PRIMS Full-text transcription (HTML)
Beſchreibung ſeiner Reiſen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutſchland und Italien; in Beziehung auf Menſchenkenntnis, Induſtrie, Litteratur und Naturkunde inſonderheit.
Zweiter Theil.
Leipzig,bei Friedrich Gotthold Jacobaͤer und Sohn,1784.
[I]

Heinrich Sanders Leben. Heinrich Sander’s Leben*)Dieſe Lebensbeſchreibung iſt aus der Feder des Herrn Superintendent Kuͤttner in Seyda, der vom Verle - ger den Auftrag dazu erhielt, und dieſe Arbeit um deſto lieber uͤbernahm, da er Sandern nicht nur von Perſon kennen lernte, und ſeiner Verdienſte wegen ſehr hoch ſchaͤtzt, ſondern ſich auch durch briefliche und andere zuverlaͤßige Nachrichten in den Stand geſetzet ſah, die Goͤtziſche Lebensbeſchreibung, die der gegenwaͤrtigen zur Grundlage dient, zu ergaͤnzen. Herausgeber. .

a[II][III]

Wenn man das Verdienſt eines Mannes richtig beſtimmen, und den Verluſt, den die Welt durch ſeinen Tod erlitten hat, ge - nau berechnen will, ſo muß man nicht blos auf das ſehen was er geleiſtet hat, ſondern man muß auch das in Anſchlag bringen, was er bei laͤn - germ Leben haͤtte leiſten koͤnnen, und aller Wahr - ſcheinlichkeit nach geleiſtet haben wuͤrde. In dieſer Hinſicht iſt Sander’s fruͤhzeitiger Toda 2nichtIVnicht nur ein unerſetzlicher Verluſt fuͤr ſeine Braut, fuͤr ſeine Eltern, fuͤr ſeine Freunde, fuͤr Karlsruhe und die Baadenſchen Lande, ſon - dern er iſt zugleich ein Nationalverluſt fuͤr ganz Deutſchland. Seine Schriften werden in Wien und in Hamburg, in Muͤnchen und in Koͤnigsberg, und uͤberall wo man ſich um neue deutſche Buͤcher bekuͤmmert, mit Nutzen und Beifall geleſen. Alle Theile der Wiſſen - ſchaften erwarteten von ſeinem aufgeklaͤrten und thaͤtigen Geiſte, wenn gleich nicht allemahl neue Entdeckungen, doch mannigfaltige Bereicherun - gen und zweckmaͤſſige Anwendungen zum gemei - nen Beſten, und ſchon ſeine erſten Verſuche weiſ - ſagten ihm das ſeltne Gluͤck, einer von Deutſch - land’s Lieblingsſchriftſtellern zu werden. Sein unerwarteter Tod machte daher auch uͤberall, wo ſein Name genennet wird, die lebhafteſte Senſation. Nicht nur in Karlsruhe und Koͤndringen floß die Thraͤne der Freundſchaft und Liebe um ihn, ſondern auch Deutſchland’s klagender Genius umwand ſeine Urne mit Kraͤn - zen.

Er ward am 25. November 1754. zu Koͤn - dringen in der Baadenſchen Marggrafſchaft Hochberg gebohren. Sein Vater iſt HerrNiko -VNikolaus Chriſtian Sander, Kirchenrath und Specialſuperintendent in Koͤndringen, ein wuͤrdiger und aufgeklaͤrter Gottesgelehrter, der ſich unter andern durch eine 1773. veranſtal - tete Sammlung verbeſſerter und neuer Kirchen - geſaͤnge, um ſein Vaterland verdient machte; ſeine Mutter, Frau Auguſte Bernhardi - ne, eine gebohrne Boskin. Beide ſind noch am Leben. In dem elterlichen Hauſe genoß er eine Erziehung, die ſeinen Talenten und ſeinem vortreflichen Herzen vollkommen angemeſſen war, und der Erfolg davon entſprach nicht nur der Erwartung, die ſein aufbluͤhendes Genie erreg - te, ſondern uͤbertraf ſie auch. Er betrat ſchon die Laufbahn der Schriftſteller in einem Alter, da man ſonſt erſt anfaͤngt Kenntniſſe zu ſammeln, und in den Jahren, wo der empfindſame Juͤng - ling in lydiſchweichen Toͤnen Wein und Liebe ſingt, war er ſchon ein ernſter Lehrer der Natur, der Weisheit und der Religion. Der Grund davon iſt ohnfehlbar in der erſten Bildung zu ſu - chen, die er in ſeiner Kindheit empfing, und die - ſer Umſtand gereicht ſeinen Eltern und Erziehern zum unſterblichen Ruhme. In ſeiner fruͤhen Jugend hielt er ſich mit ſeinen Bruͤdern, wovon der eine noch iezt als Prorector in Pforzheima 3lebt,VIlebt, der andere aber in ſeinem achtzehenden Jah - re als Doctorand ſtarb, und an deſſen Seite iezt unſer Sander ſchlummert, ein Jahr auf der damaligen Realſchule zu Loͤrrach in der Herrſchaft Roͤteln auf. Von da kam er nach Koͤndringen zuruͤck, und blieb bis in ſein vier - zehntes Jahr in dem Hauſe ſeiner Eltern. Vom ſechzehnten bis zum achtzehnten genoß er den Unterricht der oͤffentlichen Lehrer auf dem Gym - naſium zu Karlsruhe, blieb dann noch ein Jahr bei ſeinem Herrn Vater, bezog darauf die hohe Schule zu Tuͤbingen, und ging endlich von da auf die Akademie nach Goͤttingen, wo er ſich der Gottesgelahrheit mit dem groͤſten Eifer widmete.

Der Aufenthalt bei ſeinem Herrn Vater war keine leere Pauſe. Er wandte dieſe Zwiſchen - zeit vielmehr dazu an, das Gehoͤrte und Erlernte zu uͤberdenken, zu berichtigen und zu ordnen. Unſere Gedanken, ſagt Young, werden nur erſt dann unſer, wenn ſie uͤber unſere Lippen gehen. Sie werden von andern beſtritten, von uns vertheidigt, und dann entweder als problematiſch ad referendum angenommen, oder ganz weggeworfen, oder ſie ſchließen ſich als er - kannte und beſtaͤtigte Wahrheit an unſer Syſtem an. Es kann ſeyn, daß ich irre, aber ich habeSan -VIISander’s Aufenthalt bei ſeinem Vater, der ein aufgeklaͤrter und praktiſcher Theolog iſt, immer als die Quelle ſeiner fruͤhen und gluͤcklichen Au - torſchaft angeſehen. Der Weg in das innere Heiligthum der Wiſſenſchaften wird an der Hand eines eben ſo erleuchteten als zuverlaͤßigen Freun - des ungemein abgekuͤrzt. In Goͤttingen fand ſein nach allen Arten von Kenntniſſen, beſon - ders der Naturkunde, hungriger Geiſt die reichſte und befriedigendſte Nahrung. Michaelis, Miller und Beckmann waren nicht nur ſeine Lehrer, ſie wurden auch ſeine Freunde. Ein neuer und groſſer Vortheil fuͤr den edeln und wiß - begierigen Juͤngling. Er hatte einen entſchiede - nen Geſchmack fuͤrs Reiſen. Schon von Goͤt - tingen aus that er in den Ferien gelehrte Rei - ſen nach Niederſachſen bis an die Oſtſee. Madame Grotian, ſeine Verwandte, eine ſehr verehrungwuͤrdige Frau in Hamburg, wurde verſchiedenemal von ihm beſucht, und er unterhielt einen ſehr lehrreichen und freundſchaft - lichen Briefwechſel mit ihr bis an ſein Ende. Er eignete ihr auch die auf einer Reiſe durch Schwa - ben und Bayern gemachten Bemerkungen, die den Anfang des zweiten Theils ſeiner Reiſen ausmachen, in den zaͤrtlichſten und freundſchaft -a 4lichſtenVIIIlichſten Ausdruͤcken zu. Sobald er von Goͤt - tingen zuruͤckkam, unterwarf er ſich den ge - woͤhnlichen Pruͤfungen, legte die herrlichſten Pro - ben ſeines Fleißes und ſeiner Talente ab, und ward ſo gleich als Profeſſor am Gymnaſium il - luſtre zu Karlsruhe angeſtellt. Ganz ſeinem Lieblingswunſch war dieſe Verſorgung nicht ge - maͤs. Er wuͤnſchte lieber irgendwo auf dem ſtil - len Lande eine kleine geſchloßne Gemeinde zu un - terrichten, wo er, wie er in ſeinem Erbauungsbuche behauptet, viel beſſer, viel offenherziger wir - ken, auch mehr ſich ſelber leben koͤnnte. Allein, waͤre dieſer Wunſch erfuͤllt worden, ſo haͤtte er dann ſeine Gemeinde nicht ſo oft, wie ſeine Zu - hoͤrer in Karlsruhe, verlaßen, nicht ſo viele gelehrte Reiſen anſtellen, nicht ſo viele Men - ſchen und Laͤnder kennen, nicht ſo viele Erfah - rung einſammeln und benutzen, nicht ſo tiefe und ſichere Blicke in das menſchliche Herz thun, und ſich ſo gemeinnuͤtzig nicht machen koͤnnen, als es zu ſeiner Ehre geſchehen iſt. Waͤre es ihm auch nicht ergangen, wie manchen Dorfpfar - rern, die mit groſſen Gaben und Kenntniſſen ausgeruͤſtet, und mit tauſend litterariſchen Pro - jecten erfuͤllt aufs Land ziehen, aber bald von Haus - und Nahrungsſorgen belagert werden,baldIXbald Mangel an Buͤchern und gelehrten Freun - den leiden, bald Neid und Unterdruͤckung finden, wo ſie Beyfall und Aufmunterung erwarteten, und nachdem ſie anfaͤnglich viel thun wolten, endlich damit aufhoͤren, daß ſie nichts thun, was der Erwartung, die ſie erregten, nur einigermaſ - ſen entſpraͤche, haͤtte er, ſag ich, als Landpre - diger dieſes Schickſal auch nicht gehabt, ſo wuͤrde er doch auf dem Lande auch bei den beſten Vorſaͤtzen, das nicht haben leiſten koͤnnen, was er als Profeſſor in Karlsruhe wirklich geleiſtet hat, und in der Folge geleiſtet haben wuͤrde. Ich fuͤrchte nicht, daß irgend ein geſchickter, fleiſ - ſiger und thaͤtiger Landprediger dieſe Aeußerung als eine Herabwuͤrdigung des Predigerſtandes anſehen werde. Ich weis es recht gut, wie viel alle Zweige der Wiſſenſchaften den Landpredi - gern zu danken haben. Ich rede nicht von den Ausnahmen, ich rede von der Regel. Die haͤu - figen Klagen geſchickter Landgeiſtlichen uͤber die Menge laͤſtiger Haus - und Wirthſchaftsſorgen, uͤber den Mangel der Buͤcher, der Journale, der Aufmunterung, Unterſtuͤtzung und des gelehrten Umgangs rechtfertigen meine Meinung, daß Sander als Profeſſor in Karlsruhe ſich ge - meinnuͤtziger machen konnte, als es auf dem Landea 5wuͤrdeXwuͤrde haben geſchehen koͤnnen. Folglich ſchei - nen die in ſeinen Schriften haͤufig vorkommen - den Klagen uͤber das Unangenehme ſeiner Situa - tion, und uͤber die undankbare Muͤhe des Schul - ſtandes ein wenig uͤbertrieben zu ſeyn. Die Vor - ſicht wußte beſſer, was ihm und andern gut war. Nicht nur die oͤftern Unterredungen mit gelehr - ten Maͤnnern, ſondern auch die Kolliſionen mit ihnen, gleichen den phyſikaliſchen Friktionen, die den elektriſchen Funken hervorlocken, und das Feuer des Genies in Bewegung ſetzen, welches bei einer ruhigen Lebensart zwiſchen Wald und Straͤuchen am ſchilfbekraͤnzten Bach oft nur glimmt und dann verloͤſcht. Ueberdies ward ja das Unangenehme des Schulſtandes durch die vielen Reiſen, wozu er die Erlaubnis ſeines weiſen und gnaͤdigen Fuͤrſten erhielt, gar ſehr verſuͤßt. Im Anfange des Mays 1777. trat er ſeine Reiſe nach Frankreich an, wurde aber in Straßburg von einer ſchmerzhaften Krankheit befallen, wo er, wie er in der Vorrede zum Buch Hiob zum allgemeinen Gebrauch ſagt, die Kraft der Religion an ſeinem Herzen ſehr lebhaft erfuhr, und unter ſtillen Betrachtun - gen uͤber Welt und Menſchenleben die froͤmmſten Entſchließungen ſich tief in die Seele druͤckte. AlsXIAls er wieder voͤllig geneſen war, ſetzte er ſeine Reiſe uͤber Luͤneville, Nancy, St. Dizier und Chalons nach Paris fort. Wer dieſe Reiſebeſchreibung ließt, wird uͤber ſeine Kennt - niſſe erſtaunen, ſeinen Beobachtungsgeiſt bewun - dern, und ſeine Freimuͤthigkeit hochſchaͤtzen. Menſchenkunde, Litteratur, Oekonomie, Kuͤnſte und Handwerker, Sitten und Gebraͤuche, Geiſt und Karakter der Voͤlker, Statiſtick, und alles was dem Menſchen, dem Gelehrten und dem Naturforſcher merkwuͤrdig iſt, zog ſeine Auf - merkſamkeit auf ſich. Er machte, wie man aus ſeiner Beſchreibung ſieht, mit vielen Gelehrten und andern merkwuͤrdigen Perſonen Bekannt - ſchaft. Er beſuchte Kabinette, Bibliotheken, Gemaͤldeſammlungen, beſah die Merkwuͤrdigkeiten der Sorbonne, die Spiegelfabri[k], das Opern - haus, die Komoͤdie, die oͤffentlichen Plaͤtze, die vorzuͤglichſten Gebaͤude und Kirchen, und gab auch einmahl in einer theologiſchen und naturhi - ſtoriſchen Vorleſung einen Zuhoͤrer ab. Von Frankreich aus ging er in die Niederlande und nach Holland. Im Herbſt des Jahres 1780. unternahm er abermals eine Reiſe durch Ober - und Niederſachſen, und Heſſen, und bemerkte nicht nur alles ſehenswuͤrdige genau,ſondernXIIſondern zeichnete auch ſeine Beobachtungen mit unermuͤdetem Fleiße auf. Im Jahr 1781. that er drei verſchiedene Reiſen, die erſte in die Schweiz, die zweite nach Speier, und die dritte nach St. Blaſien. Auf allen ſammelte er wieder viel neue Kenntniſſe ein, der Welt und ſeinen Zoͤglingen damit zu nutzen.

Im December dieſes Jahres verlobte er ſich mit der aͤlteſten Demoiſelle Tochter des Herrn Geheimen Hofraths und Geheimen Referendars Gerſtlacher, und im April 1782. unternahm er, leider! ſeine letzte Reiſe nach Tyrol, Oe - ſterreich, Ungarn und Venedig. In Wien fand er eine Aufnahme, die ſeine Er - wartung weit uͤberſtieg. Sein Erbauungsbuch traf er in vielen Haͤuſern an. Seine Verehrer und Freunde ließen nicht ab; er mußte den 5. May in der daͤniſchen Geſandſchaftskapelle predi - gen, und dieſe durch den Druck bekanntgemach - te Predigt wurde in der Wiener Predigerkritik ſehr geprieſen. Auch ließen ihn ſeine Freunde durch den Kuͤnſtler Loͤſchenkohl, dem ſelbſt Pius VI. ſaß, in Kupfer ſtechen.

In Italien wurde er von der nordiſchen Influenza befallen, und reißte als er ſchon den verderblichen Einfluß dieſer Krankheit auf ſeinenKoͤrperXIIIKoͤrper fuͤhlte, in 12. Tagen von Venedig nach Karlsruhe zuruͤck, wo ſich bald nach ſeiner Zuruͤckkunft ein heftiges Blutſpeien mit allen Kennzeichen einer voͤlligen Auszehrung einſtellte, und ihn ums Leben brachte. Einige Wochen vor ſeinem Ende wurde er von ſeinem kummer - vollen Vater nach Koͤndringen abgehohlt, in deſſen Armen er am 5. Oktober 1782. im acht und zwanzigſten Lebensjahre entſchlief.

Wenn man die vielen Schriften, die er ge - ſchrieben, die Reiſen, die er gethan, und den ausgebreiteten Briefwechſel, den er unterhalten hat, in Erwaͤgung zieht, ſo kann man die raſt - loſe Thaͤtigkeit dieſes jungen Mannes nicht genug bewundern, und er iſt ein redender Beweis, wie viel ſich in kurzer Zeit thun laͤßt, wenn man Ordnung in ſeinem Studiren beobachtet, und mit ſeiner Zeit haushaͤlteriſch umgeht. Er ward, wie er einem ſeiner Freunde ſagte, von Jugend an zur Verfertigung ſchriftlicher Aufſaͤtze ange - halten, und hatte ſich angewoͤhnt, aus den Buͤ - chern, die er las, ſich das merkwuͤrdigſte und beſte auszuzeichnen; dadurch erlangte er nicht nur eine Fertigkeit, ſeine Gedanken leicht und natuͤr - lich auszudruͤcken, ſondern auch ſeinen Styl in - tereſſant und ſachreich zu machen. Er ließ ſchonalsXIVals Juͤngling eine Menge Abhandlungen und klei - ne Gedichte drucken, die als Voruͤbungen in verſchiedene Monathsſchriften eingeruͤcket wurden. Die meiſten dieſer Aufſaͤtze ſind etwas fluͤchtig geſchrieben. Als ſein ſchriftſtelleriſcher Karak - ter mehr Feſtigkeit erhielt, und ſeine Schreibart maͤnnlicher ward, bekam er Antheil an der all - gemeinen deutſchen Bibliothek. Unter ſei - nem Namen hat er folgende Schriften herausge - geben:

  • 1) Schreiben an den Verfaſſer des Ka - techismus der Chriſtlichen Religion fuͤr das Landvolk. Baſel 1776. eine nur 2. Bogen ſtarke Schrift, die aber viel Aufſehen machte.
  • 2) Von der Guͤte und Weißheit Gottes in der Natur. Karlsruhe, bey Schmieder 1778. Dieſe Schrift iſt nicht nur aufs neue aufgelegt, ſondern auch zu Utrecht 1780. ins Hollaͤndiſche uͤberſetzet worden. Sie enthaͤlt zwar keine neue Entdeckungen und tiefſinnige Unterſuchungen, aber ſie iſt ſtellenweiſe mit hin - reißender Beredſamkeit geſchrieben, und fand un - gemeinen Beifall.
  • 3) Das Buch Hiob zum allgemeinen Gebrauch. Leipzig, bey Weygand 1780. Die Erklaͤrung der Bibel hat durch dieſe Schrift kei -nenXVnen bedeutenden Beytrag erhalten, deswegen wird auch der Werth derſelben in der Doͤder - leinſchen, ſo wie in der allgemeinen deutſchen Bibliothek nicht hoch angegeben, indes kann es den Leſern, fuͤr die er dieſes Buch verfertigte, we - gen den darin enthaltenen praktiſchen Stellen im - mer ſehr nuͤtzlich ſeyn.
  • 4) Ueber die Vorſehung. Leipzig, 1ſter Band 1780. 2ter Band 1781. bey Jacobaͤer und Sohn. Eine Fortſetzung des Buchs: Nichts von ohngefaͤhr. Wird auch einzeln verkauft. Ein ſehr lesbares, und fuͤr tauſend Leſer nuͤtzli - ches Buch! Fuͤr den Gelehrten und Denker aber iſt es doch nicht ganz befriedigend. Er ver - liert ſich in mancherlei Digreſſionen, kommt vom Wege ab, und macht von ſeinen Kollektaneen einen gar zu haͤufigen Gebrauch. Beide Baͤnde haͤtten gar fuͤglich in Einen zuſammengeſchmolzen werden koͤnnen, und manche Beweiſe haͤtten noch eine groͤßere Schaͤrfe vertragen. Es koͤmmt mir mit dieſem Buche vor, wie mit manchen Predigten, bei aller deklamatoriſchen Weit - laͤuftigkeit ſind ſie dennoch zu kurz, was die Hauptſache betrift. Indes wird man immer durch herrliche Stellen, große Gedanken, uner - wartete Anſpielungen und intereſſante AnekdotenmitXVImit dem Verfaſſer wieder ausgeſoͤhnt. Man ſchuͤttelt manchmal den Kopf, und lieſt doch mit Vergnuͤgen weiter.
  • 5) Ueber Natur und Religion fuͤr die Liebhaber und Anbeter Gottes. Leipzig, bey Weygand 1781. 2. Baͤnde. So wie uͤberall, alſo auch hier, wendet der Verfaſſer ſeine ausge - breitete Kenntniß der Natur zur Erweckung und Nahrung religioͤſer Empfindungen an.
  • 6) Ueber das Große und Schoͤne in der Natur. Leipzig, bey Weygand 1780. 1782. 4. Baͤnde. Auch wenn Sander ſich zu wie - derhohlen ſcheint, betrachtet er doch immer die Gegenſtaͤnde der Natur von einer neuen und in - tereſſanten Seite.
  • 7) Erbauungsbuch zur Befoͤrderung wahrer Gottſeligkeit. Leipzig 1781. bey Ja - cobaͤer und Sohn. Haͤtte Sander auch nur blos dieſes Buch geſchrieben, ſo verdiente er ſchon den waͤrmſten Dank aller ſeiner Leſer. Es iſt in vielen Familien ein Lieblingsbuch, und hat gewis ſchon viel Gutes geſtiftet. An der Spitze ſtehen Unterredungen mit Gott, die den ſchoͤn - ſten und vorzuͤglichſten Theil deſſelben ausma - chen. Wie ſchoͤn ſind folgende Gedanken:
    Wenn neben mir der Eigennutz, wie ein Wolf anXVII an fremdem Gute nagt, ſo laß mir ein gutes Gewiſſen mehr werth ſeyn, als Gold und Sil - ber. Du ſamleſt jede Aſche, und laͤſſeſt nichts umkommen in deiner ſchoͤnen Natur. Erhalte auch in mir jeden guten Keim, laß ihn aufwachſen und in der Ewigkeit Fruͤchte tra - gen. Ehe die grauen Haare am Scheitel wehen, entwoͤhne mich vom Spielplatz der Welt. Sey fuͤr die Blume geprieſen, die der Biene und mir Honig traͤgt. Nimm um deines Sohnes willen die Gefallenen auf, die ſich mit der Tugend ausſoͤhnen, und uͤber ihre Verirrungen weinen. Laß mir die Freude, am Ende eines jeden verlebten Tages, wenn ich das Zimmer ſchließe, zu denken, daß ich dir und deinem Heil naͤher bin, daß wenigſtens die Buͤrden dieſes Tages getragen ſind, daß wenigſtens dieſe Leiden nicht wieder kom - men.
    Dank ſey dir, mein Vater, fuͤr unvermu - thete Wohlthaten, fuͤr die Liebe von andern Menſchen, fuͤr heilſame Zuͤchtigungen, fuͤr noͤ - thige Demuͤthigungen, fuͤr vaͤterliche Pruͤfun - gen, fuͤr lehrreiche Truͤbſale, fuͤr jedes uͤber - ſtandne Leiden, fuͤr die ganze Summe deiner Gutthaten, und deiner an mich gewendetenb Bemuͤ -XVIII Bemuͤhungen. Gewoͤhne mich, von Men - ſchen wenig, von dir alles zu erwarten. Be - wahre mich vor dem ſchwarzen Undank, um ei - ner Truͤbſal willen, alle Gutthaten von dir zu vergeſſen. Erinnere mich daran, daß ich ge - gen dich nie mit Recht murren kann. Dieß
    mag eine Probe von ſeiner Denkungsart und von ſeinem Stil ſeyn. Haͤtte Sander immer ſo geſchrieben, ſo wuͤrde man ihn nie den Vor - wurf der Affectation, des Schwulſtes und der Weitſchweifigkeit gemacht haben. Fehler, die er mit der Zeit gewiß ganz abgelegt haben wuͤrde!
  • 7) Oekonomiſche Naturgeſchichte fuͤr den deutſchen Landmann und die Jugend in den mittlern Schulen. Leipzig, bey Jacobaͤer und Sohn 1781. 1782. 3. Theile. Der Abdruck des letzten Theils iſt nach ſeinem Tode herausge - kommen, und ein vierter Theil, wird von einem Fortſetzer, der dergleichen Arbeiten gewachſen iſt, erwartet. Dieſe uͤberaus nuͤtzliche, und in ei - nem populaͤren Ton abgefaßte Schrift macht dem ſeligen Mann ungemein viel Ehre, und fin - det verdienten Beyfall. Es iſt ſehr zu bedau - ern, daß ihn der Tod an der Vollendung dieſer Arbeit gehindert hat. Sein Fortſetzer uͤbernimmt immer ein ſchweres Werk, wenn er ſich in San -dersXIXder’s Denkungsart verſetzen, und in ſeinem To - ne fortſprechen will.
  • 9) Ueber die Kunſtſprache der Natur - forſcher. 8. Baſel, bey Serini. 1783.
  • 10) Predigten fuͤr alle Staͤnde. 2. Baͤnde. 8. Leipzig, bey Jacobaͤer und Sohn 1783. Dieſe Predigten ſind nach ſeinem Tode herausgekom - men, und der Verleger buͤrgt fuͤr ihre Aechtheit. Sie ſind ein Beweiß, daß nicht nur der Kathe - der, ſondern auch die Kanzel durch Sander’s Tod viel verlohren haben. Keine von dieſen Pre - digten iſt ganz ſchlecht; die meiſten ſind ſehr gut, und einige vorzuͤglich ſchoͤn.
  • 11) Beſchreibung ſeiner Reiſen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutſchland und Italien, in Beziehung auf Menſchenkenntniß, Induſtrie, Litteratur und Naturkunde inſonderheit, 2. Theile, 8. bey Jacobaͤer und Sohn 1783. Dieſe ebenfalls nach ſeinem Tode herausgekommene Beſchreibung ſeiner Reiſen iſt mit einer vortreflichen Tittelvig - nette von der Erfindung des Herrn Geyſer’s in Leipzig geziert. Das en Medaillon angebrachte Bildniß des Seel. iſt ſehr gut getroffen, und am Fuße des Monuments ließt man die Worte, die nicht ſchicklicher gewaͤhlt werden konnten:b 2ΟνXXΟν οι ϑεοι φιλουσιν, αποϑνησκει νεος. Der Vater des Seligen, der Herr Conſiſtorialrath San - der, hat dieß nachgelaſſene Werk dem Durchl. Prinz Friedrich von Baaden in einem Brie - fe, der ganz mit der ruͤhrenden Wuͤrde eines frommen dem Grabe ſich naͤhernden Greiſes ge - ſchrieben iſt, zugeeignet. Der ſeelige Mann hatte dieß Buch ganz zum Druck fertig gemacht, und nur der Tod verhinderte ihn an der Ueber - ſendung des Manuſcripts an den Verleger. Der weitumfaſſende Geiſt des Verfaſſers lies zwar nichts unbemerkt, was einen aufmerkſamen und forſchenden Reiſenden intereſſiren kann, er rich - tete aber doch ſein Augenmerk vorzuͤglich auf die Naturgeſchichte, und jeder reiſende Naturforſcher kann daher dieß Werk als ein vollſtaͤndiges und lehrreiches Handbuch gebrauchen. Der ſeelige Sander hat ſich durch daſſelbe ein immerwaͤh - rendes Denkmahl ſeines mit den mannichfaltig - ſten Kenntniſſen bereicherten Geiſtes, ſeiner un - beſtechlichen Wahrheitsliebe und ſeines zaͤrtlichen und freundſchaftlichen Herzens geſtiftet. Er haͤtte die Laufbahn ſeines kurzen, aber durch gemein - nuͤtzige Thaͤtigkeit ruhmvollen Lebens nicht ſchoͤ - ner kroͤnen koͤnnen. Kleine Unrichtigkeiten, Luͤcken, mangelhafte Nachrichten und Nachlaͤſ -ſigkeitenXXIſigkeiten in der Schreibart wird man freilich wohl hie und da bemerken, aber welche Reiſebeſchrei - bung iſt ie ganz davon frey geweſen? Oder kan es bey der Einſchraͤnkung des menſchlichen Gei - ſtes ſeyn? ubi plura nitent, non ego pau - cis offendar maculis.

Alle dieſe Schriften, die Gedichte, die er bald einzeln drucken, bald in verſchiedene Mo - nathsſchriften einruͤcken laſſen, ungerechnet, ſchrieb Sander vor dem acht und zwanzigſten Jahre! Was wuͤrde er nicht noch geleiſtet haben, wenn ihm die Vorſehung ein laͤngeres Leben verliehen haͤtte! Hier iſt noch eine Schilderung ſeines Cha - rakters, wozu ich die Zuͤge aus einer oͤffentli - chen Schrift entlehne, die ich um deſto eher be - nutzen darf, da ſie meine eigene Arbeit iſt.

Sander war von mittlerer Groͤße, braͤun - lich von Geſichtsfarbe, und mehr mager als flei - ſchigt. Sein Anzug war ſimpel, und ſo lange er nicht ſprach, ſchien er ganz zu der Claſſe von gewoͤhnlichen Menſchen zu gehoͤren, nur ſein groſ - ſes feuriges Auge kuͤndigte die raſtloſe Thaͤtigkeit ſeines Geiſtes an. So bald er aber den Mund oͤfnete, ſprach er mit Feuer und Energie, und alle Zuͤge ſeines Geſichts wurden beſeelt. Er beſaß jene Leichtigkeit im Umgange, die man nurb 3durchXXIIdurch die Bekanntſchaft mit der Welt erlangt; ſeine Geſpraͤche wußte er durch eingeſtreute Anek - doten, kleine Erzaͤhlungen und treffende Anmer - kungen anziehend zu machen. Man ward nie muͤde ihn zu hoͤren, und ſeine Unterredungen nahmen faſt immer eine ernſthafte Wendung. Er war hoͤflich ohne Ceremonie, heiter ohne Ausgelaſſenheit, anſtaͤndig ohne Zwang, und freymuͤthig ohne Unbeſcheidenheit. Rang, Ti - tel und Reichthuͤmer machten keinen Eindruck auf ſein Herz, und man ward es bald gewahr, daß er im Umgange mit den Großen nie ſeine menſchliche und chriſtliche Wuͤrde verleugnete. Je mehr man ihn ſah und ſprechen hoͤrte, je mehr mußte man ihn hochachten und liebgewinnen. Er erkundigte ſich nach allem, bemerkte alles mit dem feinſten Beobachtungsgeiſte, und mußte von allem, was er ſah und bemerkte, einen ſchnellen Gebrauch zu machen. Haͤufige Beyſpiele davon findet man in ſeinen Schriften. Er deklamirte vortreflich, und muß als Redner große Wirkung hervorgebracht haben. In Wien hoͤrte man ihn mit Entzuͤcken, und ſeine neuerlich herausge - kommenen Predigten enthalten herrliche Stellen. Von Mosheim war er ein großer Verehrer, und war fuͤr die magern und von allem redneri -ſchenXXIIIſchen Schmuck entbloͤßten Kanzelvortraͤge, die mehr Diſſertationen als Volksreden ſind, nicht eingenommen. Vielleicht war aber doch ſein Stil zu blumenreich und zu uͤberladen, und er ſchien nicht ſorgfaͤltig genug zu ſeyn, das Trivia - le vom Intereſſanten zu ſcheiden. Von dem Nutzen der Kennikotſchen Arbeit machte er ſich keine großen Begriffe, und gerieth mit einem Gelehrten, der ſich groͤßere Vorſtellungen davon machte, in einen lebhaften Wortwechſel. Er war bey dieſer Gelegenheit ganz Leben. Feuer - blick des Auges, Ton der Stimme, Fluß der Rede alles kuͤndigte das Feuer ſeines Ge - nies an. Er arbeitete, wie er mir ſagte, mit großer Leichtigkeit, und hatte ſich von fruͤher Jugend an gewoͤhnt, ſich Auszuͤge aus Buͤchern zu machen, die er las. Er beſaß eine gluͤhende Imagination, ein treues viel umfaſſendes Ge - daͤchtniß, eine gluͤckliche Erinnerungskraft, und eine Gabe, wie ſie der ſelige Klotz hatte, das Nachmittags zu lehren, was er Vormittags ge - lernt hatte. Er war immer voller Plane. Was er ſah, hoͤrte und las wurde gleich zum kuͤnftigen Gebrauch beſtimmt. Wie haͤtte er auch ſonſt ſo viel ſchreiben koͤnnen?

b 4MitXXIV

Mit ſeiner Lage war er nicht ganz zufrie - den. Ueberhaupt blickt ein gewiſſer Mißmuth, den man leicht fuͤr Egoismus halten koͤnnte, faſt aus allen ſeinen Schriften hervor. Er ſpricht, wie Montagne, oft von ſich, und ver - liehrt ſich wie Roußeau, ſo wenig aͤhnliches er ſonſt mit ihm hat, in bittere Klagen, uͤber den Undank, die Kaltſinnigkeit und Bosheit der Menſchen. Zum Beweiß mag folgende Stelle aus ſeinem Erbauungsbuche dienen: Wenn man mich verfolgt, herabſetzt und laͤſtert, wenn mich die, die mich unterſtuͤtzen ſolten, ſelbſt hindern, das kleine Brod in Ruhe zu eſſen, und in deinem Reiche Gutes zu ſtiften, ſo erinnere mich daran, daß dein groͤßter Apoſtel dir auch unter vielen Anfechtungen, und oft mit Thraͤ - nen dienen mußte. ---

Er beſaß uͤbrigens ein großes wohlwollen - des Herz. Er war nichts weniger, als ſtolz, neidiſch und verleumderiſch. Niemand war be - reitwilliger als er, großen Maͤnnern Gerechtigkeit wiederfahren zu laßen. Er ſprach mit Entzuͤ - cken von einem Weiſſe, Morus, Zolliko - fer, Nikolai, Teller, Semler, Spal - ding, und andern großen Maͤnnern, die er aufſeinenXXVſeinen Reiſen hatte kennen lernen, ob er gleich ihre Ideen nicht durchgaͤngig adoptirte. Beim Geheimderath Goͤthe in Weimar, ſagt er, habe ich einen herrlichen Abend gehabt, den ich in meinem Leben nie vergeſſen werde. Wenn *** fuhr er fort, von ſich erhalten koͤnnte, ſo ungekuͤnſtelt, natuͤrlich, und doch ſtark und kraftvoll zu ſchreiben, als er im geſellſchaftlichen Umgange ſpricht, ſo waͤren wir alle Stuͤmper gegen ihn. Seine Urtheile uͤber Menſchen und Buͤcher hatten immer das Gepraͤge der freymuͤ - thigen Wahrheitsliebe, ohne ins Beleidigende zu fallen. Schroͤckh war einer von denenje - nigen Gelehrten der neuern Zeit, die er vorzuͤg - lich hochſchaͤtzte. Alle Wunderwerke der Na - tur und Kunſt machten auf ſeine gefuͤhlvolle See - le den tiefſten Eindruck. Die Bergveſtung Koͤnigſtein, und das freyherrlich Ucker - manniſche Schloß Weſenſtein zogen ſeine Bewunderung vorzuͤglich auf ſich. Ich hatte das Vergnuͤgen, ihn an beide Orte zu begleiten, und war ein Zeuge von der Senſation, welche die durch die Kunſt verſchoͤnerte Natur in ihm er - regte. Mit Vergnuͤgen verweilte er ſich auf der Hoͤhe von Meuſegaſt, wo er die ganze pa - radieſiſche Gegend von Koͤnigſtein, Pirna,b 5Stol -XXVIStolpen, Pillniz, Sedliz und Dreßden uͤberſehen konnte. Die Kette von Weinbergen, die ſich von Pirna bis Meißen laͤngſt der Elbe hinzieht, und mit unzaͤhlichen Gebaͤuden und Luſthaͤuſern gleichſam uͤberſaͤet iſt, war fuͤr ſein Kennerauge die angenehmſte Weide. Der Standort, von dem wir die vor uns liegende, durch die Elbe verſchoͤnerte Landſchaft uͤberſa - hen, war ehemals eine buſchigte Anhoͤhe voller Steine und Dornen; allein der erfinderiſche Geiſt ſeines Beſitzers, des ſeel. Herrn Geheim - deraths Freyherrn von Uckermann hatte die - ſen wilden, faſt undurchdringlichen Platz in ei - nen geſchmackvollen Engliſchen Garten umge - ſchaffen, ihn mit einem Pavillon, Fontainen, Waſſerbehaͤltern, amerikaniſchen Gewaͤchſen, Birken - und Buchenhecken, und wilden Pro - menaden geziert. Anſtatt der Hecken und Mau - ern iſt er mit Buchen - und Eichengeſtruͤppe, wo - mit ſonſt der ganze Huͤgel bekleidet war, einge - faſſet, und dadurch mit den angrenzenden frucht - baren Saatfeldern verbunden, wodurch die gan - ze Anhoͤhe die Geſtalt eines großen unuͤberſehli - chen Gartens bekoͤmmt, welcher alle Fremde, beſonders reiſende Englaͤnder, zur entzuͤckendſten Bewunderung dahin reißt. Man fuͤhrte San -dernXXVIIdern durch Schlangengaͤnge an einen Ort, wo ihn das aus dem Grunde hervorſteigende herrli - che Schloß, nebſt den dazu gehoͤrigen Gaͤrten und Haͤuſern auf einmal ins Auge fiel. Nie werde ich den Eindruck vergeſſen, den dieſe ro - mantiſche Gegend auf ihn machte. Er ſtand ei - nige Minuten mit in einander geſchlagenen Ar - men in uͤberhangender Stellung, und ſchien zu unterſuchen, obs Feerey oder Natur waͤre, was ſein Aug erblickte. Nein, ſagte er endlich, das muß ich geſtehen, ein ſolches Schloß haͤtt ich hier nicht vermuthet. Die kuͤhnſte Einbil - dungskraft wagt ſich das kaum zu denken, was Kunſt und Natur hier realiſiret haben. Die hohen Berge, die das Schloß von allen Seiten umgeben, und ſich gleichſam in einander winden, ſind, einige Plaͤtze ausgenommen, mit lebendi - gem Holz bewachſen. Sie bilden in der Ge - gend, wo das Schloß liegt, einen großen Keſ - ſel, vereinigen ſich nach und nach, und laſſen endlich nur ſo viel Land uͤbrig, als noͤthig zu ſeyn ſcheint, um der durchs Thal rauſchenden Muͤglitz den Aus - und Eingang zu verſtatten. In der Mitte des Thals erhebt ſich ein maͤßiger Huͤgel, welcher mit dem herrlichſten Schloß, der Bewunderung aller Fremden, uͤberbaut iſt, ausdeſſenXXVIIIdeſſen Mitte ſich der Thurm der Schloßkapelle erhebt. Zu den Sehenswuͤrdigkeiten dieſes mit der Muͤglitz umfloſſenen Schloſſes, kommt noch der Garten, das Badehaus, die in Fels gehauenen Keller, die reichen Zimmer, die Ka - pelle, und die reizenden Promenaden und Aus - ſichten. Wie ungemein Sander von allen dieſen Schoͤnheiten, noch mehr aber von der guͤ - tigen und gaſtfreien Aufnahme des Beſitzers und ſeiner hochachtungswuͤrdigen Gemahlin geruͤhrt ward, davon legt die Beſchreibung ſeines Auf - enthalts in dieſer Gegend im 2ten Theile dieſer ſeiner Reiſebeſchreibung den uͤberzeugendſten Beweis ab. Die Bergveſtung Koͤnigſtein erreg - te ſeine Bewunderung ebenfalls in einem ſehr ho - hen Grade, und die Politeſſe des daſigen Com - mendanten, des Herrn Grafen zu Solms Ex - zellenz ward von ihm ſehr geprieſen. Ueber - haupt war er aͤußerſt empfindlich gegen alle Aeuſ - ſerungen eines edlen und wohlwollenden Her - zens. So ſehr er aber die Großen ſchaͤtzte, wenn ſie ſich durch aufgeklaͤrte Kenntniſſe und ein leut - ſeliges Betragen auszeichneten, ſo ſehr ſah er ſie uͤber die Achſel an, wenn ſie die Duͤrftigkeit ih - res Geiſtes durch eine vornehm ſproͤde Miene zu decken, und den Mangel einer ſchoͤnen und tu -gend -XXIXgendhaften Seele durch zufaͤllige Vorzuͤge der Ge - burt oder des Vermoͤgens zu erſetzen ſuchten. Seine Anmerkungen, die er uͤber dieſen Gegen - ſtand machte, waren ſo freymuͤthig als bitter. Schade, daß er den Brief des Koͤnigs von Preuſ - ſen nicht geleſen hat, der neulich in den oͤffentli - chen Blaͤttern ſtand, worinne der gekroͤnte Phi - loſoph blos das perſoͤnliche Verdienſt auf Ko - ſten aller zufaͤlligen Vorzuͤge erhebt, die er ohne Umſchweife fuͤr Narrenspoſſen erklaͤrt, ſo bald ſie nicht durch Weisheit und Tugend gel - tend gemacht werden. Dieſer Brief wuͤrde ihm unendlich viel Freude gemacht haben, da er ein ſo erklaͤrter Feind der Unwiſſenheit und des win - dichten Stolzes war. Von der Religion Jeſu war ſein Herz ganz eingenommen; auch in ſeiner froͤhlichſten Laune entwiſchte ihm nichts, was mit ſeinem Eifer fuͤr Weisheit und Tugend, wo - von alle ſeine Schriften voll ſind, in Widerſpruch geſtanden haͤtte. Das Lob, welches ihm ein oͤf - fentliches Blatt ertheilt, iſt gewiß nicht uͤbertrie - ben, und jeder, der ihn von Perſon kannte, oder ihn aus ſeinen Schriften kennt, wird es unter - ſchreiben: Alle ſeine Schriften athmen tiefe innige Verehrung der Chriſtlichen Religion mit Waͤrme und Feuer vorgetragen, und ſind bey einenXXX einem guten Styl hinreiſſend, belehrend und uͤberzeugend.

Er hoͤrte in Sachſen eine elende Predigt, voll ſchematiſchen Unſinns und homiletiſchen Geſchwaͤtzes, und noch obendrein mit der ein - ſchlaͤferndſten Monotonie hergeleyert, aber an - ſtatt daruͤber zu ſpoͤtteln, und ſeinen Witz zu zei - gen, klagt er mirs mit einer Art von Wehmuth, die mich ganz fuͤr ihn einnahm. Wie ſehr, ſagt er, iſt die arme Gemeinde zu beklagen, die ſich mit ſo ungeſunder und ungenießbarer Koſt abſpeiſen laſſen muß!

Auch auf ſeinem Sterbebette verleugnete er ſeinen ofnen und rechtſchaffenen Charakter nicht. Als ihn ſein bekuͤmmerter Vater fragte: ob er zum Sterben willig ſey? antwortete er: Ich lerne alle Tage an dieſer Lection. Wenig Tage vor ſeinem Tode dictirte er ſeiner Jungfer Schweſter folgenden Brief an ſeine Braut:

Liebe Gute!

Wir haben das viele empfangen, das Sie uns geſchicket haben. Wie ſchwach und matt ichXXXI ich jetzt bin, ſehen Sie daraus, daß meine Schweſter ſchreiben muß, was ich vom Bette muͤhſam rede. Der Huſten plagt mich manche Nacht und verjagt allen Schlaf. Auch am Tage iſt er eine erſchreckliche Plage fuͤr mich. Ich komme faſt den ganzen Tag nicht aus dem Bette. Sehen Sie, ſo bringe ich meine Zeit zu. Sagen Sie das Ihren Eltern und Groß - eltern, und denken Sie meiner vor Gott. Einige Zeit vorher ſchrieb er ihr eigenhaͤndig: Es iſt keine große Hofnung zur Geneſung da, und ich ſchreibe Ihnen dieß ohne Angſt und Schrecken. Gott wirds beſorgen und gut ma - chen.

Der 1ſte October machte allen ſeinen Pla - nen, die er zum Beſten ſeiner Mitmenſchen, und zur Verherrlichung Gottes noch auszufuͤhren ge - dachte, ſo wie ſeinen Leiden, ein Ende. Sein Wunſch iſt nun erfuͤllt, den er in ſeinem Erbau - ungsbuche mit ſo viel Feuer ausdruͤcket:

Muͤde Glieder, wenn werdet ihr in die Er - de geſamlet werden! Unruhiger und geplagter Geiſt, wenn wirſt du zur Ruhe kommen! Du Leben voll Unbeſtaͤndigkeit und Kummer! wenn wirſtXXXI#[XXXII] wirſt du einmal mit der Ewigkeit abwechſeln! Treue Zeugen des Erloͤſers, wenn werden wir, ſo wie ihr, zu den Auserwaͤhlten kommen, und mit Jeſus Chriſtus Freud und Wonne haben! Ja, komm, Vollendeter, Geprießner, Er - wuͤrgter! komm und fuͤhre mich dorthin, wo tauſend Millionen ſchoͤner Seelen im glaͤnzen - den Chor, im Jubelgeſang des Himmels ſich bruͤderlich lieben, und ſich die Wolluſt mittheilen, fuͤr die die Erde keine Wohnung, und die Spra - che der Sterblichen keinen Namen hat!
Heinrich[1]

Heinrich Sander’s Bemerkungen auf einer Reiſe durch Schwaben und Bayern.

An Madame Grotian in Hamburg.

Wie der Gedanke des Manns eilt, der mancherley Lande Hat durchwandelt, und des in ſeiner Bruſt ſich entſinnet: Hier bin ich geweſen, und dort; er denket an vieles.
Homers Ilias von Stollberg. XV. V. 83. S. 62.
Zweiter Theil. A[2][3]

Bemerkungen auf einer Reiſe durch Schwaben und Bayern.

Indem ich noch das Vergnuͤgen habe, Sie mit mei - nen Reiſenachrichten von Frankreich und Hol - land zu unterhalten, hab ich wieder eine kleine Reiſe nach Ulm, Augſpurg und Muͤnchen gemacht, und er - lauben Sie mir, daß ich alles, was ich geſehen, gefun - den, und beobachtet, ſo mit Ihnen theile, als wenn ich jetzt das Gluͤck haͤtte, bei Ihnen zu ſeyn, und mit Ih - nen zu ſprechen. Freilich iſt das nur eine Reiſe in Deutſchland geweſen; aber glauben Sie mir, in un - ſerm Vaterlande iſt noch manches, das noch gar nicht bekannt iſt, und das doch die Aufmerkſamkeit eines Rei - ſenden verdient. Vielleicht kan ich Ihnen fuͤr die Na - turkunde, fuͤr die Oekonomie, fuͤr Kuͤnſte und Handwer - ke, und fuͤr die Geſchichte der Menſchheit einiges, das nicht ganz unintereſſant iſt, erzaͤhlen.

Mein Fuhrwerk war ein Pferd. Im Trabe ha - be ich die ganze Reiſe gemacht, und ich muß Ihnen ſa - gen, daß ich in meinen Jahren dieſe Art zu reiſen ſelbſtA 2der4der Extrapoſt vorziehe: denn Sydenham hat dem Ge - lehrten mit Recht das Reiten ſehr empfohlen. Nichts erſchuͤttert ſo ſehr den ganzen Koͤrper, bringt die ſtocken - den Fluͤſſigkeiten in den feinſten Gefaͤſſen wieder in Be - wegung, ſtaͤrkt die Muskeln des Unterleibs, befoͤrdert die Verdauung, erweckt den Appetit, hilft zur unmerklichen Ausduͤnſtung, ruft den angenehmen Schlaf herbei, er - heitert den Geiſt, und beſchleunigt die Wirkungen der Phantaſie und des Verſtandes, als ein maͤſſiges, aber anhaltendes Reiten. Was iſt es fuͤr ein unnennbares Vergnuͤgen, wenn das Auge in der weiten Natur herum - ſchweifen, und in einer Sekunde den ganzen Geſichts - kreis, der vor mir liegt, durchſchauen kan! Wie gros iſt die Freude, am fruͤhen Morgen dem Erwachen des Ta - ges auf der Hoͤhe des wiehernden Pferdes zuzuſehen, und ſo wie’s immer lichter und heller wird, die grauen Nebel, die an den Bergen haͤngen, das friſche Gruͤn der Wie - ſen, den Dampf der Aecker, das ſanfte Flieſſen der Ge - waͤſſer, das Zwitſchern der Voͤgel im Walde zu hoͤren, zu ſehen, und in wenigen Augenblicken dieſe Kruͤmmung zuruͤckzulegen, um jenen Berg herumzukommen, und jetzt wieder andre Ausſichten vor ſich zu haben, und ſo in ei - nem Tage ein halbes Land zu durchſtreifen! Auch lieb ich dieſe Bewegung deswegen, weil dem freien uneinge - ſchloſſenen Auge nichts, kein ſchoͤner Anblick der Natur, keine Heerde, keine Gruppe ſpielender Kinder, keine Bauerhuͤtte, kein kuͤhles Thal, kein ſchattichtes Waͤld - chen entgehen kan, und wie das Auge des Matroſen ſcharf in die Ferne ſieht, weil es immer auf der unermeßlichen Flaͤche des Meeres hinauslaufen kan, ſo glaube ich auch an mir bemerkt zu haben, daß meine Augen viel friſcher, heller und geſuͤnder ſind, wenn ich mich wieder von derStudir -5Studirſtube losgeriſſen, und das goͤttliche Vergnuͤgen, der Natur auf dem Lande naͤher zu ſeyn, genoſſen habe! Das Pferd des Europaͤers iſt auch, meiner Meinung nach, dem Elefanten, dem Elenn, dem Rennthiere, dem Kameel, dem Ochſen ꝛc. weit vorzuziehen. Es verei - nigt Geſchwindigkeit und Lebhaſtigkeit mit der Kraft, lan - ge auszudauern. Der immer gleiche Schritt des Ka - meels wuͤrde mir wenigſtens unertraͤglich langweilig und einfoͤrmig vorkommen, und das allzuraſche Laufen des Elenn und des Rennthiers wuͤrde mir die Wonne rauben, die ſchoͤnen Gegenden der Natur zu genieſſen, und muͤßte nothwendig Wallungen im Gebluͤt erregen, die dem Koͤr - per ſchaͤdlich werden koͤnnten. Zum Erſtaunen iſt es auch, was fuͤr groſſe Strecken man mit einem guten und wohlgepflegten Pferde in Einem Tage zuruͤcklegen kan. Ohne Zweifel lebte unſer ſeel. Martini noch, haͤtt er das Reiten fruͤher angefangen, und oͤftrer wiederholt. Zu naturhiſtoriſchen Reiſen iſt ohnehin das Pferd die al - lerſchicklichſte Voiture. Es klettert auf jeden Berg, trabt auf jedem kleinen Wege fort, geht in Thaͤlern und Ber - gen zwiſchen den rauhſten Steinen ſeinen Weg fort, frißt ſich ſchnell wieder zu Kraͤften, und ſchlaͤft nur wenige Stunden. Auch iſt das Spaͤtjahr die bequemſte Zeit zu ſolchen Expeditionen. Man kan alsdann noch eher auf beſtaͤndige Witterung hoffen, als im Fruͤhjahre. Die Hitze des Sommers iſt groͤſtentheils vorbei, die Inſekten verſchwinden allmaͤhlich, und der Tag hat noch ſeine ge - hoͤrige Laͤnge. Im Fruͤhjahre iſt immer zu viel Waſſer in der Natur, das ſtoͤrt manches Vergnuͤgen, auch iſt der Koͤrper des Studirenden durch die kuͤnſtliche Waͤrme im Winter ſo weich, ſo zart und empfindlich geworden,A 3daß6daß er die Abwechſelungen der Witterung nicht ſo leicht, wie am Ende des Sommers ausſtehen kan.

Zwar bereitete ſich jetzt freilich die Natur zum Gra - be, und legte ihren Schmuck ab. Sie gab von den Baͤu - men ihre letzte Geſchenke her, die Traube ſchwoll auf, und rief dem Winzer, die Winterfrucht ſproßte ſchon wieder aus den braunen Feldern hervor, und erwartete den Schnee, der ſie decken ſollte. In vielen Gegenden ſang kein Vogel mehr. Hie und da kuͤndigte ſich ein Rabe durch ſein Geſchrei an. Mit der ſanften Farbe der Wie - ſen wechſelte das Gruͤn der Tannen ab, und zwiſchen den Tangeln der Fichten hingen die gelben, rothen, fle - ckichten, und ſchon halb verdorrten Blaͤtter der Laubbaͤu - me, wovon oft viele durch eine losgeriſſene Frucht nieder - geſchlagen und vom Stiel geriſſen wurden. Doch mach - te die unſaͤgliche Menge des Obſts, beſonders der Zwet - ſchen und der Aepfel, einen angenehmen Eindruck auf mich. Auch noch an alten und verdorrten Staͤmmen, die faſt ganz Holz zu ſeyn ſchienen, ſah man den Segen der Natur. Ueber Nacht drang die Zeitloſe, (Col - chicum autumnale L.) aus dem Schooße der Erde hervor, und verſchoͤnerte mit ihrem rothen und ſilbernen Stoff meine Lieblinge, die Wieſen.

Von Pforzheim nach Vayhingen geht der Weg groͤſtentheils an der Enz hin. Man hat immer auf der einen Seite Wieſen, auf der andern Berge, die mit vie - ler Muͤhe Terraſſenweiſe gebaut, mit ſteinernen Mauern vorne an der Straſſe eingeſaßt, und ganz mit Rebſtoͤcken bedeckt ſind. So muͤſſen etwa die Berge in Palaͤſtina ausgeſehen haben, die jetzt unter der Tuͤrkiſchen Regie -rung7rung nicht gebaut, und durch Wind und Regen ihres fruchtbaren Bodens beraubt worden ſind. Zwiſchen den Weinſtoͤcken pflanzt man noch Gurken und Kuͤrbiſſe, deren goldgelbe Fruͤchte uͤber die Terraſſen und Mauern herabhaͤngen. Sie waren in dieſem Jahre ſehr klein, vermuthlich wegen der heiſſen und trockenen Witterung, aber die aͤuſſerſten Spitzen dieſer Rankenpflanzen hatten ſchon wieder die zweite Bluͤte. Auch ſind die friſchen Quellen, die aus dieſen Weinbergen hie und da herabrie - ſeln, ungemein lieblich. Sie ſickern unter der Straſſe durch nach den Wieſen und waͤſſern ſie. Daß man in Schwaben den Straſſenbau verſteht, wird wohl je - der Reiſender zugeben muͤſſen. Nur iſt es mir auch hier, wie uͤberall unbegreiflich geweſen, daß es unmoͤglich ſeyn ſoll, auch in Doͤrfern ſelber, wo man oft verſinken koͤnn - te, einen beſſern Weg zu erhalten. Es kan nicht an - ders ſeyn, als daß die Geſundheit des Landbauern, die doch der Polizei werth ſeyn ſollte, darunter leiden muß. Sonſt fand ich in dieſer Gegend, daß die Weibsperſonen gemeiniglich Mannshuͤte tragen. Hanf wird hier nicht viel gebaut. Man bleicht ihn auf den Hecken und Zaͤu - nen, wo er unter dem Einfluß der Luft ſchneeweis wird.

Von Stuttgard nach Eßlingen geht der Weg uͤber einen ungeheuern Berg, der mit den groͤbſten Stei - nen gepflaſtert iſt. Zu beiden Seiten ſind Weinberge, die ſich in ein herrliches Wieſenthal verlieren. In - lingen ſelbſt haben die Hrn. von Palm ein reiches Na - turalienkabinet, wo ich ſehr viele Mineralien, Verſteine - rungen und Inſekten aus dieſer Gegend ſah.

In Blochingen einige Stunden weiter hin, fand ich in einem Gaſthofe einen Tyroler Burſchen, derA 4mit8mit Stein-Skorpionoͤl, Theriak, Roßfalben u. dergl. im Lande herumzieht. Unmoͤglich kan ich Ihnen ſagen, was das fuͤr eine Figur war. Mehr Pavian, als Menſch! die allerunverſtaͤndlichſte und unangenehmſte Sprache, die ungeſchliffenſte Seele, ein dicker zottichter Koͤrper, halb nackend, mit wilden borſtenartigen Haaren beſetzt, faſt eckelhaft in allen Manieren, blos fuͤr Saufen und Schlafen eingenommen, rauh und wuͤſt, wie die Gebir - ge, hinter welchen ſein Land liegt. Die Leute trieben auch ihren Spaß mit ihm, und misbrauchten ihn gewal - tig.

Bei den vielen Bergen dieſes Landes iſt ein Ueber - fluß von Waſſer da. Nach wenigen Stunden kommt man immer wieder an ein andres Fluͤßchen, und in jedem Orte ſind viele Roͤhrbrunnen, die in der Landwirthſchaft gute Dienſte thun, und der Fremde hoͤrt ſie in der Nacht beſtaͤndig laufen und rauſchen. Zuweilen laufen aber auch die kleinſten Waſſer ſchrecklich an. Man findet da - her viele und gute Bruͤcken. Bei Blochingen iſt eine ſchoͤne bedeckte Bruͤcke, die ſehr lang iſt, wie ein Haus ausſieht, und zu beiden Seiten auf dem feſten Lande auf - ſteht.

Der Nationalkarakter der Schwaben iſt gewis gut. Sie ſind ehrlich, treu, zuverlaͤſſig, willig, mit den feinen Kniffen und Raͤnken andrer Deutſchen wenig bekannt, uͤberall gutmuͤthig, und dienen gern Jeder - mann. Ich wuͤßte nichts, das ihnen fehlte, als etwas mehr Thaͤtigkeit und Elaſtizitaͤt. Auf der Straſſe thei - len ſie jedem Fremden Obſt, Nuͤſſe, Trauben mit. Die Mutter ſchickt den Jungen mit einem Hut voll noch ſchoͤn - rer Aepfel zuruͤck, wenn er nur einen Kreuzer vom Rei -ſenden9ſenden bekommen hat. Man kan ſie am Morgen fruͤh in den Haͤuſern ſingen hoͤren, und um Mittag hoͤren Sie im ſtillen Dorfe faſt in jedem Hauſe das Gebet der Kin - der zum Eſſen. Ich geſtehe Ihnen, liebſte Freun - din! daß mir das ungemein wohl gefiel. In Frank - reich hab ich das aufm Lande nie gefunden.

Hinter Blochingen kommt man in das Filsthal, eine wirklich ſehr tiefliegende Gegend, die von der Fils durchſtroͤmt wird. Goͤppingen ſcheint ein ſehr nahrhaf - ter Ort zu ſeyn. Seine Felder lagen jetzt meiſt in der Brache, und ſo ganz mit Steinen bedeckt, hab ich noch nirgends die Aecker gefunden, wie hier. Die Bauern aber ſagten mir, daß ſie demohngeachtet viele Fruͤchte truͤgen, ſie muͤßten den Duͤnger zwiſchen die Stei - ne hineinbringen. Am fruͤhen Morgen ſah ich da, daß die Schwalben ſich ſchon (den 25. Sept.) zum Weg - ziehen verſammelten. Weiter hinein wird das Land rau - her, Gebuͤrge, wie die Alpen, ſchlieſſen es von beiden Seiten ein, das iſt dem Reiſenden ſehr unangenehm, aber die Majeſtaͤt dieſer waldichten Berge iſt doch wirklich mehr, als eingebildet. Dazu kommt das hundertfaͤltige Geklimper der Viehheerden, die auf dieſen Abhaͤngen in der Weide gehen. Faſt jedes Stuͤck Vieh hat eine Glo - cke am Halſe, weil ſie ſich oft verirren, und durch das Klingeln der Glocke wieder gefunden werden. Oft iſt man ganz von dieſen hohen Bergen eingeſchloſſen, und hat ein Thal und Waſſer und Wald und Felder vor ſich, die ungemein ſchoͤn von der Natur zuſammengeſtellt ſind. Wie oft dacht ich, wenn die Sonne ſo lieblich ih - re Stralen uͤber die Gipfel der Berge in den ſchlaͤngeln - den Bach warf:

A 5Schoͤn10
Schoͤn iſt die Welt, die Gott gemacht,
Wenn ſie ſein Licht umfließt!

Geißlingen iſt das Staͤdtchen, dem wir jetzt am naͤchſten ſind, und da hielt ich mich gerne einige Stun - den auf. Geißlinger Arbeit haben Sie gewis ſchon oft geſehen. Sie geht mit dem Nuͤrnberger Tand in der halben Welt herum. Der Ort iſt ein Beweis von der Richtigkeit der Anmerkung: daß in rauhen und unfrucht - baren Gegenden die Induſtrie der Menſchen erweckt und geſchaͤrft wird. Ganz in einem Keſſel, auf allen Seiten von den greulichſten Bergen umgeben, liegt das Staͤdt - chen, das uͤbrigens nicht ſchlecht gebaut, und heitrer iſt, als Ulm. Man graͤbt uͤberall Bauſteine aus der Erde. Auch die Plaͤtze, die etwa noch fuͤr Ackerfeld angeſehen werden koͤnnten, ſind ganz mit Steinen angefuͤllt, welche die Farbe des Pariſer Bauſteins haben, aber viel feſter und haͤrter ſind. Die Leute wiſſen ihre Kuͤnſteleien dem Fremden mit vieler Beredſamkeit anzuſchwatzen. Ich war kaum abgeſtiegen, ſo war ich ſchon von Weibern und Kindern umringt, die alle einen Korb voll Sachen hat - ten, und jede Frau ruͤhmte ihre Waare mehr, als die andre. Man kan fuͤr einen halben Gulden vielerlei kau - fen, und man muß es thun, will man Ruhe haben. Das war mir aber nicht hinreichend. Ich lies mich zu einem Beindrechsler fuͤhren, und ſah ſelbſt der Arbeit zu. Sie erhalten die Knochen von Strasburg, Schafhau - ſen, Muͤnchen. Die Knochen der Ochſen, die man oft durch unſer Vaterland Heerdenweiſe aus der Schweiz nach Strasburg treibt, werden in Geißlingen verar - beitet. Man kauft ſie nicht dem Gewichte nach, ſondern Tauſendweiſe. Sie bekommen ſie ungebleicht, und um das thieriſche Fett herauszubringen, werden die Gebeinein11in der Lauge einen ganzen Tag gekocht. Man ſieht hier keine andre Knochen vom Ochſen, als die Vorder - und die Hinterfuͤſſe. Die Schenkelknochen, ſagten die Leute, ſind zu hart, und werden nicht rund. Hundert Knochen Poſtfrei von Strasburg nach Geißlingen in eignen Guͤterfuhren gebracht, koſten 3. Gulden und 20. Kr. Die Vorderknochen ſind etwas breiter, die hintern ſind ſchon von Natur mehr rund. Knochen von gar zu jun - gen Kaͤlbern koͤnnen ſie nicht brauchen, ſie ſind zu weich und brechen unter der Arbeit. Aber vom Schmahlvieh werden die Knochen gebraucht, doch gelten ſie nicht ſo viel, als die von den Ochſen. Der Mann, deſſen Werk - ſtaͤtte ich beſuchte, war ein gelernter Holzdreher, und er verſicherte mich, daß er ohne Muͤhe, wiewohl doch einige Inſtrumente anders ausſehen, das Beindrechslen in Am - ſterdam gelernt habe. Der Knochen wird eben ſo, wie das Holz, in einen Drehſtuhl eingeſpannt, und laͤuft, indeſſen, daß der Kerl daran arbeitet, beſtaͤndig herum. Zum Schraubendrehen haben ſie eigne Werkzeuge. Sie machen Nadelbuͤchschen, Spulen, Geldbuͤchschen, Spie - le, kleine Schraͤnke, Knoͤpfe, Aufſaͤtze, Leuchter, Ohren - loͤffel, Kinderſpielſachen, Becher, Kugeln ꝛc. Wohl - feil iſt die Arbeit ſehr, man begreift kaum, wie die Leute davon leben koͤnnen, und doch ſind faſt 30. Meiſter in dem Staͤdtchen.

Die Geißlinger ſchicken viel Waaren nach Stras - burg, von dort gehen ſie nach Bordeaux, Aix, Au - xerre ꝛc. Ich fragte auch nach der Anwendung, die ſie von den abfallenden Spaͤnen machen, die ſehr fein, wie Staub werden. Ehemals holten ſie die Bauern vom Lande, und duͤngten die Felder damit, zahlten aber faſtnichts12nichts dafuͤr. Seitdem aber das Gypſen der Felder auch in dieſen Gegenden angefangen hat, haben die Arbeiter auch dieſen kleinen Gewinn verloren, und werfen jetzt die Spaͤne weg. Auch Roſenholz und Horn wird hier ver - arbeitet. Elfenbein auch, aber nicht viel, es iſt fuͤr dieſe Arbeit zu theuer; in Nuͤrnberg ſelber koſtet das Pfund gutes Elfenbein 3. Gulden. Die Leute wuͤnſchten, daß ſie’s von Duͤnkirchen bekommen koͤnnten, aber es ſcheint, als wenn ſie von der Obrigkeit in Ulm nicht genug unter - ſtuͤtzt wuͤrden. Einige auſſerordentlich ſchoͤn geſchnitzte Stuͤcke habe ich in ihren Magazinen geſehen, die den Schwaben Ehre machen. Ihre Frauen machen die ſo - genannte Spittelarbeit. Das ſind Schachteln mit kleinen Schnizeln von allerhand gefaͤrbtem Papier beſetzt, wovon man immer eine in die andre ſetzen kan, und die bei Weinachtsgeſchenken den Kindern groſſe Freude ma - chen. Aber daran iſt noch weniger als an der Knochen - arbeit zu verdienen.

In Ulm ſahe ich bei Hrn. Rektor und Prof. Miller eine ſchoͤne Naturalienſammlung, die der liebenswuͤrdige Mann vor kurzem erſt angefangen hat, und bei ſeinem Unterrichte zum Beſten der jungen Leute anwendet. Ich fand da ſonderlich Kieſel aus der Iller, Donau, Blaw; in einem getrockneten Schwamme die Haͤlfte von einer weiſſen Kammmuſchel, auf welcher oben Tu - buli vermiculares ſitzen; Eichenholz, dergleichen an der Iller waͤchſt; die Rinde vom Gewuͤrznelkenbaum, (Caryophillus aromatica L.) die ungemein wohl riecht, und die ich ſelber nebſt vielen andern, durch die Guͤtigkeit des Hrn. Rektors beſitze. Apfelholz in ſei - ner reichen Holzſammlung, das halbgruͤn iſt; Marmoraus13aus Tyrol, Bayern, Salzburg; Marmor mit Schwefelkies; ein Stuͤck Marmor, auf welchen ein weiſ - ſer Circellus mit einem ſchwarzen Mittelpunkt; und alle dieſe Stuͤcke ſind im Zuchthauſe, wie Spiegel polirt worden; Marmor von Altorf mit groſſen Ammoniten; drei Korallenzinken, die oben ſo zuſammen gewachſen ſind, daß ſie uͤberall geſchloſſen ſind; eine ſehr groſſe Granate, (die auch in Augſpurg ſehr wohlfeil geſchlif - fen worden;) ein Stuͤck Bernſtein, roth und hell, wie der ſchoͤnſte Honig; Stuͤcke von einem verſteinerten Ochſenkopf, die im Ulmiſchen gefunden worden, und welche die Metzger noch erkannt haben; Steinkohlen von Lebſtein, auch im Gebiete der Stadt Ulm; Ga - gat aus dem Wuͤrtembergiſchen, und bei dieſer Gele - genheit will ich Ihnen ſagen, daß wir im Lande eben ſo ſchoͤnen Gagat haben, naͤmlich bei Ober-Eggenen in der Landgrafſchaft Sauſenberg.

Das Ulmer Muͤnſter kan Sie, wenn Sie ein - mal dahin kommen, einen halben Tag beſchaͤftigen. Ein altes, maſſives, weitlaͤuftiges, ehrwuͤrdiges Gebaͤude, an dem man die Geduld, die Arbeitſamkeit, den feſten Sinn, und den ſoliden Geſchmack der Vorfahren bewundern muß. In der Sakriſtei haͤngt eine herrliche Geburt Chriſti von Rottenhammer. Das Gebaͤude ſelber iſt im 11. Jahr - hundert aufgefuͤhrt worden. Bis auf den Platz, wo die Waͤchter wohnen, geht man 401. Stufen hinauf. Kai - ſer Maximilianus I. war auch hier oben, und ſchenkte hernach ſein Gemaͤlde hierher. Es haͤngt ohne alle Ein - faſſung und Bedeckung an der Wand, und doch haben ſich die Farben ungemein wohl erhalten. Der Kaiſer war, nach dieſem Bilde zu urtheilen, ein ſchoͤner lieberMann.14Mann. Man hat oben auf dem Kranze eine unver - gleichliche Ausſicht nach den Tyroler Gebuͤrgen, nach Dillingen, Donauwerth. Man ſieht die eiſernen Stangen, an welchen im Fall einer Feuersnoth groſſe La - ternen nach der Stadt, wo der Brand entſtanden iſt, ausgehangen werden. Im Anfange dieſes Jahrhun - derts hatten die Franzoſen oben auf dem Kranze des Thurms ein Wachfeuer angemacht. Da ging einer von den Waͤchtern, Namens Rumey, herab zu ſeiner Obrig - keit, und fragte an, ob er nicht einen Franzoſen nach dem andern beim Kopfe nehmen, und herabſtuͤrzen duͤrfe? Sehen Sie die Vaterlandsliebe, den Muth, und die ed - le Dreiſtigkeit dieſes ehrlichen Schwaben. Es verdroß ihn, daß ſo ein altes anſehnliches Gebaͤude, die Zierde ſeiner Stadt, an der man 111. Jahre gebaut hatte, durch den Muthwillen der Franzoſen in Brand gerathen ſollte. Wegen der Feuersgefahr ſind oben 36. Waſſerkeſſel, die aber durch die Laͤnge der Zeit ganz ausduͤnſten. Im Glockenhauſe haͤngen Glocken von 75. und andre von 85. Zentnern. Die eiſernen Schwengel verwittern und ſchillern ab, aber nicht die bronzenen Glocken ſelber. An den ſteinernen Pfoſten ſieht man Spuren von der fuͤrch - terlichen Gewalt, womit der Blitz in der Neujahrsnacht 1779. hier in der Nachbarſchaft eines eiſernen Gitters herablief, ſo wie man ſie auch unten in der Kirche am Fuſſe der Orgel ſehen kan. Und doch gibt es noch im - mer Leute, die, wenn ſie den ſichtbaren Nutzen der Ablei - ter ruͤhmen hoͤren, den albernen Einfall wiederkaͤuen: Man ſoll der Vorſehung Gottes nicht vorgreifen. Gra - de als wenn wir armen Sterblichen durch unſere Gewit - terſtangen die tauſendfachen Kraͤfte der Natur ſo baͤndi - gen koͤnnten, daß uns Gott mit aller ſeiner Macht, nichtmehr15mehr toͤdten koͤnnte. Der ſteinerne Fuß des Glockenhau - ſes iſt ganz mit Moos bewachſen. So hoch fliegt alſo der Saamen dieſer feinen Pflanzen mitten in der Stadt herum. Unbegreiflich iſt’s, wie die Leute ehemals die greulichen Maſſen da herauf gebracht haben. Und durch die ungeheuren Brocken von Steinen gehen eiſerne Haf - ten und Baͤnder hier und da ganz durch. Aber jeder Buͤrger und Einwohner der Stadt half damals, als der Bau unternommen wurde. In der Kirche ſelber ſieht man alte Gruften, Kapellen, alte und verdorbene Ge - maͤlde von Duͤrer, Familienwappen ꝛc. An den alten ſchoͤnen Bildſchnitzereien von Eichenholz im Chore iſt noch nicht eine wurmſtichige Stelle, da hingegen alles, was in neuen Zeiten daran[ausgebeſſert] worden iſt, aus viel ſchlechtern unausgetrocknetem Holze gemacht wird. Wenn man Sonntags in dieſer Kirche der Kommunion zuſieht, ſo kan man ſich wohl auch bei der feierlichſten Handlung nicht enthalten, zuweilen eine laͤchelnde Mine zu machen. Dazu zwingen den Fremden die Ulmer Kleidertrachten, die ſo mannichfaltig, ſo eckicht, ſo ſteif, ſo gothiſch, ſo abgeſchmackt, ſo gefaͤltelt, ſo friſirt, ſo ſonderbar ausge - ſchnitten, ſo buntſchaͤckicht, ſo unbeſchreiblich widerlich und grotesk ſind, daß man ſie in manchen andern Staͤd - ten auf der Redoute brauchen koͤnnte. Abzeichnen und illuminiren ſollte man ſie um der Sonderbarkeit willen, wie die Ruſſiſche Kaiſerin ihre Nation abmalen lies. Die alten Matronen, die ſich der Welt nicht gleich ſtellen wollen, vermuthlich weil ſie nicht mehr koͤnnen, halten noch feſt an dieſen hergebrachten und veralterten Kleider - moden. Und bei der Kommunion ſonderlich ſieht man alle moͤgliche Editionen. Wer’s nicht weis, der wuͤrde wahrhaſtig uͤber manche Figuren erſchrecken. Der groͤ -ſte16ſte Theil des aufwachſenden Frauenzimmers verlaͤſt indes gern die Sitten des vorigen Jahrhunderts, und kleidet ſich natuͤrlicher, freier und ſimpler. Die Buͤrgermaͤdchen gehen recht artig und niedlich gekleidet, ohne ſich mit Putz, Poſchen, Strauſſen - und Reiherfedern unnatuͤrlich zu verunſtalten. Sonſt hab ich noch in Ulmiſchen Kir - chen eine Unanſtaͤndigkeit bemerkt, die ich zu Steuer der Wahrheit nicht verſchweigen kan. Man erlaubt auch jungen, ſtarken, und geſunden Leuten, die groſſen Huͤte waͤhrend dem Gottesdienſte aufzuſetzen. Auch hat faſt jede Perſon ihren eignen Sitz, der aufgeſchlagen und nie - dergelaſſen werden kann. Da entſteht nun beim Anfan - ge der Predigt ein ſolcher Laͤrmen in der groſſen weiten Kirche, daß man bei ganz andern Anlaͤſſen zu ſeyn glaubt. Der Apoſtel wuͤrde eine Vorſchrift der Wohlanſtaͤndigkeit und der Sittſamkeit wiederholt haben, wenn er das ge - hoͤrt haͤtte. Auch iſt es vielleicht keine gute Einrichtung, daß man am fruͤhen Morgen ſchon zu ſingen anfaͤngt, und erſt nach etlichen Stunden predigt. Waͤhrend dem Singen, das doch ein Gebet zu Gott iſt, hoͤrt das Lau - fen nicht auf. Viele, die aus der Gottſeligkeit ein Ge - werbe machen, ſingen ſich faſt heiſer, und denken nichts dabei. Andre kommen gar nicht zum Singen, und ver - lieren, um nicht uͤberladen zu werden, dieſe Art der Er - bauung ganz. Auch faͤllt es dem Fremden ſehr auf, wenn Leute, die ſonſt einen Namen haben, die Liturgien und Gebete ſo unverſtaͤndlich, eilfertig und unangenehm herableſen, daß man nichts denken, nichts fuͤhlen kan, auch nicht zuhoͤren mag. Ein Beweis, meine Liebſte! daß wir wahrhaftig auch in proteſtantiſchen Kirchen am oͤffentlichen Unterrichte noch manches zu verbeſſern haben. Darf ich es ſagen, man hoͤrt zu wenig die pia deſideria,die17die Klagen und Beſchwerden des edlern Theils der Zuhoͤ - rer. Die Konſiſtorien ſind gar oft zu gelinde, und uͤber - ſehen manchem Prediger unverzeihliche Fehler, Nachlaͤſ - ſigkeit, und die allerſchaͤdlichſten Gewohnheiten. Oft nimmt gar ein Konfrater die Maͤngel des andern in Schutz, und bedeckt alles mit dem Mantel der bruͤderli - chen Liebe. Doch jetzt ſind wir auf der Reiſe. Alſo St! St!

Ulm iſt uͤbrigens ein Ort, wo man ſich mit guten Freunden viel unſchuldige Freude machen kan. Die Stadt hat wenig reizendes, aber die Leute ſind umgaͤng - lich, geſellſchaftlich. Ihre Lage hat den Vortheil, daß beſtaͤndig Fremde da einkehren. Die Kreisverſamm - lung belebt den Ort alle Jahre einmal. Ein eignes Haus dazu iſt nicht da, der Rath weicht alsdann dem Kreiſe, und verſammelt ſich anderswo. Das Stein - heile iſt ein Luſtwaͤldchen an der Donau, wo taͤglich muntre Geſellſchaften zuſammen kommen. Durch die Brunnenſtube wird die Stadt mit Waſſer verſehen, denn es ſind nicht genug Quellen da. Die barbariſchen Geſetze, die man ehemals gegen die Juden gab, haben noch hier zur Schande der Chriſtenheit ihre Kraft. Man ſieht in der Stadt keine Juden, ſie muͤſſen jede Stunde bezahlen, die ſie in Ulm zubringen wollen: nur etliche wenige Familien haben darin mehr Freiheit. Grade als wenn wir Herren der Erde waͤren, und unſern Mit - menſchen verwehren koͤnnten, irgendwo Luft zu ſchoͤpfen!

Der Wall um die Stadt heißt der Bau, weil er groͤſtentheils gemauert iſt, und auch beſtaͤndig verſchloſſen wird. Man hat aber faſt in jedem mittelmaͤſſigen Hauſe einen Schluͤſſel dazu, und es iſt wegen der Ab -Zweiter Theil. Bwechſelung18wechſelung und der ſchoͤnen Ausſichten ein ſehr angeneh - mer Spaziergang. Als ich einmahl an dem Thore bei der Donaubruͤcke war, kamen 5. engliſche Matroſen da - her gelaufen, die ihrer Auſſage nach verungluͤckt waren, und von Livorno zu Fuß nach England gehen wollten. Hier waren die armen Leute, unter welchen drei Irrlaͤn - der waren, wie vom Himmel herabgefallen. Sie ver - ſtanden nicht deutſch, und in Ulm ſind wenig Menſchen, die Engliſch ſprechen. Ich machte den Dolmetſcher zwi - ſchen ihnen und dem wachhabenden Offizier, und half ih - nen ſo gut ich konnte, daß ſie nach der Stadt gehen, und Brot und Bier kaufen konnten. Sie koͤnnen nicht glauben, wie ſich die Leute freuten, da ſie doch jemand fanden, der ſie verſtehen und ihnen das Noͤthigſte wieder ſagen konnte. Die Denkungsart und Lebensart der Ul - mer Reichsbuͤrger wird durch die Bemuͤhungen ihrer jun - gen Theologen und andrer Leute, welche die Auswelt ge - ſehen haben, immer mehr verbeſſert.

