Wenn man das Verdienſt eines Mannes richtig beſtimmen, und den Verluſt, den die Welt durch ſeinen Tod erlitten hat, ge - nau berechnen will, ſo muß man nicht blos auf das ſehen was er geleiſtet hat, ſondern man muß auch das in Anſchlag bringen, was er bei laͤn - germ Leben haͤtte leiſten koͤnnen, und aller Wahr - ſcheinlichkeit nach geleiſtet haben wuͤrde. In dieſer Hinſicht iſt Sander’s fruͤhzeitiger Toda 2nichtIVnicht nur ein unerſetzlicher Verluſt fuͤr ſeine Braut, fuͤr ſeine Eltern, fuͤr ſeine Freunde, fuͤr Karlsruhe und die Baadenſchen Lande, ſon - dern er iſt zugleich ein Nationalverluſt fuͤr ganz Deutſchland. Seine Schriften werden in Wien und in Hamburg, in Muͤnchen und in Koͤnigsberg, und uͤberall wo man ſich um neue deutſche Buͤcher bekuͤmmert, mit Nutzen und Beifall geleſen. Alle Theile der Wiſſen - ſchaften erwarteten von ſeinem aufgeklaͤrten und thaͤtigen Geiſte, wenn gleich nicht allemahl neue Entdeckungen, doch mannigfaltige Bereicherun - gen und zweckmaͤſſige Anwendungen zum gemei - nen Beſten, und ſchon ſeine erſten Verſuche weiſ - ſagten ihm das ſeltne Gluͤck, einer von Deutſch - land’s Lieblingsſchriftſtellern zu werden. Sein unerwarteter Tod machte daher auch uͤberall, wo ſein Name genennet wird, die lebhafteſte Senſation. Nicht nur in Karlsruhe und Koͤndringen floß die Thraͤne der Freundſchaft und Liebe um ihn, ſondern auch Deutſchland’s klagender Genius umwand ſeine Urne mit Kraͤn - zen.
Er ward am 25. November 1754. zu Koͤn - dringen in der Baadenſchen Marggrafſchaft Hochberg gebohren. Sein Vater iſt HerrNiko -VNikolaus Chriſtian Sander, Kirchenrath und Specialſuperintendent in Koͤndringen, ein wuͤrdiger und aufgeklaͤrter Gottesgelehrter, der ſich unter andern durch eine 1773. veranſtal - tete Sammlung verbeſſerter und neuer Kirchen - geſaͤnge, um ſein Vaterland verdient machte; ſeine Mutter, Frau Auguſte Bernhardi - ne, eine gebohrne Boskin. Beide ſind noch am Leben. In dem elterlichen Hauſe genoß er eine Erziehung, die ſeinen Talenten und ſeinem vortreflichen Herzen vollkommen angemeſſen war, und der Erfolg davon entſprach nicht nur der Erwartung, die ſein aufbluͤhendes Genie erreg - te, ſondern uͤbertraf ſie auch. Er betrat ſchon die Laufbahn der Schriftſteller in einem Alter, da man ſonſt erſt anfaͤngt Kenntniſſe zu ſammeln, und in den Jahren, wo der empfindſame Juͤng - ling in lydiſchweichen Toͤnen Wein und Liebe ſingt, war er ſchon ein ernſter Lehrer der Natur, der Weisheit und der Religion. Der Grund davon iſt ohnfehlbar in der erſten Bildung zu ſu - chen, die er in ſeiner Kindheit empfing, und die - ſer Umſtand gereicht ſeinen Eltern und Erziehern zum unſterblichen Ruhme. In ſeiner fruͤhen Jugend hielt er ſich mit ſeinen Bruͤdern, wovon der eine noch iezt als Prorector in Pforzheima 3lebt,VIlebt, der andere aber in ſeinem achtzehenden Jah - re als Doctorand ſtarb, und an deſſen Seite iezt unſer Sander ſchlummert, ein Jahr auf der damaligen Realſchule zu Loͤrrach in der Herrſchaft Roͤteln auf. Von da kam er nach Koͤndringen zuruͤck, und blieb bis in ſein vier - zehntes Jahr in dem Hauſe ſeiner Eltern. Vom ſechzehnten bis zum achtzehnten genoß er den Unterricht der oͤffentlichen Lehrer auf dem Gym - naſium zu Karlsruhe, blieb dann noch ein Jahr bei ſeinem Herrn Vater, bezog darauf die hohe Schule zu Tuͤbingen, und ging endlich von da auf die Akademie nach Goͤttingen, wo er ſich der Gottesgelahrheit mit dem groͤſten Eifer widmete.
Der Aufenthalt bei ſeinem Herrn Vater war keine leere Pauſe. Er wandte dieſe Zwiſchen - zeit vielmehr dazu an, das Gehoͤrte und Erlernte zu uͤberdenken, zu berichtigen und zu ordnen. „ Unſere Gedanken, “ſagt Young, „ werden nur erſt dann unſer, wenn ſie uͤber unſere Lippen gehen. “ Sie werden von andern beſtritten, von uns vertheidigt, und dann entweder als problematiſch ad referendum angenommen, oder ganz weggeworfen, oder ſie ſchließen ſich als er - kannte und beſtaͤtigte Wahrheit an unſer Syſtem an. Es kann ſeyn, daß ich irre, aber ich habeSan -VIISander’s Aufenthalt bei ſeinem Vater, der ein aufgeklaͤrter und praktiſcher Theolog iſt, immer als die Quelle ſeiner fruͤhen und gluͤcklichen Au - torſchaft angeſehen. Der Weg in das innere Heiligthum der Wiſſenſchaften wird an der Hand eines eben ſo erleuchteten als zuverlaͤßigen Freun - des ungemein abgekuͤrzt. In Goͤttingen fand ſein nach allen Arten von Kenntniſſen, beſon - ders der Naturkunde, hungriger Geiſt die reichſte und befriedigendſte Nahrung. Michaelis, Miller und Beckmann waren nicht nur ſeine Lehrer, ſie wurden auch ſeine Freunde. Ein neuer und groſſer Vortheil fuͤr den edeln und wiß - begierigen Juͤngling. Er hatte einen entſchiede - nen Geſchmack fuͤrs Reiſen. Schon von Goͤt - tingen aus that er in den Ferien gelehrte Rei - ſen nach Niederſachſen bis an die Oſtſee. Madame Grotian, ſeine Verwandte, eine ſehr verehrungwuͤrdige Frau in Hamburg, wurde verſchiedenemal von ihm beſucht, und er unterhielt einen ſehr lehrreichen und freundſchaft - lichen Briefwechſel mit ihr bis an ſein Ende. Er eignete ihr auch die auf einer Reiſe durch Schwa - ben und Bayern gemachten Bemerkungen, die den Anfang des zweiten Theils ſeiner Reiſen ausmachen, in den zaͤrtlichſten und freundſchaft -a 4lichſtenVIIIlichſten Ausdruͤcken zu. Sobald er von Goͤt - tingen zuruͤckkam, unterwarf er ſich den ge - woͤhnlichen Pruͤfungen, legte die herrlichſten Pro - ben ſeines Fleißes und ſeiner Talente ab, und ward ſo gleich als Profeſſor am Gymnaſium il - luſtre zu Karlsruhe angeſtellt. Ganz ſeinem Lieblingswunſch war dieſe Verſorgung nicht ge - maͤs. Er wuͤnſchte lieber irgendwo auf dem ſtil - len Lande eine kleine geſchloßne Gemeinde zu un - terrichten, wo er, wie er in ſeinem Erbauungsbuche behauptet, viel beſſer, viel offenherziger wir - ken, auch mehr ſich ſelber leben koͤnnte. Allein, waͤre dieſer Wunſch erfuͤllt worden, ſo haͤtte er dann ſeine Gemeinde nicht ſo oft, wie ſeine Zu - hoͤrer in Karlsruhe, verlaßen, nicht ſo viele gelehrte Reiſen anſtellen, nicht ſo viele Men - ſchen und Laͤnder kennen, nicht ſo viele Erfah - rung einſammeln und benutzen, nicht ſo tiefe und ſichere Blicke in das menſchliche Herz thun, und ſich ſo gemeinnuͤtzig nicht machen koͤnnen, als es zu ſeiner Ehre geſchehen iſt. Waͤre es ihm auch nicht ergangen, wie manchen Dorfpfar - rern, die mit groſſen Gaben und Kenntniſſen ausgeruͤſtet, und mit tauſend litterariſchen Pro - jecten erfuͤllt aufs Land ziehen, aber bald von Haus - und Nahrungsſorgen belagert werden,baldIXbald Mangel an Buͤchern und gelehrten Freun - den leiden, bald Neid und Unterdruͤckung finden, wo ſie Beyfall und Aufmunterung erwarteten, und nachdem ſie anfaͤnglich viel thun wolten, endlich damit aufhoͤren, daß ſie nichts thun, was der Erwartung, die ſie erregten, nur einigermaſ - ſen entſpraͤche, haͤtte er, ſag’ ich, als Landpre - diger dieſes Schickſal auch nicht gehabt, ſo wuͤrde er doch auf dem Lande auch bei den beſten Vorſaͤtzen, das nicht haben leiſten koͤnnen, was er als Profeſſor in Karlsruhe wirklich geleiſtet hat, und in der Folge geleiſtet haben wuͤrde. Ich fuͤrchte nicht, daß irgend ein geſchickter, fleiſ - ſiger und thaͤtiger Landprediger dieſe Aeußerung als eine Herabwuͤrdigung des Predigerſtandes anſehen werde. Ich weis es recht gut, wie viel alle Zweige der Wiſſenſchaften den Landpredi - gern zu danken haben. Ich rede nicht von den Ausnahmen, ich rede von der Regel. Die haͤu - figen Klagen geſchickter Landgeiſtlichen uͤber die Menge laͤſtiger Haus - und Wirthſchaftsſorgen, uͤber den Mangel der Buͤcher, der Journale, der Aufmunterung, Unterſtuͤtzung und des gelehrten Umgangs rechtfertigen meine Meinung, daß Sander als Profeſſor in Karlsruhe ſich ge - meinnuͤtziger machen konnte, als es auf dem Landea 5wuͤrdeXwuͤrde haben geſchehen koͤnnen. Folglich ſchei - nen die in ſeinen Schriften haͤufig vorkommen - den Klagen uͤber das Unangenehme ſeiner Situa - tion, und uͤber die undankbare Muͤhe des Schul - ſtandes ein wenig uͤbertrieben zu ſeyn. Die Vor - ſicht wußte beſſer, was ihm und andern gut war. Nicht nur die oͤftern Unterredungen mit gelehr - ten Maͤnnern, ſondern auch die Kolliſionen mit ihnen, gleichen den phyſikaliſchen Friktionen, die den elektriſchen Funken hervorlocken, und das Feuer des Genies in Bewegung ſetzen, welches bei einer ruhigen Lebensart zwiſchen Wald und Straͤuchen am ſchilfbekraͤnzten Bach oft nur glimmt und dann verloͤſcht. Ueberdies ward ja das Unangenehme des Schulſtandes durch die vielen Reiſen, wozu er die Erlaubnis ſeines weiſen und gnaͤdigen Fuͤrſten erhielt, gar ſehr verſuͤßt. Im Anfange des Mays 1777. trat er ſeine Reiſe nach Frankreich an, wurde aber in Straßburg von einer ſchmerzhaften Krankheit befallen, wo er, wie er in der Vorrede zum Buch Hiob zum allgemeinen Gebrauch ſagt, die Kraft der Religion an ſeinem Herzen ſehr lebhaft erfuhr, und unter ſtillen Betrachtun - gen uͤber Welt und Menſchenleben die froͤmmſten Entſchließungen ſich tief in die Seele druͤckte. AlsXIAls er wieder voͤllig geneſen war, ſetzte er ſeine Reiſe uͤber Luͤneville, Nancy, St. Dizier und Chalons nach Paris fort. Wer dieſe Reiſebeſchreibung ließt, wird uͤber ſeine Kennt - niſſe erſtaunen, ſeinen Beobachtungsgeiſt bewun - dern, und ſeine Freimuͤthigkeit hochſchaͤtzen. Menſchenkunde, Litteratur, Oekonomie, Kuͤnſte und Handwerker, Sitten und Gebraͤuche, Geiſt und Karakter der Voͤlker, Statiſtick, und alles was dem Menſchen, dem Gelehrten und dem Naturforſcher merkwuͤrdig iſt, zog ſeine Auf - merkſamkeit auf ſich. Er machte, wie man aus ſeiner Beſchreibung ſieht, mit vielen Gelehrten und andern merkwuͤrdigen Perſonen Bekannt - ſchaft. Er beſuchte Kabinette, Bibliotheken, Gemaͤldeſammlungen, beſah die Merkwuͤrdigkeiten der Sorbonne, die Spiegelfabri[k], das Opern - haus, die Komoͤdie, die oͤffentlichen Plaͤtze, die vorzuͤglichſten Gebaͤude und Kirchen, und gab auch einmahl in einer theologiſchen und naturhi - ſtoriſchen Vorleſung einen Zuhoͤrer ab. Von Frankreich aus ging er in die Niederlande und nach Holland. Im Herbſt des Jahres 1780. unternahm er abermals eine Reiſe durch Ober - und Niederſachſen, und Heſſen, und bemerkte nicht nur alles ſehenswuͤrdige genau,ſondernXIIſondern zeichnete auch ſeine Beobachtungen mit unermuͤdetem Fleiße auf. Im Jahr 1781. that er drei verſchiedene Reiſen, die erſte in die Schweiz, die zweite nach Speier, und die dritte nach St. Blaſien. Auf allen ſammelte er wieder viel neue Kenntniſſe ein, der Welt und ſeinen Zoͤglingen damit zu nutzen.
Im December dieſes Jahres verlobte er ſich mit der aͤlteſten Demoiſelle Tochter des Herrn Geheimen Hofraths und Geheimen Referendars Gerſtlacher, und im April 1782. unternahm er, leider! ſeine letzte Reiſe nach Tyrol, Oe - ſterreich, Ungarn und Venedig. In Wien fand er eine Aufnahme, die ſeine Er - wartung weit uͤberſtieg. Sein Erbauungsbuch traf er in vielen Haͤuſern an. Seine Verehrer und Freunde ließen nicht ab; er mußte den 5. May in der daͤniſchen Geſandſchaftskapelle predi - gen, und dieſe durch den Druck bekanntgemach - te Predigt wurde in der Wiener Predigerkritik ſehr geprieſen. Auch ließen ihn ſeine Freunde durch den Kuͤnſtler Loͤſchenkohl, dem ſelbſt Pius VI. ſaß, in Kupfer ſtechen.
