PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Philoſophiſche Verſuche uͤber die menſchliche Natur und ihre Entwickelung
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Erſter Band. Leipzig, beyM. G. Weidmanns Erben und Reich.1777.
[II][III]

Vorrede.

Die nachſtehenden Verſuche betreffen die Wirkungen des menſchlichen Verſtan - des, ſeine Denkgeſetze und ſeine Grundvermoͤgen; ferner die thaͤtige Willenskraft, den Grund - charakter der Menſchheit, die Freyheit, die Natur der Seele, und ihre Entwickelung. Dieß ſind ohne Zweifel die weſentlichſten Punkte in unſerer Natur. Jch verehre die großen Maͤn - ner, die ihren Scharfſinn auf dieſe Gegenſtaͤnde ſchon verwendet haben, und ich habe geſucht, ihre Bemuͤhungen zu nutzen. Aber ich meine nicht, daß daraus ein Vorurtheil gegen die meinigen, wenn ſie auch jener ihren nicht gleichen, entſtehen werde. Die Menſchheit iſt noch lange eine Gru - be, aus der ſich jeder Forſcher eine gute Ausbeute verſprechen kann, und ich moͤchte hinzuſetzen, auch dann ſogar, wenn er nur die ſchon oft bearbeiteten Gaͤnge von neuem vornimmt. Denn auch bey den angelegentlichſten Wahrheiten, uͤber welche ſchon einiges Licht verbreitet iſt, fehlet noch hie und da ſehr viel an der voͤlligen Evidenz, die alle vernuͤnftige Zweifel ausſchließt.

Was die Methode betrifft, deren ich mich bedient habe, ſo halte ichs fuͤr noͤthig, daruͤber zuma 2vorausIVVorrede. voraus mich zu erklaͤren. Sie iſt die beobach - tende, die Lock bey dem Verſtande, und unſere Pſychologen in der Erfahrungs-Seelenlehre be - folgt haben. Die Modifikationen der Seele ſo nehmen, wie ſie durch das Selbſtgefuͤhl erkannt werden; dieſe ſorgfaͤltig wiederholt, und mit Ab - aͤnderung der Umſtaͤnde gewahrnehmen, beobach - ten, ihre Entſtehungsart und die Wirkungsge - ſetze der Kraͤfte, die ſie hervorbringen, bemerken; alsdenn die Beobachtungen vergleichen, aufloͤſen, und daraus die einfachſten Vermoͤgen und Wir - kungsarten und deren Beziehung auf einander aufſuchen; dieß ſind die weſentlichſten Verrichtun - gen bey der pſychologiſchen Analyſis der Seele, die auf Erfahrungen beruhet. Dieſe Methode iſt die Methode in der Naturlehre; und die einzige, die uns zunaͤchſt die Wirkungen der Seele, und ihre Verbindungen unter einander ſo zeiget, wie ſie wirklich ſind, und dann hoffen laͤßt, Grund - ſaͤtze zu finden, woraus ſich mit Zuverlaͤſſigkeit auf ihre Urſachen ſchließen, und dann etwas gewiſſes, welches mehr als bloße Muthmaßung iſt, uͤber die Natur der Seele, als des Subjekts der beob - achteten Kraftaͤußerungen, feſtſetzen laͤßt.

Was man in der neuern Pſychologie die ana - lytiſche, auch wohl die anthropologiſche Me - thode nennet, iſt ein hievon ganz unterſchiedenes Verfahren. Man betrachtet die Seelenveraͤnde - rungen von der Seite, da ſie etwas in dem Ge - hirn, als dem innern Organ der Seele ſind, und ſucht ſie als ſolche Gehirnsbeſchaffenheiten und Veraͤnderungen zu erklaͤren. Der MaterialiſtloͤſtVVorrede. loͤſt alles in Koͤrperveraͤnderungen auf, die eine Folge der innern Organiſation ſind; die mecha - niſchen Pſychologen unterſcheiden zwar die un - koͤrperliche Seele, das Jch, von dem koͤrperlichen Organ, und laſſen auch jener ihren eigenen An - theil an den Seelenaͤußerungen, der von dem An - theil, den das Organ daran hat, verſchieden iſt; aber es geht doch bey ihren Analyſen eben ſowohl, als bey den Erklaͤrungen der erſtern alles dahin, zu zeigen, wie weit Fuͤhlen, Vorſtellen, Bewußt - ſeyn, Denken, Luſt, Unluſt, Wollen, Thun, nicht nur von der Organiſation des Gehirns ab - haͤngen, ſondern ſelbſt in Veraͤnderungen und Be - ſchaffenheiten deſſelben beſtehen. Und was nun in dem koͤrperlichen Organ ſeinen Sitz nicht haben kann, das hat ihn denn in der immateriellen See - le bey denen, die eine ſolche annehmen. Das Denkorgan iſt eine Maſchine, wozu die Seele die bewegende Kraft iſt. Was der Seele im ge - woͤhnlichen Verſtande oder dem Seelenweſen zugeſchrieben wird, iſt etwas in dieſem beſeelten Organ, als in ſeinem Subjekt. Es koͤmmt alſo bey dieſen analytiſchen Erklaͤrungen der Seelen - veraͤnderungen darauf an, genauer die Art zu be - ſtimmen, wie ſie es ſind. Dieſe Aufloͤſungen ſoll - ten billig die metaphyſiſchen heißen. Sie lie - gen ganz außer den Graͤnzen der Beobachtung, und beſtehen am Ende in einer Reduktion deſſen, was man bey der Seele beobachtet, auf Modifi - kationen des Gehirns, woran aber ein immate - rielles Jch, als wirkende und bewegende Krafta 3AntheilVIVorrede. Antheil haben, und zugleich mit dem Gehirn mo - dificirt werden kann.

Jch habe unten in einem beſondern Aufſatz die Gruͤnde dieſes Verfahrens ausfuͤhrlicher zu pruͤfen geſucht. Ohne alſo daruͤber hier ſchon zu urtheilen, will ich vorlaͤufig nur eine Anmerkung machen, die mich rechtfertigen ſoll, daß ich auch in den erſtern Verſuchen uͤber die Verſtandeswir - kungen faſt gar keine Ruͤckſicht auf den ſogenann - ten Mechanismus der Jdeen genommen habe, obgleich dieſer von vielen als das wichtigſte ange - ſehen wird, was jetzo bey einer Aufloͤſung des Verſtandes zu erklaͤren uͤbrig ſey.

Sobald man bey den Grundſaͤtzen, worauf die metaphyſiſchen Analyſen beruhen, das Gewiſſe und Wahrſcheinliche von dem abſondert, was noch jetzo nichts iſt, als bloße Muthmaßung, und auch noch lange nichts mehr werden wird; ſo zeigt es ſich, daß jenes nur etwas allgemeines und un - beſtimmtes ſey, welches man als das metaphyſi - ſche hiebey anſehen koͤnnte, dagegen das naͤher beſtimmte, was eigentlich eine Phyſik des Gehirns ſeyn wuͤrde, zu den bloß angenommenen und ver - mutheten gehoͤre, das nur auf Hypotheſen be - ruhet.

Es iſt ein alter, und nun durch die Ueberein - ſtimmung der Erfahrungen beſtaͤtigter Grundſatz, daß der Koͤrper, und noch naͤher das Gehirn, zu allen Seelenveraͤnderungen, zu ihren Thaͤtigkei - ten und Leidenheiten beywirke, und ſo unentbehr - lich dazu ſey; daß ohne ſelbiges weder Gefuͤhl, noch irgend eine thaͤtige Kraftaͤußerung in derMaßeVIIVorrede. Maße vorhanden ſey, daß wir ſolche bey uns ge - wahrnehmen koͤnnten. Sollen nun ſolche Ge - hirnsveraͤnderungen materielle Jdeen heißen, ſo iſt es gewiß, daß es materielle Jdeen gebe, und man wird nicht leicht Gruͤnde finden, deren Wirk - lichkeit zu bezweifeln.

Noch weiter will ich es gerne als ſehr wahr - ſcheinlich zugeben, oder gar fuͤr gewiß halten, daß jede Gehirnsveraͤnderung welche als eine Ver - aͤnderung eines Koͤrpers uͤberhaupt in einer Be - wegung beſtehen muß auch eine bleibende Spur in dem Gehirn nachlaſſe, die, worinn ſie auch beſtehen mag, die bewegten Faſern aufgelegt mache, nachher leichter die erſtmaligen Bewegun - gen von neuem anzunehmen, und zwar ſo leicht, daß es des naͤmlichen Eindrucks von außen nicht bedarf, der das erſtemal erfodert ward. Wenn dieſe zuruͤckgebliebene beſtehende Spuren auch materielle Jdeen im Gedaͤchtniß genennet wer - den, ſo iſt es ungemein wahrſcheinlich, daß es der - gleichen in dem innern Seelenkoͤrper gebe, und daß dieſe vorhanden ſind, auch wenn wir an die vorgeſtellte Sache nicht gedenken. Dieſe Spuren ſind wieder erweckbar, und wenn ſie wirklich wie - der erwecket werden, ſo ſind auch die ehemaligen ſinnlichen Bewegungen wiederum gegenwaͤrtig.

So weit geht das Wahrſcheinliche auch in dem Allgemeinen nur. Aber es iſt eine neue Vor - ausſetzung, wenn man annimmt, daß dieſe Ge - hirnsbeſchaffenheiten das ausmachen, was wir die Vorſtellungen nennen, in ſo fern die Seele da - von zugleich veraͤndert wird, und ſie fuͤhlet, wenna 4ſieVIIIVorrede. ſie gegenwaͤrtig ſind; auch ſolche zuweilen durch ihre bewegende Einwirkung auf die Faſern des Gehirns erwecket. Wenn die Jdee im Gedaͤcht - niß ruhet, ſo ſoll die Seele ſo wenig in ſich ſelbſt eine Spur ihrer Empfindung uͤbrig haben, als das in einem Gefaͤß eingeſchloſſene Waſſer etwas von der vorigen Figur behalten hat, wenn die Ge - ſtalt des Gefaͤßes veraͤndert worden iſt. Dieſer Begriff von der Natur unſerer Vorſtellungen iſt eine pure Hypotheſe. Sie ſtellet die Seele und ihr organiſirtes Gehirn in einer ſolchen Beziehung dar, die das Waſſer zu ſeinem Gefaͤß hat, oder die Luft zu der Blaſe, in der ſie eingeſchloſſen iſt, nur mit dem Zuſatz, das Gefaͤß veraͤndere ſeine Figur ſehr leicht, behalte aber von jedweder ſeiner vorigen Formen eine Leichtigkeit ſolche wieder anzunehmen. Dieß iſt der Mittelpunkt der Bon - netiſchen Aufloͤſung, deſſen Richtigkeit man da - durch beweiſen will, weil ſich die Erſcheinungen auf dieſe Weiſe am beſten begreifen laſſen; und dieß iſt es auch, was unten beſonders unterſucht worden iſt, und ich hier noch dahin geſtellet laſ - ſen will.

Die uͤbrigen naͤhern Beſtimmungen der be - ſondern Art und Beſchaffenheit dieſer materiel - len Jdeen gehoͤren zu der Phyfik des Gehirns, und ſind ſchlechthin nur Vermuthungen, denen, das mindeſte zu ſagen, bisher noch die Zuverlaͤſ - ſigkeit fehlet. Sehr witzig hat man die Spuren im Gehirn, als gewiſſe Abdruͤcke oder Bilder von den Objekten vorgeſtellet, die etwan den Bildern auf der Netzhaut aͤhnlich ſind. Die HartleyiſcheHypo -IXVorrede. Hypotheſe, daß die Gehirnsbewegungen, welche die Empfindungen begleiten, und wieder erneuert werden, ſo oft die Phantaſie Jdeen reproduciret, in gewiſſen Schwingungen der Gehirnsfaſern oder auch des Aethers im Gehirn beſtehen, iſt von Hr. Prieſtley von neuem, in etwas veraͤn - dert, vorgetragen, und als die beyfallswuͤrdigſte Vorausſetzung geruͤhmt worden. Seitdem hat man ſichs vorzuͤglich angewoͤhnt, die Jdeen fuͤr Gehirnsſchwingungen anzuſehen. Newton hat - te nur gemuthmaßet, daß vielleicht die Bewegun - gen in dem Auge und auf der Netzhaut, denen in dem Aether oder dem Licht, das auf ſie faͤllt, aͤhn - lich und oſcillatoriſch ſeyn moͤchten, aber nach ſeiner maͤnnlichen Art zu philoſophiren, wagte ers nicht einmal, von den Eindruͤcken auf das Gehoͤr daſſelbige zu vermuthen, obgleich auch hier die Bewegungen der Luft, die dieſe Eindruͤcke verur - ſachen, in Schwingungen beſtehen. Herr Prieſt - ley glaubet nach der Analogie berechtiget zu ſeyn, daſſelbige von allen Arten der Senſationen auch bey den uͤbrigen Sinnen annehmen zu duͤrfen.

Wenn man auch uͤber die Schwierigkeiten wegſieht, die daraus entſtehen, daß die weichen Nerven und das klebrichte Hirnmark zu keiner Art von Bewegungen weniger aufgelegt zu ſeyn ſchei - nen, als zu Vibrationen, ſo deucht mich doch, nichts ſey weniger wahrſcheinlich, als daß die geſamte ſinnliche Bewegung des Gehirns, die die mate - rielle Jdee ausmacht, ganz und gar in Schwin - gungen beſtehen koͤnne, wie es angegeben wird. Prieſtley hat, um dem erſtern Einwurf auszuwei -a 5chen,XVorrede. chen, bemerkt, daß ſtatt der Vibrationen, wohl eine andere Art von fortgehenden Bewegungen oder auch Druckungen gedacht werden koͤnne; allein dieß heißt in Hinſicht derſelben uns wieder - um auf unſere vorige Unwiſſenheit verweiſen, und die beſondern Beſtimmungen zuruͤcknehmen, die man doch als ihre Unterſcheidungsmerkmale an - gegeben hatte. Es mag vielmehr ſeyn, daß wahre Oſcillationen oder Wallungen in einem fluͤſſigen elaſtiſchen Koͤrper, wie die in der Luft und in dem Aether ſind, in dem Gehirn vorhanden ſind, wenn wir empfinden. Denn nach dem Urtheil der groͤß - ten Phyſiologen iſt man faſt genoͤthigt, außer den ſichtbaren Theilen des Gehirns noch eine andere ſeine Materie in demſelben anzunehmen, und alſo kann es wohl ſeyn, daß dieſe Materie, Lebensgei - ſter, Aether, oder wie wir ſie nennen wollen, die man aber in dem todten Koͤrper nicht mehr ſuchen muß, von ſolcher elaſtiſcher Natur ſey, wie die Materie des Lichts, und alſo auch eigentliche Schwingungen annehme. Aber wie ſoll man ſich dieſe Schwingungen als fortdauernd vorſtellen, und ſie fuͤr die materiellen Jdeen anſehen, die zu den ruhenden Jdeen im Gedaͤchtniß gehoͤren? und wenn dieß wenigſtens ſehr ſchwer iſt, wird man denn nicht ganz natuͤrlich zu dem Gedanken ge - bracht, jene Schwingungen in dem Aether muͤß - ten wohl noch auf eine andere beugſame und wei - che Materie im Gehirn wirken, die nicht ſo ela - ſtiſch ſey, daß ſie ſich jedesmal nach erlittener Ver - aͤnderung voͤllig wieder in ihre erſte Form herſtel - le, und in der alſo auch eigentlich die Spuren vondenXIVorrede. den Vibrationen aufbehalten werden koͤnnen, die man fuͤr die materiellen Jdeen in dem Gedaͤchtniß anſieht. Kann es nicht wenigſtens ſich alſo ver - halten? Und alsdenn iſt es ſchon keine richtige Anwendung der Analogie mehr, wenn Prieſtley ſchließet, daß derſelbige Antheil, den die oſcillato - riſchen Bewegungen an den Senſationen des Au - ges und vielleicht auch des Gehoͤrs haben, ihnen auch bey den Eindruͤcken des Gefuͤhls, des Ge - ſchmacks und des Geruchs in gleicher Maße zu - komme. Die Natur ſuchet Stufenverſchiedenhei - ten. Wenn die Bewegung in der Senſation nur zum Theil oſcillatoriſch iſt, oder nur von Einer Seite es iſt, ſo wird es wahrſcheinlicher, daß ſie bey den Senſationen des Geſichts es am meiſten ſey, weniger ſchon bey den Eindruͤcken aufs Ge - hoͤr, und noch weniger bey den uͤbrigen Sinnen; als daß ſie es bey allen auf gleiche Weiſe ſeyn ſollte.

Eine Hypotheſe iſt vielleicht der andern werth. Kann die Ausbildung und Entwickelung des See - lenweſens, die Entſtehung der Jdeenreihen, und das Wachſen des ganzen innern Gedankenſyſtems, der Urſprung der Fertigkeiten u. ſ. f. in ſo weit dieß alles etwas koͤrperliches in dem Gehirn iſt, nicht fuͤglich auf eine aͤhnliche Art vorgeſtellet wer - den, wie die Ausbildung, oder die Entwicke - lung, und das Auswachſen der organiſirten Koͤrper? Brauchte denn die Bonnetiſche Sta - tue, da ſie noch ganz ideenlos war, ſchon ein voͤl - lig ausgewachſenes, mit allen ausgebildeten Vor - ſtellungsfibern verſehenes Organ zu haben, demnichtsXIIVorrede. nichts fehlet, als nur, daß es von den Eindruͤcken aͤußerer Dinge in Bewegung geſetzt werde, und dadurch gewiſſe Dispoſitionen erlange? Jſt nicht vielleicht das Gehirn in Hinſicht derjenigen Orga - niſation, die es zum Werkzeug der Seele macht, vor der Entwickelung der Seele, ehe dieſe Em - pfindungen und Jdeen aufgeſammlet hat, in ei - nem aͤhnlichen eingewickelten Zuſtande, als ein organiſirter Koͤrper in ſeinem Keim iſt, der nur Anlagen hat, ein Syſtem von Faſern zu bekom - men, oder doch, wenn man nach der Jdee von der Bonnetiſchen Evolution ſich die Sache vorſtellet, dieſe Faſern nur in ihren erſten Anfaͤngen beſitzet? Die Einrichtung der Denkmaſchine wuͤrde auf dieſe Art der Entwickelung des ganzen organiſir - ten Koͤrpers aͤhnlich und gleichartig ſeyn; die zu - ruͤckbleibenden Spuren der Eindruͤcke wuͤrden bey dem Gehirn ſolche Verlaͤngerungen und Verdi - ckungen der Denkfaſern ſeyn, wie bey der Entwi - ckelung des Embryons, und bey dem Auswachſen vorkommen. Aber ſo wie jeder Schritt in der Entwickelung des organiſirten Koͤrpers Bewegun - gen erfodert, wodurch die naͤhrende Materie durch die ſchon vorhandene Organiſation vertheilet wird, ſo koͤnnten bey dem Organ des Denkens die ſinnlichen Eindruͤcke von außen die Stelle dieſer Bewegungen vertreten, und wenigſtens die erſten Reizungen der Kraͤfte dazu abgeben. Und dann mag auch die Hartleyiſche Jdee hier eingeſchoben werden, daß naͤmlich dieſe reizende und die Ent - wickelung befoͤrdernde Bewegungen in Vibratio - nen beſtehen. Es iſt meine Abſicht nicht, eineneueXIIIVorrede. neue Hypotheſe in Gang zu bringen, da wir ihrer ohne dieß ſchon genug haben, ob ich gleich glaube, daß man dieſer letztern eben ſo viel Anſehen aus der Analogie geben koͤnne, als jeder andern. Jch fuͤhre dieſe noch moͤgliche Erklaͤrungsart nur an, um zu zeigen, daß man noch jetzo alle Moͤglichkei - ten, die hierbey Statt finden koͤnnen, nicht durch - gerathen habe. Jch wage es nicht, etwas zu be - ſtimmen, ſo lange die innere Einrichtung des Ge - hirns, die Natur ſeiner organiſchen Kraͤfte, und deren Wirkungsarten und Geſetze in ſo dicker Finſterniß gehuͤllet ſind, als ſie es zur Zeit noch ſind.

Jſt dieſe Anmerkung gegruͤndet, ſo laͤßt es ſich leicht uͤberſehen, wohin man am Ende mit al - len Bemuͤhungen, den Mechanismus der Seelen - veraͤnderungen darzuſtellen, kommen werde. Kei - nen Schritt weiter, als daß man etwan mehrere Fakta aufſammlet, die das Daſeyn gewiſſer blei - bender Spuren in dem innern Seelenkoͤrper be - ſtaͤtigen, deren Natur wir aber nicht erkennen. Unſere Einſicht von der Beſchaffenheit dieſes Me - chanismus iſt durch die neuern Auſloͤſungen um nichts verbeſſert, und noch weniger gewinnt ſie da - durch, daß man die Ausdruͤcke aͤndert, und Fiber - ſchwingungen nennet, was man ſonſten Vorſtel - lungen oder Jdeen genennet hat.

Allein die zwote Folge, die ich aus dem Ge - ſagten hier vornehmlich ziehen will, iſt auffallen - der. Wenn auch dieſe metaphyſiſchen Analyſen etwas reelleres lehrten, als ſie wirklich nicht leh - ren, ſo darf man doch die Unterſuchung der SeelemitXIVVorrede. mit ihnen nicht anfangen, ſondern nur endigen. Die pſychologiſche Aufloͤſung muß vorhergehen. Jſt dieſe einmal beſchaffet, ſo iſt die metaphyſi - ſche auf eine Aufloͤſung einiger weniger Grund - vermoͤgen und Wirkungsarten zuruͤckgebracht, und iſt alsdenn, wofern ſie ſonſt nur auf zuverlaͤſ - ſigen Gruͤnden beruhet, in der Kuͤrze ſo weit zu bringen, als ſie uͤberhaupt gebracht werden kann. Fehlet es aber noch an jener Erfahrungskenntniß von den Grundvermoͤgen, ſo iſt es vergeblich, dieſe aus einer uns ſo ſehr verborgenen Organiſation begreiflich machen zu wollen. Hiezu koͤmmt noch, daß, ſo weit man auch in der metaphyſiſchen Pſy - chologie fortgehet, die Richtigkeit ihrer Saͤtze im - merfort durch die Beobachtungskenntniſſe gepruͤft werden muͤſſe.

Jndeſſen iſt es, ſo zu ſagen, ein neuer Ge - ſichtspunkt, wenn man die Seelenveraͤnderungen ſich von der Seite vorſtellet, wo das Gehirn An - theil daran hat, und dieſer kann eine Gelegenheit geben, ſie beſſer und voͤlliger zu ſehen. Vielleicht wird die neuere Analyſis auch der Erfahrungs - kenntniß endlich dieſen Nutzen bringen; aber zur Zeit ſcheint es nicht, daß ſie es gethan habe. Nicht einmal die Wirkungen des Verſtandes und die Natur der Erkenntniſſe ſind beſſer und deutlicher von denen entwickelt, die nach des Herrn Bon - nets Beyſpiel ſie zergliedert haben, als von an - dern, ſondern man moͤchte eher ſagen, daß die neue Methode in dieſer Hinſicht geſchadet habe. Was faſt jedesmal in den Wiſſenſchaften ge - ſchieht, wenn Epoche gemacht wird, das iſt auchhierXVVorrede. hier geſchehen. Die neue Betrachtungsart, wel - che gemeiniglich auch eine Umaͤnderung des Rede - gebrauchs nach ſich zieht, zeiget die Sachen aus einem neuen Standort, an dem man noch nicht gewohnt iſt, und wo man ſie daher auch nicht ſo beſtimmt und deutlich faſſet, als man ſie vorher aus dem alten gefaßt hatte; man ſieht ſie alſo im Anfang verwirrter und ſchlechter. Die Begierde, Seelenbeſchaffenheiten als Gehirnsveraͤnderungen ſich vorzuſtellen, hat einige neuere Beobachter manches in den Geſetzen des Denkens uͤberſehen laſſen, was ihrer Scharfſinnigkeit nicht entwiſcht ſeyn wuͤrde, wenn ſie dieſen Theil unſers Jnnern nicht in der unvortheilhaften Stellung der Hypo - theſe geſehen haͤtten. Beyſpiele davon werden in den folgenden Verſuchen vorkommen.

Gleichwohl iſt der Hang der Forſcher, mit Vermuthungen da durchzubrechen, wo mit Er - fahrung und Vernunft allein nichts auszurichten iſt, ſo nuͤtzlich als natuͤrlich, und in der Pſycholo - gie ſowohl als in andern Wiſſenſchaften. Der Hypotheſendichter traͤgt das ſeinige zur Fortbrin - gung der Erkenntniß bey, wie der Beobachter, und der luftige Syſtemenmacher hat ein Verdienſt, wie der, welcher Vernunft auf Erfahrungen bauet; nur jeder in ſeiner Maße. Ueberdieß iſt es in an - dern Hinſichten nuͤtzlich, zuweilen gar nothwendig, die feſten Kenntniſſe mit leichten Vermuthungen zu verſetzen, wie das Gold mit unedlern Metal - len, wenn man es zum gemeinen Gebrauch ver - arbeitet. Aber der Freund der Wahrheit wird es doch eingeſtehen, daß man nicht ſagen koͤnne,daßXVIVorrede. daß Kenntniſſe zweckmaͤßig bearbeitet werden; von ſolchen iſt naͤmlich die Rede, wobey es nicht ſowohl auf eine Unterhaltung als auf wahre Be - lehrung des Verſtandes ankommt; wenn nicht die Mittelrichtung aller Bemuͤhungen auf richtige Beobachtungen und Vernunftſchluͤſſe hingehet, von welchen allein nur die ſtarke und feſtſtehende Ueberzeugung zu erwarten iſt, die der Forſcher verlanget. Es darf nicht geſagt werden, daß es an ſolchen Kenntniſſen in der beobachtenden Pſy - chologie noch fehle. Es fehlet ihr auch noch an ſolchen Stellen daran, die ſchon mehrmalen unter - ſucht ſind. Genauere Beobachtungen uͤber den Verſtand; ſo hoͤren z. B. die Verwirrungen in der Lehre von dem gemeinen Menſchenverſtande von ſelbſt auf. Die heftigen Angriffe auf die rai - ſonnirende Vernunft, welche den Menſchenver - ſtand aufheben ſollte, und die Ungewißheit, wor - an man ſich zu halten habe, wenn das Raiſonne - ment wirklich von dem gemeinen Verſtande ab - weichet, wie es zuweilen geſchieht, haben keinen andern Grund, als Mißkenntniß von beiden, und von ihrer natuͤrlichen Beziehung auf einander, die man nicht genau genug betrachtet hatte. Beob - achten und Vergleichen weiſet uns, wie ich meine, ſehr bald wieder uͤber dieſen Punkt zurecht.

So weit von der Nothwendigkeit der beobach - tenden Methode; nur noch ein Wort von ihren Schwierigkeiten. Das meiſte bey ihr beruhet auf einer richtigen Beobachtung der einzelnen Wir - kungen, auf ihrer Zergliederung, und dann beſon - ders auf ihrer Vergleichung, wodurch einzelneSaͤtzeXVIIVorrede. Saͤtze zu Allgemeinſaͤtzen der Erfahrung erho - ben werden. Jede dieſer Operationen hat ihre Hinderniſſe. Es giebt bey dem innern Sinn, wenn nicht mehrere, doch ergiebigere Quellen zu Blendwerken, als bey dem aͤußern; wogegen ich kein Mittel weiß, das wirkſam genug waͤre, um ſich dafuͤr zu verwahren, als die Wiederholung derſelbigen Beobachtung, ſowohl unter gleichen, als unter verſchiedenen Umſtaͤnden, und jedesmal mit dem feſten Ent - ſchluß vorgenommen, das, was wirkliche Em - pfindung iſt, von dem, was hinzu gedichtet wird, auszufuͤhlen, und jenes ſtark gewahr zu nehmen. Wer dieß nicht kann, iſt zum Beobachter der Seele nicht aufgelegt.

Das ſchlimmſte iſt, daß man ſich am mei - ſten vor der Seelenkraft in Acht zu nehmen hat, die ſonſten die beſten Dienſte thun kann, und auch wirklich thun muß, wenn der Blick in uns ſelbſt etwas eindringen ſoll. Es iſt die Phantaſie, und noch naͤher die ſelbſtthaͤtige Dichtkraft, deren Eingebungen nur zu leicht mit Beobachtungen, und mit Begriffen aus Beobachtungen verwechſelt werden. Jndem der Verſtand das wirklich Vorhandene oder Gefuͤhlte gewahrnimmt, bemerket, und nach - her eins mit dem andern vergleichet, ſo wirket die ſelbſtthaͤtige Phantaſie zur Seite, loͤſet Bilder auf, und vermiſcht ſie wieder, und webet fremde Jdeen hinein, die in der Em - pfindung nicht enthalten waren. Alsdenn ent - ſtehet eine Vorſtellung in uns, die eine getreueI. Band. bAbbil -XVIIIVorrede. Abbildung des Wirklichen, oft ein Gemein - begriff aus mehrern einzelnen Empfindungen zu ſeyn ſcheinet, und die wir geneigt ſind, da - fuͤr anzunehmen, weil ſie ein Kind unſers Witzes iſt. Je lebhafter die Phantaſie iſt, deſto haͤufiger ſind ſolche Meteoren, und den - noch ſiehet man auch ohne eine ſtarke Phanta - ſie nichts. Hier muß ſich nun der wahre Be - obachtungsgeiſt zeigen, und jene ſtarke Phan - taſie auf die Darſtellung des Wirklichen ein - zuſchraͤnken wiſſen. Es iſt ſchwer, ſich in Hinſicht dieſer Suggeſtionen der Dichtkraft allemal ſo zu benehmen, wie man ſoll. Sie koͤnnen ſcharfe Bemerkungen eines Genies ſeyn, die richtig ſind, aber eben ſo wohl auch nur Jrrwiſche, die uns mißleiten. Ein Be - griff von einer wirklichen Sache, den der Ver - ſtand aus Empfindungen bildet, ſeinen noth - wendigen Denkgeſetzen gemaͤß, iſt etwas an - ders als eine Jdee der Dichtkraft, die nur durch die Empfindungen veranlaſſet wird, und nur nebenher waͤhrend des Gefuͤhls entſtehet. Jmgleichen iſt eine Folgerung unſerer Ver - nunft aus der Empfindung etwas anders, als eine Jdee, die von der Phantaſie der Empfin - dung als eine Folge von ihr zugeſetzet wird. Oftmals kommt man daruͤber nicht zur Ge - wißheit, als bis das ganze Verfahren mehr - malen wiederholet, und ſorgfaͤltig zergliedert worden iſt. Ueberhaupt aber haben ſolche Dich - tungen einen Werth, wenn ſie von wahren Genies herruͤhren. Auch bloße Einfaͤlle vondieſenXIXVorrede. dieſen eroͤffnen neue Ausſichten fuͤr den lang - ſam forſchenden Beobachter, und geben ihm Gelegenheit, Wege zu finden, wo ſein Gang leichter iſt. Der Syſtemmacher hat ſie zu fuͤrchten, da ſie oft mit Gewalt durch ſeine Gewebe von Betrachtungen hindurch fahren, und es zerreißen; aber richtiges Raiſonne - ment, auf wahre Beobachtungen gebauet, kann dabey ſicher ſeyn. Dieß laͤßt ſich nicht von Einfaͤllen umwerfen.

Eine der vornehmſten Operationen bey der beobachtenden Methode beſtehet in der Ver - allgemeinerung der beſondern Erfahrungs - ſaͤtze, die aus einzelnen Faͤllen gezogen ſind. Hievon haͤngt die Staͤrke der Methode ab. Die Beobachtung hat fuͤr ſich allein nur mit dem Jndividuellen zu thun. Was hierinn enthalten iſt, die Art, wie es hervorgebracht wird, und das Geſetz, wornach die Urſachen wirken, das lehret die Beobachtung. Aber daſſelbige wird auf ganze Gattungen von Din - gen uͤbertragen, von denen man weiß, daß ſie den beobachteten aͤhnlich ſind. Jſt es die Vergleichung, welche dieſe Aehnlichkeit in ihrem ganzen Umfange zeiget, oder, erſtrecket ſich die beobachtete Aehnlichkeit auf die weſent - lichen Beſchaffenheiten, von welchen auf die Aehnlichkeit in den uͤbrigen Beſchaffenheiten geſchloſſen werden kann, wie von der Aehnlich - keit der Urſachen, auf die Aehnlichkeit der Wir - kungsgeſetze und der Wirkungen, und umge - kehrt, ſo hat die Allgemeinheit der Saͤtze ihreb 2nichtXXVorrede. nicht zu bezweifelnde voͤllige Gewißheit. Kann jene Aehnlichkeit nur in Hinſicht einiger Stuͤcke beobachtet werden, ſo iſt die Uebertragung nach der Analogie nur wahrſcheinlich; dage - gen iſt ſie eine pure Hypotheſe, wenn ſie auf nichts mehr beruhet, als auf die bloße Moͤg - lichkeit, daß es mit andern ſich eben ſo verhal - ten koͤnne, als es ſich mit dem verhaͤlt, was unmittelbar beobachtet iſt. Bey der Graͤnze zwiſchen der vollen Gewißheit und der Wahr - ſcheinlichkeit darf es ſo genau nicht genommen werden, aber deſto mehr iſt darauf zu ſehen, daß nicht das bloße So ſeyn koͤnnen, mit der Wahrſcheinlichkeit verwechſelt werde, daß es ſo ſey. Die letztere ſetzet gewiſſe Anzeigen in den Beobachtungen voraus. Jn jenem Fall wird auf eine Hypotheſe gebauet, aber in dem letztern wird ein Schluß aus der Analogie gemacht, der deſto wahrſcheinlicher iſt, je be - ſtimmter die Anzeigen ſind, aus denen man die Aehnlichkeit gefolgert hat. Hier iſt auch zu - weilen der ſorgfaͤltigſte Beobachter in Gefahr, unvermerkt auf leere Vermuthungen zu gera - then. Es kommen hievon gleich in der erſten Unterſuchung Beyſpiele vor. Mit unſern Jdeen von den Farben hat es dieſelbige Be - ſchaffenheit, wie mit den Jdeen von den Fi - guren, die das Geſicht giebet; ſie haben einer - ley Natur, einerley Beſtandtheile, einerley Entſtehungsart. Dieß wird durch die Ver - gleichung zur vollen Gewißheit gebracht. Nun ſind auch die Vorſtellungen des Gehoͤrs gleich -fallsXXIVorrede. falls Vorſtellungen von einerley Natur mit den Jdeen des Geſichts, nur das Objektiviſche ab - gerechnet, und das, was von dem Unterſchied der Sinnglieder abhaͤngt. Auch bis hieher fuͤhrt die Beobachtung mit Sicherheit. Aber wenn man dieß weiter ausdehnet, und nach der Analogie folgert, daß es mit allen Arten von Jdeen aus dem aͤußern Sinn die naͤmliche Beſchaffenheit habe, und noch weiter, daß es auch mit den Jdeen der Seele von ſich ſelbſt und ihren innern Beſchaffenheiten ſich ſo ver - halte, ſo zeigen ſich neue Schwierigkeiten, da die letztern ſich auch auf eine andere Art er - klaͤren laſſen. Alsdenn muß man bey einer Hypotheſe ſtehen bleiben, oder Data in den Empfindungen aufſuchen, welche dieſe Aehn - lichkeit zum mindeſten in ſolchen und ſo vielen Punkten beſtaͤtigen, daß eine Wahrſcheinlich - keit daraus erwaͤchſet, ſie koͤnnen auch in Hin - ſicht der uͤbrigen angenommen werden, die man nicht beobachten kann. Jch habe in ſol - chen Faͤllen mirs zur Regel gemacht, dieſe An - zeigen oder Data, jedesmal, ſo weit ich konn - te, aufzuſuchen.

Wenn Leibnitz ſagte, man koͤnne der Er - fahrungen zu viele aufſammlen, und die Phi - loſophie als die Einſicht ihres Zuſammen - hangs, dadurch hindern, ſo hatte er ohne Zweifel in ſo ferne Recht, als die Ruͤckſicht auf gar zu viele und zu ſehr unterſchiedene Faͤlle es ſchwer macht, ein allgemeines Geſetz aus ihnen abzuſondern. Die Menge der kleinenb 3Ver -XXIIVorrede. Verſchiedenheiten in den Einzelnen, verhindert die Ueberſicht des Ganzen und die Entdeckung des Aehnlichen. Aber wenn aus einigen an - geſtellten Vergleichungen allgemeine Begriffe und Regeln abſtrahirt ſind, und ſolche ausge - dehnet und auf andere Erfahrungen angewen - det werden ſollen, ſo kann man der Erfahrun - gen nicht zu viel haben, um hierinn ſicher zu gehen.

Der Gebrauch der Analogie enthaͤlt den Schluß, daß eine Sache, die der andern in Hinſicht einiger Beſchaffenheiten aͤhnlich iſt, es auch in Hinſicht mehrerer ſeyn werde, ohne daß eine nothwendige Verbindung zwiſchen dieſen letztern Beſchaffenheiten und den erſtern einleuchte. Denn wo dieß Statt findet, da hat die Analogie nur zuerſt auf den Weg ge - wieſen, aber die Folgerung, die aus ihr ge - macht iſt, wird durch einen richtigen Schluß zur Gewißheit gebracht.

Wer nur einigermaßen die Werke der Na - tur kennet, weiß es, wie oft die Analogie ein richtiger Wegweiſer geweſen iſt, und auch, wie oft ſie irrig geleitet hat. Hr. Bonnet wuͤnſchte deswegen, daß aus der Vergleichung dieſer verſchiedenen Faͤlle allgemeine Maximen uͤber ihren Gebrauch aufgeſuchet werden moͤchten. Ohne Zweifel wuͤrden dieſe ein vortrefliches Stuͤck einer logiſchen Vermuthungskunſt ab - geben, woran es noch fehlet, obgleich ein jeder Menſch von gutem Verſtande etwas davon beſitzet, und in ſeiner Sphaͤre von KenntniſſenoftXXIIIVorrede. oft gluͤcklich anwendet. Die Quelle, worauf Hr. Bonnet verwieſen hat, um ſolche Bemer - kungen zu ſammeln, iſt auch die ergiebigſte; naͤmlich die Beobachtung der Aehnlichkeiten in den wirklichen Dingen. Aber dennoch erwarte ich nicht, daß man auf dieſem Wege etwas mehr als Materialien und einzelne Beyſpiele ſammlen werde, die nie zu einem Ganzen wer - den koͤnnen, wenn nicht eine allgemeine Phi - loſophie, uͤber die Beziehungen aller Arten von Beſchaffenheiten in den Dingen auf einander, zu Huͤlfe kommt. Ohne dieſe wird man zum mindeſten nicht alles recht deutlich uͤberſehen, worauf es ankommt. Wie und wie weit fol - get z. B. die Aehnlichkeit in den Wirkungen der Aehnlichkeit in den Urſachen? und umge - kehrt dieſe jener? Wie weit folgt die Aehn - lichkeit in dem Jnnern der Aehnlichkeit in dem Aeußern? Von welcher Groͤße von Aehnlich - keit laͤßt ſich auf eine voͤllige oder doch auf eine noch weiter ſich erſtreckende, und von welcher Gattung von Aehnlichkeiten auf eine andere fortſchließen? Denn dieſe Frage: wie wahr - ſcheinlich es ſey, daß eine Aehnlichkeit in einer gewiſſen Gattung von Beſchaffenheiten, mit einer Aehnlichkeit in einer andern Gattung von Beſchaffenheiten verbunden ſey? iſt von einer andern Frage: wie weit mit dieſer oder jener beſondern Beſchaffenheit eine andere beſondere wahrſcheinlich vergeſellſchaftet ſey? unterſchie - den. Es giebt in den einzelnen Beyſpielen allgemeine Gruͤnde der Analogie; und esb 4giebtXXIVVorrede. giebt beſondere. Solche mit einiger Voll - ſtaͤndigkeit zu uͤberſehen, dient die Spekulation des Metaphyſikers als das Eine Auge, und die Beobachtung der Natur als das zweyte; wenn gleich dieß letztere das fertigſte iſt, wo - mit man am oͤfterſten allein ſiehet. Es haben doch auch die Logiker und Metaphyſiker durch ihre allgemeine Betrachtungen wirklich hierinn etwas vorgearbeitet, und ich wollte nur bey - laͤufig erinnern, daß man ihre Bemuͤhungen nicht fuͤr ſo ganz unbedeutend anzuſehen habe.

Als ein Beyſpiel einer beſondern Maxime bey dem Gebrauch der Analogie, wie Hr. Bon - net ſie wuͤnſchte, kann vielleicht die nachſtehen - de Bemerkung dienen, die uns oft bey pſycho - logiſchen Beobachtungen an die Hand gegeben wird. Schließt man nach der Analogie, ſo wird vorausgeſetzt, daß die Natur einfoͤrmig und ſich im Jnnern aͤhnlich ſey, von der wir doch auch zugleich wiſſen, daß ſie die Abwech - ſelung und Mannigfaltigkeit bis ins Unendli - che liebet. Das letztere offenbaret ſich am er - ſten und am haͤufigſten in den Groͤßen, in Graden und Stufen; die Einfoͤrmigkeit fin - det mehr in den abſoluten Qualitaͤten Statt. Je mehr man die Wirkungen der Natur ſtu - diert, je mehr naͤhert man ſich der großen leib - nitziſchen Jdee, die Mannigfaltigkeit in den Dingen beſtehe am Ende nur in einem Mehr und Weniger in den Groͤßen der Grundkraͤfte, wobey die Kraͤfte ſelbſt einerleyartig ſind, und dieſelbigen allgemeinen Geſetze befolgen. AberbisXXVVorrede. bis dahin kann man nicht hinaufgehen, weder in der Naturlehre noch in der Pſychologie. Wenn man auch zugeben wollte, daß wir von dieſer einfoͤrmigen Urkraft der Dinge einen Begrif haͤtten, und daß ſolche eine vorſtellende Kraft ſey, wofuͤr ſie Leibnitz anſah, ſo koͤn - nen wir doch nimmermehr in den Stand kom - men, die Erſcheinungen der Koͤrper bis dahin aufzuloͤſen. Eine ſolche Analyſis bleibet nur dem Verſtand des Unendlichen vorbehalten. Unſre Erkenntniß von der wirklichen Welt er - fodert es, eine zwiefache Grundverſchiedenheit in den Dingen anzunehmen, eine abſolute in den Grundkraͤften und ihren Beſchaffenhei - ten, und noch eine andere in den Quantitaͤten.

Nun ſage ich, wo wir von einem Dinge auf ein anders ſchließen, weil gewiſſe Anzei - chen der Analogie vorhanden ſind, da iſt es immer zu vermuthen, daß ſie verſchieden ſind in Hinſicht alles deſſen, wobey es auf ein Mehr oder Weniger ankommt, aber dagegen einerley ſind in Hinſicht der Qualitaͤten. Hat man beobachtete Objekte aufgeloͤſet, und ihre Einrichtung aus der Verbindung ihrer Beſtandtheile und deren Beziehungen auf ein - ander begriffen, ſo kommt es darauf an, daß man alles abſondere, was eine Groͤße iſt, was auf Zahl, Menge, Graden der Staͤrke, Laͤnge und Kuͤrze der Zeit, Groͤßen der Ausdehnung u. ſ. w. beruhet; alsdenn kann es eine Regel ſeyn, daß ein anders Objekt in Hinſicht der uͤbrigen abſoluten Qualitaͤten mit dem erſten,b 5gleich -XXVIVorrede. gleichartig und von einerley Natur, in Hin - ſicht der Groͤßen aber verſchieden ſeyn werde, wenn naͤmlich ſonſten Gruͤnde zu einem analo - giſchen Schluß vorhanden ſind. So iſt es, um nur in der Pſychologie zu bleiben, wahr - ſcheinlicher, was aber doch auch naͤher bewie - ſen werden kann, daß bey allen Arten von Vorſtellungen eben dieſelbige Kraftanwendun - gen der Seele vorgehen, und daß ſie alle nach einem allgemeinen Geſetz gemacht werden, als daß hierinn die Eine Gattung weſentlich von der andern unterſchieden ſey; ſo wie es auch dagegen gewiß iſt, daß die Laͤnge, Groͤße und Staͤrke der einzelnen Seelenveraͤnderungen bey ihnen verſchieden ſind. Schließen wir von Menſchenſeelen auf Thierſeelen, ſo iſt es ſolan - ge wahrſcheinlich, daß ihr Unterſchied nur ein Stufenunterſchied ſey, bis ihre Aeußerungen uns auf eine weiter gehende Weſensungleich - artigkeit hinweiſen. Solche Aufloͤſungen der Seelenkraͤfte, wobey das Charakteriſtiſche jed - weder Klaſſe, die aͤußere Verſchiedenheit aus den Gegenſtaͤnden bey Seite geſetzt, auf ein Mehr und Weniger reduciret wird, haben eine ſtaͤrkere Vermuthung fuͤr ſich, als andere.

Da es aber ſchwer iſt, und bey den fortge - ſetzten Aufloͤſungen ſo gar unmoͤglich wird, die Quantitaͤten, und was daraus folget, von dem, was eine Qualitaͤt iſt, genau abzuſon - dern, ſo iſt es begreiflich, daß eine ſolche Ma - xime, wie die hier gegebene iſt, nicht erlaube, ihr blindlings zu folgen, noch uns der Muͤheuͤber -XXVIIVorrede. uͤberhebe, ſorgfaͤltig auf alle Umſtaͤnde zuruͤck zu ſehen, worunter wir ſie anwenden. Ver - ſchiedene neuere Philoſophen finden die Mate - rialitaͤt der Seele, der Analogie, der Natur und der Stufenleiter der Dinge gemaͤßer, als ihre weſentliche Verſchiedenartigkeit von dem Koͤrper. Die Natur gehet herauf von groͤbe - rer zu feinerer Organiſation in ihren zuſam - mengeſetzten Weſen, aber von der Organiſa - tion zur Jmmaterialitaͤt ſcheinet ein Sprung zu ſeyn, der ſich nicht wohl von ihr erwarten laͤßt. Mich deucht, es laſſe ſich dieſelbige Art zu ſchlieſ - ſen umkehren, und eben ſo gut fuͤr die Jmma - terialitaͤt der Seele gebrauchen, als gegen ſie, und vielleicht noch beſſer. Fangen wir bey den Pflanzen und organiſirten nicht beſeelten We - ſen an, und gehen zu den Thieren uͤber, ſo ſe - hen wir auf Weſen, in welchen das innere Princip ihrer Lebensbewegungen durch alle Theile des Ganzen faſt gleichfoͤrmig vertheilet iſt, andere Weſen in der Stufenleiter ſtehen, wo ſolches mehr auf gewiſſe innere Theile, auf ein Gehirn, oder auf ein Fibern - und Nerven - ſyſtem zuſammengezogen iſt. Jn den Poly - pen ſind die Principe der Empfindlichkeit und der Bewegung wie in den Pflanzen allenthal - ben verbreitet, aber in den Polypen ſind ſie mehr und genauer mit einander zu Einem Ganzen vereinigt, haben mehr Gemeinſchaft mit einander, und machen ein inniger verbun - denes Eins aus, als die vegetirende Kraft in den Pflanzen, die mehr in jedem Theil fuͤr ſichabge -XXVIIIVorrede. abgeſondert iſt, ob ſie gleich auch hier ein Eins ausmacht, und einen gewiſſen Hauptſitz hat. Dieſer Unterſchied kann allerdings auf ein Mehr oder Weniger beruhen und Stufenver - ſchiedenheit ſeyn. Jn den Jnſekten, die ſich nicht aus jeden Stuͤcken wieder ergaͤnzen, ſchei - net, das Nervenſyſtem ſchon irgendwo eine beſondere Stelle zu haben, wo das vornehmſte Princip der Thierheit ſeinen Sitz hat. Jn den Thieren mit einem eigentlichen Gehirn geht dieß noch weiter. Dieſe ſind in einem hoͤhern Grade Einheiten. Denn ſie haben Einen Mittelpunkt, wohin alle Eindruͤcke von außen ſich vereinigen, und woher alle Thaͤtigkeiten von innen herausgehen. Wenn man nun in dieſer Stufenleiter hinaufſteiget, der Analo - gie der Natur, und ihrer Mannigfaltigkeit in allen, wobey ein Mehr und Weniger ſtatt fin - det, gemaͤß, ſo meine ich, man muͤſſe von ſelbſt Eine Gattung von zuſammengeſetzten Weſen vermuthen, wo dieſer Mittelpunkt der Empfin - dungen und der Bewegungen, das regierende Princip des Syſtems oder die Entelechia deſ - ſelben, oder, in der Sprache der Chemiſten, der Spiritus Rector, eine voͤllige das iſt eine ſubſtanzielle Einheit ſey oder Ein fuͤr ſich be - ſtehendes Ding. Die Demokratie fuͤhrt durch eine Stufenleiter uͤber die Ariſtokratie zur Mo - narchie. Warum nicht auf eine aͤhnliche Art die Pflanzen - und Polypenorganiſation zu der Menſchlichen? Jn jener iſt es ein ganzes Ag - gregat von Weſen in Verbindung mit einan -der,XXIXVorrede. der, davon jedwedes einzelne einen faſt glei - chen Antheil an dem ganzen regierenden Prin - cip hat; in dieſem iſt eine einzige Subſtanz, die als Jch die Herrſchaft fuͤhrt, oder doch we - nigſtens uͤberwiegende Vorzuͤge hat. Wenn der Menſch auf dieſer aͤußerſten Stufe ſtehet, ſo iſt es wiederum der Analogie der Natur ge - maͤß, nach welcher keine einzelne Beſchaffen - heit Einer Gattung von Dingen allein zu - kommt, daß dieſelbige Einheit einer Seele, als herrſchenden Subſtanz, auch in noch mehrern Thierarten vorhanden ſey, obgleich die Herr - ſchaft der Seele in ihnen mehr eingeſchraͤnkt iſt, wobey eine unendliche Mannigfaltigkeit in Graden Statt finden kann.

So ſorgfaͤltig ich uͤbrigens die Einmiſchung der Hypotheſen unter den Erfahrungsſaͤtzen zu vermeiden geſucht, ſo habe ich deswegen mich doch nicht enthalten, Folgerungen und Schluͤſ - ſe aus den Beobachtungen zu ziehen, und ſie dadurch zu verbinden. Auch habe ichs mir hie und da erlaubet, eine Anwendung von allge - meinen Betrachtungen zu machen. Die Er - fahrungen ſind jedesmal von den Raiſonne - ments die man uͤber ſie anſtellet, zu unter - ſcheiden, aber es iſt hier deſto mehr erlaubet, ſie darunter zu miſchen, da man in der Pſycho - logie an ſimpeln Aufzaͤhlungen der Begeben - heiten noch nicht ſo gewoͤhnt iſt, als in der Na - turlehre. Zum Theil iſt es hier auch ſchwe - rer, die Raiſonnements ſo ſtrenge abzuſondern. Sollte eine voͤllige Umarbeitung der Seelen -lehreXXXVorrede. lehre noch einmal es noͤthig machen, auch hier - inn genauer die Methoden der Naturlehrer zu befolgen, ſo kann es vor der Hand doch nicht ſchaden, daß zugleich raiſonnirt und beobach - tet wird. Am Ende ſind es doch die Reflexio - nen und Schluͤſſe, die die ſimpeln Beobach - tungen erſt recht brauchbar machen, und ohne die wir beſtaͤndig nur auf der aͤußern Flaͤ - che der Dinge bleiben muͤßten. Aber meine Abſicht in dieſen Verſuchen hat es erfodert, theils die eingeſtreueten Raiſonnements nir - gends weiter zu verfolgen, als bis dahin, wo ihre Uebereinſtimmung mit den Erfahrungen noch offenbar iſt; theils ſie nicht anders anzu - bringen, als wo ich glaubte, daß ſie und ihre Gruͤnde eben ſo evident ſeyn wuͤrden, als die Beobachtungen ſelbſt. Der Geiſt des Sy - ſtems verleitet ſonſten eben ſo ſehr, als die Phantaſie, und ich habe es ſo lebhaft gefuͤhlet, wie ſchwer es ſey, unſer Jnneres ſo zu ſehen, wie es iſt, daß es mich nicht befremden wird, wenn man finden ſollte, ich haͤtte hie und da ein Raiſonnement fuͤr eine Beobachtung ange - ſehen.

Jch wiederhole die Erklaͤrung, daß es mein feſter Vorſatz geweſen ſey, auf nichts zu fußen, als was entweder unmittelbare Beob - achtung ſelbſt iſt, oder evidente und durch die Uebereinſtimmung der Beobachtungen beſtaͤ - tigte Vernunft. Dieſe Abſicht vor Augen, habe ichs verſuchet, die Faͤhigkeiten der Seele in die einfachſten Vermoͤgen aufzuloͤſen, undzuXXXIVorrede. zu den erſten Anfaͤngen dieſer Vermoͤgen in der Grundkraft mich ſo weit hin zu naͤhern, als ichs moͤglich fand. Mit den Erkenntnißfaͤhig - keiten iſt der Anfang gemacht. Hier haben faſt alle Pſychologen den Eingang zu dem Jn - nern der Seele am offenſten gefunden, und es beweiſet der Erfolg, daß wirklich die Seele ſich an dieſer Seite am deutlichſten aͤußere, da keine andere Art von ihren Aeußerungen ſich ſo gut zergliedern laͤſſet, als Vorſtellungen und Gedanken.

Dieſe erſten Unterſuchungen ſetzen uns in den Stand, beſſer die neuern Hypotheſen uͤber die Natur unſers Seelenweſens zu beurtheilen. Die Bonnetiſche verdient vor andern die ſorgfaͤltigſte Pruͤfung. Sie kann die Bonne - tiſche heißen, ob gleich Hr. Bonnet nicht der erſte iſt, der ſie vorgetragen hat. Denn wenn man bis auf ihre erſte Anlage zuruͤck gehen wollte, ſo wuͤrde ſich ſolche, wie faſt zu allen andern von den Neuern weiter entwickelten Jdeen, bey den alten Philoſophen ſchon fin - den laſſen. Die ariſtoteliſche Jdee von der Seele als einer ſubſtanziellen Form des thie - riſchen Koͤrpers ſcheint nicht weit von der neuen Jdee, die ſie zu einer ſubſtanziellen Kraft des Gehirns macht, entfernet zu ſeyn. Gleich - wohl kann Hr. Bonnet, ſo viel ich weiß, auf die Ehre Anſpruch machen, dieſe Hypotheſe aufs genaueſte beſtimmet, ſie deutlich und aus - fuͤhrlich entwickelt, zur Erklaͤrung der beſon - dern pſychologiſchen Erfahrungen angewendet,undXXXIIVorrede. und durch ſeinen darſtellenden Vortrag faßlich und bekannter gemacht zu haben. Sie ſcheint immer mehr Beyfall zu finden, und vielleicht mehr, als ſie nach meiner Ueberzeugung ſollte, da ſie, wie ich meine dargethan zu haben, nicht ganz hinreichet, die Beobachtungen zu erklaͤ - ren, und aufs hoͤchſte nur Eine Seite unſerer Seelennatur richtig darſtellet. So viel raͤu - me ich ihr aber gerne ein, daß ihre Schwaͤche nicht ſo offenbar auffallend iſt, als einige ihrer Gegner ſich uͤberreden. Es wird oft wieder - holet, das Gehirn ſey als ein weicher, oder gar fluͤßiger Koͤrper unfaͤhig, bleibende Spu - ren von den Eindruͤcken der Dinge zu erhalten, und koͤnnen ſo wenig materielle Jdeen nach bonnetiſcher Vorſtellung in ſich haben, als das Waſſer die Figur eines Petſchafts be - halten kann, das man ſeiner Oberflaͤche auf - druͤckt. Wenn dieß ſchon genug iſt, die Un - moͤglichkeit der materiellen Jdeen zu zeigen, ſo hat Hr. Bonnet freilich eine große Abſurdi - taͤt behauptet, wie man von einem Philoſo - phen, der mit einer ſtarken Beurtheilungskraft die ausgebreitetſte Kenntniß der Natur verbin - det, nicht ſo leicht vermuthen ſollte. So ver - haͤlt ſichs aber wohl nicht. Hr. Bonnet wuß - te, was dieſe ſeine Widerleger nicht wiſſen, oder woran ſie nicht denken, daß es weiche, gallertige und breyartige Koͤrper gebe, und ſogar ſolche, die dem Anſchein nach fluͤßig ſind, worinn ſich nicht die mindeſte Spur von Or - ganiſation auch mit dem bewaffneten Augeentde -XXXIIIVorrede. entdecken laͤßt, die doch nichts deſtoweniger ei - ne Anlage zu einem organiſirten Koͤrper, zu - weilen auch dieſen ſchon ausgebildet mit allen ſeinen unterſchiedenen Theilen in ſich enthalten. Man darf nur ein Ey betrachten, um ſich davon zu uͤberzeugen, und wenn dieß noch nicht genug iſt, ſo erwaͤge man den Verſuch mit den Eyern der Spinnfliege, die nichts als eine fluͤßige, mil - chichte Subſtanz zu ſeyn ſcheinen, aber, nach - dem ſie einige Minuten im heißen Waſſer ge - kocht ſind, und dann geoͤffnet werden, die un - ter dem Schein des Fluidums verſteckten Nym - phen in ihren voͤlligen Formen darſtellen. *)Bonnets Betrachtungen uͤber die organiſirten Koͤrper, Erſter Th. 9tes Kap. Zweyter Th. 5tes Kap.Kann alſo auch nicht unter der breyartigen Geſtalt des Hirnmarks eine wahre Organiſa - tion verſteckt ſeyn? Nach dem Urtheil des groͤßten Phyſiologen, des Hrn. von Haller, macht die Aehnlichkeit der Steife dieſes Marks mit den Nerven es wahrſcheinlich, daß es faſe - richter Natur ſey, obgleich neulich ein britti - ſcher Arzt Hr. Kirkland dieß abgelaͤugnet hat, der es fuͤr einen bloßen Mukus, eine klebrichte Subſtanz angeſehen haben will. Vielleicht laſſen ſich beide Meinungen gewiſſermaßen mit einander vereinigen. Aber in jedem Fall iſt es ja offenbar, daß, obgleich keine ſichtbare Feſtigkeit in den innern Theilen des Gehirns vorhanden iſt, dennoch ein ſolcher Grad der Konſiſtenz, wie in den Eyern iſt, da ſeyn koͤnne,I. Band. cdieXXXIVVorrede. die hinreichet, beſtimmte Spuren von den dar - auf gemachten ſinnlichen Eindruͤcken in ſich zu erhalten. Das Waſſer dagegen hat nichts Organiſirtes, ſo wenig als ein jeder anderer Koͤrper, der nichts mehr als fluͤßig iſt, ſo daß die Vergleichung von dem auf das Waſſer ge - druckten Petſchaft von ſelbſt wegfaͤllt. Hr. Bonnet iſt dieſem Einwurf nicht zuvor gekom - men, ohne Zweifel darum, weil er nicht ver - muthete, daß er ihm wuͤrde gemacht werden.

Jndeſſen iſt doch nicht zu laͤugnen, daß eben dieſe Weichheit des innern Gehirnmarks, nach dem jetzigen Stande unſerer Kenntniſſe, als eine Anzeige und auch wohl als ein Beſtaͤti - gungsgrund einer von der bonnetiſchen ver - ſchiedenen Hypotheſe koͤnne gebraucht werden, wenn anders Beobachtungen auf eine ſolche hinfuͤhren. Denn ſo koͤnnte es doch auch wohl ſeyn, daß dieſe weichen und fluͤßigen Theile des Gehirns nichts anders in Hinſicht der mate - riellen Jdeen ſind, als was die Fluͤßigkeiten in dem Auge in Ruͤckſicht auf die Bilder auf der Netzhaut ſind. Wenn es gleich wahr - ſcheinlich iſt, wie ichs dafuͤr halte, daß es ma - terielle Jdeen in dem Jnnern des Organs gebe, ſo folget noch nicht, daß man den Sitz dieſer Jdeen weiter in das Jnnere des Gehirns hin - einſetzen muͤſſe, als bis dahin, wo die Anfaͤnge der Nerven ſind, und bis ſo weit iſt doch ohne Zweifel eine Organiſation vorhanden, und alſo auch die Moͤglichkeit, Spuren von den ſinnlichen Eindruͤcken zu behalten. VielleichtliegetXXXVVorrede. lieget alſo noch tiefer in das Gehirn hinein, oder noch naͤher zur Seele, die weiche Materie, die nichts mehr thut, als daß ſie die Bewegungen von dem Organ zur Seele, und von der Seele zum Organ durchlaͤßt, wozu es wohl nicht noͤthig iſt, daß ſie ſelbſt organiſirt ſey. Aber man begreift leicht, daß nun auch hierdurch die bonnetiſche Pſychologie nicht widerlegt werde, ſo fern ſolche auf materiellen Jdeen beruhet, ſondern daß ſie allenfalls nur in ihren naͤhern Beſtimmungen nicht ſo zuverlaͤßig ſey, als in den erſten Grundſaͤtzen.

Die Unterſuchung uͤber die Freyheit, die in einer erhoͤheten Selbſtthaͤtigkeit der Seele beſtehet, hieng mit den vorhergehenden und den folgenden Betrachtungen uͤber die menſch - liche Natur ſo genau zuſammen, daß ich mich auf ſie haͤtte einlaſſen muͤſſen, wenn auch die bekannten Dunkelheiten in dieſer Materie nicht beſonders dazu gereizet haͤtten. Nirgends ſcheinet die Vernunft dem Gefuͤhl, und, wenn man naͤher zuſieht, ſelbſt das Gefuͤhl dem Ge - fuͤhl ſo ſehr zu widerſprechen, als hier. Es muß nothwendig irgendwo ein falſcher Schein dahinter ſtecken, die Urſache deſſelben mag nun da liegen, wo ich ſie glaube gefunden zu haben, oder anderswo.

Der letzte Verſuch uͤber die Perfektibilitaͤt und uͤber die Entwickelung der Seele iſt ge - wiſſermaßen das Ziel, wohin die meiſten der vorhergehenden Betrachtungen zuſammen lau - fen. Bey dem großen Umfang dieſes frucht -c 2barenXXXVIVorrede. baren Feldes habe ich mich auf Eine Strecke eingeſchraͤnkt. Jch habe mich nicht ſo wohl auf die Mittel eingelaſſen, wodurch der Menſch entwickelt wird, als vielmehr auf die Wir - kung dieſer Mittel in ſeinem Jnnern, oder auf das, was die Vervollenkommung unſerer Na - tur in dem Jnnern ſelbſt ausmachet, die durch die ausbildenden Urſachen bewirket wird, und unter den mannichfaltigen Formen, worinn die Menſchheit ſich uns darſtellet, enthalten iſt. Dieß iſt am Ende nichts anders, als eine deut - liche Auseinanderſetzung deſſen, was in dem Ge - fuͤhl des Menſchenfreundes begriffen iſt, wenn er die Wuͤrde des Menſchen und die Erhaben - heit der Tugend empfindet. Dieß Gefuͤhl be - darf einer Leitung von der aufklaͤrenden Ver - nunft. Ohne dieſe kann der edelſte Vorſatz, deren ein Menſch faͤhig iſt, der Vorſatz, an der Verbeſſerung der Menſchheit zu arbeiten, eine falſche Richtung nehmen, und in einen ſchaͤdlichen Eifer ausarten, ſie in Eine von ih - ren beſondern Formen hinein zu zwingen, die man als die alleinige fuͤr ſie anſieht, in der ſie eine innere Vollkommenheit beſitzen koͤnne.

JnhaltXXXVII

Jnhalt des erſten Bandes.

Erſter Verſuch. Ueber die Natur der Vorſtellungen.

I.

Vorlaͤufige Anzeige von den Bemuͤhungen der Philoſo - phen, Vorſtellungen, Empfindungen und Gedan - ken aus Einer Grundkraft abzuleitenS. 1

II.

Was Vorſtellungen in dem Wolfiſchen Syſtem ſind8

III.

Eine Reihe von Beobachtungen und Erfahrungsſaͤtzen, betreffend die Natur der Vorſtellungen12

IV.

Weitere Erlaͤuterung des erſten Charakters der Vorſtel - lungen, daß ſie zuruͤckgebliebene Spuren vorherge. gangener Veraͤnderungen ſind. Ob dieß bey allen Arten von Vorſtellungen ſich ſo verhalte28

V.

Von den Geſichtsvorſtellungen. Entſtehungsart der - ſelben. Unterſchied zwiſchen Empfindung und Nach - empfindung. Einbildung, oder Wiedervorſtellung31

VI.

Dieſelbige Beſchaffenheit der Vorſtellungen in den Em - pfindungsvorſtellungen des Gehoͤrs und der uͤbrigen aͤußern Sinne40

VII.

Die Vorſtellungen des innern Sinns haben daſſelbige Unterſcheidungsmerkmal der Vorſtellungen. Beweis davon aus Beobachtungen45

c 3VIII. XXXVIIIJnhalt

VIII.

Dunkelheit bey den Vorſtellungen aus dem innern Sinn. Ob die Empfindungen des innern Sinns ihre eigene Spuren hinterlaſſen, die ſich eben ſo auf ſie beziehen, wie die Vorſtellungen aus dem aͤußern Sinn auf ihre Empfindungen? Einwurf dagegen aus der Jdeen - aſſociation und Beantwortung deſſelbenS. 57

IX.

Noch eine Vergleichung der Wiedervorſtellungen der letz - tern Art mit denen von der erſtern Art in Hinſicht ih - rer Deutlichkeit73

X.

Ueber die zwote weſentliche Beſchaffenheit der Vorſtellun - gen, die ihnen als Zeichen von Gegenſtaͤnden zukommt. Sie weiſen die Reflexion auf ihre Objekte hin. Ur - ſache davon75

XI.

Eine Anmerkung uͤber den Unterſchied der analogiſchen und anſchaulichen Vorſtellungen87

XII.

Von der bildlichen Klarheit in den Vorſtellungen. Sie kann von der ideellen, das iſt, von der Klarheit in den Jdeen unterſchieden werden. Wie ferne beide ſich auf einander und auf die bezeichnende Natur der Vorſtellungen beziehen. Kritik uͤber die gewoͤhnliche Abtheilung der Jdeen in dunkle, klare, verwirrte, deutliche95

XIII.

Verſchiedene Thaͤtigkeiten und Vermoͤgen der vorſtellen - den Kraft. Das Vermoͤgen der Perception, die Phantaſie, und die Dichtkraft104

XIV.

Ueber das Geſetz der Jdeenaſſociation. Deſſen wah - rer Sinn. Jſt nur ein Geſetz der Phantaſie beyderXXXIXdes erſten Bandes. der Reproduktion der Vorſtellungen; iſt kein Geſetz der Verbindung der Jdeen zu neuen ReihenS. 108

XV.

Von der bildenden Dichtkraft.

  • 1) Der Begriff davon115
  • 2) Ob ihre Wirkſamkeit auf ein Zertheilen und Wie - derzuſammenſetzen der Vorſtellungen eingeſchraͤn - ket ſey? 116
  • 3) Sie macht neue ſinnlich einfache Vorſtellungen119
  • 4) Graͤnzen dieſer Schoͤpferkraft126
  • 5) Graͤnzen des Vermoͤgens, Vorſtellungen aufzu - loͤſen127
  • 6) Ueber die allgemeinen ſinnlichen Vorſtellungen128
  • 7) Geſetze der Dichtkraft, wenn ſie neue einfache Vor - ſtellungen bildet136
  • 8) Folgen, die aus der Wirkungsart der Dichtkraft fließen, in Hinſicht des Urſprungs der Vorſtel - lungen aus Empfindungen138
  • 9) Einfluß der Dichtkraft auf die Ordnung, in der die Reproduktiones der Phantaſie erfolgen139
  • 10) Die Wirkſamkeit der Dichtkraft erſtrecket ſich auf alle Arten von Vorſtellungen140

XVI.

Ueber die Gleichartigkeit und Verſchiedenartigkeit der Vermoͤgen, die zur vorſtellenden Kraft gehoͤren142

  • 1) Beſtimmung der zu unterſuchenden Frage142
  • 2) Eine noͤthige Nebenbetrachtung uͤber die Begriffe von Einartigkeit und Verſchiedenartigkeit143
  • 3) Verſchiedene Stufen der Einartigkeit152
  • 4) Anwendung dieſer Begriffe auf die Vermoͤgen, die zur vorſtellenden Kraft gehoͤren. Jn wie weit das Vermoͤgen, Vorſtellungen aufzunehmen, und das Vermoͤgen, Vorſtellungen zu reproduciren, einer - leyartige Vermoͤgen ſind154
  • 5) Das Verhaͤltniß der Phantaſie zu der Dichtkraft159
c 46) DasXLJnhalt
  • 6) Das Vermoͤgen, Nachempfindungen zu haben, und Vorſtellungen aufzunehmen, haͤngt ab von der Modifikabilitaͤt der Seele, und von der Selbſt - thaͤtigkeit, mit der ſie ihre Modifikationen in der Empfindung aufnimmtS. 161
  • 7) Eine allgemeine Anmerkung uͤber die Entwickelung des Princips der Vorſtellungsthaͤtigkeiten163

Zweeter Verſuch. Ueber das Gefuͤhl, uͤber Empfindungen und Empfindniſſe166

I.

Beſtimmung deſſen, was hier Fuͤhlen, Empfinden, Ge - fuͤhl, Empfindung und Empfindniß genennet wird166

II.

Einige Beobachtungen uͤber das Gefuͤhl.

  • 1) Das Gefuͤhl hat nur mit gegenwaͤrtigen Dingen zu thun170
  • 2) Das Gefuͤhl iſt verſchiedener Grade faͤhig. Jn wie ferne es erwieſen werden kann, daß es ein dunkles Gefuͤhl gebe172
  • 3) Was gefuͤhlet wird, iſt eine paſſive Modifikation der Seele173
  • 4) Was Thun und Leiden, Aktion und Paſſion ſey174
  • 5) Auf welche Art wir unſere Thaͤtigkeiten fuͤhlen178

III.

Von dem Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe und Beziehungem

  • 1) Ueberhaupt182
  • 2) Von dem Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe und Beziehun - gen der Gegenſtaͤnde unter ſich. 183
  • 3) Von dem Gefuͤhl der Beziehungen der Dinge auf die gegenwaͤrtige Beſchaffenheit der Seele184
4) VonXLIdes erſten Bandes.
  • 4) Von den Empfindungen des Wahren, des Schoͤ - nen und GutenS. 185

IV.

Das Abſolute und nicht das Relative iſt ein unmittel - barer Gegenſtand des Gefuͤhls. 191

  • 1) Der Satz ſelbſt191
  • 2) Beweis des Satzes aus dem Gefuͤhl der objektivi - ſchen Verhaͤltniſſe der Dinge. Gefuͤhl des Ueber - gangs. Gefuͤhl der Einerleyheit und der Verſchie - denheit. Gefuͤhl der Dependenz194
  • 3) Beweis aus dem Gefuͤhl der Wahrheit202
  • 4) Beweis aus den Empfindniſſen205

V.

Von der Beziehung der Empfindniſſe auf die Empfin - dungen.

  • 1) Das Afficirende iſt eine Beſchaffenheit der affi - cirenden Empfindungen210
  • 2) Ob und wie das Afficirende von den afficirenden Empfindungen getrennet werden koͤnne? 217

VI.

Weitere Betrachtung uͤber die Natur der Empfindniſſe.

  • 1) Unterſchied zwiſchen afficirenden Empfindungen, und afficirenden Vorſtellungen220
  • 2) Von urſpruͤnglich und fuͤr ſich afficirenden Em - pfindungen. Von der Ueberleitung des Gefal - lens und Mißfallens von einer Sache auf eine an - dere222
  • 3) Pruͤfung des Syſtems von dem Urſprung aller Empfindniſſe aus aͤußern Empfindungen. Kenn - zeichen der urſpruͤnglich fuͤr ſich afficirenden Em - pfindungen, die ſolches weder durch eine Ueber - tragung ſind, noch durch die Jdeenaſſoiation226
  • 4) Die Unterſuchung uͤber die urſpruͤnglichen Em - pfindniſſe wird fortgeſetzt. Jn welcher Ordnung die natuͤrliche Empfindſamkeit ſich offenbaret238
c 3VII. XLIIJnhalt

VII.

Von der afficirenden Kraft der Vorſtellungen.

  • 1) Sie hat ihren Urſprung aus der afficirenden Kraft der Empfindungen, aus denen die Vorſtellungen entſtehenS. 244
  • 2) Die Empfindniſſe aus Phantasmen ſind ſelbſt Wiedervorſtellungen afficirender Empfindungen247
  • 3) Große Macht der Vorſtellungen247
  • 4) Urſache dieſer Staͤrke249
  • 5) Wie unangenehme Empfindungen in der Vorſtel - lung angenehm ſeyn koͤnnen, und umgekehrt. Von dem Vergnuͤgen, das in den Vorſtellungen als Vorſtellungen ſeinen Grund hat251

VIII.

Jn dem Aktus des Fuͤhlens nimmt man keine Mannig - faltigkeit gewahr. Ob Fuͤhlen als eine Reaktion der Seele koͤnne angeſehen werden? 255

Dritter Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen und Bewußtſeyn.

I.

Beſtimmter Begriff von dem Gewahrnehmen und dem Bewußtſeyn262

II.

Ob das Gewahrnehmen einerley ſey mit dem Aktus des Fuͤhlens in einer groͤßern Jntenſion? oder ob es ei - nerley ſey mit dem Aktus des Vorſtellens, wenn die - ſer ſich ausnehmend bey einer Vorſtellung aͤußert? 263

III.

Das Gewahrnehmen bringet Gedanken von Verhaͤlt - niſſen hervor. Vergleichung der Verhaͤltnißgedanken mit dem Gefuͤhl des Abſoluten273

IV. XLIIIdes erſten Bandes.

IV.

Wie das Gewahrnehmen entſtehe?

  • 1) Es ſetzet eine ſich ausnehmende Empfindung oder Vorſtellung von der gewahrgenommenen Sache vorausS. 281
  • 2) Es erfodert eine Zuruͤckbeugung der empfindenden und vorſtellenden Kraft auf die gewahrgenommene Sache283

V.

Ob das Gewahrnehmen etwas Paſſives in der Seele ſey? 285

VI.

Ob das Gewahrnehmen einerley ſey mit dem Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe? 291

Vierter Verſuch. Ueber die Denkkraft und uͤber das Denken.

I.

Wie die Unterſuchung dieſes Seelenvermoͤgens anzuſtellen ſey? 295

II.

Die Denkkraft in Verbindung mit der Vorſtellungskraft und mit dem Gefuͤhl macht das ganze Erkenntnißver - moͤgen aus298

III.

Urſprung der Verhaͤltnißbegriffe.

  • 1) Von den erſten urſpruͤnglichen Verhaͤltnißge - danken301
  • 2) Von den Verhaͤltnißideen und Verhaͤltnißbe - griffen307

IV.

Von dem Begriff der urſachlichen Verbindung.

  • 1) Die Humiſche Erklaͤrung von dieſem Begriff312
  • 2) Pruͤfung dieſer Erklaͤrung. Der Begriff von der urſachlichen Verbindung ſtellet mehr vor, als einebloßeXLIVJnhaltbloße Verbindung; er enthaͤlt auch die Jdee von Abhaͤngigkeit des Einen von dem andern316
  • 3) Die Jdee von Abhaͤngigkeit, die mehr iſt, als bloße Verbindung, ſchreibt ſich aus den erſten urſachli - chen Beziehungen her, und aus den Empfindun - gen dieſer beziehenden Aktionen318
  • 4) Was das Begreifen des Einen aus dem andern, was Folgern und Schließen ſey? 322
  • 5) Beſtimmung des Urſprungs des Begriffs von der urſachlichen Verbindung. Die Art, wie dieſer Begriff angewendet wird323

V.

Von der Verſchiedenheit der Verhaͤltniſſe und der allge - meinen Verhaͤltnißbegriffe.

  • 1) Nicht alle Verhaͤltniſſe koͤnnen auf Jdentitaͤt und Diverſitaͤt zuruͤckgebracht werden328
  • 2) Klaſſen der allgemeinen einfachen Verhaͤltniſſe330

VI.

Naͤhere Unterſuchung uͤber den Urſprung unſrer Jdeen aus Empfindungen.

  • 1) Die Empfindungen geben den Stoff her zu allen Jdeen336
  • 2) Jnsbeſondere auch zu den Verhaͤltnißbegriffen337
  • 3) Die Form der Jdee haͤngt von der Denkkraft ab340

VII.

Vergleichung der verſchiedenen Aeußerungen der Denk - kraft unter ſich.

  • 1) Wie die verſchiedenen Aeußerungen der Denkkraft, das Unterſcheiden, das Gewahrnehmen, das Beziehen der Dinge auf einander, das Erkennen, ſich gegen einander verhalten346
  • 2) Die einfachen Denkthaͤtigkeiten, in welche die Aeuſ - ſerungen der Denkkraft bey dem Gewahrnehmen aufgeloͤſet werden koͤnnen348
3) DieXLVdes erſten Bandes.
  • 3) Die einfachen Denkthaͤtigkeiten in den uͤbrigen Ver - haͤltnißgedanken beſtehen in Beziehung und Ge - wahrnehmungS. 353
  • 4) Gewahrnehmung der Beziehungen, ohne Ge - wahrnehmung der ſich auf einander beziehenden Gegenſtaͤnde. Jdeen von Raum und Zeit357
  • 5) Jn wie ferne alle Jdeen durch die Vergleichung gemacht werden361
  • 6) Von der Form der Urtheile. Jn wie ferne ſie in Vergleichungen beſtehen365
  • 7) Vom Folgern und Schließen369

Fuͤnfter Verſuch. Ueber den Urſprung unſerer Kenntniſſe von der objektiviſchen Exiſtenz der Dinge.

I.

Ob die Kenntniſſe von dem Daſeyn der aͤußern Gegen - ſtaͤnde als inſtinktartige Urtheile der Denkkraft ange - ſehen werden koͤnnen? 373

II.

Ob der Menſch bey dem natuͤrlichen Gang der Reflexion vorher ein Egoiſt ſeyn muͤſſe, ehe er es wiſſen kann, daß es Dinge außer ihm gebe? 377

III.

Welche Entwickelung der Gedanken erfodert werde, um zur Unterſcheidung der ſubjektiviſchen und objektivi - ſchen Exiſtenz der Dinge zu gelangen380

IV.

Wie zuerſt die Sonderung der Empfindungen in ver - ſchiedene Theile und Haufen vor ſich gehe? 384

V.

Von dem Urſprung der Grundbegriffe des Verſtandes, die zu den Urtheilen uͤber die Exiſtenz der Dinge erfo - dert werden. Begriffe von einem Subjekt und vonBeſchaf -XLVIJnhaltBeſchaffenheiten. Begriff von unſerm Jch, als ei - nem DingeS. 388

VI.

Fortſetzung des Vorhergehenden. Von den Gemeinbe - griffen von einem Objekt, von der Wirklichkeit, und von der Subſtanz395

VII.

Eine Anmerkung gegen die Jdealiſten aus dem Urſprung unſerer Urtheile uͤber die aͤußere Wirklichkeit der Dinge. Aus welchen Empfindungen die Jdee von der aͤußern Exiſtenz zunaͤchſt entſtanden ſey? 401

VIII.

Jn welcher Ordnung die Gedanken von unſerer eigenen Exiſtenz und von der Exiſtenz aͤußerer Dinge ent - ſtehen411

IX.

Wie wir die Theile unſers Koͤrpers als beſondere Dinge kennen gelernet415

X.

Grundregel, wonach wir uͤber die ſubjektiviſche und ob - jektiviſche Exiſtenz der Dinge urtheilen415

XI.

Anwendung dieſer Grundregel zur Erklaͤrung der beſon - dern Urtheile416

XII.

Wie daraus der Unterſchied zwiſchen qualitatibus prima - riis und ſecundariis zu begreifen ſey422

Sechſter Verſuch. Ueber den Unterſchied der ſinnlichen Kenntniße und der vernuͤnſtigen.

I.

Von der ſinnlichen Erkenntniß und den dabey wirkſamen Denkungsvermoͤgen.

1) Unter -XLVIIdes erſten Bandes.
  • 1) Unterſchied der ſinnlichen Erkenntniß und der ver - nuͤnftigenS. 426
  • 2) Erſte Art der ſinnlichen Kenntniſſe. Reine Er - fahrungen. Reine Empfindungsideen. Unmit - telbare Empfindungsurtheile429
  • 3) Schwierigkeiten bey einigen unmittelbaren Em - pfindungsurtheilen, die man fuͤr mittelbare an - zuſehen pflegt. Sinnliche Urtheile uͤber die ſicht - lichen Groͤßen der Objekte431
  • 4) Zwote Art der ſinnlichen Urtheile450
  • 5) Naͤhere Betrachtung des ſinnlichen Urtheils. Ent - ſtehungsart deſſelben450

II.

Von der Natur der hoͤhern vernuͤnftigen Kenntniſſe.

  • 1) Die hoͤhere Vernunftkenntniß erfodert allgemeine Begriffe. Wie dieſe in der Phantaſie vermittelſt der Woͤrter beſtehen460
  • 2) Urſprung der Gemeinſaͤtze der Vernunft. Ob ſie allgemeine Erfahrungsſaͤtze ſind? 462
  • 3) Gruͤnde gegen dieſe Meinung466

Siebenter Verſuch. Von der Nothwendigkeit der allgemeinen Ver - nunftwahrheiten, deren Natur und Gruͤn - den.

I.

Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit der Gewahr - nehmungen, der Urtheile und der Schluͤſſe uͤberhaupt.

  • 1) Die hier vorkommenden Fragen. Von der Ord - nung, in welcher die Aktus des Gefuͤhls, der vor - ſtellenden Kraft und der Denkkraft auf einander folgen? 470
  • 2) Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit der Ur - theil[e], oder Verhaͤltnißgedanken uͤberhaupt. JnwieXLVIIIJnhaltwie ferne die Denkthaͤtigkeit nothwendig erfolget, wenn die vorher erfoderte Aktus des Gefuͤhls und der vorſtellenden Kraft vorhanden ſind? S. 475
  • 3) Jn wie ferne dieß bey den dunkeln Reflexionen Statt findet, ingleichen bey den erſten urſpruͤng - lichen ſinnlichen Urtheilen des gemeinen Verſtan - des. Wie der Jdealismus und der Skepticismus moͤglich ſey475
  • 4) Daſſelbige bey den Folgerungen und Schluͤſſen481

II.

Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit der Denkarten, in wie fern ihre Form nothwendig durch ihre Gruͤnde beſtimmet wird. 482

  • 1) Unterſchied der nothwendigen und zufaͤlligen Ur - theile, die es der Form nach ſind483
  • 2) Allgemeiner Charakter der zufaͤlligen Urtheile486
  • 3) Zu den ſubjektiviſch nothwendigen Urtheilen ge - hoͤren die Verhaͤltnißgedanken, die aus der Ver - gleichung der Dinge entſpringen486
  • 4) Ob alle nothwendigen Urtheile zu dieſer Gattung gehoͤren? Ob alle Wahrheiten nur Eine Wahrheit ſind? 487
  • 5) Die Urtheile des unmittelbaren Bewußtſeyns ſind ſubjektiviſch nothwendige Urtheile491
  • 6) Die Schlußurtheile ſind ſubjektiviſch nothwendige Urtheile, wenn die Grundurtheile vorausgeſetzet werden. Graͤnze des vernuͤnftelnden Skepticismus492
  • 7) Von der Nothwendigkeit in unſern Urtheilen uͤber die verurſachende Verbindung494
  • Erſter Fall, wo dieſe ſubjektiviſche Nothwendigkeit nur eine bedingte Nothwendigkeit iſt496
  • 8) Jn welchen Faͤllen ſie eine innere abſolute Noth - wendigkeit iſt497
9) WieXLIXdes erſten Bandes.
  • 9) Wie weit das allgemeine Princip: Nichts wird ohne Urſache, ein ſubjektiviſch nothwendiger Grundſatz ſey? S. 501
  • 10) Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit in andern allgemeinen Denkarten. Von Suggeſtionsſatzen507
  • 11) Nochmalige Aufzaͤhlung der ſubjektiviſch noth - wendigen Denkarten und Grundſaͤtze512
  • 12) Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit gewiſſer Denkarten, die eine hypothetiſche Gewohnheits - nothwendigkeit iſt. 516

III.

Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit in den Denk - arten des gemeinen Verſtandes.

  • 1) Worinnen Kenntniſſe des gemeinen Verſtandes beſtehen? 519
  • 2) Wie die verſchiedenen Arten der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit bey ihnen zu unterſcheiden ſind526

IV.

Von der objektiviſchen Wahrheit, und von objektiviſch nothwendigen Wahrheiten530

  • 1) Worauf es bey der Wahrheit unſerer Erkenntniß von den Gegenſtaͤnden ankomme. Die Vorſtellun - gen als Jmpreßionen von den Dingen ſind nur ſub - jektiviſche Scheine531
  • 2) Was es eigentlich ſagen wolle, die Objekte ſind ſo, wie wir ſie uns vorſtellen? 535
  • 3) Die nothwendigen Denkgeſetze unſers Verſtandes koͤnnen von uns nicht fuͤr blos ſubjektiviſche Denk - geſetze, die es nur vor uns ſind, angeſehen wer - den. Die allgemeinen theoretiſchen Wahrheiten ſind nicht blos Relationes fuͤr uns540
  • 4) Ob unſere Kenntniſſe von wirklichen Dingen blos ſubjektiviſcher Schein ſey? 546
I. Band. d5) JnLJnhalt
  • 5) Jn wie fern wir Vorſtellungen von aͤußern Ob - jekten haben, die wir als Vorſtellungen von den Dingen ſelbſt, nicht bloß von gewiſſen Beſchaffen - heiten und Seiten der Dinge, gebrauchen koͤnnen? S. 548
  • 6) Das Grundgeſetz, wovon die Zuverlaͤßigkeit und Realitaͤt unſerer Erkenntniſſe abhaͤngt551
  • 7) Erforderniſſe bey unſern Jmpreſſionen, wenn die Erkenntniß nicht bloß ſubjektiviſcher Schein ſeyn ſoll552
  • 8) Fortſetzung des Vorhergehenden. Warum die Schoͤnheit mehr etwas blos Subjektiviſches ſey als die Wahrheit554
  • 9) Fortſetzung der Betrachtung uͤber die Erforderniſſe bey unſern Jmpreſſionen, wenn die Erkenntniß ob - jektiviſch ſeyn ſoll559
  • 10) Gang der geſunden Vernunft, wenn ſie ihre Kennt - niſſe fuͤr mehr als bloßen Schein anſieht. Beweis, daß etwas Objektiviſches in unſerer Erkenntniß von wirklichen Dingen enthalten ſey560
  • 11) Worauf die Unterſcheidung zwiſchen nothwendigen und zufaͤlligen Wahrheiten beruhe564
  • 12) Das ſubjektiviſche Geſetz des zufaͤlligen Bey - falls, und das Geſetz, nach welchem etwas objekti - viſch fuͤr zufaͤllig erkannt wird568

Achter Verſuch. Von der Beziehung der hoͤhern Kenntniſſe der raiſonnirenden Vernunft zu den Kenntniſſen des gemeinen Menſchenverſtandes.

I.

Was hoͤhere Kenntniſſe der raiſonnirenden Vernunft ſind? Von der Natur der allgemeinen Theorien570

II.

Jn den abſolut nothwendigen Denkarten koͤnnen ſichderLIdes erſten Bandes. der gemeine Verſtand und die Vernunft nicht wider - ſprechenS. 575

III.

Auf welche Art die Vernunft und der gemeine Verſtand ſich einander widerſprechen koͤnnen? Wie ſie ſich von ſelbſt vereinigen, und ſich wechſelſeitig einander be - richtigen576

IV.

Wie uͤberhaupt in allen Faͤllen bey einer wahren Dis - harmonie der hoͤhern Vernunft, und des gemeinen Menſchenverſtandes zu verfahren ſey? 584

V.

Vergleichung der entwickelten hoͤhern Kenntniſſe des Verſtandes mit den unentwickelten ſinnlichen Kennt - niſſen, in Hinſicht der Seelenvermoͤgen, welche da - bey wirkſam ſind587

Neunter Verſuch. Ueber das Grundprincip des Empfindens, des Vorſtellens und des Denkens.

I.

Beſtimmung des zu unterſuchenden Punkts590

II.

Das Princip des Fuͤhlens faͤllt mit dem Princip des Den - kens an Einer Seite zuſammen592

III.

Das Beziehen der Vorſtellungen auf einander, welches zum Denken erfodert wird, iſt eine Aeußerung der vor - ſtellenden Kraft594

IV.

Andere Gruͤnde fuͤr die Meynung, daß die Denkkraft nur in einem hoͤhern Grade des Gefuͤhls und der vor - ſtellenden Kraft beſtehe598

V.

Erfahrungen, aus denen zu folgen ſcheint, daß die Aktus der Denkkraft weſentlich von den Aeußerungen desd 2GefuͤhlsLIIJnhaltGefuͤhls und der vorſtellenden Kraft unterſchieden ſind.

  • 1) Empfinden, Vorſtellen und Denken ſcheinet ſich einander auszuſchließenS. 599
  • 2) Das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe iſt oft lebhaft, ohne daß die Gewahrnehmung der Verhaͤltniſſe es auch ſey601
  • 3) Die Aeußerung der vorſtellenden Kraft bey dem Beziehen der Vorſtellungen auf einander, ſcheinet nicht allemal den zweeten Aktus des Denkens, nem - lich das Gewahrnehmen des Verhaͤltniſſes in glei - cher Maße mit ſich verbunden zu haben602

VI.

Das Reſultat aus den vorhergehenden Erfahrungen iſt folgendes: Das erſte Stuͤck des Denkaktus, das Beziehen der Vorſtellungen auf einander, iſt eine ſelbſithaͤtige Wirkung der vorſtellenden Kraft. Das zweyte Stuͤck, das Gewahrnehmen der Be - ziehung, iſt eine neue ſelbſithaͤtige Aeußerung des Gefuͤhls.

  • 1) Vorſtellung und Erlaͤuterung dieſer Jdee606
  • 2) Urſprung des Empfindens, des Vorſtellens und des Denkens aus Einem Princip611
  • 3) Uebereinſtimmung dieſer Vorſtellungen mit den Be - obachtungen616

Zehnter Verſuch. Ueber die Beziehung der Vorſtellungskraft auf die uͤbrigen thaͤtigen Seelenvermoͤgen.

I.

Von der Abtheilung der Grundvermoͤgen der Seele.

  • 1) Es iſt zu vermuthen, daß die Aufloͤſung aller uͤbri - gen Seelenaͤußerungen auf Eine und dieſelbige Grundkraft zuruͤckfuͤhren werde, aus der die Ver - ſtandeswirkungen entſtehen618
2) VonLIIIdes erſten Bandes.
  • 2) Von den verſchiedenen Grundvermoͤgen der Seele, Gefuͤhl, Verſtand, Thaͤtigkeitskraft oder WilleS. 619

II.

Von der Natur der Vorſtellungen, die wir von unſern Thaͤtigkeiten haben.

  • 1) Jede Aeußerung der thaͤtigen Kraft iſt vorher in - ſtinktartig erfolget, ehe eine Vorſtellung von ihr hat gemacht werden koͤnnen627
  • 2) Die inſtinktartigen Thaͤtigkeiten ſind Aeußerun - gen der thaͤtigen Seelenkraft, die durch Empfin - dungen gereizet und beſtimmet iſt629
  • 3) Entſtehungsart der Vorſtellungen, die wir uns von unſern eignen Aktionen machen. Zuerſt, was zu einer vollſtaͤndigen Empfindung einer Aktion erfodert wird637
  • 4) Was in der Wiedervorſtellung einer Aktion ent - halten ſey. Die Vorſtellung von einer Aktion ent - haͤlt einen Anſatz zu der Aktion ſelbſt641

III.

Aufloͤſung einiger pſychologiſchen Aufgaben aus der Na - tur unſerer Vorſtellungen von Aktionen.

  • 1) Warum Leute von großer praktiſcher Fertigkeit in einer Art von Handlungen weniger aufgelegt ſind, ſolche deutlich zu beſchreiben, und warum umge - kehrt die Geſchicklichkeit zu dem letztern ſo oft von der Ausuͤbungsfertigkeit getrennet iſt? 650
  • 2) Was das Weſentliche in den Fertigkeiten ſey? 653
  • 3) Worinn das Nachahmungsvermoͤgen beſtehe? 664
  • 4) Auf welche Art das Mitgefuͤhl ſich aͤußere? 677
  • 5) Die Macht der Einbildungskraft auf den Koͤrper beruhet auf Vorſtellungen von Handlungen. 684

IV.

Wie die vorſtellende Kraft der Seele ſich auf ihre Re - ceptivitaͤt und auf ihre thaͤtige Krafr beziehe.

d 31) DasLIVJnhalt
  • 1) Das Vermoͤgen, Aktionen ſich vorzuſtellen, bezieht ſich auf die thaͤtige Kraft, welche die Aktionen her - vorbringet, auf dieſelbige Art, wie das Vermoͤgen, Empfindungen zu reproduciren, ſich auf das Ver - moͤgen beziehet, ſolche anzunehmen. Die vorſtel - lende Kraft iſt eine hoͤhere Stufe der innern Selbſt - thaͤtigkeit686
  • 2) Ob alle Kraftaͤußerungen der Seele als eine Be - arbeitung der Vorſtellungen angeſehen werden koͤnnen? Leibnitz-Wolfiſche Erklaͤrung von den Willensaͤußerungen691

V.

Von der Verſchiedenheit der Empfindungen, in ſo ferne ſie mehr die eine, als die andere von den Grund - vermoͤgen der Seele zur Wirkſamkeit reizen703

  • 1) Der Grund, warum gewiſſe Empfindungen mehr die Empfindſamkeit erregen, andere mehr den Verſtand zum Denken, und andere mehr den Willen zum Handeln beſtimmen, liegt zum Theil in einer gewiſſen Beſchaffenheit der Empfindungen704
  • 2) Es koͤnnen uͤberhaupt nur ſolche Sachen beſondere Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls ſeyn, von welchen die Eindruͤcke beſonders, und unvermiſcht mit den Ein - druͤcken von andern der Seele zugefuͤhret werden707
  • 3) Vielbefaſſende, lebhafte, ſtarke und unauseinander - geſetzte Empfindungen ſind die eigentlichen Gefuͤhle, welche ruͤhren und bewegen. Allzu ſtarke Ein - druͤcke betaͤuben710
  • 4) Gleichguͤltige Empfindungen reizen das Empfin - dungsvermoͤgen, als Sinn betrachtet, aus demſel - bigen Grunde, aus dem ſie auf die Vorſtellungskraft wirken714
  • 5) Gemaͤßigte und mehr auseinandergeſetzte Em - pfindungen reizen die vorſtellende Kraft. Noch mehr auseinandergeſetzte die Denkkraft715
6) DieLVdes erſten Bandes.
  • 6) Die Gefuͤhle reizen unmittelbar die Empfindſam - kett, in ſo fern ſie angenehm ſind. S. 720
  • 7) Unangenehme Gefuͤhle reizen die Thaͤtigkeitskraft. Aber dieſe wird am meiſten unterhalten durch Beduͤrf - niſſe, denen durch die thaͤtigen Beſtrebungen der Seele abgeholfen werden kann, und durch Vorſtellungen von vorhergegangenen angenehmen Empfindungen724
  • 8) Folgerungen aus dem Vorhergehenden. Das Ver - haͤltniß in den entwickelten Grundvermoͤgen der Seele haͤngt zum Theil von der Art und Weiſe ab, womit die Seele Veraͤnderungen von außen an - nimmt, und ſolche zu Empfindungen macht727

Eilfter Verſuch. Ueber die Grundkraft der menſchlichen Seele, und den Charakter der Menſchheit.

I.

Ob wir eine Jdee von der Grundkraft der Seele haben koͤnnen, und welche?

  • 1) Was eine ſolche Grundkraft ſeyn ſoll? 730
  • 2) Jſt eine Vorſtellung von ihr moͤglich? 733
  • 3) Jſt das Gefuͤhl die Grundkraft der Seele? 734

II.

Von dem Unterſcheidungsmerkmal der menſchlichen Seele, und dem Charakter der Menſchheit.

  • 1) Wie fern es bey jedweder Hypotheſe uͤber die Na - tur der Seele dennoch einen Grundcharakter der menſchlichen Seele von andern Thierſeelen geben muͤſſe738
  • 2) Die Eigenheiten der menſchlichen Seele vor den Seelen der Thiere740
  • 3) Ob der Grundcharakter der Menſchheit in der Per - fektibilitaͤt geſetzet werden koͤnne? 742
  • 4) Ob das Vermoͤgen der Reflexion dieſen Grund - charakter ausmache? 744
5) Pruͤ -LVIJuhalt des erſten Bandes.
  • 5) Pruͤfung der Herderiſchen Jdeen. Ob das Ver - haͤltniß der Extenſion zur Jntenſion in der Natur - kraft fuͤr den Grundcharakter zu halten ſey? S. 748

III.

Von der innern Selbſithaͤtigkeit der menſchlichen Seele.

  • 1) Worinn dieſe Selbſithaͤtigkeit zu ſetzen iſt752
  • 2) Ein hoͤherer Grad von ihr gehoͤrt zu den Eigenhei - ten des Menſchen754
  • 3) Wie ferne darinn der Grundcharakter der menſchli - chen Seele liege? 758
  • 4) Ob dieſer Grundcharakter beſtimmt ſey? 761

Anhang zum eilften Verſuch. Einige Anmerkungen uͤber die natuͤrliche Sprachfaͤhigkeit des Menſchen.

I.

Aus der natuͤrlichen Vernunft - und Sprachfaͤhigkeit des Menſchen kann nicht geſchloſſen werden, daß ſolche bey ihm auch hinreiche, ſelbſt ſich eine Sprache zu erfinden766

II.

Der Grund, warum vorzuͤglich die Toͤne zu Zeichen der Sachen gebraucht worden ſind, lieget nicht ſo wohl dar - inn, daß der Sinn des Gehoͤrs ein mittler Sinn iſt, als darinn, daß der Menſch die Eindruͤcke auf dieſen Sinn durch ſein Stimmorgan wiederum andern eben ſo kann empfinden laſſen, als er ſie ſelbſt empfunden hat770

III.

Es iſt nicht erwieſen, weder, daß der Menſch von ſelbſt keine Sprache erfinden koͤnne; noch daß er nothwendig von ſelbſt ſie erfinden muͤſſe. Es giebt einen Mittelweg zwiſchen dieſen beiden Meinungen772

IV.

Die Sprachfaͤhigkeit iſt nicht bey allen menſchlichen Jndi - viduen gleich groß. Beſtaͤtigung der Meinung, daß irgend einige Jndividuen ſich ſelbſt uͤberlaſſen eine Sprache erfinden wuͤrden778

Erſter[1]

Erſter Verſuch. Ueber die Natur der Vorſtellungen.

I. Von den Bemuͤhungen der Philoſophen, Vorſtel - lungen, Empfindungen und Gedanken aus ei - ner Grundkraft abzuleiten.

Die Seele empfindet, ſie har Vorſtellungen von Sachen, von Beſchaffenheiten und Ver - haͤltniſſen, und ſie denket. Dieß ſind Aeuſ - ſerungen ihrer Kraft, die dem gemeinen Verſtande ſich als verſchiedene Wirkungen von ihr dargeſtellet haben, und deswegen auch jede ihre eigene Benennung erhalten hat. Auf der aͤußern Flaͤche der Seele ſie betrachtet, bis wohin nur die gemeine Beobachtung dringet, da ſind Empfindungen nicht Vorſtellungen, und beide nicht Gedanken. Jede dieſer Kraft-Aeußerungen zei - get ſich auf ihre eigene Art, mit einem eigenen Charak - ter und hat ihre beſondere Wirkungen, die von den Wir - kungen der uͤbrigen verſchieden ſind. Bis ſo weit ſchei - nen alſo dieſe Thaͤtigkeiten, und ihre Vermoͤgen, ver - ſchiedenartig zu ſeyn.

Aber wenn nun der forſchende Philoſoph jene ver - ſchiedene Scheine zu zergliedern ſuchet, etwas tiefer un - ter die Oberflaͤche der Seele hineindringet, und daſelbſt dem Entſtehen der unterſchiedenen Kraft-Aeußerungen ausI. Band. Adem2I. Verſuch. Ueber die Naturdem innern thaͤtigen Princip der Seele nachſpuͤret; wie weit hinein erſtrecket ſich alsdann ihre aͤußerliche Verſchie - denartigkeit, und wie tief geht ſie in das Jnnere hin - ein? Es iſt Ein und daſſelbige Weſen, die gemeinſchaftli - che Quelle, aus der alle Seelen-Thaͤtigkeiten entſpringen. Wo und auf welche Art theilen ſie ſich in die verſchiedene Ausfluͤſſe, welche die Beobachtung unſers Selbſt uns ge - wahrnehmen laͤßt?

Jſt vielleicht ihre ganze Verſchiedenheit bloß aͤußer - lich? Jſt Empfinden, Denken, Vorſtellungen machen, von welchen hier nur zunaͤchſt die Rede iſt, an ſich eben dieſelbige gleichartige Thaͤtigkeit der Seele, die nur andere Geſtalten annimmt, je nachdem die Ge - genſtaͤnde verſchieden ſind, auf welche man ſie anwen - det?

Oder beſtehet ihre Verſchiedenheit allein in der Ver - ſchiedenheit der Werkzeuge, durch welche das innere Princip der Seele arbeitet? wie bey den aͤußern Sinnen, wo das Empfindungsvermoͤgen daſſelbige iſt, aber doch in mehrere aͤußere Sinne ſich zertheilet, weil die Or - gane verſchieden ſind, wodurch wir empfinden? Wenn es ſo iſt; ſo kann man die Hoffnung faſt aufgeben, hier - uͤber zur Gewißheit zu kommen, da uns die innern Or - gane der Seele, und ihre Verſchiedenheiten unaufdeck - bar verborgen ſind.

Oder vorausgeſetzt, daß es weder eine Verſchieden - heit in den Werkzeugen, noch eine Verſchiedenheit der Objekte, noch eine Verſchiedenheit in anderen aͤußern Beziehungen ſey, was dieſelbige Seelen-Thaͤtigkeit dann zu einem Empfinden, dann zu einem Vorſtellen, dann wiederum zu einem Denken machet, iſt es denn etwa ein innerer Unterſchied in den Graden, ein Mehr oder Weniger, von der jenes abhaͤnget? Jſt etwa eine Vor - ſtellung nichts anders, als eine mehr entwickelte und ſtaͤrkere Empfindung; und Denken nichts als ein er -hoͤhetes,3der Vorſtellungen. hoͤhetes, verlaͤngertes oder mehr verfeinertes Empfin - den?

Auf die Beantwortungen dieſer Fragen ſind die Un - terſuchungen der ſyſtematiſchen Seelenlehrer hinausge - gangen. Alles entſtehet aus Einer Grundkraft; dieſe wirket uͤberall auf einerley Art und nach einerley Geſetzen. Dieß iſt ein Grundſaz faſt bey allen.

So wie die Seele fuͤr ſich ein einfaches Weſen iſt; ſo ſoll auch ihre wirkende Kraft einfach und einartig ſeyn, und auf eine und dieſelbige Art wirken, wann ſie wirket, und nur die Anſtrengung und Staͤrke, mit welcher ſie wir - ket, und die Richtung der Kraft nebſt den Gegenſtaͤn - den, auf welche ſie ſich auslaͤſſet, ſollen den Grund von allen Verſchiedenheiten ausmachen, die wir bey ihren Aeußerungen und Thaͤtigkeiten antreffen. Da mag ſie denn in ſich ſelbſt wirken, oder außer ſich, ſie mag wirken im Denken, im Empfinden, im Vorſtellen, oder auch außer ſich auf den Koͤrper im Bewegen; ſo koͤnnen dieſe Wirkungen nur in ſolchen Hinſichten ver - ſchieden ſeyn, als ich vorher angefuͤhret habe.

Einige haben dieſe Einartigkeit der Seelen-Aeuſ - ſerungen nur auf ſolche ausgedehnet, die man bey den kuͤnſtlichen Abtheilungen zu einer beſondern Klaſſe hin - brachte; und vor andern hat man diejenigen, welche zu dem Erkenntniß-Vermoͤgen gerechnet worden ſind, und unter den genannten dreyen, dem Empfinden, dem Vorſtellen und Denken begriffen werden koͤnnen, als gleichartig angeſehn. Zu dieſen Aktionen hat man eine Grundkraft angenommen, und dieſe den Verſtand ge - nennet. Die Willens-Aeußerungen in der Seele ſind zu einer andern Klaſſe gebracht, und dann auch alle zu - ſammen auf eine aͤhnliche Weiſe in eine Grundkraft auf - geloͤſet worden. Hr. Sulzer nimmt zwo Grundkraͤfte in der Seele an, Verſtand und Empfindſamkeit. Aber die meiſten ſind weiter gegangen, und ihrer MeinungA 2nach4I. Verſuch. Ueber die Naturnach auf ein allgemeines Princip, auf eine Quelle alles Denkens und alles Wollens gekommen.

Dieſe Grundthaͤtigkeit glaubten Helvetius, Con - dillac, Bonnet, auch zum Theil Search, in dem Empfinden angetroffen zu haben. Unſer Leibnitz und Wolf, eine gerechte Nachwelt wird ihnen ihre Stelle unter den Philoſophen und Geiſteskundigen vom erſten Rang niemals entziehen, behaupteten: die er - ſte Grundthaͤtigkeit ſey eben diejenige, womit die Seele ihre Vorſtellungen machet. Die Begierde der Philoſo - phen, alle Beſchaffenheiten eines Dinges auf ein gemein - ſchaftliches Princip, die verſchiedenen Veraͤnderungen und Wirkungen auf Eine und dieſelbige Urſache, meh - rere Aeußerungen einer Kraft auf Eine Grundthaͤtigkeit, und mehrere Vermoͤgen auf Ein Grundvermoͤgen zuruͤck - zufuͤhren; iſt dem Nachdenkenden natuͤrlich. Der Ge - danke, daß man durch alle verſchiedene und mannigfaltige Seiten, an welchen ſich das thaͤtige Weſen auswaͤrts ſehen laͤßt, bis zu ſeiner erſten einfachen und einartigen Kraft durchgedrungen ſey, oder bis dahin durchdringen koͤnne, iſt ſehr ſchmeichelhaft. Wir ſind dem Jnnern der Natur, wo ſie ſo einfoͤrmig und beſtaͤndig, als unend - lich mannigfaltig und abwechſelnd in ihren aͤußern Ge - ſtalten iſt, naͤher gekommen, und in der That iſt es ein großer Gewinn fuͤr unſere Kenntniße, wenn ein ſolcher Zuſammenhang der entfernten Folgen mit ihrem erſten Grunde irgendwo entdecket wird. Dieſen Hang zum einfoͤrmigen Syſtem vergebe ich den Philoſophen ſo ger - ne, als ich will, daß man es mir vergeben ſoll, wenn ich ſelbſt etwa in der Folge von ihm verleitet und da - durch irgendwo uͤber die Evidenz der Erfahrungen und Schluͤſſe hinausgegangen bin. Nur Schade, daß man ſo oft nur eine Wolke anſtatt der Juno erhaſchet. Die Natur iſt ohne Zweifel in ihrem Jnnern einfach: aber auch nur in ihrem Jnnern, in ihrem Mittelpunkt;ſie5der Vorſtellungen. ſie iſt es nicht in ihrem Umfang, wo ſie ſich mit unend - licher Abwechſelung und Mannigfaltigkeit zeiget. Wie weit ſtehen wir von jenem Jnnern noch ab! Die Sim - plicitaͤt, die wir in den wirklichen Dingen anzutreffen mei - nen, iſt nur zu oft bloßer Schein, welcher auf Dunkel - heit, Verwirrung und Einſeitigkeit unſrer Jdeen beruhet, eine wahre Einfalt aus Unwiſſenheit iſt, und ſich ver - lieret, wenn die Beobachtung die Gegenſtaͤnde uns naͤ - her bringet und unſere Begriffe lichter, vollſtaͤndiger und vielſeitiger macht.

Anſtatt mich dabey aufzuhalten, worinne es andere verſehen haben moͤgen, will ich ihnen eingeſtehen, daß ſie meiſtens alle den richtigen Weg, nehmlich den Weg der Beobachtung und der Aufloͤſung, genommen haben; aber ich muß es auch zugleich geſtehen, daß ich der Muͤ - he ungeachtet, die ich mir gegeben habe, ihnen zu fol - gen, und beſonders dem Gang der ſcharfen und tiefen Unterſuchung des Hrn. Bonnet und unſers Wolfs nach - zukommen, dennoch bey ihrem Verfahren nicht ſo be - friediget worden ſey, daß ich es nicht fuͤr noͤthig gehalten haͤtte, nochmals die ganze Nachforſchung fuͤr mich ſelbſt zu wiederholen. Jhre Fehltritte ſind ihnen von andern ſchon vorgehalten worden, und nicht ohne einen guten Erfolg; denn bis jetzo iſt es in der Philoſophie noch leich - ter, einzureißen und umzuſtoßen, als aufzubauen und zu beſſern.

Es darf kaum erinnert werden, daß es, um die Grundkraft in der Seele zu entdecken, nicht genug ſey, alle ihre Veraͤnderungen zuſammen mit einem gemein - ſchaftlichen Namen zu belegen, jedwede Aeußerung et - wa ein Empfinden, oder ein Vorſtellen zu nennen, und dann aus einer einfachen Empfindungs - oder Vor - ſtellungs-Kraft ſie wiederum alle abzuleiten. Eben ſo wenig iſt es genug, ein gewiſſes gemeinſchaftliches Merk - mal von allen ihren unterſchiedenen Arten abzuſondern,A 3und6I. Verſuch. Ueber die Naturund dieſes Allgemeine, worunter Denken, Empfinden und Vorſtellen, nebſt allen uͤbrigen als beſondere Arten, unter einen generiſchen Begrif gebracht worden ſind, fuͤr das einfache Princip anzuſehen, worinn der Keim von ihnen liege, aus dem ſie ſich entwickeln. Jede beſonde - re Art der Seelen-Veraͤnderungen, in welche ſie bey ei - ner kuͤnſtlichen Klaſſification vertheilet werden, hat doch ihr Eigenes und Charakteriſches. Und da iſt immer die Frage: ob eben dieſes Eigene nur in einer beſtimmten Vergroͤßerung, in einer Aufhaͤufung oder Verlaͤnge - rung des Gemeinſchaftlichen beſtehe? ob es gar nur von der Verſchiedenheit aͤußerer Umſtaͤnde abhange? oder ob es nicht vielmehr eine innere Verſchiedenheit in dem thaͤ - tigen Weſen, und in der Art und Weiſe, wie es thaͤtig iſt, vorausſeze? die Kraft ſich zu entwickeln und zu wach - ſen, die in den Pflanzen, in den Thieren, wirket, iſt uͤberhaupt eine Entwickelungskraft. Aber dadurch iſt es in Wahrheit nicht entſchieden, daß dieſe Grundkraft in einer Art dieſer Koͤrper innerlich einerleyartig mit der in der andern ſey, und daß nur ein Grad mehr oder we - niger, oder ihre verſchiedene Einhuͤllung in dem Samen, oder die Verſchiedenheit des Orts und der Nahrungsſaͤf - te ſie in dem einen Fall zu einer Urkraft der organiſchen empfindungsloſen Pflanzen, in dem andern zu der Grund - kraft der beſeelten Thiere mache.

Eine Aufloͤſung der Kraͤfte auf eine ſolche Art kann unmoͤglich den Nachdenkenden befriedigen. Aber ſie ſoll es| auch wohl nicht nach der Meinung der angefuͤhrten Philoſophen. Hr. Bonnet, Leibnitz und Wolf ha - ben etwas mehr zu erweiſen geſuchet, und ich wuͤrde fuͤr mein Theil nichts mehr verlangen, als wozu ſie Hofnung gemacht haben, wenn ſie wirklich geleiſtet haͤtten, was ſie haben leiſten wollen. Nichts mehr um nur allein bey den Wirkungen des Erkenntniß-Vermoͤgens ſtehen zu bleiben, als dieſes, daß aus der Beobachtungund7der Vorſtellungen. und durch die Zergliederung der Wirkſamkeitsarten der Seele, wenn ſie Denket, Empfindet und Vorſtellun - gen machet, die innere Jdenditaͤt dieſer Thaͤtigkeiten offenbar werde. Wenn es evident gemacht werden kann, daß die Beſtandtheile in ihnen allen innerlich dieſelben ſind, daß nur ein Mehr oder Weniger, oder gar nur ei - ne aͤußere Verſchiedenheit in den Mitteln und Gegen - ſtaͤnden ihren ſcheinbaren Unterſchied ausmache, ſo kann wohl weiter nichts verlanget werden. Alsdenn wuͤrde auch daraus der fruchtbare Satz gefolgert werden koͤn - nen, daß ein jedes Weſen, was zum Empfinden von Natur aufgeleget iſt, entweder, wenn ſeine aͤußere Um - ſtaͤnde ſich aͤndern, oder, wenn ihm eine groͤßere innere Staͤrke der Grundkraft beygebracht wird, zu einem vor - ſtellenden und denkenden Weſen gemacht werden koͤnne. Dieß wuͤrde ein großer Schritt zu dem allgemeinen Grundſatz von der Einartigkeit aller Weſen ſeyn. Dieß iſt das Ziel, welches man ſich geſetzt hat, und es iſt nur die Frage, ob man es auch erreichet habe? Jch kann mit Condillac, und noch weiter mit dem Hrn. Bonnet auf eine lange Strecke fortkommen; aber auf den Stel - len, wo ſie von dem Gefuͤhl und Empfinden zum Bewußtwerden oder zur Apperception und zum Denken uͤberſchreiten, und dieſes aus jenem erklaͤren, was einen der weſentlichſten Punkte ihres Syſtems aus - machet; da deucht es mich, die Phantaſie habe einen kuͤh - nen Sprung gewagt, wo der Verſtand, der ſich uͤber die Graͤnzlinien der Deutlichkeit nicht hinauswaget, zu - ruͤckbleiben muß.

Der Weg, den ich zu dem nehmlichen Ziel genom - men habe, mag mich hinbringen, oder nicht; ſo habe ich fuͤr nothwendig angeſehen, vor allen Dingen jedwede von dieſen Seelenwirkungen, Empfindungen, Vor - ſtellungen und Gedanken, vorher fuͤr ſich beſonders zu unterſuchen. Vielleicht hatte man ſie noch nicht ge -A 4nug8I. Verſuch. Ueber die Naturnug beobachtet, als man ſchon zur Vergleichung ſchritt, wodurch denn bey der letztern manche Dunkelheit uͤbrig bleiben muͤſſen. Mit den Vorſtellungen habe ich den Anfang gemacht.

II. Was eine Vorſtellung in dem Wolfiſchen Sy - ſtem ſey.

Nach dem Begrif, den Leibnitz und Wolf von einer Vorſtellung gegeben haben, kann jede Modifika - tion unſerer Seele, ſie ſey welche ſie wolle, von einer ge - wiſſen Seite betrachtet, eine Vorſtellung genennet werden. Eine jede hat ihre Urſachen, entweder außer der Seele oder in ihr ſelbſt, und eine jede hat ihre Wir - kungen und Folgen. Dieſe Beziehung jedweder Seelen - Veraͤnderung auf andere Dinge, die ihre Urſachen und Wirkungen ſind, hat hier dieſelbigen Folgen, welche ſie uͤberall hat; dieſe nehmlich, daß ſolche Urſachen und Wirkungen in einem gewiſſen Verſtande aus ihr erkenn - bar ſind, und daß ſie ſelbſt, in ſo ferne ſie Wirkung oder Urſache iſt, als ein entſprechendes Zeichen und als eine Abbildung ſo wohl von ſolchen Dingen, von welchen ſie verurſachet iſt, als von ſolchen, welche ſie wiederum ver - urſachet hat, betrachtet werden kann. Sollen ſie in die - ſer Hinſicht Vorſtellungen heißen; ſo iſt dieß eine all - gemeine Benennung, die jeder Modification der Seele zukommen kann. Es giebt eine allgemeine Analogie zwiſchen der Wirkung und ihrer Urſache. Die letztere druͤcket ſich gleichſam in jener ab, und ſtellet ſich durch jene und in jener dar. Dahero kann die Wirkung die Urſache, ſo wie die Urſache wiederum die Wirkung vor - ſtellen, die aus ihr erkannt werden kann, und der ſie ent - ſpricht. Jn dieſem unbeſtimten Verſtande iſt das Wort Vorſtellung in der Wolfiſchen Philoſophie geblieben. Jede9der Vorſtellungen. Jede Veraͤnderung in der Seele, jede Bewegung, jeder Eindruck auf ſie, jede Empfindung, jeder Trieb, jede Thaͤtigkeit in ihr, fuͤhret den Verſtand, der ſcharf genug iſt, den Zuſammenhang von Urſachen und Wirkungen durchzuſehen, auf andere Sachen hin, ſo wohl auf die vorhergehende, von welchen ſie als Wirkung abhaͤngt, als auch auf die nachfolgende, welche wiederum als Wir - kung von ihr abhaͤngen. Hiemit nun den Grundſaz ver - bunden, daß alles in der wuͤrklichen Welt in einer durch - gaͤngigen Verbindung mit einander ſtehe, und alſo auch jedwede Modifikation in der Seele eine voͤllig be - ſtimmte Beziehung auf jede Veraͤnderung in jedem Theil des ganzen Syſtems der wirklichen Dinge habe; ſo ſind wir mit einem mal bey dem Princip der Leibnitziſchen und Wolfiſchen Seelenlehre, daß eine jede Veraͤnderung in der Seele das Geſammte Ganze der Welt vor - ſtelle; und dem unendlichen Verſtande, der jede Urſa - che in ihrer Wirkung, und jede Wirkung in ihrer Urſa - che, erkennt, alles dasjenige wie in einem Spiegel vor - halte, was auf ſie, als Urſache oder als Wirkung, mit - telbar oder unmittelbar, eine Beziehung hat.

Von dieſer Seite betrachtet ſind auch die Freude, der Hunger, das Verlangen, die Furcht und alle Ge - muͤthsbewegungen und Begierden und Leidenſchaften, Vorſtellungen, wie es die Jdeen von der Sonne, von einem Pferde, von einem Menſchen, ſind. Wenn es auf nichts weiter ankommt, als auf den Redegebrauch; ſo will ich mich gerne zu dieſem bequemen. Wer ver - diente mehr Geſetzgeber in der philoſophiſchen Sprache zu ſeyn, als Leibnitz? Aber was wird denn nun dadurch aufgeklaͤret, wenn wir alle Arten der Seelen-Veraͤnde - rungen Vorſtellungen heißen, und alſo das Vorſtel - lungen machen als die Grundthaͤtigkeit zu allen uͤbri - gen Wirkungsarten anſehen? und, was hier noch naͤher hergehoͤret, wo iſt das Charakteriſtiſche ſolcher Beſchaf -A 5fenhei -10I. Verſuch. Ueber die Naturfenheiten, die in der gemeinen Sprache von den Ge - muͤthsbewegungen unterſchieden, und Vorſtellungen, Jdeen und dergleichen genennet werden?

Wolf*)Pſycholog. Rat. §. 195. hatte indeſſen doch einen Unterſchied zwi - ſchen mittelbaren und unmittelbaren Perceptionen gemacht. Dieſe letztern beziehen ſich auf ihre Objekte, auf eine ſolche Art, daß ſie unmittelbar, ohne Zwiſchen - ſchluͤſſe zu erfodern, auf andere Sachen hinweiſen und ſelbige uns vorhalten, wie ein Portrait das Geſicht des Menſchen. Wir ſehen einen Baum, und es entſtehet ein ſichtliches Bild von einem Gegenſtande, an dem Geſtalt, Farbe, Groͤße, Theile und ihre Lage gegen einander, unmit - telbar aus dieſem Bilde erkannt werden. Bis dahin iſt die Vorſtellung eine unmittelbare Perception. Aber dieſes Bild iſt eine Wirkung von den Lichtſtralen, die in einer gewiſſen Menge, auf eine gewiſſe Art, in einer gewiſſen Lage und Ordnung, auf unſere Augen fallen, und davon, daß dieß geſchieht, liegt die Urſache wiederum in der Groͤße, Lage, und Feſtigkeit des Koͤrpers und ſeiner Be - ſtandtheile, welche das Licht auf eine ſolche beſtimmte Weiſe zuruͤckwerfen. Alle uͤbrige Eigenſchaften des Baums, die man nicht ſiehet, haben auf die letztge - dachte Wirkung deſſelben bey dem Licht, und auf den davon verurſachten Eindruck durchs Gewicht, eine ſolche Beziehung, daß jedwede von ihnen etwas dazu beygetra - gen, und das Bild nothwendig in irgend einer Hinſicht modificirt hat. Aber dieſe unſichbaren Beſchaffenhei - ten des Objekts muͤßten durch Raiſonnements aus den Zuͤgen des Bildes geſchloſſen werden, wenn ſie daraus erkannt werden ſollten. Sie gehoͤren zu den unmittelbar vorgeſtellten nicht; ſondern ſind nur eingewickelt in dem Bilde enthalten.

Durch dieſe Unterſcheidung machte Wolf es be - greiflich, wie in einer einzigen individuellen Perceptionder11der Vorſtellungen. der Seele, der Zuſtand der ganzen Welt, das Gegen - waͤrtige, auch das Vergangene und Kuͤnftige, eingewi - ckelt und mittelbar enthalten ſeyn koͤnne. Aber er machte keinen Gebrauch davon, ein Unterſcheidungs-Merkmal der eigentlich ſo genannten Vorſtellungen von andern Seelen-Veraͤnderungen feſtzuſetzen, ob er gleich ſo viel zeig - te, daß die unmittelbaren Vorſtellungen nur die in uns klaren Vorſtellungen ſeyn koͤnnen, die von uns als Vor - ſtellungen und Bilder der Sachen zu erkennen und zu gebrauchen ſind.

Es iſt ohne Streit ein Merkmal unſerer Modifika - tionen, welche Vorſtellungen ſind, daß ſie andere Sa - chen und Objekte unmittelbar uns vorhalten, und durch ſie erkennen laſſen, ſo oft wir ſie als Bilder gebrauchen. Und wenn wir ſie nicht gebrauchen; ſo haben ſie doch dieſes als etwas Eigenes an ſich, daß man ſich ihrer auf eine ſolche Art bedienen kann. Es wuͤrde nur die Frage uͤbrig bleiben, ob man mit dieſem Merkmal ausreiche, um ſie von allen uͤbrigen Seelen-Veraͤnderungen voͤllig zu unter - ſcheiden? Wir finden gewiß keine Modifikation in uns, der wir uns ſelbſt auf die gedachte Art bedienen koͤnnen, welche nicht auch ohne Bedenken zu der Klaſſe der Vor - ſtellungen gebracht werden koͤnnte. Nicht zwar jedweder Modifikation, aus der, als einer Wirkung, ihre Urſa - che unmittelbar erkennbar iſt, oder, uͤberhaupt, von irgend einem Verſtande daraus erkannt werden kann, iſt eine Vorſtellung in dieſem beſondern Sinn des Worts; aber jedwede, der wir uns ſelbſt zu dieſem Zweck auf dieſe Art bedienen koͤnnen, iſt es. Darum wuͤrde es auch eine vorlaͤufige angemeſſene Erklaͤrung von der Vor - ſtellung abgeben, daß ſie eine ſolche Modifikation von uns ſey, aus der eine andere Sache unmittelbar von uns erkannt werden koͤnne. Und in der That iſt dieſe Erklaͤ - rung fruchtbar, und fuͤhret, wenn ſie entwickelt wird, zu wichtigen Folgerungen. Aber was ſie mangelhaft macht,iſt12I. Verſuch. Ueber die Naturiſt theils dieſes, daß ihre Entwickelung nicht leicht ſeyn wuͤrde, indem der Unterſchied zwiſchen der unmittelba - ren und mittelbaren Erkennbarkeit dazu deutlich ausein - ander geſetzet werden muͤßte, wobey vieles Dunkle vorkom - men wuͤrde; theils, daß ſie entweder gar nicht, oder wenigſtens nicht anders als durch einen langen Umweg, auf das Eigene in der bildlichen oder zeichnenden Bezie - hung auf andere Sachen, welches wir in den Vorſtel - lungen antreffen, hinfuͤhret, noch den Grund deſſelben, worinn das vornehmſte Unterſcheidungsmerkmal dieſer Gattung von Seelen-Veraͤnderungen enthalten iſt, auf - decket.

III. Eine Reihe von Beobachtungen und Erfahrungs - Saͤtzen, die die Natur der Vorſtellungen be - treffen.

Keine Kritik mehr uͤber die Begriffe und Erklaͤrungen andrer. Die Leibnitz-Wolfiſche verdiente es, be - ſonders erwaͤhnet zu werden, weil ſie ſo oft unrichtig ange - wendet worden iſt, und eben ſo oft ungerechte Vorwuͤrfe von andern erfahren hat.

Beobachtungen muͤſſen uns mit der Natur der Vor - ſtellungen bekannt machen. Jch will hier die Reihe von Erfahrungs-Saͤtzen, von unmittelbaren Beobachtungen und unmittelbaren Folgerungen aus ihnen, herſetzen, wor - aus ſich auf einmal als in einem Entwurf uͤberſehn laͤßt, was von der Natur unſrer Vorſtellungen zu der Abſicht zu bemerken iſt, zu der ich ſie hier unterſuche. Dieſen Saͤtzen will ich nachher einige Erlaͤuterungen beyfuͤgen, wo ich glaube, daß ſolches noch noͤthig, oder doch in an - drer Hinſicht nuͤtzlich ſey. Auf dieſe Art meine ich, we - der den Leſer, der uͤber die Vorſtellungen ſchon vieles ge - dacht hat, mit Wiederholung bekannter Sachen zu be -ſchwe -13der Vorſtellungen. ſchweren, noch von dem etwas auszulaſſen, was zur voͤl - ligen Einſicht der Sache erfordert wird.

1) Die Seele iſt wirkſam und thaͤtig. Sie lei - det auch, und man kann hier ohne Bedenken hinzuſezen, ſie leidet von andern Dingen außer ihr. Sie leidet, indem ſie Eindruͤcke und Veraͤnderungen in ſich aufnimmt, die von fremden Urſachen in ihr entſtehen. Sie wir - ket auf ſich ſelbſt, es gehe damit zu, auf welche Wei - ſe es wolle. Sie iſt es alsdenn, wenn ſie ſich in Selbſt - beſtimmungen aͤußert, wenn ſie nehmlich ihre eigene Kraft zur Anwendung und Thaͤtigkeit mehr anſtrenget, oder wenn ſie ſie nachlaͤſſet, und abſpannet. Sie iſt thaͤtig, wenn ſie durch ihre Kraft-Aeußerung in ihrem innern Zuſtande Veraͤnderungen hervorbringet. Sie wirkt außer ſich heraus auf den Koͤrper; ſie aͤußert Triebe und Beſtrebungen, dieſen oder jenen Theil deſſel - ben auf gewiſſe Weiſen in Bewegung zu ſetzen, und durch ihn andere aͤußere Gegenſtaͤnde zu veraͤndern. Ueberdieß ſind in ihr gewiſſe Zuſtaͤnde der Luſt oder Unluſt vorhan - den, die man Gemuͤths-Zuſtaͤnde, auch Empfind - niſſe nennet. Und dieſes ihr Thun und ihr Leiden, ih - re Veraͤnderungen und ihre Zuſtaͤnde, werden von ihr ſelbſt gefuͤhlet und empfunden, und einige von ihnen mit Bewußtſeyn gewahrgenommen.

2) Dieſe verſchiedene Arten von Veraͤnderungen, die Eindruͤcke von außen, auch ihre eigene innere Be - ſchaffenheiten, ihre Zuſtaͤnde, Thaͤtigkeiten, hinterlaſſen in ihr gewiſſe bleibende Wirkungen, Folgen oder Spuren. Und dieſe Wirkungen oder Spuren ſind un - ter ſich einander aͤhnlich oder unaͤhnlich, einerley oder ver - ſchieden, ſo wie es ihre Urſachen, nehmlich jene vorher - gegangene Modifikationen und Zuſtaͤnde geweſen ſind, von welchen ſie zuruͤckgelaſſen worden ſind.

Aus dieſen Verhaͤltniſſen und Bezeichungen der hin - terbliebenen Spuren, gegeneinander, und auf die vor -herge -14I. Verſuch. Ueber die Naturhergegangene Modifikationen, die als ihre Urſachen an - zuſehen ſind, entſpringet ihre Analogie mit dieſen letz - tern. Dieſe Analogie beſtehet in einer Einerleyheit der Verhaͤltniſſe und Beziehungen deßen was in einem Dinge iſt, unter ſich, mit den Verhaͤltniſſen und Bezie - hungen, welche die Beſchaffenheiten eines andern Dinges auf einander haben. Die analogiſchen Dinge entſpre - chen einander, wie Zeichen und Bilder den bezeichne - ten und abgebildeten Gegenſtaͤnden.

3) Ob alle einzelne Modifikationen der Seele in ihr dergleichen bleibende Folgen hinterlaſſen oder nicht? wird durch Beobachtungen allein wohl nicht zur Gewiß - heit gebracht werden. Aber es iſt außer Zweifel, daß es in ſolchem Falle geſchehe, wo wir Vorſtellungen erhalten.

Einige Zuſtaͤnde haben ſolche Spuren hinterlaſſen, welche die Seele durch ihre innere Kraft in ſich unterhal - ten, oder doch aus ſich ſelbſt wieder hervorziehen kann, wenn gleich ihre erſten Urſachen ſelbſt aufgehoͤret haben, uns gegenwaͤrtig zu ſeyn. Wenn die erſten Modificationen, von denen ſolche Spuren zuruͤckgeblieben ſind, nicht mehr da ſind, ſo kann die Seele ſelbſtthaͤtig ſolche in ſich ge - wiſſermaßen nachbilden, indem ſie die von ihnen zuruͤck - gebliebenen Abdruͤcke wiederum hervorziehen, und die erſten Zuſtaͤnde, obgleich in einem geſchwaͤchten und oft unmerklichen Grade, aus ſich ſelbſt wieder erneuern, und ſich gegenwaͤrtig darſtellen kann. Dieß geſchieht, indem ich mich mit den Vorſtellungen von Perſonen beſchaͤftige, mit denen ich geſtern zu thun gehabt habe. Jch ſehe jetzo nicht, was ich damals ſahe; ich hoͤre die derzeitigen Toͤne nicht mehr; ich befinde mich nicht in der Lage und in den Umſtaͤnden, worunter ich geſtern war: aber ich bilde den geſtrigen Zuſtand in mir nach; ich erneuere ihn, und zwar durch eine mir innerlich beywohnende Kraft eigenmaͤchtig, durch meine Selbſtthaͤtigkeit. Dieß geſchieht, indem ich die von ihnen zuruͤckgebliebenenWirkun -15der Vorſtellungen. Wirkungen wieder hervorbringe und mir jetzo gegen - waͤrtig mache.

4) Hieraus iſt es offenbar, daß eine Menge Spu - ren oder Abdruͤcke von vorhergegangenen Veraͤnderun - gen, jede ungemiſcht und abgeſondert von andern, in der Seele ſich erhalten haben muͤſſen. Verſchiedene Ver - aͤnderungen haben verſchiedene Abdruͤcke hinterlaſſen, eben ſo verſchieden unter ſich als ihre Originale. Dieß iſt eine gewiſſe Deutlichkeit in den Spuren. Sie zei - get ſich zum wenigſten alsdenn, wenn die Spuren ſelbſt bis dahin wieder hervorgezogen werden, daß wir ſie in uns gewahrnehmen.

5) Solche Spuren ehemaliger Veraͤnderungen muß es in der Seele geben, auch dann, wenn ſie nicht hervorgezogen werden. Wenn ich gleich zu einer Zeit an den Mond nicht denke; ſo habe ich doch eine gewiſſe aus der Empfindung des Mondes hinterbliebene Folge, oder eine Spur in mir, die ich, ohne den Mond von neuen anzuſchauen, wieder erneuren kann. Worinne beſtehet aber dieſer gleichſam zuruͤckgelegte Abdruck von jener Empfindung, welcher im Gedaͤchtniß ruhet? und worinn iſt ſolcher von der wieder erweckten Nach - bildung des Mondes unterſchieden? Jſt jener etwan ei - ne bloſſe Dispoſition, ein bloßes Vermoͤgen, oder eine naͤhere Anlage, oder Aufgelegtheit, ſo eine der Empfin - dung aͤhnliche Modifikation wieder erwecken zu koͤnnen? und worinn beſteht denn eine Dispoſition? oder iſt es dieſelbige Veraͤnderung, die ehedem da war, welche in meinem Jnnern unterhalten worden iſt, ſo wie ſie aus der erſten Empfindung zuruͤckblieb? iſt ſie niemalen wie - der verloſchen geweſen, und hatte ſie nur etwas von ih - rer Staͤrke und Lebhaftigkeit verloren, was ſie haben mußte, um als eine gegenwaͤrtig vorhandene wahrgenom - men zu werden; iſt ſie alſo allein an Graden und Stu - fen von der wieder erweckten, die man in ſich wahrneh -men16I. Verſuch. Ueber die Naturmen kann, wenn man an das Objekt denket, unterſchie - den? Sie war, wie einige ſich ausdruͤcken, wieder ein - gewickelt, als ſie in dem Gedaͤchtniß ruhig lag, und wird wieder entwickelt oder ausgewickelt, wenn die Einbildungskraft ſie in der Geſtalt darſtellet, in der wir ſie erkennen, und uns durch ſie an den empfundenen Ge - genſtand erinnern koͤnnen. Aber alle Ausdruͤcke, womit wir dieſe Zuſtaͤnde der Vorſtellungen in uns zu bezeich - nen ſuchen, ſind metaphoriſche Ausdruͤcke. Wor - rinn beſteht das eigentliche in der Sache ſelbſt? Eine Frage, die die Beobachtung unmittelbar nicht entſchei - den kann. Was wir hieruͤber wiſſen ſollen, muß durch Schluͤſſe heraus gebracht werden; und dahero will ich es hier uͤbergehen. Es ſey, wie ihm will; ſo iſt es in allen Faͤllen nicht nur eine aus einer vorhergegangenen Veraͤnderung zuruͤckgebliebene Spur; ſondern es iſt auch eine ſolche, welche von der ſelbſtthaͤtigen Kraft der See - le wiederum hervorgebracht, und mit mehr oder minde - rer Muͤhe, voͤlliger oder mangelhafter ausgedruckt, mit ſtaͤrkerer oder geringerer Helligkeit gegenwaͤrtig wieder dargeſtellet werden kann, ohne daß ihre erſte Urſache, oder der erſte Zuſtand, von dem ſie entſtanden iſt, wie - derum vorhanden ſeyn doͤrfe. Dieſe Spuren ſind eine Art von Zeichnungen, welche die Seele von ihren Veraͤnderungen in ſich aufbehaͤlt, und eigenmaͤchtig aus ihrem Jnnern, wenn ſie ſich ihrer bedienen will, wieder hervorzieht. Jn ihnen ſieht ſie den vorigen und nun ver - gangenen Zuſtand, als in einer Nachbildung, die von ihm uͤbrig geblieben iſt.

6) Solche von unſern Modifikationen in uns zuruͤckgelaſſene, und durch ein Vermoͤgen, das in uns iſt, wieder hervorzuziehende oder auszu - wickelnde Spuren machen unſere Vorſtellun - gen aus. Sie ſtellen jene Zuſtaͤnde, oder deren ent - ferntere Urſachen wieder dar; genug, es ſind Vorſtel -lun -17der Vorſtellungen. lungen von andern Gegenſtaͤnden; Modifikationen, die etwas anders abbilden, und, wenn ſie gegenwaͤrtig ſind, nicht ſowohl ſich ſelbſt, als ihre Gegenſtaͤnde uns ſehen und erkennen laſſen.

Und alles was wir eine Vorſtellung von irgend etwas nennen, das beſtehet aus ſolchen Modifikationen unſers Weſens, welche auf andere vorhergegangene Ver - aͤnderungen ſich auf die geſagte Weiſe beziehen. Vor - ſtellungen von koͤrperlichen aͤußerlichen Gegenſtaͤnden, von uns ſelbſt, von unſerm Denken und Wollen, von Ver - moͤgen, von Thaͤtigkeiten; Vorſtellungen von gegenwaͤr - tigen Dingen, von vergangenen, und, ſo weit wir der - gleichen haben, auch von zukuͤnftigen; alle ohne Ausnah - me ſind ſolche von vorhergegangenen Zuſtaͤnden in uns zuruͤckgebliebene und wieder erweckbare Spuren. Sind ſie es nicht im Ganzen in der Geſtalt, in der ſie wieder als gegenwaͤrtig hervortreten; ſo ſind ſie doch aus Spu - ren ſolcher Art zuſammengeſetzt. Jene ſind die ur - ſpruͤnglichen Grundvorſtellungen; dieſe letztern kann man uͤberhaupt unter dem Namen der abgelei - teten begreifen.

Dieſe Beziehung der Vorſtellungen auf an - dere vorhergegangene Modifikationen iſt der weſentliche Charakter von ihnen. Die Vorſtel - lungen gehoͤren ſelbſt auch zu unſern Modifikationen; aber dieß iſt ihre Eigenheit, woran ſie unter den uͤbrigen Veraͤnderungen der Seele auszukennen ſind. Die Freu - de, die Hofnung, und die Begierde, ſind an ſich nicht Vorſtellungen. Aber wenn wir vermittelſt ihrer uns die aͤhnlichen Empfindniße und Zuſtaͤnde bey andern Menſchen vorſtellen; ſo haben wir jene Zuſtaͤnde ſelbſt nicht mehr in uns; ſo ſind es ihre in uns hinterlaſſene ihnen entſprechende Folgen, die durch die Eigenmacht der Seele wieder hervorgebracht und entwickelt ſind. I. Band. BAls -18I. Verſuch. Ueber die NaturAlsdenn ſind ſie fuͤr uns Abbildungen von andern Dingen.

Auf die Wand eines verfinſterten Zimmers faͤllt ein Bild von der Sonne durch die gegen uͤber gemachte Oef - nung; wird die Oefnung wiederum verſchloſſen, ſo iſt nichts auf der Wand von jenem Bilde zuruͤckgeblieben. Wenn das Waſſer, worinnen ein Stein geworfen wird, in runden Kraiſen aufwallet, und wieder zu ſeinem vo - rigen Ebenſtand zuruͤcke faͤllt; ſo iſt keine Spur mehr von den gemachten Kraiſen vorhanden, ſo wenig, als von dem Lauf des Schiffes in den Wellen, wenn ſich der Schaum zerſtreuet hat. Eine Saite hoͤret auf zu zittern, die vorhero angeſchlagen war, und kommt wie - der zu ihrer erſten Lage zuruͤck. Hier ſind weder das Bild an der Wand, noch der Krais im Waſſer, noch die Schwingungen in der Saite Vorſtellungen. Es giebt keine bleibende Folgen von ihnen in den Dingen, die ſolche Veraͤnderungen in oder an ſich erlitten haben. Aber wenn es auch ſolche giebet; wenn die einmal ge - ſchlagene Saite auch dadurch eine Leichtigkeit empfaͤngt, kuͤnftig wiederum auf dieſelbe Art zu ſchwingen, und ſchneller zu ſchwingen, die ſie wirklich in einem gewiſſen Grade empfaͤnget; ſo kann ſie von ihrer empfangenen oder geſtaͤrkten Dispoſition zum Schwingen, doch nicht aus ſich ſelbſt wiederum zu einem wirklichen Schwung hinuͤbergehen. Soll ihr voriger Zuſtand in ihr erneuret werden; ſo muß ſie wiederum von neuem angeſchlagen oder angeſtoßen werden, wie vorher. Sie muß von neu - em alſo gebildet werden, wie ſie es vorher war; ſie ſelbſt kann ſich nicht nachbilden. Sie hat alſo keine Vorſtel - lungen, wie die menſchliche Seele hat.

7) Ob dieſe Vorſtellungen, dieſe bleibende Spuren, Dispoſitionen oder Abdruͤcke vorhergegangener Veraͤnde - rungen in dem organiſirten Gehirn ſich befinden, in dem ſenſorio communi, in den innern Organen, in derVor -19der Vorſtellungen. Vorſtellungs - und Denkungsmaſchine, wie Hr. Bon - net und Hr. Search glauben? ob ſie allein nur in die - ſem koͤrperlichen Theil unſers Jchs? nichts mehr als ideae materiales ſind? und was ſie daſelbſt ſind? ob ſie in wirklichen fortdaurenden Bewegungen beſtehen, die ſchwaͤcher als die erſten Eindruͤcke, aber ihnen aͤhnlich ſind? oder ob ſie nur Dispoſitionen, Tendenzen, Leich - tigkeiten gewiſſe Bewegungen anzunehmen ausmachen? und was es denn mit ſolchen Dispoſitionen in den koͤrper - lichen Fibern fuͤr eine Beſchaffenheit habe? oder ob ſie ſelbſt in dem unkoͤrperlichen Weſen, das wir die Seele nennen, ihren Sitz haben; Beſchaffenheiten, Beſtim - mungen, Einſchraͤnkungen, Dispoſitionen, neue Anla - gen ihrer Kraft, ideae intellectuales ſind? oder ob in beiden in der Seele und in ihrem Organ, zugleich ſo etwas zuſammengehoͤriges vorhanden ſey; eine idea materialis im Gehirn, eine idea intellectualis, oder Seelenveraͤn - derung in der Seele ſelbſt? und ob dann dieſe letztere ei - gentlich das iſt, was wir die Vorſtellung nennen? Wel - che Fragen! Nach einer Menge von Vergleichungen und Schluͤſſen kann man nur wahrſcheinlich machen, daß es koͤperliche Beſchaffenheiten in dem Gehirn wirklich ge - be, wenn Vorſtellungen vorhanden ſind. Worinnen ſie beſtehen, das gehoͤret zu den verborgenſten Geheim - nißen der Natur, woruͤber man vieles muthmaaßen und dichten, aber wenig beweiſen kann. Hievon an ei - nem andern Ort. Eine Phyſik der Seele, die auf Be - obachtungen gegruͤndet ſeyn ſoll, muß nicht damit an - fangen, daß ſie die Vorſtellungen in die Fibern des Ge - hirns hinſetzet; allenfalls kann ſie damit endigen. So viel iſt indeſſen eine reine Beobachtung. Die Vorſtel - lungen ſind in uns, in dem denkenden Menſchen, in dem Eins was wir das vorſtellende Weſen, die Seele, das Seelenweſen, nennen. Mehr gehoͤret nicht zu den Grundſaͤtzen der Erfahrung.

B 28) Die20I. Verſuch. Ueber die Natur

8) Die Analogie der Vorſtellungen mit den Ver - aͤnderungen der Seele, aus welchen ſie zuruͤckgeblieben ſind, machet ſie geſchickt, Zeichen und Bilder von dieſen zu ſeyn. Sie entſprechen ihnen. Daraus folget nicht, daß ſie auch voͤllig gleichartige Modifikationen mit den ehemaligen Veraͤnderungen ſeyn muͤſſen. Sie ſind es die meiſten male, wenn ſie wieder erwecket wor - den und in uns lebhaft gegenwaͤrtig, und dann oͤfters nur in einem mindern Grade der Lebhaftigkeit von je - nen unterſchieden ſind. Man uͤbereile ſich nicht, und ſchließe nicht, daß ſie es allemal ſo ſind, noch weniger, daß ſie es ſeyn muͤſſen. Die Beziehung der Vorſtel - lungen auf ihre vorhergegangenen Modifikationen iſt die allgemeine Analogie zwiſchen Wirkungen und Urſachen. Sie darf auch nicht naͤher beſtimmet wer - den, als dieſe, wenn man ſie ſich alſo gedenken will, wie ſie im Allgemeinen bey allen Arten von Vorſtellungen angetroffen wird. Eine ſolche Analogie enthaͤlt nichts mehr, als eine Jdenditaͤt in den Beziehungen. Jede Beſchaffenheit der Wirkung beziehet ſich auf eine gewiſſe Beſchaffenheit in der Urſache, welche die ihr zu - gehoͤrige oder die ihr entſprechende genennet wird. Die Verhaͤltniſſe und Beziehungen, worinnen die Be - ſchaffenheiten der Wirkung gegen einander ſtehen, ſind aber dieſelbigen, welche zwiſchen den ihnen entſprechen - den Beſchaffenheiten in der Urſache ſtatt finden. Dieß hindert nicht, daß nicht die Urſache und ihre Wirkung unvergleichbare und ungleichartige Dinge ſind, die unter keinem beſtimmten gemeinſchaftlichen Begriff befaſſet werden koͤnnen. Es iſt die Analogie nur blos Einer - leyheit in den Verhaͤltniſſen der Beſchaffenhei - ten; nicht die Aehnlichkeit der abſoluten Beſchaffenhei - ten ſelbſt. Nicht die ganze Aehnlichkeit eines Lamms mit dem Mutterſchaaf; nur die Aehnlichkeit der Statue von Stein oder Metall mit dem thieriſchen undbeſeel -21der Vorſtellungen. beſeelten Koͤrper des Menſchen, welche ſie abbildet; nur ſo eine Aehnlichkeit, wie die Figur von dem Welt - gebaͤude, auf dem Papier mit ihrem Gegenſtande, dem Weltgebaͤude hat; nur ſo eine iſt in der Analogie be - griffen.

9) Die Veraͤnderungen der Seele, von welchen ſol - che Spuren in uns zuruͤck geblieben ſind, haben wieder - um ihre Urſachen, entweder in uns ſelbſt, in andern vorhergegangenen Zuſtaͤnden, oder außer uns gehabt. Sie beziehen ſich alſo auch auf die nemliche, aber ent - ferntere Art, auf die Urſachen jener Veraͤnderungen. Die ſinnlichen Eindruͤcke, welche uns durch das Ge - ſicht zugefuͤhret werden, entſprechen den verſchiedenen aͤußern Gegenſtaͤnden, von denen ſie in uns verurſachet werden; der Eindruck von dem Mond, dem Mond; der Eindruck von der Sonne, der Sonne u. ſ. w. dahe - ro kann zwiſchen den Vorſtellungen, die ſich nur zu - naͤchſt auf vorhergegangene Eindruͤcke beziehen, und zwiſchen den aͤußern Dingen, welche die Urſachen von jenen Eindruͤcken ſind, mittelbar dieſelbige Analogie ſtatt finden, die den Vorſtellungen in Hinſicht auf die Ein - druͤcke unmittelbar zukommt. Alſo koͤnnen die Vorſtel - lungen auch Zeichnungen und Abbildungen von den Ur - ſachen ſolcher Veraͤnderungen abgeben, von welchen die Spuren in uns hinterlaſſen ſind.

10) Dieß erſchoͤpfet noch nicht die ganze zeichnen - de Natur der Vorſtellungen. Sie ſind nicht bloß ſolche Veraͤnderungen, welche wir wegen ihrer Analogie mit andern Dingen, mit Bequemlichkeit als Zeichen und Bilder dieſer Dinge gebrauchen koͤnnen, und beſſer gebrauchen koͤnnen, als jedes andere in uns; das nicht allein, ſondern ſie haben uͤber dieß etwas an ſich, was uns ſo zu ſagen, von ſelbſt die Erinnerung giebet, daß ſie Zeichen von andern Dingen ſind, uns auf andere von ihnen ſelbſt unterſchiedene Sachen, als GegenſtaͤndeB 3hinwei -22I. Verſuch. Ueber die Naturhinweiſet, und dieſe durch ſie und in ihnen ſehen laͤßt. Hier, in dieſer Beſchaffenheit der Vorſtellungen lieget der Grund von unſerm natuͤrlichen Hang zu glauben, nicht, daß wir mit Bildern und Vorſtellungen von Sa - chen zu thun haben, wenn wir an dieſe denken, ſondern daß es die Sachen ſelbſt ſind, die wir erkennen, ver - gleichen, und mit welchen wir beſchaͤftiget ſind.

11) Ob wir gleich durch die Vorſtellungen andere vorgeſtellte Objekte erkennen; ſo koͤnnen wir doch auch jene Bilder ſelbſt in uns gewahrnehmen und bemerken. Woher wiſſen wir ſonſten, daß ſie in uns vorhanden ſind? Aber dieß Gewahrnehmen iſt eine eigene Thaͤtig - keit unſrer Seele und ihrer Gewahrnehmungskraft, wel - che alsdenn gleichſam auf uns ſelbſt zuruͤckgebogen wird, und in ein Selbſtgefuͤhl uͤbergehet. Es iſt ein anders, die Vorſtellung einer Sache in ſich aufnehmen, die Sa - che nachbilden, die Nachbildung in ſich aufbehalten, ſie wieder hervorziehen; und ein anders, die Vorſtellung und dieſe Thaͤtigkeiten und deren Wirkungen in ſich fuͤh - len, und beobachten.

12) Die urſpruͤnglichen Vorſtellungen entſte - hen in uns von unſern Veraͤnderungen und Zuſtaͤnden, wenn dieſe gegenwaͤrtig in uns vorhanden ſind, und ge - fuͤhlet und empfunden werden, das iſt, von unſern Empfindungen. Ob dieſe letzt erwaͤhnte Bedingung uͤberall erfordert werde? ob wir etwan jedwede gegen - waͤrtige Modifikation fuͤhlen und empfinden? oder ob doch insbeſondere bey denen ein Gefuͤhl hinzukommen muͤſſe, welche ſich bis dahin in uns eindruͤcken ſollen, daß ſie bleibende Spuren hinterlaſſen? oder ob auch wohl Nachbildungen in uns zuruͤckbleiben, oder doch zu - ruͤckbleiben koͤnnen, wenn gleich ihre gegenwaͤrtige Mo - difikationen entſtanden und vergangen ſind, ohne em - pfunden zu ſeyn, oder doch ohne bis zum Gewahrnehmen empfunden zu ſeyn, das ſind Fragen, die ich hier un -entſchie -23der Vorſtellungen. entſchieden laſſen, und die man vielleicht am Ende mit mehrern andern unentſchieden laſſen muß. Jede Un - terſuchung uͤber wirkliche Gegenſtaͤnde endiget ſich in ſol - che Fragen, die unſere Bekenntniſſe ſind, daß man in das unermeßliche Feld des Unbekannten zwar mit Be - dacht hineingeſehen habe, aber nichts helle und deutlich genug bemerken koͤnne.

Die erſten urſpruͤnglichen Vorſtellungen will ich Empfindungsvorſtellungen nennen. Sie ſind Bilder oder Vorſtellungen, wie man ſie aus der Em - pfindung der Sachen erlanget, und ſtellen die Sachen dar, wie ſie empfunden werden. Wenn ſolche Vorſtel - lungen nach einiger Zeit wieder hervorgezogen werden, ohne daß ihre Empfindungen vorhanden ſind; ſo koͤnnen ſie noch ebendieſelbigen Zuͤge an ſich haben, die ſie vor - her an ſich hatten, und alſo noch jetzo die Objekte ſo vor - ſtellen, wie dieſe empfunden worden ſind. Die er - ſten Empfindungsvorſtellungen, die waͤhrend| der Empfindung in uns entſtehen, und erhalten werden, ſind die Nachempfindungen; ſie ſind das, was von den Philoſophen Empfindungen genennet wird, wenn man Empfindungen zu den Vorſtellungen hinrechnet. Es iſt in ihnen etwas eigenes, und unter dieſem ein ei - gener Grad der Lebhaftigkeit, der alsdenn fehlet, wenn ſie in der Abweſenheit ihrer Gegenſtaͤnde wieder hervor - kommen.

13) Die Seele beweiſet ſich auf verſchiedene Ar - ten wirkſam bey den urſpruͤnglichen Vorſtellungen. Wenn dieſe einmal in uns ſo klar ausgedruckt vorhanden ſind, daß ſie bemerket werden koͤnnen; ſo verlieren ſie zuweilen dieſe objektiviſche Klarheit wieder, wickeln ſich wieder ein, wie wir ſagen, und entziehen ſich dem Be - wußtſeyn. Einige moͤgen ſich gaͤnzlich aus der Seele verlieren, oder doch ſo weit ſich verlieren, daß ſie durch ihre Eigenmacht aus ihr ſelbſt nicht wieder erneuret wer -B 4den24I. Verſuch. Ueber die Naturden koͤnnen. Alsdenn muͤſſen ſie von neuem aus eben ſolchen Zuſtaͤnden erzeuget werden, woraus ſie das er - ſtemal entſtanden ſind, wenn ſie wiederum in ſie hinein gebracht werden ſollen. Sie hoͤren alsdenn auch auf, Vorſtellungen zu ſeyn. Jch ſage, ſo etwas mag geſche - hen. Wir haben Erfahrungen, die es lehren, mit wel - cher faſt unglaublichen Feſtigkeit die einmal angenomme - ne und tief genug eingedruckte Vorſtellungen in dem Jn - nern der Seele ſich erhalten, und wie leicht man ſich ir - ren koͤnne, wenn man ſie darum ſchon fuͤr voͤllig verlo - ſchen haͤlt, weil etwa die Seelenkraft bey ihrer gewoͤhn - lichen Anſtrengung ſie nicht bis zum Bemerkbarwerden wieder entwickeln kann. Aber ſo viel iſt offenbar, daß eine große Menge von ihnen zwar verdunkelt oder einge - wickelt, aber auch durch die Eigenmacht der Seele wie - der hervorgezogen, und beobachtbar gemacht werden kann. Dahero ſchreiben wir der Seele, nicht nur ein Vermoͤgen, Vorſtellungen in ſich aufzunehmen (facultas percipiendi) eine Faſſungskraft, zu, ſondern auch ein Vermoͤgen, ſie wieder hervorzuziehen, eine Wieder - vorſtellungskraft, die man gewoͤhnlich die Phanta - ſie oder die Einbildungskraft nennet, welche letztere Benennungen dieß Vermoͤgen, in ſo ferne es bildliche Empfindungsvorſtellungen erneuert, am eigentlichſten bezeichnet.

14) Die urſpruͤnglichen Vorſtellungen ſind die Materie und der Stof aller uͤbrigen, das iſt, aller abgeleiteten Vorſtellungen. Die Seele beſitzet das Vermoͤgen, jene auseinander zu legen, zu zertheilen, von einander abzutrennen, und die einzelne Stuͤcke und Beſtandtheile wieder zu vermiſchen, zu verbinden und zuſammenzuſetzen. Hier zeiget ſich ihr Dichtungsver - moͤgen, ihre bildende, ſchaffende Kraft, und aͤußert ſich auf ſo mannigfaltige Arten, als die ſchaffende Kraft der koͤrperlichen Natur, die ſich zwar keinen neuenStof,25der Vorſtellungen. Stof, keine neue Elemente erſchaffen kann, aber durch eine Aufloͤſung der Koͤrper, welche weiter gehet, als wir mit unſern Sinnen reichen koͤnnen, und durch eine neue Vermiſchung eben ſo unſichtbarer Partikeln, neue Koͤr - perchen und neue Geſchoͤpfe darſtellet, die noch fuͤr un - ſere Sinne einfach ſind. Man umfaſſet die ganze Macht dieſes bildenden Vermoͤgens der Seele nicht, wenn man die Aufloͤſung und die Wiedervermiſchung der Vorſtel - lungen dahin einſchraͤnket, daß ſie bey jenen nur bis auf ſolche Beſtandtheile gehen koͤnne, die man einzeln genom - men kennen muͤßte, wenn ſie abgeſondert, jedes fuͤr ſich, dem Bewußtſeyn vorgehalten wuͤrden, und das Vermi - ſchen der Vorſtellungen als ein Zuſammenſetzen aus ſol - chen Theilen anſiehet, die einzeln genommen bemerkbar ſind. Dieß iſt, wie ich wohl weiß, die gewoͤhnlichſte Jdee, von dem Dichtungsvermoͤgen. Man glaubet naͤmlich, jede ganze Erdichtung muͤſſe in ſolche Theile zer - leget werden koͤnnen, die einzeln in den erſten urſpruͤng - lichen Vorſtellungen, (oder auch in ihren Empfindungen) von einer bemerkbaren Groͤße vorhanden geweſen ſind. Jch will unten Beobachtungen anfuͤhren, welche, wie ich meine, etwas mehreres beweiſen. Die Schaf - fungskraft der Seele geht weiter. Sie kann Vorſtel - lungen machen, die fuͤr unſer Bewußtſeyn einfach, und dennoch keinen von denen aͤhnlich ſind, die wir als die einfachſten Empfindungsvorſtellungen antreffen. Sie kann alſo in dieſer Hinſicht neue einfache Vorſtellungen bilden. Der Stof zu allen Vorſtellungen iſt dennoch allemal in den Empfindungsvorſtellungen enthalten; aber er iſt zuweilen in den fuͤr uns einfachen Empfindungen verſteckt geweſen, oder, wenn das auch nicht iſt, ſo iſt durch die Vereinigung mehrerer einfacher Empfindungs - vorſtellungen zu einer neuen Vorſtellung eine ſo innige Miſchung entſtanden, daß das entſtandene Produkt das Anſehen einer neuen einfachen Vorſtellung erhaltenB 5hat.26I. Verſuch. Ueber die Naturhat. Aus der Miſchung der gelben und der blauen Lichtſtrahlen in dem Prismatiſchen Sonnenbild entſtehet ein gruͤnes Licht, welches von dem einfachen Gruͤnen dar - inn unterſchieden iſt, daß es in blaue und gelbe Strah - len wieder zertheilet werden kann; die urſpruͤnglich gruͤ - nen Strahlen ſind dagegen unaufloͤslich. Aber den - noch iſt es fuͤr unſere Empfindung ein einfaches Gruͤn. Etwas aͤhnliches laͤßt ſich in unſern Vorſtellungen an - treffen.

Alle dieſe Aeußerungen und Thaͤtigkeiten in Hinſicht der Vorſtellungen begreifet man unter den vorſtellen - den Thaͤtigkeiten, und ſchreibet ſie der vorſtellenden Kraft zu. Die Vorſtellungskraft iſt alſo ein Haupt - aſt, der in die ſchon erwaͤhnte verſchiedene Vermoͤgen, Vorſtellungen anzunehmen, ſie wiederhervorzuziehen, und ſie umzubilden, das iſt, in das Perceptionsvermoͤ - gen, in die Einbildungskraft, und in das bildende Dichtungsvermoͤgen, als in ſo viele Zweige ausſchieſ - ſet. Jch habe es nicht unbequem gefundeu, die unter - ſchiedenen Ausbruͤche der vorſtellenden Kraft in dieſe drey Klaſſen zu zertheilen. Jede kuͤnſtliche Abtheilung von der Mannigfaltigkeit der Natur, hat ſonſten ihre Luͤcken und muß ſie haben, woferne nicht etwa die Klaſ - ſen durch nothwendig ſich ausſchließende Merkmale ge - zeichnet ſind, in welchem Fall aber eine oder die andere umbeſtimmter charakteriſirt wird, als man ſie haben will.

15) Aus den Vorſtellungen werden Jdeen und Gedanken. Fuͤr ſich ſind ſie dieß nicht. Das Bild von dem Mond iſt nur die Materie zu der Jdee von dem Mond. Es fehlet ihm noch die Form: die Jdee ent - haͤlt außer der Vorſtellung ein Bewußtſeyn, ein Gewahrnehmen und Unterſcheiden, und ſetzet Verglei - chungen voraus, und Urtheile, ſobald wir ſie als eine Jdee von einem gewiſſen Gegenſtande anſehen. Dieſeletztern27der Vorſtellungen. letztern ſind Wirkungen des Gefuͤhls und der Denk - kraft, die zum wenigſten in Gedanken, von der Vor - ſtellung abgeſondert werden koͤnnen, wenn ſie gleich in der Natur innig mit ihnen verbunden ſind. Eine ſol - che Sonderung in Gedanken iſt noͤthig, wenigſtens im Anfange, um dasjenige, was die Vorſtellungen allein angehet, deſto ungeſtoͤrter uͤberlegen zu koͤnnen. Die Seele mag Bilder von den Gegenſtaͤnden haben, mag dieſe weglegen und wieder entwickeln, mag ſie verbinden und trennen, und bearbeiten, wie ſie will; ſo iſt dieß alles noch etwas anders, als dieſe Bilder in ſich ge - wahrnehmen, ſie fuͤr das erkennen, was ſie ſind, und ſie zu dem Zweck gebrauchen, zu dem ſie beſtimmet ſind. Die Vorwuͤrfe, die man ſolchen philoſophiſchen Ab - ſtraktionen der Seelenvermoͤgen gemacht hat, werden hier, wie ich meyne, ſo wenig anpaſſen, als bey jeder andern philoſophiſchen Unterſuchung. Sie ſind nichts als Ausſonderungen irgend eines oder des andern Punkts zu einer beſondern naͤhern Betrachtung. Sie ſind un - entbehrlich fuͤr uns, ſobald es nicht ſowohl um glaͤnzende und blendende Verwirrung, als um aufklaͤrende Deut - lichkeit in der Erkenntniß zu thun iſt.

Die bisher angefuͤhrten Saͤtze enthalten die ganze Lehre von den Vorſtellungen in einem kurzen Entwurf. Die mehreſten von ihnen ſind eben ſo bekannt, als ge - wiß. Aber laͤſſet ſich daſſelbige von allen ſagen? Ei - nige Punkte beduͤrfen noch einer weitern Erlaͤuterung, und dieſe will ich hinzuſetzen. Wie viel oder wenig ei - nem oder dem andern meiner Leſer noch undeutlich oder unbekannt ſeyn mag, das kann ich nicht wiſſen. Man - ches iſt auch fuͤr ſich etwas Bekanntes, aber nicht in ſei - nem ganzen Umfange. Jch habe mich in dem, was ich noch ſagen werde, nach meiner Abſicht und nach dem Beduͤrfniſſe gerichtet, das ich ſelbſt in mir fand, als ich die pſychologiſchen Schriften, die ich fuͤr klaſſiſch anſehe,durch -28I. Verſuch. Ueber die Naturdurchgedacht hatte, und den Vorſatz faßte, noch ein - mal die Natur der Vorſtellungen fuͤr mich zu unterſu - chen.

IV. Weitere Erlaͤuterung des erſten Charakters der Vorſtellungen, daß ſie zuruͤckgebliebene Spu - ren vorhergegangener Veraͤnderungen ſind. Ob dieß bey allen Arten der Vorſtellungen ſich ſo verhalte?

Der erſte weſentliche Charakter der Vorſtellungen iſt, daß ſie zuruͤckgelaſſene bleibende Folgen an - derer vorhergegangener Seelen-Veraͤnderungen ſind. Dieß iſt auch die Grundidee von ihnen in dem Syſtem des Hrn. Bonnets; nur mit dem Unterſchied, daß Hr. Bonnet dieſe Folgen oder Abdruͤcke ins Gehirn hinſetzet. Jn den Fibern des Organs ſoll die ſinnliche Bewegung, wenn wir empfinden, eine gewiſſe Dispoſi - tion hinterlaſſen, wodurch die einmal ſo modificirte Fiber in ihre vorige Bewegung durch eine Urſache wieder ver - ſetzet werden kann, die innerlich in ihr iſt, ohne daß ein Eindruck von außen, wie das erſtemal, dazu erfodert werde. Wenn die Dispoſition wieder rege gemacht, und die vorhergegangene ſinnliche Bewegung, obgleich in einem ſchwachen Grade, erneuret wird; ſo iſt der Seele, der thaͤtigen Kraft des Gehirns, eine Vorſtel - lung gegenwaͤrtig. Ueber dieſen Sitz der Vorſtellung entſcheide ich hier nichts. Es ſey und geſchehe alles das im Gehirn, was Hr. Bonnet ſich darinn vorſtellet: Jch ſehe es ſo an, als wenn es in dem vorſtellenden Ganzen iſt, und nenne dieſes Ganze hier die Seele.

Hiezu kommt eine andere Verſchiedenheit. Hr. Bonnet nahm den Weg der Hypotheſe. Er nahm willkuͤhrlich ſeine Grundſaͤtze an, und erklaͤrte daraus diebeobach -29der Vorſtellungen. beobachteten und zergliederten Vorſtellungen. Jch habe den Weg der Beobachtung gewaͤhlet; der doch ſiche - rer, wenn gleich etwas laͤnger iſt. Beydes bey Seite geſetzet; ſo ſahe Hr. Bonnet die Beziehung auf eine vorhergegangene Veraͤnderung, als ein Unterſcheidungs - merkmal der Vorſtellungen an, wie ſie es iſt. Da - durch wird vieles unnoͤthig, was hieruͤber ſonſt zu ſagen waͤre; da ich nicht wiederholen will, was dieſer ſcharf - ſinnige Mann deutlich und auffallender, als ich es thun kann, auseinander geſetzet hat.

Aber iſt dieſe Eigenſchaft eine Eigenſchaft aller Vorſtellungen? Auch bey den Vorſtellungen, die wir von unſern eignen Gemuͤthsbewegungen haben? Hiebey ſtoͤßet man auf manche Dunkelheiten, die ich nicht gerne zuruͤcklaſſen moͤchte. Um es zur Evidenz zu bringen, daß es aus unſern Empfindungen zuruͤckgebliebene Spu - ren, als ihre Nachbildungen ſind, welche in allen Ar - ten von Vorſtellungen vorkommen, will ich mich der Jnduktion bedienen.

Unſere Vorſtellungen koͤnnen auf zwey allgemeine Klaſſen gebracht werden. Sie ſind entweder aus den aͤußern Empfindungen entſtanden, oder aus den innern. Zu jenen gehoͤren die Vorſtellungen aus den Geſichtsempfindungen; die Geſichtsvorſtellungen, die, ſo zu ſagen, oben an ſtehen. Dieſe Art von Em - pfindungen und Vorſtellungen ſind uns am meiſten be - kannt, und ſind es zuerſt geworden. Sie haben uns auf die Bahn gebracht, auf der wir auch die uͤbrigen Arten von Vorſtellungen kennen gelernet. Gehn wir auf ſie zuruͤck, und bemerken es da deutlich, wie die er - ſten Empfindungsvorſtellungen waͤhrend der Em - pfindung, und nachher die Einbildungen aus ihnen entſtehen; ſo haben wir ein Jdeal fuͤr die Unterſuchung bey den uͤbrigen. Und dann wird es, im Fall nicht auch bey den letztern dieſelbigen Beſchaffenheiten unmittelbarbeobach -30I. Verſuch. Ueber die Naturbeobachtet werden koͤnnen, genug ſeyn, ſo viel an ihnen anzutreffen, daß ihre Analogie mit den Geſichtsvorſtel - lungen erkannt werde. Aus dieſer iſt es denn erlaubt, ihre aͤhnliche Beziehung auf Empfindungen, und ihre aͤhnliche Natur als Vorſtellungen betrachtet, zum min - deſten mit vieler Wahrſcheinlichkeit zu beſtimmen.

Zu den Vorſtellungen des innern Sinnes ge - hoͤren 1) die Vorſtellungen, die wir von den innern Seelenzuſtaͤnden, von Luſt und Unluſt, und derglei - chen haben, die man zum Unterſchied von den uͤbrigen Gemuͤthszuſtaͤnde nennet. Wir kennen dieſe Mo - difikationen unſers Weſens, und unterſcheiden ſie von einander; Aber bey der Frage: Ob wir eine Vorſtel - lung von der Freude und von dem Verdruß haben, wie wir eine von dem Mond und dem Baum haben? ſtu - tzet mancher und iſt in Zweifel, ob er Ja oder Nein ſagen ſoll. Was iſt die Vorſtellung in dem letztern Fall? Was iſt ſie in dem erſten? Die Beobachtung und die Vergleichung muß entſcheiden. 2) Wir haben Vor - ſtellungen des innern Sinns von den Selbſtbeſtim - mungen unſerer Kraͤfte, von unſern Thaͤtigkeiten und von ihren Wirkungen; von ſolchen, die man der erkennenden Kraft der Seele zuſchreibet, von Fuͤh - len und Empfinden, von den Denkarten, und ſelbſt von den vorſtellenden Thaͤtigkeiten, imgleichen von andern Thaͤtigkeiten, Trieben, Beſtrebungen, und ih - ren Wirkungen, die auf eine Veraͤnderung unſers innern oder aͤußern Zuſtandes hinaus gehen, und die unter der gemeinſchaftlichen Rubrik der Willensaͤußerungen gewoͤhnlich zuſammen genommen werden.

V. 31der Vorſtellungen.

V. Von den Geſichtsvorſtellungen. Entſtehungsart derſelben. Unterſchied zwiſchen Empfindung und Nachempfindung. Einbildung.

Eine geſpannte Saite eines Jnſtruments faͤhret eine Weile fort, nachzuſchwingen, wenn ſie ein - mal angeſchlagen oder gedruckt worden iſt, und der Per - pendikel, welcher angeſtoßen worden iſt, ſetzet noch ſeine Schwingungen fort, ob er gleich nun nicht mehr von der Hand, die ihn anſtieß, beruͤhret wird. Die Saite nimmt in dem erſten Augenblick die Bewegung auf, und wirket zugleich zuruͤck auf den Koͤrper, der ſie anſchlaͤget, und erſchuͤttert. Dieſer Empfang der Bewegung, und die damit verbundene Ruͤckwirkung mag eine Thaͤtigkeit ſeyn, oder nur etwas leidendes; ſo iſt beydes ſchon nicht mehr vorhanden, wenn die Saite zu zittern fortfaͤhret. Der ſtoßende Koͤrper hat ſich alsdenn entfernet, und die Ruͤckwirkung hat aufgehoͤret. Jhre Bewegung in dem folgenden Augenblick iſt die Fortſetzung derjenigen, wel - che ſie von der wirkenden Kraft empfangen hat. Jene iſt ein nachgebliebener Zuſtand in der Saite, in welchem ſie nichts mehr von außen aufnimmt, und auch nicht mehr auf die aͤußere Kraft zuruͤckwirket. Da iſt alſo ein anderer von dem erſtern unterſchiedener, und weſentlich unterſchiedener Zuſtand in ihr.

Dieſe Nachſchwingungen hoͤren in der Saite allmaͤhlig auf, theils durch den Widerſtand der aͤußern Luft, theils der Hinderniſſe wegen, welche in der Stei - figkeit der Saite ſelbſt liegen. Endlich kommt die Sai - te dem Anſehen nach gaͤnzlich wiederum zu ihrer erſten Ruhe. Alsdenn iſt alle Spur des erſten Schlages ver - loſchen. So ſcheinet es wenigſtens zu ſeyn. Es iſt aber nicht voͤllig alſo. Die Kunſtverſtaͤndigen ſagen, ein Jnſtrument muͤſſe vorher recht ausgeſpielet wordenſeyn,32I. Verſuch. Ueber die Naturſeyn, ehe es ſeine Toͤne am vollkommenſten nnd reinſten angeben koͤnne. Die Saite muß auch nach einigem Ge - brauch von neuem wieder geſtimmet werden, und zuletzt verlieret ſie blos durch den allzuhaͤufigen Gebrauch den noͤthigen Grad der Elaſticitaͤt. Es muß alſo von der erſten Bewegung eine gewiſſe Wirkung in dem Koͤrper und in der Kraft der Saite zuruͤckgeblieben ſeyn, die in den einzelen Schwingungen unbemerkbar war, aber in der Folge ſich offenbarte. Gleichwohl hat die Saite, wie es oben ſchon erinnert worden iſt, keine Kraft, ſich ſelbſt, in einen ihrer vorigen Schwuͤnge wieder zu ver - ſetzen. Dieß Beyſpiel ſoll nichts beweiſen; ſondern nur auf den Unterſchied zwiſchen den Empfindungen und den Nachempfindungen, als den zuerſt entſtehenden Empfindungsvorſtellungen aufmerkſam machen.

Wir richten die Augen auf den Mond. Die Licht - ſtrahlen fallen hinein, durchkreuzen ſich in ihnen, laufen auf der Netzhaut in ein Bild zuſammen, ruͤhren den Sehenerven ſinnlich; und in dem Jnnern von uns, in der Seele, entſtehet, auf welche Art es auch geſchehe, eine Modifikation, ein Eindruck, den wir fuͤhlen. Da iſt die Empfindung des Mondes, aber noch nicht die Vorſtellung deſſelben.

Dieſe Modifikation beſtehet eine Weile in uns, wenn gleich von außen kein Lichtſtrahl mehr ins Auge hinein - faͤllt. Da iſt die Nachempfindung, oder die Em - pfindungsvorſtellung des gegenwaͤrtigen Objekts, oder auch die Empfindung ſelbſt, als eine Vorſtel - lung des Gegenwaͤrtigen betrachtet. Dieß Fortdauern des ſinnlichen Eindrucks iſt außer Zweifel. Es iſt die Urſache, warum eine ſchnell in einem Kreis herumgedre - hete gluͤende Kohle den Schein eines ganzen leuchtenden Kreiſes hervorbringet. Dieſe und andere gemeine Er - fahrungen lehren uns, daß der Eindruck, den man von einem geſehenen Gegenſtande erlanget hat, ein ge -wiſſes33der Vorſtellungen. wiſſes Zeitmoment, ohne Einwirkung der aͤußern Urſache in uns fortdauert. Man kann ſogar die Laͤn - ge dieſer Dauer in den Nachempfindungen be - ſtimmen. Wenn man ſolche nimmt, die am geſchwinde - ſten wieder vergehen, aber auch ſtark genug geweſen ſind, um gewahrgenommen zu werden; ſo iſt die kleinſte Dauer in den Geſichtsempfindungen 6 bis 7 Terzen, bey den Nachempfindungen des Gehoͤrs nur 5 Terzen und noch kuͤrzer bey den Nachempfindungen des Ge - fuͤhls. *)Die Gefuͤhlseindruͤcke dauren kaum halb ſo lange, als die Eindruͤcke auf das Gehoͤr, wie ich aus einigen Ver - ſuchen weiß, die ich hieruͤber angeſtellet habe, deren weitere Anzeige hier aber nicht her gehoͤret.

Der Augenblick, in welchem der Gedanke in uns entſteht: ich ſehe den Mond; oder der Mond ſieht ſo aus; kurz der Augenblick der Reflexion faͤllt in das Moment der Nachempfindung. Nicht waͤh - rend des erſten von außen entſtehenden Eindruckes, wenn wir noch damit beſchaͤftiget ſind, die Modifikation von außen anzunehmen und zu fuͤhlen, geſchieht es, daß wir gewahrnehmen und mit Bewußtſeyn empfinden, ſon - dern in dem Moment, wenn die Nachempfindung in uns vorhanden iſt. Die Ueberlegung verbindet ſich mit der Empfindungsvorſtellung, aber nicht unmittel - bar mit der Empfindung ſelbſt.

Man kann ſich auch gerade zu aus Beobachtungen hievon verſichern. Wenn wir z. B. die Augen ſtarr auf einen Gegenſtand hinrichten, um ſein Bild in uns aufzufaſſen; ſo denken wir in dieſem Augenblick nicht, daß wir ihn ſehen. Sobald wir uͤber den Gegenſtand reflektiren; ſo finden wir ihn zwar vor uns gegenwaͤr - tig, und ſein Bild iſt in uns, aber wir ſind nicht mehr damit beſchaͤftigt, es in uns aufzunehmen. UeberdießI. Band. Ckann34I. Verſuch. Ueber die Naturkann die Bemerkung einiger andrer Umſtaͤnde den Un - terſchied zwiſchen der erſten Empfindung und der Nachempfindung außer Zweifel ſetzen.

Bey dem Sehen iſt es entſchieden, daß der Ein - druck von dem Gegenſtande ſelbſt ſeine Zeit haben muß, ehe er helle und ſtark genug wird, um gewahrgenom - men zu werden. Die Kugel, die aus einer Buͤchſe ge - ſchoſſen wird, beweget ſich vor unſern Augen vorbey, und wird nicht geſehen, weil das Licht, das von ihr ins Auge kommt, nicht ſtark genug iſt, eine bemerkbare Nachempfindung hervorzubringen. Aus derſelbigen Ur - ſache ſehen wir die von einander abſtehende Spitzen eines gemachten Sterns alsdenn nicht, wenn der Stern ſchnell herumgedrehet wird, und allemal iſt der Schein, den ein ſchnell herumgedreheter Koͤrper verurſachet, nur ein matter Schimmer, wenn es nicht ein fuͤr ſich ſelbſt leuch - tender Koͤrper iſt. Jeder Punkt in dem Umfang des Raums, durch den die aͤußerſten Enden des Koͤrpers geſchwinde herumbeweget werden, giebt einen Schein; aber weil der Koͤrper ſich nicht lange genug in einem je - den Punkte des Raums aufhaͤlt, um lebhaft daſelbſt geſehen werden zu koͤnnen; ſo giebt er in jedem dieſer Punkte auch nur einen ſchwachen Schein von ſich. Da - hero kann auch die ſchnelleſte Vorſtellungskraft einen Ge - genſtand nicht mit Einem und dem erſten Blick ſchon faſſen; ſondern es wird eine Zeit dazu erfordert, und eine Wiederholung der erſten Eindruͤcke, wenn die nach - bleibenden Zuͤge bis zu einer gehoͤrigen Tiefe eindringen, und die noͤthige Feſtigkeit erlangen ſollen.

Hiezu kommt bey dem Sehen, daß der Eindruck nicht allein nur nach und nach, ſondern auch unterbro - chen hervorgebracht wird, ſo, daß zwiſchen den kleinern auf einander folgenden Eindruͤcken gewiſſe Momente der Zeit vergehen, waͤhrend welcher das, was in uns iſt, eine Nachempfindung iſt, oder eine beſtehende Folgevon35der Vorſtellungen. von demjenigen, was durch die vorhergegangene Ein - wirkung hervorgebracht war.

Die Nachempfindung verlieret ſich bald wieder, wenn man aufhoͤret, die Augen auf den Gegenſtand zu richten, ob ſie gleich in einigen Faͤllen, wo der Ein - druck lebhafter geweſen iſt, etwas laͤnger und merklicher als in andern fortdauret. Man wird z. B. das Bild der Sonne, wenn man ſie angeſehen hat, nicht ſogleich wieder aus den Augen los, aber es wird doch bald ſo weit geſchwaͤchet, daß dieſe Nachempfindung des zweeten Grades, wenn ich ſo ſagen ſoll, von der er - ſten, welche waͤhrend des fortgeſetzten Anſchauens vor - handen iſt, leicht unterſchieden werden kann.

Die Beobachtungen und Unterſuchungen der Optiker uͤber das Sehen, fuͤhren zu noch mehrern Bemerkun - gen uͤber die Beziehung der Nachempfindungen auf die Empfindungen, oder die erſt empfundene Ein - druͤcke, davon etwas aͤhnliches auch bey den uͤbrigen Empfindungsarten vorhanden iſt. Sehr oft haͤnget die Beſchaffenheit des Eindrucks von einer vorhergegan - genen Modifikation des Organs ab; und iſt nicht im - mer ebenderſelbige, wenn er gleich von einerley Gegen - ſtaͤnden entſpringet. Was die Nachempfindungen betrifft: ſo entſprechen ſie zwar gemeiniglich den Em - pfindungen, wovon ſie die Fortſetzungen ſind; aber es giebt auch Faͤlle, wenn z. B. die Empfindung allzu lebhaft geweſen iſt, in welchen ſie davon abweichen. So zeigen ſich z. B. zuweilen eben ſolche Farben an den Ge - genſtaͤnden in der Nachempfindung, als in der Empfin - dung geſehen worden. *)Scherffer. diff. de coloribus accidentalibus diff. Vin - dob. 1761. §. XVII. Die vom Hrn. von Buͤffon ſo ge - nannten zufaͤlligen Farben, oder die blos erſcheinende Farben gehoͤren zwar nicht alle, aber doch groͤßten - theils hieher.Und das nemliche kann inC 2den36I. Verſuch. Ueber die Naturden ſchon vorher erwaͤhnten geſchwaͤchten Bildern, die uns nach dem Anſchauen der Sonne noch eine Zeitlang vor Augen ſchweben, bemerket werden; denn dieſe ver - aͤndern ihre Geſtalten. Viele andere Erfahrungen be - ſtaͤtigen eben daſſelbige.

Die Nachempfindung, die erſte nemlich die folgende Veraͤnderungen der Bilder bey Seite geſe - tzet iſt die Vorſtellung, welche in der Empfindung er - zeuget wird. Und dieſe iſt alſo wenigſtens eben ſo ſehr von der Empfindung ſelbſt unterſchieden, als die Nach - ſchwingungen in einer elaſtiſchen Saite von ihrer entſte - henden Bewegung in dem erſten Augenblick ſind, da ſie der Wirkſamkeit der aͤußern Urſache noch ausgeſetzet iſt. Jn dem Augenblick, da wir empfinden, leiden wir, und wirken zuruͤck im Gefuͤhl. Aber in der Nach - empfindung wird nichts mehr angenommen, und es wird auch nicht zuruͤck gewirket, ſondern nur unterhalten, was ſchon hervorgebracht iſt. Und darum kann eben alsdenn die Seele deſto freyer mit ihrer Ueberlegungs - kraft ſich bey dem Bilde beſchaͤftigen.

Es laͤßt ſich hieraus begreifen, wie zuweilen der ſinn - liche Eindruck, und auch das Gefuͤhl deſſelben, oder die Empfindung voͤllig, ſtark, lebhaft, deutlich und ſcharf genug von andern unterſchieden ſeyn koͤnnen, ohne daß die in uns beſtehende Nachempfindung es auch ſey. Es kann die letztere verwirrt und matt ſeyn, wo die erſte Empfindung es nicht iſt. Sollte ſich derglei - chen nicht auch wirklich bey den Kindern eraͤugnen? Hat nicht vielleicht ihr innerliches Geſichtsorgan noch zu we - nig Feſtigkeit, um Eindruͤcke, die es wie ein weicher Koͤrper aufnimmt, auch die Zeit durch in ſich zu erhal - ten, als es noͤthig iſt, um feſte Empfindungsbilder zu er - langen? Mir iſt dieſes nicht unwahrſcheinlich, und das, was den Erwachſenen zuweilen unter gewiſſen Umſtaͤnden begegnet, bringt jene Muthmaßung faſt zur Gewißheit.

Die37der Vorſtellungen.

Die Nachempfindungen ſind Modificationen in der Seele, ſo wie es die Emfindungen ſind. Als Nach - empfindungen ſind ſie zuruͤckgebliebene und durch innere Urſachen und Kraͤfte fortdaurende Veraͤnderungen. Hierinn ſind ſie von den ſinnlichen Eindruͤcken unter - ſchieden, als welche Wirkungen von aͤußern Urſachen ſind. Aber ſollten jene auch Seelenbeſchaffenheiten ſeyn? Sind es die Organe, und bey dem Geſicht die Sehenerven, welche durch eine ihnen beywohnende Kraft die empfangenen ſinnlichen Bewegungen, wie die Saite auf dem Jnſtrument ihre Schwingungen, fortſetzen, und ſolche der Seele zum Empfinden und Fuͤhlen vor - halten? Wenn es ſo iſt; ſo wird in der Seele die Nachempfindung und die Empfindung ſelbſt einerley ſeyn. Denn ſo kann die erſtere in der Seele nichts anders, als ein fortgeſetztes oder wiederholtes Aufnehmen des Ein - drucks ſeyn, wobey ſie ſelbſt nur ihre Reaktion gegen das Gehirn, oder ihr Gefuͤhl fortſetzet, ohne in ſich durch ihre Selbſtthaͤtigkeit etwas zu unterhalten. Oder| iſt die Nachempfindung, in ſo ferne ſie eine unterhaltene Folge des Eindrucks iſt, vielmehr in der Seele? Giebt dieſe etwa die thaͤtige Kraft dazu her? Oder endlich, iſt ſie in beiden zugleich? Das erſte iſt ein Princip in dem Syſtem des Hrn. Bonnets. Jch ſetze aber dieſe Fra - gen nur her, wie ich es ſchon vorher mit andern aͤhnli - chen gethan habe, um die Erinnerung zu geben, daß man nicht unmittelbar in die Beobachtungen das pſycho - logiſche Syſtem hineinbringen muͤſſe. Es ſey genug, daß es ſich ſo, wie es hier angegeben worden iſt, in dem Menſchen, dem ſehenden Dinge, verhalte.

Die wieder hervorgezogenen erſten Empfindungs - vorſtellungen, die man Phantasmata oder Ein - bildungen nennet Wiedervorſtellungen kann man ſie nennen, wenn es nicht beſſer waͤre, dieſe letztere Benennung allgemeiner auf alle Arten von wiederhervor -C 3gebrach -38I. Verſuch. Ueber die Naturgebrachten Vorſtellungen auszudehnen, ſie moͤgen Em - pfindungsvorſtellungen ſeyn, oder nicht. Die Einbildungen alſo ſind offenbar nichts anders, als die erſten Nachempfindungen in einem weit ſchwaͤchern Grade von Licht und Voͤlligkeit, und wir nehmen ſie im Schlaf und auch zuweilen im Wachen fuͤr Empfindun - gen an. Aber auch alsdenn zeiget ſich doch der erſte Un - terſchied zwiſchen Empfindungen und Nachempfindun - gen, wenn ſie gleich beide nur wieder erneuert als Ein - bildungen ſich darſtellen. Jm Schlaf glauben wir zu ſehen. Nun iſt zwar kein Eindruck von außen auf das Auge vorhanden, und alſo iſt auch keine wahre Nach - empfindung da. Aber es iſt doch eine Nachbildung, ſo - wohl von der Empfindung, als von der Nachempfindung vorhanden. Es iſt naͤmlich wiederum ein Unterſchied vorhanden, zwiſchen dem erſten Entſtehen des ſinnlichen Bildes, welches hier ein Wiederhervorbringen iſt, wo - bey wir mit dem Gefuͤhl eben ſo reagiren, wie bey der wahren Empfindung; und zwiſchen dem Fortdauren des wiederhervorgebrachten Bildes, womit die Reflexion uͤber das Objekt verbunden iſt.

Am deutlichſten zeiget ſich dieſes in den ſogenannten unaͤchten aͤußern Empfindungen. Das Auge kann aus innern Urſachen im Koͤrper mit einer gleichen, oder doch jener in der wahren Empfindung nahekom - menden Staͤrke ſinnlich geruͤhret werden, auf eine aͤhn - liche Art, wie es bey der wahren Empfindung durch das hineinfallende Licht geſchieht. Es giebt mehrere Urſa - chen, die ſolche falſche Empfindungen veranlaſſen koͤn - nen. *)Man ſehe des Hrn. von Unzers Phyſiologie der thie - riſchen Koͤrper, §. 148. 378.Aber dennoch iſt in dieſen Faͤllen die Empfin - dung ſelbſt von ihrer Nachempfindung eben ſo offenbar unterſchieden, als ſie es bey den aͤchten Empfindungen iſt. Wer39der Vorſtellungen. Wer ein Geſpenſt ſiehet, wo nichts iſt, empfaͤngt einen Eindruck auf das Jnnere ſeines Sehwerkzeugs, und nimmt die damit vergeſellſchaftete Modifikation in der Seele auf, fuͤhlet ſie. Bis ſo weit geht die falſche Em - pfindung. Nun unterhaͤlt ſie dieſen Eindruck in ſich, und empfindet nach. Alsdenn nimmt er ſie gewahr, und reflektirt daruͤber, wie uͤber eine Empfindungsvor - ſtellung eines aͤußern gegenwaͤrtigen Dinges.

Die Einbildung eines geſehenen Gegenſtandes iſt alſo die wieder erweckte Nachempfindung deſſelben, in ei - nem ſchwaͤchern Grade ausgedruͤckt. Die Einbildun - gen gehoͤren dahero zu den Empfindungsvorſtel - lungen, oder zu den urſpruͤnglichen Vorſtellungen; ob ſie gleich nicht mehr die erſten ſelbſt ſind, ſondern ihre Wiederholungen. Die Stufen der Lebhaftigkeit aber und der Deutlichkeit und Voͤlligkeit in den Einbildun - gen ſind unendlich mannigfaltig: man mag entweder die Einbildungen unter ſich vergleichen, oder auf das Verhaͤltniß ſehen, worinn die Lebhaftigkeit und Deut - lichkeit einer jeden Einbildung mit der Lebhaftigkeit und Deutlichkeit der Empfindung ſtehet, zu welcher ſie gehoͤ - ret. Zuweilen ſind ſie die matteſten Nachbildungen, und enthalten nur einige wenige Zuͤge von der Empfin - dung. Zu einer andern Zeit ſind ſie deutlichere Bilder, und ſo kenntliche Schatten, wie Aeneas in den Eliſaͤi - ſchen Feldern antraf. Oefters beſtehet faſt die ganze Reproduktion mehr in einem Beſtreben, eine ehema - lige Empfindung wieder hervorzuziehen, als daß ſie eine wirklich wiedererweckte Empfindung ſelbſt genennet wer - den koͤnnte. Oft ſind es nur rohe Umzuͤge der Sachen, oft nur eine oder andere Seite; nur eine oder andere Beſchaffenheit, Verhaͤltniß und dergleichen, was bis dahin wieder erneuert wird, daß es wahrgenommen wer - den kann; zuweilen ſind es die ſtaͤrkſten Gemaͤhlde, die den Empfindungen nahe kommen, je nachdem die re -C 4produ -40I. Verſuch. Ueber die Naturproducirende Kraft mehr oder weniger auf ſie gerichtet und verwendet wird. Da wir dem kuͤrzeſten und leich - teſten Weg von Natur nachgehen; ſo geſchiehet es, daß anſtatt einer Empfindung, die mehrere Anſtrengung erfo - dert, wenn ſie reproduciret werden ſoll, eine andere wie - der erneuert wird, welche mit jener vergeſellſchaftet ge - weſen iſt, und deren Reproduktion leichter und geſchwin - der geſchehen kann. Der Name vertritt die Stelle der Sache. Die Einbildung des Worts iſt voͤllig und leb - haft, aber die begleitende Einbildung der mit dem Wort bezeichneten Sache, iſt oft ſo ſchwach, daß ſie nur ein Anſatz zu der voͤlligen Wiederdarſtellung genennt wer - den kann.

VI. Die nemliche Beſchaffenheit der Vorſtellungen bey den Empfindungsvorſtellungen des Gehoͤrs und der uͤbrigen aͤußern Sinne.

Alles iſt im Allgemeinen daſſelbige bey den Vorſtellun - gen aus dem Gehoͤr, dem Gefuͤhl, dem Ge - ſchmack und dem Geruch, wie bey den Geſichts - vorſtellungen. Die aͤußern Gegenſtaͤnde modificiren die Seele. Es entſtehet ein ſinnlicher Eindruck, der gefuͤhlet wird, die Empfindung. Die Empfindung hinterlaͤſſet eine Nachempfindung, und die Einbil - dungen aus dieſen Sinnen ſind geſchwaͤchte Nachgepraͤ - ge der erſten Nachempfindungen und der ſinnlichen Ein - druͤcke. Dieſe drey unterſcheidbare Modifikationen ha - ben in allen Arten der Empfindungsvorſtellungen im All - gemeinen dieſelbige Beziehung auf einander; ſie ſind in derſelbigen Analogie mit einander, und entſprechen ſich. Der Unterſchied gehet hierinn nicht weiter, als auf das Mehr oder Weniger, auf Schwaͤche und Staͤrke, auf die laͤngere oder kuͤrzere Dauer, auf die mindere odergroͤßere41der Vorſtellungen. groͤßere Leichtigkeit, womit die Selbſtkraft der Seele das, was ſie dabey zu bewirken hat, hervorbringen kann.

Die Vorſtellungen des Geſichts haben große Vorzuͤge vor den Vorſtellungen aus den uͤbrigen aͤußern Sinnen, wodurch vielleicht einige Philoſophen in ihren Unterſuchungen uͤber den menſchlichen Verſtand verleitet worden ſind, gegen die letztern ungerecht zu ſeyn. Die Griechen benannten die Vorſtellungen, wenn man ſie als Zeichen ihrer Gegenſtaͤnde gebrauchet, Jdeen vom Sehen, und es iſt gewoͤhnlich zu glauben, man habe nur alsdenn erſt eine Vorſtellung von einer Sache, wenn man ſo ein Bild davon in ſich hat, als man erhaͤlt, wenn man ſie ſehen kann. Die uͤbrigen Vorſtellungen ſcheinen von dem Weſentlichen der Jdeen und Bilder von Gegenſtaͤnden wenig oder nichts an ſich zu haben. Nun iſt es zwar offenbar, daß der Vorzug der Geſichts - vorſtellungen in mancher Hinſicht allein ſehr groß iſt; das Geſicht iſt der Sinn des Verſtandes. Aber dieſe Vorzuͤge beſtehen doch nur in Graden, und nicht im Weſentlichen, in ſo ferne ſie nemlich Vorſtellungen fuͤr uus ſind. Denn die Vorſtellungen des Geruchs und des Geſchmacks ſind in eben dem Sinn Vorſtellungen, wie es die Bilder des Geſichts ſind, und haben dieſel - bige Natur als Vorſtellungen; nur ſo vollkommne, ſo auseinandergeſetzte, ſo leicht reproducible, und dahero ſo allgemeinbrauchbare Vorſtellungen ſind ſie nicht.

Unter die Vorzuͤge des Geſichts gehoͤret zuvoͤrderſt folgender, der zugleich ein Grund von mehrern andern iſt. Die Nachempfindungen dieſes Sinnes beſtehen eine laͤngere Zeit in uns, nachdem die ſinnlichen Einwir - kungen der aͤußern Gegenſtaͤnde ſchon aufgehoͤret haben, als die Nachempfindungen des Gehoͤrs und des Gefuͤhls. Die einzele beobachtbare Eindruͤcke auf das Gefuͤhl er - halten ſich kaum durch eine halb ſo lange Zeit, als die Nachempfindungen des Gehoͤrs, und dieſe letztern ver -C 5ſchwin -42I. Verſuch. Ueber die Naturſchwinden eher, als die Nachempfindungen des Geſichts, wie ich oben ſchon bemerket habe. Die Nachempfin - dungen des Gehoͤrs haben eine mittlere Dauer. Wenn dieſe Verſchiedenheit auch weiter keine Folgen haͤtte, als daß der Reflexion dadurch eine laͤngere oder kuͤrzere Zeit verſtattet wird, um die Empfindung zu beob - achten und Denkungsthaͤtigkeiten mit ihr zu verbinden; ſo iſt auch dieß ſchon ſo erheblich, daß es Aufmerkſam - keit verdienet.

Aber dieſelbigen Erfahrungen, woraus wir dieſen Vorzug der Geſichtsempfindungen erlernen, ſind zugleich der offenbarſte Beweis, daß es dergleichen einige Mo - mente in uns beſtehende Nachempfindungen auch bey den Empfindungen des Gehoͤrs und des Gefuͤhls gebe. Man kann, ohne viele kuͤnſtliche Veranſtaltungen zu machen, ein kleines Rad ſchnell herumdrehen, und ver - mittelſt eines feinen biegſamen elaſtiſchen Draths, bey jedem Umlauf, die Hand oder das Geſicht auf eine ſanf - te aber bemerkbare Art beruͤhren laſſen. Wenn die Ge - ſchwindigkeit des Umlaufs bis zu einer gewiſſen Groͤße kommt; ſo wird die Empfindung in eines fortgehend zu ſeyn ſcheinen, ohnerachtet es doch gewiß iſt, daß die Eindruͤcke von außen eine unterbrochene Reihe aus - machen, und durch eine Zwiſchenzeit von einander abge - ſondert ſind, welche ſo groß iſt, als die Zeit, in der das Rad umlauft, und der Drath die Hand wiederum be - ruͤhren kann, nachdem er ſie das naͤchſte mal beruͤhret hat. Daß es bey den Empfindungen des Gehoͤrs auf die nemliche Art ſich verhalte, nehme ich hier an, als etwas, das ſchon bekannt iſt.

Die Einbildungen der Toͤne, der verſchiedenen Ge - ruchsarten u. ſ. f. beweiſen es unwiderſprechlich, daß aus den erſten Empfindungen in uns etwas zuruͤckgeblie - ben ſey. Es mag ſo wenig ſeyn, als es wolle; ſo kann es durch eine innere Urſache in uns, ohne den empfun -denen43der Vorſtellungen. denen Gegenſtand vor uns zu haben, wieder hervorgezo - gen, entwickelt, und bis zu einer bemerkbaren Nachbil - dung der erſten Empfindung bearbeitet werden. Hierinn hat wiederum die Empfindung des Geſichts den Vorzug, daß ſie leichter und mit einer groͤßern Deutlichkeit re - produciret werden kann, als die uͤbrigen. Ein Theil dieſes Vorzuges hat in einem natuͤrlichen und nothwen - digen Verhaͤltniſſe der Sinne ſeinen Grund; aber ein großer Theil iſt hinzugekommen, indem der natuͤrliche Vorzug die Veranlaſſung gegeben hat, bey der Verbin - dung der Vorſtellungen ihn auf dieſe Weiſe groͤßer zu machen. Die dunklern Vorſtellungen der niedern Sin - ne, des Geſchmacks, des Geruchs, des Gefuͤhls, und auch wohl des mittlern Sinnes, des Gehoͤrs, werden mit den Vorſtellungen des Geſichts verbunden; die Jdee von dem Geſchmack der Citrone mit der Vorſtellung von ihrer Figur und Farbe; die Vorſtellung von dem Ge - ruch der Roſe mit der mehr klaren Vorſtellung von ihr, die das Anſchauen giebet. Nun iſt der erſte natuͤrliche Vorzug an leichterer Reproducibilitaͤt, den die Geſichts - empfindung hat, die Veranlaſſung, daß wir am meiſten auf die letztern die Aufmerkſamkeit verwenden, und da - durch jenen erſten Vorzug noch groͤßer machen. Wir legen naͤmlich die uͤbrigen Vorſtellungen gleichſam um die Geſichtsvorſtellung herum, und machen aus allen zuſammen ein Ganzes, wobey die Geſichtsvorſtellung die Grundlage oder das Mittel ausmacht. Und wenn nun dieſes Ganze eingebildet werden ſoll; ſo uͤberheben wir uns oͤfters der Muͤhe, die dunklen Vorſtellungen der uͤbrigen Sinne ſelbſt wieder hervorzubringen. Die letz - tern laſſen eine groͤßere Menge von kleinen Modifikatio - nen in ſich, und erfodern eine groͤßere Selbſtthaͤtigkeit bey der Reproduktion, weswegen wir es dabey bewen - den laſſen, wenn nur die begleitende Geſichtsvorſtellun - gen in uns erneuret werden, und hoͤchſtens die erſten kenn -baren44I. Verſuch. Ueber die Naturbaren Anfaͤnge von den uͤbrigen zuruͤckkommen. Es iſt genug, an die Figur der Roſe und an ihre Farbe zu gedenken, um uns zugleich zu erinnern, daß ihr Geruch von dem Geruch einer andern gegenwaͤrtigen Blume un - terſchieden ſey, weil mit der reproducirten Geſtalt auch ein merkbarer Anſatz verbunden iſt, die aſſociirte Em - pfindung des Geruchs wieder zu erwecken. Bis auf die - ſen Anfang oder Anſatz zur Wiederkehr des ehemaligen Zuſtandes laſſen wir es kommen. So bald aber dieſer bis dahin bemerkbar wird, als es unſre Abſicht erfordert; ſo bemuͤhen wir uns nicht, die Einbildung noch lebhaf - ter zu machen.

Bey Menſchen mit allen fuͤnf Sinnen haben die Geſichtsvorſtellungen dieſen beſchriebenen Vorzug; aber die Rangordnung der uͤbrigen, ſo ferne ſie von der Ein - richtung der Natur abhaͤngt, iſt ſchwerer zu beſtimmen. Es iſt bekannt, wie ſehr einige Blinde an die Reproduk - tion der Gefuͤhlsempfindungen ſich gewoͤhnt haben, und wie fertig ſie darinn geworden ſind. Der Sehende wird es nicht, weil er nicht genoͤthiget iſt, ſo vielen Fleiß dar - auf zu verwenden. Aber ſo weit als die leichtere oder ſchwerere Reproducibilitaͤt von der Gewohnheit abhaͤn - get, ſo weit iſt ſolche auch veraͤnderlich und nicht bey al - len Menſchen von der nemlichen Groͤße. Der Tonkuͤnſt - ler faßt und behaͤlt es leichter, feiner und vollſtaͤndiger, wie der Canarienvogel ſinget, als der Maler, der ſei - ne Farbe und Geſtalt genauer und deutlicher bemerket. Ein Koch und ein Kellermeiſter und der Mann mit ei - nem delicaten Gaum haben wahrſcheinlicher Weiſe leb - haftere und voͤlligere Wiedervorſtellungen von den Em - pfindungen des Geſchmacks, als andre Menſchen, die nach dem Genuß der Speiſe es bald zu vergeſſen pflegen, wie ſie geſchmecket haben.

VII. 45der Vorſtellungen.

VII. Die Vorſtellungen des innern Sinnes haben daſ - ſelbige Unterſcheidungsmerkmal der Vorſtel - lungen. Beweis davon aus Beobachtungen.

Bey den Vorſtellungen, die wir von uns ſelbſt, von unſern innern Veraͤnderungen, von unſern Thaͤ - tigkeiten und Vermoͤgen haben, uͤberhaupt bey ſolchen, die zu den Vorſtellungen des innern Sinnes gehoͤ - ren, treffen wir eine groͤßere Dunkelheit an. Sollten auch dieſe Vorſtellungen wohl Vorſtellungen in dem nemlichen Verſtande heiſſen koͤnnen, wie die Vorſtel - lungen von aͤußern Gegenſtaͤnden? Wolf nahm das Wort Vorſtellung in einer ſo weiten Bedeutung, daß er freygebig mit dieſer Benennung ſeyn konnte, und dennoch hat er in ſeiner groͤſſern Pſychologie, da wo von den Vorſtellungen des innern Sinnes die Rede iſt, ſich dieſer Benennung ſelten, oder gar nicht bedienet. Er ſaget nicht: wir haben Vorſtellungen von dem, was in uns vorgehet, von unſern Denkarten, Gemuͤthszuſtaͤn - den und Thaͤtigkeiten, ſondern er bedient ſich der Aus - druͤcke, wir empfinden dergleichen in uns, wir ſind uns deſſen bewußt. Und doch nannte er die Empfindungen des aͤußern Sinnes, und ihre Einbildun - gen ſinnliche Vorſtellungen von Gegenſtaͤnden au - ßer uns. War dieß etwann eine Wirkung ſeines Ge - fuͤhls, daß der Name Vorſtellung jenen nicht in derſel - bigen Bedeutung zukomme, als dieſen? denn deutlich hat er, ſo viel ich weiß, ſich daruͤber nicht erklaͤret. Wie ferne haben wir denn auch Vorſtellungen von jenen?

Zuvoͤrderſt iſt hier nur von der erſten Eigenſchaft der Vorſtellungen die Rede, daß ſie ſich auf vorherge - gangene Modifikationen beziehen, wovon ſie als ihre Abdruͤcke in uns zuruͤckgelaſſen ſind, und durch die Kraft der Seele wieder hervorgezogen werden koͤnnen, ohnedaß46I. Verſuch. Ueber die Naturdaß dieſelbige Urſache, die ſie das erſtemal bewirkte, wiederum gegenwaͤrtig ſey. Was iſt hier die erſte Em - pfindung? Was iſt die Nachempfindung? Giebt es dergleichen? Und wie verhaͤlt ſich die wiedererweckte Empfindungsvorſtellung, oder das Phantasma gegen jene? Einige Beobachtungen, die deutlich genug ſind, werden uns zum Leitfaden an ſolchen Stellen dienen, wo es dunkel iſt. Kann man nicht in das Jnnere einer Sache hineinkommen, ſo laͤſſet ſich doch wohl von außen in ſie etwas hineinſehen. Jch will einige ſolcher Be - merkungen voranſchicken, und dann verſuchen, wie weit die Parallele zwiſchen unſern Vorſtellungen aus dem in - nern Gefuͤhle, und zwiſchen den aͤußerlichen ſinnli - chen Vorſtellungen gezogen werden koͤnne.

1) Es iſt beobachtet worden, und es laͤſſet ſich un - mittelbar und deutlich genug beobachten, daß man in eben demſelbigen Augenblick, in dem wir uns einer Sa - che bewußt ſind, in dem wir uͤber ſie reflektiren, und unſere Denkungsthaͤtigkeit auf ſie anwenden, nicht daran gedenke, daß man denke. Man iſt ſich nicht bewußt, daß man ſich einer Sache bewußt ſey; jenes nemlich nicht in demſelbigen Augenblick, worinn man dieſes iſt. Ueber unſere eigene Reflexion reflektiren wir nicht in dem - ſelbigen Augenblick, in dem wir mit ihr bey einem Ge - genſtand beſchaͤftiget ſind. *)Man ſehe des Hrn. Merians Abhandlung daruͤber, in den Schriften der Berliniſchen Akademie der Wiſ - ſenſchaften. 1762.Die Urſache davon faͤllt uns gleich auf. Wenn die Denkkraft der Seele mit dem Bewußtſeyn, mit dem Unterſcheiden, mit dem Ue - berlegen der Jdee, die ſie vor ſich hat, beſchaͤftiget iſt; ſo iſt ſie ſchon als eine Denkkraft thaͤtig, und wirket auf eine vorzuͤgliche Art nach einer beſtimmten Richtung hin. Sollte ſie nun in demſelben Augenblick auch uͤber dieſeihre47der Vorſtellungen. ihre Thaͤtigkeit reflektiren, ſo muͤßte ſie die nemliche Arbeit zugleich auf dieſe Thaͤtigkeit verwenden. Kann ſie aber ihr Vermoͤgen des Bewußtſeyns zerſpalten, und mit Einem Theil deſſelben bey der Jdee von der Sache, und mit dem andern zugleich bey der Anwendung, die ſie von dem Vermoͤgen machet, wirkſam ſeyn? Sie muͤßte alsdenn noch mehr thun, als auf zwey Sachen auf einmal aufmerken. Dieß letztere laͤßt ſich noch wohl auf eine gewiſſe Weiſe thun, aber wenn ſie ihre Auf - merkſamkeit und ihr Gewahrnehmungsvermoͤgen auf ei - ne Jdee verwendet, wie will ſie ſolche denn zugleich auf ihre eigene Aufmerkſamkeit und auf ihr eigenes Gewahr - nehmen verwenden? Jndem wir denken, und dieß zei - get ſich am deutlichſten, wenn wir mit Anſtrengung und mit einem gluͤcklichen Fortgange denken, wiſſen wir nichts davon, daß wir denken. Sobald wir auf das Denken ſelbſt zuruͤckſehen, ſo iſt der Gedanke entwiſchet, wie das gegenwaͤrtige Zeitmoment, das ſchon vergan - gen iſt, wenn man es ergreifen will.

Eben ſo verhaͤlt es ſich bey allen uͤbrigen ſelbſtthaͤ - tigen Aeußerungen unſerer Denkkraft: eben ſo bey dem Urtheilen, bey dem Folgern und Schluͤſſen. Der Zeit - punkt der Handlung ſchließet die Reflexion uͤber dieſelbi - ge Handlung aus. Dieſe letztere folget erſt auf jene. Hr. Merian hat hierauf ſeine Kritik uͤber des Des - cartes Grundſatz: ich denke gebauet, an deſſen Statt es ſeiner Meinung nach heißen muͤßte: ich habe ge - dacht. Jenes iſt ein Ausdruck des Bewußtſeyns, daß wir von unſerm Denken haben, und ſtellet dieſes als gegenwaͤrtig in uns dar, in dem Augenblick, da wir uns deſſen bewußt ſind. Aber ſo iſt es nicht, ſaget Hr. Merian, es iſt ſchon vergangen, wenn wir darnach umſehen, und es beobachten. Aber ob ich gleich gegen die Erfahrung nichts einwende, aus welcher dieſe Folge gezogen wird, ſo deucht mich doch, eine ſolche Erinne -rung48I. Verſuch. Ueber die Naturrung gegen Descartes ſey mehr eine Spitzfindigkeit, als eine ſcharfſinnige Kritik. Jch kann auch in der gegen - waͤrtigen Zeit ſagen: ich denke; denn dieß ſoll nur den Aktus des gegenwaͤrtigen Denkens ausdruͤcken; nicht aber ſo viel heißen, als: ich denke, daß ich denke, oder: ich weiß, daß ich denke.

2) Jede Aktion der Denkkraft hat ſogleich ihre unmittelbare Wirkung in der Vorſtellung der Sache, mit der ſie verbunden worden iſt, und praͤget ſich ſogleich in ihr ab. Die Vorſtellung, die ge - wahrgenommen worden iſt, ſtehet abgeſondert, heraus - gehoben, mit mehrerer und mit vorzuͤglicher Helligkeit vor uns. Haben wir eine Ueberlegung, ein Nachden - ken, eine Demonſtration geendiget; ſo giebt es Wirkun - gen von dieſen Arbeiten in den Jdeen. Hier ſind ſie tiefer eingedruckt, lebhafter, ſchaͤrfer abgeſondert, mehr entwickelt, dort ſind neue Jdeen bemerkbar geworden; die Ordnung, ihre Lage und Verbindung hat ſich geaͤn - dert. So etwas, als man nach einem anhaltenden Nachdenken in ſich gewahr wird, laͤſſet ſich, obgleich in einer geringern Maße, nach jedweder einzelnen einfachen Denkungsthaͤtigkeit gewahrnehmen. Das anhaltende Betrachten iſt nichts, als eine, und in der That eine un - terbrochene, Reihe einzelner kleinerer Denkthaͤtigkeiten, deren jede ihre eigene bleibende, und nachbeſtehende Fol - gen in uns hat.

Jn dem Augenblick, da wir gewahrnehmen, wer - den wir es nicht gewahr, daß wir gewahrnehmen; aber in dem unmittelbar darauf folgenden Augenblick kann dieß geſchehen. Die Folge der erſten Thaͤtigkeit beſtehet in uns von ſelbſt, wenigſtens ohne eine in eins fortge - hende Anwendung unſerer Denkkraft. Da iſt alſo der Zeitpunkt fuͤr die Empfindung und fuͤr die Reflexion uͤber die vorhergegangene Arbeit. Dieſe naͤchſten Wir - kungen der Aktion ſind mit der Aktion ſelbſt in einer ſounmit -49der Vorſtellungen. unmittelbaren Verbindung, daß ſo wie die Aktion die Wirkung zuerſt hervorgebracht hat, ſo kann auch die letz - tere wiederum ihre Aktion wieder erregen. Jndem wir alſo die Folge des vorhergegangenen Denkens in uns ge - wahrwerden, ſo ſehen wir unſer Denken gleichſam von hinten, wir halten es vor uns durch ſeine gegenwaͤrtig in uns beſtehende Wirkung, und ſuchen es wieder zuruͤck - zubringen und zu erneuern.

3) Jn den Vorſtellungen entſtehet keine Veraͤnde - rung, die nicht mit einer gewiſſen dazu gehoͤrigen Mo - difikation des Gehirns verbunden iſt, ſo wie auch umgekehrt eine jede Modifikation in dem Organ, als dem Sitz der materiellen Jdeen, mit einer Art von Ruͤckwirkung auf die Seele verbunden iſt, wodurch in dieſer eine Empfindung oder ein Gefuͤhl verurſachet wird. Jch gebrauche hier dieſen Satz nicht ſowohl zu einem Beweis, als zur Erlaͤuterung, und wer das Gehirn und die Seele noch als ein Einziges Weſen betrachtet, der darf nur die Redensarten abaͤndern, ſo bleibet alles be - ſtehen, was hier behauptet wird. Wenn alſo von ei - nem auswaͤrts gerichteten Beſtreben der Denkkraft eine Veraͤnderung in den Vorſtellungen verurſachet wird, ſo iſt hiemit eine Veraͤnderung in den Organen verbunden, die wiederum von der Seele empfunden werden kann. So iſt es begreiflich, wie eine Empfindung der Aktion auf die Jdeen in der Seele ſelbſt auf die nemliche Art entſtehen koͤnne, wie von einem Eindruck auf das Or - gan, den ein aͤußeres Objekt hervorbringet, eine Em - pfindung verurſachet wird. Dieß wuͤrde das Gefuͤhl des Denkens ſeyn, das Gefuͤhl nemlich von der Wir - kung, die aus der unmittelbar vorhergegangenen Thaͤ - tigkeit entſtanden iſt. Die Augenblicke des thaͤtigen Denkens und des Gefuͤhls dieſer Thaͤtigkeit ſind verſchie - den, oder laſſen ſich ſo anſehen. Dieſe Empfindung des Denkens kann nun auch ihre NachempfindungI. Band. Dhaben,50I. Verſuch. Ueber die Naturhaben, und hat ſie, und mit dieſer Nachempfin - dung kann das Gewahrnehmen und die Reflexion ver - bunden werden.

Alſo haben wir Empfindungsvorſtellungen von den einzelnen Thaͤtigkeiten unſers Denkens, in eben dem Verſtande, wie wir ſolche von den koͤrperlichen Gegenſtaͤnden haben, die auf unſere aͤußere Sinnglie - der wirken. Hier befindet ſich das ſelbſtthaͤtige Prin - cip des Denkens, von dem die Seele modificiret wird, in der Seele ſelbſt; bey den aͤußern Empfindungen kommt die Modifikation von einer aͤußern Urſache. Jn beiden Faͤllen aber wird die neue Veraͤnderung aufgenommen, gefuͤhlet und empfunden; in beiden beſtehet ſie, und dauert einen Augenblick in uns fort, und muß wenig - ſtens alsdenn fortdauren, wenn ſie bemerkbar ſeyn ſoll. Dieß macht eine Nachempfindung, oder die erſte Empfindungsvorſtellung aus. Jn dieſem Stande kann ſie gewahrgenommen, mit Bewußtſeyn empfunden, mit andern verglichen und von andern unterſchieden werden.

Wird die Empfindungsvorſtellung in der Folge von der Einbildungskraft reproduciret, ſo finden wir, daß jene erſte Nachempfindung, obgleich auf eine unvoll - kommene und ſchwache Art, wieder erneuret wird, und daß zugleich ein Anfang oder ein Anſatz, die vorige Denkthaͤtigkeit zu erneuern, damit verbunden ſey. Laßt uns eine Reihe von Reflexionen und Schluͤſſen, die wir angeſtellet haben, ins Gedaͤchtniß zuruͤck rufen; ſie nicht von neuen wiederholen, ſondern wie ſchon angeſtellte und vergangene Raiſonnements uns vorſtellen; und wir wer - den bemerken, daß mit den Jdeen und deren Stellung allenthalben Anfaͤnge der ehemaligen Thaͤtigkeiten und Regungen ſie zu wiederholen verbunden ſind; welche man eben ſo fuͤglich ſchwache Nachahmungen jener erſten Re - flexionen nennen kann, wie uͤberhaupt die Einbildungen wiederzuruͤckkehrende geſchwaͤchte Empfindungen ſind.

4) Darf51der Vorſtellungen.

4) Darf man wohl Bedenken tragen, anzunehmen, daſſelbige was die vorige Zergliederung bey einer Art von Thaͤtigkeiten gezeiget hat, daſſelbe werde bey den uͤbrigen, die man Aeußerungen des Willens nennet, auf eine aͤhnliche Weiſe Statt finden, und daß auch dieſe letztere empfunden, und nachempfunden werden, und ih - nen entſprechende Spuren in der Seele hinterlaſſen, wie jene?

Es iſt nicht die Analogie allein, worauf man ſich hier berufen kann, ſondern auch die Jnduktion aus un - mittelbaren Erfahrungen beſtaͤtiget es. Zwar iſt es nicht moͤglich, in allen einzelnen Faͤllen ſolches offenbar vorzulegen. Bey dem groͤßten Theile unſerer Kraft - aͤußerungen iſt das, was dabey vorkommt, ſo ſtark in einander gewickelt, und die verſchiedenen Abſaͤtze in ih - rem Entſtehen ſind ſo undeutlich und verworren, daß man jeden fuͤr ſich allein nicht gut bemerken kann. Aber dieß wird auch zur Ueberzeugung nicht erfodert werden. Wenn es aus Erfahrungen dargethan wird, daß es ſich ſo, wie es angegeben worden iſt, in allen Faͤllen ver - halte, worinn man etwas deutlich erkennen kann; wenn nur kein einziger Fall angetroffen wird, aus dem ſich voͤllig erweiſen laͤßt, daß es Ausnahmen gebe; und wenn alsdenn noch hinzu kommt, daß die ſonſtigen Kenntniſſe von den nicht beobachteten und nicht vergli - chenen einzelnen Faͤllen ihre analogiſche Natur mit den uͤbrigen beſtaͤtigen, oder ihr wenigſtens nicht entgegen ſind; wenn alle dieſe Umſtaͤnde, ſage ich, beyſammen ſind, ſo iſt man voͤllig berechtiget, beſondere Erfahrungs - ſaͤtze, die aus einigen Beobachtungen gezogen worden, nach der Analogie auf andere aͤhnliche auszudehnen. Es iſt freylich bey einer ſolchen Verallgemeinerung der Be - obachtungsſaͤtze Behutſamkeit erforderlich, und beſonders alsdann, wenn es an einer oder mehrern der vorgedach - ten Bedingungen noch fehlet. Die Analogie hat in derD 2Koͤrper -52I. Verſuch. Ueber die NaturKoͤrperwelt uns oftmals mißgeleitet. Aber dadurch wird ihr guter Gebrauch nicht aufgehoben, und wenn alle Bedingungen vorhanden ſind, welche ich hier er - waͤhnet habe, ſo koͤnnen die analogiſchen Schluͤſſe eine ſolche Wahrſcheinlichkeit erlangen, welche Gewißheit ge - nennet zu werden verdienet.

Alle Arten von Beſtrebungen und Handlungen, die wir von der Seele kennen, haben wir gefuͤhlet und em - pfunden. Alle, ſo viele wir kennen, haben in uns eine gewiſſe Veraͤnderung hervorgebracht. Dieß war ihre Wirkung in uns, aus der wir ſie erkannten; dieſe Wir - kung war etwas, das eine Weile in uns fortdauerte, und gewahrgenommen wurde. Dieß gab die erſte ur - ſpruͤngliche Empfindungsvorſtellung von ihnen. Es blieb eine Spur davon in uns zuruͤck, die durch die Kraft unſerer Seele wieder hervorgezogen wird, wenn wir uns ihrer, als einer vergangenen Handlung erinnern. Dieß alles iſt außer Zweifel bey denen, welche wir genauer unterſuchen koͤnnen.

Die Reproducibilitaͤt iſt bey den Empfindungsvor - ſtellungen der aͤußern Sinne nicht gleich, und etwas kann die Gewohnheit, auf einige vor andern mehr auf - merkſam zu ſeyn, daran aͤndern, wie oben erinnert wor - den iſt. Kein Wunder alſo, wenn ſie auch nicht bey allen Empfindungen des innern Sinnes von gleicher Groͤße iſt. Auch hier wirket die Gewohnheit. Jn dem Kopf des Mannes, der viel denket, und noch mehr, wenn er zugleich ſein Denken fleißig beobachtet, muͤſſen auch die Spuren, die ſeine Denkungsthaͤtigkeiten hin - terlaſſen, ein groͤßeres Licht haben, und leichter wieder erweckbar ſeyn, als bey andern. Daſſelbige findet bey den uͤbrigen Empfindungsvorſtellungen des in - nern Sinnes ſtatt, von welchen nun noch etwas zu ſagen iſt; ich meine die Vorſtellungen, die wir von un -ſern53der Vorſtellungen. ſern eigenen Gemuͤthszuſtaͤnden, und uͤberhaupt von allen paſſiven Seelenveraͤnderungen haben.

5) Es iſt Erfahrung, daß wir die Gemuͤthszuſtaͤn - de und Affekten, die Zufriedenheit, das Vergnuͤgen, die Begierde, den Unmuth, die Abneigung, den Zorn, die Liebe und dergleichen, alsdenn, wenn ſie in uns vorhanden ſind, in ihrer Gegenwart gewahrnehmen koͤnnen, zum wenigſten ſie etwas leichter gewahrnehmen koͤnnen, als es bey den Denkthaͤtigkeiten angehet, die ſich dem Be - wußtſeyn in demſelbigen Augenblicke entziehen, wenn es ſie faſſen will. Wir fuͤhlen z. B. daß wir zornig ſind, indem wir es ſind. Dieſe Zuſtaͤnde der Seele beſtehen, wenn ſie einmal hervorgebracht ſind, eine Weile in der Seele ohne ihr ſelbſtthaͤtiges Zuthun, wie die Wallungen im Waſſer, welche noch fortdauern, wenn ſich der Wind ſchon geleget hat. Alsdenn hat die Ue - berlegungskraft Zeit, ſich mit den Nachwallungen des Herzens zu beſchaͤftigen. Die leidenden Gemuͤthszu - ſtaͤnde ſtehen alſo in einer andern Beziehung auf das Bewußtſeyn, als die Selbſtthaͤtigkeiten. Die letztern ſind nicht ſowohl ſelbſt unmittelbare Gegenſtaͤnde des Ge - fuͤhls, als vielmehr in ihren naͤchſten Folgen und Wir - kungen, die etwas paſſives in der Seele ſind. Jene hingegen werden unmittelbar gefuͤhlet.

Was wir Begierden und Affekten nennen, ſollte von den Gemuͤthszuſtaͤnden, vom Vergnuͤgen und Verdruß, und von dem, was der | Seele, in ſo ferne ſie empfindſam iſt, zukommt, unterſchieden werden. Die Begierden und Affekten enthalten thaͤtige Beſtrebungen, wirkſame Triebe, Aktiones, und alſo Aeußerungen der thaͤtigen Kraft der Seele, wozu dieſe durch Empfind - niſſe gereizet wird. So wuͤrde auch die lebhafte Freude, ſelbſt das Entzuͤcken kein Affekt ſeyn. Jndeſſen ſind die Thaͤtigkeiten und die leidendlichen Gemuͤthszuſtaͤnde genau mit einander verbunden. Aus beiden wird einD 3Ganzes,54I. Verſuch. Ueber die NaturGanzes, welches, je nachdem das eine oder das andere von ihnen das meiſte davon ausmachet, zu den Willens - aͤußerungen oder zu den Gemuͤthszuſtaͤnden gerechnet wird.

Solche leidendliche Seelenveraͤnderungen werden durch Empfindungen und Vorſtellungen hervorgebracht oder veranlaſſet. Aber ſie ſind dieſe Vorſtellungen und Empfindungen ſelbſt nicht, ſondern eine beſondere Art von innern Veraͤnderungen der Seele. Dieſelbige Vor - ſtellung iſt zu einer Zeit angenehm, zu einer andern gleichguͤltig, und noch zu einer andern widrig. Der Anblick und der Geruch der Speiſe bringet dem Hung - rigen Begierde bey, und verurſachet bey dem Ueberſat - ten Ekel.

Es iſt nicht ſchwer, es gewahr zu werden, daß auch bey dieſen paſſiven Seelenveraͤnderungen die Em - pfindung und die Nachempfindung unterſchieden ſey, und daß der Augenblick, in welchem wir ſie in uns gewahrnehmen, nicht der Zeitpunkt der erſten Empfin - dung, ſondern der Nachempfindung, oder der Em - pfindungsvorſtellung ſey, in welchem das, was gegen - waͤrtig iſt, ſich auf eine vorhergegangene Modifikation beziehet. Was jetzo in mir gegenwaͤrtig iſt, in dem Moment, da ich in mich zuruͤck ſehe, und eine ſtille Heiterkeit des Geiſtes gewahrnehme, iſt nicht mehr die erſte Empfindung dieſes Zuſtandes; es iſt ſchon eine Fortſetzung, oder die Wiederkehr eines andern vorher - gegangenen, der in dem gegenwaͤrtigen, als in ſeiner Abbildung fortdauert, und auf dieſen letztern eben eine ſolche Beziehung hat, als die Nachempfindung von ei - nem gegenwaͤrtigen ſichtbaren Objekte zu der erſten Em - pfindung deſſelben. Die erſte Empfindung iſt ſchon ver - gangen, wenn man uͤber ſie reflektiret. Jn den lebhaf - ten Gemuͤthsbewegungen und Affekten iſt dieſer Unter - ſchied am deutlichſten. Begreiſt die Seele ſich ſo weit,daß55der Vorſtellungen. daß ſie zu dem Gedanken kommt: Siehe, wie vergnuͤgt biſt du, wie traurig, wie zornig u. ſ. w. ſo hat die Be - wegung ſchon angefangen nachzulaſſen, der Sturm bricht ſich, und wir fuͤhlen es in dieſem Augenblick, daß er ſchon etwas geſchwaͤchet ſey, wenn er auch bald darauf von neuem mit groͤßerer Staͤrke hervordringet und die Seele uͤberwaͤltiget. Das Bewußtſeyn verbindet ſich nicht mit der erſten Aufwallung des Gemuͤths; es iſt offenbar nur eine Nachwallung von jener, welche wir in uns gewahrnehmen.

Und nicht anders verhaͤlt es ſich in den ſchwaͤchern Empfindniſſen. Sie beſtehen eine Weile, und dann koͤnnen wir ſie gewahrnehmen, nicht in ihrem An - fang, ſondern in ihrer Mitte; dagegen andere Veraͤn - derungen, die keine Dauer in uns haben, die durch das Herz fahren, wie der Blitz durch die Luft, und in dem Augenblick vergehen, in welchem ſie entſtanden ſind, auch niemals beobachtet werden koͤnnen. Wir fuͤhlen ſie, indem ſie hindurch fahren, und aus ihren Spuren erkennen wir, daß ſie da geweſen ſind, aber die betrof - fene Seele kann in dem Augenblick ihrer Gegenwart nicht zur Beſinnung kommen, noch ſich ihrer bewußt werden, und noch weniger kann ſie mit dem Bewußt - ſeyn bey ihnen ſich verweilen und ihre Verhaͤltniſſe auf - ſuchen.

6) Laſſet uns nun ſolche vorhergehabte Empfind - niſſe als abweſende mit der Einbildungskraft uns wieder vorſtellen. Wir finden ſogleich, daß dieſe Wie - dervorſtellungen zu jenen erſten Empfindungsvorſtellun - gen ein aͤhnliches Verhaͤltniß haben, wie die Einbildun - gen von Koͤrpern auf ihre Empfindungen. So wie wir durch jedes Phantasma in den erſten Zuſtand der Em - pfindung bis auf einen gewiſſen Grad zuruͤckverſetzet wer - den; ſo geſchieht es auch hier. Wir koͤnnen niemals ei - ne Vorſtellung davon haben, welch ein Vergnuͤgen wirD 4an56I. Verſuch. Ueber die Naturan einem Orte oder in dem Umgang einer Perſon ge - noſſen haben, ohne von neuem eine Anwandelung von Vergnuͤgen in uns zu empfinden. Wir erinnern uns niemals eines vergangenen Verdruſſes, ohne ihn von neuem in uns aufkeimen zu ſehen. Und je lebhafter, je ſtaͤrker, je anſchauender die Wiedervorſtellung eines ehe - maligen Zuſtandes jetzo iſt, deſto mehr naͤhert ſich das Gegenwaͤrtige dem Vergangenen, und der gegenwaͤrti - ge wiederhervorgezogene Abdruck ſeinem erſten Origi - nal. *)Die Einwuͤrfe, die Hr. Beattie gegen dieſen wahren Satz in dem humiſchen Skepticismus vorbringet, doͤr - fen uns nicht irre machen. Sie beruhen, wie ſo vieles andere bey dieſem Verfaſſer, auf Mißverſtand. Die Vorſtellung des Eſſens macht den Hungrigen nicht ſatt, und die Einbildung von der Hize erwaͤrmet den nicht, der vor Kaͤlte erſtarret. Nein, dieſe Jdeen koͤnnen das Bedoͤrfniß noch empfindlicher machen und die Begier - den zur Abhelfung deſſelben vergroͤßern. Und dennoch wird der Hungrige ſich ſchwerlich recht lebhaft vorſtel - len, wie ihm zu Muthe ſey, wenn er ſich ſaͤttiget, oh - ne daß ihm der Speichel in den Mund treten, und der Erkaͤltete wird ſchwerlich recht lebhaft ſich die Erwaͤr - mung einbilden koͤnnen, ohne daß in ſeinen geſpann - ten Fibern ein Anſatz zu der ſanften Erſchlaffung entſtehe, welche die Waͤrme bey der Empfindung in ihnen be - wirket.

So wie jeder Gemuͤthszuſtand ſeine Urſachen in Em - pfindungen und Vorſtellungen der Seele hat, die vor ihm vorhergehen, ſo hat auch jedweder Zuſtand ſeine Wirkungen und Folgen in und außer uns; er hat ih - rer in den Vorſtellungen und Gedanken, in den Trieben und Handlungen, und in dem Koͤrper; unmerkbare und bemerkbare, mittelbare und unmittelbare. Und ein großer Theil von dieſen Folgen wird als beſondere von neuem hinzukommende Veraͤnderungen der Seele em -pfunden57der Vorſtellungen. pfunden und gewahrgenommen. Solche vorhergehende und nachfolgende Modifikationen reihen ſich an die Em - pfindniſſe in unterſchiedenen Richtungen an, und werden ſo viele aſſociirte Vorſtellungen, bey deren Wieder - erweckung auch die Empfindniſſe ſelbſt wiedererwecket werden koͤnnen. Aber dennoch iſt die Einbildung oder Wiedervorſtellung der ehemaligen Gemuͤthsverfaſſung von den Einbildungen der uͤbrigen vorhergegangenen, der jene umgebenden und auf ſie folgenden Empfindun - gen, eben ſo unterſchieden, als ſie ſelbſt in der Empfin - dung es war. Ein Menſch, deſſen Herz noch nie die Vaterliebe empfunden hat, kann ſich ſolche eben ſo we - nig wieder vorſtellen, als ein Blindgebohrner die Farbe. Nur weil in ſeinen uͤbrigen Empfindniſſen mehrere von den Jngredienzien dieſer beſondern Neigung enthalten ſind, als der Blinde zur Vorſtellung von der Farbe in ſich hat, ſo kann die ſelbſtthaͤtige Dichtungskraft eine Vor - ſtellung machen, die der Vorſtellung von der Vaterliebe wenigſtens nahe kommt, oder auch faſt ganz dieſel - bige iſt.

VIII. Dunkelheiten bey den Vorſtellungen aus dem in - nern Sinn. Ob die Empfindungen des in - nern Sinns eigene bleibende Spuren hinterlaſ - ſen, die ſich eben ſo auf jene Empfindungen be - ziehen, wie die Vorſtellungen aus dem aͤußern Sinn auf ihre Empfindungen? Einwurf da - gegen aus der Jdeen Aſſociation und Beant - wortung deſſelben.

Bey dem letzterwaͤhnten Umſtand, nemlich bey der Wiedererweckung der innern Empfindungen ſto - ßen wir auf eine Schwierigkeit, wenn wir ſie genauer an - ſehen. Am Ende mag es gar unentſchieden bleiben, obD 5das,58I. Verſuch. Ueber die Naturdas, was wir Vorſtellungen hier nennen, dieſen Na - men fuͤhren koͤnne? Eine zum zweytenmal wiederholte Empfindung iſt keine Vorſtellung der erſtern Em - pfindung, wenn ſie jedesmal durch dieſelbige Urſa - che und durch denſelbigen Eindruck hervorgebracht wird. Die zwote Empfindung kann ſehr viel ſchwaͤcher, als die erſte iſt, und ihr dennoch ſonſten aͤhnlich ſeyn, wie ein Ton, den ich zum zweytenmal in einer groͤßern Ferne ſehr ſchwach vernehme; kann deswegen die letztere wie - derholte Empfindung eine Vorſtellung von der erſten genennet werden? Auf den Namen kommt es nicht an, aber darauf, ob der Sache die Beſchaffenheit wirklich zukommt, die man ihr beyleget, wenn man ſie ſo benen - net. Die Seelenveraͤnderungen, die Thaͤtigkeiten, die Leiden werden empfunden, dieſe fuͤr ſich, jene in ihren Wirkungen, die ſie hervorbringen. Es entſtehen gewiſ - ſe bleibende Zuſtaͤnde, die man gewahrnimmt; dieß ſind Nachempfindungen. Und dann hinterlaſſen ſie Spuren in der Seele. Dieß iſt es nicht alles, was bey den Vorſtellungen aus den aͤußern Sinnen gefunden wird. Die Nachempfindungen wuͤrden keine Vorſtellungen ſeyn, wenn ſie nicht durch die Eigenmacht der Seele wie - der erwecket werden koͤnnten, ohne daß dieſelbige Urſa - che wiederum wirke, welche ſie das erſtemal hervorbrach - te. Die Nachſchwingungen einer elaſtiſchen Saite, die man angeſchlagen hat, ſind keine Vorſtellungen. Auch iſt nicht eine jede Dispoſition, eine ehemals erlittene Ver - aͤnderung von der nemlichen Urſache nun leichter aufzu - nehmen, eine Vorſtellung. Die elaſtiſchen Saiten erlangen eine gewiſſe Geſchwindigkeit durch den Gebrauch, wodurch ſie geſchickt werden, leichter ihre tonartige Be - wegungen anzunehmen, welche ſie vorhero ſchwerer ſich beybringen ließen. Sie verlieren ihre anfaͤngliche Rei - figkeit, und ein aͤußeres Hinderniß der Schwungsbewe - gung wird gehoben. Aber demohnerachtet iſt keine naͤ -here59der Vorſtellungen. here Dispoſition, kein groͤßerer Grad von ſelbſt - thaͤtigem Beſtreben, aus einem innern Princip den ehe - maligen Zuſtand zu erneuern, in der Elaſticitaͤt der Sai - ten vorhanden. So eine aus der erſten Veraͤnderung aufbehaltene Dispoſition oder Leichtigkeit in der innern Kraft muß es aber ſeyn, wenn ſie eine Vorſtellung von der vorhergegangenen Veraͤnderung heißen ſoll, in dem Verſtande nemlich, worinn unſere Vorſtellungen von den Koͤrpern, die wir durch das Geſicht und die uͤbri - gen aͤußern Sinne erlangen, ſo genennet werden.

Hier kommen wir auf eine Unterſuchung, die mit ihren Folgen tief in die Natur der Seele hineingehet. Die Empfindungen des innern Sinnes ſind beſon - dere Modifikationen der Seele; unterſchieden ſowohl von den aͤußern Empfindungen, als von den Vorſtellungen, wodurch ſie ſelbſt verurſachet werden. Sind nun die Spuren, welche von ihnen zuruͤckbleiben, die Leichtig - keiten in der Empfindſamkeit und in der thaͤtigen Kraft, gleichfalls beſondere Dispoſitionen in der Seele, welche von den Dispoſitionen, aͤußere Empfin - dungen und andere Vorſtellungen zu reproduciren, un - terſchieden ſind? dieß iſt der Mittelpunkt der Unterſu - chung. Wenn ein ehemaliger Gemuͤthszuſtand, oder eine ehemalige Aktion als eine abweſende und vergange - ne Sache, wieder vorgeſtellet wird, wie ein geſehenes Objekt in der Einbildung, iſt denn der Uebergang von der Dispoſition zur wirklichen Wiedervorſtellung des ehe - maligen Zuſtandes eine Wirkung, welche jene Dispo - ſition in dem Jnnern vorausſetzet, und erfodert, und oh - ne ſie nicht entſtanden ſeyn wuͤrde? Oder iſt hier die Ein - bildung blos eine nochmalige ſchwache Empfindung, welche eine aͤhnliche Urſache hat, wie die erſte Empfin - dung gehabt hat?

