſtitution, und nach der Proportion und Beſchaffenheit ſeiner Gliedmaſſen wohl anſtaͤndig ſeyn moͤchte, und wo er ſiehet, daß ſich die Mode mit dem aͤuſſerlichen Anſehen nicht gar zu wohl vertra - gen will, laͤſt er lieber von der Façon und dem Ce - remoniel etwas nach, damit er ſeinem Anſehen beſ - ſer helffe. Er weiß wohl, daß nicht allezeit dasjeni - ge, was dieſen wohl kleidet, einen andern auch wohl kleide, ſintemahl die Fettigkeit, die Magerkeit, die laͤngere oder kleinere Statur, und andere Umſtaͤnde, mancherley Unterſchiede hierbey wuͤrcken koͤnnen. Mancher geſchickter Schneider, Peruquier, u. ſ. w. iſt geſchickt, dieſes zu beurtheilen, die wenigſten aber verſtehen es; und alſo muß man es ſelbſt er - wegen, und die ſich mit uns in gleichen Umſtaͤnden befinden, genau betrachten, auch andere vertraute Freunde, denen man hierunter trauen kan, hierbeyN nmit562II. Theil. XIII. Capitul. mit zu Rathe ziehen. Wenn manche dieſes beob - achteten, ſo wuͤrden ſie ſich nicht ſo gewaltig verſtel - len, ob ſie gleich nach der allergroͤſten Schaͤrffe der Mode Folge leiſten, und, ihrer Einbildung nach, noch ſo galaut ſeyn wollen.
§. 27. Bey der Kleidung muß man die Witte - rungen und den Unterſchied der Jahres-Zeiten zu - gleich in Betrachtung ziehen, wenn man ſich nicht laͤcherlich machen will. Es iſt wider den Wohl - ſtand, wenn einige bey der allerſtrengſten Kaͤlte den Hut unter dem Arme tragen, oder bey Regenwet - ter, oder wohl gar in dieſer Poſitur zu Pferde ſitzen, oder ſich bey heiſſen und heitern Sommer-Tagen den rothen Mantel nachtragen laſſen; oder im haͤr - teſten Winter ihre Haare in ein Band einflechten, und mit nackenden Ohren gehen, um manchen von den Officierern nachzuthun, und ein ſoldatiſch An - ſehen zu haben. Man muß beurtheilen, was ſich zu einer Sommer - odes Winter-Tracht ſchicke. Wenn alſo ein Frauenzimmer zur Winters-Zeit in einem Taffet Adriaine einher gehet, muß ſie ſich ſchon von andern, die das Kleider-Ceremoniel beſ - ſer verſtehen wollen, dieſerwegen richten laſſen.
§. 28. Bey denen Kleider-Moden muß man ſich vor allem affectirten Weſen huͤten, ſintemahl eine uͤbermaͤßige Affectirung eine ſo laſterhaffte Aus - ſchweiffung, als eine allzu groſſe Nachlaͤßigkeit. Ei - nige uͤberſchreiten, aus einer allzu groſſen Moden - Sucht und Liebe zur Galanterie, das ſonſt gehoͤrige und beſtimmte Maaß, und handeln darinnen widerden563Von der Kleidung. den Wohlſtand; an ſtatt, daß ſie zu dieſem oder oder jenem, was die Mode eingefuͤhrt, eine halbe Elle nehmen ſolten, nehmen ſie davor anderthatbe. Andere wollen ſich auf eine abgeſchmackte Weiſe mit den ſo genandten Affections-Baͤndern oder Faveurgen, die ſie von dem Frauenzimmer ge - ſchenckt bekommen, breit machen; jedoch, ſie ma - chen ſich gemeiniglich hiemit laͤcherlich, ſie moͤgen auch noch ſo ſchoͤn mit Gold und Silber geſtickt, oder des Frauenzimmers verzogener Nahme darauf geſetzt ſeyn.
§. 29. Es iſt unanſtaͤndig, wenn die Manns - Perſonen bißweilen von dem, was ſich das Frautn - zimmer zugeeignet, entlehnen, oder die Damen die Cavaliers nachahmen; als wenn die Manns-Per - ſonen Fecher, oder das Frauenzimmer ſich Spani - ſche Roͤhre zulegt, und auf viel andere Weiſe mehr. Es iſt ebenfalls ſeltzam, wenn einer in ſeiner Klei - dung etwas gantz beſonderes fuͤhret, welches man bey andern Leuten nicht gewahr wird, oder einige diejenigen, von denen ſie glauben, daß ſie ſich wohl zu kleiden wuͤſten, nicht allein in Erwehlung der Far - ben, ſondern auch in allen Stuͤcken bey ihrer Klei - dung blindlings nachaͤffen, und dabey die Beſchaf - fenheit des vielfachen Unterſchiedes, der zwiſchen ihnen und jenen iſt, im geringſten in keine Betrach - tung ziehen. Sie fehlen hiebey gemeiniglich. Was dieſen wohl kleidet, kleidet nicht allezeit einen andern wohl. Dieſer iſt in einem ſchlechten Kleide artiger gekleidet, und hingegen einem andern ſtehet das koſt -N n 2barſte564II. Theil. XIII. Capitul. barſte nicht ſo wohl an. Dieſer iſt wegen ſeiner beſondern Caprice, die er bey ſeiner Kleidung er - weiſet, und dadurch er ſich von andern abſondert, wegen ſeines hohen Standes und Characters, be - ſonderer Meriten, und andern Vorzuͤge, ſattſam be - deckt, einem andern aber, der ihm dieſes nachthut, wird man einen Phantaſten ſchelten.
§. 30. Eine allzu aͤngſtliche Bemuͤhung, um neue Kleider-Moden zu erfahren, iſt ein Anzeigen eines eitelen und weibiſchen Gemuͤths. Es ſtehet daher einem vernuͤnfftigen Menſchen nicht gar wohl an, wenn er bloß der Moden wegen eine eigene Corre - ſpondence unterhaͤlt, und ſich alle Vierthel-Jahre, oder auch wohl noch eher, gewiſſe Puppen aus Franckreich verſchreiben laͤſt, von denen er die ver - aͤnderte Façon abſehen, und alſofort nachahmen will. Man muß dieſes denen Schneidern uͤber - laſſen. Es iſt eben ſo unanſtaͤndig, wenn man nach den veraͤnderten Kleider-Moden eine allzu groſſe Begierde bezeiget, als wenn man in Behaltung der alten zu eigenſinnig iſt.
§. 31. Ein junger Cavalier muß ſich bey dem Kleider-Ceremoniel gar ſehr richten nach der Nei - gung derer, an deren Urtheil ihm gar viel gelegen, und in deren Haͤnden ein groſſer Theil ſeiner zeitli - chen Gluͤckſeligkeit beruhet. Sind dieſe auf die neue Moden und auf die Façon der Kleider ſehr er - picht, ſo muß er ſich auch biß auf die Kleinigkeiten, und in ſo weit es die natuͤrlichen Regeln des Rechts verſtatten wollen, nach ihnen reguliren. Manchegehen565Von der Kleidung. gehen gar ſo weit, daß ſie andern vorſchreiben, bey was vor einem Schneider ſich einer ſolte kleiden laſ - ſen. Sie bilden ſich ein, daß kein Kleid recht gut ſaͤſſe, wenn es gleich ſonſt bey dem geſchickteſten Schnei - der verfertiget, wenn es nicht aus den Haͤnden deſſen kaͤme, der bey ihnen in beſonderm Ruff und Anſe - hen ſtehet. So bald ſie aber aus einem gewiſſen Schnitt, oder andern Merckmahl, wahrnehmen, daß wir uns von ihm kleiden laſſen, ſo meynen ſie gleich um deswillen, daß man weit proprer und galanter ſey.
§. 32. Wo man aber bey denen und unter de - nen iſt, die ſich mehr um reelle Dinge, als um das Kleider-Weſen bekuͤmmern, ſo kan man Zeit und Geld nuͤtzlicher anlegen, als neue Kleider-Moden zu erfahren, zu beurtheilen, und nachzuahmen. Her - tzog Wilhelm III. zu Sachſen, der anno 1482 ſtarb, war kein Hochhalter der neuen Moden. Er ſagte einſtens zu einem gewiſſen von Adel, welcher ſich ſtets der neuen Moden befliß, und an ſeinen Kleidern etwas aͤndern ließ, er moͤchte ihm doch zu Gefallen die alamodiſchen Hoſen abſchaffen, und ſich nach ſeiner Art kleiden. Der naſenweiſe Juncker aber gab ihm die unverſchaͤmte Antwort: Jch kleide mich, wie mirs gefaͤllt. Darauf denn der Hertzog mit Recht replicirte: So jaͤge ich dich auch weg, wie mirs gefaͤllt; welches auch ſo bald erfolget. S. Muͤllers Annales Saxonici. p. 48.
§. 33. Auf Erwehlung der Farben kommt bey der Kleidung ebenfalls vieles mit an, und hat manN n 3unter -566II. Theil. XIII. Capitul. unterſchiednes dabey in Betrachtung mit zu ziehen, wenn man ſich nicht fremde Critiquen, die man vermeiden koͤnte, uͤber den Hals ziehen will. Man muß beurtheilen, welche ſich vor dieſe oder jene Jahrs Zeit wohl ſchicken moͤchten, ingleichen ob ſie den Jahren unſers Lebens, die wir zehlen, gemaͤß ſind. Es iſt nichts laͤcherlicher, als wenn diejenigen, denen der Winter des hohen Alters auf das Haar geſchneyet, in ihrer bunten Kleidung den Fruͤhling noch vorſtellen wollen, wie es doch nicht ſelten von denen die ſich ſelbſt nicht kennen wollen, zu geſche - hen pflegt.
§. 34. Man muß die Farbe der Kleidung, die man zu wehlen gedenckt, einiger maßen mit der Far - be ſeines Geſichts mit in Vergleichung ſtellen; Alſo kleidet die bleu mourant Farbe ein ſehr blaſ - ſes Frauenzimmer nicht ſo gut als eine andre, und wenn ſich eine ſtarck brunette ein weiſſes Kleid ver - fertigen laͤſt, wird ſie darinnen noch viel dunckler ausſehen als ſonſt. Man muß nicht ſolche Far - ben ausſuchen von denen manche Leute, die ſich am geſchickteſten achten, hieruͤber zu urtheilen, auch bey andern in dieſem Stuͤck Gehoͤr finden, raiſo - niren, daß ſie Dantzmeiſtern, Comœdianten und Operiſten anſtaͤndiger waͤren als andern. Wenn alſo ein junger Cavalier in ein hell auror farbnen oder roſenfarbnen Tuch oder Papagoy gruͤnen Kleide nach Hofe kaͤme, wuͤrde er gewiß vieler Augen an ſich ziehen, und auf mancherley Weiſe wegen der von ihm erwehlten Farbe gerichtet wer - den.
§. 35.567Von der Kleidung.§. 35. Eine buntſcheckigte Kleidung, da die Far - ben einander contrair ſind, und nicht wohl mit ein - ander harmoniren, iſt dem Wohlſtand zuwider. Roſalia ſagt in der galanten Frauenzimmer Morale p. 83: Manche traͤgt ſich ſo bunt, daß faſt wie in einen Pfauen-Schwantze alle Farben an ihr ſpie - len, oder ſie choiſirt ſonſt ſo wunderliche Farben zuſammen, daß ſie einer Dame in der Charte nicht ungleich ſiehet; und ſo offt ich Bellinen in einem blauen Contuſche, rothen Unter-Rock, gelben Halstuch, und gruͤnen Bande erblicke, bedaure ich allezeit, daß ich nicht mahlen kan, um die ſchoͤne Por - trait abzuſchildern. Man muß ſich hierinn nach andrer Raiſonement richten, und ſolche Farben zu - ſammen nehmen die ſich ſchicken. Monſieur de Chevergny giebt bey dieſer Materie ſeinem Sohn p. 375 folgende Inſtruction: Quant aux habille - mens, il en faut uſer modeſtement, & des plus commúns, ſelon la qualité. & ſelon les lieux, & le temps, car les habillemens bigarrés, extraordi - naires & non communs des autres donnent te - moignage d’un eſprit bigearre, qui eſt une mau - vaiſe opinion, & tont ainſi que l’habillement hon - nete ſelon la perſonne, la qualité, l’age, le temps, & le lieu, montre la dignité l’autorité & lejuge - ment, auſſi celuy qui eſt trop exquis, & mal convenable â l’age, ou au temps, ne ſert pas d’ornement au corps, mais découvre l’eſprit de celuy qui en uſe.
§. 36. Man muß bey ſeiner Kleidung Acht ha -N n 4ben,568II. Theil. XIII. Capitul. ben, daß alle Stuͤcke derſelben, nicht allein den Farben, ſondern auch der Koſtbarkeit, der Rein - lichkeit und Ordnung nach mit einander harmoni - ren moͤgen. Es wuͤrde alſo ſehr ſchlecht laſſen, wenn ein Cavalier in einem propren Kleide er - ſchiene, hingegen eine altvaͤteriſche confuſe Peru - que auf haͤtte, oder einen lappichten zurißnen Hut truͤge. So muß man auch bey Abſtattung der Viſiten, zumahl an Hoͤhere und Vornehmere, ſei - ne Kleidung einiger maſſen mit in Betrachtung zie - hen, und ſich nach ihren Neigungen oder doch ſonſt nach denjenigen Umſtaͤnden richten, die der Wohl - ſtand etwan hierbey erfordern will. Wenn man alſo bey einem groſſen Miniſter, der in tieffer Trauer ſtehet, ſeine Aufwartung machen will, muß man nicht in bunter, ſondern in ſchwartzer Kleidung er - ſcheinen.
§. 37. Daß die meiſten Moden in der Kleidung auch deren beſondere Benennungen ihren Urſprung aus Franckreich her hohlen, iſt jederman bekandt. Bißweilen hat eine Caprice einer hohen Standes - Perſon, oder auch wohl nur ein ungefehrer Zufall zu etwas Gelegenheit gegeben, welches hernach bey andern ins Anſehen gekommen, und von den Teut - ſchen auf das begierigſte nachgeahmet worden. Alſo ſollen die Fontangen des Frauenzimmers ih - ren Nahmen von der Madame Fontange in Franck - reich erhalten haben. Dieſe waͤre mit dem Koͤ - nig einſtens auf der Jagt geweſen, und haͤtte ſich wegen allzugroßer Hitze einen dergleichen hohenAufſatz569Von der Kleidung. Aufſatz von gruͤnen Laube und Blaͤttern gemacht. Nachdem nun derſelbe bey dem Koͤnig Approba - tion gefunden, ſo haͤtte er nachgehends andern Da - mes zum Modell ihrer Hauben dienen muͤſſen. S. Amaranthes Frauenzimmer-Lexicon. p. 556.
§. 38. Daß auch der Frantzoͤſiſchen Geiſtlichkeit ſelbſt an Beybehaltung dieſer oder jener Tracht viel gelegen, und ſie wohl eher dieſerwegen einen Streit unter einander gehabt, erſiehet man aus manchen Geſchichten, die ſich dieſerwegen zugetra - gen. Anno 1705. hatten die Frantzoͤſiſchen Bi - ſchoͤffe einen wichtigen Diſput uͤber das Tragen der Schleppen, oder der langen hintenaus ſchweiffen - den Kleidung, indem es ſich fragte, ob ſich die Bi - ſchoͤffe bey der Proceſſion, an dem in Franckreich ſo genandten kleinen Frohnleichnams-Feſte, ſolten die Schleppen nachtragen laſſen, weil ſie in langer Zeit an dieſem Feſt nicht verſam̃let geweſt. Man brach - te vier gantzer Seſſionen mit dieſer wichtigen Sache zu, ehe ein rechter Schluß ausfallen wolte; Einige wolten behaupten, ſie muͤſten getragen werden, wenn auch keine andere Urſache waͤre, als die Er - haltung des praͤlatiſchen Anſehens, damit ſie durch dieſes Merckmahl von den andern Deputirten der Geiſtlichkeit niedriger Claſſen unterſchieden wuͤr - den. Andere giengen aufrichtig heraus mit dem Bekaͤnntniß, daß dieſes eine bloße eitele Hoffarth waͤre, und da ſie in Koͤniglichen Zimmern fuͤr irrdi - ſchen Majeſtaͤten nicht erlaubet ſeyn, wuͤrde es ſich noch viel weniger ſchicken, ſie vor dem Himmels -N n 5Konig570II. Theil. XIII. Capitul. Koͤnig zu gebrauchen, weil ſie meynen, daß dieſer bey dem Monſtranz, und in der Proceſſion zugegen ſeye. S. Theatr. Europ. Tom. XVII. p. 260.
§. 39. Wie nun die Frantzoſen vor allen andern Nationen in allen demjenigen, was zum Kleider - Weſen gehoͤrt, ſehr raffiniren, alſo ſind ſie auch in Erfindung gewiſſer Zeuge auf gantz beſondere Din - ge gefallen, die andern wohl nicht eingekommen waͤren. Anno 1711. iſt man in Franckreich auf die Methode gekommen, wie man aus denen Spinne-Gewebe an ſtatt der Seide einen Zeug zu bereiten koͤnne. Der verſtorbene Koͤnig, Ludwig XIV. ſoll ſich eine beſondere Veſte daraus haben verfertigen laſſen, weil man iſt bedacht geweſen, die - ſe Spinnen-Manufactur je mehr und mehr aufzu - bringen biß man endlich nach Erkaͤnntniß der Be - ſchwerlichkeiten, die damit verknuͤpfft geweſen, da - von abgeſtanden, wie dieſes alles in einem beſon - dern Tractætgen, das hievon zum Vorſchein kom - men, mit mehrern abgehandelt. A. 1718. haben die Dames in Pariß angefangen bey der Som - mers-Zeit, Kleider von Jndianiſchen Papier zu tragen, welche aber nicht laͤnger als einen halben Tag halten. Es hat dieſe Façon von Kleidern der Spitzenhaͤndler Boileau erfunden, welcher ſel - bige mit allen was dazu gehoͤrt, als manteaux, jupes, juppons, Corſets, die allein mit Leinwand gefuͤttert, Band und dergleichen vor 25. Livres verkaufft, und Madame la Duſcheſſe de Berri, ſoll ſie zuerſt mit eingefuͤhrt haben. Der Autordes571Von der Kleidung. des Artic. I. Claſſe V. des IV. Verſuches der Schleſiſchen Natur und Kunſt-Geſchichte, mey - net, man wuͤrde vielleicht mit der Zeit ein Mittel ausfinden, dieſen Zeug etwas haltbahrer zu ma - chen, zum wenigſten duͤrffte es vielleicht noch ge - ſchehen, daß man, wo nicht in dieſen, doch andern ſehr duͤnnen Zeugen mit den lacquiren einen Ver - ſuch zu machen belieben moͤchte, weil doch jetziger Zeit dieſe ſchoͤne und nutzbahre Kunſt zu mehr Dingen applicirt wird, als man jemahls geglau - bet. p. 1241.
§. 40. Daß die Prieſter die Mode-ſuͤchtigen Manns - und Weibs-Perſonen bey Gelegenheit in ihren Predigten erinnern, warnen, ſtraffen, und die Suͤnden, die bey dem Kleider-Weſen vorfallen, anzeigen, iſt gantz billig und ihrem Amte gemaͤß; es iſt aber auch nicht zu leugnen, daß einige bißweilen uͤber eine und andere unſchuldige Veraͤnderung mit Unverſtand eifern, und bey dergleichen Dingen in ihrem Straf-Amt excediren. Da die Fontangen erfunden worden, ſchrieben einige von den Geiſt - lichen: Man fuͤhre durch dieſe Fontangen den Bau des Leibes hoͤher, als die Natur ihn haͤtte haben wollen, und ſuchte den Ausſpruch des Hey - landes umzuſtoßen: Wer iſt, der ſeiner Laͤnge eine Elle zuſetzen koͤnte? Eva haͤtte weder vor noch nach dem Fall dieſe Tracht gebraucht, und von GOtt wohl einen Rock von Fellen, aber keine Fontenge bekommen. Paulus habe dem Frauenzimmer ei - ne Decke auf dem Haupt zu tragen anbefohlen. Chriſti572II. Theil. XIII. Capitul. Chriſti Haupt habe keine ſeidene Fontenge, ſon - dern ein dickes Gebuͤſch von geflochtenen Dornen bedecket. Eine jedwede Schleiffe darinnen ſtellete einen gekruͤmmten Wurm fuͤr. Das Frauenzim - mer gebe damit zu verſtehen, daß ſie ihren ſo wohl gegenwaͤrtigen als zukuͤnfftigen Maͤnnern die Crone und Herrſchafft von den Haͤuptern reiſſen / und da - durch ihnen eine Regierung anmaſſen wolten. Der ſelige geheimde Rath Stryk ſchreibet uͤber die Pan - decten in ſeinem Uſu moderno L. XLVII. Tit. X. §. 3. p. 571. von einen Superintendenten: der, als er den Hochmuth ſtraffen wolte, die Falbulen-Roͤ - cke vor Huren-Roͤcke, und diejenigen Weiber, ſo ſolche truͤgen, vor Huren und Beſtien geſcholten, die Fontangen-Traͤgerinnen vor Hoffarts-Schwe - ſtern und Teuffels-Koͤpffe ausgeruffen, ihnen GOt - tes Gerichte und das hoͤlliſche Feuer angedrohet, auch das heilige Abendmahl nicht reichen wollen. Der aber hievor, und zwar von Rechts wegen, in - juriarum belanget worden.
§. 41. Aus ſolchen unmaͤßigem Eifer der Prie - ſter entſpringt nachgehends auch die Eiferſucht des Poͤbels, daß ſie ſich uͤber diejenigen, denen ſie es in der Kleidung nicht gleich thun koͤnnen, entruͤſten, ihre vermeynte Gluͤckſeligkeit beneiden, und ihnen wohl gar dieſe oder jene von GOtt verhaͤngte Land-Pla - ge beymeſſen. Alſo erzehlet der Autor des Clef du Cabinet des Princes, p. 382: Es haͤtte a. 1725. das gemeine Volck in Pont a Mouſſon in Lothrin - gen die Reif-Roͤcke des Frauenzimmers fuͤr ihr Un -gluͤck573Von der Kleidung. gluͤck angeſehen, und haͤtte es nicht viel gefehlet, daß es nicht zu einem Aufruhr gekommen waͤre; ſie haͤt - ten geglaubet, daß die Reif-Roͤcke Urſach an der Theurung und Mißwachs waͤren, alſo das Frauen - zimmer, ſo dergleichen getragen, mit aller Macht angefallen, und ſie allenthalben mit Schimpff - Worten verfolgt. Die Weiber waͤren bereit ge - weſen, ſich uͤber dieſer Mode in Stuͤcken zerhauen zu laſſen, haͤtten ſich mit Piſtohlen und dergleichen verſehen, und gedrohet, dem erſten dem beſten, der ſie anfallen wuͤrde, einen ſchlimmen Streich beyzu - bringen. Es haͤtten auch verſchiedene von ihnen auf der Gaſſe Feuer gegeben, biß ſich endlich der Magiſtrat drein geleget.
§. 1.
BEy einer vernuͤnfftigen Oeconomie muß alles harmoniren, und alſo muß ſich auch die Anzahl der Bedienten, der Equipage und des gantzen Staats nach den andern Umſtaͤnden richten, dafern nicht bey einem oder an - derm Stuͤck ein Fehler, wegen der Ubermaaße oder des Mangels, als eine beſondere Unvollkommenheit,andern574II. Theil. XIV. Capitul. andern Leuten in die Augen falle, oder einem ſelbſt einige Unzufriedenheit zuziehe. Es iſt daher ein ſo groſſer Ubelſtand wenn jemand einen groſſen Staat macht, und alles Geld dazu erborgt, oder mit dem es ſich nicht der Muͤhe lohnet, als wenn ein anderer, der es doch wohl thun koͤnte, und dem es auch zu - kaͤme, in dieſem Stuͤck eine gar armſeelige Figur macht.
§. 2. Regulire deinen Staat nach der Beſchaf - fenheit deiner Einkuͤnffte. Die nothwendigen und unvermeidlichen Ansgaben gehen denenjenigen vor, die nur zum zulaͤßigen Vergnuͤgen, zum Anſehen und zur Parade gehoͤren. Es iſt nicht genug, daß deine Mittel im gegenwaͤrtigen zureichen, ſondern du muſt auch beurtheilen, ob du, der Vermuthung nach, den Staat ſo, wie du ihn angefangen, biß in dein hohes Alter wirſt fortſetzen koͤnnen. Befin - deſt du, daß deine Einkuͤnffte nicht allein uͤberein verbleiben, ſondern ſich auch verbeſſern moͤchten, ſo iſts gut, wo aber nicht, ſo laß dich mit vielen Bedien - ten und koſtbarer Equipage unverworren. Er - wehle unter zwey Dingen das ſicherſte, und verblei - be bey der ſchlechten Lebens-Art, der du gewohnt biſt, und der andere von dir auch gewohnt ſind, ſo darffſt du dich nicht zu deiner ſchlechten Ehre, und mit deinem Verdruß in dem kuͤnfftigen verſchlim - mern und vergeringern. Setzt dich aber GOtt in beſſere Umſtaͤnde, ſo biſt du ſo faͤhig als wie andere, eine groͤſſere Parade zu machen. Es urtheilte ein - ſten ein groſſer Miniſter von einem jungen Men -ſchen,575Von denen Bedienten und der Equipage. ſchen, der in einer praͤchtigen Caroſſe ſaß, nach der Beſchaffenheit ſeiner Jahre, ſeiner Einkuͤnffte und ſeines Characters aber gar wohl zu Fuß haͤtte gehen koͤnnen: Es waͤre ein ſehr kluger Menſch, er ſchon - te jetzund in ſeiner Jugend ſeine Fuͤſſe, damit er ein - ſten auf das Alter deſto beſſer zu Fuſſe gehen koͤnte. Es kan leicht geſchehen, daß dieſe aus Schertz ge - ſchehene Prophezeyung eintrifft, immaſſen es eine Sonnen-klare Wahrheit, daß der groſſe Staat vieler jungen Leute ihnen auf ihr hohes Alter auf die Beine hilfft.
§. 3. Beunruhige dich nicht, wenn dich andere an Staat, der Menge der Bedienten und derglei - chen uͤbertreffen, und beneide ihnen ihre Gluͤckſee - ligkeit nicht. Thun ſie dieſes auf eine vernuͤnfftige Weiſe, da ihnen GOtt groͤßrer Einkuͤnffte und ei - nen hoͤhern Stand verliehen, ſo verletzeſt du hie - durch die Chriſten-Pflichten, da du uͤber die von GOtt gemachte Eintheilung, da er Macht hat, ei - nem jeden zu geben, was er will, auf eine ungedul - dige Weiſe murren willſt. Fuͤhren ſie ſich aber unvernuͤnfftig hierbey auf, ſo muß man mit ſolchen elenden und verblendeten Leuten eher Mitleiden haben, als ſie beneiden, es iſt Ungluͤcks genug vor ſie, daß ſie ſich hiedurch mit der Zeit entweder Armuth oder Verachtung, oder beydes zugleich uͤber den Halß ziehen.
§. 4. Bey der Anzahl der Bedienten, und der Equipage, richte dein Abſehen nicht allein auf dei - ne Einkuͤnffte, ſondern auch auf deinen Stand,Bedie -576II. Theil. XIV. Capitul. Bedienung und Character. Beurtheile vorher, ob die dergleichen den Landes-Geſetzen und Poli - cey-Ordnungen nach erlaubet ſeyn moͤchte; und wenn es in denen Landes-Geſetzen nicht vorge - ſchrieben, oder wenn es gleich vorgeſchrieben, doch nicht druͤber gehalten wird, ſo gieb Ach - tung, wie ſich andere vernuͤnfftige Leute, die den Ruhm haben, daß ſie die Regeln der Klugheit zu leben, wohl beobachten, und mit dir von gleichem Stand, Rang, Character und Einkuͤnfften ſind, aufzufuͤhren pflegen, und dieſen ahme nach. Es iſt eine gewiſſe Wahrheit, ob ſie gleich von den we - nigſten erkandt wird, daß ein Staat, der mit dem Stand nicht uͤbereinſtimmete, mehr einen Ubelſtand als Wohlſtand zu verurſachen pflegte. Auf das Geld kommt es nicht allein an, mancher Bauer hat mehr in Vermoͤgen, als mancher Edelmann, man - cher Jude, als mancher Geheimder Rath, und mancher Kauffmann mehr, als mancher Große. Wuͤrde es aber nicht wunderſeltzam laſſen, wenn ein Bauer in einer manierlichen Caroſſe ſitzen wol - te, und einen oder ein paar Laquais neben ſich her - lauffen ließ, oder wenn ein Jude, oder ein Kauff - mann mit 6. Pferden fuͤhr, Heyducken, Laͤuffer und Pagen um den Wagen haͤtte. Doch wenn auch gleich mancher von ihnen ſo thoͤricht waͤre, und es thun wolte, oder es auch thun duͤrffte, ſo wuͤrde er ſich doch mit dieſem ſeinem großen Staat ſo wenig Ehre zu wege bringen, als ein Marckt - ſchreyer mit ſeiner Equipage, oder ein elender ohn - maͤchtiger Caſtrate, der bißweilen in einer praͤchti -gen577Von denen Bedienten und der Equipage. gen Caroſſe ſitzt, und ein paar Laquais hinten auf dem Wagen ſtehen hat.
