Die nachſtehenden Verſuche betreffen die Wirkungen des menſchlichen Verſtan - des, ſeine Denkgeſetze und ſeine Grundvermoͤgen; ferner die thaͤtige Willenskraft, den Grund - charakter der Menſchheit, die Freyheit, die Natur der Seele, und ihre Entwickelung. Dieß ſind ohne Zweifel die weſentlichſten Punkte in unſerer Natur. Jch verehre die großen Maͤn - ner, die ihren Scharfſinn auf dieſe Gegenſtaͤnde ſchon verwendet haben, und ich habe geſucht, ihre Bemuͤhungen zu nutzen. Aber ich meine nicht, daß daraus ein Vorurtheil gegen die meinigen, wenn ſie auch jener ihren nicht gleichen, entſtehen werde. Die Menſchheit iſt noch lange eine Gru - be, aus der ſich jeder Forſcher eine gute Ausbeute verſprechen kann, und ich moͤchte hinzuſetzen, auch dann ſogar, wenn er nur die ſchon oft bearbeiteten Gaͤnge von neuem vornimmt. Denn auch bey den angelegentlichſten Wahrheiten, uͤber welche ſchon einiges Licht verbreitet iſt, fehlet noch hie und da ſehr viel an der voͤlligen Evidenz, die alle vernuͤnftige Zweifel ausſchließt.
Was die Methode betrifft, deren ich mich bedient habe, ſo halte ichs fuͤr noͤthig, daruͤber zuma 2vorausIVVorrede. voraus mich zu erklaͤren. Sie iſt die beobach - tende, die Lock bey dem Verſtande, und unſere Pſychologen in der Erfahrungs-Seelenlehre be - folgt haben. Die Modifikationen der Seele ſo nehmen, wie ſie durch das Selbſtgefuͤhl erkannt werden; dieſe ſorgfaͤltig wiederholt, und mit Ab - aͤnderung der Umſtaͤnde gewahrnehmen, beobach - ten, ihre Entſtehungsart und die Wirkungsge - ſetze der Kraͤfte, die ſie hervorbringen, bemerken; alsdenn die Beobachtungen vergleichen, aufloͤſen, und daraus die einfachſten Vermoͤgen und Wir - kungsarten und deren Beziehung auf einander aufſuchen; dieß ſind die weſentlichſten Verrichtun - gen bey der pſychologiſchen Analyſis der Seele, die auf Erfahrungen beruhet. Dieſe Methode iſt die Methode in der Naturlehre; und die einzige, die uns zunaͤchſt die Wirkungen der Seele, und ihre Verbindungen unter einander ſo zeiget, wie ſie wirklich ſind, und dann hoffen laͤßt, Grund - ſaͤtze zu finden, woraus ſich mit Zuverlaͤſſigkeit auf ihre Urſachen ſchließen, und dann etwas gewiſſes, welches mehr als bloße Muthmaßung iſt, uͤber die Natur der Seele, als des Subjekts der beob - achteten Kraftaͤußerungen, feſtſetzen laͤßt.
Was man in der neuern Pſychologie die ana - lytiſche, auch wohl die anthropologiſche Me - thode nennet, iſt ein hievon ganz unterſchiedenes Verfahren. Man betrachtet die Seelenveraͤnde - rungen von der Seite, da ſie etwas in dem Ge - hirn, als dem innern Organ der Seele ſind, und ſucht ſie als ſolche Gehirnsbeſchaffenheiten und Veraͤnderungen zu erklaͤren. Der MaterialiſtloͤſtVVorrede. loͤſt alles in Koͤrperveraͤnderungen auf, die eine Folge der innern Organiſation ſind; die mecha - niſchen Pſychologen unterſcheiden zwar die un - koͤrperliche Seele, das Jch, von dem koͤrperlichen Organ, und laſſen auch jener ihren eigenen An - theil an den Seelenaͤußerungen, der von dem An - theil, den das Organ daran hat, verſchieden iſt; aber es geht doch bey ihren Analyſen eben ſowohl, als bey den Erklaͤrungen der erſtern alles dahin, zu zeigen, wie weit Fuͤhlen, Vorſtellen, Bewußt - ſeyn, Denken, Luſt, Unluſt, Wollen, Thun, nicht nur von der Organiſation des Gehirns ab - haͤngen, ſondern ſelbſt in Veraͤnderungen und Be - ſchaffenheiten deſſelben beſtehen. Und was nun in dem koͤrperlichen Organ ſeinen Sitz nicht haben kann, das hat ihn denn in der immateriellen See - le bey denen, die eine ſolche annehmen. Das Denkorgan iſt eine Maſchine, wozu die Seele die bewegende Kraft iſt. Was der Seele im ge - woͤhnlichen Verſtande oder dem Seelenweſen zugeſchrieben wird, iſt etwas in dieſem beſeelten Organ, als in ſeinem Subjekt. Es koͤmmt alſo bey dieſen analytiſchen Erklaͤrungen der Seelen - veraͤnderungen darauf an, genauer die Art zu be - ſtimmen, wie ſie es ſind. Dieſe Aufloͤſungen ſoll - ten billig die metaphyſiſchen heißen. Sie lie - gen ganz außer den Graͤnzen der Beobachtung, und beſtehen am Ende in einer Reduktion deſſen, was man bey der Seele beobachtet, auf Modifi - kationen des Gehirns, woran aber ein immate - rielles Jch, als wirkende und bewegende Krafta 3AntheilVIVorrede. Antheil haben, und zugleich mit dem Gehirn mo - dificirt werden kann.
Jch habe unten in einem beſondern Aufſatz die Gruͤnde dieſes Verfahrens ausfuͤhrlicher zu pruͤfen geſucht. Ohne alſo daruͤber hier ſchon zu urtheilen, will ich vorlaͤufig nur eine Anmerkung machen, die mich rechtfertigen ſoll, daß ich auch in den erſtern Verſuchen uͤber die Verſtandeswir - kungen faſt gar keine Ruͤckſicht auf den ſogenann - ten Mechanismus der Jdeen genommen habe, obgleich dieſer von vielen als das wichtigſte ange - ſehen wird, was jetzo bey einer Aufloͤſung des Verſtandes zu erklaͤren uͤbrig ſey.
Sobald man bey den Grundſaͤtzen, worauf die metaphyſiſchen Analyſen beruhen, das Gewiſſe und Wahrſcheinliche von dem abſondert, was noch jetzo nichts iſt, als bloße Muthmaßung, und auch noch lange nichts mehr werden wird; ſo zeigt es ſich, daß jenes nur etwas allgemeines und un - beſtimmtes ſey, welches man als das metaphyſi - ſche hiebey anſehen koͤnnte, dagegen das naͤher beſtimmte, was eigentlich eine Phyſik des Gehirns ſeyn wuͤrde, zu den bloß angenommenen und ver - mutheten gehoͤre, das nur auf Hypotheſen be - ruhet.
Es iſt ein alter, und nun durch die Ueberein - ſtimmung der Erfahrungen beſtaͤtigter Grundſatz, daß der Koͤrper, und noch naͤher das Gehirn, zu allen Seelenveraͤnderungen, zu ihren Thaͤtigkei - ten und Leidenheiten beywirke, und ſo unentbehr - lich dazu ſey; daß ohne ſelbiges weder Gefuͤhl, noch irgend eine thaͤtige Kraftaͤußerung in derMaßeVIIVorrede. Maße vorhanden ſey, daß wir ſolche bey uns ge - wahrnehmen koͤnnten. Sollen nun ſolche Ge - hirnsveraͤnderungen materielle Jdeen heißen, ſo iſt es gewiß, daß es materielle Jdeen gebe, und man wird nicht leicht Gruͤnde finden, deren Wirk - lichkeit zu bezweifeln.
Noch weiter will ich es gerne als ſehr wahr - ſcheinlich zugeben, oder gar fuͤr gewiß halten, daß jede Gehirnsveraͤnderung — welche als eine Ver - aͤnderung eines Koͤrpers uͤberhaupt in einer Be - wegung beſtehen muß — auch eine bleibende Spur in dem Gehirn nachlaſſe, die, worinn ſie auch beſtehen mag, die bewegten Faſern aufgelegt mache, nachher leichter die erſtmaligen Bewegun - gen von neuem anzunehmen, und zwar ſo leicht, daß es des naͤmlichen Eindrucks von außen nicht bedarf, der das erſtemal erfodert ward. Wenn dieſe zuruͤckgebliebene beſtehende Spuren auch materielle Jdeen im Gedaͤchtniß genennet wer - den, ſo iſt es ungemein wahrſcheinlich, daß es der - gleichen in dem innern Seelenkoͤrper gebe, und daß dieſe vorhanden ſind, auch wenn wir an die vorgeſtellte Sache nicht gedenken. Dieſe Spuren ſind wieder erweckbar, und wenn ſie wirklich wie - der erwecket werden, ſo ſind auch die ehemaligen ſinnlichen Bewegungen wiederum gegenwaͤrtig.
So weit geht das Wahrſcheinliche auch in dem Allgemeinen nur. Aber es iſt eine neue Vor - ausſetzung, wenn man annimmt, daß dieſe Ge - hirnsbeſchaffenheiten das ausmachen, was wir die Vorſtellungen nennen, in ſo fern die Seele da - von zugleich veraͤndert wird, und ſie fuͤhlet, wenna 4ſieVIIIVorrede. ſie gegenwaͤrtig ſind; auch ſolche zuweilen durch ihre bewegende Einwirkung auf die Faſern des Gehirns erwecket. Wenn die Jdee im Gedaͤcht - niß ruhet, ſo ſoll die Seele ſo wenig in ſich ſelbſt eine Spur ihrer Empfindung uͤbrig haben, als das in einem Gefaͤß eingeſchloſſene Waſſer etwas von der vorigen Figur behalten hat, wenn die Ge - ſtalt des Gefaͤßes veraͤndert worden iſt. Dieſer Begriff von der Natur unſerer Vorſtellungen iſt eine pure Hypotheſe. Sie ſtellet die Seele und ihr organiſirtes Gehirn in einer ſolchen Beziehung dar, die das Waſſer zu ſeinem Gefaͤß hat, oder die Luft zu der Blaſe, in der ſie eingeſchloſſen iſt, nur mit dem Zuſatz, das Gefaͤß veraͤndere ſeine Figur ſehr leicht, behalte aber von jedweder ſeiner vorigen Formen eine Leichtigkeit — ſolche wieder anzunehmen. Dieß iſt der Mittelpunkt der Bon - netiſchen Aufloͤſung, deſſen Richtigkeit man da - durch beweiſen will, weil ſich die Erſcheinungen auf dieſe Weiſe am beſten begreifen laſſen; und dieß iſt es auch, was unten beſonders unterſucht worden iſt, und ich hier noch dahin geſtellet laſ - ſen will.
Die uͤbrigen naͤhern Beſtimmungen der be - ſondern Art und Beſchaffenheit dieſer materiel - len Jdeen gehoͤren zu der Phyfik des Gehirns, und ſind ſchlechthin nur Vermuthungen, denen, das mindeſte zu ſagen, bisher noch die Zuverlaͤſ - ſigkeit fehlet. Sehr witzig hat man die Spuren im Gehirn, als gewiſſe Abdruͤcke oder Bilder von den Objekten vorgeſtellet, die etwan den Bildern auf der Netzhaut aͤhnlich ſind. Die HartleyiſcheHypo -IXVorrede. Hypotheſe, daß die Gehirnsbewegungen, welche die Empfindungen begleiten, und wieder erneuert werden, ſo oft die Phantaſie Jdeen reproduciret, in gewiſſen Schwingungen der Gehirnsfaſern oder auch des Aethers im Gehirn beſtehen, iſt von Hr. Prieſtley von neuem, in etwas veraͤn - dert, vorgetragen, und als die beyfallswuͤrdigſte Vorausſetzung geruͤhmt worden. Seitdem hat man ſichs vorzuͤglich angewoͤhnt, die Jdeen fuͤr Gehirnsſchwingungen anzuſehen. Newton hat - te nur gemuthmaßet, daß vielleicht die Bewegun - gen in dem Auge und auf der Netzhaut, denen in dem Aether oder dem Licht, das auf ſie faͤllt, aͤhn - lich und oſcillatoriſch ſeyn moͤchten, aber nach ſeiner maͤnnlichen Art zu philoſophiren, wagte ers nicht einmal, von den Eindruͤcken auf das Gehoͤr daſſelbige zu vermuthen, obgleich auch hier die Bewegungen der Luft, die dieſe Eindruͤcke verur - ſachen, in Schwingungen beſtehen. Herr Prieſt - ley glaubet nach der Analogie berechtiget zu ſeyn, daſſelbige von allen Arten der Senſationen auch bey den uͤbrigen Sinnen annehmen zu duͤrfen.
Wenn man auch uͤber die Schwierigkeiten wegſieht, die daraus entſtehen, daß die weichen Nerven und das klebrichte Hirnmark zu keiner Art von Bewegungen weniger aufgelegt zu ſeyn ſchei - nen, als zu Vibrationen, ſo deucht mich doch, nichts ſey weniger wahrſcheinlich, als daß die geſamte ſinnliche Bewegung des Gehirns, die die mate - rielle Jdee ausmacht, ganz und gar in Schwin - gungen beſtehen koͤnne, wie es angegeben wird. Prieſtley hat, um dem erſtern Einwurf auszuwei -a 5chen,XVorrede. chen, bemerkt, daß ſtatt der Vibrationen, wohl eine andere Art von fortgehenden Bewegungen oder auch Druckungen gedacht werden koͤnne; allein dieß heißt in Hinſicht derſelben uns wieder - um auf unſere vorige Unwiſſenheit verweiſen, und die beſondern Beſtimmungen zuruͤcknehmen, die man doch als ihre Unterſcheidungsmerkmale an - gegeben hatte. Es mag vielmehr ſeyn, daß wahre Oſcillationen oder Wallungen in einem fluͤſſigen elaſtiſchen Koͤrper, wie die in der Luft und in dem Aether ſind, in dem Gehirn vorhanden ſind, wenn wir empfinden. Denn nach dem Urtheil der groͤß - ten Phyſiologen iſt man faſt genoͤthigt, außer den ſichtbaren Theilen des Gehirns noch eine andere ſeine Materie in demſelben anzunehmen, und alſo kann es wohl ſeyn, daß dieſe Materie, Lebensgei - ſter, Aether, oder wie wir ſie nennen wollen, die man aber in dem todten Koͤrper nicht mehr ſuchen muß, von ſolcher elaſtiſcher Natur ſey, wie die Materie des Lichts, und alſo auch eigentliche Schwingungen annehme. Aber wie ſoll man ſich dieſe Schwingungen als fortdauernd vorſtellen, und ſie fuͤr die materiellen Jdeen anſehen, die zu den ruhenden Jdeen im Gedaͤchtniß gehoͤren? und wenn dieß wenigſtens ſehr ſchwer iſt, wird man denn nicht ganz natuͤrlich zu dem Gedanken ge - bracht, jene Schwingungen in dem Aether muͤß - ten wohl noch auf eine andere beugſame und wei - che Materie im Gehirn wirken, die nicht ſo ela - ſtiſch ſey, daß ſie ſich jedesmal nach erlittener Ver - aͤnderung voͤllig wieder in ihre erſte Form herſtel - le, und in der alſo auch eigentlich die Spuren vondenXIVorrede. den Vibrationen aufbehalten werden koͤnnen, die man fuͤr die materiellen Jdeen in dem Gedaͤchtniß anſieht. Kann es nicht wenigſtens ſich alſo ver - halten? Und alsdenn iſt es ſchon keine richtige Anwendung der Analogie mehr, wenn Prieſtley ſchließet, daß derſelbige Antheil, den die oſcillato - riſchen Bewegungen an den Senſationen des Au - ges und vielleicht auch des Gehoͤrs haben, ihnen auch bey den Eindruͤcken des Gefuͤhls, des Ge - ſchmacks und des Geruchs in gleicher Maße zu - komme. Die Natur ſuchet Stufenverſchiedenhei - ten. Wenn die Bewegung in der Senſation nur zum Theil oſcillatoriſch iſt, oder nur von Einer Seite es iſt, ſo wird es wahrſcheinlicher, daß ſie bey den Senſationen des Geſichts es am meiſten ſey, weniger ſchon bey den Eindruͤcken aufs Ge - hoͤr, und noch weniger bey den uͤbrigen Sinnen; als daß ſie es bey allen auf gleiche Weiſe ſeyn ſollte.
Eine Hypotheſe iſt vielleicht der andern werth. Kann die Ausbildung und Entwickelung des See - lenweſens, die Entſtehung der Jdeenreihen, und das Wachſen des ganzen innern Gedankenſyſtems, der Urſprung der Fertigkeiten u. ſ. f. in ſo weit dieß alles etwas koͤrperliches in dem Gehirn iſt, nicht fuͤglich auf eine aͤhnliche Art vorgeſtellet wer - den, wie die Ausbildung, oder die Entwicke - lung, und das Auswachſen der organiſirten Koͤrper? Brauchte denn die Bonnetiſche Sta - tue, da ſie noch ganz ideenlos war, ſchon ein voͤl - lig ausgewachſenes, mit allen ausgebildeten Vor - ſtellungsfibern verſehenes Organ zu haben, demnichtsXIIVorrede. nichts fehlet, als nur, daß es von den Eindruͤcken aͤußerer Dinge in Bewegung geſetzt werde, und dadurch gewiſſe Dispoſitionen erlange? Jſt nicht vielleicht das Gehirn in Hinſicht derjenigen Orga - niſation, die es zum Werkzeug der Seele macht, vor der Entwickelung der Seele, ehe dieſe Em - pfindungen und Jdeen aufgeſammlet hat, in ei - nem aͤhnlichen eingewickelten Zuſtande, als ein organiſirter Koͤrper in ſeinem Keim iſt, der nur Anlagen hat, ein Syſtem von Faſern zu bekom - men, oder doch, wenn man nach der Jdee von der Bonnetiſchen Evolution ſich die Sache vorſtellet, dieſe Faſern nur in ihren erſten Anfaͤngen beſitzet? Die Einrichtung der Denkmaſchine wuͤrde auf dieſe Art der Entwickelung des ganzen organiſir - ten Koͤrpers aͤhnlich und gleichartig ſeyn; die zu - ruͤckbleibenden Spuren der Eindruͤcke wuͤrden bey dem Gehirn ſolche Verlaͤngerungen und Verdi - ckungen der Denkfaſern ſeyn, wie bey der Entwi - ckelung des Embryons, und bey dem Auswachſen vorkommen. Aber ſo wie jeder Schritt in der Entwickelung des organiſirten Koͤrpers Bewegun - gen erfodert, wodurch die naͤhrende Materie durch die ſchon vorhandene Organiſation vertheilet wird, ſo koͤnnten bey dem Organ des Denkens die ſinnlichen Eindruͤcke von außen die Stelle dieſer Bewegungen vertreten, und wenigſtens die erſten Reizungen der Kraͤfte dazu abgeben. Und dann mag auch die Hartleyiſche Jdee hier eingeſchoben werden, daß naͤmlich dieſe reizende und die Ent - wickelung befoͤrdernde Bewegungen in Vibratio - nen beſtehen. Es iſt meine Abſicht nicht, eineneueXIIIVorrede. neue Hypotheſe in Gang zu bringen, da wir ihrer ohne dieß ſchon genug haben, ob ich gleich glaube, daß man dieſer letztern eben ſo viel Anſehen aus der Analogie geben koͤnne, als jeder andern. Jch fuͤhre dieſe noch moͤgliche Erklaͤrungsart nur an, um zu zeigen, daß man noch jetzo alle Moͤglichkei - ten, die hierbey Statt finden koͤnnen, nicht durch - gerathen habe. Jch wage es nicht, etwas zu be - ſtimmen, ſo lange die innere Einrichtung des Ge - hirns, die Natur ſeiner organiſchen Kraͤfte, und deren Wirkungsarten und Geſetze in ſo dicker Finſterniß gehuͤllet ſind, als ſie es zur Zeit noch ſind.
Jſt dieſe Anmerkung gegruͤndet, ſo laͤßt es ſich leicht uͤberſehen, wohin man am Ende mit al - len Bemuͤhungen, den Mechanismus der Seelen - veraͤnderungen darzuſtellen, kommen werde. Kei - nen Schritt weiter, als daß man etwan mehrere Fakta aufſammlet, die das Daſeyn gewiſſer blei - bender Spuren in dem innern Seelenkoͤrper be - ſtaͤtigen, deren Natur wir aber nicht erkennen. Unſere Einſicht von der Beſchaffenheit dieſes Me - chanismus iſt durch die neuern Auſloͤſungen um nichts verbeſſert, und noch weniger gewinnt ſie da - durch, daß man die Ausdruͤcke aͤndert, und Fiber - ſchwingungen nennet, was man ſonſten Vorſtel - lungen oder Jdeen genennet hat.
Allein die zwote Folge, die ich aus dem Ge - ſagten hier vornehmlich ziehen will, iſt auffallen - der. Wenn auch dieſe metaphyſiſchen Analyſen etwas reelleres lehrten, als ſie wirklich nicht leh - ren, ſo darf man doch die Unterſuchung der SeelemitXIVVorrede. mit ihnen nicht anfangen, ſondern nur endigen. Die pſychologiſche Aufloͤſung muß vorhergehen. Jſt dieſe einmal beſchaffet, ſo iſt die metaphyſi - ſche auf eine Aufloͤſung einiger weniger Grund - vermoͤgen und Wirkungsarten zuruͤckgebracht, und iſt alsdenn, wofern ſie ſonſt nur auf zuverlaͤſ - ſigen Gruͤnden beruhet, in der Kuͤrze ſo weit zu bringen, als ſie uͤberhaupt gebracht werden kann. Fehlet es aber noch an jener Erfahrungskenntniß von den Grundvermoͤgen, ſo iſt es vergeblich, dieſe aus einer uns ſo ſehr verborgenen Organiſation begreiflich machen zu wollen. Hiezu koͤmmt noch, daß, ſo weit man auch in der metaphyſiſchen Pſy - chologie fortgehet, die Richtigkeit ihrer Saͤtze im - merfort durch die Beobachtungskenntniſſe gepruͤft werden muͤſſe.
Jndeſſen iſt es, ſo zu ſagen, ein neuer Ge - ſichtspunkt, wenn man die Seelenveraͤnderungen ſich von der Seite vorſtellet, wo das Gehirn An - theil daran hat, und dieſer kann eine Gelegenheit geben, ſie beſſer und voͤlliger zu ſehen. Vielleicht wird die neuere Analyſis auch der Erfahrungs - kenntniß endlich dieſen Nutzen bringen; aber zur Zeit ſcheint es nicht, daß ſie es gethan habe. Nicht einmal die Wirkungen des Verſtandes und die Natur der Erkenntniſſe ſind beſſer und deutlicher von denen entwickelt, die nach des Herrn Bon - nets Beyſpiel ſie zergliedert haben, als von an - dern, ſondern man moͤchte eher ſagen, daß die neue Methode in dieſer Hinſicht geſchadet habe. Was faſt jedesmal in den Wiſſenſchaften ge - ſchieht, wenn Epoche gemacht wird, das iſt auchhierXVVorrede. hier geſchehen. Die neue Betrachtungsart, wel - che gemeiniglich auch eine Umaͤnderung des Rede - gebrauchs nach ſich zieht, zeiget die Sachen aus einem neuen Standort, an dem man noch nicht gewohnt iſt, und wo man ſie daher auch nicht ſo beſtimmt und deutlich faſſet, als man ſie vorher aus dem alten gefaßt hatte; man ſieht ſie alſo im Anfang verwirrter und ſchlechter. Die Begierde, Seelenbeſchaffenheiten als Gehirnsveraͤnderungen ſich vorzuſtellen, hat einige neuere Beobachter manches in den Geſetzen des Denkens uͤberſehen laſſen, was ihrer Scharfſinnigkeit nicht entwiſcht ſeyn wuͤrde, wenn ſie dieſen Theil unſers Jnnern nicht in der unvortheilhaften Stellung der Hypo - theſe geſehen haͤtten. Beyſpiele davon werden in den folgenden Verſuchen vorkommen.
Gleichwohl iſt der Hang der Forſcher, mit Vermuthungen da durchzubrechen, wo mit Er - fahrung und Vernunft allein nichts auszurichten iſt, ſo nuͤtzlich als natuͤrlich, und in der Pſycholo - gie ſowohl als in andern Wiſſenſchaften. Der Hypotheſendichter traͤgt das ſeinige zur Fortbrin - gung der Erkenntniß bey, wie der Beobachter, und der luftige Syſtemenmacher hat ein Verdienſt, wie der, welcher Vernunft auf Erfahrungen bauet; nur jeder in ſeiner Maße. Ueberdieß iſt es in an - dern Hinſichten nuͤtzlich, zuweilen gar nothwendig, die feſten Kenntniſſe mit leichten Vermuthungen zu verſetzen, wie das Gold mit unedlern Metal - len, wenn man es zum gemeinen Gebrauch ver - arbeitet. Aber der Freund der Wahrheit wird es doch eingeſtehen, daß man nicht ſagen koͤnne,daßXVIVorrede. daß Kenntniſſe zweckmaͤßig bearbeitet werden; von ſolchen iſt naͤmlich die Rede, wobey es nicht ſowohl auf eine Unterhaltung als auf wahre Be - lehrung des Verſtandes ankommt; wenn nicht die Mittelrichtung aller Bemuͤhungen auf richtige Beobachtungen und Vernunftſchluͤſſe hingehet, von welchen allein nur die ſtarke und feſtſtehende Ueberzeugung zu erwarten iſt, die der Forſcher verlanget. Es darf nicht geſagt werden, daß es an ſolchen Kenntniſſen in der beobachtenden Pſy - chologie noch fehle. Es fehlet ihr auch noch an ſolchen Stellen daran, die ſchon mehrmalen unter - ſucht ſind. Genauere Beobachtungen uͤber den Verſtand; ſo hoͤren z. B. die Verwirrungen in der Lehre von dem gemeinen Menſchenverſtande von ſelbſt auf. Die heftigen Angriffe auf die rai - ſonnirende Vernunft, welche den Menſchenver - ſtand aufheben ſollte, und die Ungewißheit, wor - an man ſich zu halten habe, wenn das Raiſonne - ment wirklich von dem gemeinen Verſtande ab - weichet, wie es zuweilen geſchieht, haben keinen andern Grund, als Mißkenntniß von beiden, und von ihrer natuͤrlichen Beziehung auf einander, die man nicht genau genug betrachtet hatte. Beob - achten und Vergleichen weiſet uns, wie ich meine, ſehr bald wieder uͤber dieſen Punkt zurecht.
So weit von der Nothwendigkeit der beobach - tenden Methode; nur noch ein Wort von ihren Schwierigkeiten. Das meiſte bey ihr beruhet auf einer richtigen Beobachtung der einzelnen Wir - kungen, auf ihrer Zergliederung, und dann beſon - ders auf ihrer Vergleichung, wodurch einzelneSaͤtzeXVIIVorrede. Saͤtze zu Allgemeinſaͤtzen der Erfahrung erho - ben werden. Jede dieſer Operationen hat ihre Hinderniſſe. Es giebt bey dem innern Sinn, wenn nicht mehrere, doch ergiebigere Quellen zu Blendwerken, als bey dem aͤußern; wogegen ich kein Mittel weiß, das wirkſam genug waͤre, um ſich dafuͤr zu verwahren, als die Wiederholung derſelbigen Beobachtung, ſowohl unter gleichen, als unter verſchiedenen Umſtaͤnden, und jedesmal mit dem feſten Ent - ſchluß vorgenommen, das, was wirkliche Em - pfindung iſt, von dem, was hinzu gedichtet wird, auszufuͤhlen, und jenes ſtark gewahr zu nehmen. Wer dieß nicht kann, iſt zum Beobachter der Seele nicht aufgelegt.
Das ſchlimmſte iſt, daß man ſich am mei - ſten vor der Seelenkraft in Acht zu nehmen hat, die ſonſten die beſten Dienſte thun kann, und auch wirklich thun muß, wenn der Blick in uns ſelbſt etwas eindringen ſoll. Es iſt die Phantaſie, und noch naͤher die ſelbſtthaͤtige Dichtkraft, deren Eingebungen nur zu leicht mit Beobachtungen, und mit Begriffen aus Beobachtungen verwechſelt werden. Jndem der Verſtand das wirklich Vorhandene oder Gefuͤhlte gewahrnimmt, bemerket, und nach - her eins mit dem andern vergleichet, ſo wirket die ſelbſtthaͤtige Phantaſie zur Seite, loͤſet Bilder auf, und vermiſcht ſie wieder, und webet fremde Jdeen hinein, die in der Em - pfindung nicht enthalten waren. Alsdenn ent - ſtehet eine Vorſtellung in uns, die eine getreueI. Band. bAbbil -XVIIIVorrede. Abbildung des Wirklichen, oft ein Gemein - begriff aus mehrern einzelnen Empfindungen zu ſeyn ſcheinet, und die wir geneigt ſind, da - fuͤr anzunehmen, weil ſie ein Kind unſers Witzes iſt. Je lebhafter die Phantaſie iſt, deſto haͤufiger ſind ſolche Meteoren, und den - noch ſiehet man auch ohne eine ſtarke Phanta - ſie nichts. Hier muß ſich nun der wahre Be - obachtungsgeiſt zeigen, und jene ſtarke Phan - taſie auf die Darſtellung des Wirklichen ein - zuſchraͤnken wiſſen. Es iſt ſchwer, ſich in Hinſicht dieſer Suggeſtionen der Dichtkraft allemal ſo zu benehmen, wie man ſoll. Sie koͤnnen ſcharfe Bemerkungen eines Genies ſeyn, die richtig ſind, aber eben ſo wohl auch nur Jrrwiſche, die uns mißleiten. Ein Be - griff von einer wirklichen Sache, den der Ver - ſtand aus Empfindungen bildet, ſeinen noth - wendigen Denkgeſetzen gemaͤß, iſt etwas an - ders als eine Jdee der Dichtkraft, die nur durch die Empfindungen veranlaſſet wird, und nur nebenher waͤhrend des Gefuͤhls entſtehet. Jmgleichen iſt eine Folgerung unſerer Ver - nunft aus der Empfindung etwas anders, als eine Jdee, die von der Phantaſie der Empfin - dung als eine Folge von ihr zugeſetzet wird. Oftmals kommt man daruͤber nicht zur Ge - wißheit, als bis das ganze Verfahren mehr - malen wiederholet, und ſorgfaͤltig zergliedert worden iſt. Ueberhaupt aber haben ſolche Dich - tungen einen Werth, wenn ſie von wahren Genies herruͤhren. Auch bloße Einfaͤlle vondieſenXIXVorrede. dieſen eroͤffnen neue Ausſichten fuͤr den lang - ſam forſchenden Beobachter, und geben ihm Gelegenheit, Wege zu finden, wo ſein Gang leichter iſt. Der Syſtemmacher hat ſie zu fuͤrchten, da ſie oft mit Gewalt durch ſeine Gewebe von Betrachtungen hindurch fahren, und es zerreißen; aber richtiges Raiſonne - ment, auf wahre Beobachtungen gebauet, kann dabey ſicher ſeyn. Dieß laͤßt ſich nicht von Einfaͤllen umwerfen.
Eine der vornehmſten Operationen bey der beobachtenden Methode beſtehet in der Ver - allgemeinerung der beſondern Erfahrungs - ſaͤtze, die aus einzelnen Faͤllen gezogen ſind. Hievon haͤngt die Staͤrke der Methode ab. Die Beobachtung hat fuͤr ſich allein nur mit dem Jndividuellen zu thun. Was hierinn enthalten iſt, die Art, wie es hervorgebracht wird, und das Geſetz, wornach die Urſachen wirken, das lehret die Beobachtung. Aber daſſelbige wird auf ganze Gattungen von Din - gen uͤbertragen, von denen man weiß, daß ſie den beobachteten aͤhnlich ſind. Jſt es die Vergleichung, welche dieſe Aehnlichkeit in ihrem ganzen Umfange zeiget, oder, erſtrecket ſich die beobachtete Aehnlichkeit auf die weſent - lichen Beſchaffenheiten, von welchen auf die Aehnlichkeit in den uͤbrigen Beſchaffenheiten geſchloſſen werden kann, wie von der Aehnlich - keit der Urſachen, auf die Aehnlichkeit der Wir - kungsgeſetze und der Wirkungen, und umge - kehrt, ſo hat die Allgemeinheit der Saͤtze ihreb 2nichtXXVorrede. nicht zu bezweifelnde voͤllige Gewißheit. Kann jene Aehnlichkeit nur in Hinſicht einiger Stuͤcke beobachtet werden, ſo iſt die Uebertragung nach der Analogie nur wahrſcheinlich; dage - gen iſt ſie eine pure Hypotheſe, wenn ſie auf nichts mehr beruhet, als auf die bloße Moͤg - lichkeit, daß es mit andern ſich eben ſo verhal - ten koͤnne, als es ſich mit dem verhaͤlt, was unmittelbar beobachtet iſt. Bey der Graͤnze zwiſchen der vollen Gewißheit und der Wahr - ſcheinlichkeit darf es ſo genau nicht genommen werden, aber deſto mehr iſt darauf zu ſehen, daß nicht das bloße So ſeyn koͤnnen, mit der Wahrſcheinlichkeit verwechſelt werde, daß es ſo ſey. Die letztere ſetzet gewiſſe Anzeigen in den Beobachtungen voraus. Jn jenem Fall wird auf eine Hypotheſe gebauet, aber in dem letztern wird ein Schluß aus der Analogie gemacht, der deſto wahrſcheinlicher iſt, je be - ſtimmter die Anzeigen ſind, aus denen man die Aehnlichkeit gefolgert hat. Hier iſt auch zu - weilen der ſorgfaͤltigſte Beobachter in Gefahr, unvermerkt auf leere Vermuthungen zu gera - then. Es kommen hievon gleich in der erſten Unterſuchung Beyſpiele vor. Mit unſern Jdeen von den Farben hat es dieſelbige Be - ſchaffenheit, wie mit den Jdeen von den Fi - guren, die das Geſicht giebet; ſie haben einer - ley Natur, einerley Beſtandtheile, einerley Entſtehungsart. Dieß wird durch die Ver - gleichung zur vollen Gewißheit gebracht. Nun ſind auch die Vorſtellungen des Gehoͤrs gleich -fallsXXIVorrede. falls Vorſtellungen von einerley Natur mit den Jdeen des Geſichts, nur das Objektiviſche ab - gerechnet, und das, was von dem Unterſchied der Sinnglieder abhaͤngt. Auch bis hieher fuͤhrt die Beobachtung mit Sicherheit. Aber wenn man dieß weiter ausdehnet, und nach der Analogie folgert, daß es mit allen Arten von Jdeen aus dem aͤußern Sinn die naͤmliche Beſchaffenheit habe, und noch weiter, daß es auch mit den Jdeen der Seele von ſich ſelbſt und ihren innern Beſchaffenheiten ſich ſo ver - halte, ſo zeigen ſich neue Schwierigkeiten, da die letztern ſich auch auf eine andere Art er - klaͤren laſſen. Alsdenn muß man bey einer Hypotheſe ſtehen bleiben, oder Data in den Empfindungen aufſuchen, welche dieſe Aehn - lichkeit zum mindeſten in ſolchen und ſo vielen Punkten beſtaͤtigen, daß eine Wahrſcheinlich - keit daraus erwaͤchſet, ſie koͤnnen auch in Hin - ſicht der uͤbrigen angenommen werden, die man nicht beobachten kann. Jch habe in ſol - chen Faͤllen mirs zur Regel gemacht, dieſe An - zeigen oder Data, jedesmal, ſo weit ich konn - te, aufzuſuchen.
Wenn Leibnitz ſagte, man koͤnne der Er - fahrungen zu viele aufſammlen, und die Phi - loſophie als die Einſicht ihres Zuſammen - hangs, dadurch hindern, ſo hatte er ohne Zweifel in ſo ferne Recht, als die Ruͤckſicht auf gar zu viele und zu ſehr unterſchiedene Faͤlle es ſchwer macht, ein allgemeines Geſetz aus ihnen abzuſondern. Die Menge der kleinenb 3Ver -XXIIVorrede. Verſchiedenheiten in den Einzelnen, verhindert die Ueberſicht des Ganzen und die Entdeckung des Aehnlichen. Aber wenn aus einigen an - geſtellten Vergleichungen allgemeine Begriffe und Regeln abſtrahirt ſind, und ſolche ausge - dehnet und auf andere Erfahrungen angewen - det werden ſollen, ſo kann man der Erfahrun - gen nicht zu viel haben, um hierinn ſicher zu gehen.
Der Gebrauch der Analogie enthaͤlt den Schluß, daß eine Sache, die der andern in Hinſicht einiger Beſchaffenheiten aͤhnlich iſt, es auch in Hinſicht mehrerer ſeyn werde, ohne daß eine nothwendige Verbindung zwiſchen dieſen letztern Beſchaffenheiten und den erſtern einleuchte. Denn wo dieß Statt findet, da hat die Analogie nur zuerſt auf den Weg ge - wieſen, aber die Folgerung, die aus ihr ge - macht iſt, wird durch einen richtigen Schluß zur Gewißheit gebracht.
Wer nur einigermaßen die Werke der Na - tur kennet, weiß es, wie oft die Analogie ein richtiger Wegweiſer geweſen iſt, und auch, wie oft ſie irrig geleitet hat. Hr. Bonnet wuͤnſchte deswegen, daß aus der Vergleichung dieſer verſchiedenen Faͤlle allgemeine Maximen uͤber ihren Gebrauch aufgeſuchet werden moͤchten. Ohne Zweifel wuͤrden dieſe ein vortrefliches Stuͤck einer logiſchen Vermuthungskunſt ab - geben, woran es noch fehlet, obgleich ein jeder Menſch von gutem Verſtande etwas davon beſitzet, und in ſeiner Sphaͤre von KenntniſſenoftXXIIIVorrede. oft gluͤcklich anwendet. Die Quelle, worauf Hr. Bonnet verwieſen hat, um ſolche Bemer - kungen zu ſammeln, iſt auch die ergiebigſte; naͤmlich die Beobachtung der Aehnlichkeiten in den wirklichen Dingen. Aber dennoch erwarte ich nicht, daß man auf dieſem Wege etwas mehr als Materialien und einzelne Beyſpiele ſammlen werde, die nie zu einem Ganzen wer - den koͤnnen, wenn nicht eine allgemeine Phi - loſophie, uͤber die Beziehungen aller Arten von Beſchaffenheiten in den Dingen auf einander, zu Huͤlfe kommt. Ohne dieſe wird man zum mindeſten nicht alles recht deutlich uͤberſehen, worauf es ankommt. Wie und wie weit fol - get z. B. die Aehnlichkeit in den Wirkungen der Aehnlichkeit in den Urſachen? und umge - kehrt dieſe jener? Wie weit folgt die Aehn - lichkeit in dem Jnnern der Aehnlichkeit in dem Aeußern? Von welcher Groͤße von Aehnlich - keit laͤßt ſich auf eine voͤllige oder doch auf eine noch weiter ſich erſtreckende, und von welcher Gattung von Aehnlichkeiten auf eine andere fortſchließen? Denn dieſe Frage: wie wahr - ſcheinlich es ſey, daß eine Aehnlichkeit in einer gewiſſen Gattung von Beſchaffenheiten, mit einer Aehnlichkeit in einer andern Gattung von Beſchaffenheiten verbunden ſey? iſt von einer andern Frage: wie weit mit dieſer oder jener beſondern Beſchaffenheit eine andere beſondere wahrſcheinlich vergeſellſchaftet ſey? unterſchie - den. Es giebt in den einzelnen Beyſpielen allgemeine Gruͤnde der Analogie; und esb 4giebtXXIVVorrede. giebt beſondere. Solche mit einiger Voll - ſtaͤndigkeit zu uͤberſehen, dient die Spekulation des Metaphyſikers als das Eine Auge, und die Beobachtung der Natur als das zweyte; wenn gleich dieß letztere das fertigſte iſt, wo - mit man am oͤfterſten allein ſiehet. Es haben doch auch die Logiker und Metaphyſiker durch ihre allgemeine Betrachtungen wirklich hierinn etwas vorgearbeitet, und ich wollte nur bey - laͤufig erinnern, daß man ihre Bemuͤhungen nicht fuͤr ſo ganz unbedeutend anzuſehen habe.
Als ein Beyſpiel einer beſondern Maxime bey dem Gebrauch der Analogie, wie Hr. Bon - net ſie wuͤnſchte, kann vielleicht die nachſtehen - de Bemerkung dienen, die uns oft bey pſycho - logiſchen Beobachtungen an die Hand gegeben wird. Schließt man nach der Analogie, ſo wird vorausgeſetzt, daß die Natur einfoͤrmig und ſich im Jnnern aͤhnlich ſey, von der wir doch auch zugleich wiſſen, daß ſie die Abwech - ſelung und Mannigfaltigkeit bis ins Unendli - che liebet. Das letztere offenbaret ſich am er - ſten und am haͤufigſten in den Groͤßen, in Graden und Stufen; die Einfoͤrmigkeit fin - det mehr in den abſoluten Qualitaͤten Statt. Je mehr man die Wirkungen der Natur ſtu - diert, je mehr naͤhert man ſich der großen leib - nitziſchen Jdee, die Mannigfaltigkeit in den Dingen beſtehe am Ende nur in einem Mehr und Weniger in den Groͤßen der Grundkraͤfte, wobey die Kraͤfte ſelbſt einerleyartig ſind, und dieſelbigen allgemeinen Geſetze befolgen. AberbisXXVVorrede. bis dahin kann man nicht hinaufgehen, weder in der Naturlehre noch in der Pſychologie. Wenn man auch zugeben wollte, daß wir von dieſer einfoͤrmigen Urkraft der Dinge einen Begrif haͤtten, und daß ſolche eine vorſtellende Kraft ſey, wofuͤr ſie Leibnitz anſah, ſo koͤn - nen wir doch nimmermehr in den Stand kom - men, die Erſcheinungen der Koͤrper bis dahin aufzuloͤſen. Eine ſolche Analyſis bleibet nur dem Verſtand des Unendlichen vorbehalten. Unſre Erkenntniß von der wirklichen Welt er - fodert es, eine zwiefache Grundverſchiedenheit in den Dingen anzunehmen, eine abſolute in den Grundkraͤften und ihren Beſchaffenhei - ten, und noch eine andere in den Quantitaͤten.
Nun ſage ich, „ wo wir von einem Dinge „ auf ein anders ſchließen, weil gewiſſe Anzei - „ chen der Analogie vorhanden ſind, da iſt es „ immer zu vermuthen, daß ſie verſchieden ſind „ in Hinſicht alles deſſen, wobey es auf ein „ Mehr oder Weniger ankommt, aber dagegen „ einerley ſind in Hinſicht der Qualitaͤten. ‟ Hat man beobachtete Objekte aufgeloͤſet, und ihre Einrichtung aus der Verbindung ihrer Beſtandtheile und deren Beziehungen auf ein - ander begriffen, ſo kommt es darauf an, daß man alles abſondere, was eine Groͤße iſt, was auf Zahl, Menge, Graden der Staͤrke, Laͤnge und Kuͤrze der Zeit, Groͤßen der Ausdehnung u. ſ. w. beruhet; alsdenn kann es eine Regel ſeyn, daß ein anders Objekt in Hinſicht der uͤbrigen abſoluten Qualitaͤten mit dem erſten,b 5gleich -XXVIVorrede. gleichartig und von einerley Natur, in Hin - ſicht der Groͤßen aber verſchieden ſeyn werde, wenn naͤmlich ſonſten Gruͤnde zu einem analo - giſchen Schluß vorhanden ſind. So iſt es, um nur in der Pſychologie zu bleiben, wahr - ſcheinlicher, was aber doch auch naͤher bewie - ſen werden kann, daß bey allen Arten von Vorſtellungen eben dieſelbige Kraftanwendun - gen der Seele vorgehen, und daß ſie alle nach einem allgemeinen Geſetz gemacht werden, als daß hierinn die Eine Gattung weſentlich von der andern unterſchieden ſey; ſo wie es auch dagegen gewiß iſt, daß die Laͤnge, Groͤße und Staͤrke der einzelnen Seelenveraͤnderungen bey ihnen verſchieden ſind. Schließen wir von Menſchenſeelen auf Thierſeelen, ſo iſt es ſolan - ge wahrſcheinlich, daß ihr Unterſchied nur ein Stufenunterſchied ſey, bis ihre Aeußerungen uns auf eine weiter gehende Weſensungleich - artigkeit hinweiſen. Solche Aufloͤſungen der Seelenkraͤfte, wobey das Charakteriſtiſche jed - weder Klaſſe, die aͤußere Verſchiedenheit aus den Gegenſtaͤnden bey Seite geſetzt, auf ein Mehr und Weniger reduciret wird, haben eine ſtaͤrkere Vermuthung fuͤr ſich, als andere.
Da es aber ſchwer iſt, und bey den fortge - ſetzten Aufloͤſungen ſo gar unmoͤglich wird, die Quantitaͤten, und was daraus folget, von dem, was eine Qualitaͤt iſt, genau abzuſon - dern, ſo iſt es begreiflich, daß eine ſolche Ma - xime, wie die hier gegebene iſt, nicht erlaube, ihr blindlings zu folgen, noch uns der Muͤheuͤber -XXVIIVorrede. uͤberhebe, ſorgfaͤltig auf alle Umſtaͤnde zuruͤck zu ſehen, worunter wir ſie anwenden. Ver - ſchiedene neuere Philoſophen finden die Mate - rialitaͤt der Seele, der Analogie, der Natur und der Stufenleiter der Dinge gemaͤßer, als ihre weſentliche Verſchiedenartigkeit von dem Koͤrper. Die Natur gehet herauf von groͤbe - rer zu feinerer Organiſation in ihren zuſam - mengeſetzten Weſen, aber von der Organiſa - tion zur Jmmaterialitaͤt ſcheinet ein Sprung zu ſeyn, der ſich nicht wohl von ihr erwarten laͤßt. Mich deucht, es laſſe ſich dieſelbige Art zu ſchlieſ - ſen umkehren, und eben ſo gut fuͤr die Jmma - terialitaͤt der Seele gebrauchen, als gegen ſie, und vielleicht noch beſſer. Fangen wir bey den Pflanzen und organiſirten nicht beſeelten We - ſen an, und gehen zu den Thieren uͤber, ſo ſe - hen wir auf Weſen, in welchen das innere Princip ihrer Lebensbewegungen durch alle Theile des Ganzen faſt gleichfoͤrmig vertheilet iſt, andere Weſen in der Stufenleiter ſtehen, wo ſolches mehr auf gewiſſe innere Theile, auf ein Gehirn, oder auf ein Fibern - und Nerven - ſyſtem zuſammengezogen iſt. Jn den Poly - pen ſind die Principe der Empfindlichkeit und der Bewegung wie in den Pflanzen allenthal - ben verbreitet, aber in den Polypen ſind ſie mehr und genauer mit einander zu Einem Ganzen vereinigt, haben mehr Gemeinſchaft mit einander, und machen ein inniger verbun - denes Eins aus, als die vegetirende Kraft in den Pflanzen, die mehr in jedem Theil fuͤr ſichabge -XXVIIIVorrede. abgeſondert iſt, ob ſie gleich auch hier ein Eins ausmacht, und einen gewiſſen Hauptſitz hat. Dieſer Unterſchied kann allerdings auf ein Mehr oder Weniger beruhen und Stufenver - ſchiedenheit ſeyn. Jn den Jnſekten, die ſich nicht aus jeden Stuͤcken wieder ergaͤnzen, ſchei - net, das Nervenſyſtem ſchon irgendwo eine beſondere Stelle zu haben, wo das vornehmſte Princip der Thierheit ſeinen Sitz hat. Jn den Thieren mit einem eigentlichen Gehirn geht dieß noch weiter. Dieſe ſind in einem hoͤhern Grade Einheiten. Denn ſie haben Einen Mittelpunkt, wohin alle Eindruͤcke von außen ſich vereinigen, und woher alle Thaͤtigkeiten von innen herausgehen. Wenn man nun in dieſer Stufenleiter hinaufſteiget, der Analo - gie der Natur, und ihrer Mannigfaltigkeit in allen, wobey ein Mehr und Weniger ſtatt fin - det, gemaͤß, ſo meine ich, man muͤſſe von ſelbſt Eine Gattung von zuſammengeſetzten Weſen vermuthen, wo dieſer Mittelpunkt der Empfin - dungen und der Bewegungen, das regierende Princip des Syſtems oder die Entelechia deſ - ſelben, oder, in der Sprache der Chemiſten, der Spiritus Rector, eine voͤllige das iſt eine ſubſtanzielle Einheit ſey oder Ein fuͤr ſich be - ſtehendes Ding. Die Demokratie fuͤhrt durch eine Stufenleiter uͤber die Ariſtokratie zur Mo - narchie. Warum nicht auf eine aͤhnliche Art die Pflanzen - und Polypenorganiſation zu der Menſchlichen? Jn jener iſt es ein ganzes Ag - gregat von Weſen in Verbindung mit einan -der,XXIXVorrede. der, davon jedwedes einzelne einen faſt glei - chen Antheil an dem ganzen regierenden Prin - cip hat; in dieſem iſt eine einzige Subſtanz, die als Jch die Herrſchaft fuͤhrt, oder doch we - nigſtens uͤberwiegende Vorzuͤge hat. Wenn der Menſch auf dieſer aͤußerſten Stufe ſtehet, ſo iſt es wiederum der Analogie der Natur ge - maͤß, nach welcher keine einzelne Beſchaffen - heit Einer Gattung von Dingen allein zu - kommt, daß dieſelbige Einheit einer Seele, als herrſchenden Subſtanz, auch in noch mehrern Thierarten vorhanden ſey, obgleich die Herr - ſchaft der Seele in ihnen mehr eingeſchraͤnkt iſt, wobey eine unendliche Mannigfaltigkeit in Graden Statt finden kann.
So ſorgfaͤltig ich uͤbrigens die Einmiſchung der Hypotheſen unter den Erfahrungsſaͤtzen zu vermeiden geſucht, ſo habe ich deswegen mich doch nicht enthalten, Folgerungen und Schluͤſ - ſe aus den Beobachtungen zu ziehen, und ſie dadurch zu verbinden. Auch habe ichs mir hie und da erlaubet, eine Anwendung von allge - meinen Betrachtungen zu machen. Die Er - fahrungen ſind jedesmal von den Raiſonne - ments die man uͤber ſie anſtellet, zu unter - ſcheiden, aber es iſt hier deſto mehr erlaubet, ſie darunter zu miſchen, da man in der Pſycho - logie an ſimpeln Aufzaͤhlungen der Begeben - heiten noch nicht ſo gewoͤhnt iſt, als in der Na - turlehre. Zum Theil iſt es hier auch ſchwe - rer, die Raiſonnements ſo ſtrenge abzuſondern. Sollte eine voͤllige Umarbeitung der Seelen -lehreXXXVorrede. lehre noch einmal es noͤthig machen, auch hier - inn genauer die Methoden der Naturlehrer zu befolgen, ſo kann es vor der Hand doch nicht ſchaden, daß zugleich raiſonnirt und beobach - tet wird. Am Ende ſind es doch die Reflexio - nen und Schluͤſſe, die die ſimpeln Beobach - tungen erſt recht brauchbar machen, und ohne die wir beſtaͤndig nur auf der aͤußern Flaͤ - che der Dinge bleiben muͤßten. Aber meine Abſicht in dieſen Verſuchen hat es erfodert, theils die eingeſtreueten Raiſonnements nir - gends weiter zu verfolgen, als bis dahin, wo ihre Uebereinſtimmung mit den Erfahrungen noch offenbar iſt; theils ſie nicht anders anzu - bringen, als wo ich glaubte, daß ſie und ihre Gruͤnde eben ſo evident ſeyn wuͤrden, als die Beobachtungen ſelbſt. Der Geiſt des Sy - ſtems verleitet ſonſten eben ſo ſehr, als die Phantaſie, und ich habe es ſo lebhaft gefuͤhlet, wie ſchwer es ſey, unſer Jnneres ſo zu ſehen, wie es iſt, daß es mich nicht befremden wird, wenn man finden ſollte, ich haͤtte hie und da ein Raiſonnement fuͤr eine Beobachtung ange - ſehen.
Jch wiederhole die Erklaͤrung, daß es mein feſter Vorſatz geweſen ſey, auf nichts zu fußen, als was entweder unmittelbare Beob - achtung ſelbſt iſt, oder evidente und durch die Uebereinſtimmung der Beobachtungen beſtaͤ - tigte Vernunft. Dieſe Abſicht vor Augen, habe ichs verſuchet, die Faͤhigkeiten der Seele in die einfachſten Vermoͤgen aufzuloͤſen, undzuXXXIVorrede. zu den erſten Anfaͤngen dieſer Vermoͤgen in der Grundkraft mich ſo weit hin zu naͤhern, als ichs moͤglich fand. Mit den Erkenntnißfaͤhig - keiten iſt der Anfang gemacht. Hier haben faſt alle Pſychologen den Eingang zu dem Jn - nern der Seele am offenſten gefunden, und es beweiſet der Erfolg, daß wirklich die Seele ſich an dieſer Seite am deutlichſten aͤußere, da keine andere Art von ihren Aeußerungen ſich ſo gut zergliedern laͤſſet, als Vorſtellungen und Gedanken.
Dieſe erſten Unterſuchungen ſetzen uns in den Stand, beſſer die neuern Hypotheſen uͤber die Natur unſers Seelenweſens zu beurtheilen. Die Bonnetiſche verdient vor andern die ſorgfaͤltigſte Pruͤfung. Sie kann die Bonne - tiſche heißen, ob gleich Hr. Bonnet nicht der erſte iſt, der ſie vorgetragen hat. Denn wenn man bis auf ihre erſte Anlage zuruͤck gehen wollte, ſo wuͤrde ſich ſolche, wie faſt zu allen andern von den Neuern weiter entwickelten Jdeen, bey den alten Philoſophen ſchon fin - den laſſen. Die ariſtoteliſche Jdee von der Seele als einer ſubſtanziellen Form des thie - riſchen Koͤrpers ſcheint nicht weit von der neuen Jdee, die ſie zu einer ſubſtanziellen Kraft des Gehirns macht, entfernet zu ſeyn. Gleich - wohl kann Hr. Bonnet, ſo viel ich weiß, auf die Ehre Anſpruch machen, dieſe Hypotheſe aufs genaueſte beſtimmet, ſie deutlich und aus - fuͤhrlich entwickelt, zur Erklaͤrung der beſon - dern pſychologiſchen Erfahrungen angewendet,undXXXIIVorrede. und durch ſeinen darſtellenden Vortrag faßlich und bekannter gemacht zu haben. Sie ſcheint immer mehr Beyfall zu finden, und vielleicht mehr, als ſie nach meiner Ueberzeugung ſollte, da ſie, wie ich meine dargethan zu haben, nicht ganz hinreichet, die Beobachtungen zu erklaͤ - ren, und aufs hoͤchſte nur Eine Seite unſerer Seelennatur richtig darſtellet. So viel raͤu - me ich ihr aber gerne ein, daß ihre Schwaͤche nicht ſo offenbar auffallend iſt, als einige ihrer Gegner ſich uͤberreden. Es wird oft wieder - holet, das Gehirn ſey als ein weicher, oder gar fluͤßiger Koͤrper unfaͤhig, bleibende Spu - ren von den Eindruͤcken der Dinge zu erhalten, und koͤnnen ſo wenig materielle Jdeen nach bonnetiſcher Vorſtellung in ſich haben, als das Waſſer die Figur eines Petſchafts be - halten kann, das man ſeiner Oberflaͤche auf - druͤckt. Wenn dieß ſchon genug iſt, die Un - moͤglichkeit der materiellen Jdeen zu zeigen, ſo hat Hr. Bonnet freilich eine große Abſurdi - taͤt behauptet, wie man von einem Philoſo - phen, der mit einer ſtarken Beurtheilungskraft die ausgebreitetſte Kenntniß der Natur verbin - det, nicht ſo leicht vermuthen ſollte. So ver - haͤlt ſichs aber wohl nicht. Hr. Bonnet wuß - te, was dieſe ſeine Widerleger nicht wiſſen, oder woran ſie nicht denken, daß es weiche, gallertige und breyartige Koͤrper gebe, und ſogar ſolche, die dem Anſchein nach fluͤßig ſind, worinn ſich nicht die mindeſte Spur von Or - ganiſation auch mit dem bewaffneten Augeentde -XXXIIIVorrede. entdecken laͤßt, die doch nichts deſtoweniger ei - ne Anlage zu einem organiſirten Koͤrper, zu - weilen auch dieſen ſchon ausgebildet mit allen ſeinen unterſchiedenen Theilen in ſich enthalten. Man darf nur ein Ey betrachten, um ſich davon zu uͤberzeugen, und wenn dieß noch nicht genug iſt, ſo erwaͤge man den Verſuch mit den Eyern der Spinnfliege, die nichts als eine fluͤßige, mil - chichte Subſtanz zu ſeyn ſcheinen, aber, nach - dem ſie einige Minuten im heißen Waſſer ge - kocht ſind, und dann geoͤffnet werden, die un - ter dem Schein des Fluidums verſteckten Nym - phen in ihren voͤlligen Formen darſtellen. *)Bonnets Betrachtungen uͤber die organiſirten Koͤrper, Erſter Th. 9tes Kap. Zweyter Th. 5tes Kap.Kann alſo auch nicht unter der breyartigen Geſtalt des Hirnmarks eine wahre Organiſa - tion verſteckt ſeyn? Nach dem Urtheil des groͤßten Phyſiologen, des Hrn. von Haller, macht die Aehnlichkeit der Steife dieſes Marks mit den Nerven es wahrſcheinlich, daß es faſe - richter Natur ſey, obgleich neulich ein britti - ſcher Arzt Hr. Kirkland dieß abgelaͤugnet hat, der es fuͤr einen bloßen Mukus, eine klebrichte Subſtanz angeſehen haben will. Vielleicht laſſen ſich beide Meinungen gewiſſermaßen mit einander vereinigen. Aber in jedem Fall iſt es ja offenbar, daß, obgleich keine ſichtbare Feſtigkeit in den innern Theilen des Gehirns vorhanden iſt, dennoch ein ſolcher Grad der Konſiſtenz, wie in den Eyern iſt, da ſeyn koͤnne,I. Band. cdieXXXIVVorrede. die hinreichet, beſtimmte Spuren von den dar - auf gemachten ſinnlichen Eindruͤcken in ſich zu erhalten. Das Waſſer dagegen hat nichts Organiſirtes, ſo wenig als ein jeder anderer Koͤrper, der nichts mehr als fluͤßig iſt, ſo daß die Vergleichung von dem auf das Waſſer ge - druckten Petſchaft von ſelbſt wegfaͤllt. Hr. Bonnet iſt dieſem Einwurf nicht zuvor gekom - men, ohne Zweifel darum, weil er nicht ver - muthete, daß er ihm wuͤrde gemacht werden.
Jndeſſen iſt doch nicht zu laͤugnen, daß eben dieſe Weichheit des innern Gehirnmarks, nach dem jetzigen Stande unſerer Kenntniſſe, als eine Anzeige und auch wohl als ein Beſtaͤti - gungsgrund einer von der bonnetiſchen ver - ſchiedenen Hypotheſe koͤnne gebraucht werden, wenn anders Beobachtungen auf eine ſolche hinfuͤhren. Denn ſo koͤnnte es doch auch wohl ſeyn, daß dieſe weichen und fluͤßigen Theile des Gehirns nichts anders in Hinſicht der mate - riellen Jdeen ſind, als was die Fluͤßigkeiten in dem Auge in Ruͤckſicht auf die Bilder auf der Netzhaut ſind. Wenn es gleich wahr - ſcheinlich iſt, wie ichs dafuͤr halte, daß es ma - terielle Jdeen in dem Jnnern des Organs gebe, ſo folget noch nicht, daß man den Sitz dieſer Jdeen weiter in das Jnnere des Gehirns hin - einſetzen muͤſſe, als bis dahin, wo die Anfaͤnge der Nerven ſind, und bis ſo weit iſt doch ohne Zweifel eine Organiſation vorhanden, und alſo auch die Moͤglichkeit, Spuren von den ſinnlichen Eindruͤcken zu behalten. VielleichtliegetXXXVVorrede. lieget alſo noch tiefer in das Gehirn hinein, oder noch naͤher zur Seele, die weiche Materie, die nichts mehr thut, als daß ſie die Bewegungen von dem Organ zur Seele, und von der Seele zum Organ durchlaͤßt, wozu es wohl nicht noͤthig iſt, daß ſie ſelbſt organiſirt ſey. Aber man begreift leicht, daß nun auch hierdurch die bonnetiſche Pſychologie nicht widerlegt werde, ſo fern ſolche auf materiellen Jdeen beruhet, ſondern daß ſie allenfalls nur in ihren naͤhern Beſtimmungen nicht ſo zuverlaͤßig ſey, als in den erſten Grundſaͤtzen.
Die Unterſuchung uͤber die Freyheit, die in einer erhoͤheten Selbſtthaͤtigkeit der Seele beſtehet, hieng mit den vorhergehenden und den folgenden Betrachtungen uͤber die menſch - liche Natur ſo genau zuſammen, daß ich mich auf ſie haͤtte einlaſſen muͤſſen, wenn auch die bekannten Dunkelheiten in dieſer Materie nicht beſonders dazu gereizet haͤtten. Nirgends ſcheinet die Vernunft dem Gefuͤhl, und, wenn man naͤher zuſieht, ſelbſt das Gefuͤhl dem Ge - fuͤhl ſo ſehr zu widerſprechen, als hier. Es muß nothwendig irgendwo ein falſcher Schein dahinter ſtecken, die Urſache deſſelben mag nun da liegen, wo ich ſie glaube gefunden zu haben, oder anderswo.
Der letzte Verſuch uͤber die Perfektibilitaͤt und uͤber die Entwickelung der Seele iſt ge - wiſſermaßen das Ziel, wohin die meiſten der vorhergehenden Betrachtungen zuſammen lau - fen. Bey dem großen Umfang dieſes frucht -c 2barenXXXVIVorrede. baren Feldes habe ich mich auf Eine Strecke eingeſchraͤnkt. Jch habe mich nicht ſo wohl auf die Mittel eingelaſſen, wodurch der Menſch entwickelt wird, als vielmehr auf die Wir - kung dieſer Mittel in ſeinem Jnnern, oder auf das, was die Vervollenkommung unſerer Na - tur in dem Jnnern ſelbſt ausmachet, die durch die ausbildenden Urſachen bewirket wird, und unter den mannichfaltigen Formen, worinn die Menſchheit ſich uns darſtellet, enthalten iſt. Dieß iſt am Ende nichts anders, als eine deut - liche Auseinanderſetzung deſſen, was in dem Ge - fuͤhl des Menſchenfreundes begriffen iſt, wenn er die Wuͤrde des Menſchen und die Erhaben - heit der Tugend empfindet. Dieß Gefuͤhl be - darf einer Leitung von der aufklaͤrenden Ver - nunft. Ohne dieſe kann der edelſte Vorſatz, deren ein Menſch faͤhig iſt, der Vorſatz, an der Verbeſſerung der Menſchheit zu arbeiten, eine falſche Richtung nehmen, und in einen ſchaͤdlichen Eifer ausarten, ſie in Eine von ih - ren beſondern Formen hinein zu zwingen, die man als die alleinige fuͤr ſie anſieht, in der ſie eine innere Vollkommenheit beſitzen koͤnne.
Die Seele empfindet, ſie har Vorſtellungen von Sachen, von Beſchaffenheiten und Ver - haͤltniſſen, und ſie denket. Dieß ſind Aeuſ - ſerungen ihrer Kraft, die dem gemeinen Verſtande ſich als verſchiedene Wirkungen von ihr dargeſtellet haben, und deswegen auch jede ihre eigene Benennung erhalten hat. Auf der aͤußern Flaͤche der Seele ſie betrachtet, bis wohin nur die gemeine Beobachtung dringet, da ſind Empfindungen nicht Vorſtellungen, und beide nicht Gedanken. Jede dieſer Kraft-Aeußerungen zei - get ſich auf ihre eigene Art, mit einem eigenen Charak - ter und hat ihre beſondere Wirkungen, die von den Wir - kungen der uͤbrigen verſchieden ſind. Bis ſo weit ſchei - nen alſo dieſe Thaͤtigkeiten, und ihre Vermoͤgen, ver - ſchiedenartig zu ſeyn.
Aber wenn nun der forſchende Philoſoph jene ver - ſchiedene Scheine zu zergliedern ſuchet, etwas tiefer un - ter die Oberflaͤche der Seele hineindringet, und daſelbſt dem Entſtehen der unterſchiedenen Kraft-Aeußerungen ausI. Band. Adem2I. Verſuch. Ueber die Naturdem innern thaͤtigen Princip der Seele nachſpuͤret; wie weit hinein erſtrecket ſich alsdann ihre aͤußerliche Verſchie - denartigkeit, und wie tief geht ſie in das Jnnere hin - ein? Es iſt Ein und daſſelbige Weſen, die gemeinſchaftli - che Quelle, aus der alle Seelen-Thaͤtigkeiten entſpringen. Wo und auf welche Art theilen ſie ſich in die verſchiedene Ausfluͤſſe, welche die Beobachtung unſers Selbſt uns ge - wahrnehmen laͤßt?
Jſt vielleicht ihre ganze Verſchiedenheit bloß aͤußer - lich? Jſt Empfinden, Denken, Vorſtellungen machen, von welchen hier nur zunaͤchſt die Rede iſt, an ſich eben dieſelbige gleichartige Thaͤtigkeit der Seele, die nur andere Geſtalten annimmt, je nachdem die Ge - genſtaͤnde verſchieden ſind, auf welche man ſie anwen - det?
Oder beſtehet ihre Verſchiedenheit allein in der Ver - ſchiedenheit der Werkzeuge, durch welche das innere Princip der Seele arbeitet? wie bey den aͤußern Sinnen, wo das Empfindungsvermoͤgen daſſelbige iſt, aber doch in mehrere aͤußere Sinne ſich zertheilet, weil die Or - gane verſchieden ſind, wodurch wir empfinden? Wenn es ſo iſt; ſo kann man die Hoffnung faſt aufgeben, hier - uͤber zur Gewißheit zu kommen, da uns die innern Or - gane der Seele, und ihre Verſchiedenheiten unaufdeck - bar verborgen ſind.
Oder vorausgeſetzt, daß es weder eine Verſchieden - heit in den Werkzeugen, noch eine Verſchiedenheit der Objekte, noch eine Verſchiedenheit in anderen aͤußern Beziehungen ſey, was dieſelbige Seelen-Thaͤtigkeit dann zu einem Empfinden, dann zu einem Vorſtellen, dann wiederum zu einem Denken machet, iſt es denn etwa ein innerer Unterſchied in den Graden, ein Mehr oder Weniger, von der jenes abhaͤnget? Jſt etwa eine Vor - ſtellung nichts anders, als eine mehr entwickelte und ſtaͤrkere Empfindung; und Denken nichts als ein er -hoͤhetes,3der Vorſtellungen. hoͤhetes, verlaͤngertes oder mehr verfeinertes Empfin - den?
Auf die Beantwortungen dieſer Fragen ſind die Un - terſuchungen der ſyſtematiſchen Seelenlehrer hinausge - gangen. Alles entſtehet aus Einer Grundkraft; dieſe wirket uͤberall auf einerley Art und nach einerley Geſetzen. Dieß iſt ein Grundſaz faſt bey allen.
So wie die Seele fuͤr ſich ein einfaches Weſen iſt; ſo ſoll auch ihre wirkende Kraft einfach und einartig ſeyn, und auf eine und dieſelbige Art wirken, wann ſie wirket, und nur die Anſtrengung und Staͤrke, mit welcher ſie wir - ket, und die Richtung der Kraft nebſt den Gegenſtaͤn - den, auf welche ſie ſich auslaͤſſet, ſollen den Grund von allen Verſchiedenheiten ausmachen, die wir bey ihren Aeußerungen und Thaͤtigkeiten antreffen. Da mag ſie denn in ſich ſelbſt wirken, oder außer ſich, ſie mag wirken im Denken, im Empfinden, im Vorſtellen, oder auch außer ſich auf den Koͤrper im Bewegen; ſo koͤnnen dieſe Wirkungen nur in ſolchen Hinſichten ver - ſchieden ſeyn, als ich vorher angefuͤhret habe.
Einige haben dieſe Einartigkeit der Seelen-Aeuſ - ſerungen nur auf ſolche ausgedehnet, die man bey den kuͤnſtlichen Abtheilungen zu einer beſondern Klaſſe hin - brachte; und vor andern hat man diejenigen, welche zu dem Erkenntniß-Vermoͤgen gerechnet worden ſind, und unter den genannten dreyen, dem Empfinden, dem Vorſtellen und Denken begriffen werden koͤnnen, als gleichartig angeſehn. Zu dieſen Aktionen hat man eine Grundkraft angenommen, und dieſe den Verſtand ge - nennet. Die Willens-Aeußerungen in der Seele ſind zu einer andern Klaſſe gebracht, und dann auch alle zu - ſammen auf eine aͤhnliche Weiſe in eine Grundkraft auf - geloͤſet worden. Hr. Sulzer nimmt zwo Grundkraͤfte in der Seele an, Verſtand und Empfindſamkeit. Aber die meiſten ſind weiter gegangen, und ihrer MeinungA 2nach4I. Verſuch. Ueber die Naturnach auf ein allgemeines Princip, auf eine Quelle alles Denkens und alles Wollens gekommen.
Dieſe Grundthaͤtigkeit glaubten Helvetius, Con - dillac, Bonnet, auch zum Theil Search, in dem Empfinden angetroffen zu haben. Unſer Leibnitz und Wolf, — eine gerechte Nachwelt wird ihnen ihre Stelle unter den Philoſophen und Geiſteskundigen vom erſten Rang niemals entziehen, — behaupteten: die er - ſte Grundthaͤtigkeit ſey eben diejenige, womit die Seele ihre Vorſtellungen machet. Die Begierde der Philoſo - phen, alle Beſchaffenheiten eines Dinges auf ein gemein - ſchaftliches Princip, die verſchiedenen Veraͤnderungen und Wirkungen auf Eine und dieſelbige Urſache, meh - rere Aeußerungen einer Kraft auf Eine Grundthaͤtigkeit, und mehrere Vermoͤgen auf Ein Grundvermoͤgen zuruͤck - zufuͤhren; iſt dem Nachdenkenden natuͤrlich. Der Ge - danke, daß man durch alle verſchiedene und mannigfaltige Seiten, an welchen ſich das thaͤtige Weſen auswaͤrts ſehen laͤßt, bis zu ſeiner erſten einfachen und einartigen Kraft durchgedrungen ſey, oder bis dahin durchdringen koͤnne, iſt ſehr ſchmeichelhaft. Wir ſind dem Jnnern der Natur, wo ſie ſo einfoͤrmig und beſtaͤndig, als unend - lich mannigfaltig und abwechſelnd in ihren aͤußern Ge - ſtalten iſt, naͤher gekommen, und in der That iſt es ein großer Gewinn fuͤr unſere Kenntniße, wenn ein ſolcher Zuſammenhang der entfernten Folgen mit ihrem erſten Grunde irgendwo entdecket wird. Dieſen Hang zum einfoͤrmigen Syſtem vergebe ich den Philoſophen ſo ger - ne, als ich will, daß man es mir vergeben ſoll, wenn ich ſelbſt etwa in der Folge von ihm verleitet und da - durch irgendwo uͤber die Evidenz der Erfahrungen und Schluͤſſe hinausgegangen bin. Nur Schade, daß man ſo oft nur eine Wolke anſtatt der Juno erhaſchet. Die Natur iſt ohne Zweifel in ihrem Jnnern einfach: aber auch nur in ihrem Jnnern, in ihrem Mittelpunkt;ſie5der Vorſtellungen. ſie iſt es nicht in ihrem Umfang, wo ſie ſich mit unend - licher Abwechſelung und Mannigfaltigkeit zeiget. Wie weit ſtehen wir von jenem Jnnern noch ab! Die Sim - plicitaͤt, die wir in den wirklichen Dingen anzutreffen mei - nen, iſt nur zu oft bloßer Schein, welcher auf Dunkel - heit, Verwirrung und Einſeitigkeit unſrer Jdeen beruhet, eine wahre Einfalt aus Unwiſſenheit iſt, und ſich ver - lieret, wenn die Beobachtung die Gegenſtaͤnde uns naͤ - her bringet und unſere Begriffe lichter, vollſtaͤndiger und vielſeitiger macht.
Anſtatt mich dabey aufzuhalten, worinne es andere verſehen haben moͤgen, will ich ihnen eingeſtehen, daß ſie meiſtens alle den richtigen Weg, nehmlich den Weg der Beobachtung und der Aufloͤſung, genommen haben; aber ich muß es auch zugleich geſtehen, daß ich der Muͤ - he ungeachtet, die ich mir gegeben habe, ihnen zu fol - gen, und beſonders dem Gang der ſcharfen und tiefen Unterſuchung des Hrn. Bonnet und unſers Wolfs nach - zukommen, dennoch bey ihrem Verfahren nicht ſo be - friediget worden ſey, daß ich es nicht fuͤr noͤthig gehalten haͤtte, nochmals die ganze Nachforſchung fuͤr mich ſelbſt zu wiederholen. Jhre Fehltritte ſind ihnen von andern ſchon vorgehalten worden, und nicht ohne einen guten Erfolg; denn bis jetzo iſt es in der Philoſophie noch leich - ter, einzureißen und umzuſtoßen, als aufzubauen und zu beſſern.
Es darf kaum erinnert werden, daß es, um die Grundkraft in der Seele zu entdecken, nicht genug ſey, alle ihre Veraͤnderungen zuſammen mit einem gemein - ſchaftlichen Namen zu belegen, jedwede Aeußerung et - wa ein Empfinden, oder ein Vorſtellen zu nennen, und dann aus einer einfachen Empfindungs - oder Vor - ſtellungs-Kraft ſie wiederum alle abzuleiten. Eben ſo wenig iſt es genug, ein gewiſſes gemeinſchaftliches Merk - mal von allen ihren unterſchiedenen Arten abzuſondern,A 3und6I. Verſuch. Ueber die Naturund dieſes Allgemeine, worunter Denken, Empfinden und Vorſtellen, nebſt allen uͤbrigen als beſondere Arten, unter einen generiſchen Begrif gebracht worden ſind, fuͤr das einfache Princip anzuſehen, worinn der Keim von ihnen liege, aus dem ſie ſich entwickeln. Jede beſonde - re Art der Seelen-Veraͤnderungen, in welche ſie bey ei - ner kuͤnſtlichen Klaſſification vertheilet werden, hat doch ihr Eigenes und Charakteriſches. Und da iſt immer die Frage: ob eben dieſes Eigene nur in einer beſtimmten Vergroͤßerung, in einer Aufhaͤufung oder Verlaͤnge - rung des Gemeinſchaftlichen beſtehe? ob es gar nur von der Verſchiedenheit aͤußerer Umſtaͤnde abhange? oder ob es nicht vielmehr eine innere Verſchiedenheit in dem thaͤ - tigen Weſen, und in der Art und Weiſe, wie es thaͤtig iſt, vorausſeze? die Kraft ſich zu entwickeln und zu wach - ſen, die in den Pflanzen, in den Thieren, wirket, iſt uͤberhaupt eine Entwickelungskraft. Aber dadurch iſt es in Wahrheit nicht entſchieden, daß dieſe Grundkraft in einer Art dieſer Koͤrper innerlich einerleyartig mit der in der andern ſey, und daß nur ein Grad mehr oder we - niger, oder ihre verſchiedene Einhuͤllung in dem Samen, oder die Verſchiedenheit des Orts und der Nahrungsſaͤf - te ſie in dem einen Fall zu einer Urkraft der organiſchen empfindungsloſen Pflanzen, in dem andern zu der Grund - kraft der beſeelten Thiere mache.
