An Curt Freyherrn von Haugwitz . Elegie . S uͤſſer duftet die Flur , und kuͤhler hauchet der
Abend ;
Nur ein welkendes Roth weilt am azurenen Weſt .
Stille thauet herab , und Ruh ’ , und ſanfte Be -
geiſtrung
Auf den einſamen Pfad , welchen der Waller
betrit .
Heſperus ſchaut auf ihn mit freundlichen Blicken
hernieder ,
Liſpelt ſegnend ihm zu : Geh ’ in Frieden dahin !
Jch auch wander ’ umher , und ſuch auf einſamen
Pfaden
Ruh ’ und lindernden Troſt fuͤr mein ſinkendes
Herz .
19 Ach vergebens ! — O du der beſten Juͤnglinge
Beſter ,
Den ich liebe , ſo ſehr , als ich zu lieben ver -
mag ;
Dem die milde Natur der Gaben ſchoͤnſte , die ſelten
Sie verleiht , ein Herz zarter Empfindung ,
verlieh ;
Den ſie der Freundſchaft ſchuf , der Lieb ’ , und
ſtilleren Freuden ;
Sanfte Melancholie , deine Feindinnen nicht !
Ach du windeſt dich los aus deines Freundes Um -
armung ;
Scheideſt zoͤgernd von ihm — ach ! auf ewig
vielleicht ! — —
Alſo ſind ſie dahin , der Freundſchaft heilige Jahre ,
Deren jeglicher Tag feſter und feſter uns band ?
Alſo ſind ſie verbluͤht , die Veilchen , welche mir
oftmal
Deine gefaͤllige Hand ſtreut ’ in den muͤhſamen
Weg ?
Nein ! ſie ſind nicht verbluͤht ! Jn jeder heiteren
Stunde
Kehrt mir laͤchelnd zuruͤck jede genoſſene Luſt .
20 O dann ſollen mich oft Phantome der Abend ’ um -
ſchweben ,
Die , uns jeglichesmal taͤuſchend , zu fluͤchtig ent -
flohn !
Jezo wanderten wir , mit Fruͤhlingsruhe ge -
ſegnet ,
Arm geſchlungen in Arm , bluͤhende Thaͤler
hinab ;
Lagerten jezo uns hin am mooſigen Ufer des
Baches ,
Und dem ſuͤſſen Geſchwaͤz horchte vertrau -
lich der Mond.
O , wie ſchmolz uns dann das Herz in ſanfter
Empfindung !
O , wie ſchmeckten wir dich , himmliſche Freund -
ſchaft , ſo ſuͤß !
Einſtens pfluͤckt ’ ich zwo junge Vergißmeinnicht ,
und ſtreute ,
Wo am klaͤrſten er floß , ſie in den kraͤuſelnden
Bach .
Eine riß er hinweg ; die andere weilt ’ am Ufer !
Und du ſtarrteſt mich an ; Thraͤnen bewoͤlkten
den Blick !
21 Jch verſtand dich ! Auch mich ergrif der baͤngſte
Gedanke :
Ach ! wenn einſt das Geſchick uns wie die
Blumen verſtreut !
So ſchlich Wehmut oft in unſere Freuden ; ſo
ſproſſet
Jn dem Myrtengebuͤſch ’ eine Zypreſſe mit
auf .
Oftmal ſtanden wir ſtill am ſchroffen Hange des
Felſen ,
Muͤden Pilgern gleich , uͤber die Staͤbe gelehnt ;
Und umhuͤllte mich dann der Nebel der ſchwarzen
Schwermut ,
O ſo ſchuͤttet ’ ich , Freund , dir in das deine
mein Herz !
Seufzend hoͤrteſt du mich , und jede Sorge , die
theilend
Du mir nahmeſt , erhob meine beklommene
Bruſt !
Phantaſie , wo gaukelſt du hin ? — O Beſter ,
nun leichterſt
Du nicht wieder die Laſt meiner beklommenen
Bruſt !
22 Ach nun fliehſt du ! Verweil ! daß in der lezten
Umarmung
Eine Thraͤne nur noch miſch ’ in die meinige ſich .
Segen geleite dich , Freund ! O ſei der Liebling
des Gluͤckes ,
Jenes reineren Gluͤcks , welches der Weiſe
nur kent ;
Sei deß Liebling , wie du der menſchenfreundlichen
Tugend
Und der Weisheit es biſt ! Segen geleite dich ,
Freund !
Mein Vaterland , an Klopſtock . D as Herz gebeut mir ! ſiehe , ſchon ſchwebt ,
Voll Vaterlandes , ſtolz mein Geſang !
Stuͤrmender ſchwingen ſich Adler
Nicht , und Schwaͤne nicht toͤnender !
An fernem Ufer rauſchet ſein Flug !
Deß ſtaunt der Belt und zuͤrnet und hebt
Donnernde , ſchaͤumende Wogen ;
Denn ich ſinge mein Vaterland !
Jch achte nicht der ſcheltenden Flut ,
Der tiefen nicht , der thuͤrmenden nicht ,
Mitten im kreiſenden Strudel
Saͤnge Stolberg ſein Vaterland !
61 O Land der alten Treue ! voll Muts
Sind deine Maͤnner ! ſanft und gerecht !
Roſig die Maͤdchen und ſittſam !
Blitze Gottes die Juͤnglinge !
Jn deinen Huͤtten ſichert die Zucht
Den Bund der Ehe ; rein iſt das Bett
Zaͤrtlicher Gatten , und fruchtbar
Jhre keuſchen Umarmungen .
Vom Segen Gottes triefet dein Thal ,
Und Freude reift am Rebengebirg ;
Singenden Schnittern entgegen
Rauſcht die wankende Halmenſaat .
Kolumbia , du weinteſt , gehuͤllt
Jn Trauerſchleyer , uͤber den Fluch
Welchen der lachende Moͤrder
Oeden Fluren zum Erbe ließ ;
62 Da ſandte Deutſchland Segen und Volk :
Der Schooß der Jammererde gebar ,
Staunte der ſchwellenden Aehren ,
Und der ſchaffenden Fremdlinge !
Nach fernem Golde duͤrſtete nie
Der Deutſche ; Sklaven feſſelt ’ er nicht !
Jmmer der Schild des Verfolgten
Und des Draͤngenden Untergang !
Jch bin ein Deutſcher ! ( Stuͤrzet herab
Der Freude Thraͤnen , daß ich es bin ! )
Fuͤhlte die erbliche Tugend
Jn den Jahren des Kindes ſchon .
Von dir entfernet weih ’ ich mich dir ,
Mit jedem Wunſche , heiliges Land !
Gruͤſſe den ſuͤdlichen Himmel
Oſt , und ſeufze der Heimat zu !
63 Auch greifet oft mein nerviger Arm
Zur linken Huͤfte ; manches Phantom
Blutiger Schlachten umflattert
Dann die Seele des Sehnenden .
Jch hoͤre ſchon der Reiſigen Huf ,
Und Kriegsdrommete ! ſehe mich ſchon ,
Liegend im blutigen Staube ,
Ruͤhmlich ſterben fuͤr’s Vaterland !
Romanze . J n der Vaͤter Hallen ruhte
Ritter Rudolfs Heldenarm ,
Rudolfs , den die Schlacht erfreute ,
Rudolfs , welchen Frankreich ſcheute
Und der Sarazenen Schwarm .
Er , der lezte ſeines Stammes ,
Weinte ſeiner Soͤhne Fall :
Zwiſchen Moosbewachsnen Mauern
Toͤnte ſeiner Klage Trauern
Jn der Zellen Wiederhall .
65 Agnes mit den goldnen Locken
War des Greiſen Troſt und Stab ,
Sanft wie Tauben , weiß wie Schwaͤne ,
Kuͤßte ſie des Vaters Thraͤne
Von den grauen Wimpern ab .
Ach ! ſie weinte ſelbſt im Stillen ,
Wenn der Mond ins Fenſter ſchien .
Albrecht mit der offnen Stirne
Brante fuͤr die edle Dirne ,
Und die Dirne liebte ihn !
Aber Horſt , der hundert Krieger
Unterhielt in eignem Sold ,
Ruͤhmte ſeines Stammes Ahnen ,
Prangte mit erfochtnen Fahnen ,
Und der Vater war ihm hold .
Stolb . E 66 Einſt beim freien Mahle kuͤßte
Albrecht ihre weiche Hand ,
Jhre ſanften Augen ſtrebten
Jhn zu ſtrafen , ach ! da bebten
Thraͤnen auf das Buſenband .
Horſt entbrante , blickte ſeitwaͤrts
Auf ſein ſchweres Mordgewehr ;
Auf des Ritters Wange gluͤhte
Zorn und Liebe ; Feuer ſpruͤhte
Aus den Augen wild umher .
Drohend warf er ſeinen Handſchuh
Jn der Agnes keuſchen Schooß ; „ Albrecht nim ! Zu dieſer Stunde
Harr ’ ich dein im Muͤhlengrunde ! „
Kaum geſagt , ſchon flog ſein Roß .
67 Albrecht nahm das Fehdezeichen
Ruhig , und beſtieg ſein Roß ;
Freute ſich des Maͤdchens Zaͤhre ,
Die , der Lieb ’ und ihm zur Ehre ,
Aus dem blauen Auge floß .
Roͤthlich ſchimmerte die Ruͤſtung
Jn der Abendſonne Stral ;
Von den Hufen ihrer Pferde
Toͤnte weit umher die Erde
Und die Hirſche flohn ins Thal .
Auf des Soͤllers Gitter lehnte
Die betaͤubte Agnes ſich ,
Sah die blanken Speere blinken ,
Sah — den edlen Albrecht ſinken ,
Sank , wie Albrecht , und erblich .
68 Bang ’ von leiſer Ahndung ſpornet
Horſt ſein ſchaumbedecktes Pferd ;
Hoͤret nun des Hauſes Jammer ,
Eilet in des Fraͤuleins Kammer ,
Starrt und ſtuͤrzt ſich in ſein Schwert .
Rudolf nahm die kalte Tochter
Jn den vaͤterlichen Arm ,
Hielt ſie ſo zwei lange Tage ,
Thraͤnenlos und ohne Klage ,
Und verſchied im ſtummen Harm .
Eliſe von Mannsfeld . Eine Ballade aus dem zehnten Jahrhundert . „ W ie viele ſehnten ſich nach dir ,
Du kuͤhle , ſtille Nacht !
Nun haſt du ihnen Labung , Ruh
Und ſanften Schlaf gebracht .
Auch mir komſt du erwuͤnſcht ; izt kan
Jch frei und einſam ſein ,
Durch manchen tiefen Seufzer nun
Mir lindern meine Pein .
Ach Gott ! was hab ’ ich denn gethan ,
Daß ſie ſo grauſam ſind ?
Mein Vater nante mich ja ſtets
Sein liebes gutes Kind ;
72 Und ihren beſten Segen gab
Die Mutter ſterbend mir ,
Der wird im Himmel einſt erfuͤllt ;
Doch wahrlich nicht auch hier .
Daß dieſer Segen ſich nur nicht
Jn Fluch verkehr fuͤr die ,
Die ſo mich kraͤnken ! Gott verzeih ’
Es ihnen ! Beßre ſie !
Ach , alles truͤg ’ ich mit Geduld ,
Wenn , Liebe , du nicht waͤrſt ,
Die du durch hofnungsloſe Qual
Mein krankes Herz verzehrſt !
Kan ichs nicht dulden , nun wolan
So hab ’ ich Einen Troſt :
Dann brichſt du , armes Herz ! Drum ſei
Bis daß du brichſt , getroſt „ —
73 So eben kehrt ’ ein Rittersmann
Von ſeinem Ritt zuruͤck ,
Und komt , gefuͤhrt von ſeinem Pfad ,
Hart an des Schloſſes Bruͤck .
Da dringt des Fraͤuleins Klageton
Jhm tief ins Herz hinein :
Er waͤhnt , um Huͤlfe fleh ’ ſie ihn ,
Und will ihr Retter ſeyn .
Voll Ungeduld und voll Begier
Umher ſein Auge gluͤht ,
Bis endlich hoch am Fenſter er
Das Fraͤulein ſtehen ſieht .
„ Ach Fraͤulein ! ſprich , was jammerſt du ?
Vertraue mir dein Leid :
Dies Schwert , der Arm , dies Leben ſei
Zu deinem Dienſt geweiht . „ —
74 „ Ach , edler Ritter , Schwert und Arm
Jſt nicht , was mir gebricht ;
Nur Troſt fuͤr mein beklomnes Herz :
Und ach , den haſt du nicht ! „ —
„ Entdecke mir dein kraͤnkend Weh ,
Das wird dir Lindrung ſein ,
Und meine Mitleidsthraͤne wird
Dir einen Troſt verleihn . „ —
„ Du guter Juͤngling , hoͤre denn :
Jch eine Waiſe bin ,
Und mit den lieben Eltern ſtarb
Mir Ruh und Freude hin ;
Ein Ohm und eine Muhme jezt
An Eltern Statt mir ſind ,
Die quaͤlen mich , daß Gott erbarm !
Und toͤdten ſchier ihr Kind .
75 Mein Vater war ein reicher Graf ,
Nun iſt das Erbe mein ,
O waͤr ’ ich arm ! dies ſchnoͤde Gut
Jſt Urſach meiner Pein .
Mein Oheim duͤrſtet Tag und Nacht
Nach meinem Hab ’ und Gut ,
Drum ſperrt in dieſen Thurm mich ein
Des harten Mannes Wut .
Hier bleib ’ ich , droh’t er , wo ich nicht
Erwaͤhl ’ am dritten Tag ,
Ob ich den Sohn zum Ehemann ,
Ob ich ins Kloſter mag.
Wie eilig waͤr ’ die Wahl geſchehn ,
Jch thaͤt den Schleier an ,
Ach , liebte nicht mein junges Herz
Den beſten , ſchoͤnſten Mann .
76 Juͤngſt beim Turniere ſah ’ ich ihn ,
Jch ſah ’ und liebt ’ ihn gleich ,
Wie frei , wie edel und wie kuͤhn !
Nicht Einer war ihm gleich . „ —
„ Sei , edles Fraͤulein , gutes Muts ,
Jns Kloſter ſolt du nicht ,
Noch minder ſolt du ſein die Schnur
Vom alten Boͤſewicht .
Jch kan’s , ich will’s , ich rette dich ,
Das iſt mein feſter Sinn ,
Bring dich in deines Juͤnglings Arm ,
So wahr ich Stolberg bin . „ —
„ Du ? Stolberg ? o mein Leid iſt hin !
Mein Engel fuͤhrte dich ;
Du biſt mein trauter Juͤngling , du !
Nach dem ich ſehnte mich .
77 Jezt ſag ’ ich frei und offen dir ,
Was ſchon mein Blick geſtand ,
Als ich um deine Lanze juͤngſt
Den Eichenkranz dir wand . „ —
„ O Gott ! du ? mein geliebtes Kind ,
Eliſe Mannsfeld ? O!
Dich liebt ’ auch ich beim erſten Blick ;
Noch keiner liebte ſo !
An meiner Lanze ſieh den Kranz ,
Den ſie nun ewig traͤgt .
Ach , koͤnteſt du dein Bild auch ſehn ,
So tief hier eingepraͤgt !