Das Bild von dem Monde, das ich in Abweſen - heit des Gegenſtandes in mir habe, wird durch eine inn -re60I. Verſuch. Ueber die Naturre Urſache in der Seele wiedererwecket, bey der Gele - genheit, da eine andere damit verbundene Jdee vorhan - den iſt. Jenes iſt aber keine wiederkommende Empfin - dung von außen her. Das Bild wird erneuert, weil eine Leichtigkeit, oder eine Dispoſition dazu, aus der vor - hergegangenen Empfindung zuruͤckgeblieben war, welche die Eigenmacht der Seele wieder hervorziehen, entwi - ckeln, und als Abbildung des vorigen Zuſtandes bemerk - bar machen kann.

Wenn das lebhafte Vergnuͤgen und die warme Zu - neigung gegen eine Perſon in mir wiederhervorkommt, da ich ihr Bild vor mir habe, ohne ſie ſelbſt zu ſehen; iſt dieſe wiederkommende Gemuͤthsbewegung, oder die wiederaufſteigende Neigung eine aͤhnliche Wie - dererweckung einer aus der Empfindung zuruͤckgelaſ - ſenen Spur? Kann ſie nicht vielleicht eine neue jetzo her - vorgebrachte Wirkung ſeyn, welche die Vorſtellung des Objekts zur Urſache hat? kann dieſe wiederholte Em - pfindung in Verhaͤltniß mit der Lebhaftigkeit der Ein - bildung, wodurch ſie hervorgebracht wird, nicht ſelbſt lebhaft oder matt ſeyn, ohne Bezug darauf, daß ſie vorhero in uns gegenwaͤrtig geweſen iſt? Wenn ein Ver - gnuͤgen uͤber eine Sache das erſtemal durch das Anſchaun entſtanden iſt, muß nicht auch die Einbildung, als ein heruntergeſetztes Anſchaun, aus einem aͤhnlichen Grun - de die Urſache von einer ſchwachen Gemuͤthsbewegung ſeyn, welche ſich zu dem Vergnuͤgen aus der Empfin - dung auf dieſelbige Art verhaͤlt, wie die Einbildung ſelbſt zu der Empfindung? Und dann iſt es unnoͤthig, eine aufbehaltene Spur des ehemaligen Gemuͤthszuſtan - des anzunehmen.

Die Vorſtellung von einem aͤußern Gegenſtande kann wieder erwecket werden vermittelſt einer andern Vorſtellung, die mit ihr verbunden iſt und von der man es weiß, daß ſie die phyſiſche Urſache von derjenigennicht61der Vorſtellungen. nicht iſt, deren Wiederentwicklung ſie veranlaſſet. Die Jdee von dem Eſel erwecket in mir die Jdee von dem Menſchen, der auf ihm ſaß. Hier iſt jene gewiß nicht mehr als eine Veranlaſſung zu dieſer. So wenig als in der Empfindung eine der aſſociirten Jdeen die andere der Seele einpraͤget, eben ſo wenig kann ſie in der Re - produktion die Urſache von der letztern ſeyn. Es mag ihre Verbindung in der Phantaſie, vermoͤge welcher eine die Wiederhervorziehung der andern veranlaſſet, beſte - hen, worinn ſie wolle, ſo iſt doch die Reproduktion eine Wirkung, welche außerdieß ein dazu beſonders disponir - tes Vermoͤgen in der Seele erfodert. Verhaͤlt es ſich bey den wiedererweckten Vorſtellungen aus innern Em - pfindungen auf dieſelbige Weiſe?

Man kann allerdings viele Wiedervorſtellungen von innern Empfindungen ſo erklaͤren, daß ſie aufhoͤren, wahre Vorſtellungen zu ſeyn. Die innern Empfindun - gen, welche in uns unter gewiſſen Umſtaͤnden entſtehen, haben in der damaligen Verfaſſung der Seele ihre in - nern Urſachen; dagegen eine neue Empfindung des aͤuſ - ſern Sinnes eine beſondere aͤußere Urſache erfodert. Dieſe Verſchiedenheit iſt wichtig. Die innern Modifi - kationen ſind dann, wann ſie zuerſt empfunden werden, Wirkungen, welche aus der Seele ſelbſt, aus ihrer Em - pfindſamkeit durch eine innere Kraftaͤußerung hervorge - bracht werden, nachdem die Vermoͤgen und Kraͤfte durch die Empfindungen aͤußerer Objekte beſtimmt und geformet ſind. So oft wir uns ſolcher ehemaligen in - nern Eimpfindungen wieder erinnern, geht eine wieder - erweckte Vorſtellung des Objekts vor der zuruͤckkehren - den Empfindung vorher, in derſelbigen Ordnung, in der ſie in den erſten Empfindungen auf einander folgten: es ſind jedesmal entweder die nemlichen oder doch aͤhnli - chen Empfindungen, oder auch die nemlichen Einbil - dungen wieder da, wenn das vormalige Vergnuͤgen,der62I. Verſuch. Ueber die Naturder Verdruß, die vorher empfundene Neigung, die Ab - neigung u. ſ. f. wieder erwecket wird. So iſt es oͤfters. Das Vergnuͤgen aus der Muſik, die angenehme Wal - lung in der Seele, die wir in einem Garten empfunden haben, wird nicht in Gedanken erneuert, als wenn die Vorſtellungen von der Muſik und von dem Garten wie - derum gegenwaͤrtig ſind. Laͤſſet ſich nun die Sache nicht ſo erklaͤren, ſo bedarf es keiner beſondern von der Ge - muͤthsbewegung in uns zuruͤckgebliebenen Spur, und kei - ner Dispoſition, ſie leichter wieder anzunehmen. Die Dispoſition, die bewegenden Vorſtellungen von aͤußern Objekten zu reproduciren, iſt genug; denn auf dieſe er - folgen die Anwandlungen zu Veraͤnderungen, welche die Stelle der Einbildungen von innern Empfindungen vertreten. Hr. Search hat in uns beſondere Zufrie - denheitsfibern angenommen, ſo wie es Geſichts - und Gehoͤrsfibern giebt. Jene ſollen die Organe des Ge - muͤths ſeyn, welche modificirt werden, wenn der Ge - muͤthszuſtand, den wir die Zufriedenheit nennen, em - pfunden wird. Die Beobachtung lehrt uns von ſolchen Organen nichts; aber man kann ſich dieſer Erdichtung hier bedienen, um die Jdee von der Sache durch eine bildliche Vorſtellung deutlicher zu machen. Und ich wuͤrde noch zu derſelbigen Abſicht beſondere Aktionsfibern hinzuſetzen, die nur alsdenn ſinnlich beweget werden ſol - len, wenn die ſelbſtthaͤtige Kraft der Seele entweder außer ſich in den Koͤrper wirket, oder ſich ſelbſt und ih - re eigene Vermoͤgen beſtimmet und neue Modifikationen in ſich ſelbſt hervorbringet.

Die Vorſtellungsfibern, ſolche nemlich, die zu den Vorſtellungen aͤußerer Objekte gehoͤren, erhalten aus den Empfindungen gewiſſe Dispoſitionen, leichter die ſinnliche Bewegung von neuem anzunehmen. Ob nun nicht das nemliche bey den Zufriedenheitsfibern und bey den Thaͤtigkeitsfibern ſtatt finde oder ob dieſe immerfortſo63der Vorſtellungen. ſo bleiben, wie ſie ſind, und niemals Bewegungen an - nehmen, als wenn dieſelbige Urſache von neuen auf ſie wirke? Dieß iſt die vorige Frage in einer andern Spra - che vorgetragen.

Jn Hinſicht der Vorſtellungen des aͤußern Sinnes wiſſen wir mit Gewißheit, daß Dispoſitionen aus den Empfindungen zuruͤckgeblieben ſind, und daß die Wie - dervorſtellungen der abweſenden Objekte von dieſen Dis - poſitionen abhangen. Wir koͤnnen uns daruͤber leicht verſichern, daß die vorigen Urſachen zu der Empfin - dung bey der Vorſtellung des Abweſenden nicht vorhanden ſind, und daß auch keine andere da iſt, die ihre Stelle, als wirkende Urſache, vertreten koͤnnte. Die aſſociirte Jdee von dem Thurm, wobey die Jdee von dem Hau - ſe wiedererwecket wird, iſt offenbar keine phyſiſche Urſa - che, welche die letztere Vorſtellung der Seele beyoringen koͤnnte. Die Jdee von dem Hauſe muͤßte alſo in der Phan - taſie fehlen und bey der Abweſenheit des Gegenſtandes unwiederhervorbringbar ſeyn, woferne ſie in der Em - pfindung nicht vorhanden geweſen, und nicht aus dieſer eine naͤhere Anlage dazu entſtanden waͤre. Hievon haͤngt alſo die Entſcheidung in der gedachten Unterſu - chung ab, daß man aus Beobachtungen zeige, ob und wie weit die Gemuͤthszuſtaͤnde und andere innere Em - pfindungen und deren Einbildungen jenen von aͤußern Ge - genſtaͤnden aͤhnlich ſind?

Oftmals bemerket man, daß die vorige Luſt oder Unluſt an einer Sache, ſo wie ſie in der Empfindung der Empfindung der Sache, welche das Objekt der Affek - tion iſt, nachfolget, auch alsdenn, wenn ſie wiederer - wecket wird, in derſelbigen Ordnung die Einbildung je - nes Objekts vor ſich habe. Aber es iſt doch auch ge - wiß, daß es in vielen andern Faͤllen nicht ſo iſt. Da, wo eine Neigung zur Leidenſchaft, und ein bloßes Ver - moͤgen zur Fertigkeit geworden iſt, zeigen ſich die Aus -nahmen64I. Verſuch. Ueber die Naturnahmen am deutlichſten. Es aſſociiren ſich die Ge - muͤthsbewegungen mit andern aͤußern Empfindungen und Vorſtellungen, von welchen ſie nur begleitet wer - den, die aber nicht zu den Urſachen gehoͤren, von wel - chen ſie hervorgebracht ſind. Sie legen ſich an ihre Wirkungen und Folgen, die aus ihnen entſtehen, und an Zeichen, Worte und Ausdruͤcke, worinne ſie aͤußer - lich hervorbrechen. Hr. Search nennet dieß ein Ue - bertragen der Empfindungen von einer Jdee auf eine andere, die mit jener verbunden iſt. Ohne dieſem Philoſophen in den Anwendungen, die er davon macht, durchgehends Beyfall zu geben, iſt doch ſeine Bemer - kung eine richtige Beobachtung. Gemuͤthszuſtaͤnde und Neigungen vereinigen ſich mit fremden Vorſtellun - gen und Empfindungen, mit welchen ſie in keiner verur - ſachenden Verbindung ſtehen, das iſt, mit ſolchen, die weder ihre Urſachen, noch ihre Wirkungen ſind.

Durch ſolche fremde aſſociirte Empfindungen und Vorſtellungen werden ſie auch wiederum erwecket, wie die Vorſtellung der Kirche durch die Vorſtellung von dem Thurm, nemlich als durch blos veranlaſſende, nicht aber wirkende Urſachen. Jn vielen Faͤllen koͤnnen wir uns hievon eben ſo ſehr verſichern, als bey den Repro - duktionen ſichtbarer Gegenſtaͤnde. Dem Verliebten, der eben ruhig iſt, faͤllt etwas in die Augen, das ſich auf ſeine Geliebte beziehet; ſogleich klopfet ihm das Herz. Zuweilen haben ſich eine Menge von andern Vorſtellun - gen zu dieſer Jdee hinzugeſellet, welche mitwirken, zu - weilen aber wird die Neigung unmittelbar bey ſolchen unwirkſamen Vorſtellungen erwecket, ohne daß eine an - dere Reihe von Vorſtellungen dazwiſchen tritt, derglei - chen gemeiniglich erſt nachher hinzukommen, und die Bewegung lebhafter machen. Das iſt es, was in je - der Fertigkeit und in jeder Gewohnheit gefunden wird. Die geringſte entfernteſte Vorſtellung, jeder aͤußereAus -65der Vorſtellungen. Ausbruch, jede Wirkung von ihr fuͤhret auf ſie zuruͤck, welches, ohne eine Dispoſition dazu in der Empfindſam - keit und in dem Thaͤtigkeitsvermoͤgen, nicht geſchehen koͤnnte.

Die Wiedervorſtellung eines geſehenen und nun ab - weſenden Gegenſtandes haͤlt ſich gewoͤhnlich ſo in den Schranken der Einbildung, daß wenn ſie mit andern gleichzeitigen Empfindungen derſelbigen Art verglichen wird, ſie ſogleich fuͤr das erkannt werden kann, was ſie iſt, nemlich fuͤr einen Schatten von der Empfindung: ſie iſt nicht die volle und ſtarke Empfindung ſelbſt. Die Urſachen, die ihr dieſen Grad der Staͤrke geben muͤßten, liegen nicht in dem Jnnern der Seele, ſondern ſind außer ihr, oder doch nicht in ihrer Gewalt. Etwas verhaͤlt es ſich anders bey den Seelenveraͤnderungen, die aus einem innern Princip hervorgehen, wenn ſie Empfin - dungen ſind. Hier ſind zwar auch die Einbildung und die Empfindung ſtark genug unterſchieden; ein anders iſt es, wenn wir uns nur erinnern, wie uns ehmals zu Muthe geweſen iſt, und ein anders, wenn uns jetzo wieder von neuem eben ſo zu Muthe wird: je - nes iſt die Vorſtellung des abweſenden Zuſtandes; dieſes iſt eine nochmalige Empfindung; und der Unter - ſchied zwiſchen beiden faͤllt auf, und beſtehet in Graden der Staͤrke und Lebhaftigkeit. Aber die Einbildung kann hier ich will nicht ſagen leichter, aber oͤfterer, weil es auf innere Urſachen in der Seele ankommt, in eine Em - pfindung uͤbergehen. Das Andenken an die geliebte Perſon macht das Herz ſo voll, daß die zuruͤckgekehrte Affektion nicht mehr eine bloße Einbildung bleibet, ſon - dern zu einer vollen gegenwaͤrtigen Empfindung wird. Denn obgleich jetzo nur Einbildungen von dem abweſen - den Objekt, nicht aber Empfindungen von ihm vorhan - den ſind, und alſo auch durch jene nur Einbildungen von den ehemaligen Zuſtaͤnden veranlaſſet werden, ſo koͤnnenI. Band. Eſolcher66I. Verſuch. Ueber die Naturſolcher veranlaſſenden Einbildungen doch mehrere zuſam - men kommen, deren vereinigte Macht ſo ſtark iſt, als eine Empfindung; oder der Hang zu einer ſolchen Af - fektion in dem Jnnern der Seele kann ſo ſtark geworden ſeyn, daß nichts mehr als eine geringe Veranlaſſung noͤ - thig iſt, um dieſe innere Urſache zur Wirkſamkeit zu bringen. Was von der Jdee hinzu kam, brauchte ihr nur gewiſſe Reize und Beſtimmungen zu geben. Ein ſchwacher Funken kann alſo zuͤnden, wenn das Gemuͤth den empfaͤnglichen Zunder in ſich hat, und durch vor - hergegangene Empfindungen ſo leicht entzuͤndbar gewor - den iſt.

So ſcheint alſo die Sache entſchieden zu ſeyn, wenn man bey den Beobachtungen ſtehen bleibet. Was iſt einfacher? und analogiſcher?

Aber durch eine Anwendung, die einige neuere Phi - loſophen von der Jdeenaſſociation gemacht haben, werden alle ſolche aus Empfindungen entſtandene Dispo - ſitionen zu innern Veraͤnderungen, nur die Vorſtellun - gen aus den aͤußern Sinnen ausgenommen, hinweg - erklaͤret.

Die Gemuͤthszuſtaͤnde, die Neigungen, Beſtre - bungen, und alles, was zu den leidentlichen und thaͤti - gen innern Seelenveraͤnderungen gehoͤret, das ſoll nicht anders wieder hervorkommen, als durch dieſelbigen Jdeen, oder ihnen aͤhnliche, durch welche ſie das erſtemal in der Seele hervorgebracht worden ſind. Wenn es den An - ſchein hat, als wuͤrde eine vorige Luſt blos durch eine Nebenidee, die weiter keine Beziehung auf ſie hatte, als daß ſie mit ihr verbunden war, wieder hervorgebracht, ſo ſoll es nicht dieſe Nebenidee ſeyn, welche fuͤr ſich ſelbſt auf die Seele wirket; aber ſie ſoll andere aſſociirte Jdeen wieder herbey fuͤhren, in denen die bewegende Kraft ent - halten iſt, und die in der erſten Empfindung die wir - kende Urſache des Gefallens geweſen ſind. Der Spielerſiehet67der Vorſtellungen. ſiehet die Karten nur an, und dem Geizigen ſchimmert nur eine Goldmuͤnze in die Augen. So ein Anblick bringet nach der gedachten Erklaͤrungsart die ehemali - gen angenehmen Empfindungen, die mit dem Spielen und mit dem Genuß des Geldes verbunden geweſen ſind, und alſo eine lange Reihe von Jdeen wieder zuruͤcke. Und die letztern von ihnen, die nun die Zwecke und Ab - ſichten vorſtellen, ſollen es ſeyn, von welchen das Herz ergriffen, und zur vorigen Begierde geſpannet wird. Dieß iſt denn eine neue Wirkung, ohne daß eine ander - weitige Aufgelegtheit in dem Vermoͤgen der Seele oder in ihrer Empfindſamkeit vorhanden ſey, welche hierinn einen Einfluß haben doͤrfe. Fertigkeit und Gewohn - heit und Staͤrke in Empfindungs - und Hand ungs - arten ſind alſo nichts als Fertigkeiten, die Jdeen ſol - cher Gegenſtaͤnde in Verbindung zu erwecken, welche die Reize enthalten, wodurch die Seele ſo zu empfinden und ſo zu handeln beſtimmet worden iſt, und nun auch in der Reproduktion beſtimmet werden muß. Die Fer - tigkeiten ſind Fertigkeiten, Joeen zu verbinden, und in der Verbindung wiederum darzuſtellen; Jdeen nemlich von Gegenſtaͤnden, welche aus den aͤußern Sin - nen entſtehen.

Dieſe Art, die Wiedervorſtellungen von Gemuͤths - bewegungen, Beſtrebungen und Handlungen der Seele, zu erklaͤren, iſt in dem Syſtem der Jdeenaſſociation des Englaͤnders Hartley eine nothwendige Folge ſeiner er - ſten Grundſaͤtze. Aber es iſt unnoͤthig, ſie von einem Aus - laͤnder zu holen. Sie lieget auch in der Wolfiſchen Pſychologie. Hr. Prieſtley muß dieſe letztere nicht ge - kannt haben; er wuͤrde ſonſten das Lob, das er dem hartleyiſchen Syſtem ſo freygebig beyleget, nemlich es ſey dadurch ein ſo einfaches, allgemeines und noch frucht - bareres Princip in die moraliſche Welt eingefuͤhret, als durch die Newtoniſche Attraktion in die Koͤrperwelt,E 2auch68I. Verſuch. Ueber die Naturauch dem Syſtem des deutſchen. Philoſophen nicht ver - ſaget haben. Denn abgerechnet, daß Hartley die Jdeen Nervenſchwingungen nennet, und ſie wie Herr Bonner in die Organe im Gehirn hinſetzet, dagegen Wolf die Jdeen fuͤr Modifikationen der Seele ſelbſt an - ſah, ſo iſt gewiß die vorſtellende Kraft in dem Sy - ſtem des letztern ein eben ſo einfacher und ſo weit ſich er - ſtreckender Grundſatz, als die hartleyiſche Jdeenaſſociation, und kann auch auf eine aͤhnliche Art auf die pſychologi - ſchen Beobachtungen, und beſonders auf die, wovon hier die Rede iſt, angewendet werden. Man darf nur die Sprache und Ausdruͤcke umaͤndern, ſo wird die Er - klaͤrung aus einem Syſtem in eine Erklaͤrung nach dem andern uͤbergehen.

Hier iſt es meine Abſicht nicht, dieſe Hypotheſen zu beurtheilen, welche, weil ſie von ihren ſcharfſinnigen Verfaſſern gut genug durchgedacht ſind, auch Ausfluͤchte genug in ſich faſſen, um Angriffen auszuweichen, welche man aus der Erfahrung auf ſie thun kann. Moͤgliche Erklaͤrungsarten geben ſie genug her, wie die Hypothe - fen uͤberhaupt, die vernuͤnftig ſind. Fragt man aber, womit ſie ſelbſt beſtaͤtiget ſind, ſo ſtehen ſie in der nackten Bloͤße der Hypotheſen da. Jch will hier nur einige Anmerkungen anfuͤgen, die jene aus der Aſſociation der Jdeen gezogene Erklaͤrung von den Wiedervorſtellungen innerer Empfindungen betreffen.

Erſtlich iſt zu bedenken, daß hier noch nicht die Frage ſey, worinn die Seelenveraͤnderungen, welche der innere Sinn empfindet, eigentlich beſtehen. Ob das, was wir Vergnuͤgen nennen, etwas anders ſey, als ein Phaͤnomen, das, wenn es deutlich auseinander ge - ſetzet werden kann, vielleicht nichts iſt, als ein Aktus der vorſtellenden Kraft oder des Vermoͤgens, Jdeen zu verknuͤpfen, und zwar ohne daß die Seele andere Jdeen beſitze, als von aͤußern Objekten, die ſie aus den aͤußernSinnen69der Vorſtellungen. Sinnen empfangen hat? Mag es doch ſo ſeyn, ſo iſt doch dieſer Aktus, oder dieſe Tendenz der Kraft, den wir das Vergnuͤgen nennen, auch eine beſondere Modi - fikation der Seele; eine Wirkung, zwar von andern vorhergegangenen Empfindungen und Vorſtellungen, aber doch immer eine beſondere Wirkung, welche fuͤr ſich allein einen fuͤhlbaren Zuſtand ausmachet, und den wir von andern unterſcheiden und gewahrnehmen. Der Anblick der Speiſe wirket bey dem Hungrigen den Ap - petit. Die Begierde iſt aber nicht mit dem Anblick der Speiſe einerley.

So darf hier im Anfang die Sache nur angeſehen werden. Es iſt die Frage, ob dieſer beſondere Zu - ſtand nicht eine Folge in der Seele hinterlaſſe, wodurch ſie mehr aufgeleget wird, in eben denſelbigen wiederum verſetzet zu werden, als ſie es ſonſten nicht geweſen ſeyn wuͤrde?

Zweytens ſcheint mir die obige Erklaͤrung doch in vielen Faͤllen zu weit hergeholet und unzulaͤnglich zu ſeyn.

Wir erinnern uns oft, aus einer Sache Vergnuͤgen geſchoͤpft zu haben, oder verdrießlich uͤber ſie geweſen zu ſeyn, ohne es jetzo mehr zu wiſſen, was es eigentlich ge - weſen iſt, das uns der Zeit afficiret habe. Wir ſind jetzo nicht mehr in der vorigen Gemuͤthsbewegung, aber an gewiſſen aͤußern Handlungen des Koͤrpers, welche die Ausbruͤche. des innern Zuſtandes waren, und die in un - ſerm Gedaͤchtniß helle genug mit der Jdee der Sache wieder hervorkommen, wiſſen wir es nichts deſtoweniger gewiß, daß ſo ein Zuſtand in dem Gemuͤth zu der Zeit vorhanden geweſen ſey. Die Wiedervorſtellung des vo - rigen Zuſtandes enthaͤlt alsdenn ſo viel von der ehema - ligen Empfindung in ſich, wie die Einbildung von dem Geſchmack einer Birne von ihrer Empfindung in ſich hat.

E 3Man70I. Verſuch. Ueber die Natur

Man ſaget, die Wiedervorſtellung des Verdruſſes ſolle von Vorſtellungen abhangen, die uns jetzo nicht genug gegenwaͤrtig ſind, denn eine Vorſtellung koͤnne wirkſam ſeyn, ohne daß wir ſie gewahrnehmen. Die bewegenden Vorſtellungen ſollen wirklich in uns re - produciret werden, ohne daß wir uns ihrer bewußt ſind. Jenen Satz laͤugne ich nicht. Aber da ich nach der ge - naueſten Unterſuchung keine von den ehemals bewe - genden Vorſtellungen jetzo in mir antreffe, und viel - mehr ſehe, ich wuͤrde von dem derzeitigen Gemuͤthsſtan - de nicht einmal wiſſen, daß er vorhanden geweſen iſt, wenn ich nicht auf dieſe Wiedererinnerung durch Vor - ſtellungen gebracht waͤre, welche nicht die Urſachen, ſondern die Folgen und Aeuſſerungen von ihm geweſen ſind, ſo iſt es viel gefodert, daß ich die gegebene Erklaͤ - rung als die wahre annehmen ſoll.

Die vorigen verurſachenden Vorſtellungen ſind entweder jetzo nicht vorhanden, oder doch ſo dunkel, daß ich ſie nicht gewahrnehme; und doch ſollen ſie in dem Grade thaͤtig ſeyn, daß ſie von neuem einen Anſatz zu der ehemaligen Gemuͤthsbewegung hervorbringen.

Dieß nicht allein. Mich deucht, in ſolchen Faͤllen koͤnne man es oftmals wiſſen, daß wir uns der ehema - ligen Gemuͤthsbewegung nicht wieder erinnern wuͤrden, wenn nicht ſolche Vorſtellungen ihr Andenken erneuerten, welche der Zeit keine wirkende Urſachen von ihr geweſen ſind; wie z. B. die Vorſtellungen von aͤußern Ausbruͤ - chen der Freude in Bewegungen des Koͤrpers. Ver - langet man mehr, um ſich zu uͤberzeugen, daß ein ſol - cher vergangener Gemuͤthszuſtand wieder vorgeſtellet werde, durch die Aſſociation mit andern Vorſtellungen, von denen er nicht mehr abhaͤngt, als die Jdee von dem Thurm von der Jdee der Kirche? daß alſo die Wie - dervorſtellung hier eben ſo etwas ſey, als ſie es bey den Vorſtellungen aͤußerer geſehener Objekte iſt.

Es71der Vorſtellungen.

Es ſcheinen mir ferner uͤberhaupt alle Beobach - tungen mit der gedachten Erklaͤrung unvereinbar zu ſeyn, wo die Reproduktion eines ehemaligen Gemuͤthszuſtan - des, oder auch die Wiederverſetzung in dieſen Zuſtand, durch die Vorſtellungen ihrer aͤußern Folgen und Wir - kungen veranlaſſet wird. Solche Faͤlle ſind haͤufig. Die Einbildungskraft nimmt in der Reihe der Vorſtel - lungen den Weg ruͤckwaͤrts, von den Wirkungen auf die Urſachen; ſie wird es wenigſtens leicht gewohnt, ihn zu nehmen, und ſie wird es auch da gewohnt, wo die Urſache eine Gemuͤthsbewegung war und die Wir - kung von dieſer eine Geberde des Geſichts, ein Ton der Stimme oder eine Bewegung mit der Hand iſt. Man darf nur luſtige Toͤne wiederholen, nicht eben ſolche, die uns wirklich ehedem vergnuͤgt gemacht haben, ſondern ſolche welche wir angaben, weil wir vergnuͤgt waren, und in die das heitere Herz faſt unwillkuͤhrlich, zumal in juͤn - gern Jahren, ſich zu ergießen pfleget, oder man darf nur lebhaft an ſie denken, und die Reproduktion des Vergnuͤgens, als ihrer Quelle, iſt mit ihnen verbunden.

Will man ſagen, dieſe Vorſtellungen muͤßten zu - voͤrderſt andere hervorbringen, die vor der Gemuͤthsbe - wegung vorhergegangen ſind; ſo kann man zweyerley antworten. Es lehret die Empfindung dieß nicht. Und dann ſo ſind die vorhergehende wirkende Vorſtellun - gen oft an die nachfolgende Vorſtellungen nicht an - ders angereihet, als allein vermittelſt der zwiſchen ihnen liegenden Gemuͤthsbewegung. Sie haben ſonſt keine hier in Betracht kommende Aehnlichkeit unter ſich; ſind auch in keiner wirkenden Verknuͤpfung mit einander, und auch in keiner Folge auf einander in der Empfin - dung geweſen, als nur in ſolchen Reihen, in denen zu - gleich die innere Seelenveraͤnderung das Verbin - dungsglied zwiſchen ihnen war. Da muß alſo auch nach dem bekannten Geſetze der Aſſociation die Einbil -E 4dungs -72I. Verſuch. Ueber die Naturdungskraft, die bey der Reproduktion mit den nach - folgenden Vorſtellungen anfaͤngt, den Weg uͤber je - nes Glied in der Reihe nemlich uͤber die Gemuͤthsbewe - gung genommen haben, ehe ſie zu der Reproduktion der vorhergehenden verurſachenden Vorſtellungen hat hin - kommen koͤnnen. Das heißt, ſie muß die Gemuͤthsbe - wegung unmittelbar bey Jdeen wieder erwecken, die ſol - che nicht verurſachen, und die Wiedervorſtellung von je - ner zu einer neuen Empfindung machen koͤnnen.

Endlich muͤßte folgen, daß die Uebertragung der Neigungen von einer Jdee auf andere, die durch viele Beobachtungen beſtaͤtiget iſt, ein bloßer Schein ſey. Jſt ſie gegruͤndet, ſo kann eine Neigung unmit - telbar in Verknuͤpfung mit einer Vorſtellung gebracht werden, mit der ſie ſonſten nur auf eine entfernte Art zuſammenhaͤngt. Finden ſich nun dergleichen Uebertra - gungen wirklich, ſo giebt es ja Faͤlle, in denen die Nei - gung zunaͤchſt durch Jdeen wieder erwecket wird, wo - von es ſich nicht einmal vermuthen laͤßt, daß ſie als wirkende Urſachen ſie hervorbringen. Dergleichen Ue - bertragungen ſind gewoͤhnlich. Wenn wir eine fremde Sprache erlernen, ſo uͤberſetzen wir ihre Woͤrter zuerſt in die Woͤrter unſerer Mutterſprache, und durch dieſe Vermittelung erregen wir die damit verbundenen Gedan - ken. Am Ende verlieret ſich dieß. Wir gewoͤhnen uns, die Jdeen mit den fremden Woͤrtern unmittelbar zu verbinden, und bedoͤrfen dann jener Zwiſchenvorſtel - lungen nicht mehr. Mich deucht, man muͤſſe vielen Beobachtungen Gewalt anthun, wenn man es laͤugnen wollte, daß wir es nicht mit dem Vergnuͤgen und Ver - druß ſehr oft eben ſo machen, und ſie mit den gleichguͤl - tigſten Vorſtellungen unmittelbar zuſammen bringen.

Dieß ſey genug, um einen Einwurf zu heben, den ich nicht ganz zuruͤcklaſſen konnte, ohne gleich im Anfang auf meinem Weg aufgehalten zu werden. Das minde -ſte,73der Vorſtellungen. ſte, was aus dem vorhergehenden geſchloſſen werden kann, will ich hier nur herausziehen. So viel iſt, wie ich meine, entſchieden. So lange man nur den Beob - achtungen nachgehet, und ſich noch in keine feine pſycho - logiſchen Hypotheſen einlaͤſſet, findet man, das, was wir Vorſtellungen von unſern innern leidentlichen und thaͤtigen Seelenveraͤnderungen nennen, zeige ſich uns eben ſo, wie die Vorſtellungen von aͤußern Dingen. Die Empfindung hinterlaͤſſet Dispoſitionen, wovon die Reproduktion abhaͤngt, und die noch nicht vorhanden ſind, wo die Empfindung nicht vorhergegan - gen iſt. Dieſer Leitung der Beobachtungen laſſet uns im Anfang nachgehen. Kommen wir weiter in das Jnnere der Seele hinein, in eine tiefer liegende Schich - te, wo ſich die Natur der innern Veraͤnderungen deutli - cher aufdecket; ſo wird es dann Zeit ſeyn, zu fragen, ob und wie weit das, was in den Beobachtungen ange - troffen worden iſt, nur ein Schein ſey, der die Eigenheit nicht an ſich hat, die wir anfangs nach der verwirrten Vorſtellung darinnen antrafen?

IX. Noch eine Vergleichung der Wiedervorſtellungen der letztern Art mit denen von der erſten Art, in Hinſicht ihrer Deutlichkeit.

Unſere Einbildungen von geſehenen Dingen haben ei - ne vorzuͤgliche individuelle Deutlichkeit. Die Ein - bildungen von unterſchiedenen einzelnen Objekten, erhal - ten ſich ſo deutlich, daß auch dieſe Jdeate in der Abwe - ſenheit durch ſie ganz gut ſich von einander unterſcheiden laſſen. Eine gleiche Klarheit findet ſich ſchon nicht mehr bey den Vorſtellungen des Gehoͤrs; noch weniger bey den Vorſtellungen der niedern Sinne, des Geruchs, des Geſchmacks. Das Gefuͤhl hat vor den letztern inE 5dieſem74I. Verſuch. Ueber die Naturdieſem Stuͤcke einen Vorzug, oder kann ihn durch Ue - bung erlangen. Man wird es z. B. gewohnt, im Dunkeln ſeinen Hut aus einer Menge anderer heraus - zufuͤhlen.

Dagegen iſt das Vergnuͤgen, was man in der Ge - ſellſchaft mit einem Freunde genoſſen hat, oft ſo ſehr ei - nerley mit dem Vergnuͤgen, das die Geſellſchaft des an - dern verurſachte, daß, wenn man ſich an beides wieder erinnert, ſo ſcheint es, man koͤnne die Eine ſolcher repro - ducirten Empfindungen von der andern nicht mehr unter - ſcheiden, obgleich die verknuͤpften Einbildungen des Ge - ſichts ihre individuelle Deutlichkeit behalten haben. Schon in den Empfindungen iſt dieſer Unterſchied der Klarheit merkbar. Tauſend aͤußere Empfindungen ſind auf einerley Art angenehm oder unangenehm. Aber wenn ſie es nicht in der Empfindung ſind, ſo ſind ſie es doch in der Reproduktion, wo man die Eine von der an - dern nicht anders, als vermittelſt der aſſociirten Jdeen von den aͤußern Gegenſtaͤnden unterſcheidet.

Dennoch haben auch die Wiedervorſtellungen der in - nern Gemuͤthsbewegungen ihr Unterſcheidendes. Es giebt z. B. mannigfaltige Arten und Stufen der Luſt und des Misfallens, mehrere, als wir mit eigenen Na - men beleget haben, die ihr Charakteriſtiſches in der Wie - dererinnerung nicht verlieren. Bey dem Anſchauen ei - ner Perſon empfinden wir Freundſchaft; bey der andern Liebe. Ein Paar Empfindniſſe, die ſich auch in der Reproduktion eben ſo ſtark von einander auszeichnen, als das Geſichtsbild von dem Freunde, und von der Ge - liebten. Noch mehr. Es iſt auch einiger individueller Unterſchied bey einerley Art von Gefuͤhlen vorhanden, der in der Reproduktion nicht allemal zu ſchwach iſt, um beobachtet werden zu koͤnnen. Man frage die empfind - ſamen Leute, wenn man ſelbſt es nicht genug iſt, um aus ſeiner eigenen Erfahrung eine Menge einzelner Faͤllebey75der Vorſtellungen. bey der Hand zu haben, die dieſes anſchaulich lehren. Es laͤſſet ſich alſo nicht einmal als allgemein behaupten, daß die Abzeichnung der Einzelnen bey den Einbildun - gen der innern Gefuͤhle ſchwaͤcher ſey, als bey den Ein - bildungen der aͤußern. Die Geſichtsempfindungen ha - ben einen ausnehmenden Vorzug. Bey den uͤbrigen haͤnget vieles, wie bey der Reproduktion uͤberhaupt, von der Aufmerkſamkeit ab, die man bey der Empfindung anwendet, und mit der man gewohnt iſt, die Empfindun - gen und ihre Vorſtellungen zu beobachten. Jch habe dieß blos beruͤhren wollen, um zu erinnern, daß auch dieſe Verſchiedenheit bey den verſchiedenen Gattungen von Vorſtellungen keinen weſentlichen Unterſchied in ih - rer vorſtellenden Natur ausmache. Sie iſt an ſich ge - wiß und bemerkbar genug, und hat ihre wichtigen Fol - gen; und kann zu den Gedanken verleiten, die letztere Gattung von Vorſtellungen wuͤrden darum keine Vor - ſtellungen ſeyn, weil ſie ſo ſehr weit in Hinſicht der Klar - heit von andern abweichen, und auch in Hinſicht des Gebrauchs, den man von ihnen machen kann, wenn man Gegenſtaͤnde durch ſie erkennen will.

X. Ueber die zwote weſentliche Beſchaffenheit der Vor - ſtellungen, die ihnen als Zeichen von Gegen - ſtaͤnden zukommt. Sie verweiſen die Refle - xion auf ihre Objekte hin. Urſache davon.

Die Beziehung in unſern Vorſtellungen nur von den urſpruͤnglichen Empfindungsvorſtellungen iſt zunaͤchſt die Rede auf vorhergegangene Modifika - tionen, und ihre Analogie mit ihnen, macht ſie geſchickt, Bilder oder Zeichen von dieſen abgeben zu koͤnnen. Aber es iſt in dem neunten der obigen Erfahrungsſaͤtze,ange -76I. Verſuch. Ueber die Naturangemerkt, daß ſie noch eine andere zeichnende Eigen - ſchaft an ſich haben. Nemlich ſie verweiſen uns nicht auf ſich ſelbſt, wenn ſie gegenwaͤrtig in der Seele ſind, ſie verweiſen uns auf andere Gegenſtaͤnde und Be - ſchaffenheiten, davon ſie die Zeichen in uns ſind. Wir ſehen in den Vorſtellungen ihre Objekte, in den Jdeen die Jdeate, in dem Bilde von dem Monde den Mond, und in der Vorſtellung von einer ehemaligen Hofnung den derzeitigen und jetzo abweſenden Zuſtand des Ge - muͤths. Jenes macht ihre bildliche Natur aus. Dieß moͤchte ich als ihre zeichnende Natur anſehen, wenn die - ſe beiden unterſchieden werden ſollten.

Darinn ſind die Vorſtellungen aus dem innern Sinn von den Vorſtellungen des aͤußern Sinns unter - ſchieden, daß jene uns auf unſere eigenen innern Ver - aͤnderungen hinweiſen, aus welchen ſie zuruͤckgeblieben ſind; ein großer Theil von dieſen |hingegen, auf die aͤußern Urſachen der Empfindungen, auf Gegenſtaͤn - de, die außer uns ſind, auf geſehene, gefuͤhlte und uͤberhaupt auch empfundene koͤrperliche Gegenſtaͤnde.

Dieſer Unterſchied muß ſeinen Grund haben, und hat ihn in dem Gang, den die Reflexion nimmt, wenn ſie den Gedanken bildet; die Vorſtellung ſey eine Vor - ſtellung von Etwas anders, das ſie ſelbſt nicht iſt. Mit der Wiedervorſtellung einer vergangenen Affektion iſt das Urtheil verbunden: So war meine vorige Empfin - dung; ſo war mir der Zeit zu Muth. Der Einbildung von dem Monde, und von jedem aͤußern Koͤrper hinge - gen klebet ein andrer Gedanke an. Wir ſehen dieſe Vor - ſtellungen nicht fuͤr Vorſtellungen von dem ehemaligen Anſchauen oder von unſerer Empfindung an, ſon - dern fuͤr eine Vorſtellung, die uns ein angeſchauetes Ding darſtellet. Dieſe Urtheile ſind ſchon mit den Em - pfindungen verbunden, und haben ſich aus dieſen in die Reproduktion hineingezogen. Sie ſelbſt ſind Wirkun -gen77der Vorſtellungen. gen der Reflexion, der Denkkraft oder der Urtheilskraft, wie man ſie nennen will; aber ſie haben ihre Veran - laſſungen in den Empfindungen, und in deren Umſtaͤn - den. Was dieſe Verſchiedenheit betrift, ſo | will ich da - von hier noch nichts weiter ſagen, weil die Urſache da - von eine naͤhere Unterſuchung der Denkkraft erfodert, als ich in dieſem Verſuch anſtellen mag. Jch will hier bey dem ſtehen bleiben, was beiden Arten von Vorſtel - lungen gemein iſt.

Beide Arten von Wiedervorſtellungen beziehen ſich auf ihre ehemaligen Empfindungen. Da man den ſehendgewordenen Englaͤnder, der unter dem Na - men des Cheßeldeniſchen Blinden bekannt iſt, und deſſen Geſchichte ſo vieles gelehret hat, und noch mehr wuͤrde haben lehren koͤnnen, wenn er mehr philoſophiſche Beobachter gehabt haͤtte; da man ihn das erſtemal in die Duͤnen von Epſom brachte, nannte er dieſe neuen ungewohnten Empfindungen eine neue Art von Se - hen. So moͤchte vielleicht jeder urtheilen, der mit einer voͤllig gereiften Ueberlegungskraft begabet, lebhaft von einer fuͤr ihn in aller Hinſicht neuen Empfindung be - troffen wuͤrde. Das erſte Urtheil wird ſeyn: Siehe da eine neue Veraͤnderung von dir ſelbſt! Wenn es dabey geblieben waͤre, und nicht bald darauf ein anderer richti - gerer Gedanke dieſen erſtern verdraͤnget haͤtte, ſo wuͤrde der erwaͤhnte Menſch ſich an die Duͤnen von Epſom nicht anders erinnert haben, als man ſich an eine Art von Gefuͤhlen erinnert, aber nicht als an eine eigene Art von aͤußern Gegenſtaͤnden.

Bey unſern Kindern waͤchſet die Reflexion mitten unter den Empfindungen, und daher iſt es wahrſchein - lich, daß das erſt erwaͤhnte Urtheil uͤber das Objektivi - ſche der Vorſtellung in ihrem Kopf entweder gar nicht, oder doch nicht zu ſeiner Voͤlligkeit kommen werde, ehe es nicht ſchon von dem nachfolgenden richtigern vertrie -ben78I. Verſuch. Ueber die Naturben wird. Da iſt alſo wohl der erſte voͤllig ausge - bildete Gedanke, der mit einer Empfindung von einem geſehenen Objekt verbunden iſt, dieſer: daß es eine aͤußere Sache ſey, was man ſehe. Wie ihm aber auch ſey, ſo hindert nichts, die Wiedervorſtellungen anfangs als Abbildungen und Zeichen der vorigen Empfindungen anzuſehen, und die Frage zunaͤchſt zur Unterſuchung zu bringen, was es fuͤr eine Beſchaffenheit der Vorſtellung ſey, die es veranlaſſet, daß wir ſie auf unſere Empfin - dungen beziehen, und dieſe in ihnen ſehen, erkennen und beurtheilen? Wir ſind uns auch der Vorſtellungen ſelbſt in uns bewußt, und koͤnnen ſie in uns gewahrnehmen; aber wenn wir ſie gebrauchen, ſo ſehen wir nicht ſowohl auf ſie ſelbſt, als auf etwas anders, auf die Empfindun - gen nemlich, oder die vorhergegangenen Veraͤnderun - gen, woraus ſie in uns entſtanden ſind.

Es iſt nicht ſchwer, von dieſem Phaͤnomen, oder, von dem natuͤrlichen Hang, wie einige es nennen, die Vorſtellungen fuͤr ihre Gegenſtaͤnde zu nehmen, den Grund zu finden. Laßt uns die Beobachtungen fragen, und vorher die Wirkung ſelbſt genauer anſehen, ehe wir ihre Urſache ſuchen.

Wenn eine abweſende Sache wieder vorgeſtellet wird; ſo koͤnnen wir, wofern die wiedererweckte Einbildung nur einigermaßen lebhaft iſt, gewahrnehmen, daß eine Tendenz, die voͤllige vorige Empfindung wieder zu erneuern, mit ihr verbunden ſey. Es entſtehet eine Anwandlung, eben das wieder zu leiden, wiederum ſo afficirt zu werden, ſo zu wollen, und thaͤtig zu ſeyn, als wir es vorher in der Empfindung geweſen ſind. Wir fangen wieder an, gegen abweſende Perſonen, die wir uns als gegenwaͤrtig einbilden, ſo zu handeln, als wir vorher gethan haben, da wir ſie ſahen. Wir bewegen die Glieder des Koͤrpers, wir ſchlagen mit den Haͤnden, wir ſprechen mit ihnen, wie vorher. Und wo dieß nichtwirklich79der Vorſtellungen. wirklich geſchieht, da werden wenigſtens die Triebe und erſten Anfaͤnge zu allen dieſen in uns rege. Die Seelenkraͤfte erhalten alſo eine gewiſſe Richtung; wo - durch ſie nicht ſowohl auf die Vorſtellung, welche ſonſten auch alsdenn zu den gegenwaͤrtigen Modifikationen ge - hoͤret, als vielmehr weiter hinaus auf die vorige Em - pfindung der Sache beſtimmet werden.

Was hier vorgehet, iſt dem aͤhnlich, was uns wie - derfaͤhrt, wenn wir die Augen auf ein Gemaͤhlde ei - ner uns intereſſanten Perſon, die uns von mehrern Seiten bekannt iſt, aufmerkſam gerichtet haben; Man vergißt bald, daß es ein Bild ſey, was vor uns ſtehet: Es iſt die Perſon ſelbſt vor Augen. Wir werden eben ſo modificirt, als wir es ſeyn wuͤrden, wenn die Licht - ſtrahlen, die wir von der lebloſen Flaͤche empfangen, aus dem lebenden Koͤrper ausgiengen, und mit ſich eine ganze Menge von andern Empfindungen zur Geſellſchaft haͤtten.

Ferner. Unſere Reflexion erblicket in der Vorſtel - lung das Objekt, oder, welches hier einerley iſt, die vorige Empfindung. Was heiſſet dieſes anders, als die Reflexion iſt auf den Gegenſtand hin gerichtet? die - ſer iſt es, den ſie als die Sache denket, deren Bild ge - genwaͤrtig iſt. Sie hat den Gedanken in ſich: da iſt ein Objekt, eine Sache, ein Gegenſtand, und verglei - chet, uͤberleget, ſchließet eben ſo, wie ſie es gethan hat, als der Gegenſtand wirklich vorhanden war.

Jene erſtere Wirkung aus der Vorſtellung entſtehet auch bey den Thieren. Die zwote Wirkung, die Rich - tung in der Reflexion, findet nur bey vernuͤnftigen We - ſen ſtatt, die mit Denkkraft begabet ſind. Das erſte iſt eine Folge aus der phyſiſchen Natur der Einbildun - gen. Das letztere iſt eine Folge von einer allgemeinen Wirkungsart der Reflexion. Wir verfahren auf die nemliche Weiſe in allen Faͤllen, wo Dinge durch ihreZeichen80I. Verſuch. Ueber die NaturZeichen und Bilder erkannt werden; nur mit dem Un - terſchied, daß die Reflexion nicht bey allen Arten von Zeichen ſo leicht, ſo natuͤrlich in dieſe Richtung gebracht wird, als bey den Vorſtellungen, deren Natur ſie von ſelbſt dahin ziehet.

So oft man ſich ein hohes Gebaͤude, einen Berg, einen Thurm, in der Abweſenheit einbildet, ſo erheben ſich die Augen auf die nemliche Art, wie vormals bey dem Anſchauen. Wenn die Gegenſtaͤnde in einer großen Entfernung geſehen wurden, ſo legen ſich die Axen der Augen wiederum in eine aͤhnliche Lage, als wenn man dahin ſehen wollte. Es laͤſſet ſich, wie bekannt iſt, ei - nem wachenden Menſchen, der ſich ohne Verſtellung ſich ſelbſt uͤberlaͤßt, an den Augen anſehen, ob er an dasje - nige denket, was vor ihm iſt, oder ob ſich ſeine Phanta - ſie mit abweſenden Sachen beſchaͤftige. Jn Wolfens groͤßerer Pſychologie, und nun in viel mehrern neuern Schriften, findet man ſoche Beobachtungen geſammlet, und mit einer maͤßigen Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt findet man dergleichen in Menge, welche zu dem allge - meinen Satz hinfuͤhren, daß jede Einbildung mit Tendenzen verbunden ſey, den vormaligen Zu - ſtand, ſogar in dem aͤußerlichen Sinngliede wie - der zu erwecken, der bey der Empfindung vor - handen war. Das Auge iſt unter den uͤbrigen aͤuſſern Sinngliedern das beugſamſte, und dieß iſt der Grund der Augenſprache; aber oft, zumal bey den uͤbrigen Em - pfindungen, geht die wiederzuruͤckkehrende Bewegung in der Einbildung nicht ſo ſtark nach außen, daß ſie be - merket werde, weil die Tendenz dazu innerlich zu ſchwach iſt. Aber es lehret doch die Erfahrung, daß wer ſich aͤußerlich nicht durch Minen verrathen will, auch Herr uͤber ſeine Einbildungen in dem Jnnern ſeyn muͤſſe.

Nur eine maͤßige Beobachtung ſeiner Selbſt iſt noͤ - thig, um zu finden, daß die Wiedervorſtellungen ausdem81der Vorſtellungen. dem innern Sinn eben ſolche Tendenzen, die vorige Empfindung wieder herzuſtellen, mit ſich verbunden ha - ben. Wir erinnern uns z. B. eines vergangenen Mis - vergnuͤgens. Sobald dieſe Vorſtellung anfaͤngt, an - ſchaulich zu werden, ſo empfindet man einen Anſatz zu der vorigen Unruhe, zu der vorigen Begierde, zu dem Verlangen und dem Beſtreben, ſich aus der verdrießlich geweſenen Lage herauszuwickeln, als wenn man noch jetzo darinn verſtrickt waͤre. Auch dieß. Sobald uns eine vorherige Spekulation wieder einfaͤllt, ſo ſetzet ſich das Gehirn in ſeine vorige Lage; das Auge wird wie - der ſcharfſehend, ſpuͤrend; und der forſchende Verſtand iſt ſchon wieder auf dem Anfang ſeines Weges, von neuem in die Materie hineinzugehen.

So lange die Wiedervorſtellungen nicht ſo voll und ſo lebhaft ſind als die Empfindungen, und dieß werden ſie gewoͤhnlich nicht; ſo lange ſind auch die Tendenzen, den vorigen Empfindungszuſtand zu erneuern, noch immer aufgehaltene, noch unvollendete Beſtrebungen. Sie ſind es mehr oder minder, je nachdem die Einbildung ſelbſt lebhafter wird, und den Empfindungen naͤher kommt. Zuweilen muß man die Reproduktion durch eine ſelbſtthaͤtige Anwendung unſerer Kraft befoͤrdern, und unterſtuͤtzen, und ſich voͤllig mit der Einbildung ein - laſſen, wenn die Wiederverſetzung in den ehemaligen Zuſtand bemerklich werden ſoll.

Dieß iſt, meyne ich, das Zeichnende, auf Ob - jekte Hinweiſende in den Einbildungen. Das be - kannte Geſetz der Reproduktion: wenn ein Theil einer ehemaligen Empfindung wieder erwecket iſt, ſo wird der ganze mit ihm vereinigte Zuſtand hervorgebracht, iſt eine Folge davon. Die Seele leidet und handelt nicht ſo, wie ſie leiden und handeln wuͤrde, wenn außer Einem Theil ihrer vorigen Empfindung, jetzo nichts mehr wie - der gegenwaͤrtig in ihr vorhanden waͤre; nichts mehrI. Band. Fnemlich,82I. Verſuch. Ueber die Naturnemlich, als das Stuͤck von der Empfindung, welches ein Bild, oder eine Einbildung von dem empfundenen Gegenſtand genennet wird, und der hervorſtechende Theil der ganzen Empfindung geweſen iſt, um welches die uͤbrigen ſich wie um einen Mittelpunkt geleget hat - ten. Es iſt noch etwas mehr vorhanden, nemlich eine Tendenz, auch die uͤbrigen Theile der Empfindung, die dunkeln Gefuͤhle bey ihr, zu erneuern. Die Seele leidet und iſt thaͤtig, und ihre Kraft iſt geſpannet, als wenn die geſammte Empfindung oder Nachempfindung, wel - ches hier einerley iſt, wiederum erneuert werden ſollte.

Wenn uns der Anblick eines Gemaͤhldes nicht ſo - gleich in das vorige Anſchauen der abgemahlten Perſon zuruͤckſetzet, ſo kommt dieß ohne Zweifel daher, weil wir hier ſo viel Eigenes an dem Gemaͤhlde, als an einem beſondern Objekte gewahrnehmen, das uns aufhaͤlt. Das Gemaͤhlde iſt nicht durchaus Gemaͤhlde, ſondern auch ſelbſt ein Gegenſtand, der als ein ſolcher ſeine ei - gene Empfindungen erreget. Waͤre es ganz und gar ein Bild einer andern Sache, ſo wuͤrden wir nur allein dieſe in jenem, und jenes ſelbſt nicht empfinden. Ein Spiegel, der ein vollkommener Spiegel iſt, kann nicht ſelbſt geſehen werden, ſo wenig als ein Koͤrper, der voll - kommen durchſichtig iſt, aber Dinge von dem aͤußerſten Grade finden ſich in der Natur nicht. Auf dieſelbige Art verhaͤlt es ſich mit unſern Vorſtellungen. Sie ſind in einigen Hinſichten ſelbſt Gegenſtaͤnde; ſie werden als ſolche gefuͤhlet und erkannt; ſie ſind dieß deſto - mehr, je verwirrter ſie ſind, und werden es deſto weni - ger, je mehr ſie deutlich und entwickelt werden. Den - noch behalten ſie die zeichnende Natur, und beweiſen ſie ſogleich im Anfange, wenn die Phantaſie ſie wieder er - wecket.

Es iſt nun noch das zweyte uͤbrig, nemlich die Richtung der Reflexion auf die Empfindung, welchedurch83der Vorſtellungen. durch die das Bild begleitende Tendenz verurſachet wird. Die Veranlaſſung dazu iſt, wie geſagt worden, in der Vorſtellung; daß aber dieſe eine ſolche Veranlaſſung fuͤr die Reflexion ſeyn kann; daß die letztere der Leitung von jener wirklich folget, davon lieget der Grund in der Na - tur der Reflexion ſelbſt. Dieß muß noch etwas weiter hergeholet werden. Wie entſtehet uͤberhaupt die Be - ziehung eines Bildes auf den abgebildeten Gegenſtand, und wird mit dem Bilde, welches vor uns iſt, der Gedanke verbunden, daß wir die Sache ſelbſt in dem Bilde vor uns haben? wie wird die Aufmerkſamkeit auf dieſe letztere uͤber das Bild hinausgerichtet, daß wir ſo denken und ſo uͤberlegen, als haͤtten wir die Sache vor uns? oder mit einem Wort, auf welche Art lernen wir in dem Bilde die Sache ſehen und erkennen?

Ein paar Beobachtungen laſſen uns dieſen Gang der Reflexion und die allgemeine Regel ihres Verfahrens bemerken. Ein kleiner Knabe ſpielet zuweilen mit dem Portrait ſeines Vaters, als mit einem buntbemahlten leichten Koͤrper, ohne daran zu gedenken, daß es ſeinen Vater vorſtelle. Der Cheßeldeniſche Blinde hatte auf eine aͤhnliche Art ſchon einige Zeit her die Gemaͤhlde an der Wand von Perſonen, mit denen er umgieng, als buntſcheckigte Flaͤchen angeſehen, ehe er gewahr nahm, daß ſie Abbildungen von ſeinen Bekannten waren. Jm Anfang war ſowohl das Bild als die abgebildete Sache jedes ein eigenes Objekt, nach ſeinen Vorſtellungen So verhaͤlt es ſich uͤberhaupt bey allen unſern willkuͤhr lichen, in die aͤußern Sinne fallenden Zeichen. Was ſind die Woͤrter einer Sprache, die wir noch nicht ver - ſtehen, fuͤr uns, wenn wir ſie ausſprechen hoͤren, oder auf dem Papier geſchrieben ſehen? Nichts als Toͤne und ſichtbare Figuren. Erlernen wir aber nachher ihre Bedeutung, ſo wird die Aufmerkſamkeit ſo ſtark auf die durch ſie bezeichnete Gedanken hingezogen, daß die indi -F 2viduelle84I. Verſuch. Ueber die Naturviduelle Empfindung, die ſie durchs Gehoͤr und Geſicht verurſachen, nur wenig, und nur, wenn ſie etwas eige - nes an ſich hat, beachtet und bemerket wird.

Die Reflexion nimmt die Aehnlichkeit zwiſchen dem Bilde und der Sache, die Analogie der Zeichen auf die bezeichneten Gegenſtaͤnde gewahr. So gleich verbindet ſie nicht allein dieſe beyden Vorſtellungen mit einander, ſondern ſie vereiniget ſolche gewiſſermaßen zu Einer Vorſtellung. Alsdenn muß diejenige von ihnen, welche die ſchwaͤchere, die mattere, unvollſtaͤndigere, entwe - der im Anfang ſchon war, oder bey der oͤftern Wie - derholung von beiden es darum wird, weil ſie weniger intereſſant iſt, und alſo die Aufmerkſamkeit weniger be - ſchaͤftiget, von der ſtaͤrkeren, voͤlligern und lebhaftern uͤberwaͤltiget, und auf dieſe mehr, als dieſe auf jene be - zogen werden. Daher wird von beiden aͤhnlichen und vereinigten Vorſtellungen diejenige, welche die mehre - ſten Empfindungen erreget, von mehreren Seiten be - trachtet, und alſo lebhafter und ſtaͤrker vorgeſtellet wird, zu einer Vorſtellung von dem Hauptgegenſtande gemacht; die andere hingegen, welche uns minder beſchaͤftiget, und bey der wir auf nichts mehr aufmerkſam ſind, als auf ſolche Beſchaffenheiten, die ihre Aehnlichkeit mit dem erſten ausmachen, wird fuͤr uns zum Zeichen, bey deſſen Gegenwart die erſtere, als das vornehmſte Ob - jekt der Aufmerkſamkeit, dieſe auf ſich hinziehet. Der gedachte Blinde glaubte anfangs in den Gemaͤhlden die wahren Perſonen zu ſehen; aber als er ſie befuͤhlte, und die Empfindungen nicht antraf, welche er von Perſonen zu empfangen gewohnt war, ſo entdeckte er ihr Leeres, und ihren nur einſeitigen Schein, und fieng an, ſie fuͤr dasjenige zu halten, was ſie waren, nemlich fuͤr Bil - der.

Dieſe Beobachtungen fuͤhren auf das allgemeine Ge - ſetz der Reflexion. Wenn zwey Vorſtellungen zu Einer85der Vorſtellungen. Einer vereiniget ſind, und Eine von ihnen machet ei - nen ſolchen erheblichen Theil des Ganzen aus, daß, wo dieſer Theil gegenwaͤrtig erhalten wird, auch ent - weder das Ganze ſelbſt gegenwaͤrtig, oder doch eine Tendenz vorhanden iſt, es wieder gegenwaͤrtig zu ma - chen; ſo wird die Denkkraft durch eine ſolche partielle Vorſtellung auf das Ganze gerichtet. Wir ſehen alſo das Ganze in jenem Theil von ihm. Wenn nun beyde Vorſtellungen, die zu Einem Ganzen vereiniget ſind, doch auch abgeſondert, jede als ein eigenes Ganze in uns vorkommen, ſo wird zwiſchen ihnen das Verhaͤlt - niß eines Zeichens zu einem bezeichneten oder abgebilde - ten Gegenſtande gedacht.

Nach dieſem Geſetz iſt es nothwendig, daß die Einbildungen auf ihre vorigen Empfindungen hin - weiſen. Sie ſind Zeichen von Natur, und ſind es mehr und naͤher als jede andere Art von Dingen, die wir zu Zeichen, Bildern und Vorſtellungen gemacht haben. Denn was hier Einbildung oder Wiedervorſtellung iſt, das iſt nicht die ganze ehemalige Empfindung, auch nicht das Ganze, was in der Abweſenheit der Gegen - ſtaͤnde wiederum in uns hervorkommt, oder hervorzu - begeben ſich anlaͤſſet. Das Bild von dem Mond; die Wiedervorſtellung von einer Freude iſt nur ein Stuͤck aus der ganzen ehemaligen Empfindung, und auch nur ein Stuͤck von der ganzen Modifikation der Seele, wel - che bey der Reproduktion vorhanden iſt. Es iſt der Theil, bey dem die Reproduktion der geſammten Em - pfindung anfaͤnget. Zuweilen iſt es der groͤßte Theil, zuweilen nur einige Zuͤge davon; aber allemal ſo ein Theil, der am klaͤrſten empfunden, am meiſten gewahr - genommen, und am leichteſten reproducibel iſt. Wenn ein ſolcher Zug aus der vorigen Empfindung wieder her - vorkommt, ſo ziehet er die uͤbrigen, wie ſeine Neben - theile mit hervor, oder es entſtehet doch ein Beſtreben,F 3ſie86I. Verſuch. Ueber die Naturſie hervorzuziehen. Hat die ganze vorige Empfindung von einem einzeln Gegenſtande aus mehrern Eindruͤcken, und zwar auf verſchiedene Sinne beſtanden; ſo iſt es, wie die Erfahrung lehret, oͤfters die Geſichtsempfindung, und das von ihr nachgebliebene Bild, deſſen die Seele ſich zu einer ſolchen Grundlage bey der Reproduktion der Empfindung bedienet. Dieſer Theil der Einbildung muß alſo die Reflexion, wo dieſe als ertheilende und den - kende Kraft ſich beweiſet, auf das Ganze hinfuͤhren, und dieß als ein Objekt ihr darſtellen. Dieſe zeichnende Be - ziehung der Vorſtellung auf die Empfindung ſetzet keine Vergleichung voraus. Sie lieget in der Natur der Wiedervorſtellungen. Aber wenn das Urtheil der Re - flexion hinzukommen, und wenn der Gedanke deutlich werden ſoll; da iſt ein Objekt, oder eine Sache, und dieſe Sache ſtelle ich mir vor, ſo iſt die Vorſtellung ſchon eine Jdee, welches ſie ohne Bewußtſeyn und ohne Ver - gleichungen nicht werden kann. Es iſt aber hier nicht die Rede von dem, was in der Action der Denkkraft enthalten iſt; es war nur die Rede von dem Geſetz, wor - nach dieſe Action der Denkkraft erreget wird.

Die Einbildung einer Sache oder die Vorſtellung von ihr, habe ich geſagt, ſey nur ein Theil der ganzen reproducirten Modifikation. Das heißet, moͤchte man einwenden; die Einbildung iſt nur ein Theil der Einbil - dung. Was iſt denn die ganze voͤllige Einbildung? Jch antworte: Man betrachtet hier nur die Einbildun - gen, in ſo ferne ſie Zeichen von andern Gegenſtaͤnden ſind, die wir durch ſie erkennen. Zu dieſer Abſicht ge - brauchen wir niemals das Ganze, ſondern nur einen her - vorſtechenden Theil, nur die Grundzuͤge, nicht alle klei - nen Nebenzuͤge; auch nicht alle diejenigen, die voͤllig wieder gegenwaͤrtig werden. Die voͤllige Reproduktion wird niemals zu einer ſolchen Abſicht gebraucht, ſondern zeiget ſich vielmehr als eine neue gegenwaͤrtige Empfin -dung,87der Vorſtellungen. dung, wo ſie ſo vollſtaͤndig wird, daß ſie alle kleinere Gefuͤhle der ehemaligen Empfindung enthaͤlt: Allein ſie koͤnnte doch auch in dieſem Zuſtande noch als eine auf die ehemalige Empfindung hinweiſende Vorſtellung gebrau - chet werden. Denn wo jene auch mit allen ihren Thei - len reproducirt wird, da wird doch kein Theil ſo voͤllig wieder ausgedruckt, als er in der Empfindung vorhan - den war, und daher bleiben immer Beſtrebungen zu - ruͤck, deren Effekte nicht hervorkommen, und die auf ein anders als ein plus ultra verweiſen.

XI. Eine Anmerkung uͤber den Unterſchied der analo - giſchen und der anſchaulichen Vorſtellungen.

Die Analogie der Vorſtellungen mit |ihren Gegen - ſtaͤnden macht dieſe aus jenen erkennbar. Ueber dieſe Beziehung iſt ſo vieles in den Schriften der neuern Philoſophen geſaget, daß ich bey meinem Vorſatz, alles vorbeyzugehen, oder doch nur um des Zuſammenhangs willen zu beruͤhren, was zur voͤlligen Evidenz von an - dern gebracht iſt, nicht mehr als nur eine Anmerkung uͤber die Natur unſerer eigentlich ſo genannten Analo - giſchen Vorſtellungen anzufuͤgen fuͤr nothwendig hal - te. Und auch dieſe ſetze ich hier nicht ſowohl darum her, weil ich glaube, daß die Sache nicht ſchon ins Reine ge - bracht ſey, ſondern, weil ich die Gelegenheit nicht vor - bey laſſen wollte, eine Anwendung von der vorherigen Betrachtung auf einen Theil unſerer Kenntniſſe zu ma - chen, deſſen Aufklaͤrung wichtig und fruchtbar iſt. Der erhabene Theil unſerer Vorſtellungen, welche die Gott - heit und ihre Eigenſchaften zum Gegenſtande hat, gehoͤ - ret zu den analogiſchen Jdeen.

Unſere Vorſtellungen von aͤußern koͤrperlichen Din - gen, und dieſe Gegenſtaͤnde ſelbſt, ſind ſo heterogenerF 4Natur,88I. Verſuch. Ueber die NaturNatur, wie der Marmor, aus dem eine Statue ge - macht iſt, und der menſchliche Koͤrper, den die Statue vorſtellet; ſo verſchiedenartig als das mit Farben beſtri - chene Leinwand und der abgemahlte lebende Kopf, und, wenn hier anders von Graden der Verſchiedenartigkeit geredet werden kann, noch verſchiedenartiger. Was hat das Bild von dem Mond in uns fuͤr eine Gleichar - tigkeit mit dem Koͤrper am Himmel?

Beziehen wir aber unſere urſpruͤnglichen Vorſtel - lungen, auf die vorhergegangenen Nachempfindun - gen, aus denen ſie zuruͤckgeblieben ſind, ſo findet wie - derum eine gewiſſe Einartigkeit zwiſchen ihnen Statt. Da ſind die Empfindungen, eben ſowohl als ihre nach - gebliebenen Spuren, Modifikationen der Seele, welche nur an Voͤlligkeit und Staͤrke von einander unterſchieden ſind. Oder, wenn man will, daß die im Gedaͤchtniß ruhende eingewickelte Vorſtellung zu der wieder entwickel - ten Einbildung und zu der Nachempfindung ſich wie die Dispoſition einer Kraft zu ihrer wirklichen Thaͤtigkeit verhalte, ſo iſt doch auch dieſe Beziehung ſchon mehr Homogenitaͤt, als die Beziehung des ideellen Mon - des auf den objektiviſchen außer uns. Die reprodu - cirte gegenwaͤrtige Vorſtellung iſt der vorhergegangenen Empfindung oder Nachempfindung naͤher und aͤhnlicher, als es die bloße Dispoſition oder die ruhende Vorſtel - lung iſt. Denn ſie iſt ſchon mehr entwickelt, als ein bloßer Keim oder Anlage zu der ehemaligen Empfindung.

Zu der allgemeinen Analogie zwiſchen Vorſtellun - gen und ihren Objekten kommt auch alsdenn noch eine naͤhere Aehnlichkeit hinzu, wenn die Vorſtellungen, Dinge und Beſchaffenheiten derſelben, die mit uns ſelbſt und unſern eigenen Beſchaffenheiten, aus denen der Stoff der Vorſtellungen genommen iſt, gleichartiger Natur ſind. Dieſes findet insbeſondere Statt bey denen aus dem Jnnern Sinn. Die Vorſtellungen von Denkungs -thaͤtig -89der Vorſtellungen. thaͤtigkeiten, von Gemuͤthsbewegungen und Handlun - gen ſind fuͤr uns Bilder von gleichartigen Modifikatio - nen anderer Menſchen und anderer denkenden und em - pfindſamen Weſen. Ein Vater ſtellet ſich vermittelſt ſei - nes eigenen Gefuͤhls es vor, was Vaterfreude uͤber Kin - der Wohl bey einem andern ſey u. ſ. w.

Dennoch iſt bey aller Verſchiedenartigkeit der Vor - ſtellungen von aͤußern Gegenſtaͤnden, und der Gegen - ſtaͤnde ſelbſt, dieſe Beziehung zwiſchen ihnen, daß jene aus der Empfindung der Gegenſtaͤnde entſpringen. Die Vorſtellung von der Sonne iſt eine Vorſtellung aus dem Anſchauen. Sie ſind alſo Modifikationen ſol - cher Weſen, wie wir ſind, welche entſtehen, wenn die Objekte ihnen gegenwaͤrtig ſind, und, vermittelſt ſolcher ſinnlichen Werkzeuge als die unſrigen, Eindruͤcke auf ſie machen. Dieſe Vorſtellungen ſind daher auch keine willkuͤhrlich gemachte Zeichen, ſondern natuͤrlich ent - ſtandene Abdruͤcke von den Objekten. So wird der Mond empfunden, und ſo ein Bild bringet er in uns hervor, wenn er geſehen wird, als die Geſichtsvorſtel - lung iſt, unter der wir uns ihn einbilden.

Der blinde Saunderſon hatte Vorſtellungen von den Lichtſtrahlen und von ihrem Zerſpalten in Farben, folglich von Dingen und Beſchaffenheiten, die durch keinen andern Sinn empfindbar ſind, als durch den, der ihm fehlte, und die es alſo fuͤr ihn nicht ſeyn konnten. Denn obgleich einige Blinde durch ein außerordentlich fei - nes und geſchaͤrftes Gefuͤhl die groͤbern Farben auf Tuͤ - chern und auf andern Flaͤchen einigermaaßen unterſchie - den haben, ſo hat man doch kein Beyſpiel, und iſt auch wohl keines jemals zu erwarten, daß ein Blinder auch die Farbenſtrahlen, die aus der Zertheilung des weiſen Sonnenlichts auf eine ebene Flaͤche fallen, durch das Gefuͤhl zu unterſcheiden im Stande ſeyn werde. Saun - derſon mag nicht einmal die groͤbern Farben auf den Tuͤ -F 5chern90I. Verſuch. Ueber die Naturchern gefuͤhlt haben. Wie konnten alſo ſeine Vorſtel - lungen beſchaffen ſeyn, die er von den unfuͤhlbaren Ei - genſchaften des Lichts hatte! Sie beſtanden ohne Zwei - fel aus Bildern von Linien und von Winkeln, aus geo - metriſchen Jdeen, die bey ihm ſo waren, wie ſie aus den Empfindungen des Gefuͤhls entſpringen koͤnnen. An Geſichtsbildern von Punkten und Linien und Win - keln, dergleichen der ſehende Geometer hat, fehlete es ihm. Daher waren ſeine Vorſtellungen von den Farben von den Vorſtellungen der Sehenden ſo unterſchieden - artig, als es Eindruͤcke unterſchiedener Sinne ſeyn koͤn - nen und als es Farben und Toͤne ſind. Und dennoch waren ſie mit ihren Objekten analogiſch, dennoch Vor - ſtellungen, wodurch die Gegenſtaͤnde erkannt, verglichen und beurtheilet werden konnten, auf dieſelbige Art wie die Gedanken durch Worte. Dieß war ein Beyſpiel aber es bedurfte eines ſolchen außerordentlichen Falles nicht, da ſo viele andere aͤhnliche vorhanden ſind daß wir aus unſern urſpruͤnglichen Vorſtellungen uns Vor - ſtellungen von Sachen verſchaffen, die wir weder em - pfunden haben, noch empfinden koͤnnen, und die, wenn ſie empfunden wuͤrden, Eindruͤcke in uns hervorbringen muͤßten, welche ganz verſchiedenartig von denen ſind, woraus wir die Vorſtellungen von ihnen gemacht haben.

Dieß iſt eine Art von Vorſtellungen, die auf ihre Gegenſtaͤnde keine naͤhere Beziehung haben, als allein die allgemeine Analogie, die zu jeder Gattung von Zei - chen unentbehrlich iſt. Sie entſprechen ihren Gegen - ſtaͤnden; einerley Vorſtellung gehoͤret zu einerley Objekt; unterſchiedene Vorſtellungen zu verſchiedenen. Jm uͤbrigen aber ſind ſie weder mit ihren Objekten gleichar - tig, noch in einer ſolchen Verbindung, wie Wirkungen mit ihren Urſachen. Und dieß ſind die analogiſchen Vorſtellungen, die darum ſo genennet werden, weil ſienichts91der Vorſtellungen. nichts mehr ſind, als dieſes; ſie geben bloß ſymboli - ſche Vorſtellungen.

Es iſt leicht zu begreifen, daß wir von ſolchen Ge - genſtaͤnden, die nicht empfunden werden koͤnnen, z. B. von dem Urheber der Welt, von den innern Kraͤften der Elemente, und ſo weiter, keine andere, als bloß analogiſche Vorſtellungen haben koͤnnen; wenigſtens kei - ne andere, als ſolche, die nur dieß und nichts mehr ſind, ſo viel wir es wiſſen. Man muͤßte denn geneigt ſeyn, Leibnitzens Gedanken von der allgemeinen Gleichartigkeit aller reellen Kraͤfte und Weſen anzunehmen, und zu glau - ben, daß ſie alle vorſtellende Kraͤfte ſind, in dem Sinn, wie es unſere Seele iſt. Jn einigen Faͤllen koͤn - nen die vorgeſtellten Objekte ſelbſt unempfindbar fuͤr uns ſeyn, und es laͤßt ſich doch vielleicht aus andern Gruͤn - den erkennen, daß ſie mit denen, die wir empfinden, von gleicher Natur, und alſo unſere Vorſtellungen von ihnen mehr als analogiſche Vorſtellungen ſind.

Jndeſſen beruhet der ganze Gebrauch, den die Ver - nunſt von den Vorſtellungen jedweder Art machen kann, lediglich auf ihrer Analogie mit den Gegenſtaͤnden. Es muß ſich Sache zur Sache, wie Vorſtellung zur Vor - ſtellung verhalten; und die Verhaͤltniſſe und Beziehun - gen der Vorſtellungen gegen einander mit den Verhaͤlt - niſſen und Beziehungen der Gegenſtaͤnde unter ſich, ei - nerley ſeyn. Und in ſo ferne dieſes Statt findet, ſind ſie fuͤr uns Zeichen der Dinge; weiter nicht. Denn bis ſo weit kann ſich die Erkennbarkeit der Sachen aus ih - nen und durch ſie nur erſtrecken. Daher ſind auch die blos analogiſchen Vorſtellungen nicht minder und nicht mehr zuverlaͤßiger, als die ihnen entgegengeſetzten, die man unter dem Namen von Anſchaulichen befaſſen kann. So weit als die Analogie der Vorſtellungen rei - chet, ſo weit ſind die Urtheile und Schluͤſſe zuverlaͤßig, die wir uͤber die Jdentitaͤt und Verſchiedenheit, uͤberdie92I. Verſuch. Ueber die Naturdie Lage und Beziehungen, und Abhaͤngigkeit der Ob - jekte faͤllen, und den Objekten außer uns zuſchreiben, wie ſolche in den Vorſtellungen, das iſt, in den ideellen Objekten gewahrgenommen werden. Beyde Arten, die analogiſchen und die anſchaulichen ſind eine Art von Sprache fuͤr uns, aber die letztere enthaͤlt die natuͤr - lichen Zeichen, die entweder Wirkungen auf uns von den bezeichneten Sachen ſind, oder gar eben dieſelbarti - gen Dinge. Die Analogiſchen ſind Zeichen, welche die Reflexion ſich entweder aus Noth ſelbſt macht, weil es ihr an andern fehlet, oder auch aus Bequemlichkeit. Der Aſtronom ſtellet auf einer Flaͤche von Papier das Weltgebaͤude vor, und der Mechaniker ziehet einen Triangel, deſſen Flaͤche und Seiten die Hoͤhe, wodurch die Schwere die Koͤrper heruntertreibet, die Zeit, in der ſolches geſchieht, und die Geſchwindigkeit, die im Fallen erlanget wird, vorſtellen, und nun ſchließet er aus den Verhaͤltniſſen der Linien und der Flaͤchen ſeiner Figuren auf die Verhaͤltniſſe der durch ſie abgebildeten und ihnen entſprechenden koͤrperlichen Beſchaffenheiten und Veraͤn - derungen. Wenn Hobbes, Hume, Robinet und andere die analogiſche Kenntniß von der Erſten Urſache darum fuͤr unzuverlaͤſſig erklaͤret, weil ſie analogiſch iſt, ſo beſtreiten ſie ſolche aus einem Grunde, aus dem auch die Gewißheit der anſchaulichſten Kenntniß beſtritten wer - den kann.

Einen Unterſchied giebt es indeſſen zwiſchen den an - ſchaulichen und analogiſchen Vorſtellungen, der uns die erſtere in mancher Hinſicht brauchbarer machet, als die letztere. Die Analogie mit den Objekten iſt bey den Anſchaulichen voͤlliger, und erſtrecket ſich uͤber mehrere Beſchaffenheiten, auch uͤber kleine Theile der ganzen Vorſtellung; wogegen bey den bloß analogiſchen vieles mit darunter iſt, was zu dem Analogiſchen und Zeichnen - den nicht gehoͤret. Zwey Geſichtsbilder von zweenMen -93der Vorſtellungen. Menſchen laſſen die beyden Gegenſtaͤnde in ſo manchen Hinſichten an der Groͤße, Farbe, Geſtalt, Lage der Thei - le, Stellung, Mienen bis auf kleine Beſchaffenheiten mit einander vergleichen. Da iſt in den ſinnlichen Vor - ſtellungen alles Bild und Zeichen. Wenn ſich hingegen ein blinder Mathematiker die verſchiedenen preismati - ſchen Farben nach ihrer Analogie mit den Toͤnen, unter Toͤnen vorſtellet, ſo ſind ſeine Vorſtellungen des Gehoͤrs nur Vorſtellungen von den Farben in einer ſehr einge - ſchraͤnkten Hinſicht. Jene ſind Gemaͤhlde auch in Hin - ſicht des Kolorits; dieſe nur in Hinſicht der Zeichnung. Und dieß iſt auch der Grund, warum man ſo leicht uͤber die Graͤnze der Aehnlichkeit hinaus gehen, und falſche Anwendungen von analogiſchen Jdeen machen kann. Jener Blinde ſtellte ſich das Licht wie den Zucker vor, der ihm einen angenehmen Geſchmack gab. Jn ſo weit konnte der Geſchmack eine Analogiſche Vorſtellung von der Geſichtsempfindung des Lichts abgeben. Aber wenn er nun daraus gefolgert haͤtte, das Licht laſſe ſich durch die Naͤſſe zerſchmelzen, oder mit den Zaͤhnen zermalmen, ſo wuͤrde dieß ſo ein Verſehen geweſen ſeyn, als aus der Ueberſchreitung der Analogie entſpringen muß.

Die vornehmſte Schwierigkeit bey unſern analogi - ſchen Kenntniſſen beſtehet gemeiniglich darinn, daß die Gruͤnde aufgeſucht und deutlich beſtimmet werden, wor - auf die Analogie unſrer Jdeen mit ihrem Objekte beru - het. Dieſe Gruͤnde der Analogie muͤſſen zugleich auch ihre Ausdehnung und ihre Grenzen anweiſen. Wie und auf welche Art wird es uns moͤglich, die Analogie unem - pfindbarer Gegenſtaͤnde mit empfindbaren, oder mit den Vorſtellungen dieſer letztern zu erkennen, und durch wel - che Wirkungsart des Verſtandes koͤnnen wir daruͤber unterrichtet werden? Auf dieſe Frage antworte ich durch eine neue Frage: Wie iſt es moͤglich, zu wiſſen, daß die aͤußern Gegenſtaͤnde und ihre ſinnlichen Bilder in unseinander94I. Verſuch. Ueber die Natureinander entſprechen? Woher weiß ich, daß ein frem - der Menſch vor mir ſtehe, wenn ich jetzo eine andere Geſtalt in mir habe? Jn ſolchen Faͤllen, wo nicht von der Analogie willkuͤhrlicher Zeichen, die wir ſelbſt ge - macht haben, und von deren Uebereinſtimmung wir alſo auch ſelbſt die Urheber ſind, ſondern von der Analogie unſerer natuͤrlichen Zeichen die Rede iſt, beruhet un - ſere Erkenntniß von ihr auf allgemeinen Grundwahrhei - ten der Vernunft, oder auf natuͤrlichen Denkungsgeſetzen des Verſtandes, nach welchen wir uͤber Gegenſtaͤnde, Dinge, Sachen und Beſchaffenheiten aller Arten ur - theilen und urtheilen muͤſſen. Nach ſolchen nothwendi - gen Denkgeſetzen beurtheilet die Vernunft alles, Bekann - tes und Unbekanntes, das Unempfindbare und das Em - pfundene, die Objekte und Vorſtellungen, Urſache und Wirkungen, und ſetzet die Grundanalogie zwiſchen ihnen feſt. Es iſt dieß aber ein Geſchaͤft der Denkkraft, die ſich der Vorſtellungen bedienet, und nicht eigentlich der vorſtellenden Kraft, die jene herbeyſchaffet. Jch uͤber - gehe daher die weitere Unterſuchung dieſer Denkungs - weiſe. Am meiſten liegen dabey die allgemeinen Axio - me von der Analogie der Wirkungen mit ihren Urſachen, und von der darauf beruhenden Erkennbarkeit der Urſache, aus ihren Wirkungen zum Grunde. Die ſind es, wor - nach wir die Analogie unſerer Vorſtellungen mit ihren Objekten, und zwar ſowohl bey den analogiſchen, als bey den anſchaulichen Vorſtellungen vorausſetzen. Wenn man aber bey einer Gattung von Bildern und Zeichen ihre Beziehung auf Objekte erkennet, ſo kann auch nach - her anſtatt derſelben eine andere, die ihr aͤhnlich oder mit ihr in der Empfindung verbunden iſt, gebrauchet, und die Analogie der erſtern Art mit den Objekten auf die letztere ihr untergelegte uͤbertragen werden.

XII. 95der Vorſtellungen.

XII. Von der bildlichen Klarheit in den Vorſtellungen. Sie kann von der ideellen in den Jdeen unter - ſchieden werden. Wie fern beyde ſich auf ein - ander und auf die zeichnende Natur der Vor - ſtellungen beziehen. Kritik uͤber die gewoͤhnli - chen Abtheilungen der Jdeen in dunkle und klare, verwirrte und deutliche.

Jch kehre wieder zuruͤck zu den urſpruͤnglichen Vorſtel - lungen, die aus vorhergegangenen Empfindungen in uns entſtanden ſind. Sie entſprechen ihren Gegen - ſtaͤnden, aber nur in ſo fern ſie klar und deutlich ſind.

Es iſt aber eigentlich nur die Rede von der Klarheit und Dunkelheit in den Vorſtellungen, noch nicht von derjenigen, die in den Jdeen als Jdeen iſt. Dieſe beyden Arten von Klarheit koͤnnen unterſchieden ſeyn. Jene iſt in der Vorſtellung, als in einer Modification, welche ſich auf ihr Objekt beziehet, ohne Ruͤckſicht auf das Bewußtſeyn, und auf das wirkliche Gewahrnehmen der Sache durch die Vorſtellungen. Sie iſt nur Un - terſcheidbarkeit; dagegen wo die Jdee klar iſt, da wird etwas wirklich unterſchieden. Jn der einfachen Empfindungsidee von dem weißen Sonnenlicht unter - ſcheiden wir keine prismatiſchen Farben. Die Vorſtel - lung iſt einfach, und enthaͤlt nichts von einander merk - lich abſtechendes; das es nemlich fuͤr uns ſey. Denn wir moͤgen ſo ſtark und ſo viel und von ſo vielen Seiten ſie anſehen als wir wollen; ſo iſt die Empfindung und ihre Vorſtellung unaufloͤslich, ob ſie gleich fuͤr ſich Man - nigfaltiges genug enthaͤlt. Jhre Zuͤge ſind fuͤr uns un - leſerlich. Dieß iſt bildliche Undeutlichkeit oder Verwirrung in den Vorſtellungen.

Die96I. Verſuch. Ueber die Natur

Die Jdee iſt, wenn dieß Wort noch in keiner ein - geſchraͤnkten Bedeutung genommen wird, eine Vor - ſtellung mit Bewußtſeyn, ein Bild, das von an - dern Bildern unterſchieden wird. Jn einer engern Be - deutung iſt es ein von uns zu einem Zeichen eines Ge - genſtandes gemachtes Bild. Die Jdeen koͤnnen dun - kel und verwirrt ſeyn, nicht weil es an der dazu noͤthi - gen Staͤrke oder Deutlichkeit des Abdrucks in der Vor - ſtellung fehlet, ſondern weil es an der Aufmerkſamkeit fehlet, welche erfordert wird, wenn die ſich ausnehmen - de und unterſcheidbare Zuͤge in der Vorſtellung bemerket werden ſollen. Die Vorſtellung kann nemlich eine an ſich ſehr leſerliche Schrift in uns ſeyn, und das Auge kann fehlen, das ſolche ſcharf und genau genug anſieht. Jn dem Gemaͤhlde, worinn der Geſchmackloſe nichts, als bunte Striche gewahr wird, erblickt das Auge des Kenners tauſend feine Zuͤge, Nuancen, Aehnlichkeiten, die dem erſtern entwiſchen, obgleich ſein Auge eben ſo gut die Lichtſtrahlen faſſet, als das vielleicht bloͤdere Ge - ſicht des letztern. Ein Jaͤger kann in den leichteſten Spuren die Thierart bemerken, die ſolche hinterlaſſen hat; der wilde Amerikaner ſieht es den Fußtapfen der Menſchen im Schnee und auf der Erde an, zu welcher Nation ſie gehoͤren, indem die Aufmerkſamkeit auf die kleinſten Zuͤge verwendet wird, die einem andern unbe - merkt bleiben, deſſen Beobachtungsgeiſt auf ſie nicht gefuͤhret wird. Es iſt bekannt, daß der Beobachter der Natur, der ſich der Vergroͤßerungsglaͤſer bedient, ge - wiſſe Theile und Beſchaffenheiten an den Objekten, wenn ſie vorher mit dem Glas entdecket ſind, nachher auch mit bloßen Augen gewahrnehme, ohne ſolche vor dem Gebrauch des Glaſes geſehen zu haben.

Dieſe und aͤhnliche Erfahrungen laſſen ſich weder aus der Verſchiedenheit des ſinnlichen Eindrucks, inſo - ferne dieſer in den aͤußern Objekten außer dem Gehirneſeine97der Vorſtellungen. ſeine Urſache hat; noch aus dem Unterſchied der Bilder auf der Netzhaut bey dem Geſichte erklaͤren. Es iſt offen - bar, daß es hier von der Aufmerkſamkeit bey der Beobach - tung abhange, warum Einer in derſelbigen Sache ſo mancherley ſiehet, wo der andere nichts unterſcheidet.

Doch mißdeute man dieſes nicht. Jch will nichts erſchleichen. Es iſt noch unentſchieden, ob die Zuͤge, die in der Jdee unbemerkt bleiben, nicht auch in der Vorſtellung, als Bild der Sache betrachtet, unausge - bildet und dunkel geblieben ſind? Ob nicht jedwedes, in der Vorſtellung genugſam hervorſtechendes und kenn - bares Merkmal auch zugleich in der Jdee wahrgenom - men werden muͤſſe? oder ob wol die Vorſtellung, als Bild ſo vollkommen ausgearbeitet, und eine ſo voͤllige Vorſtellung ſeyn koͤnne, als ſie es nachher iſt, ohne daß wir uns aller in ihr liegenden und abſtechenden Zuͤge be - wußt ſind? Ob nicht etwan nothwendig das Bewußt - ſeyn eben ſo weit uͤber das Bild und deſſen Zuͤge ſich er - ſtrecke, als dieſe ſelbſt in der Vorſtellung apperceptibel ſind? Ob das Bewußtſeyn eine eigene, von den Thaͤ - tigkeiten, durch welche die Vorſtellung ausgearbeitet wird, unterſchiedene Kraftaͤußerung ſey, die auch zu - weilen von jenen getrennet ſeyn koͤnne? Ueber dieſe Punkte will ich hier nichts ausmachen; zum wenigſten nicht gerade zu mich auf die angefuͤhrten Beobachtun - gen berufen. Aber ſo viel iſt aus ihnen offenbar, daß es wohl zu unterſcheiden ſey, ob die Undeutlichkeit und Dunkelheit in der Vorſtellung als in einer matten und verwirrten Abbildung ihres Gegenſtandes in uns, ihren Grund habe, oder ob ſie nur in der Jdee als Jdee, das iſt in der bearbeiteten und mit Bewußtſeyn verbundenen Vorſtellung vorhanden ſey. Wo es an der noͤthigen Helligkeit in der Vorſtellung fehlet, da muß es auch in der Jdee daran fehlen. Die Klarheit in jener erfordert eine Appercibilitaͤt, eine Erkennbarkeit; es muß dieI. Band. GVor -98I. Verſuch. Ueber die NaturVorſtellung zur Jdee gemacht werden koͤnnen. Die letztere Klarheit der Jdee iſt die wirkliche Apperception. Ob nicht jene Unterſcheidbarkeit in dem Bilde vorhan - den ſeyn, und doch das Bewußtſeyn fehlen koͤnne, das iſt die Frage, auf welche in der alten, und jetzo mehr ein - geſchlaͤferten als entſchiedenen Streitigkeit uͤber die Vor - ſtellungen ohne Bewußtſeyn, die Mißverſtaͤndniße abge - fondert, am Ende alles hinauslaͤuft. Aber hier habe ich die Beobachtungen nicht beyſammen, die erfordert werden, um dieſe nicht unwichtige Sache ins Helle zu ſetzen.

Die Vorſtellungen ſind nur Bilder von den Ob - jekten fuͤr uns, in ſo ferne ſie die gedachte bildliche Klarheit und Deutlichkeit beſitzen; weiter nicht. Jn ſo ferne ſie nicht gewahrgenommen werden koͤnnen mit der Aufmerkſamkeit, und alſo nicht genug zu dieſer Abſicht von andern abgeſondert und ausgezeichnet ſind, in ſo ferne ſind ſie fuͤr uns bloße Modifikationen in der Seele, denen die Analogie mit ihren Objekten fehlet, durch wel - che allein ſie nur Vorſtellungen von Sachen ſeyn koͤnnen. Sie muͤſſen ſich doch im Ganzen von einander unter - ſcheiden laſſen, wenn ſie Sachen im Ganzen; und ihre einzelnen Theile muͤſſen genug auseinander geſetzet ſeyn, wenn ſie beſondere Theile und Beſchaffenheiten an Sa - chen kennbar machen ſollen.

Es iſt eine viel feinere Frage, ob die zwote Eigen - ſchaft der Vorſtellungen, das Hinweiſen auf ihre Jdeate, auch in der naͤmlichen Beziehung mit ihrer bildlichen Deutlichkeit und Undeutlichkeit ſtehe. Dieſe Beſchaffenheit kommt ihnen zu, wegen der mit ihnen verbundenen Tendenzen, ſich weiter fort zu Empfindun - gen zu entwickeln. Es ſcheinet, von einer Seite die Sache betrachtet, nicht, daß dieſe Eigenſchaft an ihnen davon abhange, ob ihre Theile mehr oder minder ausein - ander geſetzet und an ſich apperceptibel ſind. Ein dunkler Flecken an der Wand, in der Ferne geſehen, ziehet unsmit99der Vorſtellungen. mit eben der Staͤrke auf den Gedanken, es ſey ein Ob - jekt an der Wand, was wir ſehen, als wir in der Naͤhe, wenn wir gewahr werden, daß es ein Miniaturportrait ſey, es fuͤr ein außer uns vorhandenes Gemaͤhlde erken - nen. Die Reflexion ſiehet in dem einen Fall wie in dem andern, bey den verwirrteſten Jdeen, wie bey den deutlichſten, nicht die Vorſtellung ſelbſt, ſondern durch ſie die Sache, die ihr Objekt iſt. Eben dieſes ſcheint auch die Natur der Vorſtellungen mit ſich zu bringen. Jeder einzelne Zug in ihnen iſt, wenn ſie wieder erwecket werden, oder wieder erwecket ſind, eine wieder aufge - weckte Spur einer ehemaligen Empfindung, und iſt alſo mit der Tendenz verbunden, den vorigen Zuſtand voͤllig herzuſtellen. Ob dieſe Zuͤge nun mehr durch ein - ander laufen, und ſich verwirren, oder ob ſie mehr ab - geſondert und auseinander geſetzet ſind, wie aͤndert das etwas an der Tendenz, oder an dem Anſatz ſich voͤlliger wieder darzuſtellen.

Jndeſſen iſt dieß doch nur ein Schein, wenn man die Sache von der andern Seite anſieht. Jſt die Vor - ſtellung im Ganzen klar, ſo iſt in ſo weit die Reflexion damit verbunden. Sie wird von andern im Ganzen unterſchieden. Jn ſo weit iſt Licht in ihr; und die Re - flexion wird auf das Objekt hingezogen, wenn gleich die einzelnen Theile der Vorſtellung fuͤr ſich ſolch eine Wir - kung nicht hervorbringen. So viel nur, und nichts mehr lehret die angefuͤhrte Beobachtung.

Aber die Beobachtung lehret auch eben ſo deutlich, daß, je dunkler eine Jdee iſt, deſto eher werden wirs ge - wahr, daß ſie eine Modifikation von uns ſelbſt, und in uns ſey. Es kommt uns ſo vor, ſagen wir; es ſchwebt uns vor den Augen; es lieget uns in den Ohren. Je weniger Klarheit in einer Vorſtellung iſt, je mehr ver - wirrt und dunkel ſie iſt; deſto mehr fuͤhlen wir die Vor - ſtellung als eine gegenwaͤrtige Veraͤnderung von unsG 2ſelbſt,100I. Verſuch. Ueber die Naturſelbſt, und deſto leichter wird die Reflexion dahin gezo - gen, ſie von dieſer Seite anzuſehen, und wir ſehen als - denn mehr die Vorſtellung in uns, als ihren Gegen - ſtand durch ſie. Wir ſehen den Spiegel, nicht die Sa - chen, deren Bilder in ihm geſehen werden; wir ſehen das Glas der Fenſter, nicht die aͤußeren Koͤrper, davon das Licht durch ſie faͤllt.

Dieß hat eine zwiefache Urſache. So ferne die Vorſtelluug und ihre Zuͤge nicht appercipirt werden, in ſo ferne iſt mit ihnen kein Aktus der Reflexion verbun - den, und es iſt alſo auch nicht moͤglich, daß die Refle - xion eine beſondere Richtung erhalte. Wo nichts ge - dacht wird, da wird auch der Gedanke nicht gedacht: es ſey etwas eine vormalige Empfindung, oder ein empfundener Gegenſtand. Die dunkle Vorſtellung mag alſo mit Tendenzen verbunden ſeyn, welche der Re - flexion einen Wink geben, und ihren Schwung beſtim - men koͤnnen; aber ſie winken auf ſie nicht, da die Thaͤ - tigkeit der letztern zuruͤcke bleibet.

Zweytens. Wenn ſich nun auch ein Aktus der Re - flexion mit der Vorſtellung verbindet, ſo kann doch, ſo lange die Vorſtellung ſelbſt noch nicht von den uͤbrigen gegenwaͤrtigen Beſchaffenheiten der Seele genug abge - ſondert iſt, um gewahrgenommen zu werden, auch nichts anders als das Beſtreben der Kraft, das Bild fer - ner und ſtaͤrker hervor zu heben, bemerket werden. Die Vorſtellung ſelbſt lieget alſo in dem Jnnern der Seele unter den uͤbrigen verſtecket. Fuͤhlt die Seele ihr Be - ſtreben, ohne die Wirkung deſſelben, nemlich die ab - geſondert daſtehende Vorſtellung, ſo iſt dieß Gefuͤhl mit dem innern Selbſtgefuͤhl vereiniget. Was wird daraus fuͤr ein Gedanke entſtehen, als dieſer, es ſey etwas da in uns ſelbſt.

Jſt die Vorſtellung im ganzen klar, aber viel be - faſſend und undeutlich, ſo laufen auch die mit ihren Zuͤ -gen101der Vorſtellungen. gen verbundene einzelne Beſtrebungen zu vormaligen Empfindungen, in einander. Alsdenn iſt zwar eine Tendenz zu einer Empfindung vorhanden, die man im Ganzen kennet, und deswegen auch die Vorſtellung im Ganzen fuͤr eine Vorſtellung eines Objekts anſieht; aber die einzelnen Theile derſelben koͤnnen nicht unterſchieden werden: dieſe einzelnen Beſtrebungen vereinigen ſich al - ſo mit den uͤbrigen innern Modifikationen, und bekom - men nun in Hinſicht auf die Reflexion eine gedoppelte Seite. Zuſammen vereiniget in eine ganze Tendenz, fuͤhren ſie oder fuͤhret vielmehr das Gefuͤhl von ihnen, auf eine Sache oder Objekt hin; aber einzeln ſind ſie unter andern Seelenbeſtrebungen vermiſcht, und das dunkele Gefuͤhl von ihnen in dieſer Vermiſchung muß gleichfalls mit dem Selbſtgefuͤhl vereiniget und ver - miſcht ſeyn, daher denn die Reflexion von dieſem Ge - fuͤhl auf einen gegenwaͤrtigen Zuſtand der Seele gerich - tet werden muß. Die Urſache, warum die dunkeln Spiegel und halbdurchſichtige Koͤrper mehr ſelbſt geſe - hen werden, als andere Koͤrper durch ſie, iſt derſelbige allgemeine Grund in einem beſondern Fall unter beſon - dern Umſtaͤnden.

Wer die Urſachen des deutlichen und des undeut - lichen Sehens aus der Optik kennet und den Grund davon verallgemeinert und auf die Deutlichkeit und Un - deutlichkeit der Jdeen uͤberhaupt anwendet, wird man - che Gelegenheiten finden, uͤber den gewoͤhnlichen Vortrag der Vernunftlehrer Kritiken zu machen. Eine verwirr - te Jdee, das iſt, eine klare aber undeutliche, wird als ein Jnbegriff von dunklen Vorſtellungen angeſehen, und die Urſache der Verwirrung wird in dem Mangel der Klarheit geſetzet, als wenn, um die Verwirrung zu he - ben, nichts erfordert werde, als nur mehr Licht aufzu - tragen. So iſt es nicht. Verdeutlichen iſt ein Aus - einanderſetzen, ein Entwicklen, und nicht, wenigſtensG 3nicht102I. Verſuch. Ueber die Naturnicht allemal, ſo viel als heller machen. Jn manchen Faͤllen iſt die allzugroße Helligkeit eben die Urſache von dem undeutlichen Sehen. Ohne mich hierauf weiter einzulaſſen, will ich um des folgenden willen nur eins im allgemeinen erinnern.

Wenn wir zwey Sachen oder zwey Beſchaffenheiten einer Sache oder was hier einerley iſt, ihre Vorſtellun - gen in uns, nicht unterſcheiden, ſo kann es daher ſeyn, weil wir keine von beiden gehoͤrig gewahrwerden. Jn dieſem Fall ſehen wir an beyden Sachen nichts. Aber es kann auch daran liegen, daß die Gegenſtaͤnde einan - der allzuaͤhnlich oder allzunahe bey einander ſind, oder ſich einander bedecken, oder auch ſonſten in der Vorſtel - lung ſo genau in einander fließen, daß ſie wohl beide zu - gleich, aber nicht jedes abgeſondert von dem andern vor - geſtellet werden koͤnnen. Jenes erſtere iſt der Fall bey den eigentlich dunklen Jdeen. Dieſe, in ſo ferne ſie dunkel ſind denn einigen Grad von Klarheit muͤſſen ſie beſitzen, um Jdeen zu ſeyn ſind nicht ſo ſtark ausge - druckt, daß man die Eine mit der andern, im Ganzen oder in Theilen, vergleichen, und unterſcheiden koͤnne. Man weis es nur aus aͤußern Umſtaͤnden, daß es zwey Vorſtellungen ſind und nicht Eine, und urtheilet dahe - ro, daß ihre Gegenſtaͤnde unterſchieden ſind, ohne ſolche weiter zu kennen. Jch ſehe z. B. des Abends im Fin - ſtern zwey Menſchen, davon einer zur Rechten, der an - dere zur Linken gehet. Dieſer Umſtand lehret mich, daß es zwo verſchiedene Gegenſtaͤnde ſind, was ich ſonſt aus den Vorſtellungen ſelbſt nicht gewußt haben wuͤrde. Die klaren Jdeen dagegen, welche zugleich undeutlich ſind, hat man mit vollem Recht verwirrte, ineinan - dergezogene genennet. Dieſe ſind nicht allein klar im Ganzen; ſie haben auch Licht in ihren einzelnen Zuͤgen, die man von den Zuͤgen einer andern gleich verwirrten Vorſtellung wohl unterſcheidet. Man unterſcheidet jajeden103der Vorſtellungen. jeden einzelnen Punkt in dem verwirrten Bilde von dem gruͤnen Felde, von einem jeden einzelnen Theil in dem verwirrten Bilde von einer Waſſerflaͤche. Nur unter - einander und von einander laſſen ſich die Theile der ver - wirrten Jdee nicht unterſcheiden. Jn einer weißen Flaͤche, die ſtark erleuchtet iſt, hat jeder einzelne Strich ein viel ſtaͤrkeres Licht, als es noͤthig ſeyn wuͤrde, ſie zu unterſcheiden, wenn ihre Farben verſchieden waͤren; und dennoch werden ſolche nicht von einander unterſchieden, als nur, wo dieß vermittelſt ihrer verſchiedenen Lage und Beziehungen auf andre Dinge geſchehen kann. Jhre zu große Aehnlichkeit unter einander iſt in dieſem Fall die vornehmſte Urſache von der Verwirrung. Um die Ver - wirrung, in ſo ferne ſie von der Dunkelheit unterſchieden iſt, wegzubringen, iſt es alſo nicht ſo wohl noͤthig, mehr Licht auf die Jdeen zu verbreiten, das zuweilen vermin - dert werden muß, ſondern vielmehr dahin zu ſehen, daß die Theile der Jdee, oder das Mannigfaltige und Un - terſcheidbare in ihr, auseinander geruͤckt und jedes bis dahin abgeſondert werde, daß es fuͤr ſich ohne die uͤbri - gen gewahrgenommen werden kann. Die Jdee muß zu dieſer Abſicht von verſchiedenen Seiten, aus verſchiede - nen Geſichtspunkten beobachtet, und mit andern vergli - chen werden, u. d. g.

Die Dunkelheit verurſachet fuͤr ſich keine Verwir - rung. Die Theile der ganzen Vorſtellung koͤnnen die - ſelbige Lage und Beziehungen gegen einander behalten, welche ſie haben, wenn ſie deutlich iſt, und es darf nur ihnen allen im gleichen Verhaͤltniße das Licht entzogen werden. Bey hellem Tage ſcheint eine entfernte Gruppe von Baͤumen ein in Eins fortgehendes Ganze zu ſeyn; da iſt Verwirrung. Sind wir in der Naͤhe, und ſehen jeden Baum beſonders, ſo wird, wenn die Nacht ein - bricht, die Vorſtellung verdunkelt, aber man findet nicht, daß die Jdeen von einzelnen Baͤumen zuſammen inG 4einander104I. Verſuch. Ueber die Natureinander fließen. Aber wenn die Dunkelheit zunimmt, ſo werden auch die dunklen Vorſtellungen wiederum den verwirrten aͤhnlich. Davon iſt die ſchoͤpferiſche Phan - taſie die Urſache. Denn ſobald die Klarheit der Vor - ſtellungen ſich bis auf eine gewiſſe Graͤnze hin vermin - dert hat, ſo findet die Phantaſie Gelegenheit, die ge - ſchwaͤchten und erloͤſchenden Zuͤge der Bilder aus ſich ſelbſt zu erſetzen. Es ſind alle Kuͤhe nach dem Sprich - wort, ſchwarz bey der Nacht; aber ſie haben die Farbe nicht, welche die ſchwarzen am Tage haben; ſondern weil die Gegenſtaͤnde in der Dunkelheit ganz farbenlos ſind, ſo giebt die Phantaſie ihnen die ſchwaͤcheſte und uͤberzieht ſie mit einem Schein, der nichts iſt, als ein von ihr ſelbſt gemachter Firniß. So entſtehen eigene Schattirungen, wo die einzelnen Zuͤge, wie bey verwirr - tem Schein, in einander laufen, und durch einander ge - miſcht werden. Und dieſe verdunkelten und modificir - ten Vorſtellungen ſind von den deutlichen noch weit mehr unterſchieden, als in Hinſicht der groͤßern oder geringern Klarheit, obgleich in den gewoͤhnlichen Faͤllen die Ver - wirrungen von der Phantaſie gehoben werden, und die einzelnen Theile des Ganzen in ihrer wahren Situation ſich wiederum darſtellen, ſobald das entzogene Licht zu - ruͤck gebracht wird.

XIII. Verſchiedene Thaͤtigkeiten und Vermoͤgen der vor - ſtellenden Kraft. Das Vermoͤgen der Per - ception. Die Einbildungskraft. Die bilden - de Dichtkraft.

Die urſpruͤnglichen Empfindungsvorſtellun - gen ſind der Grundſtoff aller uͤbrigen. Die abgeleiteten werden alle ohne Ausnahme aus ihnen ge -macht.105der Vorſtellungen. macht. Eine Betrachtung uͤber die Art und Weiſe, wie dieſes geſchicht, kann uns in die innere Werkſtatt der Seele fuͤhren, und es iſt unumgaͤnglich nothwendig, uns daſelbſt umzuſehen, um von der vorſtellenden Kraft aus ihren Wirkungen den vollſtaͤndigen Begrif zu erhal - ten, der uns in den Stand ſetzet, die Beziehung dieſes Vermoͤgens auf die uͤbrigen Seelenvermoͤgen zu be - greifen.

Was die Wirkungsarten betrifft, wodurch die Vor - ſtellungen in uns zu Jdeen werden, wodurch Bewußt - ſeyn und Gewahrnehmen der Gegenſtaͤnde durch ſie ent - ſtehet, ſo ſetze ich hier ſolche noch bey Seite. Worinne beſtehen die Thaͤtigkeiten der vorſtellenden Kraft, in ſo ferne ſie mit den bildlichen Abdruͤcken der Gegenſtaͤnde in uns beſchaͤftiget iſt, in ſo ferne ſie dieſe aufnimmt, wiedererwecket und umbildet? Der Weg iſt in dieſer Unterſuchung von andern voͤllig gebahnet, und faſt aus - getreten worden. Ueber dieſe Strecken werde ich ge - ſchwinde weggehen, und mich nur an ſolchen Stellen ver - weilen, wo es noch nicht voͤllig eben iſt.

Die Vorſtellungsthaͤtigkeiten koͤnnen unter die - ſen dreyen begriffen werden. Erſtlich, wir nehmen die urſpruͤnglichen Vorſtellungen aus den Empfindungen in uns auf, und unterhalten ſolche, indem wir nach - empfinden, und wir verwahren dieſe Nachempfindungen als aufgenommene Zeichnungen von den empfundenen Objekten in uns. Dieß iſt die Perception oder die Faſſungskraft. Zweytens, dieſe Empfindungsvorſtel - lungen werden reproduciret, auch wenn jene erſten Empfin - dungen aufgehoͤret haben, das iſt, ſie werden bis dahin wieder hervorgebracht, daß ſie mit Bewußtſeyn gewahrge - nommen werden koͤnnen. Dieſe Wirkung ſchreibet man gemeiniglich der Einbildungskraft oder der Phanta - ſie zu. Jnsbeſondere heißen die wieder hervorgezogene Vorſtellungen aus den aͤußern Sinnen Einbildungen,G 5oder106I. Verſuch. Ueber die Naturoder Phantasmata. Sie ſind uͤberhaupt, auch die aus dem innern Sinn mitgerechnet, unter dem Namen der Wiedervorſtellungen ſchon befaſſet worden.

Die erſten Empfindungsvorſtellungen legen ſich in der Seele in derſelbigen Ordnung an einander, in wel - cher ſie nacheinander hervorgebracht worden ſind. Sie reihen ſich an einander, und wenn die kleinern Zwi - ſchenvorſtellungen zwiſchen andern herausfallen, ſo ruͤ - cken die in der Empfindung etwas entfernte in der Ein - bildungskraft dichter zuſammen. Dieß geſchiehet ge - woͤhnlicher Weiſe alsdenn, wenn wir mehrmalen eine Reihe von Empfindungen wiederholen, und nur auf ei - nige ſich ausnehmende Theile derſelben aufmerkſam ſind. Eben dadurch ziehen ſich oft mehrere getrennte Empfin - dungen als Theile in ein Ganzes zuſammen, und ma - chen eine zuſammengeſetzte Vorſtellung aus.

Die Phantaſie wuͤrde alſo bey der Reproduktion der Vorſtellungen lediglich ihrer vorigen Koexiſtenz in den Empfindungen nachgehen, wenn nicht noch ein anderer Grund hinzukaͤme, der ihre Richtung beſtimmet, nem - lich dieſer: Aehnliche Vorſtellungen fallen auf einander, gleichſam in Eine zuſammen. Dieß iſt nicht allein von ſolchen wahr, die von merklich aͤhnlichen Gegenſtaͤnden entſpringen, ſondern es fallen uͤberhaupt Vorſtellungen zuſammen, in ſo ferne ſie einander aͤhn - lich ſind. Wo nur Ein gemeinſchaftlicher bemerkbarer Zug, nur eine aͤhnliche Seite in ihnen iſt, da fallen dieſe Zuͤge und dieſe Seiten in einander, die Aehnlichkeiten machen die Vereinigungspunkte der Vorſtellungen aus; und die Stellen, wo die Phantaſie von Einer zu mehren andern unmittelbar uͤbergehen, und aus einer Reihe von Vorſtellungen in eine andere hinuͤber kommen kann, die doch in den Empfindungen, dem Ort und der Zeit nach, von jener weit abſtand. Das Geſetz der Aſſo - ciation der Jdeen iſt daher zuſammengeſetzt. DieVor -107der Vorſtellungen. Vorſtellungen werden auf einander wieder er - wecket nach ihrer vorigen Verbindung und nach ihrer Aehnlichkeit.

Drittens. Aber auch dieſes Wiederhervorbringen der Jdeen iſt noch nicht alles, was die menſchliche Vor - ſtellungskraft mit ihnen vornimmt. Sie bringet ſie nicht allein wieder hervor, veraͤndert nicht bloß die vori - ge Koexiſtenz, indem ſie einige naͤher zuſammenbringet, als ſie es vorher waren, andere wiederum weiter aus - einanderſetzet, und alſo ihre Stellen und Verbindungen bald ſo bald anders beſtimmt, ſondern ſie ſchaffet auch neue Bilder und Vorſtellungen aus dem in den Em - pfindungen aufgenommenen Stoff. Dieſe Wirkungen ſind oben ſchon angezeiget worden. Die Seele kann nicht nur ihre Vorſtellungen ſtellen und ordnen, wie der Aufſeher uͤber eine Gallerie die Bilder, ſondern ſie iſt ſelbſt Mahler und erfindet und verfertiget neue Ge - maͤlde.

Dieſe Verrichtungen gehoͤren dem Dichtungsver - moͤgen zu; einer ſchaffenden Kraft, deren Wirkſam - keitsſphaͤre einen groͤßern Umfang zu haben ſcheinet, als ihr gemeiniglich zuerkannt wird. Sie iſt die ſelbſtthaͤ - tige Phantaſie; das Genie nach des Hrn. Girards Erklaͤrung, und ohne Zweifel ein weſentliches Jngre - dienz des Genies, auch in einer weitern Bedeutung des Worts, die das Genie nicht eben allein auf Dichter - genie einſchraͤnket.

Jch weis keine Thaͤtigkeit der Seele, in ſo ferne ſie mit den Vorſtellungen zu thun hat, welche nicht unter eine von dieſen dreyen gebracht werden koͤnnte. Nur, wie ich vorher erinnert habe, diejenigen noch bey Seite geſetzet, wodurch Bewußtſeyn entſtehet, und Vorſtellun - gen zu Jdeen und Begriffen erhoben werden.

XIV. 108I. Verſuch. Ueber die Natur

XIV. Ueber das Geſetz der Jdeen-Aſſociation. Deſſen eigentlicher Sinn. Jſt nur ein Geſetz der Phantaſie bey der Reproduktion der Vorſtel - lungen. Jſt kein Geſetz der Verbindungen der Jdeen zu neuen Reihen.

Seitdem Locke das ſogenannte Geſetz der Jdeenver - knuͤpfung nicht zwar zuerſt entdecket, aber doch deutlich wahrgenommen hat, iſt dieß wie ein Grundge - ſetz in der Pſychologie angeſehen worden. Man hat es in allen ſeinen Anwendungen aufgeſpuͤret, und einen Schluͤſſel zu dem geheimſten und innerſten Gemaͤchern in der Seele darinn gefunden. Es iſt in der That ein wichtiger und fruchtbarer Grundſatz, wenn es auch das nicht alles iſt, wofuͤr es von einigen gehalten wird. Was ſo oft geſchicht, daß ein Princip, woraus ſo vie - les erklaͤret werden kann, fuͤr das einzigſte angeſehen wird, woraus alles ſoll erklaͤret werden; und daß eine Urſache, die unter den uͤbrigen mitwirkenden hervor - ſticht, allein die Aufmerkſamkeit auf ſich ziehet, und deswegen die uͤbrigen deſto leichter uͤberſehen laͤßt, das hat ſich wie es mir ſcheinet, auch hier zugetragen. Das Geſetz der Aſſociation ſoll den Grund angeben, warum auf die Jdee A in dem Kopf eines Menſchen die Jdee B hervortritt, wenn keine neue Empfindung die letztere hineinſchiebet; und dieſen Grund von der Jdeenfolge ſoll es voͤllig und beſtimmt angeben. Dieß verdienet ei - ne naͤhere Unterſuchung. Haͤnget die Folge, in der die Wiedervorſtellungen auftreten, die Einmiſchung neuer Empfindungen bey Seite geſetzet, allein von der Phan - taſie ab? und in wie weit kann die Aehnlichkeit oder die ehemalige unmittelbare Verbindung der Jdeen A und B es beſtimmen, daß auf A eben B, und nicht jede andere wieder hervorgezogen wird?

Die109der Vorſtellungen.

Die Regel der Aſſociation wenn nichts mehr in ihr geſagt wird als was aus den Beobachtungen zu - naͤchſt folget, und wenn in ihrem Ausdrucke alle Woͤr - ter vermieden werden, die nur unbeſtimmte Beziehun - gen angeben, und mehr geſchickt ſind, dem Verſtande einige allgemeine Begriffe vorſchimmern zu laſſen, als ihm ſolche deutlich und abgemeſſen darzuſtellen, will ſo viel ſagen: wenn die Seele von der Vorſtellung A, die dieſen Augenblick in ihr gegenwaͤrtig iſt, zu einer andern B in dem naͤchſtfolgenden Augenblick unmittel - bar uͤbergehet, und dieſe letztere B nicht aus einer Em - pfindung hineingeſchoben wird, ſo iſt die Veranlaſſung dazu, daß eben B auf A folget, entweder dieſe, weil beide vorher in unſern Empfindungen, oder auch ſchon in den Vorſtellungen, ſo nahe mit einander verbunden geweſen ſind, oder weil ſie einander in gewiſſer Hin - ſicht aͤhnlich ſind.

Die Sinne wollen wir ruhen laſſen, wenn der Gang der Phantaſie beobachtet werden ſoll; die Em - pfindungen von außen her ſollen ſich alſo nicht einmiſchen, und auch die innern Sinne nichts beytragen, ſondern die Einbildungskraft ſoll freye Haͤnde haben, zu arbeiten, ſo wie ſie im Schlummer und im Traume ſie hat. Wenn die Phantaſie gleichguͤltig und abſichtslos die vorigen Jdeen wieder hervorziehet, ſo gehet ſie der Ord - nung nach, in der die Vorſtellungen in den Empfindun - gen oder auch ehemals in den Vorſtellungen neben ein - ander und auf einander gefolget ſind. Dagegen verfol - get ſie mehr das Aehnliche, das Gemeinſchaftliche, an welchem die Jdeen zuſammenhangen, und bringet aͤhn - liche nach einander hervor, ſobald ſie in einer lebhaften fortdaurenden Gemuͤthsbewegung ſich befindet, und Trieb, Begierde und Abſicht ſie nach einer gewiſſen Richtung hinſtimmet. Die Koexiſtenz der Vorſtel - lungen in der Empfindung verbindet ſie unter einander wieein110I. Verſuch. Ueber die Naturein Faden die auf ihn gezogenen Perlen. Die Aehn - lichkeit vereiniget ſie, wie ein gemeinſchaftlicher Mit - telpunkt, um welchen herum mehrere aͤhnliche Jdeen anliegen, ſo daß von der Einen zur andern ein unmittel - barer Uebergang moͤglich iſt, auch bey ſolchen, die ſon - ſten in der Reihe der Koexiſtenz ſehr weit von einander abſtehen. Die Einbildungskraft wechſelt mit beiden Arten der Verbindungen ab und machet neue Verbin - dungen. Nie iſt ſie Einer dieſer Beziehungen allein nachgegangen, wenn wir eine ganze Reihe von Repro - duktionen unterſuchen, die eine merkliche Laͤnge hat. Nur liebet ſie unter gewiſſen Umſtaͤnden mehr den einen, unter andern mehr den andern Hang. Bey einem ver - gnuͤgten Herzen fuͤhret die Phantaſie lauter heitere Jdeen hervor; bey einem niedergeſchlagenen lauter traurige, bey einem betrachtenden ſolche, die mit dem allgemeinen Begriffe, deſſen Bearbeitung er vorhat, in Verbin - dung ſind. Jede einzelne der wiedererweckten Vorſtel - lungen wuͤrde ganze Reihen von andern in Geſellſchaft mit ſich fuͤhren, und die Seele wuͤrde ſich zerſtreuen. Aber weil ſie in ihrem Standort ſich feſthaͤlt, ſo wendet ſie ſich mehr nach ſolchen Jdeen hin, die um ihren ge - genwaͤrtigen Zuſtand, wie um einen gemeinſchaftlichen Mittelpunkt herumliegen, und unterdruͤcket die verbun - dene Nebenreihen, die ſich auch wohl regen und zwi - ſchendurch hervortreten wollen.

Dieß Geſetz der Aſſociation beſtimmet nichts mehr, als die Ordnung, wie Jdeen auf einander folgen, wenn die Phantaſie allein wirket. Es beſtimmet nicht die ganze wirkliche Ordnung, in welcher die Vorſtellungen erfolgen, und enthaͤlt auch das Geſetz der bildenden Dichtkraft nicht, wenn dieſe neue Jdeen machet. Wo die letztere wirket, und durch ihre Wirkſamkeit neue Verbindungen hervorbringet, da reichet jenes Geſetz bey weitem nicht hin, den Grund der geſammten thaͤti -gen111der Vorſtellungen. gen Aſſociation anzugeben. Eigentlich beſtimmet die Regel nichts mehr, als welche Jdee uͤberhaupt auf ei - ne andere folgen koͤnne? Auf die Jdee A kann nem - lich entweder eine von den ihr aͤhnlichen, oder eine von den koexiſtirenden folgen, aber von welcher Art wird nun eine folgen? das haͤnget von den Urſachen ab, wo - von die Einbildungskraft waͤhrend ihrer Wirkſamkeit gelenket und regieret wird.

Und weiter. Soll eine von den aͤhnlichen Jdeen auf A folgen, welche? und nach welcher Aehnlichkeit? Alle Vorſtellungen haben gemeinſchaftliche Zuͤge, und jede zwo derſelben haben mehr als Einen Punkt, woran ſie zuſammenhangen. Welches iſt nun der Punkt, um den herum die Phantaſie, als um einen Mittelpunkt wirket? Bey einer jeden einzelnen Jdee iſt bald dieſe, bald eine andere die naͤchſte, je nachdem es dieſe oder je - ne Beſchaffenheit, dieſe oder jene Seite iſt, von der ſie angeſehen wird, und an der ſie mit andern zuſammen - haͤnget. Jn dieſer Hinſicht iſt die Verknuͤpfung der Jdeen in der Seele eine durchgaͤngige Verbindung ſingularum cum ſingulis. Es gibt alſo faſt keine Jdee, von der, zumal in einer großen und reichen Einbildungs - kraft, nicht ein unmittelbarer Uebergang zu jeder andern vorhanden waͤre, wenn gleich dieſer Weg bey vielen eng und ſo ungewohnt iſt, daß die Phantaſie weit leichter und gewoͤhnlicher einen andern nimmt.

Die Anzahl der mit jeder einzelnen Jdee vorher verbundenen, oder durch die Koexiſtenz angereiheten, iſt ebenfalls ſehr groß, und wird es immer mehr, da neue Verbindungen bey jeder Reproduktion zu Stande kom - men.

Da alſo dieß Geſetz der Aſſociation nichts weiter lehret, als daß auf eine gegenwaͤrtige Vorſtellung eine andere folge, die mit ihr einen gemeinſchaftlichen Ver - einigungspunkt hat, oder eine ſolche, die ehedem mitihr112I. Verſuch. Ueber die Naturihr verbunden geweſen iſt; ſo gibt dieſe Regul die wahre Folge der Jdeen nicht beſtimmter an, als wenn man ſagte: auf eine gegenwaͤrtige Jdee kann faſt eine jed - wede andere folgen. Wird die Regelloſigkeit der Phantaſie darum eine Regelmaͤßigkeit, weil die Jdeen nach dieſer Regel reproduciret werden? Jſt in einem Quodlibet deswegen eine ordentliche Gedankenfolge, weil dieſe Folge durch eine Regel beſtimmet wird, wel - che ſaget, daß keine Ordnung darinn ſeyn ſoll.

Noch weiter uͤber die Wahrheit hinaus iſt es, wenn einige in dem Geſetz der Aſſociation ein allgemeines Ge - ſetz gefunden haben wollen, daß die ganze Folge der Vorſtellungen in der Seele beſtimmen ſoll, in ſo ferne ſie nicht von neuen Empfindungen unterbrochen wird. Wenn die Sonne aufgehet, ſo ſiehet man in Oſten lie - gende entfernte und dunkele Gebuͤſche fuͤr Berge an, und ſo ſcheinet es uns auch bey dieſer Regel gegangen zu ſeyn. Es mag ſeyn, daß aus ihr die Folge der Vor - ſtellungen, welche alsdenn wieder erwecket werden, wenn alle uͤbrige Seelenvermoͤgen unthaͤtig ſind und nur allein die wiederhervorbringende Phantaſie beſchaͤftiget iſt, und ich will zugeben, daß ſie dieſe Folge voͤllſtaͤndig erklaͤre; wo und wie ſelten findet denn wohl dieſe angenomme - nen Bedingung Statt? Wenn arbeitet die Phantaſie allein an der wirklichen Aſſociation der Jdeen, wozu ſie nur die Materialien, der obigen Regel gemaͤß, darbie - tet? Das ſelbſtthaͤtige Dichtungsvermoͤgen kommt da - zwiſchen, und ſchaffet neue Vorſtellungen aus denen, die da ſind, und machet alſo neue Vereinigungspunkte, neue Verknuͤpfungen und neue Reihen. Die Denkkraft entdecket neue Verhaͤltniſſe und Beziehungen, neue Aehnlichkeiten, neue Koexiſtenzen, und neue Abhaͤn - gigkeiten, die vorher nicht bemerket waren, und machet auf dieſe Art neue Kommunikationskanaͤle zwiſchen den Jdeen, wodurch einige zur unmittelbaren Verbindungkommen,113der Vorſtellungen. kommen, andere von einander abgeriſſen werden, die es vorher nicht geweſen ſind. Sollen etwan alle dieſe neuen ſelbſtthaͤtigen Aſſociationen mit zu den Empfin - dungen, die dazwiſchen kommen, etwan zu den Empfin - dungen des innern Sinnes gerechnet werden, von denen man voraus angenommen hat, daß auf ſie keine Ruͤck - ſicht genommen werde? Wenn dieß iſt, ſo heißet jene Regel der Jdeenfolge ſo viel: die Jdeen werden wie - derum erwecket, nach ihrer Aehnlichkeit oder nach ihrer Koexiſtenz, wenn nichts dazwiſchen kommt. Aber die - ſes Wenn iſt ein Wenn, das Ausnahmen zulaͤßt, die vielleicht zur Regel gemacht, und das was Regel iſt, ſo gut als Ausnahme angeſehen werden muß.

Die durch die verſchiedenen Vermoͤgen der Seele, durch ihr Gefuͤhl, ihre bildende Dichtkraft, die Refle - xion und andere, alle Augenblicke hervorgebrachte Ver - bindungen, erfolgen jede nach ihren eigenen Geſetzen. Denn jedes Seelenvermoͤgen beobachtet ein gewiſſes Ge - ſetz, ſo oft es wirkſam iſt, und auch die ſchaffende Dicht - kraft beobachtet die ihrigen, wenn ſie neue Jdeen her - vorbringet. Dieſe Geſetze koͤnnen einzeln aus den Be - obachtungen erkannt werden, wie es von den Pſycholo - gen zum Theil ſchon geſchehen iſt. Aber da nun alle Vermoͤgen, jedes nach ſeiner Regel in Verbindung ſind, und in dieſer Verbindung wirken, weſſen Verſtand iſt groß genug, dieſe beſondern Regeln in Eine allgemeine zuſammen zu faſſen, durch welche die wahre Folge der Vorſtellungen bey einem gegebenen Jdeenvorrath und bey den gegebenen damaligen Empfindungen beſtimmet werden koͤnnte? Die einzelnen Urſachen, welche Wind und Wetter abaͤndern, und ihre Arten zu wirken ſind bekannt. Aber die Naturkuͤndiger ſind noch weit von dem allgemeinen Geſetz entfernt, wonach ſich die Be - ſchaffenheit der veraͤnderlichen Witterung in unſern Ge - genden berechnen ließe. Die Geſetze der AttraktionI. Band. Hkennet114I. Verſuch. Ueber die Naturkennet jeder Naturlehrer, und doch iſt das ſogenannte Problem de trois corps, das Geſetz der Bewegung, wenn drey Koͤrper ſich einander anziehen, ein Kreuz der Analyſten. Es iſt in der Seelenwelt wie in der Koͤr - perwelt. Die einzeln Urſachen und ihre Wirkungsarten einzeln zu erkennen, das iſt noch lange nicht die Erkennt - niß der Regel, nach der die Wirkung erfolget, wenn dieſe mehrern Urſachen zugleich in Vereinigung mit ein - ander wirken. Solch ein beſondres Geſetz fuͤr ein be - ſonders Vermoͤgen iſt das Geſetz der Jdeenaſſocia - tion.

Hiemit ſoll der große Nutzen, den die Entdeckung dieſes pſychologiſchen Geſetzes geleiſtet hat, nicht ge - laͤugnet noch heruntergeſetzet werden. Nichts weniger. Nur leſe man nichts mehr darinn, als was darinn ent - halten iſt. Man ſehe kein Ungeheuer von Rieſen, wo nichts als ein ſimpler Menſch ſtehet.

XV. Von115der Vorſtellungen.

XV. Von der bildenden Dichtkraft.

  • 1) Der Begriff von ihr.
  • 2) Ob ihre Wirkſamkeit auf ein Zertheilen und Wiederzuſammenſetzen eingeſchraͤnkt ſey?
  • 3) Sie macht neue einfache Vorſtellungen.
  • 4) Graͤnzen dieſer Schoͤpferkraft.
  • 5) Graͤnzen des Vermoͤgens, Vorſtellungen aufzuloͤſen.
  • 6) Ueber die allgemeinen ſinnlichen Vorſtel - lungen.
  • 7) Geſetze der ſchaffenden Dichtkraft.
  • 8) Folgen, die aus dieſer Wirkungsart der Dichtkraft fließen, in Hinſicht des Urſprungs der Vorſtellungen aus Empfindungen.
  • 9) Einfluß der Dichtkraft auf die Ordnung, in der die Reproduktionen der Phantaſie er - folgen.
  • 10) Die Wirkſamkeit der Dichtkraft erſtrecket ſich uͤber alle Gattungen von Vorſtellungen.

1.

Der bildenden Dichtkraft habe ich mehrmalen er - waͤhnt und ihr ein Vermoͤgen, neue einfache Vorſtellungen aus dem Stoff der Empfindungsvorſtel - lungen zu bilden, beygelegt. Dieß ſetzet eine groͤßere Jdee von dieſer ſchoͤpferiſchen Kraft voraus, als die meh - reſten fuͤr richtig erkennen werden, daher dieſe Be - hauptung noch beſonders mit Beobachtungen bewieſen werden muß. Die Frage iſt dieſe: Wie weit gehet das Selbſtmachen bildlicher Vorſtellungen? Kann dieH 2Selbſt -116I. Verſuch. Ueber die NaturSelbſtmacht der Seele die Empfindungsvorſtellungen vermiſchen und aus dieſer Vermiſchung neue ſinnliche Bilder hervorbringen, wie ein Maler aus der Vermi - ſchung der Farben neue Farben machet? Wie weit kann ſie der Natur und den Chemiſten in der Aufloͤſung nachkommen? wie weit alſo neue verwirrte Scheine her - vorbringen, die fuͤr uns einfach ſind, wie einfache Em - pfindungsvorſtellungen, und doch nicht in der Gewalt, ſo wie ſie da ſind, aus den Empfindungen geholet wor - den ſind?

2.

Die Pſychologen erklaͤren gemeiniglich das Dichten durch ein bloßes Zertheilen und Wiederzuſammen - ſetzen der Vorſtellungen, die in den Empfindungen aufgenommen, und wieder hervorgezogen ſind. Aber ſollte dieß das Eigene der Fictionen ganz ausmachen? Wenn es ſo iſt, ſo iſt auch das Dichten nichts anders als ein bloßes Stellverſetzen der Phantasmen; ſo wer - den dadurch keine neue fuͤr unſer Bewußtſeyn einfache Vorſtellungen entſtehen koͤnnen. Nach dieſer Voraus - ſetzung muß jeder ſelbſtgebildeter ſinnlicher Schein, wenn man ihn in die einzelnen Theile zerleget, die durch Reflexion unterſchieden werden koͤnnen, aus lauter Stuͤ - cken beſtehen, die ſo einzeln genommen, reine Einbil - dungen, oder erneuerte Empfindungsvorſtellungen ſind. Die Vorſtellung von dem Pegaſus iſt ein Bild von einem gefluͤgelten Pferde. Wir haben das Bild von einem Pferde aus der Empfindung, und das Bild von den Fluͤgeln auch. Beyde ſind reine Phantasmen, die von andern Vorſtellungen abgeſondert, und hier in dem Bil - de des Pegaſus mit einander verbunden ſind. Jn ſo weit iſt dieſes nichts, als eine Wirkung der Phantaſie, die nur ihre empfangnen einzelen Empfindungsvorſtel - lungen, welche ſie hie und da her aus andern Verbin -dungen117der Vorſtellungen. dungen herausgenommen hat, jetzo in einer neuen Lage bey einander darſtellet, in der ſie in der Empfindung nicht beyſammen geweſen ſind. Allein dieß iſt nur ein Zertheilen und ein Wiederaneinanderſetzen. Dieß iſt noch nicht Entwickeln, Aufloͤſen und Wieder - vereinigen, kein Jneinandertreiben und Vermi - ſchen.

Jch will nicht dagegen ſeyn, wenn man alle dieſe genannten Wirkungsarten unter dem generiſchen Begrif des Zertheilens und des Zuſammenſetzens bringen will. Alle Aufloͤſungen in der Natur und alle Vermi - ſchungen ſind in dieſem Sinn nichts als neue Theilun - gen und neue Zuſammenſetzungen. Aber es ſind als - denn doch die beiden Arten dieſer Operationen zu unter - ſcheiden, durch deren Eine die neuen fuͤr unſer Bewußt - ſeyn einfache Scheine hervorkommen, da durch die an - dern nur neue Verbindungen ſolcher Scheine, deren wir uns einzeln ſchon bewußt geweſen ſind, oder es doch ha - ben ſeyn koͤnnen, entſtehen. Sieben Reihen von den prismatiſchen Farben neben einander gelegt, machen noch keinen weißen Strich, der doch aus der Vermi - ſchung von ihnen entſpringet. Jn dem einen Fall iſt entweder das ganze Bild, oder doch die einzelnen Theile, die die Reflexion darinn unterſcheidet, zerſtreuet hie und da in aͤhnlicher Geſtalt in den Empfindungsvorſtellun - gen vorhanden: Jn dem andern aber zeigen ſich einfache Bilder von andern Geſtalten, als ſich jemals unter den Empfindungsvorſtellungen haben antreffen laſſen.

Die gewoͤhnliche Erklaͤrungsart von dem Entſtehen der Fiktionen ſcheint mir auch bey den gemeinſten Bey - ſpielen von Dichtungen unhinlaͤnglich zu ſeyn, um alles das voͤllig zu begreifen, was die Dichtungskraft in ih - nen hervorbringet. Nur die vorher angefuͤhrte Erdich - tung von neuem aufmerkſam betrachtet, ſo deucht mich, es iſt noch etwas mehr darinn als ein bloßes Zuſammen -H 3ſetzen.118I. Verſuch. Ueber die Naturſetzen. Die Fluͤgel des Pegaſus moͤgen in dem Kopf des erſten Dichters, der dieß Bild hervorbrachte, ein reines Phantasma geweſen ſeyn; und die Vorſtellung von dem Pferde gleichfalls. Aber da iſt eine Stelle in dem Bilde an den Schultern des Pferdes, etwas dunkler, als die uͤbrigen, wo die Fluͤgel an dem Koͤrper ange - ſetzet ſind; da fließen die Bilder von des Pferdes Schul - tern und von den Wurzeln der Fluͤgel in einander; da iſt alſo ein ſelbſtgemachter Schein, der ſich verlieret, wenn man das Bild vom Pferde und das Bild von den Fluͤ - geln deutlich von einander wieder abtrennet. Verbindet man blos dieſe beyden Bilder, ſo hat man die Fluͤgel dicht an den Schultern des Pferdes angeſetzet; aber dann erſcheinen ſie nicht ſo, wie vorher in der verwirr - ten Fiktion, nicht ſo, als wenn ſie daran gewachſen ſind; es iſt kein in eins fortgehendes Ganze mehr da, wie es in der lebhaften Dichtung war, wo die beyden Bilder an ihren Graͤnzen mit einander vermiſcht und gleichſam in einander hineingeſetzet waren, wovon ihre Vereinigung zu Einem Ganzen, und die Einheit in der Fiktion ab - hieng. Jſt hier alſo nichts mehr als ein Aneinanderle - gen zweyer Einbildungen?

Um die gewoͤhnliche Theorie zu rechtfertigen, moͤchte man die Vereinigung der beiden gedachten Phantasmen dadurch erklaͤren, daß die Phantaſie an der Stelle, wo die beyden Theile vereiniget ſind, noch ein drittes dunk - les Phantasma hinzuſetze, und da gleichſam eine Hefte oder ein Band auflege, um jene zuſammen zu halten. So wuͤrde denn wiederum das Ganze nichts anders ſeyn, als ein Haufen zuſammengebrachter einzelner Phantas - men. Jch antworte ohne noch auf andere Fiktio - nen zu ſehen, die unten angefuͤhret werden ſollen dieſe Erklaͤrung ſey ſchon aus dem Grunde unzulaͤnglich, weil man hier außer den einzelnen Phantasmen von dem Pferde und von den Fluͤgeln, noch auch das dritte, dasein119der Vorſtellungen. ein Band von beiden iſt, in ihr gewahr werden muͤßte, ſobald man die Fiktion in ihre Theile zerleget. So et - was wird aber nicht gewahrgenommen. Das Ganze in ſeine Stuͤcke zerleget, giebt nicht mehr als jene beiden einzelne verbundene Vorſtellungen.

3.

Eine ausfuͤhrliche phyſiſche Unterſuchung der bilden - den Kraft der Seele, in der jede Regel, jedes Geſetz ihrer Wirkſamkeit ſo vollkommen mit Beobachtungen beleget wuͤrde, als eine uͤberweiſende Deduktion aus Er - fahrungen es erfordert, wuͤrde uͤber die Graͤnzen hinaus - gehen, die ich mir in dem gegenwaͤrtigen Verſuch geſetzet habe. Da aber doch dieſe Seite unſerer vorſtellenden Natur an ſich ſo erheblich und fruchtbar iſt; da ſie noch weiter fuͤhret, als auf die Kenntnißkraft, und auch uͤber die Selbſtthaͤtigkeit der Seele bey aͤußern Handlungen Licht verbreitet, ſo will ich einige Bemerkungen, die mir die weſentlichſten hieruͤber zu ſeyn geſchienen haben, hin - zu fuͤgen. Jſt dieß eine zu lange Verweilung bey einer einzelnen Sache, ſo bitte ich, in etwas doch die Ent - ſchuldigung hier gelten zu laſſen, die Plinius fuͤr die Laͤnge eines Briefes angab: es iſt die Materie zu groß, nicht die Beſchreibung. *)Hr. Gerard, der ſcharfſinnige Beobachter des Genies, und dieß iſt bey ihm das Vermoͤgen, das hier die bil - dende Dichtkraft genennet wird hat vielleicht am vollſtaͤndigſten die beſondern Regeln angegeben, nach welchen neue Jdeenaſſociationen durch die Dichtkraft gemacht werden. So ferne dieſe Kraft unter der Di - rektion der Reflexion arbeitet, muͤſſen die neuen Jdeen - verknuͤpfungen ohne Zweifel eine Beziehung auf die Denkarten haben, womit die letztere die Verhaͤltniſſe und Beziehungen in den Dingen gewahrnimmt. Da, wo die Denkkraft Aehnlichkeiten und Verſchiedenheiten,Ueber -

H 4Wenn120I. Verſuch. Ueber die Natur

Wenn man die Beobachtungen uͤber die ſogenann - ten zufaͤlligen oder Scheinfarben erwaͤget, ſo hat man offenbare Beweiſe, daß in uns gewiſſe neue Schei - ne oder Bilder von Objekten entſtehen. Hier entſtehen ſie zwar waͤhrend der Nachempfindung, und haben ihren Grund in gewiſſen Veraͤnderungen der Sinnglieder; aber ſie hangen von der Beſchaffenheit der gefaͤrbten Koͤr - per und von der Beſchaffenheit des auffallenden Lichts auf die Augen nicht ſo ab, wie die ſonſtigen Empfindun - gen, und ſind auch bey dem gewoͤhnlichen Anſchauen der Objekte nicht vorhanden. Sie entſpringen aus einer Aufloͤſung und Verwirrung der ſinnlichen Eindruͤcke, die in dem Auge ſelbſt vor ſich gehet. Nur Eins zum Bey - ſpiel anzufuͤhren. Wenn das Auge bis zum Ermuͤden ununterbrochen auf ein rothgefaͤrbtes Quadrat, das auf einem weißen Grunde lieget, gerichtet geweſen iſt, ſo er - ſcheinet um die Figur des Quadrats herum die Geſtalt eines ſchwachen gruͤn gefaͤrbten Umzuges; und wendet man alsdenn das Auge von der rothen Flaͤche auf den weißen Grund hin, ſo erſcheinet ein Viereck von einer ſchwachen gruͤnen Farbe vor uns, das deſto laͤnger beſte - het, je lebhafter der Eindruck von dem rothen Viereck vorher geweſen iſt. Wird dieſe Beobachtung mit an -dern*)Uebereinſtimmungen und Entgegenſetzungen, Beyeinan - derſeyn und Getrennetſeyn, Zugleichſeyn, Vorange - hen, Nachfolgen, Verurſachung und Abhaͤngigkeit, uͤberhaupt, wo ſie Jdentitaͤten, Koexiſtenzen und De - pendenzen in den Vorſtellungen bemerket, da muͤſſen es denn auch dieſelbigen Verhaͤltniſſe ſeyn, nach welchen die Phantaſie die Vorſtellungen wieder erwecket. Hier iſt die Dichtkraft nicht anders als die Phantaſie nach einer gewiſſen Richtung hingeſtimmet. Die neuen Jdeenverknuͤpfungen kommen alſo ſo zu Stande, wie die von der Denkkraft gedachte Verhaͤltniſſe der Jdeen es mit ſich bringen. Aber dieß iſt noch das Eigene des ſchaffenden Vermoͤgens nicht, wovon hier die Frage iſt.121der Vorſtellungen. dern ihr aͤhnlichen verglichen, ſo fuͤhret ſie ſehr natuͤrlich auf die Urſache, welche Hr. Scherffer*)Jn der obgedachten diſſ. de color. accidentalibus. davon ange - geben hat. Das anhaltende Anſchauen der rothen Flaͤ - che machet den Theil in dem Auge, auf den das Bild von ihr hinfiel, ſtumpf und unfaͤhig, weiter ſolche Ein - druͤcke, als die rothen Stralen verurſachen, anzunehmen, um ſinnlich von ihnen beweget zu werden, die Nerven erſchlaffen alſo in Hinſicht auf dieſe Eindruͤcke. Faͤllt nun auf dieſelbige Stelle das weiße Licht von dem Grun - de hin, das aus den prismatiſchen Farbenſtralen zu - ſammengeſetzt iſt, ſo koͤnnen die rothen Stralen, die in dem weißen Licht enthalten ſind, keinen ſinnlichen Ein - druck auf dieſe ermuͤdete Stelle hervorbringen. Was alſo da entſtehen muß? nichts anders als ein Eindruck, der von dem weißen Licht gemacht werden kann, wenn die rothen Stralen davon abgeſondert, und die uͤbrigen in ihrer Vermiſchung zuruͤckgeblieben ſind. Alſo ein gruͤn Bild von der viereckten Flaͤche auf der Stelle im Auge, wo kurz vorher das Bild von dem rothen Viereck geweſen war. Auf dieſe Weiſe kann ein Menſch zu der Empfindungsvorſtellung von einer gruͤnen Farbe gelan - gen, der niemals auf die gewoͤhnliche Art etwas gruͤnes geſehen hat.

Hier iſt nun zwar noch keine Wirkung der Phanta - ſie und der Dichtkraft, und es folget alſo daraus noch nicht, daß die letztere eben ſolche neue Scheine von in - nen in uns bewirken koͤnne; aber wenn man uͤberleget, daß in den Reproduktionen daſſelbige Geſetz ſtatt findet, welches in dem angefuͤhrten Fall bey dem Empfinden die Urſache von dem neuen Schein iſt, und daß ein zu lang und zu anhaltend fortgeſetztes Phantasma eine Unfaͤhig - keit verurſachet, es ferner gegenwaͤrtig zu erhalten, ſo ſie - het man doch ſo viel, daß in den Einbildungen der zu -H 5ſammen -122I. Verſuch. Ueber die Naturſammengeſetzten, aber dem Gefuͤhl nach ſo einfachen Ein - druͤcke, wie die Empfindung des weißen Lichts iſt, ſich etwas aͤhnliches eraͤugnen koͤnne; und wenn es andere Beobachtungen lehren, daß es ſich wirklich eraͤugne, ſo ſiehet man hier Eine von den Arten, wie es geſchehen koͤnne. Die Entſtehung neuer Scheine in der Phan - taſie wird alſo durch dieſe Analogie ſchon etwas ver - muthlich.

Es geſchieht aber wirklich etwas aͤhnliches in der Phantaſie mit den Vorſtellungen. Wenn jemand Luſt haͤtte, den gedachten Verſuch mit den Farbenbildern im Kopf nachzumachen, ich glaube, er wuͤrde ſo etwas in ſich gewahrwerden. Jch mag ſelbſt meine Dichtungs - kraft dazu nicht anſtrengen, aus Furcht, ich moͤchte ſie, da ſie zu ſchwach iſt, uͤberſpannen, und weil ich dieſer Ver - ſuche zu meiner Ueberzeugung nicht bedarf. Wer ſich bis zur Ermuͤdung mit einer ſinnlichen Vorſtellung von einer rothen Flaͤche beſchaͤftiget hat, und dann ſich bemuͤ - het, eine andere weiße Figur von eben der Geſtalt und Groͤße und an eben der Stelle hinzudenken, dem wuͤrde vielleicht ein Bild im Kopf ſchweben, das nicht roth noch weiß waͤre, ſondern ſich dem Gruͤnen naͤherte, auf eine etwas aͤhnliche Art, wie es in den Empfindungen geſchieht. Wir haben der Erfahrungen zu viele, daß wenn die Phantaſie ſich mit einerley Zuͤgen an einem ſinnlichen Gegenſtande lange und anhaltend, bis zur Er - ſchlaffung beſchaͤftiget hat, die ganze Vorſtellung ſich aͤn - dere, und ein Schein hervorkomme, der ſo wie er als - denn vorhanden iſt, weder aus der Empfindung des Ganzen, noch aus den abgeſonderten Empfindungen ein - zelner Theile deſſelben entſtehet und entſtanden iſt.

Wir haben andere Erfahrungen, wo ſichs weit deut - licher verraͤth, daß unſere Phantaſie nicht blos Phantas - mate an einander lege, ſondern auch ſie mit einander ver - miſchen und neue daraus machen kann. Man ſage ei -nem123der Vorſtellungen. nem Koch die Jngredienzen einer Speiſe vor, die er ſelbſt niemals gekoſtet hat. Er urtheilet aus den Vor - ſtellungen von jenen ſogleich, wie das Gemiſche aus ih - rer Zuſammenſetzung etwan ſchmecken muͤſſe, und ma - chet ſich zum voraus eine einzelne Vorſtellung vor der Empfindung, die der nachher hinzukommenden Empfin - dung und ihrer Einbildung nicht ganz unaͤhnlich iſt. Ein Komponiſt hoͤret gewiſſermaßen ſchon zum voraus den Ton, den die Verbindung einiger ihm bekannten Jnſtrumente hervorbringen wird. Die vorlaufende Fik - tion iſt eine Vermiſchung der ihm bekannten Phantas - men in eine neue verwirrte Vorſtellung, die von ſeinen einzelnen Empfindungsvorſtellungen unterſchieden iſt.

Jch habe die lambertſche Farbenpyramide vor mir genommen, um aͤhnliche pſychologiſche Verſuche zu machen. Jch nahm die Bilder zweyer Farbenflaͤchen z. E. roth und blau, und blau und gruͤn, und verſuchte beide dieſe Flaͤchen in der Vorſtellung auf einander zu legen, und ſo innig als moͤglich war, zu vermiſchen, dabey ich die mittlere Farbe auf der Tafel vor dem Auge be - decket hielt. Jch geſtehe, es kam niemals in meinem Kopf ein ſolches Bild heraus, als die mittlere Farbe auf der Pyramide war, wenn ich dieſe nachher anſahe und ſie mit jener Einbildung verglich. Die Vorſtellung von dem Gelben und von dem Blauen konnte ich nicht ſo zu - ſammenbringen, daß ſie in Eine Fiktion von Gruͤnen, als der Zwiſchenfarbe uͤbergegangen waͤren. Dieß ge - ſchahe nicht; aber ſo viel war es auch nicht, was ich er - wartete. Denn dazu, daß aus der Vermiſchung der Farben außer uns eine neue Mittelfarbe entſtehet, iſt es nicht genug, daß einfache Farben vermiſchet werden, ſondern es kommt außerdieß auf das Verhaͤltniß an, in welchem man ſie nimmt. Und da konnte ich von meiner Phantaſie es nicht fodern, daß ſie die gelbe und die blaue Flaͤche, oder die rothe und die blaue, jede in dem Gradeder124I. Verſuch. Ueber die Naturder Lebhaftigkeit gegenwaͤrtig erhalte, indem ſie ſolche aufeinanderlegte, als dazu nothwendig war, um eine klare Jdee vom Gruͤnen, oder vom Blaurothen zu bekom - men. Dennoch entſtand jedesmal ein matter Mittel - ſchein, der weder roth noch blau, noch gelb, und alſo von dieſen einfachen Empfindungsvorſtellungen verſchie - den war. Bey oͤfterer Wiederholung dieſer Beobach - tungen, fand ſich, es ſey nothwendig, die beiden ideellen Farben, die man im Kopf vermiſchen will, immer auf dieſelbige Flaͤche in der Phantaſie auf einander zu legen. Die alsdenn entſtehende verwirrte Vorſtellung war aber doch noch immer dunkler und viel weniger feſtſtehend, als ein reines Phantasma; denn der neue Schein zog ſich bald wieder in die einfachen Empfindungsſcheine, die lebhafter gegenwaͤrtig waren, auseinander. Wenn ich nicht recht lebhaft die Phantaſie anſtrengte, ſo blieb es blos bey einem Beſtreben, ſo eine Vermiſchung vor - zunehmen, und dies war ein Beſtreben, die einfachen Empfindungsſcheine zugleich auf einmal darzuſtellen. Auch habe ich den neuen Schein nie ſo feſtſtehend ma - chen koͤnnen, als es die Phantasmata aus den Empfin - dungen ſind.

Es ſcheinet alſo doch nur ein ſchwaches Nachmachen zu ſeyn, was die Dichtkraft in ihrer Gewalt hat. Jhre neuen Geſtalten ſind vielleicht nur Schattenwerke in Vergleichung mit den Einbildungen, die man von au - ßen in neuen Empfindungen empfaͤngt. Und dies iſt auch nicht zu verwundern. Jndem die Phantaſie zwey unterſchiedene Bilder wiederhervorbringet, und gegen - waͤrtig erhaͤlt, ſo hat ein jedes davon ſeine eigene aſſociir - te Vorſtellungen, die verſchieden ſind, und die ſich ihrer Vermiſchung widerſetzen. Dieſe unterſchiedene Jdeen - reihen gehen mehr aus einander und halten ſich abgeſon - dert. Die Miſchung wird dadurch geſchwaͤcht, und das Ganze dunkler. Ein Theil der vorſtellenden Kraftmuß125der Vorſtellungen. muß verwendet werden, dieſe unterſchiedene Nebenideen zu unterdruͤcken, der alsdenn nicht angewendet werden kann, die zu vermiſchende Bilder in ihrer vorigen Leb - haftigkeit zu erhalten.

Gleichwohl iſt aus dieſen Erfahrungen ſo viel offen - bar, wenn die Phantaſie noch mit einer groͤßern Jn - tenſion und auf mehrere Bilder zugleich wirken, und mit einer groͤßern Staͤrke ſolche auf einmal wieder her - vor bringen kann, als ſie es in dieſen beobachteten Faͤl - len gethan hat, ſo wird die daraus entſtehende verwirr - te Erdichtung einem neuen Phantasma an Lebhaftigkeit naͤher kommen. Jſt dieß nicht zu vermuthen, wenn ſie mehr ſich ſelbſt uͤberlaſſen, wenn ſie ungezwungen und unbeobachtet wirket; wenn ſie mehr aus innern Trieben, unwillkuͤhrlich als aus Abſichten, mehr aus dem Herzen als aus dem Verſtande gereizet wird, und nicht immer bey jedem Schritt durch die zur Seite gehende Refle - xion eingeſchraͤnkt iſt? Wenn ſie im Traume und in dem Mittelzuſtand zwiſchen dem Wachen und Einſchlafen, in dem ſie am freyeſten und maͤchtigſten herrſchet, frey und ungebunden die Jdeenmaſſe in Bewegung ſetzet, und umarbeitet? Kann meine Phantaſie jetzo, da ich Beyſpiele zum Experimentiren ſuche, ſchon etwas aus - richten, und etwan die Helfte der ganzen Wirkung her - vorbringen, ſo zweifele ich nicht, ſie werde ſolche voͤllig zu Stande bringen, wenn ſie mit ihrer ganzen Macht in einem Milton und Klopſtock in der Stunde der Be - geiſterung arbeitet. Alsdenn draͤngen ſich Empfindun - gen und Jdeen ſo ineinander und vereinigen ſich zu neu - en Verbindungen, daß man viel zu wenig ſich vorſtellet, wenn man die Bilder, die von dieſen Poeten in ihrer le - bendigen Dichterſprache ausgehauchet ſind, fuͤr nichts anders als fuͤr eine aufgehaͤufte Menge von neben einan - derliegenden oder ſchnell auf einander folgenden einfachen Empfindungsideen anſieht. Jn ihren neuen ſelbſtge -machten126I. Verſuch. Ueber die Naturmachten zuſammengeſetzten Ausdruͤcken geben ſie die ein - zelen Zuͤge an, aus denen das Gemaͤlde beſtehet, aber ſelbſt die Art, wie ſie dieſe Woͤrter hervorbringen, be - weiſet, daß die bezeichneten Zuͤge in der Phantaſie, wie die vermiſchten Farben, in einander hineingetrieben und mit einander vermiſcht ſind.

4.

Es giebt indeſſen eine Graͤnze, uͤber welche hinaus die maͤchtigſte Dichtkraft unvermoͤgend iſt, dieſe Vereinigung von Empfindungsvorſtellungen zu bewerkſtelligen. Wenn die Empfindungen, deren Phantasmate zu einer Fiktion vermiſcht ſind, ſelbſt in der Empfindung zu Einer neuen einfachen Empfindung vermiſcht ſind, und dann davon ein Phantasma genommen wird; ſo iſt dieß letztere lebhafter und feſter, als die ſelbſtgemachte Fiktion hat ſeyn koͤnnen. Hier iſt die Grenzlinie. Die Dichtkraft kann keine einfache neue Scheine hervorbringen, die ſo voll und lebhaft ſind, als die Wiedervorſtellungen von vermiſch - ten Empfindungen. Aber es ſcheinet doch, als wenn ſie in einigen Faͤllen auf die aͤußerſte dieſer Grenze hin - komme, zumal alsdenn, wenn die neue Fiktion mit ei - nem einfachen Wort hat bezeichnet werden koͤnnen; denn dadurch werden ihre vereinigten Theile unzertrennbarer und die ganze Vorſtellung in der Phantaſie wird inniger und feſter vereiniget.

Solche Vermiſchungen einfacher Phantasmate in Eine neue dem Gefuͤhl nach einfache Vorſtellung, entſte - hen auch in uns ohne Selbſtthaͤtigkeit aus Schwaͤche der Phantaſie. Die deutlich geweſene Empfindungs - vorſtellungen verlieren ihre Helligkeit, und die Zeit al - lein ſchwaͤchet ſie, wenn ſie nicht dann und wann wieder - um erneuret werden. Es verlieren ſich alſo die klei - nern Zwiſchenzuͤge, die zur Deutlichkeit des Ganzen, und zu dem Unterſcheiden der Theile von einander erforderlichwaren.127der Vorſtellungen. waren. Dadurch werden die Bilder dunkler, und die Phantaſie, wenn ſie ſolche wieder hervorziehet, ſucht uͤber das verwirrte Ganze ein Licht zu verbreiten, wodurch es in der Geſtalt einer einfachen vorwirrten Empfin - dungsidee dargeſtellet wird. Hier iſt nun zwar dieſe letztere Operation, nemlich das Ueberziehen der Vorſtel - lungen, eine poſitive Thaͤtigkeit; aber das erſte nicht. Eben ſo verlieren auch mehrere ſonſt getrennte ganze Vorſtellungen ihre Eigenheiten, und fallen alsdenn in Eine einzige zuſammen, welches wiederum keine Wir - kung einer thaͤtigen Kraft iſt. Nichttrennen iſt et - was anders als Verbinden, und Nichtunterſchei - den etwas anders als Zuſammendenken. Jenes iſt Unthaͤtigkeit und Schwaͤche; dieſes iſt Wirkſamkeit und Staͤrke. Der Mangel am Licht in den Vorſtellungen und die daraus entſtehende Vermiſchungen ſind kein Be - weis einer ſelbſtthaͤtigen reellen Kraft; aber wenn mehrere lebhafte Vorſtellungen in eine Einzige vereinigt werden, ſo arbeitet eine ſtarke Vorſtellungskraft, die ſolche gegenwaͤrtig erhalten, mehrere zugleich erhalten, und uͤberdieß ſie ſo faſſen kann, daß ſie in Ein Bild zu - ſammengehen.

5.

Das Aufloͤſungsvermoͤgen der Dichtkraft, wo - mit ſie verwirrte Empfindungsſcheine auseinanderſe - tzet, iſt eben da begrenzet, wo es das Vermiſchungs - vermoͤgen iſt, und dieſes letztere, wo jenes es iſt. Die Kraft der Seele reichet nicht hin, die ſinnliche Vorſtel - lung von dem weißen Licht in die ſinnlichen Vorſtel - lungen von den prismatiſchen Farben zu zerlegen; und der einfache Schein von dem Gruͤnen laͤſſet ſich in die einfachen Scheine von dem Gelben und von dem Blau - en in dem Kopf nicht auseinander ſetzen. Aber in eben dieſen Faͤllen uͤberſteigt es auch das Vermoͤgen der See -le,128I. Verſuch. Ueber die Naturle, aus dieſen gegebenen einfachen Empfindungsvorſtel - lungen, als den Beſtandtheilen, eine verwirrte Vorſtel - lung von der gruͤnen Farbe zu machen.

Warum verlangten denn die Antimonadiſten, die ſinnliche Vorſtellung von einem Koͤrper ſolle ſich im Kopf in die Vorſtellung von ihren erſten Elementen zer - gliedern laſſen? und warum beſtritt man Leibnitzens Lehre von den unausgedehnten Weſen aus dem Grunde, weil es unmoͤglich iſt, aus der Verbindung oder Auf - haͤufung der Vorſtellungen, von ihnen eine Vorſtellung von einem ausgedehnten Koͤrper herauszubringen? Durch eine aͤhnliche Logik muͤßte man Newtons Optik beſtreiten. Es laͤßt ſich dieſe Vermiſchung eben ſo we - nig bewerkſtelligen, als man im Gegentheil die ver - wirrte Vorſtellung vom Koͤrper in die Vorſtellungen der einfachen unkoͤrperlichen Dinge aufloͤſen kann. Das Verundeutlichen einer deutlichen Vorſtellung iſt die umgekehrte Operation von dem Verdeutlichen einer verwirrten. Eine ſinnliche Vorſtellung, bey welcher die Eine dieſer Arbeiten bey unſern Bildern uns nicht moͤglich iſt, bey der iſt es vergebens, die andere zu ver - ſuchen. Die Philoſophen haben eine Wahrheit geſagt, wenn ſie behauptet, es ſey unmoͤglich, ausder metaphy - ſiſchen Monadologie die Phaͤnomene in der Koͤrperwelt zu erklaͤren. Eine von den Urſachen davon lieget in der angefuͤhrten Regel der Fiktion. Zwiſchen dem Sinn - lichen und dem Tranſcendenten, zwiſchen Metaphy - ſik und Phyſik, und eben ſo zwiſchen Metaphyſik und Pſychologie iſt eine Kluft, uͤber welche gar nicht wegzu - kommen iſt. Eine andere Urſache hievon wird ſich aus andern Betrachtungen in der Folge ergeben.

6.

Unter den Wirkungen, die aus dieſen beiden Aeuße - rungen der Dichtkraft in den Vorſtellungen entſtehen,finden129der Vorſtellungen. finden wir keine, die in unſerm Verſtande von groͤßern und wichtigern Folgen ſind, als die ſogenannten ſinn - lichen Abſtrakta oder allgemeinen ſinnlichen Vor - ſtellungen. Jhre Entſtehungsart macht uns noch naͤ - her mit den Geſetzen der Dichtkraft bekannt.

Jch empfinde einen Baum, und faſſe eine Empfin - dungsvorſtellung von ihm. Das Objekt hat viele Theile, die außereinander ſind, einen Stamm, verſchiedene Zwei - ge und kleine Aeſte und Blaͤtter. Dieß ſind ſo viele einzelne Gegenſtaͤnde, davon jeder durch einen eigenen Aktus des Empfindens gefaßt wird. Das Auge muß ſich wenden, wenn auf den Eindruck des einen Zweigs der Eindruck eines andern folgen ſoll; und die Hand muß nach und nach fortruͤcken, wenn von ihnen Gefuͤhls - eindruͤcke entſtehen ſollen. Da iſt alſo in ſo weit in der ganzen Empfindung des Baums etwas unterſcheidbares. Sie beſtehet aus mehrern einzelnen unterſchiedenen Em - pfindungsvorſtellungen.

Aber in dieſen Vorſtellungen der einzelnen Theile, giebt es eine andere intenſive Mannigfaltigkeit. Das Blatt beweget ſich, hat ſeine Figur, und ſeine Farbe. Dieſe einzelnen Vorſtellungen von der Figur, von der Farbe, von der Bewegung, uͤberhaupt die Vorſtellun - gen von Beſchaffenheiten in einem Dinge, wie ſind ſol - che in der Empfindungsvorſtellung des ganzen Objekts, als der Subſtanz, der ſolche Beſchaffenheiten zukommen, enthalten? Sind ſie darinn wie Theile, die nur neben einander liegen, in welche die ganze Vorſtellung, als in ſo viele Stuͤcke zerſchnitten werden koͤnnte? oder wie Theile, die ſich ganz durch einander herdurch ziehen, da - von jeder mit jeden vermiſcht iſt? wie Theile, die ſich einander durchdringen? ſo wie etwan die gelben und blauen Lichtſtralen durch einander aufs innigſte vermiſcht ſind, wenn ſie eine gruͤne Farbe darſtellen? Dieſelbige einfache Empfindung, in der wir die Farbe faſſen, giebtI. Band. Juns130I. Verſuch. Ueber die Naturuns auch den Eindruck von der Bewegung. Dieſe bei - den Empfindungen machen Eine Empfindung aus, und das Phantasma, das davon entſtehet, iſt ein einfaches. Wie kann der Zug in dem Bilde, der der Farbe ent - ſpricht, von dem andern, welcher der Bewegung ent - ſpricht, abgeſondert werden?

Jch antworte, es giebt verſchiedene Operationes zu dieſer Abſicht, die ſo mannigfaltig ſind, wie die chemi - ſchen Verrichtungen, wodurch die Scheidung bey den Koͤrpern geſchicht. Jene koͤnnen mit dieſen verglichen werden. Ueberhaupt werden andere Empfindungsvor - ſtellungen dazu erfordert, die auf jene, als Aufloͤſungs - mittel wirken. Eine von den gewoͤhnlichſten Operatio - nen iſt die folgende, wodurch die allgemeinen Bilder hervorgebracht, und dann auch, wenn ſie ſchon vorhan - den ſind, zur weitern Befoͤrderung der Arbeit gebraucht werden.

Jn mehreren unterſchiedenen Empfindungen iſt et - was aͤhnliches, gemeinſchaftliches, einerley und daſſel - bige. Dieß aͤhnliche druͤckt ſich ſtaͤrker ab und tiefer ein, da es mehrmalen wiederkommt. Dadurch wird ein ſol - cher Zug mehr bemerkbar, und alſo auch da bemerkbar, wo es die uͤbrigen noch nicht ſind. Dieß iſt ſchon eine Auszeichnung, und eine Art von Scheidung und Ab - ſonderung in der Phantaſie. Jn der Empfindung von dem Blatt eines Baums war ein Zug von der Bewe - gung und ein anderer von einer Farbe. Der letztere iſt auch ſonſten in der Empfindung einer Farbe vorhanden geweſen, oder kommt doch anderswo wieder vor, wo - der Zug von der Bewegung nicht iſt; und dieſer letztere kommt vor, wo jener nicht iſt; und dadurch werden dieſe beiden Zuͤge jeder fuͤr ſich kennbar. Aber jeder hat auch fuͤr ſich ſeine eignen aſſociirten Vorſtellungen. Dieß macht ſie unterſcheidbarer von einander. Einer von die - ſen Zuͤgen wenigſtens, muß ſchon in einer vorhergegan -genen131der Vorſtellungen. genen Empfindung geweſen ſeyn, wenn entweder die Farbe oder die Bewegung in der zuſammengeſetzten Em - pfindungsvorſtellung unterſchieden werden ſoll.

Das erſte, was ſich hiebey am deutlichſten bemer - ken laͤßt, iſt dieſes: Aehnliche Eindruͤcke, Vorſtellun - gen und Bilder fallen in Eine Vorſtellung zuſammen, die aus ihnen beſtehet, und dieſe wird eine mehr abge - zeichnete und ſich ausnehmende Vorſtellung.

Da ſich nun nicht eher ein Zug in einer vielbefaſ - ſenden Empfindung vor den uͤbrigen ſo ausnimmt, daß er unterſchieden werden kann, bis nicht etwas ihm aͤhn - liches, das ſchon in einer andern Vorſtellung enthalten iſt, mit ihm verbunden wird, ſo folget; es koͤnne we - der ein allgemeines Abſtraktum hervorkommen, noch in einer zuſammengeſetzten Vorſtellung ein Zug von dem andern unterſchieden werden, wofern nicht eine Vereini - gung aͤhnlicher Vorſtellungen vorhergegangen iſt. Will man dieß letzte ein Vergleichen nennen, ſo entſtehet kein allgemeines Bild ohne Vergleichung. Aber wird nicht das Wort Vergleichen ſehr unbeſtimmt gebrau - chet, wenn ein ſolches Zuſammenfallen der Bilder ſo genennet werden ſoll?

Es lehret die Erfahrung, daß wenn die einzelnen Empfindungen von den einfachſten ſinnlichen Beſchaffen - heiten, z. B. von der gruͤnen Farbe eines Koͤrpers, ge - nau betrachtet werden, ſo giebt es nicht zwey von ihnen, bey denen nicht einiger Unterſchied in den Graden der Lebhaftigkeit, in Schattirungen und Annaͤherung zu ei - ner andern Farbe angetroffen wird. So eine Verſchie - denheit muß ſchon in den allererſten Eindruͤcken und in ihren Vorſtellungeen vorhanden ſeyn. Alſo iſt es klar, daß die einzelnen zuſammenfallenden Vorſtellungen nicht vollkommen dieſelbigen ſind, ſondern ihre Verſchieden - heiten haben. Aber ihre Gleichartigkeit uͤberwindet ihre Verſchiedenartigkeit, und ſie vereinigen ſich in Eine.

J 2Daraus132I. Verſuch. Ueber die Natur

Daraus folget denn was von der allgemeinen Vorſtellung der gruͤnen Farbe wahr iſt, das gilt, wie man leicht ſiehet, von einer jeden andern Empfindungs - vorſtellung daß die allgemeinen Bilder ur - ſpruͤnglich wahre Geſchoͤpfe der Dichtkraft ſind, und aus einer Vereinigung mehrerer Eindruͤcke beſtehen, die einzeln genommen nicht vollkommen das ſind, was das allgemeine Bild iſt. Sie ſind alſo ſelbſt gemachte einfache Vorſtellungen, in die eine Verwir - rung anderer aͤhnlichen Elementareindruͤcke hineinge - bracht iſt, und dieſe Verwirrung giebt der ganzen Vor - ſtellung eine Geſtalt, dergleichen keines ihrer Elemente einzeln genommen, wenn ſie ſo einzeln empfunden wuͤr - den, an ſich haben kann. Man hat es erkannt, daß es ſich mit den allgemeinen geometriſchen Vorſtellun - gen alſo verhalte. Jn der That aber haben alle uͤbrige dieſelbige Beſchaffenheit an ſich.

Jſt die Phantaſie nun ſchon mit ſolchen allgemei - nen Vorſtellungen verſehen, ſo ſind dieſe fuͤr uns Bilder, durch welche wir bey den neuen hinzukommenden Em - pfindungen, die Beſchaffenheiten der Dinge anſehen und kennen. Sobald eine Farbe der gruͤnen aͤhnlich em - pfunden wird, ſo vereiniget ſich mit dieſem Eindruck un - ſer allgemeines Bild von dem Gruͤnen. Wir ſehen ſie nach dieſem allgemeinen Bilde, und da erſcheint der Eindruck anders, als er ohne dieſes Bild wuͤrde erſchie - nen ſeyn. Jndeſſen nehmen doch auch dieſe allgemei - nen Vorſtellungen mit der Zeit eine Veraͤnderung an, wenn noch viele neue Eindruͤcke hinzukommen, die mit jenen zwar ihrer Aehnlichkeit wegen zuſammenfallen, aber doch wegen ihrer Verſchiedenheit auch eine andere Art von Schattirung auf das Bild bringen.

Dieſe ſinnlichen Abſtrakta werden ſinnliche Scheine, die den urſpruͤnglichen Empfindungsvorſtellungen nichts nachgeben. Der Schein, der eine Figur vorſtellet,wird133der Vorſtellungen. wird in ein anders Subjekt uͤbergetragen von einer | an - dern Farbe als das erſtere hatte, und der Schein von der Farbe in ein anders Subjekt von einer verſchiede - nen Figur. Die abgeſonderte Vorſtellung von der Be - wegung wird ebenfalls mit andern Phantasmen ſo wie - der vereiniget, daß das ſinnliche Bild eines bewegen - den Dinges daraus entſtehet. Wenn wir die Vor - ſtellung von der rothen Farbe haben, und dazu eine an - dere vom Rothgelben, und dann aus dieſer letztern den Schein des Gelben von dem Rothen abſonderten, und nun dieſelbige Flaͤche uns gelb vorſtelleten, ſo waͤre hier ein neuer Schein von einer Farbe entſtanden. So ver - fahren wir wirklich mit unſern ſinnlichen Bildern von Beſchaffenheiten.

Jn den geometriſchen Bildern von Linien, Winkeln, Flaͤchen und Koͤrpern, finden wir in unſerer Phantaſie einen eigenen Vorrath von andern ſinnlichen Vorſtellun - gen, mit welchen wir dieſe allgemeinen Vorſtellungen verbinden. Der Winkel wird in die Vorſtellung von gewiſſen Linien hineingeleget. Jedweder ſinnliche Schein iſt in der Phantaſie der Schein eines ganzen vollſtaͤndigen Dinges. Wird er in mehrere, aus denen er vermiſcht war, zerleget, ſo muß jeder dieſer einzelnen Scheine, in welche man ihn aufloͤſet, fuͤr ſich eine ge - wiſſe Unterlage haben. Sie ſind fuͤr ſich allein nur un - vollſtaͤndige Vorſtellungen von Beſchaffenheiten. Das Bild von einem bewegten, gefaͤrbten und figurirten Blatt eines Baums war eine Vorſtellung eines voll - ſtaͤndigen Dinges. Aber keiner der einzelnen Scheine, in welche er aufgeloͤſet wird, kann in der Einbildungs - kraft fuͤr ſich allein beſtehen, woferne er nicht wiederum auf ſeine Art vollſtaͤndig gemacht wird. Wenn die Vorſtellung von der gruͤnen Farbe in die Vorſtellungen von der blauen und von der gelben blos durch die Kraft der Phantaſie zerlegt werden koͤnnte, ſo wuͤrde jede dieſerJ 3letztern134I. Verſuch. Ueber die Naturletztern neuen Vorſtellungen eine Vorſtellung von einem blau und von einem gelbgefaͤrbten Koͤrper ſeyn muͤſſen, ſo wie der erſte verwirrte Schein eine Vorſtellung von einem gruͤnen Koͤrper war.

So lange ein ſolcher herausgezogener Schein noch nicht auf eine eigene Art wieder vollſtaͤndig gemacht wor - den iſt, ſo lange iſt er auch kein fuͤr ſich beſtehender ab - geſonderter Schein. So lange iſt es alſo auch nach dem Geſetz der Aſſociation nothwendig, daß die Phantaſie, wenn ſie ihn wieder hervorziehet, zugleich eine als die andere von den ganzen Empfindungsvorſtellungen wieder darſtelle, aus denen er gezogen iſt. Dieſe Nothwen - digkeit faͤllt aber weg, wenn der neue Schein ſeine eige - ne Konſiſtenz erhalten hat.

Und dieſe erlangen die geometriſchen Scheine am leichtſten. Jch denke jetzo an einen Triangel und halte dieſe Vorſtellung in mir gegenwaͤrtig, ſo lange ich will, ohne daß ich genoͤthiget waͤre, an eine dieſer Figuren, die ich auf der Tafel, oder auf Papier, oder ſonſten wo geſehen habe, zuruͤck zu denken, ob mir gleich dieſe bey der Fortſetzung jener Vorſtellung einfallen. Jch habe mir nemlich ſtatt ihrer eine nie geſehene Geſtalt des Tri - angels in meinem Kopf ſelbſt gemacht; ich ſtelle ihn mir in meinem Zimmer vor, und ſetze ſeine drey Spitzen an die drey Waͤnde meines Zimmers.

Außer der Geometrie leiſten uns die Woͤrter, aber auf eine weniger vollkommene Art, dieſelbigen Dienſte. Dieſe Zeichen unſerer allgemeinen Jdeen ſind ſelbſt voll - ſtaͤndige Empfindungsvorſtellungen; und mit dieſen ver - binden wir die ausgemerkten Vorſtellungen von Kraft, Bewegung, Figur, Staͤrke, Gluͤck u. ſ. w. Aber ſo bald wir dieſe Zeichen verlaſſen, ſo fehlen uns andere ſubſtanzielle Grundlagen, um der Vorſtellung die Ge - ſtalt der beſtehenden Empfindungsſcheine zu ertheilen. Daher fallen uns, wenn wir die allgemeinen Begriffeanſchau -135der Vorſtellungen. anſchaulich mit Unterdruͤckung des Worts vorſtellen wol - len, bald dieſe, bald jene einzelne Empfindungen ein, aus denen ſie genommen ſind, welches nicht ſo geſchicht, wenn wir das Wort gegenwaͤrtig erhalten. Denn das Wort Kraft haͤlt die verwirrte Jdee auf die naͤmliche Art ſo abgeſondert in uns, wie es die Jdee der rothen Farbe iſt.

Die allgemeinen finnlichen Vorſtellungen ſind noch nicht allgemeine Jdeen, noch keine Begriffe der Denk - kraft und des Verſtandes. Aber ſie ſind die Materie und der Stoff dazu, darum iſt es ſo wichtig, jene zu un - terſuchen, wenn man dieſe kennen lernen will.

Die geometriſchen Vorſtellungen von Punkten, Li - nien, Zirkeln, Sphaͤren u. ſ. f. ſind, in ihrer geome - triſchen Beſtimmtheit genommen, auch noch aus einem andern Grunde Wirkungen der Dichtkraft. Jch betrach - te nemlich blos das Bildliche in ihnen. Es iſt z. B. die Vorſtellung einer krummen in ſich zuruͤckgehenden Li - nie aus den Empfindungen des Geſichts genommen, und hat eine eigene Geſtalt aus dem einzelnen Empfindungs - ſcheinen empfangen, den dieſe in ihrer Vereinigung hervorbrachten. Nun aber geſchieht noch mehr. Die Vorſtellung von der Ausdehnung haben wir in unſerer Gawalt, und koͤnnen dieſe ideelle Ausdehnung modifici - ren, wie wir wollen. Die Phantaſie richtet daher das Bild von der Cirkellinie ſo ein, daß jeder Punkt von dem Mittelpunkt gleich weit abſtehe, und keines um das geringſte von ihm weiter entfernt, oder ihm naͤher ſey. Der letztere Zuſatz in dem ſinnlichen Bilde iſt ein Zuſatz der Dichtkraft, dergleichen es in allen unſern Jdealen giebt. Und wie viele von den Gemeinbegriffen des Ver - ſtandes, oder den metaphyſiſchen Notionen moͤgen wohl, wie Bacon ſchon geſagt hat, auch in dieſer Hinſicht ein Machwerk unſerer bildenden Dichtkraft ſeyn?

J 47. Wir -136I. Verſuch. Ueber die Natur

7. Wirkungsgeſetze der Dichtkraft, wenn ſie neue einfache Vorſtellungen bildet.

Man darf dieß Verfahren der Dichtkraft nur etwas genauer in den erwaͤhnten Wirkungen anſehen, ſo erge - ben ſich folgende allgemeine Regeln, wornach ſie ver - faͤhrt, wenn ſie neue einfache Vorſtellungen durch die Vermiſchung oder durch die Aufloͤſung machet.

Erſtes Geſetz. Mehrere einfache Vorſtellun - gen, die ſich aͤhnlich oder einerley ſind, fallen entwe - der von ſelbſt zuſammen, oder werden durch eine Thaͤ - tigkeit der vorſtellenden Kraft in Eine vereiniget. Dieß Produkt von ihr iſt zuſammengeſetzt. Es hat et - was eigenes an ſich, das in ſeinen Jngredienzen einzeln genommen nicht vorhanden iſt, und iſt in ſo weit eine neue Vorſtellung; aber doch einfach fuͤr uns, weil wir eben ſo wenig etwas vielfaches in ihm unterſcheiden, als in den Beſtandtheilen, woraus es gemacht iſt.

Die Dichtkraft vergroͤßert und verkleinert, und ma - chet dadurch neue Vorſtellungen, in welchen ſich nicht mehr unterſcheiden laͤſſet, als in denen, womit ſie die Veraͤnderung vornahm. Sie haͤufet das Aehnliche und das Einerley auf, oder vermindert es, und machet Groͤ - ßen, Grade, Stufen, die uͤber oder unter den Groͤßen der Empfindung ſind. Sie ſchaffet Broddingnacks und Lilliputier, Meilenlange Teufel u. ſ. w. Hier be - haͤlt ſie die Formen, die ſie in den Empfindungsvorſtel - lungen antrift und ſchaffet neue Groͤßen in ihnen: Dieß letztere iſt nur ein beſonderer Fall von der allgemeinen Regel.

Zweytes Geſetz. Laß zwey oder mehrere Em - pfindungsvorſtellungen nicht voͤllig einerley ſeyn, aber doch Aehnlichkeiten haben, in denen ſie zuſammenfal - len; wenn dieß iſt, ſo kann die Vorſtellungskraft, in - dem137der Vorſtellungen. dem ſie das Aehnliche vorzuͤglich ſtark und lebhaft, das Verſchiedene aber in einem ſchwaͤchern Grade faſ - ſet, aus beiden zuſammen Eine neue verwirrte Vor - ſtellung machen, welche fuͤr unſer Gefuͤhl eben ſo ein - fach iſt, als es die partielle Vorſtellungen waren, die ihr Stoff ſind, aber doch eine andere Geſtalt an ſich hat, und von jenen einzeln vorgeſtellet unterſchieden iſt.

Daſſelbige geſchieht von ſich ſelbſt, wo die deutli - che Vorſtellung dadurch in eine undeutliche uͤbergegan - gen iſt, daß die Empfindungsvorſtellungen, welche gleichſam zwiſchen den einzelnen Theilen der ganzen Vor - ſtellung lagen, und die letztern von einander getrennet hielten, verloſchen ſind. Es geſchieht auch da, wo ſon - ſten das Unterſcheidbare an den Theilen der ganzen Vor - ſtellung ſich verlohren hat.

Drittes Geſetz. Wenn eine dem Bewußtſeyn nach einfache, ſonſten aber an ſich vielbefaſſende Vor - ſtellung, mit vorzuͤglicher Jntenſion von der Phanta - ſie bearbeitet wird, ſo kann dieſe das darinnen enthal - tene Mannichfaltige weiter aus einander treiben, und alsdenn jene in mehrere einfache Vorſtellungen zerthei - len, die eine jede wiederum fuͤr ſich einfach, und doch von der Erſtern unterſchieden ſind.

Wenn die einfache Vorſtellung von einer Seite mit einer zwoten einerley, in einer andern Hinſicht aber von ihr verſchieden iſt, ſo kann die Vorſtellungskraft in ſol - chen Faͤllen, wo die Vereinigung jener beiden einander zum Theil aͤhnlichen Jdeen durch die ihnen anklebende verſchiedene Nebenideen verhindert wird, eine Aufloͤ - ſung beſchaffen. Die Eine oder die andere, oder alle beide koͤnnen ſo auseinandergeſetzet werden, daß das Un - gleichartige in ihnen von dem Gleichartigen abgeſondert, und alſo Eine ſimple Vorſtellung in zwo andere zer - leget wird.

J 5Dieß138I. Verſuch. Ueber die Natur

Dieß ſind einige von den Geſetzten und Wirkungs - arten der neue einfache Vorſtellungen ſchaffenden Dicht - kraft. Jch habe hier nur die erſten Linien dieſer Unter - ſuchung ziehen wollen. Ob ſie es alle ſind? Das ſage ich nicht. Aber man wird nicht leicht eine von den kuͤnſtlichen chemiſchen Arten, Koͤrper aufzuloͤſen und aufs neue zu verbinden angeben koͤnnen und viel - leicht nicht eine von den Operationen der Naturkraͤfte in der Koͤrperwelt zu der nicht eine aͤhnliche Aufloͤ - ſungs - und Vereinigungsart in der Seelenwelt gefunden wuͤrde. Es ſcheinet mir indeſſen, als wenn alle dieſe Operationes aus dem Grundſatz begreiflich ſind, daß das Gleichartige in Eins zuſammen geht, das Verſchie - denartige ſich außer einander haͤlt; das ſchwach ausge - druckte Verſchiedenartige aber, wenn es auf einmal ge - genwaͤrtig iſt, mit Einem Aktus des Gefuͤhls und des Bewußtſeyns gefaſſet wird. Jn dieſem Aktus laͤßt ſich nichts Mannigfaltiges unterſcheiden, und dann iſt auch das Verſchiedenartige nur apperceptibel als etwas Ein - faches.

Jm uͤbrigen wiederhole ich die obige Anmerkung, daß uͤberhaupt die Staͤrke der menſchlichen Bildungs - kraft nicht groß genug ſey, um ihren ſelbſtgemachten neuen einfachen Vorſtellungen, woferne nicht andere Umſtaͤnde dazukommen, die gleiche Lebhaftigkeit, Voͤl - ligkeit und Feſtigkeit zu ertheilen, die den Einbildungen zukommt.

8.

So viel von der dritten Wirkungsweiſe der vorſtel - lenden Kraft. Von ihr kommt alles Originelle in un - ſere Vorſtellungen. Sie iſt nicht aus der Acht zu laſ - ſen, wenn der ſo oft unzulaͤnglich und ſo oft unrichtig verſtandene Grundſatz, daß alle Vorſtellungen aus Em - pfindungen entſtehen, in ſeinem beſtimmten Verſtande,in139der Vorſtellungen. in welchem er wahr iſt, behauptet werden ſoll. Von den Jdeen als Jdeen, ihrer Form nach, in ſo ferne Bewußtſeyn und Unterſcheiden vorhanden iſt, rede ich hier auch nicht; ſondern nur von ihrer Materie, das iſt, von den Modifikationen der Seele, die fuͤr uns die natuͤrliche Zeichen der Objekte und ihrer Beſchaffenhei - ten ſind, und die es auch alsdenn ſind, wenn ſie gleich ruhig und ungebraucht unten im Gedaͤchtniß verwahret liegen. Es iſt aus dem vorhergehenden offenbar, in welchem Verſtande und in wie weit man ſagen koͤnne, daß Vorſtellungen ihrem Urſprung nach Empfindungen oder Empfindungsvorſtellungen ſind. Jhr Grundſtoff nemlich, woraus ſie gemacht und entſtanden ſind, alle ohne Ausnahme, iſt in den reinen Empfindungsvorſtel - lungen enthalten. Aber wie vergeblich wird man oft ſu - chen, wenn man zu jedweder Vorſtellung, ſo wie ſie in uns iſt, die uns einfach vorkommt, eine Empfindung aufſuchen wollte, in der ſie in eben derſelbigen Geſtalt ſich befinden ſollte, wie ſie ſich unſerm Bewußtſeyn als Fiktion darſtellet. Die Dichtkraft kann keine Elemente, keinen Grundſtoff erſchaffen, aus Nichts nichts machen, und iſt in ſo weit keine Schoͤpferkraft. Sie kann nur trennen, aufloͤſen, verbinden, vermiſchen, aber dadurch eben kann ſie neue Bilder hervorbringen, die in Ruͤck - ſicht auf unſer Unterſcheidungsvermoͤgen einfache Vor - ſtellungen ſind.

9.

Es iſt leicht zu begreifen, wie dieſe Jdeenbilden - de Kraft die Folge der Reproduktionen veraͤndern muͤſ - ſe, die ſonſten durch das obige Geſetz der Jdeenaſſocia - tion beſtimmt iſt. Wenn mehrere Vorſtellungen zufol - ge jener Regel wieder erwecket und gegenwaͤrtig gemacht werden, und die dichtende Kraft miſcht ſich mit ihrer Wirkſamkeit darunter, ſo muͤſſen neue Produkte von ei -ner140I. Verſuch. Ueber die Naturner neuen Form hervorkommen, welche Aehnlichkeiten mit Vorſtellungen, und ſie nach dieſer Aehnlichkeit erwe - cken, denen jene erſtern blos reproducirten nicht aͤhnlich waren, und die ſie alſo auch in dieſer Ordnung nicht wie - derhervorgezogen haben wuͤrden. Der Uebergang von einer Jdee zu der naͤchſtfolgenden geſchicht in einem ſol - chen Fall, nicht wegen der Aehnlichkeit zwiſchen ihnen, noch wegen ihrer ehemaligen Verbindung, ſondern des - wegen, weil eine Fiktion dazwiſchen tritt, die wegen ih - rer Beziehung auf die nachfolgende dieſe zu erwecken Ge - legenheit gab. Alsdenn entſtehen auch neue Verknuͤ - pfungen von Jdeen, neue Ordnungen und neue Reihen. Wie viele Augenblicke wirket in einem etwas lebhaften Menſchen die Phantaſie wohl blos als Phantaſie allein nach der Regel der Aſſociation, ohne daß die geſchaͤfti - ge Dichtkraft ſich einmiſche, und die Reihen auf eine neue Art zuſammenknuͤpfe? Man kann alſo, wie ich oben erinnert habe, wohl mit jenem Geſetz der Aſſocia - tion nicht auslangen, um die Folge der Vorſtellungen in uns zu erklaͤren.

10.

Was von der Wirkſamkeit des Dichtungsvermoͤ - gens, das nicht unfuͤglich die ſelbſtthaͤtige Phanta - ſie genennet werden kann, in Hinſicht auf die allein wie - dervorſtellende Phantaſie, die mehr leidend ſich verhaͤlt, geſaget worden iſt, das erſtrecket ſich nicht nur uͤber die Vorſtellungen aus dem aͤußern Sinn, und uͤber die Vorſtellungen von koͤrperlichen Gegenſtaͤnden; ſondern auch uͤber die Vorſtellungen aus dem innern Sinn. Es erſtrecket ſich auf alle Gattungen von Vorſtellungen, auf die Vorſtellungen von unſern Gemuͤthsbewegungen, von unſern Thaͤtigkeiten des Vorſtellens und des Den - kens ſelbſt, und auf die Vorſtellungen von unſern Wil - lensaͤußerungen. Jede dieſer Vorſtellungen iſt entwe -der141der Vorſtellungen. der eine urſpruͤngliche, die aus einer vorhergegange - nen Empfindung als eine Spur in uns zuruͤckgeblieben iſt, oder aus dieſer Art von Vorſtellungen gemacht worden. Ohne hieruͤber noch weiter auf das Beſondere mich einzulaſſen, deucht mich, es werde dieß deutlich erhellen, wenn das, was ich vorher uͤber die Natur der Vorſtellungen aus innern Empfindungen geſagt habe, mit den Erfahrungen verglichen wird, die jeder Beobachter ſo leicht bey ſeinem Gedankenvorrath ha - ben kann. Jch werde in der Folge noch Gelegenheit haben, bey einigen beſondern Vorſtellungen hieruͤber mehr zu bemerken.

XVI. Ueber142I. Verſuch. Ueber die Natur

XVI. Ueber die Einartigkeit und Verſchiedenartigkeit der Vermoͤgen der vorſtellenden Kraft.

  • 1) Beſtimmung der Frage.
  • 2) Einenoͤthige Nebenbetrachtung uͤber die Be - griffe von Einartigkeit und Verſchiedenar - tigkeit.
  • 3) Verſchiedene Stufen der Einartigkeit.
  • 4) Anwendung dieſer Begriffe auf die Vermoͤ - gen der vorſtellenden Kraft. Jn wie weit das Vermoͤgen Vorſtellungen aufzunehmen und das Vermoͤgen Vorſtellungen zu repro - duciren, einartige Vermoͤgen ſind?
  • 5) Das Verhaͤltniß der Phantaſie zu der Dichtkraft.
  • 6) Das Vermoͤgen, Nachempfindungen zu ha - ben, und Vorſtellungen aufzunehmen, haͤngt ab von der Modifikabilitaͤt der Seele, und von der Selbſtthaͤtigkeit, mit der ſie ihre Modifikationen in der Empfindung annimmt.
  • 7) Eine allgemeine Anmerkung uͤber die Ent - wickelung des Princips der Vorſtellungs - thaͤtigkeiten.

1.

So weit fuͤhren die Beobachtungen uͤber die verſchie - denen Aeußerungen des Seelenvermoͤgens, das man die vorſtellende Kraft nennet, und dem man es zuſchreibet, daß Vorſtellungen aufgenommen, wieder hervorgezogen und umgebildet werden. Nun iſt es viel -leicht143der Vorſtellungen. leicht Zeit zu fragen: wie ſich dieſe verſchiedene Thaͤtig - keiten und Vermoͤgen gegen einander verhalten; ob und wie weit ſie einartig oder verſchiedenartig ſind? ob und wie Eins von ihnen in das andere uͤbergehen und umgeaͤndert werden koͤnne? ob es eben daſſelbige Prin - cip ſey, aus welchem alle dieſe Thaͤtigkeitsarten ent - ſpringen, und wie weit es das naͤmliche ſey, was ſich dann als ein percipirendes, dann als ein wiedervorſtel - lendes, dann als ein ſelbſtthaͤtigbildendes Vermoͤgen dar - ſtellet? Dieſe Unterſuchung wird zugleich ein Beyſpiel ſeyn, wie weit die Abſtraktionen in Gedanken, das iſt, unſern einſeitigen Jdeen, die wir von den wirklichen Dingen nach und nach auffaſſen, uns nuͤtzlich werden koͤnnen, ſo wie ſie uns ohne dieß nothwendig ſind, und es wird ſich zeigen, daß, wenn ſie nur fuͤr nichts mehr an - geſehen werden, als fuͤr das, was ſie wirklich ſind, ſie uns oftmals, als ſo viele Oefnungen dienen, wodurch der Verſtand in das Jnnere der Sache hineingehen, und einen beſtimmten und vollſtaͤndigen Begrif ſich erwer - ben kann. Sie koͤnnen auch mißleiten, das iſt wahr; zuweilen die Einſicht zuruͤck halten; und ſie thun ſolches wirklich, ſo bald wir vergeſſen, daß ſie einzeln betrach - tet ſammt ihren Folgen nichts anders ſind, als einſeitige Proſpekte, und Stuͤcke von vollſtaͤndigen Begriffen, die mit einander verglichen, und in Verbindung gebracht werden muͤſſen, ehe deutliche und beſtimmte Jdeen von wirklichen Sachen aus ihnen gemacht werden koͤnnen.

2.

Was iſt aber Gleichartigkeit und Verſchieden - artigkeit? Homogeneitaͤt und Heterogeneitaͤt? oder wie man es benennen will? Die welche ſo oft geſagt ha - ben, die Vermoͤgen unſerer Seele ſind etwas Einartiges oder gleichartiges, haben vielleicht etwas ſtarkes, wah - res und lebhaftes geſagt; aber ſie haben auch etwas ver -wirrtes144I. Verſuch. Ueber die Naturwirrtes geſagt, das nicht gehoͤrig aus einander geſetzt iſt, und den, der den Begriffen weiter nachgehet, entweder nicht befriediget, oder in die Jrre fuͤhret. Einartig iſt, wie einige ſich ausdruͤcken, was unter demſelbigen generiſchen Begrif befaſſet werden kann, und ver - ſchiedenartig, was es nicht kann. Aber man fragt ſogleich von neuen: wo iſt denn der beſtimmte generi - ſche Begrif, der als ein Maß bey der Vergleichung ge - brauchet werden ſoll? die Kreißlinie und die Ellipſe ſind ohne Zweifel gleichartige Linien, als Kegelſchnitte: in anderer Hinſicht aber ohne Zweifel ganz heterogene und weſentlich unterſchiedene Dinge. Solch eine Erklaͤrung mag uns allenfalls auf den Weg zu einem feſtſtehenden beſtimmten Punkt hinbringen; aber ſie fuͤhret uns nicht zu ihm hinan.

Der Begrif von der Einartigkeit iſt nicht nur hier, wo noch weiter keine Seelenaͤußerungen, als die Vorſtel - lungsthaͤtigkeiten in Betracht gezogen werden, eine Richt - ſchnur der Spekulation; nach Wolfs Ausdruck eine notio directrix; ſondern ſie iſt es auch in der ganzen Pſychologie bey allen Unterſuchungen, die man uͤber die Grundkraͤfte der Seele anſtellen mag. Sie iſt es nicht minder in den Unterſuchungen uͤber die erſten Grund - kraͤfte der Koͤrperwelt. Ohne dieſen allgemeinen Be - grif genau beſtimmt zu haben, kann das, was ſich uͤber die Einheit oder Vielfachheit der Grundkraͤfte in der See - le ſagen laͤſſet, es ſey viel oder wenig, am Ende im Ganzen, ſo viel gutes auch in einzelnen Nebenbetrachtun - gen enthalten iſt, nichts anders als ein unbelehrendes und verwirrtes Raiſonnement ſeyn, das auf einſeitigen und unbeſtimmten Begriffen beruhet.

Man muß etwas hoch anfangen, wenn dieſer Be - grif voͤllig deutlich werden ſoll; aber man kann auch bald wieder herunter gehen zu dem mehr beſtimmten, wo - bey man ihn anwenden will.

Das145der Vorſtellungen.

Das Mannichfaltige, was ſich in einem jeden Dinge, fuͤr ſich allein betrachtet, erkennen laͤſſet, iſt entweder etwas Abſolutes, oder etwas Relatives. Das letztere iſt ſo etwas, was ohne die Jdee von einem Verhaͤltniß oder von einer Beziehung nicht gedacht wer - den kann. Die drey Linien in dem Triangel gehoͤren zu den abſoluten Praͤdikaten des Triangels. Dagegen ihre Verbindung mit einander, wodurch ſie einen Raum ein - ſchließen, zu den Relativen, (zu den ſich auf etwas Beziehenden, zu den Bezogenen) gehoͤrt, wohin auch ihre beſtimmte Lagen bey einander, oder die Winkel und die Verhaͤltniße ihrer Groͤßen gegeneinander zu rechnen ſind. Das Abſolute, (das auf nichts anders ſich Be - ziehende, das Unbezogene) iſt es, worinnen Grade und Stufen, ein Mehr und ein Minder ſtatt finden; obgleich nicht bey allen ohne Ausnahme. Die Ver - haͤltniſſe nehmen zwar auch Groͤßen und Grade an, aber nicht eher, als wenn ſie in der Geſtalt des Abſolu - ten vorgeſtellet werden. Jnnere Verhaͤltniſſe, oder eigentlich Verhaͤltniſſe der innern Beſchaffenheiten einer Sache ſind die Verhaͤltniſſe, worinn die abſolu - ten Beſchaffenheiten eines Dinges gegeneinander ſtehen. Sie ſind Verhaͤltniſſe; nur nicht Verhaͤltniſſe des Dinges gegen andere von ihm unterſchiedene Dinge, ſondern Verhaͤltniſſe der Theile des Jnnern eines Din - ges gegen einander. Das Abſolute und das Relative ſind, wie ich hier zum Grunde ſetze, etwas Verſchie - denartiges. Sie haben keinen gemeinſchaftlichen ge - neriſchen Begrif; außer etwan den Begrif des Praͤdi - kats, des Gedenkbaren und dergleichen. Und dieſe Be - griffe ſind, wie ſich unten bey einer andern Gelegenheit zeigen wird, nicht einmal dieſelbigen Begriffe, wenn ſie auf das Abſolute, und zugleich auch auf das Relative angewendet werden.

I. Band. KJſt146I. Verſuch. Ueber die Natur

Jſt das Abſolute die Grade, das Mehr und Minder in demſelben, wenn es dergleichen zulaͤßt, bey Seite geſetzet in einem Dinge nicht eben daſſelbige, was es in einem andern iſt, ſo iſt eine Verſchieden - artigkeit da.

Jn dem einen iſt entweder das Abſolute gar nicht, was in dem andern iſt; oder es iſt einiges in beyden ebendaſſelbige; einiges nur anders; oder es enthaͤlt das Eine zwar alles was in dem andern iſt, aber das letztere iſt nicht ganz das erſtere; ſondern nur ein Theil deſſelben, woran noch etwas von dem fehlet, was jenes an ſich hat, und wo doch dieß Fehlende nicht blos ein Mangel eines hoͤhern Grades iſt.

Jn jedem dieſer Faͤlle ſollen ſolche zwey Dinge un - vergleichbar, ungleichartig oder verſchiedenartig genannt werden. Der Marmor, der den Menſchen vor - ſtellet, beſtehet nicht aus ſolchen Theilen, Subſtanzen, Stuͤcken, wie ſein Objekt, der menſchliche Koͤrper; und iſt alſo etwas ungleichartiges mit dieſem. Die Farben - ſtriche auf einer Flaͤche, die ein Gemaͤlde machen, ſind nicht einartig mit dem Fleiſch, den Sehnen, dem Blut, den Adern und Knochen in dem Kopf des Menſchen, wenn ſie gleich von dieſem eine Abbildung hervorbrin - gen, und die Vorſtellungen in uns von der Sonne und dem Monde haben eben ſo wenig gleichartiges mit den Objekten an ſich, die ſie vorſtellen.

Eben dieſe angefuͤhrten Beyſpiele zeigen, daß die Verſchiedenartigkeit, welche aus der Diverſitaͤt des Abſoluten entſtehet, eine analogiſche Beziehung auf einander, und alſo in ſo weit eine Aehnlichkeit zwiſchen ihnen, nicht ausſchließe. Die Analogie beſtehet in der Jdentitaͤt der Verhaͤltniſſe und Beziehungen der ab - ſoluten Beſchaffenheiten gegen einander; ſie erfordert die Jdentitaͤt| des Abſoluten ſelbſt nicht.

Jn147der Vorſtellungen.

Jn dem Fall, wo in dem Einen der verglichenen Dinge eins oder mehrere von den abſoluten Beſchaffen - heiten fehlen, die in dem andern vorhanden ſind, wo das uͤbrige aber beiden gemeinſchaftlich iſt, da kommt die bey der Anwendung auf beſondere Faͤlle oftmals ſchwer zu entſcheidende Frage vor: ob das poſitive und abſo - lute Eigene in dem Einem Dinge etwan nur ſo eine Beſtimmung ſey, die von einem gewiſſen beſtimmten Grade der abſoluten Beſchaffenheiten abhangen, und aus dieſen letztern in einer gewiſſen Quantitaͤt genommen, entſtehe oder entſtehen koͤnne? oder ob es etwas Grund - eigenes in der Sache ſey, das auch durch jede Ver - groͤßerung oder Verminderung des uͤbrigen Abſoluten nicht hervorgebracht werden koͤnnte? Jn dem erſten Fall iſt es eine Folgebeſchaffenheit von andern, die hin - zu kommen kann, wenn die an ihren Groͤßen, Graden, Stufen veraͤnderliche Grundbeſchaffenheiten eine ſolche Veraͤnderung wirklich annehmen, und alsdenn iſt doch ſo eine Verſchiedenartigkeit nicht vorhanden, wie hier be - ſtimmet worden iſt. Dennoch kann eine andre Verſchie - denartigkeit, die nicht in einer Verſchiedenheit des Abſolu - ten, ſondern in einer Verſchiedenheit innerer Verhaͤlt - niſſe des Abſoluten ihren Grund hat, vorhanden ſeyn. Von welcher Gattung der Heterogeneitaͤt gleich nachher geſaget werden ſoll. Jn dem denkenden Weſen iſt die Vernunft etwas Eigenes, welches in den Thieren nicht iſt, und iſt dazu etwas abſolutes. Jſt ſie aber nur eine Folgebeſchaffenheit, die hinzukommt, wo das allen ge - meinſchaftliche Empfindungsvermoͤgen eine gewiſſe Fein - heit und Groͤße erlanget hat, ſo werden doch beyde Gat - tungen von Weſen, vernuͤnftige und vernunftloſe, ein - artig ſeyn. Vorausgeſetzt, daß nicht noch eine andere Grundverſchiedenheit in innern Verhaͤltniſſen vorhanden ſey. Bey derſelbigen Bedingung muͤßte auch das Un - vernuͤnftige durch eine Erhoͤhung des Abſoluten, was inK 2ihm148I. Verſuch. Ueber die Naturihm iſt, in ein Vernuͤnftiges verwandelt werden koͤnnen. Denn wo dieſe Umaͤnderung durch einen weſentlichen Mangel an der dazu erforderlichen Perfektibilitaͤt unmoͤg - lich gemacht wuͤrde, da muͤßte der innere Grund, von dieſer Unfaͤhigkeit bis zur Vernunft erhoben zu werden, entweder etwas eigenes Abſolutes ſeyn, wie es doch hier nicht ſeyn ſoll, oder es muͤßte doch noch eine eigene Grund - verſchiedenheit in den Verhaͤltniſſen des Jnnern voraus - ſetzen.

Die Geometer bringen alle Linien, die geraden und die krummen, und die letzten von allen Ordnungen, un - ter Eine allgemeine Gleichung. Soll dieſe nun weiter beſtimmet, und zu einer beſondern Gleichung fuͤr die Kegelſchnitte, und noch naͤher fuͤr die Ellipſe, oder fuͤr den Zirkel oder fuͤr die gerade |Linie gemacht werden, ſo muͤſſen mehrere oder mindere Groͤßen, die in der allge - meinen Formel enthalten ſind, zu Nullen werden. Die Gleichung fuͤr die eine Klaſſe enthaͤlt alſo einerley Jn - gredienzen, einerley unbeſtimmte Groͤßen mit der fuͤr eine andere, nur daß in einer von ihnen einige Groͤßen ausfallen, oder zu Zero werden, die in der andern als reelle Groͤßen vorhanden ſind. Jn wie weit ſind nun Linien einerleyartig? und in wie weit ſind ſie verſchie - denartig? Dieſe Geſchoͤpfe des Verſtandes kennen wir am innigſten, und auch nach den Unterſcheidungsmerk - malen, wornach wir ſie in Klaſſen vertheilen. Da zeigt es ſich auch am klarſten, worauf es ankomme, wenn mehrere Linien als Linien Einer Art oder Gattung oder Ordnung angeſehen werden. Der Charakter der Gat - tung, der die Einartigkeit beſtimmet, wird aus dieſen zwey Stuͤcken genommen. Es ſollen gewiſſe Groͤßen in der Aequation fuͤr die ganze einartige Gattung reelle Groͤßen ſeyn, ſo ſehr ſie ſonſten an Graden der Quanti - taͤt veraͤnderlich ſind. Dieß iſt Eins. Dazu kommt zweytens ein gemeinſchaftliches feſtes Grundverhaͤltnißzwiſchen149der Vorſtellungen. zwiſchen ihnen, welches keine andere Veraͤnderung anneh - men kann, als die aus der Veraͤnderung in den reellen veraͤnderlichen Groͤßen ſelbſt entſtehet.

Die Verſchiedenheit in dem Abſoluten, die naͤm - lich nicht allein in Graden beſtehet, iſt Eine von den Quellen der Verſchiedenartigkeit. Eine andere lieget in der Verſchiedenheit der unveraͤnderlichen Verhaͤltniße des Abſoluten. Denn unveraͤnderlich muß dieß Verhaͤltniß ſeyn und unabhaͤngig von den Veraͤnderungen, die in den Graden und Stufen der abſoluten Beſchaffenheiten ſelbſt ſich eraͤugnen, wenn dieſe vergroͤßert oder vermindert werden. Die drey Winkel im Dreyeck, als die abſolu - ten Grundbeſchaffenheiten, ſollen, um einen Triangel auszumachen, mit ihren Endpunkten zuſammenſtoßen. Dieſe Verbindung iſt eine Grundbeſchaffenheit, ein we - ſentliches Praͤdikat, obgleich etwas Relatives, das eben - daſſelbige in allen Triangeln iſt, wie auch ſonſten die Groͤßen und Lagen der Seiten gegeneinander ſich abaͤn - dern. Allein wenn doch die Groͤßen der Linien ſelbſt ſo weit abgeaͤndert werden, daß ihrer je zweye zuſammen nicht mehr an Groͤße die dritte uͤbertreffen, ſo faͤllt auch die Moͤglichkeit ihres Zuſammenſtoßens an den End - punkten, und alſo das Grundverhaͤltniß weg. Dann haben wir keine Triangel mehr, ſondern unbegraͤnzte und unumſchloſſene Raͤume, die man nicht fuͤr einartig mit ihnen anſehen kann. Es gehoͤret zu dem Weſen eines jeden Dinges, was mehrere abſolute und verſchiedene Beſchaffenheiten in ſich faſſet, außer den abſoluten Be - ſchaffenheiten, noch ein gewiſſes Grundverhaͤltniß der - ſelben, welches aber, wie das angefuͤhrte Beyſpiel zei - get, auf eine ſolche Art von den Groͤßen und Stufen in dem Abſoluten abhangen kann, daß es aufgehoben wird, wenn jene veraͤnderlich ſind, und ihre Vergroͤßerung oder Verkleinerung uͤber eine gewiße Graͤnze hinaus - gehet.

K 3Es150I. Verſuch. Ueber die Natur

Es giebt vielleicht auch ſolche Beziehungen und Verbindungen der innern abſoluten Beſchaffenheiten, die gaͤnzlich von den in Groͤßen, Graden und Stufen des Abſoluten vorgehenden Veraͤnderungen unabhaͤngig ſind, ſo lange das Abſolute nur nicht ganz verſchwindet oder zu Nichts wird, z. B. die Ordnung und Folge, in der ſie bey einander ſind. Jch ſage: vielleicht gebe es ſolche. Denn ich will hier uͤber die Natur ſolcher Verhaͤltniſſe, die aus den verſchiedenen Koexiſtenzarten der Dinge ent - ſpringen, und in wie weit ſolche von ihren innern abſo - luten Beſchaffenheiten abhangen, nichts beſtimmen. Und in dieſem Fall, wenn naͤmlich die Dinge in Grund - verhaͤltniſſen verſchieden ſind, welche bey aller Veraͤnde - rung in den Graden des Abſoluten dieſelbigen bleiben, ſo gehoͤren ſie ebenfalls zu den Verſchiedenartigen; moͤchten ſie auch ſonſt in Hinſicht des Abſoluten ſelbſt ei - nerley ſeyn.

Ohne mich weiter bey der Erlaͤuterung dieſer Ge - meinbegriffe aufzuhalten, will ich nur die Grenzlinie noch hinziehen, wo ſich die Homogeneitaͤt und Heterogeneitaͤt, die Einartigkeit und Verſchiedenartigkeit, ſo wie dieſe Begriffe in pſychologiſchen Unterſuchungen am meiſten gebraucht werden, von einander trennen.

Wenn Ein Ding, deſſen abſolute Beſchaffenheiten beſtimmte Verhaͤltniße und Beziehungen auf einander haben muͤſſen, um ſo ein Ding zu ſeyn, durch eine Veraͤnderung der Grade und Stufen in dem Abſolu - ten; dadurch naͤmlich, daß es vergroͤßert oder verklei - nert, an Einer Seite vergroͤßert, an der andern ver - kleinert wird; in ein anderes Ding verwandelt werden kann, deſſen Begrif ein anders Grundverhaͤltniß eben derſelben abſoluten Beſchaffenheiten erfordert; wenn ein Ding ſich ſo auf ein andres beziehet; ſo ſol - len dieſe beiden Dinge noch als gleichartige oder homo - gene angeſehen werden.

Wenn151der Vorſtellungen.

Wenn dagegen eine ſolche Verwandelung durch Ver - mehrung oder Verminderung, oder durch beides nicht moͤglich gemacht wird, ſondern außerdieß noch etwas Abſolutes weggeſchaffet oder hinzugeſetzet werden muͤßte; oder wenn ein neues Grundverhaͤltniß erfordert wird, um ein Ding in ein anders zu umformen; alsdenn ſind die ſich ſo auf einander beziehende Dinge heterogen und verſchiedenartig. Die Verwandelung durch eine Veraͤnderung in den Groͤßen aber darf nur fuͤr ſich moͤg - lich ſeyn, wenn man auf das innere Abſolute in der Sache Ruͤckſicht nimmt: nur in den abſoluten Grund - beſchaffenheiten muß nichts enthalten ſeyn, das die dazu noͤthige Erweiterung oder Verengerung der Schranken unmoͤglich mache. Denn wo dieſe Unmoͤglichkeit nur in aͤußerlichen Urſachen und Umſtaͤnden ihren Grund hat, da kann allein aus dieſem Grunde die innere Homo - geneitaͤt der Naturen nicht aufgehoben werden.

Jn dieſem angegebenen Unterſchied des Homogenen und des Heterogenen hat man einen feſtſtehenden und beſtimmten Begrif, durch den die ſonſt ſo ſchwankenden Begriffe von Gattungen und Arten, und die mit ihnen verwandte in der allgemeinen Philoſophie eine gleiche Beſtimmtheit erhalten. Bey dem Verfahren des ge - meinen Verſtandes bemerket man, daß wenn zwey Din - ge zu Einer Art oder Gattung gebracht werden, ſo wird allemal vorausgeſetzet, dasjenige, was den Charakter der Art oder der Gattung ausmachet, ſey etwas, das entweder auf eine beſtimmte Zeit oder auf immer den Subjekten zukommt, und alſo etwas beſtaͤndiges in ih - nen. Bey den gewoͤhnlichen Abtheilungen in Klaſſen haben wir jedesmal eine beſtimmte Abſicht, die von ei - nem groͤßern oder geringern Umfange iſt. Wenn die Beſtaͤndigkeit der Merkmale ſo groß iſt, als dieſe Abſicht es erfordert, ſo iſt es ſchon genug, um das Ding auf den allgemeinen Begrif zuruͤck zu bringen, der durchK 4jene152I. Verſuch. Ueber die Naturjene Merkmale beſtimmt wird, und alſo das Ding fuͤr ein Ding einer ſo charakteriſirten Art anzuſehen. Die Vorſtellung von einem beſtaͤndigen Unterſchiede iſt der Grund des Urtheils. Wo aber weiter die innere Weſens - oder Naturverſchiedenheit beſtimmet werden ſoll, da iſt es wiederum die Unmoͤglichkeit, aus einer Art in die andere uͤberzugehen, unter welchen Bedin - gungen ſolche Statt finde, und wie weit und tief ſie ſich erſtrecke, worauf es ankommt. Bey den wirklichen Dingen in der Welt iſt es ſelten in unſerm Vermoͤgen, die innere Unumaͤnderlichkeit eines Dinges Einer Art in ein Ding einer andern Art voͤllig ins Licht zu ſetzen. Deß - wegen ſind diejenigen, die natuͤrliche Abtheilungen ſu - chen, oft genoͤthiget, gewiſſe beſtaͤndige Eigenſchaften oder Wirkungen, oder auch wol Beziehungen auf andere, als ein aͤußeres Kennzeichen von ihr, anzunehmen, und aus dieſem die Einartigkeit und Verſchiedenartigkeit zu beſtimmen. Aber wie weit die Zuverlaͤßigkeit eines ſol - chen aͤußern Merkmals gehe, das iſt alsdenn noch, wenn es ſeyn kann, beſonders auszumachen. Ein Beyſpiel hievon giebt der Buͤffoniſche Geſchlechtscharakter bey den Thieren, wo das Vermoͤgen, durch ihre Vermi - ſchung ſich fortzupflanzen, zum Zeichen der Einartigkeit gemacht wird.

3.

Aus dem obigen feſtſtehenden Begrif, koͤnnen nun einige der vornehmſten Stufen der Homogeneitaͤt im all - gemeinen beſtimmet werden.

Homogene Dinge koͤnnen in einander umgeaͤndert werden durch Vergroͤßerung und Verkleinerung. Es kann alles beides dazu erforderlich ſeyn; einige Theile muͤſſen wachſen; andere muͤſſen abnehmen. Jn dieſem Fall iſt keine naͤhere Einartigkeit vorhanden, als die all - gemeine, deren Graͤnze vorhero beſtimmet iſt. Dießſey153der Vorſtellungen. ſey die erſte Stufe. Eine ſolche Veraͤnderung gehet mit der Raupe vor, wenn ſie zum Jnſekte wird. Hie - her gehoͤren auch die natuͤrlichen Verwandelungen, die durch innerliche Urſachen bewirket werden, oder doch von ſolchen groͤßtentheils abhangen. Sie ſind zugleich Verwandelungen, in Hinſicht der neuen aͤußern Ge - ſtalten, wenn nemlich das aͤußerliche Anſehen bis dahin veraͤndert wird, daß das Ding, nach dieſen zu urthei - len, zu einer andern von dem erſtern unterſchiedenen Gattung von Dingen gebracht werden muͤßte.

Die Umaͤnderung kann auch allein durch die Vermehrung oder Erhoͤhung einer oder mehrern von den abſoluten Beſchaffenheiten eines Dinges zu Stande kommen; oder auch allein durch ihre Herunterſetzung oder Verminderung. Hieher koͤnnen auch ſolche Bey - ſpiele gezogen werden, wo zwar beides, eine Vermeh - rung und eine Verminderung, vor ſich gehet, aber ſo, daß Eine Art dieſer Veraͤnderungen in Vergleichung mit der andern unerheblich iſt, und wenig in Betracht kommt oder kommen darf. Der Saame waͤchſet auf zum Baum; und aus dem Embryon wird ein vollſtaͤn - diges Thier. Jn beiden, in dem Saamen und in dem Embryon gibt es einige Theile, die waͤhrend der Ent - wickelung abnehmen und wegfallen, aber auf dieſe wird weniger Ruͤckſicht genommen, als auf die Vergroͤßerung die hier eine Entwickelung iſt. Dieß iſt eine zwo - te Stufe der Einartigkeit.

Hiezu kann noch eine dritte geſetzet werden, die Aehnlichkeit nemlich.

Wenn ein Ding durch eine ebenmaͤßige und pro - portionirliche Vergroͤßerung oder Verminderung ſei - ner abſoluten veraͤnderlichen Groͤßen in ein anderes Ding uͤbergehet. Wenn das Verhaͤltniß und die Beziehun - gen des Abſoluten, bey allen Veraͤnderungen die in dem letztern vorgehen, unveraͤnderlich immer ſo bleiben wie ſieK 5ſind,154I. Verſuch. Ueber die Naturſind, und wie ſie in dem Dinge vor der Veraͤnderung ſchon geweſen ſind. Wenn dieß iſt, ſo iſt weiter zwi - ſchen ſolchen Dingen kein Unterſchied, als nur in den Groͤßen. Sie verhalten ſich zu einander wie aͤhnliche Figuren. Nur die abſoluten Groͤßen, die Materie iſt verſchieden; die Form iſt dieſelbige. Dieſe Homoge - neitaͤt iſt Aehnlichkeit, welche auch zugleich eine Analo - gie iſt, aber noch mehr als dieſe. Denn Analogie kann ſtatt finden, wo die analogen Dinge verſchiedenartig ſind.

4.

Wenn man dieſe gemeine Begriffe auf die Beob - achtungen von unſeren Vorſtellungsarten und Seelen - vermoͤgen anwendet, ſo deucht mich doch, es zeige ſich deutlicher, worauf es bey ihrer Vergleichung ankomme, als vorher.

Jſt denn das Vermoͤgen zu percipiren, das iſt, Vorſtellungen von gegenwaͤrtigen Objekten bey der Em - pfindung anzunehmen, mit dem zwoten Vermoͤgen, die - ſe Vorſtellungen wieder hervorzuziehen in der Ab - weſenheit der Gegenſtaͤnde, und iſt beydes mit dem drit - ten Vermoͤgen, mit der Dichtkraft, einartig, und wie weit ſind ſie alle Ein und daſſelbige Vermoͤgen? Dieſe Frage haͤnget nun von der folgenden ab: kann jedes die - ſer Vermoͤgen durch eine Vermehrung oder durch eine Verminderung ſeiner veraͤnderlichen Groͤße in jedes an - dere uͤbergehen, und in wie fern? und worinn beſtehet die abſolute veraͤnderliche Groͤße, durch deren Erhebung oder Herunterſetzung die eine Thaͤtigkeitsweiſe in die an - dere verwandelt wird?

Auf dem letztern Theil der Frage beruhet das Erheb - lichſte. Wenn man gerade zu behauptet, das Percipi - ren, das Aufnehmen einer gewiſſen Spur von einem vorherempfangenen Eindruck, oder erlittenen Veraͤnde - rung ſey das naͤmlich, was wir das Reproduciren nen -nen,155der Vorſtellungen. nen, oder werde es, wenn es vergroͤßert wird, ſo ſaget man etwas unbeſtimmtes, das, von einer Seite betrach - tet, ſo unbegreiflich als unerweislich iſt. Mag doch ei - ne Auſter, welche empfindet, auch von den Eindruͤcken auf ſie einige Nachempfindungen haben, wie die geſpann - te elaſtiſche Saite nachzittert; und mag eine gewiſſe Spur oder eine Folge von dieſem Eindruck in ihr blei - ben, wie in der unvollkommen elaſtiſchen Saite auch ge - ſchicht, die von jedwedem einzeln Schlag eine kleine ob - gleich unbemerkbare Veraͤnderung in der Lage und Ver - bindung ihrer Theile nach behaͤlt; kann deswegen die Au - ſter und die Saite dieß Aufbehaltene ſelbſtthaͤtig wieder ent - wickeln und den vorigen Zuſtand wieder herſtellen, ohne daß die ehemalige aͤußere Urſache, oder doch eine aͤhnliche, von neuem auf ſie wirke? Und wenn nun jenes Vermoͤgen auf - zunehmen vergroͤßert, die Perceptionskraft feiner, aus - gebreiteter, ſtaͤrker, und mehr aufgelegt wird, mehrere, ſtaͤrkere, beſſer abgeſetzte und deutlicher ausgedruckte Spuren, auch von den ſchwaͤchſten Eindruͤcken anzuneh - men, wie ſoll daraus eine Kraft werden, von ſelbſt aus ſich ſolche wiederum hervorzuziehen? Das iſt, wie kann ein erhoͤhetes Percipiren in ein Reproduciren veraͤndert werden?

Das Vermoͤgen der Perception in der menſchlichen Seele muß alſo noch eine andere Seite haben, und noch eine andere veraͤnderliche Groͤße, durch deren Ver - groͤßerung die Phantaſie und das Dichtungsvermoͤgen daraus hervorſchießet; oder dieſe letztern Vermoͤgen ſind mit dem erſten heterogener Natur; die wohl aus Einer Subſtanz beyſammen ſind, aber als verſchiedene Grundzuͤge, welche aus Einem und demſelben abſoluten Princip in ihr nicht abgeleitet werden koͤnnen.

Da treffen wir aber auch, wie ich meine, bald auf den rechten Punkt. Die menſchliche Seele iſt faͤhig nachzuempfinden, und von dieſen Nachempfindungenbeſtimm -156I. Verſuch. Ueber die Naturbeſtimmte und bleibende Spuren in ſich aufzunehmen. Hiezu beſitzet ſie ein poſitives, reelles und abſolutes Ver - moͤgen, und dieß Vermoͤgen iſt ein wirkſames Vermoͤ - gen. Es iſt nicht blos Receptivitaͤt; es iſt ſchon ſelbſt - thaͤtig und mitwirkend alsdenn, wenn die aͤußere Ur - ſache Eindruͤcke auf die Seele hervorbringet. So et - was aͤhnliches iſt auch die Elaſticitaͤt in der Saite, welche nachzittert, und die Schwere in dem Perpendikul, der zu ſchwingen fortfaͤhret. Aber noch mehr: Dieß Ver - moͤgen in der menſchlichen Seele iſt nicht von einer un - veraͤnderlichen Groͤße, ſondern kann als ein ſelbſtthaͤti - ges Vermoͤgen erhoͤhet werden. Die Selbſtthaͤtig - keit in ihm iſt die veraͤnderliche Groͤße. Das Vermoͤgen zu percipiren nimmt nicht allein eine Ver - groͤßerung an, in dieſer Art thaͤtig zu ſeyn; es iſt auch perfectibel, in ſo ferne es ein ſelbſtthaͤtiges, oder aus ſich ſelbſt, aus einem innern Princip wirkendes Vermoͤgen iſt. Die Elaſticitaͤt der Saite kann durch die ſtaͤrkere oder mindere Spannung mehr oder weniger Jntenſion erlangen, und dann wird ſie aufgelegt, ſchneller zu ſchwingen, und laͤnger ihre Schwingungen fortzuſetzen, aber ihre innere Selbſtthaͤtigkeit bleibet in ſo weit von gleicher Groͤße, wie ſie iſt, als ſie, um in einen Schwung zu kommen, und thaͤtig zu werden, jedesmal von einer aͤußern Urſache gereizet wiederum geſchlagen, gedruckt, geſtoßen und uͤber einen Raum getrieben wer - den muß, wie das erſtemal, wenn ſie uͤber denſelbigen Raum hin und her zittern ſoll. Denn der Antheil, welchen ſie als Kraft an der Weite der einzelnen Schwuͤn - ge hat, die ſie annimmt, und die Beziehung der innern Kraft auf die aͤußere reizende oder beywirkende Urſache, iſt unveraͤnderlich derſelbige. Dieß fuͤhret uns auf das charakteriſtiſche der menſchlichen Vorſtellungskraft. Die letztere bedarf anfangs der Einwirkung einer aͤußern Ur - ſache, um auf eine gewiſſe Art modificirt zu werden, undum157der Vorſtellungen. um dieſe Modificationen in ſich aufzunehmen, hineinzu - legen, und eine Spur davon zu verwahren. Aber ſie ſelbſt wirkte mit, und enthielt zum Theil den Grund in ſich von ihrer eigenen Veraͤnderung, die verurſachet ward, und war in ſo weit ſelbſtthaͤtig. Und dieſe Selbſt - thaͤtigkeit oder Eigenmacht kann als eine ſolche erhoͤhet werden, wodurch denn die Beziehung des innern Prin - cips auf die mit wirkende aͤußere Urſache veraͤndert, und das Zuthun der letztern in Hinſicht auf die ganze Wir - kung entbehrlicher und minder nothwendig wird, wenn dieſelbige oder doch eine aͤhnliche Wirkung hervorgebracht werden ſoll.

Jſt dieſe Selbſtthaͤtigkeit des Vermoͤgens bis auf einen gewiſſen Grad hin erhoͤhet, ſo entſtehet die Leich - tigkeit, eine vorige Modifikation wieder anzunehmen, die das Einbildungsvermoͤgen ausmachet, das Ver - moͤgen, die vorige Modifikation gewiſſermaßen wenig - ſtens wieder zu erneuren, ohne daß ein Einfluß einer ſol - chen Urſache erfordert wird, wie zu der erſten Empfin - dung nothwendig war. Die wiedererweckten Einbildun - gen ſind den Empfindungsvorſtellungen in allem aͤhnlich, und nur an Lebhaftigkeit und Staͤrke von ihnen unter - ſchieden. Die innere Thaͤtigkeit; der Aktus und die Kraft, welche in beyden wirket, iſt alſo dieſelbige, und der ganze Unterſchied zwiſchen ihnen beſtehet darinn, daß die Einbildungen durch eine innerlich mehr hinreichende Kraft, durch eine vergroͤßerte Selbſtthaͤtigkeit, bewir - ket werden, die Empfindungen aber, und die erſte Auf - nahme der Vorſtellungen die Beywirkung einer fremden und aͤußern Urſache erfodern.

Das menſchliche Vermoͤgen der Perception mehr ſelbſtthaͤtig gemacht, iſt alſo das Vermoͤgen zu reprodu - ciren, und mehr ſelbſtthaͤtiges Percipiren iſt ſo viel als Reproduciren. Jenes gehet in dieſes uͤber, wenn die Kraft innerlich erhoͤhet iſt, und dann die Urſachenverſchie -158I. Verſuch. Ueber die Naturverſchieden ſind, wovon es zur Thaͤtigkeit gereizet wird. Es ſind alſo einartige Arbeiten und einartige Faͤhig - keiten.

Wenn die Selbſtthaͤtigkeit des percipirenden Ver - moͤgens, der Antheil, den die innere Eigenmacht der Seele an den Wirkungen hat, und ihre innere Zureichlich - keit zu dieſen nicht vergroͤßert und erhoͤhet wuͤrde, ſo moͤchte ſich das Vermoͤgen, etwas anzunehmen, und ſich modi - ficiren zu laſſen, als bloße Receptivitaͤt, nach allen Rich - tungen hin ausdehnen, und es wuͤrde doch das Verhaͤlt - niß zwiſchen dem Beytrag des innern Princips und der aͤußern Urſache immer daſſelbige bleiben. Alsdann koͤnnte das Perceptionsvermoͤgen von dieſer Seite be - trachtet, als bloße Modificabilitaͤt, extenſive und intenſi - ve zunehmen, ohne jemals ſich zur Phantaſie zu entwi - ckeln. Fehlet es irgend einem percipirenden Vermoͤgen an der Perfektibilitaͤt in der innern Selbſtthaͤtigkeit, und fehlet ihm ſolche von Natur; ſo iſt das keine Kraft, die mit der menſchlichen Perceptionskraft fuͤr gleichartig an - geſehen werden kann; keine Kraft, die jemals Einbil - dungs - oder Wiedervorſtellungskraft werden kann.

Es iſt hieraus zugleich begreiflich, daß die Phan - taſie in dem Menſchen ſich in einem ungleichen Verhaͤlt - niß mit dem Vermoͤgen der Perception entwickeln koͤnne. Je mehr unſre Seele Vorſtellungen empfindet und Vorſtellungen aufſammlet, deſto mehr uͤbet ſie zwar ein Vermoͤgen von einer perfektiblen Selbſtthaͤtigkeit, und es kann nicht fehlen, daß ſolches nicht auch zugleich an ſeiner ſelbſtthaͤtigen Seite erhoͤhet werde; aber doch fol - get daraus nicht, daß es von dieſer letzten Seite, als Einbildungskraft in eben dem gleichen Grade zunehme, wie die Aufhaͤufung der Vorſtellungen vergroͤßert, und die Receptivitaͤt, die Empfindlichkeit, Beugſamkeit, oder Empfaͤnglichkeit gegen neue Eindruͤcke vergroͤßert wird. Die bekannte Uebung zur Staͤrkung der Einbil -dungs -159der Vorſtellungen. dungskraft und des Gedaͤchtniſſes iſt von einer andern Uebung im Empfinden und Beobachten, wobey die Ab - ſicht nur darauf gerichtet iſt, volle, genaue und feine Eindruͤcke von den Objekten zu erlangen, verſchieden. Denn obgleich beyde ſich gewiſſermaßen einander erfo - dern und mit einander verbunden ſind, ſo wiſſen wir doch, daß, ſo wie eine ſchnelle und muntere Faſſungskraft et - was anders iſt, als ein feſtes, lange etwas behaltendes Gedaͤchtniß, auch die Uebungen in mancher Hinſicht ver - ſchieden ſind, wodurch jene und wodurch dieſes erlanget oder verbeſſert wird. Treibet nun die ganze Seelenkraft nach Einer Seite zu ſtark hin, ſo kann und muß ſie ge - wiſſermaßen an der andern in etwas zuruͤcke bleiben.

5.

Man ſetze die Vergleichung auf dieſelbige Art wei - ter fort, ſo zeiget ſich das Verhaͤltniß der Phantaſie zu der Dichtkraft. Die Fiktionen ſind den Wieder - vorſtellungen nicht eigentlich aͤhnlich und alſo das Ver - moͤgen zu jenen auch dem Vermoͤgen zu dieſen nicht. Laß die Phantaſie in einem verhaͤltnißmaͤßigen Grade vergroͤßert, verfeinert, lebhafter und ſtaͤrker gemacht werden. Hiedurch allein entſtehen keine ſolche Selbſt - geſchoͤpfe der ſinnlichen Vorſtellungskraft, als die Er - dichtungen ſind. Jn dieſer Hinſicht ſind beyde Thaͤtig - keitsarten unvergleichbar, und es laͤßt ſich durchaus nicht gedenken, wie vielmal der Aktus des Einbildens in dem Aktus des Dichtens enthalten ſey, noch wie Einer von ihnen vergroͤßert oder verkleinert in dem andern uͤber - gehe. Die ſtarke, feſte und ausgedehnte Jmagination des Ritters von Linne faſſet eine unzaͤhlbare Menge kla - rer Empfindungsvorſtellungen von koͤrperlichen Gegen - ſtaͤnden, und eine gleiche Menge gehoͤrter und geleſener Toͤne; erhaͤlt ſolche in ihrer Deutlichkeit und reproduci - ret ſie. Man vergleiche die ſtarke Seelenaͤußerung mitder160I. Verſuch. Ueber die Naturder Dichtkraft im Milton und Klopſtock, die mit innerer Heftigkeit die Einbildungen bearbeitet, aufloͤſet und ver - miſchet, trennet und zuſammenziehet, und neue Geſtal - ten und Erſcheinungen ſchaffet. Wie verſchiedenartig ſind nicht die Wirkungen. Ein unermeßliches Gedaͤcht - niß kann ohne eine hervorragende Dichtkraft, und um - gekehrt die letztere vorhanden ſeyn, ohne daß das Ge - daͤchtniß von vorzuͤglicher Groͤße ſey. Von dieſer Seite betrachtet ſind auch die Thaͤtigkeiten und die Vermoͤgen verſchiedenartig.

Dennoch aber ſind ſie von einer andern Seite ange - ſehen, homogene Vermoͤgen, und Vermoͤgen einer und derſelbigen Kraft. Jſt das ſelbſtthaͤtige Vermoͤgen zu reproduciren ſchon vorhanden; ſo wachſe es, in ſo fer - ne es ein ſelbſtthaͤtiges Vermoͤgen iſt, und in ſo ferne es aufgenommene Vorſtellungen wieder hervorziehet. Man gebe der Phantaſie, die wie jedes Seelenvermoͤgen meh - rere Dimenſionen, ſo zu ſagen hat, groͤßere Lebhaftig - keit und Geſchwindigkeit, und alſo von dieſer Seite noch einen Grad innerer Selbſtthaͤtigkeit mehr; und laſſe ſie dagegen an Staͤrke, die einzeln Empfindungsvorſtellun - gen in ihrer individuellen Voͤlligkeit wieder darzuſtellen, etwas zuruͤck bleiben, ſo wird ſie eine Kraft werden, wel - che Theile von ganzen Vorſtellungen ſchnell aus ihrer Verbindung mit andern heraus zu heben, und ſie abzu - trennen; dann mehrere Vorſtellungen, die in unter - ſcheidbaren Momenten aufeinander folgen, oder die an unterſchiedenen Stellen und von einander entfernt lagen, in Einem Augenblick und auf Eine Stelle hin zuſam - men zu bringen, in einander zu draͤngen, zu vermiſchen und zu vereinigen vermoͤgend iſt. Das iſt, ſie wird ſelbſtbildende Dichtkraft ſeyn. Es iſt oben der Ver - miſchung der Vorſtellungen erwaͤhnet worden, die in ei - ner Schwaͤche der Phantaſie ihren Grund hat, und daher entſtehet, weil Vorſtellungen zuſammenfallen, die diePhantaſie161der Vorſtellungen. Phantaſie zu ſchwach war, von einander zu erhalten. Ein gewiſſer Grad dieſer Schwaͤche iſt ein mindrer Grad an getreuer, feſter und ſcharfer Reproduktion des Ein - zeln, und gehoͤret mit zum Dichtergenie, wogegen meh - rere Staͤrke von dieſer letztern Seite, und mehrere Schwaͤche in Hinſicht der ſchnellen Reproduktion die Beſtandtheile eines großen Gedaͤchtnißes ausmacht. Was aber zu beiden, zu dem Dichtergenie und zu dem hiſtoriſchen, von der Ueberlegungskraft noch hinzu kom - men muß, wird hier noch nicht in Anſchlag gebracht.

6.

Man ſetze bey unſern Empfindungen das noch bey Seite, was eigentlich das Fuͤhlen oder Empfinden iſt, und wovon die empfundenen Modifikationen den Na - men der Empfindungen haben; ſo heißt eine Empfin - dung von der Sonne haben nichts anders, als eine ge - wiſſe Modifikation von ihr in ſich aufnehmen, wenn die Sonne mittelſt des Lichts auf unſere koͤrperlichen Organe wirket. Eine Nachempfindung hievon iſt es, wenn die - ſe Veraͤnderung in uns eine Weile von ſelbſt beſtehet, da die aͤußere Urſache von außen nicht wirket. Das Vermoͤgen, ſolche Eindruͤcke aufzunehmen, enthaͤlt alſo ei - ne Aufgelegtheit, auf dieſe oder jene Weiſe gebildet, und andern Dingen nachgebildet zu werden, und die em - pfangenen Formen in ſich zu erhalten, auch wenn die Urſache, welche ſie zuerſt aufdruͤckte, ſich entzogen hat. Dieſe Formen werden in dem Jnnern der Seele weggeleget und eingewickelt, ſo daß eine ihr entſprechende Spur zuruͤckbleibet. Ein Reiſender beſieht ein Gebaͤude, macht ſich dann eine Zeichnung davon, die er in ſeinem Coffre zum kuͤnftigen Gebrauch aufhebet. Was ihm die Zeichnung iſt, das iſt bey der Seele, wenn ſie empfindet, die Nachempfindung.

I. Band. LEs162I. Verſuch. Ueber die Natur

Es kann nicht ein jeder Koͤrper, der angeſchlagen wird, nachzittern oder nachſchwingen, wie eine elaſtiſche Saite und wie ein Perpendikel. Der weiche Koͤrper thut es nicht. Die Seele der Auſter und des Polypen mag empfinden, das iſt, Eindruͤcke von den ſie umge - benden Gegenſtaͤnden aufnehmen; dieß kann eine bloße Receptivitaͤt ſeyn, ein bloßes Leiden; es iſt damit nicht nothwendig verbunden, daß ſie auch zu wallen fortfahre, wenn der Schlamm nicht mehr auf ſie zuſtoͤßt, der ihr den Eindruck beybrachte. Aber wenn ihr Vermoͤgen, womit ſie den Eindruck aufnahm, eine mitthaͤtige Kraft iſt, die, wenn ſie einmal eine Veraͤnderung empfangen hat, dieſe Wirkung einen Augenblick ſelbſtthaͤtig in ſich hervorbringen oder ſie erhalten kann die Elaſticitaͤt in der Saite iſt nur ein Beyſpiel, aber kein allgemeines Bild fuͤr alle ſolche Kraͤfte ſo kann ſie nachempfin - den, die empfangene Modifikation ununterbrochen er - halten, obgleich die Einwirkung der Urſache unterbro - chen iſt. Es iſt alſo die Selbſtthaͤtigkeit in der Re - ceptivitaͤt der Seele, von der das Vermoͤgen, Nach - empfindungen zu haben, abhaͤnget.

Um aber ein percipirendes Vermoͤgen zu haben, muß von den Nachempfindungen eine Spur aufbewahret, und in dem Jnnern des percipirenden Weſens gewiſſer - maßen abgeſondert, getrennet und auseinandergeſetzet erhalten werden. Wenn jede Veraͤnderung in jedem Dinge ihre Wirkungen und Folgen hat, die in ihm nie ganz verloͤſchen, dieß iſt ein Grundſatz der Leibnitzi - ſchen Philoſophie ſo koͤnnen doch dieſe Folgen derge - ſtalt in einander zuſammen fallen, daß keine von ihnen jemals durch die innere Kraft der Subſtanz wieder aus - geſondert aus dem ganzen verwirrten Chaos der uͤbrigen reproduciret werden kann. Wo dieß letztere geſchehen ſoll, da muß ein hoͤherer Grad von innerer Modifikabi - litaͤt ſeyn; ein groͤßerer Raum, Umfang, Tiefe und einegroͤßere163der Vorſtellungen. groͤßere Feinheit der modificirten Natur, welche nicht ein Eigenthum eines jeden Weſens ſeyn darf. Jſt nun ein ſolcher Grad von Modifikabilitaͤt mit dem ſelbſtthaͤti - gen Aufnehmungsvermoͤgen verbunden; koͤnnen einzelne Modifikationen einzeln unterhalten werden, und jedwede nachbleibende Spur findet ihre eigene Stelle, ihre Seite, ihren Punkt oder ihre Fiber, wo ſie einzeln und abge - ſondert hinfallen und wiedererweckbar aufbewahret blei - ben kann. Jſt dieß die Natur des modificirten Weſens, ſo beſitzet es ein percipirendes Vermoͤgen, ein Ver - moͤgen, Vorſtellungen aufzunehmen.