Eine Aufloͤſung der Kraͤfte auf eine ſolche Art kann unmoͤglich den Nachdenkenden befriedigen. Aber ſie ſoll es| auch wohl nicht nach der Meinung der angefuͤhrten Philoſophen. Hr. Bonnet, Leibnitz und Wolf ha - ben etwas mehr zu erweiſen geſuchet, und ich wuͤrde fuͤr mein Theil nichts mehr verlangen, als wozu ſie Hofnung gemacht haben, wenn ſie wirklich geleiſtet haͤtten, was ſie haben leiſten wollen. Nichts mehr — um nur allein bey den Wirkungen des Erkenntniß-Vermoͤgens ſtehen zu bleiben, — als dieſes, daß aus der Beobachtungund7der Vorſtellungen. und durch die Zergliederung der Wirkſamkeitsarten der Seele, wenn ſie Denket, Empfindet und Vorſtellun - gen machet, die innere Jdenditaͤt dieſer Thaͤtigkeiten offenbar werde. Wenn es evident gemacht werden kann, daß die Beſtandtheile in ihnen allen innerlich dieſelben ſind, daß nur ein Mehr oder Weniger, oder gar nur ei - ne aͤußere Verſchiedenheit in den Mitteln und Gegen - ſtaͤnden ihren ſcheinbaren Unterſchied ausmache, ſo kann wohl weiter nichts verlanget werden. Alsdenn wuͤrde auch daraus der fruchtbare Satz gefolgert werden koͤn - nen, daß ein jedes Weſen, was zum Empfinden von Natur aufgeleget iſt, entweder, wenn ſeine aͤußere Um - ſtaͤnde ſich aͤndern, oder, wenn ihm eine groͤßere innere Staͤrke der Grundkraft beygebracht wird, zu einem vor - ſtellenden und denkenden Weſen gemacht werden koͤnne. Dieß wuͤrde ein großer Schritt zu dem allgemeinen Grundſatz von der Einartigkeit aller Weſen ſeyn. Dieß iſt das Ziel, welches man ſich geſetzt hat, und es iſt nur die Frage, ob man es auch erreichet habe? Jch kann mit Condillac, und noch weiter mit dem Hrn. Bonnet auf eine lange Strecke fortkommen; aber auf den Stel - len, wo ſie von dem Gefuͤhl und Empfinden zum Bewußtwerden oder zur Apperception und zum Denken uͤberſchreiten, und dieſes aus jenem erklaͤren, was einen der weſentlichſten Punkte ihres Syſtems aus - machet; da deucht es mich, die Phantaſie habe einen kuͤh - nen Sprung gewagt, wo der Verſtand, der ſich uͤber die Graͤnzlinien der Deutlichkeit nicht hinauswaget, zu - ruͤckbleiben muß.
Der Weg, den ich zu dem nehmlichen Ziel genom - men habe, mag mich hinbringen, oder nicht; ſo habe ich fuͤr nothwendig angeſehen, vor allen Dingen jedwede von dieſen Seelenwirkungen, Empfindungen, Vor - ſtellungen und Gedanken, vorher fuͤr ſich beſonders zu unterſuchen. Vielleicht hatte man ſie noch nicht ge -A 4nug8I. Verſuch. Ueber die Naturnug beobachtet, als man ſchon zur Vergleichung ſchritt, wodurch denn bey der letztern manche Dunkelheit uͤbrig bleiben muͤſſen. Mit den Vorſtellungen habe ich den Anfang gemacht.
Nach dem Begrif, den Leibnitz und Wolf von einer Vorſtellung gegeben haben, kann jede Modifika - tion unſerer Seele, ſie ſey welche ſie wolle, von einer ge - wiſſen Seite betrachtet, eine Vorſtellung genennet werden. Eine jede hat ihre Urſachen, entweder außer der Seele oder in ihr ſelbſt, und eine jede hat ihre Wir - kungen und Folgen. Dieſe Beziehung jedweder Seelen - Veraͤnderung auf andere Dinge, die ihre Urſachen und Wirkungen ſind, hat hier dieſelbigen Folgen, welche ſie uͤberall hat; dieſe nehmlich, daß ſolche Urſachen und Wirkungen in einem gewiſſen Verſtande aus ihr erkenn - bar ſind, und daß ſie ſelbſt, in ſo ferne ſie Wirkung oder Urſache iſt, als ein entſprechendes Zeichen und als eine Abbildung ſo wohl von ſolchen Dingen, von welchen ſie verurſachet iſt, als von ſolchen, welche ſie wiederum ver - urſachet hat, betrachtet werden kann. Sollen ſie in die - ſer Hinſicht Vorſtellungen heißen; ſo iſt dieß eine all - gemeine Benennung, die jeder Modification der Seele zukommen kann. Es giebt eine allgemeine Analogie zwiſchen der Wirkung und ihrer Urſache. Die letztere druͤcket ſich gleichſam in jener ab, und ſtellet ſich durch jene und in jener dar. Dahero kann die Wirkung die Urſache, ſo wie die Urſache wiederum die Wirkung vor - ſtellen, die aus ihr erkannt werden kann, und der ſie ent - ſpricht. Jn dieſem unbeſtimten Verſtande iſt das Wort Vorſtellung in der Wolfiſchen Philoſophie geblieben. Jede9der Vorſtellungen. Jede Veraͤnderung in der Seele, jede Bewegung, jeder Eindruck auf ſie, jede Empfindung, jeder Trieb, jede Thaͤtigkeit in ihr, fuͤhret den Verſtand, der ſcharf genug iſt, den Zuſammenhang von Urſachen und Wirkungen durchzuſehen, auf andere Sachen hin, ſo wohl auf die vorhergehende, von welchen ſie als Wirkung abhaͤngt, als auch auf die nachfolgende, welche wiederum als Wir - kung von ihr abhaͤngen. Hiemit nun den Grundſaz ver - bunden, daß alles in der wuͤrklichen Welt in einer durch - gaͤngigen Verbindung mit einander ſtehe, und alſo auch jedwede Modifikation in der Seele eine voͤllig be - ſtimmte Beziehung auf jede Veraͤnderung in jedem Theil des ganzen Syſtems der wirklichen Dinge habe; ſo ſind wir mit einem mal bey dem Princip der Leibnitziſchen und Wolfiſchen Seelenlehre, daß eine jede Veraͤnderung in der Seele das Geſammte Ganze der Welt vor - ſtelle; und dem unendlichen Verſtande, der jede Urſa - che in ihrer Wirkung, und jede Wirkung in ihrer Urſa - che, erkennt, alles dasjenige wie in einem Spiegel vor - halte, was auf ſie, als Urſache oder als Wirkung, mit - telbar oder unmittelbar, eine Beziehung hat.
Von dieſer Seite betrachtet ſind auch die Freude, der Hunger, das Verlangen, die Furcht und alle Ge - muͤthsbewegungen und Begierden und Leidenſchaften, Vorſtellungen, wie es die Jdeen von der Sonne, von einem Pferde, von einem Menſchen, ſind. Wenn es auf nichts weiter ankommt, als auf den Redegebrauch; ſo will ich mich gerne zu dieſem bequemen. Wer ver - diente mehr Geſetzgeber in der philoſophiſchen Sprache zu ſeyn, als Leibnitz? Aber was wird denn nun dadurch aufgeklaͤret, wenn wir alle Arten der Seelen-Veraͤnde - rungen Vorſtellungen heißen, und alſo das Vorſtel - lungen machen als die Grundthaͤtigkeit zu allen uͤbri - gen Wirkungsarten anſehen? und, was hier noch naͤher hergehoͤret, wo iſt das Charakteriſtiſche ſolcher Beſchaf -A 5fenhei -10I. Verſuch. Ueber die Naturfenheiten, die in der gemeinen Sprache von den Ge - muͤthsbewegungen unterſchieden, und Vorſtellungen, Jdeen und dergleichen genennet werden?
Wolf*)Pſycholog. Rat. §. 195. hatte indeſſen doch einen Unterſchied zwi - ſchen mittelbaren und unmittelbaren Perceptionen gemacht. Dieſe letztern beziehen ſich auf ihre Objekte, auf eine ſolche Art, daß ſie unmittelbar, ohne Zwiſchen - ſchluͤſſe zu erfodern, auf andere Sachen hinweiſen und ſelbige uns vorhalten, wie ein Portrait das Geſicht des Menſchen. Wir ſehen einen Baum, und es entſtehet ein ſichtliches Bild von einem Gegenſtande, an dem Geſtalt, Farbe, Groͤße, Theile und ihre Lage gegen einander, unmit - telbar aus dieſem Bilde erkannt werden. Bis dahin iſt die Vorſtellung eine unmittelbare Perception. Aber dieſes Bild iſt eine Wirkung von den Lichtſtralen, die in einer gewiſſen Menge, auf eine gewiſſe Art, in einer gewiſſen Lage und Ordnung, auf unſere Augen fallen, und davon, daß dieß geſchieht, liegt die Urſache wiederum in der Groͤße, Lage, und Feſtigkeit des Koͤrpers und ſeiner Be - ſtandtheile, welche das Licht auf eine ſolche beſtimmte Weiſe zuruͤckwerfen. Alle uͤbrige Eigenſchaften des Baums, die man nicht ſiehet, haben auf die letztge - dachte Wirkung deſſelben bey dem Licht, und auf den davon verurſachten Eindruck durchs Gewicht, eine ſolche Beziehung, daß jedwede von ihnen etwas dazu beygetra - gen, und das Bild nothwendig in irgend einer Hinſicht modificirt hat. Aber dieſe unſichbaren Beſchaffenhei - ten des Objekts muͤßten durch Raiſonnements aus den Zuͤgen des Bildes geſchloſſen werden, wenn ſie daraus erkannt werden ſollten. Sie gehoͤren zu den unmittelbar vorgeſtellten nicht; ſondern ſind nur eingewickelt in dem Bilde enthalten.
Durch dieſe Unterſcheidung machte Wolf es be - greiflich, wie in einer einzigen individuellen Perceptionder11der Vorſtellungen. der Seele, der Zuſtand der ganzen Welt, das Gegen - waͤrtige, auch das Vergangene und Kuͤnftige, eingewi - ckelt und mittelbar enthalten ſeyn koͤnne. Aber er machte keinen Gebrauch davon, ein Unterſcheidungs-Merkmal der eigentlich ſo genannten Vorſtellungen von andern Seelen-Veraͤnderungen feſtzuſetzen, ob er gleich ſo viel zeig - te, daß die unmittelbaren Vorſtellungen nur die in uns klaren Vorſtellungen ſeyn koͤnnen, die von uns als Vor - ſtellungen und Bilder der Sachen zu erkennen und zu gebrauchen ſind.
Es iſt ohne Streit ein Merkmal unſerer Modifika - tionen, welche Vorſtellungen ſind, daß ſie andere Sa - chen und Objekte unmittelbar uns vorhalten, und durch ſie erkennen laſſen, ſo oft wir ſie als Bilder gebrauchen. Und wenn wir ſie nicht gebrauchen; ſo haben ſie doch dieſes als etwas Eigenes an ſich, daß man ſich ihrer auf eine ſolche Art bedienen kann. Es wuͤrde nur die Frage uͤbrig bleiben, ob man mit dieſem Merkmal ausreiche, um ſie von allen uͤbrigen Seelen-Veraͤnderungen voͤllig zu unter - ſcheiden? Wir finden gewiß keine Modifikation in uns, der wir uns ſelbſt auf die gedachte Art bedienen koͤnnen, welche nicht auch ohne Bedenken zu der Klaſſe der Vor - ſtellungen gebracht werden koͤnnte. Nicht zwar jedweder Modifikation, aus der, als einer Wirkung, ihre Urſa - che unmittelbar erkennbar iſt, oder, uͤberhaupt, von irgend einem Verſtande daraus erkannt werden kann, iſt eine Vorſtellung in dieſem beſondern Sinn des Worts; aber jedwede, der wir uns ſelbſt zu dieſem Zweck auf dieſe Art bedienen koͤnnen, iſt es. Darum wuͤrde es auch eine vorlaͤufige angemeſſene Erklaͤrung von der Vor - ſtellung abgeben, „ daß ſie eine ſolche Modifikation von uns „ ſey, aus der eine andere Sache unmittelbar von uns „ erkannt werden koͤnne. ‟ Und in der That iſt dieſe Erklaͤ - rung fruchtbar, und fuͤhret, wenn ſie entwickelt wird, zu wichtigen Folgerungen. Aber was ſie mangelhaft macht,iſt12I. Verſuch. Ueber die Naturiſt theils dieſes, daß ihre Entwickelung nicht leicht ſeyn wuͤrde, indem der Unterſchied zwiſchen der unmittelba - ren und mittelbaren Erkennbarkeit dazu deutlich ausein - ander geſetzet werden muͤßte, wobey vieles Dunkle vorkom - men wuͤrde; theils, daß ſie entweder gar nicht, oder wenigſtens nicht anders als durch einen langen Umweg, auf das Eigene in der bildlichen oder zeichnenden Bezie - hung auf andere Sachen, welches wir in den Vorſtel - lungen antreffen, hinfuͤhret, noch den Grund deſſelben, worinn das vornehmſte Unterſcheidungsmerkmal dieſer Gattung von Seelen-Veraͤnderungen enthalten iſt, auf - decket.
Keine Kritik mehr uͤber die Begriffe und Erklaͤrungen andrer. Die Leibnitz-Wolfiſche verdiente es, be - ſonders erwaͤhnet zu werden, weil ſie ſo oft unrichtig ange - wendet worden iſt, und eben ſo oft ungerechte Vorwuͤrfe von andern erfahren hat.
Beobachtungen muͤſſen uns mit der Natur der Vor - ſtellungen bekannt machen. Jch will hier die Reihe von Erfahrungs-Saͤtzen, von unmittelbaren Beobachtungen und unmittelbaren Folgerungen aus ihnen, herſetzen, wor - aus ſich auf einmal als in einem Entwurf uͤberſehn laͤßt, was von der Natur unſrer Vorſtellungen zu der Abſicht zu bemerken iſt, zu der ich ſie hier unterſuche. Dieſen Saͤtzen will ich nachher einige Erlaͤuterungen beyfuͤgen, wo ich glaube, daß ſolches noch noͤthig, oder doch in an - drer Hinſicht nuͤtzlich ſey. Auf dieſe Art meine ich, we - der den Leſer, der uͤber die Vorſtellungen ſchon vieles ge - dacht hat, mit Wiederholung bekannter Sachen zu be -ſchwe -13der Vorſtellungen. ſchweren, noch von dem etwas auszulaſſen, was zur voͤl - ligen Einſicht der Sache erfordert wird.
1) Die Seele iſt wirkſam und thaͤtig. Sie lei - det auch, und man kann hier ohne Bedenken hinzuſezen, ſie leidet von andern Dingen außer ihr. Sie leidet, indem ſie Eindruͤcke und Veraͤnderungen in ſich aufnimmt, die von fremden Urſachen in ihr entſtehen. Sie wir - ket auf ſich ſelbſt, es gehe damit zu, auf welche Wei - ſe es wolle. Sie iſt es alsdenn, wenn ſie ſich in Selbſt - beſtimmungen aͤußert, wenn ſie nehmlich ihre eigene Kraft zur Anwendung und Thaͤtigkeit mehr anſtrenget, oder wenn ſie ſie nachlaͤſſet, und abſpannet. Sie iſt thaͤtig, wenn ſie durch ihre Kraft-Aeußerung in ihrem innern Zuſtande Veraͤnderungen hervorbringet. Sie wirkt außer ſich heraus auf den Koͤrper; ſie aͤußert Triebe und Beſtrebungen, dieſen oder jenen Theil deſſel - ben auf gewiſſe Weiſen in Bewegung zu ſetzen, und durch ihn andere aͤußere Gegenſtaͤnde zu veraͤndern. Ueberdieß ſind in ihr gewiſſe Zuſtaͤnde der Luſt oder Unluſt vorhan - den, die man Gemuͤths-Zuſtaͤnde, auch Empfind - niſſe nennet. Und dieſes ihr Thun und ihr Leiden, ih - re Veraͤnderungen und ihre Zuſtaͤnde, werden von ihr ſelbſt gefuͤhlet und empfunden, und einige von ihnen mit Bewußtſeyn gewahrgenommen.
2) Dieſe verſchiedene Arten von Veraͤnderungen, die Eindruͤcke von außen, auch ihre eigene innere Be - ſchaffenheiten, ihre Zuſtaͤnde, Thaͤtigkeiten, hinterlaſſen in ihr gewiſſe bleibende Wirkungen, Folgen oder Spuren. Und dieſe Wirkungen oder Spuren ſind un - ter ſich einander aͤhnlich oder unaͤhnlich, einerley oder ver - ſchieden, ſo wie es ihre Urſachen, nehmlich jene vorher - gegangene Modifikationen und Zuſtaͤnde geweſen ſind, von welchen ſie zuruͤckgelaſſen worden ſind.
Aus dieſen Verhaͤltniſſen und Bezeichungen der hin - terbliebenen Spuren, gegeneinander, und auf die vor -herge -14I. Verſuch. Ueber die Naturhergegangene Modifikationen, die als ihre Urſachen an - zuſehen ſind, entſpringet ihre Analogie mit dieſen letz - tern. Dieſe Analogie beſtehet in einer Einerleyheit der Verhaͤltniſſe und Beziehungen deßen was in einem Dinge iſt, unter ſich, mit den Verhaͤltniſſen und Bezie - hungen, welche die Beſchaffenheiten eines andern Dinges auf einander haben. Die analogiſchen Dinge entſpre - chen einander, wie Zeichen und Bilder den bezeichne - ten und abgebildeten Gegenſtaͤnden.
3) Ob alle einzelne Modifikationen der Seele in ihr dergleichen bleibende Folgen hinterlaſſen oder nicht? wird durch Beobachtungen allein wohl nicht zur Gewiß - heit gebracht werden. Aber es iſt außer Zweifel, daß es in ſolchem Falle geſchehe, wo wir Vorſtellungen erhalten.
Einige Zuſtaͤnde haben ſolche Spuren hinterlaſſen, welche die Seele durch ihre innere Kraft in ſich unterhal - ten, oder doch aus ſich ſelbſt wieder hervorziehen kann, wenn gleich ihre erſten Urſachen ſelbſt aufgehoͤret haben, uns gegenwaͤrtig zu ſeyn. Wenn die erſten Modificationen, von denen ſolche Spuren zuruͤckgeblieben ſind, nicht mehr da ſind, ſo kann die Seele ſelbſtthaͤtig ſolche in ſich ge - wiſſermaßen nachbilden, indem ſie die von ihnen zuruͤck - gebliebenen Abdruͤcke wiederum hervorziehen, und die erſten Zuſtaͤnde, obgleich in einem geſchwaͤchten und oft unmerklichen Grade, aus ſich ſelbſt wieder erneuern, und ſich gegenwaͤrtig darſtellen kann. Dieß geſchieht, indem ich mich mit den Vorſtellungen von Perſonen beſchaͤftige, mit denen ich geſtern zu thun gehabt habe. Jch ſehe jetzo nicht, was ich damals ſahe; ich hoͤre die derzeitigen Toͤne nicht mehr; ich befinde mich nicht in der Lage und in den Umſtaͤnden, worunter ich geſtern war: aber ich bilde den geſtrigen Zuſtand in mir nach; ich erneuere ihn, und zwar durch eine mir innerlich beywohnende Kraft eigenmaͤchtig, durch meine Selbſtthaͤtigkeit. Dieß geſchieht, indem ich die von ihnen zuruͤckgebliebenenWirkun -15der Vorſtellungen. Wirkungen wieder hervorbringe und mir jetzo gegen - waͤrtig mache.
4) Hieraus iſt es offenbar, daß eine Menge Spu - ren oder Abdruͤcke von vorhergegangenen Veraͤnderun - gen, jede ungemiſcht und abgeſondert von andern, in der Seele ſich erhalten haben muͤſſen. Verſchiedene Ver - aͤnderungen haben verſchiedene Abdruͤcke hinterlaſſen, eben ſo verſchieden unter ſich als ihre Originale. Dieß iſt eine gewiſſe Deutlichkeit in den Spuren. Sie zei - get ſich zum wenigſten alsdenn, wenn die Spuren ſelbſt bis dahin wieder hervorgezogen werden, daß wir ſie in uns gewahrnehmen.
5) Solche Spuren ehemaliger Veraͤnderungen muß es in der Seele geben, auch dann, wenn ſie nicht hervorgezogen werden. Wenn ich gleich zu einer Zeit an den Mond nicht denke; ſo habe ich doch eine gewiſſe aus der Empfindung des Mondes hinterbliebene Folge, oder eine Spur in mir, die ich, ohne den Mond von neuen anzuſchauen, wieder erneuren kann. Worinne beſtehet aber dieſer gleichſam zuruͤckgelegte Abdruck von jener Empfindung, welcher im Gedaͤchtniß ruhet? und worinn iſt ſolcher von der wieder erweckten Nach - bildung des Mondes unterſchieden? Jſt jener etwan ei - ne bloſſe Dispoſition, ein bloßes Vermoͤgen, oder eine naͤhere Anlage, oder Aufgelegtheit, ſo eine der Empfin - dung aͤhnliche Modifikation wieder erwecken zu koͤnnen? und worinn beſteht denn eine Dispoſition? oder iſt es dieſelbige Veraͤnderung, die ehedem da war, welche in meinem Jnnern unterhalten worden iſt, ſo wie ſie aus der erſten Empfindung zuruͤckblieb? iſt ſie niemalen wie - der verloſchen geweſen, und hatte ſie nur etwas von ih - rer Staͤrke und Lebhaftigkeit verloren, was ſie haben mußte, um als eine gegenwaͤrtig vorhandene wahrgenom - men zu werden; iſt ſie alſo allein an Graden und Stu - fen von der wieder erweckten, die man in ſich wahrneh -men16I. Verſuch. Ueber die Naturmen kann, wenn man an das Objekt denket, unterſchie - den? Sie war, wie einige ſich ausdruͤcken, wieder ein - gewickelt, als ſie in dem Gedaͤchtniß ruhig lag, und wird wieder entwickelt oder ausgewickelt, wenn die Einbildungskraft ſie in der Geſtalt darſtellet, in der wir ſie erkennen, und uns durch ſie an den empfundenen Ge - genſtand erinnern koͤnnen. Aber alle Ausdruͤcke, womit wir dieſe Zuſtaͤnde der Vorſtellungen in uns zu bezeich - nen ſuchen, ſind metaphoriſche Ausdruͤcke. Wor - rinn beſteht das eigentliche in der Sache ſelbſt? Eine Frage, die die Beobachtung unmittelbar nicht entſchei - den kann. Was wir hieruͤber wiſſen ſollen, muß durch Schluͤſſe heraus gebracht werden; und dahero will ich es hier uͤbergehen. Es ſey, wie ihm will; ſo iſt es in allen Faͤllen nicht nur eine aus einer vorhergegangenen Veraͤnderung zuruͤckgebliebene Spur; ſondern es iſt auch eine ſolche, welche von der ſelbſtthaͤtigen Kraft der See - le wiederum hervorgebracht, und mit mehr oder minde - rer Muͤhe, voͤlliger oder mangelhafter ausgedruckt, mit ſtaͤrkerer oder geringerer Helligkeit gegenwaͤrtig wieder dargeſtellet werden kann, ohne daß ihre erſte Urſache, oder der erſte Zuſtand, von dem ſie entſtanden iſt, wie - derum vorhanden ſeyn doͤrfe. Dieſe Spuren ſind eine Art von Zeichnungen, welche die Seele von ihren Veraͤnderungen in ſich aufbehaͤlt, und eigenmaͤchtig aus ihrem Jnnern, wenn ſie ſich ihrer bedienen will, wieder hervorzieht. Jn ihnen ſieht ſie den vorigen und nun ver - gangenen Zuſtand, als in einer Nachbildung, die von ihm uͤbrig geblieben iſt.
6) Solche von unſern Modifikationen in uns zuruͤckgelaſſene, und durch ein Vermoͤgen, das in uns iſt, wieder hervorzuziehende oder auszu - wickelnde Spuren machen unſere Vorſtellun - gen aus. Sie ſtellen jene Zuſtaͤnde, oder deren ent - ferntere Urſachen wieder dar; genug, es ſind Vorſtel -lun -17der Vorſtellungen. lungen von andern Gegenſtaͤnden; Modifikationen, die etwas anders abbilden, und, wenn ſie gegenwaͤrtig ſind, nicht ſowohl ſich ſelbſt, als ihre Gegenſtaͤnde uns ſehen und erkennen laſſen.
Und alles was wir eine Vorſtellung von irgend etwas nennen, das beſtehet aus ſolchen Modifikationen unſers Weſens, welche auf andere vorhergegangene Ver - aͤnderungen ſich auf die geſagte Weiſe beziehen. Vor - ſtellungen von koͤrperlichen aͤußerlichen Gegenſtaͤnden, von uns ſelbſt, von unſerm Denken und Wollen, von Ver - moͤgen, von Thaͤtigkeiten; Vorſtellungen von gegenwaͤr - tigen Dingen, von vergangenen, und, ſo weit wir der - gleichen haben, auch von zukuͤnftigen; alle ohne Ausnah - me ſind ſolche von vorhergegangenen Zuſtaͤnden in uns zuruͤckgebliebene und wieder erweckbare Spuren. Sind ſie es nicht im Ganzen in der Geſtalt, in der ſie wieder als gegenwaͤrtig hervortreten; ſo ſind ſie doch aus Spu - ren ſolcher Art zuſammengeſetzt. Jene ſind die ur - ſpruͤnglichen Grundvorſtellungen; dieſe letztern kann man uͤberhaupt unter dem Namen der abgelei - teten begreifen.
Dieſe Beziehung der Vorſtellungen auf an - dere vorhergegangene Modifikationen iſt der weſentliche Charakter von ihnen. Die Vorſtel - lungen gehoͤren ſelbſt auch zu unſern Modifikationen; aber dieß iſt ihre Eigenheit, woran ſie unter den uͤbrigen Veraͤnderungen der Seele auszukennen ſind. Die Freu - de, die Hofnung, und die Begierde, ſind an ſich nicht Vorſtellungen. Aber wenn wir vermittelſt ihrer uns die aͤhnlichen Empfindniße und Zuſtaͤnde bey andern Menſchen vorſtellen; ſo haben wir jene Zuſtaͤnde ſelbſt nicht mehr in uns; ſo ſind es ihre in uns hinterlaſſene ihnen entſprechende Folgen, die durch die Eigenmacht der Seele wieder hervorgebracht und entwickelt ſind. I. Band. BAls -18I. Verſuch. Ueber die NaturAlsdenn ſind ſie fuͤr uns Abbildungen von andern Dingen.
Auf die Wand eines verfinſterten Zimmers faͤllt ein Bild von der Sonne durch die gegen uͤber gemachte Oef - nung; wird die Oefnung wiederum verſchloſſen, ſo iſt nichts auf der Wand von jenem Bilde zuruͤckgeblieben. Wenn das Waſſer, worinnen ein Stein geworfen wird, in runden Kraiſen aufwallet, und wieder zu ſeinem vo - rigen Ebenſtand zuruͤcke faͤllt; ſo iſt keine Spur mehr von den gemachten Kraiſen vorhanden, ſo wenig, als von dem Lauf des Schiffes in den Wellen, wenn ſich der Schaum zerſtreuet hat. Eine Saite hoͤret auf zu zittern, die vorhero angeſchlagen war, und kommt wie - der zu ihrer erſten Lage zuruͤck. Hier ſind weder das Bild an der Wand, noch der Krais im Waſſer, noch die Schwingungen in der Saite Vorſtellungen. Es giebt keine bleibende Folgen von ihnen in den Dingen, die ſolche Veraͤnderungen in oder an ſich erlitten haben. Aber wenn es auch ſolche giebet; wenn die einmal ge - ſchlagene Saite auch dadurch eine Leichtigkeit empfaͤngt, kuͤnftig wiederum auf dieſelbe Art zu ſchwingen, und ſchneller zu ſchwingen, die ſie wirklich in einem gewiſſen Grade empfaͤnget; ſo kann ſie von ihrer empfangenen oder geſtaͤrkten Dispoſition zum Schwingen, doch nicht aus ſich ſelbſt wiederum zu einem wirklichen Schwung hinuͤbergehen. Soll ihr voriger Zuſtand in ihr erneuret werden; ſo muß ſie wiederum von neuem angeſchlagen oder angeſtoßen werden, wie vorher. Sie muß von neu - em alſo gebildet werden, wie ſie es vorher war; ſie ſelbſt kann ſich nicht nachbilden. Sie hat alſo keine Vorſtel - lungen, wie die menſchliche Seele hat.
7) Ob dieſe Vorſtellungen, dieſe bleibende Spuren, Dispoſitionen oder Abdruͤcke vorhergegangener Veraͤnde - rungen in dem organiſirten Gehirn ſich befinden, in dem ſenſorio communi, in den innern Organen, in derVor -19der Vorſtellungen. Vorſtellungs - und Denkungsmaſchine, wie Hr. Bon - net und Hr. Search glauben? ob ſie allein nur in die - ſem koͤrperlichen Theil unſers Jchs? nichts mehr als ideae materiales ſind? und was ſie daſelbſt ſind? ob ſie in wirklichen fortdaurenden Bewegungen beſtehen, die ſchwaͤcher als die erſten Eindruͤcke, aber ihnen aͤhnlich ſind? oder ob ſie nur Dispoſitionen, Tendenzen, Leich - tigkeiten gewiſſe Bewegungen anzunehmen ausmachen? und was es denn mit ſolchen Dispoſitionen in den koͤrper - lichen Fibern fuͤr eine Beſchaffenheit habe? oder ob ſie ſelbſt in dem unkoͤrperlichen Weſen, das wir die Seele nennen, ihren Sitz haben; Beſchaffenheiten, Beſtim - mungen, Einſchraͤnkungen, Dispoſitionen, neue Anla - gen ihrer Kraft, ideae intellectuales ſind? oder ob in beiden in der Seele und in ihrem Organ, zugleich ſo etwas zuſammengehoͤriges vorhanden ſey; eine idea materialis im Gehirn, eine idea intellectualis, oder Seelenveraͤn - derung in der Seele ſelbſt? und ob dann dieſe letztere ei - gentlich das iſt, was wir die Vorſtellung nennen? Wel - che Fragen! Nach einer Menge von Vergleichungen und Schluͤſſen kann man nur wahrſcheinlich machen, daß es koͤperliche Beſchaffenheiten in dem Gehirn wirklich ge - be, wenn Vorſtellungen vorhanden ſind. Worinnen ſie beſtehen, das gehoͤret zu den verborgenſten Geheim - nißen der Natur, woruͤber man vieles muthmaaßen und dichten, aber wenig beweiſen kann. Hievon an ei - nem andern Ort. Eine Phyſik der Seele, die auf Be - obachtungen gegruͤndet ſeyn ſoll, muß nicht damit an - fangen, daß ſie die Vorſtellungen in die Fibern des Ge - hirns hinſetzet; allenfalls kann ſie damit endigen. So viel iſt indeſſen eine reine Beobachtung. Die Vorſtel - lungen ſind in uns, in dem denkenden Menſchen, in dem Eins was wir das vorſtellende Weſen, die Seele, das Seelenweſen, nennen. Mehr gehoͤret nicht zu den Grundſaͤtzen der Erfahrung.
B 28) Die20I. Verſuch. Ueber die Natur8) Die Analogie der Vorſtellungen mit den Ver - aͤnderungen der Seele, aus welchen ſie zuruͤckgeblieben ſind, machet ſie geſchickt, Zeichen und Bilder von dieſen zu ſeyn. Sie entſprechen ihnen. Daraus folget nicht, daß ſie auch voͤllig gleichartige Modifikationen mit den ehemaligen Veraͤnderungen ſeyn muͤſſen. Sie ſind es die meiſten male, wenn ſie wieder erwecket wor - den und in uns lebhaft gegenwaͤrtig, und dann oͤfters nur in einem mindern Grade der Lebhaftigkeit von je - nen unterſchieden ſind. Man uͤbereile ſich nicht, und ſchließe nicht, daß ſie es allemal ſo ſind, noch weniger, daß ſie es ſeyn muͤſſen. Die Beziehung der Vorſtel - lungen auf ihre vorhergegangenen Modifikationen iſt die allgemeine Analogie zwiſchen Wirkungen und Urſachen. Sie darf auch nicht naͤher beſtimmet wer - den, als dieſe, wenn man ſie ſich alſo gedenken will, wie ſie im Allgemeinen bey allen Arten von Vorſtellungen angetroffen wird. Eine ſolche Analogie enthaͤlt nichts mehr, als eine Jdenditaͤt in den Beziehungen. Jede Beſchaffenheit der Wirkung beziehet ſich auf eine gewiſſe Beſchaffenheit in der Urſache, welche die ihr zu - gehoͤrige oder die ihr entſprechende genennet wird. Die Verhaͤltniſſe und Beziehungen, worinnen die Be - ſchaffenheiten der Wirkung gegen einander ſtehen, ſind aber dieſelbigen, welche zwiſchen den ihnen entſprechen - den Beſchaffenheiten in der Urſache ſtatt finden. Dieß hindert nicht, daß nicht die Urſache und ihre Wirkung unvergleichbare und ungleichartige Dinge ſind, die unter keinem beſtimmten gemeinſchaftlichen Begriff befaſſet werden koͤnnen. Es iſt die Analogie nur blos Einer - leyheit in den Verhaͤltniſſen der Beſchaffenhei - ten; nicht die Aehnlichkeit der abſoluten Beſchaffenhei - ten ſelbſt. Nicht die ganze Aehnlichkeit eines Lamms mit dem Mutterſchaaf; nur die Aehnlichkeit der Statue von Stein oder Metall mit dem thieriſchen undbeſeel -21der Vorſtellungen. beſeelten Koͤrper des Menſchen, welche ſie abbildet; nur ſo eine Aehnlichkeit, wie die Figur von dem Welt - gebaͤude, auf dem Papier mit ihrem Gegenſtande, dem Weltgebaͤude hat; nur ſo eine iſt in der Analogie be - griffen.
9) Die Veraͤnderungen der Seele, von welchen ſol - che Spuren in uns zuruͤck geblieben ſind, haben wieder - um ihre Urſachen, entweder in uns ſelbſt, in andern vorhergegangenen Zuſtaͤnden, oder außer uns gehabt. Sie beziehen ſich alſo auch auf die nemliche, aber ent - ferntere Art, auf die Urſachen jener Veraͤnderungen. Die ſinnlichen Eindruͤcke, welche uns durch das Ge - ſicht zugefuͤhret werden, entſprechen den verſchiedenen aͤußern Gegenſtaͤnden, von denen ſie in uns verurſachet werden; der Eindruck von dem Mond, dem Mond; der Eindruck von der Sonne, der Sonne u. ſ. w. dahe - ro kann zwiſchen den Vorſtellungen, die ſich nur zu - naͤchſt auf vorhergegangene Eindruͤcke beziehen, und zwiſchen den aͤußern Dingen, welche die Urſachen von jenen Eindruͤcken ſind, mittelbar dieſelbige Analogie ſtatt finden, die den Vorſtellungen in Hinſicht auf die Ein - druͤcke unmittelbar zukommt. Alſo koͤnnen die Vorſtel - lungen auch Zeichnungen und Abbildungen von den Ur - ſachen ſolcher Veraͤnderungen abgeben, von welchen die Spuren in uns hinterlaſſen ſind.
10) Dieß erſchoͤpfet noch nicht die ganze zeichnen - de Natur der Vorſtellungen. Sie ſind nicht bloß ſolche Veraͤnderungen, welche wir wegen ihrer Analogie mit andern Dingen, mit Bequemlichkeit als Zeichen und Bilder dieſer Dinge gebrauchen koͤnnen, und beſſer gebrauchen koͤnnen, als jedes andere in uns; das nicht allein, ſondern ſie haben uͤber dieß etwas an ſich, was uns ſo zu ſagen, von ſelbſt die Erinnerung giebet, daß ſie Zeichen von andern Dingen ſind, uns auf andere von ihnen ſelbſt unterſchiedene Sachen, als GegenſtaͤndeB 3hinwei -22I. Verſuch. Ueber die Naturhinweiſet, und dieſe durch ſie und in ihnen ſehen laͤßt. Hier, in dieſer Beſchaffenheit der Vorſtellungen lieget der Grund von unſerm natuͤrlichen Hang zu glauben, nicht, daß wir mit Bildern und Vorſtellungen von Sa - chen zu thun haben, wenn wir an dieſe denken, ſondern daß es die Sachen ſelbſt ſind, die wir erkennen, ver - gleichen, und mit welchen wir beſchaͤftiget ſind.
11) Ob wir gleich durch die Vorſtellungen andere vorgeſtellte Objekte erkennen; ſo koͤnnen wir doch auch jene Bilder ſelbſt in uns gewahrnehmen und bemerken. Woher wiſſen wir ſonſten, daß ſie in uns vorhanden ſind? Aber dieß Gewahrnehmen iſt eine eigene Thaͤtig - keit unſrer Seele und ihrer Gewahrnehmungskraft, wel - che alsdenn gleichſam auf uns ſelbſt zuruͤckgebogen wird, und in ein Selbſtgefuͤhl uͤbergehet. Es iſt ein anders, die Vorſtellung einer Sache in ſich aufnehmen, die Sa - che nachbilden, die Nachbildung in ſich aufbehalten, ſie wieder hervorziehen; und ein anders, die Vorſtellung und dieſe Thaͤtigkeiten und deren Wirkungen in ſich fuͤh - len, und beobachten.
12) Die urſpruͤnglichen Vorſtellungen entſte - hen in uns von unſern Veraͤnderungen und Zuſtaͤnden, wenn dieſe gegenwaͤrtig in uns vorhanden ſind, und ge - fuͤhlet und empfunden werden, das iſt, von unſern Empfindungen. Ob dieſe letzt erwaͤhnte Bedingung uͤberall erfordert werde? ob wir etwan jedwede gegen - waͤrtige Modifikation fuͤhlen und empfinden? oder ob doch insbeſondere bey denen ein Gefuͤhl hinzukommen muͤſſe, welche ſich bis dahin in uns eindruͤcken ſollen, daß ſie bleibende Spuren hinterlaſſen? oder ob auch wohl Nachbildungen in uns zuruͤckbleiben, oder doch zu - ruͤckbleiben koͤnnen, wenn gleich ihre gegenwaͤrtige Mo - difikationen entſtanden und vergangen ſind, ohne em - pfunden zu ſeyn, oder doch ohne bis zum Gewahrnehmen empfunden zu ſeyn, das ſind Fragen, die ich hier un -entſchie -23der Vorſtellungen. entſchieden laſſen, und die man vielleicht am Ende mit mehrern andern unentſchieden laſſen muß. Jede Un - terſuchung uͤber wirkliche Gegenſtaͤnde endiget ſich in ſol - che Fragen, die unſere Bekenntniſſe ſind, daß man in das unermeßliche Feld des Unbekannten zwar mit Be - dacht hineingeſehen habe, aber nichts helle und deutlich genug bemerken koͤnne.
Die erſten urſpruͤnglichen Vorſtellungen will ich Empfindungsvorſtellungen nennen. Sie ſind Bilder oder Vorſtellungen, wie man ſie aus der Em - pfindung der Sachen erlanget, und ſtellen die Sachen dar, wie ſie empfunden werden. Wenn ſolche Vorſtel - lungen nach einiger Zeit wieder hervorgezogen werden, ohne daß ihre Empfindungen vorhanden ſind; ſo koͤnnen ſie noch ebendieſelbigen Zuͤge an ſich haben, die ſie vor - her an ſich hatten, und alſo noch jetzo die Objekte ſo vor - ſtellen, wie dieſe empfunden worden ſind. Die er - ſten Empfindungsvorſtellungen, die waͤhrend| der Empfindung in uns entſtehen, und erhalten werden, ſind die Nachempfindungen; ſie ſind das, was von den Philoſophen Empfindungen genennet wird, wenn man Empfindungen zu den Vorſtellungen hinrechnet. Es iſt in ihnen etwas eigenes, und unter dieſem ein ei - gener Grad der Lebhaftigkeit, der alsdenn fehlet, wenn ſie in der Abweſenheit ihrer Gegenſtaͤnde wieder hervor - kommen.
13) Die Seele beweiſet ſich auf verſchiedene Ar - ten wirkſam bey den urſpruͤnglichen Vorſtellungen. Wenn dieſe einmal in uns ſo klar ausgedruckt vorhanden ſind, daß ſie bemerket werden koͤnnen; ſo verlieren ſie zuweilen dieſe objektiviſche Klarheit wieder, wickeln ſich wieder ein, wie wir ſagen, und entziehen ſich dem Be - wußtſeyn. Einige moͤgen ſich gaͤnzlich aus der Seele verlieren, oder doch ſo weit ſich verlieren, daß ſie durch ihre Eigenmacht aus ihr ſelbſt nicht wieder erneuret wer -B 4den24I. Verſuch. Ueber die Naturden koͤnnen. Alsdenn muͤſſen ſie von neuem aus eben ſolchen Zuſtaͤnden erzeuget werden, woraus ſie das er - ſtemal entſtanden ſind, wenn ſie wiederum in ſie hinein gebracht werden ſollen. Sie hoͤren alsdenn auch auf, Vorſtellungen zu ſeyn. Jch ſage, ſo etwas mag geſche - hen. Wir haben Erfahrungen, die es lehren, mit wel - cher faſt unglaublichen Feſtigkeit die einmal angenomme - ne und tief genug eingedruckte Vorſtellungen in dem Jn - nern der Seele ſich erhalten, und wie leicht man ſich ir - ren koͤnne, wenn man ſie darum ſchon fuͤr voͤllig verlo - ſchen haͤlt, weil etwa die Seelenkraft bey ihrer gewoͤhn - lichen Anſtrengung ſie nicht bis zum Bemerkbarwerden wieder entwickeln kann. Aber ſo viel iſt offenbar, daß eine große Menge von ihnen zwar verdunkelt oder einge - wickelt, aber auch durch die Eigenmacht der Seele wie - der hervorgezogen, und beobachtbar gemacht werden kann. Dahero ſchreiben wir der Seele, nicht nur ein Vermoͤgen, Vorſtellungen in ſich aufzunehmen (facultas percipiendi) eine Faſſungskraft, zu, ſondern auch ein Vermoͤgen, ſie wieder hervorzuziehen, eine Wieder - vorſtellungskraft, die man gewoͤhnlich die Phanta - ſie oder die Einbildungskraft nennet, welche letztere Benennungen dieß Vermoͤgen, in ſo ferne es bildliche Empfindungsvorſtellungen erneuert, am eigentlichſten bezeichnet.
14) Die urſpruͤnglichen Vorſtellungen ſind die Materie und der Stof aller uͤbrigen, das iſt, aller abgeleiteten Vorſtellungen. Die Seele beſitzet das Vermoͤgen, jene auseinander zu legen, zu zertheilen, von einander abzutrennen, und die einzelne Stuͤcke und Beſtandtheile wieder zu vermiſchen, zu verbinden und zuſammenzuſetzen. Hier zeiget ſich ihr Dichtungsver - moͤgen, ihre bildende, ſchaffende Kraft, und aͤußert ſich auf ſo mannigfaltige Arten, als die ſchaffende Kraft der koͤrperlichen Natur, die ſich zwar keinen neuenStof,25der Vorſtellungen. Stof, keine neue Elemente erſchaffen kann, aber durch eine Aufloͤſung der Koͤrper, welche weiter gehet, als wir mit unſern Sinnen reichen koͤnnen, und durch eine neue Vermiſchung eben ſo unſichtbarer Partikeln, neue Koͤr - perchen und neue Geſchoͤpfe darſtellet, die noch fuͤr un - ſere Sinne einfach ſind. Man umfaſſet die ganze Macht dieſes bildenden Vermoͤgens der Seele nicht, wenn man die Aufloͤſung und die Wiedervermiſchung der Vorſtel - lungen dahin einſchraͤnket, daß ſie bey jenen nur bis auf ſolche Beſtandtheile gehen koͤnne, die man einzeln genom - men kennen muͤßte, wenn ſie abgeſondert, jedes fuͤr ſich, dem Bewußtſeyn vorgehalten wuͤrden, und das Vermi - ſchen der Vorſtellungen als ein Zuſammenſetzen aus ſol - chen Theilen anſiehet, die einzeln genommen bemerkbar ſind. Dieß iſt, wie ich wohl weiß, die gewoͤhnlichſte Jdee, von dem Dichtungsvermoͤgen. Man glaubet naͤmlich, jede ganze Erdichtung muͤſſe in ſolche Theile zer - leget werden koͤnnen, die einzeln in den erſten urſpruͤng - lichen Vorſtellungen, (oder auch in ihren Empfindungen) von einer bemerkbaren Groͤße vorhanden geweſen ſind. Jch will unten Beobachtungen anfuͤhren, welche, wie ich meine, etwas mehreres beweiſen. Die Schaf - fungskraft der Seele geht weiter. Sie kann Vorſtel - lungen machen, die fuͤr unſer Bewußtſeyn einfach, und dennoch keinen von denen aͤhnlich ſind, die wir als die einfachſten Empfindungsvorſtellungen antreffen. Sie kann alſo in dieſer Hinſicht neue einfache Vorſtellungen bilden. Der Stof zu allen Vorſtellungen iſt dennoch allemal in den Empfindungsvorſtellungen enthalten; aber er iſt zuweilen in den fuͤr uns einfachen Empfindungen verſteckt geweſen, oder, wenn das auch nicht iſt, ſo iſt durch die Vereinigung mehrerer einfacher Empfindungs - vorſtellungen zu einer neuen Vorſtellung eine ſo innige Miſchung entſtanden, daß das entſtandene Produkt das Anſehen einer neuen einfachen Vorſtellung erhaltenB 5hat.26I. Verſuch. Ueber die Naturhat. Aus der Miſchung der gelben und der blauen Lichtſtrahlen in dem Prismatiſchen Sonnenbild entſtehet ein gruͤnes Licht, welches von dem einfachen Gruͤnen dar - inn unterſchieden iſt, daß es in blaue und gelbe Strah - len wieder zertheilet werden kann; die urſpruͤnglich gruͤ - nen Strahlen ſind dagegen unaufloͤslich. Aber den - noch iſt es fuͤr unſere Empfindung ein einfaches Gruͤn. Etwas aͤhnliches laͤßt ſich in unſern Vorſtellungen an - treffen.
Alle dieſe Aeußerungen und Thaͤtigkeiten in Hinſicht der Vorſtellungen begreifet man unter den vorſtellen - den Thaͤtigkeiten, und ſchreibet ſie der vorſtellenden Kraft zu. Die Vorſtellungskraft iſt alſo ein Haupt - aſt, der in die ſchon erwaͤhnte verſchiedene Vermoͤgen, Vorſtellungen anzunehmen, ſie wiederhervorzuziehen, und ſie umzubilden, das iſt, in das Perceptionsvermoͤ - gen, in die Einbildungskraft, und in das bildende Dichtungsvermoͤgen, als in ſo viele Zweige ausſchieſ - ſet. Jch habe es nicht unbequem gefundeu, die unter - ſchiedenen Ausbruͤche der vorſtellenden Kraft in dieſe drey Klaſſen zu zertheilen. Jede kuͤnſtliche Abtheilung von der Mannigfaltigkeit der Natur, hat ſonſten ihre Luͤcken und muß ſie haben, woferne nicht etwa die Klaſ - ſen durch nothwendig ſich ausſchließende Merkmale ge - zeichnet ſind, in welchem Fall aber eine oder die andere umbeſtimmter charakteriſirt wird, als man ſie haben will.
15) Aus den Vorſtellungen werden Jdeen und Gedanken. Fuͤr ſich ſind ſie dieß nicht. Das Bild von dem Mond iſt nur die Materie zu der Jdee von dem Mond. Es fehlet ihm noch die Form: die Jdee ent - haͤlt außer der Vorſtellung ein Bewußtſeyn, ein Gewahrnehmen und Unterſcheiden, und ſetzet Verglei - chungen voraus, und Urtheile, ſobald wir ſie als eine Jdee von einem gewiſſen Gegenſtande anſehen. Dieſeletztern27der Vorſtellungen. letztern ſind Wirkungen des Gefuͤhls und der Denk - kraft, die zum wenigſten in Gedanken, von der Vor - ſtellung abgeſondert werden koͤnnen, wenn ſie gleich in der Natur innig mit ihnen verbunden ſind. Eine ſol - che Sonderung in Gedanken iſt noͤthig, wenigſtens im Anfange, um dasjenige, was die Vorſtellungen allein angehet, deſto ungeſtoͤrter uͤberlegen zu koͤnnen. Die Seele mag Bilder von den Gegenſtaͤnden haben, mag dieſe weglegen und wieder entwickeln, mag ſie verbinden und trennen, und bearbeiten, wie ſie will; ſo iſt dieß alles noch etwas anders, als dieſe Bilder in ſich ge - wahrnehmen, ſie fuͤr das erkennen, was ſie ſind, und ſie zu dem Zweck gebrauchen, zu dem ſie beſtimmet ſind. Die Vorwuͤrfe, die man ſolchen philoſophiſchen Ab - ſtraktionen der Seelenvermoͤgen gemacht hat, werden hier, wie ich meyne, ſo wenig anpaſſen, als bey jeder andern philoſophiſchen Unterſuchung. Sie ſind nichts als Ausſonderungen irgend eines oder des andern Punkts zu einer beſondern naͤhern Betrachtung. Sie ſind un - entbehrlich fuͤr uns, ſobald es nicht ſowohl um glaͤnzende und blendende Verwirrung, als um aufklaͤrende Deut - lichkeit in der Erkenntniß zu thun iſt.
Die bisher angefuͤhrten Saͤtze enthalten die ganze Lehre von den Vorſtellungen in einem kurzen Entwurf. Die mehreſten von ihnen ſind eben ſo bekannt, als ge - wiß. Aber laͤſſet ſich daſſelbige von allen ſagen? Ei - nige Punkte beduͤrfen noch einer weitern Erlaͤuterung, und dieſe will ich hinzuſetzen. Wie viel oder wenig ei - nem oder dem andern meiner Leſer noch undeutlich oder unbekannt ſeyn mag, das kann ich nicht wiſſen. Man - ches iſt auch fuͤr ſich etwas Bekanntes, aber nicht in ſei - nem ganzen Umfange. Jch habe mich in dem, was ich noch ſagen werde, nach meiner Abſicht und nach dem Beduͤrfniſſe gerichtet, das ich ſelbſt in mir fand, als ich die pſychologiſchen Schriften, die ich fuͤr klaſſiſch anſehe,durch -28I. Verſuch. Ueber die Naturdurchgedacht hatte, und den Vorſatz faßte, noch ein - mal die Natur der Vorſtellungen fuͤr mich zu unterſu - chen.
Der erſte weſentliche Charakter der Vorſtellungen iſt, daß ſie zuruͤckgelaſſene bleibende Folgen an - derer vorhergegangener Seelen-Veraͤnderungen ſind. Dieß iſt auch die Grundidee von ihnen in dem Syſtem des Hrn. Bonnets; nur mit dem Unterſchied, daß Hr. Bonnet dieſe Folgen oder Abdruͤcke ins Gehirn hinſetzet. Jn den Fibern des Organs ſoll die ſinnliche Bewegung, wenn wir empfinden, eine gewiſſe Dispoſi - tion hinterlaſſen, wodurch die einmal ſo modificirte Fiber in ihre vorige Bewegung durch eine Urſache wieder ver - ſetzet werden kann, die innerlich in ihr iſt, ohne daß ein Eindruck von außen, wie das erſtemal, dazu erfodert werde. Wenn die Dispoſition wieder rege gemacht, und die vorhergegangene ſinnliche Bewegung, obgleich in einem ſchwachen Grade, erneuret wird; ſo iſt der Seele, der thaͤtigen Kraft des Gehirns, eine Vorſtel - lung gegenwaͤrtig. Ueber dieſen Sitz der Vorſtellung entſcheide ich hier nichts. Es ſey und geſchehe alles das im Gehirn, was Hr. Bonnet ſich darinn vorſtellet: Jch ſehe es ſo an, als wenn es in dem vorſtellenden Ganzen iſt, und nenne dieſes Ganze hier die Seele.
Hiezu kommt eine andere Verſchiedenheit. Hr. Bonnet nahm den Weg der Hypotheſe. Er nahm willkuͤhrlich ſeine Grundſaͤtze an, und erklaͤrte daraus diebeobach -29der Vorſtellungen. beobachteten und zergliederten Vorſtellungen. Jch habe den Weg der Beobachtung gewaͤhlet; der doch ſiche - rer, wenn gleich etwas laͤnger iſt. Beydes bey Seite geſetzet; ſo ſahe Hr. Bonnet die Beziehung auf eine vorhergegangene Veraͤnderung, als ein Unterſcheidungs - merkmal der Vorſtellungen an, wie ſie es iſt. Da - durch wird vieles unnoͤthig, was hieruͤber ſonſt zu ſagen waͤre; da ich nicht wiederholen will, was dieſer ſcharf - ſinnige Mann deutlich und auffallender, als ich es thun kann, auseinander geſetzet hat.
Aber iſt dieſe Eigenſchaft eine Eigenſchaft aller Vorſtellungen? Auch bey den Vorſtellungen, die wir von unſern eignen Gemuͤthsbewegungen haben? Hiebey ſtoͤßet man auf manche Dunkelheiten, die ich nicht gerne zuruͤcklaſſen moͤchte. Um es zur Evidenz zu bringen, daß es aus unſern Empfindungen zuruͤckgebliebene Spu - ren, als ihre Nachbildungen ſind, welche in allen Ar - ten von Vorſtellungen vorkommen, will ich mich der Jnduktion bedienen.
Unſere Vorſtellungen koͤnnen auf zwey allgemeine Klaſſen gebracht werden. Sie ſind entweder aus den aͤußern Empfindungen entſtanden, oder aus den innern. Zu jenen gehoͤren die Vorſtellungen aus den Geſichtsempfindungen; die Geſichtsvorſtellungen, die, ſo zu ſagen, oben an ſtehen. Dieſe Art von Em - pfindungen und Vorſtellungen ſind uns am meiſten be - kannt, und ſind es zuerſt geworden. Sie haben uns auf die Bahn gebracht, auf der wir auch die uͤbrigen Arten von Vorſtellungen kennen gelernet. Gehn wir auf ſie zuruͤck, und bemerken es da deutlich, wie die er - ſten Empfindungsvorſtellungen waͤhrend der Em - pfindung, und nachher die Einbildungen aus ihnen entſtehen; ſo haben wir ein Jdeal fuͤr die Unterſuchung bey den uͤbrigen. Und dann wird es, im Fall nicht auch bey den letztern dieſelbigen Beſchaffenheiten unmittelbarbeobach -30I. Verſuch. Ueber die Naturbeobachtet werden koͤnnen, genug ſeyn, ſo viel an ihnen anzutreffen, daß ihre Analogie mit den Geſichtsvorſtel - lungen erkannt werde. Aus dieſer iſt es denn erlaubt, ihre aͤhnliche Beziehung auf Empfindungen, und ihre aͤhnliche Natur als Vorſtellungen betrachtet, zum min - deſten mit vieler Wahrſcheinlichkeit zu beſtimmen.
Zu den Vorſtellungen des innern Sinnes ge - hoͤren 1) die Vorſtellungen, die wir von den innern Seelenzuſtaͤnden, von Luſt und Unluſt, und derglei - chen haben, die man zum Unterſchied von den uͤbrigen Gemuͤthszuſtaͤnde nennet. Wir kennen dieſe Mo - difikationen unſers Weſens, und unterſcheiden ſie von einander; Aber bey der Frage: Ob wir eine Vorſtel - lung von der Freude und von dem Verdruß haben, wie wir eine von dem Mond und dem Baum haben? ſtu - tzet mancher und iſt in Zweifel, ob er Ja oder Nein ſagen ſoll. Was iſt die Vorſtellung in dem letztern Fall? Was iſt ſie in dem erſten? Die Beobachtung und die Vergleichung muß entſcheiden. 2) Wir haben Vor - ſtellungen des innern Sinns von den Selbſtbeſtim - mungen unſerer Kraͤfte, von unſern Thaͤtigkeiten und von ihren Wirkungen; von ſolchen, die man der erkennenden Kraft der Seele zuſchreibet, von Fuͤh - len und Empfinden, von den Denkarten, und ſelbſt von den vorſtellenden Thaͤtigkeiten, imgleichen von andern Thaͤtigkeiten, Trieben, Beſtrebungen, und ih - ren Wirkungen, die auf eine Veraͤnderung unſers innern oder aͤußern Zuſtandes hinaus gehen, und die unter der gemeinſchaftlichen Rubrik der Willensaͤußerungen gewoͤhnlich zuſammen genommen werden.
Eine geſpannte Saite eines Jnſtruments faͤhret eine Weile fort, nachzuſchwingen, wenn ſie ein - mal angeſchlagen oder gedruckt worden iſt, und der Per - pendikel, welcher angeſtoßen worden iſt, ſetzet noch ſeine Schwingungen fort, ob er gleich nun nicht mehr von der Hand, die ihn anſtieß, beruͤhret wird. Die Saite nimmt in dem erſten Augenblick die Bewegung auf, und wirket zugleich zuruͤck auf den Koͤrper, der ſie anſchlaͤget, und erſchuͤttert. Dieſer Empfang der Bewegung, und die damit verbundene Ruͤckwirkung mag eine Thaͤtigkeit ſeyn, oder nur etwas leidendes; ſo iſt beydes ſchon nicht mehr vorhanden, wenn die Saite zu zittern fortfaͤhret. Der ſtoßende Koͤrper hat ſich alsdenn entfernet, und die Ruͤckwirkung hat aufgehoͤret. Jhre Bewegung in dem folgenden Augenblick iſt die Fortſetzung derjenigen, wel - che ſie von der wirkenden Kraft empfangen hat. Jene iſt ein nachgebliebener Zuſtand in der Saite, in welchem ſie nichts mehr von außen aufnimmt, und auch nicht mehr auf die aͤußere Kraft zuruͤckwirket. Da iſt alſo ein anderer von dem erſtern unterſchiedener, und weſentlich unterſchiedener Zuſtand in ihr.
Dieſe Nachſchwingungen hoͤren in der Saite allmaͤhlig auf, theils durch den Widerſtand der aͤußern Luft, theils der Hinderniſſe wegen, welche in der Stei - figkeit der Saite ſelbſt liegen. Endlich kommt die Sai - te dem Anſehen nach gaͤnzlich wiederum zu ihrer erſten Ruhe. Alsdenn iſt alle Spur des erſten Schlages ver - loſchen. So ſcheinet es wenigſtens zu ſeyn. Es iſt aber nicht voͤllig alſo. Die Kunſtverſtaͤndigen ſagen, ein Jnſtrument muͤſſe vorher recht ausgeſpielet wordenſeyn,32I. Verſuch. Ueber die Naturſeyn, ehe es ſeine Toͤne am vollkommenſten nnd reinſten angeben koͤnne. Die Saite muß auch nach einigem Ge - brauch von neuem wieder geſtimmet werden, und zuletzt verlieret ſie blos durch den allzuhaͤufigen Gebrauch den noͤthigen Grad der Elaſticitaͤt. Es muß alſo von der erſten Bewegung eine gewiſſe Wirkung in dem Koͤrper und in der Kraft der Saite zuruͤckgeblieben ſeyn, die in den einzelen Schwingungen unbemerkbar war, aber in der Folge ſich offenbarte. Gleichwohl hat die Saite, wie es oben ſchon erinnert worden iſt, keine Kraft, ſich ſelbſt, in einen ihrer vorigen Schwuͤnge wieder zu ver - ſetzen. Dieß Beyſpiel ſoll nichts beweiſen; ſondern nur auf den Unterſchied zwiſchen den Empfindungen und den Nachempfindungen, als den zuerſt entſtehenden Empfindungsvorſtellungen aufmerkſam machen.
Wir richten die Augen auf den Mond. Die Licht - ſtrahlen fallen hinein, durchkreuzen ſich in ihnen, laufen auf der Netzhaut in ein Bild zuſammen, ruͤhren den Sehenerven ſinnlich; und in dem Jnnern von uns, in der Seele, entſtehet, auf welche Art es auch geſchehe, eine Modifikation, ein Eindruck, den wir fuͤhlen. Da iſt die Empfindung des Mondes, aber noch nicht die Vorſtellung deſſelben.
Dieſe Modifikation beſtehet eine Weile in uns, wenn gleich von außen kein Lichtſtrahl mehr ins Auge hinein - faͤllt. Da iſt die Nachempfindung, oder die Em - pfindungsvorſtellung des gegenwaͤrtigen Objekts, oder auch die Empfindung ſelbſt, als eine Vorſtel - lung des Gegenwaͤrtigen betrachtet. Dieß Fortdauern des ſinnlichen Eindrucks iſt außer Zweifel. Es iſt die Urſache, warum eine ſchnell in einem Kreis herumgedre - hete gluͤende Kohle den Schein eines ganzen leuchtenden Kreiſes hervorbringet. Dieſe und andere gemeine Er - fahrungen lehren uns, daß der Eindruck, den man von einem geſehenen Gegenſtande erlanget hat, ein ge -wiſſes33der Vorſtellungen. wiſſes Zeitmoment, ohne Einwirkung der aͤußern Urſache in uns fortdauert. Man kann ſogar die Laͤn - ge dieſer Dauer in den Nachempfindungen be - ſtimmen. Wenn man ſolche nimmt, die am geſchwinde - ſten wieder vergehen, aber auch ſtark genug geweſen ſind, um gewahrgenommen zu werden; ſo iſt die kleinſte Dauer in den Geſichtsempfindungen 6 bis 7 Terzen, bey den Nachempfindungen des Gehoͤrs nur 5 Terzen und noch kuͤrzer bey den Nachempfindungen des Ge - fuͤhls. *)Die Gefuͤhlseindruͤcke dauren kaum halb ſo lange, als die Eindruͤcke auf das Gehoͤr, wie ich aus einigen Ver - ſuchen weiß, die ich hieruͤber angeſtellet habe, deren weitere Anzeige hier aber nicht her gehoͤret.
Der Augenblick, in welchem der Gedanke in uns entſteht: ich ſehe den Mond; oder der Mond ſieht ſo aus; kurz der Augenblick der Reflexion faͤllt in das Moment der Nachempfindung. Nicht waͤh - rend des erſten von außen entſtehenden Eindruckes, wenn wir noch damit beſchaͤftiget ſind, die Modifikation von außen anzunehmen und zu fuͤhlen, geſchieht es, daß wir gewahrnehmen und mit Bewußtſeyn empfinden, ſon - dern in dem Moment, wenn die Nachempfindung in uns vorhanden iſt. Die Ueberlegung verbindet ſich mit der Empfindungsvorſtellung, aber nicht unmittel - bar mit der Empfindung ſelbſt.
Man kann ſich auch gerade zu aus Beobachtungen hievon verſichern. Wenn wir z. B. die Augen ſtarr auf einen Gegenſtand hinrichten, um ſein Bild in uns aufzufaſſen; ſo denken wir in dieſem Augenblick nicht, daß wir ihn ſehen. Sobald wir uͤber den Gegenſtand reflektiren; ſo finden wir ihn zwar vor uns gegenwaͤr - tig, und ſein Bild iſt in uns, aber wir ſind nicht mehr damit beſchaͤftigt, es in uns aufzunehmen. UeberdießI. Band. Ckann34I. Verſuch. Ueber die Naturkann die Bemerkung einiger andrer Umſtaͤnde den Un - terſchied zwiſchen der erſten Empfindung und der Nachempfindung außer Zweifel ſetzen.
Bey dem Sehen iſt es entſchieden, daß der Ein - druck von dem Gegenſtande ſelbſt ſeine Zeit haben muß, ehe er helle und ſtark genug wird, um gewahrgenom - men zu werden. Die Kugel, die aus einer Buͤchſe ge - ſchoſſen wird, beweget ſich vor unſern Augen vorbey, und wird nicht geſehen, weil das Licht, das von ihr ins Auge kommt, nicht ſtark genug iſt, eine bemerkbare Nachempfindung hervorzubringen. Aus derſelbigen Ur - ſache ſehen wir die von einander abſtehende Spitzen eines gemachten Sterns alsdenn nicht, wenn der Stern ſchnell herumgedrehet wird, und allemal iſt der Schein, den ein ſchnell herumgedreheter Koͤrper verurſachet, nur ein matter Schimmer, wenn es nicht ein fuͤr ſich ſelbſt leuch - tender Koͤrper iſt. Jeder Punkt in dem Umfang des Raums, durch den die aͤußerſten Enden des Koͤrpers geſchwinde herumbeweget werden, giebt einen Schein; aber weil der Koͤrper ſich nicht lange genug in einem je - den Punkte des Raums aufhaͤlt, um lebhaft daſelbſt geſehen werden zu koͤnnen; ſo giebt er in jedem dieſer Punkte auch nur einen ſchwachen Schein von ſich. Da - hero kann auch die ſchnelleſte Vorſtellungskraft einen Ge - genſtand nicht mit Einem und dem erſten Blick ſchon faſſen; ſondern es wird eine Zeit dazu erfordert, und eine Wiederholung der erſten Eindruͤcke, wenn die nach - bleibenden Zuͤge bis zu einer gehoͤrigen Tiefe eindringen, und die noͤthige Feſtigkeit erlangen ſollen.
Hiezu kommt bey dem Sehen, daß der Eindruck nicht allein nur nach und nach, ſondern auch unterbro - chen hervorgebracht wird, ſo, daß zwiſchen den kleinern auf einander folgenden Eindruͤcken gewiſſe Momente der Zeit vergehen, waͤhrend welcher das, was in uns iſt, eine Nachempfindung iſt, oder eine beſtehende Folgevon35der Vorſtellungen. von demjenigen, was durch die vorhergegangene Ein - wirkung hervorgebracht war.
Die Nachempfindung verlieret ſich bald wieder, wenn man aufhoͤret, die Augen auf den Gegenſtand zu richten, ob ſie gleich in einigen Faͤllen, wo der Ein - druck lebhafter geweſen iſt, etwas laͤnger und merklicher als in andern fortdauret. Man wird z. B. das Bild der Sonne, wenn man ſie angeſehen hat, nicht ſogleich wieder aus den Augen los, aber es wird doch bald ſo weit geſchwaͤchet, daß dieſe Nachempfindung des zweeten Grades, wenn ich ſo ſagen ſoll, von der er - ſten, welche waͤhrend des fortgeſetzten Anſchauens vor - handen iſt, leicht unterſchieden werden kann.
Die Beobachtungen und Unterſuchungen der Optiker uͤber das Sehen, fuͤhren zu noch mehrern Bemerkun - gen uͤber die Beziehung der Nachempfindungen auf die Empfindungen, oder die erſt empfundene Ein - druͤcke, davon etwas aͤhnliches auch bey den uͤbrigen Empfindungsarten vorhanden iſt. Sehr oft haͤnget die Beſchaffenheit des Eindrucks von einer vorhergegan - genen Modifikation des Organs ab; und iſt nicht im - mer ebenderſelbige, wenn er gleich von einerley Gegen - ſtaͤnden entſpringet. Was die Nachempfindungen betrifft: ſo entſprechen ſie zwar gemeiniglich den Em - pfindungen, wovon ſie die Fortſetzungen ſind; aber es giebt auch Faͤlle, wenn z. B. die Empfindung allzu lebhaft geweſen iſt, in welchen ſie davon abweichen. So zeigen ſich z. B. zuweilen eben ſolche Farben an den Ge - genſtaͤnden in der Nachempfindung, als in der Empfin - dung geſehen worden. *)Scherffer. diff. de coloribus accidentalibus diff. Vin - dob. 1761. §. XVII. Die vom Hrn. von Buͤffon ſo ge - nannten zufaͤlligen Farben, oder die blos erſcheinende Farben gehoͤren zwar nicht alle, aber doch groͤßten - theils hieher.Und das nemliche kann inC 2den36I. Verſuch. Ueber die Naturden ſchon vorher erwaͤhnten geſchwaͤchten Bildern, die uns nach dem Anſchauen der Sonne noch eine Zeitlang vor Augen ſchweben, bemerket werden; denn dieſe ver - aͤndern ihre Geſtalten. Viele andere Erfahrungen be - ſtaͤtigen eben daſſelbige.
Die Nachempfindung, die erſte nemlich — die folgende Veraͤnderungen der Bilder bey Seite geſe - tzet — iſt die Vorſtellung, welche in der Empfindung er - zeuget wird. Und dieſe iſt alſo wenigſtens eben ſo ſehr von der Empfindung ſelbſt unterſchieden, als die Nach - ſchwingungen in einer elaſtiſchen Saite von ihrer entſte - henden Bewegung in dem erſten Augenblick ſind, da ſie der Wirkſamkeit der aͤußern Urſache noch ausgeſetzet iſt. Jn dem Augenblick, da wir empfinden, leiden wir, und wirken zuruͤck im Gefuͤhl. Aber in der Nach - empfindung wird nichts mehr angenommen, und es wird auch nicht zuruͤck gewirket, ſondern nur unterhalten, was ſchon hervorgebracht iſt. Und darum kann eben alsdenn die Seele deſto freyer mit ihrer Ueberlegungs - kraft ſich bey dem Bilde beſchaͤftigen.
Es laͤßt ſich hieraus begreifen, wie zuweilen der ſinn - liche Eindruck, und auch das Gefuͤhl deſſelben, oder die Empfindung voͤllig, ſtark, lebhaft, deutlich und ſcharf genug von andern unterſchieden ſeyn koͤnnen, ohne daß die in uns beſtehende Nachempfindung es auch ſey. Es kann die letztere verwirrt und matt ſeyn, wo die erſte Empfindung es nicht iſt. Sollte ſich derglei - chen nicht auch wirklich bey den Kindern eraͤugnen? Hat nicht vielleicht ihr innerliches Geſichtsorgan noch zu we - nig Feſtigkeit, um Eindruͤcke, die es wie ein weicher Koͤrper aufnimmt, auch die Zeit durch in ſich zu erhal - ten, als es noͤthig iſt, um feſte Empfindungsbilder zu er - langen? Mir iſt dieſes nicht unwahrſcheinlich, und das, was den Erwachſenen zuweilen unter gewiſſen Umſtaͤnden begegnet, bringt jene Muthmaßung faſt zur Gewißheit.
Die37der Vorſtellungen.Die Nachempfindungen ſind Modificationen in der Seele, ſo wie es die Emfindungen ſind. Als Nach - empfindungen ſind ſie zuruͤckgebliebene und durch innere Urſachen und Kraͤfte fortdaurende Veraͤnderungen. Hierinn ſind ſie von den ſinnlichen Eindruͤcken unter - ſchieden, als welche Wirkungen von aͤußern Urſachen ſind. Aber ſollten jene auch Seelenbeſchaffenheiten ſeyn? Sind es die Organe, und bey dem Geſicht die Sehenerven, welche durch eine ihnen beywohnende Kraft die empfangenen ſinnlichen Bewegungen, wie die Saite auf dem Jnſtrument ihre Schwingungen, fortſetzen, und ſolche der Seele zum Empfinden und Fuͤhlen vor - halten? Wenn es ſo iſt; ſo wird in der Seele die Nachempfindung und die Empfindung ſelbſt einerley ſeyn. Denn ſo kann die erſtere in der Seele nichts anders, als ein fortgeſetztes oder wiederholtes Aufnehmen des Ein - drucks ſeyn, wobey ſie ſelbſt nur ihre Reaktion gegen das Gehirn, oder ihr Gefuͤhl fortſetzet, ohne in ſich durch ihre Selbſtthaͤtigkeit etwas zu unterhalten. Oder| iſt die Nachempfindung, in ſo ferne ſie eine unterhaltene Folge des Eindrucks iſt, vielmehr in der Seele? Giebt dieſe etwa die thaͤtige Kraft dazu her? Oder endlich, iſt ſie in beiden zugleich? Das erſte iſt ein Princip in dem Syſtem des Hrn. Bonnets. Jch ſetze aber dieſe Fra - gen nur her, wie ich es ſchon vorher mit andern aͤhnli - chen gethan habe, um die Erinnerung zu geben, daß man nicht unmittelbar in die Beobachtungen das pſycho - logiſche Syſtem hineinbringen muͤſſe. Es ſey genug, daß es ſich ſo, wie es hier angegeben worden iſt, in dem Menſchen, dem ſehenden Dinge, verhalte.
Die wieder hervorgezogenen erſten Empfindungs - vorſtellungen, die man Phantasmata oder Ein - bildungen nennet — Wiedervorſtellungen kann man ſie nennen, wenn es nicht beſſer waͤre, dieſe letztere Benennung allgemeiner auf alle Arten von wiederhervor -C 3gebrach -38I. Verſuch. Ueber die Naturgebrachten Vorſtellungen auszudehnen, ſie moͤgen Em - pfindungsvorſtellungen ſeyn, oder nicht. — Die Einbildungen alſo ſind offenbar nichts anders, als die erſten Nachempfindungen in einem weit ſchwaͤchern Grade von Licht und Voͤlligkeit, und wir nehmen ſie im Schlaf und auch zuweilen im Wachen fuͤr Empfindun - gen an. Aber auch alsdenn zeiget ſich doch der erſte Un - terſchied zwiſchen Empfindungen und Nachempfindun - gen, wenn ſie gleich beide nur wieder erneuert als Ein - bildungen ſich darſtellen. Jm Schlaf glauben wir zu ſehen. Nun iſt zwar kein Eindruck von außen auf das Auge vorhanden, und alſo iſt auch keine wahre Nach - empfindung da. Aber es iſt doch eine Nachbildung, ſo - wohl von der Empfindung, als von der Nachempfindung vorhanden. Es iſt naͤmlich wiederum ein Unterſchied vorhanden, zwiſchen dem erſten Entſtehen des ſinnlichen Bildes, welches hier ein Wiederhervorbringen iſt, wo - bey wir mit dem Gefuͤhl eben ſo reagiren, wie bey der wahren Empfindung; und zwiſchen dem Fortdauren des wiederhervorgebrachten Bildes, womit die Reflexion uͤber das Objekt verbunden iſt.