Jedoch was ſaͤumen wir ? ich bring
Dich heim vor Sonnenſchein ,
Und unſrer keuſchen Liebe ſoll
Nichts mehr im Wege ſein . „ —
78 „ Von ganzer Seele lieb ’ ich dich
O Juͤngling ! aber doch
Straͤubt ſich mein jungfraͤulich Gefuͤhl
Beim raſchen Vorſaz noch .
Du kennſt die arge Welt ; du weiſt
Wie im Triumphe ſie
Mir Stand , und Ehr ’ , und Tugend nimt ,
Wenn ich mit dir entflieh . „ —
„ O Maͤdchen , was iſt uns die Welt ?
Laß immerhin ſie ſchrein ;
Dein Beifall nur , mein Beifall nur
Soll unſer Richter ſein !
Und keiner deines Stammes ſoll
Vernehmen deine That ,
Bis uns des Prieſters Segenshand
Zur Eh ’ geweihet hat .
79 Auch fuͤhr ’ als Gattin ich dich erſt
Jn meine Burg hinein ;
Nun geht’s zu meiner Schweſter hin ,
Da ſoll die Trauung ſein .
Wie wird mein liebes Guſtchen ſich
Der lieben Schweſter freu’n ,
Wie wird des lieben Bruders Gluͤck
Jhr eigne Wonne ſein !
Eliſe , laß uns eilen ; kom ,
Gleich iſt es Mitternacht ,
Der Mond , der jezt ſo hell uns ſcheint ,
Hat bald den Lauf vollbracht . „ —
Nun ſchlich das Fraͤulein leiſen Tritts
Hinab den Windelſteig ,
Bis unten ſie zum Fenſter kam ,
Da ward ſie todtenbleich ;
80 Doch ſchnell ergreift ſie wieder Herz
Und oͤfnet es behend ,
Und wagt’s und ſpringt dem Ritter zu ,
Der ihr entgegenrent .
Sein Maͤdchen druͤckt ’ er ſprachlos jezt
Feſt an ſein klopfend Herz ,
Fuͤr ungefuͤhlter reiner Luſt
Vergaß ſie allen Schmerz .
Dann hob er freudig ſie auf’s Roß ,
Und vor ihr ſezt ’ er ſich ,
Sie ſchlang die weiſſen Arm um ihn ;
Fort ging’s nun ritterlich .
Vom Roß und freudigem Gebell
Des treuen Greifs erweckt ,
Lief ſchnell die Zof ’ ans Fenſter hin ,
Jhr Fraͤulein ſie erblickt .
z. S. 81. I. [figure] 81 Sie tobt mit wildem Angſtgeſchrei
Klagt allen ihre Noth ;
Der Alte ſchaͤumt , und flucht und ſchwoͤrt
Der Nichre Schmach und Tod .
Er fodert ſeine Saſſen auf ,
Und eh ’ der Tag begann ,
Verlieſſen ruͤſtig ſie das Schloß ;
Er fuͤhrte ſelbſt ſie an .
Jndeſſen war das Ritterpaar
Durch Anger , Wieſe , Feld ,
Weit uͤber Berg und Thal und Forſt ;
Vom guͤnſt’gen Mond erhellt .
Mit lautem Schaumgetoͤſe ſtuͤrzt
Die Bude vor ſie hin : „ Es geht , mein Kind , erzittre nicht !
Des Stroms ich kundig bin . „ —
Stolb . F 82 Der Rappe ſtuzt und hebt den Fuß
Und pruft den Fluß gemach ,
Drauf ſtrebt er wiehernd durch , als waͤr’s
Nur ein Forellenbach .
Nun kommen ſie zum Schloß geſprengt ,
Jn Himmelswonn ’ entzuͤckt :
Beſchreib’s , wer eine Freude je
Wie dieſe war , erblickt .
Nun ſaſſen ſie beim frohen Mahl ,
Der Becher gieng umher ;
Ein Knappe kam : „ Auf , edler Graf ,
Der Mannsfeld ruͤcket her ! „ —
Und Braut und Schweſter jammerten ,
Zerrauften ſich das Haar ;
Jndeß der Graf zu Pferde ſchon
Jn vollem Harniſch war .
83 Dem Zug ’ er ſchnell entgegen kam ,
Und rief dem Mannsfeld laut : „ Umſonſt iſt deine Muͤh ; ſie iſt
Als Weib mir angetraut !
Und bin ich nicht aus edlem Stamm ,
Deß Ruhm erſchallet weit ,
Der Fuͤrſten unſerm Volke gab
Schon zu der Heiden Zeit . „ *) Das Geſchlecht der Stolberge gehoͤrte unter die 12 Edlen Haͤuſer der Vierfuͤrſten des ſaͤchſiſchen Reichs , aus welchen zu Kriegszeiten Herzoͤge und Koͤnige er - waͤhlt wurden , ehe Karl der Groſſe Sachſen er - oberte .
*) — Mit eingelegter Lanze ſprengt
Der Alte gegen ihn ,
Sein Haufe folgt ; erwartend bleibt
Der Ritter kalt und kuͤhn .
84 Und zieht ſein Schwert : Als Mannsfeld naht ,
Verhaut er ihm den Stoß
Und haut , und haut den Schedel durch ,
Daß er zur Erden ſchoß .
Die Reiſigen zerſtreuen ſich ,
Und Stolberg eilt nach Haus ,
Und ruht die lange ſuͤſſe Nacht
Jn Lieschens Armen aus .
Freiheitsgeſang aus dem zwanzigſten Jahrhundert . S onne , du ſaͤumſt !
Sonne , du ſaͤumſt !
Weilen dich kuͤhlende
Wogen des Meeres ?
Sonne , du ſaͤumſt !
Kom herauf zu uns ! Es harret
Dein ein freies Volk !
Wende deine Feuerblicke
Von den Sklavenvoͤlkern ab !
Kom herauf zu uns ! Es harret
Dein ein freies Volk !
103 Siehe ſie koͤmt !
Siehe ſie koͤmt !
Sie verguͤldet die Berge ,
Sie roͤthet den Hain ,
Und ſilbern rauſchet der Strom in das finſtre Thal !
Wir ſahen dich einſt ,
Rauſchender Strom ,
Mitten im fliegenden Laufe gehemt !
Bebend und bleich ,
Wehend das Haar ,
Stuͤrzte der Tirannen Flucht
Sich in deine wilden Wellen ,
Jn die Felſenwaͤlzende Wellen
Stuͤrzten ſich die Freien nach ;
Sanfter wallten deine Wellen !
Der Tirannen Roſſe Blut ,
Der Tirannen Knechte Blut ,
Der Tirannen Blut !
Der Tirannen Blut !
Der Tirannen Blut , 104 Faͤrbte deine blauen Wellen ,
Deine Felſenwaͤlzende Wellen !
Das Schilfblat trof
Und die Weide von der Erſchlagnen Blut !
Um den krauſen Dornſtrauch wickelte ſich das Gewand
Der Todten , wirrte ſich in ihm der Todten Haar !
An dem Hange des Felſen lag
Der Voͤlkerdraͤnger Karl mit ſtarrendem Arm ;
Neben ihm ſchimmerte , zerſplittert , ſein Schwert ,
Und uͤber ihm waͤlzte ſich ſchwer ſein verwunde - tes Roß !
Es erſtickte der Laͤſterung Wort , und des Befehls ,
Jn der bangen Bruſt ;
Halbverloͤſchend , noch wild , drehte ſich ſein Aug ’ und bat
Jedes zuͤckende Schwert , jeden gehobnen Arm um den Tod !
105 Aber verſagt ward ihm des Schwerts und der Tod des Arms !
Der Soͤhne Deutſchlands erbarmte nicht einer ſich ſein !
Zeichnete ſeine Stirne nicht Gottes Fluch ?
Schwebte nicht , wie uͤber das Aas der Ad - ler ſchwebt ,
Schwebte nicht ſo , ſichtbar , uͤber ihm die Ra - che des Herrn ?
Drei Tage lag er blutig , und drei Naͤchte ſo ,
Umflattert von der Raben Heer !
Die Zuckungen ſeiner Qualen ſcheuchten der Ra - ben Heer ;
Noch lebend ward er endlich naͤchtlicher Woͤlfe Raub !
Es fiel , ach ! es fiel ,
Heinrich fiel ,
Juͤngling und Held !
Es weinte die Mutter ,
Weinten die Schweſtern ;
106 Jm Grame ſtarb ſein junges Weib !
Ach , in ihrem keuſchen Schooſſe
Starb mit ihr ein Heldenkind !
Oede trauren um die Sproſſe
Seines edlen Heldenſtammes
Remlings anmutsvolle Thale
Und das alternde Kaſtell ! *) Die Mutter des Dichters war eine Graͤfin zu Ca - ſtell-Remlingen .
*) Nicht einer entrann
Von der Sklaven Heer !
Wie der Sturm mit herbſtlichem Laube
Quellen des Thales bedeckt ,
So bedeckte lang und breit den Strom
Des Sklavenheeres Leichnam !
Die Heerde ſloh
Und duͤrſtend das Roß vom blutigen Strom .
Kein Sohn des Waldes nahte ſich ihm ;
Nur der Rabe trank und der Adler und der Wolf !
Auf Bergen erſcholl der Sieger Geſang ,
Und rollte freudige Donner ins Thal , 107 Geſaͤnge der Jungfrauen toͤnten darein :
So floͤten Nachtigallen
Beim Felſenquell .
Hoch ſchwingt , tief ſchwingt , wild ſich umher
Der Adler des Geſangs !
Jn Blutgefilden weilen Geier unter ihm , denn wir ſiegten oft .
Er eilet , er eilet , er ſchwebt
Ueber der lezten Schlacht mit ſteifem Fittig !
Es gluͤhte der Mittag ; es rann
Heldenſchweiß auf zertretnes Gras ;
Kuͤhlung des Waldes umwehete nur den Feind .
Drei Stunden wankte zwiſchen uns und ih - nen der Sieg ,
Wie roͤthlich die Saat wanket auf Huͤgeln hin und her .
Da brachen hervor neue Schaaren aus des Waldes Hoͤh ,
Mit Waffengetoͤs und lautem Geſchrei !
Langſam , wie des Ozeanes Ebbe ,
Wich der Freien linkes Heer !
108 Da ſprengten hervor ,
Auf ſchaͤumenden Roſſen ,
Wie zuͤckende Blize ,
Zween Juͤnglinge , Stolberg ihr Name , Reiſige hinter ihnen her !
Wie der Rhein von jaͤhen Felſen herab
Seine Donner ſtuͤrzet und ewigen Schaum ,
Mit des Adlers Eile , des Meeres Schall ,
So die Heldenſchaar auf den ſtaunenden Feind !
Stolberg fochten und ſanken dahin
Den ſchoͤnen Tod ,
Den blutigen Tod ,
Den Freiheitstod !
Keine feige Klag ’ erſchall
Bei der Helden fruͤhem Fall !
Einer ihrer Vaͤter wuͤnſchte
Mit der heiſſen Juͤnglingsthraͤne
Sich ſchoͤnen , blutigen Freiheitstod !
Zitternd floſſen ins Silbergewebe
Der Harfe die Thraͤnen der Sehnſucht hinab !
109 Siehe , da ſah er ,
Jn heiliger Stunde ,
Jenſeit Jahrhunderten ,
Schlachten der Freiheit !
Sah die Heldenenkel fallen ;
O wie ſchlug ſein Herz fuͤr Wonne !
Seine heiſſe Thraͤne ſtuͤrzte
Jn der Harfe Silberſturm !
Die Sonne war geſunken ; der Abend
Kuͤhlte mit roͤthenden Fluͤgeln
Den alten Rhein ;
Noch donnerte laut , noch blizte die Schlacht !
Von Zinnen des Himmels
Schauten , durch purpurne Wolken ,
Hermann freudig , und Tell ,
Luther und Klopſtock freudig herab auf un - ſer Heer !
Athmeten uns zu
Feſten Entſchluß ,
Staͤrke der Goͤtter und deutſchen Mut !
Die Feinde ſahn auf
Mit lechzenden Blicken 110 Zur ſaͤumenden Daͤmrung !
Die Daͤmmerung kam ;
Sie wankten , ſie wichen ,
Sie goſſen ſich aus uͤber’s Gefild in zerſtreu - ter Flucht !
Wir goſſen uns nach
Mit triefendem Schwert !
Sie hoften , es wuͤrde ſie huͤllen
Jm faltigen Mantel
Die ſchwarze Nacht ;
Siehe da gieng ihnen auf uͤbers Tannengebirg
Der zuͤrnende Mond
Blutig und voll !
Verderbende Nacht !
Heilig und hehr
Dem freien Volke !
Mehr jedem Deutſchen , denn die Stunde der Geburt !
Heilig und hehr ,
Wie in den Armen der erroͤtheten Braut die ſuͤſſe Nacht !
111 Auf Bergen erſcholl der Siegergeſang !
Der Helden Geſang , der Freien Geſang !
Und rollte freudige Donner ins Thal !
Geſaͤnge der Jungfrauen toͤnten darein :
So rauſchen Waſſerfaͤlle
Zum Donner des Meeres am Felſengeſtad !
Du biſt frei ! du biſt frei !
Deutſchland , frei !
Stolz ſteheſt du da unter den Nationen um dich her !
Wie der Brocken ſtolz , wenn der Morgenroͤ - the Licht
Seine Scheitel roͤthet , noch finſter unter ihm
Liegen die Thale , und nur daͤmmern die Gipfel um ihn her !
Willkommen , Jahrhundert der Freiheit !
Groſſes Jahrhundert , willkommen !
Du ſchoͤnſte Tochter der ſpaͤtgebaͤrenden Zeit !
Sie gebar dich mit Schmerzen , und ſprang ſtaunend auf ,
Da geboren war das maͤchtige Kind !
112 Zitternd nahm ſie dich in den muͤtterlichen Arm ;
Freudige Schauer rauſchten ihre Glieder hinab auf ihr Gewand ;
Feierlich kuͤßte ſie deine Stirn ,
Und Prophezeiung entquoll ihren Lippen , wie ein Strom :
„ Tochter , du nimſt hinweg deiner Mutter Schmach !
Raͤchſt deiner Schweſtern weinenden Gram !
Unwillig kruͤmte jede ſich hinab ins Grab ;
Denn in Locken der Jugend hofte jede zu fuͤhren dein Schwert ,
Zu halten deine Wage , Vergelterin !
Schon laͤchelſt du ſtolz an deiner Mutter Bruſt ,
Schon flamt dein blauer rollender Blick ,
Schon greifeſt du mich ſtark an mit der zarten Hand ;
Bald toͤnen um deine Wiege herum
Waſſengetoͤs und der Sieger Geſang !
Du waͤchſeſt ſchnell auf ! ich ſehe dich ſchon
Jn ſchoͤner weiblichen Rieſengeſtalt , 113 Mit zuͤckenden Wettern im vertilgenden Aug ,
Mit wild hinſtroͤmendem goldenen Haar !
Donner entrollen deinem Fußtritt , und es ſtuͤr - zen dahin
Die Throne , in die goldne Truͤmmer Tirannen dahin !
Du gieſſeſt aus mit blutiger Hand der Freiheit Strom !
Er ergeußt ſich uͤber Deutſchland ; Segen bluͤht
An ſeinen Ufern , wie Blumen an der Wieſe Quell . „
Lied an einen Freimaurer bei ſeiner Aufnahme . M it Beben , wie die Freude bebet ,
Und dankbar ſegnend dein Geſchick ,
Von kuͤhner Ahndung neu belebet ,
Voll Bruderliebe Herz und Blick ;
So , Bruder , trit in unſre Mitte ,
So ſchwoͤr den ſchauervollen Eid ,
Und jeder iſt , nach Maurerſitte ,
Dein Herzensfreund zu ſein bereit ;
Und willig , Habe , Blut und Leben ,
Nim dieſen Bruderkuß zum Pfand !