7.

Eine abſolute Beſchaffenheit in einem Weſen, die geſtaͤrkt, vergroͤßert und erhoͤhet werden kann, iſt ent - weder unter ſeinen Grundbeſtimmungen in irgend einem beſtimmten Grade vorhanden, oder ſie iſt etwas Abge - leitetes, das zu den Folgebeſchaffenheiten gehoͤret. Jn dem letztern Falle entſpringet ſie aus einer Entwickelung anderer abſoluten Grundbeſchaffenheiten. Wenn eine Anlage oder Dispoſition zu einer abſoluten Beſchaffen - heit vorhanden iſt, ſo iſt eine ſolche Anlage entweder dieſe Beſchaffenheit ſelbſt, nur in einem unbemerkbaren Grade; oder ſie iſt der Keim dazu, das iſt, etwas abſolutes, bey deſſen Erhoͤhung die Beſchaffenheit her - vorgehet. Man nehme es, wie man wolle, ſo iſt in der erſten Empfindung der menſchlichen Seele, und in der erſten Modifikation, die der durchs Auge ins Gehirn hineinfallende Lichtſtrahl hervorbringet, und noch weiter zuruͤck, in dem erſten Druck auf die Seele des lebenden Embryons ſchon Anlage zur Perception. Die elaſti - ſche Saite, die dem erſten Schlag, den ſie empfaͤnget, ausweichet, weichet aus, und nimmt den Schlag auf, der Natur eines elaſtiſchen Koͤrpers gemaͤß, nicht ſo wie ein weicher Koͤrper es thut. Wenn der angeſtoßeneL 2Per -164I. Verſuch. Ueber die NaturPerpendikel |in die Hoͤhe ſteiget, ſo ſteiget er wie ein ſchwerer Koͤrper, der, indem er ausweichet, mit ſeiner Tendenz zu fallen, und ſich unterwaͤrts in Bewegung zu ſetzen, ſchon thaͤtig iſt. So verhaͤlt es ſich auch bey der menſchlichen Seele. Jeder Eindruck auf ſie iſt eine Jmpreßion auf eine perfektible ſelbſtthaͤtige Kraft. Je - des andere Weſen, eine Hundesſeele z. E. an ihrer Stelle, vorausgeſetzt, daß dieſe mit jener perfektiblen Selbſtthaͤtigkeit und Entwicklungsvermoͤgen von Natur nicht begabt ſey, wuͤrde ſo nicht etwas in ſich aufnehmen, als die menſchliche Seele aufnimmt. Jn dieſer ihrer erſten individuellen Modifikation iſt alſo ſchon eine Kraft beſchaͤftiget, die mit Selbſtthaͤtigkeit oder mit Anlage dazu wirkſam iſt; die nicht nur in ſich etwas geſchehen laͤſſet, ſondern es mitthaͤtig aufnimmt; die es einiger - maßen anfaſſet und ergreifet. Es darf keine neue abſo - lute Qualitaͤt hinzugeſetzet werden, ſondern bloß durch eine Vergroͤßerung oder Verſtaͤrkung des ſchon vorhan - denen Princips, und durch einen Uebergang von der unbemerkbaren zu der bemerkbaren Selbſtthaͤtig - keit, von der Anlage zur Faͤhigkeit; und durch eine Erweiterung und Entwickelung ihres Raums, um alle unterſchiedene Eindruͤcke an genugſam abgeſonderten Stel - len in ſich aufzubewahren, gehet die Receptivitaͤt unſerer Seele in eine percipirende, reproducirende und dichtende Kraft uͤber. Jn allen dieſen genannten Wirkungen zei - get ſich Eins und daſſelbige Princip; dieſelbige Grund - kraft; dieſelbigen Arten zu wirken und dieſelbigen Ver - moͤgen. Einerley abſolute Beſchaffenheit, nur in ver - ſchiedenen Hinſichten veraͤnderlich, bringet in jeder be - ſondern Richtung beſondere Vermoͤgen hervor. Und da die Grundkraft nach allen dieſen Richtungen zu wir - ken ſchon von Natur aufgeleget iſt, und in jeder fortzu - gehen und zuzunehmen ſchon in ihrer erſten Aeußerungden165der Vorſtellungen. den Anfang machet, ſo kann man ſich vorſtellen, daß auch in ihrer erſten Aktion alle verſchiedene Vermoͤgen vereiniget ſind, und zwar jedes derſelben in einem Grade, der im theoretiſchen Verſtand niemals gaͤnz - lich ein Nichts iſt. Gleichwol hindert dieß nicht, daß nicht das Eine oder das andere nur als ein Element, als Anlage, Anſatz, oder als ein Unendlichkleines, Unbeobachtbares, vorhanden ſeyn koͤnnte, wovon man, in dem praktiſchen Sinn den Ausdruck genommen, ſa - gen kann, daß es noch gar nicht vorhanden ſey.

L 3Zweeter166II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,

Zweeter Verſuch. Ueber das Gefuͤhl, uͤber Empfindungen und Empfindniſſe.

I. Beſtimmung deſſen, was Fuͤhlen, Empfinden, Gefuͤhl, Empfindung und Empfindniß genen - net wird.

Naͤchſt dem Vorſtellungsvermoͤgen gehoͤret auch das Gefuͤhl, und vielleicht dieß letztere noch mehr als jenes, zu den einfachſten Grundaͤußerungen der Seele. Die Abſicht in dieſem zweeten Verſuche iſt, ſolches auf eine aͤhnliche Art zu unterſuchen, wie es bey der Vor - ſtellungskraft in dem Erſten geſchehen iſt. Da, wo es ſich am auffallendſten zeiget, ſoll aus ſeinen Wirkungen das Charakteriſtiſche deſſelben bemerket, und dann ihm weiter in ſeiner Verbindung mit andern Vermoͤgen nach - gegangen werden; ſo weit mir naͤmlich dieß noͤthig zu ſeyn ſchien, um die Beziehung der einfachſten Princi - pien, die vor uns die erſten beobachtbaren Entwickelun - gen der Grundnatur der Seele ſind, zu erkennen.

Jn der Empfindung entſtehet eine Veraͤnderung un - ſers Zuſtandes, eine neue Modification in der Seele. Jch richte die Augen gegen die Sonne. Da geſchicht etwas, und ich fuͤhle etwas, empfinde es. Der Eindruck kommt in dieſem Fall von außen her; ſo glaube ich es wenigſtens; ich fuͤhle mit dem aͤußern Sinn, oder ich habe eine aͤußerliche Empfindung. Ein ſol - ches Gefuͤhl iſt zuweilen gleichguͤltig, zuweilen angenehm oder unangenehm. Die gefuͤhlte Veraͤnderung iſt dieEmpfin -167uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Empfindung. Wenn dieſe nicht zu den gleichguͤlti - gen gehoͤret, wenn ſie afficirt, wenn ſie uns gefaͤllt oder mißfaͤllt, ſo iſt ſie, von dieſer Seite betrachtet, was nach dem gewoͤhnlichſten Gebrauch des Worts Em - pfindniß oder eine Ruͤhrung genennet wird. Herr Bonnet nennet die Empfindung, wenn ſie eine Em - pfindniß iſt, Senſation. Die gleichguͤltige Empfin - dung, das bloße Aufnehmen des Eindrucks mit dem Aktus des Fuͤhlens zuſammen, heißt bey ihm die Per - ception. *)Eſſai Analytique §. 196.An die Bonnetiſche Art, ſich auszudruͤcken erinnere ich hier, weil ich glaube, daß man oft Gelegen - heiten haben werde, ſeine Begriffe mit den meinigen zu vergleichen.

Der ſinnliche gefuͤhlte Eindruck von der Sonne wird zu einer Nachempfindung und Empfindungs - vorſtellung. (Man ſehe Abth. V. des vorhergehenden Verſuchs uͤber die Vorſtellungen.) Alsdenn iſt es eine Perception, und das Empfinden iſt ein Percipi - ren eines gegenwaͤrtigen Objekts. Die Perception iſt es, zu der ſich die Apperception, das Unterſcheiden, oder der Gedanke: dieß iſt etwas unterſchiedenes; es iſt eine beſondere Modifikation; es iſt ein beſonders Objekt, hin - zugeſellet. Alsdenn iſt man ſich des Gefuͤhls und der Sache bewußt, man nimmt ſie gewahr. Die Empfindungsvorſtellung wird eine Jdee des Em - pfundenen (ſentiment) und die Empfindung iſt eine klare Empfindung.

Die Woͤrter Gefuͤhl und Fuͤhlen haben jetzo bey - nahe einen ſo ausgedehnten Umfang erhalten, als die Woͤrter: Empfindung und Empfinden. Aber doch ſcheinet noch einiger Unterſchied zwiſchen ihnen ſtatt zu finden. Fuͤhlen gehet mehr auf den Aktus des Em - pfindens, als auf den Gegenſtand deſſelben, und Ge -L 4fuͤhle,168II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,fuͤhle, den Empfindungen entgegen geſetzt, ſind ſolche, wo bloß eine Veraͤnderung oder ein Eindruck in uns und auf uns gefuͤhlet wird, ohne daß wir das Objekt durch dieſen Eindruck erkennen, welches ſolche bewirket hat. Empfinden zeiget auf einen Gegenſtand hin, den wir mittelſt des ſinnlichen Eindrucks in uns fuͤhlen, und gleichſam vorfinden. Dazu kommt noch ein anderer Nebenzug, der die Bedeutungen dieſer Woͤrter unter - ſcheidet. Jn dem Empfinden einer Sache begrei - fen wir zugleich mit, daß wir ſie gewahrnehmen, ap - percipiren, erkennen oder von andern unterſcheiden. Das Wort Gefuͤhl ſcheinet von einem allgemeinern Um - fange zu ſeyn, und auch das dunkelſte Gefuͤhl einzu - ſchließen, wo derſelbige Aktus des Fuͤhlens vorhanden iſt, ohne daß wir das Gefuͤhlte unterſcheiden. Jn man - cher Hinſicht kann man beide Ausdruͤcke, Fuͤhlen und Empfinden, als Synonyme gebrauchen, beide fuͤr den Aktus des Fuͤhlens. Das ſchwaͤchſte und dunkelſte Fuͤh - len heißt auch bey vielen, ohne Ruͤckſicht auf eine Apper - ception, ein dunkles Empfinden. Es kommt nicht auf Namen an; eine gewiſſe Unbeſtimmtheit in der Bedeutung der Worte hat vielleicht gar ihr Angeneh - mes. Aber faſt jeder Pſycholog beſchweret ſich, daß man mit den Mißverſtaͤndniſſen beynahe ſo viel zu ſchaf - fen habe, als mit der Dunkelheit der Sachen ſelbſt.

Das Fuͤhlen, das Percipiren, das Gewahr - werden erfolget ſo ſchnell auf einander, daß es in Ei - nem unzertheilten Augenblick ſich in der Seele vor unſe - rer Beobachtung zuſammendraͤnget. Es mag auch viel - leicht neben einander zugleich in uns vorhanden ſeyn, wie die mehreren gleichzeitigen Toͤne, welche eine geſpannte Saite auf einmal angiebt. Aber wie es ſich auch ver - haͤlt, ſo giebt es doch Faͤlle, wo Eine oder die andere dieſer Aeußerungen vor den uͤbrigen hervorſticht, und auszeichnend erkannt werden kann. Aus ſolchen Faͤllenſieht169uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſieht man, daß es unterſchiedene Wirkungsarten ſind, worinn auch ihre Verſchiedenheit beſtehen, und wie weit hinein ſie ſich erſtrecken mag. Ein Beobachter muß dieſen Verſchiedenheiten nachgehen, um das, was auf der Außenſeite der Seele lieget, ſo viel es angeht, deut - lich und beſtimmt zu faſſen. Nachher laͤßt ſich erſt ver - gleichen. Wie die wirklichen Weſen alle, ſo lieget auch die Seele vor unſerm Verſtand. Er kann um ſie her - um gehen, auch nur an einigen Stellen; aber nicht an - ders, als mit vielen Vorkenntniſſen verſehen, es wagen, in ſie hineinzudringen.

Der Aktus des Percipirens iſt in dem vorherge - gangenen Verſuch beobachtet worden, ob es gleich nicht das erſte in der Seele iſt. Es ſchien mir etwas heller ſich zu zeigen, als das Fuͤhlen und Gewahrnehmen. Das letztere von dieſen will ich auch hier noch wiederum ausſetzen. Gewahrnehmen iſt mehr, als ein bloßes Fuͤhlen und Empfinden, obgleich alles, was gewahrge - nommen wird, auch empfunden wird oder empfunden worden iſt; aber wenn es auch mit dem Fuͤhlen und Empfinden am Ende voͤllig einerley ſeyn moͤchte, ſo will ich dieſe Frage hier doch in der gegenwaͤrtigen Betrach - tung vorbeygehen.

Die gefuͤhlten Modifikationes von uns heißen darum Gefuͤhle, Empfindungen oder auch Empfindniſſe, weil das Vermoͤgen zu Fuͤhlen und zu Empfinden, welches ich mit Einem Wort Gefuͤhl nennen will, ob - gleich dieß Wort auch oft den Aktus des Gefuͤhls anzei - get, am vorzuͤglichſten bey ihnen beſchaͤftiget iſt. Wir nennen ſie nach ihrem vornehmſten Theil alſo. Es moͤ - gen mehrere Seelenfaͤhigkeiten bey jeder einzelnen Em - pfindung wirkſam ſeyn, wie es bey den klaren Empfin - dungen außer Zweifel iſt. Das Empfinden, das Fuͤh - len iſt gleichwohl in ihnen die Hauptaͤußerung der Seele.

L 5II. Eini -170II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,

II. Einige Beobachtungen uͤber das Gefuͤhl.

  • 1) Das Gefuͤhl hat nur mit gegenwaͤrtigen Dingen zu thun.
  • 2) Das Gefuͤhl iſt verſchiedener Grade faͤhig. Jn wieferne erwieſen werden kann, daß es ein dunkles Gefuͤhl gebe.
  • 3) Was unmittelbar gefuͤhlt wird, iſt eine paſ - ſive Modifikation der Seele.
  • 4) Was Thun und Leiden, Aktion und Paßion ſey. Jn wie weit ſolches zugleich neben ein - ander ſeyn koͤnne.
  • 5) Auf welche Art wir unſere Thaͤtigkeiten fuͤh - len.

1.

Was denn Fuͤhlen oder Empfinden ſey? da geſtehe ich ſogleich mein Unvermoͤgen, es erklaͤren zu koͤn - nen. Es iſt eine einfache Seelenaͤußerung, die ich nicht in noch feinere zu zerfaſern weiß. Was man hie - bey thun kann, beſtehet meiner Meinung nach darinn, daß man dieſer einfachen Faſer nachgehe und bemerke, wo und wie ſie mit einander fortlaufe, und mit dem Gan - zen verwebet ſey. Bey welchen Arten von Modifikatio - nen zeiget ſich das Gefuͤhl? Was findet man fuͤr Merk - male bey dem, was ein Gegenſtand des Gefuͤhles iſt?

Zuerſt iſt es leicht zu beobachten, daß wir nichts fuͤhlen und empfinden, als was gegenwaͤrtig iſt. Nur jezige Veraͤnderungen, gegenwaͤrtige Zuſtaͤnde von uns, koͤnnen Objekte des Gefuͤhls ſeyn. Die Vorſtellungen haben auch das Vergangene und Zukuͤnftige zum Gegen - ſtand. Die Erinnerung und das Gedaͤchtniß beziehenſich171uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſich auf das Vergangene; die Vorherſehungen, das Ver - langen, die Beſtrebungen auf das Kuͤnftige. Aber was wir fuͤhlen, iſt gegenwaͤrtig. Daraus folget alſo ſoviel, Fuͤhlen ſey ein Thun oder ein Leiden in der Seele, ſo beſtehet es, in ſo ferne es das nur allein iſt, in keinem Beſtreben, in keinem Anſatz, eine neue Veraͤnderung zu bewirken. Es gehet nicht uͤber das Gegenwaͤrtige hin - aus. Jſt es eine Art von Aktion, ſo iſt es weiter nichts, als eine ſolche, die einer Reaktion bey den Koͤrpern aͤhnlich iſt.

So haben verſchiedene Philoſophen es auch angeſe - hen. Fuͤhlen ſcheint ihnen das Ruͤckwirken eines vorſtellenden Weſens zu ſeyn. Aber man muß ſich erinnern, daß dieſer Name ein metaphoriſcher Ausdruck iſt, der eine Aehnlichkeit in ſich ſchließet, und daß man da, wo auf dieſe Jdee etwas gebauet wird, nicht uͤber die aus den Beobachtungen erwieſene Aehnlichkeit hin - ausgehen darf. Die Reaktion eines Koͤrpers beziehet ſich auf eine Veraͤnderung, die durch ſie in einem andern Koͤrper verurſachet wird, deſſen Kraft den reagirenden veraͤndert hat. Jſt es ſchon erwieſen, wie es verſchiede - ne annehmen, daß die Seele, wenn ſie fuͤhlet, immer unmittelbar auf ein aͤußeres Weſen, auf das Gehirn oder auf das innere Empfindungswerkzeug zuruͤckwirke? Jſt man berechtiget, dieß daraus zu folgern, weil man das Fuͤhlen ein Ruͤckwirken zu nennen beliebet hat?

Wir nehmen unſere Vorſtellungen, auch die von abwe - ſenden und vergangenen Dingen, gewahr; wir empfinden auch die Jdeen, wir fuͤhlen ſie, | und zuweilen ihre beſchwer - liche Gegenwartungerne. Wir erinnern uns eines genoſſe - nen Vergnuͤgens, und empfinden dieſes Andenken. Jn beiden Fuͤllen fuͤhlen wir etwas, und nehmen etwas ge - wahr. Aber auch in beiden Faͤllen hat das Fuͤhlen ein gegenwaͤrtiges Objekt. Wir fuͤhlen nemlich die gegen - waͤrtige Vorſtellung des Vergangenen, nicht aber dasvergan -172II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,vergangene Ding ſelbſt, das vorgeſtellet wird. Wir fuͤhlen die Gemuͤthsbewegung, in der die Vorſtellung des Vergangenen enthalten iſt, oder durch die ſie wie - dererwecket wird, aber nur ſo, wie ſie jetzo wiederum ge - genwaͤrtig iſt. Wir erinnern uns des ehemaligen Zu - ſtandes, aber nur den gegenwaͤrtigen fuͤhlen wir.

2.

Ferner der Aktus des Gefuͤhls iſt verſchiede - ner Grade faͤhig. Er kann ſtaͤrker oder ſchwaͤcher ſeyn, der Jntenſion nach, der Ausdehnung und der Dauer nach. Dieß iſt Erfahrung. Es iſt alſo moͤg - lich, daß das Gefuͤhl einer Sache ſo matt, und kurz voruͤbergehend ſey; daß es ungewahrgenommen bleibet, und nicht als ein beſonders Gefuͤhl dieſer Sache bemer - ket wird, ob es gleich die Quantitaͤt des ganzen Gefuͤhls vergroͤßert, wovon es ein Theil iſt. Wo eine vielbeſaſ - ſende Modifikation das Objekt des Gefuͤhls iſt; wo das unmittelbare Gefuͤhl des Ganzen aus dem unmittelba - ren Gefuͤhl ſeiner Theile beſtehet und beſtehen muß; und wo dennoch dieſe einzelnen Gefuͤhlstheile ununterſcheid - bar ſind, da hat man die Erfahrungen, woraus das Da - ſeyn ſolcher dunklen ununterſcheidbaren Gefuͤhle geſchloſ - ſen werden kann. Jch hoͤre einen vermiſchten Ton meh - rerer Jnſtrumente im Koncert, und ſehe eine Menge von Blaͤttern auf einmal verwirrt an einem Baum in der Ferne. Die Blaͤtter, die hinter einander ſtehen, und ſich dem aͤußern Auge verſtecken, ſehe ich nicht. Aber es liegen eine Menge an der vordern Flaͤche, von denen ich Licht empfange. Wuͤrde ich nicht die einzelnen Blaͤtter fuͤhlen, die Toͤne einzelner Jnſtrumente hoͤren, woher entſtuͤnde denn das Gefuͤhl des Ganzen? Sollen jene einzelne Gefuͤhle, die fuͤr ſich beſonders nicht zu bemer - ken ſind, nicht eben ſo wohl fuͤr Gefuͤhlsaktus angeſehen werden, als das ganze, aus ihrer Verbindung beſtehendeGefuͤhl?173uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Gefuͤhl? Es ſey ſo, ſo ſind ſie doch, das mindeſte zu ſagen, die Beſtandtheile des Gefuͤhls von dem Ganzen. Koͤnnen ſie genugſam aus einander geſetzet und abgeſon - dert werden, ſo wird jedes von ihnen fuͤr ſich ſelbſt beob - achtbar. Jene Aktus ſind das, was man die dunklen Gefuͤhle nennet, deren wir uns nicht einzeln, ſondern nur in ganzen Haufen zuſammen bewußt ſind. Sollten ſie, dieſe Elemente des ganzen Gefuͤhls wohl etwas ver - ſchiedenartiges in Hinſicht des letztern ſeyn? Jedes Ein - fache kann etwas Heterogenes ſeyn, in Hinſicht des Zuſammengeſetzten. Aber iſt es glaublich, daß es hier ſo ſey? die Beobachtung kann, ſo viel ich meine, hier - uͤber nicht entſcheiden.

Etwas naͤheres und mehr charakteriſirendes bey dem Gefuͤhl zeiget ſich in den Erfahrungsſaͤtzen, die nun folgen.

3.

Was unmittelbar gefuͤhlet wird, iſt allezeit, wo ſich dieſe Aeußerung unſerer Seele beobachten laͤſſet, etwas leidentliches, eine paſſive Modifikation der Seele; Es iſt entweder ein Eindruck von einer aͤußern Urſache auf ſie, die von ihr aufgenommen wird, eine Veraͤnderung, die ſie zunaͤchſt und unmittelbar von den innern Organen im Gehirn empfaͤnget; oder wenn es auch eine ſolche Veraͤnderung iſt, die die Seele vorhero ſelbſt in ſich be - wirkt hat; ſo iſt ſie doch, in beiden Faͤllen alsdenn, wenn ſie gefuͤhlet wird, auf eben die Art in uns vorhanden, wie eine paſſive, und wie ein von außen aufgenomme - ner Eindruck. Jch will nicht ſagen, dieſe innere Ver - aͤnderung ſey alsdenn in uns nichts anders, als eine Modifikation in dem durch die Wirkſamkeit der Seele veraͤnderten Gehirn, das auf die Seele zuruͤckwirkt, wie ſich viele neuere Pſychologen die Sache vorſtellen. Wo - her weiß man es? Dem ſey wie ihm wolle, ſo iſt das, was wir in uns fuͤhlen, als eine Paſſion in uns vorhan -den.174II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,den. Es iſt niemals die Thaͤtigkeit ſelbſt, nie das Beſtreben ſelbſt, welches wir unmittelbar fuͤhlen; es iſt eine bleibende Folge von etwas, das von unſerer ſelbſtthaͤtigen Kraft nun nicht hervorgebracht wird, ſondern ſchon hervorge - bracht worden iſt, wenn es ein Objekt des Ge - fuͤhls iſt; eben ſo, wie der Koͤrper zuruͤckwirket, nicht ge - gen ſeine eigene Thaͤtigkeit, nicht auf das, was er wirket, ſondern gegen das, was er leidet. Dieß allgemeine Geſetz beſtaͤtiget ſich in allen Beobachtungen, die wir mit klaren Bewußtſeyn haben koͤnnen. Aber ehe man dieſe damit vergleichet, bereite man ſich dazu mit eini - gen Bemerkungen, die ich hinzufuͤgen will.

4.

Es iſt ein Unterſchied zwiſchen Thun und Leiden in der Seele, zwiſchen Veraͤnderungen, wovon die Kraft der Seele die thaͤtige Urſache iſt, und die durch ihre Wirkſamkeit hervorgebracht worden; und zwiſchen ſol - chen, die von fremden Urſachen außer uns entſtehen, oder die, wenn ſie auch aus innern Urſachen in uns entſtehen, dennoch aus einem vorhergehenden Zuſtande, von ſelbſt entſpringen, eben ſo wie die erſtern, welche von außen kommen, ohne daß weiter einige innere Kraftanwendung der Seele ſich dabey wirkſam beweiſe. Der gemeine Verſtand hat dieſe Verſchiedenheit bemerket. Sie muß ihm recht lebhaft aufgefallen ſeyn, weil er ſie in allen Sprachen bezeichnet hat. Die Abtheilung iſt dunkel und noch in mancher Hinſicht unbeſtimmt; aber ſie ſey es, und noch mehr, ſie mag ſo gar als ein leerer Schein bey einer genauern Entwickelung der Beſchaffenheiten, die wir Aktionen und Paſſionen nennen, verſchwinden; ſo kann doch nicht beſtritten werden, daß die Beobach - tung nicht auf einen ſolchen Unterſchied hinfuͤhre. Und wenn auch das ſchaͤrfere Auge des Beobachters manchesfuͤr175uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. fuͤr eine Aktion erkennet, was in der Sprache als eine Paſſion ausgedruckt iſt, und umgekehrt, ſo wird jenes doch in den meiſten Faͤllen daruͤber mit dem gemeinen Verſtande uͤberein kommen. Beide ſagen, wir leiden etwas, wenn ein ſinnlicher Eindruck auf unſere Ohren durch einen unvermutheten Kanonenſchuß und auf unſer Geſicht durch ein unerwartetes Licht hervorgebracht wird. Beide ſagen, wir ſind wirkſam, wir thun und verrich - ten etwas, wenn wir denken, wenn wir wollen, und wenn wir die Arme ausſtrecken. Wenn man ſich alſo das Aktive und Paſſive auch nur nach der Aehnlichkeit mit dieſen Beyſpielen vorſtellet, ſo reichet doch ſo ein un - deutlicher Begrif hin, es beſtimmt genug zu faſſen, was die Behauptung ſagen wolle, daß nur allein das Paſſi - ve ein unmittelbarer Gegenſtand des Gefuͤhls ſey.

Jn den Beobachtungen unſers Jnnern iſt dieſer Charakter des Gefuͤhls nicht allemal auffallend. Die meiſten von unſern Veraͤnderungen, ſobald man ſie von einiger Laͤnge und Breite nimmt, ſo wie man ſie die meiſtenmale nehmen muß, wenn ſie gewahrgenommen werden ſollen, ſind aus einem Thun und aus einem Lei - den zuſammengeſetzt. Faſt alle unſere Veraͤnderungen zeigen dieſe zwiefache Seite, wenn man ſie ſcharf anſie - het. Wo iſt der unterſcheidbare Augenblick, in dem die Seele ſich durchaus unthaͤtig verhielte? und wo iſt der, den ſie mit einer ununterbrochenen Selbſtwirkſam - keit ganz ausfuͤllet? Wirken wir gar nichts, wenn wir ſo muͤſſig und geſchaͤftlos, als moͤglich, den Mann mit dem glaͤnzenden Kleide anſehen, der uns in die Augen faͤllt? Den ſinnlichſten Eindruck aufnehmen, iſt bey uns mit etwas Wirkſamkeit verbunden, die aber oft den Namen nicht verdienet. Wir faſſen, ergreifen, und muͤſſen dieß mit einiger Jntenſion thun, wenn wir ge - wahr werden wollen, wie der Schullehrer richtig voraus - ſetzet, wenn er ſeine Schuͤler erinnert, die Ohren aufzu -thun.176II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,thun. Anſehen, Aufmerken iſt thaͤtig ſeyn; und ohne einen Grad von Aufmerkſamkeit nimmt man nichts ge - wahr. Hingegen, wenn wir thaͤtig ſind, es ſey mit dem Koͤrper oder mit dem Geiſte, in dem hoͤchſten Grad der Emſigkeit und der Anſtrengung, ſo geſchieht kein Fort - ſchritt mit der thaͤtigen Kraft, der nicht etwas als ſeine Wirkung in dem Gehoͤre oder in der Seele ſelbſt hervor - bringe. Und dieſe Wirkung iſt alsdenn ohne Anſtren - gung der Selbſtthaͤtigkeit auf dieſelbige Art, wie ein ſinn - licher Eindruck von außen, in uns vorhanden. Paſſive Veraͤnderungen ſind mit den Selbſtthaͤtigkeiten, Thun iſt mit Leiden ſo innig verbunden, ſo genau vermiſcht, und ſo dichte an einander und durch einander durchflochten, daß es in unzaͤhlich vielen Faͤllen ſchwer wird, zu bemer - ken, ob es dieß oder jenes ſey, was in dem Augenblick, wenn die Seele fuͤhlet, ihr vorlieget, und auf welches ſie das Gefuͤhl unmittelbar anwende. Wenn eine Art von Modifikationen von dem gemeinen Verſtande fuͤr eine Paſſion oder fuͤr eine Thaͤtigkeit erklaͤret und in der Spra - che ſo bezeichnet wird, ſo iſt dabey auf den groͤßern oder hervorſtechenden Theil Ruͤckſicht genommen, und davon nach der gewoͤhnlichen Synekdoche das Ganze benennet worden.

Noch ferner iſt zu bemerken. Wenn das Gefuͤhl nur paſſive Modifikationes zum Objekt haben ſoll, ſo muß die Seele in dem Moment des Fuͤhlens etwas lei - den. Die Selbſtwirkſamkeit und das Gefuͤhl derſelben verdraͤngen ſich dahero gewiſſermaaßen. Aber deswe - gen kann doch uͤberhaupt Thaͤtigkeit und Gefuͤhl zugleich in der Seele vorhanden ſeyn. Nur dieſelbige Thaͤtigkeit muß in dem Augenblick, in dem ſie gefuͤhlet werden ſoll, unterbrochen ſeyn. Sinnliche Eindruͤcke koͤnnen durch die aͤußern Sinne aufgenommen und dann gefuͤhlet wer - den, ohne daß eine andere Reihe von Gedanken, an der wir arbeiten, durch jene zwiſchen einfallende Empfin -dungen177uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. dungen geſtoͤret werde. Die Seele iſt beſtaͤndig an mehr als Einer Seite und mit mehr als Einem ihrer Vermoͤ - gen geſchaͤftig, und die Erfahrung widerſtreitet dem nicht. Sie kann ſogar mit allen ihren unterſchiedenen Vermoͤ - gen zu Einer Zeit arbeiten. Nur darinnen beſtehet ihre natuͤrliche Einſchraͤnkung. Sie kann dieſe mancherley - artigen Aeußerungen nicht alle in gleichem Grade aus - laſſen. Eine Beſchaͤftigung hindert die andere und ſchraͤn - ket ſie ein. Es kann nur Eine in Einem Zeitpunkt vor - zuͤglich vorgenommen und betrieben werden; und nur ei - nige wenige koͤnnen zugleich mit einer ſolchen Jntenſion verrichtet werden, als die Abſicht, in der man ſie vor - nimmt, es erfodert. Es war eine nicht gemeine Auf - merkſamkeit, da Caͤſar drey Briefe auf einmal zugleich diktiren konnte. Aber was neulich in den oͤffentlichen Zeitungen von einem Englaͤnder berichtet worden iſt, der zugleich das Schach ſpielen, und die Points eines an - dern Tarocſpiels zaͤhlen, und denn noch die Reden meh - rerer Perſonen in der Geſellſchaft bemerken koͤnnen, iſt voͤllig außerordentlich, wenn es wirklich ſo iſt, wie man es erzaͤhlet hat. Der Handwerker ſinget bey ſeiner Ar - beit, und verrichtet ſie dennoch zweckmaͤßig; man ſpatzie - ret und unterredet ſich mit einem andern, oder uͤberlaͤſſet ſich wol gar einer Spekulation. Aber ſobald auch dem Handarbeiter etwas in ſeinem Geſchaͤfte aufſtoͤßet, was mehr als die gewoͤhnlichſte Aufmerkſamkeit erfodert, und ſobald der Spatziergaͤnger auf einen ſchluͤpfrigen Weg oder zu einem ſchmalen Steig uͤber einer Grube hinkommt, ſo muß die Kraft der Seele von den fremden Gedanken abgelenket und auf die gegenwaͤrtigen Eindruͤcke mehr hingezogen werden; oder es geſchehen Mißgriffe, und der philoſophirende Spatziergaͤnger erfaͤhrt das Schick - ſal des Thales. So iſt es. Soll ſeine Beſchaͤftigung in der Maße betrieben werden, als es ſeyn muß, um beſonders beobachtet, mit klarem Bewußtſeyn erkannt,I. Band. Mund178II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,und von andern voͤllig unterſchieden zu werden, ſo hat unſre Seele nur Kraft fuͤr Eine in Einem Augenblick. Jn einem aͤhnlichen Verſtande iſt es auch nur wahr, daß ſie nicht Raum habe fuͤr zweene Gedanken auf einmal, nemlich fuͤr mehrere voͤllig klare Gedanken auf einmal. Aber es iſt der Erfahrung entgegen, was hieraus von einigen geſchloſſen worden iſt, daß es unmoͤglich ſey, mehr als Eine Vorſtellung zugleich in ſich gegenwaͤrtig zu erhalten; und daß da, wo es das Anſehen hat, als wenn mehrere zugleich vorhanden ſind, der ungemein ſchnelle Uebergang von Einer zur andern, dieſen An - ſchein hervorbringe. Jch ſehe keinen Grund, warum man es laͤugnen ſollte, daß die Seele in einem Moment ſelbſtthaͤtig an Einer Seite wirken, und zugleich an der andern Seite eine paſſive Veraͤnderung fuͤhlen und em - pfinden koͤnne?

Dieß alles iſt der obigen Bemerkung nicht entgegen. Wenn eine Thaͤtigkeit gefuͤhlet wird, ſo iſt in dieſem Moment eine paſſive Veraͤnderung da, die man fuͤhlet. Jhr wirkſamer Aktus ſelbſt iſt unterbrochen.

5.

Die Sache ſo erklaͤrt laͤſſet ſich, wie mich deucht, in einer Menge von Beobachtungen deutlich gewahrneh - men. Jndem wir denken, empfinden wir es nicht, we - nigſtens koͤnnen wir es nicht beobachten, daß wir denken. Jn dieſem Augenblick, da ich die Jntenſion der Seele dahin gerichtet habe, um der Natur des Gefuͤhls nach - zuſpuͤren, fehlet es mir an der Zeit, nach der Art mei - nes Verfahrens, nach dem Gegeneinanderſtellen und Vergleichen der Jdeen, nach Urtheilen, die ich zu dem Ende vornehmen muß, mich umzuſehen. Jch fuͤhle dieß alles nur in den Zwiſchenzeitpunkten, wenn die Arbeiten ſelbſt unterbrochen werden; und ich muß, um Eine zu fuͤhlen, einen Stillſtand mit ihr machen, und auf dasjenige, wasim179uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. im Kopf gedacht oder auf dem Papier hingeſchrieben iſt, zuruͤckſehen, wenn ich ſie beobachten will.

Bey dem Gefuͤhl von unſern Vorſtellungen finden wir daſſelbige. Die Vorſtellungen von abweſenden Dingen werden durch die Thaͤtigkeit der Phantaſie in uns gegenwaͤrtig erhalten. Will man ſie als gegenwaͤr - tige Modifikationes fuͤhlen und empfinden, ſo entweichen ſie in dem Augenblick, da man ſich nach ihnen umſiehet. Man wird ſie, ſo zu ſagen, nur von hinten gewahr im Weggehen; und was man fuͤhlet, das ſind Eindruͤcke, die ſie in der Seele, oder in den Organen, oder wo ſon - ſten hinterlaſſen haben, und die jetzo noch einen Augen - blick als paſſive Veraͤnderungen zuruͤckbleiben, und dann zwiſchendurch von unſerm ſelbſtthaͤtigen Beſtreben wie - derum erneuret werden. So verhaͤlt es ſich durchgehends mit dem Gefuͤhl unſerer Vorſtellungen und Gedanken. Je mehr dieſe ein ſelbſtthaͤtiges Wirken erfodern, deſto leichter vergeſſen wir uns ſelbſt bey ihnen. So oft wir ſolche als unſere eigene Veraͤnderungen fuͤhlen und em - pfinden wollen, ſo muͤſſen die Aktus der Vorſtellungs - kraft und der Reflexion nachlaſſen, und dann iſt es eine in uns zuruͤckgebliebene Folge von ihnen, die ohne weiteres Beywirken der Seele in dem Augenblick, wenn man empfindet, dem Gefuͤhl vorlieget.

Es gibt Vorſtellungen genug, die ſich uns wider un - ſern Willen aufdraͤngen, traurige und hypochondriſche ſowohl als freudige Phantaſien. Wer es gewohnt iſt, ſich ſelbſt zu beobachten, wird es bald ſehen, daß es ei - nen großen Unterſchied gebe zwiſchen Wallungen in der Phantaſie, die ohne ein willkuͤhrliches Zuthun der Seele da ſind, und zwiſchen Bildern, zu deren Wiedererwe - ckung und Erhaltung wir uns ſelbſtthaͤtig beſtimmen, und beſtimmen muͤſſen. Es iſt ein anders, wenn ich mich auf eine Sache oder auf einen Namen mit Fleiß beſinnen will; ein anders, wenn mir ſo etwas von ohn -M 2gefaͤhr180II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,gefaͤhr aufſtoͤßet und wider Willen in mir bleibet. Und es iſt nicht ſchwer, in ſolchen Faͤllen zu bemerken, daß, je weniger wir dabey thun, und je mehr wir uns paſſive verhalten, deſto leichter und deſto lebhafter laſſe ſich die Vorſtellung in uns als eine gegenwaͤrtige fuͤhlen und ge - wahrnehmen. Solche Bilder, die unwillkuͤhrlich und ohne Anſtrengung vorhanden ſind, fuͤllen den groͤßten Theil unſerer Phantaſie aus, und ſind unſere gewoͤhnli - che Unterhaltungen, und außerordentlich wichtig fuͤr uns.

Das naͤmliche wird bey den uͤbrigen wirkſamen Kraftaͤußerungen wahrgenommen. Jn dem Augenblick, in welchem wir den Koͤrper zu bewegen uns beſtreben, fuͤhlen wir dieſe intenſive Anſtrengung unſerer Kraft nicht. Jn allen ſtarken Affekten und in Gemuͤthsbewe - gungen, die mit maͤchtigen Tendenzen etwas hervorzu - bringen verbunden ſind, zeiget es ſich, daß unſer Selbſt - gefuͤhl nur alsdenn ſie gewahrnehmen kann, wenn ſie ſchon gebrochen und geſchwaͤchet ſind; oder auch nur in den Zwiſchenmomenten, wenn die thaͤtige Kraft ruhet, und der Seele Gelegenheit giebt, ſich zu begreifen, ihre Kraft aufzuhalten, und anders wohin zu lenken. Jed - weder Affekt hinterlaͤßt ſeine Nachwallung, oder ſeine Veraͤnderung, man ſetze ſie, wohin man wolle, in die innern Organe des Gehirns, oder in die Subſtanz der Seele, oder in beide zugleich. Dieſe Nachwallungen ſind etwas paſſives, das ohne eine ſelbſtthaͤtige Anſtren - gung der Seelenkraft in uns beſtehet. Und ſie ſind es nur, was wir fuͤhlen und empfinden. Wenn der Affekt in der Seele ſelbſt ſchon ausgeſtuͤrmet hat, ſo kommen doch die vorigen Vorſtellungen von neuem zuruͤck, reizen von neuem, und nicht ſelten bringen ſie das Gemuͤth noch einmal auf. Der Magen kochet noch, wenn die Seele ſchon in Ruhe iſt, und fuͤhret Vorſtellungen und Re - gungen wieder herbey, auf eine Art, die es leicht be -greiflich181uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. greiflich machet, wie jene Perſon es ſich einbilden koͤn - nen, ſie habe es gefuͤhlet, daß die boͤſen Gedanken aus ihrem Magen aufgeſtiegen waͤren. Es kommt das al - les, was wir fuͤhlen, entweder aus dem Koͤrper durch die Organe, oder, wenn es in der Subſtanz der Seele ſelbſt iſt, ſo ſehen wir es da nicht anders, als nur dann, wenn es ſo vorhanden iſt, wie andere Veraͤnderungen, bey denen wir uns leidentlich verhalten.

Jch geſtehe es, dieß iſt keine vollſtaͤndige Jn - duktion fuͤr den allgemeinen Satz, daß unſer Gefuͤhl ſchlechthin nur mit Paßionen unmittelbar ſich beſchaͤftige. Aber wo es doch in vielen einzelnen Faͤllen offenbar ſich ſo verhaͤlt; wo es keine Faͤlle giebt, die eben ſo deutlich das Gegentheil lehren, und wo in den uͤbrigen, welche wegen der innigen Vermiſchung des Thuns und des Lei - dens nicht mit einer ſolchen Klarheit beobachtet werden koͤnnen, doch nichts angetroffen wird, das ihm entge - gen iſt; wo dieſe Umſtaͤnde beyſammen ſind, wie ſie es hier ſind, da finde ich kein Bedenken, der Analogie zu folgen, und als allgemein anzunehmen, was die Beob - achtung in einigen Faͤllen ſo deutlich gelehret hat.

M 3III. Von182II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,

III. Von dem Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe und Bezie - hungen. 1) Ueberhaupt. 2) Von dem Ge - fuͤhl der Verhaͤltniſſe und Beziehungen der Ge - genſtaͤnde unter ſich. 3) Von dem Gefuͤhl der Beziehungen der Dinge auf die gegenwaͤrtige Beſchaffenheit der Seele. 4) Von den Em - pfindungen des Wahren, des Schoͤnen und des Guten.

1.

Die verſchiedenen Arten von Seelenveraͤnderungen, und auch die paſſiven, die uns fuͤhlbar werden, haben unter ſich gewiſſe Verhaͤltniſſe und Beziehungen auf einander; ſie ſind einander aͤhnlich oder unaͤhnlich; ſie ſind mehr oder weniger in ſich befaſſend, ſtaͤrker oder ſchwaͤcher und modificiren alſo unſre Kraft im Verhaͤlt - niß mit dieſer ihren Beſchaffenheiten; ſie ſind unter ſich in einer gewiſſen Ordnung und Zeitfolge, und veranlaſ - ſen und verurſachen einander.

Außer dieſen Verhaͤltniſſen unter ſich, haben ſie auch gewiſſe Beziehungen auf den dermaligen Zuſtand der Seele, zu dem ſie hinzukommen, auf die Vermoͤgen, Faͤhigkeiten und Kraͤfte und dieſer ihre derzeitige Thaͤ - tigkeit. Sie werden daher mit mehrerer oder mit min - derer Jntenſion aufgenommen, ſie beſchaͤftigen die Kraͤfte und Vermoͤgen mehr oder minder, auf eine ihrer der - maligen Verfaſſung angemeſſene Art, und reizen auch mehr oder minder die ſelbſtthaͤtigen Kraͤfte der Seele zu neuen Aktionen, und zu neuen Anwendungen auf andere Gegenſtaͤnde u. ſ. f.

Und dieſe verſchiedene Beziehungen der Gegen - ſtaͤnde des Gefuͤhls auf unſern geſammten gegen -waͤrtigen183uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. waͤrtigen Zuſtand haben ihre Folgen in dem Aktus des Fuͤhlens ſelbſt. Sie veranlaſſen gewiſſe Abaͤnde - rungen und Beſchaffenheiten in dem Gefuͤhl, die wir oft als beſondere Empfindungen und Gefuͤhle, und als Wir - kungen von den Eindruͤcken der Objekte anſehen, und den letztern daher gewiſſe ſich darauf beziehende Beſchaf - fenheiten beylegen. Es iſt auch hierbey nicht einmal noͤthig, die unmittelbaren und eigentlichen Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls von denen abzuſondern, die nur mittelbar empfunden werden. Denn auch die letztern haben ihre Folgen, welche wir fuͤhlen, und ihnen zuſchreiben. Wenn wir unſere leichten und muntern Befchaͤftigun - gen fuͤhlen, ſo haben wir ein angenehmes Gefuͤhl. Dieß Gefuͤhl, in ſo ferne es angenehm iſt, und in dem Gefuͤhl der Leichtigkeit beſtehet, mit der wir unſere Kraft anwenden, wird von uns mit der Empfindung von der Beſchaͤftigung ſelbſt zuſammengezogen, und entweder als eine Modifikation dieſes letztern Gefuͤhls, oder als eine eigene Folge davon angeſehen. Es iſt noͤthig, dieſe Verſchiedenheiten ein wenig genauer zu bemerken, wenn man dahinter kommen will, was und wie viel in ſolchen Faͤllen eigentlich Gefuͤhl und Empfindung iſt, und was es nicht iſt.

2.

Wir empfinden es ſcheint wenigſtens im An - fang ſo die Verhaͤltniſſe und Beziehungen der Gegenſtaͤnde unter ſich in ihrer ideellen Gegen - wart in der Seele. Zwey Billiardkugeln liegen vor uns. Wir fuͤhlen ſie beide, wir ſehen ſie beide, und ſehen und fuͤhlen, daß ſie an Farbe, an Groͤße und Ge - wicht einander gleich ſind. Wir empfinden eine Folge in unſeren Vorſtellungen und Empfindungen; wir em - empfinden, daß einige vor andern vorhergehen, und daß andere nachfolgen. Wir ſehen und fuͤhlen, daß einM 4Ding184II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Ding in der Naͤhe, oder unmittelbar vor uns liege; ein anderes entfernter ſey; wir empfinden die Lage der Theile in einem Gebaͤude, das Uebereinſtimmende und Regel - maͤßige, was wir Ordnung und Symmetrie nen - nen. Solche Empfindungen von Gegenſtaͤnden, in denen wir nichts mehr bemerken, als nur allein das Ge - fuͤhl ihrer ſelbſt und ihrer Verhaͤltniſſe, ſind ſchon unter der Benennung der gleichguͤltigen Empfindungen oder der bloß lehrenden Empfindungen, welche in ſoweit einen Theil unſerer Erkenntniſſe und Gedanken ausma - chen, von den uͤbrigen abgeſondert.

Dieß Gewahrnehmen der Verhaͤltniſſe in den gegen - waͤrtigen Dingen ſehen wir als eine aͤußerliche Empfin - dung, oder als eine Folge von ihr an, wenn es aͤußere Gegenſtaͤnde ſind, die ſolche Verhaͤltniſſe an ſich haben. Dagegen gehoͤren die Verhaͤltnißgefuͤhle in den innern Modifikationen der Seele zu der Klaſſe der innern Empfindungen.

3.

Man unterſcheidet ferner eine Art von Empfindun - gen oder von Abaͤnderungen, die das Gefuͤhl nach den verſchiedenen Beziehungen der gefuͤhlten Objekte auf die gegenwaͤrtige Beſchaffenheit der Seele, und ihrer Vermoͤgen und Kraͤfte annimmt. Eini - ge von den Gegenſtaͤnden und ihren Vorſtellungen bezie - hen ſich auf die vorſtellende und denkende Kraͤfte; ande - re auf die Kraͤfte des Willens. Wirkungen, die von denſelbigen ſinnlichen Eindruͤcken, von einerley Vorſtel - lungen und Gedanken in uns entſtehen, ſind doch ver - ſchieden, wenn die gegenwaͤrtige Seelenverfaſſung ver - ſchieden iſt, die ſie in ſich aufnimmt. Einem Geſaͤttig - ten ekelt vor dem weitern Genuß einer Speiſe, die dem Hungrigen eine Wolluſt erwecket. Der Anblick eines Menſchen iſt dem Freunde angenehm, dem Feinde wi -drig;185uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. drig; der Muſik, die uns jetzo ergoͤtzet, ſind wir nach einigen Stunden uͤberdruͤßig. Der Anblick des Kranken und die Jdee von der Krankheit ruͤhret bey dem Arzte weiter nichts als die Phantaſie und den Verſtand; bey andern Empfindſamen das ganze Gemuͤth, und bey dem Empfindlichen alle Triebe des Herzens. Daher ha - ben wir die qualificirten Empfindungen, die mehr ſind, als die bloßen Empfindungen der Dinge ſelbſt, die nemlich eine gewiſſe Beſchaffenheit an ſich haben, und ein Ge - fuͤhl der Beziehung oder des Verhaͤltniſſes auf den der - maligen Seelenzuſtand in ſich enthalten. Sie moͤgen uͤberhaupt afficirende Empfindungen heißen. Sie thun uns, ſo zu ſagen, etwas an, wenn dieß faſt ver - altete Wort, anthun, gebraucht werden darf. Ruͤh - rende werden ſie von einigen genennet. Jch kenne kein deutſches Wort, das im Allgemeinen die Beſchaffenheit der Empfindniſſe ausdruͤcket. Die Empfindſamkeit bezeichnet bald die objektiviſche Beſchaffenheit der Din - ge, die uns angenehm oder unangenehm ſind; bald die Dispoſition der Seele, ſolche Empfindniſſe leicht anzu - nehmen. *)Das Wort Gemuthlich wuͤrde hier vielleicht nicht un - anpaſſend ſeyn. Es kommt in den Schriften der Herrnhuter vor, aus denen es in der Klopſtockiſchen Gelehrtenrepublik angefuͤhret iſt. Ob es das Buͤrger - recht in der pſychologiſchen Sprache erhalten ſoll, oder nicht, mag darauf ankommen, wie es ſich bey den deut - ſchen Philoſophen empfehlen kann.

4.

Das Gefuͤhl des Wahren, des Schoͤnen und des Guten, und der dieſen entgegengeſetzten Beſchaf - fenheiten der Dinge, mit den beſondern Arten der Ge - fuͤhle, die hierunter begriffen ſind, gehoͤren ohne Zweifel zu den Gefuͤhlen, die von den Verhaͤltniſſen und Bezie -M 5hungen186II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,hungen unſerer Vorſtellungen und Veraͤnderungen unter einander, und auf den innern Zuſtand unſerer Seele, abhangen, und alſo innere Verhaͤltnißgefuͤhle ſind. Ob dieſe angefuͤhrten Arten die ganze Gattung erſchoͤ - pfen, oder ob es noch andere Verhaͤltniſſe in unſern in - nern Modificationen gebe, die in dem Wahren, dem Schoͤnen und Guten nicht befaſſet ſind, das laͤßt ſich erſt alsdenn beurtheilen, wenn man ſo weit mit den Beob - achtungen der mancherley innern Empfindungen gekom - men iſt, daß eine vollſtaͤndige Klaſſifikation von ihnen angeſtellet werden kann. Bishieher ſcheinet es daran noch zu ſehlen. Ohne mich aber darauf weitlaͤuftig ein - zulaſſen, will ich nur einige allgemeine Bemerkungen an - fuͤgen, die ſich auf eine ſolche Abtheilung beziehen, und die zur weitern Aufklaͤrung dieſer Seite unſerer Seele nicht undienlich ſeyn werden.

Es giebt Modifikationes, ſie moͤgen entweder zu den eigentlichen Empfindungen der Gegenſtaͤnde, oder zu den Vorſtellungen, oder zu den Willensthaͤtigkeiten gehoͤren, die mit Vergnuͤgen oder Verdruß, mit Zufriedenheit oder Unzufriedenheit, uͤberhaupt mit Gemuͤthszuſtaͤnden begleitet ſind. Wir fuͤhlen die Veraͤnderungen ſelbſt, in ſo ferne ſie in uns gegenwaͤrtig vorhanden ſind, und die Seele ſich mit ihnen beſchaͤftiget; in ſo weit ſind es Empfindungen. Aber wir empfinden ſie auch auf eine eigene und unterſchiedene Art, nach ihren verſchie - denen Wirkungen auf uns. Die letztere Empfindung iſt die Empfindung des Angenehmen oder Unange - nehmen, oder eigentlich, ſie machet das Angenehme oder Unangenehme bey der Empfindung aus. Jn ſo ferne ſind ſie Empfindniſſe. Es iſt Empfindſam - keit in der Seele, in ſo weit dieſe aufgelegt iſt, ihre Ver - aͤnderungen als angenehme oder unangenehme zu em - pfinden, und Gefallen und Misfallen an ihnen zu haben. Empfindſam ſind die Gegenſtaͤnde fuͤr uns, in ſoferneſie187uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſie oder eigentlich ihre Eindruͤcke in uns, oder die Vor - ſtellungen von ihnen Beziehungen auf die jetzige Seelen - beſchaffenheit haben, und den Vermoͤgen und Kraͤften, die ſich mit ihnen beſchaͤftigen, gemaͤß oder nicht gemaͤß ſind.

Wir fuͤhlen, daß eine Sache gut iſt. Dieß iſt et - was anders, als wenn wir fuͤhlen, daß ſie angenehm ſey. Einen Gegenſtand als gut oder als boͤſe zu em - pfinden, iſt ſo viel, als fuͤhlen und empfinden, daß er eine Urſache von einer Vollkommenheit oder von ſo et - was ſey, das uns Vergnuͤgen oder Verdruß machet. Ei - ne Modifikation der Seele kann ihre Kraft ſtaͤrken, ih - ren innern Realitaͤten einen Zuwachs geben, ſie erhoͤhen und vervollkommern. Solch eine Wirkung, ſolch ein Zuſatz kann empfunden werden, und wenn er empfun - den wird, ſo iſt das Gefuͤhl deſſelben ein Gefuͤhl des Guten.

Das Gefuͤhl der Wahrheit findet nur bey den Vorſtellungen und Gedanken ſtatt. Jede gegenwaͤrti - ge Vorſtellung und jeder Gedanke hat eine gewiſſe Be - ziehung auf unſere uͤbrige Gedanken und Vorſtellungen, auf unſer geſamtes vorhandenes Gedankenſyſtem, und auf die dadurch modificirte Vorſtellungskraft und Denk - kraft. Die eine Vorſtellung vereiniget ſich leichter mit den uͤbrigen, die ſchon vorhanden ſind; eine andere da - gegen iſt unvereinbar mit ihnen, und widerſtehet der Vereinigung, wenn die Kraft ein Beſtreben aͤußert, ſie zu befaſſen. Daher entſtehet denn in dem einen Fall Zuſtimmung des Verſtandes, in dem andern Fall Zu - ruͤckhaltung und Abſtimmung. Es gehet alſo eine ge - wiſſe Veraͤnderung in der Erkenntnißkraft vor, die in der Beziehung der Jdeen auf den gegenwaͤrtigen Zu - ſtand des Verſtandes und ſeiner dermaligen Vorſtellun - gen und Jdeen ihren Grund hat. Die innerliche Em -pfindung188II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,pfindung davon iſt das Gefuͤhl der Wahrheit, und der Falſchheit.

Dieſe erwaͤhnten Eigenſchaften der afficirenden Em - pfindungen; das Angenehme, das Gute, das Wah - re kommen ihnen zu, in ſo ferne die Seele mit ihnen oder ihren Eindruͤcken und Vorſtellungen dermalen ſich beſchaͤftiget, in ſo ferne ihre Vermoͤgen bey ihnen zur Anwendung gebracht werden, und die regen Triebe und Thaͤtigkeiten eine Nahrung erhalten, die ihrer Natur ge - maͤß iſt, und ſie befriediget. Aber es iſt außerdieß noch eine andere Wirkung vorhanden, die in Betracht zu zie - hen iſt.

Einige Gefuͤhle fuͤllen zwar das Herz, ſie unterhal - ten und befriedigen es fuͤr die Gegenwart; ſie reizen die Kraͤfte, ſetzen ſie in Thaͤtigkeit, aber nur auf ſich ſelbſt, und bieten ſich zugleich als Gegenſtaͤnde dar, an welche dieſe erregte Wirkſamkeiten ſich auslaſſen koͤnnen.

Andere dagegen ſpannen die Seele noch mehr, und erregen Beſtrebungen und Triebe zu Handlungen, die weiter fort auf noch andere Objekte als auf jene unmit - telbare Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls hingerichtet ſind. Wer ſich an den Farben der Tulpe beluſtiget, ſuchet nichts mehr als dieſe Empfindung ohne ein weiteres Jntereſſe. Er befindet ſich in einem Zuſtande, der zwar der Na - tur der Seele gemaͤß ein fortfließender Zuſtand iſt, aber doch iſt die Kraft hier auf nichts weiter gerichtet, als auf den Genuß, auf nichts weiter, als auf das, was ſie fuͤhlet. Aber ſobald der Trieb aufſteiget, die Blume, die Urſache ihrer jetzigen Luſt, zu beſitzen, um das Ver - gnuͤgen aus ihrem Anſchauen nach Willkuͤhr oͤfters und laͤnger genießen zu koͤnnen, ſo fuͤhlen wir rege Beſtre - bungen, die auf andere Handlungen und Anwendungen unſerer Vermoͤgen hinausgehen, als die ſind, die in je - nem Anſchauen beſchaͤftiget waren. Es entſtehet ein neues Jntereſſe, welches den ſchoͤnen und angenehmenGegen -189uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Gegenſtaͤnden, in ſo ferne ſie blos Empfindniſſe ſind, nicht zukommt. Die Seele wird erreget, gereizet, ge - trieben zu neuen Thaͤtigkeiten.

Dieß letztere iſt eine beſondere Wirkung, eine Rei - zung des Begehrungs - oder Verabſcheuungsvermoͤgen, die von dem Gefuͤhl der Luſt oder Unluſt unterſchieden iſt. Sie hat in dem Angenehmen und Unangenehmen ihre Urſache; doch nicht allein. Sie erfodert noch mehrere hinzukommende Umſtaͤnde. Eine Empfindung kann in einem hohen Grade angenehm ſeyn, ohne Begierden zu andern Dingen zu erregen. Das vollkommenſte Gefal - len ſchließet ſo gar die neuen Begierden aus. So lange dieß ohne Abnahme und ohne Gefuͤhl von Mangel und Beduͤrfniß dauren kann, ſaͤttiget es die Seele, und haͤlt die Beſtrebungen, ſich zu veraͤndern, vielmehr zu - ruͤck. Da iſt nur eine Tendenz, ſich in einem ſolchen Zu - ſtand zu erhalten. Es entſtehen dadurch keine neue Angelegenheiten.

Wo nun dagegen ſolche neue Beſtrebungen erreget werden, da zeiget ſichs, daß die gegenwaͤrtige Empfin - dung einen Einfluß auf unſere thaͤtige Kraft habe, und auch dieſe modificire. Dieſen Einfluß auf unſere Kraͤfte zu neuen Beſtrebungen fuͤhlen wir, wie jede andere Modi - fikation, und in ſo ferne haben dieſe Gefuͤhle etwas inter - eſſantes an ſich, das von dem Gefallenden uͤberhaupt noch unterſchieden iſt. Sie machen uns neue Angele - genheiten, reizen die Thaͤtigkeitskraͤfte, und ſetzen uns in neue Bewegungen, deßwegen ihnen auch eine das Herz bewegende Kraft zugeſchrieben wird. Die Empfind - lichkeit iſt, wenn das Wort in ſeinem gewoͤhnlichen Sinn genommen wird, eine Dispoſition unſerer Thaͤtigkeits - kraft, ſich leicht und auch durch ſchwaͤchere Empfindniſſe zu einer wirklichen Thaͤtigkeit, insbeſondre aber zum Un - willen und Zorn, bewegen zu laſſen.

Jch190II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,

Jch habe es vorher geſagt, daß eine vollſtaͤndige Abtheilung der Empfindungen jetzo noch zu fruͤh unter - nommen werde. Es iſt zweifelhaſt, ob ſolche jemals zu erwarten ſey? Das Vorhergehende fuͤhret uns indeß auf folgende Verſchiedenheiten.

Wir fuͤhlen und empfinden 1) die abſoluten Ge - genſtaͤnde und Veraͤnderungen der Dinge an ſich, und dieſe ſind entweder in uns, oder außer uns. Da ha - ben wir aͤußere Empfindungen und innere Em - pfindungen. Zu den letzten gehoͤret das Selbſtge - fuͤhl, das Gefuͤhl jedweder Art von innern Zuſtaͤnden und Veraͤnderungen fuͤr ſich betrachtet, ſo wie ſie fuͤr ſich in uns vorhanden ſind. 2) Wir fuͤhlen die Verhaͤlt - niſſe und Beziehungen bey den Gegenſtaͤnden, in de - nen ſie unter ſich ſtehen, ihre Objektwiſche Verhaͤlt - niſſe. Dieß ſind aͤußere Empfindungen, wenn die Objekte aͤußere Objekte ſind; es ſind innere, wenn die Objekte, zu denen ſie gehoͤren, in uns ſelbſt ſind. Da haben wir aͤußere und innere Empfindungen von objektiviſchen Verhaͤltniſſen und Beziehungen der Dinge. Das Gefuͤhl der Einerleyheit und der Ver - ſchiedenheit, das Gefuͤhl der Folge, der Lage und Ver - bindung, das Gefuͤhl der Abhaͤngigkeit u. ſ. f. gehoͤren hieher. Aber 3) wir fuͤhlen auch die ſubjektiviſchen Verhaͤltniſſe und Beziehungen der Gegenſtaͤnde und der Veraͤnderungen auf unſern jetzigen Zuſtand, oder eigent - lich, wir empfinden die Dinge mit ihren Wirkungen und Eindruͤcken in uns, die ſie in Gemaͤßheit ihrer Be - ziehungen auf uns hervorbringen. Wir haben Em - pfindniſſe, und in Hinſicht auf dieſe Empfindſam - keit. Dieſe Empfindungen ſind allemal innere Em - pfindungen. Dahin gehoͤret das Gefuͤhl des Schoͤ - nen, des Guten, des Wahren; das letztere gehoͤrt zum wenigſten groͤßtentheils hieher. Und endlich 4) wir fuͤhlen insbeſondere ihren Einfluß auf unſere ſelbſtthaͤ -tige191uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. tige Kraft, auf dieſer ihre Wirkſamkeit und auf unſere neuen folgenden Zuſtaͤnde, die davon abhangen. Hieher gehoͤrt das Gefuͤhl des Jntereſſe, der Wichtigkeit, der Kraft, des Lebens, der Staͤrke aufs Herz u. ſ. f. Wir beſitzen in Hinſicht auf dieſe, Reizbarkeit oder Em - pfindlichkeit wie man es nennen will. Jch will keinem hiebey etwas in dem Gebrauch der Woͤrter vor - geſchrieben haben, als mir ſelbſt, und nur die Sachen angeben, die man durch Benennungen zu unterſcheiden geſucht hat; keinem aber in der Benennung ſelbſt vor - greifen.

IV. Das Abſolute, nicht das Relative iſt ein unmit - telbarer Gegenſtand des Gefuͤhls.

  • 1) Der Satz ſelbſt.
  • 2) Beweis des Satzes aus dem Gefuͤhl der ob - jektiviſchen Verhaͤltniſſe in den Dingen. Gefuͤhl des Uebergangs. Gefuͤhl der Ei - nerleyheit und Verſchiedenheit. Gefuͤhl der Abhaͤngigkeit.
  • 3) Beweis aus dem Gefuͤhl der Wahrheit.
  • 4) Beweis aus den Empfindniſſen.

1.

Dieſer Verſchiedenheiten in den Empfindungen ohn - erachtet, zeiget die genauere Beachtung, daß es niemals etwas Relatives ſey, nicht Verhaͤltniſſe und Beziehungen der Dinge, die wir unmittel - bar fuͤhlen und empfinden; daß hingegen nur allein das Abſolute in den Dingen außer uns, und in uns, unmittelbar ein Gegenſtand des Ge - fuͤhls ſey. Dieß iſt das dritte charakteriſtiſche Merk -mal192II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,mal des Gefuͤhls, als eines beſondern Vermoͤgens der Seele.

Fraͤgt man, auf welche Art wir denn die Verhaͤlt - niſſe erkennen? ſo antworte ich: ſie werden gedacht, nicht gefuͤhlt. Aber wenn denn nun dieß Erkennen ein Fuͤhlen und Empfinden heißen ſoll, wie man es ſchon gewohnt iſt, alſo zu nennen? ſo haben wir, ſage ich, an dem Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe eine Art von Gefuͤhl, welche von dem Gefuͤhl des Abſoluten ſo weit unterſchieden iſt, als das Abſolute, (das auf etwas anders nicht Bezogene) in den Dingen von dem Relati - ven ſelbſt es iſt, ſo unterſchieden, als zwey verſchieden - artige Thaͤtigkeiten oder ſonſtige Modifikationen der Seele es ſeyn koͤnnen. Jn allen Empfindungen der Verhaͤlt - niſſe und Beziehungen, man mag ſie entweder als eige - ne Arten von Gefuͤhlen oder als Abaͤnderungen und Be - ſchaffenheiten des Gefuͤhls von den Gegenſtaͤnden ſelbſt anſehen, laͤſſet ſich bey genauerer Unterſuchung ein Ge - fuͤhl des Abſoluten bemerken, und von dem Erken - nen der Verhaͤltniſſe, unterſcheiden, und zwar auf eine ſolche Art, daß es nicht mehr zweifelhaft iſt, jenes Gefuͤhl des Abſoluten ſey als der vorzuͤglichſte Theil die Urſache, warum beides zuſammen vereiniget ein Gefuͤhl oder eine Empfindung genannt worden iſt.

Jch darf hier die Einwendung nicht hoͤren: daß bei - des, das Fuͤhlen und Verhaͤltniſſe erkennen, aus Einem Grundvermoͤgen entſtehe, innerlich einartig ſey, und nur den Graden nach, oder nur allein in Hinſicht der Objekte unterſchieden ſeyn koͤnne. Das iſt nicht die Sache des Beobachters, ſie dafuͤr in Anfang anzuneh - men, wofern nicht alles untereinander geworfen werden ſoll. Zuerſt deutliche Vorſtellung von den Wirkungen, ſo wie ſich ſolche in der Beobachtung darſtellen. Es entſcheide nachher die Reflexion aus den verglichenen Beobachtungen. Zwey Arbeiten, die man nirgendshaͤufi -193uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. haͤufiger als in der Pſychologie zur Unzeit unter einander gemiſcht hat, wo es doch ohnedieß oft ſchwer genug an - zugeben iſt, was eine reine Erfahrung, und was eine ſelbſtgemachte Erdichtung oder ein Raiſonnement ſey.

Herr Bonnet hat ſich vor andern mit vielem Scharf - ſinn die Art und Weiſe deutlich zu machen bemuͤhet, wie man es fuͤhle, daß Dinge einerley und verſchieden ſind, und wie ihre uͤbrigen Beziehungen empfunden werden. Dieſer Theil ſeines Syſtems ſcheinet mir aus den ſchwaͤch - ſten Faͤden zu beſtehen, die dazu nicht einmal gut zu - ſammen haͤngen. Es ſey ſo, daß am Ende das Er - kennen der Verhaͤltniſſe ein wahres Fuͤhlen iſt; ſo geſtehe ich doch, daß mir der Uebergang dieſes ſcharf - ſinnigen Mannes von dem Gefuͤhl des Abſoluten zu dem Gedanken von dem Verhaͤltniſſe ein großer Sprung zu ſeyn ſcheine, der nicht auf Beobachtungen ge - gruͤndet iſt.

Dieſes letzte angegebene Merkmal des Gefuͤhls weis ich nicht einleuchtender zu beweiſen, als durch eine Jn - duktion, die ſo gut und vollſtaͤndig iſt, als ſie es in phyſiſchen Unterſuchungen ſeyn kann. Wenn aus jeder der vorher unterſchiedenen Klaſſen der Verhaͤltnißgefuͤhle ein Beyſpiel genommen, und in dieſem es deutlich vor - geleget wird, daß eine abſolute Modifikation in der Seele da ſey, die man fuͤhlen koͤnne, und daß das Gefuͤhl von dieſer letztern ein weſentliches Stuͤck der ganzen Empfin - dung in ſolchen Faͤllen ſey; und wenn alsdenn noch hin - zu kommt, daß es mit den uͤbrigen Faͤllen eine aͤhnliche Bewandtniß habe; was will man mehr? Alsdenn kann ich zugeben, es moͤge dasjenige, was mit dem Ge - fuͤhl des Abſoluten verbunden iſt, das Erkennen eines Verhaͤltniſſes in den Dingen, das Appercipiren, das Bemerken, und was ich uͤberhaupt den Verhaͤltniß - gedanken nenne, nichts anders, als etwan das erhoͤhete und verfeinerte Gefuͤhl des Abſoluten ſelbſt ſeyn. ManI. Band. Nmag194II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,mag dieß annehmen, oder dagegen das Verhaͤltniſſe - denken fuͤr eine beſondere und weſentlich von jenem un - terſchiedene Kraftaͤußerung der Seele anſehen; in bei - den Faͤllen wird es außer Zweifel ſeyn, daß das Gefuͤhl des Abſoluten auch in dem Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe wie - der vorkomme, und auch hier wiederum etwas Abſolutes zum Gegenſtande habe, davon das Urtheil oder der Ver - haͤltnißgedanke wohl zu unterſcheiden ſey. Bey dem Gefuͤhl der objektiviſchen Verhaͤltniſſe der Dinge gegen einander will ich anfangen.

2.

Fuͤhlen und empfinden, daß zwey elfenbeinerne Ku - geln gleich groß und gleich wichtig ſind, iſt doch etwas anders, als dieſe gleichgroße und gleichwichtige Kugeln jede beſonders, nach einander, oder beide zugleich zu fuͤhlen. Eben ſo iſt es nicht einerley, die Verſchieden - heit, die Stellung, die Folge der Dinge, den Einfluß des Einen in das andere u. ſ. w. zu empfinden, und die unterſchiedene, die bey einander geſtellte, die auf einan - der folgende Objekte ſelbſt zu empfinden. Jenes iſt das Gefuͤhl der Beziehung ſelbſt, dieß das Gefuͤhl der ſich auf einander beziehenden Dinge. Das er - ſtere iſt nicht vorhanden ohne das letztere; aber iſt oft vorhanden ohne das erſtere. Wir fuͤhlen oft die Objekte einzeln, oder ihre Jdeen in uns, ohne daß eine Em - pfindung ihrer Relation damit verbunden ſey. Unlaͤug - bar iſt es, daß ein Hund die Ausduͤnſtungen ſeines Herrn auf eine andere Weiſe rieche, als die Duͤnſte von einem fremden Menſchen; aber ob er auch ihre Verſchiedenheit rieche und riechen koͤnne, dieß iſt eine Frage, die nicht zugleich mit jener, als wenn ſie voͤllig einerley mit ihr waͤre, bejahet werden darf.

Wenden wir das Auge von einem Gegenſtande weg, auf einen andern hin, von einem Hauſe auf einen Thurm,ſo195uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſo gehet in der Kraft, welche empfindet, eine Veraͤnde - rung vor, die ſo etwas iſt, als eine neue Richtung, wel - che dem in Bewegung geſetzten Koͤrper beygebracht wird. Das Gefuͤhl, oder hier der Aktus des Sehens, gehet von einem zum andern uͤber, und dieſer Uebergang iſt etwas neues in ihr, und etwas Abſolutes, eine poſitive Veraͤnderung, wie die Veraͤnderung in der Richtung der Bewegung iſt, welche ohne einen abſoluten Trieb oder Stoß von einer bewegenden Kraft nicht entſtehet, und in der That, wie die Naturlehrer wiſſen, ſelbſt eine neue Bewegung iſt.

Gehet das Gefuͤhl uͤber von Einem Objekt zu einem andern, das von jenem verſchieden iſt, ſo geſchicht noch etwas mehr. Geſetzt, die Nachempfindung des Zu - erſtempfundenen daure noch fort in uns man mag aber ſich auch einbilden, ſie ſey ſchon in eine Wiedervor - ſtellung uͤbergegangen ſo erfolget darauf der ſinnliche Eindruck von dem zweyten Objekt. Alsdenn entſtehet bey dieſem Uebergang außer der Veraͤnderung in der Richtung der Kraft noch eine andere. Eine neue Em - pfindungsvorſtellung, die vorher nicht da war, wird hervor - gebracht. Das Gefuͤhl wird alſo noch einmal mehr ver - aͤndert. Der ſinnliche Eindruck von der erſtern Sache wird weggeſchaft, und der von der zwoten wird hinein - gebracht. Dieß letztere iſt abermals eine abſolute Ver - aͤnderung.

Laß beide dieſe Eindruͤcke in der Abweſenheit der Ob - jekte in der Phantaſie wieder gegenwaͤrtig ſeyn. So oft wir nun die Aufmerkſamkeit von dem Phantasma des Einen auf das Phantasma des andern hinwenden, und alſo unſere Phantaſie noͤthigen, bald die Eine Vorſtel - lung, bald die andere vorzuͤglich ausgedruckt in uns zu erhalten; ſo eraͤugnet ſich etwas aͤhnliches von dem, was vorher in der Empfindung geſchah. Die Phantaſie ge - het uͤber von einem Bilde zum andern. Dieſer Ueber -N 2gang196II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,gang iſt Eine Veraͤnderung. Das vorhergehende Bild, eine abſolute Modifikation wird verdraͤnget oder geſchwaͤ - chet und verdunkelt, und das folgende von jenem unter - ſchiedene Bild wird hervorgezogen, oder ſtaͤrker und vol - ler gemacht. Beides ſind abſolute Veraͤnderungen. Etwas reelles und abſolutes vergehet, und ein anders entſteht an deſſen Stelle.

Anſtatt daß es zween verſchiedene Gegenſtaͤnde ſind, die man nacheinander empfindet, oder nach einander ſich vorſtellet, nehme man zween andere, die einerley ſind, wenigſtens bey dem erſten Empfinden voͤllig ſo zu ſeyn ſcheinen. Gehet das Auge und die Vorſtellungskraft von einer Billiardkugel auf die andre, von einem Ey auf ein anderes, von einem Waſſertropfen auf einen an - dern; ſo iſt die erſte Veraͤnderung in der Direktion der Kraft auch hier wiederum vorhanden. Aber die folgen - de neue Veraͤnderung fehlet, oder iſt doch in einem min - dern Grade da, als in dem vorhergehenden Beyſpiel. Das Gefuͤhl von einerley Dingen iſt ſelbſt einerley Mo - difikation, in ſo ferne die Dinge als einerley empfunden werden. Das Gefuͤhl der zuerſt geſehenen Kugel, oder die Einbildung von ihr bleibet ſo wie ſie iſt, wenn die zweyte, die der erſten gleich und aͤhnlich iſt, geſehen wird. Folgt alſo eine Vorſtellung von einer aͤhnlichen Sache auf eine andere, ſo ſind ſo viele abſolute Veraͤnderungen weniger da, als Zuͤge in den beiden Bildern eben dieſel - bigen ſind. Da iſt alſo weit weniger von neuen Modi - fikationen, als in dem vorhergehenden Fall. Geſetzt auch, wie es Hr. Bonnet meynet, jede dieſer aͤhnlichen Kugeln erfodere ein beſonderes obgleich aͤhnliches Bild in dem Gehirn, und daß alſo ihre Aehnlichkeit es nicht hindere, daß nicht ein ganzes Bild vergehen, und ein anderes neues, obgleich jenem aͤhnliches wieder entſtehen muͤſſe, geſetzt, es ſey ſo, wie es nicht wahrſcheinlich iſt, obgleich der genannte Philoſoph es bewieſen zu habenglaubet;197uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. glaubet; ſo wuͤrde doch die Unterdruͤckung oder Ver - dunkelung des Einen und die Wiedererweckung oder Auf - hellung des andern Bildes, immer eine weit mindere Quantitaͤt von Veraͤnderung enthalten, und eine andere Aktion ſeyn, wo die Bilder einerley ſind, als da, wo ſie verſchieden ſind.

Hiezu ſetze ich noch folgende Beobachtungen. Man betrachte aufmerkſam was in uns vorgehet, wenn wir uͤber die Aehnlichkeit und Unaͤhnlichkeit der Dinge allein nach den Empfindungen von ihnen urtheilen. Wir fuͤh - len jenen Uebergang unſerer Kraft und deſſen Beſchaf - fenheit. Denn wenn wir in dieſen Faͤllen, bey der Ver - gleichung der Dinge, ihre Jdentitaͤt oder Diverſitaͤt in den Vorſtellungen von ihnen aufſuchen, ſo gehen wir von der Vorſtellung des einen zu der Vorſtellung des andern uͤber, und horchen ſo zu ſagen in uns, ob ſich nicht bey dieſem Uebergang eine Veraͤnderung in uns empfinden laſſe? ob nicht eine neue Modifikation in uns entſtehe, wenn die Vorſtellung des zweyten auf die Vorſtellung des Erſten folget?

Unſer Urtheil kann auf drey unterſchiedene Arten ausfallen.

Das Erſte Objekt iſt mit dem andern, welches wir uns naͤmlich nachher vorſtellen, Eins und ebendaſſelbige.

Oder es iſt ein anderes Objekt, aber innerlich an ſich von jenem nicht unterſchieden; oder

Beide ſind auch an ſich verſchiedene Gegenſtaͤnde. Jn jedem Fall gehet vor dieſem Ausbruch unſerer Ur - theilskraft ein Gefuͤhl von gewiſſen Modifikationen vor - her, die in uns, in dem empfindenden Weſen, aus dem Verhaͤltniſfe der Gegenſtaͤnde entſpringen.

Jch behaupte; was ich von einem Gefuͤhl des Uebergangs geſaget habe, das vor dem Urtheil (ſentiment) vorhergehet, ſey keine Erdichtung, ſondern eine wahre Beobachtung. Die Pſychologen haben ſonſtenN 3weniger198II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,weniger auf dieß Gefuͤhl, als auf das nachfolgende Ur - theil acht gehabt. Dieſes mag denen, welche mit einem ſchaͤrferen Selbſtgefuͤhl begabet ſind, als ich, vielleicht ſo bald und ſo klar auffallen, daß ſie bey dem erſten Ruͤck - blick in ſich daruͤber zur Gewißheit gelangen. Fuͤr mich aber geſtehe ich, daß ich nicht eher von aller Sorge, durch Einbildungen hier geblendet zu werden, befreyet worden bin, als bis ich einige mit Fleiß angeſtellte Beobachtungen ſorgfaͤltig gepruͤfet, und eine Art von pſychologiſchen Verſuchen daruͤber gemacht habe. Zu dem Ende ſuchte ich zwey Empfindungsvorſtellungen aus, die ſo wenig als moͤglich mit meinen ſonſtigen Jdeen in Verbindung waren. Jch nahm z. B. zwey arabiſche Buchſtaben, die in einer Reihe von einander entfernet ſtunden, und verglich ſie mit einander. Es fand ſich allemal, daß ich nicht nur von jedem dieſer Charaktere einen beſondern Eindruck erhielte, ſondern daß ich auch etwas beſonders in mir fuͤhlte, wenn die Augen von dem Einen zum andern uͤbergingen. Dieß letztere Gefuͤhl des Uebergangs nahm ich nur alsdenn erſt gewahr, wenn ich ſchon vorher die ſinnlichen Eindruͤcke ſelbſt einigemal in mir mit einander hatte abwechſeln laſſen. Zwiſchen den beiden Eindruͤcken, die ich, ohne mich bey den dar - zwiſchenſtehenden Buchſtaben auſzuhalten, auf einander folgen ließ, fuͤhlte ich jedesmal eine Veraͤnderung in der Richtung des Gefuͤhls; und dieſe Veraͤnderung fuͤhlte ich auf eben die Art, wie ich einen andern innern Ein - druck fuͤhle, der durch die Sinne entſtehet. Je mehr die nachfolgende Vorſtellung von der vorhergehenden ver - ſchieden war, deſto ſtaͤrker und voͤlliger war das Gefuͤhl von dieſer Modifikation. Wenn man ſolche gleichguͤl - tige Empfindungen zum Verſuche nimmt, wie ich hier gethan hatte, ſo hat man den Vortheil, daß die Phan - taſie nicht leicht fremde Bilder dazwiſchen bringet, und die Beobachtung ſtoͤret. Aber auf der andern Seite iſtauch199uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. auch die Unbequemlichkeit babey, daß man die vorſtel - lende Kraft mehr ſelbſtthaͤtig anſtrengen, und ſich auf keine angenehme Art bemuͤhen muß, weil die Phantaſie allemal traͤge iſt, Vorſtellungen in ſich gegenwaͤrtig zu erhalten, die mit ihren uͤbrigen Reihen von Jdeen in kei - ner Verbindung ſind.

Man gehe die uͤbrigen Empfindungen von den Ver - haͤltniſſen und Beziehungen der Dinge auf einander durch. Es wird ſich zeigen, es hat mit allen eine aͤhnliche Be - wandniß. Wie empfinden wir, daß ein Objekt weiter von uns entfernet ſey, als ein anders? was empfin - den wir, wenn wir die Folge der Dinge empfinden? was alsdenn, wenn wir empfinden, daß in uns oder außer uns ein Ding als eine Urſache etwas anderes als ihre Wirkung hervorbringe? und was iſt alsdann in uns? Es iſt nicht davon die Frage, worinnen das Objektiviſche dieſer Beziehungen in den Gegenſtaͤnden außer der Vorſtellung beſtehe? auch noch nicht davon, was das Urtheil oder der Verhaͤltnißgedanke ſelbſt ſey? und wie er entſtehe? ſondern nur davon, was wir fuͤh - len und empfinden? Jn allen Faͤllen, wo wir, es ſey mit Grunde oder ohne Grund, ſolche Beziehungen in den gegenwaͤrtigen ideellen Objekten empfinden, entſtehet bey dem Uebergang der vorſtellenden und empfindenden Kraft von dem Einen zu dem andern, eine abſolute und poſitive Modifikation; und bey jedweder beſondern Art der Verhaͤltniſſe eine eigene von einer eigenen unter - ſchiedene Art, welche gefuͤhlet und bey einer genauern Beobachtung unſerer ſelbſt bemerket werden kann. Jch ſehe, daß der Thurm weiter von mir abſteht, als das Haus; daß ein Waſſer mir naͤher ſey, als das jenſeit deſſelben liegende Gehoͤlz. Nun ſey dieß ein Gedanke oder ein Gefuͤhl, ſo entſtehet jener ſo wenig als dieſes, ohne daß in mir, indem ich die Augen von dem Einen zum andern hinwende, eine Veraͤnderung vorgehet, dieN 4ent -200II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,entweder an Graden und Stufen oder an ſonſtigen Be - ſchaffenheiten von einer andern in einem andern Fall un - terſchieden iſt, und die als etwas Gegenwaͤrtiges und Abſolutes gefuͤhlet wird, oder doch gefuͤhlet werden kann. Sie iſt es, wobey ich die Beziehung des Einen Objekts auf das andere nicht blos denke, ſondern empfinde und gewahrnehme. Sie iſt der empfundene Charakter der objektiviſchen Beziehung der Dinge. Jch muß z. B. die Augen in dem einen Fall weiter hindrehen, als in dem andern, und jede Drehung iſt ein neuer Eindruck auf das Gefuͤhl; oder ich muß ſie auf eine andere Art wen - den; und dann entſtehen neue Eindruͤcke, indem die vor - hergehenden aufhoͤren.

Dieſe Veraͤnderungen gehen denn eigentlich in uns ſelbſt vor, in den Empfindungen und in den Vorſtel - lungen von den Dingen, alſo in den ideellen Objek - ten: Sie moͤgen ſich nun auf die Gegenſtaͤnde außer uns beziehen oder nicht; aus dem Objektiviſchen ent - ſpringen, und aus dem letztern in die ideellen Objekte hinuͤbergebracht werden, oder nicht. Vielleicht ſind ſol - che innere Modifikationen in dem Aktus des Empfindens und des Vorſtellens von den wirklichen Objekten unab - haͤngig; vielleicht haben ſie nur, in den Vorſtellungen und in der Wirkungsart unſerer vorſtellenden Kraft, in ihrer Art die Jdeen zu faſſen, und ſich von der einen auf die andere hinzuwenden, einen ſubjektiviſchen Grund. Wie es auch ſeyn mag, ſo ſchreiben wir ſie den Gegen - ſtaͤnden zu, und ſehen die Empfindung des Uebergangs als eine Wirkung an, die von dem Objektiviſchen in den Gegenſtaͤnden verurſachet wird. Jch ſehe, ſo reden wir, daß das Buch und das Stuͤckpapier dichte bey einander liegen. Dieſe Empfindung wird fuͤr eine aͤußere Em - pfindung gehalten, wie die Empfindung des Buchs und des Papiers einzeln genommen aͤußere Empfindungen find. Jn einem gewiſſen Verſtande iſt ſie es auch. Denn201uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Denn wenn die Lage der Dinge gleich nichts objektivi - ſches außer uns waͤre, wie manche behaupten, ſo iſt ſie doch eine Wirkung von den ideellen Objekten in uns, und von deren Gegenwart und Wirkung in und auf unſere empfindende und vorſtellende Seele. Alſo be - ziehet ſie ſich auf etwas in den Objekten und in den Vor - ſtellungen von ihnen.

Was das Gefuͤhl der Kauſalitaͤt und der Abhaͤn - gigkeit einer Wirkung von ihrer Urſache betrift, ſo uͤber - hebe ich mich hier der Muͤhe, die Beobachtungen zu zer - gliedern, um den eigentlichen Gegenſtand des Gefuͤhls dabey zu bemerken, da ich dieß an einer andern beque - mern Stelle thun werde. Hume hat ſich beſonders da - mit beſchaͤftiget, und zu erweiſen geſucht; es ſey die ge - naue Verknuͤpfung der Jdeen in der Einbildungskraft das naͤchſte Objekt des Gefuͤhls, aus deſſen Empfindung der Begrif von der Urſache entſtehe. Dieß iſt noch nicht voͤllig genau angegeben; aber genug, wenn einge - ſtanden wird, daß es ſo eine gewiſſe Beſchaffenheit in uns gebe, die gefuͤhlet wird, und auf welcher die Em - pfindung von der verurſachenden Verknuͤpfung der Din - ge beruhet. Ueberhaupt haben Bonnet, Search, Hume und andere, welche die geſammte Verſtandeser - kenntniß fuͤr eine verfeinerte und erhoͤhete Empfindung anſehen, ſich bemuͤhet, zu den verſchiedenen allgemeinen Verhaͤltnißgedanken die zugehoͤrigen Gefuͤhle aufzuſu - chen. Bey einigen haben ſie ſolche ganz richtig angege - ben, und alsdenn ſind dieß gewiſſe abſolute Veraͤnderun - gen in uns, deren Gefuͤhl die Verhaͤltnißgedanken und Ur - theile veranlaſſet. Nach der Meinung dieſer Philoſo - phen ſollen ſolche Verhaͤltnißgefuͤhle mit den Verhaͤltniß - gedanken einerley ſeyn. Dieß letztere iſt eine Sache, die noch einer weitern Pruͤfung bedarf; aber darinn ſind ſie mit mir und ich mit ihnen einig, daß, wo ein Verhaͤlt - niß empfunden wird, auch in uns eine gewiſſe, reelle undN 5abſolu -202II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,abſolute Veraͤnderung vorgehe, die gefuͤhlet wird. Was es aber in dieſem |oder in jenem Fall insbeſondere fuͤr eine ſey, daruͤber koͤnnen wir uns nochmals von ein - ander trennen, und dann muß die Beobachtung ent - ſcheiden, wer ſie richtig gefunden habe. Hier aber ge - he ich mit den gedachten Philoſophen noch auf Einem Gleiſe.

3.

Von der dritten und vierten Klaſſe der Empfindun - gen, ſo wie ſie am Ende der vorhergehenden Abtheilung (III. 4.) geſetzet ſind, nemlich von den Empfindniſ - ſen und von den intereſſirenden innern Empfindun - gen habe ich daſſelbige behauptet; es ſey in ihnen etwas abſolutes und ein eigenes Gefuͤhl dieſes Abſoluten. Die - ſer Theil des allgemeinen Beobachtungsſatzes muß noch weiter erlaͤutert und beſtaͤtiget werden.

Bey dem Gefuͤhl des Wahren und Falſchen ſcheinet ſolches am erſten aufzufallen. Eine Vorſtel - lung, die uns als eine wahre vorkommt, vereiniget ſich, wie ich ſchon erinnert habe, mit unſerm ſonſtigen Ge - dankenſyſtem, reihet ſich an andere feſtgeſetzte Vorſtel - lungen leicht an, und fließet mit ihnen ſo zuſammen, daß aus ihnen zuſammen ein groͤßerer Aktus des Vorſtellens, und des Denkens entſpringet. Dieß hat ſeine phyſiſche Urſache in einer Beziehung der Vorſtellung auf die Be - ſchaffenheit des Vorſtellungsvermoͤgens, auf deſſen ge - genwaͤrtigen Zuſtand, auf die Jdeenreihen, die vorhan - den ſind, und die hieraus entſpringende Dispoſitionen, andere Jdeen aufzunehmen, und iſt in ſo weit eine Fol - ge einer Beziehung; aber an ſich iſt es etwas Abſo - lutes, nemlich eine Erweiterung des Jnbegrifs von Vorſtellungen, die nebeneinander von der Kraft der See - le gefaßt werden. Es iſt zugleich eine Ausdehnung der Kraft ſelbſt, und eine angenehme Empfindung. Unddieſe203uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. dieſe Empfindung bewirket in uns diejenige Hinbeugung des Verſtandes auf die Jdee, die wir die Beyſtim - mung oder den Beyfall nennen. Bey den widerſpre - chenden, den falſchen, und unwahrſcheinlichen Jdeen zei - get ſich das Gegentheil. Dieſe wollen uns nicht in den Kopf hinein, wie wir ſagen, man kann ſie nicht anrei - hen, nicht mit denen vereinigen, welche ſchon ihre Stelle eingenommen haben. Sie verurſachen eine Richtung in der Reflexion, die wir die Abſtimmung oder Ver - neinung nennen.

Der Beyfall und die Abſtimmung machen be - ſondere, von dem Gedanken und ſelbſt von dem Urtheil, womit ſie verbunden ſind, noch unterſchiedene Modifika - tionen in unſerer Denkkraft aus, weil noch erſt das Ge - fuͤhl der Wahrheit oder der Falſchheit als ihre unmittel - bare Urſache hinzukommen muß. Dieß erhellet zunaͤchſt daraus, weil es moͤglich iſt, daß wir einen Satz oder ein Theorem voͤllig nach ſeinem Sinne ſchon eingeſehen und erkannt haben, ehe wir durch die Gruͤnde und den Beweis, als durch die vereinigenden Mittelbegriffe, zu dem Beyfall oder zur Verwerfung, das iſt, zu dem Gedanken: dieß Urtheil iſt objektiviſch wahr oder falſch, gebracht werden. Da iſt alſo eine abſolute Veraͤnde - rung in uns vorhanden, welche ein unmittelbarer Ge - genſtand des Gefuͤhls ſeyn kann, ſo oft wir die Wahr - heit oder die Falſchheit in einem Gedanken empfinden.

Wir ſehen daſſelbige in dem verſchiedenen Verhal - ten des Verſtandes bey der Annahme der Wahrheiten, die ihm in Verbindung mit ihren Gruͤnden vorgeſtellet werden. Jn einigen Faͤllen haben wir uͤber unſern Bey - fall keine Gewalt. Die Geometer zwingen uns ihn ab, wo wir nicht, wie Sextus Empiricus, uns auf das Zweifeln in geometriſchen Sachen mit Fleiß geleget ha - be. Aber es giebt auch andere Faͤlle genug, wo die Beweisgruͤnde fuͤr eine Wahrheit in uns vollſtaͤndig vor -handen204II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,handen ſind, und doch bleibet Beyfall und Ueberzeu - gung zuruͤck, blos weil es an einem Grad von Lebhaftig - keit in dem Gefuͤhl der Beziehungen fehlet, der zur Er - regung des Verſtandes erfodert wird. Es giebt einen Eigenſinn des Verſtandes, wie des Willens. Wie die - ſer letztere den vernuͤnftigen und ſtarken Bewegungs - gruͤnden den Gedanken entgegen zu ſtellen weiß, daß es doch beſſer ſey, zu beweiſen, daß man einen eigenen Wil - len habe, und unabhaͤngig ſey; ſo kann auch der ſkepti - ſche Verſtand gegen alle Ueberzeugungsgruͤnde ſich durch die Vorſtellung halten, es ſey doch ſicherer, nicht zu glau - ben, weil vielleicht die ſcheinbare große Evidenz nur ein Blendwerk ſeyn moͤchte. Dadurch unterdruͤcket er das Gefuͤhl, was ſonſten den Beyfall hervorbringet, oder haͤlt ſeine Wirkung zuruͤck. Jo ſo ferne haͤnget es auch oft von unſerm eigenen Bemuͤhen ab, ob wir durch Gruͤnde uͤberzeuget werden wollen; ſo wie es von uns ab - haͤnget, ob wir durch guͤltige Objektiviſche Bewegungs - gruͤnde zur Handlung uns beſtimmen oder beſtimmen laſ - ſen wollen? Oft iſt es eine Erſchlaffung des Verſtandes, die, wenn wir auch gerne wollen, uns dennoch die Staͤr - ke der Gruͤnde nicht fuͤhlen, und Glaubensfeſtigkeit er - langen laͤſſet. Ein Fehler, in den diejenigen verfallen, die anfangs aus uͤbertriebener Sorgfalt bey der Unterſu - chung es gewohnt geworden ſind, auch gegen auffallende Gruͤnde fuͤr die Wahrheit ihren Beyfall zuruͤck zu halten. Jn den Fibern des Verſtandes iſt es, wie in den Fibern des Koͤrpers. Eine zu ſtarke Erſchlaffung iſt die Folge von einem vorhergegangenen zu ſtarken krampfhaften Zu - ſammenziehen.

Soviel habe ich hier von dem Gefuͤhl des Wahren erweiſen wollen. Es giebt in uns eine abſolute Modi - fikation in der Denkkraft, die alsdenn gefuͤhlet werden kann, und gefuͤhlet wird, wenn wir ſagen: wir fuͤhlen, daß etwas wahr oder daß etwas falſch ſey. Dieſe Em -pfindung205uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. pfindung iſt das vornehmſte Jngredienz zu dem ganzen vielbefaſſenden Begrif von dem Gefuͤhl des Wahren, den die neuern Philoſophen ſich davon ſcheinen gemacht zu haben. Man hat die Wirkungen, die Folgen, die Graͤnzen und die Brauchbarkeit deſſelben zu einem Pro - birſtein der Wahrheit oder zu einem Princip unſerer Er - kenntniß mit vieler Scharfſinnigkeit und Genauigkeit zu beſtimmen geſuchet. Es iſt aber nicht moͤglich, deut - lich und beſtimmt die richtige und ſichere Anwendung deſſelben anzugeben; wie doch noͤthig iſt, wenn das, was davon geſagt iſt, etwas beſſeres als Deklamation ſeyn ſoll, ohne vermittelſt einer phyſiſchen Analyſis deſſelben, die Urſachen, Gruͤnde und Anlagen in der Seele, von welchen das Wahrheitsgefuͤhl abhaͤnget, aus einander zu ſetzen. Es iſt nicht ſchwer zu entdecken, daß es, in ſei - nem ganzen Umfang genommen, eine vereinigte Wir - kung des Gefuͤhls, der vorſtellenden Kraft und der Denk - kraft ſey, aus deren Wirkungsgeſetzen es begreiflich wird. Hier iſt nun der Antheil beſtimmt, den das Gefuͤhl dar - an hat, und der eins der wichtigſten Jngredienzen des Ganzen ausmachet.

4.

Gehen wir zu der Betrachtung der Empfindniſſe uͤber, oder zu den angenehmen und unangenehmen Em - pfindungen, ſo kommen wir bald auf das naͤmliche Re - ſultat. Es giebt in jedweden etwas abſolutes, was ei - gentlich der Gegenſtand des unmittelbaren Gefuͤhls ſeyn kann. Hier iſt es ſchwer, unmittelbar aus Beobach - tungen es zu beweiſen, daß es ſo iſt. Aber es iſt nicht ſchwer, durch einige vorlaͤufige allgemeine Betrachtun - gen uͤber die Empfindniſſe zu zeigen, daß es ſo ſeyn koͤn - ne, und es wahrſcheinlich zu machen, daß es wirklich ſo ſey.

Was206II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,

Was die Empfindniſſe auch ſeyn moͤgen, ſo ſtim - men alle Philoſophen, die uͤber die Natur des Schoͤnen, uͤber deſſen Wirkungen auf den Menſchen, uͤber das An - genehme und Unangenehme und uͤber die Quelle von bei - den nachgedacht haben, alte und neuere, darinn uͤberein: daß es eine gewiſſe Beziehung der Gegenſtaͤnde und ih - rer Eindruͤcke auf den dermaligen Zuſtand der Seele, auf ihre Triebe und Thaͤtigkeiten ſey, was die Gegen - ſtaͤnde zu gefaͤlligen oder mißfaͤlligen, zu angenehmen oder unangenehmen, das iſt, zu Empfindniſſen mache. Worinnen dieſe Beziehung eigentlich beſtehe, und wor - auf ſie ſo wohl von der einen Seite in den Objekten, als auf der andern in uns gegruͤndet ſey, daruͤber ſind die Mei - nungen etwas getheilet; aber daruͤber nicht, daß nicht ſelbſt der Unterſchied in den Empfindungen, die angenehm und unangenehm ſind, ein reeller poſitiver Unterſchied ſey, und ſeine unterſchiedene abſolute Folgen auf uns ha - be. Die mehreſten haben das Objektiviſche der Schoͤn - heit in einer Mannigfaltigkeit mit Einheit geſucht, und dieſe Jdee iſt von unſerm ſcharfſinnigen Hr. Sulzer vor - zuͤglich durchgedacht. Sie laͤßt ſich auch noch wohl gegen die Erinnerungen vertheidigen, die Hr. Burck dagegen ge - macht hat. Man muß nur auf den Unterſchied zwi - ſchen dem Urſpruͤnglichangenehmen, das es fuͤr ſich iſt, und zwiſchen dem, was es durch die Verbindung mit andern iſt, ſo viel Ruͤckſicht nehmen, als da uͤberhaupt noͤthig iſt, wo eine Menge von Beobachtungen, die nicht ſelten einander aufzuheben ſcheinen, auf Einen Grund - ſatz, und viele und mancherley Wirkungen auf Eine ge - meinſchaftliche Urſache zuruͤckgefuͤhret werden ſollen. Worinn aber auch das Objektiviſche des Schoͤnen, und uͤberhaupt das Afficirende in den Objekten beſtehen moͤge, ſo hat doch die maͤßigſte Aufmerkſamkeit auf die Abwechſelungen und auf die Verſchiedenheiten des menſchlichen Geſchmacks es ſogleich erkennen laſſen, daßdas207uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. das Objektiviſche, ſo zu ſagen, nur die eine Haͤlfte von der ganzen Urſache der erfolgenden Gemuͤthsruͤhrung aus - mache, die andere Haͤlfte aber ſubjektiviſch, in den na - tuͤrlichen Anlagen, in den Faͤhigkeiten und in den der - maligen Beſchaffenheiten des empfindenden Weſens ent - halten ſeyn muͤſſe. Es mag ſchoͤne Gegenſtaͤnde geben, die es vor allen Menſchen ſind, von jedem Alter, zu al - len Zeiten, unter allen Himmelsgegenden, deren Em - pfindung allen ohne Ausnahme, wie das Anſchauen der Blumen gefalle, und die man als abſolute objektivi - ſche Schoͤnheiten anſehen kann: ſo beweiſet dieß nichts mehr, als daß die Einrichtung der Seele, die Anlage, die beſtimmte Beſchaffenheit der Empfindungs - und Vorſtellungsvermoͤgen, worauf ſolche Gegenſtaͤnde auf eine angemeſſene Art wirken koͤnnen, zu den gemein - ſchaftlichen Zuͤgen der Menſchheit gehoͤren. Fuͤr We - ſen anderer Art wuͤrden jene abſoluten Schoͤnheiten doch entweder gleichguͤltige, oder gar Gegenſtaͤnde des Miß - vergnuͤgens ſeyn koͤnnen, wie ſie es wirklich ſind.

Auch daruͤber hegen nicht alle einerley Meynung, welche Seite der Seele, welche beſondere Faͤhigkeit, Kraft, Thaͤtigkeit es ſey, deren gegenwaͤrtige Beſchaf - fenheit der ſubjektiviſche Grund iſt, warum die Empfin - dung des Objekts in dieſe oder jene Art von Empfindniß uͤbergehe. Jſt es die Erkenntnißkraft, oder ſind es die Triebe der Thaͤtigkeitskraft? Jſt es die Sinnlichkeit oder iſt es das Ueberlegungsvermoͤgen? oder iſt es bald dieſes oder jenes nach der Verſchiedenheit der Gegenſtaͤn - de und der Umſtaͤnde? Auf welche Fiber der Seele muß das Objekt anſchlagen, um angenehm oder unangenehm empfunden zu werden? und welch ein Grad der Span - nung, welche Stufe in der Faͤhigkeit, welche Jntenſion wird in ihr erfodert, wenn die Einwirkung des Objekts angemeſſen und uͤbereinſtimmend, oder unangemeſſen ſich auf ſie beziehen ſoll? Auch iſt man daruͤber verſchie -dener208II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,dener Meynung, worinn die Wirkungen und Veraͤn - derungen in der Seele beſtehen, wenn in einem Fall Wolluſt, in dem andern Schmerz verurſachet wird. Und dieß iſt ohne Zweifel das dunkelſte in der Sache, wozu noch keine Hofnung iſt, daß es aufgehellet werden wuͤrde. Das meiſte wird doch, um nicht zu beſtimmt von einer Sache zu reden, auf die ich hier nur im Vor - beygehen mit dem Finger zeige auf den Charakter ankommen, den ſchon die Alten, und unter den Neuern vorzuͤglich Des Cartes bemerkt hatte; daß in den po - ſitivangenehmen Modifikationen ein Gefuͤhl der Wirk - ſamkeit, der Staͤrke und Kraft in der Seele vorhanden ſey; in den mißfallenden dagegen Ohumacht und Schwaͤche gefuͤhlet werde. Aber wie dem allen auch ſeyn mag, ſo iſt doch dieß offenbar: ſo wie der Ein - druck von einem ſichtbaren Objekte auf die Seele, und dieſer ihre Empfindung von dem Objekt ſelbſt von der Beſchaffenheit der Geſichtswerkzeuge, von der Lage des Objekts gegen das Werkzeug, und von andern Em - pfindungserforderniſſen zuſammen abhaͤnget, und allen dieſen Beziehungen gemaͤß iſt, ſo iſt es auch in den Em - pfindniſſen. Das Ruͤhrende in ihnen hat in einem gewiſſen Verhaͤltniß des Objektiviſchen zu dem Subjekti - viſchen ſeinen Grund und ſeine Urſache.

Von hieraus kommen wir mit Einem Schritt auf die Folge, welche ich vorhero ſchon angezeiget habe, und welche allein ich hier aus der ganzen Betrachtung nur gebrauche. Es muß nemlich die Veraͤnderung, welche als Wirkung von einem angenehmen Eindruck auf die empfindende Kraft gemacht wird, als eine abſolute Seelenveraͤnderung betrachtet, von der Wirkung eines entgegengeſetzten widrigen Eindrucks unterſchieden ſeyn. Der Funke verloͤſchet auf einem Stein, und verurſachet in dem Pulverthurm eine Erderſchuͤtterung, und ein Schlag auf eine ſtaͤrker geſpannte Saite bringet ſchnellereSchwin -209uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Schwingungen hervor, als auf eine andere, die ſchlaffer angezogen iſt, weil das leidende Subjekt ſich in verſchiedenen Zuſtaͤnden befindet. Das Verhaͤltniß der Empfindungen zu dem empfindenden Weſen mag darum anders ſeyn, weil das Objektiviſche anders iſt, und alſo auch die bloße Empfindung dieſes Objektiviſchen; oder daher, weil das Subjektiviſche, der Zuſtand des empfin - denden Weſens, verſchieden iſt; ſo folget in beiden Faͤl - len, daß die abſoluten Wirkungen der Empfindungen in der Seele verſchieden ſind, da, wo ihre Beziehungen auf den Seelenzuſtand es ſind.

Jede ſolche naͤchſte Wirkung hat ihre fernern Folgen. Es entſtehen Spannungen und Erregungen der Kraͤfte, wiederum neue Veraͤnderungen in ihnen; Aufwallun - gen des Herzens und der Leidenſchaften; Verlangen, Abneigungen. Dieß alles wird oft noch zu der erſten Wirkung mit gerechnet, und beſtehet in abſoluten Mo - difikationen; aber es laſſen ſich doch dieſe entferntere Wirkungen in einigen Faͤllen ganz deutlich von dem un - mittelbaren Gefallen oder Mißfallen an der Empfindung unterſcheiden. Wir werden munter durch den Anblick eines ſchoͤnen Gegenſtandes; wir fuͤhlen uns durch ein maͤßiges ſinnliches Vergnuͤgen erquicket. Dieſe Em - pfindniſſe erregen die dazu paſſende Reihen von Vorſtel - lungen in der Phantaſie; und von da geht die Wirkung weiter in die Vorſtellungskraft uͤber und in den Verſtand, und durch dieſen Weg auf das Gemuͤth. Dieſe Folge laͤſſet ſich oft beſonders gewahrnehmen.

Solche abſolute Modifikationes ſind vorhanden, und bieten ſich dem Gefuͤhl als deſſen unmittelbare Gegen - ſtaͤnde dar. Sie koͤnnen und muͤſſen gefuͤhlet werden, es muͤßte denn das Vermoͤgen oder der Aktus des Fuͤh - lens zu ſchwach dazu ſeyn. So oft wir das Angenehme oder das Schmerzhafte von einer Sache empfinden, leh - ret es auch die unmittelbare Beobachtung, daß wir baldI. Band. Odie210II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,die Eine, bald die andere ſolcher abſoluten Wirkungen gewahrnehmen. Dieß zuſammen macht es doch wahr - ſcheinlich, es ſey nicht das Relative, nicht Verhaͤltniß, nicht Beziehung, was unmittelbar gefuͤhlet werde, und wodurch die Empfindung eine Empfindniß wird, ſon - dern es ſey das Abſolute in ihnen, deſſen Gefuͤhl Gefal - len und Mißfallen hervorbringet. Nicht die Harmonie der Toͤne alſo, ſondern die Wirkung der harmoniſchen Toͤne, die ſie eben dieſer Harmonie wegen auf die Seele hervorbringen, iſt es, deſſen Gefuͤhl, als ein Gefuͤhl des thaͤtigen Daſeyns, angenehm iſt, und das was wir ein Gefuͤhl der Harmonie nennen, in uns ausmachet.

V. Von den Beziehungen der Empfindniſſe auf die Empfindungen. 1) Das Ruͤhrende iſt eine Beſchaffenheit der ruͤhrenden Empfindungen. 2) Ob das Ruͤhrende von den ruͤhrenden Em - pfindungen getrennet werden koͤnne?

1.

Wie verhalten ſich nun in den Empfindniſſen die beiden Empfindungen gegen einander, die Empfindung des Gegenſtandes und die Empfin - dung des Ruͤhrenden, des Angenehmen oder Un - angenehmen? Wir koͤnnen dieſe von jenen mit dem Verſtande unterſcheiden. Beyde entſtehen aus demſel - bigen Eindruck, aber aus unterſchiedenen Beſchaffen - heiten deſſelben. Jſt die Empfindung des Afficirenden eine beſondere Empfindung, welche auf die Empfindung des Gegenſtandes folget, etwan um ein Moment ſpaͤter kommt?

Oder211uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.

Oder iſt jene nur eine gewiſſe Beſchaffenheit in der Empfindung des afficirenden Objekts, die mit ihr und in ihr ſchon enthalten iſt?

Jch empfinde die harmoniſchen Toͤne; dieſe Em - pfindung iſt angenehm. Aber ich habe bey aller Sorg - falt nicht bemerken koͤnnen, daß das Vergnuͤgen aus der Empfindung, oder die Empfindung des Angeneh - men, von der Empfindung der Sache ſelbſt der Zeit - folge nach haͤtte unterſchieden werden koͤnnen. Die Em - pfindung der Toͤne war angenehm. Der Stich mit ei - ner Nadel wird empfunden; und dieſe Empfindung iſt ſchmerzhaft. Es iſt mir unmoͤglich, hierinne eine Zeit - folge gewahr zu nehmen; und zuerſt die Sache, dann den Schmerzen zu empfinden. Es ſcheinen die Em - pfindniſſe als Empfindniſſe betrachtet gewiſſe Beſchaf - fenheiten der Empfindung; nicht beſondere Empfindun - gen ſelbſt zu ſeyn.

Hr. Search mag ſich wohl eine andere Vorſtellung davon gemacht haben. Er meynt, man muͤſſe beſon - dere Fibern fuͤr die Eindruͤcke der Sache und ihre Em - pfindungen, und andere beſondere Fibern fuͤr das Gefal - len oder Mißfallen annehmen, die er Zufriedenheits - fibern nennet, und dann auch gewiſſe Kanaͤle oder Kommunikationsfibern, durch welche die Eindruͤcke aus jenen in dieſe letztern hinuͤbertreten koͤnnen. So lange die Eindruͤcke nur allein auf jene erſtern Fibern wirken, ſo lange haben wir nur Empfindungen, nur gleichguͤltige Empfindungen von den Dingen. Aber wir empfinden Wol - luſt oder Schmerzen, wenn die Veraͤnderungen aus dieſen Empfindungsfibern in die Zufriedenheitsfibern hinuͤber uͤbergehen, welche letztern das Organ des Gemuͤths ſind. Die Gewalt, welche wir in vielen Faͤllen uͤber unſere Empfindniſſe haben, und ohne Zweifel in noch mehreren erlangen koͤnnen, ſollen die angegebene Erklaͤrungsart beſtaͤtigen. Es iſt mancher Beobachtungen wegen derO 2Muͤhe212II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Muͤhe werth, ſich ein wenig bey dieſer Searchiſchen Jdee zu verweilen.

Was Hr. Search uͤberhaupt von Fibern im Gehirn vorbringet, kann man, wie ſchon anderswo erinnert iſt, fuͤr nichts mehr, als fuͤr eine bildliche Vorſtellungsart anſehen, die an ſich nicht unbequem und jetzo in pſycho - logiſchen Unterſuchungen gewoͤhnlich iſt. Wer kennet die Fibern des Gehirns, und hat ſie beobachtet? Es iſt wahrſcheinlich, daß es dergleichen gebe, vielleicht auch, daß ſie von ſo verſchiedener Art ſind, daß jede beſondere Klaſſe von Empfindungen und Thaͤtigkeiten auch ihre beſondern Theile in dem innern Werkzeug habe, die ei - gends fuͤr dieſe Seelenaͤußerungen beſtimmt ſind. Aber es iſt nicht ſo wahrſcheinlich, daß der Antheil der Orga - ne an den Seelenhandlungen von dem Umfang ſey, wie es in der beliebten Hypotheſe angenommen wird, auf welche die gedachte pſychologiſche Sprache ſich beziehet. Jch kann etwas von dem beobachten, was in mir, im Menſchen; in mir, in ſo ferne ich ein denkendes, em - pfindendes und vorſtellendes Weſen bin, vorgehet. Al - lein was in meinem Gehirn vorgehet, ob und wie daſelbſt die Fibern liegen, welche Geſtalt und Verbindung zwi - ſchen ihnen iſt, das kann ich nicht beobachten, ſo wenig als man das beobachten kann, was ausſchließungsweiſe in dem thaͤtigen unkoͤrperlichen Weſen iſt, welches man die Seele nennet. Man ſpricht, ſeitdem Hr. Bonner dieſen Ton nicht zwar zuerſt angeſtimmet, aber durch ſein Beyſpiel angenehm gemacht hat, von den Organen des Gehirns, nach einer Hypotheſe, wobey man aber doch nicht glauben ſollte, es ſey zugleich auch aus Beobach - tungen erwieſen, daß die Sache ſo ſey, wie ſie in unſe - rer neuern Phraſeologie vorgeſtellet wird. Nimmt man alſo den Gedanken aus der Searchiſchen Einkleidung her - aus, ſo haben wir nichts als die Fragen, die ich oben, ſo viel moͤglich, mit ihren eigentlichen Worten vorgetra -gen213uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. gen habe. Jſt naͤmlich die Empfindung des Angeneh - men, die eine innere Empfindung, von einer blos ſub - jektiviſchen Seelenbeſchaffenheit iſt, eine nachfolgende Empfindung, wozu die Seele uͤbergehet, nachdem ſie vorhero den Eindruck von dem Objekt ſelbſt, es ſey die - ſes in uns oder außer uns vorhanden, ſchon gefuͤhlet hat? oder iſt jene in dem Gefuͤhl der Sache ſelbſt be - griffen, als eine ihm anklebende Beſchaffenheit?

Da, deucht mich, es laſſe ſich darauf leicht antworten. Die Empfindung des Gegenſtandes iſt in dem empfin - denden Weſen vorhanden, deſſen Vermoͤgen auf eine gewiſſe Weiſe geſtimmet iſt. Dieß iſt Beobachtung. Jener Eindruck wirket alſo auf ſeine beſtimmte Weiſe, und bringt eine beſtimmte Wirkung hervor, die zugleich, indem ſie als Veraͤnderung in der Seele entſpringet, auch ihre Eigenheiten an ſich hat, wodurch ſie zu einem Ob - jekt einer beſtimmten Empfindung wird. Will man ſich gewiſſe Fibern einbilden, ſo nimmt dieſelbige Fiber, welche den Eindruck von dem Objekt empfaͤngt, in dem - ſelben Augenblick dieſen Eindruck mit ſeiner beſtimmten Beſchaffenheit auf, welche er darum an ſich hat, weil er eben auf dieſe ſo und nicht anders geſtimmte Fiber in der beſtimmten Maße auffaͤllt. Wie alſo die Kraft zu afficiren eine Beſchaffenheit iſt, die dem Eindruck an - klebet, ſo iſt auch die Ruͤhrung oder Affektion, als die Wirkung von jener, eine Beſchaffenheit, welche der Empfindung des Eindrucks als ſeiner Urſache beywoh - net. So ſtellet ſich auch Hr. Bonnet die Sache vor. Es iſt unnoͤthig, eine beſondere Fiber zu erdichten, die das Afficirende des Eindrucks aufnehme, wenn der Ein - druck ſelbſt von einer andern ſchon aufgenommen iſt. Es iſt ja nicht allein ein Ton; ſondern es iſt ein Ton in ei - nem beſtimmten Verhaͤltniß gegen die Gehoͤrnerven, den ich hoͤre; es iſt nicht blos eine Empfindung einer Sache; es iſt eine beſtimmte Empfindung von dieſer Sache, dieO 3eine214II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,eine gefallende oder mißfallende Empfindung, das iſt ein Empfindniß ausmacht. Jn der Abſtraktion kann das Ruͤhrende in einem Eindruck von dem Eindruck ſelbſt abgeſondert werden, wie die rothe Farbe von dem rothen Tuche; aber dennoch iſt es nur eine Beſchaffenheit deſ - ſelben. Dahero die Searchiſche Abſonderung der Zu - friedenheitsfibern, von den Fibern, in denen die Vor - ſtellung der Zufriedenheit bringenden Sache ſich befindet, unnoͤthig iſt, ob ſie gleich dazu dienen kann, das Eigene des Empfindniſſes, als welches gleichfalls eine abſolute Seelenmodifikation iſt, von dem, was blos zu der Em - pfindung des Objekts gehoͤret, deſto ſtaͤrker und auffal - lender in dem Ausdruck zu unterſcheiden.

Man kann dieſes auch noch deutlicher vorſtellen, wenn man, wie einige es gethan haben, hiebey Gefuͤhle und Empfindungen von einander unterſcheidet. Bishero iſt der geſammte Eindruck, der von einem Gegenſtand ent - ſpringet, oder die geſammte Veraͤnderung, die in uns, in der Seele, durch irgend eine Urſache hervorgebracht, und dann gefuͤhlet wird, die Empfindung genennet worden. Dieſe Empfindung hat zwey Seiten; laſſet uns ſolche unterſcheiden.

So ein gefuͤhlter gegenwaͤrtiger Eindruck, oder uͤber - haupt, ſo eine gefuͤhlte gegenwaͤrtige Modifikation, hat etwas an ſich, das fuͤr uns als ein Zeichen von ihrer Ur - ſache, als ein Bild von ihr, und als eine Vorſtellung gebrauchet werden kann. Dieß iſt es, was in uns, in ihrer Spur, die ſie zuruͤck laͤſſet, am meiſten als das ihr zugehoͤrige bemerket wird, und was wieder hervor - gezogen ihre Wiedervorſtellung ausmachet. Jn ſo weit iſt ſie eine Empfindung einer Sache. Es iſt dieß das klaͤrere, am leichteſten erkennbare, und am leichte - ſten zu reproducirende in dem geſammten Eindruck, das wir nicht ſowohl fuͤr eine Beſchaffenheit von uns ſelbſtanſehen,215uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. anſehen, als vielmehr fuͤr eine Abbildung eines Objekts, das wir dadurch zu empfinden glauben.

Jn ſo ferne iſt auch die geſammte Empfindung et - was gleichguͤltiges; ſie iſt keine Ruͤhrung; ſie hat nichts Angenehmes oder Unangenehmes an ſich. Sie unter - richtet nur den Verſtand, und ſtellet ihm Gegenſtaͤnde dar, die auf uns wirken.

Aber es lieget in der geſammten gefuͤhlten Modifi - kation, die zum Empfindniß wird, noch etwas mehre - res. Es iſt ein individueller Eindruck, davon der groͤßte Theil nur zuſammen auf einmal dunkel gefuͤhlet, nicht aber auseinander geſetzt und entwickelt werden kann. Jn ſo ferne iſt ſie blos Gefuͤhl von einer Veraͤnderung in uns; und in ſo ferne iſt ſie auch nur eine Ruͤhrung. Wenn ich einen entzuͤckenden Ton hoͤre, oder eine lachen - de Gegend ſehe, ſo iſt das was ich fuͤhle und empfinde, theils eine Empfindung gegenwaͤrtiger Dinge, die ich mittelſt einiger Zuͤge, welche in ihrer Wirkung auf mich enthalten ſind, kennen lerne; theils aber iſt es etwas, wovon ich weiter nichts weis, als daß es eine Veraͤn - derung in mir ſelbſt ſey, und es nicht ſo wie jenes auf aͤußere Gegenſtaͤnde beziehe. Als Empfindung von ge - wiſſen Toͤnen und von gewiſſen Koͤrpern iſt ſie mir gleich - guͤltig; aber als eine Veraͤnderung von mir ſelbſt, als ein Gefuͤhl hat ſie das an ſich, was ſie zu einem Em - pfindniß macht, was angenehm oder unangenehm bey ihr iſt.

Unter den Empfindungen des koͤrperlichen Ge - fuͤhls beſtehet der groͤßte Theil nur aus ſolchen verwirr - ten Gefuͤhlen. Die Empfindung von Hunger und Durſt, von Staͤrke und Schwaͤche, von Wohlſeyn und Uebel - ſeyn und dergleichen, ſind mehr Gefuͤhle als Empfindun - gen in dieſer Bedeutung. Von den Eindruͤcken, die auf den Geſchmack und den Geruch wirken, laͤſſet ſich daſſelbige ſagen. Die Empfindungen des Gehoͤrs habenO 4beide216II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,beide Beſchaffenheiten faſt in gleichem Grade an ſich; doch ſind ſie wohl mehr noch Gefuͤhle als Empfindun - gen von Gegenſtaͤnden. Aber dagegen ſind die Geſichts - empfindungen gewiß im Durchſchnitt mehr Empfindun - gen als Gefuͤhle.

Nach dieſer Vorſtellungsart kann man ſagen; die Empfindniſſe ſind das was ſie ſind, nur in ſo ferne als ſie Gefuͤhle ſind, nicht in ſo ferne ſie Empfin - dungen ſind; und es fließet daraus die wichtige Folge, daß alle und jede Arten von Empfindungen im Anfang, wenn ſie auf die junge Seele fallen, die es noch nicht ge - wohnt iſt, zu unterſcheiden und das Bildliche in ihnen auf die Objekte zu beziehen, von denen ſie verurſachet ſind, pure Gefuͤhle, und alſo durchaus Ruͤhrungen, oder afficirende Empfindungen ſeyn muͤſſen. Voraus geſetzt, daß ſie nur die gehoͤrige Empfaͤnglichkeit beſitze, um ſol - che Modificirungen aufzunehmen. Wenn alſo manche Eindruͤcke fuͤr nichts weiter als fuͤr Abbildungen von den Objekten angeſehen, und aus dieſem Grunde gleichguͤl - tig werden, (denn das letztere koͤnnen ſie auch ſonſt noch werden, ob ſie gleich Gefuͤhle bleiben;) ſo hat dieß ſei - nen Grund in der Reflexion, die ſie bewirket, und zu Jdeen von Sachen machet.

Dennoch iſt die Beziehung der Empfindniſſe auf die Empfindungen dieſelbige, wie ſie vorher angegeben wor - den iſt. Der ganze gefuͤhlte Eindruck, in ſo ferne er an - genehm oder unangenehm iſt, hat dieſe Beſchaffenheit eben darum an ſich, weil die geſammte individuelle Em - pfindung ſo etwas an ſich hat, was ſie zum Gefuͤhl ma - chet. Die Empfindung von dem Gefuͤhl unterſchieden, iſt hier zwar ein Theil des Ganzen, und man koͤnnte ſa - gen, jene habe die Gefuͤhle mit ſich verbunden. Allein wenn das Ganze, welches aus beiden beſtehet, Empfin - dung heißt, ſo iſt das, was ſie zu einem Gefuͤhl und zu einer Ruͤhrung machet, eine Beſchaffenheit derſelben. Jndeſſen217uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Jndeſſen will ich dieſe erwaͤhnte Unterſcheidung nun wie - der bey Seite ſetzen, und die ganze gefuͤhlte Veraͤnderung eine Empfindung nennen, wie ſie vorher geheißen hat.

2.

Da entſtehet nun eine andere Frage, ob das Ruͤh - rende in der Empfindung von der Empfindung der Sa - che ſelbſt getrennet werden koͤnne? Es kann es nicht, woferne das Verhaͤltniß der empfindenden Kraft gegen den Eindruck nicht veraͤndert werden kann. Wenn die Eindruͤcke gleichguͤltig werden, die uns vorher lebhaft ruͤhrten, ſo haben entweder ſie ſelbſt oder die Empfaͤng - lichkeit der Seele ſich veraͤndert. Eine ſolche Veraͤn - derung iſt ſo gar waͤhrend der Empfindung in einigem Grade moͤglich. Wir koͤnnen, wie die Erfahrung leh - ret, unſere Empfindungswerkzeuge in einigen Faͤllen bis auf eine Grenze hin ſchlaffer machen, und gleichſam die Lebensgeiſter aus ihnen zuruͤcke ziehen; wir koͤnnen ſolche hingegen auch ſpannen, z. B. die Ohren ſpitzen. So etwas vermoͤgen wir auch uͤber unſere Empfindungs - vermoͤgen in dem Jnnern der Seele. Die Kraͤfte koͤn - nen in etwas willkuͤhrlich nachgelaſſen und angeſtrenget werden. Dadurch wird alsdenn ihr Verhaͤltniß zu dem Eindruck von dem Objekt, das ihnen vorlieget, um et - was veraͤndert, und die angemeſſene oder unangemeſſene Beziehung, wovon Luſt oder Unluſt abhaͤnget, befoͤrdert oder gehindert. Außerdieß koͤnnen andere Empfindun - gen, die ſtaͤrker ſind, erreget, und jene dadurch unter - druͤcket werden. Bis ſo weit, aber auch weiter nicht, erſtreckt ſich unſere Gewalt uͤber das Angenehme oder Unangenehme, das in den Empfindungen unmittelbar lieget.

Aber es iſt doch nicht außer acht zu laſſen, daß dieſe bisher betrachtete Verbindung des Afficirenden mit derO 5Em -218II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Empfindung des afficirenden Objekts nur eigentlich da ſtatt findet, wo von Empfindungen die Rede iſt, die fuͤr ſich allein und unmittelbar jene Beſchaffenheit, durch welche ſie Empfindniſſe ſind, an ſich haben. Die - ſelbigen Eindruͤcke bringen noch andere Veraͤnderungen hervor oder veranlaſſen ſolche, die man zu ihren natuͤrli - chen und unmittelbaren Wirkungen nicht rechnen kann. Solche Modificirungen, die nur mittelbar aus ihnen ent - ſtehen, und die ſie veranlaſſen, die Reproduktiones der Phantaſie, und die ſich dadurch aſſociirende wolluͤſtige oder fuͤrchterliche Jdeen; dieſes Kolorit der Empfindun - gen; die Aufwallungen der Triebe und Leidenſchaften, die Ungedult und dergleichen Zuſaͤtze und Ergießungen des Ruͤhrenden mehr, koͤnnen entweder zuruͤckgehalten, und die Empfindung in den Grenzen der Empfindung eingeſchrenket, oder ihren freyen Lauf behalten und befoͤr - dert werden. Der Koch, der die Speiſe koſtet, um ſie zu beurtheilen, empfindet ſie auf dieſelbige Art, wie der Wolluͤſtling, und findet ſie ſeinem Geſchmack gemaͤß, wie dieſer. Allein dadurch, daß er ſeinem Gefuͤhl eine gewiſſe Spannung giebt, als ein Beobachter, um mehr das Eigene des Eindrucks gewahrzunehmen, als das Vergnuͤgen aus derſelben in ſich zu ziehen, ſo iſt auch das Empfindniß in ihm nicht ſo lebhaft, obgleich die Em - pfindung als Empfindung ſchaͤrfer und feiner iſt, als bey dem andern, der die Speiſe auf ſeiner Zunge laͤnger er - haͤlt, ſeine Fibern in die angemeſſenſte Spannung gegen den Eindruck zu ſetzen ſuchet, ſich dem Gefuͤhl des Wohl - geſchmacks in dieſer Lage uͤberlaͤßt, und die ganze kitzeln - de Wolluſt, die darinn lieger, heraus zu ſaugen weiß. Bey dem erſten iſt die Empfindung mehr Empfindung des Gegenſtandes; bey dem letztern iſt ſie mehr ein Ge - fuͤhl. Die Wunde ſchmerzet, wenn anders natuͤrliche Empfindlichkeit vorhanden iſt. Dieß iſt nicht abzuaͤn - dern; aber Gedult und Staͤrke der Seele kann denSchmerz219uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Schmerz mindern oder unterdruͤcken, oder ihm ſeinen Stachel nehmen. Poſidonius mußte die Gichtſchmerzen als wahre phyſiſche Schmerzen fuͤhlen, und Epictet ſei - nen Beinbruch. Aber das vermochte die durch Weis - heit, und ſtoiſchen Eigenſinn geſtaͤrkte Seele, daß das Gefuͤhl mehr in den Grenzen des bloßen gegenwaͤrtigen Gefuͤhls eingeſchloſſen; und von der Phantaſie, von dem Herzen, dem Triebe und Beſtrebungen, wodurch die Un - ruhe vermehret wird, abgehalten wurde. Die Em - pfindung kann zur Vorſtellung gemacht und mit der Denkkraft bearbeitet werden, und dadurch wird ſie gewiſ - ſermaßen aus der Seele zuruͤckgeſchoben, und als ein Gegenſtand der Beobachtung vor ihr hingeſtellet. Ue - berdieß kann die innere Selbſtthaͤtigkeit der Seele maͤch - tige Quellen entgegengeſetzter Empfindungen eroͤfnen, um jene Schmerzen zu uͤberſtroͤmen; und endlich, koͤn - nen ſelbſt die Empfindungskraͤfte geſtaͤrket werden, ſo daß die Disproportion zwiſchen ihnen und zwiſchen den auf ſie wirkenden Objekten und alſo auch der wahre phy - ſiſche Schmerz, ſelbſt das Gefuͤhl als Gefuͤhl in etwas veraͤndert wird. Alle dieſe Wirkungen, die man in he - roiſchen Seelen antrift, und die entgegengeſetzten, die man bey ſchwachen, und kleinmuͤthigen Perſonen ge - wahr wird, erklaͤren ſich nun ſo zu ſagen von ſelbſt aus der angegebenen Beziehung, in der die Empfindniſſe auf die bloßen Empfindungen der Gegenſtaͤnde ſtehen.

VI. Wei -220II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,

VI. Weitere Betrachtung uͤber die Natur der Em - pfindniſſe.

  • 1) Unterſchied zwiſchen ruͤhrenden Empfindun - gen und ruͤhrenden Vorſtellungen.
  • 2) Von urſpruͤnglich fuͤr ſich afficirenden Em - pfindungen. Von der Ueberleitung des Ge - fallens und Mißfallens von einer Sache auf eine andere.
  • 3) Pruͤfung des Syſtems von dem Urſprung aller Empfindniſſe aus aͤußern Empfindun - gen. Unterſcheidungskennzeichen der ur - ſpruͤnglich fuͤr ſich afficirenden Empfindun - gen von ſolchen, die nur durch die Uebertra - gung oder durch die Jdeenaſſociation es ſind.
  • 4) Die Unterſuchung uͤber die urſpruͤngliche Empfindniſſe wird fortgeſetzet. Jn welcher Ordnung die natuͤrliche Empfindſamkeit ſich offenbaret.

1.

Wir koͤnnen alles, was bey der Seele beobachtet wird, unter die beiden allgemeinen Klaſſen hin bringen. Es gehoͤret entweder zu den Vorſtellungen, das iſt, zu den Modifikationen, die ſich auf andere ſchon vorher - gegangne, wie hinterlaſſene Spuren von ihnen, be - ziehen, oder zu den uͤbrigen, die dergleichen Beziehun - gen auf andere nicht haben, ſondern ſich in uns als neue Abaͤnderungen unſers Zuſtandes eraͤugnen, wohin denn alle Arten des Thuns und Leidens der Seele gezogen wer - den muͤſſen. Dieſe Abtheilung iſt zwar nur aus demGroben221uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Groben gemacht, und ſehr unbeſtimmt, aber ſie hat vor - her in dem Erſten Verſuch uͤber die Vorſtellungen ſchon ihre guten Dienſte gethan, und es kann auch hier wie - derum Gebrauch von ihr gemacht werden. Alle beide Gattungen von Modifikationen koͤnnen Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls ſeyn, und als gegenwaͤrtige empfunden werden. Alsdenn ſind ſie Empfindungen. Beide Arten koͤn - nen auch ihr Afficirendes an ſich haben, und haben es, und ſind in ſo weit Empfindniſſe, oder koͤnnen es ſeyn. Will man aber, nach dem Beyſpiel anderer Pſycholo - gen, unter dem Wort Empfindungen nur ſolche in uns vorhandene Modifikationes befaſſen, die empfun - den werden, und nicht zu den Vorſtellungen gehoͤren, ſo iſt das was in uns gefuͤhlet wird, entweder eine Em - pfindung oder eine gefuͤhlte Vorſtellung. Alsdenn haben wir auch eine zwiefache Art von Empfindniſſen; nemlich ruͤhrende Empfindungen und ruͤhrende Vorſtellungen, und eine zwiefache Empfindſamkeit ſo wohl in Hinſicht jener, als in Hinſicht dieſer. Die letz - tere iſt es wohl, worauf die mehreſten bey dem Gebrauch des Worts Empfindſamkeit am meiſten Ruͤckſicht neh - men. Wenn jemanden ein empfindſames Herz zuge - ſchrieben wird, ſo iſt es mehr die Aufgelegtheit, von Vorſtellungen geruͤhret zu werden, als von Empfin - dungen, die man ihm beyleget. Das iſt nicht viel Em - pfindſamkeit, wenn ein Menſch aus den Eindruͤcken der groͤbern Sinne die darinn liegende Wolluſt herausſaugen; das Delicate einer Speiſe, das Angenehme der Wohl - geruͤche vorzuͤglich aufnehmen kann. Merklicher iſt ſie ſchon bey dem, der die Harmonie der Toͤne, und die Schoͤnheiten des Gefuͤhls, die von feinerer Art ſind, zu genießen weiß. Noch mehr werden wir den empfindſam nennen, welcher die innern Thaͤtigkeiten der Seele im Vorſtellen, im Denken, die Triebe und Regungen des Herzens, die Selbſtbeſtimmungen des Willens nichtgleich -222II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,gleichguͤltig empfindet. Alsdenn iſt aber Empfindſam - keit am auffallendſten, wenn das Afficirende in den Vor - ſtellungen, in dieſen feinern wiederzuruͤckkehrenden Modifikationen auf ſie wirken kann. Dieſe letztere Em - pfindſamkeit in Hinſicht auf Vorſtellungen hat an der ge - ſammten menſchlichen Empfindſamkeit den weſentlichſten und wichtigſten Antheil.

Man mag es mit den Worterklaͤrungen einrichten, wie man will. Aber fuͤr mich will ich in dieſem Abſatz bey den zuletzt beſtimmten Redensarten bleiben, und die ruͤhrende Empfindungen mit den ruͤhrenden Vorſtellun - gen vergleichen. Wie die letztern ruͤhrend werden, und woher ſie dieſe Kraft empfangen, das laͤſſet ſich alsdenn erſt erklaͤren, wenn es vorher gezeiget iſt, wie und mit welchen Empfindungen das Affieirende urſpruͤnglich ver - bunden iſt. Die Empfindniſſe aus Vorſtellungen ſind abgeleitete Saͤfte von den afficirenden Empfindungen her; es entſtehet alſo die Frage, in welchen Arten von Empfindungen das Afficirende urſpruͤnglich vorhanden ſey? Wo iſt die Seite der Seele, an der ſie den erſten Stoff ihres Wohls und Wehs aufnimmt, und von der ſolcher uͤber die ganze Seele verbreitet, vertheilet und ernaͤhret wird?

2.

Es giebt urſpruͤnglich angenehme und unan - genehme Zuſtaͤnde und Eindruͤcke auf uns. Dieſe erregen ein Gefallen oder Mißfallen fuͤr ſich allein, ohne daß es einer Dazwiſchenkunft anderer bedoͤrſe, die et - wann in der Empfindung oder in der Reproduktion mit ihnen verbunden ſind. Es giebt ruͤhrende Empfin - dungen von außen, die es fuͤr ſich ſind, wie z. B. die Ergoͤtzungen des Gehoͤrs, des Gefuͤhls, des Geſichts, des Geſchmacks und des Geruchs, und die ihnen entge - gengeſetzten Eindruͤcke. Die Wirkung, die ſie auf unshervor -223uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. hervorbringen, gehoͤret ihnen unmittelbar, und ihnen ſelbſt fuͤr ſich zu; worinn auch ihre wirkeude Kraft liegen moͤge: Denn wir koͤnnen bey ihnen wohl noch weiter fra - gen, worinn ihr Vergnuͤgendes oder Schmerzendes be - ſtehe, aber wir koͤnnen nicht fragen, aus welchen andern und fremden Modifikationen das Afficirende in ſie uͤber - getragen werde? Von allem oberwaͤhnten will ich dieß letztere nicht behaupten. Viele Empfindungen des Ge - ſichts, des Gehoͤrs und ſelbſt Geſchmacks - und Geruchs - arten moͤgen fuͤr ſich allein ganz gleichguͤltige Eindruͤcke ſeyn, und nur durch die Verbindungen mit fremden Jdeen und Empfindungen ruͤhrend werden, deren afficiren - de Kraft ſich uͤber jene hingezogen und mit ihnen ver - bunden hat. Hr. Search nennet dieß eine Uebertra - gung der Empfindungen, oder der Empfind - niſſe. Es iſt zuverlaͤſſig, daß viele unſerer aͤußern Em - pfindungen nur Empfindniſſe durch eine ſolche Uebertra - gung ſind.

Dennoch iſt es doch auch gewiß, daß es urſpruͤng - lich afficirende Empfindungen gebe, daß die Muſik, der Anblick glaͤnzender Sachen die aller Menſchen Her - zen, bis auf der dummſten Wilden ihrer in eine ange - nehme Wallung bringen, woferne nur nicht fremde Hin - derniſſe ihrer Wirkung entgegenſtehen daß, ſage ich, dieſe und andre aͤhnliche ihr Angenehmes fuͤr ſich ei - genthuͤmlich beſitzen. Dieß ſind die erſten Quellen, aus denen die Empfindniſſe hervordrengen.

Jn einem andern Sinn kann man allerdings ſagen, es komme auch bey dieſen urſpruͤnglichen Empfindniſſen doch noch auf etwas mehr an, als auf die pure Empfin - dung der Sache, und als auf den puren Eindruck. Au - ßer dem Objektiviſchen in den Dingen wird noch et - was Subjektiviſches erfodert, weil die Wirkung eine ge - wiſſe Beziehung des Eindrucks auf das empfindende We - ſen vorausſetzet. Zu dieſem Subjektiviſchen gehoͤretauch224II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,auch in vielen Faͤllen ein Vorrath von Vorſtellungen und Jdeen, der in der Seele vorhanden ſey muß, ehe die er - foderliche Empfaͤnglichkeit und Empfindſamkeit vorhan - den iſt. So ſehen wir an den zarten Kindern, daß ſie in Hinſicht vieler Eindruͤcke von außen unempfindlich und gefuͤhllos ſind, in Vergleichung mit dem Grade von Em - pfindlichkeit, den ſie nachhero erlangen. Sie hoͤren die eindringendeſte Muſik; man ſieht ſie davon geruͤhret, aber bey weitem nicht ſo, wie in dem folgenden Alter, wenn ihre Empfindſamkeit ſich mehr entwickelt hat.

Jn dem Fall, wovon hier die Rede, wird es vorausge - ſetzet, daß die erfoderliche Empfaͤnglichkeit in der Seele vorhanden ſey. Wenn alsdenn harmoniſche Toͤne gefal - len, ſo iſt es das Objektiviſche, in der Empfindung, ſo viel nemlich von der Einwirkung des Objekts abhaͤnget, was die Gemuͤthsbewegung hervorbringet, indem es auf die Empfindungskraft und den ſonſtigen Zuſtand der Seele auf eine angemeſſene Art zuwirket. Da iſt alſo keine fremde Sache, kein fremder Eindruck, etwann eine Empfindung des Geſchmacks, der mit jener Ge - hoͤrsempfindung verbunden ſeyn, und ihr eine afficiren - de Kraft mittheilen doͤrfe. Wenn einem Liebenden der Weg angenehm iſt, der zu der Wohnung ſeiner Gelieb - ten hinfuͤhret, ſo ſieht man bald, daß dieß Gefallen an ei - ner Art gleichguͤltiger Sachen anders woher entſtehet; aber man kommt doch, wenn man weiter fortgehet, end - lich auf Empfindungen, die fuͤr ſich ſelbſt allein gefallen, und Grundempfindniſſe, oder Grundruͤhrungen ſind.

Aber nun in dem ganzen Jnbegrif der menſchlichen Empfindungen und ich erinnere es hier von neuen, daß ich alle Arten von Modifikationen der Seele, die in uns gefuͤhlt werden, nur Vorſtellungen ausgenommen, darunter begreife welche Empfindniſſe ſind denn ur - ſpruͤngliche Grundempfindniſſe? dieß iſt die vielbedeu -tende225uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. tende Frage, bey der die verſchiedenen Meinungen der Philoſophen uͤber die Natur des menſchlichen Wohls, uͤber deſſen erſte Quelle, und uͤber die Wuͤrde und den Werth deſſelben von einander abgehen. Welche Arten von Empfindungen ſind es nemlich, die urſpruͤnglich an - genehm oder unangenehm ſind? und welche ſind es nur durch die Uebertragung, oder durch die Mittheilung ge - worden? Sind es die aͤußern ſinnlichen Empfindun - gen des Geſichts, des Gehoͤrs, des Geſchmacks, des Geruchs und des Gefuͤhls, welchen die Wolluſt oder der Schmerz fuͤr ſich allein urſpruͤnglich anklebet? Dieß iſt das bekannte Syſtem des Helvetius, das auch von andern angenommen iſt; das nur etwas verfeinerte Sy - ſtem von der blos thieriſchen Gluͤckſeligkeit des Menſchen. Die moraliſchen Empfindungen gutthaͤ - tiger Triebe, das Gefuͤhl der Menſchenliebe, das Mit - leiden, und die Ergoͤtzungen aus der Beſchaͤftigung des Verſtandes ſind wolluſtvolle Empfindungen, auch nach den Grundſaͤtzen des Epikurs. Aber woher haben ſie dieſe Beſchaffenheit? Jſt es ihr eigner Saft, der in ihnen abgeſondert und zubereitet wird, oder muß er ih - nen anders woher zugefuͤhret werden, und zwar von den aͤußern Empfindungen des Koͤrpers, deſſen Quelle alſo ſogleich verſieget, wenn die aͤußern Empfindungen ihn nicht mehr zufuͤhren? Lebet der Menſch nur von dem Genuß deſſen, was aus den aͤußern Empfindungen in ſeine Vorſtellungen uͤbergeleitet iſt, ſo wird das, was den Archimedes an ſeine Betrachtungen feſſelte, die inni - ge bis in das Mark der Seele dringende ſanfte Luſt, die mit dem ungehinderten Fortgang in der Erkenntniß, mit der Nachforſchung und der Entdeckung der Wahrheit verbunden iſt, die Wolluſt, die der Menſchenfreund fuͤhlet, der den Nothleidenden vom Elende befreyet hat, welche auch in der Wiedererinnerung das Herz naͤhret und groß machet; ſo werden alle dieſe intellektuellenI. Band. Pund226II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,und moraliſchen Empfindniſſe fuͤr ſich ſelbſt nichts an ſich haben, was ſie ſo reizend macht. Jn jedem Fall ſoll eine angenehme aͤußerliche koͤrperliche Empfindung, entweder in der Phantaſie oder in der Empfindung, mit den innern Gefuͤhlen vergeſellſchaftet ſeyn, oft ohne daß wir dieſe gewahrnehmen, und dadurch ſollen ſie das An - ziehende erhalten, das uns mit einer Art von Leidenſchaft gegen ſie erfuͤllet. Die koͤrperlichen Vergnuͤgungen ſind der Nervenſaft, der alle uͤbrige Empfindungen und Vor - ſtellungen belebet, ohne welche dieſe nichts als eine todte Maſſe ſeyn wuͤrde.

Die dieſer entgegengeſetzte Hypotheſe iſt edler. Die - ſer zufolge hat jedwede Art von Veraͤnderungen und Thaͤ - tigkeiten, die uns ein Gefuͤhl unſerer Realitaͤt gewaͤhren, eine eigene urſpruͤnglich ruͤhrende Kraft in ſich. Ein ungehindertes Denken ohne Gefuͤhl von Schwaͤche, ein maͤchtiges Wollen und Wirken iſt allein fuͤr ſich ein ur - ſpruͤnglich angenehmer Zuſtand, ohne Ruͤckſicht auf die begleitende Empfindungen oder Vorſtellungen, die ohne Zweifel ihre bewegende Kraft mit jener ihren vereinigen. Nach dem erſten Syſtem ſind es blos die thieriſche; nach dieſer letztern auch die geiſtigen Modifikationes, wel - che zu der ganzen Maſſe des Wohls und der Gluͤckſe - ligkeit in der Seele ihren Antheil beytragen.

3.

Ohne mich in das weitlaͤuftige Beſondere der Be - obachtungen hieruͤber einzulaſſen, will ich nur einige all - gemeine Anmerkungen hinzufuͤgen, die meine jetzige Ab - ſicht zulaͤſſet und zum Theil erfodert.

Die erſt erwaͤhnte Meinung iſt einer andern theoreti - ſchen Hypotheſe einiger Philoſophen von dem Urſprung aller Vorſtellungen aus den aͤußern Sinnen aͤhnlich, und beruhet auch eben ſo, wie dieſe letztere, auf einſeitigen Beobachtungen und auf unbeſtimmten Begriffen. Manſehe227uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſehe den Menſchen nur von allen Seiten an, wo man zu ihm kommen kann, ſo wird es, des blendenden Schmucks ohnerachtet, in dem Helvetius ſeine Jdeen aufgeſtellet hat, doch bald ſichtbar werden, daß der An - ſchein von Simplicitaͤt in dieſer Lehre am Ende in den Mangel eines vollſtaͤndigern Begrifs von dem Menſchen, ſeinen Grund habe; ein Mangel, der ſich uͤberall findet, wo man dieſen vielbefaſſenden Gegenſtand nicht aus mehr als Einem Geſichtspunkt zu beobachten ſuchet.

Jch will weder die Searchiſche Uebertragung des Vergnuͤgens laͤugenen, noch der Hartleyiſchen, von verſchiedenen andern auch deutſchen Philoſophen aufge - nommenen Aſſociation ihre Wirkungen abſprechen, die man ihnen nach den Beobachtungen zuſchreiben muß; aber beide ſind zu ſchwache Erklaͤrungsmittel, wenn ſie angewendet werden ſollen, die Ableitung alles Vergnuͤ - gens und Verdruſſes aus den aͤußern Empfindungen, als aus ihrer erſten und einzigen Quelle zu beſtaͤtigen. Es gehet ohne Zweifel ein ſolches Spiel in dem menſch - lichen Herzen vor, als dieſe Beobachter wahrgenommen haben. Der Menſch ſuchet anfangs das Geld, wenn er den Nutzen davon gelernet hat, um dieſes Nutzens, das iſt, um der ſinnlichen Vergnuͤgungen willen, um ſo manche Beduͤrfniſſe befriedigen, ſo manche Leidenſchaf - ten ſtillen zu koͤnnen, wozu es ein maͤchtiges Mittel iſt. Aber der Mann, den die Erwerbung dieſes Mittel Muͤ - he machet, verlieret ſich in dem Mittel, vergißt die Ab - ſicht, und machet ſich den Beſitz des Mittels und ſogar ſeine Bemuͤhung, um zu dem Mittel zu gelangen, zu ei - ner Quelle von Vergnuͤgen. Die Einbildungskraft traͤ - get die Luſt, welche ſonſten nur mit dem erreichten End - zweck unmittelbar verbunden iſt, auf die Vorſtellungen von dem Mittel und von dem Erwerb deſſelben hinuͤber, und weiß ſie dem letztern ſo feſt einzuverleiben, als wenn ſie urſpruͤnglich ihnen zugehoͤrte, oder mit ihnen von NaturP 2verbun -228II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,verbunden waͤre. So etwas aͤhnliches finden wir faſt in allen Begierden und Leidenſchaften. Aber ich glaube nicht, daß eine ſolche Uebertragung die ganze Wirkung, die in dem Herzen des Geizigen vorgehet, voͤllig erklaͤre, wie ſich hernach zeigen wird.

Es iſt hiebey auch nicht zu uͤberſehen, daß die Ab - leitung des Vergnuͤgens von einer Sache zu einer an - dern, auf eine ganz andere Art geſchehe, wenn die bloße Uebertragung des Hrn. Searchs ſtatt finden ſoll, als ſie nach der Jdeenaſſociation des Hrn. Hartley vor ſich gehet. Hr. Search ſtellet ſich die Sache ſo vor. Mit der Jdee einer Abſicht iſt ein Vergnuͤgen verbunden, darum weil es mit der Empfindung oder mit dem Genuß des Guten verbunden iſt, das man ſich zur Abſicht oder zum Zweck gemacht hat. Dieß Ver - gnuͤgen nun, welches der Vorſtellung von der Abſicht einverleibet iſt, ſoll ſich mit der Jdee von dem Reich - thum, als von dem Beſitz des Mittels unmittelbar ver - binden, und dann mit dieſer letztern in ſolchen unmittel - baren Verbindungen erhalten werden, ohne daß die Vor - ſtellung von der Abſicht, die anfangs die Mittelidee war, welche ſie vereinigte, nun ferner zwiſchen ihnen liegen, und weiter dazu beywirken doͤrfe. Nach dem Aſſocia - tionsſyſtem hingegen, ſoll die Jdee von der Abſicht immer dazwiſchen liegen und wirken. Sie iſt es, wel - che das Angenehme mit ſich zunaͤchſt vereiniget hat, und ſie behaͤlt es auch bey ſich. Aber da ſie mit einer an - dern Jdee, nemlich mit der von dem Mittel ſelbſt ver - bunden iſt, ſo verknuͤpſet ſie mit dieſer letztern das Ver - gnuͤgen als eine Mittelidee. Wenn nun gleich die oͤfters erneuerte und lebhaſtere Vorſtellung von dem Mittel die Vorſtellung von der Abſicht unterdruͤcket, und kaum mehr als gegenwaͤrtig ſie bemerken laͤßt, ſo iſt die letztere den - noch in dem innern Grunde der Seele gegenwaͤrtig, und wirket. Die Aſſociation des Vergnuͤgens an der Vor -ſtellung229uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſtellung von dem Gelde iſt alſo immer abhaͤngig von der ſie verbindenden Vorſtellung der Abſicht, und dieſe Ver - bindung mußte aufhoͤren, wenn die letztere gaͤnzlich aus der Seele ſich verlieren wuͤrde. Daher ſind es auch die - ſelbigen Vorſtellungen von dem, was man mit dem Gel - de machen kann, will und wird, und die naͤmlichen Hof - nungen auf das Vergnuͤgen, das man ſich von dem Gebrauch deſſelben verſpricht, die noch immer fort die Begierden des Geizhalſes reizen, und noch immer die Quelle ſeiner Luſt ſind, womit er ſich, es zu erwerben, be - muͤhet, ſo wie ſie es das erſtemal geweſen ſind. Und wenn nun gleich dieſe Luſt mit der Jdee von dem bloßen Beſitz, und mit dem bloßen Anblick des Metalls unmit - telbar ſcheint verknuͤpfet zu ſeyn, ſo kommt dieß nur da - her, weil der Gedanke, das Geld zu gebrauchen, unter - druͤcket wird. Hierinn iſt viel richtiges. Daß eine Jdee eine ganze Reihe anderer klaren Jdeen in der Phan - taſie herguffuͤhren, und vorige Empfindungen mit Leb - haftigkeit wieder erneuren koͤnne, ohne ſelbſt deutlich ge - nug wahrgenommen zu werden, iſt etwas, worauf ſo viele pſychologiſche Erfahrungen hinfuͤhren, daß es nicht bezweifelt werden kann. Aber muß deßwegen in allen Faͤllen die ruͤhrende Jdee gegenwaͤrtig ſeyn, wo ſie das erſtemal es hat ſeyn muͤſſen? Wenn man auf die Art und Weiſe zuruͤck ſiehet, wie neue Verknuͤpfungen der Jdeen in uns entſtehen, ſo erkennet man deutlich, es ſey nicht unmoͤglich, daß eine eigentliche Uebertragung des Vergnuͤgens, oder eine unmittelbare Verbindung deſſelben, mit Vorſtellungen, mit denen es ſonſten nur mittelbar verbunden geweſen iſt, in vielen Faͤllen ſtatt finde, wie Search es angenommen hat. *)Was Hr. Search eine Uebertragung nennet, hat, ehe ſein Buch bekannt geworden iſt, Hr. Garve, mit ſei - nem gewoͤhnlichen Scharfſinn und mit philoſophiſcherDeut -

P 3Es230II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,

Es ſey aber gleichviel, wie die Ableitung des Ver - gnuͤgens geſchehe, ſo kommt es darauf an, ob ſolche die obgedachten Phaͤnomene vollſtaͤndig zu erklaͤren hinreiche? Ob nicht in ſo vielen Faͤllen dieſer Art eine neue Quelle von Vergnuͤgen hinzu komme, die ſelbſt in der Arbeit, in dem Beſtreben und in der Thaͤtigkeit lieget, womit man die Abſicht zu erreichen ſuchet? Jch will die Ab - leitung des Vergnuͤgens wirken laſſen, was ſie kann, und ihre Macht nicht verkennen, wo die Erfahrung ſiezeiget.*)Deutlichkeit in der vortreflichen Schrift: uͤber die Neigungen, erklaͤret, und auch ſchon derſelben Be - nennung ſich bedienet. Warum die Reihe der Vorſtel - lungen, von der vom Beſitz des Geldes an, bis zu der Jdee von deſſen Genuß, in der Phantaſie des Geizigen ſo zu ſagen abgeſchnitten, und die Seele bey der Vor - ſtellung von dem Gelde, als der letzten ſtehen bleibet, und Vergnuͤgen, Bedoͤrfniß und Begierde daran hef - tet, davon iſt auch ein naturlicher Grund in dem Ge - ſetz der Reproduktion, daß, wenn viele Jdeenreihen Eine Vorſtellung, als einen gemeinſchaftlichen Punkt haben, auf welchen die Seele bey der Reproduktion kommen muß, wenn ſie zu jenen dahinter liegenden Reihen hin will, ſie gemeiniglich bey jenem Punkt, als bey einem Endpunkt ſtehen bleibet. Denn eben weil viele verſchiedene Reihen faſt gleich ſtark an dieſer gemeinſchaftlichen Vorſtellung anliegen, ſo kann ſie ſol - che nicht alle zugleich erwecken, und wird daher aufge - halten, und ſteht ſtill. Es muß eine oder die andere von den nachfolgenden aſſociirten Reihen vorzuͤglich leb - haft ſeyn, wenn die Einbildungskraft ihr weiter nach - gehen ſoll. So ein gemeinſchaftlicher Punkt mehrerer Reihen, iſt die Vorſtellung von dem Gelde in dem Kopf des Geizigen. Jch beziehe mich auf dieſelbige Garvi - ſche Schrift in Hinſicht der Frage, die hier gleich nach - folget. Es wuͤrde uͤberfluͤßig ſeyn, auch die uͤbrigen mit jener zugleich herausgekommenen Abhandlungen, bey dieſer ganzen Betrachtung als nuͤtzlich und vortref - lich zu empfehlen.231uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. zeiget. Die Phantaſie iſt eine große Zauberinn; ſie verwandelt duͤrre Sandwuͤſten in Paradieſe, und elende Huͤtten in Pallaͤſte; aber mit großer Einſchraͤnkung. Vermag ſie deswegen alles? ſollte nicht ſtarkes Gefuͤhl und Beobachtungsgeiſt, in vielen Faͤllen wenigſtens, es zu unterſcheiden wiſſen, ob die Farbe einer gewiſſen Em - pfindung nur ein Wiederſchein von einer andern Em - pfindung ſey, den die Phantaſie auf jene zuruͤck wirft; oder ob ſie der Empfindung eigenthuͤmlich zugehoͤre?

Da will ich einen jeden Beobachter ſelbſt durch ſein Gefuͤhl entſcheiden laſſen. Nur betrachte man vorher die beiden Arten von Affektionen, jede beſonders, die urſpruͤnglichen und die abgeleiteten, nebſt den Man - nigfaltigkeiten des Geſchmacks, und deſſen Abwechſelun - gen; und was das Weſentliche iſt, ſo nehme man Ruͤck - ſicht auf das, was von der afficirenden Kraft durch an - dere Beobachtungen außer Zweifel geſetzet worden iſt. Die Phantaſie und Dichtkraft moͤgen uns auch in unſern aͤußern ſimpeln Empfindungen mitſpielen. Allein ſo wenig ſie das Unterſcheidungszeichen wahrer Empfin - dungen uns ganz entreißen koͤnnen, wenn ſie gleich in un - zaͤhligen Faͤllen es zweifelhaft machen, ob Empfindung oder nur Vorbildung da iſt, ſo wenig werden ſie uns auch das Kennzeichen wegnehmen, an dem wir es wiſ - ſen koͤnnen, ob das Ruͤhrende einer Empfindung ſelbſt fuͤr ſich zukomme, oder ob es aus einer andern Em - pfindung in ſie hineingetragen worden ſey, oder jetzo hin - eingetragen werde?

Es iſt wahr, ein lebhafteres und ſtaͤrkeres Vergnuͤ - gen unterdruͤckt einen mattern und ſchwaͤchern Verdruß; und dieſer kann jenes wuͤrzen und ſchaͤrfen. Alsdenn wird der Verdruß gemeiniglich fuͤr ſich ſelbſt als Verdruß bemerket; aber auch oͤfters unterdruͤckt ihn die entgegen - geſetzte Bewegung gaͤnzlich, und macht ihn unbemerk - bar. Am leichteſten nehmen die an ſich gleichguͤltigenP 4Eindruͤcke232II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Eindruͤcke die Farbe von den afficirenden an, die mit ihnen verbunden ſind. Jndeſſen ſiehet man, wenn gleich ein wirklich vorhandener Schmerz uͤber eine gute Geſell - ſchaft vergeſſen wird, ſo iſt doch nichts mehr noͤthig, als daß unſer Gefuͤhl durch irgend eine Veranlaſſung auf den Schmerz wieder hingelenket werde, um ihn von neuen zu fuͤhlen. Der beſchwerliche Weg zu der Spitze von dem Aetna behaͤlt doch immer ſein Beſchwerliches und ſein Mißfallendes, obgleich der Reiſende um der reizenden Ausſicht willen, die er oben antrift, jenes we - nig achtet. Jn ſolchen Beyſpielen, wo die Nebenem - pfindung, ſie ſey gleichguͤltig, oder afficirend, und der herrſchenden Empfindung entgegen, fuͤr ſich allein beſon - ders beobachtet werden kann, da hat ſie ihre Gleichguͤl - tigkeit oder ihre eigene ruͤhrende Gegenkraft durch die Ueberwucht der herrſchenden Empfindung niemals ver - loren. Es waͤre denn, was in einigen Faͤllen geſchehen kann, daß zugleich der erſtern ihr eigenes inneres Ver - haͤltniß auf die Empfindungskraft veraͤndert und ſie alſo ſelbſt nun zu einer fuͤr ſich afficirenden und der herrſchen - den aͤhnlichen Empfindung gemacht worden ſey. Wenn man erwaͤget, auf wie viele und mannigfaltige Arten eine ſolche Umaͤnderung moͤglich ſey, ſo wird man eben ſo geneigt werden, in Faͤllen, wo das Gleichguͤltige und Unangenehme angenehm geworden zu ſeyn ſcheinet, ſo - wohl eine wirkliche innerliche Umaͤnderung des Empfind - niſſes anzunehmen, als ſolches aus einer Uebertragung des Vergnuͤgens von einer andern Empfindung her zu erklaͤren. Es iſt zu vermuthen, daß jene Urſache eben ſo haͤufig als die letztere, bey den Veraͤnderungen des Geſchmacks an einerley Dingen mit im Spiel ſey.

Eine unzaͤhlige Menge von Gegenſtaͤnden hat eine leicht veraͤnderliche Beziehung auf unſre Empfindungs - vermoͤgen. Die wirklichen Empfindungen von ihnen koͤnnen bald gleichguͤltig, bald angenehm, bald unange -nehm233uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. nehm ſeyn, oder eins nach dem andern werden, obgleich die Objekte und die Eindruͤcke von ihnen, von einer Sei - te als Empfindungsbilder betrachtet, dieſelbigen blei - ben. Es haͤngt oͤfters nur davon ab, daß ſie um einen Grad lebhafter und ſtaͤrker, oder auch matter und ſchwaͤ - cher werden; oft davon, daß ſie mehr von der Einen, als von der andern Seite des Objekts uns auffallen; oft davon, daß unſere Empfindungskraft bald mehr, bald weniger frey und allein wirket, bald mit friſcher Kraft, bald mehr ermattet, bald ſtaͤrker bald ſchwaͤcher geſpan - net iſt, wenn ſie den Eindruck aufnimmt, und ſich mit ihm beſchaͤftigt. Wie oft iſt das, was nur obenhin angeſehen, nichts verſpricht, das Herz kalt und den Willen ruhig laͤſſet, genauer beſchauet und befuͤhlt, vel - ler Reize, voller Unterhaltung, Vergnuͤgen, Jntereſſe. Wie manche Sache hat ihre gute und boͤſe Seite zu - gleich; ihre vergnuͤgende und ihre verdrießliche. Die Dinge gefallen oder mißfallen, je nachdem ſie mit ihren Eindruͤcken den rechten Zeitpunkt in uns treffen. Die Neuheit iſt allemal eine Urſache vom Angenehmen, und benimmt auch den widrigen Empfindungen etwas von ihrem Beſchwerlichen. Die angenehmſten Empfin - dungen werden uns gleichguͤltig, und bringen am Ende, wenn das Organ durch ein anhaltendes Einerley ermuͤ - det iſt, Ueberdruß und Ekel hervor. Dieſes alles aͤn - dert das Verhaͤltniß der Eindruͤcke gegen die Empfin - dungskraft, und aͤndert alſo auch das Empfindnißbare in ihnen. Die Liebe zum Gewohnten, welche mit dem Hang zur Abwechſelung ſich wohl vertraͤget, machte je - nem Gefangenen ſeinen finſtern Kerker angenehmer, als die ihn angebotene freye und lichte Wohnung. Einige Veraͤnderung verlanget die Kraft, die durch das Einer - ley ſtumpf geworden iſt; aber eine zu große Veraͤnderung ſcheuet ſie, das iſt, eine ſolche, die ihr Gewalt thut und Schmerzen verurſachet; welches um deſto eher moͤglichP 5iſt,234II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,iſt, je mehr ſie durch eine zu lange Gewohnheit auf eine gewiſſe Art zu handeln, etwas ſteif und ungeſchmeidig zu neuen Abaͤnderungen in derſelben geworden iſt.

Jch wiederhole es; ich laͤugne die Wirkungen der Aſſociation und des Uebertragens nicht. Es werden manche Empfindungen allein ruͤhrend durch die Affektion, die von den vergeſellſchafteten fremden Empfindungen ih - nen zugefuͤhret wird. Das vergnuͤgte Herz freuet ſich uͤber jedes, was ſonſt gleichguͤltig iſt. Die innere Hei - terkeit der Tugend und Weisheit verbreitet ſich uͤber alles, was um den Menſchen iſt. Wir finden Sachen angenehm, und ſie bleiben es auch auf eine Weile nachher allein darum, weil mit ihrer erſten Empfindung aus der Fuͤlle des Herzens her eine Freudigkeit ſich vergeſellſchaf - tete, die ihnen noch nachher in der Reproduktion ankle - bet. So eine afficirende Kraft war nur uͤbergetragen. Das Vaterland, der Ort, wo wir erzogen ſind, die Stelle, wo wir uns oͤfters gut befunden haben, behal - ten dieſen Schimmer noch lange in der Zukunft. Dem Saͤufer wird auf einige Zeit ſein Lieblingsgetraͤnk ver - leidet, wenn ihm ein Vomitiv durch ſelbiges beygebracht iſt.

Aber mich deucht, wo das Vergnuͤgen oder der Verdruß in einer Empfindung nur anders woher mit ihr verbunden und in ſie uͤbergetragen iſt, und alſo in ihr ſelbſt keinen innern Grund hat, da zeige ſich ſolches deutlich und am meiſten an der Staͤrke und Dauerhaf - tigkeit, in der es mit ihr vereiniget bleibet. Die Ruͤh - rung, welche die Einbildungskraft mittelbar oder unmit - telbar der Empfindung zuſetzet, iſt doch nur eine repro - ducirte Affektion, nur eine Vorſtellung, die nicht in dem Grade ruͤhrend iſt, als wenn ſie aus der gegenwaͤrtigen Empfindung ſelbſt entſpringet. Ein Saͤufer findet das ihm verleidete Getraͤnk nach einiger Zeit doch wieder ſchmackhaft. Die Vorſtellung vom Vaterlande, die Jdee von dem Ort, dem Hauſe, dem Felde, wo dieſorgen -235uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſorgenloſe frohe Jugendzeit durchgelebet iſt, machet frey - lich noch einen Eindruck auf das Gemuͤth, der ſeine Ur - ſache in den ehemaligen Empfindungen hat, deren Erin - nerung ſich mit der gegenwaͤrtigen Empfindung verbin - det; aber wenn die letztere ſo ſtark ruͤhret, ſollte nicht wohl ihre groͤßte Kraft auf das Herz in ihr ſelbſt liegen, und daher kommen, weil man empfindet oder ſich vor - ſtellet, daß der Aufenthalt daſelbſt noch jetzo eine Quelle von Vergnuͤgen ſey? Wenn der Name des Vaterlan - des den Griechen und Roͤmer in Enthuſiasmus ſetzte, ſo war es daher, weil er ſonſten nirgends, als da, die Be - friedigung ſeiner thaͤtigen Triebe, wenigſtens nicht in der Maße zu der Zeit noch, da ihn dieſe Jdee ruͤhrte, antraf. Es war ihm alſo ſein Vaterland nicht nur vorhero angenehm geweſen, ſondern es war ihm noch jetzo ein Gut, ein Gluͤck, eine Urſache von Zufriedenheit und Vergnuͤgen. Wo dieſer letztere Umſtand fehlet, da be - haͤlt das Andenken des Vaterlandes noch wohl einen ſchwachen Schein von ſeiner vorigen Farbe; aber das Leben der Jdee iſt dahin, und ſie entzuͤckt nicht mehr. Es wird patria ubicunque bene eſt.

Jch habe geſaget, es ſey ein andres, wenn die Em - pfindung fuͤr ſich ſelbſt ein Empfindniß iſt, oder wenn ſie es nachhero fuͤr ſich ſelbſt wird, und ein andres, wenn ſie es nur durch eine fremde begleitende Jdee iſt. Dieß zeiget ſich auch ſehr deutlich in ſolchen Faͤllen, wo gewiſ - ſe Dinge, die uns im Anfang nur angenehm oder unan - genehm aus der letztern Urſache geweſen ſind, uns nach - hero ihrer ſelbſt willen lieb oder verhaßt werden. Wenn die Phantaſie zuerſt gewiſſe Sachen uns anpreiſet, und ihnen einen fremden Schein giebt, ſo veranlaſſet ſie, daß die Empfindungskraft auf dieſe Gegenſtaͤnde ſich mehr und inniger einlaͤſſet, und daß ſie mit der Begierde ſtaͤr - ker auf einen gewiſſen angemeſſenen Ton geſpannt und auf die Seite des Gegenſtandes hin gerichtet wird, die ſichfuͤr236II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,fuͤr ſie ſchicket. Dieß bringet ein Verhaͤltniß der Kraft gegen den Eindruck hervor, das vorhero nicht vorhan - den war, und es entſtehet ein Vergnuͤgen an ſolchen Em - pfindungen, oder in dem entgegengeſetzten Fall ein Miß - vergnuͤgen, das anfangs in dem Vorurtheil, der Aſſo - ciation und der Uebertragung, jetzo aber auch ſelbſt in der Empfindung gegruͤndet iſt. Die uͤbertragene Luſt oder Unluſt hatte die Kraͤfte der Seele vorbereitet, um die Empfindung genießen zu koͤnnen, und es traͤgt ſich oft zu, daß dieſe Empfaͤnglichkeit des Gemuͤthes, die auf ſolche Art durch ein vergeſellſchaftetes fremdes Empfind - niß entſtanden iſt, ſich auf einmal feſtſetze und in eine fortdaurende Fertigkeit auf eine aͤhnliche Art von einer aͤhnlichen Sache geruͤhret zu werden, uͤbergehe. Die Aufmerkſamkeit des faͤhigen Knabens auf ſein A. B. C. kann zuerſt durch den Kuchen gereizet worden ſeyn, den der Lehrer als eine Belohnung auf das Erlernen geſetzet hat. Aber die einmal ſo gereizte, geſtimmte und auf das Faſſen der Buchſtaben gerichtete Vorſtellungskraft findet nicht nur dieſe ſeine Beſchaͤftigung ſelbſt ſeinen Kraͤften angemeſſen, ſondern behaͤlt auch fuͤr die Zukunft die eingedruckte Fertigkeit, ſich mit gleicher Jntenſion mit dieſer Arbeit zu befaſſen. Alsdenn beſtehet dieſer Geſchmack auch in der Folge, und kann durch jeden neu - en gluͤcklichen Fortgang vergroͤßert werden. Jn allen ſolchen Faͤllen iſt es indeſſen eben ſo leicht zu unterſchei - den, ob wir etwas um ſein ſelbſt willen lieben, oder nur um etwas andern willen, als es leicht iſt, zu unterſchei - den, ob wir etwas aus eigener Einſicht glauben, oder um eines fremden Zeugniſſes willen, das uns anfangs auf die Sache aufmerkſam gemacht, und um deswillen wir ſie ſchon vorhero fuͤr richtig und wahr gehalten hatten.

Es giebt noch mehrere Kennzeichen, die eine von andern uͤbertragene Ruͤhrung von der eigenthuͤmlichenund237uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. und urſpruͤnglichen unterſcheiden laſſen. Wenn eine Jdee in der Einbildungskraft mit einer großen Menge anderer unmittelbar verbunden wird, ſo wird zugleich auch das Band, das ſie an jede einzelne dieſer verknuͤpf - ten Jdeen befeſtiget, deſto ſchwaͤcher und unbeſtimmter. Wir ſtoßen jeden Augenblick auf Eine von unſern ge - woͤhnlichen Jdeen, weil wir allenthalben von andern auf ſie hingefuͤhret werden. Allein eben dieſe Jdeen machen auch mit keiner, oder doch nur mit einigen wenigen, ein ſo eng verbundenes Ganze aus, als andere aſſociirte Vorſtellungen, die nur allein unter ſich, und ſonſten nur wenig mit andern verknuͤpfet ſind. Je mehrere Jdeen um eine andere unmittelbar herumliegen, deſto mehrere Beruͤhrungspunkte hat ſie an dieſen; aber deſto kleiner ſind auch die einzelnen Beruͤhrungspunkte, wo ſie mit jeder einzeln beſonders zuſammenhaͤnget. Wenn alſo ein Vergnuͤgen oder Verdruß von einer Empfindung auf mehrere gleichguͤltige Empfindungen uͤbergetragen wird, ſo kann es mit dieſen einzeln genommen nur in einem ſchwachen Grade vereiniget ſeyn, und alſo oͤfters von der einen oder andern getrennet werden. Und daher kann auch ſo eine Empfindung die mit ihr anderswoher verbundene Gemuͤthsbewegung niemals ſo voll und leb - haft wieder erneuern, als wenn ſie ſelbſt aus ſich ſolche hervorbringet. Wenn dagegen die Empfindung die af - ficirende Kraft auf ſich ſelbſt in ſich hat, ſo hat ſie auch ihre Wirkung unzertrennlich bey ſich, ſo lange nicht et - wann Gewohnheit und Ueberdruß ihre Natur als Em - pfindniß veraͤndern. Hierinn lieget fuͤr uns ein ſtarkes Unterſcheidungsmerkmal der Empfindniſſe, die fuͤr ſich ſind, was ſie ſind, und der Empfindungen, die nur durch eine anderswoher verpflanzte Luſt oder Unluſt zu Empfindniſſen gemacht worden ſind.

4. Dieſe238II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,

4.

Dieſe Anmerkungen ſind Grundſaͤtze in der Optik des Gemuͤths. Wenden wir uns mit ihnen verſehen nunmehr zu den Erſcheinungen, in der Abſicht, die Em - pfindungen, die ihrer Natur nach und urſpruͤnglich Empfindniſſe ſind, auszumerken; ſo zeiget ſich bald, daß die koͤrperlichen aͤußern Empfindungen der Zeitordnung nach bey dem Menſchen die Erſten unter ihnen ſind. Gefuͤhl, Geſchmack ſind bey dem Kinde die Sinne, deren Empfindungen zuerſt angenehm oder wi - drig ſind. Es beweiſet ſich dieſes in ihren Beſtrebun - gen, von einigen Dingen ſich zu entfernen, und zu andern ſich hinzu zu naͤhern. Der Geruch iſt ein Sinn, der ſchon weniger beſtimmt iſt, und vielleicht, ehe er durch Uebung verfeinert wird, der gleichguͤltigſte. Dieſe Em - pfindungen ſind auch die groͤbſten, dunkelſten und ſtaͤrk - ſten. Auf die Eindruͤcke, die das Gehoͤr und das Ge - ſicht empfangen, wird das Kind ſchon mehr durch die Amme von außen her aufmerkſam gemacht, indem ſie ihm allerley glaͤnzende Gegenſtaͤnde vorhaͤlt, und durch einen lebhaften Ausdruck ihres eigenen Vergnuͤgens oder Verdrußes, zu einer aͤhnlichen ſympathetiſchen Empfind - niß es zu reizen ſuchet. Eben ſo machet man es mit ge - wiſſen Schallarten der Klapperbuͤchſe und Schellen. Und dann ſieht man erſt nachher, daß das Kind eine Auswahl anſtellet, und dadurch zu erkennen giebt, daß ihm eine Art von Bildern und von Toͤnen angenehmer geworden ſey, als eine andere.

Das innere Selbſtgefuͤhl, das Gefuͤhl eige - ner Thaͤtigkeiten, der Phantaſie, der Denkkraft, des Herzens u. ſ. f. entwickelt ſich zwar zwiſchendurch mit den aͤußern Sinnen, aber es iſt doch immer, ſo zu ſagen, um einen Schritt zuruͤck. Da es ſchon bey den feinern Empfindungen der aͤußern Sinne erfodert wird,durch239uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. durch gewiſſe Huͤlſsmittel das Gefuͤhl auf ſie hinzulenken, und auf ſie aufmerkſam zu machen, wenn ſie ſo gefaſſet werden ſollen, daß ſie die Empfindſamkeit reizen, ſo iſt eine aͤhnliche Richtung und Erregung bey den uͤbrigen Empfindungen noch um einen Grad mehr nothwendig. Man muß es dem Kinde noch oͤfterer ſagen, und voll - ausgedruckt ſagen, mit Mienen, Geberden und Hand - lungen es ſagen, daß es ein Vergnuͤgen ſey, etwas zu lernen, eine Wolluſt, andere Menſchen vergnuͤgt zu machen, und dergleichen, um ſeine Anlage zu den intel - lektuellen und moraliſchen Empfindniſſen anzufachen, und dieß muß ihm mehr und oͤfterer vorgeſaget werden, als es noͤthig iſt, ihm auf dem Clavier vorzuſpielen, und zu bezeugen, daß es ergoͤtze, um ihm einen Geſchmack an Muſik beyzubringen. Aber in der Folge bemerket man, in der Maße, wie die innere Thaͤtigkeitskraft der ju - gendlichen Seele zunimmt, eben eine ſolche Unterſchei - dung zwiſchen den innern Empfindniſſen, einen Hang zu gewiſſen Spielarten und Ergoͤtzungen mehr als zu andern, eine Liebe zu gewiſſen kleinen Geſchaͤften, Abſich - ten, zu der Ausfuͤhrung der kindiſchen Einfaͤlle, und zu gewiſſen gefliſſentlichen Thaͤtigkeiten und Arbeiten der vorſtellenden und denkenden Kraft, und eine aͤhnliche leb - hafte Auskieſung der einen Art vor der andern, wie ſich ſolches bey den aͤußern Empfindungen verrathen hat. Man lernet die innern Seelenbeſchaͤftigungen und Selbſt - gefuͤhle kennen, unterſcheiden und ſchmecken, wie die Speiſen, Toͤne und Gemaͤhlde. Jene innere Empfind - ſamkeit wird bey einigen Menſchen, die in einer oder der andern Hinſicht Genies ſind, ſtaͤrker, als es die aͤußere iſt. Laß alſo, wie es iſt, die aͤußern ſinnlichen Em - pfindungen die Quellen der Ruͤhrungen ſeyn, die ſich zu - erſt eroͤffnen und ergießen; laß dieſer ihre Luſt oder Un - luſt den Anfang machen, die natuͤrliche Empfindſamkeit zu erwecken, und ſie zu der Aufnahme anderer Empfind -niſſe240II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,niſſe aus dem innern Sinn vorbreiten; oder auch denn es kommen ohne Zweifel beide Urſachen zuſam - men laß die Aſſociation ſinnlicher koͤrperlicher Em - pfindniſſe mit den innern Empfindungen in der Einbil - dungskraft es anfangs ſeyn, was der jungen Seele die innern Geiſtesthaͤtigkeiten angenehm oder unangenehm machet; wie der Kuchen iſt, den der Lehrer dem Kinde giebt, um ihm an der Schule, der Fibel und dem Ler - nen ein Vergnuͤgen finden zu laſſen, ſo wird doch, ſo bald die Seelenvermoͤgen zu innern Geiſtesbeſchaͤftigungen mehr geſtaͤrket worden ſind, diejenige Beziehung zwi - ſchen der Handlung und der Kraft entſtehen, die jene ſelbſt fuͤr ſich zu einer Zufriedenheit und Vergnuͤgen ge - waͤhrenden Unterhaltung machet. Die innern Empfind - niſſe koͤnnen alſo fuͤr ſich urſpruͤngliche Empfindniſſe, eigene Quellen von Luſt und Unluſt ſeyn und es wer - den, ſobald die Empfindſamkeit nur in den Stand ge - ſetzt iſt, aus ihnen ſchoͤpfen zu koͤnnen.

Jch will das mindeſte ſagen. Es kann ſich doch ſo verhalten, als es hier angegeben worden iſt. Man vergleiche dieſe Hypotheſe uͤber den Urſprung und uͤber die Verbreitung der menſchlichen Empfindniſſe mit der ent - gegengeſetzten, die alles Vergnuͤgen des Menſchen fuͤr ein ſinnliches koͤrperliches Vergnuͤgen erklaͤret, das nur in dem Sinn ein geiſtiges und moraliſches genennet werden kann, weil es ſich in die hoͤhern moraliſchen Ver - moͤgen und Thaͤtigkeiten der Seele eingeſogen, und an ihnen angeleget hat. Dann gehe man zu der anſchauli - chen Betrachtung des Menſchen, ſo wie dieſer in ſeinen entwickelten Neigungen ſich darſtellet. Zum mindeſten meine ich muͤſſe der erſtern Erklaͤrungsart der Vorzug zu - geſtanden werden, daß ſie natuͤrlicher ſey, als die letz - tere. Die Luſt der Menſchen an ihren mannigfaltigen Beſchaͤftigungen, an ihren eigenen Gedanken und Hand - lungsarten, eines Philoſophen an ſeinen Betrachtungen,des241uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. des Dichters an ſeinen Erdichtungen; des Kuͤnſtlers, des Landmanns und des Handwerkers an ihren Hand - arbeiten; wie mannichfaltig und wie verſchieden ſind nicht dieſe Vergnuͤgungen! Alle dieſe Arten von Luſt und Unluſt ſollten nichts ſeyn, als die Luſt oder Unluſt, die mit den Eindruͤcken auf das Gefuͤhl und auf den Ge - ſchmack verbunden, und von dieſen auf jene hinuͤberge - tragen, oder durch eine Jdeenverbindung mit jenen verbunden ſind. Dieſe letztere Hypotheſe hat uͤberdieß noch eine andre Folge, die ſolche nicht empfiehlet. Nach ihr muß die ganze Maſſe des menſchlichen Wohls ohne Zuwachs immer dieſelbige bleiben, ſo lange die Summe ſeiner ſinnlichen Ergoͤtzungen und ihre Spuren in der Phantaſie dieſelbige Groͤße behalten. Jene wird nicht groͤßer durch die Entwickelung der Seelenvermoͤgen, ſon - dern nur mehr ausgebreitet und an mehreren Stellen hin vertheilet. Der ſinnlichſte Menſch ziehet die Luſt und Unluſt unmittelbar aus der Wurzel; der ausgebildete, der geiſtige genießet ſie nicht anders als ſo, wie ſie in den Aeſten und Zweigen vertheilet und ſchon etwas geſchwaͤ - chet vorhanden iſt. Die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte, der Umgang mit den Muſen, die Entfaltung der Phan - taſie und des Herzens, gewaͤhren keine neue Luſt fuͤr uns, die der ſinnliche Wolluͤſtling, der die Kunſt angenehm zu empfinden verſtehet, ſich nicht in einer viel reichlichern Maſſe verſchaffen koͤnnte, wofern nicht jene erworbene und entwickelte Faͤhigkeiten zugleich die Empfaͤnglichkeit der ſinnlichen Vergnuͤgungen erhoͤhen. Doch dieſe Fol - gen entſcheiden nichts fuͤr die Wahrheit oder Falſchheit der Grundſaͤtze, wovon ſie abhangen. Sie zeigen nur dieſer ihren praktiſchen Einfluß, und dieß iſt die Abſicht, warum ich ihn erwaͤhne.

Soll es, da beide gedachte Hypotheſen, davon Eine urſpruͤngliche Empfindniſſe aus dem innern Sinn vorausſetzet, die andere ſolche laͤugnet, moͤglich ſind,I. Band. Qnun242II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,nun noch entſchieden werden, welche von ihnen die wahre ſey, ſo muͤſſen Beobachtungen oder Schluͤſſe die Gruͤnde hergeben. Und ich meyne, daß ſie entſcheiden, und daß es ein Erfahrungsſatz ſey, daß einige innere Empfin - dungen fuͤr ſich unmittelbar afficirend ſind, und daß wir dieß eben ſo zuverlaͤßig wiſſen und wiſſen koͤnnen, als wir es wiſſen, daß es urſpruͤnglich angenehme und un - angenehme koͤrperliche Gefuͤhle giebt. Daß es in ſo manchen beſondern Faͤllen zweifelhaft ſey, zu welcher Gattung ein Empfindniß gehoͤre, wird man nicht in Abrede ſeyn. Aber deswegen wird man in andern dar - uͤber zur Gewißheit kommen, wenn man ſich auf einzelne Beobachtungen einlaͤßt, und alsdenn zwiſchen einer ur - ſpruͤnglich angenehmen Empfindung aus dem aͤußern Sinn, und einer andern aus dem innern Sinn die Pa - rallele ziehet. Sollte z. B. das Anſchauen herausge - forſchter Wahrheit in dem Kopf desjenigen, der einen Drang zum Nachſinnen in ſich fuͤhlet, nicht fuͤr ſich, und nicht aus ſich ſelbſt die Luſt bewirken, die er empfindet und die ſein Jnnerſtes erſchuͤttert? Er empfindet ſie doch. Dieſe Empfindung ſoll nicht aus einem gegen - waͤrtigen Eindruck aufs Gemuͤth, den ſeine Verſtandes - thaͤtigkeit hervorbringet, ſondern aus einer vorhergegan - genen, jetzt wieder heraufgefuͤhrten und in der Einbil - dung daran verknuͤpften, alſo aus einer ideellen Empfind - niß entſtehen, die eigentlich ein Phantasma iſt? Jch kann weder der Uebertragung noch dem Aſſociations - ſyſtem hierinnen meinen Beyfall geben. Aber ich ge - ſtehe, ich weis auch die Vertheidiger dieſer Meinungen nicht anders zu widerlegen, als auf die Art und durch die Gruͤnde, auf und mit welchen es hier geſchehen iſt. Nemlich, die Moͤglichkeit iſt auf beiden Seiten gleich; die Analogie koͤnnen beide fuͤr ſich anfuͤhren. Nur die unmittelbare Beobachtung iſt der einen guͤnſtiger als der andern. Die Eine muß von dem, was man beobachtet,manches243uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. manches wegerklaͤren, und wiederum manches hinein er - klaͤren, was man nicht beobachtet. Nach der Art zu folgern und zu ſchließen, nach welcher Helvetius, Search und Hartley erklaͤren, iſt es nicht ſchwer, noch weiter zu gehen. Nicht nur keine von den innern Em - pfindungen ſollen urſpruͤngliche Empfindniſſe ſeyn: dieß Vorrecht ſoll auch den aͤußern Gefuͤhlen aus dem Koͤrper entzogen werden, zwo Gattungen ausgenommen, die Empfindungen des koͤrperlichen Gefuͤhls und des Ge - ſchmacks. Alle uͤbrigen, die Gehoͤrs - und Geſichts - empfindniſſe koͤnnen in abgeleitete Empfindniſſe ver - aͤndert werden. Da wuͤrden wir das einfachſte Syſtem haben, aber gewiß auch das aͤrmſte und das einſeitigſte.

Jch ſetze noch eine Erinnerung hinzu, um Mißdeu - tungen vorzubeugen. Sind nicht alle Empfindungen auch Empfindungen aus dem Koͤrper, aus dem innern Gehirn? Empfindungen der Veraͤnderungen in den Seelenwerkzeugen? Gefuͤhle aus dem Koͤrper? Alſo die Empfindniſſe auch? Koͤnnen ſie es nicht ſeyn? So wuͤrden alle Empfindniſſe in dieſem Verſtande, Empfindungen aus dem Koͤrper und von dem Koͤr - per ſeyn. Die Sache ſelbſt erfordert eine tiefere Unter - ſuchung. Aber ſie hat keinen Einfluß in die hier vorge - tragene Lehre. Es ſey jede Empfindung ein Gefuͤhl ei - nes Zuſtandes oder einer Beſchaffenheit im Gehirn; es ſey das Spiel der Faſern, ihre Schwingungen, ihr Zit - tern, oder welche Bewegungsart in den innern Organen es ſeyn ſoll, das Objekt, was unmittelbar empfunden wird; ſo iſt dennoch ein Unterſchied zwiſchen ſolchen Ge - hirnsveraͤnderungen, die unmittelbar zu den Denkungs - thaͤtigkeiten, und zu den Selbſtbeſtimmungen der See - lenkraͤfte gehoͤren, und zwiſchen denen, die von der Ein - wirkung der aͤußern Gegenſtaͤnde außer und in dem Koͤr - per mittelſt der aͤußern Organe entſtehen, und Gegen - ſtaͤnde der aͤußern Empfindungen ſind. Wenn alſo jeneQ 2fuͤr244II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,fuͤr ſich ſelbſt und urſpruͤnglich empfindſam ſind, ſo kann ihre Empfindung ein Empfindniß ſeyn, und die letztern beſitzen nicht allein dieſen Vorzug. Da kommen wir alſo auf die ſchon beantwortete Frage zuruͤck. Sie blei - bet die nemliche nur in einer andern Sprache vorgetra - gen, je nachdem ein anderer Begrif von der Natur der denkenden und wollenden Seele zum Grunde geleget wird.

VII. Ueber die ruͤhrende Kraft der Vorſtellungen.

  • 1) Sie hat ihren Urſprung aus der Kraft der Empfindungen, aus denen die Vor - ſtellungen entſtehen.
  • 2) Die Empfindniſſe aus Phantasmen ſind ſelbſt Wiedervorſtellungen ruͤhrender Em - pfindungen.
  • 3) Große Macht der Vorſtellungen.
  • 4) Urſachen dieſer Staͤrke.
  • 5) Wie unangenehme Empfindungen in der Vorſtellung angenehm ſeyn koͤnnen, und umgekehrt. Von dem Vergnuͤgen, das in den Vorſtellungen als Vorſtellungen ſeinen Grund hat.

1.

Gehen wir nun zu den Empfindniſſen der zwoten Art uͤber, das iſt, zu den Affektionen, die in den Vorſtellungen als Vorſtellungen, in den lebhaften Vor - ſtellungen ſchoͤner und haͤßlicher, guter und boͤſer Gegen - ſtaͤnde angetroffen werden, ſo iſt es nicht ſchwer, unmit - telbar aus den Beobachtungen ſich davon zu uͤberzeugen, daß die Vorſtellungen als ruͤhrende Vorſtellungen aufeine245uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. eine aͤhnliche Art von den ruͤhrenden Empfindungen ab - hangen, wie die bloßen oder gleichguͤltigen Vorſtellun - gen von den gleichguͤltigen Empfindungen. Es muß aber von der Luſt oder Unluſt, die einer Vorſtellung zu - geſchrieben wird, der Theil der Gemuͤthsbewegung ab - gerechnet werden, der aus der innern Empfindung ent - ſtehet, wenn die Seele im Vorſtellen und Denken be - ſchaͤftiget iſt. Dieß iſt eine innere afficirende Empfin - dung, die ſich zu der Vorſtellung geſellet, aber ihr ſelbſt nicht als eine Wirkung zugeſchrieben werden kann. Die Affektiones aus den Vorſtellungen ſind abgeleitete Em - pfindniſſe, die ihre Kraft aus den Empfindungen her ha - ben, von denen ſie in jene uͤbergehet. Wenn das oben erwaͤhnte Syſtem von den Empfindniſſen, das ich be - ſtritten habe, nichts weiter ſagen wollte, als dieß: alles Vergnuͤgen ſey ſeinem erſten Urſtof und ſeiner Quelle nach ein Empfindungsvergnuͤgen, und in dieſem Ver - ſtande ein ſinnliches Vergnuͤgen, Luſt der Sinne nur den Jnnern Sinn nicht ausgeſchloſſen ſo hat es meinen Beyfall. Aber dennoch verlange ich, daß man es recht verſtehe. Außer der ſchon angefuͤhrten Bedingung, daß die innere Empfindung als die zwote große Quelle nicht uͤberſehen werden darf, muß man noch eine andere Einſchraͤnkung hinzu ſetzen, die derjeni - gen aͤhnlich iſt, unter welcher ich in dem erſten Verſuch den Urſprung aller Vorſtellungen aus den Empfindun - gen eingeſtanden habe, und die mich am Ende von den Vertheidigern des blos ſinnlichen Wohls wiederum weit entfernen wird.

Erſtlich iſt dieſer Satz: alle Empfindniſſe aus Vorſtellungen ſind abgeleitete Empfindniſſe, eine natuͤrliche Folge von den Beziehungen der Vorſtellungen auf die Empfindungen. Jene haben ihren Stof in die - ſen; oder beſtehen aus den von den Empfindungen nach - gebliebenen und wieder erweckten Spuren derſelben. Q 3Dazu246II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Dazu erhellet dieſes auch unmittelbar aus den Beobach - tungen. Woher die Luſt, die mit der Wiedervorſtel - lung einer ſchoͤnen ehedem geſehenen Gegend verbunden iſt? woher das Ergoͤzende in der Erinnerung an die Muſik, die das Ohr vorher ergoͤzte, jetzo aber nicht ge - genwaͤrtig iſt? Es iſt offenbar, daß ſie aus den Em - pfindungen her ſey. Die Gegenſtaͤnde ſind angenehm und unangenehm in der Phantaſie, die es in der Em - pfindung geweſen ſind, und ſind es deſto mehr, je voller und lebhafter die Wiedervorſtellung iſt, und je mehr ſie der erſten Empfindungsvorſtellung an Staͤrke und Leb - haftigkeit gleich kommt. Es koͤnnen zufaͤllige Urſachen einige Veraͤnderungen hierinn hervorbringen, die beym erſten Anſchein fuͤr Ausnahmen gehalten werden moͤchten. Aber wer ſie genauer betrachtet, findet, daß ſie es nicht ſind. Es kann allerdings eine Affektion, die mit einer Empfindung verbunden war, in der Phantaſie bey der Wiedervorſtellung wegfallen, und die letztere gleichguͤl - tig werden, da es jene nicht war. Eben ſo kann ſich eine fremde Affektion mit der Vorſtellung einer Sache verbinden, die vorher in der Empfindung nicht vor - handen geweſen iſt. Man liebet den jetzo, da man ihn verloren hat, den man haßte, da er gegenwaͤrtig war, und umgekehrt. Eine Leidenſchaft, die das Gemuͤth beherrſchet, unterdruͤcket die entgegenſtehenden ſchwaͤchern Empfindniſſe, und wird dadurch, wenn dieſe ihr nach - geben, noch ſtaͤrker entflammet, wie das Feuer auf dem Heerd eines Schmiedes durch aufgeſpruͤtztes Waſſer. Alsdenn kann die Erinnerung an angenehme Gegenſtaͤn - de ſchmerzhaft werden; aber nur auf einige Zeit und nur Beziehungsweiſe. Es koͤnnen auch unangenehme Jdeen ein Vergnuͤgen verurſachen, wenn ſie mit der gegenwaͤr - tigen Leidenſchaft uͤbereinſtimmen, in ſo ferne ſie dem der - maligen Hang der Seele gemaͤß ſind. Ein Betruͤbter fin - det Nahrung in der Betruͤbniß.

Es247uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.

Es verhaͤlt ſich mit den Wiedervorſtellungen von den innern Selbſtempfindungen, von unſern Geſinnungen, Entſchluͤſſen, Neigungen, Handlungen und Auffuͤh - rungen auf dieſelbige Art. Dieß zu beſtaͤtigen, iſt es un - noͤthig, einzelne Faͤlle anzufuͤhren. Jede Vorſtellung einer unſerer ehemaligen Veraͤnderungen hat der Regel nach ein Jntereſſe fuͤr uns, wie die Empfindung es hatte. Es muͤſſen fremde Empfindungen ſich einmiſchen, wenn wir dem erſten Anblick nach das Gegentheil gewahrneh - men, oder andere fremde Urſachen dazwiſchen gekom - men ſeyn. Werden ſolche fremde Wirkungen abgeſon - dert, ſo bleibet noch immer etwas uͤbrig, das aus den vorigen Empfindungen den Phantasmen in der Wieder - erinnerung anklebet. Die Natur der Vorſtellungen bringet es mit ſich, daß es ſo ſeyn muͤſſe.

2.

Dieſe den Wiedervorſtellungen anklebende Luſt oder Unluſt iſt eigentlich ſelbſt eine Wiedervorſtellung, nemlich, ein wiedererweckter von der erſten Empfindung hinterlaſſener Gemuͤthszuſtand, eine Vorſtellung von einem vorhergegangenen Empfindniß, die ſich auf das vorhergegangene Empfindniß eben ſo beziehet, wie jedwede Vorſtellung auf ihre Empfindung, und auch aus aͤhnlichen Urſachen unter aͤhnlichen Umſtaͤnden, wenn ſie nemlich lebhaft und ſtark wird, die Stelle der ſinn - lichen Empfindniſſe vertreten, und die Triebe und Kraͤf - te der Seele regemachen, ſpannen und leiten kann, wie die afficirende Empfindung ſelbſt es gethan hat.

3.

Solche ideelle Empfindniſſe wirken mit einer Macht, und in einem Umfang auf das menſchliche Herz, welche oft groͤßer iſt, als ſelbſt die afficirende Kraft in Empfindungen; wie uͤberhaupt die Vorſtellungen in der Phantaſie oft lebhafter ſind, und uns mehr beſchaͤftigen,Q 4als248II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,als die gegenwaͤrtige Dinge, die wir empfinden. Die Empfindniſſe aus Vorſtellungen machen ohne Zweifel den groͤßten Theil von unſerm Wohl und Weh aus. Nicht die Krankheiten, wie Hr. v. Buͤffon etwas un - beſtimmt, aber richtig und erhaben ſaget, nicht die Schmerzen, nicht der Tod ſind es, die den Menſchen un - gluͤcklich machen, es ſind es ſeine Einbildungen, ſeine Furcht, ſeine Begierden. Der große Mann nannte nur einige, aber die vornehmſten Theile von unſerm gan - zen Empfindungsuͤbel, die nemlich, welche aus den aͤu - ßern Empfindungen entſpringen. Es iſt noch der zwote geiſtige Theil zuruͤck, der in den innern Empfindungen unſer ſelbſt lieget. Aber wenn man auch beide zuſam - men nimmt, ſo iſt es doch eine Wahrheit, wenn die Phan - taſie dem Menſchen benommen wuͤrde, oder wenn ihr Beytrag abgehalten werden koͤnnte, ſo wuͤrden die Em - pfindungen allein immer zwar noch die Gruͤnde ſeyn, aus welchen Luſt und Unluſt hervorquillet und von ihnen als von ſo viel Mittelpunkten aus uͤber die Seele ſich verbrei - tet, aber ſie allein wuͤrden die ganze Seele nicht ausfuͤl - len, und nur wie einzelne und zerſtreuete Punkte auf ei - ner Flaͤche vorhanden ſeyn. Die Einbildungskraft iſt es, die jene Empfindniſſe in einander zuſammen ziehet, zu Einem Ganzen vereiniget, die Eindruͤcke von vielen in Einem Haufen zuſammenbringet, ſolche mit jeder ein - zelnen Empfindung verbindet, und ſie mit ihrer vereinig - ten Macht auf jede einzelne Seite des Gemuͤths wirkſam macht. Es ſind nicht die Schmerzen aus den Empfin - dungen; es iſt nicht die Wolluſt aus den Empfindungen, die allein menſchlich ungluͤcklich oder gluͤcklich machen; es ſind die Empfindniſſe aus Vorſtellungen, die ange - nehmen und unangenehmen Gefuͤhle, welche in der Form der Vorſtellungen in uns vorhanden ſind, indem ſie ſich auf vorhergegangene Gefuͤhle eben ſo beziehen, wie alles das, was Vorſtellung iſt, auf andere vorhergegangeneSeelen -249uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Seelenveraͤnderungen; dieſe ſind es, welche an der gan - zen Maſſe der menſchlichen Gluͤckſeligkeit und Ungluͤckſe - ligkeit den ſtaͤrkſten und wichtigſten Artheil haben.

Es iſt voͤllig richtig; die Luſt oder Unluſt in der Em - pfindung iſt ſtaͤrker, als die in der Wiedervorſtellung von demſelbigen Gegenſtand es iſt. Die Empfindung iſt ſtaͤrker, als ihre Wiedervorſtellung, wenn ſonſten alles gleich iſt. Allein ſo wenig dieſes hindert, daß die Herr - ſchaft der Einbildungen nicht ausgebreiteter und ſtaͤrker ſey, als die Herrſchaft der Empfindungen; ſo wenig hindert jenes, daß die Luſt und Unluſt in den Wieder - vorſtellungen im Ganzen in dem Menſchen nicht maͤchti - ger ſeyn ſollte, als die in den Empfindungen es iſt.

4.

Und die Urſache hievon darf nicht weither geſuchet werden. Erſtlich, ſo iſt das Vergnuͤgen und der Ver - druß aus den Wiedervorſtellungen, gemeiniglich reiner, und mit entgegengeſetzten oder auch fremdartigen Em - pfindniſſen unvermiſchter, als die Affektion in der Em - pfindung geweſen iſt. Das gegenwaͤrtige Vergnuͤgen auf einer Reiſe, bey der Tafel, aus der Geſellſchaft, bey der Muſik u. ſ. f. iſt mit manchen kleinern Unbehaglich - keiten, mit unbefriedigten Verlangen, mit Anwandlun - gen von Verdruß und Ekel durchgemiſchet. Alle dieſe kleinern widrigen Empfindungen fallen zum Theil von ſelbſt heraus, zum Theil ſcheidet ſie die Einbildungskraft zumal bey guter Laune davon ab, wenn ſie das Vergan - gene wieder hervorziehet. Da hat ſie alſo das Vergnuͤ - gen aus der Empfindung reiner. Mit dem Mißver - gnuͤgen eraͤugnet ſich etwas aͤhnliches; aber vielleicht im Ganzen genommen ſeltener. Das Herz iſt jederzeit in - tereſſirt, und leitet die Phantaſie lieber auf die gefaͤllige und angenehme Seite der Sachen, als auf die entgegen - ſtehende. Nach dem Genuß eines Guten, und nochQ 5mehr250II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,mehr vorher, da die Sehnſucht es faͤrbte, ſcheinet das ſinnliche Vergnuͤgen am reinſten zu ſeyn.

Zweytens. Die Empfindungen entſtehen nur nach und nach in der Seele; und auch ſo die Luſt oder Unluſt, welche ſie begleitet. Aber in der Wiedervorſtellung ſind ganze Reihen von afficirenden Vorſtellungen auf Einer Stelle in Einem Augenblick bey einander. Jene einzel - ne Eindruͤcke der Empfindungen ſind zertheilt; die Wir - kung von der, die vorangehet, iſt ſchon verloſchen, wenn eine andere nachfolget. So fließen die vergnuͤgteſten Tage in der Geſellſchaft angenehmer und geiſtreicher Freunde dahin, ohne die Seele anzuſchwellen. Aber die Erinnerung dieſer Tage wirket wie die durch ein Brenn - glas vereinigte Sonnenſtrahlen, die einzeln bey ihrem Durchgang durch das Glas geſchwaͤchet werden, dennoch aber da zuͤnden, wo ſie zuſammengebracht ſind.

Beide Urſachen zuſammen machen die Empfindniſſe aus Vorſtellungen zu einem abgezogenen aber ſtarken Geiſt, den die Phantaſie aus Empfindungen abſcheidet. Jſt es zu verwundern, daß ſie in dieſer Geſtalt Wir - kungen hervorbringen, die man vorhero bey ihnen nicht gewahrnahm?

Hiezu kommt drittens, daß auch die Vorſtellun - gen, als Modifikationes der Seele betrachtet, durch ih - re Ordnung, Folge und Uebereinſtimmung unter ſich, und durch ihre Beziehungen auf die vorſtellende Kraft, eine Art von Empfindniſſen in der Seele hervorbringen, die ſie einzeln und abſonderlich genommen nicht bewir - ken koͤnnen. Etwas aͤhnliches finden wir auch bey den Empfindungen. Der Reiz der Muſik; das Vergnuͤ - gen aus der Symmetrie u. ſ. w. iſt ein Beweis, daß ih - re afficirende Kraft mehr von der Stellung und Folge der einzelnen Eindruͤcke abhange, als von der abſoluten Staͤrke und Schwaͤche der Kraft, die in ihnen, einzeln genommen, vorhanden iſt. Wenn nun eine Reihe vonVorſtel -251uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Vorſtellungen in uns iſt, die uns afficiret, deren Ge - genſtaͤnde aber in dieſer Folge und Ordnung niemals vor - her empfunden worden ſind, ſo iſt eine Wirkung da, ei - ne Affektion, die aus den Empfindungen nicht hergelei - tet werden kann. Gedichte, Romane, ſelbſtgemachte Erdichtungen gewaͤhren uns Empfindniſſe dieſer Art, die den Vorſtellungen eigen ſind, aber ihnen nur in ihrer Ordnung und Verbindung zukommen. Dieſe Empfind - niſſe ſind das Parallel zu den Selbſtgeſchoͤpfen der Dicht - kraft. Man kann ſie aus den Empfindungen, aus de - nen die Vorſtellungen herkommen, nicht anders ablei - ten, als nur in ſo ferne, daß die letztern den Stof zu ih - nen hergegeben haben. Sie ſind ſonſten wie die Erdich - tungen, Geſchoͤpfe der ſelbſthaͤtigen wiedervorſtellenden Kraft. Doch ſind dieſe noch von den Empfindniſſen unterſchieden, die ſie begleiten, und die aus dem innern Gefůhl der gegenwaͤrtigen thaͤtigen Geiſtesthaͤtigkeiten entſtehen.

5.

Der guͤtige Menſchenvater hat uns der angenehmen Empfindniſſe in ſo vorzuͤglicher Maaße empfaͤnglich ge - macht, daß widrige Empfindungen, wenn ſie in Vor - ſtellungen uͤbergehen, ſo oft ihre Natur veraͤndern, und angenehme Empfindniſſe werden. Bey einigen gehet zwar eine Veraͤndrung auf die entgegenſtehende Art vor ſich; aber das letztere geſchieht ſeltener als das erſtere, und erfodert beſondere Umſtaͤnde und Urſachen, da die erſte Veraͤnderung von Natur derjenigen anklebet, wel - che Empfindungen leiden, wenn ſie in Vorſtellungen uͤbergehen. Es iſt keine Ausſchweifung, wenn ich ei - nige Worte uͤber die Urſache dieſer Umaͤnderung hinzuſe - tze. Hr. Mendelſohn und Hr. Burk, der Verfaſſer der Schrift uͤber den Urſprung unſerer Begriffe vom Schoͤnen und Erhabenen, haben mit großerScharf -252II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Scharfſinnigkeit viel vortrefliches uͤber dieſe Sache geſa - get, und wenn ſie nicht uͤberall mit einander uͤberein - ſtimmen, ſo kommt es, wie ich glaube, daher, weil ſie oftmals Wirkungen, die aus mehreren verſchiedenen Ur - ſachen entſtehen, aus Einer gemeinſchaftlichen zu erklaͤ - ren geſucht haben. Unfaͤlle und Widerwaͤrtigkeiten ſind unangenehm, wenn ſie gegenwaͤrtig ſind und gefuͤhlet werden, aber ihre Wiedererinnerung iſt oftmals eine Wolluſt. Die vermiſchten Empfindungen, die ſchon als gegenwaͤrtige Veraͤnderungen beides, Luſt und Un - luſt, bey ſich fuͤhren, ſind, wenn ſie als Vergangene vorgeſtellet werden, angenehm. Es giebt einige Aus - nahmen, die man aber nur da antrift, wo das Widri - ge ein allzugroßes Uebergewicht in der Empfindung ge - habt hat. Die aus Mitgefuͤhl entſpringende unangeneh - me Empfindniſſe, die ein wirkliches Mitleiden ſind, werden faſt durchgehends zu ergoͤtzenden Empfindniſſen, wenn man ſich ihrer als vergangener wieder erinnert. Wir finden Vergnuͤgen in der Erzaͤhlung und in der Vor - ſtellung tragiſcher Handlungen. Selbſt das Haͤßliche und Widrige, das Schreckhafte bis auf eine gewiſſe Grenze, ſehen wir mit Vergnuͤgen in Gemaͤhlden abge - bildet, deſſen Empfindung wir nicht aushalten koͤnnten.

Wo die Empfindung ſelbſt ſchon gemiſchter Art iſt, da kann die Phantaſie durch ihre gewoͤhnliche Wirkungs - arten, durch Weglaſſen, Unterdruͤcken, Verdunklen von Einer Seite, und durch Hinzuſetzen, Erheben, Auf - klaͤren von der andern ohne viele Anſtrengung die Vor - ſtellungen mehr von dem Unangenehmen reinigen und mehr von dem Gefallenden in ſie hineinbringen. Dieß geſchieht auch oft in ſolchen Faͤllen, wo in der Empfin - dung das unangenehme in einem hohen Grad die Ober - hand hatte. Wie vielmehr muß es geſchehen koͤnnen, wo jenes ſchwaͤcher geweſen iſt, als das begleitende Ver - gnuͤgen. Das Ungluͤck mit Standhaftigkeit ertragenund253uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. und es uͤberwinden, bringet eine gemiſchte Empfindung hervor; aber wenn der Mann mitten im Kampf mit dem Schickſal ſich ſo ſtark noch fuͤhlet, daß er mit Ae - neas denken kann: cuius olim meminiſſe juvabit, ſo iſt er nicht ungluͤcklich in ſeinem Leiden, ſondern das Ange - nehme in ſeiner Empfindung hat das Uebergewicht. Wie voll von der innigſten Wolluſt muß die Wiederer - innerung davon nicht ſeyn, wenn die Phantaſie die Vor - ſtellung auf eine ſolche Art umbildet, daß die mit ihrer ganzen Groͤße wirkende und ſiegende Geiſtesſtaͤrke in dem helleſten Licht und mit den ſtaͤrkſten Farben erſcheinet, und dagegen der Schmerz und das Leiden im Dunklen und in der Ferne geſetzet ſind? Jn der Empfindung mag wohl einige Kleinmuͤthigkeit, Ungedult, ein Aer - ger, ein ſchmerzhaftes Verlangen, eine Anwandelung vom Verzweifeln mit untergelaufen ſeyn; allein dieß wirft die Phantaſie heraus, oder unterdruͤcket es. Dieß Angenehme in der Vorſtellung hat noch ſeinen Grund in dem, was aus der Empfindung entſtanden und in die Vorſtellung uͤbergegangen iſt.

Dieſe Umaͤnderung der Vorſtellungen haͤnget davon ab, daß Jdeen von einander abgeſondert, und andere verbunden werden. Oft iſt die Aſſociation der Jdeen die vornehmſte Urſache, wenn ſie es gleich nicht allein iſt. Es ſcheinet mir doch, als wenn ein Gemaͤhlde von ei - nem ſcheuslichen Gegenſtand ſein Gefallendes von beglei - tenden Jdeen habe. Es gefaͤllt die Geſchicklichkeit des Mahlers, und die Kunſt bey der Nachbildung, und dieß Gefallen verbinden wir mit dem Anblick der gemahlten Sache. Das Kind, das vor dem Gegenſtande fliehet, ſcheuet auch das Gemaͤhlde, bis es bemerket, daß es nur ein Gemaͤhlde iſt; und empfindſame Perſonen koͤnnen auch gemahlte fuͤrchterliche und ſcheusliche Gegenſtaͤnde nicht lange ohne Schaudern und Ekel anſehen.

Allein254II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,

Allein es ſcheinet in der Natur der Vorſtellungen, wenn gleich die vergangene Empfindung voͤllig und ge - treu wieder dargeſtellet wird, noch außerdieß eine Urſa - che zu ſeyn, die es machet, daß eine Vorſtellung zuwei - len ein anderes Empfindniß hervorbringet, als die Em - pfindung gethan hat, woran weder die Aſſociation, noch eine Abſonderung der Jdeen ſchuld iſt. Die Vor - ſtellungen koͤnnen allein aus dem Grunde angenehm ſeyn, weil ſie ſchwaͤchere und minder ſtarke Seelenmodifikatio - nen ſind, als die Empfindungen. Da haben ſie alſo eine Beziehung auf die Seele, die der Groͤße ihres Ver - moͤgens angemeſſener iſt, die ſie nur beſchaͤftiget und ſpannet, aber nicht uͤberſpannet und uͤberwaͤltiget. Da - durch wird das was in der Empfindung ein Schmerz iſt, in der Vorſtellung zum Kitzel. Und wenn denn einige Unannehmlichkeit aus der Empfindung her auch der Vor - ſtellung noch ankleben wuͤrde, wie es ſich zuweilen wirk - lich verhaͤlt, ſo iſt dieſes Unangenehme doch nicht ſtark genug, um das entgegengeſetzte Vergnuͤgen zu unter - druͤcken, ſondern dienet vielmehr, es zu erhoͤhen und ſchmackhafter zu machen. Dieß ſcheinet doch, wie einige ſchon bemerket haben, die vornehmſte Urſache von dem Vergnuͤgen zu ſeyn, womit wir tragiſche Erzaͤhlungen anhoͤren, und womit der gemeine Mann den hoͤlliſchen Proteus lieſet. Die Empfindungen des Mitleidens, die mit der Vorſtellung verbunden ſind, haben nichts ſchmerz - haftes an ſich, oder doch nur wenig, und gewaͤhren eine geheime Wolluſt, da wo das Mitleiden aus dem An - ſchauen des Elenden ein wahrer Schmerz iſt.

Jch ſchließe mit dieſer Folge. Wo von der affici - renden Kraft einer Vorſtellung Grund angegeben wer - den ſoll, da haben wir drey verſchiedene Urſachen, auf die geſehen werden muß. Nemlich, die Empfindung, aus der die Vorſtellung ihren Urſprung hat; die Ver - bindung dieſer Vorſtellungen mit andern Vorſtellungen;und255uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. und endlich die Beziehung der Vorſtellung, als einer gegenwaͤrtigen Seelenbeſchaffenheit auf die Empfindſam - keit. Bey der Erklaͤrung einzelner Faͤlle wird es am meiſten darauf ankommen, welche von dieſen dreyen Ur - ſachen entweder allein oder als die vorzuͤglichſte an der hervorgebrachten Wirkung Antheil habe.

VIII. Jn dem Aktus des Fuͤhlens nimmt man keine Mannigfaltigkeit gewahr. Ob das Fuͤhlen als eine Reaktion der Seele koͤnne angeſehen werden?

Nun wieder zuruͤck zu der phyſiſchen Natur des Fuͤh - lens. Jn allen den angefuͤhrten mannigfaltigen Aeußerungen des Gefuͤhls finde ich innerlich nichts ver - ſchiedenartiges. Die Gegenſtaͤnde ſind unterſchieden und mannigfaltig. Es findet auch in dem Gefuͤhl ein Mehr und Weniger ſtatt; es iſt feiner oder ſtumpfer, anhal - tender und unterbrochener, lebhafter oder ſchwaͤcher; aber dieſe Unterſchiede bey Seite geſetzet; ſo haben wir uͤberall, wo wir empfinden, die nemliche einfache Aeu - ßerung unſerer Kraft. Wir fuͤhlen, das Licht durch die Augen, den Ton durch die Ohren; die Laſt, die auf den Schultern druͤcket; daß ein ſchoͤner Gegenſtand uns ge - falle, ein intereſſirter uns ruͤhre. Verſchiedene Urſa - chen, und verſchiedene Wirkungen, aber die Thaͤtig - keit des Fuͤhlens ſelbſt iſt uͤberall die nemliche.

Jch komme hier noch einmal auf die im Anfang ſchon aufgeworfene Frage zuruͤck, ob das Fuͤhlen eine Art von geiſtiger Reaktion der Seele ſey. Es iſt nichts in den vorhergehenden Beobachtungen, das dieſe Benen - nung unanpaſſend macht. Da das Gefuͤhl nur abſolute und gegenwaͤrtige Beſchaffenheiten zu unmittelbarenGegen -256II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Gegenſtaͤnden hat, ſo wird die Jdee beſtaͤtiget, nach welcher der Aktus des Fuͤhlens eine geiſtige Zuruͤckwir - kung ſeyn ſoll, die alsdenn erfolget, wenn die Seele etwas leidend aufnimmt. Die Reaktion des Koͤrpers ſtellet man ſich als eine Aktion vor, die er alsdenn aͤu - ßert, wenn ein anderer ihn veraͤndert, die aber mit der Aktion des fremden Koͤrpers, der auf den leidenden wir - ket, in einem Ebenmaaß ſtehet. Es kann hier unaus - gemacht bleiben, ob dieſe Vorſtellung der Natur gemaͤß iſt, oder nicht, da ſie hier nur als ein Bild gebrauchet wird. Die Reaktion erfolget auf jede leidentliche Ver - aͤnderung; keine ausgenommen, aber auch nur ſo, daß ſie der Aktion entſpricht, und weder von ſelbſt hervorge - het, noch weiter fort ſich beweiſet, als in ſo ferne ſie von der Einwirkung des aͤußern Koͤrpers gereizet wird. Die Ruͤckwirkung iſt eine blos anders woher erregte Aktion; keine ſolche die aus einem innern Selbſttriebe, oder aus einer Tendenz zum Bewegen hervorkommet.

Hr. Bonnet und andere neuere Philoſophen haben aber noch einen Grund mehr, das Fuͤhlen wie ein Ruͤckwirken anzuſehen, wodurch die Aehnlichkeit zwi - ſchen beiden weiter ausgedehnet wird, als die Beobach - tungen es erlauben. Die Ruͤckwirkung des Koͤrpers er - folget nur auf die Einwirkung einer aͤußern von dem lei - denden Koͤrper unterſchiedenen Kraft, und hat dieſen aͤußern Koͤrper zu ihrem Gegenſtand. Auf die naͤmliche Art ſoll nach Hr. Bonnets Jdee dasjenige, was die Seele fuͤhlet, die gegenwaͤrtige und abſolute Veraͤnde - rung, etwas außer ihr ſeyn; im Gehirn nemlich, wel - ches der Sitz aller Vorſtellungen und faſt aller Seelen - veraͤnderungen iſt: und auf dieſes ſoll die Seele als eine fuͤhlende Kraft zuruͤckwirken. Auf einer ſolchen Vor - ſtellung bauete ſchon Condillac, und nachher hat Hr. Search ſie mit verſchiedenen andern als eine Grundvor - ſtellung angenommen.

Eine257uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.

Eine ſolche Aehnlichkeit des Fuͤhlens mit einer koͤr - perlichen Reaktion kann unmittelbar nicht wahrgenom - men werden. Es iſt Erfahrung, daß es etwas leident - liches ſey, was die Seele fuͤhlet; aber wo, und in wel - chem Subjekt iſt die gefuͤhlte Modification? Nach der reinen Erfahrung koͤnnen wir nichts anders antworten, als dieß: ſie iſt in dem Menſchen, oder in dem Seelen - weſen. Zuverlaͤſſig; aber in welchem Theil von uns? kann ſie nicht eine Modifikation der unkoͤrperlichen Seele ſeyn? eine Beſtimmung, Einſchraͤnkung ihrer Kraft, die doch allemal mit einer entſprechenden Beſchaffenheit des Gehirns vergeſellſchaftet iſt? Kann die Seele ſich nicht ſelbſt fuͤhlen, ſich unmittelbar fuͤhlen, da ſie ſich ſelbſt doch noch naͤher iſt, als ihr Gehirn? Koͤnnen nicht beyde Veraͤnderungen, die materielle Gehirnsbe - ſchaffenheit und die immaterielle Modifikation der Seele zugleich, fuͤr das unmittelbare Objekt des Gefuͤhls ange - nommen werden? Denn die Meinung des Hrn. Home und einiger andern brittiſchen Philoſophen uͤbergehe ich, welche ſich vorſtellen, daß wir auch wohl aͤußere Dinge, die außer unſerm Koͤrper vorhanden ſind, unmittelbar empfinden koͤnnten, und die deswegen den Grundſatz der Lockiſchen und einer jeden andern Philoſophie, in der uͤber Erfahrungen raiſonniret wird, daß wir nemlich die aͤußern Gegenſtaͤnde nur allein vermittelſt ihrer Eindruͤcke auf uns fuͤhlen, und durch die Jdeen in uns erkennen, als eine unrichtige und zum Skepticismus fuͤhrende Leh - re vorzuſtellen ſuchen. Es kann hieruͤber kein Zweifel mehr Statt finden, ob nicht das, was unmittelbar ge - fuͤhlet wird, entweder ſelbſt etwas in der Seele als in ſeinem Subjekt ſeyn muͤſſe, oder doch in demjenigen Theil ihres Empfindungswerkzeuges vorhanden ſey, auf welchen ſie zunaͤchſt und unmittelbar ihr Vermoͤgen zu fuͤhlen anwendet. Aber welches von dieſen beiden nun wirklich iſt, daruͤber belehret uns die Beobachtung ſelbſtI. Band. Rnicht.258II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,nicht. Es muͤßte alſo entweder durch ein Raiſonnement aus Beobachtungen etwas gewiſſes, oder durch Analo - gie etwas Wahrſcheinliches entdecket werden koͤnnen; oder es kann nur das Eine oder das andere als eine Hy - potheſe angenommen und gemuthmaßet werden.

Hr. Search hat es ſonſten durch einen Schluß aus der Analogie wahrſcheinlich zu machen geſucht, daß die Seele niemals etwas unmittelbar in ſich ſelbſt hervor - bringe, ſondern durch jede Thaͤtigkeit zunaͤchſt nur ihr inneres Organ modificiren muͤſſe. Und hiemit verbindet er nun den Gedanken, daß es dieſe Organsveraͤnderung ſey, welche ſie fuͤhle, wenn ſie ſich ſelbſt und ihre eigene Aktionen empfindet. Wenn ich den erſten Satz zugebe, ſo deucht es mich doch nicht, daß es natuͤrlicher ſey, ſich dieſe dem Gehirn eingedruckte Bewegung als das un - mittelbare Objekt des Fuͤhlens anzuſehen, als es iſt, ſich vorzuſtellen, daß vorher von dieſer Gehirnsveraͤnderung auch in der Kraft der Seele ſelbſt eine Modifikation ent - ſtehe, indem das modificirte Gehirn auf ſie zuruͤckwirket, und ihr ſelbſt eine immaterielle Beſtimmung ertheilet; und daß es alsdenn dieſe letztere, in ihr ſelbſt und in ih - rer Kraft verurſachte Beſchaffenheit ſey, die ſie unmit - telbar fuͤhlet und empfindet. Jndeſſen werden dieſe bei - den Vorſtellungsarten nun ſo weit nicht mehr von ein - ander abgehen, wenn nur in beiden, ſo wohl die im - materielle Seelenveraͤnderung als die ihr zugehoͤrige ma - terielle Gehirnsveraͤnderung als wirklich vorhanden an - genommen wird, und man keine von ihnen uͤberſiehet. Jn den Erklaͤrungen der neuern wird gemeiniglich zu wenig Ruͤckſicht auf die Seelenbeſchaffenheit genommen, ſo wie in den Erklaͤrungen der vorigen Philoſophen weniger auf die Gehirnsveraͤnderung geachtet wurde. Dieſe ſagten, die Seele fuͤhle ſich ſelbſt und ihre eigene Modifikatio - nes in ſich; jene ſagen, ſie fuͤhle das Gehirn und deſſen Veraͤnderungen außer ſich.

Bey259uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.

Bey dem vornehmſten Grundſatz, den Hr. Search feſt zu legen geſuchet hat, daß die Seele nie unmittelbar in ſich ſelbſt etwas hervorbringe, ſondern in ihrem Ge - hirn, und die Modifikationen ihres Zuſtandes, von dem leztern erſt wieder zuruͤck empfange, laͤſſet ſich eine wich - tige Erinnerung machen. Es iſt ſonſten kein ganz neuer Gedanke; denn die alte Ariſtoteliſche Jdee von der Seele, als einer Entelechia des thieriſchen Koͤrpers, fuͤhrte auch dahin; aber in der Pſychologie kann man es auch am wenigſten erwarten, daß etwas geſaget werde, was nicht in einem, vor ihm ſchon von einem Philoſophen geheg - ten Gedanken zum mindeſten auf eine ſolche Art, wie eine Pflanze in ihrem Keim iſt, enthalten ſeyn ſollte. Kann denn die Seele, nur als eine ſubſtantielle, das Gehirn bewegende Kraft betrachtet, in aller Hinſicht in ihrem innern Zuſtande ohne Veraͤnderung bleiben, wenn ſie ſich auf das Gehirn aͤußert und hierinn etwas bewir - ket? Muß nicht ihre Kraft bey jeder neuen Aeußerung eine neue Richtung annehmen, oder mit einer groͤßern oder geringern Jntenſion wirken, als bey der naͤchſtvor - hergehenden? Und dazu beſtimmt ſie ſich in einigen Faͤllen ſelbſt. Wie iſt es begreiflich, daß eine Kraft von dieſer Gattung außer ſich etwas verurſachen koͤnne, ehe nicht jene Veraͤnderung in der Richtung und Jnten - ſion ihrer Thaͤtigkeit, in ihr ſelbſt verurſachet und her - vorgebracht iſt? Muß nicht dieſe letztere innere Veraͤn - derung des Zuſtandes vorhergehen? Alſo wirket ſie ja, wenn ſie ſich ſelbſt zu etwas beſtimmet, auch ſelbſtthaͤtig in ſich, oder nimmt eine paſſive Veraͤnderung in ſich ſelbſt auf, wenn ſie von außen her dazu beſtimmet wird; beides vorher, ehe ſie ihre Kraft außer ſich auf die Mo - dificirung des Gehirns anwendet.

Kann die Seele nun nicht auch dieſe vorhergehende Modifikation ihres Zuſtandes fuͤhlen, und ſie unmittel - bar fuͤhlen? Oder iſt dieſe ihre innere VeraͤnderungR 2vielleicht260II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,vielleicht nichts anders, als dasjenige, was ſich in un - ſern Beobachtungen als Thaͤtigkeit darſtellet, und was ſich niemals als ein unmittelbares Objekt des Gefuͤhls antreffen laͤſſet: Die Aktionen werden nur in ihren blei - benden und in Hinſicht auf die Kraft der Seele leident - lichen Folgen gefuͤhlet. Sind es vielleicht dieſe Wirkun - gen in dem Gehirn, die durch jene Thaͤtigkeiten der Seele hervorgebracht werden, und auf eine Weile beſtehen, welche die erſten bleibenden Folgen der Aktionen ausma - chen? Wirken nicht dieſe von neuen auf die Seele zu - ruͤck, und verurſachen in ihr Eindruͤcke auf eine aͤhnliche Art, wie es die Gehirnsveraͤnderungen thun, die von aͤußern ſinnlichen Objekten herkommen? und ſind es nun nicht entweder jene Gehirnsbeſchaffenheiten, oder die ihr entſprechende Seelenbeſtimmungen, oder beide, die unmittelbar dem Gefuͤhl der Seele vorliegen, und durch welche wir mittelbar die vorhergegangene Aeuße - rungen ihrer thaͤtigen Kraft auf eine aͤhnliche Art em - pfinden, wie wir die ſichtbaren Objekte mittelſt der Ein - druͤcke ſehen, die ſie auf das innerſte Organ hervorbrin - gen?

Wenn dieſe Vorſtellungen noch auffallender unter ſich uͤbereinſtimmten, und noch leichter mit den Beobach - tungen ſich vereinigen ließen, als es jetzo nach meiner Meinung geſchehen kann, ſo wuͤrde ich ſie dennoch fuͤr nichts mehr als hoͤchſtens fuͤr vernuͤnftige Muthmaßun - gen halten, weil ſie die beſten ſind, die man ſich machen kann, aber ihnen dennoch wenig Zuverlaͤßigkeit beylegen. Wer weis, auf wie viel tauſendfache andere Arten, von welchen wir keine Begriffe haben, es ſich wirklich in un - ſerer innern dunkeln Tiefe verhalten mag?

Die Vergleichung des Gefuͤhls mit einer Zuruͤck - wirkung fuͤhret noch zu einer andern Folgerung. Jed - wede leidentliche Modifikation, welche die Seele empfaͤn - get, wird ihre Kraft zu reagiren rege machen, das iſt,ihr261uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ihr Gefuͤhl, und alſo einen Aktus des Fuͤhlens veranlaſ - ſen. Wie weit wird dieſer Gedanke durch die Beobach - tung beſtaͤtiget? Begleitet nicht ein gewiſſes dunkles Selbſtgefuͤhl alle unſere Zuſtaͤnde, Beſchaffenheiten und Veraͤnderungen von der leidentlichen Gattung? Ein ſtaͤrkeres Gefuͤhl unterdruͤckt ein ſchwaͤcheres, und macht es unbeobachtbar. Aber deßwegen nimmt es ſolches nicht weg, ſo wenig als das Sonnenlicht am Tage das Licht der Sterne zuruͤck haͤlt, ob gleich das letztere nicht geſehen werden kann. Es iſt nemlich leicht zu begreifen, wie dieß mit einander vereiniget werden koͤnne. Wenn die einzelnen Aeußerungen des Gefuͤhls ſich nicht ſo aus - nehmen, daß ſie in ihren Folgen, die ſie hinterlaſſen, von neuen beſonders gefuͤhlet, und von andern abgeſon - dert werden koͤnnen, ſo iſt es nicht moͤglich, ſie zu unter - ſcheiden, gewahrzunehmen und zu bemerken. Die Er - fahrung widerſpricht dieſer Allgemeinheit des Gefuͤhls nicht, und die Uebereinſtimmung dieſes Satzes mit an - dern pſychologiſchen Wahrheiten giebt ihm wenigſtens eine große Wahrſcheinlichkeit.

R 3Dritter262III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen

Dritter Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen und Bewußtſeyn.

I. Beſtimmter Begrif von dem Gewahrnehmen und Bewußtſeyn.

Die Redensarten in unſerer Sprache, eine Sache gewahrnehmen, ſie gewahrwerden, etwas bemerken, ſich einer Sache bewußt werden, be - wußt ſeyn, ſie erkennen, und mehrere, haben zwar nicht voͤllig einerley Sinn, aber ſie beziehen ſich doch alle auf einen einfachen gemeinſchaftlichen Grundbegrif von einer Aeußerung unſerer Erkenntnißkraft, die ſo, wie die meiſten Pſychologen jetzo die Worte zu gebrauchen gewohnt ſind, am reinſten und einfachſten durch das Wort Gewahrnehmen bezeichnet wird. Wenn die Seele gleichſam zu ſich ſelbſt innerlich ſaget, und wo die - ſer Aktus lebhaft wird, ihn wirklich ſo ausdruͤckt: Sie - he; wenn ſie nemlich einen Gegenſtand nun als einen beſondern Gegenſtand faſſet, ihn auskennet unter an - dern, ihn unterſcheidet; dann iſt dasjenige vorhanden, was ein Gewahrwerden oder ein Gewahrnehmen, oder die Apperception genennet wird. Ohne Zweifel hat dieß Wort, wie faſt alle uͤbrige, urſpruͤnglich eine viel eingeſchraͤnktere Bedeutung.

Gewahrnehmen iſt ein Unterſcheiden, ein Auskennen, wie die mehreſten ſagen, die zwar durch dieſe Vertauſchung der Ausdruͤcke den Begrif von dem Aktus des Gewahrnehmens nicht deutlicher machen, alser263und Bewußtſeyn. er es vorher war, aber ihn doch von einer andern Seite darſtellen, von der er vielleicht etwas mehr und heller geſehen werden kann. Das Bemerken will etwas mehr ſagen, als Gewahrnehmen. Wer etwas bemer - ket, ſuchet an der gewahrgenommenen Sache ein Merk - mal auf, woran ſie auch in der Folge gewahrgenommen und ausgekannt werden koͤnne. Sich einer Sache bewußt ſeyn, drucket einen fortdaurenden Zuſtand aus, in welchem man einen Gegenſtand oder deſſen Vorſtel - lung unterſcheidend fuͤhlet, und ſich ſelbſt dazu. Das Bewußtſeyn iſt von Einer Seite ein Gefuͤhl, aber ein klares Gefuͤhl, klare Empfindung, ein Gefuͤhl, mit dem ein Unterſcheiden der gefuͤhlten Sache und Seiner ſelbſt verbunden iſt. Gefuͤhl und Gewahrnehmung ſind die beiden Beſtandtheile des Bewußtſeyns.

II. Ob das Gewahrnehmen einerley ſey mit dem Aktus des Fuͤhlens in einer groͤßern Jntenſion? oder ob es einerley ſey mit dem Aktus des Vorſtel - lens, wenn dieſer ſich ausnehmend bey einer Vorſtellung aͤußert?

Ein Objekt, welches gewahrgenommen werden ſoll, muß in uns, entweder in der Empfindung oder in der Vorſtellung, gegenwaͤrtig ſeyn. Ohne Gefuͤhl oder ohne Vorſtellung kann nichts gewahrgenommen werden. Aber iſt dieß letztere etwas Eigenes, von je - nen Seelenaͤußerungen verſchiedenes? oder iſt es nur ein gewiſſer Grad an Staͤrke, an Lebhaftigkeit, an Fein - heit in dem Aktus des Fuͤhlens oder des Vorſtellens? Denn daß nicht ein jedes Gefuͤhl, nicht das dunkle Ge - fuͤhl einer Sache, vorausgeſetzt, daß dieſes auch ein Fuͤhlen genennet werden ſoll, ein Bewußtſeyn ſey, ſchei -R 4net264III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmennet mir durch das Raiſonnement außer Zweifel geſetzet zu ſeyn, deſſen ich in dem naͤchſtvorhergehenden Verſuch erwaͤhnet habe. Condillac iſt auch hier gleich wieder bey der Hand mit ſeinen Entſcheidungen. Die Auf - merkſamkeit iſt nichts, ſagt er, als ein lebhaftes Ge - fuͤhl; Vergleichen und Reflektiren iſt nichts, als ein Gefuͤhl von zween oder mehreren empfundenen Gegen - ſtaͤnden, die man gegenwaͤrtig vor ſich hat; das Wie - dererinnern iſt nichts, als das Gefuͤhl einer vergan - genen Empfindung, die in der Einbildungskraft mit ei - nem matten Licht zuruͤck geblieben iſt. Und alſo das Gewahrnehmen? was anders, als ein lebhaftes, hervorſtechendes Gefuͤhl einer empfundenen oder einer vor - geſtellten Sache?

Zufolge einer in dem Verſuch uͤber die Vorſtellun - gen (N. V.) gemachten Anmerkung verbindet ſich die Gewahrnehmung eines empfundenen Gegenſtandes nicht ſowohl mit der erſten Aufnahme eines ſinnlichen Ein - drucks, und mit deſſen Empfinden, als vielmehr mit der Nachempfindung. Der Eindruck von der Roſe, von der Sonne, iſt ſchon in uns aufgenommen, und beſtehet daſelbſt in den Zeitmomenten zwiſchen den unter - brochen auf einander folgenden Eindruͤcken von außen. Alsdenn iſt die Nachempfindung vorhanden; die Em - pfindung iſt ſchon in eine Vorſtellung uͤbergegangen; und durch dieſe Vorſtellung wird das Empfundene wahr - genommen. Wenn die Empfindungen oder die blos ge - fuͤhlten Eindruͤcke am ſtaͤrkſten ſind, ſo nehmen wir am wenigſten gewahr, und indem wir noch die Augen ſtarr auf die Sache gerichtet haben, gar nicht. Lebhaftes Ge - fuͤhl haͤlt die Reflexion zuruͤck. Aber es iſt unnoͤthig, auf dieſen Unterſchied hier Ruͤckſicht zu nehmen. Die Nachempfindung kann ſelbſt noch zu der Empfindung mit gerechnet werden, wo nicht etwan die Beziehung des Fuͤhlens und des Percipirens unterſuchet werden ſoll. Jch265und Bewußtſeyn. Jch ſetze alſo in der gegenwaͤrtigen Betrachtung zum Grunde, es ſey das Gewahrnehmen mit dem Gefuͤhl wie mit dem Vorſtellen verbunden; und dann iſt zu - naͤchſt zu fragen: ob ein lebhaftes abgeſondertes Ge - fuͤhl einer Sache das Gewahrnehmen allemal mit ſich verbunden habe, und verbunden haben muͤſſe, in al - len Weſen, auch in den Thierſeelen? und ob jenes mit dieſem einerleyartig ſey? Ob es daſſelbartige Vermoͤ - gen der Seele ſey, womit ſie fuͤhlet, und womit ſie das Gefuͤhlte als etwas beſonders gewahrnimmt, es ausken - net oder unterſcheidet?

Es giebt Vorſtellungen ohne Bewußtſeyn. Aber in welchem Verſtande? Es giebt Eindruͤcke von den Dingen außer uns, die an ſich vielbefaſſend und zu - ſammengeſetzt ſind, und in denen wir nichts unterſchei - den; und dergleichen giebt es auch in unſern innern Ver - aͤnderungen, welche Gegenſtaͤnde des Selbſtgefuͤhls ſind. Wir wiſſen ſo wenig | um alles, was in unſrer innern Welt vorgehet, als wir alles bemerken koͤnnen, was au - ßer uns iſt. Dahero ſind auch in den nachbleibenden Spuren, welche die Phantaſie wiederum gegenwaͤrtig machet, ſo viele Theile, die wir ſo wenig unterſcheiden, als die einzelnen Duͤnſte in den Wolken; und die den - noch auch einzeln genommen, Vorſtellungen, das iſt, ſolche hinterlaſſene Abbildungen der Dinge ſind, deren ſich die Seele, wenn es nur nicht an der noͤthigen mate - riellen Klarheit in ihnen fehlet, ſich zu Zeichen der Din - ge bedienen kann. So viel iſt wohl außer Zweifel. Der Grund und Boden der Seele beſtehet, wie Leibnitz ſagte, aus unwahrgenommenen Vorſtellungen. Die Jdeen, die Vorſtellungen, deren man ſich bewußt iſt, ſind einzelne hervorragende Theile, wie die Jnſuln auf dem Weltmeer, davon nur hie und da, eine groͤßere An - zahl nahe auf einem Haufen beyſammen lieget.

R 5Dennoch266III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen

Dennoch iſt die Hauptſache in dem Streit uͤber die Exiſtenz der bloßen Vorſtellungen hiedurch noch nicht entſchieden. Alles abgeſondert, was Wortgezaͤnke iſt, und auf Wortverwirrung und Mißverſtand beruhet, ſo findet ſich hiebey eine dunkle Stelle, auf die, ſoviel mir bekannt iſt, noch das noͤthige Licht nicht gebracht worden iſt, und auch aus Beobachtungen allein wohl nicht ge - bracht werden kann. Giebt es in uns Vorſtellungen, die als Bilder und Zeichen betrachtet, hinreichend aus - gedruckt, und von andern ſtark genug in der Phantaſie abgeſondert ſind, ſo daß ſie ſelbſt und durch ſie ihre Ob - jekte von andern unterſchieden werden koͤnnen? Haben ſie alle bildliche Klarheit, alles Licht, was ihnen noͤthig iſt, um als Jdeen gebrauchet zu werden, ſobald das Au - ge des Geiſtes auf ſie hinſiehet, ohne doch daß wir dar - um wiſſen, daß wir ſie wirklich ſehen und gewahrneh - men? Sind ſie und koͤnnen ſie ſchon voͤllig zubereitet und apperceptibel ſeyn, ohne zugleich wirklich appercipirt zu werden? Oder muͤſſen ſie vielleicht jene materielle Klarheit nur erſt durch derſelbigen Aktus empfangen, wodurch ſie wirklich gewahrgenommen, und wirklich als Bilder und Zeichen gebrauchet werden? durch den Ak - tus, wodurch ſie mit Bewußtſeyn beſeelet, und zu Jdeen werden? Die hier aufgeworfene Frage kommt unter andern Geſtalten und Ausdruͤcken in mehrern pſychologi - ſchen Aufgaben vor. Der Unterſchied zwiſchen der bild - lichen und ideellen Klarheit iſt oben in dem Verſuch uͤber die Vorſtellungen (N. XII. ) angegeben worden. Hier will ich noch etwas hinzufetzen, um die Dunkelheit in der Sache, die wohl nicht vertrieben werden kann, beſtimmt anzugeben, und zu zeigen, wie ſtark ſie ſey, und wo ſie liege.