Am deutlichſten zeiget ſich dieſes in den ſogenannten unaͤchten aͤußern Empfindungen. Das Auge kann aus innern Urſachen im Koͤrper mit einer gleichen, oder doch jener in der wahren Empfindung nahekom - menden Staͤrke ſinnlich geruͤhret werden, auf eine aͤhn - liche Art, wie es bey der wahren Empfindung durch das hineinfallende Licht geſchieht. Es giebt mehrere Urſa - chen, die ſolche falſche Empfindungen veranlaſſen koͤn - nen. *)Man ſehe des Hrn. von Unzers Phyſiologie der thie - riſchen Koͤrper, §. 148. 378.Aber dennoch iſt in dieſen Faͤllen die Empfin - dung ſelbſt von ihrer Nachempfindung eben ſo offenbar unterſchieden, als ſie es bey den aͤchten Empfindungen iſt. Wer39der Vorſtellungen. Wer ein Geſpenſt ſiehet, wo nichts iſt, empfaͤngt einen Eindruck auf das Jnnere ſeines Sehwerkzeugs, und nimmt die damit vergeſellſchaftete Modifikation in der Seele auf, fuͤhlet ſie. Bis ſo weit geht die falſche Em - pfindung. Nun unterhaͤlt ſie dieſen Eindruck in ſich, und empfindet nach. Alsdenn nimmt er ſie gewahr, und reflektirt daruͤber, wie uͤber eine Empfindungsvor - ſtellung eines aͤußern gegenwaͤrtigen Dinges.
Die Einbildung eines geſehenen Gegenſtandes iſt alſo die wieder erweckte Nachempfindung deſſelben, in ei - nem ſchwaͤchern Grade ausgedruͤckt. Die Einbildun - gen gehoͤren dahero zu den Empfindungsvorſtel - lungen, oder zu den urſpruͤnglichen Vorſtellungen; ob ſie gleich nicht mehr die erſten ſelbſt ſind, ſondern ihre Wiederholungen. Die Stufen der Lebhaftigkeit aber und der Deutlichkeit und Voͤlligkeit in den Einbildun - gen ſind unendlich mannigfaltig: man mag entweder die Einbildungen unter ſich vergleichen, oder auf das Verhaͤltniß ſehen, worinn die Lebhaftigkeit und Deut - lichkeit einer jeden Einbildung mit der Lebhaftigkeit und Deutlichkeit der Empfindung ſtehet, zu welcher ſie gehoͤ - ret. Zuweilen ſind ſie die matteſten Nachbildungen, und enthalten nur einige wenige Zuͤge von der Empfin - dung. Zu einer andern Zeit ſind ſie deutlichere Bilder, und ſo kenntliche Schatten, wie Aeneas in den Eliſaͤi - ſchen Feldern antraf. Oefters beſtehet faſt die ganze Reproduktion mehr in einem Beſtreben, eine ehema - lige Empfindung wieder hervorzuziehen, als daß ſie eine wirklich wiedererweckte Empfindung ſelbſt genennet wer - den koͤnnte. Oft ſind es nur rohe Umzuͤge der Sachen, oft nur eine oder andere Seite; nur eine oder andere Beſchaffenheit, Verhaͤltniß und dergleichen, was bis dahin wieder erneuert wird, daß es wahrgenommen wer - den kann; zuweilen ſind es die ſtaͤrkſten Gemaͤhlde, die den Empfindungen nahe kommen, je nachdem die re -C 4produ -40I. Verſuch. Ueber die Naturproducirende Kraft mehr oder weniger auf ſie gerichtet und verwendet wird. Da wir dem kuͤrzeſten und leich - teſten Weg von Natur nachgehen; ſo geſchiehet es, daß anſtatt einer Empfindung, die mehrere Anſtrengung erfo - dert, wenn ſie reproduciret werden ſoll, eine andere wie - der erneuert wird, welche mit jener vergeſellſchaftet ge - weſen iſt, und deren Reproduktion leichter und geſchwin - der geſchehen kann. Der Name vertritt die Stelle der Sache. Die Einbildung des Worts iſt voͤllig und leb - haft, aber die begleitende Einbildung der mit dem Wort bezeichneten Sache, iſt oft ſo ſchwach, daß ſie nur ein Anſatz zu der voͤlligen Wiederdarſtellung genennt wer - den kann.
Alles iſt im Allgemeinen daſſelbige bey den Vorſtellun - gen aus dem Gehoͤr, dem Gefuͤhl, dem Ge - ſchmack und dem Geruch, wie bey den Geſichts - vorſtellungen. Die aͤußern Gegenſtaͤnde modificiren die Seele. Es entſtehet ein ſinnlicher Eindruck, der gefuͤhlet wird, die Empfindung. Die Empfindung hinterlaͤſſet eine Nachempfindung, und die Einbil - dungen aus dieſen Sinnen ſind geſchwaͤchte Nachgepraͤ - ge der erſten Nachempfindungen und der ſinnlichen Ein - druͤcke. Dieſe drey unterſcheidbare Modifikationen ha - ben in allen Arten der Empfindungsvorſtellungen im All - gemeinen dieſelbige Beziehung auf einander; ſie ſind in derſelbigen Analogie mit einander, und entſprechen ſich. Der Unterſchied gehet hierinn nicht weiter, als auf das Mehr oder Weniger, auf Schwaͤche und Staͤrke, auf die laͤngere oder kuͤrzere Dauer, auf die mindere odergroͤßere41der Vorſtellungen. groͤßere Leichtigkeit, womit die Selbſtkraft der Seele das, was ſie dabey zu bewirken hat, hervorbringen kann.
Die Vorſtellungen des Geſichts haben große Vorzuͤge vor den Vorſtellungen aus den uͤbrigen aͤußern Sinnen, wodurch vielleicht einige Philoſophen in ihren Unterſuchungen uͤber den menſchlichen Verſtand verleitet worden ſind, gegen die letztern ungerecht zu ſeyn. Die Griechen benannten die Vorſtellungen, wenn man ſie als Zeichen ihrer Gegenſtaͤnde gebrauchet, Jdeen vom Sehen, und es iſt gewoͤhnlich zu glauben, man habe nur alsdenn erſt eine Vorſtellung von einer Sache, wenn man ſo ein Bild davon in ſich hat, als man erhaͤlt, wenn man ſie ſehen kann. Die uͤbrigen Vorſtellungen ſcheinen von dem Weſentlichen der Jdeen und Bilder von Gegenſtaͤnden wenig oder nichts an ſich zu haben. Nun iſt es zwar offenbar, daß der Vorzug der Geſichts - vorſtellungen in mancher Hinſicht allein ſehr groß iſt; das Geſicht iſt der Sinn des Verſtandes. Aber dieſe Vorzuͤge beſtehen doch nur in Graden, und nicht im Weſentlichen, in ſo ferne ſie nemlich Vorſtellungen fuͤr uus ſind. Denn die Vorſtellungen des Geruchs und des Geſchmacks ſind in eben dem Sinn Vorſtellungen, wie es die Bilder des Geſichts ſind, und haben dieſel - bige Natur als Vorſtellungen; nur ſo vollkommne, ſo auseinandergeſetzte, ſo leicht reproducible, und dahero ſo allgemeinbrauchbare Vorſtellungen ſind ſie nicht.
Unter die Vorzuͤge des Geſichts gehoͤret zuvoͤrderſt folgender, der zugleich ein Grund von mehrern andern iſt. Die Nachempfindungen dieſes Sinnes beſtehen eine laͤngere Zeit in uns, nachdem die ſinnlichen Einwir - kungen der aͤußern Gegenſtaͤnde ſchon aufgehoͤret haben, als die Nachempfindungen des Gehoͤrs und des Gefuͤhls. Die einzele beobachtbare Eindruͤcke auf das Gefuͤhl er - halten ſich kaum durch eine halb ſo lange Zeit, als die Nachempfindungen des Gehoͤrs, und dieſe letztern ver -C 5ſchwin -42I. Verſuch. Ueber die Naturſchwinden eher, als die Nachempfindungen des Geſichts, wie ich oben ſchon bemerket habe. Die Nachempfin - dungen des Gehoͤrs haben eine mittlere Dauer. Wenn dieſe Verſchiedenheit auch weiter keine Folgen haͤtte, als daß der Reflexion dadurch eine laͤngere oder kuͤrzere Zeit verſtattet wird, um die Empfindung zu beob - achten und Denkungsthaͤtigkeiten mit ihr zu verbinden; ſo iſt auch dieß ſchon ſo erheblich, daß es Aufmerkſam - keit verdienet.
Aber dieſelbigen Erfahrungen, woraus wir dieſen Vorzug der Geſichtsempfindungen erlernen, ſind zugleich der offenbarſte Beweis, daß es dergleichen einige Mo - mente in uns beſtehende Nachempfindungen auch bey den Empfindungen des Gehoͤrs und des Gefuͤhls gebe. Man kann, ohne viele kuͤnſtliche Veranſtaltungen zu machen, ein kleines Rad ſchnell herumdrehen, und ver - mittelſt eines feinen biegſamen elaſtiſchen Draths, bey jedem Umlauf, die Hand oder das Geſicht auf eine ſanf - te aber bemerkbare Art beruͤhren laſſen. Wenn die Ge - ſchwindigkeit des Umlaufs bis zu einer gewiſſen Groͤße kommt; ſo wird die Empfindung in eines fortgehend zu ſeyn ſcheinen, ohnerachtet es doch gewiß iſt, daß die Eindruͤcke von außen eine unterbrochene Reihe aus - machen, und durch eine Zwiſchenzeit von einander abge - ſondert ſind, welche ſo groß iſt, als die Zeit, in der das Rad umlauft, und der Drath die Hand wiederum be - ruͤhren kann, nachdem er ſie das naͤchſte mal beruͤhret hat. Daß es bey den Empfindungen des Gehoͤrs auf die nemliche Art ſich verhalte, nehme ich hier an, als etwas, das ſchon bekannt iſt.
Die Einbildungen der Toͤne, der verſchiedenen Ge - ruchsarten u. ſ. f. beweiſen es unwiderſprechlich, daß aus den erſten Empfindungen in uns etwas zuruͤckgeblie - ben ſey. Es mag ſo wenig ſeyn, als es wolle; ſo kann es durch eine innere Urſache in uns, ohne den empfun -denen43der Vorſtellungen. denen Gegenſtand vor uns zu haben, wieder hervorgezo - gen, entwickelt, und bis zu einer bemerkbaren Nachbil - dung der erſten Empfindung bearbeitet werden. Hierinn hat wiederum die Empfindung des Geſichts den Vorzug, daß ſie leichter und mit einer groͤßern Deutlichkeit re - produciret werden kann, als die uͤbrigen. Ein Theil dieſes Vorzuges hat in einem natuͤrlichen und nothwen - digen Verhaͤltniſſe der Sinne ſeinen Grund; aber ein großer Theil iſt hinzugekommen, indem der natuͤrliche Vorzug die Veranlaſſung gegeben hat, bey der Verbin - dung der Vorſtellungen ihn auf dieſe Weiſe groͤßer zu machen. Die dunklern Vorſtellungen der niedern Sin - ne, des Geſchmacks, des Geruchs, des Gefuͤhls, und auch wohl des mittlern Sinnes, des Gehoͤrs, werden mit den Vorſtellungen des Geſichts verbunden; die Jdee von dem Geſchmack der Citrone mit der Vorſtellung von ihrer Figur und Farbe; die Vorſtellung von dem Ge - ruch der Roſe mit der mehr klaren Vorſtellung von ihr, die das Anſchauen giebet. Nun iſt der erſte natuͤrliche Vorzug an leichterer Reproducibilitaͤt, den die Geſichts - empfindung hat, die Veranlaſſung, daß wir am meiſten auf die letztern die Aufmerkſamkeit verwenden, und da - durch jenen erſten Vorzug noch groͤßer machen. Wir legen naͤmlich die uͤbrigen Vorſtellungen gleichſam um die Geſichtsvorſtellung herum, und machen aus allen zuſammen ein Ganzes, wobey die Geſichtsvorſtellung die Grundlage oder das Mittel ausmacht. Und wenn nun dieſes Ganze eingebildet werden ſoll; ſo uͤberheben wir uns oͤfters der Muͤhe, die dunklen Vorſtellungen der uͤbrigen Sinne ſelbſt wieder hervorzubringen. Die letz - tern laſſen eine groͤßere Menge von kleinen Modifikatio - nen in ſich, und erfodern eine groͤßere Selbſtthaͤtigkeit bey der Reproduktion, weswegen wir es dabey bewen - den laſſen, wenn nur die begleitende Geſichtsvorſtellun - gen in uns erneuret werden, und hoͤchſtens die erſten kenn -baren44I. Verſuch. Ueber die Naturbaren Anfaͤnge von den uͤbrigen zuruͤckkommen. Es iſt genug, an die Figur der Roſe und an ihre Farbe zu gedenken, um uns zugleich zu erinnern, daß ihr Geruch von dem Geruch einer andern gegenwaͤrtigen Blume un - terſchieden ſey, weil mit der reproducirten Geſtalt auch ein merkbarer Anſatz verbunden iſt, die aſſociirte Em - pfindung des Geruchs wieder zu erwecken. Bis auf die - ſen Anfang oder Anſatz zur Wiederkehr des ehemaligen Zuſtandes laſſen wir es kommen. So bald aber dieſer bis dahin bemerkbar wird, als es unſre Abſicht erfordert; ſo bemuͤhen wir uns nicht, die Einbildung noch lebhaf - ter zu machen.
Bey Menſchen mit allen fuͤnf Sinnen haben die Geſichtsvorſtellungen dieſen beſchriebenen Vorzug; aber die Rangordnung der uͤbrigen, ſo ferne ſie von der Ein - richtung der Natur abhaͤngt, iſt ſchwerer zu beſtimmen. Es iſt bekannt, wie ſehr einige Blinde an die Reproduk - tion der Gefuͤhlsempfindungen ſich gewoͤhnt haben, und wie fertig ſie darinn geworden ſind. Der Sehende wird es nicht, weil er nicht genoͤthiget iſt, ſo vielen Fleiß dar - auf zu verwenden. Aber ſo weit als die leichtere oder ſchwerere Reproducibilitaͤt von der Gewohnheit abhaͤn - get, ſo weit iſt ſolche auch veraͤnderlich und nicht bey al - len Menſchen von der nemlichen Groͤße. Der Tonkuͤnſt - ler faßt und behaͤlt es leichter, feiner und vollſtaͤndiger, wie der Canarienvogel ſinget, als der Maler, der ſei - ne Farbe und Geſtalt genauer und deutlicher bemerket. Ein Koch und ein Kellermeiſter und der Mann mit ei - nem delicaten Gaum haben wahrſcheinlicher Weiſe leb - haftere und voͤlligere Wiedervorſtellungen von den Em - pfindungen des Geſchmacks, als andre Menſchen, die nach dem Genuß der Speiſe es bald zu vergeſſen pflegen, wie ſie geſchmecket haben.
Bey den Vorſtellungen, die wir von uns ſelbſt, von unſern innern Veraͤnderungen, von unſern Thaͤ - tigkeiten und Vermoͤgen haben, uͤberhaupt bey ſolchen, die zu den Vorſtellungen des innern Sinnes gehoͤ - ren, treffen wir eine groͤßere Dunkelheit an. Sollten auch dieſe Vorſtellungen wohl Vorſtellungen in dem nemlichen Verſtande heiſſen koͤnnen, wie die Vorſtel - lungen von aͤußern Gegenſtaͤnden? Wolf nahm das Wort Vorſtellung in einer ſo weiten Bedeutung, daß er freygebig mit dieſer Benennung ſeyn konnte, und dennoch hat er in ſeiner groͤſſern Pſychologie, da wo von den Vorſtellungen des innern Sinnes die Rede iſt, ſich dieſer Benennung ſelten, oder gar nicht bedienet. Er ſaget nicht: wir haben Vorſtellungen von dem, was in uns vorgehet, von unſern Denkarten, Gemuͤthszuſtaͤn - den und Thaͤtigkeiten, ſondern er bedient ſich der Aus - druͤcke, wir empfinden dergleichen in uns, wir ſind uns deſſen bewußt. Und doch nannte er die Empfindungen des aͤußern Sinnes, und ihre Einbildun - gen ſinnliche Vorſtellungen von Gegenſtaͤnden au - ßer uns. War dieß etwann eine Wirkung ſeines Ge - fuͤhls, daß der Name Vorſtellung jenen nicht in derſel - bigen Bedeutung zukomme, als dieſen? denn deutlich hat er, ſo viel ich weiß, ſich daruͤber nicht erklaͤret. Wie ferne haben wir denn auch Vorſtellungen von jenen?
Zuvoͤrderſt iſt hier nur von der erſten Eigenſchaft der Vorſtellungen die Rede, daß ſie ſich auf vorherge - gangene Modifikationen beziehen, wovon ſie als ihre Abdruͤcke in uns zuruͤckgelaſſen ſind, und durch die Kraft der Seele wieder hervorgezogen werden koͤnnen, ohnedaß46I. Verſuch. Ueber die Naturdaß dieſelbige Urſache, die ſie das erſtemal bewirkte, wiederum gegenwaͤrtig ſey. Was iſt hier die erſte Em - pfindung? Was iſt die Nachempfindung? Giebt es dergleichen? Und wie verhaͤlt ſich die wiedererweckte Empfindungsvorſtellung, oder das Phantasma gegen jene? Einige Beobachtungen, die deutlich genug ſind, werden uns zum Leitfaden an ſolchen Stellen dienen, wo es dunkel iſt. Kann man nicht in das Jnnere einer Sache hineinkommen, ſo laͤſſet ſich doch wohl von außen in ſie etwas hineinſehen. Jch will einige ſolcher Be - merkungen voranſchicken, und dann verſuchen, wie weit die Parallele zwiſchen unſern Vorſtellungen aus dem in - nern Gefuͤhle, und zwiſchen den aͤußerlichen ſinnli - chen Vorſtellungen gezogen werden koͤnne.
1) Es iſt beobachtet worden, und es laͤſſet ſich un - mittelbar und deutlich genug beobachten, daß man in eben demſelbigen Augenblick, in dem wir uns einer Sa - che bewußt ſind, in dem wir uͤber ſie reflektiren, und unſere Denkungsthaͤtigkeit auf ſie anwenden, nicht daran gedenke, daß man denke. Man iſt ſich nicht bewußt, daß man ſich einer Sache bewußt ſey; jenes nemlich nicht in demſelbigen Augenblick, worinn man dieſes iſt. Ueber unſere eigene Reflexion reflektiren wir nicht in dem - ſelbigen Augenblick, in dem wir mit ihr bey einem Ge - genſtand beſchaͤftiget ſind. *)Man ſehe des Hrn. Merians Abhandlung daruͤber, in den Schriften der Berliniſchen Akademie der Wiſ - ſenſchaften. 1762.Die Urſache davon faͤllt uns gleich auf. Wenn die Denkkraft der Seele mit dem Bewußtſeyn, mit dem Unterſcheiden, mit dem Ue - berlegen der Jdee, die ſie vor ſich hat, beſchaͤftiget iſt; ſo iſt ſie ſchon als eine Denkkraft thaͤtig, und wirket auf eine vorzuͤgliche Art nach einer beſtimmten Richtung hin. Sollte ſie nun in demſelben Augenblick auch uͤber dieſeihre47der Vorſtellungen. ihre Thaͤtigkeit reflektiren, ſo muͤßte ſie die nemliche Arbeit zugleich auf dieſe Thaͤtigkeit verwenden. Kann ſie aber ihr Vermoͤgen des Bewußtſeyns zerſpalten, und mit Einem Theil deſſelben bey der Jdee von der Sache, und mit dem andern zugleich bey der Anwendung, die ſie von dem Vermoͤgen machet, wirkſam ſeyn? Sie muͤßte alsdenn noch mehr thun, als auf zwey Sachen auf einmal aufmerken. Dieß letztere laͤßt ſich noch wohl auf eine gewiſſe Weiſe thun, aber wenn ſie ihre Auf - merkſamkeit und ihr Gewahrnehmungsvermoͤgen auf ei - ne Jdee verwendet, wie will ſie ſolche denn zugleich auf ihre eigene Aufmerkſamkeit und auf ihr eigenes Gewahr - nehmen verwenden? Jndem wir denken, und dieß zei - get ſich am deutlichſten, wenn wir mit Anſtrengung und mit einem gluͤcklichen Fortgange denken, wiſſen wir nichts davon, daß wir denken. Sobald wir auf das Denken ſelbſt zuruͤckſehen, ſo iſt der Gedanke entwiſchet, wie das gegenwaͤrtige Zeitmoment, das ſchon vergan - gen iſt, wenn man es ergreifen will.
Eben ſo verhaͤlt es ſich bey allen uͤbrigen ſelbſtthaͤ - tigen Aeußerungen unſerer Denkkraft: eben ſo bey dem Urtheilen, bey dem Folgern und Schluͤſſen. Der Zeit - punkt der Handlung ſchließet die Reflexion uͤber dieſelbi - ge Handlung aus. Dieſe letztere folget erſt auf jene. Hr. Merian hat hierauf ſeine Kritik uͤber des Des - cartes Grundſatz: ich denke gebauet, an deſſen Statt es ſeiner Meinung nach heißen muͤßte: ich habe ge - dacht. Jenes iſt ein Ausdruck des Bewußtſeyns, daß wir von unſerm Denken haben, und ſtellet dieſes als gegenwaͤrtig in uns dar, in dem Augenblick, da wir uns deſſen bewußt ſind. Aber ſo iſt es nicht, ſaget Hr. Merian, es iſt ſchon vergangen, wenn wir darnach umſehen, und es beobachten. Aber ob ich gleich gegen die Erfahrung nichts einwende, aus welcher dieſe Folge gezogen wird, ſo deucht mich doch, eine ſolche Erinne -rung48I. Verſuch. Ueber die Naturrung gegen Descartes ſey mehr eine Spitzfindigkeit, als eine ſcharfſinnige Kritik. Jch kann auch in der gegen - waͤrtigen Zeit ſagen: ich denke; denn dieß ſoll nur den Aktus des gegenwaͤrtigen Denkens ausdruͤcken; nicht aber ſo viel heißen, als: ich denke, daß ich denke, oder: ich weiß, daß ich denke.
2) Jede Aktion der Denkkraft hat ſogleich ihre unmittelbare Wirkung in der Vorſtellung der Sache, mit der ſie verbunden worden iſt, und praͤget ſich ſogleich in ihr ab. Die Vorſtellung, die ge - wahrgenommen worden iſt, ſtehet abgeſondert, heraus - gehoben, mit mehrerer und mit vorzuͤglicher Helligkeit vor uns. Haben wir eine Ueberlegung, ein Nachden - ken, eine Demonſtration geendiget; ſo giebt es Wirkun - gen von dieſen Arbeiten in den Jdeen. Hier ſind ſie tiefer eingedruckt, lebhafter, ſchaͤrfer abgeſondert, mehr entwickelt, dort ſind neue Jdeen bemerkbar geworden; die Ordnung, ihre Lage und Verbindung hat ſich geaͤn - dert. So etwas, als man nach einem anhaltenden Nachdenken in ſich gewahr wird, laͤſſet ſich, obgleich in einer geringern Maße, nach jedweder einzelnen einfachen Denkungsthaͤtigkeit gewahrnehmen. Das anhaltende Betrachten iſt nichts, als eine, und in der That eine un - terbrochene, Reihe einzelner kleinerer Denkthaͤtigkeiten, deren jede ihre eigene bleibende, und nachbeſtehende Fol - gen in uns hat.
Jn dem Augenblick, da wir gewahrnehmen, wer - den wir es nicht gewahr, daß wir gewahrnehmen; aber in dem unmittelbar darauf folgenden Augenblick kann dieß geſchehen. Die Folge der erſten Thaͤtigkeit beſtehet in uns von ſelbſt, wenigſtens ohne eine in eins fortge - hende Anwendung unſerer Denkkraft. Da iſt alſo der Zeitpunkt fuͤr die Empfindung und fuͤr die Reflexion uͤber die vorhergegangene Arbeit. Dieſe naͤchſten Wir - kungen der Aktion ſind mit der Aktion ſelbſt in einer ſounmit -49der Vorſtellungen. unmittelbaren Verbindung, daß ſo wie die Aktion die Wirkung zuerſt hervorgebracht hat, ſo kann auch die letz - tere wiederum ihre Aktion wieder erregen. Jndem wir alſo die Folge des vorhergegangenen Denkens in uns ge - wahrwerden, ſo ſehen wir unſer Denken gleichſam von hinten, wir halten es vor uns durch ſeine gegenwaͤrtig in uns beſtehende Wirkung, und ſuchen es wieder zuruͤck - zubringen und zu erneuern.
3) Jn den Vorſtellungen entſtehet keine Veraͤnde - rung, die nicht mit einer gewiſſen dazu gehoͤrigen Mo - difikation des Gehirns verbunden iſt, ſo wie auch umgekehrt eine jede Modifikation in dem Organ, als dem Sitz der materiellen Jdeen, mit einer Art von Ruͤckwirkung auf die Seele verbunden iſt, wodurch in dieſer eine Empfindung oder ein Gefuͤhl verurſachet wird. Jch gebrauche hier dieſen Satz nicht ſowohl zu einem Beweis, als zur Erlaͤuterung, und wer das Gehirn und die Seele noch als ein Einziges Weſen betrachtet, der darf nur die Redensarten abaͤndern, ſo bleibet alles be - ſtehen, was hier behauptet wird. Wenn alſo von ei - nem auswaͤrts gerichteten Beſtreben der Denkkraft eine Veraͤnderung in den Vorſtellungen verurſachet wird, ſo iſt hiemit eine Veraͤnderung in den Organen verbunden, die wiederum von der Seele empfunden werden kann. So iſt es begreiflich, wie eine Empfindung der Aktion auf die Jdeen in der Seele ſelbſt auf die nemliche Art entſtehen koͤnne, wie von einem Eindruck auf das Or - gan, den ein aͤußeres Objekt hervorbringet, eine Em - pfindung verurſachet wird. Dieß wuͤrde das Gefuͤhl des Denkens ſeyn, das Gefuͤhl nemlich von der Wir - kung, die aus der unmittelbar vorhergegangenen Thaͤ - tigkeit entſtanden iſt. Die Augenblicke des thaͤtigen Denkens und des Gefuͤhls dieſer Thaͤtigkeit ſind verſchie - den, oder laſſen ſich ſo anſehen. Dieſe Empfindung des Denkens kann nun auch ihre NachempfindungI. Band. Dhaben,50I. Verſuch. Ueber die Naturhaben, und hat ſie, und mit dieſer Nachempfin - dung kann das Gewahrnehmen und die Reflexion ver - bunden werden.
Alſo haben wir Empfindungsvorſtellungen von den einzelnen Thaͤtigkeiten unſers Denkens, in eben dem Verſtande, wie wir ſolche von den koͤrperlichen Gegenſtaͤnden haben, die auf unſere aͤußere Sinnglie - der wirken. Hier befindet ſich das ſelbſtthaͤtige Prin - cip des Denkens, von dem die Seele modificiret wird, in der Seele ſelbſt; bey den aͤußern Empfindungen kommt die Modifikation von einer aͤußern Urſache. Jn beiden Faͤllen aber wird die neue Veraͤnderung aufgenommen, gefuͤhlet und empfunden; in beiden beſtehet ſie, und dauert einen Augenblick in uns fort, und muß wenig - ſtens alsdenn fortdauren, wenn ſie bemerkbar ſeyn ſoll. Dieß macht eine Nachempfindung, oder die erſte Empfindungsvorſtellung aus. Jn dieſem Stande kann ſie gewahrgenommen, mit Bewußtſeyn empfunden, mit andern verglichen und von andern unterſchieden werden.
Wird die Empfindungsvorſtellung in der Folge von der Einbildungskraft reproduciret, ſo finden wir, daß jene erſte Nachempfindung, obgleich auf eine unvoll - kommene und ſchwache Art, wieder erneuret wird, und daß zugleich ein Anfang oder ein Anſatz, die vorige Denkthaͤtigkeit zu erneuern, damit verbunden ſey. Laßt uns eine Reihe von Reflexionen und Schluͤſſen, die wir angeſtellet haben, ins Gedaͤchtniß zuruͤck rufen; ſie nicht von neuen wiederholen, ſondern wie ſchon angeſtellte und vergangene Raiſonnements uns vorſtellen; und wir wer - den bemerken, daß mit den Jdeen und deren Stellung allenthalben Anfaͤnge der ehemaligen Thaͤtigkeiten und Regungen ſie zu wiederholen verbunden ſind; welche man eben ſo fuͤglich ſchwache Nachahmungen jener erſten Re - flexionen nennen kann, wie uͤberhaupt die Einbildungen wiederzuruͤckkehrende geſchwaͤchte Empfindungen ſind.
4) Darf51der Vorſtellungen.4) Darf man wohl Bedenken tragen, anzunehmen, daſſelbige was die vorige Zergliederung bey einer Art von Thaͤtigkeiten gezeiget hat, daſſelbe werde bey den uͤbrigen, die man Aeußerungen des Willens nennet, auf eine aͤhnliche Weiſe Statt finden, und daß auch dieſe letztere empfunden, und nachempfunden werden, und ih - nen entſprechende Spuren in der Seele hinterlaſſen, wie jene?
Es iſt nicht die Analogie allein, worauf man ſich hier berufen kann, ſondern auch die Jnduktion aus un - mittelbaren Erfahrungen beſtaͤtiget es. Zwar iſt es nicht moͤglich, in allen einzelnen Faͤllen ſolches offenbar vorzulegen. Bey dem groͤßten Theile unſerer Kraft - aͤußerungen iſt das, was dabey vorkommt, ſo ſtark in einander gewickelt, und die verſchiedenen Abſaͤtze in ih - rem Entſtehen ſind ſo undeutlich und verworren, daß man jeden fuͤr ſich allein nicht gut bemerken kann. Aber dieß wird auch zur Ueberzeugung nicht erfodert werden. Wenn es aus Erfahrungen dargethan wird, daß es ſich ſo, wie es angegeben worden iſt, in allen Faͤllen ver - halte, worinn man etwas deutlich erkennen kann; wenn nur kein einziger Fall angetroffen wird, aus dem ſich voͤllig erweiſen laͤßt, daß es Ausnahmen gebe; und wenn alsdenn noch hinzu kommt, daß die ſonſtigen Kenntniſſe von den nicht beobachteten und nicht vergli - chenen einzelnen Faͤllen ihre analogiſche Natur mit den uͤbrigen beſtaͤtigen, oder ihr wenigſtens nicht entgegen ſind; wenn alle dieſe Umſtaͤnde, ſage ich, beyſammen ſind, ſo iſt man voͤllig berechtiget, beſondere Erfahrungs - ſaͤtze, die aus einigen Beobachtungen gezogen worden, nach der Analogie auf andere aͤhnliche auszudehnen. Es iſt freylich bey einer ſolchen Verallgemeinerung der Be - obachtungsſaͤtze Behutſamkeit erforderlich, und beſonders alsdann, wenn es an einer oder mehrern der vorgedach - ten Bedingungen noch fehlet. Die Analogie hat in derD 2Koͤrper -52I. Verſuch. Ueber die NaturKoͤrperwelt uns oftmals mißgeleitet. Aber dadurch wird ihr guter Gebrauch nicht aufgehoben, und wenn alle Bedingungen vorhanden ſind, welche ich hier er - waͤhnet habe, ſo koͤnnen die analogiſchen Schluͤſſe eine ſolche Wahrſcheinlichkeit erlangen, welche Gewißheit ge - nennet zu werden verdienet.
Alle Arten von Beſtrebungen und Handlungen, die wir von der Seele kennen, haben wir gefuͤhlet und em - pfunden. Alle, ſo viele wir kennen, haben in uns eine gewiſſe Veraͤnderung hervorgebracht. Dieß war ihre Wirkung in uns, aus der wir ſie erkannten; dieſe Wir - kung war etwas, das eine Weile in uns fortdauerte, und gewahrgenommen wurde. Dieß gab die erſte ur - ſpruͤngliche Empfindungsvorſtellung von ihnen. Es blieb eine Spur davon in uns zuruͤck, die durch die Kraft unſerer Seele wieder hervorgezogen wird, wenn wir uns ihrer, als einer vergangenen Handlung erinnern. Dieß alles iſt außer Zweifel bey denen, welche wir genauer unterſuchen koͤnnen.
Die Reproducibilitaͤt iſt bey den Empfindungsvor - ſtellungen der aͤußern Sinne nicht gleich, und etwas kann die Gewohnheit, auf einige vor andern mehr auf - merkſam zu ſeyn, daran aͤndern, wie oben erinnert wor - den iſt. Kein Wunder alſo, wenn ſie auch nicht bey allen Empfindungen des innern Sinnes von gleicher Groͤße iſt. Auch hier wirket die Gewohnheit. Jn dem Kopf des Mannes, der viel denket, und noch mehr, wenn er zugleich ſein Denken fleißig beobachtet, muͤſſen auch die Spuren, die ſeine Denkungsthaͤtigkeiten hin - terlaſſen, ein groͤßeres Licht haben, und leichter wieder erweckbar ſeyn, als bey andern. Daſſelbige findet bey den uͤbrigen Empfindungsvorſtellungen des in - nern Sinnes ſtatt, von welchen nun noch etwas zu ſagen iſt; ich meine die Vorſtellungen, die wir von un -ſern53der Vorſtellungen. ſern eigenen Gemuͤthszuſtaͤnden, und uͤberhaupt von allen paſſiven Seelenveraͤnderungen haben.
5) Es iſt Erfahrung, daß wir die Gemuͤthszuſtaͤn - de und Affekten, die Zufriedenheit, das Vergnuͤgen, die Begierde, den Unmuth, die Abneigung, den Zorn, die Liebe und dergleichen, alsdenn, wenn ſie in uns vorhanden ſind, in ihrer Gegenwart gewahrnehmen koͤnnen, zum wenigſten ſie etwas leichter gewahrnehmen koͤnnen, als es bey den Denkthaͤtigkeiten angehet, die ſich dem Be - wußtſeyn in demſelbigen Augenblicke entziehen, wenn es ſie faſſen will. Wir fuͤhlen z. B. daß wir zornig ſind, indem wir es ſind. Dieſe Zuſtaͤnde der Seele beſtehen, wenn ſie einmal hervorgebracht ſind, eine Weile in der Seele ohne ihr ſelbſtthaͤtiges Zuthun, wie die Wallungen im Waſſer, welche noch fortdauern, wenn ſich der Wind ſchon geleget hat. Alsdenn hat die Ue - berlegungskraft Zeit, ſich mit den Nachwallungen des Herzens zu beſchaͤftigen. Die leidenden Gemuͤthszu - ſtaͤnde ſtehen alſo in einer andern Beziehung auf das Bewußtſeyn, als die Selbſtthaͤtigkeiten. Die letztern ſind nicht ſowohl ſelbſt unmittelbare Gegenſtaͤnde des Ge - fuͤhls, als vielmehr in ihren naͤchſten Folgen und Wir - kungen, die etwas paſſives in der Seele ſind. Jene hingegen werden unmittelbar gefuͤhlet.
Was wir Begierden und Affekten nennen, ſollte von den Gemuͤthszuſtaͤnden, vom Vergnuͤgen und Verdruß, und von dem, was der | Seele, in ſo ferne ſie empfindſam iſt, zukommt, unterſchieden werden. Die Begierden und Affekten enthalten thaͤtige Beſtrebungen, wirkſame Triebe, Aktiones, und alſo Aeußerungen der thaͤtigen Kraft der Seele, wozu dieſe durch Empfind - niſſe gereizet wird. So wuͤrde auch die lebhafte Freude, ſelbſt das Entzuͤcken kein Affekt ſeyn. Jndeſſen ſind die Thaͤtigkeiten und die leidendlichen Gemuͤthszuſtaͤnde genau mit einander verbunden. Aus beiden wird einD 3Ganzes,54I. Verſuch. Ueber die NaturGanzes, welches, je nachdem das eine oder das andere von ihnen das meiſte davon ausmachet, zu den Willens - aͤußerungen oder zu den Gemuͤthszuſtaͤnden gerechnet wird.
Solche leidendliche Seelenveraͤnderungen werden durch Empfindungen und Vorſtellungen hervorgebracht oder veranlaſſet. Aber ſie ſind dieſe Vorſtellungen und Empfindungen ſelbſt nicht, ſondern eine beſondere Art von innern Veraͤnderungen der Seele. Dieſelbige Vor - ſtellung iſt zu einer Zeit angenehm, zu einer andern gleichguͤltig, und noch zu einer andern widrig. Der Anblick und der Geruch der Speiſe bringet dem Hung - rigen Begierde bey, und verurſachet bey dem Ueberſat - ten Ekel.
Es iſt nicht ſchwer, es gewahr zu werden, daß auch bey dieſen paſſiven Seelenveraͤnderungen — die Em - pfindung und die Nachempfindung unterſchieden ſey, und daß der Augenblick, in welchem wir ſie in uns gewahrnehmen, nicht der Zeitpunkt der erſten Empfin - dung, ſondern der Nachempfindung, oder der Em - pfindungsvorſtellung ſey, in welchem das, was gegen - waͤrtig iſt, ſich auf eine vorhergegangene Modifikation beziehet. Was jetzo in mir gegenwaͤrtig iſt, in dem Moment, da ich in mich zuruͤck ſehe, und eine ſtille Heiterkeit des Geiſtes gewahrnehme, iſt nicht mehr die erſte Empfindung dieſes Zuſtandes; es iſt ſchon eine Fortſetzung, oder die Wiederkehr eines andern vorher - gegangenen, der in dem gegenwaͤrtigen, als in ſeiner Abbildung fortdauert, und auf dieſen letztern eben eine ſolche Beziehung hat, als die Nachempfindung von ei - nem gegenwaͤrtigen ſichtbaren Objekte zu der erſten Em - pfindung deſſelben. Die erſte Empfindung iſt ſchon ver - gangen, wenn man uͤber ſie reflektiret. Jn den lebhaf - ten Gemuͤthsbewegungen und Affekten iſt dieſer Unter - ſchied am deutlichſten. Begreiſt die Seele ſich ſo weit,daß55der Vorſtellungen. daß ſie zu dem Gedanken kommt: Siehe, wie vergnuͤgt biſt du, wie traurig, wie zornig u. ſ. w. ſo hat die Be - wegung ſchon angefangen nachzulaſſen, der Sturm bricht ſich, und wir fuͤhlen es in dieſem Augenblick, daß er ſchon etwas geſchwaͤchet ſey, wenn er auch bald darauf von neuem mit groͤßerer Staͤrke hervordringet und die Seele uͤberwaͤltiget. Das Bewußtſeyn verbindet ſich nicht mit der erſten Aufwallung des Gemuͤths; es iſt offenbar nur eine Nachwallung von jener, welche wir in uns gewahrnehmen.
Und nicht anders verhaͤlt es ſich in den ſchwaͤchern Empfindniſſen. Sie beſtehen eine Weile, und dann koͤnnen wir ſie gewahrnehmen, nicht in ihrem An - fang, ſondern in ihrer Mitte; dagegen andere Veraͤn - derungen, die keine Dauer in uns haben, die durch das Herz fahren, wie der Blitz durch die Luft, und in dem Augenblick vergehen, in welchem ſie entſtanden ſind, auch niemals beobachtet werden koͤnnen. Wir fuͤhlen ſie, indem ſie hindurch fahren, und aus ihren Spuren erkennen wir, daß ſie da geweſen ſind, aber die betrof - fene Seele kann in dem Augenblick ihrer Gegenwart nicht zur Beſinnung kommen, noch ſich ihrer bewußt werden, und noch weniger kann ſie mit dem Bewußt - ſeyn bey ihnen ſich verweilen und ihre Verhaͤltniſſe auf - ſuchen.
6) Laſſet uns nun ſolche vorhergehabte Empfind - niſſe als abweſende mit der Einbildungskraft uns wieder vorſtellen. Wir finden ſogleich, daß dieſe Wie - dervorſtellungen zu jenen erſten Empfindungsvorſtellun - gen ein aͤhnliches Verhaͤltniß haben, wie die Einbildun - gen von Koͤrpern auf ihre Empfindungen. So wie wir durch jedes Phantasma in den erſten Zuſtand der Em - pfindung bis auf einen gewiſſen Grad zuruͤckverſetzet wer - den; ſo geſchieht es auch hier. Wir koͤnnen niemals ei - ne Vorſtellung davon haben, welch ein Vergnuͤgen wirD 4an56I. Verſuch. Ueber die Naturan einem Orte oder in dem Umgang einer Perſon ge - noſſen haben, ohne von neuem eine Anwandelung von Vergnuͤgen in uns zu empfinden. Wir erinnern uns niemals eines vergangenen Verdruſſes, ohne ihn von neuem in uns aufkeimen zu ſehen. Und je lebhafter, je ſtaͤrker, je anſchauender die Wiedervorſtellung eines ehe - maligen Zuſtandes jetzo iſt, deſto mehr naͤhert ſich das Gegenwaͤrtige dem Vergangenen, und der gegenwaͤrti - ge wiederhervorgezogene Abdruck ſeinem erſten Origi - nal. *)Die Einwuͤrfe, die Hr. Beattie gegen dieſen wahren Satz in dem humiſchen Skepticismus vorbringet, doͤr - fen uns nicht irre machen. Sie beruhen, wie ſo vieles andere bey dieſem Verfaſſer, auf Mißverſtand. Die Vorſtellung des Eſſens macht den Hungrigen nicht ſatt, und die Einbildung von der Hize erwaͤrmet den nicht, der vor Kaͤlte erſtarret. Nein, dieſe Jdeen koͤnnen das Bedoͤrfniß noch empfindlicher machen und die Begier - den zur Abhelfung deſſelben vergroͤßern. Und dennoch wird der Hungrige ſich ſchwerlich recht lebhaft vorſtel - len, wie ihm zu Muthe ſey, wenn er ſich ſaͤttiget, oh - ne daß ihm der Speichel in den Mund treten, und der Erkaͤltete wird ſchwerlich recht lebhaft ſich die Erwaͤr - mung einbilden koͤnnen, ohne daß in ſeinen geſpann - ten Fibern ein Anſatz zu der ſanften Erſchlaffung entſtehe, welche die Waͤrme bey der Empfindung in ihnen be - wirket.
So wie jeder Gemuͤthszuſtand ſeine Urſachen in Em - pfindungen und Vorſtellungen der Seele hat, die vor ihm vorhergehen, ſo hat auch jedweder Zuſtand ſeine Wirkungen und Folgen in und außer uns; er hat ih - rer in den Vorſtellungen und Gedanken, in den Trieben und Handlungen, und in dem Koͤrper; unmerkbare und bemerkbare, mittelbare und unmittelbare. Und ein großer Theil von dieſen Folgen wird als beſondere von neuem hinzukommende Veraͤnderungen der Seele em -pfunden57der Vorſtellungen. pfunden und gewahrgenommen. Solche vorhergehende und nachfolgende Modifikationen reihen ſich an die Em - pfindniſſe in unterſchiedenen Richtungen an, und werden ſo viele aſſociirte Vorſtellungen, bey deren Wieder - erweckung auch die Empfindniſſe ſelbſt wiedererwecket werden koͤnnen. Aber dennoch iſt die Einbildung oder Wiedervorſtellung der ehemaligen Gemuͤthsverfaſſung von den Einbildungen der uͤbrigen vorhergegangenen, der jene umgebenden und auf ſie folgenden Empfindun - gen, eben ſo unterſchieden, als ſie ſelbſt in der Empfin - dung es war. Ein Menſch, deſſen Herz noch nie die Vaterliebe empfunden hat, kann ſich ſolche eben ſo we - nig wieder vorſtellen, als ein Blindgebohrner die Farbe. Nur weil in ſeinen uͤbrigen Empfindniſſen mehrere von den Jngredienzien dieſer beſondern Neigung enthalten ſind, als der Blinde zur Vorſtellung von der Farbe in ſich hat, ſo kann die ſelbſtthaͤtige Dichtungskraft eine Vor - ſtellung machen, die der Vorſtellung von der Vaterliebe wenigſtens nahe kommt, oder auch faſt ganz dieſel - bige iſt.
Bey dem letzterwaͤhnten Umſtand, nemlich bey der Wiedererweckung der innern Empfindungen ſto - ßen wir auf eine Schwierigkeit, wenn wir ſie genauer an - ſehen. Am Ende mag es gar unentſchieden bleiben, obD 5das,58I. Verſuch. Ueber die Naturdas, was wir Vorſtellungen hier nennen, dieſen Na - men fuͤhren koͤnne? Eine zum zweytenmal wiederholte Empfindung iſt keine Vorſtellung der erſtern Em - pfindung, wenn ſie jedesmal durch dieſelbige Urſa - che und durch denſelbigen Eindruck hervorgebracht wird. Die zwote Empfindung kann ſehr viel ſchwaͤcher, als die erſte iſt, und ihr dennoch ſonſten aͤhnlich ſeyn, wie ein Ton, den ich zum zweytenmal in einer groͤßern Ferne ſehr ſchwach vernehme; kann deswegen die letztere wie - derholte Empfindung eine Vorſtellung von der erſten genennet werden? Auf den Namen kommt es nicht an, aber darauf, ob der Sache die Beſchaffenheit wirklich zukommt, die man ihr beyleget, wenn man ſie ſo benen - net. Die Seelenveraͤnderungen, die Thaͤtigkeiten, die Leiden werden empfunden, dieſe fuͤr ſich, jene in ihren Wirkungen, die ſie hervorbringen. Es entſtehen gewiſ - ſe bleibende Zuſtaͤnde, die man gewahrnimmt; dieß ſind Nachempfindungen. Und dann hinterlaſſen ſie Spuren in der Seele. Dieß iſt es nicht alles, was bey den Vorſtellungen aus den aͤußern Sinnen gefunden wird. Die Nachempfindungen wuͤrden keine Vorſtellungen ſeyn, wenn ſie nicht durch die Eigenmacht der Seele wie - der erwecket werden koͤnnten, ohne daß dieſelbige Urſa - che wiederum wirke, welche ſie das erſtemal hervorbrach - te. Die Nachſchwingungen einer elaſtiſchen Saite, die man angeſchlagen hat, ſind keine Vorſtellungen. Auch iſt nicht eine jede Dispoſition, eine ehemals erlittene Ver - aͤnderung von der nemlichen Urſache nun leichter aufzu - nehmen, eine Vorſtellung. Die elaſtiſchen Saiten erlangen eine gewiſſe Geſchwindigkeit durch den Gebrauch, wodurch ſie geſchickt werden, leichter ihre tonartige Be - wegungen anzunehmen, welche ſie vorhero ſchwerer ſich beybringen ließen. Sie verlieren ihre anfaͤngliche Rei - figkeit, und ein aͤußeres Hinderniß der Schwungsbewe - gung wird gehoben. Aber demohnerachtet iſt keine naͤ -here59der Vorſtellungen. here Dispoſition, kein groͤßerer Grad von ſelbſt - thaͤtigem Beſtreben, aus einem innern Princip den ehe - maligen Zuſtand zu erneuern, in der Elaſticitaͤt der Sai - ten vorhanden. So eine aus der erſten Veraͤnderung aufbehaltene Dispoſition oder Leichtigkeit in der innern Kraft muß es aber ſeyn, wenn ſie eine Vorſtellung von der vorhergegangenen Veraͤnderung heißen ſoll, in dem Verſtande nemlich, worinn unſere Vorſtellungen von den Koͤrpern, die wir durch das Geſicht und die uͤbri - gen aͤußern Sinne erlangen, ſo genennet werden.
Hier kommen wir auf eine Unterſuchung, die mit ihren Folgen tief in die Natur der Seele hineingehet. Die Empfindungen des innern Sinnes ſind beſon - dere Modifikationen der Seele; unterſchieden ſowohl von den aͤußern Empfindungen, als von den Vorſtellungen, wodurch ſie ſelbſt verurſachet werden. Sind nun die Spuren, welche von ihnen zuruͤckbleiben, die Leichtig - keiten in der Empfindſamkeit und in der thaͤtigen Kraft, gleichfalls beſondere Dispoſitionen in der Seele, welche von den Dispoſitionen, aͤußere Empfin - dungen und andere Vorſtellungen zu reproduciren, un - terſchieden ſind? dieß iſt der Mittelpunkt der Unterſu - chung. Wenn ein ehemaliger Gemuͤthszuſtand, oder eine ehemalige Aktion als eine abweſende und vergange - ne Sache, wieder vorgeſtellet wird, wie ein geſehenes Objekt in der Einbildung, iſt denn der Uebergang von der Dispoſition zur wirklichen Wiedervorſtellung des ehe - maligen Zuſtandes eine Wirkung, welche jene Dispo - ſition in dem Jnnern vorausſetzet, und erfodert, und oh - ne ſie nicht entſtanden ſeyn wuͤrde? Oder iſt hier die Ein - bildung blos eine nochmalige ſchwache Empfindung, welche eine aͤhnliche Urſache hat, wie die erſte Empfin - dung gehabt hat?
Das Bild von dem Monde, das ich in Abweſen - heit des Gegenſtandes in mir habe, wird durch eine inn -re60I. Verſuch. Ueber die Naturre Urſache in der Seele wiedererwecket, bey der Gele - genheit, da eine andere damit verbundene Jdee vorhan - den iſt. Jenes iſt aber keine wiederkommende Empfin - dung von außen her. Das Bild wird erneuert, weil eine Leichtigkeit, oder eine Dispoſition dazu, aus der vor - hergegangenen Empfindung zuruͤckgeblieben war, welche die Eigenmacht der Seele wieder hervorziehen, entwi - ckeln, und als Abbildung des vorigen Zuſtandes bemerk - bar machen kann.
Wenn das lebhafte Vergnuͤgen und die warme Zu - neigung gegen eine Perſon in mir wiederhervorkommt, da ich ihr Bild vor mir habe, ohne ſie ſelbſt zu ſehen; iſt dieſe wiederkommende Gemuͤthsbewegung, oder die wiederaufſteigende Neigung eine aͤhnliche Wie - dererweckung einer aus der Empfindung zuruͤckgelaſ - ſenen Spur? Kann ſie nicht vielleicht eine neue jetzo her - vorgebrachte Wirkung ſeyn, welche die Vorſtellung des Objekts zur Urſache hat? kann dieſe wiederholte Em - pfindung in Verhaͤltniß mit der Lebhaftigkeit der Ein - bildung, wodurch ſie hervorgebracht wird, nicht ſelbſt lebhaft oder matt ſeyn, ohne Bezug darauf, daß ſie vorhero in uns gegenwaͤrtig geweſen iſt? Wenn ein Ver - gnuͤgen uͤber eine Sache das erſtemal durch das Anſchaun entſtanden iſt, muß nicht auch die Einbildung, als ein heruntergeſetztes Anſchaun, aus einem aͤhnlichen Grun - de die Urſache von einer ſchwachen Gemuͤthsbewegung ſeyn, welche ſich zu dem Vergnuͤgen aus der Empfin - dung auf dieſelbige Art verhaͤlt, wie die Einbildung ſelbſt zu der Empfindung? Und dann iſt es unnoͤthig, eine aufbehaltene Spur des ehemaligen Gemuͤthszuſtan - des anzunehmen.
Die Vorſtellung von einem aͤußern Gegenſtande kann wieder erwecket werden vermittelſt einer andern Vorſtellung, die mit ihr verbunden iſt und von der man es weiß, daß ſie die phyſiſche Urſache von derjenigennicht61der Vorſtellungen. nicht iſt, deren Wiederentwicklung ſie veranlaſſet. Die Jdee von dem Eſel erwecket in mir die Jdee von dem Menſchen, der auf ihm ſaß. Hier iſt jene gewiß nicht mehr als eine Veranlaſſung zu dieſer. So wenig als in der Empfindung eine der aſſociirten Jdeen die andere der Seele einpraͤget, eben ſo wenig kann ſie in der Re - produktion die Urſache von der letztern ſeyn. Es mag ihre Verbindung in der Phantaſie, vermoͤge welcher eine die Wiederhervorziehung der andern veranlaſſet, beſte - hen, worinn ſie wolle, ſo iſt doch die Reproduktion eine Wirkung, welche außerdieß ein dazu beſonders disponir - tes Vermoͤgen in der Seele erfodert. Verhaͤlt es ſich bey den wiedererweckten Vorſtellungen aus innern Em - pfindungen auf dieſelbige Weiſe?
Man kann allerdings viele Wiedervorſtellungen von innern Empfindungen ſo erklaͤren, daß ſie aufhoͤren, wahre Vorſtellungen zu ſeyn. Die innern Empfindun - gen, welche in uns unter gewiſſen Umſtaͤnden entſtehen, haben in der damaligen Verfaſſung der Seele ihre in - nern Urſachen; dagegen eine neue Empfindung des aͤuſ - ſern Sinnes eine beſondere aͤußere Urſache erfodert. Dieſe Verſchiedenheit iſt wichtig. Die innern Modifi - kationen ſind dann, wann ſie zuerſt empfunden werden, Wirkungen, welche aus der Seele ſelbſt, aus ihrer Em - pfindſamkeit durch eine innere Kraftaͤußerung hervorge - bracht werden, nachdem die Vermoͤgen und Kraͤfte durch die Empfindungen aͤußerer Objekte beſtimmt und geformet ſind. So oft wir uns ſolcher ehemaligen in - nern Eimpfindungen wieder erinnern, geht eine wieder - erweckte Vorſtellung des Objekts vor der zuruͤckkehren - den Empfindung vorher, in derſelbigen Ordnung, in der ſie in den erſten Empfindungen auf einander folgten: es ſind jedesmal entweder die nemlichen oder doch aͤhnli - chen Empfindungen, oder auch die nemlichen Einbil - dungen wieder da, wenn das vormalige Vergnuͤgen,der62I. Verſuch. Ueber die Naturder Verdruß, die vorher empfundene Neigung, die Ab - neigung u. ſ. f. wieder erwecket wird. So iſt es oͤfters. Das Vergnuͤgen aus der Muſik, die angenehme Wal - lung in der Seele, die wir in einem Garten empfunden haben, wird nicht in Gedanken erneuert, als wenn die Vorſtellungen von der Muſik und von dem Garten wie - derum gegenwaͤrtig ſind. Laͤſſet ſich nun die Sache nicht ſo erklaͤren, ſo bedarf es keiner beſondern von der Ge - muͤthsbewegung in uns zuruͤckgebliebenen Spur, und kei - ner Dispoſition, ſie leichter wieder anzunehmen. Die Dispoſition, die bewegenden Vorſtellungen von aͤußern Objekten zu reproduciren, iſt genug; denn auf dieſe er - folgen die Anwandlungen zu Veraͤnderungen, welche die Stelle der Einbildungen von innern Empfindungen vertreten. Hr. Search hat in uns beſondere Zufrie - denheitsfibern angenommen, ſo wie es Geſichts - und Gehoͤrsfibern giebt. Jene ſollen die Organe des Ge - muͤths ſeyn, welche modificirt werden, wenn der Ge - muͤthszuſtand, den wir die Zufriedenheit nennen, em - pfunden wird. Die Beobachtung lehrt uns von ſolchen Organen nichts; aber man kann ſich dieſer Erdichtung hier bedienen, um die Jdee von der Sache durch eine bildliche Vorſtellung deutlicher zu machen. Und ich wuͤrde noch zu derſelbigen Abſicht beſondere Aktionsfibern hinzuſetzen, die nur alsdenn ſinnlich beweget werden ſol - len, wenn die ſelbſtthaͤtige Kraft der Seele entweder außer ſich in den Koͤrper wirket, oder ſich ſelbſt und ih - re eigene Vermoͤgen beſtimmet und neue Modifikationen in ſich ſelbſt hervorbringet.
Die Vorſtellungsfibern, ſolche nemlich, die zu den Vorſtellungen aͤußerer Objekte gehoͤren, erhalten aus den Empfindungen gewiſſe Dispoſitionen, leichter die ſinnliche Bewegung von neuem anzunehmen. Ob nun nicht das nemliche bey den Zufriedenheitsfibern und bey den Thaͤtigkeitsfibern ſtatt finde oder ob dieſe immerfortſo63der Vorſtellungen. ſo bleiben, wie ſie ſind, und niemals Bewegungen an - nehmen, als wenn dieſelbige Urſache von neuen auf ſie wirke? Dieß iſt die vorige Frage in einer andern Spra - che vorgetragen.
Jn Hinſicht der Vorſtellungen des aͤußern Sinnes wiſſen wir mit Gewißheit, daß Dispoſitionen aus den Empfindungen zuruͤckgeblieben ſind, und daß die Wie - dervorſtellungen der abweſenden Objekte von dieſen Dis - poſitionen abhangen. Wir koͤnnen uns daruͤber leicht verſichern, daß die vorigen Urſachen zu der Empfin - dung bey der Vorſtellung des Abweſenden nicht vorhanden ſind, und daß auch keine andere da iſt, die ihre Stelle, als wirkende Urſache, vertreten koͤnnte. Die aſſociirte Jdee von dem Thurm, wobey die Jdee von dem Hau - ſe wiedererwecket wird, iſt offenbar keine phyſiſche Urſa - che, welche die letztere Vorſtellung der Seele beyoringen koͤnnte. Die Jdee von dem Hauſe muͤßte alſo in der Phan - taſie fehlen und bey der Abweſenheit des Gegenſtandes unwiederhervorbringbar ſeyn, woferne ſie in der Em - pfindung nicht vorhanden geweſen, und nicht aus dieſer eine naͤhere Anlage dazu entſtanden waͤre. Hievon haͤngt alſo die Entſcheidung in der gedachten Unterſu - chung ab, daß man aus Beobachtungen zeige, ob und wie weit die Gemuͤthszuſtaͤnde und andere innere Em - pfindungen und deren Einbildungen jenen von aͤußern Ge - genſtaͤnden aͤhnlich ſind?
Oftmals bemerket man, daß die vorige Luſt oder Unluſt an einer Sache, ſo wie ſie in der Empfindung der Empfindung der Sache, welche das Objekt der Affek - tion iſt, nachfolget, auch alsdenn, wenn ſie wiederer - wecket wird, in derſelbigen Ordnung die Einbildung je - nes Objekts vor ſich habe. Aber es iſt doch auch ge - wiß, daß es in vielen andern Faͤllen nicht ſo iſt. Da, wo eine Neigung zur Leidenſchaft, und ein bloßes Ver - moͤgen zur Fertigkeit geworden iſt, zeigen ſich die Aus -nahmen64I. Verſuch. Ueber die Naturnahmen am deutlichſten. Es aſſociiren ſich die Ge - muͤthsbewegungen mit andern aͤußern Empfindungen und Vorſtellungen, von welchen ſie nur begleitet wer - den, die aber nicht zu den Urſachen gehoͤren, von wel - chen ſie hervorgebracht ſind. Sie legen ſich an ihre Wirkungen und Folgen, die aus ihnen entſtehen, und an Zeichen, Worte und Ausdruͤcke, worinne ſie aͤußer - lich hervorbrechen. Hr. Search nennet dieß ein Ue - bertragen der Empfindungen von einer Jdee auf eine andere, die mit jener verbunden iſt. Ohne dieſem Philoſophen in den Anwendungen, die er davon macht, durchgehends Beyfall zu geben, iſt doch ſeine Bemer - kung eine richtige Beobachtung. Gemuͤthszuſtaͤnde und Neigungen vereinigen ſich mit fremden Vorſtellun - gen und Empfindungen, mit welchen ſie in keiner verur - ſachenden Verbindung ſtehen, das iſt, mit ſolchen, die weder ihre Urſachen, noch ihre Wirkungen ſind.
Durch ſolche fremde aſſociirte Empfindungen und Vorſtellungen werden ſie auch wiederum erwecket, wie die Vorſtellung der Kirche durch die Vorſtellung von dem Thurm, nemlich als durch blos veranlaſſende, nicht aber wirkende Urſachen. Jn vielen Faͤllen koͤnnen wir uns hievon eben ſo ſehr verſichern, als bey den Repro - duktionen ſichtbarer Gegenſtaͤnde. Dem Verliebten, der eben ruhig iſt, faͤllt etwas in die Augen, das ſich auf ſeine Geliebte beziehet; ſogleich klopfet ihm das Herz. Zuweilen haben ſich eine Menge von andern Vorſtellun - gen zu dieſer Jdee hinzugeſellet, welche mitwirken, zu - weilen aber wird die Neigung unmittelbar bey ſolchen unwirkſamen Vorſtellungen erwecket, ohne daß eine an - dere Reihe von Vorſtellungen dazwiſchen tritt, derglei - chen gemeiniglich erſt nachher hinzukommen, und die Bewegung lebhafter machen. Das iſt es, was in je - der Fertigkeit und in jeder Gewohnheit gefunden wird. Die geringſte entfernteſte Vorſtellung, jeder aͤußereAus -65der Vorſtellungen. Ausbruch, jede Wirkung von ihr fuͤhret auf ſie zuruͤck, welches, ohne eine Dispoſition dazu in der Empfindſam - keit und in dem Thaͤtigkeitsvermoͤgen, nicht geſchehen koͤnnte.
Die Wiedervorſtellung eines geſehenen und nun ab - weſenden Gegenſtandes haͤlt ſich gewoͤhnlich ſo in den Schranken der Einbildung, daß wenn ſie mit andern gleichzeitigen Empfindungen derſelbigen Art verglichen wird, ſie ſogleich fuͤr das erkannt werden kann, was ſie iſt, nemlich fuͤr einen Schatten von der Empfindung: ſie iſt nicht die volle und ſtarke Empfindung ſelbſt. Die Urſachen, die ihr dieſen Grad der Staͤrke geben muͤßten, liegen nicht in dem Jnnern der Seele, ſondern ſind außer ihr, oder doch nicht in ihrer Gewalt. Etwas verhaͤlt es ſich anders bey den Seelenveraͤnderungen, die aus einem innern Princip hervorgehen, wenn ſie Empfin - dungen ſind. Hier ſind zwar auch die Einbildung und die Empfindung ſtark genug unterſchieden; ein anders iſt es, wenn wir uns nur erinnern, wie uns ehmals zu Muthe geweſen iſt, und ein anders, wenn uns jetzo wieder von neuem eben ſo zu Muthe wird: je - nes iſt die Vorſtellung des abweſenden Zuſtandes; dieſes iſt eine nochmalige Empfindung; und der Unter - ſchied zwiſchen beiden faͤllt auf, und beſtehet in Graden der Staͤrke und Lebhaftigkeit. Aber die Einbildung kann hier ich will nicht ſagen leichter, aber oͤfterer, weil es auf innere Urſachen in der Seele ankommt, in eine Em - pfindung uͤbergehen. Das Andenken an die geliebte Perſon macht das Herz ſo voll, daß die zuruͤckgekehrte Affektion nicht mehr eine bloße Einbildung bleibet, ſon - dern zu einer vollen gegenwaͤrtigen Empfindung wird. Denn obgleich jetzo nur Einbildungen von dem abweſen - den Objekt, nicht aber Empfindungen von ihm vorhan - den ſind, und alſo auch durch jene nur Einbildungen von den ehemaligen Zuſtaͤnden veranlaſſet werden, ſo koͤnnenI. Band. Eſolcher66I. Verſuch. Ueber die Naturſolcher veranlaſſenden Einbildungen doch mehrere zuſam - men kommen, deren vereinigte Macht ſo ſtark iſt, als eine Empfindung; oder der Hang zu einer ſolchen Af - fektion in dem Jnnern der Seele kann ſo ſtark geworden ſeyn, daß nichts mehr als eine geringe Veranlaſſung noͤ - thig iſt, um dieſe innere Urſache zur Wirkſamkeit zu bringen. Was von der Jdee hinzu kam, brauchte ihr nur gewiſſe Reize und Beſtimmungen zu geben. Ein ſchwacher Funken kann alſo zuͤnden, wenn das Gemuͤth den empfaͤnglichen Zunder in ſich hat, und durch vor - hergegangene Empfindungen ſo leicht entzuͤndbar gewor - den iſt.
So ſcheint alſo die Sache entſchieden zu ſeyn, wenn man bey den Beobachtungen ſtehen bleibet. Was iſt einfacher? und analogiſcher?
Aber durch eine Anwendung, die einige neuere Phi - loſophen von der Jdeenaſſociation gemacht haben, werden alle ſolche aus Empfindungen entſtandene Dispo - ſitionen zu innern Veraͤnderungen, nur die Vorſtellun - gen aus den aͤußern Sinnen ausgenommen, hinweg - erklaͤret.
Die Gemuͤthszuſtaͤnde, die Neigungen, Beſtre - bungen, und alles, was zu den leidentlichen und thaͤti - gen innern Seelenveraͤnderungen gehoͤret, das ſoll nicht anders wieder hervorkommen, als durch dieſelbigen Jdeen, oder ihnen aͤhnliche, durch welche ſie das erſtemal in der Seele hervorgebracht worden ſind. Wenn es den An - ſchein hat, als wuͤrde eine vorige Luſt blos durch eine Nebenidee, die weiter keine Beziehung auf ſie hatte, als daß ſie mit ihr verbunden war, wieder hervorgebracht, ſo ſoll es nicht dieſe Nebenidee ſeyn, welche fuͤr ſich ſelbſt auf die Seele wirket; aber ſie ſoll andere aſſociirte Jdeen wieder herbey fuͤhren, in denen die bewegende Kraft ent - halten iſt, und die in der erſten Empfindung die wir - kende Urſache des Gefallens geweſen ſind. Der Spielerſiehet67der Vorſtellungen. ſiehet die Karten nur an, und dem Geizigen ſchimmert nur eine Goldmuͤnze in die Augen. So ein Anblick bringet nach der gedachten Erklaͤrungsart die ehemali - gen angenehmen Empfindungen, die mit dem Spielen und mit dem Genuß des Geldes verbunden geweſen ſind, und alſo eine lange Reihe von Jdeen wieder zuruͤcke. Und die letztern von ihnen, die nun die Zwecke und Ab - ſichten vorſtellen, ſollen es ſeyn, von welchen das Herz ergriffen, und zur vorigen Begierde geſpannet wird. Dieß iſt denn eine neue Wirkung, ohne daß eine ander - weitige Aufgelegtheit in dem Vermoͤgen der Seele oder in ihrer Empfindſamkeit vorhanden ſey, welche hierinn einen Einfluß haben doͤrfe. Fertigkeit und Gewohn - heit und Staͤrke in Empfindungs - und Hand ungs - arten ſind alſo nichts als Fertigkeiten, die Jdeen ſol - cher Gegenſtaͤnde in Verbindung zu erwecken, welche die Reize enthalten, wodurch die Seele ſo zu empfinden und ſo zu handeln beſtimmet worden iſt, und nun auch in der Reproduktion beſtimmet werden muß. Die Fer - tigkeiten ſind Fertigkeiten, Joeen zu verbinden, und in der Verbindung wiederum darzuſtellen; Jdeen nemlich von Gegenſtaͤnden, welche aus den aͤußern Sin - nen entſtehen.
Dieſe Art, die Wiedervorſtellungen von Gemuͤths - bewegungen, Beſtrebungen und Handlungen der Seele, zu erklaͤren, iſt in dem Syſtem der Jdeenaſſociation des Englaͤnders Hartley eine nothwendige Folge ſeiner er - ſten Grundſaͤtze. Aber es iſt unnoͤthig, ſie von einem Aus - laͤnder zu holen. Sie lieget auch in der Wolfiſchen Pſychologie. Hr. Prieſtley muß dieſe letztere nicht ge - kannt haben; er wuͤrde ſonſten das Lob, das er dem hartleyiſchen Syſtem ſo freygebig beyleget, nemlich es ſey dadurch ein ſo einfaches, allgemeines und noch frucht - bareres Princip in die moraliſche Welt eingefuͤhret, als durch die Newtoniſche Attraktion in die Koͤrperwelt,E 2auch68I. Verſuch. Ueber die Naturauch dem Syſtem des deutſchen. Philoſophen nicht ver - ſaget haben. Denn abgerechnet, daß Hartley die Jdeen Nervenſchwingungen nennet, und ſie wie Herr Bonner in die Organe im Gehirn hinſetzet, dagegen Wolf die Jdeen fuͤr Modifikationen der Seele ſelbſt an - ſah, ſo iſt gewiß die vorſtellende Kraft in dem Sy - ſtem des letztern ein eben ſo einfacher und ſo weit ſich er - ſtreckender Grundſatz, als die hartleyiſche Jdeenaſſociation, und kann auch auf eine aͤhnliche Art auf die pſychologi - ſchen Beobachtungen, und beſonders auf die, wovon hier die Rede iſt, angewendet werden. Man darf nur die Sprache und Ausdruͤcke umaͤndern, ſo wird die Er - klaͤrung aus einem Syſtem in eine Erklaͤrung nach dem andern uͤbergehen.
Hier iſt es meine Abſicht nicht, dieſe Hypotheſen zu beurtheilen, welche, weil ſie von ihren ſcharfſinnigen Verfaſſern gut genug durchgedacht ſind, auch Ausfluͤchte genug in ſich faſſen, um Angriffen auszuweichen, welche man aus der Erfahrung auf ſie thun kann. Moͤgliche Erklaͤrungsarten geben ſie genug her, wie die Hypothe - fen uͤberhaupt, die vernuͤnftig ſind. Fragt man aber, womit ſie ſelbſt beſtaͤtiget ſind, ſo ſtehen ſie in der nackten Bloͤße der Hypotheſen da. Jch will hier nur einige Anmerkungen anfuͤgen, die jene aus der Aſſociation der Jdeen gezogene Erklaͤrung von den Wiedervorſtellungen innerer Empfindungen betreffen.
Erſtlich iſt zu bedenken, daß hier noch nicht die Frage ſey, worinn die Seelenveraͤnderungen, welche der innere Sinn empfindet, eigentlich beſtehen. Ob das, was wir Vergnuͤgen nennen, etwas anders ſey, als ein Phaͤnomen, das, wenn es deutlich auseinander ge - ſetzet werden kann, vielleicht nichts iſt, als ein Aktus der vorſtellenden Kraft oder des Vermoͤgens, Jdeen zu verknuͤpfen, und zwar ohne daß die Seele andere Jdeen beſitze, als von aͤußern Objekten, die ſie aus den aͤußernSinnen69der Vorſtellungen. Sinnen empfangen hat? Mag es doch ſo ſeyn, ſo iſt doch dieſer Aktus, oder dieſe Tendenz der Kraft, den wir das Vergnuͤgen nennen, auch eine beſondere Modi - fikation der Seele; eine Wirkung, zwar von andern vorhergegangenen Empfindungen und Vorſtellungen, aber doch immer eine beſondere Wirkung, welche fuͤr ſich allein einen fuͤhlbaren Zuſtand ausmachet, und den wir von andern unterſcheiden und gewahrnehmen. Der Anblick der Speiſe wirket bey dem Hungrigen den Ap - petit. Die Begierde iſt aber nicht mit dem Anblick der Speiſe einerley.
So darf hier im Anfang die Sache nur angeſehen werden. Es iſt die Frage, ob dieſer beſondere Zu - ſtand nicht eine Folge in der Seele hinterlaſſe, wodurch ſie mehr aufgeleget wird, in eben denſelbigen wiederum verſetzet zu werden, als ſie es ſonſten nicht geweſen ſeyn wuͤrde?
Zweytens ſcheint mir die obige Erklaͤrung doch in vielen Faͤllen zu weit hergeholet und unzulaͤnglich zu ſeyn.
Wir erinnern uns oft, aus einer Sache Vergnuͤgen geſchoͤpft zu haben, oder verdrießlich uͤber ſie geweſen zu ſeyn, ohne es jetzo mehr zu wiſſen, was es eigentlich ge - weſen iſt, das uns der Zeit afficiret habe. Wir ſind jetzo nicht mehr in der vorigen Gemuͤthsbewegung, aber an gewiſſen aͤußern Handlungen des Koͤrpers, welche die Ausbruͤche. des innern Zuſtandes waren, und die in un - ſerm Gedaͤchtniß helle genug mit der Jdee der Sache wieder hervorkommen, wiſſen wir es nichts deſtoweniger gewiß, daß ſo ein Zuſtand in dem Gemuͤth zu der Zeit vorhanden geweſen ſey. Die Wiedervorſtellung des vo - rigen Zuſtandes enthaͤlt alsdenn ſo viel von der ehema - ligen Empfindung in ſich, wie die Einbildung von dem Geſchmack einer Birne von ihrer Empfindung in ſich hat.
E 3Man70I. Verſuch. Ueber die NaturMan ſaget, die Wiedervorſtellung des Verdruſſes ſolle von Vorſtellungen abhangen, die uns jetzo nicht genug gegenwaͤrtig ſind, denn eine Vorſtellung koͤnne wirkſam ſeyn, ohne daß wir ſie gewahrnehmen. Die bewegenden Vorſtellungen ſollen wirklich in uns re - produciret werden, ohne daß wir uns ihrer bewußt ſind. Jenen Satz laͤugne ich nicht. Aber da ich nach der ge - naueſten Unterſuchung keine von den ehemals bewe - genden Vorſtellungen jetzo in mir antreffe, und viel - mehr ſehe, ich wuͤrde von dem derzeitigen Gemuͤthsſtan - de nicht einmal wiſſen, daß er vorhanden geweſen iſt, wenn ich nicht auf dieſe Wiedererinnerung durch Vor - ſtellungen gebracht waͤre, welche nicht die Urſachen, ſondern die Folgen und Aeuſſerungen von ihm geweſen ſind, ſo iſt es viel gefodert, daß ich die gegebene Erklaͤ - rung als die wahre annehmen ſoll.
Die vorigen verurſachenden Vorſtellungen ſind entweder jetzo nicht vorhanden, oder doch ſo dunkel, daß ich ſie nicht gewahrnehme; und doch ſollen ſie in dem Grade thaͤtig ſeyn, daß ſie von neuem einen Anſatz zu der ehemaligen Gemuͤthsbewegung hervorbringen.
Dieß nicht allein. Mich deucht, in ſolchen Faͤllen koͤnne man es oftmals wiſſen, daß wir uns der ehema - ligen Gemuͤthsbewegung nicht wieder erinnern wuͤrden, wenn nicht ſolche Vorſtellungen ihr Andenken erneuerten, welche der Zeit keine wirkende Urſachen von ihr geweſen ſind; wie z. B. die Vorſtellungen von aͤußern Ausbruͤ - chen der Freude in Bewegungen des Koͤrpers. Ver - langet man mehr, um ſich zu uͤberzeugen, daß ein ſol - cher vergangener Gemuͤthszuſtand wieder vorgeſtellet werde, durch die Aſſociation mit andern Vorſtellungen, von denen er nicht mehr abhaͤngt, als die Jdee von dem Thurm von der Jdee der Kirche? daß alſo die Wie - dervorſtellung hier eben ſo etwas ſey, als ſie es bey den Vorſtellungen aͤußerer geſehener Objekte iſt.
Es71der Vorſtellungen.Es ſcheinen mir ferner uͤberhaupt alle Beobach - tungen mit der gedachten Erklaͤrung unvereinbar zu ſeyn, wo die Reproduktion eines ehemaligen Gemuͤthszuſtan - des, oder auch die Wiederverſetzung in dieſen Zuſtand, durch die Vorſtellungen ihrer aͤußern Folgen und Wir - kungen veranlaſſet wird. Solche Faͤlle ſind haͤufig. Die Einbildungskraft nimmt in der Reihe der Vorſtel - lungen den Weg ruͤckwaͤrts, von den Wirkungen auf die Urſachen; ſie wird es wenigſtens leicht gewohnt, ihn zu nehmen, und ſie wird es auch da gewohnt, wo die Urſache eine Gemuͤthsbewegung war und die Wir - kung von dieſer eine Geberde des Geſichts, ein Ton der Stimme oder eine Bewegung mit der Hand iſt. Man darf nur luſtige Toͤne wiederholen, nicht eben ſolche, die uns wirklich ehedem vergnuͤgt gemacht haben, ſondern ſolche welche wir angaben, weil wir vergnuͤgt waren, und in die das heitere Herz faſt unwillkuͤhrlich, zumal in juͤn - gern Jahren, ſich zu ergießen pfleget, oder man darf nur lebhaft an ſie denken, und die Reproduktion des Vergnuͤgens, als ihrer Quelle, iſt mit ihnen verbunden.