Von Ulm nach Augſpurg geht der Weg zuerſt uͤber die ſchoͤnſten Fruchtfelder hin. Um Guͤnzburg herum wird viel Hopfen gebaut, ich ſah uͤberall die Ho - pfenſtangen haufenweis beiſammen ſtehen, und Bier iſt in dieſen Gegenden das allgemeine Getraͤnke. In eini - gen Oertern knitſchten die Weiber Hanf. Die Ma - ſchine zu dieſem Zerknacken der Hanfſtengel iſt bei uns ſo niedrig, daß die Weibsperſon ſtehen, und den Hanfbuͤ - ſchel immer weiter vorziehen muß. Hier fand ich die Knitſche oder Breche hoͤher, die Frau ſitzt auf einem Klotze dazu, vorne an die Maſchine hin, hebt den obern Theil auf und ſchlaͤgt immer auf den Hanf mit der rechten Hand hin, indem ſie ihn mit der linken immer weitervorzieht.19vorzieht. Weiter hin findet man Waldungen, in wel - chen es wegen der herumſtreichenden Bettler eben nicht gar ſicher iſt. Kinder und Weiber muͤſſen den Fremden mit Betteln erſt aufhalten, indeſſen zeigen ſich oͤfters baumſtarke Kerle, die im Walde liegen, und im Muͤſ - ſiggange Bosheiten ausuͤben.

Burgau iſt ein artiges wohlgebautes Staͤdtchen, die Leute ſind hoͤflich, und ſcheinen in vielem Wohlſtande zu leben. Man ruͤſtete ſich eben auf den Jahrmarkt, und da wurde keines Schweines geſchont, und ganze Haufen von Gaͤnſen abgeſchlachtet. Unter dem Haber baut man hier viele Wicken, und die Pferde freſſen das Gemengſel ſehr gern.

Sommerhauſen, die letzte Station vor Augſpurg, gehoͤrt zum Bisthum Dillingen, oder in das Trieri - ſche, und wenn man das nicht wuͤſte, ſo wuͤrde man’s an der Menge Bettler ſehen, die der Polizei des Landes wahrhaftig zum Vorwurfe gereichen. Ich theilte in der Stunde, die ich im Gaſthofe zubrachte, manchem mit, und doch holte mir einer vor meinen Augen mit der groͤ - ſten Unverſchaͤmtheit das Brot, das ich mir hatte geben laſſen, vom Tiſche weg. O ihr Fuͤrſten! wenn werdet ihr doch einmahl die groſſe Weisheit lernen, auf jeden Menſchen, auf jeden Buͤrger, der euch gebohren wird, einen Werth zu ſetzen, und eure politiſchoͤkonomiſche Sorg - falt wenigſtens ſo weit erſtrecken, daß jeder Gelegenheit zur Arbeit bekommt, und keine Kraͤfte fuͤr den Staat ver - lohren geben! Eine eigne Art von Kopfputz ſah ich hier an einigen Frauenzimmern. Die Haare werden auf dem Kopfe zuſammengeflochten, faſt ſo wie in Strasburg. damit ſie zuſammen halten, ſteckt das Frauenzimmer eineB 2ſilberne20ſilberne Haarnadel durch, die aber breiter iſt, als ein Loͤf - felſtiel, und vorne, wo ſie aus den Haaren herausſteht, iſt ein ſilbernes rundes Plaͤttchen daran, das mit Grana - ten, und mit Edelgeſteinen beſetzt, und daher theuer iſt.

Zur deutſchen Sprachkunſt muß ich Ihnen doch auch einen kleinen Beitrag liefern. Die Ausſprache iſt nicht immer ſchoͤn, und richtig. Olfe ſagt man ſtatt Eilfe; klone ſagt man ſtatt kleine; Hiri heiſt ein Huhn, (bei Frankfurt ſagt man: ein Hinkel, ſtatt eine Henne!) Aber viele gute ſonſt nicht mehr uͤbliche Woͤrter haben die Schwaben noch erhalten, z. B. ein handſamer Menſch heiſt ein ſchoͤner artiger Menſch, den man brauchen kan. Iſt dieſes nicht das engliſche handſome? Ein be - haltſames Gedaͤchtnis. Sagt da der Schwabe nicht mit Einem Worte, was ſonſt umſchrieben werden muß? Aber ein ganz beſondrer Provincialismus iſt es, wenn Schaffen in dieſen Gegenden ſo viel heiſt als Fragen, verlangen, demander: was ſchaffen Sie? das heiſt: Was befehlen, was wollen Sie? Es iſt aber un - moͤglich, daß das gemeine Volk Richtigkeit und Reinig - keit der Sprache lerne, da ſelbſt in Befehlen, oͤffentlichen Nachrichten, Anſchlaͤgen und Verordnungen, die von der Kanzlei ausgehen, die groͤbſten Fehler gegen die Regeln der Konſtruktion und der Ortographie vorkommen, wo - von ich Ihnen viele Beiſpiele geben koͤnnte.

Auſſer Hamburg iſt wohl keine alte Stadt, die ſo ſchoͤn waͤre, als Augſpurg. Sie hat die ganze Magni - ficenz des vorigen Jahrhunderts, und uͤbertrift von dieſer Seite Ulm unendlich. Die Straſſen ſind hell, einige ſehr breit, grade und lang, die Haͤuſer alle hoch, aber nach einem mannichfaltigen, doch regelmaͤſſigen Geſchmackgebaut;21gebaut; das Pflaſter in der Stadt iſt gut, man laͤuft eben weg, und es wird mit Sorgfalt unterhalten; vor den Haͤuſern ſtehen oft Strebepfeiler von Bayriſchen Marmor. An einigen Gegenden ſieht die Stadt grade ſo, wie Strasburg, aus. Inwendig in den Haͤuſern ahmt man die hollaͤndiſche Reinlichkeit und Pracht nach: aber die Sprache der gemeinen Leute iſt ſehr unverſtaͤnd - lich, und man ſtoͤßt auf gewaltige Spiesbuͤrger. Eini - ge Adeliche haben neue Haͤuſer gebaut, die ſo gros und ſchoͤn ſind, daß man den finſtern Platz bedauren muß, auf dem ſie ſtehen. Schon in der Ferne praͤſentirt ſich Augſpurg ſehr ſchoͤn. Die Stadt liegt in einer Ebne, hat Kirchthuͤrme, und doch nicht zuviel, iſt mit Feſtungs - werken und Spaziergaͤngen umgeben, hat etwas anzie - hendes, ſo daß man nicht lange darinnen iſt, ohne den Gedanken zu haben, daß Augſpurg zu einer deutſchen Kaiſerſtadt recht beſtimmt zu ſeyn ſcheint. Schade, daß ſo wenige Gaͤrten und Landguͤter dazu gehoͤren. Die Stadt hat gar kein Gebiet. Sie lebt von Schwaben und Bayern, und muß dieſen beiden Nachbarn alles theuer abkaufen. Die Gleichheit beider Religionen hin - dert ohne Zweifel, daß mancher guter Wunſch nicht aus - gefuͤhrt werden kan. Die katholiſchen Geiſtlichen thun und behalten alles, weil die Lutheriſchen auf ſie Acht ge - ben, und um der Pfaffen und um des Poͤbels willen bleiben die proteſtantiſchen Lehrer auch bei manchem, das freilich beſſer ſeyn koͤnnte. Die Intoleranz der Ka - tholicken iſt noch ſo gros, daß ein proteſtantiſcher Predi - ger in ſeinem geiſtlichen Kleide ſich nicht getraute, mit mir in die Exjeſuiterkirche zu gehen, um einige Gemaͤlde zu beſehen, er muſte befuͤrchten, vom Poͤbel inſultirt zu werden. Man macht dem edlern Theile der BuͤrgerſchaftB 3den22den Vorwurf, daß ſie ungeſellig waͤren, und es iſt wahr, ſie halten nicht einmahl unter ſich ſelber Geſellſchaften. Der niedre Theil der Buͤrgerſchaft aber kommt unfehlbar alle Abende im Bierhauſe zuſammen, wo beim Toback manche Stunde verplaudert wird. Man hat zum An - zuͤnden der Pfeifen in dieſen, ſo wie in vielen andern Ge - genden, duͤnne lange, vermuthlich mit einem Ziehmeſſer abgezogene lange Spaͤne von Tannenholz, die leicht Feuer fangen. Alle Pfeifen aus Thon muß man aus Holland, oder von Koͤlln kommen laſſen, daher raucht man meiſt aus hoͤlzernen oder hornenen Pfeifen. Un - glaublich iſt die Menge des Biers, aber man hat es auch ſehr gut. Am oͤffentlichen Unterrichte fehlt es in Augſpurg nicht. In den 6. Kirchen, die den Prote - ſtanten gehoͤren, wird an jedem Sonntage 15. mahl und in der Woche 28. mahl gepredigt! Wenn wird man doch einmahl den wichtigen Schaden einſehen, den das taͤgli - che und uͤberfluͤſſige Predigen auf die Prediger, auf die Zuhoͤrer, und auf den Vortrag ſelber nothwendig haben muß? Artig iſt es, daß das Allmoſen beim Eingang und Ausgang der Kirche in den Klingelbeutel geſammelt, und die Unruhe, die dadurch entſteht, waͤhrend der Predigt vermieden wird. Freilich kan auf dieſe Art der, welcher ſonſt nichts geben wuͤrde, aber doch aus Schande gibt, weil er in einer Reihe andrer ſitzt, die auf ihn ſchauen, durch - kommen, ohne daß ſein Geiz durch eine andre Leidenſchaft uͤberwunden wird. Allein ganz uͤberfluͤſſig, duͤnkt mir, iſt der Meßner, oder Kuͤſter auf der Kanzel hinter dem Prediger. Dieſer Mann geht auch ſchwarzgekleidet ſorg - faͤltig mit, macht die Thuͤre auf, ſetzt ſich oben hin, und ſervirt den Prediger ordentlich, nimmt die Buͤcher weg, gibt andre her, macht ſich ein unnoͤthiges Geſchaͤft, oderſoll23ſoll wohl gar im Fall, daß der Herr Senior ohnmaͤchtig wuͤrde, Ihro Hochwuͤrden herabbringen! In der Bar - fuͤſſer und in der katholiſchen Kreuzkirche ſind ſchoͤne Ma - lereien von Goetz*)Gottfr. Bernh. Goetz. geb. 1708. zu Kloſier Welch - rod in Maͤhren, lernte beim Freskomaler Ekſtein in Bruͤnn und arbeitete dann bei Bergmuͤller in Aug - ſpurg, ließ ſich auch daſelbſt nieder und trieb neben der Ausuͤbung ſeiner Kunſt einen Kunſthandel. Sei - ne Gemaͤlde ſind Altarblaͤtter und Frescomalereien, in denen man gute Zeichnung, ſinnreiche Erfindung und ein angenehmes Kolorit bemerkt. S. N. Bibl. d. ſch. Wiſſ. 1. B. S. 159. In der kathol. Kreuzkirche iſt beſonders auch das Altarblatt merkwuͤrdig; weil es eins von Rotten - hammers beſten Werken iſt. Es ſtellt die Herrlich - keit der Heiligen im Himmel vor. Herausgeber. und in der Exjeſuiterkirche Al - tarblaͤtter von Schoͤnfeld, auch ſonſt viel ſchoͤnes von Lucas Cranach; ſo wie man uͤberhaupt in allen Kir - chen ſehr reiche, ſchwere und praͤchtig gearbeitete Vaſa ſacra ſehen kan, die von reichen Leuten geſchenkt worden.

Ein merkwuͤrdiges mechaniſches Kunſtſtuͤck in Aug - ſpurg iſt der ſogenannte Einlaß. K. Maximilian hielt ſich wegen der Gemſenjagd oft in dieſen Gegenden auf. Die Reichsſtadt blieb aber bei ihrem alten Ge - brauch, und ſchloß die Thore fruͤhzeitig. Der Kaiſer, dem dies unangenehm war, ſann auf einen Ausweg, und brachte 1514. aus Tyrol einen ſehr geſchickten Hufſchmidt mit, der auf Koſten der Stadt auf einer Seite des Walls dem Kaiſer zu Gefallen folgende Einrichtung machen mu -B 4ſte.24ſte. Auf dem Walle iſt ein bedecktes Haus, wie ein Schoppen mit einer Thuͤre, die durch eiſerne Zuͤge, die zu beiden Seiten laͤngſt des Dachs hinlaufen, ſobald eine auſſen angebrachte Glocke dem Waͤchter auf dem Ein - laſſe das Zeichen gibt, daß er eine gewiſſe in ſeinem Zim - mer angebrachte Stange loslaſſen ſoll, ſich von ſelbſt oͤf - net. Dann trat der Kaiſer durch dies Haus, und hin - ter ihm ſchlos ſich die Thuͤre. So wie er vom Walle naͤher zum Hauſe kam, oͤfnete ſich ein eiſernes Gitter, und zugleich ſank eine groſſe Ziehbruͤcke langſam herab, und brachte den Kaiſer uͤber den Graben in das erſte Theil des Hauſes. So wie er da war, ſtieg die Ziehbruͤ - cke wieder in die Hoͤhe, dadurch wurde es in dem erſten Viereck des Hauſes dunkel. Aber ſo wie es finſter ward, oͤfnete ſich im Hauſe, ohne daß man die Triebwerke ſah, die erſte Thuͤre, der Kaiſer ging durch, hinter ihm ſchlos ſie ſich, die zweite hingegen oͤfnete ſich, und indem ſich dieſe zuſchlos, oͤfnete ſich die dritte, und durch dieſe kam Maximilian in die Stadt. Lange verweilen darf man ſich nicht zwiſchen zwei Thuͤren, ſonſt iſt man in einem dunkeln Gemach gefangen, und das ganze Spiel muß wieder von vorne angefangen werden, um den Eingeſchloſ - ſenen zu befreien. Um das zu verhuͤten, brachte der Hufſchmidt an jeder Thuͤre noch einige Haken an, ſo daß die Thuͤre fuͤr einen, fuͤr 2. fuͤr 3. Menſchen geoͤfnet, und eine Zeit lang ſo erhalten werden kan. Dies iſt beſon - ders im letzten Zimmer, wo man die Leute eben ſo, wie unter dem Thore ausfragen konnte. Auch ſind oben Gal - lerien angebracht, damit die, welche das Werk trieben, ſehen konnten, wie viel Perſonen eingelaſſen werden woll - ten. Auch iſt da ein kupfernes Koͤrbchen, das in der Ab - ſicht, daß die Fremden die Bezahlung hineinlegen konn -ten,25ten, herabgelaſſen wurde. Auſſen ſieht das Gebaͤude wie ein Thurm, wie ein Gefaͤngnis aus. Inwendig ſind die Maſchinen ſelber tief im Boden verſteckt; in der Wohnung des Aufſehers ſieht man faſt nichts, als ein Rad, das ohne Muͤhe von einer Weibsperſon in Bewe - gung geſetzt werden kan, und das Obertheil von einem eiſernen Baume, auf dem im ganzen Werke das Meiſte ankommen ſoll, und der daher nicht gezeigt wird. Der Mann hat mit groſſer Genauigkeit die Staͤrke und die Wirkung aller Triebfedern uͤberdacht und berechnet. Denn wenn das Werk jetzt von Zeit zu Zeit ausgebeſſert wird, ſo machen oft die geſchickteſten Schloſſer einen Fehler, der ſo verſteckt, ſo klein ſeyn kan, daß man ihn oft kaum ent - deckt, und doch ſtockt gleich die ganze Maſchine. Man hat ſeither dieſen Einlaß immer gebraucht. Vor kur - zem aber hat man eine andre Einrichtung mit den ſoge - nannten Bazenthoren getroffen, und das Werk wird jetzt nur, als ein wuͤrdiger Beweis von der Geſchicklichkeit eines Tyroler Grobſchmidts erhalten.

Bei Hrn. Brander*)Dieſer wuͤrdige Kuͤnſtler iſt gegenwaͤrtig nicht mehr am Leben. Herausgeber. kan man einen vortreflichen Vorrath von mathematiſchen, optiſchen, aſtronomiſchen und mikroſkopiſchen Inſtrumenten ſehen. Ich bewun - derte beſonders die Skala oder das Mikrometer an ſei - nen Vergroͤſſerungsglaͤſern, die er mit Diamanten in boͤhmiſches Glas unendlich fein ſchneidet.

Im biſchoͤflichen Pallaſte ſieht man noch die zwei Fenſter des Zimmers, in welchem 1530. die aug - ſpurgiſche Konfeſſion verleſen wurde. In das ZimmerB 5ſelber26ſelber konnten ſo viele Leute nicht gehen, aber der Vorle - ſer ſtand am Fenſter, und der untere Platz, auf dem wohl zweitauſend ſtehen konnten, war ganz mit Menſchen bedeckt. Man hat jetzt, wie man mir ſagt, im Zimmer ſelber einige Aenderung vorgenommen.

Hr. Kupferſtecher Kilian hat in ſeinem Hauſe viele Naturalien, Kupferſtiche, elfenbeinerne Waaren, und andre Seltenheiten der Kunſt aufgeſtellt. Ich hatte nicht Zeit genug, alles zu beſchauen, aber ich ſah auch in einer Stunde viel ſchoͤnes, und ſeine Guͤte beſchenkte mich mit einem ſchoͤnen Oculus Cati, und mit der Frucht vom Pinus Cembra L. oder Zirbelnuß, die das Wappen der Stadt iſt. Ich ſah bei ihm Goldſchlick aus Benzenzimmern in Tyrol; einen Ammoniten, deſſen Gelenke auseinander fallen; einen verſteinerten Elephanten Backenzahn; eben die Zirbelnuͤſſe, die man jetzt aus Tyrol bekommen muß, denn um die Stadt herum ſind nur noch wenige Baͤume; Goldſtuffen aus Siebenbuͤrgen; Echiniten in bayeriſchen Eiſengru - ben; einen Chalcedonier, darin eine ſehr natuͤrliche braune Silhouette von einem Moͤnchskopfe war, ohne Zweifel einer aus der neuen Fabrike in England,*)Die bekannte Fabrik von Wedgwood and Bentley in Engelland. Herausgeber. wo alle Steine nachgemacht werden. Der Beſitzer hatte ihn auch von einem Englaͤnder gekauft. In Ulm er - zaͤhlte man mir auch von einem Saphir oder Smaragd, worin ein Papillon eingeſchloſſen ſeyn ſoll. Ferner hat Hr. Kilian unter vielen andern Kunſtſtuͤcken ein Glas, eine Bouteille mit einem Halſe und einem breiten niedri -gen27gen Bauche. Dieſer Bauch laͤßt ſich, wenn man weis, wie man hineinblaſen ſoll, weil man es ſonſt zerſprengen koͤnnte, mit einem kleinen Knall aufblaſen. Ich ſah auch ein von Hrn. Kilian fuͤr ſeinen eignen Gebrauch tu - ſchirtes Exemplar von ſeiner Ausgabe der Herkulaniſchen Alterthuͤmer.

Ich habe Ihnen oben vom Einlaß in Augſpurg erzaͤhlt. Nun ſollen Sie auch mit mir auf den Ablaß gehen. Da koͤnnen Sie keine Vergebung der Suͤnden bekommen, aber kaltes Waſſer, ſo viel als Sie wollen. Das meiſte Waſſer, was in der Stadt verbraucht wird, iſt das Waſſer vom bayeriſchen Fluß Lech. Man hat dazu eine halbe Stunde von der Stadt in einen Arm vom Lech an der bayeriſchen Grenze ein Waſſerwerk ge - baut, ihn dadurch aufgefangen, in 3. Arme getheilt, und ihn ſo nach der Stadt geleitet. Die Holzfloͤſſe gehen uͤber dieſe Einrichtung nach der Stadt hin. In der Stadt ſelbſt wird das Waſſer in einem Brunnenhauſe ge - ſammelt, und von da aus in viele einzelne Baͤche in der Stadt vertheilt. Schon mehr als einmahl hat die Stadt das Recht, den bayriſchen Strom auf dieſe Art abzu - daͤmmen, dem Churfuͤrſten theuer bezahlen muͤſſen.

Die Hrn. Haid hab ich auch beſucht, und ihrer Arbeit zugeſehen. Sie arbeiten mit dem Schabeiſen und haben zum Abdruck der geſtochenen Kupferplatten eine ſchoͤne Einrichtung. Man legt die Platte, indem man ſie ſchwaͤrzt, auf Kohlen. Die Farbe iſt le Noir d’Allemagne von Frankfurt. Dann wird ſie auf das ſorgfaͤltigſte abgeputzt, ſo daß nirgends, als in den gegrabnen Zuͤgen ein Troͤpfchen Farbe liegen bleibt. Nun wird ſie unter eine Walze geſchoben, das genetzte Papierdaruͤber28daruͤber gelegt, uͤber dieſes noch ein anderes, nun treibt man mit einer Kurbel die Walze herum, ſie laͤuft uͤber die Kupferplatte hin, und dadurch wird ſie abgedruckt. Die Gewalt iſt ſo ſtet, und doch ſo ſtark, daß die Kupfer - platte ſich von jedem Abdrucke zuſammenbiegt. Man verſicherte mir, daß man von einigen Kupferplatten wohl 200. Abdruͤcke machen kan. Doch kommt es hierin ſehr auf den Stich, auf die Tiefen und Hoͤhen an ꝛc.

Ich beſah auch das Magazin eines Silberarbeiters, und lies mir von ihm beſonders zeigen, wie die Wellen - ſtriche z. B. auf Stockknoͤpfen gemacht werden. Der Mann zeigte mir die Maſchine dazu, und wie die Stri - che wuͤrklich entſtehen. Allein das laͤßt ſich beſſer ſehen, als beſchreiben. Die viele ſchoͤne Fayence, und das Por - zellaͤn, das immer mehr Mode wird, hat dem Abgange der Silberarbeiten in Augſpurg groſſen Schaden ge - bracht.

Als ich dieſe Kuͤnſtler verlies. beſah ich das Rath - haus, und kam mit Vergnuͤgen wieder herab. Schon die Aufſchrift uͤber dem groſſen Eingange gefaͤllt dem Frem - den: Publico conſilio, publicae ſaluti. Das heiſt, wenn Sie nicht Latein verſtehen, den oͤf - fentlichen Berathſchlagungen, dem gemeinen Be - ſten gewidmet. Aber das ſchoͤnſte iſt die Kuͤrze und Buͤndigkeit der roͤmiſchen Sprache. Das vorzuͤglichſte in dieſem Hauſe iſt der goldne Saal, der 110. Schuh lang, 58. Schuh breit, und 56. hoch iſt, und keine Saͤu - le, kein Gewoͤlbe, und doch 60. Fenſter im 3ten Stock - werke hat. Das ganze Gebaͤude iſt ſechsſtoͤckicht. In dieſem Saale ſind manche Kongreſſe, Roͤmiſche Koͤnigs - wahlen, Reichstagskonvente gehalten worden. Ueber derHauptthuͤre29Hauptthuͤre und ſonſt an vielen Orten ſind Gemaͤlde von Matthaͤus Kager, Sinnbilder von der Stadt, von den Fluͤſſen bei Augſpurg, von den Wiſſenſchaften und Kuͤnſten, von der Gerechtigkeit, vom Fleiſſe ꝛc. An ei - nem ſieht man den Kopf des Baumeiſters. Das Rath - haus ſteht jetzt 169. Jahr. Im goldenen Saale iſt der Fußboden von Salzburger Marmor. Darneben ſind 4. Fuͤrſtenzimmer, die ſich alle in den goldnen Saal oͤfnen. In jedem ſind viele Holzſchnitzereien. Das Holz iſt gelb, und lauter kleine nur viertelzolldicke Stuͤcke von einem pohlniſchen Maſer. In jedem Zimmer ſteht ein ſchoͤner Ofen, von einem gewiſſen Landsberg. Man ſollte, wenn man die vielen Figuren und Verzie - rungen davon ſieht, alles verwetten, daß ſie gegoſſenes Eiſen waͤren, aber an abgeſchlagenen Stuͤcken ſieht man, daß ſie nur von Erde, und Toͤpferarbeit ſind. Einer hat 500, der andre 800. Gulden gekoſtet, und jeder iſt nach einem andern Riſſe verfertigt. Auch in jedem Zim - mer iſt ein andres Deſſein. Man ſieht hier viele bibli - ſche Malereien von Joh. Freiberger*)War von Augſpurg gebuͤrtig; und lebte zu Anfang des 17ten Jahrh. Soviel ſich aus den ziemlich un - kenntbargewordenen Ueberreſten ſeiner Gemaͤlde am Barfuͤſſerthurme und aufm Rathhauſe gedachter Stadt ſchlieſſen laͤſt, war ſein Pinſel ziemlich hart. Herausgeber. . Im dritten iſt die Belehnung Moritzens von Sachſen mit der Churwuͤrde, abgemahlt, die von K. Karl V. in Aug - ſpurg geſchah, und dieſe Stuͤcke ſind von Rothmay - er**)Joh. Franz. Rothmayer, Freiherr von Roſenbrunn, geb. in Salzburg, lernte bei C. Loth in Venedig. Seine. Im vierten ſind die Demokratie, die Monar -chie,30chie, und die Ariſtokratie von Johann Koͤnig*)Lebte als Geſchichtsmaler zu Augſpurg ums Jahr 1600. und verfertigte daſelbſt viele gute Gemaͤlde. Herausgeber. 1624. gar ſchoͤn gemahlt. Darneben ſieht man die Gefaͤngniſ - ſe, die ſo wie das ganze Rathhaus, mit Kupfer gedeckt ſind. So lange Seſſion iſt, wird der Platz vor dem Rathhauſe mit Ketten abgeſchloſſen, damit das Fahren der Wagen die weiſen Maͤnner nicht ſtoͤren ſoll. Im Rathszimmer ſelbſt iſt kein Ofen. Die Waͤrme kommt von unten herauf, durch eine kupferne Platte im Fußbo - den in der Mitte des Zimmers. Die Archonten gehen alle ſchwarz, ſitzen nicht auf Wollſaͤcken, wie die Parla - mentsherren in London, ſondern auf gruͤnen Kuͤſſen. An den Waͤnden haͤngen einige bibliſche Stuͤcke von Ka - ger, z. B. Iſabel, wie ſie von Hunden gefreſſen wird, ſchoͤner aber iſt Simſon, dem Delila im Schlaf die Haare abſchneidet, von Lucas Cranach 1529. auf Holz gemahlt. Ueber den Plaͤtzen der Rathsherren hat Ka - ger die Geſetzgeber, Numa, Solon, Moſes, Chri - ſtus, Likurgus und Minos abgemahlt. Muß es nicht groſſe Aufmunterung fuͤr den jungen Kuͤnſtler ſeyn, wenn er ſieht, daß die Denkmale des Fleiſſes von geſchick - ten Maͤnnern da aufgehangen, und bewahrt werden, wo man zuſammen kommt, um das Beſte des Vaterlandszu**)Seine Gemaͤlde ſind ziemlich vernachlaͤſſigt, beſon - ders ſind die Haͤlſe ſeiner Figuren zu lang, indes hat - te er doch gute maleriſche Gedanken. Die Kirchen in Wien und Breßlau ſind voll von ſeinen Werken. Er ſtarb in Wien 1727. in hohem Alter. Herausgeber. 31zu beſorgen? In manchen Staaten denkt man gar nicht auf ſolche Dinge, die wahrhaftig Patriotismus und Nach - eiferung in jungen Koͤpfen erwecken koͤnnten.

Vielleicht warten Sie ſchon lange auf die Kattun - und Zizfabrik des Herrn von Schuͤle in Augſpurg, und ich bin ſo gluͤcklich geweſen, dieſe ſchoͤnen und vor - treflichen Arbeiten zu ſehen. Ein koͤnigliches Haus, auf - ſerhalb der Stadt an der Straſſe nach Muͤnchen gele - gen, worinnen wohl 1000. Menſchen ihr Brot finden. In allen Einrichtungen herrſcht Ordnung, Regelmaͤſſig - keit und viel Geſchmack. Der Beſitzer iſt nicht nur ein reicher, ſondern auch ein ſehr belebter, feiner und gefaͤlli - ger Mann. Das Drucken der gewoͤhnlichen Kattune geſchiehet durch Weiber. Sie tunken die Form in die Farben, ſetzen ſie auf die Leinwand, die vor ihnen auf dem Tiſche liegt, und ſchlagen mit einem hoͤlzernen Ham - mer darauf. So oft die Frau Farbe genommen hat, traͤgt ein Junge darneben neue Farbe auf, und wiſcht ſie ſorgfaͤltig auseinander. Bei einigen Stuͤcken muß mit dem Pinſel den Farben nachgeholfen werden. In einigen Zimmern ſitzen beſtaͤndig Formſchneider, auch andre, welche die alten und abgenutzten Formen wieder ausſtechen und verbeſſern. Die ſchoͤnſten Deſſeins wer - den auf Kupferplatten geſtochen und ſo abgedruckt. Ich ſah zu, wie eine Kupferplatte von einer betraͤchtlichen Groͤſſe abgedruckt ward, und bewunderte die Akkurateſſe, die dazu noͤthig iſt. Das Glaͤtten der gedruckten Zeuge geſchieht mit groſſen Kieſeln, die zum Theil theuer bezahlt werden, und in hoͤlzernen Stangen eingeſetzt ſind, die von Mannsperſonen in Bewegung geſetzt werden. Die Kieſelſteine werden ſo glatt, und ſo heis, daß man ſie kaum anruͤhren kan.

Bei32

Bei Herrn Diakonus Steiner ſah ich eine ſchoͤne Naturalienſammlung, beſonders Eier und ausgeſtopf - te Voͤgel, unſre neuſten Schriften in der Naturgeſchichte, und an ihm ſelbſt fand ich einen vortreflichen liebenswuͤr - digen Mann, der warm und innig in der Freundſchaft iſt. Er zeigte mir verſteinerte Knochen, mit Kalkſpat und Quarz; Remitzneſter aus Italien, die der liebe Mann mit mir theilte; drei Steinbrocken, die per luſum naturae wie kleine Brote geformt, und an einander geſetzt ſind; von Perlhuͤnern dreierlei Eier, wovon eins in der Mitte weis, und an beiden Enden ge - faͤrbt iſt; ein Kaſuarei, das in der ovalen Figur vom Strauſſenei ſehr verſchieden, und Chagrinartig iſt; Trap - peneier; ein Kranichei; das Ei vom Rohrdommel, das olivengruͤn mit Flecken iſt; das Gukuksei; ein Ei, das von der Zeichnung, die Hr. D. Bloch in IV. B. der Berlin. Beſchaͤft. gegeben hat, und von dem Exem - plar, das mir als ein Gukuksei aus dem Walde gebracht wurde, ſehr verſchieden iſt. Wir ſprachen zuſammen daruͤber, und der Hr. Diak. verſicherte mich, daß jenes Ei zuverlaͤſſig das Ei der Waſſerſchnepfe ſei. Er hat - te es auch in ſeiner Sammlung, und auch in den Zeich - nungen des ſeel. Zorns, die Herr Steiner beſitzt, und der bekanntermaſſen ſehr viel in der Voͤgelgeſchichte gear - beitet hat, war Hr. Bloch’s und mein Ei als das Ei der Waſſerſchnepfe angegeben. Das wahre Gukuksei iſt viel kleiner. Monſtroͤſe Eier, wie Flaſchen mit allerhand Anſaͤtzen, ein Ei mit einer Schale in einem an - dern Ei mit der Schale; unausgeblaſene Amphibien - eier, die ſich, ohne ſtinkend zu werden, erhalten haben; Hr. Pr. Webers Luft-Elektrophor, der bei einem eingeheizten Zimmer Funken gibt. Das Hofmanni -ſche33ſche Mikroſkop, wobei wir die ſchwaͤchſte und ſtaͤrkſte Vergroͤſſerung an einem Muͤckenfluͤgel probirten. Die Eier blaͤſt Herr Steiner in der Mitte aus, fuͤllt ſie mit Sand und beigemiſchter Kleie aus, und verklebt oben die Oefnung. Zuverlaͤſſig wuͤrden die Freunde der Natur aus der Sammlung dieſes vortreflichen Mannes viel Schoͤnes erfahren, wenn er meine Bitte Statt finden laſ - ſen, ſeine liebenswuͤrdige Beſcheidenheit uͤberwinden, und uns ſeine Beobachtungen mittheilen wollte. In ſeiner Bibliothek ſtehen die beſten Exegeten, Aſcetiker, Mora - liſten und Prediger neben den neuſten und lehrreichſten Schriften der Naturkuͤndiger. Wie ehrwuͤrdig wuͤrde die Klaſſe der Prediger uͤberall werden, wenn ſich unſre jungen Kandidaten ſo einen edlen und auf eine wahrhaf - tig weiſe und brauchbare Art geſchaͤftigen Mann zum Muſter nehmen, und nebſt dem Studium der Religion auch die Offenbarungen Gottes in ſeiner Natur nicht ver - ſaͤumen, oder irgend einen andern Zweig der Gelehrſam - keit ſich zur Beſchaͤftigung, und zur Empfehlung waͤhlen wollten, wie z. B. Hr. Diak. Hoͤrner an der Kreuzkir - che, der die gelehrte Geſchichte von Schwaben bearbei - tet, und den ich auch hier aus Dankbarkeit und Hochach - tung nennen muß! Aber leider! ſind wir mit einer Men - ge Kandidaten und Prediger verſehen, die ihren Dienſt wie ein Handwerk anſehen, die dazu noͤthige Geſchicklich - keit ſich nicht einmal mit dem Eifer, womit mancher Kuͤnſtler und Profeſſioniſt lernt und wandert, erwerben, und wenn ſie dann einmal eine Pfarre und eine Frau ha - ben, die Guͤter der Kirche, die gewis manchem im Ueber - flus gegeben ſind, in Unthaͤtigkeit verzehren, und weil ſie an der wahren Gelehrſamkeit keinen Geſchmack finden, zuletzt Bauern und Zehendknechte werden. VerzeihenZweiter Theil. CSie34Sie mir dieſen Eifer! Menſchenliebe und dankbare Wert - ſchaͤtzung meines Freundes, der mit dieſen ſogenannten geiſtlichen Lehrern ſichtbar kontraſtirt, haben mich dazu hingeriſſen.

In der Geſellſchaft dieſes lieben Mannes, und mei - nes Freundes des Hrn. Chriſtoph, an der Hoſpitalkirche, der ſeitdem wir uns kennen, auch ganz von der Groͤſſe und Gemeinnuͤtzigkeit unſers Studiums eingenommen iſt, beſuchte ich noch den alten Greis, Hrn. Senior Deg - maier, der dem Tode nahe iſt, des Lebens Muͤhe und Unruhe erfahren, und gluͤcklich uͤberſtanden hat. Der ehrwuͤrdige Mann bedauerte nichts ſo ſehr, als daß er ſein Gedaͤchtnis verlohren, und ſchon lange auſſer Stan - de iſt, oͤffentlich zu arbeiten. So gewis iſt es, daß al - lein Wirkſamkeit und Thaͤtigkeit die Mutter des Ver - gnuͤgens iſt. Sammeln Sie, ſagte er zu mir, und druͤckte mir mit aller noch uͤbrigen Lebhaftigkeit die Hand, viel in Ihr Herz, und ſtiſten Sie viel Gutes fuͤr das Reich Gottes in der Welt. Ich weis es jetzt, daß uns am Ende das, und ſonſt nichts Freude machen kan. Sie koͤnnen leicht denken, mit welchen Empfin - dungen ich dieſen langſam ſterbenden Mann, der das Lob der Edlen und Guten mit ſich ins Grab nimmt, ver - laſſen habe.

An Herrn von Cobres fand ich noch einen Kauf - mann, der ſich durch eine weitlaͤuftige Bekanntſchaft mit der Natur, und durch einen unermuͤdeten Eifer fuͤr dieſe Wiſſenſchaft, und einen edlen Aufwand vor tauſenden ſei - nes Standes auszeichnet. In ſeiner Bibliothek ſind die aͤlteſten und die neuſten Schriften der Naturforſcherbei -35beiſammen*)Er hat davon 1782. einen Katalog in 2. Median - ocavbaͤnden unter dem Titel: Deliciae Cobreſianae: J. P. von Cobres Buͤcherſammlung zur Naturge - ſchichte; herausgegeben. Herausgeber. . Ich ſah da Sepp’s Inſektenwerk, und die Flora Londinenſis, und einen ganzen Tag wuͤrde ich im Naturalienkabinet haben zubringen muͤſſen, wenn ich alles haͤtte beſehen wollen. Aber zur Probe nur Ei - niges: Fiſche auf Schiefern von Verona; einen Scher - ben aus dem italiaͤniſchen Meer mit Korallen und Tere - bratulen bewachſen, den ein junger Baumeiſter, ein Mann, der zur Malerei der Naturſtuͤcke viel Anlage hat, und den ich gerne an einen reichen Mann, oder irgend ei - nen Verleger von Naturhiſtoriſchen Werken empfehlen moͤchte, herrlich abgezeichnet hat; unter vielen ſchoͤnen Konchylien die Prinzenflagge; Korallen auf Meer - eicheln; Konchylien, die mit der Saͤge aufgeſchnitten, oder aufgeſchliffen ſind, unter welchen beſonders die Per - ſpektivſchnecken, und die Oliven mir gar wohl gefie - len, eine Wendeltreppe aus Frankreich mit ſechs Windungen: Pholaden von Rimini und Trieſte; die unaͤchte Kaiſerskrone; Liſters Rhombus ventrico - ſus aus Malabar; eine Muſchel mit einem blauen Cardo, die D’Argenville in ſeinen Supplementen be - ſchrieben hat; eine Terrebratula mit ihrem Bewohner; ſehr groſſe Schinken, ſieben und zwanzig verſchiedene Arten aus dem Sand von Rimini; ein Pektinit aus England, darin iſt ein Belemnit, und in dieſem noch einer, aber das dickere Theil des zweiten ſteckt im engern des erſten; ein Pentakrinit aus Altorf; die fuͤnf Stuͤ -C 2cke36cke der Pholaden ſo neben einander geklebt, daß man ſie ſehen kan; ein ganzer Ammonit aus Altorf mit al - len Cellen, und mit Schwefelkies uͤberzogen; das Ge - biß der Meerigel, oder Laterna Ariſtotelis, und es ſieht wirklich wie eine Laterne aus. Der Beſitzer hat von dieſem ſchoͤnen Werke der Natur, das ich, ſeitdem ich Baſtern geleſen hatte, immer zu ſehen wuͤnſchte, groſſe und kleine Exemplare. Er hatte auch einige ins Waſſer gelegt, da gingen die fuͤnf Stuͤcke von einander. Auch laͤſt ſich der vordere Zahn auf - und abſchieben. Gar eine kuͤnſtliche Maſchine und ein herrliches Zeugnis von der Guͤtigkeit des Schoͤpfers gegen jeden Wurm in ſeiner Schale. Der Anblick machte mir Freude, aber der grosmuͤthige Beſitzer theilte ſeinen Vorrath mit mir, und ich habe daran ein ſchaͤtzbares Andenken an ſeine Guͤte.

Und nun, meine Theureſte, verlaſſen wir Schwa - ben, und reiſen am Lech nach Bayern. Man ſieht in der Ferne bei heiterm Himmel die Tyroler Gebuͤrge. Auf den Wieſen machten die Leute das dritte Gras. Ge - gen Friedberg zu reiſt man uͤber die ſchoͤnſten Felder. In Adelshauſen fand ich, daß Metzgersfrauen ihre Unſchlittlichter ſelber verfertigten, und dabei etwas zu erſparen glaubten. Auch hat in dieſen Gegenden jeder Bauer eine eigene Fruchtputzmaſchine, wodurch ein Mann mit leichter Muͤhe in der Scheune den Duͤnkel zur Ausſaat, und die Gerſte zum Bierbrauen von allem Un - rath ſaͤubern kan.

Muͤnchen ſelbſt liegt in einer Ebne, die, wenn ſie immer gebaut worden waͤre, ſehr fruchtbar ſeyn muͤſte, ſie hat aber keine beſonders ſchoͤne Avenue. Im Bau der Haͤuſer iſt nicht viel Geſchmack, einige neue Gebaͤudeausge -37ausgenommen. Die Hauptſtraſſe iſt ſo eng, daß man den Wagen kaum ausweichen kan. Der Marktplatz iſt gros, regelmaͤſſig, und ringsum mit Gewerbslauben be - deckt, durch die man bequem gehen kan, ſie ſind aber dun - kel und niedrig. Einige Straſſen ſind heller, breiter, und Nachts iſt die ganze Stadt mit Laternen, die an den Haͤuſern haͤngen, erleuchtet. Auſſerordentlich volkreich iſt die Stadt. Man zeigte mir ein ſchmales Haus, worin 13. Familien wohnten. Der Aufſeher uͤber das Bierbrauen verſicherte mich, daß alle Jahr 40000. Ei - mer Bier in Muͤnchen gebraut wuͤrden, der Eimer haͤlt 64. Maas, das Maas koſtet 6. Kreuzer. Unter jener Zahl iſt aber das Bier nicht begriffen, das vom Lande eingefuͤhrt wird, auch das nicht, was der Hof ſelber braut, auch das nicht, was Herrſchaften, Kavaliere ꝛc. brauen laſſen, und dieſe drei Rubriken ſollen beinahe ein eben ſo groſſes Quantum ausmachen. Man rechnet wenig, wenn man auf einen Mann im Jahr 12. Eimer rechnet, denn das Maas iſt klein. Viele trinken taͤglich 6, 7, andre 10-12. Maas, und Bierſaͤufer koͤnnen 18-20. Maas in einem Tage trinken. Ein Kutſcher trinkt 3. Maas, wenn man nur eine Viertelſtunde ausbleibt, und ihm er - laubt, ein Glas Bier zu trinken. Offenbar hat es auf den dicken ſchweren Koͤrper der Bayern viel Einfluß. Viele ſind wahre Kloͤtze, rund, wie die Bierfaͤſſer ſelbſt, und lange nicht ſo ruͤſtig, wie die Schwaben. Der Wein, den man in den Gaſthoͤfen findet, iſt theils Oe - ſterreicher, theils Wuͤrzburger, theils Neckarwein ꝛc. Das Merkwuͤrdigſte in der ganzen Stadt iſt

Die Reſidenz, oder das Schlos. Auſſen ſieht es ſchlecht wie ein Gefaͤngnis aus, aber innen iſt die Magni -C 3ficenz38ficenz unbeſchreiblich. Die ſogenannten ſchoͤnen Zim - mer haben 100000. Louisd’or gekoſtet. Schlieſſen Sie daraus auf die Pracht der Meublirung. Es iſt ein Bette da, von Kaiſer Karl VII, das er als Churfuͤrſt machen lies. Es hat 400700 Gulden gekoſtet, es ſind 24. Zentner Gold daran, und 36. Perſonen haben 7. Jah - re ununterbrochen daran gearbeitet. Gueridons ſtehen hier, wovon einer 2000. Gulden gekoſtet hat. Von italiaͤniſchem Marmor, von chineſiſchem Porzellan, von japaniſchen Vaſen ꝛc. ſieht man hier die ſchoͤnſten Stuͤ - cke. Im Migniaturkabinet ſind 130. Stuͤcke, jedes iſt 200. Louisd’or werth, das macht eine Summe von 234,000. Gulden*)Den Louisd’or zu 9. Gulden Reichsgeld gerechnet.. Von vielen Migniaturen, die hier haͤngen, ſind die Originale in Schleisheim. Man zeigt auch einen elfenbeinernen Leuchter, den Maximi - lian I. ſelbſt gedreht hat.

Auf der Gemaͤldegallerie ſind vorzuͤglich: die Skiz - ze von Rubens Abnehmung vom Kreuz, davon ich das Original in Antwerpen bewundert habe**)Man ſ. S. 453. des 1ſten Theil dieſer Reiſen. Herausgeber. ; viele Stuͤcke von Vandyck, Paul Veroneſe, Zucchi, ein Chriſtuskopf von da Vinci, Rubens dritte Frau, von ihm ſelbſt. Vieles von B. Murillo, einem Spanier, eine Caͤcilia von Dominichino, eine Venus und Kupido von Annib. Carracci, eine Grab - legung Chriſti von Pouſſin, wo alle Affekten, ſonder - lich der Schmerz des Johannes, ſchoͤn ausgedruckt ſind; manches von Duͤrer, Holbein ꝛc. Im -zimmer39zimmer ſind Buͤſten aus Marmor und Alabaſter, die Welttheile vorſtellend; jede hat 3000. Gulden gekoſtet.

In der Kapelle iſt der Fußboden aus Marmor, Ja - ſpis, und Porphyr; ein Altar von ſchwarzem Ebenholz mit ſilbernen Basreliefs, die Geſchichten aus dem Alten Teſtamente vorſtellen: ein Kaͤſtchen mit Karneolen und Tuͤrkiſſen ganz beſetzt, die Fenſterthuͤren ſind von Fels - kryſtallen mit eingeſchnittenen Figuren, und uͤberall ſieht man eine Menge geſchmolzenes Gold, woran die Arbeit unendlich, aber mit vielem Geſchmack gemacht iſt: un - zaͤhliche Edelſteine; groſſe orientaliſche Perlen; Bluts - tropfen Chriſti auf einem Stein; ein Finger von Pe - trus; die Hand von Johannes dem Taͤufer; antike Steine; viel durchbrochene Arbeit; die Kreuzigung Chri - ſti in einer Kapſel von Holz geſchnitten: Ein Kaͤſtchen woran 22. Pfund Gold ſind, die Basreliefs daran ſtel - len das Paradies vor und ſind von geſchmolzenem Golde, alle Saͤulen daran ſind gegoſſenes Gold; ein Nepo - mukknochen, auf einem Stativ von Brillanten; noch ſo ein Traͤger, der auf eine Million geſchaͤtzt wird. Am Antikenkaͤſtchen ſitzen viele groſſe und kleine Antiken, Saͤulen von Kryſtall auf Poſtementen von Laſurſtein, darinnen etliche unſchuldige Kinder, die Herodes umge - bracht, liegen ſollen. Eine Monſtranz, daran 23. Pfund arabiſches Gold ſind, von herrlicher Arbeit, und unbegreiflich ſchoͤnem Schmelzwerk. Inwendig ſoll ein Stuͤck von der Dornenkrone ſeyn, die unſer Erloͤſer tra - gen muſte, auch von dem Schwamm, aus dem er die letzte Erquickung trank; Dinge, auf die freilich kein Ver - nuͤnftiger achtet: aber die Architektur, den richtigen Ge - ſchmack, die ſchoͤne Erfindung, die leichte Kompoſition,C 4die40die feine Manier, womit die ehemaligen Goldſchmiede arbeiteten, kan man nicht genug bewundern. Dieſe Monſtranz ſteht hinter dem Altarblatt, welches man auf und niederwinden kan, ſo daß ſie davon bedeckt wird. Eine Orgel von Silber und Gold mit Antiken, wovon jede auf 1000. Thaler geſchaͤtzt wird. Moſaiken ſo ſchoͤn, als Sie ſie denken koͤnnen. Ein Chriſtus am Kreuz aus Wachs, oben uͤber ihm ein Smaragd, in welchem die groſſen Buchſtaben J. N. R. J. Platz haben, der Berg unter dem Kreuz iſt eine Grotte aus Edelſtei - nen und einer gediegenen Goldſtufe. Viele andre Hei - lige ganz aus Lapis Lazuli, eine Mutter Gottes und ihr Kind, ganz aus koſtbaren Steinen. Knochen von den Apoſteln hinter Saͤulen von gegoſſenem Gold mit allen moͤglichen Farben. Viele Aufſaͤtze auf den Al - tar, die uͤberall mit Antiken, Diamanten und Malereien beſetzt ſind. Orientaliſche Granaten, wie Daumen. Das Abendmahl en basrelief geſchmolzen, mit Stuͤck - chen vom Tiſche und vom Tiſchtuch Chriſti. Elfen - beinerne Sachen mit Korallen und Topaſen, unter wel - chen letztern einige wie kleine Zitronen ſind. Kelche von geſchmolzenen Gold mit Platten von Gold. Kiſten mit allen griechiſchen Schriften. Vieles iſt aus dem jetzt groͤſtentheils verſiegelten Schatz, manches aus der Heidelberger Bibliothek hieher gebracht worden.

Im Marmorſaal ſind oben vier Schimmel ge - mahlt, die einen uͤberall anſchauen, man mag ſtehen, wie man will. Man hat da einige perſpektiviſche Anla - gen gemacht. Auch ſieht man hier die Buͤſten des ver - ſtorbenen Churfuͤrſten und ſeiner Gemahlin. Man hat auch da die Ausſicht in den Hofgarten, der abereine41eine Kleinigkeit iſt, und auf einen Arm von der Iſer.

Schoͤner iſt der Kaiſerſaal, wo Kaiſer Joſeph I. bei ſeiner Kroͤnung in Augſpurg etlichemahl ſpeiſete, oder der Akademieſaal, weil da Muſik gemacht wird. Darin ſteht eine Virtus aus Porphyr. Bei einem Ball, welcher der Koͤnigin von Frankreich, als Dau - phine, zu Ehren gegeben wurde, brannten hier 2500. Lichter, man oͤfnete die Thuͤren, wodurch man auf eine marmorne Treppe ſehen kan, die 50. Stuffen hat, wovon jede aus Einem Stuͤck und 17. Schuh lang iſt. Auch ſteht auf dieſer Treppe eine Bildſaͤule von Kaiſer Lud - wig dem Bayern. Wenn das alles erleuchtet iſt, ſoll es gar praͤchtig ausſehen. Aber leider! iſt vor 27. Jah - ren ein groſſer Theil dieſes reichen Schloſſes abgebrannt.

Unten ſieht man auch eine Grotte im hollaͤndiſchen Geſchmack, aus vielen tauſend Muſcheln zuſammen ge - ſetzt. Man ſagt, ſie habe 80000. Speziesthaler geko - ſtet, 31. Waſſer ſpringen in die Schale, und man ſieht nicht, wo ſo viel Waſſer herkommt.

Die Stammgallerie iſt ein herrlicher mit Familien - gemaͤlden uͤberfuͤllter Saal. Kaiſer Karl VII. iſt der Stifter davon. Die majeſtaͤtiſche Kleidung der Alten praͤgt Chrfurcht ein. Karl der Groſſe von Desma - rets, Karl XII. Guſtav Adolph ꝛc. ſind auch da. Beſonders iſt Kaiſer Ludwig der Bayer gros abge - mahlt.

Das Antiquarium iſt ein groſſer Saal voll aufge - ſtellter antiker Koͤpfe. Die Iſis und noch etliche andre Gottheiten ſind da. In der Mitte ſteht eine Tafel enC 5Mo -42Moſaique von Laſurſtein, Jaſpis und Porphyr gemacht, auf 60000. Thaler angeſchlagen, 5. Ellen lang, 6. Span - nen breit. Schwerlich wird man in Rom etwas Schoͤ - neres von der Art ſehen, als dieſe Tafel. Alle Staͤdte und Schloͤſſer des Landes ſind hier abgemahlt. Man ſieht viele alte Geſchirre, alte Kaiſer, mein und Ihr Freund Marc Aurel Antonin iſt aus Bronze hier, aber von einer Antike abgegoſſen; Vitellius hat ein Schlemmer-Geſicht; Pompejus eine niedrige Stirne, tiefliegende Augen; Julius Caͤſar und ſein Vater; ein ſchlafender Kupido aus Alabaſter; zwei herrliche Koͤpfe, Mann und Frau von Rom; viele ſchoͤne wohl - proportionirte Haͤnde*)Als der beruͤhmte Cavaceppi aus Rom im J. 1768. mit Winkelmann hier war, fand er unter den Anti - ken beſonders einen Kopf des Pertinax vortreflich, auch den neuern Arbeitern der Kuͤnſtler aus dem 16ten Jahrhundert gibt er ſeinen ganzen Beifall. Man ſehe davon die dem 1. Th. ſeiner Raccolta d’antiche Statue, et cet. Fol. vorgeſetzte Beſchreibung ſeiner nurerwaͤhnten Reiſe nach. Herausgeber. ꝛc. Wer die Kunſt ſtudiren will, der muͤſte ſich hier einſchlieſſen, und vier Wochen zubringen.

In der Stadt ſelber iſt in der Auguſtiner Kirche zum Altarblatte eine ſchoͤne Kreutzigung Chriſti von Tintoret. Aber denken Sie die Unwiſſenheit der Moͤn - che! In ihrer eignen Kirche ſchnitten ſie das Meiſterſtuͤck durch, und ſchaͤndeten es, um mit einer Leiter aus dem Chor hervor ſteigen zu koͤnnen, und die Lichter zu putzen!

In43

Die Kirche unſrer lieben Frauen iſt von auſſen alt, aber inwendig ſchoͤn. Die Kanzel war eben neu aufgeſetzt worden, und der Eingang dazu zeugt von vie - lem Geſchmack. Im Chor iſt das Grabmahl vom Kai - ſer Ludwig dem Bayer von Bronze. Unten liegt aber nur das Herz des Kaiſers. Die alte Kleidung iſt ſowohl am Kaiſer, als an den vier Soldaten, die das Monu - ment bewachen, ſehr majeſtaͤtiſch. Das Stuͤck iſt von eben dem Meiſter, der die Augſpurger Brunnen gegoſ - ſen hat.

Das Haus, worin ſich die Akademie der Wiſ - ſenſchaften verſammelt, iſt ſchoͤn, und ward zuerſt fuͤr eine Maitreſſe erbaut. Das Naturalienkabinet iſt reich, aber es koͤnnte in eine beſſere Ordnung gebracht ſeyn. Manche Stuͤcke liegen dem Staube und dem Ver - derben ausgeſetzt. Schlangen, Monſtra, Foetus, Rau - pen ſind in Weingeiſt aufbehalten. Ein terrifizirter Ele - phantenzahn. Aus Konchylien hat der ſpieleriſche Geiſt des ehemaligen Beſitzers Blumenbuͤſchel zuſammenge - ſetzt. An einigen Eiern ſind ebenfalls ſolche Kuͤnſteleien angebracht. Schwaͤmme von Hrn. D. Schaͤfer in Regenſpurg in Wachs abgedruckt. Viele, aber weder mit Gyps, noch mit Baumwolle ausgefuͤllte, Fiſche. Ein Aſter. Cap. Med. leider! in eine enge Schachtel zuſammen gepreßt. Bayeriſche Marmor; viele Holz - arten; manches aus Tyrol, Italien ꝛc. Ein Berg - kryſtall 250. Pfund ſchwer aus Unterwalden ꝛc. Ei - nige Hoͤrner auch vom Steinbock. Die ſchoͤnſte Zinn. G[r]aupe, die ich je geſehen habe. Phyſikaliſche und mathematiſche Inſtrumente, auch Modelle zu Kuͤn - ſten und Handwerkern. Auch ein Muͤnzkabinet. DiePaͤbſt -44Paͤbſtlichen waren nur Abdruͤcke in Zinn, und ſchon vom Pabſt Benedikt XIV. ſind keine mehr da. An Mit - teln fehlt es in Muͤnchen nicht, aber die Anwendung, der Nutzen, der dadurch geſtiftet wird, iſt zur Zeit noch klein. Es iſt bei Hof eine Bibliothek, aber ſie wird nicht zum allgemeinen Gebrauch eroͤfnet.

Den andern Tag fuhr ich nach Nymphenburg. Der Weg dahin iſt eine halbe Meile durch eine Allee von Fruchtba[ͤ]umen mit ſchiffbaren Kanaͤlen von der Ammer zu beiden Seiten. Das Schlos iſt, wie alle in Bayern, gros, weitlaͤuftig, und hat eine herrliche Treppe, die noch der letztverſtorbene Churfuͤrſt gebaut hat. Inwendig ſieht man Familiengemaͤlde von Horemanns; herrliche Statuen von Elfenbein und Holz, die ein Bauer verfer - tigt hat; Proben von Nymphenburger Porcellan, das aus Paſſauer Erde gemacht wird; ſehr reiche Betten; ein Gemaͤlde von Kaiſer Joſeph I. der leider! fruͤh ſter - ben muſte; ſehr kuͤhne Figuren von Wink; hundertjaͤh - rige Platfonds, deren Kolorit ſich ſehr wohl erhalten hat. In einem chineſiſchen Zimmer eine vortrefliche Ausſicht in den Luſtgarten; im Speiſeſaal Moſaiken von einem Zimmermann, der Maler und Stukkaturer zugleich war, und dies iſt ein Zimmer, woran man 3. Jahre ge - arbeitet hat, weil aber die Farben mit Zuckerwaſſer ange - macht waren, ſo konnte man vor den vielen Fliegen und Schnacken da gar nicht mehr ſpeiſen, bis man ſie mit Leimruthen fing. Ein herrliches Frauenzimmer von Vandyck; ein Kabinetchen von lauter gruͤn lakirten Kupferſtichen; in einer andern Gallerie Gemaͤlde von al - len Staͤdten und Schloͤſſern des Landes; ein Tiſch, der in Florenz aus Agat, Laſurſtein, Karneols, und Jaſpiszuſam -45zuſammengeſetzt, und mit 60000. Gulden bezahlet wurde; in eben dem Zimmer, wo dieſer Tiſch ſteht, haͤngen von Teniers ſehr ſchoͤne Stuͤcke, z. B. gar koſtbar iſt die Unterredung Chriſti mit dem Phariſaͤer wegen des Schwerſten im Geſetz. Der Ketzermacher blaͤttert mit einer redenden Begierde, und mit ſichtbarer Geſchaͤftig - keit in der Thora, um eine Antwort auf Chriſti In - ſtanz zu finden. Man ſieht ihm den Eifer, den hei - ligen Ernſt, den orthodoxen Unwillen uͤber die Neuerun - gen an. Ein Stuͤck, woran Teniers und Rubens ge - arbeitet haben. Auch das Geſicht von Teniers Frau. Kaminſteine, die in Paris gar praͤchtig gearbeitet ſind. In einem Gange haͤngen zehn Gemaͤlde von Maitreſ - ſen. Darneben eine Landſchaft von Lucas von Uden, die unvergleichlich gemahlt iſt.

Der Garten allein erfordert etliche Stunden. Durch eine von Marmor aufgeſetzte Kaskade iſt er geſchloſſen.

Im Schwezinger Garten iſt mehr Geſchmack, mehr Abwechslung und Mannichfaltigkeit. Die ewigen geradegeſchnittenen Alleen, die ſo unnatuͤrlich, ſo ſteif und kalt da ſtehen! Am Waſſer ſtehen viele Bildſaͤulen, und Figuren, alle von Blei und mit Dukatengold vergol - det. Unter den Statuen, die in den Spaziergaͤngen ſte - hen, ſind einige alt und aus Rom, andere ſind von Holz, ſie ſollen aber alle aus Marmor aufgeſtellt werden. Im Garten ſelber ſind wieder vier kleine Schloͤſſer: 1) Eine Eremitage, und darin eine Grotte, ein ſimpler Altar, und eine kleine Bibliothek; ein alter Invalid hat die Aufſicht daruͤber. Das Beſte hier iſt eine herrliche Magdale - na von M. A. Buonarotti. 2) Pagodenburg, wo inwendig alle Waͤnde mit blau und weiſſen porzella -nenen46nenen Flieſſen ausgeſetzt ſind. Das Schloͤschen hat zwei Stockwerke, ein Eßzimmer, Kabinetter, und eine Ausſicht auf 45. Fontainen. 3) Badenburg, wo al - les von Marmor iſt, und im Eßzimmer ſieht man antike Kaiſerkoͤpfe. Die Badwanne iſt mit Blei ausgelegt, ſie fuͤllt ſich uͤber Nacht ſelber mit warmen, mit kalten, mit Seifenwaſſer, mit Milch, und hat auch wieder ihren Abfluß. Sie iſt ſo gros, daß die Prinzen hier ſchwim - men lernen konnten. 4) Amalienburg, das noch Kai - ſer Karl VII. gebaut hat. Ein Speiſeſaal, Jagdſtuͤ - cke von Horemanns, und gar vortreflich abgemahlte Kaninchen. Hierbei eine kleine Anekdote: Als Ama - lienburg einsmahls erleuchtet war, wollte ein altes Weib den Glanz des Feſts auch in der Naͤhe ſehen. Die Wache ſties ſie zuruͤck, das Weib aber ſagte ganz natuͤr - lich, und laut: Ich habe geglaubt, fuͤr unſer Geld duͤrf - ten wir auch was ſehen!

Hr. Prof. Rittershauſen aus dem Theatiner Klo - ſter, der mir in dieſen Tagen ſehr viele Freundſchaft er - wies, begleitete mich nach Tiſche auch nach Schleis - heim, das ebenfalls gros, weit, noch nicht ausgebaut, und in einer ungeſunden Gegend angefangen iſt. Der Garten dabei iſt viel kleiner als der Nymphenburger, und hat auch noch ein kleines Schloͤschen, das Luſtheim heiſt. Aber im Schloſſe ſelber ſind anderthalb tauſend Gemaͤlde*)Man hat davon ein Verzeichnis, das 1775. in gr. 8. zu Muͤnchen unter dem Titel herauskommen iſt: Beſchreibung der Churfuͤrſtlichen Bildergallerie in Schleisheim. Es enthaͤlt 1050. Stuͤcke, gibt aber blos deren Sujets und Groͤſſe an. Herausgeber. , unter welchen keins ſchlecht iſt. In einemSaal47Saal die vorigen Churfuͤrſten zu Pferde. Thierſtuͤcke, z. B. ein Wolf mit einer Ziege; ein Schaaf, wo man den Pelz, die Wolle greifen koͤnne. Sandrart’s zwoͤlf Monatsſtuͤcke. Ebendeſſelben Jaͤger mit Haſen auf dem Ruͤcken. Als dies Stuͤck ankam, ſprang ein Hund an dem Haſen hinauf. So natuͤrlich iſt alles. Ein Herkules von Spagnoletto. Ein Moſaikenkabi - net. Gemaͤlde von einem noch lebenden Doͤrner. Die Drehbank des verſtorbenen Churfuͤrſten. Ein Stuͤck von Quintin Meſſis, der in Antwerpen erſt ein Schmidt war. Chriſti Ausfuͤhrung von Alb. Duͤ - rer, unvergleichlich kolorirt, und das Original zu Sade - ler’s Kupferſtich, den ich in Paris im Cab. d’Eſtam - pes du Roi ſah. Von Teniers ein Markt in einer niederlaͤndiſchen Stadt. Es ſind gewis uͤber tauſend Figuren darauf, Koͤpfe, Vieh, Buden, Thiere, Wa - gen, Karren, Chaiſen ꝛc. und alles ſo leuchtend, ſo deut - lich, ſo ſichtlich, ſo kennbar! Von Tintoret eine Ma - ria, wie ſie unter dem Kreuze weint, da iſt das Wuͤhlen und Toben des Schmerzes im Mutterherzen unnachahm - lich ausgedruͤckt. Von Alb. Duͤrer zwei Apoſtel mit einem Buche in der Hand, und einem Faltenwurf im groſſen Styl, und doch in der Naͤhe ſo glatt gemahlt, als wenn die Stuͤcke geſchliffen waͤren! Unter vielen Fa - miliengemaͤlden haͤngen zwei Bataillenſtuͤcke, die mit unendlicher Muͤhſamkeit gemacht ſind. Auch ein Cur - tius ſe devovens von 1540. Baͤren von Domi - nicus Nollet. Tod und Gericht von Frank, wo alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften geſtuͤrzt da liegen. Ein Bergſtuͤck von Schoͤnefeld. Bildniſſe franzoͤſiſcher Koͤnige von Rigaud. Vieles von Holbein, OttoVeen48Veen ꝛc. Eine ſterbende Maria von Sandrart, die klagenden Weiber jammern und liegen um das Bett herum, Petrus kniet unten, und betet. Die Genauig - keit des Malers hat ſogar den Staub, der an der nack - ten Fußſohle des Morgenlaͤnders klebt, ausgedruͤckt. Loͤ - wen von Abr. Janſen mit ihrer ganzen natuͤrlichen Grosheit. Ein alter Mann von Rembrandt. Ein juͤngſtes Gericht von Poelemburg. Apoſtel von Rubens. Dies ſind nur einige von den Stuͤ - cken im Untertheil des Schloſſes, die mir beſonders ge - fielen.

Auſſerordentlich reich aber iſt das Flamlaͤndiſche Kabinet, wo nur von den groͤſten Meiſtern Prachtſtuͤ - cke aufgeſtellt ſind. Eine Feuersbrunſt von Bril. Ein Blumenſtuͤck mit ungemein gluͤcklich gewaͤhlten Far - ben, von Breughel. Von Rubens zwei Koͤpfe, die dem Manne ewig Ehre machen. Von Teniers ein ſaufender Bauer. Von Van Huyſum zwei Blumen - ſtuͤcke, davon jedes 2000. Gulden koſtet. Von Franz Mieris eine Frau im Sammtkleide, das gar natuͤrlich dahin gezaubert iſt. Von eben dieſem ein beſoffener Bauer, dem man, je laͤnger man ihn betrachtet, die Beſoffenheit immer mehr anſieht. Er lehnt ſich an, die Zunge iſt ihm ſchwer, die Augen rollen ihm im Kopfe herum, die Minen reden Sinnloſigkeit, und das ganze Geſicht druͤckt das Seelenvergnuͤgen, die guͤldenen Traͤu - me, die gaͤnzliche Vergeſſenheit des Beſoffenen aus. Man muß lachen, wenn man das Stuͤck anſieht. Von Gerhard Douw viele Stuͤcke, die mit der groͤſten Wahr - heit gemacht ſind, z. B. ein Korb zum Wegnehmen oderAnfaſſen!49Anfaſſen! Von Rubens noch einmahl Petrus und Paulus. Eine Lukretia von Giordano. Der Bethlehemitiſche Knabenmord, Rubens ſchoͤnſtes Stuͤck auſſer der Abnehmung vom Kreuz ꝛc. Man muß uͤber die Phantaſie des groſſen Mannes, aber noch mehr uͤber die Leichtigkeit, womit er alles hinwarf, er - ſtaunen. Wie die Weiber mit den Soldaten umgehen! Wie ſie ſie hernehmen, ihnen in die Haare, ins Geſicht fallen, ſie in den Arm beiſſen, ſie anpacken, wie gereitzte Tyger! Es faͤllt in die Augen, daß in der Seele des lie - benswuͤrdigen Kuͤnſtlers Gedanken und Bilder ſich draͤngten, wie Wellen auf Wellen ſtuͤrzen. Dieſem feu - rigen Stuͤcke gegenuͤber haͤngt ein herrliches Frauenbild von Vandyck, das eben ſo ruhig, feſt und beſtimmt iſt, als jenes hinreiſſend und uͤberwallend.

Nach dieſem folgt noch die Gallerie, und erlauben Sie mir, nur noch einige Stuͤcke auszuzeichnen. Die Geſchichte der Ehebrecherin von Lukas Cranach. Da bringt ein Phariſaͤer, ein abſcheulicher Boͤſewicht, mit einem greulichen abgefeimten Geſicht, ſo recht wie ein Erzbonze, ſchon einen Hut voll Steine, und will eben auf das arme Weib werfen, und Chriſtus ſteht ſo ruhig, ſo mitleidig, ſo menſchlich darneben, und winkt nur. Ei - ne Dido mit dem Aſkanius und Aeneas von Laireſ - ſe. Zwei herrliche Dominichinos, naͤmlich Herku - les, wie er ſpinnt, und ein raſender Herkules. Von Vandyck ſeine eigene Frau, ein Karl V. und Correg - gio’s heilige Familie, die ſich gleich vor allen andern aus - zeichnet.

Zweiter Theil. DUnter50

Unter ſo vielen ſchoͤnen und reizenden Gegenſtaͤnden hatte ich auch das Vergnuͤgen, den Hrn. Sekretaͤr Zau - pſer kennen zu lernen, der die Ode auf die Inquiſition geſchrieben hat. Er hat daruͤber manche Verfolgungen und Schmaͤhungen ausgeſtanden. Die Pfaffen ſchrien alle dagegen, und paukten auf ihrer Kanzel, wiewohl er unter dem Schutze der Obrigkeit ſicher war. Die ge - woͤhnlichen Waffen des Aberglaubens, und der ſcheinhei - ligen Dummheit, wenn ſie gezuͤchtigt und in ihrer Bloͤſ - ſe dargeſtellt werden! *)Sehr umſtaͤndliche, unterhaltende und lehrreiche Nachrichten von Muͤnchen ꝛc. beſonders in Beziehung auf Litteratur und Kunſt liefern Bianconi’s zehen Sendſchreiben an den Hrn. Marcheſe Hercolani, die Merkwuͤrdigkeiten des Churbayriſchen Hofes, und die Reſidenzſtadt Muͤnchen betreffend. Aus d. Ital. Lpz. 1764. 8. Herausgeber.

Die Ruͤckreiſe ging uͤber Schwabhauſen, Aichach und Holzheim nach Donauwerth. Eine der ange - nehmſten Straſſen, die ich je gewandelt habe, voll Ab - wechslung und Mannichfaltigkeit. Man ſieht das fol - gende Dorf ſchon wieder, wenn man kaum das vorige verlaſſen hat. Winterweitzen und Winterkorn waren ſchon wieder hoch uͤber der Erde. Die Hopfenſtangen wurden im Felde auf Haufen zuſammengeſtellt. In manchen Haͤuſern fand ich recht geſunde Grundſaͤtze der Erziehung, die ich in Bayern nicht vermuthet haͤtte. Die Kinder werden ſehr zum Reſpekt gegen die Eltern ge -woͤhnt.51woͤhnt. Ich fand Stallknechte ſo religioͤs, daß ſie, als die Glocke um 12. Uhr gelaͤutet wurde, vor der Haberki - ſte niederknieten, und ihr Gebet verrichteten. Das Staͤdtchen Aichach hat 200. Buͤrger, braut alle Jahre 800. Eimer Bier, und gibt davon als Ohmgeld an den Churfuͤrſten, vermoͤge einer Konvention, 600. Gulden.

Auf dieſem Wege ſah ich auch einer Bayeriſchen Kirmes oder Kirchweihe zu, und ich wuͤnſchte, Sie haͤtten die Bayeriſchen Taͤnze geſehen. Mit der groͤſten Ehrerbietung fragte ich erſt um Erlaubniß, ehe ich mich auf den Tanzboden wagte, aber die Bauerkerl waren hoͤflich, und boten mir ihre Taͤnzerinnen an, wenn ich Luſt gehabt haͤtte. Allein ich glaube, das Blut waͤre mir aus allen Adern hervorgedrungen, wenn ich nur eine Viertelſtunde ſo haͤtte raſen ſollte, wie dieſe. Wer am laut - ſten ſtampfen, und am Ende das Maͤdchen recht herzhaft aufheben, und es wieder auf den Boden ſtoſſen konnte, daß das Haus zitterte, der war Meiſter in der Kunſt, und bekam das ſchoͤnſte Band auf den Hut. Doch be - merkte ich nicht die geringſte Verletzung des Wohlſtandes oder der Ehrbarkeit.

Bei Donauwerth kommt man auf beiden Seiten der Stadt etlichemahl uͤber die Donau, und von dort ging der Weg nach Dillingen uͤber die ſchoͤnſten Frucht - felder hin. Anderthalb Stunden vorher iſt das Staͤdt - chen Hoͤchſtadt, wo 1703. unſre Nachbarn, die Franzo - ſen, nach Verdienſt geklopft wurden. Sie koͤnnen leicht denken, daß ich mit wahrem deutſchen Patriotismus uͤber die Graͤber der Franzoſen hinritt.

D 2In52

In Dillingen ſelbſt merkte ich nichts von der Uni - verſitaͤt. Die Studenten waren meiſt in den Ferien. Ich ſah aber einer Exekution zu, die mir von der Polizei der Stadt einen ſchlechten Begriff machte. Ein Dieb, der Eicheln im Walde vor der Zeit geſtohlen hatte, ward auf dem Markte mit den Fuͤſſen in den Block geſpannt, die Haͤnde aber waren ſo ſchlecht und nachlaͤſſig einge - zwaͤngt worden, daß er ſie losmachen, und mit Steinen auf die umſtehenden Buben werfen konnte. Man er - laubte ihm dies, ſo wie die boͤſen und zornmuͤthigen Reden, die der Kerl ausſties. Das Gerichtshaus war der Sce - ne gegenuͤber, und doch ſtand keine oͤffentliche Perſon da - bei, die den Dieb in der Furcht erhalten haͤtte. Natuͤr - lich machte die Strafe unter dieſen Umſtaͤnden gar keinen Eindruck auf die Zuſchauer, und dieſer Akt der ſtrafen - den Gerechtigkeit verwandelte ſich in eine Opera buffa oder in ein Poſſenſpiel fuͤr den Poͤbel. Was nuͤtzen denn Strafen, wenn der Richter nicht einmal ſo viel Klugheit hat, ihnen ein feierliches Anſehen zu geben, und wenn dem Miſſethaͤter noch geſtattet wird, in dem Augenblicke, da er Strafe leiden ſoll, ſeinem Muthwillen auf die al - lergroͤbſte Art freien Lauf zu laſſen?

Auf dieſer Straſſe traf ich eine eigne Spielart von Schweinen an, die faſt am ganzen Leibe roth, fuchs - roth, und ſehr klein waren. Die Leute ſollten die Gat - tung durch Eber aus andern Gegenden verbeſſern. Man ſagt auch, daß in Bayern faſt alle Schweine die Finnen haͤtten. Ueberhaupt ſollte ſich die Polizei mehr um die - ſes Thier bekuͤmmern, weil es in der Haushaltung des Bauern unentbehrlich, und doch mehr als irgend ein oͤko - nomiſches Thier zu Krankheiten geneigt iſt.

Der53

Der Weg nach Giengen und von dort nach Hei - denheim iſt bergicht und auch waldicht, und beſchwerlich. Aber dann folgt das herrliche Thal um Koͤnigsbrunn, das von der Kocher, von der Brenz, und von dem Fluͤßchen Aal durchwaͤſſert wird.

Ich eilte nach der Reichsſtadt Aalen, wo ich an Hrn. Stadtſchreiber Schubart einen alten guten Freund hatte, in deſſen Geſellſchaft ich nicht nur ausruhen, und das ſuͤſſe Vergnuͤgen der Freundſchaft genieſſen, ſondern auch die ſchoͤnen Koͤnigsbrunner Eiſenwerke beſehen wollte. Ich muß dieſer Reichsſtadt Aalen viel Gutes nachſagen. Sie iſt klein, aber wohl eingerichte[t]. Sie hat keine Schulden und in den Kaſſen iſt Geld. Die Lebensart iſt frei, munter, und im geringſten nicht Reichs - ſtaͤdtiſch. Der Ort liegt ſo, daß beſtaͤndig eine ſtarke Paſſage nach Stuttgard, Nuͤrnberg ꝛc. iſt. Alle Donnerſtage Vormittags iſt Rathsſeſſion, und die Ge - ſchaͤfte gehen ihren ordentlichen Gang. Die Polizei iſt gut, und auf alles aufmerkſam. Zum Beweis dient die wahre Bemerkung, daß ich in dieſer Stadt in zwei Ta - gen nicht ein einzigesmal angebettelt worden bin, wiewohl ich grade auch hier zur Kirchweihe kam, wo den Leuten am Ende der muͤhſamen Feldgeſchaͤfte Muſik, Tanzen, Freiſchieſſen, Schmauſereien ꝛc. geſtattet werden. Der Burgermeiſter iſt ein ſehr vernuͤnftiger Mann, und be - handelt z. B. die Waldungen, die der Stadt gehoͤren, mit der groͤſten Sparſamkeit. Er hat dem Anſuchen der Buͤrger, die Hut - und Weidgerechtigkeit im Walde zu geſtatten, bisher, aller Beiſpiele der Nachbarn ungeach - tet, immer widerſtanden, und laͤßt den jungen AnflugD 3des54des Holzes ſorgfaͤltig einſchlieſſen, damit bei der ſtarken Konſumtion der Holzkohlen auf den Wuͤrtembergiſchen Eiſenwerken doch fuͤr ſeine Nachkommenſchaft geſorget wird. Wenn Kirchengeſchaͤfte vorkommen, wird eine auſſerordentliche Rathsverſammlung gehalten, und die Geiſtlichen darzu gezogen, ſo daß die Sache auf den Fuß der proteſtantiſchen Konſiſtorien behandelt wird. Ehe die Rathsſeſſion anfaͤngt, muß der Syndikus allemal einen eigenen Morgenſegen vorleſen. Dann nimmt man erſt die Geſchaͤfte vor. Ich finde dieſe alte Einrich - tung ſehr gut. Unſre Vorfahren wuften, daß Religion und Gottesfurcht der ſtaͤrkſte Antrieb zur Rechtſchaffen - heit und Gewiſſenhaftigkeit iſt. Daher flochten ſie die Religion uͤberall mit ein. In unſern Zeiten iſt man ſo ſtolz worden, daß man ſich der Verehrung Gottes an oͤf - ſentlichen Orten ſchaͤmet; aber die betruͤbten Wirkungen dieſer eingebildeten Aufklaͤrung vervielfaͤltigen ſich leider! auch alle Tage. Man denkt hier auch ernſtlich auf die Verbeſſerung der Schuleinrichtungen, und man ſprach eben ſo eifrig von der Einfuͤhrung eines neuen Geſang - buchs, wozu ich den lieben Leuten auch das Geſangbuch meines Vaters ſchicken muſte. Der Wall um die Stadt iſt dem Fremden ein angenehmer Spaziergang mit einer ſchoͤnen Ausſicht auf die umliegenden Gegenden. In der Stadt wird viel wollenes Tuch oder Fries gemacht, auch wird viel Baumwolle von den Handelsleuten aus Wien ꝛc. die mit Wagen hierher kommen, geſponnen, gekauft, und als geſponnenes Garn verkauft.

Auf dem Grunde und Boden der Stadt ſind die er - giebigen Eiſengruben, in welchen das Haus Wuͤrtem -berg55berg von alten Zeiten her das Recht hat, Stuferz zu gra - ben. Doch gehoͤrt die Jurisdiktion auf dem Platze noch jetzt der Reichsſtadt Aalen, und man weis ſie zu be - haupten. Die ganze Gegend, und jeder Feldweg hier - um iſt roth von Eiſen. Man hat ſchon ganze Berge ausgehoͤhlt. Ausgemacht iſt es, daß Wuͤrtemberg dem Buͤrger, unter deſſen Aecker oder Wieſe gegraben wird, etwas bezahlen muß, weil der Boden leicht abſtuͤrzt. Alle Jahre werden wenigſtens 130,000 Zentner Stuferz da ausgegraben, und Wuͤrtemberg zahlt der Stadt nichts, als vom Zentner 2 Kreuzer Weggeld.