Fuͤr dich , und jeden hinzugeben ,
Der ſich , wie du , mit uns verband .
132 Auch dir ſei Habe , Blut und Leben
Zu theur fuͤr deine Bruͤder nicht ,
Mit Freud ’ und Demut es zu geben ,
Das , Bruder , iſt des Maurers Pflicht !
Ach ! rauh und ſteil ſind unſre Pfade ,
Und harte Kaͤmpfe kaͤmpfen wir ;
Fliehſt du den Kampf fliehſt du die Pfade ,
Dann wehe ! wehe ! wehe ! dir .
Getroſt ! du fliehſt ſie nicht . Beginne
Mit Mut und Vorſicht deine Bahn ,
Und dringe zu des Gipfels Zinne ,
Zu der nur Hochgeweihte nahn .
Die Staͤrke ſtuͤtze deine Rechte ,
Wenn machtlos ſie im Streite ficht ;
Des Jrrſals und des Zweifels Naͤchte
Erhelle dir der Weisheit Licht .
133 Schon ſank die Huͤlle ! Sieh , es winket
Dir fern Aurorens junger Schein ,
Doch grauer Nebel wallt und ſinket
Und huͤllt in Daͤmmerung dich ein !
So wallte Nebel einſt , und deckte
Des Tempels Heiligthum ; es bebt
Der Soͤhne Levi Schaar ; Sie ſchreckte
Gott , deſſen Schauer ſie umſchwebt .
Da ſchwiegen Pſalter , ſchwiegen Lieder ;
Da flehte Salomon ; da goß
Ein Strom des Lichtes ſich hernieder ,
Der in des Weiſen Seele floß .
So quill ’ auch dir des Lichtes Quelle ,
Ergieß ’ im vollen Strome ſich ,
Verſcheuche Nebel , und erhelle
Und kraͤftig ’ und belebe dich !
134 Wohl dir , in unſrer Bruͤder Kreiſe !
Wohl uns ! wir feiern dieſen Tag !
Jhm folge , nach der Vaͤter Weiſe ,
Ein froh bekraͤnzter Abend nach .
Bei unſerm Freudenmahl ’ erneue
Der volle Becher unſer Band ;
Die Freud ’ erſchein ’ uns ! Wahrheit , Treue ,
Und Sittſamkeit an ihrer Hand !
Dann ſchallen feſtlich unſre Lieder ,
Wir trinken ferner Bruͤder Gluͤck ,
Und blicken auf bedraͤngte Bruͤder ,
Und lindern freudig ihr Geſchick .
Hellebek , eine ſeelaͤndiſche Gegend . An Ernſt Grafen von Schimmelmann und Emilie Graͤfin von Schimmelmann , geborne Graͤfin von Ranzau . D ie mich oft auf wehenden Fluͤgeln des ro - ſigen Morgens ,
Oft in thauenden Duͤſten der Abendkuͤhle be - ſuchte ,
Die mir begegnet ’ auf hangenden Pfaden der heiligen Alpen ,
Und auf gruͤnlichen Wellen des Sees im tanzen - den Nachen
Mich ergriff , daß ich dem Sohne der Felſenkluft zurief : Stolb . L 162 „ Warum ſtuͤrzeſt du , Juͤngling , herab die don - nernden Fluten
Jn den ſtilleren See ? noch biſt du frei , wie die Goͤtter !
Wie die Goͤtter , noch ſtark ! dort unten harret der Knechlſchaft
Ruhe dein ! Enteile nicht , Juͤngling , dem naͤhe - ren Himmel ! „
O Begeiſtrung , wo warſt du , da ich , mit flehen - der Stimme
Dich in mitternaͤchtlicher Stunde , vom Monde beſchienen ,
Einſam wallend am Ufer des Wogenrauſchenden Meeres ,
Jn der Fluten Geraͤuſch , im Schimmer der Sterne dich ſuchte ?
Sanft umſaͤuſelten mich und hehr die naͤchtlichen Schauer ;
Sinkendes Abendroth weilte noch uͤber Schwe - dens Gebirge ,
Und es tanzten die roͤthlichen Gipfel auf Wogen des Nordmeers . 163 Heller ſtralte der Sund , vom ſteigenden Monde beſchienen ;
Lieblich glitten auf beiden Meeren , mit ſchwel - lendem Segel ,
Schiffe , geruͤſtet mit ruhenden Blizen , und huͤpfende Nachen ,
Hier im Mondſchein , dort im ſterbenden Schim - mer des Abends
Ueber mich wehten , auf hohem Geſtade , die heiligen Buchen ,
Deren kein nordiſcher Sturm , kein Sturm von Oſten geſchonet .
Blizzerſchmetterten Wipfeln entſauſet feſtliches Rauſchen ,
Das mit Erinrung und Ahndung den ernſten Waller erfuͤllet .
Ach , mir liſpelte freundlich die Stimme der jun - gen Erinrung ;
Denn hier ſah ich vor wenigen Stunden , mit euch , ihr Geliebten ,
Sinken die Sonn ’ in Wogen des unermeßlichen Meeres .
Siehe hier den Stein , an welchen Emilia hinſank , 164 Stillerroͤthend vom Schimmer des Abends und ſanften Gefuͤhlen .
Und wir ſanken zu ihren Fuͤſſen . Von Se - ligkeit trunken
Jrrte dein Blick , o Freund ! von ihren Augen zur Sonne ,
Von der Sonne zu ihren Augen ! Dir ſtralte ſie minder
Schoͤn in Wogen des Meers , als in Emiliens Thraͤnen !
Ach ! beim Anblick der Liebenden wandte mein Bruder ſich , wiſchte
Eine Thraͤn ’ , und blickte nun wieder hinab auf die Wellen .
Siehe , nun war die Sonne geſunken ! Nun ſauſten die Wipfel
Lauter , und lauter rauſchten ans Uſer die pur - purnen Wogen .
Nun umſchwebten uns Bilder der Vorzeit ; die Leier von Selma
Toͤnet ’ um uns , um uns die liebliche Stimme von Kona .
z. S. 164. II . [figure] 165 Da erhuben wir uns auf Lochlins hohem Geſtade *) Siehe im Oſſian , das dritte Buch von Fingal .
Sahen jenſeit des Meers , am Fuſſe des Felſen - gebirges ,
Starno’s unwirtbaren Wohnplaz ; dort lande - te Fingal ; dort ſah er
Agandecka ; dort liebten ſich Fingal und Agan - decka .
Ach ! gleich einem Sterne , der finſtre Wolken durchſchimmert ,
Sah er das Fraͤulein zuerſt ; in ihrem wallen - den Buſen
Stieg das Bild des Helden empor wie die ſtei - gende Sonne .
Starno laurte mit Raͤnken auf ihn ; da bebte des Fraͤuleins
Heimliche Thraͤne , da ſchlich ſie zu ihm in ſchwei - gender Stunde : „ Sohn des hallenden Selma , dich will mein Vater ermorden !
Fleuch ! Dein harren im Walde verſteckt die Soͤhne des Todes ; 166 Fleuch , und rette mich , Held , aus der Hand des zuͤrnenden Vaters ! „
Unbekuͤmmert gieng er zur Jagd , die Soͤhne des Todes
Fielen durch ihn , und Gormal erſcholl von der fallenden Ruͤſtung .
Starno blickte finſter umher : „ Auf ! rufet das Maͤgdlein ,
Daß ihr reiche die blutige Hand der Koͤnig von Morven ! „
Bleich erſchien , mit fliegendem Haar , das liebli - che Maͤgdlein ;
Seufzend hub ſich ihr Buſen , wie Schaum des ſtroͤmenden Lubar ;
Stille Thraͤnen entſtuͤrzten den niederblickenden Augen .
Starno wandte ſein Haupt , und durchſtach ſie — Agandecka
Fiel , wie rollender Schnee der Ronans Felſen entgleitet ;
Schweigend lauſchen die Haine der Stimme des hallenden Thales . 167 Fingal blickt ’ auf die Helden umher . Da flohen und ſanken
Lochlins Krieger . Er brachte das Fraͤulein mit ſinkenden Locken
Auf ſein Schiff , und ſuchte die gruͤnende Kuͤſte von Morven ,
Dort erhebt ſich ihr Grab auf einem einſamen Huͤgel ;
Agandecka’s Wohnung umrauſchen die Wogen des Weltmeers .
Oft umtoͤnte den Huͤgel die liebliche Stimme von Kona ,
Oſſians Leyer , mit ihr die Stimme der ſanften Malvina !
So umwallten uns manche Geſichte der grauenden Vorzeit .
Sie entſchwebten dem Wogengeraͤuſch des heili - gen Meeres ,
Dem Geſaͤuſel der Buchen , dem rothen und thauenden Himmel .
168 Lange wallten wir noch am hohen Ufer , und ſahen
Unter uns drei ruhige Huͤtten , ans ſteile Geſtade
Angelehnt , und freundlich genezt von der ſchmei - chelnden Welle .
Laͤmmer weideten zwiſchen den Huͤtten im wan - kenden Graſe ,
Und am kuͤhlenden Born mit ſprudelndem Sil - bergeſtaͤnbe ,
Weiden und bluͤhende Flieder umſchatten die mit - telſte Huͤtte .
Laͤchelnd weilte beim lieblichen Anblick Emiliens Auge . „ Fromm ſind deine Bewohner , du mooſige Huͤt - te ! „ ſie ſprach es ,
Und es ſuchet ’ ihr Blick den Pfad zur mooſigen Huͤtte .
Suͤſſe Schauer ergriffen dich , Freundin ! o laß dir erzaͤhlen ,
Welche Schauer es waren , und wer die Schauer dir ſandte !
Fromme Seelen , das wuſteſt du nicht ! um - ſchwebten dich leiſe , 169 Wehten dir Empfindungen zu und liſpelten freundlich .
Dieſe Baͤume waren noch nicht ; auf eben der Staͤtte
Waren Huͤtten gebaut , und waren Huͤtten ge - ſunken ,
Und in aͤhnlicher Wohnung , von aͤhnlichen Baͤu - men umſchattet ,
Lebte Sveno hier mit ſeinem Weibe Gotilde ,
Seinen mutigen Soͤhnen und zart aufbluͤhenden Toͤchtern .
Aecker hatten ſie nicht , ſie lebten von Fruͤchten des Gartens ,
Von der einzigen Kuh , dem Netze , der ſchwan - kenden Angel .
Oftmal ſaſſen ſie hier , gekuͤhlt von thauenden Luͤften ,
Wenn die Abendſonne das flutende Weltmeer erhellte ,
Bis ſich uͤber den Sund die oͤſtlichen Schimmer des Mondes 170 Zitternd erhuben , und heimzukehren die Gluͤckli - chen lockten .
Kummer kannten ſie nicht , nur Sorgen der zaͤrtlichſten Liebe ;
Einfalt deckte den frohen Tiſch , ihn wuͤrzte die Freiheit ,
Und es ſorgte kein Tag fuͤr ſeine juͤngere Bruͤder .
Vater ! es bauet der Menſch ſein Haus ; es niſtet die Schwalbe
Jm Geſimſe ; du naͤhreſt die Schwalbe ; du naͤhreſt den Menſchen !
Fruͤhe fuhr taͤglich Sveno ins Meer mit taͤu - ſchendem Netze ,
Oft die Soͤhne mit ihm , oft Weib und Toͤchter und Soͤhne .
Alſo fuhren ſie einſt zuſammen , und freuten ſich herzlich
Ueber den Mond und den Morgenſtern und den kommenden Morgen . „ Sveno , wie gleitet der Nachen ſo ſanft ! „ — „ So fuͤhrt uns , Gotilde ,
Gott durchs Leben , hinuͤber ins Land der ewigen Ruhe ! „ — 171 Freudig ſagt ’ es der Mann , und thraͤnend erwie - dert Gotilde : „ Wer von uns wird zuerſt , o Sveno , den an - dern verlaſſen ?
Wer von uns zulezt die Kinder als Waiſen ver - laſſen ? „ — „ Wie Gott will ! — Nun ſo rudert , ihr Kna - ben ! Es ſchwellen die Fluten . „
Vater und Knaben ruderten raſch ; es laͤchelte weinend ,
Auf die Augen verbergende Hand geſtuͤtzet , Gotilde .
Gott ſah ihre Thraͤnen und rief dem Winde , Schon rauſchte
Hoͤher die Flut ; ſchon brauſte der Sturm ; ſchon tobte die Windsbraut ,
Daß das Segel zerriß , eh ’ ſie’s zu ſenken ver - mogten .
Vater und Knaben ruderten raſch ; nun weinte die Mutter
Laut empor ; es weinten , wie ſie , die zagenden Toͤchter ,
Bis die Welle ſich thuͤrmender hub , den Nachen an Felſen 172 Warf , und Vater und Mutter und Kinder auf einmal hinabſchlang .
Engel ſchwebten uͤber der Flut : ſo ſchwebet der Bogen
Gottes uͤber der ſtaͤubenden Flut des ſtuͤrzenden Stromes !
Ach ! nun ſchweben mit ihnen die Seelen in ſtralendem Fluge
Alle zugleich hinuͤber ins Land der ewigen Ruhe .
Jhre Leichen trennte das Meer nicht , und wiegte ſie ſorgſam
Ans Geſtad , und weinend begrub ſie , unter den Buchen ,
Auf dem Huͤgel , der Nachbar , wo uns , im Hau - che des Abends ,
Heitre Gedanken des Tods und der Auferſtehung umſchwebten .
Sonne , du ſteigſt , und ſinkeſt , um wieder zu ſteigen ! Einſt wirſt du
Sinken in ewige Nacht ! Dann fragen ſich wundernd die Sterne : 173 „ Warum ſaͤumt die leuchtende Schweſter im pur - purnen Lager ?
Weilt ſie im kuͤhlenden Bade des Meers ? „ — Jm Bade des Meeres
Weilt ſie nicht , und nicht in ihrem purpurnen Lager ;
Sterne , ſie ſtarb ! Einſt ſterbt ihr , wie ſie , ihr Soͤhne des Lichtes !
Ach ! die goldene Saat von Sonnen und Ster - nen und Monden
Rauſchet entgegen der Sichel des Todes , und neue Gefilde
Keimen empor , dereinſt mit neuen Saaten gekroͤnet ,
Bis auch dieſe das rollende Jahr des Himmels gereifet ! —
Laß ſie rollen die Jahre des Himmels ! mit Saaten der Schoͤpfung
Und mit Erndten der Schoͤpfung ein jedes berei - chert ; wir werden
Saͤen ſehn und erndten , geſchmuͤckt mit ewiger Jugend !
Solche Gedanken fuͤhrten uns heim ; wir freuten uns innig 174 Unſers unſterblichen Lebens und unſrer ewigen Freundſchaft !
Freunde ! die Goͤttin verlaͤßt mich , ſonſt ſaͤng ’ ich die lieblichen Haine ,
Sie mit Baͤchen gewaͤſſert , geſchmuͤckt mit Huͤ - geln und Thalen ,
Und die zwanzig Seeen mit Eichen und Buchen umkraͤnzet .
Saͤnge Waldemars Huͤgel , wo , unter rauſchen - den Eſchen ,
Mancher Schauer der Vorzeit den ſinnenden En - kel erhaſchet .