Will man ſagen, dieſe Vorſtellungen muͤßten zu - voͤrderſt andere hervorbringen, die vor der Gemuͤthsbe - wegung vorhergegangen ſind; ſo kann man zweyerley antworten. Es lehret die Empfindung dieß nicht. Und dann ſo ſind die vorhergehende wirkende Vorſtellun - gen oft an die nachfolgende Vorſtellungen nicht an - ders angereihet, als allein vermittelſt der zwiſchen ihnen liegenden Gemuͤthsbewegung. Sie haben ſonſt keine hier in Betracht kommende Aehnlichkeit unter ſich; ſind auch in keiner wirkenden Verknuͤpfung mit einander, und auch in keiner Folge auf einander in der Empfin - dung geweſen, als nur in ſolchen Reihen, in denen zu - gleich die innere Seelenveraͤnderung das Verbin - dungsglied zwiſchen ihnen war. Da muß alſo auch nach dem bekannten Geſetze der Aſſociation die Einbil -E 4dungs -72I. Verſuch. Ueber die Naturdungskraft, die bey der Reproduktion mit den nach - folgenden Vorſtellungen anfaͤngt, den Weg uͤber je - nes Glied in der Reihe nemlich uͤber die Gemuͤthsbewe - gung genommen haben, ehe ſie zu der Reproduktion der vorhergehenden verurſachenden Vorſtellungen hat hin - kommen koͤnnen. Das heißt, ſie muß die Gemuͤthsbe - wegung unmittelbar bey Jdeen wieder erwecken, die ſol - che nicht verurſachen, und die Wiedervorſtellung von je - ner zu einer neuen Empfindung machen koͤnnen.
Endlich muͤßte folgen, daß die Uebertragung der Neigungen von einer Jdee auf andere, die durch viele Beobachtungen beſtaͤtiget iſt, ein bloßer Schein ſey. Jſt ſie gegruͤndet, ſo kann eine Neigung unmit - telbar in Verknuͤpfung mit einer Vorſtellung gebracht werden, mit der ſie ſonſten nur auf eine entfernte Art zuſammenhaͤngt. Finden ſich nun dergleichen Uebertra - gungen wirklich, ſo giebt es ja Faͤlle, in denen die Nei - gung zunaͤchſt durch Jdeen wieder erwecket wird, wo - von es ſich nicht einmal vermuthen laͤßt, daß ſie als wirkende Urſachen ſie hervorbringen. Dergleichen Ue - bertragungen ſind gewoͤhnlich. Wenn wir eine fremde Sprache erlernen, ſo uͤberſetzen wir ihre Woͤrter zuerſt in die Woͤrter unſerer Mutterſprache, und durch dieſe Vermittelung erregen wir die damit verbundenen Gedan - ken. Am Ende verlieret ſich dieß. Wir gewoͤhnen uns, die Jdeen mit den fremden Woͤrtern unmittelbar zu verbinden, und bedoͤrfen dann jener Zwiſchenvorſtel - lungen nicht mehr. Mich deucht, man muͤſſe vielen Beobachtungen Gewalt anthun, wenn man es laͤugnen wollte, daß wir es nicht mit dem Vergnuͤgen und Ver - druß ſehr oft eben ſo machen, und ſie mit den gleichguͤl - tigſten Vorſtellungen unmittelbar zuſammen bringen.
Dieß ſey genug, um einen Einwurf zu heben, den ich nicht ganz zuruͤcklaſſen konnte, ohne gleich im Anfang auf meinem Weg aufgehalten zu werden. Das minde -ſte,73der Vorſtellungen. ſte, was aus dem vorhergehenden geſchloſſen werden kann, will ich hier nur herausziehen. So viel iſt, wie ich meine, entſchieden. So lange man nur den Beob - achtungen nachgehet, und ſich noch in keine feine pſycho - logiſchen Hypotheſen einlaͤſſet, findet man, das, was wir Vorſtellungen von unſern innern leidentlichen und thaͤtigen Seelenveraͤnderungen nennen, zeige ſich uns eben ſo, wie die Vorſtellungen von aͤußern Dingen. Die Empfindung hinterlaͤſſet Dispoſitionen, wovon die Reproduktion abhaͤngt, und die noch nicht vorhanden ſind, wo die Empfindung nicht vorhergegan - gen iſt. Dieſer Leitung der Beobachtungen laſſet uns im Anfang nachgehen. Kommen wir weiter in das Jnnere der Seele hinein, in eine tiefer liegende Schich - te, wo ſich die Natur der innern Veraͤnderungen deutli - cher aufdecket; ſo wird es dann Zeit ſeyn, zu fragen, ob und wie weit das, was in den Beobachtungen ange - troffen worden iſt, nur ein Schein ſey, der die Eigenheit nicht an ſich hat, die wir anfangs nach der verwirrten Vorſtellung darinnen antrafen?
Unſere Einbildungen von geſehenen Dingen haben ei - ne vorzuͤgliche individuelle Deutlichkeit. Die Ein - bildungen von unterſchiedenen einzelnen Objekten, erhal - ten ſich ſo deutlich, daß auch dieſe Jdeate in der Abwe - ſenheit durch ſie ganz gut ſich von einander unterſcheiden laſſen. Eine gleiche Klarheit findet ſich ſchon nicht mehr bey den Vorſtellungen des Gehoͤrs; noch weniger bey den Vorſtellungen der niedern Sinne, des Geruchs, des Geſchmacks. Das Gefuͤhl hat vor den letztern inE 5dieſem74I. Verſuch. Ueber die Naturdieſem Stuͤcke einen Vorzug, oder kann ihn durch Ue - bung erlangen. Man wird es z. B. gewohnt, im Dunkeln ſeinen Hut aus einer Menge anderer heraus - zufuͤhlen.
Dagegen iſt das Vergnuͤgen, was man in der Ge - ſellſchaft mit einem Freunde genoſſen hat, oft ſo ſehr ei - nerley mit dem Vergnuͤgen, das die Geſellſchaft des an - dern verurſachte, daß, wenn man ſich an beides wieder erinnert, ſo ſcheint es, man koͤnne die Eine ſolcher repro - ducirten Empfindungen von der andern nicht mehr unter - ſcheiden, obgleich die verknuͤpften Einbildungen des Ge - ſichts ihre individuelle Deutlichkeit behalten haben. Schon in den Empfindungen iſt dieſer Unterſchied der Klarheit merkbar. Tauſend aͤußere Empfindungen ſind auf einerley Art angenehm oder unangenehm. Aber wenn ſie es nicht in der Empfindung ſind, ſo ſind ſie es doch in der Reproduktion, wo man die Eine von der an - dern nicht anders, als vermittelſt der aſſociirten Jdeen von den aͤußern Gegenſtaͤnden unterſcheidet.
Dennoch haben auch die Wiedervorſtellungen der in - nern Gemuͤthsbewegungen ihr Unterſcheidendes. Es giebt z. B. mannigfaltige Arten und Stufen der Luſt und des Misfallens, mehrere, als wir mit eigenen Na - men beleget haben, die ihr Charakteriſtiſches in der Wie - dererinnerung nicht verlieren. Bey dem Anſchauen ei - ner Perſon empfinden wir Freundſchaft; bey der andern Liebe. Ein Paar Empfindniſſe, die ſich auch in der Reproduktion eben ſo ſtark von einander auszeichnen, als das Geſichtsbild von dem Freunde, und von der Ge - liebten. Noch mehr. Es iſt auch einiger individueller Unterſchied bey einerley Art von Gefuͤhlen vorhanden, der in der Reproduktion nicht allemal zu ſchwach iſt, um beobachtet werden zu koͤnnen. Man frage die empfind - ſamen Leute, wenn man ſelbſt es nicht genug iſt, um aus ſeiner eigenen Erfahrung eine Menge einzelner Faͤllebey75der Vorſtellungen. bey der Hand zu haben, die dieſes anſchaulich lehren. Es laͤſſet ſich alſo nicht einmal als allgemein behaupten, daß die Abzeichnung der Einzelnen bey den Einbildun - gen der innern Gefuͤhle ſchwaͤcher ſey, als bey den Ein - bildungen der aͤußern. Die Geſichtsempfindungen ha - ben einen ausnehmenden Vorzug. Bey den uͤbrigen haͤnget vieles, wie bey der Reproduktion uͤberhaupt, von der Aufmerkſamkeit ab, die man bey der Empfindung anwendet, und mit der man gewohnt iſt, die Empfindun - gen und ihre Vorſtellungen zu beobachten. Jch habe dieß blos beruͤhren wollen, um zu erinnern, daß auch dieſe Verſchiedenheit bey den verſchiedenen Gattungen von Vorſtellungen keinen weſentlichen Unterſchied in ih - rer vorſtellenden Natur ausmache. Sie iſt an ſich ge - wiß und bemerkbar genug, und hat ihre wichtigen Fol - gen; und kann zu den Gedanken verleiten, die letztere Gattung von Vorſtellungen wuͤrden darum keine Vor - ſtellungen ſeyn, weil ſie ſo ſehr weit in Hinſicht der Klar - heit von andern abweichen, und auch in Hinſicht des Gebrauchs, den man von ihnen machen kann, wenn man Gegenſtaͤnde durch ſie erkennen will.
Die Beziehung in unſern Vorſtellungen — nur von den urſpruͤnglichen Empfindungsvorſtellungen iſt zunaͤchſt die Rede — auf vorhergegangene Modifika - tionen, und ihre Analogie mit ihnen, macht ſie geſchickt, Bilder oder Zeichen von dieſen abgeben zu koͤnnen. Aber es iſt in dem neunten der obigen Erfahrungsſaͤtze,ange -76I. Verſuch. Ueber die Naturangemerkt, daß ſie noch eine andere zeichnende Eigen - ſchaft an ſich haben. Nemlich ſie verweiſen uns nicht auf ſich ſelbſt, wenn ſie gegenwaͤrtig in der Seele ſind, ſie verweiſen uns auf andere Gegenſtaͤnde und Be - ſchaffenheiten, davon ſie die Zeichen in uns ſind. Wir ſehen in den Vorſtellungen ihre Objekte, in den Jdeen die Jdeate, in dem Bilde von dem Monde den Mond, und in der Vorſtellung von einer ehemaligen Hofnung den derzeitigen und jetzo abweſenden Zuſtand des Ge - muͤths. Jenes macht ihre bildliche Natur aus. Dieß moͤchte ich als ihre zeichnende Natur anſehen, wenn die - ſe beiden unterſchieden werden ſollten.
Darinn ſind die Vorſtellungen aus dem innern Sinn von den Vorſtellungen des aͤußern Sinns unter - ſchieden, daß jene uns auf unſere eigenen innern Ver - aͤnderungen hinweiſen, aus welchen ſie zuruͤckgeblieben ſind; ein großer Theil von dieſen |hingegen, auf die aͤußern Urſachen der Empfindungen, auf Gegenſtaͤn - de, die außer uns ſind, auf geſehene, gefuͤhlte und uͤberhaupt auch empfundene koͤrperliche Gegenſtaͤnde.
Dieſer Unterſchied muß ſeinen Grund haben, und hat ihn in dem Gang, den die Reflexion nimmt, wenn ſie den Gedanken bildet; die Vorſtellung ſey eine Vor - ſtellung von Etwas anders, das ſie ſelbſt nicht iſt. Mit der Wiedervorſtellung einer vergangenen Affektion iſt das Urtheil verbunden: So war meine vorige Empfin - dung; ſo war mir der Zeit zu Muth. Der Einbildung von dem Monde, und von jedem aͤußern Koͤrper hinge - gen klebet ein andrer Gedanke an. Wir ſehen dieſe Vor - ſtellungen nicht fuͤr Vorſtellungen von dem ehemaligen Anſchauen oder von unſerer Empfindung an, ſon - dern fuͤr eine Vorſtellung, die uns ein angeſchauetes Ding darſtellet. Dieſe Urtheile ſind ſchon mit den Em - pfindungen verbunden, und haben ſich aus dieſen in die Reproduktion hineingezogen. Sie ſelbſt ſind Wirkun -gen77der Vorſtellungen. gen der Reflexion, der Denkkraft oder der Urtheilskraft, wie man ſie nennen will; aber ſie haben ihre Veran - laſſungen in den Empfindungen, und in deren Umſtaͤn - den. Was dieſe Verſchiedenheit betrift, ſo | will ich da - von hier noch nichts weiter ſagen, weil die Urſache da - von eine naͤhere Unterſuchung der Denkkraft erfodert, als ich in dieſem Verſuch anſtellen mag. Jch will hier bey dem ſtehen bleiben, was beiden Arten von Vorſtel - lungen gemein iſt.
Beide Arten von Wiedervorſtellungen beziehen ſich auf ihre ehemaligen Empfindungen. Da man den ſehendgewordenen Englaͤnder, der unter dem Na - men des Cheßeldeniſchen Blinden bekannt iſt, und deſſen Geſchichte ſo vieles gelehret hat, und noch mehr wuͤrde haben lehren koͤnnen, wenn er mehr philoſophiſche Beobachter gehabt haͤtte; da man ihn das erſtemal in die Duͤnen von Epſom brachte, nannte er dieſe neuen ungewohnten Empfindungen eine neue Art von Se - hen. So moͤchte vielleicht jeder urtheilen, der mit einer voͤllig gereiften Ueberlegungskraft begabet, lebhaft von einer fuͤr ihn in aller Hinſicht neuen Empfindung be - troffen wuͤrde. Das erſte Urtheil wird ſeyn: Siehe da eine neue Veraͤnderung von dir ſelbſt! Wenn es dabey geblieben waͤre, und nicht bald darauf ein anderer richti - gerer Gedanke dieſen erſtern verdraͤnget haͤtte, ſo wuͤrde der erwaͤhnte Menſch ſich an die Duͤnen von Epſom nicht anders erinnert haben, als man ſich an eine Art von Gefuͤhlen erinnert, aber nicht als an eine eigene Art von aͤußern Gegenſtaͤnden.
Bey unſern Kindern waͤchſet die Reflexion mitten unter den Empfindungen, und daher iſt es wahrſchein - lich, daß das erſt erwaͤhnte Urtheil uͤber das Objektivi - ſche der Vorſtellung in ihrem Kopf entweder gar nicht, oder doch nicht zu ſeiner Voͤlligkeit kommen werde, ehe es nicht ſchon von dem nachfolgenden richtigern vertrie -ben78I. Verſuch. Ueber die Naturben wird. Da iſt alſo wohl der erſte voͤllig ausge - bildete Gedanke, der mit einer Empfindung von einem geſehenen Objekt verbunden iſt, dieſer: daß es eine aͤußere Sache ſey, was man ſehe. Wie ihm aber auch ſey, ſo hindert nichts, die Wiedervorſtellungen anfangs als Abbildungen und Zeichen der vorigen Empfindungen anzuſehen, und die Frage zunaͤchſt zur Unterſuchung zu bringen, was es fuͤr eine Beſchaffenheit der Vorſtellung ſey, die es veranlaſſet, daß wir ſie auf unſere Empfin - dungen beziehen, und dieſe in ihnen ſehen, erkennen und beurtheilen? Wir ſind uns auch der Vorſtellungen ſelbſt in uns bewußt, und koͤnnen ſie in uns gewahrnehmen; aber wenn wir ſie gebrauchen, ſo ſehen wir nicht ſowohl auf ſie ſelbſt, als auf etwas anders, auf die Empfindun - gen nemlich, oder die vorhergegangenen Veraͤnderun - gen, woraus ſie in uns entſtanden ſind.
Es iſt nicht ſchwer, von dieſem Phaͤnomen, oder, von dem natuͤrlichen Hang, wie einige es nennen, die Vorſtellungen fuͤr ihre Gegenſtaͤnde zu nehmen, den Grund zu finden. Laßt uns die Beobachtungen fragen, und vorher die Wirkung ſelbſt genauer anſehen, ehe wir ihre Urſache ſuchen.
Wenn eine abweſende Sache wieder vorgeſtellet wird; ſo koͤnnen wir, wofern die wiedererweckte Einbildung nur einigermaßen lebhaft iſt, gewahrnehmen, daß eine Tendenz, die voͤllige vorige Empfindung wieder zu erneuern, mit ihr verbunden ſey. Es entſtehet eine Anwandlung, eben das wieder zu leiden, wiederum ſo afficirt zu werden, ſo zu wollen, und thaͤtig zu ſeyn, als wir es vorher in der Empfindung geweſen ſind. Wir fangen wieder an, gegen abweſende Perſonen, die wir uns als gegenwaͤrtig einbilden, ſo zu handeln, als wir vorher gethan haben, da wir ſie ſahen. Wir bewegen die Glieder des Koͤrpers, wir ſchlagen mit den Haͤnden, wir ſprechen mit ihnen, wie vorher. Und wo dieß nichtwirklich79der Vorſtellungen. wirklich geſchieht, da werden wenigſtens die Triebe und erſten Anfaͤnge zu allen dieſen in uns rege. Die Seelenkraͤfte erhalten alſo eine gewiſſe Richtung; wo - durch ſie nicht ſowohl auf die Vorſtellung, welche ſonſten auch alsdenn zu den gegenwaͤrtigen Modifikationen ge - hoͤret, als vielmehr weiter hinaus auf die vorige Em - pfindung der Sache beſtimmet werden.
Was hier vorgehet, iſt dem aͤhnlich, was uns wie - derfaͤhrt, wenn wir die Augen auf ein Gemaͤhlde ei - ner uns intereſſanten Perſon, die uns von mehrern Seiten bekannt iſt, aufmerkſam gerichtet haben; Man vergißt bald, daß es ein Bild ſey, was vor uns ſtehet: Es iſt die Perſon ſelbſt vor Augen. Wir werden eben ſo modificirt, als wir es ſeyn wuͤrden, wenn die Licht - ſtrahlen, die wir von der lebloſen Flaͤche empfangen, aus dem lebenden Koͤrper ausgiengen, und mit ſich eine ganze Menge von andern Empfindungen zur Geſellſchaft haͤtten.
Ferner. Unſere Reflexion erblicket in der Vorſtel - lung das Objekt, oder, welches hier einerley iſt, die vorige Empfindung. Was heiſſet dieſes anders, als die Reflexion iſt auf den Gegenſtand hin gerichtet? die - ſer iſt es, den ſie als die Sache denket, deren Bild ge - genwaͤrtig iſt. Sie hat den Gedanken in ſich: da iſt ein Objekt, eine Sache, ein Gegenſtand, und verglei - chet, uͤberleget, ſchließet eben ſo, wie ſie es gethan hat, als der Gegenſtand wirklich vorhanden war.
Jene erſtere Wirkung aus der Vorſtellung entſtehet auch bey den Thieren. Die zwote Wirkung, die Rich - tung in der Reflexion, findet nur bey vernuͤnftigen We - ſen ſtatt, die mit Denkkraft begabet ſind. Das erſte iſt eine Folge aus der phyſiſchen Natur der Einbildun - gen. Das letztere iſt eine Folge von einer allgemeinen Wirkungsart der Reflexion. Wir verfahren auf die nemliche Weiſe in allen Faͤllen, wo Dinge durch ihreZeichen80I. Verſuch. Ueber die NaturZeichen und Bilder erkannt werden; nur mit dem Un - terſchied, daß die Reflexion nicht bey allen Arten von Zeichen ſo leicht, ſo natuͤrlich in dieſe Richtung gebracht wird, als bey den Vorſtellungen, deren Natur ſie von ſelbſt dahin ziehet.
So oft man ſich ein hohes Gebaͤude, einen Berg, einen Thurm, in der Abweſenheit einbildet, ſo erheben ſich die Augen auf die nemliche Art, wie vormals bey dem Anſchauen. Wenn die Gegenſtaͤnde in einer großen Entfernung geſehen wurden, ſo legen ſich die Axen der Augen wiederum in eine aͤhnliche Lage, als wenn man dahin ſehen wollte. Es laͤſſet ſich, wie bekannt iſt, ei - nem wachenden Menſchen, der ſich ohne Verſtellung ſich ſelbſt uͤberlaͤßt, an den Augen anſehen, ob er an dasje - nige denket, was vor ihm iſt, oder ob ſich ſeine Phanta - ſie mit abweſenden Sachen beſchaͤftige. Jn Wolfens groͤßerer Pſychologie, und nun in viel mehrern neuern Schriften, findet man ſoche Beobachtungen geſammlet, und mit einer maͤßigen Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt findet man dergleichen in Menge, welche zu dem allge - meinen Satz hinfuͤhren, daß jede Einbildung mit Tendenzen verbunden ſey, den vormaligen Zu - ſtand, ſogar in dem aͤußerlichen Sinngliede wie - der zu erwecken, der bey der Empfindung vor - handen war. Das Auge iſt unter den uͤbrigen aͤuſſern Sinngliedern das beugſamſte, und dieß iſt der Grund der Augenſprache; aber oft, zumal bey den uͤbrigen Em - pfindungen, geht die wiederzuruͤckkehrende Bewegung in der Einbildung nicht ſo ſtark nach außen, daß ſie be - merket werde, weil die Tendenz dazu innerlich zu ſchwach iſt. Aber es lehret doch die Erfahrung, daß wer ſich aͤußerlich nicht durch Minen verrathen will, auch Herr uͤber ſeine Einbildungen in dem Jnnern ſeyn muͤſſe.
Nur eine maͤßige Beobachtung ſeiner Selbſt iſt noͤ - thig, um zu finden, daß die Wiedervorſtellungen ausdem81der Vorſtellungen. dem innern Sinn eben ſolche Tendenzen, die vorige Empfindung wieder herzuſtellen, mit ſich verbunden ha - ben. Wir erinnern uns z. B. eines vergangenen Mis - vergnuͤgens. Sobald dieſe Vorſtellung anfaͤngt, an - ſchaulich zu werden, ſo empfindet man einen Anſatz zu der vorigen Unruhe, zu der vorigen Begierde, zu dem Verlangen und dem Beſtreben, ſich aus der verdrießlich geweſenen Lage herauszuwickeln, als wenn man noch jetzo darinn verſtrickt waͤre. Auch dieß. Sobald uns eine vorherige Spekulation wieder einfaͤllt, ſo ſetzet ſich das Gehirn in ſeine vorige Lage; das Auge wird wie - der ſcharfſehend, ſpuͤrend; und der forſchende Verſtand iſt ſchon wieder auf dem Anfang ſeines Weges, von neuem in die Materie hineinzugehen.
So lange die Wiedervorſtellungen nicht ſo voll und ſo lebhaft ſind als die Empfindungen, und dieß werden ſie gewoͤhnlich nicht; ſo lange ſind auch die Tendenzen, den vorigen Empfindungszuſtand zu erneuern, noch immer aufgehaltene, noch unvollendete Beſtrebungen. Sie ſind es mehr oder minder, je nachdem die Einbildung ſelbſt lebhafter wird, und den Empfindungen naͤher kommt. Zuweilen muß man die Reproduktion durch eine ſelbſtthaͤtige Anwendung unſerer Kraft befoͤrdern, und unterſtuͤtzen, und ſich voͤllig mit der Einbildung ein - laſſen, wenn die Wiederverſetzung in den ehemaligen Zuſtand bemerklich werden ſoll.
Dieß iſt, meyne ich, das Zeichnende, auf Ob - jekte Hinweiſende in den Einbildungen. Das be - kannte Geſetz der Reproduktion: wenn ein Theil einer ehemaligen Empfindung wieder erwecket iſt, ſo wird der ganze mit ihm vereinigte Zuſtand hervorgebracht, iſt eine Folge davon. Die Seele leidet und handelt nicht ſo, wie ſie leiden und handeln wuͤrde, wenn außer Einem Theil ihrer vorigen Empfindung, jetzo nichts mehr wie - der gegenwaͤrtig in ihr vorhanden waͤre; nichts mehrI. Band. Fnemlich,82I. Verſuch. Ueber die Naturnemlich, als das Stuͤck von der Empfindung, welches ein Bild, oder eine Einbildung von dem empfundenen Gegenſtand genennet wird, und der hervorſtechende Theil der ganzen Empfindung geweſen iſt, um welches die uͤbrigen ſich wie um einen Mittelpunkt geleget hat - ten. Es iſt noch etwas mehr vorhanden, nemlich eine Tendenz, auch die uͤbrigen Theile der Empfindung, die dunkeln Gefuͤhle bey ihr, zu erneuern. Die Seele leidet und iſt thaͤtig, und ihre Kraft iſt geſpannet, als wenn die geſammte Empfindung oder Nachempfindung, wel - ches hier einerley iſt, wiederum erneuert werden ſollte.
Wenn uns der Anblick eines Gemaͤhldes nicht ſo - gleich in das vorige Anſchauen der abgemahlten Perſon zuruͤckſetzet, ſo kommt dieß ohne Zweifel daher, weil wir hier ſo viel Eigenes an dem Gemaͤhlde, als an einem beſondern Objekte gewahrnehmen, das uns aufhaͤlt. Das Gemaͤhlde iſt nicht durchaus Gemaͤhlde, ſondern auch ſelbſt ein Gegenſtand, der als ein ſolcher ſeine ei - gene Empfindungen erreget. Waͤre es ganz und gar ein Bild einer andern Sache, ſo wuͤrden wir nur allein dieſe in jenem, und jenes ſelbſt nicht empfinden. Ein Spiegel, der ein vollkommener Spiegel iſt, kann nicht ſelbſt geſehen werden, ſo wenig als ein Koͤrper, der voll - kommen durchſichtig iſt, aber Dinge von dem aͤußerſten Grade finden ſich in der Natur nicht. Auf dieſelbige Art verhaͤlt es ſich mit unſern Vorſtellungen. Sie ſind in einigen Hinſichten ſelbſt Gegenſtaͤnde; ſie werden als ſolche gefuͤhlet und erkannt; ſie ſind dieß deſto - mehr, je verwirrter ſie ſind, und werden es deſto weni - ger, je mehr ſie deutlich und entwickelt werden. Den - noch behalten ſie die zeichnende Natur, und beweiſen ſie ſogleich im Anfange, wenn die Phantaſie ſie wieder er - wecket.
Es iſt nun noch das zweyte uͤbrig, nemlich die Richtung der Reflexion auf die Empfindung, welchedurch83der Vorſtellungen. durch die das Bild begleitende Tendenz verurſachet wird. Die Veranlaſſung dazu iſt, wie geſagt worden, in der Vorſtellung; daß aber dieſe eine ſolche Veranlaſſung fuͤr die Reflexion ſeyn kann; daß die letztere der Leitung von jener wirklich folget, davon lieget der Grund in der Na - tur der Reflexion ſelbſt. Dieß muß noch etwas weiter hergeholet werden. Wie entſtehet uͤberhaupt die Be - ziehung eines Bildes auf den abgebildeten Gegenſtand, und wird mit dem Bilde, welches vor uns iſt, der Gedanke verbunden, daß wir die Sache ſelbſt in dem Bilde vor uns haben? wie wird die Aufmerkſamkeit auf dieſe letztere uͤber das Bild hinausgerichtet, daß wir ſo denken und ſo uͤberlegen, als haͤtten wir die Sache vor uns? oder mit einem Wort, auf welche Art lernen wir in dem Bilde die Sache ſehen und erkennen?
Ein paar Beobachtungen laſſen uns dieſen Gang der Reflexion und die allgemeine Regel ihres Verfahrens bemerken. Ein kleiner Knabe ſpielet zuweilen mit dem Portrait ſeines Vaters, als mit einem buntbemahlten leichten Koͤrper, ohne daran zu gedenken, daß es ſeinen Vater vorſtelle. Der Cheßeldeniſche Blinde hatte auf eine aͤhnliche Art ſchon einige Zeit her die Gemaͤhlde an der Wand von Perſonen, mit denen er umgieng, als buntſcheckigte Flaͤchen angeſehen, ehe er gewahr nahm, daß ſie Abbildungen von ſeinen Bekannten waren. Jm Anfang war ſowohl das Bild als die abgebildete Sache jedes ein eigenes Objekt, nach ſeinen Vorſtellungen So verhaͤlt es ſich uͤberhaupt bey allen unſern willkuͤhr lichen, in die aͤußern Sinne fallenden Zeichen. Was ſind die Woͤrter einer Sprache, die wir noch nicht ver - ſtehen, fuͤr uns, wenn wir ſie ausſprechen hoͤren, oder auf dem Papier geſchrieben ſehen? Nichts als Toͤne und ſichtbare Figuren. Erlernen wir aber nachher ihre Bedeutung, ſo wird die Aufmerkſamkeit ſo ſtark auf die durch ſie bezeichnete Gedanken hingezogen, daß die indi -F 2viduelle84I. Verſuch. Ueber die Naturviduelle Empfindung, die ſie durchs Gehoͤr und Geſicht verurſachen, nur wenig, und nur, wenn ſie etwas eige - nes an ſich hat, beachtet und bemerket wird.
Die Reflexion nimmt die Aehnlichkeit zwiſchen dem Bilde und der Sache, die Analogie der Zeichen auf die bezeichneten Gegenſtaͤnde gewahr. So gleich verbindet ſie nicht allein dieſe beyden Vorſtellungen mit einander, ſondern ſie vereiniget ſolche gewiſſermaßen zu Einer Vorſtellung. Alsdenn muß diejenige von ihnen, welche die ſchwaͤchere, die mattere, unvollſtaͤndigere, entwe - der im Anfang ſchon war, oder bey der oͤftern Wie - derholung von beiden es darum wird, weil ſie weniger intereſſant iſt, und alſo die Aufmerkſamkeit weniger be - ſchaͤftiget, von der ſtaͤrkeren, voͤlligern und lebhaftern uͤberwaͤltiget, und auf dieſe mehr, als dieſe auf jene be - zogen werden. Daher wird von beiden aͤhnlichen und vereinigten Vorſtellungen diejenige, welche die mehre - ſten Empfindungen erreget, von mehreren Seiten be - trachtet, und alſo lebhafter und ſtaͤrker vorgeſtellet wird, zu einer Vorſtellung von dem Hauptgegenſtande gemacht; die andere hingegen, welche uns minder beſchaͤftiget, und bey der wir auf nichts mehr aufmerkſam ſind, als auf ſolche Beſchaffenheiten, die ihre Aehnlichkeit mit dem erſten ausmachen, wird fuͤr uns zum Zeichen, bey deſſen Gegenwart die erſtere, als das vornehmſte Ob - jekt der Aufmerkſamkeit, dieſe auf ſich hinziehet. Der gedachte Blinde glaubte anfangs in den Gemaͤhlden die wahren Perſonen zu ſehen; aber als er ſie befuͤhlte, und die Empfindungen nicht antraf, welche er von Perſonen zu empfangen gewohnt war, ſo entdeckte er ihr Leeres, und ihren nur einſeitigen Schein, und fieng an, ſie fuͤr dasjenige zu halten, was ſie waren, nemlich fuͤr Bil - der.
Dieſe Beobachtungen fuͤhren auf das allgemeine Ge - ſetz der Reflexion. „ Wenn zwey Vorſtellungen zu„ Einer85der Vorſtellungen. „ Einer vereiniget ſind, und Eine von ihnen machet ei - „ nen ſolchen erheblichen Theil des Ganzen aus, daß, „ wo dieſer Theil gegenwaͤrtig erhalten wird, auch ent - „ weder das Ganze ſelbſt gegenwaͤrtig, oder doch eine „ Tendenz vorhanden iſt, es wieder gegenwaͤrtig zu ma - „ chen; ſo wird die Denkkraft durch eine ſolche partielle „ Vorſtellung auf das Ganze gerichtet. “ Wir ſehen alſo das Ganze in jenem Theil von ihm. Wenn nun beyde Vorſtellungen, die zu Einem Ganzen vereiniget ſind, doch auch abgeſondert, jede als ein eigenes Ganze in uns vorkommen, ſo wird zwiſchen ihnen das Verhaͤlt - niß eines Zeichens zu einem bezeichneten oder abgebilde - ten Gegenſtande gedacht.
Nach dieſem Geſetz iſt es nothwendig, daß die Einbildungen auf ihre vorigen Empfindungen hin - weiſen. Sie ſind Zeichen von Natur, und ſind es mehr und naͤher als jede andere Art von Dingen, die wir zu Zeichen, Bildern und Vorſtellungen gemacht haben. Denn was hier Einbildung oder Wiedervorſtellung iſt, das iſt nicht die ganze ehemalige Empfindung, auch nicht das Ganze, was in der Abweſenheit der Gegen - ſtaͤnde wiederum in uns hervorkommt, oder hervorzu - begeben ſich anlaͤſſet. Das Bild von dem Mond; die Wiedervorſtellung von einer Freude iſt nur ein Stuͤck aus der ganzen ehemaligen Empfindung, und auch nur ein Stuͤck von der ganzen Modifikation der Seele, wel - che bey der Reproduktion vorhanden iſt. Es iſt der Theil, bey dem die Reproduktion der geſammten Em - pfindung anfaͤnget. Zuweilen iſt es der groͤßte Theil, zuweilen nur einige Zuͤge davon; aber allemal ſo ein Theil, der am klaͤrſten empfunden, am meiſten gewahr - genommen, und am leichteſten reproducibel iſt. Wenn ein ſolcher Zug aus der vorigen Empfindung wieder her - vorkommt, ſo ziehet er die uͤbrigen, wie ſeine Neben - theile mit hervor, oder es entſtehet doch ein Beſtreben,F 3ſie86I. Verſuch. Ueber die Naturſie hervorzuziehen. Hat die ganze vorige Empfindung von einem einzeln Gegenſtande aus mehrern Eindruͤcken, und zwar auf verſchiedene Sinne beſtanden; ſo iſt es, wie die Erfahrung lehret, oͤfters die Geſichtsempfindung, und das von ihr nachgebliebene Bild, deſſen die Seele ſich zu einer ſolchen Grundlage bey der Reproduktion der Empfindung bedienet. Dieſer Theil der Einbildung muß alſo die Reflexion, wo dieſe als ertheilende und den - kende Kraft ſich beweiſet, auf das Ganze hinfuͤhren, und dieß als ein Objekt ihr darſtellen. Dieſe zeichnende Be - ziehung der Vorſtellung auf die Empfindung ſetzet keine Vergleichung voraus. Sie lieget in der Natur der Wiedervorſtellungen. Aber wenn das Urtheil der Re - flexion hinzukommen, und wenn der Gedanke deutlich werden ſoll; da iſt ein Objekt, oder eine Sache, und dieſe Sache ſtelle ich mir vor, ſo iſt die Vorſtellung ſchon eine Jdee, welches ſie ohne Bewußtſeyn und ohne Ver - gleichungen nicht werden kann. Es iſt aber hier nicht die Rede von dem, was in der Action der Denkkraft enthalten iſt; es war nur die Rede von dem Geſetz, wor - nach dieſe Action der Denkkraft erreget wird.
Die Einbildung einer Sache oder die Vorſtellung von ihr, habe ich geſagt, ſey nur ein Theil der ganzen reproducirten Modifikation. Das heißet, moͤchte man einwenden; die Einbildung iſt nur ein Theil der Einbil - dung. Was iſt denn die ganze voͤllige Einbildung? Jch antworte: Man betrachtet hier nur die Einbildun - gen, in ſo ferne ſie Zeichen von andern Gegenſtaͤnden ſind, die wir durch ſie erkennen. Zu dieſer Abſicht ge - brauchen wir niemals das Ganze, ſondern nur einen her - vorſtechenden Theil, nur die Grundzuͤge, nicht alle klei - nen Nebenzuͤge; auch nicht alle diejenigen, die voͤllig wieder gegenwaͤrtig werden. Die voͤllige Reproduktion wird niemals zu einer ſolchen Abſicht gebraucht, ſondern zeiget ſich vielmehr als eine neue gegenwaͤrtige Empfin -dung,87der Vorſtellungen. dung, wo ſie ſo vollſtaͤndig wird, daß ſie alle kleinere Gefuͤhle der ehemaligen Empfindung enthaͤlt: Allein ſie koͤnnte doch auch in dieſem Zuſtande noch als eine auf die ehemalige Empfindung hinweiſende Vorſtellung gebrau - chet werden. Denn wo jene auch mit allen ihren Thei - len reproducirt wird, da wird doch kein Theil ſo voͤllig wieder ausgedruckt, als er in der Empfindung vorhan - den war, und daher bleiben immer Beſtrebungen zu - ruͤck, deren Effekte nicht hervorkommen, und die auf ein anders als ein plus ultra verweiſen.
Die Analogie der Vorſtellungen mit |ihren Gegen - ſtaͤnden macht dieſe aus jenen erkennbar. Ueber dieſe Beziehung iſt ſo vieles in den Schriften der neuern Philoſophen geſaget, daß ich bey meinem Vorſatz, alles vorbeyzugehen, oder doch nur um des Zuſammenhangs willen zu beruͤhren, was zur voͤlligen Evidenz von an - dern gebracht iſt, nicht mehr als nur eine Anmerkung uͤber die Natur unſerer eigentlich ſo genannten Analo - giſchen Vorſtellungen anzufuͤgen fuͤr nothwendig hal - te. Und auch dieſe ſetze ich hier nicht ſowohl darum her, weil ich glaube, daß die Sache nicht ſchon ins Reine ge - bracht ſey, ſondern, weil ich die Gelegenheit nicht vor - bey laſſen wollte, eine Anwendung von der vorherigen Betrachtung auf einen Theil unſerer Kenntniſſe zu ma - chen, deſſen Aufklaͤrung wichtig und fruchtbar iſt. Der erhabene Theil unſerer Vorſtellungen, welche die Gott - heit und ihre Eigenſchaften zum Gegenſtande hat, gehoͤ - ret zu den analogiſchen Jdeen.
Unſere Vorſtellungen von aͤußern koͤrperlichen Din - gen, und dieſe Gegenſtaͤnde ſelbſt, ſind ſo heterogenerF 4Natur,88I. Verſuch. Ueber die NaturNatur, wie der Marmor, aus dem eine Statue ge - macht iſt, und der menſchliche Koͤrper, den die Statue vorſtellet; ſo verſchiedenartig als das mit Farben beſtri - chene Leinwand und der abgemahlte lebende Kopf, und, wenn hier anders von Graden der Verſchiedenartigkeit geredet werden kann, noch verſchiedenartiger. Was hat das Bild von dem Mond in uns fuͤr eine Gleichar - tigkeit mit dem Koͤrper am Himmel?
Beziehen wir aber unſere urſpruͤnglichen Vorſtel - lungen, auf die vorhergegangenen Nachempfindun - gen, aus denen ſie zuruͤckgeblieben ſind, ſo findet wie - derum eine gewiſſe Einartigkeit zwiſchen ihnen Statt. Da ſind die Empfindungen, eben ſowohl als ihre nach - gebliebenen Spuren, Modifikationen der Seele, welche nur an Voͤlligkeit und Staͤrke von einander unterſchieden ſind. Oder, wenn man will, daß die im Gedaͤchtniß ruhende eingewickelte Vorſtellung zu der wieder entwickel - ten Einbildung und zu der Nachempfindung ſich wie die Dispoſition einer Kraft zu ihrer wirklichen Thaͤtigkeit verhalte, ſo iſt doch auch dieſe Beziehung ſchon mehr Homogenitaͤt, als die Beziehung des ideellen Mon - des auf den objektiviſchen außer uns. Die reprodu - cirte gegenwaͤrtige Vorſtellung iſt der vorhergegangenen Empfindung oder Nachempfindung naͤher und aͤhnlicher, als es die bloße Dispoſition oder die ruhende Vorſtel - lung iſt. Denn ſie iſt ſchon mehr entwickelt, als ein bloßer Keim oder Anlage zu der ehemaligen Empfindung.
Zu der allgemeinen Analogie zwiſchen Vorſtellun - gen und ihren Objekten kommt auch alsdenn noch eine naͤhere Aehnlichkeit hinzu, wenn die Vorſtellungen, Dinge und Beſchaffenheiten derſelben, die mit uns ſelbſt und unſern eigenen Beſchaffenheiten, aus denen der Stoff der Vorſtellungen genommen iſt, gleichartiger Natur ſind. Dieſes findet insbeſondere Statt bey denen aus dem Jnnern Sinn. Die Vorſtellungen von Denkungs -thaͤtig -89der Vorſtellungen. thaͤtigkeiten, von Gemuͤthsbewegungen und Handlun - gen ſind fuͤr uns Bilder von gleichartigen Modifikatio - nen anderer Menſchen und anderer denkenden und em - pfindſamen Weſen. Ein Vater ſtellet ſich vermittelſt ſei - nes eigenen Gefuͤhls es vor, was Vaterfreude uͤber Kin - der Wohl bey einem andern ſey u. ſ. w.
Dennoch iſt bey aller Verſchiedenartigkeit der Vor - ſtellungen von aͤußern Gegenſtaͤnden, und der Gegen - ſtaͤnde ſelbſt, dieſe Beziehung zwiſchen ihnen, daß jene aus der Empfindung der Gegenſtaͤnde entſpringen. Die Vorſtellung von der Sonne iſt eine Vorſtellung aus dem Anſchauen. Sie ſind alſo Modifikationen ſol - cher Weſen, wie wir ſind, welche entſtehen, wenn die Objekte ihnen gegenwaͤrtig ſind, und, vermittelſt ſolcher ſinnlichen Werkzeuge als die unſrigen, Eindruͤcke auf ſie machen. Dieſe Vorſtellungen ſind daher auch keine willkuͤhrlich gemachte Zeichen, ſondern natuͤrlich ent - ſtandene Abdruͤcke von den Objekten. So wird der Mond empfunden, und ſo ein Bild bringet er in uns hervor, wenn er geſehen wird, als die Geſichtsvorſtel - lung iſt, unter der wir uns ihn einbilden.
Der blinde Saunderſon hatte Vorſtellungen von den Lichtſtrahlen und von ihrem Zerſpalten in Farben, folglich von Dingen und Beſchaffenheiten, die durch keinen andern Sinn empfindbar ſind, als durch den, der ihm fehlte, und die es alſo fuͤr ihn nicht ſeyn konnten. Denn obgleich einige Blinde durch ein außerordentlich fei - nes und geſchaͤrftes Gefuͤhl die groͤbern Farben auf Tuͤ - chern und auf andern Flaͤchen einigermaaßen unterſchie - den haben, ſo hat man doch kein Beyſpiel, und iſt auch wohl keines jemals zu erwarten, daß ein Blinder auch die Farbenſtrahlen, die aus der Zertheilung des weiſen Sonnenlichts auf eine ebene Flaͤche fallen, durch das Gefuͤhl zu unterſcheiden im Stande ſeyn werde. Saun - derſon mag nicht einmal die groͤbern Farben auf den Tuͤ -F 5chern90I. Verſuch. Ueber die Naturchern gefuͤhlt haben. Wie konnten alſo ſeine Vorſtel - lungen beſchaffen ſeyn, die er von den unfuͤhlbaren Ei - genſchaften des Lichts hatte! Sie beſtanden ohne Zwei - fel aus Bildern von Linien und von Winkeln, aus geo - metriſchen Jdeen, die bey ihm ſo waren, wie ſie aus den Empfindungen des Gefuͤhls entſpringen koͤnnen. An Geſichtsbildern von Punkten und Linien und Win - keln, dergleichen der ſehende Geometer hat, fehlete es ihm. Daher waren ſeine Vorſtellungen von den Farben von den Vorſtellungen der Sehenden ſo unterſchieden - artig, als es Eindruͤcke unterſchiedener Sinne ſeyn koͤn - nen und als es Farben und Toͤne ſind. Und dennoch waren ſie mit ihren Objekten analogiſch, dennoch Vor - ſtellungen, wodurch die Gegenſtaͤnde erkannt, verglichen und beurtheilet werden konnten, auf dieſelbige Art wie die Gedanken durch Worte. Dieß war ein Beyſpiel — aber es bedurfte eines ſolchen außerordentlichen Falles nicht, da ſo viele andere aͤhnliche vorhanden ſind — daß wir aus unſern urſpruͤnglichen Vorſtellungen uns Vor - ſtellungen von Sachen verſchaffen, die wir weder em - pfunden haben, noch empfinden koͤnnen, und die, wenn ſie empfunden wuͤrden, Eindruͤcke in uns hervorbringen muͤßten, welche ganz verſchiedenartig von denen ſind, woraus wir die Vorſtellungen von ihnen gemacht haben.
Dieß iſt eine Art von Vorſtellungen, die auf ihre Gegenſtaͤnde keine naͤhere Beziehung haben, als allein die allgemeine Analogie, die zu jeder Gattung von Zei - chen unentbehrlich iſt. Sie entſprechen ihren Gegen - ſtaͤnden; einerley Vorſtellung gehoͤret zu einerley Objekt; unterſchiedene Vorſtellungen zu verſchiedenen. Jm uͤbrigen aber ſind ſie weder mit ihren Objekten gleichar - tig, noch in einer ſolchen Verbindung, wie Wirkungen mit ihren Urſachen. Und dieß ſind die analogiſchen Vorſtellungen, die darum ſo genennet werden, weil ſienichts91der Vorſtellungen. nichts mehr ſind, als dieſes; ſie geben bloß ſymboli - ſche Vorſtellungen.
Es iſt leicht zu begreifen, daß wir von ſolchen Ge - genſtaͤnden, die nicht empfunden werden koͤnnen, z. B. von dem Urheber der Welt, von den innern Kraͤften der Elemente, und ſo weiter, keine andere, als bloß analogiſche Vorſtellungen haben koͤnnen; wenigſtens kei - ne andere, als ſolche, die nur dieß und nichts mehr ſind, ſo viel wir es wiſſen. Man muͤßte denn geneigt ſeyn, Leibnitzens Gedanken von der allgemeinen Gleichartigkeit aller reellen Kraͤfte und Weſen anzunehmen, und zu glau - ben, daß ſie alle vorſtellende Kraͤfte ſind, in dem Sinn, wie es unſere Seele iſt. Jn einigen Faͤllen koͤn - nen die vorgeſtellten Objekte ſelbſt unempfindbar fuͤr uns ſeyn, und es laͤßt ſich doch vielleicht aus andern Gruͤn - den erkennen, daß ſie mit denen, die wir empfinden, von gleicher Natur, und alſo unſere Vorſtellungen von ihnen mehr als analogiſche Vorſtellungen ſind.
Jndeſſen beruhet der ganze Gebrauch, den die Ver - nunſt von den Vorſtellungen jedweder Art machen kann, lediglich auf ihrer Analogie mit den Gegenſtaͤnden. Es muß ſich Sache zur Sache, wie Vorſtellung zur Vor - ſtellung verhalten; und die Verhaͤltniſſe und Beziehun - gen der Vorſtellungen gegen einander mit den Verhaͤlt - niſſen und Beziehungen der Gegenſtaͤnde unter ſich, ei - nerley ſeyn. Und in ſo ferne dieſes Statt findet, ſind ſie fuͤr uns Zeichen der Dinge; weiter nicht. Denn bis ſo weit kann ſich die Erkennbarkeit der Sachen aus ih - nen und durch ſie nur erſtrecken. Daher ſind auch die blos analogiſchen Vorſtellungen nicht minder und nicht mehr zuverlaͤßiger, als die ihnen entgegengeſetzten, die man unter dem Namen von Anſchaulichen befaſſen kann. So weit als die Analogie der Vorſtellungen rei - chet, ſo weit ſind die Urtheile und Schluͤſſe zuverlaͤßig, die wir uͤber die Jdentitaͤt und Verſchiedenheit, uͤberdie92I. Verſuch. Ueber die Naturdie Lage und Beziehungen, und Abhaͤngigkeit der Ob - jekte faͤllen, und den Objekten außer uns zuſchreiben, wie ſolche in den Vorſtellungen, das iſt, in den ideellen Objekten gewahrgenommen werden. Beyde Arten, die analogiſchen und die anſchaulichen ſind eine Art von Sprache fuͤr uns, aber die letztere enthaͤlt die natuͤr - lichen Zeichen, die entweder Wirkungen auf uns von den bezeichneten Sachen ſind, oder gar eben dieſelbarti - gen Dinge. Die Analogiſchen ſind Zeichen, welche die Reflexion ſich entweder aus Noth ſelbſt macht, weil es ihr an andern fehlet, oder auch aus Bequemlichkeit. Der Aſtronom ſtellet auf einer Flaͤche von Papier das Weltgebaͤude vor, und der Mechaniker ziehet einen Triangel, deſſen Flaͤche und Seiten die Hoͤhe, wodurch die Schwere die Koͤrper heruntertreibet, die Zeit, in der ſolches geſchieht, und die Geſchwindigkeit, die im Fallen erlanget wird, vorſtellen, und nun ſchließet er aus den Verhaͤltniſſen der Linien und der Flaͤchen ſeiner Figuren auf die Verhaͤltniſſe der durch ſie abgebildeten und ihnen entſprechenden koͤrperlichen Beſchaffenheiten und Veraͤn - derungen. Wenn Hobbes, Hume, Robinet und andere die analogiſche Kenntniß von der Erſten Urſache darum fuͤr unzuverlaͤſſig erklaͤret, weil ſie analogiſch iſt, ſo beſtreiten ſie ſolche aus einem Grunde, aus dem auch die Gewißheit der anſchaulichſten Kenntniß beſtritten wer - den kann.
Einen Unterſchied giebt es indeſſen zwiſchen den an - ſchaulichen und analogiſchen Vorſtellungen, der uns die erſtere in mancher Hinſicht brauchbarer machet, als die letztere. Die Analogie mit den Objekten iſt bey den Anſchaulichen voͤlliger, und erſtrecket ſich uͤber mehrere Beſchaffenheiten, auch uͤber kleine Theile der ganzen Vorſtellung; wogegen bey den bloß analogiſchen vieles mit darunter iſt, was zu dem Analogiſchen und Zeichnen - den nicht gehoͤret. Zwey Geſichtsbilder von zweenMen -93der Vorſtellungen. Menſchen laſſen die beyden Gegenſtaͤnde in ſo manchen Hinſichten an der Groͤße, Farbe, Geſtalt, Lage der Thei - le, Stellung, Mienen bis auf kleine Beſchaffenheiten mit einander vergleichen. Da iſt in den ſinnlichen Vor - ſtellungen alles Bild und Zeichen. Wenn ſich hingegen ein blinder Mathematiker die verſchiedenen preismati - ſchen Farben nach ihrer Analogie mit den Toͤnen, unter Toͤnen vorſtellet, ſo ſind ſeine Vorſtellungen des Gehoͤrs nur Vorſtellungen von den Farben in einer ſehr einge - ſchraͤnkten Hinſicht. Jene ſind Gemaͤhlde auch in Hin - ſicht des Kolorits; dieſe nur in Hinſicht der Zeichnung. Und dieß iſt auch der Grund, warum man ſo leicht uͤber die Graͤnze der Aehnlichkeit hinaus gehen, und falſche Anwendungen von analogiſchen Jdeen machen kann. Jener Blinde ſtellte ſich das Licht wie den Zucker vor, der ihm einen angenehmen Geſchmack gab. Jn ſo weit konnte der Geſchmack eine Analogiſche Vorſtellung von der Geſichtsempfindung des Lichts abgeben. Aber wenn er nun daraus gefolgert haͤtte, das Licht laſſe ſich durch die Naͤſſe zerſchmelzen, oder mit den Zaͤhnen zermalmen, ſo wuͤrde dieß ſo ein Verſehen geweſen ſeyn, als aus der Ueberſchreitung der Analogie entſpringen muß.
Die vornehmſte Schwierigkeit bey unſern analogi - ſchen Kenntniſſen beſtehet gemeiniglich darinn, daß die Gruͤnde aufgeſucht und deutlich beſtimmet werden, wor - auf die Analogie unſrer Jdeen mit ihrem Objekte beru - het. Dieſe Gruͤnde der Analogie muͤſſen zugleich auch ihre Ausdehnung und ihre Grenzen anweiſen. Wie und auf welche Art wird es uns moͤglich, die Analogie unem - pfindbarer Gegenſtaͤnde mit empfindbaren, oder mit den Vorſtellungen dieſer letztern zu erkennen, und durch wel - che Wirkungsart des Verſtandes koͤnnen wir daruͤber unterrichtet werden? Auf dieſe Frage antworte ich durch eine neue Frage: Wie iſt es moͤglich, zu wiſſen, daß die aͤußern Gegenſtaͤnde und ihre ſinnlichen Bilder in unseinander94I. Verſuch. Ueber die Natureinander entſprechen? Woher weiß ich, daß ein frem - der Menſch vor mir ſtehe, wenn ich jetzo eine andere Geſtalt in mir habe? Jn ſolchen Faͤllen, wo nicht von der Analogie willkuͤhrlicher Zeichen, die wir ſelbſt ge - macht haben, und von deren Uebereinſtimmung wir alſo auch ſelbſt die Urheber ſind, ſondern von der Analogie unſerer natuͤrlichen Zeichen die Rede iſt, beruhet un - ſere Erkenntniß von ihr auf allgemeinen Grundwahrhei - ten der Vernunft, oder auf natuͤrlichen Denkungsgeſetzen des Verſtandes, nach welchen wir uͤber Gegenſtaͤnde, Dinge, Sachen und Beſchaffenheiten aller Arten ur - theilen und urtheilen muͤſſen. Nach ſolchen nothwendi - gen Denkgeſetzen beurtheilet die Vernunft alles, Bekann - tes und Unbekanntes, das Unempfindbare und das Em - pfundene, die Objekte und Vorſtellungen, Urſache und Wirkungen, und ſetzet die Grundanalogie zwiſchen ihnen feſt. Es iſt dieß aber ein Geſchaͤft der Denkkraft, die ſich der Vorſtellungen bedienet, und nicht eigentlich der vorſtellenden Kraft, die jene herbeyſchaffet. Jch uͤber - gehe daher die weitere Unterſuchung dieſer Denkungs - weiſe. Am meiſten liegen dabey die allgemeinen Axio - me von der Analogie der Wirkungen mit ihren Urſachen, und von der darauf beruhenden Erkennbarkeit der Urſache, aus ihren Wirkungen zum Grunde. Die ſind es, wor - nach wir die Analogie unſerer Vorſtellungen mit ihren Objekten, und zwar ſowohl bey den analogiſchen, als bey den anſchaulichen Vorſtellungen vorausſetzen. Wenn man aber bey einer Gattung von Bildern und Zeichen ihre Beziehung auf Objekte erkennet, ſo kann auch nach - her anſtatt derſelben eine andere, die ihr aͤhnlich oder mit ihr in der Empfindung verbunden iſt, gebrauchet, und die Analogie der erſtern Art mit den Objekten auf die letztere ihr untergelegte uͤbertragen werden.
Jch kehre wieder zuruͤck zu den urſpruͤnglichen Vorſtel - lungen, die aus vorhergegangenen Empfindungen in uns entſtanden ſind. Sie entſprechen ihren Gegen - ſtaͤnden, aber nur in ſo fern ſie klar und deutlich ſind.
Es iſt aber eigentlich nur die Rede von der Klarheit und Dunkelheit in den Vorſtellungen, noch nicht von derjenigen, die in den Jdeen als Jdeen iſt. Dieſe beyden Arten von Klarheit koͤnnen unterſchieden ſeyn. Jene iſt in der Vorſtellung, als in einer Modification, welche ſich auf ihr Objekt beziehet, ohne Ruͤckſicht auf das Bewußtſeyn, und auf das wirkliche Gewahrnehmen der Sache durch die Vorſtellungen. Sie iſt nur Un - terſcheidbarkeit; dagegen wo die Jdee klar iſt, da wird etwas wirklich unterſchieden. Jn der einfachen Empfindungsidee von dem weißen Sonnenlicht unter - ſcheiden wir keine prismatiſchen Farben. Die Vorſtel - lung iſt einfach, und enthaͤlt nichts von einander merk - lich abſtechendes; das es nemlich fuͤr uns ſey. Denn wir moͤgen ſo ſtark und ſo viel und von ſo vielen Seiten ſie anſehen als wir wollen; ſo iſt die Empfindung und ihre Vorſtellung unaufloͤslich, ob ſie gleich fuͤr ſich Man - nigfaltiges genug enthaͤlt. Jhre Zuͤge ſind fuͤr uns un - leſerlich. Dieß iſt bildliche Undeutlichkeit oder Verwirrung in den Vorſtellungen.
Die96I. Verſuch. Ueber die NaturDie Jdee iſt, wenn dieß Wort noch in keiner ein - geſchraͤnkten Bedeutung genommen wird, eine Vor - ſtellung mit Bewußtſeyn, ein Bild, das von an - dern Bildern unterſchieden wird. Jn einer engern Be - deutung iſt es ein von uns zu einem Zeichen eines Ge - genſtandes gemachtes Bild. Die Jdeen koͤnnen dun - kel und verwirrt ſeyn, nicht weil es an der dazu noͤthi - gen Staͤrke oder Deutlichkeit des Abdrucks in der Vor - ſtellung fehlet, ſondern weil es an der Aufmerkſamkeit fehlet, welche erfordert wird, wenn die ſich ausnehmen - de und unterſcheidbare Zuͤge in der Vorſtellung bemerket werden ſollen. Die Vorſtellung kann nemlich eine an ſich ſehr leſerliche Schrift in uns ſeyn, und das Auge kann fehlen, das ſolche ſcharf und genau genug anſieht. Jn dem Gemaͤhlde, worinn der Geſchmackloſe nichts, als bunte Striche gewahr wird, erblickt das Auge des Kenners tauſend feine Zuͤge, Nuancen, Aehnlichkeiten, die dem erſtern entwiſchen, obgleich ſein Auge eben ſo gut die Lichtſtrahlen faſſet, als das vielleicht bloͤdere Ge - ſicht des letztern. Ein Jaͤger kann in den leichteſten Spuren die Thierart bemerken, die ſolche hinterlaſſen hat; der wilde Amerikaner ſieht es den Fußtapfen der Menſchen im Schnee und auf der Erde an, zu welcher Nation ſie gehoͤren, indem die Aufmerkſamkeit auf die kleinſten Zuͤge verwendet wird, die einem andern unbe - merkt bleiben, deſſen Beobachtungsgeiſt auf ſie nicht gefuͤhret wird. Es iſt bekannt, daß der Beobachter der Natur, der ſich der Vergroͤßerungsglaͤſer bedient, ge - wiſſe Theile und Beſchaffenheiten an den Objekten, wenn ſie vorher mit dem Glas entdecket ſind, nachher auch mit bloßen Augen gewahrnehme, ohne ſolche vor dem Gebrauch des Glaſes geſehen zu haben.
Dieſe und aͤhnliche Erfahrungen laſſen ſich weder aus der Verſchiedenheit des ſinnlichen Eindrucks, inſo - ferne dieſer in den aͤußern Objekten außer dem Gehirneſeine97der Vorſtellungen. ſeine Urſache hat; noch aus dem Unterſchied der Bilder auf der Netzhaut bey dem Geſichte erklaͤren. Es iſt offen - bar, daß es hier von der Aufmerkſamkeit bey der Beobach - tung abhange, warum Einer in derſelbigen Sache ſo mancherley ſiehet, wo der andere nichts unterſcheidet.
Doch mißdeute man dieſes nicht. Jch will nichts erſchleichen. Es iſt noch unentſchieden, ob die Zuͤge, die in der Jdee unbemerkt bleiben, nicht auch in der Vorſtellung, als Bild der Sache betrachtet, unausge - bildet und dunkel geblieben ſind? Ob nicht jedwedes, in der Vorſtellung genugſam hervorſtechendes und kenn - bares Merkmal auch zugleich in der Jdee wahrgenom - men werden muͤſſe? oder ob wol die Vorſtellung, als Bild ſo vollkommen ausgearbeitet, und eine ſo voͤllige Vorſtellung ſeyn koͤnne, als ſie es nachher iſt, ohne daß wir uns aller in ihr liegenden und abſtechenden Zuͤge be - wußt ſind? Ob nicht etwan nothwendig das Bewußt - ſeyn eben ſo weit uͤber das Bild und deſſen Zuͤge ſich er - ſtrecke, als dieſe ſelbſt in der Vorſtellung apperceptibel ſind? Ob das Bewußtſeyn eine eigene, von den Thaͤ - tigkeiten, durch welche die Vorſtellung ausgearbeitet wird, unterſchiedene Kraftaͤußerung ſey, die auch zu - weilen von jenen getrennet ſeyn koͤnne? Ueber dieſe Punkte will ich hier nichts ausmachen; zum wenigſten nicht gerade zu mich auf die angefuͤhrten Beobachtun - gen berufen. Aber ſo viel iſt aus ihnen offenbar, daß es wohl zu unterſcheiden ſey, ob die Undeutlichkeit und Dunkelheit in der Vorſtellung als in einer matten und verwirrten Abbildung ihres Gegenſtandes in uns, ihren Grund habe, oder ob ſie nur in der Jdee als Jdee, das iſt in der bearbeiteten und mit Bewußtſeyn verbundenen Vorſtellung vorhanden ſey. Wo es an der noͤthigen Helligkeit in der Vorſtellung fehlet, da muß es auch in der Jdee daran fehlen. Die Klarheit in jener erfordert eine Appercibilitaͤt, eine Erkennbarkeit; es muß dieI. Band. GVor -98I. Verſuch. Ueber die NaturVorſtellung zur Jdee gemacht werden koͤnnen. Die letztere Klarheit der Jdee iſt die wirkliche Apperception. Ob nicht jene Unterſcheidbarkeit in dem Bilde vorhan - den ſeyn, und doch das Bewußtſeyn fehlen koͤnne, das iſt die Frage, auf welche in der alten, und jetzo mehr ein - geſchlaͤferten als entſchiedenen Streitigkeit uͤber die Vor - ſtellungen ohne Bewußtſeyn, die Mißverſtaͤndniße abge - fondert, am Ende alles hinauslaͤuft. Aber hier habe ich die Beobachtungen nicht beyſammen, die erfordert werden, um dieſe nicht unwichtige Sache ins Helle zu ſetzen.
Die Vorſtellungen ſind nur Bilder von den Ob - jekten fuͤr uns, in ſo ferne ſie die gedachte bildliche Klarheit und Deutlichkeit beſitzen; weiter nicht. Jn ſo ferne ſie nicht gewahrgenommen werden koͤnnen mit der Aufmerkſamkeit, und alſo nicht genug zu dieſer Abſicht von andern abgeſondert und ausgezeichnet ſind, in ſo ferne ſind ſie fuͤr uns bloße Modifikationen in der Seele, denen die Analogie mit ihren Objekten fehlet, durch wel - che allein ſie nur Vorſtellungen von Sachen ſeyn koͤnnen. Sie muͤſſen ſich doch im Ganzen von einander unter - ſcheiden laſſen, wenn ſie Sachen im Ganzen; und ihre einzelnen Theile muͤſſen genug auseinander geſetzet ſeyn, wenn ſie beſondere Theile und Beſchaffenheiten an Sa - chen kennbar machen ſollen.
Es iſt eine viel feinere Frage, ob die zwote Eigen - ſchaft der Vorſtellungen, das Hinweiſen auf ihre Jdeate, auch in der naͤmlichen Beziehung mit ihrer bildlichen Deutlichkeit und Undeutlichkeit ſtehe. Dieſe Beſchaffenheit kommt ihnen zu, wegen der mit ihnen verbundenen Tendenzen, ſich weiter fort zu Empfindun - gen zu entwickeln. Es ſcheinet, von einer Seite die Sache betrachtet, nicht, daß dieſe Eigenſchaft an ihnen davon abhange, ob ihre Theile mehr oder minder ausein - ander geſetzet und an ſich apperceptibel ſind. Ein dunkler Flecken an der Wand, in der Ferne geſehen, ziehet unsmit99der Vorſtellungen. mit eben der Staͤrke auf den Gedanken, es ſey ein Ob - jekt an der Wand, was wir ſehen, als wir in der Naͤhe, wenn wir gewahr werden, daß es ein Miniaturportrait ſey, es fuͤr ein außer uns vorhandenes Gemaͤhlde erken - nen. Die Reflexion ſiehet in dem einen Fall wie in dem andern, bey den verwirrteſten Jdeen, wie bey den deutlichſten, nicht die Vorſtellung ſelbſt, ſondern durch ſie die Sache, die ihr Objekt iſt. Eben dieſes ſcheint auch die Natur der Vorſtellungen mit ſich zu bringen. Jeder einzelne Zug in ihnen iſt, wenn ſie wieder erwecket werden, oder wieder erwecket ſind, eine wieder aufge - weckte Spur einer ehemaligen Empfindung, und iſt alſo mit der Tendenz verbunden, den vorigen Zuſtand voͤllig herzuſtellen. Ob dieſe Zuͤge nun mehr durch ein - ander laufen, und ſich verwirren, oder ob ſie mehr ab - geſondert und auseinander geſetzet ſind, wie aͤndert das etwas an der Tendenz, oder an dem Anſatz ſich voͤlliger wieder darzuſtellen.
Jndeſſen iſt dieß doch nur ein Schein, wenn man die Sache von der andern Seite anſieht. Jſt die Vor - ſtellung im Ganzen klar, ſo iſt in ſo weit die Reflexion damit verbunden. Sie wird von andern im Ganzen unterſchieden. Jn ſo weit iſt Licht in ihr; und die Re - flexion wird auf das Objekt hingezogen, wenn gleich die einzelnen Theile der Vorſtellung fuͤr ſich ſolch eine Wir - kung nicht hervorbringen. So viel nur, und nichts mehr lehret die angefuͤhrte Beobachtung.
Aber die Beobachtung lehret auch eben ſo deutlich, daß, je dunkler eine Jdee iſt, deſto eher werden wirs ge - wahr, daß ſie eine Modifikation von uns ſelbſt, und in uns ſey. Es kommt uns ſo vor, ſagen wir; es ſchwebt uns vor den Augen; es lieget uns in den Ohren. Je weniger Klarheit in einer Vorſtellung iſt, je mehr ver - wirrt und dunkel ſie iſt; deſto mehr fuͤhlen wir die Vor - ſtellung als eine gegenwaͤrtige Veraͤnderung von unsG 2ſelbſt,100I. Verſuch. Ueber die Naturſelbſt, und deſto leichter wird die Reflexion dahin gezo - gen, ſie von dieſer Seite anzuſehen, und wir ſehen als - denn mehr die Vorſtellung in uns, als ihren Gegen - ſtand durch ſie. Wir ſehen den Spiegel, nicht die Sa - chen, deren Bilder in ihm geſehen werden; wir ſehen das Glas der Fenſter, nicht die aͤußeren Koͤrper, davon das Licht durch ſie faͤllt.
Dieß hat eine zwiefache Urſache. So ferne die Vorſtelluug und ihre Zuͤge nicht appercipirt werden, in ſo ferne iſt mit ihnen kein Aktus der Reflexion verbun - den, und es iſt alſo auch nicht moͤglich, daß die Refle - xion eine beſondere Richtung erhalte. Wo nichts ge - dacht wird, da wird auch der Gedanke nicht gedacht: es ſey etwas eine vormalige Empfindung, oder ein empfundener Gegenſtand. Die dunkle Vorſtellung mag alſo mit Tendenzen verbunden ſeyn, welche der Re - flexion einen Wink geben, und ihren Schwung beſtim - men koͤnnen; aber ſie winken auf ſie nicht, da die Thaͤ - tigkeit der letztern zuruͤcke bleibet.
Zweytens. Wenn ſich nun auch ein Aktus der Re - flexion mit der Vorſtellung verbindet, ſo kann doch, ſo lange die Vorſtellung ſelbſt noch nicht von den uͤbrigen gegenwaͤrtigen Beſchaffenheiten der Seele genug abge - ſondert iſt, um gewahrgenommen zu werden, auch nichts anders als das Beſtreben der Kraft, das Bild fer - ner und ſtaͤrker hervor zu heben, bemerket werden. Die Vorſtellung ſelbſt lieget alſo in dem Jnnern der Seele unter den uͤbrigen verſtecket. Fuͤhlt die Seele ihr Be - ſtreben, ohne die Wirkung deſſelben, nemlich die ab - geſondert daſtehende Vorſtellung, ſo iſt dieß Gefuͤhl mit dem innern Selbſtgefuͤhl vereiniget. Was wird daraus fuͤr ein Gedanke entſtehen, als dieſer, es ſey etwas da in uns ſelbſt.
Jſt die Vorſtellung im ganzen klar, aber viel be - faſſend und undeutlich, ſo laufen auch die mit ihren Zuͤ -gen101der Vorſtellungen. gen verbundene einzelne Beſtrebungen zu vormaligen Empfindungen, in einander. Alsdenn iſt zwar eine Tendenz zu einer Empfindung vorhanden, die man im Ganzen kennet, und deswegen auch die Vorſtellung im Ganzen fuͤr eine Vorſtellung eines Objekts anſieht; aber die einzelnen Theile derſelben koͤnnen nicht unterſchieden werden: dieſe einzelnen Beſtrebungen vereinigen ſich al - ſo mit den uͤbrigen innern Modifikationen, und bekom - men nun in Hinſicht auf die Reflexion eine gedoppelte Seite. Zuſammen vereiniget in eine ganze Tendenz, fuͤhren ſie oder fuͤhret vielmehr das Gefuͤhl von ihnen, auf eine Sache oder Objekt hin; aber einzeln ſind ſie unter andern Seelenbeſtrebungen vermiſcht, und das dunkele Gefuͤhl von ihnen in dieſer Vermiſchung muß gleichfalls mit dem Selbſtgefuͤhl vereiniget und ver - miſcht ſeyn, daher denn die Reflexion von dieſem Ge - fuͤhl auf einen gegenwaͤrtigen Zuſtand der Seele gerich - tet werden muß. Die Urſache, warum die dunkeln Spiegel und halbdurchſichtige Koͤrper mehr ſelbſt geſe - hen werden, als andere Koͤrper durch ſie, iſt derſelbige allgemeine Grund in einem beſondern Fall unter beſon - dern Umſtaͤnden.
Wer die Urſachen des deutlichen und des undeut - lichen Sehens aus der Optik kennet und den Grund davon verallgemeinert und auf die Deutlichkeit und Un - deutlichkeit der Jdeen uͤberhaupt anwendet, wird man - che Gelegenheiten finden, uͤber den gewoͤhnlichen Vortrag der Vernunftlehrer Kritiken zu machen. Eine verwirr - te Jdee, das iſt, eine klare aber undeutliche, wird als ein Jnbegriff von dunklen Vorſtellungen angeſehen, und die Urſache der Verwirrung wird in dem Mangel der Klarheit geſetzet, als wenn, um die Verwirrung zu he - ben, nichts erfordert werde, als nur mehr Licht aufzu - tragen. So iſt es nicht. Verdeutlichen iſt ein Aus - einanderſetzen, ein Entwicklen, und nicht, wenigſtensG 3nicht102I. Verſuch. Ueber die Naturnicht allemal, ſo viel als heller machen. Jn manchen Faͤllen iſt die allzugroße Helligkeit eben die Urſache von dem undeutlichen Sehen. Ohne mich hierauf weiter einzulaſſen, will ich um des folgenden willen nur eins im allgemeinen erinnern.
Wenn wir zwey Sachen oder zwey Beſchaffenheiten einer Sache oder was hier einerley iſt, ihre Vorſtellun - gen in uns, nicht unterſcheiden, ſo kann es daher ſeyn, weil wir keine von beiden gehoͤrig gewahrwerden. Jn dieſem Fall ſehen wir an beyden Sachen nichts. Aber es kann auch daran liegen, daß die Gegenſtaͤnde einan - der allzuaͤhnlich oder allzunahe bey einander ſind, oder ſich einander bedecken, oder auch ſonſten in der Vorſtel - lung ſo genau in einander fließen, daß ſie wohl beide zu - gleich, aber nicht jedes abgeſondert von dem andern vor - geſtellet werden koͤnnen. Jenes erſtere iſt der Fall bey den eigentlich dunklen Jdeen. Dieſe, in ſo ferne ſie dunkel ſind — denn einigen Grad von Klarheit muͤſſen ſie beſitzen, um Jdeen zu ſeyn — ſind nicht ſo ſtark ausge - druckt, daß man die Eine mit der andern, im Ganzen oder in Theilen, vergleichen, und unterſcheiden koͤnne. Man weis es nur aus aͤußern Umſtaͤnden, daß es zwey Vorſtellungen ſind und nicht Eine, und urtheilet dahe - ro, daß ihre Gegenſtaͤnde unterſchieden ſind, ohne ſolche weiter zu kennen. Jch ſehe z. B. des Abends im Fin - ſtern zwey Menſchen, davon einer zur Rechten, der an - dere zur Linken gehet. Dieſer Umſtand lehret mich, daß es zwo verſchiedene Gegenſtaͤnde ſind, was ich ſonſt aus den Vorſtellungen ſelbſt nicht gewußt haben wuͤrde. Die klaren Jdeen dagegen, welche zugleich undeutlich ſind, hat man mit vollem Recht verwirrte, ineinan - dergezogene genennet. Dieſe ſind nicht allein klar im Ganzen; ſie haben auch Licht in ihren einzelnen Zuͤgen, die man von den Zuͤgen einer andern gleich verwirrten Vorſtellung wohl unterſcheidet. Man unterſcheidet jajeden103der Vorſtellungen. jeden einzelnen Punkt in dem verwirrten Bilde von dem gruͤnen Felde, von einem jeden einzelnen Theil in dem verwirrten Bilde von einer Waſſerflaͤche. Nur unter - einander und von einander laſſen ſich die Theile der ver - wirrten Jdee nicht unterſcheiden. Jn einer weißen Flaͤche, die ſtark erleuchtet iſt, hat jeder einzelne Strich ein viel ſtaͤrkeres Licht, als es noͤthig ſeyn wuͤrde, ſie zu unterſcheiden, wenn ihre Farben verſchieden waͤren; und dennoch werden ſolche nicht von einander unterſchieden, als nur, wo dieß vermittelſt ihrer verſchiedenen Lage und Beziehungen auf andre Dinge geſchehen kann. Jhre zu große Aehnlichkeit unter einander iſt in dieſem Fall die vornehmſte Urſache von der Verwirrung. Um die Ver - wirrung, in ſo ferne ſie von der Dunkelheit unterſchieden iſt, wegzubringen, iſt es alſo nicht ſo wohl noͤthig, mehr Licht auf die Jdeen zu verbreiten, das zuweilen vermin - dert werden muß, ſondern vielmehr dahin zu ſehen, daß die Theile der Jdee, oder das Mannigfaltige und Un - terſcheidbare in ihr, auseinander geruͤckt und jedes bis dahin abgeſondert werde, daß es fuͤr ſich ohne die uͤbri - gen gewahrgenommen werden kann. Die Jdee muß zu dieſer Abſicht von verſchiedenen Seiten, aus verſchiede - nen Geſichtspunkten beobachtet, und mit andern vergli - chen werden, u. d. g.