In Italien wurde er von der nordiſchen Influenza befallen, und reißte als er ſchon den verderblichen Einfluß dieſer Krankheit auf ſeinenKoͤrperXIIIKoͤrper fuͤhlte, in 12. Tagen von Venedig nach Karlsruhe zuruͤck, wo ſich bald nach ſeiner Zuruͤckkunft ein heftiges Blutſpeien mit allen Kennzeichen einer voͤlligen Auszehrung einſtellte, und ihn ums Leben brachte. Einige Wochen vor ſeinem Ende wurde er von ſeinem kummer - vollen Vater nach Koͤndringen abgehohlt, in deſſen Armen er am 5. Oktober 1782. im acht und zwanzigſten Lebensjahre entſchlief.
Wenn man die vielen Schriften, die er ge - ſchrieben, die Reiſen, die er gethan, und den ausgebreiteten Briefwechſel, den er unterhalten hat, in Erwaͤgung zieht, ſo kann man die raſt - loſe Thaͤtigkeit dieſes jungen Mannes nicht genug bewundern, und er iſt ein redender Beweis, wie viel ſich in kurzer Zeit thun laͤßt, wenn man Ordnung in ſeinem Studiren beobachtet, und mit ſeiner Zeit haushaͤlteriſch umgeht. Er ward, wie er einem ſeiner Freunde ſagte, von Jugend an zur Verfertigung ſchriftlicher Aufſaͤtze ange - halten, und hatte ſich angewoͤhnt, aus den Buͤ - chern, die er las, ſich das merkwuͤrdigſte und beſte auszuzeichnen; dadurch erlangte er nicht nur eine Fertigkeit, ſeine Gedanken leicht und natuͤr - lich auszudruͤcken, ſondern auch ſeinen Styl in - tereſſant und ſachreich zu machen. Er ließ ſchonalsXIVals Juͤngling eine Menge Abhandlungen und klei - ne Gedichte drucken, die als Voruͤbungen in verſchiedene Monathsſchriften eingeruͤcket wurden. Die meiſten dieſer Aufſaͤtze ſind etwas fluͤchtig geſchrieben. Als ſein ſchriftſtelleriſcher Karak - ter mehr Feſtigkeit erhielt, und ſeine Schreibart maͤnnlicher ward, bekam er Antheil an der all - gemeinen deutſchen Bibliothek. Unter ſei - nem Namen hat er folgende Schriften herausge - geben:
„ Wenn neben mir der Eigennutz, wie ein Wolf„ anXVII„ an fremdem Gute nagt, ſo laß mir ein gutes „ Gewiſſen mehr werth ſeyn, als Gold und Sil - „ ber. — Du ſamleſt jede Aſche, und laͤſſeſt „ nichts umkommen in deiner ſchoͤnen Natur. „ Erhalte auch in mir jeden guten Keim, laß ihn „ aufwachſen und in der Ewigkeit Fruͤchte tra - „ gen. — Ehe die grauen Haare am Scheitel „ wehen, entwoͤhne mich vom Spielplatz der „ Welt. — Sey fuͤr die Blume geprieſen, die der „ Biene und mir Honig traͤgt. — Nimm um „ deines Sohnes willen die Gefallenen auf, die „ ſich mit der Tugend ausſoͤhnen, und uͤber ihre „ Verirrungen weinen. — Laß mir die Freude, „ am Ende eines jeden verlebten Tages, wenn „ ich das Zimmer ſchließe, zu denken, daß ich „ dir und deinem Heil naͤher bin, daß wenigſtens „ die Buͤrden dieſes Tages getragen ſind, daß „ wenigſtens dieſe Leiden nicht wieder kom - „ men. “—
„ Dank ſey dir, mein Vater, fuͤr unvermu - „ thete Wohlthaten, fuͤr die Liebe von andern „ Menſchen, fuͤr heilſame Zuͤchtigungen, fuͤr noͤ - „ thige Demuͤthigungen, fuͤr vaͤterliche Pruͤfun - „ gen, fuͤr lehrreiche Truͤbſale, fuͤr jedes uͤber - „ ſtandne Leiden, fuͤr die ganze Summe deiner „ Gutthaten, und deiner an mich gewendetenb„ Bemuͤ -XVIII„ Bemuͤhungen. — Gewoͤhne mich, von Men - „ ſchen wenig, von dir alles zu erwarten. Be - „ wahre mich vor dem ſchwarzen Undank, um ei - „ ner Truͤbſal willen, alle Gutthaten von dir zu „ vergeſſen. Erinnere mich daran, daß ich ge - „ gen dich nie mit Recht murren kann. “Dießmag eine Probe von ſeiner Denkungsart und von ſeinem Stil ſeyn. Haͤtte Sander immer ſo geſchrieben, ſo wuͤrde man ihn nie den Vor - wurf der Affectation, des Schwulſtes und der Weitſchweifigkeit gemacht haben. Fehler, die er mit der Zeit gewiß ganz abgelegt haben wuͤrde!
Alle dieſe Schriften, die Gedichte, die er bald einzeln drucken, bald in verſchiedene Mo - nathsſchriften einruͤcken laſſen, ungerechnet, ſchrieb Sander vor dem acht und zwanzigſten Jahre! Was wuͤrde er nicht noch geleiſtet haben, wenn ihm die Vorſehung ein laͤngeres Leben verliehen haͤtte! Hier iſt noch eine Schilderung ſeines Cha - rakters, wozu ich die Zuͤge aus einer oͤffentli - chen Schrift entlehne, die ich um deſto eher be - nutzen darf, da ſie meine eigene Arbeit iſt.
Sander war von mittlerer Groͤße, braͤun - lich von Geſichtsfarbe, und mehr mager als flei - ſchigt. Sein Anzug war ſimpel, und ſo lange er nicht ſprach, ſchien er ganz zu der Claſſe von gewoͤhnlichen Menſchen zu gehoͤren, nur ſein groſ - ſes feuriges Auge kuͤndigte die raſtloſe Thaͤtigkeit ſeines Geiſtes an. So bald er aber den Mund oͤfnete, ſprach er mit Feuer und Energie, und alle Zuͤge ſeines Geſichts wurden beſeelt. Er beſaß jene Leichtigkeit im Umgange, die man nurb 3durchXXIIdurch die Bekanntſchaft mit der Welt erlangt; ſeine Geſpraͤche wußte er durch eingeſtreute Anek - doten, kleine Erzaͤhlungen und treffende Anmer - kungen anziehend zu machen. Man ward nie muͤde ihn zu hoͤren, und ſeine Unterredungen nahmen faſt immer eine ernſthafte Wendung. Er war hoͤflich ohne Ceremonie, heiter ohne Ausgelaſſenheit, anſtaͤndig ohne Zwang, und freymuͤthig ohne Unbeſcheidenheit. Rang, Ti - tel und Reichthuͤmer machten keinen Eindruck auf ſein Herz, und man ward es bald gewahr, daß er im Umgange mit den Großen nie ſeine menſchliche und chriſtliche Wuͤrde verleugnete. Je mehr man ihn ſah und ſprechen hoͤrte, je mehr mußte man ihn hochachten und liebgewinnen. Er erkundigte ſich nach allem, bemerkte alles mit dem feinſten Beobachtungsgeiſte, und mußte von allem, was er ſah und bemerkte, einen ſchnellen Gebrauch zu machen. Haͤufige Beyſpiele davon findet man in ſeinen Schriften. Er deklamirte vortreflich, und muß als Redner große Wirkung hervorgebracht haben. In Wien hoͤrte man ihn mit Entzuͤcken, und ſeine neuerlich herausge - kommenen Predigten enthalten herrliche Stellen. Von Mosheim war er ein großer Verehrer, und war fuͤr die magern und von allem redneri -ſchenXXIIIſchen Schmuck entbloͤßten Kanzelvortraͤge, die mehr Diſſertationen als Volksreden ſind, nicht eingenommen. Vielleicht war aber doch ſein Stil zu blumenreich und zu uͤberladen, und er ſchien nicht ſorgfaͤltig genug zu ſeyn, das Trivia - le vom Intereſſanten zu ſcheiden. Von dem Nutzen der Kennikotſchen Arbeit machte er ſich keine großen Begriffe, und gerieth mit einem Gelehrten, der ſich groͤßere Vorſtellungen davon machte, in einen lebhaften Wortwechſel. Er war bey dieſer Gelegenheit ganz Leben. Feuer - blick des Auges, Ton der Stimme, Fluß der Rede — alles kuͤndigte das Feuer ſeines Ge - nies an. Er arbeitete, wie er mir ſagte, mit großer Leichtigkeit, und hatte ſich von fruͤher Jugend an gewoͤhnt, ſich Auszuͤge aus Buͤchern zu machen, die er las. Er beſaß eine gluͤhende Imagination, ein treues viel umfaſſendes Ge - daͤchtniß, eine gluͤckliche Erinnerungskraft, und eine Gabe, wie ſie der ſelige Klotz hatte, das Nachmittags zu lehren, was er Vormittags ge - lernt hatte. Er war immer voller Plane. Was er ſah, hoͤrte und las wurde gleich zum kuͤnftigen Gebrauch beſtimmt. Wie haͤtte er auch ſonſt ſo viel ſchreiben koͤnnen?
b 4MitXXIVMit ſeiner Lage war er nicht ganz zufrie - den. Ueberhaupt blickt ein gewiſſer Mißmuth, den man leicht fuͤr Egoismus halten koͤnnte, faſt aus allen ſeinen Schriften hervor. Er ſpricht, wie Montagne, oft von ſich, und ver - liehrt ſich wie Roußeau, ſo wenig aͤhnliches er ſonſt mit ihm hat, in bittere Klagen, uͤber den Undank, die Kaltſinnigkeit und Bosheit der Menſchen. Zum Beweiß mag folgende Stelle aus ſeinem Erbauungsbuche dienen: „ Wenn„ man mich verfolgt, herabſetzt und laͤſtert, wenn „ mich die, die mich unterſtuͤtzen ſolten, ſelbſt „ hindern, das kleine Brod in Ruhe zu eſſen, und „ in deinem Reiche Gutes zu ſtiften, ſo erinnere „ mich daran, daß dein groͤßter Apoſtel dir auch „ unter vielen Anfechtungen, und oft mit Thraͤ - „ nen dienen mußte. “---
Er beſaß uͤbrigens ein großes wohlwollen - des Herz. Er war nichts weniger, als ſtolz, neidiſch und verleumderiſch. Niemand war be - reitwilliger als er, großen Maͤnnern Gerechtigkeit wiederfahren zu laßen. Er ſprach mit Entzuͤ - cken von einem Weiſſe, Morus, Zolliko - fer, Nikolai, Teller, Semler, Spal - ding, und andern großen Maͤnnern, die er aufſeinenXXVſeinen Reiſen hatte kennen lernen, ob er gleich ihre Ideen nicht durchgaͤngig adoptirte. Beim Geheimderath Goͤthe in Weimar, ſagt’ er, habe ich einen herrlichen Abend gehabt, den ich in meinem Leben nie vergeſſen werde. Wenn *** fuhr er fort, von ſich erhalten koͤnnte, ſo ungekuͤnſtelt, natuͤrlich, und doch ſtark und kraftvoll zu ſchreiben, als er im geſellſchaftlichen Umgange ſpricht, ſo waͤren wir alle Stuͤmper gegen ihn. Seine Urtheile uͤber Menſchen und Buͤcher hatten immer das Gepraͤge der freymuͤ - thigen Wahrheitsliebe, ohne ins Beleidigende zu fallen. Schroͤckh war einer von denenje - nigen Gelehrten der neuern Zeit, die er vorzuͤg - lich hochſchaͤtzte. Alle Wunderwerke der Na - tur und Kunſt machten auf ſeine gefuͤhlvolle See - le den tiefſten Eindruck. Die Bergveſtung Koͤnigſtein, und das freyherrlich Ucker - manniſche Schloß Weſenſtein zogen ſeine Bewunderung vorzuͤglich auf ſich. Ich hatte das Vergnuͤgen, ihn an beide Orte zu begleiten, und war ein Zeuge von der Senſation, welche die durch die Kunſt verſchoͤnerte Natur in ihm er - regte. Mit Vergnuͤgen verweilte er ſich auf der Hoͤhe von Meuſegaſt, wo er die ganze pa - radieſiſche Gegend von Koͤnigſtein, Pirna,b 5Stol -XXVIStolpen, Pillniz, Sedliz und Dreßden uͤberſehen konnte. Die Kette von Weinbergen, die ſich von Pirna bis Meißen laͤngſt der Elbe hinzieht, und mit unzaͤhlichen Gebaͤuden und Luſthaͤuſern gleichſam uͤberſaͤet iſt, war fuͤr ſein Kennerauge die angenehmſte Weide. Der Standort, von dem wir die vor uns liegende, durch die Elbe verſchoͤnerte Landſchaft uͤberſa - hen, war ehemals eine buſchigte Anhoͤhe voller Steine und Dornen; allein der erfinderiſche Geiſt ſeines Beſitzers, des ſeel. Herrn Geheim - deraths Freyherrn von Uckermann hatte die - ſen wilden, faſt undurchdringlichen Platz in ei - nen geſchmackvollen Engliſchen Garten umge - ſchaffen, ihn mit einem Pavillon, Fontainen, Waſſerbehaͤltern, amerikaniſchen Gewaͤchſen, Birken - und Buchenhecken, und wilden Pro - menaden geziert. Anſtatt der Hecken und Mau - ern iſt er mit Buchen - und Eichengeſtruͤppe, wo - mit ſonſt der ganze Huͤgel bekleidet war, einge - faſſet, und dadurch mit den angrenzenden frucht - baren Saatfeldern verbunden, wodurch die gan - ze Anhoͤhe die Geſtalt eines großen unuͤberſehli - chen Gartens bekoͤmmt, welcher alle Fremde, beſonders reiſende Englaͤnder, zur entzuͤckendſten Bewunderung dahin reißt. Man fuͤhrte San -dernXXVIIdern durch Schlangengaͤnge an einen Ort, wo ihn das aus dem Grunde hervorſteigende herrli - che Schloß, nebſt den dazu gehoͤrigen Gaͤrten und Haͤuſern auf einmal ins Auge fiel. Nie werde ich den Eindruck vergeſſen, den dieſe ro - mantiſche Gegend auf ihn machte. Er ſtand ei - nige Minuten mit in einander geſchlagenen Ar - men in uͤberhangender Stellung, und ſchien zu unterſuchen, obs Feerey oder Natur waͤre, was ſein Aug’ erblickte. „ Nein, “ſagte er endlich, „ das muß ich geſtehen, ein ſolches Schloß haͤtt’ „ ich hier nicht vermuthet. Die kuͤhnſte Einbil - „ dungskraft wagt ſich das kaum zu denken, was „ Kunſt und Natur hier realiſiret haben. “ Die hohen Berge, die das Schloß von allen Seiten umgeben, und ſich gleichſam in einander winden, ſind, einige Plaͤtze ausgenommen, mit lebendi - gem Holz bewachſen. Sie bilden