Ach Begeiſtrung ! melodiſch erſcholl der Flug deiner Ankunft ;
Nun enteileſt du mir im ſchwebenden Saiten - geliſpel ;
Kehre wieder , und bald , aus deiner toͤnenden Halle !
An Juͤnglinge . J hr froͤhlichen Juͤnglinge , hoͤret
Den froͤhlichen Juͤngling ! Er lehret
Euch gluͤcklich und weiſe zu ſein .
Heut iſt mir’s im Herzen ſo helle !
Jch ſchoͤpfe die Freud ’ aus der Quelle
Jn altem Hungariſchen Wein !
Auf wackre Geſellen , und traͤnket
Mit Freude die Seelen ! Es kraͤnket
Den hoͤlliſchen Drachen das Gluͤck .
Doch huͤtet euch , Bruͤder ! Er lauſchet ,
Und wo ſich ein Juͤngling berauſchet ,
Da grinzt er mit ſchielendem Blick !
176 Oft fuͤhrt er bei naͤchtlichen Fackeln
Die Reigen der Thoren ; ſie wackeln
Frohlockend , und traͤumen nicht Harm .
Er fuͤhrt ſie im Taumel des Tanzes ;
Noch duften die Blumen des Kranzes ,
Schon haͤlt ſie die Lais im Arm.
Jch warne dich , flatternde Jugend :
Oft grenzet die Freude der Tugend
An giftiger Laſter Genuß .
So ſchleichet , im freundlichen Schatten
Der Pappel , auf bluͤhenden Matten ,
Die Natter , und ſticht dich in Fuß .
Drum merke dir , was ich dich lehre :
Auf daß dich der Feind nicht bethoͤre ,
So ſuche dir heut noch ein Weib !
Statt laͤnger zu flattern , erwaͤhle
Ein Maͤdchen mit lieblicher Seele ,
Und eben ſo lieblichem Leib !
177 Es halte ſich jeder zur Schande ,
Zu fliehn die holdſeligen Bande ,
Womit uns ein Weibchen umſchlingt !
Sie fuͤhrt uns am roſigen Baͤndchen ,
Mit ſamtnen liebkoſenden Haͤndchen ,
Bis ſie in den Himmel uns bringt !
O Wonne , ſein Weibchen zu wiegen
Jn Armen der Liebe , zu liegen
Beim Weibchen in ſuͤſſem Genuß !
Jch achte , mit neidenden Blicken
Und ſchmachtendem Geiſterentzuͤcken ,
Umſchweben die Engel den Kuß .
Jch haͤtt ’ euch noch vieles gelehret ;
Das Maͤdchen hier hat mich geſtoͤret ;
Sie weckte den Trunknen dort auf .
Wart , Braune ! Gleich wirſt du ihm buͤſſen !
Er ſtraͤft dich mit duftenden Kuͤſſen .
Und haſcht dich im wankenden Lauf !
Die Buͤſſende . Ballade . H oͤrt , ihr lieben deutſchen Frauen ,
Die ihr in der Bluͤthe ſeid ,
Eine Maͤhr ’ aus alter Zeit ,
Die ich ſelbſt nicht ohne Grauen
Euren Ohren kan vertrauen ;
Denn mit Schrecken ſollt ihr ſchauen ,
Wie ein Ritter ſonder Glimpf
Raͤchte ſeines Bettes Schimpf .
Jn den alten Biederzeiten ,
Da noch Keuſchheit Sitte war ,
Und ein Weib nicht um ein Haar
Durft ’ aus ihrem Wege gleiten ,
Kam ein Rittersmann von weiten ,
Der zum Kaiſer ſolte reiten ,
Von Navarra’s Fuͤrſt geſandt
Jn das heil’ge deutſche Land .
193 Einſt da Strom und Nachtwind brauſte ,
Und ſein Roß ermuͤdet war ,
Ward er eine Burg gewahr ,
Wo ein deutſcher Ritter hauſte ,
Deſſen Hof der Sturm durchſauſte ,
Und der Ulmen Haupt zerzauſte ;
Freudig leitet ’ er ſein Roß
An das hochgethuͤrmte Schloß .
Laut klopft er ans Thor ; es klappen
Jhm die Zaͤhn ’ , er war erſtarrt ;
Denn des Winters Froſt war hart .
Bald erſchienen edle Knappen ,
Forſchten nach des Fremdlings Wappen ,
Hielten ſeinen treuen Rappen ,
Fuͤhrten dann bei Fackelſchein
Jhn in den Palaſt hinein .
Stolb . N 194 Herzlich , nach der Deutſchen Weiſe ,
Ging auf ihn der Deutſche zu : „ Kom , geneuß bei mir der Ruh
Nach der ſchweren Winterreiſe ,
Und erquicke dich mit Speiſe !
Sieh , es glaͤnzt von Reif und Eiſe
Dir das Haupthaar und der Bart ;
Auch iſt deine Hand erſtarrt . „ —
Bei der krummen Hoͤrner Schalle
Fuͤhrt ’ er den erfrornen Mann ,
Einen Windelſteig hinan ,
Jn die kerzenvolle Halle .
Seine Vaͤter ſtanden alle ,
Aus gegoſſenem Metalle ,
Schoͤn gewapnet , ohne Zahl
Jn dem ungeheuren Saal .
195 Hier heißt er das Mahl bereiten ,
Und ſchon ſizen ſie am Tiſch .
Unſre Helden trinken friſch ,
Aus Pokalen und aus breiten
Tumlern , nach dem Brauch der Zeiten ;
Rheinwein und Tokayer gleiten
Jn die Kehlen glatt hinein ,
Welſcher und Burgunder Wein .
Aber mitten in der Freude
Oefnet eine Thuͤre ſich ;
Stum und langſam feierlich ,
Komt ein Weib in ſchwarzem Kleide ,
Ohne Gold , Geſchmuck und Seide ,
Abgehaͤrmt von bitterm Leide ,
Mit geſchornem Haupte , ſchoͤn
Wie der blaſſe Mond zu ſehn .
196 Grauen uͤberfiel und Beben
Den Navarrer ; er ward blaß ;
Jhm entſank ein Doppelglaß ,
Und er zweifelte , ob Leben
Waͤr ’ im Weibe , ob ſie ſchweben ,
Senken , oder ſich erheben
Wuͤrde , ein Geſpenſt der Nacht ,
Das in grauſen Stunden wacht .
Aber naͤher kam ſie ihnen ,
Sezte nun ſich an den Tiſch ,
Aß zween Biſſen Brod und Fiſch ,
Und ſie ſchellte ; da erſchienen ,
Mit des Mitleids truͤben Mienen ,
Knappen , ihrer Frau zu dienen ;
Einem winkt ſie ; er verſteht
Jhren Jammerblick , und geht .
197 Und ſchon haͤlt er in der Linken
Einen Schaͤdel , ſpuͤlt ihn rein ,
Gieſſet Waſſer dann hinein ,
Haͤlt’s ihr ſchweigend dar zu trinken ;
Ach ! ſie laͤßt die Augen ſinken ,
Sieht den naſſen Schaͤdel blinken ,
Starret vor ſich , trinkt ihn aus ,
Sezt ihn hin , und wankt hinaus .
„ Jch beſchwoͤre dich , zu ſagen , „
Hub der fremde Ritter an : „ Was hat dir dies Weib gethan ?
Wie kanſt du mit dieſen Plagen
So ſie martern ? wie ertragen
Jhrer Thraͤnen ſtumme Klagen ?
Sie iſt ſchoͤn , wie Engel ſind ,
Und geduldig , wie ein Kind . „ —
198 „ Fremdling , ſie iſt ſchoͤn ! Jch baute
Auf die Schoͤnheit all mein Gluͤck ;
Labte mich an ihrem Blick ,
Wann ſie bei der ſanften Laute
From und liebend auf mich ſchaute !
Ach ! mein ganzes Herz vertraute
Sonder Zweifeln ich ihr an ,
War ein hochbegluͤckter Mann !
Jhre ſchoͤnen Augen logen !
Wer ergruͤndet Weibesſinn ?
Jhre Liebe war dahin ,
Einem Buben zugeflogen ,
Den ich in der Burg erzogen !
Lange hat ſie mich betrogen ;
Meines Herzens Lieb und Treu
Blieb ſich immer gleich und neu !
199 Als ich einſt von frohen Siegen
Unvermutet kam zuruͤck ,
Ach ! da ſah mein erſter Blick ,
Der ſie fand nach langen Kriegen ,
Sie in meinem Bette liegen
Mit dem Ehebrecher ! Schmiegen
Thaͤt er wie ein Lindwurm ſich ,
Doch ihn traf der Todesſtich !
Aber ſie fiel mir zu Fuͤſſen ,
Flehend : „ Herr , erbarme dich
Meiner , und erwuͤrge mich !
Laß mich mein Verbrechen buͤſſen !
Sieh , das Eiſen moͤgt ’ ich kuͤſſen ,
Das da ſoll mein Blut vergieſſen ,
Und mich bald in jener Welt
Meinem Trauten zugeſellt ! „ —
200 Jn dem Augenblick gedachte
Jch in meinem Zorne doch
Jhrer armen Seelen noch ,
Und das Bild der Hoͤlle brachte
Schrecken in mein Herz ; doch wachte
Meine Rache noch , und fachte
Meines Zornes Glut ; ich ſprach : „ Buͤſſen ſollſt du meine Schmach !
Aber nicht mit deinem Leben ! —
Denn was haͤtt ’ ich deß Gewinn ,
So du fuͤhrſt zum Teufel hin ?
Nein , mit Thraͤnen , Flehn und Beben ,
Magſt du nach dem Heile ſtreben ,
Ob dir wolle Gott vergeben ;
Aber Jammer , Angſt und Noth
Geb ich dir bis an den Tod ! „
201 Da thaͤt ich ihr Haupt beſcheeren ,
Nahm ihr Gold und Edelſtein ,
Huͤllte ſie in Trauer ein ,
Ungeruͤhrt von ihren Zaͤhren .
Welche Schmerzen ſie verzehren ,
Magſt du von ihr ſelber hoͤren .
Faſſe dich , und folge mir
Hier durch dieſe Seitenthuͤr ! „ —
Und er fuͤhrt ’ ihn eine lange ,
Steile , dunkle Trepp ’ hinab . „ Ach ! du fuͤhrſt mich in ein Grab ! „ —
Rief der Ritter , und ward bange . „ Graut dir ſchon vor dieſem Gange ?
Aber horch dem leiſen Klange
Einer Laute ! Bei dem Klang
Singt ſie ihren Bußgeſang . „ —
202 „ Halt ! nun ſind wir an der Schwelle ! „ —
Rief der Deutſche , ſtieß ans Schloß ;
Raſſelnd ſprang die Feder los ,
Und ſie ſahn ſie in der Zelle .
Von den Augen ſtuͤrzt die helle ,
Gottgeweihte Thraͤnenquelle ,
Flieſſet , aus zerknirſchtem Sinn ,
Auf das ofne Pſalmbuch hin .
„ Ach ! wie iſt ihr Schickſal bitter ! „
Ruft der Gaſt , und geht hinein .
Stracks fuͤhrt ’ ihn an einen Schrein
Der geſtrenge Deutſche Ritter .
Wie getroffen vom Gewitter
Sieht er , hinter einem Gitter ,
O , wer haͤtte das geglaubt ?
Ein Gerippe ſonder Haupt .
z. S. 202. III . [figure] 203 Als der Fremdling ſich ermannte ,
Sprach der Deutſche : „ Sieh den Mann ,
Der dies Weib hier liebgewann ,
Erſt fuͤr ſie im ſtillen brannte ,
Dann ſein Feuer ihr bekannte ;
Den ſie ihren Trauten nannte ,
Der mit ſeiner Frevelthat
Mir mein Bett beſchimpfet hat !
Das iſt nun ihr groͤßtes Leiden ,
Daß ſie ihren Ehemann ,
Der ſolch Leid ihr angethan ,
Muß beſtaͤndig um ſich leiden !
Jenes Anblick gab ihr Freuden
Sonſt , nun moͤgt ’ ſie gern ihn meiden ,
Doch ſie ſieht ihn , und beim Mahl
Jſt ſein Schaͤdel ihr Pokal . „ —
204 Ehe ſie das Weib verlaſſen ,
Wuͤnſcht der Fremdling ihr Geduld ,
Und Erlaſſung ihrer Schuld .
Sie antwortete gelaſſen
Mit geſenktem Blick , und blaſſen
Lippen : „ Ritter , nicht zu faſſen
Jſt mit Worten mein Vergehn !
Deiner Magd iſt recht geſchehn ! „ —
Freundlich wuͤnſchte ſie den Rittern
Gute Nacht ! Sie gehen fort
Aus dem jammervollen Ort.
Bilder ihrer Angſt erſchuͤttern
Den Navarrer ; ſie verbittern
Jhm den dunkeln Weg ; es zittern
Seine Kniee ; banger Schweiß
Ueberlaͤuft ihn , kalt wie Eis .
205 Endlich koͤmt er in ſein Zimmer .
Bang ’ und kummervoll durchwacht
Er die lange Winternacht .
Ach ! er ſah ihr Bildniß immer ,
Wie ſie bei der Lampe Schimmer
Spielte , ſang und weinte . Nimmer
Ward wol je ein Weib geſehn ,
Das ſo elend war und ſchoͤn .
Bei der goldnen Morgenroͤthe
Thaͤt er ſeine Ruͤſtung an ,
Gieng hinein zum deutſchen Mann ,
Nahm ihn bei der Hand und flehte ,
Daß er , eh der Gram ſie toͤdte ,
Aus dem Jammer ſie errette ;
Sprach es , ſchwang ſich auf ſein Roß ,
Und verließ das alte Schloß .
206 Jahre waͤhrten ihre Leiden ;
Jhre helle Thraͤne ſank
Taͤglich in den bittern Trank ,
Abgeſtorben allen Freuden ,
Thaͤt ſie jedes Labſal meiden ,
Thaͤt an ihrem Gram ſich weiden ,
Sang den frommen Bußgeſang
Taͤglich bei der Laute Klang .
Endlich ruͤhrt ’ ihr leiſes Stoͤhnen ,
Und ihr demutvoller Schmerz
Des geſtrengen Mannes Herz .
Wer vermag ſich zu den Toͤnen
Leiſer Klage zu gewoͤhnen ?
Ruͤhrender bewegen Thraͤnen
Einer ſtummen Dulderin
Jeden felſenharten Sinn .
207 Sieh , er ließ ſein raſches Draͤuen ,
Jhr die ganze Lebenszeit
Anzufuͤgen ſolches Leid ,
Sich aus Herzensgrunde reuen ;
Nahm ſie in ſein Bett von neuen ,
Thaͤt ſich weidlich mit ihr freuen ;
Zeugte Soͤhne , ſtark von Art ,
Toͤchter , wie die Mutter zart .
Unſre Frauen zu belehren
Hab ich ſolches kund gemacht ,
Und in ſaubre Reimlein bracht ;
Auch die Herrchen zu bekehren ,
Die der Weiblein Herz bethoͤren ,
Und ſich taͤglich bei uns mehren .
Tauſend Schaͤdel , die wir ſehn ,
Solten auf dem Schenktiſch ſtehn .