§. 5. Ein vernuͤnfftiger Menſch regulirt die An - zahl ſeiner Bedienten, Pferde, Caroſſen, und alle zum aͤuſſerlichen Staat gehoͤrigen Umſtaͤnde nicht allein nach ſeinen Einkuͤnfften, nach ſeinem Stand und Character, ſondern auch nach der Beſchaffen - heit des Ortes, an dem er ſich aufhaͤlt, nach den Verrichtungen, die er einem jeden auftragen kan, und der beſondern Abſicht, die er ſich theils ſelbſt erwehlt, theils auch nach der ihm von Hoͤhern be - ſchehenen Vorſchrifft lencken muß. Nach dieſen Umſtaͤnden findet er hierinnen beſondere Regeln, und bekommt Grund und Anlaß entweder etwas von dergleichen zuzuſetzen, und zu verbeſſern, oder zu vermindern. Alſo braucht einer der ſich eine Zeitlang auf dem Lande, oder an kleinen Oertern aufhaͤlt / nicht die Bedienten, Pferde u. ſ. w. als wenn er an einem magnifiquen Hofe leben muß. Eine anſtaͤndige und vernuͤnfftige Menage iſt kei - nem zu verdencken, und wenn es der reichſte und vornehmſte waͤre; Warum ſoll man denn einem ſolchen zumuthen, daß er etwas ohne zureichenden Grund thun ſoll, da ſich doch ſonſt alle Menſchen nach dieſem Satz richten muͤßen. An andrer Leu - te Urtheile muß man ſich nicht kehren. Was an - dre nach ihrer Unerkaͤntniß oder nach ihrer Thor - heit thun wuͤrden, wenn ſie an unſerer Stelle waͤren, kan uns bey unſern Handlungen keine Vorſchrifft ertheilen.
O o§. 6.578II. Theil. XIV. Capitul.§. 6. Hingegen ereignen ſich wieder beſondere Faͤlle, da man zu Befoͤrderung ſeiner wahren Gluͤckſeeligkeit bey ſeiner Equipage die Spahrſam - keit ein wenig bey Seite ſetzen muß. Es iſt eine große Klugheit bey der Spahrſamkeit und bey den reichlichen Geld-Ausgaben, das rechte Tempo zu treffen, und iſt oͤffters eine Art eines beſondern Erwerbens, wenn man zuweilen faſt ein wenig ver - ſchwenderiſch ſcheinet. Alſo kan ſich einer, der ſich in Fuͤrſtlichen Dienſten befindet, bey ſeiner Herr - ſchafft in beſondere Gnade ſetzen, wenn er ſich bey oͤffentlichen Solennitæten, die zur Ehre ſeiner Herr - ſchafft celebrirt werden, als bey Einzuͤgen, bey Fuͤrſtlichen Vermaͤhlungen, Kindtauffen oder bey Verſchickungen an fremde Hoͤfe, und andere der - gleichen Vorfallenheiten, mit ſeinen Bedienten, und ſeiner gantzen Equipage ſo propre auffuͤhret, als ihm nach ſeinen Einkuͤnfften moͤglich iſt; ja er handelt bey dergleichen Faͤllen nach dem Unter - ſchied der Neigungen ſeiner Herrſchafft, und nach - dem er vermuthen kan, daß es ihm zu einigen Vor - theil gereichen werde, gar weißlich, wenn er ſich auch ſchon hierbey ein wenig wehe thut, und ſich incommodirt.
§. 7. Man muß die Bedienten alſo erwehlen, daß ſie ſich nicht allein nach ihrer Anzahl, ſondern auch nach ihrer Art und Beſchaffenheit vor eines Umſtaͤnde ſchicken, und mit der uͤbrigen Lebens-Art harmoniren. Es iſt laͤcherlich, wenn einige jun - ge Leute, die gerne mit einer großen Parade aufzie -hen579Von denen Bedienten und der Equipage. hen wollen, und die doch nicht wiſſen, wie ſie ihre Sachen recht anſtellen ſollen, zu ihrer Bedienung einen Laͤuffer annehmen, und haben doch keinen Laquais, oder nennen ihren Bedienten einen Cam - mer-Diener, der doch nichts anders iſt, als ein Laquais. Eine gleiche Bewandniß hat es, wenn einige aus Prahlerey ihren Voigt einen Verwal - ter, ihren Verwalter einen Amtmann, und ihren Schreiber einen Secretaire nennen, oder wenn an - dere bey ihren Bedienten faſt einen Fuͤrſtlichen Staat machen, denen es doch nicht zukommt, und ihre Koͤche, Conditeurs, Bereiter, Kuͤchenmeiſter, Trompeter, und Hautboiſten-Banden halten, ob ſchon nicht ſelten nach dem Verlauf einiger Jahre ein Bettel-Staat daraus wird.
§. 8. Die gantze Equipage muß nicht allein nach der angefuͤhrten Weiſe mit den uͤbrigen Um - ſtaͤnden correſpondiren, ſondern auch unter ſich ſelbſt mit einander harmoniren, darinnen es doch ebenfalls gar offters verſehen wird. Alte graue Pferde oder ſonſt elende Schind-Maͤhren ſtehen ſchlecht zu einer koſtbahren Staas-Caroſſe, oder zu verguͤldten Geſchirren, und lappichte beſchmutzte Lieberey accordirt nicht wohl mit einem praͤchtigen Train. Es iſt daher ein leichtfertig Ceremoniel, in einigen großen Staͤdten, wenn einige von buͤr - gerlichem Stande zu den Hochzeiten, und Kind - tauffen in einer praͤchtigen Staats-Caroſſe fah - ren, von einem anſehnlichen und wohlgekleideten Kutſcher gefuͤhrt werden, und ſchoͤne Pferde mitO o 2guten580II. Theil. XIV. Capitul. guten Zeugen, vor dem Wagen haben, ſo daß oͤff - ters der große Staats-Miniſter nicht Urſache haͤt - te ſich dieſes Fuhrwercks zu ſchaͤmen, hingegen an ſtatt des Laquais von einer jungen Magd bedienet werden, die neben dem Wagen herlaͤufft, und ih - rer Frau Principalen die Thuͤre des Wagens auf - und zumacht, biß ſie herausgeſtiegen, da ſie ſich denn nachgehends an ſtatt ihrer ſelbſt in den Wa - gen ſetzt.
§. 9. Man muß nicht allein darauf Acht haben, daß die Bedienten, die Caroſſen, die Pferde u. ſ. w. in der Haupt-Ordnung einige Aehnlichkeit mit ein - ander haben, ſondern auch verſtehen lernen, wie ſie bey oͤffentlichen Einzuͤgen, bey Proceſſionen und andern Feſtivitaͤten, der Ordnung nach, mit hinter und neben einander zu ſtellen ſeyn, wie die Pagen, die Laquais, die Laͤuffer, die Heyducken u. ſ. w. zu ſtellen, ingleichen die Bey - und Hand-Pferde. Man muß auch den Unterſchied der Caroſſen, der Parade-Waͤgen, der Reiſe-Kutſchen, der Jagd - Chaiſen, der Schwimmer u. ſ. w. verſtehen lernen. Man muß wiſſen, wie der gantze Train und Zug einzurichten; denn wenn alles noch ſo gut reguliret, und es wird in der Rangirung verſehen, ſo verſtoͤſt man ſchon bey denenjenigen, die in dem Ceremoniel ſehr accurat ſind.
§. 10. Es iſt wider dem Wohlſtand, wenn man bey ſeiner Equipage etwas affectirtes und unge - woͤhnliches erweiſet, welches auf eine beſondere Art in die Augen faͤllt. Alſo iſt es laͤcherlich, wenn eini -ge581Von denen Bedienten und der Equipage. ge Privat-Perſonen ihre Bedienten ſo propre klei - den, daß ſie von Fremden eher vor Cavaliers, als vor Laquais angeſehen werden, oder den groͤſten Staats-Miniſtren, auch wohl gar es Graͤflichen und Fuͤrſtlichen Perſonen gleich nachthun, und ihre Bedienten auf eben die Art kleiden, als wie jene, oder mit ihren Libereyen ſtets wechſeln, ſo offt ſie ih - ren Bedienten neue Kleidung anlegen; ingleichen hinter ihre Caroſſen, auf eine gantz unnoͤthige Wei - ſe, Hand-Pferde fuͤhren laſſen, und auf vielfache andere Art mehr. Hierbey kan ich nicht umhin, eines beſondern laͤcherlichen Caſus Erwehnung zu thun, deſſen der Autor des 75 Theiles der Euro - paͤiſchen Famæ p. 199. gedencket, ob ich wohl der Meynung bin, daß er von denen wenigſten werde nachgeahmet werden: Ein Licentiatus Medicinæ einer gewiſſen Stadt in Meiſſen, bekommt a. 1706. von einem Schwediſchen Officier einen ſtarcken Litthauiſchen Bock geſchenckt; zu dieſem Bock laͤſt er eine Chaiſe verfertigen, ſpannet ihn hinein, und faͤhret auf der Chaiſe mit dem Bock nicht allein in und aus der Kirche, ſondern laͤſt auch ſeine Kinder damit fahren. Sein Beicht-Vater nimmt hier - an ein Aergerniß, und will ihn, wenn er ſich des Dienſtes des Bockes ferner gebrauchen ſolte, vom Beichtſtuhl und heiligem Abendmahl ausſchlieſſen; daruͤber eine Urthels-Frage abgefaſt, und ein Infor - mat-Urtheil eingeholt worden.
§. 11. Die Liberey der Bedienten, ſey wie ſie wolle, wenn ſie nur gantz, reinlich und ordentlich iſt. O o 3Einige582II. Theil. XIV. Capitul. Einige von Adel pflegen bey der Farbe auf die Far - be der Helmdecken zu ſehen, damit ihre Wappen ausgeziert; Es iſt aber dieſes keine gewiſſe Regel. Nach dem Unterſchied der Einkuͤnffte, oder des Orts, da man ſich aufhaͤlt, pflegt man mit denen Libereyen zu wechſeln, davon eine die andere an Propreté uͤbertrifft. Groſſe Miniſtri theilen wohl drey - biß vierfache Liveréen aus.
§. 12. Bey Annehmung der Bedienten erwehle man geſchickte und wohlgeuͤbte Leute, die in demje - nigen, wozu man ſie annimmt, und worinnen man ſich ihrer gebrauchen will, ſattſam erfahren ſind. Ein geſchickter und manierlicher Diener, der auch wohl und ordentlich gekleidet, macht einer Herr - ſchafft mehr Ehre, als drey lappichte Kerle, die plump und ungeſchickt ſind. Jch rede hier von dem Ceremoniel. Ein anders iſts, wenn man auf dem Lande einige Bedienten zugleich in der Wirthſchafft gar wohl mit gebrauchen kan, ob ſie gleich nicht ſon - derlich nach dem Staat ſind. Die Nothwendig - keit und der Nutzen muß dem Wohlſtand vorge - hen, wenn er nicht zugleich damit kan vereiniget werden.
§. 13. Manche Herren wollen einige Thaler Lohn erſpahren, und plagen ſich mit ſolchen unge - ſchickten Leuten, die nichts kluges ausrichten koͤnnen, und von denen ſie auch bey der uͤbrigen Aufwartung ſchlechte Dienſte zu erwarten haben. Wenn ſie aber den vielfachen Verdruß, den Schaden, und die Schande, die ihnen ſolche Leute verurſachen, mitdem583Von denen Bedienten und der Equipage. dem ſchlechten Gewinn der wenigen Thaler, ſo ſie bey ihnen zuruͤck behalten, gegen einander wiegen, ſo werden ſie finden, daß ſie ſich hiedurch keinen groſſen Vortheil zuwege bringen.
§. 14. Findet man ſolche Bedienten, bey denen Treue, Geſchicklichkeit und andere gute Qualitaͤten mit einem feinen Anſehen zugleich vereiniget, und man hat die Wahl, ſo thut man wohl, wenn man ſich anſehnliche Leute ausſucht, ſonſt ſind die Tu - genden, die zu einer bequemen Dienſtleiſtung erfor - dert werden, der Schoͤnheit und dem Anſehen vor - zuziehen. Man muß auch nicht ſo weit gehen, daß man diejenigen, die einem viel und lange Jahre treue Dienſte geleiſtet, bloß um des Alters willen, und da ſie vieles von ihrem vorigen Anſehen verlohren, ver - ſtoſſen ſolte. Noch beſſer aber iſts, wenn ein Herr bemuͤhet iſt, diejenigen Diener, die ihn 8. biß 10. Jahr treu und redlich gedienet, auf andere und beſſe - re Art Lebenslang zu verſorgen.
§. 15. Jch moͤchte auch wohl ſagen, daß man bey denen Dienern, dafern man die Wahl hat, ei - nigermaſſen auf ihre Statur mit ſehen ſolte, und ſol - che gegen der ſeinigen in Vergleichung ſtellen. Jſt der Herr von ſehr langer Statur, und er hat einen ſehr klein gewachſenen Bedienten hinter ſich gehen, ſo faͤllt dieſe Ungleichheit den andern deſto mehr in die Augen; und alſo ſiehet auch ein Herr von einer kleinen Statur viel kleiner aus, wenn der Diener von einer groſſen Laͤnge. Jſt auch unter denen Be - dienten ſelbſt, die hinter einem Herrn gehen, einigeO o 4Gleich -584II. Theil. XIV. Capitul. Gleichheit, ſo iſt es deſto beſſer, denn ein ſehr langer und ſehr kleiner Diener, die neben einander ſtehen, machen kein ſo gutes Ausſehen.
§. 16. Der von uns zu unterſchiedenen mahlen angezogene Frantzoͤſiſche Groß-Cantzler, Mon - fieur de Chevergny, ertheilet, bey Annehmung und Gouvernirung derer Bedienten, ſeinem Sohne, in ſeiner Inſtruction, p. 379. folgende gute Regeln: Ayes nombre reglé de bons ſervi - teurs, bien choiſis, & gens de bien, & ce qui Vous ſera néceſſaire, eſt de retenir toujours les vieux ſerviteurs, s’il eſt poſſible, qui auront plus de fidelité & d’ affection, a la maiſon & famille, en la quelle ils auront eté nouris, que non pas les autres. Montrès leur bon viſage, & les traités bien pour les ſervices, qu’ ils ont fait, a vos Prédeceſſeurs, & pour ceux, que Vous devés eſperer, qu’ils Vous feront, car ſi Vous ne reconnoiſſiés les vieux ſerviteurs, Vous en ſeriés blamé d’ un chacun, & ne donneriés pas occaſion & Volonté aux jeunes gens de Vour bien ſervir.
§. 17. Man muß die Bedienten ſo gewoͤhnen, daß ſie Furcht und Ehrerbietung vor ihrer Herr - ſchafft haben. Sie muͤſſen nicht im Hauſe mit La - chen, lautem Schreyen und Reden einen Lermen und Ungeſtuͤm machen, als welches dem Reſpect, ſo ſie ihrer Herrſchafft ſchuldig, zuwider ſeyn wuͤrde; ſondern ſich ſo wohl gegen ihre Herren, als auch un - ter einander ſelbſt, im Hauſe beſcheiden, ſtill und er -bar585Von denen Bedienten und der Equipage. bar auffuͤhren. Es iſt wider den Wohlſtand, wenn einige Herren unter waͤhrendem Gehen mit ihrem Diener diſcouriren: Findet der Herr, wenn er mit ſeinem Diener auf der Straſſe gehet vor noͤthig, dem Diener etwas zu ſagen, ſo muß der Herr ſtille ſtehen, und der Diener auch, und er muß ihm als - denn dasjenige anbefehlen, was er vor dienlich er - achtet. Es ſtehet unanſtaͤndig, wenn die Laquais ſo lange ſchlaffen, wie der Herr ſelbſt, oder auch in Schlaffpeltzen bißweilen vor ihn herum ſpatzieren, oder, wenn der Herr mit ſeinem Diener Toback ſchmaucht, oder ſonſt mit ihnen lacht und ſchertzet. Daß ſich ein Herr gegen ſeine Bedienten freundlich und liebreich erweiſt, iſt gut; er kan auch wohl biß - weilen, wenn er mit ihnen allein iſt, von dem Cere - moniel, welches ſie gegen ihm vor Leuten beobach - ten muͤſſen, in einem und dem andern etwas nach - laſſen, er muß aber doch hierbey allezeit ſeine Sor - ge dahin laſſen gerichtet ſeyn, damit weder er noch ſeine Bedienten aus den gehoͤrigen Schrancken treten.
§. 18. Wie er ſich nun mit ihnen nicht allzu ge - mein machen muß, ſo muß er auch verhuͤten, daß er ſich nicht allzu ſtrenge und barbariſch gegen ſie be - zeige, und ſie nicht, auch wohl bißweilen unverdien - ter Weiſe, und wenn ihm ſonſt der Kopff nicht recht ſtehet, mit den aͤrgſten Schimpff-Worten, oder gar mit Schlaͤgen allzu hart tractire. Er muß beden - cken, daß er auch wegen des Bezeigens gegen ſeine Diener vor GOttes Richterſtuhl Rechenſchafft ab -O o 5zulegen586II. Theil. XIV. Capitul. zulegen hat, und bey hartnaͤckigten und gottloſen Gemuͤthern ſich hierdurch wohl gar Leib - und Le - bens-Gefahr uͤber den Halß ziehen koͤnne.
§. 19. Einige vornehme Herren, zumahl die ein hohes Alter auf ſich haben, laſſen ihre Reiſe-Ca - roſſen bißweilen ſo aptiren, daß ſie alles was zur Leibes Nahrung und Nothdurfft gehoͤret, auf den - ſelben bey ſich fuͤhren; Jhr Character und ihre Jahre ertheilen ihnen in dieſen und andern Stuͤ - cken mehr alle Freyheit, ohne daß andere ſich hierum zu bekuͤmmern oder daruͤber zu urtheilen haben. Wenn aber ein junger Cavalier, der nicht weiter als eine bloße Privat-Perſon anzuſe - hen waͤre, eine allzuzaͤrtliche und eigenſinnige Com - moditaͤt beobachten, und ihnen hierinnen nachah - men wolte, zumahl wenn ſeine Reiſen, die er zu thun haͤtte, nicht allzu beſchwerlich waͤren, ſo wuͤrde er ſich bey vielen Leuten dieſer wegen mancherley Critiquen zuziehen.
§. 20. Viel junge Herren ſind große Liebhaber von Hunden, und fuͤhren dieſelben allenthalben bey ſich herum. Nun gehoͤrt dieſes wohl unter die gleich - guͤltigen Sachen, und wer auf ſeinem Ritter-Gute oder zu Hauſe iſt, kan es damit halten, wie er will; wer ſie aber auf Reiſen und an fremden Orten mit ſich herum ſchlept, hat bißweilen eine und die andere Verdruͤßlichkeit davon zu gewarten. Jſt der Hund ſeinem Herrn getreu, ſo wird er ihm allenthalben verfolgen, und in alle Zimmer und Gaͤrten mit ihm gehen wollen, deren Beſitzer doch dieſe Thiere andieſen587Von denen Bedienten und der Equipage. dieſen Oertern nicht allezeit gerne ſehen; iſt er unge - zogen, ſo wird er mancherley Schaden anrichten, und ſeinem Herrn ſchlechte Ehre machen / auch wol bißweilen ein ſolch Tractament bekommen, daß dem Herrn ſelbſt nicht gar zu angenehm ſeyn wird. Jſt der Hund anſehnlich, wohl abgerichtet, und ge - ſchickt, ſo wird er gar bald Liebhaber dazu erlangen; iſt er von keinem Anſehen, und noch dazu ungeſchickt, ſo wird er auch keine gar zu groſſe Parade machen.
§. 21. Die Welt macht aus allerhand aͤuſſerli - chen Dingen, die zum Staat, zur Galanterie, und zur Equipage gehoͤren, ſehr groß Werck. Es ge - hen bißweilen wohl viel Wochen hin, ehe man Ge - legenheit hat, von ernſthafften Dingen, von der Re - ligion, von der Morale, und von dem, was zu man - cherley nuͤtzlichen Kuͤnſten und Wiſſenſchafften ge - hoͤret, zu diſcouriren; da hingegen faſt alle Tage Gelegenheit vorfaͤllt, entweder vom Spielen, oder Galanterien, oder von Pferden, von Hunden, von Caroſſen und propres Equipage zu ſchwatzen. Da - mit nun ein junger Cavalier auch in dieſem Stuͤck allen allerley, und deſto eher vor einen galant homme angeſehen werde, ſo muß er ſich befleißi - gen, allerhand Kunſt-Woͤrter, die zur Erkenntniß und Beurtheilung der Pferde gehoͤren, zu erlernen, ob er ſich gleich ſonſt auf die Bereite-Kunſt eben nicht applicirt. Er muß eine Nachricht haben von den beruͤhmteſten Reit-Bahnen in Teutſch - land, von den beſten Stutereyen; er muß ſich um die nnterſchiedenen Sorten der Waͤgen bekuͤm -mern,588II. Theil. XIV. Capitul. mern, und alle ihre Stuͤcke kunſtmaͤßig zu nennen wiſſen; er muß den Unterſchied der mancherley Schlitten, Wurſt-Waͤgen, Chaiſen roulanten, Chaiſes coupées, der Schwimmer u. ſ. w. verſte - hen, nebſt ihren Preiſſen, neuen Moden, Bequem - lichkeiten und Unbequemlichkeiten; er muß ſich um die Nahmen der beſten Meiſter bekuͤmmern, die ſie verfertigen, und an welchen Orten ſie wohnhafft ſind. Er muß ſich gewiſſe Collectanea machen, darein er alles, was er von dergleichen hoͤret, ſiehet und obſerviret, hinein verzeichnet. Bey Hofe und unter Welt-Leuten kommt man mit dieſen bißwei - len weiter, als mit andern locis communibus, die mit der groͤſten Gelehrſamkeit erfuͤllet. Richtet man ſich in dergleichen Dingen nach ihren Senti - mens, und man weiß von ſolchen Sachen etwas mit ihnen zu ſprechen, ſo kan man hiedurch am ehe - ſten ihrer Freundſchafft theilhafftig werden. Man - che Leute erfordern auch die Erkenntniß davon als etwas nothwendiges, zumahl von einem, der ſich auf die Studia gelegt; ſie dencken, einer der ſtudirt haͤtte, ſolte und koͤnte alles in der gantzen Welt wiſ - ſen. Die Theile des neu-eroͤffneten Ritter-Pla - tzes geben zwar, bey dieſen und andern dergleichen Materien, einige Anleitung; jedoch thut man wohl, wenn man die daſelbſt angefuͤhrten Buͤcher mit nachſchlaͤgt, denn die Sachen ſind faſt allzu kurtz vorgetragen, es iſt auch eines und das andere irrige mit darinnen anzutreffen.
§. 22. Nachdem viel große Herren von der Jaͤ -gerey,589Von denen Bedienten und der Equipage. gerey, von Schieſſen und vom Gewehr beſondere Liebhaber ſind, ihre beſondern Ruͤſt-Cammern ha - ben, und dieſelben in der ſchoͤnſten Ordnung hal - ten, ſo muß ſich ein junger Cavalier um der in den vorhergehenden angefuͤhrten Raiſons willen, nm dergleichen auch bekuͤmmern. Er muß die unter - ſchiednen Arten der Piſtohlen, der gezogenen Roͤh - ren, der Flinten, der Puſch-Buͤchſen, u. ſ. w. kunſt - maͤßig zu nennen, und von ihren Kraͤfften und Ei - genſchafften zu urtheilen wiſſen. Er muß die ge - woͤhnlichen Kunſt-Woͤrter verſtehen, die bey den hohen Weyde-Werck vorkommen, damit er mit den Liebhabern von dergleichen Dingen zu raiſoniren wiſſe, und das Weyde-Meſſer nicht zu befuͤrchten habe. Wenn er ſich des Herrn von Flemming Jagd-Buch anſchafft, und bißweilen darinnen ſtu - dirt, ſo kan er daraus ſo viel lernen, als ihm zu wiſ - ſen noͤthig iſt.
§. 1.
GLeichwie die heutige Welt faſt in allen Stuͤcken die Galanterien, das Ceremo - niel und den Staat, der Tugend vorzie - het, alſo ſchluͤſſen ihrer viele, ja, moͤcht ich wohl ſagen, die meiſten ihre Heyrathen mehr auseiner590II. Theil. XV. Capitul. einer Staats-Raiſon, als aus einer GOtt gefaͤlli - gen Abſicht, ſie erwehlen diejenige zur Gehuͤlfin, die ſich doch zu nichts weniger als zu einer Gehuͤlfin ſchickt, und vielmehr entweder wegen ihrer zarten Jugend, oder ihres hohen und unbehuͤlflichen Al - ters andrer Huͤlffe ſelbſt benoͤthiget, wenn ſie nur ein ſtarckes Heyraths-Gut beſitzt. Jhrer viele ſetzen bey ihrer Heyrath alle eheliche und hertzliche Liebe aus den Augen, die doch der ſicherſte Grund-Stein, auf welchen das Gebaͤude einer vergnuͤgten Ehe ru - hen kan, ſie wollen durch ihre Verehligung ein ge - wiß Stuͤck einer zeitlichen Gluͤckſeeligkeit befoͤrdern, die ihren laſterhafften Neigungen gemaͤß, und dazu ſie auf einen andern Weg nicht ſo ſicher haͤtten ge - langen koͤnnen. Sie wollen ſich durch ihren Schwieger-Vater aus gewiſſen Proceſſen heraus - wickeln, ihre Schulden tilgen, zu einem Stuͤck Geld kommen, ſich einen Weg zu Ehren-Stellen bahnen, der ihnen ſonſt wegen ihrer Ungeſchicklich - keit groͤſten theils verſchloſſen, und opffern alſo, um ihren unvernuͤnfftigen Begierden ein Genuͤgen zu leiſten, oder der Caprice andrer Leute, an deren Gnade ihnen etwas gelegen, zu folgen, durch Ehli - gung derer, die ſie nicht lieben koͤnnen, und auch nicht lieben wollen, ihre innerliche Zufriedenheit und Gemuͤths-Ruhe auf.
§. 2. Dieſe handeln unvernuͤnfftig, weil ſie ſich bey ihrer ehelichen Liebe allzu kaltſinnig bezeugen, und faſt gar keine Zuneigung in ihren Hertzen ge - gen ihren kuͤnfftigen Ehegatten empfinden. Manfindet591Von der Verehlichung. findet aber auch in Gegentheil wieder andere, die die Vernunfft nicht weniger, als das vorhergehende aus den Augen ſetzen, weil ſie allzu hitzig ſind. Jh - re Liebe iſt nicht ſo wohl ein Zug des Hertzens, als vielmehr ein hoͤchſtgewaltſamer Affect, der durch das Anblicken eines ſchoͤnen Angeſichts in ihnen er - hitzt worden. Die Vorſtellung der fleiſchlichen Luͤſte, und die Abkuͤhlung der Brunſt, die ihnen mit dem Vieh gemeinſchafftlich, iſt das Band, womit ſie ihren Eheſtand verknuͤpffen.
§. 3. Dieſer Claſſe ſind unter andern auch eini - ge von denjenigen jungen Leuten beyzuzehlen, die ohne Grund aus ihrem Stand eheyrathen, darinnen ſie GOtt hat laſſen gebohren werden, oder eine ſo genandte mes alliance ſchluͤſſen, ſie vergaffen ſich in ein Maͤdgen zu der Zeit, da ſie an nichts weniger, als an den Eheſtand gedencken ſolten, ſie bekuͤm - mern ſich nicht um die Beurtheilung ihres Verſtan - des, oder ihrer Tugend, welches doch das Haupt - werck ſeyn ſolte, ſie bedencken nicht den Nachwin - ter, und ob ſie auch wohl in den kuͤnfftigen Zeiten moͤchten in den Stand ſeyn, ihren Ehegatten, und ihre Kinder, die ihnen GOtt beſchehren moͤchte, zu ernehren und zu verſorgen, ſondern ſehen bloß auf die Erfuͤllung ihrer Begierden, ſie beurtheilen nicht, ob ſie ihre Familie betruͤben und beſchimpffen, und ob ſie nicht durch dergleichen Heyrath aller ihrer Ehren, die ſie noch bißher gehabt, und ihrer gan - tzen zeitlichen Gluͤckſeligkeit moͤchten verluſtig wer - den, ſie nehmen keine vernuͤnfftigen Gegen-Vor -ſtellun -592II. Theil. XV. Capitul. ſtellungen an, ſondern rennen oͤffters wie die tollen Hengſte aus Brunſt in den Eheſtand, und zugleich in ihr Verderben.