in der Ge - gend, wo das Schloß liegt, einen großen Keſ - ſel, vereinigen ſich nach und nach, und laſſen endlich nur ſo viel Land uͤbrig, als noͤthig zu ſeyn ſcheint, um der durchs Thal rauſchenden Muͤglitz den Aus - und Eingang zu verſtatten. In der Mitte des Thals erhebt ſich ein maͤßiger Huͤgel, welcher mit dem herrlichſten Schloß, der Bewunderung aller Fremden, uͤberbaut iſt, ausdeſſenXXVIIIdeſſen Mitte ſich der Thurm der Schloßkapelle erhebt. Zu den Sehenswuͤrdigkeiten dieſes mit der Muͤglitz umfloſſenen Schloſſes, kommt noch der Garten, das Badehaus, die in Fels gehauenen Keller, die reichen Zimmer, die Ka - pelle, und die reizenden Promenaden und Aus - ſichten. Wie ungemein Sander von allen dieſen Schoͤnheiten, noch mehr aber von der guͤ - tigen und gaſtfreien Aufnahme des Beſitzers und ſeiner hochachtungswuͤrdigen Gemahlin geruͤhrt ward, davon legt die Beſchreibung ſeines Auf - enthalts in dieſer Gegend im 2ten Theile dieſer ſeiner Reiſebeſchreibung den uͤberzeugendſten Beweis ab. Die Bergveſtung Koͤnigſtein erreg - te ſeine Bewunderung ebenfalls in einem ſehr ho - hen Grade, und die Politeſſe des daſigen Com - mendanten, des Herrn Grafen zu Solms Ex - zellenz ward von ihm ſehr geprieſen. Ueber - haupt war er aͤußerſt empfindlich gegen alle Aeuſ - ſerungen eines edlen und wohlwollenden Her - zens. So ſehr er aber die Großen ſchaͤtzte, wenn ſie ſich durch aufgeklaͤrte Kenntniſſe und ein leut - ſeliges Betragen auszeichneten, ſo ſehr ſah er ſie uͤber die Achſel an, wenn ſie die Duͤrftigkeit ih - res Geiſtes durch eine vornehm ſproͤde Miene zu decken, und den Mangel einer ſchoͤnen und tu -gend -XXIXgendhaften Seele durch zufaͤllige Vorzuͤge der Ge - burt oder des Vermoͤgens zu erſetzen ſuchten. Seine Anmerkungen, die er uͤber dieſen Gegen - ſtand machte, waren ſo freymuͤthig als bitter. Schade, daß er den Brief des Koͤnigs von Preuſ - ſen nicht geleſen hat, der neulich in den oͤffentli - chen Blaͤttern ſtand, worinne der gekroͤnte Phi - loſoph blos das perſoͤnliche Verdienſt auf Ko - ſten aller zufaͤlligen Vorzuͤge erhebt, die er ohne Umſchweife fuͤr Narrenspoſſen erklaͤrt, ſo bald ſie nicht durch Weisheit und Tugend gel - tend gemacht werden. Dieſer Brief wuͤrde ihm unendlich viel Freude gemacht haben, da er ein ſo erklaͤrter Feind der Unwiſſenheit und des win - dichten Stolzes war. Von der Religion Jeſu war ſein Herz ganz eingenommen; auch in ſeiner froͤhlichſten Laune entwiſchte ihm nichts, was mit ſeinem Eifer fuͤr Weisheit und Tugend, wo - von alle ſeine Schriften voll ſind, in Widerſpruch geſtanden haͤtte. Das Lob, welches ihm ein oͤf - fentliches Blatt ertheilt, iſt gewiß nicht uͤbertrie - ben, und jeder, der ihn von Perſon kannte, oder ihn aus ſeinen Schriften kennt, wird es unter - ſchreiben: „ Alle ſeine Schriften athmen tiefe „ innige Verehrung der Chriſtlichen Religion mit „ Waͤrme und Feuer vorgetragen, und ſind bey„ einenXXX„ einem guten Styl hinreiſſend, belehrend und „ uͤberzeugend. “
Er hoͤrte in Sachſen eine elende Predigt, voll ſchematiſchen Unſinns und homiletiſchen Geſchwaͤtzes, und noch obendrein mit der ein - ſchlaͤferndſten Monotonie hergeleyert, aber an - ſtatt daruͤber zu ſpoͤtteln, und ſeinen Witz zu zei - gen, klagt’ er mirs mit einer Art von Wehmuth, die mich ganz fuͤr ihn einnahm. „ Wie ſehr, “ſagt’ er, “iſt die arme Gemeinde zu beklagen, die „ ſich mit ſo ungeſunder und ungenießbarer Koſt „ abſpeiſen laſſen muß! “
Auch auf ſeinem Sterbebette verleugnete er ſeinen ofnen und rechtſchaffenen Charakter nicht. Als ihn ſein bekuͤmmerter Vater fragte: ob er zum Sterben willig ſey? antwortete er: Ich lerne alle Tage an dieſer Lection. Wenig Tage vor ſeinem Tode dictirte er ſeiner Jungfer Schweſter folgenden Brief an ſeine Braut:
„ Wir haben das viele empfangen, das Sie „ uns geſchicket haben. Wie ſchwach und matt„ ichXXXI„ ich jetzt bin, ſehen Sie daraus, daß meine „ Schweſter ſchreiben muß, was ich vom Bette „ muͤhſam rede. Der Huſten plagt mich manche „ Nacht und verjagt allen Schlaf. Auch am „ Tage iſt er eine erſchreckliche Plage fuͤr mich. „ Ich komme faſt den ganzen Tag nicht aus dem „ Bette. Sehen Sie, ſo bringe ich meine Zeit „ zu. Sagen Sie das Ihren Eltern und Groß - „ eltern, und denken Sie meiner vor Gott. “ Einige Zeit vorher ſchrieb er ihr eigenhaͤndig: „ Es iſt keine große Hofnung zur Geneſung da, „ und ich ſchreibe Ihnen dieß ohne Angſt und „ Schrecken. Gott wirds beſorgen und gut ma - „ chen. “
Der 1ſte October machte allen ſeinen Pla - nen, die er zum Beſten ſeiner Mitmenſchen, und zur Verherrlichung Gottes noch auszufuͤhren ge - dachte, ſo wie ſeinen Leiden, ein Ende. Sein Wunſch iſt nun erfuͤllt, den er in ſeinem Erbau - ungsbuche mit ſo viel Feuer ausdruͤcket:
„ Muͤde Glieder, wenn werdet ihr in die Er - „ de geſamlet werden! Unruhiger und geplagter „ Geiſt, wenn wirſt du zur Ruhe kommen! Du „ Leben voll Unbeſtaͤndigkeit und Kummer! wenn„ wirſtXXXI#[XXXII]„ wirſt du einmal mit der Ewigkeit abwechſeln! „ Treue Zeugen des Erloͤſers, wenn werden wir, „ ſo wie ihr, zu den Auserwaͤhlten kommen, und „ mit Jeſus Chriſtus Freud’ und Wonne haben! „ Ja, komm, Vollendeter, Geprießner, Er - „ wuͤrgter! komm und fuͤhre mich dorthin, wo „ tauſend Millionen ſchoͤner Seelen im glaͤnzen - „ den Chor, im Jubelgeſang des Himmels ſich „ bruͤderlich lieben, und ſich die Wolluſt mittheilen, „ fuͤr die die Erde keine Wohnung, und die Spra - „ che der Sterblichen keinen Namen hat!
An Madame Grotian in Hamburg.
Wie der Gedanke des Manns eilt, der mancherley Lande Hat durchwandelt, und des in ſeiner Bruſt ſich entſinnet: Hier bin ich geweſen, und dort; er denket an vieles.
Indem ich noch das Vergnuͤgen habe, Sie mit mei - nen Reiſenachrichten von Frankreich und Hol - land zu unterhalten, hab’ ich wieder eine kleine Reiſe nach Ulm, Augſpurg und Muͤnchen gemacht, und er - lauben Sie mir, daß ich alles, was ich geſehen, gefun - den, und beobachtet, ſo mit Ihnen theile, als wenn ich jetzt das Gluͤck haͤtte, bei Ihnen zu ſeyn, und mit Ih - nen zu ſprechen. Freilich iſt das nur eine Reiſe in Deutſchland geweſen; aber glauben Sie mir, in un - ſerm Vaterlande iſt noch manches, das noch gar nicht bekannt iſt, und das doch die Aufmerkſamkeit eines Rei - ſenden verdient. Vielleicht kan ich Ihnen fuͤr die Na - turkunde, fuͤr die Oekonomie, fuͤr Kuͤnſte und Handwer - ke, und fuͤr die Geſchichte der Menſchheit einiges, das nicht ganz unintereſſant iſt, erzaͤhlen.
Mein Fuhrwerk war ein Pferd. Im Trabe ha - be ich die ganze Reiſe gemacht, und ich muß Ihnen ſa - gen, daß ich in meinen Jahren dieſe Art zu reiſen ſelbſtA 2der4der Extrapoſt vorziehe: denn Sydenham hat dem Ge - lehrten mit Recht das Reiten ſehr empfohlen. Nichts erſchuͤttert ſo ſehr den ganzen Koͤrper, bringt die ſtocken - den Fluͤſſigkeiten in den feinſten Gefaͤſſen wieder in Be - wegung, ſtaͤrkt die Muskeln des Unterleibs, befoͤrdert die Verdauung, erweckt den Appetit, hilft zur unmerklichen Ausduͤnſtung, ruft den angenehmen Schlaf herbei, er - heitert den Geiſt, und beſchleunigt die Wirkungen der Phantaſie und des Verſtandes, als ein maͤſſiges, aber anhaltendes Reiten. Was iſt es fuͤr ein unnennbares Vergnuͤgen, wenn das Auge in der weiten Natur herum - ſchweifen, und in einer Sekunde den ganzen Geſichts - kreis, der vor mir liegt, durchſchauen kan! Wie gros iſt die Freude, am fruͤhen Morgen dem Erwachen des Ta - ges auf der Hoͤhe des wiehernden Pferdes zuzuſehen, und ſo wie’s immer lichter und heller wird, die grauen Nebel, die an den Bergen haͤngen, das friſche Gruͤn der Wie - ſen, den Dampf der Aecker, das ſanfte Flieſſen der Ge - waͤſſer, das Zwitſchern der Voͤgel im Walde zu hoͤren, zu ſehen, und in wenigen Augenblicken dieſe Kruͤmmung zuruͤckzulegen, um jenen Berg herumzukommen, und jetzt wieder andre Ausſichten vor ſich zu haben, und ſo in ei - nem Tage ein halbes Land zu durchſtreifen! Auch lieb’ ich dieſe Bewegung deswegen, weil dem freien uneinge - ſchloſſenen Auge nichts, kein ſchoͤner Anblick der Natur, keine Heerde, keine Gruppe ſpielender Kinder, keine Bauerhuͤtte, kein kuͤhles Thal, kein ſchattichtes Waͤld - chen entgehen kan, und wie das Auge des Matroſen ſcharf in die Ferne ſieht, weil es immer auf der unermeßlichen Flaͤche des Meeres hinauslaufen kan, ſo glaube ich auch an mir bemerkt zu haben, daß meine Augen viel friſcher, heller und geſuͤnder ſind, wenn ich mich wieder von derStudir -5Studirſtube losgeriſſen, und das goͤttliche Vergnuͤgen, der Natur auf dem Lande naͤher zu ſeyn, genoſſen habe! Das Pferd des Europaͤers iſt auch, meiner Meinung nach, dem Elefanten, dem Elenn, dem Rennthiere, dem Kameel, dem Ochſen ꝛc. weit vorzuziehen. Es verei - nigt Geſchwindigkeit und Lebhaſtigkeit mit der Kraft, lan - ge auszudauern. Der immer gleiche Schritt des Ka - meels wuͤrde mir wenigſtens unertraͤglich langweilig und einfoͤrmig vorkommen, und das allzuraſche Laufen des Elenn und des Rennthiers wuͤrde mir die Wonne rauben, die ſchoͤnen Gegenden der Natur zu genieſſen, und muͤßte nothwendig Wallungen im Gebluͤt erregen, die dem Koͤr - per ſchaͤdlich werden koͤnnten. Zum Erſtaunen iſt es auch, was fuͤr groſſe Strecken man mit einem guten und wohlgepflegten Pferde in Einem Tage zuruͤcklegen kan. Ohne Zweifel lebte unſer ſeel. Martini noch, haͤtt’ er das Reiten fruͤher angefangen, und oͤftrer wiederholt. Zu naturhiſtoriſchen Reiſen iſt ohnehin das Pferd die al - lerſchicklichſte Voiture. Es klettert auf jeden Berg, trabt auf jedem kleinen Wege fort, geht in Thaͤlern und Ber - gen zwiſchen den rauhſten Steinen ſeinen Weg fort, frißt ſich ſchnell wieder zu Kraͤften, und ſchlaͤft nur wenige Stunden. Auch iſt das Spaͤtjahr die bequemſte Zeit zu ſolchen Expeditionen. Man kan alsdann noch eher auf beſtaͤndige Witterung hoffen, als im Fruͤhjahre. Die Hitze des Sommers iſt groͤſtentheils vorbei, die Inſekten verſchwinden allmaͤhlich, und der Tag hat noch ſeine ge - hoͤrige Laͤnge. Im Fruͤhjahre iſt immer zu viel Waſſer in der Natur, das ſtoͤrt manches Vergnuͤgen, auch iſt der Koͤrper des Studirenden durch die kuͤnſtliche Waͤrme im Winter ſo weich, ſo zart und empfindlich geworden,A 3daß6daß er die Abwechſelungen der Witterung nicht ſo leicht, wie am Ende des Sommers ausſtehen kan.
Zwar bereitete ſich jetzt freilich die Natur zum Gra - be, und legte ihren Schmuck ab. Sie gab von den Baͤu - men ihre letzte Geſchenke her, die Traube ſchwoll auf, und rief dem Winzer, die Winterfrucht ſproßte ſchon wieder aus den braunen Feldern hervor, und erwartete den Schnee, der ſie decken ſollte. In vielen Gegenden ſang kein Vogel mehr. Hie und da kuͤndigte ſich ein Rabe durch ſein Geſchrei an. Mit der ſanften Farbe der Wie - ſen wechſelte das Gruͤn der Tannen ab, und zwiſchen den Tangeln der Fichten hingen die gelben, rothen, fle - ckichten, und ſchon halb verdorrten Blaͤtter der Laubbaͤu - me, wovon oft viele durch eine losgeriſſene Frucht nieder - geſchlagen und vom Stiel geriſſen wurden. Doch mach - te die unſaͤgliche Menge des Obſts, beſonders der Zwet - ſchen und der Aepfel, einen angenehmen Eindruck auf mich. Auch noch an alten und verdorrten Staͤmmen, die faſt ganz Holz zu ſeyn ſchienen, ſah man den Segen der Natur. Ueber Nacht drang die Zeitloſe, (Col - chicum autumnale L.) aus dem Schooße der Erde hervor, und verſchoͤnerte mit ihrem rothen und ſilbernen Stoff meine Lieblinge, die Wieſen.