Um dieſe Gruben zu beſehen, ging ich nach dem Brundel, einem kleinen Huͤgel vor der Stadt, oder nach dem ſogenannten Burgſtall, weil K. Friedrich I. der Rothbart hier ſeine Burg gehabt haben ſoll. Er ſteht auch auf dem Brunnen der Stadt ausgehauen. Man hat auf der Stadtſchreiberei noch einen alten Seſſel, der eine Reliquie von dieſem Kaiſer ſeyn ſoll. Als man ein - mal auf dem Berge grub, fand man nicht nur roͤmiſche Silbermuͤnzen, ſondern auch allerlei Kuͤchengeraͤthſchaf - ten und ein groſſes Kaiſerliches Inſiegel, das durch ei - nen Zufall verlohren gegangen ſeyn muß. Ich ging in einen Stollen, der mehr als 1000. Schritte lang war. Die Schachte ſind 13. -15. Lachter tief. Die Leute ar - beiten 9. Stunden, und erhalten fuͤr die Stunde nicht mehr, als 2. Kreuzer. Ihre Werkzeuge ſind, wie ge - woͤhnlich, Schlaͤgel, Faͤuſtel, Keile. Selten wird in der Nacht gearbeitet. Der Stollen wird mit Tannen - holz ausgezimmert, der Gang iſt etwa 5. -9. Schuh maͤchtig, und unter dieſem liegen Steine die roth ſind,D 4die56die aber nicht als Erz genuͤtzt werden koͤnnen. Man kan nicht uͤberall im Stollen aufrecht ſtehen! Die Arbeiter haben Lampen von Rebsoͤl, und an dieſen Lampen, die ſie Tiegel nennen, wiſſen ſie in der Tiefe die Zeit. Ei - ne brennt gemeiniglich einen halben Tag. Jede Woche braucht der Mann ein Pfund Oel, auch wohl mehr. Von ungeſunden Duͤnſten ſagten mir die Arbeiter nichts, doch koͤnnen nicht alle das Arbeiten in den Gruben aus - halten. Aus dieſen Gruben wird das Stuferz nach Koͤ - nigsbrunn, oder zu den Brenzthaler Werken, die hier, in Heidesheim, und in Belberg ſind, auf der Achſe gefuͤhrt, und dort verſchmolzen. Die Brenz iſt dort nicht ſehr gros, und treibt doch gleichwohl 2. Oefen, und 6. Hammer. In einem Ofen koͤnnen wohl 200. Zentner auf einmahl geſchmolzen werden. Der Stein, womit ſie’s in Fluß bringen, iſt ein gemeiner Kalkſtein, der dort gegraben wird. Mit Holzkohlen, welche die einfaͤltigen Leute Steinkohlen nennen, wird gefeuert. Daher kaufen viele Leute den umliegenden Herrſchaften das Holz ab, und verkohlen es im Walde. Man gieſt hier Maſſeln, Platten, Kugeln, Oefen, viel kleines Kuͤchengeſchirr ꝛc. der Zentner vom gegoſſenen Eiſen, z. B. an Oefen, koſtet 20. Gulden. Die Herzogliche Kam - mer verpachtet das ganze Werk an einen Faktor. Der Abſatz iſt gros, und die Waaren ſind unſtreitig ſchoͤn. Auſſerhalb Deutſchland gehen ſehr viele Oefen nach Holland ꝛc. Sie wiſſen ihnen allerlei Façons zu ge - ben, und ſchoͤne Farben aufzutragen, ſetzen ſie wieder ins Feuer, und laſſen dieſe verglaſen. Auch hier macht man aus den Farbenmiſchungen ein Geheimnis, die Ma - terialien dazu ſind die gewoͤhnlichen aus dem Mineral -reich.57reich. Man ſagt, daß ſie’s von Italiaͤnern gelernt ha - ben. Der Zentner Stuferz hat 75, 80, ja ſchon 90. Pfund Eiſen gegeben, und doch ſind die Proben, die ich fuͤr meine Sammlung mitgenommen, und mir im Stol - len ſelber losſchlagen lies, nicht beſonders ſchwer. Die aus dem Ofen herausgeſchafte Schlacken werden auf die Puchwerke gebracht, und gewaſchen, weil darin noch viel Eiſen ſteckt, aber von den letzten Schlacken wiſſen ſie kei - nen Gebrauch zu machen. Die Brenz und die Pfefer treiben, wie geſagt, die Waſſerwerke, welche die Haͤm - mer treiben. Unter den Hammer kommt oft ein Bro - cken von 125. Pfund. Seit wenigen Jahren hat ein Mann von Kopf, Hr. Faktor Blezinger einen Waſſer - bau ganz von Eiſen angegeben, und gluͤcklich zu Stande gebracht. Nur die unterſten Traͤger ſind von Holz, aber auf Steinen aufgeſetzt. Das uͤbrige alles, Raͤder, Gaͤn - ge, Schaufeln, ein Werk von mehr als 80. Schuh lang, iſt alles von gegoſſenem Eiſen. Wenn es nicht zuſam - men roſtet, und dadurch in kurzer Zeit unbrauchbar wird, ſo iſt es einzig in ſeiner Art, und macht Deutſch - land und den Schwaben Ehre. Eben dieſer Mann hat auch eine Statue vom jetztregierenden Herzog von Wuͤrtemberg gegoſſen. Sie iſt aus purem Eiſen, vergoldet, ſtellt Sr. Durchlaucht zu Fuß vor, und ſteht, wie man mir ſagt, denn geſehen hab ich ſie nicht, zu Hohenheim.

Von Aalen, und aus den Umarmungen meines Freundes, reißte ich fort nach Schwaͤbiſch Gemuͤnd, wieder eine Reichsſtadt, ziemlich gros, mit vielen ſchoͤ - nen Haͤuſern, breiten Straſſen, und von den bekanntenD 5Sil -58Silberarbeitern bewohnt. Ehe man hinkommt, reißt man hie und da an Waldungen vorbei. Auſſen vor der Stadt werden viele neue Haͤuſer gebaut, wodurch ſie ſehr verſchoͤnert wird. Da faͤngt auch das herrliche Ramsthal an, das von einem Fluͤßchen den Namen hat. Unbeſchreiblich ſchoͤn ſind dieſe Gegenden. Zur rechten Hand ſteigen immer die ſchoͤnſten Weinberge in die Hoͤhe, und linker Hand ſind Wieſen, Felder, und das Waſſer darzwiſchen, das alles belebt und erfriſcht. An eben dem Tage, da ich dies herrliche Land durch - ſtreifte, war die Weinleſe angegangen, und auch der Fremde kan bei der Hoͤflichkeit und allgemeinen Mun - terkeit der Einwohner an dieſen Freuden Theil nehmen. Ich fand da unter andern auch eine rothe Claͤfner Traube, die einige weiſſe und doch zeitige ſuͤſſe Beeren zwiſchen ihren uͤbrigen rothen hatte. Vermuthlich iſt bei dem ungleichen Bluͤhen, woruͤber man dieſes Jahr geklaget hat, Blumenſtaub von einer gemeinen weiſſen Claͤfner Traube heruͤbergeflogen. Der Weg fuͤhr - te mich durch Lorch, wo eine reiche Abtei iſt, wovon der jedesmalige Kanzler in Tuͤbingen, Abt iſt. Auſ - ſer ſeiner Weinbeſoldung hat dieſer Praͤlat noch, ver - moͤge alter Stiftungen, 24. Eimer Wuͤrtembergiſchen Wein unter dem Namen Schlaftrunk, womit er, wie man ſagt, ehemals den Geſandten oder andern vorneh - men Perſonen, die da uͤber Nacht blieben, die Zunge loͤſen, und Geheimniſſe ablocken ſollte. Ich dachte an das, was Pope ſagt:

Abteien im Schatten der Weinſtoͤcke, wo die Aebte des Nachts roth, wie ihre Weine, ſchimmern! ()Schorn -59

Schorndorf war ehemals feſt, und iſt jetzt ein Landſtaͤdtchen. Eben ſo Waiblingen, und mancher andrer Ort an der Straſſe. Canſtadt liegt von wei - tem ſehr ſchoͤn, in einem Thal am Neckar, der hier ſehr breit wird, durch einen Damm, den man in den Strom gebaut hat. Aber man betruͤgt ſich in der Er - wartung. Die Stadt iſt finſter, eng, am ſchoͤnſten iſt es vor der Stadt, auſſen am Neckar, wo das Rau - ſchen des Stroms in der ſtillen Nacht ſehr angenehm iſt. Im Poſthauſe iſt ein Brunnen mit einigen Roͤh - ren in der Wirthsſtube, und dabei ein Fiſchkaſten fuͤr Aale, Hechte ꝛc. Finden Sie das nicht ſehr bequem? Auch hier belebte der Herbſt alles. Man hoͤrte im - mer das freudige Schieſſen, Raketen ſtiegen in die Hoͤhe, und kleine Feuerwerke wurden am Waſſer ange - zuͤndet.

Als ich nach Hauſe kam, bluͤhete (im Oktober) in unſerm botaniſchen Garten Curcuma longa L. eine Pflanze, die Linne’e ſchwerlich in der Bluͤte geſehen hat. Die Bluͤte kam unten aus dem Sten - gel, die Blumenblaͤtter waren weis, ſehr zaͤrtlich, eine Bluͤthe ſteckte in der andern, und ſie verwelk - ten bald.

Da haben Sie nun, meine Beſte! die kleinen Bemerkungen, die ich geſammelt habe. Wollte Gott, daß Sie einmal in dieſer ſchoͤnen Jahrszeit zu mir kom - men, und ſo mit mir durch Berg und Thal, durch Feld und Wald, durch Staͤdte und Doͤrfer reiſen koͤnn - ten! Wie vergnuͤgt wuͤrden wir ſeyn! Wie vieles wuͤr -de60de ich in Ihrem Umgange lernen! Wie viel wuͤrden Sie in Kunſt - und Naturalienſammlungen bemer - ken, das mir entgangen iſt! Ach, daß wir ſo viele gute Wuͤnſche erſticken muͤſſen! Leben Sie indeſſen recht wohl, und verzeihen Sie meine Weitlaͤuftigkeit.

Tagebuch[61]

Tagebuch der Reiſe durch Franken, Ober - und Nieder-Sachſen und Heſſen. Im Jahre 1780.Tagebuch der Reiſe durch Franken, Ober - und Nieder-Sachſen und Heſſen. Im Jahre 1780.

[62][63]

Reiſe von Carlsruhe nach Nuͤrnberg.

Den 24ſten Jul.

Heute langte ich von Carlsruhe in Stuttgardt an. Ich war im J. 1773. ſchon einmal ein Paar Tage hier und lernte die Stadt ziemlich kennen. Daher war mirs jetzt, und da ich beim weiter hinausgeſteckten Ziel meiner Reiſe mich hier nicht lange verweilen konnte, nur darum zu thun, das zu beſehen, was damals noch nicht exiſtirte, und dies war die

Herzogl. Militairakademie*)Seit dem Dec. 1781. iſt ſie vom Kaiſer zur Univerſi - taͤt erhoben worden und heißt nun die Herzogl. Karls - univerſitaͤt. Herausgeber. . Was die Welt von dieſem Inſtitute ſchon weis, oder aus andern Schrif - ten**)Schloͤtzers Briefwechſel. Deutſches Muſeum ꝛc. Herausgeber. erfahren kan, mag ich hier nicht wiederhoh -len,64len, nur ſagen, was ich bemerkte. Der Intendant und Obriſte, Hr. von Seger, iſt ein Mann von groſſen Ga - ben, wird aber auch in Allem vom Herzoge nachdruͤcklich unterſtuͤtzt. Alles iſt hier auf militairiſchen Fuß und nach der ſtrengſten Taktik eingerichtet. Das Aufſtehen der Eleven, ihre Unterweiſung, ihr Speiſen, ſo gar ihr Gebet bei Tiſch, ihr Schlafengehen; kurz alles. Sie ſind in Diviſionen abgetheilt. Jede davon hat ih - ren Offizier oder Aufſeher. Sie marſchiren Kolonnen - weiſe, mit ihren Aufſehern an der Spitze, zu und von Ti - ſche. Mit einem Tempo falten alle die Haͤnde zum Ge - bet, ruͤcken den Stuhl, ſetzen ſich nieder u. ſ. w. So ſonderbar dies Manchem im erſten Augenblicke ſcheinen moͤchte; ſo hats doch ſeinen gar groſſen Nutzen. Die jungen Leute werden in fruͤhen Jahren an Ordnung in ih - ren Geſchaͤften, und an eine gute Eintheilung ihrer Zeit gewoͤhnt; Eigenſchaften, die ſie hernach gewis ihr gan - zes Leben hindurch nicht ablegen. Man gewoͤhnt ſie fer - ner zur Hoͤflichkeit und Lebensart. Sie duͤrfen keinen Namen nennen, ohne ein Ehrenwort vorzuſetzen. Man macht daher unter Eleven von vornehmerer und geringe - rer Geburt keinen Unterſchied. Es waren jetzt ein paar junge Grafen von Iſenburg hier: ſie wurden gemeinen Kindern gleich gehalten. Man ſucht einen edlen Stolz bei ihnen zu erwecken, um ſie dadurch zum Fleis und gu - ten Betragen anzuſpornen. Sechs bis 7. ganz eminen - te Juͤnglinge ſah ich an einem eigenen Tiſche ſpeiſen. *)Eleven von vorzuͤglichen Verdienſten haben ſogar die Ehre, manchmahl mit dem Herzoge an einer beſon - dern Tafel zu ſpeiſen. Herausgeber. Beim Unfleiß und andern Vergehungen werden ihnenpapierne65papierne Schandzeichen angeheftet. Fuͤr ihre Geſund - heit traͤgt man die groͤßte Sorgfalt. Sie werden zu al - len Leibesuͤbungen angefuͤhrt; ſie haben einen Platz zum oͤffentlichen Baden in Badekleidern; auf onanitiſche Ver - ſuͤndigungen wird ſcharfe Obſicht genommen. Schon um 8. Uhr muͤſſen ſie ſich niederlegen, aber um 5. Uhr wieder aufſtehen. Heute Abend ſah ich ſie ſaure Milch und Suppe ſpeiſen, und bloßes Waſſer trinken. Jetzt waren ohngefaͤhr 300. Eleven von allen Nationen hier, und darunter ſogar der Sohn eines Protopopen: desglei - chen 2. Enkel des ſeel. Kanzlers von Mosheim und Soͤhne des Churhannoͤveriſchen Geſandten dieſes Na - mens*)Dieſer Herr iſt in dieſem Jahre aus Churhannoͤv. in Herzogl. Wuͤrtemb. Dienſte getreten. Herausgeber. am hiefigen Hofe. Man zeigte mir verſchie - dene Arbeiten der jungen Leute, Kupferſtiche, Malereien, einen Anfang zu einer Flora Würteb. Aber klein ſind die Beſoldungen der Lehrer von 300. bis 700. Gul - den Reichsgeld. **)In gegenwaͤrtigem Jahre haben 3. der dortigen Leh - rer, Hr. Werthes, Lehrer der italiaͤniſchen Sprache, Hr. Seger, Prof. der Rechtsgelartheit und ein dritter, deſſen Namen uns nicht gleich beifaͤllt, ihren Abſchied gefordert und erhalten. Herausgeber.

Den 25ſten Jul.

Da Naturgeſchichte immer einer der Hauptzwecke aller meiner Reiſen iſt, ſo beſah ich heute auch das

Naturalien -Zweiter Theil. E66

Naturalienkabinet des Hrn. Prof. Roͤslers. Ich fand darin beſonders: Ammonshoͤrner von Aalen und Kirchen, die durchſchnitten ganz marmorirt waren. Dergl. von Aalen, die ſo viel Eiſen haben, daß ſie mit andern Stuferzen ſch[m]elzen. Sie ſind ſehr ſchwer, und oft faſt ganz ſchwarz. Kobold. Er hat nicht einmal immer einerlei ſpecifiſche Schwere, die doch ſonſt jedes Metall hat. Japaniſche Muͤnzen. In die eine Haͤlfte der Muſchelfchaale klebt der Japane - ſer ein mit Farben und Gold gemahltes duͤnnes Haͤutchen oder Papierſtuͤck.

An Kunſtſachen zeigte mir der Beſitzer 1) Tie - demann’s Tubus. Man konnte dadurch in der Stadt die Traubenbeeren an den Stoͤcken in den Weinbergen ſehr hell und deutlich erkennen. Der Verfertiger iſt hier Kirchenmeßner. 2) Brander’s Goniometer, der 130. Gulden koſtet und wobei man keine Horizontallinie braucht. 3) De la Lande’s Rhomboidalnetz, zu Meſ - ſung der Sternwinkel, von Brander in Augſpurg in Glas geſchnitten. Der Beſitzer meint, der Kuͤnſtler ſchneide ſie mit Kupferſtiften.

Hierauf wohnte ich der

Komiſchen Oper, der luſtige Schulze im Dor - fe bei. Das Stuͤck ward von Eleven und Stadtmaͤd - chen aufgefuͤhrt. Man faͤngt um 4. Uhr ſchon an, und nach 6. Uhr iſt alles aus. Das hitzige Ballet - tanzen hinten nach kan den jungen Leuten nicht geſund ſeyn.

Den67

Den 26ſten Jul.

Heute Vormittags beſah ich die Gegend zwiſchen Stuttgard und Kanſtatt. Sie ſcheint ein ausgetrock - netes Sumpfmoor zu ſeyn, doch aber noch kein wahrer Torf, mehr Kalk und Sand, als Petrolium; man be - merkt aber eine Menge Wurzeln ꝛc. die zum Theil noch gruͤn ſind, und da, wo ſie in den Steinbruͤchen der Luft ausgeſetzt ſind, wieder reviresziren.

Kanſtatt muß einen herrlichen Salzſchatz in ſeinen Gebuͤrgen haben, es iſt eine Menge mineraliſcher Waſſer da. Einige warme Quellen im Muͤhlenbach machen, daß das Waſſer auch im Winter nicht zufriert. Das ei - gentliche Badwaſſer iſt gut gegen gichteriſche Zufaͤlle und kontrakte Glieder. Getrunken ſchmeckt es wie Sel - terwaſſer. Der Krug koſtet ½. Kreuzer. Es wird ver - fuͤhrt, ſetzt uͤberall Ocker, und Kalkſinter in den Roͤhren ab, hat aber einen ſtarken vitriolartigen Nachgeſchmack. D. Ofterdinger war jetzt hier, der ſonſt in Vayhingen war, und Zuͤckerten fortgeſetzt hat. Er kannte die Schlammbaͤder noch nicht (ſ. S. 410. des 1ſten B.).

Man baut hier herum viel Einkorn. Das Wild ſoll ihm wegen der Stacheln nicht ſo viel Schaden thun, als andern minder ſtachlichten Cerealibus.

Aufm Ruͤckwege machte ich Bekanntſchaft mit Hrn. Pfarrer Schuͤtz von Rohracker einem guten Oekono - men, der viel Obſt, ſonderlich Aprikoſen zieht.

Nachmittags, war ich erſt in Kornweſtheim beim Hrn. Pfarrer Hahn, ſeine Rechenmaſchine*)Man ſehe davon den deutſchen Merkur nach.E 2und68und ſein Sonnenſyſtem zu beſehen. Er hat eine artige kleine Frau, die ohne Praͤtenſion den Fremden alles zeigt, und die Kunſtnamen wohl inne hat. Ins Innere des Kaͤſtchens laͤſt er nicht ſehen; es iſt voller Raͤder. Oben ſieht man nichts als emaillirte Zifferblaͤtter. Man dreht eine Kurbel herum, wie an der Kaffeemuͤhle. Die Frau machte Proben von allen 5. Rechnungsarten, wie ich ſie ihr aufgab. Schoͤner noch iſt das Sonnenſy - ſtem mit groſſen Uhrwerken, die alle 8. Tage aufgezogen werden muͤſſen, und ſchwer zu transportiren ſind. Es iſt eine Erd - und Himmelskugel. Im Hauſe hat er immer etliche Arbeiter von Augſpurg ſitzen. Der Hr. Pfarrer kalkulirt, und die Leute machen’s. Schade, daß ſich der Mann jetzt mit apokalyptiſchen Rechnungen ab - gibt, auch das N. Teſtament ſchlecht uͤberſetzt hat. Es iſt eine eigne Uhrentafel am Sonnenſyſtem, wo die Schei - be in 6000. Jahren, und die ganze verfloſſene und noch kuͤnftige Geſchichte der Welt nach Bengel’s und Andrer Traͤumen, ſonderlich der Chiliasmus, und die erſte und zweite Auferſtehung, in ihre Faͤcher und Epoken abge - theilt ſind. Auch Jahruhren, die ſehr ſimpel ſind, und des Jahrs nur einmal aufgezogen werden muͤſſen, ſah ich bei ihm. Von ihm fuhr ich nach

Ludwigsburg. Der Ort hat groſſe und ſchoͤne, aber unvollendete und ſchon wieder ihrem Ende nahe An - lagen.

Das Haus der Graͤfin von Hohenheim, welches ſie hier beſitzt, ſoll voller Koſtbarkeiten ſeyn. Es wird aber weder den Fremden noch den Inlaͤndern, ohne be - ſondere Erlaubnis gewieſen.

Im69

Im Schloſſe hier ſind die Deckenſtuͤcke alle ſchlecht gemahlt, auch ſieht man keine einzige ſchoͤne Stukkatur - arbeit. Die ſogenannten neuen Zimmer aber ſind mit vielem Geſchmack angelegt. In der Bildergallerie haͤngen auſſer einigen meiſterhaften Gemaͤlden von Ha - milton, die Eidechſen, Schnecken, Schmetterlinge dar - ſtellen, viele gemeine Stuͤcke. Im Migniaturgemaͤl - deſaal befindet ſich in der Wand ein Cabinet de For - nication, wo alle moͤgliche wolluͤſtige Stellungen und Unflaͤtereien aufs feinſte gemalt ſind. Einige Tiſche be - merkte ich, die aus einem herrlichen rothen regulaͤrgezeich - neten Landmarmor gemachtwaren. Auch ſind im Schloſſe die proteſtantiſche und die katholiſche Hofkapelle, in je - ner ſieht das Untertheil der Kanzel einer Krautſtaude nach.

Im Waiſen - Zucht - und Tollhauſe, das ſeit 1736. hier angelegt iſt, ſpinnt alles Wolle, die aber in der Hitze entſetzlich ſtinkt. Es war jetzt eines Superin - tendenten Tochter hier im Zuchthauſe, die von einem Manne geſchieden worden, den andern mit Gift vergeben wollte, Ehebruch trieb, und doch ſchwatzen konnte, wie ein Engel.

Das hieſige militaͤriſche Waiſenhaus gehoͤrt zu des Herzogs beſten Anſtalten. Hundert arme Kinder, davon 50. Knaben und 50. Maͤdchen ſind, werden darin umſonſt gekleidet, ernaͤhrt und unterrichtet. Ein Haupt - mann und ſeine Frau haben die Aufſicht uͤber ſie. Viel Reinlichkeit herrſcht darin, aber alles iſt auch militaͤriſch, ſelbſt bei den Maͤdchen. Sie ſpinnen Flachs, Hanf und Baumwolle, 120. ſchnellerliche Faden machen ſie aus fei - ner Wolle aus Cayenne. Doch war das Tiſchzeug ſehr zerlumpt und voller Loͤcher. Die Knaben brauchen nichtE 3alle70alle Soldaten zu werden. Sie aſſen Suppe und Brod zu Nacht.

Den 27ſten Jul.

Setzte ich meine Reiſe nach Schorndorf, einem huͤbſchen und wohlhabenden Staͤdtchen an der Reins, Gemuͤnd und Aalen*)Von letztern beiden Stuͤcken ſ. S. 53. -57. dieſes 2ten Bandes. fort.

In Gemuͤnd ſtrickt Mann und Frau, Jung und Alt. Es iſt zu bewundern, wie die Leute ihre Waaren ſo wohlfeil geben koͤnnen.

Den 28ſten Jul.

Heute kam ich erſt durch Ellwangen, dann durch Adelmannsfelden, einem Staͤdtchen nicht weit von Ellwangen. Es hat wohl fuͤnferlei Herrſchaften, naͤhrt ſich vom Ackerbau, der Viehzucht, dem Verkohlen des Holzes zu den vielen Schmelzhuͤtten in der Gegend, macht auch Schaufeln, Joche, Meßle, Seſter ꝛc. aus ihren vielen Buchen ꝛc. und die hohlen die Schwaben den Ein - wohnern vor der Thuͤre weg.

Duͤnkelſpuͤl, eine Reichsſtadt. Sie hat viele Seen, die zuweilen ausgefiſcht, und die Fiſche nach Ulm und Augſpurg verfuͤhrt werden; doch verwachſen jetzt viele mit Schilf ꝛc. Man wird hier von Bettlern beina - he aufgefreſſen.

Feuchiwangen. So wie man nach Franken koͤmmt, findet man viele Tannen und viel Sorbus aucu -paria71paria L. Dieſer herrliche Baum trug jetzt ſeine ſchoͤ - nen Fruͤchte. Die Erndte fing erſt an, aber manches war auch uͤberreif.

Anſpach praͤſentirt ſich von weitem ſehr gut. Die Stadt iſt gros, hat aber enge, krumme Gaſſen; Alleen gibts indes doch hin und wieder in der Stadt. Das Schloß iſt im alten Geſchmack. Das Gymnaſium iſt ein herrliches Gebaͤude. Ich fand die Leute hier ſehr hoͤflich ꝛc. Und ſo kam ich

Den 29ſten Jul.

uͤber Kloſter Hailsbronn nach

Nuͤrnberg, und trat im rothen Hahne auf dem Kornmarkte ab. Der Sandboden um die Stadt wird durch Blut, Knochen, Haare, Urin ꝛc. durch alles was die Bauern aus der Stadt hohlen, ſehr gut geduͤngt und fruchtbar gemacht. Man pflanzt auch viel Tobak. Die Stadt iſt bergicht und hat meiſt krumme und winklichte Straſſen. Die meiſten Haͤuſer ſind mit allerhand Far - ben angeſtrichen. Im Ganzen ſieht dieſe bunte Male - rei doch gut genug aus, ohne dies waͤre die Stadt noch viel finſtrer. Ueberhaupt herrſcht hier viel Reichsſtaͤdti - ſcher Ton. Schneider, Schuſter und mehrere Hand - werker tragen noch ſchwarze, blaue, violette Maͤntel beim Ausgehen. Man iſt im Umgange noch ſehr feierlich, und macht viel ſteife Komplimente. Sonſt aber ſind die Einwohner warlich herzgute Leute.

E 4Mein72

Mein erſter Beſuch heute war bei

Hrn. Panzer, Schaffer*)So wird in Nuͤrnberg der erſte und vornehmſte Geiſt - liche an den beiden Haupt oder Parochialkirchen St. Sebald und Lorenz genannt. Herausgeber. an der Kirche zu St. Sebald. Er iſt ein gelehrter Mann, wie er durch ver - ſchiedene Ueberſetzungen, auch eigne Schriften bewieſen hat, beſitzt auch eine herrliche Sammlung von aͤltern ſeltenen, zur Litteraͤrgeſchichte gehoͤrigen Buͤchern, und von alten Bibelausgaben ꝛc. Ich ſah unter andern bei ihm Luther’s 7. Pußpſalmen, 4. Wittenb. 1517. Mit dieſen fing Luther ſeine Ueberſetzungan. Sie ward aber bald nachgedruckt, woruͤber er in der Vorrede ſchon ſehr klagt. Im Jahr 1522. kam das ganze N. Teſt von ihm heraus; da ſind bei der Apokalyſe Holz - ſchnitte von Lukas Kranach. Drauf machte er ſich ans A. Teſt. 1532. kamen die Propheten, und 1534. die ganze Bibel zum Erſtenmahle heraus. Darauf folg - ten beſtaͤndig neue Editionen und Verbeſſerungen. Im Jahre 1541. nahm er eine groſſe Reviſion vor. Vom J. 1545. iſt die letztere Ausgabe, die er beſorgte. Ferner ſah ich hier Embſer’s, Ecken’s, Ullenberg’s ꝛc. Bibeln, die alle Luther’s Bibel gebraucht haben; auch die Bibel, welche der Churfuͤrſt durch eine Kommiſſion wieder nach Luther’s letzter Arbeit revidiren lies; einen Nach - druck von ihr mit einem falſchen und mit einem aͤchten Titelblatte ꝛc. Viele alte Urkunden zur Geſchichte der Formſchneider - und Buchdruckerkunſt, und dergleichen mehr. Von ihm ging ich auf die

Stadt -73

Stadtbibliothek. Sie iſt alt, und aus Kloſter - bibliotheken zuſammen getragen. *)Man ſ. von Murr’s Beſchreibung der vornehmſten Merkwuͤrdigkeiten in des H. R. R. freien Stadt Nuͤrnb. ꝛc. 8. Nuͤrnb. 1778. Herausgeber. Neue Schriften findet man faſt gar nicht darin. Man wies mir Besleri Hort. Eichſtaedt. Fol. [2]. Vol. Falv - ler’s**)Er ward zu Altorf 1633. gebohren, und ſtarb da - ſelbſt 1689. Er war ein geſchickter Uhrmacher. Mehr von ihm findet man in Doppelmaiers Nach - richten von Nuͤrnb. Mathem. und Kuͤnſtl. woſelbſt auch ſein Wagen in Kupfer geſtochen iſt. Herausg. Wagen; der Verfertiger hatte im 3ten Jahre ſeines Alters das Ungluͤck durch einen Fall gelaͤhmt zu werden, und machte ſich doch den Wagen ſelbſt, ſchob ſich auch ſelber darin fort. Groſſe Schildkroͤten, verſteinerte Holzbrocken, Gemaͤlde der ehemaligen hieſigen Meiſterſaͤnger, worunter auch Hans Sachs iſt, das ſchoͤne Evangeliſtarium, Perſiſche Ge - dichte.

Die Sebalduskirche. Schoͤn iſt darin ſonderlich Alb. Duͤrer’s Abnehmung Chriſti vom Kreuz. ***)Dieſes trefliche Gemaͤlde iſt nicht von A. Duͤrer, ſondern von Joh. Creuzfelder, der ums Jahr 1593. bei Nic. Jouvenel in Nuͤrnberg lernte, und 1636. ſtarb. S. Doppelmaier von Nuͤrnb. Kuͤnſtl. S. 222. Herausgeber. An St. Sebald’s Grabe iſt viele Arbeit, alles iſt daran gegoſſen, ohne daß nachher ein Feilſtrich daran gethan oder die Arbeit verſchnitten worden waͤre. ****)Peter Fiſcher der aͤltere, hat dieſes Kunſtwerk ums Jahr 1519. gegoſſen. Mehreres davon, nebſtder

E 5Bemer -74

Bemerkungen.

An den verſchiedenen Kirchen hier ſtehen 62. Geiſt - liche, davon aber nur 2. wahre Parochi ſind und Mini - ſterialia verrichten*)Dieſe ſind eben die Schaffer. Herausgeber. . Die andern alle ſind zwar auch Prediger und Diakonen, predigen aber blos. Auch ſind nur 2. Pfarrkirchen, St. Sebald und Lorenz; die andern heiſſen alle Nebenkirchen. Im Rathe ſitzt ein Ephorus oder Kirchenpfleger. Unter den Dia - konen iſt nur ein Senior. Alle Jahre einmal wird ein Kirchenkonvent gehalten.

So oft hier Pathen vorbeifahren, wird ihnen von jedem Thurme, wo ſie vorbeifahren, geblaſen, gegen Be - zahlung.

Den 30ſten Jul.

Heute wartete ich die Predigt des Hrn. Pfarrers Spoͤrl in der L. Frauenkirche ab. Sie heiſt auch die Kaiſerskapelle, daher noch alle Sonntage hier 2mal Muſik iſt. Das Verleſen und Aufbieten geſchieht, ehe der eigentliche Gottesdienſt angeht. Die Predigt war uͤber das Evangellum Dom. X. p. Tr. von der Pflicht der Chriſten im Gotteshauſe. Der Meßner und ein Chorſchuͤler fuͤhren den Prediger in ihrer Mitte auf und von der Kanzel. Die Alten predigen ſitzend und tragen Chorhemde und Barret. Nach der Predigt folgt die Abſdlution und Litanei. Bei der Fuͤrbitte fuͤr den Kai -ſer****)der Abbildung des Grabmahls liefert Doppelmaier ꝛc. S. 285. Herausgeber. 75ſer und den Rath werden keine Formalitaͤten gebraucht. Es geſchehen hier viele Fuͤrbitten und alle mit Reichsſtaͤd - tiſchen Weitlaͤuftigkeiten. Nachher ſingt ein Diakon die Kollekte, halb lateiniſch und macht das Kreuz dazu; dies warten aber die wenigſten Zuhoͤrer ab. Das Geſang - buch iſt 1750. zum letztenmal revidirt worden. Der Meßner geht hier gekleidet, wie die Geiſtlichen in mei - nem Vaterlande. Ich bemerkte viel aͤuſſerliche Andacht.

Mittags ich bei Hrn. Spoͤrl dem aͤltern, an den ich empfohlen war. Im Anfange ſind die lieben Nuͤrnberger etwas foͤrmlich. Er kan weder Bier noch Wein trinken, wenn’s nicht wenigſtens durch ein Licht er - waͤrmt iſt. Nach der Predigt ſpricht er eine Viertel - ſtunde gar nichts, predigt aber gleichwohl nicht lebhaft; auch muß er des Morgens einen kritiſchen Schweis ab - warten. Nach Tiſche beſuchte ich den

Hrn. von Mure. Er iſt hier Oberwagamtmann, iſt ledig und haßt das Heirathen eben ſo, wie Hrn. Ni - kolai in Berlin. Er beſchuldigt denſelben, er ſei ihm feind worden, weil er’s mit Klotzen gehalten. Er ſam - melt viel alte Buͤcher, ſchimpft auf alle deutſche Litteratur, ſchaͤtzt blos die alte und die auslaͤndiſche, und pralt mit groſſer Korreſpondenz. Vormahls hat er eine Wochen - ſchrift, der Zufriedene, geſchrieben. Die angekuͤndig - te Reviſion der Allg. deutſchen Bibl. hat er im 8ten Theil ſeines Journals wieder aufgegeben. Als ich mich wegen der Reichskleinodien bei ihm erkundigte, ſagte er mir, die Reichsſtadt laſſe ſie Niemanden ſehen, als Reichsfuͤrſten; nicht einmal apanagirten Prinzen: doch habe man beim Herzog Ferdinand von Braunſchweig eine Ausnahme gemacht. Einem Privatmanne zeige manſie76ſie nicht fuͤr 100. Dukaten. Es muͤſten allemal 3. Ma - giſtratsperſonen dabei zugegen ſeyn. Er ſchenkte mir ſei - ne Schnurre: Laudatio funebralis Unkepunzii, gab mir Nachricht von Sheid’s in Harderwick vorha - bender neuer Edition des Gianhari Lexic. arabic. das mehr werth ſeyn ſoll als Golius. Ich fand eine artige Buͤcherleiter bei ihm, die ſich wie ein Tiſch zuſam - men legen laͤßt. Er hatte ſie nach einer engliſchen Zeich - nung machen laſſen.

Im Gaſthofe, wo ich logirte, machte ich heute noch angenehme Bekanntſchaft mit Hrn. Prof. Briegleb von Koburg, mit Hrn. Prof. Schwarz*)Er beſitzt ſehr viele ſeltene und wichtige Buͤcher vom Anfange der Erfindung der Buchdruckerkunſt bis in die Mitte des 16ten Jahrhunderts. und mit Hrn. Siebenkees, Prof. der Rechte. Letztere beide ſind in Altorf.

Den 31ſten Jul. Reiſe nach Altorf.

Der Weg bis dahin betraͤgt 6. Stunden, iſt ſehr ſandig und geht durch Tannen - und Lerchenwald, uͤber 2. Doͤrfer. Man zieht hier Haidſchnucken und pflanzt Pataten. (Lathyr. tuberoſus L.)

Ich nahm mein Quartier im ſchwarzen Baͤr. Die Stadt iſt klein, alt, ſchlecht, und ſtill. Die Ein - wohner ziehen nicht viel Nutzen von der Univerſitaͤt. Es ſind kaum 100. Studenten hier und dieſe ſind meiſtensNuͤrn -77Nuͤrnberger, die jeden Strumpf dort flicken, jedes Hemd dort waſchen laſſen, und den groͤſten Theil ihrer Zeit da zubringen. Die 3. Profeſſores Theolog. ſind zugleich Prediger, muͤſſen Fruͤhkirche halten und mit zu jeder Leiche gehen. Das Rektorat iſt jaͤhrig. Das Kollegengebaͤude iſt ſchoͤn. Die Univerſitaͤt gibt viele Stipendien und Freitiſche; daher trift man hier eine Menge alter Kandidaten an. Nach einem Beſuche bei Hrn. D. Doͤderlein*)Der nachher nach Jena berufen worden iſt. Herausgeber. beſah ich

Trew’s Bibliothek und Naturalienkabinet. Der Beſitzer war zuletzt D. Med. in Nuͤrnberg und An - ſpachſcher Geheimerrath. Er hatte viel Praxis und Patriotismus fuͤr Altorf, vermachte daher alles**)Auſſer 2000. Baͤnden, die er der Univerſitaͤt Erlan - gen vermachte. S. Hrn. Nicolai’s Beſchreibung ſei - ner Reiſe durch Deutſchland ꝛc. 1. Band S. 171. Herausgeber. da - hin, weil einer ſeiner Vorfahren da Profeſſor geweſen war. Bis zu ſeinem Tode ſammelte er alle Schriften, die in die Arzneiwiſſenſchaft, Naturgeſchichte, Chirurgie, Phyſik, Mathematik einſchlagen, und alle Journale und akademiſche Schriften. Nach ſeinem Tode ward alles aus Nuͤrnberg auf das Kollegengebaͤude hierher gebracht, aber in der groͤſten Unordnung, und ſo iſts noch. ***)Dieſer Unordnung iſt ohne Zweifel nach der Zeit, da der Verfaſſer hier war, abgeholfen worden, denn Hr. Nicolai fand 1781. dieſe beinahe 24000. Baͤnde ſtarke Bibliothek in 4. geraͤumigen Zimmern aufge - ſtellt, und in deren Mitte einen Saal, fuͤr die Natu -ralien,Auf78Auf den uͤbrigen Fond von Legaten ſind Beſoldungen und Stipendien angewieſen, ſo daß ſeither die Bibliothek faſt um nichts vermehrt worden iſt. Ich ſah das Portrait vom Stifter, deſſen Abſicht aber nicht erreicht wird. Vieles aus Engelland; alle Kupferbuͤcher von Pflan - zen und Thieren, aber, wie gedacht, alles in der groͤſten Unordnung, und doch waͤre Platz genug da. Das Chi - neſiſche Werk uͤber die Naturgeſchichte (man ſehe davon v. Murr im Naturforſcher) wolte man mir im Ernſt zeigen und konnte es doch nicht finden. Auſſer der Cen - turia I. Plant. ſelect. Ehret. Trew. Fol. 1773. die Haid in Kupfer geſtochen, Ehret gemahlt und Trew herausgegeben hat, hat man noch wohl 200. Tafeln von Ehret, die er einzeln in London gemahlt hat. Denn es waren hier 15. Plat[t]en, Plantae et Papiliones Eh - retianae rariores zuſammen gebunden; die erſte bildet eine Martynia und Cytiſus ab vom Jahr 1748. die letzte ein laſminum 1759. Auch iſt auſſerdem noch eine groſſe Menge anderer gemahlter Pflanzen da.

Das Naturalienkabinet beſindet ſich ebenfalls in der groͤſten Unordnung. Bei keinem einzigen Stuͤcke iſt Name und Ort angegeben, die Sachen liegen in Schub - laden, halb dem Staube ausgeſetzt und werden unver - antwortlich verwahrloſet. Ein D. und Prof. Vogel ſoll die Aufſicht haben, aber die beſten Sachen verderben, die Konchylien fahren an einander herum und ſind durch - loͤchert. In der Mineralogie iſt gar wenig da, aberwohl***)ralien, Praͤparata ꝛc. S. deſſen ſchon gedachte Rei - ſe. 2ter B. S. 320. Herausgeber. 79wohl groſſe Herbaria, welche aber die Motten freſſen. Was mir bemerkenswuͤrdig war, beſtand in folgenden:

  • a) Alle Fiſche aus der Pegnitz, an den Waͤnden, aber beſtaubt.
  • b) Ochſenhoͤrner von einem in Nuͤrnberg geſchlach - teten Ochſen. Sie waren wohl 3. Schuh lang, und weisgrau mit ſchwarzen Enden.
  • c) Ein Buccinum mit der groͤſten Gruppe von Vermi - culiten.
  • d) Eine Scapula vom Trichechus. Sah wie ein Bret aus. Iſt wohl eher vom Wallſiſch.
  • e) Groſſe und kleine Saͤgen vom Saͤgeſiſch.
  • f) Eine favago conchar. wie ſie Ellis abgebildet hat.
  • g) Backenzaͤhne vom Rhinoceros, auch ein ganzes Knochenſtuͤck.
  • h) Ein Vogelkaſten, aus dem ein peſtilenzialiſcher Ge - ſtank herauskam. Einige Voͤgel waren ganz aufge - freſſen, einige im Lande gefangene Mewenarten wa - ren darin.
  • i) Ein Specht nach Schaͤfer’s Manier zugerichtet. Alle Federn waren in Baumrinde geſteckt.
  • k) Viele ſchoͤne Sachen in Weingeiſt, als Pholas ana - tifera; Tarantula; Scorpio afer; Bradypus.
  • l) Ein Uterus, in dem das Kind noch im Durchgange iſt. Die Mutter ſtarb im Gebaͤhren. Der Ge - heimerath Trew lies das Stuͤck im Kaͤſtchen voll Weingeiſt aus Boͤhmen heraus tragen.
  • m) Schoͤne Skelette von Delphin’s und Roſmarus Koͤpfen ꝛc.
Hierauf80

Hierauf ging ich in den

Botaniſchen Garten. Hr. D. Vogel und die geſchickten Gaͤrtner Schack, Vater und Sohn, haben die Aufſicht und Beſtellung deſſelben. Er iſt klein, aber ganz gepfropft voll, und enthaͤlt ohngefaͤhr 4000. Pflan - zen. Ich traf an:

  • a) Cincho biloba Rudbeckia: Yucca glorioſa, in der Bluͤthe.
  • b) Olea europ. der hier ſchon gebluͤht und kleine Oliven angeſetzt hat.
  • c) Lonicera caprifolium, bluͤhte wirklich zum zwei - tenmale.
  • d) Euph. divaricata, die Linne noch nicht hat.
  • e) Saxifraga ſtolonifera, ſ. irregularis, weil 3. Petala lang, und 2. kurz ſind.
  • f) Valeriana fibirica, Betula nana etc.
  • g) Calendula pluvialis, ſtand bei der druͤckenden Hitze auch ſchoͤn ausgebreitet da.
  • h) Eine ſchweizeriſche hohe Achillea.
  • i) Eine herrliche roth und weiſſe Malve.
  • k) Sedum Libanoticum, Iatropha urens etc.
  • l) Canna indica, an der die Bluͤthe heraus kam, - manthus pumiceus etc.

Die hieſigen Gelehrten, welche ich beſuchte und ken - nen lernte, waren

Hr. Prof. Nagel, ſchon in Jahren, aber noch mun - ter, und hat ein gutes Geſicht. Ein Gelehrter voller Wiſſenſchaft, ohne Praͤtenſion und ein groſſer Orienta - liſt. Er zeigte mir die Amſterdamer groſſe Ebraͤiſche Bibel mit den Scholien der beſten Rabbinen. Er iſteigent -81eigentlicher Bibliothekar der Trewſchen Bibliothek, dem auch der Erblaſſer alles uͤbergeben hat. Der Erblaſſer habe manches ſeiber noch vor dem Tode rangiren wol - len, und habe ihm angerathen, nur alles ſo viel als moͤg - lich vor der Luft zu bewahren.

Hr. D. Dietelmaier, erſter Profeſſor und Predi - ger, bereits 68. Jahr alt, aber noch bei guten Kraͤften. Er hat ſchon 35. Jahr hier gelehrt, auch Semlern zum Doktor kreirt. Er glaubt, daß die Propheten des Alten Teſtaments manches geredet und geſchrieben haben, was ſie ſelbſt nicht verſtanden. Er jammert daruͤber, daß man Chriſtum ſonderlich im Alten Teſtamente, uͤberall ausſtreiche, auch da, wo Interpretatio authentica da ſei, und nur es Akkomodiren nenne. Der Kirche, glaubt er, ſtehe eine groſſe Verſchlimmerung bevor. Die Berliner Bibliothek ſei nur fuͤr Maͤnner, habe aber viel Schoͤnes, nur ſetze man zu ſehr das Alte herab. Im Hiob Kap. 19. erzwinge er Chriſtum nicht. Leß ſollte nur kein Buch des neuen Teſtaments mehr uͤberſetzen, Benner ſei ſo recht der Mann gegen ihn. Seine Frau iſt eine Gelehrte. Sie hat ihr eigenes Muſeum, lieſt alles, ſchreibt lateiniſch, ſchreibt auch ihrem Manne faſt alle Briefe. Er beſitzt eine Thalerſammlung von Koͤnigen, Kaiſern, Fuͤrſten, Paͤbſten ꝛc. Ich ſah darin z. B. den Glockenthaler, und den auf die Religions - veraͤnderung der Braunſchweigiſchen Prinzeſſ in Eliſa - beth, Kaiſer Karls VI. Gemalin, geſchlagenen Thaler, mit der Umſchrift: Coetum, non numina mutat. Bambergae 1707. Auſſerdem hat er auch noch eine vollſtaͤndige Sammlung aller Kirchenvaͤter bis zur Re - formation, viele ſchoͤne Stephaniſche, Wecheliſche Ausgaben ꝛc.

Zweiter Theil. FHr.82

Hr. D. Vogel. Ich traf bei ihm noch mehr Ehret - ſche Pflanzen an; ferner Forſter’s Genera Planta - rum; Bergii materia medica; Giſeke Index Lin - neanus in Pluckenet. ; der aber nicht vollſtaͤndig ſeyn ſoll ꝛc.

Ruͤckreiſe nach Nuͤrnberg.

Den 1ſten Aug.

Heute war ich abermahl beim Hrn. Schaffer Pan - zer, und ſah ſeine Sammlung von Muͤnzabdruͤcken in Zinn durch. Jede Muͤnze liegt in einem ſchwarzuͤberzo - genen Stuͤcke Pappe, ſo daß man die Stuͤcke mit den Muͤnzen nachſchieben kan, wenn man mehrere bekommt, beſſer, als wenn Einſchnitte im Holze ſelber ſind. Er und ſeine Frau haben ſie ehemals auf dem Lande ſelber in Modell von Gyps gegoſſen. Auch einen Otho in Kupfer, der nicht nachgemacht, ſondern aͤcht iſt, hat er in einem bleiernen Abdruck. Das Original ward 4000. Gulden geſchaͤtzt; ein hieſiger Kaufmann beſaß es, und ward endlich durch ſeine Umſtaͤnde gezwungen, es fuͤr 1000. Gulden dem Kaiſerlichen Hofe zu verkaufen. Ich fand auch bei ihm Abdruͤcke von alten und neuen Ka - meen in rother Maſſe. z. B. die Roͤmiſche Hiſto - rie von Daßier, die man von Goͤzinger hier in Nuͤrnberg fuͤr 13. Gulden haben kan. Auch Pichler’s Koͤpfe von allerhand Antiken in Rom kan man fuͤr 6. Gulden in einem Buche, und fuͤr 5. Gulden in einem Kaͤſtchen haben. Desgleichen die Reformatoren vor und nach 1517. ꝛc. von eben dieſem Meiſter im Buche fuͤr 7. Gulden. Sie ſind ſo ſchoͤn, wie Lippert’s Dakty - liothek. Hr. Panzer ſchenkte mir ſeinen Schwiegerva -ter83ter, Hrn. D. Janke in Altorf, in einem Schwefelab - druck.

Durch den Hrn. Schaffer Panzer lernte ich auch ſeinen Sohn kennen. Er iſt ein Schuͤler von Jacquin in Wien. Er beſitzt in ſeinem Herbario viele Pflan - zen von den Oeſterreichiſchen und Schweizeriſchen Alpen. Wir ſahen Saxifraga und Salvia mit einander durch. Er ſchreibt mit am Frankfurter mediziniſchen Wochen - blatte. Er meinte, Giſecke habe ſeine Indices nur aus Linnei Specif. Plant. geſammelt.

Zum Beſchluß meines hieſigen Aufenthalts erwarb ich mir noch die Bekanntſchaft zweier wackerer Maͤnner, des Hrn. Dr. Wittwer’s von hier, und des Hrn. Pfar - rer Strodel’s von Woͤhrd. Erſter kam eben vom Lande, und ſpeiſte in der Auberge mit, als ich zum letz - tenmale da as. Ein Mann von vielen Kenntniſſen. Die Sigaudſche Operation haͤlt er nicht fuͤr nuͤtzlich, man gewinne dadurch nicht viel, und muͤſſe doch oft den Kai - ſerſchnitt machen. Der andre, ein ſtiller, guter, ſanf - ter Mann, ſchon in mittlern Jahren, und ungemein beleſen. Er ſammelt viel ſeltene alte Buͤcher, hat alle Schriften Melanchthon’s ꝛc.

In den hieſigen gelehrten Zeitungen ſind die theo - logiſchen Artikel meiſtens von Hr. Prof. Schwarz ꝛc. und andern Gelehrten in Altorf. Hr. v. Murr der eingebildete Vielwiſſer, und Hofrath Zapf in Oettingen, der mir als unertraͤglich beſchrieben wird, bekommen zuweilen darin offenbare und ver - ſteckte Lehren.

Und ſo verlies ich denn Nachmittags das gute Nuͤrn - berg, wo ich mich gern noch laͤnger verweilt, undF 2mehrere84mehrere dortige Merkwuͤrdigkeiten beſehen haͤtte, haͤtt ich nicht mit meiner Zeit ſo genau haushalten muͤſſen, und begab mich auf die

Reiſe nach Erlangen.

Zwiſchen dieſem Orte und Nuͤrnberg gehen immer Landkutſchen oder Univerſitaͤtskutſchen hin und her. Der Weg dahin iſt meiſt Sand, zuletzt koͤmmt noch ein Tan - nenwaͤldchen bis nahe an die Stadt hin.

Den 2ten Aug.

Erlangen. Ich logirte im Wallfiſche, nahe bei der franzoͤſiſchen Kirche. Die Stadt iſt meiſtens neu und groͤſtentheils regelmaͤſſig gebaut, hat aber doch mit unter viel hoͤlzerne Haͤuſer und ein uͤbles Pflaſter, iſt auch uͤberall offen. Sie hat viel Aehnlichkeit mit Carls - ruhe. Hier und da trift man einige artige Plaͤtze an. Das Schlos, wo die Frau Marggraͤſin, Wittwe des 1763. mit Tode abgegangenen Marggrafen Friedrich von Bayreuth reſidirt, ſcheint nichts mehr, als ein groſſes Haus eines Partikuliers zu ſeyn. Sprache und Klei - dung kamen mir hier beſonders vor.

Die Univerſitaͤt mochte jetzt etwan aus 300. Stu - denten beſtehen. Sie betragen ſich ſtill, machen aber gewis ſoviel Staat, als in Goͤttingen. Viele ſah ich mit ofnen Hemdkragen gehen*)Vermuthlich haben einige dieſe Tracht uͤbertrieben, und dadurch die 1781. ergangene Landesfuͤrſtliche Verord - nung wegen auſtaͤndigerer und geſitteter Kleidungder.

Mein85

Mein vorzuͤglichſtes Geſchaͤft heute war

Hrn. Hofrath Schreber meinen Beſuch zu ma - chen. Wir gingen gleich in ſein Naturalienkabinet. Ich fand darin viel herrliche Sachen; worunter mir be - ſonders bemerkenswuͤrdig waren:

  • 1) Ein Colymbus, der nur eben in dieſer Gegend geſchoſ - ſen worden und noch ganz friſch war.
  • 2) Hoͤrner, an denen noch das Baſt iſt.
  • 3) Sehr breite Hoͤrner vom Dammhirſch.
  • 4) Hoͤrner von der Antilope Scythica.
  • 5) Ein ſehr hohes Nashorn.
  • 6) Ungariſche Schaafbockhoͤrner, mit gegliederten Aufſaͤtzen oder Schuͤſſen, eine Varietaͤt.
  • 7) Gruͤner Marmor aus Schweden, mit Serpentin - ſtein.
  • 8) Sibiriſcher Marmor, wie Quarz.
  • 9) Blankenburgiſcher Marmor mit nach allen Richtun - gen durchſchnittenen Korallen.
  • 10) Oolitenmarmor von Halle.
  • 11) Berliner Kalkſteine, wie Marmor.
  • 12) Bayreuth. Marmor.
F 313) Ein

*)der Studirenden in Erlangen veranlaßt; weil es in derſelben unter andern ausdruͤcklich heiſt: Da es dahin gediehen iſt, daß viele unter ihnen (Studioſi) mit einem beynahe nach Art der Wilden entbloͤſten Koͤrper zu offenbaren Scandal den ganzen Tag umherlaufen; ſo haben Wir der Behoͤrde gemeſſen angefuͤgt, dergleichen ungeſittete Studenten zu den Schranken der Menſchlichkeit zuruͤckzufuͤhren. Herausgeber.

86
  • 13) Ein rother Marmor, worin ein Orthoceratit mit ungleichen Kammern befindlich.
  • 14) Boͤhmiſcher Korallenmarmor.
  • 15) Ein Stuͤck Pentakrinit von Altorf.
  • 16) Viele Salzburgiſche, braune, gruͤne Marmor.
  • 17) Semeſanto, ein italiaͤniſcher Marmor.
  • 18) Alabaſter aus dem hieſigen Lande.
  • 19) Durchſichtige Serpentinſteine, mit herrlichen gruͤnen Flecken, aus Italien und aus dem Bayreu - thiſchen.
  • 20) Groͤnlaͤndiſche Schneideſteine, oder Lapis ol - laris, auch welche von Goͤpfengruͤn hier im Lande.
  • 21) Viele Carlsbader Stalaktiten.
  • 22) Eine Menge Terrae ſigillatae von Halle. Sind da bei einem Kommiſſionrath Stuck zu haben.
  • 23) Viele Kalkſchiefer, hier aus dem Lande.
  • 24) Ein Fiſchſchiefer aus Groͤnland.
  • 25) Tropfſteinartiger Chalcedon.
  • 26) Chalcedon mit Zeolith.
  • 27) Afrikaniſche Karniole, Achate und Quarze, voͤllig wie unſre Europaͤiſchen.
  • 28) Kaſchelons, die ſich im Waſſer wie Weltaugen verhalten.
  • 29) Rochlitzer Stein, oder ein ſchoͤner brauner Achat aus Sachſen, der jetzt ſelten iſt. Koͤnig Auguſt III. ließ ihn zum Bauen auffuchen.
  • 30) Wurſtſteine. In Nuͤrnberg werden ſie mit Haut eingefaßt, daß ſie voͤllig wie eine Wurſt ausſehen.
  • 31) Gruͤne Achate. Schreber erklaͤrt die Zeichnun - gen mit Huͤlfe des Mikroſkops ohne Bedenken fuͤr Spec. Byſſus et Confervae.
32) Band -87
  • 32) Bandjaſpis von Gnanntſtein. Das iſt ein Ort, In einem neuen Buche trennte man das Wort.
  • 33) Neuſeelaͤndiſche Nierenſteine.
  • 34) Chryſopras aus Schleſien.
  • 35) Labradorſteine. Man hat rothe, gelbe, blaue ꝛc.
  • 36) Pechſteine von Dresden und Meiſſen, die Schre - ber zu den Opalen rechnet.
  • 37) Inſekten aus Quarz, oder auch aus Kompoſition auf Quarz, die der Schleifer Wanderer in Bay - reuth macht.
  • 38) Ceyloniſche Quarze.
  • 39) Ganze Suiten von Saͤchſ. Graniten;
    *)Auf unſern Baadenſchen Graniten ſpielen einige Flecken zuweilen wie Labradorſtein.
    *) Einer in Thon verwandelt, von Steinbacher Zeiten.
  • 40) Gneis, d. i. Saxa lamelloſa, worin keiner, oder nur koͤrnichter Feldſpat iſt.
  • 41) Ein weicher gruͤner Porphyr mit Pyrites.
  • 42) Breccia von einer roͤmiſchen Antike, d. i. ein na - tuͤrliches Moſaik.
  • 43) Gruͤne Turmaline oder Smaragde aus Braſilien, die Aſche ziehen.
  • 44) Ganz ſchwarze Turmaline, die Hr. Schreber von Danz gekauft hat.
  • 45) Rothe Turmaline, die nicht ziehen.
  • 46) Papierartiger Quarz aus Ungarn, der mit Meſ - ſing gerieben, Feuer gibt, und auch Glas ſchneidet.
  • 47) Quarz mit Waſſertropfen, oder Luftblaſen aus Chemnitz. Auch aus den Lumagis iſts Schre - bern verduͤnſtet.
F 448) Ro -88
  • 48) Roſen - oder Anemonenfoͤrmiger Spat aus Un - garn.
  • 49) Amethyſt mit Spat aus Ungarn.
  • 50) Ganz Kugelfoͤrmiger Spat aus Ungarn, ſo daß man damit ſchieſſen koͤnnte.
  • 51) Spießglas mit Spat.
  • 52) Rothes Blei von Katharinenburg in Sibirien.
  • 53) Gediegen Gold aus Salzburg auf einem grauen Stein.
  • 54) Ein groſſes Stuͤck Hornerz von Johanngeorgen - ſtadt.
  • 55) Fuͤrſtenbergiſches gediegenes Silber. Nach ei - nigen Verſuchen mit Acido nitr. ſei es nur ein Sil - bererz.
  • 56) Federerz aus Ungarn, wie Schnee.
  • 57) Braunes Blaͤttererz aus der Dorothea zu Klausthal. Es ſieht aus wie Bergkork, und iſt ſilberhaltig.
  • 58) Viele Edelſteine in Wachs auf einer Tafel, wie die Juweliere die Steine aufſetzen.
  • 59) Derber Bleiglanz.
  • 60) Stuͤcke von des Pallas gediegenem Eiſen, poroͤs, aber gewis aͤcht. S. Berl. Beſchaͤft. Naturf. Fr.
  • 61) Stalaktitiſches Eiſen, woran die untern Spitzen umgebogen ſind.
  • 62) Schwefelkieſe, die ihren Schwefel verloren, und zu Eiſenſtein geworden ſind, von allerlei Formen.
  • 63) Eiſen von der Inſel Elba, das die Magnetnadel zieht.
  • 64) Phosphorirende Blende von Scharfenberg.
  • 65) Grobes Aſphaltum. Er nennt es Maltha.
66) Ko -89
  • 66) Koboldfarben von verſchiedenen Blaufarbewerken, in Glaͤſern.
  • 67) Tuſche aus Erdkohlen, in Sachſen gemacht.
  • 68) Glaskies oder Leberfaͤrbiger Pyrites.
  • 69) Kupferkies vom Kaukaſus, den Hr. Schreber von Guͤldenſtaͤdt erhalten.
  • 70) Sanderz d. i. Kupfererz mit Sand und Holzkoh - len verbunden.
  • 71) Poreuſer Kalkſtein aus China, den er durch Ka - pit. Eckebrecht bekommen.
  • 72) Oeſterreichiſcher Waſſerſtein, d. i. Spat mit ſtralichten Theilen.
  • 73) Eiſenbluͤthe d. i. zackigter Sinter aus Oeſterreich und Wuͤrtemberg.
  • 74) Amethyſtfaͤrbige Spate aus Derbyſhire in En - gelland.
  • 75) Steatites aus China, bricht auch in Bengalen.
  • 76) Weiſſe Talkerde von Gera.
  • 77) Saͤchſ. Porzellanerde.
  • 78) Gruͤne Thonerde aus Rußland.

An Kunſtſachen fand ich noch bei Hrn. Schre - ber viele Modelle von Maſchinen zum Bergbau, die ſich noch von ſeinem ſeligen Vater aus Leipzig herſchrei - ben, als Goͤpel, Pochwerke ꝛc. und dann noch ein Elek - trophor, der nicht gerieben, ſondern mit Fuchsſchwanz gepeitſcht wird.

Von ihm ging ich zum

Hrn. Kommerzienrath Beichold, einen Schwager des Hrn. Schaffer Panzer’s. Er beſitzt auch Inſekten, Verſteinerungen und Karlsbader Naturprodukte. Die -F 5ſe90ſe kan man hier leicht haben, weil man nahe an Boͤh - men iſt.

Hierauf beſah ich

Die Univerſitaͤtsbibliothek. Hr. Hofrath Har - les, und Hr. D. Pfeiffer ſind als Bibliothekare uͤber ſie geſetzt. Sie beſteht aus mehrern einzeln aufgeſtellten Bibliotheken, welche theils vorige Landesherren, theils Privatperſonen hierher vermacht*)Man ſehe hieruͤber Hrn. Nikolai’s Beſchreibung ſei - ner Reiſe durch Deutſchland ꝛc. 1ter B. S. 170. 171. nach. Herausgeber. haben. Es herrſcht viel Unordnung darin. Das Beſte iſt aus Kloͤſtern ꝛc. Man zeigte mir: a) Ein Evangeliſtarium, 7-800. Jahr alt, die erſten anderthalb Kapitel des Evangel. Matthaͤi fehlen. Es iſt auf Pergament, leſerlich ge - ſchrieben. Je aͤlter dergleichen Handſchriften ſind, deſto ſchoͤner ſind ſie. b) Den Lukan, Horaz, Juvenal in Handſchrift.

Nachdem ich hierauf bei Hrn. Hofrath Breyer, Prof. der Logik und Metaphyſik, und bei Hrn. Prof. Huf - nagel, Beſuche abgelegt hatte, ſo ging ich zum

Buchhaͤndler Hrn. Walther, ſein Naturalienka - binet zu beſehen. Er iſt ſelbſt Kenner, und hat ſich auch durch den Verlag von Schreber’s Saͤugthieren und Eſper’s Schmetterlingen, um die Naturgeſchichte verdient gemacht. Ich ſah bei ihm, ſehr viel ſchoͤne Inſekten. Groſſe Kugeln von Labradorſtein. Klingende Quarze, die er auf der letztern Leipziger Meſſe gekauft hatte. Zeolith. Hr. Waltherglaubt91glaubt aus etlichen Stuͤcken, daß er endlich in Kaſchelon und Chalcedonier uͤbergehe. Die letztern riechen gerie - ben, wie der Hekla, wo ſie her ſind. Neuſeelaͤndi - ſche Konchylien. Eine Schnecke mit dem Zahn, f. Berl. Beſch. Naturf. Fr. Eine Klipkleber mit der andern Haͤlfte. Ganz gelbe Chalcedonier.

Den 3ten Aug.

Heute wohnte ich einer Vorleſung des

Hrn. D. Seiler’s in der Dogmatik bei. Er han - delte vom Glauben im alten und neuen Teſtamente. Er ſagte, es ſei Vertrauen, daß Gott ſeine Verheiſſungen erfuͤllen werde, und fuͤhrte dabei Beiſpiele an Abraham, Jakob ꝛc. an. Ueber die Theile des Glaubens. Fi - ducia uͤberſetzte er Zuneigung, nicht Zuverſicht. Auch Kindern ſchrieb er Glauben zu. Nach der Stunde beſuchte ich ihn, und da betraf unſre Unterredung ſeine vorhabende Bibelausgabe, wozu ihm die Regierung 1600. Gulden vorſchieſt, er muß aber ſelbſt noch 600. Gulden dazu thun: ferner das alte Teſtament, die jun - gen Leute unſers Zeitalters ꝛc.

Als ich ihn verlaſſen hatte, beſuchte ich

Hrn. Geh. Hofrath Delius, Med. D. ein guter Chemiker. Er ſammelt fuͤr ſich viel ſchoͤne Naturalien und fuͤr die mediziniſche Fakultaͤt eine Materia medica. Ich ſah bei ihm

  • 1) Spatfoͤrmiges Eiſen aus dem hieſigen Lande.
  • 2) Gelbes Blei aus Sibirien, ſo er von ſeinem ver - ſtorb. Vetter Delius erhalten.
3) Ei -92
  • 3) Eiſenſchaum, aus dem Bayreuthiſchen.
  • 4) Equiſetum auf Abdruͤcken, hatte noch die gruͤne Farbe.
  • 5) Krebsabdruͤcke, noch ganz und die Dublette.
  • 6) Bayreuthiſche Perlen aus Myis, in der Schweß - nitz, bei Rehau, und in der Rednitz; Sie ſind artig, hell, gros, von allerlei Figur. Die Fr. Marggraͤfin ſammelt alle, die vorkommen. Hr. Delius beſitzt das aufgetrocknete Thier, worin die Perlen immer an einer gewiſſen Stelle ſitzen; daher er ſie doch fuͤr einen orga - niſchen Theil des Thiers haͤlt.
  • 7) Calculus felleus, braun, wie ein Taubenei, den er einen Kranken durch den After abgetrieben, und jetzt zeichnen laͤſt.
  • 8) Opale in der Matrix. Iſt offenbar Thon.
  • 9) Kayſtein, d. i. ſchoͤner Caillou de Ceylon.
  • 10) Knopfſtein; iſt nicht Gagat, ſondern ein Stein, der hier im Lande vorkoͤmmt, auch Knoͤpfe, Tobacks - koͤpfe, Doſen gibt, und ohne allen Zuſatz im Feuer ſchmelzt.
  • 11) Berlinerblau, das er aus alten Peruquen und alten Stiefeln gemacht hat.

Mittags ſpeiſte ich bei meinem Freunde Schreber mit Harles. Ich bemerkte, daß man hier die Beeren vom Vitis Idea einmacht und zum Braten ſpeiſt; ſie ſind angenehm, und blutreinigend. Nach Tiſche beſah ich

Das Naturalienkabinet der Univerſitaͤt. Es ſteht im Bibliothekgebaͤude, und iſt von Bayreuth hier - her gekommen. Klein’s in Danzig Sammlung macht die Grundlage davon aus. Hr. Hofr. Schreber ran -girt93girt es jetzt. Es enthaͤlt viele ſchoͤne Konchylien, Meer - koͤrper, Verſteinerungen, Hoͤrner von Thieren, beſonders ſehr viele Amphibien und Fiſche in Weingeiſt. Merk - wuͤrdig war mir:

  • 1) Ein Kopf vom Seeloͤwen. Aus der Mukedorſer Hoͤle hat man hier viele Stuͤcke von dieſer Art. Hr. Delius beſitzt auch welche.
  • 2) Zaͤhne von dem fleiſchfreſſenden Elephanten am Ohio, der verloren gegangen ſeyn ſoll.
  • 3) Eine Froſchmaſchine vom verſtorb. Lieberkuͤhn aus Berlin, den Kreislauf des Bluts zu zeigen.
  • 4) Ein groſſes Stuͤck Kopal, das viele Pſund wiegt. Von Bernſtein kommen ſolche nie vor.
  • 5) Eine Schale, aus Madrepora Aſtroites gedreht.
  • 6) Teſt. Midas, ganz, und auch einzelne Schilder.
  • 7) Ampelis Cotinha; hat ein praͤchtiges Himmel - blau.
  • 8) Ein Rhinoceroskopf, Sceleton foſſile, aus der Ukraine.
  • 9) Cardium retuſum, das Hr. Chemnitz fuͤr ſo ſel - ten ausgibt.
  • 10) Eine aufgeſchnittene Vol. Mit. gar ſchoͤn; nichts als die Spindel der aͤuſſern Schale iſt ganz weg.
  • 11) Ein Studiolo oder Italiaͤniſche Marmorſammlung.
  • 12) Gothlaͤndiſche Korallen, Marmor. S. Linn. Diſſert. de Cor. Gothl.
  • 13) Marmorartige Stalaktiten, die man oft fuͤr Ala - baſter nimmt.
  • 14) Ein Lituit, wo noch der Sipho darinnen iſt.
  • 15) Ein Pentakrinit, von Boll im Wuͤrtembergi - ſchen, auf Schiefer; Wurzel, Stiel und Kopf. DasStuͤck94Stuͤck iſt 7. Spannen lang, und 4. breit, iſt aber ge - ſprungen, weil es in Bayreuth aufgehangen war, jetzt aber liegt es horizontal.
  • 16) Gediegenes Silber auf Eiſen aus Schweden.
  • 17) Elfenbeinſtuͤcke. Zu Trinkgefaͤſſen verarbeitet.
  • 18) Eben ſolche als Szepter von Indianiſchen Koͤni - gen.
  • 19) Ein Tophus, der ſich auf den Schaufeln eines Muͤhlrads angeſetzt hat.

Reiſe nach Weimar.

Den 4ten Aug.

Von Erlangen ging mein Weg auf Bamberg. Die Gegend zwiſchen dieſen Staͤdten iſt meiſtens Sand, doch baut man Hirſe und Hopfen. Mit unter kommt man durch Fohrenwaͤlder. Oberhalb Forchheim, einem feſten Bambergiſchen Landſtaͤdtchen, kam ich uͤber den Mayn, und drauf nach

Bamberg, das ſich von weiten beſſer als innen praͤ - ſentirt. Die Reſidenz des Fuͤrſtbiſchofs liegt auf einem Berge, der Petersberg genannt, das Thal iſt uͤberall von Waͤldern umgeben. Ich hielt mich hier nicht auf, ſondern fuhr noch bis

Lichtenfels, einem Bambergiſchen Staͤdtchen am Mayn gelegen, wo ich Abends blieb. Ich bemerk - te, daß die Leute hier viele groſſe tygerartig gefleckte Hunde hielten, auch waren ſie ſehr hoͤflich, und mehr als mans ſonſt in katholiſchen Laͤndern findet. Hier und da trift man herrliche Triften, Felder und Wieſen an.

Den95

Den 5ten Aug.

Heute paſſirte ich erſt noch einen Forſt, der noch ins Bambergiſche gehoͤrt, und dann betrat ich Oberſach - ſen, das ſich gleich durch eine ſchoͤne Ausſicht ankuͤndigt. In der Ferne erblickt man den beruͤhmten Thuͤringer Wald. Eine halbe Stunde vor Judenbach faͤngt die Straſſe an, den ſteilen und ſteinichten Weg hinan zu gehen. Die Fuhrleute binden daher im Herabfahren Klapperſtecken an die hintern Achſen, die zwiſchen die Felgen des Rads eingreifen, und vorhindern, daß der Wagen nicht ſtuͤrzt. Sie warnen dadurch zugleich einen andern Wagen, der ihnen etwa entgegen kommen koͤnnte, weil’s oft faſt unmoͤglich iſt, auszuweichen, Man be - gegnet immer Guͤterwagen, die uͤber Koburg, Schlaitz, Gera ꝛc. Frankenwein nach Leipzig fuͤhren. Dagegen gehen auf der Straſſe, die ich nahm, beſtaͤndig. Wagen mit halliſchem Salz durchs ganze Land herab. Die Fuhrleute tragen alle weiſſe leinene Kittel. Man baut hierherum Korn, Hafer, Gerſte, Grundbirnen, auch etwas Flachs und Hanf. Die Erndte fing jetzt erſt an.

Judenbach, worauf ich nun zukam, iſt ein ziem - lich groſſer Flecken, und gehoͤrt Sachſen-Meinungen. Gleich vor dem Orte ſieht man neben der Landſtraſſe viele Kohlenbrenner, die eine Menge Holz verhauen, ihre Meiler dampfen unaufhoͤrlich. Sie ſind eine ehrliche, grade, ſimple Art von Menſchen. Das Gebuͤrge iſt ganz mit Tannen, Fohren, Lerchenbaͤumen, Wachhol - dern u. dergl. bewachſen, und beſteht ganz aus Schie - fer, der an der Luft verwittert. Man deckt auch durch - gaͤngig hier im Lande damit. Einige Schiefer ſindſchwarz,96ſchwarz, andre verwitterte braune Jaſpisbrocken. Zwi - ſchen den Bergen faͤllt eine Menge Waſſer herab, und man muß oft lang durch Waſſer fahren, auch ſtehen uͤber - all Muͤhlen. Daher ſucht man auch immer auf der Straſſe dem Waſſer eine Leitung von Holzſtaͤmmen zu machen, ſonſt reiſt es alle Straſſen ein. Im Winter ſoll die Gegend oft ein einziges Eisfeld ſeyn. Eine un - geheure Laſt von Schnee faͤllt auf dieſen Wald herab. Von Judenbach kam ich nach

Reichmannsdorf. 3. Stunden von Saalfeld, und uͤbernachtete da. Ich ſah, daß man hier die Och - ſen, wegen den rauhen ſteinichten Gegenden, mit Eiſen beſchlaͤgt. Auf jede Klaue wird ein eignes Eiſen aufge - legt, an den Hinter - und Vorderfuͤſſen. Im Winter aber macht der Schmidt das Eiſen aus Einem Stuͤck.

An der Grenze der verſchiedenen Saͤchſiſchen Her - zogthuͤmer ſtehen an den Schlagbaͤumen alte Invaliden und wollen die Reiſenden ausfragen: ein Saalfelder hatte das Bajonet geſchwind ſtatt des Seitengewehrs angeſteckt.

Die Leute feuern hier Sommer und Winter ein, kochen alles im Ofen, rauchen Toback dabei, trinken elen - den uͤber Wachholder, Pomeranzen und dergl. abgezoge - nen Brantewein ꝛc.

Den 6ten Aug.

Heute traf ich in

Saalfeld ein. Bis hierher iſt die Gegend rauh und kalt, hier hoͤrt aber der Thuͤringer Wald auf. Das Staͤdtchen ſelbſt iſt klein, und ziemlich mittelmaͤßig. Es97Es liegt an der Saale, die ich nun noch oft ſehen wer - de. Ich lenkte nach dem Fuͤrſtenthum Schwarzburg hin, um Rudolſtadt zu erreichen. In der That ſind auch die daſſelbe einſchlieſſende Gebuͤrge in der Naͤhe und in der Ferne ganz ſchwarz. Ich paſſirte das Staͤdtchen Schwarzach, und einige Doͤrfer, die zwiſchen lauter Bergen in der Tiefe des Thals die ſchoͤnſten Felder ha - ben, und langte drauf in

Rudolſtadt an, einem ziemlich groſſen und wohl - habenden artigen Staͤdtchen, ebenfalls an der Saale ge - legen. Das Schlos oder die Burg liegt angenehm auf einem hohen Berge. Die Einwohner ſind alle Evan - geliſch-Lutheriſch, und nur wenige Katholicken unter ih - nen. Die Weibsperſonen ſitzen hier mit blauen Manns - maͤnteln, die mit breiten goldnen Borten eingefaßt ſind, in der Kirche.

Ich erfuhr, daß grade heute der Erbprinz zur Kom - munion ging. Folglich konnt ich zu meinem groſſen Bedauern, ſein Naturalienkabinet*)Dieſes vortrefliche Kabinet ſteht in einigen Zimmern auf dem Schloſſe Ludwigsburg wohl geordnet, und iſt beſonders in den Konchylien und Mineralien ſehr vollſtaͤndig, und an ſeltenen Stuͤcken reich; aber auch in der Zoologie kan es viel Schoͤnes aufweiſen. Da - bei befinden ſich noch die koſtbarſten Werke aus der Natnrgeſchichte, als Regenfuß, Liſter, Gualtie - ri, Clerk, Merianin ꝛc. Der Hr. Erbprinz iſt ſelbſt gruͤndlicher Kenner. Mehreres von dieſem Kabinette findet man S. 306. u. f. des 10. B. der bernoulliſchen Samml. kurzer Reiſebeſchr. Herausgeber. nicht zu ſehen krie -gen.Zweiter Theil. G98gen. Ich ging alſo in die Stadtkirche, und hoͤrte ei - nen Collabor. Gymn. Liebmann uͤbers Evang. Luc. XV. Dom. XI. p. Tr. predigen. Er handelte: Von der Gefahr des Selbſtbetrugs. I) Von dieſem ſelbſt. II) Von der Gefahr. Die Anwendung machte er auf die in voriger Woche in 2. Tagen faſt ganz abge - brannte Stadt Ilm im Rudolſtaͤdtiſchen, wo bei 300. Brandſtellen waren. Die Warnung vor Irreligion, Profanitaͤt und Verdammungsurtheil dabei war ſehr ſchoͤn und gefiel mir. Er ruͤhmte die bereits, auch von Ka - tholicken, auch von Nachbarn eingeſandten Beiſteuern, ermahnte zur Kollekte, und ſagte dabei, die Armen im Volk ſollten wenigſtens fuͤr die Ungluͤcklichen beten. Im Kirchengebete waren die Salz - und Bergwerke des Lan - des mit eingeſchloſſen, aber bei der Fuͤrbitte fuͤr den Fuͤr - ſten zu viel Titulatur; ſein Name und alle ſeine Her - ſchaften und Grafſchaften wurden hergeleſen, darauf folg - te noch eine Dankſagung, da ein Sohn vom Erbprinzen ein Jahr aͤlter geworden. Ich ging in die Sakriſtei, gab dem Prediger meinen Beitrag, und fuhr fort nach Weimar. Der Weg dahin geht groͤſtentheils durch die Grafſchaft Gleichen, Hazfeldiſchen Antheils, und laͤuft uͤber die angenehmſten Fruchtfelder hin, wo man aber kaum angefangen hatte, zu ſchneiden. Ich kam durch Lengefeld, Neckerrode, Blankenhayn, wo’s wegen der Feuersgefahr bei 5. Thaler Strafe verbothen war, mit der brennenden Tobakspfeife uͤber die Straſſe zu ge - hen. Das Weimariſche Land ſelbſt ſcheint bei weitem nicht ſo gut zu ſeyn, als dieſe Grafſchaft.

Das deutſche Reichs-Conventions-Geld geht noch in ganz Judenbach; auch in Reichmannsdorfnimmt99nimmt mans noch, doch verliert man dran. In Saal - feld kurſirt es ſchon nicht mehr, dort ſoll auch die ſchlech - teſte Muͤnze ſeyn. Ich wechſelte ſie gar nicht ein. Die Rudolſtaͤdtiſche geht im Weimariſchen. Die ſilber - nen Sechspfennigſtuͤcke, oder halbe Groſchen ſind wirk - lich ſehr artig, und bequem zum Zaͤhlen. 24. Groſchen machen einen Thaler.

Weimar liegt im Thale, ſo daß mans kaum ſieht, bis man nahe dran iſt. Die Stadt iſt klein, unanſehn - lich, und irregulaͤr. Die Ilm flieſt dran vorbei. Vom Schloſſe ſtehen ſeit dem letztern Brande nur noch trauri - gen Ruinen. Es war gros, aber alt; man iſt jetzt wil - lens, es mit mehrerm Geſchmack wieder aufzubauen. Der Hof wohnt jetzt in einem Hauſe, das die Landſtaͤn - de zu ihren Verſammlungen erbaut haben, und von dem - ſelben hat man die traurige Ausſicht auf das abgebrannte Schlos. Eine halbe Stunde vor der Stadt liegt Bel - vedere, ein Luſtſchlos, das ſehr ſchoͤn ſeyn, und beſon - ders eine herrliche Orangerie, worin ſich Staͤmme von erſtaunender Groͤſſe und Alter befinden, haben ſoll. Die Herzogin Frau Mutter iſt auf dem Lande, und auch des Herzogs Bruder, der Prinz Konſtantin, nicht immer in der Stadt.

Ich nahm mein Logis im Adler, nicht weit vom Markte.

Den 7ten Aug.