§. 4. Nachdem ich hier der mes alliançen Er - wehnung gethan, ſo wuͤrde ſich mir ein ſehr groß Feld zu einer weitlaͤufftigen moraliſchen Abhand - lung eroͤffnen, was auf Seiten derer, die ſie ſchluͤſ - ſen, ingleichen auf Seiten derer, die hieruͤber urthei - len, vernuͤnfftiges und unvernuͤnfftiges vorgehet; doch dieſes iſt mir jetzund zu weitlaͤufftig, ich ver - ſpahr es an einen andern Ort, und zu einer andern Zeit, finde aber doch vor noͤthig, nur eines und das andere hievon anzufuͤhren.
§. 5. Dieſe ungleiche Heyrathen werden vor ſchlechter, vor unanſehnlicher und unvollkommener gehalten, nicht allein, wenn eine hoͤhere Perſon ih - ren vorigen Stand gantz und gar verlaͤſt, und ſich mit einer Perſon geringern Standes verehliget, als wenn z. E. ein Fuͤrſt oder ein Graf ſich mit einem adelichen Fraͤulein in ein ehlich Buͤndniß einlaͤſt, oder wenn ein Cavalier ein Buͤrger-Maͤdgen hey - rathet, ſondern auch, wenn eine Perſon ihren ange - bohrnen Stand zwar nicht verlaͤſt, jedoch eine ſol - che zu ihren Ehegatten erwehlet, die von geringerer Ankunfft, derer Eltern von ſchlechtern Anſehen, Range und Bedienung, und alſo der Ehre und an - dern buͤrgerlichen Umſtaͤnden nach, weit unvollkom - mener, als ſie. Die Adelichen, und die von hoͤ - herm Range, ſind es nicht allein, deren ein großer Theil bißweilen mit Raiſon, bißweilen aber auchohne593Von der Verehlichung. ohne Grund uͤber die ungleichen Heyrathen eifert, ſondern viele von den Buͤrgerlichen, die an Rang und Character die andern uͤbertreffen, und es auch in andern Stuͤcken den Hoͤhern ſo gerne nachthun, ſtimmen bey dergleichen Faͤllen eine ebenmaͤßige Klage an; es iſt eben ſo ein groß Laͤrmen und La - mentiren, wenn ein Doctor oder eines anſehnli - chen Kauffmans Sohn, eines armen Handwercks - manns Tochter eheligen will, als wenn ſich einer von Adel ein Frauenzimmer Buͤrgerlichen Stan - des zum Ehegatten ausſucht.
§. 6. Bey der Heyrath muß man, ſo viel als moͤglich, bey ſeinem Stande bleiben, darein einen GOtt durch die Geburth geſetzt; es iſt am beſten, wenn ſich auch bey der Ehe dem Stande nach gleich und gleich zuſammen geſellet. Man muß alle ſeine Handlungen nach der groͤſten Vollkom - menheit einrichten; Nun aber iſt nicht zu leugnen, daß bey einer Heyrath von gleichem Stande ſo wohl vor die Ehegatten ſelbſt, als auch vor die Kin - der, eine und andere Prærogative anzutreffen, die bey denen mes alliançen fehlet. Solte ſie auch gleich mit keiner groͤßern wahren Vollkommenheit vergeſellſchafftet ſeyn, ſo iſts doch genug, daß ſie der Opinion der Leute nach vor ruͤhmlicher, vor gluͤckſeeliger und vor vollkommner geachtet wird. Ein vernuͤnfftiger Menſch und ein Chriſt muß ſich bemuͤhen, bey den Handlungen, die auf ſeiner Wahl und Entſchlieſſung beruhen / auch ſeinen Nechſten zu gefallen, zum Guten und zur Beſſerung, er mußP pein594II. Theil. XV. Capitul. ein gutes Gewiſſen haben, beydes gegen GOtt, und auch gegen die Menſchen, und mancherley ſchlim - me Urtheile, und unnuͤtze Worte, die ſein Naͤchſter ſonſt uͤber ſeine Handlungen ausſprechen wuͤrde, zu vermeiden ſuchen.
§. 7. Dieſes iſt die Regel; Nachdem ſich aber auch bißweilen Faͤlle ereignen koͤnnen, da man ei - nen zuͤchtigen Grund findet zu Schlieſſung derglei - chen Heyrathen, ſo entſtehen die Ausnahmen, und zwar unter andern bey folgenden Umſtaͤnden. (1) Wenn man nicht ſo wohl ſelbſt wehlt, als viel - mehr die von GOtt geſchehene Wahl ſich gefallen laͤſt, und dem goͤttlichen Willen nicht wiederſtreben will, da man dieſe Handlung in bußfertigen und andaͤchtigen Gebet ſeinem GOtt lange Zeit aufge - tragen, und ſo wohl nach ſeiner eignen Beurthei - lung, als nach eingeholten Erkaͤnntniß gelehrter und erleuchteter Theologorum uͤberzeugt iſt, daß ſie von GOttes dirigirendem Willen beſchloſſen ſey. (2) Wenn ſie mit Einwilligung derer vollzogen wird, die den goͤttlichen und weltlichen Rechten nach ihr Ja-Wort dazu geben ſollen. (3) Wenn die Verbindung auf Gleichfoͤrmigkeit der Gemuͤ - ther, auf Gottesfurcht und Tugend gegruͤndet, wenn man Verſtand dem Stande, den alten und wahren Adel des Gemuͤthes, den neuen Adel des Gebluͤtes vorziehet. (4) Wenn man hiedurch ſeine zeitliche Gluͤckſeeligkeit nicht beeintraͤchtiget, das iſt, ſeine Einkuͤnffte, ſeine Ehren-Stellen, der Gnade ſeiner Herrſchafft und Vorgeſetzten, derLiebe595Von der Verehlichung. Liebe ſeiner Anverwandten, und andern guten Freunden an deren Gunſt einem etwas gelegen, nicht allein nicht verluſtig wird, ſondern auch noch wohl gar ſeine zeitliche Gluͤckſeeligkeit um ein groſ - ſes vermehret, als wenn ein armer Edelmann ein reich Buͤrger-Maͤdgen mit dreyſig tauſend Tha - lern heyrathet. (5) Wenn ſie ſich bey ihrer Ver - bindung einer ſtetswaͤhrenden Zufriedenheit des Gemuͤths verſprechen koͤnnen, da ſie entweder in den Umſtaͤnden, daß ſie die Urtheile der Laͤſter - Maͤuler nicht zu fuͤrchten haben, oder doch verſichert ſind, daß ſie ihnen weder an ihrer aͤußerlichen Gluͤckſeeligkeit, noch an ihrer innerlichen ſchaden koͤnnen, und (6) ſich eine und die andere Be - ſchwerlichkeit, die bey dergleichen Heyrathen anzu - treffen, allbereits vorgeſtellt, und ſich darauf ge - faſt gemacht; Nachdem nun von dieſen angefuͤhr - ten Umſtaͤnden mehr oder weniger werden zuſam - men kommen, nachdem wird auch die Uberzeugung, daß eine ſolche Heyrath vernuͤnfftig geſchloſſen, ſtaͤrcker oder ſchwaͤcher, und die daraus entſtehen - de Gluͤckſeeligkeit und Zufriedenheit groͤßer oder geringer ſeyn.
§. 8. Werden nun einige Heyrathen ungleichen Standes auf eine vernuͤnfftige Weiſe geſchloſſen, ſo muͤſſen nothwendig ſich einige Leute, welche ſie alle ohn Unterſchied mißbilligen, und nicht allein mißbilligen, ſondern ſie gar ohn allen Unterſchied laͤſtern, durchziehen, verfluchen und verdammen, in ihren Urtheilen, ſo wohl der geſunden VernunfftP p 2nach,596II. Theil. XV. Capitul. nach, als auch den Regeln des Chriſtenthums nach, gewaltig vergehen. Die Falſchheit und Liebloſig - keit ihrer Urtheile erhellet groͤſtentheils aus folgen - den Gruͤnden: (1) Sie widerſetzen ſich durch ih - ren Wahn und Eigenſinn, und durch ihre hochmuͤ - thigen Vorurtheile, die ſie ſich in den Kopff geſetzt, Goͤttlicher Majeſtaͤt, und wollen ihm bey ſeiner Re - gierung die Haͤnde binden. Soll ſich GOtt nach dem Duͤnckel ihres Hertzens richten, weil ſie der - gleichen Heyrathen vor unanſtaͤndig achten, ſo ſoll GOtt dergleichen auch nicht dirigiren. (2) Sie ſchraͤncken die Chriſtliche Freyheit ein, und machen bey einem Fall, der dem Goͤttlichen Willen nach zulaͤßig iſt, ein Verboth, und alſo durch ihren Men - ſchen-Tand einen ſuͤndlichen Zuſatz zu den Gebo - then GOttes. Sie muͤſſen entweder erweiſen, daß die Heyrathen ungleichen Standes von GOtt ge - mißbilliget, und alſo nimmermehr von ihm dirigiret werden, welches ſie aber in Ewigkeit nicht werden thun koͤnnen, oder einraͤumen, daß ſie ſich nicht ſel - ten mit ihren Urtheilen als Unchriſten erzeigen. (3) Widerſprechen ihrer viele gar oͤffters ihren eigenen Urtheilen, und reden wider ſich ſelbſt. So bald als ein Hoͤherer, z. E. ein Fuͤrſt, ein Reichs-Graf, ſich zu ihrem Stand wendet, und eine eheliche Af - fection auf ein Adelich Fraͤulein wirfft, oder ein reicher Cavalier eines Hoch-Edlen oder ſonſt cha - racteriſirten Buͤrgers Tochter heyrathen will, ſo erkennt diejenige Famlie, die das Gluͤck hat, mit ei - nem Hoͤhern alliirt zu werden / es alſobald vor einWerck597Von der Verehlichung. Werck GOttes; es heiſt, dieſes iſt GOttes Finger, hier iſt alles vernuͤnfftig und loͤblich zugegangen. Wenn aber einer aus dieſer hoͤhern Familie ſich mit einer buͤrgerlichen Perſon, geringern Herkom - mens, in ein ehelich Buͤndniß einlaſſen ſolte, ſo ſoll es der Teuffel gethan haben. Da ſind eben dieje - nigen, die es vorher vor ein Gluͤck und vor eine be - ſondere Direction GOttes erkandt, wieder vermoͤ - gend, das Gegentheil, und alles ſchlimmſte davon zu urtheilen; da heiſt es, wie iſt dieſes menſchlich und moͤglich, dis Ding kan nimmermehr recht zu - gehen, das Menſch muß ihn behext und bezaubert, oder durch Hurerey in ihr Netz oder Garn geruͤckt haben, er muß gantz verblendet, thoͤricht und raſend ſeyn. Bey dem erſten Fall wird GOtt gelobet, weil ſeine Direction mit ihren fleiſchlichen Neigun - gen uͤbereinſtimmt, bey dem andern Fall aber ge - laͤſtert. Da nun aber in beyden Faͤllen die Um - ſtaͤnde einander gleich und aͤhnlich ſind, ſo iſt dieſes Urtheil bey dem letztern nichts anders, als eine Wuͤr - ckung des Neides, des Hochmuths, und eine Ge - ringſchaͤtzung des Naͤchſten. (4) Trotzet ein Theil derer von Adel bey ihren Urtheilen, die ſie uͤber der - gleichen mes alliancen faͤllen, auf ihr altes Geſchlecht und Gebluͤthe, und bedencken nicht, daß der Adel des Gemuͤthes noch weit aͤlter ſey / als die Opinion des Adels des Gebluͤthes, und daß jene, nemlich die Tugenden, bloß und allein zu dieſen Gelegenheit ge - geben; immaſſen aus der Teutſchen Hiſtorie be - kandt, daß bey den alten Teutſchen das Wort AdelP p 3ſo598II. Theil. XV. Capitul. ſo viel als tapffer, trefflich und tugendhafft geheiſſen. (5) Sind dergleichen Heyrathen von vielen Secu - lis her, biß auf gegenwaͤrtige Zeit, von Kaͤyſern, Koͤ - nigen, Fuͤrſten, und anſehnlichen Graͤflichen und Adelichen Geſchlechtern, theils durch ihre eigene Exempel, theils durch oͤffentliche Approbation au - to[r]iſirt und privilegirt worden, daß alſo manche, und ſonderlich diejenigen von dem Frauenzimmer, die an Hochmuth, Mißgunſt und Unbedachtſam - keit die Manns-Perſonen uͤbertreffen, nicht noͤthig haͤtten, bey ihren Raiſonemens uͤber ſolche Heyra - then ſo viel unnuͤtze Worte auszuſchuͤtten. (6) Ach - ten viele von denen, die ſich uͤber die mes-Alliancen auf eine ungebuͤhrende Weiſe aufhalten, vor er - laubt, daß die Hoͤhern mit den Geringern in Hure - rey und Ehebruch leben, ſie auf eine Zeitlang als Maitreſſen und Concubinen ernehren, und unehli - che Kinder mit ihnen zeugen, ohne daß ihrer Renom - mée dadurch ein Abbruch geſchehe, oder ihrer Fa - milie dadurch ein Schandfleck zugezogen werden ſolte, da doch dieſes Verbrechen ſind, ſo in goͤttli - chen und weltlichen Rechten verbothen, eine ſolche Heyrath aber zugelaſſen. (7) Jſt es uͤber die maſ - ſen ſchwer, von anderer Leute Handlungen uͤber - haupt, und von ihren Heyrathen inſonderheit, zu urtheilen, ob ſolche auf eine vernuͤnfftige oder un - vernuͤnfftige Weiſe geſchehen. Denn hierzu ge - hoͤret eine hoͤchſt genaue und vollſtaͤndige Erkennt - niß aller Umſtaͤnde des Leibes und Gemuͤthes, und auch des aͤuſſerlichen Zuſtandes beyder Contrahen -ten,599Von der Verehlichung. ten, die aber wohl den allerwenigſten bekandt iſt. Ein mehrers von dieſer odieuſen Materie anzufuͤh - ren, achte vor unnoͤthig.
§. 9. Bey denen von hoͤherm Stande kommt bißweilen das Matrimonium morganaticum vor, das iſt eine ſolche Verbindung, die von einer Per - ſon hoͤhern Standes mit einer aus geringern Stan - de, jedoch Lebenslang, und vermittelſt Prieſterlicher Trauung, geſchloſſen wird, mit dem ausdruͤcklichen Pacto, daß die Frau und die aus dieſer Ehe erzeug - ten Kinder nicht in allen Stuͤcken, ſo wohl bey Leb - zeiten des Mannes und Vaters, als auch nach ſei - nem Tode, der Titulatur, den Guͤtern und Vermoͤ - gen nach, die Wuͤrckungen der buͤrgerlichen Rechte, die ſonſt den andern Weibern und Kindern gewoͤhn - lich ſind, genieſſen, ſondern mit demjenigen, was ih - nen hierunter beſtimmt und ausgeſetzt worden, und was die Frau bey ihrer getroffenen Verabredung beliebet, zufrieden ſeyn wollen und ſollen. Jch will jetzund nicht deren Urſprung aus den Lehen-Rechten anfuͤhren, auch die juriſtiſchen Anmerckungen, ſo die Rechts-Lehrer hieruͤber machen, nicht beyfuͤgen, es iſt dieſe Materie in Diſſertationen und Tractaten mehr als zu weitlaͤufftig abgehandelt; ſondern nur gedencken, daß dergleichen eheliche Contracten ge - meiner werden koͤnten und ſolten. Jnsgemein wer - den dieſe Heyrathen im Teutſchen die Heyrathen zur lincken Hand genennet, weil die hoͤhern Perſo - nen, ſo dieſe Ehe ſchlieſſen, ſich die geringern zum Un - terſchied gemeiniglich an die lincke Hand trauen laſ -P p 4ſen.600II. Theil. XV. Capitul. ſen. Doch dieſes thut zur Sache nichts. Der Unterſchied der Hand macht keinen weſentlichen Un - terſchied, ſondern ihre Verabredung und ihr ſchrifft - licher Contract, den ſie unter einander aufrichten.
§. 10. Dieſe Ehen koͤnnen unter Privat-Perſo - nen, unter denen von Adel ſo wohl eingefuͤhrt wer - den, als unter denen hohen Standes-Perſonen, denn alles was in den Landes-Geſetzen nicht verbo - then, und denen natuͤrlichen Rechten nicht wieder - ſtrebt, iſt denen Unterthanen erlaubet. Den goͤtt - lichen Geſetzen ſind ſie auch nicht zuwider, denn die Pflichten, die GOtt den Eheleuten vorgeſchrieben / bleiben unveraͤndert, es wird nur eines und das an - dere von buͤrgerlichen Wuͤrckungen, die in dem Be - lieben der Contrahenten ſtehen, und deren ſich ein jeder Parth nach Gefallen begeben kan, veraͤndert, und entſchieden, z. E. daß die Frau ſich nicht nach der unter den adelichen gewoͤhnlichen Titulatur Jhro Gnaden oder Gnaͤdige Frau ſoll nennen laſ - ſen, ſondern bloß nach dem Nahmen des Mannes, und ohne daß der Character, ſo er ſonſt wegen ſei - ner Beſtallung erhalten, ihr mit beygelegt werde, ingleichen, daß er ſie nicht ſeinen Ehegatten, ſeine Frau, u. ſ. w. ſondern ſeine Haußwirthin oder ehe - liche Wirthin nennen will, daß die Kinder auf buͤr - gerliche Art ſollen erzogen werden, daß ſie ſich we - gen ihrer Kleidung, Bedienung und Verſorgung nach des Mannes Tode eines und das andere will gefallen laſſen.
§. 11. Dieſe ehelichen Contracte ſchicken ſichwohl601Von der Verehlichung. wohl vor diejenigen, denen die Gabe der Keuſchheit fehlt, und die doch nicht ſo viel in Vermoͤgen haben, als noͤthig iſt, eine Frau, die mit ihnen von gleichen Wuͤrden, bey ihrem Leben, und nach ihrem Tode, Standes maͤßig zu verſorgen, und die Kinder Standes maͤßig aufzuerziehen, oder auch vor Witt - wer, die denen Kindern erſterer Ehe nicht allzuſehr projudiciren wollen. Wuͤrden ſolche Heyraths - Contracte mehr Mode, ſo wuͤrde mancher Hure - rey und mancher Ehebruch vermieden bleiben. Doch ein jeder hat hierinnen ſeine Freyheit.
§. 12. An ſtatt dieſer ehelichen Contracte wollen die Mariagen de conſcience, oder die Gewiſſens - Ehen heutiges Tages ſtarck einreißen, wenn ein paar Perſonen ungleichen Geſchlechts den Vorſatz ha - ben, Zeit Lebens einander zu lieben, die fleiſchlichen Luͤſte und Begierden zu ſtillen, jedoch wegen unter - ſchiedene politiſchen Raiſons, die Trauung auf die gewoͤhnliche Weiſe unterlaſſen wollen. Sie ent - ſtehen inſonderheit auf dreyerley Weiſe: (1) Wenn eine Manns-Perſon, die eine weitlaͤufftige Oeconomie zu gouverniren hat, ein Frauenzim - mer, unter dem Schein und dem Vorwand einer Haußhaͤlterin oder Hauß-Jungfer, um ſich hat, mit der er im Eheſtande lebet, jedoch ſo viel als moͤg - lich incognito, und andere Leute uͤberreden will, als ob ſie ihm bloß der Wirthſchafft wegen unent - behrlich ſey. (2) Wenn ſie ſich zwar als oͤffentli - che Ehe-Leute bey einander auffuͤhren, jedoch die prieſterliche Trauung unterlaſſen, und (3) ſichP p 5zwar602II. Theil. XV. Capitul. zwar trauen laſſen, aber gantz heimlich, etwan an Roͤmiſch-Catholiſchen Oertern, oder yon einem abgeſetzten Prieſter, und ſich einen heimlichen Trau-Schein geben laſſen, und ſich ſo weit es verborgen bleiben kan, als heimliche Ehe-Leute auffuͤhren. Dieſe Mariages de conſcience koͤn - nen auch noch auf andere Weiſe modificirt und eingerichtet werden, es mag aber an dieſen drey beruͤhrten Faͤllen genug ſeyn.
§. 13. Meines Erachtens ſteckt bey allen dieſen drey Faͤllen etwas ſuͤndliches und unvernuͤnfftiges. Dieſe Liebhaber ſind ja wegen ihres Tempera - ments und nach der Vorſchrifft des in ihre Glie - der eingelegten Geſetzes zu einem ordentlichen und rechtmaͤßigen Eheſtand verbunden; Bey dem er - ſten und dritten Fall geben ſie einen boͤſen Schein, und oͤffentlich Aergerniß, das doch ein Chriſt auf alle Weiſe vermeyden ſoll, von ſich. Nachdem ihnen mehr um die Loͤſchung der Brunſt, als um die Zeugungen der Kinder zu thun ſeyn wird, ſo wird ihr gantzer Umgang mehrentheis in nichts als in Hurerey und Unreinigkeit beſtehen. Sie ſtuͤrtzen ſich in große Verſuchung, daß entweder alle bey - de einander, oder doch ein Theil des andern moͤch - te uͤberdruͤßig werden, und ihre gantze Gewiſſens - Ehe, oder ihr Vorſatz einander biß in Tod zu lie - ben, mehrentheils durch die Zeit, und nach genug - ſam abgebuhlter Brunſt in einen fluͤchtigen ver - gaͤnglichen Trieb, und in eine große Kaltſinnigkeit werde verwandelt werden. Sie erwecken ſichmancher -603Von der Verehlichung. mancherley Unzufriedenheit und Unruhe, der ſie bey einer ordentlichen Ehe entgehen koͤnten. Sie han - deln unvernuͤnfftig, ſie moͤgen nun vor Ehe-Leute angeſehen werden oder nicht. Werden ſie davor angeſehen, wie manche Leute aus ihrer Auffuͤhrung und ehelichen Anſtalten ziemlich erkennen werden, ſo erreichen ſie ja nicht ihren Endzweck, denn ſie wollen nicht davor angeſehen ſeyn. Werden ſie aber nicht davor gehalten, ſo haben ſie von ihrem unkeuſchen Umgang, der auf mancherley Weiſe ausbrechen wird, ſchlechte Ehre, der Unordnung, die bey dergleichen Haußhaltungen mehrentheils vorzugehen pflegt, zu geſchweigen. Sind ſie gleich ihrer Umſtaͤnde wegen vor den Strafen der weltli - chen Obrigkeit geſichert, ſo ſind ſie doch nicht ſicher vor den unglimpflichen Urtheilen, die ihnen andere hinter dem Ruͤcken nachſagen. Sie werden auch bey ihren Haußweſen durch dergleichen Unkeuſch - heits-Buͤndniße ziemlich zuruͤck geſetzt. Eine Maitreſſe koſtet ſo viel zu erhalten, als diejenige, mit der man in einem ordentlichen Ehe-Buͤndniß ſteht, die unehelichen Kinder koſten ſo viel Brod, als die ehelichen.
§. 14. Bey dem andern Falle, da ſie ſich ohne Trauung als oͤffentliche Ehe-Leute bezeugen, han - deln ſie ebenfalls wider Gewiſſen und ohne Grund, iſt gleich die Prieſterliche Einſegnung nicht goͤttli - chen Rechtens, ſo gehoͤrt ſie doch mit zur guten Ord - nung, und ein Chriſt iſt dem Gewiſſen nach verbun - den, aller guten Ordnung um des HErrn willen,unter -604II. Theil. XV. Capitul. unterthan zu ſeyn. Es iſt nichts anders, als ein ſtraffbarer Eigenſinn, da ſie vor andern Leuten et - was voraus haben wollen. Soll man ſie vor Ehe-Leute anſehen, ſo muͤſſen ſie ſich auch den gewoͤhnlichen Geſetzen unterwerffen. Da uͤber dieſes die buͤrgerlichen Wuͤrckungen dieſen Gewiſ - ſens-Ehen fehlen, ſo werden ſie ſo wohl in Anſehung ihres Ehegatten, als auch ihrer Kinder, bey ihren Leb - zeiten, und bey ihrem Tode mancherley, das ihnen ungenehm, ſelbſt empfinden, und auch auf ihre Hin - terlaßnen zu ziehen.
§. 15. Die meiſten Mariagen de conſcience, ſind wohl nichts anders, als eine Art eines Concu - binats. Von deſſen Schaͤndlichkeit will ich hier nichts erwehnen, indem dieſes allbereits von vielen andern zur Gnuͤge geſchehen; jedoch will ich dasje - nige, was der alte Cyriacus Spangenberg in ſei - nem Adel-Spiegel, von dem unkeuſchen Leben, ſo bereits zu ſeiner Zeit Anno 1591. hier und da im Schwange gangen, anfuͤhren: Kommts mit einem Juncker, ſchreibt er fol. 444. dahin, daß er der Unzucht nachhaͤngt, ſein Hertz den Weibern ergiebt, und ſich mit ſolchen unkeuſchen Luͤſten kuͤtzelt, ſo iſts mit ihm geſchehen, wenn er auch ſonſt ſo hei - lig als David, ſo weiſe als Salomon, und ſo ſtarck als Simſon waͤre. Jhrer viele meynen, weil ſie von Geburth Edel und mehr ſeyn, denn andere ge - meine Leute, ſo ſeyn ſie auch Teufels-frey zu huren, und zu buben, ihres Gefallens. So iſts auch warlich einem Edelmann eine ſchlechte Ehre, wenner605Von der Verehlichung. er hier und dort in einem andern Winckel einen Baſtart-Sohn, oder unehliche Kinder ſitzen hat. Welch einen Schaden thuts bey den Unterthanen, wenn die von Adel ſo manche Beyſchlaͤferin, als manchen Hof oder Vorwerg ſie haben, auf die Steuer halten, ſolche unzuͤchtige Weiber fuͤr an - dern ſonderlich huͤbſch kleiden, in Gaſt-Hoͤfen ne - ben ſich ſetzen, auf Kutſchen mit ſich im Lande her - um fuͤhren, und nicht geringe Aergerniß geben. Was Spangenberg von ſeiner Zeit geſchrieben, trifft in der jetzigen auch wohl ein, jedoch nicht allein bey einigen unter dem Adel, ſondern auch unter vie - len vom Buͤrgerlichen und Bauern-Stand.
§. 16. Bißher haben wir von der entweder auf Lebens lang oder auf eine gewiſſe Zeit geſchloßenen Verbindung der meiſten Menſchen gehandelt, das iſt derjenigen, welchen die Gabe der Enthaltung feh - let, und die vor die fleiſchlichen Luͤſte und Begier - den, damit ſie angefochten werden / ein Huͤlffs - Mittel ſuchen muͤſſen. Nun will ich noch eines be - ſondern Caſus Erwehnung thun, wenn nemlich ein paar Perſonen ungleichen Geſchlechts, ſo die Ga - be der Enthaltung haben, und alſo nicht verbun - den ſind, in den Stand der Ehe zu treten, wegen ihrer voͤlligen Gleichfoͤrmigkeit der Gemuͤther / nach geſchehener und genugſamen Pruͤfung und Uberle - gung, und mit Vorwiſſen und Einwilligung derer, unter deren Direction ſie ſtehen, ein unaufloͤßliches Freundſchaffts-Buͤndniß ſchluͤßen, daß ſie biß in Tod einander lieben, und einander, jedoch in Keuſch -heit,606II. Theil. XX. Capitul. heit alle nur erſinnliche Treue, Huͤlffe und Bey - ſtand leiſten wollen.
§. 17. Zu dem Weſen eines ſolchen Freund - ſchaffts-Buͤndniſſes wird erfordert, daß beyde Theile, ohne Verletzung ihrer Seele und ihrer Ge - ſundheit, die Gabe der Keuſchheit beſitzen. Es iſt alſo hier nicht die Rede, da ein Theil, oder beyde Theile, entweder wegen ihres hohen Alters, oder kraͤncklichen Zuſtandes, oder eines natuͤrlichen Lei - bes-Fehlers, keuſch leben muͤſſen, auch nicht von denen, die ſich, aus beſonderer Heiligkeit oder ge - wiſſen Vorurtheile, die Keuſchheit erzwingen wol - len / ſondern die ſie freywillig erwehlen, und zur Er - weckung der fleiſchlichen Begierden einander nicht reitzen.