Wir haben oͤfters einen Gegenſtand ſo nahe und ſo gerade vor Augen, daß wir eine und die andere Beſchaf - fenheit an ihm haͤtten gewahrnehmen koͤnnen, ohne daßſolches,267und Bewußtſeyn. ſolches, ſo viel wir wiſſen, dennoch geſchehen ſey. Aber wenn es nun nicht geſchehen iſt, zu der Zeit, da wir die Sache empfunden haben, ſo beſinnen wir uns auch nachher nicht darauf, wenn ſie in ihrer Abweſenheit blos als Phantasma in uns gegenwaͤrtig iſt. So oft ich mich erinnere, was fuͤr ein Kleid eine Dame getragen habe, die ich in der Geſellſchaft geſehen, wie ihr Kopf - zeug geſtaltet geweſen ſey, und dergleichen, ſo oft erin - nere ich mich, ſchon damals, als ich ſie ſahe, dieſen Zug in der Empfindungsidee bemerket zu haben. Man ſehe eine Sache recht genau an, praͤge ſich ihr Bild ein, ſo gut man kann; mache alsdenn die Augen zu, und ver - ſuche, ob man im Stande ſey, nunmehr in der Vorſtel - lung mehr bey der Sache zu entdecken, als man ſchon in der Empfindung bemerket hatte. Die Dichtkraft muß nur das Bild nicht umaͤndern; ſo wird man der - gleichen nicht finden. Scheinet es nicht, man koͤnne ſchließen, wenn die Vorſtellung als Bild in der Seele ſo ausgearbeitet vorhanden ſeyn koͤnnte, als es erfodert wird, um durch ſie die Sache gewahrzunehmen, ohne daß man ſie zugleich wirklich gewahrnehme, ſo muͤßte ich manches, auch bey der Abweſenheit der Sache, durch ihr Phantasma entdecken, deſſen ich mich vor - her bey ihr nicht bewußt geweſen bin. Aber das letz - tere geſchieht nicht. Sollte es alſo nicht wohl an ei - ner Apperceptibilitaͤt in dem Bilde, oder in einem Theil deſſelben gefehlet haben, wo die wirkliche Apperception zuruͤckgeblieben iſt? zumal da wir auch, wie ſchon erin - nert worden iſt, in ſolchen Faͤllen nichts mehr in der Wiedervorſtellung eines empfundenen Objekts unterſchei - den, als wir nicht ſchon in der Empfindung unterſchieden haben, wo es doch ungemein wahrſcheinlich iſt, daß in dem zuruͤckgebliebenen Bilde Zuͤge vorhanden ſind, die, gehoͤrig ausgezeichnet und gewahrgenommen, die Vor - ſtellungen von ſolchen unbemerkten Beſchaffenheiten ſeynwuͤrden.268III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmenwuͤrden. Solchen Zuͤgen koͤnnen wir nun die ideelle Klar - heit nicht geben, die ſie in der Empfindung nicht hatten. Warum nicht? Es muß ihnen an der erfoderlichen bildlichen Klarheit fehlen, ſie muͤſſen fuͤr ſich in der Vor - ſtellung noch nicht apperceptibel ſeyn. Denn laͤgen ſie ſchon ſo ausgearbeitet und abgeſondert da, ſo wuͤrde es ja nur darauf ankommen, daß wir die Aufmerkſamkeit gehoͤrig auf ſie verwendeten. Da wir ſie nicht ſehen, auch wenn wir ſie ſuchen, iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ſie auch in dieſer ſichtbaren Geſtalt noch nicht vorhanden geweſen ſind, und iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ſie alsdenn erſt ſichtbar werden, wenn wir ſie wirklich ſehen? Aber nun betrachte man die Sache auch von der andern Seite. Nehmen wir nicht wirklich ſo manches an den Gegenſtaͤnden gewahr, wenn wir die Jdeen, die bey der Empfindung von ihnen entſtanden ſind, nun mit voller Aufmerkſamkeit betrachten, da ſie ſelbſt nicht mehr vor uns ſind? und nehmen wir nicht ſolche Beſchaffenheiten an ihnen gewahr, wovon wir es uns nicht erinnern, we - nigſtens nicht deutlich erinnern, es in der Empfindung bemerkt zu haben? Sind denn dieß nicht die Beobach - tungen, welche es beweiſen, daß doch manche voͤllig ap - perceptible Zuͤge in dem Bilde geweſen ſind, ob es an ihrer wirklichen Apperception noch gefehlet habe?

Es laͤßt ſich hierauf antworten. Sind es Verhaͤlt - niſſe und Beziehungen, die wir gewahrwerden, in - dem wir die jetzige Vorſtellung des Abweſenden mit an - dern Vorſtellungen in uns vergleichen, ſo kann dieß eine gegenwaͤrtige neue Wirkung unſerer Reflexion ſeyn, die ſich auf die gegenwaͤrtigen Vorſtellungen verwendet. Da ſind es keine abſolute Beſchaffenheiten in dem Gegen - ſtande, keine ſolche, die wir durchaus nicht in ihm er - kennen koͤnnten, ohne einen ihnen entſprechenden und ab - ſtechenden Zug in der Vorſtellung gewahrzunehmen; es ſind Gedanken von Verhaͤltniſſen, welche die Denkkraftzu269und Bewußtſeyn. zu den Vorſtellungen hinzuſetzet, wozu dieſen nicht mehr bildliches Licht und Deutlichkeit noͤthig iſt, als ſie vor - her hatten. Es geſchicht auch wohl, daß, wenn wir uͤberlegen, und einen Theil einer Vorſtellung mit andern vergleichen, ſolche verglichene Zuͤge etwas lebhafter aus - gezeichnet, und mehr abgeſondert werden, als ſie es vor - her in dem Ganzen geweſen ſind. Allein nicht davon, ſondern dieß war die Frage, ob ſie ſchon vorher ſo deut - lich abgeſondert geweſen ſind, ehe das Unterſcheiden und das Gewahrnehmen der Beziehungen hinzugekommen iſt? Wir koͤnnen nachdenken uͤber die Vorſtellungen empfundener Dinge, und uͤber dieſe philoſophiren; aber koͤnnen wir in ihnen etwas abſolutes entdecken, das wir nicht in der Empfindung ſchon haben bemerken muͤſſen?

Sind es abſolute Beſchaffenheiten der Dinge, die wir in ihren Wiedervorſtellungen ſehen und in ihren Em - pfindungen nicht bemerket haben, ſo kann dieß ein Zuſatz aus der Phantaſie ſeyn. Die ſelbſtbildende Dichtkraft kann bey der Reproduktion manches anderswohergenom - menes hineinbringen, was aus der Empfindung der Sa - che nicht gekommen iſt. Aber alsdenn iſt das neue, was wir in dem Bilde leſen, und in der Empfindung nicht antrafen, eine Erdichtung, und wenn ſie auch durch ei - nen Zufall mit der Wahrheit uͤbereinſtimmet. Haben wir einigemale eine Perſon mit einer gewiſſen Kleidung geſehen, und dieſelbige Perſon nun das letztemal an ei - nem andern Ort, wo wir auf die Farbe des Kleides nicht acht hatten, ſo werden wir, bey der Wiedererinnerung an die letztgehabte Empfindung, ſie von ſelbſt in dem - jenigen Kleide uns vorſtellen, worinn wir ſie die meh - rern male geſehen haben. Da iſt es die Jdeenaſſocia - tion, die uns nun in der letzten Wiedervorſtellung etwas bemerken laͤſſet, was vielleicht wuͤrklich in der Empfin - dung geweſen iſt, ohne gewahrgenommen zu ſeyn. Die - ſe Faͤlle entſcheiden es alſo auch nicht, ob irgend in einerVorſtel -270III. Verſuch. Ueber das GewahrnehmenVorſtellung etwas gewahrnehmbares vorhanden ſey, was doch nicht gewahrgenommen wird, und ob eine gan - ze Vorſtellung einer Sache ſo ſeyn koͤnne?

Endlich, ſo ſind auch unſere Auseinanderſetzungen der Jdeen im Kopf, und ihre Verdeutlichung keine Be - weiſe, daß etwas in ihnen ehe ſchon voͤllig apperceptibel geweſen ſey, ehe es wirklich appercipiret worden iſt. Un - ſere ſelbſtthaͤtige Vorſtellungskraft kann die in eine ver - wirrte Vorſtellung zuſammenlaufende einzelne Bilder auf manche Weiſe auseinander ſetzen, und das vermiſchte auf - loͤſen; es folget aber nicht, daß ſie ſolches bis dahin thun koͤnne, daß irgend ein Theil, ein Zug, ein Merk - mal die abgeſonderte und hervorſtechende Lage empfange, in der es iſt, wenn es unterſchieden wird, ohne daß alsdenn der Aktus des Gewahrnehmens zugleich auch er - folge? Laß die Vorſtellung, noch ehe ſie in dieſen Zu - ſtand verſetzet wird, immer eine Perception oder eine Vorſtellung heißen; ſie iſt doch eine ſolche Vorſtellung noch nicht, die mit der bildlichen Klarheit verſehen waͤ - re, welche ſie alsdenn an ſich hat, wenn ſie als eine Vor - ſtellung einer Sache von uns gebrauchet wird. Dieje - nigen, welche gelaͤugnet haben, daß es bloße Vorſtellun - gen ohne Bewußtſeyn gebe, haben auch ohne Zweifel den Namen der Vorſtellung einer ſich auf einen andern Gegenſtand beziehenden Modifikation der Seele nicht ehe geben wollen, als bis ſolche ſo weit abgeſondert in uns vorhanden ſey, als ſie alsdenn iſt, wenn wir ſie von andern unterſcheiden und gewahrnehmen.

Es geſchieht oft, daß ich auf die Frage, welch ein Kleid hatte die Perſon an, die ich in der Geſellſchaft nicht lange vorher geſehen habe, nicht ſogleich antworten kann, aber nach einigem Beſinnen ſage ich: es duͤnke mich, dieſes oder jenes, und zuweilen ſetze ich hinzu, es ſey gewiß. Aber ſobald ich es fuͤr gewiß ausgebe, ſo erin - nere ich mich, in der Empfindung ſchon die Farbe undGeſtalt271und Bewußtſeyn. Geſtalt des Kleides bemerket zu haben. Wo ich unge - wiß bin, da bin ich es, nicht zwar darum, weil ich et - wan das, was ich angebe, nicht klar genug mir vorſtelle, ſondern daher, weil ich mich nicht verſichert halte, daß dieſe Vorſtellung mit der vorigen Empfindung uͤberein - ſtimmet, und alſo nicht weis, ob es nicht eine Erdichtung ſey. Wenn es aber dergleichen nicht iſt, ſo kann die - ſe bildliche Klarheit meiner Vorſtellung doch daher kom - men, weil ich in der Empfindung ſchon etwas gewahr - genommen habe, ob ich gleich mich nicht mehr darauf beſinne. Denn nichts iſt gewiſſer, als daß wir Dinge vergeſſen, ohnerachtet wir uns ihrer in einem hohen Gra - de bewußt geweſen ſind.

Entſchieden iſt alſo der Streit, ob es Jdeen ohne Bewußtſeyn gebe, wenn man nemlich den ſtreitigen Punkt gehoͤrig beſtimmet, durch dieſe Betrachtung noch nicht, wenigſtens nicht voͤllig. Es iſt auf der einen Seite wahrſcheinlich, daß in einer Vorſtellung Merkmale von dem Objekt leſerlich genug ſind, die wir uͤberſehen; aber es iſt auf der andern Seite auch wahrſcheinlich, daß dieſe Zuͤ - ge alsdenn, wenn wir ſie bemerken, mit dieſem Aktus des Bemerkens nur erſt dasjenige empfangen, was ſie voͤl - lig leſerlich fuͤr uns machet.

Und dieß letztere halte ich fuͤr mehr wahrſcheinlich als jenes, daß nemlich das Gewahrnehmen und das Abſondern der Vorſtellung zugleich vor ſich gehe. Denn indem wir gewahrnehmen, ſo aͤußert ſich ein Vermoͤgen der Seele und verwendet ſich auf die Vor - ſtellung. Hiervon wird dieſe doch in etwas modifiei - ret werden muͤſſen. Sollte ſie nun nichts von ihrer bild - lichen Klarheit empfangen haben, die ſie an ſich hat, wenn das Bewußtſeyn zu ihr hinzugekommen und ſie zu einer Jdee gemacht worden iſt, ſo muͤßte man annehmen, daß die Seele ihr Bewußtſeyn nur ſchlechthin auf die ſchon voͤllig fertige Vorſtellung aufgedruͤckt habe, ohnedaß272III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmendaß zugleich eine andere Veraͤnderung in dieſer letztern als Bild betrachtet entſtanden ſey. Dieß iſt dem, was man in andern aͤhnlichen Faͤllen antrift, nicht gemaͤß.

Allein nun iſt dieß noch eine andere Sache. Soll - te etwan das Gewahrnehmen gar nichts anders ſeyn, und in ſich enthalten, als denjenigen Aktus der Seele, wodurch das Bild oder ſeine Theile ihre bildliche Klar - heit empfangen? oder iſt der Aktus des Gewahrneh - mens nur darum mit dem letztern zugleich verbunden, weil das Gewahrnehmungsvermoͤgen durch den letztern, dem man noch die Vorſtellungskraft zuſchreiben kann, zur Wirkſamkeit gereizet wird?

Die Frage will noch mehr ſagen, als die vorherge - hende. Und wie viele andere, die zur Zeit unentſchie - den bleiben muͤſſen, laſſen ſich nicht zu den vorhergehen - den noch hinzuſetzen. Z. B. Wie weit naͤhert ſich das - jenige von materieller Klarheit in der Vorſtellung, was vor dem Gewahrnehmen vorhanden iſt, der voͤlligen Ap - percibilitaͤt derſelben, oder wie weit ſtehet jener Grad der bildlichen Klarheit noch von dieſer letztern ab? Die Thei - le einer ganzen Vorſtellung ſind doch ſchon an ſich in der Seele in einigen Graden verſchieden, ehe ſie wirklich von uns unterſchieden werden. Wie viel fehlt noch daran, daß ihr Unterſchied der Reflexion einleuchten, und daß es zu einer wirklichen Apperception kommen koͤnne? Soll - te in den noch ungeuͤbten Seelen der Kinder die bild - liche Deutlichkeit in ihren Vorſtellungen und Empfin - dungen nicht weiter gehen, als die ideelle Deutlichkeit in den Gedanken? Das Kind richtet oft ſeine Augen ſtarr auf ſeine Klapperbuͤchſe, ohne daß man in den Au - gen den Ausdruck der Reflexion, den Zug der die Ueber - legung verraͤth antreffe, der doch in der Folge deutlich genug zu ſehen iſt. Wie weit kann denn wohl die Bil - derſchrift in dem jungen weichen Gehirn leſerlich ſeyn, oh - ne wirklich von der Seele geleſen zu werden?

III. Das273und Bewußtſeyn.

III. Das Gewahrnehmen bringet Gedanken von ei - nem Verhaͤltniß hervor. Vergleichung des Verhaͤltnißgedanken mit dem Gefuͤhl des Abſo - luten.

Das Gewahrnehmen gehoͤret zu den ſehr einfachen Thaͤtigkeiten der Seele, in deren Jnnern ſich wenig Mannigfaltiges bemerken laͤſſet. Es iſt nicht leicht, es zu beobachten, als nur auf die Art, daß man es von außen zu betrachten ſuche, daß man nemlich auf die Wirkungen ſehe, die es hervorbringet, auf ſeine Gegen - ſtaͤnde, mit denen es ſich unmittelbar beſchaͤſtiget, und ſo weit es angehet, die Entſtehung des Bewußtſeyns aufſuchet.

Jndem wir etwas gewahrnehmen, ſo entſtehet in uns ein Gedanke von einem Verhaͤltniß einer Sache gegen andere. Das Wort, Siehe, druͤcket zum min - deſten ſo viel aus: das Objekt, was ich gewahrnehme, iſt eine beſondere Sache fuͤr ſich. Darinnen beſtehet das Unterſcheiden und Auskennen, daß ich dieſen Gedanken in mir habe, wenn er auch gleich weder ent - wickelt in der Form eines voͤlligen Urtheils vorhanden iſt, noch durch Worte wirklich bezeichnet wird.

Der Gedanke von der Beſonderheit der wahr - genommenen Sache iſt alſo eine Wirkung von dem Aktus des Gewahrnehmens, oder, wenn man die Sache ſo an - ſehen will, dieß Verhaͤltniß der Dinge iſt dasjenige, womit ſich das Gewahrnehmungsvermoͤgen unmittelbar beſchaͤftiget. Es iſt alſo eine Art von Urtheilen, was in uns bey dem Gewahrwerden entſtehet.

Jch ſage eine Art von Urtheilen. Denn ein eigent - liches Urtheil, wenn dieß als eine beſondere Gattung von Gedanken angeſehen wird, die von den Jdeen unter -I. Band. Sſchieden274III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmenſchieden iſt, und zu dieſen hinzu kommt; (ſo nimmt man das Wort gewoͤhnlicher Weiſe in der Vernunftlehre) ſo iſt das Gewahrnehmen noch nicht unter die Urtheile zu ſetzen. Durch das Unterſcheiden entſtehen zuerſt Jdeen; in den Urtheilen werden ſie als ſchon vorhandene voraus - geſetzt. Das einfache Gewahrnehmen erfordert nichts mehr, als daß der wahrgenommene Gegenſtand vorzuͤg - lich vor den uͤbrigen, unter welchen er ausgekannt wird, vorgeſtellet werde. Die Vergleichung, welche dabey zwiſchen dieſer Vorſtellung und zwiſchen den uͤbrigen an - geſtellet wird, iſt nichts weiter, als eine Gegeneinan - derſtellung von Bildern, keine eigentliche Verglei - chung der Dinge in den Jdeen. Es iſt ſeit dem Des Cartes zur Unterſuchung gekommen, ob alle Jrrthuͤ - mer in den Urtheilen liegen, oder ob es nicht auch ſchon falſche Jdeen gebe? Die Frage iſt leicht zu entſcheiden, wenn man zwiſchen den eigentlichen Urtheilen, oder Ge - danken von Verhaͤltniſſen der Jdeen, und zwiſchen dem Verhaͤltnißdenken uͤberhaupt einen Unterſchied machet. Wird dieß letztere ein Urtheilen genannt, ſo werden ſchon Urtheile erfordert, und es werden dergleichen ge - faͤllt, wenn eine Jdee hervorgebracht wird. Das Ge - wahrnehmen iſt ein Urtheilen, das iſt, ein Gedanke ei - nes Verhaͤltniſſes, und es hat das Weſentliche des Ur - theilens an ſich. Alsdann ſind alle Fehler der Denk - kraft auch Fehler in dem Urtheilen. Dieſe abgerechnet, ſo bleibet in unſerer Erkenntniß nichts mehr als die bloßen Vorſtellungen zuruͤck, bloße Bilder, die ebenfalls un - natuͤrlich, ihren Gegenſtaͤnden unangemeſſen und fehler - haft ſeyn koͤnnen, und dadurch falſche Gedanken und Ur - theile veranlaſſen, aber doch ſelbſt keinen Jrrthum, als einen unrichtigen Gedanken enthalten koͤnnen, weil noch gar keine Denkthaͤtigkeit in ihnen vorhanden iſt.

Dieſe Beſchaffenheit des Gewahrnehmens, daß es nemlich zu einem Verhaͤltnißgedanken fuͤhret, iſt vor an -dern275und Bewußtſeyn. dern in Betracht zu ziehen. Sie giebt ein Unterſchei - dungsmerkmal des Gewahrnehmens von dem Gefuͤhl, welches letztere nur allein das Abſolute in den Dingen zum Gegenſtande hat. Sollte nicht hiedurch der Satz, es ſey der Aktus des Fuͤhlens von dem Gewahr - nehmen weſentlich unterſchieden, eine heterogene und mit dieſem letztern unvergleichbare Kraftaͤußerung, wenn nicht voͤllig beſtaͤtiget, doch wahrſcheinlich gemacht werden? Die Objekte des Gefuͤhls und der Apper - ception ſind ſo weit verſchiedenartig, indem es abſolute und relative Praͤdikate ſind, als dieſe beiden Gattun - gen von Praͤdikaten oder Zukommenheiten es ſelbſt ſind, oder eigentlich in dem Grade, in welchem es die Vor - ſtellungen von dem Abſoluten und die Gedanken von dem Relativen es ſind. Gibt es etwan einen identiſchen generiſchen Begrif von beiden, der das in ſich faßt, was ihnen gemeinſchaftlich iſt? Was hat eine Relation, eine Beziehung zweyer Dinge auf einander, fuͤr eine Aehnlichkeit mit den Dingen, die ſich auf einander be - ziehen? Sie ſind beide Praͤdikate, beide Beſchaffen - heiten der Sache, ſaget man. Was heißet dieß? Beides, das Abſolute wie das Relative, wird von uns in den Objekten gefuͤhlet, erkannt, bemerket. Richtig, aber eben dieſe allgemeine Notion von einer Zukommen - heit oder von einem Praͤdikat, iſt ſie etwas mehr, als ein blos ſymboliſches Genus, mehr als ein gemeinſchaft - licher Name? Wenn das Abſolute nur allein fuͤhl - bar und vorſtellbar; das Relative nur allein gedenk - bar iſt, ſo fraͤget es ſich ja wiederum, wie weit dieſe Aktus des Fuͤhlens und des Denkens ſelbſt Einerley - oder verſchiedenartig ſind? Jſt jenes, ſo enthaͤlt der Begrif vom Praͤdikat etwas allgemeines, das ſowohl in den relativen als abſoluten Praͤdikaten vorhanden iſt; aber wenn das letztere ſtatt findet, worinn beſtehet denn am Ende das gemeinſchaftliche in ihnen? WorinnenS 2mehr,276III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmenmehr, als daß ſie Gegenſtaͤnde der ganzen menſchlichen Erkenntniß - und Vorſtellungskraft ſind.

Die Verſchiedenartigkeit des Relativen (Beziehen - den) und des Abſoluten (Unbezogenen) iſt bey der erſten Gattung der Verhaͤltniße, bey der Einerleyheit und Verſchiedenheit der Dinge, die eigentlich Verhaͤlt - niſſe oder Relationen genennt werden, ſehr auffallend. Zwey Objekte, welche wir fuͤr Einerley, fuͤr gleich, fuͤr aͤhnlich erkennen, haben ihre abſolute Beſchaffenhei - ten (als Sachen). Jedes Ey hat ſeine Groͤße, Geſtalt, Farbe, Gewicht in ſich objektiviſch. Dieß ſind ſeine abſolute Beſchaffenheiten. Aber was iſt das, was wir ihre Aehnlichkeit, Gleichheit, Einerleyheit nen - nen? Wo iſt ihre Einerleyheit? Es iſt offenbar; ſie ſey nur ſukjektiviſch in dem Verſtande vorhanden, der nach der Gegeneinanderhaltung der Dinge dieß Praͤ - dikat der Aehnlichkeit zu den Jdeen der Sachen hinzu fuͤget. Der Gedanke von dem Verhaͤltniß iſt von der Denkkraft hervorgebracht, und iſt nichts außer dem Ver - ſtande, ſondern ein ens rationis, ein Machwerk von derjenigen Kraft, mit welcher wir die in uns gegenwaͤr - tigen Vorſtellungen von den Dingen als Sachen ver - gleichen, und dann ihnen ſo zu ſagen, ein Siegel unſe - rer vergleichenden Thaͤtigkeit aufdrucken. Wenn der Gedanke von dem Verhaͤltniße einmal hervorgebracht worden iſt, ſo hat die Kraft der Seele ſich thaͤtig ge - aͤußert, und dieſe Aktion iſt eine Veraͤnderung in der Seele, die, wie jedwede andere, Spuren hinterlaͤßt, welche auf eine aͤhnliche Art, wie andere Vorſtellungen, wieder erwecket werden koͤnnen, ohne daß der erſte Aktus des Denkens ſelbſt wiederholet werde.

Dieß fuͤhret uns wiederum auf eine Unterſcheidung, die nicht uͤbergangen werden darf. Man klage uͤber Subtilitaͤt; ich wende nichts ein. Aber es iſt nun ſo; man muß ſich an allen Seiten umſehen. Es iſt einanders,277und Bewußtſeyn. anders, Dinge zuerſt fuͤr einerley erklaͤren, oder ſie un - terſcheiden; und ein anders iſt es, ſich dieſen Gedanken wieder vorſtellen, davon zu abſtrahiren, das Gemein - ſchaftliche in mehrere Verhaͤltnißgedanken abſondern, und daraus den allgemeinen Begrif von dem Verhaͤltniß - gedanken, und von dem Verhaͤltniſſe ſelbſt herausziehen.

Bey einer andern Gattung von Verhaͤltniſſen, die man Beziehungen nennen kann, die wir nur bey wirk - lichen Dingen uns vorſtellen, und die von der verſchie - denen Art abhangen, wie die Dinge mit einander wirk - lich vorhanden ſind, von der Art nemlich, wie ſie ne - ben einander zugleich ſind, oder wie ſie auf einander folgen, mit einem Wort, von den Arten ihrer Mit - wirklichkeit, iſt es ſchon eine mehr verwickelte Frage; ob auch dieſe ſo, wie die vorhergehenden Verhaͤltniſſe, als ein bloßes Werk des denkenden Verſtandes, auf eine aͤhnliche Weiſe aus der Vergleichung entſtehen, und nur etwas Subjektiviſches in uns ſind? Leibnitz und ſeine Nachfolger, und unter den neuern Philoſophen, die Herren Mendelſohn, Kant, Ulrich und andere ha - ben ſie, obgleich nicht voͤllig auf einerley Weiſe bejahet, denen aber andere widerſprechen. Z. B. Ein Ding lieget dem andern nahe; es ſtehet von ihm ab. Es giebt eine Ordnung und Symmetrie in der Verbindung der Theile in einem Gebaͤude, in einer Maſchine u. ſ. w. Was ſind dieſe Mitwirklichkeits - verhaͤltniſſe? Was iſt die Naͤhe, die Entfernung; die Beruͤhrung, der Abſtand? Zu der Einerleyheit und Verſchiedenheit, und ihren Arten, welche aus der Ver - gleichung der Dinge in den Jdeen, ohne Ruͤckſicht auf ihre Lage und Stellung gegeneinander entſpringen, koͤn - nen ſie nicht gerechnet werden, ſobald nemlich nur von einfachen Verhaͤltniſſen die Rede iſt, und nicht von ſol - chen, die aus Verhaͤltniſſen von mehreren Gattungen zuſammen geſetzet ſind. Was iſt das Objektiviſche undS 3Abſolute278III. Verſuch. Ueber das GewahrnehmenAbſolute in den vorerwaͤhnten Verhaͤltniſſen der Lage und Ordnung, und worinn beſtehet das Relative, das nur der Verſtand aus ſich hinzu ſetzet? oder giebt es dergleichen nicht? Jſt die Lage und Stellung der Dinge gegeneinander etwas Abſolutes, ſo etwas als ihre Farbe, Kraft, Soliditaͤt, und dergleichen? Der Grund die - ſer Beziehungen kann wie der Grund der erſtgedach - ten Gattung von Verhaͤltniſſen, (fundamentum rela - tionis,) etwas Abſolutes in den Objekten ſeyn; aber was iſt die Beziehung ſelbſt noch mehr, als ein Gedanke in der Denkkraft?

Dieſe Betrachtung ziehet ſich in die verwickelteſten metaphyſiſchen Unterſuchungen uͤber die Natur des Raums und der Zeit hinein, worauf ich mich hier nicht einlaſſe; aber es an einem andern Ort etwas mehr werde thun muͤſſen, wo die verſchiedenen Wirkungsarten der Denk - kraft naͤher zu betrachten kommen. Denn die ganze Spekulation uͤber die erwaͤhnten Gemeinbegriffe des Ver - ſtandes, beruhet am Ende auf pſychologiſchen Unterſu - chungen uͤber ihre Entſtehungsart und ihre ſubjektiviſche Natur im Verſtande. Hier will ich nur Eine Bemer - kung herausnehmen, welche die Verſchiedenartigkeit der Verhaͤltnißbegriffe dieſer Art und der Vorſtellungen von dem Abſoluten, (oder von Sachen) erlaͤutert.

Wenn es ausgemacht waͤre, daß die Mitwirklich - keitsverhaͤltniſſe etwas Objektiviſches in den Gegenſtaͤn - den ſind, ſo koͤnnten dieſe ſo gut, wie andere abſolute Beſchaffenheiten der Dinge, auch unmittelbare Gegen - ſtaͤnde des Gefuͤhls ſeyn. Alsdenn koͤnnte der Aktus der Seele, wenn ſie z. B. den Gedanken denket, ein Baum ſtehet in der Naͤhe des Hauſes, eine Aeußerung eben deſ - ſelbigen Vermoͤgens ſeyn, womit die Vorſtellungen von dem Baum und von dem Hauſe gegenwaͤrtig gemacht, und in ihrer Gegenwart gefuͤhlet und empfunden werden. Unter dieſer Vorausſetzung wuͤrden das Abſolute der Dingeund279und Bewußtſeyn. und dieſe Gattung von Beziehungen, beides fuͤhlbare Zukommenheiten oder Praͤdikate bey den Gegenſtaͤnden ſeyn. Dieſe Einartigkeit faͤllt aber weg, wenn die Ver - haͤltnißgedanken etwas vorſtellen, das durchaus kein un - mittelbarer Gegenſtand des Gefuͤhls ſeyn kann.

Jndeſſen iſt doch eine andere Verſchiedenartigkeit von einem geringern Grade zwiſchen ihnen vorhanden. Die Jdeen von den abſoluten Beſchaffenheiten der Din - ge koͤnnen weder durch Erhoͤhung, noch durch Verſeine - rung, in Verhaͤltnißbegriffe dieſer Gattung uͤbergehen, ſo wenig als Toͤne in Farben. Jhre Verſchiedenheit gehet alſo weiter, als auf Grade und Stufen. Nach dem gemeinen Axiom ſind Raum und Zeit und die Lage der Dinge unabhaͤngig von ihren Groͤßen, Figuren, Ge - wicht, Feſtigkeit und Farbe und andern unbezogenen Beſchaffenheiten, in ſo ferne, daß jedwedes Ding nach dem betrachtet, was ihm fuͤr ſich zukommt, voͤllig daſ - ſelbige bleiben kann, wenn gleich ſein Ort und ſeine Lage gegen andere veraͤndert wird; ſo wie auch umgekehrt an die Stelle eines Objekts ein anderes z. B. an die Stelle eines ſteinernen Pfeilers ein hoͤlzerner hingedacht wer - den kann, der den Raum von jenem genau ausfuͤllt. Laß es ſeyn, daß in den wirklichen Dingen dieſer Welt ein wahrer Zuſammenhang zwiſchen ihrem innern und aͤußern Zuſtaͤnden vorhanden iſt, wie Leibnitz und Wolf mit guten Gruͤnden behauptet haben, ſo folget doch auch daraus nichts mehr, als daß das Abſolute und das Relative von einander abhaͤnget, und mit einander veraͤndert wird, aber es folget nicht, daß das eine auf - hoͤre etwas ganz verſchiedenartiges von dem andern zu ſeyn.

Endlich, ſo mag es mit dieſer letztgedachten Art von Verhaͤltniſſen, und auch mit denen, die aus der ver - urſachenden Verknuͤpfung entſpringen, die ich hier unberuͤhrt uͤbergehe, beſchaffen ſeyn wie es wolle; ſo iſtS 4es280III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmenes doch bey der erſtern Gattung von ihnen, welche die Jdentitaͤt und Diverſitaͤt enthaͤlt, offenbar, wie wenig Verhaͤltniſſe und abſolute Beſchaffenheiten der Dinge, mit einander verglichen werden koͤnnen. Das Gewahr - nehmen iſt ein Unterſcheiden. Es faßt alſo einen Gedanken von einer Verſchiedenheit in ſich, und gehoͤrt zu eben dieſer Gattung der Verhaͤltnißgedanken, die mit den Vorſtellungen, deren Objekt das Abſolute iſt, am wenigſten gleichartig ſind, und welche das Gefuͤhl, als Gefuͤhl, nicht hervorbringen kann. Jſt nicht alſo auch der Aktus des Gewahrnehmens etwas ganz verſchiedenes von dem Aktus des Gefuͤhls, da die Wirkung von jenem etwas ganz verſchiedenes von der Wirkung des letztern iſt? Folget denn nicht ferner hieraus, daß Gewahr - nehmen eine eigene Anlage in der Seele voraus ſetze, die vielleicht noch fehlen koͤnnte, wenn gleich die Kraft zum Fuͤhlen in allen ihren Richtungen, ſo fein, ſo leb - haft, und ſo ſtark waͤre, als das koͤrperliche Gefuͤhl in einer Spinne, der Geruch in dem Hunde, und das Geſicht in dem Adler iſt? Wenn das letztere aus je - nem noch nicht mit voͤlliger Evidenz gefolgert werden kann, ſo erhellet doch ſo viel, daß es zu voreilig ſey, mit Condillac und andern das Gewahrnehmen gerade hin fuͤr ein lebhaftes Gefuͤhl zu erklaͤren.

IV. Wie281und Bewußtſeyn.

IV. Wie das Gewahrnehmen entſtehe.

  • 1) Es ſetzet eine ſich ausnehmende Empfin - dung oder Vorſtellung von der gewahrge - nommenen Sache voraus.
  • 2) Es erfordert eine Zuruͤckbeugung der em - pfindenden und vorſtellenden Kraft auf die gewahrgenommene Sache.

1.

Der Aktus des Gewahrnehmens kann nur beobachtet werden, wenn eine Sache ſchon wahrgenommen worden iſt. Denn in dem Augenblick, wenn man ge - wahrnimmt, kann man nicht auch gewahrnehmen, was dabey vorgehet. So verhaͤlt es ſich bey den meiſten un - ſerer innern Empfindungen, wie oben ſchon bemerket worden iſt; und dieß iſt nur allzuoft die Gelegenheit, daß die Phantaſie ihre Dichtungen unter den Beobachtun - gen einmiſchet. Aber dennoch machet dieſer Umſtand eine richtige Beobachtung nicht ganz unmoͤglich.

Richte ich das innere Geiſtesauge auf den Aktus des Gewahrnehmens, ſo gut ich kann, ſo zeiget ſich zuerſt dabey dieſer merkwuͤrdige Umſtand. Die Empfin - dung oder die Vorſtellung, durch welche man einen Ge - genſtand gewahrnimmt, iſt vorzuͤglich lebhaft in uns gegenwaͤrtig, und abgeſondert von andern. Die Veranlaſſung, warum ich eben dieß Ding und nicht ein anders jetzo gewahrwerde, mag ſeyn, welche ſie wolle; ſie mag in mir oder vorzuͤglich in dem Objekt ſelbſt lie - gen; es moͤgen meine Augen von ohngefehr auf einen Menſchen fallen, den ich unter einem großen Haufen vor andern bemerke; oder es mag daher kommen, weil die - ſer Menſch eben allein von den uͤbrigen abgeſondert ſteht;S 5oder282III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmenoder daher, weil ſeine Geſtalt, ſeine Kleidung oder ſon - ſten etwas ihn auszeichnet, oder weil er ein Bekannter von mir iſt; es ſey Vorſatz oder Zufall, was mich ihn hat gewahrwerden laſſen; ſo iſt ſo viel gewiß: ich werde alsdenn, wenn ich ihn gewahrnehme, auf eine vorzuͤg - liche Art mit der Empfindung von dieſem Menſchen be - ſchaͤftiget. Jſt es eine Vorſtellung in der Einbildungs - kraft, die ich gewahrnehme, ſo treffe ich auch bey dieſer denſelbigen Umſtand an. Die appercipirte Vorſtellung ziehet die Kraft der Seele vor andern vorzuͤglich auf ſich.

Wir nennen es ein Befuͤhlen, Betaſten, Be - ſchauen, Beſehen, Beriechen, wenn wir die Sin - ne auf eine vorzuͤgliche Weiſe und mit Fleiß auf einen Gegenſtand hinwenden, um ihn beſſer zu empfinden. Ge - meiniglich wird hiebey vorausgeſetzt, daß wir ſchon eine Jdee von ihm haben, und daß es uns nur um eine groͤ - ßere Klarheit oder Deutlichkeit in ihr zu thun ſey. Das ſimple Gewahrnehmen bringet die erſte klare Jdee her - vor, und erfordert alſo, in dieſem Verſtande jene Woͤr - ter genommen, kein Beſchauen. Aber wenn man, wie ſolches denn ja wohl hier erlaubt iſt, jenen Aus - druͤcken eine etwas erweiterte Bedeutung giebet, und jed - wede vorzuͤgliche Anwendung des Empfindungsvermoͤ - gens auf einen Gegenſtand ein Befuͤhlen oder Beſchau - en deſſelbigen nennet, ſo gehoͤret eine ſolche Beſchaͤfti - gung der Sinne zu dem Gewahrnehmen der Dinge in der Empfindung. Das Wort Beachten kann in ei - ner aͤhnlichen Bedeutung von der Vorſtellungskraft ge - brauchet werden; und zum Theil iſt es ſchen ſo gebrau - chet worden. Jede in der Vorſtellung gewahrgenom - mene Sache, oder jede appercipirte Vorſtellung iſt al - ſo[e]ine beachtete Vorſtellung. Es heißt dieß ſo viel. Sie iſt eine ſolche, mit welcher das vorſtellende Vermoͤ - gen der Seele ſich ausnehmend beſchaͤftiget hat. Bis zum Befuͤhlen und Beachten bringet es die Seeledes283und Bewußtſeyn. des Hundes ohne Zweifel auch; aber bringet ſie es auch bis zum Gewahrnehmen und Bemerken, bis zu dem Gedanken: Siehe da! einen beſondern Gegenſtand? oder lieget nicht dieß vielmehr außer ihrer Sphaͤre?

Wir bedienen uns des Ausdrucks Aufinerken und Aufmerkſam ſeyn in jedem Fall, wo unſere Erkenntniß - kraͤfte mit einer vorzuͤglichen Jntenſion auf einen Gegen - ſtand gerichtet werden. Aber wir ſetzen allemal voraus, daß wir alsdenn nicht allein die Sinne und die Phan - taſie, ſondern mehr und vorzuͤglich das Ueberlegungsver - moͤgen mit der Sache beſchaͤftigen. Das Vermoͤgen zur Aufmerkſamkeit iſt es, wodurch die Klarheit und Deutlichkeit in den Vorſtellungen erlanget wird, und wo - durch wir die Verhaͤltniſſe und Beziehungen des Objekts gegen andere und ſeiner Theile unter einander erkennen. Und dieſe Beſtimmten Worterklaͤrungen vorausgeſetzt, ſo kann man das Befuͤhlen, das Beachten und das Aufmerkſam ſeyn von einander unterſcheiden. Es ſind dieß Richtungen und Anwendungen verſchiedener Seelenvermoͤgen auf einen Gegenſtand, obgleich dieſe Vermoͤgen in Verbindung miteinander wirken, und ins - beſonders muß in jedem Fall, wo wir auf etwas auf - merkſam ſind, auch die Vorſtellung von der Sache vor - zuͤglich bearbeitet, und alſo die Sache ſelbſt beachtet werden.

2.

Zweytens findet ſich bey jedweder Gewahrnehmung, daß das Gefuͤhl oder die Vorſtellungskraft nicht allein auf das gewahrgenommene Objekt in etwas feſtgeheftet ſey, ſondern daß ſie auch auf ſelbiges zuruͤckgebogen worden ſey, wenn ſie ſchon im Begrif geweſen iſt, es zu verlaſſen und ſich auf andere Dinge zu verwenden. Die Seelenkraft, es ſey ihr Empfindungsvermoͤgen oder ihre vorſtellende Kraft, iſt thaͤtig, unruhig, und hateinen284III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmeneinen Hang zu Veraͤnderungen, und vermoͤge dieſes Hangs iſt ſie geneigt, von einer Vorſtellung, die jetzo ihr vorlieget, zu einer andern fortzugehen, oder auch ſich zu - ruͤck zu wenden auf andere, die ſie vorhero gehabt hat. Da wo wir gewahrnehmen, finden wir, daß ſie zum mindeſten einen Anſatz zu einem ſolchen Uebergang geaͤu - ßert und auch wohl den Anfang dazu wirklich gemacht ha - be, aber auch, daß ſie auf die gewahrgenommene Sache wiederum zuruͤckgezogen ſey. Es zeiget ſich in ſehr vie - len Beyſpielen ſehr deutlich, daß ſo etwas vorgehe. Die Kraft wird bey dem gewahrgenommenen Gegenſtand ge - feſſelt, ſie will ſich zerſtreuen, will zu andern Empfin - dungen fortruͤcken, wird aber auf jene von neuen hinge - zogen. Es iſt eine Art von phyſiſcher Zuruͤckbeugung der Kraft auf die Vorſtellung, die man gewahrnimmt. Eine Art von Reflexion, davon man noch die Spuren erkennet, wenn man den Aktus des Gewahrnehmens in ſeinen hinterlaſſenen Folgen beobachtet. So gar in ſol - chen Faͤllen, wo uns etwas von ſelbſt aufſtoͤßet, ohne daß wir es geſucht haben, wo ein Gegenſtand allein und abgeſondert vor unſern Augen hingeſtellet iſt, und alſo bey dem erſten Blick bemerket wird, da zeiget ſich doch ein gewiſſer Anſatz, die Augen weiter fort von der Sa - che wegzudrehen, und entweder auf uns ſelbſt zuruͤckzu - gehen, oder auf andere Dinge ſie zu werfen, aber ſie werden auf das gewahrgenommene Objekt zuruͤckgefuͤh - ret, oder bleiben auf ſelbiges geheftet. Die Kraft wird reflektirt nach der Stelle und nach dem Punkt hin, den man gewahrnimmt, und muß hier eine Weile ſich auf - halten.

Dieſer Anfang, von der Vorſtellung einer Sache ſich zu entfernen, und dann wieder auf ſie zuruͤck zu kommen und mehr bey ihr zu bleiben, ſcheinet ein weſentlicher Um - ſtand zu ſeyn, wenn eine Unterſcheidung entſtehen ſoll. Wo man mit Fleiß und aus Abſicht auf eine Sache auf -merkſam285und Bewußtſeyn. merkſam iſt, wo es uns darum zu thun iſt, diefe oder jene Beſchaffenheit bey ihr beſonders gewahrzuwerden, da fuͤhlt man es am deutlichſten, daß eine Kraft erfor - dert wird, um der Zerſtreuung vorzubeugen. Sinne und Phantaſie auf ein Objekt hinzuwenden, und ſie ſtark beobachten, erfordert ebenfalls aus dieſem Grunde eine Seelenthaͤtigkeit, die es verwahret, daß die Kraͤfte nicht auf fremde Vorſtellungen abſpringen.

Sind ſolche Schwingungen der vorſtellenden Kraft ſchon dasjenige, was man ein Vergleichen, ein Ge - geneinanderſtellen der Jdeen, ein wechſelsweiſes Ue - bergehen von der Einen zur andern, auch eine Reflexion nennet? Einige haben es damit verwechſelt. Es iſt der Keim dazu, das Analogon davon, aber noch kein ei - gentliches Vergleichen, weil noch keine Jdeen vorhan - den ſind, die bey dem Vergleichen der Dinge vorausge - ſetzet werden. Es iſt eine Beſchaͤftigung mit Vorſtel - lungen, die durch ſolche zu Jdeen gemacht werden.

V. Ob das Gewahrnehmen etwas Paſſives in der Seele ſey?

Es iſt weder fuͤr ſich offenbar, noch durch eine richtige Folgerung aus Empfindungen bewieſen, was Hr. Search und andere mit ihm als einen Grundſatz ange - nommen haben, daß das Gewahrnehmen etwas Lei - dentliches in der Seele ſey. Es ſcheint ſolches viel - mehr eine thaͤtige Anwendung unſerer Kraft zu ſeyn, mit welcher wir auf unſere gegenwaͤrtige Vorſtellungen oder Empfindungen noch mehr als blos zuruͤckwirken. Hr. Search erklaͤret auch den Verſtand fuͤr ein paſ - ſives Vermoͤgen der Seele, oder fuͤr eine bloße Recep - tivitaͤt, und um dieſe Jdee mit den gemeinen Erfahrun - gen zu reimen, nach welchen die Arbeiten des Verſtan -des286III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmendes unter die ſtaͤrkſten Anſtrengungen der Seele gehoͤren; ſo wird alles, was bey dem Ueberlegen und bey dem Nachdenken einer Sache als eine Selbſtwirkſamkeit der Seele vorkommt; die gegenwaͤrtige Darſtellung der Jdeen, ihre Gegeneinanderhaltung, das Herumſetzen derſelben, das Vergleichen, Verbinden, Abſondern u. ſ. f. dem Willen zugeſchrieben, als dem Vermoͤgen, ſich ſelbſtthaͤtig zur Wirkſamkeit zu beſtimmen. Wenn man ſo abtheilen will, ſo kann freylich fuͤr den Verſtand nichts mehr uͤbrig bleiben, als die Empfaͤnglichkeit, oder die paſſiven Vermoͤgen der Seele, Veraͤnderungen in ſich aufzunehmen. Und auch nicht alle hieher gehoͤrige ſollen dem Verſtande zugeſchrieben werden, ſondern nur allein das Gewahrnehmungsvermoͤgen, das man fuͤr ei - ne bloße Receptivitaͤt angeſehen hat. Die kuͤnſtliche Ab - theilung der Seelenkraͤfte mag jeder einrichten, wie er es fuͤr gut befindet, wenn nur nichts reelles bey ihnen uͤber - ſehen wird. Aber warum unterſcheidet man nicht Selbſt - thaͤtigkeiten, die auf das Erkennen gerichtet ſind, von denen, welche auf Handlungen hinausgehen, durch wel - che in uns ſelbſt und außer uns etwas verurſachet wird, das nicht in Vorſtellungen und Gedanken beſtehet?

Jndeſſen kann ich es leicht zugeben; daß der Ver - ſtand nichts mehr befaſſen ſoll, als das Vermoͤgen gewahr - zunehmen. Jſt denn dieſes Gewahrnehmen blos eine leidentliche Veraͤnderung? Das gemeine Gefuͤhl der Deutſchen muß zwiſchen dem Gewahrnehmen und dem Gewahrwerden einigen Unterſchied gefunden ha - ben, weil es zwey verſchiedene Woͤrter in die Sprache gebracht hat, davon das andere ein Thun ausdruͤcket, das andere ein Mittelwort iſt, um dieſe Verſchiedenheit anzugeben. Wie weit iſt ſolche denn gegruͤndet; oder iſt der gemeine Verſtand, wie er es ſelten iſt, hier einmal ein ſpitzfindiger Wortkraͤmer geweſen?

Es287und Bewußtſeyn.

Es giebt zwey unterſchiedene Faͤlle. Zuweilen ſu - chen wir ein Ding mit Fleiß und aus Abſicht. Wir wollen es auskennen und unterſcheiden; das iſt, wir ſu - chen eine gewiſſe Beziehung unſerer Jdeen, als das Re - ſultat unſerer Vergleichungen und Ueberlegungen. Wir nehmen es, wie wir ſagen, gewahr, wenn ſich der geſuchte Gegenſtand und das Verhaͤltniß der Jdeen, das wir erkennen wollen, uns darſtellet. Wir werden ge - wahr da, wo uns etwas auffaͤllt, das wir nicht geſucht haben, wie etwann ein Freund, der unvermuthet uns vor den Augen tritt.

Aber der Aktus des Gewahrnehmens, iſt dieſer nicht in dem einen Fall daſſelbige, was er in dem an - dern iſt, nur daß mehrere Vorarbeiten bey den Vorſtel - lungen und Jdeen in dem einen Fall vorhergehen, als in dem andern? Archimedes mußte manche Verbin - dungen von Jdeen im Kopf herumgehen laſſen, ehe er das Verhaͤltniß der Kugel, des Cylinders und des Ke - gels von gleicher Grundflaͤche und Hoͤhe, gegeneinander gewahrnahm. Dieſe Einſicht entſtehet oft nur nach und nach. Man muthmaßet ſie vorher, ſiehet ſie in der Ferne noch dunkel, wittert ſie, ſo zu ſagen, ehe das Ge - wahrnehmen vollſtaͤndig wird. Dagegen koſtet es nichts als eine Wendung der Augen, um einen Marktſchreyer zu bemerken, der ſich zu Pferde ſehen und hoͤren laͤßt. Wir muͤſſen Sachen gewahrwerden, die uns in die Sin - ne fallen, wie den Ton der Trummel, die vor unſern Ohren geſchlagen wird.

Hieraus kann man ſchwerlich ſchließen, weder daß der Aktus des Gewahrnehmens in dieſen verſchiedenen Faͤllen einerley, noch daß er etwas verſchiedenes ſey. Es kann in beiden Beyſpielen eine wahre Aktion, oder auch in beiden eine Paſſion ſeyn. Jſt Gewahrnehmen das Einemal nichts als ein Annehmen, oder ein Aufnehmen, ein Zulaſſen einer Veraͤnderung, oder auch ein Ergrei -fen,288III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmenfen, und Abſondern einer Vorſtellung, ſo kann es in dem andern Fall daſſelbige ſeyn. Jſt es dagegen eine thaͤti - ge Aeußerung der Seelenkraft gegen die beachtete lebhaf - ter ausgedruckte Vorſtellung, und alſo nicht blos eine Thaͤtigkeit, die etwas in der bildlichen Klarheit der Vor - ſtellung bewirket, ſondern noch eine andere beſondere Aktion, von der der Verhaͤltnißgedanke eine beſondere Wirkung iſt, ſo kann es ſolches ſowohl ſeyn, wenn wir gewahrwer - den, als wenn wir gewahrnehmen. Eine Kugel nimmt von einer geſpannten Stahlfeder, die ſich aus - dehnet, und ſie fortſtoͤßet, eine Bewegung auf, und rea - girt in ſo weit gegen die Stahlfeder; aber wenn die Fe - der hingegen von dem Stoß einer Kugel, die gegen ſie an - faͤhrt, zuſammengedrucket worden iſt, ſo wirkt ſie nun von neuem heraus gegen die Kugel. Jſt der Aktus des Ge - wahrnehmens in der Seele jener paſſiven Reaktion der Kugel aͤhnlich, wie das Fuͤhlen es war, oder muß ſie mit der neuen bewegenden Thaͤtigkeit der Feder gegen die Kugel verglichen werden?

Wir muͤſſen gewahrnehmen auch wider unſern Wil - len, wenn alle Vorveraͤnderungen dazu geſchehen ſind: ich muß die Trummel hoͤren, das Bittere der Arzeney ſchmecken, den Stich der Nadel mit Bewußtſeyn em - pfinden, wenn meine Sinnglieder die erforderlichen Ein - druͤcke empfangen haben. Dieß iſt ein Beweis, daß das Gewahrnehmungsvermoͤgen, es ſey ein thaͤtiges oder paſſives Princip, nicht allemal in unſerer Gewalt iſt; daß wir es oft ſo wenig zuruͤckhalten koͤnnen, als die ge - ſpannte Stahlfeder ihre Elaſticitaͤt aufhalten kann. Aber iſt es ein Beweis, daß wir leiden, wofuͤr einige es an - ſehn? Wie viele thaͤtige Anwendungen unſerer Kraft ſind nicht unwillkuͤhrlich, und wie viele von den freywil - ligen werden es nicht, wenn die Seele zu heftig gereizet wird? Das Unwillkuͤhrliche in der Handlung hindert nicht, daß ſie nicht eine Handlung ſey.

Wenn289und Bewußtſeyn.

Wenn man, wie hier geſchicht, unter dem Ge - wahrnehmen den ganzen Aktus der Seele verſtehet, wovon das Unterſcheiden einer Sache, oder der Ge - danke: Siehe, unmittelbar hervorgebracht wird, ſo kann man, wenn man auf die Empfindung zuruͤck ſiehet, ſich kaum erwehren, zu glauben, daß dieſer Aktus ein gewiſſer Ausbruch der ſelbſtthaͤtigen Seelenkraft ſey, die ſich von neuen auf ſchon vorhandene Empfindungen oder Vorſtellungen verwendet, und auslaͤßt.

Bey einem jeden Gewahrnehmen findet ſich Be - ſchauung und Beachtung. Jenes iſt eine Fortſetzung des Gefuͤhls, dieſe eine Fortſetzung der Vorſtellungs - kraft, die ſich bey dem Objekt verweilet. Beides iſt ei - ne vorzuͤgliche Bearbeitung des ſinnlichen Eindrucks oder ſeiner Abbildung in uns, wodurch dieſe, ſtaͤrker und lebhafter und tiefer in uns ausgedruckt, hervorſtechend gemacht und abgeſondert wird. Beides iſt etwas, ſo von innen kommt, und ein ſelbſtthaͤtiges Beſtreben er - fodert. Denn auch da, wo ich nur das Sinnglied in einer Richtung, auf einen Gegenſtand hin feſt halten ſoll, da beweiſe ich mich als ein thaͤtiges und wirkſames We - ſen. Wir nehmen nichts gewahr, ohne einigen Grad von Aufmerkſamkeit, in der gewoͤhnlichen weitern Be - deutung dieſes Wortes, nemlich ohne eine Anſtrengung unſerer Erkenntnißkraft, es ſey unſers Gefuͤhls, unſe - rer Vorſtellungskraft oder unſerer Denkkraft.

Jſt das Gewahrnehmen nichts anders, als eben dieſer Aktus der vorzuͤglichen Bearbeitung eines Ein - drucks oder einer Vorſtellung, ſo iſt es ohne Zweifel eine Aktion des Gefuͤhls und der vorſtellenden Kraft, und iſt ſo etwas, wozu ein Weſen, das allein zum Leiden auf - gelegt iſt, nicht aber wirkſam und thaͤtig ſeyn kann, gaͤnz - lich unvermoͤgend iſt. Jſt es aber nicht einerley mit der Beachtung und Beſchauung und ſo ſtellte es ſich dar, wenn man auf ſeine Wirkung ſiehet, nemlichI. Band. Tauf290III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmenauf den Verhaͤltnißgedanken, der gaͤnzlich von dem Abſondern und Hervorziehen der Vorſtellungen, ver - ſchieden iſt ſo muß es noch mehr eine beſondere Selbſtwirkſamkeit ſeyn, wodurch eine eigene, ſich unter - ſcheidende Wirkung in der Seele hervorgebracht wird.

Verbinden wir hiemit die unmittelbare Beobach - tung, ſo wird dieſer Gedanke beſtaͤtiget. Jndem wir etwas gewahrnehmen, ſo fahren wir, ſo zu ſagen, in Hinſicht dieſes Gegenſtandes auf, wie aus einem Schlaf. Wir faſſen, ergreifen ihn, wir faſſen uns ſelbſt in Hinſicht ſeiner, beſinnen uns, und fangen eine neue Jdeenreihe an. Wenn das Gewahrnehmen geſchehen iſt, ſo iſt auch die Vorſtellung der Sache im Lichten, klar und unterſcheidend vor uns. Mit dieſem ihr aufgedruck - ten Charakter wird ſie im Gedaͤchtniß aufbewahret, und denſelben traͤgt ſie an ſich, wenn ſie von der Einbildungs - kraft wieder erwecket wird, und fuͤhret dadurch die vorige Apperception ſelbſt wieder mit ſich zuruͤck.

Es kommt alſo manches zuſammen, das Apperci - piren fuͤr eine neue hinzukommende Aktion der Seele zu halten, und alſo auch das Gewahrnehmungsvermoͤgen fuͤr ein thaͤtiges Vermoͤgen. Ob aber von dieſer Un - terſuchung etwas erhebliches in der Pſychologie abhange oder nicht, daruͤber bitte ich nicht eher zu urtheilen, als bis man weiter kommt. Und warum ſollte man bey der Nachforſchung der Wahrheit ſich aͤngſtlich fuͤrchten, daß man ohne Nutzen arbeite. Man finde nur Wahrheit; ſie wird, wie das Geld, wohl irgendwo genutzet werden koͤnnen.

VI. Ob291und Bewußtſeyn.

VI. Ob das Gewahrnehmen einerley ſey mit dem Ge - fuͤhl der Verhaͤltniſſe?

Noch eine Bemerkung uͤber das Gewahrnehmen. Die Erklaͤrungsarten des Hrn. Bonnets von den Wirkungen der Seelenvermoͤgen, unterſcheiden ſich durch ihre Genauigkeit und den dabey angewandten Scharf - ſinn ſo vorzuͤglich, daß man Urſache hat, uͤberall auf ſie Ruͤckſicht zu nehmen. Jſt das Gewahrnehmen etwas anders, als eine vorzuͤgliche Vorſtellung einer Sache, mit einem Gefuͤhl des Verhaͤltniſſes dieſer Sache gegen andere verbunden. So wuͤrde es eine zuſammengeſetzte Wirkung ſeyn, die in dem Vorſtellungsvermoͤgen und in dem Gefuͤhl zugleich ihren Grund hat. Dafuͤr muß man es erklaͤren, wenn man dem genannten Philoſophen auch da noch folgen will, wo er das Wiedererinnern zergliedert.

Es giebt ein Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe und Be - ziehungen, ohnerachtet dieſe Art von Beſtimmungen kein unmittelbarer Gegenſtand des Gefuͤhls iſt, wie in dem vorhergehenden Verſuch (N. III. ) gezeiget iſt. Aber dieſe Gefuͤhle von Verhaͤltniſſen ſind auch eigentlich Ge - fuͤhle von innern abſoluten Veraͤnderungen, die von den Verhaͤltniſſen und Beziehungen der Objekte abhangen. Es iſt außer Zweifel, daß wenn etwas wahrgenommen, oder unterſchieden wird, auch der Uebergang von dem gewahrgenommenen Gegenſtande auf andere gefuͤhlet werde. Daraus koͤnnte das Entſtehen der Verhaͤltniß - gedanken und des Gewahrnehmens, mit einem großen Schein auf die folgende Art erklaͤret werden, die mit der bonnetiſchen Pſychologie uͤbereinſtimmen wuͤrde. Die Vorſtellung von der Sonne z. B. iſt in uns gegenwaͤr - tig; die vom Monde auch. Laß nun zuvoͤrderſt dieT 2Eine,292III. Verſuch. Ueber das GewahrnehmenEine, dann die andere unſere Vorſtellungskraft beſchaͤf - tigen; laß uns wechſelsweiſe von Einer Vorſtellung zu der andern uͤbergehen. Dann werden beide, oder doch die Eine von ihnen, vorzuͤglich lebhaft und abgeſondert, das iſt, es entſtehet eine Beachtung, Gegeneinander - haltung, Vergleichung. Und dieſe Operationen bewir - ken die bildliche Klarheit in der Vorſtellung. Nun wird auch der Uebergang von Einer zur andern gefuͤhlet. Dieß Gefuͤhl, mit der bildlichen Klarheit einer Jdee ver - bunden, kann das Urtheil oder den Gedanken ausma - chen, daß die Eine Sache von der andern unterſchieden ſey. Daraus fließet denn das vorher ſchon angegebene Reſultat: Gewahrnehmen ſey, von einer Seite betrach - tet, nichts als ein Gefuͤhl, von der andern aber eine thaͤtige Anwendung der Vorſtellungskraft, die gewiſſe Vorſtellungen nicht nur wieder erwecket, und gegenwaͤr - tig in uns erhaͤlt, ſondern ſie auch aufloͤſet, von einander trennet, und eine oder die andere dem Gefuͤhl allein ab - geſondert und ausnehmend darſtellet. Das Urtheil blei - bet zwar zuweilen zuruͤck, ohnerachtet wir die Vorſtellun - gen im Kopf genug umwenden und gegeneinander ſtel - len; und zuweilen bleiben wir zweifelhaft, wenn das, was wir den Beyfall, die gewiſſe Einſicht, Entſchei - dung, Endurtheil nennen, nicht erfolget, ob es gleich weder in dem einen noch in dem andern Fall an der ma - teriellen Klarheit in den Jdeen nicht fehlet; aber auch von dieſen und andern beſondern Symptomen des Ge - wahrnehmens, ließe ſich noch wohl aus der obigen Jdee einiger Grund angeben. Man muͤßte ſagen, in ſolchen Faͤllen, wo der gehoͤrigen Abſonderung in den Vorſtel - lungen ohnerachtet, es doch noch an einem voͤlligen Ge - wahrnehmen eines Verhaͤltniſſes dieſer Sache auf andere zu fehlen ſcheinet, da ſey die Urſache dieſe: es fehle noch das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe der Jdeen, das wir ſuchen und haben muͤſſen, wenn ein bejahender oder verneinen -der293und Bewußtſeyn. der Urtheilsgedanke hervorkommen ſoll; und dieß Ge - fuͤhl entſtehe nicht, oder doch nicht mit der noͤthigen Staͤrke, weil die Vorſtellungen in uns noch in eine ſol - che Lage nicht gebracht ſind, in der ſie ſeyn muͤſſen, wenn der Uebergang von Einer zur andern in uns diejenige abſolute Modifikation verurſachen ſoll, deren Gefuͤhl ei - gentlich das Gefuͤhl ihres Verhaͤltniſſes, welches wir denken wollen, ausmachet.

Zufolge dieſer Erklaͤrungsart wird fuͤr das Weſent - liche und Unterſcheidende des Gewahrnehmens, wenn die Abſonderung der Vorſtellungen als eine Thaͤtigkeit der vorſtellenden Kraft angeſehen und dieſer zugeeignet wird, nichts mehr, als die leidentliche Empfindung oder das Gefuͤhl der Verſchiedenheit zuruͤcke bleiben.

Jſt dieſe Erklaͤrung richtig aus Beobachtungen her - geleitet, oder iſt ſie nur von dem Geiſt des Syſtems er - dichtet, und in die Beobachtungen hineingetragen? Der Gedanke von einem Verhaͤltniß ſollte doch nur ein Ge - fuͤhl des Verhaͤltniſſes ſeyn? dieß iſt mir unbegreiflich. Das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe iſt ja eine Reaktion gegen eine abſolute Veraͤnderung in der Seele. Eine ſolche Reaktion, deren Objekt etwas Abſolutes iſt, ſollte einer - ley mit einem Verhaͤltnißgedanken ſeyn, in welchem die Seelenkraft ſich wie eine aus ſich ſelbſt hervorgehende Kraft beweiſet, die in den relativen Praͤdikaten den Dingen etwas hinzu ſetzet, das ſie ſonſten nicht hatten, und das von ihrem Abſoluten, womit ſich das Gefuͤhl be - ſchaͤftiget, ganz und gar verſchieden iſt? Mir iſt es weit wahrſcheinlicher, daß der Aktus des Gewahrneh - mens eine neue Aktion iſt, bey der die Seele ſich nach dem vorhergehenden Gefuͤhl und der Vorſtellung auf die letztere noch weiter fort aͤußert und ſelbſtthaͤtig ſich ver - wendet. Aber ich gebe gerne zu, und ſo viel lehret auch nur die Beobachtung, daß jenes Gefuͤhl des Verhaͤlt - niſſes die naͤchſtvorhergehende Veranlaſſung ſey,T 3wodurch294III. Verſuch. Ueb. d. Gewahrnehmen c. wodurch die Seelenkraft zu dieſem neuen Aktus gereizet wird, bey dem ſie ſich als Denkkraft beweiſet, als eine Kraft, die ihre Wirkſamkeit weiter fortſetzet, als bis zum Fuͤhlen und Vorſtellen? Wenn ich dieſe letztere Meinung behaupte ich verlange nicht, daß man ſie als eine, durch die Beobachtungen zur voͤlligen Gewiß - heit gebrachte, anſehen ſoll was wird Hr. Bonnet gegen mich anfuͤhren, wenn ich in den naͤmlichen Erfah - rungen, dieſe meine Vorſtellung in der Sache leſe, wo - mit er die ſeinige beſtaͤtigen moͤchte? ich weis nicht, was er mehr gegen die meinige ſagen koͤnnte, als ich in Hin - ſicht der ſeinigen geſagt habe. Die meinige iſt vielleicht auch vom Geiſt des Syſtems gebildet. Was iſt zu thun? Wir muͤſſen es darauf ankommen laſſen, welche von beiden ſich am beſten mit den uͤbrigen Erfahrungs - begriffen vertragen wird, die uns aufſtoßen werden, wenn wir dem Gewahrnehmungsvermoͤgen, und der Denk - kraft uͤberhaupt in ihren verſchiedenen Aeußerungen wei - ter nachſpuͤren.

Vierter295

Vierter Verſuch. Ueber die Denkkraft und uͤber das Denken.

I. Wie die Unterſuchung dieſes Seelenvermoͤgens anzuſtellen ſey.

Das Gewahrnehmen iſt Eine von den erſten Wir - kungen des Vermoͤgens der Seele, womit ſie Verhaͤltniſſe und Beziehungen in den Dingen erkennet. Dieß ganze Vermoͤgen will ich zuſammen von nun an die Denkkraft nennen, ſo wie das Erkennen der Ver - haͤltniſſe und Beziehungen in den Dingen uͤberhaupt ein Denken heißen kann.

Da es mehrere Verhaͤltniſſe in den Dingen giebt, als ihre Verſchiedenheit, ſo iſt das Gewahrnehmen nur Eine Art, und zwar die einfachſte von den Aeuße - rungen der Denkkraft. Wenn die uͤbrigen Arten von Verhaͤltniſſen, und die Aktus des Beziehungsvermoͤ - gens, wodurch ſie entſtehen, auf dieſelbige Art aufgeloͤ - ſet werden, wie es mit dem Gewahrnehmen geſchehen iſt, ſo kann man vielleicht hoffen, die urſpruͤngliche Ver - bindung und Beziehung dieſer Seelenvermoͤgen, der Denkkraft, des Vorſtellungs - und des Empfindungs - vermoͤgens auf einander, in ihren erſten Anfaͤngen in Deutlichkeit zu ſetzen. Aber ich geſtehe, ob ich gleich dieſem Wege ſorgfaͤltig nachgegangen bin, dennoch das nicht ſo voͤllig gefunden zu haben, was ich ſuchte, und wovon es mir ſchon geahndet hatte, daß es ſich nicht ſo deutlich zeigen wuͤrde. Der Pſycholog kann bey ſeinen Nachforſchungen wohl nichts anders erwarten, als wasT 4dem296IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftdem Phyſiologen begegnet. Geht man den einfachen Faſern bis auf ihren Urſprung nach, ſo verlieren ſie ſich auch vor dem bewafneten Auge, und zwar noch ehe man zu dem Anfangspunkt hinkommt, bey dem ſich ihre Ab - ſtammung aus einem gemeinſchaftlichen Princip bemer - ken ließe. So gehts auch in der Seele. Loͤſet man das Beziehungsvermoͤgen auf, und geht ruͤckwaͤrts auf die erſten Grundthaͤtigkeiten, worinn es ſich offenbaret, ſo entziehen ſie ſich endlich aller Bemerkung. Sie wer - den immer bey einander gefunden, aber als verſchiedene Seelenfaſern, ſo lange ſie beobachtbar ſind, ohne daß man deutlich die Grundſache ſehen koͤnne, aus der ſie alle, und mit ihnen zur Seite das Gefuͤhl und das Vorſtel - lungsvermoͤgen hervorgehen. Dieß hat mich bewogen, mit der Unterſuchung umzuwenden, und aufwaͤrts den Wirkungen der Denkkraft nachzugehen, und die letztere in ihrer Verbindung mit den Wirkungen der uͤbrigen Vermoͤgen zu betrachten. Laß alſo das Beziehungsver - moͤgen oder die Denkkraft anfangs als ein eigenes Grund - vermoͤgen angeſehen werden. Dieſes verbindet, vermi - ſchet und durchſchlaͤngelt ſich mit dem Gefuͤhl und der vorſtellenden Kraft, und macht in dieſer Vereinigung dasjenige aus, was unter dem Namen von Erkennt - nißkraft die Urſache von Jdeen, Urtheilen, Schluͤſſen, uͤberhaupt von Gedanken und Kenntniſſen iſt. Es wird ſich zeigen, ob nicht hiebey in den Beziehungen dieſer Vermoͤgen, die ſie in ihren Wirkungen auf einander ha - ben, Anzeigen vorkommen, woraus ihre Beziehung auf einander in ihren erſten Anfaͤngen, in ihrem Keim, in der Grundkraft der Seele, einigermaßen ſich verrathe?

Die Denkkraft, das Vermoͤgen, Verhaͤltniſſe und Beziehungen zu erkennen, iſt daſſelbige Vermoͤgen, was zu einer merkbaren Groͤße entwickelt, wenn es ſich in ſeinen Wirkungen deutlicher offenbaret, den Namen von Verſtand und Vernunft annimmt. Nun ſehen ver -ſchiedene297und uͤber das Denken. ſchiedene Philoſophen es als ausgemacht an, daß die Verſtandes - und Vernunftfaͤhigkeit eine Eigenheit der menſchlichen Seele ſey, in Vergleichung mit den blos empfindenden und ſinnlichen Thierſeelen. Nach dieſer Vorausſetzung haben ſie ſich der Vergleichung der Menſchen mit den Thieren bedienet, um hinter die Grundbeſchaffenheit des Verſtandes, und alſo auch ihrer Quelle der Denkkraft und des Beziehungsvermoͤgens zu kommen. Aber es ſcheinet nicht, als wenn dieſer Weg bisher zum Ziel hingebracht haͤtte. So manche gute und fruchtbare Bemerkungen uͤber das Unterſcheidungs - merkmal der Menſchheit, und ſo manche ſchoͤne Aufklaͤ - rungen uͤber die Natur des Verſtandes, und der Denk - kraft, die außer Zweifel unter den Eigenheiten des Men - ſchen einer der weſentlichſten und vorzuͤglichſten, und wohl der Mittelpunkt aller uͤbrigen iſt, dadurch entdecket ſind, ſo getraue ich mich doch nicht, von dieſer Ver - gleichung vorher etwas erhebliches zu verſprechen, als bis die Natur und der Grund des Verſtandes, aus ſei - nen Wirkungen in uns ſelbſt, in unſern Denkarten und Kenntniſſen, ſo weit es angehet, aus Beobachtungen ſorgfaͤltig zergliedert iſt. Der vornehmſte Charakter der Menſchheit iſt wohl in der Denkkraft. Aber ob dieſe darum die einzige ſey, und ob nicht die menſchliche Seele auch allein als empfindendes und fuͤhlendes Weſen, ſchon Eigenheiten und Vorzuͤge an Staͤrke, Feinheit, Aus - dehnung, Vielſeitigkeit u. ſ. w. vor den Thieren beſitze, iſt noch unausgemacht, wenn auch vorausgeſetzet wird, was ſchon vieles zugegeben heißt, daß die Grenzen zwi - ſchen Menſchheit und Thierheit genau und beſtimmt er - kannt werden koͤnnen.

Auch dieſen Weg habe ich alſo nicht waͤhlen wollen. Wenn wir zuvoͤrderſt in unſerm Jnnern ſelbſt die Aeuße - rungen der Denkkraft aufgeſucht, dieſe zergliedert, undT 5nach298IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftnach ihrer Aehnlichkeit geordnet haben, alsdenn kann die Vergleichung der Menſchenſeelen mit Thierſeelen zu Huͤlfe genommen werden.

II. Die Denkkraft in Verbindung mit der Vor - ſtellungskraft und mit dem Gefuͤhl macht das ganze Erkenntnißvermoͤgen aus.

Wenn das Vermoͤgen, die Verhaͤltniſſe der Din - ge zu erkennen, als das dritte einfache Jngre - dienz der menſchlichen Erkenntnißkraft angeſehen, und mit dem Vermoͤgen, Vorſtellungen zu machen, und mit dem Gefuͤhl zu dem Begrif von ihrer Grundkraft vereiniget wird, ſo haben wir eine vollſtaͤndige Jdee von der Seele, aus der ſich begreifen laͤßt, wie ſie Jdeen und Begriffe erhalten, wie ſie urtheilen, folgern und ſchließen, und alſo alle Denkarten hervorbringen koͤnne, die wir bey ihr als Wirkungen ihrer Erkenntnißkraft an - treffen, und zwar ſo wohl die niedern und ſinnlichen Kenntniſſe, als die hoͤhern und vernuͤnftigen, die man einer hoͤhern Erkenntnißkraft zuſchreibet. Die Ein - druͤcke von den aͤußern Gegenſtaͤnden ſind dann nicht mehr bloße Eindruͤcke, auch nicht blos aufgenommene und gefuͤhlte Eindruͤcke, wenn alle drey Grundvermoͤgen dar - an gewirket haben; dann ſind es gewahrgenommene unterſchiedene Eindruͤcke, das iſt, Eindruͤcke, mit denen ſich durch die Denkkraft der Gedanke verbindet, daß ſie beſondere Veraͤnderungen fuͤr ſich, und von einander un - terſchieden ſind. Es ſind alsdenn klare Empfindun - gen und klare Empfindungsideen, Wirkungen aus Perception, Gefuͤhl und Apperception zuſammengeſetzt, ſo wie das vorzuͤglich ſtarke Gefuͤhl unſerer Selbſt nicht mehr ein bloßes Gefuͤhl, ſondern ein klares Gefuͤhl,eine299und uͤber das Denkeneine Empfindung, ein Bewußtſeyn unſers Selbſt iſt. Denn es vereiniget ſich mit dem Gefuͤhl das Un - terſcheiden der gefuͤhlten Modification und des fuͤhlenden Subjekts, und die Beziehung jener Modifikation auf das Subjekt, worinn ſie iſt. Eben ſo veraͤndert die Denkkraft die bildlichen Vorſtellungen, und macht bloße Bilder, oder ſeelenartige Zeichen und Abriſſe von Objekten und ihren Beſchaffenheiten zu Jdeen, durch die hinzukommende Apperception, die Eine von den Wirkungen der Denkkraft iſt. Die ſinnlichen Abſtrak - tionen, und andere ſinnliche allgemeine Bilder, wel - che aus aͤhnlichen Vorſtellungen von einzelnen Objekten entſtehen, wenn die gemeinſchaftlichen Zuͤge in den aͤhn - lichen Bildern aufeinander fallen, und, weil ſie mehr - malen wiederholet ſind, ſich lebhafter, ſtaͤrker und tie - fer in der Phantaſie abdrucken, werden zu allgemeinen Jdeen des Verſtandes, und zu Begriffen. Es iſt die Denkkraft, welche das Gewahrnehmen hinzuſetzet; und das Gemeinſchaftliche oder Aehnliche von dem Uebri - gen, was in den einzelnen Empfindungsvorſtellungen iſt, unterſcheidet, abſondert, und als Etwas beſonders er - kennet. Eben dieſe Begriffe werden deutliche Begrif - fe, wenn dieſelbige Kraft, Beziehungen und Verhaͤlt - niſſe zu denken, noch ſtaͤrker und weiter auch auf ihre be - ſondern Theile ſich anwendet.

Die allgemeinen Jdeen von Verhaͤltniſſen und Beziehungen der Dinge, von der Aehnlichkeit und Verſchiedenheit, von der Ordnung und von dem Zuſam - menhang, die von einigen mit dem beſondern Namen der Verhaͤltnißbegriffe, nicht ohne Grund, von den uͤbrigen unterſchieden werden, ſind ebenfalls Wirkungen, die ſich aus jenen Grundvermoͤgen der Erkenntnißkraft begreifen laſſen. Die erſten Beziehungen der Dinge auf einander, und die dabey entſtehende urſpruͤngliche Verhaͤltnißgefuͤhle oder Verhaͤltnißgedanken, wieman300IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftman ſie nennen will, ſind die erſten Wirkungen des Be - ziehungsvermoͤgens, und deſſen beziehenden Aktionen. Aber dieſe thaͤtigen Anwendungen der Kraft haben ihre Folgen und nachbleibende Wirkungen in der Seele, wel - che aufbewahret, und bey Gelegenheit wieder gegenwaͤr - tig dargeſtellet, und alsdenn auf dieſelbige Art, wie an - dere Vorſtellungen von neuen, von dem Beziehungsver - moͤgen oder der Denkkraft gewahrgenommen, und in Beziehung unter ſich gedacht werden koͤnnen. Sind die Vorſtellungen, deren Beziehung gedacht wird, ſchon unter - ſchiedene oder wahrgenommene Vorſtellungen, und in die - ſer Bedeutung Jdeen, ſo werden ihre Beziehungen auf - einander zu den Urtheilen gehoͤren, die anfangs ſinnlich und unentwickelt ſind, und dann durch eine weitere Be - arbeitung der Denkkraft in deutliche Urtheile uͤberge - hen. Jſt endlich auf dieſe Art das geſammte Vermoͤ - gen, Jdeen und Begriffe zu bilden, und dann auch un - ſer Urtheilsvermoͤgen, nichts als eine beſondere Anwen - dung der angenommenen Grundkraft, Dinge auf einan - der zu beziehen und ihre Verhaͤltniſſe zu denken, in ſo ferne dieſe mit dem Gefuͤhl und der Vorſtellungskraft in Verbindung wirket, und iſt dieſe Ableitung von allen ihren Schwierigkeiten voͤllig befreyet, ſo iſt es ein leich - ter Uebergang, wenn nun auch das Schlußvermoͤgen als eine Abſtammung von demſelben Princip erklaͤret werden ſoll. Und alsdenn iſt im Allgemeinen der Urſprung al - ler Arten von Gedanken aus dem angezeigten Grundver - moͤgen offenbar.

Auf dieſe angegebene Art verhaͤlt ſich die Sache wirk - lich. Das letzte Reſultat aus den nachfolgenden genau - ern Unterſuchungen uͤber die menſchliche Erkenntniß wird daſſelbige ſagen. Allein zweyerley Gattungen von Schwierigkeiten, die man antrift, wenn man dieß all - gemeine als eine Richtſchnur in der Hand nimmt, und nun in das Gedankenſyſtem des Menſchenverſtandes hin -eingehet,301und uͤber das Denken. eingehet, und da alle vorkommende Wirkungen nach dem - ſelben ordnen und uͤberſehen will, verwickeln uns faſt un - widerſtehlich in manche beſondere und dunkle Unterſu - chungen, ehe man Licht und Deutlichkeit in dem Zuſam - menhang der Verſtandesthaͤtigkeiten haben kann. Zu - erſt hat die Entſtehungsart unſerer Verhaͤltnißbegrif - fe noch ihre Dunkelheiten; und wenn denn ferner insbe - ſonders auf die menſchlichen allgemeinen Denkarten und deren Entſtehungsart, auf die Grundideen, Grund - urtheile, und Raiſonnements, in ſo ferne dieſe die all - gemeinen Beſtandtheile der menſchlichen Erkenntniß ſind, Ruͤckſicht genommen wird, ſo bekommen wir von neuen eine Menge von Unterſuchungen, womit ſich die groͤßten Philoſophen ſchon befaßt haben, und die noch lange ihren Nachfolgern zu thun machen werden, bis es allenthalben hell werden wird.

III. Urſprung der Verhaͤltnißbegriffe.

  • 1) Von den erſten urſpruͤnglichen Verhaͤlt - nißgedanken.
  • 2) Von den Verhaͤltnißideen und Verhaͤlt - nißbegriffen.

1.

Was den Urſprung der Verhaͤltnißbegriffe beſon - ders betrift, ſo iſt es ſogleich klar, daß die Jdeen, welche wir mit den Worten Einerleyheit, Verſchie - denheit, Abhaͤngigkeit, und ſo ferner, verbin[d]en, allgemeine Begriffe ſind, die wir von einander unter - ſcheiden, wenn gleich nicht deutlich entwickeln koͤnnen, wie es der gemeine Verſtand der mehreſten Menſchen gewiß nicht kann.

Da302IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft

Da ſie aber das ſind, ſo ſetzen ſie ſchon mehr be - ſtimmte einzelne Jdeen voraus, von denen ſie das Ge - meinſchaftliche und Aehnliche in ſich faſſen. Die Ver - ſchiedenheit uͤberhaupt enthaͤlt z. B. das Aehnliche, was in der Verſchiedenheit des Menſchen und des Thie - res, des Baumes und des Berges, des Himmels und der Erde u. ſ. f. enthalten iſt. Die Abhaͤngigkeit uͤber - haupt iſt etwas, das wir in allen beſondern Faͤllen vor - finden, wo eine Urſache eine Wirkung hervorbringt. Es kann eine ſolche allgemeine Jdee eine reine Abſtrak - tion ſeyn, aber auch ſchon eine Zuſammenſetzung aus andern Abſtraktionen.

Die allgemeinen Verhaͤltnißideen, oder Ver - haͤltnißbegriffe haben wohl am allerwenigſten unter allen uͤbrigen Gattungen von Jdeen, ich will nicht ſa - gen, zuerſt unterſchieden, aber doch in uns als verſchie - dene abgeſondert erhalten werden koͤnnen, wenn man ſie nicht durch Worte oder andere Zeichen merkbar gemacht haͤtte. Jndeſſen hindert dieß nicht, bey ihnen, ſo wie bey den Jdeen von abſoluten Gegenſtaͤnden, das Wort und den Begrif von einander zu unterſcheiden, und nur auf den letztern Ruͤckſicht zu nehmen. Denn es verſteht ſich doch von ſelbſt, daß die Verſchiedenheit der Verhaͤlt - nißbegriffe auch in den Gedanken ſelbſt ſeyn muͤſſe, und nicht in den Worten allein, womit wir ſie ausdruͤcken.

Die allgemeinen Verhaͤltniſſe fuͤhren eben ſo auf beſondere einzelne individuelle Verhaͤltnißideen zu - ruͤck, als die allgemeine Jdeen von dem Koͤrper auf die Jdeen von einzelnen Koͤrpern. Die zwey Buͤcher, die vor mir liegen, ſind verſchiedene Buͤcher. Hier ſind einzelne Empfindungsideen von den beiden Sachen, und zwiſchen dieſen iſt eine beſtimmte einzelne Verſchieden - heit, von der ich eine Vorſtellung habe. Jch faſſe das Buch mit meiner Hand an, und hebe es in die Hoͤhe. Hier iſt eine Urſache und eine Wirkung, und eine ur -ſach -303und uͤber das Denken. ſachliche Verbindung zwiſchen ihnen, von der ich eine Vorſtellung habe.

Jn der Unterſuchung uͤber das Gewahrnehmen iſt es gezeiget, daß der Gedanke, der alsdenn entſtehet, daß das Gewahrgenommene eine beſondere Sache iſt, ein Gedanke von einer Relation ſey, der durch eine Aktion der Seele hinzukomme, und mit dem Gefuͤhl des Abſo - luten in den Dingen nicht verwechſelt werden muͤſſe. Es mag nun das Objektiviſche in den Dingen, was den Grund der gedachten Relation ausmacht, beſtehen, worinn es wolle, ſo iſt doch das Gewahrnehmen eine Wirkung aus einer gewiſſen Aeußerung der Denkkraft, die ſich mit der Empfindung und den Vorſtellungen ver - bindet.

So wie ſichs bey dem Gewahrnehmen verhaͤlt, ſo verhaͤlt es ſich auch bey den uͤbrigen Verhaͤltnißgedanken. Wenn wir zwey Dinge fuͤr einerley halten, wenn wir ſie in urſachlicher Verbindung denken, wenn wir Eins in dem Andern, als Beſchaffenheit in einem Subjekt, oder beide zugleich als neben einander oder in der Folge auf einander uns vorſtellen, ſo giebt es einen gewiſſen Aktus des Denkens; und die gedachte Beziehung oder Verhaͤltniß in uns, iſt etwas ſubjektiviſchen, das wir den|Objekten als etwas Objektiviſches zuſchreiben, und das aus der Denkung entſpringet. Dieſe Aktus des Denkens ſind die erſten urſpruͤnglichen Verhaͤltniß - gedanken, bey denen es unentſchieden bleibt, ob und wie weit ſolche von dem Gefuͤhl oder von der vorſtellen - den Kraft abgeleitet werden koͤnnen. Die Denkkraft oder das Vermoͤgen, ſie hervorzubringen, wird hier als ein Grundvermoͤgen angenommen.

Das Gewahrnehmen iſt ein Aktus, der, nach den vorhergehenden Beobachtungen zu urtheilen, ſich nicht ſowohl unmittelbar mit der Empfindung der ge - wahrgenommenen Sache, das iſt, mit dem Gefuͤhl ei -ner304IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftner gegenwaͤrtigen Modifikation, als vielmehr mit der Nachempfindung oder der Empfindungsvorſtel - lung verbindet; aber er kann doch an ſich ſchon ſtatt fin - den, ehe eine allgemeine Vorſtellung abgeſondert iſt, und ſich bey bloßen Empfindungsvorſtellungen von einzelnen Dingen ſchon aͤußern; ob wir gleich die Aktion des Ge - wahrnehmens und den Gedanken von dem Verhaͤltniß, in uns nicht beobachten koͤnnen, als nur dann, wenn viele Gemeinbilder ſchon vorhanden ſind. Wie die letz - tern das Gewahrnehmen befoͤrdern, iſt aus dem klar, was anderswo uͤber ſie geſagt worden iſt. *)Erſter Verſuch XV. 6.Aber es wuͤrde uͤbereilt ſeyn, zu behaupten, daß ihre Beyhuͤlfe ſchlechthin zu der erſtern Hervorlockung des Gewahrneh - mens und des Unterſcheidens unentbehrlich ſey. Sollte nicht der Eindruck von dem Berg gegen den Eindruck von dem Waſſer, und die Gegeneinanderſtellung dieſer erſten ſimpeln individuellen Empfindungsideen genug ſeyn, den Aktus des Unterſcheidens zu erregen? Aber wahr iſt es, daß in dem Augenblick, wenn wir auch ein - zelne Empfindungsvorſtellungen vergleichen, viele von den einzelnen Zuͤgen in ihnen entweder zugleich wegfallen, oder nicht geachtet werden, ſo daß ſie das voͤllig Beſtimm - te der erſten Empfindungsvorſtellungen nicht mehr an ſich haben, und alſo, von dieſer Seite betrachtet, auf et - was, das in mehrern Empfindungen gemeinſchaftlich iſt, das iſt, auf etwas Allgemeines eingeſchraͤnkt ſind. Da - her wird es wahrſcheinlich, daß ſich ſchon Gemeinbilder abgeſondert und geformet haben, ehe die Thaͤtigkeit der Seele im Gewahrnehmen in einer bemerkbaren Groͤße hervorgeht.

Die uͤbrigen Verhaͤltnißgedanken, die Gedanken von der urſachlichen Beziehung, von der Beziehung des einen auf ein anders, als ein Praͤdikat auf ſeinSub -305und uͤber das Denken. Subjekt, worinn es iſt, von den Beziehungen der Din - ge, als koexiſtirend, zugleich oder in ihrer Folge auf einander, finden wir gewoͤhnlich erſt alsdenn in uns, wenn ſchon das Gewahrnehmen der auf einander bezoge - nen Dinge vorhanden iſt. Sollen wir zu dem Gedan - ken gebracht werden, daß der Aſt eines Baums ein Theil des ganzen Baums ſey, daß das Haus neben dem Thurm liege, daß die Sonne den Tag erleuchte, ſo muͤſ - ſen wir nicht bloße Vorſtellungen oder Bilder von dieſen Gegenſtaͤnden, ſondern unterſchiedene gewahrgenom - mene Vorſtellungen von ihnen haben; man muß den Aſt und den ganzen Baum, jeden beſonders ſich vorſtel - len, von einander unterſcheiden, imgleichen das Haus und den Thurm, die Sonne und das Licht, ehe wir die uͤbrigen Verhaͤltniſſe hineindenken. Dieß iſt wenigſtens bis dahin richtig, daß wir uns nie es einfallen laſſen, uns ſelbſt oder andere zu den letztern Verhaͤltnißgedanken zu bringen, ehe nicht dafuͤr geſorget iſt, daß von den zube - ziehenden Objekten ſchon Jdeen vorhanden ſind.

Aus dieſen Erfahrungen ſieht man, daß ſo ein Ver - haͤltnißgedanke der letztern Arten, von der urſachlichen Verbindung und der Koexiſtenz und dergleichen, ein Ge - wahrnehmen der Sachen vorausſetze, zwiſchen denen eine ſolche Beziehung erkannt werden kann. Wenn wir die Denkaͤußerungen der letztern Art bemerken wollen, ſo kann das nicht geſchehen, als dadurch, daß wir acht ge - ben, was in uns vorgehet, wenn wir ſchon gewahrge - nommene Gegenſtaͤnde auf einander beziehen. Das Gewahrnehmen der Sachen iſt alſo ein Gedanke, der vorhergegangen ſey muß, ehe wir die Gegenſtaͤnde beob - achten koͤnnen, auf welche die uͤbrigen Denkvermoͤgen ſich anwenden.

Aber daraus folget nicht, daß die uͤbrigen Aktus des Denkens ſich gar nicht aͤußerten, ehe das Gewahrneh - men der Sachen fuͤr ſich ſchon geſchehen waͤre, vollſtaͤn -I. Band. Udig306IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftdig nemlich, bis ſo weit, daß wir den Aktus des Ge - wahrnehmens ſelbſt beobachten koͤnnen; ja es laſſen ſich Beyſpiele geben, worinn der Gedanke von der Bezie - hung der Sache vorhanden iſt, ohne daß das Gewahr - nehmen der auf einander bezogenen Sachen fuͤr ſich ein - zeln genommen, beobachtbar ſey.

Was das erſte betrift; kann nicht die Vorſtellung von der Sonne und von ihrem Licht, die Vorſtellung von dem Feuer und von der davon verurſachten Erwaͤr - mung, beide in Einer ganzen Vorſtellung, zwar als verſchiedene, aber doch nicht, als ſo weit aus einan - der geſetzte Theile, wie zum wirklichen Unterſcheiden noͤ - thig iſt, enthalten ſeyn, und im Dunkeln liegen, und dennoch die Denkthaͤtigkeit, wodurch ſie als abhaͤngig und verurſacht von einander gedacht werden, hervorge - hen? Reid hat viele Beyſpiele angebracht, worinn mit dem Gewahrnehmen der Dinge ſo unmittelbar der Gedanke, oder wie Reid ſagt, das Urtheil, daß ſie in urſachlicher Verknuͤpfung ſtehen, verbunden iſt, daß der Verhaͤltnißgedanke zugleich mit dem Gewahrnehmen der Sachen entſtanden, gewachſen, und zur Reife gekom - men zu ſeyn ſcheinet.

Jnnerlich nach der Analogie zu urtheilen, iſt es wahrſcheinlich, daß da, wo die Verbindung der Vor - ſtellungen in der Phantaſie ſo wohl die uͤbrigen Denk - vermoͤgen, als das Gewahrnehmungs - und Unterſchei - dungsvermoͤgen zur Thaͤtigkeit reizet, auch jene nicht ſo lange gaͤnzlich zuruͤck bleiben werden, bis die Wirkung der letztern voͤllig fertig iſt; vorausgeſetzt, daß jene nicht blos in einem hoͤheren Grad von dieſer beſtehen. Kei - ne bemerkbare Aktion der Seele entſteht in einem Nu. Jede hat ihre Folge und Laͤnge, und entſtehet nach und nach. Sind es alſo verbundene, zugleich hervorge - lockte, und doch verſchiedene Aktus, ſo mag es wohl ſeyn, daß auch der Anfang der Entwickelung bey einer von307und uͤber das Denken. von dem Anfang der Entwickelung bey der andern vorhergehet; aber es iſt wahrſcheinlich, daß wenn die eine zu der beobachtbaren Groͤße gelanget iſt, die an - dere auch ſchon fortgeruͤckt, und nicht weit mehr von dieſem Grade entfernet ſeyn werde.

Es giebt, wie geſagt, Beyſpiele, die es zeigen, daß eine der uͤbrigen Beziehungen vor der Gewahrneh - mung fortruͤcke. Da, wo wir eine Folge von Veraͤn - derungen empfinden, und die einzelnen Theile, die auf einander folgen, nicht unterſcheiden, da haben wir Ver - anlaſſungen, die Dinge als auf einander folgende, in einer gewiſſen Ordnung, und auch als urſachlich verknuͤpfet zu denken, das heißt, die ſubjektiviſchen Relationes in uns hervorzubringen, die wir nachher, wenn wir ſie bemerken, Gedanken von der Folge, Ordnung und Abhaͤngigkeit, nennen. Am freyen Him - mel ſehen wir, ſo zu ſagen, ſchon ein Auseinander - ſeyn; eigentlich haben wir es in unſern Empfindungen, ehe wir noch die Objekte unterſcheiden, die außer einan - der ſind. Es iſt aber hier blos von den erſten Denkarten die Rede; und von den erſten Aeußerungen der Denk - kraft.

2.

Dieß ſind noch nicht, weder unſere Vorſtellungen von den Verhaͤltniſſen, noch die Verhaͤltnißideen, noch die allgemeinen Vorſtellungen, noch die allgemei - nen Jdeen, oder Begriffe von den Verhaͤltniſſen. Es ſind die erſten Denkaktus, die wir in ihren bleiben - den Wirkungen in uns empfinden. Jn dieſem Ver - ſtande koͤnnten ſie die Empfindungen oder Gefuͤhle der Verhaͤltniſſe genennet werden. Allein dieß Wort iſt von mir oben in dem zweyten Verſuch, ſchon in einer andern Bedeutung von einem Gefuͤhl gebraucht worden, das vor dem Denken vorausgehet, woferne es nicht mitU 2dem308IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftdem Denken ſelbſt einerley iſt. Wenn die Denkung ſchon geſchehen iſt, ſo fuͤhlen wir dieſe Aktus, als etwas Abſolutes in uns auf dieſelbige Art, wie wir jedwede an - dere Arten von Thaͤtigkeiten innerlich empfinden. *)S. den 2ten Verſuch II. 5. III. 2. IV. 2.

Dieſe erſten Denkarten, es moͤgen entweder einzelne Empfindungsvorſtellungen des Abſoluten, oder allge - meine Vorſtellungen, bloße Vorſtellungen, oder andere ſchon gewahrgenommene Vorſtellungen ſeyn, die auf ein - ander bezogen werden, ſind in jedem Fall etwas einzel - nes oder individuelles in uns, und alſo etwas voͤllig beſtimmtes. Aber mehrere dergleichen Aktus haben ihre Aehnlichkeiten wie die verſchiedenen Eindruͤcke von gruͤ - nen Farben, die wir ſehen. Daher entſtehen zuerſt Empfindungsvorſtellungen von dieſen Denkungen, und dann allgemeine Vorſtellungen von ihnen, in Hin - ſicht deren ich das nicht wiederholen will, was in dem Verſuch uͤber die Vorſtellungen daruͤber geſagt worden iſt. **)Erſter Verſuch XV. 6.

Aber da, wo wir ſagen, wir kennen die Beziehung oder das Verhaͤltniß, da iſt nicht blos eine Vorſtellung von dieſem erſten Gedanken, ſondern eine gewahrgenom - mene Vorſtellung. Dieſe letztere iſt eine Jdee von dem Verhaͤltniß, und wenn die allgemeine Vorſtellung un - terſchieden wird, ſo haben wir die allgemeinen Ver - haͤltnißideen oder Verhaͤltnißbegriffe. Dinge, die wir erkennen, muͤſſen wir unterſcheiden. Es aͤußert ſich die Denkkraft in mancherley Thaͤtigkeiten, ehe wir ihre Thaͤtigkeiten ſelbſt kennen, und ohne daß ſie uns je bekannt werden, ſo wie es andere Vorſtellungen, wenig - ſtens Modifikationen in uns giebt, welche unſerm Ge - wahrnehmen immer entzogen bleiben.

Daher309und uͤber das Denken.

Daher laſſen ſich folgende Stufen in Hinſicht unſe - rer Verhaͤltnißbegriffe unterſcheiden.

Zuerſt ſind bloße Denkaktus und Gedanken da. Dann entſtehen Vorſtellungen dieſer Aktus, Vorſtel - lungen von Verhaͤltniſſen; einzelne und allgemeine; dann Verhaͤltnißideen, und Verhaͤltnißbegriffe. Weiter deutliche Verhaͤltnißideen.

Die erſten Aktus der Denkkraft finden ſich in jedem Menſchenverſtande, und erfolgen nach gewiſſen noth - wendigen Geſetzen der Denkvermoͤgen, bey gewiſſen Um - ſtaͤnden und Erforderniſſen in den Empfindungen und Vorſtellungen. Dieſes Geſetz und dieſe Umſtaͤnde laſ - ſen ſich aus unſern Jdeen von den Verhaͤltniſſen erkennen, als welche uns ſolche darſtellet, wenn ſie rich - tig iſt, auf dieſelbige Art, wie wir aus andern Jdeen die Empfindungen erkennen, woraus der Stoff von ih - nen genommen worden iſt. Aber um ſie genau zu er - forſchen, und ihren ganzen Umfang beſtimmt und deut - lich zu faſſen, muͤſſen auch ſelbſt die Jdeen, die wir da - von haben, entwickelt, und in ihren Stoff, ihre Em - pfindungen, zergliedert werden. Man muß alſo zu den Empfindungen von den erſtern Verhaͤltnißgedanken zu - ruͤck, dieſe moͤglichſt beobachten, und zergliedern, und alsdenn die Jdee oder den Begrif eines Verhaͤltniſſes, mit ſolchen Empfindungen vergleichen. Die Jdee koͤnnte einen Zuſatz bekommen haben, der von der Dichtkraft beygemiſcht iſt, und ſie verdirbt. Ein Beyſpiel einer ſolchen Unterſuchung iſt, in Hinſicht des Gewahrnehmens, in dem Vorhergehenden vorgekommen; und ein anders uͤber die Jdee von der urſachlichen Verbindung will ich ſogleich hinzufuͤgen, und noch einige andere werden in dem folgenden angefuͤhret werden muͤſſen. Sollen aus den erſten Verhaͤltnißgedanken, Jdeen von Verhaͤlt - niſſen werden, ſo muͤſſen wir ſolche von neuen gewahr - nehmen. So geſchicht es in der menſchlichen Denkkraft. U 3Die310IV. Verſuch. Ueber die DenkkraftDie erſten Denkarten werden als gewiſſe beſondere Thaͤ - tigkeiten mit ihren Wirkungen von neuem gegen einander geſtellet, und unterſchieden. Das Gewahrneh - mungsvermoͤgen bearbeitet alle die uͤbrigen Aktus, und ſogar ſeine eigene Aeußerungen. Aber man kann auch dieß letztere von jedem andern beſondern Denkver - moͤgen ſagen. Sind gewahrgenommene Vorſtellungen oder Jdeen vorhanden, ſo werden auch dieſe von neuem in eine urſachliche Beziehung gebracht, oder auf einan - der wie Subjekt und Praͤdikat bezogen. Jedwede Kraft, jedwedes Vermoͤgen des Verſtandes aͤußert ſich auf die Wirkungen jedwedes andern Vermoͤgens, und gar auf ſeine eigenen.

Von den erſten Verhaͤltnißgedanken bis zu den gewahrgenommenen Verhaͤltniſſen iſt ſchon ein großer Sprung. Wenn auch Gewahrnehmungsvermoͤ - gen vorhanden iſt, ſo muß doch auch ſelbſt die Aktion des erſten Denkens an ſich ſo merklich ausgezeichnet, und al - ſo an ſich ſo ſtark ſeyn, daß ſie ihre eigene abgeſonderte bleibende Wirkung in der Seele hinterlaſſen koͤnne. An dieſer kann ſie nur erkannt werden. Sind die erſten Denkaktus nur geringe Kraftaͤußerungen, oder iſt das Gewahrnehmungsvermoͤgen ſo ſchwach, daß es ſolche nicht unterſcheiden kann, ſo moͤgen andere Modifikatio - nen der Seele, Jdeen von aͤußern Gegenſtaͤnden, auch innere Veraͤnderungen ihres Zuſtandes, wohl unterſchie - den werden, ohne daß doch Verhaͤltnißideen entſte - hen, obgleich die erſten Verhaͤltnißgedanken vorhanden ſind, und in dieſem Verſtande Verhaͤltniſſe gedacht werden. Der Abſtand zwiſchen dem erſten Denken, und zwiſchen der Jdee von dieſem Denken iſt ſo groß, daß auch ſelbſt der menſchliche Verſtand von jenem zu dieſem nicht hinuͤber kommen wuͤrde, wenn er ſich nicht der Worte, als Fluͤgel bedienen koͤnnte. Von deneinzel -311und uͤber das Denken. einzelnen Verhaͤltnißideen bis zu dem allgemeinen Verhaͤltnißbegrif iſt wiederum ein großer Schritt; aber dennoch kommt auch der Gemeinverſtand uͤber ihn hin, ſobald er Woͤrter hat, wodurch die allgemeinen Ver - haͤltniſſe unterſchieden werden. Allein nun von hier an bis zu den deutlichen Verhaͤltnißbegriffen, das iſt, bis zur Beſtimmung der einzelnen Kraftaͤußerungen, welche in einem ſolchen Begriff enthalten ſind, und, wenn dieſe einfach ſind, zur Beſtimmung der Geſetze und Umſtaͤn - de, unter denen das Denkvermoͤgen da wirket, wo es ſich dieſe Begriffe verſchaffet; von dem gemeinen Ge - brauch der Begriffe, von Einerleyheit und Verſchieden - heit, von Urſache und Wirkung, bis zu den pſycholo - giſchen und metaphyſiſchen Unterſuchungen dieſer Begriffe in dem Kopf des Philoſophen, dieß iſt ein weiter und ſchwerer Weg, auf dem ſich auch Nachdenkende ver - irren.

U 4IV. Von312IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft

IV. Von dem Begrif der urſachlichen Verbindung.

  • 1) Die Humiſche Erklaͤrung von dieſem Begrif.
  • 2) Pruͤfung dieſer Erklaͤrung. Der Begrif von der urſachlichen Verbindung ſtellt mehr vor, als eine bloße Verbindung. Er ent - haͤlt auch die Jdee von Abhaͤngigkeit des Einen von dem Andern.
  • 3) Die Jdee von Abhaͤngigkeit, die mehr iſt, als bloße Verbindung, ſchreibt ſich aus den erſten urſachlichen Beziehungen her, und aus den Empfindungen dieſer beziehenden Aktio - nen.
  • 4) Was das Begreifen des Einen aus dem Andern, was Folgern und Schließen ſey?
  • 5) Beſtimmung des Urſprungs des Begrifs von der urſachlichen Verbindung. Die Art, wie dieſer Begrif angewendet wird.

1.

Um das, was in dem vorhergehenden Abſatz uͤber den Urſprung der Verhaͤltnißbegriffe aus den erſten Be - ziehungen der Vorſtellungen in uns geſagt iſt, durch ein Beyſpiel in Deutlichkeit zu ſetzen, waͤhle ich den Begrif von der urſachlichen Verbindung. Und dieſen um deſto mehr, je ausgebreiteter die Folgen ſind, welche in der ganzen Ausſicht uͤber die Natur der menſchlichen Er - kenntniß, von der richtigen Beſtimmung deſſelben ab - hangen. Hume hat Einen ſeiner weſentlichen Beſtand - theile uͤberſehen, was zugleich die vornehmſte Veranlaſ - ſung war, daß er einen gleichen Fehler bey der ganzen menſchlichen Erkenntniß begangen, und, weil er die wahreinnere313und uͤber das Denken. innere Staͤrke derſelben nicht gekannt, durch ſeine ſkepti - ſchen Vernuͤnfteleyen ſie wankend machen zu koͤnnen, ge - glaubet hat.

Hume glaubte, gefunden zu haben, der Begrif von der Abhaͤngigkeit der Wirkung von ihrer Urſache, oder, von der urſachlichen Verbindung, von der Verurſachung u. ſ. w. wie man ihn benennen will, ſey am Ende nichts, als eine Wirkung der Einbildungs - kraft, und ſeine ganze Entſtehungsart laſſe ſich aus dem Geſetz der Aſſociation der Jdeen erklaͤren. Die Beobach - tungen, auf welche dieſer Philoſoph ſich zur Beſtaͤtigung ſeiner Meinung beruft, beweiſen, mit wie ſcharfen Au - gen er in die Natur des menſchlichen Verſtandes geſehen habe; aber dennoch meine ich, er wuͤrde ſelbſt ſeine Er - klaͤrung unzulaͤnglich gefunden haben, wenn nicht eine Seite der Operation des Verſtandes allein ihn aufgehal - ten haͤtte, wenn er nicht andere uͤberſehen, oder doch we - niger deutlich bemerket haͤtte.

Wir haben ſo iſt das Raiſonnement von ihm und andern, die ihm darinn gefolget ſind die beiden Gegenſtaͤnde, davon wir den Einen die Urſache, und den andern die Wirkung nennen, in unſern Em - pfindungen beſtaͤndig mit einander in Verbindung ge - funden. Die Empfindung deſſen, was wir die Ur - ſache nennen, iſt vorhergegangen, und die Empfin - dung der Wirkung iſt nachgefolgt. Die Jdeen von ihnen ſind alſo in dieſer Ordnung und Verbindung ent - ſtanden, in eben derſelbigen wieder hervorgebracht, und uns faſt allemal in der naͤmlichen Ordnung gegenwaͤrtig geweſen. Wir haben z. B. eine Kugel mit einer Schnelligkeit auf eine andere zufahren, und an ſie an - ſtoßen geſehen; alsdenn iſt eine neue Bewegung in der letztern empfunden worden. Wir haben es alle Tage hell werden ſehen, mit dem Aufgang der Sonne. Sol - che beſtaͤndig einander begleitende und auf einander fol -U 5gende314IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftgende Jdeen legen ſich in der Vorſtellungskraft ſo dichte an einander, und verbinden ſich ſo innig, daß, ſo oft die Eine in uns wiederum gegenwaͤrtig wird, auch die zwote als ihre Folge, oder als ihre Begleiterinn mit hervortritt. Gerathen wir durch irgend eine Veranlaſ - ſung zuerſt auf die nachfolgende Jdee von der Wirkung, ſo ſetzet doch die Einbildungskraft die vorhergehende Jdee von der Urſache wiederum in ihre Stellung, die ſie ſo vielmal in den Empfindungen, in Hinſicht auf jene, ge - habt hat. Dieſe Verbindung der Jdeen wird uns end - lich durch die Gewohnheit ſo nothwendig, daß wir dieſe nicht mehr trennen koͤnnen, und gezwungen ſind, von der Einen zu der andern uͤberzugehen. Jndem wir nun dieſe Folge der Jdeen außer uns in die Objekte uͤber - tragen, ſo entſpringet der Gedanke, wenn Eins von jenen Gegenſtaͤnden wirklich vorhanden iſt, ſo werde auch das zweyte vergeſellſchaftet daſeyn, das heißt, wir ſtellen uns Eins wie die Urſache, und das andre, wie die Wirkung vor, und denken eine verurſachende Verbindung zwiſchen ihnen.

Es war ſo ſchwer nicht, einen ganzen Haufen von Beyſpielen aufzufinden, wo der Gedanke von dieſer ur - ſachlichen Beziehung der Dinge, zumal wenn die zuſam - mengeſetztern Urſachen in einfache auſgeloͤſet werden, am Ende auf nichts anders, als auf einer ſolchen Verbin - dung der Vorſtellungen, die ſich aus den Empfindungen herſchreibet, gegruͤndet iſt. Wir ſind in den meiſten Faͤllen keiner andern Erkenntniß von dieſer Gattung von Verbindung unter den wirklichen Dingen faͤhig. Die einfachen Grundſaͤtze der Naturlehre, aus welchen die wirkende Verbindung der Koͤrper begriffen wird, ſind Sammlungen von einer Menge uͤbereinſtimmender und aͤhnlicher Erfahrungen. Z. B. die Saͤtze: die Koͤrper ziehen ſich einander an; die Waͤrme dehnet die Koͤrper aus; der Stoß eines fremden Koͤrpers auf einen andernaͤndert315und uͤber das Denken. aͤndert die Bewegung des letztern; Jede Wirkung iſt mit einer Ruͤckwirkung verbunden, u. ſ. w. Was ſind dieſe als immer wieder kommende und uns allenthalben aufſtoßen - de Empfindungen, aus denen gewiſſe Reihen verknuͤpf - ter Vorſtellungen in uns entſtanden ſind, die ſich un - aufloͤslich mit einander vereiniget haben? Jſt eine zu - ſammengeſetzte Wirkung aus ihrer zuſammengeſetzten Urſache zu begreifen, ſo findet ſich zwiſchen den einzel - nen Theilen und Beſchaffenheiten in der Jdee von der Urſache, und zwiſchen den Theilen und Beſchaffenheiten in der Jdee von der Wirkung, eine ſolche Verknuͤpſung, die dieſe an jene befeſtiget. Und ſo geſchichts, daß die Jdee der Urſache, wenn wir uns ſelbige deutlich vorſtel - len, mit einer Art von Nothwendigkeit die Jdee von der Wirkung hervorziehet. Von dem Gedanken alſo, daß jene wirklich vorhanden ſey, gehen wir, mit Ge - walt getrieben, hinuͤber zu der Folgerung, daß auch die Wirkung exiſtire.

Jn dieſer humiſchen Erklaͤrung iſt viel richtiges. Der Gedanke: Ein Ding iſt die Urſache von dem an - dern, erfodert, daß die Jdeen von der Urſache und von ihrer Wirkung in einer ſolchen Verbindung entweder ſchon vorher geweſen ſind, oder nun darein kommen, wo - durch Eine die andere wieder zuruͤckfuͤhret; und daß die - ſer Verbindung wegen der Gedanke von der Exiſtenz der Wirkung uns mit einer gewiſſen Nothwendigkeit abge - drungen werde, wenn wir der Vorſtellung von der Ur - ſache, und dem Gedanken, daß ſolche vorhanden ſey, nachgehen. Es iſt ferner wahr, daß wir die beſtaͤndi - ge Folge der Dinge auf einander als einen Charakter ihrer urſachlichen Beziehung gebrauchen, der auch als - denn ein voͤllig zuverlaͤſſiges Merkmal davon iſt, wenn in der Urſache dasjenige angetroffen wird, was wir ihre Thaͤtigkeit nennen, und wenn ſonſten außer jener Ur - ſache nichts vorhanden iſt, was die erfolgte Wirkunghervor -316IV. Verſuch. Ueber die Denkkrafthervorbringen koͤnnte. Dieſes letztern Umſtandes wegen ſind wir am oͤfterſten zweifelhaft; denn wer kann ſicher ſeyn, daß da nichts im Verborgenen vorhanden ſey, und wirke, wo unſre Empfindung uns nichts anzeigt? Des - wegen geben wir Acht, ob das, was auf die Aktion der Urſache folget, nicht zuruͤckbleibe, ſo oft die Aktion ſelbſt gehindert wird, oder aufhoͤret.

2.

Soviel dem Hrn. Hume eingeraͤumet, ſo ſind wir noch nicht uͤber alles weg, was bey ſeiner Erklaͤrung be - denklich iſt. Er ſchoͤpfet die Vorſtellung von einer be - ſtaͤndigen Folge des Einen auf das Andere, unſern ganzen Begrif von der Verurſachung des Einen durch das Andere? Wir ſtellen es uns doch ſo vor, als wenn die Wirkung von der Urſache abhaͤnge, von ihr hervorgebracht, und durch ſie wirklich gemacht wer - de. Enthaͤlt dieſe letztere Vorſtellung nicht andere Ne - benideen außer der beſtaͤndigen Folge? Wir ſehen die Wirkung als etwas an, welches aus ſeiner Urſache be - gre flich iſt! Jſt das Begreiflich ſeyn aus einem Andern nichts mehr, als ſo viel, daß die Jdee des Ei - nen in uns hervorkomme, wenn die Jdee des Andern gegenwaͤrtig iſt, ohne Ruͤckſicht auf die Art und Weiſe, wie jene dieſe in uns nach ſich ziehet? und iſt wohl die Begreiflichkeit lediglich eine Folge von einer vorherge - gangenen Aſſociation der Jdeen?

Jch mache erſtlich dieſe vorlaͤufige Erinnerung. Jn ſolchen Faͤllen, wo die Verbindung zwiſchen den Jdeen von der Urſache und von der Wirkung allein in der Aſſo - ciation der Einbildungskraft ihren Grund hat, wo - hin die mehreſten Urtheile dieſer Art, die in den einfa - chen Grundſaͤtzen der Naturlehre liegen, gerechnet wer - den koͤnnen; da iſt es doch gewiß, daß wir in unſerm Urtheil uͤber ihre Dependenz von einander uns noch et -was317und uͤber das Denken. was mehreres unter ihrer urſachlichen Verknuͤpfung vorſtellen, als die Aſſociation in den Jdeen und die blo - ße Mitwirklichkeit in den Objekten. Die Waͤrme iſt die Urſache von der Ausdehnung der Koͤrper. Es mag ſeyn, daß wir keinen andern Grund zu dieſem Ausſpruch vor uns haben, als die beſtaͤndige Verbindung der Waͤr - me in dem Koͤrper mit der darauf folgenden Ausdehnung in unſern Empfindungen. Es mag ſeyn, daß dieſe in uns zur Fertigkeit gewordene feſte Verknuͤpfung das ein - zigſte iſt, was uns von einer Vorſtellung zu der andern forttreibet, und den Gedanken von ihrem Daſeyn, ſo zu ſagen, von der Jdee des Vorhergehenden uͤber die Jdee des Nachfolgenden hinziehet; ſo ſetzen wir dennoch in uns ſelbſt voraus, daß noch eine andere reelle Verknuͤ - pfung zwiſchen den Objekten vorhanden ſey. Wir ſehen nemlich die Jdeen in uns in einer nothwendigen Fol - ge. Woher dieſe Verknuͤpfung auch immer ſo nothwen - dig geworden ſeyn mag, ſo ziehen wir ſie doch in Be - tracht, und nehmen an, daß ein ihnen entſprechender nothwendiger Zuſammenhang in den Gegenſtaͤnden vor - handen ſey. Die nothwendige Verknuͤpfung der Jdeen in ihrer Folge in uns iſt eigentlich unſere Vor - ſtellung von der verurſachenden Verbindung. Denn ſobald wir einſehen, daß jene Verbindung der Jdeen nichts mehr iſt, als eine Aſſociation der Einbil - dungskraft, und daß es eine blos ſubjektiviſche Noth - wendigkeit ſey, womit Eine auf die andere folget, ſo faͤllt das Urtheil des Verſtandes weg, wodurch die Ob - jekte ſelbſt fuͤr abhaͤngig von einander erklaͤret werden.

Hieraus erhellet ſoviel, daß wenn gleich Hr. Hume es bewieſen haͤtte, daß keiner unſerer Ausſpruͤche uͤber die urſachliche Verknuͤpfung der Dinge einen reellern Grund habe, als den angegebenen, ſo ſey doch in dem Begrif von dieſer Verbindung noch ein anders Jngre - dienz, das aus der Art der Jdeenverbindung genommen,und318IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftund zu einem Zeichen der objektiviſchen urſachlichen Be - ziehung der Gegenſtaͤnde gemacht iſt. Geſetzt nun auch, es ſey dieſer Zuſatz etwas Jmaginaires, ſo wuͤrde der ganze Begrif, und das Reelle in ihm, von einander zu unterſcheiden ſeyn; aber im Anfang, wenn die Frage von ſeinem innern Gehalt und Sinn iſt, ſo muß er auch ganz in ſeinem voͤlligen Umfang genommen werden.

3.

Nun aber weiter. Jſt denn wirklich dasjenige, was noch mehr in dieſem Begrif lieget, uͤber dem, was Hume darinn fand, etwas Erdichtetes? Giebt es nicht viele Beyſpiele, in denen die ſubjektiviſche Verbindung der Jdeen aus einer nothwendigen Wirkungsart des Verſtandes entſpringet, und einen ganz andern Grund hat, als ihre Aſſociation in der Einbildungskraft? ſolche, wo der Verſtand, um die Jdee von der Wirkung mit der von der Urſache auf einmal ſo feſt zu verbinden, als zu dem Gedanken von der urſachlichen Beziehung erfo - dert wird, nichts mehr gebraucht, als daß beide Jdeen vor ihm ſind, und gegen einander gehalten werden, ohne daß er ſie jemals varher in einer ſolchen Verbindung ge - habt habe? Man ſetze, ein uͤberlegender Mann ſehe ei - ne Kugel auf eine andere zufahren, und an ſelbige an - ſtoßen, und es hoͤre nun in dieſem Augenblick die Em - pfindung auf; ſollte er den Erfolg nicht von ſelbſt ſich ausdenken koͤnnen, wenigſtens im Allgemeinen und un - beſtimmt, ohne ihn jemals empfunden zu haben? vor - ausgeſetzt, daß er mit den noͤthigen Vorbegriffen von der Bewegung, von dem Raum und von der Undring - lichkeit verſehen iſt. Kann und muß nicht ſeine Ueber - legungskraft den Gedanken, daß der Zuſtand der Einen oder der andern dieſer beiden Kugeln, oder beider noth - wendig eine Veraͤnderung erleiden muͤſſe, von ſelbſt aus der Vergleichung jener Grundbegriffe hervorbringen? Muß319und uͤber das Denken. Muß nicht der fortarbeitende, und den Stoß, ſo weit er ihn empfunden hat, ſich vorſtellende Verſtand durch ein Raiſonnement zu dem Schlußurtheil kommen, daß irgendwo eine Veraͤnderung von dem Stoße entſtehen muͤſſe? Die eine Kugel nimmt ihren Weg auf die ande - re zu, und zwey Koͤrper koͤnnen nicht zugleich denſelbi - gen Ort einnehmen. Dieß wuͤrde Statt finden muͤſſen, wenn die anſtoßende Kugel ihren Weg ungehindert ver - folgen, und die ruhende ihre Stellung unveraͤndert be - halten ſollte. Dieß angefuͤhrte Beyſpiel iſt nur erdich - tet, und ich kann zugeben, daß wir, ohne mit einem Stoß auch zugleich ſeine Wirkung empfunden zu haben, vielleicht niemals ein ſolches Raiſonnement gemacht haͤt - ten, das uns auf dieſe Art zu den Gedanken von der Wirkung hinfuͤhret. Aber es iſt unlaͤugbar, daß wir das gedachte Raiſonnement wirklich vornehmen, und daß wir nachher mehr um dieſes Raiſonnements willen als durch die Empfindung uns uͤberzeugt halten, daß unſer Urtheil von der wirkenden Verbindung zwiſchen dem Stoß und ihrem Effekt auch im Allgemeinen ein wahres Urtheil ſey!

Unterſuchen wir die Quelle unſerer Ueberzeugung von den erſten Grundgeſetzen der Bewegung, ſo finden wir mehrere Beyſpiele von der naͤmlichen Art. Jſt es eine Jnduktion, daß ein Koͤrper, der einmal in Bewegung iſt, ſeine Bewegung ungeaͤndert beybehalte, ſo lange nicht eine aͤußere Urſache ſie abaͤndere? daß ein ruhender Koͤrper ewig an ſeiner Stelle bleibe, woferne keine frem - de Urſache ihn heraus triebe? iſt es eine Jnduktion, und allein eine Jnduktion, daß die Aktion eines Koͤrpers al - lemal mit einer Reaktion verbunden ſey? Wenn man die einzelnen Faͤlle zumal bey dem erſten Geſetz aufzaͤhlet, in denen man es zu beobachten Gelegenheit gehabt hat, und ſie gegen andere haͤlt, die davon abzuweichen ſchei - nen, ſo wird man ſich ſchwerlich uͤberreden, daß wir je -nes320IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftnes Geſetz darum fuͤr ein allgemeines Naturgeſetz anſe - hen, weil unſere Einbildungskraft es aus den Empfin - dungen ſich nur angewoͤhnt hat, mit der Jdee von einer Veraͤnderung in dem Stand der Ruhe oder der Bewe - gung des Koͤrpers, die Jdee von einer aͤußern Urſache zu verknuͤpfen. Es ſind ohne Zweifel Empfindungen geweſen, welche die erſte Gelegenheit gegeben haben, das Geſetz zu entdecken; aber es iſt ein Raiſonnement hinzu - gekommen, eine innere Selbſtthaͤtigkeit des Verſtandes, von der jene Verknuͤpfung der Jdeen bewirket worden iſt. Die Jdee von einem in Bewegung geſetzten Koͤrper, der in keinen andern wirket, und von keinem andern lei - det, leitet den Verſtand auf die Vorſtellung, daß ſeine Bewegung ungeaͤndert fortgeſetzet werde; und wenn gleich auch dieſe letztere Jdee fuͤr ſich aus Empfindungen hat genommen werden muͤſſen, ſo iſt doch ihre Verbindung mit jener ein Werk der Denkkraft, welche ihrer Na - tur gemaͤß dieſe Beziehung zwiſchen den Jdeen in uns zu Stande bringet; und die durch dieſe ihre Operation in uns bewirkte Verbindung des Praͤdikats mit dem Subjekt, iſt weit mehr der Grund von der Ueberzeu - gung, daß unſer Urtheil ein wahres Urtheil ſey, als die Jdeenaſſociation aus Empfindungen. Jch will damit nicht behaupten, daß man irgend eine der allgemeinen Grundſaͤtze der Naturlehre in ſeiner voͤlligen Beſtimmt - heit a priori, aus bloßen Begriffen erweiſen koͤnne. Sie ſind nach meiner Meinung zufaͤllige Wahrheiten. Es iſt keine abſolute Nothwendigkeit in dem Verſtande, Subjekt und Praͤdikat mit einander ſo zu verbinden, als hiezu noͤthig iſt. Aber der Verſtand verbindet ſie nach einem gewohnten Denkungsgeſetze, das er befolget, ob er es gleich nicht mit ſolchem unwiderſtehlichen Zwange befolget, als diejenigen, nach welchen er die nothwendi - gen Wahrheiten der Vernunft, z. B. das Princip des Widerſpruchs annimmt. Solche allgemeine Gedankenſind321und uͤber das Denken. ſind wahre Gedanken, vor aller Erfahrung vorher. Wir erlernen ſie aus dieſer nicht durch die Abſtraktion, und es haͤngt alſo auch nicht von einer mehrmals wiederholten Uebung ab, daß ſich ſolche Jdeenverknuͤpfungen feſtſetzen.

Drittens. Jn ſolchen Faͤllen, wo wir zuſammen - geſetzte Wirkungen aus zuſammengeſetzten Urſachen er - klaͤren, und wo die einfachen Grundſaͤtze nichts anders ſind, als aus Empfindungen entſtandene beſtaͤndige Jdeenverknuͤpfungen, und bloße Erfahrungsſaͤtze, da ſe - hen wir es auch ein, daß wir die Dependenz der einfa - chen Wirkungen von ihren Urſachen nicht begreifen, ſon - dern davon nur allein wiſſen, daß ſie da ſey. Aber wir ſuchen alsdenn auch nicht, die einfachen Wirkungen aus ihren einfachen Urſachen begreiflich zu machen, und zu erklaͤren; ſondern nur die zuſammengeſetzte Wirkung aus der zuſammengeſetzten Urſache, indem wir beide zer - gliedern, und jeden Theil der Wirkung auf die ihm zu - gehoͤrige einfache Urſache zuruͤckfuͤhren. Jn ſo weit iſt eine Erklaͤrung moͤglich, und in ſo weit glauben wir auch nur, ſolche geben zu koͤnnen. Da iſt doch die Jdee des vielfachen Effekts niemals mit der Jdee der zuſammen - geſetzten Urſache vorher aſſociirt geweſen, ſondern die Verbindung iſt ein Werk der Reflexion, und bleibet feſt, wenn ſie einmal gemacht iſt. Den Regenbogen erklaͤret und begreifet man als eine Wirkung von den Sonnen - ſtrahlen, die in Waſſertropfen fallen. Die einfachen optiſchen Grundſaͤtze, in welche dieſe Erklaͤrung zerglie - dert werden kann, ſind Erfahrungsſaͤtze. Der Licht - ſtrahl bricht ſich auf eine gewiſſe Weiſe, und wird re - flektirt unter einem Winkel, der dem Einfallswinkel gleich iſt. Bis dahin gehen die vorlaͤufigen Aſſociatio - nes. Aber in dem Kopf eines Newtons war nichts mehr erforderlich, als die Vorſtellung von den Sonnen - ſtrahlen und die Vorſtellung von dem Regenbogen, und ſeine Denkkraft brachte dieſe beiden Jdeen durch Ver -I. Band. Xgleichung322IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftgleichung mit andern Lehrſaͤtzen, in die Verbindung, in der das Objekt der Einen, als die Wirkung von dem Objekt der andern gedacht wird.

4.

Viertens. Laßt uns auch da die Gedankenverbin - dung beobachten, wo wir ſagen, wir begreifen eine Folge aus ihren Grundſaͤtzen. Jſt es nicht klar, daß eine Wahrheit aus einer andern herleiten, fol - gern und ſchließen ein Verknuͤpfen der Jdeen ſey, das von der Aſſociation in der Phantaſie weſentlich unter - ſchieden iſt? Wir ziehen eine unmittelbare Folge - rung aus Einem Grundſatz; und in dem eigentlichen Schluß verbinden wir zwey Vorderſaͤtze zu Einem Schlußſatz. Die Jdeen, welche in dem Schlußſatz vorkommen, ſind zwar nicht neue Jdeen, ſie waren ſchon in den Vorderſaͤtzen mit gedacht; aber ihre Stel - lung und Verbindung in dem Schlußſatz iſt neu. Und wodurch iſt dieſes neue Urtheil hervorgebracht? Es iſt offenbar ein Werk des nachdenkenden Verſtandes, oder der Denkkraft, die aus der Beziehung zweyer Jdeen ge - gen Eine dritte, den Gedanken von ihrer eigenen Bezie - hung auf ſich, gemacht hat. Jſt es etwan die Phan - taſie, welche die zwey Jdeen, die vorher getrennet, aber auf eine gewiſſe Weiſe gegen eine dritte geſtellet ſind, nun auf eine andere Art zuſammenſchiebet? etwan wie in dem Koͤrper zwo Seitenbewegungen ſich zu Einer drit - ten Diagonalbewegung vereinigen? Wenn dem auch ſo waͤre, ſo iſt dennoch ein großer Unterſchied zwiſchen ſolchen Verbindungen von Jdeen, die aus den Empfin - dungen genommen werden, und zwiſchen denen, die durch eine natuͤrliche Wirkungsart der Phantaſie, in ihr ſelbſt urſpruͤnglich hervorgebracht ſind. Aber es iſt noch mehr da, denn es entſteht ein Verhaͤltnißgedanke zwi - ſchen den Jdeen des Schlußſatzes, der vorher nicht dawar.323und uͤber das Denken. war. So oft wir uns einen Zuſammenhang von Wahr - heiten und Gegenſtaͤnden vorſtellen, ſo ſetzen wir voraus, daß der Zuſammenhang der Jdeen im Syſtem ſo eine Beziehung auf einander ſey, daß der von der Grundidee modificirte Verſtand die Folgerung aus ſich ſelbſt her - vorbringen, oder doch ſeiner Natur gemaͤß zu ihr uͤber - gehen muͤſſe; und dieß iſt ganz etwas anders, als ein bloßer Haufe in einer gewiſſen Ordnung neben einander liegender und auf einander folgender Jdeen. Wenn der Geometer ein Korollarium aus ſeinem bewieſenen Theo - rem herleitet, ſo iſt er das erſtemal ſchon von dem Zu - ſammenhang uͤberzeuget. Warum? Darum etwan, weil Korollarium und Theorem in unmittelbarer Folge von ihm geleſen, gehoͤret und vorgeſtellet worden, und in eine unzertrennliche Verbindung in der Phantaſie getre - ten ſind? So etwas geht in dem Kopf desjenigen vor, der die Geometrie auswendig erlernet; aber ſo iſt es nicht bey dem, der ſie durchgedacht und eingeſehen hat. Hier iſt ein fuͤhlbarer Unterſchied.

5.

Nun alſo das Reſultat dieſer Erinnerungen. Erſtlich iſt es wohl nicht die bloße Folge der Empfindun - gen auf einander, aus denen der Begrif von der ver - urſachenden Verknuͤpfung genommen wird. Es ſind vielmehr gewiſſe beſondere Arten von Jdeenaſſociationen, wovon er abſtrahirt wird, und zwar ſolche, bey denen noch etwas mehr bemerket wird, als daß eine Jdee vor - hergehe, und die andere darauf folge. Wir nehmen ohne Zweifel dieſen Begriff zunaͤchſt aus dem Gefuͤhl von unſerm eigenen Beſtreben, und deſſen Wirkungen. Es iſt eine Empfindung von dem Dinge da, welches die Urſache genennet wird, und wir fuͤhlen ein Beſtreben und eine Thaͤtigkeit bey demſelben. Wir empfinden das Nachfolgende, welches Wirkung genennet wird, undX 2entſtanden324IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftentſtanden iſt, da es vorher nicht war. Mit dieſen Em - pfindungen verbinden wir einen Gedanken, der entweder in den naͤmlichen Empfindungen erzeuget iſt, oder auch aus andern vorhergehenden herruͤhret, nemlich, daß, wenn die Wirkſamkeit in dem Vorhergehenden, was die Urſache iſt, aufhoͤret oder unterbrochen wird, auch das Nachfolgende, was die Wirkung iſt, zuruͤckbleibe. Der - gleichen Unterbrechungen unſerer Beſtrebungen werden oft genug empfunden. So lange wir unſer Beſtreben fuͤhlen, empfinden wir auch ihre hervorkommende Wir - kungen, aber wenn jene aufhoͤren, ſo hoͤren auch dieſe auf. Wenn irgend einmal jenes Beſtreben fortdauert, und dennoch nichts erfolget, ſo fuͤhlen wir Etwas anders, welches wir den Widerſtand oder das Hinderniß nen - nen. Es kommen alſo mehrere Verbindungen von Vor - ſtellungen und Jdeen zuſammen, durch welche der Aktus der Denkkraft bey dem Gedanken von einer urſachlichen Verbindung beſtimmet wird. Und dieſe Zuͤge der Em - pfindung des erwaͤhnten Aktus ſind bey einander, und muͤſſen alſo auch in dem Gemeinbegrif von der Verur - ſachung, der aus dieſer Empfindung genommen iſt, bey einander bleiben, wenn ſeinem innern Gehalt nichts ent - zogen werden ſoll. Eine Folge von Eindruͤcken em - pfinden, und auch beſtaͤndig die naͤmliche Folge empfin - den; dieß giebt zwar Einige von den weſentlichen Zuͤgen des allgemeinen Begriffs her, aber nicht alle Grund - theile deſſelben.

Zweytens. Dieſen aus unſerm Selbſtgefuͤhl ge - nommenen Begriff tragen wir auf die aͤußern Gegen - ſtaͤnde uͤber. Jn den meiſten Faͤllen haben wir von ih - nen nichts mehr als eine Folge von Empfindungen, und dieſe giebt nur Einen von den Merkmalen der phyſiſchen Verbindung ab, aber doch Einen von denen, die am er - ſten und leichteſten bemerket werden. Daher urtheilen wir auch nach dieſem Merkmal; doch ſelten, ohne daßnoch325und uͤber das Denken. noch ein anderer Umſtand hinzukomme. Denn wir muͤſſen auch außer der dafuͤr gehaltenen Urſache ſonſt nichts wahrnehmen, dem die Hervorbringung der Wir - kung zugeſchrieben werden koͤnnte. Es iſt alſo begreiflich genug, warum wir auch alsdenn, wenn die beſtaͤndige Jdeenverknuͤpfung in der Phantaſie allein den Grund unſers Urtheils uͤber ihre objektiviſche reelle Verknuͤpfung ausmacht, dennoch in dem Zuſammenhang noch wirk - lich etwas mehr, als jene Aſſociation uns vorſtellen. Mag es ſeyn, daß wir in unſern reinen Empfindungs - vorſtellungen von dem aͤußern Objekte weiter nichts an - treffen, als eine Folge von Empfindungen, ſo legen wir doch noch etwas mehreres in ſie hinein, ſo bald wir den Begriff von der urſachlichen Verbindung auf ſie an - wenden.

Drittens. Die Begriffe, vom Grunde (ratio) und von dem in ihm Gegruͤndeten, und von der Begreiflichkeit des letztern aus jenem, koͤnnen von dem Verſtande nur aus den Thaͤtigkeiten ſeines Begrei - fens, des Folgerns und des Schließens genommen wer - den. Eins aus dem andern begreifen heißt nicht, einen Gedanken auf den andern folgen zu ſehen, mit dem er vorher ſchon in Verbindung geweſen iſt, und durch den er jetzo nach dem Geſetz der Aſſociation wiederum er - wecket wird. Vielmehr ſobald wir gewahr werden, daß die Folge eines Gedanken auf den andern, nur durch dieſes Mittel geſchehe, ſo verneinen wir es gerade zu, daß wir jenen aus dieſem begreifen. Das Begreifen erfodert, daß die Folgegedanken auf die fortwaͤhrende Thaͤtigkeit des Verſtandes, der ſich | mit dem Grund - gedanken beſchaͤftiget, hervorkommen, auch ohne vorher jemals in dieſer Folge geweſen zu ſeyn. Die Phantaſie mag durch die Stellung der Jdeen, welche zu dem neuen Gedanken gehoͤren, dem einſehenden Verſtande vorge - hen oder zu Huͤlfe kommen, aber der neue Gedanke ſelbſtX 3iſt326IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftiſt nicht ihr Werk. Es ſey indeß Phantaſie oder Ver - nunft; genug es iſt innere Erkenntnißkraft, auf deren Beſtreben der Schlußgedanke wirklich wird. Begreif - lich iſt alſo die Folge aus ihrem Grunde, darum, weil der letztere ein ſolcher Gedanke iſt, auf welchen in der thaͤtigen Ueberlegungskraft, die ihn bearbeitet, ein ande - rer, der ſeine Folge iſt, hervorkommt.

Viertens. Wir ſehen ſo viele Dinge außer uns und in uns fuͤr Urſachen und Wirkungen von einander an, und ſagen nicht, daß wir dieſe aus jenen begreifen. Das koͤnnen wir auch nicht ſagen, wenn wir aus un - ſern Denkthaͤtigkeiten wiſſen, was Begreifen heiße. Es lieget auch nicht allemal daran, daß wir etwan das - jenige, was in der Reihe zwiſchen der Urſache und ihrer Wirkung lieget, nicht genau und deutlich genug empfin - den und uns vorſtellen. Fontenelle hatte den Einfall, das Philoſophiren wuͤrde unnuͤtz ſeyn, wenn der Menſch ſchaͤrfere Sinne haͤtte, und alle kleine Uebergaͤnge von einer Veraͤnderung zur andern, die waͤhrend ihrer Aktion in einander, in dem Jnnern der Dinge vorgehen, mit Augen beſchauen koͤnnte. Die deutliche Empfindung befoͤrdert das Begreifen; aber wir wuͤrden bey der ſchaͤrfſten, eindringendſten, microſcopiſchen Empfindung dennoch nichts begreifen, wenn nicht zugleich auch die vorhergehende Vorſtellung, von dem Verſtande bear - beitet, die nachfolgende ſo aus ſich erzeugte, wie ein Grundſatz ſein Korollarium. Wo das Wie einer Sa - che erkannt, das heißt, wo begriffen werden ſoll, da muß dieſes letztere nicht fehlen; ſonſten bleibet es nur bey der Erkenntniß, daß die Sache ſey, aber wir be - greifen nicht, wodurch und wie ſie ſo ſey?

Jn ſolchen Faͤllen, wo wir aus der Vorſtellung des Vorhergehenden eine nachfolgende wirklich werdende Sa - che begreifen, da nehmen wir ohne Bedenken eine wir - kende Verbindung, eine phyſiſche Abhaͤngigkeit inden327und uͤber das Denken. den Gegenſtaͤnden ſelbſt an. Denn wo eine ſolche ſub - jektiviſche Verbindung zwiſchen den ideellen Dingen in uns iſt, daß Eins von ihnen voraus als wirklich an - genommen als das vorhergehende gedacht der Gedanke von der Exiſtenz des zweyten in dem thaͤtigen Verſtande hervorkommt, da legen wir dieſelbige Bezie - hung auch dem reellen Dinge außer uns, oder dem Objekte bey. Die Begreiflichkeit des Einen aus dem Andern iſt die ſubjektiviſche Vorſtellung, und der Charakter im Verſtande, von der objektiviſchen De - pendenz der vorgeſtellten Sachen.

Jndem die Begreiflichkeit des Einen aus dem Andern, oder das Gegruͤndetſeyn in dem Andern zu einer Jdee von der objektiviſchen Abhaͤngigkeit ge - macht wird, ſo wird behauptet, daß die Urſache zu der Wirkung in einer ſolchen objektiviſchen Beziehung ſtehe, daß ein Verſtand, der jene in dem noͤthigen Lichte deut - lich und vollſtaͤndig ſich vorſtellet, und dann in dem zum Begreifen erforderlichen Aktus fortwirket, die Vorſtel - lung von der nachfolgenden Wirkung in ſich hervorbrin - gen, oder doch, wenn ihm dieſe Jdee anderswoher zu - gekommen iſt, mit jener Vorſtellung verbinden muß. Jſt dieß nicht eine Vorausſetzung? Das iſt es freylich, aber ſie iſt ein Grundſatz und ein Poſtulat. Wir haben keine andere Jdee von der objektiviſchen Verurſachung, als dieſe innere ſubjektiviſche Verurſachung in dem Ver - ſtande. Wenn der gemeine Verſtand oft blos durch eine Jdeenverbindung zu dem Gedanken von der urſachlichen Verbindung gebracht wird, ſo iſt jene fuͤr ihn eine Be - greiflichkeit des Einen aus dem andern. Aber er unter - ſcheidet die verſchiedenen Verbindungsarten der auf ein - ander folgenden Jdeen nicht, und unterſucht ihre Um - ſtaͤnde nicht, und bedienet ſich eines unvollſtaͤndigen und daher unzuverlaͤßigen Charakters, von dem es nicht zu verwundern iſt, ſo er ſo oft truͤget.

X 4V. Von328IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft

V. Von der Verſchiedenheit der Verhaͤltniſſe und der allgemeinen Verhaͤltnißbegriffe.

  • 1) Nicht alle Verhaͤltniſſe koͤnnen auf Jden - titaͤt und Diverſitaͤt zuruͤck gebracht werden.
  • 2) Klaſſen der allgemeinen einfachen Ver - haͤltniſſe.

1.

Wenn man die gewoͤhnlichen Theorien in den Ver - nunftlehren von den Urtheilen anſiehet, ſo ſchei - net es, als wenn alle Verhaͤltniſſe und Beziehungen ſich am Ende als Gedanken von der Jdentitaͤt und Diver - ſitaͤt der Dinge betrachten, und alle Verhaͤltniſſe auf dieſe Eine Gattung zuruͤckgebracht werden koͤnnten. Das Urtheil wird nemlich fuͤr einen Gedanken von den Ver - haͤltniſſen der Dinge, oder vielmehr ihrer Jdeen, erklaͤ - ret. Nach dieſer Erklaͤrung muͤßte das Denken uͤber - haupt nichts anders ſeyn, als ein Urtheilen, weil es in dem Erkennen der Verhaͤltniſſe beſtehet, wenn nicht zum Urtheilen vorausgeſetzet wuͤrde, daß ſchon Jdeen und Begriffe von den Objekten, deren Verhaͤltniſſe man denket, vorhanden ſeyn ſollen. Durch dieſen Zuſatz wer - den die Thaͤtigkeiten der Denkkraft, die ſich mit den bloßen Vorſtellungen verbinden, und dieſe dadurch erſt zu Jdeen machen, von den Urtheilen abgeſondert, und dann wird aus dem Urtheilen eine eigene Art der Ge - danken gemacht, die von dem Appercipiren und Jdeen machen, ſo wie von dem Folgern und Schließen un - terſchieden iſt. Jndeſſen iſt das Urtheilen, in ſo ferne es ein Erkennen der Verhaͤltniſſe iſt, ein Denken uͤber - haupt. Giebt es alſo noch andere Verhaͤltniſſe und Be -ziehun -329und uͤber das Denken. ziehungen der Dinge, die ſich nicht in Einerleyheit und Verſchiedenheit aufloͤſen laſſen, ſo iſt dieſe ange - fuͤhrte gewoͤhnliche Erklaͤrung der Urtheile von dem all - gemeinen Umfange nicht, den ſie haben muͤßte, um die ganze Mannigfaltigkeit dieſer Denkarten zu umfaſſen.

Sollten wohl alle Verhaͤltniſſe auf Jdentitaͤt und Diverſitaͤt, oder wie einige ſich ausgedrucket haben, auf Einſtimmung und Widerſpruch zuruͤckgefuͤhret werden koͤnnen; und alſo alle Urtheile in Gedanken die - ſer einzigen Gattung von Verhaͤltniſſen beſtehen?

Die gewoͤhnliche Methode der Vernunftlehrer, in dem Kapitel von den Urtheilen, gefaͤllt mir nicht recht. Sie bedienen ſich eines gewiſſen Kunſtgriffes, die erſte Erklaͤrung eines Urtheils, daß es ein Gedanke von dem Verhaͤltniß der Dinge ſey, in eine andere umzu - aͤndern, nach der Urtheilen ſo viel ſeyn ſoll, als Dinge wie einerley oder verſchieden ſich gedenken, in - dem ſie alle Verhaͤltniſſe zwiſchen den Gegenſtaͤnden in die ſogenannten Praͤdikate der Saͤtze werfen, und am Ende fuͤr die Verbindung der Jdeen nichts mehr uͤbrig behalten, als den Gedanken, daß ein Verhaͤltniß entwe - der ſtatt finde, oder nicht ſtatt finde; und alsdenn dieß Stattfinden oder das Nichtſtattfinden eines Ver - haͤltniſſes ein Seyn oder Nichtſeyn, ein logiſches Verhaͤltniß nennen. Dadurch wird die Lehre von den Urtheilen einfacher, aber ſie wird auch zugleich magerer, und anſtatt einer reichhaltigen Theorie uͤber die Verſtan - desthaͤtigkeiten, worauf die Entwickelung der erſten fruchtbaren Erklaͤrung fuͤhren koͤnnte, erhaͤlt man eine eingeſchraͤnkte und wenig aufklaͤrende Rubrik. Zuwei - len geht man wieder zu der erſten Grunderklaͤrung zuruͤck; z. B. in der Lehre von den zuſammengeſetzten Ur - theilen, wobey der letzte Begriff von dem Urtheil un - anpaſſend iſt, die erſtere aber alles in Deutlichkeit ſetzet. Man mag die Beſtimmtheit und Genauigkeit in derX 5Methode,330IV. Verſuch. Ueber die DenkkraftMethode, das ſogenannte Schulgerechte ſo wenig ſchaͤ - tzen, als man will, ſo verdienet es doch eine Beherzi - gung, daß eben die Wiſſenſchaft, die dem Verſtande die Anweiſung geben ſoll, richtig, feſt und ſicher in den Kenntniſſen einherzugehen, an ſo manchen Stellen einen ſchwankenden Gang hat. An der logiſchen Erklaͤrung eines Urtheils moͤgte endlich wenig gelegen ſeyn, und ich will es unten noch beſonders zeigen, daß ſich die ge - woͤhnliche, von Einer Seite betrachtet, und ſo ferne von einem deutlich gedachtem Urtheil die Rede iſt, zur Noth vertheidigen laſſe. Nur muß es dadurch nicht zu einem Grundſatz gemacht werden, daß alle Verhaͤltniſſe, wenn man ſie aufloͤſet, auf Jdentitaͤt und Diverſitaͤt hin - auskommen. Dieſer unrichtige Satz hat bey der Unter - ſuchung des menſchlichen Verſtandes ſeine vielen nach - theiligen Folgen gehabt.

Jſt denn die Abhaͤngigkeit eines Dinges von ei - nem andern auch eine Aehnlichkeit oder Verſchiedenheit dieſer Dinge? wenn gleich die von einander abhangende Gegenſtaͤnde ſich entweder einander aͤhnlich oder unaͤhn - lich ſind? Jſt die Folge der Dinge auf einander; iſt ihr Beyeinanderſeyn; die beſondere Art ihrer Mitwirklichkeit, ihre Lage gegen einander; Jſt das Jnhaͤriren einer Beſchaffenheit in ihrem Subjekt nichts als eine Art von Jdentitaͤt und Diverſitaͤt? Nach mei - nen Begriffen iſt es nicht alſo. Jch unternehme es zwar hier noch nicht, die ganze Mannigfaltigkeit der Wirkun - gen unſerer Denkkraft anzugeben; aber ich meine, man hat nur Eine Seite von ihr betrachtet, wenn man alle einfache und allgemeine Verhaͤltniſſe auf dieſe einzige Art einſchraͤnket.

2.

Leibnitz, deſſen ſcharfe und eindringende Blicke in die allgemeinen Denkarten des menſchlichen Verſtandesſich331und uͤber das Denken. ſich auch hier zeigten, unterſchied zwo Klaſſen von einfa - chen Verhaͤltniſſen (relations). *)Eſſais ſur l’entendement humain lib. II. p. 98. Selon mon ſens la Relation eſt plus generale, que la com - paraiſon. Car les Relations ſont ou de comparaiſon ou de concours. Les premieres regardent la convenance ou disconvenance (je prens ces termes dans un ſens moins étendû) qui comprend la reſſemblance, l’égalité, l’inégalité, etc. Les ſecondes renferment quelque liaiſon, comme de la cauſe et de l’effet, du tout et des parties, de la ſituation et de l’ordre, etc. Zu der einen ſollten die eigentlichen Verhaͤltniſſe, die nemlich, welche aus der Vergleichung der Dinge entſpringen, die Jdenti - taͤt und Diverſitaͤt, Aehnlichkeit und Unaͤhnlichkeit, mit allen ihren Arten, die er Vergleichungsverhaͤltniße nannte, gehoͤren. Unter die andern aber die Beziehun - gen gebracht werden, die ihren Grund in einer wirkli - chen Verknuͤpfung der Objekte haben, dergleichen die Dependenz, die Ordnung, die Verbindung der Dinge zu einem Ganzen, ihre Stellung und Lagen u. ſ. f. ſind. Er nannte ſie Verhaͤltniſſe aus der Verbindung (relations de concours). Dieſe Abtheilung giebt der Sa - che ſchon etwas mehr Licht. Aber iſt ſie vollſtaͤndig? Wie kann die urſachliche Verbindung mit den un - wirkſamen Beziehungen, die von der verſchiede - nen Art der bloßen Mitwirklichkeit abhange, und Folgen des gleichzeitigen Daſeyns mehrerer Dinge ſind, in Eine gemeinſchaftliche Gattung zuſammen gebracht werden, da dieſe beiden letztern Klaſſen eben ſo weſent - lich von einander, als beide von der erſten Klaſſe der Verhaͤltniſſe, aus der Vergleichung, unterſchieden ſind? Leibnitz hatte nun zwar, wie Wolf und andere Phi - loſophen nach ihm, die Meinung, die Mitwirklich - keitsarten, und die daraus entſtehende unwirkſame Be - ziehungen, welche durch Raum und Zeit beſtimmet wer -den,332IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftden, waͤren am Ende in den urſachlichen Verknuͤpfun - gen der Objekte gegruͤndet, und glaubte daher, beide zu Einer Gattung hinbringen zu koͤnnen. Aber das minde - ſte zu ſagen, ſo gruͤndet ſich dieſer Gedanke auf einer tie - fen metaphyſiſchen Spekulation, die gewiß nicht zum Grunde geleget werden kann, wo man in der Erfah - rungs-Seelenlehre die mannigfaltigen Verhaͤltniß - und Denkarten aus Beobachtungen aufzaͤhlen muß. So wie der blos beobachtende Verſtand die Sache anſieht, ſo ſetzet die verurſachende Verbindung zwiſchen zwey Dingen, ſobald dieſe endlich und eingeſchraͤnkt ſind, al - lemal eine unwirkſame Beziehung aus der Koexiſtenz voraus. Der thaͤtige Einfluß einer Urſache in den Gegenſtand, der von ihr leidet, kann nicht beſtimmt ge - dacht werden, ehe nicht beide als in eine gewiſſe Lage ge - gen einander gebracht vorgeſtellet werden. Es iſt z. B. nicht genug, daß Feuer und Holz vorhanden ſey, ſon - dern beyde muͤſſen unmittelbar an einander gebracht wer - den, wenn ein Verbrennen des Holzes vom Feuer moͤg - lich ſeyn ſoll. Es iſt ein Magnet da, welcher Eiſen an ſich ziehet, und Eiſen iſt da, welches ſich von dem Ma - gneten anziehen laͤſſet; aber die Verbindung dieſer beiden Jdeen giebt keine beſtimmte Jdee von ihrer wirklichen verurſachenden Verknuͤpfung, wofern nicht auch das Ei - ſen in einer ſolchen Koexiſtenz mit dem Magneten vorge - ſtellet wird, daß es ſich innerhalb des Wirkungskreiſes des letztern befindet. Es iſt ein ſehr fruchtbarer Grund - ſatz, daß die urſachliche Verbindung außer den in - nern Kraͤften der Urſache, und außer der Receptivi - taͤt in dem leidenden Subjekt, in welchem die Wir - kung hervorgebracht wird, noch eine beſtimmte Art der Koexiſtenz erfodere, woferne die wirkende Urſache nicht von einer uneingeſchraͤnkten Kraft iſt, die an keinen Ort oder Raum gebunden, in der Naͤhe und Ferne, und in jeder Richtung hin gleich ſtark thaͤtig ſeyn kann. Aber333und uͤber das Denken. Aber eben dieß macht es nothwendig, die unwirkſamen Beziehungen aus der Art der Koexiſtenz von der urſach - lichen Verbindung weſentlich zu unterſcheiden.

Um demnach die einfachen Verhaͤltniſſe, welche auch einfache Denkarten und alſo einfache Wirkungen unſerer Denkkraft ſind, im allgemeinen vollſtaͤndig zu klaſſificiren, zaͤhle ich ihrer drey Arten. Eine Art entſpringet aus der Vergleichung der Vorſtellun - gen. Dieß iſt die Klaſſe der Jdentitaͤt und Diverſitaͤt, und ihrer Arten, und das ſind die eigentlichen Relatio - nes oder Verhaͤltniſſe, Vergleichungsverhaͤltniſſe (relations de comparaiſon). Eine andere entſprin - get aus dem Zuſammennehmen und Abſondern, Verbinden und Trennen der Vorſtellungen, und den mancherley Arten, auf welche ſolches geſchehen kann. Dahin gehoͤren das Jneinanderſeyn, oder die Bezie - hung, die eins auf das andere hat, als eine Beſchaffen - heit oder ein Praͤdikat auf das Subjekt, worinn es ſich befindet. Ferner, wenn von den Beziehungen ſol - cher Dinge die Rede iſt, deren jedes wie ein beſonders Ding fuͤr ſich angeſehen wird, das Verbundenſeyn und das Getrenntſeyn, das Zugleichſeyn, die Fol - ge, die Ordnung, und alle beſondere Arten der Mit - wirklichkeit: dieſe koͤnnen durch den Namen: unwirk - ſame Beziehungen, Mitwirklichkeits-Beziehun - gen (relations de combinaiſon) unterſchieden werden. Hievon iſt alsdenn die dritte allgemeine Gattung unter - ſchieden, welche die Verhaͤltniſſe der Dependenz, die Verbindung des Gegruͤndeten mit ſeinem Grunde, und der Wirkung mit ihrer Urſache, in ſich faſſet. Die Thaͤtigkeit der Denkkraft, mit der wir die erſtge - dachten Verhaͤltniſſe erkennen, beſtehet in dem Verglei - chen und Gewahrnehmen. Die Thaͤtigkeit, mit der die unwirkſamen Beziehungen gedacht werden ſie be - ſtehen auch, worinn ſie wollen aͤußert ſich, wennwir334IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftwir mehrere wirkliche Gegenſtaͤnde zugleich, oder in ei - ner Folge auf einander uns vorſtellen. Endlich, wird die urſachliche Verbindung dann nur gedacht, wenn die Jdeen der Objekte ſelbſt in einer gewiſſen wirkenden Verbindung auf einander in dem Verſtande ſind. Es iſt Folgern und Schließen etwas anders, als blos Jdeen in eine Folge und Verbindung zu bringen; auch etwas mehr, als eine Aehnlichkeit und Uebereinſtim - mung gewahrzunehmen. Denn wenn auch der Ver - nunftſchluß durch die Herleitung einer Aehnlichkeit oder Verſchiedenheit zwoer Jdeen aus ihren Aehnlichkeiten und Verſchiedenheiten in Hinſicht einer dritten erklaͤret wird; ſo iſt doch ſelbſt dieſes Herleiten der Aehnlichkeit oder Verſchiedenheit aus andern gleichartigen Verhaͤlt - niſſen eine eigene Thaͤtigkeit des Verſtandes; ein thaͤti - ges Hervorbringen eines Verhaͤltnißgedanken aus ei - nem andern, welches, wie oben erinnert worden, mehr iſt, als zwey Verhaͤltniſſe nach einander gewahrnehmen.

Zu dieſen dreyen Gattungen von einfachen objekti - viſchen Verhaͤltniſſen, als ſo vielen unterſchiedenen Thaͤ - tigkeitsarten unſerer Denkkraft laſſen ſich die einfachen Verhaͤltniſſe in der Grundwiſſenſchaft hinbringen. Jch habe wenigſtens bey keiner Art derſelben Urſachen gefun - den, die Zahl der allgemeinen und einfachen Gattungen zu vermehren, wenn nemlich, wie hier vorausgeſetzet wird, nur von Verhaͤltniſſen der Objekte unter ſich, die man in den Dingen außer dem Verſtande gedenket, und ihnen in Hinſicht auf andere zuſchreibet, die Rede iſt. Die Gedenkbarkeit der Dinge iſt eine Beziehung auf den Verſtand eines erkennenden Weſens. Solche Ver - haͤltniſſe koͤnnen von einer Seite betrachtet, unter jenen Gattungen, als ihre beſondern Arten begriffen werden, doch mag man auch, wenn man will, eine eigne Ord - nung aus ihnen machen. Jch bemerke hiebey nur gele -gentlich,335und uͤber das Denken. gentlich, daß dieſe Aufſuchung aller von uns gedenkbaren Verhaͤltniſſe und Beziehungen der Dinge den Umfang und die Grenzen des menſchlichen Verſtandes aus einem neuen Geſichtspunkt darſtellet. Sollten wir behaupten koͤnnen, daß nicht noch mehrere allgemeine objektiviſche Verhaͤltniſſe von andern Geiſtern denkbar ſind, wovon wir ſo wenig einen Begrif haben, als von dem ſechſten Sinn, und von der vierten Dimenſion?

Ohne bey dieſen letzten Klaſſen in das beſondere zu gehen, wie es bey dem Begrif von der Dependenz vor - her geſchehen iſt, faͤllt es bald auf, daß alle Arten von Gedanken, Jdeen nemlich, Urtheile, Schluͤſſe, mit dem was zwiſchen dieſen lieget, Fragen und unmittelba - re Folgerungen, zuſammengeſetzte Produktionen ſind, wozu die vorſtellende und empfindende und denkende Kraft vereiniget das ihrige beywirken; wozu jene beiden erſten den Stoff hergeben, die letztere aber alles hinein - wirket, was die Gedanken zu Gedanken, Vorſtellungen zu Jdeen, verbundene Jdeen zu Urtheilen, und verbun - dene Urtheile zu Schluͤſſen machet. Aus der Denkkraft entſpringet das Geiſtige, das ſich mit den Gefuͤhlen und den Bildern der vorſtellenden Kraft vereiniget, und ih - nen die Form der Gedanken und Kenntniſſe giebt.

VI. Naͤhere336IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft

VI. Naͤhere Unterſuchung uͤber den Urſprung unſe - rer Jdeen aus Empfindungen.

  • 1) Die Empfindungen geben den Stoff her zu allen Jdeen.
  • 2) Jnsbeſonders auch zu den Verhaͤltnißbe - griffen.
  • 3) Die Form der Jdeen haͤngt von der Denkkraft ab.

1.

Der Erfahrungsſatz, daß alle Jdeen und Begrif - fe aus Empfindungen entſtehen, und den die mehreſten neuern Philoſophen in ſeiner voͤlligen Allge - meinheit ohne Ausnahme fuͤr wahr annehmen, wird durch die vorhergehenden Betrachtungen nicht aufgehoben, aber genauer beſtimmt, als es von den mehreſten zu geſchehen pfleget. Ohne Eindruͤcke von Farben und Toͤnen, und ohne gefuͤhlte Eindruͤcke davon, giebt es keine Vorſtellun - gen von ihnen, und kann keine geben. Wo es aber keine Vorſtellungen giebet, da fehlet es an Gegenſtaͤn - den, womit das Vermoͤgen, Verhaͤltniſſe zu denken, ſich beſchaͤftigen kann. Es koͤnnen keine Jdeen vorhan - den ſeyn, wo keine Vorſtellungen ſind; keine Urtheile, wo keine Jdeen ſind. Es kann alſo auch nichts gefol - gert, kein neues Urtheil aus einem andern herausgezo - gen werden, wo nicht ſchon ein Grundurtheil da iſt. Em - pfindungen, oder eigentlich Empfindungsvorſtellungen ſind daher der letzte Stoff aller Gedanken, und aller Kenntniſſe; aber ſie ſind auch nichts mehr, als der Stoff oder die Materie dazu. Die Form der Gedanken, und der Kenntniſſe iſt ein Werk der denkenden Kraft. Die - ſe iſt der Werkmeiſter und in ſo weit der Schoͤpfer der Gedanken.

2. Es337und uͤber das Denken.

2.

Es koͤnnte ſcheinen, als wenn die Verhaͤltnißbe - griffe, die nicht das Abſolute in den Dingen, ſondern ihre Beziehungen und Verhaͤltniſſe vorſtellen, dar - um eine Ausnahme machen muͤßten, weil hier das Ob - jekt, welches vorgeſtellet wird, das Verhaͤltniß nem - lich, nicht aus der Empfindung entſtehet, ſondern eine hinzukommende Wirkung der Denkkraft iſt. Es gehoͤ - ret alſo auch der Stoff dieſer Begriffe dem Verſtande zu, und zwar ausſchließungsweiſe. Wir haben z. B. die Aehnlichkeit nicht empfunden, ſondern hinzugedacht. Der Gegenſtand dieſes Verhaͤltnißbegriffes iſt eine Thaͤ - tigkeit oder eine Wirkung unſerer Denkkraft; iſt keine Wirkung unſerer vorſtellenden Kraft; auch keine Em - pfindung. Der innere Aktus der Denkkraft giebt hier die innere Empfindung her, aus welcher die Vorſtellung gemacht wird, welche letztere von einem nachfolgenden Aktus der Denkkraft gewahrgenommen, und unterſchie - den wird, und dann die Jdee ausmachet, deſſen Ob - jekt dasjenige in den Gegenſtaͤnden iſt, was wir ihre Verhaͤltniſſe nennen, und ihnen beylegen. Dieß war vielleicht die Seite, von der Leibnitz*)Eſſais ſur l’entend. humain, liv. II. chap. I. p. 67. die Verhaͤltniß - begriffe; und dahin gehoͤrt der groͤßte Theil unſerer Ge - meinbegriffe; anſah, als er gegen Locken darauf be - ſtand: die Ariſtoteliſche Regel, nihil eſt in intellectu, quod non ante fuerit in ſenſu, muͤſſe nur mit einer Ausnahme fuͤr wahr angenommen werden: excepto ipſo intellectu. Jch ſage, vielleicht; denn Leibnitz wollte ebenfalls die Jdeen von der Seele ſelbſt, und von ihren Beſchaffenheiten, und dadurch alle Jdeen von immate - riellen Dinge, ingleichen die tranſcendenten Ver - ſtandesbegriffe, von einem Dinge uͤberhaupt, vonI. Band. Yder338IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftder Subſtanz, von der Einheit und der Wirklichkeit, und andere, wozu uns kein aͤußerer Sinn von noͤthen iſt, wenn wir nur innere Empfindungen haben und aus die - ſen gehoͤrig abſtrahiren koͤnnten, als Ausnahmen von der gedachten Regel angeſehen wiſſen. Es war offenbar ein Mißverſtand zwiſchen ihm, und zwiſchen Locken, wie, zwar nicht alles, aber doch das meiſte war, was in ih - rem Streit uͤber die angebohren Jdeen zum Grunde lag, und eben ſo verhielt es ſich in dem Streit des Locke mit dem des Cartes. Ariſtoteles mogte noch wohl Empfindung und Sinn auf die aͤußern Empfindun - gen und auf den aͤußern Sinn| eingeſchraͤnkt haben; al - lein Locke hatte ſich deutlich genug erklaͤret, daß er nicht die aͤußern Empfindungen allein, ſondern auch die in - nern Selbſtgefuͤhle unter der Benennung der Empfin - dungen befaßte. Außer jenen fuͤhrte er auch die Refle - xion, das iſt, die denkende Kraft der Seele, als eine Jdeenquelle an. Was die Jdeen von abſoluten Sachen und Beſchaffenheiten betrift, ſo kann der neuern Ein - wendungen des Hr. Reid, Beatties und und Oswalds ohnerachtet, die in der That auch kein einziges wirklich entgegenſtehendes Beyſpiel aufgebracht haben, es fuͤr entſchieden angeſehen werden, daß ſie aus innern und aͤußern Empfindungen entſpringen, und aus dieſen das Bildliche her haben, was ihre Materie ausmacht. Nur wenn die Verhaͤltnißideen den Jdeen des Abſolu - ten entgegengeſetzet werden, ſo kann es anfangs zweifel - haft ſcheinen, ob zu jenen, wie zu dieſen der Stoff aus Empfindungen genommen werde? Aber der Zweifel verſchwindet, ſobald man auf die Entſtehungsart der Verhaͤltnißbegriffe zuruͤckſieht. Dazu, daß eine Thaͤ - tigkeit des Denkens ſich aͤußert, und ein Urtheil oder Verhaͤltnißgedanke entſtehet, werden andere Vorſtellun - gen der beurtheilten Gegenſtaͤnde, und Veranlaſſungen und Reize fuͤr die Denkkraft, um wirkſam zu werden,erſodert,339und uͤber das Denken. erfodert, die zum Theil wenigſtens in jenen Vorſtellun - gen und deren Beziehung auf uns enthalten ſind. Die Materie, oder der Stoff, auf den die Denkkraft ſich ver - wendet, beſtehet alſo in den Vorſtellungen, oder in Jdeen der Objekte, deren Beziehung oder Verhaͤltniß gedacht wird. Aber dieſer erſte Gedanke eines Ver - haͤltniſſes iſt nicht der Verhaͤltnißbegrif, oder die Jdee von dem Verhaͤltniß. Ein Urtheil iſt keine Jdee von einem Urtheil, ſo wenig als eine Leidenſchaft eine Jdee von ihr iſt. Jch kann mich auf das oben ſchon geſagte beziehen. Soll ein Begrif von dieſem Ak - tus des Verſtandes, oder von deſſen Wirkung erlanget werden, ſo muß es auf die naͤmliche Weiſe geſchehen, wie dergleichen von andern Seelenaͤußerungen, Veraͤnderun - gen, Thaͤtigkeiten und Kraͤften entſtehen. Der Aktus des Denkens und des Urtheilens muß in ſeinen unmittel - baren, leidentlichen, eine Weile daurenden Wirkungen gefuͤhlet und empfunden werden; und dieſe gefuͤhlte Mo - difikation hat ihre Nachempfindung, und hinterlaͤßt ihre reproducible Spur. Da iſt die Vorſtellung, und alſo der Stoff zu der Jdee von dem Gedanken, der ab - geſondert, gewahrgenommen und unterſchieden, eine Jdee von dem Verhaͤltnißgedanken, und alſo ein Verhaͤltnißbegrif wird. Daher iſt es auch, wie die Er - fahrung lehret, unmoͤglich, jemanden einen Begrif von der wirklichen Verknuͤpfung der Dinge beyzubringen, der nicht eine ſolche Verknuͤpfung ſelbſt vorher gedacht, der dieſen Gedanken nicht empfunden und wiederhervorgezo - gen hat. Wie will man es einem begreiflich machen, was Raiſonnement und zuſammenhangende Einſicht ſey, der ſelbſt nie raiſonnirt und zuſammenhangend gedacht hat, und dem nicht die Empfindung dieſer einzelnen Thaͤ - tigkeiten ſchon ſo gelaͤufig iſt, daß er ſie mit Leichtigkeit wiedervorſtellen, und in ſich ſo lebhaft gegenwaͤrtig er - halten kann, als es erfodert wird, um davon abziehenY 2zu340IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftzu koͤnnen? dieß geht ſo wenig an, als einem Blinden die Vorſtellung von der rothen Farbe zu verſchaffen.

3.

Alle Jdeen und Begriffe ſind alſo ohne Ausnahme bearbeitete Empfindungsvorſtellungen, wie die Vorſtellungen bearbeitete Empfindungen ſind. Aber dieſe Bearbeitung iſt von der Denkkraft geſchehen. Und iſt es da nun wohl zu verwundern, daß manche Jdeen, wenn man ſie gegen ihre Empfindungsvorſtellungen haͤlt, von dieſen ſo weit unterſchieden zu ſeyn ſcheinen; als ir - gend ein Kunſtwerk von ſeiner rohen Materie? und daß, es oft ſo ſchwer iſt, bey ihnen herauszubringen, aus wel - cher Gattung von Empfindungen ihr erſter Stoff herruͤh - ret? Es iſt nicht zu laͤugnen, und wenn man die inne - re Werkſtatt der Denkkraft und die Operationen erweget, wodurch Empfindungen zu Jdeen verarbeitet werden, zum voraus zu vermuthen, daß man viele Schwierigkeiten antreffen werde, wenn man bey beſondern Jdeen die Art ihrer Entſtehung deutlich angeben will.

Hr. Reid, und ſeine Nachfolger haben ſich in die - ſen Schwierigkeiten verwickelt, und um herauszukom - men, die Meinung angenommen, es laſſe ſich von den erſten Empfindungsideen, die wir aus dem Geſicht und dem Gefuͤhl erlangen, weiter gar kein Grund noch eine Entſtehungsart angeben, als daß ſie durch die Per - ceptionskraft der Seele gemacht werden; daß ſie von den Senſationen zwar weſentlich unterſchieden, aber Wir - kungen eines Jnſtinkts ſind, bey denen man nur fragen kann, wie ſie beſchaffen ſind, nicht aber, wie ſie ent - ſtehen? Es iſt außer Zweifel, daß ſie Wirkungen des Jnſtinkts ſind, nemlich Wirkungen, die aus der Natur der Denkkraft hervorgehen. Dieß haben Locke und die uͤbrigen Philoſophen nicht gelaͤugnet, denen man da - durch hat widerſprechen wollen. Aber die Frage, welchejene341und uͤber das Denken. jene bejaheten, iſt dieſe: ob ſich die Wirkungsart der Naturkraft und die Geſetze ihres Verfahrens nicht zer - gliedern, und auf allgemeine Regeln zuruͤckbringen laͤßt? Wenn dieß angeht, ſo iſt es nicht noͤthig, dabey zu bleiben, daß man ſaget: dieſe oder jene Jdee iſt eine unmittelbare Arbeit des Jnſtinkts. Es laͤſſet ſich als - denn noch zeigen, daß ſie nach einem allgemeinen Wir - kungsgeſetze gemacht iſt, und es laͤßt ſich auch begreifen, woher dasjenige, was ihr Eigen iſt, ſeinen Urſprung habe.

Wir ſchmecken, wir riechen, wir hoͤren. Dieſe Empfindungen vergehen; wir erwecken ſie in etwas wie - der in der Einbildungskraft, ob gleich auf eine ſehr matte Art. Wir unterſcheiden ſie von einander, und verbin - den mit ihnen den Gedanken, daß ſie von aͤußern Ge - genſtaͤnden entſpringen, und gewiſſe Beſchaffenheiten in dieſen vorausſetzen, deren Zeichen oder Vorſtellungen ſie ſind. Jn ſo weit ſind ſie, nach dem Sprachgebrauch, dem ich bisher gefolget bin, Jdeen von Gegenſtaͤnden, die uns etwas objektiviſches vorſtellen. Sind nun dieſe Vorſtellungen und Jdeen aus den mindern Sinnen ſo weſentlich von den Vorſtellungen und Jdeen aus dem Geſicht und Gefuͤhl unterſchieden, wie einige geglaubet haben, daß ſie nicht in demſelbigen Verſtande Jdeen genennet werden koͤnnen?

Man hat ſich vorgeſtellet, die Jdeen des Gehoͤrs, des Geruchs und des Geſchmacks koͤnnten nichts als klare Empfindungen, Senſationen, oder Gefuͤhle, aber keine Vorſtellungen und Jdeen ſeyn. Jn wie ferne ſie Vor - ſtellungen ſind oder ſeyn koͤnnen, iſt in dem Erſten Ver - ſuch gewieſen worden. Sie ſind klare Empfindungen, und klare Empfindungsvorſtellungen, wenn das Vermoͤ - gen gewahrzunehmen, ein Zweig der Denkkraft, ſich mit dem Gefuͤhl und der Reproduktion verbindet, und ſie unterſcheidet. Aber als Jdeen von Objekten betrachtet,Y 3haben342IV. Verſuch. Ueber die Denkkrafthaben ſie noch eine Beſchaffenheit mehr an ſich, wodurch ſie zu Jdeen, oder, wie Reid ſagt, zu Perceptionen werden. Es iſt nemlich der Gedanke mit ihnen ver - bunden, daß ſie in aͤußern Dingen ihren Urſprung ha - ben, und daß ſie etwas objektiviſches und reelles vor - ſtellen. Dieß iſt der vornehmſte Zuſatz von der Denk - kraft, und da iſt die Frage, ob ſolcher auf eine andere Art und nach andern Denkungsgeſetzen hinzukomme, als diejenigen ſind, nach welchen alle Jdeen uͤberhaupt von der Denkkraft ihre Form erhalten?

Die Jdeen des Gefuͤhls und des Geſichts ſchei - nen weit mehr von ihren Empfindungen ſich zu entfernen, als die Jdeen aus den uͤbrigen Sinnen. Wir befuͤhlen die Koͤrper. Dieß Gefuͤhl iſt eine Empfindung, die wir beachten, unterſcheiden und bemerken koͤnnen. Jch lege die Hand auf einen harten oder auf einen weichen Koͤrper, und fahre mit den Fingern uͤber ihn, und um ihn herum. Es entſtehet ein Gefuͤhl von Haͤrte und Weichheit, von Figur und Groͤße, und dieß wird be - ſonders bemerket; zuweilen wenigſtens, wenn man durch Schmerz oder Luſt oder durch Jntereſſe gereizet wird, aufmerkſam darauf zu ſeyn. Dieſe Empfindung der Haͤrte, ſagt Reid, hat nichts aͤhnliches mit der Haͤrte in dem Koͤrper, und das hat ſie freylich nicht. Sie iſt etwas ſubjektiviſches in der Seele, da die Haͤrte des Koͤr - pers etwas objektiviſches in den Dingen iſt. Aber dieſe Empfindung hat auch nichts aͤhnliches, ſetzet er hinzu, mit der Perception oder mit der Jdee von der Haͤrte, welche uns die objektiviſche Beſchaffenheit als im Bilde vorhaͤlt. Jch antworte, das Gefuͤhl iſt hier allerdings von der Jdee unterſchieden; aber iſt jenes deswegen nicht der Stoff zu dieſer? Sind beide wohl weiter von einander unterſchieden, als es eine jede undeutliche Jdee von ſich ſelbſt iſt, nachdem ſie deutlich gemacht worden iſt? Und erſtrecket ſich uͤberhaupt der Unterſchied zwiſchenunſern343und uͤber das Denken. unſern Jdeen von den ſogenannten qualitatibus prima - riis der Dinge, und denen von den qualitatibus ſecun - dariis wohl weiter, was auch Hr. Reid ſaget, der hier bey dem erſten Anſcheine ſtehen bleibt, als bis dahin, daß die Eine Art deutlicher gemachte Vorſtellungen ſind, und aus allgemeinen einfachen Vorſtellungen beſtehen; die andern hingegen nicht ſo allgemeine Vorſtellungen zu Jngredienzen haben, und undeutlich und verwirrt ge - blieben ſind?

Die Geſichtsideen ſind Vorſtellungen, die am meiſten von der Denkkraft bearbeitet ſind. Was hier Empfindung und Vorſtellung iſt, beſteht in Licht und Farben, und dieſe Empfindungen ſind ſchwache Empfin - dungen, aber ſehr deutlich auseinander geſetzt. Das ſichtliche Bild iſt daher merklich unterſchieden von der Jdee des geſehenen Objekts. Jenes wird faſt unkennt - lich unter den Zuſaͤtzen, die von der Denkkraft kommen, und daher bemerket der gemeine Verſtand es ſelten, wenn er auf ſeine Jdee zuruͤckſieht. Die Perſpektive lehret uns, auf das ſichtliche Bild recht acht zu haben; aber die Jdee von dem Baum, den ich ſehe, iſt faſt ganz eine Zuſammenſetzung von Verhaͤltnißgedanken, und von Urtheilen, daß ein Ding da außer mir ſtehe, ein Ding von einer gewiſſen Laͤnge, Dicke, Breite, Figur, in einer gewiſſen Weite u. ſ. f.

Aufs Einzelne ſich einzulaſſen, und bey jedweder Gattung von Empfindungsideen ihre Entſtehungsart deutlich auseinander zu ſetzen, das iſt fuͤr meinen gegen - waͤrtigen Zweck zu weitlaͤuftig. Jch kann nur im All - gemeinen ſtehen bleiben, und die weſentlichſten Punkte angeben, worauf es dabey ankommt. Und warum ſollte man auch nicht gerne eingeſtehen, daß diele Wirkungen unſerer Seele eben ſo undurchdringlich, und eben ſo ſchwer in ihre einzelne Schritte zu entwickeln ſind, als viele Wirkungen der Koͤrperkraͤfte? Aber dagegen heißtY 4es344IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftes doch auch nicht nach Hypotheſen philoſophiren, wenn man die in einigen Erfahrungen deutlich beobachteten Wirkungsgeſetze auf andere anwendet, worinn man die dazu erforderlichen Thaͤtigkeiten nicht ſo unmittelbar be - obachten kann. Wenn die letztern ſich aus denſelbigen Gruͤnden und auf dieſelbige Art begreifen laſſen, wie die erſtern erklaͤret ſind, ſo macht die Analogie es wahr - ſcheinlich, daß ſie auch wirklich auf dieſelbige Art und Weiſe entſtehen. Und dieß wird zur voͤlligen Gewiß - heit gebracht, wenn man Erfahrungen findet, woraus es unmittelbar erhellet, daß es mit ihnen in Hinſicht der vornehmſten Umſtaͤnde, dieſelbige Beſchaffenheit habe, wie mit jenen. Wenn Hr. Reid und ſeine Nachfolger ſo billig ſind, dieſes Verfahren fuͤr logiſch richtig zu er - kennen, ſo wird der Urſprung aller Empfindungsideen, wovon ſie glauben, daß ſolcher nothwendig ein eigenes Princip in der Seele erfordere, welches ſie den gemei - nen Verſtand nennen, und der Vernunft entgegen ſetzen, aus der vereinigten Wirkung des Gefuͤhls, der vorſtellenden Kraft und der, die Verhaͤltniſſe nach ge - wiſſen allgemeinen Geſetzen erkennenden, Denkkraft be - griffen, und die bey dieſen oder jenen einzelnen Jdeen vorkommenden Schwierigkeiten gehoben werden. Und da, deucht mich, werden die Hauptſtuͤcke, worauf es ankommt, um das Jdeenmachen voͤllig einzuſehen, folgende ſeyn.

Mit allen Vorſtellungen des Geſichts, des Gefuͤhls und der uͤbrigen Sinne wird der Gedanke verbunden, daß ſie aͤußere Objekte vorſtellen. Dieſer Gedanke be - ſtehet in einem Urtheil, und ſetzet voraus, daß ſchon eine allgemeine Vorſtellung von einem Dinge, von einem wirklichen Dinge, und von einem aͤußern Dinge, vorhanden, und daß dieſe von einer andern allgemeinen Vorſtellung von unſerm Selbſt, und von einer Sache in uns, unterſchieden ſey. Wie dieſe Vorſtellungenentſtehen,345und uͤber das Denken. entſtehen, durch die Denkkraft unterſchieden, dann mit den Empfindungen von aͤußern Objekten und deren Reproduk - tionen verbunden werden, bedarf allerdings einer beſondern Eroͤrterung, die ich ſogleich nachher vornehmen will.

Jſt dieſer Punkt ins Helle gebracht, ſo darf man ſich nur folgender Verſchiedenheiten erinnern, die bey den Empfindungen und Vorſtellungen ſchon in dem vorher - gehenden bemerket ſind.

Die verſchiedenen Empfindungen ſind fuͤr ſich als Eindruͤcke und Veraͤnderungen betrachtet, von ſehr ver - ſchiedener Lebhaftigkeit, Feinheit und Deutlichkeit. Eine Art enthaͤlt mehr unterſcheidbare Mannigfaltigkeit, als die andere. Die Gefuͤhls - und Geſichtseindruͤcke ſind hierinn die vorzuͤglichſten.

Die Gefuͤhlsempfindungen verbinden ſich zum Theil mit den Geſichtsempfindungen, wie dieſe mit jenen, und mit allen beiden werden noch andere mehr in der Phan - taſie dergeſtalt aſſociirt, daß ſie nur eine Reproduktion ausmachen. Die Vorſtellung von der Haͤrte des Koͤr - pers, ingleichen die von der Figur deſſelben iſt ein Gan - zes, welches ſowohl Reproduktionen des Geſichts, und dieſes ſind faſt die meiſten, als Reproduktionen des Ge - fuͤhls in ſich faßt. Dieſe Vereinigung mehrerer Em - pfindungen iſt aus dem Geſetz der Aſſociation voͤllig be - greiflich, und eine Wirkung des uns angebohrnen Ver - moͤgens, mehrere Vorſtellungen in Eine zu verbinden.

Die Geſichts - und die Gefuͤhlsideen ſind ſo zu ſagen mehr Jdeen, als bildliche Vorſtellungen. Das letztere ſind ſie nur, in ſo ferne ſie aus reproducirten Em - pfindungen beſtehen der Dichtkraft das ihrige nicht ver - geben; allein in ſo ferne Unterſcheide, Lagen und Bezie - hungen der vorgeſtellten Objekte und ihrer Theile, in ihnen geſehen, und durch ſie erkannt; ingleichen ſo ferne ſie als Bilder von aͤußern Objekten angeſehen werden, enthal - ten ſie Urtheile, und ſind Wirkungen der Denkkraft.

Y 5VII. Ver -346IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft

VII. Vergleichung der verſchiedenen Aeußerungen der Denkkraft unter ſich.

  • 1) Wie die verſchiedenen Aeußerungen der Denkkraft, das Unterſcheiden, das Ge - wahrnehmen, das Beziehen der Dinge auf einander, das Erkennen, ſich gegen einander verhalten.
  • 2) Die einfachen Denkthaͤtigkeiten, in wel - che die Aeußerungen der Denkkraft bey dem Gewahrnehmen aufgeloͤſet werden koͤnnen.
  • 3) Die einfachen Denkthaͤtigkeiten in den uͤbrigen Verhaͤltnißgedanken, beſtehen in Beziehung und Gewahrnehmung.
  • 4) Gewahrnehmung der Beziehungen ohne Gewahrnehmung der ſich auf einander beziehenden Gegenſtaͤnde. Jdeen von Raum und Zeit.
  • 5) Jn wie ferne alle Jdeen durch die Ver - gleichung gemacht werden.
  • 6) Von der Form der Urtheile. Jn wie ferne ſie in Vergleichungen beſtehen.
  • 7) Von Folgern und Schließen.

1.

Verhaͤltnißideen ſind uͤberhaupt die Wirkungen der Denkkraft. Alle Aktus, welche dazu erfodert wer - den, daß außer dem Abſoluten, was in den Vorſtellun - gen als Modifikationen enthalten iſt, noch die ſubjekti -viſchen347und uͤber das Denken. viſchen Verhaͤltniße und Beziehungen hinzu kommen, daß nemlich in uns das entſtehet, was wir durch die relativen Woͤrter bezeichnen; z. B. ein Ding iſt ein beſonders Ding; ein Ding iſt einerley mit einem an - dern, oder verſchieden von einem andern; ein Ding iſt Urſache oder Wirkung eines andern; es iſt bey, in, mit und um ein anders; es folgt auf ihn, oder geht vor ihm her, und ſo weiter; was hiezu erfodert wird, auſſer den Gefuͤhlen und Vorſtellungen, die dazu auf eine gewiſſe Weiſe in uns eingerichtet ſeyn muͤſſen, das wird ſo angeſehen, als entſpringe es aus einer ei - genen Quelle, und aus einem eigenen Grundvermoͤgen, wel - ches ganz eigentlich die Denkkraft genennet wird. So ſehen die mehreſten die Sache an, und ich habe vorher das Wort Denkkraft in dieſer Bedeutung genommen, und daher in der Verbindung dieſer Kraft mit Gefuͤhl und Vorſtellungskraft das geſammte Erkenntnißver - moͤgen geſetzet. Verſchiedene nennen das ganze Er - kenntnißvermoͤgen, Denkkraft.

Die vornehmſten unter den einfachen Aeußerungen, in denen die Denkkraft ſich wirkſam beweiſet, ſind das Unterſcheiden, das Gewahrnehmen, das Bezie - hen der Dinge auf einander, Urtheilen, Folgern, Schließen. Wer etwas gewahrnimmt, denket. Da zeiget ſich die Denkkraft als ein Gewahrnehmungs - vermoͤgen. Wer unterſcheidet, denket. Da zei - get ſie ſich, wie einige es nennen, als Unterſcheidungs - vermoͤgen. Wer die Dinge auf einander beziehet, denket, und beſitzet Beziehungsvermoͤgen, Refle - xion. Urtheilen, Schließen ſind ein Denken, und Denkungsaktionen, und dann iſt auch das Wort Er - kennen eins von denen, welche Grundbegriffe aus - druͤcken.

Jn jeder dieſer Aktionen offenbaret ſich die Denk - kraft von einer beſondern Seite, und jedes der einzelnVermoͤ -348IV. Verſuch. Ueber die DenkkraftVermoͤgen, die zu dieſen Aeußerungen gehoͤren, iſt nichts anders, und kann nichts anders ſeyn, als Eine von den verſchiedenen Auſſenſeiten der ganzen Kraft. Es giebt noch mehrere, als die angefuͤhrten ſind, die nur die einfachſten und vornehmſten ausmachen, und ſo, wie es nothwendig iſt, dieſe Seiten einzeln zu unterſuchen, wenn die Natur der Denkkraft aus Beobachtungen er - forſchet werden ſoll, ſo iſt es auch nothwendig, nicht bey der bloßen Betrachtung dieſer aͤußern einzelnen Ausſichten ſtehen zu bleiben. Viele von ihnen ſind zum Theil die - ſelben, und fallen an Einem Ende auf einander. Vor allen muͤſſen dieſe vermiſchten, und ſich in einander verwirrenden, ſo viel es angeht, aus einander geſetzet wer - den, um diejenigen zu erhalten, die, wenn ſie auch gleich noch nichts mehr ſind, als eben ſolche aͤußere einſeitige Wirkungen, dennoch ganz von einander verſchieden ſind, und, ſo zu ſagen, ganz außer einander liegen. Sind ſie einzeln beſchauet, und werden dann wieder an einan - der gefuͤget, ſo hat man, wenn ſie ſich ſchließen, den wahren aͤußern Umfang der Denkkraft, und keine Stel - le gedoppelt genommen.

2.

Wie dieſe einfachen, an ſich, wenigſtens der Be - obachtung nach, gaͤnzlich unterſchiedene Denkaͤußerun - gen herausgeſucht werden koͤnnen, dazu giebt die Zer - gliederung des Gewahrnehmens, wenn wir damit einige der uͤbrigen Verhaͤltnißideen verbinden, Gelegen - heit an die Hand, die ich nutzen will, ſo gut ich kann.

Bey dem Gewahrnehmen ließ ſich 1) eine gewiſſe Einrichtung der Vorſtellung bemerken, welche ge - wahrgenommen ward. Die Vorſtellung oder das Bild von der Sache, die ich gewahrwerde, ſteht abgeſondert und hervorſtechend vor mir. Dieſe Wirkung hatte Ak - tionen der Vorſtellungskraft und des Gefuͤhls erfodert,womit349und uͤber das Denken. womit die Vorſtellung der Sache bearbeitet war. Die gewahrgenommene Vorſtellung war andern gegenuͤber geſtellet und auf andere bezogen worden.

2) Wenn die Vorſtellung durch dieſe Bearbeitun - gen und Beziehungen die gehoͤrige Staͤrke und Stellung, die objektiviſche Klarheit empfangen hatte, ſo erfolgten der Gedanke ſelbſt, das eigentliche Gewahrnehmen, der Beziehungsgedanke; oder das, was da iſt, wenn ich ſage: Siehe! Die Sache ward dadurch als eine be - ſondere Sache vorgeſtellet.

Ob dieß letztere, und wie ferne es an jenes vorher - gehende Gefuͤhl und an die Zurichtung oder Abſonderung und Beachtung der Vorſtellung gebunden, und mit ihm einerley ſey, oder ob und in wie ferne es durch eine eige - ne nachfolgende Aktion der Seele hinzukomme, iſt in dem vorhergehenden als unentſchieden dahingeſtellet. Aber der letztere dieſer beiden Aktus, wodurch die ſub - jektiviſche Relation oder der Gedanke mit der vorzuͤg - lich abſtechenden und abgeſonderten Vorſtellung verbun - den wird, und deſſen Wirkung dieſer Gedanke iſt, machet den eigentlichen Aktus des Gewahrnehmens aus, und in dieſem beſteht hier das Weſentliche des Denkens.

Das Gewahrnehmen erfodert eine Beziehung der gewahrgenommenen Sache auf andere, die von einigen fuͤr eine Vergleichung angeſehen wird. Wenn ich ei - nen einzelnen Menſchen unter einem Haufen auskenne, ſo kann eine andere vorhergehende Jdee da ſeyn, welche durch die Einbildungskraft wieder dargeſtellet, und mit der gegenwaͤrtigen Empfindung verbunden wird, und dadurch dieſe letztere lebhafter und ausgezeichneter in mir abdruckt; es kann mir zum Exempel einfallen, daß der Menſch, den ich jetzo ſehe, ein Bekannter von mir ſey, oder einem Bekannten ſehr aͤnlich ſehe. Dieß iſt Ein Fall. Es kann aber auch die Urſache, warum ſein Bild ſo vorzuͤglich lebhaft mir auffaͤllt, in dem Bilde ſelbſt lie -gen,350IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftgen, weil es ſich ſo vorzuͤglich ſtark vor andern aus - nimmt. Alsdenn bedarf es eben keiner Herbeyholung anderer aͤhnlichen Vorſtellungen, um es merklicher zu machen, da es ſolches fuͤr ſich ſchon iſt. Jndeſſen geht doch auch in dem letztern Fall etwas vor, was eine Be - ziehung auf andere genennet werden kann. Es entſteht nemlich, wie vorher in dem Verſuch uͤber das Gewahr - nehmen bemerkt worden iſt, ein Anſatz, von der ſich ausnehmenden Vorſtellung auf andere uͤbergehen zu wol - len, woran aber die Kraft gehindert wird, weil die er - ſtere Vorſtellung ſie an ſich zuruͤckhaͤlt, oder doch bald wieder auf ſich zuruͤck ziehet. Aber wenn dieſe Aktion, als ein Beziehen der wahrzunehmenden Sache, auf an - dere, betrachtet wird, ſo iſt ſie doch nur eine Neben - thaͤtigkeit, die weiter nicht erfodert wird, als nur, in ſo ferne ſie ein Mittel iſt, die Vorſtellung von den uͤbrigen in die ſich ausnehmende und abgeſonderte Stellung zu bringen, in der ſie ſeyn muß, wenn ſie gewahrgenom - men und als eine beſondere Sache erkannt werden ſoll. Daher wird auch dieſe Beziehung in ſolchen Faͤllen, wo uns etwas von ſelbſt auffaͤllt, und wir mehr leidend et - was gewahrwerden, als thaͤtig es gewahrnehmen, wenig bemerket. Das Haupterfoderniß zu dem Ge - wahrnehmen einer Sache iſt immer dieſes, daß die Vor - ſtellung auf die noͤthige vorzuͤgliche Art abgeſondert in uns gegenwaͤrtig ſey. Wenn dieß iſt, ſo erfolgt das Gewahrnehmen.

Auch in dem Fall, wenn andere vorhergegangene Vorſtellungen, die mit der gegenwaͤrtigen ſich vereini - gen, die Gewahrnehmung befoͤrdern, ſo kann dieſe Ver - bindung doch auch nur als ein entferntes Huͤlfsmittel an - geſehen werden, wodurch die gehoͤrige Abſonderung der Vorſtellung erleichtert wird.

Dieſe Anmerkung iſt um des folgenden willen nicht zu uͤberſehen. Wenn wir den ganzen Aktus des Ge -wahr -351und uͤber das Denken. wahrnehmens, ſo wie es vorher geſchehen iſt, in zwey andere zertheilen, ſo kann der erſtere Aktus eben ſo wohl ein Beziehen des Gewahrgenommenen auf andere ge - nennet werden, als eine Abſonderung, ein vorzuͤgli - ches Darſtellen, ein Auszeichnen (eine Sonderung). Die Abſonderung der Vorſtellung iſt ihre Wirkung. Man kann die dazu wirkende Thaͤtigkeit von einer zwie - fachen Seite anſehen, als Beziehung, in ſo ferne die Vorſtellung gegen andere Vorſtellungen oder Empfin - dungen auf eine gewiſſe Weiſe geſtellet, oder mit ihnen verbunden wird; als eine Abſonderung, in ſo ferne ſie in einer ſtaͤrkern Ausarbeitung der gewahrgenomme - nen Vorſtellung ſelbſt beſtehet. Beides geſchicht in je - dem einzelnen Gewahrnehmen. Aber es iſt ſchicklicher, dieſe Aktion hier eine Abſonderung, als ein Bezie - hen auf andere zu nennen, weil jenes Wort die davon entſtehende Wirkung naͤher angiebt.

Gleichwohl kommt es niemals auf die Namen an, wenn man die Sache ſelbſt kennet. Wenn man den er - ſten Aktus des Gewahrnehmens ein Beziehen, oder eine Beziehung nennen will, ſo werde ich daruͤber nicht ſtrei - ten; nur daß dieſe zum Gewahrnehmen erfoderliche Ak - tion alsdenn von andern Beziehungen unterſchieden wer - de, wo das Verbinden und Gegeneinanderſtellen der Vorſtellungen nicht ſo wohl eine beſſere Ausſonderung der Einen, als vielmehr eine gewiſſe Lage oder Stellung von mehrern gegen einander zur Wirkung hat.

Das Gewahrnehmen iſt alſo aufgeloͤſet in dieſe zwey Aktus, in das vorzuͤgliche Darſtellen (die Sonde - rung) und in das Denken der Beſonderheit, das Un - terſcheiden, das Auskennen.

Es laͤßt ſich der erſte Aktus des Gewahrnehmens ohne den letztern denken, wenigſtens in einigem Grade. Jch ſage: in einigem Grade, denn ich laſſe es hier noch unentſchieden, wie weit der zweyte Aktus nur ein hoͤhe -rer352IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftrer Grad des erſtern iſt. Jenen erſten allein kann man die Vorſtellung der Sache in ihrer Beſonderheit nennen; ſie iſt das Analogon des Gewahrneh - mens.

Man ſehe ſolche Unterſcheidungen nicht fuͤr unnuͤtz - lich an. Wollen wir doch unſere Pſychologie auch ge - brauchen, um von den Thierſeelen beſtimmte Begriffe zu machen, und koͤnnen wir glauben, daß unſere Scharf - ſinnigkeit ſo viele unterſchiedene Grade, Stufen und Schritte bemerken werde, als der Schoͤpfer in den wirk - lichen Seelen wirklich und weſentlich von einander abge - ſondert hat? Sollten wir mit aller unſerer Subtilitaͤt die reellen Unterſcheidungen der Natur erreichen? Und ſelbſt bey der Menſchenſeele, wie viele Stufen ihrer Ent - wickelung, auf deren jeder ſie, wer weiß, wie lange, ohne merkliche Fortruͤckung ſtille ſtehet, auf welchen ſie ſich ſelbſt nicht beobachten, ſondern nur von andern an aͤußern Kennzeichen beobachtet werden kann? Bey je - der reellen Verſchiedenheit ſolcher Stufen kann eine Grenzlinie ſo gar fuͤr ein ganzes Geſchlecht von wirkli - chen Dingen ſeyn. Ohne dieſe genauen Unterſchiede zu bemerken, weiß ich kein Mittel, die weſentlichen Unter - ſchiede in den unendlich mannigfaltigen Gattungen von Seelen und ſeelenartigen Weſen jemals auch nur als moͤglich zu begreifen.

Es iſt noch ein anders, eine Sache gewahrneh - men, ſie als eine beſondere Sache zu denken, auszu - kennen, von andern zu unterſcheiden, und ein anders, dieſe ihre Beſonderheit, welche eine Beziehung auf andere iſt, ſelbſt gewahrzunehmen. Dieſer Unter - ſchied iſt dem Selbſtgefuͤhl offenbar. Jn dem erſten Fall wird die Vorſtellung von der Sache abgeſondert und ausgekannt; aber in dem letztern Fall, wenn ich wiſſen will, was ſeine Beſonderheit eigentlich ſey, muß die Gewahrnehmung der Sache, als eine Aktion derSeele353und uͤber das Denken. Seele von neuen gewahrgenommen, das heißt, von neu - en vorzuͤglich gegenwaͤrtig gemacht, und ausgekannt wer - den. Wenn wir ſagen, ich weiß, daß ich die Sache gewahrnehme, ich ſehe, daß der Fleck an der Wand etwas unterſchiedenes iſt, ſo will ich nicht blos ſagen, daß ich die Sache ſelbſt auskenne, ſondern auch, daß ich die - ſes ihr Hervorſtechen, als eine Beziehung auf andere gewahrnehme. Es iſt ein großer Schritt von dem ſim - peln Gewahrnehmen der Sache bis zum neuen Gewahr - nehmen dieſes wahrnehmenden Aktus.

3.

Die zunaͤchſt mit dem ſimpeln Gewahrnehmen ver - wandten Verhaͤltnißgedanken ſind die Gedanken von der Verſchiedenheit und Einerleyheit der Sachen. Es wird genug ſeyn, die erſtere zu zergliedern.

Das Gewahrnehmen iſt auch ſchon ein Unter - ſcheiden; aber eigentlich ein Auskennen einer Sache vor andern. Jch werde einen Thurm gewahr, ſo unter - ſcheide ich ihn aus dem ganzen Haufen anderer Sachen, die um ihn ſind, oder eigentlich, in mir kenne ich ſeine Vorſtellung vor den uͤbrigen Vorſtellungen, Empfindun - gen und Modifikationen, die etwann noch gegenwaͤrtig ſeyn moͤgten, aus.

Ein anders iſt es, wenn ich ſage: ich unterſcheide dieſen Thurm von einem andern, der nahe bey ihm ſteht; das iſt, ich denke, daß Einer nicht der andere iſt.

Jn dem letztern Aktus werden ſchon beide Vorſtel - lungen, von dem einen Thurm ſowohl, als von dem an - dern, jede als gewahrgenommen vorausgeſetzt. Dieß ſind die Jdeen, deren bloße Gegenwart aber noch den Aktus des Unterſcheidens nicht ausmacht.

Es erfolgt eine Gegeneinanderſtellung beyder Jdeen; man geht von der Einen zur andern uͤber, und es erfolgt ein Gefuͤhl des Uebergangs.

I. Band. ZDieſer354IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft

Dieſer Aktus iſt eine Beziehung; wenn ich aber die beiden Thuͤrme als unterſchiedene kennen ſoll, ſo muß noch mehr hinzukommen. Dieſe Beziehung und die da - von bewirkte Stellung der Jdeen muß gewahrgenommen werden, ſonſten habe ich den Gedanken von ihrer Verſchiedenheit noch nicht.

Der erſte beziehende Aktus iſt ſchon ein Unterſchei - den der Vorſtellungen, und wird auch oft ein Un - terſcheiden genennet; aber dieſe Beziehung muß er - kannt und gewahrgenommen werden, wenn das in mir ſeyn ſoll, was ich alsdenn ausdruͤcke, wenn ich ſage, ich unterſcheide ſie. Denn dieſen Ausdruck gebrauche ich nicht, als bis ich das Unterſcheiden, oder die Ver - ſchiedenheit der Dinge in mir gewahrnehme.

Vergleichen wir alſo das ſimple Gewahrnehmen eines Thurms mit dem Gedanken, daß dieſer Thurm von einem andern unterſchieden ſey, ſo findet man 1) ſie darinn verſchieden, daß in dem ſimpeln Gewahr - nehmen einer Sache eine Sonderung der Vorſtellung erfodert wird; bey dem Unterſcheiden aber werden die ſchon geſonderten Vorſtellungen der Sachen gegenein - ander geſtellet, es wird von dem einen zum andern uͤber - gegangen. Es iſt auch das Gefuͤhl dieſes Uebergangs etwas anders beſchaffen, als bey dem ſimpeln Gewahr - nehmen.

Aber 2) darinn ſind ſie einerley, daß in beiden ein Gewahrnehmen vorkommt. Jn dem ſimpeln Ge - wahrnehmen iſt es die Sache, oder ihre Vorſtellung, welche geſondert und dann als beſonders gedacht wird. Jn der Gewahrnehmung der Verſchiedenheit iſt es dieſe Beziehung ſelbſt, die unterſcheidende, vergleichen - de Aktion der Seele, und die davon bewirkte Stellung der Jdeen, die abgeſondert und als beſonders gedacht wird. Durch dieſes Gewahrnehmen der beziehen -den355und uͤber das Denken. den Aktion wird das, was man den Gedanken von ihrer Relation nennet, hervorgebracht.

Denken, daß zwey Dinge von einander ver - ſchieden ſind, heißt alſo, die beziehende Aktion bey ihnen gewahrnehmen.

Und nun ſind wir zu dem Allgemeinen, was in je - den andern einzelnen Verhaͤltnißgedanken enthalten iſt, nemlich, das Beziehen der Dinge in ihrer Vor - ſtellung auf einander, und das Gewahrnehmen dieſer Beziehung. Die gewahrgenommene Bezie - hung iſt die Jdee des Verhaͤltniſſes zwiſchen den Dingen.

Jch ſehe das Licht im Zimmer ſeine Strahlen um - her breiten, und die Koͤrper ſichtbar machen. Was denke ich, wenn ich dieß Licht fuͤr die Urſache der Hel - ligkeit in dem Zimmer halte?

Es iſt eine Jdee von dem Licht, und eine Jdee von der Wirkung vorhanden, und dieſe beyden Jdeen ſind in einer gewiſſen Ordnung mit einander verbunden. Jn dieſem Beyſpiel folgen ſie nur auf einander, und repro - duciren ſich in der Phantaſie, wie Hr. Hume glaubt, daß es allemal nur geſchehe; aber zuweilen wird die eine, auch wenn ſie niemals da geweſen iſt, in der Seele her - vorgebracht, wenn die erſtere gegenwaͤrtig iſt, und die wirkſame Denkkraft modificirt. Wir haben alſo in un - ſerm Beyſpiel eine Verbindung der Jdeen und einen Uebergang von der einen zur andern; mit den vergeſell - ſchaften Gefuͤhlen. So weit die beziehende Aktion, oder die urſachliche Beziehung der Vorſtellungen.

Dieſe Aktion wird gewahrgenommen. Dadurch wird das, was in der Vorſtellung und Empfindung iſt, und in abſoluten Modifikationen beſtehet, zu dem Ge - danken veraͤndert, daß die Helligkeit von dem Licht verurſachet worden.

Z 2Aller356IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft

Aller Unterſchied zwiſchen dem Gedanken von der Verſchiedenheit zweyer Dinge, und zwiſchen dem Gedanken von ihrer urſachlichen Verbindung, be - ſtehet darinn, daß die Beziehungen in beiden verſchie - den ſind. Es ſind nemlich andere Verbindungen der Jdeen in dem Einen, als in dem andern, und alſo auch ein verſchiedenes Gefuͤhl dieſer Verbindungen. Aber das Gewahrnehmen der Beziehungen iſt daſſelbige.

Alſo beſtehet das Weſen des Denkens in dem Beziehen und in dem Gewahrnehmen. Zu dem Gewahrnehmen gehoͤren aber auch zwey Aktus, das Abſondern nemlich und das eigentliche Erkennen. Das letztere bringet den Verhaͤltnißgedanken hervor. Und eben dieſer Aktus iſt es, was Denken zum Denken macht, das geiſtige Jngredienz des Gedankens; aber das Abſondern der Vorſtellungen, und das Bezie - hen derſelben auf einander muß vorhergehen, und iſt in ſo weit das zweyte weſentliche Stuͤck zum Denken.

Jn einem vollſtaͤndigen Gedanken von dem Ver - haͤltniß zweyer Dinge auf einander liegen alſo folgende einfache Aktus.

1) Sonderung der Einen Vorſtellung.

2) Sonderung der zwoten Vorſtellung.

3) Beziehung beider Vorſtellungen auf einander.

Die beiden erſten machen das Analogon des Ge - wahrnehmens aus; die letztere das Analogon von einer Verhaͤltnißidee, und alle drey zuſammen geben das Analogon von der Gewahrnehmung des Ver - haͤltniſſes des Einen Dinges zu dem andern, das iſt, das Analogon eines Urtheils.

4) Voͤllige Gewahrnehmung des Einen Dinges.

5) Voͤllige Gewahrnehmung des andern.

6) Gewahrnehmung ihrer Beziehung auf einander.

Wenn357und uͤber das Denken.

Wenn zwey Gegenſtaͤnde gewahrgenommen, und uͤberdieß auf einander bezogen werden, ſo werden ſie im Verhaͤltniß gedacht. Dieß iſt das ſinnliche Urtheil uͤber gewahrgenommene Sachen. Der gemeine Verſtand, der die Jdee von der Sonne, und die Jdee von dem Tageslicht hat, denket nothwendig dieſe beiden Sachen in einer urſachlichen Beziehung; aber dieß iſt noch nicht der Gedanke von ihrem Verhaͤlt - niſſe, ſondern nur ihre urſachliche Beziehung auf ein - ander.

4.

Es iſt oben in der Betrachtung uͤber die urſpruͤngli - chen Denkarten bemerket worden, es ſey ganz wohl moͤg - lich, daß ein Gedanke von den Verhaͤltniſſen und Be - ziehungen der Dinge, von ihrer urſachlichen Verbindung, von ihrer Koexiſtenz, auch von ihrer Aehnlichkeit und Verſchiedenheit, nicht nur zugleich entſtehen koͤnne, wenn das Gewahrnehmen der bezogenen Dinge ſelbſt zu Stande kommt, ſondern daß jene Verhaͤltnißideen auch wohl noch vor dem Gewahrnehmen der auf ein - ander bezogenen Sachen vorhergehen, und zuweilen al - lein ohne dieß letztere vorhanden ſeyn koͤnnen. Hier laͤſſet ſich nun die Art und Weiſe davon begreifen. Dieſe Betrachtung empfehle ich den Philoſophen zur Ueberle - gung, weil ſie uns am deutlichſten die Entſtehungsart der Begriffe von Raum und Zeit vorleget.

Ohne Vorſtellungen von Sachen iſt kein Bezie - hen der Vorſtellungen moͤglich, folglich auch kein Ge - wahrnehmen ihrer Beziehung, kein Gedanke von ihrem Verhaͤltniß. Aber das letztere laͤßt ſich wohl gedenken, ohne daß die Vorſtellungen, die auf einander bezogen werden, ſelbſt gewahrgenommene Vorſtellungen oder Jdeen ſind. Wir fuͤhlen es oft genug, daß Veraͤnde - rungen, Vorſtellungen, Bewegungen u. ſ. f. in uns aufZ 3einander358IV. Verſuch. Ueber die Denkkrafteinander erfolgen, ohne zu wiſſen, und gewahrzuneh - men, worinn dieſe Veraͤnderungen fuͤr ſich beſtehen. Wir fuͤhlen, daß ſie von einander abhangen; wir fuͤh - len, daß mehrere zugleich vorhanden ſind; die wir in ih - rer Folge und als abhaͤngig auf einander beziehen und zuſammen nehmen, ohne ſie einzeln gehoͤrig abzuſondern, beſonders zu ſtellen, ſie gewahrzunehmen, von einander zu unterſcheiden, und jedwede fuͤr ſich zu kennen. Da wir ſolche Erfahrungen haben, ſo iſt dieß fuͤr ſich allein ein Beweis, daß wir die Beziehungen zwoer Sachen ohne die Sachen ſelbſt gewahrnehmen koͤnnen.

Jn ſolchen Faͤllen, wo wir fuͤhlen, daß die Sachen einerley, oder daß ſie verſchieden ſind, ſcheinet es, als wenn doch etwas von einer Gewahrnehmung der Sa - chen ſelbſt vorhanden ſey, weil wir in dem erſten Fall ſie als mehrere Sachen erkennen, und in dem letztern Fall wiſſen, daß die Eine nicht die andere ſey. Aber dieß beides koͤnnen wir aus Umſtaͤnden wiſſen, die mit den dunkeln Vorſtellungen in uns verbunden ſind, ohne es aus den Vorſtellungen her zu nehmen. Denn ſo weiß ich auch in der dunkelſten Nacht, daß der Gegen - ſtand an der rechten Seite nicht der ſey, der zur Linken liegt. Da ſind zwar die Gefuͤhle von dieſen Objekten, und ihre Vorſtellungen, in ſo weit auseinander geſetzt, als wir ſie in ihrer Beziehung gewahrnehmen. Das Gefuͤhl des Hauſes zur Rechten iſt abgeſondert von dem Gefuͤhl der Sache zur Linken. Aber es ſind nicht dieſe Gefuͤhle und dieſe Vorſtellungen ſelbſt, die ohne Ruͤck - ſicht auf ihre Verbindung in uns, ihrer eignen innern Verſchiedenheit wegen, als unterſchiedene haͤtten erkannt werden koͤnnen. Ein klares Gewahrnehmen, da jede Vorſtellung fuͤr ſich mit den uͤbrigen gegenwaͤrtigen Ver - aͤnderungen kontraſtiret, und dann als eine beſondere Vorſtellung wegen ihrer innern Beſchaffenheit gedacht werden koͤnnte, worinn das eigentliche Gewahrnehmeneiner359und uͤber das Denken. einer Sache beſtehet, findet ſich in dieſen Beyſpielen nicht.

Es kann alſo Verhaͤltnißideen geben, ohne Jdeen der ſich auf einander beziehenden Dinge. Die Aktion des Beziehens wird klar genug wahrgenommen, aber die Objekte ſelbſt nicht.

Solche Verhaͤltnißideen ſind die Jdeen von dem Raum und der Zeit. Wir beziehen die koexiſtirende Dinge auf einander in unſern Empfindungen des Geſichts und des Gefuͤhls; die auf einander folgenden Sachen aber in allen unſern Gefuͤhlsarten. Dieſe Beziehungen beſtehen darinn, daß wir die mehrern einzelnen Gefuͤhle und Empfindungen in Ein ganzes zuſammen nehmen. Wenn ich mit dem Auge von der Erde zum Monde hin - auffahre, ſo iſt eine Reihe von einzelnen Aktus des Se - hens vorhanden, die ich unter einander nicht unterſchei - de, aber zuſammennehme; und das nemliche eraͤuget ſich, wenn ich mit der Hand einen Kreiß in der Luft ma - che, ohne an einen Koͤrper anzuſchlagen. Da iſt alſo ein ganzer Aktus, der aus mehrern Theilen beſtehet, die fuͤr ſich nicht von einander unterſchieden, aber in eins zuſammengezogen, und als ein ununterbrochenes Ganze vorgeſtellet werden. Mit dieſem ganzen Gefuͤhlsaktus werden die beſonders hie und da in ihm zerſtreuten klaren Gefuͤhle von einzelnen gewahrgenommenen Gegenſtaͤnden verbunden, und auf ihn bezogen, wie Theile in einem Ganzen auf dieß Ganze, worinn ſie ſind. So wohl je - nes Zuſammennehmen der ununterſcheidbaren Theile, als dieß letztere, ſind Beziehungen. Das vereinigte Ganze der Empfindung wird gewahrgenommen, und alſo zu einer Jdee gemacht, welche in dem einen Fall die ein - zelne Jdee von einem Raum, und in dem andern die einzelne Jdee von einer Zeit iſt. Hr. Kant*)De mundi ſenſibilis atque intelligibilis forma et prin - cipiis. diſſ. 1770. hat, ſoZ 4viel360IV. Verſuch. Ueber die Denkkraftviel ich weis, zuerſt geſagt, der Raum ſey eine ge - wiſſe inſtinktartige Weiſe, die koexiſtirende Din - ge bey einander zu ordnen, und koͤnne alſo aus den empfundenen Gegenſtaͤnden, das iſt, aus den einzelnen Empfindungen der Objekte nicht abſtrahirt ſeyn, wie ver - ſchiedene Philoſophen ſichs vorſtellen. Der tiefſinnige Mann hat gewiß darinn Recht, daß die beziehende Aktion der Seele, mit der dieſe alle zugleich vorhandene dunkle Gefuͤhle in Ein Ganzes vereiniget, eine natuͤrlich noth - wendige Wirkung ihrer beziehenden Kraft iſt, die ſich auf koexiſtirende Dinge verwendet. Auch iſt es richtig, daß eine ſolche Beziehung zu den Begriffen von dem Raum und von der Zeit nothwendig erfodert wird. Aber die eigentliche Materie zu der Jdee von dem Raum, das Bild oder die Vorſtellung, die als gewahrgenommene Vorſtellung die Jdee von dem Raum ausmacht, iſt nicht der Aktus, womit die mehreren Gefuͤhle zu Einem ganzen vereiniget werden, ſondern vielmehr ihre Wir - kung, das vereinigte Ganze der Empfindung, deſſen Beſtandtheile die ununterſchiedene Gefuͤhle ſind, das iſt, der ganze vereinigte Aktus der Empfindungen. Ver - muthlich hat Hr. Kant eben daſſelbige im Sinne gehabt, und dieſe ganzen Gefuͤhle, eine gewiſſe Weiſe des Zu - ſammenſtellens der empfundenen Gegenſtaͤnde, genennet.

Dieß iſt es noch nicht alles, was zu dem Urſprung der Begriffe von Raum und Zeit gehoͤret, die den Me - taphyſikern ſo viel Kreuz verurſachet haben. Aus den Jdeen von einzelnen Raͤumen und Zeiten entſtehen die Gemeinbegriffe vom Raum und Zeit; und dann die Gemeinbegriffe von Einem ganzen alles umfaſſenden unendlichen Raum, und von Einer unendlichen Zeit. Dieß ſind ohne Zweifel Grundbegriffe im menſch - lichen Verſtande. Jch werde noch anderswo wieder auf ſie zuruͤcke kommen.

5. Aus361und uͤber das Denken.

5.

Aus den zergliederten Thaͤtigkeiten, die das Denken ausmachen, zeiget ſich nun die Natur der beſondern Denkarten mehr im Lichten. Vorſtellungen annehmen, erhalten, machen, verbinden, trennen, ſtellen, auf ein - ander ſie beziehen und gewahrnehmen; die Aktionen fuͤhren zu Jdeen, zu Urtheilen, zu Folgerungen und Schluͤſſen.

Es iſt bey verſchiedenen angeſehenen Philoſophen ein Grundſatz, daß wir alle unſere Jdeen nur durch die Vergleichung machen; und der groͤßte Theil der Ver - nunftlehrer ſieht auch die Urtheile fuͤr nichts anders an, als fuͤr Vergleichungen und fuͤr ein Gewahrnehmen der Einerleyheit und Verſchiedenheit. Beide Vorausſetzun - gen ſind in mancher Hinſicht richtig, aber beide doch nur auf einer einſeitigen Vorſtellungsart des Denkens gegruͤndet, und haben den Fehler veranlaßt, daß man die uͤbrigen Beziehungen, die nicht in Vergleichungen beſtehen, und Verhaͤltniſſe, die nicht Einerleyheit und Verſchiedenheit ſind, mißgekannt hat, und dieß Ver - ſehen hat man in die Anfangsgruͤnde gebracht.

Entſtehen wohl alle unſere Jdeen aus der Verglei - chung, und wie ferne?

Jſt Jdee nichts mehr, als eine gewahrgenomme - ne Vorſtellung, ſo macht das Gewahrnehmen ihre Form aus. Zu dieſem Aktus wird zwar eine Bezie - hung der gewahrgenommenen Vorſtellung auf andere er - fodert, und dieſe kann eine Vergleichung genannt werden. Aber ſie iſt doch von einer Vergleichung unterſchieden, welche alsdenn erfolgt, wenn eine gewahrgenommene Vorſtellung gegen eine andere gehalten wird, die gleich - falls ſchon als eine beſondere Vorſtellung erkannt iſt, wel - cher Aktus eigentlich ein Vergleichen heißt.

Z 5Ferner,362IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft

Ferner, wenn die Jdee eine allgemeine Vorſtel - lung iſt, die gewahrgenommen wird, ſo hat das allge - meine Bild ſeinen Grund darinn, daß das Aehnliche in mehrere beſondere Vorſtellungen abgeſondert und in Eine Vorſtellung gebracht iſt. Will man auch dieß als ein Vergleichen anſehen, und ſo nennen, ſo habe ich nichts dagegen.

Und noch mehr. Wenn wir uns eine Jdee von ei - nem empfundenen Objekte machen, zu der Zeit, da ſchon allgemeine Abſtraktionen in uns ſind, ſo verbinden wir mit der gegenwaͤrtigen Empfindung des Objekts die Gemeinbilder, denen die Empfindungsvorſtellung aͤhn - lich iſt, und ſetzen alſo das Bild von dem Objekt aus der Empfindungsvorſtellung und aus den ſchon vorhan - denen Gemeinbildern zuſammen. Das heißt, wir ſtel - len uns die Sache und ihre Beſchaffenheiten durch ſchon vorhandene Gemeinbilder vor. Man ſieht den Polyp, und macht ſich von ihm die Jdee, er ſey eine Pflanze; man betrachtet ihn genauer, und ſieht ihn fuͤr ein Thier an. Beides auf gleiche Art. Wir empfunden, das er Sproͤßlinge und Zweige treibt, wie eine Pflanze, und hernach, daß er Nahrung zu ſich nimmt, wie ein Thier. Wie viel tauſend Beobachtungsfehler haben nicht hierinn ihren Grund, da die Gemeinbilder oft ein gefaͤrbtes Glas ſind, das unſere Empfindung taͤuſchet. Wenn Hr. Bonnet ſo oft daran erinnert, daß wir unſere Jdeen nach der Vergleichung bilden, ſo will er fuͤr dieſen Feh - ler warnen.

Ob in uns uͤberhaupt irgend Jdeen von einzelnen Gegenſtaͤnden ſeyn koͤnnen, ehe nicht allgemeine Bil - der vorhanden ſind, iſt eine Frage, die zwar nicht mit Gewißheit entſchieden werden kann, aber gewiß doch in Hinſicht der mehreſten Jdeen verneinet werden muß. Warum ſollte der Menſch an ſich nicht den ſtarken Ein - druck von dem Feuer gewahrnehmen koͤnnen, ehe dieVerbin -363und uͤber das Denken. Verbindung anderer aͤhnlicher Empfindungen dem Ge - fuͤhl das Abſtechende gegeben hat, was die Vorſtellung haben muß, um als eine beſondere Vorſtellung apperci - pirt zu werden? Kann es nicht Eindruͤcke geben, die ſtark genug in der Empfindung, und alſo auch in der Vorſtellung ſich ausnehmen, ohne daß es noͤthig ſey, ſie ſelbſt oder andere ihnen aͤhnliche vorher ſchon gehabt zu haben, damit ſie ausnehmend genug ſich abdruͤcken? Aber es iſt auch außer Zweifel, wie Erfahrung und Gruͤnde lehren, daß es ſolcher ſehr wenige geben koͤnne, und es iſt ſo gar wahrſcheinlich, daß es ihrer gar keine gebe.

Die Jdeen von den Beſchaffenheiten der Dinge, welche nur einzelne Zuͤge in den Gegenſtaͤnden ſind, er - fodern es noch mehr, daß man ſie oder ihnen aͤhnliche ſchon mehrmale gehabt habe, ehe ſie bemerket werden koͤnnen. Das heißt, ſie erfodern noch mehr ein ſchon vorhandenes allgemeines Bild oder Abſtraktion, welche die Aehnlichkeit von mehreren einzelnen vorſtellet.

Der ſehendgewordene Cheßeldeniſche Blinde unter - ſchied anfangs in den Geſichtseindruͤcken wenig oder nichts, und ſahe noch lange nachher in den Gemaͤhlden an der Wand nur bunte Flaͤchen. So geſchwinde ſich auch die Gemeinbilder von Farben und Figuren, die man durchs Geſicht empfaͤngt, feſtſetzen moͤgen, ſo ſchien es ihm doch im Anfang daran zu fehlen, und ſo lange war er unvermoͤgend, Figur und Farben mit dem Geſicht zu un - terſcheiden und gewahrzunehmen.

Dieß iſt ein Beweis, wie weit die obgedachte Er - innerung, daß wir uns die Jdeen von den Gegenſtaͤnden durch die Vergleichung mit ſchon vorgekommenen aͤhn - lichen Sachen machen, ſich erſtrecke.

Dennoch heißt dieß nur eine Seite des Jdeenma - chens vorzeigen, wenn man allein das angefuͤhrte ſo ge - nannte Vergleichen darſtellet. Jch habe ſelbſt bis hie -her364IV. Verſuch. Ueber die Denkkrafther die Jdee fuͤr einerley genommen mit einer gewahr - genommenen Vorſtellung. Wenn es im Allge - meinen bey dieſer Erklaͤrung bleibet, ſo macht die Ge - wahrnehmung die Form der Jdee aus, und dazu iſt weiter kein Beziehen noͤthig, als dasjenige, was in dem Gewahrnehmen vor ſich gehet.

Aber wenn ich meine Jdee von der Sonne, als ei - ne Jdee in mir habe, ſo beziehe ich ſie auf die Sonne, als auf ihr Objekt. Jch darf dieſe Beziehung zwar nicht deutlich gewahrnehmen: dieß wuͤrde ſchon das Urtheil ſeyn; meine Vorſtellung iſt eine Jdee, und man hat Recht, wenn man dieß Urtheil als ein neues hinzukom - mendes Urtheil anſiehet, welches zu der Jdee als Jdee nicht gehoͤret. Aber wenn meine Jdee als eine Jdee in mir gegenwaͤrtig iſt, ſo iſt doch dasjenige da, was ich vorher die Beziehung der Vorſtellung auf ihr Objekt ge - nannt habe, ob ich gleich dieſe Beziehung ſelbſt nicht ge - wahrnehme. Die gewahrgenommene Vorſtel - lung in der Beziehung auf ein Objekt, macht ei - gentlich erſt die Jdee von einer Sache aus.

Jſt dieſe Beziehung der Vorſtellung auf ihr Objekt eine Vergleichung? Kann ſie es ſeyn? Kann das Objekt mit der Vorſtellung von ihm verglichen werden? Ein anders iſt, eine Vorſtellung von einer Sache mit einer andern Vorſtellung von derſelben Sache zu verglei - chen. Worinn alſo auch dieſe Beziehung beſtehen mag, ſo iſt ſie ein Beſtandtheil von jedweder Jdee, und iſt dieſe eine Vergleichung? Es wird ſich unten zeigen, daß wenn ſie auch wiederum zu Vergleichungen zuruͤck - fuͤhret, ſo komme man doch bey ihrer Entwickelung auf eine eigene Beziehung, die keine Vergleichung iſt, und weder den Gedanken von Einerleyheit, noch den von Verſchiedenheit hervorbringet.

Soll eine Jdee eine deutliche Jdee ſeyn, ſo muͤſ - ſen ihre Theile unterſchieden; und alſo einiges von demMannig -365und uͤber das Denken. Mannigfaltigen in ihr beſonders gewahrgenommen wer - den. Aber dieß iſt es nicht allein; auch dieß Mannig - faltige muß in ſeinen Beziehungen auf einander gewahr - genommen werden. Die Theile, aus denen die Uhr beſtehet, ſtellen ſich in ihrer Lage und Verbindung dar, wenn die Jdee deutlich iſt. Werden die Beziehungen der Theile ſelbſt gewahrgenommen, ſo giebt es Urtheile, welche zu der Jdee allein nicht erfodert werden; nicht weiter nemlich, als in ſo ferne ſie dunkle Urtheile, oder Gewahrnehmungen der Dinge in ihren Beziehun - gen ſind.

6.

Das logiſche Urtheil ſetzet ſchon Jdeen voraus, und iſt eine Art von Gedanken, nemlich, ein Gedanke von dem Verhaͤltniß, oder von der Beziehung der Jdeen, das iſt, eine Gewahrnehmung einer Bezie - hung der Jdeen. Wenn jede Beziehung oder jede Ge - wahrnehmung ein Urtheil genennet wird, ſo wird Urthei - len und Denken einerley ſeyn.

Da nun nicht jedes Verhaͤltniß oder jede Beziehung in Einerleyheit und Verſchiedenheit beſtehet, ſo kann die Aktion des Urtheilens auch nicht allemal ein Vergleichen ſeyn. So weit iſt es gewiß ein Fehler in der Vernunft - lehre, den ich oben dafuͤr angegeben habe. Es muß vielmehr Urtheile von verſchiedenen Formen geben, und es giebt auch dergleichen, davon folgende die allgemein - ſten und einfachſten ſind:

Eine Sache hat eine Beſchaffenheit in ſich und an ſich, oder nicht.

Ein Ding iſt einerley mit dem andern oder verſchieden von ihm.

Ein Ding iſt Urſache oder Wirkung von dem andern. Ein366IV. Verſuch. Ueber die DenkkraftEin Ding iſt mit dem andern auf eine gewiſſe Weiſe koexiſtirend.

Dieſe Form hat man vermindert, und alle auf die erſte - re gebracht, indem man die Verhaͤltniſſe zu den Praͤdi - katen hingezogen hat. Aber die erſte Form hat man ſich ſo vorgeſtellet, als wenn das Praͤdikat etwas iſt, welches mit dem Subjekt verglichen wird, und mit dieſem oder mit einem Theil deſſelben als einerley, oder als verſchieden davon, vorgeſtellet wird. Das Feuer brennet; dieß ſoll ein Gedanke ſeyn, der aus der Ver - gleichung der Jdee von dem Feuer, mit der Jdee von dem Brennen entſtanden iſt.

So eine Vergleichung findet wirklich ſtatt, ſo bald eine allgemeine Notion vom Brennen in uns iſt. Der Satz, das Feuer brennet, heißt in der That nichts an - ders, als ſo viel, das Feuer hat eine Beſchaffenheit an ſich, welche einerley iſt mit derjenigen, die in unſern uͤbrigen Empfindungen vorgekommen iſt, und die wir mit dem Wort brennen bezeichnet haben.

Jch will zugeben, daß keine Gewahrnehmung, und alſo auch kein Urtheil vorhanden ſey, in dem nicht Ge - meinbegriffe gebrauchet werden. Aber dennoch laͤßt es ſich wohl als moͤglich vorſtellen, daß z. B. in dem Ein - druck von der Sonne, ihre leuchtende Beſchaffenheit, als etwas beſonders in ihr unterſchieden werde, wenn man es gleich anderswo noch nicht empfunden hat. So ei - nen Fall gedenke man ſich blos zur Erlaͤuterung.

Alsdenn iſt es deſto auffallender, daß außer der Jdee von der Sonne als dem Subjekt, und der Jdee von ihrem Leuchten, welches dadurch gewahrgenommen wird, da dieſer einzelne Zug in der Jdee von der Sonne beſonders hervorſticht; noch eine Beziehung beider ge - wahrgenommener Eindruͤcke mehr vorgehen muͤſſe, um zu dem Gedanken zu kommen, daß Leuchten, eine Be -ſchaffen -367und uͤber das Denken. ſchaffenheit der Sonne, das iſt, etwas in dem Sub - jekt ſey. Dieſe Beziehung koͤnnte vielleicht bey dem ein - zeln Empfindungsurtheil unmittelbar gewahrgenommen werden; ſo daß nicht blos ein dunkles Urtheil, ſondern ein vollſtaͤndiges Urtheil, oder ein Gedanke von dieſer Beziehung ohne vorhergehende Vergleichungen mit an - dern entſtanden ſey.

Aber zugegeben, daß auch dieſe Beziehung, welche wir das Jn einem Subjekt ſeyn nennen, nicht ge - wahr genommen werden koͤnne, ehe ſolche nicht ſchon mehrmalen vorgekommen, und alſo ehe nicht ſchon die ge - genwaͤrtige Beziehung mit einem allgemeinen aus den vor - gehenden Empfindungen abſtrahirten Begrif verglichen ſey; ſo erhellet doch.

Erſtlich, daß ein ſolches urſpruͤngliches Beziehen des Einen auf ein anders, als Praͤdikat auf ein Subjekt, in jedem Urtheil vorkomme, ſo wie es ſchon in andern vorgekommen iſt, und daß

Alsdenn erſt die Vergleichung der gegenwaͤrtigen Beziehung mit andern das Mittel ſeyn koͤnne, jene ge - wahrzunehmen. Es iſt alſo doch eine weſentliche Aktion in dieſer Art von Urtheilen uͤberſehen worden, wenn man den ganzen Aktus des Urtheilens auf ein Verglei - chen einſchraͤnket, und ſolchen in einer Aktion ſetzet, wel - che nur ein Huͤlfsmittel des Gewahrnehmens iſt, und auch das Gewahrnehmen ſelbſt nicht einmal ganz aus - macht. Koͤnnte das erſte urſpruͤngliche Beziehen zweyer Jdeen das erſtemal ſchon als ein beſonderer Aktus er - kannt, und alſo die Beziehung der Jdeen gewahrgenom - men werden, ſo wuͤrden wir ein voͤlliges Urtheil haben, ohne eine andere Vergleichung, als diejenige, welche zu jedwedem Gewahrnehmen erfodert wird.

Aber ſobald wir eine Jdee oder ein Urtheil mit einem allgemeinen Worte bezeichnen, ſo ſetzen wir ſeineAehn -368IV. Verſuch. Ueber die DenkkraftAehnlichkeit mit andern feſt, nemlich mit ſolchen, welche mit demſelbigen Worte benennet ſind. Und dieß letztere iſt die Wirkung einer angeſtellten Vergleichung. Wenn ich mich alſo des ſimpeln Ausdrucks: iſt, nur bediene, und ſage: das Papier iſt weiß, ſo gebe ich ſchon ſo viel an, daß die gegenwaͤrtige Beziehung der Jdee von der weißen Farbe, auf die Jdee von dem Pa - pier dieſelbige ſey, welche allenthalben vorkommt, wo wir ſagen: ein Ding iſt dieß, oder jenes, ich ſage; ſie iſt die Beziehung einer Beſchaffenheit auf eine Sache, oder die Beziehung eines Dinges auf ein anders, in wel - chem oder bey welchem jenes als eine Beſchaffenheit iſt.

Ob ein Urtheil richtig iſt oder unrichtig, das haͤngt alſo theils von der gegenwaͤrtigen Beziehung der Jdeen ab; theils von der Richtigkeit des Gewahrnehmens, ob die gegenwaͤrtige Beziehung eben dieſelbige ſey, als die - jenige, mit deren Jdee ſie zuſammen faͤllt, und durch welche ſie gewahrgenommen wird. Die erſte Beziehung kann ſchon unrichtig gemacht ſeyn; aber auch die Ver - gleichung, welche das Gewahrnehmen befoͤrdert, kann falſch ſeyn; wenn nach dem Geſetz der Phantaſie das Halbaͤhnliche als voͤllig aͤhnlich zuſammenfaͤllt.

Jn ſo weit kann die getadelte Erklaͤrung von dem Urtheil, daß es auf eine Vergleichung der Jdeen des Subjekts und des Praͤdikats beruhe, geduldet werden, wenn man alle Verhaͤltniſſe zwiſchen den Jdeen außer dem Seyn und Nichtſeyn, in die Jdeen des Praͤdikats hineinbringt. Aber dennoch ſtellt dieſe Erklaͤrung die Sache etwas verſchoben dar. Beziehung der Jdeen, und eine Gewahrnehmung dieſer Beziehung oder der ihr entſprechenden objektiviſchen Verhaͤltniſſe machen die Form oder das Weſen des Urthells aus. Jn dem logi - ſchen Satz aber als einem ausgedruckten Urtheil, kommt noch die Beziehung dieſes gewahrgenommenen Verhaͤltniſſes durch ein allgemeines Zeichen hinzu, wo -durch369und uͤber das Denken. durch noch ein Gedanke mehr, nemlich die Aehnlichkeit des gewahrgenommenen Verhaͤltniſſes mit andern, be - hauptet wird.

7.

Endlich wird noch das Folgern und Schließen unter die allgemeinen Aeußerungen der Denkkraft ge - bracht, und als beſondere von dem Gewahrnehmen der Sachen und von dem Urtheilen unterſchiedene Thaͤtigkeiten betrachtet. Beides mit vollem Rechte, wie ich meine.

Ein Urtheil aus einem andern oder aus mehrern herleiten, will ſo viel ſagen, als ein neues Verhaͤltniß zwiſchen Jdeen, aus andern Verhaͤltniſſen gewiſſer Jdeen, hervorbringen, machen, bewirken. Es erfodert alſo, daß gewiſſe Urtheile vorhanden ſind, und daß aus dieſen eine neue Beziehung entſtehe, und ein neues Gewahrnehmen. Man kann auch Urtheile auf einander beziehen, und ihre Beziehung gewahrnehmen, ohne daß man foͤlgere oder ſchließe. So etwas gehet vor, ſo oft wir ein ſo genanntes zuſammengeſetztes Urtheil in uns haben, welches nichts anders iſt, als ein Gedanke von der Beziehung mehrerer Urtheile auf ein - ander, davon jede Periode, die aus verbundenen Saͤtzen beſtehet, ein Beyſpiel giebt. Aber alsdenn haben die einfachen Urtheile, welche man in ihrer Beziehung ge - denket, die Geſtalt der Jdeen; und das Ganze iſt ein neues Urtheil.

Dagegen wenn wir Eins aus dem Andern herlei - ten, die Folge aus ihrem Grundſatz, ſo heißt das nicht ſo viel, als die Folge und den Grundſatz auf einander beziehen, ſondern die Folge wird hervorgebracht, ge - macht, herausgedacht. Es entſtehet ein neues Urtheil, ein neuer Satz, und dieſer entſtehet aus dem erſtern, wenn die von dem Grundſatz modificirte Denkkraft ihreI. Band. A aThaͤtig -370IV. Verſuch. Ueber die DenkkraftThaͤtigkeit fortſetzet. Die Aktion des Herleitens hat alſo mit der Aktion des Urtheilens zwar in ſo weit eine Aehnlichkeit, daß in beiden eine Beziehung entſtehet, und zwar eine Beziehung zwiſchen Jdeen, welche vorher nicht da war. Aber darinn ſind ſie unterſchieden, daß in dem ſimpeln Urtheil die Beziehung der Jdeen, welche hervorkommt, eine Bearbeitung dieſer Jdeen iſt, welche, wofern es nicht etwan ein wahrer Schluß, ſondern nur ein eigentliches und unmittelbares Urtheil iſt, nichts weiter erfodert, als nur die Gegenwart dieſer auf einan - der bezogenen Jdeen, dagegen es in dem Folgern ein ſchon vorhandenes Urtheil, oder eine ſchon gewahrgenom - mene Beziehung von Jdeen iſt, wovon die Denkkraft modificiret ſeyn muß, um die neue Jdeenbeziehung in dem Schlußſatz zu Stande zu bringen.

Daraus iſt es indeſſen auch offenbar, daß das Her - leiten an ſich doch nichts anders als ein Beziehen der Jdeen iſt, ſo wie das Urtheilen, nur daß es eine andere Beziehung von Jdeen ſchon vorausſetzet, und daher gleichſam ein weiter gehendes, verlaͤngertes, erhoͤhetes Beziehen iſt, aber doch eine Wirkung deſſelbigen Be - ziehungsvermoͤgens, welches, wenn es folgert und ſchließet, nur in einem hoͤhern Grade wirkſam ſeyn muß.

Dieß Herleiten des Einen aus dem andern iſt nur Eine Haͤlfte von der ganzen Aktion des Folgerns. Wenn nichts weiter, als jenes allein da iſt, ſo wuͤrde es nur eine dunkle Folgerung, und in der That nichts mehr, als eine gewiſſe, von einer vorhergegangenen Beziehung abhangende neue Bearbeitung, Stellung und Verbindung der Jdeen ſeyn, wie das pure Analogon vom Folgern und Schließen, wenn dergleichen bey bloßen Vorſtellungen erfolgen. Wenn die Vorſtellun - gen ſchon Jdeen ſind, da iſt es das, was wir dunkle Schluͤſſe nennen.

Der371und uͤber das Denken.

Der zweete weſentliche Theil des Folgerns und Schließens iſt das Gewahrnehmen des Ver - haͤltniſſes zwiſchen dem Schlußſatz, der hergeleitet iſt, und ſeinem Grundſatz, woraus er folget. Dieß Ver - haͤltniß beſtehet in Abhaͤngigkeit, und gehoͤret zu den Beziehungen, die aus einer urſachlichen Verbindung ent - ſpringen. Einige erklaͤren den ganzen Aktus des Schließens durch dieſen Aktus des Gewahrnehmens, der doch aber auch nur Ein Theil deſſelben ausmacht. Die vollſtaͤndige Erklaͤrung von dem Folgern muͤßte beide Aktus zugleich ausdruͤcken, wenn man nicht etwan beide ſchon in ein Wort hinein leget. Folgern iſt, Eines aus dem andern herleiten, und die Abhaͤn - gigkeit des letztern von dem erſten gewahrnehmen.

Es iſt ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen den un - mittelbaren Folgerungen (conſequentiae imme - diatae) und den eigentlichen Schluͤſſen (ratiocinia), den ich hier darum nur im Vorbeygehen herſetzen will, weil ihn ſo viele Vernunftlehrer, wie mich deucht, richtiger gefuͤhlet, als erklaͤret haben. Leichte Schluͤſſe ſind darum keine unmittelbare Folgerungen.

Wenn der Schlußſatz nur eine neue Beziehung enthaͤlt, zwiſchen denſelbigen Jdeen, die ſchon in dem Grundſatz in einer Beziehung geſetzet waren, ſo geſchicht weiter nichts, als daß aus einem gegebenen Ver - haͤltniß zwoer Jdeen, ein anderes Verhaͤltniß zwiſchen ihnen gemacht wird. Die logiſchen Umkehrungen geben die beſten Beyſpiele davon. Es iſt Ein Grund - ſatz da; Ein materieller Grundſatz. Dieſer iſt der Vor - derſatz, und aus dieſem wird ein Schlußſatz hergeleitet.

Aber wenn aus den Verhaͤltniſſen zwoer Jdeen gegen eine dritte, ihr eigenes Verhaͤltniß herge -A a 2leitet372IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft c. leitet wird, ſo wird geſchloſſen. Alsdenn werden in dem Schlußſatz ſolche Jdeen in eine Beziehung auf ſich gebracht, die es in den Vorderſaͤtzen noch nicht gewe - ſen ſind. Der Schluß erfodert durchaus zween Vorder - ſaͤtze; das allgemeine logiſche Schlußgeſetz, welches die Form des richtigen Verfahrens beſtimmet, abgerech - net. Solch ein formeller Grundſatz kann auch bey den unmittelbaren Folgerungen hinzugedacht, aber nicht un - ter die materiellen Vorderſaͤtze derſelben gerechnet wer - den, wie es einige gethan haben, um doch auch hier zwey Vorderſaͤtze herauszubringen. Wenn man ſo zaͤh - len will, ſo hat man bey den eigentlichen Schluͤſſen drey Vorderſaͤtze.