Orpheus und Eurydice . Virg. Georg . IV . 464 — 572. O rpheus troͤſtete mit der gewoͤlbten Leier ſein Sehnen ,
Dich , du ſuͤſſes Weib ! dich ſang er am einſamen Ufer ,
Dich mit dem kommenden , dich mit dem nieder ; ſinkenden Tage !
Durch die Taͤnariſchen Schluͤnde , durch die Pfor - ten des Pluton ,
Ipſe cava ſolans aegrum teſtudine amorem ,
Te , dulcis conjux , te ſolo in littore ſecum ,
Te , veniente die , te decedente canebat !
Taenarias etiam fauces , alta oſtia Ditis ,
235 Durch den duͤſtern Hain , den ſchwarzes Grauen umhuͤllet ,
Ging er , hin zu den Manen , hin zum ſchrecklichen Koͤnig ,
Herzen nimmer vordem durch menſchliche Bitten erweichet .
Sich , es erregte ſein Lied des Erebus nich - tige Schatten ,
Daß ſich von ihren Sizen die dunkeln Geſtalten erhuben ,
Zahllos , wie der Voͤgel Tauſende , welche der Abend ,
Et caligantem nigrâ formidine lucum
Ingreſſus , Manesque adiit , Regemque tremen - dum ,
Neſciaque humanis precibus manſueſcere corda .
At cantu commotae Erebi de ſedibus imis
Umbrae ibant tenues , ſimulacraque luce caren - tum ,
Quam multa in foliis avium ſe millia condunt .
236 Oder ein Ungewitter , von Bergen in Buͤſche verſcheuchet .
Weiber und Maͤnner erſchienen , und abgeſchie - dene Leichen
Edler Helden , noch unverlobter Jungfraun und Knaben ,
Und der Juͤnglinge , die dereinſt vor den Augen der Eltern
Auf dem Scheiterhaufen die Flamme hatte ver - zehret ,
Welche nun alle ſchwarzer Schlamm und ſcheus - liches Schilfrohr
Und der menſchenfeindliche traͤge Pful des Ko - cythus
Veſper , ubi aut hibernus agit de montibus im - ber ;
Matres atque viri , defunctaque corpora vitâ
Magnanimûm heroum , pueri , innuptaeque puellae ,
Impoſitique rogis juvenes ante ora parentum ;
Quos circum limus niger et deformis arundo
Cocyti , tardâque palus inamabilis undâ
237 Einſchleußt , und der Styx neunmal umherge - goſſen .
Ja , es ſtaunte ſelber die Burg , es ſtaunten des Todes
Tiefſte Schatten , die Schlangenumwundenen Eumeniden ,
Cerbers drei zum Bellen geoͤfnete Rachen ver - ſtumten ,
Und Jxions Rad blieb ſtehn bei ſeinem Geſange .
Siehe , ſchon ging zuruͤck , den Gefahren entron - nen , ſchon nahte
Alligat , et novies ſtyx interfuſa coërcet .
Quin ipſae ſtupuere domus , atque intima Lethi
Tartara , caeruleosque implexae crinibus angues
Eumenides , tenuitque inhians tria Cerberus ora ,
Atque Ixionii cantu rota conſtitit orbis .
Iamque pedem referens caſus evaſerat omnes ,
238 Eurydice , wiedergeſchenkt den oberen Luͤften ,
Orpheus folgend , ſo hatte Proſerpina ſelber ge - boten ,
Als unachtſame Thorheit ergriff den liebenden Juͤngling ,
Zwar ſo leicht zu verzeihn , wofern die Manen verziehen !
Stehen blieb er , nun ſchon dem Lichte naͤher , und wandte ,
Ach ! uneingedenk des Befehls und liebebe - zwungen ,
Sich nach ſeiner Geliebten um — des harten Tirannen
Redditaque Eurydice ſuperas veniebat ad auras ,
Pone ſequens , namque hanc dederat Proſerpina legem ,
Quum ſubita incautum dementia cepit aman - tem ,
Ignoſcenda quidem , ſcirent ſi ignoſcere manes .
Reſtitit , Eurydicenque ſuam , jam luce ſub ipſa ;
Immemor , heu , victusque animi reſpexit — ibi omnis
Effuſus labor , atque immitis rupta tyranni
239 Buͤndniß war gebrochen , und Orpheus Muͤhe verſchuͤttet !
Dreimal ward ein Getoͤſe gehoͤrt im Averniſchen Sumpfe .
Ach , rief ſie , durch wen , mein Orpheus ! ſind wir verloren ?
Weſſen Wut ergreift mich ! es ruft das grauſame Schickſal
Mich zuruͤck , und Schlummer umhuͤllt die ſchwimmenden Augen !
Lebe wohl ! ſchon werd ’ ich , in Nacht verhuͤllet , ergriffen ,
Meine ſchwachen Haͤnde , nicht mehr die Deine ! dir reichend .
Foedera , terque fragor ſtagnis auditus avernis .
Illa , quis et me , inquit , miſeram , et te per - didit , Orpheu ?
Quis tantus furor ? en iterum crudelia retro
Fata vocant , conditque natantia lumina ſomnus !
Iamque vale ! ſeror ingenti circumdata nocte ,
Invalidasque tibi tendens , heu , non tua ! palmas .
240 Sprach’s , und verſchwand , wie ein nichtiger Rauch in die Luͤfte ſich miſchet ,
Seinen Augen , und ſah ihn nicht mehr ; vergebens umarmt er
Leere Schatten ; er wolte noch viel , und konte nicht reden ;
Wieder den Pful zu durchſchiffen verbot der Faͤhr - mann des Orkus .
Ach , was ſolt ’ er thun ? zum zweiten mal war ſie entriſſen !
Welche Thraͤnen konten die Manen und Goͤtter erweichen ?
Sieh , erkaltet ſchiffte ſie ſchon im ſtygiſchen Nachen !
Dixit ; et ex oculis ſubito , ceu fumus in auras
Commiſtus tenues , fugit diverſa , neque illum
Prenſantem nequidquam umbras , et multa volen - tem
Dicere , praeterea vidit , nec portitor Orci
Amplius ob jectam paſſus tranſire paludem .
Quid faceret ? quo ſe , rapta bis conjuge , ferret ?
Quo fletu manes , qua Numina voce moveret ?
Illa quidem Stygia nabat jam frigida cymba .
241 Sieben nach einander gereihte Monden durch - weint ’ er
Unter einem Felſen , an Strymons oͤdem Ge - waͤſſer ;
Sein Geſang erſcholl in Schauerbringenden Hallen ,
Daß er zaͤhmte den Tiger , und ihm die Eiche ſich neigte !
Wie im Pappelſchatten die klagende Philo - mele
Jhre verlornen Kinder beweint , die ein grauſa - mer Landmann
Sah ’ und federlos entriß dem Neſte , die Mutter
Septem illum totos perhibent ex ordine menſes
Rupe ſub aëria deſerti ad Strymonis undam
Fleviſſe , et gelidis haec evolviſſe ſub antris
Mulcentem tigres , et agentem carmine quercus .
Qualis populca moerens Philomela ſub umbra ,
Amiſſos queritur foetus , quos durus arator
Obſervans nido implumes detraxit , at illa
Stolb . Q 242 Jammert , die ganze Nacht ihr weinendes Lied erneuend ,
Und erfuͤllt die Gegend umher mit trauernder Klage .
Venus beugte nicht mehr ſein Herz , und nicht Hymenaͤus ;
Einſam ging er umher an Tanais ſchneeigem Ufer ,
Auf Rhipaͤiſchen Feldern , die immer ſtarren vom Reife ,
Eurydice beweinend , beweinend des grauſamen Pluton
Flet noctem , ramoque ſedens miſerabile carmen
Integrat , et moeſtis late loca queſtibus implet .
Nulla Venus , non ulli animum flexere Hy - menaei ,
Solus Hyperboreas glacies , Tanaïnque nivalem ,
Arvaque Rhipaeis nunquam viduata pruïnis
Luſtrabat , raptam Euridicen atque irrita Ditis
243 Eitle Gunſt . Deß zuͤrnten verachtet Cikoniens Weiber ;
Bei den Feſten der Goͤtter , in naͤchtlicher Feier des Bacchus ,
Streuten ſie uͤbers Gefilde , zerriſſen , die Glieder des Juͤnglings .
Da noch hat ſein Haupt , vom Marmornacken geriſſen ,
Als im mittelſten Strudel der flutende Hebrus es waͤlzte ,
Ausgerufen mit kalter Zunge : Eurydice !
Ach , mit fliehender Seele , Eurydice ! gerufen ,
Eurydice ! ſchollen des ganzen Stromes Geſtade !
Dona querens : ſpretae Ciconum quó munere matres ,
Inter ſacra Deum , nocturnique orgia Bacchi ,
Diſcerptum latos juvenem ſparſere per agros .
Tum quoque marmorea caput a cervice revolſum ,
Gurgite cum medio portans Oeagrius Hebrus
Volveret , Eurydicen vox ipſa et frigida lingua
Ah miſeram Eurydicen anima fugiente volabat ,
Eurydicen toto referebant flumine ripae .
Der wahre Traum . Eine Ballade . W underſam , durch Dunkelheiten ,
Geht , allheilige Natur ,
Deines Zaubertrittes Spur ;
Ahndend folgen die Geweihten ;
Aber ſieh , es irren , gleiten
Kluͤglinge , die ſelbſt ſich leiten ,
Die des Duͤnkels Jrwiſchſchein
Zieht in Sumpf und Pful hinein .
Wohl mir , Goͤttin , daß zu deiner
Hochbegluͤckten Juͤnger Schaar ,
Als die Mutter mich gebar ,
Du mich laſeſt , von gemeiner
Bahn mich fuͤhrteſt , zu geheimer
Weisheit Pſad , wo heller , reiner
Jeder Wahrheit Urborn quillt ,
Und des Forſchers Schmachten ſtillt .
245 Bald , als Feuerſaͤul ’ , erhebet
Sich dein Haupt gen Himmel ; wir ,
Voll Begeiſt’rung , folgen dir
Jn die Himmel , neu belebet :
Bald , als Wolkenſaͤul ’ , umſchwebet
Heilig Dunkel uns ; dann bebet
Ahndungsſchauer , der uns mild
Lockt in Edens Duftgefild .
Oft , um muͤtterlich zu walten ,
Lehr ’ und Warnung zu verleihn ,
Wenn Gefaͤhrlichkeiten draͤun ,
Mut und Glaub ’ in uns erkalten ,
Bei der Rechten uns zu halten ,
Huͤllſt du dich in Traumgeſtalten ,
Liſpelſt , in des Schlummers Ruh ,
Offenbarungen uns zu .
246 So noch geſtern . — Freunde , hoͤren
Sollt ihr ſtaunend , was geſchah ,
Welches Traumgeſicht ich ſah ;
Eu’r Vertrauen zu vermehren ,
Soll euch dieſer Handſchlag ſchwoͤren ,
Daß ich euch nicht will bethoͤren ,
Wahrlich dieſer Traum nicht ſei
Ein Geſpinſt der Phantaſei .
Als ich ſanft und ſchlummernd ruhte ,
Alles Kummers unbewußt ,
Wol auf meines Weibes Bruſt ,
Horcht , da kam mit hohem Mute ,
Wie entſproßt aus edlem Blute ,
Zu der Eich ’ , an der ich ruhte ,
Schoͤn gewappnet , angethan
Nach der Ritter Brauch , ein Mann ;
247 Reichte traulich mir die Rechte ,
Traulich ſchlug ich drein , alsdann
Seine Red ’ er ſo begann : „ Muͤſſig ruhſt du hier ? Jch daͤchte ,
Lieber , kaͤmſt mit mir ; ich moͤchte
Wetten ſchier , wohin ich braͤchte
Dich , da ſolteſt du geſtehn ,
Daß du nie ſo was geſehn . „
Sonder Saͤumen thaͤt ich wallen
Mit dem Ritter , der mich bald ,
Wo am dunkelſten der Wald
Schattete , bald , nach Gefallen ,
Leitete durch Felſenhallen ,
Bald durch Truͤmmer wild verfallen ,
Dann der ſchroffen Kluft entlang ,
Dann bedroht vom Klippenhang .
248 Endlich langten wir zur Stelle ,
Zu des Ritters Fehdeſchloß ,
Das ein Zwinger rund umſchloß ;
Bruͤcken , Warten , Zinnen , Waͤlle ,
Pforten , Stein ſo Pfoſt ’ als Schwelle ,
Sicherten fuͤr Uberfaͤlle
Dieſe Burg ; als wir davor ,
Schloß von ſelbſt ſich auf das Thor .
Aus dem Thore ſchlich zur Linken ,
Unterirdiſch , wuͤſt ’ und bang ,
Ein gewoͤlbter Niedergang ;
Unterm Fuß , ſo thaͤt’s mir duͤnken ,
Sah ich Leichenſteine blinken ;
Aengſtlich folgt ’ ich , ſahe ſinken
Eine Fallthuͤr ; Leichenduft
Athmete die grauſe Gruft .
z. S. 249. IV . [figure] 249 Saͤrge ſtanden hier die Fuͤlle .
Einer ſchoͤn von Marmelſtein
Hatt ’ ein eigen Kaͤmmerlein . „ Hier in dieſes Grabes Stille , „
Sprach der Ritter , „ iſt mein Wille ,
Daß du ſeheſt , Freund , die Huͤlle
Des Gebeins , einſt weich und warm ,
Ach ! des Weibs in meinem Arm ! „ —
Auf des Todtenmahles Mitte
War , von Silber , glatt und ſchoͤn ,
Ein gediegner Kelch zu ſehn . „ Sage , Ritter , ſag ’ , ich bitte „ — —
Zuͤrnend blickt ’ er , winkt ’ und litte
Nicht zu enden , ſtieg drei Tritte ,
Gab den Kelch mir , ſah mich an : „ Zittre nicht ! Du biſt ein Mann ! „
250 Kaum hatt ’ er den Kelch gegeben ,
Als es in dem Wunderding
Brauſend an zu gaͤhren ſing
Und mit Macht herauszuſtreben ,
Gleich als ob der Traube Leben
Perlte drinnen ; ſich erheben
Thaͤt alsbald der weiſſe Schaum
Hoͤher denn des Kelches Saum .
Aus dem Schaumgeſprudel ſtiegen
Holder Bluͤmlein drei heraus ,
Wanden ſich in einen Strauß ;
Schaum und Gaͤhrung ſanken , ſchwiegen .
Schwebend ſich im Kelche wiegen
Sah ’ ich Roſ ’ und Veilchen , ſchmiegen
Sich um beide , unſchuldweiß ,
Das geliebte Kind des Mais .
251 Hold und lieblich duftend , bluͤhten
Meine Bluͤmlein ; ploͤzlich gohr
Schaumgeziſch im Kelch empor ;
Sauſend ſtieg’s , verſchlang mit Wuͤten
Meine Bluͤmlein ; drauf verſpruͤhten
Giſcht und Blaſen , aͤngſtlich muͤhten ,
Ach ! nicht lieblich , wie zuvor ,
Meine Bluͤmlein ſich hervor .
Aſchenfarb und welk , verblichen
Jede Schoͤne , ſuͤſſer Duft
Nun verkehrt in Grabesluft !
Todesſchweiß und Schauer ſchlichen ,
Ob dem bangen , fuͤrchterlichen
Anblick , uͤber mich ; entwichen
Waͤr ich ſchier . Der Rittersmann
Sah’s und hub zu reden an :
252 „ Einſt hatt ’ ich ein Weib ! Beſingen
Thaͤt kein Dichter je ein Weib ,
Schoͤn , wie ſie , an Seel und Leib ;
Keinem Maler ( hundert gingen
Stolz zum Werke ! ) thaͤt’s gelingen ,
Sie auf Leinewand zu bringen ;
Sie nur malte fein und glatt
Einſt ſich auf ein Roſenblat .