§. 18. Dieſer Art Buͤndniſſe ſind bey der, unter denen Chriſten faſt gantz und gar unbekandt ge - wordenen Tugend der Keuſchheit, ungemein rar, und findet man unter einigen tauſenden nicht zwey, die dazu faͤhig waͤren; inzwiſchen findet man doch bißweilen dergleichen Exempel, und iſt mir auch ſelbſt eines ſehr genau bekandt. Dieſe unzertrenn - liche und biß in den Tod fortdaurende Freund - ſchaffts-Buͤndniſſe ſind moͤglich; denn es iſi ja moͤglich, daß einige Perſonen, maͤnnlichen und weiblichen Geſchlechts, die Gabe der Keuſchheit beſitzen; es iſt moͤglich, daß ein paar Perſonen un - gleichen Geſchlechts, die von dieſer Conſtitution und Temperament ſind, ungefehr zuſammen kom - men, mit einander bekandt werden, und wegen dervoͤlligen607Von der Verehlichung. voͤlligen Gleichfoͤrmigkeit der Gemuͤther eine wah - re und beſtaͤndige Freundſchafft mit einander ſchlieſ - ſen; es iſt moͤglich, daß ein paar ſolche vertraute Freunde ſich freywillig alles desjenigen enthalten, wodurch ſie ſich oder den andern Theil reitzen koͤn - ten.
§. 19. Sie ſind auch weder den goͤttlichen noch natuͤrlichen Geſetzen zuwider. Die Menſchen wer - den ja nicht von GOtt zum Eheſtand, und zur Fort - pflantzung ihres Geſchlechts gezwungen, ſondern ein jeder der keine Brunſt leidet, hat die Freyheit, ob er heyrathen will oder nicht. Der Eheſtand iſt ja nicht vor ein Joch anzuſehen, der einem jeden wider ſeinem Willen auf den Hals geleget werden muͤſte. Jn der heiligen Schrifft finden wir, nach dem Aus - ſpruch aller drey Perſonen in der Gottheit, daß eini - ge wenige Perſonen das Wort der Keuſchheit faſ - ſen; und aus der alltaͤglichen Erfahrung nehmen wir wahr, daß einige wenige, von beyderley Ge - ſchlecht, die vortheilhaffteſten Heyrathen ausſchla - gen, und doch auſſer der Ehe keuſch leben. Denen das mehrere erlaubt, ſtehet ja noch vielmehr, das weniger iſt, frey. Die ſich mit einander verehli - chen, und Kinder zuſammen zeugen koͤnnen, duͤrffen ja auch wohl, wenn ihnen dieſes beſſer gefaͤllt, als treue und vertraute Freunde in Keuſchheit zuſam - men leben; da ohnedem die auf Gottesfurcht, Tu - gend und eine voͤllige Gleichfoͤrmigkeit der Gemuͤ - ther ſich gruͤndende Freundſchafft ein ſehr rares, je - doch hoͤchſt ſchaͤtzbares Gut iſt.
§. 20.608II. Theil. XV. Capitul.§. 20. Die Umſtaͤnde eines ſolchen, biß in Tod daurenden Freundſchaffts-Buͤndniſſes, koͤnnen auf mancherley Weiſe modificirt und eingerichtet wer - den. Bißweilen kans auch geſchehen, daß beyde contrahirende Theile, zu Vermeidung eines groͤſ - ſern Ubels, gezwungen werden, ſolches durch prie - ſterliche Hand zu befeſtigen. An und vor ſich ſelbſt iſt die Trauung bey dieſen nicht noͤthig, denn ſolche gehoͤrt nur vor diejenigen, die in den Eheſtand tre - ten wollen und ſollen, und nicht vor andere. Sie koͤnnen aber, um mancher wichtigen Urſachen willen, die Trauung entweder ſelbſt freywillig erwehlen, oder ſich diejenige, dazu ſie durch Hoͤhere gezwun - gen werden, gefallen laſſen. Es koͤnte geſchehen, daß gewiſſe eigenſinnige Prieſter, welche die Keuſch - heit vor ein Wunderwerck, ja gar vor etwas un - moͤgliches achten, dieſe Contrahenten von dem Beichtſtuhl und von dem heiligen Abendmahl ab - halten wuͤrden; ſie koͤnten, wenn ſie wegen ihrer Macht und Anſehens nicht genug bedeckt waͤren, feindſeligen Gemuͤthern in das Maul und in die Netze fallen, die ſich ihres ohne prieſterliche Ver - knuͤpffung geſchehenen Verbindungs-Contracts zu einem Mittel bedienen koͤnten, ihnen auf man - cherley Weiſe mit Laͤſter-Reden und in der That zu ſchaden, und ihnen alles gebrandte Hertzeleyd an - zuthun; ſie koͤnten, wenn ſie ſich etwan an kleinen Oertern, ihren Umſtaͤnden nach, entweder Lebens - lang oder nur eine Zeitlang aufhalten muͤſſen, dem rohen Poͤbel-Volck, die ihre Freundſchafft und keu -ſchen609Von der Verehlichung. ſchen Umgang vor einen boͤſen Schein und vor ein hoͤchſt aͤrgerliches Leben anſehen wuͤrden, zu einem Maͤhrlein und zu einem Spott werden, und was vor mehrere Bewegungs-Gruͤnde etwan ſie deter - miniren koͤnnen, daß ſie ihren Freundſchaffts-Con - tract durch Prieſters Hand befeſtigen laſſen.
§. 21. Es erfolge die Trauung, oder ſie erfolge nicht, ſo iſt und bleibet dennoch dieſe Verbindung nichts anders als eine Freundſchafft, die zwar mit dem Eheſtande einige Aehnlichkeit hat, nichts deſto weniger aber gar ſehr von ihm unterſchieden. Es fehlet ja hier hauptſaͤchlich der Conſens und die Einwilligung zur Ehe, die das Hauptwerck aus - macht. Sie wollen nicht Ehe-Leute ſeyn, ſondern keuſche und vertraute Freunde, und muͤſſen, um der im vorhergehenden angefuͤhrten Gruͤnde willen, den Schein von ſich geben, als ob ſie Ehe-Leute waͤren. Der Haupt-Endzweck der Ehe, der bißanhero von den meiſten unſerer Gottes - und Rechtsgelehrten davor gehalten worden, nemlich die Zeugung der Kinder, und Loͤſchung der Brunſt, fehlet hier. Der Grund ihrer Liebe iſt nicht die Vereinigung der Lei - ber, wie unter Ehe-Leuten, ſondern die Vereinigung der Gemuͤther. Es wird auch wohl hierbey ein Unterſchied unter den Nahmen vorkommen. Die Perſon maͤnnlichen Geſchlechts wird das Frauen - zimmer, wenn er von ihr redet, nicht ſeine Frau, ſei - nen Ehegatten, ſein Eheweib u. ſ. w. nennen, ſondern ſeine Liebſte, ſeine Haußwirthin, ſeine beſte Freun - din; das Frauenzimmer wird ihn nicht ihrenQ qMann,610II. Theil. XV. Capitul. Mann, ſondern ihren Herrn, ihren Liebſten, ihren Verſorger, ihren beſten Freund u. ſ. w. nennen. Die Regeln der Klugheit, die hierbey zu beobachten, und die uͤbrigen Anmerckungen des natuͤrlichen und buͤrgerlichen Rechts, gehoͤren an einen andern Ort. Jch will inzwiſchen im folgenden eines und das an - dere Ceremoniel, was bey denen Hochzeiten, dem Wohlſtand und dem Gebrauch nach, vorzukommen pflegt, anziehen.
§. 22. Es iſt denenjenigen, die ſich als vernuͤnff - tige und rechtſchaffene Leute in der Welt auffuͤhren wollen, gar ſehr unanſtaͤndig, wenn ſie bey ihrem Heyrathen laſterhaffte Leute, und ſolche, die in ſchlechter Reputation ſtehen, zu ihren Freywerbern und Unterhaͤndlern erwehlen, oder auch Maͤgde, alte Troͤdelweiber, Jtaliener, die mit Galanterie-Waa - ren handeln, ja wohl gar Juden, und ander nichts - wuͤrdig Volck, bey einem ſo wichtigen Handel zu Mittels-Perſonen gebrauchen, da man vielmehr tu - gendhaffte, chriſtliche und vernuͤnfftige Leute als Werckzeuge hierbey ausſuchen ſolte.
§. 23. Vor der Trauung pflegen insgemein die Aufgebothe vorherzugehen, die einen gar guten Grund haben. Sie geſchehen vornemlich zu dem Ende, daß man erfahre, ob ſich nicht etwan, entwe - der wegen der Anverwandſchafft, oder wegen eines zu beſchehenden Einſpruches, ein Hinderniß hervor thue, warum dieſe Perſonen nicht koͤnten getrauet werden; ingleichen daß die neuen Ehe-Leute durch oͤffentlich Gebet GOtt empfohlen werden. BeyHoͤhern611Von der Verehlichung. Hoͤhern werden ſie gemeiniglich, durch Diſpenſa - tion des Conſiſtorii, nachgelaſſen. Wie dieſer Gebrauch ſchon von ein fuͤnff Seculis her in dem Pabſtthum in Obſervanz geweſen, kan in Hilde - brands Tractat, de nuptiis Veterum Chriſtiano - rum, nachgeleſen werden. Ebenfalls iſt es eine ſehr alte Gewohnheit, daß die Hochzeiten in der Faſtnachts - und in der Advents-Zeit nicht celebri - ret werden duͤrffen.
§. 24. Ob ſich die erſten Chriſten bey ihren Ehe - Buͤndniſſen durch die Kirchen-Diener einſeegnen laſſen, iſt aus ihren Schrifften ſo genau nicht zu er - ſehen, jedoch findet man wohl ſo viel, daß die Ver - bindung mit Vorbewuſt der Gemeinde oder des Aufſehers, um guter Ordnung willen, hat muͤſſen vollzogen werden. Die andern Solennitaͤten wa - ren unter ihnen ziemlich unbekandt. Jhr bedraͤng - ter Zuſtand verſtattete nicht, viel Gepraͤnge oder Aufzuͤge zu machen, oder dabey Lermen zu blaſen, am allerwenigſten zu ſauffen, dantzen u. ſ. w. indem ihnen die Heyden bald alles wuͤrden zerſtoͤhret ha - ben. Wenn auch gleich ruhige Zeiten einfielen, ſo ließ ihnen doch ihre gewoͤhnliche Sittſamkeit, Maͤßigkeit und Gottſeligkeit nicht zu, etwas von dem vorzunehmen, was man nachmahls unter dem ver - fallenen Chriſtenthume, nach der Heyden Weiſe, geſchehen ſahe. Hingegen waren bey den Hochzei - ten der Heyden nichts als leichtfertige Reden, un - verſchaͤmt Gelaͤchter, unordentliches Sitzen durch - einander, groſſe Pracht in Speiſen, naͤrriſche Daͤn -Q q 2tze612II. Theil. XV. Capitul. tze und uͤppige Aufzuͤge zu ſehen. S. Arnolds Ab - bildung der erſten Chriſten, VI. Buch I. Cap.
§. 25. Was vor mancherley ſuͤndliche und thoͤ - richte Aberglauben bey der Trauung bey den Hoch - zeiten, und bey allen dieſem, zumahl unter dem ge - meinen Mann, vorzugehen pflege, iſt nicht zu be - ſchreiben. Unter andern iſt auch dieſer mit, da ſie aus denen Tauff-Nahmen der Ehe-Leute ausrech - nen wollen, welches am erſten ſterben werde. Koͤmmt, durch eine gewiſſe Verſetzung der Buch - ſtaben und Zahlen, in denen Tauff-Nahmen beyder Ehe-Leute, eine ungerade Zahl heraus, ſo ſolte der Mann eher ſterben, kaͤme aber eine gerade Zahl heraus, ſo muͤſte die Frau erſt ſterben. S. eine moraliſch-theologiſche Anmerckung hieruͤber in M. Cruſii wohlberuffenem Prieſter. p. 423.
§. 26. Die Trauungen der Hoͤhern geſchahen bey den Zeiten unſrer Vorfahren ebenfalls in den Kirchen, und wurden beſondere ſolenne Trau - Predigten dabey gehalten, wie man denn in den Geſchichten findet, daß viel Fuͤrſtliche Perſonen in den abgewichenen Seculis in den Kirchen oͤffentlich copulirt worden. Heutiges Tages ſchaͤmen ſie ſich der Kirchen, und laſſen ſich lieber in den Zim - mern ihrer Privat-Haͤuſer trauen, und daher ſind auch bloße Trau-Sermone gewoͤhnlicher als Trau-Predigten.
§. 27. Die Trau-Ringe ſind ſehr alt, und wie ſie bey den erſten Chriſten allbereit in Gebrauch ge - weſen, zum Zeichen der Gegen-Liebe, und zum Zei -chen613Von der Verehlichung. chen der beyderſeitigen Treue, davon kan Hilde - brands Tractat de nuptiis Veterum Chriſtiano - rum ebenfalls nachgeſchlagen werden. Braut und Braͤutigam werden, wie bekandt, nach einem allgemeinen Gebrauch Cronen und Kraͤntze aufge - ſetzt. Es ſollen dieſelben ſeyn ein Zeichen (1) der Froͤlichkeit, (2) der Ehre, daher man auch die Hochzeit den Ehren-Tag zu benennen pflegt, und (3) des Sieges, um zu erweiſen, daß ſie ihre geilen und wolluͤſtigen Begierden beſieget.
§. 28. Es iſt dem Wohlſtand gemaͤß, daß man von ſeiner vorhabenden Veraͤnderung und Verlo - bung ſeinen Vorgeſetzten, oder der Herrſchafft, bey der man in Dienſten zu ſtehen die Gnade hat, Nachricht ertheile, und ihre Einwilligung hierzu einhole, jedoch muß man auch mit Klugheit und Behutſamkeit hierinnen verfahren, damit man nicht in ſeiner wohl uͤberlegten Entſchlieſſung geſtoͤh - ret, und zu einer andern Parthey, die einem nicht ſo anſtaͤndig, angerathen werde.
§. 29. Zu den Ceremoniellen gehoͤrt auch fer - ner, daß Braut und Braͤutigam einander beſchen - cken. Die Beſchaffenheit dieſer Geſchencke iſt nach dem Unterſcheid der Oerter unterſchieden. Ge - meiniglich pflegt die Braut dem Braͤutigam einige Tage vor der Hochzeit einen ſaubern Anzug von weißer Waͤſche mit guten Spitzen zu verehren, und durch ihre Bedienten zu uͤberſenden, denen hernach der Braͤutigam eine ſtattliche Diſcretion, will er ſich nicht bereden laſſen, auszahlen muß. DerQ q 3Braͤu -614II. Theil. XV. Capitul. Braͤutigam aber muß ſich beſſer angreiffen; je reicher die Braut, je vornehmer oder je hochmuͤ - thiger und geitziger ſie mit ihrer Familie iſt, je mehr muß er ſich mit ſeinen Præſenten ſehen laſſen. Sind die Geſchencke, die Braut und Braͤutigam einander austheilen, nicht gar zu koſtbar, oder ih - ren Einkuͤnfften proportionirt, ſo kan man ſie als einen zulaͤßigen Gebrauch paſſiren laſſen. Viel - mahls aber trifft man viel unvernuͤnfftiges dabey an. Manche Braͤutigams ſind nicht im Stan - de ihre Braut auf eine ſo koſtbahre Weiſe zu re - galiren, inzwiſchen wollen und ſollen ſie doch die Weiſe mithalten, da koͤnnen ſie ſich nicht anders helffen, ſie muͤſſen die Galanterien, die Kleider, die Spitzen, das Silberwerck, bey den Kaufleuten, Jtaliaͤnern, Goldſchmiden und dergleichen Leuten ausnehmen. Jſt die Hochzeit vorbey, ſo kreucht es heraus, daß die Geſchencke noch nicht bezahlt, be - kommt nun der Braͤutigam ein ſtarckes Heyraths - Gut ausgezahlt, und dieſes noch dazu in die Haͤn - de, ſo iſt er im Stande, die ſeiner Braut verehrten Galanterien wieder zu bezahlen, wo nicht, ſo muß ers nach der Hochzeit ſeiner Braut entdecken, und da werden denn die Præſente entweder oͤffters zu - ruͤck geſchickt, oder um das halbe Geld wieder ver - kaufft, dieſes iſt denn hernach eine ſeine Wirth - ſchafft. Vielmahls ſind die Geſchencke der Braut nicht koſtbar und anſtaͤndig genug, ſie ſchickt die Spitzen manchmahl wieder zuruͤck, mit dem Ver - melden / ſie waͤren nicht von der rechten Art. DieElle615Von der Verehlichung. Elle koſtet nur vier Thaler, hingegen diejenigen, die ſie gebrauchen koͤnte, muͤſten acht biß neun Thaler gelten.
§. 30. Bey der Einladung der Gemeinen ſind die Hochzeit-Bitter gebraͤuchlich, die Hoͤhern hin - gegen werden entweder durch beſondere Hochzeit - Brieffe, oder durch muͤndliche Complimens des Braͤutigams und der Braut, oder deren Anver - wandten invitirt. Die Hochzeit-Mahlzeiten be - ſtehen entweder in ein Scupé und einer eintzigen Mahlzeit, ſo auf einmahl ausgerichtet wird, oder in Feſtivitæten, die 3. 4. auch wohl mehr Tage dau - ren, nachdem es in den Policey-Ordnungen erlaubt iſt, oder nachdem daruͤber gehalten wird oder nicht. Bißweilen werden den neu Verlobten von den ein - geladenen Gaͤſten, zum Zeichen der Danckbarkeit, Hochzeit-Geſchencke mit einem Gluͤcks-Wunſch eingehaͤndiget, bißweilen aber auch nicht. Daß dieſe Geſchencke in den aͤlteſten Zeiten bey den Ju - den allbereits im Schwange geweſen, ſiehet man aus unterſchiedenen Stellen der heiligen Schrifft. S. das XXIV. Eap. des 1. Buches Moſis, 16. v. das VII. Cap. des Buches Tobiæ, 15. v. das IV. Cap. des Buͤchleins Ruth, 11. v.
§. 31. Die Ober-Stelle des Braͤutigams und der Braut ſind an dieſem Tage ſo privilegirt, daß auch die Hoͤchſten und Vornehmſten ſolche ihren Bedienten, wenn ſie ihnen die Hochzeit ausrichten, an ihrem Ehren-Tage goͤnnen.
§. 32. Das Haͤubeln der Braut an ihrem andernQ q 4Hoch -616II. Theil. XV. Capitul. Hochzeit-Tage, wenn ſie vorhero ledigen Stan - des geweſen, iſt eine gar bekante Sache; es iſt aber auch gewiß, daß vieles, ſo vernuͤnfftigen Leuten, und ſonderlich Chriſten unanſtaͤndig iſt, dabey vorgeht. Einige freche Junggeſellen handthieren bey dieſen haͤubeln mit den Braͤuten auf eine freche und unbe - ſcheidene Weiſe; ſo ſtellen ſich auch einige Braͤute bey Ubernehmung dieſes weiblichen Netzes hoͤchſt ungeberdig an; wenn manche ihre Jungfraͤuliche Keuſchheit ſo tapffer vertheidigt, als den Crantz, und wider alle Anfaͤlle ſolche Anſtalten machten, ſo waͤre es beſſer. Manche Narrentheidungen und ſchandbare Worte, ſo Chriſten nicht geziemen, wer - den ſo wohl bey den Haͤubeln, als bey Uberbrin - gung des gewoͤhnlichen Stroh-Crantzes vorge - bracht, inſonderheit unter dem Poͤbel. Bey den Hoͤhern pflegt vielmahls ein junger Cavalier, der ein guter Redner iſt, bey dem Stroh-Crantze eine artige und wohlausgearbeitete Rede zu halten, und ein ſich hieher ſchickendes Thema auf eine ſchertz - haffte, jedoch manierliche und unſchuldige Weiſe, auszufuͤhren.
§. 33. Die Hochzeit-Carmina, darinnen ge - meiniglich der Cupido auf eine oͤffters abge - ſchmackte ſuͤndliche Weiſe herhalten muß, ſind ſo gemein, daß viel Leute in den Gedancken ſte - hen, es koͤnte keine Hochzeit mit Ehren celebrirt werden, wenn nicht ein Carmen dabey gedruckt worden. Daß ſie von den heydniſchen Griechen und Roͤmern ihren aͤlteſten Urſprung herleiten, iſtwohl617Von der Verehlichung. wohl gewiß genug, wer in den Alterthuͤmern nur ein klein wenig erfahren, wird dieſes vor bekand annehmen. Bey den erſten Chriſten findet man gar wenig davon, und melden einige Gelehrte, daß die Chriſten in dem vierdten Seculo nach Chriſti Geburth angefangen, ſich ihrer zu bedienen, und daß ſie von derſelben Zeit an, biß jetzund im Schwange geblieben. S. eine kurtze Hiſtorie da - von in Burmanni diatribe de Carminibus nu - ptialibus.
§. 34. Die oͤffentlichen Careſſen, die ein ver - liebter Braͤutigam ſeiner Braut mit Kuͤßen und ſonſten vor allen Leuten erzeiget, ſtehen einem ver - nuͤnfftigen Braͤutigam ſo wenig an, als einem Ehe - mann. Monſieur de Chevergny ertheilt ſeinem Sohn unter andern guten Regeln ebenfalls fol - gende mit: En particulier devés faire des demon - ſtrations d’amitié & de careſſes a vôtre femme, mais en public ou devant vos domeſtiques mê - me, les careſſes privées du mari & de la fem - me viennent en risée & une jeune femme s’accoutume par ce moyen a uſer de geſtes, qui lui donnent aprés plus de liberté.
§. 35. Das Dantzen oder die Baͤlle bey den Hochzeiten, ſind unter den Teutſchen, und auch bey andern Voͤlckern ein ſehr alter Gebrauch. An einigen Orten wird ein manierlicher und vernuͤnff - tiger Dantz-Meiſter verordnet, welcher bey den Frantzoͤſiſchen und Engliſchen Daͤntzen, die gehal - ten werden ſollen, alles ordinirt, die jungen Leute,Q q 5welche618II. Theil. XV. Capitul. welche auf der Hochzeit erſcheinen wollen und ſol - len, vorhero ein wenig exercirt, in allen Dingen, ſo das Decorum und die honette Couduite ange - het, gute Ordnungen macht, und Abrede haͤlt, auch zuletzt bey vollſtaͤndiger Inſtrumental-Muſic eine Probe anſtellt, damit hernach bey dem Hochzeit - Dantzen alles ordentlich, hoͤflich und manierlich in Worten und Geberden zugehe, und folglich ſo wohl Braut und Braͤutigam, als auch die ſaͤmmtlichen Hochzeit-Daͤntzer und Zuſchauer ihre voͤllige Vergnuͤgung erreichen.
§. 36. Den unordentlichen Weſen, das bey den Hochzeitlichen Dantzen vorgehet, iſt meines Er - achtens auch folgendes mit beyzuzehlen, ſo an einigen Orten im Gebrauch, wenn nemlich die beyden Braut-Fuͤhrer, die Braut mitten aus dem Dan - tze nehmen, und ſolche in Begleitung der ſaͤmmtli - chen Hochzeit-Gaͤſte zu ihrem Braͤutigam in die Kammer fuͤhren, als welcher ſich eine weile vorher zu Bette verfuͤgt, und ſie mit ihrem gantzen Braut - Schmuck zu ihm ins Bette legen. Die ſo genand - te Braut - oder Tietzſch-Mutter aber nimmt einen großen Auflaͤuffer, oder ſo genandten Propheten - Kuchen, ſchlaͤgt denſelben auf der Braut Bette mit der Hand in Stuͤcken, als wolte ſie gleichſam den Stab uͤber die Jungfer brechen. Da greifft ein jeder von denen um das Bette ſtehenden zu, und wenn einer etwas davon bekommt, ſo ſoll dieſes nach einer albern Tradition, wenn die Braut, noch eine veritable Jungfer iſt, vor das Fieber,die619Von der Verehlichung. die Colique und das Zahnweh gut ſeyn. Jſt diß geſchehen, ſo gehet jedermann aus dem Ge - mach, und laͤſt Braut und Braͤutigam allein. Die - ſes iſt mehr unter denen von buͤrgerlichen Stande im Gebrauch, als unter denen Adelichen.
§. 37. Hat man eine ſolche Haupt-Veraͤnde - rung des menſchlichen Lebens getroffen, ſo erfordert der Wohlſtand, daß man dieſelbe denen hoͤhern Perſonen, und vertrauten Freunden, von denen wir verſichert, daß ſie dieſe Notification nicht ungnaͤ - dig oder unguͤtig aufnehmen moͤchten, und mit de - nen wir wegen unſerer Unterthaͤnigkeit, Dienſtlei - ſtung oder auch Freundſchafft in einer beſondern Verbindung ſtehen, berichte; Doch muß man vorher wohl uͤberlegen, ob man einen ſattſamen Grund dazu habe, damit nicht ein anderer bey ei - ner ſolchen Notification dencken moͤge, was gehet es mich an.
§. 38. Die ſo genandten Jubel-Hochzeiten, da diejenigen Ehe-Leute, die durch GOttes Seegen 50. Jahr im Eheſtande gelebet, mit beſonderen So - lennitæten das Andencken ihrer vor 50. Jahren gehaltenen Hochzeit wieder celebriren, ſind bekandt genug. Anno 1706. war in der Stadt Braun - ſchweig ein merckwuͤrdiges Hochzeit-Jubilæum, das unter viel tauſend Zuſchauern, Herr Heinrich Haͤſeler, Kauff - und Handels-Mann, mit ſeiner Ehe-Liebſten, Frau Gertraud Maria Eltzin, mit Hoch-Fuͤrſtlicher Gnaͤdigſter Verwilligung hielt -Der620II. Th. XV. Cap. Von der Verehlichung. Der Durchlauchtigſte Hertzog, Anton Ulrich, ließe ſilberne und guͤldene Gedaͤchtniß-Muͤntzen darauf ſchlagen, auf welchen die Haͤſleriſche Familie, mit folgender Inſcription beehret ward: Vota ſecun - da cum prima conjuge non invito Principe civis celebrat Henricus Hæſeler, anno ætatis LXXVII. Conjug. L. cum Gertrude Maria Elzin, anno ætatis LXXI. Jubilæum Gamicum, quod a filiis III. filiabus totidem XXXIII. nepotibus XV. ab nepotibus ſuperſtitis XL. adornant d. 13. May, MD CCVI. S. LIII. Theil der Europaͤi - ſchen Fama. p. 381. Anno 1720. den 18. Janua - rii, haben in Maͤhren auf der Graf Queſtenbergi - ſchen Herrſchafft, in dem Staͤdgen Jarometz, zwey paar alte Ehe-Leute, welche bereits uͤber 50. Jahr im Eheſtande gelebt, von einem Prieſter, der eben - falls in ſeiner Prieſterſchafft uͤber 50 Jahr ge - lebt, den heiligen Ehe-Seegen zum andern mahl empfangen. Bey welchem erſtern Paar der Ehe-Leute der Brautfuͤhrer oder junge Ge - ſelle 72. Jahr, die Krantz-Jungfer aber 75. Jahr, und bey dem andern Paar, der Brautfuͤhrer 66. Jahr, und die Krantz-Jungfer 72. Jahr, alt ge - weſen. S. den XI. Verſuch der Schleſiſchen Natur - und Kunſt-Geſchichte. p. 119.
§. 1.
Es wird unnoͤthig ſeyn, in dieſem Capitul von demjenigen, was bey dieſer Materie zum Galanterie-Ceremoniel erfordert wird, zu reden; als, von der Propreté und dem Aufputz der Wochen-Stube, oder des Zimmers, darinnen das Kind getaufft werden ſoll, von der Parade des Wochen-Bettes, von dem koſtbahren Geraͤthe des Kindes, von der Standes-maͤßigen Bewirthung der Gevattern, und andern dergleichen Eitelkeiten, weil die Dames mehr als zu ſinnreich, von dergleichen neuen Moden etwas zu erfinden, und mehr als zu muͤhſam, einander hierinnen zu un - terrichten; ſondern ich werde mich davor bemuͤ - hen, einige andere nuͤtzlichere Anmerckungen mitzu - theilen.