Mein erſtes Geſchaͤft war heute dem

Hrn. Diak. Schroͤter meinen Beſuch zu machen, und ſein Naturalienkabinet zu beſehen. Es enthaͤlt ohn -G 2gefaͤhr100gefaͤhr 3000. Erze, 4000. Konchylien, und unſaͤglich viele Verſteinerungen. Er fing klein an zu ſammeln, weil er kein Vermoͤgen hat; ſammelt aber nun 13. Jahr, und nun haͤlt ers auf 3000. Thaler; es muß ihm auch jetzt durch das, was er daruͤber ſchreibt, Zinſen tragen, denn ſeine Beſoldung iſt nur 600. Thaler. Ich fand darin beſonders bemerkenswuͤrdig:

  • 1) Herrliches gruͤnes Koburger Holz. Es ſoll verſtei - nert ſeyn, mir iſts ein wahrer Stein.
  • 2) Madrepor. fungites, verſteinert, mit Mytilis, von Halle.
  • 3) Eiſenhaltige Hoͤlzer von Schmalkalden, die ge - ſchmolzen werden.
  • 4) Alcyonium in Kalk. Hr. Schroͤter beruft ſich dabei immer auf die auſſerordentliche Schwere.
  • 5) Ein Schlackenartiger Koͤrper von Altorf, der doch nicht Schlacke iſt, und mit dem Ac. nitri brauſt.
  • 6) Alcyon. aus Champagne, wie mehrere andre dortige Sachen, in materia ſilicea, z. B. Ammonshoͤrner.
  • 7) Gar ſchoͤn verſteinerte Maͤntel aus Paſſau.
  • 8) Eine verſteinerte Fluͤgelſchnecke aus Verona.
  • 9) Kybitzeier von der Inſel Faxoe bei Faroe.
  • 10) Eine Volute in ſchwarzen Jaſpis aus Maltha.
  • 11) Ein Turbinit in Chalcedonyx verwandelt, vom Regenſtein im Halberſtaͤdtiſchen.
  • 12) Ein Buccinum in Kiesnieren.
  • 13) Millionen zuſammengewaſchene Schnecken und Muſcheln.
  • 14) Runde Orthoceratiten, auch geſchlaͤngelte.
15) Ein101
  • 15) Ein ganzer dergleichen in einer Kiesniere von Altorf.
  • 16) Belemmten. Sind, wie Orthoceratiten, Lituiten, und Entrochiten, noch unbekannte Konchylien. Man hat Stuͤcke, wo der Alveolus unten noch leer iſt; da ſaß das Thier. Das uͤbrige von der Hoͤlung iſt geſchloſſen. Koͤmmt unzaͤhligemal vor, und iſt Be - lemnit. Man hat auch Stuͤcke, wo man den Ner - vengang des Thiers noch ſieht. S. Einleitung ins Steinreich, 4. B. Tab. III.
  • 17) Echinit, worin Kryſtalle ſitzen, von Faxoe.
  • 18) Schraubenſteine. Sind Entrochiten, die in Eiſen verwittert ſind. Entrochiten ſind Stuͤcke von Zoophiten, die man nicht genug kennt.
  • 19) Kroͤtenſteine, foſſilia von Maltha. Schroͤter haͤlt ſie fuͤr Backzaͤhne von Fiſchen; ſie ſehen aus wie Augenſteine oder Achatſtuͤcke.
  • 20) Gelenkſteine; ſollen das ſeyn, was dem Enerinus zunaͤchſt unter der Krone ſitzt.
  • 21) Aſteria ophiura, verſteinert auf Sand, von Ko - burg.
  • 22) Gegrabne Konchylien; eine ſtarke Sammlung, worunter einige neue Gattungen ſind.
  • 23) Herrliche Meerkoͤrper aus Norwegen; als Ko - rallinen, Myxine glutinoſa, Doris, Clio, Aſci - dia, Auſtern, Echinus im Weingeiſt, Phalangi - um marinum, Nereis, Cap. Meduſae, Aſter. pectinata etc.
  • 24) Queckſilberſtuffen, wo ſich der Zinnober abreibt, aus Ungarn.
  • 25) Herkuleskeule, ſ. davon den Naturforſcher.
  • 26) Dentalium.
  • 27) Eine gruͤne neue Patelle. Eine Glaspatelle.
G 328) Ein102
  • 28) Ein Midasohr, woran noch das Seemoos ſitzt.
  • 29) Bulla ampluſtrae, aperta, das Theeloͤffelchen, Terebellum, und auch aufgeſchnitten.
  • 30) Nautili, ausm Sand bei Rimini, aufgeſchliffen, hat unterm Mikroſkop 38. -40. Kammern.
  • 31) Voluta oliva, oder Waldeſel; abgeſchliffen iſt ſie die rare Voluta, ſ. Martini’s Kabinet, S. 565.
  • 32) Kapuziner, iſt Conus Miles abgeſchliffen.
  • 33) Admiraͤle. Murices, auch aufgeſchnitten.
  • 34) Bootshacken, Mur. Lambis, Mur. hauſtel - lum iſt gar ſchoͤn.
  • 35) Helix ampullacea, die Koth oder Schlamm - Schnecke, weil ſie in Reisfeldern, wenn er abgemaͤht worden, vorkoͤmmt. Auch mit dem Deckel.
  • 36) Aufgeſchliffene Spindeln; Stockwerk auf Stok - werk.
  • 37) Mohrenbinde, die auch dahin gehoͤrt; gar ſchoͤn.
  • 38) Murex diſpectus, heiſt mit Recht ſo, aber in - wendig wie Gold.
  • 39) Zebra; hat Linne nicht. Soll ſehr ſelten ſeyn, und ſich beim Vorgeb. d. g. H. auf den hoͤchſten Bergen finden.
  • 40) Pabſtskrone, aus ſuͤſſem Waſſer; aufgeſchnitten.
  • 41) Schrauben. Wendeltreppen.
  • 42) Oelkruͤge, weil ſie aufgeſchnitten inwendig einen Goldglanz haben, und wie geſtandenes Oel ausſehen.
  • 43) Bienenkoͤrbchen, ein Trochus aus China.
  • 44) Perlhuͤhnchen, das ich auch beſitze, eine Fluß - konchylie, die Linne nicht hat.
  • 45) Ein Mytilus, der wie Opal ſpielt.
  • 46) Eine Oſtrea, die Linne nicht hat; rauh.
47) Groſſe103
  • 47) Groſſe Kompasdubletten, rothgeſtreift, aus Japan.
  • 48) Afterarchen, wo ein Stuͤck wirklich groͤſſer iſt, als das andre, aus Weſtindien.
  • 49) Pohlniſcher Hammer, und
  • 50) Sattel; es kan kaum eine Meſſerſchneide dazwi - ſchen.
  • 51) Mactra Spengleri, ein ſchwer zu klaſſifizirendes Stuͤck.
  • 52) Die blaue Hure, iſt die abgeſchliffene Mactra ſtul - torum.
  • 53) Herrliche Solenes, unter andern, radiatus, die den Tellinis ſehr gleichen.
  • 54) Anomia Terebratula, aus Oſtindien. Das Original zu ſo viel tauſend Verſteinerungen. Linne redet in der Mantiſſa von einer Norwegica; dieſe iſt auch hier, auch noch mit dem ausgetrockneten Thie - re; alle mit den Oefnungen oben, wodurch das Thier - den Ruͤſſel ſteckt.
  • 55) Chiton, glatt und geſtreift. Eine Schnecke von 8. zuſammengegoſſenen Ribben, nicht Oskabioͤrn. S. Spengler in Beſchaͤftigungen ꝛc.
  • 56) Lepas, gar ſchoͤn, ſonderlich Tulpen. Teſtu - dinaria auf Walſiſchhaut. Galeata auf einem Horngewaͤchs, aus Island.
  • 57) Linkgewundene Schnecken.
  • 58) Aſterias, aufgeſchnitten zur Anatomie, ſechs - ſtrahlicht; einige, an denen man die Repro - duktionskraft ſieht.
G 459) Ue -104
  • 59) Ueberhaupt herrliche Suiten aus allen Geſchlech - tern
    *)Weitere gute Nachrichten von dieſem beruͤhmten Na - turforſcher und deſſen Kabinette findet man in der klei - nen Reiſe ins Thuͤringiſche im J. 1782. die in den 10ten B. der bernoulliſchen Samml. kurzer Reiſebeſchr. eingeruͤckt iſt. Seite 320. u. f. Herausgeber.
    *)

Von Hrn. Diak. Schroͤter ging ich und machte den Hrn. Generalſuperintendenten und Oberkonſiſtorialrath Herder meinen Beſuch. Ich fand ihn recht geſund und munter. Ein Mann von unbeſcholtenem Karakter. Er hat eine wuͤrdige Frau und 4. ſchoͤne Knaben und lebt gluͤcklich. Wir ſprachen uͤber Verſchiedenes. Vom Zenda-Veſta, und der aͤlteſten Urkunde mag er jetzt gar nichts mehr hoͤren. Uebers Gekreiſch der Ketzermacher lacht er. Er ſagte mir, er ſei auf die Kabbala durch Lightfoot gebracht worden, ſei aber nun uͤberzeugt, daß kein Menſchenverſtand darin iſt. Seinen Styl habe er vom Rektor Haman in Preuſſen, denn Hr. Her - der iſt aus Mohrungen in Preuſſen gebuͤrtig; der die Apologie des Buchſtabens H geſchrieben hat. Er beſitzt viel ſchoͤne Buͤcher, die zu den Alterthuͤmern und zur griechiſchen, engliſchen und ſpaniſchen Litteratur gehoͤ - ren. Leztere liebt er jetzt vorzuͤglich. Gegenwaͤrtig ſchreibt er Briefe, uͤber die rechte Art, Theologie zu ſtu - diren. Er braucht nur aller 4. Wochen einmal zu pre - digen. Nachdem ich ihn verlaſſen, hatte ich die Gnade

Sr. Durchl. dem regierenden Herzoge aufzuwar - ten. Ein noch junger, aber viel verſprechender, men -ſchen -105ſchenfreundlicher Fuͤrſt, der ohne Affektation iſt, auch Pracht nicht liebt. Dem Herzoge von Gotha zu Gefal - len, der keine Haare hat, und doch keine Peruͤke tragen wollte, lies er ſich ſeine auch abſchneiden, traͤgt alſo den Kopf faſt ganz glatt. Er unterhielt ſich ſehr leutſelig mit mir von Karlsruhe, vom Zwecke und Nutzen des Rei - ſens, von der Naturgeſchichte, die er ſelbſt liebt, von Gymnaſien, Univerſitaͤten, dem hieſigen Kabinetten u. dergl. Die Einſichten, die er hierbei an Tag legte, er - regten meine Verwunderung und Verehrung. Nachdem ich gnaͤdig entlaſſen worden, beſuchte ich den

Hrn. Oberkonſiſtorialrath Schneider, mit dem ich ehemals von Goͤttingen aus, wegen einer gewiſſen An - gelegenheit korreſpondirt hatte, und nach ihm

Das Herzogl. Naturalienkabinet. Ehemals wars eigentlich eine Kunſtkammer; der vorige Herzog aber kaufte das Heidenreichſche Kabinet dazu, und der jetztregierende lies das Aeuſſere einrichten, und ſetzte Hrn. Diak. Schroͤter zum Aufſeher daruͤber, gibt auch alle Jahr 100. Thaler zu Anſchaffung neuer Sachen her, weil er ſelbſt Liebhaber der Naturgeſchichte iſt. Ich fand un - ter andern Merkwuͤrdigkeiten:

  • 1) Angeblich verfteinerte Muskatnuͤſſe ꝛc.
  • 2) Scholle, Karpe, Hecht, kenntlich auf Schiefer abgedruckt.
  • 3) Hipperit, in Eiſenſtein.
  • 4) Ein Aalfoͤrmiger Fiſch auf Schiefer von Ilme - nau; der ganze aufgeſchlagene Koͤrper iſt in Spat verwandelt.
  • 5) Kaſtanien. Schroͤter haͤlt ſie fuͤr Fiſchzaͤhne.
G 56) Eine106
  • 6) Eine Tafel voll Heliciten, angeſchliffen; vermuthlich aus der Schweiz.
  • 7) Eine Terrebratula in Karniol verwandelt.
  • 8) Ein Echinus in Jaſpis verwandelt.
  • 9) Kaͤfermuſchel; oder Concha triloba rugoſa des Links: in Wachs pouſſirt, wie er ſie verſchickte, wenn ſie jemand ſehen wollte. Soll ein Krebs ſeyn.
  • 10) Schoͤne Stuͤcke von Encrinis.
  • 11) Kragenſtein, oder Gyps von Wieliczka in Poh - len. Schober hat ihn entdeckt; enthaͤlt aber nichts ſalzichtes.
  • 12) Ein groſſer Dendrit von Solenhofen im Pap - penheimiſchen. Man koͤnne ſie noch groͤſſer haben, die Leute aber ſpalten die Stuͤcke wegen des Trans - ports.
  • 13) Suiten von herrlichen Spaten vom Harz.
  • 14) Ein Schweizer Bergkryſtall, 250. Pfund ſchwer. Ein Schweizer fuͤhrte das Stuͤck von dorther, bis auf Weimar, und da zahlte ihm der vorige Her - zog 75. Thaler dafuͤr.
  • 15) Truͤbe, auch gefleckte Kryſtalle; das ſollen die un - tern im Keller oder im Gewoͤlbe ſeyn.
  • 16) Patella chinenſis, mit der Kammer inwendig.
  • 17) Weſtindiſcher Orangen-Admiral.
  • 18) Teufelsklaue und Kamiſolknopf, roth, Troch. Pharaonis, ſelten.
  • 19) Kleine Kompasdubletten.
  • 20) Chama Hippopus, voͤllig wie ein Pferdefuß.
  • 21) Ein unbekanntes Cardium.
  • 22) Spannenlange Solenes.
23) Le -107
  • 23) Lepas Diadema, den Walch im Naturforſcher Lepas Polythal. nannte, bis ihn Martini in den Berl. Mannichfaltigkeiten belehrte.
  • 24) Aſter. reticulata, ein herrliches Stuͤck. Man ſchneidet auch die Aſter. durch, um die innere Orga - niſation in jedem Strahl zu ſehen.
  • 25) Rauchtopas vom Gotthardsberge; ein Spiel der Natur. Ueber einander geſchobene Taͤfelchen, und die Kryſtalle an beiden Seiten ausgeworfen.
  • 26) 270. Stuͤck Kieſel aus aller Welt, angeſchliffen. Sind von Rumbricht in Blankenburg fuͤr 20. Tha - ler zu haben.
  • 27) Eine Mumie, ein Kind.
  • 28) Majolica. Blau und gelbe Teller von 1550. aus Raphael’s Zeit
    *)Wenn dieſe Majolica von obbeſagtem Jahr iſt; ſo kan ſie aus Raphael’s Zeit nicht wohl ſeyn, denn die - ſer ſtarb 30. Jahr zuvor, nemlich 1520. Ueberhaupt iſt wohl die wenigſte Majolica, die man hin und wie - der in Kabinetten antrift, von Raphael ſelbſt, ſon - dern vielmehr von guten Schuͤlern deſſelben und ſon - derlich von ſeinem Vetter Guido Durantino zu Urbi - no, aber nach Raphael’s Zeichnungen gemahlt worden. Herausgeber.
    *).
  • 29) Herrl. Baͤume aus dem Meere.
  • 30) Ein Cap. Med. auf Marmor von Altorf. Ko - ſtete 50. Thaler.
  • 31) Iſis nobilis mit ſtarken Zacken. Jeder Aſt gilt einen Dukaten.
  • 32) Ganze Kaſten voll Elfenbeinernes Schnitzwerk.
33) Ein108
  • 33) Ein Pelikan, der hier im Lande bei Schwanen - ſee gefangen worden.
  • 34) Ein Skelet von einem Elephanten, aber unter ein - ander geworfen.
  • 35) Ein ausgeſtopfter Manati, der ſich aber an eine Ecke hinter ſich lehnt.
  • 36) Eine Robbe und ein dazu gemachter Groͤnlaͤnder im Kajack aus Fiſchhaut.
  • 37) Eine Wallſiſchrippe, wiegt 294. Pfund.
  • 38) Groſſe und kleine Harpunen, Krokodille, Saͤ - gefiſche ꝛc.

Aber No. 34. -38. ꝛc. lagen in einer Nebenkammer ganz mit Staub bedeckt. Das war Schade! Als wenn folche Stuͤcke nicht wichtiger waͤren, als Verſteinerungen!

Gegen Abend machte ich einen Spaziergang mit mei - nem lieben Herder und ſeiner guten Gattin an der Ilm hinab, durch eine anmuthige Gegend. Wir ſprachen vom Landpredigerſtande. Er fuͤhrte daruͤber viele Kla - gen und ſagte, Jena mache, daß alle Bauerjungen ſtudirten, die Eltern ſchickten ihnen Butter, Fleiſch ꝛc. hinein Bei einer Praͤſentation habe ihm einer, der ſonſt famam hatte, uͤber Evang. D. X. p. Tr. von der Geiſſel Chriſti, und von der Pflicht der Obrigkeit, den Tempel zu reinigen ꝛc. vorgepredigt, auch habe man ſeither noch immer nach dem Bayer examinirt.

Auf den Abend mußt ich bei ihm ſpeiſen, und drauf nahm ich ungern Abſchied von dem wuͤrdigen Manne.

Den109

Den 8ten Aug.

Mein erſter Beſuch fuͤr heute war beim Hrn. Gehei - menrath Goͤthe, und drauf beim Hrn. Hofrath Wie - land, liebenswuͤrdig in ſeinen Werken, in ſeiner Fa - milie, in ſeiner Geſellſchaft, und ein gluͤcklicher Vater von 3. Soͤhnen und 4. Toͤchtern.

Mittags ſpeißte ich beim Hrn. Diakon. Schroͤter. Der gute Mann beſchenkte mich mit verſchiedenen ſchoͤ - nen Naturalien, verſprach mir auch noch ein Cap. Med. zu ſchicken, dagegen ich ihm Verſchiedenes verſchaffen ſoll.

Nach Tiſche hatte ich das Gluͤck, Ihro Durchl. der Frau Herzogin vorgeſtellt zu werden. Eine Prin - zeſſin, von einem uͤberaus gnaͤdigen, liebreichen, guten, reinen Karakter. Sie ſprach von Wieland und Vol - taire, und ihre Urtheile waren ungemein richtig und tref - fend. Sie erzaͤhlte, erſter habe ihr und der Herrſchaft in Gotha den Oberon in Handſchrift vorgeleſen ꝛc.

Hierauf beſuchte ich den Hrn. Rath Bertuch in ſei - ner angenehmen Gartenwohnung,*)Davon macht der ungenannte Gelehrte in ſeiner kurzen Reiſe ins Thuͤringiſche 1782. eine ſehr rei - zende und maleriſche Beſchreibung, die man S. 323. u. f. des 10ten B. der bernoulliſchen kleinen Reiſe - beſchr. findet. Herausgeber. und dann ich auf den Abend bei meinem Freunde Wieland in ſeinem Garten. Als ich dieſen um ſein Portrait bat, ſagte er, alle Kupferſtiche von ihm taugten nichts, Geyſer in Leipzig aber werde ihn ſtechen. Sein beſtes Portrait habe ſich die verſtorbne Herzogin von Wuͤrtemberg ma -chen110chen laſſen. Mit dem Karakter der Nation und ihrer Verfaſſung war er gar nicht zufrieden, und wuͤnſchte ſie ganz umgeſtuͤrzt zu ſehen. Weil ich Morgen Weimar verlaſſen wollte, ſo nahm ich Abſchied von dem herrlichen Kopf und ſeiner wuͤrdigen Familie.

Den 9ten Aug. Reiſe nach Jena.

Ich kam durch herrliche Fruchtfelder, uͤber ein Dorf Frankendorf und Ketſchau, wo ein Salzwerk iſt, hierher.

Jena iſt ein finſtrer, enger, alter, winklichter Ort, hat aber doch einen ſchoͤnen Markt, aber keinen gu - ten Gaſthof. Ich logirte in der Sonne auf dem Mark - te. Es war grade das jaͤhrliche Vogelſchieſſen der Buͤr - ger und Studenten. Letztre halten viel Hunde, wie ich bemerkte. Ich machte gleich dem beruͤhmten Zergliede - rer, dem Hrn. Hofr. und Prof. Loder, einen Beſuch, und ſpeiſte auf ſeine freundſchaftliche Einladung Mittags bei ihm in Geſellſchaft des Hrn. Geheimterath Goͤthe. Nach Tiſche beſah ich

Walch’s, oder das nunmehrige Herzogl. Na - turalienkabinet. Es ſteht in 4. Zimmern auf dem Schloſſe. Des Herzogs von Weimar Durchl. hat es (die Bibliotheck mit dazu gerechnet) der Wittwe des ſeel. Walchs 1779. abgekauft, und gibt ihr jaͤhrlich, ſo lan - ge ſie lebt, 300. Thaler. Das kleine Kabinet, was der ſeel. Walch zu den Vorleſungen brauchte, kauſte Hall - bauer. Hr. Hofr. Loder hat die Aufſicht daruͤber. Hr.111Hr. Mag. Lenz aber ſoll es rangiren. Man ſchmeichelt ſich, der Herzog werde das Weimariſche Kabinet dazu ſchenken*)Dies iſt auch ſeitdem geſchehen. Der Herzog hat zu dem Heidenreichſchen das Walchiſche und Weimari - ſche geſchlagen, und aus dieſen dreien Eins machen laſſen, das nun an Vollſtaͤndigkeit, da uͤberdies im - mer noch dazu geſammelt wird, zu den erſten Naturali - entabinettern in Deutſchland gehoͤrt. Es iſt nun ſehr gut geordnet, und mit einem vollſtaͤndigen Katalog verſehen. Jeder, der ſich beim Ober - oder Unterauf - ſeher meldet, bekoͤmmt es zu ſehen. Es wird auch kuͤnftig alle Wochen ein paarmahl geoͤfnet werden. Mehrere Nachrichten von demſelben und deſſen beiden Aufſehern, den wuͤrdigen Gelehrten, Loder und Lenz, kan man nachleſen in Hrn. Nikolai’s Reiſen durch Deutſch. 1. B. Beil. S. 44. 45. und kleine Reiſe ins Thuͤringiſche, im 10. B. der bernoulliſchen kleinen Reiſebeſchr. S. 315. u. f. Herausgeber. . Jetzt ſah noch alles, wie ein Chaos aus. Der ſeel. Walch ſchrieb ſelten das Locale dazu. Mir waren darin beſonders merkwuͤrdig:

  • 1) Verſteinerte Nautili, ſehr ſchoͤn. Es waren noch Stuͤcke von der Schale vorhanden.
  • 2) Ein Enkrinit um Jena herum gefunden.
  • 3) Sehr groſſe Belemniten aus Anſpach.
  • 4) Etliche Kaͤfermuſcheln.
  • 5) Marmor mit Patellen.
  • 6) Sehr groſſe Stuͤcke von Fraueneis.
  • 7) Krokodilleier in Weingeiſt, weis mit braunen Flecken, wie Apricoſen.
8) Ein112
  • 8) Ein Daſyp. decemcinctus.
  • 9) Ein ganz vortreflicher Cyclopterus.
  • 10) Viele Fiſche in umgekehrten Kaͤſtchen von Pappdeckel.
  • 11) Aſter. mit vier Strahlen.
  • 12) Capiſche Pflanzen.
  • 13) Ampelis garrulus hat die rothen Endſpitzen an den Federn und iſt in dieſem Lande nicht ſelten.
  • 14) Ein Hamſter, die groſſe Plage dieſes Landes.
  • 15) Ein Auerhahn, recht gut ausgeſtopft.
  • 16) Vultur barbatus aus der Schweiz. Der untre Kiefer iſt erſchrecklich ſcharf und ſpitzig. Hat unten greulich viel Federn.
  • 17) Ein himmelblaues Kolibri.
  • 18) Ein ſchwarzer dergl. mit gelbbraunen Kopf.
  • 19) Raupen durch eine Nadel mit Baumwolle angefuͤllt, gefirnißt und aufgeſteckt von dem geſchickten Hr. M. Lenz.
  • 20) Wiedehopfe, ein Paͤrchen.
  • 21) Ein ſehr groſſes weiſſes Korallenſtuͤck.
  • 22) Korallenmoos, mit einer Pholade darin.
  • 23) Dermeſt. Imperialis. Herrlich ſind die Reihen unter dem Mikroskop. Koſtet 5. Louisd’or.
  • 24) Eine ſchoͤne Bernſteinſammlung.
  • 25) Ein Neſt von einer Schwanzmeiſe in einer Gabel von Aeſten.

Von da ſtattete ich dem

Hrn. D. und Prof. Theol. Griesbach einen Be - ſuch ab. Er war eben zum Erſtenmahle Prorektor. Ein wuͤrdiger Gottesgelehrter. Er hat eine Schwe - ſter des Hrn. Prof. Schuͤtz zur Ehe, aber keine Kinder. Aber ſie iſt eine vortrefliche angenehme Frau, beſitzt Witz,Bele -113Beleſenheit, iſt Dichterin, Malerin, Tonkuͤnſtlerin und alles dies groͤſtentheils ohne Anweiſung. Iſt der Mann im Beſitz eines ſolchen Weibes nicht gluͤcklich! Ich auf den Abend bei ihnen, mit Hrn. Prof. Schuͤtz, Hrn. Kammerrath Wiedeburg, und Hrn. Maler ꝛc. einem jungen Studirenden. Wir waren alle herzlich vergnuͤgt.

Den 10. Aug.

Mein erſter Beſuch war heute beim

Hrn. Kirchenrath Danov,*)Das 1782. erfolgte traurige Ende dieſes Gelehrten iſt bekannt. Herausgeber. einem groſſen, dicken und ſtarken Manne. Wir ſprachen von Doͤderlein’s Schriſten, von Noͤſſelt’s theologiſcher Buͤcherkenntnis ꝛc. Er forderte mich auf, meine Naturbetrachtungen ja fort - zuſetzen ꝛc. Von ihm ging ich zum

Hrn. Prof. Weber, der von Roſtock hierher ge - kommen iſt; der gute Mann aber leidet ſeit 4. Jah - ren an den Haͤmorrhoiden**)Er iſt auch 1781. mit Tode abgegangen. Herausgeber. . Er iſt Verfaſſer des Buchs von der Aehnlichkeit mit Gott, und einiger Pre - digten. Er lieſt hier ſonderlich praktiſche Sachen, und uͤbt die Studenten fleiſſig im Predigen.

Darauf machte ich ferner Beſuche beim juͤngern Hrn. Schroͤter, dem Sohne des Hrn. Diakons Schroͤ - ter in Weimar, der hier Sprachen und Schulwiſſenſchaf - ten fleiſſig ſtudirt***)Dieſer hofnungsvolle junge Mann iſt zur groͤſten Betruͤbnis ſeines guten Vaters 1782. geſtorben. Herausgeber. ; beim Hrn. Hofrath Waich, Hrn. Prof. Ulrich ꝛc. und dann ging ich aufs

Ana -Zweiter Theil. H114

Anatomiſche Kabinet beim Hrn. Hofr. Loder. Er erzaͤhlte mir, daß er aus Wagler’s Sammlung fuͤr beinahe 200. Louisd’or gekauft habe und nun fuͤgt er noch feine eigenen Praeparata hinzu. ꝛc. *)Er macht gegenwaͤrtig auf Koſten des Herzogs eine gelehrte Reiſe durch Italien, Frankreich ꝛc. Herausgeber. Der Herzog will ihm auch einen eignen Zeichner halten, und die Stuͤ - cke ſollen wie Hunter’s praͤchtiges Werk de utero hum. grav. in Kupfer geſtochen werden. Mir war darin vor - zuͤglich bemerkenswuͤrdig:

  • 1) Ein Mohren-Foetus ſchwarz, aber unzeitig abge - gangen.
  • 2) Foetuſſe von 4. Monaten ꝛc.
  • 3) Molae, wo man die Amnios, aber nichts mehr vom foetu ſieht.
  • 4) Eine Mola veſicularis.
  • 5) Zwei uteri bicornes, auch molae bicornes aus ihnen.
  • 6) Ein uterus obliquus, und doch noch virgineus.
  • 7) Hymenes. Corpora lutea.
  • 8) Praeparata von Uteris durch Maceration.
  • 9) Stuͤcke, wo die flocculi Placentae noch ganz, an - dre, wo ſie ſchon nur halb den uterum umziehen, an - dre, wo ſie ſich ſchon ganz oben hingezogen haben.
  • 10) Carunculae myrtiformes.
  • 11) Ein Vterus Simiae, ſehr aͤhnlich.
  • 12) Eine Spina bifida.
  • 13) Hydrops funic. umbilicalis in ovo, abortus cauſa.
14) Ein115
  • 14) Ein Ovum human. noch in einer eigenen Ciſtilla.
  • 15) Vaſa anaſtomotica aus der Plac. in utero.
  • 16) Muſculus orbicularis Ruyſchii d. i. die innere Flaͤche des Uterus.
  • 17) Anſehnliche Stuͤcke, wo die Placenta uterina noch dran haͤngt.
  • 18) Placenta trimellorum. Die 3. Funic. umbili - cales neben einander.
  • 19) Arteria thyroidea inferior ex arcu aortae, ſ. Neubaur. Das iſt die mehrmals beobachtete Varie - taͤt am Herzen, daß aus dem Bogen auſſer den 3. Ge - faͤſſen noch ein 4tes kleines kommt.
  • 20) Clitoris an foetub. foemin. ſehr lang, ſieht aus wie ein Penis.
  • 21) Deſcenſus Teſticuli, und Gubernaculum Hunteri.
  • 22) Wagler’s injicirter Vierus, wo die Placenta auf dem Orif. uteri anhaͤngt.
  • 23) Verſchiedene Beſchaffenheit des Muttermundes.
  • 24) Ein voͤlliges Kind, wovon der groͤſte Theil des Kopfs noch nicht oſſificirt war.
  • 25) Ausgeſpruͤtzte Stuͤcke von Inteſt. wo man alle Ana - ſtomoſes ſehen kan.

Ich beſuchte von da den beruͤhmten

Hrn. Prof. Eichhorn. Wir ſprachen uͤber die Ur - geſchichte. Dagegen hat Rau in Erlangen ein Pro - gramma geſchrieben, darin er Gen. 1. nicht fuͤr eine Ficktion, ſondern fuͤr ein hiſtoriſches Lied haͤlt. Drauf ging ich mit

H 2Hrn.116

Hrn. Kammerrath Wiedeburg ſpazieren, um die Gegenden von Jena ein wenig zu beſehen; nahm dann Abſchied von Hrn. Dr. Griesbach und ſeiner liebens - wuͤrdigen Gattin, und ſoupirte noch zum Beſchluß mei - nes hieſigen, fuͤr mich allerdings nur zu kurzen, Aufent - halts bei Hrn. Prof. Eichhorn mit den Herren Loder und Weber. Inter bonos bene!

Den 11ten Aug. Reiſe nach Halle.

Von Jena bis nach Halle ſind 8. Meilen, die Land - ſtraſſen ſind ſchmal und laufen an der Saale hin. Man ſieht erſt viel Schieferberge, hernach aber liebliche Frucht - felder. Ueber Mittag war ich in

Naumburg, einer alten ſaͤchſiſchen Stifts - ſtadt, die zwiſchen Bergen, die theils mit Holz, theils mit Weinbergen bedeckt ſind, eine ungemein romantiſche und reizende Lage hat. Darauf kam ich nach

Lauchſtaͤdt, einem ſeines mineraliſchen Bades we - gen ſehr bekannten und im Sommer ſtark beſuchten Staͤdt - chen, und dann endlich nach

Halle, der Stadt, wo ein Baumgarten, ein Wolf, ein Segner lehrten, und wo Miller, wo mein Vater, Onkel, Bruder, Schwager, und ſo viele meiner Lehrer und Freunde ihre Jugend zubrachten, guten Sa - men einſammelten und dann wieder ausſtreuten. Ich nahm mein Quartier im blauen Hecht neben der Markt - kirche.

Den117

Den 12ten Aug.

Mein erſter Beſuch war heute beim

Hrn. D. Semler. Dieſer verehrungswerthe Ge - lehrte nimmt gleich durch ſeine geiſtvolle Mine ein. Ich fand ihn noch munter und friſch. Er nahm mich ſehr freundſchaftlich auf. Wir unterhielten uns uͤber Ver - ſchiedenes. Ueber ſeine Umſtaͤnde ſagte er: Ich be - rechne mich vor Gott und vor einer unendlichen Ewigkeit. Man muß auch etwas leiden in der Welt. Es wird keinem geboten von der Providenz, der nicht viel Anla - ge hat. Der Weg der Vorſehung wird ſich oͤffnen. In froͤlicher Unterwerfung gegen Gott fang ich jeden Tag an ꝛc. Als ich dieſen treflichen Mann verlaſſen hatte, ging ich,

Das Naturalienkabinet des Hrn. Kriegsraths von Leyſer in der Steinſtraſſe zu beſehen. Der Be - ſitzer iſt Kammerdirektor und hat erſtaunend viel Ge - ſchaͤfte, ſonderlich wegen des Departements der Berg - werksſachen im Lande, und doch nur 700. Thaler Beſol - dung. Er iſt vorſitzender Rath in der Naturforſchenden Geſellſchaft, die ſich hier formirt hat, ſammelt Minera - lien, Konchylien und Inſekten ꝛc. Ich fand unter an - dern hier:

  • 1) Quarz in Zinnober eingeſchloſſen, ſieht, wenn er angeſchliffen iſt, wie ein roth und weiſſer Edelſtein aus.
  • 2) Morio, oder ſchwarzer Kryſtall.
  • 3) Chryſopras, auf der einen Seite ſieht man noch holzartige Fibern.
  • 4) Oktaedriſcher Rubin.
H 35) Blaues118
  • 5) Blaues Sal gemmae mit Eiſenoker.
  • 6) Succinum foſſile, das hier oft in braunen Kohlen vorkoͤmmt.
  • 7) Steinkohlen, in denen zwiſchen den Lamellen, feiner Schwefelkies ſitzt, daher ſie ſich oft entzuͤnden, von Gerbitz bei Wettin.
  • 8) Pyrites cellularis, und die Bleikugeln liegen noch darin.
  • 9) Bleiglanz in Galmei.
  • 10) Zink aus Kupferſchiefern.
  • 11) Saalfelder Sandkobolde.
  • 12) Saͤchſ. Zinnzwitter, d. i. kleine Kryſtalle. Grau - pen heiſſen ſie, wenn ſie gros ſind.
  • 13) Polyedriſcher Bleiglanz.
  • 14) Sand von Rimini, ein Sack voll. Im kleinſten ſieht man Welten.
  • 15) Eiſen-Kryſtall von Fahlun.
  • 16) Sibiriſche Kupfererze, eine ganze Suite.
  • 17) Oktaedriſch kryſtalliſirtes Silber, von Kongs - berg.
  • 18) Eine Goldſtuffe von der Eule in Boͤhmen, ſo ſel - ten, daß ſie Hr. von Born ſelber gern gehabt haͤtte.
  • 19) Waſchgold aus der Saale.
  • 20) Alabaſter aus Thuͤringen.
  • 21) Serpentinſtein, gar viele angeſchliffene Taͤfelchen mit Kalkſpat; einer mit Amiantfaͤden, die man heraus nehmen kan.
  • 22) Trigla volitans, verſteinert, auf Kupferſchiefer von Mannsfeld.
  • 23) Eiſenſand von Gexholm in Schweden, den der Magnet zieht.
  • 24) Herrliche Phytholiten, Schilf ꝛc. von Wettin.
Zu119

Zu Mittage war ich beim Buchhaͤndler Hrn. Ge - bauer zu Gaſte. Er iſt ebenfalls Liebhaber der Natur - geſchichte, ſammelt, beſitzt auch bereits viel ſchoͤne Sa - chen, und koſtbare Buͤcher in dieſem Fache.

Nach Tiſche beſuchte ich folgende Gelehrte:

Hrn. Dr. Noͤſſelt. Ein Gelehrter, den das viele Studiren alt und mager gemacht hat, ſonſt aber ein ge - lehrter, biedrer Mann.

Hrn. Prof. J. A. Eberhard, der ein aufgeklaͤrter Kopf und ſcharfſinniger Philoſoph iſt. Er wuͤnſcht die Fortſetzung der Abhandlungen von der Aehnlichkeit der Natur bei aller Unaͤhnlichkeit ꝛc. Vom ſeel. Martini erzaͤhlte er mir, daß er zuweilen eine kleine Debauche ge - macht habe, ſei auch oft in 6. Wochen nicht aus ſeinem Kaſten gegangen.

Hr. Dr. Bahrdt ſieht braͤunlich und wild aus. Er lieſt hier uͤber die Beredſamkeit, hat auch Etwas daruͤ - ber drucken laſſen, klagte ſehr uͤber akademiſchen Neid. Er lebt von Vorleſungen, Schreiben und Sub - ſkriptionen von Berlin. Jetzt iſt er mit Baſedow gegen Semlern alliirt, und iſt der Saame von allen Uneinigkeiten. Ob er ſich hier mainteniren werde, ſteht zu erwarten. Noch immer naͤhrt er ſeine Lieblingsidee von einer allgemeinen Religion.

Hrn. Prof. Knappe fand ich nicht zu Hauſe.

Hr. Prof. Theol. Niemeier war mit mir uͤber den Hiob einig, und meinte auch, Wesley der Engellaͤnder habe abgeſchmacktes Zeug daruͤber geſagt ꝛc.

H 4Hierauf120

Hierauf machte ich mit Hrn. Dr. Semler einen Spaziergang, und dann Abends bei ihm in ſeinem Garten.

Den 13ten Aug.

Heute war ich in der

Stadtkirche, oder wie ſie heiſt, die Moritzkirche, und hoͤrte Hrn. Senf predigen. Die Diſpoſitionen wer - den hier ſehr weitlaͤuftig gedruckt. Das Exord war 1. Cor. VI. Preiſet Gott mit dem Leib ꝛc. Thema. Die Pflicht der Chriſten, Gott auch durch Geberden zu ver - herrlichen. I) Urſache. II) Wie? Statt des Kirchengebets ward die Abſolution verleſen. Drauf folg - ten viele umſtaͤndliche Dankſagungen. Die Prediger tragen hier nichts als Mantel und Ueberſchlag. Das Geſangbuch iſt ſchlecht.

Mittags war ich beim Hrn. Kriegsrath von Ley - ſer zu Tiſche. Ich bemerkte bei dieſer Gelegenheit, daß man hier den fuͤſſen Kirſchenwein ſehr liebt, auch macht man im Herbſt den ſogenannten Loͤffelkrautwein, d. i. die Cochlearia officin. wird klein gehackt, und mit Moſt infundirt. Das Getraͤnke wird ſehr piquant, und haͤlt ſich, wenns wohl zugepfropft wird, ſehr lange. Nach Tiſche bekam ich

Hr. Prof. Goldhagen’s Naturalienkabinet zu ſe - hen. Es enthaͤlt Mineralien, Konchylien, Voͤgel, war aber in keiner ſonderlichen Ordnung. Der Beſitzer kor - reſpondirt mit D. Koͤnig in Oſtindien, und bekam eben jetzt Thierhaͤute aus Koppenhagen geſchickt. Ein Ei voll Eiweis blos ohne Dotter ſei allerdings ſonderbar. Das121Das ſchoͤnſte Stuͤck, was ich hier fand, war ein aufge - trockneter Lemur volans L. den Linne aber nicht geſe - hen, und der ſchwer zu ordnen iſt. In der obern Kinn - lade hat er gar keine Inciſores, die in der untern ſind pectinati, ſie haben die feinſten Einſchnitte; canini oder laniarii ſind auch keine da. An den Fluͤgelhaͤuten, die wollicht ſind, aber wie getrocknetes Pergament ra - ſcheln, ſind vorne ſcharfe umgebogene Klauen ꝛc. Un - ter die Primates gehoͤrt er nun gewis nicht. Von hier ging ich und beſah die

Inſektenſammlung der beiden Bruͤder Schaller, auf dem Domplatze. Es iſt ſehr nett und vollſtaͤndig, und enthaͤlt in - und auslaͤndiſche Inſekten in Kaſten, die uͤber und in einander geſetzt werden koͤnnen. Der Bupreſtis Chryſ. Fabr. aus Indien war haͤufig da, und gar praͤchtig. Die Beſitzer haben ſchon zweimahl ihre Sammlung nach Wien und Wernigerode verkauft, ſammeln aber immer wieder. Sie verſtehen die Kunſt, Fluͤgel, Koͤrper ꝛc. fein zuſammen zu ſetzen. Sie ſind ihrem eigentlichen Gewerbe nach Strumpfſtricker.

Auf den Abend war ich beim Hrn. Dr. Noͤſſelt im Gartenſaal mit Hrn. Prof. Niemeier und ſeinem Bru - der, einem Glauchiſchen Prediger zu Tiſche. Die Un - terredung fiel auch auf die Todesſtrafen, und da geſtand Hr. Dr. Noͤſſelt doch, daß der Geſchaͤftstraͤger, oder der Akten geleſen hat, manches beſſer einſieht, als der akademiſche Gelehrte ꝛc. Bei Gelegenheit erfuhr ich auch, daß er in Paris geweſen war, daher er mich nach Manchem von dorther fragte.

H 5Den122

Den 14ten Aug.

Mein erſtes war heute das hieſige beruͤhmte

Waiſenhaus zu beſuchen, und ſo machte ich auch dem Hrn. Prof. Freylinghauſen meinen Beſuch. Schon alt aber noch munter. Ein ſanfter, gutmuͤthi - ger, rechtſchaffener Gottesgelehrter.

Hr. Inſpektor Fiſcher fuͤhrte mich herum, und ſo gingen wir zuerſt durch die Klaſſen. Jede iſt Gros und Klein, nur Septima nicht. Selecta exiſtirt gar nicht. Sie liegen nahe an einander. Ich bemerkte darin viel Ordnung und Stille, aber auch Verſchieden - heit der Lehrer. In Grosſekunda hoͤrte ich eine Diſpu - tation uͤber die Ewigkeit der Hoͤllenſtrafen!!

Die Apotheke iſt vortreflich eingerichtet, reichlich verſehen, und gehoͤrt mit zu den beſten in Deutſchland. Man ſagte mir, daß jaͤhrlich wohl ein Zentner Rhabar - ber und 100. Pfund China verbraucht werde. Erſtere ziehen ſie uͤber Luͤbeck aus Moskau, die Kaͤferthal - ſche halte ſich in der Art nur 3. Jahre.

Das Konviktorium und die Kuͤche. Zum Ko - fend und Bier braucht man zinnerne Becher. In der Kuͤche ſind groſſe kupferne Keſſel, in denen eben Schoͤp - ſenfleiſch gekocht ward. Das Brod war herrlich. Das Waiſenhaus hat ſeine eigene groſſe Landwirthſchaft, und doch muß noch viel Milch, Butter ꝛc. gekauft werden. Es werden aber auch wohl an die tauſend Menſchen hier ernaͤhrt*)Im J. 1771. waren darin 731. Lehrer, Schuͤler und 181. Studenten, die Unterricht gaben. Siehe Ma -gazin.

Das123

Das Naturalienkabinet iſt ſchlecht rangirt, und wird nicht recht genutzt. Man hat keinen eigenen Leh - rer fuͤr die Naturgeſchichte hier. Mir waren ſehens - wuͤrdig:

  • 1) Eine groſſe Chama Gigas, 22. Pfund ſchwer.
  • 2) Eine ganz weiſſe Eule.
  • 3) Unter den vielen Spirituoſis waren Eidechſen und Daſypuſſe ganz weis geworden.
  • 4) Groſſe Gallenſteine von Kindern.
  • 5) Topasfaͤrbige Druſen.
  • 6) Sehr dicke Staͤmme von Meergewaͤchſen.
  • 7) Modelle von der Stadt Jeruſalem und dem Tem - pel Salomons vom ehemaligen M. Semmler.
  • 8) Syſt. Copernic. ſehr gros, aber zerbrochen.
  • 9) Eine Peruͤcke aus geſponnenem Glasfaͤden.
  • 10) Ißlaͤndiſche Schuhe aus Fiſchhaut.
  • 11) Malabariſche Goͤtzen.
  • 12) Poͤnitenzpantoffeln daher. Sie ſind mit lauter Stacheln beſetzt.
  • 13) Oekonomiſche Modelle.
  • 14) Der Kaſack eines Groͤnlaͤnders.
  • 15) Die ganze Malabariſche Bibel auf Palmblaͤttern. Sie haͤngt buͤſchelweis in Faͤden.

Ganz oben uͤber dem Naturalienkabinet ſieht man auf dem mit Kupfer gedeckten Altan, die umliegenden Gegenden, und hier wird zuweilen geſungen.

Das

*)gazin des Buch - und Kunſthandels 1780. 4tes St. S. 333. Herausgeber.

124

Das Kanſteinſche Bibelwerk ſteht in einem ei - genen Gebaͤude zwiſchen dem Waiſenhauſe und dem Paedag. Reg. Das Bild des frommen Stifters, eines Barons von Kanſtein, haͤngt darin. Die Bibel in gros 8. hat 80. Bogen, und jeder macht wohl einen Zentner Schrift aus. Dieſe iſt bis jetzt 185mal abgedruckt; ko - ſtet nur 7. Groſchen, ehemals gar nur 6. Groſchen. Die kleine hat 60. Bogen, und iſt bis jetzt 184mal ge - druckt. Man verwahrt in dem Saale eine Sammlung aller Ausgaben. Jedesmal druckt man 5000. Exempla - re. Das Papier dazu kommt meiſt aus dem Voigt - lande.

Der Platz, wo die Schuͤler ihre Recreationen ha - ben, iſt gegen den Regen bedeckt, und jede Klaſſe hat ihren eignen Ort.

Das Paedag. Reg. liegt ganz hinten, hat ein ſchoͤ - neres Aeuſſeres, aber jetzt kaum 20. Schuͤler. Wir tra - fen gerade in eine hiſtoriſche und geographiſche Stunde. Man findet hier einen Anfang zu einer Mineralien - ſammlung viele mathematiſche Inſtrumente Plane zu Feſtungen, von den Eleven gezeichnet, weil die meiſten Offiziers werden, auch Holzſtuͤcke, zum Zuſam - menſetzen der Feſtungen auf den Boden.

Mittags ich bei Hrn. Gebauer, und erhielt einen Bupr. Chryſ. von ihm zum Geſchenke. Nachmittags beſuchte ich Hrn. Prof. Meckel, der ſeines ſeel. Vaters herrliche anatomiſche Praͤparate beſitzt. Weil er aber eben mit Heirathen und Ausziehen beſchaͤftigt war; ſo bekam ich auſſer den Knochen nichts bei ihm zu ſehen. Ein ſprechendes Bild von Huntern in London hatte er, den er uͤberhaupt ſehr lobte.

Hierauf125

Hierauf beſah ich die Salzkothen. Hr. Prof. Noͤſ - ſelt’s Vater, ein hieſiger Kaufmann, beſitzt eine der be - ſten, und dieſe beſah ich. Die Sohlen ſind hier gewoͤhn - lich 11. -14. loͤthig: Gradierhaͤuſer braucht man nicht. Die Sohle in der Kothe, wo ich war, iſt 16. loͤthig. In 6. Stunden ſetzen ſich 2. Kegel Salz an, wovon je - der 75. Pfund wiegt, oder 1. Dresdener Scheffel oder 28. Halliſche Metzen ausmacht. Man feuert mit Holz - kohlen und auch mit Steinkohlen. Ich verſuchte die Sohle, es iſt wahre Solutio ſalis, ganz ſaturirt. Auf dem Darrboden kan man vor Hitze kaum athmen. Der Brunnen, aus dem das Waſſer geſchoͤpft wird, liegt mit - ten in der Stadt, heiſt Gutjahr, iſt 80. Ellen tief, ſoll ſchon vor Chriſti Geburt gebraucht worden ſeyn, und hat unten noch den erſten Bau, daran alles von Holz iſt. Das Salz iſt herrlich, weis und klar. Alle Waſſer hier ſind merkurialiſch, daher zahlt man Etwas fuͤr die Ein - richtung mit reinem Waſſer.

Auf den Abend ich bei Hrn. Prof. Weſtphal in Semlers Geſellſchaft.

Den 15ten Aug. Reiſe nach Leipzig.

Ich machte dieſe kleine Tour auf dem Poſtwagen. Die Straſſe geht uͤber

Groskugel, welches noch eine preuſſiſche Poſtſta - tion und der halbe Weg iſt. In Haͤnichen ward ich von meinem Verleger, dem jungen Hrn. Jakobaͤer in Leipzig, auf eine ſehr angenehme Art uͤberraſcht. Er war mir bis hierher entgegen gefahren, ich muſte mich zuihm126ihm in ſeine Chaiſe ſetzen, und ſo hielt ich in ſeiner lieben Geſellſchaft meinen Einzug in Leipzig. Mein Lands - mann, Hr. Sicherer aus Heilbronn, der hier ſtudirt, war auch mit von der Parthie.

Den 16ten Aug.

Leipzig. Ich muſte bei meinem Freunde Jako - baͤer auf der Reichsſtraſſe logiren. Er wollte es nun nicht anders. Mein erſter Beſuch heute war zuerſt bei

Hrn. Jakobaͤer, dem Vater, ſchon in Jahren, aber noch thaͤtig, ganz fuͤr ſeine Kunſt eingenommen, und ein aͤchter Biedermann. Ich beſah ſeine Druckerei, die ſehr wohl eingerichtet iſt. Sie haben immer 7. Preſſen ge - hen und koͤnnen jede Woche an 50,000. Bogen drucken. Das Haus, welches er bewohnt, heiſt das groſſe Fuͤr - ſtenkollegium oder das ſchwarze Bret. Neben ihm wohnte ehemals Gellert. Man wies wir ſeine Woh - nung. Hier war es alſo, dacht ich, wo dieſer Weiſe in einem ſtillen Winkel ſo unendlich Gutes fuͤr die Welt wirkte, wo er in das Herz ſo vieler Juͤnglinge von nahe und fern Religion und Tugend pflanzte, ihren Geſchmack bildete, und Fruͤchte ſchafte, deren Nutzen ſich auf Tau - ſende verbreitete.

Drauf beſah ich verſchiedene Hoͤr - und Disputati - onsſaͤle der Univerſitaͤt, die Wahlzimmer, das Konvik - torium, das neue Juriſtenfakultaͤtsgebaͤude ꝛc. Die Univerſitaͤt hat viele weitlaͤuftige, zum Theil ſchoͤne Ge - baͤude. Dann ging ich, um

Hrn. Dr. Platner leſen zu hoͤren. Er hat ſehr viel Beifall. Ich kam in eine Stunde, wo er uͤber die Diaͤ -tetik127tetik las. Er ſagte: Das Fleiſcheſſen mache geſund und ſtark; das ſehe man an den Hottentotten, die das geſuͤndeſte, ſchoͤnſte und ſtaͤrkſte Volk auf der Erde waͤren. Man koͤnne von ihnen weiter den Schluß machen; denn dieſe Voͤlkerſchaft nehme ein Land ein, groͤſſer als Frankreich, Deutſchland und noch halb Deutſchland. Auch Spirituoſa prieß er ſehr an, ſag - te, ſie waͤren beim Fleiſcheſſen noͤthig. Der Kaffee habe ein Principium die Nerven zu beruhigen, daher ermuntre er, und vertreibe oft den Schlaf. Er wun - dre ſich, warum man nicht mehr medizinſchen Gebrauch in gewiſſen Fiebern davon mache. Milchkaffee nuͤtze nichts, des Morgens fruͤh ſei er den meiſten Koͤrpern gut, aber zum Ermuntern nicht noͤthig. Weil die Aerzte die Urſachen mancher Krankheiten nicht wuͤſten, ſo ſchoͤben ſie ſolche auf Kaffee und Thee ꝛc. Er nahm es als ein Theorema an, daß durch langen Ge - brauch manches unſchaͤdlich werde.

Nach der Stunde ging ich auf die Univerſitaͤtsbi - bliothek. Sie ſteht auf dem Paulinum. Dies war vormals ein Kloſter, auch ſiehts noch recht alt und moͤn - chiſch, aber ehrwuͤrdig aus, hat viele zum Theil dunkle Kreuzgaͤnge, Spitzboͤgen, hohe Fenſter ꝛc. Zu ihrer Vermehrung iſt kein Fond da, als von jeder Inſkription eines Studenten, Promotion, Auktion ꝛc. etliche Groſchen und freiwillige Geſchenke der Buchhaͤndler und Gelehrten. Jetzt war Hr. Prof. Schwabe Bibliothekar.*)Seit des Hrn. Hofrath Bel’s Tode iſt Hr. Prof. Reiz Direktor der Univerſitaͤts - ſowohl, als Boͤhmi - ſchen Bibliothek geworden. Herausgeber. Diezu128zu jeder Wiſſenſchaft gehoͤrende Buͤcher ſtehen in einer Art von Vermachung, die wie eine verſchloſſene Kam - mer iſt. Die Naturgeſchichte ſteht hier noch mit der Arzneikunde verbunden. Ich ſah Marſigli Hiſt. de Danube 6. fol. an. Neuere wichtige Werke aus der Naturgeſchichte fand ich nicht. Als eine der groͤſten und ſchaͤtzbarſten Seltenheiten der Bibliothek zeigte man mir ein Manuſkript von Homer’s Ilias, das Erneſti auch verglichen hat. Es mag etwa aus dem 13. und 14. Jahrhundert ſeyn. Lippert’s Daktyliothek hatte man auch. Der Churfuͤrſt hat ſie hieher geſchenkt. *)Durch die aus 6513. Baͤnden beſtehende auserleſene hiſtoriſche Buͤcherſammlung, welche der 1780. ver - ſtorbne Hr. Hofrath Boͤhme der Univerſitaͤtsbiblio - thek vermacht hat, iſt ſie neuerlich ſehr anſehnlich ver - mehrt worden. Dieſer Buͤcherſchatz nimmt in beſag - ter Bibliothek einen eignen Platz ein, und wird in 12. Schraͤnken, welche die Ueberſchrift haben, Biblio - theca Boehmiana, aufbewahrt. Das darin haͤn - gende Bildnis des wohlſeel. Erblaſſers dient ihr zu - gleich zur Verſchoͤnerung. Um dieſe Bibliothek herum ſtehen die ſchaͤtzbaren Handſchriften der Univerſitaͤts - bibliothek, die ſich auf 2000. Stuͤck belaufen. Herausgeber. Ueber den Schraͤnken haͤngen viele Bildniſſe vormahliger beruͤhmter Lehrer auf hieſiger Univerſitaͤt.

Die Rathsbibliothek hat ein weit ſchoͤnres Aeuſſe - res als erſtere, aber in der N. G. wenig neue Werke. Doch fand ich eine herrliche Mumie in einem glaͤſernen Sarge, zwei groſſe Globi von Coronelli ꝛc. Im Zu - ruͤckgehen fuͤhrte mich mein Weg durch den ſo beruͤhm - ten

Auerbach’s129

Auerbach’s Hof, wo in den hieſigen beruͤhmten Meſſen, Pracht, Reichthum und Geſchmack aus allen Gewoͤlbern einem entgegen ſchimmern ſoll. Sonſt iſt er ein altes, winklichtes, unregelmaͤſſiges Gebaͤude.

Den Nachmittag fuͤhrte mich mein Freund Jako - baͤer, der mir meinen hieſigen Aufenthalt auf alle Art angenehm zu machen wuſte, nach Raſchwitz, ohngefaͤhr ¾. Stunde von der Stadt, wo ein Garten mit ungemein reizenden Spaziergaͤngen ins Gehoͤlz und uͤber Wieſen iſt. Wir tranken da Kaffee. Ein heftiger Platzregen aber ſtoͤhrte unſer Vergnuͤgen ein wenig, und erinnerte uns, daß keine Freude in der Welt vollkommen ſei.

Abends ſah ich im Gros-Boſiſchen Garten ein ar - tiges Feuerwerk abbrennen, wozu der Namenstag der Churfuͤrſtin Veranlaſſung gab. Es war eine Illumina - tion dabei, mit Muſik hinter den Laubwaͤnden. Die Zu - ſchauer ſaſſen unter Zeltern.

Den 17ten Aug.

Der heutige Tag war beſtimmt, mehrere der hieſigen Gelehrten kennen zu lernen, alſo wartete ich zuvoͤrderſt eine Vorleſung des

Hrn. Prof. Morus ab. Ich traf eben in eine exegetiſche Stunde, wo er uͤber 1. Petr. II. 7. 8. 9. las. Er ſagte, der Apoſtel akkomodire den Ti - tel des juͤdiſchen Volks auf die Chriſten. Ιερατευμα βασιλειον ſei nur Collegium ſacerdotum illius, qui eſt rex: αρετας ſei nach den LXX. ſoviel wie gloria, laus, excelſa illius attributa. Wider die Seele ſtreiten, heiſſe, wider die geſunde Vernunft, undZweiter Theil. Jdie130die beſſern Religionserkentniſſe ſtreiten. ϒμερα επισκο - πης meinte er, ſei das kuͤnftige Gericht. Er gibt blos den ſenſum litteralem an, aber nicht ein Wort von der Sache ſelbſt, oder vom Gebrauch der Stelle. Sein Vortrag iſt ganz und ſehr rein lateiniſch. Hierauf beſuchte ich nach der Reihe

Hrn. D. Erneſti. Da fand ich aber mehr die Truͤmmer des Mannes, als ihn ſelbſt. Faſt unbeweg - lich ſaß er aufin Seſſel, doch hatt er noch den Gebrauch aller Sinne*)Dieſer groſſe Gelehrte ging auch ein Jahr nachher, im 74ſten Jahre ſeines Alters mit Tode ab. Herausgeber. . Er lebt jetzt blos von Arzeneien. Um ſo ſonderbarer iſt es, da er in ſeinem ganzen Leben mit Gemaͤchlichkeit gearbeitet, und ſich nie ſehr angeſtrenget haben ſoll. Er ſoll ein Mann von heftigen Leiden - ſchaften geweſen ſeyn. Von ſeiner Undienſtfertigkeit weis man hier viel zu erzaͤhlen.

Hr. Prof. Reiz, ein groſſer Philolog und ungemein beſcheidener, guter Mann.

Hr. Paſtor Zollikofer. Schon bemerkte ich Furchen im Geſicht des vortreflichen Mannes. Er iſt in ſeiner Unterredung ſehr unterhaltend und lehrreich. Von ihm ging ich zu meinem Freunde

Hrn. Prof. Leske. Wir gingen ſeine Naturalien - Sammlung durch, und mir war darin beſonders merk - wuͤrdig:

  • 1) Ein unbekanntes Midasohr.
  • 2) Eine Bulla mit einer Plica.
3) Ein131
  • 3) Ein meergruͤner Turbo aus Otaheite, ſ. den Na - turforſcher.
  • 4) Eine ſchoͤne Pennatula L. in Weingeiſt. Auch die in der Zool. Dan. Prodr. beſchriebene.
  • 5) Eine Lacerta mit weiſſen Streifen.
  • 6) Taeniae ex cerebro ovium. S. ſeine Ab - handlung von Drehen der Schaafe, in 8.
  • 7) Taeniae ex fele. Goͤtze meint, alle Katzen haͤtten Bandwuͤrmer, ſie waͤren ihnen natuͤrlich; Les - ke habe aber bei ihm eine Katze aufgeſchnitten, die keine hatte.
  • 8) Eine aſiatiſche Lac. vivipara, die nicht als Larva zur Welt kommt.
  • 9) Baliſt. Monoceros L.
  • 10) Ein amerikaniſcher Luchs, den er in den Samm - lungen zur Phyſik und Naturgeſchichte S. 325. u. f. des 1ten Bandes beſchrieben hat.
  • 11) Klingende Quarze aus Schleſien.
  • 12) Tafelartiger Quarz aus Sachſen.
  • 13) Saͤchſiſcher Achat mit Sternen.
  • 14) Die reinſte Terra alum. aus dem Garten beim Paedag. Reg. in Halle.
  • 15) Rohe und geſchliffene Labradorſteine; die Gelben ſind die ſeltenſten.
  • 16) Oktaedriſcher Wolframm, den er zu den Thonar - ten mit Eiſen rechnet.
  • 17) Chryſopras, noch ganz weich aus Thon.
  • 18) Groſſe ſaͤchſiſche und ruſſiſche Granaten.

Nachmittags machte ich einen Spaziergang nach

Gohlis, einem ſehr angenehmen Landſitze, der dem Hrn. Hofrath Boͤhme gehoͤrt, der aber eben geſtorben war. J 2Inwendig132Inwendig iſt er praͤchtig meublirt. In dem einen Saa - le iſt ein Plafond, erſt kuͤrzlich von Oeſer gemahlt, der hier Profeſſor bei der Churfuͤrſtl. Akademie der bildenden Kuͤnſte iſt. In vielen Zimmern haͤngen vortrefliche Kupferſtiche, beſonders Bildniſſe, unter Glas. Auch ſteht in einem eignen Zimmer eine herrliche Sammlung von Dichtern, die das Gluͤck des Landlebens beſungen haben, in praͤchtigen Baͤnden. Man geht durchs Ro - ſenthal dahin. Das iſt ein ungemein reizendes Luſt - waͤldchen, gleich vor dem einen Thore der Stadt. Die Pleiſſe ſchleicht ſehr angenehm hindurch. Tiefer im Gehoͤlze ſind Alleen durchgehauen, in deren einer ſich Goh - lis uͤber der Pleiſſe druͤben, herrlich praͤſentirt.

Den 18ten Aug.

Heute beſuchte ich zuerſt des Direktor Heinicken’s Inſtitut zur Bildung der Stummen. Er iſt eigentlich ein Schulmeiſter aus Hamburg, der vom Paſtor Goͤ - tze beſchuldigt ward, er wolle durch ſeinen Unterricht die Wunder Jeſu zu Schanden machen. ꝛc. Der Chur - fuͤrſt bot ihm ſein Land, weil er doch ein Sachſe iſt, und 300. Thaler Gehalt an. Wie Hr. Heinicke unterrichtet, laͤſt er nicht ſehen. Die Zoͤglinge lernen durch Artikulation die Sprache, daher, ſagt er, koͤnnen ſie ſie auch nicht vergeſſen, dahingegen, wer das Gehoͤr einbuͤßt, auch die Sprache verliert. Das ſonderbarſte aber iſt, daß ſie auch hoͤren. Man muß nur langſam, laut und deutlich reden. Ein gewiſſer junger von Moh - renſchild war ſehr weit, las mir alle Reſidenzen von Europa laut von der Tafel ab, las den Glauben vor, ſchrieb was ich haben wolte, gab auf alles Acht, behieltalles133alles gleich ꝛc. Er hat fuͤr eine an den Churfuͤrſten gehal - tene Anrede von demſelben eine goldne Uhr zum Geſchenk erhalten. Andre fingen erſt an. Da bemerkte ich dann ſchreckliche Verzerrungen der Lippen und unbegreifliche Toͤne, ſonderlich klang es bei einem jungen Frauenzim - mer in der That erbarmenswuͤrdig. Ich probirte die 5. Vokalen mit ihr. A war ihr der leichteſte, E der lieb - ſte, J der ſchwerſte, O der deutlichſte, aber bei U floſ - ſen ſchon Konſonanten zuſammen. Das R iſt immer das ſchwerſte. Die Kinder lernen alle ſchreiben, malen ꝛc. Einer der jetzt weggegangen iſt, malte den Direktor und iſt ein groſſer Maler geworden. Schlecht aber iſt’s, daß oft ein unſinniges Gelaͤchter entſteht, und daß der Di - rektor den Ungluͤcklichen Sottiſen ꝛc. diktirt.

Weiter beſah ich heute noch das Jablonowskyſche Palais und Garten. Es heiſt auch ſonſt der Chur - prinz. Ein ſchoͤnes Gebaͤude, das den Vorſtaͤdten ge - wis zur Zierde gereicht. Der Garten iſt im alten Ge - ſchmack mit graden Alleen ꝛc. ſteht aber jedem offen.

Gellert’s Monument in des Buchhaͤndler Wend - ler’s Garten, aus Saͤchſiſchen weiſſem Marmor von Oeſer verfertigt. Idee und Ausfuͤhrung ſind vortref - lich.

Sein Grab, auf dem Gottesacker bei der Johan - niskirche, mit einem ganz ſimpeln viereckigten Steine bedeckt, der blos anzeigt, wer darunter liegt, nebſt dem Geburts - und Sterbejahre und Alter. Er ſtarb 1769. und das Jahr darauf ſein Bruder, der hier Oberpoſtkom - miſſar war. Beide ruhen nebeneinander. Friede ſei mit ihren Schatten, und das Andenken des frommen Dichters ſei unſterblich, ſei im Segen!

J 3Sein134

Sein Denkmahl in der Johanniskirche an der Wand, neben der Mittelthuͤre. Die verſchleierte Reli - gion uͤberreicht der Tugend Gellert’s Bruſtbild aus ver - goldeter Bronze. Dieſe hat ſchon einen Kranz fuͤr ihn in Haͤnden. Buͤcher und Attribute des Dichters liegen unten. Die Inſchrift beſagt, daß es ihm von einer Geſellſchaft guter Freunde und Zeitgenoſſen errichtet wor - den, unter denen viele Pohlen ſind.

Die Statue des jetzt regierenden Churfuͤrſten vor dem Petersthore, auf einem ſchoͤnen viereckigten gruͤnen Raſenplatze mit neuangelegten Linden-Alleen, die ins Viereck herumgezogen ſind. Sie iſt ihm vom Fuͤrſten Jablonowsky und dem hieſigen Rath errichtet worden, und erſt neulich mit groſſer Feierlichkeit und Illumination aufgedeckt und eingeweiht worden. Eine Art von Tem - pel auf 4. Saͤulen ſtand jetzt noch uͤber der Statue. Der Churfuͤrſt ſteht in roͤmiſcher Kleidung mit bloſſem Haupte da, und haͤlt in der einen Hand einige Lorberkraͤnze. Aber das Fußgeſtelle iſt doch fuͤr die Statue zu hoch und ſchwerfaͤllig, und ſchadet ihrer Wirkung.

Den 19ten Aug.

Erſt war ich heute beim Mechanikus Hofmann, einem geſchickten Optikus, und beſtellte mir bei ihm ein Mi - croſcop. compoſ. das 51. Millionenmahl vergroͤſſern ſoll, mit dem ganzen dazu gehoͤrigen Apparat und Be - ſchreibung ꝛc. Ich ward mit ihm auf 60. Thaler ei - nig. Wir betrachteten Schuppen vom Paͤrſch und vom Schlammbeitzker. Drauf wollte ich das

Link -135

Linkſche Naturalienkabinet beſehen; der Beſitzer war aber auf dem Lande. Nicht beſſer ging mir’s mit dem

Richterſchen Kabinet auf der Haynſtraſſe. Es war wegen des Todes des Eigenthuͤmers noch verſiegelt. Weil mir’s hier nicht gelang, ſo ging ich in einige

Hieſige Gaͤrten. Sie ſind noch meiſt altmodiſch, haben geſchnittene Hecken, Pyramiden, Thiere, Kana - pees von Buxbaum, Taxus und ewige Alleen; fangen zum Theil auch an einzugehen. Drauf machte ich einen Beſuch beim

Hrn. Kreisſteuereinnehmer Weiſſe. Ich fand ihn ſo liebenswuͤrdig und angenehm in ſeiner Unterhaltung, als ers in ſeinen Schriften iſt. Menſchenliebe ſpricht aus ſeiner freundlichlaͤchelnden Mine. Unleugbar iſts doch, daß er ſich durch ſeine Schriften uͤber die Verbeſſe - rung der Erziehung um die Welt und Nachwelt ſehr ver - dient gemacht hat; dafuͤr iſt er aber auch ein gluͤcklicher Gatte und Vater. Daß er ein groſſer Freund der Phi - lantropine ſei, iſt leicht zu erachten. Von Baſedow ſagte er, daß er doch das Verdienſt habe, Aufmerkſam - keit auf das Erziehungsweſen erregt zu haben ꝛc.

Den 20ſten Aug.

Heute war ich in der Reformirten Kirche, und hoͤrte Hrn. Zollikofer predigen. Die Kirche iſt eigent - lich nur ein Saal im Amthauſe, ganz ohne das Gepraͤn - ge andrer hieſigen Kirchen, und ohne Interimiſterei. Ich fand einen ſehr ſimplen reinen Gottesdienſt. Die Gebete und Geſaͤnge ſind von Hrn. Zollikofer. Der Meßner lieſt aber lange Kapitel aus der Bibel ab, dannJ 4folgt136folgt der Geſang und ein kurzes Gebet. Er predigte uͤber 1. Tim. IV. 17. Uebe dich ꝛc. und handelte von den Folgen der Lehre, daß unſer Leben nur Vorbereitung ſei ꝛc. Seine Stimme ſchien mir ſchwach zu ſeyn, auch hatte er eben nicht viel Deklamation. Sie war etwas weinerlich, aber doch nicht unangenehm. Die meiſten ſeiner Zuhoͤrer ſind Lutheraner. Einige nennen die Be - ſuchung dieſes Gottesdienſtes Galanterie, und verbieten den Ihrigen hinein zu gehen, ſehen es fuͤr Syncretis - mus an, und halten ſich lieber an ihre Prieſter. Mich duͤnkt doch, dieſer ſonſt ſo vortrefliche Prediger verſieht es offenbar darin, daß er den Text nicht beruͤhrt, und ſonſt im Verlauf des Vortrags keinen einzigen Spruch aus der Bibel anfuͤhrt, auch nicht von der evangeliſchen Verpflichtung des Chriſten, nicht von der Liebe Gottes und Jeſu Chriſti die Beweggruͤnde zu ſeiner Tugend her - nimmt. Es gefaͤllt und verfliegt.

Mittags war ich beim aͤltern Hrn. Jakobaͤer zu Gaſte. Nachmittags wollt ich den Loͤhriſchen Garten beſehen, und auf dem Wege dahin ging ich einen Augen - blick aufs

Richterſche Kaffeehaus. Warlich eins, wie’s weder in Paris, noch viel weniger in Amſterdam gibt. Das Haus uͤbertrift manches Schlos. Man trift eine ganze Enfilade von ſchoͤnen Zimmern darin an, wo in einigen geſpeiſt, in andern Toback geraucht wird. Von da ging ich in den

Loͤhrſchen Garten ſpazieren. Da der Apelſche und Grosboſiſche in Verfall kommen; ſo dient dieſer Leipzig zu neuer Zierde. Vorne ſteht ein ungemein geſchmack -volles137volles Gebaͤude, das noch nicht ganz ausgebaut iſt. Der Garten iſt ganz im engliſchen Geſchmack angelegt, aber zu klein dazu. Man trift Waſſerpartien, Inſeln, Schlan - gengaͤnge, fremde Holzarten, Luſthaͤuschen ꝛc. darin an. Auch iſt der Beſitzer ſo gefaͤllig, und erlaubt jedermann, d[a]rin frei zu ſpazieren. Drauf beſuchte ich den

Friedrich Richter’ſchen Garten. Ob er gleich auch im alten Geſchmack iſt, viele lauge grade Alleen u. ſ. w. hat; ſo findet man doch viel angenehme Partien darin. Schon der Eingang uͤber eine ſchoͤne Bruͤcke iſt empfehlend; dann koͤmmt man rechter Hand in einen Bogengang, in deſſen gruͤnen Schatten man bei druͤcken - der Hitze ſich herrlich erquickt. Aber uͤber alles geht ein niedliches japaniſches Haͤuschen, 2. Stock hoch, das hin - ten in einem einſamen Winkel des Gartens gar reizend liegt. Von da genieſt man eine bezaubernde Ausſicht uͤber Waſſer und ein rauſchendes Wehr, auf gruͤnende Wieſen und lebhafte Doͤrfer.

In der Geſellſchaft, die ich bei meinem Freund Hr. Jakobaͤer heute Abend fand, war auch ein hieſiger bra - ver Kaufmann, Hr. Jungkherr, der 1755. in Liſſabon das Erdbeben mit erlebt hatte. Seine Erzaͤhlung inter - eſſirte mich ungemein, zumal da ſie durch ihre Simplizi - taͤt ſo ganz das Gepraͤge der Warheit hatte. Er war auch verſchuͤttet worden, als er ſchon die Hausthuͤre er - reicht gehabt, war aber in einem Raum, den die zer - brochenen Balken und Mauern formirt, ſo ſonderbar ein - geſchloſſen worden, daß er zwar aus dieſem Gefaͤngniſſe nicht herausgekonnt, aber doch nicht beſchaͤdigt worden. In der ſchrecklichen Angſt, immer noch zerſchmettert zu werden, habe er uͤber 2. Stunden aushalten muͤſſen,J 5bis138bis er endlich noch durch Huͤlfe eines treuen Bedienten, eines Spaniers, ſich herausgearbeitet. Nun habe er immer noch unter tauſend Gefahren von den noch be - ſtaͤndig nachſtuͤrzenden Mauern auf den Straſſen alle Au - genblicke erſchlagen zu werden, das freie Feld erreicht. Aber ſo entſetzlich auch der Anblick der Ruinen und der immer noch nachſtuͤrzenden Mauern geweſen; ſo ſei er doch noch nichts in Vergleich des nach einigen Stunden an vie - len Stellen ausgebrochenen Feuers. Dies habe 4. Tage angehalten und alles verzehrt, was das Erdbe - ben noch ſtehen laſſen. Eine Meile lang und breit ſei die Stadt nur Eine Flamme geweſen. Alle Elemente haͤtten mit einander gekaͤmpft. Die See habe wie Ber - ge hoch geſtanden. Aber das allererbarmungswuͤrdigſte, wo auch dem Unempfindlichſten das Herz habe bluten muͤſſen, ſei der Anblick ſo vieler tauſend Todten, das Aechzen der Verwundeten, der Verſchuͤtteten, der Ster - benden, das Angſtgeſchrei der Weiber, der Kinder gewe - ſen. Vor dem einen Thore fand er eine Menge vorneh - mer Frauenzimmer in ihren ſchwarzen Kleidern, wie ſie in der Kirche waren,*)Denn es war eben Allerheiligen, und alle Kirchen mit Menſchen angefuͤllt. die auf den Knien lagen, ſich die Haare ausrauſten, die Bruſt zerſchlugen, die Haͤnde rangen, und Gott um Barmherzigkeit anflehten. Die Anzahl der theils durch den Einſturz der Haͤuſer, theils durchs Feuer ums Leben gekommenen, ſchaͤtzte er auf 50,000. Menſchen. Doch genug von dem traurigen Gemaͤlde.

Den139

Den 21ſten Aug.

Heute machte mir der liebe Hr. Weiſſe einen Ge - genbeſuch. Unſere Unterredung fiel wieder auf Erzie - hung. Bei der Erziehung ſeiner Kinder, ſagte er, ha - be er ſich’s zur Vorſchrift gemacht, ſie immer nuͤtzlich zu beſchaͤftigen, daher laͤßt er ihnen auch Unterricht in der Naturgeſchichte geben. Meine Guͤte und Weisheit Got - tes habe er mit ihnen auf dem Lande geleſen. Von Hr. von Born aus Wien bekomme er manchmahl Natura - lien fuͤr ſie geſchickt.

Heute kriegte ich dann auch des

Hrn. Kommerzienrath Linke’s Kabinet zu ſehen. Sein Grosvater fing ſchon an zu ſammeln, der Vater fuhr fort, ſchrieb auch de ſtell. mar. der Enkel ſammelt noch weiter. Schade, daß es an Platz gebricht. Das Kabinet enthaͤlt Naturalien aus allen Reichen, beſonders iſt es aber an Konchylien und Sachen in Weingeiſt, und darunter vorzuͤglich Schlangen, reich. *)Der Beſitzer hat die vorzuͤglichſten Stuͤcke ſeines Ka - binets in einem Katalog beſchrieben unter dem Titel: Index Muſ. Linck. oder kurzes ſyſtem. Verz. d. vor - nehmſten Stuͤcke d. Link. Natural. Samml. 1ter Theil, 8. Lpz. 1783. Herausgeber. Unter den Naturalien ſtehen auch Kunſtſachen. Der Beſitzer war ſehr artig, und zeigte mir alles mit vieler Gefaͤlligkeit, war auch ausdruͤcklich deswegen vom Lande in die Stadt gekommen. Eine Sammlung von naturhiſtoriſchen Buͤ - chern befindet ſich auch hier. Ich merkte mir folgendes beſonders:

1) Beutel -140
  • 1) Beutelratze, Maͤnnchen und Weibchen im Weingeiſt.
  • 2) Embryones von Loͤwen, Baͤren.
  • 3) Chineſiſcher Goldmaulwurf in Weingeiſt.
  • 4) Mus dorſigera mit langen Schwanz.
  • 5) Embryo von Hottentotten, ſchon ein wuͤſter Menſch.
  • 6) Raja Torpedo.
  • 7) Colibrineſt, mit 2. Jungen, ganz aus Baumwolle, wie eine Schuͤſſel, ſehr niedlich.
  • 8) Ein gruͤnes Colibri mit kohlſchwarzem Schwanz.
  • 9) Ei von der Eider, lang, ſehr ſpitzig an einem Ende, ſchmutzig.
  • 10) Embryo von einem Wallros, da ſieht man an den pedibus lobatis durch die zarte Haut noch die pha - langes und alle Artikulationen.
  • 11) Chamaͤleon, iſt nach dem Tode ganz fleiſchfarbig.
  • 12) Sepia und noch eine ſchoͤnere, mit dem Os ſepiae.
  • 13) Doppelter Spinnenkopf.
  • 14) Radix Bryoniae, eine Schnecke, die Liſter voͤllig ſo abgebildet hat, mit abgeſtumpfter Spitze.
  • 15) Drei Admiraͤle.
  • 16) Zimmtrinde in der Holzſammlung, auf ander Holz aufgeleimt.
  • 17) Lignum ſtercoris, das abſcheulich ſtinkt. Der Beſitzer kennt es ſelbſt weiter nicht.
  • 18) Kunkelſche Glasfluͤſſe, ein violetter und ein gruͤner.

Nachmittags fuhr ich mit meinem Freund Jako - baͤer nach Konnewitz, wo ein ſehr gut eingerichteter oͤffentlicher Luſtort mit einem artigen Garten iſt, der von den beſten Geſellſchaften aus Leipzig haͤufig beſucht wird, weil er ohngefaͤhr nur eine halbe Stunde von der Stadt liegt, und man da ſehr gute Bewirthung findet.

Auf141

Auf den Abend ſah ich noch ein Feuerwerk in Apel’s Garten abbrennen, das recht huͤbſch war. Und damit beſchloß ich meinen Aufenthalt in Leipzig, einer Stadt, die ohne Streit unter die angenehmſten und ſchoͤnſten Staͤdte gehoͤrt, die ich beſucht habe. Sie hat meiſt gra - de, breite, helle, wohlgepflaſterte, und des Nachts mit Laternen erleuchtete Straſſen, praͤchtige Haͤuſer, und die angenehme Bequemlichkeit, daß man ſie in ohngefaͤhr einer kleinen Stunde Zeit unter angenehmen Alleen ganz umgehen, und alle Viertelſtunden wieder ein Thor errei - chen kan. Die Einwohner ſind in ihrem Umgange un - gemein hoͤflich und verbindlich, ohne ſteife Komplimente. Beſonders verbindet das ſchoͤne Geſchlecht mit allen die - ſen Vorzuͤgen noch viel Liebe zur Lektuͤre, und die Kunſt, ſich ohne uͤbertriebene Pracht mit dem feinſten Geſchmack zu kleiden. Die Univerſitaͤt war alleweile ziemlich bluͤ - hend. Man rechnete mir die Anzahl der gegenwaͤrtig hier Studirenden auf 1400: die meiſten waren nicht reich aber anſtaͤndig gekleidet, auch in den Vorleſungen mei - ſtens ruhig.

Reiſe nach Dresden.

Den 22ten Aug.

Heute fruͤh um 5. Uhr muſt ich dann meinen wuͤrdi - gen Freund und lieben Wirth verlaſſen. Dieſer Abſchied ging mir wirklich ſehr nahe. Thut’s einem gefuͤhlvollen Herzen nicht weh, den Umgang guter Menſchen, wenn man kaum ihren Werth kennen gelernt hat, ſchon wieder entbehren zu muͤſſen! Wie froh verfloſſen mir nicht die Tage meines hieſigen Aufenthalts. Wie viele Beweiſe aufrichtiger Freundſchaft erhielt ich nicht von ihnen! Derbeſte142beſte Segen des Himmels ruhe auf den Redlichen, ſeiner wuͤrdigen Gattin, und der lieben kleinen hofnungsvollen Tochter!