Einſt hatt ’ ich ein Weib ! „ ( Es bebten ,
Als er’s ſeufzte , perlenklar ,
Thraͤnen an der Wimper Haar . ) „ Lieb ’ und Gegenliebe lebten
Jn uns ; Ruh und Wonn ’ umſchwebten
Uns , und Heiterkeit ; die webten
Jn des Lebens Ungemach
Suͤſſe Freuden , Nacht und Tag.
253 Dennoch , ach ! — der Weiber Herzen
Sind ein Raͤzel allzumal ! —
Fand ſie Freude manchesmal ,
Jhren trauten Mann zu ſchmerzen ,
Kalt zu kuͤſſen , kalt zu herzen ,
Und der Liebe ſein zu ſcherzen .
Meiner Liebe ! warm und treu ,
Jmmer alt und immer neu ! „
Jmmer thaͤt das Wunder waͤhren
Jn dem Kelch ; es ſaußte , ſtieg ,
Bluͤhte , welkte , braußte , ſchwieg . „ Was dies Straͤuslein ſei , dies Gaͤhren ,
Sollſt du , „ ſprach er , „ ſtaunend hoͤren .
Dieſer Kelch faßt meine Zaͤhren ,
Die der Liebe Freudendrang ,
Und auch Gram , vom Ange zwang ! „ —
254 Da erwacht ’ ich bebend . Sehen
Thaͤt ich , ſtatt des Traumes Bild ,
Nur mein Weiblein ſuͤß und mild .
Jhres Odems leiſes Wehen ,
Jhres Buſens ſanftes Blaͤhen
Hieß mein Beben ſchnell vergehen .
Deine Warnung , Nachtgeſicht ,
Dank der Liebe ! ſchreckt mich nicht !
Hymne , an die Sonne . S onne , dir jauchzet , bei deinem Erwachen , der Erdkreis entgegen ,
Dir das Wogengeraͤuſch des Erdumguͤrtenden Meeres !
Fliehend rollet der Wagen der Nacht , in nichti - ge Wolken
Eingehuͤllt , und ſchwindet hinab in die ſchauern - de Tiefe .
Segnend ſtralſt du herauf , und braͤutlich kraͤnzet die Erde
Dir die flammenden Schlaͤfen mit thauendem Pur - purgewoͤlke . 256 Alles freuet ſich dein ! in ſchimmernde Feierge - wande
Kleideſt du den Himmel , die Erd ’ und die Flu - ten des Meeres !
Siehe , du leiteſt am roſigen Gaͤngelban - de den jungen
Freundlichen Tag ; er huͤllt ſich in deine Saff - rangewande ,
Aber , wie wachſen ſo ſchnell die Kraͤfte des himliſchen Juͤnglings !
Feuriger blickt er , er greift nach deinem ſtralen - den Koͤcher ,
Und ſchon ſchnellt er vom goldenen Bogen flam - mende Pfeile !
Zuͤrne , Himliſcher , nicht ! und ſoll dein Bogen ertoͤnen ,
O , ſo richte dein furchtbar Geſchoß auf des Ozeans Fluten ,
Auf der ſchneeigen Alpen herunter ſchmelzende Gipfel , 257 Und auf ſandige Wuͤſten , die Loͤwen und Tiger durchirren !
Zuͤrne , Himliſcher nicht ! Dir flehen der Voͤgel Geſaͤnge ;
Dir der ſaͤuſelnde Wald ; und dir die duftende Blume .
Wolleſt nicht des wehenden Zephyrs Fluͤgel ver - ſengen !
Wolleſt nicht austrinken das Labſal kuͤhlender Quellen !
Wolleſt vom zarten Graͤschen den kruͤmmenden Tropfen nicht nehmen !
Sonne , laͤchle der Erd ’ , und geuß aus ſtra - lender Urne
Leben auf die Natur ! Du haſt die Fuͤlle des Lebens !
Schoͤpfeſt , naͤher dem Himmel , aus himliſchen Quellen , und duͤrſteſt
Selber nimmer ! Als Gott , mit ſeiner Allmacht umguͤrtet ,
Wie mit guͤrtendem Schlauch ein Saͤmann , Son - nen dahinwarf , Stolb . R 258 Millionen auf einmal , jede mit Erden umkraͤnzet ,
Rief er , Sonnen , euch zu : verbreitet Leben und Waͤrme
Auf die duͤrftigen Erden ! Erbarmt euch der Duͤr - ſtenden , daß ich
Mich am groſſen Abend des Himmels euer er - barme !
Alſo rief er . Gedenke deß , o Stralende ! Fruͤher ,
Oder ſpaͤter komt der groſſe Abend des Himmels ,
Da ihr alle , zahlloſes Heer von maͤchtigen Sonnen ,
Werdet , wie Muͤcken am Sommerabend in Tei - che ſich ſtuͤrzen ,
Mit erbleichenden Stralen herunterfallen vom Himmel !
Euer harren Gottes Gerichte ! Gottes Erbarmung !
Waͤhne nicht zu vergehn ! Der groſſe Geber des Le - bens
Wird gefallne Muͤcken , gefallne Sonnen , in neues
Leben rufen ! Wie du auf ſchwaͤrmende Muͤcken herabſchauſt ,
Schaut er ewig herab auf alle kreiſende Himmel !
Der Geſang . An Schoͤnborn . W ie dem erwachenden Juͤnglinge ſchnell im
braͤutlichen Bette
Seine gaukelnden Traͤum ’ auf nichtigen Fluͤgeln
entſchwinden ;
Sonſt umirrten ſie , langſam ſchwebend , weilend
im Fluge ,
Noch ſein Haupt , wenn ſchon der Roſenwangi -
gen Stunde ,
Und dem erbleichenden Stern der Liebe ſein Auge
ſich aufſchloß ;
Nun verſchwinden ſie ſchnell ; denn neben ſich
ſieht der Begluͤckte ,
263 Sein ſanftathmendes Weib , in ſchlummernden
Reizen der Jugend ,
Lieblich wie den thauenden Abend im blumigen
Thale .
Ach ! ſie erwacht ! und oͤfnet Liebeſchmachtende
Augen ,
Wonnetrunken begruͤßt ſie der Blick des feutigen
Juͤnglings ,
Wie den erroͤthenden Mond die flammende Son -
ne begruͤſſet !
Wie dem Juͤnglinge dann die Traumgeſtalten
entflattern ,
So enteilen auch mir die bunten Traͤume des
Tages ,
Und wie Zephyr der hangenden Spinne Gewebe
zerwehet ,
So entſchwindet auch mir das Gewebe geſchaͤfti -
ger Stunden ,
Wenn der Entzuͤckung Sohn , der Geſang , in
goldenen Locken ,
Toͤnend , von Harmonien umſaͤuſelt , melodiſch
einherſchwebt !
264 Und oft ſchwebt er vom Himmel herab ! den
nahenden fuͤhl ’ ich ,
Meine Seel ’ erhebet ſich dann in ſteigender Wal -
lung ,
Wie das Meer ſich erhebt in der Kuͤhle des pur -
purnen Abends .
Neue Bilder ſchweben um ihn und junge Gedanken ,
Wie mit zahlloſen Blumen der Lenz die Erde
beſuchet ,
Und mit taufend Saͤngern des Hains in bluͤhen -
den Stauden !
Hohe Gedanken ſchweben um ihn , wie rund um
den Himmel
Flammende Sonnen mit gruͤngelockten Erden
umkraͤnzet ,
Und mit Silberwangigen Monden ! Mondſchein -
aͤhnlich
Leuchtet er manchmal ſanft und entlocket zaͤrtliche
Thraͤnen ;
Und dann eilt er mit Flammen umguͤrtet , gleich
dem Kometen ,
Wann er von Himmel zu Himmel im feurigen
Wagen daherrollt !
265 Sei mir gegruͤſſet , Geſang ! ſo oft du vom
hohen Olympos
Zu mir koͤmſt ! willkommen in jeder wechſelnden
Schoͤnheit !
Wenn du auf leiſe bebenden Wallungen ſanfter
Gedanken
Meine gleitende Seel ’ in vertrauten Stroͤmen
einherfuͤhrſt ,
Wo mir Freuden bluͤhen am Ufer , und Ruhe
mir ſchattet ,
Oder , wenn du , maͤchtig mich fuͤhrend , in ſtuͤr -
mender Eile ,
Ueber Meere ſtarker Gefuͤhle , ſonder Geſtade ,
Meinen ſtaunenden Geiſt den kreiſenden Strudeln
entreiſſeſt ,
Jzt mit flammenden Blizen die uͤberhangende
Draͤuung
Naͤchtlicher Wogen , und izt des Abgrunds Tie -
fen erhellend ,
Sei mir immer gegruͤßt mit uͤberwallender Seele ,
Heil dir , Goͤttlicher , Heil ! Dir dank ’ ich die
beſſern Minuten ,
266 Wenn mein ewiger Geiſt , in ſeinen Kraͤften ſich
wiegend ,
Schaffend winket , und ſchnell die neuen Schoͤp -
fungen toͤnen !
Heil dir , Goͤttlicher , Heil ! Du fuͤhrteſt ſtra -
lenden Fluges ,
Und auf Silbertoͤnenden Schwanenfluͤgeln , die
Seele
Meines trauten Schoͤnborn zu mir von der hor -
chenden Themſe !
Heil dir , Goͤttlicher , Heil ! Du fuͤhreſt , ſtra -
lenden Fluges ,
Und auf Silbertoͤnenden Schwanenfluͤgeln , die
Seele
Seines trauten Stolberg zu ihm vom Geſtade
des Nordmeers !
Hymne , an die Erde . E rde , du Mutter zahlloſer Kinder , Mutter und Amme !
Sei mir gegruͤßt ! ſei mir geſegnet im Feierge - fange !
Sieh , o Mutter , hier lieg ’ ich an deinen ſchwel - lenden Bruͤſten ,
Lieg ’ , o Gruͤngelockte , von deinem wallenden Haupthaar
Sanft umſaͤuſelt , und ſanft gekuͤhlt von thauen - den Luͤften !
Ach , du faͤuſelſt Wonne mir zu , und thaueſt mir Wehmut
Jn das Herz , daß Wehmut und Wonn ’ , aus ſchmelzender Seele ,
Sich in Thraͤnen und Dank und heiligen Liedern ergieſſen !
268 Erde , du Mutter zahlloſer Kinder , Mutter und Amme !
Schweſter der allfreuenden Sonne , des freund - lichen Mondes ,
Und der ſtralenden Stern ’ und der flammenbe - ſchweiften Kometen ,
Eine der juͤngſten Toͤchter der allgebaͤrenden Schoͤpfung ,
Jmmer bluͤhendes Weib des Segen traͤufelnden Himmels ! —
Sprich , o Erde , wie war dir , als du am er - ſten der Tage
Deinen heiligen Schooß dem bulenden Himmel enthuͤllteſt ?
Dein Erroͤthen war die erſte der Morgenroͤthen ,
Als er , im blendenden Bette von weichen ſchwel - lenden Wolken ,
Deine guͤrtende Binde mit ſiegender Staͤrke dir loͤßte !
Schauer durchbebten die ſtille Natur , und tauſend mal tauſend
Leben keimten empor aus der maͤchtigen Liebes - umarmung . 269 Freudig begruͤßten die Fluten des Meeres neuer Bewohner
Mannigfaltige Schaaren ; es ſtaunte der wer - dende Wallfiſch
Ueber die ſteigenden Stroͤme , die ſeiner Naſen entbraußten ;
Junges Leben durchbruͤllte die Auen , die Waͤlder , die Berge ,
Jrrte bloͤckend im Thal , und ſang in bluͤhenden Stauden ,
Wiegte ſich ſpiegelnd am Quell , auf wankenden Bluͤmchen , und girrte
Auf den Gipfeln der Ulme , die liebende Reben umſchlangen ;
Denn der edle Wiehrer nicht nur und der maͤch - tige Loͤwe ,
Nicht nur die Voͤgel des Hains , und ſummende goldene Fliegen ,
Tranken aus der Quelle des Lebens ; Libanons Zedern
Tranken auch ; es tranken die Haine , die Blu - men und Graͤschen , 270 Jedes nach ſeinem Maaſſe , vom Lebentrunkne - ren Menſchen
Bis zum Graͤschen im Thal und bebenden Sproͤs - ling des Berges .
Alle ſterben und werden gefuͤhrt von Stufe zu Stufe ,
Durch unendliche Reihen beſtimter Aeonen , ſie ſchleichen
Oder ſie fliegen , von Kraft zu Kraft ! von Schoͤ - ne zu Schoͤne !
Erde , dich liebt die Sonne , dich lieben die heiligen Sterne ;
Dich der himmelwandelnde Mond ! So bald du vom Schlummer
Dich erhebſt , und Thau aus duftenden Locken dir traͤufelt ,
Sendet die Sonne dir Purpur und Gold und glaͤnzenden Safrau .
Daß du braͤutlich geſchmuͤckt erſcheinſt im Mor - gengewande . 271 O wie ſchimmerſt du dann im roſigen Schleier ! mit tauſend
Jungen Blumen umkraͤnzt , von ſilbernen Trop - fen umtraͤufelt ,
Und mit glaͤnzender Binde des blauen Meeres umguͤrtet !
Aber , wenn dein Haupt zum ſuͤſſen Schlummer ſich neiget ,
Und in ſchattender Halle die Nacht die Glieder dir kuͤhlet ,
Siehe , dann laͤchelt der Mond , von ſeinem ein - ſamen Pfade ,
Sanfte Freuden dir zu , geſaͤugt am Buſen der Stille ,
Und dann ſingen die Sterne dir zu . Jn heili - ger Stunde
Hoͤrt ’ ich geſtern ihr Lied im Wehen woͤlbender Buchen .
Einigen deiner Kinder , o Mutter ! will ich erzaͤhlen ,
Was im goldnen Reihentanze die Sterne dir ſangen ;
Alſo ſangen ſie , lauſcht ihr Lieblingskinder der Mutter !
272 „ Schlumre ſanft , o Schweſter , im kuͤhlen duftenden Bette !
Schlumre , Geliebte , ſanft , auf daß du roſig erwa - cheſt !
Wilde Stuͤrme muͤſſen dir nicht die Locken zerwehen ,
Muͤſſen deine Stroͤme nicht uͤber die Ufer em - poͤren ,
Nicht den Wiegengeſang des rauſchenden Meeres verſtimmen !
Hekla muͤſſe dich nicht , dich muͤſſe der Aetna nicht wecken ,
Ruhen muͤſſe der Bliz in ſchwarzen Guͤrteln der Alpen ,
Keine Wolke verbergen vor uns dein liebliches Antliz ,
Muͤſſe dir keine den Blick des freundlichen Mon - des umſchleiern !
Leichtes Fuſſes muͤſſen vorbei die Stunden dir tanzen ,
Bis mit roſigem Finger die Morgenroͤthe dich wecket .
Deine Kinder muͤſſen dich nicht im Schlummer bekuͤmmern , 273 Denn ſie ſchlummern mit dir . Die wenigen , welche der Kummer
Von der Ruhe Lager verſcheuchte , troͤſtet mit milden
Blicken der ſanfte Mond , der mit den Weinenden weinet ,
Sich mit Freuenden freut , und liebend Lieben - den laͤchelt !