Von Pforzheim nach Vayhingen geht der Weg groͤſtentheils an der Enz hin. Man hat immer auf der einen Seite Wieſen, auf der andern Berge, die mit vie - ler Muͤhe Terraſſenweiſe gebaut, mit ſteinernen Mauern vorne an der Straſſe eingeſaßt, und ganz mit Rebſtoͤcken bedeckt ſind. So muͤſſen etwa die Berge in Palaͤſtina ausgeſehen haben, die jetzt unter der Tuͤrkiſchen Regie -rung7rung nicht gebaut, und durch Wind und Regen ihres fruchtbaren Bodens beraubt worden ſind. Zwiſchen den Weinſtoͤcken pflanzt man noch Gurken und Kuͤrbiſſe, deren goldgelbe Fruͤchte uͤber die Terraſſen und Mauern herabhaͤngen. Sie waren in dieſem Jahre ſehr klein, vermuthlich wegen der heiſſen und trockenen Witterung, aber die aͤuſſerſten Spitzen dieſer Rankenpflanzen hatten ſchon wieder die zweite Bluͤte. Auch ſind die friſchen Quellen, die aus dieſen Weinbergen hie und da herabrie - ſeln, ungemein lieblich. Sie ſickern unter der Straſſe durch nach den Wieſen und waͤſſern ſie. Daß man in Schwaben den Straſſenbau verſteht, wird wohl je - der Reiſender zugeben muͤſſen. Nur iſt es mir auch hier, wie uͤberall unbegreiflich geweſen, daß es unmoͤglich ſeyn ſoll, auch in Doͤrfern ſelber, wo man oft verſinken koͤnn - te, einen beſſern Weg zu erhalten. Es kan nicht an - ders ſeyn, als daß die Geſundheit des Landbauern, die doch der Polizei werth ſeyn ſollte, darunter leiden muß. Sonſt fand ich in dieſer Gegend, daß die Weibsperſonen gemeiniglich Mannshuͤte tragen. Hanf wird hier nicht viel gebaut. Man bleicht ihn auf den Hecken und Zaͤu - nen, wo er unter dem Einfluß der Luft ſchneeweis wird.
Von Stuttgard nach Eßlingen geht der Weg uͤber einen ungeheuern Berg, der mit den groͤbſten Stei - nen gepflaſtert iſt. Zu beiden Seiten ſind Weinberge, die ſich in ein herrliches Wieſenthal verlieren. In Eß - lingen ſelbſt haben die Hrn. von Palm ein reiches Na - turalienkabinet, wo ich ſehr viele Mineralien, Verſteine - rungen und Inſekten aus dieſer Gegend ſah.
In Blochingen einige Stunden weiter hin, fand ich in einem Gaſthofe einen Tyroler Burſchen, derA 4mit8mit Stein-Skorpionoͤl, Theriak, Roßfalben u. dergl. im Lande herumzieht. Unmoͤglich kan ich Ihnen ſagen, was das fuͤr eine Figur war. Mehr Pavian, als Menſch! die allerunverſtaͤndlichſte und unangenehmſte Sprache, die ungeſchliffenſte Seele, ein dicker zottichter Koͤrper, halb nackend, mit wilden borſtenartigen Haaren beſetzt, faſt eckelhaft in allen Manieren, blos fuͤr Saufen und Schlafen eingenommen, rauh und wuͤſt, wie die Gebir - ge, hinter welchen ſein Land liegt. Die Leute trieben auch ihren Spaß mit ihm, und misbrauchten ihn gewal - tig. —
Bei den vielen Bergen dieſes Landes iſt ein Ueber - fluß von Waſſer da. Nach wenigen Stunden kommt man immer wieder an ein andres Fluͤßchen, und in jedem Orte ſind viele Roͤhrbrunnen, die in der Landwirthſchaft gute Dienſte thun, und der Fremde hoͤrt ſie in der Nacht beſtaͤndig laufen und rauſchen. Zuweilen laufen aber auch die kleinſten Waſſer ſchrecklich an. Man findet da - her viele und gute Bruͤcken. Bei Blochingen iſt eine ſchoͤne bedeckte Bruͤcke, die ſehr lang iſt, wie ein Haus ausſieht, und zu beiden Seiten auf dem feſten Lande auf - ſteht.
Der Nationalkarakter der Schwaben iſt gewis gut. Sie ſind ehrlich, treu, zuverlaͤſſig, willig, mit den feinen Kniffen und Raͤnken andrer Deutſchen wenig bekannt, uͤberall gutmuͤthig, und dienen gern Jeder - mann. Ich wuͤßte nichts, das ihnen fehlte, als etwas mehr Thaͤtigkeit und Elaſtizitaͤt. Auf der Straſſe thei - len ſie jedem Fremden Obſt, Nuͤſſe, Trauben mit. Die Mutter ſchickt den Jungen mit einem Hut voll noch ſchoͤn - rer Aepfel zuruͤck, wenn er nur einen Kreuzer vom Rei -ſenden9ſenden bekommen hat. Man kan ſie am Morgen fruͤh in den Haͤuſern ſingen hoͤren, und um Mittag hoͤren Sie im ſtillen Dorfe faſt in jedem Hauſe das Gebet der Kin - der zum Eſſen. Ich geſtehe Ihnen, liebſte Freun - din! daß mir das ungemein wohl gefiel. In Frank - reich hab’ ich das aufm Lande nie gefunden.
Hinter Blochingen kommt man in das Filsthal, eine wirklich ſehr tiefliegende Gegend, die von der Fils durchſtroͤmt wird. Goͤppingen ſcheint ein ſehr nahrhaf - ter Ort zu ſeyn. Seine Felder lagen jetzt meiſt in der Brache, und ſo ganz mit Steinen bedeckt, hab’ ich noch nirgends die Aecker gefunden, wie hier. Die Bauern aber ſagten mir, daß ſie demohngeachtet viele Fruͤchte truͤgen, ſie muͤßten den Duͤnger zwiſchen die Stei - ne hineinbringen. Am fruͤhen Morgen ſah ich da, daß die Schwalben ſich ſchon (den 25. Sept.) zum Weg - ziehen verſammelten. Weiter hinein wird das Land rau - her, Gebuͤrge, wie die Alpen, ſchlieſſen es von beiden Seiten ein, das iſt dem Reiſenden ſehr unangenehm, aber die Majeſtaͤt dieſer waldichten Berge iſt doch wirklich mehr, als eingebildet. Dazu kommt das hundertfaͤltige Geklimper der Viehheerden, die auf dieſen Abhaͤngen in der Weide gehen. Faſt jedes Stuͤck Vieh hat eine Glo - cke am Halſe, weil ſie ſich oft verirren, und durch das Klingeln der Glocke wieder gefunden werden. Oft iſt man ganz von dieſen hohen Bergen eingeſchloſſen, und hat ein Thal und Waſſer und Wald und Felder vor ſich, die ungemein ſchoͤn von der Natur zuſammengeſtellt ſind. Wie oft dacht’ ich, wenn die Sonne ſo lieblich ih - re Stralen uͤber die Gipfel der Berge in den ſchlaͤngeln - den Bach warf:
A 5Schoͤn10Geißlingen iſt das Staͤdtchen, dem wir jetzt am naͤchſten ſind, und da hielt ich mich gerne einige Stun - den auf. Geißlinger Arbeit haben Sie gewis ſchon oft geſehen. Sie geht mit dem Nuͤrnberger Tand in der halben Welt herum. Der Ort iſt ein Beweis von der Richtigkeit der Anmerkung: daß in rauhen und unfrucht - baren Gegenden die Induſtrie der Menſchen erweckt und geſchaͤrft wird. Ganz in einem Keſſel, auf allen Seiten von den greulichſten Bergen umgeben, liegt das Staͤdt - chen, das uͤbrigens nicht ſchlecht gebaut, und heitrer iſt, als Ulm. Man graͤbt uͤberall Bauſteine aus der Erde. Auch die Plaͤtze, die etwa noch fuͤr Ackerfeld angeſehen werden koͤnnten, ſind ganz mit Steinen angefuͤllt, welche die Farbe des Pariſer Bauſteins haben, aber viel feſter und haͤrter ſind. Die Leute wiſſen ihre Kuͤnſteleien dem Fremden mit vieler Beredſamkeit anzuſchwatzen. Ich war kaum abgeſtiegen, ſo war ich ſchon von Weibern und Kindern umringt, die alle einen Korb voll Sachen hat - ten, und jede Frau ruͤhmte ihre Waare mehr, als die andre. Man kan fuͤr einen halben Gulden vielerlei kau - fen, und man muß es thun, will man Ruhe haben. Das war mir aber nicht hinreichend. Ich lies mich zu einem Beindrechsler fuͤhren, und ſah ſelbſt der Arbeit zu. Sie erhalten die Knochen von Strasburg, Schafhau - ſen, Muͤnchen. Die Knochen der Ochſen, die man oft durch unſer Vaterland Heerdenweiſe aus der Schweiz nach Strasburg treibt, werden in Geißlingen verar - beitet. Man kauft ſie nicht dem Gewichte nach, ſondern Tauſendweiſe. Sie bekommen ſie ungebleicht, und um das thieriſche Fett herauszubringen, werden die Gebeinein11in der Lauge einen ganzen Tag gekocht. Man ſieht hier keine andre Knochen vom Ochſen, als die Vorder - und die Hinterfuͤſſe. Die Schenkelknochen, ſagten die Leute, ſind zu hart, und werden nicht rund. Hundert Knochen Poſtfrei von Strasburg nach Geißlingen in eignen Guͤterfuhren gebracht, koſten 3. Gulden und 20. Kr. Die Vorderknochen ſind etwas breiter, die hintern ſind ſchon von Natur mehr rund. Knochen von gar zu jun - gen Kaͤlbern koͤnnen ſie nicht brauchen, ſie ſind zu weich und brechen unter der Arbeit. Aber vom Schmahlvieh werden die Knochen gebraucht, doch gelten ſie nicht ſo viel, als die von den Ochſen. Der Mann, deſſen Werk - ſtaͤtte ich beſuchte, war ein gelernter Holzdreher, und er verſicherte mich, daß er ohne Muͤhe, wiewohl doch einige Inſtrumente anders ausſehen, das Beindrechslen in Am - ſterdam gelernt habe. Der Knochen wird eben ſo, wie das Holz, in einen Drehſtuhl eingeſpannt, und laͤuft, indeſſen, daß der Kerl daran arbeitet, beſtaͤndig herum. Zum Schraubendrehen haben ſie eigne Werkzeuge. Sie machen Nadelbuͤchschen, Spulen, Geldbuͤchschen, Spie - le, kleine Schraͤnke, Knoͤpfe, Aufſaͤtze, Leuchter, Ohren - loͤffel, Kinderſpielſachen, Becher, Kugeln ꝛc. Wohl - feil iſt die Arbeit ſehr, man begreift kaum, wie die Leute davon leben koͤnnen, und doch ſind faſt 30. Meiſter in dem Staͤdtchen.
Die Geißlinger ſchicken viel Waaren nach Stras - burg, von dort gehen ſie nach Bordeaux, Aix, Au - xerre ꝛc. Ich fragte auch nach der Anwendung, die ſie von den abfallenden Spaͤnen machen, die ſehr fein, wie Staub werden. Ehemals holten ſie die Bauern vom Lande, und duͤngten die Felder damit, zahlten aber faſtnichts12nichts dafuͤr. Seitdem aber das Gypſen der Felder auch in dieſen Gegenden angefangen hat, haben die Arbeiter auch dieſen kleinen Gewinn verloren, und werfen jetzt die Spaͤne weg. Auch Roſenholz und Horn wird hier ver - arbeitet. Elfenbein auch, aber nicht viel, es iſt fuͤr dieſe Arbeit zu theuer; in Nuͤrnberg ſelber koſtet das Pfund gutes Elfenbein 3. Gulden. Die Leute wuͤnſchten, daß ſie’s von Duͤnkirchen bekommen koͤnnten, aber es ſcheint, als wenn ſie von der Obrigkeit in Ulm nicht genug unter - ſtuͤtzt wuͤrden. Einige auſſerordentlich ſchoͤn geſchnitzte Stuͤcke habe ich in ihren Magazinen geſehen, die den Schwaben Ehre machen. Ihre Frauen machen die ſo - genannte Spittelarbeit. Das ſind Schachteln mit kleinen Schnizeln von allerhand gefaͤrbtem Papier beſetzt, wovon man immer eine in die andre ſetzen kan, und die bei Weinachtsgeſchenken den Kindern groſſe Freude ma - chen. Aber daran iſt noch weniger als an der Knochen - arbeit zu verdienen.
In Ulm ſahe ich bei Hrn. Rektor und Prof. Miller eine ſchoͤne Naturalienſammlung, die der liebenswuͤrdige Mann vor kurzem erſt angefangen hat, und bei ſeinem Unterrichte zum Beſten der jungen Leute anwendet. Ich fand da ſonderlich Kieſel aus der Iller, Donau, Blaw; in einem getrockneten Schwamme die Haͤlfte von einer weiſſen Kammmuſchel, auf welcher oben Tu - buli vermiculares ſitzen; Eichenholz, dergleichen an der Iller waͤchſt; die Rinde vom Gewuͤrznelkenbaum, (Caryophillus aromatica L.) die ungemein wohl riecht, und die ich ſelber nebſt vielen andern, durch die Guͤtigkeit des Hrn. Rektors beſitze. Apfelholz in ſei - ner reichen Holzſammlung, das halbgruͤn iſt; Marmoraus13aus Tyrol, Bayern, Salzburg; Marmor mit Schwefelkies; ein Stuͤck Marmor, auf welchen ein weiſ - ſer Circellus mit einem ſchwarzen Mittelpunkt; und alle dieſe Stuͤcke ſind im Zuchthauſe, wie Spiegel polirt worden; Marmor von Altorf mit groſſen Ammoniten; drei Korallenzinken, die oben ſo zuſammen gewachſen ſind, daß ſie uͤberall geſchloſſen ſind; eine ſehr groſſe Granate, (die auch in Augſpurg ſehr wohlfeil geſchlif - fen worden;) ein Stuͤck Bernſtein, roth und hell, wie der ſchoͤnſte Honig; Stuͤcke von einem verſteinerten Ochſenkopf, die im Ulmiſchen gefunden worden, und welche die Metzger noch erkannt haben; Steinkohlen von Lebſtein, auch im Gebiete der Stadt Ulm; Ga - gat aus dem Wuͤrtembergiſchen, und bei dieſer Gele - genheit will ich Ihnen ſagen, daß wir im Lande eben ſo ſchoͤnen Gagat haben, naͤmlich bei Ober-Eggenen in der Landgrafſchaft Sauſenberg.