Die Dunkelheit verurſachet fuͤr ſich keine Verwir - rung. Die Theile der ganzen Vorſtellung koͤnnen die - ſelbige Lage und Beziehungen gegen einander behalten, welche ſie haben, wenn ſie deutlich iſt, und es darf nur ihnen allen im gleichen Verhaͤltniße das Licht entzogen werden. Bey hellem Tage ſcheint eine entfernte Gruppe von Baͤumen ein in Eins fortgehendes Ganze zu ſeyn; da iſt Verwirrung. Sind wir in der Naͤhe, und ſehen jeden Baum beſonders, ſo wird, wenn die Nacht ein - bricht, die Vorſtellung verdunkelt, aber man findet nicht, daß die Jdeen von einzelnen Baͤumen zuſammen inG 4einander104I. Verſuch. Ueber die Natureinander fließen. Aber wenn die Dunkelheit zunimmt, ſo werden auch die dunklen Vorſtellungen wiederum den verwirrten aͤhnlich. Davon iſt die ſchoͤpferiſche Phan - taſie die Urſache. Denn ſobald die Klarheit der Vor - ſtellungen ſich bis auf eine gewiſſe Graͤnze hin vermin - dert hat, ſo findet die Phantaſie Gelegenheit, die ge - ſchwaͤchten und erloͤſchenden Zuͤge der Bilder aus ſich ſelbſt zu erſetzen. Es ſind alle Kuͤhe nach dem Sprich - wort, ſchwarz bey der Nacht; aber ſie haben die Farbe nicht, welche die ſchwarzen am Tage haben; ſondern weil die Gegenſtaͤnde in der Dunkelheit ganz farbenlos ſind, ſo giebt die Phantaſie ihnen die ſchwaͤcheſte und uͤberzieht ſie mit einem Schein, der nichts iſt, als ein von ihr ſelbſt gemachter Firniß. So entſtehen eigene Schattirungen, wo die einzelnen Zuͤge, wie bey verwirr - tem Schein, in einander laufen, und durch einander ge - miſcht werden. Und dieſe verdunkelten und modificir - ten Vorſtellungen ſind von den deutlichen noch weit mehr unterſchieden, als in Hinſicht der groͤßern oder geringern Klarheit, obgleich in den gewoͤhnlichen Faͤllen die Ver - wirrungen von der Phantaſie gehoben werden, und die einzelnen Theile des Ganzen in ihrer wahren Situation ſich wiederum darſtellen, ſobald das entzogene Licht zu - ruͤck gebracht wird.
Die urſpruͤnglichen Empfindungsvorſtellun - gen ſind der Grundſtoff aller uͤbrigen. Die abgeleiteten werden alle ohne Ausnahme aus ihnen ge -macht.105der Vorſtellungen. macht. Eine Betrachtung uͤber die Art und Weiſe, wie dieſes geſchicht, kann uns in die innere Werkſtatt der Seele fuͤhren, und es iſt unumgaͤnglich nothwendig, uns daſelbſt umzuſehen, um von der vorſtellenden Kraft aus ihren Wirkungen den vollſtaͤndigen Begrif zu erhal - ten, der uns in den Stand ſetzet, die Beziehung dieſes Vermoͤgens auf die uͤbrigen Seelenvermoͤgen zu be - greifen.
Was die Wirkungsarten betrifft, wodurch die Vor - ſtellungen in uns zu Jdeen werden, wodurch Bewußt - ſeyn und Gewahrnehmen der Gegenſtaͤnde durch ſie ent - ſtehet, ſo ſetze ich hier ſolche noch bey Seite. Worinne beſtehen die Thaͤtigkeiten der vorſtellenden Kraft, in ſo ferne ſie mit den bildlichen Abdruͤcken der Gegenſtaͤnde in uns beſchaͤftiget iſt, in ſo ferne ſie dieſe aufnimmt, wiedererwecket und umbildet? Der Weg iſt in dieſer Unterſuchung von andern voͤllig gebahnet, und faſt aus - getreten worden. Ueber dieſe Strecken werde ich ge - ſchwinde weggehen, und mich nur an ſolchen Stellen ver - weilen, wo es noch nicht voͤllig eben iſt.
Die Vorſtellungsthaͤtigkeiten koͤnnen unter die - ſen dreyen begriffen werden. Erſtlich, wir nehmen die urſpruͤnglichen Vorſtellungen aus den Empfindungen in uns auf, und unterhalten ſolche, indem wir nach - empfinden, und wir verwahren dieſe Nachempfindungen als aufgenommene Zeichnungen von den empfundenen Objekten in uns. Dieß iſt die Perception oder die Faſſungskraft. Zweytens, dieſe Empfindungsvorſtel - lungen werden reproduciret, auch wenn jene erſten Empfin - dungen aufgehoͤret haben, das iſt, ſie werden bis dahin wieder hervorgebracht, daß ſie mit Bewußtſeyn gewahrge - nommen werden koͤnnen. Dieſe Wirkung ſchreibet man gemeiniglich der Einbildungskraft oder der Phanta - ſie zu. Jnsbeſondere heißen die wieder hervorgezogene Vorſtellungen aus den aͤußern Sinnen Einbildungen,G 5oder106I. Verſuch. Ueber die Naturoder Phantasmata. Sie ſind uͤberhaupt, auch die aus dem innern Sinn mitgerechnet, unter dem Namen der Wiedervorſtellungen ſchon befaſſet worden.
Die erſten Empfindungsvorſtellungen legen ſich in der Seele in derſelbigen Ordnung an einander, in wel - cher ſie nacheinander hervorgebracht worden ſind. Sie reihen ſich an einander, und wenn die kleinern Zwi - ſchenvorſtellungen zwiſchen andern herausfallen, ſo ruͤ - cken die in der Empfindung etwas entfernte in der Ein - bildungskraft dichter zuſammen. Dieß geſchiehet ge - woͤhnlicher Weiſe alsdenn, wenn wir mehrmalen eine Reihe von Empfindungen wiederholen, und nur auf ei - nige ſich ausnehmende Theile derſelben aufmerkſam ſind. Eben dadurch ziehen ſich oft mehrere getrennte Empfin - dungen als Theile in ein Ganzes zuſammen, und ma - chen eine zuſammengeſetzte Vorſtellung aus.
Die Phantaſie wuͤrde alſo bey der Reproduktion der Vorſtellungen lediglich ihrer vorigen Koexiſtenz in den Empfindungen nachgehen, wenn nicht noch ein anderer Grund hinzukaͤme, der ihre Richtung beſtimmet, nem - lich dieſer: Aehnliche Vorſtellungen fallen auf einander, gleichſam in Eine zuſammen. Dieß iſt nicht allein von ſolchen wahr, die von merklich aͤhnlichen Gegenſtaͤnden entſpringen, ſondern es fallen uͤberhaupt Vorſtellungen zuſammen, in ſo ferne ſie einander aͤhn - lich ſind. Wo nur Ein gemeinſchaftlicher bemerkbarer Zug, nur eine aͤhnliche Seite in ihnen iſt, da fallen dieſe Zuͤge und dieſe Seiten in einander, die Aehnlichkeiten machen die Vereinigungspunkte der Vorſtellungen aus; und die Stellen, wo die Phantaſie von Einer zu mehren andern unmittelbar uͤbergehen, und aus einer Reihe von Vorſtellungen in eine andere hinuͤber kommen kann, die doch in den Empfindungen, dem Ort und der Zeit nach, von jener weit abſtand. Das Geſetz der Aſſo - ciation der Jdeen iſt daher zuſammengeſetzt. DieVor -107der Vorſtellungen. Vorſtellungen werden auf einander wieder er - wecket nach ihrer vorigen Verbindung und nach ihrer Aehnlichkeit.
Drittens. Aber auch dieſes Wiederhervorbringen der Jdeen iſt noch nicht alles, was die menſchliche Vor - ſtellungskraft mit ihnen vornimmt. Sie bringet ſie nicht allein wieder hervor, veraͤndert nicht bloß die vori - ge Koexiſtenz, indem ſie einige naͤher zuſammenbringet, als ſie es vorher waren, andere wiederum weiter aus - einanderſetzet, und alſo ihre Stellen und Verbindungen bald ſo bald anders beſtimmt, ſondern ſie ſchaffet auch neue Bilder und Vorſtellungen aus dem in den Em - pfindungen aufgenommenen Stoff. Dieſe Wirkungen ſind oben ſchon angezeiget worden. Die Seele kann nicht nur ihre Vorſtellungen ſtellen und ordnen, wie der Aufſeher uͤber eine Gallerie die Bilder, ſondern ſie iſt ſelbſt Mahler und erfindet und verfertiget neue Ge - maͤlde.
Dieſe Verrichtungen gehoͤren dem Dichtungsver - moͤgen zu; einer ſchaffenden Kraft, deren Wirkſam - keitsſphaͤre einen groͤßern Umfang zu haben ſcheinet, als ihr gemeiniglich zuerkannt wird. Sie iſt die ſelbſtthaͤ - tige Phantaſie; das Genie nach des Hrn. Girards Erklaͤrung, und ohne Zweifel ein weſentliches Jngre - dienz des Genies, auch in einer weitern Bedeutung des Worts, die das Genie nicht eben allein auf Dichter - genie einſchraͤnket.
Jch weis keine Thaͤtigkeit der Seele, in ſo ferne ſie mit den Vorſtellungen zu thun hat, welche nicht unter eine von dieſen dreyen gebracht werden koͤnnte. Nur, wie ich vorher erinnert habe, diejenigen noch bey Seite geſetzet, wodurch Bewußtſeyn entſtehet, und Vorſtellun - gen zu Jdeen und Begriffen erhoben werden.
Seitdem Locke das ſogenannte Geſetz der Jdeenver - knuͤpfung nicht zwar zuerſt entdecket, aber doch deutlich wahrgenommen hat, iſt dieß wie ein Grundge - ſetz in der Pſychologie angeſehen worden. Man hat es in allen ſeinen Anwendungen aufgeſpuͤret, und einen Schluͤſſel zu dem geheimſten und innerſten Gemaͤchern in der Seele darinn gefunden. Es iſt in der That ein wichtiger und fruchtbarer Grundſatz, wenn es auch das nicht alles iſt, wofuͤr es von einigen gehalten wird. Was ſo oft geſchicht, daß ein Princip, woraus ſo vie - les erklaͤret werden kann, fuͤr das einzigſte angeſehen wird, woraus alles ſoll erklaͤret werden; und daß eine Urſache, die unter den uͤbrigen mitwirkenden hervor - ſticht, allein die Aufmerkſamkeit auf ſich ziehet, und deswegen die uͤbrigen deſto leichter uͤberſehen laͤßt, das hat ſich wie es mir ſcheinet, auch hier zugetragen. Das Geſetz der Aſſociation ſoll den Grund angeben, warum auf die Jdee A in dem Kopf eines Menſchen die Jdee B hervortritt, wenn keine neue Empfindung die letztere hineinſchiebet; und dieſen Grund von der Jdeenfolge ſoll es voͤllig und beſtimmt angeben. Dieß verdienet ei - ne naͤhere Unterſuchung. Haͤnget die Folge, in der die Wiedervorſtellungen auftreten, die Einmiſchung neuer Empfindungen bey Seite geſetzet, allein von der Phan - taſie ab? und in wie weit kann die Aehnlichkeit oder die ehemalige unmittelbare Verbindung der Jdeen A und B es beſtimmen, daß auf A eben B, und nicht jede andere wieder hervorgezogen wird?
Die109der Vorſtellungen.Die Regel der Aſſociation — wenn nichts mehr in ihr geſagt wird als was aus den Beobachtungen zu - naͤchſt folget, und wenn in ihrem Ausdrucke alle Woͤr - ter vermieden werden, die nur unbeſtimmte Beziehun - gen angeben, und mehr geſchickt ſind, dem Verſtande einige allgemeine Begriffe vorſchimmern zu laſſen, als ihm ſolche deutlich und abgemeſſen darzuſtellen, — will ſo viel ſagen: „ wenn die Seele von der Vorſtellung A, „ die dieſen Augenblick in ihr gegenwaͤrtig iſt, zu einer „ andern B in dem naͤchſtfolgenden Augenblick unmittel - „ bar uͤbergehet, und dieſe letztere B nicht aus einer Em - „ pfindung hineingeſchoben wird, ſo iſt die Veranlaſſung „ dazu, daß eben B auf A folget, entweder dieſe, weil „ beide vorher in unſern Empfindungen, oder auch ſchon „ in den Vorſtellungen, ſo nahe mit einander verbunden „ geweſen ſind, oder weil ſie einander in gewiſſer Hin - „ ſicht aͤhnlich ſind. “
Die Sinne wollen wir ruhen laſſen, wenn der Gang der Phantaſie beobachtet werden ſoll; die Em - pfindungen von außen her ſollen ſich alſo nicht einmiſchen, und auch die innern Sinne nichts beytragen, ſondern die Einbildungskraft ſoll freye Haͤnde haben, zu arbeiten, ſo wie ſie im Schlummer und im Traume ſie hat. Wenn die Phantaſie gleichguͤltig und abſichtslos die vorigen Jdeen wieder hervorziehet, ſo gehet ſie der Ord - nung nach, in der die Vorſtellungen in den Empfindun - gen oder auch ehemals in den Vorſtellungen neben ein - ander und auf einander gefolget ſind. Dagegen verfol - get ſie mehr das Aehnliche, das Gemeinſchaftliche, an welchem die Jdeen zuſammenhangen, und bringet aͤhn - liche nach einander hervor, ſobald ſie in einer lebhaften fortdaurenden Gemuͤthsbewegung ſich befindet, und Trieb, Begierde und Abſicht ſie nach einer gewiſſen Richtung hinſtimmet. Die Koexiſtenz der Vorſtel - lungen in der Empfindung verbindet ſie unter einander wieein110I. Verſuch. Ueber die Naturein Faden die auf ihn gezogenen Perlen. Die Aehn - lichkeit vereiniget ſie, wie ein gemeinſchaftlicher Mit - telpunkt, um welchen herum mehrere aͤhnliche Jdeen anliegen, ſo daß von der Einen zur andern ein unmittel - barer Uebergang moͤglich iſt, auch bey ſolchen, die ſon - ſten in der Reihe der Koexiſtenz ſehr weit von einander abſtehen. Die Einbildungskraft wechſelt mit beiden Arten der Verbindungen ab und machet neue Verbin - dungen. Nie iſt ſie Einer dieſer Beziehungen allein nachgegangen, wenn wir eine ganze Reihe von Repro - duktionen unterſuchen, die eine merkliche Laͤnge hat. Nur liebet ſie unter gewiſſen Umſtaͤnden mehr den einen, unter andern mehr den andern Hang. Bey einem ver - gnuͤgten Herzen fuͤhret die Phantaſie lauter heitere Jdeen hervor; bey einem niedergeſchlagenen lauter traurige, bey einem betrachtenden ſolche, die mit dem allgemeinen Begriffe, deſſen Bearbeitung er vorhat, in Verbin - dung ſind. Jede einzelne der wiedererweckten Vorſtel - lungen wuͤrde ganze Reihen von andern in Geſellſchaft mit ſich fuͤhren, und die Seele wuͤrde ſich zerſtreuen. Aber weil ſie in ihrem Standort ſich feſthaͤlt, ſo wendet ſie ſich mehr nach ſolchen Jdeen hin, die um ihren ge - genwaͤrtigen Zuſtand, wie um einen gemeinſchaftlichen Mittelpunkt herumliegen, und unterdruͤcket die verbun - dene Nebenreihen, die ſich auch wohl regen und zwi - ſchendurch hervortreten wollen.
Dieß Geſetz der Aſſociation beſtimmet nichts mehr, als die Ordnung, wie Jdeen auf einander folgen, wenn die Phantaſie allein wirket. Es beſtimmet nicht die ganze wirkliche Ordnung, in welcher die Vorſtellungen erfolgen, und enthaͤlt auch das Geſetz der bildenden Dichtkraft nicht, wenn dieſe neue Jdeen machet. Wo die letztere wirket, und durch ihre Wirkſamkeit neue Verbindungen hervorbringet, da reichet jenes Geſetz bey weitem nicht hin, den Grund der geſammten thaͤti -gen111der Vorſtellungen. gen Aſſociation anzugeben. Eigentlich beſtimmet die Regel nichts mehr, als welche Jdee uͤberhaupt auf ei - ne andere folgen koͤnne? Auf die Jdee A kann nem - lich entweder eine von den ihr aͤhnlichen, oder eine von den koexiſtirenden folgen, aber von welcher Art wird nun eine folgen? das haͤnget von den Urſachen ab, wo - von die Einbildungskraft waͤhrend ihrer Wirkſamkeit gelenket und regieret wird.
Und weiter. Soll eine von den aͤhnlichen Jdeen auf A folgen, welche? und nach welcher Aehnlichkeit? Alle Vorſtellungen haben gemeinſchaftliche Zuͤge, und jede zwo derſelben haben mehr als Einen Punkt, woran ſie zuſammenhangen. Welches iſt nun der Punkt, um den herum die Phantaſie, als um einen Mittelpunkt wirket? Bey einer jeden einzelnen Jdee iſt bald dieſe, bald eine andere die naͤchſte, je nachdem es dieſe oder je - ne Beſchaffenheit, dieſe oder jene Seite iſt, von der ſie angeſehen wird, und an der ſie mit andern zuſammen - haͤnget. Jn dieſer Hinſicht iſt die Verknuͤpfung der Jdeen in der Seele eine durchgaͤngige Verbindung ſingularum cum ſingulis. Es gibt alſo faſt keine Jdee, von der, zumal in einer großen und reichen Einbildungs - kraft, nicht ein unmittelbarer Uebergang zu jeder andern vorhanden waͤre, wenn gleich dieſer Weg bey vielen eng und ſo ungewohnt iſt, daß die Phantaſie weit leichter und gewoͤhnlicher einen andern nimmt.
Die Anzahl der mit jeder einzelnen Jdee vorher verbundenen, oder durch die Koexiſtenz angereiheten, iſt ebenfalls ſehr groß, und wird es immer mehr, da neue Verbindungen bey jeder Reproduktion zu Stande kom - men.
Da alſo dieß Geſetz der Aſſociation nichts weiter lehret, als daß auf eine gegenwaͤrtige Vorſtellung eine andere folge, die mit ihr einen gemeinſchaftlichen Ver - einigungspunkt hat, oder eine ſolche, die ehedem mitihr112I. Verſuch. Ueber die Naturihr verbunden geweſen iſt; ſo gibt dieſe Regul die wahre Folge der Jdeen nicht beſtimmter an, als wenn man ſagte: „ auf eine gegenwaͤrtige Jdee kann faſt eine jed - „ wede andere folgen. “ Wird die Regelloſigkeit der Phantaſie darum eine Regelmaͤßigkeit, weil die Jdeen nach dieſer Regel reproduciret werden? Jſt in einem Quodlibet deswegen eine ordentliche Gedankenfolge, weil dieſe Folge durch eine Regel beſtimmet wird, wel - che ſaget, daß keine Ordnung darinn ſeyn ſoll.
Noch weiter uͤber die Wahrheit hinaus iſt es, wenn einige in dem Geſetz der Aſſociation ein allgemeines Ge - ſetz gefunden haben wollen, daß die ganze Folge der Vorſtellungen in der Seele beſtimmen ſoll, in ſo ferne ſie nicht von neuen Empfindungen unterbrochen wird. Wenn die Sonne aufgehet, ſo ſiehet man in Oſten lie - gende entfernte und dunkele Gebuͤſche fuͤr Berge an, und ſo ſcheinet es uns auch bey dieſer Regel gegangen zu ſeyn. Es mag ſeyn, daß aus ihr die Folge der Vor - ſtellungen, welche alsdenn wieder erwecket werden, wenn alle uͤbrige Seelenvermoͤgen unthaͤtig ſind und nur allein die wiederhervorbringende Phantaſie beſchaͤftiget iſt, und ich will zugeben, daß ſie dieſe Folge voͤllſtaͤndig erklaͤre; wo und wie ſelten findet denn wohl dieſe angenomme - nen Bedingung Statt? Wenn arbeitet die Phantaſie allein an der wirklichen Aſſociation der Jdeen, wozu ſie nur die Materialien, der obigen Regel gemaͤß, darbie - tet? Das ſelbſtthaͤtige Dichtungsvermoͤgen kommt da - zwiſchen, und ſchaffet neue Vorſtellungen aus denen, die da ſind, und machet alſo neue Vereinigungspunkte, neue Verknuͤpfungen und neue Reihen. Die Denkkraft entdecket neue Verhaͤltniſſe und Beziehungen, neue Aehnlichkeiten, neue Koexiſtenzen, und neue Abhaͤn - gigkeiten, die vorher nicht bemerket waren, und machet auf dieſe Art neue Kommunikationskanaͤle zwiſchen den Jdeen, wodurch einige zur unmittelbaren Verbindungkommen,113der Vorſtellungen. kommen, andere von einander abgeriſſen werden, die es vorher nicht geweſen ſind. Sollen etwan alle dieſe neuen ſelbſtthaͤtigen Aſſociationen mit zu den Empfin - dungen, die dazwiſchen kommen, etwan zu den Empfin - dungen des innern Sinnes gerechnet werden, von denen man voraus angenommen hat, daß auf ſie keine Ruͤck - ſicht genommen werde? Wenn dieß iſt, ſo heißet jene Regel der Jdeenfolge ſo viel: die Jdeen werden wie - derum erwecket, nach ihrer Aehnlichkeit oder nach ihrer Koexiſtenz, wenn nichts dazwiſchen kommt. Aber die - ſes Wenn iſt ein Wenn, das Ausnahmen zulaͤßt, die vielleicht zur Regel gemacht, und das was Regel iſt, ſo gut als Ausnahme angeſehen werden muß.
Die durch die verſchiedenen Vermoͤgen der Seele, durch ihr Gefuͤhl, ihre bildende Dichtkraft, die Refle - xion und andere, alle Augenblicke hervorgebrachte Ver - bindungen, erfolgen jede nach ihren eigenen Geſetzen. Denn jedes Seelenvermoͤgen beobachtet ein gewiſſes Ge - ſetz, ſo oft es wirkſam iſt, und auch die ſchaffende Dicht - kraft beobachtet die ihrigen, wenn ſie neue Jdeen her - vorbringet. Dieſe Geſetze koͤnnen einzeln aus den Be - obachtungen erkannt werden, wie es von den Pſycholo - gen zum Theil ſchon geſchehen iſt. Aber da nun alle Vermoͤgen, jedes nach ſeiner Regel in Verbindung ſind, und in dieſer Verbindung wirken, weſſen Verſtand iſt groß genug, dieſe beſondern Regeln in Eine allgemeine zuſammen zu faſſen, durch welche die wahre Folge der Vorſtellungen bey einem gegebenen Jdeenvorrath und bey den gegebenen damaligen Empfindungen beſtimmet werden koͤnnte? Die einzelnen Urſachen, welche Wind und Wetter abaͤndern, und ihre Arten zu wirken ſind bekannt. Aber die Naturkuͤndiger ſind noch weit von dem allgemeinen Geſetz entfernt, wonach ſich die Be - ſchaffenheit der veraͤnderlichen Witterung in unſern Ge - genden berechnen ließe. Die Geſetze der AttraktionI. Band. Hkennet114I. Verſuch. Ueber die Naturkennet jeder Naturlehrer, und doch iſt das ſogenannte Problem de trois corps, das Geſetz der Bewegung, wenn drey Koͤrper ſich einander anziehen, ein Kreuz der Analyſten. Es iſt in der Seelenwelt wie in der Koͤr - perwelt. Die einzeln Urſachen und ihre Wirkungsarten einzeln zu erkennen, das iſt noch lange nicht die Erkennt - niß der Regel, nach der die Wirkung erfolget, wenn dieſe mehrern Urſachen zugleich in Vereinigung mit ein - ander wirken. Solch ein beſondres Geſetz fuͤr ein be - ſonders Vermoͤgen iſt das Geſetz der Jdeenaſſocia - tion.
Hiemit ſoll der große Nutzen, den die Entdeckung dieſes pſychologiſchen Geſetzes geleiſtet hat, nicht ge - laͤugnet noch heruntergeſetzet werden. Nichts weniger. Nur leſe man nichts mehr darinn, als was darinn ent - halten iſt. Man ſehe kein Ungeheuer von Rieſen, wo nichts als ein ſimpler Menſch ſtehet.
Der bildenden Dichtkraft habe ich mehrmalen er - waͤhnt und ihr ein Vermoͤgen, neue einfache Vorſtellungen aus dem Stoff der Empfindungsvorſtel - lungen zu bilden, beygelegt. Dieß ſetzet eine groͤßere Jdee von dieſer ſchoͤpferiſchen Kraft voraus, als die meh - reſten fuͤr richtig erkennen werden, daher dieſe Be - hauptung noch beſonders mit Beobachtungen bewieſen werden muß. Die Frage iſt dieſe: Wie weit gehet das Selbſtmachen bildlicher Vorſtellungen? Kann dieH 2Selbſt -116I. Verſuch. Ueber die NaturSelbſtmacht der Seele die Empfindungsvorſtellungen vermiſchen und aus dieſer Vermiſchung neue ſinnliche Bilder hervorbringen, wie ein Maler aus der Vermi - ſchung der Farben neue Farben machet? Wie weit kann ſie der Natur und den Chemiſten in der Aufloͤſung nachkommen? wie weit alſo neue verwirrte Scheine her - vorbringen, die fuͤr uns einfach ſind, wie einfache Em - pfindungsvorſtellungen, und doch nicht in der Gewalt, ſo wie ſie da ſind, aus den Empfindungen geholet wor - den ſind?
Die Pſychologen erklaͤren gemeiniglich das Dichten durch ein bloßes Zertheilen und Wiederzuſammen - ſetzen der Vorſtellungen, die in den Empfindungen aufgenommen, und wieder hervorgezogen ſind. Aber ſollte dieß das Eigene der Fictionen ganz ausmachen? Wenn es ſo iſt, ſo iſt auch das Dichten nichts anders als ein bloßes Stellverſetzen der Phantasmen; ſo wer - den dadurch keine neue fuͤr unſer Bewußtſeyn einfache Vorſtellungen entſtehen koͤnnen. Nach dieſer Voraus - ſetzung muß jeder ſelbſtgebildeter ſinnlicher Schein, wenn man ihn in die einzelnen Theile zerleget, die durch Reflexion unterſchieden werden koͤnnen, aus lauter Stuͤ - cken beſtehen, die ſo einzeln genommen, reine Einbil - dungen, oder erneuerte Empfindungsvorſtellungen ſind. Die Vorſtellung von dem Pegaſus iſt ein Bild von einem gefluͤgelten Pferde. Wir haben das Bild von einem Pferde aus der Empfindung, und das Bild von den Fluͤgeln auch. Beyde ſind reine Phantasmen, die von andern Vorſtellungen abgeſondert, und hier in dem Bil - de des Pegaſus mit einander verbunden ſind. Jn ſo weit iſt dieſes nichts, als eine Wirkung der Phantaſie, die nur ihre empfangnen einzelen Empfindungsvorſtel - lungen, welche ſie hie und da her aus andern Verbin -dungen117der Vorſtellungen. dungen herausgenommen hat, jetzo in einer neuen Lage bey einander darſtellet, in der ſie in der Empfindung nicht beyſammen geweſen ſind. Allein dieß iſt nur ein Zertheilen und ein Wiederaneinanderſetzen. Dieß iſt noch nicht Entwickeln, Aufloͤſen und Wieder - vereinigen, kein Jneinandertreiben und Vermi - ſchen.
Jch will nicht dagegen ſeyn, wenn man alle dieſe genannten Wirkungsarten unter dem generiſchen Begrif des Zertheilens und des Zuſammenſetzens bringen will. Alle Aufloͤſungen in der Natur und alle Vermi - ſchungen ſind in dieſem Sinn nichts als neue Theilun - gen und neue Zuſammenſetzungen. Aber es ſind als - denn doch die beiden Arten dieſer Operationen zu unter - ſcheiden, durch deren Eine die neuen fuͤr unſer Bewußt - ſeyn einfache Scheine hervorkommen, da durch die an - dern nur neue Verbindungen ſolcher Scheine, deren wir uns einzeln ſchon bewußt geweſen ſind, oder es doch ha - ben ſeyn koͤnnen, entſtehen. Sieben Reihen von den prismatiſchen Farben neben einander gelegt, machen noch keinen weißen Strich, der doch aus der Vermi - ſchung von ihnen entſpringet. Jn dem einen Fall iſt entweder das ganze Bild, oder doch die einzelnen Theile, die die Reflexion darinn unterſcheidet, zerſtreuet hie und da in aͤhnlicher Geſtalt in den Empfindungsvorſtellun - gen vorhanden: Jn dem andern aber zeigen ſich einfache Bilder von andern Geſtalten, als ſich jemals unter den Empfindungsvorſtellungen haben antreffen laſſen.
Die gewoͤhnliche Erklaͤrungsart von dem Entſtehen der Fiktionen ſcheint mir auch bey den gemeinſten Bey - ſpielen von Dichtungen unhinlaͤnglich zu ſeyn, um alles das voͤllig zu begreifen, was die Dichtungskraft in ih - nen hervorbringet. Nur die vorher angefuͤhrte Erdich - tung von neuem aufmerkſam betrachtet, ſo deucht mich, es iſt noch etwas mehr darinn als ein bloßes Zuſammen -H 3ſetzen.118I. Verſuch. Ueber die Naturſetzen. Die Fluͤgel des Pegaſus moͤgen in dem Kopf des erſten Dichters, der dieß Bild hervorbrachte, ein reines Phantasma geweſen ſeyn; und die Vorſtellung von dem Pferde gleichfalls. Aber da iſt eine Stelle in dem Bilde an den Schultern des Pferdes, etwas dunkler, als die uͤbrigen, wo die Fluͤgel an dem Koͤrper ange - ſetzet ſind; da fließen die Bilder von des Pferdes Schul - tern und von den Wurzeln der Fluͤgel in einander; da iſt alſo ein ſelbſtgemachter Schein, der ſich verlieret, wenn man das Bild vom Pferde und das Bild von den Fluͤ - geln deutlich von einander wieder abtrennet. Verbindet man blos dieſe beyden Bilder, ſo hat man die Fluͤgel dicht an den Schultern des Pferdes angeſetzet; aber dann erſcheinen ſie nicht ſo, wie vorher in der verwirr - ten Fiktion, nicht ſo, als wenn ſie daran gewachſen ſind; es iſt kein in eins fortgehendes Ganze mehr da, wie es in der lebhaften Dichtung war, wo die beyden Bilder an ihren Graͤnzen mit einander vermiſcht und gleichſam in einander hineingeſetzet waren, wovon ihre Vereinigung zu Einem Ganzen, und die Einheit in der Fiktion ab - hieng. Jſt hier alſo nichts mehr als ein Aneinanderle - gen zweyer Einbildungen?
Um die gewoͤhnliche Theorie zu rechtfertigen, moͤchte man die Vereinigung der beiden gedachten Phantasmen dadurch erklaͤren, daß die Phantaſie an der Stelle, wo die beyden Theile vereiniget ſind, noch ein drittes dunk - les Phantasma hinzuſetze, und da gleichſam eine Hefte oder ein Band auflege, um jene zuſammen zu halten. So wuͤrde denn wiederum das Ganze nichts anders ſeyn, als ein Haufen zuſammengebrachter einzelner Phantas - men. Jch antworte — ohne noch auf andere Fiktio - nen zu ſehen, die unten angefuͤhret werden ſollen — dieſe Erklaͤrung ſey ſchon aus dem Grunde unzulaͤnglich, weil man hier außer den einzelnen Phantasmen von dem Pferde und von den Fluͤgeln, noch auch das dritte, dasein119der Vorſtellungen. ein Band von beiden iſt, in ihr gewahr werden muͤßte, ſobald man die Fiktion in ihre Theile zerleget. So et - was wird aber nicht gewahrgenommen. Das Ganze in ſeine Stuͤcke zerleget, giebt nicht mehr als jene beiden einzelne verbundene Vorſtellungen.
Eine ausfuͤhrliche phyſiſche Unterſuchung der bilden - den Kraft der Seele, in der jede Regel, jedes Geſetz ihrer Wirkſamkeit ſo vollkommen mit Beobachtungen beleget wuͤrde, als eine uͤberweiſende Deduktion aus Er - fahrungen es erfordert, wuͤrde uͤber die Graͤnzen hinaus - gehen, die ich mir in dem gegenwaͤrtigen Verſuch geſetzet habe. Da aber doch dieſe Seite unſerer vorſtellenden Natur an ſich ſo erheblich und fruchtbar iſt; da ſie noch weiter fuͤhret, als auf die Kenntnißkraft, und auch uͤber die Selbſtthaͤtigkeit der Seele bey aͤußern Handlungen Licht verbreitet, ſo will ich einige Bemerkungen, die mir die weſentlichſten hieruͤber zu ſeyn geſchienen haben, hin - zu fuͤgen. Jſt dieß eine zu lange Verweilung bey einer einzelnen Sache, ſo bitte ich, in etwas doch die Ent - ſchuldigung hier gelten zu laſſen, die Plinius fuͤr die Laͤnge eines Briefes angab: es iſt die Materie zu groß, nicht die Beſchreibung. *)Hr. Gerard, der ſcharfſinnige Beobachter des Genies, — und dieß iſt bey ihm das Vermoͤgen, das hier die bil - dende Dichtkraft genennet wird — hat vielleicht am vollſtaͤndigſten die beſondern Regeln angegeben, nach welchen neue Jdeenaſſociationen durch die Dichtkraft gemacht werden. So ferne dieſe Kraft unter der Di - rektion der Reflexion arbeitet, muͤſſen die neuen Jdeen - verknuͤpfungen ohne Zweifel eine Beziehung auf die Denkarten haben, womit die letztere die Verhaͤltniſſe und Beziehungen in den Dingen gewahrnimmt. Da, wo die Denkkraft Aehnlichkeiten und Verſchiedenheiten,Ueber -
H 4Wenn120I. Verſuch. Ueber die NaturWenn man die Beobachtungen uͤber die ſogenann - ten zufaͤlligen oder Scheinfarben erwaͤget, ſo hat man offenbare Beweiſe, daß in uns gewiſſe neue Schei - ne oder Bilder von Objekten entſtehen. Hier entſtehen ſie zwar waͤhrend der Nachempfindung, und haben ihren Grund in gewiſſen Veraͤnderungen der Sinnglieder; aber ſie hangen von der Beſchaffenheit der gefaͤrbten Koͤr - per und von der Beſchaffenheit des auffallenden Lichts auf die Augen nicht ſo ab, wie die ſonſtigen Empfindun - gen, und ſind auch bey dem gewoͤhnlichen Anſchauen der Objekte nicht vorhanden. Sie entſpringen aus einer Aufloͤſung und Verwirrung der ſinnlichen Eindruͤcke, die in dem Auge ſelbſt vor ſich gehet. Nur Eins zum Bey - ſpiel anzufuͤhren. Wenn das Auge bis zum Ermuͤden ununterbrochen auf ein rothgefaͤrbtes Quadrat, das auf einem weißen Grunde lieget, gerichtet geweſen iſt, ſo er - ſcheinet um die Figur des Quadrats herum die Geſtalt eines ſchwachen gruͤn gefaͤrbten Umzuges; und wendet man alsdenn das Auge von der rothen Flaͤche auf den weißen Grund hin, ſo erſcheinet ein Viereck von einer ſchwachen gruͤnen Farbe vor uns, das deſto laͤnger beſte - het, je lebhafter der Eindruck von dem rothen Viereck vorher geweſen iſt. Wird dieſe Beobachtung mit an -dern*)Uebereinſtimmungen und Entgegenſetzungen, Beyeinan - derſeyn und Getrennetſeyn, Zugleichſeyn, Vorange - hen, Nachfolgen, Verurſachung und Abhaͤngigkeit, uͤberhaupt, wo ſie Jdentitaͤten, Koexiſtenzen und De - pendenzen in den Vorſtellungen bemerket, da muͤſſen es denn auch dieſelbigen Verhaͤltniſſe ſeyn, nach welchen die Phantaſie die Vorſtellungen wieder erwecket. Hier iſt die Dichtkraft nicht anders als die Phantaſie nach einer gewiſſen Richtung hingeſtimmet. Die neuen Jdeenverknuͤpfungen kommen alſo ſo zu Stande, wie die von der Denkkraft gedachte Verhaͤltniſſe der Jdeen es mit ſich bringen. Aber dieß iſt noch das Eigene des ſchaffenden Vermoͤgens nicht, wovon hier die Frage iſt.121der Vorſtellungen. dern ihr aͤhnlichen verglichen, ſo fuͤhret ſie ſehr natuͤrlich auf die Urſache, welche Hr. Scherffer*)Jn der obgedachten diſſ. de color. accidentalibus. davon ange - geben hat. Das anhaltende Anſchauen der rothen Flaͤ - che machet den Theil in dem Auge, auf den das Bild von ihr hinfiel, ſtumpf und unfaͤhig, weiter ſolche Ein - druͤcke, als die rothen Stralen verurſachen, anzunehmen, um ſinnlich von ihnen beweget zu werden, die Nerven erſchlaffen alſo in Hinſicht auf dieſe Eindruͤcke. Faͤllt nun auf dieſelbige Stelle das weiße Licht von dem Grun - de hin, das aus den prismatiſchen Farbenſtralen zu - ſammengeſetzt iſt, ſo koͤnnen die rothen Stralen, die in dem weißen Licht enthalten ſind, keinen ſinnlichen Ein - druck auf dieſe ermuͤdete Stelle hervorbringen. Was alſo da entſtehen muß? nichts anders als ein Eindruck, der von dem weißen Licht gemacht werden kann, wenn die rothen Stralen davon abgeſondert, und die uͤbrigen in ihrer Vermiſchung zuruͤckgeblieben ſind. Alſo ein gruͤn Bild von der viereckten Flaͤche auf der Stelle im Auge, wo kurz vorher das Bild von dem rothen Viereck geweſen war. Auf dieſe Weiſe kann ein Menſch zu der Empfindungsvorſtellung von einer gruͤnen Farbe gelan - gen, der niemals auf die gewoͤhnliche Art etwas gruͤnes geſehen hat.
Hier iſt nun zwar noch keine Wirkung der Phanta - ſie und der Dichtkraft, und es folget alſo daraus noch nicht, daß die letztere eben ſolche neue Scheine von in - nen in uns bewirken koͤnne; aber wenn man uͤberleget, daß in den Reproduktionen daſſelbige Geſetz ſtatt findet, welches in dem angefuͤhrten Fall bey dem Empfinden die Urſache von dem neuen Schein iſt, und daß ein zu lang und zu anhaltend fortgeſetztes Phantasma eine Unfaͤhig - keit verurſachet, es ferner gegenwaͤrtig zu erhalten, ſo ſie - het man doch ſo viel, daß in den Einbildungen der zu -H 5ſammen -122I. Verſuch. Ueber die Naturſammengeſetzten, aber dem Gefuͤhl nach ſo einfachen Ein - druͤcke, wie die Empfindung des weißen Lichts iſt, ſich etwas aͤhnliches eraͤugnen koͤnne; und wenn es andere Beobachtungen lehren, daß es ſich wirklich eraͤugne, ſo ſiehet man hier Eine von den Arten, wie es geſchehen koͤnne. Die Entſtehung neuer Scheine in der Phan - taſie wird alſo durch dieſe Analogie ſchon etwas ver - muthlich.
Es geſchieht aber wirklich etwas aͤhnliches in der Phantaſie mit den Vorſtellungen. Wenn jemand Luſt haͤtte, den gedachten Verſuch mit den Farbenbildern im Kopf nachzumachen, ich glaube, er wuͤrde ſo etwas in ſich gewahrwerden. Jch mag ſelbſt meine Dichtungs - kraft dazu nicht anſtrengen, aus Furcht, ich moͤchte ſie, da ſie zu ſchwach iſt, uͤberſpannen, und weil ich dieſer Ver - ſuche zu meiner Ueberzeugung nicht bedarf. Wer ſich bis zur Ermuͤdung mit einer ſinnlichen Vorſtellung von einer rothen Flaͤche beſchaͤftiget hat, und dann ſich bemuͤ - het, eine andere weiße Figur von eben der Geſtalt und Groͤße und an eben der Stelle hinzudenken, dem wuͤrde vielleicht ein Bild im Kopf ſchweben, das nicht roth noch weiß waͤre, ſondern ſich dem Gruͤnen naͤherte, auf eine etwas aͤhnliche Art, wie es in den Empfindungen geſchieht. Wir haben der Erfahrungen zu viele, daß wenn die Phantaſie ſich mit einerley Zuͤgen an einem ſinnlichen Gegenſtande lange und anhaltend, bis zur Er - ſchlaffung beſchaͤftiget hat, die ganze Vorſtellung ſich aͤn - dere, und ein Schein hervorkomme, der ſo wie er als - denn vorhanden iſt, weder aus der Empfindung des Ganzen, noch aus den abgeſonderten Empfindungen ein - zelner Theile deſſelben entſtehet und entſtanden iſt.
Wir haben andere Erfahrungen, wo ſichs weit deut - licher verraͤth, daß unſere Phantaſie nicht blos Phantas - mate an einander lege, ſondern auch ſie mit einander ver - miſchen und neue daraus machen kann. Man ſage ei -nem123der Vorſtellungen. nem Koch die Jngredienzen einer Speiſe vor, die er ſelbſt niemals gekoſtet hat. Er urtheilet aus den Vor - ſtellungen von jenen ſogleich, wie das Gemiſche aus ih - rer Zuſammenſetzung etwan ſchmecken muͤſſe, und ma - chet ſich zum voraus eine einzelne Vorſtellung vor der Empfindung, die der nachher hinzukommenden Empfin - dung und ihrer Einbildung nicht ganz unaͤhnlich iſt. Ein Komponiſt hoͤret gewiſſermaßen ſchon zum voraus den Ton, den die Verbindung einiger ihm bekannten Jnſtrumente hervorbringen wird. Die vorlaufende Fik - tion iſt eine Vermiſchung der ihm bekannten Phantas - men in eine neue verwirrte Vorſtellung, die von ſeinen einzelnen Empfindungsvorſtellungen unterſchieden iſt.
Jch habe die lambertſche Farbenpyramide vor mir genommen, um aͤhnliche pſychologiſche Verſuche zu machen. Jch nahm die Bilder zweyer Farbenflaͤchen z. E. roth und blau, und blau und gruͤn, und verſuchte beide dieſe Flaͤchen in der Vorſtellung auf einander zu legen, und ſo innig als moͤglich war, zu vermiſchen, dabey ich die mittlere Farbe auf der Tafel vor dem Auge be - decket hielt. Jch geſtehe, es kam niemals in meinem Kopf ein ſolches Bild heraus, als die mittlere Farbe auf der Pyramide war, wenn ich dieſe nachher anſahe und ſie mit jener Einbildung verglich. Die Vorſtellung von dem Gelben und von dem Blauen konnte ich nicht ſo zu - ſammenbringen, daß ſie in Eine Fiktion von Gruͤnen, als der Zwiſchenfarbe uͤbergegangen waͤren. Dieß ge - ſchahe nicht; aber ſo viel war es auch nicht, was ich er - wartete. Denn dazu, daß aus der Vermiſchung der Farben außer uns eine neue Mittelfarbe entſtehet, iſt es nicht genug, daß einfache Farben vermiſchet werden, ſondern es kommt außerdieß auf das Verhaͤltniß an, in welchem man ſie nimmt. Und da konnte ich von meiner Phantaſie es nicht fodern, daß ſie die gelbe und die blaue Flaͤche, oder die rothe und die blaue, jede in dem Gradeder124I. Verſuch. Ueber die Naturder Lebhaftigkeit gegenwaͤrtig erhalte, indem ſie ſolche aufeinanderlegte, als dazu nothwendig war, um eine klare Jdee vom Gruͤnen, oder vom Blaurothen zu bekom - men. Dennoch entſtand jedesmal ein matter Mittel - ſchein, der weder roth noch blau, noch gelb, und alſo von dieſen einfachen Empfindungsvorſtellungen verſchie - den war. Bey oͤfterer Wiederholung dieſer Beobach - tungen, fand ſich, es ſey nothwendig, die beiden ideellen Farben, die man im Kopf vermiſchen will, immer auf dieſelbige Flaͤche in der Phantaſie auf einander zu legen. Die alsdenn entſtehende verwirrte Vorſtellung war aber doch noch immer dunkler und viel weniger feſtſtehend, als ein reines Phantasma; denn der neue Schein zog ſich bald wieder in die einfachen Empfindungsſcheine, die lebhafter gegenwaͤrtig waren, auseinander. Wenn ich nicht recht lebhaft die Phantaſie anſtrengte, ſo blieb es blos bey einem Beſtreben, ſo eine Vermiſchung vor - zunehmen, und dies war ein Beſtreben, die einfachen Empfindungsſcheine zugleich auf einmal darzuſtellen. Auch habe ich den neuen Schein nie ſo feſtſtehend ma - chen koͤnnen, als es die Phantasmata aus den Empfin - dungen ſind.
Es ſcheinet alſo doch nur ein ſchwaches Nachmachen zu ſeyn, was die Dichtkraft in ihrer Gewalt hat. Jhre neuen Geſtalten ſind vielleicht nur Schattenwerke in Vergleichung mit den Einbildungen, die man von au - ßen in neuen Empfindungen empfaͤngt. Und dies iſt auch nicht zu verwundern. Jndem die Phantaſie zwey unterſchiedene Bilder wiederhervorbringet, und gegen - waͤrtig erhaͤlt, ſo hat ein jedes davon ſeine eigene aſſociir - te Vorſtellungen, die verſchieden ſind, und die ſich ihrer Vermiſchung widerſetzen. Dieſe unterſchiedene Jdeen - reihen gehen mehr aus einander und halten ſich abgeſon - dert. Die Miſchung wird dadurch geſchwaͤcht, und das Ganze dunkler. Ein Theil der vorſtellenden Kraftmuß125der Vorſtellungen. muß verwendet werden, dieſe unterſchiedene Nebenideen zu unterdruͤcken, der alsdenn nicht angewendet werden kann, die zu vermiſchende Bilder in ihrer vorigen Leb - haftigkeit zu erhalten.
Gleichwohl iſt aus dieſen Erfahrungen ſo viel offen - bar, „ wenn die Phantaſie noch mit einer groͤßern Jn - „ tenſion und auf mehrere Bilder zugleich wirken, und „ mit einer groͤßern Staͤrke ſolche auf einmal wieder her - „ vor bringen kann, als ſie es in dieſen beobachteten Faͤl - „ len gethan hat, ſo wird die daraus entſtehende verwirr - „ te Erdichtung einem neuen Phantasma an Lebhaftigkeit „ naͤher kommen. “ Jſt dieß nicht zu vermuthen, wenn ſie mehr ſich ſelbſt uͤberlaſſen, wenn ſie ungezwungen und unbeobachtet wirket; wenn ſie mehr aus innern Trieben, unwillkuͤhrlich als aus Abſichten, mehr aus dem Herzen als aus dem Verſtande gereizet wird, und nicht immer bey jedem Schritt durch die zur Seite gehende Refle - xion eingeſchraͤnkt iſt? Wenn ſie im Traume und in dem Mittelzuſtand zwiſchen dem Wachen und Einſchlafen, in dem ſie am freyeſten und maͤchtigſten herrſchet, frey und ungebunden die Jdeenmaſſe in Bewegung ſetzet, und umarbeitet? Kann meine Phantaſie jetzo, da ich Beyſpiele zum Experimentiren ſuche, ſchon etwas aus - richten, und etwan die Helfte der ganzen Wirkung her - vorbringen, ſo zweifele ich nicht, ſie werde ſolche voͤllig zu Stande bringen, wenn ſie mit ihrer ganzen Macht in einem Milton und Klopſtock in der Stunde der Be - geiſterung arbeitet. Alsdenn draͤngen ſich Empfindun - gen und Jdeen ſo ineinander und vereinigen ſich zu neu - en Verbindungen, daß man viel zu wenig ſich vorſtellet, wenn man die Bilder, die von dieſen Poeten in ihrer le - bendigen Dichterſprache ausgehauchet ſind, fuͤr nichts anders als fuͤr eine aufgehaͤufte Menge von neben einan - derliegenden oder ſchnell auf einander folgenden einfachen Empfindungsideen anſieht. Jn ihren neuen ſelbſtge -machten126I. Verſuch. Ueber die Naturmachten zuſammengeſetzten Ausdruͤcken geben ſie die ein - zelen Zuͤge an, aus denen das Gemaͤlde beſtehet, aber ſelbſt die Art, wie ſie dieſe Woͤrter hervorbringen, be - weiſet, daß die bezeichneten Zuͤge in der Phantaſie, wie die vermiſchten Farben, in einander hineingetrieben und mit einander vermiſcht ſind.
Es giebt indeſſen eine Graͤnze, uͤber welche hinaus die maͤchtigſte Dichtkraft unvermoͤgend iſt, dieſe Vereinigung von Empfindungsvorſtellungen zu bewerkſtelligen. Wenn die Empfindungen, deren Phantasmate zu einer Fiktion vermiſcht ſind, ſelbſt in der Empfindung zu Einer neuen einfachen Empfindung vermiſcht ſind, und dann davon ein Phantasma genommen wird; ſo iſt dieß letztere lebhafter und feſter, als die ſelbſtgemachte Fiktion hat ſeyn koͤnnen. Hier iſt die Grenzlinie. „ Die Dichtkraft kann keine „ einfache neue Scheine hervorbringen, die ſo voll und „ lebhaft ſind, als die Wiedervorſtellungen von vermiſch - „ ten Empfindungen. “ Aber es ſcheinet doch, als wenn ſie in einigen Faͤllen auf die aͤußerſte dieſer Grenze hin - komme, zumal alsdenn, wenn die neue Fiktion mit ei - nem einfachen Wort hat bezeichnet werden koͤnnen; denn dadurch werden ihre vereinigten Theile unzertrennbarer und die ganze Vorſtellung in der Phantaſie wird inniger und feſter vereiniget.
Solche Vermiſchungen einfacher Phantasmate in Eine neue dem Gefuͤhl nach einfache Vorſtellung, entſte - hen auch in uns ohne Selbſtthaͤtigkeit aus Schwaͤche der Phantaſie. Die deutlich geweſene Empfindungs - vorſtellungen verlieren ihre Helligkeit, und die Zeit al - lein ſchwaͤchet ſie, wenn ſie nicht dann und wann wieder - um erneuret werden. Es verlieren ſich alſo die klei - nern Zwiſchenzuͤge, die zur Deutlichkeit des Ganzen, und zu dem Unterſcheiden der Theile von einander erforderlichwaren.127der Vorſtellungen. waren. Dadurch werden die Bilder dunkler, und die Phantaſie, wenn ſie ſolche wieder hervorziehet, ſucht uͤber das verwirrte Ganze ein Licht zu verbreiten, wodurch es in der Geſtalt einer einfachen vorwirrten Empfin - dungsidee dargeſtellet wird. Hier iſt nun zwar dieſe letztere Operation, nemlich das Ueberziehen der Vorſtel - lungen, eine poſitive Thaͤtigkeit; aber das erſte nicht. Eben ſo verlieren auch mehrere ſonſt getrennte ganze Vorſtellungen ihre Eigenheiten, und fallen alsdenn in Eine einzige zuſammen, welches wiederum keine Wir - kung einer thaͤtigen Kraft iſt. Nichttrennen iſt et - was anders als Verbinden, und Nichtunterſchei - den etwas anders als Zuſammendenken. Jenes iſt Unthaͤtigkeit und Schwaͤche; dieſes iſt Wirkſamkeit und Staͤrke. Der Mangel am Licht in den Vorſtellungen und die daraus entſtehende Vermiſchungen ſind kein Be - weis einer ſelbſtthaͤtigen reellen Kraft; aber wenn mehrere lebhafte Vorſtellungen in eine Einzige vereinigt werden, ſo arbeitet eine ſtarke Vorſtellungskraft, die ſolche gegenwaͤrtig erhalten, mehrere zugleich erhalten, und uͤberdieß ſie ſo faſſen kann, daß ſie in Ein Bild zu - ſammengehen.
Das Aufloͤſungsvermoͤgen der Dichtkraft, wo - mit ſie verwirrte Empfindungsſcheine auseinanderſe - tzet, iſt eben da begrenzet, wo es das Vermiſchungs - vermoͤgen iſt, und dieſes letztere, wo jenes es iſt. Die Kraft der Seele reichet nicht hin, die ſinnliche Vorſtel - lung von dem weißen Licht in die ſinnlichen Vorſtel - lungen von den prismatiſchen Farben zu zerlegen; und der einfache Schein von dem Gruͤnen laͤſſet ſich in die einfachen Scheine von dem Gelben und von dem Blau - en in dem Kopf nicht auseinander ſetzen. Aber in eben dieſen Faͤllen uͤberſteigt es auch das Vermoͤgen der See -le,128I. Verſuch. Ueber die Naturle, aus dieſen gegebenen einfachen Empfindungsvorſtel - lungen, als den Beſtandtheilen, eine verwirrte Vorſtel - lung von der gruͤnen Farbe zu machen.
Warum verlangten denn die Antimonadiſten, die ſinnliche Vorſtellung von einem Koͤrper ſolle ſich im Kopf in die Vorſtellung von ihren erſten Elementen zer - gliedern laſſen? und warum beſtritt man Leibnitzens Lehre von den unausgedehnten Weſen aus dem Grunde, weil es unmoͤglich iſt, aus der Verbindung oder Auf - haͤufung der Vorſtellungen, von ihnen eine Vorſtellung von einem ausgedehnten Koͤrper herauszubringen? Durch eine aͤhnliche Logik muͤßte man Newtons Optik beſtreiten. Es laͤßt ſich dieſe Vermiſchung eben ſo we - nig bewerkſtelligen, als man im Gegentheil die ver - wirrte Vorſtellung vom Koͤrper in die Vorſtellungen der einfachen unkoͤrperlichen Dinge aufloͤſen kann. Das Verundeutlichen einer deutlichen Vorſtellung iſt die umgekehrte Operation von dem Verdeutlichen einer verwirrten. Eine ſinnliche Vorſtellung, bey welcher die Eine dieſer Arbeiten bey unſern Bildern uns nicht moͤglich iſt, bey der iſt es vergebens, die andere zu ver - ſuchen. Die Philoſophen haben eine Wahrheit geſagt, wenn ſie behauptet, es ſey unmoͤglich, ausder metaphy - ſiſchen Monadologie die Phaͤnomene in der Koͤrperwelt zu erklaͤren. Eine von den Urſachen davon lieget in der angefuͤhrten Regel der Fiktion. Zwiſchen dem Sinn - lichen und dem Tranſcendenten, zwiſchen Metaphy - ſik und Phyſik, und eben ſo zwiſchen Metaphyſik und Pſychologie iſt eine Kluft, uͤber welche gar nicht wegzu - kommen iſt. Eine andere Urſache hievon wird ſich aus andern Betrachtungen in der Folge ergeben.
Unter den Wirkungen, die aus dieſen beiden Aeuße - rungen der Dichtkraft in den Vorſtellungen entſtehen,finden129der Vorſtellungen. finden wir keine, die in unſerm Verſtande von groͤßern und wichtigern Folgen ſind, als die ſogenannten ſinn - lichen Abſtrakta oder allgemeinen ſinnlichen Vor - ſtellungen. Jhre Entſtehungsart macht uns noch naͤ - her mit den Geſetzen der Dichtkraft bekannt.
Jch empfinde einen Baum, und faſſe eine Empfin - dungsvorſtellung von ihm. Das Objekt hat viele Theile, die außereinander ſind, einen Stamm, verſchiedene Zwei - ge und kleine Aeſte und Blaͤtter. Dieß ſind ſo viele einzelne Gegenſtaͤnde, davon jeder durch einen eigenen Aktus des Empfindens gefaßt wird. Das Auge muß ſich wenden, wenn auf den Eindruck des einen Zweigs der Eindruck eines andern folgen ſoll; und die Hand muß nach und nach fortruͤcken, wenn von ihnen Gefuͤhls - eindruͤcke entſtehen ſollen. Da iſt alſo in ſo weit in der ganzen Empfindung des Baums etwas unterſcheidbares. Sie beſtehet aus mehrern einzelnen unterſchiedenen Em - pfindungsvorſtellungen.
Aber in dieſen Vorſtellungen der einzelnen Theile, giebt es eine andere intenſive Mannigfaltigkeit. Das Blatt beweget ſich, hat ſeine Figur, und ſeine Farbe. Dieſe einzelnen Vorſtellungen von der Figur, von der Farbe, von der Bewegung, uͤberhaupt die Vorſtellun - gen von Beſchaffenheiten in einem Dinge, wie ſind ſol - che in der Empfindungsvorſtellung des ganzen Objekts, als der Subſtanz, der ſolche Beſchaffenheiten zukommen, enthalten? Sind ſie darinn wie Theile, die nur neben einander liegen, in welche die ganze Vorſtellung, als in ſo viele Stuͤcke zerſchnitten werden koͤnnte? oder wie Theile, die ſich ganz durch einander herdurch ziehen, da - von jeder mit jeden vermiſcht iſt? wie Theile, die ſich einander durchdringen? ſo wie etwan die gelben und blauen Lichtſtralen durch einander aufs innigſte vermiſcht ſind, wenn ſie eine gruͤne Farbe darſtellen? Dieſelbige einfache Empfindung, in der wir die Farbe faſſen, giebtI. Band. Juns130I. Verſuch. Ueber die Naturuns auch den Eindruck von der Bewegung. Dieſe bei - den Empfindungen machen Eine Empfindung aus, und das Phantasma, das davon entſtehet, iſt ein einfaches. Wie kann der Zug in dem Bilde, der der Farbe ent - ſpricht, von dem andern, welcher der Bewegung ent - ſpricht, abgeſondert werden?
Jch antworte, es giebt verſchiedene Operationes zu dieſer Abſicht, die ſo mannigfaltig ſind, wie die chemi - ſchen Verrichtungen, wodurch die Scheidung bey den Koͤrpern geſchicht. Jene koͤnnen mit dieſen verglichen werden. Ueberhaupt werden andere Empfindungsvor - ſtellungen dazu erfordert, die auf jene, als Aufloͤſungs - mittel wirken. Eine von den gewoͤhnlichſten Operatio - nen iſt die folgende, wodurch die allgemeinen Bilder hervorgebracht, und dann auch, wenn ſie ſchon vorhan - den ſind, zur weitern Befoͤrderung der Arbeit gebraucht werden.
Jn mehreren unterſchiedenen Empfindungen iſt et - was aͤhnliches, gemeinſchaftliches, einerley und daſſel - bige. Dieß aͤhnliche druͤckt ſich ſtaͤrker ab und tiefer ein, da es mehrmalen wiederkommt. Dadurch wird ein ſol - cher Zug mehr bemerkbar, und alſo auch da bemerkbar, wo es die uͤbrigen noch nicht ſind. Dieß iſt ſchon eine Auszeichnung, und eine Art von Scheidung und Ab - ſonderung in der Phantaſie. Jn der Empfindung von dem Blatt eines Baums war ein Zug von der Bewe - gung und ein anderer von einer Farbe. Der letztere iſt auch ſonſten in der Empfindung einer Farbe vorhanden geweſen, oder kommt doch anderswo wieder vor, wo - der Zug von der Bewegung nicht iſt; und dieſer letztere kommt vor, wo jener nicht iſt; und dadurch werden dieſe beiden Zuͤge jeder fuͤr ſich kennbar. Aber jeder hat auch fuͤr ſich ſeine eignen aſſociirten Vorſtellungen. Dieß macht ſie unterſcheidbarer von einander. Einer von die - ſen Zuͤgen wenigſtens, muß ſchon in einer vorhergegan -genen131der Vorſtellungen. genen Empfindung geweſen ſeyn, wenn entweder die Farbe oder die Bewegung in der zuſammengeſetzten Em - pfindungsvorſtellung unterſchieden werden ſoll.
Das erſte, was ſich hiebey am deutlichſten bemer - ken laͤßt, iſt dieſes: „ Aehnliche Eindruͤcke, Vorſtellun - „ gen und Bilder fallen in Eine Vorſtellung zuſammen, „ die aus ihnen beſtehet, und dieſe wird eine mehr abge - „ zeichnete und ſich ausnehmende Vorſtellung. “
Da ſich nun nicht eher ein Zug in einer vielbefaſ - ſenden Empfindung vor den uͤbrigen ſo ausnimmt, daß er unterſchieden werden kann, bis nicht etwas ihm aͤhn - liches, das ſchon in einer andern Vorſtellung enthalten iſt, mit ihm verbunden wird, ſo folget; es koͤnne we - der ein allgemeines Abſtraktum hervorkommen, noch in einer zuſammengeſetzten Vorſtellung ein Zug von dem andern unterſchieden werden, wofern nicht eine Vereini - gung aͤhnlicher Vorſtellungen vorhergegangen iſt. Will man dieß letzte ein Vergleichen nennen, ſo entſtehet kein allgemeines Bild ohne Vergleichung. Aber wird nicht das Wort Vergleichen ſehr unbeſtimmt gebrau - chet, wenn ein ſolches Zuſammenfallen der Bilder ſo genennet werden ſoll?
Es lehret die Erfahrung, daß wenn die einzelnen Empfindungen von den einfachſten ſinnlichen Beſchaffen - heiten, z. B. von der gruͤnen Farbe eines Koͤrpers, ge - nau betrachtet werden, ſo giebt es nicht zwey von ihnen, bey denen nicht einiger Unterſchied in den Graden der Lebhaftigkeit, in Schattirungen und Annaͤherung zu ei - ner andern Farbe angetroffen wird. So eine Verſchie - denheit muß ſchon in den allererſten Eindruͤcken und in ihren Vorſtellungeen vorhanden ſeyn. Alſo iſt es klar, daß die einzelnen zuſammenfallenden Vorſtellungen nicht vollkommen dieſelbigen ſind, ſondern ihre Verſchieden - heiten haben. Aber ihre Gleichartigkeit uͤberwindet ihre Verſchiedenartigkeit, und ſie vereinigen ſich in Eine.
J 2Daraus132I. Verſuch. Ueber die NaturDaraus folget — denn was von der allgemeinen Vorſtellung der gruͤnen Farbe wahr iſt, das gilt, wie man leicht ſiehet, von einer jeden andern Empfindungs - vorſtellung — daß die allgemeinen Bilder ur - ſpruͤnglich wahre Geſchoͤpfe der Dichtkraft ſind, und aus einer Vereinigung mehrerer Eindruͤcke beſtehen, die einzeln genommen nicht vollkommen das ſind, was das allgemeine Bild iſt. Sie ſind alſo ſelbſt gemachte einfache Vorſtellungen, in die eine Verwir - rung anderer aͤhnlichen Elementareindruͤcke hineinge - bracht iſt, und dieſe Verwirrung giebt der ganzen Vor - ſtellung eine Geſtalt, dergleichen keines ihrer Elemente einzeln genommen, wenn ſie ſo einzeln empfunden wuͤr - den, an ſich haben kann. Man hat es erkannt, daß es ſich mit den allgemeinen geometriſchen Vorſtellun - gen alſo verhalte. Jn der That aber haben alle uͤbrige dieſelbige Beſchaffenheit an ſich.
Jſt die Phantaſie nun ſchon mit ſolchen allgemei - nen Vorſtellungen verſehen, ſo ſind dieſe fuͤr uns Bilder, durch welche wir bey den neuen hinzukommenden Em - pfindungen, die Beſchaffenheiten der Dinge anſehen und kennen. Sobald eine Farbe der gruͤnen aͤhnlich em - pfunden wird, ſo vereiniget ſich mit dieſem Eindruck un - ſer allgemeines Bild von dem Gruͤnen. Wir ſehen ſie nach dieſem allgemeinen Bilde, und da erſcheint der Eindruck anders, als er ohne dieſes Bild wuͤrde erſchie - nen ſeyn. Jndeſſen nehmen doch auch dieſe allgemei - nen Vorſtellungen mit der Zeit eine Veraͤnderung an, wenn noch viele neue Eindruͤcke hinzukommen, die mit jenen zwar ihrer Aehnlichkeit wegen zuſammenfallen, aber doch wegen ihrer Verſchiedenheit auch eine andere Art von Schattirung auf das Bild bringen.
Dieſe ſinnlichen Abſtrakta werden ſinnliche Scheine, die den urſpruͤnglichen Empfindungsvorſtellungen nichts nachgeben. Der Schein, der eine Figur vorſtellet,wird133der Vorſtellungen. wird in ein anders Subjekt uͤbergetragen von einer | an - dern Farbe als das erſtere hatte, und der Schein von der Farbe in ein anders Subjekt von einer verſchiede - nen Figur. Die abgeſonderte Vorſtellung von der Be - wegung wird ebenfalls mit andern Phantasmen ſo wie - der vereiniget, daß das ſinnliche Bild eines bewegen - den Dinges daraus entſtehet. Wenn wir die Vor - ſtellung von der rothen Farbe haben, und dazu eine an - dere vom Rothgelben, und dann aus dieſer letztern den Schein des Gelben von dem Rothen abſonderten, und nun dieſelbige Flaͤche uns gelb vorſtelleten, ſo waͤre hier ein neuer Schein von einer Farbe entſtanden. So ver - fahren wir wirklich mit unſern ſinnlichen Bildern von Beſchaffenheiten.
Jn den geometriſchen Bildern von Linien, Winkeln, Flaͤchen und Koͤrpern, finden wir in unſerer Phantaſie einen eigenen Vorrath von andern ſinnlichen Vorſtellun - gen, mit welchen wir dieſe allgemeinen Vorſtellungen verbinden. Der Winkel wird in die Vorſtellung von gewiſſen Linien hineingeleget. Jedweder ſinnliche Schein iſt in der Phantaſie der Schein eines ganzen vollſtaͤndigen Dinges. Wird er in mehrere, aus denen er vermiſcht war, zerleget, ſo muß jeder dieſer einzelnen Scheine, in welche man ihn aufloͤſet, fuͤr ſich eine ge - wiſſe Unterlage haben. Sie ſind fuͤr ſich allein nur un - vollſtaͤndige Vorſtellungen von Beſchaffenheiten. Das Bild von einem bewegten, gefaͤrbten und figurirten Blatt eines Baums war eine Vorſtellung eines voll - ſtaͤndigen Dinges. Aber keiner der einzelnen Scheine, in welche er aufgeloͤſet wird, kann in der Einbildungs - kraft fuͤr ſich allein beſtehen, woferne er nicht wiederum auf ſeine Art vollſtaͤndig gemacht wird. Wenn die Vorſtellung von der gruͤnen Farbe in die Vorſtellungen von der blauen und von der gelben blos durch die Kraft der Phantaſie zerlegt werden koͤnnte, ſo wuͤrde jede dieſerJ 3letztern134I. Verſuch. Ueber die Naturletztern neuen Vorſtellungen eine Vorſtellung von einem blau und von einem gelbgefaͤrbten Koͤrper ſeyn muͤſſen, ſo wie der erſte verwirrte Schein eine Vorſtellung von einem gruͤnen Koͤrper war.
So lange ein ſolcher herausgezogener Schein noch nicht auf eine eigene Art wieder vollſtaͤndig gemacht wor - den iſt, ſo lange iſt er auch kein fuͤr ſich beſtehender ab - geſonderter Schein. So lange iſt es alſo auch nach dem Geſetz der Aſſociation nothwendig, daß die Phantaſie, wenn ſie ihn wieder hervorziehet, zugleich eine als die andere von den ganzen Empfindungsvorſtellungen wieder darſtelle, aus denen er gezogen iſt. Dieſe Nothwen - digkeit faͤllt aber weg, wenn der neue Schein ſeine eige - ne Konſiſtenz erhalten hat.
Und dieſe erlangen die geometriſchen Scheine am leichtſten. Jch denke jetzo an einen Triangel und halte dieſe Vorſtellung in mir gegenwaͤrtig, ſo lange ich will, ohne daß ich genoͤthiget waͤre, an eine dieſer Figuren, die ich auf der Tafel, oder auf Papier, oder ſonſten wo geſehen habe, zuruͤck zu denken, ob mir gleich dieſe bey der Fortſetzung jener Vorſtellung einfallen. Jch habe mir nemlich ſtatt ihrer eine nie geſehene Geſtalt des Tri - angels in meinem Kopf ſelbſt gemacht; ich ſtelle ihn mir in meinem Zimmer vor, und ſetze ſeine drey Spitzen an die drey Waͤnde meines Zimmers.
Außer der Geometrie leiſten uns die Woͤrter, aber auf eine weniger vollkommene Art, dieſelbigen Dienſte. Dieſe Zeichen unſerer allgemeinen Jdeen ſind ſelbſt voll - ſtaͤndige Empfindungsvorſtellungen; und mit dieſen ver - binden wir die ausgemerkten Vorſtellungen von Kraft, Bewegung, Figur, Staͤrke, Gluͤck u. ſ. w. Aber ſo bald wir dieſe Zeichen verlaſſen, ſo fehlen uns andere ſubſtanzielle Grundlagen, um der Vorſtellung die Ge - ſtalt der beſtehenden Empfindungsſcheine zu ertheilen. Daher fallen uns, wenn wir die allgemeinen Begriffeanſchau -135der Vorſtellungen. anſchaulich mit Unterdruͤckung des Worts vorſtellen wol - len, bald dieſe, bald jene einzelne Empfindungen ein, aus denen ſie genommen ſind, welches nicht ſo geſchicht, wenn wir das Wort gegenwaͤrtig erhalten. Denn das Wort Kraft haͤlt die verwirrte Jdee auf die naͤmliche Art ſo abgeſondert in uns, wie es die Jdee der rothen Farbe iſt.
Die allgemeinen finnlichen Vorſtellungen ſind noch nicht allgemeine Jdeen, noch keine Begriffe der Denk - kraft und des Verſtandes. Aber ſie ſind die Materie und der Stoff dazu, darum iſt es ſo wichtig, jene zu un - terſuchen, wenn man dieſe kennen lernen will.
Die geometriſchen Vorſtellungen von Punkten, Li - nien, Zirkeln, Sphaͤren u. ſ. f. ſind, in ihrer geome - triſchen Beſtimmtheit genommen, auch noch aus einem andern Grunde Wirkungen der Dichtkraft. Jch betrach - te nemlich blos das Bildliche in ihnen. Es iſt z. B. die Vorſtellung einer krummen in ſich zuruͤckgehenden Li - nie aus den Empfindungen des Geſichts genommen, und hat eine eigene Geſtalt aus dem einzelnen Empfindungs - ſcheinen empfangen, den dieſe in ihrer Vereinigung hervorbrachten. Nun aber geſchieht noch mehr. Die Vorſtellung von der Ausdehnung haben wir in unſerer Gawalt, und koͤnnen dieſe ideelle Ausdehnung modifici - ren, wie wir wollen. Die Phantaſie richtet daher das Bild von der Cirkellinie ſo ein, daß jeder Punkt von dem Mittelpunkt gleich weit abſtehe, und keines um das geringſte von ihm weiter entfernt, oder ihm naͤher ſey. Der letztere Zuſatz in dem ſinnlichen Bilde iſt ein Zuſatz der Dichtkraft, dergleichen es in allen unſern Jdealen giebt. Und wie viele von den Gemeinbegriffen des Ver - ſtandes, oder den metaphyſiſchen Notionen moͤgen wohl, wie Bacon ſchon geſagt hat, auch in dieſer Hinſicht ein Machwerk unſerer bildenden Dichtkraft ſeyn?
Man darf dieß Verfahren der Dichtkraft nur etwas genauer in den erwaͤhnten Wirkungen anſehen, ſo erge - ben ſich folgende allgemeine Regeln, wornach ſie ver - faͤhrt, wenn ſie neue einfache Vorſtellungen durch die Vermiſchung oder durch die Aufloͤſung machet.
Erſtes Geſetz. „ Mehrere einfache Vorſtellun - „ gen, die ſich aͤhnlich oder einerley ſind, fallen entwe - „ der von ſelbſt zuſammen, oder werden durch eine Thaͤ - „ tigkeit der vorſtellenden Kraft in Eine vereiniget. “ Dieß Produkt von ihr iſt zuſammengeſetzt. Es hat et - was eigenes an ſich, das in ſeinen Jngredienzen einzeln genommen nicht vorhanden iſt, und iſt in ſo weit eine neue Vorſtellung; aber doch einfach fuͤr uns, weil wir eben ſo wenig etwas vielfaches in ihm unterſcheiden, als in den Beſtandtheilen, woraus es gemacht iſt.
Die Dichtkraft vergroͤßert und verkleinert, und ma - chet dadurch neue Vorſtellungen, in welchen ſich nicht mehr unterſcheiden laͤſſet, als in denen, womit ſie die Veraͤnderung vornahm. Sie haͤufet das Aehnliche und das Einerley auf, oder vermindert es, und machet Groͤ - ßen, Grade, Stufen, die uͤber oder unter den Groͤßen der Empfindung ſind. Sie ſchaffet Broddingnacks und Lilliputier, Meilenlange Teufel u. ſ. w. Hier be - haͤlt ſie die Formen, die ſie in den Empfindungsvorſtel - lungen antrift und ſchaffet neue Groͤßen in ihnen: Dieß letztere iſt nur ein beſonderer Fall von der allgemeinen Regel.
Zweytes Geſetz. „ Laß zwey oder mehrere Em - „ pfindungsvorſtellungen nicht voͤllig einerley ſeyn, aber „ doch Aehnlichkeiten haben, in denen ſie zuſammenfal - „ len; wenn dieß iſt, ſo kann die Vorſtellungskraft, in -„ dem137der Vorſtellungen. „ dem ſie das Aehnliche vorzuͤglich ſtark und lebhaft, „ das Verſchiedene aber in einem ſchwaͤchern Grade faſ - „ ſet, aus beiden zuſammen Eine neue verwirrte Vor - „ ſtellung machen, welche fuͤr unſer Gefuͤhl eben ſo ein - „ fach iſt, als es die partielle Vorſtellungen waren, die „ ihr Stoff ſind, aber doch eine andere Geſtalt an ſich „ hat, und von jenen einzeln vorgeſtellet unterſchieden „ iſt. “
Daſſelbige geſchieht von ſich ſelbſt, wo die deutli - che Vorſtellung dadurch in eine undeutliche uͤbergegan - gen iſt, daß die Empfindungsvorſtellungen, welche gleichſam zwiſchen den einzelnen Theilen der ganzen Vor - ſtellung lagen, und die letztern von einander getrennet hielten, verloſchen ſind. Es geſchieht auch da, wo ſon - ſten das Unterſcheidbare an den Theilen der ganzen Vor - ſtellung ſich verlohren hat.
Drittes Geſetz. „ Wenn eine dem Bewußtſeyn „ nach einfache, ſonſten aber an ſich vielbefaſſende Vor - „ ſtellung, mit vorzuͤglicher Jntenſion von der Phanta - „ ſie bearbeitet wird, ſo kann dieſe das darinnen enthal - „ tene Mannichfaltige weiter aus einander treiben, und „ alsdenn jene in mehrere einfache Vorſtellungen zerthei - „ len, die eine jede wiederum fuͤr ſich einfach, und doch „ von der Erſtern unterſchieden ſind. “
Wenn die einfache Vorſtellung von einer Seite mit einer zwoten einerley, in einer andern Hinſicht aber von ihr verſchieden iſt, ſo kann die Vorſtellungskraft in ſol - chen Faͤllen, wo die Vereinigung jener beiden einander zum Theil aͤhnlichen Jdeen durch die ihnen anklebende verſchiedene Nebenideen verhindert wird, eine Aufloͤ - ſung beſchaffen. Die Eine oder die andere, oder alle beide koͤnnen ſo auseinandergeſetzet werden, daß das Un - gleichartige in ihnen von dem Gleichartigen abgeſondert, und alſo Eine ſimple Vorſtellung in zwo andere zer - leget wird.