Deine Kinder , welche das Meer auf Schiffen um - tanzen ,
Wollen wir waͤhrend der Nacht am ſtralenden Gaͤngelband leiten ,
Daß die Gleitenden nicht ein kreiſender Strudel erhaſche !
Daß kein tuͤckiſcher Fels die eilenden Kiele verleze !
Schlumre ſanft , o Schweſter , im kuͤhlen duf - tenden Bette !
Schlumre , Geliebte , ſanft , auf daß du roſig er - wacheſt ! „
Alſo ſangen die Stern ’ und ſchimmerten freund - lich ; die Luͤfte
Bebten , wie mitertoͤnende Saiten der ruhenden Leier ,
Wenn ein preiſendes Chor den gewoͤlbten Tempel durchhallet !
Stolb . S 274 Erde , wie biſt du ſchoͤn , mit Gottes Stroͤ - men gewaͤſſert !
Wer vermag ſie zu ſingen ? Die Zwillingshel - den , den Ganges
Und den Jndus ? Wer die rauſchenden Waſſer des Euphrats ?
Wer den ſegnenden Nil , der aus ungeſehener Urne
Seine ſchwellende Fluten durch ſieben Muͤndun - gen ausſtroͤmt ?
Wer die herſchende Tiber ? Den heldenberuͤhm - ten Eurotas ,
Welcher fruͤh die nervige Jugend Lakoniens ſtaͤlte ?
Ach , wer bringt mich hinuͤber auf Adlers Fluͤgeln , zu deinen
Rollenden Meeren , du maͤchtigſter Orellana ! *) Orellana , der Amazonenfluß .
*) du Rieſe Unter den Fluͤſſen ! dir ſtaunen die heiligen Flu - ten des Weltmeers ,
Wenn du , ſtark wie ein Gott , in den Ozean dich ergieſſeſt !
275 Aber vor allen ſeid mir gegruͤßt im feiern - den Liede ,
Vaterlaͤndiſche Stroͤme ! Du edle Donau ! dem Morgen
Stroͤmſt du erroͤthend entgegen , und gruͤſſeſt die kommende Sonne ,
Wenn ſie flammend ihr Haupt aus purpurnen Wogen erhebet .
Wankende Saaten umrauſchen dich jaͤhrlich , und freudiges Landvolk
Tanzet , mit blauen Blumen umwunden , an dei - nem Geſtade ,
Wenn der Abend auf dir mit falben Fittigen ru - het ,
Und die glaͤnzenden Sicheln dem winkenden Abend - ſtern weichen !
Dir gebuͤhrt ein eigner Geſang , o Rhein - ſtrom ! vor allen
Fluͤſſen Deutſchlands biſt du mir werth ! Dich ſah ich als Knabe , 276 Wo , mit umwoͤlkter Hand , die Natur , am gaͤn - gelnden Bande ,
Ueber Nebel und ſtuͤrmenden Winden und zuͤcken - den Blizen ,
Deinen wankenden Tritt auf zackiger Felſenbahn leitet !
Mutiger rauſchet der Juͤngling einher , und ſeiner Umarmung
Stuͤrzet die bruͤnſtige Reuß mit ſchaͤumenden Wogen entgegen ;
Zuͤchtig folgt ihm die Aar in langſam ſchlaͤngeln - der Kruͤmmung .
O wie ſtuͤrzt er donnernd herab beim hallenden Laufen !
Unter dir beben die Felſen ; die gruͤnlichen Wogen verhuͤllen
Sich in glaͤnzenden Schaum ; der ſtaunende Wal - ler vernimt nicht
Seiner eignen Bewundrung Geſchrei , und hei - lige Schauer
Faſſen ihn , wie ſie die Felſen und zitternden Ei - chen ergreifen . 277 Ernſt , mit maͤnnlicher Kraft , theilſt du die Koſt - nizer Fluten ,
Eileſt Staͤdten vorbei , und traͤgſt auf maͤchtigem Ruͤcken
Schwimmenden Reichthum , ſchuͤzeſt die Grenzen des heiligen Reiches ,
Und beſchenkſt die Ufer mit hangenden goldenen Trauben !
O wie glaͤnzet die Freud ’ in Hochheims Bechern ! ſie wandelt
Sich zum Lied ’ im Munde des Dichters ! brin - get mir , Freunde ,
Schnell des goldenen Weins , auf daß ich wuͤrdig euch ſinge ,
Wie die Nymphe des Mains den goͤttlichen Bu - len umarmet !
Siehe , ſie fleußt ihm entgegen in ſanfter Wal - lung , und bringt ihm
Edle Geſchenke , den Reichthum der fruchtbaren Fraͤnkiſchen Fluren ,
Bringt ihm ſilberne Tropfen des allbezaͤhmenden Steinweins , 278 Den an Wuͤrzburgs Felſen die heiſſere Sonne ge - reift hat .
Solche Gaben bringt ihm die Nymphe mit be - bender Liebe ;
Aber er faßt ſie mit maͤchtigem Arm , und fuͤhrt ſie hinunter ,
Durch kriſtallne Hallen , in ſeine ſtille Behau - ſung ;
Glaͤnzender rollen die feiernden Wogen ; die ſchoͤ - nen Geſtade
Hallen weit umher vom Brautgeſange der Fluten !
Erde , wie biſt du ſchoͤn , mit wechſelnden Ber - gen und Thaͤlern ,
Mit ſanftrieſelnden Quellen geſchmuͤckt und ru - henden Seen ,
Mit gethuͤrmten Gebirgen , wo uͤberhangenden Felſen
Hohe Tannen entwachſen und Stroͤme reiſſend entſtuͤrzen ,
Mit geweihten Einſiedleien , wo , unter dem Schatten 279 Freundlicher Buchen und dichtriſcher Eichen , die hohe Begeiſtrung
Schwebet und weht im Saͤuſeln und Brauſen des heiligen Haines ,
Oder im Wogengeraͤuſch des Geiſterhebenden Weltmeers !
Sanfte Ruhe wandelt in deinen friedſamen Tha - len ;
Steile Gebirge ſind reich an kuͤhnen Thaten und Freiheit .
Sie , des Weiſen Wunſch , der Spott des kluͤ - gelnden Sklaven ,
Waͤhlte die ſchneeigen Alpen , um Mut und Ein - falt zu ſegnen .
Heiliges Land , dich gruͤß ’ ich aus uͤberwal - lender Fuͤlle
Meines ſchwellenden Herzens ! Wie ward mir auf deinen Gebirgen ,
Wie in deinen Thalen ſo wohl ! Ach werd ’ ich dich nimmer
Wiederſehn ? nicht mehr in deinen Seen mich ba - den ? 280 Noch im ſchmelzenden Schnee an der Wiege maͤch - tiger Fluͤſſe ?
Gotthard , ſeh ich nimmer dich wieder ? Dein fel - ſiger Ruͤcken
Trieft von hundert Stroͤmen , die deiner Scheitel entſtuͤrzen ;
Auf dir hauſet Entſezen und Graun in Wolken gehuͤllet ,
Deine Pfade beſucht der bleiche ſtarrende Schwindel !
Sanfter biſt du , Natur , in Seelands bluͤhen - den Fluren ,
Goldne Saaten kroͤnen das Haupt des laͤchelnden Eilands ,
Seeland , ich liebe dich auch ! in deiner Waͤlder Umſchattung
Wohnet freundliche Ruh ; ſie wohnt in gruͤnenden Auen ,
Und in ſpiegelnden Seen von hangenden Buchen umkraͤnzet ,
Dich umfleußt das heilige Meer , und waldige Huͤgel
Draͤngen kuͤhn ſich hervor von ſchaͤumenden Wo - gen umrauſchet !
281 Zahllos ſind , o Erd ’ , und edel deine Ge - ſchenke !
Deinen Kindern geben ſie Kraft und Nahrung und Freude !
Laͤchelnd bluͤht die Verheiſſung des jungen Jahres am Zweige ,
Und der ſinkende Aſt erfuͤllt ſie mit ſchwellenden Fruͤchten .
Siehe , bald lockt mich am Gipfel des Baums die glaͤnzende Kirſche ,
Und bald ladet mich ein die Labſal duftende Erd - beer .
O , wie ſchmuͤckt der Sommer dein Haupt mit farbigen Blumen ,
Deren Balſam die Luft mir mit leiſen Fittigen zuweht !
Gleich der Erdbeer , verbirgt ſich beſcheiden das Veilchen ; ein ſanftes
Maͤdchen ſuchet es auf und wiegt es am wallen - den Buſen .
O , wer nennet ſie alle , die duftenden , farbigen Freuden , 282 Die dem gewaͤſſerten Thal ’ und umwoͤlkten Ber - gen entbluͤhen ?
Sprich , Natur , wo tauchteſt du ein den ſchaffen - den Pinſel ,
Als du den Teppich der Alpen mit Enzianen be - malteſt ,
Deren glaͤnzendes Haupt mit dem Blau des Him - mels ſich kleidet ?
Wen entzuͤckt nicht die Lilie ? o wie ſelig verweil ich
Unter den lieblichen Schaaren der tauſendfaltigen Nelken !
Siehe , dort koſet mit mir das duftende hangen - de Geißblat ,
Und es winket mir hier die kaum geoͤfnete Roſe !
Roſe , wer dich nicht liebt , dem ward im Leibe der Mutter
Schon ſein Urtheil geſprochen , der ſanfteſten Freu - den zu mangeln !
Jhn wird Philomelens Geſang zur Quelle nicht locken ,
Jhn kein liebender Blick des ſuͤſſen Maͤdchens entzuͤcken ! 283 Roſe , dein Leben iſt kurz ! Ach , klagt im wei - nenden Liede ,
Maͤdchen , klaget den Tod der ſchnell verbluͤhen - den Roſe !
Sieh , ich hoff ’ es zu dem , aus deſſen ſeg - nendem Fußtritt
Sonnenſtralen und Roſen bluͤhn : erloͤſchenden Sonnen
Und hinwelkenden Roſen verleiht er ewige Ju - gend ,
Wenn dereinſt die Stroͤme des Lebens dem him - liſchen Urborn
Werden entflieſſen , in Fluͤſſ ’ und Baͤch ’ und Quel - len vertheilet ,
Und die ganze Schoͤpfung , verklaͤrt , Ein Himmel , ihm laͤchelt !
Erde , harre ruhig der Stunde des beſſeren Lebens !
Saml ’ indeſſen in deinem Schooſſe die harren - den Kinder ! 284 Siehe , noch werden dich oft die wechſelnden Stunden umtanzen ,
Dich mit blendendem Schnee und bluͤhendem Gra - ſe noch kleiden !
Nimmer wirſt du veralten ! Jm laͤchelnden Rei - ze der Jugend
Werden ploͤzlich erbleichen die Sonnen , die Mon - de , die Erden ;
Wenn die Sichel der Zeit in der Rechten des Ewi - gen ſchimmern
Und hinſinken wird , in Einem rauſchenden Schwun - ge ,
Dieſe Garbe der Schoͤpfungen Gottes , die Woͤl - bung des Himmels
Den wir ſehn , mit tauſend mal tauſend leuchten - den Sternen !
Elegie an meinen Bruder den 15. Okt. 1778. F reudiger wuͤrde mein Geiſt , in treuer , ſuͤſſer
Umarmung ,
Beſter , eilen zu dir , wie zur Quelle das Reh ,
Wuͤrde , bebend und ſprachlos , von meiner Lippe
zur deinen ,
Beſter , eilen zu dir , auf gefluͤgeltem Kuß .
Zaͤrtlicher bebte der Freundſchaft Bund auf Jo -
nathans Lippe
Nicht , im heimlichen Thal , wo er dem Lie -
benden ſchwur ;
Zaͤrtlicher zitterte nicht an Benjamins Auge die
Thraͤne ,
Als ſein Joſeph ihm lag an der klopfenden
Bruſt !
Aber , trennen uns nicht die ausgedehnten Ge -
filde ?
Trennen Fluten uns nicht , rauſchend im herbſt -
lichen Sturm ?
287 Sieh , ich eile zu dir auf toͤnenden Fluͤgeln des
Liedes ,
An dem Tage , der dich deinen Liebenden gab ;
Dich dem zaͤrtlichen Vater , der Freude weinen -
den Mutter ,
Deinen Schweſtern und mir , deiner Luiſe
dich gab !
Zwar es wiegte mich da auf ihrem blumigen
Schooſſe
Mutter Erde noch nicht , Sonnen ſtralten mir
nicht ,
Als in den jauchzenden Hallen des frohen Hauſes
die Stimme
Scholl : „ ein Knaͤblein iſt da ! freut euch !
ein Knaͤblein iſt da ! „
Als der beſte der Vaͤter dich , gluͤhend im heiſſen
Gebete ,
Hub zum Himmel empor , mit froh bebendem
Arm ,
Als in laͤchelnder Ohnmacht , ſchon ſinkend , die
Mutter dich anſah ,
Und erwachend dich ſand an der wallenden
Bruſt .
288 Als , ſchon zaͤrtlich , die lallende Schweſter , mit
huͤpfenden Fuͤſſen
Dein ſich freute , ſchon da in die Arme dich ſchloß !
Oft mit kindiſch ſorgſamer Hand die wankende
Wiege
Faßte , und von dir ſummende Fliegen vertrieb !
Spaͤter ward ich , und ſpaͤter die juͤngern Schwe -
ſtern geboren ,
Und wir wuchſen empor freudig , wie Stauden
am Bach ,
Kanten fruͤh die ſuͤſſeſten Freuden des Lebens , und
pfluͤckten
Jeden kleinen Genuß , der ſich im Schatten
verbirgt .
Ungeſondert lebt ’ ich mit dir die Tage der Jugend ;
Wenn ein Morgen uns ſchied , ſchied uns der
Abend nicht mehr .
Wie , aus Einem Born , von Einem Schatten
gekuͤhlet ,
Zwillingsſtroͤme ſich hell ſtuͤrzen vom Felſen
herab ,
Mit vereinter Kraft bald Tannen waͤlzen und Felſen ,
Bald mit ſpiegelnder Flut ſchlaͤngeln im ruhi -
gen Thal ;
289 Alſo floſſen auch uns vereint der Kindheit und Ju -
gend
Tage ; jegliche Luſt theilten wir , jeglichen
Schmerz !
Jeden werdenden Wunſch , und jede heimliche Sorge ,
Jedes Sehnen , das kein Fluͤgel der Hofnung
noch hub ,
Jeden ahndenden Trieb , eh Selbſtbewuſtſein ihn
wiegte ,
Fuͤhlten beide zugleich in der innerſten Bruſt !
Ach , nun ſind wir getrent ! Zwar bringt der Fruͤh -
ling dich wieder ;
Aber im ſauſigen Baum rauſchet noch herbſt -
liches Laub ,
Wankend ſchuͤttelt ihr Haupt mit falben Locken die
Eſche ,
Halb entkleidet vom Sturm , zittert erroͤthend
der Hain .
Eile , rollende Zeit , die Bahn des Jahres hin -
unter !
Steige , rollende Zeit , mit dem Fruͤhling em -
por !
Stolb . T 290 Fruͤhling , ſaͤuſle mir nicht im zarten Laube der
Buchen ,
Ehe du bringeſt zuruͤck meinen Geliebten zu
mir !