Das Ulmer Muͤnſter kan Sie, wenn Sie ein - mal dahin kommen, einen halben Tag beſchaͤftigen. Ein altes, maſſives, weitlaͤuftiges, ehrwuͤrdiges Gebaͤude, an dem man die Geduld, die Arbeitſamkeit, den feſten Sinn, und den ſoliden Geſchmack der Vorfahren bewundern muß. In der Sakriſtei haͤngt eine herrliche Geburt Chriſti von Rottenhammer. Das Gebaͤude ſelber iſt im 11. Jahr - hundert aufgefuͤhrt worden. Bis auf den Platz, wo die Waͤchter wohnen, geht man 401. Stufen hinauf. Kai - ſer Maximilianus I. war auch hier oben, und ſchenkte hernach ſein Gemaͤlde hierher. Es haͤngt ohne alle Ein - faſſung und Bedeckung an der Wand, und doch haben ſich die Farben ungemein wohl erhalten. Der Kaiſer war, nach dieſem Bilde zu urtheilen, ein ſchoͤner lieberMann.14Mann. Man hat oben auf dem Kranze eine unver - gleichliche Ausſicht nach den Tyroler Gebuͤrgen, nach Dillingen, Donauwerth. Man ſieht die eiſernen Stangen, an welchen im Fall einer Feuersnoth groſſe La - ternen nach der Stadt, wo der Brand entſtanden iſt, ausgehangen werden. Im Anfange dieſes Jahrhun - derts hatten die Franzoſen oben auf dem Kranze des Thurms ein Wachfeuer angemacht. Da ging einer von den Waͤchtern, Namens Rumey, herab zu ſeiner Obrig - keit, und fragte an, ob er nicht einen Franzoſen nach dem andern beim Kopfe nehmen, und herabſtuͤrzen duͤrfe? Sehen Sie die Vaterlandsliebe, den Muth, und die ed - le Dreiſtigkeit dieſes ehrlichen Schwaben. Es verdroß ihn, daß ſo ein altes anſehnliches Gebaͤude, die Zierde ſeiner Stadt, an der man 111. Jahre gebaut hatte, durch den Muthwillen der Franzoſen in Brand gerathen ſollte. Wegen der Feuersgefahr ſind oben 36. Waſſerkeſſel, die aber durch die Laͤnge der Zeit ganz ausduͤnſten. Im Glockenhauſe haͤngen Glocken von 75. und andre von 85. Zentnern. Die eiſernen Schwengel verwittern und ſchillern ab, aber nicht die bronzenen Glocken ſelber. An den ſteinernen Pfoſten ſieht man Spuren von der fuͤrch - terlichen Gewalt, womit der Blitz in der Neujahrsnacht 1779. hier in der Nachbarſchaft eines eiſernen Gitters herablief, ſo wie man ſie auch unten in der Kirche am Fuſſe der Orgel ſehen kan. Und doch gibt es noch im - mer Leute, die, wenn ſie den ſichtbaren Nutzen der Ablei - ter ruͤhmen hoͤren, den albernen Einfall wiederkaͤuen: Man ſoll der Vorſehung Gottes nicht vorgreifen. Gra - de als wenn wir armen Sterblichen durch unſere Gewit - terſtangen die tauſendfachen Kraͤfte der Natur ſo baͤndi - gen koͤnnten, daß uns Gott mit aller ſeiner Macht, nichtmehr15mehr toͤdten koͤnnte. Der ſteinerne Fuß des Glockenhau - ſes iſt ganz mit Moos bewachſen. So hoch fliegt alſo der Saamen dieſer feinen Pflanzen mitten in der Stadt herum. Unbegreiflich iſt’s, wie die Leute ehemals die greulichen Maſſen da herauf gebracht haben. Und durch die ungeheuren Brocken von Steinen gehen eiſerne Haf - ten und Baͤnder hier und da ganz durch. Aber jeder Buͤrger und Einwohner der Stadt half damals, als der Bau unternommen wurde. In der Kirche ſelber ſieht man alte Gruften, Kapellen, alte und verdorbene Ge - maͤlde von Duͤrer, Familienwappen ꝛc. An den alten ſchoͤnen Bildſchnitzereien von Eichenholz im Chore iſt noch nicht eine wurmſtichige Stelle, da hingegen alles, was in neuen Zeiten daran[ausgebeſſert] worden iſt, aus viel ſchlechtern unausgetrocknetem Holze gemacht wird. Wenn man Sonntags in dieſer Kirche der Kommunion zuſieht, ſo kan man ſich wohl auch bei der feierlichſten Handlung nicht enthalten, zuweilen eine laͤchelnde Mine zu machen. Dazu zwingen den Fremden die Ulmer Kleidertrachten, die ſo mannichfaltig, ſo eckicht, ſo ſteif, ſo gothiſch, ſo abgeſchmackt, ſo gefaͤltelt, ſo friſirt, ſo ſonderbar ausge - ſchnitten, ſo buntſchaͤckicht, ſo unbeſchreiblich widerlich und grotesk ſind, daß man ſie in manchen andern Staͤd - ten auf der Redoute brauchen koͤnnte. Abzeichnen und illuminiren ſollte man ſie um der Sonderbarkeit willen, wie die Ruſſiſche Kaiſerin ihre Nation abmalen lies. Die alten Matronen, die ſich der Welt nicht gleich ſtellen wollen, vermuthlich weil ſie nicht mehr koͤnnen, halten noch feſt an dieſen hergebrachten und veralterten Kleider - moden. Und bei der Kommunion ſonderlich ſieht man alle moͤgliche Editionen. Wer’s nicht weis, der wuͤrde wahrhaſtig uͤber manche Figuren erſchrecken. Der groͤ -ſte16ſte Theil des aufwachſenden Frauenzimmers verlaͤſt indes gern die Sitten des vorigen Jahrhunderts, und kleidet ſich natuͤrlicher, freier und ſimpler. Die Buͤrgermaͤdchen gehen recht artig und niedlich gekleidet, ohne ſich mit Putz, Poſchen, Strauſſen - und Reiherfedern unnatuͤrlich zu verunſtalten. Sonſt hab’ ich noch in Ulmiſchen Kir - chen eine Unanſtaͤndigkeit bemerkt, die ich zu Steuer der Wahrheit nicht verſchweigen kan. Man erlaubt auch jungen, ſtarken, und geſunden Leuten, die groſſen Huͤte waͤhrend dem Gottesdienſte aufzuſetzen. Auch hat faſt jede Perſon ihren eignen Sitz, der aufgeſchlagen und nie - dergelaſſen werden kann. Da entſteht nun beim Anfan - ge der Predigt ein ſolcher Laͤrmen in der groſſen weiten Kirche, daß man bei ganz andern Anlaͤſſen zu ſeyn glaubt. Der Apoſtel wuͤrde eine Vorſchrift der Wohlanſtaͤndigkeit und der Sittſamkeit wiederholt haben, wenn er das ge - hoͤrt haͤtte. Auch iſt es vielleicht keine gute Einrichtung, daß man am fruͤhen Morgen ſchon zu ſingen anfaͤngt, und erſt nach etlichen Stunden predigt. Waͤhrend dem Singen, das doch ein Gebet zu Gott iſt, hoͤrt das Lau - fen nicht auf. Viele, die aus der Gottſeligkeit ein Ge - werbe machen, ſingen ſich faſt heiſer, und denken nichts dabei. Andre kommen gar nicht zum Singen, und ver - lieren, um nicht uͤberladen zu werden, dieſe Art der Er - bauung ganz. Auch faͤllt es dem Fremden ſehr auf, wenn Leute, die ſonſt einen Namen haben, die Liturgien und Gebete ſo unverſtaͤndlich, eilfertig und unangenehm herableſen, daß man nichts denken, nichts fuͤhlen kan, auch nicht zuhoͤren mag. Ein Beweis, meine Liebſte! daß wir wahrhaftig auch in proteſtantiſchen Kirchen am oͤffentlichen Unterrichte noch manches zu verbeſſern haben. Darf ich es ſagen, man hoͤrt zu wenig die pia deſideria,die17die Klagen und Beſchwerden des edlern Theils der Zuhoͤ - rer. Die Konſiſtorien ſind gar oft zu gelinde, und uͤber - ſehen manchem Prediger unverzeihliche Fehler, Nachlaͤſ - ſigkeit, und die allerſchaͤdlichſten Gewohnheiten. Oft nimmt gar ein Konfrater die Maͤngel des andern in Schutz, und bedeckt alles mit dem Mantel der bruͤderli - chen Liebe. Doch jetzt ſind wir auf der Reiſe. Alſo St! St! — —
Ulm iſt uͤbrigens ein Ort, wo man ſich mit guten Freunden viel unſchuldige Freude machen kan. Die Stadt hat wenig reizendes, aber die Leute ſind umgaͤng - lich, geſellſchaftlich. Ihre Lage hat den Vortheil, daß beſtaͤndig Fremde da einkehren. Die Kreisverſamm - lung belebt den Ort alle Jahre einmal. Ein eignes Haus dazu iſt nicht da, der Rath weicht alsdann dem Kreiſe, und verſammelt ſich anderswo. Das Stein - heile iſt ein Luſtwaͤldchen an der Donau, wo taͤglich muntre Geſellſchaften zuſammen kommen. Durch die Brunnenſtube wird die Stadt mit Waſſer verſehen, denn es ſind nicht genug Quellen da. Die barbariſchen Geſetze, die man ehemals gegen die Juden gab, haben noch hier zur Schande der Chriſtenheit ihre Kraft. Man ſieht in der Stadt keine Juden, ſie muͤſſen jede Stunde bezahlen, die ſie in Ulm zubringen wollen: nur etliche wenige Familien haben darin mehr Freiheit. Grade als wenn wir Herren der Erde waͤren, und unſern Mit - menſchen verwehren koͤnnten, irgendwo Luft zu ſchoͤpfen! —
Der Wall um die Stadt heißt der Bau, weil er groͤſtentheils gemauert iſt, und auch beſtaͤndig verſchloſſen wird. Man hat aber faſt in jedem mittelmaͤſſigen Hauſe einen Schluͤſſel dazu, und es iſt wegen der Ab -Zweiter Theil. Bwechſelung18wechſelung und der ſchoͤnen Ausſichten ein ſehr angeneh - mer Spaziergang. Als ich einmahl an dem Thore bei der Donaubruͤcke war, kamen 5. engliſche Matroſen da - her gelaufen, die ihrer Auſſage nach verungluͤckt waren, und von Livorno zu Fuß nach England gehen wollten. Hier waren die armen Leute, unter welchen drei Irrlaͤn - der waren, wie vom Himmel herabgefallen. Sie ver - ſtanden nicht deutſch, und in Ulm ſind wenig Menſchen, die Engliſch ſprechen. Ich machte den Dolmetſcher zwi - ſchen ihnen und dem wachhabenden Offizier, und half ih - nen ſo gut ich konnte, daß ſie nach der Stadt gehen, und Brot und Bier kaufen konnten. Sie koͤnnen nicht glauben, wie ſich die Leute freuten, da ſie doch jemand fanden, der ſie verſtehen und ihnen das Noͤthigſte wieder ſagen konnte. Die Denkungsart und Lebensart der Ul - mer Reichsbuͤrger wird durch die Bemuͤhungen ihrer jun - gen Theologen und andrer Leute, welche die Auswelt ge - ſehen haben, immer mehr verbeſſert.
Von Ulm nach Augſpurg geht der Weg zuerſt uͤber die ſchoͤnſten Fruchtfelder hin. Um Guͤnzburg herum wird viel Hopfen gebaut, ich ſah uͤberall die Ho - pfenſtangen haufenweis beiſammen ſtehen, und Bier iſt in dieſen Gegenden das allgemeine Getraͤnke. In eini - gen Oertern knitſchten die Weiber Hanf. Die Ma - ſchine zu dieſem Zerknacken der Hanfſtengel iſt bei uns ſo niedrig, daß die Weibsperſon ſtehen, und den Hanfbuͤ - ſchel immer weiter vorziehen muß. Hier fand ich die Knitſche oder Breche hoͤher, die Frau ſitzt auf einem Klotze dazu, vorne an die Maſchine hin, hebt den obern Theil auf und ſchlaͤgt immer auf den Hanf mit der rechten Hand hin, indem ſie ihn mit der linken immer weitervorzieht.19vorzieht. Weiter hin findet man Waldungen, in wel - chen es wegen der herumſtreichenden Bettler eben nicht gar ſicher iſt. Kinder und Weiber muͤſſen den Fremden mit Betteln erſt aufhalten, indeſſen zeigen ſich oͤfters baumſtarke Kerle, die im Walde liegen, und im Muͤſ - ſiggange Bosheiten ausuͤben.
Burgau iſt ein artiges wohlgebautes Staͤdtchen, die Leute ſind hoͤflich, und ſcheinen in vielem Wohlſtande zu leben. Man ruͤſtete ſich eben auf den Jahrmarkt, und da wurde keines Schweines geſchont, und ganze Haufen von Gaͤnſen abgeſchlachtet. Unter dem Haber baut man hier viele Wicken, und die Pferde freſſen das Gemengſel ſehr gern.
Sommerhauſen, die letzte Station vor Augſpurg, gehoͤrt zum Bisthum Dillingen, oder in das Trieri - ſche, und wenn man das nicht wuͤſte, ſo wuͤrde man’s an der Menge Bettler ſehen, die der Polizei des Landes wahrhaftig zum Vorwurfe gereichen. Ich theilte in der Stunde, die ich im Gaſthofe zubrachte, manchem mit, und doch holte mir einer vor meinen Augen mit der groͤ - ſten Unverſchaͤmtheit das Brot, das ich mir hatte geben laſſen, vom Tiſche weg. O ihr Fuͤrſten! wenn werdet ihr doch einmahl die groſſe Weisheit lernen, auf jeden Menſchen, auf jeden Buͤrger, der euch gebohren wird, einen Werth zu ſetzen, und eure politiſchoͤkonomiſche Sorg - falt wenigſtens ſo weit erſtrecken, daß jeder Gelegenheit zur Arbeit bekommt, und keine Kraͤfte fuͤr den Staat ver - lohren geben! Eine eigne Art von Kopfputz ſah ich hier an einigen Frauenzimmern. Die Haare werden auf dem Kopfe zuſammengeflochten, faſt ſo wie in Strasburg. damit ſie zuſammen halten, ſteckt das Frauenzimmer eineB 2ſilberne20ſilberne Haarnadel durch, die aber breiter iſt, als ein Loͤf - felſtiel, und vorne, wo ſie aus den Haaren herausſteht, iſt ein ſilbernes rundes Plaͤttchen daran, das mit Grana - ten, und mit Edelgeſteinen beſetzt, und daher theuer iſt.