§. 2. Es iſt nicht zu beſchreiben, was nicht allein unter dem Poͤbel, ſondern auch unter denen, die dem Poͤbel an Stand und Verſtand uͤbertreffen, bey dem hochheiligen Sacrament der Tauffe, und in denen Wochen-Stuben vor Aberglauben vorge - hen. Einige Gelehrte haben gar viel derſelben in beſondern Schrifften zuſammen getragen. Es waͤ - re zu wuͤnſchen, daß dieſelben durch obrigkeitliche Verordnungen und oͤffentliche Landes-Mandataabge -622II. Theil. XVI. Capitul. abgeſchafft wuͤrden. Wenn die Hoͤhern derglei - chen aberglaͤubiſch Weſen, welches ſonderlich auf dem Lande herrſcht, nicht aus Furcht vor GOtt wol - ten unterlaſſen wiſſen, ſo ſolten ſie es doch zum we - nigſten um des Wohlſtandes willen, wegen der Einfalt und Thorheit, ſo damit vergeſellſchafftet, verbannen.
§. 3. Zu beklagen iſts, daß die heilige Tauff - Handlung groͤſtentheils, ſo wohl von den Eltern, die andere zu Tauff-Zeugen erwehlen, als auch auf Seiten der Gevattern, zu einer bloſſen aͤuſſerlichen nnd buͤrgerlichen Handlung gemacht, und das Himmliſche dabey aus den Augen geſetzt wird; dar - aus denn alle die Unordnungen entſtehen, die ich in dieſem und dem folgenden Capitul zum Theil mit vorſtellen will.
§. 4. Jhrer viele laſſen das neugebohrne Kind 5, 6 biß 8 Tage liegen, bevor ſie zur heiligen Tauf - fe Anſtalt machen, theils, weil ſie vornehme Ge - vattern von weiten Orten her invitiren, deren ſie ſo bald nicht habhafft werden koͤnnen; theils, weil ſie mit der koſtbahren Ausrichtung, die ſie vor ſich ha - ben, nicht ſo bald fertig werden, und die Conſituren, die delicaten Weine, und anders dergleichen, deſſen ſie zum Tauff-Eſſen benoͤthiget, ſo geſchwinde er - langen koͤnnen. Sie bedencken nicht, daß ſie dieſe muthwillige Aufſchiebung der heil. Tauffe, wenn das Kind inzwiſchen ohne Tauffe verſterben ſolte, bey GOtt ſchwer zu verantworten wuͤrden haben.
§. 8. Viele, ja ich moͤchte wohl ſagen, die meiſtenvom623Von Kindtauffen. vom hoͤhern Stande und Character, ſtehen in den Gedancken, es gehoͤre zum unvermeidlichen Wohl - ſtand, daß die Kinder nicht in der Kirche, ſondern zu Hauſe getaufft wuͤrden. Nun weiß ich zwar wohl, daß der Wuͤrdigkeit dieſes heiligen Sacra - ments nichts abgehet, die Tauffe geſchehe auch wo ſie wolle, wenn ſie nur nach dem Befehl und der Einſetzung GOttes verrichtet wird, weil uns, in An - ſehung des Ortes, in Goͤttlicher heiliger Schrifft nichts vorgeſchrieben; ich weiß aber auch, daß es GOtt weit gefaͤlliger, der Intention der hohen Landes-Obrigkeit, und der Stifftung der erſten Kirche weit gemaͤſſer, und erbaulicher, wenn ſie, als eine hochheilige Handlung, in dem Hauſe, welches einmahl zu dem Gottesdienſt, und zur Austheilung der heiligen Sacramente, gewidmet iſt, verrichtet wird; ein anders iſts, bey dem Nothfall, doch hier - von iſt die Rede nicht. Wie nun die Geringern denen Hoͤhern in allen Stuͤcken, als nur nicht in der Gottesfurcht und Tugend, nachahmen, ſo kommt es heutiges Tages an viel Orten dahin, daß faſt niemand mehr, als etwan die Bauern, die gemei - nen Buͤrger, Handwercks-Leute und Tageloͤhner, ihre Kinder in der Kirche tauffen laſſen, zumahl an den Oertern, wo die Prieſter denen Leuten um des Gelds oder um der Schmauſerey willen favoriſi - ren. Ein gewiſſer Lehrer ſaget gar wohl: Es iſt eine ſeltzame Sache, daß ſich die Hoͤhern bey ihrem Leben ſo vor der Kirche ſcheuen, ſie gehen nicht gerne in die Kirche, ſie wollen das heilige Abendmahl nichtgerne624II. Theil. XVI. Capitul. gerne in der Kirche nehmen, ſie wollen ſich in der Kirche nicht trauen laſſen, ſie wollen auch ihre Kin - der in der Kirche nicht tauffen laſſen, und gleichwohl wollen ſie doch alle gerne in der Kirche begraben ſeyn. Bey Lebzeiten iſt Raum genug in der Kir - che, da machen die Hoͤhern denen andern gerne Platz, aber nach dem Tode iſt faſt kein Raum da, da wolten ſie lieber alle ihre Begraͤbniſſe in der Kir - che haben.
§. 6. Der Endzweck der Gevatterſchafften er - fordert, daß fromme, GOtt und ſein Wort liebende Leute darzu genommen werden, die vor das getauff - te Kind beten, und vor deſſen Wohlfarth Sorge tragen, dergleichen von rohen Welt-Kindern und Veraͤchtern des Wortes GOttes und ſeiner Die - ner nicht zu hoffen. Jn den Kirchen-Ordnungen wird anbefohlen, daß die Prieſter die Leute vermah - nen und erinnern ſollen, daß ſie zu ſolchem hohen chriſtlichen Werck nicht leichtfertige oder gottloſe, ſondern chriſtliche und gottesfuͤrchtige Perſonen zu Gevattern bitten ſollen, damit ſie mit ihrem Gebet deſto eher des Kindleins Glauben, dadurch es denn allein lebet, erbitten helffen moͤgen; und wann eine aͤrgerliche Perſon, welche mit groben Laſtern behaff - tet, und ohne Buſſe darinnen verharret, auch deſſel - ben genugſam uͤberwieſen, zu Gevattern nahmhafft gemacht wuͤrde, ſo ſolten die Pfarr-Herren des Kin - des Vater freundlich erinnern, eine andere Perſon zu bitten.
§. 7. Wie wenig aber dieſes, nebſt andern Stuͤ -cken625Von Kindtauffen. cken der guten Ordnung, in Obacht gehalten wer - den, lieget leider! klar am Tage. Man ſiehet meh - rentheils nicht auf die chriſtliche Wuͤrdigkeit der Gevattern, die ſie zu dieſem hochheiligen Sacra - ment haben ſollen, ſondern man leget zeitliche, irr - diſche und eigennuͤtzige, oͤffters auch wohl gar ſuͤnd - liche Abſichten hierbey zum Grunde. Die Geitzi - gen, inſonderheit der gemeine Poͤbel, erwehlet dieje - nigen, von denen er ein ſtarckes Eingebinde vermu - thet; er hat ſein beſtes Vertrauen zu dem, von dem er hoͤret, daß er ſich am meiſten angreifft, oder, wie er zu reden gewohnt, ſich hierbey nicht ſchimpffen laͤſt. Die Ehrgeitzigen ſehen die Gevattern an, als Werckzeuge, dadurch ſie ihre Ehre befoͤrden wollen, ſie wollen ſich Patrone hierdurch erwecken; es ge - faͤllet manchem gar zu wohl, wenn er entweder eine hohe Standes-Perſon, oder ſonſt einen vornehmen Herrn, oder vornehme Frau, als Gevatter wiſſen und kennen ſoll; ſie wollen, wie die Einfaͤltigen zu reden pflegen, andern Leuten hierbey eine Ehre an - thun, in der That aber ſich ſelbſt die groͤſte Ehre er - zeigen. Die Wolluͤſtigen wenden ſich bey dieſem heiligen Werck zu ihren Freß-Sauff - und Spiel - Cameraden, mit denen ſie am liebſten ſchmauſen, und ſich berauſchen. Einige Kauff - und Hand - wercks-Leute wollen hiedurch einen wohlhabenden und maͤchtigen Kunden erlangen, der ihnen Geld zuwenden ſoll. Andere wollen, durch das Mittel der Gevatterſchafft, Geld borgen, oder ſich deſto beſſer aus ihren Proceſſen herauswickeln. Man -R rche626II. Theil. XVI. Capitul. che ſind wohl gar ſo leichtſinnig, daß ſie aus der Wahl der Tauff-Zeugen ein Verkuppelungs - Werck machen, und hiedurch zu einem zulaͤßigen oder unzulaͤßigen Liebes Commerce Anlaß geben; ſie bitten einen jungen ledigen Herrn und ein junges lediges Frauenzimmer zuſammen, damit ſie bey die - ſer Gelegenheit mit einander in Bekandtſchafft ge - rathen. Jch bin gewiß der Meynung, daß die von GOtt und der Kirche erforderte Wuͤrdigkeit der Tauff-Zeugen ihrer vielen eine gantz fremde und unbekandte Sache ſey. Die meiſten werden den - cken: Jſt der kuͤnfftige Gevatter reich und vor - nehm, und bindet brav ein, ſo iſt er mehr als zu wuͤr - dig. Wenn doch alle Eltern das bedaͤchten, was der gottſelige Ernſt Ludwig von Faramond in ſeiner Klugheit der wahren, und Narrheit der falſchen Chriſten, pag. 72. ſchreibet: Alldieweil ein neuge - bohrnes Kind dem allmaͤchtigen HERRN und Schoͤpffer Himmels und der Erden zum Vater hat, ſo iſt die Huͤlffe eines reichen und anſehnlichen, aber dabey gottloſen Gepatters keinesweges noͤthig. Es iſt auch dieſes, weltlicher Weiſe betrachtet, ein ſehr unbeſonnenes Vornehmen, indem denen mei - ſten Gevattern eine ſolche eigennuͤtzige Gevatter - ſchafft groſſen Verdruß erweckt, alſo, daß ſie ſich mit Unwillen und Mißvergnuͤgen an den Tauffſtein begeben, und das Pathen-Geld lieber behielten, als einbaͤnden, wenn es ihnen keine Schande waͤre.
§. 8. Manche Eltern, zumahl unter dem gemei - nen Volck, haben bey der Wahl ihrer Tauff-Zeu -gen627Von Kindtauffen. gen ſeltzame Einfaͤlle, ſie richten ihre Abſicht weder auf die Wuͤrdigkeit der Gevattern, noch auf den Wohlſtand, und andere Umſtaͤnde, die doch hiebey von rechtswegen in Betrachtung zu ziehen waͤren, ſondern bloß auf ihren Eigenduͤnckel, wie es ihnen einkommt. Alſo bitten manche von dem Poͤbel, ein vornehmes adeliches Fraͤulein und ein Schnei - der-Puͤrſchgen zugleich zu Gevattern, da ſie doch wohl von dem ehrbaren buͤrgerlichen Stand einen andern rechtſchaffenen Mann finden koͤnten, den ſie mit beſſerer Manier dazu einladen koͤnten. Da GOtt ein GOtt der Ordnung iſt, ſo muß man die - ſelbe auch in dieſem Stuͤck, ſo viel als moͤglich, be - obachten. Jn dem Hertzogthum Gotha ward auf eine ſehr loͤbliche Weiſe, anno 1713, angeordnet: Daß ein jeder ſeines gleichen bitten ſolte; und wenn gemeine Leute diejenigen, wo ſie etliche Jahre in Dienſten geſtanden, oder die Jhrigen zu Gevat - tern bitten wolten, ſo ſolten ſie ſich vorher bey ſelbi - gen um Erlaubniß bewerben, und wenn ſolche er - langt, alsdenn die Gevatter-Briefe ſchreiben laſſen, eher ſolten ſie aber nicht geſchrieben werden, biß ſie die erhaltene Erlaubniß bey dem Kirch-Vater be - ſcheiniget. Ein jeder ſolte ſich bey dem Gevatter - bitten der Beſcheidenheit und Ordnung gebrauchen, und ſonderlich des Zuſammenbittens der Jungfern und Junggeſellen, woraus gemeinigiich allerhand Unfug entſtuͤnde, gaͤntzlich enthalten.
§. 9. Eine wunderliche Sache iſts, wenn die Leu - te bißweilen gantz Fremde zu Gevattern bitten, dieR r 2ſie628II. Theil. XVI. Capitul. ſie in ihrem Leben nicht geſehen; wie kan man ein gutes Vertrauen zu denenjenigen haben, deſſen Glaube und Lebens-Wandel einem im geringſten nicht bekandt. Jch rede hier nicht von demjenigen Fall, da es bißweilen moͤglich iſt, daß man einen gantz Fremden, wegen ſeines von ihm allenthalben erſchollenen guten Geruͤchtes, kennen und hochach - ten kan, ſondern da die Leute, bey der Wahl der Fremden, bloß eigennuͤtzige Abſichten zum Grund legen. Eben ſo ungereimt iſt es auch, wenn einige diejenigen die 20, 30, 40 und mehr Meilen abwe - ſend, zu Gevattern erkieſen, und von denen ungewiß, ob ſie wohl die Unkoſten uͤber ſich nehmen, und der Gevatterſchafft wegen einen ſo weiten Weg reiſen wolten; oͤffters wiſſen ſie es auch vorher gantz ge - wiß, daß ſie nicht kommen werden. Alle die hoͤf - lichſten Einladungen geſchehen nur zum Schein, und ſind nichts anders, als zierlich ſtyliſirte Un - wahrheiten. Mancher wuͤrde von Hertzen erſchre - cken, wenn der invitirte hohe und vornehme Tauff - Zeuge in Perſon ſich einſtellen ſolte. Der vorhin allegirte Ernſt Ludwig von Faramond macht in ſei - ner Klugheit der wahren, und Narrheit der falſchen Chriſten, pag. 74, hierbey eine gute Anmerckung, wenn er ſagt: Die Gevattern ſollen Zeugen ſeyn; Kan aber auch derjenige wohl ein Zeuge ſeyn, wel - chem man, nebſt viel andern, den Gevatter-Brief auf 40, 50, ja wohl auf 100 Meilen fortſchicket, wel - cher alſo nicht geſehen hat, daß das Kind getaufft werde, ja der ſich hernach niemahls darum befragt,ob629Von Kindtauffen. ob die Tauffe geſchehen ſey, und welcher vielleicht die Zeit ſeines Lebens nicht wieder an ſeine unbe - kandte Pathe gedenckt; Und erwehlet man gleich andere, was hilfft denn dieſes? ſo heiſt es ſo viel: Dieſe muͤſſen Zeuge ſeyn, daß jene Zeuge geweſen. Warum bittet man denn nicht lieber die Zeugen der Zeugen recht zu Gevattern, ſo ſaͤhen doch znm wenig - ſten dieſelben mit ihren Augen, daß das Kind ge - taufft worden; da hingegen die andern nur teſtes de auditu, oder Zeugen von hoͤren-ſagen ſeyn muͤſſen.
§. 10. Unter die Mißbraͤuche gehoͤret ferner, wenn an manchen Orten diejenigen, die ſich mehr duͤncken als andere, die Gevattern nach dem Range inviti - ren, wie ſie die Marſchaͤlle, oder die Leichen-Bitter bey denen Trauer-Proceſſionen ableſen. Sie fan - gen ſo wohl bey den Perſonen, maͤnnlichen als weib - lichen Geſchlechts, von dem Oberſten an, und ſtei - gen, nach der Anzahl ihrer Kinder, zu denen ſie die - ſe Tauff-Zeugen benoͤthiget, immer weiter herunter. So muß die goͤttliche Ordnung ihrem eingebildeten Wohlſtande und Ceremoniel weichen. Nach dieſer Methode wird vollends die Betrachtung der Wuͤrdigkeit aus den Augen geſetzt. Alle Atheiſten, offenbahre Gotteslaͤſterer, Veraͤchter der heiligen Sacramenta, Hurer und Ehebrecher, werden mit denen Gottesfuͤrchtigen und Tugendhafften in eine Claſſe geſchmiſſen. Die erwehlten Gevattern koͤn - nen bey dieſer Weiſe die Einladung vor keine Wuͤr - ckung eines Wohlwollens, oder eines gegen ſie he -R r 3genden630II. Theil. XVI. Capitul. genden guten Vertrauens, ſondern vor eine Noth - wendigkeit annehmen, die ſie dazu beſtimmt.
§. 11. Unrecht iſt es auch, wenn einige die Kin - der vornehmer Eltern, von 10 biß 12 Jahren, die noch nicht zum heiligen Abendmahl geweſen, und denen es am Verſtand und Nachſinnen fehlet, die Wichtigkeit dieſes hochheiligen Sacraments gehoͤ - rig zu uͤberdencken, aus eigennuͤtzigen Abſichten, oder aus Unbedachtſamkeit, zu Gevattern nehmen, da - mit ſie dem jungen Herrn und dem jungen Frauen - zimmer, oder auch deren Eltern, eine Freude ma - chen, als ob es eine erlaubte Sache waͤre, mit einer ſo heiligen Handlung nach Gefallen zu ſpielen und zu ſchertzen. Die Herren von der Geiſtlichkeit ſolten hierwider eifern, doch ſie ſchweigen gar oͤffters, aus Reſpect, aus Menſchen-Furcht und allzu groſſer Gefaͤlligkeit, dazu ſtille.
§. 12. Die Tauff-Zeugen werden zu dem Ende erwehlet, daß ſie ſollen einen Bund mit GOtt ſchlieſ - ſen, und wegen der geſchehenen Richtigkeit der hei - ligen Tauffe ein Zeugniß ablegen, und alſo koͤnte aus zweyer oder dreyer Zeugen Munde die gantze Wahrheit beſtehen. Jhrer viele aber, zumahl von denen, die ſich mehr als andere duͤncken, kehren ſich daran nicht, ſondern ſie bitten 10, 12, 15, auch wohl 20 Gevattern, vornemlich um des Pathen-Ge - ſchenckes willen. Je mehr Gevattern, je mehr har - te Thaler, Ducaten oder Goldſtuͤcke, oder je mehr ſo genandte gute Freunde, mit denen ſie freſſen, ſauf - fen und turnieren koͤnnen. Es iſt daher loͤblich,daß631Von Kindtauffen. daß in einigen Provintzien, wegen der groſſen Miß - braͤuche, die daraus entſtehen koͤnnen, nicht allein den Geringern aus dem Poͤbel, ſondern auch de - nen Hoͤhern eine gewiſſe Anzahl vorgeſchrieben, die ſie nicht uͤberſchreiten duͤrffen. Jn Pommern ward auf dem Synodo zu Loitz, anno 1717. d. 26. Oct. ausgemacht: Wenn ſich etwan fuͤnff Gevattern finden ſolten, welche nicht ohne erhebliche Noth zu - zulaſſen, ſo ſolten doch nur 3 vortreten, und die uͤbri - gen zuruͤck bleiben. Jn der Marck Brandenburg hingegen bittet einer von Adel 12, und mehr Gevat - tern, keiner aber giebt einen Pathen-Pfennig. S. M. Michaelis Paſtorem Diœceſin ſuam dirigen - tem p. 323. Jn denen Churfuͤrſtlich-Saͤchſiſchen General-Articuln findet man folgendes ausgedru - cket: Als auch unlaͤugbar vermerckt, daß bey vielen das hochwuͤrdige Sacrament der heiligen Tauffe, um das Eingebinde, Geſchenck, und ſonderlichen Nutzens, etwan auch unziemlichen Pracht und Ho - heit willen mit groſſer Menge der gebetenen Gevat - tern, in eigentlichem Mißbrauch gediehen, und alſo hierdurch faſt dergleichen Kraͤmerey, wie verruͤckter Zeit die Meß-Pfaffen im Pabſtthum mit ihren Meſſen getrieben, auch nicht ohne groß Aergerniß aufrichten, und zu erbaͤrmlichen Anſtoß der Einfaͤl - tigen einfuͤhren, denſelbigen gleich ſuͤndigen, und al - ſo mit dieſer Leichtfertigkeit GOttes Zorn wider uns erregen thun; So ſollen hinfuͤhro nicht mehr denn drey Gevattern, bey geſetzter Straffe von einhun - dert Guͤlden, gebeten, und hieruͤber niemand zuge - laſſen werden.
R r 4§. 13.632II. Theil. XVI. Capitul.§. 13. Es iſt nicht zu billigen, wenn einige ſich de - rerjenigen, die ſie doch erſt zu ihren Gevattern er - wehlet, hernacher ſchaͤmen, ſie, zumahl vor Leuten, geringe achten, ſich auch wohl gar verlauten laſſen, ſie haͤtten dieſen oder jenen nur aus Noth darzu ge - nommen, weil ſie keinen andern bekommen koͤnnen. Es iſt beſſer, wenn man diejenigen, die man ſolcher Ehre nicht wuͤrdig achtet, gantz und gar weg laͤſt, als daß man ſie nachgehends durch Geringachtung be - truͤbet und kraͤncket.
§. 14. Bey der Beylegung der Tauff-Nahmen gehet viel wunderlich Zeug vor. Einige legen ih - ren Kindern gantz heydniſche Nahmen bey, die Chriſten unanſtaͤndig, da es doch billiger waͤre, wenn ſie ihnen chriſtliche Nahmen mittheilten, die von einer guten Bedeutung waͤren, und dabey ſie ſich mancher Chriſten-Pflichten erinnern koͤnten. Andere affectiren auf eine wunder-ſeltzame Weiſe dabey. Alſo meldet Cruſius in ſeinem wohlberuf - fenen Prieſter, p. 119. daß der Nahme Engel in Hamburg und gantz Nieder-Sachſen ſehr gemein waͤre; er haͤtte auch ſelbſt in Thuͤringen einige Frauens-Perſonen gekandt, ſo dieſen Nahmen ge - fuͤhret. Ob aber ſolche Perſonen in der That gu - te oder boͤſe Engel waͤren, wuͤrden derſelben Maͤn - ner, ſo bereits einen Scheffel Saltz mit ihnen ge - geſſen, am beſten wiſſen. Eben dieſer Autor ge - dencket pag. 143. daß den ſchaͤndlichen Nahmen, Judas, ein Cavalier aus einem alten adelichen Ge - ſchlecht gefuͤhret. Manche Nahmen ſind ein bloſ -ſer633Von Kindtauffen. ſer Schall, deren Bedeutung man aus keiner Spra - che her deriviren kan, als, Jllen, Uzke u. ſ. w. Die weiblichen Nahmen, die man in Manns-Nahmen verwandelt, kommen ſehr gezwungen heraus, als, Erdmuthus, Dorotheus, wie ein gewiſſer Prieſter auf dem Lande, zu Ehren einer groſſen Hertzogin, nach der Aehnlichkeit ihres Nahmens, Erdmuth Dorothea, die er zur hohen Tauff-Zeugin erweh - let, ſeinen Sohn heiſſen laſſen. Die ungewoͤhnli - chen und ſelbſt erdichteten Nahmen, als, Tugend - voll, und andere, die man aus denen Lateiniſchen, Griechiſchen und Hebraͤiſchen Sprachen heraus - ziehet, ſind laͤcherlich. Manche, die viel Soͤhne haben, geben ihnen ſolche Nahmen, da in allen der Nahme GOtt mit vorkommt, als, Trau-Gott, Ehre-Gott, Gottlob, Gottlieb, u. ſ. w. es iſt aber oͤffters bey dieſer Methode mehr eine Veruneh - rung des goͤttlichen Nahmens, als eine Chriſten - Pflicht.
§. 15. Bey der heiligen Tauffe iſt nicht zu billi - gen, wenn die Prieſter nur die Finger in das Waſ - ſer tauchen, und damit die Stirne des Kindes be - ruͤhren, welches meiſtentheils wegen der Hoffarth der Eltern geſchiehet, damit die Zierrathen, die das Kind auf dem Haupte hat, nicht etwan von dem Waſſer fleckigt werden; ob es wohl im uͤbrigen einerley, ob das Vorder - oder Hintertheil von dem Haupte des Kindes befeuchtet werde. Da die heilige Tauffe ein Bad der neuen Geburth genen - net wird, ſo iſt, nach der wohlgegruͤndeten Mey -R r 5nung634II. Theil. XVI. Capitul. nung einiger Theologorum unſerer Kirche, eine reichlichere Ausgieſſung gewißlich vonnoͤthen. S. D. Zeltners Diſſertation, wie in der heiligen Tauffe eine reichlichere Ausgieſſung wieder herzuſtellen ſey?
§. 16. Was vor ſuͤndlich Geſchmauſe, oder viel - mehr Freſſen und Sauffen, gehet nicht bey denen meiſten Kindtauffen vor. Der Kindtauffen-Va - ter und Mutter geben nicht ſo wohl auf das heilige Werck Acht, als vielmehr auf die Tractamente, die ſie ihren Gaͤſten vorſetzen wollen. Die heilige Handlung iſt bißweilen kaum vorbey, ſo wird als - denn nicht maͤßig dabey getruncken und geſpeiſet, als welches allerdings erlaubet waͤre, ſondern un - maͤßig gefreſſen und geſoffen. Die ſchoͤnen Tauff - Zeugen berauſchen ſich, und wenn mancher nicht bezecht wieder nach Hauſe kaͤme, wuͤrde er nicht dencken, daß Kindtauffe geweſen.
§. 17. Die Regeln, die ein Vater bey der Tauf - fe ſeines Kindes, und in Anſehung der Gevattern, ſo wohl den Pflichten des Chriſtenthums, als der geſunden Vernunfft nach, zu beobachten hat, beſte - hen, meines wenigen Erachtens, in folgenden: Er muß ſein neugebohren Kind, ſo bald als moͤglich, und er darzu gelangen kan, in der heiligen Tauffe dem Heyland vortragen laſſen, und alsdenn ſolche Tauf - Zeugen erwehlen, von denen er verſichert, daß ſie die noͤthige Erkenntniß beſitzen, um die Heiligkeit dieſer Handlung recht zu erwegen, und ihre Chri - ſten-Pflichten dabey zu beobachten, auch willig undgeneigt635Von Kindtauffen. geneigt ſeyn moͤchten, dieſes heilige Werck uͤber ſich zu nehmen.
§. 17. Will er bey der Wahl ſeiner Gevattern, wie es doch noͤthig, hauptſaͤchlich darauf ſehen, ſo darff er ſich nicht fuͤrchten, daß deren Anzahl ſo gar groß und ſtarck ſeyn werde. Rechtſchaffene Chri - ſten ſind, unter Hohen und Niedern, an groſſen und kleinen Oerten, nicht ſo gar dicke geſaͤet, und auf - richtig-geſinnete wahre Freunde ſind auch nicht al - lenthalben zu finden. Hierbey kan er gar wohl, theils ſeinen eigenen Stand und Bedienung / theils auch mancherley buͤrgerliche Umſtaͤnde ſeiner Ge - vattern und ſeiner Mit-Gevattern, in Betrachtung ziehen, damit er nicht / wenn ers vermeiden kan, boͤ - ſen Leuten Gelegenheit gebe zu laͤſtern; inzwiſchen muß er doch, ſo viel als ſichs will thun laſſen. Got - tesfurcht und Tugend, dem andern aͤuſſerlichen Weſen, darauf die Welt ſiehet, vorziehen. Er invitire keine abweſende, er muͤſte denn durch eine unvermeidliche Nothwendigkeit darzu veranlaßt werden, und verſichert ſeyn, daß ſie entweder ſelbſt kommen moͤchten, oder doch deren Stellen durch andere chriſtliche Perſonen vertreten laſſen wer - den.
§. 18. Damit er allen Verdacht von ſich ab - lehne, als ob er ſeine Gevattern aus eigennuͤtzigen Abſichten erwehlet, ſo ſetze er entweder in den Ge - vatter-Brief mit hinein, oder bringe es bey dem muͤndlichen Invitations-Compliment mit vor, daß ſie ſich mit keinem Eingebinde, oder mit einem ſonſtgewoͤhn -636II. Theil. XVI. Capitul. gewoͤhnlichen Geſchenck, beſchweren ſollen. Jn Anſehung der Invitation laſſe ers bey der gewoͤhn - lichen Obſervanz, die Gevatter-Briefe laſſe er, nach dem Unterſchied der Perſonen, an die ſie gerichtet werden, mit Beobachtung der noͤthigen Curialien, vernuͤnfftig ſtyliſiren, er uͤberſchicke ſolche durch diejenigen Perſonen, wie es an einem jeden Orte Herkommens, und an Hoͤhere durch ſeinen Laquay. Bey denen Hohen erkundige er ſich vorher, ob er wohl Erlaubniß habe, ſie hierzu zu invitiren, und er - ſuche ſie bey perſoͤnlicher Aufwartung ſelbſt, ob ſie ihm die Gnade erzeigen, und dieſe Muͤhwaltung uͤber ſich nehmen wollen.