Fuͤnfter373

Fuͤnfter Verſuch. Ueber den Urſprung unſerer Kenntniſſe von der objektiviſchen Exiſtenz der Dinge.

I. Ob die Kenntniſſe von dem Daſeyn der aͤußern Gegenſtaͤnde als inſtinktartige Urtheile der Denkkraft angeſehen werden koͤnnen?

Wer uͤber die Wirkungen des menſchlichen Verſtan - des nachgedacht hat, wird es eingeſtehen, daß in der ganzen Lehre von dem Urſprung unſerer Kenntniſſe keine dunklere Stelle vorkomme, als bey der Frage: wie, auf welche Art, durch welche Mittel, nach welchen Geſetzen der Verſtand von den Vorſtellungen auf die Gegenſtaͤnde, von dem Jdeellen in uns, auf das Ob - jektiviſche außer uns uͤbergehe, und zu den Gedanken gelange, daß es aͤußere Dinge gebe, die wir in uns durch unſere Vorſtellungen erkennen? Die Vorſtellungen ſind fuͤr ſich zwar Zeichen anderer Dinge, auf welche ſie ſich beziehen, aber fie ſind es nun auch fuͤr uns. Wir ſtellen uns Sachen durch ſie vor. Sie ſind eine Schrift, bey der wir nicht nur die Buchſtaben und Woͤrter unterſcheiden, und ſie leſen, ſondern die wir auch verſtehen, und der wir einen Sinn unterlegen, indem wir ſie nicht blos als Veraͤnderungen von uns ſelbſt, ſon - dern als Dinge und Beſchaffenheiten anſehen, die ein objektiviſches Daſeyn haben. Einige Jdeen ſtellen uns ſelbſt und unſere Veraͤnderungen vor; andere ſind Vor - ſtellungen von unſerm Koͤrper, und deſſen Veraͤnderun - gen; andere zeigen uns Objekte außer uns, und Be -A a 3ſchaffen -374V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererſchaffenheiten von ihnen. Die Freude iſt in uns ſelbſt, und eine eigene Beſchaffenheit von uns ſelbſt. Der Geruch iſt in der Naſe, der Schmerz in dem verbrann - ten Finger, und die Farbe des Himmels iſt weder in unſerer Seele etwas, noch eine Beſchaffenheit unſers Koͤrpers, ſondern etwas, das in einem aͤußern Dinge ſich befindet.

Jn dem Verſuch uͤber die Vorſtellungen iſt ſchon bemerket worden, daß reproducirte Vorſtellungen als zuruͤckgebliebene und wieder erweckte Abbildungen vor - hergegangener Modifikationen, ein Merkmal von ihrer Beziehung auf die Empfindungen, von denen ſie her - ruͤhren, an ſich haben; und daß dieſes in einer Tendenz, ſich mehr zu entwickeln, beſtehe, welche mit jeder Em - pfindungsvorſtellung verbunden iſt, und aus dieſer auch in die ſelbſtgemachten Bilder der Dichtkraft uͤbergehe. Und dieſes Beſtreben kann, wie jedwede andere Modi - fikation der Seele, gefuͤhlet und gewahrgenommen wer - den. Aber dieß Charakteriſtiſche der Vorſtellungen iſt nichts mehr, als die Materie, woraus die Denkkraft die Jdee von ihrer Beziehung auf die Empfindungen machen kann. Jenes iſt nicht der Gedanke ſelbſt, daß die Vorſtellungen Zeichen und Spuren von Empfindun - gen ſind; und noch weniger wird dadurch die folgende Frage beantwortet: warum ſtellen wir uns denn nicht lauter Empfindungen von uns ſelbſt vor? Wie unter - ſcheiden wir die ſubjektiviſche und objektiviſche Wirk - lichkeit der Dinge, wie einige ſich ausdruͤcken, oder wie empfinden wir Dinge außer uns, und ſtellen uns ſolche als aͤußere Dinge vor? Jſt dieß Jnſtinkt, und iſt das es alles, was man davon ſagen kann?

Man kann nicht in Abrede ſeyn, daß, wenn es auf der einen Seite aus der Analogie der Beobachtungen deutlich genug erhellet, daß der Gedanke von der objekti - viſchen Wirklichkeit der Dinge eine Aeußerung derDenk -375Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. Denkkraft ſey, die nur alsdenn erſt hervorkommt, wenn die Empfindung des Objekts ſchon in eine Vorſtellung uͤbergegangen iſt, und dieſe Vorſtellung als eine Appre - henſion des Objekts vorausſetzet, ſo finden wir doch auch in unſerm jetzigen Zuſtande des Geiſtes, den wir zu be - obachten im Stande ſind, unzaͤhlige Faͤlle, wo wir glau - ben, die empfundene Gegenſtaͤnde unmittelbar vor uns zu haben; wo wir ſie als aͤußere Objekte anſehen, ſie dafuͤr erklaͤren, ohne von ihren zuruͤckgebliebenen Ein - druͤcken und Vorſtellungen, oder von Verbindungen die - ſer Vorſtellungen mit andern, oder von Vergleichungen und andern Denkthaͤtigkeiten, wodurch jenes Urtheil her - vorgebracht werden ſollte, etwas in uns gewahrzuneh - men. Jn unſern gewoͤhnlichen Empfindungsideen iſt der Gedanke, daß wir uns andere Objekte vorſtellen, ſo unmittelbar eingewebet, und wir ſind uns ſo wenig ir - gend eines Aktus der Reflexion bewußt, der vorhergehe, daß man es Reid, Home, Reimarus und andern, nicht eben hoch anzurechnen hat, wenn ſie den Gedanken von der objekriviſchen und ſubjektiviſchen Exiſtenz der Dinge, fuͤr eine unmittelbare Wirkung des Jnſtinkts gehalten. Sie haben auch in einer gewiſſen Hinſicht nichts unrichtiges geſagt. Die Aeußerungen der Denk - kraft ſind Aeußerungen eines Grundvermoͤgens, die am Ende in gewiſſe allgemeine natuͤrlich nothwendige Wir - kungsarten aufgeloͤſet werden, bey denen wir, wie bey den Grundvermoͤgen der Koͤrper weiter nichts thun koͤn - nen, als nur bemerken, daß ſie vorhanden ſind, ohne ſie aus noch entferntern Principien her zu holen. Aber auf der andern Seite iſt es ein Fehler, wenn man ſich bey einzelnen beſondern Wirkungen, unmittelbar auf den Jnſtinkt beruft. Das heißt die Unterſuchung allzu vor - eilig abbrechen, wobey der philoſophiſche Pſycholog ſo wenig befriediget wird, als der philoſophiſche Naturfor - ſcher, wenn man ihm ſagt, es ſey ein Jnſtinkt desA a 4Magne -376V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererMagneten, daß er Eiſen anziehe. Wo nicht weiter fort zu kommen iſt, ſo muß man freylich ſtille ſtehen; aber jenes iſt doch zu verſuchen, und iſt die Pflicht des Nach - denkenden, der an der alten bequemen Methode, ſich auf qualitates occultas zu berufen, keinen Geſchmack hat. Es iſt doch immer zu unterſuchen, ob nicht die beſonde - ren und einzelnen Kraftaͤußerungen in andere einfachere zergliedert, und dann auf bekannte allgemeine Wir - kungsarten zuruͤckgebracht, mithin ihre Entſtehung, zum Theil wenigſtens, erklaͤret werden koͤnnen?

Z. B. Warum erkennet die Denkkraft ein Ding fuͤr einerley mit ſich ſelbſt? Antwort: es iſt ein natuͤrlich nothwendiges Geſetz ihrer Denkkraft. Weiter weiß ich davon keinen Grund. Warum haͤlt ſie einen viereckten Zirkel fuͤr ungedenkbar? Antwort: ſie kann ſich ihn nicht vorſtellen. Ferner, wenn zwey Eindruͤcke von aͤu - ßern Gegenſtaͤnden, die man empfindet, das ſind, was wir voͤllig gleiche und aͤhnliche Eindruͤcke nennen, und wenn die Denkkraft von ſolchen Eindruͤcken modificiret iſt, ſo kann ſie ihre Urtheilskraft nicht anders aͤußern, als auf diejenige Art, die wir mit den Worten bezeich - nen, ſie halte ſolche fuͤr einerley. Es giebt allgemei - ne inſtinktartige Urtheilsgeſetze, oder die wir doch dafuͤr annehmen muͤſſen, weil ſie fuͤr uns Grundgeſetze ſind, wonach die Denkkraft Dinge fuͤr einerley, und fuͤr ver - ſchieden gedenken muß; und dergleichen kann es mehrere geben, die wir nicht im Stande ſind, auf Einen allge - meinen Grundſatz zuruͤckzufuͤhren. Aber nun iſt die Fra - ge; wie weit die Urtheile uͤber die Objektivitaͤt der Vor - ſtellungen, wenn ich ſo ſagen ſoll, oder uͤber die innere und aͤußere Wirklichkeit der vorgeſtellten Gegenſtaͤnde, Wirkungen der Denkkraft ſind, die aus andern allge - meinen nothwendigen Naturgeſetzen dieſer Kraft begrif - fen werden, oder in wie ferne ſie ihre eigene Grundge - ſetze erfodern; denen ſie gemaͤß ſind?

II. Ob377Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.

II. Ob der Menſch bey dem natuͤrlichen Gang der Reflexion vorher ein Egoiſt ſeyn muͤſſe, ehe er es wiſſen koͤnne, daß es Dinge außer ihm gebe?

Bey dieſer Unterſuchung muß beobachtet, und Beob - achtungen muͤſſen verglichen werden, und ſo viel moͤglich mit Beyſeiteſetzung aller ſelbſt gemachten Vor - ſtellungen der Dichtkraft. Wenn einige Philoſophen in dem Raiſonnement, wodurch der Menſch zur Erkennt - niß der Exiſtenz der Dinge außer ſich gelanget, die Denk - kraft einen ſolchen Gang haben nehmen laſſen, der leich - ter, natuͤrlicher, und zunaͤchſt auf den Jdealismus und Egoismus hinfuͤhret, als zu dem Syſtem des ge - meinen Verſtandes, ſo hat man ſich ein wenig dieſem angenehmen Fehler uͤberlaſſen. Die von Hr. Reid ſo - genannte Jdeenphiloſophie oder der Grundſatz: alle Urtheile uͤber die Objekte entſtehen nur vermittelſt der Eindruͤcke oder der Vorſtellungen von ihnen; ein Grund - ſatz, den dieſer Britte nach ſeiner ſonſtigen Einſicht in der Naturlehre nicht haͤtte leugnen ſollen, iſt gewiß hier - an ganz unſchuldig.

Die Art, wie Hume, und nach ihm vor andern der Hr. Graf von Buffon, das Entſtehen des Gedankens von der objektiviſchen Exiſtenz der Dinge dargeſtellet hat, iſt, beſonders in dem Vortrag des letztern, ſchoͤn und einnehmend, und dabey ſo ſcharfſichtig, daß es al - lein darum der Muͤhe werth iſt, zu unterſuchen, ob ſie auch eben ſo wahr und richtig ſey? Hr. Buffon laͤßt den Menſchen im Anfang, da er ſeine Empfindungen mit einander vergleicht, nicht zwar voͤllig ein Egoiſt ſeyn, weil er ihn noch nicht laͤugnen laͤſſet, was dieſer laͤugnet, aber er laͤßt ihn doch auf gut Berkeleyiſch und HumiſchA a 5eine378V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerereine Weile fortraiſonniren, bis er ſich aus ſeinem Jr - thum allmaͤlig heraus ziehet. Die Reflexion ſoll zuerſt alles, was die Seele empfindet, hoͤret, ſiehet, fuͤhlet, ſchmecket, riechet, als beſondere Theile ihrer eigenen Exiſtenz anſehen, und alle Modifikationen, die ſie ge - wahrnimmt, fuͤr Modifikationen ihrer ſelbſt erkennen. Da die ganze Scene von Empfindungen in ihr ſelbſt vorgehet; ſo ſoll ſie ſelbige auch in ſich ſelbſt, als in das ihnen zugehoͤrige Subjekt hinſetzen, ſo, daß das erſte natuͤrliche Urtheil uͤber die objektiviſche Exiſtenz der Din - ge das idealiſtiſche ſey, welches ſie nachher durch ihre Raiſonnements, verbeſſern und berichtigen muͤſſe.

Aber wenn man uͤberleget, wie viele Schritte des Verſtandes ſchon vorhergehen muͤſſen, ehe dieſer falſche Gedanke hervorkommen kann, ſo muß man mit Grunde zweifeln, ob er der zuerſt entſtehende ſeyn werde? Wenn Adam als ein Menſch mit einer gereiften Ueberlegungs - kraft in das Paradieß trat, und nun, voͤllig unbekannt mit den Gegenſtaͤnden und ihren Eindruͤcken auf ſich, an - fieng, den ſich auszeichnenden Geſang eines Vogels von ſeinen uͤbrigen Empfindungen zu unterſcheiden, warum ſollte denn ſein erſtes Urtheil dieſes ſeyn: Siehe, das iſt etwas in dir? Vor einem ſolchen Urtheil mußten doch noch andere Aeußerungen der Denkkraft vorhergehen: es mußte Beſinnung da ſeyn; Adam mußte aus der großen Menge der Empfindungen, die von allen Seiten her auf ihn zuſtroͤmten, einige unterſcheiden und gewahrnehmen. Dann mußten noch alle Empfindungen unmittelbar in Ein Ding hin, als in Ein Subjekt geſetzet, alle auf ſein Jch bezogen, und zu dieſem hingerechnet werden. Wie viele Begriffe ſetzte ſo ein Urtheil nicht ſchon vor - aus? Jſt es nicht vielmehr eben ſo natuͤrlich, und eben ſo leicht zu erwarten, wenn die Reflexion bis dahin ge - kommen iſt, wohin ſie ſeyn muß, ehe ſie etwas in ſich ſelbſt hinſetzen, und als ein Theil ihrer eigenen Exi -ſtenz379Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. ſtenz anſehen kann, daß ſie alsdenn auch ſchon zu der Jdee von der aͤußern Exiſtenz gelanget ſeyn, und dieſe einigen ihrer Empfindungen zuſchreiben muͤſſe? Konnte die Vorſtellung und der Begrif von der ſubjek - tiviſchen Exiſtenz abgeſondert ſeyn, ohne daß auch der Begrif von der objektiviſchen aͤußern Exiſtenz es ge - worden? Konnte der Menſch ſein Jch kennen, und unterſcheiden lernen, ohne zugleich einen Begrif von ei - nem wirklichen Objekt zu erhalten, das nicht ſein Jch iſt? Und wenn dieſe beiden Begriffe unzertrenn - lich ſind, ſo war es doch eben ſo moͤglich, daß die beider - ley Arten von Urtheilen; dieß iſt in mir, und: jenes iſt nicht in mir, zu gleicher Zeit ſich entwickelt hatten, ohne daß das letztere das erſte vorausſetze, und nachher mittelſt anderer Gedanken, die noch geſammlet werden mußten, hervorgebracht werden doͤrfe. Jch will gerne geſtehen, daß die erſten Urtheile eines Menſchen unter den angenommenen Umſtaͤnden, uͤber die Exiſtenz der Dinge oͤfters unrichtig ſeyn werden, auch alsdenn noch, wenn wir ihm jene beiden allgemeinen Begriffe von der ſubjektiviſchen und objektiviſchen Wirklichkeit beyleger, und ihn nun die Anwendung davon auf die einzelnen Empfindungen machen laſſen; und vielleicht mag er ſich mehr an der einen Seite als an der andern verſehen. Aber kann er noch in dem Grad unwiſſend ſeyn, daß er ſich allemal in dieſem Urtheilen irren muͤſſe, allemal als ein Egoiſt urtheilen, wenn ſeine Denkkraft ſchon die Vor - begriffe abſtrahiret hat, ohne welche er gar nicht weder Egoiſtiſch noch idealiſtiſch zu urtheilen im Stande war? dieß ſcheinet mir ſo nothwendig nicht zu ſeyn. Es iſt Einer der intereſſanteſten Punkte in der natuͤrlichen Ge - ſchichte des menſchlichen Verſtandes, und deſſen Entwi - ckelung, wenn der Gang erforſchet wird, auf dem er zu den Begriffen von der Exiſtenz der Dinge in ſich und außer ſich gelangen muß.

III. Welche380V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer

III. Welche Entwickelung der Gedanken erfodert wer - de, um zur Unterſcheidung der ſubjektiviſchen und objektiviſchen Exiſtenz der Dinge zu ge - langen.

Bey dieſer Entwickelung der Denkkraft laſſen ſich fol - gende Schritte unterſcheiden.

Da anfangs der ganze Jnbegrif von Empfindungen und Empfindungsvorſtellungen, mit welchen ſich eigent - lich der Aktus der Denkkraft verbindet, ſo wohl der in - nern als aͤußern Empfindungen, derer die aus unſerm eigenen Koͤrper und derer die von fremden entſtehen, unabgeſondert und unauseinandergeſetzt; faſt wie Eine ganze Empfindung vorhanden war, ſo mußte die erſte Wirkung der Seele auf ſie darinn beſtehen, daß ſie ver - theilet und in verſchiedene Haufen geſondert wurden. Dieß geſchah, und zwar ſo, daß die Jnnern Empfin - dungen zu Einer Klaſſe; die Aeußern aus unſerm Koͤr - per zu Einer andern, und die von fremden Objekten zu Einer dritten gebracht, und dann als unterſchiedene Arten gewahrgenommen wurden. Von hier an gieng die Denkkraft weiter. Sie machte ſich eine Jdee von Jhrem Selbſt und Jhrem Jnnern; ſie erhielt eine andere von Jhrem Koͤrper, und eine dritte von ei - nem aͤußern Objekt; und da ſie nun die einzelnen Em - pfindungen auf dieſe Begriffe von Sich, von Jhrem Koͤrper und dem aͤußern Objekt bezog, ſo entſtanden die Urtheile uͤber die ſubjektiviſche und objektiviſche Exiſtenz der empfundenen Objekte.

Um dieſe Schritte deutlich zu begreifen, wird erfo - dert,

1) Daß man einſehe, durch welche Vermoͤgen und nach welchen Wirkungsgeſetzen die Abſonderung undVer -381Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. Vertheilung geſchicht, und was fuͤr Unterſcheidungs - merkmale der abgeſonderten Klaſſen, oder welche ge - meinſchaftliche Kennzeichen bey denen, die zu jeder be - ſondern Klaſſe gebracht worden, darauf fuͤhrten.

2) Da ſie insbeſondere zu dem Unterſcheidungsmerk - male gelangte, daß Eine Art von Sachen in ihr ſelbſt; die andern außer ihr vorhanden ſind, auf welche Wei - ſe die Seele zu dieſem Begrif von Sich ſelbſt als ei - nem fuͤr ſich beſtehenden Dinge, und wie ſie zu dem Begrif von aͤußern Dingen gelangte? Was hatte es urſpruͤnglich fuͤr eine Bedeutung, wenn ſie einen Theil der Empfindungen als Veraͤnderungen von ihr ſelbſt, und in ihr ſelbſt anſah, andre aber nicht?

3) Da ſie weiter in der Abtheilung fort gieng, die Jnnern ſowohl, als die Aeußern Modifikationen von neuen in beſondere Klaſſen brachte, die Jnnern Em - pfindungen z. B. aus dem Verſtande von denen aus dem Willen unterſchied, wie auch die Empfindungen aus den verſchiedenen Theilen ihres Koͤrpers; den Schmerzen z. B. im Kopf von dem Schmerzen in dem Arm u. ſ. f. und endlich auch bey den Empfindungen von aͤußern Koͤr - pern, das was ſie durch Einen Sinn erkennet, von dem, was ſie durch den andern erkennet, unterſchied; auf wel - che Art und nach welchen Geſetzen geſchahe dieſer Fort - gang?

4) Wenn die allgemeine Klaſſifikation einmal zu Stande gebracht iſt, ſo urtheilet ſie in einzelnen Faͤllen, es ſey die empfundene Sache entweder in ihr ſelbſt, oder in ihrem Koͤrper, in dieſem oder jenem Theil von ihm, oder außer ihr. Nach welchem allgemeinen Denkungs - geſetz wird ſie bey dieſen Urtheilen beſtimmt?

Kann man auf dieſe Fragen antworten, ſo meine ich, es werde der Urſprung der Begriffe von Objekten, oder Sachen, und von ihrer innern und aͤußern Wirk - lichkeit, wie auch der darauf beziehenden Urtheile eini -germa -382V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerergermaßen begreiflich. Die Sache verdient noch eine groͤßere Aufhellung, als ſie zur Zeit, ſo viel ich weiß, erhalten hat. *)Lock war zwar nahe bey dieſer Unterſuchung, als er den Unterſchied zwiſchen den qualitatibus primariis und ſecundariis der Koͤrper beſtimmte; aber er gieng nicht weiter in ſie hinein. Condillac hat ſie, wie verſchiede - ne andere, nur beruͤhret. Reid in ſeinem Inquiry into the human mind, ſieht mit ſeinen Nachfolgern, Beattie und Oswald und andern, dieſe Urtheile uͤber die objektiviſche Wirklichkeit der Dinge fuͤr inſtinktar - tige Wirkungen des Verſtandes an, wovon ſich weiter kein Grund angeben laſſe, bringet aber viele ſchoͤne Be - trachtungen bey, die hieher gehoͤren. Leibnitz (nou - veaux eſſais ſur l’entendement humain liv. 2. cap. VIII. §. 15. S. 87.) ſaget: wir ſetzen den Schmerz von ei - nem Nadelſtich in unſern Koͤrper hin, nicht in die Na - del, darum, weil der Schmerz in der Seele nicht auf die Bewegungen der Nadel, ſondern auf die Bewegun - gen in den geſtochenen Theilen des Koͤrpers diejenige Beziehung hat, die ſie zu einer Vorſtellung von einer Sache machet. Il eſt vrai, ſind ſeine Worte, que la douleur ne reſſemble pas aux mouvemens d’une epin - gle, mais elle peut reſſembler fort bien aux mouve - mens, que cette epingle cauſſe dans notre corps, et repreſenter ces mouvemens dans l’ame, comme je ne doute nullement, qu’elle ne faſſe. C’eſt auſſi pour cela, que nous diſons, que la douleur eſt dans notre corps, et non pas, qu’elle eſt dans l’epingle. Mais nous diſons, que la lumiere eſt dans le feu, parce qu’il y a dans le feu des mouvemens, qui ne ſont point diſtinctement ſenſibles à part, mais dont la confuſion ou conjunction devient ſenſible, et nous eſt repréſentée par l’idée de la lumiere. Der Grund, den Leibnitz hier angiebet, warum wir den Schmerz in den verletzten Koͤrper ſetzen, und das Licht in das Feuer, mag fuͤr ſich genommen, richtig ſeyn. Das Gefuͤhl oder die Empfindung des Schmerzens haben eine analogiſche Beziehung auf die Bewegungen in den em -pfindli -Aber da ich ſie hier doch nicht anders,als383Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. als fuͤr eine Nebenſache anſehen kann, ſo will ich ſie nicht ausfuͤhrlich behandeln, ſondern nur im Auszug meine Gedanken daruͤber herſetzen.

IV. Wie

*)pfindlichen Theilen des Koͤrpers; die Empfindung von dem Licht aber auf die Bewegungen, die ſich in dem Feuer, nicht auf die, welche ſich in dem Auge befinden; aber dadurch ſcheinet die Sache nicht erklaͤret zu ſeyn. Woher erkennet die Seele dieſen Unterſchied der Objekte, auf welche ihre Modifikation ſich vorſtellungsartig be - ziehet? Und ſchließt die Analogie der Empfindung in der Seele mit den Veraͤnderungen des Organs, die Analogie derſelben mit den Bewegungen des aͤußern Koͤrpers, welche die Urſache von den Veraͤnderungen im Organ ſind, wohl aus? und kann nicht auch die letztere Analogie mit der erſtern beſtehen? Kann nicht die Vorſtellung zugleich eine Vorſtellung von der Urſa - che ſeyn, wenn ſie es von dieſer ihrer Wirkung iſt? Man koͤnnte indeß der Leibnitziſchen Jdee weiter nachgehen, und ſich vorſtellen, der Gegenſtand unſerer Empfindung in der Seele wuͤrde von uns dahin, in den Koͤrper naͤmlich, oder außer ihn, geſetzt, wo die ſinnlichen Eindruͤcke zuletzt ausgehen, und ſich in ver - ſchiedene Richtungen, als ſo viele Empfindungslinien, nach Art der Lichtſtrahlen verbreiten, die dann wieder in der Seele in beſondere Punkte vereiniget werden. Die Stelle, wo dieſe Empfindungslinien, als divergi - rende Strahlen aus Punkten des Objekts herausgehen, und auf uns zufahren, mußte die Stelle des Objekts ſeyn. Dieſe Vorſtellungsart von der Sache, ſcheinet in den Geſichtsempfindungen beſtaͤtiget zu werden. Die Lichtſtrahlen gehen durch die Luft, und durch Glas. Aber wir ſehen hier in dieſen Mittelkoͤrpern kein Objekt, weil das Bild auf unſere Netzhaut nicht die Lage der Strahlen gegen einander, in dem Durchgang durch dieſe Koͤrper abbildet. Die vollkommenen durchſichtigen Koͤrper wuͤrden voͤllig unſichtbar ſeyn. Es iſt alſo das Objekt unſerer Vorſtellung an der Stelle, wo die Punkte ſind, aus welchen uns die ausgehende Lichtſtrahlen zu - kommen, und dieß ſind hier die Punkte, aus denen dieEmpfin -

384V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer

IV. Wie zuerſt die Sonderung der Empfindungen in verſchiedene Theile und Haufen, vor ſich gehe.

Die erſte Frage beantworte ich ſo. Wenn der Menſch die Begriffe von dem Jn ihm ſeyn und von dem außer ihm ſeyn noch nicht hatte, ſo konnte doch das Vergleichungs - und Gewahrnehmungsvermoͤgen die Ein - druͤcke von außen durch eben die Kennzeichen von den innern Veraͤnderungen ſeiner Selbſt unterſcheiden, ab - ſondern, und beide zu verſchiedenen Klaſſen hinbringen, durch welche der Egoiſt und der Jdealiſt es thun kann, der jene Begriffe zwar hat, aber ſie wieder aufhebet, oder doch den letztern fuͤr einen bloßen Schein anſiehet. Die Eindruͤcke durch das Geſicht und das Gehoͤr die erſtern, die ſich am klarſten als Eindruͤcke von dieſer Klaſ - ſe auszeichneten entſtehen ohne eine innere Vorberei -tung*)Empfindungslinien, ſo zu ſagen, ausgehen. Aber auch dieſe Erklaͤrung iſt ſehr unzureichend: ich will das nicht einmal anfuͤhren, was von den Optikern ſchon geſagt, und wodurch es voͤllig bewieſen iſt, daß der an - gefuͤhrte Grund auch bey den Geſichtsempfindungen es nicht ſey, wonach wir uͤber die Stellen und Entfernun - gen der Gegenſtaͤnde urtheilen. Warum ſetzen wir die Schallarten und Toͤne nicht dahin, wo ihr Urſprung iſt? Und um nicht auf anderartige Empfindungen zu kommen, die uns noch zu wenig bekannt ſind, warum ſetzen wir nicht bey dem Sehen die Objekte auf die Netz - haut im Auge hin, da es doch gewiß iſt, daß die Licht - ſtrahlen hier wiederum in Punkte zuſammengehen, wel - che nun auch als die erſten Anfangspunkte zu den wei - ter in das Gehirn fortgehenden Bewegungslinien an - geſehen werden koͤnnen, eben ſo wohl als die aͤußern Punkte auf der Oberflaͤche der Koͤrper außer dem Auge? Es ſcheinet nicht, daß wir in der Analogie der Vorſtel -lung385Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. tung dazu, die ſich bemerken ließe, und vergehen wie - derum ohne merkbare Folgen. Nicht ſo die Empfin - dungen aus dem Koͤrper, noch die Empfindungen des innern Selbſtgefuͤhls. Dieſe ſind ſtaͤrker, und verfol - gen das Bewußtſeyn laͤnger. Von ohngefaͤhr ſchloß der Menſch die Augen, und die Geſichtsbilder waren dahin; er wandte ſie nach einer andern Seite, und die Scene aͤnderte ſich. Aber der Schmerz im Koͤrper, ſein Ver - druß in der Seele war ihr laͤnger gegenwaͤrtig, wie ſehr ſich jene Scene auch aͤnderte. Hier war ſeine thaͤtige Kraft mehr und ſtaͤrker beſchaͤftiget; und er bemerkte bey ihnen mehrere und mannigfaltigere Umſtaͤnde und Fol - gen. Dieß allein reichte, meiner Meinung nach, hin, dieſe beiden großen Haufen von innern und aͤußern Empfindungen von einander zu unterſcheiden, wenn gleich die Empfindungen aus dem Koͤrper, von denen aus der Seele ſelbſt, noch unauseinandergeſetzet blieben, davon auch einige ſich niemals voͤllig von einander abſon -dern.*)lung mit dem aͤußern Objekt das Kennzeichen finden, wodurch die Eindruͤcke von außen ſich von den uͤbrigen zuerſt haben unterſcheiden laſſen. Ein mir unbekanter Philoſoph, der die Garveiſche Ausgabe von Fregu - ſons Moral-Philoſophie (in der A. D. Biblioth. 17. B. 2. Th. S. 336.) recenſirt, hat die hiebey vorkom - menden Schwierigkeiten am deutlichſten eingeſehen, und einen ſcharfſinnigen Verſuch gemacht, die Geſetze, wo - nach die Denkkraft ſubjektiviſche und objektiviſche Wirk - lichkeit beurtheilet, aus Beobachtungen feſt zu ſetzen. Er ſcheint mir aber hiebey auf einen Umweg gerathen zu ſeyn, bey dem er doch am Ende den, meiner Ein - ſicht nach, richtigen Erklaͤrungsgrund wohl verfehlet haben moͤchte. Die von ihm angegebenen Regeln aber, in ſo ferne ſie voͤllig mit den Beobachtungen uͤberein - ſtimmen, ſind beſondere Folgen, aus dem allgemeinen Denkgeſetze, woraus ich unten die Sache zu erlaͤutern geſucht habe.I. Band. B b386V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererdern. Zum wenigſten ließ ſich ein großer Theil der gan - zen Empfindungsmaſſe ſehr leicht in zwo verſchiedene Haufen vertheilen.

Auf gleiche Art, und aus dem gleichen Grunde muß - ten auch viele Empfindungen aus dem Koͤrper von den innern Empfindungen der Seele des denkenden Jchs, es beſtehe, worinn es wolle, unterſchieden werden. Jene beſchaͤftigen zwar das Bewußtſeyn und die Denkkraft, aber doch auf eine ſolche Art, wie Gegenſtaͤnde es thun, wenn die Kraft, welche thaͤtig iſt; und das Objekt, wo - bey ſie es iſt, auffallend unterſchieden ſind. Dagegen die Empfindungen unſers Jchs, beſonders unſerer Vor - ſtellungen und Gedanken, die ſich zuerſt als zu dieſer be - ſondern Klaſſe gehoͤrige auszeichneten, ſo innig mit der Kraft, welche ſie gewahrnimmt, vermiſcht ſind, daß man ſie in dem Zeitpunkt nicht gewahrnehmen kann, wenn ſie da ſind, ſondern ſie nur von hinten, wenn ſie voruͤber ſind, in ihren nachgelaſſenen Spuren erkennen muß.

Da war alſo Veranlaſſung genug, anderer Verſchie - denheiten in ihren Urſachen und Wirkungen zu geſchwei - chen, wodurch die Unterſcheidungskraft auf eine Abſon - derung des ganzen Chaos von Empfindungen in beſon - dere Haufen gebracht werden konnte, ohne daß ſie hiebey auf eine andere Art, als nach dem allgemeinen Geſetz des Unterſcheidens verfahren durfte.

Noch ein anderer Umſtand muß dieſe Vertheilung ſehr erleichtern, nemlich die eigene Verbindung ſol - cher Vorſtellungen unter ſich, die zu derſelbigen Klaſſe gehoͤren. Sobald z. E. die Augen geſchloſſen wurden, ſo verſchwand die ganze Menge von Geſichtsempfindun - gen auf einmal; wurden ſie wieder eroͤfnet, ſo erneuerte ſich eine ganze Scene von unendlicher Mannigfaltigkeit. Auf gleiche Art entſtund eine ganze Menge von Empfin - dungen, wenn der Arm oder der Fuß beweget ward, diezuſam -387Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. zuſammen nur Eine ausmachten, und jeder Schmerz in einem Theil des Koͤrpers iſt ein Jnbegrif von meh - ren gleichzeitigen Gefuͤhlen und Eindruͤcken, die mit ein - ander entſtehen und vergehen. Solche naͤher verbun - dene Eindruͤcke muͤſſen ſich alſo, ſo zu ſagen, von ſelbſt in einzelne Haufen zuſammenziehen, und zwar nach dem Geſetz der Aſſociation, noch ehe die Denkkraft zu ver - gleichen anfaͤngt, und die Verſchiedenheiten gewahr - nimmt. Und auf dieſelbige Weiſe konnten auch die Empfindungen des Koͤrpers in beſondere Klaſſen von Empfindungen aus einzelnen Theilen, z. B. in die Empfindungen im Kopf, in die, in den Fuͤßen, in die, in den Haͤnden u. ſ. w. geſondert werden.

Die einmal in gewiſſe Haufen geſonderte Modifika - tionen machten ein vereinigtes Ganze aus. Dieſes mußte wiederum die Folge haben, daß, ſobald das Ge - wahrnehmungsvermoͤgen von der Empfindung einer Art zu einer anderartigen uͤbergieng, ſich eine große Ausſicht in der Seele auf einmal veraͤnderte. Eine ſo große Ver - aͤnderung aber gab der Aufmerkſamkeit einen neuen ſtar - ken Antrieb nach einer neuen Richtung hin, wobey neue Thaͤtigkeiten und neue Empfindungen erreget wurden, die ſich wiederum mit den Gefuͤhlen vereinigten, und als Unterſcheidungskennzeichen von dieſen gebrauchet werden konnten. Die Seele wirket, ſo zu ſagen, in einer an - dern Richtung, wenn ſie auf aͤußere Objekte wirket, und in einer andern, wenn ſie ſich ſelbſt beſchauet, deren Un - terſchied auch aͤußerlich in dem Geſichtsmuſkeln und Bli - cken ausdruͤcket, wo man den in ſich gekehrten Sinn nach - denkender und ſchwermuͤthiger Perſonen leſen, wie dem Beobachter, der auf aͤußere Gegenſtaͤnde aufmerkſam iſt, es an den Augen anſehen kann, daß ſeine Seele außer ſich mit andern Objekten zu thun hat.

B b 2V. Von388V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer

V. Von dem Urſprung der Grundbegriffe des Verſtandes, die zu den Urtheilen uͤber die Exiſtenz der Dinge erfodert werden. Be - griffe von einem Subjekt und von Beſchaf - fenheiten. Begrif von unſerm Jch, als einem Dinge.

Die zwote Frage, wie entſtehen die allgemeinen Vor - ſtellungen und Begriffe von einem Dinge, von Beſchaffenheiten, die in einem Dinge ſind, von der Subſtanz und von Accidenzen, von einem wirklichen Dinge oder Objekt, von unſerm Jch, und von aͤu - ßern Objekten, und von der Jnhaͤrenz einer Beſchaf - fenheit in jenem oder in dieſem, oder von der ſubjekti - viſchen und objektiviſchen Exiſtenz? Dieſe Frage iſt ſchwer, und weitlaͤuftig in ihrem ganzen Umfang be - antwortet zu werden. Jch werde nicht viel mehr als die Grundlinien von dieſer fruchtbaren Unterſuchung herſe - tzen, ſo weit es meine Abſicht erfodert; verweiſe aber auch im uͤbrigen meine Leſer auf Locken und Leibnitz.

Dieſe erwehnten Gemeinbegriffe muͤſſen, wie es oben von den ſinnlichen Abſtraktionen erinnert iſt, ſchon vor - handen ſeyn, ehe irgend eins von unſern Urtheilen uͤber die Objektivitaͤt der Vorſtellungen und uͤber die ſubjekti - viſche und objektiviſche Wirklichkeit der Objekte zu Stan - de kommen kann. Der Gedanke: das, was ich ſehe, iſt ein Baum, der vor mir ſtehet, ein gewiſſes Ding, oder ein wirkliches Objekt, das ich nicht ſelbſt bin; und die Bewegung und Figur, die ich gewahrnehme, iſt eine Beſchaffenheit in dieſer aͤußern Sache, und der - gleichen Ausſpruͤche mehr, erfodern, daß Jdeen von die - ſen allgemeinen Praͤdikaten in uns ſind, die wir den Sub - jekten zuſchreiben.

Auch389Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.

Auch dieſe Abſtraktionen ſind urſpruͤngliche Vor - ſtellungen aus Empfindungen, welche die Denkkraft be - arbeitet hat. Es iſt die Frage, welche Arten von Em - pfindungen denn danach richten ſich die Vorſtellun - gen den Stoff dazu ausmachen, und durch welche Thaͤtigkeiten der verhaͤltniſſedenkenden Kraft ſie zu Jdeen und Gemeinbegriffen zugerichtet werden?

Was zunaͤchſt die beiden ſich auf einander beziehen - den Begriffe von einem Dinge und von einer Be - ſchaffenheit eines Dinges betrift, ſo laͤßt ſich, wie ich meine, die Materie zu ihnen in den Empfindungen bald gewahrnehmen.

Z. B. Jch ſehe da ein kleines Bild vor mir liegen, das ich mit Einem Blick, wie es mir vorkommt, ganz mit meinem Anſchauen umfaſſe, und davon ich den ent - ſtehenden Eindruck fuͤhle.

Dieſe Empfindung mag aus einer Menge, und aus einer unzaͤhligen Menge von kleinern Gefuͤhlen beſtehen, die auf einander folgen; und jedes auf einmal vorhan - dene Gefuͤhl mag mehrere einfachere gleichzeitige in ſich enthalten, ſo iſt es doch fuͤr mich Ein Gefuͤhl, und Ein und derſelbige Aktus des Bewußtſeyns, womit ich dieſe Summe von Gefuͤhlen, oder was es iſt, zu - ſammennehme, nnd daher als Eine Empfindung un - terſcheide. Jch bemerke keine Mannigfaltigkeit in die - ſem Aktus, und keine Folge, und keine Theile, oder wenn ich ſie auch nachher bemerke, ſo ſondere ich ſolche nicht von einander ab. Sie machen ein vereinigtes Ganze in der Empfindung und in der Wiedervorſtel - lung aus, deſſen Theile in Verbindung mit einander vorhanden ſind.

Dieß Ganze kann entweder als ein Jnbegriff von einer Menge einzelner dunkler Gefuͤhle angeſehen werden, die deſſen Beſtandtheile ſind, und aus deren Verbin - dung es beſtehet; oder auch nur als eine einfache oderB b 3einzige390V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerereinzige Empfindung, von einer gewiſſen merklichen Groͤße, Breite, Tiefe und Dauer. So geſchwinde voruͤbergehend, ſo klein am Umfang es auch ſonſten ſeyn mag, ſo muß es eine ſolche Groͤße und Dauer haben, daß eine Nachempfindung entſtehen, und daß das Ganze gewahrgenommen werden koͤnne.

Jn dieſer ganzen Empfindung des Bildes, werden Ein oder mehrere Farbenzuͤge unterſchieden, und ausge - kannt von dem uͤbrigen, diejenigen naͤmlich, die am meiſten hervorſtechen.

Dieſe ſich ausnehmende Zuͤge in der ganzen Em - pfindung ſind Theile der ganzen Empfindung. Aber man kann ſie nur Theile in der allgemeinſten Bedeu - tung des Wortes nennen. Denn wir ſehen ſie nicht ſo an, als wenn die ganze Empfindung aus ſolchen hervor - ſtechenden Zuͤgen zuſammengeſetzet waͤre.

So eine Empfindung, die eine ganze ungetheilte, zugleich vorhandene Empfindung iſt, und in der Ein unabgeſonderter, mit dem uͤbrigen vereinigter Zug ſich vor andern an leichterer Apperceptibilitaͤt ausnimmt, iſt eine ſolche, aus der die Denkkraft die Jdee von einem Dinge und von einer Beſchaffenheit macht. Auf dieſe Art:

Sie unterſcheidet das Ganze von andern. Dieß iſt der Gedanke: es iſt Eine beſondere ganze Empfindung, oder Vorſtellung. Sie unterſcheidet den ſich ausneh - menden Zug in dieſem Ganzen.

Die Verbindung des unterſchiedenen Zuges mit dem Ganzen, erreget den Verhaͤltnißgedanken, daß der Zug in dem Ganzen enthalten ſey. Dieß iſt eine Beziehung, die zu den Verhaͤltniſſen aus der Mitwirklichkeit gehoͤrt. Es iſt Vereinigung des Unterſchiedenen da.

Bald darauf denket die Seele noch eine urſachliche Beziehung hinzu. Die ganze Empfindung wird alsabhaͤn -391Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. abhaͤngig, als eine Wirkung vorgeſtellet, die anders woher kommt. Aber dieſer Zuſatz erfodert, daß ſie ſchon Begriffe von mehrern Dingen habe. Jm Anfang kann alſo dieſer Gedanke noch nicht vorhanden ſeyn.

Da haben wir nun den Gemeinbegriff eines Din - ges, als eines Subjekts, und einer Beſchaffenheit, als eines Praͤdikats, das dieſem Subjekte zukommt, und in ihm iſt. Aus allen Empfindungen, die einzeln genommen, ein unzertrenntes Ganze ausmachten, deſſen Beſtandtheile durch die Koexiſtenz vereiniget waren, und vereiniget vorgeſtellet worden ſind, und in welchen wiederum etwas unterſchieden wird, koͤnnen die gedach - ten Abſtraktionen von einem Dinge und deſſen Beſchaf - fenheiten, abgezogen werden.

Jede ſolche ganze Empfindung faßt, wie ſichs nach - her zeiget, mehr in ſich, als wir beſonders gewahrzu - nehmen und zu unterſcheiden im Stande ſind; und bey ſolchen, wo wir die Aufloͤſung verſucht haben, fand ſichs, daß immer noch etwas Unaufgeloͤſetes zuruͤck blieb. Die noch moͤgliche Aufloͤſung ſchien ins Unendliche zu ge - hen, oder doch fuͤr uns endlos zu ſeyn. Jede ſolche Em - pfindung und die ihr zugehoͤrige Vorſtellung hat, ſo zu ſagen, einen dunklen unaufloͤsbaren Boden, auf welchem noch unendlich vielfache, aber fuͤr uns nicht un - terſcheidbare Punkte vorhanden ſeyn koͤnnen. Wenn es aber erlaubt waͤre, von der Jdee der von einigen in die Philoſophie gebrachten unkoͤrperlichen Ausdehnung als von einem Bilde, Gebrauch zu machen, ſo koͤnnte man ſich ſo ausdruͤcken: jede ganze Empfindung oder Vorſtellung eines Subjekts enthalte eine Ausdehnung, in welcher ſich unendliche Punkte außer einander, die aber untrennbar ſind, vorſtellen laſſen.

Jede Beſchaffenheit eines Dinges kann wiederum in der Geſtalt eines Subjekts gedacht werden, das von neuen ſeine Beſchaffenheit an ſich hat; und Sub -B b 4jekte392V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererjekte koͤnnen als Praͤdikate von andern Dingen, als ihren Subjekten, vorgeſtellet werden. Wir nehmen dieſe Veraͤnderung der Formen wirklich vor, wie die Er - fahrung lehret. Alle Beſchaffenheiten, ſobald ſie fuͤr ſich allein ein Gegenſtand der Betrachtung werden, nehmen die Form der Dinge an, denen man Beſchaffen - heiten beyleget, ſobald man in ihnen etwas unterſchei - det. Dieß haͤngt von der Abſonderung und Vereini - gung der Empfindungsvorſtellungen in der Einbildungs - kraft ab.

Es giebt aber auch Ganze, die es durch die Natur der Empfindung ſind, welche nicht getheilet werden koͤn - nen, ſondern fuͤr uns ſo ſehr einzelne ganze Empfindun - gen ſind, daß ſie entweder voͤllig vorhanden ſind, oder nichts von ihnen. Die einfachen Empfindungen ge - hoͤren alle zu dieſer Gattung, nebſt noch andern, in wel - chen ſich beſondere Theile als Merkmale unterſcheiden, aber wegen ihrer innigen Vereinigung oder natuͤrlichen Unzertrennlichkeit nicht von einander abſondern laſſen.

Hume, als Verfaſſer der beruͤchteten Schrift uͤber die menſchliche Natur,*)Treatiſe of human nature. 3. vol. 8. erklaͤrte die Jdee, die wir von unſerm Jch, oder von unſerer Seele haben, fuͤr einen Jnbegriff von einer Menge beſonderer, auf einander gefolgter einzelner aber getheilter und zerſtreue - ter Empfindungen, aus deren Verbindung in der Phantaſie die Jdee von Einem Ganzen, als einem Subjekt gemacht worden, welches das einzelne Em - pfundene als ſeine Beſchaffenheiten in ſich halte. Er zog daraus die Folgerung, daß wir auch mit Evidenz nichts mehr von der Seele behaupten koͤnnten, als daß ſie ein Jnbegriff von Beſchaffenheiten und Veraͤnderun - gen ſey, welche, da ſie unmittelbar gefuͤhlet werden, wirklich exiſtiren; nicht aber, daß ſie Ein Ding, einGanzes393Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. Ganzes Eins, ein wirkliches Ding ſey. Und hier - inn beſteht es, was ihm ſeine Gegner zur Laſt gelegt ha - ben, er habe ſogar die Exiſtenz der Seele wegver - nuͤnftelt, und nur die Wirklichkeit ſeiner Gedanken und Veraͤnderungen eingeſtanden. Allerdings war dieß die aͤußerſte Grenze in dem raiſonnirenden Skepti - cismus.

Was die Hrn. Reid und Beattie ihm entgegen geſetzet, iſt bekannt, nemlich, daß dieß wider den Men - ſchenverſtand ſey. Die Antwort iſt nicht unrichtig, nur unphiloſophiſch, ſo lange noch eine andere moͤglich iſt, welche zugleich auch den Grund von dem Jrrthum an - giebet.

Es verhaͤlt ſich nicht ſo, wie es Hr. Hume angege - ben hat, und dieß kann man behaupten, ohne etwas mehr fuͤr wirklich vorhanden anzunehmen, als was er ſelbſt dafuͤr erkennet; nur ſo viel nemlich, als wir uns un - mittelbar bewußt ſind. Hr. Hume hat aber einen wichtigen Umſtand uͤberſehen.

Jch fuͤhle eine Vorſtellung; noch eine andere, auch eine Denkungsthaͤtigkeit, eine Willensaͤußerung, u. ſ. w. und dieſe Empfindungen ſind unterſchieden, und wirklich. Aber ich empfinde noch mehr.

So oft ich eine Vorſtellung empfinde, gewahrneh - me, und mich ihrer unmittelbar bewußt bin, ſo bin ich mir eben ſo gut bewußt, daß dieß Gefuͤhl meiner Mo - difikation nur ein hervorſtechender Zug in einem viel groͤßern, ausgebreitetern, ſtaͤrkern, obgleich in ſeinen uͤbrigen Theilen dunklen, oder doch wenig klaren Gefuͤhl ſey; und dieſes letztere bin ich mir eben ſo bewußt, und auf dieſelbige Art, wie ich es in Hinſicht der beſonders gewahrgenommenen einzelnen Beſchaffenheit nur immer ſeyn kann, ſo nemlich wie man ſich uͤberhaupt einer Sa - che unmittelbar bewußt ſeyn kann. Jch habe alſo eine ſolche Empfindung, die mich auf die nemliche Art zuB b 5dem394V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererdem Gedanken bringet, daß ein Ding und eine Be - ſchaffenheit in dieſem Dinge vorhanden iſt, als ich nach Hrn. Hume’s eigener Einraͤumung zu dem Ge - danken gebracht werden kann: da iſt eine Beſchaffen - heit wirklich.

Und in dieſer ganzen Empfindung iſt der dunkle Grund von ihr immer eben derſelbige, wenn ich an - ſtatt eines ſich ausnehmenden Zuges einen andern ver - ſchiedenen in mir als gegenwaͤrtig vorhanden gewahrneh - me. Dieſer Grund der ganzen Empfindung, der ge - gen den hervorſtechenden Zug ſich wie die Flaͤche des Lan - des gegen den Fuß eines hervorragenden Berges ver - haͤlt, iſt bey allen beſondern Veraͤnderungen, in der Empfindung und in der Vorſtellung eben derſelbige. Daher der Begrif von der Jdentitaͤt unſers Jchs, aus der Vergleichung eines gegenwaͤrtigen Gefuͤhls von unſerm Jch, als einem Subjekt mit ſeiner in ihm vor - handenen Beſchaffenheit mit einem aͤhnlichen vergange - nen Gefuͤhl, welches reproduciret wird. Doch dieß nur im Vorbeygehen. Eine andere Folge davon iſt, daß die Jdee oder Vorſtellung von meinem Jch, keine Sammlung von einzeln Vorſtellungen ſey, welche et - wan die Einbildungskraft zu einem Ganzen gemacht hat, wie ſie die einzelnen Vorſtellungen von Soldaten zu einer Vorſtellung von Einem Regiment vereiniget. Jene Vereinigung liegt in der Empfindung ſelbſt, in der Natur, nicht in einer ſelbſt gemachten Verbindung. Daher entſtehet eine Vorſtellung von Einem Subjekt mit verſchiedenen Beſchaffenheiten, das heißt, die aus der Empfindung unmittelbar entſtehende Vor - ſtellung muß ſo gedacht, und zu einer ſolchen Jdee gemacht werden, wozu der gemeine Menſchenverſtand ſie wirklich machet, der nur dann dieſe Jdee auf Humiſch gebildet haben koͤnnte, wenn er in ſeiner natuͤrlichen Be - obachtung eben ſo viel bey ihr uͤberſehen, und nur anEiner395Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. Einer ſich ausnehmenden Seite ſie gefaſſet haͤtte, als dieſer feine Metaphyſiker bey ſeiner Spekulation, da er jeden Zug nach dem andern deutlich abloͤſen wollte.

VI. Fortſetzung des Vorhergehenden. Gemeinbe - griffe, von einem Objekt, von der Wirklich - keit, von der Subſtanz.

Dieſer Begrif von einem Subjekt und von einer Be - ſchaffenheit, iſt noch nicht der voͤllige Begriff von einem Dinge, als Objekt oder Gegenſtand betrach - tet, und noch weniger der Begriff von einer Subſtanz. Die Begriffe vom Seyn oder Wirklichkeit, und vom Beſtehen oder Fortdauern, und von dem Fuͤr ſich beſtehen muͤſſen noch hinzu kommen; und die Denk - kraft muß den Verhaͤltnißgedanken von der urſachli - chen Verbindung hervorbringen, und ihn mit jenen Abſtraktionen vereinigen. Wir halten die Empfindun - gen und Vorſtellungen nicht ſelbſt fuͤr ihre Objekte, ſon - dern ſetzen noch etwas anders außer der Vorſtellung vor - aus, das die Quelle der Empfindung iſt, und dieſe letz - tere auch wohl in den Zeitpunkten hervorbringen koͤnnte, in welchen wir ſie nicht haben.

Die Abſtraktion, welche wir durch das Wort Seyn oder Wirklichſeyn ausdruͤcken, war der erſten Anlage nach ſo viel, als gefuͤhlet und empfunden werden, und ein Subjekt oder Ding ſeyn. Aber es kam noch hinzu, daß das gefuͤhlte Subjekt auch ohne Ruͤckſicht darauf, daß es wirklich gefuͤhlet ward, doch fuͤhlbar ſey, und gefuͤhlet werden konnte. Das Wirkliche iſt etwas Objektiviſches, ein Gegenſtand, etwas, das von der Empfindung und Vorſtellung unterſchieden iſt. Dieß ſind die erſten urſpruͤnglichen Beſtandtheile des Begrifs von der Exiſtenz, vor ſeiner vollſtaͤndigen Ent -wickelung396V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererwickelung und Beſtimmung, wozu die Nebenideen von Ort und Zeit, oder von Jrgendwo und Jrgendwie, und von der vollſtaͤndigen innern Beſtimmung (de - terminatio omnimoda) gehoͤren. Dieſe letztern Zuſaͤ - tze beſtehen wiederum in Beziehungen, welche die Denk - kraft hinzufuͤget, wenn ſie ſoweit iſt, daß ſie das Wirk - liche mit dem Unwirklichen, oder mit dem blos Vor - geſtellten vergleichen kann.

Die Abſtraktion von dem gefuͤhlet werden, kann man aus jedweder Empfindung nehmen. Die Jdee von einem Subjekt denn ſo bald wir auch eine Be - ſchaffenheit einer Sache, als etwas wirkliches uns vor - ſtellen, gedenken wir ſie als ein Subjekt, oder Ding, dem eine Beſchaffenheit, die Wirklichkeit nemlich, zu - kommt, iſt ſchon vorhanden. Es iſt alſo der Ur - ſprung des dritten Jngredienz noch uͤbrig. Wie entſte - het der Gedanke von einem Objekt, das iſt, von einem Dinge, welches von der Empfindung und Vorſtellung von ihm unterſchieden iſt, und jene hervorbringet, oder hervorbringen kann?

Alſo erfodert der Begrif von einem Objekt, erſtlich die Bemerkung des Unterſchiedes zwiſchen Sache oder Ding und zwiſchen einer Vorſtellung davon; dann zweytens das Unterſcheiden einer Sache, und des von ihr entſtehenden Gefuͤhls, das iſt, einen Gedanken von urſachlicher Verbindung.

Das Unterſcheiden, als ein Gedanke von Ver - ſchiedenheit entſtehet aus der Vergleichung. So bald eine Vorſtellung, das iſt, ein wieder erneuerter Abdruck eines vorigen Zuſtandes, ein Phantasma, mit einem Gefuͤhl eines gegenwaͤrtigen aͤhnlichen Zuſtandes vergli - chen wird, ſo muß der Gedanke; daß Vorſtellung und Sache unterſchieden ſind, hervorgehen. Dazu reichet die natuͤrliche Verſchiedenheit der ſchwachen Vorſtellung des Vergangenen mit dem Gefuͤhl des Gegenwaͤrtigen,wenn397Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. wenn ſonſten alles einerley iſt, ſchon hin. Die Abſtrak - tion von der Objektivitaͤt in Hinſicht dieſes erſten Merk - mals konnte alſo aus allen Arten von Empfindungen und Vorſtellungen, die einander ſo weit aͤhnlich waͤren, als die Jdentitaͤt des Gegenſtandes es mit ſich brachte, er - halten werden. Und dieſer Theil des Begrifs konnte vorhanden ſeyn, ehe der zweete entwickelt wurde, wie es wahrſcheinlich ſich bey den Kindern wirklich verhaͤlt, bey denen das Gefuͤhl der Sache, und die gefuͤhlte Sache ſelbſt, als die Urſache von jenem, lange ununterſchieden bleiben.

Was der Begrif von der Urſache und von der Ver - urſachung in ſich enthalte, und bey welcher Art von Empfindungen und Vorſtellungen die Denkkraft zuerſt den Gedanken von der urſachlichen Verbindung hervor - bringe, iſt anderswo weitlaͤuftig von mir aus einander geſetzt. *)Siehe den vierten Verſuch IV. Hier bedarf es jenes voͤlligen Begrifs nicht. Es iſt genug, daß unter Urſache der Empfindung ein Ding gedacht wird, das von der Empfindung ver - ſchieden iſt, aber dieſe zur Folge hat. Der unentwickel - teſte Begrif von der Urſache war ſchon hinreichend, um diejenige Jdee vom Objekt zu bewirken, von deren Ent - ſtehungsart hier die Rede iſt.

Und zu dieſen Gedanken konnte und mußte jedwede neue Modifikation, welche aus der Seele ſelbſt entſtand, ihrer Natur nach, der Denkkraft die Veranlaſſung ge - ben. Denn jedwede aus innerer Kraft entſtehende Ver - aͤnderung fuͤhrte auf Vorſtellungen von den vorhergegan - genen Umſtaͤnden, Beſtrebungen und Beſchaffenheiten, die mit ihr aſſociiret ſind. Da war alſo Gefuͤhl eines gegenwaͤrtigen Subjekts mit einer Beſchaffenheit; dann Vorſtellung eines vorigen Subjekts mit einer Beſchaffen - heit, und dann Gefuͤhl der Folge, ſo wie dieſe gefuͤhler werden kann. Dieſe Gefuͤhle und Vorſtellungen zu Ge -danken398V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererdanken gemacht, ſo hatte man nebſt der Jdee eines ge - genwaͤrtigen Zuſtands, die Jdee eines andern Din - ges, und auch den Verhaͤltnißbegrif von der Folge und Verbindung jenes Zuſtandes mit dem von ihm verſchie - denen Dinge.

Der Begrif vom Beſtehen und Fortdauern be - zieht ſich auf den Begrif der Zeit. Beide ſind in ih - rem Urſprung verwandt, und beide entſtehen durch eine Abſtraktion aus den Empfindungen von dem Aktus des Gefuͤhls, und des Denkens. Jedes bemerkbare Gefuͤhl hat ſeine Laͤnge. Wenn wir mit dem Fin - ger uͤber einen Koͤrper hinfahren, ſo kann es ſeyn, daß wir nur an zweyen Stellen ſolche Eindruͤcke empfangen, die in der ganzen Reihe der Veraͤnderungen ſich ausneh - men, und unterſchieden werden. Das uͤbrige wird als - denn eine im Ganzen klare, aber in ihren einzelnen Thei - len ununterſcheidbare, vielbefaſſende Empfindung ausma - chen. Es ſind nicht jene ſich ausnehmende Gefuͤhle oder die gefuͤhlten Gegenſtaͤnde, von deren Empfindung oder Vorſtellung der Begrif der Dauer und der Zeit abſtrahiret werden kann, wie Hr. Kant erinnert hat; aber es ſind die in uns fortgehende Aktus des Gefuͤhls, die ihre Succeſſion und Laͤnge haben, wenn gleich kein bemerkbarer Gegenſtand gefuͤhlet wird, und die wieder - um, wie das Gefuͤhl uͤberhaupt, in ihren naͤchſten Wir - kungen empfunden, vorgeſtellet und gewahrgenommen werden; dieſe ſinds, aus welchen die einzelnen Em - pfindungsvorſtellungen kommen, die den Stoff zu der Abſtraction von der Zeit hergeben. Die Dichtkraft hat indeſſen auch einigen Antheil an der voͤlligen Zurich - tung dieſer Vorſtellungen.

Eine aͤhnliche Anmerkung laͤßt ſich uͤber den Begrif des Raums machen. Auch dieſer entſteht aus dem Ak - tus des Gefuͤhls. Jch beruͤhre dieß hier nur in der Ferne, weil der Gemeinbegrif von dem Beſtehen undder399Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. der Dauer darauf fuͤhret, der ein Beſtandtheil des voͤl - ligen Begrifs von einem wirklichen Gegenſtande iſt, und eile zu dem Schluß aus dieſen letztern Betrachtungen. Es iſt Stoff in den Empfindungen vorhanden, aus dem der allgemeine Begrif von einem wirklichen Ob - jekt, und von einer Beſchaffen heit in ihm erlanget werden kann. Und dieſer Begrif muß vorhanden ſeyn, ehe irgend ein Urtheil, daß dieß oder jenes ein wirk - lich vorhandenes von unſern Vorſtellungen unterſchiede - nes Ding ſey hat entſtehen koͤnnen.

Der Begrif von einem Objekt iſt noch nicht der Be - grif von einem fuͤr ſich beſtehenden Dinge, oder von einer Subſtanz, die fuͤr ſich allein beſonders vorgeſtel - let, als ein wirkliches Objekt gedacht werden, und daher außer dem Verſtande, es ſeyn kann. Die Materie zu dieſem Gemeinbegrif erfodert ſo eine ganze Empfindung, die fuͤr ſich allein abgeſondert, ohne als ein Theil, oder als ein Zug in einem andern gegen - waͤrtig ſeyn kann. Eine Empfindung, die zwar in Ruͤckſicht auf einen in ihr ſich ausnehmenden Zug eine Vorſtellung eines Dinges mit einer Beſchaffenheit ver - anlaſſet, aber doch wiederum in einer andern gan - zen Empfindung enthalten iſt, kann nur den Stoff zu einer Vorſtellung von einem Accidenz, oder von ei - nem Dinge, welches nicht anders als in der Geſtalt einer Beſchaffenheit eines andern Subjekts exiſtiren kann, hergeben. Das geſammte Gefuͤhl von unſerm Jch, als dem fuͤhlenden und denkenden Weſen, iſt eine ſolche Empfindung, und in unſerm jetzigen Zuſtande ſe - hen wir die Gefuͤhle einzelner Koͤrper auch dafuͤr an; ob ſie aber durch eine falſche oder richtige Reflexion dafuͤr angeſehen werden? das iſt die Frage in dem Streit mit den Jdealiſten.

So ein abgeſondertes ganzes Gefuͤhl, aus dem die Abſtraktion von einer Subſtanz entſtehet, mußeine400V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerereine gewiſſe innere Vollſtaͤndigkeit beſitzen. Es muß allein fuͤr ſich vorhanden ſeyn, und alſo die fuͤhlende Seele waͤhrend des Gewahrnehmens ſo ganz ausfuͤllen koͤnnen, daß kein anderes groͤßeres und weiter ſich ver - breitendes Gefuͤhl, welches jenes in ſich ſchließet, als gleichzeitig vorhanden bemerket werde.

Seitdem Ariſtoteles dieſen Begrif in die Philoſo - phie gebracht, haben die Philoſophen unter Subſtanz ein ſolches Ding verſtanden, welches ohne Ruͤckſicht auf un - ſere Jdee, fuͤr ſich allein und abgeſondert ein wirkliches Ganze ſeyn kann. Ein deutlich beſtimmter Begrif da - von koſtet den Metaphyſikern viele Muͤhe. Aber in dem gemeinen Verſtande iſt eine Subſtanz, und ein Objekt fuͤr ſich allein, Eins und daſſelbige.

Wenn mehrere Subſtanzen als verſchiedene Ob - jekte, davon jedes ein Ding fuͤr ſich iſt, gedacht werden, ſo ſind ſie außer einander. Die Abſtraktion von die - ſer Beziehung iſt einerley mit dem Begrif von der Ver - ſchiedenheit auf den Begrif von Subſtanzen angewendet.

VII. Eine Anmerkung gegen die Jdealiſten aus dem Urſprung unſerer Urtheile uͤber die aͤußere Wirklichkeit der Dinge, aus welchen Em - pfindungen zunaͤchſt die Jdee von der aͤu - ßern Exiſtenz entſtanden ſey.

Sind nun einmal dieſe Abſtraktionen durch die verei - nigte Wirkung des Gefuͤhls, der vorſtellenden Kraft und der Denkkraft in der Seele vorhanden, ſo koͤnnen Urtheile uͤber die Exiſtenz der Dinge in uns und außer uns gefaͤllet werden. Um aber hiebey die Art des Ver - fahrens in der Denkkraft, und den Urſprung und die Gruͤnde der Zuverlaͤſſigkeit dieſer Urtheile voͤllig deutlich zu erkennen, muß folgendes in Betracht gezogen werden.

Jn401Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.

Jn dem Urtheil z. B. was ich da mit dem Finger befuͤhle, und Koͤrper nenne, iſt ein wirkliches außer mir, als Seele oder Menſch, vorhandenes Ding und Objekt, liegen folgende Gedanken:*)Vierter Verſuch VI. 6. ich fuͤhle oder empfinde; und ferner, was ich fuͤhle, iſt ein wirkliches Ding, ein Objekt, Subſtanz; und es iſt verſchieden von meinem Jch.

Es fraͤgt ſich: Jſt nun das gegenwaͤrtige Gefuͤhl ein eben ſolches Gefuͤhl, als diejenigen Gefuͤhle ſind, aus denen die Denkkraft, nach ihren natuͤrlich nothwendigen Geſetzen, den Begrif von einem wirklichen Objekt ab - ſtrahiret hat, und abſtrahiren muͤſſen? und muͤßte alſo die Denkkraft, wenn ſie nach denſelbigen Geſetzen wir - ket, nach welchen ſie die gedachte Abſtraktion aus vor - hergegangenen Empfindungen gezogen hat, ſie gleich - falls aus dem jetzigen Gefuͤhle und deſſen Vorſtellung abziehen, woferne ſie nicht ſchon mit ihr verſehen waͤre? Es wird mit einem Subjekt ein Praͤdikat verbunden, welches man bey andern Subjekten ſchon gewahrgenom - men hat; iſt nun jenes Subjekt den letztern, die gegen - waͤrtige Empfindung den vergangenen, als Stoff und Materie des allgemeinen Begrifs betrachtet, gleich und aͤhnlich, ſo daß aus demſelbigen Grunde einerley Be - ſchaffenheit ihnen beygeleget werden muß? Denn das Praͤdikat iſt in beiden Faͤllen daſſelbige, und es hat den - ſelbigen Sinn, wenn ich von dem Stein, woran mein Fuß anſtoͤßet, ſage, er ſey ein wirkliches Objekt, und eine Subſtanz, als wenn ich ſolches von mir ſelbſt und von meinem Jch gedenke.

Ob denn auch dieß wirkliche Objekt, was ich mit dem Finger befuͤhle, von meinem Jch verſchieden, und alſo, da beide dieſe Objekte fuͤr ſich beſtehende DingeI. Band. C cſind,402V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererſind, eine aͤußere Subſtanz ſey? dieß iſt die zwote Frage, die aber am wenigſten Schwierigkeiten hat.

Weder Hume noch Berkeley wuͤrden gegen die Zuverlaͤſſigkeit unſers Urtheils in dem angefuͤhrten Bey - ſpiel, wie ich glaube, etwas mehr einwenden, wenn ſie es als evident anerkennen muͤßten, daß mein gegenwaͤr - tiges Gefuͤhl, von einem aͤußern Koͤrper, als die Mate - rie zu der Notion von einem aͤußern wirklichen Dinge detrachtet, den uͤbrigen Empfindungen voͤllig aͤhnlich ſey, aus welchen der gedachte Gemeinbegrif gemacht iſt. Al - les, was in den Zweifelsgruͤnden dieſer Philoſophen lie - get, wovon ſie erwarten konnten, daß es nachdenkenden Perſonen als eine gegruͤndete Bedenklichkeit gegen den lauten und unwiderſtehlichen Ausſpruch des gemeinen Menſchenverſtandes vorkommen ſolle, das mußte am Ende dahin ausgehen; daß wenn wir den aͤußern Din - gen eine objektiviſche Wirklichkeit zuſchreiben, in eben dem Sinn, wie wir ſie unſerm Jch und ſeinen Beſchaf - fenheiten beylegen, ſo muͤſſe eine blos ſcheinbare oder mangelhafte Aehnlichkeit der Subjekte in unſern Vorſtel - lungen uns blenden, die aber in der That nicht vorhan - den ſey, und bey einem vorſichtigen Verfahren nicht an - getroffen werden wuͤrde.

Und daß dieſe gedachte Aehnlichkeit wirklich vorhan - den ſey, das iſt es, was in Hinſicht der Grundſaͤtze, bey jedem fuͤr ſich, zur voͤlligen Evidenz gebracht wer - den muß, wenn man die Abſicht hat, das Syſtem des Skeptikers und des Jdealiſten in ſeinen erſten Gruͤnden anzugreifen, und es ſelbſt vor dem Anſchaun der raiſon - nirenden Vernunft als grundleere Vernuͤnfteley darzu - ſtellen. Die Hrn. Reid und Beattie haben dieſe Ab - ſicht nicht erreicht, weil ſie auf eine ſo unbeſtimmte Art den gemeinen Menſchenverſtand entgegenſetzten, der fuͤr ſich allein wohl immer den Sieg gegen Hume und Ber - keley behalten wird, daß auch alte von der wahren Phi -loſophie403Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. loſophie laͤngſt verdraͤngte Vorurtheile mit unter den Ge - gengruͤnden gebraucht worden ſind. Sie laͤugneten mit den Grundſaͤtzen des Skepticismus auch den Grundſatz der Philoſophie ab, daß alle aͤußere Objekte nur nach den Vorſtellungen von ihnen in uns beurtheilet werden, und verwarfen den Richterſtuhl der aufloͤſenden und ſchlie - ßenden Vernunft, ſo daß man ſagen kann, es muͤſſe die geſunde Vernunft zutreten, und ſich in manchen Saͤtzen der Skeptiker und Jdealiſten gegen ſie annehmen.

Es fehlet, ſo viel ich weiß, noch an einer ſolchen Schrift, in der auf die vorher erwaͤhnte Art die falſche Vernuͤnfteley des ſcharfſinnigen Hume in alle ihre Laby - rinthe verfolget, und ans Licht gezogen wuͤrde. Ein Buch von ſolchem ſpekulativiſchen Jnhalt wuͤrde freylich nur wenige Leſer finden, aber doch nuͤtzlich, und, wenn es wahr iſt, was Beattie und Oswald verſichern, daß Hume durch ſeine ſkeptiſchen Verſuche wirklich bey vie - len nachdenkenden Koͤpfen praktiſch ſchaͤdliche Jrthuͤmer veranlaſſet habe, fuͤr dieſe Klaſſe von Leſern nothwendig ſeyn. Nur muͤßte es, um einen gleichen Eingang, wie die gedachten humiſchen Vernuͤnfteleyen, zu finden, nicht allein mit demſelbigen Verſtande, ſondern auch mit dem - ſelbigen Geiſt geſchrieben werden, womit Hr. Hume auch alsdenn noch ſchreibet, wenn er die abſtrakteſten Ge - genſtaͤnde behandelt, und dieß iſt eine harte Foderung.

Von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit unſerer Ur - theile uͤber die Exiſtenz der aͤußern Dinge iſt hier bey der gegenwaͤrtigen Betrachtung eigentlich die Frage nicht, ſondern nur von der Art, wie dieſe Urtheile entſtehen, und von der Ordnung, in der ſie entſtehen. War der Gang des ſich entwickelnden Verſtandes dieſer, daß zu - erſt alle Empfindungen fuͤr Beſchaffenheiten unſers Jchs gehalten, und nur hernach erſt durch manche Raiſonne - ments die richtigere Erkenntniß erlanget werden konnte? Oder war die letztere eben ſo natuͤrlich, und in eben demC c 2Verſtan -404V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererVerſtande Jnſtinkt, wie die Urtheile von unſerm exiſti - renden Selbſt, und von dem, was in dieſem iſt?

Auf dem Ruͤckweg von den vorhergehenden Bemer - kungen uͤber die allgemeinen Begriffe zu der Art und Wei - ſe, wie ſie mit unſern Empfindungen verbunden werden, und die Urtheile uͤber das Daſeyn der Dinge hervorbrin - gen, liegt noch manches, was nicht uͤberſehen werden muß, wenn der natuͤrliche Weg des Verſtandes deutlich beobachtet werden ſoll.

Allgemeine Begriffe koͤnnen aus andern Abſtraktio - nen zuſammengeſetzet werden; und daher erfodern nicht alle eine Mehrheit von aͤhnlichen Empfindungen, aus de - nen ihr Gemeinſchaftliches abſtrahiret werden muͤßte. Aber ſind nicht die vorhergehende Grundbegriffe von Sub - jekt und Beſchaffenheit, von einem wirklichen Dinge und von einem Objekt fuͤr ſich, wahre Abſtraktionen, die alſo auch verſchiedenartige Empfindungen vorausſetzen, bey welchen das Gemeinſchaftliche, oder der Gemeinbe - grif, angetroffen worden iſt? die Abſtraktion ſetzet zwar keine eigentliche Vergleichung voraus, aber doch ein Analogon davon, ein Zuſammenfallen mehrerer ein - zelnen Empfindungen oder Vorſtellungen an Punkten, wo ſie einander aͤhnlich ſind.

Vorausgeſetzt alſo, daß der ganze Jnbegrif von Empfindungen und Vorſtellungen ſich ſchon in unterſchie - dene Haufen und abgeſonderte Ganze zertheilet hat; daß die innern Selbſtgefuͤhle der Seele von den Gefuͤhlen des Koͤrpers, und von dieſen wiederum die Empfindungen der aͤußern Gegenſtaͤnde, eines Baums, eines Vogels, eines Bergs, eines Fluſſes u. ſ. w. unterſchieden, und als unterſchiedene Ganze und Subjekte dargeſtellet wer - den; aus welchen von dieſen vertheilten Haufen konnte und mußte der Stoff zu dem Gemeinbegrif von einem wirklichen Objekt gezogen werden? Diejenigen, von welchen die Abſtraktion geſchehen iſt, muͤſſen auch noth -wendig405Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. wendig das Praͤdikat der wirklichen Objekte erhalten, ſo - bald die Reflexion ihre Gedanken entwickelt. Wenn al - ſo die Empfindung von einem Baume mit der Empfin - dung von dem Jch das Gemeinſchaftliche enthaͤlt, das zu der Jdee von einem exiſtirenden Objekt gemacht wor - den iſt; ſo iſt es eben ſo nothwendig, zu denken: der Baum iſt ein wirkliches Objekt, als es iſt, zu denken: ich ſelbſt bin etwas wirkliches. Es iſt alſo offenbar, wie viel dieſe Frage auf ſich hat, und deswegen iſt ſie auch von Hume und Berkeley nicht ſo beantwortet worden, wie von andern nicht idealiſtiſchen Philoſophen, obgleich dieſe auch in ihren Gedanken daruͤber verſchieden ſind.

Es iſt nur das Selbſtgefuͤhl der Seele, ſagen die erſtern, woraus die Jdee von einem exiſtirenden Dinge entſtehen kann. Die uͤbrigen Empfindungen werden ſo bald nicht unterſchieden und gekannt, als ſie auch ſchon auf unſer Jch, mit deſſen Gefuͤhl ſie unzer - trennlich verbunden ſind, bezogen, und wie Beſchaf - fenheiten in einem Subjekt gedacht werden. Die aͤu - ßern Empfindungen koͤnnen fuͤr ſich alſo in der Vorſtel - lung als ſolche voͤllig abgeſonderte Ganze nicht er - ſcheinen, und alſo keinen Stoff zu der Jdee eines wirk - lichen Dinges hergeben. Daher auch das Praͤdikat der Exiſtenz auf die aͤußern Objekte nur aus innern Empfin - dungen uͤbertragen werden kann, und, wie die gedach - ten Philoſophen hinzuſetzen, ohne hinreichenden Grund uͤbertragen wird.

Condillac war der Meinung, von den aͤußern Em - pfindungen koͤnnten nur allein die Empfindungen des aͤußern koͤrperlichen Gefuͤhls auf die Jdee von wirk - lichen Gegenſtaͤnden außer uns, hinfuͤhren. Was wir ſehen, hoͤren, ſchmecken, riechen, kommt uns, ſeinen Gedanken nach, nur wie Beſchaffenheiten von Dingen vor, das wir daher entweder in unſer Jch, oder hoͤch -C c 3ſtens406V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererſtens in unſern Koͤrper hin ſetzen, wenn dieſer ſchon von der Seele unterſchieden worden iſt.

Hr. Home hat außer den Gefuͤhls - auch den Ge - ſichtsempfindungen dieſe Eigenſchaft zugeſtanden. *)Verſuch uͤber die Grundſaͤtze der Moralitaͤt. 3ter Verſuch.Wenn wir ſehen und fuͤhlen, ſagt er, empfinden wir fuͤr ſich beſtehende wirkliche Dinge, oder glauben doch dergleichen vor uns zu haben; dagegen wir die Toͤne, die Geruchs - und Geſchmackarten nicht empfinden oder uns vorſtellen, ohne ein gewiſſes Subjekt zugleich zu gedenken, worinn ſie exiſtiren. Die Toͤne ſetzen wir in die Seele ſelbſt, die Eindruͤcke auf den Geruch und Geſchmack aber in die Werkzeuge dieſer Sinne im Koͤrper. Dieſe letztern Empfindungen, die wir in unſerm jetzigen Zu - ſtande nicht anders haben, als auf eine folche Art, daß ſie nur ſich ausnehmende Zuͤge in andern gleichzeitigen Empfindungen ſind, haben auch wohl niemals bey der erſten Entwickelung des Verſtandes ſo abgeſondert fuͤr ſich allein daſeyn, und in der Abweſenheit der Gegenſtaͤn - de ſo abgeſondert vorgeſtellet werden koͤnnen, daß ſie die Jdee von beſondern fuͤr ſich beſtehenden Dingen veran - laſſet haben ſollten. Aber die Empfindungen des Ge - ſichts und des Gefuͤhls haben ſolches thun koͤnnen.

Das Phaͤnomen iſt wirklich ſo, wie Hr. Home es bemerket hat. Es iſt nur die Frage, aus welcher Ur - ſache es ſo ſey, und ob es von Natur ſo ſey, und unver - aͤnderlich ſo ſey, oder ob es allein von zufaͤlligen Umſtaͤn - den abhange, und daher auch veraͤndert werden koͤnne?

Wenn wir ſehen, ſo erhalten wir, wie nunmehr ausgemacht iſt, Eindruͤcke von dem Lichte auf die Augen, und werden dadurch modificirt, und fuͤhlen. Bey un - ſerm koͤrperlichen Gefuͤhl, das aus der aͤußern Beruͤh - rung der Koͤrper entſtehet, iſt es ein Stoß oder Druck groͤberer Materie auf unſern Nerven, der die Modifikationin407Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. in der Seele veranlaſſet, und deſſen Gefuͤhl die Empfin - dung ausmacht. Ausfluͤſſe der Koͤrper, Salze, die auf - geloͤſet werden, und zitternde Bewegungen ſind es, die im Riechen, Schmecken und Hoͤren empfunden werden. Kann in dieſen Eigenheiten der beiden erſtern Sinne, in der Beſchaffenheit der Dingarten, welche auf ſie wirken, oder in der Art der Modifikation ſelbſt, deren Gefuͤhl in der Seele die Empfindung ausmacht, der Grund von dem obgedachten Unterſchiede, daß ſie fuͤr ſich beſte - hende Gegenſtaͤnde darſtellen, geſucht werden? Es ſcheinet nicht ſo. Nicht in der ſpecifiken Verſchiedenheit der Eindruͤcke, ſondern in den verſchiedenen Graden der Staͤrke, der Klarheit und Feinheit, und der davon ab - hangenden leichtern Reproducibilitaͤt kann man ihn an - treffen.

Und da meine ich offenbare ſich dieſer Grund deut - lich genug. Soll eine Empfindung zu denen gehoͤren, woraus die Jdee von einem fuͤr ſich vorhandenen Objekt gezogen worden iſt, oder doch eben ſo wohl als aus andern gezogen werden koͤnnen, ſo iſt dieß ein Er - foderniß bey ihr ſie muß allein fuͤr ſich, abgeſondert von andern, in der Seele vorhanden ſeyn, und auf ei - ne Weile auf dieſe Art beſtehen, und dann auch ſo ab - geſondert und fuͤr ſich allein wieder vorgeſtellet werden koͤnnen. Dazu aber iſt es noͤthig, daß ſie in der Zeit, wenn ſie vorhanden iſt, das Empfindungsvermoͤ - gen allein beſchaͤftiget, in der Maße nemlich, daß ſie kein anders gleichzeitiges, und bis zur Apperceptibilitaͤt ſtarkes Gefuͤhl neben ſich erlaube, und waͤhrend des Aktus des Gewahrnehmens die Seele des fuͤhlenden We - ſens allein ausfuͤlle.

Jedwede aͤußere Empfindung, von einiger Staͤrke und Dauer, beſitzet die Kraft, die Seele, auf eine Weile wenigſtens, außer ſich herauszuziehen, in der Maße, daß ſie ſich ſelbſt als zuruͤckwirkendes, vorſtellendes, den -C c 4kendes408V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererkendes und wollendes Weſen vergißt, und ſich allein mit der ihr beygebrachten Modifikation beſchaͤftiget, ohne ih - re eigene Thaͤtigkeiten dabey gewahrzunehmen. Dieß iſt Erfahrung.

Und bey ſolchen Empfindungen fehlet ſchlechthin die Veranlaſſung, ſie in ſich ſelbſt zu ſetzen. Es waren von andern abgeſonderte, und fuͤr ſich allein vorhandene Em - pfindungen. Wir ſetzen ſie daher auch alle außer uns, denn wir muͤſſen ja gewahrnehmen, daß ſie von un - ſerm Jch unterſchiedene Sachen ſind.

Aber nicht alle dieſe aͤußern Empfindungen ſind zu - gleich auch von andern aͤußern Gefuͤhlen ſo gaͤnzlich ab - geſondert, als von den innern Selbſtgefuͤhlen, oder ſie bleiben es doch nicht lange, oder koͤnnen es in der Wie - dervorſtellung nicht bleiben. Ein Ding wirket zugleich auf mehrere Sinne. Dieſe gleichzeitigen Gefuͤhle mach - ten zwar ein abgeſondertes fuͤr ſich beſtehendes Ganze; aber jeder Theil dieſes Ganzen, was etwan auf den Ei - nen oder den andern Sinn allein fiel, war nicht ſo ab - geſondert, daß es ohne Verbindung mit den andern ſeyn konnte.

Daher geſchah die Vertheilung der aͤußern Gefuͤhle in abgeſonderte Haufen nicht nach der Verſchiedenheit der Sinne, ſo daß die Geſichtsempfindungen fuͤr ſich ein Ganzes, die Gefuͤhlsempfindungen ein anders, die Eindruͤcke auf das Gehoͤr ein drittes, die Geruͤche ein viertes und ſo weiter ausmachten. Vielmehr zogen ſich alle Gefuͤhls - Geruchs - Geſichts - und Geſchmacksein - druͤcke einer Blume z. B. in Eine ganze Empfindung zu - ſammen; und wo dieß geſchehen iſt, da kann keine ein - zelne Empfindung, die in dem Ganzen begriffen iſt, an - ders als in der Geſtalt einer Beſchaffenheit ſich der Reflexion darſtellen.

Jndeſſen konnten doch Einige aus dem ganzen Hau - fen der Eindruͤcke, welche in demſelbigen aͤußern Gegen -ſtand409Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. ſtand ihre gemeinſchaftliche Quelle hatten, ſich abtrennen, und ſich mit einem andern Haufen, der aus einem an - dern Objekt herruͤhrte, genauer vereinigen. Der Ein - druck auf das Organ des Geruchs, der aus einer Roſe kommt, vereinigte ſich mehr mit dem koͤrperlichen Ge - fuͤhl des Sinngliedes, als mit dem ſichtlichen Bil - de von der Blume. So eine Empfindung machte alſo mit dem Gefuͤhl des Organs ein vereinigtes Ganze aus, und ſtellte ſich, als eine Beſchaffenheit oder Modifika - tion des koͤrperlichen Werkzeugs dar. Dieſe Abſonde - rung von einem Haufen, und die Vereinigung mit ei - nem andern war deſto eher moͤglich, je oͤfterer eine ſolche einzelne Empfindung von dem uͤbrigen abgeſondert vor - handen war.

Einige konnten von allen Gefuͤhlen aus unſerm Koͤr - per abgeſondert, und mit Selbſtgefuͤhlen der Seele ver - einiget werden, wie bey den Toͤnen geſchicht, die wir nach Homes Bemerkung, gewoͤhnlicher Weiſe in die Seele ſelbſt ſetzen, andere konnten fuͤr ſich allein abgeſondert bleiben, ohne ſich anderswo wieder anzulegen. Dahin gehoͤren vor andern die Empfindungen des Geſichts, und die ſanftern an ſich deutlichen Eindruͤcke auf das aͤußere koͤrperliche Gefuͤhl. Jn der Wiedervorſtellung haben die Geſichtsbilder darinn noch einen Vorzug mehr, daß das Bild einer geſehenen Sache fuͤr ſich allein eine Wei - le gegenwaͤrtig ſeyn kann, ohne daß andere da ſind, die auf eine merkliche Art das Gefuͤhl und die Thaͤtigkeit der Seele auf ſich ziehen. Kein Wunder alſo, daß ſich dieſe beiden Arten von Empfindungen ſo leicht unter ſich in Eine ganze vereinigen, und daß ſie in dieſer Verbindung die Jdee eines fuͤr ſich vorhandenen Objekts hergeben.

Etwas iſt auch hiebey veraͤnderlich. Das aͤußere koͤrperliche Gefuͤhl kann allein, ohne Vereinigung mit dem Geſicht, zu Jdeen von wirklichen aͤußern Ob - jekten fuͤhren, wie die Erfahrung gezeiget hat; aber iſtC c 5es410V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſereres denn unmoͤglich, daß das Geſicht allein ohne Beyhuͤl - fe des Gefuͤhls etwas aͤhnliches thun koͤnne? Wir legen nun zwar jedem ſichtbaren Dinge auch eine Soliditaͤt, und einen Umfang bey, der gefuͤhlt werden kann, weil wir die Jdee von dem Raum aus der Vereinigung der Geſichts - und Gefuͤhlsempfindungen genommen haben, und dieſe mit jeder Jdee von einem aͤußern exiſtirenden Objekte verbinden, aber der gemeine Mann ſtellt ſich doch die Geſpenſter als eine Art von blos ſichtbaren Weſen vor, die nichts an ſich haben, was ſich fuͤhlen und greifen laſſe. Das Gefuͤhl iſt der allgemeinſte und ein unterbrochen wirkſamer Sinn, da einer und meh - rere von den uͤbrigen fehlen, oder unwirkſam ſeyn koͤn - nen. Daher kann kein Ganzes von Empfindungen ſeyn, wozu das Gefuͤhl nicht ſeinen Beytrag liefere. Dieß verurſacht die Verbindung der Vorſtellungen aus dem Gefuͤhl mit den Vorſtellungen aus dem Geſicht, auch da, wo ſonſt die Sache nur allein geſehen wird. Allein ich meine, es laſſe ſich doch begreifen, daß wohl eine Vorſtellung eines blos ſichtlichen Gegenſtandes, der wirklich außer uns vorhanden iſt, moͤglich iſt, ohne daß einem ſolchen Objekt fuͤhlbare Soliditaͤt und ein fuͤhlbarer Raum zugeſchrieben werden duͤrfe.

Wie weit darf alſo nun wohl die natuͤrliche Verbin - dung der Empfindungen veraͤndert werden, um auch Ge - ruͤche, Toͤne und Geſchmacksarten zu ſubſtantificiren, oder ſich wirkliche Objekte vorzuſtellen, die nur allein riechbar, oder allein hoͤrbar, oder allein ſchmeckbar ſind, ohne zugleich auch ſichtbar und fuͤhlbar zu ſeyn, ſo wie wir uns blos fuͤhlbare Objekte gedenken? Natuͤrlich iſt eine ſolche Vorſtellungsart nicht; aber man ſieht, daß dieß von der Einrichtung der Natur, in der Verbindung der Sinne, nicht aber von der Natur der Sinne ſelbſt fuͤr ſich allein betrachtet, abhange.

VIII. Jn411Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.

VIII. Jn welcher Ordnung die Gedanken von unſe - rer innern Exiſtenz, und von der Exiſtenz aͤußerer Dinge entſtehen?

Das Reſultat dieſer Anmerkungen uͤber den Urſprung der Grundbegriffe des Verſtandes faͤllt von ſelbſt auf.

Zuerſt, daß es eben ſo natuͤrlich, eben ſo nothwen - dig ſey, und nach denſelbigen Wirkungsgeſetzen der Denkkraft erfolge, wenn ich denke: mein Koͤrper iſt ein wirklich vorhandenes Objekt, und iſt nicht mein Jch; der Baum, den ich ſehe und befuͤhle, iſt ein wirklich vorhandenes Objekt fuͤr ſich, und weder meine Seele, noch mein Koͤrper; dieſe Urtheile ſind eben ſo natuͤrlich, ſo na - he den erſten Thaͤtigkeiten der Reflexion, als wenn ich denke: Jch, als Seele bin ein wirkliches vor - handenes Ding. Dieſe Folgerung iſt gegen Hu - me und Berkeley, die ich nicht weiter gebrauchen will. Jch will eine andere herausziehen, welche zur Beurthei - lung des Buffonſchen Raiſonnements uͤber die Ordnung, in der ſich die Gedanken von der objektiviſchen und ſub - jektiviſchen Exiſtenz entwickeln, dienlich iſt, und die, wenn es moͤglich iſt, eine noch groͤßere Evidenz an ſich hat.

Hr. von Buffon ſetzt voraus, der ſich bildende Verſtand habe zuerſt den ganzen Jnbegriff ſeiner Em - pfindungen in Ein Ganzes vereiniget, und aus ihnen allen Eine Exiſtenz gemacht. Alsdenn muͤßte jede einzelne bemerkte Modifikation mit dieſem Ganzen Selbſt verglichen, auf ſolches bezogen worden ſeyn, und ſich als einen Theil oder Zug unſers Jchs, das heißt, als eine Beſchaffenheit deſſelben dargeſtellet haben. Was derMenſch412V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererMenſch ſah und hoͤrte, der Baum, der Himmel, der Geſang des Vogels, das Rauſchen der Quelle, muͤßte ihn, ſobald er es gewahr nahm, zu dem Gedanken ge - bracht haben: Siehe, das iſt auch ein Stuͤck von dir, und dieß Urtheil waͤre egoiſtiſch geweſen.

Kann eine ſolche Vorausſetzung als moͤglich ange - nommen werden? Sollte wohl der ganze Jnbegriff aller Empfindungen zu Einer Exiſtenz vereiniget, und in Eine Vorſtellung zuſammengebracht werden koͤnnen, ehe ſich ſchon unterſchiedene und abgeſonderte Haufen von ſelbſt gebildet hatten? Und ehe eine ſolche Sonderung geſchehen war, wie haͤtte die Jdee von einem wirklichen Dinge, und von unſerm Jch als einem Dinge entſtehen ſollen? Die Vereinigung aller Empfindungen zu Ei - ner ganzen, wenn ſie ſchon unterſchieden werden, kann darum nicht als moͤglich angenommen werden, weil auch unſere geſtaͤrkte Vorſtellungskraft nicht vermoͤgend iſt, ſolche auch nur bey allen aͤußern Empfindungen allein zu beſchaffen. Will man ſich aber etwan vorſtellen, es ſey in dem erſten dunkeln Zuſtande, wo voͤllige Nacht war, ein Theil der Gefuͤhle nach dem andern aufgehel - let, bemerket und unterſchieden worden, und alſo jedes in dieſer Folge auf das Ganze wie eine Beſchaffenheit auf ihr Subjekt bezogen, ſo wird theils wiederum etwas voraus geſetzet, was uͤber alle Maßen unwahrſcheinlich iſt, theils aber wird der Urſprung des egoiſtiſchen Ur - theils dadurch nicht begreiflich gemacht.

Jſt es wahrſcheinlich, daß die Aufhellung und Ab - ſonderung der Empfindungen auf dieſe Art geſchehen ſey, daß Eine Empfindung allein vorher gaͤnzlich unterſchie - den worden, ehe noch die uͤbrigen angefangen, ſich aus - einander zu ſetzen? oder gieng es nicht in der Seele ſo vor ſich, wie es in der Koͤrperwelt geſchicht, wenn das Tageslicht allmaͤhlig die Dunkelheit vertreibet, ſo nem - lich, daß das Licht uͤber eine ganze Menge von Gegen -ſtaͤnden413Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. ſtaͤnden in gleichen Graden ſich zugleich verbreitet, und mehrere zugleich auf einmal helle macht? Jſt es alſo nicht zu erwarten, daß, ehe noch die voͤllige Unterſchei - dung eines einzelnen Gefuͤhls zu Stande gekommen iſt, und ehe dieß unterſchiedene Gefuͤhl auf das uͤbrige Ganze hat bezogen werden, und alſo ehe der Gedanke hat ent - ſtehen koͤnnen, daß dieß eine Beſchaffenheit des Ganzen ſey, daß, ſage ich, nicht auch ſchon mehrere abgeſon - derte Ganze von Empfindungen vorhanden geweſen ſind, auf welche die nemliche einzeln gewahrgenommene Em - pfindung als eine Beſchaffenheit auf ihr Subjekt bezogen werden konnte, und war es denn nothwendig, daß ſie dem Ganzen, was unſer Jch ausmacht, und nicht ei - nem andern Ganzen beygeleget wurde?

Ferner, wuͤrde der Gedanke, der aus der Bezie - hung der erſten klaren Empfindung auf das Ganze der uͤbrigen haͤtte entſtehen koͤnnen, hoͤchſtens nichts mehr geweſen ſeyn, als der Gedanke, daß jene in dieſem vorhanden ſey. Es fehlte noch viel daran, daß dieß nicht der Begrif von einem wirklichen Objekt, und von unſerm Jch ſey. Da ſo viele vorhergehende Verhaͤlt - nißgedanken und daraus entſprungene allgemeine Be - griffe zu dem Urtheil: es iſt etwas in mir, in meinem Jch, erfodert werden, wie Hr. von Buffon ſelbſt nicht in Abrede iſt, ſo iſt es fuͤr ſich klar, daß dieſer Gedanke nicht hat ausgebildet werden koͤnnen, ehe nicht ſchon Vertheilungen und Abſonderungen der Empfindungen vorher gegangen ſind, die nebſt der Jdee von unſerm Jch, durch die Grundzuͤge vom Gefuͤhl und Bewußt - ſeyn charakteriſirt, zugleich auch Jdeen von andern wirk - lichen Objekten, die nicht unſer Jch ſind, hergeben mußten. Jener Jdee von unſerm Jch mag man allen - falls den Vorgang geben, und ſie als die erſte anſehen, welche als eine Jdee von einem Dinge beſonders erkannt worden ſey; aber wenn die Reflexion ſchon ſo weit ge -kommen414V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererkommen war, daß ſie mit dieſem Jnbegriff von innern Empfindungen den Gedanken verbinden konnte, es ſey unſer Jch ein wirkliches Ding fuͤr ſich, ſo mußte ſie auch die Vorſtellungen von ihrem Koͤrper, und den aͤußern Gegenſtaͤnden, auf gleiche Art zubereitet in ſich antref - fen, daß ſie ſolche ebenfalls zu Jdeen von aͤußern Din - gen machen konnte. Man kann ſich einen Fall geden - ken, wo es etwas anders ſeyn wuͤrde. Wenn etwan eine Art von Empfindungen gaͤnzlich in der Seele zu - ruͤck geblieben iſt, und nicht ehe, als, nachdem der Ver - ſtand aus den uͤbrigen ſchon die Grundbegriffe abſtrahi - ret, und ſeine Grundſaͤtze uͤber die Wirklichkeit der Dinge befeſtiget hat, als ein Nachtrag hinzu kommt, ſo iſt es wohl begreiflich, ja es iſt zu vermuthen, daß die neuen Empfindungen ſich an die vorhandenen Vorſtellungen von Dingen, und beſonders an die Vorſtellung von dem Jch, allenthalben anlegen, und mit dieſem zu einem Ganzen vereinigen werden, mehr und anders, als es ſonſt geſchehen ſeyn wuͤrde. Darum konnte der Cheßel - deniſche Blinde die neuen Gegenſtaͤnde, die er in den Duͤnen von Epſom ſah, fuͤr eine neue Art von Se - hen annehmen, denn er vereinigte die Eindruͤcke von den Gegenſtaͤnden mit ſeinen Gefuͤhlen von dem neu er - langten Sinn und deſſen Wirkungen. Aber bey dem natuͤrlichen Gang der Reflexion eines Menſchen, der von Anfang an mit dem Geſicht begabet iſt, und deſſen Denkkraft ſich unter allen Arten von Empfindungen ent - wickelt, kann ſo ein falſches Urtheil nicht erwartet wer - den, wo nicht beſondere Urſachen einen Jrthum veran - laſſen.

IX. Wie415Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.

IX. Wie wir die Theile unſers Koͤrpers als beſon - dere Dinge kennen gelernet.

Dieſelbigen Wirkungsgeſetze, und dieſelbige Art des Verfahrens fuͤhrten zu den beſondern Vorſtellun - gen von den unterſchiedenen Theilen des Koͤrpers, und von dem, was in ihnen iſt. Der Jnbegrif der Gefuͤh - le aus der Hand, derer aus dem Fuß, derer aus dem Kopf, u. ſ. w. machten, jeder die Vorſtellung Eines beſondern Dinges aus, das von andern unterſchieden war, weil jeder Eine ganze Empfindung verurſachte, zu der die einzelnen Gefuͤhle durch die Koexiſtenz vereiniget ſind.

X. Grundregel, wornach wir uͤber die ſubjektivi - ſche und objektiviſche Exiſtenz der Dinge ur - theilen.

Dieß geſagte fuͤhret nun zu dem letzten Schritt. Es laͤſſet ſich nemlich daraus eine allgemeine Regel be - ſtimmen, nach der wir noch jetzo die Gegenſtaͤnde, die wir fuͤhlen, oder ihre Empfindungen unmittelbar in uns oder außer uns hinſetzen, das iſt, die Regel, nach wel - cher das ſinnliche Empfindungsurtheil uͤber die objekti - viſche oder ſubjektiviſche Exiſtenz der Dinge abgefaßt wird. Denn es iſt ein anders, wenn wir daruͤber nach entwickelten Vernunftgrundſaͤtzen urtheilen. Dieſe Re - gel iſt folgende: Wir ſetzen eine jede Empfindung in das Ding hin, in deſſen gleichzeitigen Empfindung ſie wie ein Theil in einem Ganzen enthalten iſt. Kurz, jede Empfindung wird dahin geſetzet, wo wir ſie em - pfinden. Denn ſie wird da und in dem Dinge em - pfunden, wo und in deſſen Empfindung ſie ſelbſt mit begrif -416V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer begriffen iſt. Es iſt ein Geſetz des koͤrperlichen Se - hens in der Optik, daß wir die geſehenen Objekte an ſolchen Oertern und Stellen ſehen, die wir mit ihnen zu - gleich vors Geſicht haben, und in deren Empfindung das Bild des Objekts als ein Theil der ganzen Empfin - dung enthalten iſt. Dagegen ſehen wir ein Ding bey einem andern, den Stern z. E. bey dem Mond, wenn die Empfindung von jenem mit der Empfindung von die - ſem, als ein Theil mit einem andern Theil verbunden iſt, und beide ein vereinigtes Ganze ausmachen. Dieß ſind die Geſetze fuͤr das koͤrperliche Sehen. Man verallge - meinere ſie, ſo hat man das obige Geſetz fuͤr das Geſicht des Verſtandes.

XI. Anwendung dieſer Grundregel zur Erklaͤrung der beſondern Urtheile.

Die Anwendung dieſer Grundregel, wenn unſere ſinn - lichen Urtheile aus ihr erklaͤrt werden ſollen, iſt an ſich nicht ſchwer. Man darf nur ihren eigentlichen Sinn vor Augen haben. Daß alsdenn Ausnahmen vorkom - men ſollten, die ihr entgegen ſind, meine ich nicht. Es ſcheinen ſo gar die Faͤlle, worinn wir ungewiß, und zweifelhaft ſind, ob wir die Dinge in uns oder außer uns ſetzen ſollen, die Grundregel ſelbſt zu beſtaͤtigen. Figur und Farbe erſcheinen uns allemal als Dinge außer uns; aber nicht allemal erſcheint uns die Kaͤlte und Waͤr - me ſo. Einige dieſer Art von Urtheilen ſind veraͤnder - lich nach der Verſchiedenheit der Umſtaͤnde. Das an - gegebene Geſetz enthaͤlt auch hievon den Grund. Es kommt auf den Grad der Klarheit an, womit wir ent - weder unſer Jch, oder unſere Organe oder andere Sub - ſtanzen zugleich mitempfinden, wenn der Eindruck em - pfunden wird, den wir in irgend eins dieſer Dinge hin -ſetzen;417Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. ſetzen; und da kann es durch zufaͤllige Urſachen an der erfoderlichen Lebhaftigkeit fehlen; oder dieſe kann an Ei - ner Seite der Empfindungen mehr als an einer andern vorhanden ſeyn.

Die Freude, die Traurigkeit u. ſ. w. ſetzen wir in uns. Der Menſch kann ſich freuen, ohne auch ſchon mit dieſer Freude die Jdee zu verbinden, daß ſie eine Beſchaffenheit ſey, die in einem Subjekt exiſtire. Aber ſobald dieſer letzte Gedanke hinzukommt, ſo nimmt er ſeinen Gemuͤthszuſtand gewahr. Dieß kann er aber nicht, ohne ſein Jch mit gewahr zu nehmen, oder, ohne zugleich ſeine Kraft, ſein Gefuͤhl, ſein Bewußtſeyn, ſei - ne Thaͤtigkeit mit zu empfinden. Er nimmt ein Gan - zes von Empfindungen zugleich gewahr, und in dieſem Ganzen, das iſt, in ſeinem Jch, nimmt er ſeine Freu - de gewahr, oder eine Beſchaffenheit deſſelben. Die Freude iſt alſo in ihm.

Wenn ich mir jetzo den Mond in der Abweſenheit wieder vorſtelle, und dieſe Wiedervorſtellung zu beob - achten anfange, ſo nehme ich ſie in mir gewahr, das heißt, das Gefuͤhl aus der gegenwaͤrtigen Vorſtellung wird als ein Theil einer ganzen Empfindungsvorſtellung von meinem Jch gewahrgenommen. Jch ſetze ſie alſo in mich hin, wenn ich urtheile. Man kann ſo weit und ſo lebhaft in die Vorſtellungen aͤußerer Objekte hin - eingehen, wie Archimedes in ſeine Zirkel, daß das Ge - fuͤhl unſerer Selbſt unter dem Grad verdunkelt wird, der zum klaren Bewußtſeyn erfodert wird. Jn dieſer Hitze der Betrachtung vergeſſen wir es am meiſten, daß es unſere Vorſtellungen ſind, und nicht die Objekte, die uns beſchaͤftigen.

Die Eindruͤcke des Geſchmacks und des Geruchs ſetzen wir, jene in die Zunge, dieſe in die Naſe. Wir empfinden ſie in dem Organ. Warum? Die Empfin - dung des ganzen Organs iſt mit der Empfindung desI. Band. D dGeruchs418V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererGeruchs verbunden. Es entſtehen Bewegungen in dem Organ, deren Empfindung das Merkmal iſt, daß es dieß Organ ſey, welches veraͤndert wird. Jene Em - pfindung des Ganzen kann dunkel und matt ſeyn, aber doch nicht auf den Grad, daß nicht das Ganze mit eini - ger Klarheit unterſchieden wuͤrde. Jn dieſem Ganzen raget der Eindruck z. B. von der Nelke merklich hervor; aber doch nur als ein Theil einer ganzen Empfindung. Wenn ich die Nelke auf einer Stelle im Garten ſtehen ſehe, ſo iſt die ſinnliche Vorſtellung von dieſem Theil des Bodens auch dunkler, als die Empfindung von der Nel - ke; aber ſie iſt doch bis dahin klar, daß ich nicht allein die Nelke ſehe, ſondern ſie auch auf dem Fleck ſehe, wo ſie ſtehet.

Wir riechen in der Naſe und ſchmecken auf der Zunge. Dieſes Urtheil iſt unterſchieden von dem folgenden. Das Ding, was dieſen Geruch und dieſen Geſchmack hat, iſt außer uns. Das letztere Urtheil iſt eine Folgerung, die wir durch ein Raiſonnement gemacht haben. Es entſtand nemlich eine Veraͤnderung; welche ihre Urſache in dem Organ nicht hatte, noch ſonſten in uns ſelbſt, und ſie alſo in einem andern Dinge, das nicht wir ſelbſt, noch unſer Organ iſt, das iſt, in einem aͤußern Dinge haben mußte. Eine ſolche Folgerung mußte deſto leich - ter entſtehen, und deſto gewoͤhnlicher ſeyn, je leichter es uns ward, den vorhergehenden Zuſtand unſers Selbſt und des Organs zu uͤberſehen, und die Urſache der Ver - aͤnderung darinn zu vermiſſen. Dieß ſcheinet der Grund zu ſeyn, warum wir noch mehr den Geruch als den Ge - ſchmack den Objekten zuſchreiben. Haben nicht die Er - fahrungen oͤfterer noch es bey den Empfindungen der Zunge als bey denen durch die Naſe gelehret, daß die Urſache, warum der Eindruck ſo iſt, wie er iſt, zum Theil in der Beſchaffenheit des Organs ſeyn koͤnne? Ein ſolches Urtheil uͤber die aͤußere Urſache der Empfindungkann419Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. kann auch von einem Fall zu einem andern, mit dem es urſpruͤnglich nicht verbunden war, uͤbergetragen ſeyn. Es kann daſſelbige lebhafter ſeyn, als der Gedanke von der ſubjektiven Exiſtenz des empfundenen Eindrucks iſt, und kann dieſen letzten verdunkeln. Das Feuer iſt heiß, ſagen wir, und ſchreiben die Hitze dem Feuer zu; und zugleich iſt doch auch ein anderes Urtheil in uns, nem - lich das Feuer machet die Hitze in dem Finger. Wir ſetzen alſo die Hitze in unſern Koͤrper; aber jenes Urtheil iſt das lebhafteſte, und machet das letztere unmerkbar.

Wir hoͤren den Schall nicht in den Ohren, als nur wenn er ſo heftig iſt, daß uns die Ohren gellen, und wenn die ſtarken Toͤne der Muſik zu lebhaft auffallen. Jn den gewoͤhnlichen Empfindungen des Gehoͤrs fuͤhlen wir das Organ ſelbſt nicht mit; wenigſtens nicht klar genug, um dieſe Empfindung als eine eigene Empfin - dung gewahrzunehmen. Wir koͤnnen daher auch den Ton nicht in den Ohren fuͤhlen. Wo ſetzen wir dieſe Em - pfindung hin? Jn uns ſelbſt, wie Home bemerkt hat? Nicht ſogleich, nicht allemal, aber doch alsdenn, wenn wir eine Reflexion uͤber ſie machen; auch wenn die Empfindung eine Empfindniß wird, und uns beſchaͤfti - get. Jm Anfang wiſſen wir nicht, was wir aus einem Schall machen ſollen. Jn die Claſſe unſerer innern Selbſtgefuͤhle gehoͤret die Empfindung nicht. Da iſt ſie alſo nicht. Jn den Ohren iſt ſie auch nicht. Außer uns denn? Sie iſt etwas Abgeſondertes, aber ſie hat doch die Voͤlligkeit und Dauer nicht, um uns als ein fuͤr ſich beſtehendes Ding vorzukommen. Wir ſuchen daher ein Subjekt zu ihr, wohinein wir ſie ſetzen koͤnnen, und die Reflexion iſt alsdenn, wenn das toͤnende Jn - ſtrument zugleich mit den Fingern befuͤhlet, oder mit den Augen geſehen wird, nicht abgeneigt, den Schall als eine Beſchaffenheit in dem Jnſtrument ſich vorzuſtellen; und wuͤrde dieß gewoͤhnlich thun, wenn die EmpfindungD d 2des420V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſererdes Tons nur mit der uͤbrigen gleichzeitigen Empfin - dung des Jnſtruments genauer vereiniget waͤre. Weil dieß aber ſelten iſt, ſo finden wir kein naͤheres Subjekt fuͤr den Ton als unſer Jch, und ſetzen ihn alſo dahin, und dieß noch um deſto mehr, weil die Toͤne ſelten gleich - guͤltige Gefuͤhle ſind, und Gemuͤthsbewegungen veran - laſſen, die wir nothwendig zu unſerm Jch hinrechnen.

Den Geſichtsempfindungen von Farben und Figuren, ſchreiben wir faſt ohne Ausnahme eine Wirk - lichkeit außer uns zu. Warum ſetzen wir dieſe Ein - druͤcke nicht in die Augen, nicht auf die Netzhaut hin? Darum nicht, weil dieſe ſanften und zarten Eindruͤcke leicht durch die Organe durchgehen, ohne Erſchuͤtterun - gen hervorzubringen, wodurch die das Organ charakte - riſirende Gefuͤhle erreget wuͤrden. Zuweilen geſchicht doch das letztere. Wenn das ſchwache Auge von dem Licht bis zum Blendenden angegriffen wird, dann fuͤhlen wir, daß wir mit den Augen ſehen. Wenn ein Funke aus dem Auge ſpringet, das geſtoßen und erſchuͤttert wor - den iſt, ſo empfinden wir die Veraͤnderung auch wohl in dem Auge.

Jn den gewoͤhnlichen Faͤllen ſehen wir alſo die Sache niemals in dem Auge. Der Cheßeldeniſche Blinde ſetzte ſie dicht vor den Augen hin. Ohne Zweifel des - wegen, weil er es gewohnt war, die gefuͤhlten Gegen - ſtaͤnde dicht an das Organ hin zu ſetzen.

Warum wir aber denn die Geſichtsempfindungen nicht in uns ſelbſt, ſondern außer uns hinſetzen, davon iſt der Grund aus dem vorhergehenden leicht einzuſehen. Sie konnten nicht in uns geſetzet werden, weil ſie nicht in der Empfindung unſers Jchs begriffen waren. Auch ſind ſie nicht ſolche voruͤbergehende Eindruͤcke, wie die Toͤne, ſondern ganze Haufen vereinigter Empfindungen. Der Anblick von einem Baum, von ſeiner Figur, Farbe, Bewegung iſt eine ſolche Menge von Empfindungen,die421Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. die vereiniget ein vollſtaͤndiges Ding vorſtellen koͤnnen. Daher erſcheinet jedwede Geſichtsempfindung entweder ſelbſt als eine voͤllige Subſtanz, die außer uns und un - ſerm Koͤrper iſt, das heißt, die von beiden reell ver - ſchieden iſt; oder als eine Beſchaffenheit von einer ſol - chen.

Ob die Geſichtsempfindungen einer Sache allein genommen, eine ſolche Vorſtellung geben koͤnnen, als die iſt von einem wirklichen Objekt, und vollſtaͤndigen Dinge oder von einer Subſtanz, wie Hr. Home meinet, das ſcheinet an ſich nicht unmoͤglich zu ſeyn; aber es iſt auch gewiß, daß die unſrigen dieſe Beſchaffenheit den mit ihnen verbundenen Empfindungen des Gefuͤhls zum Theil zu verdanken haben. Die gleichzeitigen Empfin - dungen durch beide Sinne vereinigten ſich, und die Ein - druͤcke des Geſichts konnten, da ſie am klaͤrſten und leich - teſten zu reproduciren ſind, auch am bequemſten, als die hervorſtechende Merkmale des ganzen Jnbegriffs, das iſt, des ganzen Dinges gebrauchet werden, wie es wirklich geſchicht. Der Gedanke, daß die Geſichtsempfindun - gen weder zu unſerm Jch gehoͤren, noch zu unſerm Koͤr - per, konnte allein aus ihrer Vergleichung mit andern entſtehen; aber der Gedanke: ſie ſind vollſtaͤndige Dinge, in eben dem Sinn, wie unſer Jch ein Ding iſt. Dieſer Gedanke iſt wahrſcheinlich nur entſtanden, weil ſie die weſentlichen Merkmale von einer ganzen Vorſtel - lung ſind, die aus dem, was man ſahe und was man fuͤhlte, zuſammen beſtehet.

Endlich, denn ich eile zum Schluß, ſetzen wir die Eindruͤcke auf die Nerven, welche wir zum aͤußer - lichen koͤrperlichen Gefuͤhl hinrechnen, allemal in das Organ hin, ſobald die Bewegungen ſo heftig ſind, daß ſie das Organ lebhaft erſchuͤttern, hingegen außer uns, wenn wir nur ſanft beruͤhret werden, und die Empfin - dung deutlich iſt. Der Schmerz, der Kizel, Froſt undD d 3Hitze422V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſrerHitze ſind in dem Koͤrper; aber das Sanfte, die Glaͤtte, die Feſtigkeit, die Haͤrte, die Bewegung ſind Beſchaf - fenheiten aͤußerer Dinge, nach unſern ſinnlichen Ur - theilen.

An eine ſonſten auffallende Beobachtung will ich nur mit zwey Worten erinnern. Unſere Urtheile uͤber die ſubjektiviſche und objektiviſche Exiſtenz der Empfindun - gen, kleben dieſen ſo feſt an, daß ſi[e]auch in der Repro - duktion mit ihnen verbunden bleiben. Jm Traum ſtel - len wir uns die geſehenen Dinge, Figuren und Farben als aͤußere Gegenſtaͤnde vor, niemals als etwas in uns; und unſere Gemuͤthsbewegungen dagegen als etwas, das in uns iſt, niemals als aͤußere Objekte.

XII. Wie daraus der Unterſchied zwiſchen qualita - tibus primariis und ſecundariis zu begreif - fen ſey.

Die alten und auch einige von den neuern Philoſophen, haben viel auf den Unterſchied zwiſchen den ſo ge - nannten qualitatibus primariis et ſecundariis gebauet. Was wir ſchmecken, riechen, hoͤren, auch die Farben rechnen die mehreſten zu den qualitatibus ſecundariis. Dieſe Abtheilung iſt mit einer andern Abtheilung der Beſchaffenheiten, in Grundbeſchaffenheiten und in abgeleitete Beſchaffenheiten verwandt, aber doch nicht voͤllig dieſelbe.

Die Empfindungen und Empfindungsvorſtellungen haben ihren Grund in den reellen Beſchaffenheiten der Dinge, denen ſie entſprechen. Aber einigen von dieſen objektiviſchen Beſchaffenheiten ſollen unſern ſub - jektiviſchen Bildern von ihnen aͤhnlich ſeyn, wie verſchiedene Philoſophen ſich ausdruͤcken. Und dieß ſindquali -423Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. qualitates primariae. Bey andern Vorſtellungen ſoll eine ſolche Aehnlichkeit mit ihren Objekten nicht ſtatt ha - ben, und dann ſind dieſe objektiviſchen Beſchaffenheiten die ſo genannten qualitates ſecundariae.

Zu den qualitatibus primariis gehoͤret die Farbe, die Figur, die Ausdehnung, der Ort, die Bewegung, mit einem Wort, alle Vorſtellungen, die wir durch das Geſicht und Gefuͤhl erlangen, und die den Begrif vom Raum, von der Zeit, von der Bewegung zum Grunde haben. Bey dieſen Dingen und Beſchaffenheiten ſind, ſagt man, die Empfindungen oder die Eindruͤcke auf die Sinne, die wir von den Koͤrpern empfangen, ganz verſchieden von den Vorſtellungen der Sachen, welche aus den Empfindungen gemacht werden. Wir em - pfinden nichts als Licht und Farben durch die Augen; die Vorſtellungen aber von der Geſtalt und Bewegung, ſind Vorſtellungen, die, nach Reids Philoſophie, mit je - nen Eindruͤcken keine Aehnlichkeit haben; aber Vorſtel - lungen von dem Objektiviſchen in den Dingen ſind. Wir ſehen ſie immer an als Etwas außer uns, in den Ob - jekten ſelbſt. Dieſe Vorſtellungen ſollen auch nach des genannten Philoſophen Gedanken, aus den Empfin - dungen nicht entſpringen, ſondern unmittelbare Wirkun - gen des gemeinen Menſchenverſtandes als eines beſon - dern Vermoͤgens der menſchlichen Seele ſeyn.

Jch will hier nur mit wenig Worten meine Mei - nung daruͤber ſagen, davon die Gruͤnde in den vorher beygebrachten Betrachtungen offenbar ſind, ſo daß faſt nur mit andern Ausdruͤcken noch einmal erinnert werden darf, was ſchon geſagt iſt. Die Empfindungen der aͤußern Sinne von den qualitatibus primariis der Dinge ſind Eindruͤcke, eben ſo wie die uͤbrigen, nur mit dem Unterſchied, daß ſie, als Bilder betrachtet, deutlicher und auseinandergeſetzter ſind. Es iſt alſo mehr in ihnen zu unterſcheiden. Der Ton, der Geſchmack iſt eineD d 4einfache424V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerereinfache verwirrte Empfindung, wie vor den Augen ein verwirrter heller Flecken iſt. Aber die Geſichtseindruͤcke ſind deutlich, und geben viel zu unterſcheiden. Beide Arten von Empfindungen, ſo wohl von den ſecundariis qualitatibus, als von den primariis, ſind entſprechende Zeichen von ihren Gegenſtaͤnden und den Beſchaffenhei - ten, mit dem Unterſchied, daß jene nur allein Zeichen, die letztern aber bildliche Zeichen, und Vorſtellungen in einer engern Bedeutung ſind. Die Geſichtsempfindung von einem Punkt iſt, in ſo ferne ſie nichts deutliches ent - haͤlt, nicht mehr Vorſtellung von einem Punkt, als das Gefuͤhl von einer Nadelſpitze eine Vorſtellung von ihm iſt.

Die Vorſtellungen von den qualitatibus primariis ſind ſo, wie wir ſie in uns gewahrnehmen, Jdeen, das iſt, mit der Denkkraft bearbeitete Vorſtellungen; und das, was die Denkkraft hinzugeſetzt hat, dieſe Ver - haͤltniſſe und Beziehungen der Theile gegen einander, iſt das vornehmſte in ihnen, betraͤgt das meiſte, und ziehet unſere Aufmerkſamkeit mehr auf ſich, als das blos empfundene. Jn den undeutlichen Empfindungen ver - haͤlt ſich die Sache anders.

Aus der gegebenen Regel, nach der wir die Objekte der Vorſtellungen in uns, oder außer uns, in dieſes oder jenes Sinnglied, oder außer dem Koͤrper hinſetzen, wird man begreifen, warum die herrſchende Deutlichkeit in den Eindruͤcken des Geſichts und des Gefuͤhls, die nicht ſchmerzhaft oder kitzelnd ſind, mit unter die Urſa - chen gehoͤre, daß wir ihnen aͤußere Subjekte unterle - gen. Denn da ſie deutlicher und ſchwaͤcher ſind, als an - dere Empfindungsvorſtellungen, ſo reizen ſie auch mehr die Denkkraft zur Beſchauung, zum Vergleichen, zum Denken, als das Gefuͤhl, die Empfindſamkeit und die Triebe zum Empfinden und zum Handeln. Es ſinddas425Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. das Geſicht und das Gefuͤhl darum die Sinne des Ver - ſtandes, weil dieſer ſich natuͤrlicher weiſe mit ihren Ein - druͤcken am liebſten beſchaͤftiget, weil er hier am leichte - ſten wirken kann, und am meiſten Nahrung fuͤr ſich fin - det. Es fehlet ihnen alſo der Charakter ſolcher Modifi - kationen, die wir als ſubjektiviſch in uns exiſtirend an - ſehen. Wir unterſcheiden ſie demnach, und ſetzen ſie daher eben ſo nothwendig außer uns hin, als wir die uͤbrigen in uns ſelbſt oder in unſere Sinnglieder hin - bringen.

D d 5Sechster426VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied

Sechster Verſuch. Ueber den Unterſchied der ſinnlichen Kennt - niß und der vernuͤnftigen.

I. Von der ſinnlichen Kenntniß und den dabey wirk - ſamen Denkungsvermoͤgen.

  • 1) Unterſchied der ſinnlichen Erkenntniß und der vernuͤnftigen.
  • 2) Erſte Art der ſinnlichen Kenntniſſe. Reine Erfahrungen. Reine Empfindungsideen. Unmittelbare Empfindungsurtheile.
  • 3) Schwierigkeiten bey einigen unmittelbaren Empfindungsurtheilen, die man fuͤr mittel - bare anzuſehen pflegt. Sinnliche Urtheile uͤber die ſichtliche Groͤße der Objekte.
  • 4) Zwote Art der ſinnlichen Kenntniſſe.
  • 5) Naͤhere Betrachtung des ſinnlichen Urtheils. Entſtehungsart deſſelben.

1.

Alle vorhergehende Betrachtungen fuͤhren noch im - mer auf das naͤmliche Reſultat hin. Ein Weſen, das fuͤhlen, Vorſtellungen machen und Verhaͤltniſſe faſ - ſen oder gewahrnehmen kann, iſt aufgelegt zu alle dem, was eine Menſchenſeele verrichtet, wenn ſie ſich Kennt - niſſe verſchaffet. Alle Verſtandesthaͤtigkeiten beſtehen aus dieſen genannten Elementar-Aktionen. Dieß zu zeigen, war ein Theil meiner Abſicht in den beyden naͤchſtvorher -427der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. vorhergehenden Verſuchen. Nun iſt noch ein anderer zuruͤck, nemlich das Verhaͤltniß dieſer Grundthaͤtigkeiten und der Vermoͤgen, gegen einander, und ihrer Abhaͤn - gigkeit von einander aus Beobachtungen aufzuſuchen. Jch verlange hieruͤber kein anders Licht, als das, was die Erfahrung giebet: keine Hypotheſe, keine Spekula - tion aus Begriffen. Wenn aber jene Fackel verloͤſcht, was alsdenn zu thun ſey, muß man ſehen, wenn es da - hin kommt.

Jedwede Erkenntniß iſt als Erkenntniß ein Werk der Denkkraft. Aber wir haben ſinnliche Erkennt - niſſe, und wir haben vernuͤnftige. Das gemeine Ge - fuͤhl empfindet dieſen Unterſchied. Bey jener wirket die Denkkraft das wenigſte; bey dieſer das meiſte. Da ſind alſo zwey von einander abſtehende Seiten der Erkennt - nißkraft. Die Beziehungen dieſer beiden auf einander, und der Unterſchied in dem Verhaͤltniſſe, worinn jedes einfache Vermoͤgen das Seinige zu der ſinnlichen und zu der vernuͤnftigen Kenntniß beytraͤget, koͤnnen uns einen Schritt zu den Beziehungen dieſer Vermoͤgen ſelbſt naͤ - her bringen. Ueber beides iſt von den neuern Unterſu - chern, von Locke, Condillac, Bonnet, Hume und andern ſo vieles beobachtet und geſagt worden, und in der That noch mehr von Leibnitz und Wolf, daß ich die meiſten male nur auf dieſe verweiſen darf. Doch iſt auch etwas von ihnen zuruͤckgelaſſen, das nicht lauter Spreu iſt, wenn man es aufſammlet. Was insbeſon - dere die Natur unſerer vernuͤnftigen Einſicht, den Gang des Verſtandes in den Spekulationen und die Ein - richtung der allgemeinen Theorien betrift, ſo haben die genannten Auslaͤnder, auch Bacon nicht ausgenom - men, dieſe nur in der Ferne, und ziemlich dunkel geſe - hen. Man hat den Verſtand am oͤfterſten da beobach - tet, wo er Erfahrungen ſammlet, und aus Empfindun - gen ſich die erſten ſinnlichen Jdeen machet, wie in derNatur -428VI. Verſuch. Ueber den UnterſchiedNaturlehre und Seelenlehre; aber da, wo dieſelbige Denkkraft einen hoͤhern Flug in den allgemeinen Theori - en nimmt, und Wahrheiten zu Wiſſenſchaften zuſam - menkettet; auf dieſer Bahn, die in der Philoſophie ſo ſchluͤpfrig, als ſie feſt und eben in der Mathematik iſt, wie da ihr Gang und was die Richtſchnur ihres Verfah - rens ſey, das hat man nicht ſo ſcharf, ſo innig, ſo an - ſchauend nachgeſpuͤret. Und dieß iſt die Quelle ſo man - cher einſeitigen Urtheile. Ob die Denkkraft dann viel - leicht nicht mehr in einer ihr natuͤrlichen Beſchaͤftigung ſich befinde, wann ſie ſpekuliret? Ob die allgemeinen Abſtraktionen und deren Verbindung nicht etwan außer ihrer Atmoſphaͤre liegen? ob ſie hier in einer zu duͤnnen Luft, oder auch beſtaͤndig mit Nebel und Wolken umge - ben ſey, und jemals ſichere Kenntniſſe erhalten koͤnne? Dieß, meine ich, ſind keine Fragen mehr, und Dank ſey es den mathematiſchen Wiſſenfchaften, daß ſie es nicht mehr ſind. Auf eine allgemeine Grundwiſſen - ſchaft, die in der Philoſophie die Algeber ſeyn ſoll, will ich mich hier nicht berufen, weil von ihr noch die Frage iſt, was man an ihr hat? Hume hat ihr zum voraus ihr Urtheil geſprochen, und nach ſo maͤchtigen Verſuchen, welche die Metaphyſiker und unter dieſen Leibnitz und Wolf gemacht haben, ſie einzurichten, wuͤrde vielleicht die Mehrheit der neuern Philoſophen ſie aus der Liſte der moͤglichen Wiſſenſchaften ausgeſtrichen haben wollen. Aber die Geometrie, die Optik, die Aſtronomie, dieſe Werke des menſchlichen Geiſtes und unwiderlegliche Beweiſe ſeiner Groͤße, ſind doch reelle und feſtſtehende Kenntniſſe. Nach welchen Grundregeln bauet denn Menſchenvernunft dieſe ungeheuren Gebaͤude? Wo fin - det ſie dazu den feſten Boden, und wie kann ſie aus ih - ren einzelnen Empfindungen Allgemeine Grundideen und Principe ziehen, die als ein unerſchuͤtterliches Funda - ment ſo hohen Werken untergeleget werden. Hiebeymuß429der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. muß doch die Denkkraft ſich in ihrer groͤßten Energie beweiſen.

Jch wiederhole es; Jede Erkenntniß, als Erkennt - niß, iſt ein Werk der Denkkraft. Nicht das Gefuͤhl, nicht die vorſtellende Kraft kann unterſcheiden, ge - wahrnehmen und erkennen. Dieß thut die Denkkraft. Aber dadurch wird das Eigene der ſinnlichen und der Empfindungserkenntniſſe nicht aufgehoben. Wor - inn beſtehet dieſer Unterſchied?

2.

Bey den Erfahrungen, bey denen, die reine Erfah - rungen ſind, oder, wenn man das Wort, Erfahrung, wie es gemeiniglich geſchicht, nur fuͤr die Erkenntniß der Sachen gebrauchen will, die aus der Vergleichung der Beobachtungen mit dem Verſtande gezogen wird, und die uns die Sachen ſo vorhaͤlt, wie ſie ſind, nicht wie ſie in einzelnen Beobachtungen zu ſeyn ſcheinen, ſo ſage man lieber, bey den reinen Empfindungsurtheilen; bey dieſen wird die Aktion der Denkkraft, wenn ſie ur - theilet, durch nichts als durch die Empfindung oder, ei - gentlich, durch die Empfindungsvorſtellung beſtim - met, die in uns von den Objekten gegenwaͤrtig vorhan - den iſt. Die Denkkraft unterſcheidet, haͤlt Dinge fuͤr einerley, beziehet Eins aufs andere, je nachdem die Ein - druͤcke ſie leiten, die ſie von den Objekten aus der Em - pfindung her hat. Der Mond iſt ſo groß als die Son - ne. So urtheilet der Verſtand des Schaͤfers. Eben ſo ſiehet es der Aſtronom, das iſt, er urtheilet eben ſo, wenn ſeine Reflexion von dieſen Geſichtsbildern ſich zum Vergleichen und Urtheilen bringen laͤſſet, und nichts an - ders da iſt, wodurch die Denkthaͤtigkeit geleitet wird. Es iſt ein Naturgeſetz der Denkkraft, da wo ſie in ih - ren Vorſtellungen von zweyen Objekten das Kennzei - chen der Gleichheit findet; und das findet ſie in die -ſem430VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedſem Fall, wo die Lichtſtrahlen von den aͤußerſten Enden der Objekte unter gleichen Winkeln zuſammenlaufen; da muß ſie, wenn ſonſten nichts im Wege ſtehet, das Urtheil faͤllen: Ein Gegenſtand iſt ſo groß als der an - dere.

Die reinen Empfindungskenntniſſe ſind ein großer Schatz, aber auch ſeltener als es gemeiniglich ge - glaubet wird. Sie machen den[re]inen und feſten Stoff aller Kenntniſſe aus, die wir von wirklichen Dingen haben koͤnnen, und man kann nicht genug darauf drin - gen, daß ſie mit Sorgfalt geſammlet, und von allen andern, die es nicht ſind, und bey denen etwas fremdes den Empfindungsvorſtellungen eingemiſcht iſt, das die Denkkraft beſtimmet hat, ausgeſondert werden. Laß es ſeyn, daß ſie nur einſeitige, und oft falſche Kenntniſſe ſind, die wir nachher wegwerfen, wie das eben angefuͤhr - te ſinnliche Urtheil, daß der Mond der Sonne faſt gleich ſey, ſo muß man dieſe reinen Empfindungsurthei - le doch erſt kennen, ehe man ſie umaͤndert, und auch alsdenn hoͤren ſie noch nicht auf, brauchbar zu ſeyn.

Weder die Phantaſie, noch die Dichtkraft, ſoll hier etwas an den Vorſtellungen aͤndern, die von den em - pfundenen Gegenſtaͤnden gekommen ſind, wenn es reine Erfahrung bleiben ſoll. Sobald dergleichen geſchicht, ſo ſind es nicht mehr reine Empfindungskenntniſſe. Die Empfindung kann ſich ſelbſt aͤndern, und dann die Vor - ſtellung aus der Empfindung mit ihr. Das iſt ein an - ders. Jn ſolchen Faͤllen giebt es mehrere verſchiedene Empfindungen von einerley Sachen. Die Farbe er - ſcheint bey dem Kerzenlicht anders, als am Tage. Aber jedwede dieſer verſchiedenen Vorſtellungen iſt eine wahre Empfindungsvorſtellung, und die Jdee und das Urtheil, das dieſer allein nachgehet, iſt ein reines Empfindungs - urtheil. Hat die Phantaſie oder die Dichtkraft an dem Bilde Antheil, hat ſie etwas zugeſetzet oder abgelaſſen,ſo431der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. ſo haben wir zwar noch ein ſinnliches Urtheil, aber keine reine Beobachtung mehr.

Auch hoͤret der Gedanke auf, eine reine Beobach - tung zu ſeyn, ſobald ein vorgefaßtes Urtheil, das jetzo wieder erneuret wird, oder nur ein aus andern Empfin - dungen gezogenes Gemeinbild, das mit der gegenwaͤrti - gen aſſociiret wird, oder ein Raiſonnement, das man unvermerkt hinzuſetzet, die Denkkraft hindert, allein nach den Bildern der Empfindung ſich zu richten, und ſich von dieſen lenken zu laſſen. Das Urtheil in dem Kopf des Schaͤfers: der Mond iſt groͤßer als ein Stern, richtet ſich nach ſeinen Empfindungsvorſtellungen. Aber er folget dieſen doch nur unter der Bedingung, daß ſon - ſten nichts im Wege ſtehe. Die Verbindung, welche zwiſchen dem Urtheil, als den Verhaͤltnißgedanken, und zwiſchen den Beſchaffenheiten der Vorſtellungen, nach denen jenes ſich richtet, ſtatt findet, iſt nichts weniger als an ſich unaufloͤslich. Es ſind unzaͤhliche Faͤlle, wo die Beziehung in den Bildern die naͤmliche iſt, wie in dem angefuͤhrten Fall, und wo dennoch die Denkkraft, weil andere Beſtimmungsgruͤnde dazwiſchen treten, ei - nen andern Verhaͤltnißgedanken hervorbringet. Das Bild von einem Thurm, in der Ferne geſehen, iſt nicht groͤßer, als das Bild von einem Strohhalm in der Naͤ - he, und dennoch denket man nicht nur den Thurm viel groͤßer; ſondern was hier noch mehr iſt, man ſiehet ihn auch groͤßer.

3.

Das letztangefuͤhrte Beyſpiel, dem viele andere aͤhn - lich ſind, beſonders unter denen, die aus den Geſichts - eindruͤcken entſpringen, lehret uns nicht nur, wie außer - ordentlich ſchwer es zuweilen ſey, was wirklich in unſe - rer gegenwaͤrtigen Empfindung enthalten iſt, von dem auszufuͤhlen, was durch eine Jdeenverknuͤpfung hinzuge -ſetzet432VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedſetzet wird, ſondern fuͤhret auch noch auf eine beſondere Schwierigkeit, die Condillac*)Traité des ſenſations. ſchon bemerket hat, und auf welche in den neuern Erklaͤrungen von dem Ur - ſprung unſerer Geſichtsurtheile, nicht Ruͤckſicht genug genommen wird. Freylich ſind die reinen Empfin - dungsurtheile weit ſeltener, als man es gemeiniglich glaubet; aber man hat doch auch ihre Zahl zu ſehr ein - geſchraͤnket, und aus einer Jdeenaſſociation oder aus einem Raiſonnement manches hergeholet, was nach meiner Meinung zu den unmittelbaren Erfahrungen ge - hoͤret. Sollte nicht der Grundſatz, daß dasjenige, deſſen ich mir deutlich und ſtark in meinem gegenwaͤrti - gen Gefuͤhl bewußt bin, auch wirklich darinn enthalten iſt, ein feſtes Axiom ſeyn, welches keinen Ausnahmen unterworfen iſt? Wenn es nicht iſt, ſo koͤnnen wir wenigſtens bey ſolchen Arten von Beobachtungen, von ihrer Zuverlaͤſſigkeit nicht verſichert ſeyn, und nicht wiſ - ſen, ob das was wir gegenwaͤrtig zu empfinden glau - ben, nicht eine Phantaſie aus fremden Empfindungen her ſey?

Ein Menſch, der vier Fuß von mir abſtehet, und ſich nun noch einmal ſo weit entfernet, wird eben ſo groß ge - ſehen, als vorher; und der Mond ſcheinet am Horizont groͤßer als in der Hoͤhe**)Robert Smith hat in ſo weit (in ſeiner von dem Hr. Hofr. Kaͤſtner umgearbeiteten Optik. S. 57.) dieß Phaͤnomen erklaͤret, daß es nunmehr gewiß iſt, es habe dieſelbige Urſache, die dem Himmel das Anſehen eines laͤnglichen elliptiſchen Gewoͤlbes giebt, indem wir den Mond fuͤr ſo groß anſehen, als das Stuͤck die - ſes Gewoͤlbes, das von ihm bedecket wird. Aber man kann von neuen fragen, was denn von dieſer Geſtalt des Himmels der Grund ſey, und nach welchem Geſetz des Sehens dieß letztere Bild entſtehen muͤſſe? Dannmuß. Jn jenem Fall urtheilen wirnicht433der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. nicht nach der Groͤße des Bildes im Auge, und es iſt gut, daß wir es nicht thun, weil unſer Urtheil unrich - tig ſeyn wuͤrde, wenn wir es thaͤten. Jn dem letztern Fall weichen wir ebenfalls von dieſer Richtſchnur ab; aber hier waͤre es gut, wenn wir dabey blieben; alsdenn wuͤrde unſer Urtheil richtig ſeyn, wie es nun nicht iſt. Man ſagt mir, daß die Empfindung des Gegenſtan - des in der groͤßern Entfernung, die aus andern Empfindungen erlangte Jdee von ſeiner ſichtlichen Groͤ - ße mit ſich verbunden habe, und ſolche mir jetzt durch ei - ne Jdeenaſſociation vorhalte. Das waͤre recht gut, wenn ich eine ſolche Groͤße mir alsdenn nur einbildete, wenn ich ſie nicht wirklich in dem Gegenſtand ſaͤhe und em - pfaͤnde, oder doch feſt und ſicher zu ſehen und zu em - pfinden glaubte. Der Hang, was mit einer gegenwaͤr - tigen Jmpreſſion von einem Objekt zugleich in uns vor - handen iſt dieſen letztern zuzuſchreiben, iſt zwar gewoͤhn - lich und verurſachet die bekannten maͤchtigen Wirkungen der Jdeenaſſociation; aber es muß doch dem ſcharfſinni - gen Selbſtgefuͤhl moͤglich ſeyn, dieſe vergeſellſchafteten Einbildungen von dem, was wahrer gegenwaͤrtiger Ein - druck iſt, zu unterſcheiden. Den obgedachten Beyſpie -len**)muß man doch am Ende auf allgemeine Regeln kom - men, wornach die ſichtliche Groͤße empfunden wird. Dieſe ſichtliche Groͤße in der Empfindung aber haͤngt nicht allein von der Groͤße des optiſchen Winkels, oder von der Groͤße des Bildes auf der N tzhaut ab, ſon - dern auch von andern Zuͤgen in der ganzen Empfindung, von der Helligkeit und Dunkelheit, von der Entfernung. Auch die Groͤße des Bildes im Auge richtet ſich wohl nicht allein nach der Groͤße des Winkels, unter wel - chem die Strahlen von den aͤußerſten Punkten in dem Objekt am Auge zuſammen laufen. Nach welchen Ge - ſetzen wird alſo die ſcheinbare Geſtalt des Himmels ſo empfunden, wie wir ſie ſehen?I. Band. E e434VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedlen ſcheinet doch das Bewußtſeyn, daß ich fuͤhle und empfinde, zu ſtark und zu lebhaft zu ſeyn, als daß ich mir nur einbilden koͤnnte, zu empfinden. Dieſe Schwierigkeit verdienet eine naͤhere Betrachtung.

Das Empfindungsurtheil iſt ein reines Empfin - dungsurtheil, oder wuͤrde es doch ſeyn, wenn nichts mehr, als eine bloße Beziehung zweer oder mehrerer gegenwaͤrtigen gefuͤhlten Eindruͤcke, und deren Gewahr - nehmung, darinn enthalten iſt. Wenn ich nichts mehr denke, als daß der Eindruck von einem Baum von dem Eindruck der Huͤtte, bey dem er ſtehet, unterſchieden iſt, ſo iſt dieß ein ſolches einfaches Empfindungsurtheil, das keine anderweitige Vorſtellungen und keine Gemeinbil - der vorausſetzet, noch von Jdeenverknuͤpfung abhaͤngt. Solche einfache Urtheile ſind in uns; aber ehe ſie zu Stande kommen, haben ſie auch ſchon Gemeinbilder abgeſondert, die ſich mit der Beziehung und mit der Ge - wahrnehmung vereinigen. *)Sieh. Verſuch 4. VI. 5.

Jedwedes Empfindungsurtheil, worinn wir einer uns gegenwaͤrtigen Sache eine Beſchaffenheit zuſchreiben, die wir in dem ſinnlichen Eindruck von ihr gewahrneh - men, ich rede hier nur zunaͤchſt von den Empfindun - gen aͤußerer Gegenſtaͤnde, iſt, ſo wie es nun in uns iſt, ein zuſammengeſetzter Gedanke, der unter ſeine Jngredienzen allgemeine Vorſtellungen oder Gemein - bilder hat, die ſich mit der gegenwaͤrtigen Jmpreſſion verbinden. Die einfachſte Beobachtung das Feuer leuchtet, faßt folgende Stuͤcke in ſich:

Erſtlich einen gefuͤhlten Eindruck oder eine ſinn - liche Jmpreſſion von dem Feuer, und einen hervorſte - chenden Zug in ihr, der beſonders gefuͤhlet, von der ganzen Jmpreſſion unterſchieden, und auf das Ganze, wie eine Beſchaffenheit auf ihr Subjett, bezogen wird.

Dann435der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.

Dann ein Gemeinbild vom Leuchten, das aus andern vorhergegangenen Empfindungen abgeſondert iſt, und mit jenem ſich ausnehmenden Zuge in der ge - genwaͤrtigen Jmpreſſion zuſammenfaͤllt. Zuweilen wird jenes mit dieſem merklicher verglichen, uͤberhaupt aber wird es reproducirt und damit vereiniget.

Hiezu kommt der Gemeinbegrif von einem aͤußern Objekt, der ſich gleichfalls aſſociirt, und das, was ſonſten nur eine Beziehung der gegenwaͤrtigen Eindruͤcke ſeyn wuͤrde, zu einem Urtheil uͤber einen aͤußern Gegen - ſtand machet. *)Verſuch 4. VI. Verſuch 5. V.

Die Verbindung ſolcher Gemeinbilder mit den ge - genwaͤrtigen Eindruͤcken macht die puren Empfin - dungen erſt zu Erfahrungen und Beobachtun - gen, als Erkenntnißarten aͤußerer Objekte. Dadurch hoͤren die Beobachtungen noch nicht auf, reine Erfah - rungen, oder reine Empfindungsurtheile zu ſeyn; aber wie weit kann es mit jener Aſſociation gehen, wenn ſie es nicht mehr ſeyn ſollen?

Sind die gegenwaͤrtigen Gefuͤhle eben ſolche Jmpreſſionen, wie diejenigen, woraus der mit ihnen verbundene Gemeinbegrif abſtrahiret worden iſt, ſo muͤſ - ſen ſie auch nothwendig unter dieſem Bilde vorgeſtellet werden; ſo ſind ſie ſolche Dinge und ſolche Beſchaffen - heiten, und werden als ſolche empfunden, wirklich ge - fuͤhlet, wie ſie alsdenn erſcheinen, wenn die anders - woher genommene Abſtraktion mit dem gegenwaͤrtigen Eindruck zuſammenfaͤllt. Der Zug in dem Eindruck von dem Feuer, den ich das Leuchten nenne, iſt ſo ein Zug, wie er es in allen uͤbrigen Empfindungen geweſen iſt, aus denen ich das Leuchten kenne, und alſo empfin - de ich gegenwaͤrtig das Leuchten. Dieß iſt eine reine Erfahrung; denn es iſt daſſelbige in der gegenwaͤrtigenE e 2Empfin -436VI. Verſuch. Ueber den UnterſchiedEmpfindung wirklich enthalten und ſo enthalten, wie ichs mir vorſtelle, wenn ich es unter der Jdee vom Leuchten gedenke.

Ob die Empfindungsurtheile in dieſem Fall auch zu - gleich objektiviſch wahre Urtheile ſind, das heißt, ob die bey den Objekten empfundene Beſchaffenheit ih - nen wirklich zukommt, mit allen Folgen und Wir - kungen, die daraus fließen? Dieß iſt dann noch eine andere Frage, die urſpruͤnglich dieſen Sinn hat: ob ihre gegenwaͤrtig empfundene Beſchaffenheit eben dieſelbige iſt, die andern Gegenſtaͤnden zukommt, bey denen wir ſie als dieſelbige empfunden haben? Und dieſe Frage iſt alsdenn nur mit Zuverlaͤſſigkeit zu bejahen, wenn wir verſichert ſind, daß der gegenwaͤrtige Eindruck unter denſelbigen Umſtaͤnden von dem Objekt entſpringet, unter welchem er in den ſonſtigen Faͤllen entſtanden iſt, das heißt, wenn wir wiſſen, daß alle Erforderniſſe der Empfindung dieſelbigen ſind, wie ſonſten. Denn dieſe Gleichheit der uͤbrigen Umſtaͤnde, des Organs, der Lage der Sache gegen das Organ, und der uͤbrigen Mittel - urſachen ſetzen wir voraus, wo wir die Beziehungen und Verhaͤltniſſe der empfundenen Dinge nach den Be - ziehungen und Verhaͤltniſſen der von ihnen in uns ent - ſtandenen Jmpreſſionen, uns vorſtellen und beur - theilen.

Dieſe letztere Frage wollen wir hier bey Seite ſetzen. Sie gehoͤret zu dem Gebrauch unſerer Empfindungen, wenn aus ihnen uͤber die Gegenſtaͤnde geurtheilet wird. Hier ſoll nur auf die ſubjektiviſche Zuverlaͤſſigkeit der Empfindungen als Empfindungen geſehen werden; wo - bey alles darauf beruhet, daß es wirklich eine Empfin - dung ſey, was wir zu empfinden glauben, und keine Phantaſie, oder Vorſtellung aus einer abweſenden Em - pfindung.

Wenn437der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.

Wenn die gegenwaͤrtige Jmpreſſion, oder ein Zug in ihr, nicht zu der Klaſſe von Eindruͤcken gehoͤret, aus denen das Gemeinbild abſtrahiret iſt, ſondern das letz - tere durch eine Aſſociation anderer Eindruͤcke, woraus es her iſt, erwecket und mit dem gegenwaͤrtigen verei - niget iſt, ſo iſt die Empfindung der unter einem ſolchen Gemeinbilde vorgeſtellte Sache oder Beſchaf - fenheit, nicht mehr eine reine Empfindung; nicht mehr, was ſie in dem erſtern Fall war, man mag ſie nun einen Schlußgedanken, ein mittelbares Ur - theil, einen mittelbaren Schein, eine unaͤchte Em - pfindung wenn ſie ſo ſchwer von einer reinen Em - pfindung zu unterſcheiden iſt, oder anders nennen, wie man will.

Wenn alſo die Frage iſt, ob wir die reine Empfin - dungen von den mittelbaren Urtheilen aus Empfin - dungen unterſcheiden koͤnnen? ſo kommt es darauf an, ob wir die ehemaligen Empfindungen, aus denen die Abſtraktion von einem Praͤdikat der Sache genom - men iſt, kennen; ob wir ſolche, ſo weit jene Abſtraktion ſie nach ihrer Aehnlichkeit vorſtellet, mit der gegenwaͤrti - gen Jmpreſſion von der Sache, vergleichen, und es alsdenn wiſſen koͤnnen, in einem Fall, daß die vorigen Empfindungen von der jetzigen verſchieden ſind, und in einem andern, daß ſie einander aͤhnlich und dieſelbi - gen ſind? *)Verſuch 5. VIII. Wir haben das Gemeinbild vor uns, und durch dieſes ſehen wir die ehemaligen Empfindungen, und die gegenwaͤrtige mit. Laſſen ſich jene Empfindun - gen lebhafter reproduciren? laſſen ſich die gegenwaͤrti - gen Eindruͤcke ohne das Gemeinbild lebhafter fuͤhlen, ge - wahrnehmen, und dann, wo ſie von jenen verſchieden ſind, auch wirklich unterſcheiden? Das Gemeinbild iſt wie ein Glas, das uns vor Augen tritt. Die vergan - gene Empfindungen koͤnnen wir nur ſehen durch daſſelbe,E e 3wenig -438VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedwenigſtens ſo lange nur, bis wir die Reproduktion der einen oder der andern voͤlliger machen, bis dahin, daß ſie mehr als das allgemeine Aehnliche enthaͤlt. Aber die Hauptſache iſt, daß wir ſolches bey der gegenwaͤrti - gen Jmpreſſion weglegen, dieſe, ſo zu ſagen, mit bloßen Augen anſehen, und ſie alsdenn mit dem Schein durch das Glas vergleichen.

Um das Allgemeine auf einen beſondern Fall bey den Geſichtsempfindungen anzuwenden, ſo ſtehe ein Menſch vier Fuß von mir ab. Jch habe alsdenn einen ſinnlichen Eindruck von ihm, den ich fuͤhle, und dieſer giebt mir eine Jdee von ſeiner ſichtlichen Groͤße. Wenn nun dieſer Menſch noch einmal ſo weit von mir abgeht, ſo iſt meine Jmpreſſion veraͤndert: es iſt ein kleinerer Winkel am Auge, und ein kleineres Bild auf der Netzhaut. Kann ich dieſe Verſchiedenheit gewahr - nehmen? oder, wenn ich ſie nicht gewahrnehme, wenn der ſichtliche Schein der Groͤße noch unveraͤndert derſel - bige iſt, kann ich ſagen, ich fuͤhle, daß er noch derſel - bige ſey, und daß ich den Menſchen noch eben ſo groß empfinde als vorher? oder kann ich wohl mehr ſagen, als, ich fuͤhle keinen Unterſchied? Laß das Objekt noch weiter ſich entfernen, ſo wird doch endlich der Unterſchied in der Jmpreſſion ſo groß werden, daß wir ihn bey ei - ner genauern Beobachtung bemerken koͤnnen. Aber wir geben ſelten darauf acht, und wenn wirs auch thun, ſo meinen wir doch, daß wir jetzo noch ſehen, die Sache ſey eben ſo groß, oder doch beynahe, als vorher. Wir ſagen, wir empfinden noch dieſelbige ſichtliche Groͤße. Jſt dieß letztere eine wahre Empfindung oder eine Ein - bildung?

Gemeiniglich erklaͤrt man dieß ſo: Es giebt gewiſſe Arten, die Objekte in gewiſſen Lagen, in einer gewiſſen Naͤhe, und unter gewiſſen Umſtaͤnden durchs Auge zu empfinden. Aus dieſen Empfindungen nehmen wir dieJdeen439der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. Jdeen von ihren ſichtlichen Groͤßen, welche uns die ge - woͤhnlichſten ſind, oder bey denen wir doch am meiſten die Jmpreſſion bemerken. Und dieß ſind meiſtentheils ſolche Empfindungen, bey welchen der Abſtand des Ob - jekts von uns, und die ſonſtigen Umſtaͤnde dieſelbigen ſind, oder uns doch ſo vorkommen. Die ſo entſtehende Jmpreſſion iſt das Bild oder die Vorſtellung ihrer ſichtlichen Groͤße, die man die Groͤße nach dem Sehewinkel nennen kann. Bey einer groͤßern Ent - fernung und unter andern veraͤnderten Umſtaͤnden der Empfindung haben wir nun freylich eine ſolche Jmpreſ - ſion von der Sache nicht. Der Sehewinkel iſt kleiner, aber die Entfernung, auch ein gewiſſer Zug in der ge - genwaͤrtigen Jmpreſſion, wird zugleich mit empfunden. Dieſe Empfindung koͤnnte fuͤr ſich auch ein Bild oder eine Vorſtellung von der ſichtlichen Groͤße der Sache ge - ben, in der aber, wenn die Verſchiedenheit der Eindruͤ - cke in der Seele durch das ausged[ruc]kt wird, was in dem Auge ſtatt findet, das Bild von dem Objekt auf der Netzhaut kleiner, und das Bild von dem Abſtand deſ - ſelben groͤßer iſt.

Aber ſo weit wir es gelernet haben, bey dieſer Ver - ſchiedenheit der Jmpreſſionen unſern Sinn zu gebrau - chen, ſoll jenes erſtere Bild der ſichtlichen Groͤße aus dem groͤßern Sehewinkel durch die Jdeenaſſociation er - wecket, und mit der letztern Jmpreſſion bey dem groͤßern Abſtande vereiniget werden, und auf dieſe Art ein ande - rer Schein in uns entſtehen, als ſonſten in der letztern Empfindung entſtanden ſeyn wuͤrde. Jene Vereinigung aber ſoll ſo innig und unzertrennbar durch die Gewohn - heit gemacht worden ſeyn, daß auch derjenige, der es weis, daß ſein gegenwaͤrtiges Bild nicht aus der ge - genwaͤrtigen Jmpreſſion entſtehe, es dennoch davon nicht abſondern, und die Vorſtellung, die ſonſten aus ihr entſtehen wuͤrde, nicht erhalten kann. Der AſtronomE e 4weis440VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedweis es recht gut, daß der Mond am Horizont nicht nur nicht groͤßer iſt, als in der Hoͤhe, ſondern auch, daß das Bild im Auge von ihm nicht groͤßer ſey; ich ſetze dieß aus der obgedachten Erklaͤrung des Hrn. Smiths hier als richtig voraus, und halte es auch ſelbſt dafuͤr, und dennoch ſieht er ihn auf dieſelbige Art daſelbſt groͤßer, wie andere Menſchen.

Hierbey ſoll alſo eine ſchlußartige Verbindung der Jdeen in der Phantaſie zum Grunde liegen. Jndem die Seele einen geometriſchen Ueberſchlag machet, und ur - theilet, der kleinere Gegenſtand in der groͤßern Entfer - nung muͤſſe ſo groß ſeyn, als ein groͤßer ſcheinender in der Naͤhe, ſo nimmt man an, es werde das groͤßere Bild aus der Naͤhe erwecket, und mit dem gegenwaͤrti - gen Eindruck ſo vereiniget, daß wir dieß groͤßere Bild zu empfinden glauben.

Einige, denen dieſe Wirkung fuͤr die Aſſociation der Jdeen zu ſtark zu ſeyn ſchien, kamen auf die Muthmaſ - ſung, daß es vielleicht in dem Jnnern des Sinnglie - des zwiſchen ſolchen verſchiedenen Jnpreſſionen eine phy - ſiſche Verbindung gebe, wodurch entweder eine die an - dere, beſonders die weniger gewoͤhnliche die mehr ge - woͤhnliche, erwecken oder auch beyde, in Hinſicht ihrer Wirkungen auf das Gehirn und auf die Seele, einan - der aͤhnlich werden koͤnnten. *)Haller. Element. Phyſiolog. Tom. V. Libr. XVI. §. XXIX. Auf dieſe Art glaubten ſie die Wahrheit der Empfindung zu retten. Denn nun ſehe ich wirklich daſſelbige Objekt in der Weite von zehn Fuß eben ſo, wie in der Naͤhe von fuͤnf Fuß. Wenn gleich die Bilder auf der Netzhaut verſchieden ſind, ſo ſind doch die ſinnlichen Jmpreſſionen in dem Jnnern des Organs, und nach dieſen richten ſich die Empfindungen der Seele nur, in beyden Faͤllen dieſelbigen.

Daß441der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.

Daß hier die Jdeenaſſociation das bewirken ſoll - te, was man ihr zuſchreibet, hat in der That ſehr vieles gegen ſich, wodurch es unwahrſcheinlich wird. Wenn der Aſtronom gleich voͤllig uͤberzeugt iſt, daß die Sonne viele millionenmal groͤßer iſt, als der Mond, ſo iſt er doch bey der moͤglichſten Anſtrengung ſeiner Phantaſie unvermoͤgend, den ſichtlichen Schein umzuaͤndern, und dieß muͤßte in den angefuͤhrten Beyſpielen der gegebenen Erklaͤrung zu Folge, doch geſchehen. Der Schein aus der Empfindung ſoll durch eine reproducirte Einbildung umgeaͤndert, oder doch von ihr verdraͤnget werden. Die Phantaſie iſt allerdings ſehr maͤchtig, und giebt den Em - pfindungen Farben und Geſtalten, die ſie nicht haben. Dieß muß allerdings eingeraͤumet werden, aber wenn man genauer nachſieht, ſo bemerket man, daß ſie dieſe ihre Metamorphoſen mehr in der Wiedererinnerung der Empfindungen, als waͤhrend des Gefuͤhls ſelbſt zu Stande bringe. So lange wir empfinden, und auf das gegenwaͤrtige aufmerkſam ſind, laͤßt ſich der wahre Ein - druck noch nicht ſo ſchwer von der begleitenden Einbil - dung auskennen; nur wenn die gegenwaͤrtige Empfin - dung voruͤber iſt, und dann in eben der Geſtalt, wie ei - ne andere Einbildung wieder gegenwaͤrtig wird, ſo ver - liert ſich eines von ihren vorigen Merkmalen, und dann wird ſie nur zu leicht mit den Phantaſien, die ſie ehemals begleiteten, ſo vermiſcht, daß dieſe mit ihr als Eine ehe - malige Empfindung ſich darſtellen. So lange die Em - pfindung ſelbſt oder die Empfindungsvorſtellung noch fortdauert, hat ſie uͤber die zugleich gegenwaͤrtige ſchwaͤ - chere Einbildung einen groͤßern Vorzug, der von dem ſcharfen und ruhig und mit Sorgfalt beobachtenden Selbſtgefuͤhl gefaßt werden kann. Es geſchicht oft ge - nug, daß ſie dennoch mit der Empfindung verwechſelt wird; aber wo es gar nicht angeht, daß ſie unterſchie - den werden kann, da haben wir auch keine Sicherheit,E e 5daß442VI. Verſuch. Ueber den Unterſchieddaß wir das empfinden, was wir als gegenwaͤrtig mit klarem Bewußtſeyn in uns gewahrnehmen.

Dem Skeptiker brauchten wir darum noch die Zu - verlaͤſſigkeit der Empfindungen nicht aufzuopfern, wenn gleich eingeſtanden werden muͤßte, daß eine ſolche ſub - jektiviſche Gewißheit nicht bey allen einzelnen behauptet werden koͤnne. Es muß doch zugegeben werden, daß es in einigen Faͤllen ſo ſchwer ſey, die gegenwaͤrtige Em - pfindung von den begleitenden Vorſtellungen zu unter - ſcheiden, daß man ſolches faſt ſo gut als fuͤr unmoͤglich anſehen kann. Muͤßte man nun, in Hinſicht der Ge - ſichtsempfindungen von der ſichtlichen Groͤße der Koͤrper, zugeben, daß ſie uns uͤber die Beſchaffenheit der gegen - waͤrtigen Jmpreſſionen in Zweifel laſſen, ſo folget dar - aus noch keinesweges, daß wir nicht durch die Verglei - chung anderer gleichzeitiger Gefuͤhlsempfindungen uͤber die wahre Beſchaffenheit der Jmpreſſion zur Gewißheit kommen koͤnnten. Der Sinn des Geſichts iſt der mun - terſte und der am meiſten vorſpringet, aber freylich auch der voreiligſte, der uns ohne den berichtigenden Sinn des Gefuͤhls oft der Gefahr ausſetzet, etwas wie reine Empfindung anzunehmen, was es nicht iſt.

Aber es waͤre doch allerdings ſehr viel, wenn die Groͤße in einem Thurm, den ich in der Entfernung von einigen hundert Schritten als einen großen Gegenſtand von mir ſehe, nichts als ein Phantasma aus einer Em - pfindung, die ich in der Naͤhe von ihm gehabt habe, ſeyn ſollte. Jch ſehe ihn doch groͤßer. Und es iſt ge - wiß falſch, daß ein Bild von dem Thurm aus der Naͤ - he, an meiner gegenwaͤrtigen Jmpreſſion, die ich in der Ferne von ihm habe, aſſociiret ſeyn ſollte. Denn wenn ich lebhaft mich erinnere, oder es mir vorſtelle, wie ſo ein Thurm in der Naͤhe von etlichen Schritten wohl aus ſehen wuͤrde, ſo merke ich deutlich, daß dieſe Vorſtel - lung nicht diejenige iſt, die ich gegenwaͤrtig in meinerEmpfin -443der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. Empfindung habe. Dennoch ſehe ich den Thurm groͤ - ßer, als meinen Finger, mit dem ich ſonſten ihn leicht ganz vor meinen Augen bedecken kann.

Die gewoͤhnlichen Erklaͤrungen, die man von dieſen ſichtlichen Scheinarten giebet, nach welchen ſie Wirkun - gen einer ſchlußartigen Verknuͤpfung von Jdeen ſeyn ſollen, geſtehe ich, gefallen mir nicht. Die Jdeenaſſo - ciation iſt allerdings mit ein Spiel und hindert hier, wie bey andern Empfindungen bekannter Gegenſtaͤnde, nur zu oft die Aufmerkſamkeit, das, was wirklich eine Em - pfindung iſt, von dem, was wir hinzudenken, zu unter - ſcheiden. Aber das bey Seite geſetzet, was ſie unter beſondern Unſtaͤnden vermag, ſo deucht mich doch, man habe ihr in dem erwaͤhnten Faͤllen zu viel beygeleget. Unſer ſinnliches Urtheil darf hier nicht nothwendig auf - hoͤren, ein unmittelbares Urtheil und eine reine Beob - achtung zu ſeyn. Es iſt wirklich das letztere, wenn nur dasjenige, deſſen wir uns als gegenwaͤrtig in der Jm - preſſion von dem Objekte klar und deutlich bewußt ſind, mit der Sorgfalt bemerket wird, die ein ſcharfer Beob - achter in ſeiner Gewalt hat. Jch will meine Erklaͤrung daruͤber herſetzen. Da aber eine ſolche Deduktion, wor - inn alle Behauptungen durch die noͤthigen Beobachtun - gen beleget wuͤrden, hier viel zu weitlaͤuftig ſeyn wuͤrde, ſo begnuͤge ich mich, dieſe Gedanken nur wie eine Hypo - theſe anſehen zu laſſen.

Zuvoͤrderſt muß man wohl die Faͤlle unterſcheiden, wo wir mit Sorgfalt auf den ſinnlichen Eindruck acht haben, und die, wo dieß nicht geſchicht. Das letztere iſt das gewoͤhnlichſte. Bey unſern individuellen Em - pfindungen beachten wir ſelten das Beſondere und Eige - ne, wenn wir mit bekannten Objekten zu thun haben, die wir nur im Ganzen unterſcheiden und greifen wollen. Der ſichtliche Schein der Dinge, die um mich in mei - ner Stube ſind, aͤndert ſich ab, je nachdem das Licht ſieaͤndert,444VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedaͤndert, das auf ſie faͤllt. Jhre Farben erſcheinen an - ders ſchattirt bey dem hellen Mittagslicht als des Mor - gens und des Abends, wenn das Licht ſchwaͤcher iſt; aber wer achtet viel auf dieſen Unterſchied der Jmpreſſio - nen, wenn man ſich nicht mit Fleiß darauf leget, die Malerperſpektive zu ſtudieren? Es geht uns dabey wie bey dem geſchwinden Ueberleſen einer bekannten Schrift, in der wir manche Schreib - und Druckfehler uͤberſehen. Wir begnuͤgen uns nur ſo viel von den gegenwaͤrtigen Eindruͤcken aufs Auge zu bemerken, als erfodert wird, gewiſſe Jdeen zu erwecken; und dann vergleichen, uͤber - legen und urtheilen wir nach dieſen Jdeen ohne beſondere Ruͤckſicht auf die Jmpreſſionen.

So glauben wir, die Soliditaͤt in den Koͤrpern zu ſehen. Was wir hier ſehen, und wirklich empfinden, beſtehet in einer gewiſſen Lage des Lichts und der Schat - ten, und mit dieſer verbinden wir die Jdee von der Soliditaͤt, die aus dem Gefuͤhl her iſt. Aber wenn wir genau auf unſern Geſichtseindruck Acht geben, ſo nehmen wirs auch bald gewahr, daß es jene fremde Ge - fuͤhlsidee ſey, mit der wir uns am meiſten beſchaͤftigen, und daß wir in der That nichts mehr ſehen, als was auch wirklich in der gegenwaͤrtigen Jmpreſſion enthalten iſt, nemlich, ein Merkmal der Soliditaͤt, oder die ſicht - liche Soliditaͤt, mit der wir den allgemeinen Begrif von der Soliditaͤt verbunden haben. So bald man die - ſen letztern Begrif fuͤr ſich allein lebhaft zu machen ſucht, ihn entwickelt und Folgerungen daraus ziehet, ſo offen - baret es ſich ſogleich, daß es das nicht ſey, was wir wirklich durch die Augen empfinden.

Es iſt wohl moͤglich, daß die Jmpreſſion von einem Objekt unter einem groͤßern Sehewinkel in der Naͤhe, und die Jmpreſſion von eben derſelben unter einem klei - nern Winkel in einem groͤßern Abſtand, nicht unterſchie - den werde; oͤfters nicht aus Mangel der Aufmerkſam -keit,445der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. keit, zuweilen auch deßwegen nicht, weil der Unterſchied in den ohnedieß ſehr kleinen Bildern auf der Netzhaut zu geringe iſt, um gewahrgenommen werden zu koͤnnen; oder weil andere ſtaͤrkere Gefuͤhle ihn unterdruͤcken. Als - denn halten wir beyde Eindruͤcke fuͤr einerley, weil wir ſie nicht als unterſchiedene gewahrnehmen. Aber als - denn iſt auch das Urtheil; ich empfinde keinen Unter - ſchied, ein wahres Urtheil, und kann uns nur irre fuͤhren, wenn wir dieſe ſubjektiviſche Jdentitaͤt auf die Objekte außer uns uͤbertragen.

So iſt es dagegen in andern Faͤllen nicht. Es kann die Jmpreſſion von einem Gegenſtand aus einer groͤßern Entfernung unter einem kleinern Winkel, von der Jm - preſſion deſſelben unter einem groͤßern Winkel, und alſo auch die ſichtliche Groͤße aus der Entfernung, von der ſichtlichen Groͤße aus dem optiſchen Winkel recht gut unterſchieden werden. Dieß zeiget ſich, ſobald wir der Zeit, wenn die erſtere in uns gegenwaͤrtig iſt, uns an die andere lebhaft erinnern. Aber wir ſind ge - neigt, dieſe Verſchiedenheit in den Geſtalten der Groͤße, die aus der erwaͤhnten Verſchiedenheit der Jmpreſſionen entſpringet, zu uͤberſehen und zu vernachlaͤßigen.

Bey beyden Jmpreſſionen ſehen wir aber doch den Gegenſtand von einer Groͤße, und empfinden ſeine ſichtliche Groͤße. Nicht zwar in beiden diejenige, die aus dem groͤßern Sehewinkel und aus dem groͤßern Bil - de im Auge entſpringet. Nein, ſondern in beiden Jmpreſſionen iſt etwas, das wir als gegenwaͤrtig fuͤh - len, wovon die Jdee von der ſichtlichen Groͤße die Ab - ſtraktion iſt, die mit dem empfundenen Zuge in der Jmpreſſion zuſammenfaͤllt.

Das Gemeinbild von der ſichtlichen Groͤße eines Gegenſtandes mag anfangs nur ein Abſtraktum aus der Jmpreſſion von demſelben in der Naͤhe bey einem groͤſ - ſern Sehewinkel geweſen ſeyn. Dieſe Empfindung magurſpruͤng -446VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedurſpruͤnglich den Gemeinbegriff von der ſichtlichen Groͤße hergegeben haben.

Aber dabey iſt es nicht geblieben. Dieſer Begriff iſt nachher noch allgemeiner geworden, ſo daß er nun auch die Abſtraktion aus der zwoten Empfindung der Sache, unter einem kleinern Winkel in einer groͤßern Entfernung, unter ſich begreift. Da wo die Jmpreſſion von der Entfernung, zugleich mit der Jmpreſſion von dem Objekt ſelbſt, als ein Zug der ganzen Jmpreſſion ge - fuͤhlet und wahrgenommen wird, da iſt das Gefuͤhl die - ſer Jmpreſſion ein groͤßerer Aktus des Empfin - dens, der ſich mit dem Gegenſtand beſchaͤftiget. Dieſe Groͤße, Laͤnge und Breite des Gefuͤhls - oder des Empfindungsaktus iſt uͤberhaupt das Bild der ſicht - lichen Groͤße geworden. Auch anfangs, als noch der groͤßere optiſche Winkel, und die Groͤße des Bildes auf der Netzhaut, die Vorſtellung von der relativen ſichtli - chen Groͤße war, iſt es doch dieſelbige relative Groͤße des Empfindungsaktus geweſen, die der Zeit von der Groͤße des Bildes im Auge allein abhieng, welche eigent - lich und unmittelbar den Schein der ſichtlichen Groͤße, ausmachte.

Jch habe es ziemlich in meiner Gewalt, Objekte groͤßer und kleiner zu ſehen, je nachdem ich ſie als ent - ferntere oder naͤhere zu ſehen, mich bemuͤhe; und dieß iſt am leichteſten, wo es andere Gegenſtaͤnde giebt, bey de - nen ich ſie hinſetzen kann. Aber ich fuͤhle jedesmal et - was mehr, wenn ich dieſelbige Sache unter demſelbigen Sehewinkel, als weiter abſtehend ſehe. Der Aktus des Sehens erhaͤlt einen Zuſatz, deſſen ich mir voͤllig be - wußt bin, und der mit der Empfindung des Objekts verbunden wird, dieſer Zuſatz mag ſeinen Urſprung ha - ben, woher er wolle. Er iſt auch etwas in der Jm - preſſion ſelbſt.

Darum447der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.

Darum haben die folgenden beiden Saͤtze einerley Sinn, und ſind beide in demſelbigen Verſtande reine Erfahrungsſaͤtze. Jch ſehe den Thurm in der Weite von dreyhundert Fuß, viel groͤßer, als meinen Finger, mit dem ich ihn bedecken kann; und der andere Satz: ich ſehe dieſen Thurm in der Naͤhe groͤßer als meinen Finger, wo ich ihn durch dieſen, wenn letzterer in der - ſelbigen Entfernung von dem Auge gehalten wird, nicht bedecken kann. Jn beiden Faͤllen iſt die ganze Jmpreſ - ſion von dem Thurm durch die Augen ein groͤßerer ſinn - licher Eindruck, obgleich das Bild auf der Netzhaut, das ich nicht empfinde, und von dem ich aus der Em - pfindung allein nicht einmal weis, daß es da iſt, in der letztern groͤßer ſeyn mag. Jn beiden iſt alſo auch ein groͤßerer Aktus des Gefuͤhls von dem Thurm als von dem Finger, weil in dem einem Fall das Gefuͤhl der Entfernung hinzukommt; und alſo empfinde und ſehe ich in beiden Faͤllen den Thurm viel groͤßer als meinen Finger.

Wenn ich ſagte, ich haͤtte in der Ferne von dem Thurm ein groͤßeres Bild auf der Netzhaut, als von mei - nem Finger, der ihn decket, ſo waͤre dieß eine falſche Erfahrung; und wenn ich ſagte, ich haͤtte ſo ein Bild von ihm, als ich in der Naͤhe von etlichen Schritten von ihm haben wuͤrde, ſo iſt das auch falſch. Man erin - nere ſichs nur, wie ein ſolcher Thurm wohl in der Naͤhe ausſehen muͤßte, den man jetzo in der Ferne ſiehet, ſo lehret es die Vergleichung dieſer letztern Vorſtellung mit der gegenwaͤrtigen Jmpreſſion, daß dieſe ein ſolches Bild nicht in ſich enthalte. Dagegen wenn ich nur ſa - ge; ich ſehe den Thurm groͤßer; ich habe in mei - nem gegenwaͤrtigen Eindruck von ihm einen Zug oder eine Beſchaffenheit, die ich fuͤhle, welche das iſt, was in andern Faͤllen, die ſichtliche Groͤße heißet, ſo ſage ich eine reine Beobachtung aus.

Hier448VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied

Hier iſt alſo kein Raiſonnement, noch eine Jdeen - Aſſociation. Nur eine Abſtraktion von der ſichtlichen Groͤße iſt vorhanden, welche Vergleichungen erfodert haben mag, ehe ſie zu Stande gekommen iſt. Aber in der gegenwaͤrtigen Jmpreſſion iſt etwas, was mit die - ſem Gemeinbilde einerley iſt, und mit ihm, ohne daß eine Vergleichung angeſtellet oder raiſonniret wird, nach dem Geſetz der Aſſociation zuſammenfaͤllt, wie in jedwe - der andern Beobachtung, die man in Worten angiebet. Es iſt ein unmittelbares Empfindungsurtheil da.

Wenn die gegenwaͤrtige Jmpreſſion das Bild aus einer andern vorhergehenden erweckte, in der das Objekt unter einem groͤßern Winkel geſehen ward, und dann der Schein aus dieſer letztern, mit der Jmpreſſion unter dem kleinerm Winkel vereiniget wuͤrde, ſo waͤre es ein falſcher Ausſpruch, daß wir den Thurm ſo groß ſehen, und es waͤre nur ein mittelbares Urtheil, wenn wir uns ihn ſo groß vorſtellten, als wir wirklich thun. Man bildete ſich ihn wirklich nur ſo ein, obgleich dieſe Einbil - dung wohl eine richtige Vorſtellung ſeyn koͤnnte. Aber ſo iſt es nicht. Die Jdee von der ſichtlichen Groͤße aus einer vorhergegangenen Empfindung iſt jetzo gar nicht vorhanden, da man ſie nur lebhaft reproduciren darf, um es deutlich gewahr zu werden, daß ſie das nicht iſt, was die gegenwaͤrtige Jmpreſſion zu ſeyn ſcheinet. Die gegenwaͤrtige Jdee von der ſichtlichen Groͤße hat alſo ih - re naͤhern Beſtimmungen und Eigenheiten, auf die man aber ſelten Acht hat.

Will man ſagen, die Abſtraktion von der ſichtlichen Groͤße habe mit der Jmpreſſion bey einer groͤßern Ent - fernung und einem kleinern Winkel nicht aſſociiret wer - den koͤnnen, als nur vermittelſt gewiſſer anderer Mittel - ideen; aber ſie ſey unmittelbar aus der Jmpreſſion mit einem groͤßern Bilde auf der Netzhaut gezogen worden, ſo laͤßt ſich aus der Natur unſerer Gemeinbilder daraufleicht449der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. leicht antworten. Warum haͤtte die Abſtraktion von ei - nem groͤßern Aktus der Empfindung nicht auch anfangs und unmittelbar aus der zwoten Jmpreſſion des Objekts, in der groͤßern Weite und unter dem kleinen Winkel, ge - nommen werden koͤnnen, wenn der Gang der Denkkraft bey dem Gebrauch des Sinns darnach geleitet worden waͤre? Vielleicht iſt ſie ſo gar bey dem Kinde das ſei - ne Sinne alle hat, eben ſo geſchwinde aus der einen als aus der andern abgeſondert. Wir koͤnnen die Folge der ſich abſondernden Gemeinbegriffe in dem ſehenden Kinde doch nicht gerade zu nach derjenigen beurtheilen, in der ſie bey dem Blindgeweſenen entſtanden ſind. Auch bey dieſen haben ſich merkliche Verſchiedenheiten in ihrem Sehenlernen gezeiget. Aber wenn auch zugegeben wird, daß das Bild der ſichtlichen Groͤße zuerſt von der Jm - preſſion unter einem groͤßern Winkel in der Naͤhe, ab - ſtrahiret ſey, ſo iſt doch dazu, daß eben dieſes nachher mit der Jmpreſſion aus der Entfernung verbunden wor - den iſt, nichts mehr noͤthig geweſen, als daß die letztere Jmpreſſion mit der erſtern verglichen, und dadurch die Vorſtellung von der ſichtlichen Groͤße verallgemeinert wuͤrde. Dieß iſt aber keine Aſſociation der Vorſtellung mit einer Jmpreſſion vermittelſt der andern. Die No - tion von einem Dreyeck mag zuerſt aus den Vorſtellun - gen von geradelinigten Dreyecken abſtrahiret ſeyn; ſie ward nachher allgemeiner gemacht, als auch krummlinig - te Figuren von drey Seiten verglichen worden. Kann man dieſe Operation ſich ſo vorſtellen, als wenn die No - tion von einem Dreyeck der Vorſtellung von einem krummlinigten Dreyeck, nur mittelſt der Jdee von dem geradelinigten Dreyeck anklebe, und die allgemeine Notion von dem Triangel, bey der Erblickung eines krummlinigten Triangels, nur dadurch erwecket werde, weil die Jdee vom geradelinigten Triangel dazwiſchen tritt, und ſie erneuert? oder gar, daß dieſe letztere dieI. Band. F fallgemei -450VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedallgemeine Notion ſelbſt ausmache? Soll hier von ei - ner Jdeenaſſociation geredet werden, ſo iſt ſie doch gewiß von einer ganz andern Art, als die gewoͤhnliche, die von der bloßen Koexiſtenz in der Empfindung abhaͤngt.

Dieſe beſondern Beyſpiele von ſinnlichen Urtheilen machen das Verfahren der Vorſtellungskraft in andern begreiflich. Hier habe ich mich auf ſie eingelaſſen, um das Allgemeine, was in unſern Empfindungsurtheilen vorgehet, deſto deutlicher vorzuzeigen, und gehe nun zu der allgemeinen Betrachtung wieder zuruͤck.

4.

Von der zwoten Klaſſe der ſinnlichen Kenntniſſe, die von den reinen Erfahrungen nur darinn abweichet, daß außer den Empfindungsvorſtellungen von gegenwaͤr - tigen Objekten, auch Phantasmata oder Dichtungen, mit ihnen vermiſchet ſind, oder daß auch wohl dieſe letz - tern allein, die Aeußerungen der Denkkraft beſtimmen, halte ichs fuͤr uͤberfluͤßig, hier mehr hinzu zu ſetzen.

5.

Aber nun zu dem Gang unſerer Denkkraft in den allgemeinen Theorien, und bey der Bewendung dieſer letztern, auf die Vorſtellungen von wirklichen Objekten, wodurch das, was wir die vernuͤnftige Einſicht oder Wiſſenſchaft nennen, erlanget wird. Dieſe Sache verdienet unſre ganze Aufmerkſamkeit, wenn wir wiſſen wollen, was und wie viel wir an jenen Kenntniſſen ha - ben. Die Sonne iſt dennoch viele millionenmal groͤßer, als der Mond, wenn ſchon beide als gleich groß aus - ſehen. Da iſt ein Ausſpruch der Vernunft. Durch welchen Weg kommt ſie zu dieſem Gedanken? Wie faͤngt ſie an, mit den Jdeen von dem Himmel, derglei - chen Virgils Schaͤfer hatte, und hoͤret auf mit den Jdeen eines Newtons? Und woher die Macht, womiteine451der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. eine vernuͤnftige Einſicht uns uͤberzeuget, ohnerachtet ihr Ausſpruch dem Ausſpruch der Sinne ſo ſehr entge - gen iſt?

Die Antwort auf dieſe Fragen kann kurz gegeben werden. Die Vernunft machet ſich allgemeine Vor - ſtellungen und Begriffe, ſuchet die in dieſen liegende Verhaͤltniſſe und Beziehungen der Dinge auf, und er - haͤlt allgemeine Grundſaͤtze. Dieſe Saͤtze ſind noch - wendige Wahrheiten, das heißt, das Urtheil muß bey jenen allgemeinen Vorſtellungen nothwendig ſo aus - fallen, wie es iſt, vermoͤge der natuͤrlichen Wir - kungsgeſetze der Denkkraft. Da iſt eine ſubjektivi - ſche Nothwendigkeit in dem Urtheil, welche wir auf die Objekte außer uns uͤbertragen, und darum ihren ob - jektiviſchen Verhaͤltniſſen eine objektiviſche Noth - wendigkeit zuſchreiben. Die nothwendigen Wahrhei - ten erzwingen den Beyfall; und ziehen ihn auf ſich hin, ſtaͤrker, als die ſinnlichen Vorſtellungen andere entgegen - ſtehende Gedanken zu erregen ſuchen. Beides, die ver - nuͤnftigen Urtheile ſowohl als die ſinnlichen ſind Wir - kungen der Vorſtellungskraft und der Denkkraft. Der Unterſchied zwiſchen ihnen haͤnget zunaͤchſt von dem Un - terſchied zwiſchen allgemeinen und ſinnlichen Vor - ſtellungen ab. Aber dazu kommt noch eine andere Ver - ſchiedenheit, die darinn ihren Grund hat, weil bey jenen die Denkkraft nach ſolchen Geſetzen wirket, die nothwen - dig ſind; bey dieſen hingegen nur ſolche Regeln befolget, an die ſie nicht ſo nothwendig gebunden iſt.

Dieß wuͤrde die Antwort ſeyn, die man nach den Jdeen verſchiedener unſerer vorzuͤglichſten Philoſophen zu geben haͤtte. Andere wuͤrden, nach den Gruͤnden zu urtheilen, die ſie fuͤr die Zuverlaͤßigkeit der menſchlichen Erkenntniß anzufuͤhren pflegen, nicht ſo viel behaupten koͤnnen. Aber ſollte nicht, ich will nicht ſagen, der ſcharfſinnige Steptiker, ſondern auch der bedachtſameF f 2Forſcher452VI. Verſuch. Ueber den UnterſchiedForſcher nach Gewißheit, hiebey und insbeſondere bey dem Vorzug an Zuverlaͤßigkeit, den man der vernuͤnfti - gen Einſicht aus allgemeinen Begriffen vor der ſinnlichen Erkenntniß einraͤumet, noch manche Dunkelheit antref - fen? zumal wenn er die Gruͤnde pruͤfet, die dieſen Un - terſchied evident machen ſollen. Jch habe zu meiner eigenen Ueberzeugung den Weg genommen, auf dem ich dieſe Betrachtung fortſetzen will.

Doch muß ich zu dieſer Abſicht vorher noch einmal zu dem ſinnlichen Urtheil zuruͤck gehen. Ein Bey - ſpiel ſey das Muſter der uͤbrigen. Dieß ſinnliche Ur - theil nemlich: Die Sonne und der Mond ſind faſt von gleicher Groͤße. Was hat es mit dieſem Urtheil fuͤr eine Beſchaffenheit? Wie iſt es entſtanden? in der Geſtalt, wie es in dem Kopf des Schaͤfers vorhanden, und ein ſinnliches Urtheil iſt? Nicht ſo, wie derſelbige Gedanke bey dem philoſophiſchen Dichter, eine Wirkung eines vernuͤnftigen, obgleich falſchen Raiſonnements war:

Nec nimio ſolis major rota, nec minor ardor Eſſe poteſt, noſtris quam ſenſibus eſſe videtur. Lucret. ()

Man wird bey dieſem wie bey allen ihm aͤhnlichen ſinnlichen Urtheilen, folgende Bemerkungen machen koͤnnen.

Wenn das Urtheil: die Sonne und der Mond ſind einander an Groͤße gleich, nicht mehr ſagen woll - te, als ſie ſind es dem Anſehen, den Augen nach, und werden es allemal ſeyn, wenn wir dieſe Koͤrper von der Erde aus ſehen, ſo wuͤrde dieſes Urtheil ein wahres und ein nothwendig wahres Urtheil ſeyn. Es hieße alsdenn nichts mehr, als ſo viel: Zwey Koͤr - per, die gleich groß durch das Geſicht erſcheinen, werden gleich groß geſehen, und haben eine gleiche ſicht - liche Groͤße.

Wenn453der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.

Wenn es dabey bleibet, ſo iſt ein ſolches Urtheil ein natuͤrlicher und nothwendiger Ausbruch der Ur - theilskraft. Warum wir bey einer ſolchen Beſchaffen - heit der Vorſtellungen ein ſolches Verhaͤltniß denken, davon laͤßt ſich kein weiterer Grund angeben, als daß die Natur einer Denkkraft es ſo mit ſich bringe. Jch wuͤrde alſo ohne Bedenken mit Reid ſagen, es ſey eine Wirkung eines Jnſtinkts. Ohne Abaͤnderung in dem ganzen vollen Schein, oder wenigſtens ohne eine meh - rere oder mindere objektiviſche Klarheit in den einzelnen Theilen deſſelben iſt auch ein ſolches ſinnliches Urtheil unveraͤnderlich.

Aber dieß iſt nicht der ganze Jnhalt des ſinnlichen Gedankens. Wir praͤdiciren von beiden eine gleiche Groͤße, nicht blos in Hinſicht des Geſichts, das die Objekte in der Ferne anſchauet, ſondern auch in Hin - ſicht unſerer uͤbrigen Empfindungen, auch in andern Stellungen gegen dieſe Objekte. Sie ſind gleich groß, heißet ſo viel: Wenn wir ſie auch in der Naͤhe ſehen, und ſie befuͤhlen wuͤrden, ſo wuͤrden die Geſichts - und Gefuͤhlsempfindungen von ihnen, in demjenigen Ver - haͤltniſſe gegen einander ſtehen, welche wir Gegenſtaͤnden beylegen, denen wir eine gleiche Groͤße im Umfang zuſchreiben. Es iſt eine Aſſociation der Gleichheit nach dem Geſicht und der Gleichheit nach dem Gefuͤhl vorhanden. Jene iſt urſpruͤnglich verbunden mit den Empfindungen des Geſichts. Die letztere kommt hinzu. Daraus entſpringet in dem gegenwaͤrtigen Fall der Jrrthum.

Zweytens. Dieß ſinnliche Urtheil iſt eine Wirkung der Denkkraft, welche das Verhaͤltniß der Gleichheit mit den Empfindungsvorſtellungen, die ſie vor ſich hat, verbindet, und dabey ihrer Natur und ihrem natuͤrlichen Denkungsgeſetze dergeſtalt gemaͤß wirket, daß ſie unter den Umſtaͤnden, unter denen ſie hier urtheilet, nichtF f 3anders454VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedanders urtheilen kann, woferne der Aſſociation der Ge - fuͤhlsgleichheit mit der Geſichtsgleichheit nichts im Wege iſt. Der Schaͤfer muß ſo denken: die Sonne ſey mit dem Monde faſt von gleicher Groͤße. Denn ſo iſt der Schein des Geſichts, und es ſind keine andere Vorſtellungen vorhanden, die ſeine Denkkraft in eine andere Richtung bringen koͤnnen. Er muß alſo entwe - der gar nicht urtheilen, oder ſo urtheilen, wie er es wirk - lich thut. Laſſet uns die Probe mit uns ſelbſt machen, und die Gegenſtaͤnde ſtark und lebhaft anſchauen, und denn alles Raiſonnement aus Grundſaͤtzen zu unterdruͤ - cken ſuchen, ſo werden wir bemerken, daß in uns daſſel - bige ſinnliche Urtheil hervorkomme. Jn ſo manchen Faͤllen wird uns ein Verſuch dieſer Art nur gar zu leicht; und das iſt Eine von den Urſachen welche die ſinnliche Kenntniß gegen das beſſere Wiſſen der Vernunft ſo ſtark machet.

Drittens. Der Verhaͤltnißgedanke, der hier ent - ſtehet, kann dennoch von den dermaligen ſinnlichen Vorſtellungen der Gegenſtaͤnde getrennet werden, und er wird wirklich davon getrennet. Wie nothwendig alſo auch die Verbindung zwiſchen den Vorſtellungen und der Reflexion geweſen ſeyn mag, ſo iſt ſie doch in ſo weit zufaͤllig geweſen, daß die Denkthaͤtigkeit oder der Aktus des Urtheils, als eine Wirkung, die in den ſinn - lichen Vorſtellungen ihren beſtimmenden Grund hatte, durch die Dazwiſchenkunft anderer Vorſtellungen von jenen getrennet werden konnte. Die ſinnlichen Vorſtel - lungen bleiben bey einer beſſern Erkenntniß dieſelbigen, wie ſie vorher waren; aber es ſind Raiſonnements in dem Kopf des Verſtaͤndigen, welche ſeine Denkkraft verhindern, die Objekte fuͤr das zu halten, was ſie zu ſeyn ſcheinen. Jene Nothwendigkeit in der Wirkung der Denkkraft war alſo bedingt, und ſetzte voraus, daßnichts455der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. nichts dazwiſchen treten, und die Reflexion entweder zu - ruͤckhalten, oder ſie anders wohin lenken ſollte.

Viertens. Da, wo das ſinnliche Urtheil durch das vernuͤnftige aufgehoben wird, findet ſich, daß die Unrichtigkeit von jenem daher entſtanden ſey, weil man ein gewiſſes ſubjektiviſches Verhaͤltniß der Vor - ſtellungen als ein zuverlaͤßiges Merkmal von dem Verhaͤltniß der Objekte gebrauchet hatte, das doch nicht zuverlaͤßig und hinreichend war. Die gleiche Groͤße der Bilder im Auge, leitet in unſerm Beyſpiel das ſinnliche Urtheil, aber ſie iſt allein genommen, kein zuverlaͤßiges Zeichen der objektiviſchen Gleichheit, die wir in dem Urtheil denken. Dieſe Unzuverlaͤßigkeit kann uns aus Empfindungen bekannt ſeyn, oder aus Betrach - tungen allgemeiner Begriffe, die aber alsdenn gemeinig - lich ſchon in uns durch einzelne Erfahrungen erlaͤutert und beſtaͤtiget worden ſind. Wir haben es aus Erfah - rungen erlernet, daß zwey Dinge in der Ferne gleich groß geſehen werden koͤnnen, ohne es doch zu ſeyn. Wir koͤnnten es ohne Erfahrung durch Raiſonnement erkannt haben. Jndeſſen wo unſere vernuͤnftige Einſicht mit einer groͤßern Staͤrke uͤber unſern Beyfall wirken ſoll, da iſt es faſt allemal nothwendig, daß die Unzuverlaͤßig - keit von jener, auch in unſern Empfindungen gewahr - genommen werde. Selten hat unſere Ueberzeugung ohne dieſen Umſtand die noͤthige Feſtigkeit.

Noch fuͤnftens kommt uns hiebey dieſe Frage ent - gegen: iſt das ſinnliche Urtheil durch Uebung er - lernet? und wie weit und auf welche Art iſt es ſolches? Der Gedanke naͤmlich von dem Verhaͤltniß der Objekte, wovon man Vorſtellungen in ſich hat?

Der Cheßeldeniſche Blinde urtheilte nicht ſo gleich im Anfang uͤber die Groͤßen und Entfernungen der Sachen, die ihm vor Augen kamen. Er erlernete das Sehen erſt nach und nach, er lernete ſinnlich nach Geſichtsbil -F f 4dern456VI. Verſuch. Ueber den Unterſchieddern urtheilen. Alſo muß die Fertigkeit im Sehen, we - nigſtens in einer gewiſſen Hinſicht, einige Uebung er - fordern.

Das Urtheilen iſt eine Wirkung, die eine Thaͤ - tigkeit der Denkkraft vorausſetzet, und dieſe Thaͤtigkeit erfodert, daß Vorſtellungen vorhanden ſind. Es kann dieſe Thaͤtigkeit zuruͤck bleiben. Wie viele Jdeen gehen nicht durch unſern Kopf, ohne daß wir uͤber die Bezie - hungen in ihnen, die ſich uns darſtellen wuͤrden, ſo bald wir den Blick dahin richteten, reflektiren? Es gehoͤ - ret Uebung dazu, ehe wir es erlernen, auf gewiſſe neue Gattungen von Vorſtellungen unſre Urtheilskraft anzu - wenden.

Ferner kann das Urtheil aus einem andern Grunde als durch Uebung erlernet angeſehen werden. Es kann ſeyn, und es iſt wahrſcheinlich, daß es ſo ſey, daß die urtheilende Thaͤtigkeiten im Anfang nur als ſchwache Beſtrebungen in der Seele ſind, die, wie andere, vorher mehrmalen wiederholet werden muͤſſen, ehe ſie ſo volle Wirkungen werden, wie ſie es alsdenn ſchon ſind, wenn wir ſie in uns gewahrnehmen. Es iſt natuͤrlich, zu glauben, daß jede Art von Seelenthaͤtigkeiten in ih - ren erſten Anfaͤngen in ſchwachen Verſuchen auf eine ſol - che Art zu wirken, beſtanden haben, die nur durch die Wiederholung endlich zu vollen wirkenden Handlungen gewachſen ſind. Allein hievon iſt nicht die Rede, wenn ins beſonders auf die Entſtehungsart der ſinnlichen Urtheile geſehen wird, und nicht uͤberhaupt auf den Ak - tus des Urtheilens, und deſſen allmaͤhligen Verſtaͤrkung bis zu einer Fertigkeit. Ein Feuer hat aus einem Fun - ken vorher muͤſſen angefacht werden, ehe ſeine Flamme maͤchtig genug ward, um einen Klotz zu verbrennen, aber wenn es nun ſo weit iſt, ſo brennet und zuͤndet es ſeiner Natur nach, ohne ſolches erſt aus Uebung zu er -lernen.457der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. lernen. So verhaͤlt es ſich mit den erſten urſpruͤngli - chen Verhaͤltnißgedanken.

Eine Fertigkeit, Verhaͤltniſſe zu denken, alſo vor - ausgeſetzt, wie iſt das ſinnliche Urtheil entſtanden? Jſt es ein unmittelbarer Ausbruch der Denkkraft, wenn ein Menſch, der das erſtemal die Sonne und den Mond ver - gleichet, ſie fuͤr gleich groß haͤlt? oder ſetzet dieſes Ur - theil ſchon andere vorhergegangne voraus, und welche?

Das gedachte ſinnliche Urtheil kann zuerſt als ein einfaches Urtheil angeſehen werden, wie ich oben erin - nert habe. Die den Objekten zugeſchriebene Gleichheit kann blos die ſichtliche Gleichheit oder Einerleyheit, unter den Umſtaͤnden ſeyn, unter denen die Objekte ge - ſehen werden. Alsdenn iſt nicht mehr zu unterſuchen, wie der Verhaͤltnißgedanke entſtehet? Er iſt ein in - ſtinktartiger Ausbruch der Jdentitaͤt denkenden Seelen - kraft. Jn den Empfindungen zweyer Dinge iſt nichts zu unterſcheiden. Das iſt genug; alsdenn muͤſſen ſie als einerley gedacht werden.

Es kann aber die Jdee, die wir mit dem Praͤdikat verbinden, ſchon mehr zuſammengeſetzt ſeyn, und ſie iſt es auch in dem Sinn, in welchem es der Schaͤfer nimmt, wenn er Sonne und Mond fuͤr gleich groß er - kennet. Ein Ding iſt dem andern gleich, heißt ſo viel als: es iſt ihm nicht nur hier und unter dieſen Umſtaͤnden, unter denen wir beide ſehen, ſondern auch dann gleich, wenn wir beide fuͤhlen, das heißt, es iſt auch ei - ne fuͤhlbare Gleichheit da; und die Jdentitaͤt der Ge - fuͤhlsempfindungen macht eigentlich die Gleichheit aus, oder iſt es vielmehr, aus der wir die Abſtraktion von der Gleichheit, die dem Monde in Beziehung auf die Son - ne in unſerm ſinnlichen Urtheil zugeſchrieben wird, gezo - gen haben.

Wird das ſinnliche Urtheil in dieſer letzten Geſtalt betrachtet, ſo muß die Abſtraktion von der fuͤhlbarenF f 5Gleich -458VI. Verſuch. Ueber den UnterſchiedGleichheit ſchon in Verbindung mit der ſichtlichen Gleichheit vorhanden ſeyn, ehe das Praͤdikat, welches beide in ſich faßt, mit Vorſtellungen verbunden wird, die nicht aus dem Gefuͤhl, ſondern aus dem Sinn des Ge - ſichts allein entſtehen, und es iſt eine ſchlußartige Ver - bindung der Vorſtellungen mittelſt einer Vergleichung der gegenwaͤrtigen und der vergangenen Empfindungen, wenn der Begrif von der voͤlligen Gleichheit ſolchen Din - gen beygeleget wird, deren ſichtliche Gleichheit nur em - pfunden wird. Der Cheßeldeniſche Blinde konnte alſo aus einer zwiefachen Urſache im Anfang nach ſeinen Ge - ſichtsbildern nicht urtheilen. Theils fehlte bey ihm die Verbindung der ſichtlichen Gleichheit, mit der Gleich - heit die aus Gefuͤhlsvorſtellungen abſtrahiret wird; und dieß war der vornehmſte Mangel, theils aber fehlte es an einer Fertigkeit, auf die Kennzeichen der Verhaͤltniſ - ſe in den Geſichtsempfindungen, das iſt, auf die ſicht - lichen Verhaͤltniſſe acht zu haben, und ſie geſchwinde genug gewahrzunehmen.

Endlich iſt noch zu bemerken. Wenn dem gedach - ten Blinden zwey ſichtlich gleiche Objekte vorgeleget worden waͤren, ſo wuͤrde in dieſen beiden Geſichtsem - pfindungen alles vorhanden geweſen ſeyn, was ſeine Denkkraft, ſobald jene Vorſtellungen gegen einander ge - halten wurden, zu einem aͤhnlichen urtheilenden Aktus, und alſo zur Hervorbringung des aͤhnlichen Verhaͤltnißgedan - kens, nemlich der Gleichheit, reizen konnte, dergleichen ſonſten bey zwey gleichen Gefuͤhlen bey ihm entſtanden war. Dieſe Wirkung wuͤrde nothwendig, wenigſtens natuͤrlich, und alsdenn ein unmittelbares Urtheil gewe - ſen ſeyn. Aber wuͤrde er das Verhaͤltniß, was er auf dieſe Art in geſehenen Dingen bemerket, wohl eine Gleichheit genannt haben? Jch antworte, ja, aber nicht ehe, als bis er bemerket, daß es derſelbige Aktus und derſelbige Gedanke ſey, der ſchon bey gleichen Ge -fuͤhlen459der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. fuͤhlen entſtanden, und eine Gewahrnehmung, daß die Objekte gleich ſind, genannt worden war. Denn es war der Aktus der Reflexion bey dem Sehen ein aͤhnlicher Aktus und derſelbige, wie bey dem Fuͤhlen. Wenn kein Begrif von Gleichheit aus dem Gefuͤhl vorhanden gewe - ſen, ſo wuͤrde die Denkthaͤtigkeit bey dem Geſichtsem - pfindungen ihn zu einem Begrif von Gleichheit haben bringen koͤnnen.

Der Schluß aus dieſen Anmerkungen iſt alſo folgen - der. Es giebt erſte unmittelbare Verhaͤltnißgedan - ken bey ſinnlichen Vorſtellungen, die man die er - ſten unmittelbaren ſinnlichen Urtheile nennen kann. Sie ſind nicht erlernet, als in ſo ferne uͤberhaupt die Denkkraft nur nach und nach ſo ſtark geworden iſt, der - gleichen Wirkungen hervorzubringen. Eben ſo wenig ſind ſie auf irgend eine Weiſe Schlußurtheile, indem ſie nichts voraus ſetzen, als eine Art von Vergleichen oder Gegeneinanderhalten der ſinnlichen Vorſtellungen, zwiſchen denen das Verhaͤltniß gedacht wird.

Weiter. Es giebt in einem jeden beſondern ſinn - lichen Urtheile etwas, das als eine urſpruͤngliche un - mittelbare Aeußerung der Denkthaͤtigkeit angeſehen wer - den kann, und alſo als ein unmittelbares inſtinktarti - ges Urtheil. Aber wenn nun in das gewahrgenom - mene Verhaͤltniß mehr hineingeleget wird, als dieſer un - mittelbare Aktus hervorbringet, ſo hat dieß ſeine Urſache in einer Verbindung des gegenwaͤrtigen Verhaͤltniſſes mit andern, die bey andern Empfindungen und ſinnli - chen Vorſtellungen erkannt ſind, das iſt in einer Aſſo - ciation der allgemeinen ſinnlichen Vorſtellungen.

II. Von460VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied

II. Von der Natur der hoͤhern vernuͤnftigen Kenntniſſe.

  • 1) Die hoͤhere Vernunftkenntniß erfodert allgemeine Begriffe. Wie dieſe in der Phantaſie vermittelſt der Woͤrter beſte - hen.
  • 2) Urſprung der Gemeinſaͤtze der Vernunft. Ob ſie allgemein Erfahrungsſaͤtze ſind?
  • 3) Gruͤnde gegen dieſe Meinung.

1.

Die hoͤhern Vernunftkenntniſſe erfodern allge - meine Urtheile, und dieſe ſetzen allgemeine Begriffe voraus. Was aber dieſe letztern betrift, ſo darf ich hier nicht wiederholen, was ich anderswo zur Erklaͤrung ihres Entſtehens in uns geſagt habe. Jhr Stoff lag in den Empfindungen. Dieſen bearbeitete die Einbildungskraft und die Dichtkraft zu allgemeinen Bil - dern, welche denn durch die Denkkraft auf die naͤmliche Art, wie die ſinnlichſten Bilder verglichen und unter - ſchieden werden. Nur noch eine Anmerkung uͤber die Verbindung der Woͤrter, als willkuͤhrlicher Zeichen, mit jenen Jdeen, iſt hier nachzuholen, weil einige Philoſo - phen dieſe Beziehung der Begriffe und ihre Hervor - bringung von der Denkkraft, verwechſelt zu haben ſcheinen.

Es giebt allgemeine Vorſtellungen, die ſich als gewiſſe aͤhnliche Zuͤge mehrerer einzelnen Empfindungs - vorſtellungen von ſelbſt ſo ſtark auszeichnen, daß die Phantaſie ſie in ihrer Verſchiedenheit aufbewahren kann, ohne daß es noͤthig ſey, durch eine andere ſinnliche Vor - ſtellung, dergleichen die Toͤne ſind, ſie noch mehr aus -zu -461der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. zuzeichnen. Dahin gehoͤren die allgemeinen Vorſtel - lungen von den Gattungen der Dinge, welche die Natur gemacht hat. Menſch, Thier, Baum, Waſſer ſind Aehnlichkeiten mehrerer Empfindungen, deren Theile ſtark genug zuſammenhangen, und die ſich als Ganze deutlich genug im Kopf von einander abſondern wuͤrden, wenn wir auch gleich ihre Benennungen entbehren muͤß - ten. Solche allgemeine ſinnliche Abſtrakta haben fuͤr ſich ohne Worte in der Phantaſie Haltung genug, um zu beſtehen.

Aber auch in den uͤbrigen Faͤllen, wo die einmal be - merkten Aehnlichkeiten ſich in der ganzen Maſſe unſerer Bilder wieder zerſtreuen moͤchten, wenn man ſie nicht durch ein Wort, als durch ein Band zuſammen verei - niget hielte, ſind dennoch die Woͤrter immer nur die Zeichen der Vorſtellungen, niemals die Vorſtellun - gen ſelbſt. Der ſie vergleichende und urtheilende Ver - ſtand haͤlt die Vorſtellungen ſich vermittelſt der Worte vor, ſiehet jene bey dieſen, und durch dieſe, aber nicht dieſe allein, und die Reflexion, welche Verhaͤltniſſe der Vorſtellungen denket, urtheilet nicht uͤber die Worte. Die allgemeinen Begriffe von dem Seyn, von der Sub - ſtanz, von der Nothwendigkeit u. ſ. w. ſind nun zwar ſo innig als moͤglich dieſen Zeichen einverleibet, aber wer uͤber ſolche Jdeen nachdenken will, muß nicht die Wor - te anſchauen, ſondern die Sachen, das ſind hier die Aehnlichkeiten der Empfindungen, welche man mit die - ſen Worten bezeichnet hat. Es iſt nur ſo oft von den ſpekulirenden Metaphyſikern geſchehen, daß gewiſſe Ver - haͤltniſſe der Woͤrter mit den Verhaͤltniſſen der Sachen verwechſelt worden ſind, woraus ſachleere Wortkraͤme - rey entſtanden iſt.

Dennoch giebt es eine gewiſſe Klaſſe von allgemei - nen Urtheilen, wovon man ſagen kann, die Reflexion brauche außer den Worten oder den Zeichen nichts vorſich462VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedſich zu haben, um richtig uͤber die Sachen zu urtheilen. Dieß findet erſtlich da ſtatt, wo die Sachen ſelbſt einer - ley Beziehungen haben mit ihren Zeichen, wie ſich bey den voͤllig angemeſſenen Zeichen der Mathematiker, und auch bey den Woͤrtern der philoſophiſchen Sprache, wenn dieſe erfunden waͤre, am deutlichſten zeigen wuͤrde, ſon - ſten aber bis auf einen gewiſſen Grad, ſo weit nemlich die Analogie der Woͤrter mit den Gedanken ſich erſtre - cket, bey jedwedem Ausdruck geſchehen kann. Zwey - tens auch in den Urtheilen uͤber die erſten Grund-Ge - meinbegriffe, die von einer ſolchen Allgemeinheit ſind, daß ſie ſowohl die Zeichen, als jede andere Sachen un - ter ſich begreifen. Die erſten Grundſaͤtze des Ver - ſtandes ſind Urtheile, die von keinen beſondern Beſchaf - fenheiten der Vorſtellungen abhangen, ſondern von jed - weder Art von Dingen, von Jdeen, von Zeichen der Jdeen, und von Objekten gleich richtig ſind. Sie be - ſtehen in Verhaͤltnißgedanken, die bey der Vergleichung und Verbindung jedweder Art vor Dingen, Sachen, Woͤrter, Buchſtaben, und was es auch ſeyn mag, das ſich der Denkkraft darſtellet, uͤberall auf eine und die - ſelbige Art gedacht werden. Z. B. Jn dem Grundge - meinſatz, den man das Princip der Jdentitaͤt nen - net; A iſt A, kann man ſagen, die verglichenen Begrif - fe ſind die Buchſtaben ſelbſt. Aber um den ganzen Um - fang des Satzes zu verſtehen, muß man nicht blos bey dem Buchſtaben ſtehen bleiben. Denn hier iſt das Zei - chen A, obgleich der Satz auch von dieſem Zeichen rich - tig iſt, das allgemeinſte Zeichen eines jeden Dinges, ei - ner jeden Vorſtellung und eines jeden Begrifs.

2.

Die Entſtehungsart der allgemeinen Urtheile und Gemeinſaͤtze der Vernunft, iſt ohne Zweifel das wichtigſte und dunkelſte in der ganzen Oekonomie desMenſchen -463der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. Menſchenverſtandes. Was es mit ſeinen Spekulatio - nen und Theorien, und deren Anwendung auf Empfin - dungsvorſtellungen auf ſich habe, das offenbaret ſich als - denn, wenn man nachſiehet, auf welche Art Gedanken hervorgebracht werden, die man als die Grundlage aller menſchlichen Einſichten gebrauchet, und gebrauchen muß.

Viele ſcharfſinnige Unterſucher des menſchlichen Ver - ſtandes ſehen die allgemeinen Vernunftſaͤtze fuͤr eine Art von allgemeinen Erfahrungsſaͤtzen an, deren Richtigkeit auf einer durchgaͤngigen Uebereinſtim - mung der Empfindungen beruhen ſoll. Die Gemein - ſaͤtze in der Metaphyſik ſollen ſolche Beobachtungsſaͤtze ſeyn, wie die mehreſten Grundſaͤtze der Naturlehre ſind. Eine Meinung, die ich, denn ich muß es nur gerade zu ſagen, fuͤr einen Hauptirrthum anſehe, ſo ſehr ich die Maͤnner ſchaͤtze, die faͤhig geweſen ſind, in einen ſolchen Jrrthum zu verfallen. Doch ich will zuvoͤrderſt ſagen, wie ich das verſtehe, was man von der Analogie der Empfindungen, worauf die Gemeinſaͤtze beruhen ſol - len, vorzubringen pflegt. Wir verbinden mit der Jdee des Subjekts die Jdee des Praͤdikats, darum, weil wir da, wo wir die Sache oder das Subjekt in unſern Empfindungen antreffen, auch allemal die Beſchaffen - heit bey ihm gewahrnehmen, die wir ihm zuſchreiben, oder doch die meiſtenmale ſie gewahrwerden, und weil ſonſten auch kein Grund vorhanden iſt, ſie in den uͤbri - gen Faͤllen, die wir noch nicht empfunden haben, nicht zu vermuthen. Auf ſolche Art ſollen die Verbindungen der Jdeen entſtanden ſeyn, die in den Gemeinſaͤtzen ent - halten ſind, und die dadurch ſo feſt und innig mit einan - der vereiniget worden, daß es uns unmoͤglich gemacht iſt, ſie wiederum von einander zu trennen. Da haben wir nach Hum’s und anderer Erklaͤrung den Urſprung der allgemeinen Vernunftwahrheiten, aus Nichts wird Nichts, ein Ding iſt ſich ſelbſt gleich u. ſ. w. und464VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedund auch zugleich die Quelle, woraus die Nothwendig - keit fließet, die wir dieſen Grundſaͤtzen beylegen. Allein es ſey mir erlaubt, hinzuzuſetzen, da haben wir bey die - ſen ſcharfſinnigen Philoſophen die Wirkung davon, daß ſie den Gang des Menſchenverſtandes in den mathema - tiſchen Wiſſenſchaften nicht mit eben der Genauigkeit, und mit eben der eindringenden Sorgfalt beobachtet, als ſie es in der Naturlehre, und in der Moral, und eini - gen andern Kenntniſſen gethan haben, wo der Einfluß der allgemeinen nothwendigen Vernunftſaͤtze nicht ſo auf - fallend ſich beweiſet.

Es giebt allgemeine Erfahrungsſaͤtze, phyſi - ſche Saͤtze, und manche von ihnen koͤnnen bis zu ei - ner ſolchen Allgemeinheit gebracht werden, daß ſie kos - mologiſche Saͤtze ſind. Der Koͤrper iſt ſchwer. Die Materie beſitzet eine anziehende Kraft u. d. gl. Solche Saͤtze ſind allgemeine Abſtrakta von allen in den Em - pfindungen wahrgenommenen Verbindungen der Jdeen, deren Richtigkeit von der Uebereinſtimmung oder der ſo genannten Analogie der Erfahrungen abhaͤnget, mit einem Wort, Jnduktionsſaͤtze, die die Vernunft auf dieſelbige Art aufſammlet, wie die Gemeinbegriffe, die von individuellen Vorſtellungen abſtrahiret ſind. Wenn man nur dieſe Wahrheiten im Sinne hat, ſo wende ich kein Wort gegen die Erklaͤrung ein, die man von dem Entſtehen allgemeiner Grundſaͤtze gegeben hat. Die Verbindung zwoer Jdeen, wenn ſie oͤfterer geſchehen iſt, bringet in dem Verſtande eine Gewohnheit hervor, die wie eine zwote Natur mit einer Art von Nothwendigkeit wirket, welche faſt eben ſo ſtark iſt, als diejenige, mit der die erſte wahre Natur ſich aͤußern muß. Der Geo - meter kann keinen ſtaͤrkern Naturzwang empfinden, wenn er dem Triangel den dritten Winkel abſprechen wollte, als der gemeine unphiloſophiſche Verſtand, wenn er ei - nen Stein ohne Schwere denken ſollte. Ein ſonſt ver -nuͤnftiger465der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. nuͤnftiger Mann lachte einſtmals einem Naturlehrer ins Geſicht, als dieſer ihm ſagte, daß er nach der Urſache forſche, warum ein Koͤrper, den man aus der Hand laſſe, herunterfalle; denn es ſchien dem erſten dieß eben ſo ſehr ſich von ſelbſt zu verſtehen, als daß zweymal zwey viere machen.

Jch uͤbergehe, was in jeder guten Vernunftlehre uͤber dieſe Gattung von Gemeinſaͤtzen geſagt wird. Die Jnduktion iſt allemal, wenn die Saͤtze von einigem Um - fang ſind, unvollſtaͤndig; man kann aber demohngeach - tet durch einen Huͤlfsſchluß ſich bey einigen von ihrer Allgemeinheit uͤberzeugen. Einige aus dieſer Klaſſe moͤchten durch eine genauere Entwickelung der Begriffe in die Klaſſe der nothwendigen Vernunftſaͤtze gebracht werden koͤnnen. Aber in wie vielen Faͤllen hat man dieſe Umaͤnderung in der Philoſophie nicht vergeblich verſuchet? Die Metaphyſiker haben nur gar zu gerne Saͤtze, die eigentlich nichts anders, als phyſiſche, pſy - chologiſche und auch wohl kosmologiſche Beobachtungs - ſaͤtze ſeyn konnten, durch Demonſtrationen aus Begrif - fen zu allgemeinen tranſcendenten Vernunftſaͤtzen machen wollen, und dieß hat einigen Schein bey ſolchen gehabt, wie die allgemeinſten Bewegungsgeſetze ſind, worinn wirklich etwas allgemeines enthalten iſt, was zu den nothwendigen Grundſaͤtzen hingehoͤret. Nur haͤtte man dieß nicht auf ihren ganzen Jnhalt ausdehnen ſollen. Jch uͤbergehe dieſe Anmerkungen mit andern.

Dieſe allgemeinen Erfahrungsſaͤtze ſind ein großer Schatz in unſerer menſchlichen Erkenntniß. Noch mehr. Sie ſind das reelleſte in ihr, und die wahren Materia - lien zu der Erkenntniß von wirklichen Dingen. Aber dennoch ſind ſie allein genommen, auch nichts mehr als dieß, nichts mehr als die Materie der reellen Erkennt - niß, und zwar bloße Materie, die nicht verbunden, nicht in Zuſammenhang und Form gebracht werden kann,I. Band. G gwenn466VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedwenn nicht die nothwendigen Axiomen der Vernunft mit ihnen vermiſchet werden. Man verſuche es, einen ſolchen reinen Erfahrungsſatz mit einem andern zu ver - binden. Z. B. den Satz, daß ein jeder Koͤrper ſchwer iſt, mit dieſem: die Theile eines um einen Mittelpunkt in die Runde gedreheten Koͤrpers haben einen Hang, ſich von dem Mittelpunkt zu entfernen; beides ſind Erfah - rungsſaͤtze; man verſuche, beide in einen Zuſammen - hang zu bringen, ſo wird man folgern und ſchließen muͤſſen; aber wo iſt eine Folgerung und ein Schluß nur moͤglich, wenn nicht allgemeine nothwendige Vernunft - ſaͤtze gebrauchet werden, die aus einer ganz andern Quelle her ſind, als diejenigen, welche man vermittelſt ihrer verbinden will?

3.

Zuerſt muß der Gedanke entfernet werden, daß die allgemeinen nothwendigen Grundſaͤtze, Ab - ſtraktionen aus Erfahrungen ſind. Dieß ſind ſie nicht, und koͤnnen es auch nicht ſeyn, und nur aus Miß - verſtand hat man ſie dafuͤr angeſehen. Kann die Ver - nunft das Axiom: daß jedes Ding ſich ſelbſt gleich iſt, und der Geometer ſeinen Lehrſatz: daß gleiches zu gleichem addirt, eine gleiche Summe gebe, daher erſt als eine allgemeine Wahrheit erlernet haben, weil man es in den einzelnen Faͤllen ſo befunden hat? Einzelne Bey - ſpiele machen ſolche allgemeine Grundſaͤtze verſtaͤndlich, und erlaͤutern ſie, aber die Einſicht, daß ſie allgemeine Saͤtze ſind, haͤngt deswegen von der Jnduktion nicht ab. Jſt nicht der Beyfall, womit der Verſtand ſolche auf - fallende Saͤtze annimmt, ſobald er ſie verſteht, und das erſtemal ſie eben ſo ſtark und ſo nothwendig annimmt, als nachher, wenn er ſie tauſendmal gedacht hat, iſt dieß nicht ein Beweis, daß eine andere Urſache da ſeyn muͤſſe, die ihm dieſe Beyſtimmung abzwingt? Sind dieſeallge -467der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. allgemeinen Verhaͤltnißgedanken bey den allgemeinen Begriffen nicht eben ſo in der Natur der Denkkraft ge - gruͤndet, als es die erſten ſinnlichſten Urtheile ſind, wo ſinnliche Eindruͤcke gegen einander gehalten werden?

Jn dieſen Fragen liegen drey Gruͤnde, die jener Meinung ganz entgegen ſind.

Erſtlich werden wir von den nothwendigen Grund - wahrheiten ſo gleich das erſtemal uͤberzeuget, da wir ſie faſſen und verſtehen. Ein Exempel darf nur ange - fuͤhret werden, um uns zu lehren, was ſie eigentlich ſa - gen wollen; nicht aber, um ſie zu beweiſen. Ganz an - ders verhaͤlt es ſich mit den allgemeinen Beobachtungs - ſaͤtzen, wo wenigſtens mehrere Beyſpiele noͤthig ſind.

Dann zweytens iſt auch die Art, wie der Verſtand jenen Axiomen Beyfall giebet, verſchieden von derjeni - gen, womit Erfahrungsſaͤtze fuͤr allgemeine Wahrheiten erkannt werden. Ein viereckter Zirkel iſt ein Unding. Jedes Ding iſt ſich ſelbſt gleich. Ohne Urſache wird Nichts. Der Triangel hat drey Winkel u. ſ. f. Dieß kann ich nicht laͤugnen, weil ichs gar nicht anders den - ken kann; alles Beſtrebens ohngeachtet, und es bedarf weiter keines Grundes, um meinen Beyfall zu erzwin - gen, da es, wie wir ſagen, fuͤr ſich evident iſt. Aber bey allgemeinen Erfahrungen ſehe ich mich nach den ein - zelnen Faͤllen um, in welchen das Allgemeine vorkommt. Je mehr mir ſolcher Faͤlle bekannt werden, deſto mehr waͤchſet meine Ueberzeugung, die hier einer Zunahme faͤhig iſt; bey jenen Grundſaͤtzen aber nicht.

Drittens iſt ja fuͤr ſich wahrſcheinlich, da die erſten unmittelbaren ſinnlichen Verhaͤltnißgedanken natuͤrliche Aeußerungen der Denkkraft bey den Vorſtellungen ſind, ſo werden jene einfachen allgemeinen Verhaͤltnißgedanken auf eine aͤhnliche Weiſe entſtehen, das iſt, ſie werden natuͤrliche Wirkungen ſeyn, die nach den Na - turgeſetzen der Denkkraft durch dieſer ihre Thaͤtig -G g 2keiten468VI. Verſuch. Ueber den Unterſchiedkeiten hervorgebracht ſind. Der Unterſchied zwiſchen den allgemeinen Urtheilen und zwiſchen den einzelnen Saͤtzen iſt dieſer; in jenen ſind es allgemeine Vorſtellungen, womit die Denkkraft zu thun hat; in dem letztern ſind es Jdeen von einzelnen Dingen, die ſie bearbeitet.

Man kann nicht einwenden, daß doch die Gemein - begriffe, die in den Gemeingrundſaͤtzen vorkom - men, Abſtrakta aus einzelnen Empfindungen, und aus der Aehnlichkeit der Empfindungen genommen ſind, und daß folglich auch die Verhaͤltnißgedanken dieſer Begriffe von der Uebereinſtimmung der Empfindungen abhangen. Die Antwort hierauf iſt nicht ſchwer.

Es iſt nur Eine Klaſſe von Gemeinbegriffen, die man fuͤr Abſtrakta von Empfindungen anſehen kann. Der groͤßte Theil derſelben iſt nur dem Stoff nach, aus den Empfindungen, ſonſten aber ein Werk der ſelbſtbildenden Dichtkraft; und auch bey ſolchen, die eigentlich abſtrahirte Begriffe ſind, und wirkliche Aehnlichkeiten wirklicher Dinge enthalten, hat es doch keiner vollſtaͤndigen Vergleichung aller Arten von Din - gen bedorft, um ſie zu erlangen. Aus ſehr wenigen Beyſpielen, kann eine Abſtraktion gezogen werden, wie es bekannt iſt.

Ferner bedarf es nur einer maͤßigen Beobachtung auf ſich ſelbſt, um gewahr zu werden, daß alsdenn, wenn wir die nothwendigen Beziehungen und Verhaͤltniſſe der Gemeinbegriffe denken, dieſe auf dieſelbige Art in uns gegenwaͤrtig ſind, wie die Jdeen von einzelnen Dingen bey den ſinnlichen Urtheilen. Jene ſind ſelbſt die Ge - genſtaͤnde unſerer urtheilenden Thaͤtigkeit. Wir finden die Verhaͤltniſſe und Beziehungen in ihnen, ohne Ruͤck - ſicht darauf, ob ſie Jdeen wirklicher Dinge ſind, oder nicht? und ob ſie durch die Abſtraktion, oder durch einen andern Weg uns zugekommen ſind? Die Richtigkeit der Gemeinſaͤtze beruhet alſo auf die allgemeinen Begriffeund469der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. und auf die Verfahrungsart der Denkkraft; nicht aber auf die einzelne Faͤlle, woraus die Begriffe etwan haͤtten abſtrahiret ſeyn koͤnnen.

Es iſt allerdings eine Beobachtung unſerer eigenen Denkart, wenn wir die allgemeinen Urtheile, als Ef - fekte unſers Verſtandes in uns gewahrnehmen. Aber dieß heißt nur ſo viel, als unſere Erkenntniß von ih - nen iſt aus Beobachtung. So iſt es. Die Grund - ſaͤtze kennen wir aus Beobachtung, wie die Geſetze, wor - nach Licht und Feuer wirken. Aber die Urtheile ſelbſt ſind nicht Beobachtungen, noch Abſtrakta aus Beob - achtungen, ſondern Wirkungen, die von der Natur der Denkkraft abhangen, wie das Ausdehnen der Koͤrper von der Natur des Feuers.

G g 3Siebenter470VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit

Siebenter Verſuch. Von der Nothwendigkeit der allgemeinen Vernunftwahrheiten, deren Natur und Gruͤnden.

I. Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit der Gewahrnehmungen, der Urtheile und der Schluͤſſe uͤberhaupt.

  • 1) Die hier vorkommende Fragen: Von der Ordnung, in welcher die Aktus des Gefuͤhls, der vorſtellenden Kraft und der Denkkraft auf einander folgen?
  • 2) Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit der Urtheile oder Verhaͤltnißgedanken uͤberhaupt. Jn wie ferne die Denkthaͤ - tigkeit nothwendig erfolget, wenn die vorher erforderte Aktus des Empfindens und des Vorſtellens geſchehen ſind?
  • 3) Jn wie ferne dieß bey den dunklen Re - flexionen ſtatt findet, ingleichen bey den erſten urſpruͤnglichen ſinnlichen Urtheilen des gemeinen Verſtandes? Wie der Jdea - lismus und der Skepticismus moͤglich ſey.
  • 4) Daſſelbige bey den Folgerungen und Schluͤſſen.

1.

Eine der vornehmſten und ſchwierigſten Unterſuchun - gen bey den allgemeinern Grundſaͤtzen der Vernunft betrift ihre Nothwendigkeit. Worinn beſtehet dieſe,und471der allgem. Vernunftwahrheiten, c. und worinn hat ſie ihren Grund? Wie weit und war - um ſind ſie in dieſer Hinſicht von einer andern Natur, als die einzelnen Empfindungsurtheile?

Ueber die objektiviſche Nothwendigkeit der Saͤtze laͤſſet ſich nichts ſagen, ehe man nicht die ſub - jektiviſche, mit der ſie von unſerm Verſtande gedacht werden, unterſucht, und in uns die Natur der Gemein - ſaͤtze als Produkte der Denkkraft beobachtet, und ihre Beſchaffenheiten bemerket hat. Nur daraus, und ſon - ſten nirgends her kann es erkannt werden, was und wie viel wir an ihnen haben, wenn wir ſie als Abbildungen und Vorſtellungen von dem objektiviſchen anſehen, was außer dem Verſtande iſt. Die allgemeine obige Frage will ich folgendermaßen zergliedern.

Erſtlich. Jſt es nothwendig, daß der Aktus des Urtheilens erfolge, wenn die Vorſtellungen ge - genwaͤrtig ſind, und wenn ſie ſo gegenwaͤrtig ſind, als ſie es in dem Augenblick ſind, wenn wir urtheilen? Laß z. B. zwo Vorſtellungen von zween geradelinigten Tri - angeln gegenwaͤrtig ſeyn, in deren beiden zwey Seiten und der von dieſen Seiten eingeſchloſſene Winkel ſchon als gleiche Groͤßen erkannt ſind. Was wird noch mehr erfordert, wenn ein Urtheil uͤber das Verhaͤltniß dieſer Figuren, wenn der Gedanke, daß dieſe beiden Trian - geln ſich decken, entſtehen ſoll? Erfolget denn das Urtheil nothwendig, wenn alle Beforderniſſe dazu, ſo ferne dieſe in den Jdeen liegen, vorhanden ſind? Kann es nicht zuruͤckgehalten werden? auch durch eine gefliſ - ſentliche Anſtrengung der Seele nicht? Wie weit iſt es ſubjektiviſch nothwendig, daß die Denkkraft einen Ver - haͤltnißgedanken hervorbringe?

Zweytens iſt es nothwendig, und in wie weit und bey welchen Erforderniſſen, daß das Urtheil, ſeiner Form nach, wenn es erfolget, ſo erfolge, wie es er - folget? Jſt es nothwendig, daß in dem angefuͤhrtenG g 4Beyſpiel472VII. Verſuch. Von der NothwendigkeitBeyſpiel die beiden Figuren fuͤr Einerley, fuͤr ſich den - kende Figuren gehalten werden? Koͤnnen wir ſie nicht fuͤr verſchieden in uns erklaͤren? Wie weit iſt es ſub - jektiviſch nothwendig, daß, wenn wir urtheilen, wir ſo urtheilen, und nicht anders?

Drittens. Dieſe Nothwendigkeit oder Zufaͤlligkeit iſt zunaͤchſt eine ſubjektiviſche. Wie kommen wir zu der Erkenntniß der objektiviſchen, die wir den Din - gen außer uns und ihren Verhaͤltniſſen zuſchreiben? Wie zu den nothwendigen Vernunftſaͤtzen, in ſo ferne dieſe fuͤr Vorſtellungen von dem, was den Objekten zukommt, angeſehen werden?

Die beiden erſten Fragen betreffen die Nothwendig - keit oder Zufaͤlligkeit der Verhaͤltnißgedanken in uns, und zwar uͤberhaupt. Die Fragen ſelbſt ſind noch ſehr allgemein und unbeſtimmt. Um daher beſtimmte Ant - worten geben zu koͤnnen, worinn die Art der Nothwen - digkeit oder der Zufaͤlligkeit, ihre Staͤrke, ihre Grenzen und Bedingungen aus Gruͤnden einleuchtet, ſehe ich es fuͤr dienlich an, vorher gewiſſe Unterſchiede zwiſchen den verſchiedenen Arten von Urtheilen anzugeben.

Verhaͤltnißgedanken ſind uͤberhaupt Wirkungen in uns von einer innern Thaͤtigkeit, die wir als den Aktus des Urtheilens anſehen, und der Denkkraft zu - ſchreiben. Laſſet uns nun dieſen Aktus der Denkkraft, als eine Wirkung, in Verbindung mit ihren Urſachen und Veranlaſſungen betrachten, und dann darauf ſehen, in wie ferne dieſe Verbindung eine nothwendige oder eine zufaͤllige Verbindung ſey? Das Verhaͤltniſſedenken iſt ein Denken, eine Kraftaͤuſſerung der Seele, die alle - mal gewiſſe vorhergehende Empfindungen oder Vorſtel - lungen erfordert, wovon die Seelenkraft zu der Zeit mo - dificirt iſt, wenn ſie einen ſolchen Aktus hervorbringet. Und nach der Analogie ſolcher Faͤlle, die mit einiger Deutlichkeit beobachtet werden koͤnnen, zu ſchließen, ſoverbindet473der allgem. Vernunftwahrheiten, c. verbindet ſich die Denkthaͤtigkeit nicht unmittelbar mit den Empfindungen der Gegenſtaͤnde, uͤber welche ge - dacht wird, ſondern nur mit ihren Vorſtellungen. *)Verſuch 4. VII. 1. 2.

Reid iſt der Meinung, einige unſerer erſten Ur - theile muͤßten wohl noch vor der ſimpeln Apprehen - ſion der Sachen, das heißt, vor den Jdeen von Sub - jekt und Praͤdikat vorhergehen, und unmittelbar auf den ſinnlichen Eindruck von außen erfolgen. Ohne Zweifel ward er, wie andere, dadurch zu dieſen Gedanken ge - bracht, daß in einigen Faͤllen die Denkhandlung und die vorhergehende Empfindungs - und Vorſtellungshand - lungen ſo ſchnell auf einander folgen, daß ſie in Eine be - merkbare Thaͤtigkeit der Seele zuſammenfließen.

Es iſt ſchwer, die eigentlichen Graͤnzen genau zu beobachten, wo das vorhergehende Empfinden und Vorſtellen ſich endiget, und das Denken anfaͤnget. Dieſe drey Kraftanwendungen Eines und deſſelbigen Weſens, die oft unterſcheidbar genug ſind, und dann auf einander folgen, verlieren ſich auch oft an ihren Grenzen in einander. Dennoch iſt es nicht unmoͤglich, wie bey den Farben in dem prismatiſchen Bilde, ſie von einander zu unterſcheiden. Wenn man von den Em - pfindungen anfaͤnget, ſo laͤßt ſich folgende Ordnung er - kennen. Zuerſt Empfindung, oder gefuͤhlter Ein - druck der Sache; dann Vorſtellung; dann das Ge - fuͤhl der Verhaͤltniſſe; dann die Beziehung der Vor - ſtellungen und die Gewahrnehmung dieſer Beziehung, oder die Erkenntniß des Verhaͤltniſſes, das Ur - theil. Jn ſolchen Urtheilen, worinn das Verhaͤltniß der Jdentitaͤt oder der Diverſitaͤt gedacht wird, ſehen wir deutlich, daß auch ein Gegeneinanderhalten der Vorſtel - lungen, oder ein Vergleichen geſchicht. Wo faͤllt die - ſes hin? Vor oder nach dem Gefuͤhl des Verhaͤlt -G g 5niſſes474VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitniſſes und des Uebergangs? Wo iſt nun in dieſen Faͤllen der Anfang der Reflexionsaͤußerung? *)Siehe Verſuch 4. VII. 1. 2. und Verſ. 3. VI. Wenn das Gegeneinanderhalten nichts anders iſt, als ein Abwechſeln mit den Vorſtellungen oder Jdeen, ſo ſind wir noch in den Graͤnzen der vorſtellenden Kraft. Man kann zwey Dinge lange wechſelsweiſe angaffen, ohne die geringſte Reflexion zu machen. Dieß iſt alſo nicht Den - ken. Aber Vergleichen, das heißt; von der Vor - ſtellung der einen Sache zu der Vorſtellung der andern auf eine ſolche Art uͤbergehen, daß man ihre Aehnlich - keit oder Verſchiedenheit gewahrnehme; mit dieſer Abſicht anſetzen, oder wenn auch die Abſicht fehlet, doch mit der naͤmlichen Tendenz die Kraft anwenden, und wirkſam ſeyn laſſen, als es da geſchicht, wo die Abſicht vorhanden iſt, welches ſo viel iſt, als die Vorſtellungen auf einander beziehen. Dieſe Aktus ge - hoͤren ſchon zu der Thaͤtigkeit der Denkkraft, die das Urtheil bewirket.

Es gehet nicht allemal eine ſolche Vergleichung vor; aber man kann doch eine Anwendung unſerer Kraft, als den Aktus des Beziehens, gewahrnehmen, die von der - jenigen Thaͤtigkeit, womit die Vorſtellungen oder Jdeen jedwede fuͤr ſich gegenwaͤrtig erhalten oder dargeſtellet werden, unterſchieden iſt.

Das Gefuͤhl des Uebergangs und der Verhaͤltniſſe laͤßt ſich begreifen ohne Denkkraft. Darum glaube ich feſtſetzen zu koͤnnen, das Abwechſeln der Vorſtellun - gen, oder ihr Gegeneinanderhalten gehe vor dem Ge - fuͤhl der Verhaͤltniſſe vorher, und bringe es hervor. Hier aber, wo dieß Gefuͤhl entſtehet, da ſey der An - fang des Beziehens der Vorſtellungen auf einander, und der Gewahrnehmung. Die obigen Verſuche machen mir dieß wahrſcheinlich, aber es ſey ferne, hierauf, als auf einen Grundſatz, zu bauen.

2. Jn475der allgem. Vernunftwahrheiten, c.

2.

Jn wie ferne erfolgen nun die Thaͤtigkeiten der Denk - kraft nothwendig, wenn die erwaͤhnten Aktus des Ge - gefuͤhls und der Vorſtellungskraft vorhanden ſind? koͤn - nen jene alsdann noch zuruͤckgehalten und abgeaͤndert werden?

Zuerſt unterſcheide man die dunklen Urtheilsthaͤ - tigkeiten von den klaren Urtheilen, die ſchon Jdeen und Bewußtſeyn der Dinge, woruͤber man urtheilet, vorausſetzen. *)Verſuch 4. VII. 6.

Ferner die erſtmaligen Urtheile von denen, die man nachher nur wiederholet. Und dann noch die un - mittelbaren Grundurtheile, die nichts weiter vor - ausſetzen, als daß Vorſtellungen oder Jdeen von den Dingen und Beſchaffenheiten, das iſt von dem Subjekt und Praͤdikat, zwiſchen denen ein Verhaͤltniß gedacht wird, vorhanden ſind, und die wirkſame Denkkraft mo - dificiren, von andern mittelbaren, gefolgerten und abgeleiteten Urtheilen, die man unter den Namen von Schlußgedanken oder Raiſonnements zu begreifen pfleget.

3.

Die blinden Reflexionsaͤußerungen ſind natuͤr - lich nothwendige Wirkungen unſerer Seele, uͤber die wir geradezu wenigſtens, keine Gewalt haben. Sie erfolgen, wenn ihre Urſachen vorhanden ſind, und kom - men nicht hervor, wenn jene fehlen. Sie erfolgen ſo, wie ſie erfolgen, ohne daß wir durch eine Willkuͤhr ſie befoͤrdern oder aufhalten oder ſie abaͤndern koͤnnen, ſo noth - wendig, wie es dem Feuer nothwendig iſt, zu zuͤnden, wenn es an trocknes Stroh gebracht wird. Sie erfo - dern ihre ſie voͤllig beſtimmenden Gruͤnde, in und außer der Seele, und zu dieſem gehoͤret mancherley. Die Ge -genwart476VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitgenwart der Vorſtellungen in der Phantaſie, die vor - nehmſte dieſer Gruͤnde, hat doch nicht allemal das Be - ziehen und das Gewahrnehmen, als Aeußerungen der Denkkraft zur Folge. Und das letzte, das Gewahr - nehmen kann noch wohl gar alsdenn zuruͤck bleiben, wenn ſchon ein Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe vorhanden iſt. Viel - leicht kann auch der Aktus des Denkens, der wie ein jeder anderer Aktus durch eine Zeit fortwirken muß, ehe der herausgedachte Gedanke voͤllig zu Stande kommt, mitten in ſeiner Dauer unterbrochen werden. Allein ſo viel iſt gewiß, daß wir es nicht in unſerer Gewalt haben, willkuͤhrlich ihm Hinderniſſe in Weg zu legen. Wir koͤnnen nicht ſagen, bis ſo weit wollen wir an dem fuͤr uns einfachen Verhaͤltnißgedanken arbeiten, und nun nicht weiter. Jn dieſem Stuͤck haben wir uns eben ſo wenig in unſerer Gewalt, als bey andern Ausbruͤchen natuͤrlicher Jnſtinkte, bey denen ſich nur auf eine indirek - te und mittelbare Weiſe willkuͤhrlich etwas| andern laͤßt.

Es iſt ein allgemeines Erfahrungsgeſetz: wir be - ſitzen uͤber keine Kraftaͤußerung, uͤber keine Thaͤtigkeit oder Handlung einige Selbſtmacht, als nur dann, wenn wir ſolche wollen und nichtwollen koͤnnen. Dieß aber erfodert, daß wir eine Vorſtellung von ihr haben, und nach dieſer uns beſtimmen koͤnnen, ſie her - vorzubringen, oder nicht, oder ſie durch eine andere ihr entgegengeſetzte zu unterdruͤcken oder zuruͤckzuhalten. Wo keine Vorſtellung von einer Kraftaͤußerung vorhergehet, da findet kein Wollen ſtatt. Es geſchicht das, was geſchicht, der Natur der Kraft und den Umſtaͤnden ge - maͤß, wie bey den Bewegungen der Koͤrper, und es feh - let uns gaͤnzlich an dem Vermoͤgen, ſolches nach Will - kuͤhr einzurichten. Nun haben wir aber keine Vorſtel - lung, als aus der Empfindung. Sollen wir alſo im Stande ſeyn, nach willkuͤhrlicher Selbſtbeſtimmung un - ſer Urtheil zuruͤckzuhalten, oder anders einzurichten, alsſolches477der allgem. Vernunftwahrheiten, c. ſolches durch die Natur der Denkkraft, und in Gemaͤß - heit der Vorſtellungen erfolget, ſo mußte ſchon vorher eine Denkthaͤtigkeit von ſelbſt und unwillkuͤhrlich vorhan - den geweſen ſeyn. Wir muͤßten vorher ſchon auf eine aͤhnliche Art geurtheilet, dieſen Aktus empfunden, und eine Vorſtellung davon in uns aufbehalten haben.

Daraus iſt es eine natuͤrliche Folge, daß wir auch in dem Fall, wo wir uͤber Jdeen ſchon unterſchiedener Vorſtellungen urtheilen, dennoch das erſte mal, wenn wir ihre Verhaͤltniſſe denken, ſie unwillkuͤhrlich und noth - wendig auf die Art denken, als wir es thun. Die er - ſten Urtheile des gemeinen Verſtandes, daß es Koͤrper außer uns gebe, daß die Seele in den Koͤrper wirke; die erſten Raiſonnements uͤber die Geſtalt des Himmels, und viele andere Grundſaͤtze ſind Wirkungen der Natur, die der Jdealiſt, der Harmoniſt und der Aſtronom ſchon in ſeinem Kopf antrift, ehe er durch Fleiß und wiederholtes Beſtreben es ſich moͤglich machet, ſie umzuſchaffen. Und eine ſolche Umaͤnderung jener Ur - theile, iſt, dieſelbigen Vorſtellungen nemlich von den Subjekten und Praͤdikaten unveraͤndert vorausgeſetzt, nicht ehe in ſeiner Gewalt, als bis er mit vielen Vorſtel - lungen und Jdeen von dieſen Denkhandlungen und von ihren entgegenſtehenden verſehen iſt.