Zur deutſchen Sprachkunſt muß ich Ihnen doch auch einen kleinen Beitrag liefern. Die Ausſprache iſt nicht immer ſchoͤn, und richtig. Olfe ſagt man ſtatt Eilfe; klone ſagt man ſtatt kleine; Hiri heiſt ein Huhn, (bei Frankfurt ſagt man: ein Hinkel, ſtatt eine Henne!) Aber viele gute ſonſt nicht mehr uͤbliche Woͤrter haben die Schwaben noch erhalten, z. B. ein handſamer Menſch heiſt ein ſchoͤner artiger Menſch, den man brauchen kan. Iſt dieſes nicht das engliſche handſome? — Ein be - haltſames Gedaͤchtnis. Sagt da der Schwabe nicht mit Einem Worte, was ſonſt umſchrieben werden muß? Aber ein ganz beſondrer Provincialismus iſt es, wenn Schaffen in dieſen Gegenden ſo viel heiſt als Fragen, verlangen, demander: was ſchaffen Sie? das heiſt: Was befehlen, was wollen Sie? Es iſt aber un - moͤglich, daß das gemeine Volk Richtigkeit und Reinig - keit der Sprache lerne, da ſelbſt in Befehlen, oͤffentlichen Nachrichten, Anſchlaͤgen und Verordnungen, die von der Kanzlei ausgehen, die groͤbſten Fehler gegen die Regeln der Konſtruktion und der Ortographie vorkommen, wo - von ich Ihnen viele Beiſpiele geben koͤnnte.
Auſſer Hamburg iſt wohl keine alte Stadt, die ſo ſchoͤn waͤre, als Augſpurg. Sie hat die ganze Magni - ficenz des vorigen Jahrhunderts, und uͤbertrift von dieſer Seite Ulm unendlich. Die Straſſen ſind hell, einige ſehr breit, grade und lang, die Haͤuſer alle hoch, aber nach einem mannichfaltigen, doch regelmaͤſſigen Geſchmackgebaut;21gebaut; das Pflaſter in der Stadt iſt gut, man laͤuft eben weg, und es wird mit Sorgfalt unterhalten; vor den Haͤuſern ſtehen oft Strebepfeiler von Bayriſchen Marmor. An einigen Gegenden ſieht die Stadt grade ſo, wie Strasburg, aus. Inwendig in den Haͤuſern ahmt man die hollaͤndiſche Reinlichkeit und Pracht nach: aber die Sprache der gemeinen Leute iſt ſehr unverſtaͤnd - lich, und man ſtoͤßt auf gewaltige Spiesbuͤrger. Eini - ge Adeliche haben neue Haͤuſer gebaut, die ſo gros und ſchoͤn ſind, daß man den finſtern Platz bedauren muß, auf dem ſie ſtehen. Schon in der Ferne praͤſentirt ſich Augſpurg ſehr ſchoͤn. Die Stadt liegt in einer Ebne, hat Kirchthuͤrme, und doch nicht zuviel, iſt mit Feſtungs - werken und Spaziergaͤngen umgeben, hat etwas anzie - hendes, ſo daß man nicht lange darinnen iſt, ohne den Gedanken zu haben, daß Augſpurg zu einer deutſchen Kaiſerſtadt recht beſtimmt zu ſeyn ſcheint. Schade, daß ſo wenige Gaͤrten und Landguͤter dazu gehoͤren. Die Stadt hat gar kein Gebiet. Sie lebt von Schwaben und Bayern, und muß dieſen beiden Nachbarn alles theuer abkaufen. Die Gleichheit beider Religionen hin - dert ohne Zweifel, daß mancher guter Wunſch nicht aus - gefuͤhrt werden kan. Die katholiſchen Geiſtlichen thun und behalten alles, weil die Lutheriſchen auf ſie Acht ge - ben, und um der Pfaffen und um des Poͤbels willen bleiben die proteſtantiſchen Lehrer auch bei manchem, das freilich beſſer ſeyn koͤnnte. Die Intoleranz der Ka - tholicken iſt noch ſo gros, daß ein proteſtantiſcher Predi - ger in ſeinem geiſtlichen Kleide ſich nicht getraute, mit mir in die Exjeſuiterkirche zu gehen, um einige Gemaͤlde zu beſehen, er muſte befuͤrchten, vom Poͤbel inſultirt zu werden. Man macht dem edlern Theile der BuͤrgerſchaftB 3den22den Vorwurf, daß ſie ungeſellig waͤren, und es iſt wahr, ſie halten nicht einmahl unter ſich ſelber Geſellſchaften. Der niedre Theil der Buͤrgerſchaft aber kommt unfehlbar alle Abende im Bierhauſe zuſammen, wo beim Toback manche Stunde verplaudert wird. Man hat zum An - zuͤnden der Pfeifen in dieſen, ſo wie in vielen andern Ge - genden, duͤnne lange, vermuthlich mit einem Ziehmeſſer abgezogene lange Spaͤne von Tannenholz, die leicht Feuer fangen. Alle Pfeifen aus Thon muß man aus Holland, oder von Koͤlln kommen laſſen, daher raucht man meiſt aus hoͤlzernen oder hornenen Pfeifen. Un - glaublich iſt die Menge des Biers, aber man hat es auch ſehr gut. Am oͤffentlichen Unterrichte fehlt es in Augſpurg nicht. In den 6. Kirchen, die den Prote - ſtanten gehoͤren, wird an jedem Sonntage 15. mahl und in der Woche 28. mahl gepredigt! Wenn wird man doch einmahl den wichtigen Schaden einſehen, den das taͤgli - che und uͤberfluͤſſige Predigen auf die Prediger, auf die Zuhoͤrer, und auf den Vortrag ſelber nothwendig haben muß? Artig iſt es, daß das Allmoſen beim Eingang und Ausgang der Kirche in den Klingelbeutel geſammelt, und die Unruhe, die dadurch entſteht, waͤhrend der Predigt vermieden wird. Freilich kan auf dieſe Art der, welcher ſonſt nichts geben wuͤrde, aber doch aus Schande gibt, weil er in einer Reihe andrer ſitzt, die auf ihn ſchauen, durch - kommen, ohne daß ſein Geiz durch eine andre Leidenſchaft uͤberwunden wird. Allein ganz uͤberfluͤſſig, duͤnkt mir, iſt der Meßner, oder Kuͤſter auf der Kanzel hinter dem Prediger. Dieſer Mann geht auch ſchwarzgekleidet ſorg - faͤltig mit, macht die Thuͤre auf, ſetzt ſich oben hin, und ſervirt den Prediger ordentlich, nimmt die Buͤcher weg, gibt andre her, macht ſich ein unnoͤthiges Geſchaͤft, oderſoll23ſoll wohl gar im Fall, daß der Herr Senior ohnmaͤchtig wuͤrde, Ihro Hochwuͤrden herabbringen! In der Bar - fuͤſſer und in der katholiſchen Kreuzkirche ſind ſchoͤne Ma - lereien von Goetz*)Gottfr. Bernh. Goetz. geb. 1708. zu Kloſier Welch - rod in Maͤhren, lernte beim Freskomaler Ekſtein in Bruͤnn und arbeitete dann bei Bergmuͤller in Aug - ſpurg, ließ ſich auch daſelbſt nieder und trieb neben der Ausuͤbung ſeiner Kunſt einen Kunſthandel. Sei - ne Gemaͤlde ſind Altarblaͤtter und Frescomalereien, in denen man gute Zeichnung, ſinnreiche Erfindung und ein angenehmes Kolorit bemerkt. S. N. Bibl. d. ſch. Wiſſ. 1. B. S. 159. In der kathol. Kreuzkirche iſt beſonders auch das Altarblatt merkwuͤrdig; weil es eins von Rotten - hammers beſten Werken iſt. Es ſtellt die Herrlich - keit der Heiligen im Himmel vor. Herausgeber. und in der Exjeſuiterkirche Al - tarblaͤtter von Schoͤnfeld, auch ſonſt viel ſchoͤnes von Lucas Cranach; ſo wie man uͤberhaupt in allen Kir - chen ſehr reiche, ſchwere und praͤchtig gearbeitete Vaſa ſacra ſehen kan, die von reichen Leuten geſchenkt worden.
Ein merkwuͤrdiges mechaniſches Kunſtſtuͤck in Aug - ſpurg iſt der ſogenannte Einlaß. K. Maximilian hielt ſich wegen der Gemſenjagd oft in dieſen Gegenden auf. Die Reichsſtadt blieb aber bei ihrem alten Ge - brauch, und ſchloß die Thore fruͤhzeitig. Der Kaiſer, dem dies unangenehm war, ſann auf einen Ausweg, und brachte 1514. aus Tyrol einen ſehr geſchickten Hufſchmidt mit, der auf Koſten der Stadt auf einer Seite des Walls dem Kaiſer zu Gefallen folgende Einrichtung machen mu -B 4ſte.24ſte. Auf dem Walle iſt ein bedecktes Haus, wie ein Schoppen mit einer Thuͤre, die durch eiſerne Zuͤge, die zu beiden Seiten laͤngſt des Dachs hinlaufen, ſobald eine auſſen angebrachte Glocke dem Waͤchter auf dem Ein - laſſe das Zeichen gibt, daß er eine gewiſſe in ſeinem Zim - mer angebrachte Stange loslaſſen ſoll, ſich von ſelbſt oͤf - net. Dann trat der Kaiſer durch dies Haus, und hin - ter ihm ſchlos ſich die Thuͤre. So wie er vom Walle naͤher zum Hauſe kam, oͤfnete ſich ein eiſernes Gitter, und zugleich ſank eine groſſe Ziehbruͤcke langſam herab, und brachte den Kaiſer uͤber den Graben in das erſte Theil des Hauſes. So wie er da war, ſtieg die Ziehbruͤ - cke wieder in die Hoͤhe, dadurch wurde es in dem erſten Viereck des Hauſes dunkel. Aber ſo wie es finſter ward, oͤfnete ſich im Hauſe, ohne daß man die Triebwerke ſah, die erſte Thuͤre, der Kaiſer ging durch, hinter ihm ſchlos ſie ſich, die zweite hingegen oͤfnete ſich, und indem ſich dieſe zuſchlos, oͤfnete ſich die dritte, und durch dieſe kam Maximilian in die Stadt. Lange verweilen darf man ſich nicht zwiſchen zwei Thuͤren, ſonſt iſt man in einem dunkeln Gemach gefangen, und das ganze Spiel muß wieder von vorne angefangen werden, um den Eingeſchloſ - ſenen zu befreien. Um das zu verhuͤten, brachte der Hufſchmidt an jeder Thuͤre noch einige Haken an, ſo daß die Thuͤre fuͤr einen, fuͤr 2. fuͤr 3. Menſchen geoͤfnet, und eine Zeit lang ſo erhalten werden kan. Dies iſt beſon - ders im letzten Zimmer, wo man die Leute eben ſo, wie unter dem Thore ausfragen konnte. Auch ſind oben Gal - lerien angebracht, damit die, welche das Werk trieben, ſehen konnten, wie viel Perſonen eingelaſſen werden woll - ten. Auch iſt da ein kupfernes Koͤrbchen, das in der Ab - ſicht, daß die Fremden die Bezahlung hineinlegen konn -ten,25ten, herabgelaſſen wurde. Auſſen ſieht das Gebaͤude wie ein Thurm, wie ein Gefaͤngnis aus. Inwendig ſind die Maſchinen ſelber tief im Boden verſteckt; in der Wohnung des Aufſehers ſieht man faſt nichts, als ein Rad, das ohne Muͤhe von einer Weibsperſon in Bewe - gung geſetzt werden kan, und das Obertheil von einem eiſernen Baume, auf dem im ganzen Werke das Meiſte ankommen ſoll, und der daher nicht gezeigt wird. Der Mann hat mit groſſer Genauigkeit die Staͤrke und die Wirkung aller Triebfedern uͤberdacht und berechnet. Denn wenn das Werk jetzt von Zeit zu Zeit ausgebeſſert wird, ſo machen oft die geſchickteſten Schloſſer einen Fehler, der ſo verſteckt, ſo klein ſeyn kan, daß man ihn oft kaum ent - deckt, und doch ſtockt gleich die ganze Maſchine. Man hat ſeither dieſen Einlaß immer gebraucht. Vor kur - zem aber hat man eine andre Einrichtung mit den ſoge - nannten Bazenthoren getroffen, und das Werk wird jetzt nur, als ein wuͤrdiger Beweis von der Geſchicklichkeit eines Tyroler Grobſchmidts erhalten.
Bei Hrn. Brander*)Dieſer wuͤrdige Kuͤnſtler iſt gegenwaͤrtig nicht mehr am Leben. Herausgeber. kan man einen vortreflichen Vorrath von mathematiſchen, optiſchen, aſtronomiſchen und mikroſkopiſchen Inſtrumenten ſehen. Ich bewun - derte beſonders die Skala oder das Mikrometer an ſei - nen Vergroͤſſerungsglaͤſern, die er mit Diamanten in boͤhmiſches Glas unendlich fein ſchneidet.
Im biſchoͤflichen Pallaſte ſieht man noch die zwei Fenſter des Zimmers, in welchem 1530. die aug - ſpurgiſche Konfeſſion verleſen wurde. In das ZimmerB 5ſelber26ſelber konnten ſo viele Leute nicht gehen, aber der Vorle - ſer ſtand am Fenſter, und der untere Platz, auf dem wohl zweitauſend ſtehen konnten, war ganz mit Menſchen bedeckt. Man hat jetzt, wie man mir ſagt, im Zimmer ſelber einige Aenderung vorgenommen.
Hr. Kupferſtecher Kilian hat in ſeinem Hauſe viele Naturalien, Kupferſtiche, elfenbeinerne Waaren, und andre Seltenheiten der Kunſt aufgeſtellt. Ich hatte nicht Zeit genug, alles zu beſchauen, aber ich ſah auch in einer Stunde viel ſchoͤnes, und ſeine Guͤte beſchenkte mich mit einem ſchoͤnen Oculus Cati, und mit der Frucht vom Pinus Cembra L. oder Zirbelnuß, die das Wappen der Stadt iſt. Ich ſah bei ihm Goldſchlick aus Benzenzimmern in Tyrol; einen Ammoniten, deſſen Gelenke auseinander fallen; einen verſteinerten Elephanten Backenzahn; eben die Zirbelnuͤſſe, die man jetzt aus Tyrol bekommen muß, denn um die Stadt herum ſind nur noch wenige Baͤume; Goldſtuffen aus Siebenbuͤrgen; Echiniten in bayeriſchen Eiſengru - ben; einen Chalcedonier, darin eine ſehr natuͤrliche braune Silhouette von einem Moͤnchskopfe war, ohne Zweifel einer aus der neuen Fabrike in England,*)Die bekannte Fabrik von Wedgwood and Bentley in Engelland. Herausgeber. wo alle Steine nachgemacht werden. Der Beſitzer hatte ihn auch von einem Englaͤnder gekauft. In Ulm er - zaͤhlte man mir auch von einem Saphir oder Smaragd, worin ein Papillon eingeſchloſſen ſeyn ſoll. Ferner hat Hr. Kilian unter vielen andern Kunſtſtuͤcken ein Glas, eine Bouteille mit einem Halſe und einem breiten niedri -gen27gen Bauche. Dieſer Bauch laͤßt ſich, wenn man weis, wie man hineinblaſen ſoll, weil man es ſonſt zerſprengen koͤnnte, mit einem kleinen Knall aufblaſen. Ich ſah auch ein von Hrn. Kilian fuͤr ſeinen eignen Gebrauch tu - ſchirtes Exemplar von ſeiner Ausgabe der Herkulaniſchen Alterthuͤmer.