§. 19. Was die Tractamente anbetrifft, die er ſeinen Gevattern vorſetzen will, ſo iſt es weder denen natuͤrlichen Rechten noch den goͤttlichen Geboten zuwider, daß er auch bey dieſer Zeit, nach vollbrach - ter heiligen Handlung, ſeinen Vorgeſetzten und Pa - tronis, oder auch ſeinen wahren guten Freunden, nach Beſchaffenheit ſeiner Einkuͤnffte, an Speiſen und Getraͤncke etwas vorſetzt, und ihnen auch wohl ein reichliches und delicates Mahl, als ſonſt ge - woͤhnlich, anrichten laͤſt; es muß aber alles in den Augen des allgegenwaͤrtigen und allſehenden GOt - tes geſchehen, alles unmaͤßige Freſſen und Sauffen, daraus vor die Seele, vor die Geſundheit, vor die Guͤter und vor die Ehre, mancherley unordentliches Weſen entſtehet, iſt, wie zu aller Zeit, als in inſon - derheit bey dieſem Tauff-Eſſen, zu vermeiden. Noch beſſer aber iſts, wenn dieſe Tauff-Handlungin637Von Kindtauffen. in aller Stille vollbracht, und das Tauff-Eſſen vor ſeine liebe Gevattern, biß nach geendigten Sechs Wochen der Woͤchnerin, aufgeſchoben wird; So kan alsdenn die Wirthin ſelbſt mit dabey ſeyn, und das dabey noͤthige beſſer beſorgen, auch von den Speiſen und Getraͤncke ſelbſt etwas mehrers, als vorher, genieſſen. An vielen Orten werden, an ſtatt der Tauff-Mahlzeiten, denen Gevattern ge - wiſſe Kuchen, oder Marzipanen, oder Mandel - Torten, oder auch, wie es in Hamburg gebraͤuch - lich, beſonders ausgezierte, und mit einem Marzi - pan-Teig Kraͤntze umlegte Huͤte Zucker zugeſchickt. An manchen Oertern ſind die Tauff-Mahlzeiten bey Straffe, entweder gantz und gar, in den Poli - cey-Ordnungen verbothen, oder es iſt doch eine ge - wiſſe Anzahl Speiſen vorgeſchrieben, wie viel de - ren aufgeſetzt ſollen werden.
§. 20. Wider den Wohlſtand iſt, wenn vorneh - me und reputirliche Leute, entweder zu dieſer oder jener Jahres-Zeit, ihre Kinder zu denen Pathen ſchi - cken, um dieſes oder jenes ſonſt gewoͤhnliche Præſent bey ihnen abzuholen, oder auch wohl den Gevattern, denen der Gebrauch etwan noch unbekandt, Nach - richt ertheilen, daß dieſes an dieſem Orte gewoͤhn - lich, und ſie faſt ſelbſt an Abſtattung dergleichen Freygebigkeit erinnern. Dergleichen Betteley ſchicket ſich nur vor dem Poͤbel. Jn den uͤbrigen Stuͤcken, die, in Anſehung der goͤttlichen und welt - lichen Rechte, unſchuldig und gleichguͤltig ſind, thut man am beſten, wenn man ſich nach demjenigenrichtet,638II. Theil. XVII. Capitul. richtet, was in einer jeden Provintz, oder an einem jeden Orte eingefuͤhrt.
§. 1.
Ob zwar das Zeugniß der Tauff-Zeugen nicht von goͤttlicher Einſetzung herruͤhret, ſo iſt es dennoch ein ſehr alter, guter und loͤblicher Gebrauch. Die Tauff-Zeu - gen ſtellen gleichſam die gantze Kirche vor, und be - zeugen, daß das Kind auf dem Glauben getaufft, den die gantze Kirche bekennet. Sie muͤſſen, ſo viel als moͤglich, Sorge tragen, daß das Kind, bey Lebzeiten der Eltern, noch mehr aber, nach deren Abſterben, aus dem Rachen des Teuffels heraus - geriſſen werde, damit es dem Teuffel, und allen ſei - nen-Wercken, und allen ſeinem Weſen entſage, und es GOtt in dem Bunde, den es einmahl mit ihm aufgerichtet, ſtets getreu bleiben moͤge. Sie muͤſſen auch bezeugen, daß die Tauffe dem Kinde rechtmaͤßig mitgetheilet, und ſolches der Gemeinde der Kirche einverleibet, und ein Mitglied derſelben geworden.
§. 2. So unanſtaͤndig es iſt, wenn man ſich, nach der uͤbeln Gewohnheit einiger Leute, zur Ge -vatter -639Von den Gevatterſchafften. vatterſchafft ſelbſt anbietet, und es ihnen entweder ſelbſt oder durch andere zu verſtehen giebt, ſie in ih - rer eigenen Wahl ſtoͤhret, und bey dem guten Ver - trauen, welches ſie nach Gefallen erweiſen koͤnten, gleichſam die Haͤnde bindet; ſo uͤbel iſt es auch, wenn man es ohne wichtige Urſachen ausſchlaͤget. Es erfordert ja die Liebe und Pflicht eines jeden Chriſten, daß man vor des andern geiſtliches Heyl beſorgt ſey, und ſich angelegen ſeyn laſſe, daß man den andern aus den Stricken des Satans heraus reiſſe. Die Liebe iſt dienſthafftig; ſie bedenckt, daß wir alle Glieder eines Leibes ſind, und erſtattet dem andern gerne, was ſie von ihm erſtattet wiſſen will.
§. 3. Jch moͤchte wohl mit einiger Veraͤnde - rung auf die heilige Tauff-Handlung appliciren, was der ſeelige Vater Lutherus von dem Sacra - ment des Altars ſagt: Das Faſten und leibliche Zubereiten zu dem Gevatterſtehen, iſt wohl eine fei - ne aͤußerliche Zucht, aber der iſt recht wuͤrdig, und wohlgeſchickt, der den Glauben hat, daß bey dieſer hochheiligen Handlung die gantze heilige Drey - faltigkeit zugegen ſey. Weil die Gevattern, ſo viel das Glaubens-Bekaͤnntniß und Verbuͤndniß mit unſer aller Heyland Chriſto JEſu betrifft, als perſonæ vicariæ zu betrachten, die den Bund mit GOtt im Nahmen des zur Tauffe gebrachten Kin - des ſchluͤſſen, und hierbey auf die heilige Handlung, und die Gnaden-reiche Gegenwart der heiligen Dreyfaltigkeit zu ſehen iſt, mit welcher ein Tauff -Zeuge640II. Theil. XVII. Capitul. Zeuge handelt, und im Nahmen des Kindes einen unaufloͤßlichen Bund ſchluͤßt, ſo iſt man auch ſchul - dig, hierbey eben die Ehrerbietung zu erweiſen, als bey Genieſſung des heiligen Abendmahls. Sie ſind ſchuldig, ſich vorher andaͤchtig zuzubereiten / immaßen Exempel von hohen Standes-Perſonen bekandt, welche, wenn ſie zu Gevattern gebeten wer - den, ſelbigen gantzen Tag gefaſtet, und das heilige Werck mit nuͤchterm Hertzen und ſtetem Gebet verrichtet; welche Chriſtliche Vorbereitung um ſo viel eher geſchehen kan und ſoll, wenn die heilige Tauffe, ſo fort nach der Predigt und Betſtunde an - geſtellt wird, als welches ſonderlich zu dieſem Ende geſchiehet, damit das heilige Werck mit GOtt und Gebet angefangen werden moͤge, welchenfalls denn die Gevattern ſich nicht als rechtſchaffne Chriſten erweiſen, wenn ſie ſolchen oͤffentlichen GOttes - dienſt vorſetzlich verſaͤumen, hingegen ihren Putz und Hoffarth abwarten, und ſodann erſt zur heili - gen Tauffe kommen. S. das theologiſche Re - ſponſum in Wideburgs Diſſertat. de gladio in Sacramentorum reverentiam deponendo, p. 56. und 57, 62. und 63.
§. 4. Doch, wie rar ſind diejenigen Tauff-Zeu - gen, die ihrer Chriſten-Pflichten hierinnen gehoͤrig wahrnehmen. Die meiſten ſehen die Tauff-Hand - lung, ſo wohl als der groͤſte Theil derer, die die Kindtauffen ausrichten, vor ein bloß Ceremoniel - Werck an, und nicht vor eine heilige Handlung. Der gottloſe und weltgeſinnete Demas fuͤhret in desFara -641Von den Gevatterſchafften. Faramonds Klugheit der wahren, und Narrheit der falſchen Chriſten, p. 66. an, daß bey dem Gevat - ter-ſtehen nichts mehr in Obacht zu nehmen, als folgendes: Wenn man den Gevatter-Brief be - kommt, ſo muß man der Kinder-Frau eine Vereh - rung geben, man muß ein ſauberes Kleid anziehen, man muß in die Kirche gehen, und zu Anfang ein Vater Unſer beten, man muß zu rechter Zeit vor den Tauffſtein treten, man muß bey der Tauffe et - liche mahl Ja ſagen, und alle Ceremonien nach der Ordnung fein zuͤchtig und und erbar mitmachen, man muß dem Taͤuflinge das Pathen-Geld, nach Beſchaffenheit ſeines Standes, einbinden, man muß zum Beſchluß wieder ein Vater Unſer beten, man muß dem Vater des getaufften Kindes Gluͤck wuͤnſchen, und alsdenn wieder nach Hauſe gehen. Es fehlet bey dieſem Gevatter-ſtehens-Proceſs nichts, als das Schmauſen nach der Tauff-Hand - lung.
§. 5. Manche, die die Stellen der Gevattern vertreten ſollen, erweiſen bey dieſem Wercke ihren beſondern Hochmuth. Bald ſind ihnen die Leute zu geringe, die ſie invitiren, da ſchmaͤhlen und laͤ - ſtern ſie auf das aͤrgſte, daß ſolche gemeine und arm - ſelige Eltern ſich unterſtuͤnden, ihnen einen Gevat - ter-Brief zuzuſchicken, als ob dieſe Handlung ein ſolch Werck waͤre, das bloß um der aͤuſſerlichen Eh - re willen angefangen. Bedaͤchten ſie, daß dieſes Ehre genug waͤre, daß die Eltern zu ihrer Gottes - furcht ein ſo gutes Vertrauen haͤtten, oder daß ſieS sdoch,642II. Theil. XVII. Capitul. doch, ob ſchon manche Eltern bey ihrer Wahl keine ſo gar loͤbliche Abſicht haͤtten, dennoch Werckzeuge waͤren, ein armes Kind dem Heyland JEſu Chriſto und ſeiner Kirche zuzufuͤhren ſo wuͤrden ſie nicht auf ſolche Leute eifern. Bald laͤſtern ſie auf die Mit - Gevattern, die ihnen viel zu ſchlecht, zu einfaͤltig, oder ſonſt nicht anſtaͤndig ſind. Bey ſolchen Um - ſtaͤnden ſchlagen ſie die Gevatterſchafften nicht allein oͤffters aus, und ſchicken die ihnen zugeſchickten Ge - vatter-Briefe wieder zuruͤck, ſondern ſie laſſen auch wohl den Eltern noch dazu die loͤſeſten und ſchnoͤde - ſten Worte ſagen. Oeffters laſſen ſie ihre Bedien - ten, und bißweilen die geringſten unter ihnen, ihre Stelle vertreten. Stehen ſie aber ja ſelbſt, ſo er - zeigen ſie ſich gar ſehr unglimpflich gegen ihre Mit - Gevattern, und auch gegen die Eltern, ſo die Kind - tauffe ausrichten. Sie begegnen ihren Mit-Ge - vattern unfreundlich, und bedencken nicht, daß ſie ſo wohl, als wie ſie, Mit-Erben der ewigen Selig - keit und der geiſtlichen Gnaden-Guͤter, ſie ſpotten ihrer, und ziehen ſie durch. Die Eltern bekraͤncken ſie auf mancherley Art und Weiſe, da ſie dieſelben, wann ſie nicht vornehme und hoch-characteriſirte Leute ſind, auf das allergeringſchaͤtzigſte tractiren, und bald an Gevatter Stuͤcken, bald an Speiſen und Getraͤncke, bald an ſonſt etwas zu tadeln wiſſen.
§. 6. Die Geſchencke, die man insgemein denen Pathen, bey dem Eingebinde, oder zu andern Zei - ten, zu geben pflegt, ſind oͤffters im Wege, daß die -jenigen,643Von den Gevatterſchafften. jenigen, die entweder geitzig ſind, oder ſelbſt kaum ihr nothduͤrfftiges Auskommen haben, oder die vor - her wiſſen, daß es die Eltern aus eigennuͤtzigen Ab - ſichten gethan, an dieſe heilige Handlung ſehr un - gerne gehen. Es iſt daher loͤblich, daß an unter - ſchiedenen Orten die Eingebinde, und alle derglei - chen Geſchencke, durch oͤffentliche Landes-Mandata verboten worden, und waͤre zu wuͤnſchen, daß ſie allenthalben abgeſchafft wuͤrden. Doch hierbey kan ſich ein jeder helffen, daß er willig und bereit iſt, dieſe heilige Handlung uͤber ſich zu nehmen, wenn er nemlich nichts einbindet. Dieſe Freygebigkeit iſt freywillig, und kan niemand dazu gezwungen wer - den, ſie ſtehet in eines jeden Gefallen. Es haben ſchon viel chriſtliche und vernuͤnfftige Leute den An - fang gemacht, und binden entweder gar nichts ein, oder ſtatten doch ihre Geſchencke an ihre Pathen zu der Zeit und auf die Weiſe ab, die ihnen am be - quemſten und gefaͤlligſten. Chriſtliche und tugend - haffte Eltern, die aus Freundſchafft und gutem Ver - trauen einen zum Tauff-Zeugen erwehlen, werden im geringſten auf kein Pathen-Geſchenck ſehen; ſind aber andere, die einen um ihres Eigennutzes willen dazu erwehlet, ſo iſt man eben nicht verbun - den, den laſterhafften Begierden anderer Leute nach ihrem Gefallen ein Genuͤgen zu leiſten.
§. 7. Unter das unanſtaͤndige Weſen, ſo manche Gevattern hier und da von ſich blicken laſſen, gehoͤ - ret mit, wenn ſie ſich bey dieſer hochheiligen Hand - lung, theils in Kleidung, theils in Geberden ſo frechS s 2und644II. Theil. XVII. Capitul. und wild auffuͤhren, als ſie bey einer bloſſen buͤrger - lichen Handlung nimmermehr thun koͤnten. Sie ſehen bloß auf das aͤuſſerliche Element, auf das Waſſer, und nicht auf die Gegenwart der hochhei - ligen Dreyfaltigkeit. Einige Dames entbloͤſſen ſich, ſo wohl bey dem heiligen Tauffſtein, als auch bey dem heiligen Altar, auf eine ſo ſchaͤndliche Weiſe, daß wohl eher exemplariſche und behertzte Prieſter, die keine Menſchen-Furcht gehabt, zu ihrer Beſchaͤ - mung ihnen das Schnupfftuch auf dem bloſſen Halß gelegt, und ihnen dabey gelehret, was man vor Ehrerbietung dabey haben ſoll. Andere ſcher - tzen und lachen wohl gar dabey, wenn die Tauff - Handlung etwan in einem Zimmer vorgenommen wird.
§. 8. Ein rechtſchaffener Chriſt nimmt, ſo wohl der Vorſchrifft des goͤttlichen Wortes, als auch den Regeln der Klugheit nach, folgendes dabey in Ob - acht: Bekommt er einen Gevatter-Brief, er ſey von hohen oder niedern, von reichen oder armen El - tern, ſo nimmt er denſelben willig an. Er ertheilt an diejenigen, ſo ihn uͤberbringen, eine Diſcretion, ſo viel als etwan gewoͤhnlich, oder ihm gelegen; er iſt dabey nicht allzu verſchwenderiſch, wie einige aus einem naͤrriſchen Ehrgeitz zu thun pflegen, auch nicht allzu knickigt / daß er ſich dem Urtheil des Poͤbels, welches er ſonſt vermeiden koͤnte, unterwerffen ſolte. Jſt bey den Curialien, bey der Titulatur u. ſ. w. etwas verſehen ſo macht er aus einem ſolchen Feh - ler kein groß Werck, der etwan aus Einfalt und Un -wiſſen -645Von den Gevatterſchafften. wiſſenheit herruͤhret; wo er aber findet, daß ſeiner wahren Ehre etwas mit Grund entzogen, ſo haͤlt er ſich an den Concipienten, und laͤſt es den Eltern nicht entgelten. Er bezeuget ſchrifftlich oder muͤnd - lich, daß die ihm angetragene Gevatterſchafft gantz lieb und angenehm ſey.
§. 9. Vor der Gevatterſchafft erkundigt er ſich auf das genaueſte aller Umſtaͤnde und aͤuſſerlichen Ceremonien dieſer hochheiligen Handlung, die nach dem Unterſcheid der Oerter unterſchieden zu ſeyn pflegen, damit er alles gehoͤrig beobachte, und wegen eines kleinen Verſehens nicht beſchaͤmet werde, oder denen Laͤſterern in das Maul gerathe. Er enthaͤlt ſich aller Aberglauben, die andere bey dieſer Handlung vornehmen. An ſtatt deſſen er - weget er die Heiligkeit dieſer Handlung, er bereitet ſich mit Gebet und Andacht dazu er tritt mit Ehrer - bietung dahin, als vor das Angeſicht der hochheili - gen Dreyfaltigkeit, die mit dieſem Waſſer vereini - get, er bedienet ſich wohlanſtaͤndiger, jedoch zuͤch - tiger und ſittſamer Kleidung, er erinnert ſich dabey ſeines eigenen Tauff-Bundes. Bey dem Einge - binde und Pathen-Geſchenck, dafern er ſich nicht beſtaͤndig vorgeſetzt, daß er, ohne Unterſchied des Standes und anderer Umſtaͤnde, niemahls etwas einbinden will, uͤberleget er, ob und wie viel er, den Regeln der Klugheit nach, ſeinem Pathen, oder viel - mehr den Eltern des Kindes, verehren ſoll. Er ſtehet ſelbſt in Perſon, und verrichtet dieſes heilige Werck willig und gerne, und wenn ihm auch derS s 3aͤrmſte646II. Theil. XVII. Capitul. aͤrmſte Bauer bitten ſolte; er iſt zufrieden mit ſei - nen Mit-Gevattern, wenn es nur ehrliche und un - beſcholtene Leute ſind, die in dem buͤrgerlichen Um - gange bey andern ehrlichen Leuten geduldet wer - den.
§. 10. Er iſt gegen die Eltern und gegen die Mit - Gevattern liebreich, hoͤflich und freundlich, ſo viel als die Chriſten-Pflicht erfordert, ſiehet aber doch auch zugleich auf ſeinen Stand und uͤbrigen Um - ſtaͤnde, und fuͤhret ſich hierbey vernuͤnfftig auf; er macht nicht ſolche groſſe Complimens gegen dieje - nigen, die dergleichen nicht gewohnt, oder nach ih - ren Umſtaͤnden vermuthend ſeyn koͤnnen, daß es nicht ſcheinet, als ob er ſie aufziehen, und ihrer ſpot - ten wolte, begegnet ihnen aber auch nicht unhoͤflich. Hat er das heilige Werck verrichtet, und nach ge - woͤhnlichem Gebrauch bey den Eltern ſeinen Beſuch abgeſtattet, ſo verfuͤgt er ſich nach Hauſe, um ihnen nicht, durch Vorſetzung einiger Speiſen und Ge - traͤncke, Beſchwerlichkeit zu verurſachen. Dafern ſie, oder ſeine Mit-Gevattern aber ihn inſtaͤndig er - ſuchen, zu bleiben, und ſonſt gar mißvergnuͤgt daruͤ - ber ſeyn wuͤrden, ſo laͤſt er ſichs auch gefallen; er iſt mit der Koſt, die ſie ihm vorſetzen, ſie mag ſchlecht oder herrlich ſeyn, gantz wohl zufrieden, iſſet und trincket maͤßig, erzeiget ſich mit ſeinen Mit-Gevat - tern, unter ſteter Beobachtung der Regeln der Klug - heit / gantz vergnuͤgt, und gehet bey Zeiten wieder nach Hauſe.
§. 11. Uber dieſes hilfft er vor die Auferziehungſeines647Von den Gevatterſchafften. ſeines Pathgens Sorge tragen, ſo viel als moͤglich, er ſtehet den Eltern mit Rath und That bey, inſon - derheit duͤrfftigen Eltern, und hilfft, nach allen Kraͤfften mit, die zeitliche und ewige Gluͤckſeligkeit ſeines Pathgens beſorgen. Sind die Eltern ver - ſtorben, ſo achtet er ſich verbunden, noch ein weit mehrers zu thun, und bemuͤhet ſich, deren Stelle zu vertreten, ſo viel ihm, nach dem Maaß ſeines Ver - moͤgens, um dieſes Kindes Wohlfahrt zu befoͤrdern, von GOtt gegeben iſt.
§. 1.
DEr Grund unſerer Selbſt-Liebe ſoll uns, in ſoferne wir Menſchen ſind, aufmun - tern, dasjenige zu unterſuchen, was wir nach der Scheidung der Seele von dem Leibe ſeyn werden, und, ſoferne wir Chriſten ſind, ſoll uns unſer Gewiſſen lehren, daß unſer Thun und Laſſen uͤber unſer ewig waͤhrend Gluͤck oder Ungluͤck den Ausſpruch thun wird. Wann wir auf dieſe Wahrheit genaue Achtung geben, ſo werden wir befinden, daß es eine greuliche Thorheit wenn wir uns wider dieſen Anblick nicht waffnen ſollen, zu - mahl, wenn wir bedencken, daß uns auch ſo gar die naͤchſt-bevorſtehende Nacht dieſen merckwuͤrdigenS s 4Augen -648II. Theil. XVIII. Capitul. Augenblick herbey bringen kan; und alſo iſt die Wachſamkeit niemahls zu groß, welche wir hierbey anwenden. S. Faramonds Diſcourſe uͤber die Sitten der gegenwaͤrtigen Zeit. p. 187.
§. 2. Es iſt nicht allein eine Regel, die dem Chri - ſtenthum und der Tugend-Lehre gemaͤß, daß wir bey unſerm geſunden Zuſtand dasjenige verrichten ſollen, was wir zu der Zeit, da wir auf dem Kran - cken-Bette liegen, wuͤnſchen gethan zu haben; ſon - dern es erfordert auch die Ceremoniel-Wiſſen - ſchafft, daß wir manches von allerhand aͤuſſerlichen Weſen, welches wir bey unſerm Sterben wuͤnſch - ten beobachtet zu haben, noch vor dem Tode be - ſorgen.
§. 3. Doch die meiſten unterlaſſen entweder die - ſe Zubereitung gantz und gar, oder ſchieben ſie doch, aus Hoffnung eines langen Lebens, biß auf denje - nigen Termin hinaus, da es manchmahl nicht mehr Zeit iſt, daran zu gedencken, und dieſes alles aus ei - ner unmaͤßigen Furcht vor dem Tode; ſie ſcheuen ſich vor ihm, wie vor einem Geſpenſte, davon man nichts weder hoͤren noch ſehen will; ſie erſchrecken uͤber dem bloſſen Anblick eines Sarges; ſie werden blaß, wenn ſie hoͤren ein Sterbe-Lied ſingen, und gehen der Kirche weit aus dem Wege, wenn eine Leichen-Predigt darinnen gehalten wird. Wie unweiſe laͤſt es doch auch nach der bloſſen Ver - nunfft, wenn diejenigen Leute, die doch in den uͤbri - gen Stuͤcken vor Welt-Kluge und Welt-Weiſe wollen angeſehen ſeyn, ſich hierinnen ſo gar kindiſchauf -649Vom Sterben. auffuͤhren. Der Autor der Klugheit der wahren, und Narrheit der falſchen Chriſten ſagt p. 191. ſehr wohl: Der Tod, welcher nichts anders iſt, als eine Beraubung des zeitlichen Lebens, und eine Abſchei - dung der Seele von dem Leibe, iſt nicht allein unter den Heyden, ſondern auch unter viel Chriſten zu ei - nem weſentlichen Geiſt oder Geſpenſt worden, wel - ches den Menſchen zu einer gewiſſen Zeit uͤberfaͤllt, und ihm mit ſeiner Senſe, oder mit ſeinem Pfeile das Leben raubet. Da muß ſich dasjenige, was in der That kein Weſen, ſondern nur eine Berau - bung des Weſens iſt, von dieſen wirbelſuͤchtigen Koͤpffen einmahl uͤber das andere zu einem Hen - cker-maͤßigen Moͤrder machen laſſen, und ſie be - ſchreiben ſeine Geſtalt dermaſſen abſcheulich, daß demjenigen, welcher ſich mit leeren Worten ſchre - cken laͤſt, die Haare gen Berge ſtehen muͤſſen, der - geſtalt, daß ſich ſonder Zweiffel viel uͤbel-unterrich - tete Leute mehr vor dem ihnen in der Geſtalt eines Toden-Gerippes vorgebildeten Tode fuͤrchten, als vor GOtt ſelbſt, welchen ſie mit ihren Suͤnden er - zuͤrnet und beleidiget haben. Viel beſſer waͤre es, wenn man dem Menſchen einen Abſcheu vor der Suͤnde machte, als vor dem Tode, welcher denen Glaͤubigen nichts anders iſt, als ein lieblicher Spa - tzier-Gang, wodurch ſie zu dem himmliſchen Para - dieß gelangen.
§. 4. Es iſt wider den Wohlſtand, wenn man ſich ungedultig oder ungeberdig anſtellet, da die Medici anfangen den Troſt wegen des Wieder -S s 5auf -650II. Theil. XVIII. Capitul. aufkommens abzuſprechen, und uns an der Beſtel - lung unſers Hauſes zu erinnern. Geſetzt, daß der Tod nach den Augen der Vernunfft vor ein Ubel oder vor etwas unangenehmes und widriges anzu - ſehen, ſo erfordern doch die Regeln der Klugheit, daß man bey einem unvermeidlichen Ubel keine wi - derwaͤrtigen Geberden mache. Wird es nicht ei - nem von der vernuͤnfftigen Welt verdacht, wenn er bey der Erblickung ſeines Feindes ſich entweder furchtſam oder ſonſt ungeberdig anſtellen wolte, wie es einige tolle und vor Zorn raſende Weiber zu machen pflegen; oder, ſolte nicht derjenige wider den Wohlſtand handeln, welcher bey einer unver - meidlichen und ihm nach ſeiner Pflicht bevorſtehen - den Gefahr den Muth ſincken laͤſt? Alſo iſt es auch einem Menſchen, nach den Regeln der Vernunfft, zu veruͤbeln, der ſich, bey Erblickung ſeines letzten Feindes, in Worten und Geberden ungedultig oder furchtſam erweiſt, und nicht vielmehr derjenigen unvermeidlichen Gefahr, die ihm den Garaus dro - het, mit gelaſſenem Geiſte entgegen tritt. So we - nig es einem Hofmann anſtaͤndig, in ungedultige Geberden und Worte auszubrechen, wenn ihm ſein Herr den Abſchied ankuͤndiget, und ihn ſeiner Dienſte erlaͤſt; ſo iſt es noch vielweniger einem Menſchen anſtaͤndig, ſich ungedultig aufzufuͤhren, wenn ihm der HErr aller Herren, und der Koͤnig aller Koͤnige den Abſchied giebt. Es iſt thoͤricht, ſagt de la Serre in ſeiner Anweiſung zur Gemuͤths - Ruhe pag. 59, wider den Tod ungedultig zu ſeyn. Was651Vom Sterben. Was hilfft es, ſeine Ungedult in einem Schiffe ſe - hen zu laſſen, wo der Wind die Seegel ausſpannt, oder ſich auch wider den Steuermann zu empoͤren, welcher doch mit dem Steuer-Ruder zugleich un - ſer Leben in ſeinen Haͤnden hat. Man muß ſich vielmehr unter die Vernunfft, als Nothwendigkeit, gefangen geben, wofern unſer Gehorſam erſprieß - lich ſeyn ſoll. Ein Kluger kommt dem unvermeid - lichen Zwange des Verhaͤngniſſes durch zeitliche Unterweiſung zuvor.
§. 5. Nicht weniger iſt es einigen ſonſt Welt - klugen und gar wohl unterrichteten Leuten gar ſehr unanſtaͤndig, wenn ſie vor den Leichen einige Furcht bezeigen, und ſich entweder den Zimmern und Ge - maͤchern, wo eine Leiche verwahrlich biß zum Be - graͤbniß aufbehalten wird, zumahl zur Nacht-Zeit, nicht gerne naͤhern, oder in den Zimmern, in denen vor kurtzer Zeit eine Leiche geſtanden, oder in denen eine Perſon verſtorben, nicht alleine ſchlaffen wol - len. Doch ſie bezeugen durch dergleichen unnoͤthi - ge Furcht eine ſchlechte Erkenntniß in ihrem Chri - ſtenthum, und machen ſich bey vernuͤnfftigen Leuten laͤcherlich. Sie ſolten bedencken, daß ihnen Sa - tan ohne dem Willen des himmliſchen Vaters nicht ein Haͤrlein kruͤmmen koͤnte, und wenn es ihm er - laubet waͤre, ſo wuͤrde er nicht allein zu der Zeit ein - ſpuͤcken und poltern, oder ſonſt ein Unheil anrichten, wo eine gottloſe Leiche verſtorben, ſondern auch zu allen Zeiten. Die Seelen der Gerechten ſind ja von nun an in der Hand GOttes, und dieſe verlan -gen652II. Theil. XVIII. Capitul. gen nicht wieder zu uns; die Seelen der Verdamm - ten aber in der Hoͤlle, aus welcher keine Erloͤſung zu hoffen, duͤrffen nicht zu uns. Wolte man ſich aber bloß vor dem erblaßten Leichnam fuͤrchten, ſo handelt man ja eben ſo thoͤricht, als wenn man ſich vor einen Klotz oder Stein, und ſonſt etwas anders, fuͤrchten wolte.