Aber wie bekommt er es denn in ſeiner Gewalt, die - ſe Urtheile umzuaͤndern und in wie weit? Wenn man ſchon ſo oft mit den Empfindungsvorſtellungen von der Sonne und Mond den Gedanken verbunden hat, daß beide von gleicher Groͤße ſind; wenn es ſchon mehrma - len gedacht worden iſt, daß der Tiſch, den ich anfuͤhle, ein exiſtirendes Ding außer mir iſt, ſo muß die Gewohn - heit ſo einen Gedanken mit den Vorſtellungen oder Jdeen zu verbinden, die erſte natuͤrliche Verbindung verſtaͤrket, und faſt unaufloͤslich gemacht haben. Durch welche Mittel kann alſo nachher die Reflexionsaͤußerung von dengegen -478VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitgegenwaͤrtigen Vorſtellungen abgeſondert, und zuruͤckge - halten werden, wenn die letztere noch immer dieſelbige bleiben, die ſie vorher waren, und wie laͤßt ſich ein an - ders Urtheil an die Stelle des gewoͤhnlichen einſchieben?

Jch berufe mich auf innere Beobachtungen, wenn ich ſage, daß ſolches auf die Art geſchicht, die ich hier angeben will. Wenn wir Vorſtellungen von dem Re - flexionsaktus in uns haben, eben ſo wohl als von den Objekten, woruͤber reflektiret wird, und wenn wir auch andere Vorſtellungen von den entgegengeſetzten Denkthaͤ - tigkeiten beſitzen, durch deren Erregung jene zuruͤckblei - ben muͤſſen; wenn wir von der Vernemung eine Jdee haben, wie von der Bejahung, von dem Zuruͤckhal - ten des Beyfalls und von dem Beyſtimmen, von dem Zweifeln ſo gut, als von dem Entſcheiden, ſo werden bey der mannigfaltigen Aſſociation einer und derſelbigen Vorſtellung mit einer Menge anderer, auch Verknuͤ - pfungen zu Stande kommen koͤnnen zwiſchen den Jdeen von den Objekten, uͤber die man urtheilet, und zwiſchen dem Zweifeln, dem Verneinen und dem Bejahen. Dadurch wird es moͤglich, daß die Seele von jenen Vor - ſtellungen der Dinge, die ſie ehemals hatte, zu Vorſtel - lungen und Urtheilsthaͤtigkeiten uͤbergehet, die von de - nen verſchieden ſind, welche das erſtemal unmittelbar er - folgten. Laß alſo die naͤmlichen Vorſtellungen von den Objekten in uns gegenwaͤrtig ſeyn; laß mich denſelbigen Tiſch ſehen, es iſt gewiß, daß mir nur deswegen der Gedanke nicht einfallen doͤrfe, der Tiſch ſey ein Ding außer mir. Es kann mir der Geſchmack der Speiſe ein - fallen, die darauf geſtanden hat, oder die Jdee von dem Gelde, das auf ihm gezaͤhlt worden iſt, oder jedwede andere, die mit jener in der Phantaſie aſſociirt iſt. Ue - berfaͤllt mich aber die Reflexion von der objektiviſchen Exiſtenz des Tiſches, ſo kann ich doch dieſe durch die Er - weckung anderer Jdeen unterdruͤcken, und ſie mir ausdem479der allgem. Vernunftwahrheiten, c. dem Sinne ſchlagen. Aber dieß nicht allein; ich kann ſo gar den Gedanken mit ihr verbinden, daß der Tiſch kein wirkliches Objekt ſey, wenn ich anders im Stande bin, die berkeleyiſchen Zweifelgruͤnde lebhaft genug zu erwecken, und in mir zu erhalten.

Jn dieſen angefuͤhrten Urtheilsarten iſt alſo die Ver - bindung zwiſchen den Gedanken von dem Verhaͤltniſſe der Jdeen, und zwiſchen den Jdeen ſelbſt nicht in einem ſolchen Grade nothwendig, daß nicht ein anderer Ver - haͤltnißgedanke an die Stelle des erſtern hervorgebracht werden koͤnne. Die ſubjektiviſche Folge unſerer Kraft - aͤußerungen iſt hier an ſich zufaͤllig und kann veraͤn - dert werden, und wird oftmals wirklich veraͤndert.

Dagegen iſt nun dieß auch eine Erfahrung. Wenn wir beſtimmte Jdeen in uns gegeneinander ſtellen, mit der Tendenz unſerer Kraft zum Vergleichen, und wir es alſo darauf anlegen, die Verhaͤltniſſe der Dinge aus ihren Jdeen zu erkennen, ſo muß auch bey der Fortſe - tzung dieſer Thaͤtigkeit der Verhaͤltnißgedanke ſo erfol - gen, wie er wirklich erfolget, woferne nicht andere Vorſtellungen dazwiſchen treten, und die Applikation der Kraft hindern oder anderswohin lenken. Laſſet uns, wenn wir koͤnnen, einen Augenblick unſere aſtro - nomiſchen Jdeen zuruͤck laſſen, und die Groͤßen der Sonne und des Monds nach ihren ſinnlichen Jdeen zu vergleichen uns beſtreben; ſtoͤret uns nur keine frem - de Jdee, ſo wird der Gedanke ſich bald einſtellen, der das ſinnliche Urtheil ausmacht, daß die Sonne dem Monde an Groͤße gleich ſey. Wo dieſe Wirkung nicht erfolget, oder wo die entgegengeſetzte erfolget, und wo ſich dergleichen durch unſere eigene willkuͤhrliche Beſtim - mung ſo zutraͤget, da iſt eine fremde Jdee vorhanden, die es entweder nicht bis zu dem Aktus des Vergleichens kommen laͤßt, oder waͤhrend dieſes Aktus es veranlaſſet,daß480VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitdaß die Thaͤtigkeit abgebrochen wird, und ihre Wirkung zuruͤck bleibet.

Jch ſetze noch dieſe Anmerkung hinzu. Wenn das Vergleichen der Jdeen Schwierigkeiten findet; wenn es merklich lange dauert, bis das Urtheil zu Stande kommt; ſo findet ſich, daß es den verglichenen Jdeen an der noͤ - thigen Klarheit oder Deutlichkeit gefehlet habe, oder auch an der noͤthigen Lebhaftigkeit und Staͤrke, die ſie haben muͤſſen, um einander ſo nahe gebracht zu wer - den, und um ſo lange gegenwaͤrtig zu ſeyn, bis ihre Verhaͤltniß gewahrgenommen werden kann. Jch rede nur noch von einfachen Urtheilen, nicht von Schluͤſſen. Um dem letztern Mangel abzuhelfen, wird eine wieder - holte und ſtaͤrkere Anſtrengung der Vorſtellungskraft er - fordert; der erſte aber wird durch vorlaufende Reflexio - nen gehoben, wodurch die in den Jdeen noch fehlende Klarheit und Deutlichkeit bewirket wird. Jn einem ſol - chen Fall, wo man vorher vieles an den Vorſtellungen oder Jdeen arbeiten muß, bis man ſie zum Gewahrwer - den ihres Verhaͤltniſſes einrichtet, da iſt der laͤngere Ak - tus des Vergleichens in der That nichts anders, als ei - ne groͤßere Menge einzelner gleichartiger Thaͤtigkeiten der vorſtellenden und denkenden Kraft, die ſich auf die Jdeen des Urtheils, einzeln genommen, verwendet. Wenn es nun aber ſo weit iſt, daß zwo Jdeen ihre voͤl - lige Klarheit, Deutlichkeit und Staͤrke erhalten haben, ſo wird nichts mehr, als, ſo zu ſagen, ein einziger Blick darauf, oder ein einziges Beſtreben der Denkkraft er - fordert; und der Verhaͤltnißgedanke bey den Jdeen iſt hervorgebracht und das Urtheil gefaͤllet. Betrachten wir alſo eine einfache Reflexion, wozu die vorſtellende Kraft und das Gefuͤhl alles erforderliche vorbereitet hat, ſo iſt der Anſatz der Denkkraft zum Denken, die Aktion ſelbſt, und ihre Wirkung, das Urtheil, ſogleich un - mittelbar mit einander da, und alles, beſonders derAktus481der allgem. Vernunftwahrheiten, c. Aktus und ſein Erfolg ſo unzertrennlich, daß beides zu - ſammen zuruͤckgehalten werden muß, wenn der Erfolg, oder der hervorgebrachte Gedanke nicht entſtehen ſoll.

4.

Wo aus einem Urtheil eine unmittelbare Folge - rung gezogen wird, da haben wir eine Fortſetzung des Reflexionsaktus von einem Verhaͤltnißgedanken zu einem andern uͤber ebendieſelbigen Gegenſtaͤnde. *)Verſuch 4. VII. 7.Da ſind alſo zween unterſcheidbare Aktus, die auf einander folgen, und der zweete kann zuruͤckbleiben, wenn gleich der erſtere vorhanden iſt. Es muß die Denkkraft, ſo zu ſagen, noch einen Schritt weiter gehen, wenn man z. B. den umge - kehrten Satz aus einem andern folgern will.

Jn einem eigentlichen deutlichen Schluß erwaͤchſet der Gedanke von dem Verhaͤltniß zweyer Dinge aus den vorhergehenden Gedanken von ihrem Verhaͤltniß gegen ein drittes. Man weiß es, daß die beiden Vorder - ſaͤtze gedacht werden koͤnnen ohne den Schlußſatz; und daß wir dieſen auch fuͤr ſich denken koͤnnen, ohne ihn als einen Schlußſatz zu denken. Soll man ſchließen, ſo muß die Denkkraft, welche die Vorderſaͤtze gegenwaͤrtig hat, in ihrer Thaͤtigkeit fortſchreiten. Das Verhaͤltniß der Jdeen in dem Schlußſatz muß eine Wirkung der durch die vorhergehenden Gedanken modificirten und fort - arbeitenden Reflexion ſeyn. Jn dem deutlichen Rai - ſonnement ſind alſo drey Urtheilsthaͤtigkeiten in einer Folge auf einander. Jn den unvollſtaͤndigen Schluͤſſen kann eine davon fehlen, indem eine Aſſociation der Jdeen in der Phantaſie die Stelle eines von dieſen Vorder - urtheilen vertreten kann, in welchem Fall man eigentlich mehr ein mittelbares Urtheil als ein Kaiſonnement hat.

I. Band. H hEs482VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit

Es iſt alſo offenbar, daß wenn der Verſtand von den Vorderſaͤtzen zu dem Schlußurtheil uͤbergehet, eine an ſich zufaͤllige Folge von Thaͤtigkeiten, die durch machen Urſachen unterbrochen werden kann, vorhanden ſey.

II. Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit der Denkarten, in wie fern ihre Form noth - wendig durch ihre Gruͤnde beſtimmet wird.

  • 1) Unterſchied der nothwendigen und zufaͤl - ligen Urtheile, die es der Form nach ſind.
  • 2) Allgemeiner Charakter der zufaͤlligen Ur - theile.
  • 3) Zu den ſubjektiviſch nothwendigen Ur - theilen gehoͤren die Verhaͤltnißgedanken, die aus der Vergleichung der Dinge ent - ſpringen.
  • 4) Ob alle nothwendigen Urtheile zu dieſer Gattung gehoͤren? Ob alle Wahrheiten nur Eine Wahrheit ſind?
  • 5) Die Urtheile des unmittelbaren Bewußt - ſeyns ſind ſubjektiviſch nothwendige Ur - theile.
  • 6) Die Schlußurtheile ſind ſubjektiviſch nothwendige Urtheile, wenn die Grund - urtheile vorausgeſetzet werden. Gren - zen des vernuͤnftelnden Skepticismus.
  • 7) Von der Nothwendigkeit in unſern Ur - theilen uͤber die verurſachende Verbin - dung. Erſter Fall, wo dieſe ſubjektivi -ſche483der allgem. Vernunftwahrheiten, c. ſche Nothwendigkeit nur eine bedingte Nothwendigkeit iſt.
  • 8) Jn welchen Faͤllen ſie eine innere abſo - lute Nothwendigkeit iſt.
  • 9) Wie weit das allgemeine Princip des Verſtandes: Nichts wird ohne Urſache, ein ſubjektiviſch nothwendiger Grund - ſatz ſey?
  • 10) Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit in andern allgemeinen Denkarten. Von Suggeſtionsſaͤtzen.
  • 11) Nochmalige Aufzaͤhlung der ſubjektiviſch nothwendigen Denkarten und Grundſaͤtze.
  • 12) Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit gewiſſer Denkarten, die eine hypothetiſche Gewohnheitsnothwendigkeit iſt.

1.

Die zwote Frage bey der ſubjektiviſchen Nothwen - digkeit der Urtheile iſt dieſe: Wird die formelle Beſchaffenheit des Urtheils nothwendig durch die Urſa - chen und Gruͤnde beſtimmt, durch welche der Verhaͤlt - nißgedanke veranlaſſet wird? und in wie ferne? Koͤn - nen wir durchaus nicht bejahend urtheilen, wo wir verneinen; nicht Aehnlichkeit finden, wo wir die Ver - ſchiedenheit antreffen und umgekehrt?

Es ſcheinet, dieß beantworte ſich von ſelbſt, und ſo iſt es auch in einem gewiſſen Verſtande; aber dennoch verdienet es eine eigene Erwaͤgung: Wir treffen darinn Saamen zu fruchtbaren Betrachtungen an. Jeder Verhaͤltnißgedanke hat in uns ſeinen voͤllig determi - nirenden Grund. Jſt dieſer da, beſtehet und wirketH h 2er484VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeiter auf die Denkkraft in dem Augenblick, in welchem dieſe den Verhaͤltnißgedanken hervorbringet, ſo iſt es auch unmoͤglich, daß die Kraft anders denken koͤnnte, als wie ſie denket. Dieß iſt ſehr einleuchtend, und dieſe Nothwendigkeit enthaͤlt ſo viel, daß wir kein Vermoͤgen haben, unter den geſagten Umſtaͤnden, anders zu ur - theilen, als wir urtheilen, woferne nicht etwas von dem vorhergehenden voͤllig beſtimmten Grunde geaͤndert wird.

Aber wie viel oder wie wenig begreift man unter dem vorausgeſetzten voͤllig beſtimmenden Grunde? Man hat einen bekannten Unterſchied zwiſchen den ſo genannten nothwendigen Urtheilen, wo außer den Vorſtellungen oder Jdeen von den Objekten, nichts weiter vorhanden iſt, wodurch die wirkſame Denkkraft zu dem Urtheile beſtimmet wird; und zwiſchen andern zufaͤlligen Urtheilen, wenn die Aktion der urtheilenden Kraft noch uͤberdieß von einem andern gegenwaͤrtigen, mit den Jdeen des Subjekts und des Praͤdikats verbun - denen, Umſtande, abhaͤnget.

Wenn außer den Vorſtellungen der Dinge noch et - was beſtimmendes mehr vorhanden iſt, das mit jenen nur als zugleich vorhanden in der Jmagination aſſociiret wird; oder wenn etwas vorhanden iſt, was mit der Denkthaͤtigkeit ſelbſt auf ſolche Weiſe aſſociiret wird, ſo begreifet man leicht, wie die Vorſtellungen und Jdeen dieſelbigen bleiben koͤnnen, die ſie ſind, und wie dennoch der Verhaͤltnißgedanke veraͤndert werden kann, wenn jene Nebenumſtaͤnde ſich abſondern laſſen. Wenn gleich die Gewohnheit, zwey Dinge zugleich neben einander, auf eine gewiſſe Weiſe koexiſtirend, zu denken, ſehr ſtark iſt; ſo ſind doch dieſe beiden Jdeen an ſich wiederum von einan - der trennbar; vorausgeſetzt, daß ſie keinen weitern Grund ihrer Verbindung haben, als die Koexiſtenz, und die davon abhangende Aſſociation in der Phantaſie; daß ſie nemlich nicht einerley mit einander ſind, oder auch ſon -ſten485der allgem. Vernunftwahrheiten, c. ſten nicht von einander ſo abhangen, daß die Denkkraft, welche die Eine von ihnen in ſich gegenwaͤrtig erhaͤlt; ih - rer innern Natur nach auf die andere gefuͤhret wird, auch wenn ſie die letztere noch niemals vorher mit der er - ſtern verbunden hat.

Die Gewohnheit, zwey Dinge bey einander als koexiſtirend ſich vorzuſtellen, ſey ſo ſtark als ſie wolle, ſo iſt es dennoch moͤglich, jede dieſer beiden Vorſtellun - gen mit andern verſchiedenen Vorſtellungen zu verbin - den, und ſie in dieſen neuen Verbindungen gegenwaͤrtig zu haben, und alsdenn ſie ſelbſt von einander in der Phan - taſie zu trennen. Die Gewohnheit, aſſociirte Jdeen zu verbinden, und die Beziehung, welche ſie in dieſer Aſſo - ciation auf ſich haben, als ihre wahre Beziehung anzu - ſehen, iſt bekanntlich ſo maͤchtig wie eine zwote Natur. Es laſſen ſich aber doch andere Reflexiones entgegen ſetzen, wenn jene gleich oͤfters dieſe letztern unterdruͤcket, und uns gegen beſſeres Wiſſen zu uͤbereilten Urtheilen bringet.

Der Schaͤfer hat ſich angewoͤhnt, Sonne und Mond fuͤr gleich groß zu erkennen, und ihnen eine gleiche fuͤhl - bare Groͤße mit der ſichtlichen zuzuſchreiben. Der Aſtronom aber hat dieſe Aſſociation aufgehoben, und ur - theilet auf die entgegengeſetzte Art, daß dieſe Koͤrper ungleich ſind. So ſind ſie auch vor dem Gefuͤhl; und ſelbſt die ſichtliche Gleichheit, welche ihnen zukommt, iſt nur eine relative ſichtliche Gleichheit, eine ſolche nemlich, die nur bey einer beſtimmten Entfernung des Auges ſtatt findet; ſie iſt nicht einmal eine abſolute ſichtliche Jdentitaͤt, die den Objekten nach den Geſichts - vorſtellungen zukommt, wenn ihre Lage gegen das Auge, und die uͤbrigen Empfindungserforderniſſe dieſelbigen ſind.

H h 32. Wir486VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit

2.

Wir haben hier einen allgemeinen Charakter der zufaͤlligen Urtheile, die es nemlich in ſo ferne ſind, daß ſie durch Erfahrungen und durch Ueberlegung um - geaͤndert werden koͤnnen, wenn gleich die auf einander bezogene Vorſtellungen und Jdeen, oder die Materie des Urtheils, wie die Vernunftlehrer ſagen, in aller Hin - ſicht, auch an Klarheit und Deutlichkeit dieſelbigen blei - ben. Wo das Urtheil eine gewiſſe Verknuͤpfung von Vorſtellungen erfodert, die blos von der Koexiſtenz in der Empfindung, oder von einer nachher entſtandenen bloßen Aſſociation in der Phantaſie, und nicht von noch andern Beziehungen und Verhaͤltniſſen der Jdeen abhaͤngt, und wo wir nur allein vermittelſt einer ſol - chen Aſſociation urtheilen, da iſt die Form des Ur - theils zufaͤllig. Wenn eine ſolche Aſſociation einen Einfluß in das Verhaͤltniß hat, das wir den Sachen oder Jdeen zuſchreiben, ſo iſt es an ſich moͤglich, daß jene Aſſociation gehoben, und alsdenn verneinet werden kann, was vorher bejahet worden iſt. Das vorige Bey - ſpiel erlaͤutert auch dieſes. Es koͤnnen Objekte, die wir fuͤr gleich große erkannt haben, fuͤr ungleich erkannt wer - den, obgleich dieſelbigen Vorſtellungen von ihnen noch vorhanden ſind, die wir vorher hatten, und ob wir gleich in ihnen noch daſſelbige gewahrnehmen, und ſie auf die - ſelbige Art mit einander vergleichen.

3.

Dagegen, wenn ſolch eine vorlaͤufige Aſſociation kei - nen Einfluß in den Aktus des Denkens hat, ſo erfolget dieſer ſeiner Form nach, nothwendig ſo, wie er erfol - get, daferne die Vorſtellungen und Jdeen, als die Ge - genſtaͤnde der Denkkraft, unveraͤndert bleiben.

Dahin487der allgem. Vernunftwahrheiten, c.

Dahin gehoͤren zunaͤchſt die blos aus einer Verglei - chung entſpringenden Verhaͤltnißgedanken, von der Einerleyheit und Verſchiedenheit, mit allen ihren Arten. Denn wenn das Praͤdikat einerley iſt mit dem Subjekt, oder mit einem Theil und Beſchaffenheit der - ſelben; wenn es in ihr lieget, wie wir ſagen, oder wenn das Gegentheil von dieſem ſtatt findet, und die Ver - gleichung wird nur auf dieſelbige Art angeſtellet, ſo muß auch die Wirkung der Denkthaͤtigkeit, oder das Urtheil in allen Faͤllen daſſelbige ſeyn.

Der leere Raum, ſaget eine Parthey der Philo - ſophen, iſt etwas, das nachbleibet, wenn der Koͤrper weg - genommen wird, und ein reelles Ding. Der Gegner urtheilet, er ſey ein pures Nichts. Scheint dieß Bey - ſpiel nicht eine Ausnahme zu machen? Jch meine nicht. Denn ohne Zweifel iſt in dem Kopf des Einen eine an - dere Nebenidee mit dem Begrif des Subjekts oder auch mit dem Begrif des Praͤdikats verbunden, als in dem andern. Die Verſchiedenheit liegt in den Jdeen, ohne daß es vielleicht die Streitenden ſelbſt wahrnehmen, weil jene von dem Gleichlaut der Woͤrter unterdruͤcket wird. Hievon an einem andern Ort. Jeder urtheilet nach ſei - nen Jdeen, und muß darnach urtheilen.

4.

Beſtehen aber alle nothwendigen Urtheile ohne Ausnahme in Gedanken von der Einerleyheit, oder der Verſchiedenheit der Dinge? Dieß iſt ein oft be - ruͤhrter, aber noch nie ins Helle geſetzter Punkt in der Natur des menſchlichen Verſtandes. Einige Philoſo - phen haben alle Urtheile auf dieſe einzige Gedankengat - tung reducirt, daß die Dinge einerley oder verſchieden ſind. Jch habe oben gezeiget,*)Verſuch 4. VII. 6. daß dieß unrichtig ſey,H h 4wenn488VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitwenn von den erſten Beziehungen und von den erſten Grundurtheilen die Rede iſt, wie es hier iſt.

Andere ſtellen die Sache ſo vor: das Praͤdikat, das einem Subjekt beygeleget wird, muß entweder in der Jdee des Subjekts ſchon begriffen ſeyn, oder es muß bey ihr und mit ihr verbunden ſeyn, und wenn man einer Sache etwas abſpricht, ſo muß das Gegentheil ent - weder in ihr vorhanden, oder doch von ihr getrennet ſeyn. Jſt das Praͤdikat in der Jdee des Subjekts be - griffen, ſo iſt es entweder mit der ganzen Jdee des Sub - jekts, oder mit einem Theil von ihr, in dem Fall, wenn es Eine von den mehreren Beſchaffenheiten des Sub - jekts iſt, einerley. Es findet alſo eine Jdentitaͤt zwi - ſchen den beiden Jdeen Statt. Jn den verneinenden Urtheilen iſt es eine Verſchiedenheit zwiſchen dem Praͤ - dikat, und den Beſchaffenheiten des Subjekts, und oͤf - ters ein Widerſpruch zwiſchen ihnen. Setzet man alſo die Klaſſe von Urtheilen, worinn nichts mehr als eine bloße Verbindung, oder nichts mehr als ein Getrennetſeyn der Sachen gedacht wird, als eine ei - gene Gattung von zufaͤlligen Urtheilen bey Seite; ſo bleibet nur die zwote Klaſſe von nothwendigen Ur - theilen uͤbrig. Dieß ſind denn die Gedanken, daß Dinge einerley, oder daß ſie verſchieden ſind. Zu - folge dieſes Raiſonnements wuͤrden alſo alle nothwen - digen Urtheile in Gedanken uͤber die Jdentitaͤt und Di - verſitaͤt beſtehen muͤſſen.

Leibnitz behauptete, das metaphyſiſche Princip der Jdentitaͤt ſey das allgemeinſte Princip aller noth - wendigen Wahrheiten. Wenn er ſeinen eigenen Sinn beſtimmter ausgedruckt haͤtte, ſo wuͤrde er geſagt haben: Der Satz, ein Ding iſt mit ſich ſelbſt einerley, ſey der allgemeinſte Ausdruck aller nothwendigen bejahen - den Saͤtze, ſo wie dagegen das Princip der Dwerſi - taͤt: Ein Ding iſt verſchieden von einem Andern, die489der allgem. Vernunftwahrheiten, c. die allgemeine Formel aller nothwendigen vernei - nenden Saͤtze iſt, in demſelbigen Verſtande, wie das Princip des Widerſpruchs als die allgemeinſte For - mel aller nothwendigen falſchen Saͤtze angeſehen werden kann. Hr. Dalembert ſcheint denſelbigen Ge - danken gehabt zu haben, da er behauptet, daß alle geo - metriſchen Lehrſaͤtze, und nicht dieſe nur, ſondern auch alle phyſiſchen Wahrheiten fuͤr den Verſtand, der ſie in ihrer vollkommenſten Deutlichkeit durchſchauet, nur Ei - ne große Wahrheit ausmachen koͤnnen. *)Jn ſeinem diſcours préliminaire zur Encyclopaͤdie, der zu Zuͤrich 1761. mit Anmerkungen eines dunklen aber ſcharfſinnigen Schweizerſchen Philoſophen deutſch herausgegeben iſt. §. 34. 35.Ein ſehr un - beſtimmter Satz, den ſchon aͤltere Philoſophen geſaget haben. Sind denn dieſe beiden Saͤtze, 9 iſt ſo viel als 9 und 2 iſt gleich 2 nicht eben ſo weit unterſchie - dene Saͤtze, als die Zahlen 9 und 2 ſelbſten ſind, ohner - achtet in beiden das allgemeine Princip: Ein Ding iſt ſich ſelbſt gleich, zum Grunde lieget? Beſondere An - wendungen eines und deſſelbigen Princips auf beſondere mehr beſtimmte aber unterſchiedene Begriffe geben doch verſchiedene Saͤtze, und ſind nicht Ein und derſelbige Satz, wenn anders nicht eine allgemeine Aehnlichkeit mehrerer Urtheile ſchon ein Grund ſeyn ſoll, ſie fuͤr Ein Urtheil anzuſehen. Die geometriſchen Folgerungen und Schluͤſſe beſtehen in einer Subſtitution gleicher und aͤhn - licher Dinge, und in einem Uebergang von Gleichen zu Gleichen. Dieß hat der ſcharfſinnige Mann ohne Zwei - fel im Sinn gehabt, aber doch in der That ſich mehr wi - tzig, als beſtimmt und fruchtbar ausgedruckt, wenn er ſaget, daß alles an ſich nur Eine Wahrheit ausmache. Sonſten kann auch wohl in einer andern Hinſicht der Jn - begrif aller Wahrheiten, der ganze zuſammenhaͤngendeH h 5Umfang490VII. Verſuch. Von der NothwendigkeitUmfang derſelben wie ein Eins angeſehen, und Eine gro - ße unendlich vielbefaſſende Wahrheit, wenn man will, genennet werden.

Ob Leibnitz und Dalembert Recht haben, und in welchem beſtimmten Verſtande, das laͤſſet ſich alsdenn beſſer uͤberſehen, wenn man vorher die mehreren Arten ſubjektiviſch nothwendiger Wahrheiten abgeſondert hat. Jch fuͤrchte hier; wie an mehrern Orten, daß die Be - trachtung zu einſeitig werde, wenn man ſogleich auf ei - ne ſyſtematiſche Einfoͤrmigkeit bedacht iſt. Man ſehe ſich vorher nach allen nothwendigen Wahrheiten um, die verſchiedener Art zu ſeyn ſcheinen; Ob ſie am Ende ſich auf eine einzige zuruͤckbringen laſſen, oder aus Einem und demſelbigen gemeinſchaftlichen Grunde entſpringen, wird ſich alsdenn durch die Vergleichung zeigen, und es liegt weniger daran, wenn dieß auch nicht voͤllig entſchie - den wuͤrde. Es giebt eine ſubjektiviſche Nothwendigkeit in den geometriſchen Demonſtrationen, eine andere in den Grundſaͤtzen uͤber die Dependez, und eine andere in andern allgemeinen Denkarten, die man Suggeſtions - ſaͤtze nennen kann; auch in den ſinnlichen Urtheilen, und in dem Glauben, womit man fremdes Zeugniß fuͤr wahr annimmt. Hr. Beattie hat ſich bemuͤhet, die Natur dieſer Nothwendigkeit zu zeigen, aber es ſcheinet nicht, als wenn er bis auf ihren Grund und Urſprung gedrun - gen ſey. Denn hiezu iſt bey weiten nicht genug, hie und da die Art der ſubjektiviſchen Nothwendig - keit in den Gedanken, aus der allein die objektiviſche Nothwendigkeit der Saͤtze beurtheilet werden kann, an - zugeben; es muß auch der Grund dieſer Nothwen - digkeit in dem Verſtande, oder zum mindeſten das all - gemeine Denkgeſetz, das die natuͤrlich nothwendige Wir - kungsart der Gedanken und Urtheile beſtimmet, aufge - ſucht werden. Dieß ganze große fruchtbare Feld hat Hr. Beattie, wie ſeine Vorgaͤnger, groͤßtentheils ſounauf -491der allgem. Vernunftwahrheiten, c. unaufgehellet gelaſſen, wie es vorher war. Jch kann nicht alles nachholen, aber einige Stellen, die am mei - ſten hervorragen, und von welchen ab die Ausſicht auf die wichtigſten Gegenden hin offen ſeyn wird, will ich etwas mehr bemerklich zu machen ſuchen.

5.

Die Urtheile uͤber die wirklichen unmittelba - ren Gegenſtaͤnde des Bewußtſeyns, die die Er - kenntniß des unmittelbaren Bewußtſeyns aus - machen, ſind in Hinſicht ihrer Form ſchlechthin ſub - jektiviſch nothwendige Aeußerungen der Denkkraft. Jch hoͤre, ich ſehe, ich fuͤhle Schmerz, ich denke, ich ſtelle mir etwas vor, ich erinnere mich; und alle derglei - chen Grundurtheile uͤber unſere Empfindungen ſind eben ſo nothwendig, als nothwendig es iſt, das geometriſche Axiom fuͤr wahr zu halten, daß zwo Summen einander gleich ſind, die aus gleichen zu gleichen addirt, entſte - hen. Es moͤgen meine Empfindungen wahr oder falſch ſeyn, ſo gar ein leerer Schein, wie der Skeptiker es ha - ben will; ſo iſt es dennoch unmoͤglich, anſtatt des Ge - dankens, ich fuͤhle, ich habe eine Jdee, und ich denke, den Gedanken hervor zu bringen: ich fuͤhle nicht, ich habe keine Jdee, ich denke nicht. Jn tiefem Schlaf denke ich weder das Eine noch das andere. Die Denkkraft kann vielleicht eine Weile ſtille ſtehen. Aber wenn und ſobald ſie wirket, ſo ſind dieß ihre Wir - kungen, und ſie kann die entgegengeſetzten durchaus nicht hervorbringen. Das Feuer kann nicht loͤſchen da, wo es zuͤndet, und die Denkkraft kann eben ſo wenig denken; es ſcheine etwas nicht zu ſeyn, wo es ihr doch wirklich zu ſeyn ſcheint, als ſie einen viereckten Zirkel ſich vorſtellen kann.

Da haben wir alſo die zwote Art ſchlechthin nothwendiger Reflexionsaͤußerungen. Die Er -ſte492VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitſte beſtehet in den Urtheilen uͤber die Einerleyheit und Verſchiedenheit der Objekte nach den Jdeen von ih - nen. Die erwaͤhnten Urtheile des unmittelbaren Be - wußtſeyns uͤber Wirklichkeiten machen die zwote aus. Zweifler oder Vernuͤnftler, ſo lange ſie nicht ganz zu den Sinnloſen ſich geſellen, urtheilen hierinn ſo, wie andere Menſchen. Dieſe beiden erwaͤhnten Gattungen von Ur - theilen haben doch auch Hume und Berkeley fuͤr Grund - wahrheiten angenommen.

6.

Es ſind drittens unſere gefolgerten und aus an - dern geſchloſſenen Urtheile nothwendige Urtheile, wenn die Vorderſaͤtze als anerkannte Wahrheiten voraus - geſetzet werden. Der Beyfall, womit wir den Schluß - ſatz annehmen, iſt nicht aufzuhalten, noch zu unterdruͤ - cken, woferne die Vernunft nicht in ihrer folgernden Aktion aufgehalten wird, und ſonſten kein Zweifel bey den Grundſaͤtzen, noch einige Verwirrung in der Art des Schließens uns aufſtoͤßet. Denn indem die Ver - nunft den Schlußſatz aus den Vorderſaͤtzen herausnimmt, ſo wirket ſie nach dem Geſetz der Denkbarkeit, der Jdentitaͤt, und nach dem Grundgeſetz der beiden entgegenſtehenden moͤglichen Faͤlle, in ſo ferne dieſe allgemeine Axiome als formelle Denkungsgeſetze betrachtet werden. Die Denkkraft kann Widerſpruͤche nicht gedenken; ſie ſetzet nothwendig Einerley fuͤr Einer - ley; dieß iſt das Geſetz der Subſtitution; ſie kann nur zwo moͤgliche Faͤlle, Seyn oder Nichtſeyn ſich vorſtellen, und nimmt nothwendig den Einen an, wenn der andere auf etwas widerſprechendes fuͤhret. Jndem ſie dieſen Geſetzen gemaͤß verfaͤhret, kommt ſie auf den Gedanken, der den Schlußgedanken ausmachet. Un - ter der Vorausſetzung alſo, daß ſie denket, und von den fuͤr richtig erkannten Vorderſaͤtzen anfaͤngt, kann ſie denSchluß -493der allgem. Vernunftwahrheiten, c. Schlußgedanken nicht umaͤndern. Die Geometriſchen Theoreme koͤnnen eben ſo wenig von dem Verſtande, der ihre Beweiſe durchdenket, bezweifelt werden, als ihre Axiome. Wenn es geſchaͤhe, ſo muͤßte es daran liegen, weil man die Demonſtrationen nicht ganz durchdenken kann, oder in einige Verwirrung geraͤth.

Die ſubjektiviſche Nothwendigkeit, mit der unſere Reflexion in dieſen drey angefuͤhrten Faͤllen ſo wir - ket, wie ſie wirkt, iſt von einer unuͤberwindlichen Staͤr - ke. Der Hang zum Pruͤfen und Zweifeln, das gefliſ - ſentlichſt muthwilligſte Beſtreben wuͤrde hierinn ein Be - ſtreben gegen ſeine eigene Natur ſeyn, und bleibet im - mer unfaͤhig, ſie umzuaͤndern. Hier iſt die Grenze des Stepticismus, ſo lange noch vernuͤnftelt wird. Alles, was der hartnaͤckigſte Zweifler uͤber ſich vermag, wuͤrde dieß ſeyn, daß er ſeine Vernunftfaͤhigkeit ſchwaͤ - chen und ſie unvermoͤgend machen koͤnne, ſo anhaltend wirkſam zu ſeyn, als es noͤthig iſt, wenn eine Reihe von Schluͤſſen durchgedacht werden ſoll. Wenn ihm dieſe Unterdruͤckung der Vernunft gelingen koͤnnte, ſo muͤßte er freylich daſſelbige erfahren, was Perſonen von ſchwa - chem Verſtande begegnet, die, ob ſie gleich mehrmalen eine Rechnung nachgeſehen, und richtig befunden haben, ſich doch noch wohl durch eine dreiſte Behauptung des Gegentheils zweifelhaft machen laſſen, ob die Rechnung auch wirklich richtig ſey? Aber dahin iſt es doch nicht zu bringen, daß in jedem einzelnen Schluß ein anderer Schlußſatz aus den Vorderſaͤtzen gezogen werde, als der einzige richtige iſt, es ſey denn, daß zugleich in den Jdeen oder in den Vorderſaͤtzen eine Veraͤnderung vor - gehe. Dieſe ſubjektiviſche Nothwendigkeit in unſeren Urtheilen iſt eine Nothwendigkeit von dem erſten Rang, eine abſolute Nothwendigkeit; aber doch eine ſo genannte neceſſitas contrarietatis, eine Nothwendig -keit,494VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitkeit, in der Art und Weiſe zu wirken; nicht eine Noth - wendigkeit zu wirken uͤberhaupt.

Es iſt nicht nur nothwendig, daß wir die Folge - rungen fuͤr wahr anerkennen; wenn wir die Grundſaͤtze dafuͤr annehmen, und die Verbindung von jenen mit dieſen einſehen, ſondern es iſt auch nothwendig, daß wir den Schlußſatz fuͤr abhaͤngig von ſeinen Gruͤnden erklaͤren. Der Schlußſatz iſt um der Vorderſaͤtze wil - len wahr; er wird durch ſie geſetzet, er haͤnget von ihnen ab. Dieß Urtheil iſt gleichfalls ein nothwen - diges Urtheil, ſobald wir uͤber dieſe Beziehung reflek - tiren.

7.

Sollte es viertens unter unſern Urtheilen uͤber die wirkende Verbindung der Urſachen mit ihren Wir - kungen, nicht auch einige geben, die von einer gleichen Nothwendigkeit ſind, und in denen es nemlich eben ſo nothwendig iſt, bey der Gegeneinanderhaltung der bei - den Objekte, von denen Eins die Urſache, das andere die Wirkung genannt wird, zu urtheilen, daß ſie von einander abhangen, als es nothwendig iſt, den Schluß - ſatz fuͤr eine von ſeinen Praͤmiſſen abhaͤngige Folge anzu - ſehen?

Dieſer Gedanke: Ein Ding iſt die Urſache, die ein anders hervorbringet, erfodert, wie vorher weitlaͤuftiger gewieſen worden iſt,*)Verſuch 4. IV. 4. nicht allein, daß wir etwas vorhergehendes und etwas nachfolgendes, und das letztere als ein werdendes oder entſtehendes Ding, in dem Erſtern aber ein Beſtreben und eine Thaͤtigkeit gewahrnehmen, und uns vorſtellen, fondern es wird auch die entſtandene Sache, die Wirkung iſt, als eine ſol - che angeſehen, die nicht von ſelbſt, noch anderswoher ihren Urſprung hat.

Der495der allgem. Vernunftwahrheiten, c.

Der erſte Theil dieſes letztern Gedankens iſt eben ſo ſubjektiviſch nothwendig, als es iſt, einem Dinge, das wir als etwas Entſtehendes und Werdendes uns vorſtellen, eine Urſache zuzuſchreiben, oder mit andern Worten: als es nothwendig iſt, zu denken: Aus Nichts wird Nichts, von welcher Nothwendigkeit ich gleich nachher mehr ſagen will.

Das zweyte Urtheil, daß die Wirkung nicht ſonſten woher entſtanden ſey, iſt alsdenn auch ein nothwendi - ger Gedanke, wenn wir nirgends ſonſten etwas wirkli - ches wahrnehmen, was die Urſache zu dem Entſtande - nen ſeyn koͤnnte. Denn es iſt ein Naturgeſetz der Denkkraft, daß ſie Nichts als ein wirklich vorhande - nes Ding annimmt, oder annehmen kann, ohne ſol - ches entweder zu empfinden, oder in andern Gedanken einen Grund dazu anzutreffen.

Daher iſt es, wenn die zuletzt erwaͤhnte Bedingung Statt findet, ein ſubjektiviſch nothwendiger Gedanke, daß wir die Bewegung des Arms nach dem Willen der Seele fuͤr eine Wirkung unſers Wollens, und das Licht des Tages fuͤr eine Wirkung von der Sonne halten. Der Harmoniſt und der Jdealiſt urtheilet im Anfang eben ſo, wie andere Menſchen, und muß alſo urtheilen, ſo lan - ge nicht in ihm der neue Gedanke hinzu gekommen iſt, daß die Bewegung in dem Koͤrper nach dem Willen der Seele wohl anderswoher, nemlich aus den Kraͤften des Koͤrpers, entſtanden ſeyn koͤnne. Wenn aber dagegen, Spekulation oder Empfindung oder Jnſtruktion, oder was es ſey, dieſen letztern Gedanken ihm beygebracht hat, und wenn dieſer mit demjenigen verbunden wird, was er nicht mehr und nicht weniger wie andere Menſchen, in der Empfindung gewahr wird; ſo hat es die Wirkung, daß der Gedanke von einer wirkenden Verknuͤpfung zwiſchen dem Wollen in der Seele und der Bewegung in dem Koͤrper in ihm zuruͤckgehalten wird, obgleich ſei -ne496VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitne Denkkraft nach einerley Geſetzen wirket, wie bey de - nen, die anders urtheilen.

Da zeiget ſich alſo auch der Grund von dem, was, wie die Erfahrung lehret, oft geſchicht. Das Urtheil uͤber dieſe oder jene beſondere urſachliche Verbindung der Dinge, mag ſo inſtinktartig bey gewiſſen Empfindungen erfolgen, als es wolle, ſo iſt es doch an ſich nicht ſo ſchlechthin nothwendig damit verbunden, daß es nicht auch von denſelbigen Empfindungen getrennet, und ſein entgegengeſetztes, mittelſt der Dazwiſchenkunft anderer Jdeen eingeſchoben werden koͤnne. Es iſt wenigſtens an ſich moͤglich, denn es kann zuweilen dem Verſtande ſchwer genug werden, ehe es dazu kommt; und Zweifels ohne hat es den wenigen ſpekulativiſchen Koͤpfen, die mit innerer Ueberzeugung Harmoniſten, Jdealiſten, oder gar Egoiſten geweſen ſind, Muͤhe gekoſtet, ehe ſie zu einer voͤlligen Glaubensfeſtigkeit in ihrer Meinung ge - langet ſind, wenn ſie ſolche anders jemals wirklich erhal - ten haben.

Hier iſt alſo ein Beyſpiel von ſubjektiviſchen be - dingt nothwendigen Urtheilen. Dieß ſind ſolche, die außer den Gruͤnden, welche das Urtheil in der Denk - kraft beſtimmen, noch die Bedingung erfodern, daß nir - gendswoher ein Hinderniß ſich im Weg lege, und das Urtheil abaͤndere. Ein ſolches Urtheil kann veraͤndert werden, wenn gleich alle vorhandene beſtimmende Gruͤnde bleiben, wie ſie ſind, und nur noch etwas neu - es hinzukommt, das die beſtimmende Kraft der erſtern verhindert. Aber in dieſen Faͤllen iſt auch, um den Beyfall des Verſtandes hervorzubringen, und die an ſich hinreichende Ueberzeugungsgruͤnde wirkſam zu ma - chen, nichts mehr noͤthig, als daß die neuen Jdeen, welche ihnen entgegenſtehen, aus dem Wege geraͤumet werden. So verhaͤlt es ſich in Hinſicht des Syſtems der Jdealiſten und Harmoniſten. Wenn jemandvon497der allgem. Vernunftwahrheiten, c. von ganzem Herzen Meinungen fuͤr richtig haͤlt, die der natuͤrlichen Art zu denken ſo ſehr entgegen ſind, als die - ſe; ſo iſt es nicht noͤthig, mit noch mehrern und ſtaͤrkern Gruͤnden die gewoͤhnlichen Ausſpruͤche des gemeinen Menſchenverſtandes zu beſtaͤtigen, ſondern es iſt genug, wenn man nur das Grundleere der entgegenſtehenden Zweifel ins Licht ſetzet. Denn wenn dieß geſchehen iſt, ſo wird ihr natuͤrlicher Menſchenverſtand, der eben ſo wenig etwas ohne Grund ablaͤugnen, und annehmen kann, als anderer Menſchen ihrer, auch von ſelbſt ſei - nen Weg fortwandern, und ſo urtheilen, wie er vorher urtheilte, ehe er auf die neuen Vernuͤnfteleyen gerathen war. Das aͤußerſte wuͤrde noch ſeyn, daß er ſich in ſei - nen Zweifeln feſt hielte. Aber daß jemand unter der hier angenommenen Bedingung, er ſey von dem Un - grund ſeines Skepticismus in Faͤllen, wo es auf Mei - nungen des Senſus kommunis ankommt, uͤberzeugt, nun in ſich eine innere Beyſtimmung des Verſtandes und Ueberzeugung erzwingen, und dieſe in ſich erhalten koͤnnte; dieß iſt eine phyſiſche Unmoͤglichkeit. Bis hie - her hat die Vernunft eine Medicin gegen Krankheiten des ſpekulativiſchen Geiſtes. Aber die Deklamation, und auch die ſchoͤnſte Deklamation wird keinen Berke - ley oder Hume von ſeiner Meinung abbringen, noch einem Leibnitz die Ueberzeugung von der Harmonie be - nehmen. Die Deklamation iſt recht gut; aber ſie wir - ket nur allemal da an ihrer rechten Stelle, wo die Ver - nunft entweder einen Vorlaͤufer noͤthig hat, der ihr Platz mache, oder wo dieſe gar nicht hinkommen kann, oder wo ſie das Jhrige ſchon gethan hat.

8.

Es giebt aber andere Faͤlle, wo der Verhaͤltnißge - danke, daß ein Ding die Urſache von einem andern ſey, I. Band. J iſchlecht -498VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitſchlechthin nothwendig iſt, ſobald man Urſache und Wirkung gegen einander haͤlt.

Außer den Merkmalen, die bey dem vorhergehen - den Fall erwaͤhnet worden ſind, und die uns auf die Jdee von der urſachlichen Verbindung zwiſchen zwey Gegen - ſtaͤnden bringen, giebt es noch ein anders; nemlich, die Begreiflichkeit der Wirkung aus ihrer Urſache. Wenn dieſe zu den obigen hinzukommt, ſo iſt das Kennzei - chen der Abhaͤngigkeit des Einen von dem andern untruͤglich. Jſt die Begreiflichkeit vollſtaͤndig, ſo iſt ſie allein Kennzeichen genug von einer wahren Verurſa - chung. Wo nun aber alles, die vorerwaͤhnten mit dem letztern Merkmal der urſachlichen Verknuͤpfung beyſam - men ſind, da wird der Verſtand unwiderſtehlich gezwun - gen, ſie ſo zu denken und zu erkennen, als es wirklich geſchicht. Es iſt nur die Frage, ob ſich in irgend einem Beyſpiele, wo wir eine wirkende Verbindung uns vor - ſtellen, eine wahre Begreiflichkeit findet? Sollten wir z. B. begreifen, wie die Seele in den Koͤrper, oder dieſer in jene wirket, ſo muͤßte die Vorſtellung von dem wollenden Beſtreben in der Seele, den Verſtand auch nothwendig auf die Jdee von einer neuen, im Koͤrper entſtehenden Bewegung hinfuͤhren, das iſt, wenn der Verſtand ſich das vorſtellet, was die Urſache und Kraft iſt, ſo mußte er ſo nothwendig auf den Gedanken, daß die Wirkung hervorgebracht werde, uͤbergehen, als von den Vorderſaͤtzen eines Schluſſes auf die Konkluſion, die er aus ihnen herleitet.

So weit das eigentliche Begreifen ſich erſtrecket, das Begreifen einer Wirkung aus ihrer Urſache, ſo weit folgern und ſchließen wir aus Einem Grundſatz auf einen andern, es ſey unmittelbar oder vermittelſt eines Zwiſchenſatzes. Wenn wir folgern und ſchließen, ſo iſt eine abſolute Nothwendigkeit in dem Uebergang von dem Princip zu ſeiner Folge vorhanden, ſo oft dieſerUeber -499der allgem. Vernunftwahrheiten, c. Uebergang der Denkkraft nach dem Geſetz der Subſti - tution, und nach den uͤbrigen nothwendigen Denkge - ſetzen vor ſich gehet, und nur nicht von einer bloßen Aſ - ſociation verſchiedener, an ſich trennbarer, Jdeen in der Einbildungskraft, abhaͤnget. Denn wo dieß letztere Statt findet, da kann alles vorhergehende bleiben, wie es iſt, und die Reflexion dennoch einen andern Gang nehmen, als ſie wirklich nimmt. Wenn alſo der Ge - danke: dieſe Wirkung muß erfolgen, und auf eine be - ſtimmte Art erfolgen, wo eine beſtimmte Urſache unter beſtimmten Umſtaͤnden vorhanden iſt, eine nothwen - dige Folge von der vorhergehenden Jdee von der Urſache ſeyn ſoll, ſo wird entweder eine unmittelbare Folge - rung gemacht, oder es wird Einerley fuͤr Einerley ſub - ſtituiret. Die Wirkung, welche hervorgebracht wird, muß in dieſem Fall Einerley mit dem ſeyn, was in den Jdeen von der Aktion der Urſache ſchon enthalten iſt, nur daß jenes in einem andern Subjekte vorgeſtellet wird. Oder mit andern Worten: die Wirkung in dem Dinge, welches ſie aufnimmt, muß einerley, und gleich - ſam nur die Fortſetzung von dem ſeyn, was in der Thaͤtigkeit der wirkenden Kraft als vorhanden vorgeſtel - let und gedacht wird.

Da ſehen wir moͤgliche Faͤlle, wo der Gedanke von der urſachlichen Verbindung ſeiner Form nach ein ſubjektiviſch abſolut nothwendiger Gedanke ſeyn wuͤrde; aber zugleich ſieht man auch den Grund, warum von unſern Verhaͤltnißgedanken uͤber die wirklichen Verknuͤpfungen in der Welt ſo wenige oder gar keine dahin gehoͤren.

Wir begreifen bey den wirklichen Verurſachungen manches, aber keine von ihnen voͤllig. Wenn eine in Bewegung geſetzte Kugel auf eine andere ruhende zufaͤh - ret, ſo muß zum mindeſten eine von ihnen, wenn nicht alle beide ihren Zuſtand veraͤndern. Jch ſage, dießJ i 2letztere500VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitletztere begreifen wir aus dem erſten. Allein wie? Wir haben eine Jdee von dem Zufahren der Einen Ku - gel gegen die andere; wir haben eine Jdee von dieſer Bewegung und ihrer Richtung; und dann auch eine Jdee von der im Wege liegenden ruhenden Kugel. Dar - aus entſpringet nun die Jdee von der Veraͤnderung des Orts in einer von beiden. Allein dieſe Jdee entſtehet noch aus jenen nicht, als vermittelſt eines andern Ge - danken, daß beide Kugeln undurchdringlich ſind, und alſo nicht zugleich Einen und denſelbigen Raum einneh - men koͤnnen. Jn ſo ferne dieſer letzte Huͤlfsgedanke, der unſere Reflexion fortfuͤhret, nichts anders iſt, als eine aus Empfindungen erlangte Jdeenaſſociation, ſo iſt der Schritt der Denkkraft, der von ihr abhaͤngt, doch nicht abſolut nothwendig. Und alsdenn iſt es auch der ganze Uebergang, von der Vorſtellung der Urſache und der Umſtaͤnde, zu der Jdee von der Wirkung, nicht. Da hoͤret denn, ſo zu ſagen, das eigentliche Begreifen auf. Jnzwiſchen koͤnnen wir doch auch ſagen, daß in dieſem Fall etwas ſchlechthin nothwendiges in unſerm Urtheil liege. Denn die Undurchdringlichkeit der Koͤr - per einmal als ein Grundſatz angenommen, ſo iſt gewiß, es kann aus den angefuͤhrten Vorbegriffen durch eine nothwendige Folgerung der Gedanke herausgebracht werden, daß Eine von den beiden Kugeln ihren Platz veraͤndern muͤſſe, oder auch alle beide.

Dieſe Anmerkungen machen das ſonderbare Phaͤ - nomen in der Geiſterwelt, das Daſeyn einer Philoſophie begreiflich, welche alle urſachliche Verbindungen zwi - ſchen den Dingen in der Welt, alle wirkliche Einwirkun - gen der Subſtanzen in einander aufhebet. So ſelten dieſe Meinung mit Ueberzeugung geglaubet werden mag, und ſo weit ſie von der gemeinen Wirkungsart des Men - ſchenverſtandes abweichet, ſo giebt es doch wirklich ſol - che Jdeenverbindungen, durch welche die Denkkraftvon501der allgem. Vernunftwahrheiten, c. von ihrer gewoͤhnlichen Richtung bis dahin abgelenket werden kann.

9.

Noch eine andere Frage iſt es, ob und in wie ferne alle verurſachende Verknuͤpfungen uͤberhaupt wegver - nuͤnftelt werden koͤnnen? Wir haben ein Axiom der Ver - nunft: Nichts entſtehet ohne eine Urſache. Laſſet uns annehmen, bey jeder beſtimmten Wirkung, die wir fuͤr entſtanden erkennen, laſſe ſich keine beſtimmte Ur - ſache angeben, bey der nicht gezweifelt werden koͤnne, daß ſie die wahre ſey; ſollte denn der Verſtand auch daran zweifeln koͤnnen, ob es uͤberhaupt eine Urſache eines ſol - chen werdenden Dinges in oder außer uns geben wuͤſſe? Selbſt Berkeley, und der ſchon oft erwaͤhnte Virtuos im Skepticiren, Hr. Hume, als Verfaſſer der Schrift: uͤber die Natur des Menſchen, haben von dieſem Axiom der Vernunft, daß ein werdendes Ding eine Urſache habe und haben muͤſſe, Anwendung und Gebrauch ge - macht, obgleich der letztere ſolches als einen durchaus und nothwendig allgemeinen Grundſatz bezweifelt hat.

Wir ſehen alle Tage gewiſſe Scheine, und hoͤren Schallarten, die hervorkommen, ohne daß wir von ei - nem andern ſie verurſachenden Dinge etwas empfin - den, ja ohne uns um ein ſolches einmal zu bekuͤmmern. Wir haben alſo Empfindungen, aus denen ſich ein Be - griff von Dingen abſtrahiren ließe, die entſtehen und vergehen, ohne daß ſonſten etwas vorhanden ſey, das ſie hervorbringet, oder vernichtet. Dieſe Abſtraktion von Dingen, die ohne Urſache, von ſelbſt, geworden ſind, haben auch einige Philoſophen nicht nur gehabt, oder es doch wenigſtens geglaubt, ſie zu haben, ſondern ſie auch auf Fakta in der Welt angewendet. Es ſcheinet doch alſo, ſo ſchlechthin der Denkkraft nicht nothwendig zu ſeyn, mit der Jdee eines werdenden oder geworde -J i 3nen502VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitnen Dinges den Gedanken zu verbinden, daß noch et - was anders vorher geweſen ſeyn muͤſſe, wodurch es her - vorgebracht werde, oder hervorgebracht worden ſey. Dem Einfaͤltigen, dem Mann von ſchwachem Mutter - witz wird es leichter gelingen, die Gedanken zu verbin - den, es entſtehe etwas, und es habe keine Urſache, als dem Nachdenkenden, deſſen Verſtand es gewohnt iſt, ſich nach einer Urſache umzuſehen. Kinder und Wilde laſſen ſich die ungereimteſten Luͤgen erzaͤhlen und nehmen ſie mit Verwunderung und Erſtaunen auf, ohne daß es ihnen einfaͤllt, zu fragen, wie und auf welche Art das zugehe oder zugegangen ſey?

Es ſcheinet, die Sache von dieſer Seite betrachtet, die ſubjektiviſche Nothwendigkeit in dem Princip: Nichts ohne Urſache, ſey nur bedingt und einge - ſchraͤnkt, weil die Denkkraft von dieſem Geſetz des Den - kens abweichen kann, und zuweilen wirklich davon ab - zuweichen ſcheinet. Allein man ſehe die vermeinten Ab - weichungen genauer an, und es wird ſich bald zeigen, daß ſie wirklich keine ſind. Der Dummkopf denket nicht weiter, als auf die ihm vorliegende Jdee von dem werdenden Ding; ſeine Reflexion iſt mit der Ergrei - fung dieſer Jdee ſchon genug beſchaͤftiget, und endiget dabey ihre ganze Wirkſamkeit. Er denket alſo gar nicht an eine Urſache, und laͤugnet ſie eben ſo wenig ab, als er ſie behauptet. Was er erlanget, iſt eine Jdee von den Dingen, die geworden ſind, aber er ſtellt ſich ſolche nicht als gewordene Dinge vor. Man mache den Verſuch, ſich entſtandene Dinge als entſtandene, ohne Urſa - che vorzuſtellen, ſo wird das innere Selbſtgefuͤhl es ſa - gen, daß mit der Jdee des Entſtehens und des Wer - dens die Jdee von einer hervorbringenden Urſache ſo innig verbunden ſey, daß man dem Naturtrieb der Re - flexion, die zu den Gedanken von einer vorhandenen Ur - fache uͤbergehet, mit Gewalt widerſtehen, und zu demEnde503der allgem. Vernunftwahrheiten, c. Ende auf ſolche Faͤlle, als ich vorher angefuͤhret habe, wo entſtandene Dinge ohne ihre Urſachen empfunden wor - den ſind, zuruͤckſehen, lebhaft ſich ſolche vorſtellen und dadurch den Gedanken von einer Urſache zuruͤckhalten muͤſſe. Sobald die Aufmerkſamkeit von einigen beſon - dern Faͤllen abgewendet, und ein Ding uͤberhaupt als Entſtanden betrachtet wird, ſo verraͤth ſich wiederum die natuͤrliche Neigung des Verſtandes. Wenn etwan die Erinnerung, daß in vielen Faͤllen doch keine Urſa - che gewahrgenommen werde, ſich in den Weg leget, ſo darf man dieſer nur den Gedanken entgegen ſetzen: daß eine Urſache doch wohl daſelbſt vorhanden geweſen ſeyn koͤnne, und in ſo vielen Faͤllen wirklich vorhanden geweſen ſey, ob man gleich ſie nicht bemerket habe; und man wird finden, daß die Reflexion alsdenn ihren freyen Gang geht, und nothwendig und unaufhaltſam mit der Jdee von einem entſtandenen Dinge den Ge - danken verbindet, daß es ein verurſachtes, oder von einem andern Dinge hervorgebracht ſey.

Die natuͤrliche, die ſubjektiviſche Nothwendig - keit iſt alſo wirklich vorhanden, und es iſt nur die Frage, worinn ſie ihren Grund habe. Einige Philoſo - phen ſehen ſie fuͤr eine Folge der Gewohnheit an. Der Satz; Nichts ohne Urſache, iſt, ihrer Meinung nach, ein Erfahrungsſatz und aus den Empfindungen. Wir haben zu den entſtehenden Dingen, da wo ſie unſern Sinnen vorgekommen ſind, beſonders in unſerm Jnnern, andere vorhergehende Urſachen gefunden; und daraus eine Abſtraktion von einem Entſtehenden Dinge gemacht, worinn die Beziehung deſſelben auf eine Urſache ſchon enthalten iſt. Und dieſen Begriff haben wir nachher auf alle Arten von Veraͤnderungen und Erſcheinungen angewendet, von welchen wir erkannt, daß ſie einmal nicht vorhanden geweſen, ſondern geworden ſind. Ob alſo nun gleich der allgemeine Grundſatz: Ein entſtan -J i 4denes504VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitdenes Ding iſt ein abhangendes Ding, ein nothwen - diger Satz iſt, in ſo ferne wir in unſerm Begriff vom Entſtehen den Begriff von Abhaͤngigkeit einſchließen, ſo ſey doch die Verbindung dieſer beiden Merkmale zu Einem Begriff nirgends anders, als aus ihrem Bey - ſammenſeyn in den Empfindungen her, in wel - chem ihre Vereinigung in der Phantaſie ſeinen Grund habe.

Dieſer angegebene Grund ſcheint mir nicht hinrei - chend zu ſeyn, dieſe Nothwendigkeit zu erklaͤren. Ver - gleichet man die Menge der Faͤlle, in denen wir nichts mehr als entſtehende Wirkungen, ohne ihre Urſache, empfinden, mit den entgegengeſetzten, wo beides zuſam - men iſt; ſo ſehe ich nicht, warum nicht eben ſo wohl der Hang, Etwas ohne Urſache zu gedenken, ſich in uns feſtſetzen koͤnnte, als der entgegengeſetzte, den wir ha - ben. Ueberdieß haben auch die aus Gewohnheit entſtan - dene und allein auf eine Koexiſtenz in den Empfindungen beruhende Denkarten einen Charakter an ſich, wovon ich nachher ſagen will, der noch einen naͤhern Grund an die Hand giebt, dieſe, von welcher hier die Rede iſt, aus ihrer Klaſſe auszuſchließen.

Mich deucht, die Urſache von der Verbindung der Abhaͤngigkeit mit dem Begrif des Entſtehens, lie - ge tiefer in der Natur unſerer Denkkraft. Es iſt ein Geſetz des Beyfalls wie es von einigen genennet worden wenn die Reflexion bey der Betrachtung und Vergleichung zweyer Jdeen nichts in ihnen antrift, warum ſie bejahend oder verneinend uͤber ſie urtheilen ſollte; ſo entſtehet gar kein Urtheil, oder kein Verhaͤlt - nißgedanke, ohne daß ein anderer Grund hinzu komme, und die Reflexion beſtimme. Wo beide kontradikto - riſch entgegenſtehende Faͤlle vorliegen, da entſcheidet die Denkkraft nicht und kann nicht entſcheiden, ohne einen hinzukommenden Grund, der nun in Hinſicht der ver -glichenen505der allgem. Vernunftwahrheiten, c. glichenen Jdeen und der Denkkraft, ein aͤußerer Grund iſt. Es hindert nicht, daß dieſer Grund oͤfters unrich - tig iſt, wenn er vernuͤnftig geſchaͤtzet wird. Genug er iſt allemal vorhanden. Dieß iſt ein Beobachtungs - ſatz.

Von dieſem allgemeinen Denkungsgeſetz iſt folgen - des ein beſonderer Fall: Wenn wir einem Dinge als einem Subjekt, das wir uns als unwirklich vorſtel - len, nun das Praͤdikat zuſchreiben ſollen, daß es ein wirklich vorhandenes Ding ſey, ſo muß in unſern Gedanken irgendwo ein Grund zu dieſem letztern Ur - theil vorhanden ſeyn, der von der Jdee die wir von dem erwaͤhnten Subjekt haben verſchieden iſt.

Wird ein ſolches vorher unwirkliches Objekt von uns empfunden, ſo enthaͤlt dieſe Empfindung den er - foderlichen Grund des Urtheils. Setzen wir dieſen Fall beyſeite, ſo muß anderswo ein ideeller Grund des Ge - dankens vorhanden ſeyn.

Es heißt dieß mit andern Worten ſoviel: Das Praͤdikat der Exiſtenz kann die Denkkraft mit keiner Jdee, in der es nicht ſchon fuͤr ſich enthalten iſt, ver - binden, und alſo kein Ding als ein Entſtandenes ge - denken, wenn ſie nicht durch einen Grund, der fuͤr ſie ein phyſiſcher, eigentlich ein pſychologiſcher Grund iſt, dazu gebracht worden iſt.

Daraus folget, daß wenn auch die Abſtraktion von dem Entſtehen oder Werden, ſo wie ſolche aus den Empfindungen gezogen iſt, noch die Jdee von der ur - ſachlichen Beziehung des Entſtandenen auf ein an - deres nicht in ſich ſchließet, ſo iſt es doch nicht moͤglich, daß dieſes Praͤdikat jemals mit der Jdee eines Subjekts verbunden werde, ohne daß dieſer Aktus des Denkens ein Effekt ſey, der in einer urſachlichen Verbindung mit einer Vorſtellung oder Empfindung oder einemJ i 5Gedan -506VII. Verſuch. Von der NothwendigkeitGedanken ſtehet, welcher von der Jdee des Subjekts verſchieden ſey.

Jn der That enthaͤlt unſer gewoͤhnlicher Grundbe - grif von dem Entſtehen ſchon die Jdee von einer Ab - haͤngigkeit und urſachlicher Verbindung in ſich. Denn die mehreſten empfundenen Entſtehungen, zumal die in - nern, haben klar genug andere Gefuͤhle bey ſich gehabt, welche die Materie zu dem Verhaͤltnißgedanken von der urſachlichen Verbindung ausmachen, aus der dieſer Ge - danke gemacht wird. Aus ſolchen Empfindungen iſt die Abſtraktion ohne Zweifel zunaͤchſt gezogen worden, ſo wie ſie in dem gemeinen Verſtande vorhanden iſt. Aber da es andere Empfindungen giebt, wo Dinge entſtehen, ohne daß etwas von ihrer Urſache mit empfunden wird, ſo konnte der letztere Zuſatz in dem Gemeinbegrif auch wohl von ihm wieder abgeſondert werden.

Es iſt alſo nicht ſo wohl die aus der Empfindung herruͤhrende Verbindung der Jdee von Abhaͤngigkeit mit der Jdee von dem Entſtehen, ſondern vielmehr die Ab - haͤngigkeit des Gedankens, wenn wir ein Ding als ein entſtandenes, oder wirklich gewordenes Ding erken - nen, und die Unentbehrlichkeit eines ideellen Grundes hiezu, die wahre phyſiſche Urſache von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit, mit der ein Entſtandenes Ding zugleich auch als ein von einer andern Urſache abhangendes und hervorgebrachtes gedacht wird.

Dieß geht ſo zu. Die Unentbehrlichkeit einer ideellen Urſache zu der ideellen Exiſtenz in uns, wird auf die objektiviſche Exiſtenz der Dinge außer uns uͤbergetragen. So wie in uns der Gedanke ein unwirklich geweſenes Ding ſey zur Exiſtenz gekommen, ſeinen pſychologiſchen Grund haben muß, der vor der Wirkung vorhergehet, und alſo im Verſtande ein ſub - jektiviſcher Grund a priori iſt, ſo muß auch jedes ſol - ches Objekt außer dem Verſtande ſeinen objektiviſchenGrund507der allgem. Vernunftwahrheiten, c. Grund a priori haben, von dem es abhaͤngt. Hier ge - ſchicht eine Subſtitution des Objektiviſchen, und des Subjektiviſchen, welche uͤberhaupt der Grund iſt, wodurch wir dasjenige den Dingen außer uns beylegen, was wir in ihren Jdeen in uns erkennen. Das Objekt außer dem Verſtande wird auf dieſelbige Art auf andere Objekte bezogen, wie das ideelle Objekt auf andere Jdeen; und das objektiviſche Entſtehen der Dinge wird als ſo etwas angeſehen, mit dem es ſich auf dieſel - bige Art verhaͤlt, und das auf andere Objekte eben ſo hinweiſet, und von einem andern abhaͤngig iſt, wie das ſubjektiviſche Ding, das iſt, wie der Gedanke, oder die Vorſtellung davon in uns.

Dieſe Betrachtungen fuͤhren endlich auf den Schluß - ſatz: Es gehoͤret zu den natuͤrlich nothwendigen Denk - arten, ſich ein entſtehendes Ding, als ein verurſach - tes von einem andern, vorzuſtellen, oder, zu einem Dinge, welches wird, ſich eine Urſache zu gedenken, von der es hervorgebracht wird.

10.

Die Abhaͤngigkeit eines werdenden Dinges von ſei - ner Urſache nehmen wir nunmehr als ein Merkmal in der Jdee des Entſtehens gewahr, auf dieſelbige Art, wie wir andere Beſchaffenheiten in den Dingen erkennen. Da wird vor meinen Augen eine Figur ſichtbar. Jch ſehe in dieſer Vorſtellung, Figur, Farbe und Groͤße als abſolute Beſchaffenheiten, welche dem gewordenen Din - ge zukommen. Sobald ich aber dieſe Sache als ein entſtandenes Ding gedenke, ſo weiſet ſie mich auf ei - ne Urſache hin. Da ich dieſe Urſache noch nicht kenne, ſo iſt keine Vergleichung zwiſchen der Urſache und ihrer Wirkung vorgegangen, durch welche der Gedanke von Verurſachung entſtanden waͤre. Die Denkkraft hat vielmehr den Verhaͤltnißbegrif von der Verurſachungmit508VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitmit der Jdee des Entſtehens verbunden, und mittelſt dieſer Verbindung iſt ſie von Einem der ſich auf einan - der beziehenden Dinge auf die Beziehung ſelbſt gekom - men. Sie kann in einigen Faͤllen auch beſondere Be - ſchaffenheiten der Urſache, als des zweyten Relatums, aus der Jdee von der Wirkung und der Verurſachung herausbringen.

Es giebt noch mehrere Verhaͤltnißgedanken, die nicht aus einer Gegeneinanderhaltung der ſich auf ein - ander beziehenden Dinge (relatorum,) ſondern aus der Jdee des Einen von ihnen, entſpringen. Wir den - ken die Farbe, die Figur, die Bewegung, und andere Beſchaffenheiten der Dinge, und dieſe fuͤhren uns von ſelbſt auf ihre Jnhaͤrenz in einer Subſtanz, indem ſie als Beſchaffenheiten oder Beſtimmungen vorhan - den ſind. So oft wir eine Beſchaffenheit uns vorſtel - len, ſo geben wir ihr ein Subjekt, und gedenken ſie in dieſem.

Hr. Reid hat dieſe letztere Klaſſe von Urtheilen Sug - geſtionsurtheile genannt, Urtheile aus einem natuͤr - lichen Antrieb, oder aus Eingebung. Wenn man aus ſolchen Saͤtzen, in welchen aus Einem Relatum der Gedanke von der Relation entſpringet, eine eigene Gattuug machen will, ſo muͤſſen noch mehrere dahin ge - bracht werden. Aus der Vorſtellung Eines Dinges urtheilen wir in vielen Faͤllen, daß es mehrere andere ihm aͤnliche gebe, wovon die Gewohnheit abhaͤnget, das, was wir bey Einer Sache oder Perſon gewahrnehmen, ſogleich unmittelbar einigen, das iſt, mehrern, zu - ſchreiben. Jn allen Arten von Verhaͤltniſſen, auch bey den Koexiſtenzarten finden wir Beyſpiele ſolcher Sug - geſtionen von Verhaͤltnißgedanken, die durch die Vor - ſtellung des Einen Theils der in Relation ſtehenden er - zeuget werden. Man ſiehet es einer Sache in vielen Faͤllen an, nicht nur, daß ſie mit andern koexiſtire, ſon -dern509der allgem. Vernunftwahrheiten, c. dern auch bey und unter welcher Art von Dingen ſie ſich befunden habe. Aber ich ſehe nicht ab, was es fuͤr Nu - tzen haben wuͤrde, dieſe Arten von Suggeſtionen unter Einem Namen zu vereinigen. Die Urſachen, welche in dieſen Faͤllen wirken, die der Denkkraft Trieb geben, und ſowohl die Art, als Richtung ihrer Wirkſamkeit be - ſtimmen, ſind ſo verſchieden, daß man die Erforſchung der erſten Grundgeſetze des Verſtandes mehr befoͤrdert, wenn man ſie von einander abgeſondert haͤlt, als ſie in dem gemeinſchaftlichen Namen unter einander miſchet.

Die Urſache, warum wir die Bewegung, die Far - be, die Figur, den Gedanken u. ſ. w. nicht anders, als in der Geſtalt der Accidenzen uns vorſtellen, die ein Subjekt vorausſetzen, worinn ſie exiſtiren, offenbaret ſich bald, wenn wir auf den Urſprung ſolcher Begriffe zuruͤckgehen. Das Allgemeine davon iſt oben ſchon aus - einander geſetzet. *)Fuͤnfter Verſuch. V. Wir haben die Jdeen von dieſen Beſchaffenheiten nicht anders erhalten, wir haben ſie nie - mals auf eine andere Art gehabt, und haben koͤnnen, als in dieſer Geſtalt. Sie ſind jederzeit nur einzelne Zuͤ - ge von andern Ganzen geweſen, und zwar von ſol - chen, deren Gegenſtaͤnde wir allein fuͤr ſich abgeſondert als exiſtirend empfunden, und als ſolche gedacht haben. Wo die Figur in einem Baum bemerket worden iſt, da war eine ganze Empfindungsvorſtellung eines Baums oder eines fuͤr ſich beſtehenden Dinges, und dieß Ganze war in ſo weit unzertrennlich, weil wir es zuſam - men nehmen mußten, um es allein fuͤr ſich als exiſtirend gedenken zu koͤnnen. Von dieſem Ganzen war das, was wir die Vorſtellung einer Figur nennen, ein Theil, aber nur ein Theil, der nirgends und niemals als ein ei - genes abgeſondertes Ganze uns vorgekommen iſt. Was Wunder alſo, daß dieſe Vorſtellung auch niemals wie -der510VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitder in uns zuruͤckkommt, als nur in der Geſtalt eines Theils von einem Ganzen. Zwar iſt das Gemeinſchaft - liche und Aehnliche mehrerer Dinge in einem gewiſſen Grade zu einer eigenen Art von Dingen, nemlich zu all - gemeinen Dingen gemacht worden, wir haben dieſe abgeſondert, und mit Woͤrtern bezeichnet, und die noch weiter gehende Lebhaftigkeit der platoniſchen Phantaſie hat ſie zu beſonders exiſtirenden Subſtanzen gemacht; aber ihr Anſchein von Subſtanzialitaͤt iſt nicht beſtaͤndig, und verliert ſich, ſo bald wir ihre ſinnlichen Zeichen bey Seite ſetzen, und ſie uns anſchaulich vorſtellen. Dann ſind es wiederum nur Zuͤge, die in dieſen ſowohl, als in jenen Gemaͤhlden, aber niemals anders, als in einer Verbindung mit andern, in uns gegenwaͤrtig ſind. Die Aehnlichkeiten und Verſchiedenheiten ſetzen Dinge voraus, die ſich aͤhnlich und verſchieden ſind (res relatas).

Wenn alſo die Accidenzen nicht anders vorgeſtellet werden koͤnnen, als auf die Art, daß ſie auf etwas an - ders, was ihr Subjekt iſt, hinweiſen, ſo liegt die Ur - ſache davon in der Entſtehungsart dieſer Vorſtellun - gen, in der Aſſociation der Einbildungskraft, und in dem nothwendigen Geſetz der Denkkraft, keiner Vorſtellung ſich auf einer anderen Art bewußt zu ſeyn, als auf der - jenigen, in welcher ſie in uns gegenwaͤrtig ſind.

Jſt es aber ſubjektiviſch nothwendig, die Be - ſchaffenheiten der Dinge ſich in den Dingen, als etwas dieſen zukommendes, vorzuſtellen, ſo muß doch dieſe Nothwendigkeit entweder nicht ſo unbedingt ſeyn, daß ſie nicht uͤberwunden werden koͤnne, oder es iſt ein pſy - chologiſches Paradoxon, daß Hume in dem mehrmalen gedachten Buch die Exiſtenz der Seele, als eines Sub - jekts der Gedanken hat bezweifeln koͤnnen, da er die Ge - danken ſelbſt fuͤr etwas wirkliches anerkannte. Nie ha - ben wohl den Scholaſtiker ſeine Abſtraktionen als einſei - tige Begriffe weiter verleitet, als hier den ſcharfſinnigenMann511der allgem. Vernunftwahrheiten, c. Mann einſeitig beachtete Gefuͤhle. Denn dieſe Einſei - tigkeit iſt der Grund einer ſo unnatuͤrlichen Abſonderung, da er von den Jdeen, von den Beſchaffenheiten die ihnen anklebende Beziehung auf ein Subjekt getrennet hatte. Hume hat ſo wenig als ein anderer Menſch das, was eine Jdee oder ein Gedanke iſt, ſich voll und lebhaft vor - ſtellen koͤnnen, ohne zugleich ein Subjekt dazu zu denken, und im Ernſte hat er es wohl nicht geglaubt, daß Jdeen ſolche einzelne abgeſonderte Exiſtenzen fuͤr ſich ſind, als ſie ſich, wie er behauptete, den unmittelbaren Bewußt - ſeyn darſtelleten. Laß es indeſſen, wenigſtens in dem Augenblick der Spekulation, ihm ein Ernſt mit dem Zweifel geweſen ſeyn, ſo laͤßt ſich dieß Phaͤnomen wohl erklaͤren. Die Urſache, warum wir dieſe oder jene Be - ſchaffenheit uns nicht anders, als in einem Subjekt vorhanden, vorſtellen koͤnnen, iſt, weil wir eine ſolche Beſchaffenheit nicht ſo abgeſondert, fuͤr ſich allein em - pfinden koͤnnen. Die natuͤrliche Koexiſtenz in den Empfindungen iſt alſo der Grund, warum wir ſie in die Jdeen von Objekten hineinlegen, mit Vorſtel - lungen von Dingen verbinden, und ſie als Zuͤge von die - ſen gedenken. Aber, wie vorher geſagt iſt, durch eine ſtarke Abſonderung in Gedanken ſubſtantificiren wir ja ſo manches Accidenz. Und wenn nun eine ſolche Tren - nung in Gedanken durch einige Raiſonnements befoͤrdert wird, wie ſollte denn nicht eine Art von augenblicklicher Ueberzeugung wenigſtens entſtehen koͤnnen, daß die na - tuͤrliche Denkweiſe der Reflexion, die eine Beſchaffenheit in ein Subjekt hinſetzet, nur zufaͤllig ſey, in einem Unvermoͤgen des menſchlichen Verſtandes ſeinen Grund habe, und alſo weiter nichts als ein ſinnliches Urtheil ſey, wie das Urtheil des Schaͤfers von der Geſtalt des Him - mels. Solche dazwiſchentretende Gedanken haben als - denn die Wirkung, daß die Beziehung auf ein Subjekt, welche den Jdeen von den Beſchaffenheiten ankleben,noch512VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitnoch mehr verdunkelt wird, und noch weniger der Refle - xion vorlieget, wenn dieſe ihr Urtheil faͤllt. Das na - tuͤrliche Urtheil wird alſo, wenn nicht ganz unterdruͤcket, doch in etwas zuruͤckgehalten.

Jn dieſen Beyſpielen ſehen wir eine eigene Gattung von ſubjektiviſch nothwendigen Gedanken, die beſonders ausgezeichnet zu werden verdienet. Sie ſind phyſiſch nothwendig, und hangen doch ab, von ge - wiſſen Verbindungen in den erſten Empfindungen. Der Grund der Nothwendigkeit lieget in einer, unſern Vor - ſtellungen aus ihrem Urſprung anklebenden Beſchaffen - heit, die eigentlich von ihnen unzertrennlich iſt, aber doch mittelſt einer Abſtraktion, zwar nicht voͤllig abge - ſondert, aber doch in ſo weit unterdruͤckt werden kann, daß wir die Vorſtellungen ſelbſt, nach ihren uͤbrigen Zuͤ - gen gegenwaͤrtig haben, ſie vergleichen, und uͤber ſie ur - theilen koͤnnen, ohne jener ihre Beſchaffenheit, mit der ſie auf andere hinweiſen, ſo deutlich gewahrzunehmen, daß unſere Urtheile auch nothwendig in jedwedem Fall von dieſen letztern beſtimmet wuͤrden. Dieſe Gattung ſchien es mir zu verdienen, daß ich mich beſonders bey ihr aufhielt.

11.

Ueberhaupt laſſen ſich die ſubjektiviſch nothwen - digen Denkarten, Gedanken, Saͤtze, Urtheile nach der Verſchiedenheit der Gruͤnde, worauf dieſe Noth - wendigkeit beruhet, und ihrer Quelle, woraus ſie ent - ſpringet, unter gewiſſe allgemeine Klaſſen bringen.

I.) Die ſubjektiviſch nothwendige Formen der Urtheile, vorausgeſetzt, daß die Vorſtellungen oder Jdeen von den Objekten, auf deren Beziehung und Verhaͤltniß es ankommt, ſo ſind, wie ſie wirklich alsdenn in uns ſind, indem wir denken, das heißt, die Noth - wendigkeit der Denkweiſe, iſt in der Natur derDenk -513der allgem. Vernunftwahrheiten, c. Denkkraft an ſich gegruͤndet. Wir kennen wenig - ſtens einige von dieſen allgemeinen Naturgeſetzen, denen der Verſtand als Verſtand ſo unterworfen iſt, wie das Licht dem Geſetz des Zuruͤckfallens und des Brechens.

Widerſprechende Dinge, viereckte Zirkel, kann die Denkkraft nicht denken; wir koͤnnen kein Bild, noch Vorſtellung davon machen; wir ſchreiben ſolchen Sachen nicht nur keine Wirklichkeit, kein Seyn zu, ſondern wir koͤnnen ihm dergleichen nicht zuſchreiben. Dieß iſt das Geſetz der Denkbarkeit, des Wider - ſpruchs; der Grundſatz aller nothwendigen Falſchheiten.

Zwiſchen zwey kontradiktoriſch einander ent - gegenſtehenden Faͤllen laͤßt ſich kein dritter ge - denken, und wenn Einer von ihnen auf etwas Wider - ſprechendes hinfuͤhrt, ſo muß der zweete nothwendig als der wahre angenommen werden. Dieß iſt der Grund - ſatz aller moͤglichen Faͤlle. Seyn oder Nichtſeyn. So ſeyn oder nicht ſo ſeyn u. ſ. f.

Wir muͤſſen Ein Ding mit ſich ſelbſt fuͤr Ei - nerley halten. Wenn A nicht als Einerley vorge - ſtellet wird, wie B, ſo muͤſſen wir ſie als verſchiedene Dinge anſehen. Dieß iſt das Geſetz der Jdenti - taͤt und der Diverſitaͤt.

Wenn wir A als ein wirklich vorhandenes Ob - jekt empfinden, und auch B als ein ſolches empfinden, und zwiſchen dieſen beiden Empfindungen andere Objekte empfunden werden, oder wenn doch ein Aktus des Empfindens zwiſchen ihnen vorgeht, deſſen groͤſſere oder geringere Laͤnge uns fuͤhlbar iſt, ſo muͤſſen wir A und B als von einander, mehr oder minder, abſte - hend gedenken. Das Grundgeſetz der Koexiſtential - relationen oder der unwirkſamen Beziehungen.

Andere dergleichen Formen der Verhaͤltnißgedan - ken oder Denkarten will ich hier uͤbergehen. Es kannI. Band. K kaus514VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitaus dem obigen leicht begriffen werden, daß es derglei - chen allgemeines Geſetz auch fuͤr die Urtheile uͤber die verurſachende Verbindung und uͤber die Abhaͤn - gigkeit gebe.

Wo ſoll man den Grund von dieſen nothwendigen Denkarten ſuchen? Er liegt in der Natur des Ver - ſtandes. Ob es angehe, daß ſie ſich alle in eine einzige nothwendige Denkart, in diejenige, die in dem Grund - ſatz des Widerſpruchs angegeben wird, aufloͤſen laſſen, wie unſere Metaphyſiker bisher es zu thun verſucht ha - ben? das laſſe ich dahin geſtellet. Jch kann ſie nicht darauf zuruͤck fuͤhren, ſo wenig als alle nothwendige Ur - theile auf Gedanken von Einerleyheit und Verſchieden - heit.

Zu dieſer Gattung gehoͤren auch alle Saͤtze des un - mittelbaren Bewußtſeyns; ich denke, ich fuͤhle, ich will, es kommt mir ſo vor, es ſcheint mir u. ſ. f. Dieß ſind Urtheile uͤber einzelne Veraͤnderungen von mir ſelbſt, unmittelbare Empfindungsurtheile, worinn die Praͤdi - kate von Denken, Fuͤhlen, Wollen, Scheinen mit ei - ner gegenwaͤrtigen Empfindungsvorſtellung nach dem Geſetz der Jdentitaͤt verbunden werden.

Daß ich zugleich denke und nicht denke, zugleich wolle und nicht wolle, iſt unmoͤglich, vermoͤge der Na - tur der Seele; daß ich zugleich urtheilen koͤnnte: ich denke, und auch, ich denke nicht, iſt unmoͤglich vermoͤge der Natur der Denkkraft; daß ich aber, indem ich die Empfindung oder Empfindungsvorſtellung des Den - kens jetzo vor mir habe, mit dieſer das Praͤdikat ſollte verbinden koͤnnen: ich denke nicht, iſt wider das Geſetz der Jdentitaͤt. Was in meiner gegenwaͤrti - gen Empfindung gewahrgenommen wird, iſt einerley mit dem, was ein Denken genennet wird, und darum muß dieß und nicht das entgegengeſetzte Praͤdikat der je - tzigen Empfindung beygeleget werden.

Sich515der allgem. Vernunftwahrheiten, c.

Sich weiter hiebey zu verweilen, moͤchte das Anſe - hen einer uͤbertriebenen Subtilitaͤt haben.

II.) Es haͤngt in andern Faͤllen die Nothwendig - keit der Denkart von den Jdeen und deren Beſchaf - fenheiten, das iſt, von der Materie des Urtheils ab. Dieß ſind die beſtimmten nothwendigen Urtheile, wohin die geometriſchen Lehrſaͤtze gehoͤren, und alle ihnen darinn aͤhnliche, daß die Verbindung des Praͤdikats und des Subjekts dergeſtalt auf dieſen Jdeen beruhet, daß ſolche nicht anders von dem nach ſeinem Naturgeſetze denkenden Verſtande verbunden werden koͤnnen, als es wirklich geſchicht.

Ferner ſind auch zu dieſen materiell nothwendi - gen Saͤtzen diejenigen zu rechnen, deren in dem naͤchſt vorhergehenden Abſatz erwaͤhnet worden iſt. Die Form von ihnen iſt auf gewiſſe Zuͤge oder Nebenmerkmale ge - gruͤndet, welche den Jdeen ankleben, und wiederum in gewiſſen ſubjektiviſchen aber unabaͤnderlichen Umſtaͤn - den, unter denen ſolche nur erlanget werden und in uns gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnen, ihre Urſachen haben.

So eine ſubjektiviſche materielle Nothwen - digkeit findet ſich in vielen Gemeinbegriffen. Der Satz: Nichts wird ohne Urſache, iſt darum ein nothwendiger Grundſatz unſers Verſtandes, weil wir die Jdee des Werdens theils nicht erlangen, und in uns gegenwaͤrtig haben, ohne den Gedanken, daß das ent - ſtandene Ding von einem andern als von ſeiner Urſache abhange, theils aber, was hier das vornehmſte iſt, die - ſen Begriff auf kein Ding anwenden koͤnnen, ohne den Gedanken von urſachlicher Verbindung hineinzutragen.

Ferner. Wir koͤnnen die Jdee von der Farbe und von der Figur und andern Beſchaffenheiten der Dinge nicht anders haben, als in der Geſtalt von Accidenzen, die fuͤr ſich nicht beſtehen, und nur in andern fuͤr ſich be - ſtehenden vorhanden ſind.

K k 2Eine516VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit

Eine Menge von ſolchen Saͤtzen, die Reid und Beattie Eingebungen (ſuggeſtions) der Vernunft genennet haben, gehoͤren zu dieſer Klaſſe.

Die ſubjektiviſch nothwendigen Saͤtze der erſten Art, ſind eben ſo wie die formellen Grundſaͤtze, die unter der vorhergehenden Nummer angefuͤhret worden ſind, uͤber alle Angriffe des Skepticismus erhaben, wenn dieſer nicht in wahren Unſinn ausartet. Sie ſind Grund - ſaͤtze des erſten Rangs. Jhre Nothwendigkeit iſt eine abſolute Nothwendigkeit.

Die ſubjektiviſche Nothwendigkeit der letztern Art, iſt ebenfalls eine phyſiſche Nothwendigkeit, und die Umſtaͤnde und Bedingungen, von denen ſie abhaͤngt, ſind von dem menſchlichen Verſtande unzertrennlich. Jndeſſen kann es dahin gebracht werden, daß die Wir - kungen dieſer Umſtaͤnde durch entgegengeſetzte Urſachen geſchwaͤcht, oder minder merklich werden, wodurch als - denn die davon abhangenden Denkarten das Anſehen der zufaͤlligen Denkarten bekommen. Dieß aͤndert als - denn auch etwas an dem Gebrauch, den wir von ihnen machen, wenn wir die nothwendigen Verhaͤltnißgedan - ken auf die Objekte außer dem Verſtande uͤbertragen, und den letztern zuſchreiben, was wir in ihren Jdeen nothwendig antreffen.

12.

III.) Nun iſt noch Eine Art von ſubjektiviſcher Noth - wendigkeit zuruͤck, die aus Gewohnheit entſpringet, und ihren Grund in einer Aſſociation ſolcher Jdeen hat, die zwar an ſich von einander, auch bey uns, getrennt ſeyn koͤnnen, aber nun doch ſo mit einander verbunden ſind. Sie mag die hypothetiſche oder Gewohn - heitsnothwendigkeit heißen. Hr. Hume und nach ihm andere Philoſophen, haben ſie mit jener erſtern Na - turnothwendigkeit verwechſelt, oder vielmehr ſie fuͤrdie517der allgem. Vernunftwahrheiten, c. die einzige erkannt. Daraus laͤßt ſich allein ſchon be - greifen, wie weit ihr Gebiet in dem Verſtande ſich er - ſtrecke.

Es iſt unnoͤthig, von der Art und Weiſe etwas zu ſagen, wie aus der Gewohnheit, Jdeen von Dingen und Beſchaffenheiten zu verbinden, eine Nothwendigkeit im Verſtande entſpringe, zu einer der aſſociirten Jdeen die andere hinzu zu denken; und wie dieſe Gewohnheit zur zwoten Natur werden koͤnne. Es giebt Gewohn - heiten im Verſtande, die uns ſo ſtark ankleben, und un - ſern Beyfall mit einem gleich großen Zwang hinreißen wenigſtens der gemeinen Aufmerkſamkeit nach als ſelbſt die abſolute und natuͤrliche Nothwendigkeit es thut. Es giebt andere Faͤlle, wo ſie ſchwaͤcher iſt. Dieſe hy - pothetiſche Nothwendigkeit hat verſchiedene Grade. Weil ſie aber doch an ſich eine wahre ſubjekti - viſche Zufaͤlligkeit iſt, ſo iſt es an ſich moͤglich, daß der von ihr abhangende Beyfall des Verſtandes zuruͤck gehalten werden koͤnne.

Eine ſolche Gewohnheitsnothwendigkeit kann zu Ei - ner Zeit bey allen Menſchen gefunden werden. Der Satz: die Koͤrper ſind ſchwer, iſt ein Satz, den der Gemeinverſtand nicht laͤugnen kann. Ehmals war auch der Satz: die Sonne geht taͤglich von Oſten nach We - ſten um die Erde, ein Beyſpiel davon. Kein Menſch konnte ſichs nemlich anders vorſtellen.

Jndeſſen giebt es einen allgemeinen Charakter, woran die blos aus Gewohnheit nothwendig gewordene Jdeenverbindungen in den meiſten Faͤllen deutlich zu er - kennen ſind. Wenn man ſie deutlich auseinander ſetzet; wenn die Jdeen einzeln genommen, von ihren Neben - ideen moͤglichſt abgeſondert, und ohne Ruͤckſicht auf das Beſondere in den Empfindungen, woraus ſie ent - ſtanden ſind, dem Geiſt gegenwaͤrtig vorgehalten und verglichen werden, ſo ergiebt ſichs, daß ſie nicht nurK k 3 an518VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit an ſich unterſchieden, ſondern daß ſie auch von ein - ander trennbar ſind, und daß kein anders noth - wendiges Denkgeſetz da ſey, nach welchem der Ver - ſtand von der Einen zur andern uͤbergehe, und ihre Beziehung denke, als nur das Geſetz der Aſſociation in der Einbildungskraft. Sobald aber dieſes Merk - mal entdeckt iſt, ſo entſteht das Urtheil in dem Verſtan - de; und dieß iſt wiederum ein nothwendiges Urtheil: daß die beurtheilte Verbindung zufaͤllig ſey. Es offenbaret ſich alsdenn der Charakter ihrer Zufaͤllig - keit. So verhaͤlt es ſich in dem Satz: Die Koͤrper ſind ſchwer. Dem gemeinen Verſtande mag dieſer eben ſo nothwendig wahr vorkommen, als daß zweymal zwey viere machen; aber ſobald man ihn deutlich aus - einander ſetzet, und die Jdee von der Schwere, von der Jdee vom Koͤrper abſondert, ſo hat man zwey unterſchie - dene Jdeen vor ſich, und nimmt keine andere innere Be - ziehung zwiſchen ihnen gewahr, als nur dieſe, daß ſie mit einander in unſerer Vorſtellungskraft verbunden ſind. Es iſt alsdenn auch keine Nothwendigkeit im Verſtande mehr da, jedem Koͤrper die Schwere beyzulegen, keine andere nemlich, als die darinn ihren Grund hat, weil die Jdee von Schwere und Druck nach unten, der Vor - ſtellung von einem Koͤrper gleichſam auswaͤrts anhaͤnget. Mag auch der Gedanke, daß die Schwere nur zufaͤllig mit der Materie und dem Koͤrper verbunden iſt, falſch ſeyn, wie einige Newtonianer behauptet haben; ſo iſt doch das allgemeine Princip unumſtoͤslich: daß eine jede Beſchaffenheit, die einer Sache zukommt, nur eine zufaͤllige Beſchaffenheit von ihr ſey, wenn die Jdee von der Beſchaffenheit auf die Jdee von der Sache ſelbſt keine andere innere Beziehung hat, als die bloße Verbindung mit ihr, aus den Empfindungen her. Wir urtheilen uͤber dieſe Zufaͤlligkeit nach unſern Jdeen, und ſetzen voraus, daß die Jdeen den Objekten gemaͤßſind.519der allgem. Vernunftwahrheiten, c. ſind. Man ſehe hiebey auf das zuruͤck, was oben (2.) bemerket iſt.

III. Von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit in den Denkarten des gemeinen Verſtandes.

  • 1) Worinnen Kenntniſſe des gemeinen Ver - ſtandes beſtehen?
  • 2) Wie die verſchiedenen Arten der ſubjekti - viſchen Nothwendigkeit bey ihnen zu un - terſcheiden ſind.

1.

Wo die menſchliche Erkenntnißkraft als gemeiner Menſchenverſtand wirket, Beziehungen ge - wahrnimmt und urtheilet, da muͤſſen auch nothwendig in ihren Wirkungen die verſchiedene Arten der ſubjekti - viſchen Nothwendigkeit angetroffen werden, die in dem vorhergehenden bemerket ſind. Das Beziehungsver - moͤgen wirket nach den allgemeinen nothwendigen Denk - geſetzen, aber verbindet auch Jdeen und vereiniget ſie nach dem Geſetz der Aſſociation. Ohne alſo den ſo ge - nannten Menſchenverſtand genauer in ſeinen Wirkun - gen zu unterſuchen, verſteht es ſich von ſelbſt, daß der innere oft unwiderſtehliche Zwang, womit er ſeine Ur - theile faͤllt, und Beziehungen gewahrnimmt, wovon wir ſagen, daß wir ſie uns nicht anders gedenken koͤnnen, als es wirklich geſchicht, zuweilen eine Wirkung der Gewohnheit, in andern Faͤllen aber auch eine wahre Naturnothwendigkeit ſeyn muͤſſe.

Dieß, ſage ich, iſt fuͤr ſich allein daraus offenbar, weil eine ſolche gedoppelte Quelle der ſubjektiviſchen Noth - wendigkeit unſers Beyfalls und unſerer Abſtimmung uͤberhaupt vorhanden iſt. Jſt dergleichen aber uͤber -K k 4haupt520VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeithaupt in unſerm Verſtande vorhanden, wie kann es feh - len in dem, was Senſus kommunis genennet wird?

Bey|aller Verſchiedenheit in den Bedeutungen, wor - inn die neuern Philoſophen die Worte: Menſchenver - ſtand (ſenſus communis; commun ſenſe; gemeiner Verſtand, und andere) genommen haben, ſieht man es doch als einen allgemeinen Charakter deſſelben an, daß er der raiſonnirenden Vernunft entgegen geſe - tzet ſey. So nahm Keid, auch Beattie und Os - wald dieß Wort, obgleich ſonſten ihre Erklaͤrungen da - von unbeſtimmt ſind. Bald ſcheinet es, als wenn nur das allen Menſchen gemeine Beziehungsvermoͤgen, und deſſen Wirkungen, zu verſtehen ſeyn; bald aber ſchreibt man ihm, wie beſonders Beattie und Oswald gethan haben, Wirkungen zu, die weit uͤber den gemei - nen Menſchenſinn hinaus ſind, und ohne ein ſehr weit entwickeltes, und durch Ueberlegungen, Nachdenken und Kenntniſſe geſchaͤrftes Beziehungsvermoͤgen, und ohne das feinſte Gefuͤhl der Wahrheit unbegreiflich ſind.

Jn dem Streit mit den Skeptikern und Jdealiſten kommt es auch vornehmlich auf das Unterſcheidungsmerk - mal an, was ich angegeben habe. Das geſammte Beziehungsvermoͤgen des Menſchen, in ſo ferne es unmittelbar aus der Gegeneinanderhaltung der Vor - ſtellungen, ohne eine merkliche Entwickelung allge - meiner Begriffe, und ohne merkliche Folgerungen aus dieſen entwickelten Begriffen, uͤber die Sachen ur - theilet, iſt uͤberhaupt der Menſchenverſtand, als ein Vermoͤgen betrachtet, in ſo ferne er der raiſonni - renden Vernunft entgegengeſetzet wird.

Es iſt keine merkliche Entwickelung der Begriffe und kein merkliches Folgern und Schließen aus Ge - meinbegriffen, was da vorkommt, wo nur allein der Menſchenverſtand, der folgernden Vernunft entge - gengeſetzt, wirkſam iſt. Dieſes Zuſatzes habe ich michdarum521der allgem. Vernunftwahrheiten, c. darum bedienet, weil ſonſten die Grenzen zwiſchen der Beurtheilung nach unmittelbarer Beziehung, und nach der mittelbaren in einander fließen. Es miſchen ſich auch in die erſten Vergleichungen der Dinge, die wir leicht fuͤr unmittelbare Vergleichungen anſehen, gewiſſe unvermerkte Uebergaͤnge von einem Urtheil zum andern, die, wenn wir ſie genauer betrachten, in der That dunke - le und zuſammengezogene Schluͤſſe, oder Folgerun - gen ſind. Daher weiß ich die Grenzlinie zwiſchen die - ſen beiden Vermoͤgen, wenn ſie nun einmal beſtimmt unterſchieden werden ſollen, nicht genauer anzugeben, als dadurch, daß ich ſage, es ſoll die Beziehung in dem ei - nen Fall ohne eine ſolche Entwickelung allgemeiner Be - griffe und Folgerungen aus ihnen geſchehen, die von uns ſelbſt als ein Raiſonnement aus Begriffen, gewahr - genommen werden.

Sind die Begriffe von den Dingen, die wir auf einander beziehen, ſelbſt ſchon deutlich, und in ſo weit auseinandergeſetzt, ſo kann doch ihre Vergleichung nach dieſen deutlichen Begriffen nur eine unmittelbare Ver - gleichung ſeyn, und dann gehoͤrt das daraus entſpringen - de Urtheil noch zu den Urtheilen des Menſchenverſtandes.

Urſache und Wirkungen, Vermoͤgen und das, was durch ſie hervorgebracht wird, empfangen nach einer na - tuͤrlichen Metonomie dieſelbigen Namen. Die Gedan - ken, Urtheile, Kenntniſſe, welche die Wirkungen des erklaͤrten Menſchenverſtandes ſind, werden oft eben ſo benennet, aber andere unterſcheiden ſie von jenem durch eigene Kunſtwoͤrter.

Alle Kenntniſſe alſo, die wir von den Gegenſtaͤnden erlangen, ohne allgemeine Theorien, ohne daß Gemein - begriffe und Grundſaͤtze fuͤr ſich in ihrer Allgemeinheit beſonders gedacht werden, und dann daraus gefolgert wird, ohne Schluͤſſe, die mittelſt der deutlichen Ausein - anderſetzung abgeſonderter Beſchaffenheiten gemacht wer -K k 5den;522VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitden; Kenntniſſe alſo und Urtheile, die bey der Verglei - chung der Sachen entſtehen, wenn wir ſie in ihren Jdeen vor uns ſtellen, und ſie aufmerkſam beſchauen, oder auch wohl mit andern, aber ohne Entwickelung der Ge - meinbegriffe, vergleichen; alle dieſe, und alle dazu ge - hoͤrige Vermoͤgen, Thaͤtigkeiten und Wirkungsarten gehoͤren zu dem Umfang des Menſchenverſtandes; die Kenntniſſe ſelbſt als die Wirkungen deſſelben.

Dieſer Menſchenverſtand iſt alſo nichts anders, als die Denkkraft, in ſo ferne dieſe aus einer unmit - telbaren Beziehung uͤber die Dinge urtheilet. Loͤſet man ihn alſo in ſeine Beſtandtheile auf, ſo erhaͤlt man das Beziehungsvermoͤgen oder die Denkkraft, in Verei - nigung mit dem Gefuͤhl und der Vorſtellungskraft. Hie - von darf ich den anderswo gegebenen Beweis nicht wie - derholen.

Es iſt begreiflich, daß der Menſchenverſtand in die - ſer Bedeutung, verſchiedene Stufen der Entwicke - lung, der innern Groͤße und Staͤrke, und alſo auch in Hinſicht des Umfangs der Kenntniſſe, die ſeine Wir - kungen ſind, haben muͤſſe. Von dieſen Stufen koͤnnen einige beſonders bemerket, und mit eigenen Namen un - terſchieden werden.

Da in dem Vermoͤgen nach unmittelbaren Be - ziehungen der Dinge, ihre Verhaͤltniſſe zu denken, die - ſelbigen Stufen vorkommen, welche oben bey dem Be - ziehungsvermoͤgen uͤberhaupt beobachtet ſind,*)Vierter Verſuch. VII. ſo koͤn - nen auch hier die drey Grade, nemlich, das urſpruͤng - liche Beziehungsvermoͤgen; die ſinnliche Urtheils - kraft, und die deutliche Urtheilskraft unterſchieden werden. Einige haben es ſo gemacht, und die erſte Stuſe des Menſchenverſtandes den gemeinen Men - ſchenſinn genennet.

Aber523der allgem. Vernunftwahrheiten, c.

Aber in der Anwendung, die man von der Unter - ſcheidung des Menſchenverſtandes und der Ver - nunft gemacht hat, iſt dieſe gedachte Abtheilung, wo - bey auf die Grade der innern Entwickelung des Ver - moͤgens geſehen wird, nicht ſo fruchtbar befunden wor - den, als eine andere, bey welcher die Ausdehnung der geſammten unmittelbaren Urtheilskraft, und der Umfang der Kenntniſſe, die dieſe erreichet hat, zum Grunde geleget ward.

Hier giebt es erſtlich einen Grad von Menſchenver - ſtande, den alle vollſtaͤndige Menſchen, die mit den gewoͤhnlichen Sinnen begabt ſind, alsdenn erlanget ha - ben, wenn ſie erwachſen ſind, und uͤber Dinge und Be - ſchaffenheiten urtheilen. Dieß iſt der gemeine Men - ſchenverſtand, und ſeine Kenntniſſe machen die allge - meinen menſchlichen Meinungen aus, den Senſus communis hominum. Dieß ſind die entwickelten Erkenntnißvermoͤgen, in dem Grad der Entwicke - lung betrachtet, den dieſe in allen Menſchen durch die innere Anlage der Natur und durch die Einwirkung der aͤußern Umſtaͤnde, gewoͤhnlicher Weiſe erlangen.

Dieſe erſte Stufe des Menſchenverſtandes, den man eigentlich allgemeinen Menſchen erſtand nennen kann, iſt deswegen beſonders zu bemerken, weil man nicht ohne Urſache ſeinen Ausſpruͤchen und Urtheilen eine große Auktoritaͤt beygeleget hat. Es iſt von einigen die Uebereinſtimmung aller Menſchen zu einem Charak - ter der Wahrheit gemacht, nach der Regel, was alle Menſchen ohne Ausnahme fuͤr wahr halten, das muß es auch ſeyn. Alle Menſchen glauben, daß ſie ei - nen Koͤrper beſitzen, daß es Objekte außer ihnen gebe, daß die Sonne ſowohl ein wirkliches Ding ſey, als ſie ſelbſt, daß das Feuer warm mache, wie die Sonne, und wie ſie brenne, u. ſ. w. Bey dieſen und unzaͤhlig meh - rern Saͤtzen trift die angezeigte Regel zu; aber wenn derSkepti -524VII. Verſuch. Von der NothwendigkeitSkeptiker ſie nicht fuͤr ein untruͤgliches Kennzeichen der Wahrheit anerkennen will, ſo beruft er ſich auf Jrrthuͤ - mer, die wir jetzo dafuͤr erkennen, und die doch zu Ei - ner Zeit allgemein als Wahrheiten geglaubet worden ſind. Davon giebt es noch mehrere Beyſpiele, als die bekannte ſinnliche Vorſtellung von der Bewegung der Sonne um die Erde.

Woher eine gewiſſe Gleichheit aller Menſchen in Hinſicht ihrer entwickelten Denkkraͤfte entſtehen koͤnne, und eine allgemeine Uebereinſtimmung in gewiſſen Mei - nungen und Urtheilen, das iſt, bey aller ihrer ſonſtigen Verſchiedenheit, aus ihrer aͤhnlichen Naturanlage, und der dadurch beſtimmten nothwendig aͤhnlichen Wirkungs - arten, aus der Aehnlichkeit der aͤußeren Sinne und der erſten Empfindungen und Vorſtellungen, wie auch der Gelegenheiten, Reizungen und Gegenſtaͤnde fuͤr die Ver - moͤgen, welche letztere wiederum in einer allgemeinen Aehnlichkeit der Lage und Beziehungen, gegruͤndet iſt, in der alle Menſchenkinder auf die aͤußere wirkliche Welt ſich befinden, ſehr leicht zu begreifen. Aber es iſt nicht leicht, und vielleicht unmoͤglich, die Grenze genau zu be - ſtimmen, bis wohin die allgemeine Gleichheit bey al - len Jndividuen, in Hinſicht der Groͤße der Vermoͤgen, und die davon abhangende Uebereinſtimmung in den Meinungen ſich erſtrecke? Es gehoͤrt doch wahrlich nicht zu den gemeinen Meinungen, was Oswald fuͤr Erkenntniſſe des Menſchenverſtandes ausgegeben hat, und doch auch ſelbſt nicht zu den allgemeinen Menſchenverſtand hinrechnet. Daher koͤnnen Faͤlle genug vorkommen, wo es durchaus nicht zu entſcheiden iſt, ob etwas als eine Wahrheit von allen Menſchen er - kannt ſey, oder nicht? Man hat insbeſondere dieſe Frage bey der Lehre von dem Daſeyn eines Gottes un - terſuchet, aber weder die bejahende noch die verneinende Antwort bisher voͤllig zur Evidenz gebracht.

Ein525der allgem. Vernunftwahrheiten, c.

Ein hoͤherer Grad von Menſchenverſtand kann der kultivirte Menſchenverſtand genennet werden. Er fin - det ſich bey den polizirten Voͤlkern in Vergleichung mit den Barbaren und Wilden; bey dem brittiſchen Matro - ſen in Vergleichung mit dem Neuhollaͤnder. Sonſten wiſſen wir wohl, daß es unter den ſo genannten wilden Voͤlkern Jndividuen giebt, die durch ihre feine und rich - tige Beurtheilungskraft tauſende von unſern gemeinen Leuten beſchaͤmen. Dieſer kultivirte Menſchenverſtand hat ſehr unterſchiedene Stufen, und das Maaß deſſelben bey Einer Perſon iſt bey weitem nicht das Maaß bey an - dern.

Der gelehrte Menſchenverſtand iſt durch Unter - weiſungen und eigenes Nachdenken nach einem Grad hoͤ - her aufgeklaͤrt. Jeder Menſch erwirbet ſich in ſeinem Fach, durch die oͤftere und fleißige Bearbeitung einerley Art von Vorſtellungen und Jdeen, eine gewiſſe Fertig - keit, ohne deutliche Entwickelung der Begriffe, mit Ei - nem ſcharfen Blick uͤber die dahin gehoͤrigen Sachen rich - tig zu urtheilen. Dieſer in Hinſicht gewiſſer Arten von Kenntniſſen vorzuͤglich kultivirte Menſchen - verſtand iſt der eigentliche gelehrte Schulwitz, oder Schulverſtand. Er iſt es in einer noch engern Be - deutung, wenn die Kenntniſſe, mit denen er zu thun hat, zu den beſonders ſo genannten gelehrten Kenntniſſen ge - hoͤren. Aber ehe die Begriffe ſo zubereitet worden ſind, als ſie dieſem fertigen Menſchenverſtande vorliegen, und ehe die Urtheilskraft ſo ſtark ward, daß ſie mit Einem feſten Blick die Verhaͤltniſſe der Dinge durch die Ver - gleichung gewahrnehmen konnte, ehe es ſo weit kam, wie viel Vorarbeiten ſind nicht vorhergegangen? Ein ſolcher kultivirter Menſchenverſtand, ein fertiges Wahr - heitsgefuͤhl, eine ſtarke unmittelbare Beurtheilungs - kraft, kann nicht leicht bey allen Arten von Kenntniſſen erlanget werden; bey einigen muß man ſich durchaus ent -wickelter526VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitwickelter Vernunftſchluͤſſe bedienen; aber es ſollte da, wo es angeht, ein Ziel ſeyn, wonach auch ein Philoſoph dann, wenn ſonſten die Raiſonnements noch wohl zur Ueberzeugung hinreichen, moͤglichſt zu beachten hat. Und dieſe Fertigkeit kann noch immer ſtaͤrker und feſter wer - den, ſo lange noch eine mittelbare Kenntniß in eine un - mittelbare, durch die genauere und ſchnellere Vereini - gung der Mittelbegriffe veraͤndert werden kann. Dieß Beſtreben, bey jedem Gegenſtand dasjenige aufzuſuchen, was aus der Betrachtung deſſelben ohne merkliche Ent - wickelung der Begriffe erkannt wird, gewaͤhret uͤberdieß den außerordentlich großen Vortheil, das die Raiſonne - mentskenntniſſe, die faſt alle in einſeitigen Ausſichten beſtehen, beſtaͤndig mit dem Anſchauen des ganzen Ge - genſtandes wiederum vereiniget werden. Dadurch wird vielen ſchiefen Beurtheilungen, ſo mancherley Ueberſicht und Doppelſicht, vorgebogen, die man am haͤufigſten bey ſolchen Leuten antrift, welche ſich am meiſten angewoͤh - net haben, bey jeder Sache ſogleich auf das zu ſehen, was durch die Entwickelung der Jdeen, und durch Schluͤſſe aus allgemeinen Grundſaͤtzen, ſich erkennen laͤßt, und die nur darnach, das iſt, nach einzeln obgleich ſcharfen Seitenblicken ſie beurtheilen.

Ueberhaupt wird man finden, daß die neuern theo - retiſchen und praktiſchen Bemerkungen uͤber den Men - ſchenverſtand nichts ſind, als was mit andern Worten und in andern Verbindungen ſchon in den aͤltern Logiken und Phychologien geſagt iſt. Nur ein veraͤnderter Ge - ſichtspunkt war es, aus dem man die ſonſt bekannten Er - kenntnißvermoͤgen betrachtete, und eine veraͤnderte Art zu reden, welche doch auch ihre guten Wirkungen ge - habt hat.

2.

Man mag das Wort, Gemeine Verſtand, nun nehmen, in welcher Bedeutung man wolle, ſo iſt esfuͤr527der allgem. Vernunftwahrheiten, c. fuͤr ſich aus der Natur deſſelben offenbar, daß die oben unterſchiedene Arten der ſubjektiviſchen Nothwen - digkeit in den Wirkungen deſſelben vorkommen muͤſſen. Und wenn dieß noch nicht genug einleuchtet, ſo braucht es nur der maͤßigſten Aufmerkſamkeit auf die letztere, um jene hier unmittelbar zu beobachten. Die Urtheile uͤber das Daſeyn der wirklichen Welt, uͤber die urſach - lichen Verbindungen der Dinge in der Welt; die Unter - ſcheidung des Gegenwaͤrtigen in der Empfindung von dem Vergangenen durch die Wiedererinnerung, und von dem bevorſtehenden Kuͤnftigen; unſer Glaube an frem - des Zeugniß ſind ſolche Wirkungen und Aeußerungen des Menſchenverſtandes. Betrachtet man die Gruͤnde und die Art des Verfahrens jeder derſelben beſonders, ſo wird es auch bey jedweder beſonders offenbar, daß es bald eine Jdeenaſſociation, und eine Verallgemeinerung beſonderer Erfahrungsſaͤtze iſt; bald aber natuͤrliches Denkungsgeſetz, und in einem gewiſſen Verſtande im - mer beydes zuſammen, was die Denkkraft in dieſen Kenntniſſen beſtimmt, und was den Beyfall und die Ueberzeugung nothwendig macht.

Hier aufs Einzelne ſich einzulaſſen, und bey jedwe - der Art der gemeinen Verſtandeskenntniſſe zu zei - gen, wie viel davon nothwendig durch die Natur des Verſtandes fuͤr wahr anerkannt werden muͤſſe, und wie viel von einer | Jdeenverknuͤpfung abhange? dieß haͤtte das eigentliche Geſchaͤft der brittiſchen Philoſophen ſeyn ſollen, die ſichs zur Pflicht machten, gegen Hume und Berkeley die Grundſaͤtze des gemeinen Verſtandes zu rechtfertigen.

Dieß iſt erſtlich eines der weſentlichſten Stuͤcke, wor - auf es in dem Streit mit dem Skeptikern ankommt. Der Verſtand denket ſeinen Naturgeſetzen gemaͤß, und ſo weit iſt ſogar der Jrrthum unmoͤglich; aber er verbin - det auch Jdeen zuſammen in Eine, macht daraus allge -meine528VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitmeine Saͤtze, die nur auf einer unvollkommenen, ob - gleich großen Jnduktion beruhen; legt den Sachen Be - ſchaffenheiten in ihrem ganzen Umfang bey, dem ganzen Jnhalt ſeiner Jdeen gemaͤß, wo nur ein Theil gewahr - genommen wird, oder ſpricht ihnen ſolche ganz ab, wo nur Ein Theil vermißt wird, der als ein Charakter des uͤbrigen Theiles angenommen, weil er in den Empfin - dungen damit verbunden geweſen iſt. Die Urtheile, welche aus den letztern Wirkungsarten entſpringen, wer - den uns nur durch die Gewohnheit natuͤrlich. Sie ha - ben, vielleicht alle, eine große innere Wahrſcheinlich - keit fuͤr ſich; aber ſie werden als voͤllig gewiſſe Ge - meinſaͤtze gebraucht, an deren Ausnahme man nicht ein - mal denket, und dann entſtehen Vorurtheile, und bey der Anwendung Jrrthuͤmer.

Auf dieſe Art wird auch zweytens der vernuͤnfteln - de Skepticismus da angegriffen, wo er ſeine wahre Schwaͤche hat. Hume und Berkeley erkannten die Unbezweifelbarkeit der nothwendigen allgemeinen Grund - ſaͤtze, und der unmittelbaren Empfindungskenntniſſe. Macht man es ihnen nun evident, daß zu dieſen beiden Arten weit mehr Urtheile des Verſtandes gehoͤren, als ſie es bey ihren einſeitigen Betrachtungen der menſchli - chen Denkkraft gefunden haben, ſo zeiget man ihnen ſol - che von der Seite, wo ſie nach ihren eigenen Grundſaͤ - tzen die Zuverlaͤßigkeit derſelben anerkennen.

Dieß iſt das Erſte, was geſchehen muß; doch aber noch nicht alles. Denn es werden in den gemeinen Kenntniſſen des Verſtandes, doch manche Grundſaͤtze als voͤllig allgemeine voraus geſetzet, die nur auf einer Uebereinſtimmung der Empfindungen beruhen, und alſo Erfahrungsſaͤtze ſind, bey welchen der Beweis durch ei - ne vollſtaͤndige Jnduktion nicht moͤglich iſt. Daher muß noch die Natur und die Groͤße der Gewißheit gezeiget werden, die dieſer letzten Art von Saͤtzen zukommt. Sollſie529der allgem. Vernunftwahrheiten, c. ſie uͤberhaupt nur eine Wahrſcheinlichkeit genennet werden, ſo giebt es auch Wahrſcheinlichkeiten, die der voͤlligſten Gewißheit ſo nahe kommen, daß der Theil, der ihnen noch fehlet, wegen ſeiner Geringfuͤgigkeit, als ein unendlich kleines angeſehen werden kann. Es giebt unendlich große Wahrſcheinlichkeiten, ob ſie gleich nach der Theorie nicht gaͤnzlich der Gewißheit gleich ſind, und dieſe verdienen eine vorzuͤgliche Erwaͤgung. Andere ſind von einem mindern Grade, und machen doch ſchon eine moraliſche Gewißheit aus.

Alsdenn fehlt noch das dritte, wenn man widerle - gen will. Es muß der Ungrund des ſkeptiſchen Vor - wandes, als fuͤhre uns das natuͤrliche Verfahren des ge - meinen Verſtandes auf Widerſpruͤche / mit ſich ſelbſt und mit der raiſonnirenden Vernunft voͤllig ins Licht geſetzet werden. Weiter kann man mit dem Zweifler nichts an - fangen; aber es iſt auch nichts mehr noͤthig, wenn der Zweifler ein nachdenkender Mann iſt.

Dagegen wenn man auf die Art zu Werke geht, wie Reid, Beattie und Oswald; nur unbedingt und gerade als ein Princip es annimmt, es ſey ein untrieg - licher Charakter der Wahrheit, daß der Menſchenver - ſtand ſich die Sachen ſo und nicht anders denke, oder den - ken koͤnne; wenn der Ausſpruch der entwickelnden und ſchließenden Vernunft nicht geachtet, und ihr ſo gar ihr Stimmrecht bey der Beurtheilung von Wahrheit, Vor - urtheil und Jrrthum, entzogen wird; wie kann der den - kende Zweifler auf die Art uͤberzeugt werden? Jſt es zu hart zu ſagen, daß dieß Verfahren wider den Men - ſchenverſtand iſt?

I. Band. L lIV. Von530VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit

IV. Von der objektiviſchen Wahrheit, und von ob - jektiviſch nothwendigen Wahrheiten.

  • 1) Worauf es bey der Wahrheit unſerer Er - kenntniß von den Gegenſtaͤnden ankomme. Die Vorſtellungen als Jmpreſſionen von den Dingen, ſind nur ſubjektiviſche Scheine.
  • 2) Was es eigentlich ſagen wolle: die Objekte ſind ſo, wie wir ſie uns vorſtellen.
  • 3) Die nothwendigen Denkgeſetze unſers Ver - ſtandes, koͤnnen von uns nicht fuͤr blos ſub - jektiviſche Denkgeſetze, die es nur vor uns ſind, angeſehen werden. Die allgemeinen theoretiſchen Wahrheiten ſind nicht blos Re - lationes fuͤr uns.
  • 4) Ob unſere Kenntniſſe von wirklichen Din - gen, blos ſubjektiviſcher Schein ſey?
  • 5) Jn wie ferne wir Vorſtellungen von aͤußern Objekten haben, die wir als Vorſtellungen von den Dingen ſelbſt, nicht blos von ge - wiſſen Beſchaffenheiten und Seiten der Din - ge gebrauchen koͤnnen.
  • 6) Das Grundgeſetz, wovon die Zuverlaͤſſig - keit und Realitaͤt unſerer Erkenntniſſe ab - haͤngt.
  • 7) Erforderniſſe bey unſern Jmpreſſionen, wenn die Erkenntniß nicht blos ſubjektivi - ſcher Schein ſeyn ſoll.

8) Fort -531der allgem. Vernunftwahrheiten, c.

  • 8) Fortſetzung des vorhergehenden. Warum die Schoͤnheit mehr etwas blos ſubjektivi - ſches ſey als die Wahrheit?
  • 9) Fortſetzung der Betrachtung uͤber die Er - foderniſſe bey unſern Jmpreſſionen, wenn die Erkenntniß objektiviſch ſeyn ſoll.
  • 10) Gang der geſunden Vernunft, wenn ſie ihre Kenntniſſe fuͤr mehr als bloßen Schein anſieht. Beweis daß etwas Objektiviſches in unſerer Erkenntniß von wirklichen Din - gen enthalten ſey.
  • 11) Worauf die Unterſcheidung zwiſchen noth - wendigen und zufaͤlligen Wahrheiten beruhe.
  • 12) Das ſubjektiviſche Geſetz des zufaͤlligen Beyfalls, und das Geſetz, nach welchem etwas objektiviſch fuͤr zufaͤllig erkannt wird

1.

Die ſubjektiviſche Nothwendigkeit nach den allge - meinen Geſetzen des Verſtandes zu denken, erken - nen wir aus der Beobachtung. Wir empfinden es, daß wir keine viereckte Zirkel uns vorſtellen, und kein Ding fuͤr unterſchieden von ſich ſelbſt halten koͤnnen. Auf dieſe ſubjektiviſche Nothwendigkeit gruͤnden wir die objekti - viſche: Die Unmoͤglichkeit, die Dinge anders zu den - ken, wird den Dingen außer dem Verſtande beygeleget. Unſere Jdeen ſind nun nicht mehr Jdeen in uns; es ſind Sachen außer uns. Die Beſchaffenheiten und Ver - haͤltniſſe, die wir in jenen gewahrnehmen, ſtellen ſich uns als Beſchaffenheiten und Verhaͤltniſſe der Sachen ſelbſt vor, die dieſen auch ohne unſer Denken zukommen, und von jedem andern denkenden Weſen in ihnen erkanntL l 2werden532VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitwerden mußten. So bringet der Jnſtinkt es mit ſich. Es iſt dieß eine Wirkung des gemeinen Menſchenver - ſtandes, und die alte Metaphyſik hat in dieſem Verfah - ren etwas richtiges erkannt, und zum Axiom angenom - men, daß die Wahrheit etwas objektiviſches ſey.

Jn Hinſicht der Schoͤnheit hat man es ſchon laͤn - ger und mit mehrerm Fleiß unterſuchet, ob ſie nur et - was relatives vor uns, oder auch etwas abſolutes in den ſchoͤnen Gegenſtaͤnden fuͤr ſich ſey? Die Sache hatte zwo verſchiedene Seiten. Von der Einen ſie betrachtet, konnte und mußte man ſagen, die Sachen, die haͤßlich und ſchoͤn ſind, haben dieſe Beſchaffenheiten nur vor diejenigen, die ſie alſo empfinden; von der andern Seite ließ ſich auch das Gegentheil behaupten; aber da jene die fruchtbarſte und gewoͤhnliche iſt, von der ſie faſt von allen angeſehen wird, die aus Beobachtungen uͤber ſie raiſonniren, ſo gewann der allgemeine Ausſpruch: daß die Schoͤnheit nur relativer Natur ſey, die Oberhand. Und nun verglich man Wahrheit mit der Schoͤnheit, und glaubte die Parallel zwiſchen beiden gehe ſo weit, daß man auch von der Wahrheit ſagen koͤnne: ſie ſey durchaus nichts anders als nur eine Relation vor den der ſie denket. Ein Satz, den ein neuerer Philoſoph bis zu ſeinem voͤlligſten Umfang ausgedehnet, und in dieſem Umfang zu beweiſen geſucht hat. *)Loſſius Phyſiſche Urſachen des Wahren. So gar ſoll es nicht unmoͤglich ſeyn, daß es denkende Weſen gebe, die ſich auch dasjenige vorſtellen koͤnnen, was fuͤr uns etwas Widerſprechendes iſt. Dieß letztere iſt der haͤrteſte Angriff, den die Skepſis auf die Menſchen - vernunft thun kann. Jndeſſen ſind die Gruͤnde, ich will nicht ſagen, diejenigen, worauf ſich der gedachte Zuſatz ſtuͤtzet, aber doch die uͤbrigen, die zu dem Satz hinfuͤhren, daß die Wahrheit nur eine Relation ſey fuͤrden,533der allgem. Vernunftwahrheiten, c. den, der ſie denket, ſo blendend und ſo weit reichend, daß es nicht leicht iſt, aus der Natur unſerer Kenntniſſe es genau zu beſtimmen, wie viel richtiges in dieſer Halb - wahrheit, wofuͤr ich ſie anſehe, enthalten iſt.

Zuvoͤrderſt muß es doch beſtimmt werden, worauf es bey der Wahrheit eigentlich ankomme, und was das ſagen wolle, wenn wir glauben, die Dinge ſind auch an ſich ſo beſchaffen, wie wir ſie uns vorſtellen? Alsdenn muß die Art, wie wir zu dieſem Urtheil gelangen, und die Gruͤnde, die uns darauf fuͤhren, erwogen werden.

Wenn die Wahrheit fuͤr die Uebereinſtimmung unſerer Gedanken mit den Sachen, erklaͤret wird, ſo kann dieſe Uebereinſtimmung nichts anders ſeyn, als eine Analogie, nach welcher Jdee zur Jdee ſich verhalten ſoll, wie Sache zur Sache. Die Ge - genſtaͤnde mit den Jdeen verglichen, heißt nichts an - ders als Vorſtellungen mit Vorſtellungen vergleichen; oder eine Vorſtellung aus der Empfindung mit einer an - dern, die ich ſchon habe. Sind die Objekte einerley oder verſchieden, wie es die Jdeen von ihnen ſind, be - ziehen ſich jene auf einander, wie dieſe; ſo ſind die Ver - haͤltniſſe in jenen dieſelbigen wie in dieſen, und unſere Jdeen ſtellen uns die Beziehungen der Sachen auf einander vor.

Dieß lehret auch die Natur unſers Denkens und unſerer Urtheile. *)Vierter Verſuch VII. 5.Die Jmpreſſion, von der rothen Farbe iſt in Hinſicht der Beſchaffenheit des ſo gefaͤrbten Koͤrpers, was ein Wort in Hinſicht des Gedankens iſt, den es bezeichnet. Dieſe Jmpreſſionen hangen ſo ſehr von der Natur des empfindenden Weſens und von an - dern Umſtaͤnden ab, daß man es unmoͤglich annehmen kann, jedes andere Weſen mit andern Werkzeugen, unter andern Umſtaͤnden geſetzt, werde von demſelbigen ObjektL l 3auf534VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitauf dieſelbige Art modificiret werden, wie ich. Solche Jmpreſſionen ſind nur etwas Subjektiviſches; das was ſie ſind, ſind ſie nur fuͤr den, der ſie aufnimmt. Aber in dieſen Jmpreſſionen liegt auch kein Gedanke, und keine Wahrheit, ob ſie gleich ſonſten ihre Fehler ha - ben koͤnnen. Denken beſtehet in dem Gewahrnehmen der Verhaͤltniſſe der Vorſtellungen; und in dieſen kann nur Wahrheit oder Jrrthum ſeyn. Was es auch fuͤr eine Jmpreſſion iſt, die ich von der rothen Farbe empfange, ſo iſt doch der Schnitt an dem Buche, das vor mir lieget, roth; nemlich es iſt dieſelbige Jmpreſ - ſion, die ich in andern Faͤllen gehabt und roth genennet habe. Ein Ding iſt rund; iſt eckigt; dieſe Ausdruͤcke wollen nichts mehr ſagen, als daß der Sache etwas zu - komme, welches einerley mit dem iſt, was ich eckigt und rund nenne. Es iſt nichts daran gelegen, wenn ein anderer die Jmpreſſion von den Ecken hat, die ich von dem Runde habe. Die Richtigkeit des Gedankens haͤngt nur davon ab, daß mein Urtheil richtig ſey, und das Urtheil iſt ein Verhaͤltnißgedanke. Die Jmpreſſio - nen ſind nur die Schriftzuͤge oder Buchſtaben. Dieſe moͤgen ſeyn, welche ſie wollen, ſie ſind zu entziffern, wenn jeder Buchſtabe ſeinen eigenen Zug hat, und die Worte, zu welcher Sprache ſie auch gehoͤren, ſind verſtaͤndlich, wenn jeder beſtimmte Gedanke ſeinen beſtimmten Ton hat.

Die Vorſtellungen als Vorſtellungen, Bilder, Zeichen der Sachen, ſind nur relativiſcher Natur. Aus dieſem Satz folget aber nicht, daß die Gedanken von den Verhaͤltniſſen der Sachen, und von ihren Be - ſchaffenheiten, denn dieſe letztern ſind auch nichts als Gedanken von Verhaͤltniſſen, es gleichfalls ſeyn muͤſſen. Es kann die Proportion: Das Bild zum Bilde, wie Sache zur Sache, dieſelbige bleiben; wenn gleich zwey andere Bilder an die Stelle der erſtern beiden geſetzetwerden;535der allgem. Vernunftwahrheiten, c. werden; es kommt nur auf ihr Verhaͤltniß unter ein - ander an. *)Erſter Verſuch XI.

Die Frage: ob den Objekten außer dem Verſtande ſo etwas zukomme, als wir ihnen zuſchreiben, oder in ihnen uns vorſtellen, iſt alſo dieſe: ob diejenigen Ver - haͤltniſſe und Beziehungen, die wir in unſern Vorſtel - lungen gewahrnehmen, den Objekten außer uns zu - kommen? Der Verſtand hat die Jdeen vor ſich, vergleicht, verbindet und trennet ſolche, und findet ihre Verhaͤltniſſe, in ſo ferne ſie Vorſtellungen ſind, die aus Jmpreſſionen von den Objekten entſtehen. Nach wel - chem Geſetz kann man dieſe Beziehungen der Jdeen, als Beziehungen der Objekte auf einander anſehen?

Man beruft ſich ſo oft auf den Satz, daß wir die Gegenſtaͤnde nur nach den Jmpreſſionen denken, die wir von ihnen erhalten, und daß dieſe nur ſolche Jm - preſſionen fuͤr uns ſind, daß es faſt ſcheinen moͤchte, man habe es nur mit dem Bildlichen in unſerer Erkenntniß, mit den Zeichen ſelbſt zu thun, wenn man ſie fuͤr eine Relation auf unſern Verſtand ausgiebet. Wenn das iſt, ſo waͤre der Streit geendiget. Aber es wuͤrde ſo gleich ein anderer entſtehen. Ob die Beziehungen, die wir in unſern Jdeen gewahrnehmen, nicht blos ſub - jektiviſche Beziehungen ſind, die wir nur bey Jm - preſſionen oder Vorſtellungen ſolcher Art gewahrnehmen, als die unſrigen? Jn dieſer Frage lieget die Spitze der Sache.

2.

Die zwote vorlaͤufig abzumachende Sache iſt, was eigentlich die Objektivitaͤt unſerer Erkenntniß ſagen wolle? Dieſe oder jene Verhaͤltniſſe kommen den Ob - jekten zu, ſind in ihnen außer dem Verſtande, und ſindL l 4hier536VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeithier daſſelbige, was die Beziehungen der Jdeen im Verſtande ſind. Dieſe Ausdruͤcke, was bedeuten ſie nach der Natur unſers Verſtandes und unſerer Begriffe, und nach den Erklaͤrungen der Philoſophen, welche die Wahrheit fuͤr etwas objektiviſches anſehen? Was heißt es: die Sonne iſt ſo ein Ding, wie die ſind, welche leuch - ten; die viereckte Figur meiner Stubenthuͤr iſt fuͤr ſich eine andere, als die ovale Figur eines alten Kirchen - fenſters?

Jn der Jdee des gemeinen Verſtandes, die wir ha - ben, wenn wir etwas fuͤr ein Objekt und fuͤr objekti - viſch anſehen, und die wir ausdruͤcken, wenn wir ſagen: die Sache iſt ſo, lieget eigentlich der Gedanke, daß die Sache auf der Art, wie wir uns ſie vorſtellen, von jedem andern wuͤrde und muͤßte empfunden werden, der einen ſolchen Sinn fuͤr ſie hat, als wir. Die Sache iſt ſo beſchaffen, heißt ſo viel: auf dieſe Art iſt ſie em - pfindbar. So ſcheinet ſie nicht nur mir unter dieſen Umſtaͤnden; ſondern ſo muß ſie jedem erſcheinen, der ſie empfindet, und beſonders dem der ſie fuͤhlet. Denn da das Gefuͤhl der Sinn iſt, aus dem wir die Jdee eines wirklichen Objekts erlangen, ſo heißt, ein Objekt ſeyn und objektiviſche Beſchaffenheiten beſitzen, nichts anders, als auf eine ſolche Art beſchaffen ſeyn, daß ein fuͤhlendes Weſen es nicht anders als auf dieſe Weiſe empfinden kann. *)Man ſehe den fuͤnften Verſuch V.

Ein beſtaͤndiger Schein iſt vor uns Realitaͤt, wie einige Philoſophen reden, und ſo viel als Seyn und Wirklichkeit. Dieß iſt in ſo weit richtig, weil wir ei - nen voͤllig immer ſich gleichen Schein in der Empfin - dung von dem Reellen nicht zu unterſcheiden wiſſen, es waͤre denn, daß uns Vernunftſchluͤſſe, wie in der Aſtro - nomie, daruͤber belehrten. Aber es iſt doch wahr, daßwenn537der allgem. Vernunftwahrheiten, c. wenn wir den Gedanken faſſen: eine beſtaͤndige auf dieſelbige Art ſcheinende Sache, ſey eine reelle Sache, und ſo an ſich beſchaffen, wie ſie ſcheint, ſo wollen wir doch etwas mehreres ausdruͤcken, als blos dieſes, daß ſie uns ſo ſcheine. Sie wird und muß ihrer Natur nach, jedwedem andern, ſie fuͤhlenden und empfindenden We - ſen, auch ſo erſcheinen. Dieß iſt noch ein Zug, der in jenem Praͤdikat enthalten iſt.

Es iſt noch derſelbige Begriff von dem Objektivi - ſchen, der in der Philoſophie beybehalten wird. Die Dinge ſind fuͤr ſich, auf dieſe oder jene Art beſchaffen, heißt auch hier ſo viel als, jedwedes Weſen, das ſie em - pfindet, oder ſie als exiſtirende Dinge ſich vorſtellet und gedenket, muß ſie ſo empfinden, ſo ſich vorſtellen und gedenken, wenn es ſie nemlich auf dieſelbige Art geden - ket, wie wir es in ſolchen Faͤllen thun, in denen wir un - ſerer Erkenntniß eine objektiviſche Realitaͤt beylegen. Denn es wird ſtillſchweigend angenommen, daß dieſel - bigen Erforderniſſe, die uns bewegen, unſere eigene Er - kenntniſſe fuͤr objektiviſch anzuſehen, da wir wohl wiſſen, daß ſie zuweilen nur ſubjektiviſcher Schein ſind, auch bey andern denkenden Weſen vorhanden ſeyn muͤſſen, wo die Erkenntniß objektiviſch ſeyn ſoll. Von dem vollkom - menſten Verſtande haben wir eine ſolche Vorſtellung, nach der wir glauben muͤſſen, daß er die Objekte ſo ge - denke, wie ſie an ſich ſind. Daher ſehen wir es als ei - nen Grundſatz an, daß da, wo wir ſelbſt die Dinge uns ſo vorſtellen, wie ſie ſind, unſere Vorſtellungen von ihnen mit denen in dem goͤttlichen Verſtande uͤberein - ſtimmen. Jch rede hier nach dem Sinn derer, die eine ſolche objektiviſche Realitaͤt unſerer Erkenntniſſe behaup - ten. Ein viereckter Zirkel iſt an ſich ein Unding. Was heißt dieß, als es iſt ein ſchlechthin ungedenkbares, auch von dem goͤttlichen Verſtande ungedenkbares Ding, das nicht iſt und nicht ſeyn kann, das nicht gefuͤhlet undL l 5empfun -538VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitempfunden, oder als ein gegenwaͤrtiges vorhandenes Ding vorgeſtellet und gedacht werden, noch zu einem ſolchen empfindbaren Dinge gemacht werden kann.

Nun ergiebt ſich der wahre Sinn der Frage, ob die Wahrheit nur etwas ſubjektiviſches von dem ſey, der ſie denket, oder auch etwas objektiviſches? Ge - danken beſtehen in den Beziehungen der Jmpreſſionen. Sind alſo diejenigen Beziehungen, die wir in unſern Jmpreſſionen gewahrnehmen, dieſelbigen, welche jedwe - des die Objekte denkendes Weſen, in den ſeinigen an - treffen mußte; vorausgeſetzt, daß ſeine Kenntniß die naͤm - liche Beſchaffenheit einer reellen Kenntniß habe, welche die unſrige hat, und die wir noch aufſuchen muͤſſen? Die Jmpreſſionen von den Sachen, oder das, was die Stelle unſerer Jmpreſſionen, die wir doch dem goͤttlichen Ver - ſtande nicht zuſchreiben koͤnnen, als Zeichen der einzel - nen wirklichen Objekte in dem denkenden Weſen vertritt, moͤgen ſeyn welche ſie wollen, ſo iſt die Frage von ihren Beziehungen. Sind diejenigen Beziehungen, die wir in unſern Jmpreſſionen antreffen, nur allein an dieſe Art von Jmpreſſionen gebunden, ſo iſt ihre ganze Ana - logie mit den Objekten, nichts als eine ſubjektiviſche Art, die Beziehungen der Dinge zu erkennen, und zum Bey - ſpiel, viereckt und rund in einer Figur nur fuͤr uns un - vereinbar. Sind dagegen dieſe Beziehungen von der Natur der Jmpreſſionen unabhaͤngig, und dieſelbigen, die jedes andere denkende Weſen in den ſeinigen ge - wahrnehmen muß, ſo iſt die Unmoͤglichkeit eines vier - eckten Zirkels eine abſolute objektiviſche Unmoͤg - lichkeit.

Weiter, meine ich, kann die Frage nicht gehen. Wollte man ſagen, es waͤren doch alle Gedanken als Verhaͤltnißgedanken nur etwas ſubjektiviſches und die Verhaͤltniſſe als ihre Objekte außer dem Verſtande ein Nichts. Von den Verhaͤltniſſen aus der Vergleichung iſtdieß539der allgem. Vernunftwahrheiten, c. dieß außer Zweifel; denn Aehnlichkeit und Verſchieden - heit iſt nur ein Gedanke in dem Verſtande. Jn Hin - ſicht der Beziehungen aus der Art der Koexiſtenz der Dinge und der urſachlichen Verknuͤpfung iſt es ſo offen - bar nicht. Aber zugegeben, daß es ſo ſey, ſo wuͤrde nur folgen, daß alle Gedanken und alſo auch alle Wahr - heiten in ſo weit etwas ſubjektiviſches ſind, als nur eine Denkkraft ihrer empfaͤnglich iſt. Hievon, glaube ich, ſey gar nicht die Rede.

Es ließe ſich noch dieß ſagen. Die Verhaͤltniſſe, welche unſer Verſtand in den Dingen gewahrnimmt, moͤgen vielleicht ſelbſt andere Verhaͤltnißarten ſeyn, als diejenigen, welche eine andere Denkkraft faſſet. Aehn - lichkeit und Verſchiedenheit, beyeinander ſeyn, und von einander abhangen, das ſind Denkarten unſers Verſtan - des. Sind es auch Denkarten eines jedweden andern Verſtandes? Alſo iſt es unmoͤglich auszumachen, ob un - ſere Denkarten uͤber die Gegenſtaͤnde, auch die Denkar - ten eines Engels oder gar des goͤttlichen Verſtandes ſind? Alſo ſind auch die Verhaͤltniſſe, die wir in unſern Jmpreſſionen gewahrnehmen, ſchlechthin nur Gedanken vor uns, und nur Wahrheiten vor uns.

Hierauf kann man antworten. Es werde das erſte Ziel verlaſſen, und ein anders geſteckt. Wir haben kei - nen Begrif von einem Verſtande, der nicht ſolche Ver - haͤltniſſe in den Jdeen gewahrnimmt, als wir gewahr - nehmen. Giebt es alſo eine Denkkraft, die ſo ſehr hete - rogen iſt von der unſrigen, daß die Verhaͤltniſſe und Be - ziehungen, welche ſie hervorbringet, mit den unſrigen un - vergleichbar ſind, ſo iſt das etwas, das vielleicht als ein Analogon eines Verſtandes, oder wenn es eine groͤßere Vortreflichkeit iſt, als unſere Denkkraft, als ein Ver - ſtand per eminentiam angeſehen werden kann; aber ein eigentlicher Verſtand und eine Denkkraft, davon wir ei - nen Begrif haben, iſt es nicht. Und ſolche eigentlicheDenk -540VII. Verſuch. Von der NothwendigkeitDenkkraͤfte werden vorausgeſetzt, wenn die Frage iſt, ob die von uns gedachten Verhaͤltniſſe der Objekte dieſelbi - gen ſind, welche jede andere Denkkraͤfte von denſelbigen haben muͤſſen? Die Dinge ſind an ſich einerley oder verſchieden, das heißt auch nichts mehr, als ſie ſind es vor jedweder Weſensart, welche die Verhaͤltniſſe der Einerleyheit und der Verſchiedenheit gedenken kann.

Man ſchließe hieraus nicht, die Frage habe vielleicht gar keinen Sinn und gehoͤre zu der alten Scholaſtik. Man ſetze an ſtatt der Woͤrter, objektiviſch und ſub - jektiviſch, die Woͤrter unveraͤnderlich ſubjektiviſch und veraͤnderlich ſubjektiviſch, ſo iſt es nicht noͤthig auf die Denkkraͤfte anderer Weſen Ruͤckſicht zu nehmen, von denen wir keine Begriffe haben, und dennoch zeiget es ſich, wie viel ſie bedeute? Es iſt das naͤmliche, wenn wir fragen, was haͤngt von der beſondern Einrichtung unſerer Organe ab, und von unſerer jetzigen Verfaſſung? was iſt dagegen nothwendig und immer ſo, und bleibet ſo, wie auch die koͤrperlichen Werkzeuge unſers Denkens veraͤndert werden moͤchten, ſo lange unſer Jch nur ein denkendes Weſen bleibet?

3.

Dieſe beyden Punkte voraus feſtgeſetzt, wodurch al - les Wortgezaͤnk vermieden wird, ſo iſt das erſte, wor - uͤber etwas entſchieden werden kann, dieſes: Ob die nothwendigen Denkgeſetze unſers Verſtandes nur ſub - jektiviſche Geſetze unſerer Denkkraft ſind, oder ob ſie Geſetze jeder Denkkraft uͤberhaupt ſind? und dann auch, ob die allgemeinen Vernunftwahrheiten nur Wahrhei - ten vor uns ſind, oder Allgemeinſaͤtze vor jeder Ver - nunft?

Der Grundſatz des Widerſpruchs ſoll das Beyſpiel ſeyn. Mit den uͤbrigen die von dieſem abhangen, oder die mit gleicher ſubjektiviſchen Nothwendigkeit als Axio -me541der allgem. Vernunftwahrheiten, c. me angenommen werden muͤſſen, wird es dieſelbige Be - ſchaffenheit haben.

Es ſind eigentlich drey verſchiedene Saͤtze, die bey dem Grundgeſetz des Widerſpruchs zuſammen kommen.

Erſtlich. Jch kann keinen viereckten Zirkel mir vor - ſtellen noch gedenken; oder, wenn wir den allgemeinſten Ausdruck aller widerſprechenden Gedanken gebrauchen wollen, ich kann dieſen Gedanken: A iſt nicht A, nicht gedenken. Dieß iſt ein Erfahrungsſatz.

Zweytens. Ein viereckter Zirkel, oder uͤberhaupt der Satz, A iſt nicht A, iſt gar nicht gedenkbar, ohne alle Einſchraͤnkung, und kann von keiner Denk - kraft vorgeſtellet und gedacht werden. Dieß iſt weder ein Erfahrungsſatz, noch ein Schlußſatz; es iſt ein ange - nommenes Axiom.

Endlich drittens. Ein ſolches ungedenkbares, oder widerſprechendes Ding iſt kein wirkliches Objekt, iſt keine fuͤhlbare Sache, und kann es auch nicht ſeyn noch werden. Es iſt objektiviſch unmoͤglich. Dieſer letzte Ausſpruch iſt eigentlich der metaphyſiſche Grundſatz, und iſt wiederum weder ein Erfahrungsſatz noch ein Schluß - ſatz, ſondern ein angenommenes Axiom.

Kein Menſch, der es weis, was er denket, kann ſichs je uͤberreden, daß er eine Jdee von einem viereck - ten Zirkel habe. So weit kann auch die ausgelaſſenſte Zweifelſucht nicht gehen. Aber kann man vielleicht bey den beyden letztern Saͤtzen Anſtand nehmen? Als eini - ge ſonderbare Leute am Ende des ſechszehnten und im Anfang des ſiebenzehnten Jahrhunderts zu Helmſtaͤdt ge - gen die Vernunft ſchrieen, und behaupteten, auch wah - re Widerſpruͤche muͤßten fuͤr Wahrheiten von uns ange - nommen werden, wenn ſie in der Bibel entdecket waͤren, war dieſes vielleicht was ſie im Sinn hatten. Die Ungedenkbarkeit eines viereckten Zirkels ſey nur eine ſubjektiviſche Unmoͤglichkeit bey dem Menſchenver -ſtande,542VII. Verſuch. Von der Nothwendigkenſtande, aber deßwegen nicht bey dem goͤttlichen. Denn hieraus konnten ſie die obige Folgerung ziehen. Wenn es einmal voͤllig gewiß iſt, daß Gott es offenbaret habe, es ſey in einem Fall wahr, daß A nicht A iſt, ſo ſind wir verpflichtet es zu glauben, ob es uns gleich unbe - greiflich iſt. Die Widerſpruͤche ſind denn nichts mehr als andere Unbegreiflichkeiten, die uͤber unſerer Ver - nunft ſind.

Es faͤllt meiner Meinung nach, ſo gleich auf, daß, da wir ſelbſt keinen viereckten Zirkel uns vorſtellen koͤn - nen, es uns auch eben ſo unmoͤglich ſeyn muͤſſe, eine Jdee von einer Denkkraft zu machen, in der jene Vor - ſtellung enthalten ſey. Das widerſprechende kann ſym - boliſch ausgedruckt; der Satz: A iſt nicht A, kann auf dem Papier geſchrieben werden. Aber das, was in die - ſem Ausdruck lieget, iſt fuͤr uns ungedenkbar, und eben ſo unvorſtellbar iſt uns ein Verſtand, der dieſen Gedan - ken haben koͤnne. Ein ſolcher Verſtand iſt ſelbſt vor dem menſchlichen, was ein viereckter Zirkel vor ihm iſt. Das Daſeyn eines ſolchen Verſtandes muß ich alſo eben ſo nothwendig verneinen, als die Exiſtenz eines wider - ſprechenden Objekts; und jenen fuͤr moͤglich halten, heißt eben ſo viel, als die ungedenkbare Sache ſelbſt dafuͤr an - ſehen. Das iſt, mit andern Worten, glauben, daß der Ausdruck, A iſt nicht A, vor irgend einem an - dern Verſtande etwas gedenkbares ſey, heißt, den Grundſatz des Widerſpruchs aufheben. Dieß Denkge - ſetz iſt alſo eben ſo gewiß nicht allein ein Geſetz vor unſe - rem Verſtand, ſondern vor jedem andern, und das Princip des Widerſpruchs iſt ſo gewiß ein objektiviſches Princip, als es ſelbſt ein wahres Princip iſt. Kann etwas noch gewiſſer ſeyn?

Hr. Loſſius druͤckt ſich in der ſchon angefuͤhrten Schrift*)S. 56. ſo aus, daß man glauben muß, er habe ſei -ne543der allgem. Vernunftwahrheiten, c. ne Behauptung, die Wahrheit ſey nur eine Relation vor dem der ſie denket, bis dahin ausgedehnet, daß auch das Widerſprechende nur ein Ungedenkbares vor unſerm Verſtande ſey. Verſtehe ich ihn unrecht, ſo deucht mich doch, er ſey ſelbſt durch die Undeutlichkeit ſeiner Worte Schuld daran, die ich anfuͤhren will, weil er ſo gar die Art hat begreiflich machen wollen, wie das Wi - derſprechende bey einer andern Einrichtung der Organen gedacht werden koͤnne.

Es liegt daher in der Auſſage: die Dinge ſind widerſprechend, nur das, was ſie vor unſern Organen ſind, ſie moͤgen uͤbrigens in der Natur wirk - lich ſo ſeyn oder nicht, darauf kommt hier noch nichts an. Reid hat das erſtere laͤngſt bewieſen. Die Ur - ſache ſcheinet, wie zuvor, dieſe zu ſeyn: weil entge - gengeſetzte Jdeen nicht zu dem Sitz der Perception ge - langen koͤnnen. Die Erſchuͤtterung, welche die eine Jdee macht in der hiezu beſtimmten Figur, iſt die ent - gegengeſetzte von derjenigen, welche die andere erfo - dert, wenn ſie ſoll gedacht werden koͤnnen. Die Seele kann mithin ſolche Jdeen niemals vereiniget denken, weil ſie niemals als ſolche zugefuͤhret werden. Und wenn ſie ſich auch bemuͤhet, durch eine Wirkung, wel - che vorwaͤrts auf ihr Fibern - und Gedankenſyſtem gerichtet iſt, eine moͤgliche Vereinigung zu ſtiften, und indem die erſtere dauret, die entgegengeſetzte zu erwe - cken, ſo verſchwindet jene, ſo bald dieſe erwacht. Haͤt - te der Urheber der Natur eine ſolche Fiber mit in ihr Fibernſyſtem geleget, wodurch dieſes moͤglich waͤre, ſo wuͤrden wir vom Widerſpruch nichts wiſſen. So aber wollte er, daß der Widerſpruch fuͤr unſern Verſtand das ſeyn ſollte, was der Schmerz fuͤr unſern Koͤrper iſt.

Es iſt Erfahrung, daß ein Menſch in einer Ver - bindung von Gedanken einen Widerſpruch findet, woihn544VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitihn ein anderer nicht findet; ferner, daß eben derſelbige anfangs eine Ungereimtheit in ſeinen eigenen Gedanken nicht findet, die er nachher entdecket, und umgekehrt, daß etwas ihm anfangs ungedenkbar zu ſeyn ſcheinet, was bey einer ſorgfaͤltigern Unterſuchung nicht ſo, oder wohl gar ganz begreiflich ihm vorkommt. Ohne allen Zweifel giebt es blos ſubjektiviſche Widerſpruͤche. Wenn davon die Rede waͤre, wie dieß zugehe, da doch unſer Verſtand ſeiner Natur nach nichts widerſprechendes den - ken kann; ſo moͤchte die angefuͤhrte Erklaͤrung des Hr. Loſſius etwan angewendet werden koͤnnen. An ſich ſehe ich ſonſten darinn keine Erklaͤrung unſerer Denk - arten, wenn nur blos ſtatt der Woͤrter, Vorſtellun - gen, Gedanken, Seele, Einbildungskraft, die Woͤrter, Fibernſchwingungen, Fibernſyſtem, und Wirkungen auf das Fibernſyſtem und ſo ferner ge - brauchet werden. Wir haben von den letztern nicht beſ - ſere Jdeen als von den gewoͤhnlichen. Aber wenn da - durch eine Art und Weiſe angegeben werden ſoll, wie widerſprechende Dinge vorgeſtellet werden koͤnnten, in dem Sinn nemlich, wie es unſer menſchlicher Verſtand durchaus nicht kann, ſo geſtehe ich, dieß ſey mir das Unbegreiflichſte. Widerſprechende Jdeen, als zirkel - rund und eckigt in einer und derſelbigen Figur ſind dar - um eben widerſprechend, weil das Daſeyn der Einen die Gegenwart der andern ausſchließt, und das Nicht - daſeyn der letztern in ſich enthaͤlt. Nirgends ſind ſon - ſten blos verſchiedene Dinge unvereinbar, als da, wo eins von dem andern praͤdiciret werden ſoll, das iſt, wo etwas das ſeyn ſoll, was es doch nicht iſt. Eine Fiber fuͤr eine Seele, welche Widerſpruͤche denken kann, muͤßte ſo eingerichtet ſeyn, daß ſie zugleich auf eine ge - wiſſe Art ſchwingen und auch nicht auf dieſe Art ſchwin - gen koͤnnte. Denn daß ſie zugleich mehrere unterſchie - dene Schwingungen haben koͤnnte, geht ja ſo wohl beySeelen -545der allgem. Vernunftwahrheiten, c. Seelenfibern an, als es, wie bekannt iſt, bey klingen - den Saiten wirklich ſtatt findet. Und eine Denkkraft, welche Widerſpruͤche gedenken ſollte, muͤßte zugleich et - was gewahrnehmen und auch nicht gewahrnehmen koͤn - nen, zugleich dieſelbigen Dinge fuͤr aͤhnliche erkennen, und auch fuͤr verſchiedene, das iſt, nicht fuͤr aͤhnliche. Eine ſolche Seele und ein ſolches Organ muͤßten doch wirklich ſelbſt viereckte Zirkeln ſeyn.

Sollten ſolche Jdeen, als unſere widerſprechende Praͤdikate ſind, die Jdee vom Zirkelrunden und die Jdee von Winkeln und Ecken, in irgend einer Denkkraft als Praͤdikate Einer Figur vereiniget werden koͤnnen, ſo muͤſ - ſen es ſolche Jdeen nicht mehr ſeyn, als ſie es bey uns ſind. Sie muͤſſen ſich nicht ausſchließen, oder aufhe - ben. Und wenn ſie das nicht thun, ſo ſind ſie freylich auch nicht widerſprechend, aber denn ſind ſie auch nicht unſere Jdeen, ſondern wer weis was anders?

Es bedarf meiner Meinung nach keiner weitern Er - laͤuterung, daß es uͤberhaupt mit allen uͤbrigern ſubjekti - viſch nothwendigen Grundſaͤtzen, welche die Beziehun - gen ausdruͤcken, die unſere Denkkraft bey ihren Jdeen und Begriffen nothwendig antrift, und alſo mit allen geometriſchen Wahrheiten, und andern, die ihnen in Hinſicht dieſer Nothwendigkeit, aͤhnlich ſind, dieſelbige Beſchaffenheit habe. Daß gleiches zu gleichen hinzu - geſetzt, gleiche Summen gebe; daß der Zirkel ſo groß iſt, als ein Triangel, deſſen Grundlinie dem Umfang und deſſen Hoͤhe ſeinem Halbmeſſer gleich iſt; und alle dergleichen allgemeine theoretiſche Wahrheiten, Wahr - heiten fuͤr jeden Verſtand ſind, kann ſo wenig gelaͤugnet werden, als dieſe Wahrheiten ſelbſt. Die Verhaͤltniſſe und Beziehungen denket der Verſtand in dieſen Jdeen, und legt ſie nur ſolchen Objekten bey, die ſeine eigene Ge - ſchoͤpfe ſind. Denn wo wir die Theorien anwenden auf wirkliche Gegenſtaͤnde, da ſetzen wir voraus, daß dasI. Band. M mWirkli -546VII. Verſuch. Von der NothwendigkeitWirkliche ſo beſchaffen ſey, als die Allgemeinbegriffe es vorſtellen. Jn jenen Beziehungen arbeitet aber der Verſtand nach Geſetzen, die wir fuͤr Geſetze jedweder Denkkraft anſehen muͤſſen. Daher muͤſſen wir auch die gewahrgenommene Beziehungen ſolcher Jdeen als noth - wendige Denkarten jedweden Verſtandes anſehen, der eben ſolche Vorſtellungen in ſich hat und gegeneinander haͤlt. Das heißt; dieſe Wahrheiten ſind objektiviſche Wahrheiten, und daß ſie es ſind, iſt ſo gewiß, als ſie ſelbſt Wahrheiten ſind. Wir koͤnnen jenes ſo wenig be - zweifeln oder laͤugnen, als dieſes.

4.

Vielleicht aber hat man dieß auch nicht ſo eigentlich im Sinn; und vielleicht haben, wenigſtens einige, da ſie alle Wahrheit fuͤr etwas Relatives auf den Men - ſchen angeſehen, ſich nur aus Verſehen allgemeiner aus - gedrucket, als es ihre wahre Meinung geweſen iſt. So viel iſt gewiß, daß die meiſten ſich nur auf die ſinnliche Kenntniß von wirklichen Gegenſtaͤnden berufen, wenn ſie ihre Meinung mit Beyſpielen beweiſen wollen. Und dann iſt es ohne Zweifel eine ganz andere Frage: Ob nicht unſere Empfindungskenntniſſe, die Verhaͤlt - niſſe der exiſtirenden Dinge, nach den Vorſtellungen von ihnen aus der Empfindung, etwas anders als hoͤch - ſtens ein beſtaͤndiger ſubjektiviſcher Schein ſey? Von den Vorſtellungen, als Bildern und Jmpreſſionen iſt wiederum nicht die Rede, wie ich oben erinnert habe, ſondern von ihren Verhaͤltniſſen. Oft genug ſind dieſe Kenntniſſe nur ſubjektiviſch; aber es giebt doch andere Faͤlle, die uns aufmerkſam machen muͤſſen. Das Buch, was ich jetzo vor mir ſehe und in Haͤnden nehme, iſt daſſelbige, wofuͤr ichs halte, und was ich ſonſten oft in Haͤnden gehabt. Sollte es denn nur mir und auch wohl andern Menſchen daſſelbige Buch zu ſeyn ſcheinen, undnur547der allgem. Vernunftwahrheiten, c. nur in den menſchlichen Jmpreſſionen dieſe Jdentitaͤt liegen? oder ſollte nicht jedwedes empfindendes und vor - ſtellendes Weſen, wenn es Jmpreſſionen von der gehoͤ - rigen Bemerkbarkeit von dieſem Objekt erhalten kann, eben ſo daruͤber urtheilen, und gleichfalls Jdentitaͤt in ſeinen Vorſtellungen davon gewahrnehmen muͤſſen? Die Exiſtenz der aͤußern Dinge iſt doch etwas objektiviſches, ſelbſt nach der Meinung des oben genannten Philoſophen, der ſonſten alle Erkenntniß fuͤr bloße Relation haͤlt, ohne doch ein Jdealiſt zu ſeyn. Welcher Charakter bezeichnet alſo hier das blos Subjektiviſche, und welcher das Ob - jektiviſche?

Die Vorſtellungen aus der Empfindung ſind bey uns Jmpreſſionen, die ein ſolches Weſen, wie die menſchliche Seele iſt, mittelſt ſolcher Sinnglieder, wie wir haben, unter ſolchen Umſtaͤnden, als die Erforder - niſſe der Empfindung bey uns ſind, erlangen. Unſere Jmpreſſionen ſind einerley oder verſchieden. Wenn nun ein anderes Weſen, wie etwan die Thierſeelen ſind, mit - telſt anderer Organe, und unter andern Umſtaͤnden, von eben denſelbigen Gegenſtaͤnden Eindruͤcke empfaͤnget, ſo laſſen ſich

Erſtlich im Allgemeinen aus Vernunftgruͤnden, die Bedingungen beſtimmen, unter welchen die Jmpreſſio - nen unſerer Seele ſich eben ſo gegen einander verhalten, und verhalten muͤſſen, als die Jmpreſſionen in andern vorſtellenden Weſen.

Alsdenn wird es zweytens darauf ankommen, in wie ferne es ſich bey unſern Vorſtellungen, als Bildern der Objekte mit Gewißheit erkennen laſſe, daß jene Bedin - gungen der Realitaͤt bey ihnen ſtatt finden.

Die Abſicht, die ich hier habe, geht nur aufs All - gemeine, und iſt daher eingeſchraͤnkt. Was man in den gewoͤhnlichen Vernunftlehren uͤber die Zuverlaͤſſig - keit der ſinnlichen Kenntniſſe vortraͤgt, reichet nicht hin,M m 2alle548VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitalle Falten aufzuſchlagen, unter welchen die Skepſis ſich verſtecken kann. Jn dem Organon des Hrn. Lam - berts,*)Zweyter Band. Phaͤnomologie. Hauptſtuͤck II. iſt ſo viel eindringendes hieruͤber geſagt, daß man daraus die Einſchraͤnkung des Satzes, es ſey die ſinnliche Erkenntniß nur ſubjektiviſcher Schein, ſich ab - ſtrahiren kann. Sie iſt es groͤßtentheils an ihrer breite - ſten Seite: aber doch nicht ganz und gar. Darf ich beſorgen, daß der Mond und die Sonne nur zwey Koͤr - per von verſchiedenen Beſchaffenheiten zu ſeyn ſcheinen, und es doch wohl an ſich nicht ſind? Jſt es zweifelhaft, ob das Buch was ich aufgeſchlagen vor mir liegen habe, der zweyte Band des Lambertiſchen Organons ſey, und mir nur ſo ſcheine? Es ſind nur einige Anmerkungen, die ich als eine Nachleſe uͤber den Gang des Menſchen - verſtandes hiebey anfuͤgen will.

5.

Erſter Satz. Die ſinnlichen Eindruͤcke von den Objekten, die vermittelſt einzelner Sinne entſtehen, entſprechen ihren Objekten nur von Einer Seite be - trachtet, oder nur relative auf dieſen Sinn. Die Jdentitaͤt oder Diverſitaͤt ſolcher Jmpreſſionen, wenn auch alles uͤbrige ſo iſt, wie es ſeyn muͤßte, kann alſo nur die Verhaͤltniſſe der Objekte von einer gewiſſen Seite genommen, darſtellen; nicht aber die Verhaͤltniſſe der Dinge ſelbſt. Ein Kegel, von dem ich nichts mehr ſehen kann, als ſeine Grundflaͤche, muß mir wie eine Scheibe von derſelben Groͤße vorkommen. Beide ſind einander von dieſer Seite aͤhnlich, ſonſten ſehr verſchieden.

Zweyter Satz. Jndeſſen haben wir Jmpreſſio - nen von den Koͤrpern vermittelſt des Gefuͤhls, von ih - rer Ausdehnung und Soliditaͤt, die wir mit den Jm - preſſionen durch das Geſicht, und die uͤbrigen Sinne verbin -549der allgem. Vernunftwahrheiten, c. verbinden, und daraus uns ſinnliche Vorſtellungen von den Subſtanzen machen, oder von dem, was die Objekte ſelbſt ſind, ihren ſubſtanziellen, nicht einzel - nen Beſchaffenheiten nach. Die Jdentitaͤt oder Di - verſitaͤt ſolcher Vorſtellungen kann, wenn die uͤbrigen Bedingungen ſo ſind, wie ſie ſeyn muͤſſen, auf die naͤm - lichen Verhaͤltniſſe in den Objekten ſelbſt hinfuͤhren. Jn - dem ich die jetzige Empfindung von einem Buche, mit der Empfindung von demſelbigen, die ich vorher ge - habt, oder mit der Jmpreſſion von einem andern ver - gleiche, ſo vergleiche ich ſolche Zeichen, Bilder oder Wir - kungen der Objekte auf mich, von denen ich glaube, daß ihre Beziehung auf einander, eine Beziehung der Sa - chen ſelbſt ſey.

Es iſt in dem fuͤnften Verſuch*)Fuͤnfter Verſuch. V. geſaget worden, wie die Begriffe von einem Dinge, von einem wirkli - chen Dinge, von einem Objekt, und von der Sub - ſtanz entſtehen. Unſere ſinnlichen Vorſtellungen von den beſondern Subſtanzen ſind beſondere Arten jener all - gemeinen Begriffe, und enthalten daſſelbige in ſich.

Daraus folget, und dieſen Schluß mache ich nach nothwendigen Denkgeſetzen, den ein jedwedes rai - ſonnirendes Weſen auch ſo machen muß, daß, wenn ich denke: das Papier und die Feder da vor mir, ſind verſchiedene Sachen, Subſtanzen und Objekte, ſo iſt dieß ein Gedanke, der in eben dem Sinn wahr iſt, in welchem die einzelnen Saͤtze, das Papier iſt ein Ding, und die Feder iſt ein Ding, wahr ſind. Alſo muß auch ein jedes Weſen, welches Vorſtellungen von wirk - lichen Sachen und Gegenſtaͤnden aus ſeinen Modifika - tionen bildet, auf dieſelbige Art, wie die menſchliche Denkkraft aus den ihrigen, ſo verſchieden auch im uͤbri - gen die Modifikationen dieſer Weſen ſeyn moͤgen; undM m 3nun550VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitnun auch Jmpreſſionen von dem Papier und von der Feder empfaͤngt, auf gleiche Art, wie von andern koͤr - perlichen Objekten; ein jedes ſolches Weſen muß in die - ſen ſeinen Jmpreſſionen daſſelbige Verhaͤltniß finden, was wir in den unſrigen gewahrnehmen, das heißt, es muß denken, daß Papier und Feder zwey unterſchiedene Sachen ſind.

Zwey Sachen ſind oft den Geſichtseindruͤcken nach einerley, und doch verſchieden; auch wohl zugleich nach dem Geſicht und dem Gefuͤhl, wie reines Waſſer und Brandtwein, aber nicht dem Geſchmack nach. Jn ſol - chen Faͤllen, wo wir nach den Jmpreſſionen eines ein - zelnen Sinnes urtheilen, hat unſer Urtheil nur eine Wahrſcheinlichkeit. Wir ſchließen aus Einem Charakter der Jdee von einem Objekt auf das Daſeyn der uͤbrigen, die gemeiniglich mit jenem verbunden ſind. Aber das hindert nicht, daß wir nicht in einigen Faͤllen die Jdee des Objekts vollſtaͤndig in unſern Jmpreſſionen antreffen ſollten.

Wenn auch ein denkendes Weſen ſich ſeine Begriffe nicht aus Jmpreſſionen von den Gegenſtaͤnden ſo bildet, wie es unſere Denkkraft thut, ſo moͤgen anſtatt der Jm - preſſionen andere Modifikationen vorhanden ſeyn, die kei - ne leidendliche Empfindungen ſind, aber ihre Stelle vertreten, und dieß wird noch nichts aͤndern in ihren Be - ziehungen. Aber wenn ein anderes Weſen nicht ſo den - ket, wie wir, und ſeine Vorſtellungen und Begriffe ſich nicht auf ſeine innere Modifikationes ſo beziehen, wie bey uns, ſo haben wir freylich keinen Begriff von einer ſolchen Denkkraft, und koͤnnen auch nicht ſagen, worinn ihre Urtheile und Gedanken beſtehen. Wer hat eine Vorſtellung von dem goͤttlichen Verſtande, wenn es nicht erlaubt iſt, nach der analogiſchen Vorſtellung von dem unſrigen daruͤber zu urtheilen?

6. Voraus -551der allgem. Vernunftwahrheiten, c.

6.

Vorausgeſetzt alſo, daß man die Vorſtellungen von Sachen und Subſtanzen, von denen unterſcheide, die nur Vorſtellungen von Beſchaffenheiten, oder von den Objekten von gewiſſen Seiten betrachtet, ſind; und daß man nun die in den Jdeen gewahrgenommene Verhaͤltniſſe nicht weiter ausdehne, als es die Natur dieſer Jdeen erlaube; ſo kann man nun folgenden Satz als den allgemeinen Grundſatz von der Zuverlaͤſ - ſigkeit der ſinnlichen Erkenntniß anſehen.

Dritter Satz. Wenn wir von mehreren Objek - ten Jmpreſſionen haben; wenn wir auf dieſelbige Art modificiret alle dieſe Jmpreſſionen empfangen haben, und wenn die uͤbrigen Erfoderniſſe bey ihnen allen die - ſelbigen geweſen ſind, ſo ſind auch die Verhaͤltniſſe, die wir alsdenn in unſern Vorſtellungen gewahrwerden, die - ſelbigen, welche in den Jmpreſſionen anderer vorſtel - lenden Weſen vorhanden ſind, unter der Bedingung, daß auch dieſe letztere Weſen auf einerley Art modifi - cirt, und unter gleichen Umſtaͤnden alle ihre Jmpreſ - ſionen empfangen haben.

Dieß iſt ein Grundſatz der Vernunft, der ſelbſt mit zu den nothwendigen und objektiviſchen Allgemeinſaͤtzen gehoͤrt. Laß das Katzenauge anders gebildet ſeyn als das menſchliche, und die Katzenſeele andere Eindruͤcke be - kommen als die unſrige. Aber laß ſie ein Viereck und ein Eyform unter gleichen Umſtaͤnden anſehen, ſo werden dieſe Jmpreſſionen unter ſich verſchieden ſeyn muͤſſen, wie es unſere Jmpreſſionen von dieſen Objekten ſind.

Die Eindruͤcke hangen ab von der Urſache, welche wirket, von der Beſchaffenheit des leidenden Subjekts, welches ſie annimmt, und von den uͤbrigen Umſtaͤnden. Sind nun zwey Eindruͤcke verſchieden, wo die Umſtaͤn - de dieſelbigen und auch das Subjekt, welches ſie em -M m 4pfaͤngt,552VII. Verſuch. Von der Rothwendigkeitpfaͤngt, daſſelbige iſt, ſo iſt zu dieſer Verſchiedenheit nun weiter kein Grund uͤbrig, als in den Urſachen, welche die Eindruͤcke hervorbringen. Dieß iſt ſo nothwendig bey der Thierſeele als bey der Menſchenſeele. Sind alſo bey uns zwo verſchiedene Scheine vorhanden unter den glei - chen Umſtaͤnden, ſo muͤſſen die Objekte, von dieſer Seite betrachtet, oder in ſo ferne ſie auf dieſe Art in dieſen be - ſondern Beſchaffenheiten empfindbar ſind, verſchieden ſeyn. Und dieſe unterſchiedene Objekte werden, wenn ſie auf die Thierſeele wirken, auf daſſelbige Weſen, auf gleiche Art modificirt, und unter gleichen Umſtaͤnden, wiederum unterſchiedene Jmpreſſionen hervorbringen. Das Verhaͤltniß der Bilder iſt beſtaͤndig, unter dieſen Bedingungen.

7.

Bey der Anwendung dieſer allgemeinen Regel auf unſere ſinnliche Vorſtellungen muß manches in Betracht gezogen werden, das ich hier nur beruͤhren kann. Am Ende kommen wir doch wiederum auf ein ſchon bekanntes Reſultat. Es iſt etwas objektiviſches in dieſer Art von Erkenntniß, aber der groͤßte Theil beſtehet nur in einem ſubjektiviſchen Schein.

Erſtlich wird angenommen, daß die Jmpreſſionen von den Objekten ſo beſchaffen ſind, daß ihre Verhaͤltniſ - ſe und Beziehungen auf einander gewahrgenommen wer - den koͤnnen. Es iſt etwas anders, keine Verſchieden - heit bemerken und ein anders gewahrnehmen, daß Sachen einerley ſind, ob wir gleich gemeiniglich dieſes mit einander verwechſeln, und der gemeine Verſtand da - her die Waſſertropfen, die Grashalme, die Sandkoͤrner fuͤr Dinge von gleicher Geſtalt und Groͤße haͤlt, weil ih - re Verſchiedenheit nicht bemerket wird. Aber die beſſer unterrichtete Vernunft weiß es doch, daß ſie das Nicht - zuunterſcheidende nur dann erſt fuͤr Einerley haltendoͤrfe,553der allgem. Vernunftwahrheiten, c. doͤrfe, wenn man ſich verſichern kann, daß die Verſchie - denheiten, im Fall ſie wirklich vorhanden waͤren, auch bemerkbar ſeyn muͤßten. Auf eine aͤhnliche Art verwech - ſelt man das bloße Nichtgewahrnehmen der Jden - titaͤt mit dem Gewahrnehmen der Diverſitaͤt. Aber welche Fehler wir auch auf dieſe Art begehen moͤ - gen, und wie viel allein aus dieſem Grunde blos ſubjek - tiviſcher Schein in unſern Urtheilen ſeyn mag, ſo hindert dieß doch nicht, daß es nicht Jmpreſſionen gebe, in de - ren Hinſicht aller Zweifel wegfaͤllt, ob ſie dieſelbigen oder ob ſie verſchieden ſind. Daß ich jetzo nach einander zwey - mal dieſelbige Jmpreſſion von demſelbigen Buche habe, daß ich heute dieſelbigen habe, die ich geſtern gehabt ha - be, daß meine Jmpreſſionen von dem Papier und von der Feder verſchieden ſind, und dergleichen, kann ich nicht bezweifeln, ohne die Skepſis ſehr hoch zu treiben. Wer durchaus alle Beziehungen in den wirklichen Dingen zum bloßen ſubjektiviſchen Schein machen will, muß behaup - ten, daß es auch diejenigen ſind, die wir in unſern in - nern Modifikationen, und in den ſubjektiviſchen Vor - ſtellungen, und ſelbſt in den Denkarten antreffen. Nun aber iſt es uns unmoͤglich, uns zu uͤberreden, die Vorſtellung von einem Vierecke und von einem Zirkel koͤnne wohl an ſich einerley Vorſtellung ſeyn.

Es giebt alſo Faͤlle, wo wir in Hinſicht unſerer Vor - ſtellungen verſichert ſind, daß die Verhaͤltniſſe und Be - ziehungen, welche wir ihnen zuſchreiben, ihnen auch wirk - lich, unabhaͤngig von unſern gegenwaͤrtigen Denkthaͤtig - keiten und Reflexionen uͤber ſie, das iſt, Objektiviſch zukommen. Und dieß letztere iſt wiederum ſo nothwen - dig zu glauben, als es uns unmoͤglich iſt, den Wider - ſpruch zu gedenken.

Dieß iſt bey unſerer Erkenntniß von wirklichen Ob - jekten, die erſte Vorausſetzung. Die Verhaͤltniſſe der Jdeen oder der Jmpreſſionen der Bilder, und ZeichenM m 5 der554VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit der Dinge, gegen einander in uns ſind ſolche, als wir in ihnen gewahrnehmen, und nothwendig gewahrneh - men muͤſſen. Darauf beruhet auch die abſolute Noth - wendigkeit der allgemeinen Theorien.

8.

Ein anderes Erfoderniß zur reellen objektiviſchen Kenntniß iſt folgendes: Das Subjekt, und hier iſt es unſere Seele, muß, indem es Jmpreſſionen von mehreren Gegenſtaͤnden empfaͤngt, innerlich daſſelbige ſeyn; und iſt es etwann in dem Fall, wenn es die eine empfaͤngt, anders modificirt, als da, wo es die zwote erhaͤlt, ſo doͤrfen doch ſolche innere Verſchiedenheiten keinen Einfluß in die Jmpreſſionen ſelbſt haben, in ſo ferne man dieſe als Zeichen der Gegenſtaͤnde gebrau - chet.

Die menſchlichen Urtheile uͤber die phyſiſchen Be - ſchaffenheiten der Dinge, z. B. uͤber Farben und Figu - ren, ſind uͤbereinſtimmender, als uͤber ihre morali - ſchen und aͤſthetiſchen Eigenſchaften. Die Urthei - le uͤber die Schoͤnheit und Haͤßlichkeit, oder wie man ſich ſonſten ausdruͤckt, die Schoͤnheit ſelbſt iſt mehr blos ſubjektiviſcher Natur, als die Urtheile uͤber die Groͤßen. Der Grund davon lieget in der Entſtehungsart dieſer Urtheile.

Der heitere Himmel erſcheinet mir blau, die Blaͤt - ter der Baͤume gruͤn, und die Sonne leuchtend, ich mag verdrießlich oder vergnuͤgt, muͤſſig oder beſchaͤfti - get ſey, dieſe oder jene Jdeen im Kopf haben. So ver - haͤlt ſichs nicht mit den Eindruͤcken auf die Empfindſam - keit und aufs Herz. Mir iſt dieſelbige Jmpreſſion jetzo angenehm, die eine Stunde nachher Eckel verurſachen kann. Jene ſind alſo von dem gegenwaͤrtigen innern Zuſtand der Seele weniger abhaͤngig, als dieſe, undrichten555der allgem. Vernunftwahrheiten, c. richten ſich mehr nach den aͤußern Objekten, die auf die Sinne wirken.

Daraus entſtehet zuerſt einige Verſchiedenheit in den Gemeinbegriffen, die wir von dieſen beyden Arten von Beſchaffenheiten aufſammlen. Die Abſtraktion von der rothen Farbe z. B. iſt eine Aehnlichkeit der Jmpreſ - ſionen von gewiſſen Gegenſtaͤnden, die, ſo unterſchieden auch die Jmpreſſionen, oder die bildlichen Vorſtellungen ſelbſt ſeyn moͤgen, doch allen Menſchen auf eine aͤhnli - che Art erſcheinen. Denn die Aehnlichkeit in ihnen hat bey allen dieſen in der Aehnlichkeit der Objekte ihren Grund. Dagegen ſind die Gemeinbegriffe vom Ange - nehmen und Unangenehmen, vom Schoͤnen und Haͤßli - chen, vom Erhabenen und Niedrigen, von dem Wich - tigen und Unwichtigen und dergleichen, auch zwar Aehn - lichkeiten in gewiſſen Empfindungen von Gegenſtaͤnden, aber nicht in ſolchen, wo die Aehnlichkeit in den Gegen - ſtaͤnden liegt, oder eigentlich, wo ſie durch die letztern charakteriſiret wird. Setzet eine Menge von rothgefaͤrb - ten Gegenſtaͤnden neben einander, und ſagt, die Aehnlich - keit dieſer Empfindungen ſey das was Roth genennet werde, ſo finden alle etwas gemeinſchaftliches in ihren Jmpreſſionen, das nun auf dieſelbige Art benennet wird. Aber wenn man eine Menge von uns ſelbſt angenehmen Dingen verſchiedenen Menſchen vorſtellet, und ihnen da - bey ſaget, diejenige Affektion, welche aus dieſem An - blick entſpringet, die ſich durch eine heitere Miene und durch leichte Bewegungen aͤußerlich im Koͤrper ausdruͤ - cket, ſey das was man ein Vergnuͤgen nennet, ſo wer - den nicht alle dieß Aehnliche in ihren Empfindungen von denſelbigen Objekten gewahrnehmen. Daher iſt das Vergnuͤgen auch eine Jmpreſſion von dieſen oder jenen beſondern Objekten, die man jemanden nur vorhalten doͤrfe, um in ihn die Jdeen davon zu erregen und die man durch die Gegenſtaͤnde charakteriſiren koͤnne. Manmuß556VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitmuß einen andern unabhaͤngig von den Gegenſtaͤnden, auf die aͤußern Wirkungen und Ausbruͤche der Affektion ſelbſt aufmerkſam machen. Jndeſſen giebt es ganz ge - wiß Gegenſtaͤnde, deren Eindruck bey allen gleiche Wir - kung hat, und ſolche kann man gebrauchen, um einem andern die Jdee von ihrer Wirkung abſtrahiren zu laſ - ſen. Nur wird die allgemeine Jdee auch hier nicht ſo wohl von der Aehnlichkeit in den Urſachen, als von der Aehnlichkeit in den Wirkungen ſolcher Jmpreſſionen ab - ſtrahiret werden. Dieß hindert gleichwohl nicht, daß die Gemeinbegriffe von dem was Angenehm iſt oder Un - angenehm, in verſchiedenen Menſchen ſich nicht eben ſo auf einander beziehen ſollten, als ihre Gemeinbilder von der weißen und ſchwarzen Farbe. Die weiße Farbe iſt bey jedwedem eine Farbe, wie die iſt, welche in dem Schnee und der Kreide empfunden wird. Angenehm iſt bey jedem dasjenige, was ihn lebhafter macht, was den Umlauf des Gebluͤts befoͤrdert, was ihn zum Singen und Springen bringet, und uͤberhaupt ſich ſo aͤußert, wie bey andern.

Kommt es nun aber zu den Urtheilen uͤber einzelne Gegenſtaͤnde, die aus der Vergleichung der beſondern Eindruͤcke von dieſen mit jenen Abſtraktionen entſtehen, ſo findet man die Verſchiedenheit. Die Urtheile uͤber die phyſiſchen Jmpreſſionen von einer Speiſe auf die Zunge ſind dieſelbigen; der eine ſagt wie der andere, die Spei - ſe ſchmeckt ſuͤß, oder ſauer. Beyde finden den Eindruck dem vom Zucker oder vom Eſſig aͤhnlich: aber nicht bey - de ſagen, ſie ſchmecke angenehm. Das iſt, ſie finden nicht beyde, daß bey ihnen ſolche Affektionen entſtehen, dergleichen ſie von andern angenehmen Objekten erhal - ten hatten.

Und der Grund von dieſer Verſchiedenheit iſt hier wiederum derſelbige. Laßt uns annehmen, daß beyde an einer gewiſſen Speiſe einerley Geſchmack finden, abernicht557der allgem. Vernunftwahrheiten, c. nicht an der, die ſie jetzo proben. So iſt nun die ge - genwaͤrtige Jmpreſſion bey dem Einen jener abweſenden Jmpreſſion aͤhnlich; aber bey dem andern iſt ſie es nicht. Da ſind alſo in jedweder Perſon zween Eindruͤcke von denſelbigen Gegenſtaͤnden, Ein Eindruck von einem ab - weſenden Objekt, und ein zweeter von einem gegenwaͤr - tigen, und doch iſt die Beziehung derſelben bey ihnen nicht dieſelbige. Dieß iſt keine Ausnahme von dem obi - gen allgemeinen Geſetz. Auf beyder Sinn wirken zwar dieſelbigen Objekte, aber die fernen Wirkungen der er - ſten Eindruͤcke auf die Organe, hangen von andern Ur - ſachen ab, von dem dermaligen Zuſtand und von vor - hergehenden und begleitenden Nebenempfindungen; und dieſe ſind nicht dieſelbigen bey der gegenwaͤrtigen wie bey der vergangenen Empfindung. Es iſt zwar einerley Sinnglied, womit ich die eine Speiſe wohlſchmeckend fin - de, und die andere nicht; aber daß ich jene ſo finde, haͤngt von gewiſſen Diſpoſitionen und gemeiniglich von Jdeenaſſociationen ab, die in die zwote Empfindung keinen Einfluß haben. Daher bin ich ſo zu ſagen nicht derſelbige, der beyde Jmpreſſionen aufnimmt, oder es iſt nicht dieſelbige Seite, an der ich ſie aufnehme. Jch darf mich alſo nicht verwundern, daß die Aehnlichkeit, die ich in den meinigen gewahrwerde, in den Eindruͤ - cken eines andern nicht vorhanden iſt.

So viel iſt indeſſen gewiß, daß hier die Stelle ſey, wo diejenigen, welche die Wahrheit eben ſo relativ ma - chen, als die Schoͤnheit, am hartnaͤckigſten Stand hal - ten koͤnnen. Denn am Ende hat doch die Verſchieden - heit des Geſchmacks darinn ihren Grund, daß die Ver - haͤltniſſe, welche die Menſchen in ihren ſubjektiviſchen Eindruͤcken gewahrnehmen, unterſchieden ſind, ob ſie ſolche gleich durch dieſelbigen Sinnglieder aufnehmen, und auch die Objekte, von denen ſie ſolche erhalten, die - ſelbigen ſind. Nun beruhet aber alles Objektiviſche dar -auf,558VII. Verſuch. Von der Rothwendigkeitauf, daß wir gewiß verſichert ſind, es werde auch an - dern aͤhnlich zu ſeyn ſcheinen, was uns ſo ſcheinet, wenn wir unter denſelbigen Umſtaͤnden von dem Einen eben ſo afficiret werden, als von dem andern. Die Ruͤhrung mag bey einem eine ganz andere Modifikation ſeyn, als bey dem andern, warum aber findet nicht der Eine zwo Eindruͤcke eben ſo wohl einander aͤhnlich in Hinſicht die - ſer Affektion, als in Hinſicht ihrer phyſiſchen Beſchaffen - heiten, z. B. daß ſie ſuͤße oder ſauer ſind? Warum ſoll hier die Parallel zwiſchen Schoͤnheit und Wahrheit abgeſchnitten werden?

Meiner Meinung nach muß man ſo darauf antwor - ten, wie ich vorher gethan habe. Man kann ſonſten noch mehreres anfuͤhren. Der Koͤrper, der roth iſt, re - flektiert in der That auch Lichtſtrahlen von andern Far - ben, und die rothen ſind nur die vorzuͤglichſten. Er kann alſo auch mit einer andern Farbe geſehen werden, wenn das Auge unfaͤhig gemacht wird, die rothen anzuneh - men. *)Erſter Verſuch XV. 3.Eben ſo ſind die Dinge die meiſtenmale nur angenehm oder unangenehm, weil dieſe Beſchaffenhei - ten das Ueberwiegende in ihnen ſind, nicht weil die ent - gegengeſetzten ihnen gaͤnzlich fehlen. Das Angenehme und Unangenehme ſind alſo immer nur gewiſſe Seiten der Gegenſtaͤnde, deren Verhaͤltniß nicht das Verhaͤlt - niß der Dinge ſelbſt iſt, wie ich ſchon oben erinnert habe. Aber wenn man dieſe Antwort verfolget, ſo wird man doch geſtehen muͤſſen, es bleibe am Ende die Frage uͤbrig: Wie Eindruͤcke von einerley Objekten in dieſem Sub - jekt ſich aͤhnlich, und in einem andern verſchieden ſeyn koͤnnen, wenn man in der Verſchiedenheit der aͤußern Umſtaͤnde den Grund dazu nicht finden kann? Es ſind alsdenn die innern Umſtaͤnde verſchieden. Und daß es ſo bey unſern Affektionen ſey, wiſſen wir uͤberhauptrecht559der allgem. Vernunftwahrheiten, c. recht gut, ob es gleich in beſondern Faͤllen ſchwer iſt, die eigentliche Verſchiedenheit anzugeben.

Uebrigens iſt es nicht zu laͤngnen, daß unſere Ur - theile uͤber das Schoͤne und Gute von eben der Natur ſind, als die von den phyſiſchen Beſchaffenheiten. Sie beruhen auf Vergleichungen. Das blos Subjektiviſche in jenen hat dieſelbigen Gruͤnde, wie in dieſen; nur ſind ſie dorten haͤufiger und ſtaͤrker, als hier. Was die Kenntniſſe zu bloßen Relationen macht, macht auch die Empfindungen von dem Schoͤnen dazu, wie das Gefuͤhl der Wahrheit, das nicht die Wahrheit ſelbſt iſt; nur iſt des blos Subjektiviſchen in den letztern mehr vorhanden, als in der Art von Kenntniſſen, die wir fuͤr objektiviſche Wahrheit anſehen.

9.

Dieß ſind die Bedingungen noch nicht alle, unter welchen nur unſere Erkenntniß objektiviſch iſt. Die aͤußern Umſtaͤnde, die Mittelurſachen, die Sinnglieder, die Lage der Gegenſtaͤnde, und was ſonſten unter der Be - nennung aͤußerer Erforderniſſe, begriffen werden mag, muß bey den Jmpreſſionen, die wir in uns ver - gleichen, daſſelbige ſeyn. Hiezu gehoͤret ſehr vieles, wie bekannt iſt.

Aber wo das alles bey mehreren Jmpreſſionen von wirklichen Gegenſtaͤnden einerley iſt, vorausgeſetzt daß in Hinſicht der uͤbrigen Erfoderniſſe nichts zu erinnern ſey, da ſind wir auch ſicher, daß die Verhaͤltniſſe unſe - rer eigenen Jmpreſſionen beſtaͤndige und objektivi - ſche Verhaͤltniſſe ſind. Mag gleich das Auge der Ka - tze alles laͤnglicher und runder ſich vorſtellen, als das unſe - rige, und das gelbſuͤchtige alle Farben mit einem gelben Anſtrich uͤberziehen, ſo wird doch die Jmpreſſion von der viereckten Stubenthuͤr in jenem, von der von einer runden Figur eben ſo wohl verſchieden ſeyn, als ſie beyuns560VII. Verſuch. Von der Rothwendigkeituns iſt; und der gelbſuͤchtige wird das rothe Tuch doch anders anſehen, als das Gelbe.

Endlich muß es auch nie vergeſſen werden, wie weit denn uͤberhaupt das ſo genannte Objektwiſche, oder welches gleich viel iſt das Unveraͤnderliche und Nothwendige in den Subjektiviſchen, ſich erſtre - cke. Nur bis dahin nemlich, daß jedwede andere We - ſen, welche von denſelbigen Gegenſtaͤnden Empfindun - gen haben, auch dieſelbigen Beziehungen in ihnen an - treffen, unter der Bedingung, daß auch ihre Jmpreſ - ſionen dieſelbigen Beſchaffenheiten haben, wie die unſe - rigen die wir fuͤr objektiviſch halten. Nur dann, wenn auch dieſe Weſen von den Objekten Jmpreſſionen unter gleichen Umſtaͤnden erhalten; wenn alles uͤbrige daſſelbige iſt, koͤnnen die Verhaͤltniſſe in den ihrigen mit den Verhaͤltniſſen in den unſrigen uͤbereinſtimmen. Wenn zwey Gegenſtaͤnde in derſelbigen Entfernung von allen Seiten betrachtet, uns gleich groß erſcheinen, oder einander decken, ſo ſind ſie gleich groß, und ſcheinen auch andern ſo, aber doch nur immer unter der Bedin - gung, daß dieſe ſie auch in gleichen Entfernungen an - ſehen.

10.

Der Gang der geſunden Vernunft, wenn ſie ihren Scheinen Realitaͤt unterleget, iſt alſo folgender. Noth - wendige Denkgeſetze fuͤhren ſie auf die Exiſtenz aͤußerer Dinge, als der Urſachen ihrer aͤußern Gefuͤhle. Eben ſolche bringen die Urtheile uͤber ihre Jmpreſſionen her - vor; aber eben ſolche fuͤhren ſie auf den Gedanken, daß die Verhaͤltniſſe der letztern unter gewiſſen Umſtaͤnden, auch Verhaͤltniſſe der Objekte ſind. Das allgemeine Denkgeſetz, wornach der letztere Gedanke entſtehet, iſt an ſich immer daſſelbige, ob wir gleich im Anfang bey deſſen Befolgung Fehltritte genug begehen, die alle ausEiner561der allgem. Vernunftwahrheiten, c. Einer Quelle entſpringen, weil wir da, wo keine Ver - ſchiedenheit in den Umſtaͤnden wahrgenommen wird, die einen Einfluß auf die Jmpreſſion haben, annehmen, daß dergleichen auch nicht vorhanden ſey. Alsdenn muͤſſen wir unſere Jmpreſſionen fuͤr entſprechende Zeichen der Objekte anſehen. Wir lernen mit der Zeit, durch die Vergleichung der Empfindungen, dieſe einfließende Ur - ſachen kennen, und berichtigen unſere Urtheile, wenn wir etwan dergleichen vorher ſchon gefaͤllet hatten; denn die mehreſten kommen in der Schule der Natur nicht ehe zu ihrer Reife, als bis ſie zugleich auch ſchon berichtiget worden ſind.

Jn der gemeinen Jdee von der Realitaͤt unſerer Vorſtellungen lieget aber noch ein anderer Nebenzug. Wir rechnen die Jmpreſſionen, ſo wie ſie bey uns ſind, mit zu dem, was objektiviſch in ihnen iſt, und ſetzen voraus, daß dieſe bey allen empfindenden Weſen die - ſelbigen ſind. Doch haben wir die Meinung nicht von allen Arten von Eindruͤcken. Wir waͤhlen diejenigen von ihnen aus, die wir unter den gewoͤhnlichſten Umſtaͤnden erlangen. Der gemeine Verſtand argwohnet es nicht, daß ſeine innere Modifikation von der rothen Farbe nicht eben dieſelbige ſeyn ſollte, die alle Menſchen haben, und ſo lange wir nur bey Menſchen bleiben, irret er auch wohl nicht ſehr. Darum ſieht er die rothe Farbe nicht blos fuͤr etwas Eigenes an, das von andern Farben unter - ſchieden iſt, ſondern glaubet auch, ſie werde denſelbigen Eindruck nothwendig auf jedes Auge bewirken muͤſſen. Der gewoͤhnlichſte, beſtaͤndigſte Schein iſt fuͤr ihn ganz und gar Realitaͤt. Hierinn berichtiget die Vernunft den gemeinen Verſtand, und lehret, daß das Objektiviſche ſich nirgends weiter als auf die Ver - haͤltniſſe der Eindruͤcke erſtrecken koͤnne, und ſchraͤnket von dieſer Seite die gemeine Vorſtellung etwas ein.

I. Band. N nAuf562VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit

Auf der andern Seite hingegen erweitert ſie ſelbige. Denn da der gemeine Verſtand ſich nur an Einen Ge - ſichtspunkt bey jedem Sinn gewoͤhnt hat, und fuͤr reelle Eindruͤcke nur ſolche gebraucht, die alsdenn entſtehen, wenn die Organe in ihrer natuͤrlichen, geſunden und ge - woͤhnlichen Verfaſſung ſind, und die uͤbrigen Erforder - niſſe gleichfalls ſo ſind, wie gewoͤhnlicher Weiſe, ſo zei - get die Vernunft, daß dieſer Geſichtspunkt wohl veraͤn - dert werden moͤge, ohne daß die Realitaͤt der Erkenntniſſe darunter leide. Nur muß dieſer Punkt doch der naͤmli - che bleiben, bey allen Jmpreſſionen, die man verglei - chen und wornach man urtheilen will. Wir brauchten die Planeten niemals in ſolcher Naͤhe zu ſehen, als die - jenige iſt, die wir bey kleinen Koͤrpern auf unſerer Erde verlangen, um ſie ſo zu ſehen, wie ſie ſind; waͤren jene nur alle gleich weit entfernt, ſo ließe ſich ihre wahre Groͤße doch aus ihrer ſcheinbaren beurtheilen. Es iſt nur dieſe Vorſichtigkeit noͤthig, daß keine Jmpreſſion unter ge - wiſſen Umſtaͤnden mit einer andern unter ungleichen Um - ſtaͤnden verglichen werde. Wir bedienen uns zwar auch ſolcher oft genug, aber nicht unmittelbar wie entſprechen - de Zeichen, ſondern nur erſt nach einer vorhergegange - nen Reduktion.

Wollte man unſerer Erkenntniß von wirklichen Din - gen alles Objektiviſche, alles Unveraͤnderliche und Noth - wendige abſprechen, ſo muͤßte man annehmen, es ſey uns nicht moͤglich, in irgend einem Fall es mit Gewiß - heit auszumachen, daß die Jmpreſſionen von allen uͤbri - gen Umſtaͤnden ſo unabhaͤngig ſind, als dazu erfodert wird. Denn es ſoll bey ihnen ſo, wie ſie als Wirkun - gen vorhanden ſind, alles uͤbrige gleich und einerley ſeyn, nur die einwirkende Dinge ausgenommen, damit von dieſen allein ihre Verhaͤltniſſe und Beziehungen nur ab - hangen. Sonſten kann die Analogie nicht Statt fin - den, in der die Wahrheit beſtehet. Kann man nunin563der allgem. Vernunftwahrheiten, c. in keinem Beyſpiel verſichert ſeyn, wenn zwo Jmpreſ - ſionen verſchieden ſind, wie meine jetzigen, von dem Tiſch und von dem Buch das darauf lieget, es ſind, daß zu dieſer Verſchiedenheit ſonſten nirgends ein Grund ſey, als in den aͤußern Dingen, die ich Buch und Tiſch nenne?

Daß die meiſten Urtheile von dieſer Art nichts mehr als wahrſcheinlich ſind, iſt außer Zweifel; aber es giebt doch auch in einigen Faͤllen eine voͤllige Gewißheit, die es naͤmlich ſo iſt, wie die Gewißheit, die wir uͤberhaupt von der Wirklichkeit aͤußerer Dinge haben. Die letztere beruhet doch darauf, daß wir Gefuͤhle in uns gewahr - nehmen, die aus uns ſelbſt nicht entſtehen, und alſo außer uns Urſachen vorhanden ſeyn muͤſſen, die auf uns wirken. Das Daſeyn dieſer Gefuͤhle erkennen wir durch das unmittelbare Bewußtſeyn; aber daß ſolche nicht aus uns ſelbſt entſtehen, woher wiſſen wir dieſes? Oft nehmen wir es nur aus Unwiſſenheit ſo an, nach dem Grundſatz: was ich nicht gewahr werde, iſt nicht; aber in ſolchen Beyſpielen, die fuͤr uns die Grundem - pfindungen ausmachen, fuͤhlen wir auch zugleich, daß unſere innere leidende Kraft den ihr beygebrachten Mo - difikationen entgegen arbeitet, und den Effekt vernichten wuͤrde, wenn ſein Daſeyn von ihr abhienge. Und in dieſen Faͤllen ſchließen wir nicht unrichtig, daß dasje - nige nicht vorhanden ſey, was wir nicht bemerken, weil wir es bemerken muͤßten, wenn es vorhanden waͤre. Jch halte mich uͤberzeuget, daß jetzo außer mich allein, kein Menſch in meiner Stube iſt. Jch ſehe mich um, und erkenne, wenn jemand vorhanden waͤre, ſo wuͤrde ich ihn gewahr werden. Jch bin alſo ſicher, daß nie - mand da iſt, weil ich niemanden gewahr werde.

Es giebt wenigſtens einige Faͤlle, wo wir bey dem Gebrauch unſerer ſinnlichen Bilder eben ſo ſicher ſind. Wir koͤnnen es zuweilen ausmachen, daß wenn irgendN n 2eine564VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeiteine innere Beſtimmung in der Seele, eine Beſchaffen - heit des Gehirns und der aͤußern Werkzeuge, oder der Mittelurſachen, und aͤußern Umſtaͤnde, oder ſonſten et - was, das von den empfundenen Objekten verſchieden iſt, der Grund von den Verhaͤltniſſen waͤre, die wir in un - ſern Jmpreſſionen antreffen, z. B. davon, daß jetzo der Anblick des Buchs, von dem Anblick des Tiſches ver - ſchieden iſt, ſo muͤßten wir dieſes aus unſerm geſammten Gefuͤhle entdecken koͤnnen. Man kann die Jdentitaͤt aller innern Umſtaͤnde und aller aͤußern Erfoderniſſe er - proben, und ſie daraus durch eine Schlußfolge beweiſen, weil die Wirkungen fehlen, die erfolgen muͤßten, wenn eine Verſchiedenheit von Einfluß in ihnen verborgen waͤre.

Bis dahin reicht alſo die Gewißheit von der Analo - gie unſerer Bilder mit ihren Gegenſtaͤnden.

11.

Bey dieſer Uebertragung unſerer Jdeenbeziehungen auf die Objekte, unterſcheiden wir doch bey den letztern nothwendige und zufaͤllige Verhaͤltniſſe, und thei - len daher auch die objektiviſchen Wahrheiten in nothwendige und zufaͤllige ein. Es mag uns ſub - jektiviſch nothwendig ſeyn, den Sachen dieſe oder jene Beſchaffenheiten zuzugeſtehen, ſo nehmen wir doch ge - wahr, daß dieſe ihnen deswegen noch nicht nothwendig zukommen. Jch muß nothwendig glauben, daß es mit einer Sache, die ich empfinde, dieſe oder jene Be - ſchaffenheit hat; aber ich glaube deswegen nicht, daß die Sache ſelbſt fuͤr ſich nothwendig ſo eingerichtet iſt, wie ich ſie finde. Jch bin, ich denke; ich habe einen Koͤrper, und die Sonne erleuchtet unſere Erde. Lauter Saͤtze, die ich nicht laͤugnen kann, die ich mit ſubjekti - viſcher Nothwendigkeit fuͤr wahr halte; aber ich glaube deswegen nicht, daß ich ſelbſt nothwendig exiſtire, noth -wendig565der allgem. Vernunftwahrheiten, c. wendig denke u. ſ. f. Die Saͤtze, als Gedanken von Gegenſtaͤnden betrachtet, ſind zufaͤllige Wahrheiten, Dieſe Unterſcheidung kann in der Betrachtung des Ver - ſtandes nicht uͤbergangen werden. Der Grund dazu iſt ſchon in dem Vorhergehenden gezeiget worden, und ich will nur mit wenig Worten auf ihn zuruͤck weiſen.

Nemlich, wenn man die objektiviſch nothwen - digen und zufaͤlligen Wahrheiten unterſcheidet, ſo ſieht man nicht allein auf die natuͤrliche Nothwendigkeit des Beyfalls, ſondern auf die Nothwendigkeit oder Zufaͤl - ligkeit in der erkannten Sache ſelbſt, oder in der Vor - ſtellung von ihr, fuͤr ſich betrachtet. Jſt das Objekt un - ſerer Vorſtellung auch alsdenn, wenn wir nothwendig uns vorſtellen, daß es wirklich iſt, und ſo iſt, wie wir es finden; iſt es dann an ſich nur zufaͤllig ſo, oder muß es nothwendig ſo ſeyn? Jſt etwas eine nothwen - dige Folge der Jdeen von den Dingen, und unzertrenn - bar von dieſen, oder iſt es nur etwas mit ihnen verbun - denes, das von ihnen abgeſondert werden kann?

Die Begriffe von Nothwendigkeit und Zufaͤl - ligkeit nehmen wir aus uns ſelbſt und aus unſern Em - pfindungen, alſo aus dem, was wir ſubjektiviſch noth - wendig oder zufaͤllig bey uns antreffen. Bey der Frage: ob etwas nothwendig oder zufaͤllig ſey, ſetzen wir ſchon voraus, daß es etwas wirkliches iſt, und ſo iſt, wie es iſt; und fragen, ob es auch ſtatt deſſen, nicht ſeyn oder anders ſeyn, oder anders werden koͤnne?

Die Empfindungen zeigen uns die Sachen mit den Beſchaffenheiten, die ſie wirklich an ſich haben. Um alſo zu wiſſen, was nothwendig in ihnen iſt, und wel - che Verhaͤltniſſe und Beziehungen bey ihnen nothwen - dig ſind, muͤſſen wir ſie, ſo zu ſagen, aus ihrer Wirk - lichkeit herausnehmen, und ſie blos nach den Jdeen von ihnen beurtheilen, wie wir den Gedanken abgeſondert haben, daß ſie wirklich vorhanden ſind. Nothwen -N n 3dige566VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeitdige Saͤtze ſind alſo keine andern, als ſolche, in denen der Grund von der Beziehung der Jdeen auf einan - der, allein in den Jdeen des Subjekts und des Praͤ - dikats lieget.

Ob die Dinge einerley oder verſchieden ſind, das lehret die Vergleichung der Jdeen. Ob ſie von einan - der abhangen, wie eine Folgerung von ihrem Grund - ſatz, das iſt in einigen Faͤllen aus ihren Begriffen zu be - urtheilen. Daher ſehen wir in den wirklichen Dingen dieſe genannten Verhaͤltniſſe als etwas nothwendiges an. Ein Ey iſt nothwendig dem andern aͤhnlich; wenn es naͤmlich beides Eyer ſind von derſelbigen Gattung, ſo wie wir die Woͤrter nehmen. Wenn wir beide Eyer nur als moͤgliche Dinge uns vorſtellen, ſo ſehen wir doch, daß ſolche Dinge nicht wirklich vorhanden ſeyn koͤnnen, ohne einander aͤhnlich zu ſeyn.

Die Lage der wirklichen Dinge gegen einander, ihre Naͤhe und Abſtand, ihr Zugleichſeyn, und ihre Folge auf einander, und uͤberhaupt die unwirkſamen Beziehungen der Dinge auf einander, die durch Raum und Zeit beſtimmet werden, ſind nach unſerer Vorſtel - lungsart zufaͤllige Beziehungen des Wirklichen. Denn wie auch die Dinge beſchaffen ſind, und was wir bey ihnen in unſern Jdeen antreffen, was z. B. die Son - ne und die Erde fuͤr Beſchaffenheiten fuͤr ſich haben moͤ - gen, ſo ſind ſie deswegen doch nicht zu einem gewiſſen Raum und Zeit beſtimmt. Soll ſo eine Beziehung in ihnen erkannt werden, ſo muͤſſen außer ihren Jdeen noch gewiſſe andere Vorſtellungen von der Art ihrer Mit - wirklichkeit, als gewiſſe Bedingungen zu den Jdeen von den Gegenſtaͤnden, hinzukommen.

Daher ſind auch alle unſere Kenntniſſe von der wirk - lichen Welt, in ſo ferne ſie die Art und Weiſe der Verbindung der Dinge mit einander betreffen, zufaͤl - lige Wahrheiten. Ohne die Dinge ſelbſt empfun -den567der allgem. Vernunftwahrheiten, c. den zu haben, wuͤßten wir von dieſen Beziehungen nichts, oder wir mußten es aus andern Empfindungen, die uns ebenfalls nur etwas zufaͤlliges erkennen laſſen, herleiten.

Von den verurſachenden Verbindungen der Dinge in der Welt haben wir keine vollſtaͤndigen Be - griffe, wenn nicht außer der Jdee von dem Dinge, das die Urſache iſt, und von demjenigen, worinn die Urſache wirket, noch eine gewiſſe Art der Koexiſtenz hinzugedacht wird. *)Vierter Verſuch. V. 2.Dieſe Koexiſtenz iſt aber etwas zufaͤl - liges. Daher ſind die urſachlichen Verbindungen ſol - cher Dinge nach unſern Begriffen zufaͤllige, und die Saͤtze, in welchen ſie ausgedruckt werden, zufaͤllige Wahrheiten. Das Feuer verbrennet das Holz, aber nur dann, wenn jenes an dieſes gelegt iſt. Nicht in den beiden Jdeen von dem Feuer und von der verbrenn - lichen Sache allein lieget das, was es uns nothwendig macht, zu denken, daß eins das andere verzehret, ſon - dern es wird dazu noch eine andere Vorſtellung von ih - rer Verbindung in Hinſicht des Raums erfordert; aber daß dem Feuer ein Vermoͤgen zum Verbrennen zukom - me, iſt eine nothwendige Wahrheit.

Alles uͤbrige, was in unſern Jdeen von den verur - ſachenden Verbindungen der Dinge in der Welt noth - wendig iſt, beruhet auf Verhaͤltniſſen, die wir vermoͤge der allgemeinen formellen Naturgeſetze der Denkkraft in den Jdeen antreffen muͤſſen; auf einer ſolchen Abhaͤn - gigkeit in den Jdeen, als diejenige iſt, in der eine Fol - gerung gegen ihre Grundſaͤtze ſtehet.

Ueberhaupt ſind die oben (II. 11.) aufgefuͤhrten all - gemeinen nothwendigen Denkgeſetze, als ob - jektiviſche Saͤtze vorgetragen, die allgemeinſten Aus - druͤcke aller nothwendigen Wahrheiten, weil ſieN n 4die568VII. Verſuch. Von der Rothwendigkeitdie allgemeinſten Gattungen von Verhaͤltniſſen und Be - ziehungen angeben, die der Verſtand bey den Vorſtel - lungen von den Dingen denket, und nicht anders, als ihnen gemaͤß, denken kann.

Der Satz: ich denke, gehoͤrt mit allen Saͤtzen des unmittelbaren Bewußtſeyns zu den zufaͤlligen Wahrheiten, ſo ſchlechthin nothwendig es uns auch iſt, ihn fuͤr einen wahren Satz anzunehmen. Denn wir er - kennen, daß, obgleich meinem Jch die Aktion des Den - kens jetzo wirklich zukomme, ſo liege doch in der Jdee eines ſolchen Dinges, als mein Jch iſt, weder daß es immer wirklich denke, wenn es wirklich iſt, noch daß es uͤberhaupt wirklich vorhanden ſey. Jch verbinde zwar den Gedanken, daß ich wirklich bin, mit der Vorſtel - lung von meinem Jch; aber ich weiß es auch, daß dieſe Verbindung nicht aus der Vorſtellung des Subjekts, und dem Begriff von der Wirklichkeit, als dem Praͤdi - kat abhange, ſondern daß noch ein anderer Grund, naͤm - lich die Empfindung meines Jchs die Urſache iſt, wo - durch die Denkkraft zu dem Gedanken: ich bin, be - ſtimmt wird.

12.

Ohne weiter in dieſe Betrachtung hinein zu gehen, will ich nur noch das Geſetz des zufaͤlligen Beyfalls, und das Geſetz, nach welchem wir nothwendig etwas fuͤr objektiviſch zufaͤllig erkennen, gegen einander ſtel - len. Sie ſind nicht einerley; aber ſie haben doch ver - ſchiedenes mit einander gemein, und beziehen ſich auf einander.

Subjektiviſch zufaͤllig iſt der Verhaͤltnißge - danke oder das Urtheil, in Hinſicht auf die Natur der Denkkraft, und der Jdeen, die auf einander bezogen werden, wenn die Aktion des Urtheilens nur durch ei - ne aſſociirte Empfindung, oder Vorſtellung, beſtimmet wird,569der allgem. Vernunftwahrheiten, c. wird, die von jener getrennet ſeyn koͤnnte, und alſo weiter keine Beziehung auf die Jdeen des Urtheils noch auf die Thaͤtigkeit der Denkkraft hat, als daß ſie mit ihr verbunden iſt. Jch ſehe das Buch auf dem Tiſch, und denke beide in ſolcher Verbindung; aber dieß war keine Aeußerung des Beziehungsvermoͤgens, welches durch die innere Natur des Vermoͤgens und durch die Jdee von dem Buch und von dem Tiſch beſtimmet ward. Sie erfoderte außer dieſen noch einen Umſtand in der Em - pfindung, der von jenen Jdeen getrennet ſeyn konnte.

Das Geſetz der objektiviſchen Zufaͤlligkeit lautet ſo: Jedes Verhaͤltniß, das ſeinen beſtimmenden Grund anderswo hat, als in den Vorſtellungen und Jdeen von den Gegenſtaͤnden, und in der Natur der Denk - kraft, die ſolche Jdeen auf einander beziehet, wird als ein zufaͤlliges Verhaͤltniß angeſehen.

Es giebt nur Eine Gattung ſubjektiviſch noth - wendiger Urtheile, die nicht zugleich objektiviſch nothwendige Wahrheiten ſind; aber ſie iſt auch von einem weiten Umfang. Dieß ſind diejenigen, wobey der Grund des Beyfalls in einem von dem Aktus des Denkens unzertrennlichen Umſtande lieget, in ei - nem Gefuͤhl naͤmlich, das dieſen Aktus begleitet. Da - hin gehoͤren die Kenntniſſe des unmittelbaren Be - wußtſeyns. Jch bin. Dieſen Gedanken muß ich ſo denken, nicht darum, weil ich das Praͤdikat vom Nicht - ſeyn nicht ſollte mit der Jdee von meinem Jch verbinden koͤnnen, ſondern darum, weil ich es mit dem Gefuͤhl von meinem Jch nicht verbinden kann; und weil ich die Vorſtellung von meinem Jch niemals ohne das beglei - tende Selbſtgefuͤhl in mir habe. Und gleichermaßen verhaͤlt es ſich mit unſern uͤbrigen unmittelbaren Er - fahrungen.

N n 5Achter570VIII. Verſuch. Von der Beziehung

Achter Verſuch. Von der Beziehung der hoͤhern Kenntniſſe der raiſonnirenden Vernunft, zu den Kenntniſſen des gemeinen Men - ſchenverſtandes.

I. Was hoͤhere Kenntniſſe der raiſonnirenden Vernunft ſind? Von der Natur der all - gemeinen Theorien.

Vordem ſetzte man die ſinnliche Kenntniß der ver - nuͤnftigen entgegen; die Welt, wie ſie ſich den Sinnen darſtellet (mundus ſenſibilis,) der Welt, wie ſie ſich dem Verſtande zeiget (mundus intellectualis;) das hieß, die verwirrten Vorſtellungen von den Dingen und von ihren Beziehungen auf einander, ſo wie man ſolche durch die Sinne zuerſt empfaͤngt, den deutlichen Jdeen, die man ſich macht, wenn man jene entwickelt und daruͤber nach allgemeinen Begriffen und Grund - ſaͤtzen gedacht hat; und die Philoſophen unterſuchten, wie dieſe beiden Arten von Vorſtellungen ſich zu einan - der verhalten. Es ſind faſt dieſelbigen Fragen und die - ſelbigen Betrachtungen, nur daß ſie in einer andern Ge - ſtalt vorkommen, wenn die neuern unterſucht haben, wie ſich der gemeine Menſchenverſtand und ſeine Kennt - niſſe auf die hoͤhere raiſonnirende Vernunft, und ih - re wiſſenſchaftlichen Einſichten beziehet? Daß beide zuweilen ſich nicht mit einander vertragen, iſt von den Skeptikern behauptet, und von ihren Gegnern eingeraͤu -met571der hoͤhern Kenntniſſe c. met worden. Jene verlangen, die Vernunft ſolle in ſolchen Faͤllen der entſcheidende Richter ſeyn; dieſe wol - len: der gemeine Verſtand ſoll es ſelbſt ſeyn, und eben dieſer ſoll auch da, wo ſeine erſten Schritte falſch geweſen ſind, ſolche wiederum fuͤr ſich berichtigen. Die raiſonnirende Vernunft koͤnne und ſolle das nicht thun.

Jn einer Streitſache, die ſo viele Seiten und ſo vie - le Theile hatte, wie dieſe, waͤre es von allen nothwen - dig geweſen, ſich zuvoͤrderſt beſtimmt und deutlich uͤber den ſtreitigen Punkt zu erklaͤren. Da dieß nicht geſche - hen iſt, ſo iſt es auch nicht zu verwundern, daß ſo viele Argumente und Deklamationes vergeblich verwendet wor - den ſind, wo man vielleicht durch ein paar beſtimmte Er - klaͤrungen die ganze Sache haͤtte ins Licht ſetzen koͤnnen.

Was gemeiner Verſtand hier ſey, iſt vorher deutlich beſtimmet worden; nemlich das Vermoͤgen, uͤber die Dinge zu urtheilen, ohne daß es eines deutlichen Raiſonnements aus allgemeinen Begriffen und Grund - ſaͤtzen beduͤrfe. Dieſer wird der hoͤhern und raiſon - nirenden Vernunft entgegengeſetzt; die letztere bedie - net ſich allgemeiner wiſſenſchaftlicher Theorien, und modificiret nach dieſen die Kenntniſſe, welche der Verſtand ohne ſie erlanget hat. Der gemeine Verſtand arbeitet ohne Huͤlfe der Spekulation; die Vernunft ſpe - kulirt aus Begriffen, die ſie deutlich entwickelt.

Die raiſonnirende Vernunft iſt ein Zweig deſſel - bigen Beziehungsvermoͤgens, und derſelbigen Denkkraft, welche den Senſus kommunis ausmacht. Sie iſt das Vermoͤgen zu folgern und zu ſchließen, ohne deſſen Mitwirkung auch der gemeine Verſtand das nicht ſeyn wuͤrde, was er iſt, nur in vorzuͤglicher Staͤrke und auf Gemeinbegriffe angewendet. Der eigentliche Grundun - terſchied kommt endlich darauf hinaus. Die Vernunft iſt das Vermoͤgen, gewiſſe Beziehungen und Verhaͤlt - niſſe aus andern Verhaͤltniſſen herzuleiten, und beweiſetſich572VIII. Verſuch. Von der Beziehungſich im Folgern und Schließen, und iſt darinn etwas mehr, als das Beziehungsvermoͤgen, welches allein aus der unmittelbaren Gegeneinanderſtellung der Dinge ihre Beziehungen erkennet. Daher bedienet ſich die hoͤhere Vernunft gewiſſer Mittel, die man Ausſchließungswei - ſe als die ihrigen anſehen kann. Sie macht ſich ein ge - wiſſes Gewebe von nothwendigen Wahrheiten aus allge - meinen Begriffen. Sie legt allgemeine Grundbegriffe und Grundſaͤtze hin, verbindet ſolche nach ihren nothwen - digen Denkgeſetzen, und findet dadurch die nothwen - digen Verhaͤltniſſe der Jdeen, die ſie alsdenn den Ob - jekten zuſchreibet, wenn ſie findet, daß dieſer ihre Be - ſchaffenheiten mit demjenigen einerley ſind, was ſie ſich unter ihren entwickelten Gemeinbegriffen ſchon vorgeſtel - let hat. Zuweilen hat ſie ſolche allgemeine Theorien noch nicht zum Voraus verfertiget, aber alsdenn entwi - ckelt ſie doch die Begriffe von den ihr vorliegenden Ge - genſtaͤnden, ſetzt ſie deutlich aus einander, verbindet und vergleicht ſie, und macht Folgerungen und Schluͤſſe aus ihnen. Hoͤhere Vernunft, oder raiſonnirende Ver - nunft, oder Vernunft ſchlechthin iſt alſo das Ver - moͤgen, aus Einſicht des Zuſammenhangs allgemei - ner Begriffe uͤber die Dinge zu urtheilen.

Es kann nicht vergeblich wiederholet werden, daß die allgemein Begriffe nichts als ſo viele einzelne beſondere Seiten ſind, an welchen die wirklichen Ge - genſtaͤnde betrachtet werden koͤnnen. Sie ſind gewiſſe Aehnlichkeiten mehrerer Dinge. Wenn ſolche Ge - meinbegriffe verbunden, verglichen, und ihre nothwen - digen Verhaͤltniſſe erkannt werden, was hat man denn anders, als eine gewiſſe Menge von Gedanken oder von Verhaͤltniſſen der Dinge von dieſen Seiten betrachtet? Die allgemeine Theorien ſind in der Seele eine Art von neuen Gedankenreihen; ſo lange kein Objekt da iſt, das zu der allgemeinen Gattung von Dingen gehoͤret, diedurch573der hoͤhern Kenntniſſe c. durch den Begrif vorgeſtellet werden, ſind ſie nichts, als bloße ruhende Jdeenreihen, wovon der Verſtand keinen andern Nutzen hat, als das Vergnuͤgen aus der Speku - lation als ſeiner eigenen Arbeit, wenn er ſie verfertiget, und ſich ihrer zuweilen erinnert. Aber ſo bald ſich ein wirklicher Gegenſtand antreffen laͤßt, der unter dem Gemeinbegrif enthalten iſt, ſo gleich wird die ganze Theo - rie auf ihn angewendet, und dann enthaͤlt ſie nun wahre und nothwendige Verhaͤltniſſe dieſes Gegenſtandes auf andere in ſich. Die mathematiſche Theorie von den Ke - gelſchnitten, und beſonders von der Ellipſis ward zu ei - ner Kenntniß von den Bahnen der Planeten, als Kep - ler aus Beobachtungen bewieſen hatte, daß dieſe krum - me Linien ſolche Ellipſen ſind.

Dieſe Theorien ſind, von einer Seite betrachtet, kuͤnſtliche Huͤlfsmittel des Verſtandes. Sie ſind ihm, was die Vergroͤßerungsglaͤſer und die Fernglaͤſer den Augen ſind, oder die Bewafnung dem natuͤrlichen Magneten. Es war ſehr natuͤrlich, ein ſolches Huͤlfs - mittel zu ſuchen, ob es gleich lange gedauert hat, ehe man damit einigermaaßen zu Stande gekommen iſt, denn hiebey fieng ſich erſt das eigentliche Philoſophiren an. Nichts iſt natuͤrlicher, als daß wir eine Sache, die wir genau unterſuchen wollen, erſt von einer Seite nachfor - ſchen, darauf von der andern, und alsdenn dieſe ver - ſchiedene Gedanken mit einander vergleichen und verbin - den. Durch die Erlernung der allgemeinen Theorien er - haͤlt man ſonſten nichts, als ſolche verſchiedene Beobach - tungen der Dinge von gewiſſen Seiten, die man als ei - nen Vorrath zum kuͤnftigen Gebrauch ſich verfertiget hat.

Der gemeine Verſtand hat unter ſeinen Kenntniſſen auch allgemeine Begriffe und allgemeine Grundſaͤtze, aber er hat ſie nicht in ihrer Allgemeinheit und noch we - niger in ihrer beſtimmten Allgemeinheit vor ſich, undverbin -574VIII. Verſuch. Von der Beziehungverbindet ſie nicht, oder doch nur ſelten. Der groͤßte Theil ſeiner Kenntniſſe beſtehet in den Jdeen und Ur - theilen von den wirklichen Dingen, ihren Beſchaffenhei - ten und Verhaͤltniſſen, die er ſich bey dem Gebrauch ſei - ner Sinne, durch Uebung und Wirkſamkeit, ohne das Huͤlfsmittel jener allgemeinen Theorie, verſchaffet hat. Was von dieſen letztern abhaͤnget, das gehoͤrt ausſchlie - ßungsweiſe der raiſonnirenden Vernunft.

Dieſe Anmerkung iſt bey ihrem Gebrauch nie aus der Acht zu laſſen. Sie macht es zunaͤchſt begreiflich, wie oft Koͤpfe in abſtrakten Wiſſenſchaften, auch in der theoretiſchen Mathematik fortkommen koͤnnen, und beſ - ſer fort kommen, als andere, ohnerachtet ſie ſonſten nur einen mittelmaͤßigen Menſchenverſtand beweiſen, und in dieſer Hinſicht unter denen ſind, die ſie uͤbertreffen. Ei - ne Vorſtellungskraft, die eine zu geringe Breite hat, um ganze Gegenſtaͤnde mit einmal in ihrer Voͤlligkeit zu umfaſſen, kann doch wohl einzelne Seiten von ihnen al - lein und abgeſondert ſehr gut durchdenken. Wenn die aus ſolchen abſtrakten Raiſonnements erwachſene Kennt - niß von einer Sache, nicht immer auf das Anſchaun der ganzen Sache zuruͤckgefuͤhret wird, ſo iſt es gar zu leicht moͤglich, das Ganze nach Einer Seite von ihm zu be - urtheilen. Daher entſtehet der theoretiſche Schief - ſinn.

Die mathematiſchen Theorien ſind von derſelbigen Natur, und im Grunde nichts anders, als einſeitige Unterſuchungen der wirklichen Koͤrper, nemlich in ſo fer - ne dieſe nur Groͤßen ſind; aber ſie haben außer ihrer Genauigkeit und Evidenz noch einen andern Vorzug. Denn weil wir bey ſo vielen Koͤrpern, auf welche die Mathematik angewendet wird, faſt auf nichts mehr, als auf ihre Groͤßen Ruͤckſicht nehmen, und alſo die ganzen Gegenſtaͤnde allein wie Groͤßen betrachten, ſo erhalten jene Theorien das Anſehn, als wenn ſie ſelbſt die wirk -lichen575der hoͤhern Kenntniſſe c. lichen Objekte in ihren Verhaͤltniſſen, und nicht blos ge - wiſſe Seiten von ihnen uns darſtelleten. Sollte dieß nicht Eine von den Urſachen ſeyn, warum die mathe - matiſchen Spekulationen niemals, die logiſchen, me - taphyſiſchen und moraliſchen aber ſo oft bey der Beurtheilung des Wirklichen die ſonderbarſten Deraiſon - nements veranlaſſet haben, ob ſie gleich fuͤr ſich in ihrer Abſtraktion genommen, richtige Gedanken enthalten.

II. Jn den abſolut nothwendigen Denkarten koͤn - nen ſich der gemeine Verſtand und die Ver - nunft nicht widerſprechen.

Alle Gedanken, die der Denkkraft abſolut ſubjekti - viſch nothwendig ſind, muß ſie annehmen, und es kann auch nimmermehr zwiſchen dieſen ein Widerſpruch ſtatt finden.

Hieher gehoͤren alle objektiviſch nothwendige Wahrheiten, dergleichen allein nur in den allgemeinen Theorien aufgenommen werden. Ferner gehoͤren dahin noch andre, beſonders die Urtheile des unmittelbaren Bewußtſeyns.

Jn allen dieſen iſt es unmoͤglich, daß der Senſus kommunis und die Vernunft einander entgegen komme, wenn von beiden Seiten kein Fehltritt geſchehen iſt, oder kein Mißverſtand ſtatt findet. Denn wenn ein An - ſchein von einem Widerſpruch ſich zeiget, ſo muß auf Einer Seite ein Gedanke fuͤr unbedingt nothwen - dig gehalten werden, der es nicht iſt, und dieß koͤnnte eben ſo wohl bey irgend einem Satz in den Theorien als bey irgend einem Urtheil des gemeinen Verſtandes geſche - hen ſeyn. Aber innerhalb den natuͤrlich nothwendigen Kenntniſſen kann kein wahrer Widerſpruch Statt finden,und576VIII. Verſuch. Von der Beziehungund die Ausſpruͤche der Vernunft muͤſſen ſich mit den Ausſpruͤchen des gemeinen Verſtandes vereinigen laſſen. Nur hat keiner von beyden ein Recht, ausſchließend ſich fuͤr fehlerfrey zu halten. Die Denkkraft kann vielleicht in den Theorien ſich ehe verſehen haben, weil ſie da mehr und anhaltender hat arbeiten muͤſſen. Aber vielleicht liegt auch die Schuld an dem Senſus kommunis, der eine ihm nur aus Gewohnheit nothwendige Denkart fuͤr eine abſolut nothwendige anſieht. Er hat ſich ſo oft von dieſer Seite verdaͤchtig gemacht, daß er in den noch un - unterſuchten Faͤllen die Vermuthung mehr gegen ſich als fuͤr ſich hat. Aber geſetzt, er habe ſie fuͤr ſich, wie er niemals hat, wo er mit mathematiſchen Theorien in Kolliſion kommt, ſo hieße doch das nur ſo viel, dieſelbi - ge Denkkraft kann in der einen Gattung ihrer Arbeiten leichter ihre natuͤrlich nothwendigen Wirkungen mit de - nen, die ſie nur zufaͤllig aus Gewohnheit angenommen hat, verwechſeln, als bey der andern. Laͤßt ſich deswe - gen uͤberhaupt ſagen, daß ſie dieſem Jrrthum am meiſten unterworfen ſey, wo ſie ihre Schluͤſſe aus Gemeinbegrif - fen unterſucht, oder da, wo ſie ihre ſinnlichen Urtheile pruͤfet?

III. Auf welche Art die Vernunft und der gemeine Verſtand einander widerſprechen koͤnnen? wie ſie ſich von ſelbſt vereinigen, und ſich wechſelſeitig einander berichtigen.

Ein wahrer Widerſpruch zwiſchen dem gemeinen Ver - ſtand und der Vernunft kann ſich eraͤugen, wenn von der einen oder der andern Seite das Urtheil von ei - ner zufaͤlligen Jdeenaſſociation abhaͤngt. Dieß iſt in den ſinnlichen Urtheilen am haͤufigſten. Aber auchin577der hoͤhern Kenntniſſe c. in den allgemeinen Theorien ſind dergleichen Fehler haͤu - fig genug vorgekommen, davon die metaphyſiſchen und moraliſchen eine Menge von Beyſpielen enthalten; nur die Geometrie und Arithmetik hat ſich davon frey ge - halten.

Wenn die Sinne ſagen: der Mond ſey ſo groß wie die Sonne, ſo lehret die Theorie ein anders, die Theo - rie nemlich mit andern Beobachtungen verbunden. Da iſt ein Widerſpruch des Gemeinverſtandes und der rai - ſonnirenden Vernunft, und es iſt der erſtere, welcher un - recht hat.

Aber nicht nur die raiſonnirende Vernunft und der Gemeinverſtand kommen ſich ſo im Wege, ſon - dern jede wird oft mit ſich ſelbſt uneins, wie die verſchie - denen Syſteme der ſpekulativiſchen Philoſophie von der Vernunft beweiſen. Auf gleiche Weiſe geraͤth der Ge - meinverſtand oft in aͤhnliche Verwirrungen. Das Ur - theil nach den Geſichtsideen iſt dem Urtheil des Ge - fuͤhls entgegen; wir wiſſen es recht gut, wie oft uns der ſichtliche Schein truͤgen wuͤrde, wenn wir ihn nicht kennen gelernet haͤtten.

Wie machen wir es in ſolchen Faͤllen, oder vielmehr, wie haben wir es gemacht, da wo wir aus dieſen Ver - wirrungen uns gluͤcklich heraus geholfen haben? Wie haben wir in den Kenntniſſen des gemeinen Verſtandes, ſo zu ſagen, das Geſicht und das Gefuͤhl mit einander vertragen? und wie ſind wir uͤberzeugt worden, daß wir richtig entſchieden haben? Wie hat der Aſtronom den ſinnlichen Schein ſeiner Vernunft unterworfen, und iſt zu der Gewißheit gelanget, daß er ſich in ſeinen Schluͤſ - ſen nicht irre, die Erde drehe ſich gegen die Sonne, wie’s ihm auch ſein Geſicht vorſtellen moͤge?

Und wie ſoll man in allen uͤbrigen Faͤllen es machen, in denen der ſcheinbare Streit zwiſchen Gemeinverſtand und Vernunft noch nicht ſo voͤllig gehoben iſt?

I. Band. O oDa578VIII. Verſuch. Von der Beziehung

Da uns das Gefuͤhl ſaget, die Sachen, die ich durch den aufſteigenden Dampf in der Naͤhe eines ſtark eingeheizten Ofens zittern ſehe, ruͤhren ſich von der Stelle nicht, ſo glaube ich dem Gefuͤhl, und nicht dem Ge - ſicht. Es hat Ueberlegungen gekoſtet, ehe die natuͤr - liche Denkkraft zur Gewißheit hieruͤber gekommen iſt. Das ſieht man an den Kindern; ſie fuͤhlen nach der Sache; ſie ſehen ſie wieder an, verwundern ſich, ver - gleichen die Eindruͤcke, und dann kommt es erſt zu einem feſten Urtheile. Der Gemeinverſtand berichtiget ſich auf folgende Art.

Da ich die Gegenſtaͤnde befuͤhle, ſo ſind die Or - gane, womit ich fuͤhle, dieſelbigen, und die Gegenſtaͤnde liegen alle unmittelbar an dem Organ. Jch kenne kein Erfoderniß der Empfindung, das ich nicht in der einen Empfindung durchs Gefuͤhl ſo antreffe, als in der an - dern. Jch muß alſo nothwendig glauben, daß Dinge, von denen ich unter einerley Umſtaͤnden, auf eben dieſel - bige Art, durch einerley Organ, Eindruͤcke erhalte, ei - nerley oder verſchieden ſind, je nachdem es die Eindruͤcke, als ihre Wirkungen auf mich, ſind. Jch muß alſo nothwendig die Beziehungen der Dinge ſo denken, wie es ihre Gefuͤhlsempfindungen mit ſich bringen.

Die Verhaͤltniſſe und Beziehungen in den Dingen, die man ihnen zufolge des Gefuͤhls beyleget, ſind alſo auch beſtaͤndig dieſelbigen, ſo lange mit den Objekten ſelbſt keine Veraͤnderung vorgehet. So etwas finden wir in den Geſichtseindruͤcken nicht. Wir nehmen alſo unſere feſten Begriffe von dieſen Verhaͤltniſſen aus den Gefuͤhlsempfindungen. Ruhen, ſich bewegen, gleich groß, groͤßer und kleiner ſeyn, heißt uns alſo ſo viel, als: dergleichen nach Gefuͤhlseindruͤcken ſeyn.

Die Geſichtseindruͤcke geben die naͤmlichen Ver - haͤltniſſe, wie die Gefuͤhlseindruͤcke, wenn auch bey ih - nen alles uͤbrige, was zu der Empfindung gehoͤret, ebenſo579der hoͤhern Kenntniſſe c. ſo gleich und aͤhnlich gefunden wird, wie es bey dem Ge - fuͤhl allemal iſt. Aber jene geben verſchiedene Bezie - hungen, wenn wir in den Empfindungserfoderniſ - ſen in einem Fall etwas nicht ſo antreffen, als in einem andern, und dieß eraͤuget ſich oft.

Dieſe zwote Urſache kommt zu der erſten hinzu, und darum nehmen wir die Begriffe von der koͤrperlichen Groͤße aus dem Gefuͤhl, nicht aus dem Geſicht. Die Groͤße der Dinge iſt die fuͤhlbare Groͤße. Die Geome - trie, nicht die Perſpektive*)Hr. Reid ſetzet der gemeinen Geometrie eine andere entgegen, die er Geometriam viſibilium nennet, und von jener Geometria tangibilium unterſcheidet. Er traͤgt auch die Grundſaͤtze ſeiner ſichtlichen Geometrie auf eine ſolche Art vor, daß es ſcheinet, er habe geglau - bet, hier auf eine neue Jdee gekommen zu ſeyn. Aber ſeine Geometria viſibilium iſt nichts, als die bekannte Perſpektive., iſt die Wiſſenſchaft von den wahren objektiviſchen Groͤßen der Dinge fuͤr uns.

Da dieß geſchehen iſt, ſo begreifen wir bald, daß, wenn Verhaͤltniſſe den Dingen nach den Geſichtsein - druͤcken zugeſchrieben werden, der Begriff von der fuͤhlbaren Groͤße mit dem Begriff von der ſichtlichen Groͤße verbunden, und zum Grunde gelegt werde. Auf die Art wird ein Begriff mit einem andern verbunden, der in keiner andern Beziehung auf ihn ſtehet, als daß der letztere mit dem erſtern zugleich entſtanden, und bei - de nun durch die Jdeenaſſociation mit einander vereini - get ſind.

Daher kann nun auch das Urtheil kein ſubjektiviſch nothwendiges Urtheil ſeyn, wenn es nur den Geſichts - vorſtellungen gemaͤß iſt. Denn ſo bald wir einſehen, daß es nur allein einer ſolchen Verbindung wegen, uns ſo gelaͤufig oder auch nothwendig iſt, zwo VorſtellungenO o 2zu -580VIII. Verſuch. Von der Beziehungzuſammen zu werfen, ſo erkennen wir ſie doch fuͤr zufaͤl - lig verbunden, und ſehen ſie fuͤr Beſchaffenheiten der Dinge an, deren Eine ohne die andere da ſeyn koͤnne.

So berichtiget ſich der gemeine Verſtand ſelbſt. Bey der einen Art zu verfahren muͤſſen wir nothwendig ſo denken, wie wir denken; bey der andern dagegen iſt es nur eine angenommene Gewohnheit. Wo nun beide Urtheile einander entgegen ſind, da erklaͤren wir ohne Bedenken das letztere fuͤr unrichtig, und uͤberzeugen uns von dem erſten, welches uns ſubjektiviſch nothwendig iſt.

Es liegt dieſelbige Urſache zum Grunde, wenn wir unſere ſinnlichen Urtheile dem Urtheil der Vernunft nachſetzen. Zuvoͤrderſt muß man von der Richtigkeit des Raiſonnements in der Aſtronomie uͤberzeuget ſeyn, und wiſſen, daß man ſchlechthin nicht anders denken und urtheilen koͤnne, als hier geurtheilet und gefolgert iſt.

Dann auch einſehen, daß in dem entgegenſtehenden ſinnlichen Urtheil keine ſolche ſubjektiviſche Nothwendig - keit vorhanden ſey, ſondern daß hier der Ausſpruch der Reflexion auf eine an ſich zufaͤllige Verbindung von Jdeen ankomme, die von einander getrennet werden koͤnnen. Wenn Eins von dieſen beiden fehlet, ſo kann auch leicht unſerer Ueberzeugung davon etwas fehlen, daß wir auf das vernuͤnftige Urtheil uns verlaſſen koͤnnen.

Jch ſage, es kann der Ueberzeugung etwas fehlen. Denn es kommt darauf an, wie groß die Evidenz iſt, die wir in dem Raiſonnement antreffen, und dieß haͤngt zum Theil davon ab, wie der Kopf es gewohnt ſey, Vernunftſchluͤſſen nachzugehen. Wenn der gemeine Verſtand ohne Kenntniß der Geometrie voraus ge - ſetzet, daß er nicht blos den Zeugniſſen anderer trauet nicht aus eigener Erfahrung belehret wird, daß die Son - ne ſich von Oſten gegen Weſten zu bewegen ſcheinen koͤn - ne, und ihm voͤllig ſo ſcheinen koͤnne, als es ſcheinet, und daß ſelbige demohngeachtet ſtille ſtehen, und er viel -mehr581der hoͤhern Kenntniſſe c. mehr mit der Erde ſich herumdrehen koͤnne; ich ſage, wenn jemand nicht davon auf einem Kahn, auf einem Schiff, auch allenfalls, wenn er in einem Wagen faͤhrt, mit einem Wort, aus ſeinen eigenen[Erfahrungen] uͤber - zeuget worden iſt, ſo wird er es nimmer recht faſſen, wie das am Himmel ſo ſeyn ſollte, wie es wirklich iſt, und nie recht feſt von der Wahrheit des aſtronomiſchen Vor - trages uͤberzeuget werden.