Ich habe Ihnen oben vom Einlaß in Augſpurg erzaͤhlt. Nun ſollen Sie auch mit mir auf den Ablaß gehen. Da koͤnnen Sie keine Vergebung der Suͤnden bekommen, aber kaltes Waſſer, ſo viel als Sie wollen. Das meiſte Waſſer, was in der Stadt verbraucht wird, iſt das Waſſer vom bayeriſchen Fluß Lech. Man hat dazu eine halbe Stunde von der Stadt in einen Arm vom Lech an der bayeriſchen Grenze ein Waſſerwerk ge - baut, ihn dadurch aufgefangen, in 3. Arme getheilt, und ihn ſo nach der Stadt geleitet. Die Holzfloͤſſe gehen uͤber dieſe Einrichtung nach der Stadt hin. In der Stadt ſelbſt wird das Waſſer in einem Brunnenhauſe ge - ſammelt, und von da aus in viele einzelne Baͤche in der Stadt vertheilt. Schon mehr als einmahl hat die Stadt das Recht, den bayriſchen Strom auf dieſe Art abzu - daͤmmen, dem Churfuͤrſten theuer bezahlen muͤſſen.
Die Hrn. Haid hab’ ich auch beſucht, und ihrer Arbeit zugeſehen. Sie arbeiten mit dem Schabeiſen und haben zum Abdruck der geſtochenen Kupferplatten eine ſchoͤne Einrichtung. Man legt die Platte, indem man ſie ſchwaͤrzt, auf Kohlen. Die Farbe iſt le Noir d’Allemagne von Frankfurt. Dann wird ſie auf das ſorgfaͤltigſte abgeputzt, ſo daß nirgends, als in den gegrabnen Zuͤgen ein Troͤpfchen Farbe liegen bleibt. Nun wird ſie unter eine Walze geſchoben, das genetzte Papierdaruͤber28daruͤber gelegt, uͤber dieſes noch ein anderes, nun treibt man mit einer Kurbel die Walze herum, ſie laͤuft uͤber die Kupferplatte hin, und dadurch wird ſie abgedruckt. Die Gewalt iſt ſo ſtet, und doch ſo ſtark, daß die Kupfer - platte ſich von jedem Abdrucke zuſammenbiegt. Man verſicherte mir, daß man von einigen Kupferplatten wohl 200. Abdruͤcke machen kan. Doch kommt es hierin ſehr auf den Stich, auf die Tiefen und Hoͤhen an ꝛc.
Ich beſah auch das Magazin eines Silberarbeiters, und lies mir von ihm beſonders zeigen, wie die Wellen - ſtriche z. B. auf Stockknoͤpfen gemacht werden. Der Mann zeigte mir die Maſchine dazu, und wie die Stri - che wuͤrklich entſtehen. Allein das laͤßt ſich beſſer ſehen, als beſchreiben. Die viele ſchoͤne Fayence, und das Por - zellaͤn, das immer mehr Mode wird, hat dem Abgange der Silberarbeiten in Augſpurg groſſen Schaden ge - bracht.
Als ich dieſe Kuͤnſtler verlies. beſah ich das Rath - haus, und kam mit Vergnuͤgen wieder herab. Schon die Aufſchrift uͤber dem groſſen Eingange gefaͤllt dem Frem - den: Publico conſilio, publicae ſaluti. Das heiſt, — wenn Sie nicht Latein verſtehen, — den oͤf - fentlichen Berathſchlagungen, dem gemeinen Be - ſten gewidmet. Aber das ſchoͤnſte iſt die Kuͤrze und Buͤndigkeit der roͤmiſchen Sprache. Das vorzuͤglichſte in dieſem Hauſe iſt der goldne Saal, der 110. Schuh lang, 58. Schuh breit, und 56. hoch iſt, und keine Saͤu - le, kein Gewoͤlbe, und doch 60. Fenſter im 3ten Stock - werke hat. Das ganze Gebaͤude iſt ſechsſtoͤckicht. In dieſem Saale ſind manche Kongreſſe, Roͤmiſche Koͤnigs - wahlen, Reichstagskonvente gehalten worden. Ueber derHauptthuͤre29Hauptthuͤre und ſonſt an vielen Orten ſind Gemaͤlde von Matthaͤus Kager, Sinnbilder von der Stadt, von den Fluͤſſen bei Augſpurg, von den Wiſſenſchaften und Kuͤnſten, von der Gerechtigkeit, vom Fleiſſe ꝛc. An ei - nem ſieht man den Kopf des Baumeiſters. Das Rath - haus ſteht jetzt 169. Jahr. Im goldenen Saale iſt der Fußboden von Salzburger Marmor. Darneben ſind 4. Fuͤrſtenzimmer, die ſich alle in den goldnen Saal oͤfnen. In jedem ſind viele Holzſchnitzereien. Das Holz iſt gelb, und lauter kleine nur viertelzolldicke Stuͤcke von einem pohlniſchen Maſer. In jedem Zimmer ſteht ein ſchoͤner Ofen, von einem gewiſſen Landsberg. Man ſollte, wenn man die vielen Figuren und Verzie - rungen davon ſieht, alles verwetten, daß ſie gegoſſenes Eiſen waͤren, aber an abgeſchlagenen Stuͤcken ſieht man, daß ſie nur von Erde, und Toͤpferarbeit ſind. Einer hat 500, der andre 800. Gulden gekoſtet, und jeder iſt nach einem andern Riſſe verfertigt. Auch in jedem Zim - mer iſt ein andres Deſſein. Man ſieht hier viele bibli - ſche Malereien von Joh. Freiberger*)War von Augſpurg gebuͤrtig; und lebte zu Anfang des 17ten Jahrh. Soviel ſich aus den ziemlich un - kenntbargewordenen Ueberreſten ſeiner Gemaͤlde am Barfuͤſſerthurme und aufm Rathhauſe gedachter Stadt ſchlieſſen laͤſt, war ſein Pinſel ziemlich hart. Herausgeber. . Im dritten iſt die Belehnung Moritzens von Sachſen mit der Churwuͤrde, abgemahlt, die von K. Karl V. in Aug - ſpurg geſchah, und dieſe Stuͤcke ſind von Rothmay - er**)Joh. Franz. Rothmayer, Freiherr von Roſenbrunn, geb. in Salzburg, lernte bei C. Loth in Venedig. Seine. Im vierten ſind die Demokratie, die Monar -chie,30chie, und die Ariſtokratie von Johann Koͤnig*)Lebte als Geſchichtsmaler zu Augſpurg ums Jahr 1600. und verfertigte daſelbſt viele gute Gemaͤlde. Herausgeber. 1624. gar ſchoͤn gemahlt. Darneben ſieht man die Gefaͤngniſ - ſe, die ſo wie das ganze Rathhaus, mit Kupfer gedeckt ſind. So lange Seſſion iſt, wird der Platz vor dem Rathhauſe mit Ketten abgeſchloſſen, damit das Fahren der Wagen die weiſen Maͤnner nicht ſtoͤren ſoll. Im Rathszimmer ſelbſt iſt kein Ofen. Die Waͤrme kommt von unten herauf, durch eine kupferne Platte im Fußbo - den in der Mitte des Zimmers. Die Archonten gehen alle ſchwarz, ſitzen nicht auf Wollſaͤcken, wie die Parla - mentsherren in London, ſondern auf gruͤnen Kuͤſſen. An den Waͤnden haͤngen einige bibliſche Stuͤcke von Ka - ger, z. B. Iſabel, wie ſie von Hunden gefreſſen wird, ſchoͤner aber iſt Simſon, dem Delila im Schlaf die Haare abſchneidet, von Lucas Cranach 1529. auf Holz gemahlt. Ueber den Plaͤtzen der Rathsherren hat Ka - ger die Geſetzgeber, Numa, Solon, Moſes, Chri - ſtus, Likurgus und Minos abgemahlt. Muß es nicht groſſe Aufmunterung fuͤr den jungen Kuͤnſtler ſeyn, wenn er ſieht, daß die Denkmale des Fleiſſes von geſchick - ten Maͤnnern da aufgehangen, und bewahrt werden, wo man zuſammen kommt, um das Beſte des Vaterlandszu**)Seine Gemaͤlde ſind ziemlich vernachlaͤſſigt, beſon - ders ſind die Haͤlſe ſeiner Figuren zu lang, indes hat - te er doch gute maleriſche Gedanken. Die Kirchen in Wien und Breßlau ſind voll von ſeinen Werken. Er ſtarb in Wien 1727. in hohem Alter. Herausgeber. 31zu beſorgen? In manchen Staaten denkt man gar nicht auf ſolche Dinge, die wahrhaftig Patriotismus und Nach - eiferung in jungen Koͤpfen erwecken koͤnnten.
Vielleicht warten Sie ſchon lange auf die Kattun - und Zizfabrik des Herrn von Schuͤle in Augſpurg, und ich bin ſo gluͤcklich geweſen, dieſe ſchoͤnen und vor - treflichen Arbeiten zu ſehen. Ein koͤnigliches Haus, auf - ſerhalb der Stadt an der Straſſe nach Muͤnchen gele - gen, worinnen wohl 1000. Menſchen ihr Brot finden. In allen Einrichtungen herrſcht Ordnung, Regelmaͤſſig - keit und viel Geſchmack. Der Beſitzer iſt nicht nur ein reicher, ſondern auch ein ſehr belebter, feiner und gefaͤlli - ger Mann. Das Drucken der gewoͤhnlichen Kattune geſchiehet durch Weiber. Sie tunken die Form in die Farben, ſetzen ſie auf die Leinwand, die vor ihnen auf dem Tiſche liegt, und ſchlagen mit einem hoͤlzernen Ham - mer darauf. So oft die Frau Farbe genommen hat, traͤgt ein Junge darneben neue Farbe auf, und wiſcht ſie ſorgfaͤltig auseinander. Bei einigen Stuͤcken muß mit dem Pinſel den Farben nachgeholfen werden. In einigen Zimmern ſitzen beſtaͤndig Formſchneider, auch andre, welche die alten und abgenutzten Formen wieder ausſtechen und verbeſſern. Die ſchoͤnſten Deſſeins wer - den auf Kupferplatten geſtochen und ſo abgedruckt. Ich ſah zu, wie eine Kupferplatte von einer betraͤchtlichen Groͤſſe abgedruckt ward, und bewunderte die Akkurateſſe, die dazu noͤthig iſt. Das Glaͤtten der gedruckten Zeuge geſchieht mit groſſen Kieſeln, die zum Theil theuer bezahlt werden, und in hoͤlzernen Stangen eingeſetzt ſind, die von Mannsperſonen in Bewegung geſetzt werden. Die Kieſelſteine werden ſo glatt, und ſo heis, daß man ſie kaum anruͤhren kan.
Bei32Bei Herrn Diakonus Steiner ſah ich eine ſchoͤne Naturalienſammlung, beſonders Eier und ausgeſtopf - te Voͤgel, unſre neuſten Schriften in der Naturgeſchichte, und an ihm ſelbſt fand ich einen vortreflichen liebenswuͤr - digen Mann, der warm und innig in der Freundſchaft iſt. Er zeigte mir verſteinerte Knochen, mit Kalkſpat und Quarz; Remitzneſter aus Italien, die der liebe Mann mit mir theilte; drei Steinbrocken, die per luſum naturae wie kleine Brote geformt, und an einander geſetzt ſind; von Perlhuͤnern dreierlei Eier, wovon eins in der Mitte weis, und an beiden Enden ge - faͤrbt iſt; ein Kaſuarei, das in der ovalen Figur vom Strauſſenei ſehr verſchieden, und Chagrinartig iſt; Trap - peneier; ein Kranichei; das Ei vom Rohrdommel, das olivengruͤn mit Flecken iſt; das Gukuksei; ein Ei, das von der Zeichnung, die Hr. D. Bloch in IV. B. der Berlin. Beſchaͤft. gegeben hat, und von dem Exem - plar, das mir als ein Gukuksei aus dem Walde gebracht wurde, ſehr verſchieden iſt. Wir ſprachen zuſammen daruͤber, und der Hr. Diak. verſicherte mich, daß jenes Ei zuverlaͤſſig das Ei der Waſſerſchnepfe ſei. Er hat - te es auch in ſeiner Sammlung, und auch in den Zeich - nungen des ſeel. Zorns, die Herr Steiner beſitzt, und der bekanntermaſſen ſehr viel in der Voͤgelgeſchichte gear - beitet hat, war Hr. Bloch’s und mein Ei als das Ei der Waſſerſchnepfe angegeben. Das wahre Gukuksei iſt viel kleiner. — Monſtroͤſe Eier, wie Flaſchen mit allerhand Anſaͤtzen, ein Ei mit einer Schale in einem an - dern Ei mit der Schale; unausgeblaſene Amphibien - eier, die ſich, ohne ſtinkend zu werden, erhalten haben; Hr. Pr. Webers Luft-Elektrophor, der bei einem eingeheizten Zimmer Funken gibt. Das Hofmanni -ſche33ſche Mikroſkop, wobei wir die ſchwaͤchſte und ſtaͤrkſte Vergroͤſſerung an einem Muͤckenfluͤgel probirten. Die Eier blaͤſt Herr Steiner in der Mitte aus, fuͤllt ſie mit Sand und beigemiſchter Kleie aus, und verklebt oben die Oefnung. Zuverlaͤſſig wuͤrden die Freunde der Natur aus der Sammlung dieſes vortreflichen Mannes viel Schoͤnes erfahren, wenn er meine Bitte Statt finden laſ - ſen, ſeine liebenswuͤrdige Beſcheidenheit uͤberwinden, und uns ſeine Beobachtungen mittheilen wollte. In ſeiner Bibliothek ſtehen die beſten Exegeten, Aſcetiker, Mora - liſten und Prediger neben den neuſten und lehrreichſten Schriften der Naturkuͤndiger. Wie ehrwuͤrdig wuͤrde die Klaſſe der Prediger uͤberall werden, wenn ſich unſre jungen Kandidaten ſo einen edlen und auf eine wahrhaf - tig weiſe und brauchbare Art geſchaͤftigen Mann zum Muſter nehmen, und nebſt dem Studium der Religion auch die Offenbarungen Gottes in ſeiner Natur nicht ver - ſaͤumen, oder irgend einen andern Zweig der Gelehrſam - keit ſich zur Beſchaͤftigung, und zur Empfehlung waͤhlen wollten, wie z. B. Hr. Diak. Hoͤrner an der Kreuzkir - che, der die gelehrte Geſchichte von Schwaben bearbei - tet, und den ich auch hier aus Dankbarkeit und Hochach - tung nennen muß! Aber leider! ſind wir mit einer Men - ge Kandidaten und Prediger verſehen, die ihren Dienſt wie ein Handwerk anſehen, die dazu noͤthige Geſchicklich - keit ſich nicht einmal mit dem Eifer, womit mancher Kuͤnſtler und Profeſſioniſt lernt und wandert, erwerben, und wenn ſie dann einmal eine Pfarre und eine Frau ha - ben, die Guͤter der Kirche, die gewis manchem im Ueber - flus gegeben ſind, in Unthaͤtigkeit verzehren, und weil ſie an der wahren Gelehrſamkeit keinen Geſchmack finden, zuletzt Bauern und Zehendknechte werden. VerzeihenZweiter Theil. CSie34Sie mir dieſen Eifer! Menſchenliebe und dankbare Wert - ſchaͤtzung meines Freundes, der mit dieſen ſogenannten geiſtlichen Lehrern ſichtbar kontraſtirt, haben mich dazu hingeriſſen.