Die erſte Poſtſtation auf der Route von Leipzig nach Dresden iſt

Wurzen. Kurz zuvor eh man dieſes Staͤdtchen erreicht, wird man auf der Faͤhre uͤber die Mulde geſetzt. Mein Freund Jakobaͤer gab mir bis auf den halben Weg das Geleite, wir druͤckten einander noch zuletzt mit deutſchem Biederſinn die Haͤnde, eine Thraͤne zitterte im Auge, und dann ſahen wir uns nicht mehr.

Von Wurzen koͤmmt man auf

Wermsdorf. Darneben liegt das herrliche Hu - bertsburger Jagdſchloß. Unbeſchreiblich ſchoͤn iſt hier herum die Gegend, mein Auge weidete ſich an den herli - chen Fruchtfeldern, Waͤldern und Wieſen, und ſo gelang - te ich dann nach

Stauchitz. Hier fangen ſchon die ſanft aufſteigen - den Gebuͤrge an. Die ſilberhelle Elbe hat man immer ſeitwaͤrts zur Begleiterin. Die Leute ſchnitten hier her - um erſt die Winterfrucht. Zuletzt vor Meiſſen kamen ſchon ſchreckliche Felſen.

Meiſſen iſt, ſo viel ich beim Pferdewechſeln bemer - ken konnte, ein ziemlich ſchlechter Ort, hat aber eine herr - liche Lage an der Elbe, auch erblickt man Weinberge und Luſthaͤuſer in Menge zu beiden Seiten, auch ſtand der Wein gar ſchoͤn. Das alte Schloß, worin die beruͤhmte Porzellaͤnfabrike iſt, liegt ſehr maleriſch auf einem Berge. Naͤher gegen Dresden hin traf ich Sand und Moraſt an, auch ſchlechte Doͤrfer und zuweilen Haͤuſer mit Stroh gedeckt. Endlich gelangte ich Abends um 8. Uhr nach

Dresden. 143

Dresden. Schon von weitem ſieht man Nachts auf der breiten ſtillen Elbe die Lampen auf der ſchoͤnen Bruͤcke ſchimmern. Ein angenehmer Anblick! Ueber - haupt wird die ganze Stadt des Nachts ſo wie Leipzig durch Laternen auf Pfaͤlen erleuchtet.

Den 23ſten Aug.

Dresden hat zu viele Schoͤnheiten und Sehens - wuͤrdigkeiten, als daß ich bei der kurzen Zeit meines Auf - enthalts alles haͤtte in Augenſchein nehmen koͤnnen. Dar - um begnuͤgte ich mich nur das Vorzuͤglichſte zu beſehen, nnd dies war fuͤr heute

Das Churfuͤrſtl. Schloß. Ich habe es nur von auſſen betrachtet, und da fand ich’s nicht ſchoͤn. Es iſt alt und irregulaͤr. Hinein bin ich nicht gekommen, es ſoll aber ſehr praͤchtige Zimmer enthalten.

Die katholiſche Hofkapelle, ein gar edles Gebaͤu - de,*)Sie iſt nach der Angabe des groſſen Architekten Gae - tano Chiaveri erbauet. Herausgeber. allerwegen mit den vortreflichſten Statuen von Evangeliſten, Apoſteln, Heiligen geziert**)Dieſer Statuen ſind in allen 64. Sie ſind nach Torelli’s Zeichnungen von Mattielli verfertigt. Herausgeber. . Auch der Thurm daran iſt herlich***)Er iſt mit dem Kreuze 151. Ellen hoch. Herausgeber. . Am Hochaltar iſt das beruͤhmte Meiſterſtuͤck von Mengs. Es ſtellt die Himmelfahrt Chriſti vor, und ſoll 30,000. Thaler geko -ſtet144ſtet haben. Es iſt zum Entzuͤcken ſchoͤn! *)Eine vortrefliche Beſchreibung dieſes Gemaͤldes aus der Feder des Hrn. Prof. Caſanova ſteht im 3ten B. der N. Bibl. der ſchoͤnen Wiſſ. und Kuͤnſte. Herausgeber. Dem Hauptaltare zur Seiten ſind die Porkirchen fuͤr den Hof, roth mit Gold ausgeſchlagen. An einem Nebenaltare gefiel mir beſonders der Tod des heil. Franciskus Xaver in Japan**)Vom Grafen Rotari gemahlt. Herausgeber. . Ein herrliches Stuͤck. Die Kanzel iſt eine Gruppe von alabaſternen Figuren***)Sie iſt von dem beruͤhmten Balthaſar Permoſer verfertigt, aber nicht aus Alabaſter, ſondern blos aus Holz, das aber mit einem Lack ſo taͤuſchend uͤber - zogen iſt, daß man dadurch verfuͤhrt wird, es fuͤr Stein zu halten. Herausgeber. . Die Saͤulen alle aus ſaͤchſiſchem Marmor****)Beſonders iſt der Hochaltar aus einem inlaͤndi - ſchen, bei Maxen gebrochenen Marmor. Herausgeber. . Nicht weit davon iſt die herliche

Elbbruͤcke. Sie iſt weit ſchoͤner, als Pontneuf in Paris, hat jetzt 19. Pfeiler, in der Mitte ſteht ein vortrefliches ſtark vergoldetes Kruzifix, und gegenuͤber das Saͤchſiſche und Pohlniſche Wappen. Zu beiden Seiten der Bruͤcke ſind erhoͤhete und mit groſſen Quader - ſteinen belegte Wege zur Bequemlichkeit der Fußgaͤnger, und dabei die Einrichtung, daß die von Dresden nach Neuſtadt gehen, auf einer Seite alle hinter einander, und die, welche aus letzterm Orte nach erſtern wollen, auf der andern Seite und zwar alle hinter einander gehenmuͤſſen.145muͤſſen. Wer dies nicht beobachtet, wird von den an jedem Ende der Bruͤcke ſtehenden Schildwachen zurecht gewieſen. Man hat von hier eine ganz unbeſchreiblich angenehme Ausſicht die Elbe hinunter nach Torgau zu, und auch den Strom hinauf nach Pirna hin. Von er - ſterm Orte ſieht man beſtaͤndig Schiffe mit Holz, Getrei - de, Salz ꝛc. herauf kommen, und von letzterm Schiffe mit Steinen ꝛc. den Fluß hinuntergehen.

Die Statue Koͤnig Auguſts des II. zu Pferde im Gallop, in Roͤmiſcher Kleidung, ſtark vergoldet. Sie ſoll ihm ſehr aͤhnlich ſeyn. Ein Kupferſchmidt hat ſie verfertigt*)Er hies Wiedemann, war aus Augſpurg gebuͤrtig und in Churſaͤchßl. Dienſten Obriſtlieutenant. Er hat die Statue nicht gegoſſen, ſondern aus Kupfer getrieben. Herausgeber. , nur iſt der Schweif des Pferdes zu breit, und ſieht aus wie ein Bret.

Meißner Porzellan-Niederlage in Altdres - den**)In dem ehemaligen graͤflich Bruͤhliſchen, nunmehro aber Churfuͤrſtl Pallaſte. Herausgeber. . Hr. Poetzſch, an den ich vom Hrn. Hofrath Schreber aus Erlangen einen Empfehlungsbrief hatte, iſt Aufſeher daruͤber, kommt aber jetzt als Mitaufſeher an das Churfuͤrſtl. Naturalienkabinet. Drei Zimmer ſtehen gedraͤngt voll, und das Auge irrt ungewiß auf Millionen Schoͤnheiten herum. Da ſieht man Va - ſen, Teller, Service, Aufſaͤtze, Koͤpfe, Antiken, Blu - men, Gruppen, Bauern, Thiere ꝛc. Oft ſchwarze Malerei, und das feinſte Gold dazwiſchen. Landſchaf -tenZweiter Theil. K146ten, Thiere und Schaͤferſtuͤcke von der feinſten Mignia - tur, auf Tellern, Schuͤſſeln, Taſſen ꝛc. Kurz uͤberall herrſcht der edelſte Geſchmack. Andre Stuͤcke ſind blen - dend weis. Kruzifixe fuͤr 6, 8, 10, -30. und mehr Thaler, je nachdem das Poſtement iſt. An einem Kaf - feeloͤffelchen macht oft eine Kleinigkeit in der Malerei oder in der Verzierung einen Umſtand von 1. Thaler. Mei - ne zwei koſten 2. Gulden. Man packt das Porzellaͤn in feuchtes Moos ein. Im obern Stock dieſes Gebaͤudes ſteht noch ein ganzes Service, das die Fabrik dem Chur - fuͤrſten zum Geſchenk gemacht hat. Man ſchaͤtzt dieſen Tiſch voll auf 10,000. Thaler. Man hat jedem Teller andre Farben, andre Deſſeins gegeben. Es ſind ganze Jagden auf manchem. Alle Wiſſenſchaften und Kuͤnſte ſind in weiſſen Figuren, und die Poſtemente von Saͤch - ſiſchen Steinſorten. Man wird betaͤubt von den unend - lichen Schoͤnheiten.

Der Bruͤhliſche Garten neben dem Zeughauſe in der Altſtadt. Er kommt in Verfall, aber der ſchoͤne Gang an der Elbe hin, und die praͤchtige Ausſicht daran macht doch, daß man noch gern hineingeht. Zu beiden Seiten erblickt man Berge, mit Oertern gleichſam beſaͤet.

Der groſſe Garten vor dem Pirnaiſchen Thore. Da ſteht in etlichen Pavillons die herliche Antikenſamm - lung, wo immer eine Menge junger Kuͤnſtler zeichnen. Hier ſah ich auch den Direkteur der Akademie, den Prof. Caſanova*)Deſſen Diſcorſo ſopra gl’Antichi e varj Monu - menti loro et cet. 4. In Lipſia 1770. vortrefli - che Urtheile uͤber dieſe Kunſtſchaͤtze enthaͤlt. Manhat.

Die147

Die Bildergallerie uͤber dem Churfuͤrſtl. Stalle und der Reitbahn. Sie enthaͤlt an 2000. Stuͤcke, und keins darunter iſt Kopie. Eine Menge Stuͤcke ſind aus Mangel des Platzes nicht aufgehaͤngt. Hier ge - raͤth man ganz in Entzuͤcken! Da man den Katalog davon gedruckt hat; ſo will ich nur anzeigen, welche Stuͤ - cke ich mir beim fluͤchtigen Durchlaufen, und als ein in den Geheimniſſen der Kunſt Nichteingeweihter, beſonders gemerkt habe,

  • 1) Groſſe Stuͤcke von Teniers.
  • 2) Herliche Wouwermanns.
  • 3) Atalanta und Meleager, von Rubens.
  • 4) Oliver Cromwell von Vandyck.
  • 5) Karl I. und ſeine Gemalin, von Gonzalo Coc - ques.
  • 6) Ein alter Manns - und Frauenkopf, von Sey - bold. Beſonders ſind der Bart und das Fleiſch zum Angreifen.
  • 7) Ein Kopf des Kupido, der ſeinen Pfeil ſchaͤrft, von Mengs. Schoͤner iſts nicht moͤglich, den Amor zu mahlen.
  • 8) Ruben’s 2. Soͤhne, von ihm.
  • 9) Sehr groſſe und wohl erhaltene Holbeins.
  • 10) Von van der Werft, das Urtheil des Paris. Ganz die nackte Natur!
  • 11) Ruben’s juͤngſtes Gericht. An einigen Figuren haͤngen Schlangen und Furien. Schauderhaft!
K 2Um

*)hat davon auch eine deutſche mit lehrreichen Erlaͤu - terungen begleitete Ueberſetzung. Herausgeber.

148

Um aber doch uͤber den vielen Schaͤtzen der Kunſt die liebe Natur nicht zu vergeſſen, machte ich Hrn. Poͤtzſch einen Beſuch, und beſah ſein Mineralienkabi - net. Er will es verkaufen, und verlangt 1500. Thaler dafuͤr*)S. deſſen mineralogiſche Beſchreibung der Gegend um Meißen. 8. Dresden 1779.. Er hat 30. Jahr daran geſammelt, und es ſyſtematiſch geordnet. Es enthaͤlt wirklich viele ſeltene und lehrreiche Stuͤcke. Mir war vorzuͤglich merkwuͤrdig:

  • 1) Unreifer Quarz an Porzellanthon.
  • 2) Litomarga von Rochlitz; ein gar feiner Thon.
  • 3) Rother Thon, woraus Boͤttcher ſein erſtes Porzel - lan machte.
  • 4) Blaue Eiſenerde von Eckartsberge in Thuͤrin - gen. Iſt in der Grube weis, wird aber zu Tage an der Luft blau.
  • 5) 30. Arten von Sand.
  • 6) Teutenfoͤrmiger Tophus aus Schweden, ſ. Cron - ſtaͤdt.
  • 7) Gruͤner Glimmer von Johanngeorgenſtadt.
  • 8) Asbeſt, bandirt, in Serpentinſtein.
  • 9) Saͤchſ. Schiefertafel, voll Schoͤrl, gar gros.
  • 10) Suiten von Serpentinſtein. Die verſchiedenen Sorten entſtehen am Ende des Ganges. Die Ar - beiter ſchleifen die Sachen mit einem ſchlechten Inſtru - ment von Glimmerſand, und poliren ſie mit Trippel.
  • 11) Feldſpat von Noſſen. Dieſer koͤmmt zum Por - zellan; die klaren Kieſel geben nur die Glaſur.
  • 12) Chacedonierdruſe, mammelloneé, aus Kalk - gebuͤrgen.
12) Chal -149
  • 13) Granaten in Serpentinſtein.
  • 14) Dergl. in Feldſpat von Raguſa.
  • 15) Schoͤn gruͤner Jaſpis, der ehemals auch in Frei - berg brach.
  • 16) Verſchobene Achatconfigurat. in Einem Stuͤcke.
  • 17) Karniol und Korallen-Moos darin, aus Lit - thauen.
  • 18) Einer mit Aſteriis, ganz klein, aus dem Orient.
  • 19) Opal in Granit von Eibenſtock. Streitet ge - gen Delius Theorie.
  • 20) Granate, groͤſſer als die groͤſte Pfirſche.
  • 21) Polirbares Zinnobererz.
  • 22) Abdruͤcke von Equiſet. paluſtre oft hintereinander iu Einem Stein.
  • 23) Von verſteinerten Holze hatte er einige Plaͤttchen ſo duͤnn abſchleiſen laſſen, daß er mit dem Mikroskop noch den Bau und die Saftgefaͤſſe hatte erkennen koͤnnen.
  • 24) Eine Wacke mit einem eingeſchloſſenen Nagel, aus einem Saxo, wohl 100. Centner ſchwer, in einer Lach - ter Teufe bei Meiſſen gefunden, wo auch verſteinertes Holz vorkoͤmmt.
  • 25) Sonderbare Meerkoͤrper aus dem Plauenſchen Grunde, der viele Kataſtrophen erlitten haben muß.
  • 26) Stolpener Baſalt. Die Saͤulen gehen dort 20 - 30. Ellen zu Tage aus. Die ganze Stadt und Schloß ſteht darauf. Alle Brunnen in der Stadt ſind in Baſalt gehauen. Er iſt auf Granit aufgeſetzt. Hier ſind die Strebepfeiler an den Haͤuſern alle dar - aus. Man wuͤnſcht fuͤr die Kabinetter duͤnne Saͤul - chen, aber 8-9. Zoll dick iſt die duͤnnſte, und dieſe iſt ſchon Seltenheit, die groͤſten haben eine halbe Elle im Durchmeſſer.
K 327) Bi -150
  • 27) Bituminoͤſes Holz mit Spat und Steinkohlen, aus Altorf.
  • 28) Bernſtein aus Meiſſen uͤber Thonlagern.
  • 29) Korallen mit Schwefelkies.
  • 30) Federigte Arſenikerze.
  • 31) Rothes Antimonienerz, aus Freiberg.
  • 32) Suiten aller Kobolde, Erdkobolde ꝛc.
  • 33) Dendritiſcher Wißmuth auf Horn, auch auf Spat.
  • 34) Wißmuth auch federig, wie Antimonium.
  • 35) Kobold auf Horn.
  • 36) Opal in Eiſenſtein aus Eibenſtock.
  • 37) Gelber Glaskopf.
  • 38) Dendritiſches Eiſen.
  • 39) Natuͤrliches Holz und Eiſen daran.
  • 40) Zinnſtuffen, die jetzt hier auch nicht mehr haͤufig vorkommen.
  • 41) Blei in Asbeſt aus Rußland.
  • 42) Ein ganzer Gang gediegen Kupfer von Cams - dorf in Thuͤringen.
  • 43) Kupferkies mit Aßbeſt.
  • 44) Kupferkies, dendritiſch geſtrickt und ſo angeflo - gen.
  • 45) Malachit, ſo gros wie eine Hand, und mit Ko - bold unten.
  • 46) Kupferpecherz aus dem Zipſerland; ſieht aus wie Eiſenſchlacke, ſchwarz.
  • 47) Groſſer Fiſch auf Kupferſchiefer, ſ. in Wolfart’s Niederheſſ. Nat. Hiſt. Bild. einen Karpfen ꝛc.
  • 48) Hornſtein durchgeſtrickt mit gediegenem Silber, von Johanngeorgenſtadt.
  • 49) Nieren von Hornſilber, weich wie Speck.
  • 50) Blaͤtterichtes Glaserz.
51) Tyger -151
  • 51) Tygererz, d. i. weis und graugeflecktes Silbererz, von Freiberg, bricht nicht mehr.
  • 52) Fahlerze aus Sicilien.
  • 53) Goldhaltiger Aßbeſt, vom goldenen Eſel in Schleſien.

Der brave Mann machte mir viel angenehme Ge - ſchenke, die mir denn ſein Andenken lebenslang erhalten ſollen.

Den 24ſten Aug.

Mein Erſtes war heute ein Beſuch bei Ihro Exc. dem Hrn. Konf. Min. u. Geh. Rath von Wurmb, dem ich empfohlen war. Er empfing mich mit ungemeiner Politeſſe und unterhielt ſich mit mir uͤber mancherlei poli - tiſche und litterariſche Gegenſtaͤnde aufs gefaͤlligſte. Nach - dem ich mich beurlaubt hatte, beſah ich

Das Japaniſche Palais, in der Neuſtadt mit einem angenehmen Garten, in welchem in 22. Souter - rains alle das Japaniſche, Chineſiſche und Meiß - ner Porzellain ſteht, womit Koͤnig Auguſt II. dieſen Pallaſt meubliren wollte, daruͤber aber ſtarb. Ein Schatz der Millionen gekoſtet, und ſeines Gleichen in der Welt nicht hat. Das Auge ermuͤdet uͤber der Men - ge, und keine Beſchreibung erreicht die Schoͤnheit. Man zeigte mir unter andern: Boͤttcher’s*)Verſchiedene Umſtaͤnde aus dem Leben dieſes beruͤhm - ten Erfinders des Saͤchſiſchen Porzellaͤns enthaͤlt Dasdorfs Beſch. von Dresden. S. 670. u. f. Herausgeber. erſtes Porzellaͤn aus rothen Thon. Sein erſtes weiſſes, hernach ſeinK 4blaues,152blaues, 2. Tiſche voll; wird jetzt den Antiken gleich ge - ſchaͤtzt. Aus Meißner Porzellaͤn Thiere, als Fuͤchſe, Gaͤnſe, Pfauen die ein Rad ſchlagen ꝛc. Vier Ge - woͤlber voll indianiſches Porzellaͤn. Vaſen, halben Man - nes hoch. Orangerietoͤpfe oder Kuͤbel in ſchrecklicher Groͤſſe und Menge. Buͤſten von den Hofnarren Schmiedel und Joſeph. Viele tauſend Indianiſche Taſſen. 22. Vaſen vom Koͤnig von Preuſſen gegen ein ander wichtiges Praͤſent uͤbernommen. Viele tau - ſend kleine Indianiſche Flaͤſchchen liegen in den Vaſen und waren zur Garnirung beſtimmt. Becher, darein man Baͤume ſetzen koͤnnte. Ein Gewoͤlbe voll alt In - dianiſches gemahltes Porzellaͤn von unermeßlichem Werth. Indianiſches Schlangenporzellaͤn; es ſieht von auſſen und innen wie geſprungen aus, und iſt weis mit feinen rothen Streifen. Schwarzes, violettes, gelbes, ſeladongruͤnes Porzellaͤn. Auguſt III. zu Pferde mit vielen Figuren, blendend weis aus Meißner Porzel - laͤn: ſollte nur Modell*)Es ſollte darnach eine Statue in Lebensgroͤſſe aus Meißner Porzellaͤn verfertigt werden: der inzwi - ſchen ausgebrochene ſiebenjaͤhrige Krieg aber verhin - derte die Ausfuͤhrung. Das hiergedachte Modell iſt von Kaͤndler, der Hofbildhauer und Modellmeiſter bei der Porzellaͤnmanufaktur war, und 1775. ſtarb. Herausgeber. ſeyn, koſtet 12000. Thaler, und nimmt einen ganzen Tiſch ein. Saͤchſiſche Male - reien, die jetzt gar nicht mehr gemacht werden. Viele tauſend Saͤchſiſche Taſſen, wovon jede ein eigenes Mo - dell hat. Saͤchſ. und Pohln. Wappen auf Meißner und auf aſiatiſchen Porzellaͤn; Koͤnig Auguſt II. liesſie153ſie hinſchicken. Porzellaͤn mit Perlenmutterglanz. Chi - neſiſches und Japaniſches Porzellaͤn in Meiſſen nach - gemacht. Eine Menge Teller und andres Geſchirre von Raphael gemahlt, blau und gelb; ſonderlich zwei Va - ſen von ihm, wo jede 300. Dukaten gekoſtet hat. Ja - paniſches Geſchirr, wo allemahl 5. kleine wieder in ein - ander ſtecken. Toͤpfe mit erhabenen Blumen. Eine ſchreckliche Menge Gold an allen Stuͤcken, an manchen die Arbeit von einem Jahr. Fuͤnf Vaſen fuͤr 5000. Tha - ler. Praͤchtige Punſchnaͤpfe. Chineſiſche Goͤtzentem - pel und Goͤtzenprieſter. Gewoͤlbe voll Thiere aus Meiſ - ſen; eine Faſanhenne mit Jungen, ein Kaſuar, Raub - voͤgel mit einem Karpen, koͤſtliche Schwane, Elephan - ten, ein Schwediſcher Hund, den Koͤnig Auguſt II. hatte ꝛc. Chriſti Kreuzigung aus Meißner, ganz weis mit vielen Figuren; war ein Praͤſent fuͤr die letzte Koͤnigin. Maria, mit einen Arm auf den Bo - den geſtuͤtzt, kehrt das Geſicht weg, eine andre von den heiligen Weibern faßt ſie am Arm, Magdalena ſinkt hin und ſchreit; zur Seite haͤlt ein Engel Chriſti Schweis - tuch, worin ſein Antlitz nur ſchwach ſchattirt iſt. Das Stuͤck nimmt einen Tiſch ein, und hat 16000. Thaler gekoſtet ꝛc. Die Bildſaͤulen des heil. Xavers, Hu - berts, ein Mutter Gottes Bild ꝛc. Auf dem Boden ſteht noch uͤberall alles herum. Oben ſoll die Chur - fuͤrſtl. Bibliothek hin zu ſtehen kommen.

Das Churfuͤrſtl. Naturalienkabinet. Es ſteht im Zwinger in der Altſtadt, oder dem eigentlichen Dresden, und wird in 9. Gemaͤchern aufbewahrt. Hr. Dr. Titius, den ich in Holland kennen lernte, hat die Aufſicht daruͤber. Am ſchoͤnſten iſt der Mineralienſaal. K 5Rings154Rings herum ſtehen Glasſchraͤnke mit Schubladen, oben auf liegen groſſe Stuͤcke Mineralien zur Zierrath, und an der Wand iſt uͤber jedem Schranke eine Saͤchſiſche Bergſtadt gemahlt, z. B. uͤberm Arſenikſchranke die Gifthuͤtte bei Geier, lange krumgebogene Sublimati - onsfaͤnge u. dergl. Schoͤn und ſelten fand ich im gan - zem Kabinette folgendes:

  • 1) Spaniſcher Marmor, brauſt ungern: ein gruͤner, wie Verde antico.
  • 2) Kalkſpat, mit rother Koboldsbluͤte auf buntem Fluß.
  • 3) Kryſtall mit vielem Schoͤrl.
  • 4) Rochlitzer Agathe, ſollen unter dem Mikroskop gar ſchoͤn ſeyn.
  • 5) Aventurino biancho, feſter Quarz mit Glimmer; nicht gemacht.
  • 6) Rubin balais mit Schoͤrl, roh.
  • 7) Goldſtuffen mit Alaunfoͤrmigen Kryſtalliſationen aus Siebenbuͤrgen.
  • 8) Ein roher Saͤchſ. Magnet, zieht 120. und wiegt nur 12. das Verhaͤltnis iſt wie 1. zu 10.
  • 9) Ein Engliſcher, wiegt nur 3. Loth, und zieht 25. Pfund, alſo iſt ſeine Kraft wie 1. gegen 72½.
  • 10) Hornſilber, laͤßt ſich mit dem Meſſer und Nagel ſchneiden. Kleine Stuͤcke ſind durchſichtig wie Horn. Ein herlicher Vorrath davon, auch aus Potoſi wel - ches. Aus Sachſen ein Stuͤck 33. Mark ſchwer, davon der Centner 150. -180. Mark gibt. Eins das 15. Mark ſchwer iſt.
  • 11) Caͤmentkupfer von Altenberg in Sachſen, wie das Ungariſche.
12) Laſur155
  • 12) Laſur in ſchoͤrlartigen Quarz aus Ungarn.
  • 13) Verhaͤrtete Bleierde von Rautenkranz in Sach - ſen; der Centner gibt 40. -50. Pfund.
  • 14) Eiſenbohnen und Eiſenwuͤrfel vom Loͤwenberg am Vorg. d. g. Hofn.
  • 15) Schindelnageleiſenſtein aus Boͤhmen, broͤckelt nicht.
  • 16) Molybdaena aus Engelland mit braunen Thon; auch aus Island mit Kupfergruͤn.
  • 17) Dendritiſcher und ſtalaktitiſcher Braunſtein.
  • 18) Kobolde, wohl 300. Stuͤcke aus dem Lande, pur - purrothe; ganze Bloͤcke.
  • 19) Rothes Antimon. von Rheinsdorf in Freiberg.
  • 20) Oktaedriſcher kryſtalliſirter Schwefel, 3. Meilen von Kadix gefunden.
  • 21) Zwei ſehr groſſe Tiſchplatten aus Lava vom Veſuv.
  • 22) Ein verſteinerter Eichenblock, 75. Centner ſchwer, . Elle im Durchmeſſer, polirbar, bei Chemnitz, im Moraſt gefunden. Von welcher Zeit mag dieſer ſeyn?
  • 23) Ein Stuͤck, das Hr. D. Titius fuͤr verſteinerte Dattelpalme haͤlt.
  • 24) Gordii, Taeniae, auf Abdruͤcken.
  • 25) Pohlniſche Verſteinerungen, aber nichts beſonders.
  • 26) Ein Encrinus kopf ganz auseinander, und Kalk zwiſchen den Theilen.
  • 27) Pentacrinus mit vielen Ramifikationen.
  • 28) Dreihundert Holzarten, ohne Rinde; alle wie klei - ne Schubladen gemacht, laufen auf duͤnnen Holze mit Tuch uͤberzogen; hinten ſteht an jedem der Na - me, und vorn iſt ein Knoͤpfchen zum Herausziehen.
29) Drei156
  • 29) Drei Statuͤen von Cypreſſen, die auch ohne ge - rieben zu werden, ſtark riechen. Die Staͤmme muͤſ - ſen huͤbſche Baͤume geweſen ſeyn.
  • 30) Tiſch aus Tamarinden aus Amerika.
  • 31) Ein Kindskopf. Ruyſch injizirte daran die va - ſa ſubcutanea mit Wachs.
  • 32) Zwei Kinder, die nur Ein Hirn hatten, ohne al - les ſeptum, und wovon doch das Eine Abends und das andre erſt am Morgen ſtarb.
  • 33) 150. Spirituoſa. Die Namen ſind aus Glas ge - ſchrieben. Sie koͤnnen nicht ausduͤnſten, Tropfen haͤngen an den untern Seiten des Glaſes an.
  • 34) Krokodil im Ei.
  • 35) Mus jaculus aus Sibirien.
  • 36) Kinnbacken vom Wallfiſch.
  • 37) Ein Biber, weis, mit ſchuppichten Schwanz.
  • 38) Monoceros. Kam zur Zeit Aug. des II. bei Hamburg in die Elbe, man ſchlug ihm einen Anker durch den Schwanz und zog es ruͤckwaͤrts bis nach Dresden hinauf. Es hat nur Einen Zahn, und iſt noch ein junges. ꝛc.
  • 39) Foetus vom Hippopotamus.
  • 40) Cataphractes maximus, hat ſchreckliche Floſſen.
  • 41) Schoͤne Wendeltreppe, die 800. Thaler gekoſtet hat.
  • 42) Perlen aus der Elſter.
  • 43) Unter den Meergewaͤchſen ein Stuͤck ſchwarze Ko - rallen, mit der Rinde, in der Mitte gebrochen. Soll natuͤrlich ſeyn.
  • 44) Ein Bernſteinſchrank mit Schubladen und Inla - gen und herrlicher Arbeit. Iſt ein Geſchenk vom verſtorbenen Koͤnig von Preuſſen.
45) Viel157
  • 45) Viel ausgeſtopfte Thiere, Pohlniſche Baͤre, weiſſe Baͤre, Skelet vom Elenn, von vielen andern, in einem beſondern Saale.
  • 46) Das Gerippe von einem Hengſt aus Merſeburg, den Auguſt III. oft ritt, deſſen Schweif 13½. Elle, und die Maͤhne 12. Ellen lang war. Man konnte aber keine ſolche Zucht von ihm bekommen. Die Stallknechte mußten allemahl mitgehen. Es haͤngen jetzt geflochtene Zoͤpfe daran .
    *)Weitere Nachrichten von dieſem Kabinette enthaͤlt Dasdorf’s Beſchreib. der Merkw. von Dresden. S. 491. -512. Herausgeber.
    *).

Den 25ſten Aug.

Heute beſah ich Vor - und Nachmittags die herr - liche

Churfuͤrſtl. Bibliothek. Sie ſteht im Zwinger, in 3. Saͤlen eng zuſamengepreßt. Man ſchaͤtzt ſie auf 150,000. Stuͤck. Urſpruͤnglich beſteht ſie aus 3. Biblio - theken, nemlich aus der laͤngſt vorhandenen anſehnlichen Churfuͤrſtlichen, und der nachher noch hinzu gekommenen Buͤnauiſchen und Graͤflich Bruͤhliſchen, welche beide der Churfuͤrſt dazu gekauft hat. Ich hatte die beſte Gelegenheit, ſie zu beſehen, da ich an den Hrn. Biblio - thekar Dasdorf von Hrn. Kreisſteuereinnehmer Weiſ - ſe aus Leipzig ein Empfehlungsſchreiben hatte, und die - ſer wuͤrdige Gelehrte mir mit ungemeiner Gefaͤlligkeit alle Seltenheiten zeigte. Meine Aufmerkſamkeit zogen beſon - ders folgende Werke auf ſich:

1) Lo -158
  • 1) Lobelii Stirpes, illum:
  • 2) Malpighi Anatome Plantarum. Fol. mit herli - chen Kupfern. Der Verfaſſer war Arzt in Bologna.
  • 3) Grew Anatome Plantarum. London. Iſt faſt zu gleicher Zeit mit vorhergehenden im vorigen Jahrhundert herauskommen.
  • 4) Aus den Zeiten der erſten rohen Verſuche der Buch - druckerkunſt. Ars memorandi notabilis per fi - guras Evangeliſtarum. Ferner Biblia Paupe - rum 1440. und Ars moriendi. Alle drei in 4. mit Holzformen abgedruckt, allemahl 2. Blaͤtter zuſammen geklebt. Aeuſſerſt ſelten.
  • 5) Ein Pſalterium von 1457. von Fuſt und Schoͤffer, auf Pergament in Folio gedruckt. Iſt das erſte ge - druckte Buch, wo ſich der Drucker genannt hat.
  • 6) Guil. Durandi Rationale divinorum officior. Libri VIII. Dieſes Buch haben Fuſt und Schoͤf - fer zuerſt mit kleinen beweglichen gegoſſenen Typen 1459. gedruckt.
  • 7) Pauli Briefe. Eine Handſchrift vom Ende des 8ten Jahrh. noch ohne Spir. und ohne Accente, mit der Verſio vetus itala interlinearis.
  • 8) Brand’s Narrenſchiff 1494. in 4. mit Holzſchnit - ten. Das Buch iſt in Verſen und eine Satyre auf die Thorheiten der damaligen Zeiten. Es iſt bald in alle Sprachen uͤberſetzt worden. Z. B. 3. Jahr nach - her, 1497. (als in Frankreich jedes gedruckte Buch uͤberhaupt noch ſelten war,) ſchon ins franzoͤſiſche un - ter dem Titel: a nef des folz du monde, in 4. auf Pergament, ſchoͤn illuminirt. Das hieſige Exem - plar iſt aus Colberts Bibliothek.
9) Das159
  • 9) Das Original von Maximilian’s I. Jugendleben in Holzſchnitten von Hanns Burgmayr. Sie ge - hoͤren zu dem Buche der weiſſen Koͤnige von Treiz - ſauerwein, das Hr. von Heinicke in Graͤz gefun - den und bekannt gemacht hat, und das in Wien 1775. in 4. gedruckt iſt, wobei die Holzſchnitte nachgeſtochen ſind. Die Originale ſind viel ſchoͤner.
  • 10) Theuerdank. Davon ſind hier 7. verſchiedene Ausgaben, die von 1517. mit Illuminationen und ohne; auch die von 1519. die auch ſelten iſt.
  • 11) Franciſci de Marchi della Architettura mi - litare. Fol. Breſcia. 1519. hoͤchſt ſelten. Der beruͤhmte Vauban kaufte alle Exemplare auf, und verbrannte ſie, wollte allein in der Befeſtigungskunſt originel und gros ſeyn, und hat doch alles aus dieſem Buche genommen. Prinz Heinrich und Herzog Ferdinand haben es durchſtudirt. S. von dieſem Buche Winkelmann’s Briefe von Daßdorf her - ausgegeben, 1. Th. S. 43.
    *)Und auch Einleitung zur mathem. Buͤcherkenntnis 1ſter B. S. 127. 574. Im 2ten B. S. 105. eben dieſes Buchs wird die Frage aufgeworfen, ob Vau - ban ſeine Manier aus dem Marchi, oder vielleicht aus dem aͤuſſerſt ſeltenen Buche Ambroiſe de Bachot le Gouvernail. Paris. 1598. Fol. mit Kupfern, genommen habe? Herausgeber.
    *)
  • 12) Viele herliche alte Ausgaben von alten Autoren, beſonders Aldiniſche Editionen.
  • 13) Biblia latina von Joh. Fuſt und Peter Schoͤf - fer. Maynz. 1462. Fol. herlich auf Pergament gedruckt. Die Anfangsbuchſtaben ſchoͤn gemahlt.
14) At -160
  • 14) Atlas Royal fuͤr Koͤnig Auguſt II. in Holland in 19. Folianten geſammelt. Enthaͤlt viele Homan - niſche Karten, aber auch viele eigengeſtochene, und beſonders viele Handzeichnungen; alle praͤchtig illumi - nirt. Jede hat eine andere Marginaldekoration. Zeichnungen von allen Orten in Sachſen ſind auch darin. Ein Band iſt darunter voll der koͤſtlichſten Malereien, ehemaliger und damaliglebender engliſcher hoher Perſonen, Anna faͤngt an, auch Karl I. iſt darin, deſſen Geſicht viel Aehnlichkeit mit dem ge - woͤhnlichen Chriſtuskoͤpfen haben ſoll. Cromwell ꝛc. Dieſes Werk ſoll viel tauſend Thaler koſten
    *)Hr. Dasdorf ſagt in ſeiner oftangefuͤhrten Beſchrei - bung von Dresden S. 319. daß Auguſt der 2te da - fuͤr 20000. Thaler bezahlt habe. Herausgeber.
    *), iſt aber unique und wahrhaftig koͤniglich.
  • 15) Eine ganz ſonderbare Mexikaniſche Handſchrift, hoͤchſt ſelten. Wahrſcheinlich ein Kalender. Die Spanier als ſie nach Mexico kamen, verbrannten dieſe Buͤcher aus heiligem Eifer, in der Meinung, es waͤren Zauberbuͤcher.
  • 16) Ein herlicher Koran auf Seidenpapier mit des Kaiſers Namen. Ein Saͤchſiſcher Lieutenant eror - berte ihn beim 2ten Entſatz von Wien, im Jahre 1683.
  • 17) Migniaturgemaͤlde von den Gelehrten des 16ten und 17ten Jahrh. aus der Bibliothek des Grafen Bruͤhl, der ſie mit ſchwerem Gelde einem engliſchen Lord abkaufte. Manche ſind nach Lukas Kranach - ſchen Gemaͤlden gemacht, naͤmlich alle, die auf gruͤnenGrunde161Grunde ſind, denn ſo mahlte Kranach meiſt. Koͤſt - lich ſind die Bildniſſe Luther’s, Melanchthon’s, Huſſen’s, Erasmus, Grotius, Lipſius ꝛc.
  • 18) Ein Ebraͤiſcher Codex mit dem vollſtaͤndigen Tar - gum. Sehr ſchoͤn
    *)Umſtaͤndlichere Nachrichten von der Churfuͤrſtl. Biblio - thek uͤberhaupt, und von den meiſten der hier ange - fuͤhrten ſeltenen Buͤchern inſonderheit, theilt Hr. Bi - bliothekar Dasdorf in ſeiner oftangezogenen Beſchr. von Dresden von S. 266. -322. mit. Wer war dies zu thun, auch wohl faͤhiger, als dieſer wuͤrdige und fleißige Gelehrte? Herausgeber.
    *).

Mittags hatte ich die Ehre bei des Miniſters von Wurmb Exc. zu ſpeiſen. Es fehlte mir hierbei nicht an Gelegenheit, die tiefen Einſichten und den Patriotis - mus dieſes groſſen Staatsmannes zu bewundern.

Den 26ſten Aug.

Heute, als an dem letzten Tage vor meiner Streife - rei in die Gegenden von Pirna und Koͤnigsſtein, war ich fruͤh noch im groſſen Garten, und dann beſah ich bei dem Hofjuwelier, Hr. Neuber, den koſtbaren, aus lauter ſaͤchſiſchen Steinen auf einer vergoldeten Silberplatte mit vielem Geſchmack in Moſaik zuſammen geſetzten Tiſch, den der Churfuͤrſt dem franzoͤſiſchen Miniſter von Bre - teuil wegen des Teſchener Friedensſchluſſes zum Ge - ſchenk beſtimmt hat; daher ſind aus Meißner Porzellan Medaillons darin, die ſich auf dieſen Frieden beziehen**)Die Erfindung dieſes Tiſches iſt vom Hrn. Akade - miedirekt. Schoͤnau. Eine ausfuͤhrliche Beſchreibungdeſ -. Und alsdann begab ich mich auf die

ReiſeZweiter Theil. L162

Reiſe nach Pirna.

Der Weg bis dahin betraͤgt 2. Meilen. Die Ge - genden ſind herlich. Immer hat man die Bergfeſtun - gen vor den Augen. Man erndtete eben den Hafer, die Hirſe ſtand noch, viele Leute ſtapelten die Garben auf dem Felde auf. Ich paſſirte die Mieglitz, die aus dem Erzgebuͤrge koͤmmt, oft greulich anlaͤuft, und wenn ſie ſo gros iſt, daß Eiſen und Zinnerze darin gewaſchen wer - den koͤnnen, beſtaͤndig blutroth ausſieht, daher ſich keine Karpen, wozu ſie ſich ſonſt herlich ſchickte, darin erhalten.

Pirna. Ein kleines nahrhaftes Staͤdtchen an der Elbe. Die weiſſen Sandſteine zum Bauen, welche hier - herum gebrochen werden, gehen auf der Elbe nach Dres - den, Meiſſen, Torgau, Leipzig, ins Preuſſiſche ꝛc. ja ſogar bis nach Holland. Es wohnen auch hier viele En gros Haͤndler, die nach Boͤhmen handeln, wozu die Schiffahrt auf dem Strome viel beitraͤgt, die uͤherhaupt hier viele Leute ernaͤhrt. Vom Koͤnigſtein herab bringt man Ziegelerde auf Schiffen. Viele hun - dert wilde und zahme Katzen-Marder-Otternfelle wer - den hier betruͤglich wie Zobel gefaͤrbt, und gehen nach Hamburg, Luͤbeck ꝛc. Ohnweit dieſem Staͤdtchen darneben liegt auf einem Berge die alte Bergfeſtung

Sonnenſtein, die man ſeit dem ſiebenjaͤhrigen Kriege verfallen laͤſt. Kaſematten ſind noch da, uͤber die - ſen aber liegt viele Ellen hohe Dammerde, in welcher Baͤume wachſen. Man hat von hier eine herliche Aus -ſicht.**)deſſelben findet ſich S. 141. u. f. des 2ten St. des Mag. des Buch - und Kunſthandels fuͤrs J. 1781. Herausgeber. 163ſicht. Man ſieht den Strom, die Berge ringsum Dresden, die Meißner terraſſirten Weinberge, von wei - tem Sedlitz, wo der Koͤnig von Preuſſen bei dem bekannten Pirnaiſchen Lager ſein Hauptquartier hatte, die Kotter Spitze, und hinter ſich Boͤhmen. Die Sonne ging eben unter und roͤthete den Strom und das Thal, als ich hier ankam, wo mich Hr. D. Urſi - nus aus Pirna, an den ich von Hrn. Jakobaͤer em - pfohlen war, erwartete. Einen heiſſen Sommerabend kan man hier vortreflich zubringen.

Den 27ſten Aug.

Heute fuhren wir uͤber lauter Sandfelder an der boͤhmiſchen Grenze hin nach

Gersdorf, einem Landgute, das einem alten Ge - heimen Kriegsrath Hr. von Leyſer aus der beruͤhmten Familie dieſes Namens gehoͤrt, der hier ſeinen Tod er - wartet. Er war vormals erſter Oberkonſiſtorialrath, und iſt Wittwer, hat aber ſeine 3 Toͤchter bei ſich, davon die eine an einen Obriſtlieutenant Hr. von Ponickau verheirathet, die andre Wittwe, und die juͤngſte noch ledig iſt. In

Borna, einem ihm gehoͤrenden Dorfe, war eben heute Erndtepredigt, die der Diak. Wagner von Lieb - ſtadt hielt. Man ſingt 3. Lieder, das Evangelium wird erſt vor dem Altare abgeſungen, dann noch einmal auf der Kanzel verleſen. Der Text war: Ich will die Er - de nicht mehr verfluchen um des Menſchen willen; dies erklaͤrte der Prediger per Eminentiam um des Gott - menſchen willen ꝛc.

L 2In164

In dieſer Kirche ſind Altar, Kanzel und Taufſtein von graulichem Marmor, der hier in der Gegend bricht, und von Pirnaiſchen Sandſtein. Darin iſt auch ein Grabmahl, das Hr. von Leyſer ſeiner verſtorbenen Frau und ſich vivus adhuc ſetzen laͤßt, und womit er ſich nun im 88ſten Jahre ſeines Lebens ganz beſchaͤftigt. So gros iſt die Liebe des Menſchen zum Leben, und der Wunſch nicht vergeſſen zu ſeyn! Prof. Hiller in Wittenberg hatte die Inſchrift und etliche Diſtincha dazu gemacht.

Wir waren hier Mittags zu Gaſte, und hatten ſogar Ananaſſe ꝛc. Nach Tiſche ſpazierten wir mit den Da - men im Garten, und dann fuhren wir nach

Ottendorf, wo ich Hrn. M. Kuͤttner, der hier Prediger*)Dieſer wuͤrdige Geiſtliche iſt in dieſem Jahre Super - intend in Sayda geworden. Herausgeber. iſt, meinen Beſuch machte. Ich fand an ihm einen helldenkenden Theologen und angenehmen Ge - ſellſchafter, der mir viele Freundſchaft und Hoͤflichkeit er - zeigte. Ich erwarb mir dabei noch die Bekanntſchaft meh - rerer wuͤrdiger Perſonen, als des Hrn. Hauptmanns von Carlowitz, der Fraͤulein von Carlowitz, die mir mit einem Fraͤulein von Stangen ihren Garten zeigte, wo jetzt erſt die Aprikoſen reif waren.

Nachts waren wir in Pirna beim Hrn. Superint. Eſſenius im Garten, und hier jagte eine hereingefloge - ne Fledermaus die Damen in nicht geringe Angſt.

Den 28ſten Aug.

Wir machten heute eine ſehr angenehme Luſtreiſe nach

Weſenſtein,165

Weſenſtein, 2 Stunden von Pirna. Ich ritt auf Hr. M. Kuͤttner’s Pferde hin. Dieſer wichtige Ritterſitz liegt in einer ganz unbeſchreiblich reizenden Ge - gend, und gehoͤrt dem Heſſiſchen Geheimenrath Hrn. Baron von Uckermann, der es fuͤr 120,000. Thaler er - kauft hat*)Es gehoͤren viele Doͤrfer dazu.. Er war erſt Kaufmann, ward aber im ſiebenjaͤhrigen Kriege Generallieferant bei der Aliirten Armee, erwarb ſich dabei groſſe Summen, ſetzte ſich darauf zur Ruhe und kaufte ſich in Sachſen an, wie er denn noch ein herliches Guth Bendeleben in Thuͤringen be - ſitzt. Vorher hat er ſich lange Zeit mit ſeiner Gemah - lin**)Die Frau von Uckermann hat von einer Engliſchen Lady eine Uhr gekauft, deren Gehaͤus ein Einziger Tuͤrkis iſt, auch die Kette iſt aus lauter Stuͤcken von Tuͤrkiſſen zuſammen geſetzt. Man ſieht noch weiſſe Streifen hie und da darin. in Engelland aufgehalten. Der Koͤnig von Preuſſen bot ihm etlichemahl alle Vortheile an, wenn er ſich in ſeinen Staaten niederlaſſen wollte, er dachte aber anders.

Er iſt uͤbrigens ſchon ſehr bei Jahren, ein wahrer edler Menſchenfreund, ohne Stolz, nimmt daher auch die Excellenz nicht an, beſitzt ein groſſes kommerzirendes Genie, und liebt eine vernuͤnftige Lektuͤre.

Dabei lebt er auf einen, ſeinem groſſen Vermoͤgen angemeſſenen und anſtaͤndigen Fuß. Er iſt im engli - ſchen Geſchmack herrlich meublirt, fuͤhrt eine delikate Ta - fel, und hat einen herrlichen Weinkeller. Oft kauft er fuͤr 2000. Thaler Bacharacher, Nierenſteiner und dergl. L 3auch166auch den beſten Kapwein, weil einer ſeiner guten Freunde Bewindhebber von der oſtindiſchen Kompagnie iſt, ſogar Lacrymae Chriſti hat der Mann. So viel Ananaſſe werden hier gezogen, daß die Fr. Geheime - raͤthin uns welche auf den Koͤnigſtein mit gab.

Er hat weiter keine Kinder als einen einzigen Sohn, der in Leipzig ſehr fleiſſig den Wiſſenſchaften obgelegen, auch da mit vielem Beifall diſputirt hat und jetzt nach Goͤttingen geht.

Das Schloß iſt ſeit vielen Jahrhunderten, da’s der Buͤnauiſchen Familie gehoͤrte, ganz in einen Stein - felſen gehauen, und dieſer ſchreckliche Fels geht bis in den Thurm hinauf. Es hat 8-9. Etagen, viele Hoͤfe uͤber - einander, uͤberall ſind die Mauern der Fels ſelbſt. Er ſieht uͤberall durchs Mauerwerk hervor. Oft hat man ihn durch die Kunſt nur ausgegleicht. Es iſt ein trock - ner Felſen, nur unten ſickert hie und da Waſſer hervor, und das wird ins Fiſchhaus und in die Kuͤche geleitet. 90. Stuffen geht man aus dem Hauſe ins Badhaus hinab, und etliche 80. Stuffen bis in die Wohnzimmer. Zu den Kellern geht man 3. Treppen hinauf, und doch ſind ſie im Sommer kuͤhl, und im Winter warm. An den Luftloͤchern ſieht man, daß die Mauern wohl . Fuß dick ſind. Sie ſtellen wahre Stollen oder Gaͤnge vor. Alles iſt mit Pulver geſprengt und gewoͤlbt, und doch ſind Fuͤrſtliche Zimmer Reihenweiſe darin. Unten iſt das Gerichtshaus und die Kanzlei. Ringsum her zie - hen ſich ſchreckliche mit Wald bewachſene Gebuͤrge, von denen das Holz auf der Mieglitz hergefloͤſſet wird. Durch dieſen Wald geht ein Engliſcher Garten mit einem Schlangenwege. Oben iſt ein Pavillon angelegt, woman167man nach Sedlitz, Pirna, Lilienſtein, Koͤnigſtein, Dohna ꝛc. vortrefliche Ausſicht hat. Erſt wohnten Moͤnche da. Die nachherigen Beſitzer bauten alle daran. Man ſieht in der Hoͤhe das weite Thal in ſeiner gan - zen Breite und Laͤnge nicht. Die Mieglitz rauſcht herrlich durch, und aus meinem Schlafzimmer ſah ich, wie ſie an 3. verſchiedenen Orten Kruͤmmungen macht. Schlott - witz, wenige Stunden davon, hat die herrlichſten Jaſp - achat und Amethyſtbaͤnke, die Charpentier in ſeiner Mineralogiſchen Geographie von Sachſen beſchrieben hat. Mit ſolchen Stuͤcken ſind die Fontainen im Gar - ten beſetzt. Wenn dann dieſe ſpringen, und die Sonne grade darauf ſcheint, ſo macht das den herrlichſten An - blick. Um dieſe Stuͤcke zu ſchleifen wuͤnſcht der Hr. Baron Riß und Leute von Oberſtein*)S. Seite 621. u. f. des 1ten B. dieſer Reiſen. Herausgeber. zu haben. Ei - ne daraus geſchliffene herrliche Doſe verwahrt er als ein Prachtſtuͤck.

Ein Brauhaus iſt in den Felſen gehauen, das hat 4. Boͤden uͤber einander, es koͤnnen 30,000. Dresdener Scheffel da liegen, es ſind Kommunikationsloͤcher von ei - nem Boden zum andern da. Man macht Darrmalz und doch kommt kein Feuer darzu, alle Darren ſind ge - flochten, und die Waͤrme koͤmmt durch lauter Zuͤge hin. Schreckliche groſſe Braukeller ſind ebenfalls in den Felſen gehauen.

In der 9ten Etage trift man 3-4. Gewoͤlber hinter einander an, wo man in jedem mit Pferd und Wagen umkehren koͤnnte. Hinter dieſen liegt das Archiv undL 4hinter168hinter dieſen ſind Gewoͤlber fuͤr das Silbergeſchirr und das Porzellan des Beſitzers.

Aus den obern Etagen gehen ſenkrechte Gewoͤlber in das Haus hinab, in welche man ganze Kiſten und Kuffer voll Koſtbarkeiten mit Silber und dergl. ange - fuͤllt hinablaſſen kan. Kein Feind findet’s, wenn’s nicht verrathen wird. Viele Domeſtiken kommen nie im gan - zen Hauſe herum.

Schrecklich hoch oben liegt ebenfalls im Felſen ge - hauen, die Schloskirche, worin ebenfalls Chor, Altar und Kanzel aus Fels ſind. Man kan hinten herum ge - hen und den bloſen Felſen ſehen. Die Kirche hat ſo groſſe Vermaͤchtniſſe, daß eine eigene Hofkapelle ordent - lich gehalten wird. Man empfing uns auf der Orgel mit Paucken und Trompeten, die in der Felſenhoͤhe vor - treflich ſchallten.

Heute fruͤh verlieſſen wir dieſen wuͤrdigen Mann, reiſten nach Pirna zuruͤck, und von dort gleich den Stein - weg hinauf nach dem

Koͤnigſtein, hart an der Voͤhmiſchen Grenze. Er iſt eigentlich eine groſſe Sandklippe 1400. Fuß uͤber die Oberflaͤche der unten vorbeiflieſſenden Elbe erhaben. Rings herum iſt er mit Wald umgeben, der von oben herab nur wie niedriges Gebuͤſche erſcheint. Die Breite iſt 50°. 57′. und die Laͤnge 36° 44′. 3. Meilen oſtwaͤrts von Dresden. Nicht weitab, aber uͤber der Elbe, liegt der Lilienſtein. Der iſt noch 14. Ellen hoͤher und faſt unzugaͤnglich. Als der jetzige Churfuͤrſt einmal oben ſpeißte, lies der Hr. Graf Markolini einige Stangen aufrichten. Zur Seite liegt an der Elbe das Dorf, woder169der Prophet vom vorigen Kriege wohnt. Er iſt ein Fi - ſcher, kein Schwaͤrmer, und jetzt ſchon ein alter Mann. Er ſagt, er hoͤre eine Stimme und fuͤhle einen Drang, es zu ſagen ꝛc. Ferner liegen in der Naͤhe der Pfaffen - ſtein, der Jungfernſprung, der mit Holz bewachſene Berg Querl, der einzige, wo ſich eine dem Koͤnig - ſtein gefaͤhrliche Armee poſtiren koͤnnte, daher ſind auch auf der Feſtung oben die ſchwerſten und groͤſten Kanonen und fuͤrchterlichſten Moͤrſern auf den Berg gerichtet. Innerhalb iſt eine natuͤrliche Hoͤle, die Diebshoͤle ge - nannt, darin ſich 2. Kompagnien Soldaten verſtecken koͤnnten; nicht weit davon liegt das Staͤdtchen Koͤnig - ſtein, das Rabener das Doͤrfchen Querlequitſch nannte. Im Jahr 1639. brannten es die Schweden ab, weil aus der Feſtung auf ſie war gefeuert worden. In der Ferne ſieht man den boͤhmiſchen Schneeberg und bis nach Toͤplitz hin.

Ehemals gehoͤrte Berg und Schloß zu Boͤhmen. Im Jahr 1403. kam es an Sachſen, 1425. ruinirten es die Huſſiten, 1516. ſtiftete Herzog Georg ein Coele - ſtiner Kloſter hier. Durch die Reformation 1529. aber zerſtreuten ſich die Moͤnche: 1553. fing Churfuͤrſt Auguſt eine reelle Befeſtigung an, baute ein Bergſchloß, legte mehr Beſatzung hinein, und fing den Brunnen zu graben an, der erſt nach 40. Jahren fertig wurde. Im Jahr 1586. ward der Fels mit Mauerwerk ausgefuͤllt, und ein neuer Eingang durch den Felſen gehauen.

Der Zugang iſt aͤuſſerſt ſteil; die alten Invaliden tragen daher das Frauenzimmer in Tragſeſſeln hinauf. Am Thore wird nach dem Paſſe gefragt, und eines Jeden Name gleich auf die Hauptwache hinauf gemeldet, undL 5hernach170hernach werden die Fremden durch einen Offizier herum - gefuͤhrt, und ſo wieder ans Thor gebracht. Es ſind 3. Thore und Fallbruͤcken daran, ſo glatt, daß man Kano - nenkugeln herunter rollen kan. Der Kommendant kan aus ſeinem Zimmer den Eingang uͤberſehen. Man ſieht, wo im Felſen der erſte, der andere und der jetzige Eingang gehauen ſind, um es nur etwas flacher und ebener zu ma - chen. Jetzt lagen 500. Mann Beſatzung oben, der obe - re Umfang des Felſens macht eine ſtarke halbe Stunde aus, und darauf liegen die Feſtungswerke, Wohnungen, Magazine, Pulverthuͤrme, Kaſematten, Zeughaus, Kir - che ꝛc.

Ein aͤuſſerſt angenehmes Waͤldchen iſt auch oben, darin ſtehen die Pulvermagazine. Der Blitz hat ſchon oft da eingeſchlagen, doch aber nur in Baͤume. Eine Brauerei iſt nicht oben. Eine Ciſterne aber liegt im Walde, in welche alles Regenwaſſer geleitet wird. Es gibt darin Karauſchen und Karpen, ſie werden aber nicht fett, auch ſollen ſehr wenige Voͤgel hier niſten. Im J. 1778. brachte man wegen des Kriegs viel Pulver und Munition aus Dresden hierher, und verſtaͤrkte die Beſatzung. 1779. zog aber die Verſtaͤrkung wieder ab, und das uͤberfluͤſſige Pulver brachte man auch wieder weg.

Kanonen auf Lavetten ſtehen ringsherum auf dem Wall. Einige ſchieſſen 24. Pfund. Sie ſind ſchoͤn gearbeitet, alt, und mit Churfuͤrſtl. Namen, Wappen und Verſen geziert. Dazwiſchen ſtehen immer ſchreckli - che Moͤrſer auf hoͤlzernen Kuffen. Man kan damit bis in die Gegend von Pirna reichen. Ueberall ſtehen Krahne, damit wird Holz, Steine, Lebensmittel ꝛc. hinaufgezogen.

Was171

Was mir hier beſonders ſehenswuͤrdig war, iſt fol - gendes:

Der Heldenſaal. Johann Georg der I. hat ihn 1631. angelegt. Er liegt an der Wohnung des Kom - mendanten. Es haͤngen Gemaͤlde von Churfuͤrſten, Damen, Fuͤrſten, Kommendanten, Generalen darin. Auch eine Vorſtellung des Saͤchſiſchen Prinzenraubs ꝛc. Koͤnig Auguſt II. lies an dieſen Saal noch Aufziehema - ſchinen anbringen, worzu nur 8. Mann gehoͤren, und durch welche der Fußboden des Saals aufgehoben werden kan*)Denn der Heldenſaal liegt uͤber dem Eingange. Herausgeber. , ſo daß der Feind noch todt geworfen werden kan, wenn er auch ſchon eingedrungen waͤre.

Die Staatsgefaͤngniſſe liegen zu aͤuſſerſt an der Spitze, man laͤſt ſie aber keinen Fremden ſehen. Ein eigener Hauptmann hat die Aufſicht daruͤber. Man bekoͤmmt aber die

Crellenburg zu ſehen, wohin 1591. der Kanzler Crell von Dresden geſetzt ward, weil er des Crypto - Calvinismi verdaͤchtig war, bis er endlich 1601. in Dresden enthauptet ward. 1720. ward auch hier ein Baron von Klettenberg, ein falſcher Goldmacher wegen einer in Frankfurt am Mayn begangenen Mordthat enthauptet. Auf der Koͤnigsnaſe, welches eine Spitze vom Wall iſt, liegt deswegen noch ein Stein.

Die Neue Kirche fuͤr die Beſatzung, ward 1676. in Gegenwart des Churfuͤrſten Johann Georg II. vom Oberhofprediger Geyer eingeweiht. Der Churfuͤrſtſchenkte172ſchenkte auf den Altar einige Drechſeleien von ſeiner eige - nen Hand. Auch ſtehen daran 2. roͤmiſche Saͤulen, die der Pabſt dazu ſchenkte. Sonſt war die Beſatzung in dem dabei liegenden Staͤdtchen eingepfarrt, aber 1671. kam der erſte Guarniſonprediger dahin. Die Todten werden gleich von der Feſtung herunter gebracht.

Die Friedrichsburg, ein Haus auf dem Wall zum Spielen, Kaffeetrinken und dergl. beſtimme. Hier ſchlief 1678. ein Page Heinrich von Grunau, der mit dem Churfuͤrſten Johann Georg dem II. hier war, ſich be - trunken hatte, und zur Schießſcharte herauskroch, auf dem aͤuſſerſten Abſatze der Mauer ein. Der Churfuͤrſt lies ihn, ohne ihn aufzuwecken, mit Stricken feſtbinden, und ſo am Rande des ſchauervollen Abgrundes aufwa - chen*)Daher dieſer Ort auch bis jetzt noch das Pagenbette heiſt. Herausgeber. . Nachher ſtuͤrzte der naͤmliche Mann, als er dem Churfuͤrſten in Dresden uͤber die Elbbruͤcke, die damals noch kein Gelaͤnder hatte, vorritt, in den Strom herab, ward aber auch da errettet, und wurde 108. Jahr alt.

Die Kaſematten gehen um die ganze Feſtung her - um. Seit 1767. baut man an den neuen. Sie ſollen ſo feſt ſeyn, daß die Bomben, wenn ſie auch etlichemahl an dem naͤmlichen Orte aufſchluͤgen, und die oberſten La - gen durchloͤcherten, auf dem Schutt, der unter dieſen liegt, alle Elaſtizitaͤt verloͤhren, und die untre doch nicht durch - ſchluͤgen. In den obern kan man aufrecht gehen. Selbſt die Abtritte ſind Bombenfeſt. Fuͤr den Winter ſind Zugoͤfen und franzoͤſiſche Kamine gebaut. Dieſe Ka -ſematten173ſematten gefielen dem Prinz Heinrich von Preuſſen, als er im letztern Kriege hier war, ganz auſſerordent - lich. 1698. war auch Czar Peter der Groſſe hier oben.

Das Groſſe Faß, welches man hier hat, iſt ſchon das 3te. Es iſt 1725. gebaut, und mit eiſernen Reifen gebunden. Aus graden Baͤumen kan man ſo groſſe Dauben nicht ſchneiden, daher ſucht man lauter krumme Baͤume dazu aus. Es iſt ſo gros, daß man einen Co - tillon darauf tanzen koͤnnte. Es iſt voll Meißner Wein, den man den Fremden mit einem Stechheber her - aushebt. Es haͤlt 3709. Dresdener Eimer.

Das Zeughaus iſt nicht ſonderlich gros, doch aber ſtehen 2. Ctagen ganz voll. Man ſieht auch darin viele alte Waffen und Kriegswerkzeuge, Kuͤraſſe ꝛc, Hau - bitzen, die als Kanonen und als Moͤrſer gebraucht wer - den koͤnnen, Schuwalows, eine Art kleiner Kanonen, Orgelgeſchuͤtze, wo man 7, 10, 15. Stuͤcke auf ein - mahl losſchoß, Doppelhacken, um uͤber die Mauern zu ſchieſſen ꝛc.

Der Brunnen iſt ein wahres Meiſterſtuͤck. Er iſt durch den ganzen Felſen, 900. Ellen tief, gehauen. Aus dem Felſen ſickert unten das Waſſer, und in der Tiefe iſt eine Quelle, daher es der Beſatzung nie an Waſſer ge - brechen kan. Die Invaliden treten ein groſſes hoͤlzer - nes Rad, das zieht den einen Eimer herauf und laͤſt den andern hinab, der ſich in dem Augenblicke fuͤllt, da der andre ausleert. Hinabgeſchuͤttetes Waſſer faͤllt erſt in 40. Sekunden hinab. Zuletzt erſcheinen 6. Lichter nur noch wie ein Stern der kleinſten Groͤſſe am truͤben Him -mel.174mel. Es iſt ein ſehr reines, friſches und ſchmackhaftes Waſſer.

Im Jahr 1706. ward wegen des Schwediſchen Einfalls das Archiv und die Koſtbarkeiten aus Dresden hierher gebracht, und die Beſatzung ward verſtaͤrkt. We - gen des Preuſſiſchen Kriegs wurden 1756. 1324. Mann hinaufgelegt, man ſchoß auch mit Kugeln und Bomben aus der Feſtung auf die Feinde, bis hernach fuͤr die Fe - ſtung eine Neutralitaͤtskonvention errichtet ward. 1763. den 19. Maͤrz zog die Verſtaͤrkungs-Guarniſon wieder ab.

Gouverneur dieſer wichtigen und ſehenswerthen Bergfeſtung war jetzt der Hr. General von der Infante - rie, Graf von Solms. Man nimmt immer Maͤnner, die ſchon in Jahren ſind, dazu. Sie folgen gemeinig - lich ſchnell auf einander. Der jetzige bat es ſich ſelbſt aus. Ich war ihm von des Miniſters von Wurmb Exc. empfohlen, und hatte die Ehre in ſehr vornehmer Geſellſchaft bei ihm zu ſpeiſen, worunter unter andern auch der Koͤnigl. Preußl. Geſandte an hieſigem Hofe, Hr. von Alvensleben war.

Den 30ſten Aug. Ruͤckreiſe nach Pirna.

Der heutige Tag war dazu beſtimmt, das Luſtſchloß

Pillnitz, wo ſich der Churfuͤrſtl. Hof im Sommer aufhaͤlt, zu beſehen. Wir fuhren auf der ſchoͤnen Elbe hin, und gingen dann durch einen Tannen - und Foͤhren - wald vollends zu Fuß hinein. Hr. D. Urſinus, der ſo gefaͤllig war, dieſe Luſtpartie anzuſtellen, hat hier einenSchwager,175Schwager, der Amtsverwalter iſt. Das eigentliche Schlos iſt alt, es ſind aber noch 2. herrliche Pavillons da und dieſe bewohnt der Hof. Im Garten hat der Churfuͤrſt eine Partie im Engliſchen Geſchmack mit groſ - ſen Koſten anlegen laſſen, und man will von den benach - barten hohen Gebuͤrgen das Waſſer herableiten, und eine Art von Kaſſelſchen Winterkaſten machen. Es fehlt aber grade in der heiſſeſten Jahrszeit an Waſſer. Das Schoͤnſte fuͤr mich war, daß hinten am Garten die Elbe fließt, wo ſchoͤne Jatchen und Gondeln liegen. Im Garten findet man allerlei Spiele. Auch iſt darin ein eigner kleiner Garten, mit deſſen Wartung ſich der Chur - fuͤrſt ſelbſt vergnuͤgt. Er ſtand eben, gegen ſeinen Be - fehl, offen.

Im Venustempel, einem ſchoͤnen und groſſen Saal, in dem man viele Bildniſſe vormaliger beruͤhmter Damen antrift, ſahen wir den Hof zu Mittage ſpeiſen. Es ward dazu Mufik im Nebenzimmer gemacht.

Die Zimmer des Churfuͤrſten bekoͤmmt Niemand zu ſehen. In den Zimmern der Churfuͤrſtin lagen die Rhein Beitr. und Hiſt. univ. profane & ſacrée, ein Rahmen, worin ſie arbeitete. ꝛc. Ein Klavier, ei - ne Voliere von Kanarienvoͤgeln war auch darin, und darneben ein Huͤnerhaus, das ſie erſt jetzt mit vielen Koſten bauen laͤſt.

Man kan hier Schnallen von Pinſchbeck zu Kauf be - kommen, die ein Mann in Peterswalde in Boͤhmen, ganz im Engliſchen Geſchmack macht. Die Kaiſerin hats ihm dort lernen laſſen. Die Meinigen koſten mich 1. Thaler 18. Groſchen. Er macht ſie nach allen moͤglichen Deſſein, die man ihm ſchicken muß.

Abends176

Abends kehrten wir wieder nach Pirna zuruͤck, und waren im Garten beim Apotheker

Hrn. Hofmann, dem der Teſchener Friede ein ſchoͤnes Luſthaus gebaut hat, mit der Inſchrift: Hanc pax nobis dedit unbram. 1779.

Den 31ſten Aug. Reiſe nach Stolpen.

Ein Kranker in Biſchofswerde ſchickte dem Hrn. D. Urſinus einen Wagen und lies ihn holen. Dieſe Gelegenheit benutzte ich, und begleitete ihn, um bei der Gelegenheit die Stolpener Baſaltſaͤulen zu beſehen.

Den ganzen Weg bis hin trift man Sand an, dann kommt ein Granitberg, und auf dieſen die Baſalte. Un - zaͤhlig viele gibt es deren hier. Das Pflaſter, alle Sitze vor den Haͤuſern, alle Stadtmauern, das Schloß, die Mauer um den Berg und Thiergarten alles iſt aus Baſalten, ja Schloß und Staͤdtchen ſtehen darauf.

Das Schlos iſt ſeit dem ſiebenjaͤhrigen Kriege demo - lirt. Man will es auch verfallen laſſen. In den ſchoͤ - nen Brunnen haben die Preuſſen eiſerne Kanonen, Stei - ne ꝛc. geworfen, und man hat ihn noch nicht raͤumen koͤnnen. Dabei ſieht man, daß einige Baſaltſaͤulen noch 25. Fuß hoch am Tage herausſtehen, und 287. Fuß tief iſt der Brunnen, der in ſie hineingehauen iſt. Ein Steiger ſagte, er haͤtte gar keinen Abſatz gefunden, ſo - nach waͤren die Saͤulen 312. Fuß hoch. Sie ſind meiſt 5eckigt; 3, und 6eckigte ſind ſeltener, als 7eckigte. Ganz kleine 4eckigte brechen zuweilen zwiſchen den 5eckigten. Schoͤrl -177Schoͤrlkryſtalle, die von Einigen Granaten genannt werden, kommen zuweilen darinnen vor.

Im Schloſſe ſieht man in der Kirche alte wohlerhal - tene Malereien, desgleichen die Zimmer der beruͤhmten Graͤfin Coſel, die zuletzt naͤrriſch, und eine Juͤdin wurde. Man genießt von hier aus eine ſchoͤne Ausſicht nach Boͤh - men. Oben hat das Schloß doppelte Mauern ꝛc.

Den 1ſten Sept. Ruͤckreiſe nach Dresden.

Den heutigen Tag brachte ich damit zu, von allen meinen Goͤnnern und Freunden Abſchied zu nehmen. Vorzuͤglich beurlaubte ich mich von dem liebenswuͤrdigen Staatsmanne, deſſen viele Beweiſe ſeines gnaͤdigen Wohl - wollens gegen mich, meinem Herzen ewig unvergeßlich ſind. Darneben beſah ich noch

Die Kunſtkammer. Da ſieht man eine Menge der kuͤnſtlichſten Uhren unter mancherlei Geſtalten, z. B. als Spinnen, als galoppirende Pferde ꝛc. viele kuͤnſtliche Sachen, in Elfenbein, Holz und Stein gearbeitet; el - fenbeinerne Kugeln, die in einander ſtecken, und tauſend Dinge mehr.

Die Ruͤſtkammer. Neun Saͤle ſtehen voller Koſt - barkeiten und Pracht. Eine ungeheure Menge Gold, Silber und Edelſteine ſind hier verſchwendet. Man ſieht ausgeſtopfte Pferde, wie ſie Auguſt III. geritten, mit reichgeſtickten Schabracken, ſilbernen vergoldeten Steig - buͤgeln, tuͤrkiſche Pferdegeſchirre, Sattelzeug ꝛc. Redou - tenkleider von allen nur erdenklichen Erfindungen ꝛc. Das Hochzeitkleid Churfuͤrſt Auguſts. Panzer; viele alte ſel -Zweiter Theil. Mtene178tene Gewehre von allen Nationen, ſchreckliche Henker - ſchwerdter, wobei ich mir an Hals grif, Sachen zum Karouſſel, zu Turnieren ꝛc. Unmoͤglich konnt ich alles merken, und dazu in der kurzen Zeit, die ich aufs Be - ſehen wenden konnte.

Den 2ten und 3ten Sept. Reiſe nach Berlin.

Der Weg von Dresden bis Berlin betraͤgt 20. Meilen, iſt aber ein ewiges Sandmeer mit Tannen - und Fichtenwaͤldern untermengt. Ach, da ſchlich der Wagen ſo traurig im Flugſande fort, oft fuhr ich 6. Stunden Weges ohne ein Dorf, eine Huͤtte, oder nur einen Menſchen zu ſehen. Die Oerter, durch die ich auf dieſer Route kam, ſind Groſſenhayn, Elſterwerde, Dobriluck, Sonnewalde, Luckau, Baruth, Mit - tenwalde; alles kleine Staͤdtchen. Bis Baruth iſt alles Saͤchſiſch, aber 1. Meile hinter dieſem Orte iſt es Brandenburgiſch.

Den 4ten Sept.

Heute kam ich in

Berlin an, und fand mein Logis in der Fr. Praͤſid. von Dankelmann Hauſe auf der Bruͤderſtraſſe. Hr. Nikolai hatte es fuͤr mich beſtellt. Ich lies es mein Erſtes ſeyn, verſchiedene Beſuche zu machen, und meine Empfehlungsſchreiben abzugeben, ich ging daher gleich zu

Hrn. Nikolai, der mich ſehr freundſchaftlich em - pfing. Von ihm ging ich zum Hrn. Regimentsſeld - ſcheer Kleemann, der aber nicht zu Hauſe war, zumHrn.179Hrn. Stadtchirurgus Streccius, zu Hrn. geh. Gene - ralpoſtſekretair Otto, zu Hrn. Oberkonſiſtorialrath Tel - ler, wo ich Hrn. Prof. Ramler, und Hrn. Oberkonſi - ſtorialrath von Irwing kennen lernte. Drauf ging ich unter den Linden in der Neuſtadt ſpazieren, wo ich Hrn. Generalchirurgus Schmucker antraf, und beſah dabei den Wilhelmsplatz und die darauf ſtehenden Bildſaͤulen der preuſſiſchen Helden Schwerin und Winterfeld*)Seitdem iſt noch das Standbild des General von Seydlitz, von Taßaert verfertigt, daſelbſt aufgeſtellt worden. Auf die 4te Ecke dieſes Platzes wird die Statue des General-Feldmarſchalls Keith zu ſtehen kommen. Herausgeber. .

Auf den Abend war ich in dem gelehrten Klub, wo ich Hrn. Generalchirurgus Theden, Hrn. Oberberg - rath Gerhard, Hrn. Prof. Bernoulli ꝛc. kennen lernte.

Im Heimgehen begegnete uns Mad. Karſchin, und machte gleich folgenden Vers aus dem Stegreife:

Ich bin ſo von den deutſchen Alten
Und bin gerade zu.
Verzeiht, daß ich euch aufgehalten,
Ich wuͤnſch euch allen ſuͤſſe Ruh!

Den 5ten Sept.

Heute beſuchte ich nach der Reihe

Hrn. Oberkonſiſtorialrath Dietrich. Schon in Jahren, ein guter und rechtſchaffener Mann.

Hrn. Moſes Mendelsſohn. Wir ſprachen von ſeiner Pſalmenuͤberſetzung. Er ſagte, es fehle noch mei -M 2ſtens180ſtens der Zuſammenhang. Die alphabetiſchen Pſalmen ſieht er nur fuͤr penſées detachées an, die man nach - her geſammelt habe. Je weiter man hinauf ſteige in der Voͤlkerwelt und in der Geſchichte der Religion, je we - niger abgoͤttiſche Voͤlker finde man. Dies iſt gegen Mei - ners. Die Hieroglyphe habe zur Vielgoͤtterei Anlaß ge - geben, man habe das Zeichen mit der Sache verwechſelt, habe Hieroglyphen von Thieren genommen, weil das Thier einen beſtimmten, der Menſch hingegen einen un - beſtimmten Karakter habe, daher man auch nachher noch ſo ein Thier neben den Menſchen geſtellt habe.

Hrn. Oberkonſiſtorialrath Spalding. Ich fand ei - nen ſchon alten, aber noch friſchen und lebhaften Mann an ihm. Er klagte auch, daß er gegen ſo viele mittel - maͤſſige Koͤpfe kaͤmpfen muͤſſe. Man ſehe immer im Volksunterrichte die Religion als etwas fremdes, vom Herzen abgeſchnittenes an ꝛc.

Hrn. Luͤdke, Prediger an der Nikolaikirche, ein wackrer, thaͤtiger Mann.

Mittags war ich bei Hrn. Oberkonſiſtorialrath Tel - ler zu Gaſte. Er iſt Cenſor von Allem was in Berlin gedruckt wird. Er ſagte, er habe ſich vom Groskanzler die Inſtruktion ausgebethen, was mit den allgemeinen Grundſaͤtzen der Religion beſtehen kan, zu dulden. Ani - moſitaͤten aber ſtreiche er gradezu aus. Nach dieſen Be - ſuchen war ich in einer Verſammlung der

Naturforſchenden Geſellſchaft in Hrn. Apothe - ker Rebelt’s Garten. Hr. Bode war Direktor. Hr. Prof. Gleditſch zeigte einige Semina der Dioec. vor, und ſagte, ſie gaͤben blos foem. andre blos maſe. ſie zu erkennen ſie unmoͤglich. Man ſoll an keinen Baumklopfen,181klopfen, es ſtehe hier Feſtungsbau drauf, weil ſich me - dulla bis in den Liber erſtrecke, wie eine gelat. ani - malis; er koͤnne aus Eicheln, Steineichen, ſchwarze Ei - chen ꝛc. unterſcheiden. In der Zahl der Stamin. ſei viel Ungleichheit oder Unbeſtaͤndigkeit: Figur und Pro - portion ſei ihm lieber ꝛc. Ich lernte auch bei dieſer Ge - legenheit Hrn. Oberkonſiſtorialrath Silberſchlag kennen.

Den 6ten Sept.

Mein erſter Beſuch war heute bei

Hrn. Rode, dem Maler. Seine Gattin wies mir folgende Gemaͤlde von ſeinem Pinſel. Chriſtus, wie er das Brod bricht, gar herlich; Julius Caͤſar, wie er ermordet vom Stuhle ſinkt; viele Stuͤcke aus der Preuſſiſchen Geſchichte, als Friedrichs I. Kroͤnung, der vorige Koͤnig und der alte Fuͤrſt von Deſſau neben ihm. In allen muß man die Erfindung, die neuen, edlen Gedanken dieſes ſchoͤpferiſchen Geiſtes bewundern*)Nach Le Sueur’s Tode iſt er Dircktor der Koͤnigl. Akademie der Kuͤnſte geworden. Herausgeber. . Hierauf beſah ich die

Waſſerkunſt fuͤr das Schlos. Sie liegt bei den Werderſchen Muͤhlen, und ein Druckwerk, das durch ein Einziges Waſſerrad in Bewegung geſetzt wird, treibt beſtaͤndig 7000. Tonnen Waſſer einen Weg von 250. Schuh horizontal unter der Straſſe bis aufs Schlos, 100. Fuß hinauf, denn ſo hoch iſt das Schloß bis zum kupfernen Dach. Hier laͤuft das Waſſer noch 10. Fuß ſchraͤg unter dem Dache fort, vertheilet ſich durchM 3bleierne182bleierne Roͤhren allerwegen im Schloſſe, ſo daß man uͤberall Waſſer haben kan. Unter dem Dache ſtehen 24. groſſe und kleine Keſſel, die beſtaͤndig voll ſeyn muͤſſen. Der Koͤnig gibt alle Jahr 700. Thaler zur Erhaltung dieſer Waſſerleitung. Oben auf dem Dache hat man ei - ne angenehme Ueberſicht der Stadt, und die Ausſicht nach Spandau, Charlottenburg ꝛc. Als der Gros - fuͤrſt vor etlichen Jahren ſeinen Einzug hielt, ſtanden und faſſen viele tauſend Menſchen hier oben, ſogar Frauen - zimmer.

Im Herabgehen ſah ich die Treppe ohne Stuffen, auf der man mit einem Wagen im Schloſſe hinauf und herabfahren kan, neben der Stufentreppe. Sie iſt mit lauter Backſteinen gepflaſtert.