Aber deswegen iſt doch nicht allemal, noch bey al - len eine ſolche, aus eigenen Erfahrungen anſchaulich ge - machte Einſicht, daß in unſerm ſinnlichen Urtheil nur eine zufaͤllige Verbindung trennbarer Jdeen zum Grunde liege, erfoderlich. Wenn nur in dem Raiſonnement voͤllige Evidenz fuͤr uns iſt, ſo darf hoͤchſtens nur die Moͤglichkeit erkannt werden, daß die Nothwendigkeit in unſerm entgegenſtehenden ſinnlichen Urtheil, nur allein aus gewohnter Jdeenaſſociation herruͤhre. Alsdann kann eine wiederholte Pruͤfung der Schluͤſſe aus Grund - ſaͤtzen uns voͤllig ſicher daruͤber machen, daß die Sache ſich ſo verhalte, wie es die Theorie lehret, obgleich die Sinne dagegen ſind. Unſer Beyfall iſt in dieſem Fall ſubjektiviſch nothwendig, ſo lange die beweiſenden Schluͤſſe in ihrer Evidenz uns gegenwaͤrtig ſind. Es iſt keine falſche Vernuͤnfteley, wenn der Philoſoph verlangt, daß man in ſolchen Faͤllen auf ſeine Schluͤſſe bauen ſolle.

Z. B. daß wir die Fixſterne nicht ſehen an denſel - bigen Stellen, wo das Licht von ihnen in gerader Linie her zu uns kommt, weil die Geſchwindigkeit, womit die Erde und unſer Auge auf ihr, ſich beweget, indem es von den Lichtſtrahlen getroffen wird, zwar gegen die Ge - ſchwindigkeit des Lichts nur geringe iſt, aber doch ſchon ein zu beſtimmendes Verhaͤltniß zu ihr hat. Von die - ſem Satz koͤnnen wir aus keiner andern Erfahrung mit dem Geſicht uͤberzeuget werden; aber aus der Natur des Sehens begreifen wir doch, daß es ſo ſeyn koͤnne,O o 3und582VIII. Verſuch. Von der Beziehungund wenn nun Bradley uns zeiget, daß die kleine jaͤhr - liche Bewegung in den Fixſternen nicht in ihnen ſelbſt vorgehe, ſondern der Anſchein davon durch jene Urſache veranlaſſet werde, ſo wird es uns, der gemeine Ver - ſtand mag ſagen, was er will, wenigſtens ungemein wahrſcheinlich, daß die Sache ſich wirklich alſo verhalte.

Die Optik und die Aſtronomie ſind voll von Saͤtzen, die zum Beweiſe dienen, daß es ſo oft die raiſonni - rende Vernunft ſey, die die Urtheile des Gemeinver - ſtandes berichtige, wo dieſer es ſelbſt nicht durch die Vergleichung ſeiner Empfindungen thun kann. Ohne Geometrie und Arithmetik wuͤrde nimmermehr die ver - nuͤnftige Aſtronomie eine Wiſſenſchaft geworden ſeyn. Hier hat ſich Hr. Beattie ſehr geirret.

Die entwickelnde und raiſonnirende Vernunft leh - ret es, und hat es gelehret, daß die ſubjektiviſche Noth - wendigkeit in den ſinnlichen Urtheilen des Gemeinver - ſtandes, in ſo vielen Faͤllen nur eine angenommene Ge - wohnheitsnothwendigkeit ſey, und zu Vorurtheilen fuͤhre, und ſie hat es gezeiget, wie ihre Ausſpruͤche zu verbeſ - ſern ſind, und uns davon uͤberzeuget. Ohne Geometrie wuͤrden wir nicht einmal die Natur des Sehens kennen, und nach dieſem Sinn in allen Faͤllen unrichtig urtheilen, in denen wir ihn nicht richtig zu gebrauchen, aus der An - fuͤhrung und Uebung erlernet haben. Der Jaͤger ur - theilet auf der See, und der Schiffer auf dem Lande ſehr ſchlecht uͤber die Entfernungen nach dem Augenmaaß.

Die raiſonnirende Vernunft hat auch oft die Mittel an die Hand gegeben, die Pruͤfung des Gemeinverſtan - des zu erleichtern. Sie kann auch ſchneller die Urtheile des letztern berichtigen, als er ſelbſt durch die Verglei - chung der Erfahrungen zu thun im Stande iſt. Herr Beattie giebt ein ſchoͤnes Beyſpiel, wie der Menſchen - verſtand ſich ſelbſt helfe, das aber zugleich auch lehret, wie wichtig die Huͤlfe ſey, die von der Vernunft kommt. Jch583der hoͤhern Kenntniſſe c. Jch ziehe ein Perſpektiv mehr oder weniger heraus, bis ich es ſo getroffen habe, daß ſich die Gegenſtaͤnde da - durch am deutlichſten zeigen. Recht, da lerne ich durch Proben und Erfahrungen. Aber der Mann, der die Optik verſtehet, und die Focuslaͤnge der Glaͤſer kennet, haͤtte mir es, ohne Proben zu machen, auf einmal ſa - gen koͤnnen, wie weit ich die Roͤhre heraus zu ziehen habe. Der Kurzſichtige nimmt den ſchon fuͤr andere gut ſehende Augen zurecht geſtellten Tubus, will ihn nach den ſeinigen richten, und probiert vielleicht eine lange Zeit vergeblich, wenn er die Glaͤſer weiter von einander ziehet. Der Theoriſt kann ihm auf einmal ſagen: er muͤſſe ſie naͤher zuſammen ruͤcken.

Wenn Berkeley, Hume und Leibnitz es zur Evidenz durch Schluͤſſe aus unlaͤugbaren Grundſaͤtzen gebracht haͤtten, entweder, daß es keine materielle Welt außer uns geben koͤnne, oder, daß der wirkliche Ein - fluß der aͤußern Objekte auf die Seele, auf einen wah - ren Widerſpruch fuͤhre; wenn ſie dieß evident gemacht haͤtten, ſo wuͤßte ich ihnen meinen Beyfall nicht zu ver - ſagen, es waͤre denn, daß die entgegengeſetzte Noth - wendigkeit, das Gegentheil von dieſen Saͤtzen zu glau - ben, eben ſo groß ſey. Evidenz der Sinne gegen Evi - denz der Vernunft, hieße aber eine Evidenz unſerer Denkkraft gegen ſich ſelbſt. Wenn es unter der eben erwaͤhnten Bedingung alsdenn nur auf einige Art be - greiflich gemacht wuͤrde, wie die genannten Philoſophen es zu machen verſucht haben, daß die Nothwendigkeit, mit der wir der Empfindung folgen, aus einer zufaͤlli - gen Jdeenaſſociation ihren Urſprung habe, ſo ließe ſichs ſchon dahin bringen, daß dieſe aus Gewohnheit verei - nigte Jdeen auch in uns wiederum getrennet wuͤrden, und es waͤre eine wahre ſubjektiviſche Ueberzeugung von ihrem Syſtem nicht nur moͤglich, ſondern ſie muͤßte ent - ſtehen, wenn unſere Denkkraft in ihrem Fortgang desO o 4Denkens584VIII. Verſuch. Von der BeziehungDenkens nicht aufgehalten wuͤrde. Die Logik dieſer Philoſophen iſt nicht unrichtig, wenn es nur ihre Vor - ausſetzungen nicht waͤren.

IV. Wie uͤberhaupt in allen Faͤllen, bey einer wah - ren Disharmonie der hoͤhern Vernunft und des gemeinen Menſchenverſtandes zu ver - fahren ſey?

Wie man nach einer geſunden Vernunftlehre in ſolchen Faͤllen zu verfahren habe, wo Vernunft dem ge - meinen Verſtande entgegen iſt, deucht mich, ſey nun von ſelbſt klar.

Behaupten, man muͤſſe der Evidenz der Sinne nachgehen, und nicht der Evidenz der Vernunft, heißt ſo viel, als man muͤſſe der Evidenz nachgehen in einem Fall, und der naͤmlichen Evidenz nicht trauen in einem andern Fall. Derſelbige Fehler iſt da, wenn man es umkehren will.

Die Raiſonnements nur ſchlechthin bey Seite ſetzen, und dem ſo genannten Senſus kommunis allein folgen, iſt ein Princip, das zur Schwaͤrmerey fuͤhret. Es fuͤhret ſchon zu ſinnlichen Vorurtheilen, wenn man, ohne vorhergehende Pruͤfung, woher die ſcheinbare Nothwen - digkeit und Evidenz in unſern Urtheilen entſpringe, den Menſchenverſtand allein zur Richtſchnur nimmt, ob - gleich noch nichts von beſſerer Einſicht dagegen eingewen - det wird. Jn ſolchen Faͤllen die Frage: ob auch wohl irgendwo wahre ſubjektiviſche Naturnothwendigkeit mit angenommener Gewohnheit verwechſelt werde? fuͤr ganz unnuͤtz zu erkennen, und nach Reids, Beatties und Oswalds Vorſchriften, dem ungepruͤften Men - ſchenverſtand ſich ganz allein zu uͤberlaſſen, heißt, der vernuͤnftigen Unterſuchung entſagen.

Dage -585der hoͤhern Kenntniſſe c.

Dagegen auf den Ausſpruch des Senſus kommunis gar nicht achten, ſondern allein den Ausſpruch der rai - ſonnirenden Vernunft hoͤren wollen, iſt ein Princip, das zur falſchen Vernuͤnfteley fuͤhret. Die Raiſonne - ments der Jdealiſten und der Harmoniſten brauchen eine ſcharfe Pruͤfung, und haben die Evidenz nicht, die ih - nen beygeleget wird. Jn dem Streit mit den Jdeali - ſten, iſt die wahre Evidenz auf der Seite des gemeinen Verſtandes, wenn es anders, wie es iſt, eben ſo ſub - jektiviſch und abſolut nothwendig iſt, mit Gefuͤhlen von unſerm Koͤrper die Jdee von einem exiſtirenden Objekt, als ſolche mit den Selbſtgefuͤhlen von unſerm Jch zu ver - binden, und wenn wir eben ſo nothwendig jene Objekte von dieſem Jch unterſcheiden, als zwey verſchiedene Vor - ſtellungen in uns. *)Fuͤnfter Verſuch VII.

Was bleibet alſo uͤbrig, als dieß: Man muß ſie beide unterſuchen, die Urtheile des Gemeinverſtandes, und die Urtheile der Vernunft. Ueberhaupt iſt eine Art von ihnen nicht mehr und nicht minder verdaͤchtig, als die andere; wenn gleich in beſondern Faͤllen Eine mehr Praͤſumtion fuͤr ſich haben kann, als die andere. Hat man ſie unterſucht und verglichen, ſo wird ſich in den uͤbrigen Beyſpielen offenbaren, was in ſo vielen ſich ſchon gezeiget hat, daß ein Mißverſtand zum Grunde lie - ge; und wenn der Knoten auf dieſe Art nicht aufgeloͤſet werden kann, ſo muß man ihn ſitzen laſſen, wenigſtens in der Spekulation, wenn es gleich in der Praxis oft noͤ - thig iſt, ihn zu zerhauen.

Bey der Frage: ob wir denn in Einem Fall es mit Zuverlaͤſſigkeit wiſſen, daß Exidenz da ſey? ob wir die Faͤlle, in denen nach nothwendigen Natur - geſetzen geurtheilet wird, von ſolchen unterſcheiden koͤn - nen, in welchen wir nur nach zufaͤlligen aſſociirtenO o 5 Neben -586VIII. Verſuch. Von der Beziehung Nebenideen denken? ob es nicht evident ſey, daß eini - ge beſondere Grundſaͤtze, einige allgemeine Axiome, ei - nige Erfahrungsſaͤtze und einige Schlußkenntniſſe zuverlaͤſſig auf unveraͤnderlicher Naturnothwendigkeit beruhen? bey dieſer Frage, ſage ich, ſcheidet ſich ei - gentlich der Skepticismus von der Lehre, die etwas behauptet; ſowohl von der wahren Philoſophie, als von der falſchen Vernuͤnfteley, und von der ihr ent - gegenſtehenden Schwaͤrmerey des gemeinen Verſtan - des. Dieſe drey letztern fangen von gemeinſchaftlichen Grundſaͤtzen an, aber zwey gerathen von dem rechten Wege ab. Da mit der falſchen Vernuͤnfteley auch noch dieß verbunden iſt, daß die Evidenz der Empfin - dungen, und mit der Schwaͤrmerey, daß die Evidenz der Raiſonnements aus allgemeinen Begriffen abgelaͤugnet wird, ſo vereinigen ſie ſich an einer Seite wieder mit dem Skepticismus.

Mit dem Zweifler uͤber ein allgemeines Merkmal der Evidenz zu ſtreiten, halte ich fuͤr eine unnuͤtze Be - muͤhung. Es iſt beſſer, es ſo zu machen, wie die Phi - loſophen es zum Theil gethan haben: Sie ſetzen nem - lich die Grundſaͤtze hin, die ſie als evident anſehen, und behaupten von dieſen insbeſonders, daß ſie es ſind. Der Skeptiker kann alsdenn auch bey jedem Axiom fuͤr ſich erinnern, was er daran auszuſetzen habe. Und da hat der Dogmatiker ſo viel fuͤr ſich, daß es doch einige Ge - meinſaͤtze ſowohl, als einzelne Empfindungen giebt, die in der Maaße ſubjektiviſch nothwendige Urtheile des Ver - ſtandes ſind, daß alles Bemuͤhen, ſie entweder unmittel - bar zu laͤugnen, oder durch Raiſonnements ſie umzuſto - ßen, ein vergebliches Beſtreben gegen die Natur iſt. Nur Unſinn oder Unvermoͤgen des Verſtandes muͤßte der Grund ſeyn, wenn ſie im Ernſt jemanden als falſch, oder auch nur als zweifelhaft vorkommen koͤnnten.

V. Ver -587der hoͤhern Kenntniſſe c.

V. Vergleichung der entwickelten hoͤhern Kennt - niſſe des Verſtandes mit den unentwickelten ſinnlichen Kenntniſſen, in Hinſicht der See - lenvermoͤgen, welche dabey wirkſam ſind.

Wenn man nun noch einmal auf der einen Seite die entwickelten Vernunftkenntniſſe, die all - gemeinen Spekulationen und Theorien des Verſtandes in den Wiſſenſchaften hinſtellet, und auf der andern die ſinnlichen Kenntniſſe des unentwickelten gemeinen Menſchenverſtandes gegenuͤber, und alsdenn aus der Beziehung dieſer Wirkungen auf einander auf die Be - ziehung der Seelenvermoͤgen fortſchließet, durch welche ſie bewirket werden, ſo iſt es zuerſt klar, daß die hoͤhern Kenntniſſe nichts mehr, als dieſelbigen Seelenvermoͤgen erfodern, die ſchon in den gemeinen ſinnlichen Kenntniſ - ſen ſich wirkſam bewieſen haben. Dieſelbige Denkkraft vergleichet Empfindungsvorſtellungen, Einbildungen, und allgemeine Bilder, und urtheilet uͤber die Beziehun - gen und Verhaͤltniſſe bey dieſen, wie bey jenen. Kein Seelenvermoͤgen wirket in den hoͤhern Wiſſenſchaften mehr, als in den niedern. *)Vierter Verſuch. II. Sechſter Verſuch. I. 1. II. 1. Nur wirken ſie in ver - ſchiedenen Graden! Die allgemeinen Bilder wer - den ſorgfaͤltiger gegen einander gehalten; ihre Verſchie - denheit wird genauer bemerket; ihre Theile, ihre einzel - ne Zuͤge werden verglichen. Die Jdeen werden deutli - cher, feiner, und mehr der Gewalt der Seele un - terworfen. Die Erkenntniß wird, ſo zu ſagen, mehr Erkenntniß, indem die Denkkraft ſich weiter und inni - ger durch die Vorſtellungen verbreitet, und mit ihnen verbindet. Alſo ſind auch die Wirkungsgeſetze einerley,und588VIII. Verſuch. Von der Beziehungund dieſelben; in beiden iſt die naͤmliche Art der Thaͤtig - keit, und die naͤmliche Form der Kenntniſſe. Es wir - ket in Leibnitzens Spekulationen daſſelbige gleichartige Princip, das in dem Wilden wirket, wenn er daran denkt, wie er ein Thier erlegen will.

An den ſinnlichen Kenntniſſen hat die vorſtel - lende Kraft, welche Bilder aufnimmt, gegenwaͤrtig darſtellet, verbindet, vereiniget, oder trennet, den mei - ſten Antheil; und das wenigſte bey ihnen hanget von der Verhaͤltniſſe und Beziehungen hineinbringenden Denkkraft ab. Doch iſt auch nicht bey allen Arten von ſinnlichen Kenntniſſen das Verhaͤltniß dieſer beyden Er - kenntnißkraͤfte daſſelbige. Denn die ſinnliche Kenntniß durch das Geſicht und das Gefuͤhl, die beiden Sinnen, die der Denkkraft die meiſte Nahrung geben, iſt ſchon hoͤher, ſchon mehr vernuͤnftig, als die Kenntniß, durch die Sinne des Gehoͤrs, des Geruchs und des Geſchmacks, weil in jenen Jdeen mehr Vergleichungen, Beziehun - gen, Folgerungen und dunkle Schluͤſſe enthalten ſind. Noch groͤßer iſt der Antheil, den die Denkkraft an den allgemeinen Begriffen hat. Da iſt die vorſtellende Kraft nur die Dienerinn, und in der Maße, wie die Kennt - niſſe deutlicher und entwickelter werden, aͤndert auch ſich das Verhaͤltniß in dem Beytrag, den das Gefuͤhl, die vorſtellende Kraft, und das Denkvermoͤgen dazu hergie - bet, obgleich keins von ihnen gaͤnzlich fehlen kann.

Jn den hoͤhern entwickelten Kenntniſſen offenbaret ſich ein hoͤherer Grad eines ſelbſtthaͤtigen Beſtrebens der Denkkraft. Wir lernen unvermerkt ſehen, hoͤren, und den Verſtand bey ſinnlichen Dingen anwenden; aber es koſtet mehr ſelbſtthaͤtiges Bemuͤhen, die Jdeen zu entwickeln, und hoͤhere Wiſſenſchaften und zuſammen - hangende Kenntniß zu erwerben. Die gemeinen Denk - thaͤtigkeiten ſind ſelbſtthaͤtige Aeußerungen der Seele, in ſo ferne dieſe die thaͤtige Kraft dazu in ſich ſelbſt hat,aber589der hoͤhern Kenntniſſe c. aber ſie gehen von ſelbſt hervor, und werden dann, wenn die Empfindungen reizen, dem wirkſamen Princip der Seele mehr abgezwungen, als daß es ſich ſelbſt aus in - nerer Eigenmacht zu ſolchen Aeußerungen beſtimmen ſollte. Die hoͤhern Aktus der Vernunft ſind dagegen mehr gefliſſentliche, und mehr ſelbſtthaͤtige Handlungen, ſelbſtthaͤtige nemlich auch darum, weil die Denkkraft ſie nicht nur vornimmt, ſondern ſich auch mehr mit Selbſtthaͤtigkeit beſtimmt, ſo zu wirken, und mehr mit Anſtrengung ſich in dieſer ihrer Wirkſamkeit erhalten muß. Der gemeine Verſtand wirket inſtinktartig, und ohne Bewußtſeyn ſeiner Aktion; aber die hoͤhere Ver - nunft arbeitet mehr mit Bewußtſeyn ihres Verfahrens, und nach Plan und Abſichten; freyer und mit mehrerer Gewalt uͤber ſich ſelbſt. Was iſt alſo Verſtand und Vernunft, und die hoͤhere Erkenntnißkraft anders als die zu einem hoͤhern Grad der Selbſtthaͤtigkeit gebrachte Denkkraft?

Neunter590IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip

Neunter Verſuch. Ueber das Grundprincip des Empfindens, des Vorſtellens und des Denkens.

I. Beſtimmung des zu unterſuchenden Punkts.

Aus den vorhergehenden Unterſuchungen halte ich mich fuͤr berechtigt, es als einen Grundſatz der Erfahrung anzunehmen, daß zu den Wirkungen der menſchlichen Erkenntnißkraft keine andern mehr als dieſe drey Seelenvermoͤgen, das Gefuͤhl, die vorſtellende Kraft, und die Denkkraft, erfodert werden. Alle Thaͤtigkeiten der Erkenntnißkraft, von den erſten ſinnli - chen Aeußerungen an bis zu ihren feinſten und hoͤchſten Spekulationen, beſtehen in Fuͤhlen, im Vorſtellen und im Denken. Dieſe Vermoͤgen ſind ſchon wirkſam in dem erſten einfachſten Gewahrnehmen, das iſt, in den erſten Aeußerungen des Verſtandes; aber es ſind auch keine andern, als eben dieſe, welche man in den hoͤch - ſten Wirkungen der aufgeklaͤrteſten Vernunft antrift.

Daraus kann nun zwar gerade zu nicht geſchloſſen werden, daß jedes Weſen, welches Gewahrnehmen kann, auch ſchon die geſammte Anlage zu dem menſchli - chen Verſtande in ſich enthalte. Denn es iſt zugleich aus den vorhergegangenen Betrachtungen offenbar, daß ein jedes dieſer einfachen Vermoͤgen auch mit einem Grade von Perfektibilitaͤt begabt ſeyn muͤſſe, der viel - leicht fehlen koͤnnte, wenn auch das Vermoͤgen ſelbſt vor - handen waͤre. Vielleicht kann die thieriſche Denkkraft bis zur Apperception der Sachen, der Objekte, der ſinnlichen Objekte gehen, aber nicht zu der Gewahrneh -mung591des Empfindens, des Vorſtellens c. mung der Beziehungen zwiſchen den Objekten, ohne welches doch keine eigentlichen Urtheile und keine Schluͤſ - ſe moͤglich ſind. Aber dennoch iſt ſoviel außer Zweifel, daß die poſitiven Grundvermoͤgen, wodurch die menſch - liche Seele ein verſtaͤndiges Weſen wird, in den ange - fuͤhrten Faͤhigkeiten beſtehen, und daß ihre groͤßte Ent - wickelung nicht anders, als durch die Erhoͤhung, Ver - ſtaͤrkung, Ausdehnung, das iſt, durch die Entwicke - lung von jenem beſchaffet werde. Jn der erſten Ge - wahrnehmung des Kindes finden wir die vernuͤnftige Menſchenſeele ſchon voͤllig gebildet und gebohren; denn was weiter geſchicht, beſtehet blos in dem Auswachſen.

Aber wie bey dem Koͤrper die Entwickelung des Embryons von dem Anfang des Lebens an bis zu der Geburt weit tiefer im Dunkeln lieget, als das Auswach - ſen des gebohrnen Kindes, ſo iſt es auch bey der menſch - lichen Seele. Von dem Punkt an, da ihre ganze Wirk - ſamkeit, in ſo ferne ſie beobachtbar iſt, aufs Fuͤhlen ſich einſchraͤnket, bis zu der erſten Aeußerung der Denk - kraft hin, in dieſem Zwiſchenraum gehet eine Entwicke - lung vor, die weit verſteckter iſt. Aus dem blos fuͤh - lenden wird ein vorſtellendes, und aus dem vor - ſtellenden ein gewahrnehmendes und denkendes Ding. An Meinungen und Hypotheſen hieruͤber hat es nicht gefehlet, und einige von ihnen ſind Beweiſe von der Scharfſinnigkeit ihrer Erfinder. Aber da ich nun einmal ſehr mißtrauiſch gegen die Eingebungen der Phan - taſie bin, und Beobachtungen oder feſte auf Beobach - tungen gegruͤndete Schluͤſſe, oder doch zum mindeſten Analogien verlange, ſo muß ich hier nicht noch etwas mehr wuͤnſchen, als man in den Schriften der Pſycho - logen uͤber dieſe Sache findet?

Sie wird, man kann nicht ſagen, voͤllig ins Helle geſetzt, aber hie und da etwas aufgeklaͤret, wenn es bis zur Evidenz entſchieden werden kann, ob die drey erwaͤhn -ten592IX. Verſuch. Ueber das Grundprincipten Vermoͤgen zu Fuͤhlen, Vorſtellungen zu machen und zu Denken, aus Einer Grundkraft entſpringen, und nur Erhoͤhungen derſelben ſind an verſchiedenen Seiten hin? oder, ob ſie ſelbſt an ſich ſchon unterſchiedenartige und trennbare Grundprincipe in der Seele vorausſe - tzen? ſolche Principe, die in Einem Weſen zwar zu Ei - ner Natur vereiniget ſind, aber bis in ihre erſten Anla - gen in der Urkraft der Seele zuruͤck, als unterſchiedene Faſern hinlaufen, und ſich entweder nirgends in Einen und denſelbigen Anfangspunkt endigen, oder, wenn es denn nur Eine Urkraft in einem einfachen Weſen geben ſoll, ihren gemeinſchaftlichen Anfangspunkt erſt in der innerſten Tiefe der Seele in ihrer Urkraft haben? Ohne ein Wort weiter daruͤber zu ſagen, wie Condillac, Bonnet und andere nach ihnen bey ihrer Analyſe ver - fahren ſind, will ich meinen eigenen Weg fortgehen, und nochmals die Natur dieſer angefuͤhrten Wirkungsarten aus den Beobachtungen ihrer ſelbſt gegen einander ſtel - len, und alsdenn denjenigen Begrif von dem Grund - princip der menſchlichen Erkenntnißkraft angeben, der aus dieſen verglichenen Erfahrungen von ſelbſt ſich anzu - bieten ſcheint.

II. Das Princip des Fuͤhlens faͤllt mit dem Prin - cip des Denkens an Einer Seite zuſammen.

Jn dem vierten Verſuch*)VII. 2. 3. ſind alle Verhaͤltnißge - danken in dieſe zwo einfachen Aktus aufgeloͤſet, in das Beziehen der Vorſtellungen auf einander, und in das Gewahrnehmen. Das Gewahrnehmen faßt wiederum zwey Thaͤtigkeiten in ſich, davon eine die Sonderung der Vorſtellungen genannt wurde, undauch593des Empfindens, des Vorſtellens c. auch in der That zu den Beziehungen derſelben gerechnet werden konnte. Die zwote war die naͤchſte Urſache des Gedankens, daß die gewahrgenommene Sache ei - ne beſondere Sache ſey, und machte den eigentlichen Aktus des Denkens aus. Dieß ſetze ich hier als et - was voraus, das aus Beobachtungen entſchieden iſt.

Nun giebt es ferner ein Gefuͤhl der Verhaͤltniſ - ſe und Beziehungen, und daruͤber berufe ich mich auf die Erfahrungen in dem zweyten Verſuch. Dieß iſt eigentlich ein Gefuͤhl der Veraͤnderungen, welche von den Dingen, nach ihren Verhaͤltniſſen und Beziehungen unter einander, und auf uns hervorgebracht werden, in - dem wir ſie empfinden oder vorſtellen. Dieß Gefuͤhl ge - het vor dem Gewahrnehmen vorher, und reizet die Denk - kraft zu dem Aktus, von welchem der Gedanke, Sie - he! die Wirkung iſt. Dennoch aber berechtiget uns dieſes, wie ich in dem Verſuch uͤber das Gewahrneh - men erinnert habe, noch nicht, das Gefuͤhl, welches ſich als eine Ruͤckwirkung der Seele gegen ihre aufgenom - mene abſolute Modifikationen beweiſet, mit dem Ver - moͤgen fuͤr einerley zu halten, von welchem ein Verhaͤlt - nißgedanke erzeuget wird. Es blieb nach den daruͤber angeſtellten Betrachtungen zum mindeſten wahrſchein - lich, daß zu der blos fuͤhlenden Reaktion der Seele noch eine neue Thaͤtigkeit hinzukommen muͤſſe, wenn ein Ge - danke oder eine Erkenntniß von relativen Praͤdikaten ent - ſtehen ſolle. Gleichwohl graͤnzet das Denken an dieſer Seite ſehr nahe an das Fuͤhlen, und bey aller Verſchie - denartigkeit, welche in dieſen beiden Aeußerungen ange - troffen wird, ſcheinet es, daß eine Kraft, die mit einem ſo feinen Gefuͤhl begabet iſt, daß ſie die Uebergaͤnge von einer Empfindung und von einer Vorſtellung zur andern, und die aus den Beziehungen der Vorſtellungen entſprin - gende abſolute Folgen ſtark und lebhaft genug empfindet, zugleich auch ein Vermoͤgen gewahrzunehmen, beſitzenI. Band. P pwerde.594IX. Verſuch. Ueber das Grundprincipwerde. Wo ein beſonderes Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe vor - handen iſt, ſollte da der Gedanke, Siehe! wohl fehlen koͤnnen? Der Aktus des Denkens wird dadurch nicht zu einem fuͤhlenden Aktus gemacht. Jn jenem lieget ei - ne Aktion mehr, weil eine Wirkung mehr vorhanden iſt. Aber das Princip des Fuͤhlens ſcheinet mit dem Princip des Denkens an Einer Seite zuſammen zu fallen.

III. Das Beziehen der Vorſtellungen auf einander, welches zum Denken erfodert wird, iſt eine Aeußerung der vorſtellenden Kraft.

An der andern Seite faͤllt die Denkkraft, in ſo ferne ſie auch das Beziehungsvermoͤgen in ſich begreift, mit der vorſtellenden Kraft zuſammen. Es iſt eine offenbare Analogie zwiſchen den Grundregeln, nach wel - chen die vorſtellende Kraft Bilder verbindet und trennet, vermiſcht und aufloͤſet, und die Denkkraft ſie als einer - ley und verſchieden, als verbunden und getrennet erken - net. Dieſe Aehnlichkeit der Wirkungsgeſetze ſcheinet es offenbar zu machen, daß die Denkkraft als Beziehungs - vermoͤgen nichts anders ſey, als die vorſtellende Kraft, in ſo ferne dieſe die vorraͤthigen Bilder ſtellet und ordnet.

Zuerſt erfodert jedes Denken Vorſtellungen, und ein Beziehen der Vorſtellungen. So lange wir blos empfinden, das iſt, blos fuͤhlend auf den Eindruck von außen, oder auf die durch innere Kraͤfte in uns verur - ſachte leidentliche Modifikation zuruͤckwirken, kann auch nicht einmal das Gewahrnehmen, oder das Siehe! her - vorkommen. Die Empfindung muß zum mindeſten in eine Empfindungsvorſtellung uͤbergegangen ſeyn. Das Auskennen erfodert eine Aufſtellung einer Vor - ſtellung gegen andere, und alſo mehrere Vorſtellungen. Je595des Empfindens, des Vorſtellens c. Je mehr die zuerſt aufgenommene Veraͤnderungen oder Empfindungen zu Vorſtellungen geworden ſind, und je ſelbſtthaͤtiger wir ſie als Vorſtellungen wieder erwecken, verbinden und trennen, und in gewiſſe Stellungen in uns bringen koͤnnen, deſto leichter urtheilen wir uͤber ſie, und deſto mehrere Verhaͤltniſſe und Beziehungen erken - nen wir in ihnen.

Das hoͤhere Denken erfodert allgemeine Bilder. Dieſe befaſſen wenigere und ſchwaͤchere Zuͤge in ſich, als die Empfindungsvorſtellungen, von denen ſie der feinſte Auszug ſind. Sie machen die Gegenſtaͤnde und die Materie aus, welche die hoͤhere Vernunft bearbeitet, wenn ſie allgemeine Verhaͤltniſſe ausforſchet, die unſere eingeſchraͤnkte Kraft nur alsdenn deutlich zu bemerken vermoͤgend wird, wenn ſie das Aehnliche und Allgemei - ne in den abſoluten Beſchaffenheiten der Dinge abſon - dert, und es abgeſondert in ſich gegenwaͤrtig erhalten kann. Die ſinnlichen Bilder von einzelnen Dingen ſind viel zu ſtark und zu reichhaltig, um von der Eigenmacht der Seele in ſo mancherley Stellungen und Verbindun - gen gebracht, und ſo ſelbſtthaͤtig bearbeitet zu werden, als zur Bemerkung allgemeiner Verhaͤltniſſe und Beziehun - gen erfodert wird.

Ferner. Alle allgemeine Denkungsgeſetze, wonach die Denkkraft Verhaͤltniſſe und Beziehungen noth - wendig denken muß, entſprechen gewiſſen aͤhnlichen Ge - ſetzen der Vorſtellungskraft, nach welchen dieſe ihre Bilder bearbeiten muß. Zum Exempel:

Jene kann nicht zugleich denken und auch nicht den - ken. Aber eben ſo wenig kann dieſe zugleich eine Vor - ſtellung haben, und nicht haben.

Die Denkkraft urtheilt uͤber die urſachliche Bezie - hung. Aber welche Dinge haͤlt ſie nothwendig fuͤr ab - haͤngig von einander, und warum haͤlt ſie ſolche dafuͤr? darum, weil die Vorſtellungen dieſer Gegenſtaͤnde inP p 2der596IX. Verſuch. Ueber das Grundprincipder Phantaſie in einer nothwendigen Verbindung ſtehen. Die Bewegung wird fuͤr eine Beſchaffenheit eines Subjekts erkannt, indem ſie als eine Beſchaffenheit vor - handen iſt, aber es iſt offenbar, daß die vorſtellende Kraft die Jdee von der Bewegung nicht anders in ſich ſtellen kann, als nur in der Verbindung mit der Jdee eines andern Dinges, und zwar ſo, daß jene als ein Theil einer ganzen Vorſtellung, welche die von dem Sub - jekt iſt, vorkommt, und in dieſer letztern begriffen iſt. Das Geſetz der Denkkraft richtet ſich alſo nach dem Geſetz der Vorſtellungskraft.

Das Widerſprechende iſt ungedenkbar; aber eben ſo unvorſtellbar. Wo iſt die ſchoͤpferiſche Dichtkraft, die ſich das Bild von einem viereckten Zirkel ſchaffen koͤnne?

Die Denkkraft urtheilet nach dem Geſetz der Sub - ſtitution der Dinge, die Einerley ſind, und verneinet das Unterſchiedene von einander. Jn der Vorſtellungs - kraft fallen die Aehnlichkeiten und das Einerley uͤber - haupt zuſammen in Eins. Unterſchiedene Bilder blei - ben, ſo zu ſagen, immer außer einander.

Die Reflexion denket nach dem Geſetze des Grun - des. Wie wirket die Phantaſie? Eine Vorſtellung, die nicht in ihr vorhanden iſt, kann ohne eine Urſache nicht in ihr entſtehen; eine Verbindung von Vorſtellun - gen kann es eben ſo wenig.

Die Verbindung der Vorſtellungen in der Phantaſie haͤnget entweder von ihren innern Beziehungen auf ein - ander ab, zum Beyſpiel, wenn die Aehnlichen zuſam - menfallen; oder von einer zufaͤlligen Vergeſellſchaftung. Da die Phantaſie die durch lange und ununterbrochene Gewohnheit aſſociirte Jdeen nicht trennen kann, die Reflexion aber doch ihre Verbindung fuͤr zufaͤllig erklaͤ - ret, ſo ſcheint ſich in dieſem Fall das Geſetz des Denkens am meiſten von dem Geſetz des Vorſtellens zu entfernen. Jn597des Empfindens, des Vorſtellens c. Jn der That aber ſcheint es nur ſo. Denn ſo oft es der Reflexion moͤglich wird, zu urtheilen, daß z. B. ein Koͤrper von der Geſtalt wie ein Baumblatt, nur zufaͤl - lig die gruͤne Farbe beſitze, ſo oft wird es auch der Vor - ſtellungskraft moͤglich, das Bild des Koͤrpers und das Bild von der Farbe von einander zu trennen, wenn ſie mit Fleiß auf dieſe Arbeit gerichtet wird. Wer ſollte ſich nicht Baumblaͤtter mit jedweder Farbe einbilden koͤnnen, auch ohne daß man gelbe und roͤthliche geſehen habe? So lange man zwey Vorſtellungen nicht aus - einander ſetzen, und abgeſondert haben kann, ſo lange iſt die Reflexion gezwungen, beide fuͤr einerley oder doch fuͤr nothwendig verknuͤpft zu erklaͤren. Wenn zwey Jdeen unterſchieden werden ſollen, ſo muͤſſen ſie, wenigſtens ſo lange der Aktus des Vergleichens dauert, in ſo weit von einander getrennet ſeyn, daß die Eine ausnehmend gefuͤhlt werde, und gerade in der Axe der Aufmerkſam - keit geſtellet ſey, wenn die andere nur zur Seite lieget.

So iſt es alſo offenbar, daß die Beziehungen der Vorſtellungen, die zu dem Aktus des Denkens erfo - dert werden, nichts anders ſind, als Thaͤtigkeiten der vorſtellenden Kraft, die nur mit den Vorſtellungen ſich beſchaͤftiget, dieſe mehr und beſſer ausdrucket, beſon - ders ſtellet, auszeichnet, verbindet, ordnet, abwechſelt. Eine erhoͤhete, verfeinerte Vorſtellungskraft iſt alſo die - ſelbige gleichartige Kraft, von der die Beziehungen der Vorſtellungen, und alſo Eins der weſentlichen Stuͤcke des Denkens abhangen.

P p 3IV. Andere598IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip

IV. Andere Gruͤnde fuͤr die Meinung, daß die Denkkraft nur in einem hoͤhern Grade des Gefuͤhls und der vorſtellenden Kraft beſtehe.

Dieſe Betrachtungen fuͤhren zu der Vorſtellung: die Denkkraft ſey wohl nichts anders, als ein hoͤherer Grad des Gefuͤhls und der vorſtellenden Kraft. Es giebt noch einige Erfahrungsgruͤnde mehr, welche dieſe Meinung beſtaͤtigen. Doch uͤbereile man ſich nicht.

Wenn die hoͤhere Vernunft mit der ſinnlichen Denk - kraft verglichen wird, ſo findet man bey jener, als einer hoͤhern Wirkſamkeit der Denkkraft, zugleich auch ein feineres Gefuͤhl der allgemeinen Vorſtellungen, und eine groͤßere innere ſelbſtthaͤtige Beſchaͤftigung der vorſtellen - den Kraft mit den Gemeinbildern! *)Achter Verſuch V. Und da ſteht die Groͤße des Gefuͤhls und der vorſtellenden Kraft mit der Groͤße in den Wirkungen der Denkkraft, in einer ſolchen Gleichheit, daß man allerdings es fuͤr ſehr wahrſchein - lich halten kann, es ſey das Denken nichts anders, als eine Wirkung dieſes feinen Gefuͤhls und dieſer vorſtellen - den Kraft, wenn ſich beide mit allgemeinen Vorſtellun - gen beſchaͤftigen.

Daß aber ein feineres Gefuͤhl bey dem Nachden - ken der Vernunft ſich aͤußere, bedarf keiner Beſtaͤtigung. Die allgemeinen Begriffe werden auf einander bezogen; das mag eine Wirkung der vorſtellenden Kraft ſeyn, aber niemals entſtehet ein Gewahrnehmen dieſer Bezie - hungen, ohne ein Gefuͤhl ſolcher Beziehungen; und ohne Zweifel iſt dieſes Gefuͤhl um viele Grade zarter und fei - ner, als dasjenige, deſſen man zum Gewahrnehmen der groben ſinnlichen Eindruͤcke benoͤthiget iſt. Wenn all - gemeine Diſtinktionen ſinnlich dargeſtellet werden, ſokann599des Empfindens, des Vorſtellens c. kann ſie auch der gemeine Menſchenverſtand ſehen; aber die ſubtilern Jdeen der Spekulation in dem Kopf ge - gen einander zu halten, ſie gleichſam in der Phantaſie gegen einander abzuwaͤgen, und ihre kleinſten Verſchie - denheiten, eigentlich, die kleinſten Veraͤnderungen bey dem Uebergang von einer zur andern zu empfinden, und ſolche lebhaft zu empfinden, dazu gehoͤret etwas mehr. Ein feines und ſchaͤrferes Selbſtgefuͤhl bey den Vorſtel - lungen, iſt ein weſentliches Erforderniß zur Scharfſin - nigkeit des Verſtandes.

V. Erfahrungen, aus denen zu folgen ſcheint, daß die Aktus der Denkkraft weſentlich von den Aeußerungen des Gefuͤhls und der vorſtellenden Kraft unterſchieden ſind.

  • 1) Empfinden, Vorſtellen und Denken ſchei - net ſich einander auszuſchließen.
  • 2) Das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe iſt oft leb - haft, ohne daß die Gewahrnehmung der Verhaͤltniſſe es auch ſey.
  • 3) Die Aeußerungen der vorſtellenden Kraft bey dem Beziehen der Vorſtellungen auf einander, ſcheinet nicht allemal den zwee - ten Aktus des Denkens, nemlich das Ge - wahrnehmen des Verhaͤltniſſes, in glei - cher Maaße mit ſich verbunden zu haben.

1.

Von jener Seite ſcheinet es allerdings ſo, als wenn das Denken daſſelbige Princip habe mit dem Em - pfinden und Vorſtellen. Aber ehe man entſcheidet, werfeP p 4man600IX. Verſuch. Ueber das Grundprincipman auch auf die Seite gegenuͤber einen Blick, wo ſich die Sache anders darſtellet.

Da lehret die Erfahrung zunaͤchſt, daß die drey Ak - tionen der Seele, Fuͤhlen, Vorſtellungen machen, und Denken ſich gewiſſermaßen ausſchließen. Man vergleiche einen empfindſamen Menſchen, der von den Zaubertoͤnen eines Lolli entzuͤcket iſt, mit einem Dichter in der Stunde der Begeiſterung; und dann beide mit einem Archimedes unter ſeinen Zirkeln. Jn dem er - ſtern herrſchet das Gefuͤhl; in dem zweeten die Vor - ſtellungskraft, und in dem dritten die Denkkraft. Jn jedem aͤußert ſich jedes Vermoͤgen. Aber woferne das Gefuͤhl in dem erſtern das uͤberwiegende bleiben ſoll, wie es iſt, ſo muß die Seele ſich weder dem Dichten noch dem Denken uͤberlaſſen. Jn dem Poeten arbeitet die Vorſtellungskraft, unter der Leitung der Reflexion, wenn kein Ungeheuer hervorkommen ſoll; aber die Spekula - tion der Vernunft muß zuruͤckbleiben, oder das Feuer der Phantaſie verloͤſcht. Jn dem Kopf des Geometers ſind auch Bilder und Vorſtellungen in Arbeit; aber dieß iſt bey weitem nicht die Hauptbeſchaͤftigung ſeines Geiſtes im Nachdenken. Es iſt gemeine Erfahrung, je mehr wir uns dem Gefuͤhl uͤberlaſſen, deſto weniger koͤnnen wir denken; und wenn die Einbildungskraft herrſchet, wie im Traum oder in einer Leidenſchaft, ſo werden die Wirkungen der Vernunft verhindert. Wenn dieſe Aktio - nen dieſelbigen, und nur in Stufen unterſchieden ſind, warum hindern und verdraͤngen ſie ſich auf eine ſolche Art, die ein offenbarer Beweis iſt, daß, wenn die eine ſtatt der andern die herrſchende werden ſoll, nicht allein die Gegenſtaͤnde der Beſchaͤftigung, ſondern auch die Art und Weiſe der Wirkſamkeit in der Seele geaͤndert wer - den muß?

Es verſtehet ſich aber, daß ich hier die Bedeutung der Woͤrter beybehalte, wie ſolche einmal feſtgeſetzet iſt. Da601des Empfindens, des Vorſtellens c. Da iſt naͤmlich Fuͤhlen und Empfinden nichts anders, als die ſimple Reaktion der Seele, wie ſie einige nen - nen, auf ihre leidentliche abſolute Veraͤnderungen, ohne ein weiteres Beſtreben, neue beſondere Veraͤnderungen hervorzubringen.

2.

Das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe, in ſo ferne dieß Wort fuͤr das Gefuͤhl des Abſoluten genommen wird, was aus den Verhaͤltniſſen und Beziehungen unſerer Veraͤnderungen auf einander entſpringet, iſt oftmals leb - haft, wo doch das Gewahrnehmen, oder das Den - ken des Verhaͤltniſſes nur ſchwach iſt. Dieſes Grun - des habe ich mich ſchon in dem dritten Verſuch uͤber das Gewahrnehmen bedienet, um zu beweiſen, daß in dem letztern noch eine beſondere Kraftaͤußerung enthalten ſey, die von dem Gefuͤhl unterſchieden iſt. Das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe iſt auch mit den Empfindungen des Abſo - luten unmittelbar verbunden; das Gewahrnehmen ent - ſtehet nicht ehe, als bis die Empfindung ſchon eine Em - pfindungsvorſtellung geworden iſt. *)Dritter Verſuch VI. Erſter Verſuch V. Auch iſt nicht jed - wedes Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe, ein unmittelbarer Reiz fuͤr das Gewahrnehmungsvermoͤgen. Der Gegenſtand des Gefuͤhls iſt etwas Abſolutes; aber dieß iſt nur als - denn in der vorſtellenden Kraft, wenn wir von einer Vorſtellung zur andern uͤbergehen, und alsdenn iſt das Gefuͤhl des Uebergangs vorhanden, worauf die Gewahrnehmungen der Verhaͤltniſſe folgen. Es ent - ſtehen auch Gefuͤhle der Beziehungen auf das Gemuͤth, und aufs Herz. Jn dieſem letztern Fall reizen ſie mehr die Kraͤfte des Willens zum Handeln, als die Kraͤfte des Verſtandes zum Denken. Nur das Gefuͤhl des Uebergangs, das iſt, das Gefuͤhl von der Veraͤnderung,P p 5welche602IX. Verſuch. Ueber das Grundprincipwelche die vorſtellende Kraft leidet, in ſo fern ſie Vor - ſtellungen vergleichet, und von einer zur andern uͤberge - het, iſt dasjenige, was unmittelbar vor dem Gewahr - nehmen vorhergehet.

3.

Das Denken erfodert eine vorhergehende Beziehung der Vorſtellungen und ein Gefuͤhl des Uebergangs; aber es lehret die Erfahrung, daß dieſe Erfoderniſſe vorhan - den ſeyn koͤnnen, ohne daß der Aktus des Denkens voͤl - lig zu Stande komme. Der Aktus des Schließens, und die Einſicht des Zuſammenhangs in den Beweiſen, wird zwar erleichtert, wenn die Stellungen der Jdeen leichter und geſchwinder hervorgebracht werden; aber nicht in der naͤmlichen Maaße, wie man dieſe Zuberei - tungen in den Vorſtellungen beſchaffet. Man hat, wie bekannt iſt, Linien und Figuren, die ſo zuſammen geſtel - let werden koͤnnen, daß die Demonſtrationen des Eucli - des vor Augen geleget werden. Jeder Satz kann nach dem andern, ſo wie ſie auf einander folgen, ſichtlich ge - macht werden. Ohne Zweifel erleichtert dieß die Ein - ſicht des Zuſammenhangs, da auf dieſe Art die einzel - nen Jdeen ohne alle Muͤhe die Stellung in der Phanta - ſie erhalten, die zu ihrer Vergleichung erfodert wird. Aber weder ein Urtheil, noch ein Schluß wird dadurch ſichtbar. Wuͤrde der, dem durch ſolche Zuſammen - ſetzungen und Subſtitutionen von Linien, die ganze De - monſtration vorgemacht worden iſt, der jede auf einan - der folgende Abaͤnderung beſonders, deutlich und voll - ſtaͤndig geſehen hat, deswegen ein Raiſonnement gemacht haben? Die Folge von Vorſtellungen in ihrer gehoͤri - gen Lage iſt in ſeinem Kopf, aber fehlt nicht der Gedanke und der Schluß? Derjenige hat noch nicht Schach ge - ſpielt, der nur die auf einander gefolgten Zuͤge bemerket hat, und wenn auch ſeiner Aufmerkſamkeit keine ein -zige603des Empfindens, des Vorſtellens c. zige von den Veraͤnderungen in den Steinen entwiſchet waͤre.

Es kann dieſelbige Lebhaftigkeit und Lage in den Vorſtellungen, und daſſelbige Gefuͤhl des Uebergangs, wodurch die Denkkraft ſonſten zum Urtheilen beſtimmet wird, ſo bleiben, wie ſie vorher waren, und doch un - kraͤftig gemacht werden, die Denkkraft auf dieſelbige Art in Thaͤtigkeit zu ſetzen. Warum urtheilet der Aſtronom nicht eben ſo uͤber das Verhaͤltniß der Weltkoͤrper, als der gemeine Mann? und als er ſelbſt ehedem geurthei - let hat? Die ſinnlichen Vorſtellungen ſind noch dieſel - bigen, auch noch das Gefuͤhl des Uebergangs daſſelbige. Daher, wird man ſagen, weil andere Betrachtungen dazwiſchen treten. Ohne Zweifel iſt es alſo. Es iſt hier ein Hinderniß des vorigen Urtheils, und die Wir - kung erfolget nicht, welche ſonſten unter denſelbigen Um - ſtaͤnden erfolget ſeyn wuͤrde, und die auch noch jetzo ſo - gleich wiederum erfolget, ſobald die hindernde Urſache weggenommen wird. Allein auf welche Art wirken hier wohl die Gegengruͤnde? heben ſie etwan das vormalige Gefuͤhl, oder die vormalige Lage der Vorſtellungen auf, oder unterdruͤcken ſie ſolche? oder ziehen ſie nicht vielmehr nur die Reflexion ſtaͤrker nach einer andern Seite hin, etwan wie ein groͤßeres Gewicht ein kleineres zum Stei - gen bringet, ohne daß es die niederwaͤrts druckende Kraft des letztern im mindeſten ſchwaͤche? Es giebt Beyſpiele genug von der letztern Art. Wie oft urtheilen wir nach einer einſeitigen Betrachtung der Sache, und aͤndern dieſes Urtheil, nachdem wir ſie in mehrern Beziehungen erwogen haben; und ſind zugleich vermoͤgend, den erſtern Gang der Reflexion, auf welchem ſie verleitet ward, in allen Theilen, mit allen vorhergehenden Vorſtellungen und Gefuͤhlen, die zum Jrrthnm fuͤhrten, voͤllig deut - lich uns vorzuſtellen. Berkeley und Leibnitz fuͤhlten ſo gut, wie andere, die Wirkungen des Jnſtinkts, welcheunſerer604IX. Verſuch. Ueber das Grundprincipunſerer Reflexion den Gedanken abdringen, daß die aͤuſ - ſern Koͤrper auf uns wirken. Was hieraus folgen ſoll? So viel, daß die ehedem auf den Verſtand wirkſam ge - weſenen Gruͤnde, die ihn zum Beyfall bewogen haben, noch jetzo auf ihn wirken koͤnnen, ohne denſelben Erfolg zu haben; und daß alſo der Aktus des Urtheilens et - was eigenes iſt, was dem ihn erregenden Gefuͤhl nach - gehet, aber nicht einerley mit ihm ſelbſt iſt, ſondern viel - mehr von dieſen ſeinen vorhergehenden Umſtaͤnden ge - trennet werden kann, wenn andere Urſachen dazwiſchen treten.

Was in dieſem Beyſpiele die Gegengruͤnde thun, das koͤnnen ſtatt ihrer in andern Faͤllen die Zweifelſucht, das Mißtrauen und die Aengſtlichkeit im Entſcheiden, eine Wirkung von einer ſorgfaͤltigen Unterſuchung bey einem feinen, aber etwas ſchwachen Verſtande, ausrich - ten. Nichts mehr als der allgemeine Grund, daß man ſich leicht irren koͤnne, darf bey ſolchen aͤngſtlichen Per - ſonen der Seele vorſchweben. Da fehlet es gewiß nicht allemal weder an der noͤthigen Klarheit in den Jdeen, noch an der erfoderlichen Staͤrke in dem Gefuͤhl; es feh - let an der noͤthigen Feſtigkeit der eigentlichen Denkkraft, wovon der Verhaͤltnißgedanke abhaͤngt. Dieſe letztere iſt es, welche zu ſchwach iſt, um durch die vorliegende Gruͤnde zu einer ſo klaren und ſtarken Gewahrnehmung der Beziehung zu gelangen, die ſich innig genug mit den Jdeen vereiniget, und auch in der Wiedervereinigung den Beyfall feſt haͤlt. Jeder Gegengrund hat Kraft ge - nug, ſie zuruͤck zu halten, und allein der Gedanke, daß eine Uebereilung moͤglich ſey, wirket ſo lebhaft auf die ſchwache Reflexion, als bey andern die Vermuthung ei - nes wirklichen begangenen Verſehens. Bey andern Zweiflern iſt es eine Art von Ungelenkſamkeit in der Denkkraft. Man kann ſich ſo ſtark angewoͤhnen, ſein Urtheil zuruͤckzuhalten, daß das Gewahrnehmungsver -moͤgen605des Empfindens, des Vorſtellens c. moͤgen auch gegen Gruͤnde abgehaͤrtet wird, und eine Steifigkeit erlangt hat, die nicht anders als durch ſtaͤr - kere andraͤngende Gruͤnde, und durch ein lebhafteres Ge - fuͤhl uͤberwaͤltiget werden kann; und auch wohl gegen dieſe den Beyfall noch zuruͤckhaͤlt, wenn es nur irgend eine Vorſtellung oder Empfindung antrift, woran es ſich gegen die Beyſtimmung ſteifen kann.

Vergleichet man die letzten Erfahrungen mit den vor - erwaͤhnten, ſo ſtellen ſich das Fuͤhlen, das Vorſtellen und das Denken in dieſer Ordnung dar.

Zuerſt hat die vorſtellende Kraft ſchon Vorſtellun - gen gemacht, und ſolche vorlaͤufig in eine gewiſſe Stel - lung und Verbindung gebracht.

Alsdenn erfolgt ein Gefuͤhl des Uebergangs und der Verhaͤltniſſe. Darauf die Aktus des Denkens, und ihre Wirkungen, der Gedanke von dem Verhaͤlt - niſſe, naͤmlich die Abſonderungen und Beziehungen der Vorſtellungen auf einander, und die Gewahrnehmung die - ſer Beziehungen, in ſo ferne ſie den Gedanken von dem Verhaͤltniß hervorbringet. Dieſes Denken hat nun wieder ſeine Folgen auf die Vorſtellungen. Die bloßen Vorſtellungen ſind zu Jdeen geworden, denen das Be - wußtſeyn, das iſt, der Gedanke aufgedruckt iſt, und ſte - hen jetzo deutlicher, als vorher, von andern ausgezeichnet. Wenn vorher ſchon Jdeen vorhanden waren, deren Ver - haͤltniß gewahrgenommen wird, wenn wir urtheilen, ſo findet ſich nach dem Urtheil, daß jene in ihrer Stellung eine Veraͤnderung erlitten hatten, die von dem Aktus des Urtheilens uͤbrig geblieben iſt. Der Anfang des Denkens iſt alſo in dem Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe, und die Wirkung davon iſt in den Vorſtellungen. *)Vergl. vierter Verſuch. VII.

VI. Das606IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip

VI. Das Reſultat aus den vorhergehenden Erfah - rungen iſt folgendes. Das erſte Stuͤck des Denkaktus, das Beziehen der Vor - ſtellungen auf einander, iſt eine ſelbſtthaͤ - tige Wirkung der vorſtellenden Kraft. Das zweyte Stuͤck, das Gewahrnehmen der Beziehung, iſt neue ſelbſtthaͤtige Aeu - ßerung des Gefuͤhls.

  • 1) Vorſtellung und Erlaͤuterung dieſer Jdee.
  • 2) Urſprung des Empfindens, des Vorſtel - lens und des Denkens aus Einem Princip.
  • 3) Uebereinſtimmung dieſer Vorſtellung mit den Beobachtungen.

1.

Was fuͤr ein Begrif von der innern Beziehung der drey Grundthaͤtigkeiten, des Fuͤhlens, des Vor - ſtellens und des Denkens, lieget nun in dem bisher An - gefuͤhrten? Jch ſuche einen ſolchen Begrif von ihrem Urſprung aus Einem Grundprincip, nach welchem ſie ſo weit einerley, und ſo weit unterſchieden ſind, ſo innig vereiniget und von einander abhaͤngig, und ſo weit trenn - bar von einander ſind, als die Beobachtungen ſie dar - ſtellen.

Daruͤber kann man nicht leicht zweifelhaft ſeyn, daß diejenige Aktus, die zu den Beziehungen der Vorſtellun - gen gehoͤren, nicht feinere und neue Aeußerungen deſſel - bigen Vermoͤgens ſind, welches die vorſtellende Kraft genennet wird. Dieß iſt Eins der weſentlichen Stuͤcke des Denkens.

Aber607des Empfindens, des Vorſtellens c.

Aber das zweyte, der Aktus der Gewahrnehmung, wodurch der eigentliche Gedanke von dem Verhaͤltniſſe, oder das ſubjektiviſche Verhaͤltniß in uns hervorgebracht wird?

Jſt dieſer Aktus etwas anders, als eine Aeußerung derſelbigen Kraft, der das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe zugeſchrieben wird? iſt es nicht die Wirkung dieſes Ver - moͤgens, in ſo ferne es eine thaͤtige Kraft iſt, in ſo fer - ne es naͤmlich nicht blos Modifikationen aufnimmt, ſol - che fuͤhlet, und auf ſie zuruͤckwirket, ſondern in ſo ferne mit dieſer Reaktion eine neue Thaͤtigkeit verbunden iſt? Thaͤtiges Empfindungsvermoͤgen iſt alſo das den Verhaͤltnißgedanken hervorbringende Vermoͤgen, und das zweyte und vornehmſte Jngredienz der Denkkraft. Selbſtthaͤtig Vorſtellungen bearbeiten, und thaͤtig mit dem Gefuͤhl auf dieſe bearbeiteten Vorſtellungen zu - ruͤckwirken, das iſt und heißt Denken.

Was ich durch die Thaͤtigkeit des Gefuͤhlsvermoͤgen, die mit der Reaktion auf abſolute Modifikationes ver - bunden ſeyn ſoll, ſagen will, bedarf noch einiger Erlaͤu - terung.

Wenn zwey verſchiedene Formen auf weiches Wachs gedruckt werden, ſo entſtehen zwey Abdruͤcke in dem Wachs ſo unterſchieden, als die Formen ſind. Das Wachs leidet, nimmt dieſe beiden Modifikationen auf. Die Receptivitaͤt iſt in dem Wachs in Hinſicht beider Eindruͤcke daſſelbige Vermoͤgen.

Eben dieſes Wachs reagirt, indem es geformet wird. An Statt der Forme, die man aufdruͤcket, laſſe man eine Kugel und einen Cylinder von unterſchiedener Ge - ſtalt auf das Wachs herunterfallen, ſo werden dieſe bei - den Koͤrper verſchiedene Eindruͤcke machen, ihren Figu - ren und ihrer Geſchwindigkeit, womit ſie anfallen, gemaͤß, aber beide werden ihre Bewegungen, die ſie hatten, da - bey einbuͤßen. Das Wachs hat zuruͤckgewirket, undhat608IX. Verſuch. Ueber das Grundprinciphat ihnen ſolche durch ſeinen Widerſtand entzogen, oder ſie ſelbſt haben ſie von ſich gegeben, und ſie verbrauchet, je nachdem man ſichs vorſtellen will. Dieſe allgemeine Reaktion, ohne welche kein Koͤrper veraͤndert wird, noch einige Bewegung aufnimmt, wollen verſchiedene Natur - lehrer fuͤr keine wahre Aktion erkennen, welche aus ei - ner thaͤtigen Kraft entſpringe; da andere ſie als Wir - kungen einer Kraft anſehen, die in demſelbigen Verſtan - de, wie andere Kraͤfte, wirke und thaͤtig ſey. Die Sa - che bleibt hier unentſchieden; aber ſo viel iſt gewiß, das Phaͤnomen iſt in beiden Faͤllen, wie man es erklaͤren will, daſſelbige. Kein Koͤrper kann in den andern wir - ken, und kein Koͤrper kann in ſich etwas aufnehmen, oh - ne daß entweder die Bewegung in dem wirkenden Koͤr - per um ſo viel vermindert, oder auch eine neue nach der entgegengeſetzten Seite in ihm hervorgebracht wird, wenn keine in ihm vorhanden iſt, als dem leidenden Koͤrper beygebracht worden iſt.

Dennoch hat das Wachs durch dieſe Reaktion alles ausgerichtet, was es ausrichten kann, wenn die auf daſ - ſelbe gefallenen Koͤrper zur Ruhe gebracht ſind. Es ſtoͤ - ßet dieſe Koͤrper nicht wiederum von ſich zuruͤck. Soll nun die Reaktion des Wachſes dieſen Namen behalten, ſo iſt ſie in ſo weit eine bloße Reaktion; und die Kraft dazu erſtrecket ſich nicht weiter, als darauf, daß eine an - dere Kraft verbrauchet und vernichtet wird. Dieſe blo - ße Reaktion gehet nicht weiter heraus, als bis dahin, Aber ſie iſt allemal vorhanden, wo ein Koͤrper etwas aufnimmt. Das Vermoͤgen, ſich modificiren zu laſſen, iſt alſo zugleich das Vermoͤgen zu reagiren. Beides iſt Eins und daſſelbige, nur von verſchiedenen Seiten be - trachtet. Es iſt Receptivitaͤt, wenn auf das geſehen wird, was in dem leidenden Koͤrper entſtehet, und es iſt Reaktionsvermoͤgen, in ſo ferne auf die Veraͤnde - rung in der aͤußern wirkenden Urſache geſehen wird.

An609des Empfindens, des Vorſtellens c.

An die Stelle des weichen Wachſes ſetze man eine elaſtiſche Feder, und laſſe jene beiden Koͤrper mit glei - cher Geſchwindigkeit auf ſie zufahren. Die Feder laͤſſet ſich zuſammendruͤcken, mehr oder minder; die Koͤrper kommen um ihre Bewegung, wie vorher. Bis dahin beweiſet die Feder Receptivitaͤt, und bloße Reaktions - kraft. Aber das iſt es nicht alles. Sobald die Koͤrper in Ruhe ſind, dehnet ſich die gepreßte Feder wiederum aus, ſtoͤßt zuruͤck, giebt ihnen ihre Bewegung wieder, und treibet ſie von ſich ab. Da hat ſie bewieſen, daß ſie ein Vermoͤgen beſitze, thaͤtig zu ſeyn. Dieß iſt eine Aeußerung eines innerlich wirkſamen Vermoͤgens, oder einer ſelbſtthaͤtigen Kraft.

Und dieſe letztere Kraft iſt Eine und dieſelbige, wel - che Receptivitaͤt und bloßes Reaktionsvermoͤgen bewies. Alle drey Wirkungen entſpringen aus derſelbigen Elaſti - citaͤt, die von der Kraft, welche in dem weichen Wachs war, nur allein an Selbſtthaͤtigkeit unterſchieden iſt. Wenn jede dieſer Wirkungen einem eigenen Vermoͤgen zugeſchrieben wird, ſo iſt es offenbar, daß die naͤmliche Kraft nur von drey verſchiedenen Seiten, oder in drey unterſchiedenen Hinſichten betrachtet wird; aber ſie ſelbſt iſt innerlich dieſelbige. Man wird nicht leicht auf den Einfall kommen, zu glauben, daß das Vermoͤgen, wo - mit die elaſtiſche Feder die an ſie ſtoßenden Koͤrper von ſich abtreibet, eine eigene Grundkraft erfodere, die nur dann erſt ſich auslaͤßt, wenn ihre Receptivitaͤt und ihre bloße Reaktion ſchon ihre Wirkung gehabt, und die auf ſie zufahrende Koͤrper ihre Bewegungen verlohren haben. Denn indem die Feder den Druck aufnahm, ſich zuſam - menpreſſen ließ, und die Koͤrper zu Ruhe brachte, nahm ſie an, und reagirte mit eben der Elaſticitaͤt, die nach - her den Ruͤckſtoß bewirkte. Die letztere Wirkung er - folgte auf jene, ohne daß nun erſt eine eigene vorher un - gebrauchte Kraft zur Thaͤtigkeit gekommen ſey. DieI. Band. Q qAktion610IX. Verſuch. Ueber das GrundprincipAktion der Elaſticitaͤt, welche vorher ſich als widerſte - hende Kraft bewies, ward fortgeſetzet, und dann ent - ſtund aus ihr das Zuruͤckfahren der Koͤrper, als ihre Wirkung.

Was dieſe Beyſpiele lehren ſollen, das darf ich nicht hinzuſetzen. Sie ſollen den Unterſchied zwiſchen dem blo - ßen Gefuͤhl, und dem Denken, den ich darinn ſetze, daß das letztere Eine von den ſelbſtthaͤtigen Aeuße - rungen des naͤmlichen Vermoͤgens iſt, welches fuͤhlet, erlaͤutern. Der weiche Koͤrper reagirt, der elaſtiſche auch; dieſer mit innerlicher Selbſtthaͤtigkeit, mit mehre - rer und weiter fortgeſetzten innern Selbſtthaͤtigkeit, wenn gleich auch jenem eine wahre ſelbſtthaͤtige Kraft zukommt. Eben ſo ſoll es daſſelbige Vermoͤgen ſeyn, welches die Verhaͤltniſſe der Vorſtellungen fuͤhlt, und welches, wenn es innerlich ſelbſtthaͤtig iſt, oder es in einem hoͤhern Gra - de iſt, ſeine Thaͤtigkeit fortſetzet, von neuen wiederum ſo zu ſagen, außer ſich herausgehet, und alsdenn Ver - haͤltnißgedanken oder die Gewahrnehmung hervor - bringet.

Die Thaͤtigkeit in dem Vermoͤgen, womit wir fuͤh - len, kann ſich noch in mehrern andern Wirkungen aͤußern, als in dem Aktus des Denkens. Hier wirket es auf Vorſtellungen, und faͤngt bey dem Gefuͤhl der Verhaͤlt - niſſe an. Es iſt alſo auch der Verhaͤltnißgedanke die Wirkung des thaͤtigen Gefuͤhls in einer beſondern Richtung, welche durch die erwaͤhnten zwey Umſtaͤnde, daß es naͤmlich vor dem Gefuͤhl der Vorſtellungen und ihrer Beziehungen anfaͤngt, und eine Beſchaffenheit in den Vorſtellungen zur Wirkung hat, als durch zwey Punkte beſtimmet wird, davon der eine in der Sprache der Alten, als der terminus a quo, und der andere als der terminus ad quem zu betrachten iſt.

2. Gehet611des Empfindens, des Vorſtellens c.

2.

Gehet man dieſer Jdee weiter nach, und vergleichet damit dasjenige, was in dem erſten Verſuch uͤber die Vorſtellungen,*)Erſter Verſuch XVI. 4. von der Beziehung der vorſtellenden Kraft zu dem Vermoͤgen, Modifikationen aufzunehmen, angefuͤhret iſt, ſo ſtellen ſich die drey Grundaͤußerungen der Erkenntnißkraft, das Fuͤhlen, das Vorſtellen und das Denken in ihrer wahren Verbindung, in ihrer Ab - haͤngigkeit von Einer Grundkraft, und zugleich in ihrer voͤlligen Verſchiedenheit deutlich dar. Dieſe Deutlich - keit iſt doch ſchon etwas, wodurch ſich die gegebene Er - klaͤrung dem Verſtande empfiehlet, obgleich ihre Rich - tigkeit damit noch nicht voͤllig erwieſen iſt.

Zwo Eindruͤcke, einer durch die Augen, der andere durch das Ohr, entſtehen in der Seele, oder fallen auf ſie; wie man ſich ausdruͤcken will. Dadurch entſtehen zwo unterſchiedne Modifikationen. Die Seele beweiſet Receptivitaͤt, indem ſie ſolche aufnimmt, und ſie fuͤh - let ſolche zugleich, oder nimmt ſie fuͤhlend auf. Jhr Gefuͤhl iſt ſo etwas, das dem bloßen Reagiren der Koͤr - per entſpricht, ich will nicht ſagen, dieſem gleichartig iſt. Aber es iſt das naͤmliche Princip, welches ſich modifici - ren laͤßt, und zugleich dieſe Modifikation fuͤhlet und em - pfindet. Dieſe beiden Wirkungen ſind gleichzeitige Aeußerungen des naͤmlichen Vermoͤgens, von verſchie - denen Seiten betrachtet.

Dieß Vermoͤgen ſey nun innerlich ſelbſtthaͤtig; das iſt, es ſey eine Kraft, die mit arbeitet, indem ſie ver - aͤndert wird, und nicht ganz leidentlich annimmt, ſon - dern zum Theil thaͤtig etwas aufnimmt, und es ergrei - fet; alsdenn beweiſet ſie ihr Apprehenſionsvermoͤgen. Ein hoͤherer Grad der innern Selbſtthaͤtigkeit in dieſem Vermoͤgen ſetzet ſie in den Stand, auch VorſtellungenQ q 2zu612IX. Verſuch. Ueber das Grundprincipzu machen, das iſt, die ihr von aͤußern Urſachen beyge - brachten Eindruͤcke in ſich eine Weile zu erhalten, von ihnen Spuren aufzubewahren, ſolche wiederum zu er - wecken, ſie wieder erweckt gegenwaͤrtig zu erhalten, zu verbinden, zu trennen, ſtaͤrker und voͤlliger auszubilden, oder auch ſie zuruͤck zu legen, und zu verdunkeln. Die vorſtellende Kraft iſt eine innere Selbſtthaͤtigkeit des naͤmlichen Vermoͤgens, welches aufnimmt und fuͤhlet.

Jede wieder erweckte Empfindung hat etwas von der erſten Empfindung an ſich, aus der ſie entſtanden iſt. Jede Wiedervorſtellung reizet alſo auch die Seelenkraft auf eine aͤhnliche Art. Die Vorſtellung wird gefuͤhlet, und leidet eine thaͤtige Zuruͤckwirkung der Grundkraft. Die Wirkung von dieſer iſt, daß die Wiedervorſtellung entweder fortgeſetzet, und mehr und ſtaͤrker ausgedruͤckt, oder verdunkelt und unterdruͤcket wird.

Mehrere ſolcher Vorſtellungen bringen nach ihren verſchiedenen Beziehungen und Verhaͤltniſſen in der Seele neue abſolute Modifikationen hervor. Dergleichen ent - ſtehen nicht weniger von den erſten Empfindungen. Dieſe neue Veraͤnderungen ſind auch von neuen Gegenſtaͤnden des Gefuͤhls und der vorſtellenden Kraft. Die Harmo - nie der Toͤne, die Uebereinſtimmung des Wahren, der Reiz des Guten, die bewegenden Antriebe des Jntereſ - ſirenden, und dergleichen, werden gefuͤhlet, und die vor - ſtellende Kraft machet auch aus dieſen gefuͤhlten Modi - fikationen, Vorſtellungen.

Zu dieſen Gefuͤhlen der Verhaͤltniſſe und Beziehun - gen gehoͤrt auch das Gefuͤhl des Uebergangs, das Gefuͤhl von derjenigen Veraͤnderung, welche die Thaͤ - tigkeit der vorſtellenden Kraft leidet, wenn eine Vor - ſtellung auf die andere folget, oder wenn die Kraft von der vorzuͤglichen Beſchaͤftigung mit der einen, zu einer Anwendung auf die andere uͤbergehet. *)Zweeter Verſuch. IV. 2.Hier entſtehetebenfalls613des Empfindens, des Vorſtellens c. ebenfalls eine neue Modifikation, ſie wird wie andere, nicht nur aufgenommen und in dem Aufnehmen gefuͤhlet, ſondern reizet auch zu einer ſelbſtthaͤtigen Reaktion, gegen die Vorſtellungen ſelbſt. Dadurch entſtehet ein - mal die weitere ſelbſtthaͤtige Bearbeitung der Vorſtellun - gen, die das Beziehen derſelben iſt, wodurch ſie ſo geſtellet werden, wie man ſie findet, wenn ihr Verhaͤlt - niß gedacht wird; und dann zweytens das eigentliche Gewahrnehmen oder Denken, das iſt, diejenige Kraft - aͤußerung, woraus der Gedanke von den Verhaͤltniſſen hervorgehet, der die Bilder oder Vorſtellungen zu Jdeen, und ihre Beziehungen zu Urtheilen und Schluͤſſen macht.

Alſo noch einmal. Der Denkaktus iſt eine Aktion der vorſtellenden Kraft und des Vermoͤgens, womit der Uebergang von einer Vorſtellung zur andern gefuͤhlet wird, zuſammen; und die letztere iſt es, wodurch der Verhaͤltnißgedanke bewirket wird, da jene die Beziehung der Vorſtellungen ausmacht.

Dieſer Denkaktus iſt von dem bloßen Gefuͤhl ſo un - terſchieden, wie Thun vom Leiden. Bloßes Fuͤhlen iſt alſo nicht Denken, und kann es nicht werden, durch keine Erhoͤhung oder Verfeinerung. Es laͤſſet ſich ein Weſen von dem zarteſten und feinſten leidentlichen Gefuͤhl vor - ſtellen, dem deß ohngeachtet die thaͤtige Denkkraft gaͤnz - lich mangelt. Aber wenn ſein fuͤhlendes Princip Selbſt - thaͤtigkeit beſitzet, ſo kommt es nur auf einen gehoͤrigen Grad dieſer innern Selbſtmacht an, um ein denkendes Weſen zu werden.

Auch machen die Thaͤtigkeiten der vorſtellen - den Kraft das ganze Denken nicht aus. Der eigent - liche Aktus des Gewahrnehmens, wovon der Verhaͤlt - nißgedanke abhaͤngt, iſt weſentlich von allen Thaͤtigkei - ten der vorſtellenden Kraft unterſchieden. Das Vermoͤ - gen, Vorſtellungen zu haben, iſt zwar ebenfalls eine Folge von einer innern Selbſtthaͤtigkeit in dem Gefuͤhl,Q q 3oder614IX. Verſuch. Ueber das Grundprincipoder in dem Vermoͤgen, womit wir Modifikationen auf - nehmen und zuruͤckwirken, ſo wie das Vermoͤgen ge - wahrzunehmen es auch iſt; aber jenes iſt die Selbſtthaͤ - tigkeit der Grundkraft von einer andern Seite betrachtet. Das Wachs nimmt einen Abdruck an von einem Koͤrper, der auf ſolches herunterfaͤllt, wirket zuruͤck, und behaͤlt die Figur, ohne doch, wie die elaſtiſche Feder, dieſen Koͤrper, wenn er zur Ruhe gebracht iſt, von neuen von ſich abzuſtoßen. Laß das Wachs nun ſelbſtthaͤtig ſeyn, indem es die Figur annimmt, laß es ſich ſolche, ſelbſt, ſo zu ſagen, geben, oder zum Theil doch mit wirken, wenn es ſie empfaͤngt, ſo mag es ſie auch, wenn ſie ein - mal ſich etwas verlohren hat, aus ſich ſelbſt wieder er - wecken koͤnnen. Dieß hieße ſo viel, als: das Wachs wuͤrde Reproduktionskraft beſitzen. Aber dieſe Wirkung iſt nicht jene neue Aktion, womit die Feder den Koͤrper, der ſie modificirt, zuruͤck treibet. Dieſe beiden Wir - kungen ſind doch den Begriffen nach unterſchieden, und alſo auch die Vermoͤgen dazu; wenn es auch unausge - macht iſt, ob und in wie ferne die eine von der andern getrennet ſeyn kann. Die vorſtellende Kraft hat nur mit paſſiven Modifikationen zu thun, welche ſchon auf - genommen ſind, und mit Aktionen, die ſchon einmal vorgenommen worden ſind, und Spuren hinterlaſſen haben; dagegen iſt das Vermoͤgen, Verhaͤltniſſe zu denken, ein Vermoͤgen, eine neue Modifikation her - vorzubringen, und zwar da, wo der Uebergang von ei - ner Vorſtellung zu andern gefuͤhlet wird. Nach den Begriffen zu urtheilen, auf welche die bisherige Aufloͤ - ſung gefuͤhret hat, laſſen ſich Weſen gedenken, die fuͤh - len, Bilder haben, Bilder wieder erwecken und auf einander beziehen koͤnnen, ohne doch gewahrnehmen und denken zu koͤnnen; ob es gleich unwahrſcheinlich iſt, daß Gefuͤhl und Vorſtellungskraft in einem merklichen Grade vorhanden ſeyn koͤnne, ohne daß aufs mindeſte ein ſchwacherGrad615des Empfindens, des Vorſtellens c. Grad der Apperception damitverbunden ſey. Zum Den - ken wird erfodert, nicht nur, daß Eindruͤcke und Modi - fikationen aufgenommen, gefuͤhlet, und ſelbſtthaͤtig wie - der erneuert werden; nicht nur, daß das fuͤhlende Weſen Selbſtthaͤtigkeit beſitze, und auch in neuen Veraͤnderun - gen ſich wirkſam beweiſe; ſondern es gehoͤrt noch dazu, daß ſelbſt die Veraͤnderungen in der Richtung der vor - ſtellenden Kraft in ihrem Uebergang von einem Bilde zum andern, merkliche neue Modifikationen nach ſich ziehen, die beſonders gefuͤhlet werden, und alsdenn noch eine neue Aktion des Gefuͤhls auf ſich annehmen. Nun iſt es doch an ſich nicht unmoͤglich, daß die einzelnen Ge - fuͤhle und Vorſtellungen, welche Gegenſtaͤnde der vor - ſtellenden Kraft ſind, zwar merklich genug ſind, ohne daß auch die Uebergaͤnge, und Veraͤnderungen in der Richtung der Kraft es ſind. Wenn die letztern entweder gar keine beſondere abſolute Veraͤnderungen nach ſich zie - hen, oder ſo ſchwache, daß ſolche fuͤr ſich beſonders nicht gefuͤhlet werden koͤnnen; oder wenn das Princip des Fuͤhlens in ſeinem Jnnern weſentlich zu wenig ſelbſt - thaͤtig iſt, als daß es bey dieſen zarten Gefuͤhlen zu einer neuen thaͤtigen Kraftaͤußerung gebracht werden koͤnnte, ſondern ſich hiebey durchaus nicht weiter, als wie ein blos reagirendes Weſen beweiſen koͤnnte, wie ſollte da ein Denkaktus zu erwarten ſeyn?

Jndeſſen hebet dieſes das vorige Reſultat nicht auf. Fuͤhlen, Vorſtellungen haben und denken, ſind Faͤhig - keiten Eines und deſſelbigen Grundvermoͤgens, und nur von einander darinn unterſchieden, daß das naͤmliche Princip in verſchiedenen Richtungen auf verſchiedene Ge - genſtaͤnde, und mit groͤßerer oder geringerer Selbſtthaͤ - tigkeit wirket, wenn es bald wie ein fuͤhlendes, bald wie ein vorſtellendes, und bald mehr als ein denkendes We - ſen ſich offenbaret.

Q q 43. Dieſe616IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip

3.

Dieſe angegebene Beziehung des Denkens, des Vorſtellens und des Empfindens gegen einander, laͤſſet ſich nicht allein mit den Beobachtungen zuſammen rei - men, ſondern die letztern erheiſchen jene faſt nothwendig. Um das wenigſte zu ſagen, ſo wird ſie durch folgende Bemerkungen beſtaͤtiget.

Es iſt ein allgemeines Geſetz, daß jede Empfin - dung die Seelenkraft zu einer Aeußerung irgend eines Vermoͤgens reize, und zur wirklichen Thaͤtigkeit bewe - ge, wenn ihre Kraft innerlich dazu den erfoderlichen Grad der Staͤrke beſitzet. Auf jeden Eindruck er - folget in dem thieriſchen Koͤrper eine Reaktion, die aus - waͤrts in den Koͤrper hingehet, und eine Bewegung irgendwo bewirket. Daſſelbige gilt von der Seele, de - ren Grundkraft reizbar iſt. Jede Empfindung reizet ſie.

So muß ja auch das Gefuͤhl des Uebergangs zu ei - ner Thaͤtigkeit reizen. Und die Thaͤtigkeit muß ihre Wirkung haben. Nun lehret die Erfahrung, daß jenes Gefuͤhl unmittelbar das Gewahrnehmen zur Folge habe. Da haben wir alſo die Wirkung derjenigen Kraftaͤuße - rung, welche durch die Empfindung des Uebergangs er - reget wird.

Ferner iſt das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe der Vor - ſtellungen ein ſchwaͤcheres Gefuͤhl, als das Gefuͤhl der erſten Eindruͤcke von außen, und als anderer Selbſtge - fuͤhle neuer Modifikationen. Daher reizen auch die letztern ſtaͤrker und leichter. Daraus folget, die Seele muͤſſe Vorſtellungen machen, ehe ſie denken kann, ſo wie ſie eher empfinden muß, als ſie Vorſtellungen haben kann. Es iſt dieß dieſelbige Ordnung, in der ſich die Vermoͤgen zu fuͤhlen, vorzuſtellen und zu denken, nach der Erfahrung, entwickeln.

Denken ſetzet einen erhoͤheten Grad der innern Selbſt - thaͤtigkeit in der Seelenkraft, ſowohl in dem Vorſtel -lungs -617des Empfindens, des Vorſtellens c. lungsvermoͤgen, als in dem Gefuͤhl voraus, nach dem Begriff. Aber eben ſo nach den Beobachtungen. Und dieß wird dadurch beſtaͤtiget, daß Vernunft und Frey - heit zu gleicher Zeit ſich offenbaren, welche beide Folgen einer erhoͤheten Selbſtthaͤtigkeit ſind.

Endlich ſo ſcheinet die oben angefuͤhrte Aehnlichkeit in den Wirkungsgeſetzen der Vorſtellungskraft und der Denkkraft, als Beziehungsvermoͤgen betrachtet, es ganz zu entſcheiden, daß es Eine und die naͤmliche innere Kraft ſey, welche ſich in beiden Vermoͤgen aͤußert, und nur in ihren Richtungen und Graden verſchieden ſind. Bei - de ſind ſie das thaͤtig wirkende Princip, welches ſich aus - laͤſſet, wo es durch Empfindungen gereizet worden iſt; und beide wirken auf dieſelbige Art.

Bis ſo weit kann man voͤllig ſicher fortgehen. Ob aber dennoch dieſe Jdee von dem Grundprincip der Verſtandesvermoͤgen nichts mehr als eine Hypotheſe ſey, und ihres innern Zuſammenhangs und Uebereinſtim - mung mit den Beobachtungen ohngeachtet wohl nur eine bloße Moͤglichkeit ſeyn koͤnne, das will ich zwar noch ger - ne dem Urtheil ſcharfſinniger Forſcher uͤberlaſſen, aber ich meine es doch nicht. Wer die vorhergehende Erfah - rungen nochmals in Verbindung uͤberdenken will, wird zum mindeſten doch einraͤumen, daß dieſe Jdee bis zu einem ſolchen Grade der Gewißheit gebracht ſey, wozu in jeden aͤhnlichen Beyſpielen die phyſiſchen Unterſuchun - gen uͤber die innern Kraͤfte der Dinge gebracht worden ſind.

Q q 5Zehnter618X. Verſuch. Ueber die Beziehung

Zehnter Verſuch. Ueber die Beziehung der Vorſtellungskraft auf die uͤbrigen thaͤtigen Seelen - vermoͤgen.

I. Von der Abtheilung der Grundvermoͤgen der Seele.

  • 1) Es iſt zu vermuthen, daß die Aufloͤſung aller uͤbrigen Seelenaͤußerungen auf Ei - ne und dieſelbige Grundkraft zuruͤckfuͤh - ren werde, aus der die Verſtandeswir - kungen entſtehen.
  • 2) Von den verſchiedenen Grundvermoͤgen der Seele. Gefuͤhl, Verſtand, Thaͤtig - keitskraft, oder Wille.

1.

Die Aufloͤſung der Verſtandeswirkungen haben auf ein Grundvermoͤgen in der Seele gefuͤhret, das ſich veraͤndern laſſen, mitwirkend dieſe Veraͤnderungen auf - nehmen, ſolche fuͤhlen, und dann thaͤtig wieder auf ſie zuruͤckwirken kann. Mit einem Wort auf eine fuͤhlende thaͤtige Kraft, die zu einer gewiſſen Stufe entwickelt, und in einer gewiſſen Richtung ſich als Denkkraft offen - baret. Es iſt ſehr natuͤrlich, auf die Muthmaſung zu verfallen, eine gleiche Aufloͤſung der uͤbrigen Seelenaͤuße - rungen werde auf daſſelbige Princip hinfuͤhren. Soll - ten nicht wohl alle Beſtrebungen, Handlungen, Wil - lensaͤußerungen, und, wie man weiter das Mannigfal -tige619der Vorſtellungskraft c. tige nennen will, was ſich in der Seele unterſcheiden laͤſſet, und wozu man ihr gewiſſe Vermoͤgen oder Faͤhigkeiten zuſchreibet, eben ſo wohl als das Vorſtellen und Denken Ausfluͤſſe einer und derſelbigen Grundquelle ſeyn? Wir - kungen eines und deſſelben einfachen ſelbſtthaͤtigen Prin - cips, die in nichts als an ihren Richtungen, und Groͤ - ßen von einander unterſchieden ſind? Sollte ſich dieß nicht deutlich darſtellen, wenn die uͤbrigen Seelenaͤuße - rungen mit den Wirkungen des Verſtandes verglichen, und die Beziehung jener auf dieſe unterſucht wird? Dieß iſt eine ſo natuͤrliche und wahrſcheinliche Jdee, daß ich befuͤrchten muß, ſie habe unvermerkt als ein Vorurtheil gewirkt, da ich ſie in den Beobachtungen beſtaͤtiget fand. Nirgend hat man Urſache ſich ſorgfaͤltiger zu huͤten, daß man nicht von dem Geiſt des Syſtems geblendet werde, als da, wo die Natur ſich ſo gleich in der Geſtalt zu zei - gen ſcheinet, in der man vorher ſich eingebildet hatte, ſie zu finden. Alsdenn ſchmeichelt die ſcheinbare Evidenz und hintergeht uns. Dennoch aber kann man die Augen nicht zuſchließen, wenn Einfachheit, Uebereinſtimmung und Zuſammenhang im Lichte vor uns liegen.

2.

Die Vergleichung der Beobachtungen lehrte bald, die Veraͤnderungen und Wirkungen der Seele auf einige wenige Grundvermoͤgen zu reduciren, ob ſie gleich ſehr mannigfaltig zu ſeyn ſchienen. Es iſt offenbar, daß vie - le abgeleitete Vermoͤgen in nichts anders beſtehen, als in verſchiedenen Graden der Staͤrke, womit dieſelbige Grundkraft wirket; daß andere bloß verſchiedene Rich - tungen ſind, in der ſie wirket; andere auch nur von der Verſchiedenheit der Objekte abhangen. Aber wie viele ſolcher Grundvermoͤgen, und welche dafuͤr zu halten ſind, daruͤber ſind die Pſychologen nicht einerley Meinung. Die meiſten nennen, wie der Katechismus, zwey, denVerſtand620X. Verſuch. Ueber die BeziehungVerſtand und den Willen; aber wenn ſie die Graͤn - zen dieſer Grundvermoͤgen beſtimmen, ſo gehen ſie ſehr von einander ab. Andern ſcheinet noch ein drittes Prin - cip, ein Vermoͤgen, Empfindniſſe zu haben, unter dem Namen Empfindſamkeit erfodert zu werden. Hr. Sulzer bringet alle auf zwey urſpruͤngliche Faͤhigkeiten, auf Empfindſamkeit und Erkenntnißkraft.

Jn ſo ferne dergleichen Abtheilung nichts als bloße Gedaͤchtnißmittel ſeyn ſollen, um die mannigfaltige See - lenveraͤnderungen deſto leichter uͤberſehen zu koͤnnen, iſt eben keine beſondere Sorgfalt noͤthig, wenn man Eine auswaͤhlen will. Aber wenn man zugleich die Nebenabſicht dabey hat, die man gewoͤhnlich hat, daß durch die Vereini - gung mehrerer Modifikationen zu Einer Klaſſe eine ver - haͤltnißmaͤßige innere Gleichartigkeitund Ungleichartigkeit in ihnen feſtgeſetzet werden ſoll, ſo kann eine ſolche Klaſſifi - kation auch nur das Reſultat der genaueſten Aufloͤſung ſeyn.

Aus der Aufloͤſung der Erkenntnißkraft hat ſichs er - geben, daß in der Seele ein dreyfaches Vermoͤgen un - terſchieden werden kann. Zuerſt beſitzt ſie ein Vermoͤ - gen, ſich modificiren zu laſſen, Empfaͤnglichkeit, Re - ceptivitaͤt oder Modifikabilitaͤt. Dann ein Vermoͤ - gen, ſolche in ihr gewirkte Veraͤnderungen zu fuͤhlen. Beides zuſammen macht das Gefuͤhl aus. Außer dieß hat ſie ein reizbares Vermoͤgen, auf die empfangene Mo - difikationen noch ferner zu wirken.

Es entſtehet aber keine Veraͤnderung in der Seele, die nicht von einem dunkeln Gefuͤhl begleitet wird. Dieß iſt wahrſcheinlich, wenn wir der Analogie der Beobach - tungen nachgehen, und iſt nothwendig, da wir aus den bekannten Beſchaffenheiten des Gefuͤhls ſicher annehmen koͤnnen, daß es in der Seele eben ſo etwas ſey, als bey dem Koͤrper die Kraft der Traͤgheit, mit der er reagirt, ſo oft ihm eine Bewegung, oder ein Trieb von Bewe - gung mitgetheilet wird. Daher iſt das Gefuͤhl, und dieRece -621der Vorſtellungskraft c. Receptivitaͤt eins und daſſelbige Vermoͤgen. Die Seele nimmt etwas an, indem ſie fuͤhlet, und fuͤhlet, indem ſie ſich modificiren laͤßt, und etwas annimmt. Jndeſ - ſen mag man, wenn man will, die Modifikabilitaͤt vom Gefuͤhl unterſcheiden, und das letztere, daß naͤm - lich die Seele ihre Modifikationen fuͤhlet, als ein Unter - ſcheidungsmerkmal einer geiſtlichen Empfaͤnglichkeit anſehen. So mag es denn auch dahin geſtellet ſeyn, ob jedwede Aufnahme einer Modifikation mit Fuͤhlen ver - bunden ſey. Aber dieß wird hier nicht hindern die Em - pfaͤnglichkeit und das Gefuͤhl zuſammen unter dem letztern Namen zu begreifen, und alſo das Gefuͤhl in dieſem Verſtande als Eine von ihren Grundfaͤhigkei - ten anzunehmen.

Die vorſtellende und denkende Kraft war beides eine Folge einer innern thaͤtigen Kraft, mit der die Seele etwas hervorbringet, wenn ſie gefuͤhlet hat. Die Wir - kungen dieſer Vermoͤgen ſind in ihr ſelbſt, oder doch in demjenigen Theil des Gehirns, den wir zu unſerm Jch rechnen. Die erſte, die Vorſtellungskraft beſchaͤftiget ſich mit den Spuren der empfundenen Modifikationen; die Denkkraft wirket auf die Vorſtellungen, und bringet etwas aus ſich hervor. Aber Denken ſowohl als Vor - ſtellen ſind beides Wirkungen einer ſelbſtthaͤtigen Kraft. Die Seele alſo beſitzet Gefuͤhl und thaͤtige Kraft, das iſt eine Kraft, thaͤtig etwas hervorzubringen, wenn ſie modificiret worden iſt. Jene iſt ihre Receptivitaͤt, dieſes ihre Aktivitaͤt.

Sie wirket in ſich ſelbſt, oder außer ſich in den Koͤrper, bey welcher Eintheilung der gemeine Unter - ſchied zwiſchen Seele und Koͤrper zum Grunde geleget wird. Wenn es eine Bewegung iſt, was durch ihre Kraft bewirket wird, ſo iſt dieß eine herausgehende Thaͤtigkeit (actio tranſiens), welche der in ihr blei - benden (immanens) entgegen geſetzet wird. Die Thaͤ -tigkeiten622X. Verſuch. Ueber die Beziehungtigkeiten der vorſtellenden Kraft und der Denkkraft ge - hoͤren zu den letztern.

Wenn die vorſtellende Kraft als ein beſonderer Zweig ihrer thaͤtigen Kraft angeſehen wird, ſo kommt das daher, weil ihre Wirkung, die Vorſtellung naͤm - lich, als eine eigene Art von Modifikationen, die ſie in ſich hervorbringet, von den uͤbrigen ſich beſonders aus - nehmen. Die Vorſtellungen ſind Veraͤnderungen, die ſich auf andere vorhergegangene auf eine naͤhere Art be - ziehen, und hinterlaſſene Spuren oder Nachbildungen von andern ſind. Darum koͤnnen ſie nicht ſo wohl fuͤr neue Veraͤnderungen gehalten, als vielmehr fuͤr Ueber - bleibſel und Wiederholungen von denen, die ſchon vorher da geweſen ſind. Jn ſo ferne die Seele Vorſtellungen machet und Vorſtellungen bearbeitet, iſt ihre Kraft mit ehemals ſchon gefuͤhlten Modifikationen beſchaͤftiget. Und da die Denkkraft auf Vorſtellungen wirket, ſo kann man auch von ihr mehr ſagen, daß ſie mit ehemaligen Seelenbeſchaffenheiten zu thun habe, als neue hervor - bringe. Jndeſſen iſt doch hier das Gewahrnehmen et - was Neues.

Aber die Seele wirket auch neue Veraͤnderungen, die keine Vorſtellungen ſind. Laß ſie eine Modifikation angenommen haben oder in einen gewiſſen Zuſtand ver - ſetzet ſeyn, und dieſen fuͤhlen, ſo iſt ihre thaͤtige Kraft in zwoen verſchiedenen Richtungen beſchaͤftiget. Jn der einen ſucht ſie die gefuͤhlte Modifikation in ſich zu erhal - ten, ſie nachzubilden, und dieſe Nachbildungen zu bear - beiten. Da aͤußert ſie ſich im Vorſtellen und Denken. Jn der andern Richtung ſchreitet ſie ſelbſtthaͤtig weiter, und bringet entweder neue Abaͤnderungen ihres innern Zuſtandes hervor, oder wirket außer ſich in dem Koͤrper; oder thut beides zugleich. Jn ſo ferne aͤußert ſich ihre thaͤtige Kraft in Aktionen, die keine Vorſtellungsaktio - nen ſind. Soll eine jede innere neue Modifikation inder623der Vorſtellungskraft c. der Seele zu den Empfindungen gerechnet werden, weil ſie gefuͤhlet und empfunden wird, ſo haben wir alle Ef - fekte der Seele auf Empfindungen und Vorſtellungen gebracht. Einige reden ſo; andere nennen alles Vor - ſtellungen.

Die neu entſtandene Modifikation, welche durch die thaͤtige Seelenkraft gewirket iſt, wie auch die Vorſtel - lung, welche ſie gemacht hat, werden von neuen gefuͤh - let, oder koͤnnen doch gefuͤhlet werden. Dieß neue Ge - fuͤhl reizet zu einer neuen Kraftaͤußerung, welche eben ſo verſchieden iſt und ſeyn kann, als die erſtere. Alsdenn faͤnget eine neue Reihe von Veraͤnderungen an. Wenn wir alſo bey einer einfachen Reihe ſtehen bleiben, ſo ge - hoͤrt nichts mehr dahin, als was zwiſchen zweyen zunaͤchſt auf einander folgenden Gefuͤhlen vorgehet. Da iſt eine neue Modifikation, ſie ſey eine thaͤtige oder eine leident - liche, und ihre Empfindung; dann folget eine Vor - ſtellung, oder eine von neuen thaͤtige Aktion, oder bei - des zugleich. So wohl die Vorſtellungsthaͤtigkeit, als die neue Aktion hat wiederum ihre leidentliche Folge, welche von neuen gefuͤhlet wird, und den Stoff zu den Vorſtellungen von der Handlung hergiebet. *)Zweeter Verſuch. II. 5.

Nun kann die Frage, deren Beantwortung ich hier ſuche, genau beſtimmet werden: Wie verhaͤlt ſich das thaͤtige Vermoͤgen der Seele, womit ſie neue Modifikationen hervorbringet, zu der Kraft, welche Vorſtellungen macht und denket?

Die letztere iſt das ſelbſtthaͤtige Gefuͤhl. Jſt die er - ſtere etwas anders? Jenes hat ſich aus der Aufloͤſung der Denk - und Vorſtellungsaktionen gezeiget; ſollte nun nicht eine aͤhnliche Zergliederung und Vergleich[u] ng bey den Aeußerungen der zwoten Kraft erfodert werden. Hier iſt die Mannigfaltigkeit der Wirkungen groͤßer, und alſo die Aufloͤſung ſchwieriger. So vortreflich und frucht -bar624X. Verſuch. Ueber die Beziehungbar dieſe Arbeit ſeyn wuͤrde; denn was waͤre es anders, als eine Zergliederung des Willens und des Herzens? ſo will ich hier mich ihr doch entziehen, und nur das All - gemeine herausnehmen, was dieſe ganze Gattung von Aktionen an ſich hat, und dieß mit den Aktionen des Verſtandes vergleichen.

Jch vermuthe von meinem philoſophiſchen Leſer die ſchaͤrfſte Pruͤfung, und daher ſchon zum voraus einen Einwurf gegen die angezeigte Art des Verfahrens, den ich abzulehnen ſuchen will. Wie kann die thaͤtige Kraft der Seele, die in unendlich mannigfaltigen neuen Mo - difikationen, in ihr und außer ihr in dem Koͤrper, ſich aͤußert, mit dem Verſtande verglichen werden, wenn nicht jener ihre Aeußerungen vorher beſonders unter - ſucht, verglichen, und auf dieſelbige Art auf Ein Prin - cip zuruͤckgefuͤhret werden, wie es mit den Verſtandes - wirkungen geſchehen iſt? Wird nicht dadurch das un - erwieſene vorausgeſetzet, daß alle jene Aeußerungen zu Einem und demſelben Grundvermoͤgen hingehoͤren? Und kann dieß vorausgeſetzet werden? Kann man es gerade zu annehmen, es ſey dieſelbige Grundkraft, mit der die Seele begehrt und will, ſich beſtimmet, anſtren - get oder nachlaͤßt, und dieſelbige, mit der ſie die Glie - der ihres Koͤrpers in Bewegung ſetzet?

Jch antworte; dieß ſoll nicht als erwieſen angenom - men werden. Aber wenn aus demjenigen, was in al - len Aeußerungen der thaͤtigen Kraft gemeinſchaftlich angetroffen wird, ſichs offenbaret, daß das Grundver - moͤgen derſelben mit dem Grundvermoͤgen zum Vor - ſtellen innerlich einerley iſt, ſo ſoll daraus ihre Gleichar - tigkeit gefolgert werden. Dazu bedarf es alsdenn kei - ner weitern Vergleichung der verſchiedenen beſondern Ar - ten mit einander. Aber woferne dieſe Gleichartigkeit aus den allgemeinen Beſchaffenheiten nicht erhellet, ſo geſtehe ich, man muͤßte ins Beſondere gehen, alle unter -ſchiede -625der Vorſtellungskraft c. ſchiedenen Kraftaͤußerungen und Willenswirkungen un - terſuchen, zergliedern, und dann erſt nach angeſtellter Vergleichung urtheilen.

Um mich in dem Folgenden kuͤrzer ausdruͤcken zu koͤnnen, will ich alle Thaͤtigkeiten der Seele, durch die ſie neue Modifikationen in ihr und außer ihr hervor - bringt, und die ſo wohl von dem bloßen Fuͤhlen, als auch von den Aktionen des Vorſtellens und Den - kens unterſchieden ſind, unter Einem Namen befaſſen, und das Vermoͤgen dazu uͤberhaupt die thaͤtige Kraft der Seele in einer engen Bedeutung, oder ihre Thaͤtig - keitskraft nennen. Auf dieſe Art zaͤhle ich drey Grund - vermoͤgen der Seele. Das Gefuͤhl, den Verſtand und ihre Thaͤtigkeitskraft. Das Gefuͤhl begreifet ſowohl ihre Modifikabilitaͤt, oder Empfaͤnglichkeit, als auch das bloße Gefuͤhl der neuen Veraͤnderungen in ſich. Die vorſtellende Kraft und die Denkkraft zuſammen, gehoͤren alsdenn zum Verſtande, und das uͤbrige Vermoͤgen, welches nun mit dem Gefuͤhl und dem Verſtande zu vergleichen iſt, hat den letzten Namen, Thaͤtigkeitskraft, (Willen).

Dieſer Abtheilung, der ich hier folge, weil ſie mir die bequemſte zu meiner jetzigen Abſicht iſt, will ich nicht mehr Realitaͤt zugeſchrieben haben, als ihr vermoͤge der Beobachtungen zukommt. Suchet man das Fach, wo - hin die Empfindſamkeit, das iſt, die Aufgelegtheit zu angenehmen und unangenehmen Gemuͤthsbewegungen gehoͤre, ſo meine ich, die Erfahrungen, die in dem Ver - ſuch uͤber die Empfindungen angefuͤhret ſind, laſſen kei - nen Zweifel, daß dieſe Beſchaffenheit nicht von einer ge - wiſſen Feinheit der Modifikabilitaͤt und des Gefuͤhls ab - hange. Empfindſam ſeyn, ſetzet nur voraus, daß die Seele nicht blos aufgelegt iſt, von ſtarken Eindruͤcken von außen und von innern Thaͤtigkeiten modificiret zu werden; ſondern daß ſie auch Veraͤnderungen annehmenI. Band. R rkann,626X. Verſuch. Ueber die Beziehungkann, die aus den Verhaͤltniſſen und Beziehungen ent - ſpringen, worinn jene Empfindungen und Vorſtellungen unter ſich ſtehen, und die ihrer Beziehung auf den Zu - ſtand der Seele gemaͤß ſind. Jn ſo weit iſt die Em - pfindſamkeit nichts, als eine groͤßere und feinere Modi - fikabilitaͤt in dem Jnnern, nebſt einem feinen Gefuͤhl; und iſt fuͤr ſich allein keine Wirkung der thaͤtigen Kraft, weder der vorſtellenden noch der handelnden. Der Em - pfindſame leidet, wenn er Empfindniſſe hat; ſo viele Thaͤtigkeit der Seele auch vorher erfodert werden mag, ehe er empfindſam geworden iſt, das iſt, eine ſolche Fein - heit des Gefuͤhls erlanget hat. Es iſt blos Leiden und Fuͤhlen, wenn der Kenner von den feinern Schoͤnheiten eines Gedichts, einer Statue, eines Gemaͤldes u. ſ. f. geruͤhret wird. Aber daß er dieſes Gefuͤhls faͤhig iſt, hat lebhafte Thaͤtigkeiten, Vorſtellungen und Ueberle - gungen gekoſtet, durch welche die natuͤrliche Traͤgheit und Ungeſchmeidigkeit der Seele gehoben werden muͤſſen. Denn aus einer traͤgen und todten Maſſe iſt ſie zu einem lebenden, jedem Eindruck offenen, leicht beweglichen gefuͤhlvollen Weſen gemacht worden. Ueberdieß iſt jed - wedes Empfindniß ein Reiz zu neuen thaͤtigen Aeuße - rungen, die den Unempfindlichen nicht anwandeln. Dieſe fernern mittelbaren Folgen der Empfindſamkeit muß man eben ſo, wie ihre vorhergehende entfernte Urſache abrech - nen; dann bleibet fuͤr ſie ſelbſt nichts mehr, als ein hoͤ - herer Grad der innern Empfaͤnglichkeit und des Empfindungsvermoͤgens uͤbrig. *)Zweeter Verſuch III. 3. V. 1.

Das Wort Wille wird noch ſelten anders gebraucht, als da, wo die Seele ſich ſelbſt nach ſchon vorhande - nen Vorſtellungen zu ihrer Kraftaͤußerung beſtimmet. Wenn der Wille fuͤr das ganze Vermoͤgen, thaͤtig zu ſeyn, Vorſtellungen machen und Denken abgerech - net, genommen wird, ſo koͤnnen fuͤr die drey Grund -vermoͤgen627der Vorſtellungskraft c. vermoͤgen der Seele mehr gewoͤhnliche Benennungen ge - brauchet, und Gefuͤhl, Verſtand und Willen ge - nannt werden. So viel wird hinreichen, Mißdeutun - gen in dem folgenden vorzubeugen.

II. Von der Natur der Vorſtellungen, die wir von unſern Thaͤtigkeiten haben.

  • 1) Jede Aeußerung der thaͤtigen Kraft iſt vorher inſtinktartig erfolget, ehe eine Vorſtellung von ihr hat gemacht werden koͤnnen.
  • 2) Die inſtinktartigen Thaͤtigkeiten ſind Aeußerungen der thaͤtigen Seelenkraft, die durch Empfindungen gereizet und be - ſtimmet iſt.
  • 3) Entſtehungsart der Vorſtellungen, die wir uns von unſern eigenen Aktionen ma - chen. Zuerſt, was zu einer vollſtaͤndi - gen Empfindung einer Aktion erfodert wird.
  • 4) Was in der Wiedervorſtellung einer Aktion enthalten ſey. Die Vorſtellung von einer Aktion enthaͤlt einen Anſatz zu der Aktion ſelbſt.

1.

Der erſte Erfahrungsſatz, den ich hier zum Grunde lege, iſt folgender: Wir haben keine Vorſtel - lung noch Jdee von irgend einer Aeußerung der thaͤti - gen Seelenkraft, und von irgend einer WirkungsartR r 2 derſel -628X. Verſuch. Ueber die Beziehung derſelben, die ſich nicht vorher inſtinktartig ſchon geaͤuſ - ſert haͤtte, und gefuͤhlet worden waͤre. Wir haben ja ſelbſt Vorſtellungen ſchon in uns gemacht, ſie wieder erwecket, ſie gegen einander geſtellet, verglichen, und geurtheilet, ehe wir wiſſen, was dieß in uns ſey, und ehe wir eine Jdee davon haben koͤnnten. Auf gleiche Art muͤſſen wir die Glieder des Koͤrpers gebrauchet ha - ben, ehe wir eine Jdee von dieſen Bewegungen erlan - gen koͤnnen. Ehe wir uns einen Begriff machen von einer Selbſtbeſtimmung, von einem Entſchluſſe, ſind alle dieſe Handlungen ſchon vorher von uns verrichtet worden. Auch hier beſtaͤtiget die Erfahrung den allge - meinen Satz, daß jedwede Vorſtellung eine vorherge - gangene Empfindung erfodere, aus der ſie genommen worden iſt. Dagegen haben wir auch keine Jdeen von Handlungen, die wir nicht empfunden haben. Wir koͤnnen nicht fliegen, wie die Voͤgel, wir haben alſo auch von dieſer Aktion ſelbſt keinen weitern Begriff, als nur den von ihren Wirkungen, die empfunden worden ſind, nebſt der unbeſtimmten Jdee von der Anſtrengung der Arme und der Fuͤße, und von einer rudernden Bewe - gung, dergleichen wir ſelbſt empfunden haben. Die Vorſtellung iſt bey uns eine ſelbſtgemachte Fiktion. Was das Schwimmen fuͤr eine Handlung ſey, davon hat ei - ner, der es nie ſelbſt verſucht, keine andere Vorſtellung, als ein Hottentotte von dem tiefſinnigen Nachdenken.

Dieſer Satz alſo, daß inſtinktartige Kraftaͤuſ - ſerungen vorhergehen, ehe wir Vorſtellungen von ihnen haben koͤnnen, iſt von einer gleichen Zu - verlaͤßigkeit, wie der Satz, daß alle Vorſtellungen vor - hergehende Empfindungen erfodern. Aber dieſer letzte Satz iſt in dem Umfange wahr, in dem es wahr iſt, daß alle Vorſtellungen nichts anders ſind, als hinterbliebene Spuren von abſoluten Modifikationen, die vorher gefuͤh - let worden ſind.

Daher629der Vorſtellungskraft c.

Daher muß hier auch dieſelbige Einſchraͤnkung hin - zugeſetzet werden. Die Dichtkraft kann aus dem er - langten Stoff von Vorſtellungen, neue originelle Vor - ſtellungen machen. Zu einer aͤhnlichen Arbeit iſt ſie auch bey dieſer beſondern Art aufgeleget, die wir von unſern Willensaͤußerungen haben. So wie ſie die Vorſtellun - gen von den Objekten, als die Gegenſtaͤnde unſerer Kraftaͤußerungen, trennen, verbinden, aufloͤſen und vereinigen kann; ſo kann ſie auch die Vorſtellungen von unſern Kraftanwendungen ſelbſt bearbeiten. Dieß kann ſie bey vorſtellenden und Denkthaͤtigkeiten, und auch bey den uͤbrigen Handlungen. Aber bey allen auch nur auf eine aͤhnliche Art, nach denſelben Geſetzen, und durch dieſelbigen Mittel.

2.

Die erſten inſtinktartigen Thaͤtigkeiten der Seele uͤberhaupt beſtehen in Aeußerungen ihres thaͤtigen Grundprincips, das durch |vorhergegangene Empfin - dungen gereizet, und davon in ſeiner Richtung beſtim - met wird.

Der ſinnliche Eindruck bringet die Reaktion hervor, durch welche die Vorſtellung von dem Objekt gemacht wird. Die Empfindung eines Baumes beſtimmet die Seele zu der Vorſtellung eines Baums; die Empfin - dungen der Farben zu Vorſtellungen der Farben; die Eindruͤcke der Toͤne, zu den Vorſtellungen von Toͤ - nen u. ſ. w. Der Unterſchied in den Wirkungen ent - ſpricht der Verſchiedenheit der auffallenden Modifikatio - nen, die gefuͤhlet werden. Aber die innere thaͤtige Kraft, welche wirket, iſt dieſelbige. Jſt es wohl philoſophiſch, zu glauben, daß ein anders Grundprincip der Seele die Geſichtsideen, ein anderes die Gehoͤrsideen hervorbringe? Jſt es wahrſcheinlich, daß in dem blinden Englaͤnder eine neue Kraft zur Wirkſamkeit gebracht ward, als ihmR r 3Cheßel -630X. Verſuch. Ueber die BeziehungCheßelden zum Geſicht verhalf? Beſtand das neue Ver - moͤgen nicht offenbar nur in einer neuen Richtung ſeiner vorſtellenden Kraft auf neue Gegenſtaͤnde.

Es iſt noch zu bemerken, daß, wenn eine Vorſtel - lung gemacht wird, die Seele auf gewifſe Theile ihres Gehirns wirke; und daß dieſe verſchieden ſind, nachdem es diejenigen ſind, welche in der Empfindung veraͤndert werden. Das Vorſtellen iſt alſo ſelbſt eine Art von Zu - ruͤckwirkung, die, in ſo ferne ſie außer der Seele ſelbſt herausgeht, gewiſſe Theile ihrer Vorſtellungsmaſchine zum Gegenſtand hat.

Was ſind nun die inſtinktartigen Aeußerungen ihrer Thaͤtigkeitskraft, womit die Seele ſich ſelbſt modificiret, und womit ſie Bewegungen in dem Koͤrper hervorbringet, anders, als Aeußerungen ihrer Grund - kraft, die durch Empfindungen erreget und gelenket wird? Es ſind Gefuͤhle, Empfindungen von Sachen, Gegen - ſtaͤnden, Beſchaffenheiten, und Ruͤhrungen oder Em - pfindniſſe, das iſt, angenehme oder unangenehme Ge - fuͤhle, die ſie beſtimmen. Wenn man die Willens - aͤußerungen von den Aktionen des Verſtandes unterſchei - det, ſo ſind die Reize zu jenen mehr in Empfindniſſen, als in den gleichguͤltigen Empfindungen. Die gleichguͤl - tigen Eindruͤcke werden empfunden und vorgeſtellet, hoͤch - ſtens auch gedacht; weiter reget ſich das thaͤtige Weſen nicht; aber Schmerz und Vergnuͤgen beſtimmet die Thaͤtigkeitskraft zu einer neuen Aktion, und zur Hervor - bringung neuer Modifikationen. Daher entſtehen Be - ſtrebungen, ihren Zuſtand zu behalten, oder auch ihn zu veraͤndern, das iſt, die Kraft empfaͤngt neue Spannung, und wird in eine neue Richtung gebracht.

Man hat ſo oft behauptet, der Wille erfodere Vor - ſtellungen, wodurch ſeine Aeußerungen beſtimmet wer - den, wenn er wirken ſoll.

Jſt631der Vorſtellungskraft c.

Jſt von der thaͤtigen Kraft der Seele uͤberhaupt die Rede, und unterſcheidet man die Vorſtellungen von Empfindungen, ſo kann dieſe Behauptung mit den Be - obachtungen nicht beſtehen. Denn ehe wir Vorſtellun - gen von den Aktionen des Vorſtellens und des Denkens erhalten koͤnnen, muͤſſen wir mit der vorſtellenden Kraft gewirket haben, und alſo von dieſer Seite wirkſam ge - weſen ſeyn. Aber wenn es nur auf die Willensaͤuße - rungen eingeſchraͤnket wird, ſo kann allerdings die Frage aufgeworfen werden: ob es das Gefuͤhl unmittelbar ſey, was den Willen zur Wirkſamkeit bringe? oder ob noch zwiſchen dem Gefuͤhl und zwiſchen der neuen Kraft - aͤußerung, eine Wirkung der vorſtellenden Kraft ein - treten, und ſich eine Vorſtellung von dem Objekt der Aktion gemacht haben muͤſſe? Ob naͤmlich das Gefuͤhl aufgehoͤret haben muͤſſe, Gefuͤhl zu ſeyn, und in eine Em - pfindungsvorſtellung von der Sache uͤbergegangen ſey? Es verſteht ſich, daß wir keine Vorſtellung von der Aktion ſelbſt haben koͤnnen, ehe ſie nicht ſchon vorher verrichtet iſt; aber ob wir nicht eine Vorſtellung von der die Kraft reizen - den Empfindung haben muͤſſen, ehe dieſe letztere eine wirk - liche Reizung in der Kraft hervorbringet, das iſt nicht ſo offenbar. Jndeſſen iſt es, das mindeſte zu ſagen, ſehr wahrſcheinlich, daß es dergleichen Dazwiſchenkunft der vorſtellenden Kraft bey den erſten Willensaͤußerungen nicht beduͤrfe. Die Erfahrung lehret, daß es nicht Jdeen und Gedanken, ſondern Empfindungen ſind, die uns reizen und in Bewegung ſetzen. Die Jdeen enthal - ten nur in ſo ferne die unmittelbaren Reizungen, als ſie ſelbſt voͤlliger beſtimmt, und den Empfindungen aͤhnlich ſind. Da ohnedieß die Vorſtellungen und ihre Empfin - dungen nur an Graden unterſchieden ſind, ſo kann es nicht zweifelhaft ſeyn, daß jede bewegende Kraft, welche den Vorſtellungen beywohnet, nicht auch den Empfin - dungen in einer noch reichlichern Maaße zukommen ſollte.

R r 4Die632X. Verſuch. Ueber die Beziehung

Die Empfindniſſe ſind eine beſondere Art von Ge - fuͤhlen und Empfindungen, die nicht ſowohl von den Dingen ſelbſt, welche unſern Zuſtand veraͤndern, als vielmehr von den Beziehungen dieſer Veraͤnderungen auf einander und auf die Seele entſtehen. *)Zweeter Verſuch. III. 3.Dieſe ihre Eigenheit macht es begreiflich, wie und warum ſie die thaͤtige Kraft der Seele, den Verſtand ſowohl als den Willen, zu neuen Thaͤtigkeiten anreizen. Denn da ſie reizende Urſachen ſind, die nicht von den Sachen, fuͤr ſich allein genommen, herruͤhren, ſo koͤnnen ſie die thaͤ - tige Kraft auch nicht allein auf die Sachen ſelbſt zuruͤck - wirkend machen, woraus nur eine Vorſtellung von der Sache entſtehen wuͤrde. Sie muͤſſen ihr eine neue Rich - tung geben, das iſt, ſie nicht blos zur Bearbeitung des Eindrucks von außen, zur Apprehenſion der Sache, und zu einer Vorſtellung von ihr, ſondern zu neuen Hand - lungen in ſich oder außer ſich hintreiben. Wird das Licht ſchmerzhaft, ſo wenden wir die Augen weg; iſt der Ton widrig, ſo arbeiten wir mit Macht, ihn durch andere zu verdraͤngen. Jſt die Empfindung dagegen angenehm, ſo ſuchen wir ſie zu erhalten, und das beſteht in neuen Aktionen, die wir vornehmen, ohne welche die ergoͤzende Modifikation verſchwinden wuͤrde. Die gleichguͤltigen Empfindungen enthalten gar keine Reize zu neuen Aktio - nen, ſo weit ſie gleichguͤltig ſind. Aber diejenigen, die gleichguͤltig fuͤr das Herz ſind, koͤnnen intereſſirend fuͤr den Verſtand ſeyn. Ueberhaupt aber ſind es Empfind - niſſe, in der Maaße, wie ſie die thaͤtigen Vermoͤgen zu neuen Aktionen ſpannen, die von denjenigen, welche in dem bloßen Gefuͤhl ſich aͤußern, verſchieden ſind.

Jch will es hier noch nicht beweiſen, daß alle Kraft - aͤußerungen der Seele, des Verſtandes und des Willens, in nichts verſchieden ſind, als nur in Hinſicht der Ver - anlaſſungen, der Gegenſtaͤnde und der Richtung undStaͤrke633der Vorſtellungskraft c.Staͤrke der Thaͤtigkeiten. Dieſer Satz ſoll eigentlich erſt die Folge ſeyn, die aus der gegenwaͤrtigen Be - trachtung gezogen werden kann. Genug, wenn die er - ſten inſtinktartigen Aktionen nur Hervorgehungen des geſammten innern Princips ſind, die den Empfindniſſen gemaͤß ſind, und in der Maaße und in der Folge her - vorgelocket werden, wie die ſie veranlaſſende Gefuͤhle vor - handen ſind. Die Empfindniſſe hangen nicht allein von den Modifikationen ab, die von den auf die Seele wir - kenden Urſachen entſtehen, wenn man dieſe fuͤr ſich be - trachtet, ſondern auch von Anlage, Dispoſitionen, Faͤ - higkeiten und andern dermaligen Beſchaffenheiten der Seele ſelbſt. Dahero kann der Unterſchied zwiſchen Verſtandes - und Willensthaͤtigkeiten auf eine innere Verſchiedenheit der Grundvermoͤgen zuruͤckfuͤhren. Dem ſey inzwiſchen wie ihm wolle, ſo will ich noch eine Aehn - lichkeit anfuͤhren, die den erſten inſtinktartigen Kraft - aͤußerungen des Willens, und den erſten Aeußerungen des Verſtandes zukommt.

Wir moͤgen uns ſelbſt innerlich modifieiren, oder außer uns heraus in den Koͤrper wirken, ſo entſtehn in jedem Fall Bewegungen in dem Koͤrper. Sie ſchei - nen in dem letztern Fall die ganze Wirkung der Kraft allein auszumachen, in dem erſten aber nur begleitende Folgen der Aktion zu ſeyn. Wenn wir den Arm bewegen, ſo kommt dabey nichts mehr, als die Bewegung in dieſem ſichtbaren Theil des Koͤrpers in Betracht. Dagegen, wenn die Seele ſich ſelbſt inner - lich modificiret, ſo iſt ihre Wirkung etwas geiſtiges in ihr ſelbſt, und die in dem Jnnern des Organs entſtehen - den Bewegungen, deren Wirklichkeit wir in vielen Faͤl - len nur durch Schluͤſſe erkennen, ſind nur harmoniſche Folgen von jener Wirkung. Aber dennoch finden wir in beiden Aktionen, wenn wir ſie genauer betrachten, eine Folge in dem Koͤrper und in der Seele ſelbſt. DieR r 5Seele634X. Verſuch. Ueber die BeziehungSeele wirket in den Koͤrper; alsdenn beſtimmt ſie ſich ſelbſt, bringet einen Anſatz und ein Beſtreben in ſich ſelbſt hervor, und von dieſem Beſtreben entſtehen Bewegun - gen in dem Koͤrper, die bis auf die aͤußern ſichtbaren Theile herausgehen. Dieß iſt eine herausgehende Aktion. Aber was liegt nun in einer immanenten, wenn die Seele auf ſich ſelbſt wirket, wenn ſie z. B. ei - nen Vorſatz faſſet, eine Jdee unterdruͤckt, die Aufmerk - ſamkeit auf etwas wendet, oder ſich zerſtreut, u. d. gl. So eine Modifikation wird niemals bewirket, ohne daß auch zugleich Bewegungen im Gehirn entſtehen, die ſich, wo die Wirkung nur etwas iſt, ſo gleich auswaͤrts bis auf die aͤußere Flaͤche ergießen und hier bemerket werden koͤnnen. Jn beiden Faͤllen, die Seele wirke in ſich ſelbſt oder außer ſich, faͤngt die Kraft bey ſich ſelbſt an, be - ſtimmet, und veraͤndert ſich, und dann zugleich den Koͤrper. Alle Verſchiedenheit, die dabey in dem Jn - nern der Aktion vorkommen kann, beſtehet darinn, daß ihre Richtung in dieſen Faͤllen verſchieden iſt. Aber die Effekte ſind in ſo weit dieſelbigen, daß naͤmlich eine in - nere Modifikation in der Seele, und eine Bewegung in dem Koͤrper zugleich erfolget.

Von den Bewegungen in dem Koͤrper, die ſonſten der Seele unterworfen ſind, giebt es viele, die allein durch koͤrperliche Nervenkraͤfte bewirket werden koͤnnen, wenn dieſe von außen gereizet werden, ohne daß ſie See - lenwirkungen ſind, wie z. B. das Zuſammenziehen der Muskeln, woran ein Krampf Schuld iſt, und die Spruͤnge der Kranken in dem Veitstanz. Dieß gilt nicht blos von ungewoͤhnlichen Bewegungen, ſondern auch von gewoͤhnlichen. Es iſt vielleicht ein allgemeines Geſetz unſerer Natur, daß jedwede willkuͤhrliche Be - wegung, ehe ſie der Kraft der Seele unterworfen wor - den iſt, von Nervenkraͤften bewirket worden ſey, we - nigſtens zum Theil, wenn auch nicht in ihrem voͤlligen Um -635der Vorſtellungskraft c. Umfang. Was wuͤrde daraus folgen? Viel - leicht daß die aller erſten inſtinktartigen Thaͤtigkeiten gar keine Seelenaͤußerungen geweſen ſind. Laß es blos organiſche Aktionen des Koͤrpers ſeyn, von denen man ſich aus der Empfindung eine Vorſtellung gemacht, und mittelſt dieſer ſie als eine Seelenaktion wiederholet hat. Setzet man dieß voraus, ſo iſt es auch nicht un - moͤglich, daß es ſich mit den erſten Aktionen der vor - ſtellenden Kraft nicht eben ſo verhalte. Es iſt eben ſo uͤbereinſtimmend mit der uns bekannten phyſiſchen Na - tur des Menſchen, daß auch das Gehirn die empfange - nen ſinnlichen Eindruͤcke zuerſt durch ſeine eigene Fibern - kraft in ſich eine Weile erhalte, eine Spur von ihnen auf beſtaͤndig aufnehme, und was Hr. Bonnet zum Grund - ſatz ſeines Syſtems machet, ſolche wiedererneuere, ehe die Seele ſelbſt mit ihrem Vorſtellungsvermoͤgen dazu - kommt. Die erſten inſtinktartigen Verſtandesthaͤtigkei - ten wuͤrden alſo hierinn den uͤbrigen Willensthaͤtigkeiten aͤhnlich ſey.

Aber wenn dieß auch ſo iſt, ſo ſind doch die erſten Nerven - und Fibernaktionen noch keine Seelenthaͤtig - keiten, bis die Seelenkraft ſelbſt ſich mit ihnen verbin - det, und dieſe letztere das innere wirkſame Princip wird, wovon die Fibernbewegungen gewirket werden. Ehe dieß nicht geſchicht, koͤnnen ſie auch nicht als Seelenwirkungen erkannt werden. Der Schwung einer Faſer, der die Jmpreſſion von einem geſehenen Objekt ausmacht, iſt noch nicht die Vorſtellung von dem Objekt, und die Ruͤckkehr einer ſolchen Schwingung keine wiedererneuerte Vorſtellung, bis die Seelenkraft ſolche gewirket hat. Nur der Anfang der Thaͤtigkeit wird dadurch in das Or - gan geleget, aber die Veraͤnderung des Organs macht nicht die ganze Seelenaktion aus.

So viel koͤnnte daraus gefolgert werden, was ver - ſchiedene neuere Philoſophen als einen Grundſatz anneh -men,636X. Verſuch. Ueber die Beziehungmen, naͤmlich, daß die Seelenkraft innerlich in allen ih - ren Aeußerungen dieſelbige thaͤtige Kraft ſey, deren Handlungen, Aktionen und Effekte nur nach dem Unter - ſchied der Fibern verſchieden ſind, mit deren organiſchen Kraͤften ſie ſich verbindet, auf welche ſie als ſo viele Saiten wirket, und durch welche das Charakteriſtiſche in ihren Aeußerungen in Hinſicht der Art der Handlung be - ſtimmet wird. Vorſtellen und Denken und den Koͤr - per bewegen, wuͤrden alſo nur ſo viel ſeyn, als auf die Vorſtellungsfibern und auf die Bewegungsfibern wirken, oder vielmehr durch ſie wirken und hervorgehen. Das Mehr oder Minder in den Graden der Staͤrke, mit der die Aktion erfolget, wuͤrde allein uͤbrig bleiben, und von der mehrern oder mindern Anwendung der Seelenkraft noch abhangen. Alles uͤbrige aber der Beſchaffenheit der Werkzeuge gemaͤß, und alles innerlich Eine Art von Thaͤtigkeit ſeyn, ſo wie Sehen, Hoͤren und Fuͤhlen nur Ein gleichartiges Fuͤhlen iſt, deſſen Unterſchied durch die Verſchiedenheit der Werkzeuge beſtimmet wird. Alle Kraftaͤußerungen ſind alsdenn nur Aeußerungen deſſelbi - gen Princips nach verſchiedenen Seiten und Richtungen hin, wie das Waſſer des Stroms daſſelbige iſt, das in unterſchiedene Canaͤle und Roͤhren geleitet wird.

Aber verhaͤlt es ſich hiemit wirklich ſo? Schwingt das Gehirn zuerſt, und erhaͤlt ſeine ſo genannte mate - rielle Jdee, ehe die Seele dazu kommt und eine Vor - ſtellung daraus macht? Wirken die organiſchen Kraͤfte in den lebenden Thieren, die naͤmlich, welche zu den Willenshandlungen beyſtimmen, vorher ohne Zuthun der Seele? Und wenn nun dieß auch waͤre, kann die Folge gerechtfertiget werden, die man daraus ſo allge - mein herleitet, daß die Seele nichts anders, als eine unbeſtimmte Gehirnskraft ſey, die innerlich ſo unbe - ſtimmt wie ein fluͤßiger Koͤrper, wie Luft und Waſſer, ihre Formen nur von der Organiſation des Koͤrpers, alsden637der Vorſtellungskraft c.den Gefaͤßen annimmt, in welchen ſie eingefloſſen iſt? Und ferner, daß ſie dieſe fluͤßige oder weiche Natur im - mer beybehalte? Jn Wahrheit ſind wir noch weit von den Gruͤnden ab, die uns zu ſolchen Schluͤſſen berechti - gen, woferne wir nicht die Fluͤgel der Phantaſie anlegen, und uns zu Hypotheſen fortſchwingen. Jn einem der folgenden Verſuche will ich mich hierauf insbeſondere ein - laſſen. Hier aber, wo ich nicht weiter gehen will, als die Beobachtungen fuͤhren, muß ich bey dem allein ſte - hen bleiben, was ich im Aufang ſchon geſagt habe, und was aus den angefuͤhrten Erfahrungen erhellet, naͤmlich daß die inſtinktartigen Aeußerungen der thaͤtigen Seelen - kraft des Verſtandes ſowohl als des Willens, Anwen - dungen einer durch Empfindungen gereizten Grundkraft ſind, deren Wirkungen und Richtungen, nach der Ver - ſchiedenheit der Empfindungen, von welchen ſie in Thaͤ - tigkeit geſetzet wird, unterſchieden ſind.

3.

Da wir die Seelenthaͤtigkeiten nicht anders beur - theilen koͤnnen, als nach den Jdeen, die wir aus ihren Wirkungen hernehmen; ſo iſt es vor allen noͤthig, zu unterſuchen, was es mit dieſen Vorſtellungen insbeſon - dere fuͤr eine Beſchaffenheit habe? Jn dem erſten Ver - ſuch uͤber die Vorſtellungen iſt ihrer nur beylaͤufig er - waͤhnt worden. Sie entſpringen, wie alle andere, aus Empfindungen; davon iſt nicht mehr die Frage, aber deſto mehr davon, was ſie eigentlich in ſich enthalten, was ſie vorausſetzen, wenn ſie gegenwaͤrtig ſind, und was ſie nach ſich ziehen?

Laſſet uns Ein Beyſpiel aufmerkſam betrachten. Es ſey die Aktion eines Malers, der eine Figur zeichnet. Was iſt in dieſer Aktion, und in ihrer Empfindung? was bleibet von dem, was in der Empfindung war, in der Seele als eine wiedererweckbare Spur zuruͤck, undmacht638X. Verſuch. Ueber die Beziehungmacht die Materie der Vorſtellung von dieſer Handlung aus?

Den Pinſel in der Hand, das Papier vor ſich, faͤngt der Maler ſeine Arbeit an. Hier ſind aͤußere Gegenſtaͤnde, die geſehen werden, das Papier, die Farbe, der Pinſel, die Hand, und die Lage des Pin - ſels in der Hand. Dazu kommen gewiſſe Gefuͤhle in den Fingern, die nur der Maler allein hat, und der Zuſchauer nicht empfinden kann. Aber außer dieß iſt in dem Kopf des Malers ein Jdeal von der Figur, die er ſichtbar machen will. Die erſten ſind groͤßten - theils aͤußere vor der Aktion vorhergehende Empfin - dungen; dieſe letztere iſt die vorhergehende Vorſtellung.

Die Aktion ſelbſt enthaͤlt die Selbſtbeſtimmung ſei - ner Kraft, welche nur allein der Handelnde fuͤhlet, und nicht der, der ihm zuſiehet. Es erfolget die Kraftaͤuße - rung, es entſtehet ein Gefuͤhl von einer Bewegung in der Hand, und es wird auf dem Papier etwas ſichtbar. Die ganze Aktion des Zeichnens, die zu einer Figur er - fodert wird, beſtehet aus mehreren einzelnen Aktionen, die auf einander folgen. Die erſtere hat ihre Wirkung, welche empfunden wird. Stimmet dieſe mit der Vor - ſtellung von der Wirkung uͤberein? Was erwartet wuͤr - de, iſt der gezogene Strich, ſo wie er ſeyn ſoll; und ei - gentlich muß man noch kleinere Theile nehmen; es iſt die Fortruͤckung des ſichtbar werdenden Zuges. Jſt dieſe Wirkung nun ſo, wie ſie ſeyn ſoll, ſo giebt auch ihre Uebereinſtimmung mit der Erwartung eine neue Empfin - dung des wirklichen Fortgangs. Dieſe beſtimmt den noch fortdaurenden Vorſatz zu der naͤchſten Kraftanwen - dung, welche wiederum, wie die erſtere, gewiſſe innere Gefuͤhle, und aͤußere ſichtbare Veraͤnderungen auf dem Papier, zur Folge hatte. Aus ſolchen Gliedern beſte - het die ganze Reihe. Jedes einzelne Glied enthaͤlt rei - zende vorhergehende Empfindungen, ſeine eigeneKraft -639der Vorſtellungskraft c.Kraftanwendung, und ſeine innerliche und aͤußerliche Wirkungen, welche gefuͤhlt und empfunden werden. Und dieſe letztern werden wiederum vorhergehende, rei - zende, beſtimmende Empfindungen zu dem naͤchſtfolgen - den. Dadurch fließen die Theile der ganzen Aktion in einander.

Die ſichtbaren Empfindungen, welche nach und nach hervorkamen, die Zuͤge, die nach und nach ſichtbar wur - den, die ſichtbaren Bewegungen der Hand, der Fin - ger und des Pinſels; dieſe Reihe von Veraͤnderungen kann derjenige, der der Arbeit zuſiehet, eben ſo gut und beſſer gewahrnehmen, als der Arbeitende ſelbſt. Der Zuſchauer kann gleichfalls das Original vor Augen gehabt haben, wie der Maler. Aber die Reihe inne - rer Gefuͤhle, die nach und nach in dem Jnnern der Seele und in dem Jnnern der Finger erfolgte, war al - lein fuͤr den, der die Handlung verrichtete.

Die Reihe der geſehenen Veraͤnderungen kann der Zuſchauer ſich wiedervorſtellen, wenn die Arbeit aufge - hoͤret hat. Dieß geſchehe, ſo hat er eine Reihe von Bil - dern in ſich, die mit dem Jdeal, welches der Maler darſtellen wollte, anfaͤngt, und ſich bey der Jdee von dem letzten Pinſelzug endiget. Dieſe Jdee ſtellet die ge - ſammte Wirkung vor. Aber iſt ſie eine Vorſtellung von der malenden Aktion ſelbſt? Sie iſt es in der That nur von ihren ſichtbaren Wirkungen; und ſo we - nig eine Vorſtellung von der Aktion ſelbſt, wofern man ſie nicht ſynekdochiſch ſo nennen will, als es eine Vor - ſtellung von dem thaͤtigen Nachdenken eines Geometers iſt, wenn man ſeine nach und nach gezogene Linien und Figuren, und ſeine aufs Papier gebrachte Worte in ih - rer Ordnung ſich vorſtellet. Einer ſolchen Vorſtellung wuͤrde auch vielleicht ein Affe faͤhig ſeyn.

Die Vorſtellung des ſichtbaren Theils der Aktion, kann bey dem Zuſchauer voller, lebhafter und deutlicherſeyn,640X. Verſuch. Ueber die Beziehungſeyn, als bey dem Mann, der ſelbſt gearbeitet, und am wenigſten auf dieſe Seite der Wirkungen gemerket hat. Die erſte Vorſtellung von ſeinem Jdeal iſt wohl bey ihm am lebhafteſten, und auch die letztere Jdee von dem gan - zen fertigen Gemaͤlde. Mit beiden beſchaͤftiget ſich der Handelnde mehr, als der Zuſehende; doch auch nicht allemal. Das kritiſche Auge des betrachtenden Ken - ners kann ſo wohl in dem Jdeal, wenn ſolches ein ſicht - bares Muſter iſt, als in der Ausfuͤhrung und in den ein - zelnen Theilen ſchaͤrfer ſehen, als jener, und ſieht oft wirklich ſchaͤrfer.

Aber dagegen iſt die ganze Reihe der unſichtbaren Gefuͤhle in der Seele, und in dem Koͤrper; das Gefuͤhl des erſten Anſatzes, das Gefuͤhl des Zuges in den Fin - gern, und ſo ferner die ganze abwechſelnde Reihe von Beſtrebungen und ihren Wirkungen, die zu neuen Kraft - aͤußerungen reizten; dieß alles iſt allein in dem Maler; nicht in dem Zuſchauer; es ſey denn durch die Sympa - thie. Dieſe Gefuͤhle ſind mit den vorerwaͤhnten Em - pfindungen des Geſichts verbunden, vermiſcht und durch - flochten.

Die Thaͤtigkeiten der Seele ſind nicht unmittelbare Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls, ſondern nur ihre Wirkungen, die als leidentliche Modifikationen von ihnen in uns be - ſtehen. Aber dieſe innern Wirkungen, in denen die ſie hervorbringende Kraft empfunden wird, ſind von ihren aͤußern herausgehenden und mittelbaren Folgen unter - ſchieden. Jene fallen mit der Thaͤtigkeit der wirkenden Kraft ſo nahe in Ein Moment zuſammen, daß es hier unnoͤthig iſt, beide von einander noch zu unterſcheiden. Wir koͤnnen ſagen, der Maler habe die Reihe der in - nern Thaͤtigkeiten ſelbſt gefuͤhlet. *)Zweeter Verſuch. II. 5.

4. Laßt641der Vorſtellungskraft c.

4.

Laßt uns daſſelbige Beyſpiel behalten. Der Ma - ler kann eine Wiedervorſtellung von ſeiner Aktion haben, und hat eine ſolche, wenn er ſich lebhaft vorſtellet, was er verrichtet hat; und dieſe Vorſtellung iſt von der Vor - ſtellung, die ſich der bloße Zuſchauer machen kann, eben ſo weit verſchieden, als die Empfindung des erſten von der Empfindung des letztern geweſen iſt, wenn die Rei - he der unſichtbaren innern Gefuͤhle wiederum mit erwe - cket wird. Jch ſage nicht, daß es bey der Wiedererin - nerung an die Handlung die meiſtenmale wirklich ſo weit gehe. Oft bleibt es bey der Wiedervorſtellung einiger charakteriſtiſchen Zuͤge des Ganzen, und die Jdee von dem Original, wonach er gearbeitet hat, nebſt der Jdee von dem Gemaͤlde, wie es wirklich ward, und einigen andern zunaͤchſt herumliegenden Nebenideen, machen oft - mals die ganze Wiedervorſtellung aus, wenigſtens nach ihren erkennbaren Theilen. Aber der Handelnde kann eine voͤlligere Vorſtellung davon haben, und eine ſolche, in der ſeine vorigen Kraftanwendungen ſelbſt reproduciret werden; und er hat eine ſolche in dem Grunde der Seelen.

Die Reproduktionen der Geſichts - und Gefuͤhlsem - pfindungen verhalten ſich zu den Empfindungen ſelbſt, wie uͤberhaupt Vorſtellungen zu ihren Empfindungen. Es ſind Spuren von den erſten Modifikationen zuruͤck - geblieben, und wieder erwecket worden, aber herunter - geſetzt an Staͤrke und Voͤlligkeit, wie die Vorſtellungen es uͤberhaupt ſind, wenn ſie mit ihren Empfindungen verglichen werden.

Hier ſtoßen wir auf eine Hauptfrage: koͤnnen dieſe Gefuͤhlsempfindungen, oder vielmehr ihre Spuren wieder erneuert werden, ohne daß auch das naͤmliche in derſelbigen Maaße mit den Kraftanwendungen ge - ſchehe, wodurch jene in der erſten Empfindung hervor -I. Band. S s gebracht642X. Verſuch. Ueber die Beziehung gebracht worden ſind? Die Reihe der Geſichtsem - pfindungen von den allmaͤhlig ſichtbar gewordenen Zuͤgen, und von den Bewegungen der Finger entſtunden auch in der Seele des Zuſchauers unabhaͤngig von den Thaͤtig - keiten des Malers, der dieſe ſichtbaren Gegenſtaͤnde dar - ſtellete. Die Reihe der ſichtbaren Zuͤge machte eine eigene Reihe von Eindruͤcken und Empfindungen aus, die nicht nothwendig auf ihre verborgene unſichtbare Ur - ſachen zuruͤckfuͤhren. Aber mit den innern Gefuͤhlen in der Seele des Malers, in denen er ſeine eigene Aktion empfand, verhaͤlt es ſich anders. Dieſe ſind Folgen von ihren vorhergehenden Aktionen, und ſind Reizungen zu neuen nachfolgenden Aktionen. Koͤnnten alſo auch dieſe wieder zuruͤckkehren; in einem ſo ſchwachen Grade, als man will, ohne daß auch ihre Urſachen und ihre Wirkungen, und dieß ſind die Kraftaͤußerungen oder Thaͤtigkeiten, zugleich mit ihnen erneuert werden? Da haben wir in den Vorſtellungen von den Aktionen, ſelbſt die Anfaͤnge dieſer Aktionen in dem Jnnern, zuweilen merkliche Anwandlungen, dieſelbige Aktion von neuen zu verrichten, die aber nur bloße Anfaͤnge bleiben, und die man, wenn die Phantasmen von einer vergangenen Aktion voll und lebhaft ſind, deutlich genug bey ſich ge - wahrnehmen kann.

Hieraus folgt alſo das naͤmliche Reſultat, in Hin - ſicht der Vorſtellungen von unſern Aktionen, was in dem zweeten Verſuch N. VIII. von Vorſtellungen uͤberhaupt ſchon gezeiget iſt. Eine Vorſtellung von einer Aktion enthaͤlt nicht blos Vorſtellungen von den geſchehenen Gegenſtaͤnden, womit ſich die Aktion beſchaͤftiget, ſondern auch Vorſtellungen von den aͤußern und innern Gefuͤhlsempfindun - gen, welche die Folgen der Aktion geweſen ſind; und uͤberdieß auch Anfaͤnge der Aktion ſelbſt, oder An - wandlungen zu den vorherbewieſenen Kraftanwendungen,die643der Vorſtellungskraft c.die ſich auf die ehemaligen Aktionen eben ſo beziehen, wie ihre leidentliche Folgen in der Wiedervorſtellung, auf ihre Folgen in der erſten Empfindung. Eine volle anſchauliche Wiedervorſtellung einer Aktion iſt ein ſchwa - ches Nachſpiel der ganzen vormaligen Kraftaͤußerung.

Jch ſage, eine volle anſchauliche Vorſtellung von der Handlung ſey ſelbſt eine Anwandelung dazu. Dadurch meine ich gegen ſchiefe Auslegungen voͤllig ge - ſichert zu ſeyn. Wer an Haß und Liebe, an loͤbliche und ſchaͤndliche Thaten denket, ſoll nicht ſchon auf dem Wege ſeyn, von jenen erfuͤllet zu werden, und dieſe nachzu - machen. Das hieße ſich dem Vorwurf ausſetzen, den Beattie der Lockiſchen Philoſophie macht, daß die Jdee von der Hitze erwaͤrme, und der Hunger ſich mit der Vorſtellung von Eſſen ſtillen laſſen muͤſſe. *)Vergl. Erſter Verſuch VII. Wenn wir uns Worte vorſtellen, ſo ſprechen wir innerlich; aber oft ſo ſehr allein innerlich, daß wir nicht einmal die Lippen ruͤhren. Wird die innere Sprache lebhafter, ſo ſieht man uns Bewegungen des Mundes an; und den - noch reden wir nicht; es erfolgt kein hoͤrbarer Ton. Dieß ſind drey Stufen der Reproduktion. Die Erſtere iſt allgemein bey allen, und dieſe will ich hier eigentlich nur unter den erſten innern Anfaͤngen der Aktion ver - ſtanden haben.

Einmal iſt von ſolchen Vorſtellungen der Aktionen die Rede, die nicht blos ſymboliſch es ſind; blos in den Bildern von dem Worte oder dem Zeichen beſtehen, womit die Aktion ausgedrucket wird. Ferner ſollen es nicht die Vorſtellungen von dem Objekt und von den Wirkungen der Aktion ſeyn, die man nur durch eine Metonymie, Vorſtellungen von der Handlung ſelbſt nennen kann, und die auch oft die Stelle derſelben ver - treten. Dieß alles ſind nur Vorſtellungen von beglei -S s 2tenden644X. Verſuch. Ueber die Beziehungtenden Sachen, nicht von der Art der Thaͤtigkeit und von der Aktion ſelbſt.

Dazu kommt, daß, da die Vorſtellung, welche ein Anfang oder ein Anſatz zu einer Aktion iſt, nur in dem Jnnern der Seele, oder in dem innern Vorſtellungs - organ iſt, ſie nicht die Aktion ſelbſt iſt, und es auch nicht wird, als nur wenn ſie weiter herausgeht, und wenn von einer koͤrperlichen Handlung die Rede iſt, ſich auch in die Bewegungsnerven und in die Muskeln er - gießet. Die Vorſtellung von der Suͤnde iſt keine Suͤn - de, es iſt vielmehr Tugend, ſie in ſich haben, und ſie in ſich beſchraͤnken zu koͤnnen, ohne daß ein merklicher Hang entſtehe, in wirkliche That hervorzugehen. Die Vorſtellung iſt nur darum ein Anſatz zur Handlung zu nennen, weil mit ihr, wie mit jeder Phantaſie, ein An - fang zu dem vorigen Zuſtand vorhanden iſt, der, wenn man ſich ihm uͤberlaͤßt, in eine merkliche Tendenz uͤber - gehet, den ehemaligen Zuſtand zu erneuren. Und jene innere Bewegung ſteht in einer phyſiſchen Verbindung mit der aͤußern, die ein weiterer Ausfluß von jener iſt.

Und endlich, ſo giebt es ſelbſt in den innern Anfaͤn - gen der Aktion, unendlich viele Grade der Lebhaftigkeit und Staͤrke. Die Woͤrter, lieben, haſſen, ſtoſſen, fliehen u. ſ. w. laufen geſchwinde uͤber die Zunge weg, und wenn ſie wahre Jdeen mit ſich verbunden haben, ſo hat auch jedes Wort einen Druck auf die Vermoͤgen der Seele zu ihrer Kraftaͤußerung bey ſich. Aber wie groß iſt und kann nicht die Verſchiedenheit in den Gra - den dieſes Drucks ſeyn! Wenn es erlaubt iſt, die Vor - ſtellungen uͤberhaupt Elemente der Handlungen oder Elementaraktionen zu nennen, und ohne Zweifel iſt es erlaubt, ſich dieſer mathematiſchen Gleichniſſe in der unkoͤrperlichen Natur eben ſo wohl zu bedienen, als in der koͤrperlichen, ſo kann man hinzu ſetzen, daß es ſelbſt unter dieſen Elementen verſchiedene Ordnungen gebe,und645der Vorſtellungskraft c.und daß Eins in Hinſicht des andern faſt wiederum nur wie ein Element anzuſehen iſt.

Die Dunkelheit, welche hiebey vorkommt, iſt ſchon oben in dem erſten Verſuch*)Erſter Verſuch VIII. auseinander geſetzet, wenn ich auch nicht ſagen darf, aufgehellet worden. Hier will ich nur, was insbeſondere die Beſchaffenheit unſerer Vorſtellungen von Aktionen betrift, noch etwas anfuͤgen.

Nach der Hartleyiſchen Jdee von der Wirkung der Aſſociation, muͤſſen die in der Wiedererinnerung zuruͤck - kehrenden Anſaͤtze zur Thaͤtigkeit, neue Empfindungen ſeyn, durch die gegenwaͤrtigen Jdeen von den Objekten, in einem ſchwaͤchern Grade hervorgebracht, wie es in ei - nem ſtaͤrkern Grade vorher geſchah, als anſtatt der jetzi - gen Vorſtellungen von abweſenden Dingen Empfindun - gen die Triebfeder waren. Alſo iſt dieſem zufolge die wieder erweckte Aktion in der Vorſtellung eine neue Aktion, welche eben ſo entſtanden ſeyn wuͤrde, wie ſie entſteht, wenn nur die Vorſtellungen von den Objekten gegenwaͤrtig ſind, ob ſchon niemals eine Kraftanwendung der Art vorhergegangen waͤre. Was wuͤrde eine Fer - tigkeit in einem thaͤtigen Vermoͤgen ſeyn? Nichts weiter, als eine Fertigkeit, die bewegenden Vorſtellun - gen von den Objekten zu erneuern. Denn in der thaͤti - gen Kraft ſelbſt kann es zufolge dieſer Hypotheſe keine blei - bende Folgen von vormaligen Aktionen geben.

Der erſte Grundpunkt der ganzen Sache beruhet darauf, daß die innern Anſaͤtze zur Wiederholung einer ehemaligen Aktion, die man ſo deutlich bemerket, wenn die Vorſtellung lebhaft iſt, wirklich Ueberbleibſel aus der ehemaligen Aktion ſind, und eine erlangte Dispoſition in dem thaͤtigen Vermoͤgen, leichter ſich ſo zu aͤußern, zum Grunde haben. Ein ſolcher Anſatz, oder Anfang der Aktion, muß keine gegenwaͤrtige Wirkung der gegen -S s 3waͤrtigen646X. Verſuch. Ueber die Beziehungwaͤrtigen Vorſtellungen ſeyn, von denen das thaͤtige Vermoͤgen gereizet wird.

Nehmen wir das letztere an, ſo muͤßte ſich doch auch ein ſolcher Anſatz zu einer Aktion wohl irgend einmal in der Vorſtellung antreffen laſſen, wenn ſie gleich noch nicht vorher verrichtet waͤre. Findet ſich aber das Gegentheil, kann ein ſolcher Anſatz zur Thaͤtigkeit niemals ein Jn - gredienz der Vorſtellung ſeyn, kann er nicht durch die Vorſtellungen von den Objekten hervorgebracht werden; als nur da, wo er vorher ſchon Empfindung geweſen iſt, und durch Empfindungen der reizenden Gegenſtaͤnde be - wirket worden; kann dieß nicht ſeyn, ſo iſt offenbar die Wiedervorſtellung einer Aktion, eine aͤhnliche wieder - erweckte Dispoſition in der thaͤtigen Kraft, wie die Vor - ſtellung von der Farbe eine wieder erweckte Spur von einem leidentlichen aufgenommenen Eindruck iſt.

Es muß aber zugleich auf die Wirkungen der ſelbſt - thaͤtigen Dichtkraft geſehen werden, wenn von dem Ur - ſprung der Vorſtellungen aus Empfindungen die Rede iſt. Eben dieſe kommt uns hier bey den Vorſtellungen von Aktionen in Betracht, und ſie verhindert es in vielen Faͤllen, hier eben ſo deutlich als bey andern Vorſtellun - gen es zu ſehen, daß die Vorſtellung ohne die vormalige Empfindung nicht haͤtte vorhanden ſeyn koͤnnen.

Zu jedweder Art von Thaͤtigkeit, die andere Men - ſchen verrichten, findet ſich auch eine Anlage in uns ſelbſt, ſo ſchwach ſie auch ſeyn mag, die ſchon lange ohne unſer Wiſſen zur wirklichen Aeußerung gereizet worden iſt. Nun beſteht das Eigene der verſchiedenen Aktionen mehr in eigenen Richtungen, welche die Seelenkraft nimmt, und in dem beſondern Grad der Jntenſion, womit ſie wirket, und in den Objekten, auf welche ſie wirket, als in ſonſt etwas. Dieß iſt es eben, was uns ſo aufgelegt macht, eine Aktion, die wir nur von ihrer aͤußerlichen Seite anſehen, auch nach ihren innern Thaͤtigkeiten unsvorzu -647der Vorſtellungskraft c.vorzuſtellen. Dann kommt es uns vor, als haͤtten wir dieſe Vorſtellung ohne vorhergegangene Empfindung erlanget.

Dieß vorausgeſetzt, ſo meine ich, folgende zwey Gruͤnde bringen es zur Gewißheit, daß es ſich mit un - ſern Vorſtellungen von Handlungen ſo verhalte, wie ichs angezeigt. 1) Solche Vorſtellungen, die wir von einer noch nie vorher verrichteten Aktion uns zum voraus ma - chen, und die wir zergliedern koͤnnen, finden wir aus an - dern vorhergegangenen Empfindungsaktionen zuſammen - geſetzet. Dieß iſt ein entſcheidender Beweis, daß ſie nicht erſt jetzo in der Vorſtellung erzeuget worden ſind, ſondern vormaligen Empfindungen zugehoͤren. Man kann hinzu ſetzen, daß alle ſolche vorlaͤufig gemachte Jdeen von Aktionen, die wir uns zu verrichten vornehmen, ſich zu den nachher erfolgenden Empfindungen derſelbigen Aktionen eben ſo verhalten, wie unſere ſonſtigen Fiktio - nen, die wir zum voraus machen, zu den nachherigen Empfindungen. Man vergleiche die vorlaufende Jdee von einer Arbeit, die man hat, ehe man ſie verrichtet, mit derjenigen, die man nach dem Verſuch erhalten hat.

2) Andere Beyſpiele von Jdeen gewiſſer Handlun - gen, die wir haben ſollten, ehe wir ſie aus der Selbſtver - richtung kennen gelernet, finden ſich nicht, als die vor - erwaͤhnten, welche offenbar Wirkungen der Dichtkraft ſind, wozu die vormaligen Empfindungen die Beſtand - theile enthalten. Jn Hinſicht der uͤbrigen bleibet es bey dem allgemeinen Erfahrungsſatz, der oben zum Grunde geleget iſt, daß naͤmlich jedwede Aeußerung der thaͤtigen Vermoͤgen der Seele, vorher inſtinktartig, ohne Vor - ſtellung, als eine blinde Regung vorhanden geweſen, und gefuͤhlet worden iſt, ehe davon eine Vorſtellung oder Jdee in uns hat entſtehen koͤnnen.

Sollten Ausnahmen hierbey ſeyn? Vielleicht giebt es ſelbſtgemachte Jdeen von Aktionen, die wir in ihreS s 4einfache648X. Verſuch. Ueber die Beziehungeinfache Beſtandtheile aus den Empfindungen her, nicht aufloͤſen koͤnnen; alſo ſolche, die dem Schein nach ein - fach ſind, und doch neugemacht. Vielleicht giebt es viele von dieſer Art. Aber giebt es nicht auch derglei - chen Vorſtellungen von andern, auch ſichtbaren Objekten, die dennoch keine wahre Einwendung gegen den Urſprung aller Vorſtellungen aus der Empfindung begruͤnden? Was hieraus folget, iſt offenbar die Beſtaͤtigung des obi - gen Schluſſes uͤber die Natur unſerer Vorſtellungen von Aktionen. Die wieder zuruͤckkehrende Anwandlung in dem Jnnern zu derſelbigen Kraftaͤußerung, die ſich in jeder ſolcher Vorſtellungen wahrnehmen laͤſſet, beziehet ſich auf eine vorhergegangene Empfindung, und iſt eine von dieſer zuruͤckgebliebene wiedererregte Dispoſition.

La Fontaine hatte noch keine Fabeln gemacht, als ihm der Gedanke einfiel, er koͤnne ſolche Auſſaͤtze wohl nach machen, als ihm ſein Lehrer vorgeleſen hatte, und zugleich auch der Trieb zu dieſer Art von Arbeiten auf - ſtieg. Hier gieng eine Vorſtellung von der Dichterar - beit noch vor dem Verſuch vorher. Aus dem vorher erinnerten laſſen ſolche Beyſpiele ſich leicht erklaͤren, und dieſe Erklaͤrung ſtimmet wiederum mit der unmittelba - ren Erfahrung uͤberein. Das ſich ſelbſt noch unbekannte Genie des genannten Dichters empfand, was jedes Genie empfindet, wenn ein Zufall es auf Geſchaͤfte fuͤhrt, die ihm angemeſſen ſind. Es entſteht Luſt, Begierde, reges Beſtreben, und ein Anſatz zur Wirkſamkeit, ſobald eine geringe vorlaufende Empfindung es wittern laͤßt, daß es einen freyen Kreis vor ſich hat, in den es ſich ausbreiten kann. Dieß iſt eine Empfindung, wodurch die ſo leicht reizbare Kraft erreget wird. Dieſe geht unmittelbar und inſtinktartig hervor, bearbeitet Jdeen, und findet Wirkungen, welche er mit dem vorgelegten Muſter ver - gleicht, und dieſem aͤhnlich findet. Dann macht er ſich eine Vorſtellung von der Arbeit, und es entſteht einVor -649der Vorſtellungskraft c.Vorſatz, oder ein Wollen nach dieſer Vorſtellung. Die erſte Anwandelung zur Thaͤtigkeit iſt keine Vorſtellung einer Aktion, ſondern eine neue urſpruͤngliche Aktion, die durch innere Empfindniſſe gewirket wird, und aus dem innern Princip der Seele hervorbricht. Wir koͤnnen etwas verrichten, was wir noch niemalen verrichtet ha - ben, auf dieſelbige Weiſe, wie wir etwas ſehen koͤnnen, ſo wir nie vorher geſehen haben; nur daß jede neue An - wendung unſerer Kraft eine eigene vorhergehende Em - pfindung erfodert. Aber da ſind es nicht bloße Phan - tasmate, welche die Aktion hervorbringen, es muͤßten denn ſolche ſeyn, die wiederum in volle Empfindungen uͤbergegangen ſind.

Jch meine alſo, es ſey der Satz ins Reine gebracht, daß diejenige wieder zuruͤckkehrende Aktion, die das we - ſentlichſte Stuͤck in der Wiedervorſtellung von einer Aktion ausmacht, etwas zuruͤckgebliebenes von ihr ſey, wie das Bild der Farbe von dem Anſchauen derſelben. Jene Vorſtellung iſt daher in dem naͤmlichen Verſtande eine Vorſtellung von der Aktion, wie es jedwede an - dere Art von Vorſtellungen iſt.

S s 5III. Aufloͤ -650X. Verſuch. Ueber die Beziehung

III. Aufloͤſung einiger pſychologiſchen Aufgaben, aus der Natur unſerer Vorſtellungen von Aktionen.

  • 1) Warum Leute von großer praktiſchen Fertigkeit in einer Art von Handlungen weniger aufgelegt ſind, ſolche deutlich zu beſchreiben, und warum umgekehrt die Geſchicklichkeit zu dem letztern ſo oft von der Ausuͤbungsfertigkeit getrennet iſt?
  • 2) Was das Weſentliche in den Fertigkei - ten ſey?
  • 3) Worinn das Nachahmungsvermoͤgen be - ſtehe?
  • 4) Auf welche Art das Mitgefuͤhl ſich aͤu - ßere?
  • 5) Die Macht der Einbildungskraft auf den Koͤrper beruhet auf der Natur der Vorſtellungen von Handlungen.

Um meine Leſer und mich ſelbſt etwas zu zerſtreuen, ſey mir eine Ausbeugung auf einige Nebenbetrach - tungen erlaubt. Es giebt einige pſychologiſche Aufga - ben, die zwar ſchon oft, aber ſelten bis auf ihre erſten Gruͤnde, aufgeloͤſet ſind. Es ſind pſychologiſche Er - ſcheinungen, davon der Grund in der Natur unſerer Vorſtellungen lieget, die wir von Handlungen haben. Sie ſind zugleich Beyſpiele, wie fruchtbar der zuletzt an - gefuͤhrte Grundſatz ſey, und neue Beweiſe deſſelben aus der Erfahrung.

Die erſte Frage ſey dieſe: Wie gehet es zu, daß ſo oft Perſonen, die eine große Fertigkeit in einer Art von651der Vorſtellungskraft c. von Handlungen beſitzen, ſo wenig aufgeleget ſind, ſol - che deutlich zu beſchreiben, und umgekehrt, daß die, welche ſie lebhaft beſchreiben koͤnnen, oftmals keine be - ſondere Staͤrke beſitzen, ſie auszuuͤben? Warum hat man nur allzuoft Urſache, dem, der von der Tugend, der Froͤmmigkeit, von der Regierungskunſt, von der Beherrſchung ſeiner ſelbſt, u. ſ. f. ſehr lebhaft deklami - ret, wenige praktiſche Staͤrke darinn zuzutrauen?

Dieſe Frage ſcheinet etwas paradoxes zu ſagen. Kei - ner kann eine Vorſtellung von einer Handlung baben, die er nicht ſelbſt ausgeuͤbt hat, entweder zuſammen in ihrem Ganzen, oder nach ihren einzelnen Theilen. Wenn alſo die Vorſtellung von einer Tugend bey jemanden leb - haft iſt, ſo muß zum mindeſten ein Anfang dieſer Fertig - keit vorhanden ſeyn. Wer eine Ruͤhrung des Herzens darſtellen ſoll, muß ja ſelbſt geruͤhret ſeyn; und muß nicht auch das Herz von tugendhaften Geſinnungen wal - len, wenn der Verſtand ſolche deutlich denken, und die Phantaſie ſie in ihren Wirkungen lebhaft faſſen ſoll? Eine ſtarke volle Beſchreibung der Tugend ſollte alſo ein guͤnſtiges Vorurtheil fuͤr den Redner oder Poeten erwe - cken, der ſie ſchildert. Warum alſo ein nachtheiliges, wie in der Frage angenommen wird, und wie die Er - fahrung es lehret?

Zum voraus bitte ich, man erinnere ſich, daß dieſe Regel zu der Phyſiognomie der Geiſter gehoͤre, und be - huͤte der Himmel! daß ich eine einzige derſelben fuͤr ſo allgemein richtig anerkennen ſollte, daß keine Ausnahme geſtattet wuͤrde. Selten ſind doch die Heldenſeelen, die zugleich das Jnnere ihrer Thaten beſchreiben, ſelten die ſtarken Denker, die die Schritte ihrer Denkkraft deut - lich angeben; ſelten die Virtuoſen in der Kunſt, welche zugleich die beſten Anweiſungen zur Ausuͤbung ertheilen! Wenn ſie es thun, ſo haben ihre Beſchreibungen auch einen eigenen Charakter.

Jede652X. Verſuch. Ueber die Beziehung

Jede Handlung von einiger Laͤnge enthaͤlt ihre Rei - he von innern Thaͤtigkeiten und von innern Gefuͤhlen in der Seele, und zugleich eine andere von aͤußern Wirkungen, die aͤußerlich empfunden werden koͤnnen. Mit dieſen ſind Reihen von Vorſtellungen verbunden, welche die Aktion begleiten, und in die Richtung der Kraft, obgleich nur mittelbar, einen Einfluß haben. Die erſtgedachten innern Gefuͤhle ſind groͤßtentheils un - ausſprechlich. Wer andern eine Vorſtellung von einer Aktion beybringen will, muß ſolches durch die Darſtel - lung der aͤußern Merkmale bewerkſtelligen. Dazu aber wird eine vorzuͤgliche Aufmerkſamkeit auf dieſe letztern er - fordert, und eben dieß ſchließet die Beſchaͤftigkeit mit der Aktion ſelbſt zum Theil aus. Der Maler, der das Bild des Zorns aus dem Geſicht des Zornigen aufneh - men will, muß in der That ſelbſt ohne Leidenſchaft ſeyn, ſonſten faſſet er die charakteriſtiſchen Zuͤge nicht ſtark genug. Denn in der Leidenſchaft ſelbſt beobachtet man nicht genau, und deutlich, obgleich in Hinſicht der Leb - haftigkeit der Affekt die Sinne ſchaͤrfen kann. So ver - haͤlt es ſich bey jedweder Seelenthaͤtigkeit. Man beob - achtet ihre aͤußerlichkennbare Seite deſto weniger, je groͤßer die Jntenſion iſt, mit der die Seele in dem Jn - nern beſchaͤftiget iſt. Die Beobachtung des Aeußerli - chen kann nachgeholet werden; aber dieß iſt alsdenn auch eine andere Seite der Aktion, wo manche Zuͤge demjenigen entwiſchen muͤſſen, der nicht eben ſo ſtark am Beobachtungsgeiſte als an Handlungsfertigkeit iſt.

Daraus wird die obige Erfahrung begreiflich. Es kann jemand die Aktionen beſchreiben nach ihren aͤußern Wirkungen, auf eine Art, die lebhaft iſt, und einen ſtar - ken Eindruck bey ſolchen Perſonen machet, welche ohne - dieß eine vorzuͤgliche Anlage zu derſelbigen Kraftaͤuße - rung beſitzen. Und dennoch iſt es an ſich nicht unmoͤg - lich, daß ihm das Weſentliche der Vorſtellung von die -ſer653der Vorſtellungskraft c. ſer Aktion ſogar gaͤnzlich mangele. Wenn dieß letztere nun zwar ein ſehr ſeltener Fall iſt, ſo iſt es dagegen deſto gewoͤhnlicher, daß nur matte Vorſtellungen von der Hand - lung damit verbunden ſind.

Es iſt natuͤrlich, wenn die Seelenkraft ſtaͤrker auf die Bemerkung der aͤußerlichen Wirkungen gerichtet iſt, ſo wird ſie deſto weniger mit der Nachmachung der in - nern Aktionen ſelbſt beſchaͤftiget ſeyn koͤnnen, und umge - kehrt. Wer lebhaft ſchildert, beweiſet, daß ſeine Seele in der erſten Richtung, als Beobachtungsgeiſt am thaͤ - tigſten geweſen ſey; und deſto minder iſt ſie es in der letz - tern geweſen, als wirkſamen, beſtrebenden, handelnden Kraft. Auf dieſe Art werden die Tugenden erzeugt, die nur Kinder der Phantaſie ſind. Sie ſind ſelten ohne einige Wallungen des Herzens, und ohne Empfin - dungen, die ſie begleiten; aber ſie ſind nicht die ſtarken Fertigkeiten in der Thaͤtigkeitskraft, ſondern vielmehr Fertigkeiten, es bey den erſten halben ſchwachen Anfaͤngen der Aktionen bewenden zu laſſen, und die Seelenkraft mehr auf die Reproduktionen der Aeußern Wirkungen hinzulenken. Daher das Uebertriebene von dieſer Seite, das Heftige, das Zudringende, welches nur einige lei - dentliche Empfindungen bey andern hervorbringet, und weniger thaͤtige Entſchluͤſſe und ſtarke Ausuͤbungen be - foͤrdert. Dagegen ſieht man, daß der, welcher aus dem Gefuͤhl eigener innerer Fertigkeit redet, weniger die Außenſeite der Aktion vor Augen zu legen ſuchet, und wenn er es thut, ſo thut, daß er in und durch dieſe auf die unausdruͤckliche innere Aktion hinweiſet. Dieß iſt das Gepraͤge der Meiſter in der Kunſt, das ſie ihren praktiſchen Vorſchriften aufdrucken.

2.

Die zwote Frage: Worinnen beſtehet das Weſentliche einer Fertigkeit, die innere Staͤrke,die654X. Verſuch. Ueber die Beziehungdie Erhoͤhungen der Kraͤfte und Vermoͤgen, und wie werden ſolche erlanget? Die aus der Aſſociation der Vorſtellungen alles erklaͤren, ſtellen ſich vor, als komme es auf einer leichtern Reproducibi - litaͤt der Vorſtellungen von den Gegenſtaͤnden an, mit welchen ſich die thaͤtige Kraft beſchaͤftiget. Aber kann es das alles ſeyn, wenn nicht ſelbſt die hinterblie - benen Dispoſitionen der Kraft leichter auf gewiſſe Wei - ſen hervorzugehen, dieſe Vorſtellungen von den Aktionen ſelbſt dazu genommen werden? Soll jemand eine Fer - tigkeit erwerben, ſo muß es ihm freylich auch leicht wer - den, die ganze Reihe der aͤußern Empfindungen und der Vorſtellungen, die zu den beyden Außenſeiten der Hand - lung gehoͤren, zu erneuern, aber dieß macht noch nicht einmal eine Leichtigkeit aus, die Vorſtellung von der Aktion nach dem innern Beſtandtheil zu reproduciren. Die Dispoſition, eine Handlung ſich leicht wieder vor - ſtellen zu koͤnnen, iſt ſelbſt eine Dispoſition in demſel - bigen Vermoͤgen zur Thaͤtigkeit, und beſtehet in einer innern Leichtigkeit, die ſchwache Anfaͤnge der Aktion zu wiederholen, ohne von Empfindungen dazu gereizt zu ſeyn. Noch weniger macht jene die Fertigkeit in der Handlung ſelbſt aus. Denn die Fertigkeit, etwas zu ver - richten, erfodert noch mehr, als die Fertigkeit, die er - ſten Anfaͤnge den Aktion in dem Jnnern zu erneuern. Die Wiedervorſtellung der Aktion iſt noch keine Wiederholung derſelben, ſo wenig als die Erinnerung an einen Freund ſo viel iſt, als ihn wiederſehen. Aber wo eine Fertigkeit ſtatt findet, da muß es leicht ſeyn, die erſten Anfaͤnge der Handlung hervorgehen, und zur wirklichen Thaͤtigkeit kommen zu laſſen, ohne daß es ſo ſtark reizender Empfindungen und einer ſo großen An - ſtrengung beduͤrfe, als vorher, da die Fertigkeit noch nicht entſtanden war.

Die655der Vorſtellungskraft c.

Die Leichtigkeit, die Vorſtellung von einer Aktion in ihrem Jnnern zu erneuern, iſt alſo ein hoͤherer Grad des innern Vermoͤgens, die erſten Anfaͤnge der Aktion anzunehmen. Die Fertigkeit, die Handlung ſelbſt zu wiederholen, oder die eigentliche Fertigkeit iſt ein hoͤherer Grad in dem Vermoͤgen ſelbſt, womit man handelt.

Aber das Vermoͤgen der Seele, womit ſie wirket, wenn ſie thaͤtig iſt, kann kein anderes als daſſelbige ſeyn, welches auf eine aͤhnliche obgleich ſchwache Art wirket, wenn nur die erſten Anfaͤnge der Aktion vorhanden ſind. Die Fertigkeit eine Handlung ſich vorzuſtellen iſt alſo ein Beſtandtheil von der Fertigkeit, die Handlung ſelbſt vorzunehmen. Jene iſt eine Leich - tigkeit ſie anzufangen, dieſe eine Leichtigkeit ſie weiter fort - zuſetzen. Die letztere kann fehlen, wo die erſtere vor - handen iſt, aber wo die letztere, die Fertigkeit zu ver - richten, vorhanden iſt, da muß die Fertigkeit ſie anzufan - gen nothwendig zugleich ſeyn.

Jndeſſen iſt es doch zu bemerken, daß dieß eigent - lich nur von Seelenhandlungen gelte, und zunaͤchſt nur von Fertigkeiten, die durch Uebung erlanget werden, und bey welchen wir die vorhergehende Vorſtellung von der zu verrichtenden Handlung von der wirklichen Ausrich - tung derſelben unterſcheiden koͤnnen. Von ſolchen Aktio - nen, die wir der Seele zwar zuſchreiben, welche ihr aber nur zum Theil zukommen, und wenigſtens außer ihr noch gewiſſe organiſche Kraͤfte im Koͤrper erfodern, ohne deren Beywirkung ſie nicht erfolgen koͤnnen, iſt nicht die Rede, wenigſtens nicht weiter, als in ſo ferne ſie Fer - tigkeiten und Handlungen in der Seele ſind. Was hilft dem Virtuoſen alle innere Anſtrengung, wenn die Gicht ſeine Finger oder Fuͤße laͤhmt?

Bey den Seelenhandlungen hingegen iſt es ſo, daß eine Fertigkeit, ſie hervorzubringen, eine Fertigkeit iſt, welche in dem Vermoͤgen zur Handlung ihren Sitz hat,und656X. Verſuch. Ueber die Beziehungund ein noch groͤßerer Grad deſſelben iſt, als die Fertig - keit, ſich die Handlung vorzuſtellen. Die letztere iſt eine Fertigkeit der Phantaſie, ein Phantasma hervorzu - bringen; die erſtere eine Fertigkeit, das Phantasma bis zur Lebhaftigkeit der Empfindungen auszubilden.

Die Fertigkeit zu handeln erfodert zugleich auch eine Fertigkeit, leidend die Wirkungen der Aktionen und an - dre Eindruͤcke, von denen die Kraft gereizet wird, auf - zunehmen und zu fuͤhlen. Das heißt, es muß auch in dem paſſiven Gefuͤhl eine Leichtigkeit zu gewiſſen Modi - fikationen und Ruͤhrungen erzeuget werden. Laßt uns alles in einem Beyſpiel ſehen. Wer fertig auf dem Kla - vier ſpielet, kann 1) die Noten geſchwinde in ihrer Rei - he gewahrnehmen. Wenn man geſchwinde lieſet, ſo uͤberſchlaͤget man viele Buchſtaben und Sylben. Em - pfinden wir nur den erſten Anfang eines Worts, ſo bil - det die Phantaſie das ganze Wort aus. Das naͤmliche geſchicht bey den Noten. Es ſind alſo dieſe Vorſtellun - gen nur zum Theil Empfindungen, und werden voͤllig ausgebildet durch die Phantaſie. Die Noten ſelbſt brau - chen nicht einmal vor Augen zu liegen. Bekannte Stuͤ - cke ſpielt man aus dem Kopf. Es wirken 2) in dem Jnnern die Empfindniſſe, das Gefallen oder Misfallen, und dann ſind dieſe Gemuͤthsbewegungen nur zum Theil neue Wirkungen jener Eindruͤcke, und beſtehen groͤßten - theils in wiedererweckten Dispoſitionen aus vorhergegan - genen Empfindniſſen. Dann entſtehen 3) die thaͤtigen Kraftanwendungen, die Bewegungen der Finger, in dem Spieler, die nicht minder nur in Hinſicht eines Theils durch die gegenwaͤrtige Empfindungen von neuem erreget werden, zum Theil aber Reproduktionen ſind, die aus vorhergegangenen hinterlaſſenen Dispoſitionen ent - ſpringen, und alſo auf die Staͤrke in der Kraft beruhen, womit ſie die Vorſtellungen von den Spielsthaͤtigkeiten erneuern koͤnne. Alles was in einer neuen Anwendungder657der Vorſtellungskraft c. der Fertigkeit enthalten iſt, beſtehet zum Theil aus Re - produktionen; wie das geſchwinde etwas uͤberſehen, nur halb ein Sehen, und halb ein Einbilden iſt.

Daraus folget, daß die Fertigkeit zwar eine Fertig - keit erfodere, gewiſſe Jdeenreihen ohne merkliche Muͤhe zu reproduciren; aber wenn man ſich ſo ausdruͤcken will, ſo muß die Vorſtellung von der Thaͤtigkeit ſelbſt als der weſentlichſte Beſtandtheil nicht ausgeſchloſſen, und die uns gelaͤufig ſeyn ſollende Jdeenreihe nicht auf die Jdeen von den Gegenſtaͤnden und andere aͤußerlich empfindbare Veraͤnderungen eingeſchraͤnket werden.

Die Vorſtellungen aus aͤußern Empfindungen koͤn - nen der Regel nach nicht wiederum bis zu Empfindun - gen hervorgehen, ohne daß auch von außen der ehema - lige Eindruck hinzu komme. Denn das Phantasma von dem Mond wird nicht Empfindung von dem Monde, wenn nicht das Auge von außen her geruͤhret wird. Daſſelbige treffen wir zwar auch in den Gemuͤthszuſtaͤn - den und in den Handlungen an, aber in einem unterſchie - denen Grade. Ein Menſch kann ſich durch ſeine Jma - ginationen ſo lebhaft wieder erhitzen oder beunruhigen, als er es durch die Empfindungen geweſen iſt, und noch ſtaͤrker. Die Wiedervorſtellungen der Empfindniſſe ge - hen naͤmlich leichter in wahre Empfindungen uͤber, als jene; und ſo auch wie die Erfahrung lehret, die innern Willensthaͤtigkeiten. Jſt die Fertigkeit zur Handlung recht groß, ſo darf man ſich ſolche nur ein wenig lebhaft vorſtellen, und die ganze Aktion erfolget. Und dieß er - aͤugnet ſich gar bey vielen, die von koͤrperlichen Kraͤften abhangen. Einige Leute gaͤhnen nicht nur, wenn ſie an - dere gaͤhnen ſehen, ſondern alsdenn ſchon, wenn ſie ſichs bey andern nur lebhaft vorſtellen.

Die Fertigkeiten, welche wir uns erwerben muͤſſen, entſtehen| nur aus der Handlung ſelbſt, und die Hand - lung erfolget nur auf Empfindniſſe. Die Jdee von derI. Band. T tAbſicht,658X. Verſuch. Ueber die BeziehungAbſicht, oder von dem Endzweck, der bewirket werden ſoll, kann ſelbſt die reizenden Empfindniſſe veranlaſſen, und dann wirket ſie als eine Modifikation der Seele als Bewegungsgrund. Jn ſo ferne ſie aber bloß eine Vor - ſtellung von dem iſt, was hervorgebracht werden ſoll, beſtehet ihr ganzer Effekt darinn, daß ſie, wie das Jdeal bey dem Maler, der thaͤtigen Kraft die gehoͤrigen Rich - tungen giebet, und ſie in ihr Gleiß wieder hineinlenket, wenn ſie abweichet. Wer der Jugend gute moraliſche Jdeen und Vorſchriften beybringet, giebt ihr eine Richt - ſchnur ihres Verhaltens, ein Jdeal und einen Kompaß. Aber Empfindniſſe ſind noͤthig, wenn bewegende Kraft in die Seele gebracht werden ſoll; und Uebung, mehr oder minder, wenn Fertigkeiten erzeuget werden ſollen.

Es giebt natuͤrliche Fertigkeiten, und einige der erworbenen koͤnnen ſo ſtark werden, daß man bey ih - nen eben ſo wenig wie bey jenen, die anſchauliche Vor - ſtellung der Handlung von der Handlung ſelbſt mehr un - terſcheiden kann. Jn dieſem entwickeln ſich die erſten Anfaͤnge der Aktion ſo ſchnell zur voͤlligen Aktion, daß man den allmaͤhligen Fortgang nicht gewahrnehmen, noch dieſe Folge irgendwo unterbrechen kann. Jm uͤbrigen haben ſie einerley Natur mit den erworbenen. Sie be - ſtehen in Diſpoſitionen zu handeln, die ſchon ſolche Leich - tigkeiten ſind, daß ſie ſelten noch vergroͤßert werden koͤnnen.

Jch ſchließe dieſe Betrachtung uͤber die Fertigkeiten mit folgender Anmerkung. Jede Fertigkeit iſt ein ge - ſtaͤrktes oder erhoͤhetes Vermoͤgen. Sie enthaͤlt alſo eine Groͤße, Quantitaͤt, und entſtehet auch, wie eine jedwede Groͤße, aus einer Mehrheit des Aehnlichen, das in Eins vereiniget wird, (quantitas eſt pluralitas eo - rundem in uno). Jedwede aͤhnliche Handlung, ſo ferne ſie dieſelbige iſt, hinterlaͤßt eine aͤhnliche Spur, die ſich zu den vorhergehenden geſellet, und eine Aufhaͤu -fung659der Vorſtellungskraft c. ſung aͤhnlicher Spuren, zu Einer großen Spur aus - machet.

Dieſer Begriff fuͤhret uns zugleich auf die verſchie - dene Dimenſionen, die wir in den Fertigkeiten gewahr - nehmen, und auf ihre Entſtehungsart.

Es giebt zuerſt eine gewiſſe Promtituͤde, das Ver - moͤgen bey jeder auch entfernten Veranlaſſung anzuwen - den, da man ſo zu ſagen, es uͤberall bey der Hand hat. Dieß iſt nicht die innere Groͤße des Vermoͤgens ſelbſt. Es iſt noch kein großer Verſtand, der uͤber alles gleich weg raiſonnirt; noch ein witziges Genie, das bey allen Gelegenheiten aufgeſammlete Einfaͤlle vorbringer, oder ein lebendes Vademecum iſt, ſo wenig als ein allzeit fertiger Reimer ein Poet iſt.

Dieſe Fertigkeit, von ſeinem Vermoͤgen Gebrauch zu machen, iſt indeſſen an ſich eine wahre Realitaͤt, ſo ferne ſie nur keiner andern wichtigern im Wege ſtehet. Es iſt leicht zu begreifen, daß ſolche von der Aſſociation der Fertigkeit mit mehrern verſchiedenen Jdeen abhange. Denn an je mehrere Vorſtellungen die Vorſtellung von der Aktion gebunden iſt, deſto haͤufiger und leichter wird die Seele auf ſie zuruͤck gefuͤhret, und deſto haͤufiger wird die Wirkſamkeit des Vermoͤgens veranlaſſet und ge - reizet.

Allein bey der innern Groͤße in dem erhoͤheten Vermoͤgen ſelbſt, finden wir eine Ausdehnung oder einen Umfang; und dieſe Dimenſion iſt von der Staͤrke oder Jntenſion deſſelben unterſchieden, bey der noch wiederum die Groͤße in dem Anſatz, die Lebhaftig - keit, und die Groͤße des Aushaltens oder der Nach - druck, die Protenſion, als verſchiedene Modifikationen von dieſer innern Staͤrke vorkommen.

Die Ausdehnung der Kraft zeiget ſich in den meh - rern, zwar gleichartigen aber doch verſchiedenen Handlungen, die zu Einer Gattung gehoͤren, und ſichT t 2darum660X. Verſuch. Ueber die Beziehungdarum auf Eine Fertigkeit beziehen. Die Fertigkeit des Spielers, der auf allen Jnſtrumenten ſpielet, iſt eine ausgedehnte Spielfertigkeit. Das Vermoͤgen, nur Ein Jnſtrument auf alle Arten zu gebrauchen, hat in ſoweit gleichfalls ſeine Ausdehnung, als dieſe Arten von einan - der verſchieden ſind.

Wenn die Handlungen, woraus die Fertigkeit er - wachſen iſt, nebſt ihrer Hauptuͤbereinſtimmung zugleich merkliche Verſchiedenheiten gehabt haben, ſo ſind auch die hinterbliebene Spuren von dieſen Aktionen zum Theil nur ſich aͤhnlich und dieſelbigen, zum Theil aber unaͤhn - lich und verſchieden, und fallen alſo nach einem allge - meinen Geſetz der Vorſtellungskraft, nur zum Theil auf einander, zum Theil aber neben einander, oder mit andern Worten, ſie werden nur zum Theil vereint, zum Theil aber nur verbunden, dem Raum oder der Zeit nach. So fern dieſe Spuren verſchieden ſind, ma - chen ſie Verſchiedenheiten in der Fertigkeit aus, und er - zeugen gar verſchiedene ungleichartige Fertigkeiten, wenn ſie ſelbſt ungleichartig ſind. Denn in dieſem Fall entſtehet nicht einmal eine Verbindung zwiſchen ihnen, und noch weniger eine Vereinigung; alſo wird auch durch ihre Aufhaͤufung keine einzelne Groͤße erzeuget. Die Groͤße in einem und demſelben Vermoͤgen waͤchſet nur durch das Aehnliche in den Spuren. Jſt nun in den einfachen Spuren ſo viele Jdentitaͤt, daß ihr Ganzes eine Groͤße wird, ſo bekommt dieſe Groͤße in ſo weit eine Ausdehnung, als dieſe Spuren verſchieden ſind. Nur muß ihre Verſchiedenheit die Gleichartigkeit nicht aufheben. Wenn ſie bis ſo weit gehet, ſo werden ver - ſchiedene Fertigkeiten erzeuget, die ſich einander alle - mal in ſo weit hindern, als ſie die Kraft der Seele un - ter ſich vertheilen, zuweilen einander aufheben oder doch ſchwaͤchen. Das letztere iſt die Wirkung von der Ver - ſchiedenheit in den Vorſtellungen, ſo bald dieſe ſich zu -gleich661der Vorſtellungskraft c. gleich neben einander in der Seele erhalten und ihre Kraft beſchaͤftigen wollen. Denn das bekannte: appoſita juxta ſepoſita magis eluceſcunt, gilt nur in ſolchen Faͤllen, wo der vorhergehende verſchiedene Zuſtand den nachfol - genden Platz machet, und nur die Neuheit bey dem letz - tern vergroͤßert. Hiedurch wirken die abſtechende Far - ben, und Toͤne, und die kontraſtirenden Jdeen in der Phantaſie. Bleibet dagegen die vorhergehende Modi - fikation in der Seele auch nur zum Theil zuruͤck, wenn eine andere von ihr verſchiedene nachfolget, ſo mag jene oder dieſe die herrſchende werden, entweder ſie vermi - ſchen ſich in eine dritte zuſammen, oder wenn die Seele ſie nicht zugleich umfaſſen kann, ſo ſchwaͤchen und ver - theilen ſie einander. Und auch da, wo ſie in eine dritte zuſammenflieſſen, haben doch alle beide einzeln von ein - ander gelitten. Daher muß auch jede Ausdehnung ei - ner Fertigkeit in dem endlichen Weſen die innere Staͤrke der Fertigkeit ſelbſt vermindern, wofern dieſe nicht an - derswoher neue Nahrung empfaͤngt.

2) Die innere Staͤrke der Fertigkeit iſt eine Folge von der Aehnlichkeit oder Einerleyheit der Spuren, welche die Vorſtellungen von der Aktion aus - machen und darum auf einander fallen. Dieſe Vorſtel - lungen richten ſich nach den Handlungen, und ihre Ver - einigung nach ihrer eigenen Aehnlichkeit. Aber die Groͤße der Fertigkeit, welche entſtehet, als eine ganze Fertigkeit aus einfachen, die ihre Theile ſind, haͤngt zu - gleich auch von der Beſchaffenheit des Vermoͤgens, oder der Anlage und Dispoſition ab, ohne der Menge von Handlungen, womit die Uebung geſchicht, zu entſpre - chen, weil das Vermoͤgen der Seele die aus der Hand - lung empfangene Spur mit andern vorraͤthigen, die ſie aus aͤhnlichen Modifikationen herausziehet, vermehren und vereinigen kann. Das mehr oder weniger zu etwas aufgelegt ſeyn beſteht darinn, daß in demT t 3Jnnern662X. Verſuch. Ueber die BeziehungJnnern der Seele mehr oder weniger von demjenigen vorhanden iſt, was entweder fuͤr ſich ſchon ein Beſtand - theil der ganzen Modifikation iſt, die ſie thaͤtig bewir - ken oder leidend annehmen ſoll, oder doch durch eine Ab - ſonderung, Ausſcheidung, oder Verbindung und Mi - ſchung darzu gemacht werden kann. Dieß iſt der Grund der oft augenblicklich, und zuweilen unvermuthet entſte - henden Fertigkeiten, die wie durch einen Sprung hervor - getrieben zu werden ſcheinen.

Dieſe Staͤrke der Fertigkeit beſtehet zuweilen mehr in Lebhaftigkeit, in der Groͤße des erſten Anſatzes, ohne daß ein Nachdruck von merklicher Groͤße erfolge; zuweilen iſt mehr Staͤrke im Aushalten, als im erſten Anſetzen da. Die lebhaften Genies, und die mehr dieß als tiefe Genies ſind, wirken mit ihrer ganzen Staͤrke auf einmal, in einem Nu. Jhre Gedanken ſind Blicke, und der Ausdruck ein Wurf. Sind es wirklich große Genies, ſo ſind jene Blitze, die aber ſchnell voruͤber ge - hen. Jn den Fertigkeiten der hoͤhern Verſtandeskraͤfte iſt es ſelten dieſe Dimenſion, worinn ſie am groͤßten ſind, ſondern ihre groͤßte Kraft beſtehet in dem Anhalten und Durchſetzen.

Dieſe Abaͤnderungen laſſen ſich daraus erklaͤren, daß die Menge der einfachen Theile, welche zuſammen die ganze Fertigkeit ausmachen, in einem Fall mehr von allen fremden Vorſtellungen anderer Aktionen abgeſon - dert, in dem andern aber mit mehreren dergleichen ver - bunden ſind. Jſt die ganze Fertigkeit in der Seele von fremden Vorſtellungen abgeſondert, ſo geht jene auf ein - mal ganz hervor, und ſetzet heftig an, verzehret ſich aber bald, wenn die Vorſtellung von der Aktion in die volle Empfindung hinuͤber iſt. Jſt dagegen die Fertigkeit mit| vielen andern Vorſtellungen aſſociirt, ſo liegen neben ihr auch Anfaͤtze zu mehreren Handlungen, welche die Kraft der Seele auf ſich ziehen, und es verhindern, daßſie663der Vorſtellungskraft c. ſie nicht ſo gleich ſich gaͤnzlich mit jener aͤußern kann. Wenn nun aber dieſe Nebenanlaͤſſe die Kraft von ih - rer ſtaͤrkern Richtung nicht abwenden, ſo halten ſie ſolche nur auf, und machen es ihr moͤglich, laͤnger dieſelbige Art der Wirkſamkeit fortzuſetzen.

Das zu ſchnelle Ablaufen der Kraft iſt eine Unvoll - kommenheit, wenn es aus einem Mangel an aſſociirten Jdeen herruͤhret, die entweder in der Seele nicht ſind, oder von ihr nicht verbunden werden koͤnnen. So iſt es mit der Lebhaftigkeit der Kinder, die allemal ein Beweis iſt von einem gewiſſen Grad der Staͤrke, aber zugleich auf der andern Seite Schwaͤche verraͤth, welche entwe - der keine zuruͤckhaltende Vorſtellungen in ſich hat, oder ſie nicht zu gebrauchen weis. Aber ſie iſt eine Vollkom - menheit, wenn es nicht der Mangel an Vorſtellungen, ſondern die Selbſtthaͤtigkeit der Seele iſt, welche die Thaͤtigkeit beſchleuniget, indem ſie die zerſtreuende und aufhaltende Vorſtellungen unterdruͤcket, zuruͤckhaͤlt, und dadurch die ganze Staͤrke der Kraft auf Eine Sache und auf einen Zeitpunkt zuſammendraͤnget.

Gleichfalls iſt das Allmaͤhlige in der Handlung eine Unvollkommenheit und Schwaͤche, wenn die Fer - tigkeit zu wenig ein Eins iſt, und ihre Theile durch ein - gemiſchte fremde Vorſtellungen zu ſehr von einander ab - geſondert ſind, um auf Einen Punkt zuſammengebracht werden zu koͤnnen. So iſt auch in dieſem Fall das Zau - dern uͤber eine Sache eine Schwaͤche, weil es ein Unver - moͤgen zum Grunde hat, die fremden Vorſtellungen, welche die Aktion aufhalten, genugſam zu entfernen. Aber es iſt Staͤrke und Vollkommenheit, wenn die Seele aus Eigenmacht fremde Vorſtellungen in ſich unterhal - ten, und mit dieſen wie mit Sperraͤdern die zu ſchnelle Aeußerung des Vermoͤgens hindern, und deſſen Wirk - ſamkeit in die Laͤnge ziehen kann. Sie ſchonet alsdenn ihr Feuer, bedecket es mit neuen Kohlen, und beſpritzetT t 4es664X. Verſuch. Ueber die Beziehunges mit Waſſer, um die Glut anhaltender und ſtaͤrker zu machen.

Was weiter aus dieſen Begriffen gezogen werden kann, zumal wenn man den Allgemeinbegrif von der Fertigkeit naͤher durch die Natur einer fuͤhlenden, und vorſtellenden Kraft zu beſtimmen ſucht, und die Folgen mit den Erfahrungen, wie Fertigkeiten entſtehen, ver - groͤßert, und wiederum geſchwaͤcht und vertilget werden, vergleichen will, das gehoͤret nicht zu meiner gegenwaͤr - tigen Abſicht, die mehr dahin gehet, Begriffe aus Be - obachtungen zu ſuchen, als Beobachtungen aus Begrif - fen zu erklaͤren. Daher muß ich mich an der Kuͤſte der Erfahrung zu halten ſuchen. Jch wuͤrde auch dieſes letz - tere Raiſonnement uͤber die Fertigkeiten mir nicht erlau - bet haben, wenn nicht der Unterſchied zwiſchen Ausdeh - nung und Jntenſion unſerer Fertigkeiten eine von den vornehmſten Beobachtungen bey der Entwickelung der menſchlichen Seele aufklaͤrte, nach der wir noch lange fortfahren, die Kraͤfte am Unfang zu vergroͤßern, wenn ſie an Jntenſion keinen merklichen Zuwachs mehr anzu - nehmen ſcheinen, davon ich anderswo ausfuͤhrlicher zu handeln Gelegenheit haben werde.

3.

Noch eine Aufgabe, die dritte: Wie geſchiehet das Nachmachen fremder Handlungen? Wie wirket unſere Sympathie?

Der Menſch iſt, wie Ariſtoteles geſagt hat ζωον μιμητικωτατον, das Thier, welches die groͤßte Ge - ſchicklichkeit zum Nachmachen beſitzet. Die Wirkungen dieſes Vermoͤgens ſind erſtaunlich, und, ſo viel ich weiß, hat man noch den eigentlichen Grund dieſes Vermoͤgens, aus dem ſeine ganze bis in das Jnnere der Natur ein - dringende Macht begreiflich wird, nicht deutlich genug aus einander geſetzt. Die vornehmſte Schwierigkeit lie -get665der Vorſtellungskraft c. get darinn. Wie kann eine Aktion nachgemachet wer - den, die ein anderer vor unſern Augen vornimmt, da wir doch von ihr weiter nichts ſehen, als ihre Außenſeite, oder den Theil von Veraͤnderungen, der in die aͤußern Sinne faͤllt, und den man kennen kann, ohne von dem Jnnern der Handlung ſelbſt die geringſte Jdee zu erlan - gen? Wir ſehen nicht in das Jnnerſte des Menſchen, wir fuͤhlen ſeine Anſtrengungen nicht, ſondern nur ihre aͤußerlichen Wirkungen, wie werden wir denn geſchickt gemacht, uns in ſeine Lage zu verſetzen, das naͤmliche innerlich zu empfinden, wie er, und unſere Kraft in die naͤmliche Richtung zu lenken, welche die ſeinige hat?

Dieſe Frage graͤnzet an die zwote: Wie wirket unſer Mitgefuͤhl? Wir ſehen Thraͤnen in den Au - gen eines andern; dieß iſt eine Geſichtsempfindung, wie entſtehet in der Seele die Traurigkeit? Es iſt zwar eine urſachliche Verbindung zwiſchen der Gemuͤthsbewegung in der Seele und zwiſchen ihrem aͤußern Ausbruch in den Augen, und wenn alſo unſer Auge zum Weinen ge - bracht wuͤrde, ſo wuͤrde das Herz das Empfindniß an - nehmen, welches von jenen die Quelle iſt; aber da wir nur die Thraͤnen bey andern ſehen; woher entſteht die Verbindung zwiſchen dieſer Geſichtsempfindung und zwi - ſchen dem Gefuͤhl in der Seele? Jſt dieſe urſpruͤnglich natuͤrlich, oder iſt ſie hinzugekommen, und eine Wir - kung von der Jdeenverknuͤpſung? die Beantwortung der obigen Frage wird die Beantwortung dieſer letztern zu - gleich mit an die Hand geben.

Wenn ein Genie zum Malen dem Meiſter zuſiehet, der ihm vorarbeitet, ſo beſteht alles, was er an dieſer Aktion mit den Augen ſiehet, in einer Reihe von ſichtli - chen Veraͤnderungen, die fuͤr ſich zwar allein empfunden werden koͤnnen, aber doch ſolche genau entſprechende Wirkungen der malenden Handlung ſind, daß ſie nir - gends anders entſtehen, als da, wo die ſie bewirkendeT t 5Hand -666X. Verſuch. Ueber die BeziehungHandlung, und zwar auf dieſelbige Art vorgenommen wird. Nun fuͤhlet der Zuſchauer auch bey ſich eine Ge - ſchmeidigkeit in der Hand; er fuͤhlt es, daß er ſolche mit leichter Muͤhe in mannigfaltige Stellungen bringen kann, oder weis dieß ſchon aus vorhergehenden Erfahrungen. Was geſchicht alſo? er wendet dieß Vermoͤgen an, be - ſtimmet ſich zur Thaͤtigkeit, leget die Hand und den Pin - ſel ſo, wie er es geſehen hat, und ziehet ſie fort auf die naͤmliche Weiſe. Dieſe erſte Thaͤtigkeit war nicht wei - ter beſtimmt, als durch den allgemeinen Vorſatz, er wollte malen, und durch die Jdee von dem Jdeal, welches er darſtellen wollte. Geſetzt, die Hand falle bey dem erſten Anſatz nicht ſo, als er bey dem Meiſter es geſehen hat, ſo aͤndert er es, und bringet ſie in eine andere Lage, bis er die naͤmliche erreichet, die er an ſeinem Vorgaͤn - ger bemerket hat. Hier wird alſo eine Geſichtsidee mit einer andern verglichen; er ſiehet ſeine Hand, wie er die fremde geſehen hat. Auf die naͤmliche Weiſe verfaͤhrt er mit dem Pinſel bey allen nachfolgenden Zuͤgen. Ob ſie ſo ſind, wie ſie ſeyn ſollen, das lehret ihn ſein Geſicht und die Vergleichung mit der Geſichtsidee, welche ſein Muſter iſt. Bey jeder Abweichung der aͤußerlich ſicht - baren Seite ſeiner eigenen Aktion von der ſichtlichen Auſ - ſenſeite ſeines Vorbildes giebt er ſeiner Kraft eine an - dere Richtung nach der entgegengeſetzten Seite, wie der Aequilibriſt, der ſeinen Koͤrper im Gleichgewicht haͤlt, nichts anders thut, als daß er unaufhoͤrlich dem Herun - terfallen bald nach einer, bald nach der andern Seite, durch entgegenſtehende kleinere Bewegungen vorbeuget. Das Nachmachen iſt alſo eine Anwendung einer aͤhn - lichen Kraft, wenn dieſe nach der Abſicht geleitet wird, daß die aͤußerliche empfindbare Seite der Aktion der Au - ßenſeite einer andern aͤhnlich wird. So weit gehet das Nachmachen. Ein anders iſt es, wenn jemad daſ - ſelbige thut, was ein anderer thut. Dieß letztere iſtkein667der Vorſtellungskraft c. kein Nachmachen, ſondern urſpruͤngliche Handlung, wel - che einer andern aͤhnlich iſt, und durch aͤhnliche Urſa - chen hervorgebracht wird.

Auch in den unmerklichſten Nachmachungen, durch welche die Jugend am meiſten nach den Perſonen gebil - det wird, mit denen ſie umgehet, und auch die Erwach - ſenen vieles in ihren Charakter und Sitten von andern annehmen, treffen wir das naͤmliche Geſetz bey dem Ue - bergang der Beſchaffenheiten aus dem Einen zum An - dern an. Außer dem erſten Beyſpiel des Nachmachens, wo die Handlung noch nicht vorher verrichtet war, und alſo die Vorſtellung von ihren aͤußern Wirkungen auch der wirkenden Kraft nur allein die Richtung gab, will ich noch ein anderes zergliedern. Es ſoll eine Fertigkeit in der Handlung ſchon vorhanden ſeyn, die nur durch das Beyſpiel einer fremden Handlung in Thaͤtigkeit ge - ſetzet wird, und dann eben das verrichtet, was ein an - derer ihm vormachet. Hernach wird ſich das Allge - meine in jedweder Art der Nachmachung daraus abzie - hen laſſen.

Wenn eine Perſon in einer Geſellſchaft gaͤhnet, ſo gaͤhnen andere nach. Sollte dieß blos eine aͤhnliche Handlung ſeyn, aus aͤhnlichen Urſachen, juſt in demſel - bigen Moment durch Zufall oder durch vorherbeſtimmte Harmonie hervorgebracht? Ohne Zweifel iſt hier eine gewiſſe urſachliche Verbindung zwiſchen dem Gaͤh - nen der erſten Perſon, und der uͤbrigen, die es mitma - chen; und ohne Zweifel iſt das Athmen der letztern eine Art von Nachmachung. Aber was hier diejenigen, welche nachgaͤhnen, bey dem ſehen der zuerſt gaͤhnet, das beſtehet in Bewegungen des Mundes, der in die Hoͤhe erweitert und in der Breite verkuͤrzet wird, und in gewiſſen Zuſammenziehungen der Muskeln an den Backen, mit einer Bewegung der Hand zum Munde. Wie ſollten dieſe Geſichtsbilder bey mir die naͤmliche Aktion hervorbrin -gen,668X. Verſuch. Ueber die Beziehunggen, wenn ich nicht wuͤßte, was ſolche ſichtliche Bewe - gungen bedeuten, oder was ſie eigentlich fuͤr Handlun - gen mit den Gliedern ſind? Woher ſollte ich aber dieß wiſſen, wenn das Anſchauen dieſer Bewegungen bey an - dern nicht eine Vorſtellung von aͤhnlichen bewegenden Thaͤtigkeiten in mir hervorbraͤchte, und dieſe wegen ihrer phyſiſchen Verbindung mit der Aktion des Gaͤhnens, deſſen Wirkungen ſie ſind, auch in mir die Vorſtellung von der Aktion des Gaͤhnens erregen, und dadurch meine Dispoſition zum Gaͤhnen erwecken? Einmal muß ich wiſſen, daß der, der den Mund auſſperret, den Athem ſtark an ſich ziehet, die Hand vor dem Mund haͤlt, den Kopf zuruͤckzieht, und ſo ferner, das thut, was ich thue, wenn ich gaͤhne. Und dann muß ich aus dem, was ich ſehe, die genannten Bewegungen erkennen. Die Jdee von dem Gaͤhnen eines andern erſodert eine Verglei - chung. Wir denken und ſagen, es iſt ein Gaͤhnen, da wir nur die ſichtbare Seite der Aktion vor uns haben. Dieſe letztere iſt alſo der Charakter eines Zuſtandes, von dem nur eine Jdee aus eigenem Gefuͤhl moͤglich iſt. Oh - ne dieſen Charakter einmal in Verbindung mit dem Ge - fuͤhl der Sache ſelbſt gehabt zu haben, kann er nicht wiſ - ſen, daß jenes ein Merkmal von ihr ſey, hier haben wir alſo die Seite, an der die Handlung eines fremden fuͤr eine aͤhnliche mit der unſrigen erkannt werden kann. Die ſichtliche Vorſtellung von beiden iſt dieſelbige. Jch ſehe die koͤrperliche Bewegung des andern ſo, wie meine eigene. Dieß erwecket bey mir die Jdee von derſelbigen Handlung, die ein anderer vornimmt.

Dieſe Erklaͤrung wuͤrde ungemein mangelhaft ſeyn, wenn ſie nicht durch einen Zuſatz verſtaͤrket wuͤrde. Das Kind ſollte daher wiſſen, daß ſeine Mutter weinet, weil man es etwann vor dem Spiegel geſtellet hat, zu der Zeit, da es ſelbſt Thraͤnen vergoß, und es dadurch belehret, daß ſeine weinerliche Miene eben ſo ausſieht,wie669der Vorſtellungskraft c. wie andrer Menſchen ihre. So hat das Kind doch wohl den ſichtbaren Charakter des Weinens nicht kennen gelernet. Und eben ſo unwahrſcheinlich iſt es, daß wir aus dieſer Vergleichung der ſichtlichen Aehnlichkeit un - ſers Gaͤhnens mit dem Gaͤhnen anderer es ſollten erler - net haben, daß das, was wir ſehen, mit dem, was wir bey uns nur fuͤhlen, daſſelbige ſey. Man kann ſich allerdings ſolcher Vergleichungen durch einen Sinn mit Vortheil bedienen, und thut es auch oft, wenn man je - mand ſich ſelbſt im Spiegel ſehen laͤßt, um ihm zu zei - gen, was zu einer guten Stellung des Koͤrpers, oder zu einer ſchoͤnen Bewegung des Leibes gehoͤret, die man mit einem gewiſſen Worte bezeichnet.

Aber dieſes Mittel iſt nicht nothwendig, und wird oft gar nicht einmal zu Huͤlfe genommen. Der Weg der Natur iſt kuͤrzer. Das Kind weinet; man ſagt ihm, es weine, und bezeichnet ſeine Aktion durch ein Wort. Eben dieß Kind ſieht einen andern weinen, und man ſagt ihm wiederum, dieſer Menſch weine. Dieß iſt genug. Das aͤhnliche Wort lehrt es die Aehn - lichkeit der Handlungen, der ſeinigen, die es nur fuͤhlt, und der fremden, die es ſieht. Erblickt es jenes Wei - nen, ſo nennt es dieß ein Weinen, und ſeine eigene Gefuͤhlsidee von dem Weinen wird mit dieſer ſichtli - chen Jdee vereiniget. Die letztere wird ein Beſtand - theil und alſo auch ein Merkmal der ganzen Vorſtellung.

Darum kann der Menſch mittelſt der Worte als aͤhnlicher Toͤne, mehrere Empfindungen in Eine Jdee vereinigen, und auch aͤhnliche Sachen an mehrern Merk - malen erkennen, die ſonſten in ſeinen Empfindungen, welche er von ihnen einzeln hat, ſo verſchieden ſind, daß er ſchwerlich dadurch auf die Aehnlichkeit der Sachen ſelbſt gefuͤhret ſeyn wuͤrde.

Dieß giebt auch ſeinem Nachbildungsvermoͤgen eine groͤßere Ausdehnung, naͤmlich dem Vermoͤgenetwas670X. Verſuch. Ueber die Beziehungetwas aͤhnliches an ſich hervorzubringen, mit dem, was bey andern gewahrgenommen wird.

Die harmoniſch geſpannte muſikaliſche Saite zittert einer andern nach, wenn die letztere die Luft, und dieſe wieder die nachzitternde Saite auf eine aͤhnliche Art in Schwung bringet, wie die erſtere es ſelbſt iſt. Das Parallel hievon bey dem Menſchen iſt, daß der Vor - gang des Einen dem Andern dieſelbigen Empfindungen beybringet, und ſeine thaͤtige Kraft auf eine aͤhnliche Art zu einer aͤhnlichen Aeußerung reizet. Hievon will ich noch unten etwas ſagen.

Der Affe ahmet auch nach, und in einigem Grade thun es andere Thiere auch. Aber er ahmet nur Handlun - gen nach, deren Aehnlichkeit durch denſelbigen Sinn er - kannt werden koͤnnen. Er ſieht ſich z. B. ſelbſt tanzen. Da ihm die Worte fehlen, einige Toͤne kennt er, die hierinn jener ihre Dienſte thun, ſo koͤnnen ihm auch keine Handlungen als aͤhnliche vorkommen, und in der Vorſtellung zuſammenfallen, als nur ſolche, von denen er aͤhnliche Eindruͤcke durch denſelbigen Sinn em - pfangen hat.

Jch gehe wieder zu dem Gaͤhnen zuruͤck. Das erſt - malige Gaͤhnen iſt keine Nachmachung. Wir haben ſchon gegaͤhnet, und eine Fertigkeit darinn erworben, ehe wir dem Andern zur Geſellſchaft es nachmachen. Aber geſetzt auch, wir haͤtten noch keine Fertigkeit und noch keine Vorſtellung aus der Empfindung von einer ſolchen Aktion, ſo koͤnnten wir wohl ſolche von einigen ihrer einzelnen Theile haben, etwan von den aͤußerli - chen Bewegungen. Wenn nun dieſe zuſammen genom - men, mit den uͤbrigen Theilen der ganzen Aktion in ei - ner phyſiſchen Verbindung ſtehen, und jene dieſe durch den Organismus des Koͤrpers nach ſich ziehen, ſo koͤnnte es ſich ja wohl eraͤugnen, daß die partiellen Jdeen von aͤußern Bewegungen in Eine durch die Zuſammenſe -tzung,671der Vorſtellungskraft c. tzung, wie die Bilder der Objekte von der Dichtkraft, vereiniget wuͤrden, und daß alsdenn die geſammte Aktion erfolge. Zwar nicht bey dem Gaͤhnen, aber bey andern nachgemachten Handlungen haben wir davon Bey - ſpiele.

So weit iſt alſo die Erſcheinung erklaͤrt. Wir ſehen einen andern gaͤhnen; dieß Anſchauen erweckt in uns die ganze Vorſtellung von dem Gaͤhnen. Die Vorſtellung des Geſehenen iſt ſchon ein Theil von der letztern, denn ſie iſt die Vorſtellung von der Anßenſeite der Aktion.

Was noch uͤbrig iſt, beſteht darinn, daß die er - weckte Vorſtellung vom Gaͤhnen, ſobald ſie ſo lebhaft iſt, als ſie wird, wenn wir einem andern zuſehen, ein wirk - liches Gaͤhnen ſelbſt nach ſich ziehe. Wie dieß zugehe, iſt begreiflich, da die Vorſtellung von der Aktion, ſchon ein wahrer Anfang von der Aktion in dem Jnnern iſt, und es bedarf nur noch eines ſchwachen Reizes, um ſie in eine voͤllige Aktion zu veraͤndern. Ein Theil von der Vorſtellung des Gaͤhnens, iſt alsdenn, wenn wir andere gaͤhnen ſehen, eine wirkliche Empfindung, und reizet alſo wie eine Empfindung, aber auch dieſer Reiz iſt nicht einmal erfoderlich, wie ich vorher ſchon erinnert habe. Der geringſte Umſtand, der ein Gefallen veranlaſſet, iſt dazu hinreichend. Denn das Gaͤhnen gehoͤrt zu den or - ganiſchen Bewegungen, wozu wir eine ſehr große Fer - tigkeit erlangen, weil unſere natuͤrliche Anlage dazu ſo groß iſt.

Warum Kinder in Geſellſchaft nicht mit gaͤhnen, davon iſt die Urſache vor Augen. Jhre natuͤrliche Dis - poſition dazu mag ſtark genug ſeyn, auch wohl ihre Fer - tigkeit. Aber das Nachmachen erfodert eine Vor - ſtellung von dem, was nachgemacht werden ſoll, und dieſe erfodert angeſtellte Vergleichungen. Das Kind kennt die Handlung des Gaͤhnens von außen noch nicht. Wenn672X. Verſuch. Ueber die BeziehungWenn es mich gaͤhnen ſieht, weis es eben ſo wenig, daß ich gaͤhne, als es weiß, daß ich lache oder weine.

Wie denn die Nachmachung ſogleich unmittelbar auf den Anblick der nachgemachten Handlung erfolge? ſo daß man die dazwiſchen liegende wiedererweckte Vorſtel - lung von der Aktion |faſt nicht gewahr wird? Jch ant - worte, es ſey nichts mehr dazwiſchen noͤthig, als wir wirklich finden. Wenn wir die Handlung bey einem Andern ſehen, ſo bedarf es keiner ſorgfaͤltigen, weitlaͤuf - tigen und deutlichen Vergleichung dieſer Außenſeite von ihr, mit der von unſerer eigenen aͤhnlichen Handlung, und keines foͤrmlichen Urtheils. Jene Vorſtellung von dem was wir ſehen, iſt ſchon fuͤr ſich einerley mit einem Theil der ganzen Vorſtellung von unſerer eigenen Aktion, und dann ſtellet die Phantaſie das Uebrige nach dem be - kannten Geſetz der Aſſociation dar.

Dieſe beiden aufgeloͤſeten Beyſpiele von der Nach - machung fremder Handlungen, fuͤhren uns auf die ein - fachen Naturfaͤhigkeiten, die in dem Nachahmungs - vermoͤgen enthalten ſind. Unter allen zur Entwicke - lung unſerer Natur arbeitenden Kraͤften, iſt dieß Ver - moͤgen eins der ſtaͤrkſten. Wir haben in unſerer Spra - che die Woͤrter: Nachthun, Nachmachen, Nach - ahmen, Nachaͤffen, Nachbilden, Nachbeſtre - ben, Nacheifern. Sie ſind in ihren Bedeutungen in etwas verſchieden, beziehen ſich aber doch auf einen Grundbegriff des Nachmachens. Nachahmen iſt im - mer etwas willkuͤhrliches, und erfodert Aktionen, die nach dem Muſter anderer gemacht ſind, auf die Art, wie der Knabe ſeine Vorſchrift nachſchreibet oder nach - zeichnet; und eine andere Nebenidee iſt noch dieſe, daß gemeiniglich die Nachahmung mehr auf die Form der Handlung, nemlich, auf die Art und Weiſe, wie ſie verrichtet wird, und auf die Wirkung, in ſo ferne ſie von dieſer Form abhaͤngt, als auf das Materielle vonbeiden673der Vorſtellungskraft c. beiden geht. Wenn auf das letztere geſehen wird, ſo iſt es mehr ein Nachmachen, welches Wort aber auch von dem unwillkuͤhrlichen Nachmachen gebraucht wird, wie die Redensart, Einem andern etwas nachthun, ſich auch auf ſolche Faͤlle erſtrecket, dergleichen das Mit - gaͤhnen iſt. Wir thun ſonſten einem die Handlungen nach; und machen die Sachen nach, die er ge - macht hat.

Dieſe kleinern Verſchiedenheiten in dem Nachthun oder Nachmachen bey Seite geſetzet, ſo erfodert das All - gemeine der Nachmachung folgende Stuͤcke.

Jn dem Einen, der vorgehet oder vormachet, iſt eine innere Aktion, und dieſe aͤußert ſich in Bewegungen des Koͤrpers, in Wirkungen, welche aͤußerlich empfun - den werden.

Dieſes Aeußerliche der Handlung wird von einem andern auf eine gewiſſe Art durch die aͤußern Sinne, es ſey des Geſichts, oder des Gehoͤrs, oder auch des Ge - fuͤhls, empfunden. Das iſt, die Handlung zeiget ſich dem, der etwas nachmacht, in einer gewiſſen aͤußerlichen Geſtalt.

Der Handelnde ſelbſt kann ſie auch in dieſer Geſtalt kennen; er ſieht, fuͤhlt, hoͤrt die Aeußerungen, wie der Nachahmer; aber zuweilen empfindet er ſie auch nicht auf dieſe Art. Ein Tanzender fuͤhlt nur ſeine Bewegun - gen in den Gliedern; vielleicht aber weis er nicht, wie er alsdenn andern erſcheinet, die ihm zuſehen.

Dieſe aͤußere Geſtalt, in der die Handlung dem Nachahmer erſcheinet, veranlaſſet bey dieſem eine aͤhnli - che Handlung; und dieſe aͤhnliche Handlung erfodert aͤhn - liche Kraͤfte in einer aͤhnlichen Wirkſamkeit, und aͤhn - liche Wirkungen der Aktion in den Bewegungen des Koͤrpers, und in den aͤußern Effekten, die hervorge - bracht werden.

I. Band. U uDieß674X. Verſuch. Ueber die Beziehung

Dieß iſt allen Nachmachungen gemeinſchaftlich; aber ihre vornehmſten Verſchiedenheiten ruͤhren von der verſchiedenen Art her: wie die aͤußere Geſtalt, wor - inn die Aktion dem Nachahmer erſcheint, das iſt, ihre Empfindung durch die aͤußern Sinne, mit der repro - ducirten Vorſtellung von derſelben in dem Nachah - mer, und mit Stimmung ſeiner Kraͤfte zu der aͤhnli - chen Wirkungsart in Verbindung ſtehet. Jene aͤußere Empfindung iſt es doch allein, was er empfaͤngt, und dieſe allein muß ihn zum Nachmachen beſtimmen, es ſey nun, daß er willkuͤhrlich ſich ſelbſt zum Nachmachen entſchließt, oder daß er es thut, ehe er darum gewahr wird.

Sehen wir nur auf die einfachen Faͤlle, und laſſen die zuſammengeſetzten noch zuruͤck, ſo ſtellen ſich uns fol - gende dar.

Die nachzumachende Aktion ſey noch niemals vor - her von dem, der ſie nachmachet, unternommen worden. Alſo iſt auch nichts weiter als ein bloßes Vermoͤgen da - zu vorhanden, ohne eine Vorſtellung von ihr; es mag das Vermoͤgen von Natur ſtark ſeyn, und mit einer Fer - tigkeit, wie ein Jnſtinkt wirken, oder ſchwaͤcher, ſo mag vielleicht die Empfindung von der fremden Aktion einen phyſiſchen Einfluß auf das Vermoͤgen des Nachmachers haben, und ſeine Kraͤfte durch die aͤhnlichen Empfind - niſſe reizen und beſtimmen, durch welche ſie ſolche in dem erſtern gereizet und beſtimmet hat. Dieß iſt die erſte Art der Verbindung zwiſchen der Aktion und derjenigen, die ihr nachgemacht wird. Der Nachahmer wird durch eine Empfindung einem andern nachgeſtimmet. Die heitere Miene eines andern, ſein Lachen, ſein Singen, macht mich mit ihm aufgeraͤumt und bringt mich dazu, daß ich mit lache. Jch fuͤhre dieſe Beyſpiele hier nur zur Erlaͤu - terung an. Wenn man ſie genauer zergliedert, ſo gehoͤ - ren ſie wenigſtens nicht gaͤnzlich hieher, indem auch diefolgen -675der Vorſtellungskraft c. folgenden Arten der Verbindung dabey vorkommen. Unten will ich die Frage noch beſonders unterſuchen: ob aͤußere Eindruͤcke, die wir von den Ausbruͤchen der innern Gemuͤthsbewegungen eines andern empfangen, als ſinnliche Eindruͤcke auf die Organe, durch ihre phyſi - ſche Einwirkung, zu aͤhnlichen Bewegungen uns ſtim - men koͤnnen, und wie weit dieß gehe? Davon haͤngt es ab, ob die hier angegebene Art, wie man zum Nach - machen gebracht werde, wirklich Statt findet, und wie weit ſie Statt findet.

Eine zwote Art der veraͤhnlichenden Verbin - dung (nexus exemplaris) finden wir in ſolchen Bey - ſpielen, wo ein eigentliches Nachahmen oder Nach - machen geſchicht, wenn ein Knabe ſeine Vorſchrift nachſchreibet, wenn er nachzeichnet, und Mienen und Geberden und Stellungen nachmacht, die man ihm vor - zeiget. Hier iſt die phyſiſche Kraft, welche die aͤhnliche Aktion hervorbringet, durch gewiſſe Empfindungen ſchon rege und wirkſam gemacht. Das Muſter, was ihm vor - gehalten wird, iſt nur ſein Jdeal, wornach ſeine unbe - ſtimmten Beſtrebungen geleitet werden. Ein ſolches Beyſpiel iſt oben zergliedert worden, und es zeigte ſich, daß eine Nachahmung dieſer Art vorausſetzet, daß man die Theile der ganzen Aktion, die hervorgebracht werden ſoll, ſchon kenne, und daß alſo nichts anders geſchehe, als was einer Zuſammenſetzung von Bildern in der Dichtkraft aͤhnlich iſt, die hier durch das Muſter in ih - rer Arbeit geleitet wird. Die Art aber, wie die Ver - aͤhnlichung geſchehe, wozu nothwendig iſt, daß die Aehn - lichkeit erkannt werden koͤnne, iſt hier ebenfalls wie oben zwiefach. Entweder wird die Außenſeite der Aktion, die man hervorbringt, ihre aͤußern Ausbruͤche und Wir - kungen durch denſelbigen Sinn empfunden, mit dem man die vorgemachte Handlung empfindet; und dann lehret es die Aehnlichkeit dieſer Eindruͤcke, als deſſelbigenU u 2Charak -676X. Verſuch. Ueber die BeziehungCharakters, daß die Handlungen ſelbſt einander aͤhnlich ſind; oder man muß dieſes Huͤlfsmittel entbehren. Es will ſich z. B. jemand die große Miene geben, die er an einem ſiehet, und die ihm gefaͤllt, ohne ſich im Spie - gel beſchauen zu koͤnnen. Das Verbindungsmittel iſt alsdenn das Wort, oder die Benennung, womit ſeine eigene und die fremde Gebehrdung bezeichnet wird. Die ſeinige fuͤhlt er innerlich; und ob er ſie zwar nicht ſehen kann, ſo weis er doch daraus, daß ſie mit der geſehe - nen Gebehrdung eines andern, einerley iſt, weil beide auf einerley Art benennet werden. Die ſeinige, welche er fuͤhlt, iſt Gravitaͤt genannt, wie die, welche er an ſeinem Muſter ſieht, und zwar von ſolchen Perſo - nen, welche beide nach Geſichtsvorſtellungen verglichen hatten. Die Gleichheit des Namens vertritt hier alſo die Stelle einer empfundenen Aehnlichkeit in ihren aͤußern Geſtalten.

Die dritte Art der Verbindung in der Nachah - mung treffen wir in ſolchen Beyſpielen an, wo ſchon ei - ne Vorſtellung und eine Fertigkeit zu der nachgemach - ten Aktion vorhanden iſt. Der Eindruck von der frem - den Aktion von außen, thut nichts mehr, als daß er die Veranlaſſung iſt, bey der die Vorſtellung von der Hand - lung, die zugleich der Anfang der Aktion ſelbſt iſt, wie - der erwecket wird. Und dieß geſchicht daher, weil ein ſolcher Eindruck ſelbſt ein Stuͤck einer ſolchen Vorſtellung ausmacht. Und dieß iſt ein eigentliches Nachthun, und geſchicht vermittelſt einer Reproduktion von Jdeen. Jch verweiſe auf die obige Erklaͤrung, wie das Mitgaͤh - nen entſtehet. Der aͤußere Eindruck von einer fremden Handlung iſt ein Zug, der mit der Vorſtellung von der eigenen Handlung verbunden iſt, und nach dem Geſetz der Aſſociation die ganze Vorſtellung erwecket. Dieſe letztere iſt aber ſelbſt ein Anfang der Aktion, welche in die voͤllige Aktion uͤbergehet.

Die677der Vorſtellungskraft c.

Die Veraͤhnlichung, und das Nachmachen uͤber - haupt beruhet alſo auf Einem von dieſen Dreyen Gruͤn - den, oder, wie gemeiniglich, auf mehrern von ihnen zu - gleich. Es iſt entweder eine aͤhnliche Empfindung, die durch eine andere entſtehet; oder es iſt eine Repre - duktion der aͤhnlichen Jdee, die zu einer vollen Aktion uͤbergehet; oder es iſt eine Fiktion, wo aus ſchon vor - handenen Materialien eine neue Vorſtellung von einer Handlung, nach einem vorgelegten Jdeal gebildet wird.

Die erſtere Art der Nachmachung, welche eine Em - pfindung iſt, gehoͤrt zu den leidentlichen Bildungen, die die geſchmeidige Kraft der menſchlichen Seele an - nimmt. Sie wird nachgeſtimmet. Dieſe Art er - fodert, wenn ſie allein vorhanden iſt, weder eine Erwe - ckung ſchon angereiheter Jdeen, noch eine neue Zuſam - menſetzung von ihnen, ſondern es entſtehet durch den phyſiſchen Einfluß einer fremden Aktion eine neue Em - pfindung, woraus nachher erſt die Vorſtellung von der Aktion gemacht werden kann. Man ſieht es gleich, daß dieß auf dieſelbige Art geſchehe, wie unſere Mitgefuͤhle mit andern entſpringen. Denn eben dadurch, daß wir in ein aͤhnliches Empfindniß mit andern geſetzet werden, wird auch unſere Kraft zu aͤhnlichen Handlungen erwecket, Hieruͤber will ich noch etwas hinzu ſetzen, aber mich doch erinnern, daß ich noch immer auf einem Nebenwege fortgehe.

4.

Wir haben Vorſtellungen von unſern Empfind - niſſen und Gemuͤthsbewegungen, die uns in Thaͤ - tigkeit ſetzen, auf eine aͤhnliche Art, wie wir ſie von die - ſen letzten ſelbſt haben. *)Erſter Verſuch VII. Wenn alſo die Frage iſt, wie wir durch den Anblick von der Betruͤbniß eines andernU u 3in678X. Verſuch. Ueber die Beziehungin eine aͤhnliche Empfindung verſetzet werden, und wie uͤberhaupt unſer Herz auf dieſelbige Art geſtimmet wird, wie ein anderes es iſt, deſſen Zuſtand wir nur aͤußerlich empfinden, ſo giebt es hier eben ſo viele verſchiedene Ue - bergaͤnge aus einem Herzen in das andere, als wir bey dem Nachmachen fremder Handlungen gefunden haben.

Jch hoͤre den Klageton, das Winſeln und Schreyen des Leidenden. Dieſen Ton kenne ich, er iſt der Aus - druck meines eigenen Schmerzens geweſen. Die Vor - ſtellung des Schmerzens wird alſo durch ihn erweckt, geht in Empfindung uͤber und ich leide mit.

Das Gehoͤr hat eine gedoppelte merkwuͤrdige Ei - genſchaft. Wir koͤnnen keine Empfindung aus einem der uͤbrigen Sinne ſo vollkommen nachmachen, und an - dern wiederum zu empfinden geben, als die Schallarten und Toͤne durch das Stimmorgan. Sollte ich den Wald, den ich geſehen habe, andern wieder ſichtbar ma - chen, ſo muͤßte ich ihn zeichnen oder malen. Das zwote iſt, daß die Toͤne, welche wir hervorbringen, und in welchen wir unſere Empfindungen ausdruͤcken, zugleich von uns und zwar auf dieſelbige Art gehoͤrer werden, als von andern. Machen wir eines andern Mienen nach, ſo ſehen wir ſie doch ſelbſt an uns nicht, oder wir muͤßten vor dem Spiegel ſtehen. Die erſte Beſchaffenheit, welche Hr. Herder nicht bemerket hat, macht dieſen Sinn mehr zu dem natuͤrlichen Sinn der Sprache, als alle die uͤbrigen Eigenſchaften, die ihm als einen Mit - telſinn zukommen. Die zwote iſt aber hier am meiſten merkwuͤrdig. Sie macht es begreiflich, warum der Weg von dem Herzen zu dem Herzen durch das Gehoͤr ohne Ausnahme der kuͤrzeſte iſt, wenn nur Mitgefuͤhle erre - get werden ſollen, die von Natur in Toͤne ausbrechen.

Wenn wir mitweinen mit dem, den wir weinen ſe - hen, ſo geſchicht das auf eine aͤhnliche Art, als wir mit einem andern gaͤhnen. Was wir dem Weinenden an -ſehen,679der Vorſtellungskraft c. ſehen, ſind gewiſſe aͤußere Veraͤnderungen auf dem Ge - ſicht, die unſere Vorſtellung von dem Weinen, und durch dieſe ſelbſt die Empfindung erregen. Dieſe Au - gen - und Mienenſprache muͤſſen wir erſt verſtehen ler - nen, wie die Woͤrterſprache, ob ſie gleich geſchwinder er - lernet wird, und ſo wie jene uns zu Huͤlfe kommt bey der Erlernung der Worte, ſo befoͤrdert auch die Woͤrter - ſprache die Kenntniß der Mienen.

Es giebt auch gefliſſentliche eigentliche Nachahmun - gen der Empfindungen, wie der Handlungen, und da beide einander aͤhnlich ſind, ſo will ich mich auch hiebey nicht aufhalten, ſondern auf das vorhergeſagte wieder hinweiſen.

Aber gehoͤren alle Mittheilungen der Gefuͤhle, alle Erregungen aͤhnlicher Empfindungen, die Anſteckungen der Gemuͤthsbeſchaffenheiten und der Leidenſchaften, zu Einer von den beiden erklaͤrten Gattungen, oder giebt es noch einen wahren phyſiſchen Einfluß der Herzen in ein - ander, wobey die Einbildungskraft die Vermittlerinn nicht ſeyn darf? Kann nicht das Angſtgeſchrey der Verzweifelung als ein aͤußerer ſinnlicher Eindruck eine Wirkung auf die Nerven, und von ihnen auf die Seele hervorbringen, welche ihrer Urſache in etwas aͤhnlich iſt, auf dieſelbige Weiſe, wie eine Saite eines Jnſtruments die andere harmoniſch geſpannte in eine aͤhnliche Bewe - gung ſetzet, und wie ſchallende Koͤrper andere nachklin - gend machen?

Hr. Home hat eine Menge von Beyſpielen ange - fuͤhrt, die daruͤber faſt keinen Zweifel zu laſſen ſcheinen. *)Grundſaͤtze der Kritik Erſt. Th. Kap. 2. VI. Th. von der Aehnlichkeit, welche Bewegungen (Gemuͤths - bewegungen) mit ihren Urſachen haben. Die Bewegungen der Koͤrper verurſachen unter ihren verſchiedenen Umſtaͤnden Empfindungen, welche ihnenU u 4aͤhn -680X. Verſuch. Ueber die Beziehungaͤhnlich ſind. Eine traͤge Bewegung macht, daß wir auch etwas Mattes und Verdrießliches empfinden; eine langſame gleichfoͤrmige Bewegung giebt uns ein ruhiges und ergoͤtzendes, und eine ſchnelle Bewegung ein leb - haftes Gefuͤhl, welches die Lebensgeiſter aufbringt, und zur Hurtigkeit reizt. Ein Waſſerfall zwiſchen den Fel - ſen wirkt ein unruhiges verwirrtes Gefuͤhl in der Seele, das ſeiner Urſache ſehr aͤhnlich iſt, und bey ſchwachen Perſonen einen Schwindel, wie die unordentlichen Be - wegungen einer Heerde Schaafe oder Schweine bey dem, der mitten unter ihnen ſteht, wenn ſie gedraͤngt um ihn vorbey laufen. Ein hoher Gegenſtand ſchwellt das Herz, und bewegt den Zuſchauer, aufgerichtet zu ſtehen. Ei - ne gezwungene Stellung, welche der Perſon, die ſie an - nimmt, beſchwerlich wird, iſt auch dem Zuſchauer wi - drig. Von den Toͤnen darf nichts geſaget werden, da ihre phyſiſche Wirkung bekannt iſt. Der genannte Schriftſteller erklaͤrt daraus die Anſteckung der Freude und der Betruͤbniß, und glaubt, wenn uns tugendhafte Handlungen in einzelnen Faͤllen zur Nachahmung leiten, ſo ſey es ihr phyſiſcher Einfluß bey dem Anblick, der uns Bewegungen einfloͤße, die den Leidenſchaften, welche ſol - che Handlungen hervorbringen, aͤhnlich ſind. Es iſt wohl wahr, daß die Aehnlichkeit der Wirkungen und der Urſachen in einigen von den obgedachten Faͤllen eine Folge ihrer phyſiſchen urſachlichen Verknuͤpfung iſt, aber ich meine, es ſey auch eben ſo gewiß, daß ſie es in einigen nicht ſey, und nur auf einer Jdeenverbindung beruhe.

Die Empfindungen des Geſichts und des Gehoͤrs koͤnnen fuͤr ſich Gemuͤthsbewegungen hervorbringen, in - dem ſie die Seelenorgane durch ihre Eindruͤcke auf eine gewiſſe Weiſe in Bewegung ſetzen, wobey Empfindniſſe in der Seele erzeuget werden, auch wenn dergleichen nie - mals vorher da geweſen ſind. Denn ſo wie die Veraͤn - derungen in der Seele die entſprechende Bewegungenin681der Vorſtellungskraft c. in den Lebensgeiſtern zur Folge, und wie ich hier anneh - me, zur Wirkung haben, ſo verurſachen auch in umge - kehrter Ordnung die harmoniſchen Gehirnsveraͤnderungen die Empfindniſſe in der Seele. Eindruͤcke von außen auf das Organ, welche phyſiſche Urſachen von jenen ſind, werden alſo auch Urſachen von Seelenveraͤnderungen. Hievon haͤngt das Angenehme und Unangenehme, das Schoͤne und Haͤßliche, das Erhabene und das Niedrige der aͤußern Gegenſtaͤnde, mit einem Wort, ihre ganze objektiviſche Empfindſamkeit ab, die ihnen fuͤr ſich, ohne Beywirkung der Aſſociation der Jdeen zukommt.

Nehmen wir dieß zum Grundſatz an, ſo werden wir etwas von den angefuͤhrten Erſcheinungen begreifen. Die Menge der Eindruͤcke, die durch die aͤußern Sinne von den Gegenſtaͤnden und ihren Bewegungen, und alſo auch von den aͤußern Ausbruͤchen der Empfindungen, der Neigungen und der Leidenſchaften, in der ſichtbaren Veraͤnderung des Koͤrpers auffallen; zugleich oder in ihrer Folge; ihre Geſchwindigkeit und Langſamkeit, ihre Jntenſion, ihre Ordnung, dieß alles wird die reizbaren Vermoͤgen der Seele auf eine ihnen gemaͤße Art rege machen, und Modifikationen bewirken, welche in Hin - ſicht auf innere Staͤrke, Lebhaftigkeit, Mannigfaltigkeit, Geſchwindigkeit und dergleichen den aͤußern Eindruͤcken aͤhnlich ſind. Nun verhalten ſich die aͤußern Eindruͤ - cke, die wir von fremden Empfindungen empfangen, wie ihre Urſachen, das iſt, wie die aͤußern Bewe - gungen, welche empfunden werden; und dieſe letztern verhalten ſich wiederum, wie die innern Bewegun - gen der Seele, welche in jenen ſich aͤußern. So iſt es begreiflich, wie uͤberhaupt die Empfindung einer aus - waͤrts ſich ergießenden Affektion eines andern fuͤr ſich eine Affektion in der Seele verurſachen koͤnne, die jener in einigen allgemeinen Beſchaffenheiten aͤhnlich iſt.

U u 5Aber682X. Verſuch. Ueber die Beziehung

Aber dieß iſt noch nicht alles, was bey dem Mitge - fuͤhl vorgeht. Wir ſehen einen Menſchen, der eine Laſt traͤget, mit großer Anſtrengung der Muskeln ſich lang - ſam bewegen, und hoͤren ihn ſtoͤhnen. Laßt dieſen An - blick und dieſen Ton unangenehme Empfindungen des Geſichts und des Gehoͤrs hervorbringen, wie entſtehen denn daraus die uͤbrigen Mitempfindungen auch in dem innern koͤrperlichen Gefuͤhl? Wir leiden noch mehr mit; es wird uns ſchwer in den Gliedern, es druͤckt uns auf den Schultern, wir fuͤhlen Anſtrengungen in unſern Gliedern, zum mindeſten ſchwache Anfaͤnge davon, mehr oder minder, je nachdem unſer Anſchaun lebhafter oder matter iſt, und wir mehr oder minder uns der Empfin - dung uͤberlaſſen. Eine unangenehme Empfindung eini - ger aͤußern Sinne erreget eine aͤhnliche nicht nur in der Seele, ſondern auch in den uͤbrigen Sinnen, und be - ſonders in dem Gefuͤhl. Kann dieſer Uebergang Statt finden, wenn nicht eine gleiche Affektion ſchon ehedem vorhanden geweſen iſt, die durch die Einbildungskraft wieder erwecket wird, indem ein Theil von ihr, naͤm - lich der in den Empfindungen verſchiedener Sinne ge - meinſchaftliche, von neuen gegenwaͤrtig wird?

Ein Blinder weiß nicht, was ein widriger Anblick iſt; er hat widrige Empfindungen des Gehoͤrs und wi - drige Gefuͤhle; aber dieſe erregen keine aͤhnliche widrige Geſichtsempfindungen oder Einbildungen von ihnen, als nur bey dem Sehenden. Eine aͤhnliche Anmerkung laͤßt ſich uͤber taube Menſchen machen, die am Ende da - hin fuͤhrt, daß wenn die Empfindung eines Sinnes eine ihr aͤhnliche Empfindung eines andern Sinnes er - reget, ſo ſetzet dieß voraus, daß die Empfindungen des letzten Sinns ſchon vorher da geweſen, und mit den er - ſtern auch ſchon vereiniget ſind, oder etwann jetzo durch die ſelbſtthaͤtige Aſſociationskraft vereiniget werden.

Wenn683der Vorſtellungskraft c.

Wenn man die obgedachten Beobachtungen uͤber das Entſtehen aͤhnlicher Gemuͤthsbewegungen mit ihren Urſachen nun mit jungen Kindern und mit unerfahrnen Perſonen anſtellet, ſo wird dieß letzte voͤllig beſtaͤtiget. Es laͤßt ſich zwar den Kindern, die eine Muſik hoͤren, anſehen, daß ſie uͤberhaupt etwas lebhaft und heiter, und zu einer allgemeinen Empfindung des Vergnuͤgens ge - ſtimmet werden; aber von beſondern beſtimmten Leiden - ſchaften, auch von ſolchen, denen ſie ſelbſt ſchon unter - worfen geweſen ſind, findet man keine Spur in ihren Mienen, wie bey dem erwachſenen gefuͤhlvollen Liebha - ber. Es mag ein unangenehmer Ton fuͤr das Kind ſeyn, wenn es jemand im Waſſer um Rettung ſchreien hoͤret, aber es iſt auch nichts mehr, nur ein widriger Ton, der die Seele vielleicht etwas unruhig macht, aber es zeiget ſich keine weitere Spur von einem beſtimmten Mitgefuͤhl mit der Verzweiflung des Huͤlfloſen.

Der Schluß aus dieſen Bemerkungen iſt alſo folgen - der: Die phyſiſche Wirkung, welche durch die aͤu - ßere Empfindung einer fremden Gemuͤthsbewegung verurſachet wird, hat in einigen Faͤllen etwas aͤhnli - ches mit ihrer erſten Urſache, und dieſe Aehnlichkeit iſt Eins von den Verbindungsmitteln der fremden Empfindung mit der eigenen, die das Mitgefuͤhl aus - macht. Aber dieſe Aehnlichkeit erſtreckt ſich nicht wei - ter als auf das Allgemeine; iſt wenigſtens nicht weiter, als in Hinſicht dieſes Allgemeinen bemerkbar. Daher iſt jedes durch eine phyſiſche Einwirkung erzeugte Mit - gefuͤhl nur eine unbeſtimmte Empfindung. Soll die - ſes einer beſtimmten Art von Empfindung aͤhnlicher werden, ſo muß die Einbildungskraft hinzu kommen, die entweder ſchon verbundene Jdeen von Empfindniſ - ſen, Gemuͤthsbewegungen und Handlungen nach ihrer Aehnlichkeit wieder erwecket, oder auch eine neue Ver - bindung von ihnen gegenwaͤrtig zu Stande bringt, und zumal684X. Verſuch. Ueber die Beziehung zumal ſolche vereiniget, die ohnedieß ſchon an einigen Beſchaffenheiten mit einander uͤbereinſtimmen. .