In der Geſellſchaft dieſes lieben Mannes, und mei - nes Freundes des Hrn. Chriſtoph, an der Hoſpitalkirche, der ſeitdem wir uns kennen, auch ganz von der Groͤſſe und Gemeinnuͤtzigkeit unſers Studiums eingenommen iſt, beſuchte ich noch den alten Greis, Hrn. Senior Deg - maier, der dem Tode nahe iſt, des Lebens Muͤhe und Unruhe erfahren, und gluͤcklich uͤberſtanden hat. Der ehrwuͤrdige Mann bedauerte nichts ſo ſehr, als daß er ſein Gedaͤchtnis verlohren, und ſchon lange auſſer Stan - de iſt, oͤffentlich zu arbeiten. So gewis iſt es, daß al - lein Wirkſamkeit und Thaͤtigkeit die Mutter des Ver - gnuͤgens iſt. „ Sammeln Sie, “ſagte er zu mir, und druͤckte mir mit aller noch uͤbrigen Lebhaftigkeit die Hand, „ viel in Ihr Herz, und ſtiſten Sie viel Gutes fuͤr das „ Reich Gottes in der Welt. Ich weis es jetzt, daß „ uns am Ende das, und ſonſt nichts Freude machen „ kan. “ Sie koͤnnen leicht denken, mit welchen Empfin - dungen ich dieſen langſam ſterbenden Mann, der das Lob der Edlen und Guten mit ſich ins Grab nimmt, ver - laſſen habe.
An Herrn von Cobres fand ich noch einen Kauf - mann, der ſich durch eine weitlaͤuftige Bekanntſchaft mit der Natur, und durch einen unermuͤdeten Eifer fuͤr dieſe Wiſſenſchaft, und einen edlen Aufwand vor tauſenden ſei - nes Standes auszeichnet. In ſeiner Bibliothek ſind die aͤlteſten und die neuſten Schriften der Naturforſcherbei -35beiſammen*)Er hat davon 1782. einen Katalog in 2. Median - ocavbaͤnden unter dem Titel: Deliciae Cobreſianae: J. P. von Cobres Buͤcherſammlung zur Naturge - ſchichte; herausgegeben. Herausgeber. . Ich ſah da Sepp’s Inſektenwerk, und die Flora Londinenſis, und einen ganzen Tag wuͤrde ich im Naturalienkabinet haben zubringen muͤſſen, wenn ich alles haͤtte beſehen wollen. Aber zur Probe nur Ei - niges: Fiſche auf Schiefern von Verona; einen Scher - ben aus dem italiaͤniſchen Meer mit Korallen und Tere - bratulen bewachſen, den ein junger Baumeiſter, ein Mann, der zur Malerei der Naturſtuͤcke viel Anlage hat, und den ich gerne an einen reichen Mann, oder irgend ei - nen Verleger von Naturhiſtoriſchen Werken empfehlen moͤchte, herrlich abgezeichnet hat; unter vielen ſchoͤnen Konchylien die Prinzenflagge; Korallen auf Meer - eicheln; Konchylien, die mit der Saͤge aufgeſchnitten, oder aufgeſchliffen ſind, unter welchen beſonders die Per - ſpektivſchnecken, und die Oliven mir gar wohl gefie - len, eine Wendeltreppe aus Frankreich mit ſechs Windungen: Pholaden von Rimini und Trieſte; die unaͤchte Kaiſerskrone; Liſters Rhombus ventrico - ſus aus Malabar; eine Muſchel mit einem blauen Cardo, die D’Argenville in ſeinen Supplementen be - ſchrieben hat; eine Terrebratula mit ihrem Bewohner; ſehr groſſe Schinken, ſieben und zwanzig verſchiedene Arten aus dem Sand von Rimini; ein Pektinit aus England, darin iſt ein Belemnit, und in dieſem noch einer, aber das dickere Theil des zweiten ſteckt im engern des erſten; ein Pentakrinit aus Altorf; die fuͤnf Stuͤ -C 2cke36cke der Pholaden ſo neben einander geklebt, daß man ſie ſehen kan; ein ganzer Ammonit aus Altorf mit al - len Cellen, und mit Schwefelkies uͤberzogen; das Ge - biß der Meerigel, oder Laterna Ariſtotelis, und es ſieht wirklich wie eine Laterne aus. Der Beſitzer hat von dieſem ſchoͤnen Werke der Natur, das ich, ſeitdem ich Baſtern geleſen hatte, immer zu ſehen wuͤnſchte, groſſe und kleine Exemplare. Er hatte auch einige ins Waſſer gelegt, da gingen die fuͤnf Stuͤcke von einander. Auch laͤſt ſich der vordere Zahn auf - und abſchieben. Gar eine kuͤnſtliche Maſchine und ein herrliches Zeugnis von der Guͤtigkeit des Schoͤpfers gegen jeden Wurm in ſeiner Schale. Der Anblick machte mir Freude, aber der grosmuͤthige Beſitzer theilte ſeinen Vorrath mit mir, und ich habe daran ein ſchaͤtzbares Andenken an ſeine Guͤte.
Und nun, meine Theureſte, verlaſſen wir Schwa - ben, und reiſen am Lech nach Bayern. Man ſieht in der Ferne bei heiterm Himmel die Tyroler Gebuͤrge. Auf den Wieſen machten die Leute das dritte Gras. Ge - gen Friedberg zu reiſt man uͤber die ſchoͤnſten Felder. In Adelshauſen fand ich, daß Metzgersfrauen ihre Unſchlittlichter ſelber verfertigten, und dabei etwas zu erſparen glaubten. Auch hat in dieſen Gegenden jeder Bauer eine eigene Fruchtputzmaſchine, wodurch ein Mann mit leichter Muͤhe in der Scheune den Duͤnkel zur Ausſaat, und die Gerſte zum Bierbrauen von allem Un - rath ſaͤubern kan.
Muͤnchen ſelbſt liegt in einer Ebne, die, wenn ſie immer gebaut worden waͤre, ſehr fruchtbar ſeyn muͤſte, ſie hat aber keine beſonders ſchoͤne Avenue. Im Bau der Haͤuſer iſt nicht viel Geſchmack, einige neue Gebaͤudeausge -37ausgenommen. Die Hauptſtraſſe iſt ſo eng, daß man den Wagen kaum ausweichen kan. Der Marktplatz iſt gros, regelmaͤſſig, und ringsum mit Gewerbslauben be - deckt, durch die man bequem gehen kan, ſie ſind aber dun - kel und niedrig. Einige Straſſen ſind heller, breiter, und Nachts iſt die ganze Stadt mit Laternen, die an den Haͤuſern haͤngen, erleuchtet. Auſſerordentlich volkreich iſt die Stadt. Man zeigte mir ein ſchmales Haus, worin 13. Familien wohnten. Der Aufſeher uͤber das Bierbrauen verſicherte mich, daß alle Jahr 40000. Ei - mer Bier in Muͤnchen gebraut wuͤrden, der Eimer haͤlt 64. Maas, das Maas koſtet 6. Kreuzer. Unter jener Zahl iſt aber das Bier nicht begriffen, das vom Lande eingefuͤhrt wird, auch das nicht, was der Hof ſelber braut, auch das nicht, was Herrſchaften, Kavaliere ꝛc. brauen laſſen, und dieſe drei Rubriken ſollen beinahe ein eben ſo groſſes Quantum ausmachen. Man rechnet wenig, wenn man auf einen Mann im Jahr 12. Eimer rechnet, denn das Maas iſt klein. Viele trinken taͤglich 6, 7, andre 10-12. Maas, und Bierſaͤufer koͤnnen 18-20. Maas in einem Tage trinken. Ein Kutſcher trinkt 3. Maas, wenn man nur eine Viertelſtunde ausbleibt, und ihm er - laubt, ein Glas Bier zu trinken. Offenbar hat es auf den dicken ſchweren Koͤrper der Bayern viel Einfluß. Viele ſind wahre Kloͤtze, rund, wie die Bierfaͤſſer ſelbſt, und lange nicht ſo ruͤſtig, wie die Schwaben. Der Wein, den man in den Gaſthoͤfen findet, iſt theils Oe - ſterreicher, theils Wuͤrzburger, theils Neckarwein ꝛc. Das Merkwuͤrdigſte in der ganzen Stadt iſt
Die Reſidenz, oder das Schlos. Auſſen ſieht es ſchlecht wie ein Gefaͤngnis aus, aber innen iſt die Magni -C 3ficenz38ficenz unbeſchreiblich. Die ſogenannten ſchoͤnen Zim - mer haben 100000. Louisd’or gekoſtet. Schlieſſen Sie daraus auf die Pracht der Meublirung. Es iſt ein Bette da, von Kaiſer Karl VII, das er als Churfuͤrſt machen lies. Es hat 400700 Gulden gekoſtet, es ſind 24. Zentner Gold daran, und 36. Perſonen haben 7. Jah - re ununterbrochen daran gearbeitet. Gueridons ſtehen hier, wovon einer 2000. Gulden gekoſtet hat. Von italiaͤniſchem Marmor, von chineſiſchem Porzellan, von japaniſchen Vaſen ꝛc. ſieht man hier die ſchoͤnſten Stuͤ - cke. Im Migniaturkabinet ſind 130. Stuͤcke, jedes iſt 200. Louisd’or werth, das macht eine Summe von 234,000. Gulden*)Den Louisd’or zu 9. Gulden Reichsgeld gerechnet.. Von vielen Migniaturen, die hier haͤngen, ſind die Originale in Schleisheim. Man zeigt auch einen elfenbeinernen Leuchter, den Maximi - lian I. ſelbſt gedreht hat.
Auf der Gemaͤldegallerie ſind vorzuͤglich: die Skiz - ze von Rubens Abnehmung vom Kreuz, davon ich das Original in Antwerpen bewundert habe**)Man ſ. S. 453. des 1ſten Theil dieſer Reiſen. Herausgeber. ; viele Stuͤcke von Vandyck, Paul Veroneſe, Zucchi, ein Chriſtuskopf von da Vinci, Rubens dritte Frau, von ihm ſelbſt. Vieles von B. Murillo, einem Spanier, eine Caͤcilia von Dominichino, eine Venus und Kupido von Annib. Carracci, eine Grab - legung Chriſti von Pouſſin, wo alle Affekten, ſonder - lich der Schmerz des Johannes, ſchoͤn ausgedruckt ſind; manches von Duͤrer, Holbein ꝛc. Im Eß -zimmer39zimmer ſind Buͤſten aus Marmor und Alabaſter, die Welttheile vorſtellend; jede hat 3000. Gulden gekoſtet.
In der Kapelle iſt der Fußboden aus Marmor, Ja - ſpis, und Porphyr; ein Altar von ſchwarzem Ebenholz mit ſilbernen Basreliefs, die Geſchichten aus dem Alten Teſtamente vorſtellen: ein Kaͤſtchen mit Karneolen und Tuͤrkiſſen ganz beſetzt, die Fenſterthuͤren ſind von Fels - kryſtallen mit eingeſchnittenen Figuren, und uͤberall ſieht man eine Menge geſchmolzenes Gold, woran die Arbeit unendlich, aber mit vielem Geſchmack gemacht iſt: un - zaͤhliche Edelſteine; groſſe orientaliſche Perlen; Bluts - tropfen Chriſti auf einem Stein; ein Finger von Pe - trus; die Hand von Johannes dem Taͤufer; antike Steine; viel durchbrochene Arbeit; die Kreuzigung Chri - ſti in einer Kapſel von Holz geſchnitten: Ein Kaͤſtchen woran 22. Pfund Gold ſind, die Basreliefs daran ſtel - len das Paradies vor und ſind von geſchmolzenem Golde, alle Saͤulen daran ſind gegoſſenes Gold; ein Nepo - mukknochen, auf einem Stativ von Brillanten; noch ſo ein Traͤger, der auf eine Million geſchaͤtzt wird. Am Antikenkaͤſtchen ſitzen viele groſſe und kleine Antiken, Saͤulen von Kryſtall auf Poſtementen von Laſurſtein, darinnen etliche unſchuldige Kinder, die Herodes umge - bracht, liegen ſollen. Eine Monſtranz, daran 23. Pfund arabiſches Gold ſind, von herrlicher Arbeit, und unbegreiflich ſchoͤnem Schmelzwerk. Inwendig ſoll ein Stuͤck von der Dornenkrone ſeyn, die unſer Erloͤſer tra - gen muſte, auch von dem Schwamm, aus dem er die letzte Erquickung trank; Dinge, auf die freilich kein Ver - nuͤnftiger achtet: aber die Architektur, den richtigen Ge - ſchmack, die ſchoͤne Erfindung, die leichte Kompoſition,C 4die40die feine Manier, womit die ehemaligen Goldſchmiede arbeiteten, kan man nicht genug bewundern. Dieſe Monſtranz ſteht hinter dem Altarblatt, welches man auf und niederwinden kan, ſo daß ſie davon bedeckt wird. Eine Orgel von Silber und Gold mit Antiken, wovon jede auf 1000. Thaler geſchaͤtzt wird. Moſaiken ſo ſchoͤn, als Sie ſie denken koͤnnen. Ein Chriſtus am Kreuz aus Wachs, oben uͤber ihm ein Smaragd, in welchem die groſſen Buchſtaben J. N. R. J. Platz haben, der Berg unter dem Kreuz iſt eine Grotte aus Edelſtei - nen und einer gediegenen Goldſtufe. Viele andre Hei - lige ganz aus Lapis Lazuli, eine Mutter Gottes und ihr Kind, ganz aus koſtbaren Steinen. Knochen von den Apoſteln hinter Saͤulen von gegoſſenem Gold mit allen moͤglichen Farben. Viele Aufſaͤtze auf den Al - tar, die uͤberall mit Antiken, Diamanten und Malereien beſetzt ſind. Orientaliſche Granaten, wie Daumen. Das Abendmahl en basrelief geſchmolzen, mit Stuͤck - chen vom Tiſche und vom Tiſchtuch Chriſti. Elfen - beinerne Sachen mit Korallen und Topaſen, unter wel - chen letztern einige wie kleine Zitronen ſind. Kelche von geſchmolzenen Gold mit Platten von Gold. Kiſten mit allen griechiſchen Schriften. — — Vieles iſt aus dem jetzt groͤſtentheils verſiegelten Schatz, manches aus der Heidelberger Bibliothek hieher gebracht worden.
Im Marmorſaal ſind oben vier Schimmel ge - mahlt, die einen uͤberall anſchauen