§. 6. So unrecht es iſt, ſich vor dem Tode, vor den Leichen, vor dem Sterbe-Geraͤthe, und allen dieſen hieher gehoͤrigen Anſtalten, zu fuͤrchten, ſo ſuͤndlich und thoͤricht iſt es auch, wenn man auf eine verwegene Weiſe auf mancherley Art damit ſcher - tzen und ſeinen Spott treiben will, da man ſich ent - weder als ein Todter in Sarg leget, oder ſonſt da - mit plaiſantiret. Daß es ſich aber mit dem Tode nicht gut ſchertzen laſſe, iſt aus manchen betruͤbten Geſchichten, alter und neuer Zeiten klar zu erſehen, da der groſſe GOtt durch ſeine Gerichte und Ver - haͤngniſſe gar oͤffters zugelaſſen, daß aus demjeni - gen, was hierbey in Schertz vorgenommen gewe - ſen, Ernſt geworden. Es iſt unvernuͤnfftig, vor ei - ner Sache erſchrecken und ſie verabſcheuen, und doch zugleich damit ſchertzen und plaiſantiren.
§. 7. Ein gewiſſer Frantzoſe hat in einem aͤrger - lichen Trataͤtgen, des grands hommes, qui ſont morts en plaiſantant, die Exempel derjenigen an - gefuͤhret, die mit Schertzen und Kurtzweil ihren Geiſt aufgegeben. Doch ich glaube, daß bey die - ſen Exempeln manche erdichtete Zuſaͤtze ſeyn wer - den. Es wird den meiſten, wenn ſie ſchon in ihremLeben653Vom Sterben. Leben die aͤrgſten Frey-Geiſter geweſen, die Luſt zu ſchertzen vergehen, wenn ſie ſich denen Pforten der Ewigkeit naͤhern. Und iſt es einigen moͤglich, auf dem Sterbe-Bette leichtſinnige Reden zu fuͤhren, ſo legen ſie ein deutliches Zeugniß ab, daß ſie ſich vorgeſetzt, ihren Unglauben biß an den letzten Punct der Zeit zu continuiren.
§. 8. Wie ſich der Aberglaube nicht allein bey dem Poͤbel, ſondern gewißlich auch bey andern Leu - ten, die etwas mehrers bedeuten wollen, in ſehr viel menſchliche Handlungen mit einmiſcht; ſo findet man auch, daß die Menſchen, bey dem Abſterben der andern, theils vor, theils bey, theils nach ihrem Tode, mancherley aberglaͤubiſch Zeug theils glau - ben, theils vornehmen. Bald ſoll es ſich bewieſen haben, und da will mancher viel Abentheuerliches geſehen und gehoͤret haben, welches doch gemeinig - lich entweder gar eine Unwahrheit, oder doch eine Frucht ſeiner furchtſamen Einbildung iſt; bald ma - chen ſie bey einem Sterbenden das Fenſter auf, da - mit die Seele deſto leichter und geſchwinder an ih - ren Ort fahren koͤnne, und nicht noͤthig habe, ſich ſo lange in dem Gemach aufzuhalten, biß etwan zu ei - ner andern Zeit die Thuͤre oder ein Fenſter aufge - macht werde; bald beurtheilen ſie aus der friſchen und rothen Farbe des Angeſichts einer Leiche, daß ihrer noch mehr aus der Familie wegſterben wer - den. Und wer wolte alles aberglaͤubiſche Weſen, das in eigenen Schrifften abgehandelt, alle er - zehlen.
§. 9.654II. Theil. XVIII. Capitul.§. 9. Einige præpariren ſich auf ihren Tod, ſie greiffen es aber auf die unrechte Weiſe an. Jhre gantze Anſtalten beſtehen in nichts, als daß ſie ſich ihren Sarg und ihr ander Sterbe-Geraͤthe verfer - tigen laſſen, und ſolches bißweilen anſehen. Doch dieſe Zubereitung iſt die allerſchlechteſte den Regeln des Chriſtenthums und der geſunden Vernunfft nach. Die Gewißheit des Todes, die Ungewiß - heit der Todes-Stunde, und die Vorſtellung der erſchrecklichen oder der erfreulichen Ewigkeit, muß bey einem glaͤubigen Chriſten eine beſſere Zuberei - tung wuͤrcken. Die Gewohnheit, und das oͤfftere Anſchauen des Sarges und andern Sterbe-Ge - raͤthes, macht die Menſchen endlich unempfindlich. Jch habe Maͤnner und Weiber gekandt, die ihren Sarg lange genug angeſehen, und dennoch als gottloſe Leute und Heuchler dabey gelebt. So muß man auch, der Vernunfft nach, beſſere Anſtal - ten auf ſeinen Tod treffen, wie ich in dem folgenden anfuͤhren werde. Jſt die uͤbrige Zubereitung ge - ſchehen, ſo werden die Hinterlaſſenen zu Verferti - gung eines Sarges und Sterbe-Kuͤttels bald An - ſtalten zu treffen wiſſen.
§. 10. Die Ordnung und Richtigkeit, die man, ſo viel als moͤglich, in ſeinem Leben bey allen ſeinen Sachen beobachtet, wuͤrcket bey einem Sterben - den auf ſeinem Todbette, nebſt andern mit, eine be - ſondere Zufriedenheit, und bey den Hinterlaſſenen eine gute Bequemlichkeit. Man muß alle ſeine be - wegliche Guͤter, ſie moͤgen Nahmen haben, wie ſiewollen,655Vom Sterben. wollen, von dem groͤſten biß zum kleinſten, aufzeich - nen, und alsdenn doppelte und accurate Inventaria und Specificationes daruͤber verfertigen, nebſt An - notirung der Preiſſe, was ſie neu gekoſtet, und was ſie im gegenwaͤrtigen wohl werth ſind, damit ſich die Hinterlaſſenen darnach richten moͤgen. Was man andern, oder andere uns, an Capitalien und Zinßen ſchuldig worden, muß man ebenfalls, nebſt Vermeldung der Perſonen, der Zeit, u. ſ. w. auf - ſchreiben, und alle die Original-Belege, an Obli - gationen, Wechſel-Briefen, Qvittungen u. ſ. w. in guter Ordnung zuſammen hefften, oder ſonſt da - bey liegen haben. Dieſe Nachrichten kommen de - nen Erben trefflich zu ſtatten, und wird manches hie - durch in Richtigkeit geſetzt, welches ſonſt in Unrich - tigkeit waͤre ſtecken blieben.
§. 11. Man huͤte ſich, ſo viel als moͤglich, vor Unrichtigkeit, und vor allzu weitlaͤufftigen Projecten. Man nehme nicht mehr vor, als einem, ſeinen Lei - bes - und Gemuͤths-Kraͤfften, ſeinen Einkuͤnfften, und derjenigen Zeit nach, die einem von GOtt, der Vermuthung nach, gegoͤnnet ſeyn moͤchte, moͤglich iſt auszufuͤhren. Jnſonderheit fuͤrchte man ſich vor Schulden, und borge nicht mehr auf, als man bezahlen kan, damit man nicht andere Leute betruͤge, ſich nach ſeinem Tod beſchimpffe, oder die Seini - gen nach ſeinem Tode, denen man ſonſt ein Stuͤck Brodt laſſen koͤnte, ungluͤcklich, und wohl gar zu Bettlern mache. Haſt du dir aber einmahl, ent - weder durch dein unordentliches Haußhalten, oderdurch656II. Theil. XVIII. Capitul. durch mancherley Ungluͤcks-Faͤlle, eine groſſe Schul - den-Laſt uͤber den Halß gezogen, aus der du dich nicht heraus wickeln kanſt, und du ſieheſt, daß dieje - nigen Jahre heran kommen, von welchen es heiſt, ſie gefallen mir nicht, oder daß ſich dein Sterbe - Stuͤndlein annaͤhert, ſo bemuͤhe dich, nach den Re - geln der Vernunfft, die kurtze Zeit uͤber, die noch dein eigen iſt, vornehmlich aber durch Buſſe und Glauben, die Scharte auszuwetzen, und das unrich - tige Weſen zu verbeſſern, ſo gut du kanſt. Haſt du dieſes gethan, ſo wirff deine Sorge, wegen deiner uͤbrigen Unrichtigkeit, die du den Deinigen zuruͤck laͤſſeſt, auf denjenigen HErrn, der unendliche Mit - tel und Wege hat, deine von dir begangenen Fehler zu verbeſſern, die Deinigen aus der Unrichtigkeit heraus zu reiſſen, und ſie derjenigen Gluͤckſeligkeit, die ihnen noͤthig, theilhafftig zu machen. Bewah - re alsdenn den Frieden in deinem Hertzen, und er - warte mit ſtiller Gelaſſenheit diejenige Minute, die dich aus der Zeit in die Ewigkeit verſetzt.
§. 12. Es iſt eine groſſe Thorheit, daß manche Leute die Verordnung, wegen ihrer kuͤnfftigen Ver - laſſenſchafft, ſo lange aufſchieben, biß ihnen der Tod, ſo zu ſagen, auf der Zunge ſitzt, oder es ihnen an noͤ - thigen Leibes - und Gemuͤths-Kraͤfften fehlet, ihren Willen vollkoͤmmlich zu verſtehen zu geben, daruͤ - ber denn hernach unter denen Erben hunderterley Diſputen entſtehen. Viel Leute dencken, ſo bald ſie ihr Teſtament ſolten niederſchreiben oder gericht - lich beylegen laſſen, ſo bald muͤſten ſie ſterben. EinVer -657Vom Sterben. Vernuͤnfftiger beſtellet auch in dieſem Stuͤck ſein Hauß zu der Zeit, da ſeine Leibes - und Gemuͤths - Kraͤffte noch in gutem Stande. Er bemuͤhet ſich, allen Zwiſtigkeiten, die ſich in dem kuͤnfftigen unter denen Erben ereignen koͤnten, ſo viel als nur immer moͤglich, vorzubeugen; er conſuliret deswegen be - ruͤhmte und wohlerfahrne Practicos, laͤſt es, mit al - len Cautelen und Clauſulen, nach denen Landes - Geſetzen, Statuten und Obſervanzen eines jeden Ortes, auf das vollkommenſte einrichten, und ver - ordnet auch wohl bey gewiſſen Umſtaͤnden, da er es vor noͤthig befindet, einen zum Teſtaments-Exe - cutorn.
§. 13. Er ſammlet ſich bey Zeiten dasjenige Geld, ſo zu ſeiner ehrlichen und Standes-maͤßigen Beer - digung vonnoͤthen ſeyn moͤchte, damit er nicht bey ſeinem Tode beſchimpffet werde, oder die armen Hinterlaſſenen bey ſpahrſamen Vermoͤgen nicht in groſſe Unruhe und Sorgen geſetzt werden, wo ſie die noͤthigen Begraͤbniß - und Trauer-Koſten her - nehmen ſollen, da ſie die Duͤrfftigkeit bißweilen noͤ - thiget, um des Begraͤbniſſes willen, alles zu verſe - tzen und zu verſtoſſen, oder andere gute Leute anzu - ſprechen. Es ſind mir ſelbſt einige betruͤbte Exem - pel bekandt, daß einige rechtſchaffene Maͤnner, die in der Welt in gutem Anſehen ſtanden, feine Eh - ren-Aemter begleiteten, mit der Welt lebten, und auch ziemliche Figur machten, dennoch aber bey ih - rem unvermutheten Abſterben nicht ſo viel zuruͤck ge - laſſen, daß ſie, ihren Ehren-Aemtern gemaͤß, mit denT tgewoͤhn -658II. Theil. XVIII. Capitul. gewoͤhnlichen Solennitaͤten haͤtten koͤnnen unter die Erde gebracht werden.
§. 14. Er beſorget, nebſt andern Nachrichten, die bey ſeinem Tode oder nach ſeinem Abſterben dienlich ſeyn moͤchten, auch ſeinen Lebens-Lauff, und zeichnet die Haupt-Veraͤnderungen ſeines Lebens, und die ſonderbahren Wege, die ihn goͤttliche Pro - videnz geleitet, jedoch ohne alle Prahlerey, auf, und ſetzet die Geſchichte ſeines Lebens von Zeit zu Zeit ſo lange fort, als es ihm, nach der Beſchaffen - heit ſeiner Leibes - oder Gemuͤths-Kraͤffte, moͤglich iſt. Er traͤgt Sorge, daß ſein Begraͤbniß mit den Umſtaͤnden ſeines Lebens, darein ihn GOtt geſetzt, harmoniren moͤge, und hat bey dieſer Verordnung die Chriſten-Pflichten die Landes Geſetze, die gu - ten und unſchuldigen Gebraͤuche, inſonderheit aber diejenige Summe, ſo er dazu gewidmet, zur Abſicht. Er verbeut alles unnoͤthige Gepraͤnge, alle uͤberfluͤſ - ſige Unkoſten bey Bekleidung der Leiche, bey koſtba - rer Ausſchlagung des Sarges; er iſt zufrieden, wenn ſein Coͤrper in reine Leinwand eingeſchlagen wird, nach dem alten bekandten Worte: Ein Tuch ins Grab, damit ſchab ab. Er ahmet hierinnen den erſten Chriſten nach, die ſahen bey ihren Leich - Beſtattuͤngen mehr auf die Seele, als auf den Leib, ſie waren in allem ſparſam, demuͤthig und beſchei - den, biß die Leich-Begaͤngniſſe nach und nach im - mer koſtbarer wurden. S. Arnold vom Leben der erſten Chriſten VI. Buch VI. Capitul.
§. 15. Auf ſeinem Sterbe-Bette macht er ſichvon659Vom Sterben. von allem Tand der irrdichen Eitelkeiten voͤllig loß, und achtet alle Schaͤtze dieſer Welt, alle ſein Geld und ſeine Koſtbarkeiten, die ihm GOtt eine Zeitlang uͤbergeben, vor Koth und Spreu. Spuͤhret er, daß ſich ſein Ende mehr und mehr naͤhert, ſo uͤber - giebt er die Schluͤſſel zu allen ſeinen Sachen und zu ſeiner gantzen Baarſchafft, entweder ſeinem naͤch - ſten Erben den er um ſich hat, oder ſeinem naͤchſten Anverwandten, der genugſame Jahre und Redlich - keit beſitzt, vor etwas zu ſorgen, oder einem von ſei - nen Bedienten, oder ſonſt einer chriſtlichen und tugendhafften Perſon, geiſtlichen oder weltlichen Standes, zu der er hierunter das beſte Vertrauen hat, biß er einen von ſeinen Anverwandten erlangen kan. Damit er auch noch hierinnen thue, was ihm moͤglich iſt, ſo giebt er ſeinem Beicht Vater, oder einem andern redlichen Mann Nachricht was und wie viel er etwan von ſeinem baaren Gelde, oder ſonſt von den beſten Sachen, um ſich herum habe, damit ſeine Erben nicht etwan zu kurtz kommen, und uͤberlaͤſt alsdenn die Vorſorge vor ſeine zuruͤck ge - laſſene Guͤter ſie moͤgen viel oder wenig ſeyn GOtt, und denjenigen, denen es derſelbe nach ſeinem Tode zugedacht. Es iſt gewiß eine ſchaͤndliche Sache, wenn einige Geitz Haͤlſe, wie man hin und wieder Exempel hat, auf ihrem Krancken - und Sterbe - Bette von nichts anders als von ihrem Mammon reden, ſich die Chatullen und die Kaͤſten mit dem Gelde vor das Sterbe-Bette ſetzen laſſen, die Du - caten und harten Thaler oͤffters zehlen und anſehen,T t 2und,660II. Theil. XVIII. Capitul. und, biß ihnen die Seele ausgehet, von irrdiſchen Guͤtern reden. Wenn man eine ſolche Auffuͤh - rung auch nur bloß nach der geſunden Vernunfft betrachtet, ſo muß man ſie verabſcheuen, geſchweige denn, wenn man ſie gegen die Chriſten-Pflichten haͤlt. So iſt es auch nicht weniger hoͤchſt aͤrger - lich, wider den Wohlſtand und alle menſchliche Vernunfft, wenn manche feindſelige und im Zorn entflammte Gemuͤther ihre Unverſoͤhnlichkeit biß auf das Sterbe-Bette, ja biß an die Pforten der Ewigkeit erſtrecken, und von ihren Feinden nichts ſehen noch hoͤren wollen, die ihm angethane Belei - digung nicht erkennen, ihm auch ſolche nicht abbitten wollen. O wie unartig iſt es doch, wenn derjenige ſeinem Naͤchſten noch ſchaden will, der doch gantz ohnmaͤchtig da liegt! wenn derjenige auf eine un - ruhige Weiſe wuͤtet und tobet, deſſen Coͤrper doch bald zur Ruhe gebracht werden ſoll. Wie viel er - bare und vernuͤnfftige Heyden beſchaͤmen doch, in dieſen und andern Stuͤcken mehr, unſere Heuchel - Schein - und Maul-Chriſten.
§. 16. Ein vernuͤnfftiger Mann befleißiget ſich, wie allenthalben, alſo auch inſonderheit auf ſeinem Krancken - und Sterbe-Bette, der Reinlichkeit. So lange als er noch bey geſunden Gemuͤths - Kraͤfften, wird er ſeine Anverwandten und ſeine Be - dienten erſuchen, und ihnen anbefehlen, daß ſie Sorge tragen, damit ſein Bette und ſein Habit je - derzeit weiß, reinlich und ordentlich gehalten werde, oder, ſo manche Kranckheit bißweilen dergleichennicht661Vom Sterben. nicht vertragen kan, jedoch mit neugewaſchenen Tuͤ - chern und ſaubern Matrazzen uͤberdecket werden. Er wird ſein Geſichte balbjeren, die Haͤnde ſauber abwaſchen, die Zimmer mit gutem Raͤuchwerck ausraͤuchern, und alles Geraͤthe, oder alle Gefaͤſſe, die denenjenigen, ſo bey ihm einen Beſuch abſtat - ten, einen Eckel erregen, wegſetzen, und ſich fleißig zudecken laſſen, damit auf keinerley Weiſe etwas unanſtaͤndiges von ihm geſehen werde. Weil er auch wohl weiß, daß viel Menſchen vor den Kran - cken und Sterbenden ein Grauen haben, ſo wird er nicht leicht jemand von Fremden, wenn er nicht weiß, daß es ſeine naͤchſten Anverwandten, oder ſonſt ſeine liebſten und getreueſten Freunde ſind, die Hand reichen, zumahl bey anſteckenden Kranckhei - ten, ſondern ihnen ſonſt mit Worten und Geberden ſeine Liebe, Freundſchafft und Hoͤflichkeit zu erwei - ſen ſuchen.
§. 17. Es wuͤrde ſich in der That mancher auf ſeinem Krancken - und Sterbe-Bette beſſer auf ſei - nen Tod zubereiten, wenn ihm nicht ſeine Anver - wandten, oder Bedienten, oder auch die ſo genand - ten guten Freunde, offtmahls an einer bußfertigen und glaͤubigen Zubereitung mehr hinderlich als be - foͤrderlich waͤren. Jhrer viele, wenn ſie zumahl mercken, daß er nicht gerne ſterben will, machen ihm den Zuſtand der Kranckheit viel leichter, und ſtellen ſie ihm nicht ſo gefaͤhrlich vor, ſie ſind wohl un - willig, wenn der Medicus nicht gut troͤſten will, oder wenn der Beicht-Vater ihm von dem Tode vielT t 3vorpre -662I. Theil. XIX. Capitul. vorprediget, ſie meynen, es waͤre Zeit genug, wenn ihm der Tod auf der Zunge ſaͤſſe; ſie verbieten al - len Leuten daß ſie ihm von einigen ominöſen Vor - bothen ſeines Todes nichts ſagen ſollen, welches doch bey einigen ruchloſen Gemuͤthern wohl noͤthig waͤre. Sie ſchwatzen ihm, inſonderheit wenn es eine Perſon hoͤhern Standes, biß an die Pforten der Ewigkeit, von lauter ſolchen Sachen vor, die ſei - nem Temperament und ſeinem Fleiſch und Blut angenehm ſind, und werden ſehr verdruͤßlich, wenn andere von gottſeligen Dingen, oder vom Tode und der Ewigkeit anfangen wollen zu reden.
§. 1.
EJn ehrliches und Standes-maͤßiges Be - graͤbniß, und die perſoͤnliche Gegenwart dabey, iſt die letzte Liebes-Pflicht, ſo die Hinterlaſſenen dem Verſtorbenen leiſten koͤnnen. Von Rechts wegen ſolte es nicht allein mit allen Umſtaͤnden harmoniren, darinnen ſich der Verſtorbene befunden, und in denen die Hinterlaſ - ſenen ſich befinden, ſondern vornemlich nach den Regeln der goͤttlichen und weltlichen Geſetze einge - richtet ſeyn, und Verſtand und Tugend dabey her - vor leuchten, jedoch die laſterhafften Neigungen desVer -663Von Begraͤbniſſen. Verſtorbenen, der ſein Begraͤbniß ſeinen Erben ſelbſt vorgeſchrieben und reguliret, oder der-Hinter - laſſenen und mancherley Umſtaͤnde, die in der Hin - terlaſſenen Gewalt nicht ſtehen, ſind oͤffters im We - ge, daß Wohlſtand, Klugheit, Tugend und Ord - nung nicht dabey ſo in Acht genommen wird, als ſie wohl in Acht genommen werden ſolte.
§. 2. Jn einigen groſſen Staͤdten iſt es mehren - theils zur Gewohnheit worden, daß die Leichen der juͤngern Perſonen, oder der Hoͤhern, oder die ſonſt zierlich geputzt und ausgeſchmuͤckt, einige laͤngere oder kuͤrtzere Zeit, zur oͤffentlichen Schau jederman dargeſtellet werden. Ob es nun wohl anſcheinen moͤchte, als ob dieſer Gebrauch entweder dem loͤbli - chen oder doch unſchuldigen beyzuzehlen waͤre, in - dem manche von denen Zuſchauern, die ſonſt an ih - ren Tod gar ſelten gedencken wuͤrden, hiedurch Ge - legenheit bekaͤmen, ſich ihrer eigenen Sterblichkeit zu erinnern; ſo halte ich doch davor, daß er mehr zu verwerffen, als zu loben ſey, ſintemal er mehrentheils aus der Eitelkeit und Hochmuth der Hinterlaſſenen herruͤhꝛet; ſie wollen mit den Leichen Parade machen, und erweiſen, was ſie ſichs haben koſten laſſen, um von andern deswegen gelobet zu werden; es wird viel Geld, das zu GOttes Ehren und des Naͤchſten Nutzen weit nuͤtzlicher angeleget werden koͤnte, hie - mit verſchwendet. Und wenn die ehmahlige Juͤn - ger des Heylandes bey manchem ſolchem Leich-Ge - praͤnge zugegen ſeyn koͤnten, ſo wuͤrden ſie gewiß fragen: Wozu dienet dieſer Unrath? Das muͤßigeT t 4Ge -664II. Theil. XIX. Capitul. Geſindel laͤufft an ſolche Oerter, nicht aus dem Vorſatz, ſich ihrer Sterblichkeit dabey zu erinnern, als wozu ſie alle Tage auf andere Art genug Gele - genheit haͤtten, ſondern aus bloſſer Neugierigkeit. Es werden viel unnuͤtze Worte dabey geſprochen, und viel Zeit, die ſonſt beſſer angelegt koͤnte werden, dabey verſaͤumet.
§. 3. Einige eilen mit der Leiche allzu geſchwinde aus dem Hauſe, ſie koͤnnen es kaum erwarten, biß ſie dieſelbe fortgeſchafft, und biß diejenige Zeit da, ſo in denen Landes-Geſetzen, um guter Ordnung willen, und zu Verhuͤtung vieler Inconvenientien, die ſonſt daraus entſtehen koͤnten, beſtimmet iſt. Sie ziehen ſich aber durch ihre allzu groſſe Eilfer - tigkeit nicht allein bißweilen bey den Hoͤhern und bey den Richtern, die ſich darum bekuͤmmern, Ver - antwortung uͤber den Hals, ſondern handeln auch wider die Liebe die ſie ihren Verſtorbenen ſchuldig ſind, und ſetzen ſich wohl gar bey andern, wenn ſie eine austraͤgliche Erbſchafft zu hoffen haben, und durch einige Umſtaͤnde zu ſolcher Vermuthung An - laß gegeben, in den Verdacht, als ob ſie ihren Tod moͤchten befoͤrdert haben.
§. 4. Andere aber haben eine unmaͤßige Hoch - achtung vor ihre Verſtorbene, ſie behalten dieſel - ben ſo lange, als es entweder wegen der Faͤulniß moͤglich, oder, da ſie dieſelben einbalſamiren laſſen, es gegen die Hoͤhern und die Landes-Geſetze zu ver - antworten. Wenn ſie dieſelben in Sarg legen laſſen, ſo muß er ihnen oͤffters wieder geoͤffnet wer -den,665Von Begraͤbniſſen. den, damit durch das oͤfftere Anblicken des Verſtor - benen ihre Wehmuth je mehr und mehr geſtaͤrcket werde.
§. 5. Die unnoͤthige Verſchwendung und der uͤberfluͤßige Staat, der bey den Begraͤbniſſen vieler vornehmen, oder doch wohlhabenden Leute ange - wendet wird, iſt mehr als zu bekandt. Manche Adeliche werden faſt Fuͤrſtlich begraben, und einige von buͤrgerlichem Stande mehr als Adelich beyge - ſetzt. Die Leichen-Proceſſionen muͤſſen auf das zahlreichſte ſeyn, und bißweilen muß mehr als die halbe Stadt mitgehen, ob gleich vielmahls hun - derterley Diſpute wegen der Rang-Streite vor - fallen, und derer die Hinterlaſſenen, wenn ſie einen oder andern nicht mit dazu invitirt, haͤtten koͤnnen uͤberhoben ſeyn. Man theilet einer groſſen Menge alten Weiber, die die Proceſſion beſchluͤſſen muͤſ - ſen, unnoͤthiger weiſe viel Geld aus. Koſtbahre Creutze und Kronen, mit denen auf mancherley Weiſe bey den Leichen geprahlet wird, ſind ein ver - gebener Aufwand. Bey vielen Trauer-Mahlzei - ten werden nicht etwan 12, oder 24, oder 30, ſon - dern wohl 50, 60 biß 80 Speiſen aufgeſetzt. Ob - ſchon ſolche uͤberfluͤßige Koſten und allzu praͤchtige Anſtalten in denen Landes-Geſetzen auf das ſchaͤrff - ſte verbothen, ſo handeln ſie doch gar oͤffters dawi - der. Der Autor des 65ſten Theils der Europaͤi - ſchen Fama faͤllet von dergleichen verſchwenderi - ſchem Weſen p. 380 ein gar gutes Urtheil: Gewiß iſts, ſagt er, daß die beſchwerlichen Ceremonien,T t 5und666II. Theil. XIX. Capitul. und der uͤbermaͤßige Pracht, welcher mit den Todten getrieben wird, weder zu verantworten noch zu ent - ſchuldigen. Es iſt der Tod eine harte Straffe der Erb-Suͤnde, die wir allzuſammen an uns tragen, und ein abſcheulich Ebenbild unſers entſetzlichen Falles, welcher durch den erſten Menſchen auf uns, ſeine Nachkommen, gebracht worden. Wie kommt es denn, daß wir unſere Todten nicht ohn eintzig Ge - praͤnge, mit Bezeugung der groͤſten Demuth, zur Erde bringen? und warum ſtellen wir bey ihren Begraͤbniſſen gleichſam einen Triumph an, wozu wir eben ſo wenig Anlaß zu nehmen, als wenig wir Urſache haben, deswegen einige Sieges-Zeichen zu tragen, weil wir durch unſere Schuld aus dem Pa - radieß gejagt worden?