5.

Nur im Voruͤbergehen ſetze ich noch dieſe Erinne - rung hinzu. Die ganze Macht der Einbildungskraft auf den Koͤrper, wovon die Schriften der Phyſiologen ſo voll ſind,*)Die Unzerſche Phyſiologie verdienet von andern an - gefuͤhret zu werden. Man ſehe §. 587. und an vielen andern Stellen. beruhet auf der hier erklaͤrten Art, wie Vorſtellungen von koͤrperlichen Handlungen und Bewe - gungen in der Seele vorhanden ſind. Dieſe Jdeen ſind allemal mit wirklichen Anfaͤngen von ſolchen Bewegun - gen verbunden, ſo bald ſie lebhaft wieder erwecket ſind, und es kommt nur darauf an, wie weit dieſe erſten innern Anfaͤnge von ihrer voͤlligen Entwickelung zu wahren Em - pfindungen abſtehen, und ob eine ſolche Entwickelung ohne einen neuen von außen hinzukommenden Eindruck auf die Organe erfolgen koͤnne? Auch bey den will - kuͤhrlichſten Handlungen wirken organiſche Kraͤfte der Fibern und Nerven; deren Wirkſamkeit aber dem Antrieb, der von den Vorſtellungen aus der Seele kommt, unterworfen iſt. Wie weit ſind alſo die Ner - venkraͤfte auch in andern Faͤllen den Vorſtellungen un - tergeordnet, oder wie weit koͤnnen ſie es werden? Was die verſtimmte Einbildungskraft in dem Phanta - ſten mit den Jdeen von aͤußern Gegenſtaͤnden vor - nimmt, die ſie von innen aus bis zu vollen Empfindungen entwickelt, das kann die lebhafte und geſpannte Einbil - dungskraft noch viel haͤufiger bey den Vorſtellungen von Bewegungen und Handlungen zu Stande bringen. Bey dieſen letztern bewirket ſie eben ſo ſtarke Fiktionen, als bey jenen. Wie weit aber ſolches wirklich bey demMen -685der Vorſtellungskraft c. Menſchen gehe, muß die Erfahrung lehren; und ſie hat es ſchon gelehret, daß es in der That weiter gehe, als ein Menſch von kaltem Blut und von geſetztern Verſtan - de, es ſich nur mit Muͤhe vorzuſtellen im Stande iſt. Einige neuere Naturforſcher wollen auch den Urſprung der ſo genannten Muttermaͤler aus der Einbildungskraft der Mutter, jedoch mit Abziehung deſſen, was offenbar Aberglauben und Vorurtheile zu den Faktis hinzugeſetzet hatte, nicht ganz verwerfen. Wenn es nur auf die Moͤglichkeit ankaͤme, ſo deucht mich, die Geſetze der Phantaſie, mit dem verbunden, was Hr. Bonnet in ſeinen vortreflichen Betrachtungen uͤber die organiſirten Koͤrper*)Man ſehe beſonders das achte Kapitel des zweyten Theils. gelehret hat, geben Data genug an die Hand, die Art und Weiſe, wie eine ſolche Fortpflanzung an ſich wohl geſchehen koͤnne, begreiflich zu machen. Und dieß zwar aus dem analogiſchen Verfahren der Natur. Die vermeinte Unmoͤglichkeit der Sache laͤßt ſich wohl heben. Denn an Ende kommt es nur darauf an, ob wirklich der Einfluß der Phataſie ſich ſo weit erſtrecke, als er nach den allgemeinen Geſetzen ihrer Wirkſamkeit ſich wohl erſtrecken koͤnnte? Dieſe Grenzen muß die Erfah - rung beſtimmen, und nicht die Einbildung ſie ausdeh - nen noch beengen.

IV. Wie686X. Verſuch. Ueber die Beziehung

IV. Wie die vorſtellende Kraft der Seele ſich auf ihre Receptivitaͤt und auf ihre thaͤtige Kraft beziehe.

  • 1) Das Vermoͤgen, Aktionen ſich vorzuſtel - len, bezieht ſich auf die thaͤtige Kraft, welche die Aktionen hervorbringt, auf die - ſelbige Art, wie das Vermoͤgen, Empfin - dungen wieder hervorzubringen, ſich auf das Vermoͤgen bezieht, ſolche anzuneh - men. Die vorſtellende Kraft iſt eine hoͤ - here Stufe der innern Selbſtthaͤtigkeit.
  • 2) Ob alle Kraftaͤußerungen der Seele als eine Bearbeitung der Vorſtellungen an - geſehen werden koͤnnen? Leibnitz-Wol - fiſche Erklaͤrung von den Willensaͤuße - rungen.

1.

Jch wende mich zuruͤck zu der Betrachtung, die ich oben verlaſſen habe, naͤmlich zu der Beziehung der vorſtellenden Kraft der Seele auf ihre thaͤtige Kraft.

Noch einmal. Die Vorſtellung von einer Aktion verhaͤlt ſich zu der Aktion ſelbſt, die von der thaͤtigen Kraft hervorgebracht, und dann gefuͤhlet wird, wie ſich jede andere Vorſtellung zu ihrer Empfindung verhaͤlt. Die Vorſtellung einer Aktion iſt ein ſchwacher Anfang der Aktion ſelbſt in dem Jnnern.

Dieſer Grundſatz fuͤhrt von ſelbſt zu der Folge, es ſey das Vermoͤgen, Aktionen ſich vorzuſtellen, nicht ſo wohl ein Vermoͤgen, das als ein eigenes von der thaͤ -tigen687der Vorſtellungskraft c. tigen Kraft unterſchiedenes, und ihr zur Seite geſetztes Princip anzuſehen iſt, als vielmehr ein Vermoͤgen, das der thaͤtigen Kraft wie eine Beſchaffenheit zu - komme. Es iſt ein Vermoͤgen der thaͤtigen Kraft ſelbſt, ihre Aktionen, die ſie verrichtet hat, auch in der Abwe - ſenheit der erſten Umſtaͤnde und Reizungen zu erneu - ern. Denn die Vorſtellungen von den Thaͤtigkeiten ſind nichts als hinterbliebene Spuren von ihnen, welche wie - der erwecket werden. Auf dieſelbige Art verhaͤlt fich das Vermoͤgen, Geſichtsempfindungen zu reproduciren, zu dem Sinn, der ſolche aufnimmt. Wenn die Geſichts - empfindung wieder erwecket wird, ſo wirket daſſelbige Vermoͤgen, das ſolche ehedem aufnahm und fuͤhlte. Es iſt dieſelbige Receptivitaͤt oder daſſelbige Gefuͤhl, welches nun die ehemaligen Modifikationen aus innerer Selbſt - macht wieder entwickelt und gegenwaͤrtig macht. Dieß Vermoͤgen brachte zwar die erſte Empfindung nicht her - vor, als wozu noch eine andere Urſache mitwirkte. Aber das Nachſpiel, das in den Vorſtellungen vor ſich geht, iſt ein Werk des naͤmlichen innerlich ſelbſtthaͤtigen Ver - moͤgens. Das Vermoͤgen, Vorſtellungen zu haben, kam auf eine Anlage hinaus, gewiſſe Leichtigkeiten zu den Modifikationen anzunehmen, und ſolche ſelbſtthaͤtig zu wiederholen, ohne daß es derſelben Huͤlfsurſachen von außen bedarf. Auf dieſe Jdee fuͤhrten die Beobachtun - gen; mit ihr ſtimmten ſie insgeſammt uͤberein, und be - ſtaͤtigten ſie, oder machten ſie doch in einem hohen Gra - de wahrſcheinlich.

Was indeſſen dieſe Jdee von der vorſtellenden Kraft, als einem Vermoͤgen in dem Gefuͤhl, auch ſey, Hypo - thes oder Beobachtung, ſo iſt die ihr parallele Jdee von dem Vermoͤgen, Thaͤtigkeiten vorzuſtellen, daſſelbige. Die Wirkungen deſſelben verhalten ſich zu den Wirkun - gen der thaͤtigen Kraft auf dieſelbige Art, und dieß iſt zum mindeſten doch Erfahrung; wie kann denn dabeyeine688X. Verſuch. Ueber die Beziehungeine Bedenklichkeit ſeyn, wenn wir ſchließen, daß die Vermoͤgen oder Kraͤfte ſelbſt ſich auf gleiche Art auf ein - ander beziehen?

Aber vielleicht macht es einen Unterſchied aus, daß das Gefuͤhl der leidentlichen Modifikationen, dieſe nicht zuerſt als Empfindungen hervorbringen kann, und daß hiezu bey den aͤußern Empfindungen allemal eine aͤußere Urſache, welche auf das Vermoͤgen wirket, erfo - dert wird; die Aktionen dagegen allein durch die thaͤtige Kraft, ohne Zuthun eines aͤußern Princips hervorgehen? Außerdem ſcheinet noch ein Umſtand mehr hinzuzukom - men. Die Vorſtellung von einer Aktion geht oft und leicht in eine volle Aktion uͤber, die der erſten Empfin - dung gleich iſt, aber das Phantasma von dem Mond wird in der Abweſenheit des Objekts nie wiederum ein Anſchaun deſſelben, auch nicht ſo voͤllig ſtark ausgedruͤckt, es ſey denn unter außerordentlichen Umſtaͤnden.

Auf alles beides laͤßt ſich antworten, und die Ant - wort liegt in der Sache. Die thaͤtige Kraft, womit wir neue Veraͤnderungen unſers Zuſtandes hervorbrin - gen; denn von dieſer iſt nur die Rede, wie ſie oben von der Kraft, welche Vorſtellungen macht, unterſchieden worden iſt; die thaͤtige Kraft aͤußert ſich nicht, ohne durch eine vorhergehende Empfindung zur Wirkſamkeit gereizet zu ſeyn. Dieſer bedarf ſie, als eines Stoßes von außen, ohne welche ſie nicht hervorgehen kann, ſo wenig als die Receptivitaͤt der Seele, ohne einen Ein - druck von außen, unſere Modifikationen von Farben und Toͤnen annehmen kann.

Die wiedererweckte Vorſtellungen von Aktionen ge - hen aus einem innern Princip in volle Thaͤtigkeiten uͤber, und dieß geſchieht deſto leichter, je groͤßer die Fertigkeit dazu vorhanden iſt. Aber kann ſich dieß jemals eraͤug - nen, ohne daß eine Empfindung da ſey, welche die Kraft zu dieſem Uebergang reizet? So lange dieß erregendeGefuͤhl689der Vorſtellungskraft c. Gefuͤhl fehlet, ſtellen wir uns die Handlung nur vor, wiederholen ſie aber nicht. Daß ſie aber leicht wieder - holet wird, iſt etwas, was wir bey den innern Ge - muͤthsbewegungen und Empfindniſſen ebenfalls antreffen. Die Leidenſchaft iſt Zunder, der durch den ſchwaͤchſten Funken Feuer faͤngt, aber doch auch jedesmal eines Fun - kens noͤthig hat, und ohne dieſen ſo wenig in Brand ge - raͤth, als die naſſe Erde. So iſt es. Wenn Fertig - keiten zu etwas vorhanden ſind, ſo darf man, ſo zu ſa - gen, nur an die Handlung denken, und das Beſtreben zu |handeln wandelt einem ſchon an. Es iſt doch eine Empfindung da, und ein neues Empfindniß, das mehr als eine Vorſtellung iſt; aber dieß kann allenfalls aus den gegenwaͤrtigen Vorſtellungen ſelbſt erzeuget werden. Bey dieſer Einſchraͤnkung verliert ſich hier das Eigene, was den Vorſtellungen von Aktionen zukommen ſollte. Finden wir doch auch etwas aͤhnliches bey den Empfin - dungsvorſtellungen? Woher die große Menge falſcher Erfahrungen, als daher, weil man ſo leicht ſieht und hoͤ - ret, was man ſich mit großer Fertigkeit einbilden kann?

Die Beziehung der vorſtellenden Kraft auf das Ge - fuͤhl und auf die thaͤtige Kraft erklaͤrt vieles in der Seele, und iſt ein Theorem von großen Folgerungen. Laßt uns ſie noch einmal deutlich vor uns ſtellen. Die Seele beſitzet in ihrer thaͤtigen Kraft, wie in ihrer Receptivitaͤt, ein Vermoͤgen, das ſie aufgelegt macht, empfangene Veraͤnderungen und einmal unternommene Handlungen leichter zu wiederholen, oder eigentlich die von ihnen zu - ruͤckgelaſſenen Folgen wieder zu erneuern. Jhre Grund - vermoͤgen ſind die Receptivitaͤt mit dem Gefuͤhl, und die thaͤtige Kraft. Sie wird ein vorſtellendes Weſen durch eine Beſchaffenheit, die dieſem Vermoͤgen beywohnt. Beſtehet nun dieſe Beſchaffenheit bey dem Einen in einem Grade einer innern Selbſtthaͤtigkeit; ſo beſtehet ſie auch darinn bey der andern. Wenn eine lei -I. Band. X xdentliche690X. Verſuch. Ueber die Beziehungdentliche Veraͤnderung aufgenommen wird, ſo wirkte die innere Kraft zugleich mit, und dieß Vermoͤgen mit - zuwirken ward erhoͤhet, und machte das Vermoͤgen aus, Vorſtellungen zu haben. Jn der thaͤtigen Kraft waͤch - ſet die Dispoſition, von ſelbſt in Wirkſamkeit geſetzet zu werden, das iſt, es waͤchſet die innere Reizbarkeit der Kraft, welche hier von der Kraft ſelbſt in Hinſicht der Wirkungen, die ſie hervorzubringen vermoͤgend iſt, und deren Grade und Stufen, in ihrer Ausdehnung und in ihrer Jntenſion, eben ſo unterſchieden ſind, als die Selbſtthaͤtigkeit in dem Vermoͤgen zu leiden, von der Groͤße und den Graden der Modifikabilitaͤt es iſt. Das Gefuͤhl konnte fein, zaͤrtlich und ſtark ſeyn, bey einem noch ſchwachen Vermoͤgen, ſich die Veraͤnderungen vor - zuſtellen, und an ſich iſt es nicht unmoͤglich, daß auch das letztere gaͤnzlich fehle. *)Erſter Verſuch. XVI. 4. Neunter Verſuch. VI. Dieſelbige Anmerkung muß hier wiederholet werden. Die Grade der Wirk - ſamkeit in der Seelenkraft, und die Staͤrke in dem Ver - moͤgen, Vorſtellungen von ihren Aktionen zu haben, ſind keine Groͤßen, die zu Einer und derſelben Dimen - ſion gehoͤren; ob ſie gleich Groͤßen in einem und demſel - bigen Grundprincip ſind. Es ſind Erhoͤhungen nach verſchiedenen Seiten hin, davon die Eine große Grade annimmt, obgleich die andere in ungleichem Verhaͤltniſſe zuruͤckbleibet.

Alſo ſind es auch zwey unterſchiedene Kraftaͤußerun - gen: eine Aktion zu verrichten, oder eine neue Veraͤn - derung hervorzubringen, und dieſe Aktion in ſich vorzu - ſtellen, das iſt einen ehemaligen Zuſtand wieder an ſei - nen Spuren hervor zu ziehen. Vorſtellungen haben koͤnnen, und die Empfindungen haben koͤnnen, ſind auch hier noch weiter unterſchieden, als an einem Mehr oder Weniger. Jch darf das nicht wiederholen, was ſchonin691der Vorſtellungskraft c. in dem Erſten Verſuch (XVI. 6.) daruͤber geſagt iſt. Fuͤr den, der jenes begriffen hat, iſt hier nichts mehr noͤthig hinzu zu ſetzen.

2.

Nach der Leibnitz-Wolfiſchen Pſychologie er - klaͤrt man die Seele durch eine vorſtellende Kraft. Wenn dieß nur ſo viel heißen ſollte, als das Vermoͤgen, Vorſtellungen zu machen, und ſie zu bearbeiten, ſey ein Unterſcheidungsmerkmal der Seele, das ſie vor allen nicht vorſtellenden Weſen, das iſt vor ſolchen, die blos Veraͤnderungen annehmen ohne Gefuͤhl, und vor ſolchen, die nur fuͤhlen und wirken, voraus habe, ſo haͤtte ich nichts weiter dabey zu erinnern, als daß man nur dieſe Charakteriſirung etwas naͤher zu beſtimmen habe. Aber dieſe Philoſophen haben in ihr noch mehr geſucht. Siehet man ihre Erklaͤrungen von den Begierden und Handlungen der Seele an, ſo ſind alle Kraftaͤußerungen nichts anders als Operationen der Vorſtellungskraft; alles Wollen iſt ein Beſtreben zu neuen Vorſtellungen, und alles Thun beſteht darinn, daß Vorſtellungen her - vorgebracht, gegenwaͤrtig erhalten, verbunden und ver - miſchet, und lebhafter und ſtaͤrker bis zu Empfindungen ausgedruckt und bearbeitet werden. Jch will etwas. Was iſt dieß anders, ſagen ſie, als, ich will es als ei - ne wirkliche Sache mir vorſtellen, ich will es empfin - den. Das Beſtreben etwas hervorzubringen, wenn ich eine vorhergehende Vorſtellung habe, iſt alſo ein Be - ſtreben zu einer Empfindung, oder ein Beſtreben, jene Vorſtellung zu einer vollen Empfindung zu machen. Sollen dieſe Behauptungen mit philoſophiſcher Gerech - tigkeit gepruͤft werden, ſo muß man auch auf den weiten Umfang des Begriffs, der in dieſem Syſtem mit dem Wort, Vorſtellung, verbunden wird, Ruͤckſicht nehmen. Wenn jemand ſaget, Etwas wirklich machen und em -X x 2pfinden692X. Verſuch. Ueber die Beziehungpfinden ſey nichts anders, als eine neue Vorſtellung ma - chen; denn neue Modifikationen und neue Empfindun - gen ſind neue Vorſtellungen, ſo wuͤrde es umſonſt ſeyn, mit ihm daruͤber zu ſtreiten, da man ihm am Ende nichts mehr als eine Abweichung von dem Redegebrauch vor - zuwerfen haͤtte; eine Verſuͤndigung, die da, wo von den Sachen ſelbſt die Rede iſt, nicht anders, als nur neben - her geruͤget werden ſollte. Denn wir moͤgen uns aus - druͤcken, wie wir wollen, ſo bleibet die Unterſuchung der Sache auf demſelbigen Fleck, wo ſie vorher war; naͤm - lich bey der Frage: Ob das Hervorbringen neuer Em - pfindungen eben daſſelbe ſey, was die Seele verrichtet, wenn ſie Vorſtellungen, das iſt, die von vorhergegan - genen Empfindungen aufbehaltene Spuren bearbeitet?

Diejenigen unter Wolfs Nachfolgern, die das Syſtem, welches ohne Zweifel Eins der beſten und durch - gedachteſten iſt, voͤllig gefaßt haben, behaupten auch, daß es allerdings ſich ſo verhalte. Wenn ſich dieß durch Beobachtungen erweiſen ließe, ſo wuͤrde die vorſtellende und die handelnde Kraft der Seele einerley Grund - princip in einer viel weiter gehenden Bedeutung ſeyn, als ſie in dem vorhergehenden dafuͤr angeſehen iſt. Nach dem obigen ſtellet ſich die Seele Aktionen vor, in ſo fer - ne ſie ihre ehemalige Thaͤtigkeiten aus ſich ſelbſt aus in - nerer Macht von neuem wieder anfaͤngt, und ſie zuwei - len ganz wiederholet. Jn ſo ferne ſie Vorſtellungen be - ſitzet, hat ſie gewiſſe naͤhere Diſpoſitionen in ihrer Kraft, ſich auf dieſe oder jene Arten zu aͤußern, ohne daß ſie ſolcher Reize und Beſtimmungen von außen be - darf, dergleichen das erſtemal erfodert wuͤrden. Das Vor - ſtellen einer Aktion iſt alſo eine Wirkung der agirenden Kraft, und zwar eine ſelbſtthaͤtige Wirkung; und in ſo weit iſt die vorſtellende Kraft eine Beſchaffenheit der thaͤtigen Kraft. Aber nach der Wolfiſchen Er - klaͤrungsart muͤßte die thaͤtige Kraft als eine gewiſſeBeſchaf -693der Vorſtellungskraft c. Beſchaffenheit der vorſtellenden angeſehen werden, indem die Seele nur handelt dadurch, daß ſie etwas vorſtellet, und die Vorſtellung mit der gehoͤrigen Jntenſion aus - arbeitet. Dieß iſt aber nach meiner Meinung das Un - angemeſſene, was darinnen lieget. Jndeſſen gehoͤret ganz gewiß der erwaͤhnte Leibnitziſche Gedanke zu den tiefſten Blicken, mit der je ein philoſophiſches Auge in die Natur des Willens gedrungen iſt; und verdienet es recht ſehr, daß ſorgfaͤltig nachgeſehen werde, wie vie - les davon wahre und reine Beobachtung ſey?

Der Mittelpunkt dieſes Syſtems iſt folgender: die Seele empfindet, das iſt, fuͤhlet ihren gegenwaͤrtigen Zuſtand, woher ſolcher auch gekommen ſeyn mag, und hat Vorſtellungen, und bearbeitet dieſe. Bis dahin wirkt ſie als ein vorſtellendes Weſen, welches man - nigfaltige Modifikationen anzunehmen faͤhig iſt. Die Vorſtellungen und Empfindungen ziehen alsdenn Ge - muͤthszuſtaͤnde nach ſich, werden angenehm oder unan - genehm. Es entſtehen Empfindniſſe, neue Gefuͤhle, ohne weitere Kraftaͤußerungen, denn die Empfindniſſe ſind die von ſelbſt in uns entſtehende Folgen aus vor - hergegangenen Empfindungen und Vorſtellungen, und fodern alſo keine andere Thaͤtigkeiten, als ſolche, die ſich im Fuͤhlen und Vorſtellen ſchon geaͤußert haben. Durch dieſe Empfindniſſe wird die Seelenkraft gereizet, auf eine unterſchiedene Art gereizet, thaͤtig ſich zu aͤußern, je nachdem ſie an ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtand ein Ge - fallen oder ein Mißfallen findet, das iſt, nach der Ver - ſchiedenheit der Empfindniſſe zu wirken. Sind dieſe unangenehm, ſo erfolget ein Beſtreben zu neuen Vor - ſtellungen, und es entſtehen ſolche Vorſtellungen, die ſie aus dem in ihr vorhandenen Stoff hervorbringet. Alſo zeiget ſich wiederum noch nichts, als Operationes der vorſtellenden Kraft. Aber nun entſteht zugleich auch ein Beſtreben, dieſe neuen Vorſtellungen von veraͤndertenX x 3Zuſtaͤn -694X. Verſuch. Ueber die BeziehungZuſtaͤnden zu vollen Empfindungen auszubilden. Sie will etwas wirkliches, eine wirkliche Veraͤnderung, die ſo wie jedwede gegenwaͤrtige und wirklich vorhandene Sache gefuͤhlet und empfunden werden kann. Da iſt alſo ein eigenes Beſtreben zu neuen Empfindun - gen, und dieß iſt ein Beſtreben ihrer thaͤtigen Kraft, oder ihrer Aktivitaͤt, in ſo fern dieſe von der vor - ſtellenden Kraft unterſchieden werden kann. Nach ei - ner ſolchen Erklaͤrungsart ſind offenbar die letztern Be - ſtrebungen, welche dahin gehen, die Vorſtellung bis zur Empfindung zu erheben, nichts anders, als Be - ſtrebungen, ſolche zu erwecken, uud ſie gegenwaͤrtig zu erhalten, nur daß es ſtaͤrkere Anſtrengungen der Kraft ſind, wodurch ſie den wieder erweckten oder ſelbſt gemach - ten Vorſtellungen das Lebhafte und Volle erhalten wird, das ſie zu Empfindungsvorſtellungen und zu Empfin - dungen macht. Thaͤtig ſeyn, neue Empfindungen hervorbringen, iſt alſo dieſelbartige Aktion der Seele, welche in dem Reproduciren der Vorſtellungen und in dem Dichten vorkommt, und hat ſein Eigenes und Un - terſcheidendes nur von der groͤßern Jntenſion, mit der das Vorſtellungsvermoͤgen arbeiten muß, wenn es neue Empfindungen hervorbringen ſoll.

Jn dem andern Fall, wenn das Beſtreben dahin gehet, den angenehmen gegenwaͤrtigen Zuſtand fortzu - ſetzen, ſo iſt das, was geſchicht, ein Beſtreben, die Empfindungen oder Empfindungsvorſtellungen in ihrem derzeitigen Zuſtand zu erhalten. Der gegenwaͤrtige Zu - ſtand beſteht in Empfindungen und in Vorſtellungen. Aber da wir die Empfindung nicht anders gegenwaͤrtig erhalten koͤnnen, als wenn die Vorſtellungen in ihrer Voͤlligkeit, die ſie als Empfindungsvorſtellungen haben, fortdaurend beſtehen, ſo geht alles Beſtreben auf die ge - genwaͤrtigen Empfindungsvorſtellungen, und die mit der dazu hinreichenden Jntenſion wirkende Vorſtellungskraftfaͤhrt695der Vorſtellungskraft c. faͤhrt fort, in der naͤmlichen Richtung ohne Nachlaß thaͤtig zu ſeyn. Das Beſtreben zur Erhaltung ihrer der - maligen Empfindungen iſt alſo wiederum nichts anders, als ein Beſtreben der vorſtellenden Kraft.

Da iſt der Kern der Wolfiſchen Erklaͤrungen von dem Urſprung des Denkens und des Wollens aus Einem Grundprincip, ganz und unzerſtuͤmmelt, von ſeinen Huͤlſen entbloͤßet, ſo wie er dem Auge des Unterſuchers vorgeleget werden muß.

Dieſe Erklaͤrungsart, wenn ſie nur auf unſere will - kuͤhrlichen Handlungen gehet, wozu wir uns nach ei - ner vorhergegangenen Vorſtellung beſtimmen, wird durch die Beobachtungen beſtaͤtiget. Hier heißt ſelbſt - handeln nach Vorſtellungen ſo viel als ehemalige Aktionen wiederholen; und neue Aktionen vorneh - men, iſt daſſelbige in Hinſicht der Vorſtellungen von Thaͤtigkeiten, was das Dichten in Hinſicht der Bilder von empfundenen Gegenſtaͤnden war. Aber damit iſt man doch nicht berechtiget, alle Kraftaͤußerungen der Seele fuͤr Bearbeitungen von Vorſtellungen anzuſehen. Das letztere ſo wohl als das erſtere wird aus den folgen - den Bemerkungen erhellen.

Jn unſern willkuͤhrlichen und abſichtlichen Beſtrebungen, Thaͤtigkeiten, Handlungen nehmen wir zweyerley weſentliche Stuͤcke gewahr. Erſtlich eine Vorſtellung von dem Endzweck, von dem, was her - vorgebracht werden ſoll. Dieß iſt die Abſicht, der Vorſatz, der Zweck, das Ziel. Der Maler hat das Bild im Kopf, welches er darſtellen will. Wenn ſich der Geometer hinſetzt, ein Problem aufzuloͤſen, ſo mag ſeine Jdee von dem, was er ausrichten will, in man - cher Hinſicht noch unbeſtimmt ſeyn, aber er hat doch eine Jdee von einer gewiſſen Verbindung und Beziehung anderer Jdeen, die er in ſich hervorbringen will. Wer nach einem Ziel wirft, richtet die Augen nach dem Ziel,X x 4und696X. Verſuch. Ueber die Beziehungund machet ſich eine Vorſtellung davon, wie dieß Ziel mit dem Wurf getroffen werden ſolle. Dieſe Vorſtel - lung von dem Zweck iſt die leitende, waͤhrend der Aktion gegenwaͤrtige Vorſtellung. Außer dieſer iſt zweytens ein Beſtreben in unſern Kraͤften vorhanden, welche der leidenden Vorſtellung gemaͤß gelenket werden. Der Nach - denkende bietet ſeine Vorſtellungen und ſeine Ueberle - gungskraft auf, bemerket die Jdeen, die ſich ihm dar - bieten, ſtoͤßt diejenigen zuruͤck, welche zu ſeinem Zweck nicht gehoͤren, ſucht die uͤbrigen zuſammen zu halten, und zu ordnen, bis die geſuchte Beziehung gewahr ge - nommen wird. Der Maler laͤſſet ſeine Finger mit dem Pinſel wirken, aber jeder Anſatz zur Bewegung, der die Richtung nicht hat, welche zu ſeiner Abſicht erfoderlich iſt, wird zuruͤckgehalten, und nur die damit uͤberein - ſtimmenden werden fortgeſetzt.

Es iſt hiebey vorzuͤglich zu bemerken, in welcher Verbindung die Beſtrebungen der wirkſamen Kraft mit den ſie leitenden Vorſtellungen ſtehen. Der Maler hat nicht blos das Bild von der Sache im Kopf, die er darſtellen will, ſondern er denket ſich dieſe als et - was das von ihm hervorgebracht werden ſoll. Die Abſicht iſt nicht eine bloße Vorſtellung des aͤußern Objekts, oder der Wirkung, die man hervorbringen will. Es liegt noch etwas mehr in ihr; da die zu bewirkende Sache auch als eine ſolche, welche wirklich ge - macht werden ſoll, vorgeſtellet wird. Und dieß iſt ein wichtiger Beſtandtheil in jener Jdee. Die Jdee der Sache ſelbſt kann gegenwaͤrtig ſeyn, ohne daß wir im geringſten ein Beſtreben fuͤhlen, ſie hervorzubringen. Man kann das Original des Malers anſehen, ohne die mindeſte Anwandlung es kopiren zu wollen. Aber wenn die Vorſtellung der Sache, als eine Abſicht, die er - reichet werden ſoll, in uns iſt, ſo erwecket ſie zugleich Jdeen von Handlungen, von denen ſie vormals eineWirkung697der Vorſtellungskraft c. Wirkung war. Daher auch derjenige, der niemals ei - nen Pinſel gefuͤhret, noch ſolche Bewegungen mit der Hand gemacht hat, dergleichen die Verfertigung eines Gemaͤldes erfodert, ſich keinen Begriff von einem her - vorzubringenden Gemaͤlde machen, noch ſich derglei - chen zu verfertigen den Vorſatz faſſen kann. Unmittel - bar naͤmlich. Denn ein anders iſt es, ſich vorzuneh - men, daß man ſich zu einer Arbeit geſchickt machen wolle, und ein anders, dieſe Arbeit unmittelbar verrichten wol - len. Die Materialien zu einem Vorſatz erfodern Jdeen vorhergegangener Thaͤtigkeiten, welche in der Verbin - dung mit ihren Folgen reproduciret werden muͤſſen.

Die leitende Vorſtellung beſtimmet alſo in unſern willkuͤhrlichen Handlungen ſowohl die Kraͤfte und Ver - moͤgen, die wir anwenden ſollen, als auch die Art der Thaͤtigkeit. Sie lehret, welche Saiten der Seele, und auf welche Art ſie geruͤhret werden ſollen. Dieß erklaͤ - ret manche pſychologiſche Erſcheinungen. Z. B. Wenn das Werkzeug der Stimme ſchon gelenkſam genug iſt, um die einzelnen Theile der Toͤne anzugeben, ſo iſt nichts mehr noͤthig, als daß der nachzuſprechende Schall genau mit dem Ohr aufgefaſſet werde. Jſt alsdenn ein feſter Vorſatz da, ihn anzugeben, ſo geſchicht es. Es iſt eine allgemeine Erfahrung: wer einen Vorſatz vollſtaͤn - dig faſſen kann, iſt auch im Stande, ihn auszufuͤhren, woferne er mit Stetigkeit fortarbeitet, oder nicht aͤußere Hinderniſſe in den Weg treten. Ein Genie ſiehet nur zu, wie ein anderer arbeitet, faſſet alsdenn die Jdee von der Arbeit ſelbſt, entſchließet ſich, ſie nachzumachen, und ſiehe, er machts nach. Worinn beſtehet der we - ſentlichſte Theil der praktiſchen Anweiſungen einige Vorbereitungen fuͤr diejenigen ausgenommen, denen es noch an vorher erforderlichen Fertigkeiten zu den Elemen - tarhandlungen fehlet, von denen doch auch das naͤmliche gilt, wenn man ſie als einzelne Handlungen betrach -X x 5tet?698X. Verſuch. Ueber die Beziehungtet? Am Ende in nichts anders, als in Vorſchrif - ten, die uns behuͤlflich ſind, den Endzweck, den man er - halten will, lebhafter und vollſtaͤndiger kennen zu lernen. Die Augen unverruͤckt auf das Ziel hingerichtet, und dann ſich mit der gehoͤrigen Kraft angeſtrenget; dieß und was dazu dienet, um ihn das Ziel wohl faſſen zu laſſen, iſt alles, was man jemanden ſagen kann, wenn es eine einfache Handlung iſt, zu der die Anweiſung er - theilet wird. Denn ihm Regeln geben wollen, wie er die Fibern ſeines Koͤrpers anziehen, und die Muskeln ſeiner Finger und Haͤnde durch dieſe oder jene beſondere Richtung ſeiner Seelenkraft in Bewegung ſetzen ſolle, iſt eben ſo vergeblich, als die Vorſchriften ſelbſt ihm unver - ſtaͤndlich und unmoͤglich zu befolgen ſeyn wuͤrden. Was geſchehen kann, iſt dieſes, daß man ihm es vormache, was er thun ſoll, wenn ihm die Vorerforderniſſe ver - ſchaffet ſind, und alsdenn zum ernſtlichen Wollen und zum feſten Vorſatz aufmuntere.

Hieraus folget nun allerdings, daß jedwede Hand - lung, die mit Abſicht oder nach einer vorhergehenden Vorſtellung unternommen wird, in einem Beſtreben be - ſtehe, eine Menge von Vorſtellungen von vorhergegan - genen Aktionen wieder zu erwecken, und zwar ſo ſtark, daß es wahre Wiederholungen derſelben werden.

Aber wenn nun auch dieſe Erklaͤrungsart bis dahin als richtig angenommen, ſo kommt noch manches dabey zu erwaͤgen vor, das zwar die Jdee nicht aufhebt, jede Wiederholung einer ehemaligen Handlung mittelſt der Reproduktion ihrer Vorſtellung ſey in der Seele ſelbſt nichts anders als ein hoͤherer Grad jener Reproduktion der Vorſtellung, und jede willkuͤhrliche Handlung beſtehe aus ſolchen Reproduktionen; das aber zugleich der Jdee: Handeln uͤberhaupt und Vorſtellungen reproduciren, waͤren einerley Kraftanwendungen, ganz entgegen iſt. Jch will nur einiges davon beybringen.

1) Kann699der Vorſtellungskraft c.

1) Kann dieſelbige Kraft der Seele, welche die Spu - ren vorhergegangener Aktionen wiedererwecket, ſolche in irgend einem Fall bis zu dem Grade wieder hervorziehen, daß ſie wiederkommende Empfindungen ſind? Jſt nicht dieſe letztere Wirkung uͤber ihr Vermoͤgen, wenn nicht eine andere Urſache hinzukommt? Die Vorſtellungen veranlaſſen allerdings neue Empfindungen, wenn ſie lebhaft reproduciret werden, aber wo iſt ein Beyſpiel, daß die Phantaſie als wirkende Urſache ſolche hervor - bringe, wenn nicht noch eine andere Urſache ſich mit ihr vereiniget? Man wende die falſchen oder unaͤchten Empfindungen, und die Lebhaftigkeit der Vorſtellungen im Traum hier nicht an. Falſche Empfindungen und wahre Empfindungen ſind und bleiben weſentlich unter - ſchieden; jene ſind nur Vorſtellungen, dieſe Wirklichkei - ten. Aber laß dieſen Unterſchied gaͤnzlich wegfallen, wie er bey Handlungen oͤfters wegfaͤllt, die wir, wie das Gaͤhnen ſo leicht wiederholen, ob wir gleich nur von ei - ner Vorſtellung gereizet werden, als wenn die erſtere Empfindung uns antreibet; ſo iſt doch gewiß, daß auch die Seele ſelbſt, wenn ſie nur ihre innere Handlung wiederholen ſoll, außer dem aufſteigenden Vorſtellungen noch mit Gefuͤhlen in ihrem dermaligen Zuſtande ver - ſehen ſeyn muͤſſe, wenn es bey der Reproduktion der Vorſtellung bis zu einer voͤlligen Wiederholung der Hand - lung gehen ſoll. Jn dieſen dermaligen Gefuͤhlen muß alſo zum mindeſten davon der Grund liegen, daß die die Jdee von der Aktion reproducirende Kraft jetzo zu einem ſolchen Grad der Jntenſion fortſchreitet, wodurch mehr als die Jdee und die voͤllige Wiederholung bewirket wird. Wenn nichts mehr als die bloße Vorſtellung vorhanden waͤre, und nicht eine aus den uͤbrigen Empfindungen entſtehende Spannung der Kraft ſolche begleitete, ſo wuͤrde die Wiederholung der Aktion nicht erfolgen koͤn - nen. Die Kraft, womit die Seele die Aktion wieder -holet,700X. Verſuch. Ueber die Beziehungholet, iſt freylich dieſelbige, mit der ſie dieſe Wiederho - lung bey der Vorſtellung anfaͤngt, oder die Jdee repro - duciret. Aber ſo wenig das nochmalige Anſehen des Mondes aus der Reproduktion des Bildes erklaͤret wer - den kann, das wir von ihm aus den vorigen Empfin - dungen her haben, und ſo wenig das Beſtreben dieſes Bild in uns zu erneuern ein Beſtreben iſt, das Objekt wiederum zu ſehen, ſo wenig |kann die Wiederholung der Aktion in ein Beſtreben ihre Vorſtellung zu erneuern aufgeloͤſet werden. Jn beyden Faͤllen iſt ein ſolches Be - ſtreben da, und in dem einem gelinget es ehe, die Vor - ſtellung ſo lebhaft wie die erſte Empfindung zu machen. Aber auch in beiden Faͤllen muß alsdenn, wenn dieß ge - ſchieht, die ganze ehemals gegenwaͤrtige Urſache wie - derum vorhanden ſeyn und wirken. Das Beſtreben, die Jdee von der Aktion zu reproduciren, wuͤrde nichts mehr ausrichten, als das Beſtreben, ſich den Mond in der Abweſenheit vorzuſtellen, wenn in jenem Fall nicht die ganze ehemals wirkende Kraft in der Seele vorhanden waͤre, und von aͤhnlichen Empfindungen geſpannet wuͤrde.

Man pflegt gewoͤhnlich noch eine andere Einwen - dung gegen die wolfiſche Erklaͤrung zu machen, die ſie aber bey genauerer Unterſuchung nicht trift. Sie erlaͤu - tert das vorhergehende, darum will ich ſie anfuͤhren. Sind nicht, ſagt man, dieſe zwey Kraftaͤußerungen, die Beſtrebungen naͤmlich zu handeln, und die Beſtrebun - gen, Vorſtellungen und Jdeen lebhafter auszubilden, in unſerm Gefuͤhl deutlich genug von einander unterſchie - den? Wenn der Maler ſich beſtrebet, ſein Jdeal auf dem Pergament ſichtbar zu machen, ſo iſt das kein Be - ſtreben, ſich es ſtark und lebhaft vorzuſtellen, wie das Gemaͤlde auf dem Pergament ausſehen werde, ob - gleich das letztere mit jenem verbunden iſt. Er will nicht phantaſiren, er will etwas wirklich machen unddar -701der Vorſtellungskraft c. darſtellen. Jene Bemuͤhung, die auf die lebendige Vorſtellung geht, kennet er wohl, aber er iſt es ſich ſehr gut bewußt, daß, um etwas hervorzubringen, noch eine andere Anſtrengung der thaͤtigen Kraft erfodert werde.

Aber hierauf kann man antworten. Es iſt nicht die Vorſtellung von dem Gegenſtande, ſondern die wie - dererneuerten Anfaͤnge der ehemaligen Aktionen, die man alsdenn, wenn man etwas ausrichten will, zu einem ſolchen Grade von Staͤrke zu erheben ſich beſtrebet, daß ſie in wahre wiederholte Aktionen uͤbergehen. Der Maler, der ſichs nur einbilden will, wie das Gemaͤlde ausſehen werde, wenn es verfertiget iſt, ſucht zwar die Jdee des Gegenſtandes lebhaft zu machen, aber nicht die Vorſtellungen von den Aktionen, die zum Malen er - fodert werden, und zwar die von dem Jnnern der Hand - lungen ſelbſt. Denn die Auſſenſeite derſelben koͤnnte er ſich gleichfalls lebhaft vorzuſtellen ſuchen, ohne daß dar - aus ein Beſtreben wirklich Hand anzulegen hervorgienge.

Ferner muß dabey bemerket werden, daß nie eine Handlung, die wir willkuͤhrlich und nach einer Vorſtel - lung verrichten, in aller Hinſicht dieſer Vorſtellung ge - maͤß werde. So genau auch die Ausfuͤhrung mit der vorgefaßten Jdee uͤbereinſtimmen mag, ſo iſt doch kein Beyſpiel da, in dem nicht noch etwas anders eingemiſcht wird, das nicht vorher vorgeſtellet war. Zu den Beſtre - bungen, die Jdeen ehemaliger Aktionen zu reproduciren, geſellen ſich alſo andere Triebe und Kraftaͤußerungen, die mit jenen nicht auf einerley Art entſtehen koͤnnen. So wie jeden Augenblick neue Empfindungen hinzukommen, und neue Empfindungsvorſtellungen uns zugefuͤhret werden, die keine Wirkungen der Phantaſie noch der Dichtkraft ſind, ſondern aus neuen Gefuͤhlen entſprin - gen, ſo giebt es auch in jeder Aktion etwas Neues, eine neue Anwendung der Kraft, die von allen nur wiedererweckten und aufs neue verbundenen vorhergegan -genen702X. Verſuch. Ueber die Beziehunggenen Aktionen unterſchieden iſt. War die neue Em - pfindung des Lichts in dem Sehendgewordenen Blinden nichts als eine Fiktion aus vorhergegangenen und wie - dererweckten Empfindungen zuſammengeſetzt?

Die ganze erwaͤhnte Erklaͤrung iſt endlich nur allein auf die willkuͤhrlichen Handlungen, wozu wir uns nach Vorſtellungen von ihnen beſtimmen, anpaſſend. Was ſoll aber aus den blinden inſtinktartigen Kraftaͤu - ßerungen werden, die vor allen Vorſtellungen von Aktionen vorhergehen. Die thaͤtige Kraft wird in den Jnſtinktaͤußerungen gereizet durch Empfindungen und gelenkt durch Empfindungen; und von dieſer Art ſind die erſten natuͤrlichen Handlungen alle. Jſt es ein Er - fahrungsſatz, wie er es iſt, daß wir von jeder Hand - lung nur die Vorſtellung aus der Empfindung von ihr erlangen, wie kann denn die Handlung als ein Be - ſtreben, die Vorſtellung von ihr zu erneuern, angeſehen werden, die noch nicht da iſt, ehe jene ſchon verrichtet wor - den? Dieß wuͤrde ein Kreiß im Erklaͤren ſeyn, der nothwendig Schwindel verurſachen muß.

V. Von703der Vorſtellungskraft c.

V. Von der Verſchiedenheit der Empfindungen, in ſo ferne ſie mehr die eine, als die an - dere von den Grundvermoͤgen der Seele zur Wirkſamkeit reizen.

  • 1) Der Grund, warum gewiſſe Empfin - dungen mehr die Empfindſamkeit erregen, andere mehr den Verſtand zum Denken, und andere mehr den Willen zum Han - deln beſtimmen, liegt zum Theil in einer gewiſſen Beſchaffenheit der Empfin - dungen.
  • 2) Es koͤnnen uͤberhaupt nur ſolche Sachen beſondere Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls ſeyn, von welchen die Eindruͤcke beſonders und unvermiſcht mit den Eindruͤcken von an - dern der Seele zugefuͤhret werden.
  • 3) Vielbefaſſende, lebhafte, ſtarke und un - auseinandergeſetzte Empfindungen ſind die eigentlichen Gefuͤhle, welche ruͤhren und bewegen. Allzuſtarke Eindruͤcke be - taͤuben.
  • 4) Gleichguͤltige Empfindungen reizen das Empfindungsvermoͤgen, als Sinn be - trachtet, aus demſelbigen Grunde, aus dem ſie auf die Vorſtellungskraft wirken.
  • 5) Gemaͤßigte und mehr auseinandergeſetzte Empfindungen reizen die vorſtellende Kraft. Noch mehr auseinandergeſetzte die Denkkraft.

6) Die704X. Verſuch. Ueber die Beziehung

  • 6) Die Gefuͤhle reizen unmittelbar die Em - pfindſamkeit, in ſo ferne ſie angenehm ſind.
  • 7) Unangenehme Gefuͤhle reizen die Thaͤ - tigkeitskraft. Aber dieſe wird am mei - ſten unterhalten durch Bedoͤrfniſſe, de - nen durch die thaͤtige Beſtrebung der See - le abgeholfen werden kann, und durch Vorſtellungen von vorhergegangenen an - genehmen Empfindungen.
  • 8) Folgerungen aus dem Vorhergehenden. Das Verhaͤltniß in den entwickelten Grundvermoͤgen der Seele haͤngt zum Theil von der Art und Weiſe ab, womit die Seele Veraͤnderungen von außen an - nimmt, und ſolche zu Empfindungen macht.

1.

Dieſe Beziehung der vorſtellenden Kraft zu dem Gefuͤhl und zu der Thaͤtigkeitskraft wird noch etwas mehr aufgeklaͤret, wenn man auf den Unterſchied in den Empfindungen ſiehet, wodurch jene und dieſe in Wirkſamkeit geſetzet werden. Jedwede einzelne Empfin - dung in der Seele hat einen Einfluß auf ihre geſammte Grundvermoͤgen, aber doch nicht auf alle in gleicher Maße und auf gleiche Art. Einige ſind mehr eine Nah - rung fuͤr die vorſtellende Kraft; andere ſind es weniger fuͤr den Verſtand, aber mehr fuͤr den Geiſt und das Herz. Es giebt gleichguͤltige, es giebt afficirende, es giebt bewegende Empfindungen, und wenn wir un - ter den letztern alle die zuſammennehmen, wodurch die Seele zu irgend einer thaͤtigen Aeußerung ihrer wirkſa -men705der Vorſtellungskraft c. men Vermoͤgen geſpannet wird, ſo koͤnnen unter ihnen ſolche, welche die Vorſtellungs - und Denkkraft am mei - ſten beſchaͤftigen, von andern unterſchieden werden, wo - durch die Kraft der Thaͤtigkeit zu den Abaͤnderungen ihres Zuſtandes, die nicht in Bearbeitungen nachgelaſ - ſener Spuren des vorhergehenden beſtehen, gereizet wird.

Wenn man annimmt, daß ſchon ein merklicher Un - terſchied unter den einzelnen Menſchen ſich feſt geſetzet, und in dem Einen das Gefuͤhl, in dem Andern der Ver - ſtand, in dem Dritten die Thaͤtigkeitskraft die Woͤrter in der Bedeutung genommen, die oben beſtim - met iſt, eine uͤberwiegende Staͤrke erhalten hat; es ſey nun eine ſolche Ungleichheit in den Verhaͤltniſſen den Grundvermoͤgen gegen einander, natuͤrlich und angebohren, oder hinzugekommen, ſo iſt es wohl be - greiflich, daß dieſelbige Empfindung, das iſt, dieſelbi - ge gegenwaͤrtige gefuͤhlte Modifikation, ſie komme von aͤußern oder von innern Urſachen, bey dem Einen mehr Spekulationen des Verſtandes, bey dem Andern mehr thaͤtige Beſtrebungen des Willens erregen, und bey dem Dritten mehr das Herz mit Wallungen des Vergnuͤ - gens und des Verdrußes erfuͤllen koͤnne. So finden wir es wirklich. Man kann die Menſchen, nach dem herr - ſchenden Grundvermoͤgen, in Perſonen vom Gefuͤhl, vom Verſtande, und in thaͤtige abtheilen, wenn man die kleinern Verſchiedenheiten entweder bey Seite ſetzet, oder in eine oder die andere Klaſſe unterſchiebet. Die Kloͤtze, die Dummkoͤpfe, und die unthaͤtigen Phle - gmatiker, ſind jenen entgegengeſetzet, in ſo ferne die Grundvermoͤgen bey dieſen eine negative Groͤße haben, oder ſchwaͤcher ſind, als ſie in einer mittelmaͤßigen und gewoͤhnlichen Menſchenſeele ſeyn ſollen. Dieſe verſchie - dene Seelenarten benehmen ſich auf eine verſchiedene Art bey einerley Eindruͤcken von außen, unter gleichen Um -I. Band. Y yſtaͤnden.706X. Verſuch. Ueber die Beziehungſtaͤnden. Der Beobachter beſieht einen Gegenſtand ge - nau an allen Seiten, macht ſich die lebhafteſte Vorſtel - lung davon, und bezieht ihn auf andere; der Denker ver - gleicht ihn, abſtrahiret, und legt eine neue Reihe allge - meiner Betrachtungen bey ihm an. Der Empfindſame kann ſich nicht genug an ſeiner Schoͤnheit ergoͤtzen, oder uͤber ſein haͤßlich Anſehen aͤrgern; und in dem Mann von ſtarken Begierden entſtehen maͤchtige Beſtrebungen, die Sache entweder ſich zu verſchaffen, oder ſie von ſich abzuhalten. Die Seele wirkt auf die ihr leichteſte Art, wenn ſonſten nichts im Wege iſt, und alſo am erſten und am meiſten mit dem Vermoͤgen, welches in ihr am ſtaͤrkſten iſt. Die Eindruͤcke von außen, und nachher die innern Abaͤnderungen des Zuſtandes, die in der Seele vor ſich gehen, ſind ein allgemeiner Nahrungs - ſaft fuͤr alle Seelenvermoͤgen; aber ein jedes von dieſen muß deſto mehr und deſto ſtaͤrker aus ihnen anziehen, je reger und ſtaͤrker es zu der Zeit iſt, wenn die Empfin - dung ihm vorgehalten wird. Auch derſelbige Menſch iſt nicht zu allen Stunden gleich aufgelegt zum Nachden - ken, zum Genießen und zum Handeln. Es wuͤrde uͤbereilt ſeyn, daraus ſogleich zu ſchließen, daß es auf die Beſchaf - fenheit der Empfindung ſelbſt nicht ankomme, was fuͤr ein Grundvermoͤgen am meiſten von ihnen gereizet wer - den muͤſſe. Die maͤßigſte Vergleichung unſerer taͤgli - chen Erfahrungen lehret es ohne Wiederrede, daß eine Art von Empfindungen fuͤr Eins dieſer Vermoͤgen weni - ger ſchicklich ſey, es weniger reize, und weniger ſeine Kraft hervorlocke als eine andere; daß z. B. die eine Art mehr zu denken und die andere mehr zu fuͤhlen gebe. Und dieß kann als ein Grundſatz der Erfahrung, der keiner Beſtaͤtigung mehr bedarf, angenommen werden. Aber es wuͤrde auch wiederum eine Ausſchweifung auf der andern Seite ſeyn, wenn nun die geſammte Urſache dieſer Verſchiedenheit allein dem Unterſchied der Reizun -gen,707der Vorſtellungskraft c. gen, die in den Empfindungen liegen, beygemeſſen, und nichts den verſchiedenen Graden der Reizbarkeit in dem Jnnern der Vermoͤgen ſelbſt zugeſchrieben werden ſollte. Was fuͤr Saͤfte durch die Abſonderungswerkzeuge aus der Maſſe unſers Bluts im Koͤrper zubereitet werden, und in welcher Quantitaͤt ſie abgeſondert werden, das haͤngt ohne Zweifel theils von der Menge der zu dieſen Saͤften ſchicklichen Beſtandtheile ab, die in dem Blut enthalten ſind, doch auch von der Kraft und Staͤrke der Organe, die ſolche herausziehen ſollen.

2.

Dieß zum Grunde gelegt, ſo fragt ſich zuerſt, was es fuͤr Beſchaffenheiten in den Empfindungen ſind, die vorzuͤglich und am meiſten die vorſtellende und den - kende Kraft in Thaͤtigkeit ſetzen? Dann, welche es ſind, wodurch ſie mehr die Empfindſamkeit erregen, und welche es ſind, wodurch die Thaͤtigkeitskraft zu neuen Beſtrebungen gereizet wird. Oder uͤberhaupt was in ihnen ſey? wodurch ſie das Gefuͤhl, den Verſtand und den Willen zu neuen Veraͤnderungen rege machen, ſie entwickeln, unterhalten, uͤben, und verſtaͤrken?

Dieſe Unterſuchung, zumal wenn man ſich auch er - was auf die angrenzende Sachen einlaſſen wollte, wuͤrde in ein großes Feld hinfuͤhren. Der Leſer erwarte hier nichts mehr, als einige einzelne Zuͤge, die mit dem vor - hergehenden Jnhalt dieſes Verſuchs in der naͤchſten Be - ziehung ſtehen.

Zuerſt, was haben uͤberhaupt die Eindruͤcke von den aͤußern Gegenſtaͤnden an ſich, deren die Seele em - pfaͤnglich iſt, und die ſie fuͤhlen oder empfinden kann, was ſie zu ſolchen fuͤhlbaren und empfindbaren Objekten macht? Was iſt in dem Licht, in den Toͤnen, in den Ausfluͤßen der Koͤrper, in ihren aufgeloͤſeten Salzen, in ihrem Druck auf unſere Nerven, warum nur dieß aͤußer -Y y 2lich708X. Verſuch. Ueber die Beziehunglich ſinnliche Sachen und Beſchaffenheiten ſind? kann man daran zweifeln, daß es nicht mehrere Beſchaffen - heiten, Wirkungsarten und Effekte der Koͤrper gebe, zu denen uns der Sinn fehlet, und die uns vielleicht kuͤnf - tig ein ſechſter Sinn lehren wird? Worinn beſtehet denn jener ihre Fuͤhlbarkeit?

Auf dieſe Frage kann man wenig oder nichts antwor - ten. Wer kennet die Modifikabilitaͤt der Seele ſo von Grund aus? Man hat keine Begriffe von Einwirkun - gen auf ſie, davon ſie ſo wenig veraͤndert wird, und die ſie ſo wenig empfindet, als die Ohren das Licht.

Aber wenn man Schluͤſſe mit Erfahrungen verbin - det, ſo wird es doch ſehr wahrſcheinlich, daß die Augen zum Exempel nicht ſo wohl Werkzeuge ſind, wodurch das Licht auf die Seele wirket, und ſie veraͤndert, ſon - dern vielmehr Werkzeuge, wodurch dieſe Lichtseindruͤcke allein und abgeſondert von den Eindruͤcken anderer Koͤrper und anderer Kraͤfte uns zugefuͤhret werden. Dieß iſt der weſentlichſte und charakteriſtiſche Dienſt der unterſchiedenen Sinnglieder, und dahin geht das Ei - gene in ihrer Einrichtung. Sie wirken wie Abſonde - rungsgefaͤße, die aus der ganzen vermiſchten Maſſe al - ler auf die Seele fallenden Eindruͤcke von außen, dieſe oder jene beſondere Art abſondern, oder ſie doch abge - ſondert und unvermiſcht mit den uͤbrigen der Seele vor - legen. Die Augen geben der Seele keine neue Em - pfaͤnglichkeit, die ſie vorher nicht hatte; und bringen ihr eben ſo wenig neue Eindruͤcke von eigenen Koͤrpern oder beſondern Kraͤften zu, die ihr nicht ſchon durch ihre uͤbri - gen Sinne zugeſuͤhret waren. Die Wirkungen des Lichts, und ſeine Eindruͤcke, welche es als Licht, hervor - bringet, ſind auch in den Empfindungen des koͤrperli - chen Gefuͤhls begriffen, wie außer Zweifel iſt. Aber es fehlte noch, daß dieſe Art von Eindruͤcken abgeſondert und unterſcheidbar von der Seele erhalten wuͤrde. Unddas709der Vorſtellungskraft c. das iſt es, was durch das Sehwerkzeug bewerkſtelliget wird, als welches ſo eingerichtet iſt, daß es nur das Licht, als Licht, oder doch dieſes nur vorzuͤglich durch - laͤßt. Wenn die Sache ſich bey den uͤbrigen Sinnen eben ſo verhaͤlt, ſo kann man ſagen, daß auch ein ſechs - ter und ſiebenter Sinn uns keine neue Welt, keine neue Dinge, keine neue Kraͤfte, ſondern nur neue Seiten eben derſelbigen Kraͤfte darſtellen und kennen lehren wuͤrde.

Dieſer Satz gehoͤrt nicht zu den Erfahrungsſaͤtzen, und kann ohne Raiſonnement nicht erwieſen werden. Jch fuͤhre ihn daher auch nur beylaͤufig an. Aber wenn wir ihn einmal als beſtaͤtiget annehmen, ſo laͤßt ſich daraus fuͤr die letzterwaͤhnte Frage folgende Antwort geben:

Wenn es wirkliche Objekte giebt, oder Kraͤfte und Beſchaffenheiten von ihnen, von denen wir keine Em - pfindungen haben, ſo liegt das nicht daran, weil unſere Seele uͤberall keine Empfaͤnglichkeit fuͤr ſie hat; ſie kann wirklich von ihnen modificiret ſeyn, ihre Eindruͤcke in Vermiſchung mit andern aufnehmen, und auf ſie zu - ruͤckwirken, und, wie Leibnitz und Wolf ſagten, dunkel empfinden; ſondern es liegt daran, daß es an einem ſo eingerichteten Sinngliede fehlet, welches dieſe Art von Eindruͤcken fuͤr ſich allein der Seele zufuͤhren koͤnnte. Jndeſſen kann man noch dieß hinzuſetzen. Da unſer weiſer Urheber unſere Sinnglieder der innern Natur der Seele voͤllig angemeſſen gebildet hat, ſo muͤſſe wohl die Seele noch nicht aufgelegt geweſen ſeyn, meh - rere Gattungen von Jmpreſſionen abgeſondert anzuneh - men, als wir wirklich empfangen; oder zum mindeſten muͤſſe es ihr in ihrem jetzigen Zuſtande nicht zutraͤglich geweſen ſeyn, ſie ſo zu empfangen.

Y y 33. Laßt710X. Verſuch. Ueber die Beziehung

3.

Laßt uns alſo nicht weiter zuruͤckgehen, als auf die Empfindungen, wie ſie da ſind; wie die aͤußern durch die Einwirkung der Objekte auf unſere Sinnglieder, und die innern durch innere Urſachen bewirket ſind. Was iſt nun in dieſen Modifikationen enthalten, wodurch ſie vorzuͤgliche Reizungen fuͤr die unterſchiedene Vermoͤgen werden?

Es iſt ein Erfahrungsſatz: Jede gegenwaͤrtige Empfindung wirket auf das Gemuͤth und auf den Willen, wenn ſie vielbefaſſend und unauseinan - dergeſetzt, lebhaft und ſtark iſt, bis auf einen gewiſ - ſen Grad hin.

Und umgekehrt. Um eine afficirende Empfin - dung zu ſeyn, und um zu neuen Beſtrebungen zu be - wegen, muß ſie einen gewiſſen Grad von Staͤrke und Lebhaftigkeit beſitzen, den man nur dadurch beſtimmen kann, daß man ihn vergleichungsweiſe mit andern ei - nen groͤßern Grad nennet; das iſt, ſie muß vielbe - faſſend und unauseinandergeſetzt ſeyn, und zu den ei - gentlichen Gefuͤhlen*)Zweeter Verſuch. V. 2. gehoͤren.

Jch berufe mich auf alle Unterſuchungen, die von den Philoſophen uͤber den Urſprung des Gefallens und des Mißfallens, und uͤber die Entſtehung der Neigun - gen angeſtellt ſind. Etwas davon habe ich oben in dem zweyten Verſuch uͤber die Empfindungen ſchon gebraucht. Alle Beobachtungen haben dieſe Saͤtze beſtaͤtiget, und wenn etwan einige darinn eine Ausnahme anzutreffen ge - glaubet, daß doch auch ein einfacher Sonnenſtral uns afficire, ſo deucht mich, man muͤſſe ſich nur aus der Optik erinnern, was ein ſogenannter einfacher Lichtſtral ſey, und dann ſeine innere Menge und Mannigfaltig - keit mit der Groͤße ſeiner Wirkung, und mit den Um -ſtaͤnden,711der Vorſtellungskraft c. ſtaͤnden, unter welchen er wirket, vergleichen, um zu begreifen, daß dieß Beyſpiel von der Regel nicht ab - weiche.

Jede einzelne Empfindung iſt an ſich vielbefaſſend und unauseinandergeſetzt. Daͤraus folget, daß auch eine jede ihrer innern Jntenſion gemaͤß, im Anfange affici - ren und bewegen muͤſſe; daß keine urſpruͤnglich ganz und gar gleichguͤltig ſey, ſo lange ſie noch neu iſt. Aber wenn ihre Menge ſich in der Seele aufgehaͤufet hat, ſo er - halten ſie außer ihrer abſoluten innern Quantitaͤt, eine relative Groͤße, und die Eine Art wird in Hinſicht auf die andere klein und unbedeutend. Jedwede wirket im Anfang auf das geſammte Grundprincip der Seele, und auf alle ſeine Kraͤfte, und dieſer Einfluß wird auch nie ganz ein Nichts. Aber die Eine wird doch mehr affici - rend, und die andere weniger; die eine bewegt, und die andere laͤßt uns in Ruhe. Bey dieſen Wirkungen ſehen wir nur darauf, daß ſie vorzuͤglich das ſind, wofuͤr wir ſie halten, und es mehr ſind, als andere; und eben eine ſolche Vergleichung, und einen ſolchen Ueberſchlag muß man auch nicht aus den Augen ſetzen, wenn uͤber ihre Urſachen geurtheilet wird.

Zu ſchwache Empfindungen wirken nichts; reizen nicht und bewegen nicht, aber allzuheftige haben eine aͤhnliche Wirkung; ſie betaͤuben. Jn der Koͤrperwelt iſt das Geſetz von der Aehnlichkeit des Aeußerſten in den entgegengeſetzten Dingen bekannt. Die heftigſte Kaͤlte hat aͤhnliche Wirkungen mit der groͤßten Hitze; aber dieſe Aehnlichkeit iſt keine voͤllige Einerley - heit, ſondern es nur zum Theil und in gewiſſer Hinſicht. Es giebt ein aͤhnliches Geſetz in der Pſychologie. Auch bey den Seelen giebt es einen gewiſſen Grad, uͤber wel - chen die Lebhaftigkeit und Staͤrke der Empfindung nicht ſteigen darf, ohne ſie in einen Zuſtand zu verſetzen, worinnY y 4ſie712X. Verſuch. Ueber die Beziehungſie ſo fuͤhllos und unthaͤtig ſich beweiſen, als bey dem gaͤnzlichen Mangel der Eindruͤcke.

Was aber insbeſondere die afficirende Empfin - dungen zu angenehmen Empfindungen mache, und worinn der urſpruͤngliche Grundcharakter dieſer und ih - rer entgegengeſetzten, welche Unluſt oder Schmerz erre - gen, beſtehe, das uͤbergehe ich hier, und werde blos die Erfahrung annehmen, daß einige von ihnen angenehm, andere unangenehm ſind. Das erſtere Problem ſcheinet mir, der vortreflichen und ſcharffinnigen Unterſuchungen ohngeachtet, die daruͤber angeſtellet ſind, noch nicht in ſeinem ganzen Umfang aufgeloͤſet zu ſeyn. Wenn eine Empfindung angenehm iſt, und die andere widrig, ſo haͤngt dieß ohne Zweifel von einer gewiſſen Beziehung auf die Kraͤfte, und Vermoͤgen der Seele, in ihrem derzeitigen Zuſtand, ab. Denn dieſe Beziehung be - ſtimmt die Wirkung, die ſie hervorbringet. Dieſe Be - ziehung hat aber einen gedoppelten Grund, einen ſub - jektiviſchen, indem eine gewiſſe Beſchaffenheit und Ein - richtung der Seele und ihrer Grundvermoͤgen erfodert wird, und einen objektiviſchen in den Gegenſtaͤnden, deren Jmpreſſionen mit der alſo beſtimmten Naturkraft der Seele vereiniget werden. Wenn der ſogenannte Erweiterungs - oder Entwickelungstrieb, als der alleinige Grundtrieb der Seele angeſehen werden koͤnn - te, ſo wuͤrde jener ſubjektiviſche Grund dadurch im all - gemeinen beſtimmet, und nur noch uͤbrig ſeyn, die Be - ſchaffenheit der Objekte und der Jmpreſſionen von ihnen anzugeben, wodurch ſie dem Triebe ſich zu erweitern, mehr oder minder angemeſſen, oder ihm zuwider ſind. Und da wuͤrde dieß auf Mannigfaltigkeit mit Ueberein - ſtimmung hinauskommen. Aber Eins ſteht im Wege, dieſe Theorie fuͤr voͤllig allgemein und auf alle Arten von gefallenden und angenehmen Modifikationen anwendbar halten zu koͤnnen. Die Menſchenſeele aͤußert eben ſowohl713der Vorſtellungskraft c. wohl einen Hang ſich einzuwickeln, ſich zuſammen - zuziehen, ihre Empfindungen und Vorſtellungen zu ver - mindern und zu verdunkeln, und noch einen andern, ei - nen Erhaltungstrieb, oder eine Traͤgheitskraft, die dahin geht, ſich blos in ihrer dermaligen Verfaſſung zu erhalten, und ſo wohl der Erweiterung ihrer gegen - waͤrtigen Thaͤtigkeit als der Einſchraͤnkung derſelben zu widerſtehen, als ſie den Erweiterungstrieb offenbaret. Der bloße Erhaltungstrieb kann leicht als ein Re - ſultat aus dem Gleichgewicht des Erweiterungstriebes und des entgegenſtehenden Triebes ſich zuſammen zu zie - hen erklaͤret werden. Aber was die beyden uͤbrigen be - trifft, ſo ſehe ich nicht, wie man natuͤrlicher den letztern in den erſtern, als den erſtern in den letztern aufloͤſen wolle. Jſt der Hang zur Unthaͤtigkeit und zum Schlaf in dem Ermuͤdeten, von dem was in der Seele vor - geht iſt nur die Rede eine Folge von dem Natur - hang, ſich zu beſchaͤftigen und den Umfang der Gefuͤhle zu erweitern, der nur unter gewiſſen Umſtaͤnden modi - ficirt in jenen uͤbergeht? Dieſe Analyſis ſcheinet mir noch eben ſo viele Schwierigkeiten zu haben, als in der Naturlehre die Reduktion der abſtoßenden Kraft auf die anziehende. Daher deucht mich, es ſey nur Eine Seite der Urkraft der Seele, woran ſie den Hang ſich zu er - weitern zeiget; oder es ſey dieſer Trieb nur ein Seiten - zweig, der einen andern entgegengeſetzten neben ſich habe, und es fehle uns an dem Begriff eines Urtriebes, der von beyden der gemeinſchaftliche Stamm iſt. Und eben daher ſcheinet mir die bisherige Theorie von dem Grund der angenehmen Empfindungen noch unzulaͤnglich zu ſeyn, alle Erfahrungen zu erklaͤren, ob er gleich bey ſo vielen hinreichet, und bey den meiſten, wenn nur auf die Art zu empfinden Ruͤckſicht genommen wird, die wir unter den Umſtaͤnden und in den Jahren bey dem Menſchen antreffen, wo die Seele noch mit merklichen SchrittenY y 5in714X. Verſuch. Ueber die Beziehungin ihrer Entwickelung fortgehet. Vielleicht hievon mehr an einem andern Ort. Jch hoffe nicht, daß dieſe hier blos hingeworfene Erinnerung als ein Tadel der tieffin - nigen Betrachtungen angeſehen werde, die von den groͤßten Philoſophen hieruͤber angeſtellet, und fuͤr voͤllig hinreichend gehalten worden ſind. Die Abſicht davon iſt nur, aufmerkſam zu machen auf das, was meiner Ein - ſicht nach jene fuͤr ihre Nachfolger hier uͤbrig gelaſſen haben.

4.

Die gleichguͤltigen Empfindungen reizen zwar die Empfindſamkeit, die eine gewiſſe Art des Gefuͤhls iſt, ſo wenig als die thaͤtige Kraft, aber koͤnnen ſie nicht doch das Empfindungsvermoͤgen, als ein Theil der Erkennt - nißkraft auf ſich ziehen? alſo die Urſache ſeyn, daß der Sinn ſich gerne mit dem Eindruck beſchaͤftiget, ihn leb - hafter, ſtaͤrker, voͤlliger, deutlicher in ſich aufnimmt? Jch antworte, was meiner Meinung nach fuͤr ſich ſelbſt klar iſt, daß dieſe naͤhere und angeſtrengtere Anwendung des Sinns nur in der Abſicht zu beobachten, und die Empfindung beſſer zu faſſen, keine Wirkung des gleich - guͤltigen Eindrucks ſey, als nur, in ſo ferne dieſe auch die vorſtellende Kraft in Thaͤtigkeit ſetzet, oder ſchon darinn geſetzt hat. Dieſe ſchaͤrfere Betrachtung iſt auf die Vorſtellung und Kenntniß gerichtet. Der verſtaͤrkte Gebrauch des Sinns iſt zum Theil ſelbſt ſchon eine An - wendung des Vermoͤgens, mit dem wir Nachempfin - dungen und Empfindungsvorſtellungen erhalten; theils eine Wirkung davon, daß dieſes Vermoͤgen rege ge - macht iſt. Aber wenn man endlich hier auf die bloße Empfindung, das iſt, auf die bloße Reaktion gegen die empfangene Veraͤnderung, oder die bloße Aeußerung des Sinns, die von der vorſtellenden Kraft unterſchieden iſt, ſehen, und in der Jmpreſſion etwas ſuchen will,was715der Vorſtellungskraft c. was auch unmittelbar auf den Sinn wirken, und eine groͤßere und laͤngere anhaltende Thaͤtigkeit deſſelben, ohne andere dazwiſchengekommene Vorſtellungen, herauslo - cken kann, ſo iſt dieſer Reiz in derſelbigen Beſchaffenheit der Jmpreſſion gegruͤndet, durch welche ſie die vorſtel - lende und denkende Kraft in Regung ſetzet. Die gleich - guͤltige Empfindung iſt nicht ganz unwirkſam. Sie heißt nur unwirkſam, in ſo ferne ſie keine Gemuͤthsbe - wegungen und keine Beſtrebungen der Thaͤtigkeitskraft hervorbringet.

5.

Gemaͤßigte Staͤrke und Deutlichkeit in den gefuͤhlten Eindruͤcken ſind die Reizung fuͤr die vorſtellende und denkende Kraft. Allzugroße Schwaͤche wirket nichts, und reizet die Seele nicht, we - der zum Denken noch zum Handeln. Große Lebhaftig - keit unterhaͤlt das Gefuͤhl, und ſpannet die thaͤtige Kraft, und hindert dagegen das Vorſtellen und Denken. Aber wo ſie in einem mittlern Grade vorhanden iſt, da fin - det die Vorſtellungskraft ihr Werk; da kann ſie wirken und wirket; und wo objektiviſche Deutlichkeit iſt, da iſt Nahrung fuͤr das Beziehungsvermoͤgen, und fuͤr die Denkkraft.

Dieß Geſetz der Vorſtellungskraft wird durch folgende Beobachtungen, außer Zweifel geſetzt.

1) Die Geſichtsvorſtellungen ſind die Vorſtellungen von der erſten Ordnung. Jn ihnen iſt die meiſte Klar - heit. Sie werden am leichtſten wieder erweckt, und ſind die Huͤlfsmittel, die uͤbrigen wieder zu erwecken, die man an ſie anleget. Jn den Reihen der aſſociirten Jdeen ſind die Geſichtsvorſtellungen gemeiniglich die Klaves, auf welche die Reproduktionskraft unmittelbar anſchlaͤ - get, wenn ſie ganze Jdeenreihen wiedererwecken will.

Aber716X. Verſuch. Ueber die Beziehung

Aber eben dieſe Gattung von Empfindungen iſt auch diejenige, die in Vergleichung mit den uͤbrigen, im Durch - ſchnitt die gemaͤßigteſte Lebhaftigkeit und Staͤrke beſitzet. Die ſtaͤrkſten Empfindungen des Geſichts, ſolche naͤm - lich, wodurch wir Vorſtellungen von den Objekten er - halten, nur in Rechnung gebracht, denn die ſtaͤrkere Er - ſchuͤtterung der Netzhaut, welche blendet, gehoͤrt zu den Gefuͤhlen ſind ſchwaͤchere, und enthalten weniger intenſive Staͤrke, wenigere Vielfachheit von Eindruͤcken, als die ſtaͤrkſten Empfindungen der uͤbrigen Sinne. Es giebt freilich eine Menge von Eindruͤcken, aus jedem an - dern Sinn, am meiſten bey dem Gefuͤhl, die an Schwaͤ - che einigen Geſichtseindruͤcken gleichkommen, und noch unter ihnen ſind. Wie viele kleinere Druckungen auf das Gefuͤhl, wie viele Geruchsarten, und Schalle blei - ben nicht unbemerkt, und aͤußern keinen merklichen Ein - fluß auf die innern Vermoͤgen der Seele? So gar, wenn man die ſchwaͤchſten noch fuͤhlbaren Eindruͤcke aus jeder Klaſſe der fuͤnf Sinne gegen einander ſtellet, ſo ſind unter dieſen die ſchwaͤchſten Geſichtsempfindungen vielleicht die ſtaͤrkſten. Aber eben dieß iſt es, was mit dazu gehoͤrt, wenn die Eindruͤcke des Geſichts die mei - ſten Reize, und die meiſte Nahrung fuͤr die Vorſtel - lungskraft enthalten ſollen. Dieſer Zweck erfodert, daß die Eindruͤcke weder allzuſchwach und unmerklich ſind, noch auch allzu heftig; und welche Klaſſe hat dieſe Eigen - heit mehr an ſich, als diejenige, deren Staͤrkſten in Vergleichung der Staͤrkſten der uͤbrigen am kleinſten ſind, und deren Schwaͤchſten in Vergleichung mit den Schwaͤchſten der uͤbrigen am ſtaͤrkſten ſind?

Die Geſichtsempfindungen ſind auch die deutlich - ſten, in denen das Vielfache am meiſten auseinander - geſetzt, und abgeſondert empfindbar iſt. Jn keiner an - dern Art giebt es mehr unterſcheidbare Theile, die jeder fuͤr ſich unvermiſcht mit andern gefuͤhlet werden koͤnnen. Jede717der Vorſtellungskraft c. Jede Art des Lichts macht einen eigenen Eindruck auf die Netzhaut nach der Verſchiedenheit der Farben; und die Menge der einzelnen Punkte, die beruͤhret werden, und davon jeder allein ohne die uͤbrigen ſeine eigene ſinn - liche Bewegung annehmen und erhalten kann, wenn die zugleich mit geruͤhrten unveraͤndert bleiben, oder anders afficiret werden, als ſie es zu derſelbigen Zeit ſind; die Menge dieſer beſonders und allein fuͤr ſich ſinnlich beweg - baren Punkte iſt in dem Sinnglied des Geſichts groͤßer, als in jedem andern. Und auf dieſelbige Art verhaͤlt es ſich mit den innern Eindruͤcken auf die Seele. Was Wunder alſo, daß ſie ſo vorzuͤglich auf die vorſtellende Kraft, und auf die Denkkraft wirken, und daß, wie anderswo ſchon bemerket iſt,*)Vierter Verſuch. VI. 3. Fuͤnfter Verſuch. XII. unſere gewoͤhnlichen Ge - ſichtsvorſtellungen in einem vorzuͤglichen Grade Jdeen und Gedanken ſind?

2) Wenn das Licht den Augen zu ſtark wird, wenn es ſchmerzet und blendet, ſo faͤllt die angegebene Urſache weg; zugleich aber auch die Wirkung. Es erfolgen Schmerzen und Beſtrebungen, die Augen wegzuwen - den; aber keine Vorſtellungen und Gedanken.

3) Das Gefuͤhl giebt uns, auch allein fuͤr ſich, Jdeen von der Ausdehnung, von der Figur, dem Raum, und von der Bewegung; und von der Haͤrte und Feſtig - keit der Koͤrper haben wir die Begriffe allein durch die - ſen Sinn. Dieß ſind wiederum mehr Jdeen als Em - pfindungen, die wir nicht fuͤr etwas ſubjektiviſches in uns, ſondern fuͤr etwas objektiviſches außer uns anſehen. Mit der Vorſtellung von einem Stich, einem ſtarken Stoß, und uͤberhaupt von dem Schmerze oder dem Kitzel ver - haͤlt es ſich auf die entgegengeſetzte Art. Da haben wir mehr klare Empfindungen, als klare Vorſtellungen von Sachen. Aber iſt es nicht auch offenbar, daß die Ge -fuͤhls -718X. Verſuch. Ueber die Beziehungfuͤhlseindruͤcke, die uns den Stoff von jenen Vorſtellun - gen hergeben, durchgehends eine groͤßere Mannigfaltigkeit in ihren Theilen und weniger Jntenſion beſitzen?

4) Nicht genug, daß gemaͤßigte Empfindungen die Gegenſtaͤnde der vorſtellenden Kraft ſind, ſie wird auch nur zur Thaͤtigkeit gereizet durch ſolche Empfindungen, da die ſtaͤrkern entweder ihre Empfindſamkeit beſchaͤfti - gen, oder ihre Aktivitaͤt in Bewegung ſetzen. Die Re - flexion wird gereizet durch das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe, welches ein ſchwaches feines Gefuͤhl iſt, das mit dem Gefuͤhl der Aktion ſelbſt, die davon veranlaſſet worden iſt, faſt ganz vermiſchet wird. *)Vierter Verſuch. VII. 1. Siebenter Verſuch. I. 1.

Es ſind bekannte Erfahrungen, daß eine zu große Lebhaftigkeit der Empfindung, wie die zu große Begierde, die Wirkſamkeit der Vorſtellungskraft und des Verſtan - des hindert und gar aufhebt. Ein heftiger Schmerz und entzuͤckende Wolluſt hemmet den Lauf der Vorſtel - lungen und ſchließet Ueberlegungen aus. Man ſetze nicht entgegen, daß der Affekt die Sinne ſchaͤrfe, oder eigentlich die Einbildungs - und Dichtungskraft anflam - me. Es iſt nicht zu verwundern, daß die von der ſtar - ken Empfindung betaͤubte Seele ſich wie ein aufgehalte - ner Strom nachher mit Gewalt wieder fort zur Wirk - ſamkeit reißet, und alsdenn auch ihre Vorſtellungskraft mit Heftigkeit in einer gewiſſen Richtung anwendet. Aber man muß die Art von Empfindungen, welche die Seele von ſelbſt zum Vorſtellen reizen, von denen un - terſcheiden, welche die Aktivitaͤt der Seele erregen, und dieſe auf Veraͤnderungen ihres innern Zuſtandes hinden - ken. Denn die Vorſtellungskraft von neuen aufbieten, daß ſie ſich anwende, oder ſie zuruͤckhalten oder anders - wohin wenden, ſind innere Aktionen auf uns ſelbſt, die von der Operation des Vorſtellens, welche nachher erfol -get,719der Vorſtellungskraft c. get, unterſchieden iſt. Dorten wird eine neue Modiſi - kation hervorgebracht, und der wichtigſte Theil der Wir - kungen auf uns ſelbſt beſtehet in den Lenkungen, die wir der Vorſtellungskraft beybringen, und in den Erregun - gen der Jdeen, ohne welche wir niemals willkuͤhrlich handeln. Aber dieſe Thaͤtigkeiten der vorſtellenden Kraft, welche die Leidenſchaft erreget, iſt nur ein uns bekanntes Mittel zu unſerer Abſicht, nicht aber unſer Zweck ſelbſt, der in einer Veraͤnderung des Zuſtandes, und in der Bewirkung neuer Modifikationen beſtehet. Empfindungen, die das Vermoͤgen unſern Zuſtand zu veraͤndern, in Thaͤtigkeit ſetzen, ſind auch mittelbare Triebfedern fuͤr die vorſtellende Kraft, in ſo ferne die Be - ſtimmung dieſer Kraft ſelbſt das Mittel iſt und man hat in den meiſten Faͤllen kein anderes Gemuͤthsver - aͤnderungen und Handlungen hervorzubringen. Dage - gen geht der natuͤrliche Reiz der Erkenntnißkraft nicht weiter, als bis zur Erkenntniß. Die vorſtellende Kraft gehet alsdenn von ſelbſt hervor, ohne mit Gewalt getrie - ben zu werden. Von jenem unmittelbaren Reiz fuͤr die Vorſtellungskraft habe ich behauptet; er finde ſich nur in gemaͤßigten und deutlichen Empfindungen. Allein wenn die Seele als ein handelndes Weſen thaͤtig iſt, und dann in der Richtung zu den Veraͤnderungen ihres Zu - ſtandes hin, zugleich ihre vorſtellende Kraft aufbietet, ſo haben die ihre Aktivitaͤt erregenden Gefuͤhle einen an - dern Charakter.

Muͤſſen aber nicht die Empfindungen, welche die vorſtellende Kraft erregen ſollen, auch angenehme ſeyn, und gefallen? Jch antworte, dieß ſey fuͤr ſich nicht noͤthig, aber die Operationen der vorſtellenden und den - kenden Kraft, welche die Seele auf ſie anwendet, muͤſ - ſen gefallen. Sie muß Luſt haben an dieſen Arbeiten, und ſich darinn fuͤhlen; und daher muß die Empfindung, welche ſie dazu reizet, der vorſtellenden Kraft angemeſ -ſen720X. Verſuch. Ueber die Beziehungſen ſeyn. Allein dieß iſt es nicht, worauf es hier eigentlich ankommt. Die Empfindung kann deswegen, als ein gefuͤhlter gegenwaͤrtiger Zuſtand, fuͤr ſich ganz geſchmack - los ſeyn. Dem Geometer machet der Anblick ſeiner Fi - guren kein ſolches Vergnuͤgen, wie dem Kenner der An - blick ſchoͤner Gemaͤlde; aber jene ſetzen ſeine Vernunft in Arbeit, und dieſe Arbeit iſt es, welche ihn ergoͤtzet, und als eine afficirende Empfindung ſeinen thaͤtigen Wil - len beweget, und ihn daher beſtimmet, ſich dieß Ver - gnuͤgen laͤnger und mehrmalen zu verſchaffen. Wenn die afficirenden Empfindungen von ſolchen unterſchieden werden, die auf die Erkenntnißkraft wirken, ſo ſetzet man das Charakteriſtiſche von ihnen darinn, daß jene als gegenwaͤrtige Beſchaffenheiten angenehm oder wie - drig ſind, und daher die Kraft der Seele beſtimmen, ſolche zu unterhalten, oder zu veraͤndern; dagegen dieje - nigen, welche nur die Vorſtellungskraft reizen, fuͤr ſich weder gefallen noch mißfallen, ſondern nur aufgenom - men, und abgebildet werden, welche Beſchaͤfftigung ſelbſt angenehm oder unangenehm ſeyn kann, und andere dergleichen Folgen veranlaſſen. Dieſe Erinnerung iſt vielleicht uͤberfluͤßig, aber in mikroſkopiſchen Unterſuchun - gen kann man nicht leicht allzuſcharf und allzu genau zu - ſehen.

6.

Die empfindſamen Veraͤnderungen, und die be - wegenden haben den gemeinſchaftlichen Charakter, daß ſie ſtaͤrker und verwirrter ſind, als diejenigen, auf welche ſich die Vorſtellungskraft verwendet. Aber wenn nun von neuen die Frage iſt, welche unter dieſen denn vorzuͤglich die Empfindſamkeit unterhalten, und wel - che mehr die Triebfedern fuͤr die handelnde Thaͤtigkeits - kraft ſind, ſo deucht mich, die Beobachtungen fuͤhren dahin, das erſtere ſey eine Folge des Angenehmen;das721der Vorſtellungskraft c. das letztere aber des Unangenehmen. Das Vergnuͤ - gen ſchaͤrft am meiſten den Geſchmack; der Verdruß trei - bet ſtaͤrker zur Thaͤtigkeit. Aber es iſt wohl zu merken, daß nur auf die urſpruͤnglichen und unmittelbaren Rei - zungen der Vermoͤgen geſehen werde. Sobald dieſe ſich aͤußern, ſo wirken ſie auch in einander, reizen und er - wecken einander wechſelſeitig und die erſten Empfindun - gen werden mittelbar die Triebfeder zu allen Vermoͤgen der Seele. Durch dieſen gegenſeitigen Einfluß der Ver - moͤgen in einander, muß man hindurch ſehen, ſo ſehr er es ſonſten verdienet, fuͤr ſich allein naͤher betrachtet zu werden. Wenn die aktiven Kraͤfte der Seele ſchlaff ſind, und das Vorſtellungsvermoͤgen zuruͤckbleibet, ſo muß das innere Gefuͤhl und die Empfindſamkeit einen großen Vorrath von Modifikationen entbehren, aus dem ſie den groͤßten und feinſten Theil ihrer Vergnuͤgungen heraus - ziehen kann. Feine Empfindſamkeit iſt keine Eigenſchaft des Dummkopfs und des Traͤgen. Und wiederum darf man da keinen großen Verſtand erwarten, wo es an feiner Empfindſamkeit, und an reger Kraft zur Thaͤtig - keit in dem Jnnern fehlet. So wie auch da, wo die Traͤgheit groß iſt, das Gefuͤhl ſehr ſtumpf, und die Vor - ſtellungskraft und der Verſtand ſehr unwirkſam ſind. Aber dieſes Einfluſſes in einander ohnerachtet, ſind doch dieſe Vermoͤgen ſelbſt, und ihre vorzuͤglichen Grade von einander unterſchieden, und ſo auch die Urſachen, welche ſie unmittelbar zur Thaͤtigkeit bringen.

Die angenehmen lebhaftern Empfindungen ma - chen den Zuſtand aus, den die Seele ihrer Natur nach zu erhalten und fortzuſetzen ſuchet. Der Genuß iſt ihr Wohl; und ſie will genießen. Bey dieſen Empfindun - gen ſuchet ſie nichts weiter, als ſie zu erhalten; ſie haſſet vielmehr die Veraͤnderung, und haͤlt das Beſtreben ih - rer thaͤtigen Kraft zuruͤck, das darauf, als auf die Zer - ſtoͤrung ihres Wohlſeyns ausgehet. Da jede Empfin -I. Band. Z zdung722X. Verſuch. Ueber die Beziehungdung von ſelbſt erliſchet, woferne ſie nicht durch einige ſelbſtthaͤtige Beſtrebungen von innen erhalten wird, ſo erfodert auch der Genuß eine Beſchaͤftigung der Kraft, ſich zu beſtimmen. Sogar das Empfinden ſelbſt iſt eine Reaktion, die bey einem Weſen ohne alle thaͤtige Theil - nehmung nicht ſtatt finden kann. Aber es iſt wenig Thaͤtigkeit in dieſer Handlung, und deſto weniger, je mehr die Empfindniſſe koͤrperlich ſind, bey welchen die Seele ſich am meiſten leidend verhaͤlt. Das Gefuͤhl iſt es alſo, dem die Seele ſich uͤberlaͤſſet, wenn ihre gegen - waͤrtige Modifikationen lebhaft und ergoͤtzend ſind. Und dadurch wird es geſtaͤrkt, verfeinert und erhoͤhet.

So lehret es die Erfahrung. Der Geſchmack an allen Arten des Schoͤnen, ſo gar der Geſchmack am Den - ken und Handeln wird nicht anders gereizet und entwi - ckelt, als durch angenehme Empfindungen, welche in den Gegenſtaͤnden, oder in unſerer Art ſie zu bearbeiten, ihre Quelle haben. Es iſt zwar ein Unterſchied zwiſchen dem Geſchmack an einer Sache, und zwiſchen dem kri - tiſchen Gefuͤhl. Jene iſt eine Fertigkeit des Gefuͤhls, das Angenehme der Dinge zu empfinden, mit einem Hang verbunden, dieſe Empfindung laͤnger zu genießen. Das kritiſche Gefuͤhl iſt mehr ein Gefuͤhl der Kennzei - chen, daß in den Objekten die Quellen der Luſt oder Un - luſt enthalten ſind. Daher ein Menſch von dem fein - ſten kritiſchen Gefuͤhl das Vergnuͤgen aus gewiſſen Arten von Empfindungen dennoch ſo wenig ſchaͤtzen kann, daß ihm keine Luſt, wenigſtens keine merkliche Begierde an - wandelt, ſich ſolchen zu uͤberlaſſen. Er hat eine andere Art von Wolluſt, die ihm mehr werth iſt. Aber uͤber - haupt kann niemand einen Geſchmack in einer Sache oder eine Staͤrke in dem Gefuͤhl des Angenehmen und Unangenehmen, des Schoͤnen und des Haͤßlichen, des Vollkommenen und des Mangelhaften, der Ordnung und der Verwirrung, erlangen, ohne vorher ſolche Ge -genſtaͤnde723der Vorſtellungskraft c. genſtaͤnde lebhaft empfunden zu haben. Jch nehme ſol - che Faͤlle aus, wo ein beſonderer Geſchmack eine Folge von einem Geſchmack an andern Dingen iſt, und alſo nur die Objekte veraͤndert, wenn er ſich als eine neue Art des Geſchmacks offenbaret.

Die unangenehmen Gefuͤhle ſchließe ich hievon aus. Dieſe erregen Beſtrebungen, uns ihrer zu entledi - gen, und alſo unſern Zuſtand zu veraͤndern, das iſt, Beſtrebungen der Thaͤtigkeitskraft; aber ſie koͤnnen ih - rer Natur nach die Seele nicht an ſich ziehen, und ſie dahin bringen, daß ſie ſich mit ihnen naͤher, ſtaͤrker und inniger einlaſſe, und das Vermoͤgen, ſolche Gefuͤhle zu haben, mehr auf ſie verwende, und dadurch uͤbe und ſtaͤrke. Was ich auf die ſcheinbaren Einwendungen dagegen antworten werde, iſt aus dem vorhergehenden leicht zu begreifen. Mißvergnuͤgen und Schmerz er - weichen das Gemuͤth, machen es bewegbarer, zaͤrtlicher, zum Mitleiden aufgelegter; und wie kann der Geſchmack an dem Schoͤnen und Vollkommenen verfeinert und be - feſtiget werden, wenn nicht neben dieſen angenehmen Empfindungen die ihnen entgegenſtehenden Widrigen aufgeſtellet geweſen ſind, und jene ſchmackhafter und be - merkbarer gemacht haben? Laßt die Erfahrungen, wel - che hieher gehoͤren, nur ein wenig zergliedert werden, ſo beſtaͤtigen ſie den obigen Satz. So lange die unange - nehmen Eindruͤcke anhalten, iſt freylich das Gefuͤhl an ihnen gebunden, und muß fortfahren, ſie anzunehmen, ſo groß auch das innere Widerſtreben iſt, womit es ſich von ihnen zu entfernen ſucht. Aber dadurch werden dieſe Gefuͤhle ſelbſt nicht anziehend, und locken das Gefuͤhl nicht weiter auf ſich heraus, als es durch eine uͤberwaͤlti - gende Kraft gezwungen wird, ſich mit ihnen zu beſchaͤf - tigen. Nur aus dieſen Urſachen koͤnnen ſie das Gefuͤhl an ſich ziehen; wenn ſie des Kontraſtes wegen geſucht werden, wie die Diſſonanzen in der Muſik; oder auchZ z 2als724X. Verſuch. Ueber die Beziehungals Mittel, das Mißvergnuͤgen leichter, auch in der Ferne, kennen zu lernen, damit man ſich deſto ehe dafuͤr huͤten koͤnne; oder endlich wenn ſie ſelbſt in der Vor - ſtellung geſchwaͤchet, ihre Natur veraͤndern, und zu an - genehmen Empfindniſſen werden. *)Zweeter Verſuch. VII. 5.Jn den erſten Faͤllen bleiben ſie, was ſie ſind, nemlich kleinere Uebel, die man entweder gerne zulaͤßt, und wuͤnſchet, um des ſtaͤrkern Guten willen, das ſie veranlaſſen, oder die man doch zulaſſen muß. Aber nie werden ſie dadurch natuͤrliche und urſpruͤngliche Triebfedern, wodurch die Seele an der Seite ihrer Empfindſamkeit entwickelt wuͤrde.

7.

Endlich ſind es die unangenehmen lebhaften Empfindungen, welche die unmittelbaren Reize fuͤr die Thaͤtigkeitskraft in ſich enthalten. Bedoͤrfniß iſt die große Triebfeder unſerer Natur. Jſt der Zuſtand un - angenehm, ſo erfolget das Beſtreben ſolchen zu veraͤn - dern. Jenen will man nicht fortſetzen, ſondern weg - ſchaffen, und einen andern hervorbringen, das iſt, eine neue Modifikation bewirken.

Die unangenehmen Empfindungen koͤnnen unter zwo allgemeine Klaſſen gebracht werden. Jch ſetze voraus, daß die Urſache dieſer ihrer Beſchaffenheit in ihrer Dis - proportion mit den Vermoͤgen und Kraͤften beſtehe, ſo wie die letztern zu der Zeit ſich befinden, wenn die Jm - preſſionen hinzukommen. Dem Muͤden iſt die Ruhe ein Balſam, da die Unthaͤtigkeit bey friſchen und regen Kraͤften die unausſtehlichſte Langeweile hervorbringet. Erfodert alſo das Vergnuͤgen ein gewiſſes Ebenmaaß der Modifikation zu dem gegenwaͤrtigen Zuſtand der Seele, zu ihren Kraͤften, Vermoͤgen und Beſchaͤfti -gungen,725der Vorſtellungskraft c. gungen, und entſtehet das Mißvergnuͤgen uͤberhaupt aus dem Mangel dieſes Verhaͤltniſſes, ſo haben wir zwo Ar - ten vom Unangenehmen, davon das Eine in dem Zuviel, das andere in dem Zuwenig ſeinen Grund hat. Jſt die Veraͤnderung fuͤr die Empfindungskraft, welche ſie aufnimmt, zu groß, ſo entſtehet Schmerz; iſt ſie zu klein, ſo entſtehet Unbehaglichkeit (uneaſeneſs), Un - ruhe aus der Einſchraͤnkung, aus Hinderniſſen, welche ſich dem Beſtreben thaͤtig zu ſeyn, im Weg legen, Man - gel des Vergnuͤgens. Beide noͤthigen uns, eine Ver - aͤnderung zu ſuchen; beide ſpannen die Thaͤtigkeitskraft der Seele. Aber dennoch auf eine unterſchiedene Art, die wegen ihrer praktiſchen Folgen bemerket zu werden verdienet.

Der Schmerz verurſachet ein Beſtreben zur Ver - aͤnderung, und wirket mit großer Heftigkeit; aber er beſtimmet die Richtung dieſes Beſtrebens nicht zu einer beſondern Art von Anwendung. Die Seele will nur ihrem Ungluͤck entgehen, und fliehen, es ſey zur Rechten oder zur Linken, auf dieſem oder jenem Wege. Und weiter gehet auch die Wirkung des Schmerzens nicht. Der Schmerz erwecket nicht ſo ſehr eine Luſt zu einer neuen Thaͤtigkeit, als vielmehr eine Abneigung gegen den Zuſtand, der ihn erzeuget. Die Furcht wirket fuͤr ſich nicht mehr Beſtreben und Fleiß, als zur Vermei - dung der ſchmerzhaften Empfindung unentbehrlich iſt. Der faule Neger bauet die Erde nicht weiter, als nur um nicht zu verhungern. Aber wenn innere Unbehag - lichkeit oder Uebelſeyn, das ſeinen Grund in einem ge - hinderten und aufgehaltenen Beſtreben hat, uns treibet, ſo iſt ein Trieb vorhanden zu der Handlung ſelbſt, als wodurch dieſer Unannehmlichkeit nur allein abgeholfen werden kann. Urſpruͤnglich entſtehet dieſe Empfindung aus den Veraͤnderungen, welche das gereizte Gefuͤhl zu wenig beſchaͤftigen. Die erſte Wirkung davon iſt dasZ z 3blinde726X. Verſuch. Ueber die Beziehungblinde Beſtreben zur Wirkſamkeit, als zu einer Veraͤn - derung, welche das Gefuͤhl mehr befriediget. Dieſes unbeſtimmte Verlangen wird zu einer beſtimmten auf einen gewiſſen Gegenſtand gerichteten Begierde, wenn einmal ein den Beſtrebungen der Kraft angemeſſener Gegenſtand gefunden worden iſt. Unangenehme Em - pfindungen reizen alſo uͤberhaupt die Aktivitaͤt; aber die - jenigen, die mehr aus dem Mangel des poſitiven Ver - gnuͤgens entſpringen, ſind wirkſamer, als diejenigen, welche in poſitiven Uebeln beſtehen. Jene haben indeſ - ſen immer etwas von dem letztern in ihrer Begleitung. Ueberhaupt kann man nicht ſagen, daß die Thaͤtigkeit des Menſchen in der Maaße vergroͤßert werde, wie die Quantitaͤt unangenehmer Empfindniſſe vergroͤßert wird. Das nicht; ſondern nur dann, wenn die abhelfbaren Bedoͤrfniſſe, oder unangenehmen Empfindniſſe, deren man ſich durch die Anwendung ſeiner Kraͤfte erledigen kann, vermehret werden, ſo wird die Jnduſtrie in dem Verhaͤltniß gereizet, wie die Summe der Vorſtellungen von angenehmen, durch eigene Arbeit zu erreichenden Ver - gnuͤgungen vergroͤßert wird. Ohne vorhergegange - ne angenehme Empfindungen wuͤrde der Theil der un - angenehmen Gefuͤhle fehlen, der aus der Beraubung oder aus dem Mangel entſtehet. Angenehme Empfin - dungen werden alſo gebrauchet, um Verlangen zu erre - gen, welches ohne Kenntniß des Guten nicht ſtatt fin - det. Verlangen und Hofnung und Furcht ſind die drey Triebfedern unſerer Wirkſamkeit, die den groͤßten Effekt haben, wenn ſie mit einander verbunden ſind. Aber wer ſich der Furcht allein bedienet, giebt der Natur eine ſchiefe Richtung, oder uͤbertreibt und vernichtet ſie. Man kann damit anfangen, daß man Nachlaͤßigkeit be - ſtrafet, aber wahre Luſt zur Arbeit will am meiſten durch Verlangen und Hoffnung genaͤhret ſeyn.

8. Die727der Vorſtellungskraft c.

8.

Die vorhergehenden allgemeinen Erfahrungsſaͤtze fuͤhren uns zu einer entferntern Urſache, wovon das un - gleiche Verhaͤltniß entſtehet, in welchem die Grundver - moͤgen der Seele, das Gefuͤhl, der Verſtand und die Thaͤtigkeitskraft bey verſchiedenen Jndividuen entwickelt werden. Die naͤchſte Folgerung aus dem vorhergehen - den iſt dieſe: Da die aͤußere Welt fuͤr die Menſchen - ſeelen, im Anfang wenigſtens fuͤr die Kinder faſt dieſel - bige iſt, da jedweder gutorganiſirter Menſch, durch alle Sinne gleichartige Eindruͤcke von gleichen Gegenſtaͤnden empfaͤngt, ſo kann, wenn alles uͤbrige gleich iſt, die ver - ſchiedene Art, womit die von außen auffallenden Veraͤn - derungen aufgenommen und zu Empfindungen ge - macht werden, allein ſchon den Unterſchied zwiſchen den Menſchen von Empfindung, von Verſtande und von Geſchaͤftigkeit, veranlaſſen. Laß die Organe ſo einge - richtet ſeyn, daß ſie uͤberhaupt die Eindruͤcke von den Objekten etwas maͤßigen, ſie zerſtreuen, auseinander ſetzen; oder laß ſie ihrer Feinheit wegen mehr ſolche durch - laſſen, die ſo beſchaffen ſind, als andere; oder laß die Receptivitaͤt der Seele ſelbſt ein wenig mehr von einer zerſtreuenden Kraft, wenn das Vermoͤgen die auf - fallenden Eindruͤcke auseinander zu ſetzen, und ſie da - durch gemaͤßigter und deutlicher zu machen, ſo genennet werden darf, an ſich haben; oder endlich, laß beides, die harmoniſche Diſpoſition in den Organen, und in der Seelenkraft nach welcher pſychologiſchen Hypotheſe man ſichs vorſtellen will, zu dieſer Zertheilung und Maͤßigung der Jmpreſſionen beytragen; ſo iſt die An - lage ſchon vorhanden zu einer vorzuͤglichen Entwickelung der Vorſtellungskraft und des Verſtandes. Solche Eindruͤcke ſind es eben, die am leichteſten bey der Ab - weſenheit ihrer erſten Urſachen durch die Anwendung der innern Kraft hervorgezogen und erneuert werden koͤnnen,Z z 4wozu728X. Verſuch. Ueber die Beziehungwozu die mehr befaſſenden weniger geſchickt ſind. Jſt dagegen in dem Gehirn, oder in der Empfaͤnglichkeit der Seele, oder in beiden, wie man will, ein gewiſſes Vermoͤgen zuſammenzubringen, eine Vereinigungs - kraft, wenn ſie ſo heißen darf, durch welche die Ein - druͤcke naͤher an einander gebracht, und in einander ge - zogen werden; ſo wird auch das Grundprincip der Seele mehr in Empfindſamkeit und in Thaͤtigkeitskraft hervor - gehen. Beide Arten von Dispoſitionen koͤnnen entwe - der blos etwas leidentliches ſeyn, und im Grunde mehr in einer Schwaͤche oder in einem Mangel an Kraͤften ge - gruͤndet ſeyn, als in poſitiven Faͤhigkeiten; aber eben ſo wohl koͤnnen auch die beiden Anlagen zu zerſtreuen und zu vereinigen, in reellen Vermoͤgen beſtehen.

Nach meiner allgemeinen Abſicht, mich nie weiter auf die Betrachtung einzulaſſen, als ſo lange ich noch die Erfahrungen im Geſicht haben kann, will ich lieber zu nahe bey dieſen bleiben, als zu weit mich entfernen. Jndeſſen moͤgen noch ein paar Saͤtze der Beurtheilung anderer, die weiter gehen wollen, uͤberlaſſen werden. Eine Spekulation hat zwar darauf gefuͤhret, aber ich meine doch, daß ſie auch mit vielen Beobachtungen be - leget werden koͤnnen.

Eine groͤßere Anlage, die empfangenen Eindruͤcke zu vereinigen, hat ihre verſchiedenen Dimenſionen. Jſt ſie extenſive ſtaͤrker, verbreitet ſie ſich auf mehrere und mancherleyartige Eindruͤcke, ſo treibet ſolche vorzuͤglich auf die vorſtellende Kraft, auf eine ſtarke Einbil - dungskraft und auf das Dichtungsvermoͤgen, alſo uͤber - haupt auf die ſinnliche Erkenntnißkraft. Dieß iſt die Grundanlage zu den Dichtergenie.

Jſt ſie an Jntenſion ſtaͤrker, und was Wunder, daß es alsdenn weniger an Ausdehnung vorzuͤglich iſt, ſo wirket ſie zu einer groͤßern Denkkraft, zu der hoͤhern Erkenntnißkraft, zum Verſtande und zur Vernunft.

Die729der Vorſtellungskraft c.

Die Dispoſition, die Eindruͤcke mehr vereiniget zu laſſen, oder ſie ſelbſtthaͤtig zuſammenzubringen, hat auf eine aͤhnliche Art ihre verſchiedene Dimenſionen. Das Verhaͤltniß der Ausdehnung zu ihrer innern Staͤrke kann auch hiebey verſchieden ſeyn. Man kann noch die Pro - tenſion, die Staͤrke im Anhalten und Nachſetzen, als die dritte Dimenſion hinzudenken, die aber in allen von glei - cher Groͤße angenommen, oder auch zu der Jntenſion mit gezogen werden mag. Wenn die Ausdehnung groͤßer iſt, wobey denn die Jntenſion einige Grade weniger hat, ſo iſt die Anlage da zu der ſtarken Empfindſamkeit. Jſt dagegen die Jntenſion groͤßer, als die Ausdehnung, ſo haben wir die Grundanlage, aus der die thaͤtigen und in Geſchaͤften wirkſamen Koͤpfe gebildet werden.

Ob aber das Verhaͤltniß der Jntenſion zu der Ex - tenſion in der geſammten ſelbſtthaͤtigen Receptivi - taͤt mit dem Verhaͤltniß in den gedachten Dispoſitionen, die Eindruͤcke zu vereinigen und zu zerſtreuen, zu - ſammenfalle, das getraue ich mich nicht zu bejahen. Es ſcheinen die Beobachtungen vielmehr dagegen zu ſeyn. Aber deſto ſicherer iſt die Folgerung, die auch ohne viele Spekulationen einleuchtet, daß es nur eine Verfuͤhrung des Herzens ſey, auf Mangel an Menſchenkenntniß gegruͤndet, wenn wir einen etwanigen Vorzug an unſern eigenen einſeitigen Talenten fuͤr einen gleich großen Vor - zug an geſammter Seelen-Geiſtes - und Menſchen - groͤße anſehen, und uns auf dieſelbige Staffel unter den Menſchen ſetzen, auf der wir vielleicht mit Recht ſtehen moͤchten, wenn die Ordnung allein nach der Groͤße des Witzes, oder der Verſtandesfaͤhigkeiten be - ſtimmet werden ſollte.

Z z 5Eilfter730XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft

Eilfter Verſuch. Ueber die Grundkraft der menſchlichen Seele und den Charakter der Menſchheit.

I. Ob wir eine Vorſtellung von der Grundkraft der menſchlichen Seele haben koͤnnen, und welche?

  • 1) Was eine ſolche Grundkraft ſeyn ſoll?
  • 2) Jſt eine Vorſtellung von ihr moͤglich?
  • 3) Jſt das Gefuͤhl die Grundkraft der Seele?

1.

Nicht Hypotheſen, ſondern Beobachtungen geben uns von der Seele, ſie ſey nun ſonſten was ſie wolle, ein immaterielles Weſen, oder das Gehirn, oder das beſeelte Gehirn, oder welches Wort hier vielleicht das beßte iſt, weil es am wenigſten ſaget, die Entelechia des Menſchen, dieſen Begrif. Sie iſt ein Weſen, welches mittelſt gewiſſer Werkzeuge in dem Koͤrper von andern Dingen veraͤndert wird, fuͤhlet, dann ſelbſtthaͤtig etwas in ſich und außer ſich hervorbringet, und von dem, was ſie leidet und thut, Spuren in ſich auf - behaͤlt, die ſie hervorziehet, und bearbeitet. Sie iſt immer daſſelbige Weſen, ſie mag fuͤhlen, vorſtellen, den - ken, bewegen, oder wollen; und wenn wir ihr nach der Verſchiedenheit dieſer Aeußerungen verſchiedene Vermoͤ - gen zuſchreiben, ſo heißt dieß nur ſo viel; es kann daſ - ſelbige Weſen bald an der Einen bald an der andern Sei - te ſich aͤußern, je nachdem ſeine Kraft eine andere Rich -tung731der menſchlichen Seele c. tung nimmt, andere Gegenſtaͤnde vor ſich hat, und innre Staͤrke genug beſitzt, um bis dahin ſich zu aͤußern, daß dieſe beſondern Auslaſſungen von uns ſelbſt gewahrge - nommen werden.

Eine naͤhere Aufloͤſung dieſer mannigfaltigen Aeuße - rungen und Geſtalten, unter denen dieß Weſen ſich vor ſich ſelbſt offenbaret, lehrt noch ferner ſo viel, daß es ein gewiffer hoͤherer Grad von innerer Selbſtthaͤtig - keit ſey, womit ſie beywirket, wenn ſie leidend veraͤndert wird, und ſich dann wieder aus ſich ſelbſt in Wirkſam - keit ſetzet, wenn ſie in neue Thaͤtigkeiten hervorgehet, wodurch ſie zu einem vorſtellenden, denkenden und wol - lenden Weſen gemacht werde. *)Erſter Verſuch. XVI. 4 - 7. Achter Verſuch. VI. Neun - ter Verſuch. IV. Als ein in einem ho - hen Grade modifikables Weſen iſt ſie nichts mehr als ein fluͤßiger Koͤrper; als ein thaͤtig herauswirkendes, und dadurch ſich auch ſelbſt veraͤnderndes Weſen, iſt ſie nichts mehr, als eine elaſtiſche Feder oder eine geſpannte Kla - vierſaite auch ſeyn koͤnnte; aber als ein mit der vor er - waͤhnten Selbſtthaͤtigkeit verſehenes Weſen iſt ſie eine fuͤhlende und vorſtellende Seele, und bey noch et - was mehrerer Staͤrke und Feinheit in dieſem Vermoͤgen iſt ſie eine denkende Seele.

Was iſt alſo nun die Grundkraft dieſes Weſens, oder das urſpruͤngliche Vermoͤgen, deſſen Wirkungen innerlich immer dieſelbigen einartigen Aeußerungen ſind, die nur nach der Verſchiedenheit der aͤußern Umſtaͤnde und der Objekte, auf die es ſich anwendet, in verſchie - denen Richtungen erfolgen, und dadurch als unterſchie - dene Wirkungen erſcheinen? Aus der Grundkraft in ihren verſchiedenen Richtungen, mehr oder minder ver - laͤngert, verfeinert, erhoben, ſollen alle uͤbrige Ver - moͤgen und Kraͤfte hervorgehen. Welche Jdee kann und ſoll man ſich von dieſer Grundkraft nun abziehen?

Dieſe732XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft

Dieſe Grundkraft oder Urkraft iſt eine Folge ih - rer Natur, und dieſe iſt unveraͤnderlich, ſo lange die Seele als Seele wenigſtens vorhanden iſt; ſie ſey in dem eingewickelteſten Zuſtande, oder in dem entwickelten. Jſt die Seele ein einfaches unkoͤrperliches Weſen, oder giebt es in dem ganzen Seelenweſen des Menſchen ſo et - was Unkoͤrperliches, dem die Seelenvermoͤgen eigent - lich, als thaͤtige Kraft zukommen, ſo hat jene Urkraft ſo lange ein Vermoͤgen der Seele ſeyn muͤſſen, als ſie ſelbſt vorhanden geweſen iſt, und nur eine Umſchaffung der Allmacht, die ſie vernichtet, und ein neues Weſen wirklich macht, kann ihr ſolche entziehen. Was war alſo dieſe Grundkraft vor der Empfaͤngniß des Menſchen, und in dem Embryon im Mutterleibe? War auch da - mals die Seele ein fuͤhlendes, ein denkendes Weſen? Sie hatte die Anlage es zu werden, und alſo war der Grundkeim des Gefuͤhls und der Vernunft vorhanden, ſo lange ihre Natur beſtand. Da wir wiſſen, was in dieſem Leben aus ihr wird, ſo ſehen wir, was ſie fuͤr ein Ding hat werden koͤnnen. Sie wird naͤmlich zu einer fuͤhlenden, empfindſamen, und denkenden Subſtanz, und nichts iſt alſo richtiger, als daß ſie von Natur auch aufgelegt ſeyn muͤſſe, die naͤchſten Vermoͤgen wie die Alten ſagten, zu dieſen Aktionen, zu bekommen, das iſt, daß ſie der Vermoͤgen, ſolche Wirkungen unmittelbar zu aͤußern, ohne noch vorher etwas neues in ihrem Jn - nern annehmen zu duͤrfen, in ſo weit von Natur faͤhig gewefen ſey, daß ſie folche habe erlangen koͤnnen. Al - lein hat ſie dieſe naͤchſten Vermoͤgen jederzeit gehabt? Zum wenigſten doch das Ueberlegungsvermoͤgen nicht; Und hat ſie nun zu irgend einer Zeit nichts mehr an ſich gehabt, als die Anlage, Empfindungskraft und Ver - ſtand durch ihre Entwickelung zu bekommen, ſo waren dieſe Vermoͤgen doch zu der Zeit, da ſie noch in der Natur als bloße Anlagen ſteckten, nur entfernte Ver -moͤgen733der menſchlichen Seele c. moͤgen zu dieſen Wirkungen, und alſo nicht ſowohl Ver - moͤgen zum Empfinden, Vorſtellen, Denken, Wollen, als vielmehr nur Vermoͤgen, die naͤchſten Faͤhigkeiten dazu anzunehmen. Soll dieß letztere der Keim jener naͤchſten Vermoͤgen genennet werden, ſo haben wir von neuen die Frage, worinn denn dieſer Keim, oder Dispoſition, Gefuͤhl und Vernunft erlangen zu koͤnnen, beſtehe? Dieß iſt die groͤßte Frage in der Pſychologie. Jch weiß nichts darauf zu antworten, als nur disjunk - tive: entweder es laͤſſet ſich gar keine Vorſtellung von der Grundkraft machen, oder nur Eine.

2.

Die Kraͤfte koͤnnen nur durch ihre Wirkungen, wel - che ſie hervorbringen, von uns erkannt und nur durch die - ſen charakteriſirt werden. Alle Wirkungen von der Grundkraft der Seele, von welchen wir Begriffe haben, ſind Wirkungen, die ſie in ihrem dermaligen Zuſtande hervorbringet, nachdem ſie ſchon vorher bis auf eine hohe Stufe in ihrer Entwickelung fortgeſchritten iſt. Sie hat ſchon manche Veraͤnderungen erlitten, wenn ſie ſich erſt als ein fuͤhlendes, als ein denkendes, als ein wollendes Weſen ſelbſt offenbaret. Dieß ſind Wirkungen entwi - ckelter Kraͤfte, die zu den abgeleiteten Kraͤften oder Faͤhigkeiten gehoͤren, welche aus den Grundfaͤhigkeiten nicht nur durch die Erhoͤhung derſelbartigen Kraͤfte, ſon - dern auch durch die Vereinigung mehrerer ungleich - artiger Vermoͤgen entſtehen koͤnnen. Haben wir alſo keine Begriffe von andern Wirkungen, als von ſolchen, die aus abgeleiteten Vermoͤgen entſpringen; woher ſol - len wir denn die Begriffe von Wirkungen hernehmen, zu deren unmittelbaren Hervorbringung die Grundkraft aufgeleget iſt? wie ſie uns vorſtellen, und durch welche Merkmale ſie beſchreiben? Muß man nicht da ſtehen bleiben, wo wir vorher waren, und uns begnuͤgen zuſagen,734XI. Verſuch. Ueber die Grundkraftſagen, ihre Grundkraft ſey die, welche den Keim der Grundvermoͤgen zum Fuͤhlen, zum Vorſtellen, zum Wollen in ſich enthalte? Wir fuͤhlen ſie, wir wirken im entwickelten Zuſtande, indem wir uns ſelbſt fuͤhlen. Vielleicht verhalten ſich alſo die uns bekannten Grund - vermoͤgen zu der Urkraft der Seele, wie das Vermoͤgen zum Lachen, ſich zu den entferntern Vermoͤgen der Seele und des Leibes verhaͤlt, von denen es eine Folge und Wir - kung iſt. Vielleicht iſt die Urkraft der Seele noch wei - ter entfernt.

3.

Man gebe dieſer Schwierigkeit nach, und halte ſich von der dunklen Tiefe, in der die Grundkraft der Seele lieget, zuruͤck. Will man ſich aber nicht abſchrecken laſſen, ſo weit hineinzugehen, als man ſich fortzufuͤhlen im Stande iſt, ſo wird man doch auf einige nuͤtzliche Betrachtungen kommen, und manches beſſer ſehen, wenn gleich das nicht entdecket wird, was man aufſuchte. Zuerſt bietet ſie die von ſo manchen ſchon angenommene Hypotheſe dar, das Gefuͤhl ſelbſt ſey der Unterſchei - dungscharakter der Urkraft der Seele von andern Urkraͤf - ten. Dieſe Jdee hat einiges fuͤr ſich, das ſie wahr - ſcheinlich machet; aber auch nur einiges, denn an voͤlli - ger Evidenz muß da nothwendig vieles fehlen, wo das Licht der Beobachtungen verliſcht, und nur ein ſchwa - cher Schimmer der Analogie zur Leuchte dienet. Die Spekulation aus Begriffen ſollte hier als ein ſicherer Wegweiſer zutreten. Aber bey der thut ſie dieß in me - taphyſiſchen Unterſuchungen ſehr ſelten, theils weil ſie nicht kann, und theils auch, weil ihre Beyhuͤlfe ſo oft nicht geſuchet, und gar von der Hand gewieſen wird.

Es verlohnt ſich doch der Muͤhe, die Gruͤnde der er - waͤhnten Hypotheſe genauer anzuſehen. Fuͤhlen oder Empfinden ſo eine Jdee davon vorausgeſetzt,wie735der menſchlichen Seele c. wie aus unſern Beobachtungen gezogen wird ſoll eine unmittelbare Wirkung der Grundkraft der Seele ſeyn, und dieſe ſoll denn dadurch, daß ſie als eine fuͤhlende Kraft vorgeſtellet wird, von andern nicht ſee - lenartigen Urkraͤften unterſchieden werden. Von dem eigenen Charakter der menſchlichen Seele, wodurch dieſe von andern Gattungen fuͤhlender Kraͤfte unterſchie - den iſt, darf denn noch die Frage nicht ſeyn. Wenn hier auch nur etwas wahrſcheinliches ſich zeiget, wer wird es nicht gerne annehmen, wo an voͤllige Gewißheit nicht zu gedenken iſt?

Jn dem entwickelten menſchlichen Zuſtande hat die Seele nicht blos eine fuͤhlende, ſondern auch eine vor - ſtellende und denkende Kraft. Aber die Verglei - chung dieſer ihrer Wirkungen hat ſo viel gelehret, daß die beiden letztgenannten Vermoͤgen als abgeleitete Faͤ - higkeiten angeſehen werden koͤnnen, die in einem fuͤhlen - den Weſen bey ſeiner Entwickelung entſtehen, wenn deſ - ſen innere Kraft nur die erfoderliche Groͤße und Selbſt - thaͤtigkeit dazu beſitzet. Ein Weſen blos zum Fuͤhlen aufgeleget, wuͤrde auch der Vorſtellungen und Gedan - ken faͤhig werden, woferne ſeine natuͤrliche Receptivitaͤt an innerer Selbſtthaͤtigkeit eine Vergroͤßerung bis zu ei - ner gewiſſen Stufe annehmen koͤnnte. Ein fuͤhlendes Weſen, was keine Vorſtellungen hat, entbehret nur ei - ner gewiſſen Stufe an innerer Selbſtthaͤtigkeit, wo - bey die abſolute Realitaͤt ſelbſt, in welcher dieſe Stufen ſich befinden, vorhanden ſeyn kann.

Scheint es nicht, als wenn hieraus ungezwungen die Folgerung gezogen werden koͤnnte, daß in der Jdee eines fuͤhlenden Weſens, die geſammte abſolute Rea - litaͤt begriffen ſey, die vergroͤßert und hervorgezogen die Natur des Vorſtellenden und Denkenden ausmachet? Denken, Vorſtellen und Fuͤhlen moͤgen ſo heterogen ſeyn, als ſie wollen, ſo ſind doch die Naturen der Sub -ſtanzen736XI. Verſuch. Ueber die Grundkraftſtanzen, welche blos fuͤhlen, und welche ſich zum Den - ken entwickeln, mit einander ſo nahe verwandt, daß ſie denſelbigen abſoluten Grundſtof zu haben ſcheinen, und nur an Stufen und Graden verſchieden ſind. Aus der Notion eines fuͤhlenden Weſen wird der Begrif eines Vorſtellenden und eines Denkenden durch eine Beſtim - mung der Quantitaͤten. Das fuͤhlende Weſen mit ei - ner groͤßern Selbſtthaͤtigkeit iſt ein vorſtellendes und denkendes Weſen. Und umgekehrt. Ein denkendes Weſen bis auf einen gewiſſen Grad an ſeiner Selbſtthaͤ - tigkeit, als an einer abſoluten Realitaͤt heruntergeſetzt, iſt ein blos fuͤhlendes Weſen. Das Vermoͤgen zu Fuͤh - len iſt alſo das Vermoͤgen zum Vorſtellen und zum Denken.

Bis dahin ſind wir. Nehmet der denkenden Kraft etwas von ihrer Selbſtthaͤtigkeit, vermindert ihre abſo - luten Kraͤfte, ſetzet ihre Realitaͤten herunter; ſo wird ſich das Denken verlieren, und die Kraft dazu in ſeinen Keim, in die bloße Anlage, denkend zu werden, zuruͤck - gehen. Man fahre fort, ſie weiter herunter zu ſetzen, ſo wird ihre Vorſtellungskraft ſich ebenfalls einwickeln, und die Seele iſt bis zu einem blos fuͤhlenden Weſen er - niedriget.

Nun aber werde ſie noch weiter eingewickelt, noch weiter heruntergeſetzt und verkleinert, bis zu ihrer un - veraͤnderlichen Naturkraft zuruͤck, ſo weit auch dieſe zu - ruͤckliegen mag. Auf welche Stufe in der Weſenleiter wird ſie alsdenn kommen? Was geſchicht mit ihr? Jhr Gefuͤhl wird geſchwaͤchet, heruntergeſetzt, verdun - kelt; aber iſt und bleibet es doch nicht Gefuͤhlskraft? Muß ſie nicht, ſo lange ſie noch Naturkraft beſitzet, und wirket, auf dieſelbige Art wirken, als ſie es da thut, wo wir ihre Aeußerung ein Fuͤhlen nennen? Jſt ihre Naturkraft nicht alſo immer noch eine fuͤhlende Kraft? Gefuͤhl?

Unver -737der menſchlichen Seele c.

Unvermerkt verliert man ſich hier in eine Hypotheſe? Wer iſt Buͤrge dafuͤr, daß Fuͤhlen, ſo wie wir es aus dem entwickelten Zuſtande der Seele kennen, von der Aeuße - rung der erſten Naturkraft nicht noch weit mehr unter - ſchieden ſey, als Denken und Vorſtellen es von dem Fuͤh - len iſt? Muͤßten wir nicht nach der Analogie ſo ſchlie - ßen: Da das denkende Weſen bis zu dem Punkt her - untergeſetzt, auf dem es als blos fuͤhlend erſcheinet, das Vermoͤgen zum Denken, das naͤchſte und eigentliche Vermoͤgen zum Denken naͤmlich, verlohren hat, ſo wird ſein Vermoͤgen, zum Fuͤhlen nun weiter eingeſchraͤnket, auch nicht mehr ein naͤchſtes und eigentliches Vermoͤ - gen zum Fuͤhlen ſeyn koͤnnen. Was die Urkraft als - denn wirket, iſt freylich eine Aeußerung deſſelbigen thaͤ - tigen Princips, das in einer hoͤhern Stufe fuͤhlte, und in einer noch hoͤhern Vorſtellungen machte und dachte; Aber kann es mit mehrerm Rechte alsdenn noch ein fuͤh - lendes Princip genannt werden, als das blos fuͤhlende Princip ein denkendes heißen kann? Vielleicht viel weniger. Denn der Abſtand vom Denken bis zum Fuͤhlen kann wohl viel kleiner ſeyn, als der vom Fuͤhlen bis zu den erſten Aeußerungen der Urkraft herunter.

Am Ende ſehen wir, wo wir ſind, naͤmlich da, wo wir in Anfange waren. Die Grundkraft der Seele kennen wir nicht; weil wir keine Jdee von den erſten ur - ſpruͤnglichen Wirkungen ihrer Naturkraft haben. Das Fuͤhlen iſt nur die erſte Aeußerung, die wir kennen. Wir koͤnnen ſagen, die Grundkraft der Seele ſey dieſel - bige abſolute Realitaͤt, welche bis zu einiger Groͤße ent - wickelt, empfindet und denket. Aber was ſie fuͤr ein Naturvermoͤgen beſitze, zu welchen Arten von Thaͤtigkei - ten ſie aufgelegt ſey, ſo lange ſie exiſtirt, ob und worinn dieſe von den Thaͤtigkeiten anderer Elemente ſich unter - ſcheiden, davon wiſſen wir nichts, als daß ihre Grund - kraft den Keim des Fuͤhlens doch in ſich enthalte.

I. Band. A a aII. Von738XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft

II. Von dem Unterſcheidungsmerkmal der menſchli - chen Seele, und dem Charakter der Menſch - heit.

  • 1) Wiefern es bey jedweder Hypothes uͤber die Natur der Seele dennoch einen Grundcha - rakter der menſchlichen Seele vor andern Thierſeelen geben muͤſſe.
  • 2) Die Eigenheiten der menſchlichen Seele von den Seelen der Thiere.
  • 3) Ob der Grundcharakter der Menſchheit in der Perfektibilitaͤt geſetzet werden koͤnne?
  • 4) Ob das Vermoͤgen der Reflexion dieſen Grundcharakter ausmache?
  • 5) Pruͤfung der Herderſchen Jdee. Ob das Verhaͤltniß der Extenſion zur Jntenſion in der Naturkraft, fuͤr den Grundcharakter zu halten ſey?

1.

Das Gefuͤhl iſt vor unſerer Kenntniß das erſte und urſpruͤngliche Vermoͤgen, das die Seele von an - dern Kraͤften unterſcheidet. Laß alſo dieß fuͤr einen Ur - charakter angenommen werden; ſo wird die Grundkraft der Seele eine Kraft ſeyn, welche fuͤhlet. Fangen wir hier an, ſo iſt das naͤchſte, daß das Eigene der menſch - lichen Seele vor den Seelen der Thiere, denen wir doch mit keinem vernuͤnftigen Grunde das Vermoͤgen zu fuͤhlen abſprechen koͤnnen, aufgeſuchet werde. Aber ſind wir auch vielleicht hier an der aͤußerſten Graͤnzlinie unſers Wiſſens, wo nicht gar außer ihr? und wie groß iſt der Schimmer, den die Beobachtung bis hieher wirft?

Wenn739der menſchlichen Seele c.

Wenn die Seele im metaphyſiſchen Verſtande fuͤr das einfache, von dem organiſirten Koͤrper unterſchiedene Weſen genommen wird, ſo fuͤhret uns die erſtere Frage uͤber das Unterſcheidungsmerkmal der Menſchenſeele auf zwo andere. Jſt die Entwickelung des Menſchen eine Entwickelung jenes unkoͤrperlichen Weſens, oder beſtehet ſie allein in der Entwickelung ihres organiſirten Koͤrpers, mit dem ſie vereiniget iſt? Nimmt ſie ſelbſt in ihrem Jnnern keine Entwickelung, keine Erhoͤhung oder Ausbreitung ihrer Vermoͤgen an, ſo beſtehen alle ihre erworbene Fertigkeiten nur in Geſchicklichkeiten des Gehirns, der Seele in ihren Wirkungen zu Dienſten zu ſeyn. Was bedarf ſie alsdenn fuͤr einen Charakter als menſchliche Seele? Jn der That gar keinen. Der Charakter des Menſchen beſtehet unter dieſer Voraus - ſetzung allein in der beſondern| Organiſation des Gehirns, oder der Vorſtellungsmaſchine. Die Polypenſeele, wenn es eine giebt, wie Hr. Unzer nicht meinet, in das ent - wickelte Gehirn des Menſchen verſetzet, wird zu einer Menſchenſeele werden. Dieß haben ſchon mehrere und angeſehene neuere Philoſophen behauptet.

Oder zweytens. Wenn gleich in ihrem Jnnern Entwickelungen und Erhoͤhungen vor ſich gehen, ſo kann gefraget werden, ob dieſe auch gewiſſe perfektible Be - ſchaffenheiten in ihrer eigenen beſondern Natur voraus - ſetzen? Wenn es dabey allein auf den Koͤrper ankommt, und eine Hundesſeele in einem menſchlichen Gehirn ſich menſchlich entwickelt haben wuͤrde, ohne irgend andere Grundanlagen zu beſitzen, als ſie in dem Gehirn des Hundes hat, wie kann, wenn es ſo waͤre, nach dem Charakter der menſchlichen Seele einmal gefraget wer - den? Alsdenn hat ſie fuͤr ſich nichts Eigenes vor jedem andern fuͤhlenden Weſen voraus, nichts vor der Seele des Hundes, des Froſches oder der Auſter.

A a a 2Die740XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft

Die erſte Meinung iſt unwahrſcheinlich, und zwar in einem hohen Grad, und die zwote nicht viel minder. Aber ſie muͤſſen beide als unrichtig vorausgeſetzet werden, ehe man in eine Unterſuchung uͤber den Charakter der menſchlichen unkoͤrperlichen Seele ſich einlaſſen, und mit feſten Schritten fortgehen kann. Da dieß ein zu großer Aufenthalt ſeyn wuͤrde, ſo will ich hier die Frage in dieſem Verſtande ganz aufgeben, und ſie auf die Seele in pſychologiſcher Bedeutung, oder auf die Seelennatur des Menſchen anwenden.

Die menſchliche Seele im pſychologiſchen Ver - ſtande genommen, iſt das Jch, das wir mit unſerm Selbſtgefuͤhl empfinden und beobachten koͤnnen. Es mag aus einem einfachen immateriellen Weſen allein beſtehen, oder aus dieſem, und einem innern koͤrperlichen Werk - zeug des Gefuͤhls und des Denkens zuſammengeſetzt ſeyn, oder, um kein pſychologiſches Syſtem auszuſchließen, es mag nichts als der innere organiſirte Koͤrper ſelbſt ſeyn. Genug es iſt das fuͤhlende, denkende und wol - lende Eins, der innere Menſch ſelbſt. Dieſer hat ſeinen Charakter, und ſeine Eigenheiten, woruͤber ſich nach Anleitung der Erfahrung philoſophiren laͤßt, ohne jene theoretiſche Spekulation uͤber die Natur des Seelenwe - ſens zu beruͤhren. Worinn beſtehet dieſer Charakter der Menſchheit? Worinn haben die Philoſophen ihn geſetzet? und worinn kann und muß man ihn ſetzen, wenn man ſo weit auf den angebohrnen Grundcharakter zuruͤckgehen will, als der Faden der Beobachtung ſicher hinleitet.

2.

Der Menſch iſt unter allen empfindenden Mitge - ſchoͤpfen auf der Erde das meiſt perfekrible Weſen, dasjenige, was bey ſeiner Geburt am wenigſten von dem iſt, was es werden kann, und die groͤßte Auswickelung annimmt. Es iſt das vielſeitigſte, das beugſamſteWeſen,741der menſchlichen Seele c. Weſen, das am mannigfaltigſten modificiret werden kann, ſeinem ausgedehnten Wirkungskrais, zu dem es beſtimmt iſt, gemaͤß. Am ſchwaͤchſten zu Einer Form allein beſtimmt kann es die mehreſten annehmen. Fer - ner iſt der Menſch das Thier, welches das Vermoͤ - gen nachzumachen in einem hoͤhern Grade beſitzet, als irgend ein anderes. Sprachfaͤhigkeit, Ueberle - gungskraft, Vernunft, Freyheit ſind ihm eigen vor allen. Und er kann lachen und weinen, was nach der Anmerkung des Ariſtoteles, die bis auf einige noch zweifelhafte Ausnahmen, von den neuern Naturkundi - gern beſtaͤtiget iſt, kein anderes Thier kann. Da ha - ben wir alſo Eigenheiten des Menſchen genug, die ihn von den Thieren unterſcheiden, ſolche, die ſich blos auf den Koͤrper beziehen, bey Seite geſetzet, und die zum Theil zweifelhaft ſind. Daß der Menſch das groͤßte Gehirn im Verhaͤltniß zu der Groͤße ſeines Koͤrpers habe, iſt nur mit einiger Einſchraͤnkung wahr; der Affe Pygman ſoll ihn hierinn uͤbertreffen, wie es von einigen Fiſchen gewiß iſt. Sein Gehirnlein dagegen, iſt im Verhaͤltniß gegen das Gehirn, das kleinſte. Der Vorzug des menſchlichen Koͤrpers, an Geſchmeidigkeit und mannigfaltiger Modifikabilitaͤt vor den uͤbrigen thie - riſchen Koͤrpern, ſcheinet ihm durch die Gruͤnde des Hrn. Moscati*)Von dem koͤrperlichen weſentlichen Unterſchiede, zwiſchen der Straktur der Thiere und der Men - ſchen. noch nicht entzogen zu ſeyn.

Solche Eigenheiten moͤchten alle gut ſeyn, wenn es nur darauf ankaͤme, den Menſchen in der Naturgeſchichte zu charakteriſiren. Aber da viele von ihnen offenbar nur Folgen von andern Grundcharaktern ſind, ſo koͤnnen ſie hier nicht in Betracht kommen. Lachen und weinen koͤnnen, iſt ſo wenig ein Grundcharakter der Menſchheit,A a a 3als742XI. Verſuch. Ueber die Grundkraftals es einer iſt, Feuer und Licht zu gebrauchen. Man ſuchet die Grundbeſchaffenheiten ſeiner Natur, den Keim, wovon die ſichtbaren Unterſcheidungszeichen ausſprießen.

3.

Zu dieſem Grundcharakter der Menſchheit haben die Philoſophen bald dieſe, bald jene von den angefuͤhr - ten Eigenheiten fuͤr ſchicklich gehalten. Diejenigen ha - ben ein naͤheres Recht hiezu, die ſich auf die uͤbrigen ſo beziehen, daß ſie alle, oder doch die mehreſten aus ih - nen gefolgert werden koͤnnen. Jede von dieſen ſtellet Eine beſondere Seite des ganzen Charakters dar, aber auch jede fuͤr ſich allein genommen giebt gewoͤhnlicher Weiſe nur eine einſeitige Jdee, und iſt zu unbeſtimmt. Die vornehmſten, die man als Grundmerkmale ge - braucht hat, will ich anfuͤhren, und meine Gedanken daruͤber ſagen. Solche Art von Kritiken ſind nicht un - nuͤtz, wenn es gleich noch nuͤtzlicher waͤre, es beſſer zu machen. Aber es verſteht ſich auch, daß es nicht nuͤtz - lich ſey, bey der Anzeige, wo andere ſtehen geblieben ſind, es zu vergeſſen, wie groß das Verdienſt war, bis dahin fortgeruͤcket zu ſeyn.

Hr. Rouſſeau nahm die Perfektibilitaͤt (Ver - vollkommlichkeit) des Menſchen, die ihn in einem ſo vorzuͤglich hohen Grade vor andern empfindenden Weſen zukommt, als ein beſtimmtes Grundmerkmal der Menſchheit an. Sie findet ſich uͤberall, wo ſich die Menſchheit findet. Das neugebohrne Kind, der Wald - menſch, der Schafmenſch, der Baͤrmenſch ſind nicht entwickelt, nicht vervollkommet, wie es ein Menſch wer - den kann, aber die Moͤglichkeit, die Anlage dazu war in ihnen.

Mich deucht, dieſer Charakter iſt noch zu unbe - ſtimmt. Von der Perfektibilitaͤt der Seelenfaͤhig - keiten ſoll nur die Rede ſeyn, nicht von den Koͤrper -kraͤften.743der menſchlichen Seele c. kraͤften. Allein von welchen? Das Gefuͤhl wird ent - wickelt, wird groͤßer und feiner gemacht. Daraus wird keine vorſtellende und denkende Kraft. Zu dieſer letztern iſt eine Entwickelung von einer beſondern Seite erfoder - lich, denn das fuͤhlende Weſen muß vornehmlich an Selbſtthaͤtigkeit zunehmen, wenn es zum Denken ſich erheben ſoll. Will Rouſſeau außer der Perfektibilitaͤt auch die Denkkraft zu dem voͤlligen Keim der Menſchheit gerechnet wiſſen, und jene als eine allgemeine Eigen - ſchaft aller Grundvermoͤgen anſehen, ſo gehoͤret ſie unter ſeine ſimpeln Unterſcheidungsmerkmale. Dann lieget der Grundcharakter ſchon in der Denkkraft ſelbſt, und wuͤrde in der vorzuͤglich perfektiblen Denkkraft beſtehen muͤſſen.

Dazu kommt, daß dieſer Charakter wiederum auf einen andern uns zuruͤckweiſet, den er vorausſetzet. Perfektibilitaͤt iſt eine Moͤglichkeit entwickelt zu wer - den. Muß dieſe Anlage nicht in abſoluten Natur - beſchaffenheiten ihren Grund haben? und das Vermoͤ - gen, welches weiter gebracht werden kann, als andere, auch innerlich eine groͤßere Naturkraft beſitzen, woraus der laͤnger anhaltende und weiter fortſchreitende Drang begreiflich wird? Jndeſſen moͤchte dieß noch hingehen, denn wenn gleich ein ſolcher Charakter noch auf etwas anders hinweiſet, und alſo wuͤnſchen laͤßt, daß wir den noch entferntern abſoluten Grund moͤchten angeben koͤn - nen, ſo iſt es noch eine Frage, ob man bey jedem andern angenommenen Grundcharakter tiefer in die Urkraft der Seele eindringe? Aber die erſte Erinnerung halte ich fuͤr gegruͤndet, daß doch zum mindeſten noch naͤher die - jenigen Kraͤfte und Vermoͤgen beſtimmet werden muͤſſen, in deren groͤßern Perfektibilitaͤt eigentlich die Entwicke - lung zum Menſchen, zum vorſtellenden und denkenden und mit Freyheit handelnden Weſen ihren Grund habe.

A a a 44. Der744XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft

4.

Der ſel. Reimarus glaubte in dem Reflexions - vermoͤgen, oder, wie er ſich erklaͤrte, in dem Vermoͤ - gen, Dinge in der Vorſtellung gegen einander zu ver - gleichen, die eigentliche Wurzel gefunden zu haben, wor - aus des Menſchen Vorzuͤge vor den Thieren hervor - ſprießen. Dieſe Reflexionsfaͤhigkeit war der Anfang der Vernunft und der wahre Grundcharakter des ver - nuͤnftigen Menſchen, von dem ſeine uͤbrigen Vollkom - menheiten nur Folgen und Wirkungen ſind. Jch geſte - he es, ich habe ſchon an andern Stellen es erklaͤret, daß mir die Raiſonnements dieſes ſcharfſinnigen und wuͤrdi - gen Mannes uͤber die Natur des menſchlichen Verſtan - des nicht eindringend genug zu ſeyn ſcheinen. Eben ſo kommt es mir auch hier vor. Dieß benimmt der vor - zuͤglichen Hochachtung nichts, die ich fuͤr dieſen Philo - ſophen hege, und die Deutſchland, wie ich glaube, im - mer fuͤr ihn hegen wird, als fuͤr einen Mann, der tiefe metaphyſiſche Theorien mit einer ausgebreiteten Erfah - rungskenntniß verband, und jene auf dieſe ſo anwandte, wie es ihre wahre Beſtimmung erfodert, um helle und feſtſtehende Einſichten in die wirkliche Natur, in ihre Beziehung auf den Schoͤpfer, und in den Zuſammen - hang ihrer Theile unter einander und mit den Menſchen, als das ſchaͤtzbarſte Kleinod fuͤr den Menſchenverſtand, zu befoͤrdern, zu vergroͤßern, und auszubreiten. Was ich uͤber den von ihm angegebenen Grundcharakter des Menſchen zu erinnern habe, iſt folgendes.

Ob das, was Reimarus Reflexion nennet, die erſte urſpruͤngliche Aeußerung der Denkkraft ſey, und alſo ein Grundvermoͤgen in Hinſicht des Verſtandes und der Vernunft darſtelle, will ich hier nicht unterſuchen, und verweiſe auf die obigen Betrachtungen uͤber das Ge - wahrnehmen und uͤber die Denkkraft. Aber iſt dennvoͤllig745der menſchlichen Seele c. voͤllig außer Zweifel, daß keinem Thiere außer dem Menſchen von dieſem Reflexionsvermoͤgen etwas zu - komme? Verſtand und Vernunft, oder ein hoͤheres, entwickeltes und gewiſſermaßen gereiftes Reflexionsver - moͤgen beſitzen ſie nicht; aber auch mehr nicht als dieſes lieget in den Gruͤnden, die man gegen die Vernunft der Thiere anfuͤhren kann. Muß ihnen daher alles Denken uͤberhaupt, auch die erſten Stufen deſſelben abgeſpro - chen werden? Haben ſie nichts von dem Vermoͤgen, Dinge in der Vorſtellung auf einander zu beziehen? Gar nichts vom Gewahrnehmen und vom Bewußtſeyn? Man kann die Wirkungen der thieriſchen Verſchlagenheit, zur Noth wie Reimarus es gethan hat, aus dem bloßen Gefuͤhl und der Vorſtellungskraft erklaͤren, wenn man abrechnet, was die Einbildungskraft derer, die in den Handlungen der Thiere ſo oft das Menſchliche gewahr werden, weil ſie ſolche, wie der Verfaſſer der Briefe uͤber die Thiere und Menſchen, durch die Begriffe von menſchlichen Handlungen anſehen, hinzuſetzet, ohne daß man die Apperception und irgend einen Reflexions - aktus zu Huͤlfe nehme. Sind aber dieſe Erklaͤrungen deswegen ſehr wahrſcheinlich? und wenn es nur auf theoretiſche moͤgliche Erklaͤrungsarten ankaͤme, ſollte es einem Verfechter der Carteſiſchen Hypotheſe von dem ſeelenloſen Organismus ſo ſchwer werden, mit ihr ziem - lich weit durchzukommen? Vielleicht befuͤrchtet man, wenn den Thieren einiger Antheil an der Denkkraft zu - geſtanden wuͤrde, ſo koͤnne ihnen auch der hoͤhere Grad derſelben, der den beobachtbaren Verſtand ausmachet, nicht ſo ganz abgelaͤugnet werden, wogegen doch die Er - fahrung ſo ſtarke Gruͤnde an die Hand giebt. Aber die Beſorgniß iſt nicht ſehr gegruͤndet. Bey aller Ver - ſchiedenartigkeit der Thiere und der Menſchen, die man ſo groß und tief ſich erſtreckend annehmen muß, als es die Verſchiedenheit in ihren aͤußern Handlungen nur im -A a a 5mer746XI. Verſuch. Ueber die Grundkraftmer erfodert, wird man nicht leicht etwas finden, was mit dem Gedanken nicht beſtehen koͤnnte, daß alles aus einer Verſchiedenheit der Grade und Stufen und Quan - titaͤten in den abſoluten Grundkraͤften begreiflich ſey, und daß der Unterſchied dennoch eben ſo natuͤrlich nothwendig und weſentlich ſeyn koͤnne, als ſie nach den Beobachtun - gen angenommen werden muß.

Wollte Reimarus die Reflexion ſelbſt fuͤr den Ver - ſtand und Vernunft angeſehn wiſſen, wie ſolche in unſe - rer Seele in dieſer Geſtalt erkennbar iſt, ſo ſagte er nichts, als was alle vorhergehende Philoſophen auch geſagt hatten, welche die Vernunftfaͤhigkeit zum Cha - rakter des Menſchen gemacht. Der Menſch beſitzt Ver - nunft, wie kein Thier ſie beſitzt. Dieß iſt alſo der Charakter der Menſchheit; aber worinn beſtehet dieſe Anlage? wozu und in welcher Grundbeſchaffenheit hat ſie ihre Wurzel? Jſt ſie ſelbſt nicht eine Folge einer gewiſſen Einrichtung ihrer Natur? Und dieſer Grund - charakter iſt es, den man aufſuchet.

Doch der ſcharfſinnige Mann blieb auch in der That hiebey nicht ſtehen. Er drang noch tiefer in den Grund - charakter hinein, als er in dem Weniger und Mehr beſtimmt ſeyn der Grundkraft, den Grund des Un - terſchiedes zwiſchen Menſchen - und Thierſeelen aufſuchte. Die Menſchenſeelen hielt er fuͤr weniger beſtimmte, allgemeine, zu mehreren Wirkungsarten aufgelegte We - ſen; die Thierſeelen hingegen fuͤr mehr und genauer auf gewiſſe Wirkſamkeitsarten eingeſchraͤnkt. Da ein jed - wedes wirkliches Ding nach der ſonſtigen Sprache der Philoſophen voͤllig allſeitig und durchaus beſtimmt iſt, ſo moͤchte ſeine eigene Art, des Worts Determination ſich zu bedienen, wohl die Urſache ſeyn, die ſeinen Aus - druck undeutlich machte und Mißverſtaͤndniſſe veranlaßte. Jndeſſen747der menſchlichen Seele c. Jndeſſen ſetzen ſeine letztern Erklaͤrungen*)Anhang zu ſeinen Betrachtungen uͤber die Triebe der Thiere, von der verſchiedenen Determination der Naturkraͤfte, und ihren verſchiedenen Stufen. ſeine Mei - nung daruͤber ins Licht. Das Weniger beſtimmt ſeyn bey dem Menſchen lief auf eine groͤßere Vielſei - tigkeit oder eine groͤßere Mannigfaltigkeit in den Grundanlagen und in der Receptivitaͤt hinaus; dagegen die Thierſeelen mehr und ſtaͤrker auf einzelne, aber auch wenigere Wirkungsarten beſehraͤnkt ſeyn ſollten; und au - ßer Zweifel gehoͤrt jenes zu den Eigenheiten der Men - ſchen. Sind die Grundkraͤfte aller Seelen und ſeelen - artiger Weſen einfache Principe; ſo ſollte das menſchli - che doch darinn weſentlich verſchieden ſeyn, daß es einen groͤßern Umfang hat, und faͤhig iſt, nach mehrern unter - ſchiedenen Richtungen hin ſich auszulaſſen, wenn es denn gleich in jeder einzelnen Richtung nicht mit ſo großer Jn - tenſion wirken koͤnnte, als die mit einzelnen Jnſtinkten verſehenen Thierſeelen. Der Menſch iſt mehr modifi - kabel, kann mannigfaltiger empfinden, und auch man - nigfaltiger wirken, dem groͤßern Umfang ſeiner Sphaͤre gemaͤß, in der er zu wirken beſtimmt iſt, und wenn nun ſeine einzelne Faͤhigkeiten und Triebe weniger inten - ſive Staͤrke beſitzen, ſo haben ſie dagegen deſto mehr an Extenſion voraus. Die Spinne mag, wenn man will, ein zaͤrteres Gefuͤhl haben, als der Menſch, aber die ganze Kraft ihrer kleinen Seele iſt auch auf dieß Gefuͤhl zuſammengedraͤngt, dagegen Fuͤhlen bey der Menſchen - feele nur Eine von den mancherley Arten ihrer Aeuße - rungen und Ruͤckwirkungen iſt, zu welchen ſie durch aͤu - ßere Eindruͤcke gereizet wird. Die Menſchenſeele hat mehr zu thun, machet auch Vorſtellungen, vergleichet, und wendet ihre Kraft an unendlich vielen Seiten an.

Dieſe748XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft

Dieſe Jdee von dem Grundcharakter der Menſch - heit liegt, wie ich meine, in des ſel. Reimarus Vor - trage. Aber da er ſie weiter aus einander ſetzte, ge - rieth er auf eine Richtung, welche ſeiner Meinung die Vorwuͤrfe zuzog, daß er blinde Determinationen zum Erklaͤrungsgrunde angebe. Auch ſahe er das Weni - ger beſtimmt ſeyn nur fuͤr Einen der menſchlichen Vorzuͤge an, und die Reflexion ſollte dabey die voͤllig beſtimmte Graͤnzlinie zwiſchen Thierheit und Menſchheit ausmachen. Sonſten wuͤrde ſeine Vorſtellung und ſeine Erklaͤrung der thieriſchen Jnſtinkte von den Erklaͤ - rungen des Hr. Herders aus der Beſonnenheit*)Herder uͤber den Urſprung der Sprache. wohl nicht ſo weit verſchieden ſeyn, als der letztere es dafuͤr hielt, und jene unter die misgerathenen Hypothe - ſen hinrechnete. Mir kommt es ſo vor, aber ich getraue mich nicht, es voͤllig zu beſtimmen, wie weit beide zu - ſammenkommen, weil ſich beyde zu kurz und zu dunkel ausgedruckt.

Wenn Hr. Herder ſagt, die menſchliche Seele be - ſitze eine groͤßere Extenſion zu mehrartigen mit min - derer Jntenſion in einzelnartigen Handlungen; daß ihre poſitive Kraft ſich in einem groͤßern Raum aͤußere, nach feinerer Organiſation, und heller, und daß in die - ſer Richtung ihrer Kraͤfte, in dem Verhaͤltniß der Ex - tenſion zur Jntenſion, darinn, daß die Menſchenſeele weniger thieriſch auf Einen Punkt eingeſchloſſen iſt, die Grundbeſtimmung liege, die ſie zu einem beſonnenen, vernuͤnftigen Weſen machet, ſo ſehe ich in dieſen Ausdruͤ - cken nichts mehr, als in der Vorſtellung des Reimarus, nur iſt alles lebhafter und ſtaͤrker geſagt, ſo wie das Ge - nie des Hr. Herders, der die Begriffe mehr malt, als logiſch zeichnet, es mit ſich bringet. Man muß ihm da - fuͤr Dank wiſſen; die Jdeen in ſtarken Jmaginationeneinge -749der menſchlichen Seele c. eingetaucht, leuchten mit einem hellerm Lichte, das aber auch oftmals blendet. Die ſanftere Deutlichkeit iſt doch mehr dem forſchenden Verſtand angemeſſen, die oft durch die zu ſtarken Farben der Metaphern vorlohren ge - het. Statt eines genau ausgemalten Bildes erhaͤlt man zuweilen nur ein buntes Gekritſel. Jndeſſen hat Hr. Herder mit der Beſonnenheit wohl etwas mehr ſagen wollen. Das beſonnene Geſchoͤpf erkennet, will, und wirkt abgetrennt und frey, nach ſeinen Ausdruͤcken, und weis auch, daß es erkenne, wolle und wirke. Sein Gedanke iſt kein unmittelbares Werk der Natur, und eben damit kann es ſein eigen Werk werden. Das alles aber, Freyheit und Selbſtthaͤtigkeit ſoll zwar nur eine Folge von jener mindern Beſchraͤnkung auf Einiges ſeyn, wenigſtens fuͤhrt mich die Verbindung der Woͤrter auf dieſe Auslegung; Aber wie leicht verwechſelt nicht die lebhafte Vorſtellungskraft eine nachfolgende Jdee, wel - che in der That eine neue Jdee iſt, die aus dem anhal - tenden Anſchauen der Sache entſtehet, mit einer logi - ſchen Folgerung, die nur auf einer vorhergehenden Vor - ſtellung beruhet, und daraus hergeleitet wird? Leſe ich die Erklaͤrung von der Beſonnenheit in ihrem ganzen Zuſammenhang, ſo deucht mich, außer dem Hauptbe - grif, ſchimmere noch ein gewiſſes Licht auf einigen Stel - len hervor, ſo verwirrt, wie das Licht im Orion, das aber doch etwas hinter ſich hat. Jſt dieſe meine Jdee nicht ſelbſt eine Blendung in der Phantaſie, den der Ruͤckſchein der ſtarken Bilder veranlaſſet hat, ſo hat der ſcharfe Blick dieſes Mannes die innere Selbſtrhaͤtig - keit der menſchlichen Seele, das weſentlichſte Stuͤck ih - res Grundcharakters, gefaſſet, und dieſe mit dem Ver - haͤltniß der Jntenſion zur Extenſion in die Jdee von der Beſonnenheit zuſammen gebracht.

Dem ſey nun, wie ihm wolle, ſo kann die bloße Richtung der Kraͤfte, die aus dem Verhaͤltniß des groͤſ -ſern750XI. Verſuch. Ueber die Grundkraftſern Umfanges zu der innern Jntenſion ihres Wirkungs - kreiſes entſpringet, den voͤlligen Charakter der Menſchheit allein nicht ausmachen. An ſich giebt dieſes Verhaͤlt - niß denen Menſchen nicht einmal Vorzuͤge vor den Thie - ren, wenn nicht noch uͤberdieß der ganzen Seelenkraft im Menſchen eine groͤßere innere Staͤrke beygeleget wird. Thier - und Menſchenſeelen wuͤrden ohngefaͤhr in das Verhaͤltniß mit einander kommen, dergleichen zwi - ſchen den kleinen allgemeinen Geiſtern, die zu allen mit - telmaͤßig geſchickt ſind, weil ſie zu nichts es auf eine vor - zuͤgliche Art ſind, und zwiſchen den Genies ſtatt findet, die an Einer Seite weit uͤber den gemeinen Men - ſchenverſtand erhaben, und an Einer Seite unter ihm ſtehen. Dieß letztere wuͤrden die Thiere mit ihren ſtar - ken und ſichern Jnſtinkten; und jenes der Menſch mit ſeinen ſchwachen zu allen aufgelegten Naturkraͤften ſeyn. Bey welchen iſt aber die groͤßte Seelengroͤße? Sie kann ſo gar in den letztern geringer ſeyn, als in jenen. Dieß wird von der abſoluten Groͤße der Kraft ab - hangen.

Es iſt aber uͤber die Maßen unwahrſcheinlich, und ohne Bedenken ſetze ich hinzu, falſch, und den Beob - achtungen zuwider, daß die ganze Seelengroͤße bey Thieren und Menſchen gleich ſeyn ſollte; ſo wie es un - wahrſcheinlich iſt, daß ſie in allen Thierarten gleich ſey. Jhre Verſchiedenheit muß alſo| auch außer der Ver - theilung der Kraft, nach mehrern oder wenigern Rich - tungen hin, und außer dem Verhaͤltniß der Ausdeh - nung zur Jntenſion, noch etwas Mehr in dem Jnnern hinter ſich haben.

Endlich, wenn man auch hinzuſetzet, daß die poſi - tive Seelenkraft im Menſchen uͤberhaupt groͤßer ſeyn ſolle, als die in den Thieren, ſo ſehe ich noch nicht, wie dieſe groͤßere und mannigfaltigere modifikable Grundkraft zu etwas mehr, als zu einer Thierkraft von mehrernund751der menſchlichen Seele c. und mannigfaltigern thieriſchen ſinnlichen Vermoͤgen ſich entwickeln koͤnne; nicht, wie ſie zur Menſchenſeele wer - de, wenn nicht ein innerer Vorzug an Staͤrke und Perfektibilitaͤt ihr an derjenigen Seite gegeben wird, wo ſie die Anlage zum Denken beſitzet. Jſt dieſelbige fuͤhlende Grundkraft in den Menſchen und Thieren vor - handen, ſo mag nun der Menſch mannigfaltigerer Em - pfindungen, und uͤberhaupt einer groͤßern Quantitaͤt der - ſelben faͤhig ſeyn, als das Thier iſt, dennoch kann dar - aus noch weiter nichts entſtehen, als eine feinere Sinn - lichkeit, mehrere, und mannigfaltigere und mehr aus - einandergeſetzte Veraͤnderungen, und mehr dieſen ge - maͤße Reaktionen, Gefuͤhle und neue Thaͤtigkeiten. Wo kommt denn die vorſtellende, und die hoͤher vorſtellende und feiner fuͤhlende Denkkraft her? Der Vorzug an innerer Kraͤftengroͤße muͤßte doch auch insbeſondere auf die Selbſtthaͤtigkeit ausgedehnt wer - den, in der der letzte Grund zum Vorſtellen und zum Denken lieget. Sollte vielleicht das innere Princip eben durch die groͤßere Zerſtreuung des Gefuͤhls in ſo viele Richtungen, wobey es in einzelnen Richtungen geſchwaͤ - chet wird, Raum und Freyheit gewinnen, heraus zu ge - hen, und ſich thaͤtig zu beweiſen? dieß koͤnnte durch die Beobachtungen in dem vorhergehenden zehnten Ver - ſuch*)Zehnter Verſuch. V. 3. 5. 8. beſtaͤtiget werden. Die einſeitigen intenſivern Empfindungen des Thiers betaͤuben und reißen hin, und hindern dadurch die Beſinnung; dagegen die ſanftern, gemaͤßigtern und mehr auseinandergeſetzten menſchli - chen Gefuͤhle die Selbſtthaͤtigkeit zum Vorſtellen und zum Denken erwecken. Aber auch hieraus wuͤrde folgen, daß man auf die Selbſtthaͤtigkeit, als auf den Mit - telpunkt der menſchlichen Eigenheiten zuruͤcke kommen, und das Verhaͤltniß der Ausdehnung zur Jntenſion, nurin752XI. Verſuch. Ueber die Grundkraftin ſo weit als einen Zug in dem Grundcharakter anſehen muͤſſe, als eine gewiſſe vortheilhafte Beziehung auf die innre Selbſtthaͤtigkeit davon eine Folge iſt.

III. Von der innern Selbſtthaͤtigkeit der menſchli - chen Seele.

  • 1) Worinn dieſe Selbſtthaͤtigkeit zu ſetzen iſt.
  • 2) Ein hoͤherer Grad von ihr gehoͤrt zu den Eigenheiten des Menſchen.
  • 3) Wie ferne darinn der Grundcharakter der menſchlichen Seele liege.
  • 4) Ob dieſer Grundcharakter beſtimmt ſey?

1.

Das vernuͤnftige Denken entſpringet aus einem hoͤ - hern Grade der innern Modifikabilitaͤt und der Selbſtthaͤtigkeit. Ein Vorzug von Selbſtthaͤ - tigkeit muß alſo wohl unter die Grundvorzuͤge der Menſch - heit gehoͤren. Aber worinn beſtehet ſie, und wieviel enthaͤlt ſie von dem ganzen Grundcharakter?

Man gehet einen Berg langſam hinauf, und ge - ſchwinder herunter. Jn dem letztern Fall iſt in dem Koͤrper eine ſtaͤrkere Bewegung vorhanden, und alſo wirket auf ihn eine groͤßere Kraft; aber es iſt mehr Selbſtthaͤtigkeit in ihm beym Hinaufſteigen. Die Vor - ſtellung des Phantaſirenden, der im Fieber irre redet, die Jdeen eines Menſchen in einer heftigen Leidenſchaft, in der Vernunftloſigkeit, ſind vielleicht in groͤßerer An - zahl, lebhafter und ſtaͤrker gegenwaͤrtig, als die ſanftern Wallungen der Phantaſie bey dem, der mit kaltem Blut einen Plan uͤberdenket; aber arbeitet deswegen unſer Jch, die ſich ſelbſtfuͤhlende Seele in den erſtern Faͤllen bey denſtaͤrkern753der menſchlichen Seele c. ſtaͤrkern Aufwallungen des Gehirns, mit einer groͤßern Eigenmacht, als in den letztern, wenn es ſeine ſchwaͤ - chern Jdeen im Nachdenken ſelbſt hervorzieht, ordnet und regieret? Die Selbſtthaͤtigkeit ſteht nicht in Gleich - heit mit der Groͤße und Menge der paſſiven Modifikatio - nen, die ein Weſen annimmt, noch in einem Ebenmaß mit der Kraft, wodurch dieſe verurſachet werden. Es kann auch nicht einmal das Maß der wirkſamen Kraft in dem Dinge ſelbſt, in jedwedem Fall als das Maß ſeiner Selbſtthaͤtigkeit angeſehen werden. Die innere Thaͤtig - keit kann von einer fremden Kraft herruͤhren, wie die Gewalt des Schlages, womit der Hammer wirket, nicht von der Eigenmacht des Hammers, ſondern von der Kraft des Arms abhaͤnget, die nur durch jenen als durch einen Mittelkoͤrper hindurch gehet. Soll die Selbſtthaͤ - tigkeit ihrer Groͤße nach geſchaͤtzet werden, ſo muß man darauf ſehen, in wie ferne die thaͤtige und verurſachende Kraft, von der die Wirkung abhaͤngt, ein inneres Princip in der Subſtanz ſelbſt ſey. Die Selbſtthaͤtig - keit eines Weſens iſt ſo groß, als der Antheil, den das innere Princip durch ſeine eigene, nur aus ihm ſelbſt entſtehende, nicht blos durch ihn von einer fremden Kraft durchfließende Aktion an der Wirkung hat, welche hervor - gebracht wird. Was ſelbſtthaͤtig wirket, hat die erſte Quelle der Aktion in ſich ſelbſt, in einem ihm bey - wohnenden Vermoͤgen. Dieß Vermoͤgen mag wohl ei - ner Anreizung von außen beduͤrfen, ehe es ſich in Thaͤtigkeit offenbaret, ſo wie man oft einer Quelle vorher eine Oefnung machen muß, ehe das Waſſer auswaͤrts hervortreibet. Aber die Quelle iſt darum kein bloßer Ka - nal, wodurch nur das anderswoher entſpringende Waſſer durchgeleitet wird.

Dieſer obgleich noch nicht genau beſtimmte und noch weniger deutlich auseinander geſetzte Begrif von der Selbſtthaͤtigkeit mag hier genuͤgen. Man wirdI. Band. B b bihn754XI. Verſuch. Ueber die Grundkraftihn wenigſtens ſo deutlich finden, als es noͤthig iſt, um dieſe Folgerung zu begreifen, daß wenn zwey ſelbſtthaͤtige Weſen in ſo genauer Vereinigung mit einander wirken, wie die Seelen und Koͤrper bey den Thieren, daß ſie al - lemal beide an den einzelnen Veraͤnderungen des Ganzen, jede durch ihre eigene Kraft, beytragen, es unendliche Verſchiedenheiten in dem Verhaͤltniſſe geben muͤſſe, in dem ſie dazu beytragen, und daß es alſo eben ſo viele Stufen geben muͤſſe, in der die erfolgte Wirkung von der Eigenmacht der Seele allein, oder auch des Koͤrpers allein abhangen koͤnne.

2.

Unter den beſeelten Weſen, von dem Meerſchwamm oder von der Tremella an, bis zu den Menſchen, giebt es ohne Zweifel in Hinſicht dieſer Selbſtthaͤtigkeit eine Stufenleiter. Woferne anders dieſe Weſen noch fuͤr beſeelt anzuſehen ſind, dieſe Seele mag nun beſtehen worinn ſie wolle, und vielleicht nicht einmal eine Seele in dem Sinne ſeyn, wie ſie den vollkommenen Thieren beygeleget wird. Denn unter Seele oder Seelenwe - ſen kann man doch im Allgemeinen bey der Betrachtung der Thiere nichts anders verſtehen, als das innere Prin - cip der Empfindungen und eigenmaͤchtigen Bewegungen, die vor uns das Merkmal der thieriſchen Natur ſind. Dieß Princip iſt Seele, wenn es nicht durch den gan - zen organiſirten Koͤrper und deſſen Theile verbreitet iſt, ſondern in einem eigenen Theile deſſelben, dergleichen das Gehirn iſt, ſich in vorzuͤglichſter Maaße befindet, und dadurch als ein von dem uͤbrigen Koͤrper unterſchiedenes und mit dieſem verbundenes Weſen angeſehen werden kann. Jn einem beſeelten Weſen muß es irgendwo ei - nen Theil geben, der gleichſam der Mittelpunkt aller thieriſchen Veraͤnderungen iſt, wohin die Eindruͤcke von außen zuſammen laufen, und von dem alle ſelbſtthaͤtigeBewe -755der menſchlichen Seele c. Bewegungen wieder herausgehen. Jn dieſem Ver - ſtande wuͤrde auch vielleicht Hr. Unzer,*)Phyſiologie der eigentlich thieriſchen Natur. der ſonſten die unvollkommenen Thiere fuͤr blos organiſirte Koͤrper haͤlt, ihnen eine Seele beylegen koͤnnen, wofern noch irgend ein Gehirn oder ein anderes die Stelle des Ge - hirns vertretendes Werkzeug da iſt, das von den uͤbrigen Theilen des organiſchen Ganzen unterſchieden werden kann. Die letzte Stufe in den beſeelten Weſen kann ſich endlich in ſolche verlieren, die voͤllig nichts mehr als bloße organiſirte Maſchinen ſind, bey welchen die Quelle der eigenmaͤchtigen Lebensbewegungen, ſo ferne es der - gleichen giebt, mehr gleichfoͤrmig durch die Theile des Ganzen verbreitet iſt, ohne daß ein beſonderes ſich aus - nehmendes Behaͤltniß dieſer innern wirkſamen Lebens - kraft in ihnen vorhanden ſey.

Ein ſolches Seelenweſen oder eine pſychologiſche Seele, kann nun zwar als der Mittelpunkt der thieri - ſchen Natur und der thieriſchen Veraͤnderungen vorhan - den, und alſo in ſo weit auch Regent des organiſirten Ganzen ſeyn, aber auch hiebey ſo paſſiv ſich verhalten, daß es bloß leidentlich die Eindruͤcke aufnimmt, wie ſie ihm durch die Empfindungswerkzeuge zugefuͤhretwerden, ſie dann fuͤhlet, und zuruͤckwirket, nur in der Richtung, und mit der Kraft, die ihm von den organiſchen Kraͤften des Koͤrpers beygebracht iſt, wie eine Kugel ſich dahin treiben laͤſſet, und mit ſo vieler bewegenden Kraft fort - geht, wie es der Druck oder der Stoß auf ſie mit ſich bringet.

Solche Seelenweſen koͤnnen wohl bloße Gefuͤhle haben, ohne Vorſtellungen zu machen. Bey den voll - kommenen Thieren finden wir die Seele bis auf einen gewiſſen Grad ſelbſtthaͤtig, nemlich bis dahin, daß ſie empfangene Eindruͤcke von den aͤußern Gegenſtaͤnden ausB b b 2Eigen -756XI. Verſuch. Ueber die GrundkraftEigenmacht reproduciren, und alſo Vorſtellungen ma - chen koͤnnen. Vielleicht wohnt auch dieſe Seelenkraft bey ihnen noch mehr in dem Gehirn, dem koͤrperlichen Organ des vorſtellenden Weſens, als in der unkoͤrperli - chen, und eigentlich nur empfindenden Seele. Denn daß es auch hierinn eine Gradation geben koͤnne, die uns auf einen analogiſchen Beweis fuͤr die Jmmaterialitaͤt der menſchlichen Seele hinfuͤhret, will ich bey einer an - dern Gelegenheit mit mehreren zeigen, und hier nur im Vorbeygehen erinnern, daß die Analogie der Natur und die Stufenleiter der Weſen ſo wenig den Uebergang von blos organiſirten Koͤrpern, zu den mit einfachen Seelen begabten, oder eigentlich beſeelten ausſchließe, wie ei - nige neuere Vertheidiger des Materialismus zu behau - pten ſuchen, daß ſie vielmehr ſolche zu erfodern ſcheine, und daher die ſubſtanzielle Einheit der menſchlichen Seele wahrſcheinlich mache.

Bey dem Menſchen iſt die Seele in einem hoͤhern Grad ſelbſtthaͤtig. So ſehr ſie auch an den aͤußern Organen der Empfindung und der Bewegung gebunden iſt, ſo beſitzet ſie doch eine weit groͤßere Selbſtmacht in ihrer Grundkraft, als die Seele bey irgend einer andern Thierart.

Dieſe Selbſtmacht iſt es, welche ſie aufgelegt macht, die empfangenen Modifikationen oder ihre nachgebliebe - nen Spuren von neuen durch ſich ſelbſt wieder zu erwe - cken. So wie ihre vorzuͤgliche, feinere, geſchmeidigere, Modifikabilitaͤt ſie der innern Empfindungen, als Ver - aͤnderungen, die ſich von den von außen empfangenen Jmpreſſionen mehr und weiter in ihr Jnnerſtes und in ihre Kraͤfte verbreiten, faͤhig macht, ſo macht ihre Selbſt - thaͤtigkeit ſie zu einem vorſtellenden und denkenden Weſen.

Eben dieſe hoͤhere innere Selbſtmacht ihrer Urkraft iſt die Quelle von ihrer groͤßern Unabhaͤngigkeit undvon757der menſchlichen Seele c. von ihrer Freyheit. Die Freyheit iſt wie die Ver - nunft eine der ſpaͤteſten Aeußerungen der zu ihrer Reife fortſchreitenden menſchlichen Natur. Daß aber die Freyheit in nichts anders beſtehe, als in einer weiter ent - wickelten und erhoͤheten Selbſtthaͤtigkeit der Grundkraft, wie es von der Vernunft aus der vorhergehenden Ana - lyſis ſich gezeiget hat, verdienet noch eine weitere und eigene Unterſuchung in dem folgenden.

Ob nicht auch der Koͤrper des Menſchen, wenn nicht Vorzuͤge an Macht und Staͤrke und Geſchmeidigkeit, doch dergleichen an innerer Selbſtthaͤtigkeit und an Un - abhaͤngigkeit von dem Einfluß der aͤußern Dinge, vor andern thieriſchen Koͤrpern voraus habe, iſt eine Frage, die wenigſtens mit Wahrſcheinlichkeit bejahet werden kann. Verraͤth ſich nicht ſo etwas bey ſeiner Ernaͤh - rung und Erhaltung? Die aͤußere Luft und Nahrungs - mittel ſind ihm zwar eben ſo unentbehrlich, als ſie jed - weder Thierart ſind; aber da kein anderes Thier in ſo verſchiedenen Himmelsgegenden und bey ſo verſchiedenen Nahrungsmitteln ſo gut ſich erhalten, ſich fortpflanzen, und ſich vermehren kann, als das Menſchenthier, ſo ſcheinet dieß doch eine groͤßere Unabhaͤngigkeit ſeiner Na - turkraͤfte von den beſondern aͤußern Gegenſtaͤnden zu be - weiſen, welche auf eine groͤßere innere Selbſtthaͤtigkeit ſeiner thieriſchen Kraͤfte zuruͤckfuͤhrt. Und dieſe wuͤrde vermuthlich wiederum auf die innere Staͤrke und Selbſt - thaͤtigkeit des Gehirns und der Seele, als auf ſeine Quelle zuruͤcke weiſen, wenn man nur die Fakta mit Sorgfalt ſammlen und vergleichen wollte. Denn wenn man die Beyſpiele von ſolchen Perſonen betrachtet, die auf Reiſen in entfernten Laͤndern, dem Einfluß der ver - ſchiedenen Witterungen, des Klima und der Nahrungs - mittel widerſtanden, und ſich dabey munter und geſund erhalten haben, da andere ihnen untergelegen ſind, ſo hat man Gruͤnde zu glauben, daß jene dieſen VorzugB b b 3mehr758XI. Verſuch. Ueber die Grundkraftmehr ihrem geſetzten und ſtarken Muth, der ſich bey allen Abwechſelungen aufrecht erhaͤlt, und alſo ihrer Seelen - ſtaͤrke, als der vorzuͤglichen Feſtigkeit und Staͤrke ihrer koͤrperlichen Kraͤfte zu verdanken haben.

3.

Da die Seele ein Weſen iſt, welches leidet und wirket, ſich modiſiciren laͤſſet, und thaͤtig etwas in und außer ſich hervorbringet; ſo wird derjenige, der das Un - terſcheidungsmerkmal der menſchlichen Seele in einer vorzuͤglichen Modifikabilitaͤt und Selbſtthaͤtig - keit ſetzet, am Ende weder mehr noch weniger als dieß ſagen: ſie iſt eine Seele in einem hoͤhern Grade; ſie iſt, von der leidenden Seite betrachtet, von einem groͤßern Umfang, und innerlich weicher, mehr und tie - fer durchdringlich, und als thaͤtiges Weſen betrachtet, hat ſie eine groͤßere innere Kraft, auf ſich und auf an - dere Dinge zu wirken.

Gehen wir nun aber mit dieſer Jdee, von einer groͤßern Empfaͤnglichkeit und einer groͤßern Selbſtmacht, bis auf die Naturkraft der Seele in dem Zuſtand zuruͤck, in welchem dieſe vor ihrer Entwickelung zu einem vor - ſtellenden und denkenden Weſen ſich befindet, koͤnnen wir alsdenn ihr ſolche auch in dieſer Verfaſſung noch zu - ſchreiben? oder iſt es nicht vielmehr nur eine Anlage zu einer ſolchen Selbſtmacht zu gelangen, die der Urkraft zu - geſchrieben werden kann? Laßt uns ſagen, die Grund - kraft der Seele beſitze eine vorzuͤgliche Perfektibilitaͤt an Selbſtmacht, ſo irren wir nicht, weil ſie ſich als ein ſol - ches Weſen nachher wirklich beweiſet, woferne wir an - ders nicht die ganze Urſache ihres nachherigen Vorzuges in den Koͤrper, durch den ſie ſich ausbildet, ſetzen wollen. Und dennoch, wenn wir auch alles auf die Einwirkung aͤußerer Urſachen ſchieben wollten, ſo ſind dieſe ſo beſtaͤn - dig mit dem menſchlichen Seelenweſen von dem erſtenembryo -759der menſchlichen Seele c. embryoniſchen Zuſtande an verbunden, daß wir dieſe vorzuͤglich perfektible Selbſtthaͤtigkeit noch immer als ein Grundmerkmal gebrauchen koͤnnen, wenn wir in der Vergleichung der Menſchenſeelen und der Thierſee - len nicht weiter als auf jenen erſten embryoniſchen Stand, wo die Ausbildung zum voͤlligen Thiere ſchon angefan - gen hat, hinausgehen wollen. Und dieß waͤre ſchon weit genug gegangen.

Wenn die vorzuͤgliche Selbſtmacht als ein Unter - ſcheidungsmerkmal der Urkraft der Seele angeſehen wird, ſo wird ein Schluß gemacht von der Anlage, vorzuͤglich ſelbſtthaͤtig zu werden, auf ein wirklich vorhandenes vor - zuͤgliches Vermoͤgen, auf eine ſchon in ihr exiſtirende Selbſtkraft. Jſt dieſe Folgerung nicht etwas bedenk - lich? Koͤnnen die wirklichen reellen Vermoͤgen in einem Weſen nicht dermalen geringer und ſchwaͤcher ſeyn, als in einem andern, wenn jenes gleich aufgelegt iſt, meh - rere als dieß letztere anzunehmen, und in der Folge ſich uͤber dieſes zu erheben? Jſt die treibende Kraft in dem Saamen der Eiche darum innerlich groͤßer, ſtaͤrker, maͤchtiger, als in dem Saamen der ſchneller nach allen Dimenſionen ſich entwickelnden Kohlſtaude, weil jene noch immerfort mehr Vermoͤgen annehmen, ſich immer mehr entwickeln und wachſen, und die letztere ſo weit hinter ſich zuruͤcklaſſen kann?

Wir verlieren uns in die Dunkelheit der Begriffe von Kraͤften, Vermoͤgen, Anlagen, Graden und Entwickelungen, wenn wir weiter hierinn hin - eingehen, und ſammlen hoͤchſtens noch Ein Beyſpiel mehr zu ſo vielen andern, wie unentbehrlich zu jeder gruͤndlichen Unterſuchung uͤber die Natur der wirklichen Dinge die Aufloͤſung der allgemeinen Verſtandesbegriffe, das iſt, eine vernuͤnſtige Metaphyſik ſey. Es iſt meiner jetzigen Abſicht gemaͤßer, bey der Perfektibilitaͤt an Selbſtmacht ſtehen zu bleiben, als noch weiter den GrundB b b 4dieſer760XI. Verſuch. Ueber die Grundkraftdieſer Perfektibilitaͤt ſelbſt in einer groͤßern Stufe der Vermoͤgen der Urkraft aufzuſuchen. Aber ſo viel iſt doch ohne viele Spekulationen leicht zu begreifen, daß von zwo Kraͤften, die im uͤbrigen an naͤchſten Vermoͤgen zu wirken, nichts vor einander voraus haben, davon Eine eine Erhoͤhung annehmen kann, deren die andere nicht faͤhig iſt, die erſtere dieſer Perfektibilitaͤt wegen, auch ſchon eine innere abſolute Realitaͤt beſitzen muͤſſe, ſie ſey nun eine bloße Anlage, oder ein groͤßeres inneres Beſtreben, ein ſtaͤrkerer Anſatz oder Drang, oder was ſie wolle, welche der andern mangelt. Denn ſelbſt die Empfaͤnglichkeit zu einem hoͤhern Grade in dem Ver - moͤgen, dieſe bloße Moͤglichkeit, daß eine Leichtigkeit et - was zu wirken entſtehe, erfodert doch etwas poſitives in der Kraft, als eine Anlage dazu, oder als ein Keim, der entwickelt werden kann, wofern nicht etwan die nach - herige Erhoͤhung nur allein von der Wegraͤumung aͤuße - rer Hinderniſſe abhangen, oder eine Wirkung einer frem - den Kraft ſeyn ſoll, die ſich mit dem empfaͤnglichen We - fen verbindet, und nun eine groͤßere Kraft mit jener ver - bunden ausmacht. Aber dieſer Anwachs wuͤrde auch nur uneigentlich als eine Erhoͤhung des erſtern empfaͤng - lichen Vermoͤgens angeſehen werden. Denn wenn eine groͤßere Stufe eines Vermoͤgens in dem Jnnern eines Dinges entſtehen ſoll, ſo muͤſſen auch eigene Grundzuͤge, als die Grundanlagen dazu vorhanden ſeyn; es mag der Uebergang von der Anlage zu dem wirklichen Vermoͤgen, von dem entferntern Vermoͤgen zu dem naͤhern; von der Moͤglichkeit ſich zu aͤußern zur Wirklichkeit; von bloßer Dispoſition zur Leichtigkeit, durch eine Art von Epige - neſis, von Anwachſen, oder durch eine Evolution des Vorhandenen vor ſich gehen. Jch wuͤrde daher fuͤr mich ſelbſt kein Bedenken haben, die vorzuͤgliche Perfektibi - litaͤt an ſelbſtthaͤtiger Kraft fuͤr eine Folge einer vorzuͤg - lichen innern Groͤße der Urvermoͤgen anzunehmen, undalſo761der menſchlichen Seele c. alſo auch in der vorzuͤglichen Modifikabilitaͤt und in der groͤßern innern Staͤrke der thaͤtigen Kraft, einen Grundcharakter der menſchlichen Seele auch bis in die entfernteſte Urkraft hin zu erkennen. Und es ließe ſich hiemit wohl vereinigen, daß die mit minderer Selbſt - macht in ihrer Grundkraft verſehene Thierſeelen, den - noch in Hinſicht der ſchon entwickelten Selbſtmacht bey ihrer Geburt einen Vorſprung vor den Menſchenſeelen voraus haben, wie die einjaͤhrige Weide vor der einjaͤh - rigen Eiche voraus hat. Aber ich uͤberlaſſe andern dieſe Hypotheſe als eine Vermuthung, die ihren Grund in ei - ner Spekulation uͤber Kraͤfte und Vermoͤgen hat, die ich zur Zeit aber weder durch eine evidente Demonſtration zu erweiſen, noch durch eine einleuchtende Analogie wahrſcheinlich zu machen weis.

4.

Jſt nun aber gleich ein hoͤherer Grad innerer Re - ceptivitaͤt und Perfektibilitaͤt der Selbſtmacht ein Grund - charakter der Menſchheit, ſo verdienet noch dieß eine Un - terſuchung, ob ſolcher vollſtaͤndig und beſtimmt genug ſey? Es verraͤth ſich bald, was hieran noch fehle. Wie groß ſoll denn dieſer Vorzug ſeyn, und welches iſt das Maaß, wodurch die Groͤße deſſelben angegeben, und ihr Abſtand von dem Grade in den Thierſeelen be - ſtimmet werden kann? Hoͤchſtens kann man ſo viel ſa - gen; jene koͤnne bis zur Vernunft und Freyheit entwi - ckelt werden, die Thierkraft nicht. Aber wie weit iſt denn das Groͤßte in der thieriſchen Entwickelung unter dem Groͤßten in der menſchlichen?

Wie viele Fragen bleiben hier noch mehr zuruͤck, auf die ich keine Antwort weiß. Jſt nun der Unterſchied zwiſchen Menſchen und Thieren blos ein Stufenunter - ſchied? oder iſt Verſchiedenartigkeit da? *)Man ſehe den erſten Verſuch. XVI. 1. 2. 3.Jſt derB b b 5Stufen -762XI. Verſuch. Ueber die GrundkraftStufenunterſchied zufaͤllig, veraͤnderlich, oder natuͤrlich und unabaͤnderlich? Wenn dieß letztere iſt, fuͤhrt denn nicht eine nothwendige Einſchraͤnkung und eine weſentli - che Unfaͤhigkeit, auf immer aus gewiſſen Graͤnzen her - auszugehen, nicht auf einen andern Mangel in der Na - tur zuruͤck, der nicht wiederum nur in einem mindern Grade beſtehet kann, ſondern eine Qualitaͤt und eine Be - ziehung der Vermoͤgen auf einander in der Urkraft, die wir nicht kennen, und alſo einen gaͤnzlichen Mangel ei - ner abſoluten Realitaͤt zum Grunde haben muß? oder iſt bey der gaͤnzlichen Einartigkeit der Urkraͤfte in den einfachen Weſen, die Leibnitz am lebhafteſten und am beſten dachte, dennoch der Stufenunterſcheid zwiſchen ihnen, den ihnen der Schoͤpfer vom Anfang ih - res Daſeyns an mitgetheilet hat, von unendlicher Groͤße? ſo daß die Kluft zwiſchen dem niedern Weſen und den Weſen der hoͤhern Gattung auch bey einem immer dau - ernden Fortſchritt in der Entwickelung nicht zu uͤberſtei - gen iſt? ſo daß das niedrige Weſen in ſeiner hoͤchſten Stufe das hoͤhere, ſo wie es in ſeiner niedrigſten iſt, nimmermehr erreichen kann? Die mehreſten Philoſo - phen ſehen den Unterſcheid der Seelen fuͤr zufaͤllig und veraͤnderlich an, und ſchreiben ihn ſogar nur den aͤußern Umſtaͤnden und ihrer Lage in der Welt zu. Jch weis keine Gruͤnde, womit ich dieß behaupten oder laͤugnen koͤnnte.

Jſt aber in dem neugebohrnen Menſchen ſchon der beſtimmte natuͤrliche Vorzug vorhanden; ſo iſt es auch außer Zweifel, daß die erſte Aeußerung einer menſchli - chen Seele, und ihr erſtes Gefuͤhl, von der erſten Aeu - ßerung und dem erſten Gefuͤhl einer Thierſeele unterſchie - den ſeyn muͤſſe. Jeder Eindruck wird dorten ſchon mehr verbreitet, tiefer eingezogen, und mit mehrerer Perfek - tibilitaͤt ergriffen, als hier; das heißt dorten iſt die Em - pfindung menſchlich, mit dem Anfang des Denkens verbunden, obgleich dieſes noch unbemerkbar iſt. Undin763der menſchlichen Seele c. in dieſem Verſtande lieget in jedwedem Gefuͤhl einer Menſchenſeele ſchon der Anſatz zum Gedanken. Denn jedwede einzelne Handlung einer Subſtanz iſt in ihrer voͤlligen Jndividualitaͤt betrachtet, ein Effekt von ihren geſammten Naturvermoͤgen, ob ſie gleich nicht von je - dem einzelnen Vermoͤgen hervorſtechende Zuͤge in ſich ent - haͤlt. Nur ſind wir dadurch noch nicht berechtiget, zu ſagen, das neugebohrne Kind mache ſchon Schluͤſſe, und handle mit Freyheit. Die Bluͤthen und die Fruͤchte des Baums ſind ihrer Anlage nach in der jungen Pflanze, die aus der Erde hervorgeht. Aber auch nur der Anlage nach, welches freylich nach der Jdee derer, die die Evolution behaupten, eben ſo viel iſt, als dem Anfang nach. Jndeſſen wenn auch die Anfaͤnge oder die erſten Elemente vorhanden ſind, ſo iſt es doch mehr ſinnreich und ſchon als philoſophiſch richtig geſagt, daß die Sache ſelbſt ſchon im kleinen vorhanden ſey. Die erfoderliche Groͤße giebt ihr erſt ihr Weſen und ihren Namen, und der Anfang der Sache kann gar ſehr von der Sache ſelbſt unterſchieden ſeyn.

Jſt die angebohrne Perfektibilitaͤt der menſchlichen Seele groͤßer, als bey den Thieren, ſo kann es damit, wie oben ſchon erinnert iſt, wohl beſtehen, daß dennoch die Thierſeelen mit groͤßern und ſchnellern Schritten zu ihrer voͤlligen Auswickelung fortgehen, als die Menſchen - ſeelen. Denn man kann nicht ſchließen, weil das Thier ſich ſeiner Sinne ſchneller bedienen lernet, und an Seele und Koͤrper geſchwinder zu ſeiner groͤßten Vollkommen - heit gelanget, als der Menſch, ſo muͤſſe die Perfektibi - litaͤt, als eine poſitive Eigenſchaft der angebohrnen Na - turkraft bey jenen ſtaͤrker wirken und groͤßer ſeyn, als bey den langſamer ſich entwickelnden Menſchen. Der Vor - zug des Menſchen ſoll in einer groͤßern Anlage an See - lenvermoͤgen beſtehen. Die Seelenkraft iſt aber nicht einerley mit der ganzen Lebens - und Einwickelungs -kraft764XI. Verſuch. Ueber die Grundkraftkraft des Thiers, welche in der Seele, in der Organi - ſation des Gehirns, und in dem aͤußern thieriſchen Koͤr - per, auch wohl in den aͤußern Urſachen vereiniget iſt. Das Thier kann ſich alſo wohl ſchneller perfektioniren, ſich ſchneller Empfindungen aufſammeln, und mit Vor - ſtellungen erfuͤllen, weil ſeine koͤrperlichen Nervenkraͤfte ſchneller wachſen und ihr Trieb zur Entwickelung in die - ſem auch die Seele mit entwickelt, nicht aber weil das Princip in der Seele maͤchtiger treibet. Bey dem Menſchen, wo die Seele mehr ſich ſelbſt durch ihre ei - gene Kraft entfalten ſoll, koͤnnen die Entwickelungen im Ganzen wohl langſamer erfolgen, und ihre Wirkungen anfangs geringer ſeyn, obgleich die Seelenkraft ſelbſt mehr arbeitet. Aber wenn man allein die Seelenhand - lungen mit einander vergleichet, ſo kann man es mit gu - tem Fug bezweifeln, daß die Menſchenſeele in der erſten Zeit des Lebens hinter den Thierſeelen in ihren Vermoͤ - gen zuruͤck bleibe. Jn dem erſten Laͤcheln des Kindes fand Ariſtoteles ſchon mit Recht die Merkmale der Ver - nunft, und die Handlungen der meiſten unter den voͤllig erwachſenen Thieren verrathen nicht ſoviel Vorſtellungs - und Beziehungsvermoͤgen, als die Mienen und Gebehr - den des Saͤuglings von vier Wochen, wenn er laͤchelt oder weinet. Die angebohrne Wuͤrde der Menſchheit ſcheint in dem erſten Anblick des Kindes deutlich hervor - zuleuchten, da man in den kuͤnſtlichſten Handlungen der Thiere nichts mehr als ein vernunftloſes Thier ſiehet, das auch da, wo wir am meiſten uͤber ſeine Jnſtinkte erſtau - nen, nicht anders ſich zeiget, als ein Weſen, deſſen wunderbare Organiſation zwar die Weisheit ſeines er - ſten Urhebers darſtellet, das aber ſelbſt keine Beſtre - bungen oder Thaͤtigkeiten einer weiſen und uͤberlegenden Seele zu erkennen giebt. Was die Kuͤnſte der abge - richteten Thiere betrift, ſo koͤnnen ſolche noch weniger mit den menſchlichen Handlungen des Kindes in Ver -glei -765der menſchlichen Seele c. gleichung kommen. Sie ſind ſo wenig Beweiſe von er - hoͤheten Seelenkraͤften in den Thieren, ſo ſehr wir ſie auch bewundern, weil wir ſie an Thieren ſehen, wo wir ſie nicht gewohnt ſind, daß ſie vielmehr eine wahre Her - abſetzung der thieriſchen Natur ſind, die bey der gewalt - ſamen Einklemmung in eine gewiſſe Form geſchwaͤchet und zerdruͤcket worden iſt. Es iſt bekannt, daß die Geſchick - lichkeit des zur Jagd abgerichteten Falken, die uns von außen eine Wirkung eines groͤßern Witzes zu ſeyn ſchei - net, in der That in Furcht und Aberwitz gegruͤndet iſt. Und ſo findet man es bey andern abgerichteten Voͤgeln, Affen, Baͤren, und ſo gar bey den Hunden.

Jn der tiefſten Erniedrigung, in der man jemals die menſchliche Natur gefunden hat, in dem Wald-Baͤr - und Schaf-Menſchen, in den ſprachloſen Jchthyopha - gen des Diodors,*)Diodor. Sicul. Rer. Ant. Lib. IV. Cap. 3. wenn es anders dergleichen, wie zu zweifeln iſt, je gegeben hat, wo nur die Naturanlage vollſtaͤndig geweſen iſt, da hat ſich der Vorzug an Em - pfindlichkeit und Selbſtthaͤtigkeit, als der unausloͤſch - liche Charakter der Menſchheit offenbaret. Der Baͤr - menſch war doch mehr als ein Baͤr; der Schafmenſch mehr als ein Schaf. Es giebt unendliche Stufen von der Form des neugebohrnen Kindes an bis zu der Form des dreyßigjaͤhrigen Mannes, und die mannigfaltigen Modifikationen der Menſchheit, womit uns die Erfah - rung bekannt gemacht, zeigen, auf welcher niedrigen Stufe ſie in ihrer Entwickelung zuruͤckgehalten merden koͤnne. Aber die Naturvorzuͤge ſind in allen. Die an - gebohrne Selbſtmacht beweiſet zwar keine ſo ſtarke Trie - be, daß ſie ohne Reizungen von außen zu haben, allent - halben in gleicher Staͤrke hervorgehe, ſich allenthalben gleich entwickele, und durch alle aͤußere Hinderniſſe ſich nothwendig durcharbeite. Und dieß lehret uns unſere Erfahrung in der Naͤhe. Deutlicher und auffallenderlehrt766Anhanglehrt es die Geſchichte der Menſchheit, was aus einem ſolchen Weſen, wie der Menſch iſt, bey der natuͤrlichen Schwaͤche und Traͤgheit der Kraͤfte, bey der Groͤße und Mannigfaltigkeit der koͤrperlichen Beduͤrfniſſe, wodurch die thieriſche Kraft zuerſt und am ſtaͤrkſten hervorgelo - cket, aber auch die feinern Wirkungen der Selbſtmacht in der Seele verhindert werden, und endlich unter mehr oder guͤnſtigern Gelegenheiten mit ſeiner innern Selbſt - thaͤtigkeit zu wirken, werden kann. Aber der Grundcha - rakter der Menſchheit, die vorzuͤgliche Modifikabilitaͤt, und Anlage zur Selbſtthaͤtigkeit, ſie mag ſich wenig oder viel entwickeln, und auch bey den verſchiedenen Jn - dividuen von verſchiedener Groͤße ſeyn, gehoͤret unter die unveraͤnderlichen Kennzeichen der Menſchheit, die man allenthalben findet, wo es Menſchen giebet.

Anhang zum eilften Verſuch. Einige Anmerkungen uͤber die natuͤrliche Sprachfaͤhigkeit des Menſchen.

I. Aus der natuͤrlichen Vernunft - und Sprach - faͤhigkeit des Menſchen kann nicht geſchloſſen werden, daß ſolche bey ihm auch hinreiche, ſelbſt ſich eine Sprache zu erfinden.

1.

Wenn der Menſch ſo weit gekommen iſt, daß er ſpre - chen kann, ſo ſind alle Grundzuͤge der Seele deut - lich entwickelt, und der Menſch der Seele nach, voͤl - lig ausgebildet, ſo daß alles was nun noch weiter ge - ſchehen kann, blos im Auswachſen beſtehet. Jſt Spra - che da, ſo iſt auch ſchon ein wirklicher Gebrauch desVer -767zum eilften Verſuch. Verſtandes da; und iſt dieſer da, ſo wirket der Menſch ſchon als ein freyes Weſen. Vielleicht kann man die Seele noch fruͤhzeitiger fuͤr voͤllig gebildet anſehen, ehe es noch zum Sprechen kommt, aber deſto gewiſſer iſt ſie es in dieſer Epoche, in der nicht blos Anlage zur Ver - nunft, und Anlage ſprechen zu lernen, ſondern auch wirkliche Vernunft, und Sprachfaͤhigkeit, als unmit - telbare naͤchſte Vermoͤgen vorhanden ſind.

Laß es uns dahin geſtellet laſſen, auf welche Art die Entwickelung der Grundkraft bis dahin vor ſich gehe, was in dieſer die angebohrne Anlage zu jenen Faͤhigkei - ten eigentlich ſey, und in welcher Beziehung ſie auf dieſe letztern ſtehen moͤgen? ſo muß uns doch noch eine andere fruchtbare Unterſuchung aufſtoßen, wenn wir bey dieſer Entwickelung auf die aͤußern Umſtaͤnde und Urſachen ſehen, deren Einfluß zu ihr erfodert wird, und auf die groͤßere oder geringere Nothwendigkeit dieſes Einflußes. Die Anlagen zur Sprache und Vernunft ſind in der an - gebohrnen Natur; und dieſe Natur treibet durch innere Kraft wie der Keim in den Pflanzen, wenn die ihn in Thaͤtigkeit ſetzende aͤußern Urſachen vorhanden ſind, und die Umſtaͤnde eher ſeiner Natur gemaͤß ſich entwickeln laſ - ſen. Da nun aber die erfolgende Entwickelung ſo wohl von aͤußern als von innern Urſachen abhaͤngt, wie weit ſind jene unentbehrlich, wenn wir blos hier die Sprach - faͤhigkeit in Betracht ziehen? Wie ſtarktreibend iſt die innere Naturanlage dazu und wie weit braucht es der Pflege und der Reizung von außen? Jſt hier nichts weiter noͤthig, als was der natuͤrlich nothwendige Ge - brauch vollſtaͤndiger und geſunder Sinnglieder ſchon mit ſich bringet? oder iſt uͤberdieß noch eine Anfuͤhrung von andern ſchon bis zur Sprache entwickelten Menſchen und eine Jnſtruktion erfoderlich, wie eine Art von kuͤnſtlicher Pflege bey unſeren Pflanzen und heißen Erd - ſtrichen, wenn ſie zu Bluͤthe kommen und reife Fruͤchte geben ſollen.

Jn768Anhang

Jn den neuern Unterſuchungen, die durch die be - kannte Berliniſche Aufgabe uͤber die Erfindung der Sprache veranlaſſet worden ſind, iſt die allgemeine Frage beſonders in der letzterwaͤhnten Anwendung auf die Sprachfaͤhigkeit vorgekommen. Aber da die Art und Weiſe, nach welcher die Entwickelung der Anlage zum Sprechen innerlich erfolget, am meiſten die Auf - merkſamkeit der Philoſophen erfodert hat, die ſich mit der Aufloͤſung der Aufgabe beſchaͤftiget, ſo hat es ſich am Ende gezeigt, daß der Punkt, von der Entbehr - lichkeit oder Unentbehrlichkeit der menſchlichen Anfuͤhrung, der doch Einer der weſentlichſten Stuͤcke war, wenige Aufklaͤrung mehr erhalten habe, als er nicht vorher ſchon hatte. Die Verbindung der Vernunft und der Sprache mit einander, ihr wechſelſeitiger Einfluß in einander, und die Art, wie die Grundkraft des Men - ſchen unter der Vorausſetzung, daß ſie aus innerer Ge - nugſamkeit ſich Jdeen und Begriffe verſchaffe, auch zu - gleich auf Woͤrter kommen muͤſſe, und wie dieſe wie - derum die Begriffe befoͤrdern, iſt, wie ich meine, voͤl - lig ins Helle geſetzt. Aber was die Fortſchreitung von dem angebohrnen Zuſtand der Grundkraft bis zu den erſten Begriffen und deren Bezeichung durch Toͤne betrift, und insbeſondere die Frage; ob nicht Beyſpiele anderer, Ermunterungen, Anfuͤhrungen durch gewiſſe gefliſſentlich eingelenkte Umſtaͤnde, unter welchen man die Naturkraft ſetzen kann, als Geburtshelfer des wirk - lichen Gebrauchs des Verſtandes, und der Sprachfaͤ - higkeit, nothwendig ſind, und unter welchen Bedingun - gen? ſo iſt zwar hieruͤber von einigen vieles vortrefliches geſagt, aber auch noch vieles zuruͤckgelaſſen worden. Der angebohrnen Vernunft - und Sprachfaͤhigkeit ohn - geachtet hat es doch Waldmenſchen gegeben. Dieß al - lein iſt ſchon Beweiſes genug, daß damit die Sache nicht erklaͤret werde, wenn man ſich nur uͤberhaupt aufdie769zum eilften Verſuch. die menſchliche Anlage zur Sprache und auf die Art, wie ſich ſolche entwickeln koͤnne, berufet. Es gehoͤret mehr dazu, wenn man erweiſen will, der Menſch habe durch ſeine innere Naturkraft, ohne Vorgang und An - fuͤhrung, eine Sprache wirklich erfinden koͤnnen und muͤſſen.

Hier will ich nicht wiederholen, was andere, und was ich ſelbſt daruͤber in einer beſondern Schrift*)Abhandlung uͤber den Urſprung der Sprache und der Schrift. Buͤtzow 1772. ge - ſagt habe. Die Sprachmoͤglichkeit, die Anlage zum Sprechen, oder, wenn man lieber will, die Sprachfaͤhigkeit des Menſchen iſt außer Zweifel; der Menſch hat die Anlage, ſich Jdeen und Begriffe aus ſeinen Empfindungen zu machen; Anlage, ſeine Em - pfindungen und ſeine Jdeen durch Zeichen andern zu erkennen zu geben, und viele und große Veranlaſſungen, dieß vermittelſt ſeines Sinnorgans wirklich zu thun. Jſt aber einmal ein Anfang im Sprechen gemacht wor - den, ſo reicht ſein natuͤrlicher Witz ſo wohl hierinn, als bey allen andern menſchlichen Erfindungen ſchon hin, die erſten Elemente weiter zu entwickeln. So viel kann als außer Zweifel geſetzet, angeſehen werden; es laͤßt ſich wenigſtens aus dem voͤllig beweiſen, was wir bey dem Kinde, wenn es eine Sprache von andern erlernet, wirklich antreffen. Nur was die innere Staͤrke des Entwickelungstriebes betrift, wenn die Natur ſich ſelbſt uͤberlaſſen iſt, wobey es auf Groͤßen ankommt, ſo iſt es ſchwerer, ſolche zu beſtimmen. Thieriſche Toͤne brechen von ſelbſt durch den Mechanismus des Koͤrpers hervor, aber iſt der ſich ſelbſt uͤberlaſſene Denktrieb ſtark genug, dieſe bis zur menſchlichen Sprache zu erheben? dar - uͤber will ich einige Anmerkungen hinzuſetzen. Es iſt dieß ein beſonderes Beyſpiel zu der vorhergehenden allgemeinen Betrachtung uͤber die Beſchaffenheit der Naturanlagen.

I. Band. C c cII. Der770Anhang

II. Der Grund, warum vorzuͤglich die Toͤne zu Zeichen der Sachen gebrauchet worden ſind, liegt nicht ſowohl darinn, daß der Sinn des Gehoͤrs ein mittler Sinn iſt, als darinn, daß der Menſch die Eindruͤcke auf dieſen Sinn eben ſo durch ſein Stimmorgan andern em - pfinden laſſen kann, als er ſie ſelbſt em - pfunden hat.

Darinnen, daß der Sinn des Gehoͤrs unter den aͤußern Sinnen in mancher Hinſicht gleichſam der mittlere Sinn iſt, deſſen Eindruͤcke nicht zu matt und nicht zu ſtark, nicht zu undeutlich, noch zu deutlich, nicht in zu großer Menge auf einmal die Seele uͤberfallen, u. ſ. w. darinnen fuchet der Verfaſſer der vortrefflichen Preis - ſchrift die vornehmſte Urſache, warum die Eindruͤcke auf dieſen Sinn zuerſt und am leichteſten die Merkmale der Objekte darreichen; welches denn die Veranlaſſung war, daß auch die uͤbrigen aus andern Empfindungen hinzu gekommenen Merkmale, mit jenen vereinigt, und mit ih - nen auf dieſelbige Art durch die Schallarten bezeichnet wurden. Ueber dieſe Mittelheit des Gehoͤrs ſaget uns der gedachte Verfaſſer viel Wahres, Schoͤnes und Ein - nehmendes. Aber es ſcheinet mir ſelbige doch nicht die Urſache, wenigſtens nicht die vornehmſte von dem zu ſeyn, was Hr. Herder daraus herleitet. Sollte das Bloͤcken des Schaafs wohl das erſte Merkzeichen dieſes Gegen - ſtandes darbieten? Das erſte, was die Reflexion faſ - ſen, und was ſie vor allen andern angeben muͤſſe, wenn ſie das Schaaf fuͤr ſich ſelbſt ſich bemerken will? und wenn es in dieſem einzelnen Fall alſo geweſen waͤre, ſoll - ten denn wohl uͤberhaupt im Durchſchnitt die Schallar - ten und die Toͤne die erſten Kennzeichen geweſen ſeyn, welche die Reflexion unterſchieden haͤtte. Die Jmpreſ -ſionen771zum eilften Verſuch. ſionen auf das Gehoͤr moͤgen unter die erſtern gehoͤren, welche die Reflexion gewahrnimmt und unterſcheidet, aber daß ſie als Merkzeichen von Gegenſtaͤnden ge - brauchet wurden, ſetzte voraus, daß dieſe Empfindun - gen mit den Empfindungen des Gefuͤhls und des Ge - ſichts vereiniget waren, und zuſammen Eine Jdee von einem Objekte ausmachten. Dieſe Vereinigung konnte aber ſo geſchwinde nicht vor ſich gehen. Die Eindruͤcke des Gehoͤrs weiſen am wenigſten auf die Stelle hin, wo ſie her kommen. Wie konnte alſo der Menſch, der das Schaaf vor Augen hatte, wiſſen, daß der Schall des Bloͤckens von dem Dinge herkomme, das er ſah und fuͤhlte? Ehe er dieß erkannte, mußte die ſo klar und leicht ſich abſondernde ſichtliche Geſtalt des Schaafs und ſeine Farbe ſchon bemerket ſeyn. Der Hang, bey den Sachen auf die Toͤne Acht zu haben, und ſie dadurch zu charakteriſiren, ſcheinet mehr eine Wirkung von vorher gegangenen Erfahrungen zu ſeyn, aus denen man es erlernet hatte, daß dieſe die brauchbarſten Bezeichnun - gen waͤren, um andern ſeine eigenen Eindruͤcke bekannt zu machen; als davon, daß die Gegenſtaͤnde ſich am leich - teſten durch ihre Toͤne haͤtten in uns bemerken und unter - ſcheiden laſſen.

Die Urſache, warum alle Arten von Empfindun - gen und Jdeen ſich mit den Gehoͤrseindruͤcken in der Folge vereiniget, und durch den naͤmlichen Weg mit dieſen hervor zu gehen, ſcheint viel naͤher zu liegen. Die Gehoͤrsempfindungen ſind die einzigen, welche ſo wie ſie aufgenommen ſind, nachgemacht und aͤußer - lich dargeſtellet werden koͤnnen, ohne die naͤmlichen oder ihnen aͤhnlichen Dinge, von welchen ſie zuerſt ent - ſtanden, vor ſich zu haben. Das geſehene Rind durch gezogene Linien wieder ſichtbar zu machen, war weitlaͤuftig. Die Mittheilung des Geſchmacks, des Geruchs und des Gefuͤhls erfodert, daß dieſelbigen Ge - genſtaͤnde den Sinnen des andern vorgehalten wurden,C c c 2oder772Anhangoder doch aͤhnliche. Aber das Geboͤlke des Stiers machte der Menſch nach, und ließ es andern ſo hoͤren, wie er es ſelbſt gehoͤret hatte. Jn dem Stimmorgan war der Kanal zum Hervorgang der Gehoͤrsempfindungen, und zur Bezeichnung der Dinge, und daher wurden die Toͤne ſo wichtige Merkmale, und darum draͤngten ſich die uͤbri - gen Empfindungen in die Geſellſchaft der Toͤne; und alle Huͤlfsmittel der Phantaſie und der Dichtkraft wurden aufgeboten, um die ſinnlichen Eindruͤcke ſo einzurichten, daß ſie in Geſellſchaft der Toͤne hervorgehen konnten.

III. Es iſt nicht erwieſen, weder daß der Menſch von ſelbſt keine Sprache erfinden koͤnne; noch daß er von ſelbſt nothwendig ſie erfin - den muͤſſe. Es giebt einen Mittelweg zwi - ſchen dieſen beyden Meinungen.

Suͤßmilch und Hr. Herder haben ſich uͤber die Er - findung der Sprache aus eigener Naturkraft am poſitivſten, aber auf die entgegengeſetzte Art erklaͤret. Der Menſch kann durchaus die Sprache nicht erfin - den, und hat ſie nicht erfunden. Dieß iſt die Behau - ptung des erſtern, der Vorgaͤnger,*)Zobels Gedanken uͤber die verſchiedenen Meinun - gen der Gelehrten von dem Urſprung der Sprache. und auch nach der letztern Eroͤrterung der Sache, Nachfolger gehabt hat. Der Menſch muß die Sprache erfinden, und hat ſie erfunden. Dieß hat Hr. Herder zu beweiſen geſucht. Eine mittlere Meinung zwiſchen beiden war die meinige in der vorhergedachten Schrift. Ein Menſch kann die Sprache ſelbſt erfinden, aber es gehoͤren vortheilhafte Umſtaͤnde dazu, und vor allen andern, eine ſchon beſte - hende Verbindung mit ſeines Gleichen. Ferner, es iſt wahrſcheinlich, Menſchen wuͤrden die Sprache erfin -den,773zum eilften Verſuch. den, wenn mehrere ſprachloſe Heerden von ihnen in der Form der Waldmenſchen, oder wie das mutum pecus des Horaz und des Lukrez, auf der Erdflaͤche in ver - ſchiedenen Himmelsgegenden verbreitet waͤren. Dieß Erfinden koͤnnen, und vermuthlich erfinden wer - den, ſteht zwiſchen dem Nichtkoͤnnen und dem Muͤſ - ſen. Jetzo will ich einen Schritt dem letztern naͤher zu - gehen. Es iſt, meiner Meinung nach, nicht daran zu zweifeln, daß in dem verbreiteten Menſchengeſchlecht die Menſchheit ſich nicht durch den innern Drang ihrer na - tuͤrlichen Faͤhigkeiten irgendwo von ſelbſt zur Sprache verhelfen ſollte.

Die, welche behaupten, der Menſch koͤnne die Sprache nicht ſelbſt erfinden, haben ſich des Grundes bedienet; daß dieſe Erfindung den Gebrauch des Ver - ſtandes und der Vernunft erſodere, der aber nicht vor - handen ſeyn kann, ſo lange es an Sprachen gaͤnzlich feh - let. Dieſer Schluß iſt uͤbereilt, weil es unerwieſen, und weder mit der Natur der menſchlichen Denkkraͤfte, noch mit der Beobachtung uͤbereinſtimmet, daß jedwede Jdeen und Denkarten ſchlechthin ſolche Zeichen, wie die Toͤne ſind, vorausſetzen. *)Sechster Verſuch. II. Empfindungen hat der Menſch durch ſeine blos thieriſche Natur. Nun kann die Denk - kraft von dieſen zum Bewußtſeyn uͤbergehen, und ſich Jdeen und Begriffe verſchaffen; ja ſie muß ſchon als Denkkraft vorher wirkſam geweſen ſeyn, ehe ſie die Wir - kungen des Verſtandes durch Toͤne andern mittheilet. Es iſt freylich wohl wahr, daß ſie keine große Schritte ohne Sprache machen und bald ganz ſtehen bleiben, oder doch durch die ihr aufſtoßende Schwierigkeiten aufgehal - ten werde, wenn ihr nicht die Wortzeichen zu Huͤlfe kommen.

Deswegen moͤchte ich aber Suͤßmilchs Gedanken ſelbſt nicht Unſinn nennen. Wie wenn er behauptet, es ſey die Denkkraft von Natur ſo ſchwach, daß ſie ohne eineC c c 3Bey -774AnhangBeyhuͤlfe von außen zu ihrer Entwickelung durch eigene innere Kraft nicht gelangen koͤnne, womit hat Hr. Herder dieſes widerlegt? Etwan damit, weil der Menſch alsdenn auch keiner Jnſtruktion von außen faͤhig ſeyn wuͤrde, als welche doch auch innere Vernunftkraft vorausſetze, um ſie annehmen zu koͤnnen? Hierinn iſt nur ſo viel richtig, daß wo noch nicht einmal ein Anfang von Vernunft iſt, da ſey der Menſch auch keines eigentlichen Unterrichts faͤhig; aber kann er deswegen nicht angefuͤhrt, nicht gezogen, nicht geleitet werden, wie es die Thiere koͤnnen! Kann ſein blos thieriſches Nachahmungsver - moͤgen nicht erwecket, und unter gewiſſe Umſtaͤnde ge - ſetzet werden, unter denen die gereizte Sinnlichkeit eine ſolche Richtung nehmen, und ein ſolches Maaß halten muß, daß die Denkkraft die naͤchſten und leichteſten Ver - anlaſſungen antrifft, ſich auszulaſſen? Beider dieſer Mittel bedienen wir uns bey unſern Kindern. Suͤß - milch verlangte nichts mehr, wenigſtens war zur Ver - theidigung ſeiner Meinung nichts mehr erfoderlich, als daß ſo eine Anfuͤhrung, als wir unſern Kindern geben, ſchlechthin jedem Jndividuum unentbehrlich ſey, um die ſonſt zu ſchwache und zu ſehr gehinderte Naturkraft fort - zuhelfen.

Der Menſch hat angebohrnes Reflexionsvermoͤgen. Recht gut. Aber iſt dieſes ſo maͤchtig, als ein Jnſtinkt? Der beſte Saame, in dem beſten Erdreich, kann durch allzuviel Naͤſſe verquellen, oder durch zu große Doͤrre vermodern, und beides, Naͤſſe und Waͤrme iſt ihm in einem gewiſſen Verhaͤltniß nothwendig, um nur aus der Erde zu kommen, geſchweige denn zur Bluͤthe zu gelangen? Wo iſt der Beweis gefuͤhret worden, daß dieſer noth - wendige Einfluß von außen nicht fehlen koͤnne, wenn kein Menſch dem andern mit einem Beyſpiele vorgehet, und nicht etwan ein hoͤheres Weſen ihm eine naͤhere Anleitung verſchaffet?

Wenn775zum eilften Verſuch.

Wenn man behauptet, der Menſch muͤſſe als Menſch durch ſeine angebohrne Sprachfaͤhigkeit von ſelbſt eine Sprache bilden, woraus denn folget, daß auch jedwedes Jndividuum, wenn es lebet, fortwaͤchſet, und nur mit allen menſchlichen Sinnen verſehen iſt, ſich Begriffe und Sprache verſchaffen koͤnne; ſo hat man doch offenbar die Erfahrung gegen ſich. Die Baͤr - und Schaafmenſchen haben weder Begriffe noch Sprache gehabt, und waren doch vollſtaͤndige Menſchen, hatten Vernunft in der An - lage, und Sprachfaͤhigkeit, ſo weit als dieſe ein weſent - licher Charakter der Menſchheit iſt. Wie viele einzelne Jndividuen mitten unter den kultivirten Voͤlkern, wuͤr - den der groͤßten Wahrſcheinlichkeit nach, nicht ebenfalls wohl vernunft - und ſprachlos bleiben, wenn die von eini - gen vorgeſchlagene Verſuche mit ihnen angeſtellet, und ſie von allen ſprechenden Menſchen abgeſondert, ihrer eigenen Naturkraft zur Ausbildung uͤberlaſſen wuͤrden? Tauſend Verſuche dieſer Art moͤchten vielleicht alle zu - ſammen mit Suͤßmilchs Meinung uͤbereinſtimmen.

Vielleicht iſt es des Hrn. Herders Meinung nicht, daß jedwedes menſchliche Jndividuum durch ſeine innere Naturkraͤfte nothwendig ſelbſt eine Sprache erfinden muͤſſe, wenn ihm nur ſeine volle Menſchheit unverletzt bleibet; denn er giebt es ſelbſt zu, daß die freye von in - nen heraustreibende Grundkraft aufgehalten, geſchwaͤchet und unterdruͤcket werden koͤnne, wie das Beyſpiel an dem Baͤrmenſchen gelehret hat. Es iſt eine Pflanze, ſagt er, auf die man einen Stein geleget hat, und die nun des - wegen ſchief waͤchſt. Allein ſein Beweisgrund, der Menſch iſt ein beſonnenes und ſprachfaͤhiges Weſen, beweiſet entweder fuͤr jedwedes einzelnes vollſtaͤndiges Menſchengeſchoͤpf, deſſen innere Naturkraft nur nicht gewaltſam zuruͤckgepreßt, oder in eine unnatuͤrliche Rich - tung gebracht wird, oder er beweiſet gar nicht, was er beweiſen ſoll, nemlich die Selbſthinreichlichkeit zur Ausbil - dung ohne Unterricht und Beyſpiel.

C c c 4Ob776Anhang

Ob der Menſch wirklich ſelbſt die Sprache er - funden habe, iſt alsdenn zugleich aus Gruͤnden ent - ſchieden, wenn von dieſen beiden erwaͤhnten aͤußerſten Mei - nungen Eine richtig iſt. Kann der Menſch durchaus die Sprache nicht ſelbſt erfinden, ſo hat er ſie gewiß nur aus Anfuͤhrung und Unterricht. Muß jedes Jndividuum von ſelbſt auf die Sprache kommen, ſo hat auch Adam ſeine erſte Sprache ſelbſt gebildet. Bey den uͤbrigen Hypotheſen, die zwiſchen dieſen in der Mitte liegen, iſt die Frage von dem wirklichen Urſprung der Sprache hiſtoriſch, und gaͤnzlich von der philoſophiſchen Unterſuchung deſſen, was geſchehen kann, unabhaͤngig. Denn wenn auch der Menſch eine Sprache erfinden kann, und ſie etwan nach Jahrtauſenden endlich gefunden haben wuͤrde; ſo konnte der Vater der Menſchen doch wohl ſeine weiſen Urſachen haben, den An - fang ihres Geſchlechts nicht auf den aͤußerſt niedrigſten Punkt ſeiner moͤglichen Selbſtentwickelung zuruͤckzuſetzen. Konnte er nicht Urſachen haben, Pflanzen in der Bluͤthe zu erſchaffen? Die Geſchichte muß hier entſcheiden, oder es iſt nicht zu entſcheiden.

Wenn Suͤßmilch die Natur der Sprachen in ihrer Grundeinrichtung, in dem Verhaͤltniß der Mittel zur Abſicht zu weisheitvoll fand, um ſie fuͤr eine Erfindung von Menſchenwitz zu halten; ſo findet Hr. Herder ſolche zu menſchlich, um ihren Urſprung unmittelbar von Gott abzuleiten. Die wahren Fakta beweiſen, wie mich deucht, auf beiden Seiten nichts. Die Sprachen ſind der Natur des Menſchen, und den Seelenkraͤften, ihrer Staͤrke und Schwaͤche angemeſſen. So mußte es ſeyn, wenn ſie ſelbſteigene Wirkungen von jenen ſind. Findet ſich nicht eine gleiche Zweckmaͤßigkeit in den Ausbildun - gen und Erweiterungen der Sprachen, wovon es doch außer Zweifel iſt, daß ſie ohne einen goͤttlichen Unter - richt aus Menſchenwitz entſproſſen ſind. Auf der andern Seite folget es auch nicht, daß die erſte Anlage der Sprachen, ihre Grundtheile, und die Grundoͤkonomiein777zum eilften Verſuch. in ihren Verbindungen fuͤr einen goͤttlichen Unterricht zu niedrig ſeyn, wenn gleich das Außerweſentliche, das Hinzukommende hier durch das Zuviel, dort durch das Zuwenig offenbar das Gepraͤge des durch Zufaͤlle in ſeiner Ausbildung geleiteten Menſchen an ſich traͤget. Aber geſetzt auch, der erſte Grundriß der erſten Sprache ſey mangelhaft, hat nicht auch ein goͤttlicher Anfuͤhrer ſich nach der Einſchraͤnkung der menſchlichen Seelenkraͤfte in dem erſten Zuſtande richten muͤſſen, die eines ſolchen Mittels, Gedanken auszudruͤcken, unfaͤhig waren, wel - ches alle in einer Bezeichnungskunſt beyſammen moͤgli - che Vollkommenheiten in ſich vereinigte?

So viel ſehe ich als entſchieden an. Wenn der Menſch mit Menſchen in Geſellſchaft zuſammenlebet, ſo wuͤrde irgendwo irgendjemand auf den Ausdruck der Ge - danken durch Toͤne gerathen koͤnnen, und alſo wuͤrden Sprachen in dem ſprachloſen Menſchengeſchlecht entſtehen koͤnnen. Die Anlage des Menſchen zum Sprechen laͤſſet daruͤber keinen Zweifel, zumal wenn man erwaͤget, was dieſe aus innerer Kraft bey unſern Kindern wirklich thut, wo ſie ja nur durch naͤhere Veranlaſſungen von außen hervorgelocket, aber nicht innerlich unmittelbar ge - ſtimmet wird, und was dieſelbige Erfindungskraft in den Umaͤnderungen und Erweiterungen der Sprache wirk - lich geleiſtet hat. Aber wuͤrde denn nicht auch die Sprache irgendwo von irgendjemanden wirklich erfun - den werden? muͤßte ſie nicht erfunden werden? Wenn nicht in dem heißen und traͤgmachenden Afrika, oder in dem erſtarrenden Nova Zembla, doch unter dem ſanf - tern Himmel Griechenlandes, oder noch ehe in dem die Phantaſie erhitzenden Aſien? Sollte nicht hie und da Einer von den auf der Erde zerſtreueten Vernunft - und Sprachkeimen ſich von ſelbſt, durch zufaͤllige Veranlaſ - ſungen gereizet, aufſchließen und hervorgehen muͤſſen?

C c c 5IV. Die778Anhang

IV. Die Sprachfaͤhigkeit iſt nicht bey allen menſch - lichen Jndividuen gleich groß. Beſtaͤtigung der Meinung, daß irgend einige Jndivi - duen ſich ſelbſt uͤberlaſſen eine Sprache er - finden wuͤrden.

Die Philoſophen, welche den Schritt von der Sprach - loſigkeit bis zur Sprache zu groß fuͤr die Kraͤfte des ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Menſchen gehalten haben, fan - den die Schwierigkeit entweder in der Sache ſelbſt, oder in dem zu ſchwachen Entwickelungstriebe des Naturwi - tzes, und in der uͤberwiegenden Traͤgheit des Menſchen, der gerne auf jeder Stufe ſeiner Ausbildung ſtehen blei - bet, von der ihn nicht thieriſche Beduͤrfniſſe weiter draͤn - gen. Die erſte dieſer Schwierigkeiten kann nunmehro fuͤr voͤllig gehoben erklaͤret werden. Die Sprache lieget dem Menſchen nahe genug, wenn ihm nur die Kraft nicht fehlet, zu ihr hinzuzugehen.

Welche Vorſtellung von dem auf der Erde vertheil - ten Menſchengeſchlecht im Sprach - und Vernunftloſen Stande iſt wohl unter den beiden folgenden die richtige. Soll man ſich das Geſchlecht als einen Haufen von lau - ter natuͤrlichen Dummkoͤpfen und Phlegmatikern vorſtel - len, bey denen die Naturanlage des Verſtandes ohne Trieb und Regung iſt, und in deren Seele die Traͤgheit die Thaͤtigkeit, die Laſt die Kraft uͤberwieget? Soll die Jdee von dem Naturmenſchen uͤberhaupt, von den einzelnen Thiermenſchen, die man gefunden hat, abgezo - gen werden? oder von einigen faulen Voͤlkern in den heißen Erdſtrichen, wo die Hitze die Fibern erſchlaffet, und jede Anſtrengung der Kraͤfte ſchmerzhaft machet? oder etwann von denen, die unter einem ſtrengen Him - mel und auf einem unfruchtbaren Boden alle Kraͤfte auf die Stillung des Hungers und Durſts und auf die Be - deckung vor der Kaͤlte zu verwenden haben? SolcheVoͤlker -779zum eilften Verſuch. Voͤlkerarten bleiben ſehr leicht von Jahrhundert zu Jahr - hundert ohne Aufklaͤrung und Verbeſſerung in ihrem ein - maligen Zuſtande. Sollen es dieſe Jndividuen allein ſeyn, woraus man das Maaß der natuͤrlichen Traͤgheit und Thaͤtigkeit, der Staͤrke und Schwaͤche, der Mat - tigkeit und der Lebhaftigkeit der Seelenfaͤhigkeiten in dem ſich ſelbſt und der Natur uͤberlaſſenen Menſchen nehmen koͤnne? Oder ſollen dagegen die Erfinder in den Kuͤn - ſten und Wiſſenſchaften, die vorzuͤglichen Koͤpfe, die originellen ſich ſelbſt erhebenden Genies Beyſpiele ſeyn, wonach man die Jdee von der Groͤße der ungefeſſelt und frey ſich hervorarbeitenden Naturtriebe machen muͤß - te? Die Philoſophen, die dem ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Menſchen die Erfindung der Sprache abſprechen, reden von dem Naturmenſchen ſo, als wenn ſie nur allein jene vor Augen gehabt; und als wenn nichts mehr von den bloßen Naturkraͤften zu erwarten waͤre, als man von ihnen in ſolchen ſchwachen Jndividuen erwarten koͤnne und wirklich erhalten hat. Hr. Herder ſpricht dagegen von der Macht, von der Staͤrke und dem Hervordrang der Natur zur Sprache in einem Ton, der es wahr - ſcheinlich machet, er habe das vortheilhafte Jdeal von dem Naturmenſchen, den er zum Genie machet, aus ſich ſelbſt und aus dem Gefuͤhl ſeiner eigenen Schoͤpfer - kraft entlehnt. Jſt jedes menſchliche Jndividuum ein gebohrner Dummkopf, ſo kann der Menſch die Sprache nicht erfinden; aber iſt jedes ein maͤchtig reges Genie, ſo wird und muß er ſie erfinden, wo kein aͤußeres Ge - wicht ihn niederdruͤcket.

Das letztere iſt offenbar unrichtig. Es ſind Beobach - tungen dagegen. Aber iſt das erſtere es weniger? Die wahre Vorſtellung lieget wohl in der Mitte von beiden.

Es iſt ein allgemeiner Erfahrungsſatz, daß unter jedwedem Volk von einiger Groͤße in allen unterſchiede - nen Graden der Kultur, unter jedem Himmelsſtrich, faſt ohne Ausnahme einzelne originelle Menſchen gefun -780Anhang gefunden werden, die ohne Unterricht und ohne Bey - ſpiele vor ſich zu haben, ſo wohl an Witz und Verſtan - deskraͤften, als an Geiſteserhabenheit, und Vollkom - menheit des Herzens, ſich ſelbſt ausbilden, und vor den uͤbrigen groͤßern Haufen hervorheben. Die Bey - ſpiele davon unter den gefitteten Voͤlkern finden ſich in der Geſchichte der Weltbegebenheiten, der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, und es iſt bis zum Sprichwort bekannt, daß es allenthalben gute und ſchlechte, kluge und einfaͤl - tige Menſchen giebt, und daß die Zahl der letztern allent - halben die ſtaͤrkſte ſey. Beyſpiele unter den barbariſchen und wilden Voͤlkern, auch unter ſolchen, welche entwe - der faſt voͤllig iſolirt ſind oder doch nur mit Nachbarn in Verbindung ſtehen, die nichts beſſer ſind, als ſie ſelbſt, kann man in der allgemeinen Hiſtorie der Reiſen, in großer Menge antreffen. *)Einige der auff allendeſten Beyſpiele ſolcher ſich ſelbſt bil - denden Genies unter Barbaren ſehe man in d. 2ten B. d. Allg. Hiſt. der Reiſen. S. 319. 391. 437. 443.Je mehr man mit den Voͤlkern auf der Erde bekannt wird, deſto vollſtaͤndiger wird die Jnduktion, und in der That iſt ſie es ſchon faſt voͤllig, die die Allgemeinheit dieſes Satzes beſtaͤtiget. Zu meiner gegenwaͤrtigen Abſicht iſt es genug, wenn er nur von vielen Voͤlkern und vielen Laͤndern richtig iſt, wie er es unlaͤugbar iſt.

Dieſe Beobachtung beſtimmet die Vorſtellung, die wir uns von dem auf der Welt verbreiteten und ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Menſchengeſchlecht zu machen haben. Nicht alle Jndividuen ſind als triebloſe, leidentliche, traͤge Dumm - koͤpfe von Natur anzuſehen. Hie und da iſt eine Seele von regern Trieben darunter. Jm Durchſchnitt iſt der Menſch mehr ein nachahmendes als ſelbſt erfindendes Thier; aber es giebt doch hie oder da Einzelne, welche Naturkraft zu dem letztern befitzen, und bey denen die Anlage zur Vernunft, und ihre Tochter, die Sprachfaͤhig - keit, ſtaͤrker treiben, als bey dem uͤbrigen groͤßern Haufen.

Es781zum eilften Verſuch.

Es muß einem hiebey freylich wohl Helvetius Mei - nung einfallen, der alle Menſchenſeelen, ſo wie ſie auf die Welt kommen, an Kopf und Herzen fuͤr einander gleich hielt und alle nachherige Verſchiedenheit als eine Wirkung der aͤußern Umſtaͤnde anſah. Wenn dieſe Meinung bewieſen waͤre, ſo ſcheinet es, die obige Jdee von dem Menſchengeſchlecht muͤſſe durchſtrichen werden.

Man kann zuerſt hierauf antworten, daß, ſo viele Muͤhe ſich Helvetius auch gegeben hat, die natuͤrliche Gleichheit der Koͤpfe zu beweiſen, ſo ſey und bleibe ſie unerwieſen, und unwahrſcheinlich, und habe die ganze Analogie der Natur gegen ſich. Jſt in allen einzelnen Pflanzenſaamen der Entwickelungstrieb von gleicher Staͤrke? Die Menſchenſeelen haben zwar als Weſen Eines Geſchlechts einerley Anlagen, und daraus folget, daß jedes Jndividuum eben das erlernen, und eben die moraliſchen Geſinnungen erlangen koͤnne, die der Kopf und das Herz eines jeden andern gefaſſet hat. Dieß iſt das Hauptargument des Helvetius, aber wie wird da - durch jede angebohrne Verſchiedenheit in der Groͤße und Staͤrke der Triebe ausgeſchloſſen? Laß jedwede Hottentottenſeele aufgelegt ſeyn, alle Jdeen anzunehmen, und laß ſie ſolche ſelbſtthaͤtig ſich bilden lernen koͤnnen, die Leibnitz Genie gefaſſet und geſchaffen hatte, unter der Bedingung, daß jene gehoͤrig angefuͤhret und ihr die dazu noͤthige Zeit gelaſſen werde, und daß ſie in ihrer Uebung auch beſtaͤndig fortfahre; laß dieß ſo ſeyn, aber wuͤrde ſie nicht, wie viele tauſend andere, in ihren Lehrjah - ren wegſterben? Die Schnecke kann dahin kommen, wohin der Hirſch lauft; nur in ihrem gegenwaͤrtigen Le - ben duͤrfte ihr die Zeit dazu leicht zu kurz ſeyn. Und auf dieſen Umſtand finde ich nicht, daß Helvetius bey ſo vielen Wendungen, die er ſeiner Lieblingshypotheſe ge - geben, Ruͤckſicht genommen habe. Eine ganz andere Sache iſt es, wenn von der Groͤße des Einfluſſes der aͤußern Umſtaͤnde auf die Verſchiedenheit der Koͤpfe dieRede782AnhangRede iſt, und davon, ob jene nicht mehr und ſtaͤrker als die angebohrne Natur ſelbſt zu der wirklichen Verſchie - denheit unter den Menſchen beytrage? Da geſtehe ich, daß dieß mehrern Zweifeln unterworfen ſey, wenn man auf der Einen Seite den immer kenntlichen Charakter des Naturgenies, wodurch es vor dem durch Nachah - mung und Fleiß erworbenen Genie ſich unterſcheidet, auf der andern Seite gegen die auffallend maͤchtigen Einfluͤſſe der Anfuͤhrung, der Erziehung und der aͤußern Umſtaͤnde in Vergleichung bringet. Und da kann es nicht gelaͤug - net werden, daß es in dem Schlußſatze wenig aͤndern wuͤrde; man moͤchte den aͤußern Umſtaͤnden nur ein ent - ſcheidendes Uebergewicht bey der Ausbildung zuſchreiben, oder ſie allein alles wirken laſſen.

Es bedarf aber der Widerlegung dieſer Meinung nicht, wenn man aus dem obigen Erfahrungsſatz nur ſo viel be - weiſen will, daß es im Menſchengeſchlecht, ſo wie ſol - ches iſt, hie oder da Koͤpfe gebe, die eine Sprache erfin - den koͤnnten, wuͤrden, und muͤßten; und nicht zugleich behaupten will, daß dieſe Erfindungskraft eine innere Naturſtaͤrke ſeyn ſolle.

Es mag alle Verſchiedenheit unter den Menſchen ein Werk der aͤußern Umſtaͤnde ſeyn, ſo zeiget die erwehnte Be - obachtung, daß Jndividuen da ſind, die allein durch die Er - ziehung der Natur und der Umſtaͤnde, ohne Unterricht und ohne Vorgang anderer Menſchen ihre Vervollenkommung weiter bringen, als die meiſten uͤbrigen: Und hieraus fol - get denn ferner, daß wenn gleich tauſend und zehntauſend ſich ſelbſt uͤberlaſſen niemals zu einer Sprache ohne Anfuͤh - rung von andern gelangen koͤnnen, ſo ſey daraus noch kein Schluß zu machen, daß nicht Einer oder zwo unter dieſen, oder, unter einer noch groͤßern Anzahl, dazu kommen werden. Wir ſehen doch daraus, daß auch die Schule der Natur hie und da ſolche Anleitungen gebe, wodurch die angebohrne Vernunftanlage zu ihrer Entwickelung gebracht wird. Und dieß iſt genug; denn wenn ſie zu dieſer hinreichet, ſoreichet783zum eilften Verſuch. reichet ſie auch hin, die Sprachfaͤhigkeit wirkſam zu ma - chen.

Die Verſuche mit auszuſetzenden Kindern, die ohne Anfuͤhrung und Sprache groß gefuͤttert ſeyn ſollen, wuͤr - den ohne Zweifel vielmal mißlingen; und moͤchten mißlin - gen, ohne daß eine allgemeine Urfaͤhigkeit aller Jndividuen zur Erfindung der Sprache daraus geſchloſſen werden koͤnn - te. Wer ſtehet dafuͤr, daß man unter dieſen Menſchen ei - nen von der ſeltenen Art getroffen haͤtte, oder daß die Um - ſtaͤnde, unter welche man ſie ſetzet, ſo ſind, wie die Umſtaͤnde der Naturmenſchen in der Welt? Aber wenn dagegen ein einziger Verſuch zeigte, daß eine Sprache von ſelbſt erfun - den wuͤrde, ſo waͤre die Jdee, die ich hier vertheidige, auf einmal voͤllig durch die Erfahrung beſtaͤtiget.

Man moͤchte vielleicht ſagen, was die Genies bey al - len Nationen gethan haben, koͤnne mit der Erfindung einer Sprache, wo noch keine iſt, nicht verglichen werden. Jhre Selbſtentwickelung unter den vortheilhaften Umſtaͤnden beſtand in nichts mehr, als in einem weitern Fortgang auf einer Bahn, auf die ſie von andern ſchon gebracht waren. Jſt ſchon Vernunft da, ſo kann ſie ſich erweitern; allein hier iſt von den erſten Anfaͤngen des Denkens und des Sprechens die Rede. Sollte man ſchließen koͤnnen, weil es allenthal - ben originelle Koͤpfe gegeben hat, die weiter gedrungen ſind, durch innere und aͤußere Kraft der ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Natur, ſo wuͤrden ſolche auch den Schritt von thieriſcher Sinnlichkeit zur menſchlichen Vernunft, und von Sprach - loſigkeit zur Sprache thun koͤnnen, und thun muͤſſen, wenn ſie ihn noch nicht gethan haͤtten, vorausgeſetzt, daß ſie dem - ſelbigen Einfluß der aͤußern Urſachen unterworfen geweſen?

Wenn man uͤberlegt, daß auch dieſer erſte Anfang des Denkens und des Sprechens in einem vernunft - und ſprachfaͤhigen Weſen, wie der Menſch iſt, nichts anders iſt, als ein Fortruͤcken desjenigen Zuſtandes, der zunaͤchſt vor - hergehet, und den der Menſch als Thier in Geſellſchaft mit ſeines Gleichen erreichen kann, ſo deucht mich, ein ſolcherSchluß784Anhang zum eilften Verſuch. Schluß habe ſo viel Staͤrke, als ein Schluß aus der Analo - gie nur haben kann. Das erſtere haben die neuern Unterſu - chungen uͤber die Vernunft und Sprache voͤllig aufgeklaͤrt. Jſt die Geſellſchaft der Thiermenſchen dahin gekommen, daß ſie ſich erhalten und fortpflanzen kann, ſo bedarf es keiner neuen Richtung in ihrer Kraft, ſondern nur einer weitern Fortruͤckung in der vorhergehenden, wenn er von den erſten Ausbruͤchen der Freude und des Schmerzens in organiſche Toͤne, zu Woͤrtern, und von Empfindungen[zu]Jdeen und Begriffen uͤbergehen ſoll. Der Anfang des er - ſten merklich vernuͤnftigen Zuſtandes lieget nicht nur zu - naͤchſt an dem thieriſchen, ſondern iſt ſchon in ihm enthal - ten, ſo bald die Sinnlichkeit etwas verfeinert iſt. Daher kann auch dieſer Uebergang nicht breiter noch ſchwerer ſeyn, als er es bey andern neuen Erfindungen von dem Bekann - ten zum Unbekannten geweſen iſt. Jndeſſen will ich ſo viel gerne geſtehen; wenn der Menſch noch einige Stufen nie - driger heruntergeſetzet iſt, wenn man ihn gaͤnzlich von ſeines Gleichen abſondert, nur Baͤren oder Schaafe ihm zu Geſellſchaftern giebet, oder ihn in eine wuͤſte Jnſel verſe - tzet, wo nichts um ihn iſt als Weſen die ſeines Gleichen nicht ſind, ſo werden ſeiner Sprachfaͤhigkeit alle Veranlaſſungen entzogen, hervorzugehen, und alle etwan von ſelbſt geſchehe - ne Ausbruͤche des Stimmorgans ſo unnuͤtz und wirkungs - leer gemacht, daß keine Entwickelung von ſelbſt zu erwar - ten iſt. Dazu kommt, daß die dringendeſten thieriſchen Be - doͤrfniſſe die ganze Naturkraft abwaͤrts lenken. Unter die - ſen Umſtaͤnden iſt es ſchwerlich moͤglich, daß der Menſch auch bey der vortreflichſten Anlage, auf eine Bezeichnung ſeiner Gedanken mit Worten gerathen, oder nur einmal auf einen Ausdruck ſeiner Empfindungen in Toͤnen, um ſich et - wan mit den Voͤgeln zu unterhalten, verfallen ſollte. Noch mehr wuͤrde es ein Wunder ſeyn, wenn ſeine Vernunft ſich ſo weit erhoͤbe, daß die Erdichtung des Arabers Thophail von dem Philoſophen durch ſich ſelbſt, realiſiret wuͤrde.

Ende des erſten Bandes.

About this transcription

TextPhilosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung
Author Johann Nicolaus Tetens
Extent848 images; 210960 tokens; 12481 types; 1524124 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationPhilosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung Erster Band Johann Nicolaus Tetens. . LVI, 784 S. WeidmannLeipzig1777.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Vb 634:1Dig: http://diglib.hab.de/drucke/vb-634-1b/start.htm

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Philosophie; Wissenschaft; Philosophie; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Vb 634:1
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