J 5Dieß138I. Verſuch. Ueber die NaturDieß ſind einige von den Geſetzten und Wirkungs - arten der neue einfache Vorſtellungen ſchaffenden Dicht - kraft. Jch habe hier nur die erſten Linien dieſer Unter - ſuchung ziehen wollen. Ob ſie es alle ſind? Das ſage ich nicht. Aber man wird nicht leicht eine von den kuͤnſtlichen chemiſchen Arten, Koͤrper aufzuloͤſen und aufs neue zu verbinden angeben koͤnnen — und viel - leicht nicht eine von den Operationen der Naturkraͤfte in der Koͤrperwelt — zu der nicht eine aͤhnliche Aufloͤ - ſungs - und Vereinigungsart in der Seelenwelt gefunden wuͤrde. Es ſcheinet mir indeſſen, als wenn alle dieſe Operationes aus dem Grundſatz begreiflich ſind, daß das Gleichartige in Eins zuſammen geht, das Verſchie - denartige ſich außer einander haͤlt; das ſchwach ausge - druckte Verſchiedenartige aber, wenn es auf einmal ge - genwaͤrtig iſt, mit Einem Aktus des Gefuͤhls und des Bewußtſeyns gefaſſet wird. Jn dieſem Aktus laͤßt ſich nichts Mannigfaltiges unterſcheiden, und dann iſt auch das Verſchiedenartige nur apperceptibel als etwas Ein - faches.
Jm uͤbrigen wiederhole ich die obige Anmerkung, daß uͤberhaupt die Staͤrke der menſchlichen Bildungs - kraft nicht groß genug ſey, um ihren ſelbſtgemachten neuen einfachen Vorſtellungen, woferne nicht andere Umſtaͤnde dazukommen, die gleiche Lebhaftigkeit, Voͤl - ligkeit und Feſtigkeit zu ertheilen, die den Einbildungen zukommt.
So viel von der dritten Wirkungsweiſe der vorſtel - lenden Kraft. Von ihr kommt alles Originelle in un - ſere Vorſtellungen. Sie iſt nicht aus der Acht zu laſ - ſen, wenn der ſo oft unzulaͤnglich und ſo oft unrichtig verſtandene Grundſatz, daß alle Vorſtellungen aus Em - pfindungen entſtehen, in ſeinem beſtimmten Verſtande,in139der Vorſtellungen. in welchem er wahr iſt, behauptet werden ſoll. Von den Jdeen als Jdeen, ihrer Form nach, in ſo ferne Bewußtſeyn und Unterſcheiden vorhanden iſt, rede ich hier auch nicht; ſondern nur von ihrer Materie, das iſt, von den Modifikationen der Seele, die fuͤr uns die natuͤrliche Zeichen der Objekte und ihrer Beſchaffenhei - ten ſind, und die es auch alsdenn ſind, wenn ſie gleich ruhig und ungebraucht unten im Gedaͤchtniß verwahret liegen. Es iſt aus dem vorhergehenden offenbar, in welchem Verſtande und in wie weit man ſagen koͤnne, daß Vorſtellungen ihrem Urſprung nach Empfindungen oder Empfindungsvorſtellungen ſind. Jhr Grundſtoff nemlich, woraus ſie gemacht und entſtanden ſind, alle ohne Ausnahme, iſt in den reinen Empfindungsvorſtel - lungen enthalten. Aber wie vergeblich wird man oft ſu - chen, wenn man zu jedweder Vorſtellung, ſo wie ſie in uns iſt, die uns einfach vorkommt, eine Empfindung aufſuchen wollte, in der ſie in eben derſelbigen Geſtalt ſich befinden ſollte, wie ſie ſich unſerm Bewußtſeyn als Fiktion darſtellet. Die Dichtkraft kann keine Elemente, keinen Grundſtoff erſchaffen, aus Nichts nichts machen, und iſt in ſo weit keine Schoͤpferkraft. Sie kann nur trennen, aufloͤſen, verbinden, vermiſchen, aber dadurch eben kann ſie neue Bilder hervorbringen, die in Ruͤck - ſicht auf unſer Unterſcheidungsvermoͤgen einfache Vor - ſtellungen ſind.
Es iſt leicht zu begreifen, wie dieſe Jdeenbilden - de Kraft die Folge der Reproduktionen veraͤndern muͤſ - ſe, die ſonſten durch das obige Geſetz der Jdeenaſſocia - tion beſtimmt iſt. Wenn mehrere Vorſtellungen zufol - ge jener Regel wieder erwecket und gegenwaͤrtig gemacht werden, und die dichtende Kraft miſcht ſich mit ihrer Wirkſamkeit darunter, ſo muͤſſen neue Produkte von ei -ner140I. Verſuch. Ueber die Naturner neuen Form hervorkommen, welche Aehnlichkeiten mit Vorſtellungen, und ſie nach dieſer Aehnlichkeit erwe - cken, denen jene erſtern blos reproducirten nicht aͤhnlich waren, und die ſie alſo auch in dieſer Ordnung nicht wie - derhervorgezogen haben wuͤrden. Der Uebergang von einer Jdee zu der naͤchſtfolgenden geſchicht in einem ſol - chen Fall, nicht wegen der Aehnlichkeit zwiſchen ihnen, noch wegen ihrer ehemaligen Verbindung, ſondern des - wegen, weil eine Fiktion dazwiſchen tritt, die wegen ih - rer Beziehung auf die nachfolgende dieſe zu erwecken Ge - legenheit gab. Alsdenn entſtehen auch neue Verknuͤ - pfungen von Jdeen, neue Ordnungen und neue Reihen. Wie viele Augenblicke wirket in einem etwas lebhaften Menſchen die Phantaſie wohl blos als Phantaſie allein nach der Regel der Aſſociation, ohne daß die geſchaͤfti - ge Dichtkraft ſich einmiſche, und die Reihen auf eine neue Art zuſammenknuͤpfe? Man kann alſo, wie ich oben erinnert habe, wohl mit jenem Geſetz der Aſſocia - tion nicht auslangen, um die Folge der Vorſtellungen in uns zu erklaͤren.
Was von der Wirkſamkeit des Dichtungsvermoͤ - gens, das nicht unfuͤglich die ſelbſtthaͤtige Phanta - ſie genennet werden kann, in Hinſicht auf die allein wie - dervorſtellende Phantaſie, die mehr leidend ſich verhaͤlt, geſaget worden iſt, das erſtrecket ſich nicht nur uͤber die Vorſtellungen aus dem aͤußern Sinn, und uͤber die Vorſtellungen von koͤrperlichen Gegenſtaͤnden; ſondern auch uͤber die Vorſtellungen aus dem innern Sinn. Es erſtrecket ſich auf alle Gattungen von Vorſtellungen, auf die Vorſtellungen von unſern Gemuͤthsbewegungen, von unſern Thaͤtigkeiten des Vorſtellens und des Den - kens ſelbſt, und auf die Vorſtellungen von unſern Wil - lensaͤußerungen. Jede dieſer Vorſtellungen iſt entwe -der141der Vorſtellungen. der eine urſpruͤngliche, die aus einer vorhergegange - nen Empfindung als eine Spur in uns zuruͤckgeblieben iſt, oder aus dieſer Art von Vorſtellungen gemacht worden. Ohne hieruͤber noch weiter auf das Beſondere mich einzulaſſen, deucht mich, es werde dieß deutlich erhellen, wenn das, was ich vorher uͤber die Natur der Vorſtellungen aus innern Empfindungen geſagt habe, mit den Erfahrungen verglichen wird, die jeder Beobachter ſo leicht bey ſeinem Gedankenvorrath ha - ben kann. Jch werde in der Folge noch Gelegenheit haben, bey einigen beſondern Vorſtellungen hieruͤber mehr zu bemerken.
So weit fuͤhren die Beobachtungen uͤber die verſchie - denen Aeußerungen des Seelenvermoͤgens, das man die vorſtellende Kraft nennet, und dem man es zuſchreibet, daß Vorſtellungen aufgenommen, wieder hervorgezogen und umgebildet werden. Nun iſt es viel -leicht143der Vorſtellungen. leicht Zeit zu fragen: wie ſich dieſe verſchiedene Thaͤtig - keiten und Vermoͤgen gegen einander verhalten; ob und wie weit ſie einartig oder verſchiedenartig ſind? ob und wie Eins von ihnen in das andere uͤbergehen und umgeaͤndert werden koͤnne? ob es eben daſſelbige Prin - cip ſey, aus welchem alle dieſe Thaͤtigkeitsarten ent - ſpringen, und wie weit es das naͤmliche ſey, was ſich dann als ein percipirendes, dann als ein wiedervorſtel - lendes, dann als ein ſelbſtthaͤtigbildendes Vermoͤgen dar - ſtellet? Dieſe Unterſuchung wird zugleich ein Beyſpiel ſeyn, wie weit die Abſtraktionen in Gedanken, das iſt, unſern einſeitigen Jdeen, die wir von den wirklichen Dingen nach und nach auffaſſen, uns nuͤtzlich werden koͤnnen, ſo wie ſie uns ohne dieß nothwendig ſind, und es wird ſich zeigen, daß, wenn ſie nur fuͤr nichts mehr an - geſehen werden, als fuͤr das, was ſie wirklich ſind, ſie uns oftmals, als ſo viele Oefnungen dienen, wodurch der Verſtand in das Jnnere der Sache hineingehen, und einen beſtimmten und vollſtaͤndigen Begrif ſich erwer - ben kann. Sie koͤnnen auch mißleiten, das iſt wahr; zuweilen die Einſicht zuruͤck halten; und ſie thun ſolches wirklich, ſo bald wir vergeſſen, daß ſie einzeln betrach - tet ſammt ihren Folgen nichts anders ſind, als einſeitige Proſpekte, und Stuͤcke von vollſtaͤndigen Begriffen, die mit einander verglichen, und in Verbindung gebracht werden muͤſſen, ehe deutliche und beſtimmte Jdeen von wirklichen Sachen aus ihnen gemacht werden koͤnnen.
Was iſt aber Gleichartigkeit und Verſchieden - artigkeit? Homogeneitaͤt und Heterogeneitaͤt? oder wie man es benennen will? Die welche ſo oft geſagt ha - ben, die Vermoͤgen unſerer Seele ſind etwas Einartiges oder gleichartiges, haben vielleicht etwas ſtarkes, wah - res und lebhaftes geſagt; aber ſie haben auch etwas ver -wirrtes144I. Verſuch. Ueber die Naturwirrtes geſagt, das nicht gehoͤrig aus einander geſetzt iſt, und den, der den Begriffen weiter nachgehet, entweder nicht befriediget, oder in die Jrre fuͤhret. Einartig iſt, wie einige ſich ausdruͤcken, was unter demſelbigen generiſchen Begrif befaſſet werden kann, und ver - ſchiedenartig, was es nicht kann. Aber man fragt ſogleich von neuen: wo iſt denn der beſtimmte generi - ſche Begrif, der als ein Maß bey der Vergleichung ge - brauchet werden ſoll? die Kreißlinie und die Ellipſe ſind ohne Zweifel gleichartige Linien, als Kegelſchnitte: in anderer Hinſicht aber ohne Zweifel ganz heterogene und weſentlich unterſchiedene Dinge. Solch eine Erklaͤrung mag uns allenfalls auf den Weg zu einem feſtſtehenden beſtimmten Punkt hinbringen; aber ſie fuͤhret uns nicht zu ihm hinan.
Der Begrif von der Einartigkeit iſt nicht nur hier, wo noch weiter keine Seelenaͤußerungen, als die Vorſtel - lungsthaͤtigkeiten in Betracht gezogen werden, eine Richt - ſchnur der Spekulation; nach Wolfs Ausdruck eine notio directrix; ſondern ſie iſt es auch in der ganzen Pſychologie bey allen Unterſuchungen, die man uͤber die Grundkraͤfte der Seele anſtellen mag. Sie iſt es nicht minder in den Unterſuchungen uͤber die erſten Grund - kraͤfte der Koͤrperwelt. Ohne dieſen allgemeinen Be - grif genau beſtimmt zu haben, kann das, was ſich uͤber die Einheit oder Vielfachheit der Grundkraͤfte in der See - le ſagen laͤſſet, es ſey viel oder wenig, am Ende im Ganzen, ſo viel gutes auch in einzelnen Nebenbetrachtun - gen enthalten iſt, nichts anders als ein unbelehrendes und verwirrtes Raiſonnement ſeyn, das auf einſeitigen und unbeſtimmten Begriffen beruhet.
Man muß etwas hoch anfangen, wenn dieſer Be - grif voͤllig deutlich werden ſoll; aber man kann auch bald wieder herunter gehen zu dem mehr beſtimmten, wo - bey man ihn anwenden will.
Das145der Vorſtellungen.Das Mannichfaltige, was ſich in einem jeden Dinge, fuͤr ſich allein betrachtet, erkennen laͤſſet, iſt entweder etwas Abſolutes, oder etwas Relatives. Das letztere iſt ſo etwas, was ohne die Jdee von einem Verhaͤltniß oder von einer Beziehung nicht gedacht wer - den kann. Die drey Linien in dem Triangel gehoͤren zu den abſoluten Praͤdikaten des Triangels. Dagegen ihre Verbindung mit einander, wodurch ſie einen Raum ein - ſchließen, zu den Relativen, (zu den ſich auf etwas Beziehenden, zu den Bezogenen) gehoͤrt, wohin auch ihre beſtimmte Lagen bey einander, oder die Winkel und die Verhaͤltniße ihrer Groͤßen gegeneinander zu rechnen ſind. Das Abſolute, (das auf nichts anders ſich Be - ziehende, das Unbezogene) iſt es, worinnen Grade und Stufen, ein Mehr und ein Minder ſtatt finden; obgleich nicht bey allen ohne Ausnahme. Die Ver - haͤltniſſe nehmen zwar auch Groͤßen und Grade an, aber nicht eher, als wenn ſie in der Geſtalt des Abſolu - ten vorgeſtellet werden. Jnnere Verhaͤltniſſe, oder eigentlich Verhaͤltniſſe der innern Beſchaffenheiten einer Sache ſind die Verhaͤltniſſe, worinn die abſolu - ten Beſchaffenheiten eines Dinges gegeneinander ſtehen. Sie ſind Verhaͤltniſſe; nur nicht Verhaͤltniſſe des Dinges gegen andere von ihm unterſchiedene Dinge, ſondern Verhaͤltniſſe der Theile des Jnnern eines Din - ges gegen einander. Das Abſolute und das Relative ſind, wie ich hier zum Grunde ſetze, etwas Verſchie - denartiges. Sie haben keinen gemeinſchaftlichen ge - neriſchen Begrif; außer etwan den Begrif des Praͤdi - kats, des Gedenkbaren und dergleichen. Und dieſe Be - griffe ſind, wie ſich unten bey einer andern Gelegenheit zeigen wird, nicht einmal dieſelbigen Begriffe, wenn ſie auf das Abſolute, und zugleich auch auf das Relative angewendet werden.
I. Band. KJſt146I. Verſuch. Ueber die NaturJſt das Abſolute — die Grade, das Mehr und Minder in demſelben, wenn es dergleichen zulaͤßt, bey Seite geſetzet — in einem Dinge nicht eben daſſelbige, was es in einem andern iſt, ſo iſt eine Verſchieden - artigkeit da.
Jn dem einen iſt entweder das Abſolute gar nicht, was in dem andern iſt; oder es iſt einiges in beyden ebendaſſelbige; einiges nur anders; oder es enthaͤlt das Eine zwar alles was in dem andern iſt, aber das letztere iſt nicht ganz das erſtere; ſondern nur ein Theil deſſelben, woran noch etwas von dem fehlet, was jenes an ſich hat, und wo doch dieß Fehlende nicht blos ein Mangel eines hoͤhern Grades iſt.
Jn jedem dieſer Faͤlle ſollen ſolche zwey Dinge un - vergleichbar, ungleichartig oder verſchiedenartig genannt werden. Der Marmor, der den Menſchen vor - ſtellet, beſtehet nicht aus ſolchen Theilen, Subſtanzen, Stuͤcken, wie ſein Objekt, der menſchliche Koͤrper; und iſt alſo etwas ungleichartiges mit dieſem. Die Farben - ſtriche auf einer Flaͤche, die ein Gemaͤlde machen, ſind nicht einartig mit dem Fleiſch, den Sehnen, dem Blut, den Adern und Knochen in dem Kopf des Menſchen, wenn ſie gleich von dieſem eine Abbildung hervorbrin - gen, und die Vorſtellungen in uns von der Sonne und dem Monde haben eben ſo wenig gleichartiges mit den Objekten an ſich, die ſie vorſtellen.
Eben dieſe angefuͤhrten Beyſpiele zeigen, daß die Verſchiedenartigkeit, welche aus der Diverſitaͤt des Abſoluten entſtehet, eine analogiſche Beziehung auf einander, und alſo in ſo weit eine Aehnlichkeit zwiſchen ihnen, nicht ausſchließe. Die Analogie beſtehet in der Jdentitaͤt der Verhaͤltniſſe und Beziehungen der ab - ſoluten Beſchaffenheiten gegen einander; ſie erfordert die Jdentitaͤt| des Abſoluten ſelbſt nicht.
Jn147der Vorſtellungen.Jn dem Fall, wo in dem Einen der verglichenen Dinge eins oder mehrere von den abſoluten Beſchaffen - heiten fehlen, die in dem andern vorhanden ſind, wo das uͤbrige aber beiden gemeinſchaftlich iſt, da kommt die bey der Anwendung auf beſondere Faͤlle oftmals ſchwer zu entſcheidende Frage vor: ob das poſitive und abſo - lute Eigene in dem Einem Dinge etwan nur ſo eine Beſtimmung ſey, die von einem gewiſſen beſtimmten Grade der abſoluten Beſchaffenheiten abhangen, und aus dieſen letztern in einer gewiſſen Quantitaͤt genommen, entſtehe oder entſtehen koͤnne? oder ob es etwas Grund - eigenes in der Sache ſey, das auch durch jede Ver - groͤßerung oder Verminderung des uͤbrigen Abſoluten nicht hervorgebracht werden koͤnnte? Jn dem erſten Fall iſt es eine Folgebeſchaffenheit von andern, die hin - zu kommen kann, wenn die an ihren Groͤßen, Graden, Stufen veraͤnderliche Grundbeſchaffenheiten eine ſolche Veraͤnderung wirklich annehmen, und alsdenn iſt doch ſo eine Verſchiedenartigkeit nicht vorhanden, wie hier be - ſtimmet worden iſt. Dennoch kann eine andre Verſchie - denartigkeit, die nicht in einer Verſchiedenheit des Abſolu - ten, ſondern in einer Verſchiedenheit innerer Verhaͤlt - niſſe des Abſoluten ihren Grund hat, vorhanden ſeyn. Von welcher Gattung der Heterogeneitaͤt gleich nachher geſaget werden ſoll. Jn dem denkenden Weſen iſt die Vernunft etwas Eigenes, welches in den Thieren nicht iſt, und iſt dazu etwas abſolutes. Jſt ſie aber nur eine Folgebeſchaffenheit, die hinzukommt, wo das allen ge - meinſchaftliche Empfindungsvermoͤgen eine gewiſſe Fein - heit und Groͤße erlanget hat, ſo werden doch beyde Gat - tungen von Weſen, vernuͤnftige und vernunftloſe, ein - artig ſeyn. Vorausgeſetzt, daß nicht noch eine andere Grundverſchiedenheit in innern Verhaͤltniſſen vorhanden ſey. Bey derſelbigen Bedingung muͤßte auch das Un - vernuͤnftige durch eine Erhoͤhung des Abſoluten, was inK 2ihm148I. Verſuch. Ueber die Naturihm iſt, in ein Vernuͤnftiges verwandelt werden koͤnnen. Denn wo dieſe Umaͤnderung durch einen weſentlichen Mangel an der dazu erforderlichen Perfektibilitaͤt unmoͤg - lich gemacht wuͤrde, da muͤßte der innere Grund, von dieſer Unfaͤhigkeit bis zur Vernunft erhoben zu werden, entweder etwas eigenes Abſolutes ſeyn, wie es doch hier nicht ſeyn ſoll, oder es muͤßte doch noch eine eigene Grund - verſchiedenheit in den Verhaͤltniſſen des Jnnern voraus - ſetzen.
Die Geometer bringen alle Linien, die geraden und die krummen, und die letzten von allen Ordnungen, un - ter Eine allgemeine Gleichung. Soll dieſe nun weiter beſtimmet, und zu einer beſondern Gleichung fuͤr die Kegelſchnitte, und noch naͤher fuͤr die Ellipſe, oder fuͤr den Zirkel oder fuͤr die gerade |Linie gemacht werden, ſo muͤſſen mehrere oder mindere Groͤßen, die in der allge - meinen Formel enthalten ſind, zu Nullen werden. Die Gleichung fuͤr die eine Klaſſe enthaͤlt alſo einerley Jn - gredienzen, einerley unbeſtimmte Groͤßen mit der fuͤr eine andere, nur daß in einer von ihnen einige Groͤßen ausfallen, oder zu Zero werden, die in der andern als reelle Groͤßen vorhanden ſind. Jn wie weit ſind nun Linien einerleyartig? und in wie weit ſind ſie verſchie - denartig? Dieſe Geſchoͤpfe des Verſtandes kennen wir am innigſten, und auch nach den Unterſcheidungsmerk - malen, wornach wir ſie in Klaſſen vertheilen. Da zeigt es ſich auch am klarſten, worauf es ankomme, wenn mehrere Linien als Linien Einer Art oder Gattung oder Ordnung angeſehen werden. Der Charakter der Gat - tung, der die Einartigkeit beſtimmet, wird aus dieſen zwey Stuͤcken genommen. Es ſollen gewiſſe Groͤßen in der Aequation fuͤr die ganze einartige Gattung reelle Groͤßen ſeyn, ſo ſehr ſie ſonſten an Graden der Quanti - taͤt veraͤnderlich ſind. Dieß iſt Eins. Dazu kommt zweytens ein gemeinſchaftliches feſtes Grundverhaͤltnißzwiſchen149der Vorſtellungen. zwiſchen ihnen, welches keine andere Veraͤnderung anneh - men kann, als die aus der Veraͤnderung in den reellen veraͤnderlichen Groͤßen ſelbſt entſtehet.
Die Verſchiedenheit in dem Abſoluten, die naͤm - lich nicht allein in Graden beſtehet, iſt Eine von den Quellen der Verſchiedenartigkeit. Eine andere lieget in der Verſchiedenheit der unveraͤnderlichen Verhaͤltniße des Abſoluten. Denn unveraͤnderlich muß dieß Verhaͤltniß ſeyn und unabhaͤngig von den Veraͤnderungen, die in den Graden und Stufen der abſoluten Beſchaffenheiten ſelbſt ſich eraͤugnen, wenn dieſe vergroͤßert oder vermindert werden. Die drey Winkel im Dreyeck, als die abſolu - ten Grundbeſchaffenheiten, ſollen, um einen Triangel auszumachen, mit ihren Endpunkten zuſammenſtoßen. Dieſe Verbindung iſt eine Grundbeſchaffenheit, ein we - ſentliches Praͤdikat, obgleich etwas Relatives, das eben - daſſelbige in allen Triangeln iſt, wie auch ſonſten die Groͤßen und Lagen der Seiten gegeneinander ſich abaͤn - dern. Allein wenn doch die Groͤßen der Linien ſelbſt ſo weit abgeaͤndert werden, daß ihrer je zweye zuſammen nicht mehr an Groͤße die dritte uͤbertreffen, ſo faͤllt auch die Moͤglichkeit ihres Zuſammenſtoßens an den End - punkten, und alſo das Grundverhaͤltniß weg. Dann haben wir keine Triangel mehr, ſondern unbegraͤnzte und unumſchloſſene Raͤume, die man nicht fuͤr einartig mit ihnen anſehen kann. Es gehoͤret zu dem Weſen eines jeden Dinges, was mehrere abſolute und verſchiedene Beſchaffenheiten in ſich faſſet, außer den abſoluten Be - ſchaffenheiten, noch ein gewiſſes Grundverhaͤltniß der - ſelben, welches aber, wie das angefuͤhrte Beyſpiel zei - get, auf eine ſolche Art von den Groͤßen und Stufen in dem Abſoluten abhangen kann, daß es aufgehoben wird, wenn jene veraͤnderlich ſind, und ihre Vergroͤßerung oder Verkleinerung uͤber eine gewiße Graͤnze hinaus - gehet.
K 3Es150I. Verſuch. Ueber die NaturEs giebt vielleicht auch ſolche Beziehungen und Verbindungen der innern abſoluten Beſchaffenheiten, die gaͤnzlich von den in Groͤßen, Graden und Stufen des Abſoluten vorgehenden Veraͤnderungen unabhaͤngig ſind, ſo lange das Abſolute nur nicht ganz verſchwindet oder zu Nichts wird, z. B. die Ordnung und Folge, in der ſie bey einander ſind. Jch ſage: vielleicht gebe es ſolche. Denn ich will hier uͤber die Natur ſolcher Verhaͤltniſſe, die aus den verſchiedenen Koexiſtenzarten der Dinge ent - ſpringen, und in wie weit ſolche von ihren innern abſo - luten Beſchaffenheiten abhangen, nichts beſtimmen. Und in dieſem Fall, wenn naͤmlich die Dinge in Grund - verhaͤltniſſen verſchieden ſind, welche bey aller Veraͤnde - rung in den Graden des Abſoluten dieſelbigen bleiben, ſo gehoͤren ſie ebenfalls zu den Verſchiedenartigen; moͤchten ſie auch ſonſt in Hinſicht des Abſoluten ſelbſt ei - nerley ſeyn.
Ohne mich weiter bey der Erlaͤuterung dieſer Ge - meinbegriffe aufzuhalten, will ich nur die Grenzlinie noch hinziehen, wo ſich die Homogeneitaͤt und Heterogeneitaͤt, die Einartigkeit und Verſchiedenartigkeit, ſo wie dieſe Begriffe in pſychologiſchen Unterſuchungen am meiſten gebraucht werden, von einander trennen.
„ Wenn Ein Ding, deſſen abſolute Beſchaffenheiten „ beſtimmte Verhaͤltniße und Beziehungen auf einander „ haben muͤſſen, um ſo ein Ding zu ſeyn, durch eine „ Veraͤnderung der Grade und Stufen in dem Abſolu - „ ten; dadurch naͤmlich, daß es vergroͤßert oder verklei - „ nert, an Einer Seite vergroͤßert, an der andern ver - „ kleinert wird; in ein anderes Ding verwandelt werden „ kann, deſſen Begrif ein anders Grundverhaͤltniß „ eben derſelben abſoluten Beſchaffenheiten erfordert; „ wenn ein Ding ſich ſo auf ein andres beziehet; ſo ſol - „ len dieſe beiden Dinge noch als gleichartige oder homo - „ gene angeſehen werden. “
Wenn151der Vorſtellungen.Wenn dagegen eine ſolche Verwandelung durch Ver - mehrung oder Verminderung, oder durch beides nicht moͤglich gemacht wird, ſondern außerdieß noch etwas Abſolutes weggeſchaffet oder hinzugeſetzet werden muͤßte; oder wenn ein neues Grundverhaͤltniß erfordert wird, um ein Ding in ein anders zu umformen; alsdenn ſind die ſich ſo auf einander beziehende Dinge heterogen und verſchiedenartig. Die Verwandelung durch eine Veraͤnderung in den Groͤßen aber darf nur fuͤr ſich moͤg - lich ſeyn, wenn man auf das innere Abſolute in der Sache Ruͤckſicht nimmt: nur in den abſoluten Grund - beſchaffenheiten muß nichts enthalten ſeyn, das die dazu noͤthige Erweiterung oder Verengerung der Schranken unmoͤglich mache. Denn wo dieſe Unmoͤglichkeit nur in aͤußerlichen Urſachen und Umſtaͤnden ihren Grund hat, da kann allein aus dieſem Grunde die innere Homo - geneitaͤt der Naturen nicht aufgehoben werden.
Jn dieſem angegebenen Unterſchied des Homogenen und des Heterogenen hat man einen feſtſtehenden und beſtimmten Begrif, durch den die ſonſt ſo ſchwankenden Begriffe von Gattungen und Arten, und die mit ihnen verwandte in der allgemeinen Philoſophie eine gleiche Beſtimmtheit erhalten. Bey dem Verfahren des ge - meinen Verſtandes bemerket man, daß wenn zwey Din - ge zu Einer Art oder Gattung gebracht werden, ſo wird allemal vorausgeſetzet, dasjenige, was den Charakter der Art oder der Gattung ausmachet, ſey etwas, das entweder auf eine beſtimmte Zeit oder auf immer den Subjekten zukommt, und alſo etwas beſtaͤndiges in ih - nen. Bey den gewoͤhnlichen Abtheilungen in Klaſſen haben wir jedesmal eine beſtimmte Abſicht, die von ei - nem groͤßern oder geringern Umfange iſt. Wenn die Beſtaͤndigkeit der Merkmale ſo groß iſt, als dieſe Abſicht es erfordert, ſo iſt es ſchon genug, um das Ding auf den allgemeinen Begrif zuruͤck zu bringen, der durchK 4jene152I. Verſuch. Ueber die Naturjene Merkmale beſtimmt wird, und alſo das Ding fuͤr ein Ding einer ſo charakteriſirten Art anzuſehen. Die Vorſtellung von einem beſtaͤndigen Unterſchiede iſt der Grund des Urtheils. Wo aber weiter die innere Weſens - oder Naturverſchiedenheit beſtimmet werden ſoll, da iſt es wiederum die Unmoͤglichkeit, aus einer Art in die andere uͤberzugehen, unter welchen Bedin - gungen ſolche Statt finde, und wie weit und tief ſie ſich erſtrecke, worauf es ankommt. Bey den wirklichen Dingen in der Welt iſt es ſelten in unſerm Vermoͤgen, die innere Unumaͤnderlichkeit eines Dinges Einer Art in ein Ding einer andern Art voͤllig ins Licht zu ſetzen. Deß - wegen ſind diejenigen, die natuͤrliche Abtheilungen ſu - chen, oft genoͤthiget, gewiſſe beſtaͤndige Eigenſchaften oder Wirkungen, oder auch wol Beziehungen auf andere, als ein aͤußeres Kennzeichen von ihr, anzunehmen, und aus dieſem die Einartigkeit und Verſchiedenartigkeit zu beſtimmen. Aber wie weit die Zuverlaͤßigkeit eines ſol - chen aͤußern Merkmals gehe, das iſt alsdenn noch, wenn es ſeyn kann, beſonders auszumachen. Ein Beyſpiel hievon giebt der Buͤffoniſche Geſchlechtscharakter bey den Thieren, wo das Vermoͤgen, durch ihre Vermi - ſchung ſich fortzupflanzen, zum Zeichen der Einartigkeit gemacht wird.
Aus dem obigen feſtſtehenden Begrif, koͤnnen nun einige der vornehmſten Stufen der Homogeneitaͤt im all - gemeinen beſtimmet werden.
Homogene Dinge koͤnnen in einander umgeaͤndert werden durch Vergroͤßerung und Verkleinerung. Es kann alles beides dazu erforderlich ſeyn; einige Theile muͤſſen wachſen; andere muͤſſen abnehmen. Jn dieſem Fall iſt keine naͤhere Einartigkeit vorhanden, als die all - gemeine, deren Graͤnze vorhero beſtimmet iſt. Dießſey153der Vorſtellungen. ſey die erſte Stufe. Eine ſolche Veraͤnderung gehet mit der Raupe vor, wenn ſie zum Jnſekte wird. Hie - her gehoͤren auch die natuͤrlichen Verwandelungen, die durch innerliche Urſachen bewirket werden, oder doch von ſolchen groͤßtentheils abhangen. Sie ſind zugleich Verwandelungen, in Hinſicht der neuen aͤußern Ge - ſtalten, wenn nemlich das aͤußerliche Anſehen bis dahin veraͤndert wird, daß das Ding, nach dieſen zu urthei - len, zu einer andern von dem erſtern unterſchiedenen Gattung von Dingen gebracht werden muͤßte.
Die Umaͤnderung kann auch allein durch die Vermehrung oder Erhoͤhung einer oder mehrern von den abſoluten Beſchaffenheiten eines Dinges zu Stande kommen; oder auch allein durch ihre Herunterſetzung oder Verminderung. Hieher koͤnnen auch ſolche Bey - ſpiele gezogen werden, wo zwar beides, eine Vermeh - rung und eine Verminderung, vor ſich gehet, aber ſo, daß Eine Art dieſer Veraͤnderungen in Vergleichung mit der andern unerheblich iſt, und wenig in Betracht kommt oder kommen darf. Der Saame waͤchſet auf zum Baum; und aus dem Embryon wird ein vollſtaͤn - diges Thier. Jn beiden, in dem Saamen und in dem Embryon gibt es einige Theile, die waͤhrend der Ent - wickelung abnehmen und wegfallen, aber auf dieſe wird weniger Ruͤckſicht genommen, als auf die Vergroͤßerung die hier eine Entwickelung iſt. Dieß iſt eine zwo - te Stufe der Einartigkeit.
Hiezu kann noch eine dritte geſetzet werden, die Aehnlichkeit nemlich.
Wenn ein Ding durch eine ebenmaͤßige und pro - portionirliche Vergroͤßerung oder Verminderung ſei - ner abſoluten veraͤnderlichen Groͤßen in ein anderes Ding uͤbergehet. Wenn das Verhaͤltniß und die Beziehun - gen des Abſoluten, bey allen Veraͤnderungen die in dem letztern vorgehen, unveraͤnderlich immer ſo bleiben wie ſieK 5ſind,154I. Verſuch. Ueber die Naturſind, und wie ſie in dem Dinge vor der Veraͤnderung ſchon geweſen ſind. Wenn dieß iſt, ſo iſt weiter zwi - ſchen ſolchen Dingen kein Unterſchied, als nur in den Groͤßen. Sie verhalten ſich zu einander wie aͤhnliche Figuren. Nur die abſoluten Groͤßen, die Materie iſt verſchieden; die Form iſt dieſelbige. Dieſe Homoge - neitaͤt iſt Aehnlichkeit, welche auch zugleich eine Analo - gie iſt, aber noch mehr als dieſe. Denn Analogie kann ſtatt finden, wo die analogen Dinge verſchiedenartig ſind.
Wenn man dieſe gemeine Begriffe auf die Beob - achtungen von unſeren Vorſtellungsarten und Seelen - vermoͤgen anwendet, ſo deucht mich doch, es zeige ſich deutlicher, worauf es bey ihrer Vergleichung ankomme, als vorher.
Jſt denn das Vermoͤgen zu percipiren, das iſt, Vorſtellungen von gegenwaͤrtigen Objekten bey der Em - pfindung anzunehmen, mit dem zwoten Vermoͤgen, die - ſe Vorſtellungen wieder hervorzuziehen in der Ab - weſenheit der Gegenſtaͤnde, und iſt beydes mit dem drit - ten Vermoͤgen, mit der Dichtkraft, einartig, und wie weit ſind ſie alle Ein und daſſelbige Vermoͤgen? Dieſe Frage haͤnget nun von der folgenden ab: kann jedes die - ſer Vermoͤgen durch eine Vermehrung oder durch eine Verminderung ſeiner veraͤnderlichen Groͤße in jedes an - dere uͤbergehen, und in wie fern? und worinn beſtehet die abſolute veraͤnderliche Groͤße, durch deren Erhebung oder Herunterſetzung die eine Thaͤtigkeitsweiſe in die an - dere verwandelt wird?
Auf dem letztern Theil der Frage beruhet das Erheb - lichſte. Wenn man gerade zu behauptet, das Percipi - ren, das Aufnehmen einer gewiſſen Spur von einem vorherempfangenen Eindruck, oder erlittenen Veraͤnde - rung ſey das naͤmlich, was wir das Reproduciren nen -nen,155der Vorſtellungen. nen, oder werde es, wenn es vergroͤßert wird, ſo ſaget man etwas unbeſtimmtes, das, von einer Seite betrach - tet, ſo unbegreiflich als unerweislich iſt. Mag doch ei - ne Auſter, welche empfindet, auch von den Eindruͤcken auf ſie einige Nachempfindungen haben, wie die geſpann - te elaſtiſche Saite nachzittert; und mag eine gewiſſe Spur oder eine Folge von dieſem Eindruck in ihr blei - ben, wie in der unvollkommen elaſtiſchen Saite auch ge - ſchicht, die von jedwedem einzeln Schlag eine kleine ob - gleich unbemerkbare Veraͤnderung in der Lage und Ver - bindung ihrer Theile nach behaͤlt; kann deswegen die Au - ſter und die Saite dieß Aufbehaltene ſelbſtthaͤtig wieder ent - wickeln und den vorigen Zuſtand wieder herſtellen, ohne daß die ehemalige aͤußere Urſache, oder doch eine aͤhnliche, von neuem auf ſie wirke? Und wenn nun jenes Vermoͤgen auf - zunehmen vergroͤßert, die Perceptionskraft feiner, aus - gebreiteter, ſtaͤrker, und mehr aufgelegt wird, mehrere, ſtaͤrkere, beſſer abgeſetzte und deutlicher ausgedruckte Spuren, auch von den ſchwaͤchſten Eindruͤcken anzuneh - men, wie ſoll daraus eine Kraft werden, von ſelbſt aus ſich ſolche wiederum hervorzuziehen? Das iſt, wie kann ein erhoͤhetes Percipiren in ein Reproduciren veraͤndert werden?
Das Vermoͤgen der Perception in der menſchlichen Seele muß alſo noch eine andere Seite haben, und noch eine andere veraͤnderliche Groͤße, durch deren Ver - groͤßerung die Phantaſie und das Dichtungsvermoͤgen daraus hervorſchießet; oder dieſe letztern Vermoͤgen ſind mit dem erſten heterogener Natur; die wohl aus Einer Subſtanz beyſammen ſind, aber als verſchiedene Grundzuͤge, welche aus Einem und demſelben abſoluten Princip in ihr nicht abgeleitet werden koͤnnen.
Da treffen wir aber auch, wie ich meine, bald auf den rechten Punkt. Die menſchliche Seele iſt faͤhig nachzuempfinden, und von dieſen Nachempfindungenbeſtimm -156I. Verſuch. Ueber die Naturbeſtimmte und bleibende Spuren in ſich aufzunehmen. Hiezu beſitzet ſie ein poſitives, reelles und abſolutes Ver - moͤgen, und dieß Vermoͤgen iſt ein wirkſames Vermoͤ - gen. Es iſt nicht blos Receptivitaͤt; es iſt ſchon ſelbſt - thaͤtig und mitwirkend alsdenn, wenn die aͤußere Ur - ſache Eindruͤcke auf die Seele hervorbringet. So et - was aͤhnliches iſt auch die Elaſticitaͤt in der Saite, welche nachzittert, und die Schwere in dem Perpendikul, der zu ſchwingen fortfaͤhret. Aber noch mehr: Dieß Ver - moͤgen in der menſchlichen Seele iſt nicht von einer un - veraͤnderlichen Groͤße, ſondern kann als ein ſelbſtthaͤti - ges Vermoͤgen erhoͤhet werden. Die Selbſtthaͤtig - keit in ihm iſt die veraͤnderliche Groͤße. Das Vermoͤgen zu percipiren nimmt nicht allein eine Ver - groͤßerung an, in dieſer Art thaͤtig zu ſeyn; es iſt auch perfectibel, in ſo ferne es ein ſelbſtthaͤtiges, oder aus ſich ſelbſt, aus einem innern Princip wirkendes Vermoͤgen iſt. Die Elaſticitaͤt der Saite kann durch die ſtaͤrkere oder mindere Spannung mehr oder weniger Jntenſion erlangen, und dann wird ſie aufgelegt, ſchneller zu ſchwingen, und laͤnger ihre Schwingungen fortzuſetzen, aber ihre innere Selbſtthaͤtigkeit bleibet in ſo weit von gleicher Groͤße, wie ſie iſt, als ſie, um in einen Schwung zu kommen, und thaͤtig zu werden, jedesmal von einer aͤußern Urſache gereizet wiederum geſchlagen, gedruckt, geſtoßen und uͤber einen Raum getrieben wer - den muß, wie das erſtemal, wenn ſie uͤber denſelbigen Raum hin und her zittern ſoll. Denn der Antheil, welchen ſie als Kraft an der Weite der einzelnen Schwuͤn - ge hat, die ſie annimmt, und die Beziehung der innern Kraft auf die aͤußere reizende oder beywirkende Urſache, iſt unveraͤnderlich derſelbige. Dieß fuͤhret uns auf das charakteriſtiſche der menſchlichen Vorſtellungskraft. Die letztere bedarf anfangs der Einwirkung einer aͤußern Ur - ſache, um auf eine gewiſſe Art modificirt zu werden, undum157der Vorſtellungen. um dieſe Modificationen in ſich aufzunehmen, hineinzu - legen, und eine Spur davon zu verwahren. Aber ſie ſelbſt wirkte mit, und enthielt zum Theil den Grund in ſich von ihrer eigenen Veraͤnderung, die verurſachet ward, und war in ſo weit ſelbſtthaͤtig. Und dieſe Selbſt - thaͤtigkeit oder Eigenmacht kann als eine ſolche erhoͤhet werden, wodurch denn die Beziehung des innern Prin - cips auf die mit wirkende aͤußere Urſache veraͤndert, und das Zuthun der letztern in Hinſicht auf die ganze Wir - kung entbehrlicher und minder nothwendig wird, wenn dieſelbige oder doch eine aͤhnliche Wirkung hervorgebracht werden ſoll.
Jſt dieſe Selbſtthaͤtigkeit des Vermoͤgens bis auf einen gewiſſen Grad hin erhoͤhet, ſo entſtehet die Leich - tigkeit, eine vorige Modifikation wieder anzunehmen, die das Einbildungsvermoͤgen ausmachet, das Ver - moͤgen, die vorige Modifikation gewiſſermaßen wenig - ſtens wieder zu erneuren, ohne daß ein Einfluß einer ſol - chen Urſache erfordert wird, wie zu der erſten Empfin - dung nothwendig war. Die wiedererweckten Einbildun - gen ſind den Empfindungsvorſtellungen in allem aͤhnlich, und nur an Lebhaftigkeit und Staͤrke von ihnen unter - ſchieden. Die innere Thaͤtigkeit; der Aktus und die Kraft, welche in beyden wirket, iſt alſo dieſelbige, und der ganze Unterſchied zwiſchen ihnen beſtehet darinn, daß die Einbildungen durch eine innerlich mehr hinreichende Kraft, durch eine vergroͤßerte Selbſtthaͤtigkeit, bewir - ket werden, die Empfindungen aber, und die erſte Auf - nahme der Vorſtellungen die Beywirkung einer fremden und aͤußern Urſache erfodern.
Das menſchliche Vermoͤgen der Perception mehr ſelbſtthaͤtig gemacht, iſt alſo das Vermoͤgen zu reprodu - ciren, und mehr ſelbſtthaͤtiges Percipiren iſt ſo viel als Reproduciren. Jenes gehet in dieſes uͤber, wenn die Kraft innerlich erhoͤhet iſt, und dann die Urſachenverſchie -158I. Verſuch. Ueber die Naturverſchieden ſind, wovon es zur Thaͤtigkeit gereizet wird. Es ſind alſo einartige Arbeiten und einartige Faͤhig - keiten.
Wenn die Selbſtthaͤtigkeit des percipirenden Ver - moͤgens, der Antheil, den die innere Eigenmacht der Seele an den Wirkungen hat, und ihre innere Zureichlich - keit zu dieſen nicht vergroͤßert und erhoͤhet wuͤrde, ſo moͤchte ſich das Vermoͤgen, etwas anzunehmen, und ſich modi - ficiren zu laſſen, als bloße Receptivitaͤt, nach allen Rich - tungen hin ausdehnen, und es wuͤrde doch das Verhaͤlt - niß zwiſchen dem Beytrag des innern Princips und der aͤußern Urſache immer daſſelbige bleiben. Alsdann koͤnnte das Perceptionsvermoͤgen von dieſer Seite be - trachtet, als bloße Modificabilitaͤt, extenſive und intenſi - ve zunehmen, ohne jemals ſich zur Phantaſie zu entwi - ckeln. Fehlet es irgend einem percipirenden Vermoͤgen an der Perfektibilitaͤt in der innern Selbſtthaͤtigkeit, und fehlet ihm ſolche von Natur; ſo iſt das keine Kraft, die mit der menſchlichen Perceptionskraft fuͤr gleichartig an - geſehen werden kann; keine Kraft, die jemals Einbil - dungs - oder Wiedervorſtellungskraft werden kann.
Es iſt hieraus zugleich begreiflich, daß die Phan - taſie in dem Menſchen ſich in einem ungleichen Verhaͤlt - niß mit dem Vermoͤgen der Perception entwickeln koͤnne. Je mehr unſre Seele Vorſtellungen empfindet und Vorſtellungen aufſammlet, deſto mehr uͤbet ſie zwar ein Vermoͤgen von einer perfektiblen Selbſtthaͤtigkeit, und es kann nicht fehlen, daß ſolches nicht auch zugleich an ſeiner ſelbſtthaͤtigen Seite erhoͤhet werde; aber doch fol - get daraus nicht, daß es von dieſer letzten Seite, als Einbildungskraft in eben dem gleichen Grade zunehme, wie die Aufhaͤufung der Vorſtellungen vergroͤßert, und die Receptivitaͤt, die Empfindlichkeit, Beugſamkeit, oder Empfaͤnglichkeit gegen neue Eindruͤcke vergroͤßert wird. Die bekannte Uebung zur Staͤrkung der Einbil -dungs -159der Vorſtellungen. dungskraft und des Gedaͤchtniſſes iſt von einer andern Uebung im Empfinden und Beobachten, wobey die Ab - ſicht nur darauf gerichtet iſt, volle, genaue und feine Eindruͤcke von den Objekten zu erlangen, verſchieden. Denn obgleich beyde ſich gewiſſermaßen einander erfo - dern und mit einander verbunden ſind, ſo wiſſen wir doch, daß, ſo wie eine ſchnelle und muntere Faſſungskraft et - was anders iſt, als ein feſtes, lange etwas behaltendes Gedaͤchtniß, auch die Uebungen in mancher Hinſicht ver - ſchieden ſind, wodurch jene und wodurch dieſes erlanget oder verbeſſert wird. Treibet nun die ganze Seelenkraft nach Einer Seite zu ſtark hin, ſo kann und muß ſie ge - wiſſermaßen an der andern in etwas zuruͤcke bleiben.
Man ſetze die Vergleichung auf dieſelbige Art wei - ter fort, ſo zeiget ſich das Verhaͤltniß der Phantaſie zu der Dichtkraft. Die Fiktionen ſind den Wieder - vorſtellungen nicht eigentlich aͤhnlich und alſo das Ver - moͤgen zu jenen auch dem Vermoͤgen zu dieſen nicht. Laß die Phantaſie in einem verhaͤltnißmaͤßigen Grade vergroͤßert, verfeinert, lebhafter und ſtaͤrker gemacht werden. Hiedurch allein entſtehen keine ſolche Selbſt - geſchoͤpfe der ſinnlichen Vorſtellungskraft, als die Er - dichtungen ſind. Jn dieſer Hinſicht ſind beyde Thaͤtig - keitsarten unvergleichbar, und es laͤßt ſich durchaus nicht gedenken, wie vielmal der Aktus des Einbildens in dem Aktus des Dichtens enthalten ſey, noch wie Einer von ihnen vergroͤßert oder verkleinert in dem andern uͤber - gehe. Die ſtarke, feſte und ausgedehnte Jmagination des Ritters von Linne’ faſſet eine unzaͤhlbare Menge kla - rer Empfindungsvorſtellungen von koͤrperlichen Gegen - ſtaͤnden, und eine gleiche Menge gehoͤrter und geleſener Toͤne; erhaͤlt ſolche in ihrer Deutlichkeit und reproduci - ret ſie. Man vergleiche die ſtarke Seelenaͤußerung mitder160I. Verſuch. Ueber die Naturder Dichtkraft im Milton und Klopſtock, die mit innerer Heftigkeit die Einbildungen bearbeitet, aufloͤſet und ver - miſchet, trennet und zuſammenziehet, und neue Geſtal - ten und Erſcheinungen ſchaffet. Wie verſchiedenartig ſind nicht die Wirkungen. Ein unermeßliches Gedaͤcht - niß kann ohne eine hervorragende Dichtkraft, und um - gekehrt die letztere vorhanden ſeyn, ohne daß das Ge - daͤchtniß von vorzuͤglicher Groͤße ſey. Von dieſer Seite betrachtet ſind auch die Thaͤtigkeiten und die Vermoͤgen verſchiedenartig.
Dennoch aber ſind ſie von einer andern Seite ange - ſehen, homogene Vermoͤgen, und Vermoͤgen einer und derſelbigen Kraft. Jſt das ſelbſtthaͤtige Vermoͤgen zu reproduciren ſchon vorhanden; ſo wachſe es, in ſo fer - ne es ein ſelbſtthaͤtiges Vermoͤgen iſt, und in ſo ferne es aufgenommene Vorſtellungen wieder hervorziehet. Man gebe der Phantaſie, die wie jedes Seelenvermoͤgen meh - rere Dimenſionen, ſo zu ſagen hat, groͤßere Lebhaftig - keit und Geſchwindigkeit, und alſo von dieſer Seite noch einen Grad innerer Selbſtthaͤtigkeit mehr; und laſſe ſie dagegen an Staͤrke, die einzeln Empfindungsvorſtellun - gen in ihrer individuellen Voͤlligkeit wieder darzuſtellen, etwas zuruͤck bleiben, ſo wird ſie eine Kraft werden, wel - che Theile von ganzen Vorſtellungen ſchnell aus ihrer Verbindung mit andern heraus zu heben, und ſie abzu - trennen; dann mehrere Vorſtellungen, die in unter - ſcheidbaren Momenten aufeinander folgen, oder die an unterſchiedenen Stellen und von einander entfernt lagen, in Einem Augenblick und auf Eine Stelle hin zuſam - men zu bringen, in einander zu draͤngen, zu vermiſchen und zu vereinigen vermoͤgend iſt. Das iſt, ſie wird ſelbſtbildende Dichtkraft ſeyn. Es iſt oben der Ver - miſchung der Vorſtellungen erwaͤhnet worden, die in ei - ner Schwaͤche der Phantaſie ihren Grund hat, und daher entſtehet, weil Vorſtellungen zuſammenfallen, die diePhantaſie161der Vorſtellungen. Phantaſie zu ſchwach war, von einander zu erhalten. Ein gewiſſer Grad dieſer Schwaͤche iſt ein mindrer Grad an getreuer, feſter und ſcharfer Reproduktion des Ein - zeln, und gehoͤret mit zum Dichtergenie, wogegen meh - rere Staͤrke von dieſer letztern Seite, und mehrere Schwaͤche in Hinſicht der ſchnellen Reproduktion die Beſtandtheile eines großen Gedaͤchtnißes ausmacht. Was aber zu beiden, zu dem Dichtergenie und zu dem hiſtoriſchen, von der Ueberlegungskraft noch hinzu kom - men muß, wird hier noch nicht in Anſchlag gebracht.
Man ſetze bey unſern Empfindungen das noch bey Seite, was eigentlich das Fuͤhlen oder Empfinden iſt, und wovon die empfundenen Modifikationen den Na - men der Empfindungen haben; ſo heißt eine Empfin - dung von der Sonne haben nichts anders, als eine ge - wiſſe Modifikation von ihr in ſich aufnehmen, wenn die Sonne mittelſt des Lichts auf unſere koͤrperlichen Organe wirket. Eine Nachempfindung hievon iſt es, wenn die - ſe Veraͤnderung in uns eine Weile von ſelbſt beſtehet, da die aͤußere Urſache von außen nicht wirket. Das Vermoͤgen, ſolche Eindruͤcke aufzunehmen, enthaͤlt alſo ei - ne Aufgelegtheit, auf dieſe oder jene Weiſe gebildet, und andern Dingen nachgebildet zu werden, und die em - pfangenen Formen in ſich zu erhalten, auch wenn die Urſache, welche ſie zuerſt aufdruͤckte, ſich entzogen hat. Dieſe Formen werden in dem Jnnern der Seele weggeleget und eingewickelt, ſo daß eine ihr entſprechende Spur zuruͤckbleibet. Ein Reiſender beſieht ein Gebaͤude, macht ſich dann eine Zeichnung davon, die er in ſeinem Coffre zum kuͤnftigen Gebrauch aufhebet. Was ihm die Zeichnung iſt, das iſt bey der Seele, wenn ſie empfindet, die Nachempfindung.
I. Band. LEs162I. Verſuch. Ueber die NaturEs kann nicht ein jeder Koͤrper, der angeſchlagen wird, nachzittern oder nachſchwingen, wie eine elaſtiſche Saite und wie ein Perpendikel. Der weiche Koͤrper thut es nicht. Die Seele der Auſter und des Polypen mag empfinden, das iſt, Eindruͤcke von den ſie umge - benden Gegenſtaͤnden aufnehmen; dieß kann eine bloße Receptivitaͤt ſeyn, ein bloßes Leiden; es iſt damit nicht nothwendig verbunden, daß ſie auch zu wallen fortfahre, wenn der Schlamm nicht mehr auf ſie zuſtoͤßt, der ihr den Eindruck beybrachte. Aber wenn ihr Vermoͤgen, womit ſie den Eindruck aufnahm, eine mitthaͤtige Kraft iſt, die, wenn ſie einmal eine Veraͤnderung empfangen hat, dieſe Wirkung einen Augenblick ſelbſtthaͤtig in ſich hervorbringen oder ſie erhalten kann — die Elaſticitaͤt in der Saite iſt nur ein Beyſpiel, aber kein allgemeines Bild fuͤr alle ſolche Kraͤfte — ſo kann ſie nachempfin - den, die empfangene Modifikation ununterbrochen er - halten, obgleich die Einwirkung der Urſache unterbro - chen iſt. Es iſt alſo die Selbſtthaͤtigkeit in der Re - ceptivitaͤt der Seele, von der das Vermoͤgen, Nach - empfindungen zu haben, abhaͤnget.
Um aber ein percipirendes Vermoͤgen zu haben, muß von den Nachempfindungen eine Spur aufbewahret, und in dem Jnnern des percipirenden Weſens gewiſſer - maßen abgeſondert, getrennet und auseinandergeſetzet erhalten werden. Wenn jede Veraͤnderung in jedem Dinge ihre Wirkungen und Folgen hat, die in ihm nie ganz verloͤſchen, — dieß iſt ein Grundſatz der Leibnitzi - ſchen Philoſophie — ſo koͤnnen doch dieſe Folgen derge - ſtalt in einander zuſammen fallen, daß keine von ihnen jemals durch die innere Kraft der Subſtanz wieder aus - geſondert aus dem ganzen verwirrten Chaos der uͤbrigen reproduciret werden kann. Wo dieß letztere geſchehen ſoll, da muß ein hoͤherer Grad von innerer Modifikabi - litaͤt ſeyn; ein groͤßerer Raum, Umfang, Tiefe und einegroͤßere163der Vorſtellungen. groͤßere Feinheit der modificirten Natur, welche nicht ein Eigenthum eines jeden Weſens ſeyn darf. Jſt nun ein ſolcher Grad von Modifikabilitaͤt mit dem ſelbſtthaͤti - gen Aufnehmungsvermoͤgen verbunden; koͤnnen einzelne Modifikationen einzeln unterhalten werden, und jedwede nachbleibende Spur findet ihre eigene Stelle, ihre Seite, ihren Punkt oder ihre Fiber, wo ſie einzeln und abge - ſondert hinfallen und wiedererweckbar aufbewahret blei - ben kann. Jſt dieß die Natur des modificirten Weſens, ſo beſitzet es ein percipirendes Vermoͤgen, ein Ver - moͤgen, Vorſtellungen aufzunehmen.
Eine abſolute Beſchaffenheit in einem Weſen, die geſtaͤrkt, vergroͤßert und erhoͤhet werden kann, iſt ent - weder unter ſeinen Grundbeſtimmungen in irgend einem beſtimmten Grade vorhanden, oder ſie iſt etwas Abge - leitetes, das zu den Folgebeſchaffenheiten gehoͤret. Jn dem letztern Falle entſpringet ſie aus einer Entwickelung anderer abſoluten Grundbeſchaffenheiten. Wenn eine Anlage oder Dispoſition zu einer abſoluten Beſchaffen - heit vorhanden iſt, ſo iſt eine ſolche Anlage entweder dieſe Beſchaffenheit ſelbſt, nur in einem unbemerkbaren Grade; oder ſie iſt der Keim dazu, das iſt, etwas abſolutes, bey deſſen Erhoͤhung die Beſchaffenheit her - vorgehet. Man nehme es, wie man wolle, ſo iſt in der erſten Empfindung der menſchlichen Seele, und in der erſten Modifikation, die der durchs Auge ins Gehirn hineinfallende Lichtſtrahl hervorbringet, und noch weiter zuruͤck, in dem erſten Druck auf die Seele des lebenden Embryons ſchon Anlage zur Perception. Die elaſti - ſche Saite, die dem erſten Schlag, den ſie empfaͤnget, ausweichet, weichet aus, und nimmt den Schlag auf, der Natur eines elaſtiſchen Koͤrpers gemaͤß, nicht ſo wie ein weicher Koͤrper es thut. Wenn der angeſtoßeneL 2Per -164I. Verſuch. Ueber die NaturPerpendikel |in die Hoͤhe ſteiget, ſo ſteiget er wie ein ſchwerer Koͤrper, der, indem er ausweichet, mit ſeiner Tendenz zu fallen, und ſich unterwaͤrts in Bewegung zu ſetzen, ſchon thaͤtig iſt. So verhaͤlt es ſich auch bey der menſchlichen Seele. Jeder Eindruck auf ſie iſt eine Jmpreßion auf eine perfektible ſelbſtthaͤtige Kraft. Je - des andere Weſen, eine Hundesſeele z. E. an ihrer Stelle, vorausgeſetzt, daß dieſe mit jener perfektiblen Selbſtthaͤtigkeit und Entwicklungsvermoͤgen von Natur nicht begabt ſey, wuͤrde ſo nicht etwas in ſich aufnehmen, als die menſchliche Seele aufnimmt. Jn dieſer ihrer erſten individuellen Modifikation iſt alſo ſchon eine Kraft beſchaͤftiget, die mit Selbſtthaͤtigkeit oder mit Anlage dazu wirkſam iſt; die nicht nur in ſich etwas geſchehen laͤſſet, ſondern es mitthaͤtig aufnimmt; die es einiger - maßen anfaſſet und ergreifet. Es darf keine neue abſo - lute Qualitaͤt hinzugeſetzet werden, ſondern bloß durch eine Vergroͤßerung oder Verſtaͤrkung des ſchon vorhan - denen Princips, und durch einen Uebergang von der unbemerkbaren zu der bemerkbaren Selbſtthaͤtig - keit, von der Anlage zur Faͤhigkeit; und durch eine Erweiterung und Entwickelung ihres Raums, um alle unterſchiedene Eindruͤcke an genugſam abgeſonderten Stel - len in ſich aufzubewahren, gehet die Receptivitaͤt unſerer Seele in eine percipirende, reproducirende und dichtende Kraft uͤber. Jn allen dieſen genannten Wirkungen zei - get ſich Eins und daſſelbige Princip; dieſelbige Grund - kraft; dieſelbigen Arten zu wirken und dieſelbigen Ver - moͤgen. Einerley abſolute Beſchaffenheit, nur in ver - ſchiedenen Hinſichten veraͤnderlich, bringet in jeder be - ſondern Richtung beſondere Vermoͤgen hervor. Und da die Grundkraft nach allen dieſen Richtungen zu wir - ken ſchon von Natur aufgeleget iſt, und in jeder fortzu - gehen und zuzunehmen ſchon in ihrer erſten Aeußerungden165der Vorſtellungen. den Anfang machet, ſo kann man ſich vorſtellen, daß auch in ihrer erſten Aktion alle verſchiedene Vermoͤgen vereiniget ſind, und zwar jedes derſelben in einem Grade, der im theoretiſchen Verſtand niemals gaͤnz - lich ein Nichts iſt. Gleichwol hindert dieß nicht, daß nicht das Eine oder das andere nur als ein Element, als Anlage, Anſatz, oder als ein Unendlichkleines, Unbeobachtbares, vorhanden ſeyn koͤnnte, wovon man, in dem praktiſchen Sinn den Ausdruck genommen, ſa - gen kann, daß es noch gar nicht vorhanden ſey.
Naͤchſt dem Vorſtellungsvermoͤgen gehoͤret auch das Gefuͤhl, und vielleicht dieß letztere noch mehr als jenes, zu den einfachſten Grundaͤußerungen der Seele. Die Abſicht in dieſem zweeten Verſuche iſt, ſolches auf eine aͤhnliche Art zu unterſuchen, wie es bey der Vor - ſtellungskraft in dem Erſten geſchehen iſt. Da, wo es ſich am auffallendſten zeiget, ſoll aus ſeinen Wirkungen das Charakteriſtiſche deſſelben bemerket, und dann ihm weiter in ſeiner Verbindung mit andern Vermoͤgen nach - gegangen werden; ſo weit mir naͤmlich dieß noͤthig zu ſeyn ſchien, um die Beziehung der einfachſten Princi - pien, die vor uns die erſten beobachtbaren Entwickelun - gen der Grundnatur der Seele ſind, zu erkennen.
Jn der Empfindung entſtehet eine Veraͤnderung un - ſers Zuſtandes, eine neue Modification in der Seele. Jch richte die Augen gegen die Sonne. Da geſchicht etwas, und ich fuͤhle etwas, empfinde es. Der Eindruck kommt in dieſem Fall von außen her; ſo glaube ich es wenigſtens; ich fuͤhle mit dem aͤußern Sinn, oder ich habe eine aͤußerliche Empfindung. Ein ſol - ches Gefuͤhl iſt zuweilen gleichguͤltig, zuweilen angenehm oder unangenehm. Die gefuͤhlte Veraͤnderung iſt dieEmpfin -167uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Empfindung. Wenn dieſe nicht zu den gleichguͤlti - gen gehoͤret, wenn ſie afficirt, wenn ſie uns gefaͤllt oder mißfaͤllt, ſo iſt ſie, von dieſer Seite betrachtet, was nach dem gewoͤhnlichſten Gebrauch des Worts Em - pfindniß oder eine Ruͤhrung genennet wird. Herr Bonnet nennet die Empfindung, wenn ſie eine Em - pfindniß iſt, Senſation. Die gleichguͤltige Empfin - dung, das bloße Aufnehmen des Eindrucks mit dem Aktus des Fuͤhlens zuſammen, heißt bey ihm die Per - ception. *)Eſſai Analytique §. 196.An die Bonnetiſche Art, ſich auszudruͤcken erinnere ich hier, weil ich glaube, daß man oft Gelegen - heiten haben werde, ſeine Begriffe mit den meinigen zu vergleichen.
Der ſinnliche gefuͤhlte Eindruck von der Sonne wird zu einer Nachempfindung und Empfindungs - vorſtellung. (Man ſehe Abth. V. des vorhergehenden Verſuchs uͤber die Vorſtellungen.) Alsdenn iſt es eine Perception, und das Empfinden iſt ein Percipi - ren eines gegenwaͤrtigen Objekts. Die Perception iſt es, zu der ſich die Apperception, das Unterſcheiden, oder der Gedanke: dieß iſt etwas unterſchiedenes; es iſt eine beſondere Modifikation; es iſt ein beſonders Objekt, hin - zugeſellet. Alsdenn iſt man ſich des Gefuͤhls und der Sache bewußt, man nimmt ſie gewahr. Die Empfindungsvorſtellung wird eine Jdee des Em - pfundenen (ſentiment) und die Empfindung iſt eine klare Empfindung.
Die Woͤrter Gefuͤhl und Fuͤhlen haben jetzo bey - nahe einen ſo ausgedehnten Umfang erhalten, als die Woͤrter: Empfindung und Empfinden. Aber doch ſcheinet noch einiger Unterſchied zwiſchen ihnen ſtatt zu finden. Fuͤhlen gehet mehr auf den Aktus des Em - pfindens, als auf den Gegenſtand deſſelben, und Ge -L 4fuͤhle,168II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,fuͤhle, den Empfindungen entgegen geſetzt, ſind ſolche, wo bloß eine Veraͤnderung oder ein Eindruck in uns und auf uns gefuͤhlet wird, ohne daß wir das Objekt durch dieſen Eindruck erkennen, welches ſolche bewirket hat. Empfinden zeiget auf einen Gegenſtand hin, den wir mittelſt des ſinnlichen Eindrucks in uns fuͤhlen, und gleichſam vorfinden. Dazu kommt noch ein anderer Nebenzug, der die Bedeutungen dieſer Woͤrter unter - ſcheidet. Jn dem Empfinden einer Sache begrei - fen wir zugleich mit, daß wir ſie gewahrnehmen, ap - percipiren, erkennen oder von andern unterſcheiden. Das Wort Gefuͤhl ſcheinet von einem allgemeinern Um - fange zu ſeyn, und auch das dunkelſte Gefuͤhl einzu - ſchließen, wo derſelbige Aktus des Fuͤhlens vorhanden iſt, ohne daß wir das Gefuͤhlte unterſcheiden. Jn man - cher Hinſicht kann man beide Ausdruͤcke, Fuͤhlen und Empfinden, als Synonyme gebrauchen, beide fuͤr den Aktus des Fuͤhlens. Das ſchwaͤchſte und dunkelſte Fuͤh - len heißt auch bey vielen, ohne Ruͤckſicht auf eine Apper - ception, ein dunkles Empfinden. Es kommt nicht auf Namen an; eine gewiſſe Unbeſtimmtheit in der Bedeutung der Worte hat vielleicht gar ihr Angeneh - mes. Aber faſt jeder Pſycholog beſchweret ſich, daß man mit den Mißverſtaͤndniſſen beynahe ſo viel zu ſchaf - fen habe, als mit der Dunkelheit der Sachen ſelbſt.
Das Fuͤhlen, das Percipiren, das Gewahr - werden erfolget ſo ſchnell auf einander, daß es in Ei - nem unzertheilten Augenblick ſich in der Seele vor unſe - rer Beobachtung zuſammendraͤnget. Es mag auch viel - leicht neben einander zugleich in uns vorhanden ſeyn, wie die mehreren gleichzeitigen Toͤne, welche eine geſpannte Saite auf einmal angiebt. Aber wie es ſich auch ver - haͤlt, ſo giebt es doch Faͤlle, wo Eine oder die andere dieſer Aeußerungen vor den uͤbrigen hervorſticht, und auszeichnend erkannt werden kann. Aus ſolchen Faͤllenſieht169uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſieht man, daß es unterſchiedene Wirkungsarten ſind, worinn auch ihre Verſchiedenheit beſtehen, und wie weit hinein ſie ſich erſtrecken mag. Ein Beobachter muß dieſen Verſchiedenheiten nachgehen, um das, was auf der Außenſeite der Seele lieget, ſo viel es angeht, deut - lich und beſtimmt zu faſſen. Nachher laͤßt ſich erſt ver - gleichen. Wie die wirklichen Weſen alle, ſo lieget auch die Seele vor unſerm Verſtand. Er kann um ſie her - um gehen, auch nur an einigen Stellen; aber nicht an - ders, als mit vielen Vorkenntniſſen verſehen, es wagen, in ſie hineinzudringen.
Der Aktus des Percipirens iſt in dem vorherge - gangenen Verſuch beobachtet worden, ob es gleich nicht das erſte in der Seele iſt. Es ſchien mir etwas heller ſich zu zeigen, als das Fuͤhlen und Gewahrnehmen. Das letztere von dieſen will ich auch hier noch wiederum ausſetzen. Gewahrnehmen iſt mehr, als ein bloßes Fuͤhlen und Empfinden, obgleich alles, was gewahrge - nommen wird, auch empfunden wird oder empfunden worden iſt; aber wenn es auch mit dem Fuͤhlen und Empfinden am Ende voͤllig einerley ſeyn moͤchte, ſo will ich dieſe Frage hier doch in der gegenwaͤrtigen Betrach - tung vorbeygehen.
Die gefuͤhlten Modifikationes von uns heißen darum Gefuͤhle, Empfindungen oder auch Empfindniſſe, weil das Vermoͤgen zu Fuͤhlen und zu Empfinden, welches ich mit Einem Wort Gefuͤhl nennen will, ob - gleich dieß Wort auch oft den Aktus des Gefuͤhls anzei - get, am vorzuͤglichſten bey ihnen beſchaͤftiget iſt. Wir nennen ſie nach ihrem vornehmſten Theil alſo. Es moͤ - gen mehrere Seelenfaͤhigkeiten bey jeder einzelnen Em - pfindung wirkſam ſeyn, wie es bey den klaren Empfin - dungen außer Zweifel iſt. Das Empfinden, das Fuͤh - len iſt gleichwohl in ihnen die Hauptaͤußerung der Seele.
Was denn Fuͤhlen oder Empfinden ſey? da geſtehe ich ſogleich mein Unvermoͤgen, es erklaͤren zu koͤn - nen. Es iſt eine einfache Seelenaͤußerung, die ich nicht in noch feinere zu zerfaſern weiß. Was man hie - bey thun kann, beſtehet meiner Meinung nach darinn, daß man dieſer einfachen Faſer nachgehe und bemerke, wo und wie ſie mit einander fortlaufe, und mit dem Gan - zen verwebet ſey. Bey welchen Arten von Modifikatio - nen zeiget ſich das Gefuͤhl? Was findet man fuͤr Merk - male bey dem, was ein Gegenſtand des Gefuͤhles iſt?
Zuerſt iſt es leicht zu beobachten, daß wir nichts fuͤhlen und empfinden, als was gegenwaͤrtig iſt. Nur jezige Veraͤnderungen, gegenwaͤrtige Zuſtaͤnde von uns, koͤnnen Objekte des Gefuͤhls ſeyn. Die Vorſtellungen haben auch das Vergangene und Zukuͤnftige zum Gegen - ſtand. Die Erinnerung und das Gedaͤchtniß beziehenſich171uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſich auf das Vergangene; die Vorherſehungen, das Ver - langen, die Beſtrebungen auf das Kuͤnftige. Aber was wir fuͤhlen, iſt gegenwaͤrtig. Daraus folget alſo ſoviel, Fuͤhlen ſey ein Thun oder ein Leiden in der Seele, ſo beſtehet es, in ſo ferne es das nur allein iſt, in keinem Beſtreben, in keinem Anſatz, eine neue Veraͤnderung zu bewirken. Es gehet nicht uͤber das Gegenwaͤrtige hin - aus. Jſt es eine Art von Aktion, ſo iſt es weiter nichts, als eine ſolche, die einer Reaktion bey den Koͤrpern aͤhnlich iſt.
So haben verſchiedene Philoſophen es auch angeſe - hen. Fuͤhlen ſcheint ihnen das Ruͤckwirken eines vorſtellenden Weſens zu ſeyn. Aber man muß ſich erinnern, daß dieſer Name ein metaphoriſcher Ausdruck iſt, der eine Aehnlichkeit in ſich ſchließet, und daß man da, wo auf dieſe Jdee etwas gebauet wird, nicht uͤber die aus den Beobachtungen erwieſene Aehnlichkeit hin - ausgehen darf. Die Reaktion eines Koͤrpers beziehet ſich auf eine Veraͤnderung, die durch ſie in einem andern Koͤrper verurſachet wird, deſſen Kraft den reagirenden veraͤndert hat. Jſt es ſchon erwieſen, wie es verſchiede - ne annehmen, daß die Seele, wenn ſie fuͤhlet, immer unmittelbar auf ein aͤußeres Weſen, auf das Gehirn oder auf das innere Empfindungswerkzeug zuruͤckwirke? Jſt man berechtiget, dieß daraus zu folgern, weil man das Fuͤhlen ein Ruͤckwirken zu nennen beliebet hat?
Wir nehmen unſere Vorſtellungen, auch die von abwe - ſenden und vergangenen Dingen, gewahr; wir empfinden auch die Jdeen, wir fuͤhlen ſie, | und zuweilen ihre beſchwer - liche Gegenwartungerne. Wir erinnern uns eines genoſſe - nen Vergnuͤgens, und empfinden dieſes Andenken. Jn beiden Fuͤllen fuͤhlen wir etwas, und nehmen etwas ge - wahr. Aber auch in beiden Faͤllen hat das Fuͤhlen ein gegenwaͤrtiges Objekt. Wir fuͤhlen nemlich die gegen - waͤrtige Vorſtellung des Vergangenen, nicht aber dasvergan -172II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,vergangene Ding ſelbſt, das vorgeſtellet wird. Wir fuͤhlen die Gemuͤthsbewegung, in der die Vorſtellung des Vergangenen enthalten iſt, oder durch die ſie wie - dererwecket wird, aber nur ſo, wie ſie jetzo wiederum ge - genwaͤrtig iſt. Wir erinnern uns des ehemaligen Zu - ſtandes, aber nur den gegenwaͤrtigen fuͤhlen wir.
Ferner der Aktus des Gefuͤhls iſt verſchiede - ner Grade faͤhig. Er kann ſtaͤrker oder ſchwaͤcher ſeyn, der Jntenſion nach, der Ausdehnung und der Dauer nach. Dieß iſt Erfahrung. Es iſt alſo moͤg - lich, daß das Gefuͤhl einer Sache ſo matt, und kurz voruͤbergehend ſey; daß es ungewahrgenommen bleibet, und nicht als ein beſonders Gefuͤhl dieſer Sache bemer - ket wird, ob es gleich die Quantitaͤt des ganzen Gefuͤhls vergroͤßert, wovon es ein Theil iſt. Wo eine vielbeſaſ - ſende Modifikation das Objekt des Gefuͤhls iſt; wo das unmittelbare Gefuͤhl des Ganzen aus dem unmittelba - ren Gefuͤhl ſeiner Theile beſtehet und beſtehen muß; und wo dennoch dieſe einzelnen Gefuͤhlstheile ununterſcheid - bar ſind, da hat man die Erfahrungen, woraus das Da - ſeyn ſolcher dunklen ununterſcheidbaren Gefuͤhle geſchloſ - ſen werden kann. Jch hoͤre einen vermiſchten Ton meh - rerer Jnſtrumente im Koncert, und ſehe eine Menge von Blaͤttern auf einmal verwirrt an einem Baum in der Ferne. Die Blaͤtter, die hinter einander ſtehen, und ſich dem aͤußern Auge verſtecken, ſehe ich nicht. Aber es liegen eine Menge an der vordern Flaͤche, von denen ich Licht empfange. Wuͤrde ich nicht die einzelnen Blaͤtter fuͤhlen, die Toͤne einzelner Jnſtrumente hoͤren, woher entſtuͤnde denn das Gefuͤhl des Ganzen? Sollen jene einzelne Gefuͤhle, die fuͤr ſich beſonders nicht zu bemer - ken ſind, nicht eben ſo wohl fuͤr Gefuͤhlsaktus angeſehen werden, als das ganze, aus ihrer Verbindung beſtehendeGefuͤhl?173uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Gefuͤhl? Es ſey ſo, ſo ſind ſie doch, das mindeſte zu ſagen, die Beſtandtheile des Gefuͤhls von dem Ganzen. Koͤnnen ſie genugſam aus einander geſetzet und abgeſon - dert werden, ſo wird jedes von ihnen fuͤr ſich ſelbſt beob - achtbar. Jene Aktus ſind das, was man die dunklen Gefuͤhle nennet, deren wir uns nicht einzeln, ſondern nur in ganzen Haufen zuſammen bewußt ſind. Sollten ſie, dieſe Elemente des ganzen Gefuͤhls wohl etwas ver - ſchiedenartiges in Hinſicht des letztern ſeyn? Jedes Ein - fache kann etwas Heterogenes ſeyn, in Hinſicht des Zuſammengeſetzten. Aber iſt es glaublich, daß es hier ſo ſey? die Beobachtung kann, ſo viel ich meine, hier - uͤber nicht entſcheiden.