Hierauf wartete ich eine griechiſche Vorleſung des

Hrn. Gedicke, Direktors des Gymnaſiums vom Friedrichswerder ab. Er las uͤber des Ariſtophanes Wolken. Der Miniſter, Freiherr von Zedlitz, ge - gen welchen groſſen Mann ſich mancher kleine Senator gewaltig blaͤht, war auch zugegen. Schoͤn iſt doch der Ausdruck des Griechen:

Schimpfe den Vater nicht einen alten Narren, Du biſt eine junge Vogelbrut von ihm erzogen.

Nachher beſah ich das

Naturalienkabinet beim Hrn. Oberbergrath Ger - hard, unter den Linden neben der Stadt Rom. Es beſteht aus 4000. Stuͤcken; der Beſitzer will es à la Tontine verkaufen. Durch den Miniſter, Hrn. von Heinitz bekoͤmmt er alles. Er lieſt und ſchreibt jetzt Mineralogie, gibt Kupfertafeln von der Theorie der Ge -buͤrge183buͤrge heraus, will auch eine metallurgiſche und minera - logiſche Technologie liefern. Die Mineralien, welche er beſitzt, hat er alle im Feuer probirt, ſich dabei der Porzel - lantiegel und Porzellanoͤfen bedient, und dabei manche Entdeckung gemacht. Das Verhalten des Minerals im Feuer ſteht uͤberall dabei. Ich ſah bei ihm; ſehr groſſe Granaten aus Schweden; Rubine in der Mutter, ein wahrer talkartiger Stein. Blaue Tur - maline. Sehr viel von dem Quarzo inciſo. Kryſtalliſirten Feldſpat. Kryſtalliſirten Schoͤrl, Bergleder, Haarſilber und Kalkſpat an einander, von Allemand in Dauphine. Viel ſchoͤnes gediegenes Silber, Rothguͤlden, eben daher. Weiſſes Blei, gar ſchoͤn. Ich erfuhr bei dieſer Gelegenheit, daß die klingenden Quarze, in denen man die Lamellen deutlich ſehen kan, von Krumersdorf in Schleſien herkommen.

Auf den Abend ſah ich eine Ilkumination im Krauſenſchen Garten. Man zahlte 4. Groſchen fuͤr die Entree, fuͤr die Muſik ward beſonders kollektirt. Es waren viele artige Erfindungen dabei, ein fliegender Ad - ler mit Lichtern, eine Menge Lampen mit buntgefaͤrbtem Waſſer. Ueberall erblickte man das FR. und Fr. W. Im Garten waren unuͤberfehbare buntgemiſchte Geſell - ſchaften, aber ohne Getuͤmmel. Drauf ſoupirte ich in Geſellſchaft Hrn. Nikolai’s und Hrn. O. K. R. Tel - ler’s.

Den 7ten Sept.

Ich fuhr heute mit Beſuchen fort, und ging zu

Hrn. D. Kruͤnitz. Er arbeitete eben den Art. Hals zu ſeiner oͤkon. Eneykl. aus. Ein fleiſſiger Ge -M 4lehrter.184lehrter. Die ganze Woche arbeitet er, und nur Sonn - tags geht er aufs Land oder in Geſellſchaft.

Hrn. Prof. Ramler, ſchon in Jahren, ſchreibt jetzt keine Oden mehr, nur manchmal eine Naͤnie. Von Wieland denkt er wie ich, nennt aber ihn und Leſ - ſing unſre beſten Beaux-Eſprits. Er ſagte, die Meſ - ſiade habe er nicht ganz leſen koͤnnen. Er ſpottet uͤber Kl. Oden und Gel. Rep. und meint, Kl. ſei nie vor - waͤrts, ſondern immer ruͤckwaͤrts gegangen, an vielen Orten ſchreibe er Nonſenſe.

Hrn. Medailleur Abraham Abramſon, der Sohn eines Juden*)Der Vater Jakob Abraham iſt ein Petſchierſtecher und Stempelſchneider bei der Koͤnigl. Muͤnze., aber im cultu externo nicht Jude, noch jung und ledig. Die Ideen und die Inſchriften zu ſeinen Medaillen auf beruͤhmte Leute gibt ihm Ram - ler an. Wieland’s Stempel hat gelitten, ſonſt haͤtt ich die Medaille genommen. Jedes Stuͤck koſtet 3. Thaler, und die ganze Suite 30. -40. Thaler. Von Mendelsſohn, ſagte er, waͤren wohl 500. abgegangen, von andern Gelehrten etwa 50. Der wackere Kuͤnſtler iſt willens, eine Reiſe zu machen.

Hrn. Prof. Engel am Joachimsthaler Gymna - ſium, ein Mann von etwa 40. Jahren. Seine ver - ſtopfte Leber macht ihn krank und hypochondriſch. Den Miniſter, Baron Zedlitz, lobt er ſehr, er thue ſehr viel, habe viel Bereitwilligkeit. Auf Herdern war er nicht zu ſprechen. Ich erfuhr auch von ihm, daß der Mini - ſter Zedlitz dem Hrn. Adelung in Leipzig aufgetragen habe, eine deutſche Grammatik fuͤr die preuſſiſchen Schu -len185len zu ſchreiben,*)Die auch, wie bekannt, 1781. bei Voß in Berlin her - ausgekommen iſt. Herausgeber. , weil Heynatz dazu nicht Philoſoph genug ſei ꝛc.

Mittags ich wieder bei meinem Freunde Nikolai, und beſah hernach des

Hrn. Apotheker Rebelt’s Naturalienkabinet. Es iſt in der Mineralogie vollſtaͤndig, enthaͤlt auch ſchoͤ - ne Konchylien, Kunſtſachen, Abdruͤcke ꝛc. Mir war beſonders merkwuͤrdig

  • 1) Moosachat in einem Ringe, und unter dieſem in einem Kaͤſtchen ein Schiff mit 3. Seegeln, aus El - fenbein geſchnitzt.
  • 2) Zwei Tabatieren aus Bayreuther Kieſel aus dem Ganzen, und weis wie unreifer Quarz.
  • 3) Lanze, Kolbe, und viele alte Gewehre. Ein De - gen, worauf die ganze Churſaͤchſ. Genealogie ſteht.
  • 4) Eine indianiſche Angelruthe aus Bambusrohr wie ein Stock. Wird immer in einander geſchoben.
  • 5) Ganz ſchwarzer Marmor aus Romagna.
  • 6) Ein Puddingſtone bei Berlin, von Hrn. Sieg - fried entdeckt.
  • 7) Ein Schwanz von einem jungen Wallfiſch.
  • 8) Ein altes deutſches Opfermeſſer aus Silex; kom - men in Urnen vor.
  • 9) Bernſteinſachen, davon die Fabriken nicht hier, ſon - dern in Koͤnigsberg und Stolpe in Pommern ſind.
  • 10) Eiſenſtuffen von der Inſel Elba 2. Schubkaſten voll von einem guten Freund in Italien erhalten. Vie - le ſind ganz blau.
M 511) Chry -186
  • 11) Chryſopras aus Schleſien, vielleicht gibts gar keinen im Orient.

Auf den Abend ich bei dem guten Manne mit Hrn. Rendant Siegfried und ſeinem Schwiegerſoh - ne, Hrn. D. Piel. Seine Frau mochte ſich gern mit mir von der Mlle. Biheron in Paris (S. 1. Th. S. 89. u. f.) unterhalten.

Den 8ten Sept.

Beim Hrn. O. K. R. Silberſchlag war ich heute zuerſt. Der Koͤnig wollte ihn vom geiſtlichen Stande wegnehmen, und zum Major, hernach zum Obriſten ma - chen. Er hat die Aufſicht uͤber alle Bruͤcken, Waſſer - baue u. dergl. Ich ſah bei ihm Proben von dem, was die Schuͤler in der Realſchule zeichnen, ſchreiben ꝛc. Es iſt aber hierbei viel Oſtentation; weil hier viele Schulen ſind, ſo buhlt man bei den Eltern um die Kinder.

Hierauf machte ich Ihro Exc. dem Miniſter, Frei - herrn von Zedlitz meine Aufwartung. Ein groſſer und verehrungswuͤrdiger Staatsmann. Alsdann beſuchte ich den

Hrn. Geh. Kriegsrath von Steck, der mit vieler Achtung und Lobe von unſerm Miniſterio ſprach.

Madame Martini. Eine empfindſame Frau, die noch den Tod ihres Mannes beweinte. Sie erzaͤhlte mir, wie edel und gros Hr. von Rochow, Hr. Graf von Borke, Hr. Sekr. Otto, Hr. O. K. R. von Ir - wing ꝛc. an ihr gehandelt haͤtten. Von den Mannich - faltigkeiten hat ſie alle Jahr 100. Thaler.

Mittags187

Mittags ſpeiſte ich beim Hrn. O. K. R. Teller, wo auch Hr. Hofr. Troſchel war.

Nachmittags wiederfuhr mir die hohe Gnade, Ih - ro Koͤnigl. Hoheit der Prinzeſſin von Preuſſen vorgeſtellt zu werden. Eine ungemein gnaͤdige Fuͤrſtin, die Muſik und Malerei ſehr liebt. Sie hielt ſich jetzt hier auf, weil ihr Gemal gegenwaͤrtig in Petersburg iſt.

Zum Beſchluß von heute beſah ich noch des

Hrn. Rendant Siegfried’s Kabinet, und muſte auch zum Abendeſſen bei dem lieben Manne bleiben. Er iſt ein Schwager von Hr. D. Semler in Halle. Ich fand hier:

  • 1) Einen Puddingſtone, wo alle Kieſel eine Einfaſſung auf beiden Seiten haben.
  • 2) Charpentier’s aus Freiberg, Suiten von Saͤchßl. Mineralien, darunter aber viele kleine und ſchlechte Stuͤcke waren.
  • 3) Eine ſchoͤne Bibliothek.

Den 9ten Sept.

Heute machte ich wieder Beſuche, und zwar zuerſt beim

Hrn. Geh. Rath Formey. Ich fand einen alten, ſchon baufaͤlligen Mann. Er denkt ſelbſt veraͤchtlich von der franzoͤſiſchen Litteratur. Er lud mich ein, auf den Donnerſtag die Aufnahme des Mr. Prevôt in der Akad. d. W. mit abzuwarten.

Beim Hrn. O. K. R. Sack. Ein ehrwuͤrdiger Greis von 79. Jahren. Litt heftig am Podagra. Ich warte188 warte meine Vollendung ab, ſagte er zu mir. Un - ſer Leben waͤhret 70. Jahr ꝛc. ꝛc. Ueber die Sitt - lichkeit der Stadt machte er die Bemerkung, in jedem Hauſe ſei ein Franzos, dieſer beurtheilte den Menſchen nicht nach der Moralitaͤt, ſondern ſage nur: Il eſt amu - ſant, c’eſt un homme d’eſprit. Er wuͤnſchte mir die groͤſte Freude des Menſchen, viel Gutes in der Welt geſtiftet zu haben. ꝛc.

Bei Madame Therbuſch ſah ich einige ſchoͤne Ge - maͤlde. Sie iſt ſchon in Jahren, aber eine vortrefliche Kuͤnſtlerin.

Beim Hrn. Hofrath Gleditſch. Ein groſſer Bo - taniker. Er korreſpondirt ſelber mit dem Koͤnige wegen Verſuchen uͤber Verbeſſerung des Tobacks. Man ſolle ihm die Schaͤrfe zu nehmen ſuchen, und unter den Land - kraͤutern eins ausfuͤndig machen, das man mit dem To - back verbinden koͤnne. Er ſei aber doch nach allen Ver - ſuchen eine ganz eigne Mixtio, eine planta ſui gene - ris ꝛc. Dieſer Gelehrte hat ſo viele Feinde und verdient Ehrenſaͤulen. Auswaͤrts wird er angebetet und hier we - nig geſchaͤtzt. Licet ſapere ſine invidia, ſagt Dr. Kruͤnitz immer.

Beim Hrn. Prof. Bernoulli auf der Koͤnigl. Stern - warte. Er hoͤrt ſchwer, hat daher immer ein Hoͤrrohr bei ſich. Er, und Hr. Schulze ſind die Aſtronomen der Koͤnigl. Akad. d. W. Hr. Bode iſt nur Offiziant dabei.

Mittags war ich bei des Miniſter, Freiherr von Zed - litz Exc. zur Tafel. Seine Gemalin hatte meine Schrif - ten geleſen, und verglich meine Phyſiognomie mit einem gewiſſen Chevalier Goſſin. Ueber Tafel ward derFreuden -189Freudengeſang der Judenſchaft auf die Kaiferin von Rußland vorgeleſen. Der Miniſter lies den Kupfer - ſtecher Meil Zeichnungen von Gegenſtaͤnden aus alten Autoren machen. Dieſe werden nun in der Porzellanfa - brick auf ein Dejeune gebrannt. Es ward eben die erſte Probetaſſe geſchickt. Darauf war Demoſthenes, wie er ſich am Meer im Lautreden uͤbt, und Milon von Cro - ton, der ſich gewoͤhnt, alle Tage mehr zu tragen*)Dieſes geſchmackvolle Dejeune hat der Herr Rath Adelung zu Leipzig von dem Miniſter, Freiherr von Zedlitz, fuͤr die ihm aufgetragene Ausarbeitung der zuvorgedachten deutſchen Sprachlehre, zum Geſchenk erhalten. Man findet es umſtaͤndlich beſchrieben im 27. Bande der N. Bibl. d. ſch. W. S. 345. u. f. Herausgeber. .

Nachmittag beſuchte ich Hrn. D. Bloch. Er iſt praktiſcher Arzt, und dabei ein ſehr fleiſſiger und einſichts - voller Naturforſcher. Er fing mit Verſteinerungen an zu ſammeln, und beſitzt jetzt eine herliche Sammlung, ſonderlich aus dem Thierreiche. Ich fand darin vorzuͤg - lich merkwuͤrdig:

  • 1) Den Kopf vom Bandwurm aus Katzen und mehr Thieren, mit den Haken.
  • 2) Eine Warze von einem Wallfiſch, gros und hervor - ſtehend.
  • 3) Embryones von Haſen und Kuͤhen, 3. Tage alt.
  • 4) Tubularia concatenata, das Original zum Ketten - ſtein.
  • 5) Viele Eier, in einer Schublade voller Faͤcher, auf Baumwolle, unter Glas, mit aufgeſchriebenen Namen.
6) Hals -190
  • 6) Halsorgane von vielen Voͤgeln. Bei dem Weib - chen ſind ſie immer grade. Eine ganz eigene Samm - lung.
  • 7) Kopal und Bernſtein, wohl ſortirt: von jenem ein Stuͤck mit einer Floſſe.
  • 8) Gummi elaſticum, gefaͤrbt, daß es wie Kopal aus - ſieht, dem Chineſiſchen nachgemacht.
  • 9) Ein Echinorynchus, und
  • 10) Taeniae hydatigenae, beide aus dem Schwein.
  • 11) Taeniae mit Franzen, aus der Trappe.
  • 12) Berghahn, Strandlaͤufer Ardea mi - nuta.
  • 13) Der Magen eines Kukuks, ganz haaricht.
  • 14) Plumier’s Reiſejournal nach Amerika, mit vie - len illuminirten Zeichnungen, die jetzt im Caresby ſtehen. Gar eine herliche Anatomie vom Krokodil ſoll darin vorkommen. Dieſes Werk kam aus Paris durch Erbſchaft hieher.
  • 15) Bernſtein mit Waſſertropfen.
  • 16) Ein erſtaunlich groſſes Weltauge.
  • 17) Schwaͤmme in Haaramethyſt aus Schleſien.
  • 18) Holz in reinem Quarz. Vieles in Achat, der - gleichen auch Hr. Siegfried beſitzt. Holz noch auf der einen Seite, und Stein auf der andern.
  • 19) Verſteinerungen in Pierre d’Egypte.
  • 20) Vier Hahnenkaͤmme aneinander.
  • 21) Vortrefliche ganz metalliſirte Belemniten.
  • 22) Lituit. Die groſſen, (ſ. den Naturforſcher) ſah ich bei Hrn. Siegfried.
  • 23) Ein Ammonshorn verſteinert mit Bleierz.
  • 24) Orthoceratiten wo die Kammern von einan - der gehen, und andre, wo die Kammern mit Onyx ausgefuͤllt ſind.
25) Pan -191
  • 25) Pantoffelſteine, die Huͤbſch in Koͤlln zuerſt be - kannt machte. Sie ſehen faſt ſo aus. Seitdem man Stuͤcke mit einem Deckel gefunden hat, weis man, daß es eine Auſterart iſt.
  • 26) Ein ganzes Konvolut von Enkriniten aus Braun - ſchweig. Einer mit 11. Strahlen, da ſie ſonſt alle nur 10. am Kopfe haben; auch einer in ſilice.
  • 27) Ein Kreuzſtein aus Spanien ſo geſtaltet.
    [figure]
    Iſt ein Stuͤck von einem Gypsſpat.
  • 28) Eine Engliſche Zinngraupe, 19. Loth ſchwer. Man nennt ſie Viſir, weil die Kryſtalliſationen ſchief auslaufen, daß man ſie an Backen legen kan.

Den 10ten Sept.

Weil heute Sonntag war, ſo ging ich in

Die Nikolaikirche, den Gottesdienſt abzuwarten. Die Kirche iſt alt, gothiſch, mit dicken Pfeilen verfin - ſtert. Hr. O. K. R. Spalding predigte. Evange - lium und Epiſtel werden vor dem Altare verleſen, dann das Lied: Allein Gott in der Hoͤh ſei Ehr ꝛc. darauf das zur Predigt ſich ſchickende Lied, und zuletzt der Glaube geſungen. Der Text war das Evangel. Dom. XIV. p. Trin. und das Thema: Vom fruͤhen Sterben der Menſchen. 1) Unſer Urtheil und unſer Verhalten da - bei. 1) Warnung vor dem Selbſtmord ꝛc. Die Stimme des Redners iſt ſchwach, die Deklamation we - nig und einfoͤrmig, die Sachen gut, und die Worte ſehr gewaͤhlt. Das Chorhemde und viele katholiſche Ge - braͤuche trift man noch in dieſer Kirche an; weil der jetzi - ge Koͤnig bei ſeiner Regierung jeder Kirche frei ſtellte, es mit den aͤuſſern Gebraͤuchen zu halten, wie ſie wollte. Nach dem Gottesdienſte ſah ich

Die192

Die groſſe Wachparade vor dem Schloſſe, aufzie - hen. Sonntags koͤmmt die ganze Wache da zuſammen. Wenigſtens 2500. Mann ziehen alle Tage auf. Nur allein 150. Mann ziehen ins Schloß. Die Artilleriſten beſetzen die Poſten unten am Park, an der Spree, bei den Pulvermagazinen ꝛc. Der kommandirende Obriſt ritt an der Fronte, und zwiſchen den Gliedern fuͤrchterlich durch, und die Leute ſtanden wie Mauern. Ein ſchreckliches Getoͤſe machts, wenn 80. Trommelſchlaͤger und 40. Queer - pfeifer auf einmal anfangen. Die Janitſcharenmuſik der Artilleriſten klingt am beſten. Jetzt hatte die Infante - rie eben die neuen, gleichaus dicken und ſchweren Ladeſtoͤ - cke bekommen, die gar nicht brauchen umgekehrt zu wer - den, und doch die Patrone gewiſſer, ſichrer und feſter hinabgeſtoſſen, ſo daß 2. Tempos erſpart werden. Statt 1, 2, 3. zu kommandiren, kommandirt man jetzt nur 1. Die Offiziere tragen alle Spontons. Um den inlaͤndi - ſchen Fabriken einen beſtaͤndigen Abſatz zu geben, hat der Koͤnig ſo viele koſtbare Uniformen eingefuͤhrt, dem Offi - zier wird das Geld dafuͤr monathlich an der Loͤhnung ab - gezogen. Das Regiment der Gens d’Armes iſt un - ſtreitig das ſchoͤnſte und praͤchtigſte Korps in der ganzen Armee. Die Gemeinen gehen faſt wie unſre Garde, die Offiziere auch roth. Die letztern muͤſſen lauter reiche Leu - te ſeyn. Der General kam von der Ferne der Stadt auf den Paradeplatz unter den Linden geritten. Da zeigte man mir 2. Majors von Kleiſt, Verwandte des Dich - ters und Zwillingsbruͤder, die ſchwer zu unterſcheiden ſind.

Die katholiſche Kirche zu St. Hedwig. Sie iſt voͤllig wie die Rotunda in Rom gebaut, mit korinthi - ſchen gereifelten Saͤulen. Der Koͤnig hat ſelbſt denRiß193Riß dazu angegeben. Der hohe Altar iſt edel und ſim - pel, und hat eine einzige Gruppe*)Sie iſt aus weiſſem karrariſchen Marmor von Mer - chiori in Venedig 1750. verfer[t]igt worden. Herausgeber. , welche ein Noli me tangere vorſtellt. Darneben ſteht

Die neue Bibliothek, ein verdorbenes Gebaͤude. Es ſteht daran: Nutrimentum ſpiritus, weil der Koͤ - nig ſagte, man ſolte Nourriture d’Eſprit, oder ſo was daran ſetzen. In dem Stockwerke unter dem Dache iſt nicht einmal eine Treppe. Jetzt ſteht die Bi - bliothek noch nicht darin, ſondern noch auf dem Schloſſe.

Nachmittags ging ich in den

Park oder Thiergarten ſpazieren. Man geht unter den Linden zum Brandenburger Thore hinaus. Es iſt ein Gehoͤlz voll theils gerader, theils ſchlangenfoͤr - miger Alleen, die aus einer angenehmen Miſchung von Laub - und Nadelholz beſtehen. Hinten ſtoͤßt er an die Spree. Es gibt darin viele Haͤuſer, wo man Kaffee, Wein, Erfriſchungen, Eſſen, u. dergl. bekommen kan. Es wird auch Muſik darin gemacht. An einer Ecke ſtanden ehemals die Zelter, jetzt ſinds nur Zirkel und vie - le Sitze im Kreiſe herum, wo die ganze hohe und niedre beau monde von Berlin ſich Sonntags zuſammen draͤngt. Spectatum veniunt Viele tauſend Menſchen von allen Staͤnden wandeln darin herum, plaudern, ſind froͤlich, und doch hoͤrt man keinen Pari - ſer Laͤrmen. Immer gehen Schiffe auf der Spree nach Charlottenburg vorbei. Ueber der Spree druͤben ſieht man die Pulvermagazine liegen, die jetzt ſehr leichtgebautZweiter Theil. N194gebaut werden, und dabei die Koͤrn - und Trockenhaͤuſer. Der Koͤnig gibt alle Jahr 800. Thaler zur Unterhaltung des Thiergartens her. Niemand als der Oberfoͤrſter darf die Haſen und Rehe darin ſchieſſen. Aber unangenehm iſt der ewig herumfliegende feine Staub von der feinſten Sanderde, der Manchem Augen und Lunge verderbt, und wenns regnet, erſchrecklichen Koth macht.

Auf den Abend ſpeißte ich mit Hrn. Rendant Sieg - fried und Hrn. Kammergerichtsrath Meier, ſeiner Frau und Schweſter.

Den 11ten Sept.

Heute ſah ich einen Rekrutentransport in die Stadt bringen. Es mochten wohl 100. Mann und druͤ - ber ſeyn, ein buntes Gemiſch. Viele Reichslaͤnder wa - ren darunter, viele ſahen traurig aus, undhingen den Kopf. Neben ihnen defilirte eben ein Regiment znm Thore hin - aus. Da konnten ſie ſehen, was ſie waren; und was ſie werden ſollten!

Weil man wegen der Ankunft des Koͤnigs im Schloſ - ſe heute nichts zu ſehen bekommen konnte; ſo ging ich mit der geſtrigen Geſellſchaft noch einmahl in andre Ge - genden des Thiergartens ſpazieren, und beſahen den Neptun, des Hofjaͤgers Wohnung, Inſeln, Statuͤen, eines Offiziers Eremitage, Schlangenwege, und tran - ken hoch oben unter einer Linde Kaffee.

Mittags kam der Koͤnig in einem ganz ſimpeln Wagen!

Nachmittags beſuchte ich den Kupferſtecher

Hrn. Meil, und beſah ſeine vortrefliche Werke, und ſeine artige Sammlung von Buͤſten, Malereien, Anti - ken ꝛc. Nach ihm ferner

Die195

Die Realſchule. Auf der Modellkammer zeigte man mir einen Roͤmiſchen Triumphzug, einen Dreſch - wagen, Silberſchlag’s Maſchine, verſandete Stroͤme zu reinigen u. dgl. Aber grade die oͤkonomiſchen und nuͤtz - lichen Werkzeuge, Pflug und dergleichen ſehlten. Was hier das Naturalienkabinet heiſt, iſt ein nicht nennens - werther Rumpelkaſten, den ein Kandidat Sander aus Magdeburg in Ordnung bringen ſoll. In dem der Realſchule gehoͤrenden botaniſchen Garten vorm Tho - re, war jetzt alles durch die Duͤrre erſchrecklich verkroͤpelt; der Boden iſt aber auch der klaͤrſte und trockenſte Sand. Kleine Aſters, kleine Palmen, kleine Zinniae ſtanden da. Auch im Sande werfen hier Maulwuͤrfe, die ſich von den benachbarten Orten, um dem Waſſer zu ent - gehen, daher ziehen.

Die Koͤnigl. Porzellanfabrik. Man hat mit vie - len ſchleſiſchen Thonarten Verſuche gemacht. Auch hier laͤſt man einem nichts ſehen, als das Waarenlager. Blendend weis iſt das Porzellaͤn, aber auch ſchwerer als das Meißner, und das von Seve. Der Direktor be - hauptete zwar, daß die Arbeiter immer noch zu viel Maſ - ſe zu jedem Stuͤcke naͤhmen, er habe bei genauen Verſu - chen einerlei ſpecifike Schwere mit dem Meißner bekom - men. Alles hat hier ſeine Taxe, und wird fuͤr des Koͤ - nigs Rechnung gemacht. Der Abſatz iſt gros. Be - ſtaͤndig kommen Beſtellungen aus Rußland ꝛc. ſonder - lich geht es ſehr ſtark nach Pohlen. Man macht hier jedem alles ſo, wie es beſtellet wird. An der Malerei und Vergoldung mangelt nichts. Der Platz des Waa - renlagers iſt viel zu eng. Der Koͤnig war aber heut ſelbſt da, und befahl, daß noch ein Fluͤgel gebaut werden ſollte.

N 2Am196

Am Abend war ich in einer aſtronomiſchen Stun - de des Hrn. Bode. Mit einem Dollondſchen Sehrohr ſah ich den Mond ganz zackicht, die Spitzen der Berge darin, die noch nicht erhellten dunklern Gegen - den, ſein ſchnelles Fortruͤcken ꝛc. ; Zwei Fixſterne vom Steinbock, die mit bloſſen Augen bei einander zu ſte - hen ſchienen, und doch weit weg waren; wie Flimmer - ſpitzen am ſchwarzen Himmel, den Schwanz des groſ - ſen Baͤren; den unterſten Stern Alcor, und den ober - ſten, wo noch ein kleiner Stern uͤber ihm ſteht, den man mit bloſſen Augen nicht ſieht ꝛc. Zur Milchſtraſſe war der Mond zu hell ꝛc. Es ward an einem ſehr bequemen Sonnenſyſtem demonſtrirt, und beſonders der Raum ge - zeigt, wo der groſſe Lambert ſo viele Kometen vermu - thete.

Den 12ten Sept.

Heute hatte ich das Gluͤck, die

Revuͤe des Koͤnigs uͤber die bei der Stadt zu - ſammengezogenen Regimenter anzuſehen. Die Thaͤtig - keit des Monarchen iſt bewundernswuͤrdig. Er ſchlief auf dem Geſundbrunnen, eine Stunde vor der Stadt, am fruͤhen Morgen geſchah ſchon wieder der Vortrag vom Koͤnig, und um 7. Uhr kam er daher geritten, gros, gnaͤ - dig, heiter, in ſeinem Alter thaͤtig am Geiſt, und leben - dig am ganzen Koͤrper. Hell und glaͤnzend iſt ſein Auge, ſtark und doch gewoͤhnlich, nicht ſchrecklich ſeine Stimme. Majeſtaͤtiſch ſieht er aus, wenn er mit dem Degen in der Hand auf dem ſtolzen Pferde unter ſeinem Heere mit einem Winke alles beſeelt. Ziethen, Ra - min, Prittwitz, Prinz Friedrich von Braun -ſchweig197ſchweig ꝛc. neben ihm, aber immer Er voran, Er die Seele von Allem! Mit Einem Blicke uͤberſah er und zaͤhlte im Ueberſehen ſeine Krieger, ritt an der Fronte auf und nieder, und war mit ſeinem Heere zufrieden. Gottlob! ſagten viele Buͤrger und Offiziere laut; er ſieht ſo geſund aus! Der gute, liebe, alte Koͤnig! Er ſprach mit vielen gemeinen Soldaten, lies, nachdem die Re - gimenter abmarſchirt waren, erſt aus den Feldſtuͤcken, dann aus den ſchweren Kanonen und aus Haubitzen feu - ern; auch Bomben werfen ꝛc. Mit den Kanonen ward nach Scheiben geſchoſſen, keine traf, aber die Linie hiel - ten alle, einige flogen noch weiter. Es ſoll blos ſeyn, den Feind zu etourdiren. Von da fuhr der Koͤnig wieder nach Potsdam zuruͤck und arbeitete in ſeinem ſtillen Sansſouci fuͤr das Gluͤck ſeines Volks. Ein jeder ſeiner Unterthanen darf an ihn ſchreiben. Wer ihm heute ſchreibt, hat morgen ſchon Antwort. Ich ha - be hier Gelegenheit gehabt, dergleichen eigenhaͤndige Ant - worten von ihm zu ſehen. Sie ſind immer ganz kurz und nervoͤs. Jemanden, der ihm einen Raphael an - bot, den er aber nicht haben mochte, ſchrieb er unter an - dern: Gold kan ich nicht machen, und neue Impoſten einfuͤhren, iſt meine Sache nicht.

Hierauf beſuchte ich

Hrn. D. Kruͤnitz Er zeigte mir ſein Stamm - buch, worein der Kronprinz ſchon vor 20. Jahren die Stelle des Virgils, die ſo vortreflich auf ihn paßt, ge - ſchrieben hat:

animo repetentem exempla meorum Me pater Aeneas, et avunculus excitat Hector. ()N 3und198

und Mosheim ſchrieb ihm 1748. hinein: Magna au - ctoritas, magna exiſtimatio, magna fama magna mala, o beata obſcuritas! Ich muſte mich auch einſchreiben. Von ihm ging ich in die

Geſ[e]llſchaft der naturforſchenden Freunde, die ſich heut bei Hrn. Dr. Bloch verſammelte. Er verlas die Haͤlfte ſeines Aufſatzes von Band - und andern Inteſti - nalwuͤrmern, und legte Zeichnungen vor. Die aus ei - nem Echinoryncho ſuis nur eben herausgedruͤckten Eier ſah man unter dem Mikroſkop. Seine Mei - nung, daß dieſe Thiere eine eigene Familie ausmachen, und beſtimmt waͤren, nur allein in thieriſchen Koͤrpern zu leben, unterſtuͤtzt er mit 12. Gruͤnden, z. B. weil ihre Eier in Trillionen gehen, weil ſie durch die uͤbrigen ſtar - ken Verdauungskraͤfte des Magens nicht deſtruirt wuͤrden, weil jedes Thier ſeine eigene Gattungen habe, weil ſie ſich nicht verpflanzen lieſſen ꝛc. Nur zweierlei Arten von Bandwuͤrmern gebe es: Breit - und ſchmal - gliedrichte.

Nach geendigter Verſammlung behielt er mich zum Abendeſſen, und da hatten wir ſo viel mit einander zu ſchwatzen, daß ich erſt um Mitternacht dieſen gelehrten und guten Iſraeliten verlies. Geſtern bereits hatte ich ein ſehr angenehmes Geſchenk von Bernſtein von ihm zum Andenken bekommen. Verſchiedene Juden haben die Erlaubnis gepachtet, uͤberall im feſten Lande Bern - ſtein zu graben. Man findet faſt, ſo oft als man Brun - nen graͤbt, groſſe Stuͤcke. Er geht ſonderlich ſtark nach der Tuͤrkei, Pohlen, Perſien ꝛc. zum Raͤuchwerk. Stuͤcke mit Inſekten muß man nur bei den Arbeitern be - ſtellen. Eine Tonne von kleinen Bernſtein an den Kauf -mann199mann verkauft, kan 30. -36. Thaler gelten. Beſonders wenn die See ſtuͤrmt, wird viel ausgeworfen. Es iſt ein Stuͤck da, wo Balanus anſitzt.

Den 13ten Sept.

Zum Hrn. O. K. R. Teller ging ich heute zuerſt. Unſre Unterredung betraf das neue Berliner Geſang - buch, das er und Hr. Spalding beſorgen. Es kom - men ungefehr 20. Lieder, die ganz neu, und zum Theil von Hrn. Teller ſind, hinein. Es wird mit dreierlei Schrift gedruckt. Der Buchhaͤndler, Hr. Mylius, iſt Verleger davon. Wegen des Deutſchen iſt viel Unge - wißheit, weil in jeder Provinz dieſer Monarchie anders geredet wird. Adelung muß hieruͤber entſcheiden. Tel - ler’s Grundſatz dabei iſt: Man muͤſſe durch das Geſang - buch die Sprache des gemeinen Mannes bereichern und erheben. Matt iſt an einigen Orten die Verbeſſerung von: O Gott, du frommer Gott. Die Verbeſſerung des Liedes: Wie ſchoͤn leuchtet uns der Morgenſtern ꝛc. iſt von Hrn. Teller. Ich gab noch einige an, die er gleich zur zweiten Auflage ſchrieb, als: Die muͤden Seelen Ruhe ſchaft, ſtatt: Die Ruhe muͤden Seelen ſchaft.

Die Staatszimmer im Schloſſe bekam ich heute auch zu ſehen. Alle ſind ſehr reich meublirt, aber alt, und in ſchlechtem Geſchmack. Manches iſt altmodiſch, die Tapeten ſind verſchoſſen, das Gold, Silber und die Stickerei iſt angelaufen, die Fußboͤden ſind auch ganz ge - mein. Eine Menge ſilberne Leuchter und Tiſche von ſchrecklicher Schwere und Werth ſieht man allerwegen. Ich ward in den ſogenannten Ritterſaal gefuͤhrt, wo die alten Churfuͤrſten ſtehen, dann in die Kapelle, woN 4ehemals200ehemals Gottesdienſt gehalten wurde, in des Koͤnigs Wohnzimmer, in ſein ſo ſehr ſimples Schlafzimmer, wo ſein Bett eben ſo war. Buͤcher, Karten, ꝛc. lagen darin. Schirme liebt der Koͤnig ſehr, an jedem Tiſche iſt einer. Man hat von da die Ausſicht grade auf die Statuͤe des groſſen Churfuͤrſten auf der Bruͤcke. Ein Damenbret von Bernſtein, ein Klavier ꝛc. ſtanden auch da, auch hing das Bildnis der Taͤnzerin Barberini*)Von Peſne gemahlt. Herausgeber. in des Koͤnigs Zimmer. Die ſogenannten Schwedi - ſchen Zimmer, wo die Koͤnigin von Schweden zuletzt logirte, ſind allein nach dem neuen Geſchmack.

Hrn. Holzverwalter Ebels Holzſammlung beſah ich nachher auch. Sie iſt die groͤſte und ſchoͤnſte, die ich jemahls geſehen habe, und enthaͤlt uͤber 700. Arten. Viele Stuͤcke liegen in niedrigen Schublaͤden neben ein - ander, ſind meiſt von einer Groͤſſe. Viele Stuͤcke ſind fournirt und viele von einem geſchickten Tiſcher zuſammen geſetzt und polirt, wie Achat. Viele Hoͤlzer von Straͤu - chern ſind auch hier. Das Stinkholz**)S. S. 140. dieſes Bandes. Herausgeber. ſoll, einer al - ten Reiſebeſchreibung zufolge, von den Molukkiſchen Inſeln ſeyn, wo erzaͤhlt wird, daß einer dem andern zum Spas einen Span davon unter das Bett geſteckt habe. Das Baͤnderholz fehlte hier noch. Gar ſchoͤn iſt das ſpaniſche Rohr, der Laͤnge und Queere nach durchſchnit - ten, desgleichen Knorren oder Warzen an den Aeſten. Die Birken geben ein herrliches braunes Holz, davon iſt hier ein Tobakskaͤſtchen.

Abends201

Abends ich in Geſellſchaft des Pagenhofmeiſters Hrn. Fuchs und Hrn. Rendant Siegfrieds. Jener iſt ein geſchworner Feind vom guten D. Bloch.

Den 14ten Sept.

Heute kriegte ich das

Zeughaus zu ſehen, eins der praͤchtigſten Gebaͤude dieſer Stadt. Ich war vom Generalchirurgus, Hrn. Theden, an den Zeugkapit. Hrn. Lehmann empfohlen, und auf dieſe Weiſe kam ich hinein. Unten im Viereck des Hauſes ſtehen ſchrecklich viel Kanonen auf Lavetten, und Haubitzen, von jenen welche, die 24. Pfund ſchieſ - ſen, und vor welche 18-20. Pferde geſpannt werden. Haubitzen, die 12. Pfund Pulver ſchieſſen und ſchwere Kugeln. Darneben iſt eine Stuͤckgieſſerei und Bohre - rei, worin die Arbeit Tag und Nacht fortgeht. Der Bohrer wird von einer Maſchine, die 4. Pferde treiben, hineingetrieben. Man ſieht auch die im letztern Kriege von den Oeſterreichern erbeuteten Kanonen, die aber eingeſchmolzen werden; nur 2. waren noch uͤbrig. Sie ſind auch viel plumper, und haben keine Proportion. Oben liegt eine Laſt von Gewehren, dreimahl ſo viel, als die ganze Preuſſiſche Armee ſtark iſt, fuͤr Infanterie und Kavallerie. Huſarenſaͤbel liegen auf Haufen beiſammen. Fuͤr jedes Regiment allemahl ein Haufen beſonders. La - deſtoͤcke in greulichen Kaſten. Trommeln auf einander geſetzt bis an die Decke. Saͤttel und Zaͤume greulich viele. Piſtolen immer Paarweiſe an einander. Kuͤ - raſſe auf einander geſetzt. Karabiner fuͤr die Huſaren. Musketierpallaſche auf dem Boden aufgehaͤuft. Bajo - netſcheiden in Kaſten. Es kommt einem ein SchauerN 5an,202an, wenn man die Menge Werkzeuge des Todes und der Verwuͤſtung ſieht. Aber alles iſt wohl gereinigt, blank, nett und in beſter Ordnung. Auf jedem Stuͤcke ſteht das Zeichen: Potsdammer Gewehrfabrik. Oben - auf haben noch viele Regimenter ihre Montirungskam - mern, die ſonſt in der Stadt vertheilt ſind, auch ſind hier viele Sachen fuͤr die Offiziere. Alte verſchoſſene Fah - nen ſtehen ebenfalls in den Ecken herum. Auch 3. neue oͤſterreichiſche im vorigen Kriege eroberte ſtanden hier. An einer hing noch ein Flor, weil das Regiment um ſei - nen Chef trauerte. Eine Buͤſte vom alten General von der Artillerie, von Dieskau, ſteht auch hier oben. Das ganze Zeughaus umgibt eine Gallerie, auf welcher man die Stadt uͤberſehen kan.

Mittag, war ich beim Hrn. Kammergerichtsrath Meier, mit Hrn. K. G. R. von Poͤnicke und Hrn. Muſikdirektor Andre zu Gaſte. Die beiden erſte[r]n hatten auch in der bekannten Sache des Muͤllers Arnold zu thun, ſie gaben aber Arnold nicht Recht, und zwar deswegen: 1) hatte Arnold die Muͤhle ſo gekauft; 2) der Obermuͤller hatte noch Waſſer, folglich der Unter - muͤller auch. 3) Man brachte Dokumente von 1546. herbei, daß der Edelmann das Recht gehabt habe, abzu - graben. Das Kammergericht machte dem Koͤnige wegen der Unſchuld der 3. Kammergerichtsraͤthe lebhafte Vorſtellungen, er nahm es nicht ungnaͤdig auf, gab aber auch keine Antwort. An dem Tage, da der Groskanz - ler von Fuͤrſtenberg kaſſirt wurde, ſtanden uͤber 200. Karoſſen vor ſeinem Hauſe, alles beſuchte ihn, ſogar die Prinzen vom Koͤnigl. Hauſe. Sie boten ihm ihre Boͤrſe an, der Koͤnig laͤrmte daruͤber, verbot es aber nicht. So203So ſonderbar iſt die Miſchung des Despotismus und der Freiheit in dieſem Staate! Der geweſene Kanzler lebt noch mit Figur von ſeinem anſehnlichen Vermoͤgen, kommt noch zur Koͤnigin nach Hofe ꝛc. Er war zu klein fuͤr den Koͤnig, gruͤbelte in Kleinigkeiten, war nicht fuͤr das Weite und Groſſe, das der Koͤnig liebt, hatte aber viele Jahre mit unveraͤnderlicher Rechtſchaffen - heit erſtaunend gearbeitet. Das Publikum wuͤnſchte ver - gebens, daß ihm der Koͤnig doch die Beſoldung laſſen moͤchte.

Nachmittags war ich in einer Verſammlung der

Koͤnigl. Akademie der Wiſſenſchaften. Sie hat ein ſchoͤnes Gebaͤude unter den Linden zu ihren Ver - ſammlungen, zu Aufbehaltung der Bibliothek, mathe - matiſcher Inſtrumente, Kabinette ꝛc. inne. Der Geh. Rath Formey iſt ihr beſtaͤndiger Sekretaͤr. Der Mini - ſter, Freiherr von Zedlitz, war auch als Mitglied zuge - gen. Hr. Hofr. Gleditſch las erſt eine kurze Beurthei - lung eines Forſtbuchs ab, das Jemand aus dem Lande eingeſchickt hatte, worin ein koſtbares Inſtrument, den Holzinhalt der Baͤume zu beſtimmen, vorgeſchlagen war. Prevot, der heute auf Befehl des Koͤnigs an Sulzers Platz kam, las ſein Antrittskompliment franzoͤſiſch vor, worin er Sulzers Verluſt bedauerte. Darauf dankte ihm Formey, und ſprach etwas von dem Karakter der wah - ren Philoſophen, Enſeignez nous à douter, à igno - rer, ſagte er, et après avoir ſaiſi ce point, nous ſerons des philoſophes. Darauf las Prevot noch eine Abhandlung uͤber die Probabilitaͤt in den Wiſſen - ſchaften vor, womit die Sitzung beſchloſſen ward. Hin - ter dem Verſammlungszimmer ſteht die Biblothek derAkademie,204Akademie, die aber nicht viel bedeutet, die Schriften der alten Aerzte ſind aber ſehr gut da, desgleichen die Schrif - ten der Akademien und gelehrten Geſellſchaften in Euro - pa, auch viele Journale ꝛc. Das Naturalienkabinet iſt klein, und Hr. Gleditſch, der die Aufſicht daruͤber hat, rangirt es nicht. Im Saale haͤngt Leibnitzens Bild - nis uͤber der Thuͤre, und ihm gegenuͤber das vom zweiten Praͤſidenten, dem Hrn. von Maupertuis.

Den 15ten Sept.

Ich beſuchte heute zuerſt

Hrn. Achard. Dieſer wuͤrdige und unermuͤdete junge Naturforſcher iſt blos Mitglied der Akademie, und wohnt weit drauſſen in der Spandauer Vorſtadt, weil ihn ſeiner vielen Maſchinen und ſeines Experimentirens wegen nicht leicht jemand in der Stadt einnaͤhme, es ihm auch zu koſtbar in der Stadt zu wohnen ſeyn wuͤrde. Ich ſah bei ihm: 1) Die Maſchine, womit die kuͤnſtli - chen Kryſtalle gemacht werden. Es geſchieht durch Ab - troͤpfeln, und waͤhrt der Verſuch 3. -4. Monate. Sie werden auch lamelloͤs. 2) Die Maſchine, wodurch ver - mittelſt dephlogiſtiſi[r]ter Luft eine viel ſtaͤrkere Hitze er - regt werden kan, als mit dem beſten Brennſpiegel; das Eiſen troͤpfelt, Platina ſchmelzt, und alles zuſammenge - loͤtete ſchmelzt zuſammen ꝛc. Von ihm ging ich auf die

Koͤnigl. Bibliothek auf dem Schloſſe. Man ſteigt auf engen und finſtern Treppen zu ihr hinauf. Auf jedem Buche ſteht oben FR. Den Fond zieht der Koͤnig ein, und gibt jaͤhrlich was er will, oft kauft er ganze Bibliotheken darzu. Der Hofr. Stoſch und der Abt Pernetti ſind Bibliothekare. Sie enthaͤlt viele alteſeltene205ſeltene Bibeln, Kirchenvaͤter, Acta Conciliorum etc. viel Werke von den Kuͤnſten, aus Italien ꝛc. Eine Maſchine, aufgeſchlagene Folianten herum zu drehen, daß ſie doch immer aufgeſchlagen liegen bleiben, einen groſſen Globus von Weigeln aus Jena, eine Luftpum - pe von Otto Guericke ꝛc. ſieht man auch hier. Der Koͤnig meinte neulich, man koͤnnte, um des Platzes wil - len, alle theologiſche und juriſtiſche Buͤcher verbrennen, zwar nein, fuhr er fort, es muͤſten auch Denkmaͤler des menſchlichen Unſinns vorhanden ſeyn.

Mittags as ich bei Hrn. Nikolai, und beſuchte nach Tiſche

Hrn. Ober Konſiſt. Rath Buͤſching. Ein ſehr thaͤ - tiger Gelehrter, obgleich ſchon an die 60. Jahr alt. Er ſagte, es lebe ſich recht gut in den Buͤchern, er arbeite alle Tage 14. Stunden, ſchlafe nach Tiſche ein wenig, und zaͤhle alle Minuten. So lange er in Berlin ſei, waͤre er noch zu keinem angemeldeten Beſuche geweſen ꝛc. Nach ihm beſah ich

Das Kabinet der Geſellſchaft der Naturf. Hr. Siegfried thut jetzt viel daran, noch iſts nicht ganz ran - girt. Fuͤr das Thierreich iſt eigentlich Niemand da. Viele Naturalien ſendet Hr. Chemnitz ohne Namen. Hacquet ſchickte die Queckſilberſtuffen alle aus Idria. Eine Spongia fluviatilis aus der Spree fand ich hier.

Auf den Abend war ich bei Hrn. Rendant Sieg - fried zu Tiſche.

Den206

Den 16ten Sept. Reiſe nach Potsdam.

Der Weg von Berlin dahin iſt 4. Meilen, und Eine ſchreckliche Sandwuͤſte. In der Mitte des Wegs liegt Zehlendorf, ein kleiner Ruhepunkt. Taͤglich geht 2mahl eine Journaliere ab, mit der man hinkommen kan. Am Thore iſt viel ſorgfaͤltiges Examiniren von der Wa - che, drauf vom Wirth, und noch einmahl in der Auberge von einem Offizier oder Adjutanten des Koͤnigs.

Ehe man nach Potsdam koͤmmt, paſſirt man uͤber die Glinickſche Bruͤcke

Die Havel. Dieſer Fluß fließt bei Potsdam vorbei und gibt der Gegend ein heiteres Anſehen. Auch liegen um die Stadt herum einige Berge, auf denen Wein waͤchſt, der aber ſelten reif wird und nur zum Eſ - ſig zu brauchen iſt. Det Koͤnig hat auch jetzt den fran - zoͤſiſchen Eſſig verbothen, er wird aber ſelbſt in guten Jahren, je aͤlter, je ſchlechter, wiewohl man das nicht Wort haben will.

Die Stadt hat viele ſchoͤne Straſſen und groſſe Plaͤ - tze, auch viele praͤchtige Haͤuſer, aber aus den ſchoͤnſten Pallaͤſten nach italiaͤniſcher Bauart und mit Statuͤen be - ſetzt, haͤngen der Soldaten Stiefeletten und gewaſchene Hoſen zu den Fenſtern heraus. Der Koͤnig baut immer fort, aber jetzt dauerhafter als ehemals, denn die alten Haͤuſer bekommen alle Riſſe und wollen einfallen. Man baut auch jetzt keine von 4. Geſchoſſen mehr. Fuͤr die innre Einrichtung des Hauſes muß der Eigenthuͤmer ſor - gen.

Was207

Was ich waͤhrend meines kurzen Verweilens hier beſehen habe, iſt:

Das neue Palais. Der grottirte Saal iſt uͤberladen. Der Koͤnig liebt das Bunte. Im Kon - zertzimmer ſtand ein herliches Notenpult von Schildkroͤte und Perlmutter. Seit dem Teſchener Frieden blaͤßt der Koͤnig nicht mehr Floͤte. Des Koͤnigs Wohnzim - mer, Schlaf - und Schreibkabinet ſind praͤchtig. Aller - wegen iſt eine erſtaunende Menge karrariſcher Marmor verbraucht. Ein herrlicher Opernſaal iſt auch darin. Viel vortrefliche Antiken aus der Poligna[c]ſchen Samm - lung finden ſich ebenfalls da.

Der Garten von Sansſouci. Als Garten be - trachtet, nichts Beſonders. Viel lange, grade und langweilig geſchnittene Alleen mit einigen Abwechſelun - gen, aber voller koſibarer Statuͤen ꝛc. Waſſer kan der Koͤnig mit Millionen nicht hineinbringen. Schade, daß die Natur ſo wenig fuͤr dieſe Gegend gethan hat! Wachen trift man gar nicht darin an, ſondern nichts als Gaͤrtner und Invaliden. Kleine Dammhirſche laufen hier und da darin herum. Wenn Hunde kommen, ſo iſt der Koͤnig nicht weit! Hier lebt er immer, um allein zu ſeyn, damit nicht jeder ſehen ſoll, was er macht. Fuͤr Generale und gute Freunde iſt ein eigen Haus erbaut. Das Schloß ſelbſt iſt nur von einem Stockwerke. Oben laͤuft eine Gallerie herum. Groſſe Terraſſen liegen da - bei, auf welchen eigene Gaͤrten angelegt ſind, und von denen man auf den Ruinenberg und rings umher eine unermeßliche weite Ausſicht hat.

Die Bildergallerie in Sansſonci. Vorne ſtehen viele ſchoͤne moderne Statuͤen und Vaſen, auch ei -nige208nige antike. Herliche Gemaͤlde ſieht man hier, aber auch darunter viele unzuͤchtige von italiaͤniſchen Malern, mehr als in einer andern Sammlung. Schoͤn ſind be - ſonders die auf den Tiſchen liegenden Figuren. Darne - ben iſt noch ein Kabinet, wo mehr Auswahl in den Stuͤ - cken iſt. Der Koͤnig hat manches fehlerhafte Stuͤck ge - kauft, weils ihm gefiel, und manches ſchoͤne nicht, weils ihm nicht gefiel.

Nachher machte ich noch einen Beſuch beim

Hrn. K. R. Bamberger, reformirten Hofprediger, und ſeiner gelehrten Frau, die eine Tochter des Hrn. Sacks iſt. Ich war vom Hrn. Kammergerichtsrath Meier an ihn empfohlen.

Den 17ten Sept.

Ich fuhr heute mit Beſehen fort, und ließ mich im

Koͤnigl. Schloß in Potsdam herumfuͤhren. Es iſt noch reicher meublirt als das neue, ſteht aber auf feuch - tem Boden. In vielen Zimmern ſind die Tapeten ſchon verſchoſſen und zerriſſen. Des Koͤnigs Hunde zerreiſſen mit den Knochen in ſeinem Zimmer alle Seſſel, und er laͤßt nichts neu machen. Herliche aus Chryſopras zu - ſammengeſetzte Tiſche ſieht man hier, auch koͤſtliche Kron - leuchter von Felskryſtall, an denen unten gedrehte Kugeln haͤngen, die groͤſſer als ein Kindeskopf, und rein wie Waſſer ſind. Ueber 30,000. Thaler hat mancher Leuch - ter gekoſtet. Des vorigen Koͤnigs Zimmer ſind alt. Man zeigt das Zimmer, wo er Tobackskollegium hielt, Stuͤhle, die er ſelbſt gedreht, und Malereien, die er ſelbſt gemalt hat. Man ſieht auch noch die groſſe Glas -ſcheibe,209ſcheibe, die er nach dem Luſtgarten zu einſetzen lies, als er vor Alter nicht mehr auf die Parade herabgehen konn - te. Dies iſt in dem Zimmer, wo man noch das Bette ſieht, auf welchem er geſtorben iſt. Darneben iſt eine Treppe fuͤr den Rollwagen, in dem er ſich fahren lies. Praͤchtig ſind des jetzigen Koͤnigs Winterzimmer. Er kan die Parade durch Spiegel in ſeinem Zimmer, die in jeder Ecke angebracht ſind, ſehen, ohne ans Fenſter zu treten. In allen Sachen liebt er die blaue Farbe, ſo wie Prinz Heinrich die gelbe. Unbeſchreiblich koſtbar ſind die Zimmer fuͤr die fremden Herrſchaften. In des Koͤnigs Zimmer haͤngen auch Kupferſtiche von ſeinen Landſtaͤdten. Sonderbar iſts, daß in allen dieſen Schloͤſ - ſern keine ordinaͤre Wohnzimmer fuͤr die Koͤnigin, Kron - prinz, Kronprinzeſſin ꝛc. ſind, auch keine Schloskapelle. Alles iſt ganz nach dem jetzigen Syſtem vom Koͤnige ge - baut worden.

Weils heute eben Sonntag war, ſo bekam ich die Kirchenparade zu ſehen. Von 9. -10. Uhr verſam - melt ſie ſich theils im Luſtgarten, theils jenſeits der Gar - niſonkirche auf einem groſſen Platz. Die Garde hat ſtark mit Silber beſetzte Montirung. Ein herliches Korps von Offiziers iſt hier. Auf den Schlag 10. Uhr formirt ſich das praͤchtigſte Schauſpiel. Vorher rauſcht das Geſchwaͤtz der Menge, wie Meerwaſſer oder wie auf einer Boͤrſe. Man ſollte nicht glauben, daß man viele 1000. Menſchen ſo orbiliſiren koͤnnte, daß ſie ſolche Zieh - und Dratpuppen wuͤrden ꝛc. In die Kirche geht in Frie - denszeiten nur wer will, im Felde ſieht aber der Koͤnig ſehr darauf. Man erzaͤhlte mir hier, der Koͤnig ſei ein - mahl bei der Huldigung in Berlin, einmahl in Dres - den, nach der Einnahme dieſer Stadt, und einmahl inZweiter Theil. OBreßlau,210Breßlau, nach Eroberung dieſes Orts, in der Kirche geweſen, ſonſt nie. Der Prinz von Preuſſen kommu - nizirt des Jahrs einmahl. Der Koͤnig raͤumt den Ein - fluß der Religion aufs Volk ein, und ſetzt ſie doch oft vor Offiziers und Pagen herab. Blutſchande, Sodomite - rei ꝛc. nennt er Peccadilles, und Hurerei menſchliche Schwachheit. Man ſolle den Bauer nicht noch mehr von Geld enerviren, lieber ein Paar Monat Feſtungs - bau. Nach jedem Kriege will man bemerkt haben, daß er etwas haͤrter geworden.

Es liegen ohngefaͤhr 8000. Mann Garniſon hier. Die Soldaten vom erſten Bataillon der Leibgarde zu Fuß muͤſſen immer in Parade ſeyn, duͤrfen nicht arbeiten, und haben woͤchentlich einen Gulden. Die Soldaten ſind alle im 2ten Stock einquartirt. Mancher Buͤrger hat 8. bis 10. Mann, mancher 6, alle aber 4. Mann. Der Buͤrger muß ihnen auch kochen, und das Eſſen auf die Wache ſchicken. Die Klafter Holz koſtet hier uͤber 2. Thaler, der Koͤnig verkauft aber jedem Buͤrger 6. Klaf - tern fuͤr 1. Thaler 6. Groſchen, aber das Fuhrlohn bezahlt der Buͤrger. Die Soldaten duͤrfen es nicht einmahl ſpalten. Es ſind noch einige Soldaten vom vorigen Koͤ - nige hier, z. B. der Fluͤgelmann vom erſten Bataillon. Er mißt 18. Zoll uͤber 5. Schuh, iſt eine ſchreckliche Ma - ſchine, geht aber ſchon gebuͤckt. Auch von der Kolliner Bataille ſind noch welche hier. Dieſe bekommen zu ih - rem Traktament 1. Gulden Zulage*)Vor Kurzem lebte in Berlin noch ein Jude, der Sol - dat, und am Sonnabend, als ſeinem Schabbes, frei war. Er war recht ſtolz auf ſeine Montur, und trug ſie beſtaͤndig.. Jene vom 1ſtenBataillon211Bataillon muͤſſen Tag vor Tag exerziren. Das Regi - ment Prinz von Preuſſen, wozu der Koͤnig gar nichts gibt, liegt auch hier.

Drauf war ich in der Garniſonkirche und hoͤrte den Hrn. K. R. Bamberger uͤber Matth. VII. Es werden nicht alle ꝛc. predigen. Man ſingt hier aus der kleinen Sammlung: Lieder und Gebete fuͤr Soldaten, die hier ohne den geringſten Widerſpruch eingefuͤhrt wurden, dahingegen Spalding und Teller in Berlin davon an einem Sonntage predigten, und dadurch ein ſolches Feuer anfachten, daß Spaldings Name an den Galgen ge - ſchlagen gefunden ward.

Mittags ſpeiſte ich beim Hrn. K. R. Bamberger, und Nachmittags gingen wir in den

Garten bei Sanſouci. Wir beſahen noch das Japaniſche Haus; die reizende Venus mit dem Amor von Papenhoven, die Kleiſt*)In folgenden Verſen:Bezaubernd Vild, des Meiſſels Meiſterſtuͤck, Ach! ſchluͤge deine Bruſt! Ach! waͤr dein Auge helle! Ein jeder, der dich ſieht, wuͤnſcht dir Eliſens Gluͤck Und ſich an Amors Stelle. Und:Sieh Papenhovens Meiſterſtuͤck, der ſchoͤnen Venus, ins Geſicht! Sieh an den Mund des Marmorbildes! Man ſieht die Stimm und hoͤrt ſie nicht. Herausgeber. beſang, eine Medize - iſche Venus mit dem griechiſchen Geſicht, eine Kopie von dem beruͤhmten Cavaceppi in Rom, den Tem -O 2pel212pel der Freundſchaft, wo die nun verſtorbene Marg - graͤfin von Bayreuth, des Koͤnigs Schweſter, mit Buch und Hund ſitzend vorgeſtellt iſt, und wo an den 8. Saͤu - len Medaillons alter durch Freundſchaft beruͤhmt gewor - dener Helden haͤngen, den Antikentempel, der aber ver - ſchloſſen iſt, die Kolonnaden, den ſchoͤnen Merkur mit dem ſchlauen Geſicht, von Pigalle, die Orange - und Treibhaͤuſer ꝛc.

Abends macht ich der Madame Bierſtaͤtt, geb. Mamſell Holzhauſen, einen Beſuch. Sie iſt Gouver - nante und Erzieherin der juͤngſten Tochter der Prinz. v. Preuſſen K. H. Sie trug mir auf, ihr die Silhouet - te der Frau von Guͤnderrode in Carlsruhe zu ver - ſchaffen.

Alsdann war ich in der Synode von Potsdam, wo heute beim lutheriſchen Hofprediger alle Geiſtliche mit ihren Frauen zuſammen kamen.

Den 18ten Sept. Ruͤckreiſe nach Berlin.

Der heutige und morgende Tag gingen mit Abſchied - nehmen, Packen, Poſtbeſtellen ꝛc. hin.

Ich beurlaubte mich daher heute zuvoͤrderſt bei der Prinz. v. Preuſſen K. H.

Dann war ich ſchon wieder bei meinem guten Ni - kolai Mittags zu Tiſche, machte Nachmittags bei den lieben Dr. Bloch, und Rendant Siegfried Abſchieds - beſuche, ging drauf in den gelehrten Club, wo ich Hrn. Prof. Ramler, Hr. Bergr. Gerhard, Hr. Hofr. Oes - feld, und Hrn. K. G. R. von Poͤnicke traf, und vonihnen213ihnen Abſchied nahm, und dann ging ich mit Hrn. Meil, dem ſanften Freunde der ſanften Kunſt, nach Hauſe.

Den 19ten Sept.

Machte ich zuerſt Ihro. Exc. dem Miniſter von Herzberg meine Aufwartung. Schon aͤltlich. Ein groſſer und einſichtsvoller Liebhaber der Landwirthſchaft. Er erzaͤhlte mir unter andern, daß er die Luzerne auf ſeinem Guthe Brietz nicht weit von der Stadt, auch in dieſem duͤrren Jahre viermahl habe abmaͤhen koͤnnen.

Hierauf beſorgte ich noch Verſchiedenes zu meiner Reiſe nach Hamburg, und war Mittags bei Hrn. Prof. Bernoulli, der mich auf die Koͤnigl. Sternwarte fuͤhr - te, und mir da viele herliche aſtronomiſche Werkzeuge wies. Unter dieſen befand ſich auch der bewegliche Qua - drant, den Maupertuis 1736. mit in Lappland hat - te ꝛc.

Nachmittags nahm ich von dem wuͤrdigen und groſ - ſen Miniſter von Zedlitz, von Madam Martini, Hrn. O. K. R. Teller, und mehrern werthen Freunden Ab - ſchied, und war auf den Abend noch einmahl in der

Naturhiſtoriſchen Geſellſchaft, die ſich diesmahl bei Hrn. Bode verſammelt hatte, und worin Gleditſch eine Abhandlung von der Saſapadilla vorlas, worin er ſagte, ſie ſei ein auslaͤndiſches Veratrum. Drauf em - pfahl ich mich auch dieſer Geſellſchaft.

O 3Den214

Den 20ſten Sept. Reiſe nach Hamburg.

Heute fruͤh trat ich dann meine Reiſe an. Ich kam auf Betzow, Fehrbellin am Ryhn durch lauter Sand, und war

Den 21ſten Sept.

Morgens in Kyritz, Mittags in Perleberg, und Abends in Lenzen. Wenn man uͤber dieſen Ort hinaus iſt; ſo koͤmmt man in das traurige Mecklenburgiſche Sand - und Heideland, wo kein Bluͤmchen bluͤht, kein Strom flieſt und kein Vogel ſingt.

Den 22ſten Sept.

Heute Morgen war ich in Boitzenburg an der Elbe. Mittags betrat ich das Luͤneburgiſche, wo ſchon ſchoͤnrer Boden iſt, kam drauf nach Luͤneburg ſelbſt, und endlich nach

Eſcheburg, 3. Meilen vor Hamburg, wo ich zu meiner unausſprechlichen Freude, Hrn. Grotjahn fand, der mich hier einholte.

Den 22ſten Sept.

Hamburg. Meine heutigen Geſchaͤfte waren Be - ſuche bei Hrn. D. Schulze, deſſen herliche Inſekten - ſammlung ich gleich anfing zu beſehen, Hrn. D. Groop, Hrn. Paſt. Crone, wo ich alte Bibeln, Kirchenvaͤter ꝛc. ſah, die er beſitzt; bei Hrn. Licent. Grotjahn, Hrn. D. Bolten, und Hrn. D. Schnecker von Hildesheim.

Den215

Den 24ſten Sept.

Heute war ich wieder bei Hrn. D. Schulze, und fuhr mit Beſehung ſeiner Inſekten fort.

Mittags ſpeiſte ich in ſehr angenehmer Geſellſchaft bei Hrn. Grotjahn aufm Garten, und dann machten wir eine Spazierfahrt an der Elbe nach Dockenhu - den, auf Stuhlwagen, wo wir auch Knaben nach dem Ziel ſpringen lieſſen. Auf den Abend waren wir wieder aufm Garten, und unſere Herzen waren froͤlich.

Den 25ſten Sept.

Fruͤh machte ich Hrn. D. Reimarus, dem Sohne des ſeel. Sam. Reimarus, einen Beſuch, war alsdann wieder bei Hrn. D. Schulze, und ging die Verſteine - rungen durch. Hierauf nahm ich die

Neue Michaeliskirche in Augenſchein. Die alte ward durch einen Blitzſtrahl in die Aſche gelegt. Dieſe neue koſtet 100,000. Mark, und iſt noch nicht fertig. Sie ſteht ganz auf einem herlichen Gewoͤlbe fuͤr die Lei - chen, und iſt mit ſchwediſchem Kupfer gedeckt, das der Koͤnig lizentfrei ausfuͤhren lies. Das Altarblatt ſtellt die Auferſtehung vor, und iſt von Tiſchbein. Die Hauptfigur taugt nichts, das Morgenroth und das Schre - cken der Huͤter aber ſind gar vortreflich ausgedruͤckt. Der Thurm hat 566. Stufen; 436. ſtiegen wir hinauf, und hier hatten wir auf der Kuppel eine herliche Ausſicht. Man ſieht durch ein engliſches Teleskop Luͤneburg, das Silber der Elbe, die Schiffe, wie ſie ankommen und ab - gehen, das Baumhaus umringt von Schiffen! O, die groſſe Stadt! Die Kuppel wird von 10. kupfernen Saͤu - len getragen! In der Mitte iſt ein hohler kupferner Cy -O 4linder.216linder. Durch den wird das Holz hinaufgewunden, und um ihn herum ſchlingt ſich, wie um eine Spindel, eine Schneckentreppe, ſo daß man keine Leitern braucht. Der Baumeiſter will ſich hier oben eine Sternwarte anlegen. Gegen den Zugwind ſind in der Kirche die Thuͤren dem Altar gegenuͤber vielfach, und ſo an einander geſetzt, daß ſie ſelbſt zufahren.

Nachmittags beſuchte ich in Wandsbeck den Hrn. Claudius. Ganz ſimpel iſt er in omni ſuo cultu. Er ſpielte mir Benda’s Klavierſtuͤcke mit vielem Affekt und groſſer Leichtigkeit vor. Er hat 3. ſchoͤne Maͤdchen, die er ganz nach der Natur erzieht; ſie lagen auf der Erde. Er lebt groͤſtentheils von der Freimaͤuerei.

Wir gingen mit einander in des Grafen von Schim - melmanns Garten ſpazieren, wo ich eine Ardea pa - vonia ſah. Dieſer Vogel traͤgt auf dem Kopfe einen ſchwarzen Buſch, der ſich aufrichtet wie eine Buͤrſte, der weiſſe Kranz oben ſieht ſchoͤn aus. Ich nahm hierauf meinen Ruͤckweg durch die Alſter, und kam mit mancher Faͤhrlichkeit nach Hrn. Grotjahns Garten, wo Muſik und Geſang uns erwartete.

Den 26ſten Sept.

Heute beſah ich

Das Fortifikationshaus. Das iſt ein Theil des Walls am Altonaer Thore, wo ein groſſer Garten mit 3, 4fachen, bald hellern bald dunklern Alleen, iſt. Es iſt viel Waſſer dabei. Einen ſchoͤnen Anblick hat man hier uͤber die mit Schiffen bedeckte Elbe bis nach Har - burg hinuͤber. Auch ſind Zelter hier aufgeſchlagen, Spiel - und Trinkhaͤuſer ſind auch da.

Hr.217

Hr. Buch’s Garten. Er zeigte mir ſeine Zeich - nungen, die heftweiſe herauskommen. Ich fand darin die Parkinſonia, die Dionaea Muſcipula. Dieſe iſt klein, waͤchſt wie eine Cryptog. im Moos, treibt nur etwan 4. Blaͤtter, die andern verdorren gleich wieder; an jedem Blatte iſt ein Anſatz, und dieſer nur iſt zu bei - den Seiten mit Stacheln beſetzt, die freilich ſehr elaſtiſch ſind. Wenn die Pflanze bluͤht, ſteigt ein Stengel aus der Mitte in die Hoͤhe. Sie koſtet dem Beſitzer 15. Thaler.

Hrn. D. Bolten’s Naturalienkabinet, worin die Konchylienſammlung uͤber allen Ausdruck, reich und ſchoͤn iſt*)Die vorzuͤglichſten und ſeltenſten Stuͤcke dieſes Kabi - nets fuͤhrt Hr. D. Titius aus Dresden in ſeinem Reiſejournal an, das in den 9. Theil der bernoulli - ſchen Samml. kl. Reiſebeſchr. eingeruͤckt iſt, Seite 179. u. 180. Er ſagt daſelbſt, daß dieſes Kabinet 6000. Stuͤck Konchylien enthalte. Herausgeber. . Beim Anblick ſo vieler Konchylien muß es einem beifallen, daß es ein erſtaunendes Mei - ſterſtuͤck des Schoͤpfers iſt, die ſimple Idee einer Schne - cke ſo tauſendfaͤltig bei der Ausfuͤhrung zu veraͤndern. Wie gros iſt Gott! Unter den Amphibien iſt auch das Krokodil mit dem ſchmalen langen Rachen, das in den Philoſ. Transact. beſchrieben iſt. Viele Sachen von Otaheite ꝛc.

Auf den Abend as ich auch bei dem wuͤrdigen Manne mit mehrern lieben Freunden.

O 5Den218

Den 27ſten Sept.

Heute ergoß ſich denn endlich die ſchreckliche Duͤrre in einen Landregen. Und Hamburg hat nicht einmahl Fiakers noch eine Pennypoſt!! Ich beſuchte aber doch

Hrn. Klopſtock. Der Mann waͤre ſimpel, wenn man ihn nicht vergoͤttert haͤtte.

Hrn. Giſecke, Prof. der Naturgeſchichte am hieſigen Gymnaſium. Ein angenehmer, lieber Mann. Er ſchenkte mir die Addenda und Emendanda zu ſeinem Indic. Plucken. et Dillen. Er beſitzt ein Bouquet von D. Biebers Manier in Schachteln geſetzt. Hy - oſciam. Datura, Phyſal. Alkekengi etc. an einan - der. Zum Bewundern weis ſind dieſe Pflanzen, und man weis nicht, wie er ſie bleicht. Auch ſah ich noch bei ihm eine Sertularia im Glas, an der man noch die Polypen ſieht.

Hrn. Kirchhof. Ein Kaufmann, der in der Phy - ſik viele Einſichten hat, ſchoͤne Inſtrumente von Nairne aus London beſitzt, und viel ſcharfſinnige Verſuche da - mit anſtellt. Er war ſo gefaͤllig und zeigte mir ein engli - ſches Mikroskop, wodurch ein Haar einen halben Zoll dick erſcheint. Ein Muͤckenauge, ſah ſo aus:

[figure]

Am Muͤckenfluͤgel ſchienen die Vaſa keine Kommunika - tion zu haben. Eine Elektriſir-Maſchine. Er machte einen Verſuch, daß der Blitz nicht abſpringt, wenn er am Metall fortlaufen kan. Ein kleiner Eiſendrat wird ganz gluͤhend, wenn der Blitz uͤbergeht. Die Zu - ruͤſtung an einer Waage, um damit zu beweiſen, daßdie219die Erde die Gewitterwolke anzieht*)Er hat ſie in einer eigenen Schrift beſchrieben unter dem Titel: Beſchr. einer Zuruͤſtung, welche die anzie - hende Kraft der Erde gegen die Gewitterwolke, und die Nuͤtzlichkeit der Blitzableiter ſinnlich beweißt. Nebſt 1. Kupf. 8. Berlin. 1781. Herausgeber. . Er ſagt, es ſei falſch, daß irgend ein Blitz aus der Erde komme, die Erde ſei allemahl negativ. Als er im luftleeren Raume den bekannten Verſuch machte, daß ein Dukaten und ei - ne Feder zu gleicher Zeit den Boden erreichen, fragte ihn ein hieſiger Herr des Raths, als wieder Luft unter die Glocke gelaſſen wurde, ob nun der Dukaten noch floͤge?

Hr. D. Groop’s Kabinet von Konchylien, Meer - koͤrpern, Buͤchern, Malereien, Kupferſtichen ꝛc. Mir war darin merkwuͤrdig:

  • 1) Auch linksgewundene Lazarusklappen.
  • 2) Gever’s Konchylienwerk, ſchlecht gezeichnet, ſchlecht geſtochen und ſchlecht illuminirt.
  • 3) Voet’s Kaͤferwerk.
  • 4) Das herliche Portrait vom Cadet à la Perle, von Maſſon geſtochen. Die Haare ſcheinen nur auf dem Papiere zu liegen; ſchoͤner macht ſie gewiß keiner.

Hrn. Paſtor Ryter an der Nikolaikirche beſuchte ich heute auch. Ein frommer, guter, ehrlicher Mann, ohne Prunk. Er hat vormals in Jena und Leipzig ſtudirt, lieſt fleiſſig Baumgarten’s und Mosheim’s Schriften.

Heute220

Heute ſah ich auch die hieſige Buͤrgerwache aufzie - hen, die alle Abend den Wall beſetzt. Sie ſieht freilich komiſch aus. Die Offiziere tragen rothe mit Gold be - ſetzte Roͤcke, und ziehen vor Bekannten im Marſchiren den Hut ab.

Den 29ſten Sept.

Heute beſuchte ich nach der Reihe

Hrn. Klopſtock, dem ich aus meinem Hiob das 28ſte Kap. bis zum Ende vorlas. Das Wort Maga - zin tadelte er, es ſei in der erhabenen Poeſie unedel, Be - haͤltnis beſſer; Degen im 29. Kap. klinge lange nicht ſo gut, als Schwerd. Wir ſprachen verſchiedenes uͤber ſeine neue Ortographie. Er gibt dreierlei Editionen vom Meſſias heraus. Fuͤr einen Ton ſagte er, muͤſſe man nicht zwei Zeichen waͤhlen. z. B. V. und F. aber eins ſei ſo gut, wie das andre. Eine groſſe Beugſamkeit der Sprachorganen beſitzt er, auszuſprechen, was er will.

Hrn. Prof. Buͤſch, einen alten werthen Freund.

Hrn. Buckius. Er beſitzt ein ſchoͤnes Voͤgelka - binet, hatte auch lebendige Pſittac. Arauna. Dieſe Voͤgel ſtehen auf Einem Fuß, halten mit 2. Zehen der andern das Brod, wie mit einer Zange feſt, und ſchneiden es mit dem Schnabel entzwei, und klettern wie Katzen. Die Naſenloͤcher ſind nicht im Schnabel, ſondern an der Wurzel. Viele ausgeſtopfte Tanagra, Ember. Ampelis etc. in Wachs nachgemachte Fruͤchte, und dergleichen ſah ich hier auch.

Hrn. Bode, den Vater des Berliner Aſtronomen. Gros iſt doch die Freude der Eltern uͤber wohlgeratheneKinder.221Kinder. Der gute Alte klagte, daß er auch im Schul - ſtande vor der Zeit alt geworden ſei.

Abends war ich bei Hrn. Busmann, mit verſchie - denen guten Freunden zu Gaſte. Er hat Pfauen, die den Regen lieben und ſich hinein ſetzen. Einer rief: Bravo, Herr Doktor!

Den 29ſten Sept.

machte ich erſt

Hrn. Paſt. Sturm an der Petrikirche einen Be - ſuch, wo ich auch Hrn. Paſt. Rambach kennen lernte, der eben zu ihm kam, und nahm drauf vom

Hrn. Paſt. Crone Abſchied. Der gute Mann leidet an der Phtiſi nervoſa!

Mittags war ich im Garten der Frau Oberalte Grotjahn mit Hrn. Dr. Gerling an der Jakobikirche, und vielen andern Bekannten.

Den 30ſten Sept. Reiſe nach Braunſchweig.

Heute verließ ich denn nach einem ſehr traurigen Ab - ſchiede von ſo vielen Lieben und beſonders dem theuern Grotjahnſchen Hauſe, das gute Hamburg, und war um 12. Uhr auf dem Baumhauſe, wohin mich Hr. Grotjahn und Hr. D. Schulze begleiteten, fuhr drauf mit halben Winde in 3. Stunden uͤber die Elbe nach Harburg und kam die Nacht durch bei einem erſchreck - lichen Sturme nach Zarendorf, und war

Den222

Den 1ſten Oct.

Mittags in Witzendorf. Die Gegend hier herum iſt nichts als Sand, Heideland, doch traf ich viel Enten, wilde Gaͤnſe, Krammetsvoͤgel, Rehe, Haſen ꝛc. an. Hier und da ſtehen nur einzelne Hoͤfe, die aber ſtark be - wohnt ſind. Die Bewohner gingen, weils Sonntag war, Karavanenweiſe zur Kirche. Ihre Sprache iſt ſchlecht. Beier ſtatt Bier ſagen ſie. Abends traf ich in Celle ein, reiſete von da

Den 2ten Oct.

weiter, bald uͤber Fruchtfelder, bald uͤber Heideland, war Mittags in Elze, und Abends traf ich in

Braunſchweig ein. Man ſieht auf dieſer Straſſe in Dorfwirthshaͤuſern, leider! Zettel angeſchlagen, wo man in Hamburg alle Gold - und Silberarbeiten auch fuͤr den Landmann haben koͤnne. Eine Viertelſtunde vor der Stadt liegt ein Dorf Watenmuͤttel, mit einem Gaſthofe, das Spinnrad genannt; weil hier im 15ten oder 16ten Jahrh. das erſte Spinnrad erfunden worden. Noch jetzt iſt hier der Handel mit Garn aus dieſen Landen einer der wichtigſten Handelszweige; es geht ſogar nach England.

Den 3ten Oct.

Braunſchweig. Ich beſuchte heute gleich

Hrn. Prof. Eſchenburg. Ein angenehmer, lie - benswuͤrdiger, verbindlicher, junger Gelehrter.

Hrn. Prof. Zimmermann, ſchon mehr bei Jah - ren, aber ſehr thaͤtig. Er ſtudirte erſt Mathematik inLeyden,223Leyden und dann in Petersburg bei Euler, und wollte ehemals in Linne’e’s Geſellſchaft mit dem Sextanten in der Hand nach dem Kap gehen; der Stadthalter wollte ihm aber nicht genug geben. Wir ſprachen vom 2ten Theile ſeiner zoolog. Geogr. Er erzaͤhlte mir, Wag - ler haͤtte ſeine Wuͤrmernachrichten meiſt Goͤtzen in Quedlinburg gegeben, die andern Sachen aber habe er.

Hrn. Hofr. Leſſing, der eben von Wolfenbuͤttel hier war. Ein witziger, muntrer, ſcharfſinniger Kopf. Aus dem Ruhm und dem vielen Geſchrei mache er ſich nichts, wie er ſagte, und zweifle, ob er wieder etwas her - ausgeben wuͤrde.

Hrn. Hofr. Ebert, ein feiner, feuriger, lebhafter, edler Mann.

Hrn. Landſchaftsſekretaͤr Leiſewitz. Er hat eine recht gute Stelle, und wenig dabei zu thun, iſt aberkraͤnk - lich und hypochondriſch, und will nicht viel mehr ſchrei - ben.

Hrn. Domprediger Fedderſen, bei mittlern Jah - ren. Ein wuͤrdiger Theolog.