Ehe die liebenden Schweſtern mit ihm , und ſeine
Luiſe
Kommen zur Schweſter zuruͤck ! kommen zum
Bruder zuruͤck !
Siehe , ſchon wuͤnſchen euch her die roſigen Neffen
und Nichten ,
Wenn ihr ſuͤſſes Geſchwaͤz Freuden der Zukunft
entlockt !
Eile , Winter , vorbei auf Schwanenfluͤgeln des
Schnees ,
Komme , blumiger Lenz , ſaͤuſle die Lieben zuruͤck !
Der Siebente November . An meinen Bruder . A uf ! mit des Adlers Schwingen , fleuch ,
Hin zu ihm , mein Geſang , und mit dir
Mein frolockender Morgengruß !
Hin zu ihm , der mir iſt ,
Was kein Sterblicher je Sterblichen war !
Roͤthliche Schimmer erwachen ſchon ;
Sie verkuͤndigen den Tag ,
Ach ! den entzuͤckenden ,
Der dich , Lieber , ins Leben rief !
Seht , wie er pranget im herbſtlichen Schmuck !
Feiernd naht er , und ſtolz , umtanzt
Von der Stunden Reigen , und begruͤßt
Von der Sonne , dem Mond und dem weilenden Stern ! 292 Eile , der du mir ſchwebſt
Auf der lechzenden Lippe ,
Bruderkuß !
Schnell gleit ’ auf dem erſten Stral ,
Feuervoll , und erquickend , wie er ,
Hin zu ihm , der mir iſt ,
Was kein Sterblicher je Sterblichen war !
Lagre behend auf ſeine Lippe dich ,
Scheuche nicht den Morgentraum ,
Der mit duftenden Kraͤnzen ,
Der mit windenden Epheuranken
Feſſelt den Schlummernden !
Traͤufle deinen Honig , und laß das Bild ,
Ach ! mein Bild !
Vor ſeiner ahndenden
Seele ſchweben , und mit ihm
Schmachtende Sehnſucht , ach ! nach mir !
293 Dann erweck ihn ungeſtuͤm , mit dem Fittigſchlag
Der Lieb , und ruf ’ es laut
Mit Flammenwort ihm zu :
Daß er mir ſei ,
Was kein Sterblicher je Sterblichen war !
Mein Bruder ! Siehe , wie ſie bebt
Der Freude Zaͤhre ,
Daß Du’s biſt , und daß Du
Mehr denn Bruder und Freund ,
Daß du biſt
Meines Herzens Vertrauteſter !
Sage , keimte dir je ,
Sproßte mir je ein Gedank ,
Deſſen Huͤlle nicht Du
Hobeſt , nicht ich ?
294 Wie , durch der heiligen Natur
Tief verborgne Wunderkraft ,
Der unberuͤhrten Leier Saite bebt ,
Wenn des Saͤngers Stimme den Ton
Der Bebenden hallt ;
O! ſo ſtimte Mutter Natur
Unſrer Zwillingsſeelen
Jmmer toͤnende Harmonie !
Toͤnend , wenn das Feuerblut
Lodert in der Juͤnglinge Bruſt ,
Toͤnend , wenn der Ruͤhrung Zaͤhre ſanft
Ueber die blaͤſſere Wange rinnt .
Ach ! Du , der du mir biſt ,
Was kein Sterblicher je Sterblichen war !
An der Begeiſtrung und der Muſe Hand ,
Deiner Vertrauten , zu denen du ſprichſt : „ Du biſt meine Schweſter ! und du
Biſt meine Braut ! „ —
Oft beſucht ihr in ſtiller Nacht
Du , den Bruder , und du , 295 Jn der einſamen Halle ,
Deinen Wonneberauſchten ,
Deinen Buhlen , o Goͤttliche ! —
Ha! ich kenne ſie auch !
Schweſter , und Braut !
An ihrer Hand
Schweb ’ ich zu dir ,
Ueber Laͤnder und Meere , zu dir !
Schuͤtte dir aus
Mein uͤberſtroͤmendes Herz .
Bruder ! uns iſt gefallen das Loos
Lieblich , unſer Erb ’ iſt ſchoͤn !
Ach ! aber warum traͤuft
Jn des Jubels Becher die Thraͤne ?
Ach ! warum ſind wir getrent ?
Heute getrent ?
296 Wie nach dem Thau das Sommergefild ,
Wie die Sonne lechzet nach des Meeres Schoos ,
Wie der Weinſtock nach der beſchattenden
Ulme ſtrebet ;
O! ſo ſtreb ’ ich , ſo lechz ’ ich nach dir ,
Der du mir biſt ,
Was kein Sterblicher je Sterblichen war !
Kehre wieder , du der Freude Tag ,
Segenſchwanger , und triefend
Deine Tritte von Milch ,
Von Honig ,
Und von der Rebe Blut !
Jmmer kom , die Schlaͤfe bekraͤnzt
Mit herbſtlichem Schmuck !
Ach bald nahet auch uns
Unſer Herbſt !
297 Auch er komme , die Schlaͤfe bekraͤnzt
Mit herbſtlichem Schmuck !
Und mit Fruͤchten , o ! mit Fruͤchten ,
Mit unvergaͤnglichen
Reich beſchwert !
Nimmer find ’ uns dann , ſchoͤner Tag ,
Wie heute getrent !
O! Erfuͤllung , Erfuͤllung ,
Des ſehnlichſten Wunſches Erfuͤllung !
Hell blickt mein Aug
Jn der Zukunft Fern ’ , es ſpaͤht
Goldne Tag ’ am Ende der Bahn !
Endlich komt der Winter einher ,
Ein ſanfter freundlicher Greis ,
Beut uns beiden die Hand , und fuͤhrt ,
O der Wonn ’ ! uns ungetrent
Dorthin , wo , unter Lebensbaͤumen ,
Wo , in Lauben der Himliſchen , 298 Ach ! unter eurem Fruchtbelaſteten ,
Ruhe gewaͤhrenden
Feigenbaume ,
Dorthin , ach ! wo , unter eurem
Freud ’ und Schatten
Bietenden Weinſtock ,
Beſter Vater ! und du ,
Die mich gebar , die mich ſaͤugte ,
Beſte Mutter !
Wechſellos bluͤhet
Ewiger Lenz .
Die Feier der Erde . A lles unter dem Monde ,
Unter der Himmelwandelnden
Sonne , kennet und kante
Alles die Muſe ;
Unter den Tiefen der Erde
Schwebet ihr Fittig ,
Und willkommen iſt die kuͤhne Fremdling auch oft
Unter den Reigen der Himliſchen .
Dennoch erſcheinet ſie
Oft dem ſterblichen Dichter ; 300 Eilet dem rufenden
Zuͤrnend vorbei ,
Aber beſuchet ,
Ungerufen und laͤchelnd ,
Oft im bebenden Mondenſchein ,
Oft auf gluͤhendem Sonnenſtral ,
Deine ruhenden Saͤuglinge ,
Mutter Natur !
Staunend ſah ich und froh ,
Wogenumdonnertes Hellebeck ,
Wie der Winter und der Sommer zugleich
Schmuͤckten dein rauſchendes Haupt .
Staunend und froh
Weilten voruͤberwallende
Geiſter , die aus Orions
Fluren zu den Jnſeln der Pleias
Schwebten , und erkanten kaum
Der Erde Antliz , das ſie oft ſchon ſahn , 301 Forſchten nach des rollenden
Jahres Alter , denn ſie ſahn
Auf der grauen ſchneeigen Scheitel ,
Goldene , ſaͤuſelnde Locken des Hains !
Mir vertraute , ſie vertraute mir ,
Die kundige Muſe
Das Geheimniß der Natur !
Es feiert die Erde
Heute den Tag ihrer Geburt ,
Den ſie nach tauſend
Rollenden Jahren
Jmmer feiert !
Denn an dieſem Tage
Stieg ſie zuerſt ,
Aus der heimlichen Halle der alten Nacht ,
An der ſtralenden Hand des erſten der Morgen ,
Laͤchelnd und erroͤthend , den Himmel hinan !
302 Es feiert die Erde
Dieſen Tag !
Sie berief zur Feier
Die Soͤhne des Jahrs !
Es erhub ſich im nordiſchen Thal
Der Winter nach kurzem Schlaf ;
Schuͤttelte ſein Haupt , da ward bedeckt
Der Boden mit Schnee ;
Gieng mit eilendem Rieſenſchritt ,
Sezte den ſtarrenden Stralenfuß
Auf die thuͤrmenden Gipfel
Des hohen Schwediſchen Felſengebirgs ;
Schritt uͤber’s Meer ,
Trat auf’s Geſtade ,
Wo ſein Bruder , der Herbſt ,
Waltete im falben Hain ,
Wo ſein Bruder , der Sommer ,
Weilte in der Eiche gruͤnem Laub .
303 Es ſchmuͤckten die Bruͤder mit vereinter Hand
Die Feier der Erde ;
Zartes Eis bedeckte die Flaͤche
Schimmernder Landſeen ,
Und es kraͤuſelte ſich auf ihm der Buche goldnes Haar !
Spiegelten ſich in ihm
Ellern , noch bekleidet mit des Fruͤhlings Schmuck ,
Und rothe ,
Nickende Beeren ;
Duftender Feldroſen
Juͤngere Schweſtern ,
Glaͤnzten vom Reife durch den gruͤnen Buſch .
Aus brauſenden Tiefen
Erhub ſein Haupt
Das heilige Nordmeer ,
Staunend uͤber Seelands neuen Schmuck ;
Aber zagend wich
Zuruͤck vom Geſtade die Oſtſee ,
Fuͤrchtend , daß ſchon izt
Wuͤrde binden der Winter 304 Mit kriſtallner Feſſel ihren blauen Arm ,
Wuͤrde ſtuͤrmend zerſchellen
Schiffe , die ſich ihr
Vertrauten , und zahllos
Jhre weiſſen Fluͤgel oͤfneten dem Hauch des Windes .
Neuen Mut
Gab ihr die ſteigende Sonne ,
Deren goldener Stral
Traͤufeln ließ , wie Thau ,
Von gruͤnen Eichen den geſchmolznen Schnee
Jn der wankenden Blume glaͤnzenden Kelch !
Freudig ſangen und feirten Voͤgel des Hains ,
Freudig ſinget und feiert mein Geſang ,
Den ich fruͤh der heiligen Natur
Weihte , die Leier und Geſang mir gab !
Abendlied eines Maͤdchens . W ann des Abends Roſenfluͤgel
Kuͤhlend , uͤber Thal und Huͤgel ,
Ueber Wald und Wieſe , ſchwebt ;
Wann der Thau die Baͤume traͤnket ,
Sich in bunte Blumen ſenket ,
Und an jungen Aehren bebt ;
Wann im Schalle heller Glocken
Heimwaͤrts ſich die Schafe locken ,
Und im Gehn das Laͤmchen ſaugt ;
Wann das Geißblatt ſuͤſſe Duͤfte
Jn dem Wehen leiſer Luͤfte
Labend mir entgegen haucht ;
307 Wann die ſchweren Kuͤhe bruͤllen ,
Gern die blanken Eimer fuͤllen ,
Und die Dirne melkend ſingt ,
Dann , auf ihrem bunten Kranze ,
Leicht , als ſchwebte ſie im Tanze ,
Suͤſſe Milch nach Hauſe bringt ;
Wann die Erlen duftend ſaͤuſeln ;
Wann die Muͤcken Teiche kraͤuſeln ;
Wann der Froſch ſich , quackend , blaͤht ;
Wann der Fiſch im Waſſer huͤpfet ,
Aus der kalten Tiefe ſchluͤpfet ,
Und der Schwan zum Neſte geht ;
Wann , im Nachtigallenthale ,
Hesper mit verliebtem Strale
Heimlich meine Quelle kuͤßt ;
Wann , wie eine Braut erroͤthend ,
Luna freundlich komt , und floͤtend
Philomele ſie begruͤßt :
308 Dann umſchweben ſuͤſſe Freuden ,
Hand in Hand mit ſtillen Leiden ,
Meinen Geiſt ; mein Auge weint .
Wann die Thraͤn ’ in Luna’s Schimmer
Bebet , weis ich ſelbſt nicht immer ,
Was die ſtille Thraͤne meint .
Manche nannt ’ ich Freudenthraͤnen ,
Die vielleicht geheimes Sehnen
Dem getaͤuſchten Auge ſtahl ;
Mancher leiſe Wunſch entbebte
Seufzend meiner Bruſt , und ſchwebte
Ungeſehn im Mondenſtral .
Jch beſchwoͤr ’ euch , Abendluͤfte !
Jch beſchwoͤr ’ euch , kuͤhle Duͤfte !
Hesper ! Luna ! Nachtigall !
Sagt , beſchleichet dieſes Sehnen
Mich allein mit ſolchen Thraͤnen
Jm geheimen Mondenſtral ?
An meinen Bruder . T oͤnet Dir , toͤnt dir ohne Taͤuſchung , lieblich
Wie der Nachtigall Lied , des Todes Name ,
Und wird Dir ſein rauſchender naher Fittig
Schwanenflug toͤnen ?
Blumen umkraͤnzen , wie ſie Dir nur bluͤhen ,
Deine wallenden Locken , und den Becher ,
Den mit Goͤtterwein die Natur dir immer
Schaͤumender anfuͤllt :
316 Blumen des Bachs , der Wieſe pfluͤckt die Freund - ſchaft
Dir , den ſtolzeren Lorbeer dir die Muſe ,
Bald auch wird ( ſchon roͤthelt ihr Roſen - knoͤspchen ! )
Liebe dich kraͤnzen .
Aber , o waͤhnſt du , daß der Liebe Roſe ,
Selbſt der ſuͤſſeſten Liebe , wenn nun endlich ,
Athemlos , mit ſchmachtendem , feuchtem Auge ,
Bebenden Lippen ,
Die ſich zu matten , halbgekuͤßten Kuͤſſen
Kaum zu ſchlieſſen vermoͤgen ! ach ! an deinem
Trunknen Buſen , ſie , die du liebeſt , die dich
Liebet , dahin ſinkt ;
Waͤhnſt du , ſie dufte , dieſe Roſe , ſtaͤrker
Als das Rankengewebe , das , mit tauſend
Armen , uns , und kraͤuſelnden Sproſſen , feſter
Stets uns umſchlinget ?
317 Aufgang der Sonne flammet Dir des Todes
Fackel ? Sie , die der Ranken keiner ſchonen
Und austrocknen wuͤrde die Borne meines
Lechzenden Lebens ?
Daß , den du wuͤnſcheſt , ich nicht fuͤrchte , weiſt du !
Kanteſt lange den Durſt in meinem Herzen ,
Heldentod einſt in der gerechten Feldſchlacht
Blutig zu ſterben !
Siehe , ſchon ſchwebt er ! — Ha! ich kenne deines
Fittigs Todesgeſang ! mich ſchreckt nicht , Droher ,
Deine Rechte ! Trennung von meinen Lieben ,
Droher , die ſchreckt mich !
Leben , o leben will ich ! wenn gleich oftmal
Schwarze Wolken mich huͤllen . Schweſtern , Freunde ,
Leben ! mein braunlockiges Weib , mein Bruder ,
Leben , o leben !
318 Aber wenn , doch der Menſchheit Loos verbeut es !
Wenn zugleich dem vertrauten Haͤuflein winkte
Er , der Ruhegeber ; ich ſaͤh ’ ihn , laͤchelnd : „ Bruder , er ſchreckt nicht ! „
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