Etwas naͤheres und mehr charakteriſirendes bey dem Gefuͤhl zeiget ſich in den Erfahrungsſaͤtzen, die nun folgen.
Was unmittelbar gefuͤhlet wird, iſt allezeit, wo ſich dieſe Aeußerung unſerer Seele beobachten laͤſſet, etwas leidentliches, eine paſſive Modifikation der Seele; Es iſt entweder ein Eindruck von einer aͤußern Urſache auf ſie, die von ihr aufgenommen wird, eine Veraͤnderung, die ſie zunaͤchſt und unmittelbar von den innern Organen im Gehirn empfaͤnget; oder wenn es auch eine ſolche Veraͤnderung iſt, die die Seele vorhero ſelbſt in ſich be - wirkt hat; ſo iſt ſie doch, in beiden Faͤllen alsdenn, wenn ſie gefuͤhlet wird, auf eben die Art in uns vorhanden, wie eine paſſive, und wie ein von außen aufgenomme - ner Eindruck. Jch will nicht ſagen, dieſe innere Ver - aͤnderung ſey alsdenn in uns nichts anders, als eine Modifikation in dem durch die Wirkſamkeit der Seele veraͤnderten Gehirn, das auf die Seele zuruͤckwirkt, wie ſich viele neuere Pſychologen die Sache vorſtellen. Wo - her weiß man es? Dem ſey wie ihm wolle, ſo iſt das, was wir in uns fuͤhlen, als eine Paſſion in uns vorhan -den.174II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,den. Es iſt niemals die Thaͤtigkeit ſelbſt, nie das Beſtreben ſelbſt, welches wir unmittelbar fuͤhlen; es iſt eine bleibende Folge von etwas, das von unſerer ſelbſtthaͤtigen Kraft nun nicht hervorgebracht wird, ſondern ſchon hervorge - bracht worden iſt, wenn es ein Objekt des Ge - fuͤhls iſt; eben ſo, wie der Koͤrper zuruͤckwirket, nicht ge - gen ſeine eigene Thaͤtigkeit, nicht auf das, was er wirket, ſondern gegen das, was er leidet. Dieß allgemeine Geſetz beſtaͤtiget ſich in allen Beobachtungen, die wir mit klaren Bewußtſeyn haben koͤnnen. Aber ehe man dieſe damit vergleichet, bereite man ſich dazu mit eini - gen Bemerkungen, die ich hinzufuͤgen will.
Es iſt ein Unterſchied zwiſchen Thun und Leiden in der Seele, zwiſchen Veraͤnderungen, wovon die Kraft der Seele die thaͤtige Urſache iſt, und die durch ihre Wirkſamkeit hervorgebracht worden; und zwiſchen ſol - chen, die von fremden Urſachen außer uns entſtehen, oder die, wenn ſie auch aus innern Urſachen in uns entſtehen, dennoch aus einem vorhergehenden Zuſtande, von ſelbſt entſpringen, eben ſo wie die erſtern, welche von außen kommen, ohne daß weiter einige innere Kraftanwendung der Seele ſich dabey wirkſam beweiſe. Der gemeine Verſtand hat dieſe Verſchiedenheit bemerket. Sie muß ihm recht lebhaft aufgefallen ſeyn, weil er ſie in allen Sprachen bezeichnet hat. Die Abtheilung iſt dunkel und noch in mancher Hinſicht unbeſtimmt; aber ſie ſey es, und noch mehr, ſie mag ſo gar als ein leerer Schein bey einer genauern Entwickelung der Beſchaffenheiten, die wir Aktionen und Paſſionen nennen, verſchwinden; ſo kann doch nicht beſtritten werden, daß die Beobach - tung nicht auf einen ſolchen Unterſchied hinfuͤhre. Und wenn auch das ſchaͤrfere Auge des Beobachters manchesfuͤr175uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. fuͤr eine Aktion erkennet, was in der Sprache als eine Paſſion ausgedruckt iſt, und umgekehrt, ſo wird jenes doch in den meiſten Faͤllen daruͤber mit dem gemeinen Verſtande uͤberein kommen. Beide ſagen, wir leiden etwas, wenn ein ſinnlicher Eindruck auf unſere Ohren durch einen unvermutheten Kanonenſchuß und auf unſer Geſicht durch ein unerwartetes Licht hervorgebracht wird. Beide ſagen, wir ſind wirkſam, wir thun und verrich - ten etwas, wenn wir denken, wenn wir wollen, und wenn wir die Arme ausſtrecken. Wenn man ſich alſo das Aktive und Paſſive auch nur nach der Aehnlichkeit mit dieſen Beyſpielen vorſtellet, ſo reichet doch ſo ein un - deutlicher Begrif hin, es beſtimmt genug zu faſſen, was die Behauptung ſagen wolle, daß nur allein das Paſſi - ve ein unmittelbarer Gegenſtand des Gefuͤhls ſey.
Jn den Beobachtungen unſers Jnnern iſt dieſer Charakter des Gefuͤhls nicht allemal auffallend. Die meiſten von unſern Veraͤnderungen, ſobald man ſie von einiger Laͤnge und Breite nimmt, ſo wie man ſie die meiſtenmale nehmen muß, wenn ſie gewahrgenommen werden ſollen, ſind aus einem Thun und aus einem Lei - den zuſammengeſetzt. Faſt alle unſere Veraͤnderungen zeigen dieſe zwiefache Seite, wenn man ſie ſcharf anſie - het. Wo iſt der unterſcheidbare Augenblick, in dem die Seele ſich durchaus unthaͤtig verhielte? und wo iſt der, den ſie mit einer ununterbrochenen Selbſtwirkſam - keit ganz ausfuͤllet? Wirken wir gar nichts, wenn wir ſo muͤſſig und geſchaͤftlos, als moͤglich, den Mann mit dem glaͤnzenden Kleide anſehen, der uns in die Augen faͤllt? Den ſinnlichſten Eindruck aufnehmen, iſt bey uns mit etwas Wirkſamkeit verbunden, die aber oft den Namen nicht verdienet. Wir faſſen, ergreifen, und muͤſſen dieß mit einiger Jntenſion thun, wenn wir ge - wahr werden wollen, wie der Schullehrer richtig voraus - ſetzet, wenn er ſeine Schuͤler erinnert, die Ohren aufzu -thun.176II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,thun. Anſehen, Aufmerken iſt thaͤtig ſeyn; und ohne einen Grad von Aufmerkſamkeit nimmt man nichts ge - wahr. Hingegen, wenn wir thaͤtig ſind, es ſey mit dem Koͤrper oder mit dem Geiſte, in dem hoͤchſten Grad der Emſigkeit und der Anſtrengung, ſo geſchieht kein Fort - ſchritt mit der thaͤtigen Kraft, der nicht etwas als ſeine Wirkung in dem Gehoͤre oder in der Seele ſelbſt hervor - bringe. Und dieſe Wirkung iſt alsdenn ohne Anſtren - gung der Selbſtthaͤtigkeit auf dieſelbige Art, wie ein ſinn - licher Eindruck von außen, in uns vorhanden. Paſſive Veraͤnderungen ſind mit den Selbſtthaͤtigkeiten, Thun iſt mit Leiden ſo innig verbunden, ſo genau vermiſcht, und ſo dichte an einander und durch einander durchflochten, daß es in unzaͤhlich vielen Faͤllen ſchwer wird, zu bemer - ken, ob es dieß oder jenes ſey, was in dem Augenblick, wenn die Seele fuͤhlet, ihr vorlieget, und auf welches ſie das Gefuͤhl unmittelbar anwende. Wenn eine Art von Modifikationen von dem gemeinen Verſtande fuͤr eine Paſſion oder fuͤr eine Thaͤtigkeit erklaͤret und in der Spra - che ſo bezeichnet wird, ſo iſt dabey auf den groͤßern oder hervorſtechenden Theil Ruͤckſicht genommen, und davon nach der gewoͤhnlichen Synekdoche das Ganze benennet worden.
Noch ferner iſt zu bemerken. Wenn das Gefuͤhl nur paſſive Modifikationes zum Objekt haben ſoll, ſo muß die Seele in dem Moment des Fuͤhlens etwas lei - den. Die Selbſtwirkſamkeit und das Gefuͤhl derſelben verdraͤngen ſich dahero gewiſſermaaßen. Aber deswe - gen kann doch uͤberhaupt Thaͤtigkeit und Gefuͤhl zugleich in der Seele vorhanden ſeyn. Nur dieſelbige Thaͤtigkeit muß in dem Augenblick, in dem ſie gefuͤhlet werden ſoll, unterbrochen ſeyn. Sinnliche Eindruͤcke koͤnnen durch die aͤußern Sinne aufgenommen und dann gefuͤhlet wer - den, ohne daß eine andere Reihe von Gedanken, an der wir arbeiten, durch jene zwiſchen einfallende Empfin -dungen177uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. dungen geſtoͤret werde. Die Seele iſt beſtaͤndig an mehr als Einer Seite und mit mehr als Einem ihrer Vermoͤ - gen geſchaͤftig, und die Erfahrung widerſtreitet dem nicht. Sie kann ſogar mit allen ihren unterſchiedenen Vermoͤ - gen zu Einer Zeit arbeiten. Nur darinnen beſtehet ihre natuͤrliche Einſchraͤnkung. Sie kann dieſe mancherley - artigen Aeußerungen nicht alle in gleichem Grade aus - laſſen. Eine Beſchaͤftigung hindert die andere und ſchraͤn - ket ſie ein. Es kann nur Eine in Einem Zeitpunkt vor - zuͤglich vorgenommen und betrieben werden; und nur ei - nige wenige koͤnnen zugleich mit einer ſolchen Jntenſion verrichtet werden, als die Abſicht, in der man ſie vor - nimmt, es erfodert. Es war eine nicht gemeine Auf - merkſamkeit, da Caͤſar drey Briefe auf einmal zugleich diktiren konnte. Aber was neulich in den oͤffentlichen Zeitungen von einem Englaͤnder berichtet worden iſt, der zugleich das Schach ſpielen, und die Points eines an - dern Tarocſpiels zaͤhlen, und denn noch die Reden meh - rerer Perſonen in der Geſellſchaft bemerken koͤnnen, iſt voͤllig außerordentlich, wenn es wirklich ſo iſt, wie man es erzaͤhlet hat. Der Handwerker ſinget bey ſeiner Ar - beit, und verrichtet ſie dennoch zweckmaͤßig; man ſpatzie - ret und unterredet ſich mit einem andern, oder uͤberlaͤſſet ſich wol gar einer Spekulation. Aber ſobald auch dem Handarbeiter etwas in ſeinem Geſchaͤfte aufſtoͤßet, was mehr als die gewoͤhnlichſte Aufmerkſamkeit erfodert, und ſobald der Spatziergaͤnger auf einen ſchluͤpfrigen Weg oder zu einem ſchmalen Steig uͤber einer Grube hinkommt, ſo muß die Kraft der Seele von den fremden Gedanken abgelenket und auf die gegenwaͤrtigen Eindruͤcke mehr hingezogen werden; oder es geſchehen Mißgriffe, und der philoſophirende Spatziergaͤnger erfaͤhrt das Schick - ſal des Thales. So iſt es. Soll ſeine Beſchaͤftigung in der Maße betrieben werden, als es ſeyn muß, um beſonders beobachtet, mit klarem Bewußtſeyn erkannt,I. Band. Mund178II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,und von andern voͤllig unterſchieden zu werden, ſo hat unſre Seele nur Kraft fuͤr Eine in Einem Augenblick. Jn einem aͤhnlichen Verſtande iſt es auch nur wahr, daß ſie nicht Raum habe fuͤr zweene Gedanken auf einmal, nemlich fuͤr mehrere voͤllig klare Gedanken auf einmal. Aber es iſt der Erfahrung entgegen, was hieraus von einigen geſchloſſen worden iſt, daß es unmoͤglich ſey, mehr als Eine Vorſtellung zugleich in ſich gegenwaͤrtig zu erhalten; und daß da, wo es das Anſehen hat, als wenn mehrere zugleich vorhanden ſind, der ungemein ſchnelle Uebergang von Einer zur andern, dieſen An - ſchein hervorbringe. Jch ſehe keinen Grund, warum man es laͤugnen ſollte, daß die Seele in einem Moment ſelbſtthaͤtig an Einer Seite wirken, und zugleich an der andern Seite eine paſſive Veraͤnderung fuͤhlen und em - pfinden koͤnne?
Dieß alles iſt der obigen Bemerkung nicht entgegen. Wenn eine Thaͤtigkeit gefuͤhlet wird, ſo iſt in dieſem Moment eine paſſive Veraͤnderung da, die man fuͤhlet. Jhr wirkſamer Aktus ſelbſt iſt unterbrochen.
Die Sache ſo erklaͤrt laͤſſet ſich, wie mich deucht, in einer Menge von Beobachtungen deutlich gewahrneh - men. Jndem wir denken, empfinden wir es nicht, we - nigſtens koͤnnen wir es nicht beobachten, daß wir denken. Jn dieſem Augenblick, da ich die Jntenſion der Seele dahin gerichtet habe, um der Natur des Gefuͤhls nach - zuſpuͤren, fehlet es mir an der Zeit, nach der Art mei - nes Verfahrens, nach dem Gegeneinanderſtellen und Vergleichen der Jdeen, nach Urtheilen, die ich zu dem Ende vornehmen muß, mich umzuſehen. Jch fuͤhle dieß alles nur in den Zwiſchenzeitpunkten, wenn die Arbeiten ſelbſt unterbrochen werden; und ich muß, um Eine zu fuͤhlen, einen Stillſtand mit ihr machen, und auf dasjenige, wasim179uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. im Kopf gedacht oder auf dem Papier hingeſchrieben iſt, zuruͤckſehen, wenn ich ſie beobachten will.
Bey dem Gefuͤhl von unſern Vorſtellungen finden wir daſſelbige. Die Vorſtellungen von abweſenden Dingen werden durch die Thaͤtigkeit der Phantaſie in uns gegenwaͤrtig erhalten. Will man ſie als gegenwaͤr - tige Modifikationes fuͤhlen und empfinden, ſo entweichen ſie in dem Augenblick, da man ſich nach ihnen umſiehet. Man wird ſie, ſo zu ſagen, nur von hinten gewahr im Weggehen; und was man fuͤhlet, das ſind Eindruͤcke, die ſie in der Seele, oder in den Organen, oder wo ſon - ſten hinterlaſſen haben, und die jetzo noch einen Augen - blick als paſſive Veraͤnderungen zuruͤckbleiben, und dann zwiſchendurch von unſerm ſelbſtthaͤtigen Beſtreben wie - derum erneuret werden. So verhaͤlt es ſich durchgehends mit dem Gefuͤhl unſerer Vorſtellungen und Gedanken. Je mehr dieſe ein ſelbſtthaͤtiges Wirken erfodern, deſto leichter vergeſſen wir uns ſelbſt bey ihnen. So oft wir ſolche als unſere eigene Veraͤnderungen fuͤhlen und em - pfinden wollen, ſo muͤſſen die Aktus der Vorſtellungs - kraft und der Reflexion nachlaſſen, und dann iſt es eine in uns zuruͤckgebliebene Folge von ihnen, die ohne weiteres Beywirken der Seele in dem Augenblick, wenn man empfindet, dem Gefuͤhl vorlieget.
Es gibt Vorſtellungen genug, die ſich uns wider un - ſern Willen aufdraͤngen, traurige und hypochondriſche ſowohl als freudige Phantaſien. Wer es gewohnt iſt, ſich ſelbſt zu beobachten, wird es bald ſehen, daß es ei - nen großen Unterſchied gebe zwiſchen Wallungen in der Phantaſie, die ohne ein willkuͤhrliches Zuthun der Seele da ſind, und zwiſchen Bildern, zu deren Wiedererwe - ckung und Erhaltung wir uns ſelbſtthaͤtig beſtimmen, und beſtimmen muͤſſen. Es iſt ein anders, wenn ich mich auf eine Sache oder auf einen Namen mit Fleiß beſinnen will; ein anders, wenn mir ſo etwas von ohn -M 2gefaͤhr180II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,gefaͤhr aufſtoͤßet und wider Willen in mir bleibet. Und es iſt nicht ſchwer, in ſolchen Faͤllen zu bemerken, daß, je weniger wir dabey thun, und je mehr wir uns paſſive verhalten, deſto leichter und deſto lebhafter laſſe ſich die Vorſtellung in uns als eine gegenwaͤrtige fuͤhlen und ge - wahrnehmen. Solche Bilder, die unwillkuͤhrlich und ohne Anſtrengung vorhanden ſind, fuͤllen den groͤßten Theil unſerer Phantaſie aus, und ſind unſere gewoͤhnli - che Unterhaltungen, und außerordentlich wichtig fuͤr uns.
Das naͤmliche wird bey den uͤbrigen wirkſamen Kraftaͤußerungen wahrgenommen. Jn dem Augenblick, in welchem wir den Koͤrper zu bewegen uns beſtreben, fuͤhlen wir dieſe intenſive Anſtrengung unſerer Kraft nicht. Jn allen ſtarken Affekten und in Gemuͤthsbewe - gungen, die mit maͤchtigen Tendenzen etwas hervorzu - bringen verbunden ſind, zeiget es ſich, daß unſer Selbſt - gefuͤhl nur alsdenn ſie gewahrnehmen kann, wenn ſie ſchon gebrochen und geſchwaͤchet ſind; oder auch nur in den Zwiſchenmomenten, wenn die thaͤtige Kraft ruhet, und der Seele Gelegenheit giebt, ſich zu begreifen, ihre Kraft aufzuhalten, und anders wohin zu lenken. Jed - weder Affekt hinterlaͤßt ſeine Nachwallung, oder ſeine Veraͤnderung, man ſetze ſie, wohin man wolle, in die innern Organe des Gehirns, oder in die Subſtanz der Seele, oder in beide zugleich. Dieſe Nachwallungen ſind etwas paſſives, das ohne eine ſelbſtthaͤtige Anſtren - gung der Seelenkraft in uns beſtehet. Und ſie ſind es nur, was wir fuͤhlen und empfinden. Wenn der Affekt in der Seele ſelbſt ſchon ausgeſtuͤrmet hat, ſo kommen doch die vorigen Vorſtellungen von neuem zuruͤck, reizen von neuem, und nicht ſelten bringen ſie das Gemuͤth noch einmal auf. Der Magen kochet noch, wenn die Seele ſchon in Ruhe iſt, und fuͤhret Vorſtellungen und Re - gungen wieder herbey, auf eine Art, die es leicht be -greiflich181uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. greiflich machet, wie jene Perſon es ſich einbilden koͤn - nen, ſie habe es gefuͤhlet, daß die boͤſen Gedanken aus ihrem Magen aufgeſtiegen waͤren. Es kommt das al - les, was wir fuͤhlen, entweder aus dem Koͤrper durch die Organe, oder, wenn es in der Subſtanz der Seele ſelbſt iſt, ſo ſehen wir es da nicht anders, als nur dann, wenn es ſo vorhanden iſt, wie andere Veraͤnderungen, bey denen wir uns leidentlich verhalten.
Jch geſtehe es, dieß iſt keine vollſtaͤndige Jn - duktion fuͤr den allgemeinen Satz, daß unſer Gefuͤhl ſchlechthin nur mit Paßionen unmittelbar ſich beſchaͤftige. Aber wo es doch in vielen einzelnen Faͤllen offenbar ſich ſo verhaͤlt; wo es keine Faͤlle giebt, die eben ſo deutlich das Gegentheil lehren, und wo in den uͤbrigen, welche wegen der innigen Vermiſchung des Thuns und des Lei - dens nicht mit einer ſolchen Klarheit beobachtet werden koͤnnen, doch nichts angetroffen wird, das ihm entge - gen iſt; wo dieſe Umſtaͤnde beyſammen ſind, wie ſie es hier ſind, da finde ich kein Bedenken, der Analogie zu folgen, und als allgemein anzunehmen, was die Beob - achtung in einigen Faͤllen ſo deutlich gelehret hat.
Die verſchiedenen Arten von Seelenveraͤnderungen, und auch die paſſiven, die uns fuͤhlbar werden, haben unter ſich gewiſſe Verhaͤltniſſe und Beziehungen auf einander; ſie ſind einander aͤhnlich oder unaͤhnlich; ſie ſind mehr oder weniger in ſich befaſſend, ſtaͤrker oder ſchwaͤcher und modificiren alſo unſre Kraft im Verhaͤlt - niß mit dieſer ihren Beſchaffenheiten; ſie ſind unter ſich in einer gewiſſen Ordnung und Zeitfolge, und veranlaſ - ſen und verurſachen einander.
Außer dieſen Verhaͤltniſſen unter ſich, haben ſie auch gewiſſe Beziehungen auf den dermaligen Zuſtand der Seele, zu dem ſie hinzukommen, auf die Vermoͤgen, Faͤhigkeiten und Kraͤfte und dieſer ihre derzeitige Thaͤ - tigkeit. Sie werden daher mit mehrerer oder mit min - derer Jntenſion aufgenommen, ſie beſchaͤftigen die Kraͤfte und Vermoͤgen mehr oder minder, auf eine ihrer der - maligen Verfaſſung angemeſſene Art, und reizen auch mehr oder minder die ſelbſtthaͤtigen Kraͤfte der Seele zu neuen Aktionen, und zu neuen Anwendungen auf andere Gegenſtaͤnde u. ſ. f.
Und dieſe verſchiedene Beziehungen der Gegen - ſtaͤnde des Gefuͤhls auf unſern geſammten gegen -waͤrtigen183uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. waͤrtigen Zuſtand haben ihre Folgen in dem Aktus des Fuͤhlens ſelbſt. Sie veranlaſſen gewiſſe Abaͤnde - rungen und Beſchaffenheiten in dem Gefuͤhl, die wir oft als beſondere Empfindungen und Gefuͤhle, und als Wir - kungen von den Eindruͤcken der Objekte anſehen, und den letztern daher gewiſſe ſich darauf beziehende Beſchaf - fenheiten beylegen. Es iſt auch hierbey nicht einmal noͤthig, die unmittelbaren und eigentlichen Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls von denen abzuſondern, die nur mittelbar empfunden werden. Denn auch die letztern haben ihre Folgen, welche wir fuͤhlen, und ihnen zuſchreiben. Wenn wir unſere leichten und muntern Befchaͤftigun - gen fuͤhlen, ſo haben wir ein angenehmes Gefuͤhl. Dieß Gefuͤhl, in ſo ferne es angenehm iſt, und in dem Gefuͤhl der Leichtigkeit beſtehet, mit der wir unſere Kraft anwenden, wird von uns mit der Empfindung von der Beſchaͤftigung ſelbſt zuſammengezogen, und entweder als eine Modifikation dieſes letztern Gefuͤhls, oder als eine eigene Folge davon angeſehen. Es iſt noͤthig, dieſe Verſchiedenheiten ein wenig genauer zu bemerken, wenn man dahinter kommen will, was und wie viel in ſolchen Faͤllen eigentlich Gefuͤhl und Empfindung iſt, und was es nicht iſt.
Wir empfinden — es ſcheint wenigſtens im An - fang ſo — die Verhaͤltniſſe und Beziehungen der Gegenſtaͤnde unter ſich in ihrer ideellen Gegen - wart in der Seele. Zwey Billiardkugeln liegen vor uns. Wir fuͤhlen ſie beide, wir ſehen ſie beide, und ſehen und fuͤhlen, daß ſie an Farbe, an Groͤße und Ge - wicht einander gleich ſind. Wir empfinden eine Folge in unſeren Vorſtellungen und Empfindungen; wir em - empfinden, daß einige vor andern vorhergehen, und daß andere nachfolgen. Wir ſehen und fuͤhlen, daß einM 4Ding184II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Ding in der Naͤhe, oder unmittelbar vor uns liege; ein anderes entfernter ſey; wir empfinden die Lage der Theile in einem Gebaͤude, das Uebereinſtimmende und Regel - maͤßige, was wir Ordnung und Symmetrie nen - nen. Solche Empfindungen von Gegenſtaͤnden, in denen wir nichts mehr bemerken, als nur allein das Ge - fuͤhl ihrer ſelbſt und ihrer Verhaͤltniſſe, ſind ſchon unter der Benennung der gleichguͤltigen Empfindungen oder der bloß lehrenden Empfindungen, welche in ſoweit einen Theil unſerer Erkenntniſſe und Gedanken ausma - chen, von den uͤbrigen abgeſondert.
Dieß Gewahrnehmen der Verhaͤltniſſe in den gegen - waͤrtigen Dingen ſehen wir als eine aͤußerliche Empfin - dung, oder als eine Folge von ihr an, wenn es aͤußere Gegenſtaͤnde ſind, die ſolche Verhaͤltniſſe an ſich haben. Dagegen gehoͤren die Verhaͤltnißgefuͤhle in den innern Modifikationen der Seele zu der Klaſſe der innern Empfindungen.
Man unterſcheidet ferner eine Art von Empfindun - gen oder von Abaͤnderungen, die das Gefuͤhl nach den verſchiedenen Beziehungen der gefuͤhlten Objekte auf die gegenwaͤrtige Beſchaffenheit der Seele, und ihrer Vermoͤgen und Kraͤfte annimmt. Eini - ge von den Gegenſtaͤnden und ihren Vorſtellungen bezie - hen ſich auf die vorſtellende und denkende Kraͤfte; ande - re auf die Kraͤfte des Willens. Wirkungen, die von denſelbigen ſinnlichen Eindruͤcken, von einerley Vorſtel - lungen und Gedanken in uns entſtehen, ſind doch ver - ſchieden, wenn die gegenwaͤrtige Seelenverfaſſung ver - ſchieden iſt, die ſie in ſich aufnimmt. Einem Geſaͤttig - ten ekelt vor dem weitern Genuß einer Speiſe, die dem Hungrigen eine Wolluſt erwecket. Der Anblick eines Menſchen iſt dem Freunde angenehm, dem Feinde wi -drig;185uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. drig; der Muſik, die uns jetzo ergoͤtzet, ſind wir nach einigen Stunden uͤberdruͤßig. Der Anblick des Kranken und die Jdee von der Krankheit ruͤhret bey dem Arzte weiter nichts als die Phantaſie und den Verſtand; bey andern Empfindſamen das ganze Gemuͤth, und bey dem Empfindlichen alle Triebe des Herzens. Daher ha - ben wir die qualificirten Empfindungen, die mehr ſind, als die bloßen Empfindungen der Dinge ſelbſt, die nemlich eine gewiſſe Beſchaffenheit an ſich haben, und ein Ge - fuͤhl der Beziehung oder des Verhaͤltniſſes auf den der - maligen Seelenzuſtand in ſich enthalten. Sie moͤgen uͤberhaupt afficirende Empfindungen heißen. Sie thun uns, ſo zu ſagen, etwas an, wenn dieß faſt ver - altete Wort, anthun, gebraucht werden darf. Ruͤh - rende werden ſie von einigen genennet. Jch kenne kein deutſches Wort, das im Allgemeinen die Beſchaffenheit der Empfindniſſe ausdruͤcket. Die Empfindſamkeit bezeichnet bald die objektiviſche Beſchaffenheit der Din - ge, die uns angenehm oder unangenehm ſind; bald die Dispoſition der Seele, ſolche Empfindniſſe leicht anzu - nehmen. *)Das Wort Gemuthlich wuͤrde hier vielleicht nicht un - anpaſſend ſeyn. Es kommt in den Schriften der Herrnhuter vor, aus denen es in der Klopſtockiſchen Gelehrtenrepublik angefuͤhret iſt. Ob es das Buͤrger - recht in der pſychologiſchen Sprache erhalten ſoll, oder nicht, mag darauf ankommen, wie es ſich bey den deut - ſchen Philoſophen empfehlen kann.
Das Gefuͤhl des Wahren, des Schoͤnen und des Guten, und der dieſen entgegengeſetzten Beſchaf - fenheiten der Dinge, mit den beſondern Arten der Ge - fuͤhle, die hierunter begriffen ſind, gehoͤren ohne Zweifel zu den Gefuͤhlen, die von den Verhaͤltniſſen und Bezie -M 5hungen186II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,hungen unſerer Vorſtellungen und Veraͤnderungen unter einander, und auf den innern Zuſtand unſerer Seele, abhangen, und alſo innere Verhaͤltnißgefuͤhle ſind. Ob dieſe angefuͤhrten Arten die ganze Gattung erſchoͤ - pfen, oder ob es noch andere Verhaͤltniſſe in unſern in - nern Modificationen gebe, die in dem Wahren, dem Schoͤnen und Guten nicht befaſſet ſind, das laͤßt ſich erſt alsdenn beurtheilen, wenn man ſo weit mit den Beob - achtungen der mancherley innern Empfindungen gekom - men iſt, daß eine vollſtaͤndige Klaſſifikation von ihnen angeſtellet werden kann. Bishieher ſcheinet es daran noch zu ſehlen. Ohne mich aber darauf weitlaͤuftig ein - zulaſſen, will ich nur einige allgemeine Bemerkungen an - fuͤgen, die ſich auf eine ſolche Abtheilung beziehen, und die zur weitern Aufklaͤrung dieſer Seite unſerer Seele nicht undienlich ſeyn werden.
Es giebt Modifikationes, ſie moͤgen entweder zu den eigentlichen Empfindungen der Gegenſtaͤnde, oder zu den Vorſtellungen, oder zu den Willensthaͤtigkeiten gehoͤren, die mit Vergnuͤgen oder Verdruß, mit Zufriedenheit oder Unzufriedenheit, uͤberhaupt mit Gemuͤthszuſtaͤnden begleitet ſind. Wir fuͤhlen die Veraͤnderungen ſelbſt, in ſo ferne ſie in uns gegenwaͤrtig vorhanden ſind, und die Seele ſich mit ihnen beſchaͤftiget; in ſo weit ſind es Empfindungen. Aber wir empfinden ſie auch auf eine eigene und unterſchiedene Art, nach ihren verſchie - denen Wirkungen auf uns. Die letztere Empfindung iſt die Empfindung des Angenehmen oder Unange - nehmen, oder eigentlich, ſie machet das Angenehme oder Unangenehme bey der Empfindung aus. Jn ſo ferne ſind ſie Empfindniſſe. Es iſt Empfindſam - keit in der Seele, in ſo weit dieſe aufgelegt iſt, ihre Ver - aͤnderungen als angenehme oder unangenehme zu em - pfinden, und Gefallen und Misfallen an ihnen zu haben. Empfindſam ſind die Gegenſtaͤnde fuͤr uns, in ſoferneſie187uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſie oder eigentlich ihre Eindruͤcke in uns, oder die Vor - ſtellungen von ihnen Beziehungen auf die jetzige Seelen - beſchaffenheit haben, und den Vermoͤgen und Kraͤften, die ſich mit ihnen beſchaͤftigen, gemaͤß oder nicht gemaͤß ſind.
Wir fuͤhlen, daß eine Sache gut iſt. Dieß iſt et - was anders, als wenn wir fuͤhlen, daß ſie angenehm ſey. Einen Gegenſtand als gut oder als boͤſe zu em - pfinden, iſt ſo viel, als fuͤhlen und empfinden, daß er eine Urſache von einer Vollkommenheit oder von ſo et - was ſey, das uns Vergnuͤgen oder Verdruß machet. Ei - ne Modifikation der Seele kann ihre Kraft ſtaͤrken, ih - ren innern Realitaͤten einen Zuwachs geben, ſie erhoͤhen und vervollkommern. Solch eine Wirkung, ſolch ein Zuſatz kann empfunden werden, und wenn er empfun - den wird, ſo iſt das Gefuͤhl deſſelben ein Gefuͤhl des Guten.
Das Gefuͤhl der Wahrheit findet nur bey den Vorſtellungen und Gedanken ſtatt. Jede gegenwaͤrti - ge Vorſtellung und jeder Gedanke hat eine gewiſſe Be - ziehung auf unſere uͤbrige Gedanken und Vorſtellungen, auf unſer geſamtes vorhandenes Gedankenſyſtem, und auf die dadurch modificirte Vorſtellungskraft und Denk - kraft. Die eine Vorſtellung vereiniget ſich leichter mit den uͤbrigen, die ſchon vorhanden ſind; eine andere da - gegen iſt unvereinbar mit ihnen, und widerſtehet der Vereinigung, wenn die Kraft ein Beſtreben aͤußert, ſie zu befaſſen. Daher entſtehet denn in dem einen Fall Zuſtimmung des Verſtandes, in dem andern Fall Zu - ruͤckhaltung und Abſtimmung. Es gehet alſo eine ge - wiſſe Veraͤnderung in der Erkenntnißkraft vor, die in der Beziehung der Jdeen auf den gegenwaͤrtigen Zu - ſtand des Verſtandes und ſeiner dermaligen Vorſtellun - gen und Jdeen ihren Grund hat. Die innerliche Em -pfindung188II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,pfindung davon iſt das Gefuͤhl der Wahrheit, und der Falſchheit.
Dieſe erwaͤhnten Eigenſchaften der afficirenden Em - pfindungen; das Angenehme, das Gute, das Wah - re kommen ihnen zu, in ſo ferne die Seele mit ihnen oder ihren Eindruͤcken und Vorſtellungen dermalen ſich beſchaͤftiget, in ſo ferne ihre Vermoͤgen bey ihnen zur Anwendung gebracht werden, und die regen Triebe und Thaͤtigkeiten eine Nahrung erhalten, die ihrer Natur ge - maͤß iſt, und ſie befriediget. Aber es iſt außerdieß noch eine andere Wirkung vorhanden, die in Betracht zu zie - hen iſt.
Einige Gefuͤhle fuͤllen zwar das Herz, ſie unterhal - ten und befriedigen es fuͤr die Gegenwart; ſie reizen die Kraͤfte, ſetzen ſie in Thaͤtigkeit, aber nur auf ſich ſelbſt, und bieten ſich zugleich als Gegenſtaͤnde dar, an welche dieſe erregte Wirkſamkeiten ſich auslaſſen koͤnnen.
Andere dagegen ſpannen die Seele noch mehr, und erregen Beſtrebungen und Triebe zu Handlungen, die weiter fort auf noch andere Objekte als auf jene unmit - telbare Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls hingerichtet ſind. Wer ſich an den Farben der Tulpe beluſtiget, ſuchet nichts mehr als dieſe Empfindung ohne ein weiteres Jntereſſe. Er befindet ſich in einem Zuſtande, der zwar der Na - tur der Seele gemaͤß ein fortfließender Zuſtand iſt, aber doch iſt die Kraft hier auf nichts weiter gerichtet, als auf den Genuß, auf nichts weiter, als auf das, was ſie fuͤhlet. Aber ſobald der Trieb aufſteiget, die Blume, die Urſache ihrer jetzigen Luſt, zu beſitzen, um das Ver - gnuͤgen aus ihrem Anſchauen nach Willkuͤhr oͤfters und laͤnger genießen zu koͤnnen, ſo fuͤhlen wir rege Beſtre - bungen, die auf andere Handlungen und Anwendungen unſerer Vermoͤgen hinausgehen, als die ſind, die in je - nem Anſchauen beſchaͤftiget waren. Es entſtehet ein neues Jntereſſe, welches den ſchoͤnen und angenehmenGegen -189uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Gegenſtaͤnden, in ſo ferne ſie blos Empfindniſſe ſind, nicht zukommt. Die Seele wird erreget, gereizet, ge - trieben zu neuen Thaͤtigkeiten.
Dieß letztere iſt eine beſondere Wirkung, eine Rei - zung des Begehrungs - oder Verabſcheuungsvermoͤgen, die von dem Gefuͤhl der Luſt oder Unluſt unterſchieden iſt. Sie hat in dem Angenehmen und Unangenehmen ihre Urſache; doch nicht allein. Sie erfodert noch mehrere hinzukommende Umſtaͤnde. Eine Empfindung kann in einem hohen Grade angenehm ſeyn, ohne Begierden zu andern Dingen zu erregen. Das vollkommenſte Gefal - len ſchließet ſo gar die neuen Begierden aus. So lange dieß ohne Abnahme und ohne Gefuͤhl von Mangel und Beduͤrfniß dauren kann, ſaͤttiget es die Seele, und haͤlt die Beſtrebungen, ſich zu veraͤndern, vielmehr zu - ruͤck. Da iſt nur eine Tendenz, ſich in einem ſolchen Zu - ſtand zu erhalten. Es entſtehen dadurch keine neue Angelegenheiten.
Wo nun dagegen ſolche neue Beſtrebungen erreget werden, da zeiget ſichs, daß die gegenwaͤrtige Empfin - dung einen Einfluß auf unſere thaͤtige Kraft habe, und auch dieſe modificire. Dieſen Einfluß auf unſere Kraͤfte zu neuen Beſtrebungen fuͤhlen wir, wie jede andere Modi - fikation, und in ſo ferne haben dieſe Gefuͤhle etwas inter - eſſantes an ſich, das von dem Gefallenden uͤberhaupt noch unterſchieden iſt. Sie machen uns neue Angele - genheiten, reizen die Thaͤtigkeitskraͤfte, und ſetzen uns in neue Bewegungen, deßwegen ihnen auch eine das Herz bewegende Kraft zugeſchrieben wird. Die Empfind - lichkeit iſt, wenn das Wort in ſeinem gewoͤhnlichen Sinn genommen wird, eine Dispoſition unſerer Thaͤtigkeits - kraft, ſich leicht und auch durch ſchwaͤchere Empfindniſſe zu einer wirklichen Thaͤtigkeit, insbeſondre aber zum Un - willen und Zorn, bewegen zu laſſen.
Jch190II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Jch habe es vorher geſagt, daß eine vollſtaͤndige Abtheilung der Empfindungen jetzo noch zu fruͤh unter - nommen werde. Es iſt zweifelhaſt, ob ſolche jemals zu erwarten ſey? Das Vorhergehende fuͤhret uns indeß auf folgende Verſchiedenheiten.
Wir fuͤhlen und empfinden 1) die abſoluten Ge - genſtaͤnde und Veraͤnderungen der Dinge an ſich, und dieſe ſind entweder in uns, oder außer uns. Da ha - ben wir aͤußere Empfindungen und innere Em - pfindungen. Zu den letzten gehoͤret das Selbſtge - fuͤhl, das Gefuͤhl jedweder Art von innern Zuſtaͤnden und Veraͤnderungen fuͤr ſich betrachtet, ſo wie ſie fuͤr ſich in uns vorhanden ſind. 2) Wir fuͤhlen die Verhaͤlt - niſſe und Beziehungen bey den Gegenſtaͤnden, in de - nen ſie unter ſich ſtehen, ihre Objektwiſche Verhaͤlt - niſſe. Dieß ſind aͤußere Empfindungen, wenn die Objekte aͤußere Objekte ſind; es ſind innere, wenn die Objekte, zu denen ſie gehoͤren, in uns ſelbſt ſind. Da haben wir aͤußere und innere Empfindungen von objektiviſchen Verhaͤltniſſen und Beziehungen der Dinge. Das Gefuͤhl der Einerleyheit und der Ver - ſchiedenheit, das Gefuͤhl der Folge, der Lage und Ver - bindung, das Gefuͤhl der Abhaͤngigkeit u. ſ. f. gehoͤren hieher. Aber 3) wir fuͤhlen auch die ſubjektiviſchen Verhaͤltniſſe und Beziehungen der Gegenſtaͤnde und der Veraͤnderungen auf unſern jetzigen Zuſtand, oder eigent - lich, wir empfinden die Dinge mit ihren Wirkungen und Eindruͤcken in uns, die ſie in Gemaͤßheit ihrer Be - ziehungen auf uns hervorbringen. Wir haben Em - pfindniſſe, und in Hinſicht auf dieſe Empfindſam - keit. Dieſe Empfindungen ſind allemal innere Em - pfindungen. Dahin gehoͤret das Gefuͤhl des Schoͤ - nen, des Guten, des Wahren; das letztere gehoͤrt zum wenigſten groͤßtentheils hieher. Und endlich 4) wir fuͤhlen insbeſondere ihren Einfluß auf unſere ſelbſtthaͤ -tige191uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. tige Kraft, auf dieſer ihre Wirkſamkeit und auf unſere neuen folgenden Zuſtaͤnde, die davon abhangen. Hieher gehoͤrt das Gefuͤhl des Jntereſſe, der Wichtigkeit, der Kraft, des Lebens, der Staͤrke aufs Herz u. ſ. f. Wir beſitzen in Hinſicht auf dieſe, Reizbarkeit oder Em - pfindlichkeit wie man es nennen will. Jch will keinem hiebey etwas in dem Gebrauch der Woͤrter vor - geſchrieben haben, als mir ſelbſt, und nur die Sachen angeben, die man durch Benennungen zu unterſcheiden geſucht hat; keinem aber in der Benennung ſelbſt vor - greifen.
Dieſer Verſchiedenheiten in den Empfindungen ohn - erachtet, zeiget die genauere Beachtung, daß es niemals etwas Relatives ſey, nicht Verhaͤltniſſe und Beziehungen der Dinge, die wir unmittel - bar fuͤhlen und empfinden; daß hingegen nur allein das Abſolute in den Dingen außer uns, und in uns, unmittelbar ein Gegenſtand des Ge - fuͤhls ſey. Dieß iſt das dritte charakteriſtiſche Merk -mal192II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,mal des Gefuͤhls, als eines beſondern Vermoͤgens der Seele.
Fraͤgt man, auf welche Art wir denn die Verhaͤlt - niſſe erkennen? ſo antworte ich: ſie werden gedacht, nicht gefuͤhlt. Aber wenn denn nun dieß Erkennen ein Fuͤhlen und Empfinden heißen ſoll, wie man es ſchon gewohnt iſt, alſo zu nennen? ſo haben wir, ſage ich, an dem Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe eine Art von Gefuͤhl, welche von dem Gefuͤhl des Abſoluten ſo weit unterſchieden iſt, als das Abſolute, (das auf etwas anders nicht Bezogene) in den Dingen von dem Relati - ven ſelbſt es iſt, ſo unterſchieden, als zwey verſchieden - artige Thaͤtigkeiten oder ſonſtige Modifikationen der Seele es ſeyn koͤnnen. Jn allen Empfindungen der Verhaͤlt - niſſe und Beziehungen, man mag ſie entweder als eige - ne Arten von Gefuͤhlen oder als Abaͤnderungen und Be - ſchaffenheiten des Gefuͤhls von den Gegenſtaͤnden ſelbſt anſehen, laͤſſet ſich bey genauerer Unterſuchung ein Ge - fuͤhl des Abſoluten bemerken, und von dem Erken - nen der Verhaͤltniſſe, unterſcheiden, und zwar auf eine ſolche Art, daß es nicht mehr zweifelhaft iſt, jenes Gefuͤhl des Abſoluten ſey als der vorzuͤglichſte Theil die Urſache, warum beides zuſammen vereiniget ein Gefuͤhl oder eine Empfindung genannt worden iſt.
Jch darf hier die Einwendung nicht hoͤren: daß bei - des, das Fuͤhlen und Verhaͤltniſſe erkennen, aus Einem Grundvermoͤgen entſtehe, innerlich einartig ſey, und nur den Graden nach, oder nur allein in Hinſicht der Objekte unterſchieden ſeyn koͤnne. Das iſt nicht die Sache des Beobachters, ſie dafuͤr in Anfang anzuneh - men, wofern nicht alles untereinander geworfen werden ſoll. Zuerſt deutliche Vorſtellung von den Wirkungen, ſo wie ſich ſolche in der Beobachtung darſtellen. Es entſcheide nachher die Reflexion aus den verglichenen Beobachtungen. Zwey Arbeiten, die man nirgendshaͤufi -193uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. haͤufiger als in der Pſychologie zur Unzeit unter einander gemiſcht hat, wo es doch ohnedieß oft ſchwer genug an - zugeben iſt, was eine reine Erfahrung, und was eine ſelbſtgemachte Erdichtung oder ein Raiſonnement ſey.
Herr Bonnet hat ſich vor andern mit vielem Scharf - ſinn die Art und Weiſe deutlich zu machen bemuͤhet, wie man es fuͤhle, daß Dinge einerley und verſchieden ſind, und wie ihre uͤbrigen Beziehungen empfunden werden. Dieſer Theil ſeines Syſtems ſcheinet mir aus den ſchwaͤch - ſten Faͤden zu beſtehen, die dazu nicht einmal gut zu - ſammen haͤngen. Es ſey ſo, daß am Ende das Er - kennen der Verhaͤltniſſe ein wahres Fuͤhlen iſt; ſo geſtehe ich doch, daß mir der Uebergang dieſes ſcharf - ſinnigen Mannes von dem Gefuͤhl des Abſoluten zu dem Gedanken von dem Verhaͤltniſſe ein großer Sprung zu ſeyn ſcheine, der nicht auf Beobachtungen ge - gruͤndet iſt.
Dieſes letzte angegebene Merkmal des Gefuͤhls weis ich nicht einleuchtender zu beweiſen, als durch eine Jn - duktion, die ſo gut und vollſtaͤndig iſt, als ſie es in phyſiſchen Unterſuchungen ſeyn kann. Wenn aus jeder der vorher unterſchiedenen Klaſſen der Verhaͤltnißgefuͤhle ein Beyſpiel genommen, und in dieſem es deutlich vor - geleget wird, daß eine abſolute Modifikation in der Seele da ſey, die man fuͤhlen koͤnne, und daß das Gefuͤhl von dieſer letztern ein weſentliches Stuͤck der ganzen Empfin - dung in ſolchen Faͤllen ſey; und wenn alsdenn noch hin - zu kommt, daß es mit den uͤbrigen Faͤllen eine aͤhnliche Bewandtniß habe; was will man mehr? Alsdenn kann ich zugeben, es moͤge dasjenige, was mit dem Ge - fuͤhl des Abſoluten verbunden iſt, das Erkennen eines Verhaͤltniſſes in den Dingen, das Appercipiren, das Bemerken, und was ich uͤberhaupt den Verhaͤltniß - gedanken nenne, nichts anders, als etwan das erhoͤhete und verfeinerte Gefuͤhl des Abſoluten ſelbſt ſeyn. ManI. Band. Nmag194II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,mag dieß annehmen, oder dagegen das Verhaͤltniſſe - denken fuͤr eine beſondere und weſentlich von jenem un - terſchiedene Kraftaͤußerung der Seele anſehen; in bei - den Faͤllen wird es außer Zweifel ſeyn, daß das Gefuͤhl des Abſoluten auch in dem Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe wie - der vorkomme, und auch hier wiederum etwas Abſolutes zum Gegenſtande habe, davon das Urtheil oder der Ver - haͤltnißgedanke wohl zu unterſcheiden ſey. Bey dem Gefuͤhl der objektiviſchen Verhaͤltniſſe der Dinge gegen einander will ich anfangen.
Fuͤhlen und empfinden, daß zwey elfenbeinerne Ku - geln gleich groß und gleich wichtig ſind, iſt doch etwas anders, als dieſe gleichgroße und gleichwichtige Kugeln jede beſonders, nach einander, oder beide zugleich zu fuͤhlen. Eben ſo iſt es nicht einerley, die Verſchieden - heit, die Stellung, die Folge der Dinge, den Einfluß des Einen in das andere u. ſ. w. zu empfinden, und die unterſchiedene, die bey einander geſtellte, die auf einan - der folgende Objekte ſelbſt zu empfinden. Jenes iſt das Gefuͤhl der Beziehung ſelbſt, dieß das Gefuͤhl der ſich auf einander beziehenden Dinge. Das er - ſtere iſt nicht vorhanden ohne das letztere; aber iſt oft vorhanden ohne das erſtere. Wir fuͤhlen oft die Objekte einzeln, oder ihre Jdeen in uns, ohne daß eine Em - pfindung ihrer Relation damit verbunden ſey. Unlaͤug - bar iſt es, daß ein Hund die Ausduͤnſtungen ſeines Herrn auf eine andere Weiſe rieche, als die Duͤnſte von einem fremden Menſchen; aber ob er auch ihre Verſchiedenheit rieche und riechen koͤnne, dieß iſt eine Frage, die nicht zugleich mit jener, als wenn ſie voͤllig einerley mit ihr waͤre, bejahet werden darf.
Wenden wir das Auge von einem Gegenſtande weg, auf einen andern hin, von einem Hauſe auf einen Thurm,ſo195uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſo gehet in der Kraft, welche empfindet, eine Veraͤnde - rung vor, die ſo etwas iſt, als eine neue Richtung, wel - che dem in Bewegung geſetzten Koͤrper beygebracht wird. Das Gefuͤhl, oder hier der Aktus des Sehens, gehet von einem zum andern uͤber, und dieſer Uebergang iſt etwas neues in ihr, und etwas Abſolutes, eine poſitive Veraͤnderung, wie die Veraͤnderung in der Richtung der Bewegung iſt, welche ohne einen abſoluten Trieb oder Stoß von einer bewegenden Kraft nicht entſtehet, und in der That, wie die Naturlehrer wiſſen, ſelbſt eine neue Bewegung iſt.
Gehet das Gefuͤhl uͤber von Einem Objekt zu einem andern, das von jenem verſchieden iſt, ſo geſchicht noch etwas mehr. Geſetzt, die Nachempfindung des Zu - erſtempfundenen daure noch fort in uns — man mag aber ſich auch einbilden, ſie ſey ſchon in eine Wiedervor - ſtellung uͤbergegangen — ſo erfolget darauf der ſinnliche Eindruck von dem zweyten Objekt. Alsdenn entſtehet bey dieſem Uebergang außer der Veraͤnderung in der Richtung der Kraft noch eine andere. Eine neue Em - pfindungsvorſtellung, die vorher nicht da war, wird hervor - gebracht. Das Gefuͤhl wird alſo noch einmal mehr ver - aͤndert. Der ſinnliche Eindruck von der erſtern Sache wird weggeſchaft, und der von der zwoten wird hinein - gebracht. Dieß letztere iſt abermals eine abſolute Ver - aͤnderung.
Laß beide dieſe Eindruͤcke in der Abweſenheit der Ob - jekte in der Phantaſie wieder gegenwaͤrtig ſeyn. So oft wir nun die Aufmerkſamkeit von dem Phantasma des Einen auf das Phantasma des andern hinwenden, und alſo unſere Phantaſie noͤthigen, bald die Eine Vorſtel - lung, bald die andere vorzuͤglich ausgedruckt in uns zu erhalten; ſo eraͤugnet ſich etwas aͤhnliches von dem, was vorher in der Empfindung geſchah. Die Phantaſie ge - het uͤber von einem Bilde zum andern. Dieſer Ueber -N 2gang196II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,gang iſt Eine Veraͤnderung. Das vorhergehende Bild, eine abſolute Modifikation wird verdraͤnget oder geſchwaͤ - chet und verdunkelt, und das folgende von jenem unter - ſchiedene Bild wird hervorgezogen, oder ſtaͤrker und vol - ler gemacht. Beides ſind abſolute Veraͤnderungen. Etwas reelles und abſolutes vergehet, und ein anders entſteht an deſſen Stelle.
Anſtatt daß es zween verſchiedene Gegenſtaͤnde ſind, die man nacheinander empfindet, oder nach einander ſich vorſtellet, nehme man zween andere, die einerley ſind, wenigſtens bey dem erſten Empfinden voͤllig ſo zu ſeyn ſcheinen. Gehet das Auge und die Vorſtellungskraft von einer Billiardkugel auf die andre, von einem Ey auf ein anderes, von einem Waſſertropfen auf einen an - dern; ſo iſt die erſte Veraͤnderung in der Direktion der Kraft auch hier wiederum vorhanden. Aber die folgen - de neue Veraͤnderung fehlet, oder iſt doch in einem min - dern Grade da, als in dem vorhergehenden Beyſpiel. Das Gefuͤhl von einerley Dingen iſt ſelbſt einerley Mo - difikation, in ſo ferne die Dinge als einerley empfunden werden. Das Gefuͤhl der zuerſt geſehenen Kugel, oder die Einbildung von ihr bleibet ſo wie ſie iſt, wenn die zweyte, die der erſten gleich und aͤhnlich iſt, geſehen wird. Folgt alſo eine Vorſtellung von einer aͤhnlichen Sache auf eine andere, ſo ſind ſo viele abſolute Veraͤnderungen weniger da, als Zuͤge in den beiden Bildern eben dieſel - bigen ſind. Da iſt alſo weit weniger von neuen Modi - fikationen, als in dem vorhergehenden Fall. Geſetzt auch, wie es Hr. Bonnet meynet, jede dieſer aͤhnlichen Kugeln erfodere ein beſonderes obgleich aͤhnliches Bild in dem Gehirn, und daß alſo ihre Aehnlichkeit es nicht hindere, daß nicht ein ganzes Bild vergehen, und ein anderes neues, obgleich jenem aͤhnliches wieder entſtehen muͤſſe, — geſetzt, es ſey ſo, wie es nicht wahrſcheinlich iſt, obgleich der genannte Philoſoph es bewieſen zu habenglaubet;197uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. glaubet; ſo wuͤrde doch die Unterdruͤckung oder Ver - dunkelung des Einen und die Wiedererweckung oder Auf - hellung des andern Bildes, immer eine weit mindere Quantitaͤt von Veraͤnderung enthalten, und eine andere Aktion ſeyn, wo die Bilder einerley ſind, als da, wo ſie verſchieden ſind.
Hiezu ſetze ich noch folgende Beobachtungen. Man betrachte aufmerkſam was in uns vorgehet, wenn wir uͤber die Aehnlichkeit und Unaͤhnlichkeit der Dinge allein nach den Empfindungen von ihnen urtheilen. Wir fuͤh - len jenen Uebergang unſerer Kraft und deſſen Beſchaf - fenheit. Denn wenn wir in dieſen Faͤllen, bey der Ver - gleichung der Dinge, ihre Jdentitaͤt oder Diverſitaͤt in den Vorſtellungen von ihnen aufſuchen, ſo gehen wir von der Vorſtellung des einen zu der Vorſtellung des andern uͤber, und horchen ſo zu ſagen in uns, ob ſich nicht bey dieſem Uebergang eine Veraͤnderung in uns empfinden laſſe? ob nicht eine neue Modifikation in uns entſtehe, wenn die Vorſtellung des zweyten auf die Vorſtellung des Erſten folget?
Unſer Urtheil kann auf drey unterſchiedene Arten ausfallen.
Das Erſte Objekt iſt mit dem andern, welches wir uns naͤmlich nachher vorſtellen, Eins und ebendaſſelbige.
Oder es iſt ein anderes Objekt, aber innerlich an ſich von jenem nicht unterſchieden; oder
Beide ſind auch an ſich verſchiedene Gegenſtaͤnde. Jn jedem Fall gehet vor dieſem Ausbruch unſerer Ur - theilskraft ein Gefuͤhl von gewiſſen Modifikationen vor - her, die in uns, in dem empfindenden Weſen, aus dem Verhaͤltniſfe der Gegenſtaͤnde entſpringen.
Jch behaupte; was ich von einem Gefuͤhl des Uebergangs geſaget habe, das vor dem Urtheil (ſentiment) vorhergehet, ſey keine Erdichtung, ſondern eine wahre Beobachtung. Die Pſychologen haben ſonſtenN 3weniger198II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,weniger auf dieß Gefuͤhl, als auf das nachfolgende Ur - theil acht gehabt. Dieſes mag denen, welche mit einem ſchaͤrferen Selbſtgefuͤhl begabet ſind, als ich, vielleicht ſo bald und ſo klar auffallen, daß ſie bey dem erſten Ruͤck - blick in ſich daruͤber zur Gewißheit gelangen. Fuͤr mich aber geſtehe ich, daß ich nicht eher von aller Sorge, durch Einbildungen hier geblendet zu werden, befreyet worden bin, als bis ich einige mit Fleiß angeſtellte Beobachtungen ſorgfaͤltig gepruͤfet, und eine Art von pſychologiſchen Verſuchen daruͤber gemacht habe. Zu dem Ende ſuchte ich zwey Empfindungsvorſtellungen aus, die ſo wenig als moͤglich mit meinen ſonſtigen Jdeen in Verbindung waren. Jch nahm z. B. zwey arabiſche Buchſtaben, die in einer Reihe von einander entfernet ſtunden, und verglich ſie mit einander. Es fand ſich allemal, daß ich nicht nur von jedem dieſer Charaktere einen beſondern Eindruck erhielte, ſondern daß ich auch etwas beſonders in mir fuͤhlte, wenn die Augen von dem Einen zum andern uͤbergingen. Dieß letztere Gefuͤhl des Uebergangs nahm ich nur alsdenn erſt gewahr, wenn ich ſchon vorher die ſinnlichen Eindruͤcke ſelbſt einigemal in mir mit einander hatte abwechſeln laſſen. Zwiſchen den beiden Eindruͤcken, die ich, ohne mich bey den dar - zwiſchenſtehenden Buchſtaben auſzuhalten, auf einander folgen ließ, fuͤhlte ich jedesmal eine Veraͤnderung in der Richtung des Gefuͤhls; und dieſe Veraͤnderung fuͤhlte ich auf eben die Art, wie ich einen andern innern Ein - druck fuͤhle, der durch die Sinne entſtehet. Je mehr die nachfolgende Vorſtellung von der vorhergehenden ver - ſchieden war, deſto ſtaͤrker und voͤlliger war das Gefuͤhl von dieſer Modifikation. Wenn man ſolche gleichguͤl - tige Empfindungen zum Verſuche nimmt, wie ich hier gethan hatte, ſo hat man den Vortheil, daß die Phan - taſie nicht leicht fremde Bilder dazwiſchen bringet, und die Beobachtung ſtoͤret. Aber auf der andern Seite iſtauch199uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. auch die Unbequemlichkeit babey, daß man die vorſtel - lende Kraft mehr ſelbſtthaͤtig anſtrengen, und ſich auf keine angenehme Art bemuͤhen muß, weil die Phantaſie allemal traͤge iſt, Vorſtellungen in ſich gegenwaͤrtig zu erhalten, die mit ihren uͤbrigen Reihen von Jdeen in kei - ner Verbindung ſind.
Man gehe die uͤbrigen Empfindungen von den Ver - haͤltniſſen und Beziehungen der Dinge auf einander durch. Es wird ſich zeigen, es hat mit allen eine aͤhnliche Be - wandniß. Wie empfinden wir, daß ein Objekt weiter von uns entfernet ſey, als ein anders? was empfin - den wir, wenn wir die Folge der Dinge empfinden? was alsdenn, wenn wir empfinden, daß in uns oder außer uns ein Ding als eine Urſache etwas anderes als ihre Wirkung hervorbringe? und was iſt alsdann in uns? Es iſt nicht davon die Frage, worinnen das Objektiviſche dieſer Beziehungen in den Gegenſtaͤnden außer der Vorſtellung beſtehe? auch noch nicht davon, was das Urtheil oder der Verhaͤltnißgedanke ſelbſt ſey? und wie er entſtehe? ſondern nur davon, was wir fuͤh - len und empfinden? Jn allen Faͤllen, wo wir, es ſey mit Grunde oder ohne Grund, ſolche Beziehungen in den gegenwaͤrtigen ideellen Objekten empfinden, entſtehet bey dem Uebergang der vorſtellenden und empfindenden Kraft von dem Einen zu dem andern, eine abſolute und poſitive Modifikation; und bey jedweder beſondern Art der Verhaͤltniſſe eine eigene von einer eigenen unter - ſchiedene Art, welche gefuͤhlet und bey einer genauern Beobachtung unſerer ſelbſt bemerket werden kann. Jch ſehe, daß der Thurm weiter von mir abſteht, als das Haus; daß ein Waſſer mir naͤher ſey, als das jenſeit deſſelben liegende Gehoͤlz. Nun ſey dieß ein Gedanke oder ein Gefuͤhl, ſo entſtehet jener ſo wenig als dieſes, ohne daß in mir, indem ich die Augen von dem Einen zum andern hinwende, eine Veraͤnderung vorgehet, dieN 4ent -200II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,entweder an Graden und Stufen oder an ſonſtigen Be - ſchaffenheiten von einer andern in einem andern Fall un - terſchieden iſt, und die als etwas Gegenwaͤrtiges und Abſolutes gefuͤhlet wird, oder doch gefuͤhlet werden kann. Sie iſt es, wobey ich die Beziehung des Einen Objekts auf das andere nicht blos denke, ſondern empfinde und gewahrnehme. Sie iſt der empfundene Charakter der objektiviſchen Beziehung der Dinge. Jch muß z. B. die Augen in dem einen Fall weiter hindrehen, als in dem andern, und jede Drehung iſt ein neuer Eindruck auf das Gefuͤhl; oder ich muß ſie auf eine andere Art wen - den; und dann entſtehen neue Eindruͤcke, indem die vor - hergehenden aufhoͤren.
Dieſe Veraͤnderungen gehen denn eigentlich in uns ſelbſt vor, in den Empfindungen und in den Vorſtel - lungen von den Dingen, alſo in den ideellen Objek - ten: Sie moͤgen ſich nun auf die Gegenſtaͤnde außer uns beziehen oder nicht; aus dem Objektiviſchen ent - ſpringen, und aus dem letztern in die ideellen Objekte hinuͤbergebracht werden, oder nicht. Vielleicht ſind ſol - che innere Modifikationen in dem Aktus des Empfindens und des Vorſtellens von den wirklichen Objekten unab - haͤngig; vielleicht haben ſie nur, in den Vorſtellungen und in der Wirkungsart unſerer vorſtellenden Kraft, in ihrer Art die Jdeen zu faſſen, und ſich von der einen auf die andere hinzuwenden, einen ſubjektiviſchen Grund. Wie es auch ſeyn mag, ſo ſchreiben wir ſie den Gegen - ſtaͤnden zu, und ſehen die Empfindung des Uebergangs als eine Wirkung an, die von dem Objektiviſchen in den Gegenſtaͤnden verurſachet wird. Jch ſehe, ſo reden wir, daß das Buch und das Stuͤckpapier dichte bey einander liegen. Dieſe Empfindung wird fuͤr eine aͤußere Em - pfindung gehalten, wie die Empfindung des Buchs und des Papiers einzeln genommen aͤußere Empfindungen find. Jn einem gewiſſen Verſtande iſt ſie es auch. Denn201uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Denn wenn die Lage der Dinge gleich nichts objektivi - ſches außer uns waͤre, wie manche behaupten, ſo iſt ſie doch eine Wirkung von den ideellen Objekten in uns, und von deren Gegenwart und Wirkung in und auf unſere empfindende und vorſtellende Seele. Alſo be - ziehet ſie ſich auf etwas in den Objekten und in den Vor - ſtellungen von ihnen.
Was das Gefuͤhl der Kauſalitaͤt und der Abhaͤn - gigkeit einer Wirkung von ihrer Urſache betrift, ſo uͤber - hebe ich mich hier der Muͤhe, die Beobachtungen zu zer - gliedern, um den eigentlichen Gegenſtand des Gefuͤhls dabey zu bemerken, da ich dieß an einer andern beque - mern Stelle thun werde. Hume hat ſich beſonders da - mit beſchaͤftiget, und zu erweiſen geſucht; es ſey die ge - naue Verknuͤpfung der Jdeen in der Einbildungskraft das naͤchſte Objekt des Gefuͤhls, aus deſſen Empfindung der Begrif von der Urſache entſtehe. Dieß iſt noch nicht voͤllig genau angegeben; aber genug, wenn einge - ſtanden wird, daß es ſo eine gewiſſe Beſchaffenheit in uns gebe, die gefuͤhlet wird, und auf welcher die Em - pfindung von der verurſachenden Verknuͤpfung der Din - ge beruhet. Ueberhaupt haben Bonnet, Search, Hume und andere, welche die geſammte Verſtandeser - kenntniß fuͤr eine verfeinerte und erhoͤhete Empfindung anſehen, ſich bemuͤhet, zu den verſchiedenen allgemeinen Verhaͤltnißgedanken die zugehoͤrigen Gefuͤhle aufzuſu - chen. Bey einigen haben ſie ſolche ganz richtig angege - ben, und alsdenn ſind dieß gewiſſe abſolute Veraͤnderun - gen in uns, deren Gefuͤhl die Verhaͤltnißgedanken und Ur - theile veranlaſſet. Nach der Meinung dieſer Philoſo - phen ſollen ſolche Verhaͤltnißgefuͤhle mit den Verhaͤltniß - gedanken einerley ſeyn. Dieß letztere iſt eine Sache, die noch einer weitern Pruͤfung bedarf; aber darinn ſind ſie mit mir und ich mit ihnen einig, daß, wo ein Verhaͤlt - niß empfunden wird, auch in uns eine gewiſſe, reelle undN 5abſolu -202II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,abſolute Veraͤnderung vorgehe, die gefuͤhlet wird. Was es aber in dieſem |oder in jenem Fall insbeſondere fuͤr eine ſey, daruͤber koͤnnen wir uns nochmals von ein - ander trennen, und dann muß die Beobachtung ent - ſcheiden, wer ſie richtig gefunden habe. Hier aber ge - he ich mit den gedachten Philoſophen noch auf Einem Gleiſe.
Von der dritten und vierten Klaſſe der Empfindun - gen, ſo wie ſie am Ende der vorhergehenden Abtheilung (III. 4.) geſetzet ſind, nemlich von den Empfindniſ - ſen und von den intereſſirenden innern Empfindun - gen habe ich daſſelbige behauptet; es ſey in ihnen etwas abſolutes und ein eigenes Gefuͤhl dieſes Abſoluten. Die - ſer Theil des allgemeinen Beobachtungsſatzes muß noch weiter erlaͤutert und beſtaͤtiget werden.
Bey dem Gefuͤhl des Wahren und Falſchen ſcheinet ſolches am erſten aufzufallen. Eine Vorſtel - lung, die uns als eine wahre vorkommt, vereiniget ſich, wie ich ſchon erinnert habe, mit unſerm ſonſtigen Ge - dankenſyſtem, reihet ſich an andere feſtgeſetzte Vorſtel - lungen leicht an, und fließet mit ihnen ſo zuſammen, daß aus ihnen zuſammen ein groͤßerer Aktus des Vorſtellens, und des Denkens entſpringet. Dieß hat ſeine phyſiſche Urſache in einer Beziehung der Vorſtellung auf die Be - ſchaffenheit des Vorſtellungsvermoͤgens, auf deſſen ge - genwaͤrtigen Zuſtand, auf die Jdeenreihen, die vorhan - den ſind, und die hieraus entſpringende Dispoſitionen, andere Jdeen aufzunehmen, und iſt in ſo weit eine Fol - ge einer Beziehung; aber an ſich iſt es etwas Abſo - lutes, nemlich eine Erweiterung des Jnbegrifs von Vorſtellungen, die nebeneinander von der Kraft der See - le gefaßt werden. Es iſt zugleich eine Ausdehnung der Kraft ſelbſt, und eine angenehme Empfindung. Unddieſe203uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. dieſe Empfindung bewirket in uns diejenige Hinbeugung des Verſtandes auf die Jdee, die wir die Beyſtim - mung oder den Beyfall nennen. Bey den widerſpre - chenden, den falſchen, und unwahrſcheinlichen Jdeen zei - get ſich das Gegentheil. Dieſe wollen uns nicht in den Kopf hinein, wie wir ſagen, man kann ſie nicht anrei - hen, nicht mit denen vereinigen, welche ſchon ihre Stelle eingenommen haben. Sie verurſachen eine Richtung in der Reflexion, die wir die Abſtimmung oder Ver - neinung nennen.
Der Beyfall und die Abſtimmung machen be - ſondere, von dem Gedanken und ſelbſt von dem Urtheil, womit ſie verbunden ſind, noch unterſchiedene Modifika - tionen in unſerer Denkkraft aus, weil noch erſt das Ge - fuͤhl der Wahrheit oder der Falſchheit als ihre unmittel - bare Urſache hinzukommen muß. Dieß erhellet zunaͤchſt daraus, weil es moͤglich iſt, daß wir einen Satz oder ein Theorem voͤllig nach ſeinem Sinne ſchon eingeſehen und erkannt haben, ehe wir durch die Gruͤnde und den Beweis, als durch die vereinigenden Mittelbegriffe, zu dem Beyfall oder zur Verwerfung, das iſt, zu dem Gedanken: dieß Urtheil iſt objektiviſch wahr oder falſch, gebracht werden. Da iſt alſo eine abſolute Veraͤnde - rung in uns vorhanden, welche ein unmittelbarer Ge - genſtand des Gefuͤhls ſeyn kann, ſo oft wir die Wahr - heit oder die Falſchheit in einem Gedanken empfinden.
Wir ſehen daſſelbige in dem verſchiedenen Verhal - ten des Verſtandes bey der Annahme der Wahrheiten, die ihm in Verbindung mit ihren Gruͤnden vorgeſtellet werden. Jn einigen Faͤllen haben wir uͤber unſern Bey - fall keine Gewalt. Die Geometer zwingen uns ihn ab, wo wir nicht, wie Sextus Empiricus, uns auf das Zweifeln in geometriſchen Sachen mit Fleiß geleget ha - be. Aber es giebt auch andere Faͤlle genug, wo die Beweisgruͤnde fuͤr eine Wahrheit in uns vollſtaͤndig vor -handen204II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,handen ſind, und doch bleibet Beyfall und Ueberzeu - gung zuruͤck, blos weil es an einem Grad von Lebhaftig - keit in dem Gefuͤhl der Beziehungen fehlet, der zur Er - regung des Verſtandes erfodert wird. Es giebt einen Eigenſinn des Verſtandes, wie des Willens. Wie die - ſer letztere den vernuͤnftigen und ſtarken Bewegungs - gruͤnden den Gedanken entgegen zu ſtellen weiß, daß es doch beſſer ſey, zu beweiſen, daß man einen eigenen Wil - len habe, und unabhaͤngig ſey; ſo kann auch der ſkepti - ſche Verſtand gegen alle Ueberzeugungsgruͤnde ſich durch die Vorſtellung halten, es ſey doch ſicherer, nicht zu glau - ben, weil vielleicht die ſcheinbare große Evidenz nur ein Blendwerk ſeyn moͤchte. Dadurch unterdruͤcket er das Gefuͤhl, was ſonſten den Beyfall hervorbringet, oder haͤlt ſeine Wirkung zuruͤck. Jo ſo ferne haͤnget es auch oft von unſerm eigenen Bemuͤhen ab, ob wir durch Gruͤnde uͤberzeuget werden wollen; ſo wie es von uns ab - haͤnget, ob wir durch guͤltige Objektiviſche Bewegungs - gruͤnde zur Handlung uns beſtimmen oder beſtimmen laſ - ſen wollen? Oft iſt es eine Erſchlaffung des Verſtandes, die, wenn wir auch gerne wollen, uns dennoch die Staͤr - ke der Gruͤnde nicht fuͤhlen, und Glaubensfeſtigkeit er - langen laͤſſet. Ein Fehler, in den diejenigen verfallen, die anfangs aus uͤbertriebener Sorgfalt bey der Unterſu - chung es gewohnt geworden ſind, auch gegen auffallende Gruͤnde fuͤr die Wahrheit ihren Beyfall zuruͤck zu halten. Jn den Fibern des Verſtandes iſt es, wie in den Fibern des Koͤrpers. Eine zu ſtarke Erſchlaffung iſt die Folge von einem vorhergegangenen zu ſtarken krampfhaften Zu - ſammenziehen.
Soviel habe ich hier von dem Gefuͤhl des Wahren erweiſen wollen. Es giebt in uns eine abſolute Modi - fikation in der Denkkraft, die alsdenn gefuͤhlet werden kann, und gefuͤhlet wird, wenn wir ſagen: wir fuͤhlen, daß etwas wahr oder daß etwas falſch ſey. Dieſe Em -pfindung205uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. pfindung iſt das vornehmſte Jngredienz zu dem ganzen vielbefaſſenden Begrif von dem Gefuͤhl des Wahren, den die neuern Philoſophen ſich davon ſcheinen gemacht zu haben. Man hat die Wirkungen, die Folgen, die Graͤnzen und die Brauchbarkeit deſſelben zu einem Pro - birſtein der Wahrheit oder zu einem Princip unſerer Er - kenntniß mit vieler Scharfſinnigkeit und Genauigkeit zu beſtimmen geſuchet. Es iſt aber nicht moͤglich, deut - lich und beſtimmt die richtige und ſichere Anwendung deſſelben anzugeben; wie doch noͤthig iſt, wenn das, was davon geſagt iſt, etwas beſſeres als Deklamation ſeyn ſoll, ohne vermittelſt einer phyſiſchen Analyſis deſſelben, die Urſachen, Gruͤnde und Anlagen in der Seele, von welchen das Wahrheitsgefuͤhl abhaͤnget, aus einander zu ſetzen. Es iſt nicht ſchwer zu entdecken, daß es, in ſei - nem ganzen Umfang genommen, eine vereinigte Wir - kung des Gefuͤhls, der vorſtellenden Kraft und der Denk - kraft ſey, aus deren Wirkungsgeſetzen es begreiflich wird. Hier iſt nun der Antheil beſtimmt, den das Gefuͤhl dar - an hat, und der eins der wichtigſten Jngredienzen des Ganzen ausmachet.
Gehen wir zu der Betrachtung der Empfindniſſe uͤber, oder zu den angenehmen und unangenehmen Em - pfindungen, ſo kommen wir bald auf das naͤmliche Re - ſultat. Es giebt in jedweden etwas abſolutes, was ei - gentlich der Gegenſtand des unmittelbaren Gefuͤhls ſeyn kann. Hier iſt es ſchwer, unmittelbar aus Beobach - tungen es zu beweiſen, daß es ſo iſt. Aber es iſt nicht ſchwer, durch einige vorlaͤufige allgemeine Betrachtun - gen uͤber die Empfindniſſe zu zeigen, daß es ſo ſeyn koͤn - ne, und es wahrſcheinlich zu machen, daß es wirklich ſo ſey.