§. 6. Wie nun das verſchwenderiſche Weſen bey den Begraͤbniſſen im geringſten nicht zu billigen, alſo handeln auch diejenigen Hinterlaſſenen nicht weniger wider den Wohlſtand, die eine reiche und anſehnliche Erbſchafft bekommen, und dennoch dem Verſtorbenen zu Liebe und Ehren faſt nichts anwen - den. wollen, ſondern ein ſo ſchlechtes und armſeliges Begraͤbniß anſtellen, das ſeinem Stand und Meri - ten nicht geziemend noch anſtaͤndig iſt.
§. 7. Die naͤchtlichen Beyſetzungen ſind an vie - len Orten mit gutem Grunde verboten; es waͤre aber zu wuͤnſchen, daß ſie allenthalben abgeſchafft moͤchten werden! denn es iſt nicht zu beſchreiben, was vor ein unordentlicher Zulauff, vor ein aͤrger - licher Tumult, vor Schwaͤrmen, Eindringen in dieGottes -667Von Begraͤbniſſen. Gottesacker-Kirchen, vor Uppigkeit, ja oͤffters vor Hurerey und Unzucht unter dem boͤſen Geſindet bey dieſer Gelegenheit vorzugehen pflegt.
§. 8. Die Leichen-Predigten haben auf gewiſſe Maße ihren guten Grund. Es iſt billig, daß man den loͤblich-gefuͤhrten Lebens-Wandel rechtſchaf - fener und wohlverdienter Perſonen, beyderley Ge - ſchlechts, deren Andencken jederzeit im Seegen blei - ben ſoll, denen andern zu einer guten Nachfolge, oͤf - fentlich vorſtelle. Es iſt auch gut, daß manche Zu - hoͤrer / die ſonſt ſehr ſelten an den Tod gedencken, bey dieſer Gelegenheit, wider ihren Willen, ihres Ster - bens erinnert werden. Zu beklagen aber iſts daß ſie heutiges Tages groͤſtentheils zu einem Staats - und Gewohnheits-Werck geworden. Jſt der Prieſter nicht ein wahrer Glaͤubiger, ſo wird aus der Leichen-Predigt eine leichte und leichtſinnige, ja wohl gar eine Luͤgen-Predigt. Da heiſt es, wie ſich der ſelig Verſtorbene den von ihm ſelbſt erwehl - ten Leichen-Text bey allen Faͤllen zu Nutz gemacht, da er doch manchmahl keinen einzigen Spruch goͤtt - licher heiliger Schrifft mehr im Kopff gehabt, und an ſeinen Leichen-Text wohl nicht eher gedacht, biß ihm der Prieſter und Beicht-Vater unterſchiedene auf ſeinem Sterbe-Bette vorgeſchlagen, und er ſich einen daraus ausgeleſen. Jſt der Verſtorbene von vornehmen Hauſe und hoher Bedienung, oder ſei - ne Hinterlaſſenen ſind bey der Stadt angeſehene Leute, oder der Prieſter weiß, daß er einen ſtattlichen Recompens vor ſeine Muͤhe werde zu gewartenhaben,668II. Theil. XIX. Capitul. haben, ſo werden ſeine Verdienſte, die doch bißwei - len mehr als zu ſchlecht ſind, trefflich herausgeſtri - chen. Es wird mancher mit dem Lobe biß in den Himmel erhoben, deſſen Seele doch, wegen ſeines Unglaubens und daraus herflieſſenden Unbußfer - tigkeit des Lebens, in die Hoͤlle geſtuͤrtzt worden. Jſt nicht viel Eitelkeit bey Ableſung des Lebens - Lauffes, bey Prahlerey der Ahnen, den vielen Lei - chen-Carminibus, die darzu gedruckt werden? u. ſ. w.
§. 9. Was vor Mißbraͤuche gehen doch nicht mit der Benennung des Wortes Seelig vor, da man die Verſtorbenen ohne Unterſchied ſeelig zu nennen pflegt. Was unter denen Herren Gottes-Gelehr - ten uͤber dieſer Sache geſtritten worden, iſt bekandt genug. Jch pflichte hiebey dem gottſeligen Autori der Klugheit der wahren, und Narrheit der falſchen Chriſten, bey, der p. 175 der Meynung iſt: Man koͤnte den Titul, Seelig, endlich noch wohl behal - ten, jedoch mit dieſer Bedingung, daß man ihn nicht zur Sicherheit mißbrauchte, ſondern denſelben alſo verſtuͤnde, daß man wuͤnſchet und hoffet, es moͤch - ten die Abgeſchiedenen, wo nicht eher, doch noch in dem letzten Seuffzer ſich bußfertig zu CHriſto ge - wendet, und ihn mit ſeinem heiligen Verdienſt er - griffen haben.
§. 10. Es iſt eine Schande, daß manche, die doch in dem Zeitlichen ſo klug und weiſe ſind, bey den geiſtlichen Dingen ſich oͤffters ſo alber und einfaͤltig auffuͤhren; ſie erweiſen es nicht allein dey ihrenſeltza -669Von Begraͤbniſſen. ſeltzamen Beicht-Formularien, die ſie ohne Ver - ſtand herplappern, und ihren Umſtaͤnden bißweilen im geringſten nicht geziemend, ſondern auch bey ih - rer Præparation auf den Tod; ſie ſuchen ſich ſolche Sterbe-Lieder aus, die bey ihrem Leich-Begaͤng - niß ſolten abgeſungen werden, die ſich doch im ge - ringſten nicht vor ihren Zuſtand ſchicken. Eine glei - che Bewandtniß hat es mit der Wahl der Leichen - Texte / mancher will mit Paulo ſagen: Jch habe einen guten Kampff gekaͤmpffet, ich habe Glauben gehalten u. ſ. w., der doch von dem Kampff eines Chriſten wenig oder nichts weiß, und ſich in ſeinem Leben als ein beharrlich-Unglaͤubiger und Unbuß - fertiger erwieſen. Ein anderer will nach ſeinem Tode den Leichen-Text: HErr, wenn ich nur dich habe, ſo frag ich nichts nach Himmel und Erden, ꝛc. erklaͤhret haben, der doch in ſeinem Leben ſein gantz Vertrauen zu ſeinem Geld-Kaſten geſetzt, und zu dem Geld-Klumpen geſagt: Du biſt mein Troſt. Vieles andere, welches ich hierbey anfuͤhren koͤnte, zu geſchweigen.
§. 11. Das Leben, welches vielmals in den Leich - Predigten nicht mit beruͤhret worden, wird in denen Parentationen oder Leich-Abdanckungen vollſtaͤn - diger ausgefuͤhret, und in denſelben zugleich denen Leich-Begleitern vor ihre Muͤhwaltung gebuͤhren - der Danck abgeſtattet. Bißweilen werden ſie von Prieſtern, mehrentheils aber bey denen vom Adel von Cavalieren gehalten. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß die Hinterlaſſenen allezeit einen geſchickten Pa -renta -670II. Theil. XIX. Capitul. rentatorem erwehlen moͤchten, der nicht mit Schanden ſtecken bliebe, oder den Zeddul aus den Schubſacke hervorſuchen muͤſte, oder, wie es offt zu geſchehen pflegt, ungereimt Zeug vorbraͤchte, und dadurch ſich und dem gantzen Begraͤbniß einen Schandfleck machte.
§. 12. Es iſt wohlgethan, und gehoͤrt zur guten Ordnung mit, daß man auf ſein Ruhe-Staͤttgen bedacht ſey, ſich ſein Grab auserſehe, wenn man die Vermuthung hat, daß man an einem gewiſſen Or - te ſein Leben beſchluͤſſen moͤchte, und ſich auch wohl die Grabſchrifft ſelbſt aufſetze. Haben es aber die Verſtorbenen bey ihrem Leben unterlaſſen, ſo han - deln die Hinterlaſſenen, zumahl wenn ſie GOtt mit zeitlichen Guͤtern geſegnet, der Liebe, und dem Wohl - ſtand gar gemaͤß, daß ſie den Jhrigen, beſonders denen, die gute Verdienſte gehabt, nach ihrem To - de ein feines Monument von Metall, Stein, Ala - baſter, oder Porphyr aufrichten laſſen, und es mit einer feinen Aufſchrifft auszieren, darinnen die merckwuͤrdigſten Veraͤnderungen enthalten, die dem ſeelig Verſtorbenen in ſeinem Leben begegnet, und zugleich eine und die andere gute Lehre, die dem vorbeygehenden Wandersmann mitgetheilet wird. Es iſt billich, daß der gute Nahme rechtſchaffener Leute in der Welt ſo lange erhalten werde, als nur moͤglich. Es bekommt auch mancher von den Vor - beygehenden, der aus Neugierigkeit zur Betrach - tung der Statuen und Gemaͤhlde angelocket wird, unvermerckter weiſe eine Erinnerung ſeines Todes,oder671Von Begraͤbniſſen. oder ſonſt eine gute Tugend-Lection, inſonderheit wenn dieſe Aufſchrifften in der Teutſchen Sprache abgefaßt, die ein jedweder verſtehen kan.
§. 1.
DJe Liebe und Hochachtung, die wir unſern Verſtorbenen im Leben ſchuldig geweſen, erfordert, daß wir ſie auch nach ihrem Tode beweinen und betrauren. Die Empfindung der Betruͤbniß uͤber ihren Verluſt, die uns auch wohl die Thraͤnen aus den Augen preſſet, iſt unſern natuͤrlichen Trieben ſehr gemaͤß, auch den Pflichten des Chriſtenthums im geringſten nicht zu - wider, maßen ja unſer liebſter Heyland ſelbſt bey dem Grabe ſeines geliebten Freundes des Lazari mit einer ſolchen Wehmuth uͤberfallen ward, daß er ſich auch der Thraͤnen nicht enthalten konte. Daß man aber, wie einige zu thun pflegen, bey dem Abſterben ſeiner geliebten Freunde, in ein ſolch unmaͤßig Trauren faͤllt, daß man ſich gar nicht will troͤſten laſſen, oder unmenſchlich heulet und bruͤllet, iſt unvernuͤnfftig, und heydniſch. Die Vernunfft lehret uns die Maͤßigung der Affecten, daß ſie un - ſerer Geſundheit nicht ſchaden, und Gedult und Ge -laſſen -672II. Theil. XIX. Capitul. laſſenheit in mancherley unvermeidlichen Zufaͤllen und Widerwaͤrtigkeiten des menſchlichen Lebens. Das Chriſtenthum aber verſichert uns, daß unſere Todten, die in dem HErrn geſtorben, in die aller - vollkommenſte Gluͤckſeligkeit verſetzet werden, und daß wir, durch den Glauben an unſerm Heyland, auch gewiß zu ihnen gelangen, und alsdenn mit ih - nen zugleich einer ewigen und uͤber alle Maße wich - tigen Freude und Herrlichkeit genieſſen. Eine ſol - che Vorſtellung muß unſer Trauern nothwendig maͤßigen.
§. 2. Gleichwie viele von unſern heutigen Chri - ſten den Tod mit heydniſchen Augen anſehen, alſo iſt auch bey dem Trauern viel heydniſches Weſen. Wenn man viele von unſern Ceremonien gegen diejenigen haͤlt, wie ſie vor dieſem bey den Griechen und Roͤmern im Gebrauch geweſen, ſo wird man in vielen Stuͤcken eine ziemliche Aehnlichkeit an - treffen.
§. 3. Die ſchwartze Farbe iſt bey vielen Voͤl - ckern, von vielen und langen Zeiten her, als ein Zei - chen der Trauer angenommen worden. Man kan dieſelbe wohl beybehalten, wenn nur andere wun - derliche Façons der Trauer-Gewandte, oder ſuͤnd - liche und unvernuͤnfftige Trauer-Ceremonien ab - geſchaffet wuͤrden; wozu dienen die ſchaͤndlichen Viſiere uͤber die Geſichter, und die greulichen und koſtbahren Umhuͤllungen des Frauenzimmers in Crep und Flohr, da manche nicht anders ausſehen, als wie die Mahler, nach ihren naͤrriſchen Phan -taſien,673Von der Trauer. taſien, die Geiſter der Finſterniß abzubilden pfle - gen. Was hat es vor Nutzen, daß man faſt aller vier oder ſechs Wochen mit den Trauer - Gewandten aͤndern und manche Meuble anſchaf - fen muß, die einem bißweilen auf Lebenslang, oder doch auf eine ſehr lange Zeit, nichts mehr nutz iſt? Sind dieſes nicht unnoͤthige Unkoſten, zumahl bey den Erben, die keine ſonderliche Verlaſſenſchafft zu hoffen haben, wenn ſie ſo viel Bedienten in Trauer kleiden, die Zimmer ſchwartz ausſchlagen, die Ca - roſſen mit ſchwartzen Tuch uͤberziehen, und auf vielfache andere Weiſe bey der Trauer Geld auf - wenden muͤſſen.
§. 4. Die erſten Chriſten lieſſen keine ſchwar - tzen oder andere Trauer-Kleider zu, weil ſie meyn - ten, daß man uͤber einen Chriſten nicht trauren muͤſte, oder ein ſchwartz Kleid anziehen, uͤber den, der dort in jenem Freuden-Leben mit den weiſſen Kleidern des Heyls angezogen waͤre. Sie ach - teten dieſes vor eine Heyden-Weiſe, von denen, die entweder keine oder doch ſehr ſchlechte und zweifelhaffte Hoffnung von der Seligkeit der Jh - rigen haͤtten. Vielweniger beſtimmten ſie ein gantz Trauer-Jahr dazu, und wuſten von allen ſolchen Zeichen des Unglaubens nichts, ſondern dieſe Gewohnheiten ſchlichen ſich nach und nach unter den verfallenen Chriſten aus dem Heyden - thum ein. S. Anold von Leben der erſten Chri - ſten VI. Buch VI. Capit. p. 122.
§. 5. Eine den Chriſten unanſtaͤndige Gewohn -U uheit674II. Theil. XX. Capitul. heit iſt, die an manchen Oertern eingefuͤhrt, daß die Wittwer, oder die Wittwen, oder die Kinder, die erſtern vier oder wohl 6 Wochen nach dem Abſterben ihres Ehgatten oder ihrer Eltern, die zu Hauſe bleiben muͤſſen, und nicht in die Kirche des Sonntages gehen duͤrffen, obſchon ihre geſammte Trauer-Kleidung in der beſten Ordnung fertig. Daß man ſich bey der tieffen Trauer-Zeit den uͤ - pigen Geſellſchafften entſchlaͤgt, und ſo viel als Pflicht und Beruff zulaſſen will, zu Hauſe auf - haͤlt, iſt dem Wohlſtand gar gemaͤß, daß man aber zu der Zeit, da man des Troſtes des goͤttli - chen Wortes, wenn einem der Verluſt des ver - ſtorbenen guten Freundes ſehr nahe gegangen, am meiſten benoͤthiget, ſich des Hauſes des HErrn, und der guten Gelegenheit GOttes Wort zu hoͤ - ren, entziehet, iſt ſehr unrecht.
§. 6. Wie nun einige in der Wehmuth und Trauer excediren, ſo thun hingegen andere der Sache zu wenig. Alſo bezeugen ſich einige junge Herren, denen eine reiche Erbſchafft zufaͤlt, bey dem Abſterben ihres alten Papa, den ſie laͤngſt gerne loß geweſen, oder einige Ehe-Maͤnner, die durch den Tod ihrer alten Frauen, die ſie des Geldes wegen erheyrathet, eine ſchwehre Laſt ent - lediget werden, bey der Leich-Proceſſion uͤber die maßen vergnuͤgt, ſie plaiſantiren, ſie ſchertzen, ſie lachen hinter der Leiche her; Bey der Trauer - Mahlzeit divertiren ſie ſich mit Erzehlung man - cherley Schwaͤncke, als wenn ſie auf einer Hochzeitoder675Von der Trauer. oder Kirmeß-Gelacke waͤren. Doch dieſe ver - letzen durch ihr allzu kaltſinniges Bezeugen eben - falls den Wohlſtand. Weil es natuͤrlich und der Freundſchafft und Liebes-Pflicht gemaͤß, daß man bey dem Verluſt ſeiner Angehoͤrigen Betruͤbniß empfindet, ſo ſolten diejenigen, die in ihren Leben keine ſonderliche Liebe gegen ihre nunmehr verſtor - bene Freunde empfunden, und alſo durch deren Todt auch nicht betruͤbet werden, doch zum we - nigſten des Wohlſtandes wegen, und um andere Leute willen, auf eine kurtze Zeit einiges Betruͤbniß dem Schein nach annehmen, oder doch die Freude uͤber dem Tod verbergen, ſintemahl es vor etwas laſterhafftes angeſehen wird, diejenigen nicht zu lieben, welchen wir doch den goͤttlichen und na - tuͤrlichen Rechten nach mit Liebe ſollen zugethan ſeyn.
§. 7. Die vielen Trauer-Ceremonien, und mancherley unnoͤthige Unkoſten dabey, ſind in den neuern Zeiten durch mancherley Landes-herrliche Mandaten, gemaͤßiget, und vieles gantz und gar abgeſchafft und verbothen worden; Es waͤre zu wuͤnſchen, daß die Trauer unter den Adelichen und Buͤrgerlichen noch mehr eingeſchraͤnckt, und alſo mancher Thaler, der den armen Erben auf andre Weiſe beſſer zu ſtatten kaͤme, erhalten wuͤrde. Anno 1707. faßte der alte Adel der Provintz Hol - land den Schluß, daß ſie ins kuͤnfftige ihre Haͤu - ſer und Caroſſen nicht mehr ſchwartz bekleiden, ih - ren Bedienten keine Trauer-Kleider geben, und dieU u 2Wa -676II. Theil. XX. Capitul. Wapen nicht mehr vor den Saͤrgen tragen laſſen ſolten, ſie verhofften daß andere ihren Exempel ebenfalls folgen wuͤrden.
§. 8. Die Trauer-Ceremonien beruhen zwar groͤſtentheils auf den einmahl eingefuͤhrten durch - gaͤngigen Gebrauch eines Landes oder eines Ortes; inzwiſchen iſt doch auch gewiß, daß manches von der freyen Willkuͤhr der Hinterlaſſenen, von der Verordnung der Verſtorbenen, und von derjeni - gen Abrede, ſo die Hinterlaſſenen mit den Ver - ſtorbenen wegen eines und andern Puncts dißfalls genommen, dependire. Haben die Verſtorbe - nen vor ihrem Ende, zu Erſpahrung der Unkoſten, eines und das andere, ſo bey der Trauer als ein Uberfluß anzuſehen, verbothen, ſo thun die Erben gar wohl, daß ſie ſich darnach richten, der dritte Mann der ſich nicht darum zu bekuͤmmern hat, mag das Maul daruͤber ruͤmpfen wie er will; iedoch muß man auch hiebey die Regeln des Wohlſtan - des in Betrachtung ziehen, damit es nicht gar zu affectirt hrraus komme.
§. 9. Bey der Trauer hat man ſeinen Stand und Bedienung mit zu erwegen, ſintemahl nach dem Unterſcheid des Adelichen und Buͤrgerlichen Standes bey der Trauer-Kleidung, bey der Libe - rey der Bedienten, Bekleidung der Zimmer, Uber - ziehung der Waͤgen u. ſ. w. mancher Unterſcheid angetroffen wird. Jn Fuͤrſtlichen Reſidentien wird uͤber dieſen Unterſchied mehr gehalten als an andern Orten.
§. 10.677Von der Trauer.§. 10. Die Ordnung und Harmonie muß hier - bey ſo wohl in Obacht genommen werden, als in andern Stuͤcken. Es iſt wider den Wohlſtand, wenn eine Ceremonie auf die Buͤrgerliche, die an - dre auf die Adeliche Weiſe eingerichtet, ein Stuͤck der Trauer ſehr koſtbar, das andre gar zu ſchlecht, ein Stuͤck zu tief, das andre nicht tief genug iſt. Die Veraͤnderung der Trauer, die mit der Zeit vorgenommen wird, muß gegen einander propor - tionirt ſeyn. Jn dem Trauer-Hauſe und zu dem Trauer-Habit muͤſſen alle Handlungen mit einan - der uͤbereinſtimmen, die ſich zur Trauer ſchicken. Alſo ſteht es ſehr ſchlecht, wenn in einem Trauer - Hauſe muſicirt und gedantzt wird.
§. 11. Die Trauer erſtreckt ſich zwar nach dem einmahl eingefuͤhrten Gebrauch auf allerhand Klei - nigkeiten, ſo gar, daß auch die Briefe, die man an - dern zuſchickt, und das Siegel-Lac trauren muͤſſen; man muß ſich aber hiebey in acht nehmen, daß man hierinnen nicht gar zu weit gehe, und auf eine allzugezwungene Weiſe die Thorheiten einiger Leute nachahme. Einige wollen in ihrer tieffen Trauer faſt gar nichts buntes im Hauſe leiden, ſie laſſen faſt alle Schraͤncke, Kiſten und Kaſten ent - weder ſchwartz anſtreichen, oder mit ſchwartzen Tuch verhaͤngen, und es iſt Wunder, daß ſie in waͤhrendem Trauer-Jahr auf ihren Guͤtern nicht auch die bunten Kuͤhe und die bunten Huͤner ab - abſchaffen.
§. 12. Es iſt auch allzugezwungen, wenn einige,U u 3denen678II. Theil. XX. Cap. von der Trauer. denen der Tod eine Braut, einen Ehegatten oder ſonſt eine liebſte Freundin entzogen, aus allzuheff - tiger und bruͤnſtiger Liebe ſie Lebenslang betrau - ren, und an ihrer Kleidung ſtets etwas ſchwartzes an ſich haben, durch welches ſie ſich ihres Andenckens ſtets erinnern wollen.
§. 13. Je mehr man andere an Stand und Ein - kuͤnfften uͤbertrifft, je groͤſſer der Ort, in dem man ſich aufhaͤlt, je mehr man in dem Umgang der Hoͤ - hern iſt, oder ſolcher Leute, die die Trauer-Cere - monielle accurat verſtehen, je ſorgfaͤltiger muß man auch die Trauer-Moden in Obacht nehmen. Je groͤſſer Verdienſte der Verſtorbene gehabt, je mehr Liebe und allgemeine Hochachtung er ſich er - worben, je mehr Wohlthaten er den Hinterlaſſenen entweder in ſeinem Leben oder durch ſeinen Todt er - wieſen / je tieffer muͤſſen ſie ihn auch betrauren. Die uͤbrigen beſondern Regeln muß man aus der Obſervanz, und aus dem Umgang der Welt erlernen.
ENDE.
S. 2. l. 13. Handlungen. S. 3. l. 1. weiter S. 6. l. 8. von unten / Verwunderung. S. 7. l. 14. nach vollkommen / harmoniren. S. 10. l. 6. nach und / ſ. w. S. 14. l. 8 nach eifrig / geweſen. S. 16. l. 5. erkennen. Eben daſelbſt l. 12. von unten galant hommes. S. 23. l. 8. von unten critiſirt. S. 24. l. 8. wird. S. 25. l. 5. verſiehet. S. 27. l. 4. von unten iſt nach Stuͤck ſich weg zu ſtreichen. S. 28 l. 13. von unten / nach ein / junger. S. 29. l. 15. von unten / genaue. S. 31. l. 8. von unten iſt nicht weg zu ſtreichen.
S. 34. l. 8. inficirt. S. 36. l. 12. mindern. Eben daſelbſt l. 5. von unten / der groͤſte. S. 47. l. 14. von unten / Ti - tulaturen. S. 51. l. 11. von unten / und ſie.
S. 56. l. 13. von unten Rendt. S. 57. l. 7 ſie gar. S. 59. l. 10. von unten / einen gegebnen Stand. S. 60. l. 10. von unten / Diſcretion. Eben daſelbſt l. 6. nennen ſie. S. 66. l. 1. von unten / hingeriſſen. S. 67. l. 11. von unten / Devotion. S. 69. l. 14. von unten / und uns. S. 70. l. 4. von unten / mit den Hoͤhern. S. 76. l. 13. warum S. 82. l. 7. ein junger Cavalier. S. 83. l. 3. von unten / verzehrt. S. 90. l. 7. nach etwas muß anders noch mit eigeruͤckt wer - den. S. 97. l. 7. von unten / denen andere.
S. 120. l. 4. von unten / des Wercks. S. 124. l. 10. von unten nach Ungeſtuͤm / thut und muß. S. 129. l. 1. von unten / mit denen. S. 136. l. 15. von unten / da er. Eben daſelbſt l. 17 von oben / Verachtung.
S. 144. l. 11. von unten / Freude. S. 148. l. 9. von un - ten / allzuhoͤflich. S. 157. l. 16. hautains. S. 159. l. 14. und &c. S 163. l. 16. von unten / die Gedult. S. 164. l. 15. nach ausgeſonnenen muß es heiſſen Compliment, einen und andern. S. 167. l. 5. obeiſſant. S. 178. l. 8. gebrau - che. Eben daſelbſt l. 13. von unten im Zuruͤckgehen.
S. 189. l. 13. von unten / eine freundliche.
S. 229. l. 5. von unten / Heßlichkeit. S. 240. l. 13. einig Maaß und Ziel. S. 241. l. 13. muß nach noͤthigen ihrer weg - geſtrichen werden / und ſtatt vielen / viele. S. 242. l. 6. von unten / Favoriten.
S. 253. l. 9. deren. S. 261. l. 6. von unten / ſchwachen. S. 270. l. 7. erheben.
S. 279. l. 6. reden. S. 289. l. 9. von unten / verraͤth.
S. 311. l. 8. in dem 1702ten Jahre. S. 312. l. 9. beklei - den. S. 3〈…〉〈…〉 4. l. 12. die Interrogation. S. 317. l. 10. verſteckte.
S. 329. l. 14. muͤſſen die Woͤrter noch nicht weg geſtrichen werden. S. 332. l. 12. nach Anmerckungen muß darinnenfolget.folget. S. 337. l. 16. nach geborſamſter / muß unterthaͤniger kommen. S. 341. l. 8. nach Siegel / erwehlen.
S. 347. l. 17. nach Audientz / muß bey geſetzt werden / und / in eben der Zeile iſt man weg zu ſtreichen. S. 352. l. 9. ſich S. 353. l. 13. iſt nach nicht oder weg zu ſtreichen.
S. 364. l. 14. von unten / ein ſittſamer Umgang. S. 367. l. 6. nach und / muß kan kommen. S 376. l. 6. daraus herfließt. S. 378. l 6. allererſt. S. 379. l. 6. und ſie S. 380. l. 3. heruͤber. Eben daſelbſt l. 13. von unten / zum fuͤnfften.
S. 386. l. 3. die Bedienten. Eben daſelbſt l. 13. Liebha - ber der Geſellſchafften. S. 289. l. 11. ſich und andern. S. 391. l. 15. nach damit ſie / muß ſolche noch eingeruͤckt wer - den und in der darauf folgenden dieſelben ausgeſtrichen. S. 400. l. 6. Neigungen.
S. 409. l. 10. attirant. S. 412. l. 4. Arten zu ſpielen. S. 418. l. 6. les echecques. S. 420. l. 1. von unten / ge - widmeten Geldes.
S. 429. l. 6. vermeintlichen. S. 938. l. 6. von unten / iſt nach gern / das Woͤrtgen von einzuruͤcken. S. 447. l. 11. hoc & plus. S. 450. l. 7. ein Türcke. S. 452. l. 11. inventirt.
S. 476. l. 5. ſind die Woͤrter oder auch wohl weg zu ſtreichen. S. 478. l. 10. geraͤumlich. S. 480. l. 3. iſt die Conſtruction verworfen / dantzen ſolte / gehoͤret in die oben uͤber ſtehende Zeile / nach den Woͤrtern / laͤcherlich machte. S. 481. l. 10. von nnten nach ander muͤſſen die beyden Woͤr - ter aus der noch eingeruͤckt werden.
S. 507. l. 3. von unten / verlangen.
S. 519. l. 7. Gebeuden. S. 520. l. 12. von unten / einen von Adel. S. 536. l. 8. und 11. Kirch-Stuͤbgen.
S. 551. l. 14. und ſich daher. Eben daſelbſt l. 17. Kleider zu kaufen. S. 556 l. 10. von unten / prahlen ſie damit. S. 559. l. 5. aus depens d’autruy.
S. 576. l. 13. von unten / Grafe. S. 577. l. 12. erweh - len. S. 589. l. 8. Puͤrſch Buͤchſen.
S. 591. l. 2. die vorhergehenden. S. 594. l. 8. einen tuͤchtigen.
S. 674. l. 4. iſt nach Eltern / das Woͤrtgen die weg zu ſtreichen.
Auſſer dieſen iſt auch der Herr von Tſchirnaus und der Herr Hof-Rath Nemeitz / deſſen Schrifften unterſchiednemal alle - girt worden / Tſchirnau und Nemritz gedruckt / ſo ſind auch bey dem Frantzoͤſiſchen einige Buchſtaben verſetzt.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
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