Die Hrn. Gebruͤder Gravenhorſt. Sie ſollten Anfangs Kaufleute werden, ſtudirten aber erſt Mechanik, und Hydraulik fuͤr ſich ohne allen Unterricht, und erfan - den eine Maſchine, die das Waſſer ohne alle Bewegung hoch hebt, und darauf Chemie. Sie ſollten oft ins Preuſſiſche gehen, blieben aber hier. Sie ſuchten nie um Befehle oder Freiheiten von der Regierung fuͤr ihre Waaren an. Alles, was ſie brauchen, werden ſie fuͤr Geld habhaſt. Sie zahlen jedem Hauſe etwas fuͤr den Urin zum Salmiak. Vielen Armen geben ſie ihr Sal mirab. Glaub. umſonſt. Jetzt haben ſie viele Gebaͤude auf einem Hofe gekauft, wo ſie keinen Fuͤrſten hineinlaſ -ſen.224ſen. Sie nehmen ihre Leute alle in Eid und Pflicht, be - zahlen ſie gut, laſſen aber keinem das Ganze ſehen, laſ - ſen ſie nicht einmahl mit einander ſprechen. Alles ver - richten ſie ſelber, z. B. die Oefen mauert der Juͤngſte ſel - ber, und veraͤndert oft des Nachts alles. Sie haben an die 3000. Korreſpondenten, und halten doch keinen Buchhalter. Es ſind ehrliche, fleiſſige, ſtille, unermuͤ - dete Leute, ohne Charlatanerie. Der aͤlteſte iſt hernio - ſus und haemorrhoidarius, und lies mich an ſein Bette kommen. Auch in dieſen Umſtaͤnden haͤlt er ſich den Leib beſtaͤndig durch Sal mirab. Glaub. offen. Bei - de haben viel ſuadam, beſonders der juͤngere.

Hrn. Arnold Schmidt, Hr. Prof. Eſchenburg’s Schwiegervater. Ein ehrlicher, guter Alter, und mun - ter noch, wie Anakreon, lieſt noch ſtreng im Gymna - ſium oder im Kollegium, wie ſie’s hier nennen.

Hrn. Abt Jeruſalem. Der belebteſte, feinſte Theo - log, den ich je kennen lernte, und gar kein Freund von Komplimenten. Er ſieht weg, wenn man ihn einen groſſen Mann nennt, iſt billig gegen jedes andern Ver - dienſte. Er ſagte mir mehr als eimahl, er leſe mei - ne Schriften gern. Er iſt bereits 70. Jahr alt, und geht doch noch zu Fuß in der Stadt. Aber mit innigſter Ruͤhrung erblickte ich Falten Spuren des Kum - mers im Geſichte des verehrungswuͤrdigen Mannes. Er ſieht mager und blaß aus. Er iſt Wittwer und hat 3. Toͤchter, die auch nicht mehr jung ſind, aber keinen Sohn, als einen Stiefſohn, der Legationsrath in Wei - mar iſt. Er iſt Abt von Riddagshauſen, einem Klo - ſter, eine Viertelſtunde von hier, wohin er alle Dienſta - ge geht, und bei den jungen Stud. Theolog. Viſitationhaͤlt.225haͤlt. Er iſt auch Probſt von etlichen Stiftern in der Stadt, die aber ihre Dominas haben, und wovon er nur die Einkuͤnfte zieht. Er predigt ſchon ſeit 12. Jah - ren nicht mehr, geht auch nicht in die Seſſionen des Kon - ſiſtoriums, davon er Vicepraͤſident iſt, und das in Wol - fenbuͤttel iſt. Dann war ich wieder

Beim Hrn. Prof. Zimmermann, und ſah bei ihm:

  • 1) Wagler’s Zeichnungen und Handſchriften von Polypen, Sertularien, Eiern ꝛc. Sie nahmen die ſchwarzen, auf dem Waſſer ſchwimmenden Polypeneier, hoben ſie in wollenen Tuͤchern bis zum Fruͤhjahr auf, und lieſſen ſie dann ausſchluͤpfen.
  • 2) Adam’s Mikroskop aus London. Wir be - trachteten die Schuppen auf den Muͤckenfluͤgeln unter N. 1. bei Nacht. Es befinden ſich auch blau-ſchwarz - violettgefaͤrbte Glaͤſer beim Apparat ꝛc.
  • 3) Blankenburgiſcher Marmor, etliche 30. Sor - ten. Sie koſten 2. Thaler 12. Groſchen. Ich bekam einen rothen Achat aus der Bude von ihm.

Die Jerboa capenſis wird im 3ten Th. ſeiner Zoo - log. Geogr. vorkommen. Dieſes Thier hat mit dem Kaͤnguruh die groͤſte Aehnlichkeit. Es ſoll Saphan oder das Kaninchen in den Pſalmen und Miſchle ſeyn. Er trug mir auf, ihm Nachrichten zu geben, wo Vulka - ne in unſerm Lande geweſen waͤren. Wir ſprachen noch uͤber verſchiedene Materien, ſahen vielerlei Briefe, Buͤ - cher ꝛc. durch, trafen uns oft im Urtheil, und trennten uns Nachts ſehr ungern.

Zweiter Theil. PDen226

Den 4ten Oct.

Heute beſah ich

Die Malereien der Hrrn. Waitſch, Vater und Sohn. Der Vater war vormahls Unteroffizier, hat nie einen Lehrmeiſter gehabt, ſondern von ſich ſelbſt ge - lernt, und nur blos die Duͤſſeldorfer Gallerie geſehen. Der Vater zeichn[e]t beſonders gern Landſchaften, Thier - ſtuͤcke, Waſſerfaͤlle. Ich ſah Jeruſalem’s Bildnis gar ſchoͤn; es war nach Lauſanne beſtimmt; des Prin - zen Heinrichs von Preuſſen, der ein ganz ander Ge - ſicht, als der Koͤnig hat; des Herzogs von Braun - ſchweig; Zeichnungen vom Regenſtein, auf dem Brocken von der Baumannshoͤhle, vom Roßtrapp ꝛc.

Das Herzogl. Kunſt - und Naturalienkabinet. Alles iſt darin vortreflich erhalten, nett und wohl geord - net, und von unermeßlichem Werth. Mir war beſon - ders merkwuͤrdig:

  • 1) Eine erſtaunende Menge von kuͤnſtlichen Arbeiten aus Elfenbein.
  • 2) Dergleichen aus Bernſtein; ganze Schraͤnke voll.
  • 3) Sehr ſchoͤne chineſiſche Kunſtwerke aus Speckſtein.
  • 4) Ganze Vaſen von Reisſtein.
  • 5) Vieles aus Wachs und Holz von Alb. Duͤrer.
  • 6) Vaſen, 11. Zoll im Durchmeſſer, aus Kryſtall. Die Berliner Kugeln an den Kronleuchtern haben nur 7. Zoll.
  • 7) Gar viel Emaille auf Kupfer, Koͤpfe, groſſe Plat - ten.
  • 8) Eine unſaͤgliche Menge Edelſteine an allen Sachen.
9) Jas -227
  • 9) Jaspis, Achate, Porphyr, Heliotr. ganz unver - gleichliche Stuͤcke ausm Orient.
  • 10) Ein Saal voll der herlichſten Majolica.
  • 11) Unter den Antiken ein Vitellius, dem’s, dem Ge - ſicht nach, noch gut ſchmeckt.
  • 12) Das beruͤhmte mantuaniſche Gefaͤs aus einem ein - zigen Onyx. Es wird auf eine halbe Million Thaler geſchaͤtzt. Schon als Stein ohne Arbeit iſt es un - ſchaͤtzbar. Es gehoͤrt der ganzen Braunſchweig - ſchen Familie. Der Aufſeher iſt darauf beſonders be - eidigt. Ehemals ward es in Wolfenbuͤttel nur mit 2. Mann Wache gezeigt
    *)Man hat von dieſem Gefaͤße eine Beſchreibung auf einem Quartbogen mit 2. Kupfern, welche es vorſtel - len, und die Tyroff nach einer Zeichnung von Oeding geſtochen hat. In Hr. D. Tirius zuvorangefuͤhrten Reiſejournale findet man S. 164. -171. ſehr umſtaͤnd - liche Nachrichten, ſowohl von dem Herzogl. Kabinet - te uͤberhaupt, als auch beſonders von dieſem mantua - niſchen Gefaͤße. Er erzaͤhlt, daß es der regierende Herzog im Erbe fuͤr 150,000. Thaler augenommen, und daß ihm von der Ruſſiſchen Kaiſerin bereits 600,000. Thl. dafuͤr gebothen worden. Herausgeber.
    *).
  • 13) Eine Elfenbeinerne Doſe, die der jetzige Koͤnig von Engelland ſelbſt gedreht, und der regierenden Herzogin, ſeiner Frau Schweſter, geſchenkt hat. Die Maſchine, womit er dreht, iſt auch dabei.
  • 14) Eine koſtbare Voͤgelſammlung. Viele Animalia in Weingeiſt, Quadrup.
  • 15) Ein Schrank voll Kameen und Onyxe von unſaͤgli - chem Werth.
P 216) Eine228
  • 16) Eine kleine naturhiſtoriſche Bibliothek dabei.
  • 17) Eine herliche Kupferſtichſammlung aus allen Schu - len.

Die Porzellanniederlage, in die mich die Herren Eſchenburg und Ebert fuͤhrten. Man findet die Er - de dazu im Lande, man will aber nicht einmal ſagen, ob man den Kobold auch habe oder nicht. Es iſt artig weis, aber auch ſchwer. An der Malerei, beſonders der Thiere und Blumen, fehlt nichts. Nach Rußland gehts nicht anders, als mit ſchrecklichen Impoſten. Ich ſah ſchoͤne Vaſen, Floͤten, Stuͤckweiſe in Kaͤſtchen ein - gepackt, artige Flacons, groſſe Buͤſten, als: vom Kai - ſer, aber auch eine Suite von kleinen Buͤſten, z. B. Virgil, das Stuͤck zu 1. Thaler und einigen Groſchen. In ordinaͤren Servicen hat man hier viel Geſchmack.

Des Hrn. Leibmedicus Bruͤckmann’s Kabinet von Edelſteinen und Verſteinerungen;*)Verglichen mit Hr. D. Titius vorerwaͤhnten Reiſe - journale ꝛc. S. 171. u. f. Herausgeber. worin mir be - ſonders merkwuͤrdig war:

  • 1) Eine Tabatiere aus einem einzigen Steyermaͤrkſchen Granat.
  • 2) Bernſtein mit Waſſertropfen.
  • 3) Viele geſchnittene Steine, z. B. wie die Alten den Tod bildeten, als Juͤngling. Leſſing fand den Stein in Italien, nachdem er ſeine Schriſt ſchon geſchrie - ben hatte, verlor ihn nachher, und Bruͤckmann kaufte ihn.
  • 4) Der Gott Piſter geſchnitten.
5) Rohe229
  • 5) Rohe Smaragde. Sonſt wenige Steine in der Mut - ter.
  • 6) Ganze Suiten von allen Nuͤancen, mit ihrem Ver - halten im Feuer.
  • 7) Ein Exemplar von ſeines Vaters Buche de Asbeſto, auf Asbeſtpapier gedruckt, in Quart. Man hat nicht viele davon. Es iſt recht huͤbſch, und das Papier ſteif.

Gar viele Steine in dieſer Sammlung ſind gefaßt, und haben Folie untergelegt.

Drauf beſuchte ich noch

Hrn. Prof. Eſchenburg, und war dann Abends bei Hrn Prof. Ebert zu Gaſte.

Den 5ten Oct.

Heute fuhr ich mit dem Kaufmann, Hrn. Krauſe, Hrn. Grotjahns Korreſpondenten, an den ich von ihm empfohlen war, und dem Maler Hrn. Waitſch dem Vater, nach

Salzdahlen. Ein altes verfallendes Luſtſchloß mit einem Garten, in dem aber die Bildergallerie ſehens - wuͤrdig iſt. Mir gefiel beſonders:

  • 1) Abraham, wie er ſeinen Sohn Iſaak wieder um - armt, von Lievens.
  • 2) Ein Winterſtuͤck von van der Neer.
  • 3) Ein vortreflicher Ruysdal, und ſonſt noch einige herliche Waſſerfaͤlle.
  • 4) Ein perſpektiviſches Stuͤck, Petrus, wie er vom Engel aus dem Gefaͤngniſſe gefuͤhrt wird, von Steen - wyck.
P 33) Ce -230
  • 5) Cephalus und Procris, von Guido.
  • 6) Steen’s Eheverloͤbnis. Die Geſichter des Va - ters, des Braͤutigams, der Braut, der Mutter, des Wirths, des Notars, ſind ungemein karakteriſtiſch.
  • 7) Judith und Holofernes, von Rubens.
  • 8) Ein Familienſtuͤck mit einem ſchoͤnen Kinde, das recht hervorſtechend gemalt iſt, von Raveſteyn.
  • 9) Das Bildnis der Eva von Trotta, der Maitreſſe von Herz. Heinr. II. die zur Zeit der Reformation zum Schein begraben wurde.
    *)Man hat von dieſer Gallerie 2. Beſchreibungen: 1) Querfurts kurze Beſchreib. des Luſtſchloſſes Salz - dahlum. 4. 3. Bogen, mit einem Kupfer, ohne An - gabe des Jahrs. 2) Beſchreib. der Bildergallerie zu Salzthalum. 8. Braunſchw. 1776. Letztere iſt ausfuͤhrlicher. Herausgeber.
    *)

Auch das Aeuſſere iſt ſchoͤn, die Saͤle ſind breit und hel - le. Als wir uns hier umgeſehen hatten, ging meine Fahrt weiter nach

Wolfenbuͤttel, eine Stunde davon. Zwiſchen beiden Orten iſt die ſchoͤnſte Gegend, wo man den Harz, den Brocken ꝛc. herlich uͤberſchauen kan. Die Stadt iſt noch mehr befeſtigt als Braunſchweig, und kan in einer halben Stunde unter Waſſer geſetzt werden, uͤbri - gens aber ſchlecht gebaut.

In der Bibliothek, die im Amphitheater 3. fach, und in der Hoͤhe noch einmahl herumſteht, ſind keine neue Buͤcher, aber 2. vortrefliche Handſchriften und Bibelkabinette. Beſonders merkwuͤrdig waren mir:

1) Lu -231
  • 1) Luthers Bibel in 2. Fol. auf Pergament. 1558. angefangen, bis 1560. gedruckt, mit Vignetten.
  • 2) Zwei Handſchriften von der Vulgata, ſehr klein.
  • 3) Die 34ſte Ausgabe der Kanſteinſchen Bibel, wo Exod. 20. V. 14. S. 80. ſteht: Du ſollſt ehebre - chen. Sie iſt konfiszirt. Das hieſige Exemplar ward fuͤr 50. Thaler erkauft.
  • 4) Ein Katalog der Bibliothek, vom Herzog Auguſt, als dem Stifter, ſelbſt geſchrieben, aus dem 17ten Jahrh.
  • 5) Noch ein Buch von ihm, uͤbers Schachſpiel, in gros 4. 1616.
  • 6) Ferner ein Chifre von ihm. Er nannte ſich Gu - ſtavus Seldenus.
  • 7) Alte franzoͤſiſche Vulgata.
  • 8) Ein altes Miſſale von 1519. mit herlichen Male - reien.
  • 9) Eine Islaͤndiſche Mythologie auf Fiſchhaut ge - druckt.
  • 10) Agrimenſores veteres, eine Handſchrift, die im 6ten Jahrh. geſchrieben ſeyn ſoll. Ein Fronti - nus etc.
  • 11) Ein handſchriftlicher Kommentar uͤber den Per - ſius. Iſt noch aus des Ungariſchen Koͤnigs Mat - thias Corvinus Bibliothek, 1584.
  • 12) Eine hollaͤndiſche Bibel, worin alle Kupfer ausm Saurin ſind, aber das ganze Exemplar iſt auf Sei - denpapier gedruckt.
P 413) Eine232
  • 13) Eine Lateiniſche Bibel, gedruckt 1462. in 3. Fo - lianten.
  • 14) Eine von 1466. in 3. Fol. hat 600. Thaler geko - ſtet.
  • 15) Luther’s Bibel in 4. Hermantown in Ameri - ka, 1743. gedruckt.
  • 16) Eine Tamuliſche Bibel, 1723. in Tranquebar gedruckt.
  • 17) Eine Islaͤndiſche Bibel, in klein Folio.
  • 18) Ulphilas, Verſ. goth.
  • 19) Photius und Euclides; altgriechiſche Handſchrif - ten.
  • 20) Euclides arabicus. Romae ex Typogr. Medi - cea 1594. in Kleinfolio.
  • 21) Eine Handſchrift vom neuen Teſtamente, in 2. kleinen Folianten. Das Exemplar, ſo Luther 1521. bis 1522. dem Kaiſer Karl V. von ſeiner Ueberſe - tzung uͤbergab. Es iſt blos das neue Teſt. Das alte iſt noch in Schweden. Das neue kaufte Herz. Albrecht 1648. dem Schwediſchen Kanzler ab, der es bekommen hatte, als Koͤmgsmark Prag ein - nahm. Der Herzog kaufte es fuͤr 200. Thaler. Die Malerei iſt von Glockenthon.

Abends war ich von meiner kleinen Streiferei zu - ruͤck, und bei Hrn. Krauſe in Geſellſchaft.

Den233

Den 6ten Oct. Reiſe nach Goͤttingen.

Ich fuhr mit Extrapoſt uͤber Barum, Lutter, Seeſen, Nordheim, nach

Goͤttingen, wo ich Abends antraf und bei Hrn. D. Miller logirte.

Den 7ten Oct.

Heute lies ichs gleich mein Hauptgeſchaͤft ſeyn, mei - ne ehemaligen Lehrer und Freunde zu beſuchen, ging da - her zu den Hrrn. Prof. Beckmann, Walch, Puͤtter, Gatterer, Ritter Michaelis, Leß, Koppe ꝛc.

Den 8ten Oct.

Mittags war ich beim Hrn. Ritter Michaelis in Geſellſchaft eines von Konſtantinopel zuruͤckgekomme - nen Schweden Namens Norberg, Nachmittags bei Hrn. Hofr. Heyne, Hrn. Prof. Beckmann, und Abends bei Hr. D. Miller.

Den 9ten Oct.

beſuchte ich wieder Hrn. Hofr. Puͤtter, drauf Hrn. Prof. Murray, Hrn. Hofr. Richter, und dann ging ich auf die

Univerſitaͤts-Bibliothek, wo ich des Koͤnigs Buͤſte fand. Sie wird noch immer erſtaunend vermehrt. 13. bis 1400. Thaler zahlt man hier alle Jahre an Buch - binderlohn, und doch kommen alle italiaͤniſche, franzoͤſi -P 5ſche234ſche und engliſche Schriften, ſchon gebunden her. 1800. Thaler koſten alle Jahre die Journale, die akademiſchen Schriften mit eingerechnet.

Bei Tiſche ſprach ich mit Hr. D. Miller, uͤber Siegwart, Burgheim ꝛc. Von der Freimaͤurerei denkt er wie ich. Manche ſchmauſſen gern bei andern, und geben der Sache einen heiligen Namen. Nur die Meiſter vom Stuhl werden dabei reich.

Nachmittags beſuchte ich Hrn. Hofr. Schloͤzer, und war Abends bei Hrn. Prof. Walch.

Den 10ten Oct.

fuhr ich mit Beſuchen fort, und ging zu Hrn. Prof. Klaproth, Hrn. Hofr. Boͤhmer, Hrn. Mag. Duͤrr, und dann aufs

Univerſitaͤtskabinet. Prof. Blumenbach hat es noch nicht rangirt. Es ſind keine Meerkoͤrper darin, keine Konchylien, keine Inſekten, keine Halbmetalle, kei - ne Erdarten, uͤberhaupt unendlich viele Luͤcken, und was da iſt, befindet ſich in groſſer Unordnung. Ich ſah die Ruſſiſchen Marmor, und Baron Aſch’s Geſchen - ke an, deſſen Bild auch hier iſt*)Eine Geſchichte dieſes Kabinets ſteht im Goͤttinger Taſchenkalender fuͤrs Jahr 1779. Herausgeber. . Heute beehrte mich auch

Hr.235

Hr. Prof. Murray mit ſeinem Beſuch. Er traͤgt das Groskreuz vom Waſa-Orden an einem meergruͤnen Bande auf der Bruſt.

Den 11ten Oct.

Heute beſuchte ich Hrn. Prof. Gmelin und Mit - tags bei Hrn. Hofr. Puͤtter mit Hrn. Prof. Spittler.

Nachmittags beſuchte ich die Hrrn. Pfeffel, Walch, Michaelis, und war Abends bei Hrn. Prof. Beckmann mit den Hrrn. Baldinger, Schloͤzer, Loder von Je - na, Spittler und Buͤttner.

Den 12ten Oct. Reiſe nach Caſſel.

Zum Beſchluß meines hieſigen Aufenthalts beſuchte ich noch Hrn. Walch und Miller, und denn fuhr ich uͤber Muͤnden an der Weſer mit Extrapoſt nach Kaſſel.

Den 13ten Oct.

Kaſſel. Mein erſter Gang hier war, den

Hrn. Inſpektor Glaß am Kadettenkorps zu beſu - chen, und dann beſah ich

Die Menagerie. Alle fleiſchfreſſende Thiere ſind geſtorben und ſtehen im Naturalienkabinet ausgeſtopft. Dies verrichtet ein gewiſſer Schilpach, der auch eine artige Holzſammlung hat, wo inwendig Bluͤthe, Frucht, Zweig, Blatt und Skelet iſt. Der Elephant, der hierdoch236doch 7. Jahr lebte, ſtarb, als er 13. Jahr alt war, ſchnell, vermuthlich aus Geilheit, oder weil er ſich nicht baden konnte. Man hat ein Skelet davon, und die Haut mit kleinen Holzſtuͤcken ausgeſtopft. Sie wog 1200. Pfund und nach der Gare 702. Pfund.

Die Bibliothek. Sie ſteht jetzt nebſt Antiken, Kunſtſachen und dergl. in einem neuen Gebaͤude, aber Luͤchet und andre Franzoſen ſtellen ſie in der groͤſten Un - ordnung auf. Man hat hier eine Rubrik: Literae, Diaria, Hiſt. Europaeana und Hiſt. exeuropaea - na. Cicero’s Briefe ſtehen bei der Kirchengeſchichte und ein Kommentar uͤber Hugo Grotius de lure b. et p. ſteht bei der Oekonomie. Mittags war ich bei dem guten Hrn. Inſp. Glaß zum Gaſte und er Abends bei mir.

Den 14ten Oct.

Beſuchte mich

Hr. Rath Tiſchbein, ein alter braver Mann und verdienſtvoller Kuͤnſtler. Er ſagte mir, daß ſeinen Herrmann der Fuͤrſt von Waldeck gekauft habe. Alsdann machte ich dem

Hrn. Prof. Forſter einen Beſuch. Er ſchimpft mit Prof. Simmering auf alles, was deutſch iſt, auf Berlin, Goͤttingen, auf Univerſitaͤten, Journale, Lexika, Muſea ꝛc. Drauf ging ich auf den

Paradeplatz, wo ich mit einem Hauptmann von Muͤnchhauſen, einem wuͤrdigen Offizier, der in Ante - ka bei Howe’s Armee diente, bekannt wurde, und dannverlies237verlies ich Kaſſel und reiſte nach Wabern ab, wobei ich einen ſchwediſchen Architekten Karlsberg, der in Italien und England geweſen war, zum Reiſegefaͤhr - ten hatte.

Den 15ten Oct. Reiſe nach Frankfurt am Mayn.

Die Nacht waren wir in Jesberg, fruͤh in Holz - dorf, und kamen dann auf Marpurg und Gieſſen.

Den 16ten Oct.

fruͤh fuhr ich durch Nauheim, und langte dann bald nachher in Friedberg an, wo ich Hrn. Tabor beſuchte, der ein Gartenhaus hat, das mit ſchoͤnen Kupferſtichen geziert iſt. The Death of General Wolfe war darunter einer der neueſten und ſchoͤnſten. Hr. Tabor nahm mich mit nach Ockſtadt, einem Landguthe, das dem Hrn. v. Frankenſtein gehoͤrt, bei dem wir Mit - tags ſpeißten. Seine Gemalin iſt eine Dame von einem ungemein ſanften und liebenswuͤrdigen Karakter. Abends waren wir wieder in Friedberg zuruͤck, und beim Hrn. Geh. Rath Tabor.

Den 17ten Oct.

Heute reiſete ich in Geſellſchaft des Hrn. v. Fran - kenſtein und Hrn. Tabors nach Frankfurt, wo wir den Hrn. Hofr. Tabor beſuchten und Mittags bei ihm ſpeißten. Nachmittags fuhren wir uͤbern Mayn nach Sachſenhauſen. Auf der Sachſenhaͤuſer Bruͤckeſtand238ſtand eine Ehrenwache, bis an das deutſche Haus, weil der Koadjutor, der Erzherzog Maximilian, dieſen Abend erwartet wurde.

Den 18ten Oct.

Der heutige Tag ging mit verſchiedenen Beſuchen bei Madam Stark, Hr. und Madame Bernus, Hr. Hofr. Tabor, Hr. Kloſe, Hr. D. Moſche ꝛc. hin, und auf den Abend war ich im Ehrenmannſchen Gar - ten vor dem Sachſenhaͤuſer Thore, wohin mich Mada - me Bernus eingeladen hatte, und wo Ball, Soupe, und Feuerwerk war.

Vormahls ward die Stadt ſehr fruͤh geſchloſſen, aber man hat mit dem Einlaß am Thore bis 12. Uhr im Som - mer, und bis 10. Uhr im Winter nachgegeben. Auf jeder Seite der Stadt bleibt ein Thor offen. Die Per - ſon zahlt 4. Kreutzer Einlaß, und dieſes Geld wird zum Beſten eines Armenhauſes verwendet.

Den 19ten Oct. Reiſe nach Hanau.

Ich fuhr auf dem Marktſchiff dahin. Im Som - mer geht es alle Tage hin und her, im Winter aber nur einen Tag um den andern. Das Schiff ziehen 3. Pfer - de, die oft im Mayn bis an den Bauch gehen, an den meiſten Orten aber kan der Schiffer mit dem Loͤffel den Boden erreichen. Herlich ſind die hieſigen Gegenden. Wir kamen an Offenbach, an Bergen, wo die bekann - te Schlacht vorfiel, und an andern Schloͤſſern vorbei.

Hanau. 239

Hanau. Hier wartete meiner ſchon der gute Hr. Kandidat Goͤtz, empfing mich gleich beim Ausſteigen aus dem Schiffe, und ſtellte mich der Durchlauchtigen Prinzeſſ in Friedrike vor. Der uͤbrige Theil dieſes Tags verging mir in ſeiner und des theuren Stockhauſens Geſellſchaft nur gar zu geſchwind.

Den 20ſten Oct.

Fruͤh war ich wieder bei Hrn. Stockhauſen, und dann beſah ich

Das Naturalienkabinet der Durchl. Prinzeſſin. Es iſt noch im Werden. Eine Klapper von Crotal. horr. von 24. Ringen war darin. Weiſſe hier er - naͤhrte Maͤuſe hatten dieſe Nacht Junge geheckt. Hier - auf machte ich dem

Hrn. Regierungsrath Wagner, der hier Bibliothe - kar und Muͤnzkabinets-Inſpektor iſt, einen Beſuch, und bekam dann

Das Muͤnzkabinet ſelbſt zu ſehen. Es iſt ſehr reich und wohl rangirt. Geburts-Begraͤbnis-Kroͤ - nungs-Vermaͤhlungs-Kriegs-Friedens-Stiftungs - vermiſchte Muͤnzen ſind darin. Jedes Fach iſt wieder nach den Staaten und Laͤndern, und dieſe wieder nach der Chronologie rangirt. Die fehlenden laͤſt man von den Stempeln in London, Verſailles ꝛc. nachpraͤgen, und bezahlt das Silber und Praͤgelohn. Die Muͤnzen liegen auf gruͤnem Tuch unter Glas, ohne Einſchnitte. Im - mer ſind die Daͤniſchen die ſchoͤnſten, und dann die von den Hammerani aus Rom. Die Brandenburgiſchen ſehen alle ſchlecht aus. Der Nummus unicus, 2. Pfundetliche240etliche Loth ſchwer, auf die Paſſage des Belts mit der ſchwediſchen Armee ꝛc. ſah ich auch hier. Bei den Muͤn - zen vom Preuſſiſch Schleſiſchen Kriege iſt auch die, welche der Koͤnig wieder aufkaufen lies, und die daher ſehr ſelten iſt. Sie fuͤhrt die Umſchrift: Henricus Boruſſ. princeps ſine clade victor. Ferner alle Muͤnzen auf Goͤttingen. Schandmuͤnzen auf den Utrechter Frieden und mehrere.

Nach Tiſche fuhren Hr. Goͤtze und ich nach der

Faſanerie, wo wir die vielen Goldfaſanen, und die Weibchen mit Maͤnnchenfedern beſahen (S. davon das Hanauiſche Magaz. 1779.) In der

Menagerie waren:

  • a) Ein Paar Kronenvoͤgel von der Inſel Banda. Sie haben eine herliche criſta, die auch blau iſt. Wie ſchlaͤft der Vogel mit der Krone?
  • b) Eine Gemſe aus Tyrol, mit ſchwarzen Streifen auf dem Ruͤcken, in einem Tannewaͤldchen. Sie hat - te einen Ziegenbock zur Geſellſchaft und frißt Heu.
  • c) Bengalenſche Hirſche, ein ganzer Rudel. Sind fahl mit weiſſen runden Flecken und zeugen Junge hier.
  • d) Eine Mus marmota? genannt Ouramente. Graugruͤnlicht, ſtatt der gewoͤhnlichen Farbe.

Drauf beſuchten wir das

Willhelmsbad*)Es wird beſchrieben in den Briefen eines Schwei - zers uͤber das Wilhelmsbad bei Hanau. Zweiteſehr, das jetzt von Engliſchen durch die Truppen in Amerika erworbenen Guineen erbaut wird. Der241Der Prinz macht ſelbſt den Wirth. Die Frankfurter tragen viel Geld hierher. Man druckt auch die Liſte der Badegaͤſte. Ich beſah die Quelle zum Trinken und zum Baden, ſie hat das Gute, daß ſie wenigſtens nicht ſcha - det. Saͤle, Alleen, Teiche, Seen mit Schiffen drauf ꝛc. ſind angelegt, auch iſt eine neue Burg im alten Ge - ſchmack erbaut worden.

Philippsruhe. Ein Luſtſchloß, das noch die Gra - fen von Hanau erbaut haben, am Mayn anmuthig gelegen. Der Weg von Wilhelmsbad dahin iſt eine Obſtallee.

Als wir wieder von unſrer Spazierfahrt zuruͤck wa - ren, beſuchte ich Hrn. Prof. Bergſtraͤſſer, der auch kein Freund der Philantropine iſt, war dann in der

Komoͤdie, wo ich Weiſſens Edelmuth in Nie - drigkeit, und Jeannette vorſtellen ſah, hierauf bei Hr. Stockhauſen mit Hrn. Goͤtz, und nahm trau - rig von den Redlichen Abſchied.

Den 21ſten Oct. Ruͤckreiſe nach Frankfurt.

Ich fuhr dahin wieder auf dem Mayn. In Of - fenbach beſuchte ich den Hrn. Geh. Rath Brauer, der mir nach Frankfurt Geſellſchaft leiſtete.

Den

*)ſehr vermehrte Auflage, 8. 1780. Man hat auch einen Kupferſtich von der Gegend und den neuern Gebaͤuden. Herausgeber.

Zweiter Theil. Q242

Den 22ſten Oct.

Frankfurt. Ich war Mittags und Abends bei Hrn. D. Moſche.

Den 23ſten und 24ſten Oct. Reiſe nach Carlsruhe.

Heute fruͤh begab ich mich denn auf die letzte Tour nach meinem lieben Carlsruhe. Ich kam uͤber Darm - ſtadt, Heppenheim, Weinheim, Heidelberg, wo ich Hrn. Schoͤnemann, Hrn. Prof. Wund, und Hrn. K. R. Mieg ſprach,

Den 25ſten Oct.

uͤber Wisloch und Bruchſal, gluͤcklich in Carlsru - he an.

Reiſe[243]

Reiſe nach Coſtanz am Bodenſee und nach Schafhauſen zum Rheinfall.

Im April des Jahres 1781. An Hrn. Prof. Beckmann in Goͤttingen.

Q 2[244][245]

Reiſe nach Coſtanz am Bodenſee und nach Schafhauſen zum Rheinfall.

Schon lange, mein verehrungswuͤrdiger Freund, ging ich mit dem Gedanken um, eine Reiſe nach der Schweiz zu thun, und Sie werden ſich vielleicht wun - dern, wie ich’s ſo lange anſtehen laſſen konnte, und in - deſſen in Deutſchland, Frankreich, Holland ꝛc. herumwandern, da ich doch dieſem fuͤr die Naturforſcher ſo merkwuͤrdigen Lande naͤher bin, als jenen Laͤndern. Aber zu meiner Entſchuldigung muß ich Ihnen ſagen, daß ich nicht blos deswegen noch nicht nach der Schweiz gereiſt bin, weil man gewoͤhnlich am ſpaͤteſten zu dem koͤmmt, was man immer haben kan; ſondern vorzuͤglich deswegen, weil die Merkwuͤrdigkeiten der Schweiz ſo ſehr getrennt, und zum Theil wenigſtens ſo weit von ein - ander entfernt ſind, daß man entweder ein ganzes halbes Jahr darinn herumreiſen, oder mehrmals, und an ver - ſchiedenen Orten hineingehen muß. Der letztere Plan gefaͤllt mir faſt noch beſſer, als der erſtere, und ich will ihn ſuchen auszufuͤhren, wenn ich Leben und Geſundheit behalte. Sie meinen vielleicht, ich ſollte noch hinzuſe -Q 3tzen:246tzen: Wenn mich mein Vaterland auch dafuͤr belohnt, daß ich auf das Studium der Natur ſo manches hundert Gulden wende, ſo manche Bequemlichkeit entbehre, die ſich andre neben mir verſchaffen, und mich zu dem be - ſchwerlichen Amte des oͤffentlichen Unterrichts immer tuͤch - tiger mache. Aber, ich habe mich ſchon gewoͤhnt, dieſe Gedanken zu unterdruͤcken. Die Wiſſenſchaften ſterben meiſtens, wenn ſie ſich nicht ſelber helfen koͤnnen, und von der Pflege andrer leben muͤſſen. Ich bin, wie eine Pflanze in einem Boden, der eben nicht ſehr wuchert. Wenn unſre Muſen wie das Thier waͤren, von dem die Fabel ſagt, es lebe von der Luft, ſo kaͤme Deutſchland allen andern Nationen in Ruhm der Gelehrſamkeit vor, aber zum Ungluͤck wollen die ſchoͤnen Kinder auch Saft haben. Ich habe ſeit einigen Jahren Erfahrungen in der Menſchenwelt gemacht, die eben ſo unerwartet ſind, als die neuen Entdeckungen in der Thiergeſchichte. Taͤg - lich ſehe ich es mehr, daß in der Welt gar viel Wind, Luͤgen, Unwahrheit und falſcher Schein iſt. Oft iſt man mit dem beſten Herzen, und mit dem feurigſten Ent - ſchluß, ſeinen Mitbruͤdern nuͤtzlich zu werden, nicht mehr weit von dem traurigen Wunſch, daß man nicht mehr gelernt haͤtte, als ſo viele, die mit dem ganz gewoͤhnlich - ſten Schlendrian in der Welt fortkommen, und ſteigen, als wenn ſie das Original der Menſchheit waͤren. Doch iſt der Anblick der Natur, und ihrer Prachtſtuͤcke mit Kopf und Gefuͤhl dagegen ein herrliches Mittel, und es iſt eine Guͤte vom Schoͤpfer, daß er in das Innre der Wiſſenſchaften einen gewiſſen Reiz legte, der die junge Seele immer ſtaͤrker an ſich zieht, wenn man gleich vor Augen ſieht, daß man im Tempel der Wiſſenſchaften nie ein aͤuſſerliches Gluͤck machen werde. Shakeſpear ſagt: Wiſſen -247 Wiſſenſchaft iſt der Fittig, mit welchem wir zum Him - mel emporfliegen. Doch, was plaudre ich nun davon? Ich wollte Ihnen ja meine kleine Reiſe erzaͤhlen.

Da ich nicht mehr als vierzehn Tage wegbleiben durfte, ſo ſchraͤnkte ich mich diesmahl auf den Boden - ſee, auf Coſtanz, auf Schafhauſen und den Rhein - fall ein. Da ich zu Pferde war, ſo konnte ich den naͤch - ſten Weg durch das Wuͤrtembergiſche, und durch einen Theil des Schwarzwaldes nehmen. Es war in der angenehmſten Jahrszeit: der April des Jahrs 1781. war nicht Aprilmonat. Es war ein wahrer, ſchoͤner, frucht - barer Maimonat. Alles in der Natur geſchah wenig - ſtens in unſern Gegenden um drei Wochen fruͤher. Das Wetter war beſtaͤndig, war heiter, nicht kalt, oft ſchon ſehr heis, beſonders in den Thaͤlern der Schweiz, und ſelbſt die Naͤchte ſchadeten nie den fruͤh herausgekomme - nen Bluͤten. Ich bin manchen Morgen im Nachtigal - lengeſang geritten, und habe manchen wilden Vogel im Walde pfeifen gehoͤrt, der ſonſt mein Ohr noch nie ergoͤtzt hat. Ganze Reihen von bluͤhenden Baͤumen dufteten am fruͤhen Morgen um mich herum, und ſchienen, ein einziger Blumenſtraus zu ſeyn. So wie die Hitze des Tages zunahm, ward auch das geſchaͤftige Summen der Bienen um dieſe mit den ſchoͤnſten Bluͤten ganz bedeck - ten Aeſte immer ſtaͤrker, und begleitete mich, je naͤher ich dem heiſſen Italien, dem gebuͤrgvollen Tyrol, und der kraͤuterreichen Schweiz kam. Nicht ein einziges Waſ - ſer, weder die groͤſſern noch die kleinern Fluͤſſe liefen jetzt an. Denn wir hatten im vergangenen Winter uͤberall wenig Schnee gehabt. Sonſt muß man in andern Jah - ren, wenn man um dieſe Zeit in unſern Gegenden reiſenQ 4will,248will, befuͤrchten, daß Fluͤſſe ausgetreten, Wege ausge - freſſen, Bruͤcken weggeriſſen, Felſen herbeygefuͤhrt, und am Fuß der Berge alles verwuͤſtet ſeyn moͤchte. Aber es war, als wenn die Natur ihrem Freunde ſelber den Weg gebahnt haͤtte. Mein Engel ging vor mir her, die bluͤhende Schoͤpfung enthuͤllte ringsum ihre mannichfalti - gen Schoͤnheiten, die guͤtige Natur hielt ihren Schild uͤber mich, die Goͤttin der Jugend goß die Schale der Geſund - heit wieder voll, und die guten Wuͤnſche meiner Freunde folgten mir, als ein unſchaͤtzbarer Segen, hinten nach.

Von hier nach Pforzheim iſt der Weg ſo bekannt, daß ich Ihnen nichts davon zu ſagen wuͤßte. Aber ſe - hen ſollten Sie ihn einmal, Sie wuͤrden beſonders die ſchoͤne Straſſe von Carlsruhe nach Durlach bewun - dern: Eine ſchnurgrade Allee, von zwo Reihen italiaͤni - ſcher Pappeln, die, wenn ſie im Sommer ganz mit Laub bedeckt ſind, voͤllig wie eine gruͤne Wand, wie dunkel - gruͤne Tapeten ausſehen. Von Pforzheim geht der Weg gleich uͤber einen ſteilen waldichten Berg, auf dem fuͤrchterliche Steinmaſſen im Wege liegen. Man muß mit dem ſchmalſten Wege vorlieb nehmen, bis man nach Huchenfeld kommt, einem noch Baadiſchen Orte. Hin - ter dieſen muß man wieder den ſogenannten Beutelberg herab. Dieſer Weg iſt noch ſchrecklicher als der vorige. Der Berg iſt gewis etliche tauſend Schuhe hoch, und faſt immer jaͤher als ein Dach. Mein Pferd ging zwar ſicher, es kletterte wie eine Katze, Bergauf und Bergab, aber zuletzt verlohr ich doch allen Muth, weil ich immer die abſcheulichſten Tiefen vor mir ſah. Ich ſtieg ab und lies es durch einen Bauer fuͤhren. Der ganze Berg iſt mit Tannen und anderm Nadelholz beſetzt, davon diegroſſen249groſſen und langgeſtreckten Wurzeln eben ſo weit uͤber dem Boden hinlaufen, und an der Luft eben ſo wahres Holz, als der Stamm iſt, werden, wie es Brydone von den Baͤumen auf dem Aetna erzaͤhlt. Ich zweifle gar nicht, daß man nicht hier hundertſchuhige Tannen finden ſollte. Der Pfad des Reiſenden iſt ſo abſchuͤſſig, daß man froh iſt, wenn man ſich an einen der Laͤnge nach am Berge hinabgeſtuͤrzten Baum halten kan. Im Winter ſollen hier grauenvolle Glacieren von Schnee und Eis entſtehen. Wer etwa nicht glauben wollte, daß die Bergbewohner fuͤr ihre geſunde Luft, gutes Waſſer und andre Vortheile, auch wieder ihre Plage haben, der darf nur hierher kommen. Es iſt unbegreiflich, wie man hier fahren kan, und doch geſchieht es alle Tage. Unten aber am Fuß des Berges faͤngt das ſchoͤnſte Thal an, und lauft noch etliche Stunden fort bis nach Calw. Dies herliche Wieſenthal iſt nicht ſehr breit, aber es wird von der Nagold, die bei Pforzheim in die Enz faͤllt, durch - ſtroͤmt. Zu beiden Seiten iſt es mit ziemlichen Bergen eingefaßt, die alle mit Holz mehr oder weniger ange - pflanzt ſind, und ſchon hier ſieht man, daß das ganze Herzogthum Wuͤrtenberg nichts iſt, als ein groſſer Haufen von ineinandergeſchobenen, zuſammen geworfe - nen, aufgethuͤrmten Bergen mit darzwiſchen liegenden fruchtbaren Thaͤlern. Beim Liebezeller Bad iſt die Gegend, wie bei allen Baͤdern, wieder etwas rauher, als vorher, und die Badhaͤuſer ſelber machen auch keine ſon - derliche Figur. Man findet greuliche Steinbrocken im Wege, die alle durch die Waldwaſſer aus den Bergen herbeigefuͤhrt worden ſind, und neben ihnen liegen ganze Haufen von Steinen, von den ſchoͤnſten Felſen, und haͤr - teſten Waͤcken, (Saxa) die man an andern Orten, woQ 5man250man zum Bauen und Pflaſtern nichts als Sandſteine hat, gerne theuer bezahlen wuͤrde. Auch die Nagold ſelber laͤuft zuweilen gewaltig an, wie man an den hohen Bruͤcken ſieht, die uͤberall, weil ſie viele Kruͤmmungen macht, uͤber ſie gebaut ſind, und dem Reiſenden faſt laͤ - cherlich vorkommen, wenn er zu einer Zeit daruͤber reiſet, wo nur ein kleines Waſſer unten vorbeifließt. Auſſer - dem, daß die Nagold zum Waͤſſern ſehr gut iſt, gehen auch beſtaͤndig Holzfloͤße auf ihr nach Pforzheim. Man hoͤrt beſtaͤndig die Axt des Holzmachers in den Tannen - waͤldern ſchallen, und die ſchoͤnſten Baͤume ſtuͤrzen mit ihren breiten Aeſten um.

Calw an ſich iſt eine kleine, aber freilich eine alte Stadt. Die meiſten Haͤuſer ſind von Holz, ſchlecht, und eng in einander hineingehaͤngt. Die Stadt iſt auf der einen Seite an einen Berg gebaut, in der Mitte laͤuft die Nagold durch, und, wenn man auf der Bruͤcke ſteht, ſo hat man ſchoͤne Ausſichten. Alle Straſſen ſind gepflaſtert, aber freilich ſind die wenigſten gerade und eben. Der Handel, einige Fabriken, und ſonderlich das Floͤßen des Holzes hat viele Leute reich gemacht. Die Calwer Kompagnien ſind bekannt. Doch nun nimmt der Luxus auch hier uͤberhand. Noch vor 30. Jahren wuſte man in Calw kaum, was eine Kutſche iſt. Selbſt die reichſten Frauenzimmer waren gewohnt, ſcharf uͤber die Berge weg zu reiten, aber nun lernen ſie das nicht mehr.

Gleich vor Calw auſſen klettert das Pferd wieder et - liche tauſend Fuß Steinweg hinauf, und auf dem Wege nach Herreberg hin kommen immer hoͤhere, und zum Theil auch unfruchtbare Berge. Man reiſet auch durchWal -251Waldungen, die bereits ſehr licht geworden ſind. In dieſen hoͤrte ich heute (den 15. April) ſchon ganz deutlich viele Guckucke rufen, und faſt auf der ganzen Reiſe be - gleitete mich die Stimme dieſes ſonſt fuͤr ſelten gehaltenen Vogels. In den Doͤrfern ſind die Wege aͤuſſerſt ſchlecht, aber weil die meiſten Wuͤrtembergiſchen Doͤrfer an Ge - buͤrgen liegen, von welchen das Waſſer beſtaͤndig hinun - ter ſickert, ſo laͤßt ſich das ſchwerlich aͤndern.

Auch Herreberg iſt eine alte, kleine, gebuͤrgige Stadt. Auf den Berg, wo die Stadkirche ſteht, ſteigt man uͤber groſſe Treppen. Die Hauptſtraſſe iſt eng, das alte Schlos auf der Spitze des Berges ſelber verfaͤllt. Es muß aber eine herliche Ausſicht oben ſeyn, weil es ſo hoch liegt, daß man es ſchon von weitem ſieht.

Von da geht die ſogenannte Landſtraſſe, im Gegen - ſatz der ſchon fertig gewordenen Chauſſee nach Tuͤbin - gen. Sie iſt unnoͤthig breit, oft ſchmal, oft unkennt - lich, oft tief und loͤchericht. Faſt dies ganze Feld bis an die Stadt hin ſteckt voll Eiſen, wie man an dem hoch - rothen eiſenſchuͤſſigen Thon ſieht, der beſonders kurz vor Tuͤbingen ſehr reich zu ſeyn ſcheint.

Erlauben Sie mir, daß ich von Stadt und Univer - ſitaͤt Tuͤbingen nichts ſage. Die Leute haben bekann - termaſſen eine erſtaunliche Vorliebe zu ihrem Vaterlande, und zu allen ihren Sachen, weil die Wenigſten reiſen, und die lokalen Vorurtheile ablegen. Daher kommt ih - nen oft wahre, treue Schilderung gar ſeltſam vor, oder ſie ſehens wohl gar fuͤr Laͤſterung an. Doch wiſſen die Verſtaͤndigſten wohl, an welchen Wunden man die Kur anfangen ſollte.

Eine vortrefliche Straſſe laͤuft fuͤnf Stunden lang von Tuͤbingen nach Hechingen faſt immer grade, uͤberFeld,252Feld, Wieſen, Weideplatz und Waldungen. Aber je naͤher man jenem Staͤdtchen kommt, je rauher wird die Luft, je rauher wird der Wind. Man kan auch He - chingen als den Anfang des Schwarzwaldes anſehen. Die Sprache iſt ſchlecht, aber die Leute ſind hoͤflich, wohl geſitteter, als man vermuthen ſollte: ohne Zweifel, weil ein kleiner Hof, und etwas Handel hier iſt. Gegen - waͤrtig lagen etwa 40. Mann Soldaten in Hechingen. Das Land iſt zur Jagd ſehr bequem, und der Fuͤrſt liebt ſie. Es gibt hier auch wilde Faſanen. Die Reſidenz iſt ſo bergicht, und ſo ſchlecht gepflaſtert, daß der Reiter immer fuͤr ſeines Pferdes Fuͤſſe beſorgt ſeyn muß. We - nigſtens koͤnnen ſie die Hufeiſen darin verreiſſen, oder bre - chen. Aber die Buͤrger ſind es gewohnt, und klettern ſi - cher Tag und Nacht, wie Katzen auf den ſteilen Wegen herum. Sobald der geringſte Regen faͤllt, ſo hat man in Hechingen kein gutes Waſſer meht, es wird gleich truͤbe. Ich ſah einen unvollendeten Kirchenbau, den der Fuͤrſt, die Stadt, und einige Pfleger zu gros ange - fangen haben, daher iſt der Bau jetzt ins Stecken gera - then. Der Bauſtein iſt ein weislichter Sandſtein aus lauter feinen Quarzkoͤrnern. Im Schloſſe ſind etwa vierzig Bedienten: ſo ſagte man mir, wer aber in dieſer Zahl mit begriffen iſt, oder nicht, weis ich nicht. Der Fuͤrſt haͤlt einen Kanzler, zwei Hofraͤthe, einen Gehei - menrath, der Finanzminiſter iſt, und einige Sekretaͤre. Man hatte eben am Oſtermontage, wiewohl es Feiertag war, Jahrmarkt. Dazu kamen viele Menſchen und Vieh weit her, viele Kraͤmer von Reutlingen, Ro - thenburg ꝛc. Ueberhaupt iſt hier eine ſtarke Paſſage nach Schaffhauſen und Zurzach ꝛc. Auſſer dem Schloſſe und dem Amthauſe wird man das Staͤdtchenfreilich253freilich nicht fuͤr eine Reſidenz halten. Im Schloſſe ſind die Gemaͤlde der lebenden Familie von einer Malerin in Berlin. Das Billardzimmer theilt die zwei Fluͤ - gel des Schloſſes. In der Schloskirche iſt nichts Merk - wuͤrdiges. Im Eingange des Schloſſes iſt ein wildes Schwein und ein Hirſch von ungewoͤhnlicher Groͤſſe ab - gemahlt, dergleichen hier zuweilen vorkommen. Die Unterthanen prozeſſirten aber noch vor wenigen Jahren, (vielleicht noch) mit der Herrſchaft, wegen der Jagd, die ſie nun ganz an ſich gezogen hat, und wurden daruͤber von Wuͤrtembergiſchen Exekutionstruppen gezuͤchtiget. In der Stadtkirche iſt vor dem Altare das Begraͤbnis der Fuͤrſtl. Familie. Ein ſchwerer Aufſatz von Metall, der oben mit Inſchriften und Wappen geziert iſt, muß alsdann herabgenommen werden. Nicht weit von der Stadt ſteht ein Nonnenkloſter Gnadenthal, und in der Stadt ſelber ſind Franziskaner und Kapuziner. Man ſieht wenige Rebberge, ohne Zweifel iſt die Gegend ſchon zu rauh dazu. Schoͤne, blumichte Wieſen, vortrefliche Viehheerden, ſtarke Melkkuͤhe, viel Milch, Butter, Kaͤ - ſe, Fiſche ꝛc. gibts hier. Der Handel der Hechinger mit Wacholderbeeren iſt bekannt. Zu einem Jagdhau - ſe, der Lindig genannt, fuͤhrt eine ſtundenlange Allee durch den Wald. Auch liegt nicht weit vom Stamm - ſchloſſe ein andres Sommerhaus.

Aber das Wichtigſte fuͤr den Reiſenden iſt freilich die alte Bergfeſtung Hohenzollern, das Stammhaus des groſſen Koͤnigs, den Europa bewundert. Es liegt auf einem ungemein hohen, und ziemlich ſteilen Berge. Man geht durch eine angenehme, natuͤrliche Wildnis hinauf, die dem Ermuͤdeten Ruheplaͤtze genug zur Erholung an -bietet.254bietet. Ehedeſſen war es nur eine Kirche auf dem ſoge - nannten Michelsberg. Die Kirche ſteht auch noch, iſt wenigſtens 800. Jahr alt, und wurde 1618. wieder er - neuert. Nachgehends wurde dieſes muͤhſam, aber aͤuſ - ſerſt ſtarke und maſſive Werk dazu gebaut, und Schade waͤre es, wenn dem Einſtuͤrzen dieſes ſchaͤtzbaren Denk - mals des Alterthums nicht Einhalt gethan wuͤrde. Die Feſtung hat vorne 9. Thore, die mit eiſernen Banden und Beſchlaͤgen faſt ganz uͤberzogen ſind. Gleich im Hofe ſieht man einen kupfernen Keſſel, der im Boden eingemacht, und mit einem hoͤlzernen Haͤuschen umge - ben iſt. Er iſt 30. Schuh tief, das Kupfer iſt nur, wo man ſehen kan, Fingersdick; oben iſt der Durchmeſ - ſer 10. Schuhe; am Rande ſteht: Maria Sidonia, Margaraͤfin von Baaden. Sie ſoll ihn in ihrem Wittwenſtande haben machen laſſen. Seine Beſtim - mung war zum vorraͤthigen Waſſer in Kriegszeiten. Denn nicht weit davon iſt ein Brunnen, der zwar nicht ſo tief iſt, aber doch klares und gutes Waſſer hat. Von dieſem Brunnen gingen drei Kanaͤle unter dem Boden hin nach dem Keſſel, wovon die Spuren noch ſehr ſicht - bar ſind, und dieſe Leitungen fuͤllten den kupfernen Sack in zween Tagen, wenn das Waſſer in die Kanaͤle gerich - tet wurde. Durch Huͤlfe dieſes Waſſerbehaͤltniſſes konn - te man immer vor der groͤſten Gefahr, wenigſtens fuͤr ei - nige Zeit, geſichert ſeyn, und man gab auch davon her, was zum Waſchen und Viehtraͤnken noͤthig war. Das ganze Gebaͤude ſelber iſt mit einer Mauer umgeben, wo der Vertheidigungsgang, die Schiesſcharten, und die Schilderhaͤuſer noch merklich ſind. Erſt oben ſieht man den groſſen Umfang dieſer Anlage. Unten, und von Ferne geſehen, ſcheint es nur ein kleines Landhaus zu ſeyn. Auf255Auf jener Ringmauer liegen drei kleine Stuͤcke, die zwei Pfund Eiſen ſchieſſen, und immer geladen ſind, damit ſie den Ausbruch eines Brandes der umliegenden Gegend gleich verkuͤndigen koͤnnen. Es ſteht die Jahrzahl 1579. darauf. Im Zeughauſe ſieht man ganze und halbe Panzer, Kappen, Hemden und Hoſen aus kleinen Ket - ten von Drath geflochten, Schwerdter, Standarten, Hellebarden, ꝛc. An den Panzern haͤngen noch die ſammtne Baͤnder, wodurch der eherne Ueberzug an den Gliedern befeſtigt, und gelenkſam gemacht wurde. Alle dieſe Panzer ſind ſehr dick, und man ſieht an einem Stuͤ - cke, wie wenig eine Kugel dadurch konnte. Man ſieht noch deutlich, daß an den Kuͤraſſen der Vornehmern die Schnallen und Knoͤpfe vergoldet waren. An den Sei - ten liegen noch ganze Haufen von Granaten, groſſen und kleinen Kugeln. In der hintern Ecke ſtehen zwei Lavet - ten zu den groͤſten Stuͤcken, die aber verſchwunden ſind. Pulverduͤrren, Armbruͤſte, Pfeile, Doppelhacken ꝛc. ſind auch noch da. Zwei Marſchallsſtaͤbe mit dem graͤflichen Wappen und der Jahrszahl 1598. ſind noch jetzt ſehr ſchoͤn. Unter dieſen Sachen liegen auch die Stuͤcke zu einer Geldmuͤnze, und es ſind Stempel zu Dukaten und zu Thalern da. Ferner kan man hier ein Schlos ſehen, das ſechs maſſive Vorſchlaͤge hat, die alle Ein Schluͤſſel auf einmal ſchließt. Oben haͤngt ein ausgebaͤlgtes Kalb, das vor mehr als zehn Jahren mit zwei Koͤpfen geboh - ren wurde. Von da kommt man zu Muͤhlen, die Ein Mann mit Einem Fuß treten kan. Als vor ohngefaͤhr 15. Jahren das Waſſer in dieſer Gegend ſelten war, mahl - te man wirklich hier oben auf der Feſtung. Unter dieſen ſind auch zwei Roßmuͤhlen, die durch ein gemeinſchaftli - Werk in Bewegung geſetzt werden. Neben daran iſtein256ein Gewoͤlbe, worin man Wein, Brantewein, Speck ꝛc. aufbewahrte. Man muß ſich dahin leuchten laſſen, und findet alsdann oben in der Mauer nur eine ganz klei - ne Oefnung, wo man eine ganz ungewoͤhnliche Dicke der Mauer, auf der Seite nach Hechingen, etwa zwanzig Schuhe, zwar vermuthen, aber nicht ganz ſehen kan. Auf der andern Seite iſt das Gemaͤuer etwa 11. Schuh dick. Auch kan man noch den wirklich niedlichen Back - ofen des Kommisbeckers, und neben daran ſeine beſondre Handmuͤhle zum Weitzen ſehen. Durchs ganze Schlos laufen unten Kaſematten, die freilich nicht ſo ſchoͤn ſind, als die neugebaueten, die ich auf der Feſtung Koͤnigſtein geſehen habe, aber ſie ſind doch eine eben ſo ſichre Zuflucht gegen alle Bomben. Auf dieſer Seite begegnet man auch den Gefaͤngniſſen, den Pritſchen, den eiſernen Thuͤ - ren beim Ausfall ꝛc. Auf der andern Seite iſt unter der Kirche die kuͤhle Gruft der Erbauer. Die Kirche ſelbſt hat, auſſer ihrem Alter, nichts erhebliches. Sehr deut - lich kan man noch den Platz der geweſenen Kanzlei erken - nen; darneben ſtehen unter andern Bildern und ungewiſ - ſen Inſchriften, an der Decke eines kleinen Zimmers, das vermuthlich das Archiv war, auch die ſimplen Por - traite des Stammvaters der jetztlebenden Familie, und ſeines Bruders. Dabei ſtehen folgende Worte: Bru - no, Koͤnigs Wittekind des Groſſen leiblicher Bru - der, Herzog zu Sappen und Engern, der jetztlebenden Grafen von Hohenzollern Stammvater. An der Sei - te ſteht die Jahrzahl 957. Man findet auch durch das ganze Schlos Bruchſtuͤcke von genealogiſchen Anmer - kungen, die aber oft durch den Pinſel des Maurers unle - ſerlich gemacht worden ſind. Oben iſt die Kuͤche, das rothe, oder das Kammerjungfernzimmer, Stuben fuͤrdie257die Offizianten, und Wohnzimmer fuͤr die Herrſchaft. Darneben Schlafſtuben, Kabinetter, Gewehrzimmer, und in der Ecke ein Saal von neun Kreuzſtoͤcken mit ei - nem Balkon vor dem Fenſter. Allein, alle dieſe Zimmer ſind leer, oͤde und wuͤſte. Man ſagte mir, der Fuͤrſt haͤtte ehemals jaͤhrlich fuͤr die Unterhaltung des Schloſ - ſes 6000. Gulden, und einige Wagen voll Tyroler Wein gehabt, jetzt aber habe er jaͤhrlich nur 1000. Wiener Gul - den. Die Ausſicht auf dieſem Berge iſt zum Entzuͤcken. Man ſieht uͤber viele Berge weg in entfernte Laͤnder, aber nach dem Elſaß iſt die Ausſicht durch einen waldichten Berg verdeckt. Bei hellem Wetter ſoll man, ſonderlich am Morgen, mit einem maͤſſigen Fernrohre zweihundert Oerter uͤberſchauen koͤnnen. Es iſt ſo hoch, daß man das Wehen der Luft immer recht ſtark empfindet. Wind und Donnerwetter ſollen, wie die Waͤchter erzaͤhlen, entſetzlich in dem leeren Gebaͤude raſen. Im Winter iſt die Kaͤlte ebenfalls auſſerordentlich ſtrenge. Der Berg hat einige Seiten, die wegen der jaͤhen Geſtalt, und ihrer ſchwin - delnden Hoͤhe von niemanden koͤnnen beſtiegen werden. Man ſieht noch die Straſſe, deren man ſich ehemals mit Kutſchen und Pferden bediente. Es iſt gemeiniglich nie - mand oben als einige alte abgelebte Soldaten. In die - ſem Jahrhunderte machten die Franzoſen einmal einen reichen Fiſchzug auf Zollern. Ganze Faͤſſer von Mehl, Wein, Ammunition ꝛc. wurden weggefuͤhrt, und auch aus dem Zeughauſe ward manches fortgeſchleppt. Aber ein Korps Oeſterreichiſcher Huſaren uͤberfiel ſie ploͤtzlich, und jagte ſie auch ſo in Angſt, daß ſie das Fleiſch auf dem Tiſche ſtehn lieſſen und den Ruͤckweg ſuchten. Ich verlies dieſe ſchoͤne, und nun ſo veroͤdete Hoͤhe mit dem betruͤbten Gedanken an die menſchliche Hinfaͤlligkeit, undZweiter Theil. RVer -258Veraͤnderlichkeit aller Dinge. Wo ſind die beruͤhmten Stammvaͤter dieſes Hauſes? Wo ſind die kuͤhnen Er - bauer dieſes Schloſſes? Wo ſind die ruͤſtigen Streiter, die mit Helm und Panzer, mit Lanzen und Reiſigen auszogen und ſich furchtbar machten? Wer kennt jetzt noch alle die groſſen und mit Trompetenſchall ausgerufe - nen Ritter, die im Turnier ſiegten und den Kampfpreis erfochten? Die Ewigkeit hat ſie alle verſchlungen; die Gemaͤlde verbleichen, die Steine verwittern, und die Na - men verſchwinden. Wie iſt die Geſtalt aller Dinge ſeit etlichen Jahrhunderten ſo veraͤndert worden! Deutſch - land kennt ſeine ehemaligen Soͤhne nicht mehr, und wenn ſie wiederkaͤmen, die ehrwuͤrdigen Helden, die zu Tauſenden entſchlafen ſind, wuͤrden ſie dann ihr Erbland, die Zwergennation, die unmuͤndigen Streiter, die un - baͤrtigen Ritter, und ſo viele ausgeartete Nachkommen noch erkennen koͤnnen? Zwar der koͤnigliche Urenkel derer, die dieſe Felſen auffuͤhrten, iſt der Stolz Europens! Er wuͤrde ſelbſt ſeinen grauen Vaͤtern gefallen, und er - haͤlt noch, indes ihr Geiſt bereits unter den Sternen wan - delt, deutſche Kraft unter den Deutſchen!

Von Hechingen nach Bahlingen iſt der Weg eben, und weil er meiſt zwiſchen Wieſen hingeht, ſehr ange - nehm. Koſtbare Morgen, wo ich zu Pferd, ſobald die Sonne aufgegangen war, den erſten Duft des Tages ge - noß, und den weiſen und guten Urheber der Natur in je - dem Thautropfen, der am Graſe zitterte, erblickte! In der Mitte des Wegs faͤngt ein ſchoͤnes, maͤchtiges, ſchwarz - ſchiefriges Floͤzgebuͤrge an, das weit in das Land hinein - geht. Bahlingen ſcheint beinahe eine einzige lange Gaſſe zu ſeyn, ganz von Holz, unvernuͤnftig und rechtunuͤberlegt259unuͤberlegt gebaut. Wenn einer eine Stadt in der Ab - ſicht anlegen wollte, daß das geringſte Feuer ſie einmahl ganz, wie Gera, auffreſſen ſollte, ſo koͤnnte er die Haͤu - ſer nicht enger in einander haͤngen und verſchieben. Von dem Geſtank, der mir entgegen kam, und mich verfolgte, bis ich wieder in der freien offenen Natur war, will ich gar nichts ſagen.

Von Bahlingen uͤber Schoͤmberg (ein Oeſterrei - chiſcher Ort) nach Altingen. An dieſem Theile des Landes haben wohl ſieben Herren Antheil, daher iſt die Chauſſee zuweilen gemacht, zuweilen nicht. Welch ein Weg, und welch ein ewiger Wechſel von Hoͤhen und Tie - fen das ſei, das weiß und glaubt niemand, als der, der’s ſelber erfahren hat. Alle Unbequemlichkeiten des rauhen Landes, des Schwarzwaldes und der ſteinigten Ge - buͤrge. Doch was immer fuͤr den Reiſenden das Beſte iſt, noch uͤberall gute, ehrliche, huͤlfreiche, willige Men - ſchen. Wo auch die Straſſe nur etliche hundert Schrit - te durch das Wuͤrtembergiſche geht, da iſt ſie gemacht, aber weil hier kein Sand zum Ueberfuͤhren und Ueberſchuͤt - ten der Straſſen iſt, ſo muß man auf den bloſen, klein - gehackten, ſpitzigen, vieleckigten, harten, und doch immer ausweichenden, lettigen Kalkſteinen gehen, reiten und fahren. Und doch geht hier ein ordinairer Poſtwagen von Stuttgard uͤber Engen nach Schafhauſen, und die Extrapoſt geht ſehr ſtark aus der Schweiz uͤber Al - tingen.

Altingen ſelber liegt auf einer breiten, ebenen, frucht - baren Hoͤhe, doch iſt die Gegend rauh. Man kennt hier z. B. den Weizen nicht. Nur Spelz, Korn, Haber, Kartoffeln, Wicken werden gebaut. Wein, Krapp undR 2Tobak260Tobak waͤchſt hier auch nicht mehr. Sonderbar iſt es, daß nach der Verſicherung mehrerer Leute die Gerſte hier ausraͤth. Die Altinger holen Gerſte in Rotenburg, brauen Bier daraus, und fuͤhren es nach der Schweiz, wo es theurer iſt, als Wein, und nehmen dafuͤr rothen und weiſſen Schafhauſer Wein, den ich auch hier zum erſtenmal fand. Auch iſt es ein Mangel fuͤr Altingen, daß in der ganzen Gegend kein groſſes Waſſer iſt. Faſt alle Haͤuſer ſind noch mit Schindeln von Tannenholz ge - deckt. Dieſe Daͤcher ſind nur einfach, und halten doch 60-80. Jahre, wenn man nur jede Luͤcke gleich im An - fange wieder zumacht. Sie ruͤhmen dieſe Daͤcher, weil ſie den Schnee gar gut abhalten; aber freilich bei ent - ſtandenem Feuer ſind ſie ſehr gefaͤhrlich, weil ſie ausein - ander ſpringen. Ziegel koͤnnen ſie auch nicht leicht in der Naͤhe haben, und ihre Waldungen ſind auf der Seite nach Doneſchingen zu ſehr betraͤchtlich. Die Weiber gingen hier alle, in einer Art von Uniform gekleidet, in die Kirche, ſchwarz, weiſſe Hinterklappen, rothe Struͤm - pfe und kurze Roͤcke. Das iſt eine von ihnen ſelbſt ein - gefuͤhrte Kleiderordnung. Die kurzen Roͤcke, ſagen ſie, waͤren zum Bergſteigen und Arbeiten bequemer und faſt unentbehrlich.

Von dort geht der viel beſſere und angenehmere Weg nach Duttlingen, meiſt uͤber katholiſche Doͤrfer, wo der Kapellen, Kreuze, Wallfahrten und Bettler kein En - de iſt. Immer eine angreifende Empfindung fuͤr mich, im herrlichſten, fruchtbarſten Lande ſo viele Bettler! So viel Aberglauben und Blindheit! So viel

Man iſt hier nicht weit vom Urſprung der Donau; bei Duttlingen fließt ſie vorbei, und ihr Anfang iſt6. Stun -2616. Stunden davon. Vor der Stadt iſt eine Bruͤcke daruͤber gebaut, unter welcher ſie ſchon ſehr breit und rau - ſchend vorbeifließt, weil man in der Mitte einen Abfall hineingebaut hat, wie in den Neckar vor Canſtatt. Solche Plaͤtze liebe ich ungemein; am Abend war ich beim Untergang der Sonne hier, und konnte gar nicht wegkommen. Durch wilde Waſſer aus den Bergen wird die Donau oͤfters ſo gros, daß ſie uͤbertritt, das ganze Thal einnimmt und in die Stadt kommt.

In Duttlingen iſt alles noch mehr Schwarzwaͤl - diſch, als bisher. Faſt alle Perſonen von beiderlei Ge - ſchlecht ſind ſtarke, dicke, in der Groͤſſe mittelmaͤſſige, aber runde, ſtammhafte Menſchen, mit geſundem Blut und derben Fleiſch. Man heizte noch in jedem Zimmer ein, und die Leute koͤnnen, wie alle Bauern, ſtarke Hitze ertragen. Noch war hier kein Lattich, noch war kein Ret - tich zu bekommen. Im Felde und Garten waren noch ſehr wenige Bluͤten. Am Morgen war ein ſtarker Reif und ziemlicher Froſt eingefallen. Die kleinen eßbaren Hopfen, die in unſrer Gegend ſchon lange vorbey wa - ren, und anfingen mit den Spargeln abzuwechſeln, fin - gen hier erſt an. Die Viehzucht iſt betraͤchtlich in dieſem Staͤdtchen. Ihr beſtes Brod iſt Spelzbrod. Der Karakter der Leute iſt Offenherzigkeit, Ehrlichkeit, Mun - terkeit, Luſtigkeit ohne Ausgelaſſenheit und Wildheit, ſelbſt an Feiertaͤgen!

Man ſagte mir hier den naͤchſten Weg nach Coſtanz, und ich ritt zwiſchen zwei Poſtſtraſſen, zwiſchen Engen, Stockach und Zell am Unterſee, auf einer Straſſe, die nur Fuhrleute machen, und die ich mir meiſtens mu - ſte zeigen laſſen, uͤber einige Glashuͤtten, uͤber ein ade -R 3liches262liches Landgut Rocherwieſe, nach Eicheldingen in der Grafſchaft Nellenburg. Schmal und ſteinigt iſt dieſer Weg, und geht meiſt zwiſchen Tannen - und Birkenwaͤl - dern hin. Die Stimme der Guckucke ertoͤnte von allen Seiten. Das Auge erfriſchte ſich am fruͤhen Morgen an dem herlichen Gruͤn der Thaͤler, an der waldichten Stirne der Berge, die von weitem ihr Haupt erhoben, und an den Stauden, die an der Seite des Wegs nun anfingen zu bluͤhen. Doch iſt hier auch ſo kaltes Land, daß die Schlehen, die bei uns ſchon im Maͤrz verbluͤht hatten, nun erſt ihre Knoſpen entwickelten. Achtzig - neunzig - auch hundertjaͤhrige Leute ſind in dieſen Gegenden gar nicht ſelten. Ein 68jaͤhriger Mann lief vor mir her, um mir den Weg zu zeigen, und lief uͤber eine Stunde immer ſo ſchnell, daß das Pferd ſeinen gewohnten Reit - trap fortgehen konnte.

In Eicheldingen trank ich zuerſt den Seewein, d. h. weiſſer Wein, der am Bodenſee waͤchſt, und fand da eine recht artige Nation. Katholiſch ſind ſie, aber nicht dumm und nicht plump, vielmehr recht hoͤflich und geſittet. Weil dieſer Ort nur noch wenige Stunden von Coſtanz iſt, ſo wird man hier ſchon recht gut bedient, und kan allerlei haben. Auch iſt die Sprache, die Mund - art des Landes viel verſtaͤndlicher und angenehmer, als im Herzogthume Wuͤrtemberg.

Noch lief der Weg uͤber einige Doͤrfer, Orſingen, Wallwich, Stahringen, Mardelfingen ꝛc. fort, bis ich den Bodenſee erblickte. Hier iſt meiſtens gemachte Chauſſee, und ſchon ſchweizeriſche Proſpekte. Man hoͤrt ſchon uͤberall in den Bergen und Waldungen die Floͤ - ten und Schallmeien der Hirten. Man hoͤrt ſchon uͤberalldie263die ſchallenden Glocken am Halſe der Kuͤhe. Die Hir - tenbuben fallen die Reiſenden auf allerlei Art an und bet - teln. Sie machen allerlei Kunſtſtuͤcke, ſpannen eine Schnur uͤber die Straſſe ꝛc. Bei Stahringen verlies ich die Straſſe, und lies mich, zufolge meines ſchriftlichen Wegweiſers, an Guͤntingen vorbei auf einen naͤhern Weg durch einen Wald fuͤhren. Dieſe Abweichung von der Straſſe verſchafte mir den allerangenehmſten Anblick. Ich ritt durch ein angenehmes Luſtwaͤldchen, und ſchickte meinen Fuͤhrer wieder zuruͤck. Einmal konnte ich ſchon, ehe ich aus dieſem Walde herauskam, zwiſchen zwei Berg - ſpitzen durchſchauen, und erblickte in der Entfernung ei - nen Theil vom Bodenſee. Aber noch viel uͤberraſchen - der iſt das Ende des Waldes ſelber. Ploͤtzlich hoͤren die Baͤume auf, der Weg zieht ſich krumm herum, ſie ſind auf einer Hoͤhe, ſehen hinab ins Thal, und in dieſem Thal liegt der See, der Bodenſee, den ich ſchon einige Tage ſuchte! Die Sonne ſchien eben mit ihrer ſanften Pracht in das kleine deutſche Meer; die majeſtaͤtiſchen Berge, die Staͤdte, Doͤrfer, Thuͤrme, Kloͤſter, Aeb - teien, Fiſcherhuͤtten, Gaͤrten, Inſeln ꝛc. die in und an dem See ſind, ſpiegelten ſich darin; ich ſah das Ziel meiner Wuͤnſche ſchon halb vor mir, und ſtand ſo ploͤtz - lich dabei, lange ehe ich es vermuthete. Das alles machte ſo einen ſtarken Eindruck auf mich, daß ich laut uͤber die Natur jauchzte, und im freudigen Jubel hinab zum See, zu dem ſtillen, ruhigen, vertraͤglichen See mehr flog als ritt! Da brachte mich der Weg nach Mar - delfingen, ein Dorf, das ſchon ganz am See gebaut iſt, und wo man ſogar das Ende des Sees, Zoll am Unterſee, ganz deutlich erkennen kan. Nun laͤuft die Straſſe bald naͤher, bald weiter weg vom See nach Co -R 4ſtanz264ſtanz fort. Bei Allenſpach verliert man den See aus dem Geſicht, der Weg zieht ſich mit groſſen Kruͤmmun - gen uͤber einen waldichten Berg hin. Auf dieſem liegt ein Luſtſchlos, Garten und Weinberg, Haͤgenheim, das dem Fuͤrſtbiſchoff von Coſtanz gehoͤrt, und das wegen ſeiner hohen Lage und wegen ſeiner herlichen Ausſicht uͤber den ganzen See, und ſelbſt in die jenſeitige ſchweizeriſche Seite, eins der ſchoͤnſten und anmuthigſten Landhaͤuſer ſeyn muß, die ich je geſehen habe. Sonſt ſtoſſen oft Fruchtfelder, oft aber Rebberge bis an das Ufer des Bo - denſees hin. Er wirft zuweilen hohe Wellen, aber er bleibt doch in ſeinem Bette. Sein freundliches Waſſer verheert nichts, es nuͤtzt nur.

Wurmedingen iſt der letzte Ort vor Coſtanz. Dieſe Stadt ſelber hat nun die allervortreflichſte Lage. Ganz am See gebaut, grade da, wo der Rhein aus dem Bodenſee herausgeht, alſo zum Handel auſſeror - dentlich bequem. In der Mitte zwiſchen Deutſchland, Italien, Schweiz, Tyrol. Das Auge kan nichts ſchoͤne[r]s ſehen, als den ſtillen See, wie ihn, in einer zwoͤlf Stunden langen Entfernung, die Vorgebuͤrge der Schweizeralven einſchlieſſen, und nun zu beiden Seiten deutſche, oder ſchwaͤbiſche und ſchweizeriſche Landſchaften. Von der ſchwaͤbiſchen Seite kommt man gleich uͤber die Rheinbruͤcke in die Stadt. Dieſe heiſt ſo, weil ſie uͤber den Ausfluß des Rheins gebaut iſt. Bei Rhei - neck geht er in den See, hier unter der Coſtanzer Bruͤ - cke geht er heraus, flieſt fort nach Schaffhauſen, macht bei Lauffen den Rheinfall, und geht ſo immer weiter nach Deutſchland herab.

Die Stadt Coſtanz ſelbſt iſt gros, hat viele ſchoͤne Straſſen, meiſtens ſteinerne und hohe Haͤuſer, die nichtalle265alle ſchlecht gebaut ſind, aber ſie iſt entvoͤlkert. Es werden kaum 7000. Menſchen darin ſeyn, und die Stadt koͤnnte 30000. faſſen. Es liegen nicht viel Oeſterreichi - ſche Soldaten da, die Stadt haͤlt auch eine Buͤrgerwa - che. Der an ſich ſehr kleine Hof des Biſchoffs iſt ge - woͤhnlich in Mersburg. Die geiſtliche Curia gibt in der Stadt einen Ton an, der freilich nicht jedem gefaͤllt; in der ganzen Stadt ſind gar keine Fabriken; der Religi - onshaß hindert gar manches, Freiheit und Aufmunterung fehlt, viele gute Anlagen verfallen, viele Vortheile blei - ben ungenutzt; im Volke ſcheint es, iſt etwas Kraft und Trieb; man koͤnnte Geiſt in ſie wirken; ſie klagen dem Fremden, daß ſie nicht ſind, was ſie werden koͤnnten und geweſen ſind; ſie ſehen das Beiſpiel, und das Gluͤck ihrer geſchaͤftigen Nachbarn in der Schweiz, und wuͤn - ſchen, daß es ihnen auch ſo gut wuͤrde.

Angenehm iſt es, daß man innerhalb der Stadt, und doch hinter der Stadt, ungeſehen, theils unten, theils in der Hoͤhe, auf einem bedeckten hoͤlzernen Gang um die ganze Stadt herumſpatzieren kan. Aber auch dieſen ſtil - len Gang, der fuͤr viele Menſchen ſo angenehm iſt, laͤßt man verfallen.

Der Damm, oder die Faͤhre, die Rheede des Bo - denſees, wo die Schiffe anlanden und auslaufen, ge - hoͤrt gewis zu den reizendſten Plaͤtzen, die ein Reiſender ſehen kan. Man muß das Baumhaus in Hamburg, das groſſe Schifferhaus in Rotterdam, und den Ha - fen von Amſterdam freilich vergeſſen, wenn man da ſteht; aber eben das, daß alles hier kleiner, ſtiller, ruhi - ger iſt, das war mir hier das Anziehendſte dabei. Es gehen immer nur ſehr wenige, und nur kleine Nachen daR 5aus,266aus, aber die Ausſicht uͤber den See nach der Schweiz und nach Schwaben iſt vortreflich.

Das Rathhaus iſt ſo ſchlecht gebaut, als moͤglich; iſt klein, und auſſen blau angeſtrichen.

Das ehemalige Jeſuiterkollegium iſt noch eins der beſten Gebaͤude, und zu wuͤnſchen waͤre, daß es kuͤnftig das Gebaͤude einer zahlreichen und wohleingerichteten Univerſitaͤt werden moͤge, von der nicht nur die Stadt, ſondern auch die ganze Katholiſche Kirche wahren Nutzen ziehen koͤnnte.