Was206II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Was die Empfindniſſe auch ſeyn moͤgen, ſo ſtim - men alle Philoſophen, die uͤber die Natur des Schoͤnen, uͤber deſſen Wirkungen auf den Menſchen, uͤber das An - genehme und Unangenehme und uͤber die Quelle von bei - den nachgedacht haben, alte und neuere, darinn uͤberein: daß es eine gewiſſe Beziehung der Gegenſtaͤnde und ih - rer Eindruͤcke auf den dermaligen Zuſtand der Seele, auf ihre Triebe und Thaͤtigkeiten ſey, was die Gegen - ſtaͤnde zu gefaͤlligen oder mißfaͤlligen, zu angenehmen oder unangenehmen, das iſt, zu Empfindniſſen mache. Worinnen dieſe Beziehung eigentlich beſtehe, und wor - auf ſie ſo wohl von der einen Seite in den Objekten, als auf der andern in uns gegruͤndet ſey, daruͤber ſind die Mei - nungen etwas getheilet; aber daruͤber nicht, daß nicht ſelbſt der Unterſchied in den Empfindungen, die angenehm und unangenehm ſind, ein reeller poſitiver Unterſchied ſey, und ſeine unterſchiedene abſolute Folgen auf uns ha - be. Die mehreſten haben das Objektiviſche der Schoͤn - heit in einer Mannigfaltigkeit mit Einheit geſucht, und dieſe Jdee iſt von unſerm ſcharfſinnigen Hr. Sulzer vor - zuͤglich durchgedacht. Sie laͤßt ſich auch noch wohl gegen die Erinnerungen vertheidigen, die Hr. Burck dagegen ge - macht hat. Man muß nur auf den Unterſchied zwi - ſchen dem Urſpruͤnglichangenehmen, das es fuͤr ſich iſt, und zwiſchen dem, was es durch die Verbindung mit andern iſt, ſo viel Ruͤckſicht nehmen, als da uͤberhaupt noͤthig iſt, wo eine Menge von Beobachtungen, die nicht ſelten einander aufzuheben ſcheinen, auf Einen Grund - ſatz, und viele und mancherley Wirkungen auf Eine ge - meinſchaftliche Urſache zuruͤckgefuͤhret werden ſollen. Worinn aber auch das Objektiviſche des Schoͤnen, und uͤberhaupt das Afficirende in den Objekten beſtehen moͤge, ſo hat doch die maͤßigſte Aufmerkſamkeit auf die Abwechſelungen und auf die Verſchiedenheiten des menſchlichen Geſchmacks es ſogleich erkennen laſſen, daßdas207uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. das Objektiviſche, ſo zu ſagen, nur die eine Haͤlfte von der ganzen Urſache der erfolgenden Gemuͤthsruͤhrung aus - mache, die andere Haͤlfte aber ſubjektiviſch, in den na - tuͤrlichen Anlagen, in den Faͤhigkeiten und in den der - maligen Beſchaffenheiten des empfindenden Weſens ent - halten ſeyn muͤſſe. Es mag ſchoͤne Gegenſtaͤnde geben, die es vor allen Menſchen ſind, von jedem Alter, zu al - len Zeiten, unter allen Himmelsgegenden, deren Em - pfindung allen ohne Ausnahme, wie das Anſchauen der Blumen gefalle, und die man als abſolute objektivi - ſche Schoͤnheiten anſehen kann: ſo beweiſet dieß nichts mehr, als daß die Einrichtung der Seele, die Anlage, die beſtimmte Beſchaffenheit der Empfindungs - und Vorſtellungsvermoͤgen, worauf ſolche Gegenſtaͤnde auf eine angemeſſene Art wirken koͤnnen, zu den gemein - ſchaftlichen Zuͤgen der Menſchheit gehoͤren. Fuͤr We - ſen anderer Art wuͤrden jene abſoluten Schoͤnheiten doch entweder gleichguͤltige, oder gar Gegenſtaͤnde des Miß - vergnuͤgens ſeyn koͤnnen, wie ſie es wirklich ſind.
Auch daruͤber hegen nicht alle einerley Meynung, welche Seite der Seele, welche beſondere Faͤhigkeit, Kraft, Thaͤtigkeit es ſey, deren gegenwaͤrtige Beſchaf - fenheit der ſubjektiviſche Grund iſt, warum die Empfin - dung des Objekts in dieſe oder jene Art von Empfindniß uͤbergehe. Jſt es die Erkenntnißkraft, oder ſind es die Triebe der Thaͤtigkeitskraft? Jſt es die Sinnlichkeit oder iſt es das Ueberlegungsvermoͤgen? oder iſt es bald dieſes oder jenes nach der Verſchiedenheit der Gegenſtaͤn - de und der Umſtaͤnde? Auf welche Fiber der Seele muß das Objekt anſchlagen, um angenehm oder unangenehm empfunden zu werden? und welch ein Grad der Span - nung, welche Stufe in der Faͤhigkeit, welche Jntenſion wird in ihr erfodert, wenn die Einwirkung des Objekts angemeſſen und uͤbereinſtimmend, oder unangemeſſen ſich auf ſie beziehen ſoll? Auch iſt man daruͤber verſchie -dener208II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,dener Meynung, worinn die Wirkungen und Veraͤn - derungen in der Seele beſtehen, wenn in einem Fall Wolluſt, in dem andern Schmerz verurſachet wird. Und dieß iſt ohne Zweifel das dunkelſte in der Sache, wozu noch keine Hofnung iſt, daß es aufgehellet werden wuͤrde. Das meiſte wird doch, — um nicht zu beſtimmt von einer Sache zu reden, auf die ich hier nur im Vor - beygehen mit dem Finger zeige — auf den Charakter ankommen, den ſchon die Alten, und unter den Neuern vorzuͤglich Des Cartes bemerkt hatte; daß in den po - ſitivangenehmen Modifikationen ein Gefuͤhl der Wirk - ſamkeit, der Staͤrke und Kraft in der Seele vorhanden ſey; in den mißfallenden dagegen Ohumacht und Schwaͤche gefuͤhlet werde. Aber wie dem allen auch ſeyn mag, ſo iſt doch dieß offenbar: ſo wie der Ein - druck von einem ſichtbaren Objekte auf die Seele, und dieſer ihre Empfindung von dem Objekt ſelbſt von der Beſchaffenheit der Geſichtswerkzeuge, von der Lage des Objekts gegen das Werkzeug, und von andern Em - pfindungserforderniſſen zuſammen abhaͤnget, und allen dieſen Beziehungen gemaͤß iſt, ſo iſt es auch in den Em - pfindniſſen. Das Ruͤhrende in ihnen hat in einem gewiſſen Verhaͤltniß des Objektiviſchen zu dem Subjekti - viſchen ſeinen Grund und ſeine Urſache.
Von hieraus kommen wir mit Einem Schritt auf die Folge, welche ich vorhero ſchon angezeiget habe, und welche allein ich hier aus der ganzen Betrachtung nur gebrauche. Es muß nemlich die Veraͤnderung, welche als Wirkung von einem angenehmen Eindruck auf die empfindende Kraft gemacht wird, als eine abſolute Seelenveraͤnderung betrachtet, von der Wirkung eines entgegengeſetzten widrigen Eindrucks unterſchieden ſeyn. Der Funke verloͤſchet auf einem Stein, und verurſachet in dem Pulverthurm eine Erderſchuͤtterung, und ein Schlag auf eine ſtaͤrker geſpannte Saite bringet ſchnellereSchwin -209uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Schwingungen hervor, als auf eine andere, die ſchlaffer angezogen iſt, weil das leidende Subjekt ſich in verſchiedenen Zuſtaͤnden befindet. Das Verhaͤltniß der Empfindungen zu dem empfindenden Weſen mag darum anders ſeyn, weil das Objektiviſche anders iſt, und alſo auch die bloße Empfindung dieſes Objektiviſchen; oder daher, weil das Subjektiviſche, der Zuſtand des empfin - denden Weſens, verſchieden iſt; ſo folget in beiden Faͤl - len, daß die abſoluten Wirkungen der Empfindungen in der Seele verſchieden ſind, da, wo ihre Beziehungen auf den Seelenzuſtand es ſind.
Jede ſolche naͤchſte Wirkung hat ihre fernern Folgen. Es entſtehen Spannungen und Erregungen der Kraͤfte, wiederum neue Veraͤnderungen in ihnen; Aufwallun - gen des Herzens und der Leidenſchaften; Verlangen, Abneigungen. Dieß alles wird oft noch zu der erſten Wirkung mit gerechnet, und beſtehet in abſoluten Mo - difikationen; aber es laſſen ſich doch dieſe entferntere Wirkungen in einigen Faͤllen ganz deutlich von dem un - mittelbaren Gefallen oder Mißfallen an der Empfindung unterſcheiden. Wir werden munter durch den Anblick eines ſchoͤnen Gegenſtandes; wir fuͤhlen uns durch ein maͤßiges ſinnliches Vergnuͤgen erquicket. Dieſe Em - pfindniſſe erregen die dazu paſſende Reihen von Vorſtel - lungen in der Phantaſie; und von da geht die Wirkung weiter in die Vorſtellungskraft uͤber und in den Verſtand, und durch dieſen Weg auf das Gemuͤth. Dieſe Folge laͤſſet ſich oft beſonders gewahrnehmen.
Solche abſolute Modifikationes ſind vorhanden, und bieten ſich dem Gefuͤhl als deſſen unmittelbare Gegen - ſtaͤnde dar. Sie koͤnnen und muͤſſen gefuͤhlet werden, es muͤßte denn das Vermoͤgen oder der Aktus des Fuͤh - lens zu ſchwach dazu ſeyn. So oft wir das Angenehme oder das Schmerzhafte von einer Sache empfinden, leh - ret es auch die unmittelbare Beobachtung, daß wir baldI. Band. Odie210II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,die Eine, bald die andere ſolcher abſoluten Wirkungen gewahrnehmen. Dieß zuſammen macht es doch wahr - ſcheinlich, es ſey nicht das Relative, nicht Verhaͤltniß, nicht Beziehung, was unmittelbar gefuͤhlet werde, und wodurch die Empfindung eine Empfindniß wird, ſon - dern es ſey das Abſolute in ihnen, deſſen Gefuͤhl Gefal - len und Mißfallen hervorbringet. Nicht die Harmonie der Toͤne alſo, ſondern die Wirkung der harmoniſchen Toͤne, die ſie eben dieſer Harmonie wegen auf die Seele hervorbringen, iſt es, deſſen Gefuͤhl, als ein Gefuͤhl des thaͤtigen Daſeyns, angenehm iſt, und das was wir ein Gefuͤhl der Harmonie nennen, in uns ausmachet.
Wie verhalten ſich nun in den Empfindniſſen die beiden Empfindungen gegen einander, die Empfindung des Gegenſtandes und die Empfin - dung des Ruͤhrenden, des Angenehmen oder Un - angenehmen? Wir koͤnnen dieſe von jenen mit dem Verſtande unterſcheiden. Beyde entſtehen aus demſel - bigen Eindruck, aber aus unterſchiedenen Beſchaffen - heiten deſſelben. Jſt die Empfindung des Afficirenden eine beſondere Empfindung, welche auf die Empfindung des Gegenſtandes folget, etwan um ein Moment ſpaͤter kommt?
Oder211uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.Oder iſt jene nur eine gewiſſe Beſchaffenheit in der Empfindung des afficirenden Objekts, die mit ihr und in ihr ſchon enthalten iſt?
Jch empfinde die harmoniſchen Toͤne; dieſe Em - pfindung iſt angenehm. Aber ich habe bey aller Sorg - falt nicht bemerken koͤnnen, daß das Vergnuͤgen aus der Empfindung, oder die Empfindung des Angeneh - men, von der Empfindung der Sache ſelbſt der Zeit - folge nach haͤtte unterſchieden werden koͤnnen. Die Em - pfindung der Toͤne war angenehm. Der Stich mit ei - ner Nadel wird empfunden; und dieſe Empfindung iſt ſchmerzhaft. Es iſt mir unmoͤglich, hierinne eine Zeit - folge gewahr zu nehmen; und zuerſt die Sache, dann den Schmerzen zu empfinden. Es ſcheinen die Em - pfindniſſe als Empfindniſſe betrachtet gewiſſe Beſchaf - fenheiten der Empfindung; nicht beſondere Empfindun - gen ſelbſt zu ſeyn.
Hr. Search mag ſich wohl eine andere Vorſtellung davon gemacht haben. Er meynt, man muͤſſe beſon - dere Fibern fuͤr die Eindruͤcke der Sache und ihre Em - pfindungen, und andere beſondere Fibern fuͤr das Gefal - len oder Mißfallen annehmen, die er Zufriedenheits - fibern nennet, und dann auch gewiſſe Kanaͤle oder Kommunikationsfibern, durch welche die Eindruͤcke aus jenen in dieſe letztern hinuͤbertreten koͤnnen. So lange die Eindruͤcke nur allein auf jene erſtern Fibern wirken, ſo lange haben wir nur Empfindungen, nur gleichguͤltige Empfindungen von den Dingen. Aber wir empfinden Wol - luſt oder Schmerzen, wenn die Veraͤnderungen aus dieſen Empfindungsfibern in die Zufriedenheitsfibern hinuͤber uͤbergehen, welche letztern das Organ des Gemuͤths ſind. Die Gewalt, welche wir in vielen Faͤllen uͤber unſere Empfindniſſe haben, und ohne Zweifel in noch mehreren erlangen koͤnnen, ſollen die angegebene Erklaͤrungsart beſtaͤtigen. Es iſt mancher Beobachtungen wegen derO 2Muͤhe212II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Muͤhe werth, ſich ein wenig bey dieſer Searchiſchen Jdee zu verweilen.
Was Hr. Search uͤberhaupt von Fibern im Gehirn vorbringet, kann man, wie ſchon anderswo erinnert iſt, fuͤr nichts mehr, als fuͤr eine bildliche Vorſtellungsart anſehen, die an ſich nicht unbequem und jetzo in pſycho - logiſchen Unterſuchungen gewoͤhnlich iſt. Wer kennet die Fibern des Gehirns, und hat ſie beobachtet? Es iſt wahrſcheinlich, daß es dergleichen gebe, vielleicht auch, daß ſie von ſo verſchiedener Art ſind, daß jede beſondere Klaſſe von Empfindungen und Thaͤtigkeiten auch ihre beſondern Theile in dem innern Werkzeug habe, die ei - gends fuͤr dieſe Seelenaͤußerungen beſtimmt ſind. Aber es iſt nicht ſo wahrſcheinlich, daß der Antheil der Orga - ne an den Seelenhandlungen von dem Umfang ſey, wie es in der beliebten Hypotheſe angenommen wird, auf welche die gedachte pſychologiſche Sprache ſich beziehet. Jch kann etwas von dem beobachten, was in mir, im Menſchen; in mir, in ſo ferne ich ein denkendes, em - pfindendes und vorſtellendes Weſen bin, vorgehet. Al - lein was in meinem Gehirn vorgehet, ob und wie daſelbſt die Fibern liegen, welche Geſtalt und Verbindung zwi - ſchen ihnen iſt, das kann ich nicht beobachten, ſo wenig als man das beobachten kann, was ausſchließungsweiſe in dem thaͤtigen unkoͤrperlichen Weſen iſt, welches man die Seele nennet. Man ſpricht, ſeitdem Hr. Bonner dieſen Ton nicht zwar zuerſt angeſtimmet, aber durch ſein Beyſpiel angenehm gemacht hat, von den Organen des Gehirns, nach einer Hypotheſe, wobey man aber doch nicht glauben ſollte, es ſey zugleich auch aus Beobach - tungen erwieſen, daß die Sache ſo ſey, wie ſie in unſe - rer neuern Phraſeologie vorgeſtellet wird. Nimmt man alſo den Gedanken aus der Searchiſchen Einkleidung her - aus, ſo haben wir nichts als die Fragen, die ich oben, ſo viel moͤglich, mit ihren eigentlichen Worten vorgetra -gen213uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. gen habe. Jſt naͤmlich die Empfindung des Angeneh - men, die eine innere Empfindung, von einer blos ſub - jektiviſchen Seelenbeſchaffenheit iſt, eine nachfolgende Empfindung, wozu die Seele uͤbergehet, nachdem ſie vorhero den Eindruck von dem Objekt ſelbſt, es ſey die - ſes in uns oder außer uns vorhanden, ſchon gefuͤhlet hat? oder iſt jene in dem Gefuͤhl der Sache ſelbſt be - griffen, als eine ihm anklebende Beſchaffenheit?
Da, deucht mich, es laſſe ſich darauf leicht antworten. Die Empfindung des Gegenſtandes iſt in dem empfin - denden Weſen vorhanden, deſſen Vermoͤgen auf eine gewiſſe Weiſe geſtimmet iſt. Dieß iſt Beobachtung. Jener Eindruck wirket alſo auf ſeine beſtimmte Weiſe, und bringt eine beſtimmte Wirkung hervor, die zugleich, indem ſie als Veraͤnderung in der Seele entſpringet, auch ihre Eigenheiten an ſich hat, wodurch ſie zu einem Ob - jekt einer beſtimmten Empfindung wird. Will man ſich gewiſſe Fibern einbilden, ſo nimmt dieſelbige Fiber, welche den Eindruck von dem Objekt empfaͤngt, in dem - ſelben Augenblick dieſen Eindruck mit ſeiner beſtimmten Beſchaffenheit auf, welche er darum an ſich hat, weil er eben auf dieſe ſo und nicht anders geſtimmte Fiber in der beſtimmten Maße auffaͤllt. Wie alſo die Kraft zu afficiren eine Beſchaffenheit iſt, die dem Eindruck an - klebet, ſo iſt auch die Ruͤhrung oder Affektion, als die Wirkung von jener, eine Beſchaffenheit, welche der Empfindung des Eindrucks als ſeiner Urſache beywoh - net. So ſtellet ſich auch Hr. Bonnet die Sache vor. Es iſt unnoͤthig, eine beſondere Fiber zu erdichten, die das Afficirende des Eindrucks aufnehme, wenn der Ein - druck ſelbſt von einer andern ſchon aufgenommen iſt. Es iſt ja nicht allein ein Ton; ſondern es iſt ein Ton in ei - nem beſtimmten Verhaͤltniß gegen die Gehoͤrnerven, den ich hoͤre; es iſt nicht blos eine Empfindung einer Sache; es iſt eine beſtimmte Empfindung von dieſer Sache, dieO 3eine214II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,eine gefallende oder mißfallende Empfindung, das iſt ein Empfindniß ausmacht. Jn der Abſtraktion kann das Ruͤhrende in einem Eindruck von dem Eindruck ſelbſt abgeſondert werden, wie die rothe Farbe von dem rothen Tuche; aber dennoch iſt es nur eine Beſchaffenheit deſ - ſelben. Dahero die Searchiſche Abſonderung der Zu - friedenheitsfibern, von den Fibern, in denen die Vor - ſtellung der Zufriedenheit bringenden Sache ſich befindet, unnoͤthig iſt, ob ſie gleich dazu dienen kann, das Eigene des Empfindniſſes, als welches gleichfalls eine abſolute Seelenmodifikation iſt, von dem, was blos zu der Em - pfindung des Objekts gehoͤret, deſto ſtaͤrker und auffal - lender in dem Ausdruck zu unterſcheiden.
Man kann dieſes auch noch deutlicher vorſtellen, wenn man, wie einige es gethan haben, hiebey Gefuͤhle und Empfindungen von einander unterſcheidet. Bishero iſt der geſammte Eindruck, der von einem Gegenſtand ent - ſpringet, oder die geſammte Veraͤnderung, die in uns, in der Seele, durch irgend eine Urſache hervorgebracht, und dann gefuͤhlet wird, die Empfindung genennet worden. Dieſe Empfindung hat zwey Seiten; laſſet uns ſolche unterſcheiden.
So ein gefuͤhlter gegenwaͤrtiger Eindruck, oder uͤber - haupt, ſo eine gefuͤhlte gegenwaͤrtige Modifikation, hat etwas an ſich, das fuͤr uns als ein Zeichen von ihrer Ur - ſache, als ein Bild von ihr, und als eine Vorſtellung gebrauchet werden kann. Dieß iſt es, was in uns, in ihrer Spur, die ſie zuruͤck laͤſſet, am meiſten als das ihr zugehoͤrige bemerket wird, und was wieder hervor - gezogen ihre Wiedervorſtellung ausmachet. Jn ſo weit iſt ſie eine Empfindung einer Sache. Es iſt dieß das klaͤrere, am leichteſten erkennbare, und am leichte - ſten zu reproducirende in dem geſammten Eindruck, das wir nicht ſowohl fuͤr eine Beſchaffenheit von uns ſelbſtanſehen,215uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. anſehen, als vielmehr fuͤr eine Abbildung eines Objekts, das wir dadurch zu empfinden glauben.
Jn ſo ferne iſt auch die geſammte Empfindung et - was gleichguͤltiges; ſie iſt keine Ruͤhrung; ſie hat nichts Angenehmes oder Unangenehmes an ſich. Sie unter - richtet nur den Verſtand, und ſtellet ihm Gegenſtaͤnde dar, die auf uns wirken.
Aber es lieget in der geſammten gefuͤhlten Modifi - kation, die zum Empfindniß wird, noch etwas mehre - res. Es iſt ein individueller Eindruck, davon der groͤßte Theil nur zuſammen auf einmal dunkel gefuͤhlet, nicht aber auseinander geſetzt und entwickelt werden kann. Jn ſo ferne iſt ſie blos Gefuͤhl von einer Veraͤnderung in uns; und in ſo ferne iſt ſie auch nur eine Ruͤhrung. Wenn ich einen entzuͤckenden Ton hoͤre, oder eine lachen - de Gegend ſehe, ſo iſt das was ich fuͤhle und empfinde, theils eine Empfindung gegenwaͤrtiger Dinge, die ich mittelſt einiger Zuͤge, welche in ihrer Wirkung auf mich enthalten ſind, kennen lerne; theils aber iſt es etwas, wovon ich weiter nichts weis, als daß es eine Veraͤn - derung in mir ſelbſt ſey, und es nicht ſo wie jenes auf aͤußere Gegenſtaͤnde beziehe. Als Empfindung von ge - wiſſen Toͤnen und von gewiſſen Koͤrpern iſt ſie mir gleich - guͤltig; aber als eine Veraͤnderung von mir ſelbſt, als ein Gefuͤhl hat ſie das an ſich, was ſie zu einem Em - pfindniß macht, was angenehm oder unangenehm bey ihr iſt.
Unter den Empfindungen des koͤrperlichen Ge - fuͤhls beſtehet der groͤßte Theil nur aus ſolchen verwirr - ten Gefuͤhlen. Die Empfindung von Hunger und Durſt, von Staͤrke und Schwaͤche, von Wohlſeyn und Uebel - ſeyn und dergleichen, ſind mehr Gefuͤhle als Empfindun - gen in dieſer Bedeutung. Von den Eindruͤcken, die auf den Geſchmack und den Geruch wirken, laͤſſet ſich daſſelbige ſagen. Die Empfindungen des Gehoͤrs habenO 4beide216II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,beide Beſchaffenheiten faſt in gleichem Grade an ſich; doch ſind ſie wohl mehr noch Gefuͤhle als Empfindun - gen von Gegenſtaͤnden. Aber dagegen ſind die Geſichts - empfindungen gewiß im Durchſchnitt mehr Empfindun - gen als Gefuͤhle.
Nach dieſer Vorſtellungsart kann man ſagen; die Empfindniſſe ſind das was ſie ſind, nur in ſo ferne als ſie Gefuͤhle ſind, nicht in ſo ferne ſie Empfin - dungen ſind; und es fließet daraus die wichtige Folge, daß alle und jede Arten von Empfindungen im Anfang, wenn ſie auf die junge Seele fallen, die es noch nicht ge - wohnt iſt, zu unterſcheiden und das Bildliche in ihnen auf die Objekte zu beziehen, von denen ſie verurſachet ſind, pure Gefuͤhle, und alſo durchaus Ruͤhrungen, oder afficirende Empfindungen ſeyn muͤſſen. Voraus geſetzt, daß ſie nur die gehoͤrige Empfaͤnglichkeit beſitze, um ſol - che Modificirungen aufzunehmen. Wenn alſo manche Eindruͤcke fuͤr nichts weiter als fuͤr Abbildungen von den Objekten angeſehen, und aus dieſem Grunde gleichguͤl - tig werden, (denn das letztere koͤnnen ſie auch ſonſt noch werden, ob ſie gleich Gefuͤhle bleiben;) ſo hat dieß ſei - nen Grund in der Reflexion, die ſie bewirket, und zu Jdeen von Sachen machet.
Dennoch iſt die Beziehung der Empfindniſſe auf die Empfindungen dieſelbige, wie ſie vorher angegeben wor - den iſt. Der ganze gefuͤhlte Eindruck, in ſo ferne er an - genehm oder unangenehm iſt, hat dieſe Beſchaffenheit eben darum an ſich, weil die geſammte individuelle Em - pfindung ſo etwas an ſich hat, was ſie zum Gefuͤhl ma - chet. Die Empfindung von dem Gefuͤhl unterſchieden, iſt hier zwar ein Theil des Ganzen, und man koͤnnte ſa - gen, jene habe die Gefuͤhle mit ſich verbunden. Allein wenn das Ganze, welches aus beiden beſtehet, Empfin - dung heißt, ſo iſt das, was ſie zu einem Gefuͤhl und zu einer Ruͤhrung machet, eine Beſchaffenheit derſelben. Jndeſſen217uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Jndeſſen will ich dieſe erwaͤhnte Unterſcheidung nun wie - der bey Seite ſetzen, und die ganze gefuͤhlte Veraͤnderung eine Empfindung nennen, wie ſie vorher geheißen hat.
Da entſtehet nun eine andere Frage, ob das Ruͤh - rende in der Empfindung von der Empfindung der Sa - che ſelbſt getrennet werden koͤnne? Es kann es nicht, woferne das Verhaͤltniß der empfindenden Kraft gegen den Eindruck nicht veraͤndert werden kann. Wenn die Eindruͤcke gleichguͤltig werden, die uns vorher lebhaft ruͤhrten, ſo haben entweder ſie ſelbſt oder die Empfaͤng - lichkeit der Seele ſich veraͤndert. Eine ſolche Veraͤn - derung iſt ſo gar waͤhrend der Empfindung in einigem Grade moͤglich. Wir koͤnnen, wie die Erfahrung leh - ret, unſere Empfindungswerkzeuge in einigen Faͤllen bis auf eine Grenze hin ſchlaffer machen, und gleichſam die Lebensgeiſter aus ihnen zuruͤcke ziehen; wir koͤnnen ſolche hingegen auch ſpannen, z. B. die Ohren ſpitzen. So etwas vermoͤgen wir auch uͤber unſere Empfindungs - vermoͤgen in dem Jnnern der Seele. Die Kraͤfte koͤn - nen in etwas willkuͤhrlich nachgelaſſen und angeſtrenget werden. Dadurch wird alsdenn ihr Verhaͤltniß zu dem Eindruck von dem Objekt, das ihnen vorlieget, um et - was veraͤndert, und die angemeſſene oder unangemeſſene Beziehung, wovon Luſt oder Unluſt abhaͤnget, befoͤrdert oder gehindert. Außerdieß koͤnnen andere Empfindun - gen, die ſtaͤrker ſind, erreget, und jene dadurch unter - druͤcket werden. Bis ſo weit, aber auch weiter nicht, erſtreckt ſich unſere Gewalt uͤber das Angenehme oder Unangenehme, das in den Empfindungen unmittelbar lieget.
Aber es iſt doch nicht außer acht zu laſſen, daß dieſe bisher betrachtete Verbindung des Afficirenden mit derO 5Em -218II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Empfindung des afficirenden Objekts nur eigentlich da ſtatt findet, wo von Empfindungen die Rede iſt, die fuͤr ſich allein und unmittelbar jene Beſchaffenheit, durch welche ſie Empfindniſſe ſind, an ſich haben. Die - ſelbigen Eindruͤcke bringen noch andere Veraͤnderungen hervor oder veranlaſſen ſolche, die man zu ihren natuͤrli - chen und unmittelbaren Wirkungen nicht rechnen kann. Solche Modificirungen, die nur mittelbar aus ihnen ent - ſtehen, und die ſie veranlaſſen, die Reproduktiones der Phantaſie, und die ſich dadurch aſſociirende wolluͤſtige oder fuͤrchterliche Jdeen; dieſes Kolorit der Empfindun - gen; die Aufwallungen der Triebe und Leidenſchaften, die Ungedult und dergleichen Zuſaͤtze und Ergießungen des Ruͤhrenden mehr, koͤnnen entweder zuruͤckgehalten, und die Empfindung in den Grenzen der Empfindung eingeſchrenket, oder ihren freyen Lauf behalten und befoͤr - dert werden. Der Koch, der die Speiſe koſtet, um ſie zu beurtheilen, empfindet ſie auf dieſelbige Art, wie der Wolluͤſtling, und findet ſie ſeinem Geſchmack gemaͤß, wie dieſer. Allein dadurch, daß er ſeinem Gefuͤhl eine gewiſſe Spannung giebt, als ein Beobachter, um mehr das Eigene des Eindrucks gewahrzunehmen, als das Vergnuͤgen aus derſelben in ſich zu ziehen, ſo iſt auch das Empfindniß in ihm nicht ſo lebhaft, obgleich die Em - pfindung als Empfindung ſchaͤrfer und feiner iſt, als bey dem andern, der die Speiſe auf ſeiner Zunge laͤnger er - haͤlt, ſeine Fibern in die angemeſſenſte Spannung gegen den Eindruck zu ſetzen ſuchet, ſich dem Gefuͤhl des Wohl - geſchmacks in dieſer Lage uͤberlaͤßt, und die ganze kitzeln - de Wolluſt, die darinn lieger, heraus zu ſaugen weiß. Bey dem erſten iſt die Empfindung mehr Empfindung des Gegenſtandes; bey dem letztern iſt ſie mehr ein Ge - fuͤhl. Die Wunde ſchmerzet, wenn anders natuͤrliche Empfindlichkeit vorhanden iſt. Dieß iſt nicht abzuaͤn - dern; aber Gedult und Staͤrke der Seele kann denSchmerz219uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Schmerz mindern oder unterdruͤcken, oder ihm ſeinen Stachel nehmen. Poſidonius mußte die Gichtſchmerzen als wahre phyſiſche Schmerzen fuͤhlen, und Epictet ſei - nen Beinbruch. Aber das vermochte die durch Weis - heit, und ſtoiſchen Eigenſinn geſtaͤrkte Seele, daß das Gefuͤhl mehr in den Grenzen des bloßen gegenwaͤrtigen Gefuͤhls eingeſchloſſen; und von der Phantaſie, von dem Herzen, dem Triebe und Beſtrebungen, wodurch die Un - ruhe vermehret wird, abgehalten wurde. Die Em - pfindung kann zur Vorſtellung gemacht und mit der Denkkraft bearbeitet werden, und dadurch wird ſie gewiſ - ſermaßen aus der Seele zuruͤckgeſchoben, und als ein Gegenſtand der Beobachtung vor ihr hingeſtellet. Ue - berdieß kann die innere Selbſtthaͤtigkeit der Seele maͤch - tige Quellen entgegengeſetzter Empfindungen eroͤfnen, um jene Schmerzen zu uͤberſtroͤmen; und endlich, koͤn - nen ſelbſt die Empfindungskraͤfte geſtaͤrket werden, ſo daß die Disproportion zwiſchen ihnen und zwiſchen den auf ſie wirkenden Objekten und alſo auch der wahre phy - ſiſche Schmerz, ſelbſt das Gefuͤhl als Gefuͤhl in etwas veraͤndert wird. Alle dieſe Wirkungen, die man in he - roiſchen Seelen antrift, und die entgegengeſetzten, die man bey ſchwachen, und kleinmuͤthigen Perſonen ge - wahr wird, erklaͤren ſich nun ſo zu ſagen von ſelbſt aus der angegebenen Beziehung, in der die Empfindniſſe auf die bloßen Empfindungen der Gegenſtaͤnde ſtehen.
Wir koͤnnen alles, was bey der Seele beobachtet wird, unter die beiden allgemeinen Klaſſen hin bringen. Es gehoͤret entweder zu den Vorſtellungen, das iſt, zu den Modifikationen, die ſich auf andere ſchon vorher - gegangne, wie hinterlaſſene Spuren von ihnen, be - ziehen, oder zu den uͤbrigen, die dergleichen Beziehun - gen auf andere nicht haben, ſondern ſich in uns als neue Abaͤnderungen unſers Zuſtandes eraͤugnen, wohin denn alle Arten des Thuns und Leidens der Seele gezogen wer - den muͤſſen. Dieſe Abtheilung iſt zwar nur aus demGroben221uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Groben gemacht, und ſehr unbeſtimmt, aber ſie hat vor - her in dem Erſten Verſuch uͤber die Vorſtellungen ſchon ihre guten Dienſte gethan, und es kann auch hier wie - derum Gebrauch von ihr gemacht werden. Alle beide Gattungen von Modifikationen koͤnnen Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls ſeyn, und als gegenwaͤrtige empfunden werden. Alsdenn ſind ſie Empfindungen. Beide Arten koͤn - nen auch ihr Afficirendes an ſich haben, und haben es, und ſind in ſo weit Empfindniſſe, oder koͤnnen es ſeyn. Will man aber, nach dem Beyſpiel anderer Pſycholo - gen, unter dem Wort Empfindungen nur ſolche in uns vorhandene Modifikationes befaſſen, die empfun - den werden, und nicht zu den Vorſtellungen gehoͤren, ſo iſt das was in uns gefuͤhlet wird, entweder eine Em - pfindung oder eine gefuͤhlte Vorſtellung. Alsdenn haben wir auch eine zwiefache Art von Empfindniſſen; nemlich ruͤhrende Empfindungen und ruͤhrende Vorſtellungen, und eine zwiefache Empfindſamkeit ſo wohl in Hinſicht jener, als in Hinſicht dieſer. Die letz - tere iſt es wohl, worauf die mehreſten bey dem Gebrauch des Worts Empfindſamkeit am meiſten Ruͤckſicht neh - men. Wenn jemanden ein empfindſames Herz zuge - ſchrieben wird, ſo iſt es mehr die Aufgelegtheit, von Vorſtellungen geruͤhret zu werden, als von Empfin - dungen, die man ihm beyleget. Das iſt nicht viel Em - pfindſamkeit, wenn ein Menſch aus den Eindruͤcken der groͤbern Sinne die darinn liegende Wolluſt herausſaugen; das Delicate einer Speiſe, das Angenehme der Wohl - geruͤche vorzuͤglich aufnehmen kann. Merklicher iſt ſie ſchon bey dem, der die Harmonie der Toͤne, und die Schoͤnheiten des Gefuͤhls, die von feinerer Art ſind, zu genießen weiß. Noch mehr werden wir den empfindſam nennen, welcher die innern Thaͤtigkeiten der Seele im Vorſtellen, im Denken, die Triebe und Regungen des Herzens, die Selbſtbeſtimmungen des Willens nichtgleich -222II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,gleichguͤltig empfindet. Alsdenn iſt aber Empfindſam - keit am auffallendſten, wenn das Afficirende in den Vor - ſtellungen, in dieſen feinern wiederzuruͤckkehrenden Modifikationen auf ſie wirken kann. Dieſe letztere Em - pfindſamkeit in Hinſicht auf Vorſtellungen hat an der ge - ſammten menſchlichen Empfindſamkeit den weſentlichſten und wichtigſten Antheil.
Man mag es mit den Worterklaͤrungen einrichten, wie man will. Aber fuͤr mich will ich in dieſem Abſatz bey den zuletzt beſtimmten Redensarten bleiben, und die ruͤhrende Empfindungen mit den ruͤhrenden Vorſtellun - gen vergleichen. Wie die letztern ruͤhrend werden, und woher ſie dieſe Kraft empfangen, das laͤſſet ſich alsdenn erſt erklaͤren, wenn es vorher gezeiget iſt, wie und mit welchen Empfindungen das Affieirende urſpruͤnglich ver - bunden iſt. Die Empfindniſſe aus Vorſtellungen ſind abgeleitete Saͤfte von den afficirenden Empfindungen her; es entſtehet alſo die Frage, in welchen Arten von Empfindungen das Afficirende urſpruͤnglich vorhanden ſey? Wo iſt die Seite der Seele, an der ſie den erſten Stoff ihres Wohls und Wehs aufnimmt, und von der ſolcher uͤber die ganze Seele verbreitet, vertheilet und ernaͤhret wird?
Es giebt urſpruͤnglich angenehme und unan - genehme Zuſtaͤnde und Eindruͤcke auf uns. Dieſe erregen ein Gefallen oder Mißfallen fuͤr ſich allein, ohne daß es einer Dazwiſchenkunft anderer bedoͤrſe, die et - wann in der Empfindung oder in der Reproduktion mit ihnen verbunden ſind. Es giebt ruͤhrende Empfin - dungen von außen, die es fuͤr ſich ſind, wie z. B. die Ergoͤtzungen des Gehoͤrs, des Gefuͤhls, des Geſichts, des Geſchmacks und des Geruchs, und die ihnen entge - gengeſetzten Eindruͤcke. Die Wirkung, die ſie auf unshervor -223uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. hervorbringen, gehoͤret ihnen unmittelbar, und ihnen ſelbſt fuͤr ſich zu; worinn auch ihre wirkeude Kraft liegen moͤge: Denn wir koͤnnen bey ihnen wohl noch weiter fra - gen, worinn ihr Vergnuͤgendes oder Schmerzendes be - ſtehe, aber wir koͤnnen nicht fragen, aus welchen andern und fremden Modifikationen das Afficirende in ſie uͤber - getragen werde? Von allem oberwaͤhnten will ich dieß letztere nicht behaupten. Viele Empfindungen des Ge - ſichts, des Gehoͤrs und ſelbſt Geſchmacks - und Geruchs - arten moͤgen fuͤr ſich allein ganz gleichguͤltige Eindruͤcke ſeyn, und nur durch die Verbindungen mit fremden Jdeen und Empfindungen ruͤhrend werden, deren afficiren - de Kraft ſich uͤber jene hingezogen und mit ihnen ver - bunden hat. Hr. Search nennet dieß eine Uebertra - gung der Empfindungen, oder der Empfind - niſſe. Es iſt zuverlaͤſſig, daß viele unſerer aͤußern Em - pfindungen nur Empfindniſſe durch eine ſolche Uebertra - gung ſind.
Dennoch iſt es doch auch gewiß, daß es urſpruͤng - lich afficirende Empfindungen gebe, daß die Muſik, der Anblick glaͤnzender Sachen — die aller Menſchen Her - zen, bis auf der dummſten Wilden ihrer in eine ange - nehme Wallung bringen, woferne nur nicht fremde Hin - derniſſe ihrer Wirkung entgegenſtehen — daß, ſage ich, dieſe und andre aͤhnliche ihr Angenehmes fuͤr ſich ei - genthuͤmlich beſitzen. Dieß ſind die erſten Quellen, aus denen die Empfindniſſe hervordrengen.
Jn einem andern Sinn kann man allerdings ſagen, es komme auch bey dieſen urſpruͤnglichen Empfindniſſen doch noch auf etwas mehr an, als auf die pure Empfin - dung der Sache, und als auf den puren Eindruck. Au - ßer dem Objektiviſchen in den Dingen wird noch et - was Subjektiviſches erfodert, weil die Wirkung eine ge - wiſſe Beziehung des Eindrucks auf das empfindende We - ſen vorausſetzet. Zu dieſem Subjektiviſchen gehoͤretauch224II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,auch in vielen Faͤllen ein Vorrath von Vorſtellungen und Jdeen, der in der Seele vorhanden ſey muß, ehe die er - foderliche Empfaͤnglichkeit und Empfindſamkeit vorhan - den iſt. So ſehen wir an den zarten Kindern, daß ſie in Hinſicht vieler Eindruͤcke von außen unempfindlich und gefuͤhllos ſind, in Vergleichung mit dem Grade von Em - pfindlichkeit, den ſie nachhero erlangen. Sie hoͤren die eindringendeſte Muſik; man ſieht ſie davon geruͤhret, aber bey weitem nicht ſo, wie in dem folgenden Alter, wenn ihre Empfindſamkeit ſich mehr entwickelt hat.
Jn dem Fall, wovon hier die Rede, wird es vorausge - ſetzet, daß die erfoderliche Empfaͤnglichkeit in der Seele vorhanden ſey. Wenn alsdenn harmoniſche Toͤne gefal - len, ſo iſt es das Objektiviſche, in der Empfindung, ſo viel nemlich von der Einwirkung des Objekts abhaͤnget, was die Gemuͤthsbewegung hervorbringet, indem es auf die Empfindungskraft und den ſonſtigen Zuſtand der Seele auf eine angemeſſene Art zuwirket. Da iſt alſo keine fremde Sache, kein fremder Eindruck, etwann eine Empfindung des Geſchmacks, der mit jener Ge - hoͤrsempfindung verbunden ſeyn, und ihr eine afficiren - de Kraft mittheilen doͤrfe. Wenn einem Liebenden der Weg angenehm iſt, der zu der Wohnung ſeiner Gelieb - ten hinfuͤhret, ſo ſieht man bald, daß dieß Gefallen an ei - ner Art gleichguͤltiger Sachen anders woher entſtehet; aber man kommt doch, wenn man weiter fortgehet, end - lich auf Empfindungen, die fuͤr ſich ſelbſt allein gefallen, und Grundempfindniſſe, oder Grundruͤhrungen ſind.
Aber nun in dem ganzen Jnbegrif der menſchlichen Empfindungen — und ich erinnere es hier von neuen, daß ich alle Arten von Modifikationen der Seele, die in uns gefuͤhlt werden, nur Vorſtellungen ausgenommen, darunter begreife — welche Empfindniſſe ſind denn ur - ſpruͤngliche Grundempfindniſſe? dieß iſt die vielbedeu -tende225uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. tende Frage, bey der die verſchiedenen Meinungen der Philoſophen uͤber die Natur des menſchlichen Wohls, uͤber deſſen erſte Quelle, und uͤber die Wuͤrde und den Werth deſſelben von einander abgehen. Welche Arten von Empfindungen ſind es nemlich, die urſpruͤnglich an - genehm oder unangenehm ſind? und welche ſind es nur durch die Uebertragung, oder durch die Mittheilung ge - worden? Sind es die aͤußern ſinnlichen Empfindun - gen des Geſichts, des Gehoͤrs, des Geſchmacks, des Geruchs und des Gefuͤhls, welchen die Wolluſt oder der Schmerz fuͤr ſich allein urſpruͤnglich anklebet? Dieß iſt das bekannte Syſtem des Helvetius, das auch von andern angenommen iſt; das nur etwas verfeinerte Sy - ſtem von der blos thieriſchen Gluͤckſeligkeit des Menſchen. Die moraliſchen Empfindungen gutthaͤ - tiger Triebe, das Gefuͤhl der Menſchenliebe, das Mit - leiden, und die Ergoͤtzungen aus der Beſchaͤftigung des Verſtandes ſind wolluſtvolle Empfindungen, auch nach den Grundſaͤtzen des Epikurs. Aber woher haben ſie dieſe Beſchaffenheit? Jſt es ihr eigner Saft, der in ihnen abgeſondert und zubereitet wird, oder muß er ih - nen anders woher zugefuͤhret werden, und zwar von den aͤußern Empfindungen des Koͤrpers, deſſen Quelle alſo ſogleich verſieget, wenn die aͤußern Empfindungen ihn nicht mehr zufuͤhren? Lebet der Menſch nur von dem Genuß deſſen, was aus den aͤußern Empfindungen in ſeine Vorſtellungen uͤbergeleitet iſt, ſo wird das, was den Archimedes an ſeine Betrachtungen feſſelte, die inni - ge bis in das Mark der Seele dringende ſanfte Luſt, die mit dem ungehinderten Fortgang in der Erkenntniß, mit der Nachforſchung und der Entdeckung der Wahrheit verbunden iſt, die Wolluſt, die der Menſchenfreund fuͤhlet, der den Nothleidenden vom Elende befreyet hat, welche auch in der Wiedererinnerung das Herz naͤhret und groß machet; ſo werden alle dieſe intellektuellenI. Band. Pund226II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,und moraliſchen Empfindniſſe fuͤr ſich ſelbſt nichts an ſich haben, was ſie ſo reizend macht. Jn jedem Fall ſoll eine angenehme aͤußerliche koͤrperliche Empfindung, entweder in der Phantaſie oder in der Empfindung, mit den innern Gefuͤhlen vergeſellſchaftet ſeyn, oft ohne daß wir dieſe gewahrnehmen, und dadurch ſollen ſie das An - ziehende erhalten, das uns mit einer Art von Leidenſchaft gegen ſie erfuͤllet. Die koͤrperlichen Vergnuͤgungen ſind der Nervenſaft, der alle uͤbrige Empfindungen und Vor - ſtellungen belebet, ohne welche dieſe nichts als eine todte Maſſe ſeyn wuͤrde.
Die dieſer entgegengeſetzte Hypotheſe iſt edler. Die - ſer zufolge hat jedwede Art von Veraͤnderungen und Thaͤ - tigkeiten, die uns ein Gefuͤhl unſerer Realitaͤt gewaͤhren, eine eigene urſpruͤnglich ruͤhrende Kraft in ſich. Ein ungehindertes Denken ohne Gefuͤhl von Schwaͤche, ein maͤchtiges Wollen und Wirken iſt allein fuͤr ſich ein ur - ſpruͤnglich angenehmer Zuſtand, ohne Ruͤckſicht auf die begleitende Empfindungen oder Vorſtellungen, die ohne Zweifel ihre bewegende Kraft mit jener ihren vereinigen. Nach dem erſten Syſtem ſind es blos die thieriſche; nach dieſer letztern auch die geiſtigen Modifikationes, wel - che zu der ganzen Maſſe des Wohls und der Gluͤckſe - ligkeit in der Seele ihren Antheil beytragen.
Ohne mich in das weitlaͤuftige Beſondere der Be - obachtungen hieruͤber einzulaſſen, will ich nur einige all - gemeine Anmerkungen hinzufuͤgen, die meine jetzige Ab - ſicht zulaͤſſet und zum Theil erfodert.
Die erſt erwaͤhnte Meinung iſt einer andern theoreti - ſchen Hypotheſe einiger Philoſophen von dem Urſprung aller Vorſtellungen aus den aͤußern Sinnen aͤhnlich, und beruhet auch eben ſo, wie dieſe letztere, auf einſeitigen Beobachtungen und auf unbeſtimmten Begriffen. Manſehe227uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſehe den Menſchen nur von allen Seiten an, wo man zu ihm kommen kann, ſo wird es, des blendenden Schmucks ohnerachtet, in dem Helvetius ſeine Jdeen aufgeſtellet hat, doch bald ſichtbar werden, daß der An - ſchein von Simplicitaͤt in dieſer Lehre am Ende in den Mangel eines vollſtaͤndigern Begrifs von dem Menſchen, ſeinen Grund habe; ein Mangel, der ſich uͤberall findet, wo man dieſen vielbefaſſenden Gegenſtand nicht aus mehr als Einem Geſichtspunkt zu beobachten ſuchet.
Jch will weder die Searchiſche Uebertragung des Vergnuͤgens laͤugenen, noch der Hartleyiſchen, von verſchiedenen andern auch deutſchen Philoſophen aufge - nommenen Aſſociation ihre Wirkungen abſprechen, die man ihnen nach den Beobachtungen zuſchreiben muß; aber beide ſind zu ſchwache Erklaͤrungsmittel, wenn ſie angewendet werden ſollen, die Ableitung alles Vergnuͤ - gens und Verdruſſes aus den aͤußern Empfindungen, als aus ihrer erſten und einzigen Quelle zu beſtaͤtigen. Es gehet ohne Zweifel ein ſolches Spiel in dem menſch - lichen Herzen vor, als dieſe Beobachter wahrgenommen haben. Der Menſch ſuchet anfangs das Geld, wenn er den Nutzen davon gelernet hat, um dieſes Nutzens, das iſt, um der ſinnlichen Vergnuͤgungen willen, um ſo manche Beduͤrfniſſe befriedigen, ſo manche Leidenſchaf - ten ſtillen zu koͤnnen, wozu es ein maͤchtiges Mittel iſt. Aber der Mann, den die Erwerbung dieſes Mittel Muͤ - he machet, verlieret ſich in dem Mittel, vergißt die Ab - ſicht, und machet ſich den Beſitz des Mittels und ſogar ſeine Bemuͤhung, um zu dem Mittel zu gelangen, zu ei - ner Quelle von Vergnuͤgen. Die Einbildungskraft traͤ - get die Luſt, welche ſonſten nur mit dem erreichten End - zweck unmittelbar verbunden iſt, auf die Vorſtellungen von dem Mittel und von dem Erwerb deſſelben hinuͤber, und weiß ſie dem letztern ſo feſt einzuverleiben, als wenn ſie urſpruͤnglich ihnen zugehoͤrte, oder mit ihnen von NaturP 2verbun -228II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,verbunden waͤre. So etwas aͤhnliches finden wir faſt in allen Begierden und Leidenſchaften. Aber ich glaube nicht, daß eine ſolche Uebertragung die ganze Wirkung, die in dem Herzen des Geizigen vorgehet, voͤllig erklaͤre, wie ſich hernach zeigen wird.
Es iſt hiebey auch nicht zu uͤberſehen, daß die Ab - leitung des Vergnuͤgens von einer Sache zu einer an - dern, auf eine ganz andere Art geſchehe, wenn die bloße Uebertragung des Hrn. Searchs ſtatt finden ſoll, als ſie nach der Jdeenaſſociation des Hrn. Hartley vor ſich gehet. Hr. Search ſtellet ſich die Sache ſo vor. Mit der Jdee einer Abſicht iſt ein Vergnuͤgen verbunden, darum weil es mit der Empfindung oder mit dem Genuß des Guten verbunden iſt, das man ſich zur Abſicht oder zum Zweck gemacht hat. Dieß Ver - gnuͤgen nun, welches der Vorſtellung von der Abſicht einverleibet iſt, ſoll ſich mit der Jdee von dem Reich - thum, als von dem Beſitz des Mittels unmittelbar ver - binden, und dann mit dieſer letztern in ſolchen unmittel - baren Verbindungen erhalten werden, ohne daß die Vor - ſtellung von der Abſicht, die anfangs die Mittelidee war, welche ſie vereinigte, nun ferner zwiſchen ihnen liegen, und weiter dazu beywirken doͤrfe. Nach dem Aſſocia - tionsſyſtem hingegen, ſoll die Jdee von der Abſicht immer dazwiſchen liegen und wirken. Sie iſt es, wel - che das Angenehme mit ſich zunaͤchſt vereiniget hat, und ſie behaͤlt es auch bey ſich. Aber da ſie mit einer an - dern Jdee, nemlich mit der von dem Mittel ſelbſt ver - bunden iſt, ſo verknuͤpſet ſie mit dieſer letztern das Ver - gnuͤgen als eine Mittelidee. Wenn nun gleich die oͤfters erneuerte und lebhaſtere Vorſtellung von dem Mittel die Vorſtellung von der Abſicht unterdruͤcket, und kaum mehr als gegenwaͤrtig ſie bemerken laͤßt, ſo iſt die letztere den - noch in dem innern Grunde der Seele gegenwaͤrtig, und wirket. Die Aſſociation des Vergnuͤgens an der Vor -ſtellung229uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſtellung von dem Gelde iſt alſo immer abhaͤngig von der ſie verbindenden Vorſtellung der Abſicht, und dieſe Ver - bindung mußte aufhoͤren, wenn die letztere gaͤnzlich aus der Seele ſich verlieren wuͤrde. Daher ſind es auch die - ſelbigen Vorſtellungen von dem, was man mit dem Gel - de machen kann, will und wird, und die naͤmlichen Hof - nungen auf das Vergnuͤgen, das man ſich von dem Gebrauch deſſelben verſpricht, die noch immer fort die Begierden des Geizhalſes reizen, und noch immer die Quelle ſeiner Luſt ſind, womit er ſich, es zu erwerben, be - muͤhet, ſo wie ſie es das erſtemal geweſen ſind. Und wenn nun gleich dieſe Luſt mit der Jdee von dem bloßen Beſitz, und mit dem bloßen Anblick des Metalls unmit - telbar ſcheint verknuͤpfet zu ſeyn, ſo kommt dieß nur da - her, weil der Gedanke, das Geld zu gebrauchen, unter - druͤcket wird. Hierinn iſt viel richtiges. Daß eine Jdee eine ganze Reihe anderer klaren Jdeen in der Phan - taſie herguffuͤhren, und vorige Empfindungen mit Leb - haftigkeit wieder erneuren koͤnne, ohne ſelbſt deutlich ge - nug wahrgenommen zu werden, iſt etwas, worauf ſo viele pſychologiſche Erfahrungen hinfuͤhren, daß es nicht bezweifelt werden kann. Aber muß deßwegen in allen Faͤllen die ruͤhrende Jdee gegenwaͤrtig ſeyn, wo ſie das erſtemal es hat ſeyn muͤſſen? Wenn man auf die Art und Weiſe zuruͤck ſiehet, wie neue Verknuͤpfungen der Jdeen in uns entſtehen, ſo erkennet man deutlich, es ſey nicht unmoͤglich, daß eine eigentliche Uebertragung des Vergnuͤgens, oder eine unmittelbare Verbindung deſſelben, mit Vorſtellungen, mit denen es ſonſten nur mittelbar verbunden geweſen iſt, in vielen Faͤllen ſtatt finde, wie Search es angenommen hat. *)Was Hr. Search eine Uebertragung nennet, hat, ehe ſein Buch bekannt geworden iſt, Hr. Garve, mit ſei - nem gewoͤhnlichen Scharfſinn und mit philoſophiſcherDeut -
P 3Es230II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Es ſey aber gleichviel, wie die Ableitung des Ver - gnuͤgens geſchehe, ſo kommt es darauf an, ob ſolche die obgedachten Phaͤnomene vollſtaͤndig zu erklaͤren hinreiche? Ob nicht in ſo vielen Faͤllen dieſer Art eine neue Quelle von Vergnuͤgen hinzu komme, die ſelbſt in der Arbeit, in dem Beſtreben und in der Thaͤtigkeit lieget, womit man die Abſicht zu erreichen ſuchet? Jch will die Ab - leitung des Vergnuͤgens wirken laſſen, was ſie kann, und ihre Macht nicht verkennen, wo die Erfahrung ſiezeiget.*)Deutlichkeit in der vortreflichen Schrift: uͤber die Neigungen, erklaͤret, und auch ſchon derſelben Be - nennung ſich bedienet. Warum die Reihe der Vorſtel - lungen, von der vom Beſitz des Geldes an, bis zu der Jdee von deſſen Genuß, in der Phantaſie des Geizigen ſo zu ſagen abgeſchnitten, und die Seele bey der Vor - ſtellung von dem Gelde, als der letzten ſtehen bleibet, und Vergnuͤgen, Bedoͤrfniß und Begierde daran hef - tet, davon iſt auch ein naturlicher Grund in dem Ge - ſetz der Reproduktion, „ daß, wenn viele Jdeenreihen „ Eine Vorſtellung, als einen gemeinſchaftlichen Punkt „ haben, auf welchen die Seele bey der Reproduktion „ kommen muß, wenn ſie zu jenen dahinter liegenden „ Reihen hin will, ſie gemeiniglich bey jenem Punkt, „ als bey einem Endpunkt ſtehen bleibet. ‟ Denn eben weil viele verſchiedene Reihen faſt gleich ſtark an dieſer gemeinſchaftlichen Vorſtellung anliegen, ſo kann ſie ſol - che nicht alle zugleich erwecken, und wird daher aufge - halten, und ſteht ſtill. Es muß eine oder die andere von den nachfolgenden aſſociirten Reihen vorzuͤglich leb - haft ſeyn, wenn die Einbildungskraft ihr weiter nach - gehen ſoll. So ein gemeinſchaftlicher Punkt mehrerer Reihen, iſt die Vorſtellung von dem Gelde in dem Kopf des Geizigen. Jch beziehe mich auf dieſelbige Garvi - ſche Schrift in Hinſicht der Frage, die hier gleich nach - folget. Es wuͤrde uͤberfluͤßig ſeyn, auch die uͤbrigen mit jener zugleich herausgekommenen Abhandlungen, bey dieſer ganzen Betrachtung als nuͤtzlich und vortref - lich zu empfehlen.231uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. zeiget. Die Phantaſie iſt eine große Zauberinn; ſie verwandelt duͤrre Sandwuͤſten in Paradieſe, und elende Huͤtten in Pallaͤſte; aber mit großer Einſchraͤnkung. Vermag ſie deswegen alles? ſollte nicht ſtarkes Gefuͤhl und Beobachtungsgeiſt, in vielen Faͤllen wenigſtens, es zu unterſcheiden wiſſen, ob die Farbe einer gewiſſen Em - pfindung nur ein Wiederſchein von einer andern Em - pfindung ſey, den die Phantaſie auf jene zuruͤck wirft; oder ob ſie der Empfindung eigenthuͤmlich zugehoͤre?
Da will ich einen jeden Beobachter ſelbſt durch ſein Gefuͤhl entſcheiden laſſen. Nur betrachte man vorher die beiden Arten von Affektionen, jede beſonders, die urſpruͤnglichen und die abgeleiteten, nebſt den Man - nigfaltigkeiten des Geſchmacks, und deſſen Abwechſelun - gen; und was das Weſentliche iſt, ſo nehme man Ruͤck - ſicht auf das, was von der afficirenden Kraft durch an - dere Beobachtungen außer Zweifel geſetzet worden iſt. Die Phantaſie und Dichtkraft moͤgen uns auch in unſern aͤußern ſimpeln Empfindungen mitſpielen. Allein ſo wenig ſie das Unterſcheidungszeichen wahrer Empfin - dungen uns ganz entreißen koͤnnen, wenn ſie gleich in un - zaͤhligen Faͤllen es zweifelhaft machen, ob Empfindung oder nur Vorbildung da iſt, ſo wenig werden ſie uns auch das Kennzeichen wegnehmen, an dem wir es wiſ - ſen koͤnnen, ob das Ruͤhrende einer Empfindung ſelbſt fuͤr ſich zukomme, oder ob es aus einer andern Em - pfindung in ſie hineingetragen worden ſey, oder jetzo hin - eingetragen werde?
Es iſt wahr, ein lebhafteres und ſtaͤrkeres Vergnuͤ - gen unterdruͤckt einen mattern und ſchwaͤchern Verdruß; und dieſer kann jenes wuͤrzen und ſchaͤrfen. Alsdenn wird der Verdruß gemeiniglich fuͤr ſich ſelbſt als Verdruß bemerket; aber auch oͤfters unterdruͤckt ihn die entgegen - geſetzte Bewegung gaͤnzlich, und macht ihn unbemerk - bar. Am leichteſten nehmen die an ſich gleichguͤltigenP 4Eindruͤcke232II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,Eindruͤcke die Farbe von den afficirenden an, die mit ihnen verbunden ſind. Jndeſſen ſiehet man, wenn gleich ein wirklich vorhandener Schmerz uͤber eine gute Geſell - ſchaft vergeſſen wird, ſo iſt doch nichts mehr noͤthig, als daß unſer Gefuͤhl durch irgend eine Veranlaſſung auf den Schmerz wieder hingelenket werde, um ihn von neuen zu fuͤhlen. Der beſchwerliche Weg zu der Spitze von dem Aetna behaͤlt doch immer ſein Beſchwerliches und ſein Mißfallendes, obgleich der Reiſende um der reizenden Ausſicht willen, die er oben antrift, jenes we - nig achtet. Jn ſolchen Beyſpielen, wo die Nebenem - pfindung, ſie ſey gleichguͤltig, oder afficirend, und der herrſchenden Empfindung entgegen, fuͤr ſich allein beſon - ders beobachtet werden kann, da hat ſie ihre Gleichguͤl - tigkeit oder ihre eigene ruͤhrende Gegenkraft durch die Ueberwucht der herrſchenden Empfindung niemals ver - loren. Es waͤre denn, was in einigen Faͤllen geſchehen kann, daß zugleich der erſtern ihr eigenes inneres Ver - haͤltniß auf die Empfindungskraft veraͤndert und ſie alſo ſelbſt nun zu einer fuͤr ſich afficirenden und der herrſchen - den aͤhnlichen Empfindung gemacht worden ſey. Wenn man erwaͤget, auf wie viele und mannigfaltige Arten eine ſolche Umaͤnderung moͤglich ſey, ſo wird man eben ſo geneigt werden, in Faͤllen, wo das Gleichguͤltige und Unangenehme angenehm geworden zu ſeyn ſcheinet, ſo - wohl eine wirkliche innerliche Umaͤnderung des Empfind - niſſes anzunehmen, als ſolches aus einer Uebertragung des Vergnuͤgens von einer andern Empfindung her zu erklaͤren. Es iſt zu vermuthen, daß jene Urſache eben ſo haͤufig als die letztere, bey den Veraͤnderungen des Geſchmacks an einerley Dingen mit im Spiel ſey.
Eine unzaͤhlige Menge von Gegenſtaͤnden hat eine leicht veraͤnderliche Beziehung auf unſre Empfindungs - vermoͤgen. Die wirklichen Empfindungen von ihnen koͤnnen bald gleichguͤltig, bald angenehm, bald unange -nehm233uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. nehm ſeyn, oder eins nach dem andern werden, obgleich die Objekte und die Eindruͤcke von ihnen, von einer Sei - te als Empfindungsbilder betrachtet, dieſelbigen blei - ben. Es haͤngt oͤfters nur davon ab, daß ſie um einen Grad lebhafter und ſtaͤrker, oder auch matter und ſchwaͤ - cher werden; oft davon, daß ſie mehr von der Einen, als von der andern Seite des Objekts uns auffallen; oft davon, daß unſere Empfindungskraft bald mehr, bald weniger frey und allein wirket, bald mit friſcher Kraft, bald mehr ermattet, bald ſtaͤrker bald ſchwaͤcher geſpan - net iſt, wenn ſie den Eindruck aufnimmt, und ſich mit ihm beſchaͤftigt. Wie oft iſt das, was nur obenhin angeſehen, nichts verſpricht, das Herz kalt und den Willen ruhig laͤſſet, genauer beſchauet und befuͤhlt, vel - ler Reize, voller Unterhaltung, Vergnuͤgen, Jntereſſe. Wie manche Sache hat ihre gute und boͤſe Seite zu - gleich; ihre vergnuͤgende und ihre verdrießliche. Die Dinge gefallen oder mißfallen, je nachdem ſie mit ihren Eindruͤcken den rechten Zeitpunkt in uns treffen. Die Neuheit iſt allemal eine Urſache vom Angenehmen, und benimmt auch den widrigen Empfindungen etwas von ihrem Beſchwerlichen. Die angenehmſten Empfin - dungen werden uns gleichguͤltig, und bringen am Ende, wenn das Organ durch ein anhaltendes Einerley ermuͤ - det iſt, Ueberdruß und Ekel hervor. Dieſes alles aͤn - dert das Verhaͤltniß der Eindruͤcke gegen die Empfin - dungskraft, und aͤndert alſo auch das Empfindnißbare in ihnen. Die Liebe zum Gewohnten, welche mit dem Hang zur Abwechſelung ſich wohl vertraͤget, machte je - nem Gefangenen ſeinen finſtern Kerker angenehmer, als die ihn angebotene freye und lichte Wohnung. Einige Veraͤnderung verlanget die Kraft, die durch das Einer - ley ſtumpf geworden iſt; aber eine zu große Veraͤnderung ſcheuet ſie, das iſt, eine ſolche, die ihr Gewalt thut und Schmerzen verurſachet; welches um deſto eher moͤglichP 5iſt,234II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,iſt, je mehr ſie durch eine zu lange Gewohnheit auf eine gewiſſe Art zu handeln, etwas ſteif und ungeſchmeidig zu neuen Abaͤnderungen in derſelben geworden iſt.
Jch wiederhole es; ich laͤugne die Wirkungen der Aſſociation und des Uebertragens nicht. Es werden manche Empfindungen allein ruͤhrend durch die Affektion, die von den vergeſellſchafteten fremden Empfindungen ih - nen zugefuͤhret wird. Das vergnuͤgte Herz freuet ſich uͤber jedes, was ſonſt gleichguͤltig iſt. Die innere Hei - terkeit der Tugend und Weisheit verbreitet ſich uͤber alles, was um den Menſchen iſt. Wir finden Sachen angenehm, und ſie bleiben es auch auf eine Weile nachher allein darum, weil mit ihrer erſten Empfindung aus der Fuͤlle des Herzens her eine Freudigkeit ſich vergeſellſchaf - tete, die ihnen noch nachher in der Reproduktion ankle - bet. So eine afficirende Kraft war nur uͤbergetragen. Das Vaterland, der Ort, wo wir erzogen ſind, die Stelle, wo wir uns oͤfters gut befunden haben, behal - ten dieſen Schimmer noch lange in der Zukunft. Dem Saͤufer wird auf einige Zeit ſein Lieblingsgetraͤnk ver - leidet, wenn ihm ein Vomitiv durch ſelbiges beygebracht iſt.
Aber mich deucht, wo das Vergnuͤgen oder der Verdruß in einer Empfindung nur anders woher mit ihr verbunden und in ſie uͤbergetragen iſt, und alſo in ihr ſelbſt keinen innern Grund hat, da zeige ſich ſolches deutlich und am meiſten an der Staͤrke und Dauerhaf - tigkeit, in der es mit ihr vereiniget bleibet. Die Ruͤh - rung, welche die Einbildungskraft mittelbar oder unmit - telbar der Empfindung zuſetzet, iſt doch nur eine repro - ducirte Affektion, nur eine Vorſtellung, die nicht in dem Grade ruͤhrend iſt, als wenn ſie aus der gegenwaͤrtigen Empfindung ſelbſt entſpringet. Ein Saͤufer findet das ihm verleidete Getraͤnk nach einiger Zeit doch wieder ſchmackhaft. Die Vorſtellung vom Vaterlande, die Jdee von dem Ort, dem Hauſe, dem Felde, wo dieſorgen -235uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſorgenloſe frohe Jugendzeit durchgelebet iſt, machet frey - lich noch einen Eindruck auf das Gemuͤth, der ſeine Ur - ſache in den ehemaligen Empfindungen hat, deren Erin - nerung ſich mit der gegenwaͤrtigen Empfindung verbin - det; aber wenn die letztere ſo ſtark ruͤhret, ſollte nicht wohl ihre groͤßte Kraft auf das Herz in ihr ſelbſt liegen, und daher kommen, weil man empfindet oder ſich vor - ſtellet, daß der Aufenthalt daſelbſt noch jetzo eine Quelle von Vergnuͤgen ſey? Wenn der Name des Vaterlan - des den Griechen und Roͤmer in Enthuſiasmus ſetzte, ſo war es daher, weil er ſonſten nirgends, als da, die Be - friedigung ſeiner thaͤtigen Triebe, wenigſtens nicht in der Maße zu der Zeit noch, da ihn dieſe Jdee ruͤhrte, antraf. Es war ihm alſo ſein Vaterland nicht nur vorhero angenehm geweſen, ſondern es war ihm noch jetzo ein Gut, ein Gluͤck, eine Urſache von Zufriedenheit und Vergnuͤgen. Wo dieſer letztere Umſtand fehlet, da be - haͤlt das Andenken des Vaterlandes noch wohl einen ſchwachen Schein von ſeiner vorigen Farbe; aber das Leben der Jdee iſt dahin, und ſie entzuͤckt nicht mehr. Es wird patria ubicunque bene eſt.
Jch habe geſaget, es ſey ein andres, wenn die Em - pfindung fuͤr ſich ſelbſt ein Empfindniß iſt, oder wenn ſie es nachhero fuͤr ſich ſelbſt wird, und ein andres, wenn ſie es nur durch eine fremde begleitende Jdee iſt. Dieß zeiget ſich auch ſehr deutlich in ſolchen Faͤllen, wo gewiſ - ſe Dinge, die uns im Anfang nur angenehm oder unan - genehm aus der letztern Urſache geweſen ſind, uns nach - hero ihrer ſelbſt willen lieb oder verhaßt werden. Wenn die Phantaſie zuerſt gewiſſe Sachen uns anpreiſet, und ihnen einen fremden Schein giebt, ſo veranlaſſet ſie, daß die Empfindungskraft auf dieſe Gegenſtaͤnde ſich mehr und inniger einlaͤſſet, und daß ſie mit der Begierde ſtaͤr - ker auf einen gewiſſen angemeſſenen Ton geſpannt und auf die Seite des Gegenſtandes hin gerichtet wird, die ſichfuͤr236II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,fuͤr ſie ſchicket. Dieß bringet ein Verhaͤltniß der Kraft gegen den Eindruck hervor, das vorhero nicht vorhan - den war, und es entſtehet ein Vergnuͤgen an ſolchen Em - pfindungen, oder in dem entgegengeſetzten Fall ein Miß - vergnuͤgen, das anfangs in dem Vorurtheil, der Aſſo - ciation und der Uebertragung, jetzo aber auch ſelbſt in der Empfindung gegruͤndet iſt. Die uͤbertragene Luſt oder Unluſt hatte die Kraͤfte der Seele vorbereitet, um die Empfindung genießen zu koͤnnen, und es traͤgt ſich oft zu, daß dieſe Empfaͤnglichkeit des Gemuͤthes, die auf ſolche Art durch ein vergeſellſchaftetes fremdes Empfind - niß entſtanden iſt, ſich auf einmal feſtſetze und in eine fortdaurende Fertigkeit auf eine aͤhnliche Art von einer aͤhnlichen Sache geruͤhret zu werden, uͤbergehe. Die Aufmerkſamkeit des faͤhigen Knabens auf ſein A. B. C. kann zuerſt durch den Kuchen gereizet worden ſeyn, den der Lehrer als eine Belohnung auf das Erlernen geſetzet hat. Aber die einmal ſo gereizte, geſtimmte und auf das Faſſen der Buchſtaben gerichtete Vorſtellungskraft findet nicht nur dieſe ſeine Beſchaͤftigung ſelbſt ſeinen Kraͤften angemeſſen, ſondern behaͤlt auch fuͤr die Zukunft die eingedruckte Fertigkeit, ſich mit gleicher Jntenſion mit dieſer Arbeit zu befaſſen. Alsdenn beſtehet dieſer Geſchmack auch in der Folge, und kann durch jeden neu - en gluͤcklichen Fortgang vergroͤßert werden. Jn allen ſolchen Faͤllen iſt es indeſſen eben ſo leicht zu unterſchei - den, ob wir etwas um ſein ſelbſt willen lieben, oder nur um etwas andern willen, als es leicht iſt, zu unterſchei - den, ob wir etwas aus eigener Einſicht glauben, oder um eines fremden Zeugniſſes willen, das uns anfangs auf die Sache aufmerkſam gemacht, und um deswillen wir ſie ſchon vorhero fuͤr richtig und wahr gehalten hatten.
Es giebt noch mehrere Kennzeichen, die eine von andern uͤbertragene Ruͤhrung von der eigenthuͤmlichenund237uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. und urſpruͤnglichen unterſcheiden laſſen. Wenn eine Jdee in der Einbildungskraft mit einer großen Menge anderer unmittelbar verbunden wird, ſo wird zugleich auch das Band, das ſie an jede einzelne dieſer verknuͤpf - ten Jdeen befeſtiget, deſto ſchwaͤcher und unbeſtimmter. Wir ſtoßen jeden Augenblick auf Eine von unſern ge - woͤhnlichen Jdeen, weil wir allenthalben von andern auf ſie hingefuͤhret werden. Allein eben dieſe Jdeen machen auch mit keiner, oder doch nur mit einigen wenigen, ein ſo eng verbundenes Ganze aus, als andere aſſociirte Vorſtellungen, die nur allein unter ſich, und ſonſten nur wenig mit andern verknuͤpfet ſind. Je mehrere Jdeen um eine andere unmittelbar herumliegen, deſto mehrere Beruͤhrungspunkte hat ſie an dieſen; aber deſto kleiner ſind auch die einzelnen Beruͤhrungspunkte, wo ſie mit jeder einzeln beſonders zuſammenhaͤnget. Wenn alſo ein Vergnuͤgen oder Verdruß von einer Empfindung auf mehrere gleichguͤltige Empfindungen uͤbergetragen wird, ſo kann es mit dieſen einzeln genommen nur in einem ſchwachen Grade vereiniget ſeyn, und alſo oͤfters von der einen oder andern getrennet werden. Und daher kann auch ſo eine Empfindung die mit ihr anderswoher verbundene Gemuͤthsbewegung niemals ſo voll und leb - haft wieder erneuern, als wenn ſie ſelbſt aus ſich ſolche hervorbringet. Wenn dagegen die Empfindung die af - ficirende Kraft auf ſich ſelbſt in ſich hat, ſo hat ſie auch ihre Wirkung unzertrennlich bey ſich, ſo lange nicht et - wann Gewohnheit und Ueberdruß ihre Natur als Em - pfindniß veraͤndern. Hierinn lieget fuͤr uns ein ſtarkes Unterſcheidungsmerkmal der Empfindniſſe, die fuͤr ſich ſind, was ſie ſind, und der Empfindungen, die nur durch eine anderswoher verpflanzte Luſt oder Unluſt zu Empfindniſſen gemacht worden ſind.
Dieſe Anmerkungen ſind Grundſaͤtze in der Optik des Gemuͤths. Wenden wir uns mit ihnen verſehen nunmehr zu den Erſcheinungen, in der Abſicht, die Em - pfindungen, die ihrer Natur nach und urſpruͤnglich Empfindniſſe ſind, auszumerken; ſo zeiget ſich bald, daß die koͤrperlichen aͤußern Empfindungen der Zeitordnung nach bey dem Menſchen die Erſten unter ihnen ſind. Gefuͤhl, Geſchmack ſind bey dem Kinde die Sinne, deren Empfindungen zuerſt angenehm oder wi - drig ſind. Es beweiſet ſich dieſes in ihren Beſtrebun - gen, von einigen Dingen ſich zu entfernen, und zu andern ſich hinzu zu naͤhern. Der Geruch iſt ein Sinn, der ſchon weniger beſtimmt iſt, und vielleicht, ehe er durch Uebung verfeinert wird, der gleichguͤltigſte. Dieſe Em - pfindungen ſind auch die groͤbſten, dunkelſten und ſtaͤrk - ſten. Auf die Eindruͤcke, die das Gehoͤr und das Ge - ſicht empfangen, wird das Kind ſchon mehr durch die Amme von außen her aufmerkſam gemacht, indem ſie ihm allerley glaͤnzende Gegenſtaͤnde vorhaͤlt, und durch einen lebhaften Ausdruck ihres eigenen Vergnuͤgens oder Verdrußes, zu einer aͤhnlichen ſympathetiſchen Empfind - niß es zu reizen ſuchet. Eben ſo machet man es mit ge - wiſſen Schallarten der Klapperbuͤchſe und Schellen. Und dann ſieht man erſt nachher, daß das Kind eine Auswahl anſtellet, und dadurch zu erkennen giebt, daß ihm eine Art von Bildern und von Toͤnen angenehmer geworden ſey, als eine andere.
Das innere Selbſtgefuͤhl, das Gefuͤhl eige - ner Thaͤtigkeiten, der Phantaſie, der Denkkraft, des Herzens u. ſ. f. entwickelt ſich zwar zwiſchendurch mit den aͤußern Sinnen, aber es iſt doch immer, ſo zu ſagen, um einen Schritt zuruͤck. Da es ſchon bey den feinern Empfindungen der aͤußern Sinne erfodert wird,durch239uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. durch gewiſſe Huͤlſsmittel das Gefuͤhl auf ſie hinzulenken, und auf ſie aufmerkſam zu machen, wenn ſie ſo gefaſſet werden ſollen, daß ſie die Empfindſamkeit reizen, ſo iſt eine aͤhnliche Richtung und Erregung bey den uͤbrigen Empfindungen noch um einen Grad mehr nothwendig. Man muß es dem Kinde noch oͤfterer ſagen, und voll - ausgedruckt ſagen, mit