Das Kaufhaus oder das ehemalige Konzilium - haus, nicht weit vom Damm, und von dem Thore, wo Pabſt Johannes gefangen ſas, und entwiſchte. Unten wird nun Korn, Mehl ꝛc. verkauft. Weiter oben ſieht man die Wohnungen der Kardinaͤle; im folgenden Stock die Wohnung des Kaiſers Sigismund; neben ihm wohnte der Pabſt. Man ſieht auch noch den Saal, wo die Sitzungen gehalten worden ſind, der freilich gros, breit, und lang genug iſt, daß das Ketzergericht da ver - ſammelt werden konnte. Aus den Wohnzimmern iſt das Innere ſchon laͤngſt herausgeriſſen; es war aber auch alles nur von ſchlechtem Holz gemacht. Man ſieht oben in einer Kammer, wo die Stadt allerlei Sachen auf be - wahren laͤßt, auch noch zwei alte Stuͤhle, worauf der Kaiſer und der neue Pabſt immer neben einander geſeſſen haben. An der Eingangsthuͤre ſieht man noch den Schie - ber, oder die Oefnung, wodurch den Kardinaͤlen das Eſ - ſen gereicht wurde, als ſie hier Konklave hielten, und den Pabſt Martin V. waͤhlten. Den Coſtanzer Buͤrgern iſt dies das Wichtigſte vom ganzen Konzilium, daß inihrer267ihrer Stadt ein Pabſt erwaͤhlet worden ſei. Davon re - den ſie immer im Siegeston, und ich fragte immer weh - muͤthig und traurig: Wo hat Huß geſeſſen? Wo ward er verurtheilt? Wo verbrannt?

Die Stephanuskirche, die Paulskirche, die Franziskanerkirche, ſind alle bunt; beſonders war, wegen der Oſtertage, der Hochaltar der Franziskaner mit allen moͤglichen Farben geziert. Hie und da haͤngt ein gutes Gemaͤlde, aber es iſt alsdann gewaltig verſteckt, und verliert viel von ſeinem Werth, unter dem Wuſt von ſchlechten Sachen. Ueberhaupt ſcheint es, als thaͤ - te man in dieſer Stadt fuͤr die Kunſt gar nichts. Da muß man Coſtanz nicht mit Nuͤrnberg und Augſpurg vergleichen. Der Fanatismus iſt deſto groͤſſer. Gan - ze Schaaren von Maͤnnern und Weibern lagen in der Kirche auf ihren Knien, und kuͤßten ſehr ehrerbietig den ſteinernen Fußboden neben dem Altar.

Die Domkirche, oder das Muͤnſter von Coſtanz iſt wirklich ſchoͤn, und meiſt nach neuem Geſchmack ge - baut. Die Kirche iſt weis, ſehr hell, nicht zu gros, und doch majeſtaͤtiſch. Nicht weit vom mittlern oder Haupt - eingang ſieht man noch im Fußboden der Kirche, eine groſſe ſteinerne Platte, die faſt 12. Schuh ins Gevierte hat, und doch ein einziger Stein iſt. Es iſt zu bewun - dern, wie man dieſe groſſe Platte hereingebracht hat. Und das iſt der Stein, auf dem man dem armen Huß die Weihung genommen hat, wie der Katholick ſagt. Denn in dieſer Kirche geſchah die voͤllige Degradirung, nachdem er ſchon zum Tode beſtimmt war. Unter der Kanzel ſteht ſtatt des Fußgeſtells eine elende hoͤlzerne Mannsfigur, die ſo monſtroͤs und unfoͤrmlich gemachtiſt,268iſt, als moͤglich, und unten in den Kopf von einem Thier, das ich fuͤr einen Ziegenbock erkennen muſte, (aber es iſt mit Fleiß ſo ſchlecht als moͤglich gemacht) auslaͤuft. Der gemeine niedrigə Poͤbel ſieht das Unbild fuͤr Huſ - ſens Figur an, ſchlaͤgt ihm eiſerne Schuhnaͤgel in den Kopf, in die Augen, in die Bruſt, und ſpeit voll heili - gen Eifers die Aftergeburt des raſenden Unſinns an. Das thut der Poͤbel, aber wer ſtellte denn dieſen ſchlech - ten Fuß unter die ſchoͤne Kanzel? Ohne Abſicht geſchah das doch ſchwerlich bei der letztern Verſchoͤnerung der Kir - che? Oder, wenn das Fußgeſtelle auch alt iſt, warum wirft man nicht das ſcheusliche Denkmal der ehemaligen Blindheit weg, und laͤßt den freiern Geiſt der Chriſtus - religion, der Liebe athmet, und auf ſeinem Fittich Liebe mitbringt, ſeine Fluͤgel ausbreiten, und alles umſpannen? Im Chor dieſer Kirche, das alle moͤgliche Schoͤnheiten hat, ſtehen auſſer der Orgel, die in der Kirche iſt, noch zwei kleine Orgeln gegen einander uͤber an den Seiten. Ich ſah auch da die koſtbaren Altaͤre von Silber, die faſt ganz vergoldet ſind, und jetzt in den Feiertagen ohne Ueberzug gezeigt wurden. Ferner einige Kruzifixe und Leuchter, die einen Zentner, und gar viele, die einen hal - ben Zentner ſchwer, und ganz von Silber waren. Das ſind Stiftungen von den vorigen Biſchoͤfen. Das gan - ze Chor iſt neugemacht, und kuͤndigt ſich mit vieler Ma - jeſtaͤt an.

Das Dominikanerkloſter ſteht auf einer anmu - thigen Inſel, die der Rhein macht, hat einen huͤbſchen Garten, und nicht weit davon ſteht ein Haus mit einem Krahne, um die ankommenden Schiffe ans Land zu zie - hen. Dominikaner moͤchte ich eben nicht werden, aberda269da wohnen, da an manchem Morgen Sonne, Morgen - roͤthe, Bodenſee, Schiffe, Schwaben, Schweiz, Rhein, Berge, Schnee, Wolken, Heerden ſehen, das moͤchte ich, das ſaͤhe ich als eine groſſe Gluͤckſeligkeit im Leben an!

Das Zeughaus der Stadt hat manches Stuͤck ver - loren; doch iſt noch manches, das ich nicht erwartet haͤt - te, darinnen. Mir waren, auſſer vielen Armaturen und Panzern, folgende Stuͤcke merkwuͤrdig:

  • 1) Der Baldachin, unter welchem Kaiſer Sigis - mund beim Konzilium geſeſſen. Es iſt ein rothſeidner gebluͤmter Damaſt mit Schnuͤren und Quaſten und Trod - deln, die ebenfalls von rother Seide und Knopfmacher - arbeit ſind. Man bewahrt das hier in einer Schachtel zuſammengelegt, und bringt es nur alle zwei Jahre ein - mahl an die Luft und in die Sonne. Ein merkwuͤrdiges Stuͤck fuͤr die Geſchichte der Handwerker und Kuͤnſte. Denn man muß daran nicht nur das feſte Gewebe, die ſolide, ſtarke Arbeit, und den guten Geſchmack in der Zeichnung und im Blumenwerke bewundern; ſondern das iſt in meinen Augen noch merkwuͤrdiger, daß ſich die Farbe ſo vollkommen und ſo vortrefflich erhalten hat. Noch jetzt iſt das Zeug ſo ſchoͤn karmoiſinroth, als wenn es eben aus der Fabrik oder aus dem Laden kaͤme. Oh - ne Zweifel iſt es italiaͤniſche Arbeit, mit deutſcher oder pohlniſcher Kochenille gefaͤrbt. Und die Schnuͤre und Quaſten ſind ſo ſchoͤn, und ſo fein gedreht, ſo guſtoͤs, als wenn ſie in unſern Zeiten gemacht worden waͤren. Es ſind auch noch die Stangen da, womit der Baldachin aufgeſchlagen und unterſtuͤtzt wurde.
  • 270
  • 2) Ein Hagelgeſchuͤtz, wo 24. Geſchoſſe auf ein - mahl losgeſchoſſen werden koͤnnen, um z. B. Platz zu machen auf einer Bruͤcke. Man ſieht 36. Oefnungen in 3. Reihen, aber die unterſten 12. ſind nur blind.
  • 3) Steigbuͤgel, die ein Coſtanzer Buͤrger von ei - nem Tuͤrkiſchen Baſſa erobert, und hernach hieher ge - ſchenkt hat. Es ſind nicht nur eiſerne Staͤbe und Rin - ge, wie an unſern Steigbuͤgeln, ſondern es ſind ganze Stuͤcke, ſo ſchoͤn damaszirt, wie Degenklingen.
  • 4) Kleine Handmuͤhlen, im Nothfall.
  • 5) Schilde, wenigſtens 20. Pfund ſchwer, inwen - dig mit Leder ausgepolſtert; man ſieht den Probeſchuß darauf.
  • 6) Allerlei Arten von Patrontaſchen, welche die Alten an die Degen hingen; eine iſt ein hoͤlzernes Buͤchs - chen zu vier Patronen.
  • 7) Vierſchneidige Panzerſtecher.
  • 8) Armaturen, uͤblich in der Schwediſchen Bela - gerung; da hatte man fuͤr jede Patrone eine eigne hoͤl - zerne ovale Buͤchſe; dieſe hingen alle an Schnuͤren, ſo daß es ein gewaltiges Geklimper geweſen ſeyn muß. Und wenigſtens vier Klafter Lunten band man um den Leib. Auf dem Kaufhauſe liegen noch viele hundert Zentner Lunten, die alle durch die Erfindung und den Gebrauch der Flintenſteine uͤberfluͤſſig wurden.
  • 9) Allerlei Pulverhoͤrner.
  • 10) Drei von den Schweden bei der Belagerung vergeblich abgeſchoſſene Bomben, dergleichen auch zwei im Dom haͤngen.
Aber271

Aber Sie verlangen ohne Zweifel ſchon lange, daß ich Ihnen das erzaͤhle, was ich fuͤr die Naturgeſchichte, fuͤr die Oekonomie, fuͤr Kuͤnſte und Handwerker, fuͤr die Litteratur, fuͤr die Menſchenkenntnis wichtiges in Co - ſtanz gefunden habe. Und das will ich Ihnen nun auch ſagen.

Fuͤr die Naturgeſchichte iſt in der Stadt nichts, als Herrn Stadtamtmann Freners Sammlung. Der jetzige Beſitzer will ſie verkaufen. Sein Vater, der mehr Dilettant als Kenner war, ſammelte Naturalien, Gemaͤlde, Muͤnzen, Porzellain ꝛc. alles, was er bekom - men konnte; manches Stuͤck iſt unendlich vielmahl da; vollſtaͤndig iſt kein Fach, aber ſchoͤne Stuͤcke kommen in jeder Sammlung vor. z. B.

  • 1) Ein ganz rothes Stuͤck von einer groſſen Steck - muſchel. (Pinna L.)
  • 2) Ein ſehr wohl erhaltener Echinus mammil - laris L.
  • 3) Eine Spielart von Bulla ampulla, braun und weisgeript.
  • 4) Ein Koͤrper unter dem Namen Meermelone, den ich fuͤr eine Haarkugel halte.
  • 5) Eine Elendsklaue, blaulichtſchwarz.
  • 6) Ein ſogenannter Durchſchlechtenſtein, den ihm Geßner in Zuͤrich geſchickt hat. Durchſchlech - ten iſt ein Provinzialname fuͤr Kinderblattern. Der Stein iſt ſo gefleckt, wie das Geſicht der Kinder in jener Krankheit.
  • 7) Weiſſe Korallen. Eins der ſchoͤnſten Stuͤ - cke, die ich je von dieſer Art der Meerkoͤrper geſehen ha - be. Es iſt zwei Spannen lang, und hat viele in einan -der272der verſchlungene Zinken. Der Beſitzer ſchaͤtzt es auf 3. franz. Louisdors.
  • 8) Ein Bezoar vaccinum aus Appenzell: ſoll auf den dortigen Alpen entſtanden ſeyn; in der Mitte liegt der wahre Bezoar; es iſt eine durchgeſchnittene Kugel in einer hoͤlzernen Kapſul.
  • 9) Ein herrlicher Dendritenmarmor, von der Ge - gend unter Baaden in der Schweiz. An groſſen und ungeſchliffenen Stuͤcken ſieht man, daß die feinſten Zeich - nungen durch den ganzen Stein durchgehen. Ich er - hielt von der Guͤte des Hrn. Stadtamtmanns ein ſchoͤnes Stuͤck zum Geſchenk, auf welchem die feinſte Zeichnung nicht anders ausſieht, als wenn die Natur ſelbſt die Schweizeriſchen Gebuͤrge haͤtte malen wollen. Unten niedriges Gebuͤſche, uͤber welches hohe Tannen in die Hoͤ - he ſteigen.
  • 10) Ein ſilberner Thaler, den die Stadt noch ſchlug, als ſie noch frei war. Conſtantia 1623. ſteht darauf.
  • 11) Die drei Schweizeriſchen Bundesſtifter auf einer ſilbernen und vergoldeten Muͤnze, mit der Jahr - zahl des erſten Anfangs 1296. Auf der andern Seite ſind ſchon die Wappen der XIII Kantons.
  • 12) Ein ſilberner Nikolaus von Fluͤe: ſein Bild und die Jahrzahl des Todes 1488, nebſt allerlei Viſio - nen. Wir kennen dieſen Mann aus einem, wo ich nicht irre, nicht gar alten Stuͤck des T. Merkur’s.
  • 13) Eine goldene Muͤnze, welche die Stadt Zuͤrich auf Ulrich Zwinglis Tod ſchlug. Er ſtarb den be - kannten traurigen Tod im 45. Jahr ſeines Lebens. Die Muͤnze zeigt ſein Bildnis.

Verzeihen Sie, daß ich die Muͤnzen zu den Natu - ralien rechne. Zwar es ſind Abbildungen, es ſind Denk -male273mahle von Menſchen, und iſt nicht immer der Menſch das Vorzuͤglichſte in der Schoͤpfung?

Fuͤr die Oekonomie iſt in Coſtanz das Paradeis oder der Bruͤel ſehenswerth. So heiſt die Gegend zu - naͤchſt vor dem Thore, wodurch man auf der Schweizer Seite nach Gottleben und Schafhauſen reiſet. Auf der einen Seite hat man ſchon den See und den Rhein, auf der andern die Schweiz, in der Mitte lauft die Landſtraſſe. Das Feld iſt nun meiſtens Gartenland; einige kleine Wieſenplaͤtze liegen darzwiſchen. Hie und da ſtehen die Wohnungen der Gaͤrtner und ihrer Fami - lien. Zuweilen auch eine kleine Schenke fuͤr die Coſtan - zer, wenn ſie ſpatzieren gehen. Dann, wenn hier alles gruͤn iſt, ſieht es ſehr ſchoͤn und angenehm aus. Ei - nige Gartenplaͤtze gehen bis in den See hinein. Man ſieht immer Schiffe abgehen, und ankommen. Es iſt da - her der allgemeine Konverſationsplatz, und im Sommer die gewoͤhnliche Promenade. Die ganze Stadt, ein groſſer Theil der Schweiz, Turgau und Argau erhal - ten aus dieſem Paradies alle moͤgliche Arten von Garten - gewaͤchſen. Alle Freitage geht ein groſſes wohlbeladenes Schiff vom Paradieſe nach Schafhauſen, und alle Wochen geht ein andres, eben ſo groſſes, und ebenfalls mit allen Gattungen von Gartenkraͤutern beladenes Schiff nach Roſchach bei St. Gallen. Nur nach Roſchach verkauft man jaͤhrlich von Martini-Tage bis Konradi - Tag (vom 11 26. Nov.) blos Kappiskraut, woraus Sauerkraut gemacht wird, fuͤr mehr als 5000 Gulden allein aus dieſer Gegend. Und unter dieſer Summe iſt noch das Kappiskraut nicht begriffen, was die Gaͤrt - ner ſelber, was die Stadt, was Schwaben, Turgan ꝛc. Zweiter Theil. Sbraucht.274braucht. Aber es waͤchſt hier ſo im Ueberflus, und wird ſo ſchoͤn, daß um ſeibige Zeit alle Wochen etliche Schiffe abgehen. Die Gegend an ſich iſt nicht gros. Der Spatzierplatz nimmt einen groſſen Theil davon weg, und doch naͤhren ſich wirklich funfzig Familien, deren Namen mir ein Gaͤrtner vorſagte, von dieſer Gaͤrtnerei. Ein paar kleine Gartenfelder im Paradieſe ſind Ausſtat - tung fuͤr Kinder, die ſich heirathen wollen, und ſie hei - rathen hier mit 15. und 22. Jahren. Unter ſich machen die Paradieſer eine eigne Nation aus; ſie heirathen nicht in die Stadt, und Stadtkinder verheirathen ſich hoͤchſtſelten in das Paradies. Jene funfzig Familien machen, nach der Verſicherung des Hrn. Stadtamtmanns Freners, uͤber 400 Menſchen aus, die alle hier woh - nen und recht gut leben. Arbeitſam ſind die Leute im hoͤchſten Grad. Im Sommer gehn ſie fruͤhe, ſchon um 2. Uhr aufs Feld, bauen alles mit der Hacke, mit der Hand, nehmen ihr Eſſen und ihre Kinder mit, und kommen vor Nachts nicht zuruͤck. Gegenwaͤrtig gilt das Jauchert dieſes Feldes zwiſchen 1000 und 1500 Gulden. Wenn Kappiskraut darauf gebaut wird, ſo ſetzen ſie 4800 Stuͤck auf ein Jauchert. (Das koͤnnen wir auch an einigen Orten in der Marggrafſchaft Hachberg.) Aber freilich nutzen ſie alsdann das Feld im Jahre nur einmahl. Sonſt koͤnnen ſie das Feld gewoͤhnlich drei - mahl anblumen, oder beſaͤen. Den Duͤnger dazu kau - fen ſie zum Theil in der Stadt; doch werden ſehr viele Jauchert vom Paradies umſonſt geduͤngt, mit einem weiſſen Waſſermoos, das ſie aus dem Bodenſee mit langen Stangen, an welchen vorn eiſerne Rechen ſind, hervorziehen. Mit Erlaubnis des Oberamtmanns Rei - chenau, in deſſen Gebiet der beſte Ort dazu iſt, fiſchenſie275ſie dies Moos im Spaͤtjahr, drei Wochen, und jetzt im Fruͤhjahr erlaubt man ihnen eine Woche; ſie laſſen es erſt eine Zeitlang faulen, und fuͤhren es dann Karren - weiſe hieher. Dadurch wird zugleich der See und der Rhein gereinigt, und das Bette immer offen erhalten. Zum Spargel ſoll der Boden des Paradieſes lange nicht ſo gut ſeyn, wie die Gegend bei Ulm; aber dort waͤchſt auch, ſo viel ich weis, das Kappiskraut nicht ſo ſchoͤn, wie in Coſtanz. Der Nutzen dieſer Felder, und die Menge der Leute, die ſich hier im Sommer um des Ver - gnuͤgens willen ſammelt, iſt ſo gros, daß ein Buͤrger dem andern 60 Gulden Zins zahlte, nur um in einem kleinen Haͤuschen dieſen Sommer hindurch Wein ſchen - ken zu duͤrfen.

Auf dem gruͤnen Raſenplatze, der in der Mitte iſt, linker Hand der Straſſe, wenn man aus der Stadt kommt, da ſoll, nach der Tradition, Huſſens Schei - terhaufen geſtanden haben. Urkunden hat man nicht davon, aber in ſolchen Sachen glaub ich der Tradition. Iſt es nicht begreiflich. daß ſo ein grauſames, und die Menſchheit empoͤrendes Schauſpiel auch bei aller Verfin - ſterung der Zeiten doch immer auf viele gute Menſchen gewirkt haben muß, und daß noch lange nachher die Vaͤ - ter nie da vorbeigegangen ſind, ohne ihren Kindern von dem merkwuͤrdigen Tode der zwei beruͤhmten Maͤnner aus Boͤhmen zu erzaͤhlen? Die Reformation kam darzu, und gab dem Urtheil uͤber Huß und Hieronymus eine veraͤnderte Richtung. Die Proteſtanten in der Schweiz koͤnnen fuͤr die Erhaltung dieſer betruͤbten Merkwuͤrdigkei - ten ihrer Kirche nicht ganz unbeſorgt geweſen ſeyn. So kam die Nachricht bis auf unſre Zeiten. Eine lange ReiheS 2von276von Jahren loͤſcht das Feuer des blinden Religionseifers aus. Die Natur behauptet ihre Rechte wieder, die Menſchheit fuͤhlt einen Schauer, ſo oft man ſo etwas hoͤrt, zuletzt zeigt der Katholick den Platz ſelber, und ſchweigt mit tauber Empfindung des Unrechts, das ſeine Vorfahren einem frommen Manne anthaten. Ich weis nicht, wie mir ward, als ich auf dem Platze ſtand, wo der Trotz der Menſchen ſich neben dem Throne Gottes ei - nen Stuhl bauen. und mit Feuerflammen dem Gewiſſen Geſetze geben wollte. Man gibt es dieſer gewaltſamen Hinrichtung Schuld, daß auf dieſem Platze noch jetzt kein Gras wachſe. Aber ſo viel man ſehen kan, iſt dar - an das ewige Laufen und Spazierengehen der Leute Schuld: wiewohl mir die Coſtanzer ſelber ſagten, es kaͤme ihnen ſonderbar vor, daß die bereits vor 14. Jahren in der Ab - ſicht, Schatten zu haben, dahin gepflanzte Baͤume noch keine ſtarke Staͤmme geworden waͤren. Damals, als Huß verbrannt wurde, ſah freilich dieſe Gegend noch nicht aus, wie jetzt.

Um der Kuͤnſte und Handwerker willen muß ich Sie bitten, mit mir auf die herrliche Rheinbruͤcke zu gehen. Sie ſteht auf lauter Pfaͤlen; ſie brannte vor etwa hundert Jahren ab, da gaben die biſchoͤflichen Unterthanen das Holz dazu her, und bedungen ſich dafuͤr die Freiheit vom Bruͤckenzoll. Die Ordnung, die auf der Bruͤcke beobachtet werden muß, ſchrieb jemand mit einer Feder ſehr ſchoͤn in ein Kaͤſtchen, das auf der Bruͤcke haͤngt. Man ſollte es fuͤr geſtochen oder gedruckt halten. Der Zoll muß jaͤhrlich etwas Anſehnliches ausmachen. Ein Reiter zahlt einen Groſchen. Das Wichtigſte auf der Bruͤcke iſt die groſſe Muͤhle, die auf ihr ruht, undauf277auf ſie gebaut iſt. Sie hat 10. Gaͤnge zum Mahlen der Fruͤchte, und noch 5-6. Gaͤnge zu andern Werken. Jeder Gang hat ſein eigenes Rad; das Rad lauft zwi - ſchen zwei Gaſſen, in jeder Gaſſe ſtehn 32. Pfaͤle, und auf dieſen Pfaͤlen allen zuſammen genommen ruht das ganze Werk. Auf den Pfaͤlen liegen Schwellen, und vermittelſt dieſer Schwellen kan man die Waſſerraͤder an dicken Seilen auf - und niederwinden. Der Spielraum betraͤgt 9. Schuh. Im Sommer, wenn der Rhein ſteigt, geht man mit den Raͤdern in die Hoͤhe; im Win - ter, wenn das Waſſer klein iſt, laͤßt man ſie herab. Sie werden oft herabgelaſſen bis auf die Eisſchemel, der - gleichen oft im Winter welche geſchwommen kommen, die 40-50. Schuh lang und breit ſind. Von dieſer Einrichtung hat man ſonderlich den Vortheil, daß man zu aller Zeit, beim hoͤchſten wie beim niedrigſten Waſſer - ſtande mahlen kan. Es iſt eine Zwangsmuͤhle fuͤr die Buͤrger in Coſtanz. Man mahlt um den ſogenannten Molzer, und nur in Streitſachen wird nach dem Ge - wichte gefragt. Auſſer dem Mahlen der Fruͤchte wird auch Gerſte geroͤllt. Alles geſchieht auf Rechnung der Stadt; es iſt ein eignes Muͤhlenamt deswegen niederge - ſetzt; die Aufſicht daruͤber, was den Bau und ſeine Er - haltung betrift, hat ein Meiſter vom Handwerk; alle Mittwoche kommen die zwei Muͤhlherren, und meſſen dem Beſtaͤnder den Molzer; der Muͤller muß alle Jahre Rechnung ablegen; ſie kan in einer Woche 50-80 Vier - tel nach dem groſſen Maas, (wo beinahe 10 Seſter auf das Viertel gehen) abwerfen, im Winter aber oft nur 18-20. Viertel. Man ſieht auf der Bruͤcke einen Ort, wo das Waſſer immer kaum drittehalb Mannstiefe hat, aber auch einen, wo es 32-40. Schuhe tief iſt. InS 3manchen278manchen Jahren hat dieſe Muͤhle nach Abzug aller Un - koſten, Bedientenlohn, und Reparaturen 2000 Gulden abgeworfen. In dieſem Jahre, ſagt man mir, habe man ſchon, nur ſeit dem Neujahr, 600 Gulden uͤber den Gewinn hineinbauen muͤſſen. Man kauft dazu Ei - chen, Tannen, Buchen aus der Schweiz und aus Schwaben. Die andern Werke, die freilich nicht alle beſtaͤndig arbeiten, aber, ſobald es noͤthig iſt, mit leich - ter Muͤhe koͤnnen in Bewegung geſetzt werden, und wo - von ich die meiſten beſchaͤftigt ſah, ſind: Schleifmuͤhle, Bleicherwalke, Weisgerberwalke, Rothgerberei, Ge - wuͤrzſtampfe, Waſchmaſchinen ꝛc. Man ſchleift hier Eiſenwaaren, Aexte, Meſſer, Beile, Scheermeſſer, Degenklingen, Federmeſſer ꝛc. kurz, alles von der Art wird aus der Schweiz hieher geſchickt. Man hat viele Scheiben, damit man nach Belieben gleich eine andre einſetzen kan. Auch die Sandſteine, die man dabei braucht, kommen aus der Schweiz. In der Bleicher - walke wird das Tuch blos gewaſchen, es iſt keine eigent - liche Walke, es kommt weder Seife noch Urin dazu. Sechzehn Staͤmpfe ſchlagen in die Loͤcher. Man kan in ein Loch vier Stuͤck grobes Tuch, oder Leinwand legen, wovon jedes hundert Ellen hat. Acht bis zehn Stunden bleibt das groͤbere Zeug darin liegen. Am Rade dieſer Maſchine ſind hoͤlzerne Kuͤbel angebracht. dieſe ſchoͤpfen Waſſer, dies Waſſer fließt in eine meſſingene Roͤhre mit Hahnen, und aus dieſen Hahnen fließt immer, ſo viel als noͤthig iſt, Waſſer in die Loͤcher zu. Aber freilich ſteht im Winter dieſes Werk ſtill. In der Weisger - berwalke waͤſcht man Hoſen, Handſchuhleder ꝛc. In der Lohgerberei liefern die Gerber ſelber die Rinden von Eichen und Tannen, und laſſen ſie hier ſtampfen. Siewerden279werden ziemlich ſein geſtoſſen, es ſtaͤubt gewaltig dabei. Fuͤrs Viertel geſtampfte Rinde zahlen ſie der Muͤhle nicht mehr als 6. Pfennige. Auſſer dieſen ſind noch andere Maſchinen zum Waſchen und Reinigen da. In der Gewuͤrzſtampfe ſtoͤßt man den Tyroler Kaufleuten, oder andern Kraͤmern in der Stadt und in der Gegend, den Pfeffer, Ingwer, oder was ſie fuͤr ein Gewuͤrz ſchi - cken; es koͤnnen ſechs Stempel in drei Loͤcher fallen, in wenigen Stunden ſind fuͤr ſehr wenig Geld etliche dreiſſig Pfund geſtampft. Die Muͤhle hat ſechs Stockwerke, ohne den auſſerordentlich hohen und geraͤumigen Dachſtuhl dazu zu rechnen, und erſt ſeit 8. Jahren hat man unter dieſem Dachſtuhl eine Saͤgemuͤhle erbaut, und laͤßt das Holz auch durch das Waſſer von der Bruͤcke hinauf - ziehen. Dabei ſind noch uͤberall auſſerordentlich viele Werkſtuben fuͤr die Muͤhlaͤrzte im Sommer, und eigene im Winter. In der Wohnſtube des Muͤllers ſteht am Fenſter angeſchrieben und gemalt, daß 1684. im Februar der Rhein und der Bodenſee zugefroren geweſen ſei, ſo daß man die Voͤgel mit den Haͤnden greifen, und auf dem Eis von Ueberlingen und Mersburg heruͤber lau - fen konnte. War dieſe Muͤhle nicht der Muͤhe werth, daß ich faſt einen ganzen Vormittag damit zubrachte, ſie zu beſehen.

Die beſten und liebenswuͤrdigſten Menſchen. die ich in Coſtanz kennen gelernt habe, das ſind: Ihro Excel - lenz die Frau Geheimeraͤthin von Ramſchwag, und Hr. Baron von Reinach, Kanonikus von Coſtanz und Wuͤrzburg. Ich hatte an dieſe vornehme Perſonen Addreſſe von unſrer verehrungswuͤrdigſten Praͤſidentin, Ihro Excellenz der Frau von Hahn, nnd ich muͤßteS 4im280im hoͤchſten Grade undankbar ſeyn, wenn ich die gros - muͤthige Liebe, und die edle Denkungsart dieſer beiden vortreflichen Perſonen verſchweigen wollte. Herr von Reinach iſt ohne Zweifel einer der geſcheiteſten Maͤnner in der Stadt, frei von allen Vorurtheilen, in welchen ſonſt die meiſten in Coſtanz aufgezogen werden, aber die Klugheit befiehlt oft Stillſchweigen.

Bibliotheken ſind gar keine hier. Ein einziger Buchhaͤndler iſt in der Stadt, und der darf faſt nichts verkaufen, als die gewoͤhnlichſten Gebetbuͤcher, Quin - que vulnerum etc. Die geiſtliche Curia wird alle - mahl die Aufſicht uͤber die Buͤcher behalten, wenn auch des Kaiſers Maj. die Druck - und Leſefreiheit erweitern wird. Man hat hier Muͤhe, wenn man nur die naͤchſte gelehrte Zeitung aus Deutſchland, z. B. die Frank - furter bekommen will. Ich erfuhr von einem im Jure und Hiſt. Eccleſ. ſehr geſchickten Manne, Prof. Buͤ - zenberger, der, aller ſeiner Verdienſte ungeachtet, durch die Allgewalt der Vorurtheile ſchon oft verlaͤumdet, ge - hindert, und ſelbſt im Kabinet der verſtorbenen Kaiſerin als ein irreligieuſer und profaner Menſch, ſogar als ein Aufruͤhrer abgemalt wurde. Ach, daß es doch bald uͤberall helle werden, und die Wahrheit uͤberall ſiegen moͤchte!

Und nun erlauben Sie mir noch einige vermiſchte Anmerkungen uͤber dieſe Stadt, ſo wie ſie mir beifallen.

Es iſt ein einziges Haus, die Herren Leiner hier, die flaͤchſene Leinwand vertreiben, und auch in Genna eine Niederlage haben. Sie kaufen den Flachs, laſſen ihn in der Schweiz ſpinnen, weben, und am Boden - ſee bleichen.

Eine281

Eine erſtaunende und uͤberfluͤſſige Menge von Hun - den gibts in der Stadt. Wo man an einem Hauſe an - klopft, wird man angebellt. Beſonders lauſen die Geiſt - lichen damit. Mancher fuͤhrt gar zwei groſſe Hunde mit ſich, und weis im Wirthshauſe gar viel von ihren Kuͤn - ſten zu erzaͤhlen.

Zwiſchen Coſtanz und Zurzach gehen immer Tyro - ler und italieniſche Kaufleute hin und her.

Von der natuͤrlichen Beſchaffenheit des Bodenſees ſelber kan ich Ihnen nicht viel ſagen. Ich erfuhr wenig, weil hier niemand auf ſolche Dinge achtet. Es ſind Fo - rellen, Karpfen, Krebſe darin; bei Gottleben faͤngt man auch Aale, aber es iſt auch hier, wie uͤberall: man faͤngt den Fiſch zur Laichzeit.

Fuͤr die wahre Kunſt der Alten ſelbſt hat man hier oft nicht Achtung genug. Im Muͤnſter, oder im Chor der Domkirche fand ich, daß man die ſchoͤnen Holzſchnitzereien mit weisgelber Oelfarbe uͤberfirnißt hatte.

In der Stadt zirkulirt das deutſche Reichs - oder Konventionsgeld, und vom Schweizeriſchen Gelde ſieht man meiſtens St. Galler Geld, weil die Stadt viel mit St. Gallen handelt.

Ihr Salz bekommt die Stadt aus Hall in Tyrol uͤber Bregenz am Bodenſee.

Der meiſte Handel der Stadt iſt mit ihren Garten - kraͤutern und mit ihrem Wein; beides geht nach Argau, Turgau, Schwaben ꝛc.

Wenn auch der Fuͤrſtbiſchoff hier iſt, wie er ge - genwaͤrtig war. ſo kommt doch von den Adelichen in der Stadt niemand zur Cour, als der, dem ſie angeſagtS 5wird.282wird. Auch ſpeiſen nicht alle bei Hofe, ſondern nur die, welche beſonders gebeten werden. Er hat einen Mar - ſchall und zwei Kavaliers, die gewoͤhnlich am Hofe ſind. Einige Stellen ſind wirklich unbeſetzt. Seine Reſidenz in Mersburg, wo er auch ſeinen Kanzler hat, ſoll ſehr ſchoͤn ſeyn. Er ſelber traͤgt das Groskreuz von Mal - tha.

In den landuͤblichen Kalendern ſtehen die der Geiſt - lichkeit in dieſen Laͤndern angewieſene und vorgeſchriebene Betſtunden fuͤr das ganze Jahr, fuͤr Tag und Nacht in einer Tabelle verzeichnet. Was muß das fuͤr Begriffe unter den gemeinen Mann pflanzen, oder vielmehr un - terhalten? Heißt das nicht, das opus operatum pre - digen?

In dieſen Oſtertagen ward uͤberall ſtark getanzt, und die Leute, beſonders die Maͤdchen, ſagten, ſie haͤt - ten auch in der Faſtenzeit dies Vergnuͤgen ſo lange ent - behren muͤſſen.

Zu meinem Erſtaunen verkaufte man noch das ſchoͤn - ſte Obſt hier, das vortreflich erhalten war. Bergamot - ten und Borsdorfer ſahen ſo ſchoͤn aus, als wenn ſie erſt vor einem Monate vom Baume genommen worden waͤ - ren. Ich konnte nicht erfahren, wie das Obſt hier ſo ſchoͤn erhalten wird, als daß es aus der Schweiz hieher gebracht, und gar wohlfeil verkauft wird.

Vor dem Kreuzlinger Thore der Stadt Coſtanz faͤngt gleich das Schweizeriſche Gebiet an. Das befoͤr - dert ſehr das Ausreiſſen der Oeſterreichiſchen Soldaten, wenn ſie von ihren Offizieren ſtreng gehalten werden, wie ſich der Fall ereignete, als ich eben nicht weit vom Thore war, und durch den Laͤrm aufmerkſam gemacht wurde. Der283Der Deſerteur lief vom Poſten in das Schweizeriſche Ge - biet. Man ſchoß nach ihm, traf ihn aber nicht, und er war frei. Zwei Offiziere gingen zu ihm, ſie konnten ihn aber nicht wieder zuruͤckbringen.

An einem Hauſe, nahe bei dieſem Thore, ſieht man auch noch einen in Stein ausgehauenen Kopf von Jo - hann Huß, weil man den verfolgten Mann in dieſem Hauſe wieder ergriff, als er aus ſeinem Gefaͤngnis ent - ſprungen war. Hier ſoll er zum letztenmale, als Prie - ſter der katholiſchen Kirche, die Hoſtie konſekrirt haben. Da ergriff ihn die Tygerklaue der Verfolgung wieder, und ſchleppte das ſchuldloſe Lamm nach der Feſtung Gottle - ben, wo er, wie die Geſchichte ſagt, grauſam behandelt wurde.

Der Kaiſer haͤlt hier einen Stadthauptmann, den aber die Stadt bezahlen muß.

Das Gaſſenbetteln iſt unendlich arg, wegen der ſchlaͤfrigen Polizei, wegen der vielen Kloͤſter, und wegen der Lage der Stadt an der Grenze von zwei Laͤndern. Wird in Schwaben, wie oft geſchieht, geſtreift, ſo laͤuft das ſchlechte Geſindel nach der Schweiz und bleibt im Durchgehen hier liegen.

Auch gemeinern Leuten muß ich’s zum Lobe nachſa - gen: Sie geben ſich alle Muͤhe, den Fremden zu unter - halten. Den Vernuͤnftigen thut der Verfall der Stadt wehe.

Es iſt wohl noch eine Folge der ehemaligen Reichs - ſtaͤdtiſchen Verfaſſung, daß die Leute hier mit groſſen Titeln ſehr freigebig ſind.

Niemand ſagt hier Coſtnitz, durchgaͤngig redet man von Coſtanz. Es heiſſen auch viele Leute Conſtantin.

Man284

Man behauptet, daß nach der Waſſerwaage die Rheinbruͤcke bei Coſtanz eben die Hoͤhe habe, welche die Wuͤrtembergiſche Feſtung Hohentwiel hat. So viel ſah ich, daß von Aicheldingen an, wo man das Bergſchlos Twiel gegenuͤber zum erſtenmal ſieht, das Land immer hoͤher und bergan geht.

Auch noch am letzten Abend machte ich mir das Ver - gnuͤgen, das Sinken der Sonne, und den kommenden Abend auf der Bruͤcke uͤber dem ſtillen See anzuſehen und zu bewundern. Keine Sprache erreicht die praͤchtige Feier der Natur, und keine menſchliche Kunſt kan ein aͤhnliches Schauſpiel darſtellen. Noch waren die aͤuſſer - ſten Schweizergebirge oben mit Schnee bedeckt. In der Mitte waren ſie blau, und unten ſchon gruͤn. Je weiter der Sommer kommt, deſto gruͤner werden ſie. Zuletzt bleibt auf ihnen nicht ſo viel Schnee liegen, als man auf einmal ſehen konnte. Ehe die Bruͤcke geſchloſ - ſen ward, ging ich noch einmal hin, und nahm mit ſtil - len Empfindungen Abſchied von dem ſchoͤnen See, den eben ein purpurrother Kranz der untergehenden Sonne umgab. Es war nicht anders, als wenn man einen feuerrothen Guͤrtel, ein flammendes Band um den See gezogen haͤtte.

Von Coſtanz nach Schafhauſen geht der Weg meiſtens am Rhein hinab, wo zuweilen ganz vortrefliche Landſchaften vorkommen. In den Doͤrfern ſieht man uͤberall Faͤhren, Schiffe, Tonnen ꝛc. Die Schweizer ſchaͤtzen die Entfernung nur auf 8-9. Stunden, aber es ſind 12. von den gewoͤhnlichen. Erſt reiſet man durch das Paradies, an der Feſtung Gottleben vorbei, wo Huß gefangen ſas; hernach durch ein groſſes Dorf Gott -leben,285leben, durch Ermatingen, das Staͤdtchen Steckborn, den Flecken Steinen, und das Staͤdtchen Dieſſen - hofen.

Auf dieſem Wege ſah ich eine ſchoͤne, mir ganz neue Spielart von Tauben, ganz weis mit ſchwarzem Schwanze.

Das Feld iſt meiſtens ſchwerer Boden. Sie ſpan - nen ſechs Stuͤcke Rindvieh vor jeden Pflug. Sie ziehen aber nicht am Joch, ſondern an Stricken, die uͤber die Bruſt und den Ruͤcken hingehn, alſo auch nicht an den Hoͤrnern.

In Steinen iſt eine hoͤlzerne Bruͤcke uͤber den Rhein, und auf dem Berge jenſeit des Stroms ſtehen etliche Haͤuſer fuͤr die Hohewacht. Da ſitzt naͤmlich immer ein Waͤchter oben, der durch einen rothen Laden nach allen Straſſen ſehen kan. Er ſchießt mit Doppel - haken und Stuͤcken, wenn er 6. Reiter beiſammen, oder eine Chaiſe mit 4. Pferden von Ferne kommen ſieht. Ich vermuthete, das geſchaͤhe deswegen, damit man einan - der in den ſchmalen Wegen begegnete. Wenn Sie aber die Leute in dem Staͤdtchen fragen, ſo ſagen ſie Ihnen in ihrer groben Sprache: Nein, es ſei nur ein alter Brauch, den man nicht wollte abkommen laſſen.

Denn wahr fand ich es gleich beim Eintritt in die ei - gentliche Schweiz, was man mir vorher geſagt hatte. Der vornehme und der reiche Schweizer iſt ſtolz und grob, und das gemeine Volk iſt aͤuſſerſt vernachlaͤſſigt, ſteckt in tiefer Unwiſſenheit, hat gemeiniglich gar keine Sitten, ſchimpft gleich, ſetzt ſeine Ehre und Freiheit im - mer oben an, begegnet dem Fremden kalt, iſt gar nichtdie286die Nation, wie man ſie etwa auf den hoͤchſten Alpen, und in den innerſten Thaͤlern finden moͤchte.

Man hatte noch vor vielen Fenſtern die aͤuſſern, oder doppelten Fenſter vom Winter her, weil von der ploͤtz - lichen Hitze und ploͤtzlichen Kaͤlte oft Winde entſtehen, die alles durchfahren.

Viele Papil. Rhamni frangulae L. flogen in die - ſen heiſſen Thaͤlern vor mir her.

In manchem groſſen Orte iſt nur ein Roͤhrbrun - nen. Man kan oft kein anderes Trinkwaſſer haben, als das, was ausm Rhein geſchoͤpft wird. Sollten Sie das zwiſchen den Bergen und Thaͤlern der Schweiz vermuthen? Das Rheinwaſſer kuͤhlt den Durſt nicht, iſt hier noch ſehr hart, rauh, voll Unreinigkeiten, und ſchwimmt voll feiner duͤnner Moosfaͤden, die gleich beim erſten Anblicke alle Luſt benehmen.

Deſto koͤſtlicher dagegen iſt die Milch mit der Sah - ne, die man aber doch auch nicht zu allen Stunden des Tags, und in allen Haͤuſern haben kan. Wenn man ſaure Milch haben will, ſo muß man dicke Milch ſa - gen, um verſtanden zu werden.

Von der Hitze der Berge ſehen die Eewachſene meiſt ſehr haͤßlich aus, und faſt alle Kinder ſind ſo unnatuͤr - lich roth im Geſicht, als wenn ſie mit Mennig uͤberſtri - chen waͤren.

Im Staͤdtchen Dieſſenhofen, 2. ſtarke Stunden von Schafhauſen, geht eine hoͤlzerne bedeckte Bruͤcke uͤber den Rhein, und uͤber dieſe laͤuft der Weg fort auf der andern Seite. Man muß den Schweizern nach -ſagen,287ſagen, daß ſie das Bruͤckenbauen verſtehen. Die Noth zwingt ſie, ſich auf dieſe Kunſt zu legen.

Schafhauſen an ſich iſt eine alte ſchlechtgebaute, meiſt enge und bergigte Stadt. Der Ton, der unter den Buͤrgern herrſcht, iſt erbaͤrmlich. Der dumme Stolz ſitzt den meiſten Schweizerbuͤrgern auf der Stirne. Nach aͤuſſrer Kultur und Politur, nach feinen Sitten und gu - ter Lebensart, nach einem gewiſſen Maas von allgemein verbreiteter Aufklaͤrung und Wiſſenſchaft muͤſſen Sie in Schafhauſen nicht fragen. Der Fremde iſt der Erſte, dem ſie es zum Vorwurf machen, daß er ein Fremder ſei, und erſt jetzt, wie ſie ſagen, in ihr Land geſchmeckt habe. Mir geſchah nichts Unangenehmes, aber ich ſah wohl die Denkungsart der Leute und hoͤrte manches erzaͤh - len, woraus ich mir gleich den Geiſt des Volks abſtra - hiren konnte. Indeſſen iſt Schafhauſen eine reiche Stadt. Die Buͤrger haben Geld, und das iſt es eben, worauf ſie trotzen. Alles handelt hier; es ſind Kattun - fabriken, ſeidene Struͤmpf - und Schnupftuͤcherfabriken da; noch mehr aber leben ſie davon, daß wegen den Faͤl - len, die der Rhein hier macht, alles was auf dem Stro - me von Bregenz, Coſtanz ꝛc. herabkommt, vor der Stadt ausgeladen, und auf der Achſe bis unter Lauffen gefuͤhrt werden muß. Damit beſchaͤftigt ſich dann ein groſſer Theil der Schafhaͤuſer Buͤrger. Ferner duͤrfen auch alle andere Guͤter, die irgend woher nach der Schweizer Grenze kommen, und in das Innre des Landes gehen ſollen, von keinen andern Fuhrleuten, als von Schafhaͤuſern gefuͤhrt werden. Hier muͤſſen ſelbſt Boͤhmiſche Fuhrleute abladen, und umkehren. Sie duͤrfen nicht weiter, und wenn ſie keine Fracht zur Ruͤck -kehr288kehr bekommen, muͤſſen ſie leer zuruͤckgehen. Und wenn auch die Waaren unterhalb Lauffen wieder auf dem Rhein fortgehen, ſo darf ſie doch niemand unter den Rheinfall fuͤhren, als ein Schafhaͤuſer Fuhrmann. Daher nennt man dieſe Stadt den Schluͤſſel zum ganzen Schweizeriſchen Handel.

Der Rhein treibt nahe an der Stadt, da wo man nach Lauffen geht, in der Seyleriſchen Zitzfabrike, die Mange, wo die Zitze und Kattune geglaͤttet werden. Es ſind dazu 4. Stangen. Unten werden groſſe Brocken Achate eingeſetzt. die ſie aus Italien erhalten. Man ſagte mir, ſie koͤnnten keine Mangeglaͤſer brauchen, weil ſie leicht ſpringen. Dieſe 4. Stangen koͤnnen taͤglich 100. Stuͤcke mangen, wovon jedes 30. Ellen hat. Man ſieht hier die vielen ſchoͤnen bunten, und immer abwechſelnden Zitze entſtehen, die hernach auf der Zurzacher, Baſe - ler, Frankfurter Meſſe in alle Welt gehen. Sie faͤrb - ten mit dem Krapp, den wir hier in Carlsruhe bauen, und den Schweizern verkaufen. Den Glanz giebt man dem Stuͤcke mit weiſſem Wachs, das aus Italien kommt. Es bedarf keiner Erinnerung, daß ich Fa - brikanten angetroffen habe, die in der Auswelt und auf Reiſen gelernt haben, den Schweizerſtolz mit guter Le - bensart zu vertauſchen.

So wie ſie ihr Wachs kaufen, ſo kommt auch alle Seide, die hier zu Tuͤchern und Struͤmpfen verarbeitet wird, aus Italien, und zwar bekommen ſie dieſelbe ſehr wohlfeil. Einer ſagt es dem andern nach, daß die Maulbeerbaͤume in der Schweiz nicht fortkaͤmen. Sagt man ihnen nun, daß dies auf Verſuche ankaͤme, daß Triewald dieſe Baͤume in Schweden einheimiſch ge -macht289macht habe, daß ſich jede Pflanze nach und nach natura - liſire, und an Klima, Boden, Luft und Witterung, gleich den auswaͤrtigen Thieren, gleich den Menſchen ſel - ber gewoͤhne, ſo haben die Schweizer dafuͤr keinen Sinn. Es ſind groͤſtentheils ſchwerfaͤllige Leute, die nichts wiſſen wollen. Weil ſie einmal von Jugend auf gehoͤrt haben, daß man dies und jenes fuͤr Geld hier oder dort haben koͤnne, ſo ſcharren ſie nun nur Geld zuſam - men, und ſehen gar nicht uͤber ihre Gebuͤrge weg. Weit ſteht das Volk unter der geſchaͤftigen, regſamen Nation der Deutſchen, und was noch gut an ihnen war, wird durch die Miſchung mit Franzoͤſiſchem Tand nun vollends verdorben.

Bei einem Rathsherrn Deggeler ſah ich eine kleine Sammlung von raren Erzſtuffen: doch waren es mehr Auslaͤndiſche, Saͤchſiſche ꝛc. dergleichen ich oft geſehen hatte, als Einheimiſche, die ich hier ſuchte. Ich habe aus ſeiner guͤtigen Hand ein Stuͤck Schwefelerz aus dem Lande Wallis erhalten, und bewahre das, als ein Andenken an Schafhauſen in meiner Sammlung. Die beiden Herren Ammann beſitzen ein reiches und ſchoͤnes Kabinet, das ich ohne Zweifel durch die Addreſſe eines alten Freundes von ihnen wuͤrde geſehen haben, wenn nicht in der Stunde, da ich meine Empfehlung hinſchick - te, die langwierige Krankheit eines der Beſitzer ſo eine ſchlimme Wendung genommen haͤtte, daß das ganze Haus ſeinen Tod erwarten muſte, der nun, da ich dies ſchreibe, ohne Zweifel ſchon lange erfolgt iſt.

Auf der andern Seite der Stadt ſieht man ein Mu - ſter von einer ſchoͤnen Bruͤcke uͤber den Rhein. Sie iſt von Holz, ein Sprengwerk, hat nur 2. Schwibbogen,Zweiter Theil. Tder290der Name des Baumeiſters iſt mir entfallen, man kan in das Innre der Bruͤcke hineingehen, und ſich den Me - chanismus zeigen laſſen, und um ihrer billigen Schonung willen iſt es ſcharf verboten, mit mehr als 40. Zentnern von Waaren uͤberzufahren.

Doch nun eilen Sie mit mir zum Rheinfall hinaus. Das iſt und bleibt denn doch das Wichtigſte in dieſer gan - zen Gegend. Gleich vor der Stadt Schafhauſen hat der Strom einen kleinen Fall, der von verborgenen und zum Theil ſichtbaren Klippen entſteht, wobei der Schaum und das ſtuͤrzende Waſſer, wiewohl es gar keine betraͤcht - liche Hoͤhe iſt, ſchon ſehr viele ſchoͤne Farben wirft im Sonnenſchein. Um der Muͤhlen - und Fabrikenraͤder willen, die er dort treibt, hat man noch eigene kleine Mauern in den Strom hineingebaut. Lauffen ſelber iſt ein kleiner Flecken, eine kleine Stunde nach deutſchem Maas von Schafhauſen weg; da fließt der Rhein mit vielen Kruͤmmungen hin, der Reiſende geht uͤber frucht - bare und unfruchtbare Berge dahin, und nur eine kleine Viertelſtunde auſſerhalb Lauffen ſtuͤrzt ſich der Rhein uͤber hohe Klippen herab, und macht den bekannten groſ - ſen Fall. Man hoͤrt ſchon auf der Haͤlfte des Wegs das Getoͤſe, wie von vielen ſtark laufenden Muͤhlen. In der Nacht kan man ihn, je nachdem der Wind weht, zu - weilen nicht weit vom Schafhaͤuſer Thor, alſo eine Stunde weit, hoͤren. Die obere Flaͤche, von welcher der Strom herabfaͤllt, iſt gewis 200. Schritte breit, und die untre, da wo der ruhige Fluß wieder anfaͤngt, unge - faͤhr 500. Zu beiden Seiten ſtehen Berge, zwiſchen dieſen arbeitet ſich der Strom durch. Auf dieſen Ber - gen, die nicht ſehr hoch ſind, ſteht linker Hand noch einDrathzug,291Drathzug, den der Rhein im Fall treiben muß. Auf der rechten Seite ſteht ein Schlos, das in das Zuͤricher Gebiet gehoͤrt und bewohnt wird. Man ſollte denken, von dieſem Schloſſe oben herabgeſehen; muͤſte der Fall noch ſchoͤner ſeyn, aber man irrt. Man kan ihn oben nicht ganz ſehen, und ſich endlich in die Mitte, der gan - zen Majeſtaͤt der Natur grade gegenuͤber ſtellen. Ei - gentlich ſind vier Faͤlle nebeneinander, der fuͤnfte kleinere iſt um des Drathzugs willen gemacht. Daß unter dem Waſſer viele ſchreckliche Klippen, viele zackichte Spitzen ſeyn muͤſſen, iſt augenſcheinlich. Man ſieht aber nur noch eine groſſe Felſenſpitze, die zwiſchen dem zweiten und dritten Fall hoch in die Hoͤhe ſteht, auſſen mit Moos be - wachſen iſt, durch die Laͤnge der Zeit von dem unaufhoͤr - lichen Anſchlagen des Waſſe[r]s ſchon ein groſſes Loch in der Mitte bekommen hat, wodurch man gar deutlich ſe - hen kan, und die wahrſcheinlich einſt gar nicht mehr vor - handen ſeyn wird. Der Strom wird mit ſeiner ganzen Gewalt ſo lange an ſie anſtoſſen, bis er ſie endlich ausge - freſſen und umgeworfen hat, ſo wie vermuthlich ſchon vie - le Felsklippen hier durch die Wuth der Wellen zerſtoͤrt worden ſind. Indem nun das Waſſer auf die Hoͤhe koͤmmt und herabfaͤllt, wird der ganze Strom in Schaum verwandelt. Ich wuͤſte nicht, wie ich Ihnen kuͤrzer die ganze Sache beſchreiben ſollte. Der ganze Rheinſtrom wird Schaum, ſobald er dies Felſenbette erreicht hat. Man ſieht nichts als ein Meer von der allerreinſten Milch. Man glaubt in einen unaufhoͤrlich ſiedenden Keſſel von Milch zu ſchauen. Dabei iſt das zartaufſtaͤubende Waſ - ſer, das wie der allerfeinſte, duͤnnſte Rauch in die Hoͤhe geworfen wird, und gen Himmel fliegt, ein unbeſchreib - lich ſchoͤner Anblick. Je laͤnger man hinſieht, deſtoT 2maͤch -292maͤchtiger, deſto tobender, ſo glaubt man, werde das Sprudeln und Brauſen des hier gleichſam noch jungen Stroms, und das iſt doch nur Betrug der Augen. Nur bei ſehr groſſem Waſſer merkt man eine betraͤchtliche Ver - ſtaͤrkung des Getoͤſes. An jedem hervorſtehenden Zacken faͤhrt das Waſſer ſchrecklich in die Hoͤhe, bricht ſich, und faͤhrt in ſich ſelber zuſammen. Es iſt nicht anders, als wenn das ſtuͤrzende Waſſer an hundert tauſend Orten auf - kochte, und mit groſſen Wallungen emporſieden wollte. Scheint die Sonne in den kochenden Berg, in das Meer von Schaum, ſo iſt nicht Einer, ſo iſt ein tauſendfaͤltiger Regenbogen um den ganzen Fall, jeder Tropfen ſtellt ei - nen Spiegel vor, die Bogen durchkreuzen ſich, ſie laufen und ſchneiden in einander, flieſſen zuſammen und glaͤnzen ſtaͤrker, theilen ſich, und werden ſchoͤner da entſteht eine Farbenpracht, die keine menſchliche Sprache beſchrei - ben kan. Allen guten und empfindenden Menſchen wuͤn - ſche ich ſo einen ſchoͤnen, und unter dem reinſten Vergnuͤ - gen zugebrachten Nachmittag. Es ſchwebte eben ein groſſer Schweizeriſcher Geier uͤber den Fall, und ſtieg, als wenn er dem Werke der Natur eben ſo erſtaunt, wie ich, zuſaͤhe, immer hoͤher und hoͤher. Man kan ſich auch ſchon laben, wenn man mit dem Geſicht unten am Becken, oder am Fuß des Falls eine Zeitlang verweilt, wo das Waſſer wieder zu ſeinem waagerechten Stande gekommen iſt. Denn da ſchwimmt der liebliche Schaum noch in unzaͤhligen Streifen, in langen milchweiſſen Straſ - ſen gar angenehm fort, bildet tauſend ſchoͤne Farben, miſcht ſich langſam, verliert ſich in die kleinſte Troͤpfchen, und geht unmerklich wieder in gruͤnlichtes Waſſer uͤber. Um dem majeſtaͤtiſchen Falle ſo nahe zu ſeyn, als moͤg - lich, trat ich in einen Fiſcherkahn, und fuhr uͤber denStrom293Strom hinuͤber. Als das Boot lange genug hinabgeru - dert war, um hernach in die Diagonale zu kommen, zog das Waſſer wenige Ruthen von der Tiefe des Falls den Kahn auſſerordentlich ſchnell und heftig hinuͤber. Da ſtieg ich, und ein gefaͤlliger Fremder, den ich in Schaf - hauſen kennen lernte, aus, und wir gingen an dem Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man uͤber Terraſſen herab, da iſt ein kleines hoͤlzernes Haͤuschen an der Felſenwand gebaut, in dieſes tritt man hinein, und iſt alsdann dem Sturze des Stroms ſo nahe, als man ohne Gefahr kommen kan. Und hier verſteht einer des andern Worte nicht mehr So rauſchts, ſo laͤrmts, ſo ſchlaͤgts und donnerts hier! Man meint, mit einem ewigen, unaufhoͤrlichen, tauſendmal wiederhallenden Donnerwetter umgeben zu ſeyn. Man glaubt, in eine groſſe und breite Straſſe von Milch hinab zu ſehen, die ſich aus unerſchoͤpflichen Abgruͤnden immer mehr und mehr ergießt. Da kan man die Millionen einzelner Pa - rabeln von Waſſer, die auf - und unter einander entſtehen, und im Augenblick, weggedraͤngt von andern Millionen aufſpringender Waſſerſaͤulen, in einander flieſſen, ſelbſt Schaum ſind und Schaum bleiben, bis ſie die Felſenbahn hinabgeraſt ſind, unterſcheiden. Aber unmoͤglich iſt’s auch hier, den feinen Waſſerſtaub genauer zu bemerken. Man ſieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er ſteigt gleich duͤnnen Wolken in die Hoͤhe, und Wolken auf Wolken; der Wind faßt ihn, traͤgt ihn davon, und em - pfaͤngt gleich wieder neuaufgeſtaͤubtes Waſſer, aber der feinſte Puder iſt grober Sand gegen dieſe aͤuſſerſt ſubtili - ſirte Waſſerkuͤgelchen. Dies alles zuſammengenommen begeiſterte mich und meinen Gefaͤhrten. Wir wagten etwas, das ich nicht zur Nachahmung hieher ſchreibe,T 3etwas,294etwas, das wir allerdings im jugendlichen Feuer nicht ge - nug bedachten, das wir nachher beinahe bereueten, das ich wenigſtens jetzt, da ich mit kuͤhlerm Blute daran den - ke, ſchwerlich wieder thun wuͤrde. Ich hatte Luſt, an der Felſenwand noch hoͤher hinauf zu klettern, und von oben herab in den ſtuͤrzenden Strom zu ſchauen. Das Haͤuschen iſt durch hoͤlzerne Stangen, die an den Klippen zur Seite hinauflaufen, an der Wand des Berges befe - ſtigt. Der Bediente muſte unſre beide Huͤte unten hal - ten, weil ſie ſonſt der oben heftig wehende Wind davon gefuͤhrt haͤtte. Ob er uns nicht auch nehmen wuͤrde, daran dachten wir nicht. Auch fiel’s weder mir noch meinem Freunde ein, wie wir wieder herabkommen wuͤr - den. Voll Muth und raſcher Entſchloſſenheit kletterten wir an den ſchmalen hoͤlzernen Stangen, hart neben dem Sturz, noch etwa 100. Schuhe hoͤher hinauf, und ſahen nun von oben immer deutlicher in den beſonders maͤchti - gen erſten Wirbel, und erblickten da, was wir unten nicht ſehen, nur vermuthen konnten, viele Felſenzacken, an welchen das Waſſer ſchrecklich anprellt, und ſich uͤber das Gewinde von Klippen hinuͤber arbeiten muß. Ich kan Ihnen aber wieder nichts beſſres ſagen, als: Stellen Sie ſich einen wellenwerfenden Ocean von ſiedender und ſchaͤumender Milch vor. Die Luft wehte hier oben ſo ſtark, und unſre Grundflaͤche, die wir uns ſehr breit vor - geſtellt hatten, war ſo ſchmal, daß wir einander beim Ueberbuͤcken und Hinabſehen abwechſeln, und einer den andern halten muſte. Aber als ich hinab ſah in die groſſe Szene der Natur, da nahm ſie mir alle Sprache. Ich konnte nicht mehr jauchzen, nicht mehr Jubel und hohen Jubel rufen, alle Sinnen vergingen, und alle Ge - danken ſchwanden. Ganz deutlich weis ich mich nochder295der Minuten zu erinnern, wo ich wirklich nichts mehr ſah und hoͤrte, alles Selbſtgefuͤhl verlor, und nur ſchwebend uͤber dem prachtvollen Abgrunde hing. Ich bilde mir ein, als ich wieder aufſah, ich hatte die Natur in ihrer Geburtsſtunde angetroffen. So mag etwa Erde und Meer gebrauſt, getobt, gewuͤthet haben, als die gebaͤh - rende Natur den Rhein und den Savannah aus ih - rem allmaͤchtigen Becken ausgoß, und ihnen dieſe Riegel, dieſe Daͤmme, dieſe Felſenwaͤnde entgegenpflanzte!

Die Fiſche kommen ſelten ſo weit, was aber daher koͤmmt, wird unaufhaltſam fortgeriſſen. Darneben iſt ein Forellenfang angelegt. Auch von Sand, Schlamm, Kies ꝛc. ſieht man nichts in der Menge von Schaum.

Die Ruͤckreiſe nahm ich uͤber die Rheiniſchen Wald - ſtaͤtte, uͤber Lauchingen, Thuͤngen, Waldshut, Lauffenburg, Seckingen und Rheinfelden. Eine herrliche Straſſe; oft lange hart am Rhein hin, oft weit davon, aber alsdann zieht ſie ſich durch die ſchoͤnſten Felder, und uͤber kleine zu beiden Seiten mit Oertern be - ſetzte Berge. Man ſtuͤrzte eben die Brachfelder, und hatte oft 6. Pferde, oft 6. Ochſen, hintereinander geſpannt am Pfluge. In die Huͤgel ſaͤen ſie Klee. Das Joch der Ochſen iſt nur ein leichter uͤber den Nacken gebogener Bengel zur Befeſtigung der Stricke. Der bluͤhende Rebs verſchoͤnerte ganze Fluren. Ueberall fand ich auf dieſer Straſſe Baadenſchen Wein, koͤſtlichen Luzerner Kaͤſe und herrliche Milch. Die Wutach uͤberſchwemmt oft bei Thuͤngen und Waldshut groſſe Gegenden mit Steinen. Wegen der erſchrecklichen Hitze kam ein Don - nerwetter, (ſchon den 20ſten April) das in den Gebuͤrgen majeſtaͤtiſch toͤnte. Die Straſſenbettelei iſt unmaͤſſig. T 4Die296Die Hirtenbuben ſtehen auf dem Kopfe, um Geld zu verdienen. Bei Lauffenburg iſt das Bette des Rheins nicht weit von der Bruͤcke durch ſchreckliche Felſen von bei - den Seiten eingezwaͤngt, und auch in der Mitte verengt, davon entſteht ein ganz artiger Fall. Auſſerhalb der Stadt fuͤhrt ein angenehmer Wald nach Seckingen, das jenſeit des Rheins ſehr angenehm liegt. In Rhein - felden ſtunden faſt vor jedem Hauſe ſchon die ſchoͤnſten bluͤhenden gelben Veilchen. Von dort an wird das ſchoͤnſte Land ein einziger Weinberg. Man reiſt an dem jenſeit des Stroms liegenden Roͤmiſchen Augſt vorbei. Eine Stunde vor Baſel kam ich im Flecken Krenzach wieder in mein Vaterland, ſah meine Aeltern und An - verwandte, und war nach wenigen Tagen wieder hier. Leben Sie wohl.

Luſtreiſe[297]

Luſtreiſe von Carlsruhe nach Speier am Rhein,

im Jahr 1781. An Hrn. Prof. Bernoulli in Berlin.

T 5[298][299]

Luſtreiſe nach Speier am Rhein.

Als ich vor einigen Jahren aus Holland zuruͤckkam, war ich zwar auch in Speier. Aber ich hielt mich nur wenige Stunden auf, und ſchon lange war es in meinem Plan, einmal eine eigene Reiſe dahin zu thun. Sie iſt nun geſchehen, und ich muß ſagen, mit groſſem Vergnuͤgen. Laſſen Sie mich Ihnen, mein Freund, erzaͤhlen, was ich da geſehen, gehoͤrt und erfahren habe.

Der naͤchſte Weg von Carlsruhe nach Speier iſt, uͤber Graben, wo Poſtpferde gewechſelt werden, nach Rheinhauſen, wo man ſich uͤber den Rhein ſetzen laͤßt; alsdann hat man nur noch eine kleine Stunde bis zur Stadt. Rheinhauſen iſt ein kleines unbedeutendes Doͤrfchen, das in das Gebiet des Biſchofs von Speier, der bekanntermaſſen in Bruchſal wohnt, gehoͤrt. Der Rhein waͤchſt hier oͤfters in zwei Tagen ſo ſtark an, daß die Schiffer die kleinen hoͤlzernen Bruͤcken, wo man an - landet, ſchnell abbrechen, und an einen andern Ort ſetzen muͤſſen. Dadurch wird der Fremde gar oft aufgehalten. Bei der Ueberfahrt ſelber bezahlt man alles nach einer von der Herrſchaft beſtimmten Taxe. Die Schiffer ſind nur die Knechte der Obrigkeit. Sie muͤſſen das Geld, das beſtimmt iſt, abliefern, und bekommen ihren Lohn. Man300Man hat hier groſſe Frachtſchiffe oder Nachen, wie man ſie nennt. Man hat ſchon drei Kutſchen in ein Schiff geſtellt, und drei Kerl arbeiteten ſie hinuͤber. Die Schiffer fahren nicht in der Nacht. Licht, ſagen ſie, koͤnne man dabei nicht brauchen. Im hoͤchſten Nothfall, wenn ein Reiſender gar nicht warten will, wer - den ſie von eigenen dazu beſtellten Waͤchtern aus dem Schlaf geweckt. Oft wird die Nacht uͤber dem Strome ſehr ſchwarz, dem Anſehen nach ſchwaͤrzer, als auf dem Lande. Gar oft wird der Strom truͤbe. Ueberhaupt iſt der Rhein in dieſen Gegenden bei weitem nicht mehr ſo angenehm, ſo hell und klar, als in der Schweiz. Die vielen kleinen Waſſer, die er aufnimmt, und die unzaͤh - ligen Giesbaͤche, die hineinfallen, haben ihm ganz ſeine eigene Farbe benommen. Die wildeſten Pferde ſtehen ſtill, wenn ſie im Schiffe ſind. Einige wollen faſt im - mer beim Ueberfahren ſaufen, und fallen dabei in den Strom.

Der Weg von der Ueberfahrt nach der Stadt geht jetzt noch durch kleine Suͤmpfe, und Wildniſſe. Man arbeitet aber wirklich daran, eine Chauſſee zu machen. Praͤchtig zeigt ſich die lang ausgedehnte Stadt von wei - tem, und herrlich ſind die Gegenden am Rhein, beſon - da, wo man nach Schwezingen und Mannheim reiſt. Es ſteht dort am Rhein ein Krahn zum Ausladen der Schiffe, den ein Bauverſtaͤndiger aus der Reichsſtadt angegeben und gebaut hat. Die Maſchine iſt ſehr ſim - pel, und hebt doch achtzig bis neunzig Zentner. Man tritt ihn alsdann mit zwei Raͤdern; wenn er nicht ange - ſchloſſen iſt, kan man ihn mit einer Hand drehen. Man hat das Modell davon ſchon nach Maynz kommen laſſen.

Wenn301

Wenn man ſich aus der Geſchichte der ſchrecklichen Verwuͤſtungen erinnert, welche die Franzoſen in der Pfalz und auch in Speier angerichtet haben, ſo muß man es bewundern, daß die Stadt ſo ſchnell wieder aufgebauet worden. Es iſt aber ein Beweis vom Wohlſtande der Einwohner, von der Koſtbarkeit des Landes am Rhein. Die Stadt hat ſchoͤne breite Straſſen, alle ſind gepfla - ſtert, und man ſieht nur noch einige wenige Brandſtaͤt - ten. Freilich ſind die neuen Haͤuſer nicht in dem Ge - ſchmack, und mit der Pracht aufgefuͤhrt worden, wie in Dresden; aber ſie ſind doch fuͤr Buͤrger, die ſich mehr von der Landwirthſchaft, als von Fabriken und Handwer - kern naͤhren, ganz gut. Man findet auch einige neu - modige und ſchoͤne Gebaͤude. Mancher Platz wuͤrde auch bereits uͤberbaut ſeyn, wenn nicht die beiden Reli - gionspartheien in der Stadt, die Lutheriſche und die Katholiſche, zuweilen wegen Ankauf der Plaͤtze und Er - bauung der Haͤuſer in Streit geriethen. Indeſſen iſt die Lutheriſche Kirche und Religion immer die herrſchende in der Stadt. Es ſind hier kaum 30. katholiſche Buͤrger. Die Gebaͤude, in welchen ſich ehemals das Kammerge - richt verſammelte, ſehen freilich betruͤbt aus, und ſtehen in ihren Ruinen zur Schande des Volks da, das ſo ſchrecklich mit Feuer und Schwerd wuͤten konnte. Von der alten Bartholomaͤuskirche ſtehen nur auch noch die Ringmauern da, und darneben ein feſter, uralter Thurm, dergleichen freilich jetzt keiner mehr gebaut wird. Der Thurm hat oben ein ſteinernes gewoͤlbtes Dach.

Die Stadt liegt in einer ſo ſehr geſegneten Gegend, daß ihr beinahe kein natuͤrliches Beduͤrfnis mangelt. Ich habe da mit Vergnuͤgen, auch am fruͤhen Morgen, wieich302ich gewohnt bin, kaltes Waſſer getrunken, und fand es, wiewohl der Rhein ſo nahe iſt, ſehr ſchmackhaft. An einigen Orten iſt das Rheinwaſſer nicht hundert Schrit - te von der Stadt. Von Neuſtadt an der Hardt kommt die Speierbach herab, und theilt ſich in drei Arme. Ein Theil dieſes Waſſers laͤuft durch die tadt, und faͤllt in den Rhein. Der andre Arm koͤmmt vor dem Thore der Stadt zu jenem, und fließt mit im Rhein. Alle drei Arme treiben viele Muͤhlen, laufen durch lauter gute Felder, thun wenig Schaden, und ſind mit Kar - pfen, Hechten, und mit einem Ueberfluß von Krebſen verſehen. Zum Waͤſſern der Wieſen koͤnnen ſie nicht ge - braucht werden, weil ſie zu tief laufen.

Im Rhein ſelber faͤngt man hier Karpfen, Hechte, Salmen, Naſen, aber Krebſe ſind nicht darin. Auch nicht in den ſogenannten Altwaſſern, dergleichen er viele macht. Die ſtaͤrkſte Schifffahrt auf dem Rhein geht nach Strasburg und Frankfurt. Die Schiffer von Speier fahren nicht ſelber nach Strasburg, wohl aber nach Frankfurt am Mayn, bis nach Maynz. Uebrigens iſt Speier eine Stapelſtadt. Die Stras - burger, Mannheimer und Maynzer Schiffe heiſſen Rangſchiffe, und dieſe ſollten eigentlich alle hier ausla - den, und drei Tage feil haben, wenn ſie naͤmlich Faſten - ſpeiſen und Fettwaaren fuͤhren. Weil man es aber hier nicht noͤthig hat, ſo bleiben die Guͤter im Schiffe, und werden nicht ausgeladen. Aber die Schiffer muͤſſen dem - ohngeachtet alles, was befohlen iſt, an die Stadt bezah - len. Doch iſt dieſes Einkommen nicht mehr ſo betraͤcht - lich, wie ehemals. Da man jetzt uͤberall gute Chauſſeen hat, ſo werden auch gar viele Guͤter auf der Achſe ver -fuͤhrt,303fuͤhrt, vornehmlich im Winter die Stockfiſche ꝛc. Mit dem Rheinwaſſer kan man auch hier nicht waͤſſern. Sein Waſſer ſchadet vielmehr den Wieſen, wenn es aus - lauft. Im Jahr 1758. war die ſtaͤrkſte Ueberſchwem - mung, deren ſich alte Leute erinnern koͤnnen, und vor wenigen Jahren war der Strom eben ſo gros, wie da - mals. Alle Felder und Wieſen rings um die Stadt her - um waren ein einziger See. Man hat Daͤmme von aufgeworfener Erde zu beiden Seiten, mit Weidenbaͤu - men eingefaßt. So lange ſie nicht durchbrechen, koſtet ihre jaͤhrliche Unterhaltung nicht viel.

Auf den Weideplaͤtzen ſind auch einige Seen; man nennt einen unter ihnen die Goldgrube, weil ſehr viele Fiſche darin ſind. Zuweilen ſetzt man hinein, doch ſind auch ſchon Fiſche durch andre Anſtalten der Natur hin - eingekommen, die man nicht anpflanzen wollte. Im hohen Rheinwaſſer kommen einige Arten Fiſche in den See, und andre gehen mit dem hohen Waſſerſtande da - von. Die Seen haben unterirdiſche Quellen. Man weis aber hier nichts davon, daß man ſie zuweilen ab - laſſen, austrocknen, und eine Zeitlang in Aecker ver - wandeln ſoll.

Man kan beinahe mit Recht behaupten, daß in Speier keine allgemeine Hungersnoth entſtehen kan. Das Erdreich und das Waſſer ernaͤhrt die Menſchen; man hat allerlei Feld und Boden; man hat Winter - und Sommerfruͤchte. Die Witterung mag noch ſo unguͤn - ſtig ſeyn, ſo geraͤth doch einiges. Mislingen die Ge - waͤchſe auf den Feldern, ſo waͤchſt noch eine erſtaunliche Menge von Nahrungsmitteln in den ſchoͤnen Gaͤrten, die theils innerhalb, theils auſſer der Stadt ſind. Und,weil304weil das Domkapitel ſo viele Gefaͤlle hat, ſo kommt in der Stadt alle Jahre ein aͤuſſerſt betraͤchtlicher Vorrath von Frucht oder Getreide zuſammen, worein ſich Einwoh - ner und Auswaͤrtige theilen.

Herr Stadthauptmann Grether gab mir die Zahl der Buͤrger gegen 500, und die Zahl der Beiſaſſen oder Hinterſaſſen uͤber 200. an.

Spelz iſt die vorzuͤglichſte Winterfrucht, die von dieſen Leuten gebaut wird. Sie brauchen den Spelz zu Brodmehl und zu Weismehl. Er wird auch in die nahe liegenden Gebuͤrge verkauft, d. h. in das Elſaß, nach Landau ꝛc. Allemal verkauft man ihn, ſo lange er noch in Huͤlſen iſt, man verkauft niemals Kerne.

Weizen wird gar nicht gebaut. Etwas Korn pflanzt man hier, theils im Winter, theils im Sommer, aber doch nicht genug. Die Buͤrger muͤſſen es ſelber von den Geiſtlichen kaufen. Es iſt naͤmlich in dieſer Reichs - ſtadt die groſſe Niederlage von allen Zehenden und Guͤl - den, die das Domkapitel in der ganzen Gegend zu be - ziehen hat. Dadurch kommt eine gewaltige Menge von Getreide hieher. Mehr als 20,000. Malter werden ge - wis alle Jahre in die Stadt gefuͤhrt. Ein einziger Dom - herr hat oft 1000. Malter. Man kan aber die Total - ſumme nicht gewis beſtimmen, weil bei der katholiſchen Geiſtlichkeit alles geheim gehalten wird. Jeder katholi - ſche Geiſtliche hat einen Vorrath von Fruͤchten; auf dem Wochenmarkte wird das Wenigſte davon verkauft. Es ſind aber viele und groſſe Speicher hier, und aus dieſen kaufen die Baͤcker und Muͤller ihr Getreide. Die Stadt Speier haͤlt deswegen immer vier Kornmeſſer, und auſ - ſer dieſen haben noch die Geiſtlichen ihre eigene Korn -meſſer305meſſer am Domſpeicher. Doch iſt die Menge des Ge - treides, das die Geiſtlichkeit in der Stadt verkauft, noch unbedeutend gegen das, was auſſerhalb der Stadt ver - kauft wird. Sehen Sie nun in dieſen Umſtaͤnden einen ſehr natuͤrlichen Grund, warum die Buͤrger in Speier ſo wenig Weizen und Roggen bauen, und ihre Felder zu andern Fruͤchten und Gewaͤchſen verwenden koͤnnen.

Auch Gerſte wird hier gebaut. Die Wintergerſte malzt nicht ſo gut als die andre, daher braucht man ſie, um Brod daraus zu backen. Die Sommergerſte hin - gegen wird zum Bierbrauen verwendet.

Wenn der Acker ſchon zwei Jahre nacheinander ge - tragen hat, ſo wird im dritten noch Haber hineingeſaͤet, und erſt alsdann wird der Acker wieder geduͤngt.

Linſen und Erbſen pflanzt man hier faſt gar nicht. Einige wenige Buͤrger bauen Erbſen, aber dieſe und die Linſen kommen von Hochſtaͤdt bei Landau, und aus andern Doͤrfern in jener Gegend.

Nachdem der Spelz, das Korn und die Gerſte von den Aeckern abgeerndtet worden ſind, ſaͤet man noch Ruͤ - ben in das Stoppelfeld. Es ſind lauter weiſſe Ruͤben. Man braucht ſie im Winter um das Vieh damit zu fuͤt - tern, und viele davon werden fuͤr Menſchen gekocht. In den Loͤchern im Boden kan man ſie bis Faſtnachten und oft noch laͤnger erhalten. Sie gerathen immer ſo wohl, daß mancher Buͤrger zwanzig und mehrere Loͤcher voll Ruͤben hat.

Gemeiner Tabak wird ſehr ſtark gepflanzt. Wenn die Felder eben friſch geduͤngt worden ſind, ſo waͤren ſie zu fett, um Spelz zu tragen; deswegen ſetzt man zuerſtZweiter Theil. UTabak306Tabak hinein. Der Zentner Tabaksblaͤtter gilt 6, 7. auch 8. Gulden. Fremde Handelsleute kaufen ihn in der Stadt auf, doch bleibt zuweilen viel Tabak liegen. Er geht gewoͤhnlich auf dem Rhein nach Coͤlln, doch wird auch ein Theil davon durch die Franzoſen aufgekauft. In der Stadt ſelber ſind zwei Tabaksfabriken, wovon beſonders die Menzeriſche ſtarken Abſatz hat. Sie ma - chen hier Rauch - und Schnupftabak.

Noch eine ſehr betraͤchtliche Pflanzung um Speier herum iſt der Krapp. Hier iſt es, wo dieſer Bau an - gefangen hat. Von Speier aus iſt die Pflanzung in der Pfalz in alle Rheiniſche Gegenden, und auch in die Marggrafſchaft Baaden verbreitet worden. Herr Pfannenſchmid, der jetzt ein wuͤrdiges Mitglied des Senats iſt, iſt der Urheber, und hat ſich dadurch ein groſſes Vermoͤgen erworben. Ich hatte das Vergnuͤgen, dieſen verdienten Mann auf dem Rathhauſe zu ſprechen, weil er aber eben in der Seſſion beſchaͤftigt war, konnte ich ſeinen Umgang nicht lange genieſſen. Er hat uns hieher, nach Carlsruhe und Durlach ſehr viele Pflan - zen geliefert, und dieſe haben eine unzaͤhlbare Nachkom - menſchaft erhalten. Die allererſten Pflanzen hatte er ſelber aus dem Elſaß bekommen. Es